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Full text of "Deutsche Vierteljahrsschrift Für Öffentliche Gesundheitspflege 40.1908 Harvard"

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Book 

University of Chicago Library 

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Deutsche Vierteljahrsschrift 

für 

öffentliche Gesundheitspflege 


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Deutsche Vierteljahrssclirift 

für 

öffentliche Gesundheitspflege 

Organ 

des 

„Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege“ 

Herausgegeben von 

Oberbürgermeister Dr. F. Adickes (Frankfurt a. Main), Oberbürger¬ 
meister Dr. med. hon. P. Fuss (Kiel), Geh. Medizinalrat Professor 
Dr. G. Gaffky, Direktor d. Institutes für Infektionskrankheiten (Berlin), 
Hofrat Professor Dr. Max Gräber (München), Bezirksarzt Dr. Sigmund 
Merkel (Nürnberg), Geh. Ober - Medizinalrat a. D. Dr. M. Pistor 
(Berlin), Professor Dr. Pröbsting (Köln), Regierungs- und Geh. Medi¬ 
zinalrat Dr. Roth (Potsdam), Ober- und Geh. Baurat Dr. J. Stübben 
(Berlin), Regierungs- und Geh. Medizinalrat Dr. R. Wehmer (Berlin) 

Redigiert 

von 

Moritz Pistor und Sigmund Merkel 

Berlin Nürnberg 


Vierzigster Band 


Braunschweig 

Drnck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn 

1 9 0 S 


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4'!- I. 


Alle Reohte, namentlich das Recht der Übersetzung in fremde Sprachen, 

Vorbehalten. 


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335331 

Inhalt des vierzigsten Bandes. 


Erstes Heft: Seite 

Bericht des Ausschusses über die zweiunddreißigste Versammlung des 

„Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege“ in Bremen 
am 11., 12. und 13. September 1907 . 1 

Erste Sitzung. 

Eröffnung der Versammlung. 2 

Rechenschaftsbericht. 4 

Nr. I. Die Verbreitungsweise und Bekämpfung der epide¬ 
mischen Genickstarre. 7 

Leitsätze des Referenten Geh. Medizinalrat Professor 

Dr. Flügge (Breslau). 7 

Referat von Geh. Medizinalrat Professor Dr. Flügge . 9 

Diskussion. 21 

Nr. II. Wie hat sich auf Grund der neueren Forschungen 

die Praxis der Desinfektion gestaltet?. 38 

Leitsätze des Referenten Professor Dr. Tj aden (Bremen) 38 

Referat von Professor Dr. Tjaden. 39 

Diskussion. 53 

Zweite Sitzung. 

Nr. III. Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem 

Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege ... 59 

Leitsätze des Referenten Sanitätsrat Dr. M u g d a u (Berlin) 59 

Referat von Sanitätsrat Dr. Mugdan. 61 

Diskussion. 71 

Nr. IV. Die Gartenstadt. 91 

Leitsätze des Referenten Professor Dr. C. J. Fuchs 

(Freiburg). 91 

Referat von Professor Dr. C. J. Fuchs. 91 

Diskussion.102 

Dritte Sitzung. 

Neuwahl des Ausschusses.114 

Nr. V. Der moderne Krankenhausbau vom hygienischen und 

wirtschaftlichen Standpunkte.115 

Leitsätze deB Referenten Prof. Dr.Lenhartz (Hamburg) 115 

Referat von Professor Dr. Lenhartz.117 

Leitsätze des Korreferenten Baurat Ruppel (Hamburg) 152 

Korreferat von Baurat Ruppel.153 

Diskussion.180 

Sohluß der Versammlung.203 

Ein neues Bausystem für Krankenanstalten und Wohnhäuser. (Mit einer Ab¬ 
bildung im Text.) Autoreferat von Dr. med. D. SaraBon, Berlin . . . 204 

68989 


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VI 


Inhalt des vierzigsten Bandes. 


Seite 


Kritiken and Besprechungen: 

Räuber, H.: Zusammenstellung der gesetzlichen Bestimmungen, Erlasse 

und Verfügungen für das Medizinalwesen in Preußen. (E. R.) . . . 209 

Lehrbuch der Fleischhygiene. (Dr. Bündle).209 

Grundzüge der Hygiene unter Berücksichtigung der Gesetzgebung des 

Deutschen Reichs und Österreichs. (S. Merkel, Nürnberg) .... 211 
Neu erschienene Schriften über öffentliche Gesundheitspflege. (116. Ver¬ 
zeichnis) .212 

Zweites Heft: 

Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. Von M. Pistor.225 

Zur Wohnungsfrage. Von Sanitätsrat Dr. Landsberger (Charlottenburg) . 251 
Über die Rauch- und Rußfrage insbesondere vom gesundheitlichen Standpunkte 
und eine Methode des Rußnachweises in der Luft. (Mit 8 Abbildungen 

im Text.) Von Dr. H. Lief mann.282 

Das religiöse Fasten in hygienischer und sozialpolitischer Beziehung. Von 

Dr. Arnold Flinker, k. k. Bezirksarzt in Wiznitz a. Cz.345 

Alkohol und Herz. Eine kritische Studie von Dr. Wern. H. Becker (staats- 

ärztl. geprüfter Arzt), Dassel a. Solling.351 

Arbeiterwohnungen in England. (Mit 5 Abbildungen im Text.) Von Dr. 

Julian Marcuse.360 

Beobachtungen auf dem 3. Allgemeinen mflchwirtschaftlichen Kongreß im 

Haag. Von Dr. F. Preis s.369 

Entgegnung vom Stabsapotheker Droste in Hannover.375 

Gegenäußerung. (M. P.).379 

Vereine und Versammlungen: 

Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. Vorläufige Mitteilung . 380 

Kritiken and Besprechungen: 

Dunbar, Prof. Dr.: Leitfaden für die Abwusserreinigungsfrage. (Lands¬ 
berger, Charlotteuburg).381 

Kirchner (vortrag. Rat im preuß. Kultusministerium): Die gesetzlichen 
Grundlagen der Seuchenbekämpfung. (Landsberger, Charlotten¬ 
burg) .382 

Goldschmidt: Die Tierwelt des Mikroskops (die Urtiere); — Wieler: 
Kaffee, Tee, Kakao und die übrigen narkotischen Getränke; — Der 

Alkoholismus. (Landsberger, Charlottenburg).382 

Kori, H.: Die Korisehen eisernen Öfen. (R. Abel, Berlin).383 

Lehmann, K. B., und Neumann, R. 0.: Atlas und Grundriß der Bak¬ 
teriologie und Lehrbuch der speziellen bakteriologischen Diagnostik. 

(R. Abel, Berlin).384 

König, J., und Juckeuack, A.: Die Anstalten zur technischen Unter¬ 
suchung von Nahrungs- und Genußmitteln, sowie Gebrauchsgegen- 

ständen. (R. Abel, Berlin).384 

Lang, L.: Die kindliche Psyche und der Genuß geistiger Getränke. 

(R. Abel, Berlin).385 

Deutsch, Julius: Die Kinderarbeit und ihre Bekämpfung. (E. R.) . . 386 
Bleivergiftungen in hüttenmännischen und gewerblichen Betrieben. 

Ursachen und Bekämpfung. (E. R.).387 

Götze. Rudolf: Über Nervenkranke und Nervenheilstätten. (E. R.) . 387 
Julius Marcuse: Im Kampf um die Gesundheit. (Kisskalt, Berlin) . 388 
Entwässerung und Reinigung der Gebäude. (Kisskalt, Berlin) .... 388 


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Inhalt des vierzigsten Bandes. VII 

S«ite 

l)r. Robert Behls, Geh. Medizinalrat: Der tatsächliche Krebserreger, 

sein Zyklus und seine Dauersporen. (S. Merkel, Nürnberg) . . . 389 

Henry v. Winkler, Stadtchemiker in Reval, und Frau Irmgard 
v. Winkler, geh. Röser: Merkblätter für die erste Ernährung des 

Kindes. (S. Merkel, Nürnberg).390 

Dunbar: Zur Frage der Stellung der Bakterien, Hefen und Schimmel¬ 
pilse im System. (Gärtner).390 

Neu erschienene Schriften über öffentliche Gesundheitspflege (117. Ver¬ 
zeichnis) .892 

Ankündigung.400 


Drittes Heft: 

Beiträge zur Kenntnis der großstädtischen Luftverunreinigung und des Groß- 
stadtklimas auf Grund von Untersuchungen mittels des Aitkenschen 
Staubzählers. Von Dr. med. Wilh. Gemünd (Aachen), Dozent für 


Hygiene an der Technischen Hochschule.401 

Hygienische Rückblicke aus England. Von R. Wehmer (Berlin).430 

Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren Stand Ende 1907. Von 

Dr. Nesemann, Regierungs- und Medizinalrat in Berlin.450 

Über das Schlafburschenunwesen und über Ledigenheime vom Standpunkte 
der öffentlichen Gesundheitspflege. Von Dr. med. Arthur Wandel 

(Kiel). 483 

Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. Von M. Pistor.500 

Berichtigungen .555 

Kritiken und Besprechungen: 

Salomon: Die städtische Abwässerbeseitigung in Deutschland. (Kisskalt, 

Berlin).556 


Prof. Dr. A. Möller: Hausschwamm-Forschuugen. (Kisskalt, Berlin) . 566 
Dr. Greinacher, Privatdozent an der Universität Zürich: Über die 

Klassifizierung der neueren Strahlen. (Landsberger, Charlottenburg) 557 
I)r. Theodor Altschul, k. k. Sanitätsrat: Lehrbuch der Körper- und 

Gesundheitslehre (Somatologie und Hygiene). (A. Hartmann, Berlin) 568 
Prof. H. Chr. Nussbaum: Die Hygiene des Wohnungswesens. (J. St.) 659 


R. Müller: Die Bekämpfung der Bleigefahr in Bleihütten. (K. R.) . . 559 
Dr. med. A. Baur: Atlas der Volks- und Schulhygiene. (Altschul, 

Prag).560 

Prof. Dr. A. Tobeitz in Graz: Differentialdiaguose der Anfangsstadien 

der akuten Exantheme (Dr. R. Boltz, Hamburg).561 

Vereine und Versammlungen: 

Deutscher Verein für öffentl. Gesundheitspflege. (Diesjährige Versammlung) 562 


Neu erschienene Schriften über öffentliche Gesundheitspflege. (118. Ver¬ 
zeichnis) .564 

Viertes Heft (Erste Hälfte): 

Die Anstalten und die Tätigkeit des Vereins zur Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose in Nürnberg im Jahre 1907. (Mit 8 Abbildungen im Text.) Von 

Dr. A. Frankenburger.677 

über Turnen und Bewegungsspiele in den höheren und niederen Schulen 
vom Standpunkte der öffentlichen Gesundheitspflege. Von Dr. med. Paul 
Kayser, Magdeburg (Oberarzt beim Sanitätsamt IV. Armeekorps) . . . 595 
Über Selbstreinigung der Flüsse. Von Dr. med. Friedr. Hettersdorf . . 615 


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VIII 


Inhalt des vierzigsten Bandes. 


Seite 


Über die Mitwirkung des Badearztes bei der Bekämpfung ansteckender Krank¬ 
heiten und über den Bau und die Einrichtung von Isolieranstalten für 
Infektionskrankheiten in den Kurorten. (Mit 3 Abbildungen im Text.) 

Von Dr. Enno Arends.. . 637 

Geschichte der Sterblichkeit und der öffentlichen Gesundheitspflege in Frank¬ 
furt a. M. Von Dr. itied. W. Hanauer. (Fortsetzung).651 

Über käufliche Apothekenprivilegieu und deren Ablösung sowie über die 

Pensionierung der Apotheker. Von E. Axel Holmström.679 

Kritiken and Besprechungen: 

Dr. Fr. Schoofs: Traite d’Hygiene pratique. (Dr. R. Boltz-Hamburg) 704 
Prof. Dr.Hermann Fehling, ordentl. Prof, der Geburtshilfe und Gynäko¬ 
logie: Wundinfektion und Wundbehandlung im Wandel der Zeiten 

und Anschauungen. (M. P.).706 

W. Weichardt: Jahresbericht über die Ergebnisse der Immunitäts¬ 
forschung. (K. Altmann).706 

Ford. Hueppe: Was soll der Arzt über die Gefahren der Infektions¬ 
krankheiten in den Samariterkursen lehren? (Kisskalt-Berlin) . . 707 
Else Hueppe: Krankenpflege bei den Infektionskrankheiten. (Kiss¬ 
kalt-Berlin) .708 

Dr. med. Alfred Grotjahn (Berlin): Krankenhaus wesen und Heilstätten¬ 
bewegung im Lichte der sozialen Hygiene. (S. Merkel-Nürnberg) 708 
Dr. Joseph Rambo usek: Über die Verhütung der Blcigefabr. (S. Merkel- 

Nürnberg).710 

Dr. med. A. Grotjahn und Dr. phil. F. Kriegei: Jahresbericht über 

soziale Hygiene. (S. Merkel-Nürnberg).710 

Oberstabsarzt Prof. Dr. Dieudonne: Immunität, Schutzimpfung und 

Serumtherapie. (S. Merkel-Nürnberg).711 

Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele. (S. Merkel-Nürnberg) .... 711 

Desinfektion. (S. Mer kel-Nürnberg).711 

Geh. Medizinalrat Dr. J. Bornträger: Diätvorschriften für Gesunde und 

Kranke jeder Art. (S. Mer kel-Nürnberg).712 

Viertes Heft (Zweite Hälfte): 

Welche Mittel hat der Staat, um dem Überhandnehmen des Genusses alkoho¬ 
lischer Getränke vorznbeugen? Von Dr. med. W. Fischer.713 

Die V. Versammlung der Tuberkuloseärzte. Von Ritter-Edmundsthal . . . 745 

Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. Zweiter Teil. (Fortsetzung.) 

Von M. Pistor.749 

Kritiken and Besprechungen: 

Dr. med. Juli au Marcus e: Körperpflege durch Wasser, Luft und Sport. 

(S. Mer kel-Nürnberg).811 

Dr. M. Hindhede: Eine Reform unserer Ernährung. (S. Merkel- 

Nürnberg).811 

Leo Burgerstein: Zur Schulbankfrage. (Alt sch ul-Prag).812 

Dr.de Keating-Hart: Die Behandlung des KrebseB mittels Fulguration. 

(Port-Nürnberg).813 

Nen erschienene Schriften über öffentliche Gesundheitspflege (119. Ver¬ 
zeichnis) .815 

Gennmttibersicht des XXXIX. und XL. Bandes.825 


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Bericht des Ausschusses 

über die 

Zweiunddreissigste Versammlung 

des 

Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege 

zu Bremen 

am 11 ., 12. und 13. September 1907. 


Tagesordnung: 

Mittwoch, den 11. September. 

Erste Sitzung. 

Eröffnung der Versammlung; Rechenschaftsbericht und geschäftliche 
Mitteilungen. 

I. Die Yerbreitungsweise und Bekfimpfhng der epidemischen Genick« 
starre. # 

Referent: Geh. Medizinalrat Professor Dr. Flügge (Breslau). 

II. Wie hat sich auf Grund der neueren Forschungen die Praxis der 
Desinfektion gestaltet? 

Referent: Professor Dr. Tjaden (Bremen). 


Donnerstag, den 12. September. 

Zweite Sitzung.« 

111. Die Mitwirkung der Krank enrerslcherung auf dem Gebiete der 
öffentlichen Gesundheitspflege. 

Referent: Sanitätsrat Dr. Mugdan (Berlin). 

IY. Die Gartenstadt. 

Referent: Professor Dr. C. J. Fuchs (Freiburg). 


Freitag, den 13. September. 

Dritte Sitzung. 

Y. Der moderne Krankenhausbau rom hygienischen und Wirtschaft« 
liehen Standpunkte. 

Referenten: Professor Dr. Lenhartz (Hamburg). 

Baurat Ruppel (Hamburg). 


Vierteljshrnchrift für Gesundheitspflege, 1908. 


1 


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2 


XXXII. Versammlung des Deutschen Vereins 


Erste Sitzung. 

Mittwoch, den 11. 8eptember 1907, 9 Uhr vormittags. 

Vorsitzender, Oberbürgermeister Dr. Lentze (Magdeburg): „Meine 
hochverehrten Damen und Herren! Im Aufträge des Vorstandes erlaube 
ich mir, die 32. Jahresversammlung des Deutschen Vereins für öffentliche 
Gesundheitspflege hiermit zu eröffnen. 

„Ich heiße Sie alle von Herzen willkommen und möchte nicht unter¬ 
lassen, meiner ganz besonderen Genugtuung darüber Ausdruck zu verleihen, 
daß Sie in so großer Zahl aus den verschiedensten Gebieten unseres Vater¬ 
landes hierher gekommen sind. Manche von Ihnen sind zum ersten Male 
Teilnehmer einer Jahresversammlung unseres Vereins, und ich möchte 
gerade bei denen wünschen, daß sie besondere Liebe zum Verein fassen und 
an den Bestrebungen und an den Zielen des Vereins einen tätigen Anteil 
nehmen. 

„Ich möchte aber auch meiner besonderen Freude und Dankbarkeit 
darüber Ausdruck geben, daß unser hochverehrtes Ehrenmitglied, Herr 
Geheimer Sanitätsrat Professor Dr. Lent, welcher denVerein mitbegründet 
und von der Begründung an fast alle unsere Vereinssitzungen besucht hat, 
hier unter uns weilt. Ich begrüße Herrn Geheimrat Professor Dr. Lent 
auf das allerherzlichste. 

„Ich erlaube mir dann, Herrn Bürgermeister Dr. Bark hausen das , 
Wort zu erteilen.“ 

Bürgermeister Dr.f Barkhausen (Bremen): „Hochgeehrte An¬ 
wesende! Wenn auch jede nützliche Versammlung in unserer kongreßlustigen 
Zeit in Bremen herzlich willkommen geheißen wird, so gereicht es dem 
Senate doch zur ganz besonderen Freude, den hochansehnlichen Deutschen 
Verein für öffentliche Gesundheitspflege hier begrüßen zu dürfen. Sind ja 
die Ziele, denen Sie nachstreben, im höchsten Maße dazu angetan, allseitiges 
Interesse und wärmste Sympathien zu erwecken. 

„Obgleich Ihre diesjährige Versammlung erst die 32. in der Geschichte 
des Bestehens Ihres Vereins ist, so glaube ich doch behaupten zu dürfen, 
daß Sie in gewissem Sinne ein 40 jähriges Jubiläum in diesem Jahre feiern. 
Denn im Jahre 1867 wurde auf der Versammlung deutscher Naturforscher 
und Ärzte zu Frankfurt a. M. eine hygienische Sektion, gewissermaßen eine 
Vorläuferin Ihres Vereins, gegründet, und Pettenkofer, Ihr berühmtes 
Ehrenmitglied, schuf dort den Namen der »Öffentlichen Gesundheitspflege«. 

„Welche ungeheuren Fortschritte sind seitdem auf dem Gebiete Ihrer 
Wissenschaft zu verzeichnen! Die öffentliche Gesundheitspflege ist nicht 
bloß ein Gegenstand eifrigster Pflege und Förderung seitens der gelehrten 
Forscher gewesen: sie ist auch ein unentbehrlicher Bestandteil in der Bil¬ 
dung derjenigen geworden, die im praktischen Dienste der Verwaltung stehen. 


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für öffentliche Gesundheitspflege zu Bremen. 


3 


„Bei der 25 jährigen Feier des Bestehens Ihres Vereins im Jahre 1898 
in Köln erklärte der damalige Herr Vorsitzende, daß sich aus der bisherigen 
Tätigkeit des Vereins zwei Hanptlehren ergäben: Die nächste Aufgabe des 
Vereins sei es, in seiner eigenen Mitte die durch Forschung, Beobachtung 
und Erfahrung gewonnenen Überzeugungen des einzelnen zu gemeinsamen 
Überzeugungen zu erheben. Die zweite Aufgabe sei das Hinaustragen der 
gemeinsam erkannten "Wahrheiten in die freie Luft der Nutzanwendung. 
Ausdrücklich betonte er hierbei den Satz: «Die Sorge für die öffentliche 
Gesundheitspflege liegt in erster Linie den Gemeinden und den analogen 
politischen Verbänden ob. In der öffentlichen Gesundheitspflege sind wesent¬ 
liche Fortschritte nur auf dem Wege der Selbstverwaltung zu erwarten«. 

„So bilden denn auch die deutschen Städte, diese hervorragenden 
Träger der Selbstverwaltung, einen wesentlichen Teil der Mitglieder Ihres 
Vereins. Bei Ihren Tagungen haben die Vertreter der Städte, in denen die 
jeweilige Versammlung stattfand, meist mit einer gewissen Genugtuung auf 
dasjenige hingewiesen, was in der betreffenden Stadt in sanitärer Hinsicht 
bereits geschehen sei. Einst wegen schlechter gesundheitlicher Verhältnisse 
verrufene Städte sind zu wahren Mustern der Gesundheitspflege geworden. 

„Das Gemeinwesen, als dessen Vertreter ich Sie zu begrüßen heute die 
Ehre habe, befindet sich insofern in einer eigentümlichen Lage, als ihm zu¬ 
gleich staatliche und kommunale Aufgaben obliegen. Die Aufrechterhaltung 
der Stellung Bremens im Welthandel macht gewaltige Ausgaben erforderlich, 
welche anderswo meist von größeren Gemeinwesen getragen werden. Da 
liegt denn die Gefahr nahe, daß neben den großen Zielen, die wir mit dem 
Ausbau unserer Handels - und Schiffahrtsanstalten verfolgen, die mehr 
kommunalen Ziele, zu denen in erster Linie ja auch die Pflege der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege gehört, nicht zu ihrem vollen Rechte kommen. 
Dennoch wage ich die Hoffnung auszusprechen, daß dasjenige, was Sie an 
sanitären Anstalten und Einrichtungen in unserer Stadt finden werden, vor 
Ihren Augen wird bestehen können. Wenn die GesundheitsVerhältnisse hier 
im allgemeinen als gute bezeichnet werden können, so hoffen wir darin 
einen Beweis erblicken zu dürfen, daß auch die Gesundheitspflege in Bremen 
nicht vernachlässigt wird. Dessen aber kann ich Sie unter allen Umständen 
versichern, daß wir Ihre Verhandlungen, die ja auch in diesem Jahre wieder 
eine Reihe hochwichtiger Fragen zum Gegenstände haben, mit gespanntestem 
Interesse verfolgen werden und daß wir von ganzem Herzen Ihrer Versamm¬ 
lung in unseren Mauern einen glücklichen Verlauf wünschen.“ 

Vorsitzender, Oberbürgermeister Dr. Lentze (Magdeburg): „Meine 
hochverehrten Anwesenden! Euere Magnifizenz! Im Namen des Deutschen 
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege erlaube ich mir, unseren ehr¬ 
erbietigsten und tiefgefühltesten Dank für die herzlichen und freundlichen 
Worte der Begrüßung auszusprechen, die Euere Magnifizenz uns soeben ge¬ 
widmet haben. Wir wissen die hohe Ehre wohl zu würdigen, daß der 
Bürgermeister des Staates Bremen uns hier in dieser Form und in so herz¬ 
licher Weise begrüßt hat. Die Ziele, welche unser Deutscher Verein ver¬ 
folgt, bestehen ja wesentlich darin, daß die Gesundheit unseres Volkes ge¬ 
hoben werden soll, daß wir [den Kampf gegen die Volkskrankheiten und 

1 * 


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4 


XXXII. Versammlung des Deutschen Vereins 

gegen die Sterblichkeit im weitesten Umfange aufnehmen, nnd wenn wir ja 
auch niemals zu einem endgültigen Siege gelangen können — denn gegen 
den Tod gibt es ja leider kein Mittel —, so ist es doch erfreulich und von 
Nutzen für die ganze Bevölkerung, daß unsere Bestrebungen überall so 
großen Anklang gefunden haben. 

„Der Verein hat aufklärend nach den verschiedensten Richtungen hin 
gewirkt. Namentlich hat er die meisten Gemeinwesen allmählich zur Er¬ 
kenntnis der Notwendigkeit von Maßnahmen gebracht und zu deren Durch¬ 
führung verholfen, welche früher für unwichtig gehalten wurden oder gar 
nicht bekannt waren. 

„Hier in der Stadt Bremen, wo die staatlichen und städtischen Gewalten 
in einer Hand liegen, ist es für uns ganz besonders interessant, zu beob¬ 
achten, wie die Pflege der allgemeinen Gesundheit durchgeführt worden ist. 
Die Selbstverwaltung, wie Euere Magnifizenz eben erwähnten, ist ja die 
hauptsächlichste Trägerin unserer Ziele. Sie muß diejenigen Maßnahmen 
durchführen, welche notwendig sind, um das als nützlich Erkannte zur Ver¬ 
wirklichung zu bringen. Die Staatsregierungen haben in den Staaten, wo 
städtische und staatliche Gewalt nicht in einer Hand liegen, meistens nur 
anregend zu wirken, die Durchführung verbleibt den Organen der Selbst¬ 
verwaltung. Es ist deshalb in einer Stadt wie der Freien und Hansestadt 
Bremen ganz besonders leicht, daß wirklich nützliche gesundheitliche Ma߬ 
regeln zur Durchführung gelangen. Es kann da, wo die staatliche und 
städtische Gewalt nicht in einer Hand liegt, nicht ausbleiben, daß es eher 
zu Friktionen kommt, welche es verhindern, daß die Gemeinden so ihre 
Pläne durchführen können, wie sie es wünschen. Die Interessen verschie¬ 
dener Gebiete sprechen da mit, und die Trennung der Gewalten macht sich 
erschwerend fühlbar. 

„Die Anlagen, die in Bremen geschaffen sind, werden für uns außer¬ 
ordentlich lehrreich sein, und wir danken dafür, daß auf dem Programm, 
welches uns vorgelegt worden ist, eine Reihe von Besichtigungen vorgesehen 
sind, die uns vorführen sollen, was in Bremen geschehen ist. Wir hoffen 
daher mit Zuversicht, daß auch unsere Tagung hier in Bremen uns einen 
tüchtigen Schritt weiter bringen wird dem hohen Ziele entgegen, welches 
wir verfolgen. 

„Also nochmals unseren herzlichsten Dank! 

„Ich erteile jetzt das Wort dem Herrn ständigen Sekretär Dr. Pröbsting 
zum Rechenschaftsbericht und zu geschäftlichen Mitteilungen.“ 

Rechenschaftsbericht 

des Ausschusses des Deutschen Vereins für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege für das Geschäftsjahr 1906/07. 

Durch Beschluß der Versammlung in Augsburg wurde der Ausschuß 
folgendermaßen zusammengesetzt: 

Oberbürgermeister Dr. Ebeling (Dessau), 

Stadtbaurat Kölle (Frankfurt a. M.), 

Geh. Sanitätsrat Dr. Lent (Cöln), 

Oberbürgermeister Dr. Lentze (Magdeburg), 


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für öffentliche Gesundheitspflege zu Bremen. 


5 


Oberbaurat Schmick (Darm stadt), 

Geh. Hof rat Professor Dr. Schottelius (Freiburg i. B.), 

Dr. Pröbsting (Cöln), ständiger Sekretär. 

Nach Schluß der Versammlung trat der Ausschuß zu einer Sitzung zu¬ 
sammen und wählte gemäß § 7 der Satzungen Herrn Oberbürgermeister 
Dr. Lentze zum Vorsitzenden für das Geschäftsjahr 1906,07. 

Der Ausschuß trat satzungsgemäß am 2. und 3. Februar zu einer 
Sitzung zusammen, erledigte die laufenden Angelegenheiten, beschloß, mit 
der Stadt Bremen wegen Abhaltung der diesjährigen Versammlung in Ver¬ 
handlungen zu treten, bestimmte als Zeit die Tage vom 11. bis 14. September 
und stellte die Tagesordnung in der den Mitgliedern zugegangenen Fas¬ 
sung auf. 

In das Organisationskomitee des XIV. Internationalen Kongresses für 
Hygiene und Demographie, der vom 23. bis 29. September dieses Jahres in 
Berlin abgehalten wird, wurde als Vertreter des Vereins Herr Geh. Regie¬ 
rungsrat Pütter, Verwaltungsdirektor der kgl. Charite, gewählt. 

Die Rechnungsablage für das Jahr 1906 wurde von dem Ausschuß ge¬ 


prüft und richtig befunden. 

Es betrug demnach: 

Kassenbestand am 1. Januar 1906 . 2 370,50 JC 

Einnahmen durch Beiträge und Zinsen. 9 743,96 „ 

Mithin zusammen . . 12 114,46 oft 

Ausgaben. 8 509,26 „ 

Somit KaBsenbestand für 1907 . . 3 605,20 ofC 


Die Mitgliederzahl des Vereins betrug am Ende des Jahres 1906: 1673. 
Von diesen sind im Laufe des Jahres ausgeschieden 90, davon 25 durch Tod, 
es sind dies die Herren: 

Dr. med. F. Ballner (Innsbruck), 

Geh. Medizinalrat Dr. Battlehner (Karlsruhe), 

Medizinalrat Dr. Behrle (Mannheim), 

Stadtverordneter W. Blank (Elberfeld), 

Wirkl. Geh. Rat Prof. Dr. v. Bergmann (Berlin), 

Fabrikbesitzer 0. Börner (Berlin), 

Prof. Dr. Buchwald (Breslau), 

Obermedizinalrat Dr. v. Burckhardt (Stuttgart), 

Stabsarzt Dr. Deichstetter (München), 

Kantonalarzt Dr. Erichson (Münster i. E.), 

Dr. F. Förster (Dresden), 

Dr. Forstmaier (Badenweiler), 

Direktor Gebhard (Lübeck), 

Geh. Kommerzienrat Gibsone (Danzig), 

Dr. med. Heimann (Charlottenburg), 

Chemiker Emil Hoff mann (Leipzig), 

Oberbürgermeister a. D. Keferstein (Lüneburg), 

Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Jakobi (Breslau), 

Dr. A. Meissner (Leipzig), 

Baupolizeidirektor Olshausen (Hamburg), 


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6 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Stadtbaurat Quedenfeld (Duisburg), 

Hofrat Prof. Dr. Schönborn (Würzburg), 

Primararzt Dr. Unterhölzer (Wien), 

Medizinalrat Dr. Reineke (Hamburg), 

Prof. Dr. Wolpert (Charlottenburg). 

Neu eingetreten sind 115 Mitglieder, so daß der Verein zurzeit 
1698 Mitglieder zählt, von denen 423 in Bremen anwesend sind. 

Vorsitzender, Oberbürgermeister Dr. Lentze (Magdeburg): „Meine 
Damen und Herren! Mit großer Wehmut und mit aufrichtiger Betrübnis 
haben wir soeben gehört, daß eine Reihe von lieben guten Bekannten, 
Freunden und tätigen Mitgliedern unseres Vereins durch den Tod abberufen 
worden ist. Wir gedenken ihrer in Dankbarkeit und Verehrung. 

„Ohne einzelne dabei zurücksetzen zu wollen, halte ich mich doch für 
verpflichtet, vier Männer davon ganz besonders zu erwähnen. Das sind 
Exzellenz Dr. v. Bergmann, Medizinalrat Dr. Reineke, Geh. Medizinalrat 
Dr. Battlehner und Direktor Dr. Gebhard. Alle vier waren Mitglieder 
unseres Vereins. Exzellenz Dr. v. Bergmann hatzwar den Vereinssitzungen 
niemals beigewohnt; er war aber eine derartige Leuchte der Wissenschaft, 
ein solcher Stern ersten Ranges am medizinischen Himmel, daß sein Name 
hier ausdrücklich erwähnt werden muß, und daß wir ganz besonders betonen 
müssen, wie sehr wir es beklagen, daß er hinweggerafft worden ist. Wie 
vielen Personen hat er während seiner langjährigen Tätigkeit Hilfe und 
Genesung gebracht, wie vielen ist er der Retter gewesen, und das tragische 
Geschick hat es leider gewollt, daß er, der mit so kundiger Hand immer 
das Messer geführt hat, schließlich selbst einer Operation hat unterliegen 
müssen. Mit wirklicher Betrübnis und mit tiefer Trauer müssen wir sein 
Hinscheiden hier noch einmal erwähnen. 

„Herr Medizinalrat Dr. Reineke war ein sehr eifriges Mitglied unseres 
Vereins. Er hat wiederholt hier Vorträge gehalten und war auch während 
der Jahre 1901 und 1902 Mitglied des Vorstandes. Auf dem Kongreß in 
München im Jahre 1902 sollte er den Vorsitz führen. Leider ließ aber 
seine Gesundheit das nicht zu; er mußte in letzter Stunde absagen, und 
seit der Zeit konnte er aus Gesundheitsrücksichten an unseren Versamm¬ 
lungen nicht mehr teilnehmen. 

„Herr Geh. Medizinalrat Dr. Battlehner (Karlsruhe), der Medizinal¬ 
referent im großherzoglichen Ministerium, war auch ein eifriger Freund 
unserer Bestrebungen. Er ist wiederholt bei unseren Versammlungen ge¬ 
wesen, und auch ihm verdanken wir vieles. 

„Herr Direktor Dr. Gebhard, der Direktor der Hanseatischen Landes¬ 
versicherungsanstalt in Lübeck, hat unsere Bestrebungen in hohem Maße 
in der Praxis verwirklicht. Er hat den vorbeugenden Kampf gegen die 
Tuberkulose als einer der ersten aufgenommen. Denn die von ihm ver¬ 
tretene Landesversicherungsanstalt war es, welche auf sein Betreiben es 
unternahm, diejenigen Patienten, die tuberkulös erkrankt, aber noch heilbar 
waren, in sofortige Behandlung zu nehmen, um dadurch dauernde Invalidität 
oder gar Siechtum und Tod zu verhüten. 


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Die Verbreitungsweise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 7 

„Alle Heimgegangenen sind unseres treuesten Gedenkens sicher, und 
wir beklagen ihr Hinscheiden tief. Ich bitte Sie, zu Ehren der Dahin¬ 
geschiedenen sich von den Plätzen zu erheben. (Geschieht.) Ich danke Ihnen. 

„Wir müssen dann zur Konstituierung des Bureaus schreiten, und ich 
möchte mir namens des Vorstandes den Vorschlag erlauben, zum ersten 
stellvertretenden Vorsitzenden Herrn Senator Dr. Stadtländer und zum 
zweiten stellvertretenden Vorsitzenden Herrn Dr. Kottmeyer, den ersten 
Vorsitzenden des allgemeinen ärztlichen Vereins hier in Bremen, zu wählen, 
und zum stellvertretenden Schriftführer Herrn Bauinspektor Knop. 

„Wenn kein Widerspruch erfolgt, nehme ich Ihre Zustimmung an und 
möchte die Herren fragen, ob sie die Ämter übernehmen wollen. Ich danke 
den Herren, daß sie sich der Mühe unterziehen wollen, und möchte sie bitten, 
hier am Vorstandstische Platz zu nehmen. 

„Nachdem nunmehr unsere geschäftlichen Angelegenheiten erledigt 
sind, kommen wir zu den Vorträgen. Ich erlaube mir, an Herrn Geheimrat 
Professor Dr. Flügge die Bitte zu richten, sein Referat zu erstatten über: 

Die Verbreitungs weise und Bekämpfung der 
epidemischen Genickstarre. 

Es lauten die von dem Referenten Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Flügge 
(Breslau) aufgestellten 

Leitsätze: 

1. über die Verbreitungsweise der epidemischen Genickstarre können wir teils 
aus den Eigenschaften und den Fundorten der Meningokokken, teils aus 
epidemiologischen Beobachtungen Aufklärung zu gewinnen suchen. 

2. Die Untersuchungen über den Meningokokkus haben ergeben, daß dieser 
außerhalb des menschlichen Körpers rasch zugrunde geht, auch auf Tiere 
nicht übertragbar ist. Seine Verbreitung kann daher nur von Mensch zu 
Mensch im direkten Verkehr erfolgen. 

3. Das regelmäßige Vorkommen des Meningokokkus in den Meningen der 
Genickstarrekranken ist, da er von dort nicht nach außen gelangen kann, 
für die Verbreitung der Krankheit ohne Bedeutung. Die einzige Ansiede¬ 
lungsstätte, von der aus die Erreger auf die Umgebung übergehen können, 
rindet sich im oberen Teile des Rachens. Hier begegnet man aber der 
stärksten Wucherung vor bzw. bei Ausbruch der Meningitis; vom fünften 
Krankheitstage ab verschwinden die Kokken allmählich. 

4. Reichliche Meningokokken lassen sich aber außerdem nachweisen im Rachen 
zahlreicher Menschen aus der näheren Umgebung des Kranken. Bei der 
Untersuchung von Familienmitgliedern und von Soldaten des gleichen 
Mannschaftszimmers sind bei etwa 70 Proz. Meningokokken gefunden. Diese 
„Kokkenträger“ zeigen teils gar keine Krankheitserscheinungen, teils leichte 
Pharyngitis. Die Kokken verbleiben im Mittel drei Wochen lang im Rachen 
der Befallenen. 

5. Zuzeiten und in Gegenden, wo Genickstarreerkrankungen fehlten, wurden 
auch bei Massenuntersuchungen Meningokokken im Pharynx nicht gefunden. 

6. Die Meningokokken scheinen sich von den Trägern zu anderen Menschen 
nur durch frisches, feuchtes Rachensekret zu verbreiten; entweder durch 
die beim Sprechen oder Husten verspritzten Sekrettröpfchen, oder durch 
gemeinsames Eß- und Trinkgeschirr, Taschen- und Handtücher. 

7. Da die Kokkenträger wohl 10- bis 20 mal zahlreicher sind als die Genick¬ 
starrekranken; da die Träger mit zahlreichen Menschen frei verkehren, 
während die Kranken nur mit wenigen Erwachsenen in Verkehr bleiben 


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8 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

und auch mit diesen unter Vorsichtsmaßregeln; da die Kokken bei den 
Trägern drei Wochen lang im Rachen haften, während sie beim Geniok- 
starrekranken früh verschwinden, so sind die Träger bei der Ausbrei¬ 
tung der Meningokokken weitaus in erster Linie beteiligt. Durch sie 
erfolgt vorzugsweise ebensowohl ,die Einschleppung der Kokken an einen 
bis dahin verschonten Ort, wie auch die Verbreitung innerhalb einer Ort¬ 
schaft. Aus der großen Zahl der infizierten Träger erkranken stets nur 
wenige disponierte Individuen, namentlich Kinder, unter den Erschei¬ 
nungen der Genickstarre. 

8. Der geschilderte auffällige Befund, den somit [die Untersuchung über die 
Fundorte der Meningokokken ergeben hat, legt [den Wunsch nahe, wo 
möglich auch auf anderem Wege, nämlich mittels epidemiologischer Beob¬ 
achtung, über die Verbreitung der Genickstarre Aufschluß zu bekommen. 

9. Epidemiologisch ist ermittelt, daß Einschleppungen in bisher genickstarre¬ 
freie Orte oft durch gesunde Personen erfolgt sind, die aus Genickstarre¬ 
orten kamen. Einschleppung durch leblose Gegenstände ist nicht einwand¬ 
frei erwiesen. 

10. Übertragungen von Geuickstarrekranken aus auf Arzte, Pflegepersonal oder 
andere Kranke im gleichen Krankenhause sind so gut wie niemals beobachtet. 

11. Selbst in stark bewohnten Häusern und in kinderreichen Familien kommt 
fast stets nur eine Erkrankung vor. Die seltenen gehäuften Fälle sind un¬ 
gezwungen auf ausgebreitetere Disposition zurückzuführen. 

12. Bei Ketten von Erkrankungen ergeben sich sehr verschiedene zeitliche Inter¬ 
valle, kürzer oder erheblich länger als die Inkubationszeit. 

13. Auch die epidemiologischen Erfahrungen sprechen demnach in der Tat 
dafür, daß der Kranke bei der Verbreitung der Krankheit ganz in den 
Hintergrund tritt, während die gesunde Umgebung des Kranken in viel 
größerem Umfange die Erreger ausstreut. 

14. Bei der Bekämpfung der Genickstarre haben wir daher von dem bei anderen 
übertragbaren Krankheiten gewohnten Schema wenig zu erwarten. An 
einer Isolierung des Kranken in so wenig rigoroser Weise, wie sie das 
Seuchengesetz vorsieht, wird man allerdings festhalten, weil die Ausstreuung 
von Erregern vom Kranken aus immerhin nicht unmöglich ist; die Auf¬ 
nahme in ein Krankenhaus wird nach wie vor zu empfehlen sein, schon 
weil sachgemäße Pflege und Behandlung bei dieser Krankheit meist nur 
im Kraukenhause gewährt werden kann. 

15. Eine Desinfektion nach Ablauf der Krankheit ist angesichts der großen 
Widerstandslosigkeit der Erreger von geringer Bedeutung. 

16. Hauptsächlich muß das Augenmerk auf die Kokkenträger gerichtet werden. 
Diese stets durch bakteriologische Untersuchung zu ermitteln, 'empfiehlt 
sich nicht, da die Kokken in dem eingesandten Material schon während 
des Transportes abzusterben pflegen; man wird solche Untersuchungen auf 
besondere geeignete Fälle (Kasernen, Schulen usw.) beschränken müssen, wo 
die Untersuchung unmittelbar an die Entnahme des Materials angeschlossen 
werden kann. Im übrigen ist es zweckmäßig, ohne weiteres anzunehmen, 
daß jeder, der mit dom Kranken vor dessen Erkraukung oder mit anderen 
mutmaßlichen Kokkenträgern in nahem persönlichen Verkehr gestanden 
hat, zu den Kokkenträgern gehört. 

17. Bei der großen Zahl der Kokkenträger sind Freiheits- und Verkehrs¬ 
beschränkungen für dieselben undurchführbar. Eine nützliche Wirkung 
von irgendwelchen Gurgelungen, Pinselungen usw. konnte bisher nicht fest¬ 
gestellt werden. Daher bleibt nichts anderes übrig, als den mutmaßlichen 
Kokkenträgern kurze Merkblätter einzubändigen, in denen ihnen Vorsicht 
im Verkehr mit anderen Menschen für die nächsten Wochen dringend 
empfohlen wird. Weiterhin ist die übrige Bevölkerung auf die Gefahr, die 
von jenen Trägern ausgeht, in geeigneter Weise hinzuweisen. 

18. Ganz besonders sind diese Vorsichtsmaßregeln zu beachten gegenüber den 
zur Erkrankung stark disponierten Kindern. Schulkinder aus Häusern mit 


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Die Verbreitungsweise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 9 

Genickstarreerkrankungen sind möglichst für drei Wochen vom Schulbesuch 
und vom Verkehr mit anderen Kindern fernzuhalten. Eine Verschärfung 
der Vorsichtsmaßregeln empfiehlt sich ferner beim Einbruch der Krankheit 
in Industriebezirke mit dichtgedrängter Bevölkerung. 

Referent, Geh. Medizinalrat Professor Dr. Flügge (Breslau): 

„Meine Herren! Zunächst möchte ich Ihnen eine kurze Orientierung 
geben über die Häufigkeit der Genickstarre in den letzten Jahren. Bis vor 
zwei Jahren wurde die Genickstarre in Europa eigentlich stets in dünn- 
gesäeten, örtlich weit ausgreifenden und zeitlich sich lange hinziehenden 
Epidemien beobachtet. In Preußen zählte man in den letzten 25 Jahren 
im Mittel pro Jahr 200 bis 400 Todesfälle an Genickstarre, d. i. ungefähr 
1:100 000 lebende Einwohner. Häufungen hatten wir 1885 bis 1891 
namentlich in der Rheinprovinz und Westfalen. Der Regierungsbezirk Cöln 
hatte damals fast 300 Todesfälle in einem Zeitraum von sechs Jahren. 

„Erheblich höhere Ziffern wiesen damals eigentlich nur eine Reihe von 
Städten in den Vereinigten Staaten von Amerika auf. Namentlich die 
Stadt Newyork zeigte mit fast 800 Todesfällen im Jahre 1872 und von da 
ab jährlich im Mittel etwa 200 bis 400 Todesfällen (also in 30 Jahren etwa 
7000) eine auffällig starke Verbreitung der Genickstarre, die sich im Mittel 
auf 12, im Extrem auf 40 Todesfälle für 100000 Einwohner berechnet. 

„Nun trat aber 1905 eine Epidemie von ganz ungeahnter Intensität 
in dem oberschlesischen Industriebezirk auf. 3280 Erkrankungen mit 
1860 Todesfällen kamen im Regierungsbezirk Oppeln in den sechs Monaten 
Januar bis Juli vor; im engeren Industriebezirk, welcher die Kreise Beuthen, 
Kattowitz, Königshütte umfaßt, und welcher etwa 450 000 Einwohner ent¬ 
hält, 1953 Erkrankungen und 1420 Todesfälle, d. h. 310 Todesfälle auf 
100000 Einwohner! In der Stadt Königshütte sogar 590 Todesfälle auf 
100000 Einwohner! Eine derartig heftige Epidemie ist nie auch nur an¬ 
nähernd in irgend einem Lande bisher beobachtet. (S. Tabelle S. 10.) 

„In demselben Jahre fand eine etwas vermehrte Ausbreitung der Ge¬ 
nickstarre fast in ganz Preußen statt. So hatte der Regierungsbezirk Bres¬ 
lau 136, Berlin 49, Potsdam 42, Arnsberg 34 Erkrankungen zu verzeichnen. 
Im Jahre 1906 und in der ersten Hälfte des laufenden Jahres (die Jahres¬ 
summe für 1907 ist nach den Meldungen bis Mitte August 1907 berechnet, 
also vielleicht und hoffentlich zu hoch gegriffen) finden wir aber an mehreren 
Stellen noch sehr erhöhte Ziffern für die Genickstarre-Erkrankungen. Die 
umstehende Tabelle zeigt für den Regierungsbezirk Oppeln, wie auch 
für die Regierungsbezirke Düsseldorf, Arnsberg, Münster usw. Häufungen, 
welche die Frequenz früherer Jahre weit überragen. Es ist sehr möglich, 
daß die steigende Tendenz der Genickstarre noch anhalten wird und daß 
wir darauf gefaßt sein müssen, noch eine ganze Zeit lang mit höheren Fre¬ 
quenzziffern zu rechnen. Das ist gewiß geeignet, Besorgnis zu erregen, 
zumal bei der Genickstarre noch ein Moment hinzukommt, welches sie 
gegenüber anderen Krankheiten als besonders gefahrdrohend erscheinen 
läßt: Das ist der schwere qualvolle Verlauf der Krankheit. Meist haben 
wir eine Mortalität von 60Proz., lind von den Genesenen bleibt ein großer 
Teil taub oder mit Sehstörungen oder psychischen Defekten behaftet; und 
die Qualen, welche die Kranken auszustehen haben, sind ungewöhnlich'groß. 


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10 XXXII. Versammlung d. D. Vereine f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Genickstarre-Frequenz in den letzten 30 Jahren. 

I Absolute Zahl I Todes- 

_ _ __fälle auf 

der ! der ] 100 000 
Erkran* Todes- ^ Ein- 
kungen fälle i wohn er 


Preußen, 1880—1904, im Mittel pro Jahr. ... — 2—400 1 1 

Cöln, Reg.-Bez., 1885—1891, im Mittel pro Jahr — 43 < 5 

Newyork, ßtadt, 1872 . — ■ 782 i, 40 

„ „ 1873—1899, im Mittel .... — ! 300 12 

Preußen 1905 . 3673 2044 7 

Oppeln, Reg.-Bez., 1905, Januar bis Juli . . . 3280 j 1860 110 

Oberschlesisch. Industriebezirk (Kreise Beuthen, .j 

Kattowitz, Königshütte) 1905 . 1953 | 1420 310 

Königshütte, ßtadt, 1905 . 462 364 , 590 

Breslau, Reg.-Bez., 1905 . 136 1 82 5 

Preußen 1906 . 2095 i 929 3 

Oppeln, Reg.-Bez., 1906 796 411 , 21,7 

Breslau, „ r 158 j 89 | 5 

Posen, „ r 179 75 6 

Düsseldorf, „ „ 317 j 145 5 

Arnsberg, „ „ 224 ! 54 3 

Preußen 1907 (nach den Angaben bis 31. August 

für das ganze Jahr berechnet). 3531 1530 5,1 

Oppeln, Reg.-Bez., 1907 . 318 189 10,5 

Breslau, „ „ 125 • 65 ji 4 

Posen, r „ 156 74 6 

Düsseldorf, „ „ . 657 281 j 10,7 

Arnsberg, „ „ 1113 362 | 21 

Münster, „ „ 404 198 34 


„Daher steht mit Recht die Genickstarre jetzt im Vordergründe des 
Interesses und wir müssen auf Grund der erschreckenden Erfahrungen der 
letzten Jahre alles versuchen, um das Wesen der Krankheit und ihre Ver¬ 
breitungsweise zu erkennen, und auf dieser Erkenntnis eine rationelle Be¬ 
kämpfung aufzubauen. 

„Über die Verbreitungsweise der Genickstarre können wir uns orien¬ 
tieren aus epidemiologischen Erfahrungen und aus Studien über die Fund¬ 
orte der Erreger. Letzteres ist ein besonders aussichtsvolles Vorgehen; 
haben wir doch die Bekämpfung der Cholera, der Pest, der Diphtherie usw. 
erst wirkungsvoll gestalten können, seit wir die Erreger dieser Krankheiten 
kennen und deren Fundorte feststellen gelernt haben. 

„Als Erreger der epidemischen Genickstarre ist der Weichselbaumsche 
Meningokokkus ermittelt; ein gramnegativer, ziemlich schwer zu züchten¬ 
der, sehr widerstandsloser Kokkus. Man findet ihn regelmäßig in jedem 
Falle von Genickstarre in der Lumbalpunktionsflüssigkeit, oder, falls die 
Sektion kurz nach dem Tode ausgeführt werden kann, in den Meningen; 
ferner häufig im Rachen der Kranken sowie gesunder Personen auB der 


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Die Verbreitung* weise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 11 

näheren Umgebung des Kranken. Andererseits wird der Meningokokkus 
ausschließlich in Gegenden und zu Zeiten beobachtet, wo Genickstarre 
herrscht. In völlig epidemiefreien Orten und Zeiten werden die Kokken 
weder bei kranken noch bei gesunden Mensohen beobachtet. 

„Das konstante und ausschließliche Vorkommen der Meningokokken 
berechtigt uns, die bezeichneten Kokken als die Erreger der Krankheit an¬ 
zusehen, obwohl die künstliche Reproduktion der Krankheit mit Reinkulturen 
bei Versuchstieren nicht geglückt ist. 

„Wo in unserer Umgebung findet sich nun dieser wohl charakterisierte 
Kokkns, von wo kann die Infektion mit ihm erfolgen ? So gut wie niemals 
wird er an leblosen Gegenständen betroffen. Der Kokkus geht durch Aus¬ 
trocknen, durch Licht, durch andere, leichter wuchernde Bakterien sehr 
rasch zugrunde; selbst in den künstlichen Kulturen, oder in dem Schleim, 
den wir bei unseren Untersuchungen dem Rachen entnehmen, Btirbt der 
Kokkus sehr rasch ab. Einige Stunden haltbar ist er höchstens in dickeren 
Schleimmassen in feuchten Taschentüchern, Handtüchern u. dgl. 

„Durch die Feststellung, wie hinfällig dieser Kokkus ist, haben wir 
für die Erkenntnis der Verbreitung der Krankheit schon viel gewonnen. 
Ältere Ausscheidungen deB Kranken: trockener Staub und staubige Luft aus 
der Umgebung des Kranken; trockene Gegenstände, die vom Kranken be¬ 
nutzt sind, Waren usw., sind sämtlich nicht imstande, die Krankheit zu 
verbreiten. Verschleppung auf weitere Entfernung durch leblose Gegen¬ 
stände ist ausgeschlossen. Höchstens können feuchte, frische Ausschei¬ 
dungen lebende Kokken enthalten. Auch Tiere können nicht beteiligt sein 
und etwa, wie die Ratten bei der Pest, Verschleppung des Virus bewirken. 

„Den einzig in Betracht kommenden frischen Ausscheidungen begegnen 
wir aber nur in der unmittelbaren Umgebung des infizierten Menschen; 
und diese müssen wir daher zunächst in Betracht ziehen. 

„Da ist es nun aber wichtig, daß die neueren Untersuchungen uns 
darüber belehrt haben, daß zwei Krankheitsformen durch die Meningo¬ 
kokken hervorgerufen werden: Erstens eine Pharyngitis, die zuweilen 
mit intensiver (oft fleckiger) Rötung im Nasenrachenraum und vermehrter 
Schleimabsonderung einhergeht, häufig aber mit so geringen Symptomen 
verläuft, daß keine Belästigung empfunden wird und daß der Infizierte sich 
ganz gesund fühlt. Die Symptome sind keine anderen, als die einer durch 
andere Ursachen und andere Bakterien hervorgerufenen Pharyngitis. Diese 
Pharyngitis befallt alle Alter, vielleicht sogar Erwachsene häufiger als 
Kinder. Sie kann ganze Familien ergreifen, ohne daß andere Krankheits¬ 
erscheinungen hinzukommen; sie kann von einer solchen Familie auf eine 
andere übertragen werden, ohne daß wir von diesen Kokkenwncherungen 
etwas erfahren. Bei manchen der zunächst an Pharyngitis erkrankten In¬ 
dividuen kommt es nun aber zweitens zu den Erscheinungen der Menin¬ 
gitis; und zwar dadurch, daß die Erreger vom Rachen aus — es mag 
dahingestellt bleiben auf welchem Wege — zu den Hirnhäuten gelangen. 
Dazu scheint eine besondere Disposition zu gehören, die einmal das kind¬ 
liche Alter liefert (fast 80 Proz. aller Erkrankungen fallen auf Kinder unter 
10 Jahren), die aber dann noch unterstützt werden muß durch eine skrofu¬ 
löse Anlage, die Westenhoeffer als „Lymphatismus“ bezeichnet, d. h. 


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12 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

durch einen Zustand, in welchem alle lymphatischen Einrichtungen, Rachen¬ 
tonsille, Thymus, Lymplidrüsen vergrößert bzw. abnorm lange erhalten sind. 

„Nur die infolge solcher Disposition an Meningitis Erkrankten werden 
bis jetzt registriert und ärztlich behandelt. Wir wollen znn&chst sehen, 
was diese Kategorie von Meningokokkenkranken für die Ausbreitung der 
Krankheit bedeutet. 

„Offenbar nicht allzuviel. Die Wucherung der Kokken in den Meningen, 
so verderblich sie für den Kranken ist, bedeutet für die Weiterverbreitung 
gar nichts; die Kokken gelangen ja von da nicht nach außen. 

„Nun hat aber auch bei den Meningitiskranken ursprünglich eine 
Pharyngitis Vorgelegen; die Kokken sind daher auch im Nasenrachenraum 
verbreitet und können von da aus auf andere Menschen gelangen. 

„Diese Gefahr ist offenbar am größten, so lange die Pharyngitis noch 
frisch und der Infizierte noch nicht an Meningitissymptoroen erkrankt ist. 
In diesem Stadium bewegt er sich frei unter anderen Menschen, hustet 
andere an oder streut durch seine Hantierungen Kokken aus. Bildet sich 
aber die Meningitis in solchem Grade aus, daß die Erkrankung erkannt 
und der Fall gemeldet wird, dann ist die Gefahr der Ausstreuung sehr viel 
geringer. Die schweren Krankheitserscheinungen veranlassen, daß der 
Kranke Bettruhe und tunlichste Isolierung von seiner Umgebung verlangt 
und erhält. Infolge des hohen Fiebers, der Trockenheit der Mund- und 
Rachenschleimhaut, der Benommenheit usw. hören Husten und Auswurf auf. 
Goeppert gibt auf Grund seiner umfangreichen Studien während der ober¬ 
schlesischen Epidemie an, daß bei Genickstarrekranken Schnupfen nur aus¬ 
nahmsweise, Husten nur dreimal beobachtet wurde. Zahlreiche Untersuchungen 
von v. Lingelsheim haben außerdem erwiesen, daß die Kokken mit der 
Dauer der Krankheit aus dem Rachen verschwinden; am reichlichsten sind 
sie im ersten Beginn der Erkrankung vorhanden, vom fünften Krankheitstage 
ab werden sie fast regelmäßig vermißt. So kommt es, daß der Meningitis- 
kranke im ganzen nur geringe Gefahr der Ansteckung bietet. Ein Rest von 
Gefahr bleibt indes zweifellos bestehen und wir werden diesen Rest nicht 
ignorieren dürfen und müssen für Isolierung des Kranken Sorge 
tragen. Aber hier, wo wir die gesamten Verbreitungschancen der Krankheit 
klarstellen wollen, fragt es sich, wie groß diese vom Meningitiskranken aus¬ 
gehende Gefahr im Verhältnis zu der aus anderen Quellen drohenden Gefahr 
zu veranschlagen ist. 

„Nun zu der zweiten Kategorie der Meningokokkenkranken, denen, 
welche höchstens Symptome einer Pharyngitis zeigen und die, infolge 
mangelnder Disposition, im Verlauf der Pharyngitis überhaupt nicht an 
Meningitis erkranken. Sie beherbergen nachweislich auf der Schleimhaut 
des Nasenrachenraumes zahlreiche Meningokokken, die bei der Untersuchung 
meist in Reinkultur aufgehen; in gleich bleibender Menge sind sie oft zwei 
Wochen nacbzuweisen. Wie zahlreiche Beobachtungen lehren, sind diese 
Kokken vollvirulent und imstande, gelegentlich schwerste Meningitis hervor¬ 
zurufen. Die Träger dieser Kokken husten, krächzen und schneuzen sich viel; 
sie verbreiten die Kokken auf andere Menschen durch die beim Husten und 
lauten Sprechen verspritzten Sekrettröpfchen, durch Taschen- und Hand- 


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Die Verbreitungsweise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 13 


töcher, Schürzen usw., die mit frischem Auswurf beschmutzt sind, durch 
gemeinsames Eß- und Trinkgeschirr. Kinder können auch durch achtlose 
Berührung des Fußbodens, der Kleider usw., an die frisches Exkret gelangt 
ist, infiziert werden. 

„Es sind dies Übertragungen, die offenbar nur beim andauernden in¬ 
timen Verkehr Infektionschancen bieten. Und in der Tat zeigen die Unter¬ 
suchungen, daß vorzugsweise nur Mitglieder derselben Familie und Insassen 
desselben Mannschaftszimmers von den Kokkenträgern angesteckt werden. 
Diese allerdings in großer Häufigkeit. In Breslau hat mein früherer Assi¬ 
stent Dr. Ostermann zum ersten Male systematische Untersuchungen 
hierüber angestellt und hat gefunden, daß von 24 Angehörigen von Genick¬ 
starrekranken 17, also 70Proz., Meningokokken im Rachen hatten. Bochalli 
fand unter den Stubenkameraden erkrankter Soldaten 62 Proz. mit Kokken 
behaftet. Anscheinend ist die Disposition so verbreitet, und die Übertrag¬ 
barkeit bei dauerndem Zusammensein doch bo sicher, daß kaum eine der 
im nahen Verkehr mit anderen Trägern lebenden Personen völlig verschont 
bleibt. 

„Auch bei Arbeitsgenossen können an der gemeinsamen Arbeitsstätte 
solche Übertragungen sich vollziehen; ferner bei Schülern der gleichen 
Klasse. Doch haben direkte Untersuchungen hier keineswegs eine aus¬ 
gedehnte Ausstreuung ergeben, Bondern im allgemeinen wurden nur bei 
solchen Personen regelmäßig Kokken gefunden, die in engerem Verkehr 
mit notorischen Kokkenträgern gestanden hatten. Nachbarfamilien des¬ 
selben Hauses, in gelegentlichem Verkehr stehende Verwandte wurden in 
der Mehrzahl frei von Kokken gefunden. Offenbar gehört eben der dauernde 
innige Verkehr dazu, um eine Übertragung durch Hustentröpfchen oder 
Kontakte sicher herbeizufahren. Fehlt es daran, so ist die Kokkenverbrei- 
tung mehr von Zufälligkeiten abhängig. 

„Die mit Pharyngitis behafteten bzw. gesunden Kokkenträger bilden nun 
offenbar für die Ausbreitung der Meningokokkenaffektion eine ungleich 
größere Gefahr, als die Meningitiskranken. Die Anzahl der Träger über¬ 
wiegt die der Meningitiskranken wohl um daB 5-, 10- bis 20fache; die 
Träger streuen wochenlang Kokken aus; sie verkehren frei und achtlos mit 
Angehörigen und Arbeitsgenossen. Wollte man die von ihnen ausgehende 
Gefahr stark herabmindern, so wäre es das beste, sie zu einem Verhalten 
zu veranlassen, wie es für die an Meningitis Erkrankten selbstverständlich 
ist: d. h. Bettruhe einzuhalten und Verkehr und Hantierungen möglichst 
zu unterlassen. Vergleichsweise ist daher die Gefahr, die vom Menin¬ 
gitiskranken ausgeht, ganz ungemein gering gegenüber der von den 
Trägern ausgehenden Gefahr. Diese allein beherrschen die Ausbreitung der 
Krankheit von Ort zu Ort und innerhalb einer Ortschaft; der Meningitis¬ 
kranke tritt ganz in den Hintergrund. Gegen die Träger müssen wir 
daher Vorgehen, wollen wir die Seuche bekämpfen; Maßregeln gegen den 
Meningitiskranken sind für die Ausbreitung relativ belanglos. 

„Mit Recht wird nun aber mancher doch Bedenken tragen, so ein¬ 
schneidende Änderungen in unseren Anschauungen über die Verbreitungs- 
weise der Genickstarre und demgemäß auch in unseren Bekämpfungsmaß' 


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14 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

nahmen eintreten zu lassen nur auf Grund von bakteriologischen Unter¬ 
suchungen. Ist doch gerade beim Meningokokkus seine Legitimierung als 
Krankheitserreger auf so viel Schwierigkeiten gestoßen! Seine Unter¬ 
scheidung von anderen Kokken gelingt erst in neuester Zeit mit subtilen 
Mitteln. Dazu sollen seine Wirkungen so ungeheuer variieren, das eine Mal 
leichteste Pharyngitis, das andere Mal foudroyante Meningitis hervorrufen. 
Wahrlich, man wird es niemand verdenken können, wenn er sich scheut, 
nur auf Grund bakieriologischer Untersuchungen die bisherigen Vor¬ 
stellungen völlig aufzugeben und sich zu so neuen Anschauungen zu be¬ 
kehren. Dazu sind denn doch viele, namentlich unter den Medizinal- und 
Verwaltungsbeamten, nicht bakteriengläubig genug. 

„Nun gibt es aber noch einen anderen Weg, um über die Verbreitungs¬ 
weise einer Krankheit ins klare zu kommen; das ist der Weg der epide¬ 
miologischen Beobachtung. Wenn die an leblosen Gegenständen haften¬ 
den Erreger bo rasch zugrunde gehen, daß durch diese eine Verschleppung 
der Krankheit nicht erfolgen kann; wenn ferner der an Genickstarre Er¬ 
krankte nicht das Zentrum für die Ausbreitung der Krankheit in seiner 
näheren und weiteren Umgebung bildet; wenn dagegen Gesunde und 
Pharyngitiskranke aus der Umgebung des Genickstarrekranken vorzugsweise 
die Erreger verbreiten, — so muß sich dies alles auch in dem epidemio¬ 
logischen Verhalten der Krankheit aussprechen, und dieses muß ein ganz 
anderes sein, als das Verhalten bekannter übertragbarer Krankheiten, bei 
denen zweifellos der Kranke das Zentrum für die Ausbreitung bildet. 
Epidemien von Kontakt-Cholera, Kontakt-Typhus, Diphtherie müssen eine 
wesentlich andere örtliche und zeitliche Gruppierung aufweisen, als 
Genickstarreepidemien. 

„Material zu epidemiologischen Beobachtungen über Genickstarre liegt 
jetzt sehr reichlich vor, namentlich in den Berichten der Medizinalbeamten 
über die neueren Epidemien von 1905 und 1906. Sehen wir, was wir aus 
diesem Material entnehmen können. 

„Was zunächst die Verschleppung der Seuche von Ort zu Ort betrifft, 
so wird von allen neueren Beobachtern hervorgehoben, daß leblose Gegen¬ 
stände dabei keine Rolle gespielt haben, sondern, wo überhaupt ein Zu¬ 
sammenhang sich feststellen ließ, stets lebende Personen aus der Umgebung 
des Kranken. Flatten führt aus der Oppelner Epidemie 32 Fälle an, in 
denen die Verschleppung durch Personen, offenbar Kokkenträger, eklatant 
hervortritt. Bahr fügt neun Übertragungen solcher Art ans der Epidemie 
in Duisburg-Ruhrort 1906 an. Nur ganz vereinzelt sind Vermutungen laut ge¬ 
worden, daß leblose Gegenstände die Verschleppung bewirkt haben könnten; 
aber in diesen Fällen wird von den Berichterstattern selbst hinzugefügt, 
daß eine Mitwirkung von lebenden Kokkenträgern sich nie habe ausschließen 
lassen. 

„Weiter fragt Bich, ob epidemiologische Erfahrungen dafür sprechen, 
daß der Genickstarrekranke das Zentrum für die Ausbreitung der Krank¬ 
heit bildet? Da ist zunächst wichtig, daß Übertragungen der Krankheit 
nach der Überführung ins Krankenhaus auf Ärzte, Pflegepersonal oder 
andere Kranke nicht beobachtet sind. In der riesigen oberschlesischen 
Epidemie ist nur einmal ein Wärter, und einmal ein augenkranker Insasse 


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Die Ver breitungsweise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 15 

erkrankt; beide hatten aber zweifellos auch im Krankenhause Gelegenheit, 
an Kokkenträgern sich zu infizieren, und schließlich kann ja auch ganz zweifel¬ 
los — wie ich oben bereits hervorhob — eine gelegentliche Ansteckung am 
Meningitiskranken Vorkommen. Man könnte einwenden, daß die Genick¬ 
starrekranken im Krankenhause ausschließlich mit wenig disponierten Er¬ 
wachsenen in Berührung kommen und daß deshalb manifeste Übertragungen 
von Genickstarre meist aushleiben. Aber man hat in Kinderspitälern die 
gleiche Erfahrung gemacht; und noch neuerdings haben Czerny, Esche- 
rich und andere Kinderärzte erklärt, daß sie es nicht für nötig halten, die 
geniokstarrekranken Kinder im Spital zu isolieren, da eine Übertragung auf 
andere Insassen noch nie beobachtet sei. 

„Ich will aber auf diese Erfahrungen nicht allzuviel Gewicht legen; 
auch bei anderen zweifellos übertragbaren Krankheiten bleiben in gut ge¬ 
leiteten Spitälern Ansteckungen aus. Viel wichtiger ist es, daß auch die 
örtliche Verteilung der Meningitiserkrankungen auf die Wohnungen und 
Familien einer Ortschaft nicht auf eine Verbreitung vom Kranken aus 
hindeutet. Für übertragbare Krankheiten, bei denen der Erkrankte das 
Zentrum für die Ausstreuung bildet, beobachten wir vor allen Dingen eine 
Häufung innerhalb der gleichen Familie und des gleichen HauBes; seltener 
und erst in zweiter Linie eine Verbreitung auf andere HäuBer. Ich zeige 
Ihnen hier eine Karte von Siemianowitz in Oberschlesien, wo ich 1894 eine 
Kontaktcholera beobachtet habe. Hier kamen zusammen mit Laurahütte 
156 Erkrankungen vor; davon waren nur 23 Proz. Einzelerkrankungen in 
dem betreffenden Hause; alle übrigen zogen noch weitere Erkrankungen in 
demselben Hause nach sich. In Siemianowitz blieben sogar von 62 Er¬ 
krankungen nur 10 isoliert. Ferner eine Karte von einem Teile von 
Schwientochlowitz, das 1899 von einer schweren Kontakt-Typbusepidemie 
heimgesucht wurde. Bei einem erneuten epidemischen Anstieg im Mai ent¬ 
fielen von 72 Erkrankungen 45 auf schon vorher befallene Häuser, bei 
einem wiederholten Anstieg im Juli von 28 Erkrankungen 24. Die Karte 
zeigt ohne weiteres, daß ein Vereinzeltbleiben der Erkrankungen durchaus 
zu den Ausnahmen gehört. Noch deutlicher tritt diese örtliche Häufung hervor 
bei der Diphtherie. Hier zeige ich Ihnen einen kleinen Ausschnitt eines Stadt- 
planes von Breslau mit den eingezeichneten Dipbtheriefällen von fünf Jahren, 
1886 bis 1890 (damals für die ganze Stadt 6400 Erkrankungen); ich habe den 
ganzen Plan in der „Zeitschrift für Hygiene“ mitgeteilt. Die Erkrankungen 
des einzelnen Jahrganges sind mit gleicher Farbe bezeichnet. Sie Behen, wie 
fast in jedem Hause Häufungen der Krankheit im gleichen Jahre Vorkommen. 

„So verhalten sich Krankheiten, die vom Kranken aus leicht über¬ 
tragen werden. Wie verhält sich nun die Genickstarre? 

„Das ersehen Sie z. B. aus dieser Karte, welche die andere Hälfte von 
Laurahütte-Siemianowitz darstellt. Alle 61 Erkrankungen sind isoliert ge¬ 
blieben! Ferner ist z. B. in Königshütte unter 462 Erkrankungen in fast 
400 Familien nur eine Erkrankung vorgekommen; und ähnlich verhält es 
sich in den übrigen oberscblesischen Ortschaften, wie Flatten ausdrücklich 
und wiederholt hervorhebt. 

„Das gleiche ist auch in anderen Epidemien beobachtet. In Cöln ent¬ 
fielen 1885 180 Erkrankungen auf 160 Häuser; in Liegnitz 27 Erkran- 


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16 XXXII. Versammlung d.D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

kungen auf 27 Häuser; im Regierungsbezirk Breslau 136 Erkrankungen 
auf 120 Haushaltungen. Ghon Bagt über die 1905 in österreichisch - 
Schlesien aufgetretene Epidemie: »Ein Fortschreiten der Erkrankungen von 
Haus zu Haus fand nicht statt. Selbst bei den in Arbeiterkasernen und 
dicht bewohnten Massenquartieren aufgetretenen erkrankte stets nur eine 
Person, mitbewohnende Erwachsene und zahlreiche Kinder blieben gesund, 
und zwar selbst dann, wenn (wie in zwei Fällen) die Kranken mit Familien¬ 
angehörigen dasselbe Bett benutzten«. 

„So eine Ortskarte mit eingezeichneten Genickstarrefällen macht eigent¬ 
lich den Eindruck, als handele es sich hier überhaupt um keine übertrag¬ 
bare Krankheit. Und doch weist das ungefähr gleichzeitige epidemische 
Auftreten deutlich darauf hin, daß eine solche vorliegt und daß eine Ver¬ 
bindung zwischen den einzelnen Erkrankungen bestehen muß. Diese Ver¬ 
bindung ist in der Tat vorhanden. Sie kann nur unmöglich eine direkte 
sein, denn bei der geringen Disposition, die offenbar für Meningitiserkran¬ 
kung besteht, müßte jeder Kranke zehn und mehr Personen der Nachbar¬ 
häuser durch nahen Verkehr während seiner Krankheit infizieren, damit nur 
ein weiterer Meningitisfall sich anschließt. Auf diese Weise ist die ganze 
Ausstreuung des Kontagiums nicht zu erklären. Wohl aber sind indirekte 
Verbindungen zwischen den einzelnen Erkrankungen vorhanden durch die 
Kokkenträger, welche ihre Pharyngitis so leicht weiter verbreiten und auch 
für Fortpflanzung des Kontagiums auf andere, eventuell entfernte Häuser 
sorgen. 

„Zuweilen kommen freilich auch bei Genickstarre Häufungen in der¬ 
selben Familie vor. Manchmal sehen wir, daß zwei und mehr Mitglieder 
einer Familie erkranken. Geschieht dies am gleichen Tage oder nur mit 
einem Tag Zwischenraum, so bedeutet es offenbar gleichzeitige Infektion an 
derselben Quelle. In anderen Fällen liegt offenbar eine Art Familiendisposition 
vor, die bewirkt, daß die Meningokokken, die (ebenso wie bei denjenigen 
Familien, wo nur ein Kind erkrankt) bei fast allen Mitgliedern vorhanden 
sind, hier gerade so vermehrte Meningitiserkrankungen hervorrufen. 

„Es kommt hinzu, daß die zeitlichen Intervalle zwischen den einzelnen 
Erkrankungen einer Gruppe von Genickstarrefällen sehr Btark variieren; 
nach Flatten von einem Tag bis zu 47 Tagen. Bei Typhus, Cholera, 
Diphtherie sehen wir viel Bchärfer bestimmte Fristen zwischen den Doppel¬ 
fällen hervortreten, die ungefähr den Inkubationszeiten entsprechen; bei 
Cholera kommen vorzugsweise vier bis fünf Tage, bei Typhus zwei bis 
drei Wochen nach den ersten Erkrankungen die vom Kranken ausgehenden 
Kontaktinfektionen zutage. Bei Genickstarre ist keinerlei Gesetzmäßig¬ 
keit dieser Art zu beobachten. Die Erklärung dafür ergibt sich wiederum 
am einfachsten daraus, daß zwischen zwei Erkrankungen Kokkenträger sich 
einschieben, für die der Zeitpunkt, wann sie Kokken acquirieren und wann 
sie diese verbreiten, von allerlei Zufälligkeiten abhängt. 

„Demnach führt auch die epidemiologische Analyse wirklich zu dem 
Ergebnis, daß nicht der Meningitiskranke für die Verbreitung wesentlich 
in Betracht kommt, sondern vielmehr der Kokkenträger. Selbst ohne alle 
Bakteriologie könnte man das aus dem epidemiologischen Verhalten folgern. 


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Die Verbreitungsweise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 17 

„Wenn aber die Genickstarre sich so ganz anders verbält wie die 
übrigen übertragbaren Krankheiten, so muß uns das gewohnte Schema der 
Bekämpfung bei der Genickstarre im Stich lassen; für ihre Bekämpfung 
können dann anmöglich dieselben Grundsätze gelten, die wir bei der Be¬ 
kämpfung der Cholera, des Typhus, der Diphtherie befolgen. Zwar gibt es 
auch bei diesen Krankheiten Parasitenträger; aber diese spielen bei der 
Verbreitung eine entschieden untergeordnete Rolle, und die Hauptmasse der 
Übertragungen sehen wir vom Kranken ausgehen. Bei der Genickstarre 
aber überwiegt die Bedeutung der Träger so ungeheuer, daß eine Bekämp¬ 
fung nur Sinn hat, wenn wir uns gegen diese und nicht vorzugsweise 
gegen die Kranken wenden. 

„Manche entschließen sich schwer zu diesem Eingeständnis. Einige 
Medizinalbeamte haben sich noch neuerdings dahin geäußert, daß auch bei 
Genickstarre die Isolierung des Kranken im KrankenhauBe doch die Haupt¬ 
sache sei und bleibe, und haben darauf hingewiesen, daß man damit offen¬ 
bar beste Erfolge erzielt habe. 

„Ich kann dem nicht beistimmen. Wenn man so verfährt, so hat man 
sicher nicht mehr Aussicht auf Erfolg, als wenn man z. B., um die Tollwut 
zu bekämpfen, nur die gebissenen Menschen isolieren, aber die tollen Hunde 
ruhig laufen lassen wollte. Ich stehe dabei durchaus auf dem gleichen 
Standpunkte, den Herr Geheimrat Kirchner kürzlich bei seiner Besprechung 
der bisherigen Bekämpfung der Genickstarre eingenommen hat. 

„Herr Kirchner erkennt ausdrücklich an, daß das neue preußische 
Seuchengesetz zu einer Zeit erlassen sei, wo unsere Kenntnisse bezüglich 
der Genickstarre noch unvollkommen waren, und daß eigentlich die Träger 
sehr viel mehr berücksichtigt werden müssen. 

„Ob wirklich mit dem Vorgehen allein gegen den Meningitiskranken 
Erfolge bezüglich der Ausbreitung der Krankheit erzielt werden können, 
das kann man am besten entscheiden auf Grund der Erfahrungen der ober¬ 
schlesischen Epidemie von 1905. Wohl noch nie vorher ist von Anfang an 
so streng nach dem bei ansteckenden Krankheiten gebräuchlichen Modus 
verfahren als in dieser Epidemie. Im Industriebezirk Oberschlesiens be¬ 
stehen ausgezeichnete Einrichtungen für eine solche Bekämpfung, wie ich 
aus eigener Erfahrung in Cholera- und Typhuszeiten weiß; es gibt dort ein 
trefflich geschultes Personal; Krankenhäuser, Desinfektionseinrichtungen usw. 
sind durchschnittlich besser als in den meisten anderen Gegenden. Überdies 
besagt ein Erlaß des Regierungspräsidenten zu Anfang der Genickstarre¬ 
epidemie ausdrücklich noch folgendes: »Auf die möglichst frühzeitige Ab¬ 
sonderung jedes einzelnen Genickstarrekranken in einem geeigneten Kranken¬ 
hause lege ich den allergrößten Wert für die Bekämpfung der Epidemie, und 
ich halte es für angezeigt, dieselbe gegebenfalls auch gegen den Willen der 
Angehörigen durchzusetzen«. Und trotz der daraufhin selbstverständlich 
erfolgten eifrigsten Absperrung jedes Kranken im Krankenhause, trotz Des¬ 
infektion usw. ist ein unaufhaltsames Anwachsen der Seuche eingetreten 
bis zu ganz ungeahnter Höhe. Wie kann man diesen Zahlen gegenüber 
noch von einem Erfolg jener bei übertragbaren Krankheiten gewohnten 
Maßnahmen sprechen? Es handelt sich doch offenbar um ein vollständiges 
Versagen dieses Regimes. 

Viertctjahrsachrift fttr GesnndheiUpflege, 1908. 2 


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18 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Auch von der Desinfektion ist bei der Genickstarrebekämpfung längst 
nicht so viel wie bei anderen Seuchen zu erwarten. Anzuraten ist, daß 
während der Krankheit etwaiger Auswurf, Taschentücher, Eß- und Trink¬ 
geschirr, die Hände des Pflegenden usw. fortlaufend desinfiziert werden. 
Bezüglich der Schlußdesinfektion sagt Kirchner sehr richtig, »daß, seit 
wir wissen, wie außerordentlich hinfällig der Meningokokkus außerhalb des 
menschlichen Körpers ist, eine WohnungBdesinfektion nur in geringem Um¬ 
fange erforderlich ist und sich auf diejenigen Wohnungsteile beschränken 
kann, welche mit Nasen- oder Rachenschleim des Erkrankten vermutlich in 
Berührung gekommen sind». 

„Nun fragt sich aber vor allem: Was haben wir denn nach der posi¬ 
tiven Seite hin Neues aus diesen Epidemien gelernt? Vor allem folgendes: 
Hat der Medizinalbeamte für Isolierung des Kranken und Desinfektion 
Sorge getragen, so fängt offenbar seine eigentliche Arbeit zur Be¬ 
kämpfung der Seuche erst an. Die bisher getroffenen Maßregeln sind auf 
die Ausbreitung der Krankheit kaum von Einfluß; um diese zu treffen, müssen 
nun die Maßnahmen gegen die Kokkenträger folgen, denen der ganz über¬ 
wiegende Anteil bei der Verbreitung zufällt. 

„Da fragt sich zunächst, wie soll man die Träger ermitteln? Man 
könnte daran denken, von allen, die in nahem Verkehr mit einem Kranken 
gestanden haben, oder die aus verseuchter Gegend kommen, bakteriologische 
Untersuchungen des Rachenschleims vornehmen zu lassen. Allein damit 
würde man fast lauter negative Antworten erzielen und zu fast ebensoviel 
Fehlschlüssen kommen. Denn die Meningokokken sterben in den vor¬ 
schriftsmäßig entnommenen Proben binnen wenigen Stunden ab, und es 
gelingt daher dem Untersucher meist nicht, noch Meningokokken zu züchten, 
wenn die Probe einen Transport durchgemacht hat. Nur wenn an Ort und 
Stelle eine Untersuchungsstation sich befindet und wenn womöglich ein 
Assistent selbst die Entnahme ausführen und sofort verarbeiten kann, dürfen 
wir die Ergebnisse als richtig ansehen. Diese Untersuchung wird daher 
auf besondere Fälle — Kasernen, Schulen, in denen verdächtige Erkrankungen 
vorgekommen sind, verdächtige Zugereiste usw. — beschränkt werden 
müssen, hier allerdings oft von großem Wert sein. 

„Im allgemeinen wird man aber nicht fehlgehen, wenn man ohne be¬ 
sondere Untersuchung jeden als Kokkenträger ansieht, der in nahem Ver¬ 
kehr mit Genickstarrekranken oder mit Trägern gestanden hat. Selten 
werden bei solcher Annahme Unschuldige mit unterlaufen. 

„Was aber nun gegen diese ganze großeMaBse von Kokkenträgern tun? 

„Darüber sind sich wohl alle einig, daß eine Isolierung nur in seltensten 
Ausnahmefällen angängig ist. Beim Militär, in einzelnen industriellen 
Betrieben ist eine besondere Überwachung oder ein Ausschluß von der 
Arbeitsstätte, die den Träger mit zahlreichen Menschen in nahe Beziehung 
bringt, ausnahmsweise möglich und sollte versucht werden; aber allgemein 
würden solche Maßnahmen, selbst wenn sie durch ein neues Gesetz statthaft 
werden sollten, nicht durchführbar sein, weil es ein Brotlosmachen zahlreichster 
Erwerber bedeuten und weil ein zu rigoroses Vorgehen nur zur Verheimlichung 
der Erkrankung führen würde. 


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Die Verbreitungsweise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 19 

„Dagegen wäre es von größtem Wert, wenn wir Mittel hätten, um die 
Meningokokken im Nasenrachenraum der Träger abzutöten oder abzn- 
schwächen. Sicher würden solche Mittel vom Publikum, das vor der Ge¬ 
nickstarre große Scheu zu haben pflegt, sehr gern benutzt werden. Leider 
sind alle früher von v. Lingelsheim in Beuthen und von Ostermann in 
Breslau angestellten Versuche, durch Spülungen, durch Besprayen, Pinselungen 
mit Borsäure, Wasserstoffsuperoxyd und verschiedensten anderen Mitteln die 
Kokken abzutöten, vergeblich gewesen. Brummund hat neuerdings in zwei 
Fällen durch wiederholtes Einblasen von Sozojodol ein Verschwinden der 
Kokken beobachtet. Von Dr. Je hie, Assistenten der Escherichschen Kinder¬ 
klinik in Wien, wird das Einsprayen oder Eingießen von 1 bis 2 ccm 
Pyocyanase in jedes Nasenloch dringend empfohlen. Die von Emmerich 
aus Kulturen von B. pyoc. gewonnene Pyocyanase hat bekanntlich die 
Eigenschaft, zahlreiche Bakterienarten energisch aufzulösen und abzutöten; 
es liegt der Gedanke nahe, diese Wirkung gegenüber den Meningokokken 
des Nasenrachenraumes zu verwenden, zumal die Pyocyanase ganz unschäd¬ 
lich zu sein scheint. Je hie will in der Tat ein baldiges Verschwinden der 
Meningokokken bei so behandelten Trägern beobachtet haben. Ich möchte 
die Versuche noch nicht als abgeschlossen ansehen. Auch ohne Behandlung 
sehen wir die Kokken oft verschwinden, zumal wir über den Zeitpunkt, seit 
wann sie beim einzelnen vorhanden sind, meist nicht orientiert sind. Es 
müssen also unbedingt sehr zahlreiche Untersuchungen stattfinden, ehe man 
aburteileu kann. Außerdem habe ich noch das theoretische Bedenken, ob 
in solcher Weise wirklich wohl die ganze Schleimhaut des Nasenrachen¬ 
raumes mit allen Falten und Verstecken sterilisiert werden kann. Aber 
durchaus möchte ich weiteren derartigen Versuchen mit Pyocyanase und 
anderen Mitteln das Wort reden. 

„Da wir einstweilen auch in solcher Weise die Träger nicht unschäd¬ 
lich machen können, bleibt uns nichts anderes übrig, alB diesen ein Ver¬ 
halten anzuempfehlen, durch das sie ihre Umgebung möglichst wenig ge* 
fährden. Dies geschieht am besten durch ein geeignetes Merkblatt. Die 
„gemeinverständliche Belehrung“ in den Ausführungsbestimmungen des 
Seuchengesetzes möchte ich für diesen Zweck für nicht recht geeignet halten, 
weil dort hauptsächlich die Erkrankung an Meningitis behandelt wird. Nur 
der wenige Zeilen umfassende § 19 betrifft die Träger; nach meiner Ansicht 
ist vor allem ein Merkblatt wünschenswert, das sich direkt nur an die mut¬ 
maßlichen Träger wendet und diesen kurz, aber detailliert genug ein ge¬ 
eignetes Verhalten vorschreibt. Ein solches Merkblatt müßte ungefähr 
folgenden Inhalt haben: 


Warnung! 

„Personen, in deren näherer Umgebung eine Erkrankung an Genick¬ 
starre Torgekommen ist, oder die mit jemand aus der näheren Umgebung 
eines solchen Kranken in engem Verkehr gestanden haben, können unbewußt 
Krankheitserreger der Genickstarre in sich aufgenommen haben. Diese 
Erreger setzen sich auf der Schleimhaut der Rachenwand fest und ver¬ 
anlassen dort manchmal Rötung und verstärkte Schleimabsonderung, auch 

2 * 


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20 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

wohl Schnupfen; in anderen Fällen rufen sie wenig oder gar keine Be¬ 
schwerden hervor. Im Schleim des Rachens solcher Personen sind etwa 
drei Wochen lang Erreger der Genickstarre vorhanden, die von da auf 
andere Menschen gelangen und bei einzelnen von diesen, namentlich bei 
den sehr empfänglichen Kindern, schwere, oft tödliche Genickstarre ver¬ 
ursachen können. 

„Um eine solche Weiterverbreitung der Erreger zu verhüten, müssen 
die oben bezeichneten Personen folgende Vorsichtsmaßregeln etwa drei 
Wochen lang befolgen: 

„1. Man halte sich von jedem unnötigen Verkehr mit anderen Menschen, 
namentlich Kindern, fern. Beim unvermeidlichen Verkehr unterlasse man 
alle Berührungen, durch welche Schleimteilchen aus dem eigenen Mund 
oder der Nase an Finger, Kleider usw. von anderen Menschen gelangen 
können. Unbedingt vermeide man Küsse, sowie gemeinsames Eß- und 
Trinkgeschirr, gemeinsame Waschbecken, Handtücher, Taschentücher. Wäh¬ 
rend des Hustens und lauten Sprechens wende man sich zur Seite und 
halte Bich etwa auf Armlänge von anderen Menschen entfernt, damit diese 
nicht von etwa losgelösten feinen Schleimtröpfchen getroffen werden. 

„2. Auswurf und Nasenschleim soll nie auf den Fußboden gelangen, 
insbesondere, wenn kleinere Kinder zugegen sind. Dennoch beschmutzte 
Fußbodenstellen müssen reichlich mit Kresolwasser (aus Apotheken oder 
Drogenhandlungen zu beziehen) befeuchtet oder mit heißer Seifenlösung ab¬ 
gescheuert werden. Taschentücher, in welche Rachen- oder Nasenschleim 
aufgenommen ist, sind anszukochen oder für eine Stunde in Kresolwasser 
zu legen; Kleider oder Gebrauchsgegenstände, die mit NaBen- oder Rachen¬ 
schleim in Berührung gekommen sind, müssen ebenfalls mit Kresolwasser 
reichlich befeuchtet werden.“ 

„Von der möglichsten Verbreitung einer solchen Warnung, die durch 
mündliche Belehrung und Befragung seitens des Kreisarztes oder des be¬ 
handelnden Arztes womöglich täglich ergänzt werden muß, und die auch in 
der Presse wiederholt bekannt zu geben ist, verspreche ich mir erheblichen 
Erfolg. Die Bevölkerung wird die Maßregeln im allgemeinen willig be¬ 
folgen, weil die Eindämmung der gefürchteten Krankheit in ihrem eigensten 
Interesse liegt; und Widerwillige oder Ungläubige müssen dadurch, daß 
Kreisarzt oder Arzt sich immer wieder mit ihnen in Verbindung setzen und 
für ihr Verhalten Interesse zeigen, sich unter einer gewissen Kontrolle fühlen. 

„Ich glaube, daß wir durch diese intensive Berücksichtigung der 
Kokkenträger die Verbreitung der Krankheit erheblich einschränken können. 
Gewiß werden wir nicht überall damit Erfolg haben; aber wenn nur ein 
größerer Bruchteil der von den Kokkenträgern ausgehenden Ausstreuungen 
unterdrückt werden kann, so muß das schon einen so meßbaren Effekt auf die 
Frequenz der Genickstarre haben, wie man ihn mit der strengen Isolierung der 
Erkrankten niemals erreichen wird. — Ich glaube, damit durchaus nicht 
etwas Neues empfohlen zu haben. Gewiß ist Ähnliches in den jüngsten 
Epidemien schon versucht. Aber es muß dies alles von Anfang an und 
konsequent durchgeführt werden; wir müssen von der Bedeutung der 
Maßregeln gegen die Träger viel mehr durchdrungen sein als bisher. 


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Die Verbreitungs weise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 21 

„Schließlich dürfen wir hoffen, daß auch für diese unheimliche Krank¬ 
heit die Erkenntnisse und Erfindungen auf dem Gebiete der modernen Im¬ 
munitätslehre Ton Nutzen sein werden. Sind die Bemühungen, zu einer 
aktiven oder passiven Immunisierung zu gelangen, auch vergeblich gewesen 
und einstweilen aussichtslos, so scheinen doch mit dem jetzt in Darmstadt 
und in Bern hergestellten Meningokokkenserum, das nicht nur Agglutinine, 
sondern auch lytische Amboceptoren, Opsonine und vielleicht Antiendotoxine 
zu enthalten scheint, bereits bemerkenswerte therapeutische Erfolge erzielt 
zu sein. Das ist ein Anfang; hoffen wir, daß bald weitere Fortschritte folgen, 
damit wir auch auf diesem Wege die gefürchtete Krankheit wirksamer 
als bisher bekämpfen können.“ 

Der Vorsitzende eröffnet hierauf die Diskussion. 

Dl*, med. Bruns, Direktor des Instituts für Hygiene und Bakteriologie 
(Gelsenkircheo): „Meine Herren! Herr Geheimrat Flügge hat bereits 
darauf hingewiesen, daß in den beiden letzten Jahren in den Bezirken 
Düsseldorf, Arnsberg und Münster eine größere Anzahl von Genickstarre¬ 
erkrankungen vorgekommen sind. Die Erkrankungen beschränken sich in 
diesen drei Regierungsbezirken in erster Linie auf diejenigen Kreise, die 
zum eigentlichen Ruhrkohlengebiet gehören. Auch hier hat der Anstieg der 
Epidemien in den letzten Jahren jedesmal im Januar, Februar und März 
etattgefunden, der Höhepunkt war im April und Mai, das Abflauen der 
Epidemie im Juni, Juli und August. 

„Für dieses Jahr sind die entsprechenden Zahlen folgende: 


im 

Monat Januar. 

.... 49 Erkrankungen, 



Februar . 

.... 99 

7) 



März. 

.... 148 


P 

n 

April. 

.... 278 

r) 



Mai. 

.... 327 




Juni. 

.... 188 


r 

p 

Juli. 

.... 146 


p 

„ 

August. 

.... 68 

p 

p 

p 

September .... 

.... 46 

p 


„Ebenso wie Herr Geheimrat Flügge schreiben auch wir den gesunden 
Infektionsträgern, den sogenannten Kokkenträgern, die Hauptschuld an der 
Verbreitung der epidemischen Genickstarre zu. Das läßt sich schon aus 
der Beobachtung schließen, daß in Epidemiezeiten die Zahl der Kokken¬ 
träger eine sehr große ist. 

„Zunächst möchte ich auf die Untersuchungen eingehen, die wir an 
Familienangehörigen erkrankter Personen gemacht haben. Die Unter¬ 
suchungen während des Höhepunktes der Epidemie beziehen sich auf 89 
Familien. Wir konnten unter diesen 89 Familien 85 mal, d. h. annähernd in 
95 Proz. der sämtlichen Familien, einen oder mehrere Kokkenträger neben 
den erkrankten Personen nachweisen. Im ganzen haben wir in der Zeit 330 
Familienangehörige untersucht und positive Resultate bei etwas mehr als 
50 Proz. aller untersuchten Familienangehörigen gefunden. Die Zahlen 
stimmen im ganzen mit den von Herrn Geheimrat Flügge angegebenen 
Zahlen überein. 


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22 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Wesentlich anders sind die Resultate aber ausgefallen, als wir weiter 
während der Abnahme der Epidemie die gleichen Untersuchungen angestellt 
haben. Im Laufe des Monats Juni, wo bereits eine erhebliche Abnahme 
der Krankheit stattgefunden hat, haben wir unter den untersuchten Familien¬ 
angehörigen nur noch 37 Proz. als Kokken träger gefunden, im Verlaufe des 
MonatB Juli 27 Proz. und im August gar nur noch 8,5 Proz. Da es sich 
doch um verhältnismäßig große Zahlen (insgesamt mehrere tausend Unter¬ 
suchungen) handelt, glauben wir diesen Resultaten doch eine gewisse Gesetz¬ 
mäßigkeit zusprechen zu können. Wir möchten annehmen, daß eine Genick- 
starreepidemie erst dann zustande kommt, nachdem bereits einige Zeit vorher 
Bedingungen meteorologischer Art obgewaltet haben, die das Vorhandensein 
von zahlreichen Kokkenträgern ermöglicht haben. Man wird dann daran 
denken müssen, daß wohl in manchen Reizzuständen der Nasen- und Rachen¬ 
organe, wie sie in den Wintermonaten vielfach durch Erkältungsschädlich¬ 
keiten bedingt sind, prädisponierende Momente für das Ansiedeln der Kokken 
auf der Schleimhaut des Nasen-Rachenraumes gegeben sind, und daß die 
Epidemien gewöhnlich in den kälteren Jahreszeiten Dezember, Januar, 
Februar ihren Anfang nehmen, und wird daraus den Schluß ziehen können, 
daß aller Wahrscheinlichkeit nach gerade in diesen Erkältungsschädlich¬ 
keiten ein wesentliches Moment für das Auftreten einer Genickstarreepidemie 
zu sehen ist. Wir werden aber weiter vielleicht auch die Schlußfolgerung 
ziehen können, daß dann, wenn ausgedehnte Untersuchungen verhältnis¬ 
mäßig wenig Kokkenträger nur mehr ergeben, ein prognostisch günstig zu 
beurteilendes Moment für das Nachlassen der epidemischen Genickstarre 
vorhanden ist. Es würde damit der Beweis geliefert sein, daß ein weiteres 
Ausstreuen der infektiösen Kokken von einem Kokkenträger auf seine Neben¬ 
menschen nicht Btattgefunden hat; wir gehen dabei von der Anschauung 
aus, daß die Ansiedelung der Kokken nicht nur von äußeren, mehr zufälligen 
Momenten bedingt ist, sondern auch in jahreszeitlichen Schwankungen ver¬ 
schieden ist, d. h. in meteorologischen Ursachen begründet ist. 

„Aber es ließen sich nicht nur bei den Familienangehörigen der Er¬ 
krankten verhältnismäßig zahlreiche Kokkenträger finden, sondern gelegent¬ 
lich auch bei Hausgenossen, Nachbarn und Arbeitsgenossen. In unserer 
Gegend waren vielfach Kinder von Bergleuten erkrankt; wir haben gerade 
darum auch unter Bergleuten vielfach nach Kokkenträgern gesucht. So 
haben wir zur Zeit der Epidemie unter 150 Bergleuten, die in keiner Be¬ 
ziehung zu irgend welcher Genickstarrekrankheit standen, nicht weniger 
als 21, d. h. ungefähr 14 Proz. Kokkenträger gefunden. Das war allerdings 
zu einer Zeit, wo in der Gemeinde Genickstarre herrschte. Bei einer der¬ 
artig weiten Verbreitung der Kokken auch unter Personen, die keinerlei 
Beziehung zu Genickstarreerkrankungen zeigten, müssen wir annehmen, daß 
doch da vielfach die Infektion von einem Kokkenträger zum anderen Kokken¬ 
träger übergegangen ist. Wir haben die Untersuchungen zur genickstarre- 
freien Zeit wiederholt und haben gefunden, daß unter der gleichen Zahl 
diesmal nur 4 Proz. Kokkenträger waren. 

„Wenn man sich von der Bedeutung der Kokkenträger für die Ver¬ 
breitung der Krankheit ein Bild machen will, so scheint mir die Frage von 
Wichtigkeit zu sein, wie groß man etwa die Zahl der Kokkenträger im 


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Die Verbreitungsweise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 23 

Vergleich zu den tatsächlichen Erkrankungen schätzen muß. Wir sind in 
der Hinsicht etwa zu den gleichen Schätzungen gekommen wie Herr Geheim¬ 
rat Flügge, daß vielleicht wohl durchschnittlich etwa 10 bis 20mal so viel 
Kokkenträger zur Zeit der Epidemie herumlaufen, als Leute erkranken. Diese 
Anschauung ist natürlich von Bedeutung für die Bekämpfung der Krankheit. 
Zunächst stehen wir nicht auf dem Standpunkte, die kranken Kokkenträger 
für ungefährlicher zu halten als die gesunden Kokkenträger. Wir müssen 
die Gefährlichkeit eines an Genickstarre erkrankten Menschen unter sonst 
gleichen Umständen für ebenso groß ansehen wie die eines Kokkenträgers 
und treten darum, zumal Gründe allgemeiner Art die Behandlung der Genick¬ 
starrekranken im Krankenhause fordern, durchaus für eine Isolierung dieser 
im Krankenhause ein. Was man mit den gesunden Kokkenträgern machen 
soll, darüber sind generell wohl sehr schwer Bestimmungen zu treffen. Die 
Forderung, sämtliche gesunden Kokkenträger so lange zu isolieren, bis sie 
den Nachweis ihrer Kokkenfreiheit erbracht haben, ist gewiß sehr viel 
leichter ausgesprochen als praktisch durchgeführt. Andererseits würden wir 
es durchaus nicht für richtig halten, von Maßregeln, auch von Isolierungs¬ 
maßregeln gegen die gesunden Kokkenträger ganz abzusehen. Man wird 
da vorläufig nur von Fall zu Fall entscheiden können und nach Möglichkeit 
auf eine freiwillige Isolierung der Kokkenträger hinarbeiten müssen. Daß 
dabei die Schwierigkeiten zum großen Teile auf wirtschaftlichem Gebiete 
liegen (Frage der Entschädigung für entgangenen Arbeitslohn, Kosten für 
den Krankenhausaufenthalt, Versorgung der Kinder), möchte ich hier nur 
kurz streifen. Jedenfalls aber halten wir für die Grundlage jeder Maßregel 
gegen einen Kokkenträger den exakten bakteriologischen Nachweis seiner 
Kokkenbehaftung. 

„Ganz abgesehen also von der Frage, was nachher mit den nach¬ 
gewiesenen Kokkenträgern geschieht, halten wir schon ihre Ermittelung für 
einen wesentlichen Vorteil. Wir gehen dabei von der Anschauung aus, daß 
im ganzen ein als Kokkenträger ermittelter Mensch durchschnittlich wesent¬ 
lich größere Vorsicht im Verkehr mit seiner Familie und seinen Angehörigen 
walten läßt. 

„Es besteht daher bei uns die Absicht, in mehreren Städten des Ruhr¬ 
kohlengebietes, soweit sie wieder der Gefahr einer Genickstarreepidemie aus¬ 
gesetzt sind, bakteriologische Laboratorien zu errichten, die eine rasche 
exakte Erkennung der Kokkenträger ermöglichen sollen.“ 

Profe 880 r Dr. Erismann, Vorstand des Gesundheitswesens der Stadt 
Zürich: „Verehrte Anwesende! Gewiß sind Sie alle, wie ich, mit großem 
Interesse den lichtvollen Auseinandersetzungen des Herrn Geheimrat Flügge 
gefolgt. 

„Die Genickstarre ist eine so unheimliche Krankheit, daß jeder einzelne 
Fall das größte Interesse erregen muß. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel 
überfällt sie die Leute; nicht nur Kinder, sondern ganz gesunde junge 
Männer und junge Mädchen werden auf einmal von den schrecklichen Er¬ 
scheinungen dieser Krankheit betroffen. Wir hatten in Zürich im Laufe der 
letzten Jahre nur einzelne Fälle von Genickstarre, und doch ist es für uns, 
ist es überhaupt für die Öffentlichkeit, und namentlich auch für eine städtische 


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24 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Verwaltung ungeheuer wichtig zu wissen, was man gegen diese unheimliche 
Erkrankung zu tun hat. Viele von Ihnen sind gewiß schon in der Lage 
gewesen, sich diese Frage vorzulegen, und nun hat es mich speziell inter¬ 
essiert, wie Herr Kollege Flügge diese Frage löst. Er bezeichnet als die 
hauptsächlichsten Verbreiter der Krankheit diejenigen Individuen, welche in 
näherem Kontakt mit den Kranken gewesen sind, und da habe ich eigentlich 
erwartet, daß er vorschlagen würde, im Interesse der Verhinderung der Ver¬ 
breitung der Krankheit gegen diese Leute mit strengen Maßregeln vorzu¬ 
gehen. Ich habe nun gerade die Antwort auf diese Frage eigentlich nicht 
gefunden, weder in den Thesen, noch in den heutigen Ausführungen; aus 
seinen Worten geht hervor, daß er dies für allzu kühn halten würde; und 
auch Sie scheinen diese Ansicht zu teilen — hat docli seine bloße Andeutung, 
daß man daran denken könnte, gegen diese Kontakten oder vermutlich Kon¬ 
takten, gegen diese Kokkenträger in der Weise vorzugehen, daß man sie 
möglichst isoliere, bei Ihnen ein allgemeines Lächeln hervorgerufen. 

„Nun muß ich sagen, daß wir in Zürich diese Kühnheit besitzen. Wir 
gehen gegen die Genickstarrekontakten gerade so vor wie gegen die Pocken- 
kontukten. Die städtische Verwaltung in Zürich ist der kantonalen Regie¬ 
rung unterstellt. Das Gesundheitswesen der Stadt ist also in bezug auf 
die Maßregeln für Seuchenbekämpfung gehalten, den Anweisungen des Be¬ 
zirksamtes (Kreisphysikus) nachzukommen. Und nun wird von uns in der 
Tat verlangt, nicht nur, daß wir in jedem einzelnen Falle den Kranken 
isolieren, sondern daß wir alle Kontakten und vermutlich Kontakten sofort 
aus der Bevölkerung herausnehmen, in einem iBolierhause unterbringen und 
sie einige Tage dort behalten, was wir tatsächlich auch durchführen. 

„Ich weiß nun allerdings nicht, ob wir jeden einzelnen Kokkenträger 
damit treffen, aber jedenfalls isolieren wir alle, welche in derselben Wohnung 
mit den Erkrankten sich befunden haben, oder welche sich in demselben 
Hause befinden, wenn sie irgend welche nähere Beziehungen zum Erkrankten 
gehabt haben, alle diejenigen, welche in derselben Werkstatt, in demselben 
Lokale mit ihm gearbeitet haben. So ist es vorgekommen, daß wir bei 
einem einzelnen Falle von Genickstarre 20 und mehr Kontakte und ver¬ 
mutlich Kontakte isoliert haben. Wir tun also das, was logischerweise aus 
den Ausführungen des Herrn Prof. Flügge hervorgeht, was er aber zu 
empfehlen sich nicht entschließen kann. 

„Nun ist die Frage, ob ein solches Verfahren wirklich angezeigt sei, 
deshalb wichtig, weil dasselbe natürlich ein sehr starkes Eingreifen in die 
persönlichen Verhältnisse der Kontakten oder vermutlich Kontakten bedeutet. 
Sie haben Erwerbsverlust, sie müssen also dafür entschädigt werden, denn man 
kann doch nicht die Leute aus ihrem Erwerbsleben herausreißen, sie einige 
Tage isoliert halten und sie dabei auch noch materiell schädigen. Es ent¬ 
steht also auch die weitere Frage: wer entschädigt und in welcher Höhe 
muß entschädigt werden? Schon von dem Standpunkte ist die Frage für 
die städtischen Verwaltungen interessant. Auf alle diese Fragen hätte ich 
gern in den Thesen von Herrn Kollegen Flügge eine präzise Antwort ge¬ 
funden. Da er aber findet, man könne nicht so streng gegen die Kontakten 
Vorgehen, empfiehlt er Ermahnungen an das Publikum, Anweisungen, wie 
man sich zu verhalten habe, die Herausgabe eines Merkblattes usw. 


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Die Verbreitungsweise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 25 

„Von diesen Maßregeln erwarte ich sehr wenig. Bei uns in Zürich sind 
das häufig italienische Arbeiter, oft Analphabeten, oder es sind sonst Leute, 
bei denen man sich nicht darauf verlassen kann, daß sie das auch wirklich 
tnn werden, was man ihnen mündlich empfiehlt oder was in seinem Merk¬ 
blatt geschrieben steht, und das wird auch anderswo so sein. Unter diesen 
Umstünden verspreche ich mir gewiß nicht mit Unrecht nur sehr wenig von 
solchen persönlichen Ermahnungen oder von einem Merkblatt, und ich glaube, 
es ist doch das nichtige, wenn man, soweit es möglich ist, diese Kontakten, 
diese Verdächtigen, diese Kokkenträger auf einige Zeit der Berührung mit 
ihren Nebennienschen entzieht. Es ist das bei uns so sehr Grundsatz ge¬ 
worden und scheint bei der Unheimlichkeit dieser Krankheit auch so gerecht¬ 
fertigt, daß ich es nicht unternehmen dürfte, bei meiner Rückkunft von hier 
unseren Behörden zu erklären: Ja, in Bremen hat Herr Geheimrat Flügge 
die Ansicht ausgesprochen, es sei ganz unmöglich, alle Kontakten oder Ver¬ 
dächtigen zu isolieren, man werde also wohl davon absehen müssen, der 
Verein für öffentliche Gesundheitspflege habe diesem Vorschläge beigestimmt, 
und wir wollten es also in Zukunft auch unterlassen. Ich würde als Ketzer 
behandelt werden, und ich glaube auch, daß ich das in der Tat nicht ver¬ 
antworten dürfte. 

„Also auch nach dem, was hier vom Referenten gesagt worden ist, und 
auch nach den sonst ja sehr einleuchtenden Thesen von Herrn Kollegen 
Flügge glaube ich doch, daß ich auch nach meiner Rückkunft in Zürich 
in derselben Weise wie bisher Vorgehen werde. Ich halte dafür, man dürfte 
es der Öffentlichkeit gegenüber nicht wohl verantworten, da, wo es möglich 
ist und soweit es möglich ist, die Kontakten oder Kontaktverdächtigen zu 
isolieren, dies zu unterlassen. Ich weiß nicht, ob sich das bei einer eigent¬ 
lichen Epidemie von Genickstarre durchführen läßt, aber bei Einzelfällen 
geht es, und gerade bei der Genickstarre ist ja jeder einzelne Fall, sind 
namentlich die ersten vorkommenden Fälle, eben der Besonderheit dieser 
Krankheit und des deprimierenden Eindrucks wegen, den sie auf das Publi¬ 
kum macht, so ungeheuer wichtig, daß man alles tun muß, was im Bereich 
der Möglichkeit ist und soweit es sich wissenschaftlich rechtfertigen läßt, 
um die Krankheit zu isolieren.“ 

Dr. med. Czaplewski, Direktor des bakteriologischen Laboratoriums 
der Stadt Cöln: „Meine Herren! Wir haben in Cöln zurzeit auch eine 
Epidemie von Genickstarre, und da freue ich mich, daß wir uns mit unseren 
Beobachtungen in voller Übereinstimmung mit Herrn Geheimrat Flügge 
befinden. Die Genickstarre betrifft bis jetzt ungefähr 70 Personen; davon 
waren einige 30 Todesfälle. Daran schließt sich natürlich eine große Anzahl 
von weiteren Untersuchungen aus der Umgebung der Kranken an. Wir 
haben selbst 531 Untersuchungen gemacht, davon betreffen 188 Lumbal- 
punktate und 343 Rachen Untersuchungen. Wenn wir die Zahl der positiven 
Fälle in Betracht ziehen, so erscheint dieselbe außerordentlich gering, denn 
von den 188 lumbalen Untersuchungen waren 124 negativ und von den 
343 Rachenuntersuchungen waren 202 negativ. Das hängt aber erstens 
davon ab, wie man das Material zugeschickt bekommt, wie das ja schon 
vorhin ausgeführt worden ist, andererseits liegt es wohl auch daran, daß, 


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26 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

nachdem die Aufmerksamkeit auf die Genickstarre, auf den Wert der Unter¬ 
suchungen gelenkt worden ist, nun auch alle möglichen F&lle zur Unter¬ 
suchung geschickt werden, die mit der echten epidemischen Genickstarre 
gar nichts zu tun haben. Wo das Material einwandfrei entnommen war 
und schnell zur Untersuchung kam, stellten sich die Prozentverhältnisse 
ganz anders, so daß wir z. B. von sechs untersuchten Fällen bei Rachen¬ 
abstrich fünf positive gehabt haben oder in einer einzigen Schulklasse z. B. 
von 38 Fällen 13 positive. 

„Hinsichtlich der Untersuchungen möchte ich bemerken, daß, je feiner 
die Untersuchung gemacht wird, sie auch um so bessere Resultate ergibt. 
Da hier auch Herren sind, welche praktisch die Untersuchung ausüben, 
möchte ich bemerken, daß sich uns ein einfaches Färbeverfahren bei der 
ersten Untersuchung von Lumbalpunktaten sehr bewährt hat, nämlich 
15 Sekunden lange Färbung mit konzentrierter Giemsalösung. Es treten 
dadurch die gefärbten Kokken in dem Präparat so deutlich hervor, wie man 
sie bei anderen Färbungen nicht zu sehen vermochte. Bei den Rachen¬ 
abstrichen haben wir auch gefunden, daß wir nur, wenn wir das Material 
selbst entnehmen konnten, oder wenn, wie das häufig geschieht, die Kreis¬ 
ärzte uns das Material frisch abgestrichen sofort in das Labora¬ 
torium brachten, sehr gute Resultate bekommen haben. Ich habe dabei 
die Tupfersonden angewendet, wie sie bei der Diphtherieuntersuchung ge¬ 
braucht werden, und mit Hilfe einer kleinen Drahtzange einfach das untere 
Ende hakenförmig umgebogen. Mit dem urogebogenen Tupfer kann man 
direkt in den Rachen eingehen. Das ist viel bequemer, als durch die Nase 
hinduroh das Material zu entnehmen. Dann wurde der Tupfer in 1 ccm 
Bouillon ausgeschüttelt und von dieser Ausschüttelung die Aussaat gemacht. 
Das hat sich uns besser bewährt, als wenn wir direkt mit dem Tupfer das 
Material auf der Ascites-Agarplatte ausgestrichen haben. 

„Zu der These 6 von Herrn Geheimrat Flügge möchte ich noch 
ergänzend bemerken, daß in den Familien jedenfalls wohl auch das Küssen 
für die Verbreitung der Infektion von großer Bedeutung ist. 

„Ferner steht in These 7, daß bei den Meningokokkenträgern die 
Meningokokken lange im Rachen bleiben, daß sie aber bei den Genickstarre- 
kranken früh aus dem Rachen verschwinden. Letzteres trifft wohl nicht in 
jedem Falle zu, wir haben auch Genickstarrefälle gehabt, bei denen die 
Meningokokken noch wochenlang im Rachen nachweisbar waren. 

„Dann möchte ich zu der These 7 noch hinzusetzen, daß bei der Er¬ 
krankung in manchen Fällen zu der Disposition durch körperliche Anlage 
vielleicht noch eine herabgesetzte Widerstandsfähigkeit der betreffenden 
Individuen, z. B. durch einen Katarrh, hinzukommen dürfte. Es wurde in 
Cöln einmal seinerzeit im Ärzteverein die Frage aufgeworfen, wie man ea 
sich erklären könnte, daß vereinzelt beim Militär Fälle vorkämen. Ich habe 
damals daran erinnert, daß das Militär durch seine Beziehungen zum Küchen¬ 
personal doch mitunter einen außerordentlich innigen Verkehr mit der Zivil¬ 
bevölkerung pflege und daß dadurch die Brücke für die Verbreitung der 
Meningokokken in recht ausgiebiger Weise gegeben ist. Die Untersuchung 
auf Kokkenträger ist uns mitunter doch von erheblichem Wert gewesen. 
So hatten wir z. B. in einem Falle eine 40jährige Person, die wegen Me- 


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Die Verbreitungeweise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 27 

ningitis ins Krankenhaus aufgenommen war. Durch Lumbalpunktion waren 
Meningokokken nachgewiesen. Dann wurde uns vom Kreisarzt das Rachen¬ 
sekret von Personen aus der Umgebung gebracht. Darunter war ein Säug¬ 
ling nnd außerdem eine Fabrikarbeiterin; bei beiden wurden die Meningo¬ 
kokken nachgewiesen. Beim Säugling waren unklare Erscheinungen, Mngen- 
störungen, man konnte nicht recht etwas daraus machen. Daraufhin, daß 
wir die Meningokokken im Rachensekret nachgewiesen hatten, wurde die 
Lumbalpunktion ausgeführt, welche sehr reichlich Meningokokken ergab. 
Jetzt konnte die Überführung ins Krankenhaus erfolgen. Gegen die Fabrik¬ 
arbeiterin war man machtlos. In einem anderen Falle handelte es sich um 
ein 15 jähriges Mädchen, bei welchem die Diagnose eigentlich mehr zugunsten 
einer tuberkulösen Meningitis sprach. Die Person war auch tuberkulös; 
der Kreisarzt zog aber epidemische Meningitis für die Diagnose mit in Be¬ 
tracht. Es wurden dann bei uns im Rachensekret Meningokokken nach¬ 
gewiesen, darauf wurde die Punktion gemacht und ein außerordentlich 
reichliches eiteriges Lumbalpunktat entleert, das viele Kokken enthielt 
Daraufhin erfolgte natürlich die Überführung ins Krankenhaus. 

„Ich möchte dann noch kurz einige Untersuchungen in Schulen erwähnen. 
Der eine Fall betraf eine konfessionell israelitische Schule. Da waren von 
sechs Schülern, die uns zugeführt wurden, ehe sie zur Erholung in die 
Ferien geschickt werden sollten, fünf positiv, d. h. sie hatten Meningokokken 
im Rachensekret Sie wohnten in allen Richtungen der Stadt. In einer 
anderen Schule waren in einer Klasse, wie oben erwähnt, von 38 Schülern 
13 positiv. Dieselben wohnten alle in der Umgebung der Schule. Es ließ 
sich nun konstatieren, daß aus der israelitischen Schule einige Schüler in 
derselben Straße wohnten wie Schüler aus der anderen Schule. Es wäre 
doch möglich, daß gerade da die Schulkinder aus einer solchen konfessio¬ 
nellen Schule, die so weit zerstreut wohnen, in diesem Falle zur Ausbreitung 
mitgewirkt haben. Gerade durch das Vorkommen von Kokkenträgern unter 
Schulkindern, welche weit zerstreut wohnen, dürfte das Auftreten mancher 
scheinbar vollkommen isoliert auftretender Fälle in bis dahin verschonten 
Stadtteilen zu erklären sein. tt 

Prof. Dr. Kirchner, Geheimer Obermedizinalrat im Kultusministerium 
(Berlin): „Meine Herren! Es ist für die preußische Medizinal Verwaltung 
dankenswert, daß der Verein das Thema der Bekämpfung der Genickstarre 
auf seine Tagesordnung gesetzt und einen so hervorragend berufenen Ver¬ 
treter aufgefordert hat, dieses Referat zu erstatten. 

„Es wird seit einigen Monaten fortwährend von einer gewissen Presse 
behauptet, daß die preußische Medizinalverwaltung nicht ihre Pflicht tue. 
Infolgedessen ist eine Beunruhigung entstanden, und gewisse Kreise machen 
den Herrn Kultusminister dafür verantwortlich, daß im preußischen Staate 
noch die Genickstarre ist. Wir tragen diesen Vorwurf mit Ruhe. Das, was 
Herr Geheimrat Flügge auseinandergesetzt hat, ist, wie ich glaube, geeignet 
zu beweisen, daß eine Veranlassung, jemandem einen Vorwurf zu machen, 
nicht vorliegt. 

„Wenn die Medizinal Verwaltung gegenüber einer Krankheit energisch 
vorgehen soll, muß sie die Unterlagen dazu haben. Diese Unterlagen werden 


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28 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. offentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

ihr durch das Gesetz gegeben. Als der schon vor dem Auftreten der Genick¬ 
starre ausgearbeitete Entwurf des preußischen Seuchengesetzes im Parla¬ 
ment beraten wurde, da wurde der Versuch gemacht, die Erfahrungen der 
letzten Jahre, die bei der Ausarbeitung des Gesetzes nicht hatten berück¬ 
sichtigt werden können, noch zu verwerten. Diese Versuche mißglückten, 
und so ist es nicht möglich gewesen, das noch in das Gesetz hinein zu 
bringen. Es muß aber hervorgehoben werden, daß, als wir die Anweisung 
zur Bekämpfung der Genickstarre verfaßten, ein Jahr nach der Verab¬ 
schiedung des Gesetzes, alles uns bekannt gewesen ist, was Herr Geheimrat 
Flügge uns vorgetragen hat. Schon damals waren wir durchdrungen von 
der Bedeutung der Bazillenträger, und Sie werden, wenn Sie diese Anweisung 
aufmerksam durchlesen, finden, daß diese Dinge berücksichtigt sind, aller¬ 
dings nicht in Form strenger Vorschriften, denn das war nach dem Gesetz 
nicht zulässig, aber in Form von Weisungen und Ermahnungen, die Berück¬ 
sichtigung zu finden haben. 

„Man hat beim Auftreten der Genickstarre im rheinisch-westfälischen 
Industriegebiete dazu geraten, gegenüber den Bazillenträgern, die, wie Herr 
Geheimrat Flügge richtig hervorgehoben hat, die Hauptträger der Über¬ 
tragung sind, energischer vorzugehen. Man hat den Versuch gemacht, den 
auch Herr Prof. Erismann empfiehlt, die Bazillenträger abzusondern, und 
hat geglaubt, auf diese Weise der Seuche eher Herr zu werden. Es ist in 
dem Seuchengesetz bei uns vorgeschrieben, daß, wenn jemand wegen des 
Verdachtes einer Krankheit abgesondert wird, ihm der dadurch entgehende 
Arbeitsverdienst aus öffentlichen Mitteln ersetzt werden muß; und es ist 
infolgedessen auch in dem Industriebezirk der Versuch gemacht worden, 
die hierzu notwendigen Mittel flüssig zu machen. Allein die Erfahrungen, 
die damit gemacht worden sind, sind nicht ermutigend. Einerseits ist es 
klar, daß, was dem einen recht, auoh dem anderen billig ist. Wenn man 
bei der Genickstarre dazu übergeht, die abgesonderten Bazillenträger zu ent¬ 
schädigen, so muß man dies ebenso beim Typhus, bei der Cholera, bei der 
Ruhr, kurz bei allen Krankheiten tun, bei denen Bazillenträger eine Rolle 
spielen. Wohin das pekuniär führen muß, ist gar nicht auszudenken. Bei 
der außerordentlich großen Anzahl von Bazillenträgern werden die Ausgaben, 
die durch sie der Allgemeinheit erwachsen, außerordentlich groß sein. 

„Es ist außerdem zu berücksichtigen, daß die Zahl der Bazillenträger 
vorläufig nur geschätzt wird. Die Zeit, seit der wir dabei sind, sie genau 
festzustellen, ist noch sehr kurz. Die Angaben über ihre Zahl sind daher 
sehr verschieden. Der eine hat 50 Proz. der Umgebung des Kranken als 
Bazillenträger gefunden; der andere schätzt auf jeden Krankheitsfall 10 bis 
20 Bazillenträger. Wohin sollte es pekuniär für die Gemeinde führen, wenn 
man alle diese Personen absondern wollte? Außerdem sind die Möglich¬ 
keiten der Krankheitsverbreitung, die ein solcher Bazillenträger hat, so zahl¬ 
reich, und die Wege, die die Krankheitskeime auf diese Weise gehen können, 
so schwer zu verfolgen, daß ich die größten Bedenken habe, einer derartigen 
Anregung Folge zu geben. 

„Es kommt weiter hinzu — und das hat auch Herr Geheimrat Flügge 
hervorgehoben —: einerseits sind die Bazillenträger meistenteils vollkommen 
gesund; sie wochenlang abzusondern, ist daher eine harte und kaum durch- 


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Die Yerbreitungsweise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 29 

führbare Maßregel. Andererseits dauert die Zeit, wo die betreffenden Per¬ 
sonen Krankheitskeime bei sich tragen und absondern, so lange — viele 
Wochen, unter Umständen Monate —, daß es gar nicht auszudenken ist, 
wohin es führen sollte, wenn wir zehn- bis zwanzigmal so viel gesunde 
Personen absondern sollten, als wir Kranke haben. Das ist vielleicht mög¬ 
lich in Orten, wo erst ein his zwei Kranke festgeBtellt sind; wenn es sich 
aber um eine Epidemie handelt, ist das nicht möglich. 

„In einem Punkte, glaube ich, müssen wir uns ein wenig vorsichtiger 
ausdrücken, als es Herr Geheimrat Flügge in seinen Thesen getan hat, 
das ist der Punkt, der sich auf die Absonderung der Kranken bezieht. Meine 
Herren! Es ist richtig, daß Personen, welche den Krankheitskeim im Liquor 
cerebrospinalis haben, andere Personen nicht anstecken können, und insofern 
ist eine strenge Absonderung der Kranken im vorgeschrittenen Stadium 
wohl auch nicht notwendig. Aber in den ersten Tagen, während deren die 
Kranken die Bakterien in ihrem Rachenschleim absondern, ist meines Er¬ 
achtens die Absonderung unbedingt erforderlich, um so mehr, weil sie ja 
immerzu von Personen umgeben sind, auf die sie die Krankheitskeime über¬ 
tragen können. Sie können während ihrer Krankheit immer neue Bazillen¬ 
träger schaffen, die dann wieder die Krankheit verbreiten. Es wäre höchst 
bedauerlich, wenn sich im Publikum die Ansicht ausbildete, daß eine Ab¬ 
sonderung von Genickstarrekranken nicht nötig sei. Ich gehe sogar so weit, 
zu sagen, daß die Überführung der Kranken ins Krankenhaus im höchsten 
Grade erwünscht ist, und ich kann es nur billigen, daß der Herr Regierungs¬ 
präsident in Oppeln seinerzeit direkt vorgeschrieben hat, womöglich alle 
kranken Kinder ins Krankenhaus zu bringen. 

„Meine Herren! Ich habe 1905 im Aufträge des Herrn Ministers den 
Epidemieherd in Oberschlesien wiederholt besucht, habe da Hunderte von 
Genickstarrekranken gesehen und beobachtet, welch einen deprimierenden 
Eindruck die Kranken auf ihre Angehörigen machen. Es ist sowohl für die 
Eltern als auch für die Kinder das einzig Richtige, wenn die Kinder sobald 
wie möglich in die Krankenhäuser hineinkommen. Ich glaube, darauf müssen 
wir Wert legen. 

„Darin stimme ich Herrn Geheimrat Flügge durchaus zu, daß die 
Desinfektion bei der Genickstarre weniger bedeutet als bei anderen 
Krankheiten. Sicherlich kommt namentlich in späteren Stadien der Krank¬ 
heit die Desinfektion eigentlich gar nicht mehr recht zur Wirksamkeit. Aber 
in den ersten Tagen und Wochen kommt alles darauf an, daß alles, was 
vom Kranken ausgeht, der Rachenschleim, alle Wäsche usw., auf das sorg¬ 
fältigste desinfiziert wird. Gerade bei der Genickstarre müssen wir den 
jetzt mehr und mehr zum Durchbruch kommenden Grundsatz zur Geltung 
bringen, daß nicht sowohl die Schlußdesinfektion als vielmehr die laufende 
Desinfektion am Krankenbette vom ersten Tage der Erkrankung an bis zum 
letzten von Bedeutung ist. Wenn das sorgfältig beobachtet wird, ist die 
Desinfektion nicht überflüssig, sondern wir können viel damit erreichen. 

„Ich hatte gehofft, heute viel zu lernen; bis jetzt ist es jedoch noch 
nicht geschehen. Ich hoffe, daß das bei der Diskussion noch geschehen wird. 
Ich möchte aber noch sagen, was ich mir selber im stillen zurechtgelegt 
habe, wie wir vieUeicht bei der Genickstarre weiter kommen, als es bisher 


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30 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

der Fall ist. Wir müßten auf Grund unserer Erfahrungen annehmen, daß 
in der Umgebung eines jeden Genickstarrekranken eine Menge von Per¬ 
sonen ist, welche Krankheitsträger sind. Es ist nun die Aufgabe der Wissen¬ 
schaft und der Medizinalverwaltung, dafür zu sorgen, daß dies noch genauer 
erforscht werde. Das ist auch die Absicht des Herrn Ministers, wir werden 
jetzt mit aller Sorgfalt in dieser Beziehung Vorgehen. Wo immer ein größerer 
Krankheitsherd im preußischen Staate auftritt, werden wir bakteriologische 
Sachverständige an Ort und Stelle entsenden, um festzustellen, wie die ein¬ 
zelnen Kranken sich verhalten, wie die Umgebung sich verhält, und inwieweit 
die Bazillenträger eine Rolle spielen. Ich habe neulich im Regierungsbezirk 
Arnsberg Herrn Regierungsmedizinalrat Springfeld, der besonders die 
Bazillenträger im Auge hat, gefragt: Können Sie mir Fälle sicher nachweisen, 
wo Bazillenträger die Verbreiter der Krankheit gewesen sind? Er hat die 
Frage nicht positiv beantworten können. Die Frage ist noch nicht spruch¬ 
reif, sie muß noch weiter verfolgt werden. 

„Deswegen bin ich dafür, daß die Zahl derjenigen Institute, welche 
bakteriologische Untersuchungen in größerem Umfange vornehmen können, 
vermehrt wird. Der preußische Staat ist in den letzten zwei Jahren mit 
einem Netz derartiger Untersuchungsinstitute überzogen worden, und es soll, 
wenn es nötig ist, dieses Netz noch weiter verengert werden, um immer an 
Ort und Stelle womöglich die Untersuchungen vornehmen zu können. Es 
ist weiter notwendig, daß das, was das Gesetz und seine Ausführungs- 
bestimmungen als zulässig bezeichnen, möglichst zur Regel wird, nämlich daß 
alle Kommunen, alle Kreise die Desinfektion, wenigstens die Schlußdesinfektion, 
grundsätzlich unentgeltlich vornehmen lassen. Das erfordert zwar ziemlich 
viel Geld, aber es wird zur Folge haben, daß die Fälle nicht mehr, wie jetzt 
vielfach, verheimlicht werden; die Leute werden dann die Krankheitsfälle 
anzeigen, und es wird möglich sein, das Ansteckungsmaterial, welches jetzt 
wirksam bleibt, unschädlich zu machen. 

„Mit dem Vorschläge des Herrn Geheimrat Flügge, ein Merkblatt für 
die Bazillenträger zu verfassen, kann ich mich durchaus einverstanden er¬ 
klären, und wir werden gern das Merkblatt, welches Herr Geheimrat Flügge 
ausgearbeitet hat, als Grundlage nehmen. 

„Etwas Weiteres weiß ich vorläufig nicht. Ich möchte aber bitten — 
und vielleicht ist dies der geeignete Ort —, daß alle diejenigen, welche die 
Bevölkerung beunruhigen durch Vorwürfe, daß die Behörden gegenüber einer 
solchen Krankheit nicht ihre Pflicht tun, uns einmal Vorschläge machen, was 
sie denn eigentlich tun sollen. An uns soll es dann nicht fehlen.“ 

Prof. Dr. Deneke, Direktor des allgemeinen Krankenhauses St. Georg 
(Hamburg): „Meine Herren! Die Aussichten, die uns der Herr Referent 
und die übrigen Redner bisher zur Bekämpfung der Genickstarre eröffnet 
haben, sind nicht sehr glänzend, und ich glaube, daß wir alle dieser Epidemie 
mit großer Mutlosigkeit gegenüberstehen. 

„Da möge es denn gestattet sein, auch vom Standpunkte des Kranken¬ 
hausleiters und Praktikers aus einige Gedanken zu äußern, die uns da viel¬ 
leicht irgendwie helfen können, und den Herrn Referenten zu bitten, sich 
über diese Ideen vielleicht in seinem Schlußworte auszusprechen. 


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Die Verbreitung8wei8e und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 31 


„Jeder, der die Krankheit gesehen hat, erhält einen so furchtbaren Ein¬ 
druck von den Leiden der Kranken und der Angehörigen, daß man sich un¬ 
willkürlich mit dem Gedanken quält, ob man nicht irgend etwas zur Ver¬ 
hütung tun kann. Bisher überfällt sie uns ja wie ein Dieb in der Nacht, 
kein Mensch weiß, ob in einem Orte Fälle bevorstehen oder nicht. Da 
scheinen die Mitteilungen, die Herr Dr. Bruns heute gemacht hat, eine 
gewisse Hoffnung zu erwecken. Es scheint doch so, als wenn die Kokken¬ 
träger Vorläufer der Erkrankungen sind, als wenn in einem Orte erst 
zahlreiche derartige Kokkenträger auftreten, eine Menge Menschen mit den 
Meningokokken im Rachen umherlaufen und erst später sich die wirklichen 
Genickstarreerkrankungen einstellen. Wenn das der Fall ist, dann sollte 
man doch die ganze Bekämpfung in erster Linie auf diesen Punkt konzen¬ 
trieren. Man müßte — und das ist ja etwas, was auch die Stadtverwaltungen 
interessieren wird — möglichst früh festzustellen suchen: sind in dem 
Orte, in dem wir wohnen, Kokkenträger vorhanden oder nicht? 
Das wird ja nicht so schwer sein. Man kann in den bakteriologischen In¬ 
stituten, die ja in großen Orten vorhanden sind, man kann vor allen Dingen 
in den größeren Krankenhäusern, die alle bakteriologisch geschulte Ärzte 
haben, sehr wohl fortlaufende Untersuchungen anstellen. Bei allen den ver¬ 
schiedenen Rachenerkrankungen, die sowieso zur Untersuchung kommen, 
besonders bei diphtherieverdächtigen Halsentzündungen, kann man auf 
Meningokokken fahnden und kann auf diese Weise feststellen: jetzt ist bei 
uns eine so große Zahl von Kokkenträgern vorhanden, daß wir eine Epidemie 
fürchten müssen. Besonders wichtig ist es, in Industrieorten mit ihrer stark 
verunreinigten Luft so vorzugehen; alle Bergwerksorte, alle Städte mit großer 
Industrie haben eine große Masse Rachenerkrankungen, und es ist gewiß 
kein Zufall, daß gerade in derartigen Bezirken Epidemien an Genickstarre 
Vorkommen. Man würde dann in einem Zeitpunkte, wo diese Kokkenträger 
vorhanden sind, bereits Warnungen an das Publikum erlassen können. 
Warnungen während einer Epidemie wirken ja vielfach verwirrend, erzeugen 
ungeheure Aufregung, besonders bei den Müttern, und führen dann vielfach 
zu ganz törichten Handlungen, vor allen Dingen zu einer massenhaften 
Flucht der Kokkenträger, die gerade zu vermeiden ist. 

„Bei dieser Gelegenheit möchte ich einschalten, daß die Internierung 
der Kokkenträger meiner Ansicht nach ihre großen Bedenken insofern 
hat, als sie sofort zunächst zu einer großen Flucht der Leute führen wird. 
Daß man einzelne italienische Arbeiter oder andere auf der Wanderschaft 
begriffene Leute interniert, ist ja gewiß leicht durchführbar und auch emp¬ 
fehlenswert, aber ortsangesessenen Leuten gegenüber wird man schwerlich 
za einer so harten Maßregel greifen wollen. 

„Wenn man da also warnen kann vor dem Ausbruch einer Epidemie, 
dann hat man einen Bundesgenossen, der bisher noch gar nicht erwähnt 
worden ist, das ist das Publikum. Es ist doch anzunehmen, daß speziell 
in den gebildeten Kreisen sich ein großer Eifer bekunden wird, das aus¬ 
zuführen, was die Behörden durch Merkblätter, durch solche Zettel, wie Herr 
Geheimrat Flügge ihn uns leider nicht vorgelesen hat, anraten. Und nun 
möchte ich die weitere Frage mir erlauben: ist es möglich, ein solches Merk¬ 
blatt herzustellen, das nicht nur für die Kokkenträger selbst eine genauere 


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32 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 


Mahnung enthält, ihre Mitmenschen nicht zu gefährden, sondern auch dem 
übrigen Publikum einige Mahnungen gibt, wie es sich den Kokkenträgern 
gegenüber zu verhalten hat? Ich stelle mir die Sache so vor, daß in dem 
Moment, wo in einem Orte zahlreiche Kokkenträger auftreten, dann auch 
eine Gratisuntersuchung aller Leute vorgenommen wird, die sich freiwillig 
auf dem Untersuchungsamt einfinden, daß direkt von ihnen Rachenschleim 
entnommen und festgestellt wird: diese Familie ist frei und diese Familie 
ist befallen, und daß dann also die Betreffenden eine Belehrung mitbekommen, 
wie sie sich den anderen gegenüber zu verhalten haben. Dabei müßte man 
natürlich wissen: ist es möglich, sich über die Übertragung der Kokken von 
den Kokkenträgern auf Gesunde eine nähere Vorstellung zu machen? Ist 
da dasKüssen, das Herr Czaplewski erwähnt, so wichtig, sind es Tröpfchen¬ 
infektionen, ist es der Gebrauch derselben Taschentücher oder sonst irgend 
welche Form des körperlichen Verkehrs, die dabei besonders zu verdächtigen 
sind? Alle diese Punkte müßten in den Merkblättern berücksichtigt werden. 

„Wenn ich noch ein Wort den Äußerungen des Herrn Geheimrat 
Kirchner hinzufügen darf, so möchte ich mich auch dem Vorschläge der 
Isolierung der Kranken, und zwar der strengen Isolierung, durchaus an¬ 
schließen. Sie sind tatsächlich nicht nur in ihrer Rückenmarkshöhle Träger 
der Keime, sondern auch fast alle in ihrem Rachen, wenigstens in den ersten 
Tagen, und man muß nur eine Anzahl Fälle in einem Krankenhause erlebt 
haben, um zu wissen, daß in der Umgebung eines Kranken sich zwar nicht 
weitere Meningitisfälle — das ist eine sehr große Ausnahme — aber doch 
zahlreiche Kokkenträger zu bilden pflegen, und daß diese Kokkenträger, 
wenn sie mit anderen Personen, besonders mit Kindern, verkehren, die Krank¬ 
heit weiter verbreiten können, ist als ausgemacht anzusehen. Ich glaube 
daher, daß man doch nicht allzu milde in dieser Richtung sein dürfte. Wenn 
mau nur einen einzigen Fall dieser entsetzlichen Krankheit auf dem Gewissen 
hat, wird man sich zeitlebens schwere Vorwürfe machen müssen!“ 

Stabsarzt Dr. Kutscher (Berlin): „Meine Herren! Eine Frage, 
die heute hier noch nicht zur Erörterung gekommen ist, betrifft die Dauer 
des Haftens der Genickstarreerreger im Nasen-Rachenraum der Kokkenträger. 
Die Erfahrungen, die wir darüber haben, sind bisher eigentlich verhältnis¬ 
mäßig sehr gering, v. Lingelsheim hat seinerzeit einen Fall beschrieben, 
in dem die Kokken ungefähr 2V 3 bis 3 Monate nachgewiesen werden 
konnten. Ich habe vor einiger Zeit in Berlin Gelegenheit gehabt, einen 
Fall zu untersuchen, in welchem die Haftungszeit etwas über 100 Tage 
betrug. Aber ich glaube, wir können nach Analogie des Vorkommens 
chronischer Bazillenträger bei anderen Infektionskrankheiten bezüglich der 
Genickstarre bis zu einem gewissen Grade folgern, daß auch dort chronische 
Kokkenträger vorhanden sein werden. Ja, wir werden gewissermaßen zu 
dieser Folgerung gezwungen, wenn wir uns erinnern an die Bedingungen, 
unter denen der Meningokokkus überhaupt vorkommt. Wir wissen, daß er 
in der Außenwelt sehr schnell zugrunde geht; die Schleimhaut des Rachens 
ist also der einzige Ort, an dem er sich längere Zeit halten kann. 

„Legen wir uns nun die Frage vor: was wird aus den Meningokokken 
in epidemiefreien Zeiten, so drängt sich einem bis zu einem gewissen Grade 


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Die Verbreitungsweise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 33 


die Antwort auf, anzunehmen, daß sie sich auf der Rachenschleimhaut solcher 
chronischer Kokkenträger längere Zeit, vielleicht nicht nur monatelang, 
sondern unter Umständen jahrelang halten können. Vielleicht geben aber 
auch zu dem längeren Haften ganz besonders diejenigen Fälle von Genick¬ 
starre Veranlassung, welche zur Ausheilung kommen und Erkrankungen der 
Nebenhöhlen hinterlassen. Auf diesen Punkt hat kürzlich Herr Medizinal¬ 
rat Springfeld in Arnsberg hingewiesen. 

„Die Beurteilung der Dauer des Haftens der Kokken ira Rachen ist 
unter Umständen recht schwierig. Es kommt nämlich zuweilen vor, daß die 
Kokken zeitweise verschwinden und dann selbst einer dreimaligen Unter¬ 
suchung nicht zugänglich sind. Ich habe vor einiger Zeit mit Hübner 
zusammen derartige Fälle in der Berliner Garnison gesehen. Es handelte sich 
da um einige Leute, welche Kokken träger waren und nach vierwöchigem 
Haften der Kokken vollkommen frei waren, und zwar bei dreimaliger 
Untersuchung. Dieselben Leute wurden nach weiteren 14 Tagen, 3 Wochen, 
4 Wochen nochmals untersucht, und es stellte sich heraus, daß bei zwei von 
acht untersuchten Leuten 4 Wochen später sich wieder Kokken im Rachen 
fanden, die zeitweilig wieder verschwanden. Das kompliziert die Frage der 
Beurteilung des Haftens der Kokken außerordentlich. Es kompliziert aber 
auch die Frage der Beurteilung der Wirksamkeit therapeutischer Hilfsmittel 
für die Behandlung der Kokkenträger. 

„Es wurde vorhin die Pyocyanase erwähnt. Ich hatte vor kurzem 
Gelegenheit, im Gelsenkirchener Bezirke auch mit Pyocyanase behandelte 
Kokkenträger zu sehen. Leider haben sich die Hoffnungen, die wir ur¬ 
sprünglich auf die Pyocyanase gesetzt hatten, dort gar nicht erfüllt. Bei 
der Gelegenheit möchte ich Sie auf ein Mittel aufmerksam machen, das aller¬ 
dings auch noch wenig erprobt ist; aber bei der allgemeinen trostlosen Aus¬ 
sicht der Kokkenträgerbehandlung überhaupt gestatten Sie mir vielleicht, 
kurz darauf hinzuweisen. 

„Es wird neuerdings im Institut für Infektionskrankheiten ein bakteri¬ 
zides Meningokokkenserum hergestellt nach Angabe von Herrn Geheimrat 
Wassermann, welches in Pulverform mit sterilisiertem Milchzucker zu- 
sammengemiBcht in den Nasen-Rachenraum eingestäubt wird. Dieses Mittel 
ist absolut ungefährlich. Es reizt die Schleimhäute nicht im allergeringsten, 
und ich habe bisher in einigen Fällen — die Anzahl der Beobachtungen ist 
noch keine sehr große, infolgedessen kann ich noch keinen Schluß daraus 
ziehen — leidliche Erfolge gesehen, unter anderem bei einem Kokkenträger, 
der sieben Wochen lang mit sämtlichen anderen denkbaren Mitteln behandelt 
worden war und die Kokken nicht verloren hatte. 

„Dann wollte ich die Herren noch hin weisen auf ein therapeutisches 
Serum, welches das Institut für Infektionskrankheiten in Berlin herstellt und 
abgibt. Herr Geheimrat Flügge erwähnte bereits das Serum von Merck 
und das von Kolle im Berner staatlichen Seruminstitut hergestellte Serum. 
Bei der Serumbehandlung der Genickstarre kommt es zweifellos auf zwei 
Punkte an, deren Erfüllung außerordentlich wichtig ist bezüglich der Pro¬ 
gnose der Therapie. Zunächst muß der Kranke schnell und früh in die 
Behandlung kommen. Die ganzen Erfahrungen, die wir bisher über die 
Serumtberapie haben, weisen darauf hin, daß Kranke, die nach dem fünften 

Vierteljahr*»chrüt für GetundheiUpflege, 1908. 3 


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34 XXXII. Versammlung d. D. Vereine f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Tage in Behandlung kommen, schon sehr wenig Aussicht haben, durch Serum 
gebessert zu werden. Also je früher, desto günstiger. Zweitens kommt es 
zweifellos außerordentlich, wie bei jedem Serum, auf die Qualität des Serums 
an. Wenn man andere Genickstarresera, z. B. diagnostische Sera, öfter zu 
prüfen Gelegenheit hat, dann findet man, daß ein Serum, z. B. bei der 
Agglutination, verschiedenen Genickstarrestämmen gegenüber eine ganz ver¬ 
schiedene Wirksamkeit entfaltet. Um daher das therapeutische Genickstarre¬ 
serum auf eine recht breite Basis bezüglich seiner Wirksamkeit zu stellen, 
ist Herr Geheimrat Wassermann im Institut für Infektionskrankheiten 
von vornherein dazu übergegangen, mit möglichst vielen verschiedenen 
Stämmen von Genickstarreerregern ein sogenanntes polyvalentes Serum her¬ 
zustellen. 

„Die Serumtherapie bei der Genickstarre mit diesem Serum läßt sich 
nach den bisherigen Berichten bei Frühbehandlung verhältnismäßig recht 
günstig an. Um dieselbe auf eine breitere Basis zu stellen, hat das Institut 
für Infektionskrankheiten an die Herren Kollegen bisher unentgeltlich Serum 
in jeder Dosis, soweit es sich natürlich ermöglichen ließ, zur Behandlung 
abgegeben. Ich habe in Gelsenkirchen selbst wenig Gelegenheit gehabt, 
frische Genickstarrefälle mit diesem Serum behandelt zu sehen. Aber in 
Essen hat Herr Dr. Levy, der leitende Arzt der dortigen Infektionsbaracken, 
mit diesem Serum vom Institut außerordentlich günstige Erfolge gehabt. Er 
hat bei sofortiger Behandlung eine Sterblichkeit von 12 Proz. beobachtet, 
und zwar bei intralumbaler Anwendung des Serums. Man kann da mit 
ziemlich großen Dosen Vorgehen. Schädlichkeiten durch das Serum bei den 
Kranken sind bisher nicht bekannt geworden.“ 

Stadt- und Kreisarzt Dr. Köttgen (Dortmund): „Meine Herren! 
Ich möchte kurz auf die Angaben eingehen, die Herr Dr. Bruns soeben 
gemacht hat. Er erwähnte, daß die Zahl der Kokkenträger dann besonders 
groß sei, wenn ein Ansteigen der Epidemie zu bemerken sei, daß sie jedoch 
bedeutend herunterginge, wenn die Zahl der Erkrankungsfälle nachlasse. 
Dieselbe Beobachtung haben wir im Stadtkreise Dortmund gemacht. Wir 
haben in der Stadt Dortmund in diesem Jahre keine größere Epidemie zu 
verzeichnen gehabt, sondern es sind im ganzen vom 1. Januar bis Ende 
August d. J. nur 28 Fälle von übertragbarer Genickstarre festgestellt und 
durch die Entnahme von Rückenmarkshöhlenflüssigkeit mittels bakterio¬ 
logischer Untersuchung sicher nachgewiesen worden. Wir haben nun in 
jedem Falle von übertragbarer Genickstarre die Umgebung des Kranken 
ganz eingehend untersucht, und zwar nicht nur den Hausstand, sondern 
auch, wenn es sich um Kinder handelte, die Kinder von demselben Hausflur 
oder die Kinder, die in der Schule mit den Erkrankten zusammen gewesen 
waren, usw. Wir haben im ganzen 191 Personen auf das Vorhandensein von 
Meningokokken im Nasen-Rachenschleim untersucht und unter diesen nur 
11 als Kokkenträger ermittelt. Das bedeutet einen Prozentsatz von 5,75. 

„Ich will nun keineswegs in Abrede stellen, daß bei einer heftigen 
Epidemie die Anzahl der Kokkenträger bedeutend größer ist, so wie es vorhin 
Herr Geheimrat Flügge angeführt-hat. Aber, wie gesagt, ich kann der 
Anschauung des Herrn Dr. Bruns nur vollkommen beipflichten, daß beim 


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Die Verbreitungsweise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 35 


Nachlassen der Epidemie entschieden weniger Eokkenträger vorhanden sind, 
oder daß da, wo in einer einzelnen Gemeinde nur relativ wenig Krankheits¬ 
fälle auftreten, auch die Zahl der Kökkenträger eine geringere ist. Ich meine, 
man solle doch die bakteriologische Ermittelung der Kokkenträger nicht 
unterschätzen. Wenn Herr Geheimrat Flügge sagt, es sei nicht notwendig, 
in jedem Falle bakteriologische Untersuchungen zu machen und hierdurch 
die Kokkenträger zu ermitteln, so ist das zweifellos richtig für Zeiten, wo 
heftige Epidemien herrschen. Wenn aber eine Stadt erst von relativ wenigen 
Fällen betroffen ist, erscheint es doch sehr wünschenswert, eine strenge und 
eingehende bakteriologische Untersuchung anzustellen, und dafür sind gerade 
städtische bakteriologische Laboratorien, die sich am Orte der Krankheits¬ 
feststellung befinden, notwendig. Da durch langen Transport die Meningo¬ 
kokken leicht zugrunde gehen, muß man vermeiden, daß die Beförderung 
der bakteriologischen Proben zu lange Zeit in Anspruch nimmt. Wir machen 
es in Dortmund so, daß die Hausgenossen des Erkrankten ins bakterio¬ 
logische Laboratorium kommen und hier direkt durch den Assistenten der 
Rachenabstrich entnommen und sofort zu Kulturen verarbeitet wird.“ 

M&rineoberstabsarzt Dr. Peerenboom (Wilhelmshaven): „Meine 
Herren! Es ist in dem Vortrage und in der Diskussion bei der Bekämpfung 
der Genickstarre bis dahin im wesentlichen die Bekämpfung vom bakterio¬ 
logischen Standpunkte aus betrachtet worden, während ein Gebiet, von dem 
ich glaube, daß es von sehr großer Wichtigkeit ist, noch nicht gestreift ist, 
obgleich in den Thesen ein Satz steht, der direkt auf dieses Gebiet hinweisen 
sollte: ”Aus der großen Zahl der infizierten Träger erkranken stets nur 
wenige disponierte Individuen, namentlich Kinder, unter den Erscheinungen 
der Genickstarre.« 

„Es bestehen schon jetzt Einrichtungen für schwächliche Kinder, um 
sie während der Ferien in einen besseren Zustand zu bringen, in Ferien¬ 
heimen, in Genesungsheimen usw. Ich glaube, daß, wenn diese Institutionen, 
die dafür existieren, für die Gebiete besonders nützlich gemacht würden, in 
denen durch eine gewisse Häufung von Genickstarrefällen sich zeigt, daß 
eine Epidemie in Vorbereitung ist, es daun wohl möglich wäre, eine große 
Anzahl von Kindern, die so disponiert sind, dadurch von der Erkrankung 
auszuschließen, daß man sie aus der Umgebung herausnimmt. Es würde 
ja die Zahl der Kokkenträger dann wohl kaum vermindert werden. Aber 
auch diese Seite der Prophylaxe, daß man die Kinder, die besonders dazu 
geeignet sind, aus ihrer Gefahr befreit, würde meiner Ansicht nach Aussicht 
auf Erfolg haben. 

„Ich möchte diese Sache nur kurz hier erwähnen und der Erwägung 
anheimgeben.“ 

Hiermit ist die Diskussion geschlossen und es erhält das Schlußwort: 

Referent Prof. Dr* Flügge (Breslau): „Meine Herren! Ich möchte 
zunächst dem Herrn Kollegen Bruns auf seine Ausführungen etwas erwidern. 
Er hat uns das interessante Faktum mitgeteilt, das ja auch von dem Herrn 
Stadtarzt aus Dortmund bestätigt worden ist, daß im Anfänge der Epidemie 
so außerordentlich viel mehr Kokkenträger gefunden werden als gegen Ende 

3* 


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36 XXXII. Versammlung d.D. Vereins f. offentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

der Epidemie. Ich glaube, meine Herren, daß man sich das wohl ungezwungen 
durch eine Durchseuchung der ganzen Bevölkerung, die allmählich statt¬ 
findet, erklären kann. Ich glaube, in den meisten Fällen — abgesehen von 
den ja allerdings vorliegenden Ausnahmen, auf die Herr Dr. Kutscher 
hingewiesen hat — wird ein solcher Kokkenträger indisponiert Bein für eine 
zweite Pharyngitiserkrankung, wenn die Kokken bei ihm verschwunden sind. 
Leider Gottes hinterläßt ja dieses Überstehen der Pharyngitis keinerlei all¬ 
gemeine Immunität bzw. Immunitätserscheinungen. Wir haben immer 
gehofft, daß wir abgelaufene Fälle von Kokkenträgern und solche, bei 
denen die Pharyngitis vorüber ist, auf sero-diagnostischem Wege nach 
Art der Widalreaktion erkennen könnten, so zwar, daß, wenn man Blut 
entnimmt, das Serum vielleicht höhere Agglutinationseigenschaften gegen¬ 
über den Meningokokken zeigen könnte. Leider ist diese Hoffnung ganz 
fehlgeschlagen. 

„Soweit tritt eine Immunisierung offenbar nicht ein. Aber eine gewisse 
lokale Immunisierung derart, daß demnächst die Leute nicht wieder an 
Pharyngitis erkranken, glaube ich, wird wohl Vorkommen, und ich denke mir, 
daß, wenn eine epidemische Ausbreitung der Genickstarre stattfindet, immer 
eine riesenhafte Ausbreitung dieser Kokkenpharyngitis im Anfänge der 
Epidemie erfolgt und daß man dann selbstverständlich gegen Ende der 
Epidemie, wo viele die Pharyngitis durchgemacht haben und gegen dieselbe 
immunisiert sind, außerordentlich viel weniger Kokkenträger findet. 

„Herrn Kollegen Erismann möchte ich antworten, daß ich von ihm 
wohl etwas mißverstanden bin. Daß ich selbst sehr geneigt wäre, die Kokken¬ 
träger nach Möglichkeit einzusperren und zu isolieren und daß ich mich 
freuen würde, wenn das durchführbar wäre, darüber ist gar kein Zweifel. 
Ich finde, daß Herr Kollege Erismann sehr glücklich daran ist, und daß 
wir ihn nur beneiden können. Daß er in Zürich, in der freien Schweiz, so 
Vorgehen kann, daß er dort solche Maßregeln ergreifen kann, hat mich aufs 
höchste überrascht. Wir können das hier nicht; wir haben keine gesetzlichen 
Unterlagen dazu, und ich glaube, die gesetzlichen Unterlagen werden bei 
uns auch in Zukunft nicht gewährt werden. Darüber entscheidet bei uns 
in Preußen vor allen Dingen auch der Landtag, und die Landtagsabgeord¬ 
neten stehen im großen Ganzen, glaube ich, auf dem Standpunkte: nur nicht 
allzu viel Freiheitsbeschränkungen, lieber dann ein bißchen Krankheit im 
Lande, und da haben wir, glaube ich, keine Aussicht, daß ein derartiges 
Gesetz durchgeht. Aber ich möchte betonen, daß ich ja auch gesagt habe: 
man muß darauf rechnen, in einzelnen Fällen nach Möglichkeit und soweit 
es sich die Bevölkerung gefallen läßt, nach dem Schweizer Schema vorzu¬ 
gehen. Ich verspreche mir davon vielen Nutzen. Namentlich sollten auch 
wir gegen fremde Arbeiter energisch Vorgehen. Es kommt ja sehr auf die 
Kategorie der Leute an, die da in Betracht kommen. Daß die Schweizer die 
italienischen Arbeiter etwas rigoroser behandeln, ist ja ganz natürlich. Ich 
glaube, wenn Sie mit dem freien Schweizer Bürger zu tun bekommen, wird 
die Sache doch etwas schwieriger. 

„Aber das ganze Verfahren ist schließlich praktisch doch nur zulässig 
und möglich, solange wir wenige Fälle haben. Wenn es sich aber um eine 
Epidemie handelt, wie wir sie in Oberschlesien gehabt haben, von 3000 Er- 


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Die Verbreitungsweise und Bekämpfung der epidemischen Genickstarre. 37 

krankangen, wo also ungefähr 30000 Kokkenträger vorhanden sind, meine 
Herren, dann hören eben solche Maßnahmen von selbst auf. 

„Gegenüber den Ausführungen des Herrn Geheimrat Kirchner möchte 
ich nur betonen — ich bin auch auf etwas Ähnliches in den Ausführungen 
des Herrn Prof. Deneke gestoßen —, daß ich keineswegs gesagt habe, daß 
die Kranken nicht abgesondert werden sollen, sondern ich habe in meinen 
Leitsätzen ausdrücklich gesagt: »An einer Isolierung der Kranken in so 
wenig rigoroser Weise, wie sie das Seuchengesetz vorsieht, wird man fest- 
halten, weil die Ausstreuung von Erregern vom Kranken aus immerhin nicht 
unmöglich ist.» Ich habe außerdem in meinem Referat noch ausdrücklich 
betont, daß zweifellos ein Rest von Gefahr der Übertragung beim Kranken 
vorhanden sei. Ich habe in meinen Leitsätzen auch noch gesagt: »Die Auf¬ 
nahme in ein Krankenhaus wird nach wie vor zu empfehlen sein, schon weil 
sachgemäße Pflege und Behandlung bei dieser Krankheit nur im Kranken- 
hause gewährt werden kann.« Also ich stehe durchaus auf dem Standpunkte, 
daß, wenn irgend möglich, die Überführung in ein Krankenhaus erfolgen 
soll, und die Anziehung des Erlasses des Regierungspräsidenten in Oppeln 
ist nicht erfolgt, um eine abfällige Kritik daran zu knüpfen, sondern ich 
wollte nur eine weitere Unterlage dafür geben, daß in jener oberschlesischen 
Epidemie gegen die Kranken so rigoros vorgegangen ist, wie überhaupt nur 
möglich, und daß trotzdem ein Erfolg bezüglich der Verhinderung der Aus¬ 
breitung der Seuche gänzlich ausgeblieben ist. Nur von diesem Gesichts¬ 
punkte aus habe ich den Erlaß des Regierungspräsidenten hier zitiert. 

„Mit außerordentlicher Freude würde ich es begrüßen, wenn die For¬ 
schungen über die Genickstarre seitens der Medizinalverwaltung in der Weise 
noch weiter betrieben würden, wie Herr Geheimrat Kirchner es in Aussicht 
gestellt hat. Ich glaube in der Tat, daß wir noch viel mehr Kenntnisse 
über das Verhältnis der Kokkenträger bekommen müssen, und es ist außer¬ 
ordentlich dankenswert, daß Herr Geheimrat Kirchner ein solches Interesse 
für diese Sache hat und wohl sicher in dieser Beziehung alles Notwendige 
veranlassen wird. 

„Sehr richtig ist auch die Bemerkung von Herrn Dr. Bruns, daß 
kleine Laboratorien in großer Zahl notwendig sind, um die Träger aufzu¬ 
finden. Herr Geheimrat Kirchner hat auch in dieser Beziehung in Aus¬ 
sicht gestellt, daß kleine Institute in vermehrter Zahl eingerichtet werden 
sollen, und das ist es, was wir durchaus in derartigen Bezirken notwendig 
haben. 

„Für den Vorschlag des Herrn Prof. Deneke, daß wir uns die Leute 
mit Pharyngitis ins Institut kommen lassen, da womöglich die Entnahme 
machen und dann gleich untersuchen, möchte ich danken. Der Assistent, 
der bei uns diese Entnahmen in größerem Umfange bei den Trägern gemacht 
hatte, bekam selber eine solche Pharyngitis und schleppte uns in der Tat 
ins Institut die Meningokokken ein. Das ist keine Annehmlichkeit, wenn 
dann plötzlich auch im Institute diese Seuche grassiert; und das könnte 
leicht die Folge sein. Da muß man doch mit mehr Vorsicht Vorgehen. Die 
Träger verstreuen die Kokken offenbar außerordentlich leicht, so daß man 
sich eben schon bei der Entnahme, wenn der Betreffende kräftig aushustet, 
leicht infizieren kann. 


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38 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Für ganz besonders aussichtsToll halte ich noch die Bestrebungen, 
auf die Herr Dr. Kutscher hingewiesen hat und die im Institute für 
Infektionskrankheiten jetzt betrieben werden. Danach können wir wohl 
darauf rechnen, daß in der nächsten Zeit Sera teils zur lokalen Behand¬ 
lung, teils zur internen Behandlung uns therapeutische Erfolge sichern. 
Möchte das wahr werden!“ 

Vorsitzender, Oberbürgermeister Dr. Lentze (Magdeburg): 
„Meine verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir alle ohne Ausnahme 
sind dem Herrn Geheimrat Prof. Dr. Flügge von Herzen dankbar, daß er 
in dieser klaren, lichtvollen Weise uns ein Bild gegeben hat von der Ver¬ 
breitung der Genickstarre und ihrer Bekämpfung. In den weiten Kreisen 
der Bevölkerung — ich glaube, mancher von uns gehört auch dazu — ist 
die Kenntnis von der Genickstarre sehr wenig verbreitet, man hat darüber 
nur Vorstellungen, die unklar und unbestimmt sind. Es war infolgedessen 
für uns alle von außerordentlicher Bedeutung, einmal zu erfahren, in welcher 
Weise die Genickstarre weiter verbreitet wird und wie man sich dagegen 
schützt. 

„Allerdings hat die heutige Diskussion ergeben, daß bis dabin noch 
nicht viel erforscht ist, was man gegen die weitere Verbreitung tun kann. 
Denn alle diejenigen Mittel, welche angeführt wurden, sind in der Praxis 
nach meiner Überzeugung kaum durchführbar. Das einzige, was geschehen 
kann, ist das, daß man weiter forscht und die große Menge des Publikums 
immer wieder darüber auf klärt, daß da, wo die Genickstarre auf tritt, sich 
jeder in acht nimmt und sehr vorsichtig ist, mit anderen Menschen in un¬ 
mittelbare körperliche Berührung zu kommen. Dadurch ist die weitere 
Verbreitung nach dem, was wir heute gehört haben, allein bisher zu ver¬ 
hindern. 

„Also, Herr Geheimrat Prof. Dr. Flügge, von Herzen danken wir 
Ihnen für Ihren schönen, klaren Vortrag.“ 

Pause. 

Nach Wiedereröffnung der Sitzung stellt der Vorsitzende den zweiten 
Gegenstand der Tagesordnung zur Verhandlung: 

Wie hat sich 

auf Grund der neueren Forschungen die Praxis 
der Desinfektion gestaltet? 

Es lauten die vom Referenten Prof. Dr. Tj&den (Bremen) auf gestellten 

Leitsätze: 

1. Die neueren Forschungen über die Verbreitungsweise der ansteckenden 
Krankheiten und über die biologischen Eigenschaften der Krankheitserreger 
haben dargetan, daß in höherem Maße, als früher angenommen wurde, 
lebende Wesen für die Verbreitung in Frage kommen und daß diesem 
Verbreitungsmodus gegenüber die Übertragung durch tote Gegenstände 
wesentlich seltener ist. 


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Praxis der Desinfektion usw. 


39 


2. Aus dieser Erkenntnis heraus ist in neuerer Zeit der fortlaufenden Des¬ 
infektion der Ausscheidungen und der Absonderungen unmittelbar am 
Krankenbette ein größerer Wert beigelegt worden. 

3. Die sogenannte Schlußdesinfektion ist in ihrer Bedeutung zurückgetreten. 

4. Die Desinfektion hat in ihren Grundzügen an Einheitlichkeit gewonnen, 
trotzdem sie in Einzelheiten den besonderen für die Übertragung in Be¬ 
tracht kommenden Möglichkeiten besser angepaßt ist. 

5. Die Desinfektion bildet für die Praxis der Seuchenbekämpfung auch zur¬ 
zeit noch ein wertvolles Hilfsmittel, wenngleich ihr eine bo ausschlag¬ 
gebende Bedeutung nicht mehr zugemessen werden kann, wie es früher 
geschehen ist. 

Referent, Prof. Dr. Tjaden (Bremen): 

„Eine ätiologisch begründete Ausbildung der Desinfektioneiehre ist 
erst ermöglicht worden durch die richtige Erkennung des Wesens der In¬ 
fektion. So lange die Ansicht gültig war, daß manche ansteckenden Krank¬ 
heiten, wie z. B. Typhus, durch gasförmige chemische Körper, durch 
riechende Gase oder sogenannte Miasmen hervorgerufen und verbreitet 
werden können, mußte der Praktiker die Möglichkeit, mit Desinfektions¬ 
mitteln der Verbreitung entgegenzuwirken, ablehnen. Mit der Feststellung 
jedoch, daß es etwas Körperliches, etwas Greifbares ist, das die Ansteckung 
▼ermittelt, konnte der Versuch gewagt werden, dieses Etwas, und mochte 
es noch so klein sein, zu fassen und zu vernichten. Zunächst freilich mußte 
man dabei rein schematisch vorgehen; die geringe Kenntnis der neu er¬ 
schlossenen Welt von Lebewesen nötigte zu Analogieschlüssen, die sich bei 
genauerem Nacbprüfen vielfach nicht immer als in vollem Umfange zu¬ 
treffend erwiesen. Erst nach und nach und Schritt um Schritt gelang es, 
die Lebenseigenschaften der Krankheitserreger soweit aufzuklären, daß für 
die Desinfektionslehre geeignete Unterlagen geschaffen wurden. Und selbst 
dort, wo es bis jetzt nicht gelungen ist, die Krankheitserreger aufzudecken, 
wie s. B. beim Scharlach, haben die bei anderen Mikroorganismen gewon¬ 
nenen Kenntnisse unsere Anschauungen von den allgemein biologischen 
Vorgängen inzwischen soweit geklärt, daß bessere Gründe für die Ma߬ 
nahmen gegen die Verbreitung auch dieser Krankheiten gewonnen sind, als 
es früher der Fall war. 

„Wo halten sich die Krankheitserreger im Normalzustände, wenn man 
•o sagen darf, auf? Sind sie ubiquitär, d. h., leben sie überall in unserer 
Umgebung, auf Pflanze und Blatt, auf der Erde, im Staube unserer Wohn- 
räume, vermehren sie sich hier ins Ungezählte? Oder leben sie für gewöhn¬ 
lich als harmlose Schmarotzer beim Menschen oder Tier, um nur gelegent¬ 
lich und unter irgend welchen besonderen Umständen ihr krankmachendes 
Können zur Geltung zu bringen? Oder sind sie echte Parasiten, die nur 
dann beim Wirte gedeihen, wenn sie sich im Kampfe gegen ihn behaupten 
können? Das sind die Fragen, die zunächst im Lichte der neueren For¬ 
schungen geprüft werden müssen, wenn man über die Zweckmäßigkeit der 
Keimbeseitigung oder Keimvernichtung, über die Berechtigung der jetzigen 
Desinfektionspraxis ein Urteil gewinnen will. Sind die Krankheitserreger 
ubiquitär, so darf man von allgemeinen Maßnahmen zu ihrer Vernichtung 
kaum Erfolg erwarten, wenngleich in einzelnen besonderen Fällen, wie die 
Vorbereitung einer Hautpartie zum Zwecke einer Operation oder die Sterili- 


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40 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 


sation von Nahrungsmitteln zum Zwecke der Haltbarmachung, die Des* 
infektion darum doch angezeigt bleiben kann. Aber das sind immer nur 
einzelne Spezialzwecke. Zur Einschränkung einer Verbreitung von Seuchen 
können Desinfektionsmaßnahmen nicht beitragen, wenn eine Ubiquität an¬ 
genommen werden muß. v. Behring, der den Diphtheriebazillus für ubi¬ 
quitär hält, verwirft deshalb auch die Desinfektionsmaßnahmen bei der 
Diphtherie. Auch dann, wenn die Krankheitserreger als harmlose Schma¬ 
rotzer bei einer großen Anzahl von Menschen oder Tieren unbemerkt leben 
und sich vermehren, jeden Augenblick bereit, unter irgend welchen Um¬ 
ständen zum Angriff auf den Wirt oder seine Mitmenschen zu schreiten, 
auch dann dürfen wir von keimtötenden Mitteln nicht viel erwarten; schon 
aus dem Grunde nicht, weil wir nicht wissen, wo wir anzufassen haben. 
Desinfektionsmaßnahmen haben im Kampfe gegen Seuchen nur 
dann Aussicht auf Erfolg, wenn das erkrankte Individuum der 
unmittelbare oder mittelbare Träger und Verbreiter des Krank¬ 
heitsstoffes ist. Dieser Satz scheint mir die Grundlage für jede Des¬ 
infektion zu sein, von der man praktisch etwas erwartet. Die neueren 
Forschungen haben nun in den letzten Jahren mehr und mehr gezeigt, daß 
dem in der Tat so ist. Prüft man die übertragbaren Krankheiten einzeln 
nach dieser Richtung, so ergibt sich, daß bei Aussatz, Cholera, Pest, Tuber¬ 
kulose, Typbus, Ruhr, Diphtherie, Rotz, Milzbrand, Gonorrhoe und wahr¬ 
scheinlich auch Syphilis der oben erwähnte grundlegende Satz Geltung hat, 
also bei den meisten unserer durch Bakterien hervorgerufenen Seuchen. Ein 
gleiches gilt für jene Gruppe von übertragbaren Krankheiten, die durch 
Protozoen als Blutparasiten bedingt ist. Ich nenne hier nur die Malaria, 
Gelbfieber, das Rückfallfieber und die zahlreichen durch Trypanosomen 
hervorgerufenen Krankbeitsformen. Von der Gruppe der sogenannten 
exanthematischen Erkrankungen kennen wir zwar die Erreger noch nicht 
(Pocken, Fleckfieber, Scharlach, Masern), aber alle epidemiologischen Beob¬ 
achtungen weisen darauf hin, daß man für sie dasselbe annehmen darf. 

„Bei einer Reihe von anderen übertragbaren Krankheiten sind wir uns 
über den gewöhnlichen Aufenthalt ihrer Erreger nicht so im klaren und 
zwar sind es vorwiegend solche, deren Erreger zu der Gruppe der Kugel¬ 
bakterien gerechnet werden bzw. den Übergang von diesen zu den Stäbchen¬ 
bakterien bilden. Es gehören zu diesen Krankheiten die Genickstarre, 
manche Formen der Lungenentzündungen, die septischeu Wochenbett¬ 
erkrankungen und einzelne andere. Bei weitaus der größeren Mehrzahl 
der ansteckenden Krankheiten ist sich die neuere Forschung also darüber 
einig, daß die Krankheitskeime beim Erkrankten zu suchen sind und daß 
der Erkrankte unmittelbar oder mittelbar die Ursache der Krankheits¬ 
verbreitung ist. Aus dieser wissenschaftlichen Erkenntnis die praktischen 
Konsequenzen für die Desinfektion zu ziehen, hat man in den letzten Jahren 
in steigendem Maße sich bemüht. 

„Die Vernichtung der Krankheitserreger innerhalb des erkrankten 
Körpers oder, wo dies nicht angängig, wenigstens sofort beim Verlassen 
des Körpers, sind die Aufgaben gewesen, welche sich die Desinfektions- 
wissenBchaft und die Desinfektionspraxis in den letzten Jahren gestellt hat. 


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Praxis der Desinfektion usw. 


41 


„Die Vernichtung der Krankheitserreger innerhalb des erkrankten 
Körpers gewinnt neben der Verhinderung der Krankheitsverbreitung noch 
eine große Bedeutung durch den Umstand, daß hier die Desinfektion des 
Körperinnern fast immer zugleich eine Heilung für den Erkrankten be¬ 
deutet. Das Desinfektionsmittel erfüllt damit in idealer Weise seinen Zweck, 
es bringt Nutzen für den Erkrankten und schützt zugleich die Umgebung. 

„Der Gedanke, ansteckende Krankheiten durch Abtötung der Krank¬ 
heitserreger im Körper zu heilen und so ihre Verbreitung zu hindern, ist 
nicht neu. So hat man, um nur eins zu erwähnen, schon bald nach der 
Entdeckung des Typhusbazillus sich bemüht, eine Desinfektion des Darm- 
innern Torzunehmen. Man scheiterte aber immer daran, daß der Sitz der 
Krankheitserreger im Körper nicht genügend bekannt oder daß er nur auf 
dem Umwege über den Säftestrom des Körpers zugängig war. Hier erhob 
sich dann sofort die Schwierigkeit, daß die gebräuchlichen Desinfektions¬ 
mittel für die Zellen des Körpers durchweg ein viel stärkeres Gift waren 
als für die Krankheitskeime, welche abgetötet werden sollten, daß also die 
sogenannte innere Desinfektion Körperschäden verursachte, welche ihre An¬ 
wendung von vornherein verboten. Wo dies nicht zutraf, wie bei manchen 
Silberverbindungen, wurden die in den Säftekreislauf gebrachten körper¬ 
fremden Substanzen in kürzester Zeit vom Körper in unwirksame Verbin¬ 
dungen umge&ndert und in diesem oder jenem Organe abgelagert. Aus 
diesem Grunde haben die keimtötenden Silberverbindungen, von deren An¬ 
wendung, sei es durch Einverleibung durch die Haut oder durch Einspritzung 
in die Blutbahn, man bei septischen Erkrankungen, den sogenannten Blut¬ 
vergiftungen, viel erwartete, die auf sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt. 

„Nur bei einer ansteckenden Erkrankung ist auf dem vorher bezeich- 
neten Wege ein Fortschritt erzielt worden, bei der Gonorrhoe; hier ist der 
Krankheitserreger in vielen Fällen relativ leicht zugängig; hier haben sich 
die desinfizierenden Silbersalze bewährt und durch Abtötung der Krank¬ 
heitskeime eine Heilung der Erkrankten herbeigefübrt und damit einer Ver¬ 
breitung der Krankheit vorgebeugt. 

„So wenig Erfolge die Benutzung der, nennen wir sie äußeren Des¬ 
infektionsmittel, wie Kresole, Sublimat und dergleichen, bei der inneren 
Anwendung auch zu verzeichnen hatte, so verlockend und kausal berech¬ 
tigt ist doch der Gedanke der inneren Desinfektion, so daß er immer wieder 
auftauchte. Ehrlich, unser folgerichtiger Pfadfinder, zeigte dann den 
nutzenbringenden Weg, indem er darauf hinwies, daß man auch hier indivi¬ 
dualisieren müsse und daß Erfolge nur dann erwartet werden dürften, wenn 
man durch systematisches Experimentieren zu Mitteln gelangt wäre, welche 
für jede einzelne Art oder Gruppe von Krankheitserregern ein spezifisches 
Gift seien. Als große Schulbeispiele stehen Ehrlich das Chinin bei der 
Malaria und das Quecksilber bei der Syphilis zur Seite. Ich darf hier in 
Bremen daran erinnern, daß noch vor 50 Jahren ganz Nordwestdeutscbland 
durch Malaria verseucht war. Alle Bedingungen für das Fortbestehen der 
Seuche waren vorhanden. Eine große Anzahl von Menschen, in denen sich 
die Krankheitskeime hielten und andauernd vermehrten, geeignete Mücken 
als Überträger der Keime und zahlreiche Wasserzüge, Gräben und Tümpel 
als Brutstätten für die Vermehrung der Mücken. Dann setzte, rein em- 


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42 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. offentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

pirisch allerdings, die innere Anwendung des Chinins allgemein ein; aus 
der geschlossenen Kette des Anstecknngsvorganges wurde damit ein Stück, 
die Erzeugung der Krankheitskeime innerhalb der kranken Menschen, aus- 
gescbaltet und die Seuche erlosch im Laufe der Jahre. Die jetzige Gene¬ 
ration in den betreffenden Gegenden kennt Malaria kaum noch; sie ahnt 
nicht, daß hier vor Jahrzehnten in großem Maßstabe eine Keimtötung, eine 
Desinfektion vorgenommen worden ist, welche eine Volksseuche zum Ver¬ 
schwinden brachte und damit eine große Anzahl von Menschen vor dem 
Krankwerden bewahrte. Vor einigen Jahren ist anscheinend eine Neu¬ 
infektion der Bezirke in der Nähe des Jadebusens erfolgt; die Herde sind 
aber bald erkannt und werden voraussichtlich in nicht zu ferner Zeit be¬ 
seitigt sein. 

„Auch bei der Syphilis liegen die Dinge ähnlich wie bei der Malaria; 
daß hier der Erfolg ein nicht so in die Augen springender ist, hat seine 
besonderen Gründe, deren Erörterung nicht hierher gehört. 

„Chinin und Quecksilber sind empirisch unsere Hilfsmittel geworden, 
aber die von Ehrlich geforderte systematische Forschung fängt auch schon 
an, Früchte zu tragen. Ich weise auf jene Arsenverbindung, das Atoxy], 
hin, mit dem Robert Koch in Zentralafrika die Bekämpfung der Schlaf¬ 
krankheit in großem Umfange und, soweit eine Beurteilung zurzeit zulässig 
ist, mit weitgehendem Erfolge in Angriff genommen hat. Auch bei anderen 
durch Blutparasiten bedingten Krankheiten scheint die Bekämpfung der 
KrankheitsVerbreitung durch Abtötung der Krankheitserreger im Körper 
Erfolg zu versprechen, zumal wenn der fruchtbringende Gedanke Ehrliche, 
mittels Kombination verschiedener spezifischer Mittel zu arbeiten, mehr An¬ 
wendung gefunden haben wird. Wir dürfen aus dem für diese Forschungen 
speziell bestimmten, unter Ehrlichs Leitung stehenden, neugegründeten 
Insitut zu Frankfurt a. M. noch manche Anregungen erwarten. 

„Die innere Desinfektion ist volkswirtschaftlich von großer Bedeutung. 
Soweit wir die Sache übersehen können, wird sie in absehbarer Zeit ihre 
reichsten Früchte bei der Bekämpfung derjenigen Krankheiten ernten, welche 
die Erschließung der tropischen und vor allem der zentralafrikanischen 
Länder bis jetzt so erschwert haben. Die neueren Forschungen haben uns 
gelehrt, daß die verbreitetsten und verderblichsten der dort herrschenden 
Menschen- und Tierseuchen durch Parasiten bedingt sind, welche zum Unter¬ 
schiede von den Bakterien zur Gruppe der untersten tierischen Lebewesen 
gehören und diese wiederum sind einer Abtötung innerhalb des befallenen 
Individuums durch spezifische Mittel zugängig. Nachdem dieses Prinzip im 
allgemeinen als zu Recht bestehend anerkannt werden darf, ist es Aufgabe 
der weiteren Forschung, die Anwendung des jeweils besten Mittels und die 
Art der Ausführung der inneren Desinfektion im einzelnen zu ermitteln. 


„Die Vernichtung der Krankheitskeime innerhalb des erkrankten Körpers 
ist trotz aller Aussichten für die Zukunft zurzeit nur bei einer kleinen An¬ 
zahl von Krankheiten möglich; bei der Mehrzahl derselben müssen wir uns 
darauf beschränken, die Keime außerhalb des Körpers zu fassen. DieB ge¬ 
schieht am besten, sobald sie den Körper verlassen. Wird die Desinfektion 


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Praxis der Desinfektion usw. 


43 


fortlaufend za diesem Zeitpunkte angewandt, so hat man den nioht zu unter¬ 
schätzenden Vorteil, daß die Krankheitskeime noch eng beisammen, daß die 
als Träger des Ansteckungsstoffes anzusehenden Massen relativ gering und 
dabei räumlich umgrenzt sind. Das ist der große Vorzug der fortlaufenden 
Desinfektion vor der sogenannten Schlußdesinfektion. Bei der fortlaufenden 
Desinfektion sind ferner die gefährlichen Massen grobsinnlich zu sehen, bei 
der Schlußdesinfektion ist man auf Annahmen angewiesen und auf die Aus¬ 
sagen der Kranken und ihrer Umgebung, welche Räume und Gegenstände 
etwa als infiziert anzusehen sind. 

„Den Nutzen und die Bedeutung der fortlaufenden Desinfektion haben 
auch die preußischen Verordnungen und diejenigen des Reiches neuerdings 
ausdrücklich anerkannt. In den Ausführungsbestimmungen zu dem preußi¬ 
schen Gesetze, betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, vom 
28. August 1905, heißt es: »Es ist regelmäßig und sorgfältig darüber zu 
wachen, daß nicht nur nach der Genesung oder dem Tode des Erkrankten 
eine sogenannte Schlußdesinfektion stattfindet, sondern daß während der 
ganzen Dauer der Krankheit die Vorschriften der Desinfektion am Kranken¬ 
bette peinlich befolgt werden.« Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 
21. März 1907 ebenfalls Stellung zu der Desinfektion am Krankenbette ge¬ 
nommen. In den Ergänzungen zu den Anweisungen zur Bekämpfung der 
gemeingefährlichen Krankheiten sagt er: »Die Desinfektion am Kranken¬ 
bette ist von ganz besonderer Wichtigkeit. Es ist deshalb in jedem Falle 
anzuordnen und sorgfältig darüber zu wachen, daß womöglich vom Beginn 
der Erkrankung an bis zu ihrer Beendigung alle Ausscheidungen des 
Kranken und die von ihm benutzten Gegenstände, soweit anzunehmen ist, 
daß sie mit Krankheitserregern behaftet sind, fortlaufend desinfiziert 
werden.« Mit diesen Anordnungen haben die preußische Regierung und 
der Bundesrat den Ergebnissen der neueren Forschung Rechnung ge¬ 
tragen. 

„Die Anweisungen haben sich in ihren besonderen Bestimmungen be¬ 
müht, für alles Notwendige zwar eine Desinfektion vorzuschreiben, aber 
aach nur für dieses. Während z. B. beim Typhus eine Desinfektion von 
Stuhl und Harn, von Blut, blutigen, eiterigen und wässerigen Wund- und 
GeschwürauBscheidungen und vom Nasenschleim verlangt wird, beschränkt 
man sich bei Cholera auf Erbrochenes, Stuhlgang und Harn, bei Ruhr auf 
die Stublentleerungen allein. Es entspricht diese Differenzierung unserem 
derzeitigen Wissen, wenngleich beim Typhus meines Erachtens der Luft¬ 
röhren- und Lungenauswurf hätte mit aufgenommen werden sollen. Über 
die Bedeutung einzelner Ausscheidungen als Infektionsträger wird vielleicht 
dieser oder jener Praktiker verschiedener Meinung sein, im allgemeinen muß 
man aber den Anweisungen das Zeugnis ausstellen, daß sie in vorzüglicher 
Weise den Ergebnissen der neueren Forschungen gerecht geworden sind. 

„Neben den Ausscheidungen der Kranken haben die Gegenstände eine 
sorgfältige Beachtung gefunden, welohe mit dem Kranken in nahe Berührung 
kommen. So sind die Verbandsgegenstände, die Badewässer, die Wasoh- 
becken, Spackgefäße, Nachtgeschirre, Steckbecken, Badewannen, die Eß- und 
Trinkgeschirre besonders erwähnt. Auch auf die Bett- und Leibwäsche des 
Kranken, auf den Fußboden des Krankenzimmers, die Bettstelle, den Nacht- 


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44 XXXII. Versammlung d. D. Vereine f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

tisch, die Wand in der Nähe des BetteB, auf den etwa entstehenden Kehricht, 
die Schmutzwässer und auf die Aborte ist im einzelnen hingewiesen. Für 
die mit der Wartung und Pflege der Kranken beschäftigten Personen ist die 
Vorschrift gegeben, ihren Körper, ihre Wäsche und Kleidung nach näherer 
Anweisung des Arztes regelmäßig zu desinfizieren. Durchweg ist in den 
Vorschriften der von Flügge in richtiger Weise betonten Notwendigkeit, 
Keimbeseitigung und Keimtötung auseinander zu halten, Folge gegeben, 
wenngleich gelegentlich unklare Ausdrücke, wie Desinfektion des Körpers, 
doch mitunterlaufen. Wie ein roter Faden zieht sich aber durch 
alle Vorschriften der Gedanke, der Kranke ist der Produzent der 
Krankbeitsstoffe, er und seine nächste persönliche und sachliche 
Umgebung sind andauernd zu beachten, die Krankheitskeime 
müssen noch innerhalb des Krankenzimmers abgetötet werden, 
es genügt nicht, wenn sie nur beseitigt werden. In dieser fort¬ 
laufenden Vernichtung des AnsteckungsstofFes liegt der große Nutzen, aber, 
wie später gezeigt werden soll, auch die Schwierigkeit des Verfahrens. 

„Der Gedanke, die Krankheitskeime zu vernichten und sie nicht bloß 
zu beseitigen, hat zu einer Revision der anzuwendenden Desinfektionsmittel 
geführt. In die neuen Anweisungen sind aufgenommen: 2,5 proz. KreBol- 
wasser, 3 proz. Karbolwasser, Vio proz. Sublimatlösung, Chlorkalk, die Kalk¬ 
milch (1 Liter Kalkpulver zu 3 Liter Wasser), Formaldehyd, der Wasser¬ 
dampf, das Kochen und das Verbrennen. Bei dem Chlorkalk, der dnrch 
längeres Lagern an Chlorgehalt einbüßt, wenn er nicht sorgfältig verpackt 
ist, hat man sich einen genügenden Gehalt an freiem Chlor dadurch zu 
sichern gesucht, daß Btatt mit einer Mischung von 1:50 nach der früheren 
Vorschrift, in der neueren mit einer Chlorkalkmilch von 1:5 gearbeitet 
werden soll. Es sind also nur die sicheren und allgemein anerkannten 
Mittel zugelasBen, während die zweifelhaften und in ihrer Wirkung ver¬ 
schieden beurteilten, wie die heiße Schmierseifenlösung und die heiße Soda¬ 
lösung, ansgeschieden wurden. Auch von einer Desinfektion durch Belich¬ 
tung und Besonnung, von einer mechanischen Reinigung der Wände mittels 
Abreiben mit Brot ist nicht mehr die Rede. Welches dieser Desinfektions¬ 
mittel im einzelnen am besten zu wählen ist, darüber finden sich in den 
Vorschriften für jeden zu desinfizierenden StofF Anweisungen. So soll 
»Lungen- und Kehlkopfauswurf, Rachenschleim und Gurgelwasser in Gefäßen 
aufgefangen werden, die zur Hälfte mit verdünntem Kresolwasser, Karbol¬ 
säurelösung oder Sublimatlösung gefüllt sind; oder in Gefäßen, die mit 
WaBser, welchem Soda zugesetzt ist, zur Hälfte gefüllt sind; im letzten 
Falle muß jedoch das Gefäß mit Inhalt ausgekocht oder strömendem 
Wasserdampf ausgesetzt werden. Den Auswurf kann man auch in brenn¬ 
barem Material, wie Sägespänen, auffangen und mit diesem verbrennen. 
Schmutz- und Badewässer sollen mit Kalk- oder Chlorkalkmilch in be¬ 
stimmter Weise behandelt werden«. Eß- und Trinkgeschirre sollen entweder 
ausgekocht oder, sofern sie dieses nicht vertragen, in einprozentige Form¬ 
aldehydlösung eine Stunde lang gelegt werden. Es sind dies nur einzelne 
herausgegriffene Beispiele, aber Sie ersehen aus ihnen, in wie eingehender 
Weise man sich bemüht hat, das wirksamste und für jeden einzelnen Infek¬ 
tionsträger passendste Mittel vorzuschreiben. 


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Praxis der Desinfektion usw. 


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„In dieser Spezialisierung liegt ein großer Vorteil; nun kommt aber die 
Kehrseite. Wer soll diese in das einzelne gehenden Vorschriften zur An¬ 
wendung bringen? Bei den reichsgesetzlich geregelten gemeingefährlichen 
Krankheiten, wie Pest, Cholera und Pocken, ist die Sache nicht schwierig. 
Mit derartigen Krankheiten behaftete Personen wird man in Deutschland 
durchweg in Krankenhäuser überführen, wo ein geschultes Pflegepersonal 
zur Verfügung steht. Sollte dieses über das Wesen und die Ausführung der 
fortlaufenden Desinfektion nicht genügend unterrichtet sein, so stehen die 
KrankenhauBärzte dahinter und von ihnen kann und muß man verlangen, 
daß sie auch für die Einzelheiten der Vorschriften Verständnis besitzen und 
die Ausführung derselben überwachen. Wo das nicht der Fall ist, da ist 
die verantwortliche Leitung des Krankenhauses nicht auf der Höbe und für 
solche, allerdings gelegentlich recht gefährliche Ausnahmezustände ist das 
Verfahren nicht verantwortlich zu machen. 

„Anders liegen die Verhältnisse bei unseren einheimischen übertrag¬ 
baren Krankheiten. Die preußischen Ausführungsbestimmungen fahren im 
Anschluß an den oben angeführten Hinweis über die Wichtigkeit der Des¬ 
infektion am Krankenbette fort: »Es ist Aufgabe der Polizeibehörde und 
der beamteten Ärzte, die Bevölkerung hierauf bei jeder sich bietenden Ge¬ 
legenheit hinzuweisen» und weiter: »Die angeordneten Desinfektionsmaß- 
nahmen sind, soweit tunlich, durch staatlich geprüfte und amtlich bestellte 
Desinfektoren auszuführen, jedenfalls aber durch derartige sachverständige 
Personen zu überwachen.« Das verdächtige »soweit tunlich« zeigt schon, 
daß man sich der Schwierigkeit der Ausführung bewußt war und hier einen 
Wechsel auf die Zukunft zog. Trotzdem hat man gut daran getan, diesen 
Satz aufzunehmen. Zurzeit liegen zwar die Verhältnisse so, daß die über¬ 
wiegende Zahl der an übertragbaren einheimischen Krankheiten Leidenden 
zu Hause bleibt und von den Angehörigen gepflegt wird, von Laien also, 
von denen eine sachgemäße Desinfektion nicht zu erwarten ist. Aber ein¬ 
mal gehen die Bestrebungen und anscheinend nicht ohne Erfolg dahin, 
immer mehr die infektiös Erkrankten in die Krankenhäuser zu verbringen, 
und andererseits wird die Ärzteschaft in steigendem Maße hygienisch ge¬ 
schult. Man darf daher erwarten, daß die praktische Durchführung der 
Desinfektion am Krankenbette schon aus diesen Gründen Fortschritte 
machen wird. Aber das allein genügt nicht, man muß viel mehr Hilfskräfte 
heranziehen. Gruber hat in einem, dem bayerischen Obermedizinalausschuß 
am Schlüsse des vorigen Jahres erstatteten Gutachten auf diese Notwendig¬ 
keit besonders hingewiesen. Er verlangt, daß alle berufsmäßigen und frei¬ 
willigen Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen, einschließlich der Ordens¬ 
schwestern, ferner das gesamte untere Heilpersonal über diesen Teil der 
Desinfektion praktisch unterrichtet werde. Auch die Mitglieder der frei¬ 
willigen Sanitätskolonnen, die Sanitätsmänner der Feuerwehren müßten mit 
der Desinfektion am Krankenbette besser bekannt gemacht werden. Grubers 
Vorschläge gehen dann weiter dahin, die Frauenwelt eingehender über diese 
Dinge zu belehren. An den höheren Mädchenschulen, in den weiblichen 
Fortbildnngs - und Haushaltungsschulen sollen wie andere Kapitel der Ge- 
sundheitslehre auch die Grundelemente der Desinfektion gelehrt werden. 
Berechtigt sind diese Forderungen, wenngleich ihre Erfüllung noch einige 


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46 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Zeit in Anspruch nehmen wird. Es ist jedoch schon viel erreicht, wenn 
nur die Pflegerinnen und die Gemeindeschwestern von der Wichtigkeit der 
fortlaufenden Desinfektion überzeugt sind und nicht bloß ausübend, sondern 
auch belehrend auf die Bevölkerung wirken. Auch die berufsmäßigen Des¬ 
infektoren, die man sich bemüht, für die einzelnen Bezirke und Kreise zu 
beschaffen, können in gleicher Richtung tätig sein. 

„Würde man die Sicherheit haben, daß die Desinfektion am Kranken¬ 
bette sachgemäß und dauernd mit der erforderlichen Sorgfalt ausgeführt 
wird, so würde sich die Schlußdesinfektion nach Ablauf der Krankheit er¬ 
übrigen. Solange jedoch die sofortige Vernichtung der Krankheitskeime bei 
dem Verlassen des Körpers entweder gar nicht oder nur lückenhaft geschieht, 
behält die Schlußdesinfektion ihre Berechtigung und das ist vorläufig und 
bis auf weiteres der Fall. Man muß sich nur darüber klar werden, was mit 
der Schlußdesinfektion zu erreichen ist und inwieweit ihr Nutzen mit den 
Aufwendungen und den nicht wegzuleugnenden Unbequemlichkeiten für die 
Beteiligten im Einklänge steht. 

„Daß wir zurzeit mit unseren technischen Hilfsmitteln ein Zimmer mit 
samt seinem Inhalte von Krankheitskeimen soweit befreien können, daß die 
von den toten Gegenständen ausgehende Ansteckungsgefahr gleich Null 
wird, bedarf in dieser Versammlung keiner weiteren Erörterung. Man 
könnte sich demnach auf den Standpunkt stellen, mag die Schlußdesinfek¬ 
tion Kosten machen, mag sie unangenehm sein, wir stellen damit Verhältnisse 
her, unter welchen die Ansteckungsgefahr für die nähere oder weitere Um¬ 
gebung des Krankgewesenen, soweit die Wohnung in Frage kommt, beseitigt 
ist. Aber, meine Herren, es laufen bei diesen Dingen zu häufig die Begriffe 
Wohnung und Zimmer durcheinander. Leider deckt sich ja gelegentlich 
noch das Zimmer und die Wohnung, aber in der großen Mehrzahl ist das 
doch glücklicherweise nicht der Fall; es gehören zur Wohnung mehrere 
Zimmer, Flur usw. Nun redet man zwar gewöhnlich von einer Wohnungs¬ 
desinfektion, übt aber praktisch nur die Einzimmerdesinfektion. So sagt 
z. B. das vom Kaiserlichen Gesundheitsamt herausgegebene Diphtheriemerk¬ 
blatt: »Nach Überführung eines Kranken in ein Krankenhaus oder in einen 
anderen geeigneten Unterkunftsraum, sowie nach seiner vollkommenen Ge¬ 
nesung sind das Krankenzimmer und alle etwa sonst von dem Kranken be¬ 
nutzten Räume nebst Inhalt durch angestellte Desinfektoren oder, wo solche 
nicht vorhanden sind, nach Anweisung des Arztes gründlich zu desinfizieren. 
Bis zur erfolgten Desinfektion ist das Zimmer verschlossen zu halten.» Der 
Vordersatz spricht also richtig von einer Wohnungsdesinfektion, während 
der Nachsatz recht deutlich auf die Desinfektion des geschlossen gehaltenen 
Zimmers hinweist. Es liegt hier ein Widerspruch, den die tatsächlichen 
Verhältnisse uns aufgedrängt haben und mit dem wir versuchen müssen, 
uns abzufinden. Die Desinfektion einer ganzen Wohnung ist unter den 
meisten Verhältnissen technisch so schwierig und mit soviel Unannehmlich¬ 
keiten für die Bewohner verknüpft, daß man sie vielleicht bei Pest, Cholera 
und höchstens noch bei Pocken zur Durchführung bringen kann, bei unseren 
einheimischen ansteckenden Krankheiten aber nur in seltenen Ausnahmo- 
fällen. Man muß also hier schon quantitativ rechnen und sich auf den 


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Praxis der Desinfektion usw. 


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Standpunkt stellen, wenn auch die Wohnung nicht gauz frei von Krank¬ 
heitserregern gemacht werden kann, so vernichtet man diese wenigstens 
dort, wo sie vermutlich in größter Zahl und noch relativ beisammen sind, 
in dem Raum, wo der Kranke sich ausschließlich oder wenigstens vorwiegend 
aufgehalten hat. Dieser Standpunkt ist bis zu einem gewissen Grade be¬ 
rechtigt, weil für das Zustandekommen der Ansteckung die Häufigkeit der 
Übertragungsmöglichkeiten und ferner die Zahl der dabei jedesmal zur 
Tätigkeit gelangenden Krankheitskeime eine wesentliche Rolle spielt. Eine 
Unterstützung bekommt die Einzimmerdesinfektion durch das Bestreben, 
die laufende Desinfektion am Krankenbette zu fördern und ferner durch die 
Bemühungen, auch in Privathäusern die Isolierung der Kranken in einem 
Zimmer mehr und mehr durchzuführen. Zu großen Wert kann ich aller¬ 
dings der Isolierung in den Privathäusern nicht beilegen. Die Praxis lehrt 
täglich, daß es schwer ist, die zwischen dem Isolierzimmer und der übrigen 
Wohnung hin und her gehenden Verbindungsfäden abzuschneiden und daß 
es um so schwerer wird, je länger die Krankheit dauert. 

„Die Dauer der Erkrankung und der Ausgang derselben ist für den 
Wert der Schlußdesinfektion entscheidend. Handelt es sich um eine akut 
einsetzende Erkrankung, bei welcher der Kranke nach kurzem Krankenlager 
in ein Krankenhaus verbracht wird oder welcher er rasch erliegt, so kann 
man mit der Desinfektion des Krankenzimmers Nutzen schaffen. Man trifft 
damit den Hauptherd und macht ihn für die Umgebung des Kranken gefahr¬ 
los und wieder gebrauchsfähig. Ähnlich liegen die Dinge, wenn die Krank¬ 
heit länger dauert, mit dem Tode endigt, und wenn mit der steigenden Er¬ 
krankung eine vermehrte Ausscheidung von Krankheitskeimen verbunden ist. 
Ich führe als Beispiel die Lungenschwindsucht an. Auch hier ist eine 
Zimmerdesinfektion nach dem Tode des Kranken geboten. Die Tuberkel¬ 
bazillen werden in den letzten Wochen massenhaft ausgeschieden, die 
Kranken werden vielfach indolent gegen das Verbleiben des Auswurfes und 
die Pflegenden können bei aller Sorgfalt nicht sämtliche bei den Husten¬ 
stößen herausgeschleuderten Bazillen abfangen, so daß eine Beschmutzung 
des Bettes und der Umgebung des Bettes unvermeidbar ist. Bei den Lebens¬ 
eigenschaften der Tuberkelbazillen kann man der so entstehenden An¬ 
steckungsgefahr nur begegnen, wenn eine sachgemäße Keimvernichtung 
nach dem Tode des Kranken stattfindet. 

„Ganz anders steht es aber, wenn im Gegensätze zu den beiden oben 
erörterten Vorkommnissen der Kranke in seiner Wohnung bleibt, die Krank¬ 
heit nach mehr oder weniger langer Zeit mit Genesung endet und die Pro¬ 
duktion von Krankheitskeimen von der klinischen Genesung unabhängig ist. 
Ich greife hier drei Beispiele aus der Praxis heraus: Typhus, Scharlach und 
Diphtherie. 

„Der Typhuskranke gelangt zur Genesung; mit der steigenden Kräfti¬ 
gung kommt das Bedürfnis, das Krankenzimmer zu verlassen, zunächst viel¬ 
leicht nur auf ganz kurze Zeit, nach und nach mehr. Die Erfüllung dieses 
Verlangens ist so naheliegend, daß die Überlegung, ob damit die Verstreuung 
von Krankheitskeimen begünstigt wird, wohl immer zurücktritt. Mit fort¬ 
schreitender Genesung kommt dann der Zeitpunkt, wo die Desinfektion des 
Krankenzimmers vorgenommen wird, desselben Zimmers, das inzwischen 


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48 XXXII. Versammlung d. D. Vereine f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

schon vielfach gereinigt ist und das von dem Kranken selbst womöglich am 
Tage nach der Desinfektion mit Beinern typhusbazillenhaltigen Urin wieder 
infiziert wird. 

„Beim Scharlach pflegen wir den Ablauf der Krankheit etwa mit sechs 
Wochen anzunehmen und dann mit der Schlußdesinfektion des Kranken¬ 
zimmers einzusetzen. War der Kranke in den letzten Wochen dieses Zeit¬ 
raumes noch Infektiös, dann hat er sicher in der Rekonvaleszenz die Krank¬ 
heitskeime in der ganzen Wohnung herumgestreut, und ist er es über die 
sechs Wochen hinaus, dann hat die Desinfektion des Zimmers wenig Nutzen, 
weil sofort nach der Desinfektion die Infektion von neuem beginnt. Das 
letztere ist nicht bloß theoretisch konstruiert; diese Tatsache hat uns in 
Bremen z. B. viel zu schaffen gemacht. Während der großen Scharlach¬ 
epidemie, die seit 1901 in Bremen geherrscht hat, bemühten wir uns, und 
zwar mit Erfolg, möglichst viele Kranken der Krankenhausbehandlung zu¬ 
zuführen, zum Teil sogar auf Kosten des Staates. Der Aufenthalt in der 
Krankenanstalt dauerte mindestens sechs Wochen; vor der Entlassung 
wurden die üblichen Vorsichtsmaßregeln, wie Baden, Umkleiden usw., zur 
Anwendung gebracht und doch haben wir in 6,7 Proz. der in den Jahren 
1904, 1905 und 1906 im Krankenhause behandelten Fälle sehen müssen, 
daß die Heimkehrenden in ihrer Familie zu weiteren Ansteckungen Veran¬ 
lassung gaben. Die Wohnungen der Kranken waren nach der Verbringung 
in das Krankenhaus desinfiziert und die Geschwister, um welche es sich ja 
meistens handelt, waren während des Aufenthaltes des Bruders oder der 
Schwester in der Anstalt gesund geblieben, um 8 bis 14 Tage nach dessen 
Rückkehr zu erkranken. Diese Heimkehrfälle zeigen unzweideutig, daß das 
Aufhören der Infektiosität der Kranken zeitlich schwankt; da wir kein 
Urteil über diese Schwankungen haben, so sind wir mit der Ausführung der 
Schlußdesinfektion praktisch auf eine unklare Grundlage gestellt. 

„Ähnlich liegen die Dinge bei der Diphtherie, nur daß wir hier besser 
orientiert sind, da der Erreger der Krankheit bekannt ist. Bei der Diph¬ 
therie ist es am meisten schon Gemeingut weiterer Kreise geworden, daß 
die klinische Genesung und das Aufhören der Ansteckungsfähigkeit zeitlich 
mehr oder weniger weit auseinander liegen. Nach den jahrelang in Bremen 
durchgefürten Untersuchungen, die sich auf mehr als 2000 Menschen er¬ 
streckten , war die Ansteckungsfähigkeit unabhängig von der Genesung er¬ 
loschen bei etwa 55 Proz. der Erkrankten nach zwei Wochen, bei 70 Proz. 
nach drei Wochen, bei 82 Proz. nach vier Wochen, bei 90 Proz. nach fünf 
Wochen, der Rest wurde im Laufe der nächsten Monate frei. Diese Zeit¬ 
angaben zeigen ohne weiteres, daß eine Schlußdesinfektion nur dann Nutzen 
bringen kann, wenn sie nicht im Anschlüsse an den Genesungstermin, son¬ 
dern im Anschlüsse an das Erlöschen der Ansteckungsfähigkeit vorgenommen 
wird. Die Möglichkeit, den letzteren Zeitpunkt festzustellen, besitzen wir 
zwar, aber praktisch wird man nur an wenigen Stellen und in einer be¬ 
schränkten Anzahl von Fällen in der Lage sein, die erforderlichen Unter¬ 
suchungen durchzuführen. Setzt man dagegen eine bestimmte Zeit nach 
Beginn der Erkrankung als Termin für die Schlußdesinfektion fest, mögen 
das nun zwei oder drei oder vier Wochen sein, so wird man bald zu früh 
kommen, da der Krankheitskeime produzierende Mensch noch in der Woh- 


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Praxis der Desinfektion usw. 


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Dung bleibt; bald wird man zu spät kommen, weil der Verkehr in der 
ganzen Wohnung zeit mehr oder weniger langer Zeit schon wieder auf- 
genommen war und die Diphtheriebazillen, soweit sie nicht inzwischen ab¬ 
gestorben sind, in alle Winde zerstreut wurden. 

»Auf die Schwierigkeiten der örtlichen Umgrenzung der Scblußdesinfek- 
tion und der Wahl des richtigen Zeitpunktes für dieselbe hat schon Ober¬ 
bürgermeister Zweigert 1897 bei der Versammlung dieses Vereins in 
Karlsruhe als Korreferent hingewiesen. Er meinte allerdings, der richtige 
Zeitpunkt ließe sich dadurch vielleicht erreichen, daß die Haushaltungs¬ 
vorstände oder die Ärzte nicht bloß die Erkrankung, sondern auch die 
Genesung der Polizeibehörde anzuzeigen hätten. Die neueren Forschungen 
haben aber, wie erwähnt, gelehrt, daß in viel höherem Maße, als man damals 
annahm, die klinische Genesung und das Aufhören der Ansteckungsfähigkeit 
zeitlich auseinander gehen; mit der bloßen Genesungsanzeige wird also auch 
nicht viel mehr erreicht. 

»In Bremen hat man die Konsequenzen aus diesen Tatsachen gezogen 
und von einer regelmäßigen Schlußdesinfektion zunächst bei Diphtherie ab¬ 
gesehen. Hier wird sie von Fall zu Fall auf Anordnung des Medizinalamtes 
gehandhabt und zwar dann, wenn ein gehäuftes Auftreten innerhalb einer 
Familie vorliegt oder wenn es sich um Wirtschaften, Gasthäuser, LebenB- 
mittelhandlungen und dergleichen handelt. In diesen Fällen werden 
aber sämtliche Beteiligten bakteriologisch untersucht und das 
Ergebnis dieser Untersuchungen den Desinfektionsmaßnahmen 
zugrunde gelegt. 

„Wenn die Überzeugung von dem Werte der laufenden Desinfektion am 
Krankenbette der Ärzteschaft, dem Pflegepersonal und der Bevölkerung mehr 
in Fleisch und Blut übergegangen ist, wenn wir größere Sicherheit erlangt 
haben werdeD, daß sie mit andauernder Sorgfalt ausgeführt wird, dann würde 
ich es befürworten können, auch bei Typhus, Scharlach, Ruhr und Genick¬ 
starre die Zwangsschlußde8infektion in eine fakultative umzuwandeln. Vor¬ 
läufig ist der Nutzen der Zwangsschlußdesinfektion als Erziehungsmittel 
noch nicht gut zu entbehren. Es ist nicht zu verkennen, daß die Bedeutung 
der direkten Übertragung der Krankheitskeime für das Zustandekommen 
der Erkrankung und die Wichtigkeit der fortlaufenden Desinfektion mehr 
und rascher Allgemeingut der Bevölkerung wird, wenn nach Ablauf jeder 
ansteckenden Krankheit eine Allgemeindesinfektion vorgenommen wird, als 
wenn dies bloß von Fall zu Fall geschieht. Der in der belehrenden Wirkung 
der Schlußdesinfektion liegende Nutzen ist für die breite Bevölkerung nicht 
zu unterschätzen. Die Behörden freilich sollten sich darüber klar sein, 
daß für die Vernichtung der Krankheitskeime die Schlußdesinfektion nur 
unter bestimmten Verhältnissen Wert hat, und daß für die Bekämpfung 
der einheimischen Seuchen nicht genug geschehen ist, wenn man Melde¬ 
pflicht und Zwangsschlußdesinfektion hat. Beide bilden zwar wertvolle 
Glieder in der Kette der erforderlichen Maßnahmen, aber auch nur Glieder, 
und das klarer und deutlicher zur Erkenntnis gebracht zu haben, ist eine 
Frucht der neueren Forschungen. 

„Meine Herren! Aus den gemachten Ausführungen werden Sie ent¬ 
nommen haben, daß die Schwierigkeiten, welche einer in jedem Falle nutz- 

Viert*lj»hn»chrift für Gesundheitspflege, 190-<. 4 


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50 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

bringenden Anwendung der Schlnßdesinfektion entgegenstehen, nicht gering 
sind. Man muß sich auch hier bemühen, von der Schablone weg und zu 
einem spezialisierenden Vorgehen zu kommen. Aber welche Stelle soll für 
das jedem einzelnen Falle angepaßte Handeln die sachverständigen Bestim¬ 
mungen treffen? Die Verwaltungsbehörden sind schon aus Mangel an tech¬ 
nischen Kenntnissen kaum in der Lage es zu tun und auch der beamtete 
Arzt kann sich unmöglich jedesmal von der Sachlage persönlich überzeugen. 
Es bleiben also die unteren Sanitätsbeamten. Diese scheinen aber wohl ge¬ 
eignet, hier fruchtbringend zu arbeiten. In Bremen ist das praktisch seit 
einer Anzahl von Jahren durchgeführt. Bei jeder zur Anmeldung gelangen¬ 
den ansteckenden Krankheit begibt sich der Sanitätsgehilfe an den Krank¬ 
heitsort und macht dort an der Hand eines für jede Krankheit besonders 
aufgestellten Schemas die erforderlichen Ermittelungen. Auf Grund dieser 
Ermittelungen macht er Vorschläge über die ihm notwendig erscheinenden 
sanitätspolizeilichen Maßnahmen. Bei den gemeingefährlichen Krankheiten 
und beim Scharlach, bei letzterer Krankheit aus hier nicht näher zu erör¬ 
ternden Gründen, geschehen die ersten Feststellungen durch einen beamteten 
Arzt. Die Akte geht dann von dem Medizinalamte an den medizinisch tech¬ 
nischen Oberbeamten zur Revision. Durch diese jedesmal stattfindenden 
Revisionen sind die Sanitätsgehilfen so gut eingearbeitet, daß Beanstan¬ 
dungen oder Umänderungen der vorgeschlagenen Maßnahmen zu den Selten¬ 
heiten gehören. Dieses Verfahren hat sich nach jeder Richtung bewährt. 
Es verschafft den Oberbeamten eine in das einzelne gehende Kenntnis von 
der Verbreitung und der Verbreitungsweise der ansteckenden Krankheiten, 
von den Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung und, waB nicht hoch genug an- 
zUBchlagen ist, eine weitgehende Orientierung über die hygienischen Bedin¬ 
gungen, unter welchen weite Bevölkerungsschichten leben. Für die Anord¬ 
nung der Schlußdesinfektion fallen mit diesem Vorgehen in sehr vielen Fällen 
die vorher erörterten Schwierigkeiten weg. Das Verfahren, mit Gesundheits- 
aufsehern zu arbeiten, wird ja zurzeit vielerorts eingeschlagen; es wird daa 
Problem der praktischen Ausführung der Desinfektion seiner Lösung näher 
führen. Ich kann diesen Weg warm empfehlen, aber er ist nur 
von Nutzen, und darauf möchte ich aus langjähriger Erfahrung 
ganz besonders hinweisen, wenn die engste Fühlung zwischen 
den Unterbeamten und den technischen Oberbeamten dauernd 
besteht. Jährliche oder halbjährliche Revisionen seitens der 
letzteren haben wenig Wert. 

„Meine Herren! Es bleibt mir nun noch die Aufgabe, die Technik der 
Desinfektion im Lichte der neueren Forschung mit wenigen Worten zu er¬ 
örtern. Ich kann mich kurz fassen und darauf verzichten, alle neu ein¬ 
geführten Desinfektionsmittel einer Kritik zu unterziehen; meistens sind es 
Eintagsfliegen, die vielfach nur im Interesse der Erfinder ihre Existenz¬ 
berechtigung haben. 

„Die Desinfektion mit strömendem Dampf ist dasjenige Verfahren, 
welches in Laien- wie fachmännischen Kreisen das meiste Vertrauen besitzt. 
Die seit Jahren in Gebrauch befindlichen Apparate haben sich bewährt, aber 
damit ist eine zuverlässige Keimvernichtung noch nicht sichergestellt. Hey- 
mann hat mit Recht darauf hingewiesen, daß jeder Apparat ein besonderes 


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Praxis der Desinfektion usw. 


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Individuum darstellt, dessen Eigentümlichkeiten der Desinfektor kennen 
muß. Es ist deshalb zu fordern, daß jeder Apparat vor seiner Inbetrieb¬ 
nahme von einem hygienischen Sachverständigen geprüft und von Zeit zu 
Zeit nachkontrolliert wird. Kontaktthermometer, geeignete Legierungen, 
die ich etwas höher werto als Heymann, Bakterien proben bieten in Ver¬ 
bindung mit dem Manometer Hilfsmittel genug und machen die Prüfung 
zu einer leicht durchführbaren Aufgabe. Besonders zu achten ist dabei 
auf die Möglichkeit der genügenden Abströmung des Dampfes. Wird 
hier gedrosselt oder ist die Öffnung von vornherein zu klein geraten, so 
können sich Luftkissen bilden, welche eine Keimvernichtung hindern. So 
erinnere ich mich, daß es in einem der hiesigen Krankenhäuser der Oberin 
auffiel, daß die aus dem Apparat entnommenen Sachen nicht sehr heiß 
waren. Die Dame verpackte dann einige Eier mit und fand das Eiweiß 
derselben nach der Desinfektion noch nicht geronnen. Eine Nachprüfung 
seitens des hygienischen Instituts ergab, daß die Abströmungsöffnung zu 
weit abgedrosselt war. Nach einer kleinen Korrektur arbeitete der Apparat 
dauernd gut. 

„Lederwaren, Pelzsachen und einige andere Dinge lassen sich im ge¬ 
sättigten strömenden Dampfe von 100°C nicht desinfizieren, weil sie be¬ 
schädigt werden. Um die Ausfüllung dieser Lücke hat man sich vielfach 
bemüht und zwar nach der Richtung, daß man entweder mit Luft von 100° 
Temperatur, aber einer relativen Feuchtigkeit von nur etwa 60 Proz. arbeitete, 
oder daß gesättigter Wasserdampf, aber von niederer Temperatur als 100°, 
zur Anwendung kam, oder aber, daß man dem Dampf kleine Mengen von 
Desinfektionsmitteln, wie Formaldehyd, beimischte. Allgemeine Verwendung 
haben meines Wissens alle diese Verfahren noch nicht gefunden, wenngleich 
die Aussicht auf eine nutzbringende Wirksamkeit unter bestimmten Verhält¬ 
nissen ihnen nicht abzusprechen ist. 

„Von den in flüssiger Form zur Verwendung kommenden Desinfektions¬ 
mitteln haben das Sublimat und die Phenole die ihnen seit langer Zeit ge¬ 
zollte Anerkennung sich bewahrt. Unter den Phenolen sind die Kresole 
der Karbolsäure gegenüber mehr in den Vordergrund getreten, seitdem man 
gelernt hat, ihre Löslichkeit im Wasser zu erhöhen. Die Kresolseifenlösung 
ist in der Tat für manche Zwecke ein recht brauchbares Desinfektionsmittel 
geworden, wenngleich ihr unangenehmer und lange haftender Geruch viel¬ 
fach sehr störend empfunden wird. Für Räume, in welchen nach der Des¬ 
infektion Lebensmittel aufbewahrt werden, ist sie deshalb nicht zu ge¬ 
brauchen. Auch die Eisenbahnverwaltung hat von ihrer Verwendung in 
Viehtransportwagen ans diesem Grunde absehen müssen. Als brauchbarer 
Ersatz ist seit einigen Jahren die Mischung von Kresol und Schwefelsäure 
zu gleichen Raumteilen zur Anwendung gekommen. Diese Mischung ent¬ 
hält einige Tage nach ihrer Bereitung nur noch geringe Mengen von freier 
Schwefelsäure; sie ätzt daher kaum. Sie löst sich in Wasser leicht, der 
spezifische Kresolgeruch ist wesentlich geringer als beim Seifenkresol und 
haftet nur in geringem Maße. Die keimtötende Kraft ist höher ata bei der 
Karbolsäure und beim Seifenkresol. Dabei ist das Präparat billig, weil es 
leicht hergestellt werden kann und weil man Rohprodukte zu verwenden in 
der Lage ist. In Bremen haben wir bei der Desinfektion von Räumen, die 

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52 XXXII. Versammlung d. D. Vereine f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

für Maesenquartiere gedient hatten, wie große Säle, Auswandererhallen usw., 
mit Vorteil von dieser Mischung Gebrauch gemacht. 

„Der alte Gedanke, Räume durch Räucherungen von Krankheitskeimen 
zu befreien, hat seine Wiederbelebung gefunden in dem Formaldehyd, 
v. Esmarch hat vor zehn Jahren in Karlsruhe schon auf die Bedeutung 
dieses damals noch relaltiv neuen Desinfektionsmittels hingewiesen. Eine 
allgemeine Verwendung hat es jedoch erst gefunden, seitdem Flügge die 
grundlegenden Bedingungen seiner AnwendungBweise, die gleichzeitig eine 
Vereinfachung des Verfahrens bedeuteten, uns kennen gelehrt hat. Eine 
große Anzahl von Forschern hat sich mit der Formaldehyddesinfektion be¬ 
schäftigt, wir sind genau über das, was sie zu leisten vermag und über die 
Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit unterrichtet. Das allgemeine Urteil geht 
zurzeit dahin, daß wir in der Verwendung des gasförmigen Formaldehyde 
ein sehr wertvolles Desinfektionsmittel besitzen, das um so brauchbarer ist, 
als es automatisch arbeitet und daher von der andauernden Sorgfalt der Des¬ 
infektoren während der Ausführung der eigentlichen Desinfektion unabhängig 
macht. Ich versage es mir, auf die verschiedenen Apparate, die zurzeit 
benutzt werden, näher einzugehen. Man kann sowohl mit der Versprayung, 
wie mit der Verdampfung der Formaldehydlösung gute Resultate erzielen; 
auch die Vergasung der Formaldehydpastillen in geeigneten Apparaten ar¬ 
beitet gut, wenngleich sie etwas teurer ist als die Verwendung der Lösungen. 
Eine Anzahl von kleinen Unbequemlichkeiten hat die Formaldehyddesinfek¬ 
tion in allen Fällen. Der Formaldehyd muß stundenlang ein wirken, wenn 
eine sichere Keimtötung erfolgen soll; es ist daher eine sorgfältige Abdich¬ 
tung des Raumes erforderlich. Eine tiefe Eindringungsfähigkeit kommt dem 
gasförmigen Desinfektionsmittel nicht zu; es handelt Bich um eine Ober¬ 
flächendesinfektion. Die in den Räumen vorhandenen Gegenstände müssen 
daher so vorbereitet werden, daß sie Oberflächen bieten. Bei der Vergasung 
oder Verdampfung oder Versprayung muß immer mit brennendem Spiritus 
gearbeitet werden; es ist daher auf die Feuersgefahr Rücksicht zu nehmen. 
Das Verfahren ist ferner etwas umständlich und nicht ganz billig, wenigstens 
nicht so billig, wie es im Interesse der Seuchenbekämpfung wünschenswert 
ist. Man hat sich nun vielfach bemüht, die eine oder andere der Unbequem¬ 
lichkeiten zu beseitigen. Ich weise auf die Elb sehen Glühblocks, auf die 
Springfeldschen heißgemachten Ketten und auf die Vorschläge hin, heiße 
Steine mit Wasser zu übergießen oder gebrannten Kalk zu löschen und so 
die zur Wirksamkeit erforderliche Sättigung der Luft mit Wasserdampf zu 
erzielen. Alle diese Vorschläge haben Eingang in die Praxis sich nicht zu 
schaffen vermocht. Neuerdings haben die Elberfelder Farbenfabriken ein 
Präparat, das Autan, in den Handel gebracht, von dem sie sich eine Verein¬ 
fachung der Formaldehyddesinfektion versprechen. Es handelt sich um eine 
Mischung von Superoxyden mit Paraform; die Mischung entwickelt beim 
Übergießen mit Wasser große Mengen von Formaldehyd und Wasserdampf. 
Die Vorteile deB Autans bestehen darin, daß es größere Apparate unnötig 
macht, daher den Transport erleichtert; daß die Feuergefährlichkeit des 
brennenden Spiritus wegfällt und daß die Entwickelung des Desinfektions¬ 
mittels rasch in großen Mengen vor sich geht. Der letztere Umstand soll 
eine weniger sorgfältige Abdichtung des zu desinfizierenden Raumes erfor- 


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Praxis der Desinfektion nsw. 


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derlich machen; ich sehe darin keinen großen Vorzug, da man damit auf 
die Abschätzung durch die Desinfektoren zurückkommt, die leicht zu Nach¬ 
lässigkeiten führen kann. (Jm konkurrenzfähig zu sein, haben die Hersteller 
das Präparat wiederholt Terbilligt. Die Farbenfabriken teilten mir vor 
einigen Wochen mit, daß die Stadt Stuttgart auf Grund mehrmonatiger 
Versuche definitiv zur alleinigen Desinfektion mit Autan übergegangen sei. 
leb halte die Autanfrage noch nicht zu einer Entscheidung für geklärt genug, 
die Firma selbst ist noch mit Versuchen beschäftigt, deren Ergebnisse bald 
zu erwarten sind. 

„Neben dem Formaldehyd wird für manche Zwecke voraussichtlich die 
schweflige Säure als gasförmiges Desinfektionsmittel in Zukunft wieder Ver¬ 
wendung finden. Man ist bei der Benutzung dieses Mittels früher daran 
gescheitert, daß es nicht gelang, die erforderliche Konzentration in dem zu 
desinfizierenden Raume herzustellen und zu erhalten. Seit einigen Jahren 
ist dies durch Verwendung geeigneter Apparate, wie z. B. des Glaytonappa- 
rates, gelungen, und es bat den Anschein, als ob die schweflige Säure bei 
der Desinfektion von Schiffen uns in der Zukunft gute Dienste leisten wird. 

„Meine Herren! Ich komme zum Schluß. Bei der Knappheit der Zeit, 
die naturgemäß für ein Referat zur Verfügung steht, mußte ich es vermeiden, 
auf Spezialgebiete wie die Desinfektion von Trinkwasser, von Abwasser, der 
Verkehrsmittel, auf die Händedesinfektion, auf die Sterilisation der Nahrungs¬ 
mittel usw. im einzelnen einzugehen. Ich konnte mich nur bemühen, Ihnen 
einen Überblick über die allgemeinen Fragen der Desinfektion als Hilfsmittel 
zur Bekämpfung der Volksseuchen aus den letzten Jahren zu geben. Man 
ist eifrig bestrebt gewesen, die Desinfektion einfacher und sicherer zu ge¬ 
stalten und wer von den zweimaligen Erörterungen in diesem Verein in den 
Jahren 1890 und 1897 Kenntnis genommen bat, kann sich des Eindruckes 
nicht erwehren, daß die Desinfektionswissenschaft und die Desinfektions- 
praxis weitgehende Fortschritte gemacht hat. Aber gerade diese Fortschritte 
mahnen immer wieder zur strengsten Kritik, zu nie erlahmender Prüfung, 
was im einzelnen Falle erreicht wird und in welchem Verhältnisse die ge¬ 
machten Aufwendungen und der erzielte Nutzen stehen. Wer Volksseuchen 
mit Meldepflicht und Zwangsdesinfektion allein bekämpfen will, läßt besser 
seine Hände davon. Sie sind uns wertvolle Hilfsmittel im Verein mit einer 
Reihe von anderen Maßnahmen, aber auch nur im Verein mit diesen.“ 

Der Vorsitzende eröffnet hierauf die Diskussion. 

Geheimer Regiernngsrat Pütter, Verwaltungsdirektor der König¬ 
lichen Charitö (Berlin): „Meine Damen und Herren! Man muß unter¬ 
scheiden zwischen Desinfektion im Krankenhause und Desinfektion im Privat¬ 
hause. Die Desinfektion im Krankenhause erfolgt selbstverständlich so 
intensiv wie möglich. In der Charitö wird in der Regel damit begonnen, 
daß die Wände des Krankenzimmers, in dem der betreffende Infektionskranke 
gelegen hat, durch einen pneumatischen Apparat abgesaugt und dann ab¬ 
gewaschen werden. Weil sie alle mit öl gestrichen sind, läßt sich das ohne 
weiteres machen. Die Wäsche, in der der Betreffende gelegen hat, wird in 
eine Lysollösung gebracht, die sich in Kästen befindet, die in den Zimmern 


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64 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

bereit stehen, und wird von da aus, nachdem sie genügend desinfiziert ist, 
zum Waschen in die allgemeine Waschanstalt gebracht. Diejenigen Gegen¬ 
stände, die durch den Dampfdesinfektionsapparat gehen können, werden 
dorthin geschafft. Der Patient selbst wird selbstverständlich gebadet. 

„Wenn das Zimmer abgesaugt ist, wird regelmäßig noch eine Des¬ 
infektion mit Formaldehyd hinterher angewendet. 

„Eb ist selbstverständlich, daß bei dem Transport der Leichen die 
nötige Vorsicht angewendet wird. Bei schweren ansteckenden Krankheiten 
haben wir besondere Zinkkästen eingeführt, in denen die Leichen in das 
pathologische Institut übergeführt und eventuell gleich seziert werden. Die 
Beerdigung der ansteckenden Leichen regelt sich nach den polizeilichen 
Vorschriften. 

„Anders verhält es sich mit der Desinfektion im Hause. Ich will hier 
hauptsächlich auf die Desinfektion bei den Tuberkulösen eingehen, weil ich 
darin eine gewisse Praxis im Laufe der Jahre erworben habe. Es handelt 
sich dabei hauptsächlich um Kleinarbeit, die im Hause selbst vorzunehmen 
ist, und zwar während der Dauer der Krankheit. Wir legen nicht das 
Hauptgewicht darauf, daß nach Abschluß der Tuberkulose oder wenn der 
Patient in eine andere Wohnung verzieht, nun die Schlußdesinfektion statt¬ 
findet, was ja auch geschehen muß, sondern wir arbeiten darauf hin, daß 
die Fürsorgeschwestern, die bei uns angestellt sind, die Hausfrauen so er¬ 
ziehen, daß sie schon während der Krankheit diejenigen Hilfsmittel anwenden, 
die an sich möglich sind, und es gibt da eine ganze Menge von Hilfsmitteln, 
denn in vielen Fällen deckt sich Desinfektion mit Reinlichkeit. Die Für¬ 
sorgeschwestern arbeiten deshalb darauf hin, die Hausfrauen so zu erziehen, 
daß sie ihre Wohnung möglichst reinlich halten, daß sie ihre Angehörigen 
auch so instruieren, daß eine Übertragung der Krankheit nach Möglichkeit 
vermieden wird. Es wird z. B. den Hausfrauen eingeschärft, daß sie die 
Bettwäsche, in der die Kranken liegen, nicht mit der anderen Wäsche zu¬ 
sammenwerfen und zusammen waschen, sondern daß sie dieselbe, sobald sie 
abgezogen ist, in einen besonderen Topf tun und bei der nächsten Gelegen¬ 
heit, sobald Feuer auf dem Herde ist, mit durchkochen. Auf diese Weise 
wird vermieden, daß die Krankheitsstoffe von der infizierten Bettwäsche 
auf die andere Wäsche oder auf die anderen Leute mit übertragen werden. 

„Dann werden die Hausfrauen dazu angehalten, täglich die Zimmer 
naß aufzuwiBchen. Der Kranke muß sein besonderes Eß- und Trinkgeschirr 
benutzen, und dieses wird selbstverständlich ausgekocht. Die Hausfrauen 
müssen dazu nachdrücklich angeleitet werden; damit wird eine gute Reini¬ 
gung dieser Geschirre erreicht und eine Benutzung der Geschirre des Kranken 
durch andere Angehörige vermieden. 

„Es ist nicht gut, die Bettwäsche, ohne daß sie vorher gewaschen ist, 
in den Desinfektionsapparat gehen zu lassen. Wenn die Bettwäsche z. B. 
beschmutzt ist und kommt direkt in den Desinfektionsapparat, so wird sie 
zwar sterilisiert, aber der Schmutz wird darin festgehalten und ist nach der 
Desinfektion ungeheuer schwer aus der Wäsche zu entfernen. 

„Das Reinigen der Wände in den Wohnungen muß selbstverständlich 
nach Möglichkeit auch durch die Angehörigen besorgt werden. Allerdings 
wird ja hier in vielen Fällen die Hilfe der städtischen Desinfektionsanstalt 


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Praxis der Desinfektion usw. 


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nicht zu entbehren sein; doch gehen die Arbeiten, die die Fürsorgeschwestern 
in den Wohnungen der Tuberkulösen vornehmen lassen, in der Hauptsache 
dahin, die Leute zur Hygiene zu erziehen, und zwar, wie ich betone, schon 
während der Krankheit und nicht erst nach der Krankheit. Der Hausfrau 
muß es allmählich zur Gewohnheit werden, daß sie reinlich wird, und wir 
haben in vielen Fällen, wo die Hausfrauen vom Reinmachen sehr wenig 
verstanden, das Mittel angewendet, daß wir eine Reinmachefrau annahmen, 
die nun mit der Hausfrau zusammen reinmachte und ihr beibrachte, wie 
reingemacht wurde, und ihr dann nachher zeigte, wie ihre Wohnung in rein¬ 
lichem Zustande aussah. Das hat in sehr vielen Fällen recht gute Früchte 
getragen. 

„Unser Ziel ist, die kleinen Leute möglichst selbständig zu machen in 
der Reinlichkeit, in der Vernichtung der Keime und in der Reinigung ihrer 
Wohnungen. Selbstverständlich muß nebenher die Desinfektion durch die 
Stadt erfolgen, und wo es irgend möglich ist, kostenlos/ 

Dr. Cz&plewski, Direktor des städtischen Bakteriologischen Labora¬ 
toriums Köln: „Meine Herren! Unter den Desinfektionsmitteln hat Herr 
Prof. Tjaden zuerst diejenigen besprochen, welche für die innere Des¬ 
infektion in Frage kommen. Ich möchte dabei auf ein Desinfektionsmittel 
aufmerksam machen, welches darunter nicht erwähnt worden ist, und welches 
ich eigentlich schon vorher bei der Meningitis-Diskussion hätte erwähnen 
müssen, nämlich das Jod in Form der LugoIschen Lösung. Dasselbe kann 
vielleicht in Form einer sehr verdünnten, eben rbeinweingelben Lösung zum 
Mundausspülen und Gurgeln mit Erfolg angewendet werden und dürfte 
insofern noch günstigere Resultate geben, da das Jod, wie unsere Unter¬ 
suchungen ergeben haben, besonders schädlich auf die Eiterbakterien einzu¬ 
wirken scheint und außerdem noch dadurch günstig wirkt, daß es eine 
schnellere, bessere Resorption zeigt als andere Mittel. 

„Es ist zur Genüge betont worden, daß die laufende Desinfektion 
sich als das durchaus wertvollste und eigentlich wirksame Desinfek- 
tionaverfahren ergeben hat. Die Schlußdesinfektion sollte aber darum nicht 
diskreditiert werden, und sie hat auch nicht abgenommen, sondern sie hat 
bedeutend zugenommen. Während z. B. 1890 nur 117 Dampfdesinfek¬ 
tionen, 1892 266 Dampfdesinfektionen und 22 Wohnungsdesinfektionen 
ausgeführt wurden, hatten wir im Jahre 1900 bei Einführung derFormalin- 
desinfektion 759 Dampfdesinfektionen, 361 Formalindesinfektionen. Im 
Jahre 1905 betrugen die Zahlen 730 Dampfdesinfektionen und 2169 Woh¬ 
nungsdesinfektionen, und 1906 haben wir 784 Dampfdesinfektionen und 
3025 Wohnungsdesinfektionen gehabt. Also die Zahl nimmt ganz be¬ 
deutend zu. 

„Dann hat sich die Desinfektion in der Weise entwickelt, daß wir 
zuerst Desinfektion in Apparaten hatten. Wir kamen dann auf die 
Desinfektion in Dampfapparaten. Daran Bchloß sich die Einführung 
der Wohnungsdesinfektion. In beiden Fällen hat unser Verein 
außerordentlich bahnbrechend gewirkt, indem er diese Fragen damals auf 
seine Tagesordnung gesetzt und zur Durchführung der Sache wesentlich mit¬ 
gewirkt hat. Ein ganz neues Moment brachte die Formalindesinfektion. 


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56 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Meine Herren! Entschuldigen Sie, wenn ich dabei auch in persönlicher 
Sache spreche. Es wird immer so dargestellt, als wenn Herrn Geheimrat 
Flügge allein das Verdienst hieran gebühre. Aber dazumal lag die Frage 
derLösung in der Luft, und ein Teil der Publikationen, z. B. von Prausnitz 
und mir, sind bereits vor Geheimrat Flügge gemacht. Wir wollen aber 
durchaus die großen Verdienste des Herrn Geheimrat Flügge anerkennen, 
denn er hat den Schlußstein gesetzt, er hat es ermöglicht, daß wir die 
Formalindesinfektion überhaupt einführen konnten. Durch die Geruchlos¬ 
machung mit Ammoniak, und dadurch, daß er das Verfahren auf bestimmte 
Krankheiten beschränkte, hat er es für die Praxis erst wirklich brauchbar 
gemacht. 

„Dann ist vorhin die Autan-Desinfektion erwähnt worden. Ich stehe 
auch auf dem Standpunkte, daß die Frage der Autan-Desinfektion noch gar 
nicht genügend geklärt ist. Das Verfahren ist vor allem für die Praxis zu 
teuer. Eine Anzahl einwandfreier Untersuchungen hat ergeben, daß tat¬ 
sächlich gute Resultate erzielt werden können, aber mit viel 
größeren Dosen, als die Fabrik angegeben hat, und es ist selbst in 
den Dosen, die die Fabrik angibt, fünf- bis achtmal teurer als unsere 
anderen Verfahren. In neuester Zeit ist von Dörr und seinen Mitarbeitern 
in Wien ein Verfahren beschrieben worden, Formalindämpfe zu entwickeln 
durch Mischen von Formalin mit Kalium hypermanganicum. Ich habe dar¬ 
über noch keine weiteren experimentellen Erfahrungen, als daß wir das 
Verfahren ausgeführt und gesehen haben, daß eine stürmische Formalin¬ 
entwickelung eintritt. Was mich dabei bedenklich macht, ist der Umstand, 
daß wir einen außerordentlich reichlichen, schmutzigen Rückstand von Mang&n 
zurückbehalten. Wo bleiben wir mit den Resten? Ob sie technisch ver¬ 
wertbar sein werden, ist noch eine Frage, und andererseits hat es auch sein 
Bedenken, so große Manganmassen bei größeren Desinfektionen in das 
Wasser oder in den Boden zu geben. Bezüglich der Leichendesinfektion 
möchte ich erwähnen, daß ich seinerzeit auf der Medizinalbeamtenversamm¬ 
lung in Düsseldorf dazu bereits ein besonderes Verfahren angegeben habe. 
Man kann Leichen desinfizieren, indem man sie in einen Sarg legt und 
strömende Formalindämpfe in denselben hineinläßt. Da die Dämpfe nicht 
ins Innere der Leichen eindringen, kann man in die Körperhöhlen Formalin¬ 
lösung bzw. Formalinlösung mit Glycerin zusammen injizieren und damit 
eine vollkommene Sterilisierung erzielen. Allerdings, wenn die Fäulnis za 
weit vorgeschritten ist, dann sind auch unsere Bemühungen in dieser Rich¬ 
tung vergeblich. Aber ich glaube, daß bei Infektionskrankheiten eventuell 
auch dieses Verfahren Bedeutung hat.“ 

Regiernngs- und Geheimer Medizinalrat Dr. Rusak (Köln): 
„Meine Damen und Herren! Ich möchte mir nur erlauben, ganz kurz auf 
einige Erfahrungen einzugehen, die wir im Regierungsbezirk Köln zu machen 
in der Lage waren. Wir sind mit um so größerer Bereitwilligkeit auf die 
Anregungen eingegangen, die uns bezüglich der Ausbildung des Pflege¬ 
personals in der fortlaufenden Desinfektion von unserer Zentralbehörde zu¬ 
gegangen sind, weil nur durch die Einrichtungen in unserem Regierungs¬ 
bezirk die Unterweisung und Ausbildung der Krankenpfleger in der Des- 


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Praxis der Desinfektion usw. 


67 


infektion am Krankenbett wesentlich erleichtert wird. Der Vorsprung 
besteht darin, daß wir einmal eine große Anzahl über den ganzen Bezirk 
▼erteilter Krankenanstalten haben, die in überwiegender Mehrzahl katholi¬ 
schen Orden gehören, und daß uns ferner in der Desinfektionsanstalt in 
Köln ein Institut zur Verfügung steht, welches ganz hervorragend dazu 
geeignet ist, Krankenpflegerinnen in der Desinfektion auszubilden. Von 
diesen beiden Möglichkeiten haben wir ausgiebigen Gebrauch gemacht, und 
ich möchte hier sagen, das hat sich bei uns ganz außerordentlich gut bewährt. 
Die katholischen Orden — ich halte mich für verpflichtet, das gerade zu 
betonen — sind mit großer Bereitwilligkeit auf die Anregung eingegangen, 
ihre Pflegeschwestern auch in der Desinfektion, und zwar in der fortlaufenden 
Desinfektion am Krankenbett unterrichten zu lassen. Ganz kurz will ich 
bemerken, daß wir ganz das gleiche bereitwillige Entgegenkommen bei den 
evangelischen Krankenpflegehäusern, bei den Diakonissenhäusern nicht 
immer gefunden haben. 

„Wir haben den Unterricht in der Weise durchgeführt, daß wir die 
Schwestern ungefähr drei oder vier Tage nach Köln einberufen haben, d. h. 
anf Kosten der Orden, und sie sind dann dort in der städtischen Desinfek¬ 
tionsanstalt im Augustahospital diese Tage hindurch unterrichtet worden. 
Am Schluß des Unterrichts ist eine Prüfung der Schülerinnen abgehalten. 
Ich habe verschiedentlich den Prüfungen beigewohnt und muß sagen, daß 
ich überrascht darüber gewesen bin, mit welchem Eifer und welcher Gründ¬ 
lichkeit die Schwestern sich das ihnen Vorgetragene zu eigen gemacht hatten. 
Das Resultat war für uns besonders befriedigend, weil sich herausgestellt 
hat, daß bei der Art und Weise, wie die Krankenhäuser im Regierungsbezirk 
die Krankenpflege besorgen, ein großer Vorteil aus dieser Einrichtung ge¬ 
zogen werden konnte. Die katholischen Krankenhäuser sind nämlich bei 
uns nicht allein dazu da, Kranke aufzunehmen und in den Anstalten selbst 
zu verpflegen, sondern ihre Schwestern üben fast durchgängig auch die 
ambulante Krankenpflege aus. Es war nun die Ausbildung der Pflege¬ 
schwestern in der fortlaufenden Desinfektion bei uns von der allergrößten 
Wichtigkeit, weil wir dadurch in den Stand gesetzt wurden, bei Gruppen¬ 
erkrankungen — ich will einmal sagen bei Typhus — diese ausgebildeten 
Schwestern in die betreffenden Ortschaften zu entsenden und ihnen entweder 
die Desinfektion ganz allein anzuvertrauen oder aber, wo dies nicht möglich 
war, wo z. B. — ich denke gerade an eine Typhusepidemie im Siegkreise — 
die Epidemie so ausgedehnt war, daß die Zahl der Schwestern dazu nicht 
ausgereicht hätte, in diesem betreffenden Orte einige Schwestern zu statio¬ 
nieren, die nur die Aufgabe hatten, von Haus zu Haus zu gehen und täglich 
in den betreffenden Häusern die fortlaufende Desinfektion zu kontrollieren 
bzw. die Angehörigen zu unterrichten, wie die fortlaufende Desinfektion 
auszuführen sei. 

„Es hat sich dieses Verfahren bei uns so gut bewährt, daß ich es 
Ihnen warm empfehlen kann. Wir sind einer Epidemie in einem nicht gar 
zu großen Orte im Siegkreise auch nach Ausschaltung der Infektionsquelle, 
eines verseuchten Brunnens, erst dann Herr geworden, als wir so vor¬ 
gegangen waren. Alle Vorschriften, alle Bemühungen des Kreisarztes, die 
Angehörigen der Kranken zu einer richtigen fortlaufenden Desinfektion zu 


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58 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

bringen, auch die Überführung der transportablen Kranken in Kranken¬ 
häuser genügten nicht, Neuerkrankungen zu verhindern. Erst als wir in 
Köln ausgebildete katholische Schwestern aus Eitorf in den Ort geschickt 
und ihnen die Aufgabe gegeben hatten, bei allen Krankheitsfällen in die 
Häuser, und zwar mehrmals täglich, zu gehen und die fortlaufende Des¬ 
infektion vorzunehmen bzw. den Angehörigen zu zeigen, sind wir mit der 
Epidemie fertig geworden. Ich bin also, wie gesagt, berechtigt, die gründ¬ 
liche Ausbildung des Krankenpflegepersonals in der fortlaufenden Des¬ 
infektion auf das wärmste zu empfehlen.“ 

Vorsitzender, Oberbürgermeister Dr. Lentze (Magdeburg): „Meine 
Herren! Die Rednerliste ist erschöpft. Ich schließe deshalb die Diskussion 
und erlaube mir die Frage an den Herrn Referenten, ob er das Schlußwort 
wünscht. Das ist nicht der Fall. 

„Meine Herren! Mit großem Interesse sind wir den klaren and ein¬ 
gehenden Ausführungen des Herrn Referenten gefolgt. Obgleich die Des¬ 
infektion ja schon seit vielen Jahren in vielen Gemeinden und Ortschaften 
eingeführt ist, haben doch die heutigen Ausführungen in mancher Hinsicht 
neues Licht in die Frage gebracht, und ich glaube, die Bekämpfung der 
ansteckenden Krankheiten wird durch die heutigen Ausführungen in vielen 
Gemeinden noch besser und intensiver erfolgen können, als das bisher der 
Fall gewesen ist. Ich erlaube mir daher, dem Herrn Referenten den herz¬ 
lichsten Dank der Versammlung auszurichten. 

„Damit schließe ich die heutige Sitzung.“ 


Schluß gegen 2 Uhr. 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öff. Gesundheitspfl. 59 


Zweite Sitzung. 

Donnerstag, den 12. September 1907, 9 Uhr vormittags. 


Vorsitzender, Oberbürgermeister Dr. Lentze (Magdeburg): 
„Meine Herren! Ich eröffne die Sitzung und bitte den Referenten Herrn 
Dr. Mugdan, sein Referat zu erstatten über: 


Die Mitwirkung 

der Krankenversicherung auf dem Gebiete 
der öffentlichen Gesundheitspflege. 


Es lauten die vom Referenten Sanitätsrat Dr. Mtlgd&n (Berlin) auf¬ 
gestellten 


Leitsätze: 


1. Die Gewährung freier ärztlicher Behandlung, freier Arznei, sowie Brillen, 
Bruchbänder und ähnlicher Heilmittel für den Versicherten, vom ersten 
Tage der Erkrankung ab, verhindert, daß die hier in Betracht kommenden 
unbemittelten oder wenig bemittelten Personen infolge ihrer Mittellosigkeit 
oder Unvermögens ihrer Umgebung ärztliche Hilfe und HeilungBmittel zu 
spät oder nur im Falle äußerster Not erhalten. 

2. Die auf Kosten der Krankenversicherungsträger stattfindende Unterbringung 
eines erkrankten Versicherten, dessen Krankheit eine ansteckende ist oder 
ltesondere Anforderungen an die Behandlung oder Verpflegung stellt, in 
einem Krankenhause verhindert die Ansteckung der Umgebung des Er¬ 
krankten, sichert dem letzteren fortgesetzte Beobachtung, Wache und 
Pflege, stellt ihm alle in dem modernen Krankenhause befindlichen Hilfs¬ 
mittel der Wissenschaft und Technik zur Verfügung und beschleunigt da¬ 
durch den Heilungsprozeß. Die Unterbringung in einem Genesungshause 
oder in einer Erholungsstätte hat ausgezeichnete Erfolge bei Rekonvales¬ 
zenten, Nervenkranken, Bleichsüchtigen und Tuberkulösen leichterer Art 
gezeitigt. 

3. Das im Falle einer mit Erwerbsunfähigkeit verbundenen Krankheit vom 
dritten Tage der Erkrankung ab dem Versicherten zu gewährende Kranken¬ 
geld gleicht einigermaßen den für den Kranken und seine Familie aus 
dem Verlust seiner Arbeitsfähigkeit sich ergebenden wirtschaftlichen Nach¬ 
teil aus und sichert selbst dem Ärmsten während der Krankheit die Be¬ 
friedigung der notwendigsten Bedürfnisse, ohne die seine durch die Krank¬ 
heit beeinträchtigten Körperkräfte noch mehr dahinschwänden. 

4. Die an die Angehörigen des in einem Krankenhause untergebrachten er¬ 
krankten Versicherten während der Zeit seines Verweilens im Kranken¬ 
hause zu zahlende Angehörigenunterstützung hält die äußerste Not und 
Entbehrung, die so häufig eine Krankheit verursacht, von der Familie ab 
und erleichtert es dem Kranken, bis zu seiner vollständigen Wieder¬ 
herstellung im Krankenhause zu bleiben. 

5. Die den versicherten Wöchnerinnen für die Dauer von sechs Wochen zu 
zahlende Wöchnerinnenunterstützung erlaubt der jungen Mutter die not¬ 
wendige Erholung ihres durch die Geburt geschwächten Körpers und die 
Erfüllung ihrer mütterlichen Pflichten gegen das neugeborene Kind. Die 
Krankenkassen können außerdem dadurch, daß sie statutarisch eine 
Schwangerenunterstützung, die freie Gewährung der erforderlichen Heb- 


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60 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. offentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

ammendienste und die freie Behandlung der Schwangerschaftsbeschwerden 
beschließen, die Grundlage eines ausgedehnten Mutterschutzes bilden. 

6. Die statutarisch mögliche Gewährung freier ärztlicher Behandlung, freier 
Arznei und sonstiger Heilmittel für nichtversicherungspflichtige Familien¬ 
angehörige der Versicherten ist geeignet, die hohe Kindersterblichkeit zu 
vermindern und Verschleppung der Heilung einer Krankheit der für den 
Arbeiterhaushalt unentbehrlichen Hausfrau zu verhindern. 

7. Um allen Personen, die der Fürsorge im Krankheitsfalle bedürftig sind, die 
Wohltaten der Krankenversicherung reichsgesetzlich sicherzustellen, ist 
eine Ausdehnung der Krankenversicherungspflicht auf alle diejenigen, die 
der Invalidenversicherungspflicht unterliegen, vor allem auf die landwirt¬ 
schaftlichen Arbeiter und das Gesinde, dringend zu wünschen, und ebenso 
eine Übereinstimmung der Invalidenversicherungsberechtigung mit der 
Krankenversicherungsberechtigung. Auch ist anstatt der statutarisch mög¬ 
lichen die obligatorische Gewährung freier ärztlicher Behandlung nebst 
allen in Ziffer 6 erwähnten Leistungen an die Familienangehörigen der 
Versicherten zu fordern. 

8. Die dreitägige Karenzzeit (vgl. Ziffer 3) für den Anspruch auf Krankengeld 
18 t vom hygienischen Standpunkte zu verwerfen: schon von dem gesunden 
Arbeiter ist ein dreitägiger Wegfall des Arbeitsverdienstes sehr schwer zu 
tragen, vielmehr noch von einem Kranken, der durch seine Krankheit oft 
für seine Person größere Ausgaben zu machen hat. 

9. Die Bestimmung des Krankenversicherungsgesetzes (§ 26a, Abs. 1), daß 
Kassenmitgliedern, welche doppelt versichert sind, das Krankengeld so weit 
gekürzt werden kann, als dasselbe zusammen mit dem aus anderweiter 
Versicherung bezogenen Krankengelde den vollen Betrag ihres durchschnitt¬ 
lichen Tagelohnes übersteigen würde, ist zu verwerfen, da der Kranke 
mehr Bedürfnisse hat als der Gesunde, und eine Simulation von Arbeitern, 
die durch mehrfache Versicherungen in gesunden Tagen Opfer bringen, 
am wenigsten zu fürchten ist. 

10. Es ist wünschenswert, daß es nicht, wie jetzt, allein in das Belieben des 
KasBenvorstandes gestellt ist, zu entscheiden, ob Kur und Verpflegung in 
einem Krankenhause gewährt werden soll. Der $ 7 des Krankenversiche¬ 
rungsgesetzes sollte etwa in der Weise geändert werden, daß Kur und 
Verpflegung im Krankenhause auf Antrag des Arztes gewährt werden muß, 
wenn die Krankheit des Versicherten seiner Umgebung Gefahren bringt. 

11. Zur Herabsetzung der Verwaltungsausgaben und um das Krankengeld 
allgemein erhöhen zu können, was höchst wünschenswert ist, ist die Zu¬ 
sammenlegung aller in einem Stadtkreise oder Landkreise befindlichen 
Versicherungsträger zu einer einzigen Krankenkasse zu fordern. 

12. Die in den letzten Jahren zwischen Kassenärzten und Krankenkassen an 
vielen Orten entstandenen Streitigkeiten sind vom hygienischen Standpunkte 
aus aufs tiefste zu beklagen, da hier der Sieg der Ärzte oder der Kranken¬ 
kassen nur davon abhängt, wie lange die hilfsbedürftigen Kranken eine 
geordnete ärztliche Behandlung entbehren können. Es ist deshalb Aufgabe 
der Gesetzgebung, die Wiederholung solcher Vorkommnisse unmöglich zu 
machen; dies kann nur durch eine gesetzliche Ordnung der kassenärztlichen 
Verhältnisse im Sinne der freien Ärztewahl geschehen. 

13. Für einen Erfolg in der Gewerbehygiene ist ein geregeltes Zusammen¬ 
wirken der Kassenärzte wie der besonderen Fabrikärzte mit den Fabrik¬ 
leitungen einerseits und den Krankenkassen andererseits erste Voraus¬ 
setzung; die Ärzte und besonders die nach Maßgabe der Bestimmungen 
des Bundesrates von den Fabrikleitern für eine Reihe von Betrieben vor¬ 
gesehenen Fabrikärzte müssen von der Kassenverwaltung und der Fabrik¬ 
leitung völlig unabhängig sein und jederzeit das Recht haben, die in gesund¬ 
heitsschädlichen Betrieben beschäftigten Arbeiter auf ihren Gesundheits¬ 
zustand zu untersuchen und die von ihnen festgestellten Gewerbekrank- 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öff. GesundheitspfL 61 

heiten oder als solche verdächtige Erkrankungen zur Kenntnis des Gewerbe- 
aufsichts- und Medizinalbeamten zu bringen. 

14. Wünschenswert ist die Erlangung einer zuverlässigen Krankheitsstatistik 
über die bei Kassenmitgliedern vorgekommenen Erkrankungen. Zu diesem 
Zwecke ist die Einführung einer ärztlichen Meldekarte zu fordern, auf der 
von dem Kassenarzte wöchentlich die Diagnose der von ihm behandelten 
Krankheiten, sowie ihre Dauer und ihr Ausgang zu vermerken ist, nachdem 
von der Kassenverwaltung Name, Beruf (auch frühere Berufe) und Alter, 
sowie die Nummer des Krankenscheines vorgetragen ist, und die, um den 
Arzt durch Rücksichtnahme auf den Patienten in der genauen Eintragung 
der Diagnose nicht zu behindern, an das nächste statistische Bureau 
gesandt wird. 

Referent, S&nität8r&t Dr. Mtlgdan (Berlin): „Hochverehrte Ver¬ 
sammlung! Wenn die Gesetzgebung sich an schickt, eine bestehende Ein¬ 
richtung zu verändern, dann ist die beste Gelegenheit, eine Rückschau zu 
halten, ob die Einrichtung in ihrer vorherigen Form sich bewährt, und welche 
Wünsche sie unerfüllt gelassen hat. 

„Wir stehen, wie wir wohl nicht zweifeln können, vor einer Reform 
der Krankenversicherung, und darüber zu sprechen, in welcher Weise die 
Krankenversicherung die öffentliche Gesundheitspflege unterstützt hat, dazu 
scheint mir gerade dieser Verein am allerbesten geeignet, weil seine Mit¬ 
gliedermischung die Gewähr dafür bietet, daß er bei der Besprechung nicht 
nur die Interessen eines einzigen für dieses Gebiet in Betracht kommenden 
Standes erwägen wird und weil sie auch die Gewähr dafür bietet, daß nicht 
ohne Widerspruch Forderungen erhoben werden können, die gut gemeint 
sein mögen, die auch des Beifalls weiter Kreise sicher sind, die aber nicht 
erfüllt werden können, weil die Voraussetzungen zu ihrer Erfüllung fehlen, 
vor allem, weil die dazu notwendigen Mittel nicht da sind. 

„Ich gestehe offen, daß ich mit einem gewissen Zagen an die Erfüllung 
der mir vom Vorstande gestellten Aufgabe herangegangen bin, denn ich 
mußte mir ja sagen, daß es mir unmöglich sein wird, Ihnen neue Gesichts¬ 
punkte zu entwickeln. Dazu ist der Gegenstand zu oft in der Literatur 
und in Versammlungen behandelt worden. Aber trotzdem hatte die Arbeit 
für mich einen Reiz, und ich glaube auch, daß es doch nicht ganz wertlos 
ist, einmal systematisch durch Leitsätze festzustellen, worin denn eigentlich 
der Wert der Krankenversicherung für die öffentliche Hygiene besteht, ein 
Wert, den wir, die wir in der Praxis des Lebens stehen, ja, ohne uns darum 
zu kümmern, eigentlich jeden Tag erleben. 

„Natürlich müssen bei der Besprechung, gemäß den Zwecken unseres 
Vereins, politische Gesichtspunkte vollständig ausgeschaltet werden, und 
auch wirtschaftliche Gesichtspunkte dürfen nur insofern Berücksichtigung 
finden, als sie im Zusammenhänge mit der öffentlichen Gesundheitspflege 
stehen. Ganz auszuschalten sind wirtschaftliche Gesichtspunkte bei Fragen 
der Hygiene nicht, denn, wie erwähnt, erfordert die öffentliche Gesundheits¬ 
pflege Mittel, und infolgedessen spielen in hygienischen Fragen wirtschaftliche 
Fragen, wenn man die öffentliche Gesundheitspflege ernst betreibt, außer¬ 
ordentlich mit. Nun kommt ja noch hinzu, daß das Krankenversicherungs¬ 
gesetz selbst ein eminent wirtschaftliches Gesetz ist, denn das konnte 
natürlich keine Gesetzgebung beabsichtigen, Menschen gegen Krankheit zu 


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62 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

versichern, und wenn wir von einem Krankenversicherungsgesetz sprechen, 
so meinen wir damit ja nur ein Gesetz, das die Versicherten gegen die wirt¬ 
schaftlichen Folgen der Krankheit versichern soll. 

„Die ersten wirtschaftlichen Folgen einer Erkrankung sind: die Not¬ 
wendigkeit, sich ärztliche Hilfe zu verschaffen, die Notwendigkeit, sich die 
Heilmittel zu verschaffen, die der Arzt für erforderlich hält, um die Krank¬ 
heit zu heilen, und die Notwendigkeit, der gewohnten Arbeit zu entsagen 
und damit auch auf die Erträgnisse dieser Arbeit zu verzichten. 

„Der Kreis der Personen, die bei der Krankenversicherung in Betracht 
kommen, ist groß. Aber in diesem großen Kreise werden wenige Personen 
sein, die Erhebliches für den Fall der Not haben zurücklegen können. Wenn 
also die Personen gegen die wirtschaftlichen Folgen der Krankheit nicht 
versichert sind, so ergeben sich für sie, wenn sie erkrankt sind, nur zwei 
Möglichkeiten: entweder sie fallen der Armenpflege mit all ihrem unwürdigen 
Beiwerk anheim, oder sie kümmern sich um die Krankheit nicht, sie leben 
weiter so, als wenn sie gesund wären, und arbeiten so lange, bis die Krank¬ 
heit so vorgeschritten ist, daß jedes Arbeiten unmöglich ist; darin liegt eine 
der hervorragendsten Unterstützungen, die die Krankenversicherung der 
öffentlichen Gesundheitspflege gewährt, daß sie dadurch, daß sie dem Ver¬ 
sicherten jede Sorge erspart, wie er sich den Arzt verschafft, auf welche 
Weise er die Kosten für Arznei und Heilmittel aufbringt, die Versicherten 
davon abhält, die Krankheiten zu verschleppen und auf diese Weise aus 
leicht heilbaren Krankheiten schwere, unheilbare zu machen. 

„Gewiß wird diese Leichtigkeit der Beschaffung der ärztlichen Hilfe 
und der Beschaffung der Arzneimittel auch gewisse Schattenseiten zeitigen, 
und Sie wissen ja alle, daß von vielen Kreisen darüber geklagt wird, daß 
ärztliche Hilfe von den Versicherten in Anspruch genommen wird, auch 
wenn sie ob nicht nötig haben, daß mit den Arzneien Verschwendung ge¬ 
trieben wird und dergleichen mehr. Ich halte diese häufige Anrufung ärzt¬ 
licher Hilfe für keinen Fehler. Gerade dadurch allein, daß die Versicherten 
in der Lage sind, den Arzt auch dann anzurufen, wenn sie sich nur ganz 
wenig krank fühlen, wenn sie nur den Verdacht haben, krank zu sein, wird 
eine Gewähr gegeben in dem Kampfe gegen die großen Krankheiten, den 
wir in den letzten Jahren unter Unterstützung der gesamten Arbeiter¬ 
versicherung führen. Denken Sie nur daran, daß die Erfolge der Tuber¬ 
kulosebekämpfung darauf beruhen, daß die Fälle möglichst früh zur Kenntnis 
der maßgebenden Personen kommen: wenn ein Tuberkulöser erst dann sich 
zu einer Heilstätte meldet, wenn seine Krankheit vorgeschritten ist, dann 
nützt die Heilstätte nichts mehr. Möglichst frühzeitig die Fälle in Be¬ 
handlung zu bekommen, das ist ja eigentlich die Losung der modernen 
Gesundheitspflege, und die segensreichen Erholungsstätten, die von meinem 
zu früh verstorbenen Kollegen Becher und meinem Kollegen Lennhoff 
eingeführt worden sind, würden ihren Zweck vollständig verlieren, wenn 
nicht gerade dadurch, daß die Versicherten in der Lage sind, zu jeder Zeit 
den Arzt in Anspruch zu nehmen, es möglich wäre, die dafür geeigneten 
Fälle herauszusuchen. 

„Ja, man kann sogar weiter gehen und kann sagen, daß man eigentlich 
dem Arbeiter, dessen einziges Kapital ja in seiner körperlichen Kraft 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öS. Gesundheitspfl. 63 

besteht, raten sollte, auch wenn er sich ganz gesund fühlt, sich im Laufe 
des Jahres ein- oder zweimal vom Arzt untersuchen zu lassen, um zu ver¬ 
hindern, daß sich ein schlummernder Keim einer Krankheit zu einem 
schweren Leiden auswächst. Ich erinnere Sie daran, daß unser Kampf 
gegen die Krebskrankheit, namentlich gegen die bei Frauen vorkommenden 
Krebse, absolut erfolglos sein muß, wenn nicht die Frauen möglichst früh¬ 
zeitig zum Arzt gehen und nicht warten, bis sie sich erheblich krank fühlen, 
wo dann die Zeit der erfolgreichen Operation fast immer vorbei ist. 

„In unserer heutigen Zeit spielt ja die Krankenhauspflege eine ungleich 
größere Rolle als früher. Wir haben gestern aus dem lichtvollen Vortrage 
des Herrn Kollegen T jaden kennen gelernt, daß die modernen Anschauungen 
dahin gehen, daß bei ansteckenden Krankheiten dei Kranke dasjenige Ob¬ 
jekt ist, das am allermeisten von der Gesellschaft auszuscheiden ist. Aus 
diesem Grunde allein ist die Behandlung in einem Krankenhause in der 
modernen Behandlung oft nicht zu entbehren; dazu kommt, daß es heute eine 
so große Anzahl von Hilfsmitteln in der modernen Therapie gibt, daß sie 
der einzelne Arzt schon aus Rücksicht auf die Kosten gar nicht alle zur 
Verfügung haben kann, und daß sich auch aus diesem Grunde schon in sehr 
vielen Fällen die Unterbringung in einem Krankenhaus empfiehlt. Auch das 
wäre ohne die Krankenversicherung nicht möglich. Die Kosten für das 
Krankenhaus würden für den Versicherten viel zu hoch sein, als daß er sie 
tragen könnte, wenn nicht die Versicherungsträger ihm diese Kosten ersparten. 

„Nebenbei will ich hierbei auch erwähnen, was man gewöhnlich voll¬ 
ständig unberücksichtigt läßt, daß die Kommunen einen recht erheblichen 
Beitrag zu unserer Krankenversicherung leisten, denn Sie wissen ja alle, daß 
die Kommunen bei allen Krankenhäusern zusetzen, daß die Verpflegungssätze, 
die sie von den Kranken erheben, niemals die Kosten decken, die die Unter¬ 
bringung verursacht; und da die Krankenkassenmitglieder zu denselben 
niedrigen Sätzen der untersten Klassen behandelt werden, so folgt daraus, 
daß die Kommunen finanziell ganz erheblich die Krankenversicherung unter¬ 
stützen, mit einem Betrage, der bisher, soviel ich sehe, in der Öffentlichkeit 
außerordentlich wenig in Rechnung gestellt worden ist. 

„Auch das Krankengeld, zu dem ich mich nun wende, hat ja eigentlich 
nur einen wirtschaftlichen Zweck: es soll dem Arbeiter einen Teil des ent¬ 
gangenen Arbeitsverdienstes ersetzen. Auch hier laufen wieder wirtschaft¬ 
liche Folgen mit hygienischen zusammen, denn wenn der Versicherte nur 
einen Anspruch hätte auf freie ärztliche Behandlung oder auf Krankengeld, 
wie zu meinem großen Bedauern das beabsichtigte schweizerische Kranken¬ 
versicherungsgesetz für einen großen Teil der Versicherten es vorschreibt, 
so wird wieder die Gefahr näher gerückt, daß der Versicherte seine Krank¬ 
heit hinschleppt, weil er ja schließlich seine Familie nicht anders ernähren 
kann, als durch den Ertrag seines Arbeitsverdienstes. Dadurch, daß die 
deutsche Arbeiterversicherung neben der Gewährung freier ärztlicher Be¬ 
handlung und neben der Gewährung freier Arznei im Falle der Erwerbs¬ 
unfähigkeit Krankengeld gewährt, nimmt sie dem Versicherten den Anreiz, 
sich frühzeitig aus der Behandlung zu begeben, und erlaubt es ihm auch, 
wenigstens einigermaßen, die notwendigsten Bedürfnisse, die er während der 
Krankheit hat, zu befriedigen. 


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64 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Bei dieser Gelegenheit möchte ich gleich darauf eingehen, daß mir aus 
diesem Grunde die in unserer Krankenversicherung vorgeschriebene drei¬ 
tägige Karenzzeit vom hygienischen Standpunkte unzweckmäßig scheint, wie 
ich dies in These 8 ausgedrüokt habe; denn wenn ein Mensch krank wird, 
so kann man annehmen, daß er eigentlich für sich größere Bedürfnisse hat 
als in gesunden Tagen. Das Krankengeld wird ja nur in sehr seltenen Fällen 
den Arbeitsverdienst erreichen; meistenteils wird es nur wenig über die 
Hälfte des durchschnittlichen Tagelohns hinauBgehen, und aus diesem Grunde 
halte ich es hygienisch für falsch, diese erkrankten, erwerbsunfähigen Ver¬ 
sicherten drei Tage lang vom Beginne der Krankheit ab ohne Krankengeld 
zu lassen. 

„Daß diese dreitägige Karenzzeit notwendig ist, um die Simulation der 
Arbeiter hintanzuhalten, glaube ich nicht, und ich werde darauf noch bei 
Besprechung der These 9 näher eingehen. 

„Wenn wir nun einsehen, daß die Krankenhauspflege für einen großen 
Teil der Versicherten notwendig ist, so folgt auch daraus wieder der hygienische 
Wunsch, den in dem Krankenhause untergebrachten Personen soweit wie 
tunlich es zu ermöglichen, so lange in dem' Krankenhause zu bleiben, bis 
sie gesund sind, und aus diesem Grunde halte ich die Vorschrift unserer 
Krankenversicherung, daß den Angehörigen des in einem Krankenhause 
untergebrachten Versicherten eine Angehörigenunterstützung gegeben wird, 
nicht nur sozialpolitisch für eine außerordentlich große Tat, sondern auch 
für hygienisch vom höchsten Werte; wenn der in einem Krankenhause 
Untergebrachte fortwährend Bich darum sorgen müßte, wie seine Familie, 
die er zu Hause zurückläßt, sich ernähren kann, so müßte dies auf die 
Heilung einen schlechten Einfluß ausüben. Die Unterstützung, die die An¬ 
gehörigen erhalten, erleichtert es dem Kranken, bis zu seiner vollständigen 
Wiederherstellung im Krankenhause zu bleiben, und bewahrt die Angehörigen 
wenigstens vor der äußersten Not und der äußersten Entbehrung. 

„Ebenso ist vom Standpunkte der Hygiene aus die Wöchnerinnen¬ 
unterstützung, die unsere Krankenversicherung vorschreibt, als die erste 
Grundlage eines Wöchnerinnenschutzes zu betrachten, der ja jetzt von so 
vielen Männern und Frauen als dringend notwendig gefordert wird. Die 
Krankenkassen können ja außer dieser Wöchnerinnenunterstützung statuta¬ 
risch noch viel mehr leisten. Sie können den nichtversicherungspflichtigen 
Frauen der Versicherten Unterstützung gewähren, wenn dieselben sich in 
anderen Umständen befinden, sie können die bei der Entbindung erforder¬ 
lichen Hebeammendienste gewähren, sie können auch während der Schwanger¬ 
schaft Heilmittel gewähren, um die Schwangerschaftsbeschwerden zu mindern. 

„Merkwürdigerweise ist in einem Punkte durch die Novelle des Jahres 
1903 in bezug auf die Hygiene der Frauen eine sehr große Verschlechterung 
eingetreten. Vor dem Jahre 1903 konnten die Krankenkassen statutarisch 
eine Wöchnerinnenunterstützung für die nichtversicherungspflichtigen Frauen 
der Versicherten beschließen. Durch einen Zufall, dadurch, daß man einen 
Absatz eines bestimmten Paragraphen veränderte und dann den nächsten 
Absatz so ließ, wie er früher war, ist es gekommen, daß die Krankenkassen 
gegenwärtig nicht mehr in der Lage sind, den nichtversicherungspflichtigen 
Frauen der Versicherten während ihres Wochenbettes irgend eine Unter- 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öff. Gesundheitspfl. 65 


Stützung zu gewähren, und es ist natürlich eine Notwendigkeit, daß bei einer 
Reform der Krankenversicherung dieser Mißstand beseitigt wird. 

„Aber wenn wir uns nun fragen, ob denn die Krankenkassen von dieser 
statutarischen Möglichkeit, die Grundlagen eines ausgedehnten Mutterschutzes 
zu bilden, sehr viel Gebrauch gemacht bähen, so scheint es, als ob man die 
Frage verneinen müsse. Es existieren Statistiken darüber noch nicht, ich 
war auf private Erkundigungen angewiesen, aber danach muß ich sagen, 
daß bisher von diesen Bestimmungen nur in den allerwenigsten Fällen Ge¬ 
brauch gemacht worden ist. Wenn man also der Überzeugung ist, daß wir 
einen ausgedehnten Mutterschutz brauchen — und diese Überzeugung ist 
wohl eine allgemeine —, wenn man ferner meint, daß die Grundlage dieses 
Mutterschutzes in unserer Krankenversicherung gegeben ist, so kommt man 
zu dem Schlüsse, daß eine Reform der Krankenversicherung diese statuta¬ 
rische Möglichkeit in eine gesetzliche Leistung umwandeln muß; ebenso bin 
ich der Meinung, daß die gegenwärtig nur statutarisch mögliche Gewährung 
freier ärztlicher Behandlung, freier Arznei und sonstiger Heilmittel für die 
nichtversicherungspflichtigen Familienangehörigen der Versicherten auch zu 
einer gesetzlichen gemacht werden muß. 

„Wir klagen in Deutschland außerordentlich über eine hohe Kinder¬ 
sterblichkeit Die Kindersterblichkeit ist zwar in den letzten Jahren etwas 
zurückgegangen — in dem letzten Jahre ist sie gestiegen —, aber trotzdem 
ist sie im Vergleich zu anderen Ländern noch außerordentlich hoch. Ein 
Mittel, um diese Kindersterblichkeit zu vermindern, liegt meines Erachtens 
darin, der großen Menge der Arbeiterbevölkerung und der ihr sozial gleich¬ 
stehenden Klassen auch die Sorge dafür zu nehmen, wie sie im Falle der 
Not den Arzt für ihre Kinder bezahlen, wie sie die Mittel erschwingen, um 
die Heilmittel für ihre Kinder zu beschaffen, und aus diesem Grunde, glaube 
ich, ist die Familienbehandlung der Versicherten gesetzlich einzuführen. 
Auf diese Weise hat man die Möglichkeit, die Kindersterblichkeit zu ver¬ 
mindern, und hat analog dem, was ich zu Anfang ausführte, auch die Hoff¬ 
nung, daß die Arbeiterfrau, die gerade für den Arbeiterhaushalt die unent¬ 
behrlichste Person ist, weniger oft krank wird und, wenn sie erkrankt, auch 
schneller Heilung findet wie bisher. Auch das möchte ich bei einer Um¬ 
änderung der Krankenversicherung als gesetzliche Leistung haben, weil ich 
der Überzeugung bin, daß überhaupt von den statutarischen Möglichkeiten, 
die die Krankenversicherung den Krankenkassen gewährt, nicht allzu viel 
Gebrauch gemacht wird. 

„Ich erinnere in dieser Beziehung daran, daß vor dem Jahre 1903 den 
geschlechtskranken Versicherten das Krankengeld entzogen werden konnte, 
daß alle Welt, Hygieniker und Sozialpolitiker, darüber einig waren, daß 
keine Bestimmung mehr geeignet war, die Geschlechtskrankheiten zu ver¬ 
heimlichen, als diese, und daß infolgedessen die Aufhebung dieser Be¬ 
stimmung verlangt wurde. Nun ist in den Diskussionen, die damals bis 
zum Jahre 1903 stattfanden, eigentlich fast nie erwähnt worden, daß ja die 
Krankenkassen gar nicht gezwungen waren, diese Bestimmung dem Statut 
einzufügen, denn die Krankenkassen hatten nur die Berechtigung und nicht 
die Verpflichtung, eine Bestimmung in ihrem Statut zu treffen, daß den 
geschlechtskranken Mitgliedern das Krankengeld entzogen werden konnte. 

Vierte Ijahrwcbrift für Gesundheitspflege, 1008. 5 


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66 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Trotzdem hat man auf allen Krankenkassentagen die Gesetzgebung an¬ 
gerufen, in allen Versammlungen darüber gesprochen, und doch gab es ein 
so einfaches Mittel, nämlich das Statut, das man früher vielleicht gemacht 
hatte, dahin zu ändern, daß die Geschlechtskranken behandelt wurden wie 
alle anderen Patienten. Das hat man aber nicht getan. Selbst große städti¬ 
sche Krankenkassen, bei deren Mitgliedern Geschlechtskrankheiten sehr häufig- 
auftreten, wie bei den Kassen für das Gastwirtsgewerbe, haben die Be¬ 
stimmung, deren hygienische Fehler man durchaus erkannte, nicht beseitigt, 
und daraus folgt für mich, daß man nach Möglichkeit es überhaupt ver¬ 
meiden soll, den Krankenkassen und den übrigen VerBicherungsträgern die 
Bestimmung über die Leistungen zu überlassen. Ich halte es für das aller¬ 
beste, wenn die Leistungen der Krankenversicherung ein für allemal fest¬ 
stehend gemacht werden; denn nicht nur die Krankenkassen haben von der 
Möglichkeit, durch Statut Verbesserungen einzuführen oder Verschlechte¬ 
rungen abzuschuffen, keinen Gebrauch gemacht, sondern auch andere In¬ 
stanzen. 

„Es kann ja keinem Zweifel unterliegen, daß die KrankenverBicherungs- 
pflicht nicht nur auf den Kreis der gegenwärtig versicherungBpflichtigen Per¬ 
sonen beschränkt bleiben darf, sondern darüber hinaus ausgedehnt werden 
muß, vor allem auf die landwirtschaftlichen Arbeiter und die Dienstboten. Sie 
wissen, daß eine große Anzahl von Einzelstaaten, Württemberg, Baden, 
Sachsen, Sachsen-Weimar u. a. m., durch Landesgesetz einfach die Versiche¬ 
rung der landwirtschaftlichen Arbeiter eingeführt haben. Aber trotzdem 
diese Bundesstaaten das gemacht haben — Bayern habe ich ausgelassen, 
weil sich ja hier die gesetzlichen Zustände noch nach den früheren gesetz¬ 
lichen Bestimmungen vor dem Krankenversicherungsgesetz richten —, ist 
es doch eine große Streitfrage, ob die Einzelstaaten dazu berechtigt waren. 
Es gibt hervorragende Theoretiker, vor allem Rosin in Freiburg, die der 
Überzeugung sind, daß, da der § 1 des Krankenversicherungsgesetzes die 
landwirtschaftlichen Arbeiter nicht erwähnt habe, und der § 2 ihre Ver¬ 
sicherung der statutarischen Bestimmung der Gemeinden oder Kommunal¬ 
verbände zuweise, durch einzelstaatliche Gesetzgebung eine Versicherungs¬ 
pflicht nicht ausgesprochen werden dürfe, und insofern hat vielleicht der 
preußische Staat eine Entschuldigung, daß er bisher noch nicht die Ver- 
sicherungspflicht der landwirtschaftlichen Arbeiter ausgesprochen hat. Aber 
daß dieselbe notwendig ist, ist keine Streitfrage mehr, und ich glaube, daß 
auch die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften außerordentlich darunter 
leiden, daß die land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter bisher einer geord¬ 
neten Krankenversicherung in den ersten 13 Wochen in Preußen so gut wie 
ganz entbehren, denn es gibt nur außerordentlich wenige Kommunal verbände, 
die von der statutarischen Möglichkeit, die landwirtschaftlichen Arbeiter in 
die Krankenversicherung einzubeziehen, in Preußen Gebrauch gemacht haben. 

„Ebensowenig brauche ich darüber zu sprechen, daß die Einbeziehung 
des Gesindes in die Krankenversicherung unbedingt notwendig ist. Aber 
auch für andere Klassen der Arbeiter ist eine Einbeziehung in die Ver¬ 
sicherungspflicht erforderlich. Dazu gehört eine Klasse von Arbeitern, die 
namentlich in Seestädten eine große Rolle spielen, das sind die Reederei¬ 
arbeiter, die heute in der einen Reederei ein Schiff verstauen und morgen 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öff. Gesundheitspfl. 67 

in der anderen Reederei ein Schiff aasladen. Diese Reedereiarbeiter sind 
nach dem § 1 des Krankenversicherungsgesetzes deswegen nicht versiche¬ 
rungspflichtig, weil der Arheitsvertrag im voraus auf eine geringere Zeit als 
eine Woche abgeschlossen wird, und daraus bat sich namentlich in Hamburg- 
Altona, in Flensburg und wahrscheinlich auch in Bremen herausgebildet, 
daß diese Personen alle, ich möchte sagen zwangsweise, freien Hilfskassen 
beitreten müssen, weil die Reedereibesitzer die Arbeiter nur annehmen, wenn 
sie einer freien Hilfskasse angehören, da sie selbst sonst im Falle eines Un¬ 
falls die Kosten für die ersten 13 Wochen zu tragen hätten. Aus diesem 
Grunde ist es auch dringend zu wünschen, daß diese Personen der Kranken¬ 
versicherungspflicht unterworfen werden, daß überhaupt in der Kranken¬ 
versicherung eine Übereinstimmung mit der Invalidenversicherungspflicht 
und der Invalidenversicherungsberechtigung hergestellt wird. 

„Das ist ja auch schon aus einem anderen Grunde notwendig. Es 
scheint ja, als ob die verbündeten Regierungen ihren ursprünglichen Plan, 
einen Gesetzentwurf für eine Vereinheitlichung der gesamten Arbeiterver¬ 
sicherung vorzulegen, verlassen haben, daß sie vielmehr den Weg gehen, 
den ich gewissermaßen als den traditionellen Weg bezeichnen möchte, zuerst 
die Krankenversicherung zu reformieren und die Krankenversicherung so 
zu gestalten, daß sie unter Umständen den Unterbau für die anderen Ver¬ 
sicherungsarten abgeben kann, so daß es möglicherweise in Jahren zu einer 
teilweisen Verschmelzung der Krankenversicherung und der Invalidenver¬ 
sicherung kommen kann. Daß diese sehr erwünscht ist, kann füglich nicht 
bestritten werden. Wir sehen es ja jetzt immerwährend, daß die Invaliden¬ 
versicherung und die Krankenversicherung gemeinsame Zwecke und gemein¬ 
same Ziele verfolgen, d&Jß die Tuberkulosebekämpfung, die Bekämpfung der 
venerischen Krankheiten, die Bekämpfung der Krebskrankheit gemeinsam 
von den Trägern der Invalidenversicherung und der Krankenversicherung 
in Angriff genommen wird. Die Erfolge des einen Versicherungsträgers sind 
dann vollständig davon abhängig, wie der andere Versicherungsträger die 
Aufgabe seinerseits auffaßt. 

„Vom hygienischen Standpunkte aus ist deshalb eine allmähliche Ver¬ 
schmelzung der Krankenversicherung mit der Invalidenversicherung zu 
wünschen, und aus diesem Grunde ist es notwendig, daß man bei einer 
Reform der Krankenversicherung frühzeitig dies ins Auge faßt und dieVer- 
sicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung in beiden Gesetzen zu 
einer gleichen macht. 

„Ich habe vorhin gesagt, daß mir die dreitägige Karenzzeit, die wir in 
der Krankenversicherung haben, vom hygienischen Standpunkte falsch 
erscheint. Noch falscher erscheinen mir alle diejenigen Bestimmungen, 
welche die doppelt Versicherten, also diejenigen Personen, die einer freien 
Hilfskasse und einer reichsgesetzlichen Kasse angehören, benachteiligen. Ich 
glaube, daß die Bestimmung, daß das Krankengeld an Kassenmitglieder, 
welche doppelt versichert sind, so weit gekürzt werden kann, als dasselbe 
zusammen mit dem aus anderweitigen Versicherungen bezogenen Kranken¬ 
gelde die Höhe des ortsüblichen Tagelohnes übersteigen würde, hygienisch 
gar nicht zu vertreten ist. Gerade weil der Kranke mehr braucht als der 
Gesunde, und weil jede staatliche Gesetzgebung, mag sie auch noch so leicht 

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68 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

mit dem Gelde umspringen, immer nur einen kleinen Teil des Arbeitsver¬ 
dienstes durch das Krankengeld ersetzen wird, ist die Doppelversicherung 
aus hygienischen Gründen nach aller Möglichkeit zu unterstützen, denn der 
erkrankte Erwerbsunfähige soll ja seine Familie genau so ernähren wie 
früher, und unter seiner Krankheit soll seine Familie nicht leiden, und er 
seihst soll nach Möglichkeit sich kräftigen können und wird auf diese Weise 
auch die Krankheit abkürzen. 

„Man hat diese Bestimmung damit motiviert, daß die doppelt Ver¬ 
sicherten zur Simulation neigen. Statistisch läßt sich das ja überhaupt nicht 
nachweisen. Man ist auch hier wieder auf private Urteile angewiesen. Aber 
nach dem, was ich erkundet habe, ist es falsch, daß gerade die doppelt Ver¬ 
sicherten die Krankenkassen am meisten in Anspruch nehmen. DaB ist auch 
von vornherein sehr unwahrscheinlich, denn ein Arbeiter, der in gesunden 
Tagen von seinem Arbeitslöhne das Opfer einer doppelten Versicherung 
bringt, wird nicht sehr dazu neigen, durch eine vorgetäuschte Krankheit eine 
Arbeitsruhe sich zu verschaffen. Wahrscheinlich wird ihn schon sein Ehr¬ 
gefühl daran hindern. Diese Arbeiter gehören, wenn ich diesen Ausdruck 
gebrauchen kann, zweifellos zu der OberklaBse der Arbeiterbevölkerung, und 
von diesen ist am allerwenigsten Betrug zu befürchten. Es ist ja übrigens — 
wie ich kurz erwähnen kann — sehr schwer zu unterscheiden, wo die Simu¬ 
lation von Arbeitern, wo die Übertreibung anfängt und wo der Arbeiter, der 
chronisch krank ist, die Krankenkasse mit Recht in Anspruch nimmt. Wir 
wissen vor allem, daß der Krankenbestand einer Krankenkasse von der 
wirtschaftlichen Konjunktur abhängt, daß in einer Krankenkasse der Kranken¬ 
bestand steigt, wenn die wirtschaftliche Konjunktur für die in der Kranken¬ 
kasse versicherten Mitglieder schlecht ist, daß der Krankenbestand fällt, 
wenn große Arbeitsgelegenheit vorhanden ist. Man kann aber diese Per¬ 
sonen, die nun die Zeit der schlechten Arbeitsgelegenheit benutzen, um sich 
krank zu melden, Krankengeld in Empfang zu nehmen, sich zu heilen, nicht 
ohne weiteres als Simulanten bezeichnen. Unter den Arbeitern gibt es eine 
große Anzahl von chronisch Kranken, von Brustkranken, Nervenkranken, 
bei Frauen von Bleichsüchtigen, die sich eigentlich krank melden können, 
wann Bie wollen, die nie gesund sind und die natürlich die Zeit, in der sie 
keine Arbeit haben, dazu benutzen, um ihren geschwächten Körper zu 
kräftigen, genau so, wie die besser situierte Gesellschaft in der stillen Zeit 
Bäder aufsucht und sich erholt. Diese Arbeiter sind keine Simulanten. Es 
ist für mich gar keine Frage, daß aus diesem Grunde die Krankenversiche¬ 
rung, ohne daß man es gewollt bat, zu einer Art Arbeitslosenversicherung 
geworden ist, und wenn ich nicht vermeiden wollte, allzu großen Zündstoff 
in meinen Leitsätzen anzuhäufen, so hätte ich eigentlich logischerweise aus 
hygienischen Gründen unbedingt fordern müssen, daß der Krankenversiche¬ 
rung die Arbeitslosenversicherung beigesellt wird. Denn würden wir eine be¬ 
sondere Arbeitslosenversicherung haben, so würden die großen Mittel, die gegen¬ 
wärtig die Krankenkassen eigentlich nur für die Arbeitslosenversicherung aus¬ 
geben, frei werden für die rein hygienischen Zwecke der Krankenversicherung. 

„Die Krankenkassen müssen überhaupt mehr Mittel, als es gegenwärtig 
der Fall ist, zur Verfügung haben. Wir leiden in Deutschland an der Viel¬ 
gestaltigkeit im Krankenkassenwesen. Wie Freund einmal nachweist, gibt 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öff. Gesundheitspfl. 69 

es z. B. in dem Fürstentum Reuß j. L. bei einer Einwohnerzahl von etwas 
mehr als 100000 Einwohnern ebensoviele Krankenkassen wie in Groß-Berlin. 
Wir leiden daran, daß wir zu viel kleine und kleinste Käßchen haben, und 
diese Vielgestaltigkeit der Krankenkassen bringt es mit sich, daß die Ver¬ 
waltungsausgabe der Krankenversicherung sehr hoch ist. Wenn wir die 
Leistungen der Krankenkassen erhöhen wollen, so müssen wir in erster Linie 
fragen, in welcher Weise den Krankenkassen mehr Mittel zur Erfüllung 
ihrer hygienischen Aufgaben zur Verfügung gestellt werden können, und 
eines dieser Mittel scheint mir zu sein, die Verwaltungsausgaben herab¬ 
zusetzen. Dazu genügt, daß man aus diesen vielen kleinen und kleinsten 
Kassen für jeden Stadtkreis und für jeden Landkreis eine einzige große 
Krankenkasse macht. Ich möchte dabei kurz erwähnen, daß bei diesem 
Vorschläge, wie ich ausführlich schon einmal vor Jahren ausgeführt habe, 
die Fabrikkrankenkassen nicht etwa zu verschwinden brauchen. Die Fabrik¬ 
krankenkasse kommt nur in einer anderen Weise wieder zum Leben. Die 
Krankenkasse, die der Fabrikbesitzer an seine Fabrik angeschlossen zu haben 
wünscht, kann weiter bestehen, nur daß sie dann nicht Fabrikkrankenkasse 
heißen wird, sondern vielleicht Filiale der Ortskrankenkasse; an diese Filiale 
können die Wohltätigkeitseinrichtungen ganz ebenso angeschlossen werden, 
wie es gegenwärtig von einer ganzen Anzahl von Industriellen bei den 
Fahrikkrankenkassen geschieht. 

„Wenn man die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete 
der öffentlichen Gesundheitspflege anerkennt und wenn man der Überzeugung 
ist, daß gerade die Gewährung der freien ärztlichen Behandlung mit den 
Hauptpunkt der Unterstützung der öffentlichen Gesundheitspflege darstellt, 
#o kann man an der Arztfrage nicht Vorbeigehen. Natürlich spielen in 
unserem Verein die hierbei auftaueben den wirtschaftlichen Fragen keine 
Rolle. Wir können nur das eine Bagen: Die Tatsachen haben gelehrt, daß, 
wenn Streitigkeiten zwischen Ärzten und Krankenkassen entstehen, der 
Kampf nur zu einem Teile auf Kosten der streitenden Parteien ausgefochten 
wird. Die Ärzte erleiden eine Einbuße ihrer Einnahmen, die Krankenkassen¬ 
vertretungen, ihre Vorstände haben in diesem Kampfe überhaupt keinen 
Einsatz zu wagen. Das Hauptobjekt des Kampfes sind die erkrankten 
Kassenmitglieder, und der Kampf wird zugunsten der einen oder der anderen 
Partei dadurch entschieden, wie lange die versicherungspflichtigen Kranken¬ 
kassenmitglieder einer geordneten ärztlichen Hilfe entbehren können, z. B. 
dadurch, wie lange eine Krankenkasse, die bisher 60 Ärzte zur Verfügung 
hatte, in der Lage ist, nun mit 10 oder mit 5 oder mit 15 Ärzten auszu¬ 
kommen. Auf jeden Fall folgt hieraus, daß hygienisch dann in dieser Zeit 
für die versicherungspflichtigen Mitglieder nicht genügend gesorgt ist. Sie 
haben nicht die Hilfe, die ihnen die Gesetzgebung versprochen hat, und aus 
diesem Grunde bin ich der Überzeugung, daß es Pflicht der Gesetzgebung 
ist, diese Vorkommnisse, die aufs tiefste zu beklagen sind, unmöglich zu 
machen. Ich sehe kein anderes Mittel als eine gesetzliche Ordnung der 
kassenärztlichen Verhältnisse im Sinne der freien Arztwahl, die gesetzliche 
Einführung der Tarifverträge zwischen den kassenärztlichen Organisationen 
und den Kassen Vertretungen, und ich glaube, daß, genau so wie die Tarif¬ 
verträge in unserem gewerblichen Leben ein großes Stück Friedensarbeit. 


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70 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

geleistet haben, es auch hier möglich sein wird, auf dem Wege dieser Tarif¬ 
verträge zu friedlichen Zuständen zu kommen. Denn wenn jetzt von seiten 
der Ortskrankenkassen auf zwei Tagen schon vorgeschlagen ist, um die 
Streitigkeiten aus der Welt zu schaffen, den Krankenkassen die Gewährung 
freier ärztlicher Behandlung zu nehmen, so muß ich sagen, daß etwas sozial¬ 
politisch Rückständigeres noch niemals von Personen verlangt worden ist, 
die eigentlich sozialpolitische Vertreter der Versicherten sein sollen. Es 
wäre dies direkt der allergrößte Rückschritt, den eine Gesetzgebung jemals 
machen kann, und das ist das einzige große Mittel, das die Vertreter der 
Krankenkassen bisher zur Schlichtung dieser Streitigkeiten vorgeschlagen 
haben! 

„Allerdings scheint es so, als ob in den Kreisen der Ortskrankenkassen 
selbst immer mehr und mehr der Gedanke auftaucht, daß man es mit Tarif¬ 
verträgen zwischen den ärztlichen Organisationen und den Kassenvertretungen 
versuchen sollte. Ist doch schon auf dem letzten Ortskrankenkassentage 
mehrfach darüber gesprochen worden, und es waren eigentlich nur Etiketteu- 
fragen, die einen Beschluß zugunsten der Tarifverträge verhinderten. Ein 
Teil sagte, man dürfe den Ärzten nicht entgegenkommen, die Ärzte könnten 
glauben, daß man zu Bchwach sei. Kurzum, immer mehr — das kann man 
aus den Verhandlungen folgern — hat sich auch bei den Ortskrankenkassen 
der Gedanke entwickelt, daß es auf dem Wege der Tarifverträge zwischen 
Ärzten und Krankenkassenorgauisationen möglich ist, zu geordneten Zu¬ 
ständen zu kommen, die in gleicher Weise die Krankenkassen schützen und 
die Ärzte vor finanziellen Verlusten und vor einem Herabgehen ihrer sozialen 
Stellung bewahren. Deshalb glaube ich, daß die Gesetzgebung bei einer 
Reform der Krankenversicherung aus hygienischen Gründen sich mit dieser 
Frage beschäftigen muß; vollständig scheidet hierbei aus, ob man die so¬ 
genannte freie Arztwahl für etwas Gutes hält oder nicht, ob man glaubt, 
daß sie die Ausgaben der Kassen erhöht oder vermindert. Die Tatsache ist 
nun einmal nicht zu leugnen, daß gegenwärtig ein erbitterter Kampf zwischen 
Ärzteschaft und Krankenkassen überall dort stattfindet, wo diese Zustände 
noch nicht geordnet sind, und daß es Aufgabe der Gesetzgebung ist, aus 
Interesse für die versicherten Mitglieder, also im Interesse der Gesundheits¬ 
pflege, diese Vorkommnisse auB der Welt zu schaffen. 

„Die Unabhängigkeit der Kassenärzte nicht nur von Kassenvorständen, 
sondern auch von den Leitungen der großen industriellen Unternehmungen 
scheint mir auch deswegen notwendig zu sein, weil auf dieser Unabhängig¬ 
keit der Erfolg unserer Gewerbehygiene beruht. Ich glaube, daß in der 
Zukunft den Ärzten zu der großen Arbeit, die sie schon gegenwärtig auf 
dem Gebiete der Arbeiterversicherung leisten, noch eine ebenso große Arbeit 
auf dem Gebiete der Arbeiterschutzgesetzgebung erwachsen wird. Immer 
mehr und mehr drängt die Gesetzgebung dazu, namentlich auf dem Gebiete 
derjenigen Krankheiten, die durch Gifte und andere Betriebsmittel herbei¬ 
geführt werden, der arbeitenden Bevölkerung einen Schutz zu gewähren. 
Wir besitzen eine große Anzahl von Bundesrats Vorschriften — ich erinnere 
nur an die Bleibetriebe, Schwefelbetriebe, Phosphorbetriebe —, in denen der 
Arbeiter vor seiner Einstellung und periodisch während der Arbeit unter¬ 
sucht werden muß; ja, da erscheint mir im Interesse einer geordneten Unter- 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öff. Gesundheitapfl. 71 

Buchung, damit nicht auf geschäftliche Gründe Rücksicht genommen wird, 
damit z. B. nicht zur Zeit einer Hochkonjunktur ein erkrankter Arbeiter in 
der Fabrik gelassen wird, nur damit die Arbeitskraft nicht verloren geht — 
da erscheint mir die Unabhängigkeit deB Arztes von der Fabrikleitung und 
von dem KrankenkassenvorBtand unbedingt notwendig, denn bei der Gewerbe¬ 
hygiene, bei der Bekämpfung der Gewerbekrankheiten wird auch der Kassen¬ 
arzt derjenige sein, der das meiste zu leisten hat. Der Kassenarzt sieht den 
Erkrankten zuerst, und nur wenn er in der Lage ist, ganz unabhängig von allen 
Instanzen sein Urteil abzugeben, ist der Erfolg für die Hygiene zu erhoffen. 

„Schließlich will ich als letzten Wunsch, den ich für eine Reform der 
Krankenversicherung habe, um unsere hygienischen Bestrebungen zu unter¬ 
stützen, nur noch eine Verbesserung der Statistik anführen. Bisher leistete 
die Krankenstatistik bei den Krankenkassen herzlich wenig. Eigentlich ist 
sie mit wenigen Ausnahmen — ich denke hier an die Leipziger Ortskranken¬ 
kasse und einige andere große Ortskrankenkassen — wissenschaftlich über¬ 
haupt nicht zu gebrauchen, und es ist daher notwendig, daß die Art der 
Statistik geändert wird, und daß wir, nach dem Vorschläge von Mayet und 
Roth, zur Einführung einer ärztlichen Meldekarte kommen, auf die von 
dem Kassenarzte wöchentlich die Diagnose der von ihm behandelten Krank¬ 
heiten, ihre Dauer und ihr Ausgang zu vermerken ist, nachdem von der 
Kassenverwaltung der Name, der Beruf und die Nummer des Kassenscheins 
vargetragen ist, und die vom Arzt dann an das nächste statistische Bureau 
gesandt wird. Wenn wir eine zuverlässige Statistik über alle bei Arbeitern 
vorkommenden Krankheiten haben werden, so wird unsere Anschauung über 
eine große Anzahl von gewerblichen Krankheiten und Epidemien sich außer¬ 
ordentlich klären. Wir brauchen neben einer guten Mortalitätsstatistik eine 
zuverlässige Morbiditätsstatistik, und diese kann uns nur durch Nutzbar¬ 
machung des großen Materials der Krankenversicherung gegeben werden. 

„Meine verehrten Damen und Herren! Ich weiß sehr wohl, daß ich mit 
meinen Ausführungen nicht ungeteilte Zustimmung finden kann. Das ist 
aber meines Erachtens auch unmöglich bei einem solchen Riesenbau, wie ihn 
unsere Krankenversicherung darstellt. Ich weiß auch, daß das, was ich mir 
erlaubt habe, als Mängel der Krankenversicherung zu bezeichnen, und was 
ich gern abgestellt sehen möchte, geringfügig ist im Vergleich mit dem 
ungeheuren Nutzen, den die Krankenversicherung gerade auf dem Gebiete 
der Hygiene gestiftet hat. Es ist ja in der Wirklichkeit nicht möglich, daß 
etwas fehlerlos in die Welt tritt, etwa wie Pallas Athene aus dem Kopfe 
ihres Vaters. Menschenwerke werden immer ihre Fehler haben; wenn wir 
die Fehler beseitigt haben, werden sich neue einstellen, und auch neue 
Meinungsverschiedenheiten. Aber das eine, glaube ich, wird ewige Wahrheit 
sein, daß die deutsche Krankenversicherung mit ihren beiden Schwestern im 
Kampfe gegen die Krankheiten und Unfälle der beste Verbündete der Hygiene 
ist und bleiben wird.“ 

Die Diskussion wird hierauf vom Vorsitzenden eröffnet. 

Regierangsrat Düttmann, Vertreter der Landesversicherungsanstalt 
Oldenburg: „Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich erwähnen, 
daß die mittelbaren Folgen, welche die Krankenversicherung auf dem Gebiete 


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72 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

der Hygiene gezeitigt hat und weiter zeitigt, nicht so ganz hier zum Aus¬ 
druck gebracht sind, wie das vielleicht doch gerade bei der hier versammelten 
Zuhörerschaft wünschenswert wäre. Ich möchte darauf hinweisen, daß 
gerade durch die Krankenkassen in sehr weitem Sinne zur Verbreitung 
hygienischer Kenntnisse eingewirkt werden kann, insbesondere auch nach 
der Richtung hin, daß der Arzt früher in der Lage ist, an das Krankenbett 
heranzutreten, als wie das möglich wäre, wenn die eigene Tasche des 
Kranken diejenige Stelle wäre, welche durch den Besuch des Arztes getroffen 
würde. 

„Um ein Gebiet hier hervorzuheben, das uns alle ja mehr oder weniger 
in den letzten 10 bis 15 Jahren nahegelegt ist: die Heilstättenbewegung zur 
Bekämpfung der Tuberkulose, wäre nach meiner Überzeugung ohne Kranken¬ 
kassen kaum möglich gewesen, nicht aus dem Grunde, weil die Mittel der 
Krankenkassen in so hervorragendem Maße hier die Kuren ermöglicht hätten, 
sondern aus dem Grunde, weil, wenn die Krankenkassen nicht mitgewirkt 
hätten, nicht die Gelegenheit den Ärzten geboten gewesen wäre, in einer 
genügenden Anzahl von Fällen die Frühdiagnose zu stellen, die ja die erste 
Voraussetzung bietet, um ein Heilverfahren einzuleiten. 

„Von solchen Einzelheiten übrigens abgesehen möchte ich nur darauf 
hinweisen, daß es immerhin ein Großes ist, wenn an zurzeit 23000 Stellen 
Leute stehen, die ein Interesse auf dem Gebiete der Krankenverhütung 
haben und die in großem Umfange mitwirken können, um hygienische Kennt¬ 
nisse zu verbreiten. Ich sage: mitwirken können, denn leider wirkt gewiß 
nur ein kleiner Prozentsatz der Stellen bisher auf dem Gebiete, und ich 
möchte glauben, daß die Tätigkeit, die auf diesem Gebiete entfaltet wird, 
eine viel größere sein könnte, wenn insbesondere aus ärztlichen Kreisen 
diese Gelegenheit mehr ausgenutzt würde. Es besteht bisher vielleicht an 
den meisten Orten eine recht große Zurückhaltung seitens der Ärzte, dies© 
Gelegenheit durch öffentliche Vorträge und Ähnliches zu benutzen. Es ist 
geradezu ein Hunger, möchte ich fast sagen, in den unteren Klassen, Kennt¬ 
nisse zu gewinnen auf dem Gebiete der Hygiene. Es ist nach meinem Dafür¬ 
halten bedauerlich, daß diesem Hunger entsprochen wird zum Teil von Per¬ 
sonen, die nicht voll sachverständig und deshalb nicht dazu berufen sind, 
die nicht das Interesse haben an einer hygienischen Bekämpfung der Krank¬ 
heiten, wie sie dem Ärztestande im allgemeinen doch obliegt. Ich möcht© 
wünschen, daß eine gewisse Zurückhaltung, welche unter den Ärzten vielfach 
von dem Gesichtspunkte aus beobachtet wird, daß sie glauben, es wäre ein© 
Art von unlauterem Wettbewerb, wenn der einzelne, der in sich die Kraft 
fühlt, öffentlich zu wirken, hiervon Gebrauch macht und dadurch vielleicht 
sich etwas vordrängt, und fürchtet, daß bei seinen Kollegen der Gedanke 
eintrete, daß er das täte aus egoistischen Interessen, um seine Praxis zu 
verbessern — ich möchte wünschen, daß dieser Gedanke in der Ärzteschaft 
allgemein zurückträte und die Kenntnisse, über die sie verfügen, durch Ver¬ 
mittelung der Krankenkassen der Bevölkerung in größerem Umfange zugute 
kämen, als das bisher besonders im Sinne der KrankheitsVerhütung wohl 
der Fall ist. 

„Sodann, um auf Einzelheiten einzugehen, möchte ich nur ganz kurz 
erwähnen, daß die Verschmelzung der Kranken- und der Invalidenversiche- 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öff. Gesundheitspfl. 73 


rung doch ihre recht großen Bedenken hat, wenn man an eine materielle Ver¬ 
schmelzung denkt. Ich kann mir denken, daß es insbesondere den ärzt¬ 
lichen Kreisen sehr erwünscht wäre, die Mittel der Krankenversicherung zu 
vermehren und zu vergrößern. Aber gerade das ist auch der Punkt, worin 
das Bedenken liegt, wenn man die Kapitalien, welche die Invalidenversiche¬ 
rung herbeischaffen muß, zum Angriff stellt für die laufenden Zwecke der 
Krankenversicherung. Es wird den Herren bekannt sein, daß die Invaliden¬ 
versicherung mit Kapitaldecknng arbeitet, damit die Beiträge, die im Laufe 
der Jahre erforderlich werden, nicht allzu hoch ansteigen. Wenn diese 
Reservefonds, die ja eigentlich keine Kapitalien in dem Sinne sind, daß es 
Überschüsse wären, sondern denen Schulden in vielleicht noch größerer Höhe 
gegenüberstehen — wenn diese Kapitalien zu laufenden Ausgaben verwendet 
würden, wie das bei einer Verschmelzung von Invaliden- und Kranken¬ 
versicherung der Fall sein könnte, so könnte es ein Ende mit Schrecken 
werden. Im übrigen möchte ich verzichten, hier darauf einzugehen. 

„Was sodann die Reihe von Wünschen angeht, welche der Herr Vor¬ 
tragende in bezug auf die Abänderung des Krankenversicherungsgesetzes 
vom Standpunkte der öffentlichen Hygiene aus hier vorgetragen hat, so ist 
es zweifellos, daß man den weitaus meisten nur in vollem Umfange bei¬ 
pflichten kann. Einige Einschränkungen möchte ich machen vom Stand¬ 
punkte des Verwaltungsbeamten aus. 

„Die Aufhebung der dreitägigen Karenzzeit ist meines Erachtens nicht 
ganz ungefährlich. Eine ganze Reihe von Krankenkassen, die diese drei¬ 
tägige Karenzzeit ganz oder teilweise aufgehoben hatten, hat sich nachher 
veranlaßt gesehen, sie wieder einzuführen, und ich glaube, vom Standpunkte 
der Ärzte, der öffentlichen Hygiene aus kann man auch sagen, nicht gerade 
auf diese drei Tage kommt es an, sondern der springende Punkt ist immer 
nur, dem Kranken möglichst viele Mittel zu geben, daß er die Krankheit 
überwindet. Ob das durch Gewährung von Krankengeld in den ersten drei 
Tagen erfolgt, ob es dadurch erfolgt, daß man ihm an Sonn- und Feiertagen 
das Krankengeld zahlt, statt es ihm, wie in der Regel jetzt wenigstens, vor¬ 
zuenthalten, ob man das Krankengeld etwas höher bemißt — das sind alles 
zuletzt Nebensachen, wenn nur in summa die Mittel, die er zur Verfügung 
hat, möglichst hoch sind. 

„Ein anderes möchte ich noch erwähnen. Die Ansprüche, die an die 
Krankenversicherung gestellt werden sollen, erfordern eine erhebliche Steige¬ 
rung ihrer Mittel. Zu einer solchen Steigerung können wir notwendig erst 
allmählich kommen. Es ist nicht möglich, ohne die Konkurrenzverhältnisse 
erheblich zu verschieben, daß man von heute zu morgen etwa die Beiträge 
verdoppelt. Für recht wohl möglich halte ich es aber, daß das im Laufe 
eines größeren Zeitraumes erfolgt, und so ist es, glaube ich, notwendig, daß 
wir von Periode zu Periode weitergehende Anträge stellen, wie das auch vom 
Herrn Vorredner hier erwähnt wurde: wenn das eine Ziel erreicht ist, bo 
wird ein weiteres Ziel schon in der Ferne winken, und man wird streben, 
auch dieses Ziel zu erreichen, und da möchte ich noch auf eins hinweisen. 
Wenn der Herr Vorredner im Interesse der Anbahnung einer Verschmelzung 
von Kranken- und Invalidenversicherung die Forderung stellt, daß das 
Geltungsgebiet beider Gesetze sich decke, so möchte ich darauf hinweisen, 


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74 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentL Gesundheitspflege zu Bremen. 

daß es doch auch erhebliche Kreise gibt, die außerhalb dieser beiden Gebiete 
liegen. Ich will da einmal erwähnen den großen Kreis der Hausgewerbe¬ 
treibenden, der Sie ja alle mehr oder weniger im Herzen beschäftigt hat, 
wie vor ein paar Jahren der Notschrei aus der Ausstellung in Berlin durch 
die Zeitungen ging. Das sind auch Leute, die notwendig einbezogen werden 
müssen. Das sind aber die schlechtesten Risiken, die man sich denken 
kann. Wenn Sie die Krankenkassen damit beglücken, so wird eine ganz 
besondere Steigerung der Ausgaben dort eintreten, weil es sich zum großen 
Teile um gesundheitlich minderwertige Personen handelt, infolge der Rassen¬ 
verschlechterung, wenn ich einmal so sagen darf, infolge der ungünstigen 
Umstände, unter denen sie arbeiten, infolge der zum großen Teil ungenügenden 
Löhne, welche sie verdienen. Also diese Risikenverschlechterung wird dazu 
führen, daß die Krankenversicherung wesentliche Mittel, die sie sonst viel¬ 
leicht zur Erhöhung ihrer Leistungen verwenden könnte, schon deshalb not¬ 
wendig hat, weil die Zusammensetzung ihrer Mitglieder sich ungünstiger 
gestaltet. Das wird aber kein Hindernis sein dürfen. Wir müssen mit 
Notwendigkeit auch dazu kommen, diese Leute sowohl in die Kranken¬ 
versicherung als auch in die Invalidenversicherung einzuschließen. 

„Sodann glaube ich kaum, daß durch die Zusammenlegung der Kranken¬ 
kassen, also durch die sogenannte Konzentration der Kassen, eine wesent¬ 
liche Ersparnis au Verwaltungskosten erzielt werden wird. Wenn Sie die 
Statistik verfolgen, werden Sie sehen, daß keineswegs die kleinsten Kassen 
diejenigen sind, die am teuersten arbeiten. Im Gegenteil, es sind heute im 
Durchschnitt die billigsten. Eine große Verwaltung erfordert unter Um¬ 
ständen bedeutende Arbeitskräfte, um eine gleichmäßige Arbeit zu sichern, 
Kräfte, die bei einer kleinen Verwaltung, wo alles mehr oder weniger in 
einer Hand liegt, überflüssig sind. 

„Mit dem Herrn Referenten bin ich der Meinung, daß die Krankenhaus¬ 
behandlung in weiterem Umfange, als das bisher der Fall gewesen ist, ein¬ 
treten müßte, und es müßte nicht in das Belieben, sondern in ein pflicht¬ 
mäßiges Ermessen des Vorstandes gestellt sein, und ich würde die Bedin¬ 
gungen, unter denen der Vorstand eintreten müßte, wohl etwaB anders 
formulieren als der Herr Vortragende, der vielleicht zu einseitig die Rück¬ 
sicht auf die Umgebung des Kranken, also die Ansteckungsgefahr, als die 
Hauptsache hervorgehoben hat. Ich meine, man sollte etwa sagen, daß in 
allen den Fällen, wo der Arzt der Ansicht ist, daß unter den Verhältnissen, 
unter denen der Kranke im Hause lebt, seine Wiederherstellung oder der 
Ausschluß der Ansteckungsgefahr nicht zu erwarten sei, auf das Gutachten 
des Arztes hin der Krankenkassenvorstand verpflichtet sei, die Krankenfürsorge 
in Form der Krankenhausverpflegung eintreten zu lassen. Es ist ja selbstver¬ 
ständlich, daß das Gutachten des Arztes nicht absolut maßgebend sein könnte. 
Es müßte ein Rechtsverfahren möglich sein, sonst wäre ja unter Umständen die 
Krankenkasse dem Arzt geradezu verkauft. Aber das würde sich auch machen 
lassen. Man könnte Maßregeln treffen, daß ein Provisorium eintritt, daß also 
das Gutachten des Arztes einstweilen maßgebend wäre, und im Rechtsverfahren 
die Sache nur bezüglich der Kostentragung zu entscheiden seiu würde. 

„Ein Kapitel, über das man recht viel sagen könnte, aber besser recht 
wenig sagt, ist das der freien Arztwahl. Daß diese, ideal genommen, das 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öff. Gesundheitspfl. 75 

einzig Richtige ist, kann wohl kaum bezweifelt werden. Wie jeder, der seine 
'Haut zu Markte tragen soll, doch lieber sich selbst den Gerber dafür sucht, 
meine ich, darf man auch dem Arbeiter es nicht versagen, daß er sich selbst 
denjenigen sucht, der ihn wieder gesund macht. 

„Aber wir dürfen das eine nicht aus den Augen verlieren: der be¬ 
handelnde Arzt bei der Krankenkasse ist nicht lediglich behandelnder Arzt, 
sondern er ist ja gleichzeitig Gutachter der Krankenkasse. Der Kranken¬ 
schein, den er ausstellt, verpflichtet zwar nicht unbedingt theoretisch und 
formell, aber tatsächlich in dem weitaus größten Umfange die Krankenkasse 
zur Zahlung des Krankengeldes, und da, müssen wir sagen, hat die Sache 
eigentlich ein anderes Gesicht. 

„Aber ich möchte auf die Einzelheiten nicht weiter eingehen. Ich 
möchte nur das eine betonen: soweit ich die Bewegung verfolgt habe, ist, 
glaube ich, die richtige Formel für die Forderung freier Arztwahl heute 
noch nicht gefunden, die Formel also, welche der Gesetzgeber als solche 
übernehmen könnte. Diejenigen, die Vertreter dieser Forderung sind, sagen 
ja von vornherein: eine unbedingt freie Arztwahl wollen wir natürlich nicht, 
denn die ist undenkbar. Also es handelt sich darum, mit welchen Modifi¬ 
kationen die freie Arztwahl eingefübrt werden soll, und ob das Modifikationen 
sind, die überhaupt sich gesetzlich fassen lassen. 

„Ich will mir versagen, darauf weiter einzugehen. Ich möchte nur eins 
erwähnen. Ich habe ja gesagt: Das Ideal ist die freie Arztwahl. Ideal 
würde auch manches andere schon geregelt sein, wenn es tatsächlich unter 
den Ärzten und auch unter den Krankenkassenmitgliedern nur ideale Leute 
gäbe. Aber bei beiden dürfen wir nicht mit dem Ideal unbedingt rechnen. 
Ich möchte beispielsweise, um nur eins zum Schluß zu erwähnen, zu der 
Forderung des Herrn Vorredners bezüglich der Statistik sagen: Ich würde 
doch meinen, daß die Scheine, die ausgestellt werden sollen, nicht direkt an 
das Statistische Bureau gehen dürfen. Das würde eine Forderung sein, 
durch welche die Statistik unbrauchbar würde. Denn wer mit einer großen 
Anzahl von Ärzten arbeitet, weiß, daß, wenn nicht die Stelle, die den Schein 
abgibt, auch den Schein zurückverlangt — ich will nicht zu viel behaupten, 
aber ich will einmal sagen —: etwa ein Drittel oder ein Viertel der Scheine 
nicht an die Stelle gelangen würden, wohin sie gelangen sollen. Es muß 
also der Absender auch der Empfänger sein, damit die Rückgabe kontrolliert 
werden kann und wir nicht hernach durch eine unvollständige Statistik 
etwas Schlechteres erhalten, als wenn wir gar keine hätten.“ 

Stadtverordneter Dr. Wagner (Hanau): „Meine Damen und 
Herren! In demjenigen, was der Herr Referent in bezug auf die hygienischen 
Anforderungen gesagt hat, stimme ich ihm vom Standpunkte des in der 
Praxis stehenden Arztes vollkommen bei. Eine Forderung allerdings, die 
gerade der praktische Arzt stellen müßte, scheint mir der Herr Referent nicht 
erwähnt zu haben, und das ist die nach Erweiterung der Krankenunter¬ 
stützung über die 26 Wochen hinaus, zu der die Krankenkassen heute 
gesetzlich verpflichtet sind. 

„Die Zahl der chronisch Kranken ist gerade bei dem Krankenmaterial, 
mit dem die Kassenärzte arbeiten, überaus groß. Ich spreche hier nicht 


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76 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

bloß von den Tuberkulösen, die für uns hier wesentlich in Frage kommen. 
Es gibt neben den tuberkulösen Kranken noch eine große Anzahl anderer' 
chronisch Lungenkranker, daneben eine sehr große Zahl sehr bedauerns¬ 
werter Kranker, die an chronischen Erkrankungen des Zentralnervensystems 
leiden, und noch eine ganze Anzahl anderer chronisch Kranker, die dann, 
wenn nach 26 Wochen die Unterstatzungspflicht der Krankenkasse abgelaufen 
ist, in eine äußerst prekäre Lage gelangen, in eine Lage, die hygienisch 
außerordentlich bedauernswert ist. Die Invalidenversicherung, die dann 
hinterher diese Kranken übernimmt und ihnen eine Rente gibt, leistet hier 
doch verhältnismäßig wenig, da die Invalidenrente eben viel zu schmal ist, 
um dieser großen Masse von elenden Kranken, die wir zu sehen bekommen, 
nur einigermaßen zu helfen. 

„Daneben scheint es mir, als ob der Herr Referent in These 10 sich 
nicht so präzis ausgedrückt hat, wie es wünschenswert wäre. Nach These 10 
könnte man annehmen, daß die Patienten selbst gern die Krankenhäuser 
aufsuchen möchten, daß aber die Krankenkassenvorstände aus irgend welchen 
Gründen, sei es finanzieller oder anderer Art, die Krankenkassenmitglieder 
nicht dorthin überweisen. In der Praxis stellt sich die Sache im großen und 
ganzen umgekehrt. In der Praxis liegt die Sache so, daß der Arzt und der 
KaBsenvorstand sehr gern die Krankenkassenmitglieder in die Krankenhäuser 
überweisen möchten, daß aber die Krankenkassenmitglieder sich weigern, 
in Krankenhäuser zu gehen, und zwar aus einer gewissen Scheu gegenüber 
den Krankenhäusern. Aber häufiger noch geschieht das deswegen, weil der 
Rest des Krankengeldes, der der Familie bleibt, für die Familie zu ungenügend 
ist, um sie vor der alleräußersten Not zu bewahren; und um diese Not bei 
den Familien nicht eintreten zu lassen, deswegen geht ein großer Teil der 
Krankenkassenmitglieder ungern in die Krankenhäuser. 

„Das sind im großen und ganzen nur geringfügige Dinge, die ich zu 
dem, was den hygienischen Teil des Referates des Herrn Referenten betrifft, 
hinzufüge. 

„Aber weil gerade der Herr Referent in so ausgezeichneter Weise sich 
eine große Anzahl derjenigen hygienischen Forderungen, die die Kranken¬ 
kassen seit langem erheben, zu eigen gemacht hat, wundere ich mich um so 
mehr, daß in These 12, in welcher der Herr Referent eine gesetzliche Fest¬ 
legung der freien Arztwahl fordert, eigentlich eine Art Widerspruch, eine 
Art contradictio in adjecto ist. Ich bin aus meiner praktischen Tätigkeit 
heraus zu der Ansicht gekommen, daß man gerade aus hygienischen Gründen, 
aus Gründen der öffentlichen Gesundheitspflege zu einer Ablehnung der 
gesetzlichen Festlegung der freien Arztwahl kommen muß, und zwar aus 
Gründen, die denen entgegengesetzt sind, die der Herr Referent angeführt 
hat, und deswegen, meine ich, muß gerade dieses Gebiet hier gestreift werden. 

„Ich bin im Gegensatz zu dem Herrn Referenten der Ansicht, daß die 
finanziellen Verhältnisse der Krankenkassen eine außerordentlich wichtige 
Rolle spielen. Wenn wir uns fragen, woher es kommt, daß im Rahmen der 
gegenwärtigen Krankenversicherungs - Gesetzgebung die Krankenkassen 
noch nicht alle diejenigen Mehrleistungen ausgeführt haben, die der Herr 
Referent wünscht, so müssen wir uns sagen, daß das tatsächlich nicht an 
dem bösen Willen der Krankenkassenvorstände oder an dem mangelnden 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öff. Gesundheitspfl. 77 

Verständnis der Krankenkassenmitglieder liegt. Nach meinen Erfahrungen 
ist das nicht der Fall, sondern es liegt eben daran, daß die finanziellen 
Kräfte, über die die Krankenkassen verfügen, außerordentlich gering sind, 
und Sie werden das verstehen, wenn Sie wissen, daß das höchste Einkommen 
eines Krankenkassenmitgliedes doch über 2000 M. nur wenig hinausgeht, 
daß das Durchschnittseinkommen der Krankenkassenmitglieder unter 900 M. 
liegt; bei Krankenkassen, welche einen großen Prozentsatz weiblicher Mit¬ 
glieder haben, ist es sogar noch wesentlich tiefer. 

„Wenn man das in Betracht zieht, wird man den finanziellen Verhält¬ 
nissen der Krankenkassen, gerade wenn man von Hygiene spricht, eine ganz 
beträchtliche Bedeutung zuweisen, denn tatsächlich liegt die Sache so, daß 
die freie Arztwahl außerordentlich kostspielig ist. Ich beziehe mich dabei 
nicht etwa auf die Zahlen, welche die Krankenkassen Vorstände beibringen, 
ich beziehe mich einfach auf das, was ich aus der Praxis heraus kennen 
gelernt habe, und zwar bei einer großen Anzahl von Krankenkassen, die 
schon seit Jahren die freie Arztwahl eingeführt haben und bei denen sich 
herausgestellt hat, daß die freie Arztwahl tatsächlich ungemein kostspielig 
ist, nicht nur in bezug auf die Tendenz, die Honorare der Arzte außerordent¬ 
lich zu steigern, sondern auch in bezug darauf, daß die freie Arztwahl außer¬ 
ordentlich die Tendenz hat, unnütze Ausgaben zn machen, die eigentlich 
niemand zugute kommen, man könnte höchstens sagen: den Apothekern. 
Wenn man von diesem Standpunkte ausgeht, wenn man findet, daß tatsäch¬ 
lich so unnütze, unrationelle Ausgaben in sehr hohem Maße bei der freien 
Arztwahl vorhanden sind, dann muß man sagen, daß das denn doch ein sehr 
gewichtiges Moment ist, das gegen die freie Arztwahl gerade vom Stand¬ 
punkte der öffentlichen Gesundheitspflege aus spricht. 

„Nun bin ich aber — darin stehe ich auch wieder im Gegensätze zu 
dem Herrn Referenten — der Ansicht, daß die Art und Weise, in der die 
ärztliche Versorgung der Kassenmitglieder stattfindet, gerade vom Stand¬ 
punkte der öffentlichen Gesundheitspflege aus auch eine außerordentliche 
Bedeutung hat. Ich bin der Ansicht, daß ein gutes und rationelles System 
der Versorgung der Kassenmitglieder gerade vom Standpunkte der öffent¬ 
lichen Hygiene außerordentlich wertvoll ist, und daß es außerordentlich zu 
begrüßen sein würde, wenn wir wirklich ein ideales System der Versorgung 
der Krankenkassenmitglieder hätten. Aber, meine werten Anwesenden, 
gerade das System der freien Arztwahl ist, auch vom Standpunkte der Ver¬ 
sorgung mit ärztlicher Hilfe aus betrachtet, kein irgendwie ideales System. 
Es ist ja überaus schwierig, einen objektiven Maßstab, ein objektives Krite¬ 
rium dafür zu finden, was eigentlich ein gutes, ein vom hygienischen Stand¬ 
punkte einwandfreies System in bezug auf die ärztliche Versorgung ist 
Wenn ich etwa als Kriterium die Morbiditäts- oder Mortalitätsstatistik 
nehmen würde, dann würden die Herren Ärzte sich sicherlich, und mit voll¬ 
kommenem Rechte, dagegen wehren, weil hierfür noch eine große Anzahl 
Anderer und wesentlich bedeutungsvollerer Faktoren in Betracht kommt, 
denen gegenüber die Versorgung mit ärztlicher Hilfe eine verhältnismäßig 
bescheidenere Rolle spielt. Wenn man die Zufriedenheit der Mitglieder der 
Krankenkasse in Betracht zieht, so ist das ein mehr subjektiver Maßstab, 
dem ich allerdings eine außerordentlich hohe Bedeutung beimesse. 


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78 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 


Aber es ist eben kein Maßstab, der sicher ist. Die Zufriedenheit der Kassen- 
mitglieder ist kein Maßstab, mit dem man in sicherer Weise den Wert der 
ärztlichen Leistung messen kann, und außerdem, was das bedeutungsvollste 
ist, tatsächlich findet sich, daß in denjenigen Krankenkassen, welche die 
freie Arztwahl zum Teil schon seit langer Zeit mit großer Begeisterung von 
seiten der Kassenvorstände eingeführt haben, die Kassenmitglieder selbst 
außerordentlich unbefriedigt sind. 

„Der Herr Referent hat aber und das muß ich zum Schlüsse, wenn 
der Herr Vorsitzende gestattet, noch erwähnen — den Hauptnachdrnck dar¬ 
auf gelegt, daß die gesetzliche Einführung der freien Arztwahl deswegen aus 
hygienischen Gründen so sehr zu empfehlen ist, weil dann die überaus be¬ 
dauerlichen Kämpfe zwischen Krankenkassen und Ärzten aufhören würden. 
Ja, wenn das möglich wäre, dann könnte man den Standpunkt des Herrn 
Referenten wenigstens begreifen. Aber ich meine, meine verehrten An¬ 
wesenden, das stimmt nicht. Wenn es wirklich möglich wäre, die freie 
Arztwahl gesetzlich einzuführen, dann würden diese Kämpfe zwischen Ärzten 
und Krankenkassen erst recht entbrennen, denn die Ursachen dieser Kämpfe 
liegen ja nicht in der freien Arztwahl selbst, sondern in den mit der freien 
Arztwahl verknüpften Honorarforderungen, und gegen diese werden sich 
auch nach gesetzlicher Einführung des Systems der freien Arztwahl die 
Krankenkassen immer wieder wehren, und wir werden denselben Kriegs¬ 
zustand haben wie zuvor. Aber selbst wenn der Kriegszustand aufhören 
würde unter der drückenden Übermacht der ärztlichen Organisationen, die 
durch die gesetzliche Einführung der freien Arztwahl geschaffen wird, selbst 
dann könnte es passieren, daß wir gerade für die öffentliche Hygiene außer¬ 
ordentliche Nachteile haben, deswegen, weil damit tatsächlich die Selbst¬ 
verwaltung der Krankenkassen aufhören würde. Sobald die Ärzte über 
die Mittel der Krankenkassen verfügen, hört die Selbstverwaltung auf, und 
die Folge würde sein, daß die Krankenkassenmitglieder nicht mehr in der 
Weise für hygienische Fragen inklinieren, wie es bisher der Fall gewesen ist. 

„In der ersten Sitzung wurde erwähnt, daß die Selbstverwaltung es ist, 
auf deren Boden am besten die Hygiene gedeiht. Nehmen sie den Kranken¬ 
kassenmitgliedern die Selbstverwaltung, dann können sie auch auf dem Ge¬ 
biete der öffentlichen Hygiene nicht mehr tätig sein.“ 

Geheimer Oberflnanzrat Dr. Fuchs (Darmstadt): „Meine Herren! 
Der Herr Referent hat eine Reihe von Wünschen vertreten, und ich glaube, 
daß der Zweck einer Diskussion wohl der ist, an Hand der Praxis zu prüfen, 
ob diese Wünsche erfüllbar sind. Ich möchte Ihnen deshalb Mitteilung 
machen von dem, was im Großherzogtum Hessen bezüglich der staatlichen 
Arbeiter auf dem Gebiete der Krankenversicherung geschehen ist, da es in 
sehr wesentlichen Punkten eine Realisierung der Wünsche darstellt, die der 
Herr Referent hier aufgestellt hat. 

„Wir haben im Jahre 1900 eine staatliche Betriebskrankenkasse für 
sämtliche Staatsarbeiter aller staatlichen Geschäftszweige errichtet, die von 
vornherein eine Familienversicherung sein sollte; denn das ist wohl der 
wesentlichste und berechtigtste Wunsch, daß nicht der Ehemann allein ver¬ 
sichert ist, sondern daß die Versicherung sich mit zu erstrecken hat auf die 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öff. Gesundheitspfl. 79 


Frau und, mit der Zeit wenigstens, auch auf die Kinder. Wenn jeder von 
uns seine eigenen Verhältnisse in Betracht zieht, was würden wir dazu sagen, 
wenn wir für das Familienhaupt einen besonderen Arzt hätten und für Frau 
und Kinder einen anderen Arzt? Ich glaube, daß es eine hygienische 
und sozialpolitische Forderung ersten Ranges ist, daß die 
Krankenkassen dazu gelangen, Familienversicherung einzu¬ 
führen. 

„Da man ja mit den Mitteln rechnen muß, so haben wir die Familien¬ 
versicherung nicht gleich vollständig durchgeführt, sondern zunächst nur 
die Versicherung für Mann und Frau, und haben von Anfang an gute 
Erfahrungen damit gemacht. Wir sind jetzt im Begriff, auch zur Kinder¬ 
versicherung überzngehen, und zwar bei einem Beitragssätze von 3*/j Proz. 
der durchschnittlichen Tagelöhne. Wir gehen jetzt nach Ansammlung des 
gesetzlichen Reservefonds dazu über, zunächst die Kinder in nicht 
schulpflichtigem Alter mit zu versichern; denn das ist das notwendigste. 
Später bietet der Schularzt schon einen gewissen Schutz. Man kann in 
diesen Dingen — das möchte ich gegenüber dem Herrn Referenten hervor¬ 
heben — meines Erachtens nur schrittweise Vorgehen. Man kann nicht 
mit einem Federstrich gesetzlich bestimmen: von morgen an gilt in Ost¬ 
preußen und am Rhein überall gleichmäßig die Verpflichtung, die ganze 
Familie zu versichern. Man muß hier differenzieren, man muß unterscheiden 
zwischen Stadt und Land, zwischen Ost und West, unter Umständen auch 
zwischen Nord und Süd. Meines Erachtens ist das Gebiet der Kranken¬ 
versicherung mit seinen 23 000 Kassen ein so diffiziles, daß man da nur 
mit großer Vorsicht und Schonung an das Bestehende herangehen 
darf. Ich begrüße es deshalb sehr, daß keine Vorschläge gemacht worden 
sind — auch von Herrn Düttmann nicht —, die auf eine Verschmelzung 
der Organisationen im großen hinausgehen. 

„Nur das wird man verlangen dürfen, daß auf gesetzlichem Wege die¬ 
jenigen Hindernisse beseitigt werden, die das Krankenversicherungs- 
gesetz selbst jetzt demjenigen Leiter eines großen Gemeinwesens bereitet, 
der für sein Gebiet eine gesunde und einheitliche Organisation der Kranken¬ 
versicherung schaffen will. 

„Ich bin etwas von dem abgeschweift, was ich zunächst ausführen 
wollte. Ich wollte noch eingehen auf die in Hessen bestehenden Organisations- 
Verhältnisse. 

„Wir haben von vornherein die freie Arztwahl aufgenommen und mit 
Hilfe der ärztlichen Organisation durchgeführt. Wir haben einen fünfjährigen 
Tarifvertrag mit den Ärzten geschlossen und haben, wenn einmal einzelne 
Honorarforderungen zu hoch wurden, uns an die ärztlichen Kommissionen 
gewandt und gesagt: Meine Herren, so geht es nicht weiter, ermäßigen Sie 
Ihre Forderungen. 

„Wir haben dabei regelmäßig das bereitwilligste Entgegenkommen von 
»eiten der Ärzte gefunden. 

„Wir stehen eben auf dem Punkte, unsere Tarifverträge auf weitere 
fünf Jahre zu erneuern. Wenn die ärztlichen Organisationen selbst die 
Wichtigkeit dieser Aufgabe richtig erfassen, wie es in Hessen geschehen ist, 
dann glaube ich, daß man auch anderwärts mit der freien Arztwahl günstige 


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80 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffeutl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Erfahrungen maohen wird. Natürlich müssen, wenn einer oder der andere 
sich Übergriffe erlaubt, die Ärzte selbst bei einem Schiedsgerichte mit- 
wirken, das zu gleichen Teilen aus Vertretern der Kassen und der Ärzte 
zusammengesetzt ist mit einem unparteiischen Verwaltungsbeamten an der 
Spitze. Wir haben auch etwas derartiges vorgesehen. Praktisch ist es bis 
jetzt nicht geworden, denn die Ärzte haben selbst dafür gesorgt, daß Über¬ 
griffe verhindert und redressiert wurden. 

„Woran liegt es nun, daß andere Krankenkassen, z. B. die meisten 
Ortskrankenkassen, Hilfskassen usw., nicht in der Lage sind, den Wünschen 
des Referenten, namentlich bezüglich der Familien Versicherung, zu ent¬ 
sprechen? Es liegt, meine Herren, hauptsächlich daran, daß bei den Betriebs¬ 
krankenkassen die Verwaltungskosten vom Arbeitgeber getragen werden 
müssen, während sie bei den anderen Kassen aus den Kassenbeiträgen 
bestritten werden müssen. Ich stimme dem Herrn Vorredner darin bei, daß 
auch bei einer Zusammenlegung kleinerer Kassen zu größeren Einheiten die 
Verwaltungskosten nicht geringer werden. Es ist ganz mit Recht hervor¬ 
gehoben worden, daß bei den kleinsten Kassen, wo die Leute sich gegen¬ 
seitig kennen und, wenn ich so sagen darf, überblicken können, mancherlei 
Dienste freiwillig und unentgeltlich geleistet werden, z. B. die Kranken¬ 
kontrolle. Das alles wird teurer, wenn Sie zentralisieren, und, meine 
Herren, meine feste Überzeugung ist, daß nur, wenn zu gleioher Zeit 
mit der Zentralisation — mit der fakultativen Einführung von 
StadtkrankeDkassen — auch eine Entlastung der Krankenkassen 
von den Verwaltungskosten erfolgt, Dach dem System, wie es bei den 
anderen Betriebskrankenkassen gesetzlich eingeführt ist, wir zu einer gedeih¬ 
lichen Organisation kommen können. Die Idee ist nicht neu; wiederholt 
sind Stadtkrankenkassen in der Fachliteratur und der Tagespresse 
vertreten worden und haben besonders in den Rheinlanden auch Anklang 
gefunden. Ich denke mir die Sache in der Art, daß es durch die Gesetz¬ 
gebung ermöglicht werden muß, daß eine Stadt oder ein erweiterter Kom¬ 
munalbezirk Stadtkrankenkassen oder Kommunalkrankenkassen einführt, die 
dann an die Stelle der übrigen Kassen des Bezirkes treten, soweit diese 
nicht bei gleichen Beiträgen den Mitgliedern Besseres bieten. Aber die 
gesetzliche Vorbedingung müßte sein, daß die Stadt oder der Kommunal¬ 
verband, der eine Stadtkrankenkasse mit obligatorischer Familien Versicherung 
einführen will, auch die Verwaltungskosten der Kasse übernimmt. Eine 
große Stadt, die 50000 und mehr Mark ausgibt für bloßen Blumenschmuck 
der Straßen, kann auch gleich hohe Summen ausgeben für die Verwaltungs¬ 
kosten einer Krankenkasse, die der ganzen arbeitenden Bevölkerung der 
Stadt zugute kommt. Meine Herren! Das halte ich für das Erreichbare. Es 
können daneben noch, z. B. in Ostpreußen und in Bayern, in ländlichen Be¬ 
zirken andere Krankenkassen aller Art noch ruhig weiter bestehen. Die 
Hauptsache ist, daß da, wo große Menschenmassen in engem Um¬ 
kreise zusammen wohnen, große Krankenkassenzentren mit hoch¬ 
wertigen Leistungen und obligatorischer Familien Versicherung 
durch die Gesetzgebung ermöglicht werden, damit dort wenigstens, wo es 
Not tut, unsere 23 000 Krankenkassen allmählich durch kraftvolle Organi¬ 
sationen ersetzt werden.“ 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öS. Gesundheitspfl. 81 

Sanit&terat Dr. Sonnenkalb (Leipzig): „Meine Damen und 
Herren! So eehr ich den Anschauungen meines Kollegen Mugdan im all¬ 
gemeinen beipflichte, so wenig möchte ich doch aber eine von seinen Thesen, 
und zwar Nr. 9, unbestritten lassen. Ich muß ihr widersprechen, gestützt 
auf die Erfahrungen, die ich auch aus der Praxis gesammelt habe. Herr 
Kollege Mugdan wünscht, daß die Bestimmung des Krankenversicherungs- 
gesetzes, daß Kassenmitgliedern, welche doppelt versichert sind, das Kranken¬ 
geld so weit gekürzt werden kann, als dasselbe zusammen mit dem aus 
anderweiter Versicherung bezogenen Krankengelde den vollen Ertrag ihres 
durchschnittlichen TagelohneB übersteigen würde, anderweitigen Bestim¬ 
mungen weichen solle. Ich gebe Herrn Kollegen Mugdan ohne weiteres 
recht, wenn wir es da mit idealen Menschen zu tun haben. Einstweilen 
sind wir aber noch nicht so weit, und wir werden uns da wohl noch etwas 
gedulden müssen. 

„Meine Erfahrungen stützen sich auf die Beobachtungen, die ich mehr 
als einmal gemacht habe, daß bei Patienten, denen der normale Arbeits¬ 
verdienst während ihrer Krankheit geblieben ist und bei denen noch eine 
Hilfskasse hinzukommt, eine Krankheit sich doch etwas in die Länge zieht. 
Nun fürchte ich, wenn wir dazu kommen würden, daß die Versicherten ihre 
Einnahmen während der Zeit der Krankheit noch erheblich steigern können 
durch Bezugsquellen, deren Grund sie während ihrer gesunden Tage legen, 
wir wahrscheinlich dahin kommen werden, daß die meisten sich von vorn¬ 
herein mit der Absicht versichern, zu einer ganz bestimmten Zeit eine ganz 
bestimmte Summe aus den Krankenkassen wieder herauszuziehen, und zwar 
wird die Summe nicht kleiner sein als das, was sie beigesteuert haben; sie 
wird wahrscheinlich größer sein, und das wäre doch eine ganz bedenkliche 
Folge einer Änderung der gegenwärtigen Bestimmungen. Augenblicklich 
läßt ja das Krankenversicherungsgesetz den Kassen die Möglichkeit, das 
Krankengeld nicht zu kürzen. Würde aber diese Bestimmung dahin ge¬ 
ändert, daß man sagen würde, das Krankengeld darf nicht gekürzt werden, 
so werden wir voraussichtlich ganz schlimmen Zeiten entgegengehen. 

„Nun kommt noch eins in Betracht. Herr Kollege Mugdan begründet 
seine Forderung damit, daß er sagt: die Bedürfnisse der Kranken wären 
größer als die der Gesunden. Ich möchte auch diese Behauptung bestreiten. 
Soweit die Bedürfnisse vernünftig sind, werden Bie in den meisten Fällen 
von den Krankenkassen auch befriedigt. Aber wie wenige arbeitende Menschen 
sind in der Lage, während ihrer Arbeit so mit Nebenausgaben für Bier und 
Zigarren umspringen zu können wie die Arbeiter, und diese Mehrausgaben 
fallen dann in den Zeiten der Krankheit, wenn die Betreffenden wirklich 
krank sind, weg. Wenn sie diese Tag für Tag sich wiederholenden Neben¬ 
ausgaben in ihrer Krankheit vernünftig verwenden, so brauchen sie keine 
besondere Zubuße für Unterstützungen. Ich bestreite eben, daß die Be¬ 
treffenden während der Krankheit mehr Ausgaben haben; ich möchte viel 
eher behaupten, sie haben weniger Ausgaben. AIbo ich würde jedenfalls 
einer Änderung dieser Bestimmung des Krankenversicherungsgesetzes das 
Wort nicht reden können. 

„Auf die Behauptung des Herrn Begierungsrats Düttmann von dem 
großen Hunger nach Belehrung möchte ich erwidern, daß nach meinen Er- 

Vi*rteljihnichrift für GMondheitapflege, 1908. g 


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82 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

fahrungen dieser Hunger nicht so groß ist. Ich bin selbst im Vorstände der 
Leipziger Ortsgruppe des Deutschen Vereins für Volkshygiene, und wir 
mühen uns Jahr aus Jahr ein ab, Vorträge zu halten, die eine vernünftige 
Lebensführung zum Zwecke haben, und wir reden nach dieser Richtung hin 
eigentlich vor leeren Bänken. Das Publikum, das mit Interesse den Vor¬ 
trägen folgt, rekrutiert sich nicht aus dem Arbeiterstande, für den die Vor¬ 
träge eigentlich eingerichtet sind. Das Publikum setzt sich aus dem soge¬ 
nannten Mittelstände und aus den besser situierten Kreisen zusammen. 
Wenn die betreffenden Arbeiter nur die Vorträge besuchen wollten, sie 
könnten so viel Belehrung finden, die ihnen nützlich wäre. Ich habe einmal 
im Aufträge der sächsischen Staatsbahnen einen Vortrag zugunsten der ver¬ 
nünftigen Temperenzbestrebungen gehalten, zugunsten einer vernünftigen 
Lebensführung. Ich habe nahezu vor vollständig leeren Stühlen gesprochen, 
trotzdem ich den Vortrag mit dem sonst seine Wirkung nicht verfehlenden Zug¬ 
mittel der Lichtbilder ausgestattet habe. Der Deutsche Verein für Volkshygiene 
hat eine Kochschule einzurichten versucht für die Arbeiterfrauen, die früher 
Fabrikmädchen waren, die wohl einen schlechten Kaffee brauen können, im 
übrigen aber nicht in einer zweckmäßigen Weise mit den Mitteln, die ihnen 
zur Verfügung stehen, zu hantieren verstehen. In der Kochschule sollte 
nachmittags den betreffenden Arbeiterfrauen gezeigt werden, wie sie mit 
wenigen Mitteln etwas Vorzügliches leisten können, sie sollten das Essen 
dann mit nach Hause nehmen, die Kochschule konnte aber nicht in Szene 
gesetzt werden, weil sich nur eine einzige Person meldete, die von dieser 
Wohltat Gebrauch machen wollte. Also die Arbeiter sind außerordentlich 
zurückhaltend gegen das, was ihnen geboten wird. Wir Ärzte wollen sehr 
gern mit helfen, Mißständen zu steuern, können es aber nicht allein, und 
es könnte ganz besonders ein Ziel der Vereine sein, zu denen ich auch den 
unserigen rechne, wenn darauf hingewirkt würde, daß die dargebotenen 
Mittel auch richtig verwendet werden.“ 

Dr. med. Lennhoff (Berlin): „Meine Damen und Herren! Die Er¬ 
fahrungen in den einzelnen Orten sind doch wohl etwas verschieden. In 
Berlin ist in großem Stile der hygienische Unterricht für die Kranken- 
versicherten eingeführt. Schon im Jahre 1901 habe ich auf der Natur¬ 
forscherversammlung in Hamburg darüber berichtet. Damals wurden im 
Jahre ungefähr 110 Vorträge veranstaltet, in den verschiedensten Schul¬ 
lokalen über ganz Berlin verstreut. Jetzt sind auch die Vororte mit ein¬ 
begriffen, und es werden jetzt ungefähr 150 Vorträge im Laufe des Winters 
für die Kassenversicherten gehalten. Jahrelang habe ich die Organisation 
dieser Vorträge in Händen gehabt und habe infolgedessen ein gewisses Urteil 
darüber. Ich kann nur sagen, daß das ganz ausgezeichnet gegangen ist 
und daß wir immer sehr gute Erfolge gehabt haben. Allerdings wurde eine 
entsprechende Propaganda für diese Vorträge gemacht. Wir sorgten dafür, 
daß immer Ankündigungen in die Tagespresse hineinkamen, besonders in 
die Blätter, die die Arbeiter lesen. Es wurde auf jede Weise an die Arbeiter 
herangetreteu; in Wirtshäusern, in denen meistens Arbeiter verkehrten, 
wurden große Plakate aufgehängt. Kurz, es geschah alles mögliche dazu, 
die Leute herein zu bekommen, und wir haben sie auch hereinbekommen. 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öff. Gesundheitspfl. 83 

„Nun muß ich auch nach der Richtung hin Herrn Düttmann wider¬ 
sprechen, als wenn die Arzte es an dem nötigen guten Willen fehlen ließen. 

„Es war vielleicht vor 10, 15 Jahren einmal eine Zeit, wo man sagte, 
es seien Geschäftsrücksichten, wenn ein Arzt öffentlich mit Vorträgen hervor¬ 
tritt; aber die Zeiten sind, soweit ich beurteilen kann, unter den Ärzten 
längst vorbei und, das möchte ich besonders betonen, wesentlich infolge 
der freien Arztwahlbewegung, als eine Folge derjenigen Bewegung, die dar¬ 
auf abzielt, daß nicht einzelne Ärzte in monopolisierten Stellungen sind, und 
andere Ärzte nun einfach daneben stehen und zuseben müssen, bis sie auch 
vielleicht ein Monopol bekommen. Der Bewegung, die dahin strebt, daß die 
gesamte behandlungsfähige Menge auch den gesamten behandlungs¬ 
bereiten Ärzten zur Verfügung steht. Hierin liegt auch die Formel, die 
einer der Herren Vorredner so sehr vermißte bezüglich des Begriffes der 
freien Arztwahl. Wenn da gesagt wird: eine unbedingt freie Arztwahl 
gibt es nicht, eine solche gibt es freilich nicht, aber nicht nur nicht für den 
Arbeiter, sondern für keinen Menschen. Jemand mag ein noch so reicher 
Mann sein, jeden Arzt auf der Welt, den er gern haben möchte, kann er 
sich auch nicht verschreiben, und selbst der wohlhabende Mann kann z. B. 
in Berlin nicht zu den ersten Professoren hingehen, die sich 20 M. für die 
Konsultation bezahlen lassen, er muß sich auch mit dem Arzt begnügen, der 
Honorare fordert, die seiner Zahlungsmöglichkeit entsprechen. Genau so 
ist es natürlich bei der Krankenversicherung. 

„Die freie Wahl kann nur unter denjenigen Ärzten stattfinden, die sich 
mit Honoraren begnügen, die die Krankenkassen zahlen können. Daß da 
eine dauernde Steigerung der Honorare eine unbedingte Folge der freien 
Arztwahl wäre, ist eine Fiktion, die von sehr vielen Leuten, die sich leiden¬ 
schaftlich der freien Arztwahl entgegenstellen, immer wieder aufgestellt wird, 
die aber an keiner einzigen Stelle bisher bewiesen ist, und von der wir den 
Gegenbeweis soeben durch Herrn Geheimrat Fuchs bekommen haben. Das 
Wesentliche ist natürlich dabei, daß die gegenseitigen Abmachungen durch 
einen Tarifvertrag festgelegt werden, und daß ein paritätisches Schieds¬ 
gericht vorhanden ist zur Regelung aller Streitpunkte. In demselben Augen¬ 
blicke, wo diese beiden Vorsichtsmaßregeln getroffen sind, ist es vollständig 
ausgeschlossen, daß die freie Arztwahl die Finanzen einer Kasse in zu hoher 
Weise belastet, dagegen hat die freie Arztwahl zweifellos ganz außerordent¬ 
liche hygienische Fortschritte bei den Krankenkassen gezeitigt. Wir haben 
gerade in Berlin deswegen so gute Gelegenheit gehabt, das beobachten zu 
können, weil wir auf der einen Seite eine große Reihe von Krankenkassen 
hatten, die keine freie Arztwahl einführten, und auf der anderen Seite eine 
Reihe ton Krankenkassen, die die freie Arztwahl eingeführt haben. Das 
war damals ein so kolossaler Umschwung in den Krankenkassen mit freier 
Arztwahl, da trat ein so außerordentliches hygienisches Interesse auf einmal 
unter den Kassenvorständen hervor, daß nun erst von dieser Zeit an über¬ 
haupt in die ganze Krankenkassenbewegung ein irgendwie hygienischer 
Zug hineingekommen ist. Wenn Sie z. B. die Verhandlungen der Orts- 
krankenkassentage durchlesen von 10, 15 Jahren zurück, so sehen Sie da weiter 
nichts, als daß verhandelt wird über diesen Verwaltungsmechanismus und 
jenen Verwaltungsmechanismus, und von Hygiene kam kein Wort in den 

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84 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

ganzen Verhandlungen vor. Erst seit den Jahren, wo die freie Arztwahl 
Zug in die Krankenkassenbewegung hineingebracht hat, sehen wir auch ein 
Aufblühen der Hygiene und ein Interesse für hygienische Fragen unter den 
Beamten und bei den Vorständen der Krankenkassen. 

„Selbstverständlich haben seinerzeit auch die Ärzte dabei versucht, in 
geeigneter Weise ihre Honorare etwas zu erhöhen. Aber man muß nun 
nicht denken, daß das nur bei der freien Arztwahl gewesen wäre, sondern 
— das ist die hochinteressante Entwickelung, die wir z. B. in Berlin gesehen 
haben — diejenigen Krankenkassen, die sich aus allen möglichen Gründen 
gegen die freie Arztwahl wenden, sind mit den Arzthonoraren immer 
mitgegangen, sie haben stets ihren paar fixierten Ärzten so hohe Honorare 
bezahlt, daß sie mindestens so viel bezahlen wie bei der freien Arztwahl, 
auch schon, um dadurch sich ihre fixierten Ärzte oder ihre beschränkte 
Anzahl von Ärzten zu sichern. 

„Auf einen Punkt muß ich noch kommen. Wenn Herr Düttmann 
meinte, daß — was ja vollständig richtig ist — der Arzt bei der Kranken¬ 
kasse nicht nur der Behandelnde ist, sondern gleichzeitig ein wichtiger 
Funktionär des Kassenorganismus, insofern er als Gutachter einen wesent¬ 
lichen Einfluß auf die Verwaltung der ganzen Krankenkassengelder hat, so 
kommt das ja ungefähr auf das hinaus, was Herr Wagen er gesagt hat, daß 
von den Ärzten im wesentlichen der Umfang der Kassenausgaben abhänge. 
Gerade bei der freien Arztwahl haben wir wiederum die eine Erscheinung 
gehabt, daß durch die Kontrollmaßnahmen, die nicht von irgend einem 
Bureaubeamten der Kasse ansgeübt werden, sondern von Kollegen, ein ganz 
anderer Druck stattfindet auf die noch nicht genügend geübten Ärzte, als es 
sonst irgendwie der Fall ist. Alle die Sachen, die da von Arzneivergeudung, 
von Luxusmedikamenten usw. erzählt werden, sind immer Begleiterschei¬ 
nungen bei Einführung eines neuen Systems, ganz kurze Übergangserschei¬ 
nungen, die wir au einzelnen Orten beobachten und die an jedem einzelnen 
Orte in allerkürzester Zeit verschwunden sind.“ 

Dr. med. Delbrück, Direktor des St. Jürgen-Asyls (Ellen bei Bremen): 
„Meine Damen und Herren! In den Wünschen, die der Herrn Referent für 
ein neues Krankenversicherungsgesetz geäußert hat, habe ich eins vermißt, 
was ich für sehr wichtig halte, nämlich die Berücksichtigung des Alko¬ 
holismus, und ich möchte fragen, warum davon noch gar nicht die Rede 
gewesen ist. 

„Bekanntlich wird der Alkoholismus im Gesetze jetzt ähnlich behandelt 
wie bis 1903 die Geschlechtskrankheiten: die Krankenkassen können die 
Gewährung von Geldern verweigern, wenn die Krankheit durch Trunksucht 
verursacht worden ist. Das ist sehr bedauerlich. Es ist klar und allgemein 
bekannt, daß durch rechtzeitige Behandlung des Alkoholismus prophylaktisch 
ungeheuer viel geleistet werden kann. Der Alkoholismus steht in dieser Be¬ 
ziehung wohl genau ebenso wie die Tuberkulose, wo wir mit den Heilstätten 
große Erfolge erzielt haben. 

„Nun sind in weitesten Kreisen, die sich für die Alkoholfrage inter¬ 
essieren, alle Leute darüber einig, daß der Alkoholismus auch bei. der 
Krankenversicherung berücksichtigt werden sollte. Es geschieht trotzdem 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öff. Gesundheitspfl. 85 


nicht. Wenn fanatische Antialkoholiker meinen, das beruhe auf einem 
besonderen Vorurteil, daß man den Alkoholismus noch für ein Laster halte usw., 
so ist das doch wohl eine irrige Ansicht. Ich glaube nicht, daß prinzipiell 
ein vernünftiger Mensch unserer Forderung widersprechen würde. Aber 
ich verstehe umgekehrt nicht, warum diese Frage sozusagen nicht einmal 
diskutiert wird. Es müssen wohl gesetzestechnische Schwierigkeiten im 
Wege stehen. Ich erinnere mich aus einer Zeitungsnotiz, daß damals 1903 
Graf Posadowsky erwähnte, man habe noch keinen Weg gefunden, um zu 
verhindern, daß in solchen Fällen die Kranken das Krankengeld, das sie 
bekämen, vertränken. Diese Gefahr ist natürlich sehr groß und wohl be¬ 
achtenswert, solange die Krankengelder an die Kranken gezahlt werden, die 
sich noch frei bewegen. Ein einfaches Mittel hiergegen schiene mir aber 
das zu sein, daß man die Krankengelder wenigstens dann gewährte und so 
lange gewährte, wie die Patienten in Heilanstalten oder in Krankenhäusern 
sich aufhalten. Dadurch würde einerseits vollständig allen Anforderungen 
entsprochen, die man für die Behandlung des Alkoholismus an das Gesetz 
stellen kann, und andererseits wäre der betreffenden Gefahr in genügender 
Weise vorgebeugt. 

„ Allerdings kommt noch ein weiterer Gesichtspunkt in Betracht. Ich 
könnte mir wohl denken, daß man dagegen einwendete: die Kassen werden 
finanziell ungeheuer durch eine derartige Bestimmung überlastet. Indessen 
glaube ich nach meinen Erfahrungen diesem Einwande entschieden entgegen¬ 
treten zu können. Allerdings werden ungeheuer viel Krankheiten durch 
den Alkohol mißbrauch verursacht, aber in dem Maße, daß der Arzt in den 
betreffenden Schein hineinschreiben müßte: die Krankheit ist durch Trunk¬ 
sucht verursacht, ist das ja nicht der Fall. Die Krankheiten, die hier in 
Betracht kommen, werden der Zahl nach nicht so ungeheuer groß sein. 
Auf Einzelheiten einzugehen, verbietet mir die Kürze der Zeit. 

„Wenn man nun aber ferner befürchtet, daß die dauernde Behandlung in 
einem Trinkerasyl die Kassen schwer belasten würde, so nimmt man wahrschein¬ 
lich auch hier, weil man die Trinker nicht kennt, an, daß sie in Scharen Zu¬ 
strömen und verlangen würden, in Trinkerasylen behandelt zu werden. 
Diese Gefahr ist sehr gering. Ich glaube, der Leute, die sich da heran- 
dr&ngen, sind sehr wenige. Deshalb gebe ich auch vollkommen zu: wenn 
wir jetzt eine derartige Änderung in dem Krankenversicherungsgesetz be¬ 
kämen, so würde damit durchaus nicht ein mächtiger Kampf gegen den 
Alkoholismus eröffnet werden, wodurch sofort sehr viel zur Beseitigung 
dieser Krankheit geschähe, es wäre das nur ein verhältnismäßig sehr kleines 
MitteL Aber gerade darum halte ich die Gefahr für die Kassen nicht für 
groß und würde meinerseits wünschen, um in der ganzen Frage wieder etwas 
vorwärts zu kommen, daß der Alkoholismus in dem neuen Krankenversiche- 
rungsgesetze berücksichtigt würde, und ich möchte an den Herrn Referenten 
die Frage richten, was für Schwierigkeiten dem entgegenstehen, so daß die 
Sache gar nicht diskutiert wird. u 

Dr. med. Moritz Fürst (Hamburg): „Meine Damen und Herren! 
Der Wunsch unseres Herrn Vorsitzenden, nicht auf die organisatorischen 
Fragen der Krankenversicherungsgesetzgebung hier einzugehen, verbietet es 


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86 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

mir, auf die Auslassungen des Herrn Stadtverordneten Dr. Wagen er aus 
Hanau zurückzukommen, obwohl es einen eigenen Reiz für mich haben 
würde, dem zu widersprechen, daß die freie Arztwahl im Gegensatz zur 
öffentlichen Gesundheitspflege stehen solL Ich glaube aber, nicht übergehen 
zu dürfen, daß einer, der die Volksseele kennt, es unter allen Umständen 
bestreiten muß, wenn die freie Arztwahl in Gegensatz zur öffentlichen 
Gesundheitspflege gestellt werden soll. 

„Noch auf einen anderen Punkt aus den Ausführungen des Herrn Stadt¬ 
verordneten Dr. Wagener möchte ich eingehen. Herr Dr. Wagener hat 
gesagt, daß die Kranken in vielen Fällen fürchten, in das Krankenhaus zu 
gehen, und daß man als Kassenarzt vielleicht seine Not haben würde, die 
Kassenkranken, die der Krankenhausbehandlung bedürfen, dorthin zu bringen. 
Nach meinen Erfahrungen stimmt das nicht. Als ich vor 17 Jahren anfing, 
Kassenarzt zu sein, da hatte ich manchmal ein derartiges Gefühl. Heute 
liegt die Sache in Hamburg wenigstens so, daß wir Kassenärzte die Kranken 
gar nicht genug zurückhalten können, in die Krankenhäuser zu gehen. Sie 
fühlen sich dort so außerordentlich wohl, und sie wissen die Wohltaten der 
Krankenhausbehandlung so zu schätzen, daß wir, schon um eine Überfüllung 
der Krankenhäuser zu verhüten, die Patienten davon zurückhalten müssen, 
in leichten Fällen, die der Krankenhausbehandlung nicht bedürfen, das 
Krankenhaus aufzusuchen. 

„Was mich eigentlich veranlaßte, hier um das Wort zu bitten, ist das 
Folgende: Herr Regierungsrat Düttmann hat von dem Hunger nach den 
Lehren der Gesundheitspflege gesprochen, der weite Volkskreise erfüllt. Es 
ist das genau derselbe Ausdruck, den ich vor wenigen Tagen erst von dem 
Geschäftsführer des Volksheims in Hamburg gehört habe, und in Hamburg 
haben wir Erfahrungen gemacht, die denjenigen widersprechen, die Herr 
Sanitätsrat Dr. Sonnenkalb aus Leipzig hier mitgeteilt hat. Wir haben 
in Hamburg im Volksheim hygienische Kurse und Vorlesungen, die außer¬ 
ordentlich gut besucht werden, und zwar nur von den Kreisen, die für solche 
Belehrungen überhaupt in Betracht kommen, nämlich von den Arbeiter¬ 
kreisen. Es ist das Volksheim ja eine Einrichtung, die leider in Deutsch¬ 
land noch ziemlich vereinzelt dasteht. Dr. Sonnenkalb wird ja wissen, 
daß Leipzig Vorbereitungen trifft, um ein solches Volksheim zu errichten. 
Wir, die wir im Volksheim arbeiten, sind nun keineswegs die Lehrer der 
Arbeiterbevölkerung, sondern wir sind ihre Kameraden. Das Volksheim ist 
errichtet, um Beziehungen der Gebildeten, der oberen Schichten zu der 
Arbeiterbevölkerung herauszubilden; nicht nur bei den Vorlesungen, bei 
Spielen, bei Unterhaltungsabenden kommen wir mit den Arbeitern zusammen, 
auch bei Ausflügen gehen wir mit Familie mit den Arbeitern hinaus, und 
so haben sich denn Beziehungen angeknüpft, die es auch wohl verursachen, 
daß bei unseren hygienischen Belehrungen, Vorträgen usw. die großen und 
unter Umständen auch die kleinen Säle durchaus mit Arbeitern, Männern 
und Frauen, gefüllt sind. Wir kommen bei diesen Vorlesungen und Kursen 
auch den Interessen der Arzte entgegen, indem wir in den Tagesblättern 
nicht etwa die Namen der Vortragenden veröffentlichen, sondern es heißt: 
Ein Arzt wird vortragen. Es kommt darauf an, die Vortragsthemata so 
präzis und interessant, zu fassen, daß weite Kreise herangezogen werden. 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öff. Gesundheitspfl. 87 

und ich glaube, wenn das Prinzip des Volksheims weiteren Fuß fassen wird, 
dann wird der Hunger nach hygienischer Belehrung in ganz einfacher und 
guter Weise gestillt werden können. Jedenfalls ist die Ärzteschaft heute 
keineswegs abgeneigt, diesen Hunger zu stillen. Ich möchte Herrn Regie¬ 
rungsrat Düttmann bitten, unsere moderne ärztliche Standesliteratur recht 
energisch durchzusehen. Sollte einmal darin ein derart brutaler atavisti¬ 
scher Standpunkt hervortreten, wie Herr DQttmann angedeutet hat, so wird 
der betreffende Kollege mit Keulen schlagen totgeschlagen, und er wagt nicht 
wieder, den Mund aufzumachen und solche veralteten Anschauungen vorzu¬ 
tragen. Unsere heutigen modernen Ärzte betrachten es als eine Ehre, als 
Lehrer der Gesundheitspflege im Volke zu wirken.“ 

Polizeiarzt Sanitätsrat Dr. Liebeschütz (Dessau): „Meine Herren! 
Der Herr Referent hat in seiner These Nr. 14 als wünschenswert aus¬ 
gesprochen, eine zuverlässige Statistik über die bei den Kassenmitgliedern 
vorgekommenen Erkrankungen zu erlangen, und hat vorgeschlagen, daß von 
der Kasse die Namen der Kranken usw. auf geschrieben werden und daß der 
Kassenarzt die Zettel auszufüllen und an eine Behörde zu schicken hat. 
Meine Herren! Ich darf Ihnen sagen, daß die anhaitische Regierung dieses 
erstrebt hat; es ecbeiterte aber an dem allgemeinen Widerstand der Ärzte, 
die sich durch den § 300 des Strafgesetzbuches daran gehindert sahen. Sie 
sind nach diesem Paragraphen nicht befugt, irgend einer Stelle gegenüber, 
und wenn sie noch so hoch wäre, von ihrer Schweigepflicht abzugehen. 

„Dann möchte ich noch die kurze Anfrage an den Herrn Referenten 
richten — das wird nicht nur mich als Polizeiarzt interessieren, sondern 
auch die anderen Herren —, welche Arbeiter er eigentlich gemeint hat, die 
durch ihren Beruf besonders geneigt wären, Geschlechtskrankheiten zu 
acquirieren.“ 

Sanitätsrat Dr. Aeckersberg (Bergisch-Gladbach): „Meine Damen 
und Herren! Der Herr Referent hat den Krankenkassen so viel Wünsche 
aufgepackt und möchte ihnen so viel Verpflichtungen auferlegt wissen, daß 
es eigentlich als eine Erlösung erscheinen möchte, wenn man auch einmal 
ein Gebiet davon abzusetzen sucht, wie ich es hier tun möchte, nämlich die 
Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit. Alle Kollegen, welche im praktischen 
Leben stehen, werden mit mir der Meinung sein, daß der Praktiker als be¬ 
handelnder Arzt gegenüber der Säuglingssterblichkeit, namentlich in den 
breiten Volksschichten, ungeheuer wenig ausrichten kann. Kommen Sie in 
ein Zimmer hinein oder in eine Küche — das kranke Kind liegt neben dem 
Ofen, mit dem Kopfe nach dem Ofen zu, hat eine leere Flasche mit dem 
Sauger im Munde und hat einen Sommerbrechdurchfall. Ich glaube, es wird 
in solchen Fällen sehr wenig zu machen sein, ob nun die Behandlung frei 
ist oder nicht frei ist. 

„Ich meine, die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit wäre ganz 
anderen Faktoren zuzumessen als den Krankenkassen. Das ist eine Frage 
der Hygiene im allgemeinen und vor allen Dingen nach meinem Dafürhalten 
in erster Linie der Wohnungshygiene, in zweiter Linie der Erziehung der 
Frauen und Mütter. Solange diese Fragen nicht gelöst sind, solange 


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88 XXXÜ. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

noch viele Teile der Bevölkerung in schlechten Wohnungen sich befinden, 
solange die Mütter sich ihren Kindern nicht widmen können, und so¬ 
lange vor allen Dingen nach meinem Dafürhalten nicht viel größere Kreise 
der Frauen ihre Kinder selbst stillen, glaube ich nicht, daß wir auf dem 
Wege der Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit einen großen Schritt weiter 
kommen werden, wir können die Kinder behandeln, wie wir wollen. Wir 
haben in Bergisch - Gladbach wohl als erste eine Kindermilchanstalt ein¬ 
gerichtet, haben sie seit einigen Jahren in Betrieb, und es wird sehr viel 
Gebrauch davon gemacht. Eine statistisch nachweisbare Herabsetzung der 
Säuglingssterblichkeit ist nicht zu erzielen. 

„So meine ich, daß der Kampf gegen die Säuglingssterblichkeit — und 
das ist wohl eine der wichtigsten hygienischen Fragen — nicht den Kranken¬ 
kassen auferlegt werden kann, sondern daß das ein Kampf ist, der auf allen 
Gebieten der sozialen Fürsorge durchgekämpft werden muß.“ 

Sanitätsrat Dr. Rabnow (Schöneberg): „Meine Herren! Herrn 
Kollegen Sonnenkalb aus Leipzig möchte ich raten, er möchte doch einmal 
den Versuch machen, bekannt zu geben, daß die Damen besserer Stände 
Zusammenkommen sollten, um einen Kochkursus durchzumachen. Ich glaube, 
auch da würden sich Teilnehmerinnen nicht finden. 

„Außerordentlich gefreut habe ich mich über die Bemerkung des Herrn 
Kollegen Delbrück, der eine Aufnahme des Alkoholismus in das Kranken¬ 
versicherungsgesetz haben wollte, und ich glaube, daß auch der Herr Refe¬ 
rent die Frage gestreift hat, allerdings in einem anderen Punkte. 

„Was die Bereitwilligkeit der Krankenkassenmitglieder .betrifft, in 
Krankenhäuser zu gehen, so dürften die Verhältnisse in dem einen Orte viel¬ 
leicht etwas anders liegen als in dem anderen, und ich glaube auch die 
Wahrnehmung gemacht zu haben als Vertrauensarzt einer großen Orts¬ 
krankenkasse, daß bei uns in Berlin und den Vororten eine allzu große 
Geneigtheit der Mehrzahl der Arbeiter, in Krankenhäuser zu gehen, nicht 
wahrzunehmen ist. Freilich muß ich zugeben, daß in diesen Fällen, wie 
auch vielfach in der ärztlichen Praxis, auf den Takt des einzelnen Arztes 
außerordentlich viel ankommt, und ich glaube bestimmt, daß wir Fortschritte 
auf diesem Gebiete bemerken, d. h. daß die Arbeiter, da Bie unsere vortreff¬ 
lichen Krankenhäuser sehen, mit der Zeit auch mehr zu dem Krankenhaus- 
besuch geneigt sein werden. 

„Auf zwei wichtige Punkte möchte ich noch näher eingehen. Zunächst 
Punkt 14 der Thesen. Die Frage einer Morbiditätsstatistik halte ich für 
außerordentlich wichtig. Es wird Ihnen wohl allen bekannt sein, daß es in 
dem größten Bundesstaate leider nicht gelungen ist, eine Anzeigepflicht für 
Tuberkulose gesetzlich festzulegen, und dann wird Ihnen allen bekannt sein, 
daß unsere Mortalitätsstatistik an manchen Fehlern, an manchen mensch¬ 
lichen, allzu menschlichen Fehlern leidet. Von einer einigermaßen brauch¬ 
baren Morbiditätsstatistik kennen wir heutzutage vorläufig noch nichts, und 
daß die Krankenkassen in der Lage sind, eine solche Statistik zum Teil 
durchzuführen, unterliegt keinem Zweifel. 

„Die Frage der Schlußdiagnose ist nicht etwa daran gescheitert, weil 
die Ärzte sich vor dem ominösen Paragraphen fürchteten; die Kollegen in 


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Die Mitwirkung der Krankenversicherung auf dem Gebiete der öff. Gesundheitspfl. 89 

Anhalt sind sehr vorsichtig. Bei uns in Berlin ist ja die Frage bereits 
gelöst. Soviel mir bekannt ist, hat die Buchdruckerkasse seit Jahr und 
Tag Schlußdiagnosen eingefübrt, und auf meine Veranlassung hat auch die 
Schöneberger Ortskrankenkasse die Schlußdiagnosen eingefübrt. Nur möchte 
ich den Weg, den der Herr Referent vorgeschlagen hat, nicht empfehlen, 
daß die Arzte die Schlußdiagnosen direkt an das nächste statistische Bureau 
schicken sollen. Damit würden die Krankenkassen aus der Mitarbeit an 
dem Aufbau einer Statistik ausgeschaltet werden; wir würden den Kranken¬ 
kassen bloß Arbeit und Unkosten verursachen. Das ist meines Erachtens 
unzulässig. Man wird da den Krankenkassen die Arbeitsfreudigkeit auf 
dem Gebiete der Volkshygiene nehmen, und gerade die Statistik zähle ich 
zu den allerwichtigsten Aufgaben. Auch mit Rücksicht auf die Ordnung 
ihrer finanziellen Verhältnisse müssen die Krankenkassen ganz genau wissen, 
wieviel sie für Erholungsstätten, für Säuglingsfürsorgestätten usw. aus¬ 
geben können. 

„Wenn da gesagt wird, daß der eine oder der andere Kranke darunter 
benachteiligt werden kann, so ist das ja selbstverständlich zuzugeben. Allein, 
meine Herren, denken Sie doch an die Privatversicherungsgesellscbaften, da 
nimmt doch kein Mensch Anstoß daran, daß der wahre Grund der Krank¬ 
heit mitgeteilt wird. 

„Sehr viel wichtiger scheint mir noch der Punkt der Säuglingsfür¬ 
sorge, der Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit mit Hilfe der Kranken¬ 
kassen. Darüber hat sich der Herr Referent in dankenswerter Weise aus¬ 
gesprochen. 

„Durch die Gewährung einer Schwangerenunterstützung können wir 
den Anfang eines gedeihlichen Mutterschutzes herbeiführen. Das ist eine 
These, für deren Aussprache ich dem Herrn Referenten zu warmem Danke 
verpflichtet bin. Wie man das bestreiten kann, daß die Schwangerschafts- 
nnterstützung, und somit die Sorge dafür, daß die Frau in den letzten Wochen 
der Schwangerschaft sich besser pflegen kann, daß sie nicht gezwungen 
ist, in der Fabrik zu arbeiten, von Einfluß auf die Säuglingssterblichkeit 
ist, das ist mir unerfindlich. Es wird Ihnen allen bekannt sein, daß die 
Säuglingsfürsorgestellen, die jetzt zahlreich in Deutschland aufgekommen 
sind, gerade das Hauptgewicht darauf legen, den Frauen in den letzten 
Wochen der Schwangerschaft stützend beizustehen, damit sie sich ausruhen 
können, damit sie nicht gezwungen sind, bis zum letzten Moment schwer 
zu arbeiten. 

„Gestatten Sie vielleicht zum Schluß noch die Anführung einer kleinen 
Tatsache. Wir haben in Schöneberg eine Säuglingsfürsorgestelle, und die 
Schöneberger Ortskrankenkasse hat auch statutarisch die Scbwangerschafts- 
Unterstützung eingeführt. Diese Unterstützung, die die Kasse gibt, ist 
selbstverständlich eine mäßige. Andererseits gibt auch die Fürsorgestelle 
eine Unterstützung, und die ist naturgemäß auch eine mäßige. Diese beiden 
Unterstützungen können vollkommen ausreichen, um der Frau tatsächlich 
in den letzten Wochen der Schwangerschaft Ruhe zu gönnen. Das sind 
keine Phantastereien, das sind Maßnahmen, die wir durchführen werden, 
und schon, wenn Sie von diesem Gesichtspunkte die Frage betrachten, 
werden Sie mir zugeben, daß die Mitwirkung der Ortskrankenkassen zur 


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90 XXXII. Versammlung d.D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit direkt und indirekt durch die Legung 
eines Keimes zur Entwickelung einer Mutterschutzgesetzgebung außerordent- 
lieh viel beitragen kann.“ 

Sanitätsrat Dr. Aeckersberg (Bergisch-Gladbach): * Ich glaube 
nicht fehlzugehen in der Annahme, daß die Bemerkung des Vorredners, wie 
jemand den heilsamen Einfluß der Krankenkassen auf die Säuglingssterb¬ 
lichkeit bezweifeln könne, auf meine Worte gingen. Ich habe mich nicht 
gegen die These 5 gewandt, die Unterstützung auf die Dauer von sechs 
Wochen und alles, was die Schwangeren anlangt, sondern gegen die These 6: 
»Die statutarisch mögliche Gewährung freier ärztlicher Behandlung, freier 
Arznei und sonstiger Heilmittel ist geeignet, die hohe Kindersterblichkeit 
zu vermindern.« Ich möchte das doch bemerken, damit ich nicht in den 
falschen Verdacht komme, als ob ich die höchst segensreichen Einrichtungen 
der Krankenkassen bekämpfe. Das eine aber bestreite ich, daß die freie 
Behandlung, wenn andere Hilfsmittel fehlen, imstande ist, die Kindersterb¬ 
lichkeit günstig zu beeinflussen.“ 

Hiermit ist die Diskussion geschlossen; der Referent verzichtet auf 
das Schlußwort. 

Vorsitzender, Oberbürgermeister Dr. Lentze (Magdeburg): 
„Meine Herren! Ich möchte mir erlauben, dem Herrn Referenten Dr. Mugdan 
den allerherzlichsten Dank dafür auszusprechen, daß er sich der Mühe unter- 
zogen hat, uns hier diesen schönen und interessanten Vortrag zu halten. 

„Die Revision des Krankenversicherungsgesetzes enthält ja eine große 
Zahl von Problemen, und zwar von Problemen sowohl organisatorischer wie 
sonstiger Art. Die Frage, wie die Organisation zu treffen ist, können wir 
hier in keiner Weise lösen. Das sind Fragen, die so umfangreicher Vor¬ 
bereitungen und so vielseitiger Erwägungen bedürfen und bei denen so 
weite Kreise auch sonst noch interessiert sind, daß man hier auf Grund des 
einen Vortrages nicht ohne weiteres zu einem Schlüsse kommen kann. Für 
uns ist das wichtigste, wie das Krankenversicherungsgesetz in sanitärer 
Hinsicht revidiert wird, und da kann ich wohl mit Genugtuung feststellen, 
daß das Referat und auch die heutige Debatte eine große Anzahl von An¬ 
haltspunkten gegeben haben, welche bei der Revision des Gesetzes hoffentlich 
mit berücksichtigt werden. Ich spreche ausdrücklich die Hoffnung aus, daß 
unsere heutige Verhandlung nützlich sein wird für die Revision des Kranken¬ 
versicherungsgesetzes in hygienischer Beziehung. 

„Wir können zum nächsten Punkt der Tagesordnung übergehen. Ich 
möchte bitten, daß Herr Prof. Dr. Fuchs aus Freiburg die Güte hat, seinen 
Vortrag zu halten über: 


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Die Gartenstadt. 


91 


Die Gartenstadt. 

Es lauten die Tom Referenten Prof. Dr. Fuchs (Freiburg) aufgestellten 

Leitsätze: 

1. Die Gartenstadtbewegung ist als praktisch erfolgreiche Bewegung zuerst 
in England entstanden. Sie w’urzelt hier in den ganzen eigenartigen 
Verhältnissen der Besiedelung und Agrarverfassung, der Verteilung der 
Bevölkerung auf Stadt und Land und der Entvölkerung des platten Landes. 
Neben dieser Agrar- und Besiedelungsfrage hat sie ihre Wurzel in der 
„Citybildung“ und der damit zusammenhängenden charakteristischen eng¬ 
lischen Wohnweise, der Trennung des Wohnortes von der Arbeitsstätte. 
Diese hat namentlich für die gelernten Arbeiter, bis auf welche sie sich 
erstreckt, bereits vielfach ein zu großes Maß angenommen. 

2. Die Gartenstadtbewegung erstrebt demgegenüber in England die Beseiti¬ 
gung der Übervölkerung der Städte einerseits und der Entvölkerung des 
platten Landes andererseits durch Dezentralisation der städtischen 
Bevölkerung und ihrer Arbeitsgelegenheiten, also insbesondere der Industrie. 
Sie bezweckt also die Schaffung neuer, kleiner Industrie- und Wohn¬ 
orte von 30000 Einwohnern, welche einen eigentlichen Stadtkern mit 
Handel und Gewerbe haben sollen, um den sich gartenmäßig angelegte 
Wohnviertel und dann auf dem größten Teile des Geländes kleine land¬ 
wirtschaftliche Betriebe herum legen sollen. Es sollen also dadurch zur 
Deckung des Bedarfs dieser neuen Städte an landwirtschaftlichen Produkten 
gleichzeitig landwirtschaftliche Kleinbetriebe geschaffen und so eine engere 
Verbindung von Landwirtschaft und Industrie, von Stadt und Land 
hergestellt werden. A1b notwendig für die Sicherung dieses Zweckes 
wird dabei Gemeineigentum der Stadt an ihrem ganzen Gelände erachtet. 
Der erste in Verwirklichung begriffene Versuch einer solchen Gründung ist 
die Gartenstadt Letchworth nördlich von London. 

3. Von diesen „Gartenstädten“ im eigentlichen Sinne ist die gartenmäßige 
Anlage von Vororten, d. h. reinen Wohnorten, insbesondere für Arbeiter, 
in der Nähe der Großstädte zu unterscheiden, also die wirtschaftliche und 
namentlich ästhetische Reformierung der suburbs, in denen in England 
schon jetzt die Mehrzahl der städtischen Bevölkerung wohnt. Hier handelt 
es sich also um „Gartenvorstädte“, nicht um Gartenstädte im engeren Sinne. 
Musterbeispiele dafür sind in England Port Sunlight bei Liverpool und 
Bournville. 

4 . In Deutschland besteht bei seinen gänzlich abweichenden Agrar- und 
Besiedelungsverhältnissen weder das gleiche Bedürfnis, noch die gleiche 
Möglichkeit für Gartenstädte im engeren Sinne. Hier kann es sich daher 
bei der Gartenstadtbewegung vorwiegend nur um Gartenvorstädte han¬ 
deln. Dies gilt auch von der ersten im Entstehen begriffenen Gründung 
der Deutschen Gartenstadtgesellschaft in Rüppur bei Karlsruhe. Die aus¬ 
gedehnte Gründung von solchen Gartenvorstädten ist aber von größter 
Bedeutung für die Emanzipation von der Mietskaserne in den Außen¬ 
bezirken unserer Städte und damit für die Schaffung gesünderer und kulturell 
höherstehender Wohnungsverhältnisse für unsere Mittel- und Arbeiterklassen. 

5. Zu ihrer Einbürgerung sind neben entsprechender Gestaltung der Be¬ 
bauungspläne und Bauordnungen (vor allem Unterscheidung von Wohn- 
und Verkehrsstraßen und Herabsetzung der Anforderungen für Kleinhäuser) 
ausgedehnte Anwendung des Erbbaurechts durch Staat und Städte, sowie 
entsprechende Entwickelung der Verkehrsmittel notwendig. 

Referent, Prof6880r Dr. Carl Johannes Fachs (Freiburg i. B.): 
„Kein Schlagwort hat auf dem an Schlagworten so reichen Gebiet der 
Wohnungsfrage in den letzten Jahren so gezündet und eine solche werbende 
Kraft bewiesen, wie daB Wort »Gartenstadt»: in den meisten modernen 


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92 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öfientl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Industriestaaten mit einer überwiegend städtischen Entwickelung, einer fort¬ 
schreitenden »Urbanisierung« der Bevölkerung, wie John Bums kürzlich 
auf dem Internationalen Wohnungskongreß sagte, hat es als weitestgehendes 
Programm zur Überwindung der Schäden dieser Entwickelung lebhaften 
Wiederhall gefunden; überall sind Gartenstadtgesellschaften gegründet 
worden, ja selbst Terraingesellschaften und sonstige Bodenspekulanten 
schmücken sich und ihre nicht immer diesem Programm entsprechenden 
Unternehmungen schon mit dieser Firma. 

„Das Wort hat offenbar einen ganz besonderen Klang: es bringt in 
uns allen eine sehr empfindliche Saite zum Tönen, es verheißt einer Sehn¬ 
sucht Erfüllung, die tief, aber stark in der Brust des modernen Kultur¬ 
menschen wohnt. So schrieb auch kürzlich der Generalsekretär der Deut¬ 
schen Gartenstadtgesellschaft: »Die Gartenstadtgesellschaft hat gerade des¬ 
halb in verhältnismäßig kurzer Zeit so viel Sympathien gewonnen, weil sie 
die wirtschaftlichen Grundlagen für Wohnverhältnisse zu schaffen versucht, 
die für viele Gegenstand der Sehnsucht sind.« 

„Aber trotzdem, oder vielmehr gerade deswegen, weil dieses Schlagwort 
so unmittelbar an unser Herz appelliert, hat die Wissenschaft die freilich 
nicht sehr dankbare Aufgabe, es unter die Sonde zu nehmen und scharf zu 
prüfen, wie weit es überhaupt, und besonders, wie weit es bei uns in Deutsch¬ 
land einer Verwirklichung fähig ist. 

„Es ist mit diesem Gedanken gegangen, wie mit so manchem deutschen 
Produkt: »Made in Germany«, mußte es erst aus England eingeführt werden, 
um Anklang zu finden. Die Gartenstadtbewegung hat nämlich ihren Aus¬ 
gang als praktisch erfolgreiche Bewegung von England genommen, wo sie 
durch ein Buch ins Leben gerufen wurde — eine spezifisch englische Er¬ 
scheinung, daß ein Buch solche Wirkung zu erzielen vermag — und zwar 
durch die Schrift von Ebenezar Howard: Garden cities of tomorrow, 
während die Idee schon früher von Fritsch und Degenhard in Deutsch¬ 
land ausgesprochen worden war. Daß sie aber in England so gezündet und 
auch schon zu der ersten praktischen Verwirklichung geführt hat, verstehen 
wir leicht, wenn wir uns die Verhältnisse der Besiedelung, der Verteilung 
der Bevölkerung auf Stadt und Land in England vergegenwärtigen. Das 
Buch erschien im richtigen Augenblick, als bestimmte große Probleme in 
England hervorgetreten waren, für welche es eine rasche und radikale 
Lösung darbot. 

„Es ist die Frage der »Flucht vom Lande« und der dadurch hervor¬ 
gerufenen städtischen Wohnungsnot, welche in England seit Jahren immer 
brennender wird und immer mehr die Geister beschäftigt, — das doppelte 
Problem also, die wachsenden Massen der städtischen Bevölkerung in 
menschenwürdiger Weise unterzubringen und der Entvölkerung des platten 
Landes Halt zu gebieten, welche sich in England in einem Maße vollzogen 
hat, wie in keinem anderen Lande. Dies hängt aber wieder aufs engste 
damit zusammen, daß England der älteste große Industriestaat ist und 
andererseits eine ganz eigenartige Agrarverfassung hat. Infolge der eigen¬ 
tümlichen agrarischen Entwickelung Englands ist bekanntlich sein Bauern¬ 
stand fast vollständig verschwunden, und das Land zwischen den Städten 
ist bedeckt von Latifundien, die nicht von den Besitzern, sondern in ziem- 


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Die Gartenstadt. 


93 


lieh großen Pachtgütern von Pächtern mit Landarbeitern bewirtschaftet 
werden. Die letzteren, die unter diesen Verhältnissen keine Möglichkeit 
des Aufsteigens haben, wandern daher vom Lande in die Städte, und wir 
haben so heute in England einerseits eine Anzahl ganz großer überfüllter 
Städte und andererseits zwischen diesen große, nur sehr dünn bevölkerte 
Ländereien, auf denen das Vieh weidet, aber nur wenig menschliche An¬ 
siedelungen zu finden sind. Es fehlen vor allem die Bauerndörfer, welche 
in Deutschland und Frankreich zwischen den Städten das Land erfüllen. 
Damit zusammenhängend sind nun die WohnungsVerhältnisse in jenen 
Großstädten bei den untersten Klassen besonders ungünstige. Denn das 
Einströmen vom Lande — nebst der proletarischen Einwanderung aus 
anderen Ländern in den Hafenstädten — hat hier zu einer großen An¬ 
häufung von ungelernten Arbeitskräften geführt und zur Bildung der 
»slums«, in welchen diese leben, d. h. großer schlechter, nicht nur über¬ 
füllter, sondern auch verfallener und von Schmutz starrender Quartiere. 

„Diese Agrar- und Besiedelungsfrage Englands ist also die eine Wurzel 
der Gartenbewegung, indem jene Landflucht die häßlichen Quartiere ge¬ 
schaffen hat, in welchen die ungelernten Arbeiter in den englischen Städten 
heute hausen, und welche seit Jahren durch kostspielige Sanierungen be¬ 
seitigt werden, um immer aufs neue in der Nachbarschaft wieder zu ent¬ 
stehen. Dazu kommt nun aber andererseits die charakteristische Wohn- 
weise für die höher stehenden Klassen in England, von den gelernten 
Arbeitern aufwärts, daß der Wohnort mehr oder weniger weit entfernt ist 
vom Ort der Beschäftigung oder Arbeit — das Resultat der sogenannten 
»Citybildung«. Diese Entwickelung hat bei dem unaufhaltsamen Wachstum 
der Großstädte heute auch vielfach schon ein Maß erreicht, das nicht mehr 
überschritten werden kann: die Arbeiter und Geschäftsangestellten müssen 
heute in einer Stadt wie London täglich schon so viel Zeit auf die Hin- 
und Rückreise verwenden, daß eine Verlängerung dieser Reisen nicht mehr 
gut möglich ist. Außerdem lassen die Quartiere in den Vorstädten, in 
welchen diese Klassen wohnen, auch in hygienischer, besonders aber in 
ästhetischer Beziehung viel zu wünschen übrig. Die Häuser sind praktisch, 
insbesondere reich an Räumen, aber von erschreckender Langeweile und 
Öde. Und es fehlt fast ganz an öffentlichen Einrichtungen wie Parks, An¬ 
lagen, gemeinsamen Spielplätzen für Kinder usw. Diese Vorstädte werden 
eben rein geschäftsmäßig von großen Unternehmern straßenweise gebaut. 
Hier tritt uns eine weitere Eigentümlichkeit der englischen Städte entgegen, 
welche auch zugleich der Grund ist, warum sich jene slums in den Gro߬ 
städten überhaupt bilden konnten: das Fehlen eines sogenannten Bebauungs¬ 
plans für die Städte, insbesondere diese Vorstädte, wie wir ihn in Deutsch¬ 
land schon seit langer Zeit allgemein haben. Die Aufteilung des Geländes, 
die Legung der Straßen wird, allerdings nach gewissen allgemeinen Vor¬ 
schriften, ganz dem Privatunternehmer überlassen. Dieser schafft natürlich 
keine öffentlichen Plätze usw., welche einen Verlust an Grund und Boden 
bedeuten würden. 

„An diesem Punkte, den in ästhetischer und gesundheitlicher Beziehung 
unerfreulichen Verhältnissen der »Buburbs«, bat non schon seit Jahren eine 
Reformbewegung eingesetzt. Von verschiedenen Seiten aus, durch Bau- 


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94 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

gesellBchaften, Stadtgemeinden und vor allem arbeiterfreundliche Fabri¬ 
kanten, insbesondere Lever in Port-Sunlight und Cadbury in Bournville, 
ist der Beweis erbracht worden, daß es nicht notwendig ist, diese Vorstädte, 
die Quartiere der besser bezahlten Arbeiter und Angestellten so häßlich und 
langweilig zu gestalten, sondern daß sie ohne erhebliche größere Kosten 
ganz anders gestaltet werden können, wenn sie nach einem einheitlichen, in 
gemeinnützigem Interesse entworfenen Plan gebaut werden. So sind 
namentlich in den beiden letztgenannten Orten in ästhetischer Beziehung 
tnustergültige Arbeiterkolomen entstanden, die man vielfach ''Gartenstädte» 
nennt und die jüngst das Entzücken aller Teilnehmer des oben genannten 
Kongresses erregt haben >)• So wichtig nun das ist, und so wertvoll sie als 
Vorbilder in technischer und künstlerischer Beziehung sind: die eigentliche 
»Gartenstadtbewegung» im engeren Sinne ist etwas anderes. Jene An¬ 
siedelungen können nur als Gartenvorstädte oder »Gartenkolonien» be¬ 
zeichnet werden und sind streng von dieser zu _ unterscheiden, mit der sie 
namentlich bei uns gewöhnlich zusammengeworfen werden. 

„Bei dieser handelt es sich um sehr viel mehr: nämlich jenem Problem 
der Entvölkerung des Landes, der ungesunden Bevölkerungsverteilung 
zwischen Stadt und Land an die Wurzel zu gehen — also die Übervölkerung 
der Städte einerseits und die Entvölkernng des platten Landes andererseits 
zu kurieren, und das kann durch solche Gartenvorstädte nicht geschehen. 
Die Gartenstadtbewegung im engeren Sinne des Wortes bezweckt vielmehr, 
ganze neue Städte zu schaffen, d. h. nicht bloß gartenmäßig angelegte Orte 
zum Wohnen, sondern wirkliche vollständige Städte — mit einem im Inneren 
durchaus städtischen Kern mit Handel, Gewerbe und Industrie, einem Wohn¬ 
gebiet, welches jenen Gartenvorstädten entspricht, und einer äußeren land¬ 
wirtschaftlichen Zone, Städte von etwa 30000 Einwohnern. Es ist also 
das Problem der Dezentralisation der städtischen Bevölkerung und der 
Industrie überhaupt, um das es sich hier handelt. Diese Bewegung will 
nämlich jenen Krebsschaden der englischen Bevölkerungsverhältnisse dadurch 
heilen, daß große landwirtschaftlich benutzte Gelände erworben werden, 
und auf diesen nach einem einheitlichen, vorher entworfenen öffentlichen 
Bebauungsplan ganze neue Industrie- und Wohnstädte angelegt werden, 
hauptsächlich dadurch, daß der Zuzug von Fabriken nach diesen neuen 
kleineren Zentren aus den überfüllten großen Zentren gesichert wird. Dabei 
soll aber durchaus das für die eigentliche Stadt selbst bestimmte Gebiet 
auf einen und zwar kleineren Teil des ganzen Geländes beschränkt werden, 
der größere Teil des Geländes soll für landwirtschaftliche Zwecke, kleine 
Landwirtschaftsbetriebe, reserviert bleiben. Man will also damit zugleich 
landwirtschaftliche Kleinbetriebe, die in England fehlen, in großer 
Zahl neu schaffen. 

„Die Bewegung geht also aus von der Anschauung, daß der Übergang 
Englands zum Industriestaat nicht notwendig solche Mißstände in den 
Städten hätte zu schaffen brauchen, wenn die Entwickelung der städtischen 
Besiedelung nicht sich selbst überlassen gewesen wäre, und andererseits 
von der Erkenntnis, daß dadurch die Zusammenballung der Bevölkerung 

l ) Vgl. über sie jetzt insbesondere v. Berlepsch-Valendas, Bauernhaus und 
Arbeiterwohnung in England. Stuttgart, Engelborn. 


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Die Gartenstadt. 


95 


in den großen Zentren ein Maß erreicht hat, das nicht mehr überschritten 
werden kann, und das bereits unökonomisch geworden ist, seinen eigenen 
wirtschaftlichen Zweck nicht mehr erfüllt — infolge der zu groß gewordenen 
Überfüllung der Straßen, der Schwierigkeit des Verkehrs, der Höhe der 
Bodenpreise und Mieten. Die Konzentration von Menschen kann also — 
das bat die Erfahrung in England schon erwiesen — ein solches Maß er¬ 
reichen, daß sie ihren eigenen Zweck selbst zunichte macht. Daß dies nicht 
bloß theoretische Anschauungen sind, sondern daß es den tatsächlichen Ver¬ 
hältnissen entspricht, geht daraus hervor, daß schon seit einer Reihe von 
Jahren — wie in geringerem Maße neuerdingB auch bei uns — die Tendenz 
in England hervortritt, die Fabriken aus den großen Städten auf das Land 
oder in kleinere Städte zu verlegen. 

„Diese schon begonnene Entwickelung will nun die englische Garten¬ 
stadtbewegung verallgemeinern und dadurch zunächst der Industrie bessere 
Arbeite- und Wohnbedingungen für die Fabriken und ihre Arbeiter schaffen, 
andererseits damit aber auch vor allem der Landwirtschaft nützen, indem eine 
engere Verbindung von Landwirtschaft und Industrie, von Stadt und 
Land dadurch geschaffen werden soll, als sie das heutige England kennt. Dem 
Landwirt soll dadurch die genossenschaftliche Zusammenschließung erleichtert 
werden, er soll einen näheren Markt für seine Produkte bekommen, ferner 
bessere Arbeitskräfte, bessere Erziehungsmöglichkeiten für die Kinder und all 
die sozialen Vorteile, welche heute den Landarbeiter in die Stadt ziehen, und 
es soll vor allem dadurch die Produktion von Milch, Butter, Gemüse, Blumen 
gefördert werden, welche heute in England so bedeutend hinter dem Bedarf 
zurückbleibt und große Einfuhren aus dem Auslände nötig macht. 

„Dafür genügt aber nun nach der Ansicht der Anhänger der Garten¬ 
stadtbewegung das Vorhandensein einer kleineren Stadt allein nicht, denn 
solche gibt es ja auch jetzt schon in England, es muß Gemeineigentum der 
Stadt an ihrem ganzen Gelände dazutreten, d. h. Überlassung der einzelnen 
Stellen, der Fabriken, Wohnstätten und kleinen landwirtschaftlichen Betriebe 
zu dem üblichen englischen städtischen lease-hold-System auf 99 Jahre, d. h. 
einer Art Erbpacht (oder Erbbau). Dies würde gegenüber den heutigen 
kurzen Pachtverhältnissen für die landwirtschaftlichen Betriebe einen großen 
Vorteil bedeuten. Nur dadurch könnte der kleine Farmer zu intensiver 
gartenmäßiger Kultur veranlaßt werden. 

„Es bandelt sich also bei der neuen Gartenstadtbewegung um ganz 
große prinzipielle Fragen, die aufs engste mit der wachsenden Bewegung 
für große Agrarreformen, der Agrarfrage, in England Zusammenhängen, und 
es ist eine Art »innere Kolonisation», ja sogar eine Art »geschlossene Stadt¬ 
wirtschaft», was durch die Gründung solcher Gartenstädte geschaffen werden 
solL Ähnlich wie bei den Städten des Mittelalters soll die ländliche Be¬ 
völkerung um die Stadt herum die Bedürfnisse der Gewerbe und Handel 
treibenden Bürger der einzelnen Stadt, ihren ganzen Bedarf mit ihrer 
Produktion decken. Auch mit der »Bodenreform« hat die Bewegung durch 
den Grundsatz des Gemeineigentums am Gelände der einzelnen Stadt nahe 
Berührung und endlich steht sie auch in Beziehungen zu dem englischen 
Sozialismus, dem eine Reihe ihrer Vorkämpfer angeboren und dessen Utopis¬ 
mus in dem numerus clausus der neuen Städte zum Vorschein kommt, d. h. 


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96 XXXII. Versammlung <1. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

dein Grundsatz, daß die Bevölkerung der neuen Städte nicht Aber eine be¬ 
stimmte Zahl, z. B. 30 000 Einwohner, wachsen soll. 

„Diese ganzen Ideen wurden in ihrer großen sozialen Bedeutung für 
England sogleich rasch erkannt und haben solchen Anklang und Wiederhall 
gefunden, daß der auf den ersten Blick utopische Plan der Schaffung einer 
solchen Gartenstadt schon in Verwirklichung begriffen ist. In Letchworth 
bei Hitchin, nördlich von London an der Straße nach Cambridge, ist von 
der Ersten Gartenstadtgesellschaft, die durch gemeinsinnige Männer die 
nötigen Mittel rasch aufgebracht bat, ein riesiges Gelände von 1600 ha 
mit einem Kostenaufwand von 3 Millionen Mark erworben worden und zwar 
von nur 13 bisherigen Eigentümern. Die bisherige Bevölkerung auf diesem 
Gelände, wo jetzt eine Stadt mit 30000 Einwohnern erstehen soll, betrug 
nur etwa 400 Seelen. Das Terrain ist denkbar günstig gelegen, an der 
Hauptlinie der Great-Northern-Bahn, welche sofort eine Station auf ihre 
Kosten errichtete. Die Entfernung von London per Bahn beträgt mit 
Schnellzug etwa s / 4 Stunden, so daß es für in London Beschäftigte gut 
möglich ist, dort zu wohnen. Doch soll dies ja nicht das Ziel sein, sondern 
es sollen diejenigen Arbeiter dort wohnen, die in der neuen Stadt selbst 
ihre Beschäftigung haben. 

„Das ganze Gelände ist und bleibt Gemeineigentum der Gesellschaft, 
die eine gemeinnützige ist, d. h. sich mit 5 Proz. Dividende begnügt. Alle 
weiteren Gewinne durch Wachsen der Grundrente werden zugunsten der 
Ansiedelung für ihre öffentlichen Einrichtungen usw. Verwendung finden, so 
daß die Steuern in dem neuen Gemeinwesen künftig entsprechend niedrig 
sein werden, ja nach Howards Plan überhaupt durch die Bodenabgabe er¬ 
setzt werden sollten. In den bereits fertiggestellten Häuschen von je fünf 
Räumen ist die Miete jetzt schon 3 sh pro Woche niedriger als in den ent¬ 
sprechenden Vorstädten, in denen heute die Londoner Arbeiter wohnen. 
Dazu kommt dann die Ersparnis der Kosten des täglichen Reisens für den 
Arbeiter, der am Orte Beschäftigung findet. Schon sind 10 Fabriken dort 
erbaut, von denen eine 400, eine andere 200 Arbeiter beschäftigt, und 
800 Häuser mit über 40 Läden errichtet; die Bevölkerung beträgt bereits 
4000 Seelen und wird im nächsten Frühjahr 6000 sein. Auch der eigent¬ 
liche Stadtkern, der vor zwei Jahren noch vollständig fehlte, ist jetzt bereits 
in einer Geschäftsstraße, einer Straße aneinander gebauter Häuser ohne 
Gärten mit Läden und Bankfilialen, begonnen worden. Damit ist theoretisch 
der Beweis erbracht, daß die Gründung einer eigentlichen Stadt gelungen 
ist, wenn es sich auch noch wird zeigen müssen, ob der ganze weitere Ausbau 
gerade dieses Stadtkerns nach dem ursprünglichen Plan möglich sein wird. 

„Die heute vorhandenen Häuser sind gebaut worden: 1. von privaten 
Bauunternehmern, 2. von Freunden der Bewegung, 3. durch Arbeitgeber, 
d. h. die neuen Fabriken, 4. durch die Garden City Tenant Company, eine 
Baugenossenschaft (bzw. Mietergenossenschaft) in unserem Sinne, welche 
den Boden von der Gartenstadtgesellschaft in lease-hold erhält und darauf 
für ihre Mitglieder Häuser errichtet (jetzt schon 130), 5. durch zwei Aus¬ 
stellungen, 6. endlich durch eine neue Baugesellschaft, eine Tochtergesell¬ 
schaft der Gartenstadtgesellschaft, gegründet, um besonders billige Häuser 
für Arbeiter herzustellen. 


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Die Gartenstadt. 


97 


„Es liegt zurzeit so, daß noch gar nicht alle in Letchworth beschäftigten 
Arbeiter dort wohnen können, weil es an genügenden Häusern fehlt, während 
andererseits noch viele der Wohlhabenderen in London ihren Erwerb haben. 
Die Loslösung der neuen Stadt ist also noch nicht ganz erreicht, und es 
wird sich zeigen müssen, ob sie ganz gelingen wird. 

„Für die eigentliche Stadt sind von den 3800 acres des ganzen Ge¬ 
ländes nur 1200 bestimmt; 200 für Parks, Golfgelände, öffentliche Plätze usw.; 
die übrigen 2400 bilden den »landwirtschaftlichen Gürtel«, der um die 
Stadt herum zu liegen kommen soll. 

„Das Terrain für die Fabriken ist günstig so im Osten der Stadt ge¬ 
wählt, daß die vorherrschenden Westwinde den Rauch derselben in der 
Regel von der Stadt wegführen; außerdem ist auch seit diesem Jahre eine 
elektrische Zentrale geschaffen worden, welche für alle Fabriken die Kraft 
liefern soll. Auch die Fabriken sollen schön gestaltet werden durch Um¬ 
gebung derselben mit Bäumen und offenen Plätzen. Besondere Hervor¬ 
hebung verdient ferner, daß der Bebauungsplan der Stadt »in einem Geist 
der Achtung vor dem, was vorhanden ist«, und in Übereinstimmung mit 
den Konturen des Bodens entworfen worden ist, und ohne die Zerstörung 
auch nur eines der vorhandenen Bäume oder des vorhandenen Parks oder 
Gehölzes ausgeführt werden kann. Dieser Respekt vor alten Bäumen ist 
ein überaus sympathischer Zug des Engländers, der wahrlich die Nach¬ 
ahmung unserer Städtebauer und Stadtverwaltungen verdient, welche so oft 
in ganz rücksichtsloser und unnötigerweise vorhandene schöne große Bäume 
zu schlagen pflegen, wenn sie auch nur Vs m in die geplante neue Straßen- 
linie hereinragen, um sie dann durch Tännchen, Cypressen u. dgl. zu er¬ 
setzen. 

„Für den Zentralplatz der Stadt ist ein Hochplateau in Aussicht ge¬ 
nommen, auf dem drei große einzelne Eichbäume stehen, und von dem aus 
strahlenförmig Straßen nach den verschiedenen Teilen der Stadt laufen 
sollen, so geplant, daß sie ebenso aus dem Herzen der Stadt einen Blick auf 
das offene Land gewähren, wie umgekehrt einen guten Blick auf die zen¬ 
tralen Gebäude. Die Straßen selbst sollen sehr mannigfaltig gestaltet 
werden, in manchen Fällen soll ihre Breite dadurch vergrößert werden, daß 
Grasstreifen mit Bäumen zwischen Fahrstraße und Fußweg gelegt werden. 

„Auf diesem Terrain hat nun zunächst vor zwei Jahren und dann 
abermals in diesem Sommer eine Ausstellung billiger Kleinhäuser statt- 
gefunden, um zu zeigen, daß und wie es möglich ist, Häuschen, in der 
Hauptsache für Landarbeiter, zu einem 150 £ nicht übersteigenden Bau¬ 
kostenpreise herzustellen. Dies war nur auf dem Terrain der Gartenstadt 
unter den von dieser gewährten Ermäßigungen und Erleichterungen der 
baupolizeilichen Vorschriften möglich, da die sonst in England auch auf 
dem Lande geltenden, nach den Bedürfnissen der Stadt geschaffenen bau¬ 
polizeilichen Bestimm angen so hohe Anforderungen an Mauer stärke, Zimmer¬ 
größe usw. stellen, daß es nicht möglich ist, unter 250 bis 300 £ solche 
Häuser zu erstellen. Solche können daher nur für 12 bis 15 £ jährlich 
vermietet werden, während der englische Landarbeiter nur 8 £ im Jahr für 
Miete aufbringen kann. Die Folge ist, daß ob überall auf dem Lande in 
England an Wohngelegenheit für Landarbeiter fehlt, und in vielen Kirch- 

Viertoljahrs schrift für Gesundheitspflege, 1906 . 7 


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98 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 


spielen junge Leute, die sich verheiraten, keine Wohnung zu finden vermögen. 
Darin wird ein Hauptgrund der eingangs erwähnten Landflucht in England 
erblickt. 

„Die erste Ausstellung, welcher eine Reihe von Preisen für die besten 
Lösungen zur Verfügung gestellt waren, umfaßte etwa 85 Häuschen, welche 
die Anforderung, 150 £ Baukosten nicht zu übersteigen, erfüllten, und neben 
manchem Mißglückten zum Teil recht gelungene Lösungen darboten. Das 
Gleiche gilt in noch höherem Grade von der neuen. Mit der eigentlichen 
Gartenstadt hängen sie nur insofern zusammen, als ein großer Teil dieser 
errichteten kleinen Häuser in dem landwirtschaftlichen Gürtel liegt und für 
die dort anzusiedelnden Landarbeiter stehen geblieben ist bzw. bleiben wird. 
Sodann bat sie in weiten Kreisen in England die Aufmerksamkeit auf die Frage 
der baupolizeilichen Vorschriften gelenkt, und es ist sehr bemerkens¬ 
wert, daß man auch dort jetzt auf diesem Gebiete Ermäßigungen zur Förderung 
des Kleinhausbaues verlangt, insbesondere Verbilligung der Straßen kosten. 
Ebenso hat sie ferner bereits in kleinem Umfang die Vorzüge eines einheit¬ 
lichen Bebauungsplanes dargetan, und beide Punkte sind auf mehreren mit 
der ersten Ausstellung verbundenen Kongressen vor Vertretern der meisten 
englischen Stadtverwaltungen eingehend erörtert und allgemeiner Beachtung 
zugeführt worden. 

„Die eigentliche Gartenstadt selbst dagegen steckt, wie gezeigt, durch¬ 
aus noch in den Anfängen: Was bis jetzt ausgeführt ist, unterscheidet sich 
noch nicht viel von den Mustergartenvorstädten, wie sie in so vortrefflicher 
Weise in Port Sunlight und Bourneville geschaffen worden sind. Vor allem 
ist das eigentliche Stadtinnere, also gerade das, was außer den Fabriken die 
»Gartenstadt» im engeren Sinne von der »Gartenvorstadt» unterscheidet, 
erst mit einer Straße begonnen worden. Vor allem ist mir aber unklar, wie 
die Festlegung der Stadt auf eine bestimmte Bevölkerungszahl nach oben 
(30 000) praktisch durchgeführt werden soll; es ist die utopische Eierschale des 
Projekts. Auch bestehen über die richtige Bemessung dieser Größe bei den 
Führern der englischen Gartenstadtbewegung selbst Meinungsverschieden¬ 
heiten; so ist kürzlich Mr. Aneurin Williams gelegentlich des Internationalen 
Wohnungskongresses für eine Größe von 100000 eingetreten, welche die 
Heranziehung ganz großer Industrien gestatten würde und nach seiner Mei¬ 
nung nicht mehr Gründungskosten erfordern würde, als eine Stadt von 30 000. 

„Doch ist ohne Zweifel das ganze Projekt und diese praktische Ver¬ 
wirklichung, die es hier findet, großartig und überaus lehrreich und hat für 
England jedenfalls vor allem die Bedeutung, die Wichtigkeit eines öffent¬ 
lichen Bebauungsplanes anschaulich zu machen. Dabei vernachlässigt man 
übrigens hierüber auch in England keineswegs die bessere Gestaltung der 
Vorstädte zu Gartenvorstädten, wie das zum Teil von denselben Kreisen 
entworfene und geförderte, nicht minder großartige Projekt der Hampstead 
Garden Suburb beweist, welches der Arbeiterbevölkerung von London selbst 
in der Vorstadt Hampstead im Nordwesten Londons eine große, in 20 Minuten 
durch eine neue Untergrundbahn erreichbare gartenmäßige Siedelung nach 
den Plänen der Architekten von Letchworth in schönster und gesündester 
Lage bei Hampstead Heath (Heide) schaffen soll, und zwar auch haupt¬ 
sächlich durch genossenschaftlichen Häuserbau. 


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Die Gartenstadt. 


99 


„Von England aus hat diese Gartenstadtbewegung sich nun bereits 
auch auf eine Reihe von anderen Ländern ausgedehnt, so Deutschland, 
Frankreich, Ungarn, Schweden, Italien, die Schweiz. In Deutschland ist un¬ 
mittelbar nach dem Vorbilde der englischen auch eine »Gartenstadtgesellschaft« 
gebildet worden, welche aber bei uns über das erste Stadium der Propaganda 
bis jetzt noch nicht viel hinausgediehen ist und auch wohl nicht so bald zu 
einer Verwirklichung ihrer Ideen in demselben Umfang und in derselben 
Form wie in England kommen wird, denn die Verhältnisse sind bei uns ja 
wesentlich abweichende. Wir haben einerseits nicht dieselbe Notwendigkeit 
für eine solche Bewegung wie England und andererseits auch nicht dieselbe 
Möglichkeit. Wir haben ja in Deutschland infolge unserer anderen Agrar¬ 
verfassung, abgesehen nur von dem England auch hierin etwas ähnlichen 
Nordosten, nicht diesen großen Gegensatz zwischen überfüllten Städten und 
menschenleerem Land, sondern vielmehr eine Fülle von mittleren und kleinen 
Städten und großen Dörfern; ferner auch in unseren Großstädten keine 
englischen slums, dank den hier schon seit langem und insbesondere in der 
jüngsten Periode der großen Ausdehnung fast immer zugrunde gelegten 
öffentlichen Bebauungsplänen. Fehlt uns so das gleiche Bedürfnis wie in 
England, so fehlt auch andererseits bei uns im allgemeinen die gleiche Mög¬ 
lichkeit zum Entstehen derartiger neuer Städte. Denn es gehören dazu ein 
solcher Großgrundbesitz wie in England und solche große Strecken men¬ 
schenarmen Landes. Daher ist bei uns in Deutschland, vom Nordosten ab¬ 
gesehen, schon aus diesem Grunde die Anlegung neuer wirklicher Städte 
von 30000 oder gar mehr Einwohnern im allgemeinen ausgeschlossen. Im 
Nordosten aber, wo diese Bedingungen einigermaßen gegeben wären, sind 
dagegen einstweilen die Vorbedingrungen für die zur Gründung von Garten¬ 
städten gehörende Industrie nur in geringem Maße vorhanden, wie die nicht 
sehr erfolgreichen Versuche zur Industrialisierung des Ostens gezeigt haben. 
Höchstens in der weiteren Umgebung von Berlin wäre in beschränktem 
Maße die Möglichkeit und zugleich das Bedürfnis für Gründungen nach dem 
Muster von Letchworth gegeben. 

„Ich ziehe daraus den Schluß: wir haben in Deutschland viel weniger 
Bedürfnis und weniger Gelegenheit für solche Gartenstädte im engeren Sinne 
des Wortes. Daher wird es sich in Deutschland bei dieser Bewegung mehr 
handeln müssen — und hat es sich auch bei den ersten praktischen Ver¬ 
suchen bis jetzt tatsächlich gehandelt — um Gartenstädte im weiteren 
Sinne, d. h. Wohnkolonien und Vorstädte mit gartenmäßigem 
Anbau. 

„Erfreulicherweise bat die Deutsche Gartenstadtgesellschaft dies 
neuerdings auch eingesehen und — ich darf sagen, infolge eines Vortrags von 
mir, welchen ihr jetziger Generalsekretär gehört hatte — ihre Statuten ent¬ 
sprechend geändert, so daß sie jetzt auch diese Aufgabe umfassen; damit 
hat sie meines Erachtens einen großen Schritt vorwärts getan vom Utopi¬ 
schen zum Praktischen und Realisierbaren. Und die erste Verwirklichung 
ihrer Ideen, die jetzt in Rüppur bei Karlsruhe vor sich gehen soll, wird denn 
auch eine Gartenvorstadt, keine Gartenstadt in engerem Sinne werden. Am 
13. März d. J. ist von der Ortsgruppe Karlsruhe die Gesellschaft »Garten¬ 
stadt Karlsruhe, e. G. m. b. H.« gegründet worden, welche heute bereits 

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100 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

240 Genossen, vom ausgelernten Arbeiter bis znm hohen Beamten, umfaßt. 
Die großherzogliche Domänenverwaltung hat sich schon im Herbst vorigen 
Jahres bereit erklärt, dieser Genossenschaft ein Gelände von 72 ha in dem 
neu ein gemeindeten Rüppur zu einem niedrigen Preise abzutreten. Man 
hofft, hier schon Zweifamilienhäuser mit zwei übereinanderliegenden Drei¬ 
zimmerwohnungen, mit getrennter Haustür und Treppe, sowie Garten für 
beide, zu einem jährlichen Mietpreis von 270 M., und von 300 M. an auf¬ 
wärts schon kleine Einfamilienhäuser mit Garten erstellen zu können. Die 
Genossenschaft will zunächst in größerem Umfange selbst bauen, aber auch 
Land zum Erbbaurecht, sowie in der Form des Ulmer Wiederkaufsrechts 
hergeben. 

„Andererseits ist in der letzten Zeit allerdings auch von dem Projekt 
eines Dresdener Industriellen gesprochen worden, der seine Werkstätten auf 
das Land hinaus verlegen und hier zum Mittelpunkt einer gartenstadtähn¬ 
lichen Siedelung machen will. Und diese Form der Dezentralisierung der 
Industrie wird zweifellos auch in Deutschland häufiger anwendbar sein, aber 
eine echte »Gartenstadt« im englischen Sinne ist damit doch auch noch 
nicht gegeben; auch hier haben wir nur eine Gartenvorstadt oder höchstens 
eine Gartenkolonie, ein »Gartendorf«. 

„In diesem Sinne und in dieser Form hat die Gartenstadtbewegung 
allerdings auch in Deutschland eine große Aufgabe zu erfüllen — eine spezi¬ 
fisch deutsche Aufgabe, die der Bewegung in England fehlt, nämlich den 
Kampf gegen die Mietskaserne, die vorherrschende Form des städtischen 
Wohnens in Deutschland, sowohl für die Arbeiter als die mittleren und 
oberen Klassen, mit Ausnahme einer kleinsten Oberschicht. Leben auch die 
untersten Arbeiterklassen bei uns lange nicht in so schlimmen Zuständen 
wie in den englischen slums, so sind dafür fast alle anderen Klassen in¬ 
folge dieser Entwickelung der Mietskaserne wesentlich ungünstiger unter¬ 
gebracht als in England, haben überhaupt einen sehr viel tiefer stehenden 
Wohnstandard. Es ist ihnen vor allem ganz das in England so starke Be¬ 
dürfnis der Separation, des Ungestörtseins, der privacy, abhanden gekommen, 
das in England auch bei den Reihenhäusern der Arbeiter durch Schaffung 
einer eigenen Treppe zu jeder Wohnung immer gewahrt wird. 

„Ich kann im Rahmen dieses Referats natürlich nicht näher auf den 
heute bei uns so lebhaft entbrannten und leider in so wenig urbanen Formen 
geführten Kampf »Kleinhaus oder Mietskaserne« eingehen, zumal die Streit¬ 
frage in der Hauptsache eine solche technischer Natur ist. Ich begnüge 
mich damit, festzustellen, daß eine wirtschaftliche Überlegenheit der 
Mietskaserne trotz aller Anstrengungen nicht nachweisbar ist. Denn eine 
Ermäßigung der Baukosten mit wachsender Stockwerkzahl, die übrigens von 
anderen Technikern bestritten wird, könnte jedenfalls nur bei gleicher 
Bauausführung wirksam werden, nun hat aber die Mietskaserne notwendig 
zu einem äußerlichen und sehr zweifelhaften Luxus im Bauen, der keines¬ 
wegs eine höhere Befriedigung des Wohnbedürfnisses bedeutet, und damit 
zweifellos zu einem Steigen der Mieten geführt. 

„Auf die hygienische Seite der Frage aber näher einzugeben, kann 
ich und muß ich als Nichthygieniker hier im Verein für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege und in dieser Stadt des Einfamilienhauses wohl unterlassen. Es 


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Die Gartenstadt. 


101 


läßt sich ja natürlich auch das hohe Etagenhaus, die »Mietskaserne», im 
populären Sinne — die im engeren Berliner Sinn, mit Seitenflügel und 
Hinterhäusern dagegen nicht! — hygienisch einwandfrei gestalten und kann 
dann bessere Wohnungen bieten als schlechte Einzel- oder Reihenhäuser. 
Aber bei relativ gleichwertiger Ausgestaltung ist doch gewiß in diesem 
Kreis und in dieser Stadt kein Zweifel, daß das Kleinhaus die gesündere 
Wohnfonn darstellt: Es fehlt die große Ansteckungsgefahr der Miets¬ 
kasernen, es fehlt die Schädlichkeit des hohen Treppensteigens für schwangere 
Frauen und Kranke, es wird eine bessere Durchlüftung und Sonnenbestrah¬ 
lung der Wände erzielt, den Kindern häufigerer Aufenthalt im Freien ver¬ 
schafft, und vor allem eine größere Anzahl, wenn auch kleinere, Räume 
ermöglicht, was durch die Trennung der Geschlechter in sittlicher und 
hygienischer Beziehung meines Erachtens weitaus das wichtigste ist. Daran 
wird natürlich auch nichts dadurch geändert, daß es auch hier in der Stadt 
des Einfamilienhauses höchst mangelhafte und unerfreuliche Wohnungs- 
zustände gibt, wie bei bestimmten Klassen und gewissen Lebensbedingungen 
immer und überall, gleichviel bei welcher Bauform: man darf weder die 
schlechtesten noch die besten, sondern nur durchschnittliche Beispiele und 
ihre Möglichkeiten vergleichen. Und ebensowenig denkt natürlich in Deutsch¬ 
land irgend ein ernst zu nehmender Realpolitiker daran, das große Miets¬ 
haus überhaupt auszuschließen, ganz durch Einzelhäuser ersetzen zu wollen: 
our die Mietskaserne im engeren Sinne allerdings ist schlechthin zu be- 
käjnpfen — denn sie ist und bleibt hygienisch zu inferior —, nicht dagegen 
die Mietskaserne im weiteren Sinne, das einfache hohe Etagenhaus. Zwischen 
dieses und die Einzelhäuser, die natürlich hygienisch das Ideal bleiben, das 
soweit als wirtschaftlich möglich verwirklicht werden soll, müssen vielmehr 
auch bei uns Mittelformen treten — das von Eberstadt sogenannte »Bürger¬ 
haus«, einfache, mäßig hohe, zwei- bis dreistöckige Reihenhäuser für ebenso 
viel Familien, vor allem Durchführung des Grundsatzes, daß auf allen Etagen 
nur eine Familie wohnen soll. Soweit aber wirtschaftlich möglich, hoffen 
wir allerdings, daß auch bei uns die wohlhabenden Klassen, die Mittelklassen 
und die besser bezahlten Arbeiter in Zukunft zum größten Teil in Garten¬ 
vorstädten wohnen werden. 

„Was ist nun zur Einbürgerung dieser Wohnweise notwendig? Na¬ 
türlich handelt es sich dabei zunächst um eine entsprechende Gestaltung 
der Bebauungspläne und Bauordnungen (vor allem Unterscheidung von 
Wohn- und Verkehrsstraßen und Herabsetzung der Anforderungen für 
Kleinhäuser), sowie um eine geeignete Entwickelung der Verkehrsmittel. 
Aber das sind nur die äußeren Formen und Vorbedingungen, es fragt sich: 
wer soll und wird bei uns Gartenvorstädte oder Gartendörfer bauen? 

„Die Deutsche Gartenstadtgesellschaft wird wohl nur der Pionier 
sein und bleiben können, zu mehr fehlen ihr die Mittel und werden ihr 
wohl immer fehlen. Aber auch dazu ist notwendig, daß sie noch etwas ab¬ 
streift, was sie zunächst von ihrem englischen Vorbilde übernommen hat: 
den Grundsatz des Gemeineigentums an Grund und Boden der gesamten 
Ansiedelung. Es ist zu verstehen aus den besonderen englischen Verhält¬ 
nissen : der allgemeinen Gewöhnung an das leasehold und der Unmöglich¬ 
keit, auf andere Weise einen allgemeinen Bebauungsplan zugrunde zu legen, 


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102 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

aber es ist bei uns nicht notwendig zur Erreichung des angestrebten Zieles, 
dazu genügen bei uns im allgemeinen Bebauungsplan und Bauordnung, 
eventuell noch das ja auch schon in Rüppur in Aussicht genommene 
W iederkaufsrecht. 

„An zweiter Stelle kommen auch bei uns große Arbeitgeber in Be¬ 
tracht und haben ja zum Teil auch schon ähnliches wie jene englischen 
geleistet; es sei hier nur der eine Name Krupp genannt. Ferner aber hat 
in Deutschland, namentlich in Preußen, der Domänenfiskus sehr oft die 
Möglichkeit, solche Gartenkolonien entweder selbst anzulegen oder durch 
billige Hergabe von Land zu unterstützen, und Hessen ist mit der Gründung 
der Villenkolonie Buchschlag bei Sprendlingen, südlich von Frankfurt, auch 
auf diesem Gebiete der Wohnungsfrage vorbildlich vorangegangen. Dann 
aber liegt auch für die Stadtgemeinden selbst, wie besonders Abendrot 
gezeigt hat, hier eine große Aufgabe vor, die sie gerade in Deutschland 
durchaus zu lösen vermögen und zum Teil auch schon in die Hand ge¬ 
nommen haben. 

„Endlich aber wird eine größere Einbürgerung dieser Wohnform auch 
nicht möglich sein ohne die Mitwirkung des privaten Bauunternehmer¬ 
tums und der Terraingesellschaften, und der kürzlich von Muthesius 
geäußerte Gedanke, diesen entgegenzukommen, wenn ihre Siedelungen den 
zu stellenden Anforderungen entsprechen, scheint mir sehr glücklich. 

„Wirken alle diese Faktoren zusammen, dann, bin ich überzeugt, werden 
wir auch in Deutschland in 50 Jahren eine andere und bessere Wohnform 
für die Masse unserer städtischen Bevölkerung haben. Die Überzeugung 
von ihrer Notwendigkeit zu verbreiten, hier höhere Bedürfnisse, vor allem 
auch das Bedürfnis nach mehr, wenn auch kleineren Räumen, zur Trennung 
der Geschlechter, zu wecken und jene Trennung der Wohnstätte von der 
Arbeitsstätte in größerem Umfang überhaupt erst zu schaffen, für deren 
Übertreibung in England dort jetzt die Gartenstadt Abhilfe bringen soll, das 
ist bei uns die große Aufgabe der Gartenstadtbewegung.“ 

Der Vorsitzende eröffnet hierauf die Diskussion. 

Geheimer Oberbaurat Prof. Dr. Baumeister (Karlsruhe): „Meine 
Damen und Herren! Ich darf wohl vor allem dem Danke Ausdruck geben, 
den wir für die lichtvollen Ausführungen des Herrn Referenten schuldig 
sind. Er hat vom wirtschaftlichen, vom allgemein sozialen und auch von 
einem allgemein technischen Standpunkte aus die Gartenstadtbewegung be¬ 
leuchtet. Ich glaube, es dürfte nützlich sein, wenn ich dabei einige bau¬ 
technische Grundsätze hinzufüge, die ganz besonders für die öffentliche 
Gesundheitspflege wichtig sind. 

„Die Gartenstadt soll nicht etwas Besonderes sein. Sie soll keine Aus¬ 
nahme bilden in bezug auf Bebauungsplan, Bauordnung usw., sie ist eben 
nur eine Stufe in dem ganzen System, und in diesem Sinne, glaube ich, 
können wir auch am allerleichtesten die speziellen bautechnischen Grund¬ 
züge von sogenannten Gartenstädten, von Gartenvorstädten, von weiträumig 
angelegten äußeren Stadtbezirken verstehen und weiterbilden. 

„Da handelt es sich zuerst um den allgemeinen Charakter eines solchen 
Außenbezirks. Er soll vor allen Dingen ein guter Wohnbezirk sein, und 


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Die Gartenstadt. 


103 


ich glaube, man muß die Fabriken, namentlich diejenigen, mit denen sich 
die Gewerbeordnung in § 16 befaßt, von vornherein vollständig ausschließen. 

„Damit ist nun aber nicht gesagt, daß das gewerbliche Leben in solchen 
Bezirken totgelegt werden soll. Es darf auch gar nicht geschehen, denn 
die Bewohner dieser Außenbezirke haben doch Bedürfnisse, welche nur durch 
Gewerbe, und zwar vorzugsweise durch Kleingewerbe, befriedigt werden 
können. Es müßten also Bestimmungen getroffen werden, wonach derartige 
Gewerbe in den gartenmäßig angelegten Bezirken zulässig sind, möglicher¬ 
weise lokal abgesondert von den ganz dem Wohnen bestimmten Bezirken, 
und es müssen Bestimmungen getroffen werden, wie weit diejenigen Gewerbe 
zulässig sind, welche durch Geräusch, Geruch und all dergleichen mehr oder 
weniger unerträglich werden können. Man findet ja auch solche Bestim¬ 
mungen schon hier und da in unseren deutschen Städten, denen ich nur 
eine Verallgemeinerung wünschen möchte, Bestimmungen, wonach Wirt¬ 
schaften, Kegelbahnen, große gewerbsmäßige Ställe oder Gewerbe kleinerer 
Art, aber doch mit unangenehmen Eindrücken versehen, ausgeschlossen 
werden können, und das sollte in sogenannten Gartenvorstädten noch viel 
sorgfältiger überlegt werden, als es bis dahin häufig der Fall ist. 

„Dann aber muß auch eine Bestimmung darüber getroffen werden, wie 
viele Familien in einem Hause wohnen dürfen; dies halte ich für außer¬ 
ordentlich wichtig. Einfamilienhäuser sind das Ideal. Aber wir können 
bei dem Bedarf an MietsWohnhäusern damit nicht auskommen, man muß 
auch Zweifamilienhäuser zulassen. Über diese Zahl hinaus möchte ich aber 
in Gartenvorstädten nicht gehen. Also Einfamilienhäuser oder Zweifamilien¬ 
häuser, und ob man nun den Bauunternehmern freistellt, wo sie die eine 
and die andere Klasse hinstellen wollen, oder ob man auch hier wieder eine 
lokale Sonderung innerhalb der Gartenvorstädte einrichtet, das ist eine Frage 
für sich, deren Beantwortung wesentlich auf örtlichen Gesichtspunkten beruht. 

„Dann kommen wir auf die Anzahl der Geschosse. Man kann ja nach 
Bremer Art eine Familie in drei Geschossen wohnen lassen. Das wäre aber 
sicherlich, wenn auch zulässig, doch nicht das immer Wünschenswerte. Des¬ 
halb glaube ich, sollte die Zahl der Geschosse auf zwei oder höchstens auf 
drei beschränkt werden, und es müssen dazu noch Vorschriften kommen, 
inwiefern ein Untergeschoß, ein Halbsouterrain, ein Dachgeschoß noch zu 
Wohnzwecken ausgenutzt werden darf. Nach meiner Meinung ist die Aus¬ 
nutzung zu vollständigen Wohnungen weder für ein Kellergeschoß, noch für 
ein Dachgeschoß zuzulassen. Es dürften nur einzelne Räume eingerichtet 
werden, welche dauernden Aufenthalt für Menschen gewähren, aber doch 
nur Zubehör zu den eigentlichen Wohnungen bilden dürfen. 

„Daß eine solche Vorschrift notwendig ist, sehen wir ja zu meinem 
Bedauern auch schon hier in Bremen. Wo sonst das Einfamilienhaus eine 
so außerordentlich glückliche Anwendung gefunden hat, da drohen schon 
draußen irgendwo im Westen und im Osten von Bremen Mietskasernen zu 
entstehen von drei, vier, ja fünf Geschossen. Dagegen muß man sich bei¬ 
zeiten wehren, und das Hilfsmittel ist eben die Baupolizei in Form einer 
abgestuften Bauordnung. 

„Außer diesem allgemeinen Charakter einer Gartenvorstadt, meine 
Herren, muß aber auch die Stellung der Häuser im einzelnen überlegt werden, 


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104 XXXII. Versammlung d.D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

die Frage: soll offene oder geschlossene Bauweise vorherrschen? Ich glaube, 
weder das eine noch das andere kann die einzige Lösung bilden, sondern 
es gibt ja eine ganze Menge von Zwischenstufen, die man als halboffene 
Bauweise zu bezeichnen pflegt und die gerade hier in den Gartenvorstädten 
Platz finden dürfte: Zwillingshäuser, Gruppenhäuser, dann namentlich zur 
Förderung von kleinen Wohnungen auch längere geschlossene Häuser¬ 
reihen unter gewissen Bedingungen für Licht und Luft, das alles muß hier 
zugelassen werden, und auch hier fragt es sich dann, ob man eine Mischung 
regellos der Willkür der Bauunternehmer überlassen will, oder ob, was ich 
doch für das Bessere halte, eine gewisse örtliche Sonderung der einen und 
der anderen Bauform innerhalb des ganzen Bezirkes vorgeschrieben wird. 

„Die Häuser sollen ferner von der Straße abrücken. Einen Vorgarten 
halte ich für ein dringendes Bedürfnis einer Gartenvorstadt. Es braucht 
nicht gerade ein Ziergarten zu sein, der dem Besitzer mehr Kosten verur¬ 
sacht, als Nutzen und Freude gewährt, aber es sollte ein Raum sein von 
vielleicht 3 m Tiefe, der schon den Leuten das Vergnügen verschafft, im 
Freien sitzen zu können, sich hinter einer Einfriedigung zu befinden, auf 
Terrassen, in Lauben, mit Eingangstreppchen ,u. dgl. etwas reizender und 
freundlicher angelegt. Nach hinten zu ist aber das Bedürfnis des Hauses 
ebenfalls ein sehr erhebliches und ein verschiedenartiges von den inneren 
Stadtbezirken. Eine Gartenstadt setzt ja doch vor allen Dingen einen 
Garten voraus, denn sonst verdient sie ihren Namen nicht, und der Garten 
bedarf Sonnenschein, um wirklich Erfreuliches zu liefern, und die Tiefe, die 
ein solcher Garten haben muß, um trotz des Schattens, den das vorliegende 
Haus in ihn hineinwirft, wirkliches Wachstum zu gewähren, ist nicht ganz 
unbedeutend. Wir können hier nicht auskommen mit den sonst allgemeinen 
hygienischen Normen des Lichteinfalls unter 45°. Da würde keine Erd¬ 
beere mehr wachsen, und es würden sich nicht einmal die Kinder im Sonnen¬ 
schein ordentlich bewegen können. Wir müssen mindestens verlangen, daß 
die Tiefe des Gartens hinter dem Hause das Doppelte von der Haushöhe ist, 
und das ist schon äußerst bescheiden, denn wenn Sie das Haus etwa zu 8 m 
mit zwei Geschossen annehmen und eine Tiefe des Gartens von 16 m da¬ 
hinter bis an die hintere Grundstücksgrenze, so kommt man, wenn dahinter 
ähnliche Häuser sich befinden, zu einem Abstande der beiden Häuserreihen 
von nur 32 m. Das ist so wenig, daß es die Minimalgrenze für eine bau¬ 
polizeiliche Vorschrift bilden sollte. Immerhin kann da etwas Gemüse ge¬ 
pflanzt werden, kann ein wirklich gartenmäßiger Betrieb stattfinden. 

„Das führt uns nun aber auch auf die Größe der Grundstücke. Wie 
groß soll denn ein Bauplatz in einer Gartenvorstadt gemacht werden? 
Offenbar muß er größer sein als für alle inneren städtischen Bezirke. 

„Es mag gestattet sein, hier einige Zahlen von ausgeführten Beispielen 
zu erwähnen. Ich finde, daß ein halber preußischer Morgen, das sind 
1250 qm, als eine gute Mittelzahl angesehen werden kann, wenn man 
wünscht, daß die Abfallstoffe einer mittelstarken Familie samt ihren Ziegen 
oder Schafen oder ihrem Geflügel auf dem Garten selbst untergebracht 
werden sollen. In Bielefeld ist in der dortigen Musteranlage von Eigen¬ 
heimen auf eigener Scholle, wie Pastor Bodelschwingh es nennt, eine 
Mittelgröße von 1700 qm, also etwa das 1 a / a fache der vorhin genannten 


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Die Gartenstadt. 


105 


Größe zugrunde gelegt worden. So weit kann man aber nun leider nicht 
mehr gehen, das hängt ja von den Bodenpreisen ab, und deshalb finden 
wir beispielsweise in der englischen Gartenstadt in Letchworth nur ein Maß 
▼on durchschnittlich 500 qm eingerichtet, und ebenso in der neuesten Grün¬ 
dung bei Darmstadt. Bei einer nicht allzu starken Familie ohne Viehstand 
können da immer noch die Abfallstoffe der Familie, Fäkalien, Küchen¬ 
wässer usw. auf dem Gartenland selbst untergebracht werden. Wir müssen 
aber unter Umständen noch weiter heruntergehen, denn es ist doch wahrlich 
schon eine rechte Freude für eine Familie, wenn sie auch nur auf einem 
Garten von einigen hundert Quadratmetern sich ausbreiten, wenn sie Garten¬ 
arbeiten vornehmen kann, wenn ihre Kinder darauf einen Spielplatz finden. 
Wie gesagt, das hängt ja durchaus von den Bodenpreisen ab, und das Ganze 
ist eine Bodenfrage. 

„Meine Herren! Die Bodenfrage spielt hier, wie überall, im städtischen 
Bauwesen die allerentscheidendste Rolle. Wenn die Bauordnung dafür sorgt, 
daß die Bodenpreise an einem übertriebenen Wachstum gehindert werden, 
so haben wir die gesunden Bedingungen für die Gartenvorstadt geschaffen. 
Es wäre zu wünschen, daß die Gemeinden und der Staat mit seiner Unter¬ 
stützung hier rechtzeitig eingreifen, um womöglich alle unsere deutschen 
Städte, namentlich die mittleren und großen Städte, nach und nach mit 
Gartenvorstädten zu versehen. Damit wäre dann nicht bloß der Hygiene 
gedient, sondern es wäre auch der sozialen Fürsorge für die ganze Bevölke¬ 
rung gedient, und es wäre, was ich schließlich nebenbei noch anführen will, 
auch der Ästhetik gedient. Wenn wir eine freundliche Gartenvorstadt 
schaffen, die in natürlicher und architektonischer Beziehung wirklich das 
ästhetische Bedürfnis vollständig befriedigt, so ist damit sicherlich auch 
wieder umgekehrt der Hygiene gedient. Derartige Garten vorstädte sind so 
anziehungskräftig für reich und arm, daß sie herausziehen, daß sie mit 
Vergnügen sich dort ansiedeln werden, daß sie die etwas größere Entfernung 
von der Stadt in den Kauf nehmen werden. 

„Was aher diese größere Entfernung von der Stadt betrifft, so ist es 
ja unsere deutsche Gewohnheit, daß wir in den Vorstädten nicht allzu weit 
von der Stadt entfernt zu sein wünschen. Wir wollen nnsere Schulen, 
unsere Kirchen, unsere Vergnügungslokale, unsere Bildungsanstalten aller 
Art genießen; über 5 km hinaus, glaube ich, läßt sich kein Deutscher ge¬ 
fallen, von der eigentlichen Mutterstadt entfernt zu wohnen, trotz aller 
Verkehrsmittel, trotz der Straßenbahnen, trotz der Vorortbahnen, die dorthin 
eingerichtet werden können und die natürlich hier nicht bekämpft, sondern 
vielmehr empfohlen werden müssen. 

„Denken wir uns also eine Gartenstadt der Zukunft, wie sie ja übrigens 
mehr oder weniger auch jetzt in der Nähe unserer großen Städte vorhanden 
ist, mit freundlichen Häusern für eine oder zwei Familien, mit wirklich 
malerischer Erscheinung der einzelnen Häuser, wobei, wie ich nebenbei be¬ 
merke, der moderne Klotzstil unserer Zeit nicht zu loben ist, sondern viel¬ 
mehr der eigentlich ländliche Stil, modifiziert nach städtischen Bedürfnissen, 
versehen mit reichlichen grünen Spielplätzen und öffentlichen Plätzen, das 
würde, glaube ich, eine Zukunft geben, in der unser deutsches Volk sich 
wohlfühlen kann.“ 


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106 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentL Gesundheitspflege zu Bremen. 

Ober- und Geheimer Baurat Dr. ing. Stübben (Berlin): „Meine 
verehrten Anwesenden! Ich möchte zunächst das, was Herr Professor Fuchs 
gesagt hat, bestätigen: den außerordentlich erfreulichen Eindruck, den uns 
die beiden Gartenvorstädte Sunligbt und Boumville gemacht haben, uns, die 
wir das Glück batten, auf einem Ausflug des internationalen Wohnungs¬ 
kongresses in England auch diese Städte zu besuchen. Es ist ein erfreu¬ 
licher Eindruck gewesen, nicht bloß in künstlerischer Beziehung, sondern 
namentlich auch in wohnlicher Beziehung, wenn ich so sagen darf, und wir 
alle sind wohl von einem gewissen Neid erfüllt gewesen auf die englischen 
Zustände, die es dort gestatten, daß nicht bloß der reiche Mann, wie bei 
uns, daß nicht bloß der gut situierte Mittelstand, sondern daß auch der 
bessere Arbeiter in der Lage ist, innerhalb eines Gartens oder Gärtchens 
sein Familienhaus zu haben, sei es als Eigentum, sei es zu einem Mietssatze 
von 6 bis 7 sh die Woche (gleich 7e bis 7s des Lohnes), ein Haus, dessen 
Herstellungspreis mit Einschluß des Grund und Bodens auf 472 bi* 7000 M. 
höchstens zu stehen kommt. 

„Offenbar ist die deutsche Gartenstadtbewegung von dieser erfreulichen 
Erscheinung in England ausgegangen, als sie ihre Anregungen in das weitere 
deutsche Publikum hineingetragen hat, und wir sind ihr dafür’, wie ich 
glaube, großen Dank schuldig. Denn jlaran kann kein Zweifel sein, daß es 
vom hygienischen Standpunkte — und das ist doch der Standpunkt, den 
diese Versammlung zu vertreten hat — nichts Schöneres gibt uüd geben 
kann, als jeder Familie ein eigenes selbständiges Haus in Gartenumgebung 
zu gewähren. 

„Anders liegt die Frage, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse zu 
beobachten sind, und da hat Herr Professor Fuchs in einer Weise, daß ich 
es nicht zu ergänzen brauche, dargelegt, daß das Programm unserer heutigen 
deutschen Gartenstadtgesellschaft etwas zu weit in diesen Zielen, etwas zu 
utopisch gespannt ist. Die Vorbedingungen sind bei uns andere als in 
England, und das Ziel ist ein anderes. Bei uns werden wir uns darauf be¬ 
schränken müssen, gute Gartenvorstädte einzurichten, nicht ganze Garten¬ 
städte, d. h. selbständige neue Stadtgründungen, weit abgelegen von be¬ 
stehenden Städten, wie es in Letchworth 60km von London gegenwärtig 
der Fall ist. Es muß also die deutsche Gartenstadtgesellschaft, wenn sie 
den Erfolg haben will, den wir ihr gewiß alle wünschen, sich mehr auf die 
Gartenvorstädte oder zunächst ausschließlich auf die Gartenvorstädte be- 
schräuken. Sie wird zweitens darauf verzichten müssen, das gemeinschaft¬ 
liche Eigentum kat’exochen als eine unbedingte Forderung in den Vorder¬ 
grund zu stellen. Gewiß kann das gemeinsame Eigentum für die Gartenstädte 
von beträchtlichem Vorteil sein. Auch wäre die Erstehung von ganzen 
Gartenvorstädten im Wege des Erbbaurechts außerordentlich erwünscht. 
Aber dort, wo mit dem Erbbaurecht der freie Verkauf zu vollem Eigentum 
in Konkurrenz steht, ist doch das unbedingte Verlangen des Erbbaurechts 
eine außerordentliche Erschwerung für das Gelingen. Es ist deshalb er¬ 
freulich, daß nach der letzten Nummer der Veröffentlichungen der deutschen 
Gartenstadtgesellschaft, wie Herr Fuchs schon mitgeteilt hat, man erkannt 
hat, daß in der Tat die grundsätzliche Ablehnung des freien Eigentums zu 
weit geht. 


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Die Gartenstadt. 


107 


„Noch in einem dritten Punkte müßte nach meinem Dafürhalten die 
deutsche Gartenstadtgesellschaft ihre Forderungen etwas einschränken. Das 
betrifft ihr bisher ausgesprochenes unbedingtes Verlangen der Gartenmäßig¬ 
keit des Baues in dem Sinne, daß es sich nur um Einfamilienhäuser handelt, 
die Ton allen Seiten frei stehen und von Garten umgeben sind. 

„Das führt wirtschaftlich ebenfalls eine Erschwerung des Gelingens 
dieser Bestrebungen herbei Wie soeben Herr Professor Baumeister dar¬ 
gelegt hat, sind wir genötigt, uns auch damit zufrieden zu geben, wenn die 
Häuser in Gruppenform oder zum Teil in längeren geschlossenen Reihen 
gebaut werden, wenn nur dafür gesorgt wird, daß sie ab und zu von ent¬ 
sprechenden gärtnerischen Anlagen unterbrochen sind, wenn Licht, Luft und 
Sonne überall hinreichend in das Innere eines Blockes hineintreten. Wir 
haben ja auch gesehen, daß selbst in den Orten Sunlight und Bournville 
keineswegs die unbedingt von allen Seiten frei stehende Errichtung des Ge¬ 
bäudes verlangt wird, sondern daß ein Gruppenbau, ein Reihenbau in ge¬ 
wissem Umfange zugelassen und ausgeführt ist; und gerade diese Teile 
jener Ansiedlungen haben in künstlerischer Beziehung den unstreitig her¬ 
vorragendsten Eindruck auf uns gemacht. 

„Wenn die deutsche Gartenstadtgesellschaft in dieser Richtung, ich will 
nicht sagen ihr Programm reformiert, aber ihre Bestrebungen ein schränkt, 
so bin ich überzeugt, wird sie bedeutende Erfolge in nächster Zeit zu ver¬ 
zeichnen haben. Denn ich glaube, die Stimmung ist nicht bloß in hygieni¬ 
schen Kreisen, sondern in großen Kreisen der Bevölkerung entschieden für 
diese Gartenstadtbewegung. Wir sind wohl alle erfreut, zu hören, daß nicht 
bloß bei Karlsruhe, bei Frankfurt, bei Dresden, bei Düren und an manchen 
anderen Orten ähnliche Bestrebungen der Verwirklichung entgegengeben, 
sondern ich bin auch in der Lage, die Ehre des preußischen Fiskus, dem 
mein verehrter Freund Fuchs soeben eins angehängt hat, zu retten. Ich 
kann nämlich mitteilen, daß der preußische Fiskus, dieser viel verschriene 
Mann, im Begriffe ist, in unmittelbarer Nähe der Stadt Posen eine Garten¬ 
vorstadt anzulegen. Der preußische Fiskus im Verein mit zwei anderen 
Eigentümern hat mit der Stadt Posen einen Vertrag geschlossen, der in¬ 
zwischen perfekt geworden ist, nach welchem ein ziemlich erhebliches, 
hübsch gelegenes Gelände für ausschließlich gartenmäßige Besiedlung benutzt 
werden soll. Nur die Hälfte des Landes wird zu Bauzwecken freigegeben, 
die übrige Hälfte dient zu Parkpflanzungen und zu Straßenanlagen. Es 
ist dafür gesorgt, daß nur kleine Häuser mit höchstens zwei Familien- 
wohnungen errichtet werden können, daß die Häuser von ziemlich großen 
Gartenflächen umgeben sind. Unter Umständen soll es ermöglicht werden, 
nicht bloß in ganz offener Lage, sondern hier und da auch in geschlossener 
Reihe zu hauen, schon um den Bäcker, den Handwerker, den Wirt und 
den Kleinbürger dort entsprechend seinen gewerblichen Bedingungen unter- 
znbringen. 

„Wir hoffen, daß diese Bestrebungen guten Erfolg haben werden und 
daß wir auch mit dem Erbbaurecht gute Erfahrungen machen werden, denn 
Städte und Staatsbehörden sind zweifellos in erster Linie dazu berufen, für 
die Verbreitung des Erbbaurechts zu sorgen. Sie sind auch in erster Linie 
dazu imstande. 


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108 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentL Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Ich kann ferner mitteilen, daß in der Nähe von Thorn ebenfalls dieser 
verehrte preußische Fiskus im Begriffe ist, in Vereinbarung mit dortigen 
Industriellen und mit der Stadt Thorn eine gartenmäßige Ansiedlnng in 
einem Vororte einzurichten. 

„Es handelt sich natürlich bei allen diesen Gartenvorstädten darum, 
ein Gelände zu Anden, welches in gewisser Entfernung von der Stadt liegt 
und die Zone der Bodenspekulation überspringt, denn nur dort sind die 
niedrigen Bodenpreise gegeben, die erforderlich sind, um eine solche Grün¬ 
dung überhaupt lebensfähig zu machen. 

„Vielleicht werden wir in Thorn, wo der preußische Fiskus ein ziemlich 
großes Areal zu diesem Zwecke erworben hat, noch eher zum Erfolge 
kommen als in Posen. Denn in Thorn handelt es sich mehr darum, gerade 
für Arbeiter zu sorgen, gelernte Arbeiter in gartenmäßigen Behausungen 
unterzubringen. 

„Sie sehen also, auch am preußischen Fiskus ist hier und da ein gutes 
Haar, zugleich aber sind wir überzeugt, daß auch unsere Stadtverwaltungen 
auf dem bisherigen Wege, ihre Umgebung wohnlich und gartenmäßig zu 
gestalten, und in ihren bisherigen Bestrebungen einer Abstufung der Bau¬ 
ordnung, einer entsprechenden Gestaltung der Bebauungspläne, wie meine 
beiden Herren Vorredner es Ihnen dargelegt haben, fortfahren, so daß auf 
Grund dieser Bestrebungen, noch weiter angeregt und ermuntert durch die 
deutsche Gartenstadtbewegung, die Zukunft unseres Wohnens in der Nähe 
der Städte sich besser gestaltet, als sie bisher in Deutschland hat sein 
können.“ 

Gemeindebaurat, Regiernngsbanmeister a. D. Blnnck (Steglitz): 
„Meine Damen und Herren! In den Leitsätzen heißt es unter 4.: »Hier kann 
es sich daher bei der Gartenstadtbewegung vorwiegend nur um Gartenvor¬ 
städte handeln.» Die Stelle der Vorstädte nehmen aber bei den Großstädten 
zumeist die sogenannten Vororte ein, und für die Gartenstadtbewegung ist 
daher die bauliche Ausgestaltung der Vororte von großer Bedeutung. Hierauf 
sind aber naturgemäß die Bestimmungen der jeweiligen Bauordnungen von 
maßgebendem Einfluß. 

„Ich möchte mir daher erlauben, hier einen speziellen Punkt der Bau¬ 
ordnung für die Vororte von Berlin zu erwähnen. Da die Bauordnung der 
Vororte von Berlin einen großen Bezirk zwischen Potsdam und Spandau 
umfaßt, der voraussichtlich im nächsten Jahrzehnt besiedelt werden wird, 
so liegt, glaube ich, hier ein größeres allgemeines Interesse vor; außerdem 
werden voraussichtlich auch bei anderen großen Städten ähnliche Verhält¬ 
nisse herrschen. 

„Für die bauliche Ausgestaltung eines Ortes ist ausschlaggebend neben 
der Bestimmung der Geschoßzahl und der Höhe der Gebäude die zulässige 
behaute Fläche. Nehmen wir an, daß die Hälfte der Grundstücksfläche 
bebaut werden darf, so muß die andere Hälfte als Hoffläche und Garten¬ 
fläche vorhanden sein. Es ist nun meiner Auffassung nach durchaus nicht 
gleichgültig, wie diese zweite Hälfte verteilt ist, sondern Behr wichtig, daß 
diese Gartenfläche nicht verzettelt wird, vielmehr konzentriert wirklich sda 
Garten zur Wirkung gelangen kann. 


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Di( 



Die Gartenstadt. 


109 


„In der Bauordnung für die Vororte von Berlin ist nun für große 
Bezirke ein sogenannter Bauwich vorgeschrieben; es dürfen z. B. nur zwei 
Gebäude von ganz bestimmter Länge errichtet werden, dann muß ein sog. 
Bauwich vorhanden sein, d. h. ein Abstand von 4 bzw. 5 m von der Nachbar- 
Trense. Dieser Bauwich geht meiner Überzeugung nach — und Beispiele an 
ausgeführten Häusern beweisen es — in gesundheitlicher Beziehung als Garten 
so gut wie verloren, da der wirklich nutzbare Garten um diese Fläche ge¬ 
kürzt wird. Ich möchte noch betonen, daß es sich in den betreffenden 
Bezirken nicht etwa um Einfamilienhäuser handelt, sondern um zwei- bis 
viergeschossige Häuser mit mehreren Wohnungen. Meiner Überzeugung 
nach wiegen die Vorteile des Bauwichs, die man doch wohl von dieser Vor¬ 
schrift erhofft, nicht die Nachteile auf, die hervorgerufen werden erstens 
durch die Verzettelung der Gartenflächen und zweitens durch die Verteuerung 
des Bauens. 

„Ich glaube, daß eine Entscheidung über die Vorteile und Nachteile 
des Bauwichs eine hygienische Frage von allgemeinerem Interesse ist, die für 
große Bezirke, vor allen Dingen für die Vororte der Großstädte, von großer 
Bedeutung sein kann. Es würde daher meiner Auffassung nach eine 
dankenswerte Aufgabe des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege sein, in 
dieser Hinsicht einmal eine Aussprache und eine Entscheidung herbeizu¬ 
führen. Dies eventuell anzuregen, war der Zweck meiner Worte.“ 

Baurat Professor Ewald Genzmer (Danzig): „Meine Damen und 
Herren! Der Herr Referent sowohl wie die Herren Redner haben schon 
hervorgehoben, daß, abgesehen von anderen Maßregeln der Bodenpolitik, 
besonders die Bebauungspläne und die Bauordnungen für die Frage, die 
wir heute hier zu behandeln haben, in Betracht kommen. Ich möchte mir 
nun erlauben, bezüglich der Bauordnungen hier noch einem Gedanken 
Ausdruck zu geben, der, wie ich glaube, mit unserem Beratungsgegenstande 
in engem Zusammenhänge steht. Wir wissen ja alle, daß die älteren Bau¬ 
ordnungen der großen Städte, namentlich auch diejenige der Stadt Berlin, 
welche eine sehr weitgehende Ausnutzung des Grund und Bodens ermöglicht, 
vielfach, wenn ich so sagen soll, verderblich in unserem Sinne gewirkt 
haben. Diese Bauordnungen haben zur Folge gehabt, daß in kleinen Städten 
oft die Ansicht verbreitet ist, als ob hohe Häuser besonders erstrebenswert 
seien, als ob durch sie die Stadt einen großstädtischen Charakter erhalte 
und dadurch an Bedeutung und Wohlstand gewinne. Als Beleg hierfür 
möchte ich anführen, daß eine kleine Stadt am Harz in ihrer neuesten Bau¬ 
ordnung vom vorigen Jahre bestimmt hat, es dürfen überhaupt jetzt nur 
noch Häuser gebaut werden, welche mindestens drei Stockwerke haben. 

„Indessen allmählich hat man doch erkannt, daß namentlich für die 
Außenbezirke schärfere Bestimmungen nötig sind als für die Innenbezirke, 
daß also die Bestimmungen der Bauordnungen abgestuft werden müssen. 
Der Erlaß derartiger abgestufter Bauordnungen findet erfreulicherweise 
immer mehr Nachahmung. In Dresden auf der Städteausstellung 1903 
waren es noch verhältnismäßig sehr wenige Städte, welche abgestufte Bau¬ 
ordnungen vorführten, obgleich damals ausdrücklich um die Ausstellung 
derartiger Bauordnungen, wo solche vorhanden, ersucht worden war. 


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110 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Neuerdings haben sich die Verhältnisse nach dieser Richtung hin 
erfreulicherweise wesentlich gebessert. Man erkennt mehr und mehr die 
Notwendigkeit an, die Bestimmung für die Ausnutzung des Grund und 
Bodens nach außen hin zu verschärfen. Diese Verschärfungen beziehen sich 
einmal auf die Größe der zu bebauenden Fläche und sodann auf die zu¬ 
lässige Geschoßzahl. Jedoch wird es nicht immer möglich sein, den Ge¬ 
meindebezirk und damit den Einfluß der Gemeinde auf alle Ansiedlungen 
auszudehnen, die in der Nähe der Städte im wirtschaftlichen Zusammen¬ 
hänge mit diesen entstehen, mag man sie nun »Gartenstädte« oder, wie auch 
ich es för richtiger halte, »Gartenvorstädte« nennen. Man wird also viel¬ 
fach angewiesen sein auf die vorhandenen Bauordnungen des Landes. Auf 
diese Landbauordnungen möchte ich nun Ihre Aufmerksamkeit lenken, die 
nach meinem Dafürhalten bisher vom verkehrten Standpunkte aus angefaßt 
wurden. 

„An sich ist es gewiß durchaus zweckmäßig, für größere Bezirke (Regie¬ 
rungsbezirke, Provinzen, Länder) einheitliche Bauordnungen zu erlassen; 
denn es wird nicht jede kleine Stadt in der Lage sein, über ausreichende 
Kräfte zu verfügen, um sich selbst eine zeitgemäße Bauordnung schaffen zu 
können; oft wird auch gerade in kleinen Gemeinden die Durchführung der¬ 
artiger Maßregeln durch übermächtige persönliche Interessen einzelner ver¬ 
hindert. Somit ist ganz gewiß nichts dagegen einzuwenden, wenn große 
Bezirke unter eine einheitliche Bauordnung zusammengefaßt werden. Nicht 
richtig erscheint mir aber, daß es bislang üblich ist, die Bestimmungen der 
Bauordnung — ich beschränke mich in meinen Ausführungen nur auf die 
bauliche Ausnutzbarkeit des Grund und Bodens nach bebaubarer Fläche 
und zulässiger Geschoßanzahl — nach derjenigen Stadt zu bemessen, welche 
die herrschende oder die größte in dem betreffenden Bezirk ist. So bestimmt 
beispielsweise die Landbauordnung des Regierungsbezirks Arnsberg, daß 
allgemein die Grundfläche bis zu drei Viertel bebaut werden darf und daß 
überall viergeschossige Wohnhäuser errichtet werden dürfen. Offenbar hat 
man bei dieser Bestimmung die Verhältnisse der großen Industriestädte des 
Regierungsbezirkes (vor allem der Stadt Dortmund) im Auge gehabt und 
geglaubt, der hygienischen und sozialpolitischen Forderung nach einer weit¬ 
räumigen Bauweise dadurch Rechnung zu tragen, wenn man es zuließ, daß 
Verschärfungen der allgemeinen Bauvorschriften in einzelnen Fällen getroffen 
werden dürfen. Die Landbauordnung für den Regierungsbezirk Arnsberg 
legt also das Minimum der Beschränkungen in der baulichen Ausnutzung 
des Grund und Bodens fest und rechnet darauf, daß weitere Beschränkungen 
für die einzelnen Landgemeinden, die kleinen Städte und Außenbezirke der 
Großstädte durch die Gemeinden selbst eiugeführt werden. Daß dies aber 
in der Tat allgemein geschehen wird, erscheint mir nach dem Beispiel der 
kleinen Harzstadt, das ich eben angeführt habe, sehr fraglich. 

„Ich meine daher, man sollte einmal dem Gedanken näher treten, die 
ganze Sache vom entgegengesetzten Standpunkte anzufassen. Man sollte 
Bauordnungen für größere Bezirke (Provinzen, Regierungsbezirke usw.) unter 
Zugrundelegung der ländlichen Bauweise, also unter Einführung des Maxi¬ 
mums der Beschränkung aufstellen und es nun den enger bebauten Ort¬ 
schaften überlassen, ihrerseits Erleichterungen einzuführen. Ich glaube, 


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Die Gartenstadt. 


111 


ein derartiges Verfahren nimmt mehr Rücksicht auf die menschlichen 
Schwächen und hat daher bessere Aussicht auf Erfolg: es werden gewiß 
sehr häufig Ermäßigungen der allgemeinen Vorschriften beantragt werden, 
selten aber Verschärfungen. Diesen Gedanken, der mir bei der eingehenden 
Beschäftigung mit der Bauordnungsfrage gekommen ist, möchte ich gerade 
an dieser Stelle zum ersten Male aussprechen, indem ich mir Vorbehalte, 
ihn demnächst noch näher in der Literatur zu erörtern. Vielleicht würde 
die praktische Ansführung dieses Vorschlages doch zu anderen Zuständen 
führen; mindestens würde die Entstehung hoher Mietskasernen in größerer 
Entfernung von den Städten auf freiem Felde sehr erschwert werden, wenn * 
eine Landbauordnung vorhanden wäre, deren Bestimmungen tatsächlich den 
ländlichen Verhältnissen angepaßt sind. 

„Im übrigen möchte ich noch aus meiner Heimatstadt Danzig eine 
kurze Mitteilung machen. Auch dort wird eine große gartenstadtmäßige 
Ansiedlung für Arbeiter der Werften und sonstiger industrieller Etablisse¬ 
ments hergestellt. Eine große Anzahl von Häusern ist bereits im Bau. Im 
Laufe der nächsten Jahre sollen unter Aufwendung von etwa 7 Millionen Mark 
mehrere tausend Arbeiterwohnungen geschaffen werden, und zwar auf dem 
Wege einer Baugenossenschaft. Hinter dieser steht jedoch das Reichsamt 
des Innern. Der dem Deutschen Reiche gehörige Grund und Boden wird 
an die einzelnen Genossen in Erbpacht vergeben. Diese neue Gartenvorstadt 
wird nach den ähnlichen Prinzipien errichtet,, die hier von dem Herrn Refe¬ 
renten empfohlen worden. Ein Bebauungsplan nach neuzeitlichen Grund¬ 
sätzen ist aufgestellt worden. Hiernach bildet den Mittelpunkt der ganzen An¬ 
siedlung ein Marktplatz, an welchem die Gebäude, die dem allgemeinen Wirt¬ 
schaftsbetriebe zu dienen haben (Versammlungsräume, Konsumanstalten usw.), 
errichtet werden sollen. Die einzelnen Hausgrundstücke, zu denen größere 
Gartenflächen gehören, enthalten höchstens zwei Familien Wohnungen. Für 
jede Wohnung ist ein Brausebad geplant. Eine Anzahl von Spielplätzen 
für Kinder sind über das ganze Gebiet verteilt. Auch Parkanlagen im 
Innern zweier großer Baublöcke sind vorgesehen. Kurz, alle neuzeitlichen 
Erfahrungen sind sowohl bei dem Bebauungsplan wie bei den Wohnhaus¬ 
bauten selbst berücksichtigt worden, so daß eine erfreuliche Entwickelung 
der Gartenvorstadt zu erhoffen ist.“ 

Geheimer Oberflnanzrat Dr. Fachs (Darmstadt): „Meine Herren! 
Ich hätte mich, zumal in so später Stunde, nicht zum Worte gemeldet, wenn 
nicht der verehrte Herr Referent ausdrücklich Ihnen in Aussicht gestellt 
hätte, daß ich über die Villenkolonie des hessischen Domänenfiskus Buch¬ 
schlag einige Mitteilungen machen würde. 

„Die Gründung ist erfolgt im Jahre 1904. Damals wurde mit einer 
gemeinnützigen Gesellschaft in Frankfurt, der sogenannten Buchschlag- 
Gesellschaft, ein Vertrag geschlossen, wonach dieser Gesellschaft 30ha in 
einem Waldgelände, das etwa 11km südlich von Frankfurt an der Main- 
Neckarbahn liegt, zur Verfügung gestellt wurde. Die Gesellschaft sollte jedoch 
nicht Eigentümerin dieses Grund und Bodens werden, sondern nur die Kauf¬ 
abschlüsse vermitteln. Die Verkäufe finden also direkt vom Fiskus aus statt, 
und zwar zu dem sehr billigen Geländepreise von 1 M. pro Quadratmeter. 


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112 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Durch einen hervorragenden Architekten, Professor Pützer von der 
Technischen Hochschule zu Dannstadt, wurde ein allgemeiner Bebauungs¬ 
plan entworfen. Wir haben eine weiträumige offene Bebauungsweise vor¬ 
gesehen. Es werden keine Grundstücke abgegeben unter 1000qm, dabei 
werden nur Einfamilienhäuser und höchstens Zweifamilienhäuser sugelassen. 
Ich darf bemerken, daß Baugruppen wohl auch erlaubt würden, wenn die 
Forderung gestellt werden sollte. 

„Erwähnenswert ist, daß jedes einzelne Haus einer bauästhetischen 
Prüfung unterworfen wird. Es ist dies ein Punkt, der mitunter schon auf 
Widerspruch gestoßen ist, an dem aber meines Erachtens ganz besonders 
festgehalten werden muß, weil es eben leider noch nicht möglich ist, Hä߬ 
lichkeiten fernzuhalten von einer Villenkolonie, wenn man die Leute bauen 
läßt, wie sie wollen. 

„Wichtig ist nun, in welcher Weise für die dauernde Unterhaltung des 
Charakters der Anlage gesorgt ist. Wenn wir Erbbaurecht eingeführt 
hätten, so hätten wir keine zehn Grundstücke verkaufen können. Der 
Deutsche fügt sich meines ErachteDS dem Erbbau nur unter dem absoluten 
Zwange der Verhältnisse. Da, wo die städtischen Verhältnisse so liegen, 
wie es in Frankfurt z. B. der Fall ist, daß billiges Gelände nioht mehr zu 
haben ist, mag der Erbbau am Platze sein. Aber ich glaube, es müßte 
wohl noch ein anderer Weg gesucht werden, der Gesamtheit einen dauern¬ 
den Einfluß auf die Bauweise zu sichern. Wir haben ihn darin gesucht, 
daß wir durch dingliche Belastung, die im Grundbuch gewahrt werden 
soll, die Errichtung der Mietskaserne, überhaupt jede andere als die villen¬ 
artige offene Bauweise ausschließen. 

„Ich möchte zum Schluß noch auf folgendes hin weisen. Meine Herren! 
Ich glaube, solange wir in Deutschland nur für die Staatssteuer ein 
Reichsgesetz gegen die Doppelbesteuerung haben und nicht auch für die 
Gemeindebesteuerung, werden Sie nicht in wünschenswertem Maße es 
erreichen können, daß Leute, die in der Stadt ihr Geschäft haben, sich zu¬ 
gleich auf dem Lande mit Wohnhäusern ansiedeln, denn an mehreren 
Plätzen zugleich Gemeindesteuern bezahlen zu müssen, ist ein ganz ent¬ 
schiedenes Hemmnis der Gartenvorstadtentwickelung, soweit Gebiete ver¬ 
schiedener Bundesstaaten in Betracht kommen.“ 

Hauptmann a. D. V. Kalckstein (Bremen): „Meine Damen und 
Herren! Wir beschäftigen uns bei diesem Punkte der Tagesordnung mit 
der Verbesserung der Wohnungsverhältnisse in hygienischer Beziehung. Da 
in den bisherigen Verhandlungen nur von der Abhilfe durch Bauordnungen 
und Bebauungsordnungen die Rede war, die uns, wie der Referent sagt, in 
50 Jahren bessere Wohnungsverhältnisse verschaffen werden, so möchte ich 
ganz kurz darauf hinweisen, daß für die Gegenwart Fortschritte durch den 
Erlaß von Wohnungsverordnungen erreichbar sind. Durch Einführung von 
Wohnungsinspektionen, die ihre Tätigkeit auf Grund von Wohnungsord¬ 
nungen ausüben, kann, wie in der letzten Zeit nacbgewiesen, ohne Unmög¬ 
liches zu verlangen, vieles erreicht werden. Von diesen Wohnungsord¬ 
nungen ist ja eine große Anzahl schon erlassen, die nur der Durchführung 
bedürfen, und wir würden auf diesem Gebiete sehr viel schneller vorwärts 


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Die Gartenstadt. 


113 


kommen, wenn das preußische Wohngesetz nicht mehr Entwarf bliebe, son¬ 
dern Gesetz würde. Ich glaube, es ist hier der Platz, die Frage öffentlich 
aufzuwerfen: Warum bleibt das preußische Wohnungsgesetz nur Entwurf? 

Damit ist die Diskussion erschöpft, der Referent verzichtet auf das 
Schlußwort. 

Vorsitzender, Oberbürgermeister Dr. Lentze (Magdeburg): „Ver¬ 
ehrter Herr Professor! Die lebhafte Spannung bei allen Mitgliedern, die 
Ihnen während Ihres Vortrages wohl kaum entgangen sein wird, und der 
große Beifall, der Ihrem Vortrage hinterher gefolgt ist, wird Ihnen bewiesen 
haben, daß Sie mit Ihrem Vortrage das Richtige getroffen haben und wir 
Ihnen für Ihren Vortrag außerordentlich dankbar sind. 

„Daß wir in Deutschland schlechte Wohnungen haben, daß das Woh¬ 
nungswesen hei uns unbedingt reformiert werden muß, unterliegt wohl bei 
keinem mehr einem Zweifel. Die Wege aber, welche eingeschlagen werden 
müssen, sind natürlich sehr verschiedenartig und auch in mancher Hinsicht 
schwierig, und Ihre gediegenen, lichtvollen Ausführungen heute haben, glaube 
ich, manchen wertvollen Fingerzeig gegeben, wie man in Zukunft Vor¬ 
gehen muß. 

„Wir danken Ihnen von Herzen für diesen schönen Vortrag, und seien 
Sie davon überzeugt, daß er nicht ohne Nutzen gewesen ist. u 


Schluß l*/ 4 Uhr. 


Vierteljahnschrift für Gesundheitspflege, 1908. 


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114 XXXII. Versammlung d. I). Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 


Dritte Sit z’u n g. 

Freitag, den 13. September 1907, vormittags 9 Uhr. 

Vorsitzender, Oberbürgermeister Dr. Lentze eröffnet die Sitzung 
und gibt zunächst Herrn Geheimen Oberbaurat Professor Dr. Baumeister 
(Karlsruhe) zu einer kurzen Mitteilung zum Thema „Die Gartenstadt“ 
das Wort: 

„Meine Herren! Ich bin erst gestern abend in den Besitz einer Anzahl 
von Druckschriften gekommen, die ich den Interessenten zur Verfügung 
stellen möchte. Es ist ein Gutachten, das sich auf die einheitliche Bebauung 
in der Elbgegend zwischen Altona und Wedel bezieht. Es wird beabsichtigt, 
eine Gartenstadt oder Gartenvorstadt in Hamburg-Altona in großem Um¬ 
fange herzustellen. Die Grundzüge zu diesem Gutachten stehen hier in 
einer Anzahl von Exemplaren zur Verfügung der Herren. Allerdings sind 
es nur die allgemeinen Grundzüge, die aber, wie ich glaube, im Anschluß 
an die gestrige Diskussion doch von Interesse sein werden. Der vollständige 
Entwurf wird erst vorbereitet und wird erst in Jahr und Tag fertiggestellt 
und dann natürlich auch veröffentlicht werden.“ 

Es erfolgt sodann gemäß § 7 der Satzungen die 

Neuwahl des Ausschusses. 

Auf Antrag des Herrn Oberbürgermeisters Dr. F u s s (Kiel) werden 
folgende Herren durch Zuruf gewählt: 

Oberbürgermeister Dr. Ebeling (Dessau), 

Stadtbaurat Ko eile (Frankfurt a. M.), 

Oberbürgermeister Morneweg (Darmstadt), 

Geheimer Obermedizinalrat Dr. Pi stör (Berlin), 

Geheimer Hofrat Professor Dr. Schottelius (Freiburg i. B.), 
Ober- und Geheimer Baurat Dr. Stübben (Grunewald), 
welche in Gemeinschaft mit dem ständigen Sekretär 
Dr. Pröbsting (Köln) 

den Ausschuß für das Geschäftsjahr 1907/08 bilden. 

Nach Schluß der Versammlung wählte der Ausschuß gemäß § 7, Ab¬ 
satz 3 der Satzungen Herrn Geheimen Hofrat Prof. Dr. Schottelius zum 
Vorsitzenden für das nächste Jahr. 

Der Vorsitzende stellte hierauf den letzten Gegenstand der Tagesordnung 
zur Verhandlung: 


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Der moderne Krankenhausbau vom hygien. und Wirtschaft!. Standpunkte. 115 


Der moderne Krankenhausbau 
vom hygienischen und wirtschaftlichen 
Standpunkte. 


Es lauten die vom Referenten Professor Dr. Lenhartz (Hamburg) 
auf gestellten 


Leitsätze: 


1. Das rasche und mächtige Anwachsen der Bevölkerung, insbesondere der 
Volksschichten, die in erster Linie auf die Hilfe der öffentlichen Kranken¬ 
häuser angewiesen sind, hat das Bedürfnis zur Anlage neuer Anstalten in 
ungeahnter Weise gesteigert. 

2. Angesichts dieser Sachlage verdienen die Grundsätze, die für den Bau 
neuer Krankenhäuser maßgebend sein müssen, die ernste Aufmerksamkeit 
der Staats- und städtischen Verwaltungen, der Kreise und kleineren Ge¬ 
meinden. 

3. Die Erfahrungen, die in den letzten 30 Jahren auf dem Gebiete des Krankeu- 
hausbaues gewonnen sind, lehren, daß nur durch einmütiges Zusammen¬ 
wirken von Ärzten und Architekten mustergültige Anstalten geschaffen 
werden. 

4. Andererseits beweist die neueste und großartigste Schöpfung auf diesem 
Gebiete, daß die architektonischen Rücksichten nicht den Bau beherrschen 
dürfen, sondern die hygienischen Forderungen als ausschlaggebend voran¬ 
zustellen sind. 

5. Die Rücksichten auf das Wohl der Kranken und den ärztlich-technischen 
Betrieb der Anstalt muß nicht nur die Generalanlage der Anstalt, sondern 
auch die Ausgestaltung aller einzelnen Krankengebäude bestimmen. 

6. Bei Beachtung dieser grundsätzlichen Forderungen werden die Anlage¬ 
kosten nicht auf eine solche Höhe an wachsen, wie dies bei der Voranstellung 
architektonischer Wirkungen zu geschehen pflegt, andererseits nicht unter 
das Maß herabsinken, das vom ärztlich-technischen Standpunkte aus ge¬ 
fordert werden muß. Wirtschaftliche und sozialpolitische Erwägungen ver¬ 
dienen neben den hygienischen und technischen volle Würdigung. 

7. Die Größe der Anstalt wird in erster Linie von den örtlichen Forderungen 
bestimmt. Aus den verschiedensten Gründen ist es ratsam, 1500 Kranken¬ 
betten als höchst zulässige Zahl festzulegen. 

8. Je nach der Größe und der Aufgabe der Anstalt, den örtlichen Bedingungen 
und den klimatischen Verhältnissen ist die Anlage im Pavillon-, Korridor¬ 
oder gemischten Stil zu empfehlen. Bei allem ist für die Schaffung großer, 
schöner, für die Patienten leicht erreichbarer Gartenanlagen Sorge zu 
tragen. 

9. Jedes System hat seine Licht- und Schattenseiten: je zerstreuter die Anlage 
der einzelnen Krankenhausbauten, um so günstiger die allgemeinen hygieni¬ 
schen Verhältnisse für die Kranken, insbesondere bezüglich der Vorbeugung 
von Hausinfektionen, um so schwieriger und kostspieliger aber auch die 
ärztliche und wirtschaftliche Versorgung. Dprch die Anlage zweistöckiger 
Pavillonbanten wird ein gewisser Ausgleich geboten. 

10. Das Pavillonsystem verdient besonders bei großen Krankenhausanlagen den 
Vorzug. Aber auch bei der Pavillonanlage wird man für manche Kranken - 
gruppen nicht auf Korridorhäuser verzichten dürfen, die für kleinere An¬ 
stalten am zweckmäßigsten sind. Augen-, Ohren-, Halskranke, Rheumatiker, 
Nierenkranke und Deliranten sind in den Korridorhäusern weit besser auf¬ 
gehoben wie bei den meist allzu luftigen und aus verschiedenen anderen 
Gründen weniger geeigneten Pavillons. 

11. Bei dem Generalplan einer Krankenhausanlage sind nicht nur alle hygie¬ 
nischen und ärztlich-technischen Forderungen zu berücksichtigen, soweit 

8 * 


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116 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

sie sich auf die Trennung der Geschlechter, der inneren, chirurgischen und 
Infektionsabteilungen und die Unterbringung des Hauspersonala beziehen, 
sondern vor allem auch die Gruppierung des Operations-, Röntgen-, Turn- 
und Badehauses, sowie der Apotheke und Wirtschaftsgebäude auf das sorg¬ 
fältigste zu überlegen, damit sie von den Krankenstationen leicht erreicht 
werden können und die wichtige Frage des Speisentransports bestmöglichst 
gelöst wird. 

12. Während alle diese Fragen bei kleineren Pavillon- und den Korridoranstalten 
nur geringen Schwierigkeiten begegnen, wachsen letztere beträchtlich mit 
der Größe der Krankenhäuser, die in reinem Pavillonstil erbaut sind. 

13. Diese Schwierigkeiten haben zu mancherlei Auswegen geführt. Man hat 
die Zahl der Geschosse auf drei bis vier vermehrt oder durch langgestreckte 
Pavillons in geringeren Abständen voneinander oder durch Verbindungs¬ 
gänge die Mängel der Anlage zu beseitigen gesucht. Allen diesen Auswegen 
haften aber solche Fehler an, daß man ihnen nur mit bestimmten Ein¬ 
schränkungen zustimmen darf. 

14. Bei der Innenanlage der verschiedenen Anstaltsgebäude ist der übersicht¬ 
lichen Anordnung der Einzelräume, den Belichtungs-, Lüftungs- und Heizungs¬ 
verhältnissen die größte Sorgfalt zu widmen. Labyrinthische Gliederungen 
sind streng zu vermeiden. Die Anlage der Wände, Türen und Fußböden 
verdient größte Sorgfalt. Die Fenster aller Krankenräume sind möglichst 
bis zur Decke zu führen und nicht nur mit großen, einen freien Ausblick 
gestattenden Fensterflügeln, sondern auch mit Kippflügeln zu versehen. Die 
jetzt bei Wohnhäusern vielfach beliebte Butzeuscheibeneinteilung ist zu 
bekämpfen. Außer der vom Wartpersonal leicht zu handhabenden Lüftung 
mit Kippflügeln sind die sonst üblichen automatischen Ventilationsvorrich- 
tungen nicht zu umgehen. Für die Heizung kommen nur zentrale Anlagen 
in Betracht, ebenso für die elektrische Beleuchtung. 

15. Während einem großen Teil der in den Korridorhäusern gelegenen 
Krankenräume der Nachteil anhaftet, daß sie bei entsprechender Tiefe 
nicht immer genügend zu belichten und schwierig zu lüften sind, auch eine 
zu ausgiebige Luftverbindung zwischen den einzelnen Geschossen und den 
zahlreichen Einzelräumen fast unvermeidbar ist, bieten die Pavillonanlagen 
andere Fehler, die zum Teil zwarjfvermieden werden können, zum Teil dem 
System anhaften. Für Augenkranke sind die von zwei oder gar drei Seiten 
belichteten Pavillons nicht brauchbar, Rheumatismuskranke sind zu viel 
Zug ausgesetzt u. a. m. Die übermäßige Größe der Pavillonsäle bedingt 
viele Schattenseiten: Infektionen können sich einer größeren Krankenzahl 
mitteilen, die Gemütlichkeit fehlt, unruhige, in sozialer Beziehung un¬ 
günstige Elemente stören 30 und mehr Kranke gleichzeitig. 

16. Absonderungsräume sind daher nötig für unruhige, sterbende, übelriechende 
und vor allem für infektionsverdächtige Kranke. Diese Räume müssen so 
gelegen sein, daß wenigstens vorübergehend eine wirkliche Abtrennung 
möglich ist. Auf Kinderabteilungen kann man durch verstellbare Boxes 
einen Notbehelf schallen — besondere Isolierzimmer sind vorzuziehen, am 
meisten sind kleine Isolierpavillons zu empfehlen. 

17. An sonstigen Nebenräumen sind außer guten Wohnzimmern für das Pflege¬ 
personal hinreichend gi^oße Räume für Teeküchen, AnstaltBwäsche- und 
Kleidermagazine vorzusehen. In dieser Beziehung sind an vielen Orten 
Fehler gemacht. 

18. Auch bei den Badezimmern ist auf genügende Größe Wert zu -legen ; 
Wascheinrichtungen müssen für die Aufpatienten in genügender Zahl vor¬ 
handen sein. Die Abortanlagen sind möglichst groß vorzusehen. Sie dürfen 
keine Gerüche in die Krankenräume abgeben und müssen leicht erreichbar 
sein. Ihre Größe ist so zu bemessen, daß Auswurf, Harn, Erbrochenes und 
Stuhlentleerungen bis zur ärztlichen Besichtigung aufbewabrt und die be¬ 
treffenden Gefäße daselbst leicht gereinigt werden können. Die Anlage von 
besonderen Desinfektionseinrichtungen auf den Krankenstationen für die 


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Der moderne Krankenhausbau vom hygien. und wirtschaftl. Standpunkte. 117 

Behandlung der Wäsche, des Auswurfs und sonstiger Entleerungen von 
Kranken ist überflüssig und durchaus nicht wünschenswert. 

19. Für die von den Kranken mitgebrachte Kleidung sind besondere Gelasse 
nötig. Nur für kleinere Anstalten genügt ein zentraler Aufbewahrungs¬ 
raum, für große (mit 1000 und mehr Betten) sind vielfache Kammern einer 
zentralen vorzuziehen. 

20. Wohl aber sind tadellose zentrale Anlagen für die Desinfektion der ver¬ 
dächtigen Kleidungsstücke, der infizierten Wäsche u. dgl. nötig, während 
die Abwässer der Krankenstationen am zweckmäßigsten in Sielgrubenhäusern 
desinfiziert und alle festen infektiösen Abfälle, wie gebrauchte Verband¬ 
stoffe usw., in eisernen Behältern gesammelt und im Verbrennungsofen 
vernichtet werden müssen. 

Referent, Professor Dr. Lenhartz (Hamburg): 

I. 

„Meine Herren! Nach den Mitteilungen des Kaiserlichen Gesundheits¬ 
amtes ist die Zahl der allgemeinen Krankenhäuser — mit Ausschluß der Sonder¬ 
anstalten für Geistes-, Augen- und gynäkologische Kranke — von 1822 im 
Jahre 1877 auf 3603 im Jahre 1904 im Deutschen Reiche gestiegen und 
gleichzeitig die Zahl der Krankenbetten von 72 219 auf 205117. 

„Diese gewaltige Veränderung, hei der in einzelnen Jahren die Zahl 
der Anstalten um 190, die Zahl der Betten um 11250 gestiegen ist, läßt 
den Umschwung erkennen, der auf diesem Gebiete der sozialen Fürsorge 
stattgefunden hat. Die Zahlen lehren aber auch eindringlich, welche Auf¬ 
gaben den Staats- und städtischen Verwaltungen, Kreisen und Gemeinden 
in den letzten 25 Jahren hier gestellt worden sind. Es bedarf daher keiner 
weiteren Ausführung, um die Bedeutung zu betonen, welche der Frage 
nach der zweckmäßigsten Anlage neuer Anstalten zukommt. 

„Die Beantwortung dieser Frage ist naturgemäß nicht einfach; sie wird 
aber um so mehr erleichtert, je mehr man sich die Erfahrungen, die an den 
verschiedenen Orten des Reiches und im Auslande bei dem Bau und dem 
Betrieb der in so großer Zahl neu geschaffenen Anstalten gewonnen worden 
sind, zunutze macht. Man könnte bei der Lösung dieser Aufgabe in der 
Weise Vorgehen, daß man durch eine Umfrage in all den Städten und Ge¬ 
meinden, die in den letzten 25 bis 30 Jahren neue Anstalten errichtet haben, 
Nachforschungen anstellt, in welcher Weise sich der Bau für den ärztlichen 
und wirtschaftlichen Betrieb bewährt hat. Sicher würde man da beachtens¬ 
werte Aufschlüsse bekommen; aber ich zweifle, ob der Gesamtnutzen ein 
großer sein würde. Wir werden daher zunächst darauf angewiesen sein, 
die Mitteilungen, die bisher von fachmännischer Seite über die Zweckmäßig¬ 
keit der (Anlagen veröffentlicht worden sind, zu verwerten, können aber 
andererseits auch die besonderen persönlichen Erfahrungen erprobter 
Krankenhausleiter und Architekten für die Beantwortung der wichtigen 
Frage heranziehen. 

„Ich glaube in der Annahme nicht fehl zu gehen, daß der Vorstand 
des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege gerade diesem Um¬ 
stande Rechnung getragen hat, wenn er für das Referat zwei Männer aus¬ 
wählte, die beide auf diesem Gebiete über große persönliche Erfahrungen ver¬ 
fügen. Es kommt hinzu, daß Herr Baurat Ruppel und ich Gelegenheit gehabt 
haben, die Pläne für das neue Krankenhaus in Hamburg-St. Georg 
in gemeinsamer Arbeit zu entwerfen und den Bau in die Wege zu 


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118 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f.öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

leiten. Ich selbst aber habe bei der sechsjährigen Direktion des früher mit 
rund 1000 Kranken belegten St. Georger Krankenhauses und bei der fast 
siebenjährigen Leitung des 2150 Krankenbetten und meist 1700 bis 1900 
Kranke beherbergenden Eppendorf er Krankenhauses den ärztlich techni¬ 
schen Betrieb bei gemischter und rein ärztlicher Verwaltung so 
gründlich kennen gelernt, daß ich mir nach mancher Richtung hin wohl ein 
sachverständiges Urteil zusprechen darf. 

„Sorgfältiges Studium der Beschreibung von Krankenhäusern, ihrer 
Lage- und Grundrißpläne, eingehende Besichtigung vieler moderner An¬ 
stalten kommen für die Besprechung der uns hier interessierenden Fragen 
natürlich mit in Betracht. 

„Meine Herren! Sind wir heute in der Lage, die Frage, was hat man unter 
einem modernen Krankenhause zu verstehen, klar zu beantworten? Gibt es 
einen Typ, den man als vorbildlich für ein modernes Krankenhaus hin¬ 
stellen kann? Wenn man diese Frage kurz beantworten will, so wird man 
ohne weiteres sagen dürfen, daß wir zurzeit in einer eigenartigen 
Übergangsperiode leben, die zu einem sehr abwechselungsreichen Bilde 
moderner Krankenhäuser geführt hat. 

„In den 70er und 80er Jahren lag die Sache wesentlich anders; da gab 
es einen modernen Krankenhausbau, der durch das reine Pavillonsystem 
charakterisiert war. In den 90 er Jahren des vorigen und in den ersten 
Jahren dieses Jahrhunderts hat sich darin eine Wandlung vollzogen. 

„Da es unzweifelhaft von großem Interesse auch für diese Versammlung 
ist, einen kurzen Rückblick auf die eben verflossenen Jahrzehnte zu werfen, 
so darf ich um so weniger davon absehen, weil mir dabei Gelegenheit ge¬ 
boten ist, die Hauptsysteme zu kennzeichnen, die in der Fülle der Erschei¬ 
nungen als wichtig für die Beurteilung des modernen Krankenhausbaues zu 
gelten haben. 

„Die Erfahrungen im amerikanischen Bürgerkriege und in dem großen 
Kriege 1870/71 führten in erster Linie dazu, das Korridorsystem zu ver¬ 
werfen und das Baracken- bzw. das verbesserte Pavillonsystem als das 
einzige moderne Krankenhaus hinzustellen. Kein Zweifel, daß ein ungeheurer 
Segen von dieser Idee und ihrer Ausführung für die ganze Welt ausgegangen 
ist, denn die Erfahrungen, die vorher in den Krankensälen der Korridor¬ 
häuser, zumal vor Einführung der Antisepsis, besonders auf den chirurgischen 
Abteilungen gesammelt werden konnten, waren erschreckend genug. In 
lebhafter Erinnerung steht mir, was der frühere Leipziger pathologische 
Anatom über die Zustände im alten Leipziger Krankenhause uns erzählen 
konnte. Nur selten kam ein Kranker, bei dem irgend eine Amputation vor¬ 
genommen werden mußte, mit dem Leben davon. Deshalb war der bekannte 
Leipziger Chirurg Günther bereits auf den Gedanken gekommen, seine 
„Luftbude“ dem festen Spitale vorzuzieben, weil er nur auf diese Weise den 
Hospitalbrand von seinen Kranken fernhalten konnte. Licht und Luft war 
die Parole. So entstand unter der dankbar anzuerkennenden Anregung 
und Mitarbeit unseres Altmeisters Virchow als erstes großes Krankenhaus 
im Deutschen Reiche das Barackenlazarett in Moabit, das 1872 in der 
erstaunlich kurzen Zeit von drei Monaten errichtet wurde. 


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Der moderne Krankenhausbau vom hygien. und wirtschaftl. Standpunkte. 119 

„Ich werde Ihnen am Schlüsse des Vortrages den Lageplan und Grundriß 
dieser wichtigen ersten Anlage vorführen, die dadurch vor allen Dingen 
bedeutungsvoll geworden ist, daß bei ihr alle Korridorbauten vermieden wurden. 
An dieser Anlage ist meines Erachtens, abgesehen von der allzu schlichten Aus¬ 
stattung, besonders auszusetzen, daß der überwiegende Teil der Pavillons mit 
den ganzen Längsseiten nach Norden und Süden zu gelegen ist. 1874 wurde 
das vortreffliche Krankenhaus in Friedrichshain (Berlin) eröffnet, das, von 
Gropius und Schmieden angelegt, ein wesentlich verbessertes System wie 
Moabit zeigt, indem nicht nur geschickt gegliederte Endbauten an beiden 
Seiten der Pavillons&le erscheinen, sondern auch schon Tagräume, vorteilhafte 
Treppenanlagen und zweiseitig belichtete und zu lüftende Klosettanbauten. 

„Im Gegensatz zu Moabit, das ausschließlich einstöckige Anlagen 
erhielt, wurden in Friedrichshain zum ersten Male zweistöckige Pavillons 
erbaut. Auch das dritte Berliner Krankenhaus am Urban zeigt im wesent¬ 
lichen ähnliche Verhältnisse, nur ist hier der allgemeine Lageplan im ganzen 
günstiger, unzweifelhaft unter der Einwirkung Eppendorfs gestaltet. Zum 
ersten Male sind hier in einem begehbaren, unterirdischen Kanal die Röhren¬ 
systeme untergebracht (Juni 1890). 

„Wie die drei Berliner Krankenhäuser ist auch das (Mai 1889 eröffnete) 
Eppendorfer Krankenhaus in nahezu reinem Pavillonsystem angelegt. Un¬ 
zweifelhaft ist die ganze Schöpfung den Erfahrungen zu danken, die Cur sch - 
mann als früherer Leiter des Moabiter Krankenhauses gewonnen hatte. 
Aber ein gewaltiger Fortschritt ist für jeden erkennbar, der die Pläne 
vergleicht. Die Pavillons, die in ihrem Grundriß augenfällig an das Berliner 
Muster erinnern, sind hier (wie in Friedrichshain) fast durchweg von Nord nach 
Süd gerichtet und tragen durch ihre alternierende Stellung in den verschie¬ 
denen Blocks wesentlich dazu bei, das Gesamtbild der Anstalt abwechselungs¬ 
reicher zu gestalten und den Rekonvaleszenten im Tageraum den Blick ins 
„Grüne“ zu verschaffen. Manche Mängel, die aber schon im Berliner Vor¬ 
bilde vorhanden waren, haften auch dem Normalpavillon Eppendorfs noch 
an: es fehlen ordentliche Magazine für die Krankenkleidung; auch ist die 
Anlage der Teeküchen zu dürftig. In einer wichtigen Beziehung blieb 
Eppendorf bedauerlicherweise sogar hinter den Berliner Anstalten zurück, 
indem von einer zentralen Beheizung, wie sie schon in Moabit eingeführt 
war, hier abgesehen und die Beheizung jedes einzelnen Gebäudes mit einer 
Sonderanlage beliebt wurde. Gleichwohl hat das Eppendorfer Krankenhaus 
durch die Großartigkeit und harmonische Gesamtanlage einen Weltruf er¬ 
worben und ist für eine große Reihe moderner Krankenhausbauten vor¬ 
bildlich geworden. Ich führe aus Deutschland nur zwei hervorragende 
Krankenhäuser an, die den unmittelbaren Einfluß Eppendorfs zeigen, es sind 
die neuen Krankenhäuser in Nürnberg und in Dresden-Johannstadt. 
Daß beide den Pavillongrundriß Eppendorfs fast genau übernommen haben, 
dürfte im allgemeinen für seine Güte sprechen; um so auffälliger berührt 
es, daß in den sonst vortrefflichen und üppigen Dresdener Neubauten die 
Abortanlage so viel weniger gut ausgestattet worden ist, wie ich dies an 
den Grundrißplänen beweisen werde. 

„Es würde zu weit führen, wenn ich in dieser Reihe noch andere 
Krankenhäuser einzeln besprechen wollte; an den bisher genannten läßt sich 


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120 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 


im wesentlichen alles das kennzeichnen, was als charakteristisch für eine 
reine Pavillonanlage, wie sie zwei bis zweieinhalb Jahrzehnte (bis in die Mitte 
der 90 er Jahre) den Bau moderner Krankenhäuser beherrscht hat, gelten 
kann. Jeder der Pläne zeigt, daß das Bestreben vorwaltet, die ganze An¬ 
stalt in eine mehr oder weniger große Zahl von Einzelbauten aufzulösen, 
die über einen großen Teil des Geländes in gewissen gesetzmäßigen Ab¬ 
ständen verteilt sind und in der Mittelachse gewöhnlich das Operationshaus, 
Badehaus usw. einschließen, während die Wirtschaftsgebäude mehr peripher 
gelagert sind. Die Pavillons, bei vielen einstöckig, bei manchen zweistöckig, 
zeigen durchweg das gleichartige Gepräge, daß etwa 30 bis 34 Kranke in 
einem großen Pavillonsaal untergebracht werden, während nur wenige 
Einzelzimmer für die Unterbringung des nötigsten Pflegepersonals und für 
Isolierzwecke vorhanden sind. Auf diese Weise erscheint der Grundriß 
eines solchen Pavillons überaus einfach und läßt an Übersichtlichkeit in der 
Tat kaum etwas zu wünschen übrig. 

„Wie kommt es, daß man von diesem Vorbilde, von dem alle Welt 
entzückt war, abgewichen ist, und in den letzten zehn Jahren in vielen 
modernen Anlagen unverkennbar ein neuer Typ statt des früheren erscheint? 

„Da ich selbst, wie ich annehmen darf, im Verein mit Herrn Ruppel 
für die Verbreitung dieses neuen Pavillongrundrisses einigermaßen mit 
verantwortlich bin, fühle ich mich um so mehr verpflichtet die Gründe 
darzulegen, die auch uns zum Verlassen des scheinbar bewährten Vorbildes 
bewogen haben. Ich hatte in dem Leipziger Krankenhause, in dem ich, 
einschließlich der Studienzeit, fast 20 Jahre hindurch aus- nnd eingegangen 
war, den Wert kleinerer Säle kennen gelernt, andererseits vielfach über die 
großen Säle in Eppendorf Klagen vernommen und nicht daran gezweifelt, 
daß es sowohl aus sozialen wie ärztlich-technischen Gründen wünschenswert 
sei, zu kleineren Pavillonsälen überzugehen; vor allem erschien es mir aber 
auch nötig, die Zahl der Einzelzimmer, die für die verschiedensten Zwecke 
dringend wünschenswert sind, zu vermehren. 

„Ein besonderer Zufall, der uns bei der Neuanlage des ersten derartigen 
Pavillons zu Hilfe kam, förderte uns in der Durchführung unserer Ideen. 
Das neue Grundrißbild, welches wir in St. Georg geschaffen haben, unter¬ 
scheidet sich von dem früheren Normalpavillon dadurch, daß in den zwei¬ 
stöckigen Pavillons vier Säle zu je 16 Betten angelegt sind, die durch einen 
Mittelbau mit mehreren Einzelzimmern geschieden werden und endständig 
für jeden Pavillonsaal ein leolierzimmer und die Klosett- und Badeanlagen 
beherbergen. Diese Einteilung gewährt dem ärztliohen Leiter die Möglich¬ 
keit, die Kranken im großen und ganzen günstiger zu gruppieren und die 
Absonderung sorgfältiger durchzuführen, ohne daß die dringend nötige 
Übersichtlichkeit leidet und durch die Einschaltung des Mittelbaues jene 
Einrichtung wiederkehrt, die man von den Korridorhäusern als eine sehr 
üble Beigabe in den schlecht belichteten und zu lüftenden Mittelkorri¬ 
doren zur Genüge kennen gelernt hat. 

„Dieser Pavillontyp hat den ungeteilten Beifall zahlreicher Besucher 
und Deputationen gefunden, denen wir ihn im Laufe der Jahre zeigen 
konnten. Und ich glaube mich in der Annahme nicht zu täuschen, daß er 
für eine ganze Reihe moderner Krankenhausanlagen vorbildlich geworden 


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Der moderne Krankenhausbau vom hygien. und wirtschaftl. Standpunkte. 121 

ist; so möchte ich in der Gestaltung der Pavillons im Rudolf Yirchow- 
Krankenhause manche charakteristische Züge unseres Grundrisses wieder 
erkennen. Auch das Krankenhaus in Amsterdam und die geplanten Neu¬ 
bauten in Chemnitz, Rixdorf und in Christiania zeigen die Neigung, den 
großen, einfachen Pavillonsaal zu verlassen und zu dem eben skizzierten 
System überzugehen. 

„Die Bewegung, die hiermit eingesetzt hat, hat aber auch zu anderen 
bemerkenswerten Abweichungen von der ersten Hauptanlage des Pavillou- 
krankenhauses geführt. Und es sind namentlich die neuesten, zum Teil 
großartig geplanten oder schon vollendeten Krankenhäuser, die hier zu 
nennen sind. Es besteht die unverkennbare Neigung, in den eigentlichen 
Pavillonsälen nicht mehr die wesentlichen Teile der für die Kranken be¬ 
stimmten Räume des modernen Krankenhausbaues zu sehen, sondern die 
Zahl der Einzelzimmer stetig zu vermehren. Als ein Beispiel einer Kranken¬ 
hausanlage, in der diese Neigung besteht, kann Cöln-Lindenburg 
angeführt werden. Der Grundriß der Pavillons zeigt, daß hier das Be¬ 
streben vorherrscht, einen Pavillon für 20 Betten und die nötigen Neben- 
riume zu vereinigen mit einer aus Einzelzimmern zusammengesetzten 
Abteilung, in der etwa zehn Kranke eine, wie es scheint, vortreffliche Lage¬ 
rung haben. Die ganze Gliederung eines solchen etwa 100 m langen Einzel¬ 
hauses, das rund 62 Krankenbetten in zwei Geschossen beherbergt, kann als 
Übergang zu dem gemischten System der unter einem Dache vereinigten 
Pavillon-Korridorhausanlage angesprochen werden. Die offenbar aus 
mancherlei weniger guten Erfahrungen mit reiner Pavillonanlage erwachsene 
Folgerung, daß jene durchaus nicht allen berechtigten Ansprüchen genüge, 
und der ärztlich-technische Betrieb eine größere Anzahl von Einzelzimmern 
dringend erfordere, die ja schon bei dem St. Georger System zur Sprache 
gekommen ist, hat dieser gemischten Krankenhausanlage zur Entstehung 
verholfen. 

„Aber hierbei hat man wiederum nicht Halt gemacht; in der neuen 
Düsseldorfer Anlage erinnern die Grundrisse kaum noch an Pavillon¬ 
bauten. Die Neigung zur Vermehrung der Einzelzimmer ist in stetem 
Wachsen begriffen, und mehr und mehr gleicht ein solcher Krankenhausblock 
dem vor 30 Jahren mit einem gewissen Grauen verlassenen Korridorsystem. 

„Unverkennbar prägt sich die Neigung zur Rückkehr zu den Korridor¬ 
häusern auch in der neuesten Münchener Anlage aus. Während in dem 
Rudolf Virchow-Krankenhause bei der Gliederung der Pavillons das 
Bestreben zur LängenausdehnuDg vorherrscht, besteht bei München 3 
und in weit höherem Maße bei dem neuen Kinderkrankenhause in Wien 
die Neigung, in die Höhe zu gehen. München hat bereits drei ziemlich 
gleichartig angelegte Stockwerke in einem sogenannten Pavillonbau, der 
aber weit mehr Ähnlichkeit mit einem Korridorhause hat. Das von uns 
verworfene, anfangs der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts errichtete 
Korridorkrankenhaus St. Georg bot ebenfalls eine größere Reihe von Einzel¬ 
sälen dar, die an einem breiten und luftigen Korridor lagen. Sie unter¬ 
schieden sich freilich durch ihre erheblichere (um 3 bis 4 m größere) Tiefe 
von den Einzelzimmern und Sälen der Münchener Anlage; auch ist diese 
mit kleineren, für 10 bis 12 Betten bestimmten Pavillonsälen versehen, die 


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122 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. offentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

wir in ganz ähnlicher Weise bei der Trennung und dem Umbau der 
St. Georger Blocks schon 1899 angelegt hatten. 

Auf die Bewertung dieser verschiedenen, in ihren wesentlichen und 
charakteristischen Zügen hier kurz skizzierten Systeme werde ich gleich 
noch zu sprechen kommen, zuvor muß ich einer Einrichtung noch aus¬ 
drücklich gedenken, die bei den verschiedenen Systemen der oben gezeichneten 
Anlagen wiederkehrt, ich meine die Verbindungskorridore. 

„Schon in dem Leipziger Krankenhause, jener vortrefflichen, mit ein¬ 
fachen Mitteln erbauten Barackenanlage habe ich seinerzeit den Verbindungs- 
korridor kennen gelernt, der an einer größeren Zahl (acht) Baracken sieb 
hinzog und auch mit dem Operations- und Badehause in unmittelbarer Ver¬ 
bindung stand. In Moabit, Eppendorf und anderen größeren Anlagen hat man 
darauf völlig verzichtet und auf die absolute räumliche Trennung der 
Einzelbauten den größten Wert gelegt. Zuerst ist dann offenbar von manchen 
Chirurgen die Verbindung des Operationshauses mit einzelnen chirurgischen 
Pavillons gefordert worden, andere haben bereits die Verbindnngskorridore 
längs ganzer Hauptabteilungen hingeführt (Charlottenburg) und in den neuen 
Anlagen (Cöln-Lindenburg, Rixdorf) ist fast die ganze Anstalt wieder durch 
einen in der Regel nur im Erdgeschoß hinlaufenden, aber völlig geschlossenen 
Korridor verbunden. Nur das Rudolf Virchow- Krankenhaus macht unter 
den neuen Anlagen eine rühmliche Ausnahme, insofern hier nur du Opera¬ 
tionshaus mit zwei, allerdings sehr großen Pavillons der chirurgischen Ab¬ 
teilung in Verbindung steht. 

„ln der bisherigen Darstellung habe ich in knappen Zügen die Ent¬ 
wickelung geschildert, wie sie sich auf dem Gebiete moderner Pavillon¬ 
anlagen vollzogen hat. 

„Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß auch solche moderne 
Krankenhäuser geschaffen sind, denen der Stempel der Korridorhausanlage 
aufgeprägt ist. Als ein Typ dieser Art muß das Offenbacher Kranken¬ 
haus genannt werden, das um die Mitte der 90er Jahre angelegt ist und 
zur Hauptsache wohl dem Einflüsse Köhlers seine Entstehung verdankt. 
Herr Ruppel wird gerade dieses Krankenhaus Ihnen besonders vorführen 
und ich möchte schon hier nicht unerwähnt lassen, daß ich die ganze An¬ 
lage als ein ausgezeichnetes Vorbild für ein kleines Krankenhaus ansehe 
und empfehle. In überaus geschickter Weise sind hier die Mängel, wie sie 
dem Korridorsystem älterer und mancher neuen Bauart anhaften, vermieden 
und die Hauptforderung voller Licht- und Luftzufuhr in ausgezeichnetem 
Maße erreicht worden. Nur der Anbau mit den Verwaltungsräumen dürfte 
zu Beanstandungen führen und ist, wie ich zu meiner Freude sehe, gerade 
in der von Ruppel ausgeführten Modifikation des Offenbacher Modells 
in Frankfurt a. d. Oder vermieden worden. 

„Es erhebt sich nun die Frage, und diese wollen Sie, meine Herren, 
nun auch von mir besonders beantwortet haben, wie man angesichts der 
geschilderten Verhältnisse als erfahrener Krankenhausleiter über die hier 
kurz gekennzeichneten Systeme und insbesondere über die zurzeit vorhandene 
Strömung urteilen, und welches man zurzeit empfehlen soll. Nach meiner 
Überzeugung hat man hierbei in erster Linie zu berücksichtigen, ob eine 
große oder kleinere Anlage geplant ist. 


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Der moderne Krankenhausbau vom hygien. und Wirtschaft!. Standpunkte. 123 


„Für große neue Krankenhäuser trage ich keinen Augenblick Bedenken, 
eine Anlage zu empfehlen, die im wesentlichen den Pavillon Charakter 
zeigt, aber auch über einige besondere Korridorhäuser verfügt. Letztere 
Forderung ist zu stellen, weil gewisse Kranke, wie die Augen-, Ohren-, un¬ 
ruhigen und manche gynäkologischen Kranken, in den luftigen Pavillons 
weniger gut untergebracht sind, oder andere, wie die Haut- und Geschlechts¬ 
kranken, solche Einrichtungen nicht nötig haben x ). 

„Ich empfehle ein- oder zweistöckige Pavillons je nach der Größe 
des Geländes und der zur Verfügung stehenden Mittel. Die völlige Auf¬ 
lösung in einstöckige Pavillons, wie sie in Eppendorf vorherrscht, kann ich 
nicht für zweckmäßig erachten, weil, abgesehen von den höheren Kosten, 
mit der weiten Zerstreuung nicht nur der ärztliche Betrieb, sondern auch 
die Zufuhr warmer Speisen von der Zentrale auf Schwierigkeiten stößt, 
deren Vermeidung unbedingt angestrebt werden muß. 

„Nur für manche Absonderungszwecke erscheinen mir einstöckige 
Bauten, wenn irgend die Größe des Geländes es zuläßt, den Vorzug zu ver¬ 
dienen, vor allem halteich es für dringend erforderlich, die verschiedenen 
Infektionskranken in getrennten Häusern, nie unter einem Dach unterzu¬ 
bringen. Die jetzt beliebte Neigung, selbst Scharlach- und Diphtherie¬ 
kranke in Gebäuden zu vereinen, deren Abteilungen nicht durch Brand¬ 
mauern getrennt sind, halte ich nicht für einwandfrei; desgleichen die An¬ 
lage von Quarantänestationen nicht für wünschenswert, deren Abteilungen 
zwar einen besonderen Eingang von außen, aber auch durch gewöhnliche 
Verbindungstüren einen Zugang nach einem gemeinsamen Mittelteil und 
anderen Nebenräumen des Hauses haben und von demselben Pflegepersonal 
versorgt werden (Düsseldorf, Charite). Wohl ist zuzugeben, daß uns die 
Übertragungsart für manche Krankheiten nicht bekannt ist. Wir dürfen 
aber kaum daran zweifeln, daß die uns unbekannten Keime sowohl durch 
die Luft (Verbindungstüren und Gänge), wie nicht zum wenigsten durch 
das Pflegepersonal übertragen werden können. 

„Gerade die Abwehr von Hausinfektionen legt dem Leiter einer 
großen Anstalt schwerste Pflichten auf, und ich möchte nicht unterlassen, 
darauf hinzuweisen, daß ich die Schaffung zahlreicher kleiner Pavillons 
(Eppendorf) oder solcher Einzelräume, die wirklich dem allgemeinen Verkehr 
der in einem großen Pavillon befindlichen Kranken vorübergehend entzogen 
werden können, für geboten halte. Die Einschleppung von Infektions¬ 
krankheiten von außen her durch die Besucher wird man leider nie genügend 
ab wehren können. 

„Betreffs der Verbindungsgänge, deren Anlage in allen Neu¬ 
schöpfungen (mit Ausnahme des Rudolf Virchow-Krankenhauses) angestrebt 

*) In meinen Denkschriften vom Jahre 1897 u. 1899, die ich den Hamburger 
Behörden mit unseren Plänen für die Umbauten und Neubauten der St. Georger 
Anstalt vorgelegt habe, ist bereits in klarer und eindeutigerWeise von mir darauf 
hingewiesen, daß in einem modernen Krankenhau.se außer den Pavillonbauten 
auch Korridorhäuser durchaus notwendig und ein anderer Typ für erstere 
empfehlenswert sei. Siehe Festschrift für die Naturforscher Versammlung 1901. 
Ergänzungsband der Jahrbücher der Hamburger Staatskrankenanstalten. S. 111. 
112 u. 115. 


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124 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

wird, stehe ich auf dem Standpunkt, daß man sie auf das äußerste Maß 
beschränken soll. Wohl kenne ich aus eigener Erfahrung die Nachteile, die 
der vollkommenen Zerstreuungsanlage anhaften, und mancher Schnupfen, 
den ich selbst davongetragen habe, hat mich über die Mißstände belehrt. 
Gleichwohl bin ich der Überzeugung, daß die Vorteile für die Kranken 
unzweifelhaft überwiegen und dafür sprechen, daß man auf die Verbindungs- 
korridore möglichst verzichten soll. Ich verkenne durchaus nicht, daß durch 
das Kölner System der gebrochenen Korridore viele Mißstände, die 
diesen Verbindungsgängen anhaften, vermieden worden sind, daß hier be¬ 
sonders bessere Lüftungsverhältnisse vorliegen. Aber der Nachteil der 
mehr oder weniger ungehinderten Luftkommunikation zwischen einer 
so großen Zahl von Einzelkrankenhäusern, die hier sogar noch mit dem 
Verwaltungs-Aufnahmebureau, dem Schwestern- und Operationshause in bau¬ 
lichem Zusammenhang stehen, haftet den Verbindungskorridoren zweifellos 
an. Wenn aber ihre Anlage auch damit begründet wird, daß namentlich 
die Operierten durch den Transport zwischen den unverbundenen Bauten 
ernsten Schädigungen ausgesetzt seien, so möchte ich nicht unterlassen, anzu¬ 
führen, daß jedenfalls die Statistik der postoperativen Pneumonien weit 
eher zu Ungunsten der mit Verbindungskorridoren versehenen Eiranken¬ 
häuser spricht. Denn die geringe, von Kuemmell mitgeteilte Zahl von 
2,5 Proz. stellt die günstigste bisher veröffentlichte Ziffer dar, obwohl sie 
einem Materiale entstammt, das bei einer Zahl von rund 4000 Operationen 
im Jahre gewonnen ist und aus einem Operationshause herrührt, zu dem 
sämtliche Kranke erst durch die frische Luft transportiert werden müssen. 

„Für kleinere Krankenhäuser bis zu 400 bis 500 Betten halte ich 
eine Korridoranlage nach dem Offenbacher System für sehr vorteilhaft, 
falls neben derselben eine Reihe von kleineren Isolierbaracken oder Pavillons 
für die Unterbringung von Infektionskranken zur Verfügung stehen. 

„Wenn dies die allgemeinen Gesichtspunkte sind, die für die Wahl des 
Bausystems maßgebend sein dürften, so erscheint es mir weiterhin doch noch 
nötig, auf einige Punkte hinzuweisen, die für alle Arten von Krankenhäusern 
Geltung beanspruchen können und für die Gestaltung der Einzelanlagen 
von Bedeutung sind. 

„Was den ersten Punkt betrifft, so möchte ich nicht unterlassen, vor 
aller unnötigen Opulenz zu warnen. 

„Sicher ist es wünschenswert, alle modernen Krankenhäuser so zu bauen, 
daß jede Gemeinde auf ihre Krankenhausanlage stolz sein und sie ruhigen 
Gewissens allen Besuchern zeigen lassen kann. Ich habe auch nicht das 
Geringste dagegen einzuwenden, wenn wohlhabende Gemeinwesen sich eine 
üppigere Anlage, als gerade nötig ist, gestatten. Die architektonischen 
Neigungen sollen aber nicht die Oberhand gewinnen, und das 
scheint mir bei dem Rudolf Virchow-Krankenhause unzweifelhaft der Fall 
zu sein. Jeder Besucher wird von dieser Anstalt den Eindruck gewinnen, 
daß er die Schöpfung eines genialen Architekten vor sich hat; jeder wird 
von dem Ausblick in der Aula entzückt sein, und doch ist an der Einzel¬ 
gliederung vieles auszusetzen, worauf ich noch zu sprechen komme, und 
es sind die Kosten derartig hoch getrieben worden, daß man schon aus 
diesem Grunde vor der allgemeinen Nachahmung warnen muß. 


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Der moderne Krankenhausban vom hygien. und wirtschafte Standpunkte. 125 

„Laasen Sie mich hier noch kurz einschalten, wie es mit den Gesamt- 
kosten moderner Krankenhäuser überhaupt steht: 

„Das größte deutsche Krankenhaus, das nach Fertigstellung einer neuen 
Infektionsabteilung von 200 Betten und zahlreichen baulichen Verbesserungen 
der bisherigen Anstalt, wofür soeben noch 2 1 /? Millionen Mark verausgabt 
sind, über 2150 Betten verfügt, ich meine unser Eppendorf er Krankenhaus, 
hat insgesamt für Bau und Inventar IO 1 /* Millionen Mark erfordert. 
Demgegenüber hat das Rudolf Vi/chow-Krankenhaus mit seinen 2000 Betten 
bis jetzt 19V a Millionen Mark beansprucht. Das sind Gegensätze, die nicht 
entfernt durch die billigeren Baukosten der früheren Zeit erklärt sind, son¬ 
dern in den reichen architektonischen Zutaten des Rudolf Virchow-Kranken- 
hauses ihren Hauptgrund haben. Es stehen sich hier die Summen von 
5000 und 9700 Jfi pro Bett gegenüber. Die vortreffliche, aber weit be¬ 
scheidenere Nürnberger Anlage hat kaum 4300 Jft für das Bett erfordert, 
während die (wesentlich) üppigere in Dresden-Johannstadt gegen 7400 pro 
Bett (ohne Grunderwerb) gekostet hat. Ich meine, unser Bestreben muß 
dahin gehen, den Staats- und städtischen Behörden nicht mehr in dieser 
Beziehung aufzubürden, als nötig ist, denn ein Mißstand läuft noch nebenher, 
der meines Erachtens dabei nicht genügend gewürdigt wird: die Begehrlich¬ 
keit des Hauptteiles der Krankenhausinsassen wird durch die Üppigkeit der 
Anlagen, wie sie z. B. auch die Heilstätte in Beelitz zeigt, ins Ungeheuere 
gesteigert. Nach meiner festen Überzeugung sollte es auch in neuerer Zeit 
möglich sein, große und ausgezeichnete Krankenhausanlagen zu schaffen, bei 
denen für das Bett nicht mehr wie 6000 Jft, höchstens 6500 gefordert zu 
werden brauchten. 

„Bis zu welcher Bettenzahl darf eine moderne Kranken¬ 
anstalt anwachsen? Das ist ein Punkt, der hier auoh noch kurz be¬ 
sprochen werden muß. Vorher habe ich schon darauf aufmerksam gemacht, 
daß die Schwierigkeit der Zufuhr warmer Speisen und Getränke zu den 
Krankenabteilungen mit der Größe und der zerstreuten Anlage der Anstalt 
stetig wächst. Hierdurch wird uns schon eine Beschränkung auferlegt. Sie 
wird aber zur Notwendigkeit durch die mit der Zahl der Krankenbetten 
erwachsende Vermehrung des gesamten Personals und die für den tüchtigsten 
Direktor gezogene Arbeitsgrenze. Abgesehen davon, daß es nur selten ge¬ 
lingt, für die vielen verantwortlichen Stellen eines großen Krankenhauses 
die geeigneten Personen zu finden, erwachsen heutzutage neue Schwierig¬ 
keiten für die Leitung der Geschäfte, mit denen man früher nicht zu rechnen 
brauchte, durch die sogenannte Leutenot. Dabei leidet der Betrieb nicht 
nur unter dem großen Wechsel der männlichen Hansarbeiter, die für den 
Speisen- und Krankentransport in der Anstalt vorhanden sein müssen, son¬ 
dern in neuester Zeit auch durch die Schwierigkeiten mit den weiblichen 
Dienstboten, die dahin geführt haben, daß wir z. B. in Eppendorf schon 
einmal monatelang auf die Einstellung von Tages-Küchenmädchen angewiesen 
waren. Ich will das hier nicht weiter ausführen. Die Ursachen liegen klar 
zutage. Es leuchtet aber ein, daß die hieraus folgenden Schwierigkeiten 
mit der Kopfzahl des erforderlichen Personals wachsen müssen, und wenn 
man hört, daß in manchen Anstalten die Zahl der Angestellten auf 800 Per¬ 
sonen und mehr angestiegen ist, so dürfte ohne weiteres erkennbar sein, daß 


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126 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. offentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 


man die Zahl der Betten nicht unbeschränkt anwachsen lassen 
darf, wie das wohl von manchem Finanzvertreter der Gemeinden in der 
durchaus irrigen Vorstellung gewünscht worden ist, daß die Betriebskosten 
sich mit jedem neuen Hundert Betten derselben Anstalt prozentual ver¬ 
mindern müßten. Auf Grund meiner eigenen Erfahrungen möchte ich 
erklären, daß ich es aus den verschiedensten Gründen für das beste halte, 
wenn die Zahl von 1500 bis 1600 Krankenbetten nicht überschritten wird, 
und daß jedem Gemeinwesen zu raten ist,'mit der Anlage nener Anstalten 
nicht zu zögern, wenn das Anwachsen der Bevölkerung die Vermehrung der 
Krankenbetten erwarten läßt. 

„Daß bei dem Generalplan der Gesamtanlage nicht nur alle 
hygienischen und ärztlich-technischen Forderungen zu berücksichtigen sind, 
soweit sie sich auf die Trennung der inneren, chirurgischen und Infektions¬ 
kranken, der Geschlechter und die Unterbringung des Hauspersonals be¬ 
ziehen, sondern auch die Gruppierung des Operations-, Röntgen-, Turn- und 
Badehauses, sowie der Apotheke und der Wirtschaftsräume auf das sorg¬ 
fältigste zu überlegen sind, daß besonders das Kochküchengebäude möglichst 
zentral gelegt wird, soweit dies ohne Belästigung der Krankenabteilungen 
geschehen kann, sei hier nur kurz erwähnt. Da mein Herr Korreferent sich 
hauptsächlich mit diesen Fragen beschäftigen wird, über die wir gleicher 
Meinung sind, kann ich hier auf weitere Ausführungen verzichten und will 
lieber über die Innenanlage der verschiedenen Anstaltsgebäude noch 
einige Bemerkungen anführen, die ich auf Grund meiner Erfahrungen für 
wichtig halte. Hier möchte ich an erster Stelle den allgemeinen Rat geben, 
daß vor allem bei der Anordnung der Einzelräume die größte Übersicht¬ 
lichkeit angestrebt werde. Zu den vornehmsten Forderungen gehört, daß 
alle Einzelräume voll belichtet und gut zu lüften sind. Kein Zweifel, daß 
bei der jetzt herrschenden Neigung, die Zahl der Einzelräume für Kranke zu 
vermehren, die Übersichtlichkeit leidet. Und gerade das Rudolf Virchow- 
Krankenhaus zeigt, auf welche Abwege man hier geraten kann. Jedem 
Besucher wird bei einigermaßen aufmerksamer Prüfung auffallen, daß in 
dem Mittelteile der Pavillons eine Gliederung besteht, die nicht gerade an¬ 
mutet. Bei der Vorführung der Pläne komme ich darauf zurück. 

„Selbst in den Korridorbauten des Vircbowhauses gibt es eine ganze Reihe 
von Einzelzimmern, deren Belichtung und Lüftung völlig ungenügend erscheint, 
weil das einzige Fenster des Raumes durchaus ungünstig wie bei dem bekannten 
„ Berliner Zimmer“ gelegt ist. Auch bei dem Operationshause, Leichenhause und 
Pathologischen Institut ist die Schachtelung derartig groß, daß ich noch keinen 
erfahrenen Besucher gesprochen habe, der hieran nicht Anstoß genommen 
hat. Die Kontrolle der Räume und des Personals wird durch diese 
Fülle der Einzelzimmer derartig erschwert, daß man bald genug 
über die Schattenseiten belehrt sein wird. Meines Erachtens sind 
diese unzähligen Einzelräume aber auch keineswegs nötig, und ich möchte 
diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne dringend vor einer Förde¬ 
rung dieser Bewegung za warnen. 

„Die Anlage der Wände, Türen und Fußböden wird Herr Ruppel be¬ 
handeln, ich möchte hier nur betonen, daß auch die Neigung, die Fenster 
der Krankenräume, dem Zuge der Zeit folgend, mit immer engeren Kreuzen 


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Der moderne Krankenhausbau vom hygien. und wirtschaftl. Standpunkte. 127 


zu versehen, womöglich noch butzenscheibenartig zu gestalten, ärztlicherseits 
nicht geduldet werden kann. Je freier und ungehinderter der Ausblick für 
die Kranken, um so günstiger steht es für sie. Vor allem ist aber auch 
nötig, daß die Belichtung bis in die äußersten Ecken und Winkel aller 
Krankenräume so ausgiebig wie nur möglich angestrebt wird. 

„Es sind keine größeren Gegensätze zu denken, wie sie die Längsfassade 
der Pavillons des Rudolf Virchow-Krankenhauses und unserer neuen In¬ 
fektionsabteilung aufweisen. 

„Wie wichtig die grundsätzliche Anlage der Kippflügel uns erscheint, 
wird Herr Ruppel noch auseinandersetzen. Wir stimmen auch hierin voll¬ 
kommen überein, und ich kann versichern, daß ich von ihrer Anwendung 
in jahrelangem Betrieb den größten Nutzen gesehen habe. Ausdrücklich 
füge ich aber an, daß ich nebenher auf die sonstige automatische Ventilation 
nicht verzichten möchte. 

„Wie die neueren Einrichtungen mit der Pulsionslüftung sich bewähren 
werden, ist zurzeit noch nicht abzusehen. 

„Betreffs der Heizung stimme ich den Ausführungen Rietschels bei, 
daß die Niederdruckdampfheizung keineswegs das Ideal einer Zentral¬ 
anlage darstellt. Die häufigen Störungen in der Erhaltung einer gleich¬ 
mäßigen Wärme, wie sie sich bei Temperaturwechseln fast regelmäßig ein¬ 
zustellen pflegen, die widerwärtigen Geräusche in den Heizröhren haben bei 
mir oft genug den Wunsch erweckt, daß es der Technik gelingen möge, hier 
Wandel zu schaffen, und ich für meinen Teil würde es sehr begrüßen, wenn 
mit der Warmwasser-Fernheizung diese vielen Übelstände für die Kranken- 
räume ausgeschaltet werden könnten, die jetzt unzweifelhaft bestehen. 

„Ein Mißstand vieler moderner Krankenhäuser ist in der mangelhaften 
Anlage der Tee- und Auf Waschküchen zu erblicken. Es ist kaum ein 
Hans vorhanden, das hier nicht zu berechtigten Klagen Anlaß geben könnte, 
vor allem darf ich das aus Eppendorf melden. Die Architekten haben diese 
Räume offenbar als Quantite negligeable betrachtet, und das ist ein Fehler. 
Hier muß in Zukunft Wandel geschaffen werden. 

„Ebenso ist es nötig, daß für die Unterbringung der Privat- und Spital¬ 
kleidung der Kranken ordentlich bemessene und leicht erreichbare Magazine 
zur Verfügung stehen. Auch hier sind mancherlei Fehler in Zukunft zu 
verhüten. Ob die Zentrale, die für die Unterbringung der desinfizierten 
und in einem plombierten Beutel aufgehobenen Privatkleidung sämtlicher 
Patienten, wie sie im Rudolf Virchow-Krankenhause vorgesehen ist, sich 
bewähren wird, muß abgewartet werden. Nach meinen Erfahrungen dürfte 
es weit zweckmäßiger sein, für verschiedene Gruppen von Einzelhäusern 
kleinere Zentralen vorzusehen, besonders um unnötig weite Wege dem Pflege- 
und Dienstpersonal zu ersparen. 

„Noch einige Worte über die Ab or tanlagen. Sie müssen meines Er¬ 
achtens so angelegt werden, daß sie möglichst leicht erreichbar sind, frei 
von allen üblen Ausdünstungen gehalten werden können und keinerlei 
Dünste in den Krankensaal abgeben. Es ist klar, daß hier die zwei- bis dreiseitig 
belichteten und zu lüftenden Anbauten, wie sie in Friedrichshain, Eppen¬ 
dorf und Nürnberg sich finden, unbedingt den Vorzug verdienen vor den 
Anlagen am Urban, in Dresden und dem Rudolf Virchow-Kranken- 


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128 XXXII. Versammlung d. I). Vereins f. öflentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

hause. Daß sie in den Korridorhäusern besonders gut angelegt werden 
können, habe ich wiederholt gesehen, aber auch manche verfehlte, z. B. 
in Berlin. 

„Die in Charlottenburg getroffene Einrichtung, daß zahlreiche be¬ 
sondere Desinfektionsapparate für jede Krankenstation vorgesehen Bind, 
um Sputum, Fäces u. dgl. keimfrei zu machen, erscheint mir unnötig, und 
ich möchte lieber der zentralen Anlage von Sielgrubenhäusern zur Des¬ 
infektion der Abgänge von Kranken unbedingt das Wort reden. Wie wenig 
man betreffs der Übertragung von Infektionen den Transport der aus den In¬ 
fektionspavillons stammenden Wäsche nach dem Desinfektionshause zu fürchten 
hat, mag dadurch beleuchtet werden, daß selbst in der schweren Choleraepidemie 
in Hamburg 1892 nur ganz vereinzelte Erkrankungen unter dem Waschhaus- 
personal vorgekommen sind, die nicht einmal sicher auf eine Infektion bei 
der Arbeit im Waschhause zurückzuführen waren, und daß fernerhin so gut 
wie nie irgend eine Übertragung von Abdominaltyphus oder anderen In¬ 
fektionskrankheiten bei den Wäschetransporteuren und dem Waschhaus- 
personal bei uns vorgekommen ist. 

„Lassen Sie mich zum Schluß nur noch einige Worte über solche Ein¬ 
richtungen anfügen, die der Allgemeinheit der Kranken zugute kommen. 
Abgesehen von einer vortrefflichen Wasserversorgung, die bei dem 
Fehlen einer wirklichen Quellwasserzentrale möglichst durch Förderung von 
Tiefbrunnen anzustreben ist, worüber z. B. Eppendorf verfügt, außer der 
Einrichtung von guten Badehäusern, in denen außer den üblichen Einzel¬ 
bädern mannigfaltigster Art und den jetzt so beliebten elektrischen B&dern, 
vor allem auch die Warm Wasserbetten und Dampfbäder nicht fehlen sollten, 
ist ganz besonders den für die Kranken bestimmten Gartenanlagen die 
größte Sorgfalt zuzuwenden. Je ausgedehnter und schöner diese angelegt 
sind und gehalten werden, um so günstiger ist der Einfluß auf die Kranken. 
Ich kann es nicht billigen, wenn bei großartigen Neuanlagen hier gegeizt 
wird, und ich betrachte es als ein großes Glück, daß wir in Eppendorf über 
eine selten schöne, parkähnliche Gartenanlage verfügen. 

„Meine Herren! Der Segen, der von den modernen Krankenhäusern 
für die ganze Menschheit ausgegangen ist, darf als ein beglückender Kultur¬ 
fortschritt bezeichnet werden. Ich möchte aber nicht schließen, ohne die 
Bemerkung anzufügen, daß nicht der Bau und seine Ausgestaltung das 
Wesentliche sind. Nur wenn in den Mauern der Geist wahrer, aufopferungs¬ 
bereiter Menschenliebe herrscht, wenn die Fahne der Wissenschaft hoch¬ 
gehalten wird und der wissenschaftlichen Forschung freie Bahn gegönnt ist, 
wird die Arbeit aller zur Pflege und Heilung der Kranken berufenen Kräfte 
diesen wirklich zum Segen gereichen können.“ 

II. 

„Meine Herren! Lassen Sie mich nun in aller Kürze Ihnen die Reihe 
der Projektionsbilder vorführen, die für die Erläuterung meines Vortrages 
nötig sind. 

„Ich beginne 1. mit Moabit, der vortrefflichen ersten Pavillonanlage 
in Deutschland. Ein Blick auf den Lageplan orientiert Sie sofort über die 
Anlage, die hervorragend übersichtlich genannt werden muß, aber den einen 


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Der moderne Krankenhausbau vom hygien. und Wirtschaft! Standpunkte. 129 

großen Fehler hat, daß die Pavillons mit den ganzen Längsseiten nach 
Norden und Süden gewandt sind (Fig. 1). 

„Das 2. Bild zeigt Ihnen die Uranlage des ersten Pavillons, in der 
einfachste Verhältnisse vorherrschen und der Tageraum noch fehlt (Fig. 2). 

Fig. l. 


Erster, sehr einfacher Grundriß der Baracken in Moabit. 



Grundriß der neueren Baraoken in Moabit. 


„Auch in der verbesserten Anlage (3) ist hiervon nichts zu sehen, wohl 
aber ist der Pavillon durch Anfügung von zwei Isolierzimmern wesentlich 
verbessert (Fig. 3). 

Viarteljahrssclirift für Gwundheitgpflege, 1908. u 


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Thurm-Strasse 










































130 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Das 4. Bild mit dem Friedrichshainer Lageplan zeigt den erheb¬ 
lichen Fortschritt, der vor allem durch die Nord-Söd-Richtung erreicht ist, 
die sämtliche Pavillons darbieten, so daß die Längsseiten von Osten und 
Westen Licht erhalten (Fig. 4). 

Fig. 4. 

0 . 



A’ r ' ' 1-E-3-IC-IC-IC-=-X-3. 


Das Krankenhaus am Friedrichshain in Berlin. Lageplan. 

In der Hauptachse: im Westen das Verwaltungsgebäude, am Abschluß im Osten 
die Ökonomie und dicht davor das Badehaus. Nördlich von der Ökonomie das 
Leichenhaus (8). Südöstlich das Krankenpflegerinnenhaus (14). Hechts und links 
von der Hauptachse die zweistöckigen Krankenpavillons (I bis VI), während die 
vier nördlicher gelegenen chirurgischen (VH bis X) Pavillons einstöckig sind. Die 
Isolierpavillons (XI bis XH) sind zweistöckig. Das Operationshaus (18) und der 
Diphtheriepavillon (XIV) liegen in der Nähe der chirurgischen Abteilung. 



Grundriß des Pavillons in Friedrichshain. 


„Das 5. Bild läßt die gleichfalls erheblich verbesserten Verhältnisse 
des Pavillongrundrisses erkennen; es erscheinen der Tageraum und die 


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Der moderne Krankenhausbau vom hygien. und Wirtschaft!. Standpunkte. 131 

Bade- und Abortanlagen in ausgezeichnet belichteten und zu 
lüftenden Anbauten (Fig. 5). 

„Auf dem Lageplan (Fig. 6) ist der (erste) unterirdisch begehbare Kanal 
des Urban-Krankenhauses angedeutet (JJ), während der Pavillongrundriß 


Fig. 6. 



Das städtische Krankenhaus Am Urban in Berlin. Lageplan. 

I bis XI Pavillons. A Verwaltungsgebäude. B Operationshaus. C Kesselhaus. 
D Ökonomie. E Pförtner. F Badehaus. G Leichenhaus. H H Gedeckte Hallen. 

J J Unterirdische Gänge. 



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Pavillongrundriß des Krankenhauses Am Urban. 

(Fig. 7) uns darüber belehrt, daß hier keineswegs ein Fortschritt gemacht 
worden ist, sondern in der mangelhafteren Klosettanlage eher ein Rückschritt 
erblickt werden muß. 


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132 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Der Eppendorfer Lageplan (Fig. 8) beleuchtet die jetzigen Verhältnisse, 
wie sie sich nach der Anlage der eben in Betrieb genommenen neuen 
Infektionsabteilung, besonderer Wohnhäuser für das Personal, eines 
neuen Kesselhauses und Wasserturms, sowie anderer baulicher Verbesse- 


Fig. 8. 

Lageplan des Eppendorfer 
Krankenhauses in Hamburg. 


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a Verwaltungsgebäude, q Opflratioushau«. «Badebaus, v Klinischer Horsaal u. Röntgeninstitut, t Heilgymn. ParUlos- 
Direktor-Wohnhaus. e, h, g Wirtschaftsgeld Je Neues Kesselhaus. 1 Wasserturm. (Schwesternhaus, m Gynlkol. Abtfi^ 
n Augenabteilg. w Fathol. Institut, u Delirantenhaus. 

rungen gestaltet haben. Sie sehen hier in der großen Krankenanstalt im ganzen 
100 Gebäude, von denen 85 für die Aufnahme der Kranken bestimmt sind, 
und ich weise mit Rücksicht auf meine früheren Ausführungen besonders 
darauf hin, daß dem Leiter der Anstalt eine über das Terrain zerstreute 
große Anzahl von Isolierpavillons zur Verfügung steht, auf die ich für 
meinen Teil nicht verzichten möchte. Ferner sind vier Pavillons mittlerer 



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Der moderne Krankenhansbau vom hygien. und wirtschaftl. Standpunkte. 133 

Größe für die Aufnahmen der neu zugehenden Kranken und acht gleichartige 
Bauten zu je 16 Betten vorhanden, die für mancherlei Kranke eine ruhigere 
Gruppierung erlauben, wie in den großen Sälen. Im übrigen sei bemerkt, daß icb 
die Einrichtung einer besonderen Tuberkulose-Abteilung streng durch¬ 
geführt habe, die in der vorletzten Gruppe der Krankenbauten untergebracht 
worden ist. Neue Liegehallen werden ihren Wert erhöhen. Auch zehn 
Asbestbaracken, die aber nur für Evakuations- und Epidemiezwecke be¬ 
stimmt sind, seien hier Ihrer Aufmerksamkeit empfohlen. 

„Ursprünglich war die Anstalt für 1600 Kranke bestimmt worden. Tat¬ 
sächlich wird Jeder, der Krankenhauspläne zu deuten versteht, rasch erkennen, 
daß hier mancherlei angegliedert worden ist, womit man anfangs nicht ge¬ 
rechnet hat. Sie sehen, daß jenseits der Wirtschaftsgebäude die gynäko¬ 
logische und Augenabteilung sowie die schon genannten Epidemiebaracken 
hinzugekommen sind. Dadurch ist die Bettenzahl erheblich angewachsen, 
viel höher, als ich es für empfehlenswert halte. Die Gründe habe ich dargelegt. 


Fig. 9. _0. 



Grundriß des Normalpavillons in Eppendorf. 


„Der wesentliche Unterschied, der dieses Krankenhaus im übrigen vor 
dem Rudolf Virchow-Krankenhause auszeichnet, betrifft die zerstreute Anlage 
der zahlreichen PavillonB, die überall im Grünen gelegen sind und von den 
bellen, großen Tagesräumen aus den Blick in die Gartenanlagen gestatten. 
Es wird dadurch nicht nur das ganze landschaftliche Bild reizvoller gestaltet, 
sondern auch der hygienische Vorteil einer weit vollkommeneren Durchlüftung 
des Anstaltsgebietes erzielt, wie dies bei der Rud. Virchow-Anlage möglich ist, 
zumal die Pavillons selbst, wie das nächste Bild (Fig. 9) zeigt, weit kürzer 
wie im Rudolf Virchow-Krankenhause, nämlich in der Mehrzahl nur 40,5 m 
lang sind, während jene die enorme Länge von 99 m erreichen. 

„Von den bisher gezeigten Grundrissen weichen die nächsten beiden, 
die für unsere neue Diphtherie- und Scharlach - Abteilung bestimmt worden 
sind, erheblich ab. Hier kehren die kleineren Pavillonsäle und eine größere 
Anzahl von Einzelzimmern wieder, wie wir sie schon für St. Georg angelegt 
hatten. Es sind aber manche Abweichungen und Verbesserungen mit Rück¬ 
sicht auf den besonderen Zweck dieser Pavillons durchgeführt und vor allem 
die Nebenräume, besonders die Teeküchen, weit günstiger gestaltet. Im Mittel¬ 
bau sind im zweiten Stock die Wohnungen für das Pflege- und Dienstpersonal 
des Pavillons vorgesehen (Fig. 10 a. f. S.). 


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134 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Der Quarantänepavillon (Fig. 11) zeigt drei durch Brandmauern 
getrennte Anlagen für besondere Zwecke. Ich glaube, daß er den Kenner 
in seiner Eigenart befriedigen wird. Wir haben ihn so geplant, nachdem 
der in St. Georg von uns seinerzeit angelegt«, mit der einfachen Absperrung 
durch verschließbare Türen, die aber meist nicht verschlossen waren, diese 


Fig. 10. 



Grundriß des neuen Scharlachpavillons in Eppendorf. 


Fig. 11. 



Grundriß des neuen Quarantänepavillons iu Eppendorf. 
Brandmauern trennen drei Abteilungen für je vier bis sechs Kranke sicher 

voneinander. 


und andere Mißstände uns kennen gelehrt hatte. Man muß stets darauf 
gefaßt sein, daß aus Bequemlichkeit gesündigt wird; eine Tür kann 
allzu leicht geöffnet, und damit die ganze Absperrung illusorisch werden. 

„Mit wenigen Worten sei noch darauf hingewiesen, daß ein Fehler, der 
seinerzeit bei der ersten Einrichtung der Hauptanstalt mit den Heizungsanlagen 
gemacht wurde, bei der neuen Infektionsabteilung vermieden worden ist. 
Während früher jedem Einzelbau eine Sonderheizung gegeben, und dadurch 


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Der moderne Krankenhausbau vom hygien. und wirtschaftl. Standpunkte. 135 


Mißstände aller Art herbeigeführt worden sind, haben wir jetzt nicht nur alle 
Neubauten, sondern auch manche ältere an die Tom neuen Kesselhause ver¬ 
sorgte Fernheizungszentrale angeschlossen und so den Anforderungen ent¬ 
sprochen, über die unter Fachleuten kein Zweifel mehr obwalten kann 1 ). 

„Der Nürnberger Lageplan (Fig. 12) lehrt die übersichtliche Anlage 
dieser ausgezeichnet durchdachten Anstalt kennen und erinnert wohl an das 
Eppendorfer ModelL 

Fig. 12. 



Lageplan des allgemeinen Krankenhauses in Nürnberg. 

ln der Hauptachse das Verwaltungsgebäude (1), Operationshaus (4), 
medico-mechanisohes Institut (30), Badehaus (13), Kesselhaus (22), Ökonomie (23) 
und Kläranlage (27). Zu beiden Seiten die 7 zwei- und 11 eingeschossigen 
_ Kranken pavillons. 


*) Zur Beseitigung der Mißstände, die aus der Sonderheizung aller einzelnen 
Krankenhausbauten sich im Laufe der Jahre ergeben hatten, war man auf die 
Idee der Verkuppelung der Heizanlagen von drei bis vier Pavillons gekommen. 
Dadurch sind gewiß einige Fehler beseitigt, anfänglich leider auf Kosten mancher 
Einzelräume, die durch die ungeschickte Anlage der Essen verdorben wurden. Der 
Hauptfehler bleibt aber bestehen: der Lärm und Schmutz, die durch den wider¬ 
wärtigen Kohlenbetrieb in die eigentliche Krankenanstalt gebracht werden. Nur 
Nichtkenner können zu einem anderen Urteil gelangen; hätten sie mal als Kranke 
das stundenlang andauernde Kohlenschütten mit anhören müssen oder Gelegen¬ 
heit gehabt, die Kohlenzufuhr und -einnahme in der eigentlichen Krankenanstalt 
zu verfolgen, so würden sie sich nicht besinnen, der vielleicht etwas kostspieligeren, 
aber einzig richtigen zentralen Fernheizung das Wort zu reden. Ein solch ruhe¬ 
störender und schmutziger-Betrieb sollte einer Neuanlage wirklich ein für allemal 
erspart werden. 


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136 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Dasselbe gilt von dem Grundriß des Pavillons (Fig. 13), der in allen 
wesentlichen Einrichtungen und Abmessungen sein Eppendorier Vorbild 
wieder erkennen laßt, aber die in manchen Beziehungen sehr vorteilhafte 
Terrassenanlage an der Längsseite des Pavillons aufweist. 



Aufriß des Normalpavillon« in Nürnberg. 


Fig. 15 a. 



Aufriß des neuen Pavillons für tuberkulöse Frauen. 


„Der Aufriß (Fig. 14) zeigt das schmucke Bild eines solchen zwei¬ 
stöckigen Pavillons, während die nächsten Bilder den Aufriß und Grundriß 
eines neuen Pavillons für Lungenkranke (Fig. 15 a u. b) wiedergeben. 
Ich kann ihn nur warm empfehlen. 


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Grundriß desselben Pavillons. 


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138 XXXIL Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 


Operationssäle in so unmittelbare Luftverbindung mit großen Kranken¬ 
abteilungen zu setzen, erscheint mir sehr zweifelhaft. Alle Häuser, zeigen 
prächtige Fassaden und Zierd&cher, wie ich hier ausdrücklich anfügen möchte. 


Fi?. 17. 



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Grundriß des Normalpavillons. 

„Im nächsten Bilde (Fig. 18) sei der Riß des Pavillons gezeigt, bei dem 
von Herrn Ruppel und mir zuerst die Anlage von zwei kleineren Pavillon¬ 
sälen durchgeführt wurde (St. Georg), die den Mittelbau mit den Einzel¬ 
zimmern zwischen sich lassen und endständig Bad, Abortanlage und Einzel¬ 
zimmer besitzen. Der Pavillon ist zweistöckig, jedes Stockwerk kann 32 bis 
43 Kranke aufnehmen. 


Fig. 18. 



Doppelgeschossiger Pavillon im allgemeinen Krankenhause 8t. Georg in Hamburg. 

Neuer Pavillontyp nach Lenhartz-Ruppel. 

„Der Unterschied mit den bisher gezeigten Pavillongrundrissen tritt 
auf den ersten Blick hervor J )- 

„Die beiden nächsten Bilder (Fig. 19, 20) beleuchten den allgemeinen Lage- 
und Pavillongrundrißplan des Rudolf Virchow-Krankenhauses. Ich 
habe schon vorher darauf hingewiesen, daß es sich hier um eine großartige 

') Daß dieser Grundriß wesentlich verbessert werden konnte oder mußte, 
habe ich stets ausgesprochen. Vor allem, weil ein Tagesraum fehlte, wie ich ihn 
wünschen mußte. Aber dieser Grundriß war der erste Versuch zu einer grund¬ 
sätzlichen Änderung und sollte noch zu weiteren Verbesserungen führen. Siehe 
auch meine Denkschrift a. a. 0., S. 120 u. ff., u. Ruppels Referat, Fig. 4, 8. 158. 


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Der moderne Krankenhausbau vom hygien. und wirtschafte Standpunkte. 139 

architektonische Schöpfung handelt, die im einzelnen leider mancherlei Be¬ 
denken auftreten läßt. Es hat meines Erachtens an dem harmonischen 
Zusammenarbeiten von Arzt und Architekten gefehlt. 

„Die Großzügigkeit der Anlage erkennen Sie schon an dem Ühersichts- 
plan; 20 Pavillons von nahezu 100 m Länge flankieren eine imposante Allee, 



in deren Kreuzung das Bade- und Operationshaus, sowie die Apotheke und 
das Röntgen-Institut gelegen sind. Die hervorragenden Wirtschaftsgehäude 
haben an der Nord-, die Infektionsabteilung an der Südgrenze eine glückliche 
Lage gefunden, während das pathologische Institut den Abschluß der Allee 
bildet und eine Reihe von Korridorbauten für Wohnzwecke und die gynäko- 


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Lageplan des Rudolf Virchow-Krankenhauses in Berlin. 



140 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 


logische und die Haut- und Geschlechtskranken-Abteilungen mehr peripher 
gelegen sind. 

„Die übermäßig langen Pavillons stehen meines Erachtens zu 

dicht aufeinander, denn sie folgen in 
Entfernungen von je 22 m bei 100 m Länge, 
während unsere fast durchweg einstöckigen 
Pavillons in Eppendorf den gleichen Abstand 
bei 40 bzw. 45 m Länge zeigen. So kommt 
es, daß die Kranken und Rekonvaleszenten, 
die aus den Pavillons auf die netten Terrassen 
gebracht werden, trotz der reizvoll wechseln¬ 
den Schutzhecken nicht genügend weit von¬ 
einander geschieden sind. Aber zur Haupt¬ 
sache müssen gegen den Grundriß der 
Pavillons Bedenken geäußert werden, die ich 
zum Teil schon erwähnt habe. 

„Wie Sie sehen, ist zwischen die beiden 
Pavillonsäle ein zweigeschossiger Mittelbau 
eingeschaltet, der eine größere Zahl von 
Einzelräumen im Erdgeschoß und Wohnräume 
für Ärzte und Schwestern im ersten Stock 
enthält. Tritt man durch die schmale (etwa 
1,20 m breite) Haustür an der Längsseite ein, 
so kommt man auf einen Vorplatz, der meines 
Erachtens nicht genügend belichtet und nur 
unvollkommen zu lüften ist, weil das gegen¬ 
überliegende, durch eine feste Wand abge¬ 
schlossene Treppenhaus die Diele verdunkelt 
und durch die gleichfalls schmale Ausgangstür 
zu wenig Licht hereingelassen wird (Fig. 20). 

„Noch weniger günstig sind die Licht- 
und Lüftungsverhältnisse der zu beiden 
Pavillonsälen abgehenden recht langen 
Mittelkorridore, die zwischen den 
Einzelräumeu liegen und weder von 
oben noch seitlich Licht und Luft un¬ 
mittelbar erhalten können. Gerade diese 
Mittelkorridore sind die Crux aller früheren 
Korridorhäuser gewesen und jedermann kennt 
ihre „Schattenseiten“ von den Etagenhäusern 
der Großstädte. Meines Erachtens müssen 
sie zumal in dieser Länge vermieden werden. 

„Die Pavillonsäle haben einen eigen¬ 
artigen Querschnitt und eine gewölbte Decke. 
Das sieht ganz nett aus, hat aber den Nachteil, 
daß ein reichlich 1 m hoher Deckenraum entstellt, der nicht direkt zu lüften 
ist, zumal auch die Fenster nicht hoch genug geführt sind. Man hat die 
Beseitigung dieser naturgemäß Übeln Luftschicht durch einen (elektrisch 




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Der moderne Krankenhausbau vom hygien. und wirtschaftl. Standpunkte. 141 

betriebenen) Pulsometer angestrebt, aber kein einziger Apparat war bei 
meinen wiederholten Besuchen J ) in Betrieb gesetzt, weil er zu teuer arbeitete. 
Weshalb der Architekt die Fenster des KrankenBaales durch übermäßig 
viel Sprossen in lauter kleine Fensterchen geteilt hat. ist mir nioht 


Fig. 21a. 



verständlich; jedenfalls werden Sie an dem Doppelbild, Fig. 21a und b, 
das ich Ihnen vorführe, sehen können, daß gerade das Gegenteil in der 
neuen Infektionsabteilung Eppendorfs angestrebt worden ist. Große Schiebe¬ 
fenster, die nicht nur eine Fülle von Luft und Licht in jeden Raum ein- 


Fig. 21b. 



Ansichten der Fenster im Pavillon des Rudolf Virchow- (o) und Eppendorfer - 

Krankenhauses. 

lassen, sondern auch die völlig unbehinderte Aussicht ins Freie gestatten, 
haben wir da eingeführt. 

„An den Endteilen der Pavillonhäuser liegen die wenig gut zu lüftenden 
Aborte, zu denen man nur an den Absonderungszimmern vorbeigelangen 
kann. Mir scheint das keine glückliche Lösung. 


‘) Der Herr Verwaltungsdirektor erklärte mir, daß der Betrieb überall wegen 
der hohen Kosten eingestellt sei. 


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142 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öfl'entl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Endlich kann ich die Tage räume nicht gerade loben. Sie sind in 
den Mittelbau gelegt und demzufolge ziemlich niedrig; da gleichwohl auch 
hier die dichte Sprossenteilung der Fenster beliebt worden ist, so gewinnt 
der Raum zwar an Gemütlichkeit und erinnert wohl an eine altdeutsche 
Trinkstube, aber was hier recht zweckmäßig sein kann, erscheint dort weniger 
Tätlich. Jedenfalls ziehe ich für meinen Teil hohe, luftige und ideal zu 
lüftende Räume für den Aufenthalt von Rekonvaleszenten, die sich in solchen 
Räumen von schweren akuten Krankheiten erholen sollen, unbedingt vor. 

„In den Korridorhäusern gibt es manche Krankenräume, die nach 
Art des Berliner Zimmers nur durch ein ungünstig gelegenes Fenster sehr 
unzureichend erhellt und keinesfalls ordentlich zu lüften sind. In einem 

Fig. 22. 


Lageplan der neuen bzw. durch ausgedehnte Neubauten reorganisierten 
Krankenanstalt Cöln-Lindenburg. Eigenartige Pavillontypen, 
ausgedehnte — gebrochene — Verbindungskorridore (s. 8. 7). 

modernen Krankenhause dürften sie nicht mehr Vorkommen. In dem Ab¬ 
sonderungshause fehlt es an genügender Trennung. Ärzte, Kranke und 
Pflegepersonal können völlig unbehindert durch das ganze Haus wandern. 
Im Operationshause und pathologischen Institut ist meines Erachtens die 
Zahl der Einzelräume viel zu groß und die Kontrolle erschwert Das Bade¬ 
haus bietet vielerlei sehr anfechtbare Einrichtungen. Ich verstehe nicht, 
weshalb hier eine solche Opulenz beliebt worden ist. Mir scheint sie weder 
wünschenswert noch im Interesse der Kranken zu liegen. 

„Ob die Einrichtung einer einzigen großen Zentrale für die Auf¬ 
bewahrung der desinfizierten und in plombierten Beuteln aufgehobenen 




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Der moderne Krankenhansbaa vom hygien. und Wirtschaft!. Standpunkte. 143 


Kg. 23. Lageplan des neuen Krankenhauses in Rixdorf. Übersichtsbild über 
<lie weitverzweigten Verbindungskorridore und die eigenartige Gliederung 

der Einzelpavillons. 

















144 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Kranken-Privatkleidung sich für eine bo große Anstalt bewähren wird, lasse 
ich dahingestellt. Meines Erachtens verläuft das Personal zuviel Zeit, um den 
Tausch vorzunehmen. Mehrere über daB Gelände verteilte, etwa für einen 
Block bestimmte kleinere Magazine dürften zweckmäßiger sein. 

„Daß die Gartenanlagen des Rudolf Virchow - Krankenhauses mit dem 
Eppendorfer gar nicht vergleichbar sind, wird jeder zugeben, der beide 
Häuser besucht hat. 

„Meine Herren! Wenn ich hier freimütig mancherlei Bedenken gegen 
die Anlage dieses modernsten Krankenhauses geäußert habe, so brauche ich 
wohl nicht erst zu versichern, daß ich hier sine ira et studio spreche. Es 

Fig. 24. 


Lage-(und Grundriß-)plan des städtischen Krankenhauses in Charlottenburg, j-“’ 


erschien mir aber als meine Pflicht, mit meiner Ansicht nicht zurückzuhalten, 
da ich hier als offizieller Referent des Deutschen Vereins für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege spreche und zu einem Austausch der Meinungen in diesem Kreise 
sachkundiger Vertreter der Staats- und städtischen Behörden anzuregen habe. 

„Von den Krankenhäusern in Amsterdam, Chemnitz 1 ) (leider bisher 
nicht zur Ausführung gelangt), Cöln-Lindenburg (Fig. 22, S. 142) und Rix- 
dorf (Fig. 23, S. 143) zeigen die folgenden Bilder die Lage- und Grundri߬ 
pläne. Überall ist die Abweichung von der Pavillonanlage der ersten Periode 
zu sehen; bei den beiden letzten treten zuerst ausgedehnte Verbindungs¬ 
korridore auf, während das vortreffliche Charlottenburger Krankenhaus 
(Fig. 24) nur je vier Pavillons der beiden Hauptabteilungen vereinigt zeigt. 


l ) Wegen Raummangels sind die Pläne hier nicht wiedergegeben. 


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Der moderne Krankenhausbau vom hygien. and Wirtschaft!. Standpunkte. 145 


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Grundriß eine« Pavillonbaue« der Münchener Anotalt. Jeder Pavillon dreintöcki* mit K leichon. OruudriU. 































Der moderne Krankenhauabau yom hygien. und Wirtschaft!. Standpunkte. 147 


„Düsseldorf (Fig. 25, 
S. 145) mag yorgeführt werden, 
w eil die Anstalt soeben erst er¬ 
öffnet ist und unzweifelhaft 
sehr eigenartige und sehens¬ 
werte Verhältnisse bietet. Ich 
war leider verhindert, der Ein¬ 
ladung zu den Eröffnungs¬ 
feierlichkeiten zu folgen und 
kenne die Anstalt noch nicht 
aus eigener Erfahrung. Be¬ 
fremden muß bei der Prüfung 
der Grundrisse besonders die 
Anlage der chirurgischen und 
das Korridorsystem der medi¬ 
zinischen Abteilung. Bei der 
enteren ist seltsamerweise — 
wie in einem Kloster — ein 
Hof von allen vier Seiten ein¬ 
geschlossen; bei den medizi¬ 
nischen Pavillons sind fast aus¬ 
schließlich kleinere und größere 
Einzelzimmer angelegt. 

„Das Vogelschaubild (s. 
Fig. 26, S. 145) von Mün¬ 
chens berührt sehr eigenartig. 
Das gemischte Korridorpavil- 
lonsystem, das hier stilvoll 
durchgeführt werden soll, habe 
ich bereits besprochen. Ob die 
klimatischen Verhältnisse in 
der Tat zur Anlage solcher 
mächtigen dreistöckigen Kor¬ 
ridorhäuser nötigten, vermag 
ich nicht zu beurteilen. Auf 
dem Plan wird dadurch ein 
gewisser kasernenartiger Ein¬ 
druck erweckt. Ich würde 
meinerseits zweistöckige An¬ 
lagen vorziehen, wenn die 
Größe des Geländes und die 
Mittel es gestatteten. Man 
darf sich doch der Tatsache 
nicht verschließen, daß die 
Luft von drei Stockwerken 
miteinanderkommuniziert,und 
da niemand verhüten kann, 
daß gelegentlich eine recht un- 



10 * 


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Übersicht über die ehemalige Gliederung des alten Korridorbaues in St. Georg-Hamburg. Zahllose Einzelzimmer und Säle stehen mit 
einem System von fortlaufenden Korridoren in Zusammenhang, die teils an der Fensterseite — gut belichtet und ltiftbar — teils' nach 

Art der überaus ungünstigen Mittelkorridore angelegt sind. 






148 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 


angenehme Infektionskrankheit trotz aller Aufmerksamkeit eingeschleppt 
wird, so sollte man nach Möglichkeit die Dreistockwerkbauten Termeiden. 
In München sind in jedem solchen Hause 150 Kranke untergebracht (Fig. 27, 
S. 146); man sollte meines Erachtens die Zahl eines Hauses auf 100 beschränken. 




Ein Abteil (vgl. hierzu Fig. 28 D.) des Frontgebäudes der alten Korridoranstalt des 
St. Georg-Krankenhauses, a) Vor dem Umbau, b) Nach dem Umbau. 

Der Vergleich der Skizzen zeigt, daß aus den alten meist sehr tiefen und durchweg 
nur einseitig belichteten Krankensälen die eingebauten Aborte entfernt worden 
sind. Die inmitten der Gebäude befindlichen Treppen sind an die Außenwand 
verlegt und neue Abort-, Bad- und Teeküchenanlagen geschaffen. Ferner wurden 
große übereck- oder gar dreiseitig belichtete Krankensäle angelegt und Aufzugs¬ 
einrichtungen eingebaut, endlich aus allen Sälen die uralten Öfen entfernt und 
der ganze Bau mit Niederdruckdampfheizung versorgt. 


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Der moderne Krankenhaasbau vom hygien. und Wirtschaft]. Standpunkte. 149 












































150 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Unsere Umbauten in den Frontgebäaden der alten Korridorabteilung 
des St. Georger Krankenhauses (Fig. 28, S. 147) haben, wie die nächsten 
Bilder Fig. 29 a u. b (S. 148) lehren, eine recht zweckmäßige Gruppierung der 
Säle und der Nebenräume ergeben. Sie sehen bei a den allgemeinen Grundriß 
des mächtigen, mit Flögeln versehenen Korridorbaues, in b einen Block 
Grundriß vor und nach dem Umbau. Uneer Bestreben ging dahin, die Tiefe 



Fig. »t b. 



Lageplan des Allgemeinen Krankenhauses St. Georg in Hamburg, 
a) vor, b) nach der von Lenhartz und Ruppel erdachten und ausgearbeiteten 

Reorganisation. 


der Säle zu vermindern, einige zu Pavillonsälen umzugestalten und andere 
für die Anlage guter Teeküchen, Bad- und Abortanlagen zu opfern. 

„Wohin man bei dem Bestreben, in die Höhe zu bauen, gelangen kann, 
zeigt das W'iener Kinderkrankenhaus (Fig. 30, S. 149), das, abgesehen von 
dem Kellergeschoß mit der Heizzentrale, 1. im Erdgeschoß die Milchküche 
und die Wohnung der Schwestern beherbergt, während 2. im Parterre das 
Ambulatorium und die Laboratorien, 3. im ersten Stock außer dem Hörsaal 


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Der moderne Krankenhausbau vom hygien. und Wirtschaft!. Standpunkte. 151 

Räume für Schwerkranke und ältere Kinder, 4. im zweiten Stock die Säuglings¬ 
station nnd jüngere Kinder, 5. im dritten Stock außer Assistenzarztwoh¬ 
nungen die Zahlkranken untergebracht und 6. im Dachgeschoß noch Liege¬ 
hallen vorhanden sind. 

„Den Bau eines solchen Krankenhauses kann ich nicht gerade für zweck¬ 
mäßig erachten und seine Nachahmung beim besten Willen nicht empfehlen. 

„Noch seien die Pläne der Fieberhospitäler von Edinburgh und von 
Kristiania 1 ) gezeigt, die unzweifelhaft Anerkennung verdienen. Bei dem 
letzten handelt es sich um zweistöckige Bauten, deren Grundriß mancherlei 
empfehlenswertes auf weist. 

„Zum Schluß noch ein Doppelbild aus Hamburg (Fig. 31a und b, 
S. 150). 

„Daß Sie Alle mit der Veränderung einverstanden sein werden, die hier 
das St. Georger Krankenhaus (34) bei der von Ihren beiden Referenten ge¬ 
schaffenen Reorganisation erfahren hat, glaube ich annehmen zu dürfen. 

„Abgesehen davon, daß es gelungen ist, auf dem besonders glücklich 
gelegenen alten Gelände ohne Betriebsunterbrechung eine nahezu vollkommen 
neue Anstalt aufzuführen, ist für das Gemeinwesen auch der große Nutzen 
erzielt, daß für nahezu 1600 Krankenbetten nur rund 5 Va Millionen Mark 
einschließlich der etwa noch zu erwartenden Nachbewilligungen verausgabt 
werden. Und dabei sind 1000 Krankenbetten in absolut neuen Pavillons 
untergebracht; das Operations- und Badehaus, pathologische Institut, Koch¬ 
küchengebäude, das Kesselhaus, die Desinfektionsanstalt usw. völlig neu 
errichtet, und in den vortrefflich umgebauten Blocks des Haupthauses wie 
in allen Krankenpavillon-Neubauten völlig neues Inventar angeschafft (In 
der obigen Summe ist bereits ein Betrag mit enthalten, der noch der Ge¬ 
nehmigung Vorbehalten ist.) 

„Berücksichtigt man, daß von der alten Anlage tatsächlich nur das 
Mittelstück und die beiden Endblocks der Vorderfront erhalten, aber in 
der Weise völlig umgebaut worden sind, wie die Bilder (Fig. 31a und b) 
gelehrt haben, so wird man zugeben müssen, daß Hamburg mit der Aus¬ 
gabe von kaum 3500 pro Bett glänzend abgeschnitten hat“ 

*) Auch die Wiedergabe dieser Pläne mußte hier mit Rücksicht auf den zu- 
gemessenen Raum unterbleiben. 


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152 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremern 


Der moderne Krankenhausbau 
vom wirtschaftlich-teohnisohen Standpunkt. 


Es lauten die vom Korreferenten Baurat F. Ruppel (Hamburg) 


aufgestellten 


Leitsätze: 


Für die hygienisch einwandfreie und zweckmäßige bauliche Gestaltung 
eines modernen Krankenhauses kommen vom wirtschaftlich - technischen 
Standpunkte aus folgende wesentliche Gesichtspunkte in Betracht: 

1. Für die Gesamtgruppierung der einzelnen Teile eines Krankenhauses gilt 
als Hauptgrundsatz: möglichste Trennung aller für den eigentlichen Kranken- 
dienst bestimmten Gebäude oder Räume von allen übrigen Räumen und 
Nebenbetrieben, scharfe Trennung der Infektionskranken von den all¬ 
gemeinen Kranken und möglichste Scheidung der Kranken nach Geschlecht, 
Krankheitsgattung, Alter usw. 

2. Wenn auch aus allgemeinen hygienischen Rücksichten eine möglichste De¬ 
zentralisierung aller Kranken anzustreben ist, so erscheint doch aus wirt¬ 
schaftlichen Gründen bei kleineren und mittleren Anstalten bis zu etwa 
200 Betten die Vereinigung in einem einheitlichen Bau durchaus zweck¬ 
mäßig und bei Berücksichtigung der Forderungen der modernen Gesund¬ 
heitstechnik auch hygienisch unbedenklich. Bei größeren Anstalten verdient 
jedoch das Pavillonsystera jedenfalls den Vorzug. 

Bei letzterem sind alle Gebäude übersichtlich, zweckentsprechend und 
den freien Luftströmungen gut zugänglich, außerdem aber derart anzu¬ 
ordnen, daß die einzelnen Betriebe sich nicht gegenseitig stören. 

3. Nach der Grundrißgestaltung der Krankengebäude sind drei Hauptarten 
zu unterscheiden, nämlich: Korridorbauten, Pavillonbauten und kombinierte 
Korridor-Pavillonbauten, von denen jede Art für sich bestimmte Vorzüge 
besitzt und daher je nach dem zu erfüllenden Zweck zur Anwendung zu 
bringeu ist. 

Bei der großen Verschiedenheit der Bedürfnisse und Zwecke in den 
allgemeinen Krankenhäusern haben sich, in Deutschland wenigstens, stereo¬ 
type Grundrißformen nicht herausgebildet. 

Gegen die große Mannigfaltigkeit der Grundrißgestaltung selbst sind im 
allgemeinen so lange keine Bedenken zu erheben, als die Forderungen der 
Gesundheitstechnik überall befriedigend erfüllt werden. 

4. Die Geschoßzahl der Krankengebäude soll, abgesehen von dem Kellergeschoß, 
aus hygienischen und wirtschaftlichen Gründen möglichst nicht über zwei 
(Erdgeschoß und Obergeschoß) hinausgehen, wobei es keinem Bedenken 
unterliegt, in einem dritten Stock oder ausgebauten Dachgeschoß Wohnungen 
für Personal und sonstige Räume unterzubringen. 

5. Bei der Konstruktion der Krankengebäude und ihrer baulichen Durchbildung 
muß als Leitstern dienen die möglichst ausgiebige direkte Zuführung von 
Licht und Luft zu allen Räumen, sowie möglichste Erleichterung der Rein¬ 
haltung der Räume, und zwar nicht nur aller Bauteile derselben, sondern 
auch der Luft und aller Gegenstände in ihnen. 

Alle Konstruktionsmaterialien müssen leicht reinigungsfähig und des¬ 
infizierbar sein; besondere Beachtung verdienen hierbei die Fußböden, 
Wände und Decken. 

6. Die Desinfektion von Wäsche, Fäkalien usw. sollte, soweit es sich nicht um 
gemeingefährliche, ansteckende Krankheiten handelt, aus wirtschaftlichen, 
praktischen Gründen nioht dezentralisiert, sondern möglichst zentralisiert 
werden. 

7. Für die Heizung, Lüftung und Warmwasserbereitung werden am zweck¬ 
mäßigsten zentrale Anlagen vorgesehen. Am besten bewährt haben sich 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 153 

die Niederdruckdampfheizungen und Warmwasserheizungen, auf deren gute, 
sachgemäße Herstellung sowohl im hygienischen Interesse, als auch im 
Interesse eines ökonomischen und durchaus sicheren Betriebes das größte 
Gewicht zu legen ist. 

Für die Lüftung der Krankenräume sind zwar die überall herzustellenden 
oberen Kippflügel der Fenster von großer Bedeutung, für eine notwendige 
ständig wirkende Ventilation sind jedoch künstliche Lüftungseinriohtungen 
nicht zu entbehren. Von diesen verdient die Pulsionslüftung, die sich aller¬ 
dings auch am teuersten stellt, wegen ihrer jederzeit sicheren, beliebig zu 
regulierenden Wirkung vor allen anderen den Vorzug, zumal dieselbe auch 
eine Reinigung der Luft durch Filter u. dgl. gestattet. 

8. Einer besonders sorgfältigen baulichen Durchführung bedürfen die Opera¬ 
tionsräume in bezug auf leichte Reinhaltung und Ausspritzbarkeit, auf 
reichliche, reflexfreie Lichtzuführung möglichst reiner Frischluft usw. 

9. Die modernen hydrotherapeutischen Anlagen erfordern neben einem all¬ 
gemeinen zentralen Ruhe- und Ankleideraum einen größeren Duscheraum 
für die verschiedensten Wasser- und Dampfdusohen, für ein Bassinbad usw., 
während je nach Erfordernis noch weitere Badeeinrichtungen, Dampf- und 
Heißluftschwitzkästen, elektrische Lichtbäder, Sand-, Kohlensäure-, Sool-, 
Moorbäder, permanente Wasserbetten u. dgl. auf einzelne Räume zu ver¬ 
teilen sind. 

Alle für Badezwecke dienenden Räume sind besonders widerstandsfähig 
gegen die Einwirkungen der Feuchtigkeit, des Dampfes usw. herzustellen. 

10. Die Wirtsühaftsräume (Koch- und Waschküche) sind für einen guten Betrieb 
mit einer gewissen Weiträumigkeit und bereits bei der ersten Anlage schon 
mit Rücksicht auf spätere Erweiterungen herzustellen. Neben den Dampf¬ 
kocheinrichtungen empfehlen sich für direkte Feuerungen Gasherde und Gas¬ 
bratöfen. In größeren Anstalten erweist sich oft die Verbindung maschi¬ 
neller Anlagen mit der Kesselanlage zur Erzeugung von Elektrizität für 
Licht- und Kraftzwecke, zur Eisbereitung, zum Betrieb für Pumpen bei 
einer eigenen Wasserversorgung und zu sonstigen Zwecken als sehr wirt¬ 
schaftlich. 

11. Mit Rücksicht auf die nicht unerheblichen Kosten moderner Krankenhaus¬ 
bauten erscheint im Interesse einer gesunden Weiterentwickelung des 
Krankenhausbauwesens und einer größeren Verbreitung desselben auch auf 
kleinere, weniger finanzkräftige Gemeinden eine strenge Sparsamkeit in 
allen Dingen, die dem eigentlichen Zweck nicht dienen, geboten, jedoch 
ohne daß die hygienischen Forderungen irgendwie beeinträchtigt werden. 

12. Zur Sicherstellung eines glatten, ordnungsmäßigen und sparsamen Betriebes 
sind die vielgestaltigen und zum Teil komplizierten Einrichtungen eines 
Krankenhauses so zu gestalten, daß sie für das Betriebspersonal möglichst 
leicht verständlich sind und ihre Handhabung eine über ein gewisses Maß 
hinausgehende Mühe und Sorgfalt nicht erfordert. Je mehr die Fort¬ 
schritte der Gesundheitstechnik diesem wichtigen wirtschaftlichen Gesichts¬ 
punkt Rechnung tragen, um so wertvoller werden sie für die weitere Ent¬ 
wickelung des Krankenhausbauwesens sein. 

Korreferent, Baur&t Ruppel (Hamburg): 

„Mit der bedeutenden Entwickelung, welche die Gesundheitstechnik all¬ 
gemein in den letzten Jahrzehnten auf der Grundlage der modernen hygie¬ 
nischen Wissenschaft erfahren hat, ist auch eine neue Entwickelungsperiode 
des Krankenhausbaues verbunden gewesen. In erfreulichem Zusammen¬ 
wirken von Ärzten und Technikern sind empirisch und wissenschaftlich 
einerseits diejenigen Erfordernisse geklärt und festgestellt worden, welche 
bei der Erbauung von Krankenhäusern im Interesse eines wirksamen Heil¬ 
verfahrens und des allgemeinen Wohles der Kranken, sowie für den Schutz 


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154 XXXIL Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

gegen Infektion zu beachten sind, andererseits diejenigen technischen Mittel 
und Konstruktionsweisen ausfindig gemacht und erprobt worden, welche 
zur baulichen Verkörperung der hygienischen Forderungen und Grundsätze 
geeignet sind. 

„Wenn zur vollständigen Befriedigung aller hygienischen Forderungen 
die technischen Mittel vielfach noch nicht ausreichen, vielleicht auch nie 
ausreichen werden, weil solche Forderungen teils über menschliches Können 
hinausgehen, teils an der KoBtenfrage scheitern, so ist doch der Kranken¬ 
hausbau, wie viele vorzügliche, mustergültige Anstalten der Neuzeit be¬ 
weisen, auf eine bedeutende Höhe überhaupt erreichbarer Vollkommenheit 
gebracht worden und in diesem Sinne können wir mit Recht von einem 
modernen Krankenhausbau reden. Für diesen bleibt aber zu beachten, daß 
wegen der großen Verschiedenheit der lokaltechnischen und klimatischen 
Verhältnisse, Lebensgewohnheiten, persönlichen Auffassungen und Gepflogen¬ 
heiten usw., nicht zum wenigsten auch wegen finanzieller Rücksichten, die 
Grundsätze, welche nach den heutigen Lehren der Hygiene und Gesundheits¬ 
technik bei dem Krankenhausbau zu befolgen sind, sich nicht in starre, für 
alle Fälle maßgebende Formeln fassen lassen; auch werden die Grundsätze 
immer einer gewissen Wandlung unterworfen bleiben in dem Maße, als die 
Forschungen auf dem Gebiet der Hygiene und der rein ärztlichen Wissen¬ 
schaften, ebenso wie die bautechnischen Fortschritte und Erfindungen 
Änderungen oder Neugestaltungen erforderlich machen werden. 

„Wenn ich nun versuchen werde, einen kurzen Überblick über die 
heutigen wirtschaftlich - technischen Grundsätze für einen Krankenhausbau 
zu geben, so muß ich mich im Rahmen eines nur nach Minuten bemessenen 
Vortrages auf diejenigen Punkte beschränken, die als die wesentlichsten 
dieses umfangreichen Gebietes besonders für unsere heimischen Verhältnisse 
in Betracht kommen und innerhalb angemessener finanzieller Grenzen auch 
ausführbar erscheinen. 


Gesamtgruppierung. 

„Eine der ersten und wichtigsten technischen Aufgaben bei der Pro¬ 
jektierung eines Krankenhauses ist die Gesamtgruppierung. Hier gilt 
als Hauptgrundsatz, daß alle für den eigentlichen Krankendienst bestimmten 
Gebäude oder Räume von den Verwaltungs- und allen Wohn- und Wirt* 
schaftsräumen, desgleichen von den Räumen des Leichendienstes, der Des¬ 
infektion usw. möglichst zu trennen sind. Das erfordern nicht nur hygienische 
Rücksichten, sondern auch diejenigen der allgemeinen Krankenhausdisziplin. 

„Aber auch die Kranken selbst müssen den heutigen ärztlichen Forde¬ 
rungen entsprechend in bestimmte Gruppen mehr oder weniger streng ge¬ 
schieden werden; vor allem sind die Infektionskranken sowohl von den 
allgemeinen Kranken, als auch unter sich nach Krankheitsarten streng zu 
trennen. Im übrigen erfolgt die Gruppierung in der Regel nach dem Ge¬ 
schlecht, nach Krankheitsgattungen, nach dem Alter (Erwachsene und 
Kinder), nach Klassen, d. h. nach Maßgabe der zu zahlenden Pflegekosten usw. 

„Alle Kranken sollen nach den modernen hygienischen Grundsätzen 
möglichst dezentralisiert werden. Demgegenüber ist vom wirtschaftlichen 
Standpunkt aus geltend zu machen, daß die Kosten eines Krankenhauses 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 155 

■ich um so höher stellen, je mehr die Dezentralisation der Kranken durch* 
geführt wird, da mit derselben die Bauplatzgröße, sowie die Bau* und Be¬ 
triebskosten wachsen. 



„Aus wirtschaftlichen Gründen sucht man daher fast immer bei 
kleineren und häufig auch bei mittleren Anstalten bis zu etwa 150 bis 
200 Betten die Kranken — natürlich mit Ausnahme der Infektiösen — in 
einem einheitlichen Bau zu vereinigen, der außerdem die Verwaltungs- und 
eventuell auch die Kochküchenräume aufnimmt. 


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156 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Daß solche Bauten allen billigen hygienischen Anforderungen ent¬ 
sprechend gestaltet werden können, zeigt eine große Zahl vortrefflicher 
Krankenhausanlagen der Neuzeit, von denen ich nur das städtische Kranken¬ 
haus zu Offenbach a. M. (Fig. 1), das neue Krankenhaus der israelitischen 
Gemeinde in Cöln und das städtische Krankenhaus zu Frankfurt a. 0. 
(Fig. 2) nennen will. 

„Bei größeren Krankenhäusern, bei denen naturgemäß die hygienischen 
Gründe gegenüber den wirtschaftlichen weit stärker in den Vordergrund 
treten, ist eine Dezentralisierung, d. h. eine Verteilung der Kranken auf 
eine mehr oder weniger große Zahl von Gebäuden oder Pavillons vorzuziehen. 



Städtisches Krankenhaus zu Frankfurt a. 0. Grundriß des Erdgeschosses. 

„Die Krankenpavillons selbst werden je nach der Form und den 
Höhenverhältnissen des Bauplatzes oder nach sonstigen Rücksichten in der 
Regel in parallelen Reihen neben- oder hintereinander, seltener in freier 
Stellung angeordnet, weil die Parallelstellung sowohl die Übersicht, als 
auch die eventuelle Herstellung von Verbindungsgängen und unterirdischen 
Heizkanälen und vieles andere erleichtert. 

„Bei der Anordnung der Pavillons und sonstigen Gebäude ist allgemein 
darauf Bedacht zu nehmen, daß alle Teile möglichst übersichtlich und den 
freien Windströmungen sowie dem Sonnenlicht zugänglich sind, daß außer- 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 159 


dem fflr die einzelnen Krankenabteilungen gute, zusammenhängende, aber 
zweckmäßig zu trennende Garten* und Erholungsplfttze geschaffen werden. 

„Als Beispiele för eine gute, zweckmäßige Gesamtanordnung in größeren 
Krankenanstalten möchte ich u. a. das Rudolf Virchow-Krankenhaus in 



Berlin, das neue Krankenhaus in Rixdorf (Fig. 3), die Krankenhäuser in 
Hamburg-Eppendorf und -St. Georg (Fig. 4), in Cöln auf der Lindenburg, in 
Dresden, in Nürnberg und in Barmen (Fig. 5) erwähnen, von denen ich zum 
Teil noch einige allgemeine Lagepläne Vorfahren werde. 


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160 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Korridorbauten. Pavillonbauten. Kombinierte Bauten. 

„Bei den eigentlichen Krankengebäuden unterscheiden wir hinsichtlich 
der Grundrißgestaltung derselben dreiHauptarten,dieKorridorbauten, 
die Pavillonbauten und die kombinierten Korridor - Pavillon¬ 
bauten. 

„Die modernen Korridorbauten unterscheiden sich wesentlich von den¬ 
jenigen früherer Zeiten. An Stelle der tiefen, schlecht belichteten und ge¬ 
lüfteten Krankensäle, der vielfach indirekt beleuchteten Nebenräume, der 
dunkeln Mittelkorridore usw. sind gut erhellte und gut lüftbare, nicht zu 
tiefe Krankenzimmer und Nebenräume an vollständig oder doch größtenteils 
einseitig bebauten, mit reichlichem Fensterlicht versehenen Korridoren ge¬ 
treten, kurz überall wird auf reichliche Lichtzufuhr und gründliche Durch- 
lüftbarkeit aller Teile des Gebäudes sorgfältig Bedacht genommen. 

„Die Korridorbauten bilden überall dort das geeignetste Bausystem, 
wo aus ärztlichen Rücksichten, wie z. B. für Augenkranke, einseitig be¬ 
lichtete, eventuell leicht zu verdunkelnde Krankenräume wünschenswert 
sind; sie finden aber auch zweckmäßige Anwendung, wenn es sich, wie z. B. 
bei Kostgängerhäusern, hauptsächlich um die Schaffung von kleineren 
Einzelzimmern handelt, die von einem gemeinschaftlichen Flur zugänglich 
gemacht werden müssen. Bei diesem System lassen sich ferner leicht und 
vorteilhaft verschiedene getrennte Abteilungen bilden, die ohne große 
Schwierigkeiten untereinander verschieblich gemacht und leicht überwacht 
werden können. 

„Den Korridorbauten gegenüber bieten jedoch die Pavillonbauten im 
allgemeinen günstigere hygienische Verhältnisse, da in ihnen nur eine be¬ 
schränkte Zahl von Kranken — in der Regel bis höchstens 80 Betten etwa 
— und zwar überwiegend in Sälen untergebracht wird, welche die ganze 
Tiefe des Gebäudes einnehmen und von wenigstens zwei Seiten, eventuell 
auch von einer dritten Seite Luft und Licht erhalten. 

„Diesen Sälen werden neben den erforderlichen Nebenräumen, wie Tee¬ 
küche, Wasch- und Badezimmer, Klosetts, Spülraum, Wärterzimmer, Arzt¬ 
zimmer, Tageraum usw. gewöhnlich nur einige wenige Einzelzimmer für 
einen bis drei Kranke beigefügt, die an einer oder besser an beiden Schmal¬ 
seiten des Kollektivsaale8, und zwnr von einseitig oder zweiseitig bebauten 
Fluren aus zugänglich, angeordnet zu werden pflegen. Für diese Flure 
gelten dieselben Gesichtspunkte, wie bei den Korridorbauten. 

„Die Art der Raumordnung sowie die Zahl der Einzelzimmer und 
Nebenräume ist außerordentlich verschieden, so daß sich in Deutschland 
wenigstens stereotype Formen nicht herausgebildet haben. Eher läßt sich 
dies von den englischen Krankenhäusern sagen, die aber viel weniger wie 
die deutschen für eine größere Zahl verschiedener Krankheitsgattungen ein¬ 
gerichtet werden, sondern mehr in gewisse Arten, Hospitals, Infirmeries, 
Fever-Hospitals usw., eingeteilt sind, und daher auch für ein gleichartiges 
Krankenmaterial einheitlicher gestaltet werden können. Stereotyp ist 
übrigens auch bei den englischen Hospitälern, daß die Klosetts, Bade- und 
Ausgußräume fast stets in turmartige Ausbauten verlegt werden, die mit 
dem Pavillon durch brückenartige Gänge verbunden sind. Diese Anordnung 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 161 


werde ich nachher in 
einem Lichtbilde von 
dem im Bau begriffenen 
großen Krankenhause in 
Glasgow zeigen, sie kann 
aber für unsere klima- 
tischenVerhältnisse nicht 
als nachahmenswert hin¬ 
gestellt werden. 

„Als einzelne Beispiele 
für die verschiedenartige 
Grundrißgestaltung der 
Pavillons für allgemeine 
Kranke werde ich einige 
aus den Krankenhäusern 
von Hamburg - St. Georg 
(Fig. 6), Cöln, Rixdorf 
(Fig. 7), Mülhausen i. E. 
(Fig. 8) und Karlsbad 
vorführen. Es sind teils 
einfache, teils Doppel¬ 
pavillons, d. h. mit zwei 
Kollektivsälen in jedem 
Geschoß. Sie unterschei¬ 
den sich auch sehr durch 
ihre Saalgröße, Zahl und 
Anordnung der Neben¬ 
räume usw. 

„Verschieden ist fer¬ 
ner die Geschoßzahl der 
Pavillons. Wenn in neue¬ 
ren Krankenhäusern 
vielfach noch und so z. B. 
in dem erst vor kurzem 
eröffneten Rudolf Vir- 
c h o w- Krankenhause in 
Berlin die Pavillons vor¬ 
wiegend eingeschossig, 
d. h. mit e i n e m Kranken¬ 
geschoß hergestellt sind, 
so entspricht dies aller¬ 
dings sehr dem hygie¬ 
nischen Interesse. Bei 
den heutigen Mitteln der 
Gesundheitstechnik und 
den heutigen antisep¬ 
tischen wie aseptischen 
Heilmethoden sind aber 



Viert«Ijahn«chrift für Ge*nndh«it*pflege, 1908. 


11 


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Allgemeines Krankenhaus St. Georg zu Hamburg. Zweigeschossiger Krankenpavillon mit Aufbau über dem Mittelbau. 







Fig.7 


162 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öfFentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 


im allgemeinen hygienische Bedenken gegen mehrgeschossige Pavillons kaum 
noch zu erheben und es wird daher in den neuzeitlichen Krankenhäusern 
um so mehr von ihnen Gebrauch gemacht, als sich dadurch die Kosten für 



die Krankeuunterkunft nicht unerheblich verringern und der ganze Betrieb 
in vieler Beziehung vereinfacht und verbilligt wird. 

„Allerdings findet die Geschoßzahl ihre Grenze auch wieder in hygieni¬ 
schen und wirtschaftlichen Rücksichten. 

„Am meisten kommen in unseren modernen Krankenhäusern Pavillons 
mit zwei Krankengeschossen zur Anwendung, welche dem Interesse einer 
nicht allzugroßen Anhäufung von Kranken in einem Pavillon und einer 
nicht zu sehr erschwerten Gartenbenutzung für die Kranken, desgleichen 


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HtUdtiHcho« Krai.kei.b»uH >u Uixdorf. Or.m.lriU der mediy.i..iH.ben Krank.-npavillunH. 












Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 163 

einer leichten Übersichtlichkeit und Kontrolle und eines guten ökonomischen 
Betriebes gleichmäßig gerecht werden. 












164 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

und Amerika, welche allerdings ganz besonderen Verhältnissen, namentlich 
den großen Kosten und der Beschränktheit des Bauplatzes ihre Entstehung za 
verdanken pflegen, nicht als vorbildlich hingestellt werden. Es begegnet 
aber im allgemeinen keinen Bedenken, in einem dritten Geschoß, das sich in 
der Regel nur über den Nebenräumen der Pavillons erstreckt oder im Dach 
eingebaut ist, Wohnungen für Ärzte und Pflegepersonal unterzubringen. Ein» 
solche oft recht zweckmäßige Anordnung zeigen z. B. einige Pavillons in den 
Krankenhäusern in Hamburg-St. Georg, in Mülhausen i. E., in Rixdorf usw. 

„Sehr beachtenswert ist bei den mehrgeschossigen Pavillons die Anlag» 
von Baikonen, Loggien, offenen Hallen u. dgl., um den Kranken die Mög¬ 
lichkeit des Genusses der frischen Luft eventuell in ihren Betten zu ver¬ 
schaffen. Zu demselben Zweck empfiehlt es sich auch, den Erdgescho߬ 
fußboden nur wenig über Geländehöhe, etwa 0,30 bis 0,50 m zu legen, so 
daß die Betten über sanft ansteigende Rampen leicht nach dem Garten ge¬ 
fahren werden können. 

„Was von der Geschoßzahl der Pavillonbauten gesagt ist, gilt übrigens 
auch bei allen anderen Arten von Krankengebäuden. 

„In den kombinierten Korridor-Pavillonbauten sucht man die ökonomi¬ 
schen Vorzüge des Korridorsystems und die hygienischen Vorzüge des 
Pavillonsystems zu vereinigen. 

„Die Grundform dieses kombinierten Systems ist in der Regel die eines 
Hufeisens oder eines H, wobei der mittlere Trakt als Korridorbau, di» 
Flügel nach Art der Pavillonbauten mit zweiseitig belichteten Sälen aus¬ 
gebildet werden. Gute Beispiele hierfür bilden die bereits erwähnten städti¬ 
schen Krankenhäuser zu Offenbach und Frankfurt a. 0., sowie das israe¬ 
litische Krankenhaus in Cöln. 

„In dem mittleren Korridorbau werden zweckmäßig die kleineren 
Krankenzimmer und die allen Abteilungen gemeinsam dienenden Räume, 
Operations- und Baderäume, Ärzte- und Arbeitszimmer, eventuell auch die 
Verwaltungsräume untergebracht, während die Flügel lediglich für di» 
Unterbringung von Kranken in Sälen mit den üblichen Nebenräumen ein¬ 
gerichtet zu werden pflegen. 

„Die Kranken, meist nur chirurgische und medizinische, können gut 
nach Krankheitsform und nach Geschlecht sowohl vertikal nach der Mittel¬ 
achse des Gebäudes, als auch horizontal, d. h. geschoßweise, getrennt werden. 

„Bei diesen Hauptgrundzügen ist die Raumanordnung im einzelnen 
auch hier sehr mannigfaltig, doch müssen alle bereits erwähnten Gesichts¬ 
punkte über die Trennung der Krankenräume von den in dem Gebäud» 
eventuell ebenfalls unterzubringenden Verwaltungs- und Wirtschaftsräumen, 
soweit in einem einheitlichen Bau angängig, Berücksichtigung finden. 

„Im allgemeinen erweist sich das kombinierte Korridor-Pavillonsystem 
als sehr zweckmäßig für kleinere und mittlere Krankenanstalten bis etwa 
200 Betten. Namentlich bietet es in bezog auf Baukosten und auf den 
Betrieb erhebliche wirtschaftliche Vorteile und manche Bequemlichkeiten 
und Erleichterungen für den Transport der Kranken nach den Operations¬ 
und Baderäumen usw. 

„Bei dem im Bau begriffenen dritten städtischen Krankenhause zu 
München, das nach vollständigem Ausbau für 1300 Betten Raum gewähren 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 165 

wird, hat man, wie «ns den ansgestellten Zeichnungen hervorgeht, die Vor> 
aüge der Korridor- und der Pavillonbauanlagen in der Weise zu vereinigen 
gesucht, daß die Verwaltunga-, Betriebs-, Wirtschaftsräume usw. in beson¬ 
deren Gebäuden getrennt und die Kranken auf eine größere Zahl von Ge¬ 
bäuden verteilt sind; jedoch sind die allgemeinen Kranken in großen drei¬ 
geschossigen Korridorbauten fßr je 150 Kranke untergebracht, die eine 
Anzahl kleiner dreiseitig belichteter Säle mit höchstens 12 Betten und 
Zimmer mit 1 bis 6 Betten enthalten (Fig. 9). Für die Infektionskranken, 
gynäkologisch Kranken, Geisteskranken, Haut- und Geschlechtskranken und 
Kindersind je besondere zwei- und dreigeschossige größere Korridorbanten 
vorgesehen. 


Fig. 9. 



Vogelschaubild des neuen Krankenhauses in München. 


„Zu dieser von unsereu sonstigen modernen großen Krankenhausbauten 
nicht unerheblich abweichenden Anlage hat man sich deshalb entschlossen, 
weil, abgesehen davon, daß wegen der Platzverbältnisse von einer weit¬ 
gehenden Dezentralisation Abstand genommen werden mußte, das durch die 
Höhenlage MQnchens (518 m Aber der Nordsee) bedingte rauhe Klima mit 
«einen erheblichen Temperaturschwankungen es nicht zweckmäßig erscheinen 
ließ, eine große Zahl kleiner Gebäude zu errichten, Welche den Temperatur- 
verhältnissen dort zu sehr ausgesetzt seien. 

„Diese Gründe mögen für München nicht unberechtigt sein, sie können 
siber keinenfalls dazu dienen, dem dort gewählten System auch für andere 
Verhältnisse und vielleicht in allgemeinerer Weise vor der Dezentralisierung 
in kleineren Pavillonbauten den Vorzug einzuräumen. 

„Allgemeine Beachtung verdient aber der Gesichtspunkt, der hier bei 
der Grundrißgestaltung der Krankengebäude befolgt wurde, nämlich durch 


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166 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

die Anlage kleinerer Säle mit höchstens 12 Betten und durch die sonstige 
Verteilung der Kranken auf eine größere Zahl kleinerer Zimmer der Indi¬ 
vidualität der einzelnen Kranken und der Humanität mehr Rechnung zu 
tragen und verschiedenartigen Mißständen und Störungen der Kranken 
mehr vorzubeugen, als dies in großen Krankensälen möglich ist. 



„Dieses Prinzip möglichster Trennung der Kranken innerhalb der Ge¬ 
bäude läßt sich bei den Korridor-Pavillonbauten, wie das neue Münchener 
Krankenhaus zeigt, sehr gut befriedigen, weshalb dieses Bausystem auch 
fast immer bei Infektionsgebäuden, bei denen die Zahl der Betten in den 
Kollektivsälen am besten nicht über 10, in den Einzelzimmern nicht über 
3 bis 4 hinausgeht, zur Anwendung kommt. 


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Der moderne Kr&nkenhausbaa vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 167 
InfektionBgebäude. 

„Wenn nun auch solche Infektionsbauten nach streng hygienischen 
Forderungen immer nur für eine einzelne infektiöse Krnnkheitsform dienen 



Ueobachtnngspavillon des Epidemiekrankenhauses in Stockholm. 


sollen, so zwingen doch leider die Verhältnisse, wie z. B. auch in dem 
erwähnten Münchener Krankenhause, oft zur Einrichtung für mehrere In¬ 
fektionskrankheiten in ihnen. In solchen Fällen müssen dann wenigstens 


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169 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentL Gesundheitspflege zu Bremen. 


die einzelnen Krankheitsformen vollständig durch feste Mauern oder ge- 
schoßweiae voneinander getrennt werden, so daß ein direkter Verkehr zwischen 
ihnen nicht möglich ist. 


tf/fyrmnnn dhW_t'3i'itin(tnlfous Süur/ibr/' Vig. 12a. 



Grundriß des Beobachtungspavillons. 



Querschnitt. 


„Sehr empfehlenswert ist die Einrichtung eineB Wasch- und Umkleide¬ 
raumes fQr den Arzt und einer Schaltervorrichtung in den Fenstern der 
Teeküchen, um von außen die Speisen in den Pavillon zu reichen. Solche 
Anordnungen sind Erfordernisse moderner Krankenaustalten und z. B. in dem 
Infektionsgebäude des israelitischen Krankenhauses in Cöln getroffen (Fig. 10). 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 169 
Quarantänegebäude. 

„Die Absonderung der Kranken geht am weitesten in den Beobachtungs- 
und Quarantänegbäuden, wo für jeden einzelnen Kranken ein besonderes 
Zimmer mit Bad und Klosett vorgesehen werden muß. Die übrigen Neben- 
riume, Teeküche, Schwesternzimmer, Wäscheraum uew., müßten zu einer 
vollkommenen Absonderung eines Kranken zwar ebenfalls für jedes einzelne 
Isolierzimmer vorgesehen werden, was aber der großen Kosten wegen kaum 
dnrchsuführen ist. 

„Die besonderen Forderungen einer Quarantäne führen bei solchen, 
natürlich nur eingeschossigen Bauten, oft zu eigenartigen Grundrißgestal- 
tungen, von denen ich einige Beispiele anführen werde, nämlich den Be- 



Kiuderquarantänepavillon des Charit6krankenhauses in Berlin. 


obachtungspavillon des Epidemiekrankenhauses in Stockholm (Fig. 11a und 
11b), den Beobachtungspavillon des städtischen Krankenhauses in Düsseldorf 
(Fig. 12 a und 12 b) und den Kinderqnarantänepavillon des Charite kranken- 
hauses in Berlin (Fig. 13). 

Konstruktion der Gebäude. 

„Bei der Konstruktion der Krankengebäude und ihrer baulichen 
Durchbildung muß als Leitstern dienen die möglichst ausgiebige, direkte 
Zuführung von Licht und Luft zu allen Räumen, sowie möglichste Erleich¬ 
terung der Reinhaltung der Räume, und zwar nicht nur der dieselben um¬ 
schließenden Wände, Decken, Fußböden usw., sondern auch der Luft und 
aller Gegenstände in den Räumen. 


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170 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Bei der Zuführung von Licht kommt es für die Krankenräume vor 
allem auf das direkte Sonnenlicht an, weshalb diese nur eine Lage nach 
Süden oder wenigstens nach einer Richtung mit südlicher Komponente, 
keinen falls aber nach Norden haben dürfen. Säle mit Fenstern an zwei 
gegenüberliegenden Seiten werden jedoch einer gleichmäßigeren Sonnen- 
belicbtung wegen am besten so orientiert, daß die Fenster nach Ost-West 
gerichtet sind. 

„Für eine peinliche, leichte Reinhaltung müssen alle Bauteile gut zu¬ 
gänglich, alle Flächen, Ecken usw. möglichst übersehbar und für Reinigungs- 
geräte leicht erreichbar sein; einspringende und ausspringende Ecken sind 
aus- bzw. abzurunden, die Wände müssen in Decken und Fußböden durch 
glatte Hohlkehlen übergeführt und ron allen Gesimsen und sonstigen 
irgendwie entbehrlichen, vorspringenden Bauteilen, welche zu Staubablage¬ 
rungen Veranlassung geben, freigehalten werden. 

„Schwierigkeiten machen oft die vielfachen Rohrsysteme der Heizung, 
derWasser- und Gasleitungen usw., welche zum Teil wenigstens für etwaige 
Reparaturen zugänglich bleiben müssen, aber, wenn sie zu dem Zweck — 
wie bisher üblich — frei vor die Wände gelegt werden, leicht Schmutz¬ 
ablagerungen und Schwierigkeiten für die Reinhaltung verursachen und das 
Aussehen der Räume sehr beeinträchtigen. 

„In vielen neueren Krankenhäusern werden daher die anfsteigenden 
Heizrohren sowie die Wasser-Zu- und -Ableitungen soviel als möglich in 
Wandschlitze gelegt, die durch glatte, in EiBenrabmen aufgeschraubte und 
mit der Wandfläche bündig liegende Eisenblechplatten abgeschlossen werden. 
In Klosett- und Spülräumen, wo die Abfallröhren einer öfteren Kontrolle 
und Untersuchung bedürfen, ist es immerhin zweckmäßiger, die Rohre frei 
vor die Wand zu legen, zumal hier auf das Aussehen der Räume nicht so 
großes Gewicht gelegt zu werden braucht. 

„Von großer Bedeutung für die Salubrität der Krankenräume ist die 
Wahl geeigneter Konstruktionsmaterialien, und zwar solcher, die sich leicht 
reinigen und desinfizieren lassen, wie Stein, Eisen, Glas usw. Wände und 
Decken sind jedenfalls massiv herzustellen, was auch schon im Interesse 
der Feuersicherheit geschehen muß. 

„Die Fußböden müssen möglichst fugenlos oder fugendicbt, nicht in¬ 
fizierbar, leicht zu reinigen, außerdem aber fußwarm und schließlich auch 
von gutem Aussehen sein. 

„Ein diesen Anforderungen auf die Dauer entsprechender Fußboden 
ist leider bis jetzt noch nicht erfunden. 

„Die unzähligen unter dem Sammelnamen Steinholz zusammenzufassen- 
den Fabrikate, welche im letzten Jahrzehnt auf den Markt gebracht sind und 
die guten Eigenschaften eines massiven, fugenlosen Fußbodens mit den¬ 
jenigen eines Holzfußbodens vereinigen sollen, haben sich bis jetzt noch 
nicht so bewährt, daß man sie z. B. dem weit verbreiteten Terrazzo unbedingt 
vorziehen könnte, obwohl dieser fast nie rissefrei bleibt, selbst wenn man 
die Flächeu in einzelne Teile zerlegt. 

„Es sollen jedoch diesen Fabrikaten Torgament, Durament, Doloment, 
Lithoment, Xylopal, Xylolith, Terralith, Papyrolith, Lapidon, Marmorholz usw. 
manche guten Eigenschaften nicht abgesprochen werden; vielleicht gelingt 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 171 

es auch noch, sie so zu verbessern, daß sie auf die Dauer rissefrei bleiben 
und vor allem auch ein gutes Aussehen behalten. 

„Bis jetzt wird den hygienischen Anforderungen unstreitig am meisten 
ein Plattenfußboden aus natürlichem Stein oder gebranntem Ton gerecht, 
dessen Fugen natürlich möglichst eng herzustellen und mit Mörtel gut zu 
dichten sind. Diese Fußböden sind starr und beständig und erleiden auch 
bei Temperaturveränderungen, durch Erwärmung usw., keine Rissebildung. 
Die früher gehegten Befürchtungen, daß sie als fußkalt viel Unannehmlich¬ 
keiten für die Kranken mit sich führen würden, haben sich im allgemeinen 
nicht bestätigt. Plattenfußböden sind jedoch, abgesehen von Nebenräumen, 
Klosetts, Teeküchen, Badezimmern, Behandlungszimmern usw. und Korri¬ 
doren, mehr bei größeren Krankensälen, als bei kleineren Einzelzimmern zu 
empfehlen, welche letzteren, des wohnlicheren Charakters wegen, zweckmäßig 
einen Linoleumbelag erhalten. 

„Um die Wände möglichst sauber zu halten und leicht abwaschen 
und desinfizieren zu können, werden dieselben da, wo sie Verunreinigungen 
besonders ausgesetzt sind, mit öl-, Wachs- oder Emaillefarbe auf hnltbarem 
glatten Putz gestrichen, besser aber noch mit glasierten Platten, sogenannten 
Wandkacheln, bekleidet, so besonders in Klosett- und Spülräumen, Tee¬ 
küchen, in Räumen für schmutzige Wäsche usw., in der Regel jedoch nur 
in den unteren Teilen. Wo die Mittel für diese etwas kostspielige Beklei¬ 
dung zur Verfügung stehen, ist dieselbe zweckmäßig noch weiter auszu- 
dehnen auf die unteren Wandflächen der Krankensäle, Korridore, Treppen¬ 
häuser usw., bei Operationsräumen, Sterilisationszimmern auf die ganzen 
Wandflächen, wo möglich auch auf die Decken. 

„Sehr empfehlenswert ist es jedenfalls, die Tür- und Fenstergewände, 
letztere wenigstens zum Teil, mit Kacheln oder Marmorplatten zu bekleiden, 
und hier alle Holzumrahmungen zu vermeiden, sowie die Türzargen aus 
L- Eisen herzustellen. Eine solche Anordnung zeigt die Konstruktions¬ 
zeichnung der Türen und Fenster in den Pavillons des Krankenhauses 
St. Georg in Hamburg, wovon ich auch ein Lichtbild vorführen werde. 

Desinfektion der Wäsche. 

„Für die Behandlung der schmutzigen Wäsche werden in den modernen 
Krankenhäusern die verschiedensten Einrichtungen getroffen. Oft wird sie 
nur in verschließbaren eisernen Behältern gesammelt, die in besonderen 
Räumen oder im Klosettvorranm usw. aufgestellt werden, oft wird sie durch 
Wäscheabwurfschächte direkt nach einem Sammelraum im Keller befördert. 
Solche Schächte dürfen möglichst nicht unter 60 cm im Quadrat oder Durch¬ 
messer angelegt werden und müssen ein über Dach gehendes Entlüftungs¬ 
rohr haben. 

„Für eiterige oder infizierte Wäsche u. dgl. werden vielfach in den 
Pavillons selbst Desinfektionseinrichtuugen getroffen, in denen die Wäsche 
vor der Abholung nach der Waschküche oder Desinfektionsanstalt desinfi¬ 
ziert wird, um die abholenden sowie andere Personen vor Infektionen zu 
schützen. 

„Soweit es sich nicht um gemeingefährliche Infektionskrankheiten 
haudelt, halte ich es nach meinen Erfahrungen für zweckmäßiger und bei 


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172 XXXII. Versammlung d. D. Verein» f. öffentl. Gesundheitspflege tu Bremen. 

gut geordneten Betriebsverhältnissen auch nach allen Seiten hin für ge* 
nagend sicher, die Wäsche in geschlossenen Behältern von dem ständigen 
Desinfektionspersonal nach der zentralen Desinfektionsanstalt abholen und 
dort desinfizieren zu lassen, weil von dem Personal der Pavillons eine 
ordentliche Desinfektion nicht zu erwarten ist. 

„Aus demselben Grunde halte ich auch die in den Pavillons vielfach 
vorgesehenen Einrichtungen zur Abkochung von Fäkalien usw. hinsichtlich 
ihrer ordentlichen Handhabung von zweifelhaftem Wert. Solche Des¬ 
infektionen können nur dann in dem erforderlichen Maße überwacht werden, 
wenn sie zentral betrieben werden, nicht aber, wenn, wie in einem der 
neuesten großen Krankenhäuser, einige Dutzend von Desinfektionsstellen 
vorhanden sind. 

„Zentrale Desinfektionsanlagen für Fäkalien sowie fQr alle Abwässer 
aus Krankengebäuden können ohne Schwierigkeiten hergestellt werden und 
sind z. B. in dem Krankenhause St. Georg in Hamburg ausgefQhrt. Ich 
werde auf dieselben nachher bei Vorführung eines Lichtbildes noch mit 
einigen Worten zurückkommen. 


Heizung. 

„Eine besondere Beachtung wird in den modernen Krankenhäusern 
mit vollem Recht den Heizungs- und Lüftungsanlagen geschenkt, die für 
den hygienischen Wert der Krankenräume eine große Bedeutung haben. 

„Die Einzelheizung mit Öfen kommt etwa nur noch für ganz kleine 
Anstalten in Frage. Sowohl aus hygienischen wie aus wirtschaftlichen 
Gründen werden aber selbst in kleinen Krankenhäusern Zentralheizungen 
angelegt, von denen sich die Niederdruckdampfheizungen und die Warm¬ 
wasserheizungen oder Dampfwasserheizungen am meisten bewährt haben. 

„Die Zentralheizungen, deren sachgemäße Herstellung für unsere 
Krankenhäuser von außerordentlicher Wichtigkeit ist, müssen vor allem 
eine milde Wärmewirkung haben, ökonomisch und ohne Geräusch funktio¬ 
nieren und größte Betriebssicherheit gewähren. Zur Erfüllung dieser 
Forderungen dürfen keine Kosten gescheut werden, wenn anders der Betrieb 
vor vielen Gefahren und Unzuträglichkeiten, namentlich auch vor einer 
allzugroßen Kostspieligkeit bewahrt werden soll. 

„Größere Krankenhäuser erfordern ein besonderes Kesselhaus, von dem 
aus die Rohrleitungen in begehbaren, unterirdischen Kanälen nach den 
einzelnen Gebäuden geführt werden, so daß die notwendige Kontrolle dieser 
Leitungen und eventuelle Reparaturen an denselben leicht und schnell vor¬ 
genommen werden können. Solche Heizkanäle sollten aber nicht, wie dies 
in manchen Krankenhäusern der Fall ist, auch für andere Zwecke, nament¬ 
lich nicht für die Beförderung von Leichen benutzt werden. Aus hygieni¬ 
schen Gründen wie aus Gründen der Krankenhausdisziplin und der Sicher¬ 
heit der Anlagen in den Kanälen dürfen letztere nur dem Heizpersonal und 
sonstigen befugten Personen zugänglich sein und keine Kommunikation 
zwischen den Krankengehäuden gestatten. Ganz besonders sind sie in In¬ 
fektionsgebäuden gegen alle Betriebsräume derselben vollkommen abzu¬ 
schließen und, wenn erforderlich, hier stets nur durch Treppen von außen 
zugänglich zu machen. 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 173 

„Bei den Fernheizanlagen wird der Dampf als Wärmeträger gewöhn¬ 
lich in hochgespanntem Zustande von der Kesselanlage nach den einzelnen 
Gebäuden, und zwar bis zum Eintritt in dieselben geleitet und hier durch 
Reduzierventile in Niederdruckdampf verwandelt, als welcher er entweder 
direkt zur Beheizung der Räume mittels Radiatoren, desgleichen der Wärme¬ 
schränke, der Wäschewärmeapparate, ferner für Sterilisations- und Des- 
infektionszwecke, für Dampfduschen, Dampfbäder usw. dient oder indirekt 
durch Erwärmung von Wasser in Boilern die gesamte Beheizung durch 
Warmwasser bewirkt. 

„In neuerer Zeit ist auch die bisher in Amerika und England haupt¬ 
sächlich angewendete Fern Warmwasserheizung in Aufnahme gekommen, bei 
welcher das zur Heizung der Räume dienende Warmwasser in der zentralen 
Kesselanlage selbst erzeugt und von hier den Räumen zugefQhrt wird. Sie 
hat im allgemeinen vor den anderen Zentralheizungen den Vorzug größerer 
Regulierbarkeit, ist aber teurer in der Anlage und macht besondere Dampf¬ 
kessel zur Bereitung des Dampfes für die vielfachen Koch- und Sterili¬ 
sierungszwecke eines Krankenhauses erforderlich. 

L üftung. 

„Eine namentlich in ärztlichen Kreisen viel umstrittene Frage bildet 
die Lüftung der Krankenräume, nicht etwa, daß ihre große Bedeutung fQr 
dieselben zweifelhaft wäre, sondern weil die Meinungen über die besten 
Mittel zur Lüftung der Krankenräume oft weit auseinandergehen. Vielfach 
glaubt man Bich auf die einfache natürliche Lüftung mittels Fenster, Türen 
und sonstiger Öffnungen beschränken zu sollen und hält künstliche Lüftungs¬ 
einrichtungen für unzweckmäßig, weil sie nicht genügend funktionieren und 
zu teuer seien; auch seien mit den künstlichen Lüftungseinrichtungen bei 
nicht sehr sorgfältiger Anlage derselben manche hygienische Gefahren ver¬ 
bunden. 

„Ohne Zweifel spielen die Fenster für die Lüftung eine wichtige Rolle; 
sie können im allgemeinen bei geeigneter Konstruktion auch während des 
größten Teils des Jahres eine ausreichende Lüftung der Räume vermitteln 
und werden zu dem Zweck in den oberen Teilen am besten mit stellbaren 
Kippflügeln versehen. Um aber ein vollständiges Abfließen der unter der 
Decke sich ansammelnden schlechtesten Luftschichten zu ermöglichen, sind 
die Fenster so hoch wie möglich bis zur Decke zu führen, eine Forderung, 
die leider in vielen Krankenbausbauten viel zu wenig beachtet ist. 

„Deckenklappen, Dachreiter usw., mit denen wegen ihrer schwierigen 
Reinhaltung leicht Schmutzansammlungen und sonstige Übelstände ver¬ 
bunden sind, müssen mit Vorsicht angewendet werden. 

„So unentbehrlich und wirkungsvoll die Fensterlüftung aber auch ist, 
so kann doch nicht immer von derselben Gebrauch gemacht werden, sei es 
aus Witterungsgründen, sei es wegen Belästigung der Kranken durch Zug¬ 
erscheinungen usw. 

„Zur Sicherung einer notwendigen, ständig wirkenden Ventilation 
müssen künstliche Einrichtungen getroffen werden, durch welche den Räumen 
frische, gute Luft zugeführt und die schlechte, verbrauchte Luft abgeführt 
wird. Die Zuführung erfolgt in der Regel entweder direkt von außen durch 


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174 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Z-förmige Öffnungen in den Wänden der Fensterbröstungen, wo die Heiz¬ 
körper die Luft vorwärmen, oder indirekt durch Mauerkanäle von Luft¬ 
kammern des Kellergeschosses aus, in denen die durch unterirdische Kanäle 
von einem staubfreien Ort zugefQhrte Frischluft auf etwa Zimmertemperatur 
erwärmt wird. 

„Will man bei dieser LuftzufQhrung einen jederzeit gesicherten, be¬ 
stimmten Effekt erzielen, so ist die Anwendung von elektrischen Ventila¬ 
toren erforderlich, bei denen man gleichzeitig eine Reinigung der Luft von 
Staubteilen durch Filter aus Baumwollstoffen und sonstigen Geweben, Draht¬ 
netze, Holzwolle, Koks usw. erreichen kann. 

„In dem Operationshause des Krankenhauses St. Georg in Hamburg wird 
die Ventilationsluft des aseptischen Operationssaales mittels eines Ventilators 
durch ein Sandfilter gepreßt und nach den angestellten Untersuchungen dadurch 
dem Saal sogar etwa 80Proz. bakterienärmer zugeführt, als sie im Freien ist. 

’ „Diese von mir in Verbindung mit dem Professor Dr. Deneke aus- 
geföhrte, neuartige Einrichtung, die aus der ausgestellten Zeichnung naher 
ersichtlich ist und im Lichtbilde vorgeführt werden soll, wird von den 
chirurgischen Ärzten sehr geschätzt. 

„Auch die Ableitung der verbrauchten Luft erfolgt in der Regel durch 
Wandkanäle, die entweder einzeln direkt über Dach oder nach einem zen¬ 
tralen Sammelschlot geführt und zur Erzielung einer Saugwirkung in den¬ 
selben oft mit Lockflammen, Heizschlangen, elektrischen Exhaustoren usw. 
versehen werden. Sehr vorteilhaft läßt sich oft auch der Schornstein einer 
Kesselanlage als zentraler Abführungs- und Aspirationsschlot verwenden, 
indem in denselben ein eisernes Rauchrohr eingebaut wird, das eine 
ständige saugende Wirkung erzeugt. 

„Immerhin ist bei einer zentralen Entlüftung durch etwaige rück¬ 
läufige Bewegungen in den Kanälen die Gefahr einer Luftkommuüikation 
zwischen den betreffenden Räumen nicht für alle Fälle ausgeschlossen, wes¬ 
halb Infektionsräume und Räume mit schlechten Dünsten und Gerüchen, 
wie Klosetts, Spülräume usw., für sich besonders ventiliert werden müssen, 
und zwar möglichst mit besonderen Entlüftungsventilatoren. Durch letztere 
wird in diesen Räumen auch ein gewisser Unterdrück sichergestellt, welcher 
verhütet, daß die Luft derselben in andere Räume des Gebäudes eindringt. 

„Bei allen Ventilationseinrichtungen ist es wichtig, daß die Luftwege 
sämtlich leicht zu reinigen, kontrollierbar und daher zugänglich sind; 
anderenfalls können die künstlichen Lüftungseinrichtungen unter Umständen 
eine Gefahr für die Krankenräume werden. 

„Es darf aber nicht die große hygienische Bedeutung künstlicher Lüf¬ 
tung verkannt werden, wenn dieselbe gut, zweckentsprechend und jederzeit 
sicher wirkend ausgeführt wird. 

Operationsräume. 

„Wenn ich nun noch auf einige besondere, für den eigentlichen Kranken¬ 
dienst in Betracht kommende Räume eingehe, so sind hierbei vor allem die 
Operationszimraer mit ihren Nebenräumen, dem Vorbereitungs- und Narkose¬ 
zimmer, dem InBtrumentenzimmer, dem Sterilisationsraum, Verbandstoffrauxn, 
Ruheraum für frisch Operierte usw., zu erwähnen. 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 175 

„Wenn irgend möglich, sind für die aseptischen und septischen Opera¬ 
tionen besondere Räume einzurichten, die vollständig voneinander getrennt 
gehalten werden müssen. Die Operationsräume müssen möglichst nach 
Norden gelegen sein und reichliches Licht, sowohl Oberlicht wie Seitenlicht 
«rhalten, bei dem Schatten ausgeschlossen sind. Wenn die Operationsräume 
im Erdgeschoß liegen und überbaut sind, so erh’alten dieselben zur Schaffung 
von Oberlicht meistens Ausbauten in Form eineB Rechtecks oder halben 
Achtecks mit vollständig verglasten Seitenwänden und Decken. 

„Das Innere ist mit ganz besonderer Rücksicht auf eine leichte Rein¬ 
haltung und Ausspritzbarkeit mittels Wasserschlauches herzustellen. Die 
Wände und Decken werden daher am besten vollständig glatt hergestellt 
und mit glasierten Kacheln bekleidet, zum wenigsten mit Emaillefarbe ge¬ 
strichen, die Fußböden am zweckmäßigsten mit Platten belegt und mit Ab¬ 
laufrosten versehen, die Türen und Fenster ganz glatt und widerstands¬ 
fähig gegen Abspritzen hergestellt, die Heizkörper durch Eisen- oder Nickel¬ 
bleche verkleidet, auch alle Inventareinrichtungen, wie Waschtische mit 
ihrer gesamten Garnitur, Instrumentenschränke usw. möglichst glatt und in 
«infachen, leicht zu reinigenden Formen gehalten. Die Heizung der Opera¬ 
tionssäle muß ausgiebiger bemessen werden, als bei anderen Räumen, sie 
muß auch möglichst gleichmäßig sein, weshalb nicht nur Heizvorrichtungen 
im Saal selbst anzubringen sind, sondern auch für eine gewisse Erwärmung 
des Fußbodens und womöglich auch der Wände durch Warmluftkanäle 
und dergleichen Sorge zu tragen ist. 

„Welches Gewicht der Staubfreiheit und überhaupt der Sauberkeit in 
Operationssälen beigemessen wird, geht in charakteristischer Weise z. 13. 
daraus hervor, daß in dem Krankenhause zu Bamberg der Fußboden des 
Operationssaales während der Operation durch gelochte Wasserröhren, welche 
rings an den Wänden angebracht sind, berieselt wird. Es ist mir allerdings 
nicht bekannt, ob dieses etwas eigenartige Mittel sich als nachahmenswert 
«rwiesen hat. 

„Der Sterilisationsraum ist von dem aseptischen Operationssaal ebenfalls 
zu trennen und am besten nur durch Schaltervorrichtungen zum Durch¬ 
reichen von sterilisierten Instrumenten u. dgl. in Verbindung zu bringen. 

„Zu diesem Zweck sind z. B., wie aus den ausgestellten Zeichnungen 
des mehrfach genannten St. Georger Krankenhauses hervorgeht (Fig. 14 u. 
15), zwischen den beiden Operationssälen und dem in der Mitte liegenden 
Sterilisierraum Wandöffnungen angebracht, die beiderseits durch verglaste 
Schieber abschließbar gemacht sind und Dampfsterilisationskästen zum Ab¬ 
kochen der Instrumente enthalten. Letztere werden vom Sterilisationsraum 
aus eingebracht und in den Operationssälen entnommen. 

„Die Nebenräume der Operationssäle bedürfen einer ähnlichen, wenn 
auch nicht ganz so weitgehenden baulichen Ausgestaltung zum Zweck pein¬ 
lichster Reinhaltung. 

Badeeinrichtungen. 

„Neben den Operationsräumen haben für den allgemeinen Kranken¬ 
dienst noch die mannigfachen Badeeinrichtungen für Heilzwecke eine be¬ 
sondere Bedeutung. Die moderne Hydrotherapie hat in den bisherigen 


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176 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Badeeinrichtungen, namentlich in der Anlage der römisch-irischen Bäder, 
wesentliche Änderungen herbeigeführt. An ihre Stelle sind einfache Dampf-, 
Heißluft- und elektrische Schwitzkästen, sowie eine große Zahl der ver¬ 
schiedenartigsten Dampf- und Wasserduschen getreten. Die Duschen ver- 


Fig. H. 



Operationshaus de9 Krankenhauses St. Georg zu Hamburg. 


einigt man in einem gemeinsamen Raum mit einem Katheder, von welchem 
dieselben in zentraler Weise durch Ventile gehandhabt und reguliert werden. 

„In diesem Raum wird in der Regel noch ein Bassinbad hergestellt 
und in den Fußboden vertieft eingelassen, während die sonstigen Dampf-, 
Heißluft-, elektrischen, Kohlensäure-, Sol-, Moor-, Sandbäder usw. auf 
einzelne Räume verteilt werden. 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlioh-technischen Standpunkt. 177 


„Allen Räumen gemeinsam ist der möglichst zentral anzuordnende 
Ruhe- und Maasageraum, in welchen kleine, durch leichte Wände oder 
Vorhänge abgeschlossene Kojen mit Ruhe- oder Massagebetten eingebaut 
werden. 



„Eine besondere Art von Bädern bilden die sogenannten permanenten 
Bäder oder Wasserbetten, welche den Kranken, namentlich chirurgischen, 
oft zu monate- und jahrelangem Aufenthalt dienen. Werden sie in größerer 
Zahl vorgesehen, so vereinigt man sie zweckmäßig mit den allgemeinen 

Viertoljahnschrift für Gesundheitspflege, 1908. J2 


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178 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege za Bremen. 

Bädern im Badehaase, während vereinzelte am beeten in einem besonderen 
Raum der chirurgischen Abteilung untergebracht werden. 

„Die Konstruktion einer Wasserbettanlage von dem neuen Badehause 
des St Georger Krankenhauses in Hamburg werde ich noch im Lichtbilde 
vorführen. 

Heilgymnastik und Röntgenräume. 

„In Verbindung mit den Badeeinrichtungen werden meistens auch die 
Räume für Heilgymnastik angelegt, die heute nicht nur überall bei größeren, 
sondern auch bei mittleren und selbst in gewissem Umfang bei kleineren 
Krankenhäusern eingerichtet zu werden pflegen. Die baulichen Anforde* 
rungen in bezug auf Zahl, Größe und Gestaltung dieser Räume sind nach 
den jeweiligen Verhältnissen sehr verschieden. Dies gilt auch von den 
Röntgenräumen, welche bei dem modernen Krankenhausbau eine immer 
größere Rolle spielen und manche eigenartige Einrichtungen, jedenfalls stets 
eine Dunkelkammer, eventuell auch ein besonderes photographisches Zimmer 
erforderlich machen. 


Wissenschaftliche Räume. 

„Sehr verschieden ist in den Krankenhäusern ferner der Umfang der 
Räume für wissenschaftliche Zwecke, der chemischen, mikroskopischen und 
bakteriologischen Arbeitszimmer, Sezierräume, Demonstrationssäle u. dgl. 
Bei ihrer baulichen Ausgestaltung sind im allgemeinen dieselben hygieni¬ 
schen Grundsätze zu befolgen, wie bei den Krankenräumen; sie erfordern 
gute reflexfreie Lichtverhältnisse und zum Teil manche besonderen Ein¬ 
richtungen, wie Verdunkelungsvorrichtungen, Abdampfkapellen, Dunkel¬ 
kammern mit allem photographischen Zubehör, vor allem reichliche Spül¬ 
vorrichtungen mit warmem und kaltem Wasser, Dampfleitungen für Sterili* 
sations- und Kochzwecke, Gaszuleitungen und elektrische Leitungen für 
Licht- und Kraftzwecke usw. 

Wirt sch afts räume. 

„Die Wirtschaftsräume, Koch- und Waschküche, Kesselhaus usw. unter¬ 
scheiden sich im allgemeinen wenig von denjenigen anderer Anstalten von 
entsprechender Größe. Die Vielseitigkeit der Verpflegung macht vielleicht 
in der Kochküche eine größere Mannigfaltigkeit der Koch- und Brateinrich¬ 
tungen erforderlich. 

„Wichtig für einen guten Betrieb ist eine gewisse Weiträumigkeit, die 
oft aus verkehrter Sparsamkeit zu wenig berücksichtigt wird; namentlich 
aber muß bei der ersten Anlage schon auf etwaige spätere Erweiterungen 
des Krankenhauses volle Rücksicht genommen werden, da eine Erweiterung 
derWirtschaftsräume wegen der Geschlossenheit der Anlage nur sehr schwierig 
und kaum in organischer Weise durchzuführen ist. 

„ Es ist selbstverständlich, daß überall dort, wo eine Kesselanlage vor¬ 
handen ist, der ganze Wirtschaftsbetrieb mittels Dampf erfolgt. In der 
Kochküche sind jedoch für Bratzwecke usw. auch direkte Feuerungen er¬ 
forderlich, bei denen sich Gasherde und Gasbratöfen gut bewährt haben 
und sich auch ihrer Reinlichkeit wegen sehr empfehlen. 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 179 

„Mit der Kesselanlage verbindet man oft in größeren Anstalten aus 
wirtschaftlichen Gründen Maschinenanlagen zur Erzeugung von Elektrizität 
für Licht- und Kraftzwecke des Krankenhausbetriebes, desgleichen zur Be¬ 
reitung von Eis, zum Betriebe von Pumpen usw. bei einer eigenen Wasser¬ 
versorgung und zu sonstigen Zwecken, um den ganzen wirtschaftlichen Be¬ 
trieb möglichst rationell zu gestalten. 

„Diese Vielseitigkeit des Wirtschafts- bzw. des ganzen Krankenhaus- 
betriebes wird in größeren Anstalten noch durch mancherlei Anlagen ver¬ 
mehrt, durch Werkstätten für Handwerker — Tischler, Mechaniker, Tape¬ 
zierer —, durch Stallungen, Treibhäuser usw.; sie macht deshalb auch ein 
zweckmäßig verteiltes Netz für Fernsprecheinrichtungen, und zwar meistens 
mit eigener Zentrale erforderlich. 

Baukosten. 

„Man begreift bei den vielen Erfordernissen eines modernen Kranken¬ 
hauses, daß sich die Baukosten desselben gegen früher erheblich gesteigert 
haben. Sie sind natürlich sehr schwankend, je nachdem den Erfordernissen 
in größerem oder geringerem Umfang Rechnung getragen wird oder je 
nachdem die Anstalten auch für manche besondere Zwecke, poliklinische 
oder allgemein wissenschaftliche Zwecke privaten oder öffentlichen Charakters 
eingerichtet sind; sie schwanken auch nach dem Umfang der Anstalt, den 
besonderen baulichen Schwierigkeiten und örtlichen Verhältnissen, nament¬ 
lich aber auch nach dem architektonischen Aufwand im Inneren wie im 
Äußeren. 

„Wenn sich daher auch über die Baukosten keine Normen von all¬ 
gemeinerer Gültigkeit aufstellen lassen, so kann man doch annehmen, daß 
selbst bei einfachen und kleinen Verhältnissen und billiger Ausführung die 
Kosten pro Krankenbett nicht unter 3000 oft betragen, wenn den modernen 
hygienischen und ärztlichen Anforderungen wenigstens in den wesentlichen 
Punkten Rechnung getragen werden soll. Dagegen lassen sich nach den 
Erfahrungen bei einer Reihe guter, moderner Krankenhäuser mit einer 
Summe von 5000 biB 6000 pro Bett — ohne Inventareinrichtung — alle 
billigen und normalen Erfordernisse eines Krankenhauses wohl befriedigen, 
wobei allerdings ein voller Ausbau der Anstalt angenommen ist. Diese 
Kosten sind freilich auch bei manchen neueren Krankenhäusern Deutsch¬ 
lands oft ganz erheblich überschritten worden, nicht zu reden von den Auf¬ 
wendungen in anderen Ländern, besonders in England und Amerika, wo 
das doppelte und dreifache der genannten Summe durchaus nichts ungewöhn¬ 
liches ist, ohne daß der hygienische Wert der dortigen Krankenanstalten 
denjenigen der deutschen etwa überträfe. 

„Es liegt mir als Architekt gewiß fern, den Städten einen Vorwurf zu 
machen, wenn die Krankenhäuser oft mit einem gewissen Luxus hergestellt 
werden, der dieselben auch zu architektonischen Sehenswürdigkeiten macht; 
es soll auch nicht verkannt werden, daß es auch schon in einem gewissen 
hygienischen Interesse liegt, das Äußere und Innere der Krankengebäude 
freundlich und ästhetisch wirkungsvoll zu gestalten, nur darf der archi¬ 
tektonische Schmuck nicht zu sehr Selbstzweck werden und auf Kosten der 
dem größeren Wohl der Kranken dienenden Einrichtungen bevorzugt werden. 

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180 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Die hohen Kosten mancher Krankenhäuser bilden auch eine gewisse 
Gefahr für eine gesunde Weiterentwickelung des Krankenhausbauwesens 
insofern, als dadurch kleine, weniger finanzkräftige Gemeinden abgeschreckt 
und zu der so wünschenswerten, häufigeren Erbauung kleinerer Kranken¬ 
häuser wenig ermutigt werden. Vom hygienischen wie vom wirtschaftlichen 
Standpunkt können daher nur diejenigen Krankenhäuser als vorbildlich be¬ 
zeichnet werden, welche bei möglichst geringen Kosten den Anforderungen 
an eine zweckmäßige hygienische Gestaltung aller Räume zur Förderung 
des Wohles und der schnelleren Gesundung der Kranken am besten ent¬ 
sprechen. 

„Schließlich verdient noch ein wichtiger wirtschaftlicher Grundsatz 
besonders hervorgehoben zu werden. 

„Wir haben gesehen, daß der moderne Krankenhausbau ein außer¬ 
ordentlich vielgestaltiger Organismus ist, der mehr wie jede andere Bau¬ 
aufgabe eines besonderen Verständnisses und Studiums seitens des Archi¬ 
tekten und einer verständnisvollen Mitwirkung des Arztes und Hygienikers 
bedarf. 

„Wenn ein solcher Organismus gut und sparsam funktionieren soll, so 
müssen alle Teile desselben so gestaltet werden, daß sie dem Betriebs¬ 
personal leicht verständlich sind und ihre Handhabung eine über ein ge¬ 
wisses Maß hinausgehende Mühe und Sorgfalt nicht erfordert. Dies gilt 
namentlich von den oft sehr komplizierten mechanischen Einrichtungen, der 
Heizung, Lüftung, Wasserversorgung, Desinfektion, Sterilisation usw. 

„Erfahrungsgemäß verdienen einfache Konstruktionen, die diesem Ge¬ 
sichtspunkte entsprechen, den Vorzug vor solchen, welche ihren Zweck 
vielleicht vollkommener erfüllen, aber eine größere Mühewaltung und ein 
besonderes Verständnis des Betriebspersonals erfordern. 

„Die fortschreitende Entwickelung der Hygiene und der Gesundheits¬ 
technik wird voraussichtlich zu einer weiteren, vollkommeneren Durchbildung 
vieler Einzelheiten des Krankenhausbaues führen, sie wird um so wertvoller 
sein, je mehr sie zu einer Vereinfachung und Erleichterung des Gesamt¬ 
betriebes einer Krankenanstalt beiträgt.“ 

Hierauf eröffnet der Vorsitzende die Diskussion. 

Dr. med. Wilh. Dosquet (Berlin): „Meine Herren! Das Bestreben 
der heutigen Krankenhauserbauer muß dahin gehen, den Preis pro Bett 
möglichst herabzusetzen unter Beibehaltung der hygienischen Anforderungen. 
Wir erreichen dieses Ziel durch Trennung der Krankenhäuser in solche für 
akute und solche für chronische Krankheiten. Die Krankenhäuser für 
chronisch Kranke können viele teuere Anlagen entbehren und den Kranken 
dafür und für die Hälfte des täglichen Preises pro Bett das wichtigste Heil¬ 
mittel: Luft, Licht, Wasser, bieten. Das Krankenhaus für chronische Krank¬ 
heiten bedarf eines besonderen Typus, und dieser Typ ist das sogenannte 
ländliche Krankenhaus, wie es seit fast drei Jahren in Nordend-Berlin besteht. 

„Das ländliche Krankenhaus muß aber ganz bestimmte Eigentümlich¬ 
keiten haben, deren Einhaltung von der wesentlichsten Bedeutung ist. 

„Die Eigentümlichkeit des ländlichen Krankenhauses besteht darin, daß 
es zunächst nicht etwa auf dem Lande liegt, in mehr oder weniger ent- 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 181 

legenen Ortschaften, sondern peripher gerade an der Grenze der Großstadt. 
Dadurch hat es den Vorzug, daß die Kranken ebenso wie Besucher für 10^ 
mit der Straßenbahn hingelangen können. Eb hat zweitens den Vorzug, 
daß man ohne große Kosten einen bewährten Arzt aus der Großstadt zur 
Leitung eines solchen Hauses gewinnen kann. Es hat weiterhin den Vorzug, 
daß man stets frische Lebensmittel billig in der Nähe hat, und es hat end¬ 
lich den Vorzug, daß die großen Kosten für eigene Kanalisation fortfallen, 
weil man mit Leichtigkeit von der Stadt erlangen kann, daß das Kranken¬ 
haus an die städtische Kanalisation angeschlossen wird. 

„Eine weitere Forderung des ländlichen Krankenhauses ist die Ein¬ 
geschlechtlichkeit. Die Trennung der Geschlechter verlangt eine zu große 
Bodenfläche und ein größeres Aufsichtspersonal. 

„Die dritte Forderung, die wir an das ländliche Krankenhaus stellen 
müssen, ist die, daß die Krankenzahl auf 150 bis 200 beschränkt werden 
muß. Diese Einschränkung hat für sich, daß wir erstens die ungesunde 
Kesselspeisung nicht notwendig haben. Wir können den chronisch Kranken 
Herdessen geben, individuelle Diät vorsetzen, und vor allem wir können die 
heute doch immerhin nicht zu entbehrende Psycho-Therapie gerade bei den 
chronisch Kranken besser durchführen. 

„Eine letzte Forderung, die das ländliche Krankenhaus stellt, besteht 
darin, daß wir die Wirtschaftsbetriebe möglichst aus dem ländlichen Kranken¬ 
hause, dessen Terrain nur der freien Bewegung der Patienten dient, ent¬ 
fernen müssen. Zum Beispiel: Eine Waschanstalt mit ihrer teueren ein¬ 
maligen Anlage und dem Aufsichtspersonal gehört nie in ein Krankenhaus 
für chronisch Kranke, sondern eine einzige Anstalt, beliebig gelegen, muß 
eine Anzahl von Anstalten versorgen, was mit Hilfe der städtischen Des¬ 
infektionswagen einwandfrei gelingt. 

„Von großer Bedeutung ist der Bauplan, den ich herum zeigen werde. 
Durch eine besondere Anordnung kann jeder Kranke in die Speise-, Gesell¬ 
schafts-, Turn-, Arzt-, Bade- und Klosetträume gelangen, ohne daß Korridore 
nötig sind. Die Räume müssen zu ebener Erde liegen, doppelt belichtet sein, 
je eine Tür ins Freie und in einen heizbaren Raum enthalten. Die Baukosten 
dürfen 1000 pro Bett nicht übersteigen. 

Stadtbaulnspektor Tietze (Berlin): „Meine Herren! Als Vertreter 
der Stadt Berlin möchte ich einiges auf die Ausführungen des Herrn Refe¬ 
renten erwidern, aber vorweg erwähnen, daß Herr Stadtbaurat H off mann sehr 
bedauert hat, nicht persönlich an der heutigen Tagung teilnehmen zu können. 

„Die von dem Herrn Referenten vorgetragenen und des weiteren aus¬ 
geführten Leitsätze werden von den städtischen Behörden und der Bau¬ 
verwaltung von Berlin im wesentlichen nicht nur durchaus anerkannt, sondern 
es ist auch bei der Bearbeitung und Beratung der Entwürfe und bei der 
Ausführung des Rudolf Virchow- Krankenhauses in ausgedehntester Weise 
danach verfahren worden, ja, es haben sogar im Sinne derselben bestimmte 
Verfügungen der städtischen Behörden Vorgelegen, wie z. B. auch bezüglich 
des einmütigen Zusammenarbeitens der Bauverwaltung mit den Ärzten. 

„Die Bauverwaltung hat sich sowohl bei der Aufstellung der Entwürfe, 
wie auch bei der Ausführung stets und überall sozusagen nur alB den Arbeit- 


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182 XXXli. Versammlung d. D. Vereins f. öü'entl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

nehmer angesehen, dessen ganzes Trachten allein darauf gerichtet war, die 
Forderungen des Arbeitgebers aufs peinlichste und in möglichst einwandfreier 
Weise zu erfüllen. Arbeitgeber waren die städtische Krankenhausdeputation 
und die vielen der Bauverwaltung beigegebenen spezialsachverständigen 
ärztlichen Autoritäten. 

„Sie gestatten, daß ich Ihnen die Namen der verdienstvollen Berater 
nenne: voran Virchow, von Renvers und der verstorbene Verwaltungs¬ 
direktor Merke, deren Mitwirkung vornehmlich die in Rücksicht auf das 
Wohl der Kranken entworfene Generalanlage zu danken ist. Spezialberater 
für die speziellen Einzelentwürfe und die Ausführung waren neben den vor¬ 
genannten Herren: von Renvers für die innere Abteilung, Körte für die 
chirurgische Abteilung und das Operationshaus, Baginsky und Gaffky 
für die Infektionsabteilung und das Obduktionshaus, Lesser und Behrendt 
für die Haut- und Geschlechtskrankenabteilung, Landau für die gynäko¬ 
logische und geburtshilfliche Abteilung, Moeli für das Unruhigenhaus, von 
Hansemann für das pathologische Institut, Levy-Dorn für das Röntgen- 
und Finseninstitut; Ohlmüller, Goldscheider, Hermes, Koblanck, 
Laqueur und der Verwaltungsdirektor Diesen er für die innere Ein¬ 
richtung. 

„Bei einmütigem Zusammenwirken mit diesen Herren wurden die 
hygienischen Forderungen als ausschlaggebend und allein bestimmend jeder¬ 
zeit allen anderen vorangestellt. Daneben war der Architekt nur noch 
bemüht, für alles eine Form, eine Weise zu finden, die das Geschaffene nicht 
starr und kalt, sondern gefällig und gemütvoll erscheinen läßt; daß dabei 
stets das Einfachste und Sohlichteste gewählt wurde, geboten schon der 
Zweck der Anlage und die wirtschaftlichen Rücksichten. 

„Ich habe die Ausführung des Rudolf Virchow-Krankenhauses vom 
ersten Tage an geleitet, den Ausbau und die spezialtechnischen Einrichtungen 
bearbeitet und bin gegenwärtig noch mit der Vervollständigung seiner Aus¬ 
rüstung beschäftigt; ich kann daher aus der Baugeschichte des Kranken¬ 
hauses folgende Einzelheiten mitteilen. Als die Grundrißform für die 
Pavillons nach mancherlei Beratungen gefunden war und die ersten Roh¬ 
bauten standen, wurde sofort an den Ausbau eines Pavillons gegangen; er 
wurde auch mit seiner ganzen inneren Ausrüstung versehen. Zu dem 
fertigen Pavillon wurde die städtische Krankenhausdeputation gerufen, die 
sich aus allen Chefärzten der städtischen Krankenanstalten und aus Ver¬ 
waltungsbeamten zusammensetzt. In gemeinsamer Konferenz mit der Bau¬ 
verwaltung wurde jeder Teil des Baues, seines inneren Ausbaues und seiner 
ganzen Einrichtung einer eingehenden Kritik unterzogen und über die Ge¬ 
staltung aller Einzelheiten abgestimmt; alle notwendigen und wünschens¬ 
werten Abänderungen wurden protokollarisch festgelegt. Mit dieser Fest¬ 
stellung begnügte sich aber die Bauverwaltung noch nicht; es wurde viel¬ 
mehr sofort an den Ausbau eines zweiten Pavillons gegangen, bei dem alle 
früheren Ausstellungen volle Berücksichtigung fanden. Und erst als die 
Krankenhausdeputation in abermaliger gemeinsamer Konferenz alle Einzel¬ 
heiten gebilligt hatte, wurde dieser Pavillon sozusagen als Muster für die 
Gestaltung und Ausrüstung der übrigen Bauten angesehen und danach der 
Weiterbau der Anstalt betrieben. 


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Der moderne Kraükenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 183 

„Wie mit den Bauten, so wurde auch mit den Außenanlagen verfahren. 
Weder Baum, noch Strauch, noch Hecke wurden in bezug auf Größe, Form 
und Standort, sei es in Verbindung mit den Bauten, sei es unter ein ander, 
als etwas Gleichgültiges, Bedeutungsloses angesehen. Sie wurden durch 
Schablonen probiert und abgestimmt. So sind auch die Rasenflächen, die 
Blumenbeete, ja die ganze Parkanlage entstanden. 

„Es wurden vorhin als Einzelheit auch die Fenster der Erankensäle in 
den Pavillons herausgegriffen und in bezug auf ihre Form kritisiert. Gerade 
diese Fenster haben einen Gegenstand besonderen Studiums gebildet. Es 
waren für die Ausgestaltung dieser Fenster drei verschiedene Vorschläge 
zur Vorlage gebracht worden. Als erster Vorschlag Fenster in breiter 
Lagerung; die wurden aber verworfen, und zwar mit der Begründung, daß 
man Krankenbetten nicht gut unmittelbar vor großen Glasflächen aufstellen 
könne. Dann wurden schmale, hohe Fenster vorgeschlagen, eine Anordnung, 
bei der die Aufstellung der Krankenbetten vor den massiven Fensterpfeilern 
ermöglicht wird. Aber es stellte sich dabei heraus, daß bei Schrägstand der 
Sonne durch die verhältnismäßig dicken Mauern der Pavillons zu viel Sonne 
&bge8chnitten wurde. So wurde denn schließlich die jetzige Fensterform 
gewählt. Diese Fenster sind etwas breiter und bestehen aus einem höheren 
Unterteil und einem niedrigeren Oberteil; eine Anordnung, die sich für die 
Lüftung als besonders vorteilhaft erwiesen hat. Vorhänge befinden sich nur 
vor den Unterfenstern, so daß die Lüftung durch die oberen Kippfenster 
nicht wie andernorts behindert ist. 

„Diese Fenster sind nun nicht ohne weiteres als richtig festgehalten 
worden, sondern es wurde ein ganzes Jahr hindurch der Sonneneinfall beob¬ 
achtet. In allen Jahreszeiten wurden zu bestimmten Stunden die Sonnen¬ 
flecke auf dem Fußboden und auf den Wänden Umrissen; und erst nachdem 
man dadurch die Überzeugung gewonnen hatte, daß bei dieser Gestaltung 
der Fenster der gesamte Raum überall in einer Weise von der Sonne ge¬ 
troffen wurde, daß es als einwandfrei angesehen werden konnte, sind diese 
Fenster beibehalten worden. 

„Die Lichtfläche der Fenster stellt sich pro Bett auf 1,86 qm, so daß 
die Normalforderung von 1,50 qm pro Bett noch bedeutend übertroffen ist. 
Cs sind durchgängig Doppelfenster verwendet; aber nur die äußeren Fenster 
haben die vorhin gerügte Sprossenteilung erhalten, während die inneren 
genau wie die vorgeführten einfachen Fenster von St. Georg aus einer ein¬ 
zigen Scheibe bestehen. 

„Auch die Anordnung der Klosetts und Isolierzimmer wurde vorhin 
einer abfälligen Kritik unterzogen. Die Klosetts liegen aber in den an die 
Krankensäle sich anschließenden äußeren Kopf bauten, und swar so günstig, 
daß sie die Krankensäle in keiner Weise belästigen können. Denn sie sind 
an die Außenfront der Kopfbauten gesohoben und dort vod zwei Seiten be¬ 
lichtet und belüftet. 

„Die Isolierzimmer oder richtiger Einzelzimmer sind allerdings in den¬ 
selben Kopfbauten, jedoch derartig angeordnet, daß sie tatsächlich als solche 
angesprochen werden können, und daß sich bis jetzt der Betrieb auch als 
durchaus einwandfrei herausgestellt hat. Ich habe meinen eigenen Sohn 
14 Tage dort gehabt und bei meinen häufigen Besuchen nie gefunden, daß 


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184 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentL Gesundheitspflege zu Bremen. 

diese Einzelzimmer jemals offen gestanden hätten. Das ist auch nicht nötig. 
Sie sind mit Klingelvorrichtungen so ausgerfistet, daß die Kranken sich leicht 
bemerkbar machen und Bedienung herbeirufen können. 

„Die Infektionspavillons — für Geschlechts- und Hautkranke sind be¬ 
sonders große Bauten ausgeführt worden — entsprechen durchaus all den 
Leitsätzen, den Bedingungen, die vorhin als maßgebend für Infektions¬ 
pavillons angegeben sind. Die Planbildung des Badehauses ist eine absolut 
klare und übersichtliche. Man kommt an der Wäscheausgabe vorbei in den 
Aus- und Ankleideraum, von diesem in den basilikal gehaltenen Ruhe- oder 
Liegeraum, und um diesen zentralen Ruheraum herum liegen in klarster 
Reihenfolge die Kohlensäurebäder, die elektrischen Bäder, der Dampfbade- 
raum, der Warm- und Heißluftbaderaum, der Kaltwasserbehandlungs- und 
Duscheraum, das Sandbad und ein Gesellscbaftsinhalatorium; also eine An¬ 
ordnung, wie sie nicht besser ausgedacht und klarer ausgeführt werden kann. 

„Beim pathologischen Institut endlich, das großzügig und großräumig 
entworfen ist, und bei dem an einem breiten Innenkorridor in klarster Reihen¬ 
folge die großen Seziersäle und die verschiedenen Laboratorien angeordnet 
sind, muß ich ganz dasselbe sagen wie vorher. 

„Was nun die Ausführungskosten anbetrifft, die vorhin besonders hervor¬ 
gehoben worden sind, so kann ich jetzt, nachdem die Rechnungsabschlüsse 
fast vollständig vorliegen, mitteilen, daß das Krankenhaus fix und fertig 
ungefähr 19 Mill. Mark kostet. Es würden also bei einer Belegzahl von 
2000 Betten einschließlich des Inventars auf das Bett etwa 9500 ent¬ 

fallen. Zieht man die Inventarkosten ab, so erhält man die Baukosten mit 
16Va Mill. Mark; und es würde danach auf das Bett ein Anteil von 8250 <,K- 
kommen. Wenn nun jemand zu mir sagt: »Ich habe aber mein Kranken¬ 
haus für 5000 - W- pro Bett gebaut», dann muß ich doch unbedingt an ihn 
zunächst eine ganze Reihe von Gegenfragen stellen, und dazu gehört in 
bezug auf das Allgemeine: »Haben Sie auch die zerstreute Bauweise mit 
eingeschossigen Pavillons, die bekanntlich im Verhältnis doch um ein volles 
Drittel teurer sind als die zweigeschossigen —, ein eigenes Wasserwerk mit 
einem Wasserturm von 33 m Höhe und einem Hochreservoir von 250 cbm 
Fassungskraft — eine Wasserversorgung derart, daß man überall neben 
kaltem Wasser auch warmes Wasser, und zwar mit demselben Druck zapfen 
kann — ein eigenes Elektrizitätswerk mit Akkumulatorenanlage — eine 
eigene Eisfabrik für Eis zu Speise- und Kühlzwecken und eine Kühlanlage 
für den Wirtschaftsbetrieb in der Küche; haben Sie für die Unterbringung 
von Personal so gesorgt, daß auf je drei Krankenbetten ein Kopf Personal 
in der Anstalt wohnen kann — im Virchow-Krankenhause sind dabei 
27 Wohnungen für Verheiratete vorgesehen, darunter vier Direktorwohnungen 
mit je zehn Zimmern und reichlichem Nebengelaß; haben Sie eine Schwestern¬ 
schule mit den nötigen Unterrichts- und Demonstrationsräumen — einen Ver¬ 
sammlungssaal für ärztliche Zusammenkünfte — ein Doppeloperationshaus 
mit je zwei Operationssälen für septische und für aseptische Fälle; haben 
Sie ferner ein besonderes Röntgen- und Finseninstitut mit den besten und 
neuesten Ausrüstungen — eine hydrotherapeutische Anstalt mit einer so aus¬ 
gedehnten Spezialeinricbtung — überall, d.h. für alle Krankenräume, die in der 
Anlage teure Warmwasserheizung — Gartenanlagen in einer Ausdehnung, daß 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 186 


auf das Bett etwa 100 qm freie Geländefläche kommt — die Gartenanlagen 
mußten auf einer ursprünglichen Sandwüste angelegt werden und sind in 
einer siebenjährigen Pflege so weit gebracht worden, daß sie fertig und aus¬ 
gewachsen übergeben werden konnten; haben Sie in allen Krankenräumen 
neben der einfachen Lüftung durch Kippflügel eine künstliche Lüftung mit 
vorgewärmter Frischluft und daneben zur Sicherung eine künstliche Luft¬ 
absaugung durch Elektroventilatoren, um stets den jedesmal gewünschten 
Luftwechsel erzwingen zu können? 

„Haben Sie im speziellen auf jeder einzelnen Krankenstation neben 
einer besonderen Krankenaufnahme ein besonderes Untersuchungs- und 
Behandlungszimmer, ein Arztdienstzimmer mit Laboratoriumseinrichtung, 
ein Dienstzimmer für Schwestern, ein Zimmer für reine Wäsche, einen Raum 
für schmutzige Wäsche mit Sterilisierungseinrichtungen für infizierte Stücke, 
Badeeinrichtungen in einer Ausdehnung, daß auf je 15 Betten neben den 
Brausen, Arm- und Fußbädern eine nickelplattierte Badewanne kommt? 
Haben Sie endlich — was von besonderes Wichtigkeit wegen der Ermitte¬ 
lung der Bettenzahl ist — pro Bett in den Krankenräumen einen Luftraum 
von etwa 40 cbm ?« 

„Bestimmend für die Kosten eines Krankenhauses sind also so unendlich 
viele Faktoren, daß ein Rückschluß auf die Kosten pro Bett nicht so einfach 
und selbstverständlich ist; ja er ist, logisch betrachtet, in der hier geübten 
Form eigentlich eine Unmöglichkeit. 

„Die Kosten eines Krankenhauses hängen keinesfalls von der architek¬ 
tonischen Gestaltung, sondern lediglich von seiner Bauweise, von seinem 
Ausbau und seiner Ausrüstung ab. Oder mit anderen Worten: 

„Jede Gemeinde wird das Krankenhaus haben, das den Anschauungen 
und Anforderungen der sachverständigen Arzte entspricht, die beim Bau 
bestimmend mitgewirkt haben, und das entspricht den Mitteln, die die Ge¬ 
meinde dafür anzulegen imstande oder gewillt ist.“ 

Geheimrat Stadtrat Dr. Strassmann (Berlin): „Meine Herren! 
Dem Wunsche, den Herr Professor Lenhartz am Schlüsse seines ausführ¬ 
lichen und so überaus umfassenden Vortrages kundgegeben hat, in allen 
bereits vorhandenen und in der Zukunft zu erbauenden Krankenhäusern der 
freien Forschung und allen den Erfahrungen, die wir auf sämtlichen Gebieten 
der Wissenschaft gemacht und die wir erprobt haben, offene Bahnen zu 
gewähren — diesem Wunsche, meine Herren, glauben wir uns bei der Ein¬ 
richtung des Virchow-Krankenhauses soviel wie möglich genähert zu haben. 
Wenigstens war dies das Ziel. Ich will, meine Herren, von vornherein be¬ 
tonen, daß wir mit der Erbauung des Virchow-Krankenhauses ein allgemeines 
städtisches Krankenhaus hergestellt haben, daß wir in ihm allen spezialisti- 
schen Richtungen Rechnung zu tragen versucht haben, spezialistischen Rich¬ 
tungen, wie sie bis dahin zum Teil in städtischen Krankenhäusern nicht 
vertreten waren, zum Teil in nicht ausreichender Weise. 

„Diesem Umstande, meine Herren, ist es auch zuzuscbreiben, daß wir 
die Zahl von 1500 ata Belegungsgrenze überschritten haben; so ist, um nur 
ein einfaches Beispiel anzuführen, in diesem Augenblicke die Geschlechts¬ 
und Heutkrankenabteilung mit 400 Kranken belegt, während sie in ihrer 


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186 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Fassungsfähigkeit auf 450 bis 500 berechnet ist. Sie sehen also, meine 
Herren, das ist ein Krankenhaus für sich. Wir haben ferner, wie bereits 
angeführt worden ist, eine große Infektionsabteilung mit etwa 170 Betten. 
Wir haben eine Pflegerinnenschule usw. Und, meine Herren, noch eins. 
Sollten wir wirklich in die Lage kommen — und beinahe scheint es ja so, 
als ob die Möglichkeit nicht allzu fern liegt —, daß wir wieder von einer 
Epidemie überrascht werden, so ist es für eine Stadt von über zwei Millionen 
Einwohnern sicher kein Nachteil, wenn Hunderte von Betten vorhanden sind, 
wo man im Augenblick des Anpralls einer Epidemie die Leute unterbringen 
kann. 

„Meine Herren! Ich will auf die Opulenz, die in gewissem Sinne be¬ 
mängelt worden ist, nicht weiter eingehen. Aber eines möchte ich anführen. 
Die Empfangshalle ist nicht bloß dazu da, daß man Besuche darin empfängt. 
Wir haben in der Krankenbausdeputation wiederholentlich, fast jedes Jahr, 
den Wunsch aussprechen hören, daß in den Krankenhäusern ein Raum vor¬ 
handen sei für feierliche Gelegenheiten, beispielsweise zur Weihnachts¬ 
bescherung, zur Abhaltung irgend einer Festlichkeit, zur Verpflichtung von 
Schwestern, und von diesem Gesichtspunkte aus erlaubten wir uns, diese 
Halle in der Weise herzurichten und für diese Zwecke zu bestimmen. 

„Es ist ferner darauf hingewiesen und bemängelt worden, daß wir Ver¬ 
bindungsgänge zwischen dem Operationshause und einzelnen Pavillons ein¬ 
geführt haben. Meine Herren! Ich habe den Vorzug gehabt, als Mitglied 
der Krankenhausdeputation der Kommission anzugehören, die das ursprüng¬ 
liche Bauprogramm zu entwerfen hatte. Wir haben damals von den Ver¬ 
bindungsgängen Abstand genommen. Es ist uns aber, nachdem wir das 
Programm vorgelegt hatten, direkt von autoritativer, und zwar chirurgischer 
Seite gesagt worden, es müssen gewisse Pavillons mit dem Operationshause 
verbunden sein, und da haben wir uns dazu entschlossen, diese beiden 
chirurgischen Pavillons, nach den Geschlechtern getrennt, auf der einen und 
auf der anderen Seite damit zu verbinden. Es wurde von den Chirurgen 
darauf hingewiesen, daß nach der Narkose, ganz besonders nach der Äther¬ 
narkose, ganz außerordentliche Gefahr vorliegt zu Erkrankungen der Atmungs¬ 
organe, wenn die betreffenden Patienten nach der Operation ins Freie kommen, 
selbst bei der Anwendung von allen möglichen Vorsichtsmaßregeln. 

„Dann ist darauf hingewiesen worden, daß die zentrale Anlage für die 
Unterbringung von desinfizierten Zivilkleidern, wenn ich mich dieses Aus¬ 
drucks bedienen darf, von denjenigen Leuten, die ins Krankenhaus auf¬ 
genommen werden, sich erst zu bewähren habe. Meine Herren! Wir haben 
in dieser Beziehung nach Vorgängen gehandelt, wir haben nicht ein Novum 
eingeführt, sondern diese Zentralen für desinfizierte Kleidungsstücke existieren 
bereits in verschiedenen Anstalten, und wir haben dort die Erfahrung gemacht, 
daß sie sich außerordentlich gut bewährt haben. 

„Ich möchte noch auf etwas hinweisen, was zum Teil schon der Herr 
Bauinspektor Tietze betont hat. Es könnte vielleicht aus den Ausführungen 
des Herrn Professor Lenhartz der Schluß gezogen werden, als ob die Bau¬ 
verwaltung selbständig gearbeitet hätte ohne Hinzuziehung von Sachver¬ 
ständigen, namentlich von medizinischer Seite. Abgesehen davon, daß unser 
unvergeßlicher Virchow von Anbeginn an das Bauprogramm mit beraten 


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I)er moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 187 

hat, abgesehen davon, daß ein so hervorragender Verwaltungsdirektor wie 
der verstorbene Geheimrat Spinola der Kommission zur Bearbeitung des 
Bauprogramms angehört hat, abgesehen davon, daß auch andere Ärzte den 
Verhandlungen dieser Kommission beigewohnt haben, ist in jedem einzelnen 
Falle, bei dem Bau jeder Abteilung und jeder Gruppe von Krankheitsformen 
als Berater der Vertreter dieser spezialistischen Richtung zugezogen worden. 
Also, meine Herren, es ist nicht über den Kopf der Arzte hinweg, sondern 
im ständigen Einvernehmen und im Zusammenarbeiten mit den Ärzten diese 
Sache beraten worden, und ich glaube, wir haben uns die erdenklichste 
Mühe gegeben, dem in der Praxis Erprobten, soweit es in menschlichen 
Kräften lag, so nahe wie möglich zu kommen, den Bedürfnissen so viel wie 
möglich Rechnung su tragen, und wir hoffen, daß uns das gelungen ist.“ 

Geheimer Regierangsrat Br. Ohlmüller, Verwaltungsdirektor des 
Virchow-Krankenhauses (Berlin): „Meine Herren! Ich muß mich leider kurz 
fassen; ich kann es auch, nachdem die beiden anderen Vertreter der Stadt 
Berlin, Herr Geheimrat Strassmann und Herr Bauinspektor Tietze, ersterer 
vom hygienisch - medizinischen Standpunkte aus, letzterer vom baulichen 
Standpunkte aus, sich bereits geäußert haben. 

„Herr Kollege Lenhartz wünscht, daß in den Pavillons Kleiderräume 
sind, wo die Kleider der Patienten — Zivilkleider der Patienten, wie man 
sie genannt hat — untergebracht werden. Mit der Desinfektion ist er wohl 
auch einverstanden. Aber ich glaube, er hat doch dem Bakteriologen zu 
viel zugemutet bzw. seine Leistungsfähigkeit überschätzt. Ein desinfiziertes 
Kleid ist meiner Ansicht nach noch nicht sauber, und ich möchte solche 
Kleider nicht im Hause haben. Ich füge noch ferner hinzu, daß wir diese 
Kleider, speziell die eigene Wäsche der Patienten auch noch reinigen und 
herrichten lassen, und daß es auch für die Patienten zweckmäßig ist, sie in 
diesem Zustande wieder zu bekommen. 

„Ich darf vielleicht bei diesem Punkte gleich auf die Desinfektion über¬ 
gehen. Es ist mir nicht sympathisch, daß man die Desinfektion, die inner¬ 
halb der für die Aufnahme von Kranken bestimmten Gebäude geschehen 
kann, teilweise nach außen verlegt. Ich stehe da ganz auf dem Standpunkte, 
den vor einigen Tagen der Herr Kollege Tjaden in seinem Vortrage über 
Desinfektion ausgesprochen hat: Die fortlaufende Desinfektion der ver¬ 
schiedenen Sachen, die desinfiziert werden müssen, soll an Ort und Stelle, 
gewissermaßen an der Entstehungsstelle geschehen, Wir haben deshalb in 
jedem Pavillon einen Desinfektionsapparat für die Wäsche eingebaut. Bei 
den Pavillons, die für Infektionskranke bestimmt sind, haben wir außerdem 
noch besondere Vorrichtungen zur Desinfektion der Abgänge, Bei dieser 
Gelegenheit möchte ich auch auf die Desinfektion der Abwässer ein wenig 
näher eingehen. Eine Desinfektion der Abwässer im großen ist eigentlich 
kaum denkbar. Man hat allerlei Versuche gemacht, diese Wässer zu sterili¬ 
sieren, indem man die suspendierten Stoffe herausgenommen und dann erst 
desinfiziert hat. Das ist aber immer eine unsichere Sache, und ich glaube, 
die Herren, die auf diesem Gebiete gearbeitet haben, werden mit mir über¬ 
einstimmen: Eine vollständig einwandfreie Desinfektion ist es nicht. Wir 
haben deshalb von einer Gesamtdesinfektion der Abwässer abgesehen, haben 


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188 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

uns in der Infektionsabteilung nur beschr&nkt auf die Abwässer aus dem 
Leichenhause und uns hierbei das Hamburger Beispiel zum Muster ge¬ 
nommen. 

„Ich stimme auch mit dem Herrn Referenten, Kollegen Lenhartz, 
vollständig überein, daß man die Eigenart des Pavillonsystems aufrecht 
erhalten soll. Man soll nicht noch mehr Räume hineinkonstruieren, dann 
wird es schließlich ein Korridorsystem. Wir haben auch so viel Neben¬ 
zimmer, wie sie in Hamburg vorgesehen sind, dort für 20 zwei, bei uns für 
50 vier Zimmer mit sechs Betten. Das ist ganz zweckmäßig. 

„Es ist darüber gesprochen worden, daß bei der Größe des Geländes 
des Rudolf Virchow-Krankenhauses die Zufuhr von Speisen schwierig wäre. 
Sie ist nicht schwierig; sie hat sich in der strengen Kälte von 18 Grad ganz 
gut durchführen lassen. Wir haben zum Transport der Speisen geschlossene 
Wagen, deren Wandungen durch Kork gut isoliert sind; zudem werden diese 
Wagen in einer geheizten Remise gut durchwärmt. Unzweckmäßig ist der 
Speisentransport im Hamburg-Eppendorf er Krankenhause; dieser geschieht 
dort auf offenen zweiräderigen Wagen, an welchen die Speisengefäße an¬ 
gehängt werden. Aber selbst wenn man die Pavillons zweigeschossig ein¬ 
gerichtet hätte, wie dies Herr Lenhartz auch bevorzugt, würden wir doch 
keine kürzeren Wege bekommen haben, denn wir müßten dann erst recht, 
seinem Rate folgend, die Pavillons noch weiter auseinander legen, schon 
deshalb, weil durch die höheren Gebäude der Lichteinfall geringer würde. 

„Das wäre im wesentlichen das, was ich bei der kurzen Zeit, die mir 
zur Verfügung steht, sagen kann. Nun muß ich allerdings gestehen, daß 
ich vielleicht selbst schuld bin an dem Urteil, das Herr Professor Lenhartz 
über das Rudolf Virchow-Krankenhaus gefällt hat Herr Professor Lenhartz 
ist in das Krankenhaus gekommen, hat zuerst den Repräsentationssaal ge¬ 
sehen und hat sich dann im Pavillon, dessen Ausgestaltung seinem Zweck 
entsprechend einfacher gestaltet ist, beengt gefühlt Wenn ich ihn noch 
einmal zu führen hätte, würde ich es umgekehrt machen; ich glaube, dann 
wäre er zufrieden.“ 

Sani tat 8 rat Dr. Sonnenkalb (Leipzig): „Meii^e Herren! Da wir in 
Leipzig vor dem Neubau eines großen Krankenhauses stehen, so liegt mir 
ganz besonders daran, eine Frage zur Diskussion zu bringen. Sie haben 
vorhin gehört, mit welchem Stolz die Hamburger Herren auf ihre neue 
Schöpfung hinblicken, und mit Recht In meinen Augen ist es in der Tat 
eine vorzügliche Schöpfung. Ich möchte ganz speziell einiges berühren, 
worüber ich in Leipzig mit den maßgebenden Kreisen doch nicht ganz einer 
Meinung bin. Das ist nämlich die Größe der Krankenräume selbst Wenn 
Sie die Patienten hören, so werden Sie immer und immer wieder vernehmen, 
daß sie über eine außerordentliche Unruhe in den Räumen klagen, und ea 
ist nicht zu bestreiten, daß sensitive Naturen in den großen Barackensälen, 
in die 25 und unter Umständen noch mehr Personen gebracht werden, über¬ 
haupt nicht zur Ruhe kommen. Es wird ihnen ein so ungemütlicher und 
unangenehmer Aufenthalt bereitet, daß sie in der Tat die Aufnahme in die 
Baracken mit Recht fürchten. Es ist eine außerordentlich glückliche Ma߬ 
nahme in Hamburg, daß man auf 16 Betten gekommen ist, und ich kann 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 189 

nor betonen, daß ich eine wesentliche Überschreitung dieser Zahl, vielleicht 
Aber 20, durchaus nicht befürworten würde. Man kann mir entgegenhalten, 
meine Herren, es erschwert das den Betrieb und macht ihn kostspieliger. 
Gans recht. Wir bauen aber schließlich die Krankenhäuser nicht bloß um 
des Betriebes an sich willen, sondern um der kranken Menschen willen, und 
um einer mäßigen Steigerung der Betriebsschwierigkeiten wegen auf das 
Wohlbefinden der Kranken verzichten zu wollen, damit kann ich mich durch¬ 
aus nicht einverstanden erklären. Man kann sich aber den Betrieb wesentlich 
einfacher gestalten, wenn man aus einem großen Raume mehrere kleinere 
Räume schafft, die wohl akustisch, aber nicht optisch getrennt sind, das heißt 
in der Weise, daß man größere Krankensäle durch Einziehen einer Glaswand 
optisch als Einheit bestehen läßt, sie aber akustisch in zwei Räume teilt. Es 
ist das ohne Schwierigkeit und ohne Belastung des Wartepersonals unzweifel¬ 
haft möglich. Es muß bloß in der Mitte eine gut pendelnde, nach beiden 
Seiten ausschlagende Tür angebracht sein, und wenn man dem entgegenhalten 
wollte, die betreffenden Kranken könnten sich z. B. bei Nacht nicht der nacht¬ 
wachenden Persönlichkeit gegenüber melden, so läßt sich das ohne Schwierig¬ 
keit damit beseitigen, daß man z. B. je zwei Betten mit einem optischen 
Signal, wie man es jetzt in den großen Zentraltelephonanstalten angebracht 
hat, verbindet, so daß durch einfachen Druck an Stelle einer Klingel ein 
kleines Glühlftmpchen zwischen den Betten in Tätigkeit gesetzt wird, und es 
können die Betreffenden ihre Wünsche dann ohne weiteres auf diese Weise 
den Wärtern persönlich kundtun. 

„In einem Punkte bin ich mit meinem verehrten Freunde Herrn Pro¬ 
fessor Lenhartz nicht ganz einverstanden, das ist der Mangel der Korridore, 
der Verbindung zwischen den einzelnen Baracken. Ich würde es nicht 
empfehlen, alle Baracken zu verbinden. Aber um das große chirurgische 
Operationshaus herum die nächstliegenden Baracken, nötigenfalls auch mit 
dem Badehause zu verbinden, halte ich doch für zweckmäßig. Ich verlange 
jedoch keine vollständig geschlossenen Korridore, wohl aber einen gedeckten 
Gang, der meinetwegen in der oberen Hälfte vollständig offen sein kann, 
der es aber ermöglicht, daß man die Kranken in ihren Betten nach der 
Operation direkt wieder in die Baracken transportieren kann. Auf diese 
Weise hat man die Vorteile, die Herr Professor Lenhartz verteidigt, aber 
man hat nicht die Nachteile, daß die Kranken noch einmal umgeladen werden 
müssen. Sie können eben tatsächlich dann schon in ihre Betten gelagert 
und herübergebracht werden. 

„Dann würde mir eine andere Frage auch der Diskussion wert sein, 
das ist die Beheizungsfrage. Ich möchte gern einmal die Erfahrungen 
hören über die Fußbodenheizung. Ich stehe der Fußbodenheizung nicht 
»ehr sympathisch gegenüber, weil ich es mir erstens einmal nicht sehr an¬ 
genehm denken kann, immer auf einer geheizten Platte zu leben. Das 
möchte aber noch sein; meine anderen Bedenken gehen jedoch dahin, daß 
alle Flüssigkeiten, die auf den Fußboden kommen, sofort austrocknen, zer¬ 
stäuben und durch die aufströmende Luft mit emporgerissen werden. 
Schafft man aber Heizungskörper, wie z. B. bei der meiner Meinung nach 
am meisten zu empfehlenden Warmwasserheizung, nicht unmittelbar am 
Fußboden, sondern nur in dessen möglichster Nähe, so wird der Fußboden 


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11)0 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl, Gesundheitspflege zu Bremen. 

selbst eine neutrale Schicht sein, die dem Aufstrehen der getrockneten 
Flüssigkeit mindestens einen gewissen Widerstand entgegensetzt. 

„Ich muß mich beschränken wegen der Kürze der Zeit, aber ich würde 
über diese Frage gern eine Auskunft hören.“ 

Hofrat Dr. Brunner, Krankenhausdirektor, München: „Meine Herren! 
In Kürze möchte ich auf zwei Punkte eingehen, welche hei Besprechung des 
Projektes des Münchener neuen, dritten Krankenhauses als ungünstig hervor¬ 
gehoben worden sind. Vor allem ist die Gebäudehöhe — zwei Ober¬ 
geschosse über einem Erdgeschoß — angegriffen worden. 

„Ich bin seit 22 Jahren als Arzt tätig in einem Krankenhause, da» 
einen eingeschossigen Pavillon (Erdgeschoß) mit 30 Betten enthält und 
außerdem vier große dreigeschossige Bauten mit je 150 Betten, verfüge also 
über eine genügende Erfahrung zum Vergleich der in Frage stehenden 
Krankenhausbauarten. 

„Wir haben niemals erlebt, daß der große dreigeschossige Bau unan¬ 
genehme Wirkung oder Schaden für seine Bewohner gebracht hätte. Das 
dritte Geschoß beeinflußt die unterhalb untergebrachten Kranken in keiner 
Weise. Das dritte Geschoß bietet immer die besten, freien Luft- und Licht- 
verbältnisse, und hier ist der Aufenthalt für die Kranken am schönsten. 

„Wenn die Umgebung der Krankenbausbauten mit Bäumen und 
Striiucbern wie bei uns bepflanzt ist, so muß man auch damit rechnen, daß 
die Bäume und Sträucher alle Jahre höher wachsen, und daß das Erdgeschoß 
dadurch unangenehm beeinflußt wird. Es wäre am besten, wenn man die 
Möglichkeit schaffen könnte, in einem solchen großen Bau das Erdgeschoß 
nur für Betriebsräume zu verwenden und die zwei Obergeschosse nur für 
den Aufenthalt der Kranken. 

„Was die Luftgemeinschaft betrifft, welche in einem großen Bau durch 
Treppenhäuser und durch Schächte für Aufzüge zum Transport der Kranken, 
der Speisen usf., wie man befürchtet, vermittelt wird, so läßt sich eine solche 
durch geeignete Vorkehrungen, über die ich mich der gegebenen kurzen Zeit 
halber nicht weiter auslassen kann, gänzlich ausschließen. 

„Wir vermeiden im dreigeschossigen Bau die großen Säle, wie sie im 
Pavillonbau für 20 bis 30 und mehr Kranke geschaffen worden sind, und 
haben Säle für 12 Kranke angelegt, dazu aber noch eine große Zahl kleinerer 
Räume für 1 oder 2, 4, 6 Kranke, eine günstige Einteilung zur Trennung der 
Kranken nach ihren individuellen, Alters- und Krankheitsverhältnissen. 

„Was nun den Verkehr zwischen den einzelnen großen Krankenbauten 
anlangt, so haben wir in Anbetracht unserer Höhenlage (530m über dem 
Meere) und unserer schwierigen klimatischen Verhältnisse, der langen, 
strengen, scbneereichen Winter für das neue Krankenhaus die Anlage von 
Verbindungsgängen zwischen den Krankenbauten und dem Verwaltungs¬ 
gebäude für den großen Betrieb, den Krankentransport, den Verkehr der 
Gesunden, der Ärzte, Krankenpfleger und Krankenbesucher für unumgäng¬ 
lich notwendig gehalten. Durch langjährige Erfahrung wissen wir, wie gut 
es ist für den Krankentransport, namentlich der Operierten vom Operations¬ 
saal zum entlegenen Krankenzimmer, wenn sie durch gedeckte, seitlich ge¬ 
schützte und auch geheizte Gänge gebracht werden können und nicht den 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 191 

Unbilden der wechselnden Witterung ausgesetzt werden müssen. Wir haben 
einen kurzen Sommer; wenn es schön ist, kann man den Transport sehr 
wohl im Freien vornehmen, in der langen ungünstigen Jahreszeit, die bei 
unserer hohen Lage gar sehr in Rechnung gezogen werden muß, brauchen 
wir Schutz der Kranken und der Gesunden im Verkehr in der ausgedehnten 
Anstalt. Unsere Verbindungsg&nge durchziehen aber nicht unsere Kranken¬ 
bauten, sondern sind von denselben abgetrennt, so daß im Notfälle jeder 
Bau beim Vorhandensein von Infektionsgefahr vollständig vom allgemeinen 
Verkehr abgeschlossen werden kann. Der geschützte Transport für die 
Operierten ist auch notwendig wegen der Gefahr der postoperativen Lungen¬ 
entzündungen; bei uns kommen solche nicht zur Beobachtung. 

„Bei der Vorweisung des Gesamtplanes des dritten Münchener Kranken¬ 
hauses ist davon gesprochen worden, daß man den Eindruck vom Kasernen¬ 
stil mit vielfacher Ineinanderschachtelung der Gebäude und Gänge habe. 
Es ist eine sehr ungünstig wirkende, kleine, grau schraffierte Zeichnung mit 
absichtlich übertrieben dargestellter Gebäudehöhe zur vergrößerten Pro¬ 
jektionsdemonstration gewählt worden, welche dem Beschauer ein Bild geben 
soll über die Art der Situierung der einzelnen Gebäude, aber sicher nicht 
einen wirkungsvollen Gesamteindruck der fertigen Anlage mit den ver¬ 
schiedenen Gebäuden, dazwischenliegenden Gärten mit Bäumen und Sträuchern 
und belebendem Grün bieten kann.“ 

Prof. Dr. Deneke, Direktor des Allgemeinen Krankenhauses 
St. Georg, Hamburg: „Meine Herren! Ich möchte zunächst Herrn Kollegen 
Sonnenkalb für die freundlichen Worte danken, die er dem von mir ge¬ 
leiteten Krankenhause St. Georg gewidmet hat, und ferner ein Wort über 
die Baukosten sagen. Der erste Herr Referent hat mitgeteilt, daß in unserem 
Krankenhause das Bett 3500 t # kostet. Das ist natürlich nicht so zu ver¬ 
stehen, als wenn wir für diesen Preis neu gebaut hätten, Bondern es ist der 
Preis, der für die Neugestaltung der Anstalt aufgewendet wurde. Es war 
eine alte, aus den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts stammende 
Anstalt, die im Jahre 1856 erweitert worden war, vorhanden, und da ist dann 
abgerissen, hinzugebaut, umgebaut, eine Reihe von modernen Zentralgebäuden 
errichtet worden, und das hat diesen Preis erfordert. Wenn man die Kosten 
der Neubauten unserer Anstalt gesondert berechnet, inklusive der hinzu¬ 
gefügten Zentralgebäude, so kommen wir auf eine Summe von 4400. // pro 
Bett. Dafür ist ein bescheidenes, ich kann sagen ein DurcbschnittBkranken- 
haus gebaut worden, das den Zwecken einer Großstadt genügt, auf keine 
sehr große Infektionsabteilung Rücksicht nimmt. Aber es ist ein Kranken¬ 
haus, das eben wegen dieser Bescheidenheit — vor allem auch in der Zahl 
der Nebenräame ist es sehr bescheiden — gewiß Beachtung verdient. 

„Dann möchte ich auf einige Punkte eingehen, die in den Referaten 
und in der Diskussion erwähnt sind, zunächst auf die Frage der Verbin¬ 
dungskorridore. Ich schließe mich da Herrn Ruppel mehr an als Herrn 
Lenhartz. Ich bin der Ansicht, daß die Frage der Verbindungskorridore 
im wesentlichen nach klimatischen Rücksichten entschieden werden muß; 
man kann nicht sagen: was hier gilt, gilt auch dort. Aber für die klima¬ 
tischen Verhältnisse Hamburgs, die denen Englands ähnlich sind, und in den 


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192 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentL Gesundheitspflege zu Bremen. 

Städten Westdeutschlands mit mildem Winterklima möchte ich empfehlen, 
wenn man keine Verbindunggkorridore baut, jedenfalls Verbindungswege 
zu bauen, die genau im Niveau des Erdgeschosses von einem Pavillon zum 
anderen gehen und den Transport zu den Bade-, za den Operationsräumen 
und auch den Transport ins Freie auf das einfachste gestalten. Dann er¬ 
sparen Sie eine Menge Aufzüge, weil alle Schwerkranken in den bequem 
miteinander verbundenen Erdgeschossen untergebracht werden können, und 
Sie können den frisch Operierten den Vorteil gewähren, sie zwischen Wärm¬ 
flaschen in ihrem eigenen Bett in den Pavillon zu fahren. Damit wird man 
in den meisten Fällen bei mildem Klima auskommen. Bei dem Seehospital 
der Nordheimstiftung, das an der Nordsee bei Cuxhaven kürzlich für tuber¬ 
kulöse Kinder erbaut wurde, habe ich ebenfalls eine Verbindung der Ge¬ 
bäude durch gedeckte und windgeschützte Räume für durchaus nötig 
gehalten. 

„Drittens möchte ich über die Luftfiltrationsanlage unseres aseptischen 
Operationssaales, die hier erwähnt ist, und die meiner Initiative ihre Ent¬ 
stehung verdankt, die Bemerkung machen, daß sie selbstverständlich nur 
erforderlich ist, wenn man eine sehr stark verunreinigte Luft hat. Die 
allermeisten Krankenhäuser sollen in Gegenden angelegt werden, die reine 
Luft haben, wogegen in unserer im Zentrum einer durch besonderen Ru߬ 
reichtum ausgezeichneten Großstadt belegenen Anstalt diese Elinrichtungen 
nicht zu entbehren sind, denn wir haben gefunden, daß die Ruß- und Staub¬ 
teilchen, die in den Räumen zu Boden fallen, vielfach Träger von Eiter¬ 
pilzen sind. • 

„Was das Virchow-Krankenhaus betrifft, so kann ich mich nur über 
den Probepavillon dieser Anstalt äußern, den ich seinerzeit sehr gründlich 
unter gütiger Führung besichtigt habe. Ich will nicht alle, aber doch einen 
Teil der Bedenken des Herrn Referenten über diese Anstalt anerkennen. Es 
ist zweifellos ein außerordentlicher Gegensatz vorhanden zwischen dem, was 
in ästhetischer, und dem, was in hygienischer Hinsicht geleistet worden ist. 
Wenn man durch diesen enormen Ehrenhof mit den prachtvollen umgeben¬ 
den Bauten eintritt, dann muß man sagen, der normale Arbeiter oder Stadt¬ 
arme, der dort hineingebracht wird, wird dadurch geradezu zu einem gewissen 
Größenwahnsinn erzogen. Wenn er dann nachher in den Pavillon kommt 
und mit 20 seiner Genossen in einem Saale liegen muß, dann wird er plötz¬ 
lich wieder auf sein früheres Niveau herabgedrückt. Den Vorschlag, bei 
Besichtigungen erst die Pavillons zu zeigen und dann die glänzenden Re¬ 
präsentationsräume, würde ich sehr empfehlen. 

„Im übrigen wird wohl jeder Arzt, der das Virchow-Krankenhaus be¬ 
sucht, mein Bedauern teilen, daß, während in diesem Krankenhause eine so 
geniale Bauleitung vorhanden war, die ärztliche Beratung derselben wohl 
nicht ganz einheitlich gewesen ist. Selbstverständlich, wenn man viele Ärzte 
fragt, bekommt man viele Wünsche zu hören, und man hat deshalb schließlich 
so viele Nebenräume für alle möglichen Zwecke in diesen Pavillon hinein¬ 
bekommen, daß das Gebäude 100 m lang geworden ist, während wir in 
St. Georg mit der Hälfte ausgekommen sind. Ich glaube, daß eine einheit¬ 
liche und ständige ärztliche Beratung an dieser Stelle außerordentlich 
günstig gewirkt hätte, und ich würde diejenigen Stadtväter, die Kranken- 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 193 

häuaer bauen wollen, recht dringend bitten, ihren künftigen ärztlichen Leiter 
reeht früh zu ernennen, damit er an dem Bauprojekt von Anfang an mit- 
wirken kann. Auch Hamburg wird es bei seinem neuen Krankenhause so 
machen. 

„Als zeitgemäß möchte ich es betrachten, daß man den Komfort der 
Kranken mehr berücksichtigt, vor allem in betreff der Kleinheit der Säle, 
als bisher üblich war. Ich möchte da das Münchener Projekt als großen 
Fortschritt bezeichnen. Die heutigen Patienten sind gebildeter und fein¬ 
fühliger als früher. Ganz besonders nötig sind besondere Behandlungs¬ 
zimmer auf jeder Abteilung, damit die Vernehmung über die Vorgeschichte 
der Krankheit, wobei oft diskrete Punkte zu berühren sind, in einen beson¬ 
deren Raum verlegt wird, damit ferner der Arzt die Visite in den Kranken¬ 
räumen abkürzen kann. Auch die Bettlampen gehören hierher, Blumentische, 
Bilder usw., alles Dinge, die ich dem Wohlwollen derjenigen Herren, die 
Krankenhäuser bauen wollen, empfehlen möchte.“ 


Beigeordneter Stadtbaurat Schönfelder (Elberfeld): „Meine 
Herren! Ich möchte ganz entschieden für die Verbindungsgänge eintreten. 
Den beiden Herren Referenten ist, wie ich glaube, ein großer Irrtum insofern 
unterlaufen, als sie die Verbindungsgänge aller Art in einen Topf geworfen 
haben. Der Ursprung der Verbindungsgänge sind die Verbindungsgänge 
im Urban-Krankenhause, und diese sind zweifellos daran schuld gewesen, 
daß diese Gänge im allgemeinen in argen Mißkredit gekommen sind. Dort 
sind es kellerartige Räume, die vom Sonnenlicht nicht getroffen werden und 
die anfangs nur dem Leichentransport dienten, später noch anderen Zwecken 
nutzbar gemacht worden sind. Wenn Sie die Krankenhausbauten und die 
Grundrisse der vorgeführten Anlagen sorgfältig verglichen haben, werden 
Sie große Unterschiede gefunden haben in der Anordnung der Gänge. Es 
ist z. B. in Rixdorf zu beobachten, daß die Verbindungsgänge durch die 
Pavillons hindurchführen. Das ist meines Erachtens weit weniger günstig, 
als wenn diese Verbindungsgänge an dem Kopfe der Pavillons vorüber¬ 
geführt sind, wie das in Cölu - Lindenberg und München geschehen, in 
Barmen geplant ist. Auch dürfen an den Gängen zwischen den Pavillons 
keine gemeinsam von mehreren zu benutzende Räume liegen. Solcher Ver¬ 
bindungsgang muß nicht nur einseitig Licht erhalten, sondern auf seiner 
ganzen Länge womöglich zweiseitig, am liebsten dreiseitig. Meinethalben 
lassen Sie die Sonne noch von oben hineinscheinen, lösen Sie den Verbin¬ 
dungsgang in Glas und Eisen auf, aber an sich ist er in den meisten Kranken¬ 
hausbauten so notwendig wie nur möglich. 

„Das rauhe Klima ist doch in Deutschland zweifellos das vorherrschende. 
Ganz Norddeutschland kann wohl dazu gerechnet werden; es ist nicht not¬ 
wendig, daß wir in das süddeutsche Gebirge gehen, um rauhes Klima zu 
finden. Also die Verbindungsgänge haben meines Erachtens in der Ver¬ 
waltungspraxis und dem Betriebe ungeheure Vorteile, und Nachteile aus 
ihnen kann ich nicht erkennen, denn lüften und beleuchten und besonnen 
können Sie diese Gänge in einem Maße, wie es überhaupt stärker bei keinem 
Bauteile geschehen kann.“ 

Vierteljfthmchrift fOr Gwundheitipttege, 1908. , o 


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194 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Medizinalrat Dr. Schrakamp (Düsseldorf): „Meine Herren! Der 
erste Herr Referent, Herr Prof. Dr. Lenhartz, hat als wesentliche Gründe 
für die Zweckmäßigkeit des gemischten Systems, der mehrstöckigen Bauten 
mit endständigem Pavillonsaal und Mittelkorridor, an dem einige Einzel¬ 
zimmer liegen, angeführt, die sozialen Vorzüge und die technische Zweck¬ 
mäßigkeit für den Arzt. Wir dürfen noch einen anderen und sehr triftigen 
Grund hinzufügen, nämlich die relative Billigkeit. Heutzutage, wo die Städte 
so enorme Summen für ihre Krankenhausbauten aufzubringen haben, ist 
jedenfalls überall dort zu sparen, wo es geschehen kann, ohne die Kranken 
zu schädigen. Wir dürfen uns also durchaua nicht scheuen, auch die relative 
Billigkeit als einen wesentlichen Vorzug des gemischten Systems hinzustellen 
gegenüber dem einfachen Erdgeschoßpavillon. 

„Dann möchte ich mir als Vertreter der Stadtverwaltung Düsseldorf 
noch gestatten, auf einzelnes einzugehen, was der Herr Referent Prof. Dr. 
Lenhartz bezüglich unserer Bauten gesagt hat. 

„In erster Linie meint er, bei uns sei vollständig das Prinzip des 
Pavillonsaales verlassen, und das würde eine gewisse Unübersichtlichkeit 
geben. Ja, unser größter Saal hat allerdings nur 20 Betten, die übrigen Säle 
haben durchweg 10 bis 12 Betten; aber, meine Herren, die Ärzte sind außer¬ 
ordentlich damit zufrieden. Die Ärzte sagen, sie können so die Kranken 
viel besser sortieren nach ihren sozialen Eigenschaften, nach der Art der 
Krankheit. Die Ärzte sagen ferner, daß durch die Raumeinteilung unserer 
Bauten die Übersichtlichkeit keineswegs verloren geht, und, meine Herren, 
was ein sehr großer Vorteil ist, die Patienten fühlen sich wohl in diesen 
kleineren Räumen. Die Krankenhäuser sind doch in erster Linie dazu da, 
den Kranken in ihren schweren Tagen alle diejenigen Annehmlichkeiten zu 
schaffen, die irgendwie möglich sind. Das kann aber viel besser in kleinen 
Räumen mit 8, 10, 12 Betten geschehen, als in großen Sälen. Ich glaube 
also, daß wir dieses Prinzip nicht verlassen werden. 

„Dann wandte sich Herr Prof. Lenhartz gegen unseren großen 
chirurgischen Mittelbau und meinte, das mache einen klosterhofartigen 
Eindruck. Es möchte ja wohl nach dem Grundriß so scheinen; aber, meine 
Herren, es handelt sich um einen dreigeschossigen, großen, sehr weit gebauten, 
in Hufeisenform dastehenden Block, der absolut einseitig nach dem Korridor- 
system gebaut ist. Die offene Seite des Hufeisens ist aber nicht abgeschlossen 
durch einen hohen Trakt, sondern durch einen Erdgeschoßbau. Da liegen 
die Operationssäle. Im Mittelbau, der die beiden Höfe trennt, liegen einzelne 
Zimmer für ärztliche Untersuchungen, Zimmer für experimentelle Zwecke usw. 
Der ganze Trakt ist brillant beleuchtet und vorzüglich ventiliert. Das wird 
jeder sagen, der die Sache selbst sieht bzw. gesehen hat. Ich glaube, er 
erfüllt vollständig diejenigen Zwecke, denen er dienen soll, und ich halte 
ihn auch hygienisch für völlig einwandfrei. 

„Dann möchte ich noch bemerken, daß die Quarantänestation doch 
zweckmäßig nach der Mitte zu eine Verbindung erhält. Unsere Quarantäne¬ 
station enthält drei vollständige Krankenzimmereinheiten, also drei kleine 
Krankenräume mit den nötigen Nebenräumen. Jede der Einheiten hat einen 
Zugang von außen. Haben wir also auf verschiedene Erkrankungen ver¬ 
dächtige Personen darin, so werden sie vollständig getrennt; der Zugang 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 195 

zur Mitte hin wird eben geschlossen. Aber es kann doch anoh sehr leicht 
Vorkommen, daß wir einmal eine ganze Familie einsperren müssen, die z. B. 
an Pocken erkrankt ist. Dann liegen eben die Männer nach der einen Seite, 
die weiblichen Familienmitglieder nach der anderen Seite, und da ist es doch 
recht wünschenswert, daß von der Mitte die Pflege der Kranken und die 
Versorgung der einzelnen Räume stattfinden kann. Ich glaube also, daß es 
besser ist, nach der Mitte sowohl wie von draußen die Räume zugänglich 
zu machen, ln bedenklichen Fällen, wo verschiedene Krankheiten in Frage 
kommen, wird der Zugang nach außen allein benutzt, bei anderen aber, wie 
ich sie hier geschildert habe, ist die Möglichkeit einer Verbindung der Räume 
untereinander unter Umständen doch reoht wünschenswert.“ 


Königlicher Baurat, Stadtbaurat Peters (Magdeburg): „Meine 
Herren! Es ist so oft hier betont worden, daß der größte Wert auf den 
ruhigen, behaglichen Aufenthalt der Kranken in dem Krankensaale zu legen 
und zu wünschen wäre, in dieser Beziehung Wandel zu schaffen gegenüber 
der jetzigen ungeteilten Anordnung von 20, 24 bis 30 Betten in einem 
solchen Saale. Da ist es wohl nicht verfehlt, darauf aufmerksam zu machen, 
daß seitens des Herrn Geheimen Sanitätsrats Prof. Dr. Aufrecht in Magde¬ 
burg ein interessanter Versuch gemacht ist in der Lungenheilstätte in Lostau 
bei Magdeburg. Es ist nämlich der große Saal, der Pavillonsaal, geteilt 
worden durch feste Einbauten in Monnierkonstruktion von 2 J / 4 m Höhe. Es 
hat sich auf diese Weise ein Mittelgang, aber keineswegs ein Korridor ge¬ 
bildet, so daß also alle die Vorzüge, die einem Saal zu eigen sind und 
gleichzeitig auch den Isolierzimmern, auf diese Weise gut erreicht werden. 
Namentlich ist aber interessant und durch verschiedene Versuche des Chef¬ 
arztes konstatiert worden, Versuche, die in den frühen Morgenstunden an¬ 
gestellt wurden, daß die Luft durchaus gut gewesen ist. Das ist auch ganz 
klar, denn es ist ja ein Saal, der gewissermaßen horizontal in eine obere 
und untere Hälfte geteilt ist, so daß, wenn die Fenster bis unter die Decke 
gehen und wenn dort oben Kippflügel angebracht sind, die die Luft durch¬ 
streichen lassen, ein Stagnieren der Luft überhaupt nicht stattfinden kann; 
im Gegenteil, die Luft ist als besser konstatiert worden als in einem ein¬ 
heitlichen, ungeteilten Saal. Vielleicht wird dieses System des Herrn Ge¬ 
heimrat Prof. Dr. Aufrecht auch noch weiter ausgebildet werden; ich 
glaube auch, daß es noch Verbesserungen erfahren kann. Ich will darauf 
bei der Kürze der Zeit nicht näher eingehen. Es läßt sich nämlich auch 
die Anordnung dieser Kojen z. B. nach dem Kreissegment gestalten. Denken 
Sie etwa an den Grundriß eines Lokomotivschuppens! In der Mitte in dem 
toten Raum würde der Tagesraum sich befinden. Es würde dieser Mittel- 
raum sehr passend als Speiseraum oder für den Aufenthalt der Schwestern 
oder für die Visite des Arztes auszunutzen sein. Genug also, in dieser 
Beziehung, glaube ich, ist dieses System noch weiter gestaltungsfähig; 
jedenfalls sind die bisherigen Erfahrungen, die wir damit gemacht haben, 
durchaus geeignet, es für die Einrichtung moderner Krankensäle auch all¬ 
gemein zu empfehlen, sowie den Aufenthalt für die Patienten behaglicher zu 
machen.“ 

13* 


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196 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

Geheimer Regierungsr&t Prof. Dr. Bietschel (Berlin): „Meine 
Herren! Als Vertreter des Heizungs- und Lüftungsfaches erlaube ich mir, einige 
Bemerkungen zü den Vorträgen der Herren Referenten hinzuzufügen. 

„Zunächst hat Herr Prof. Lenhartz sich dahin geäußert, daß die 
Pulsionslüftung sich bei Krankenhäusern nicht genügend bewährt habe, um 
allgemein eingeführt zu werden. Meine Herren! Da möchte ich entgegnen, 
daß die Pulsionslüftung sich entschieden bewährt hat. Wenn sie sich in 
Krankenhäusern nicht hat bewähren können, so lag das daran, daß sie 
bisher dort noch nicht in genügendem Maße eingeführt worden ist. Wir 
Deutschen sind bedauerlicherweise noch nicht gewöhnt, mit der uns jetzt 
fast überall zur Verfügung stehenden elektrischen Energie zu rechnen. Ich 
kann ihnen die Versicherung geben, daß mit der Pulsionslüftung die besten 
Erfolge zu erreichen sind und daß sie die einfachste und die sicherste Anlage 
in der Ausführung darstellt. Nur durch die Pulsionslüftung ist man in der 
Lage, die Luftmenge genau zu dosieren, jederzeit bei allen Witterungs¬ 
einflüssen die richtige Luftmenge zu erzielen, und so sollte die Pulsionslüftung 
in Krankenhäusern auf alle Fälle gefördert und kein größeres Krankenhaus 
für die Folge ohne Pulsionslüftung ausgeführt werden. 

„Die beiden Herren Referenten sind darin einig, daß die Warmwasser¬ 
heizung den Vorzug vor der Niederdruckdampfheizung verdient. Meine 
Herren! Ich möchte das aus voller Überzeugung bestätigen. Die Warm¬ 
wasserheizung allein ist imstande, allen hygienischen Forderungen zu ent¬ 
sprechen. Merkwürdigerweise findet man aber sehr häufig, daß zunächst 
hei Krankenhäusern Warmwasserheizung in Aussicht genommen, aber Bpäter 
die Niederdruckdampfheizung ausgeführt wird. Warum? Lediglich, um 
Kostenersparnisse zu erzielen. Die Heizanlagen sind vielfach das Stief¬ 
kind, sobald es sich um die Erzielung von Ersparnissen handelt. Ich stehe 
auf dem Standpunkte, daß man über die Herstellungskosten — die Warm¬ 
wasserheizung ist ja nicht einmal so wesentlich teuerer als Niederdruck¬ 
dampfheizung — doch noch eher wegkommt, als über die Betriebs¬ 
kosten, und diese werden vielfach zu wenig in Betracht gezogen. Man 
kann durch die richtige Anordnung einer Heizung außerordentlich viel an 
Betriebskosten ersparen, durch eine schlechte Anordnung es dahin bringen, 
daß später die Betriebskosten zu einer teilweisen Einstellung des Betriebes 
führen. Da ist zunächst zu erwähnen, daß die Wirtschaftsgebäude und die 
Zentrale für die Heizung in richtiger Weise zu den übrigen Gebäuden an¬ 
geordnet werden müssen. Ich habe bei Anlagen, die durch meine Hände 
gegangen sind, nach dieser Richtung häufig Fehler bemerkt, z. B. daß die 
Feuerungsstätte an das Ende des Geländes gelegt worden ist, daß somit die 
Rohrleitung vom Kesselhause das ganze Gelände durchqueren mußte. Meine 
Herren! Das führt jederzeit zu großen Wärme Verlusten. Man wird ja 
nicht die Kesselanlage als Schmuckstück in die Mitte der gesamten Anlage 
unterbringen wollen, aber man soll sie doch jederzeit so anordnen, daß möglichst 
nach allen Seiten die kürzesten Wege für die Robrverteilung erzielt werden. 

„Ferner — und meiner Ansicht nach ist das das Allerwichtigste — 
sollte meines Erachtens kein größerer Krankenhausbau errichtet werden ohne 
ein eigenes Licht- und Kraftwerk. Die Anlage eines eigenen Licht- und 
Kraftwerkes ist von so entscheidender Bedeutung für die Betriebsersparnisse, 


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Der moderne Krankenhauabau vom wirtachaftlich-techniscben Standpunkt. 197 


daß die Erstellung eines solchen denjenigen, die darüber zu befinden haben, 
gar nicht genug ans Herz gelegt werden kann. Meine Herren! Wenn eine 
elektrische Kraftzentrale errichtet wird, so kostet das Licht usw. fast nichts, 
da die ganze Wärme des Dampfes ausgenutzt werden kann für Heizzwecke, 
für die Warmwasserbereitung usw. Ganz besondere Bedeutung hat ein 
elektrisches Licht- und Kraftwerk bei Errichtung der jetzt in Aufnahme 
kommenden Fern warm Wasserheizungen. Ich stehe auf dem Standpunkte, 
daß Fernwarmwasserheizungen sehr große Vorzüge haben. Sie sind einfach 
in der Anordnung, sicher im Betriebe und haben eine geringere Bedienung 
nötig. Das sind große Vorzüge, aber trotz dessen soll man vorsichtig sein 
mit der Errichtung. Sie werden in den meisten Fällen nur dann nicht un¬ 
wesentlich billiger als eine Ferndampfheizung, wenn eine Lichtzentrale mit 
eingerichtet wird. 

„Überhaupt, wenn ich allgemein sprechen darf: die Stadtgemeinden 
achten noch gar nicht genügend darauf, daß in ihren Elektrizitätswerken 
meist eine Unmasse von Wärme verloren geht, die zur Erwärmung, zu Bade¬ 
zwecken usw. ausgenutzt werden könnte und sollte. Ich halte diese Frage 
vom wirtschaftlichen Standpunkte für eine so außerordentlich wichtige, daß 
ich die Herren Vertreter der Gemeinden bitten möchte, sich mit ihr näher 
und eingehend zu beschäftigen. 

„Zum Schlüsse erlaube ich mir nur noch, Herrn Dr. Sonnenkalb, der 
die Frage über die Fußbodenheizung stellte, zu erwidern, daß die Fußboden¬ 
heizung als eine Heizung für unsere Räume zum Ausgleich des Einflusses 
der Außentemperatur nicht angesehen werden kann. Eine Fußbodenheizung 
ist nur wesentlich dazu geeignet, eine zu starke Abkühlung der Füße zu 
verhindern, eine wirkliche Erwärmung der Räume ist durch sie aus¬ 
geschlossen. Wir können die Temperatur des Fußbodens nicht über 20, 
höchstens 22° steigern, ohne unerträgliche Zustände hervorzurufen. Infolge¬ 
dessen kann diese Fußbodenheizung nur als eine Zusatzheizung zu einer 
anderen Heizung betrachtet werden, über deren Nutzen ja die Herren 
Hygieniker zu entscheiden haben.“ 

Damit ist die Diskussion erschöpft und es erhält das Schlußwort: 

Referent Prof. Dr. Lenhartz (Hamburg): „Meine Herren! Gestatten 
Sie mir, daß ich zunächst meinen verbindlichsten Dank ausspreche für das 
lebhafte Interesse, das Sie den Referaten gezollt haben, und für die rege 
Diskussion, die sich angeschlossen hat. 

„Zunächst möchte ich aber einige Irrtümer aufklären, die vor allen 
Dingen die Berliner Herren aus meinem Referat wohl gefolgert haben. Der 
beschränkten Zeit wegen konnte ich manches nur flüchtig streifen. 

„Bezüglich der Klosetts habe ich vor allen Dingen davon gesprochen, 
daß man an dem Isolierzimmer hingehen muß, um dahin zu gelangen, daß 
ich demnach ihre Lage nicht als günstig bezeichnen kann. 

„Die Infektionspavillons habe ich überhaupt nur kurz berührt. Daß 
die für Scharlach-, Diphtheriekranke usw. bestimmten glücklich angelegt 
sind, erkenne ich ausdrücklich an. Ich habe mich lediglich für den Quaran¬ 
tänepavillon hier interessiert und habe da manches beanstandet, und icb 
zweifle nicht, daß das mit Recht geschehen ist. 


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198 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

„Beim Badehause möchte ich vor allem die OpaleDZ tffwas in das rich¬ 
tige Licht setzen, die Schachtelung kommt viel weniger iif Frage. Daß man 
sich in einem solchen Hause sofort zurecht finden kann, braucht ja nicht 
verlangt zu werden, aber die Opulenz ist in der Tat derart groß, daß die 
Leute sich gar nicht mehr mit den gewöhnlichen Einrichtungen in den 
Privatanstalten abfinden werden. Nur dies Zuviel habe ich im Auge. Die 
Summen, die ich angeführt habe, haben sich stets auf Bau und Inventar 
bezogen. Insofern möchte ich ausdrücklich einscbalten, daß in den Kosten 
für Eppendorf alles eingerechnet ist, z. B. auch jede einzelne, alle Jahre in 
das Budget eingestellte Summe, um die Verkuppelung von drei oder vier 
Pavillons zu erzielen, alle diese einzelnen Summen sind mit hineingesetzt in 
die Gesamtsumme von 10V S Millionen Mark für unser Haus. 

„Herr Bauinspektor Tietze hat eine große Reihe lebhafter Fragen an 
uns gerichtet: Haben Sie das, haben Sie das? usw. Da möchte ich sagen: 
alles haben wir, mit Ausnahme des Eishauses. Also die Eisfabrikation fehlt 
uns. Ich weiß nicht, ob ich ihn deshalb gerade zu beneiden habe. Wir 
können uns das Eis in beliebiger Menge beschaffen. Im übrigen habe ich 
aber diese Einrichtung der Anstalt ganz hervorragend gut befunden. 

„An der Aula habe ich wahrhaftig nichts auszusetzen. Das ist ein 
Irrtum. Im Gegenteil, ich habe ja die Gliederung des Hauses und der Aula 
außerordentlich gelobt. ' Da bin ich vollständig mißverstanden. Ich habe 
auch nichts Ungünstiges über den Ehrenhof bemerkt. Im Gegenteil, ich habe 
gesagt, daß der Ausblick, der sich von der Aula auf das ganze Bild der 
Anstalt biete, berückend schön sei und den Beschauer in eine wirklich her¬ 
vorragende Stimmung versetze. »Man glaubt sich nach dem alten Nürnberg 
und Rothenburg entrückt, wenn man über die schönen alten Dächer hin¬ 
blickt, über die herrliche Siegesallee — wenigstens die Bäume der Sieges¬ 
allee» — usw. 

„Über die Verbindungsgänge der chirurgischen Abteilung habe ich mich 
ja genügend ausgesprochen. Eins möchte ich Herrn Geheimrat Strassmann 
gegenüber erwähnen. Ich habe mich nicht gegen die Kleiderzentrale aus¬ 
gesprochen, Bondern ich habe gesagt, es ist abzuwarten, wie sie sich bewähren 
wird, und ich möchte auf den fundamentalen Unterschied aufmerksam 
machen, der zwischen Irrenanstalten und den allgemeinen Krankenanstalten 
besteht. Das, was in Irrenanstalten möglich ist, ist durchaus nicht über¬ 
tragbar auf allgemeine Krankenhäuser. In allgemeinen Krankenhäusern von 
2000 Betten haben Sie einen Wechsel der Kranken von ungefähr 80 bis 
100 pro Tag. In Irrenanstalten haben Sie mit chronisch Kranken zu tun, 
wo im ganzen Jahre vielleicht 200 oder 400 abgehen. Ich meine, täglich 
80 oder täglich einer, das ist ein großer Unterschied, und ich kann das 
wirklich ungefähr beurteilen, denn ich weiß, was es ausmacht, wenn die 
Leute bloß nur an drei bis vier Pavillonreihen hinlaufen müssen. Wozu 
sollen sie die Kilometerwege erst machen, die sie bei Ihnen nötig haben, um 
in die Zentrale zu kommen? 

„Ich habe auch nicht für Kleidermagazine in den einzelnen Pavillons 
mich ausgesprochen, sondern möglichst für jeden Block; also an jede Straße 
gehört meines Erachtens ein solches Magazin, um die großen Wege den 
Leuten zu ersparen. 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 199 

„Die Desinfektion in jedem Pavillon kann ich nicht billigen. Ich 
möchte bloß das eine sagen: wir hatten früher einen Merk eschen Apparat 
in dem jetzt von Herrn Kollegen Deneke geleiteten St. Georgs-Kranken- 
hause angelegt und hatten den Versuch im Diphtheriepavillon gemacht; das 
Ding hat sich aber so wenig bewährt, daß es von Direktor Deneke wieder 
beseitigt worden ist. Also das einzige Ding, womit wir die Probe gemaoht 
haben, hat sich bei uns nicht bewährt, und ich halte es auch für vollständig 
überflüssig. Die Desinfektion der Abwässer gelingt mit dem System, das jetzt 
in St. Georg und später bei uns in Eppendorf eingeführt ist, durchaus. Wir 
haben eine Desinfektion bei uns eingerichtet für 600 Betten der Haupt¬ 
anstalt und für 200 Betten in der Epidemieabteilung. Diese »Asbestabtei- 
lung“ für 200 Betten ist an ein besonderes System angeschlossen und 
600 Betten der alten Anstalt sind ebenfalls für diese Zwecke an ein beson¬ 
deres Dillgrubenhaus angeschlossen. 

„Auf die Anfrage des Herrn Kollegen Sonnenkalb muß ich folgendes 
sagen: die seitlich offenen, nur oben gedeckten Verbindungsgänge halte ich 
für vortrefflich. Diese einfachen gedeckten Gänge sind beispielsweise in 
dem von mir vorhin vorgeführten Fieberhospital in Edinburgh eingeführt. 
Dagegen ist gar nichts zu sagen. Die sind durchzulüften und man kann 
Regenschauer, Schnee usw. abhalten und hat geschützte Wege. Für unsere 
Verhältnisse halte ich in der Tat das, was in St. Georg ausgeführt ist und 
was Kollege Deneke Ihnen empfohlen hat, die einfache Plattenstraße, die 
in gleicher Höhe wie das Erdgeschoß der Pavillons angelegt ist, für das 
beste, wie ich das ja auch bereits in meinen Leitsätzen empfohlen habe, 
eine Bemerkung, die ihm offenbar entgangen ist. 

„Bezüglich seiner zweiten Frage, der kleinen Pavillons, habe ich mich, 
glaube ich, genügend ausgesprochen. Ich halte den großen Pavillon von 
30 bis 34 Betten für weniger gut. Ich habe täglich in diesen Pavillons zu 
tun und ich kann ihnen sagen, daß es in der Tat nicht empfehlenswert ist; 
die kleinen Säle haben so viel Vorteile für die Gemütlichkeit und gewähren 
dem leitenden Arzte so viel Möglichkeit, da besser zu sortieren nach sozialen 
und allen möglichen anderen Verhältnissen, und sie sind für die Bewirt¬ 
schaftung und die Pflege so außerordentlich vorzuziehen, daß ich gerade das 
Prinzip, nach dem wir hier vorgegangen sind, nicht bloß aus Liebhaberei 
für die eigene Schöpfung, sondern vor allen Dingen auf Grund meiner Er¬ 
fahrung, deren Richtigkeit sich mir täglich an der Verkehrtheit der großen 
Säle bestätigt, Ihnen empfehlen möchte. 

„Mein verehrter Herr Kollege Brunner aus München hat mich, glaube 
ich, etwas mißverstanden. Es ist mir gar nicht eingefallen — wenigstens 
bitte ich dann ausdrücklich noch um Entschuldigung —, irgend etwas gegen 
die Anstalt zu sagen. Ich habe nur gesagt, wenn Sie den Plan ansehen — 
und darin hat er mir ja selbst beigestimmt —, dann kann ein gewisser 
Kasemeneindruck nicht geleugnet werden, und ob dieses gerade erstrebens¬ 
wert ist, weiß ich nicht. Jedenfalls habe ich ausdrücklich gesagt, ich kann 
nicht beurteilen, ob es geboten war, so hoch zu bauen. In dem Promemoria, 
das der Beschreibung der Pläne beigegeben ist, ist ausdrücklich gesagt, die 
klimatischen Verhältnisse zwängen dazu, ich kann das nicht beurteilen. Was 
er jetzt gesagt hat, spricht ja gewiß für die Korridoranlage. Ob aber das 


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200 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

dreigeschossige System richtig ist, möchte ich nach den immerhin doch 
etwas beschränkten Erfahrungen, die er bei dem früheren kleinen Hospital 
gesammelt hat, doch bezweifeln. Meine Herren! Vergessen Sie eins nicht, 
es gibt Chirurgen — ich kenne einen außerordentlich namhaften —, die 
sagen, wir Bind mit der Asepsis jetzt so weit, daß wir auf dem Klosett 
operieren können, das geht gerade so gut. Aber derselbe Chirurg kann in 
seinen Anforderungen an die Hygiene und an die Ausstattung seines 
Operationssaales, der bloß aus Stein und Eisen besteht, sich nicht genug 
leisten. Also das sind Widersprüche. Gewiß, wir können uns heute viel 
mehr schützen als vor der Zeit, wo die antiseptiscben und aseptischen Me¬ 
thoden fehlten, aber wir können eins nicht, wir wissen nicht, wie es mit der 
Kontaktinfektion ist, mit der Übertragung durch die Luft bei Scharlach und 
allen möglichen anderen Infektionskrankheiten. Wer garantiert mir? Jetzt 
kommt ein solcher Scharlachfall auf eine Station, es kommt vielleicht sogar ein 
zweiter oder dritter — es ist alles schon dagewesen; Pocken sind in manchen 
modernen Krankenhäusern in dieser Weise eingeschleppt worden. Sind sie 
einmal darin, dann kann leicht eine weitere Übertragung atattfinden; viel 
eher, wenn die Luftkommunikation vorhanden ist, sei es durch Verbindungs¬ 
korridore, sei es in einem dreigeschossigen System. Also ich möchte doch 
vor der Verallgemeinerung eines Systems warnen, das ja vielleicht für 
München verteidigt werden kann. 

„Herr Kollege Deneke hat freundlicherweise noch einmal auf die 
bequemen Plattenstraßen aufmerksam gemacht, die für den Krankentransport 
in der Anstalt von größtem Werte sind und sich in St. Georg so gut bewährt 
haben. 

„Bezüglich der Kosten möchte ich sagen, daß ich geglaubt habe, mich 
klar genug ausgedrückt zu haben. Wir haben in St. Georg das Verwal¬ 
tungsgebäude und zwei Blocks nur umgebaut und insofern ist es mir nicht 
eingefallen, 3500 als Kosten für das Bett einer neuen Anstalt anzu- 
nebmen. Das fällt mir nicht ein. Ich möchte aber sagen, daß wir mit 
3500 < H pro Bett ausgekommen sind, obwohl außer jenen drei umgebauten 
Blocks alle anderen Gebäude, wie: Küche, Waschküche, pathologisches In¬ 
stitut, Kesselhaus, chirurgischer Operationssaal, neu hergestellt worden sind, 
und das gesamte Inventar für 1570 Kranke neu angeschafft worden ist. 

„Herrn Schönfelder möchte ich sagen, daß der Arzt in der Tat über 
die Richtigkeit der Verbindungsgänge und gedeckten Verbindungswege besser 
urteilen kann als der Architekt. Da muß sich der Architekt unterordnen. 
Er hat offenbar kein rechtes Verständnis dafür, weshalb die Verbindungs¬ 
gänge auch schaden können. Ich will nur auf einen Punkt hier noch hin- 
weisen, er betrifft den Verkehr des Pflegepersonals, das natürlich den ganzen 
Tag leicht über die Verbindungskorridore hin und her huschen kann, und 
etwas mehr und vielleicht auch noch anstößiger bei der Nacht; denn es ist 
etwas anderes, ob sich zwei treffen können, die erst durch das Freie gehen 
müssen, oder ob sie durch einen Verbindungskorridor leicht zueinander ge¬ 
langen können. Diese leichte Kommunikation zwischen dem Pflegepersonal 
ist etwas sehr Störendes. Sie huschen immer mal zusammen und das hört 
auf, wenn nicht der Verbindungskorridor ihnen die Sache so leicht und an¬ 
genehm macht. 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 201 

„Aber vor allen Dingen ist hier wieder das gerechtfertigt, was ich be¬ 
züglich der Operationen gesagt habe. Gewiß, der Chirurg traut sich die 
Operation und sagt: »ich operiere auch auf dem Klosettraum und mache 
auch da eine Laparotomie mit derselben Sicherheit«. Aber er verlangt im 
Hospitale doch nach den besten hygienischen Verhältnissen, und ich meine, 
die besten hygienischen Verhältnisse sind auch für uns alle gerade gut genug, 
und sie sind gewiß besser ohne Verbindungskorridore. 

„Was Düsseldorf anlangt, so muß ich sagen, daß mich auch die Aus¬ 
führungen des Herrn Kollegen nicht bekehrt haben bezüglich der chirurgischen 
Abteilung. Er hat doch zugegeben, daß es sich um einen hufeisenförmigen, 
von drei Seiten eingeschlossenen Hof handelt, der im Erdgeschoß auch noch 
von der vierten Seite eingeschlossen ist. Nun, daß da keine freie, unbehin¬ 
derte Lüftung in einem solchen Hofe bestehen kann, müßte doch auch zu¬ 
gegeben werden. Jedenfalls möchte ich mich so äußern. 

„Herr Geheim rat Rietschel hat mich mißverstanden betreffs der 
Polsionslüftung. Ich habe mich nicht dagegen ausgesprochen, sondern 
gesagt, es müssen weitere Erfahrungen abgewartet werden, und das bezieht 
sich darauf: im Virchow-Krankenhause ist sie angelegt, aber noch nicht im 
Betriebe, und insofern, glaube ich, muß sie wohl noch etwas weiter studiert 
werden. Ich weiß, als ich mich der gütigen Führung der Herren an vertrauen 
wollte, sagte Herr Geheimrat Ohlmü 11er, die Kosten wären so enorm, daß 
er sie nicht gehen lassen wollte. Ich bitte, mir das nicht zu verdenken, wir 
wollen uns ja alle hier aufklären lassen. Sollte es anders sein, so bin icii 
der erste, der das anerkennt. Daß im Prinzip vom wissenschaftlichen Stand¬ 
punkte aus die Ausführungen absolut berechtigt sind und ich sie gern unter¬ 
schreibe, möchte ich ausdrücklich sagen.“ 

Korreferent, B&ur&t F. Büppel (Hamburg): „Ich kann wohl nach 
den ausführlichen Erwiderungen des Herrn Prof. Lenhartz auf das Wort 
verzichten. Ich wollte aber nur, weil es mir sehr wichtig erscheint, doch 
ein Wort zu der Fußbodenheizung bemerken, die hier angeregt ist. Fu߬ 
bodenheizung ist eine unter Umständen nicht ungefährliche Sache, und man 
sollte sich durchaus nicht etwa dazu bewegen lassen, sie ausschließlich zur 
Heizung der Räume anzuwenden. Ich habe es erlebt, daß in einem Kranken¬ 
saale durch Überwärmung desselben die Kranken beinahe ohnmächtig ge¬ 
worden sind. Das war an einem Frühlingstage, wo draußen die Temperatur 
allerdings ziemlich warm war, und die nicht ganz abgestellte Fußbodenheizung 
noch stark nachwirkte. Man sollte den Fußboden nur anwärmen, was sich 
schon deshalb empfiehlt, weil er meistens auch mit Platten belegt ist Im 
übrigen sollte man aber die Heizungskörper in den Saal hineinlegen. 

„Meine Herren! Bezüglich der Verbindungsgänge möchte ich nur noch 
das Wort eines Arztes anführen, der auf einer Studienreise ebensowohl sehr 
viel Verbindungsgänge gesehen, als auch nicht angetroffen batte und hierzu 
bemerkte, daß überall dort, wo Verbindungsgänge gewesen wären, sie für 
unentbehrlich gehalten, und überall dort, wo sie nicht waren, für entbehrlich 
gehalten worden seien.“ 

Vorsitzender, Oberbürgermeister Dr. Lentze (Magdeburg): „Meine 
verehrten Herren! Ich glaube, ein jeder von uns hat wohl das Gefühl, daß 


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202 XXXII. Versammlung d. D. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bremen. 

wir den beiden Herren Referenten großen Dank schulden. Fast alle Ge¬ 
meinden, heute diese, morgen jene, stehen vor der Notwendigkeit, entweder 
ihr Krankenhaus auszubauen, oder es zu erweitern, oder gar ein neues zu 
hauen. Da liegen die Verhältnisse jedesmal außerordentlich schwierig, weil 
die Kosten, welche aufzuwenden sind, immerhin sehr in Betracht kommen. 
Die Gemeinden wenden zweifellos daB, was notwendig ist, gern an, aber sie 
möchten auch nur das anwenden und nicht mehr, und infolgedessen ist es 
ungeheuer wichtig, daß das, was notwendig ausgeführt werden muß, auch 
in rechter Weise geplant wird und zur Durchführung kommt. 

„Da haben nun die beiden heutigen Vorträge in vieler Hinsicht Klar¬ 
heit und eine Literatur geschaffen, bei welcher ein jeder sich Rats erholen 
kann, der in die Läge kommt, einem Krankenhausneubau näherzutreten. 
Die beiden Herren Referenten haben in so anschaulicher Weise uns ihre 
reichen Erfahrungen hier vorgeführt, daß wir alle einen großen und tiefen 
Einblick bekommen haben. Wir danken ihnen von Herzen für ihre große Mühe.“ 

• 

Oberbürgermeister Dr. Fuss (Kiel): „Meine Herren! Ehe wir 
auseinandergehen und ehe der Herr Präsident uns seine guten Wünsche 
für ein Wiedersehen zuruft, glaube ich, haben wir alle das Bedürfnis, ein 
Wort des Dankes auszusprechen. 

„Die Aufgabe eines Vorsitzenden eines solchen Vereins wie des unserigen 
ist eine doppelte. Sie zeigt sich zunächst bei der Vorbereitung unserer 
Tagesordnung. Hier teilt der Präsident sein Verdienst mit den übrigen 
Mitgliedern des Ausschusses und insbesondere mit dem ständigen Sekretär 
unseres Vereins. 

„Aber bei der zweiten Aufgabe, der Leitung des Vereins, ist der Prä¬ 
sident derjenige, der nicht nur im Vordergründe steht, sondern der die 
alleinige Verantwortung trägt. 

„Herr Oberbürgermeister Dr. Lentze trat uns hier zum ersten Male 
als unser Vorsitzender entgegen, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich 
sage: wir alle hatten mit dem ersten Augenblick das volle Vertrauen, einen 
tüchtigen Präsidenten vor uns zu sehen. Er hat die Verhandlungen mit 
Umsicht, Klarheit und Takt geführt. Er hat es verstanden, zwischen dem 
Bedürfnis der zum Worte Gemeldeten, möglichst alles zu sagen, was sie auf 
dem Herzen hatten, und der menschlichen Schwäche der zuhörenden Mit¬ 
glieder, nur einen beschränkten Teil der vorgetragenen Weisheit in Bich auf¬ 
nehmen zu können, auf daB glücklichste und, wie ich hoffe, für alle Teile 
persönlich befriedigend zu vermitteln. Er hat in einsichtiger und umsich¬ 
tiger Weise am Schlüsse eines jeden Gegenstandes der Tagesordnung uns 
noch einmal ein klares Resume gegeben, inwieweit durch die Vorträge und 
Diskussionen unsere Aufgaben gefördert worden sind, und vor allen Dingen: 
er hat die Würde des Vereins sowohl in den Sitzungen wie außerhalb der 
Sitzungen auf das glänzendste vertreten. 

„Wir hoffen, meine Herren, Herrn Oberbürgermeister Dr. Lentze nach 
einer Reihe von Jahren wiederum auf unserem Präsidentenstuhle zu be¬ 
gegnen, und wenn Sie meine bescheidenen Worte billigen, so darf ich Sie 
bitten, zu ehrender Anerkennung seines Präsidiums sich von ihren Plätzen 
zu erheben.“ 


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Der moderne Krankenhausbau vom wirtschaftlich-technischen Standpunkt. 208 

Vorsitzender, Oberbürgermeister Dr. Lentze (Magdeburg): „Meine 
verehrten Herren! Ich bin tief beschämt über die anerkennenden und 
ehrenden Worte des Herrn Oberbürgermeisters Fass. Ich weiß, daß ich in 
vieler Hinsicht doch nicht den ‘Anforderungen habe genügen können, die ich 
hätte erfüllen müssen, aber eine Versammlung wie die Ihrige, die sich ohne 
weiteres von selbst leitet, wo jeder hilft, braucht ja eigentlich kaum geleitet 
zu werden. 

„Ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür, daß Sie mich bei den Ver¬ 
handlungen so unterstützt haben, und ich meinerseits werde diesen Hygiene¬ 
tag hier in Bremen niemals vergessen. Die sämtlichen Herren Referenten 
haben — das kann ich mit großer Genugtuung feststellen — in so ausführ¬ 
licher, vorzüglicher, klarer und lichtvoller Weise ein Bild über die auf die 
Tagesordnung gesetzten Themata gegeben, daß unsere Ziele und unsere Auf¬ 
gaben ganz wesentlich dadurch gefördert worden sind. Ich glaube, der 
Kongreß in Bremen hat sich den früheren in der Hinsicht durchaus würdig 
angereiht, und wenn Sie mir nun erlauben, die diesjährige Tagung hiermit 
zu schließen, so geschieht das einmal mit herzlichem Dank gegen Sie, mit 
dem warmen, herzlichen Danke gegen die sämtlichen Herren Referenten und 
mit dem Wunsche, daß wir alle auf dem nächsten Kongreß uns frisch und 
gesund Wiedersehen mögen. 

„Meine verehrten Herren! Das war der Dank, den wir innerhalb unseres 
Vereins abzustatten hatten. Ein ebenso warmer, ja noch größerer Dank 
liegt uns noch auf dem Herzen gegenüber der gastfreien Stadt, in deren 
Mauern wir haben tagen dürfen. Wir blicken auf eine Reihe von Veran¬ 
staltungen zurück, auf eine Aufnahme, wie wir sie herzlicher und gastfreier 
nicht hätten wünschen können. Wir haben bei der Besichtigung so vieles 
Interessante gesehen, daß wir reiche Anregungen mit nach Hause nehmen. 
Die Stadt Bremen hat in jeder Hinsicht, trotzdem, daß wir uns ihr Angeboten 
haben und nicht von ihr vorher eingeladen waren, uns eine Gastfreundschaft 
gewährt, die unsere Erwartungen weit übertroffen hat. Der Stadt Bremen 
gilt deshaibauch am Schlüsse unserer Versammlung unser herzlichster Dank. 

„Also auf Wiedersehen, meine verehrten Damen und Herren, im nächsten 
Jahre.“ 


Schluß gegen 2 Uhr. 


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204 


Dr. med. D. Sarason, 


Ein neues Bausystem für Krankenanstalten und 

Wohnhäuser. 

Autoreferat von Dr. med. D. Sarason (Berlin). 

Vortrag, gehalten auf dem XIV. Internationalen Hygienekongreß zu Berlin. 
(Mit 1 Abbildung im Text.) 


Aue jedem Zimmer jedes Geschosses 2,5 bis 3 m tiefe Aus¬ 
tritte unter freien Himmel zn schaffen, ohne hierdurch die dar¬ 
unter befindlichen Räume durch unzulässige Beeinträchtigung 
des Lichteinfalles und der Luftzirkulation in ihrer notwendigen 
Salubrität zu schädigen, war die Aufgabe, die sich Vortragender ge¬ 
stellt hatte. 

Der unschätzbare therapeutische Wert eines unmittelbaren Konnexes 
sämtlicher Krankenräume mit dem Freien, um allen Patienten, selbst Ope¬ 
rierten und Fieberkranken, die Möglichkeit zu geben, jederzeit mühelos, auch 
in ihren Betten, direkt aus dem Fenster in die freie Atmosphäre gelangen 
und ebenso mühelos wieder in den Wohnranm zurückkehren zu können, 
wird gerade in neuerer Zeit immer mehr erkannt. Darum lagert man nicht 
selten allen Stockwerken eines Gebäudes an einer ganzen Längsseite Balkons 
bzw. offene Hallen vor. Hierin ist jedoch keineswegs eine befriedigende Er¬ 
füllung des Bedürfnisses zu erblicken. Denn abgesehen davon, daß überein¬ 
ander liegende, sich gegenseitig deckende Balkons keinen Aufenthalt unter 
freiem Himmel gewähren, dürfen dieselben 1 bis 1,30 m, eine für thera¬ 
peutische Zwecke völlig ungenügende Ausladungshreite, nicht überschreiten, 
wenn die Salubrität der Krankenräume nicht wesentlich beeinträchtigt werden 
soll. Selbst bei großer Höhe der letzteren sind tiefere Veranden und Hallen 
entschieden zu verwerfen. 

Wenn man trotzdem gelegentlich Hallen bis zu etwa 3 m Breite den 
Sälen vorgelagert hat, wie z. B. bei dem neuen chirurgischen Pavillon der 
Berliner Charite, wodurch die eine Seite der Säle sich meist in größerem 
oder geringerem Halbschatten befindet, so ist in dieser Beschränkung einer 
hygienischen Kardinalforderung nur ein Ausdruck für die Erkenntnis der 
außerordentlichen Dringlichkeit und der überragenden Bedeutung der oben 
präzisierten Aufgabe zu erblicken. 

Denn daß die sogenannten Liegehallen keineswegs eine vollgültige Ein¬ 
richtung für Liegekuren darstellen, ist nicht zu bestreiten. Ihre Trennung 
vom Krankenraume beeinträchtigt nicht nur die Zugänglichkeit, besonders 
für bettlägerige Patienten, sondern erlaubt auch keine wirkliche Freiluftkur 
im vollen Sinne des Wortes, weil sie, aus Rücksicht auf Witterungs- 
umschläge und die Unmöglichkeit sofortigen Rückzuges in den Krankenraum, 
bedeckt sein müssen und infolgedessen leicht Schuppenluft erhalten, beson¬ 
ders bei Ansammlung zahlreicher Kranker. 


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Ein neues Bausystem für Krankenanstalten and Wohnhäuser. 


205 


Die Lösung des Problems war nur auf einem einzigen Wege möglich. 
Dieser wurde vom Vortragenden beschritten. Durch Zurücksetzen der Front¬ 
wand jedes oberen Geschosses gegen die des unteren Geschosses bildet er 
vor den Räumen aller Stockwerke Terrassen und kombiniert 
diese, um im Erdgeschoß keine allzu große Tiefe zu erhalten und 
auch nicht unnötig Raum zu verlieren, mit Balkonvorsprüngen 
in einer für die darunter befindlichen Räume unschädlichen Aus¬ 
ladungsbreite von lm, so daß er mit Terrassenrücktritten von 
nur 1,5 bis 2m Gesamtaustrittsflächen von 2,5 bis 3m unter 
freiem Himmel erreicht, ohne daß Lichteinfall und Luftzirku¬ 
lation der Krankensäle eine unzulässige Beschränkung erfahren. 
Die beistehenden Schnittschemata geben einen Begriff dieses neuen „Ter¬ 
rassen Systems“. 


Fig. 1. 



(oder Kurhotel). 

Außer den in die Augen springenden und in ihrer ungemein weit- 
tragenden Bedeutung kaum hoch genug zu bewertenden therapeutischen 
Vorteilen des Terrassensystems Bind noch zwei weitere Vorzüge hervorzu¬ 
heben: Größte Feuersicherheit, da die Verqualmungsgefahr durch die 
Rettung auf die Terrassen aufgehoben ist, und der Reiz eines äußerst ver¬ 
lockenden, malerischen Anblickes der durch Blumenschmuck zu 
.hängenden Gärten“ ausgestalteten Terrassen, welcher das Gebäude alles 
nüchternen Hospitalcharakters entkleidet und die Seele der Kranken auf das 
freundlichste beeinflußt. 

In unmittelbarem Zusammenhänge mit diesen praktischen und allgemein 
hygienischen Fortschritten, die sowohl auf zwei- als drei- und viergeschossige 
Gebäude Anwendung finden können, bringt das Terrassensystem auch nooh 
die Lösung eines anderen Problems, welches immer dringender und unauf¬ 
schiebbarer wird, nämlich: Harmonisierung der heute in stärkstem 


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206 


I)r. med. D. Sarason, 


Mißverhältnis stehenden wirtschaftlichen, hygienischen und 
administrativen Interessen des Krankenhausbaues. 

Die übermäßige Dezentralisation der heutigen großen Pavillon*Kranken¬ 
häuser hat, im Verein mit den gesteigerten technischen und allgemeinen 
Ansprüchen, zu einer enormen Höhe der Kosten pro Bett und Verpflegungs- 
tag geführt. Diese Tatsache widerspricht durchaus einer zielbewußten 
Sozialpolitik, welche jede Wohlfahrtseinrichtung in erster und 
letzter Linie als einen rechnerischen Verhältniswort zu beurteilen 
hat, unter richtiger Bewertung jedes der einzelnen Faktoren nach seiner 
streng objektiv zu prüfenden Dignität Es kann daher keinem Zweifel 
unterliegen, daß die heutige Richtung im Krankenhausbau reformbedürftig 
ist, und daß künftig als Wertmesser für den Grad der sozialen Leistung, 
deren Ausdruck ein Krankenhaus darstellt, die Parole ausgegeben werden 
sollte: Das billigste Krankenbett, der billigste Verpflegungstag, 
bei besten Bedingungen für therapeutische Erfolge. 

Die Erfüllung dieser Aufgabe ist allein möglich durch Einschränkung 
der Dezentralisation, die wiederum nur durch Errichtung von drei- und 
viergeschossigen Gebäuden, statt der bisher üblichen zweigeschossigen Pavil¬ 
lons, zu erzielen ist. 

Der zweigeschossige Pavillon, dessen unteres Geschoß ja ebenfalls keine 
Dachlüftung besitzt, prinzipiell sich also von dem zweiten Geschoß eines 
dreistöckigen Pavillons nicht unterscheidet, ist bei Krankenhäusern der 
letzten Zeit schon mehrfach zugunsten dreigeschossiger Bauten verlassen 
worden. Es ist unvermeidlich, daß diese Tendenz rasch die Oberhand 
gewinnt. Denn die Forderung der Wirtschaftlichkeit in Bau und Be¬ 
trieb, welche mit dem steigenden Bedarf nach Unterbringung von Kranken 
und nach Befriedigung vieler anderer Kulturaufgaben mehr als je Berück¬ 
sichtigung verlangt, die wünschenswerte Erleichterung der Verwaltung und 
des ärztlichen Dienstes, sowie endlich die als unerläßlich erkannte technische 
Verbesserung der Speisung der Kranken, welche durch die große Ausdehnung 
der Wege sehr imgünstig beeinflußt wird, — alle diese Bedürfnisse er¬ 
heischen mit gebieterischer Notwendigkeit die Schaffung eines Kompro¬ 
misses zwischen der Kasernierung der früheren Korridorbauten 
und der immer drückender werdenden übertriebenen Dezentrali¬ 
sierung der gegenwärtigen Anlagen. 

Selbstverständlich ist nur ein solcher Kompromiß zu erstreben, welcher 
die Vorteile der Konzentrierung nicht durch Nachteile erkauft, die für das 
Ziel: möglichst ausreichende Gelegenheit zur Krankenhausaufnahme in mög¬ 
lichst vollkommener Form, schwerwiegender sind als die Vorteile, so daß 
ein Rückschritt resultieren würde. 

Was bisher in dieser Richtuug geschehen ist, hat verschiedene Beur¬ 
teilung gefunden. Während man auf der einen Seite glaubt, auch mit 
großen, dreigeschossigen, kompakten Gebäuden der heute üblichen Bauart 
die Forderungen der Krankenhaushygiene ausreichend befriedigen zu können, 
verwarf Prof. Lenhartz kürzlich in Bremen größere Krankengemeinschaften 
als 80 Personen. Dieser Grundsatz basierte jedoch naturgemäß nur auf 
derjenigen Bauart, die bisher für dreigeschossige Pavillons bekannt war. 


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Elin neues Bausyatem für Krankenanstalten und Wohnhäuser. 


207 


Daß eine prinzipiell neue Baumethode, wie Vortragender sie jetzt be¬ 
kannt gegeben hat, neue Voraussetzungen schafft, welche die Geltung 
obigen Grundsatzes zu modifizieren geeignet sind und unbedingt zu einer 
neuen Beurteilung herausfordern, dürfte nicht zweifelhaft sein. 

Da es nun aber auf der Hand liegt, daß ein Terrassenbau der beschrie¬ 
benen Art, mit seiner wesentlich vergrößerten Oberfläche, die Salubrit&t 
eines dreigeschossigen Gebäudes, im Gegensatz zu kongruentem Aufbau der 
Geschosse, durch die verbesserte Luft- und Sonnenpenetration, durch die 
leichte, oft zu ermöglichende Entleerung und Durchlüftung der Säle, sowie 
durch den außerordentlich vermehrten, sämtlichen Kranken jederzeit mühelos 
zugänglichen Genuß der freien Atmosphäre sehr stark erhöht, dürfte es 
auch bei strengsten Anforderungen nicht schwer zu rechtfertigen sein, für 
einen solchen Pavillon ganz unbedenklich eine Krankengemeinschaft von 
100 oder selbst mehr Patienten zuzulassen. 

Man könnte vielleicht, wenn man von dem bisher geltenden Standpunkte, 
zugunsten der so dringend nötigen Konzentrierungsbestrebungen, in keiner 
Weise etwas konzedieren will, sagen: ja, für den einzelnen Pavillon treffen 
die Erwägungen wohl zu; wenn jedoch eine größere Anzahl solcher Kranken¬ 
gemeinschaften zu 100 Personen auf dem gleichen Terrain untergebracht 
werden soll, wie sonst dieselbe Anzahl kleinerer Krankengemeinschaften, so 
ist eine Verschlechterung in der Zufuhr frischer atmosphärischer Luft zu 
befürchten. Hierauf ist zu erwidern: wer solche Befürchtungen in den 
Vordergrund stellt, kann dieselben mit Leichtigkeit hinfällig machen da¬ 
durch, daß er um die Gesamtheit der Pavillons eine genügend breite Luft¬ 
zone von der Bebauung frei läßt, so daß ein gleich großes Terrain und in¬ 
folgedessen eine gleich große Quelle der Lufterneuerung zur Verfügung 
steht wie bei kleineren Krankengemeinschaften. Eine derartige Anordnung 
würde den Hygienikern strenger Observanz gerecht werden, ohne die Wirt¬ 
schaftlichkeit und die Betriebsvorteile einer rationellen Zentralisierung zu 
beeinträchtigen, natürlich abgesehen von den größeren Kosten für den 
Terrainerwerb. Letztere spielen jedoch für die Lasten der Dezentralisation 
häufig nur eine geringere Rolle. Der weitaus überwiegende Anteil kommt auf 
die Erhöhung der Baukosten, sowie auf die Verteuerung und Erschwerung des 
Betriebes bei einer zu großen Anzahl über eine weite fläche verteilter Gebäude. 


In technischer Beziehung stellt das Terrassensystem den Konstrukteur 
vor ganz neue Aufgaben. Mit Hilfe von Eisenbeton lassen sich dieselben 
aber zu voller Zufriedenheit lösen. Auch andere praktische Anforderungen, 
welche sich aus der neuen Bauart ergeben, sind bei dem heutigen Stande 
der Technik ohne besondere Schwierigkeit zu erfüllen. 

Der demnächst im Buchhandel erscheinende Vortrag enthält die Grund¬ 
rißpläne von fünf nach dem Terrassensystem bearbeiteten Projekten: eines 
abgeschlossenen Krankenhauses für 100 Betten, das von einer Berliner 
Eisenbetongesellschaft für 175 000 vlt erbaut wird, zweier drei- bzw. vier¬ 
geschossiger Pavillons für je 100 Betten, eines Sanatoriums, das auch als 
Hotel oder vornehmes Mietshaus ausgebaut werden könnte, und eines 
Arbeiterwohnhauses. 


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208 Dr. med. D. Sarason, Ein neues Bansystem für Krankenanstalten n. Wohnhäuser. 


Die für Krankenanstalten hervorgehobenen Vorteile des Terrassen Systems 
treffen in vollem Maße auch für Wohnhäuser zu. Einen besonderen Reiz 
hätte es für die Erbauung ganzer Straßen und Stadtteile in Vor¬ 
orten. Das wäre, da die Terrassen natürlioh gartenartig ausgebildet 
würden, ein hervorragender Anziehungspunkt für vornehmere Gegenden. 

Eine geradezu umwälzende Bedeutung jedoch müßte die Anwendung 
des Terrassensystems auf die Mietskasernen für Arbeiter und kleine 
Leute gewinnen. Die körperlichen, geistigen und sittlichen Folgen, welche 
sich aus der Möglichkeit ergeben würden, daß gerade die unbemittelten 
Klassen, schon von Kindheit an, bei ihrer in der Regel ganz vernachlässigten 
Körperpflege und dem für Nichttrainierte gewöhnlich unerträglichen Zustande 
ihrer Zimmeratmosphäre, sich ohne die geringste Energieentfaltung, 
im Anschluß an ihr Zimmer, und im Bereiche ihrer Wohnung ver¬ 
bleibend, jeden Moment aus ihrer Stickluft unter freien Himmel 
hinaus retten können und, bei günstiger Witterung, geradezu verlockt 
werden müßten, sich zeitweise aus dem schädlichen Klima ihrer mit Un¬ 
reinigkeit und AusBcheidungsstoffen überreichlich durchsetzten Kleidung zu 
befreien, um ihren nackten Körper, eventuell stundenlang, in freier 
Luft und Sonne zu baden, diese Folgen würden mit zwingender Not¬ 
wendigkeit sich als so überaus weittragend und alle Lebens Verhältnisse 
durchdringend erweisen, daß hiermit eine neue und großartige Grund¬ 
lage sozialer Fürsorge geschaffen wäre. 

Die ganze Tuberkulosefrage würde, um nur ein wichtiges Beispiel 
herauszugreifen, dort, wo das Terrassensystem für Arbeiterhäuser Verwen¬ 
dung fände, an der Wurzel gefaßt werden, denn es unterliegt keinem Zweifel, 
daß die Wohnungs- und Freiluftnot für die Vernichtungskraft 
der Tuberkulose mit an erster Stelle verantwortlich gemacht 
werden muß. 

Selbstverständlich kann man vom praktischen Standpunkte der realen 
Verhältnisse nur dann erwarten, das Ideal des Terrassen Systems für Gro߬ 
stadthäuser in die Wirklichkeit zu übertragen, wenn man in der Lage ist, 
es mit den berechtigten ökonomischen Interessen zu vereinigen. 

Diese ökonomische Berücksichtigung ist zu erreichen «durch Vergröße¬ 
rung der Baufläche, genau entsprechend dem vergrößerten, nach oben pro¬ 
gressiv zunehmenden, trichterförmigen Einfallswinkel für Licht und Luft, 
wie er sich bei gegenüberstehenden Gebäuden aus dem Terrassen System er¬ 
gibt. Es müßte daher eine Ergänzung der Bauordnungen erwirkt werden, 
daß für Terrassenhäuser stets Dispense für eine den vorliegenden Plänen 
angemessene Vergrößerung der zulässigen Bebauungsfläche zu erteilen sind. 

Es ist mit Sicherheit zu erwarten, daß diese selbstverständliche und 
einwandfreie Forderung erfüllt werden wird, um die Realisierung des 
Terrassensystems für Arbeiterhäuser zu ermöglichen. Denn die Woh¬ 
nungsfrage der unbemittelten Klassen bildet einen Angelpunkt 
der Gesundheit, Kraft, Leistungsfähigkeit, Bildung und Ge¬ 
sittung des Volkes. 


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Kritiken und Besprechungen. 


209 


Kritiken und Besprechungen. 


Räuber, H.: Zusammenstellung der gesetzlichen Bestimmun¬ 
gen, Erlasse und Verfügungen für das Medizinalwesen 
in Preußen nebst Kreisarztgesetz und Dienstanweisung für die 
Kreisärzte, für Medizinal- und Verwaltungsbeamte, Landräte, Ober¬ 
bürgermeister, Bürgermeister, Amtsvorsteher, Orts- und Gemeinde¬ 
vorsteher, Veterinärbeamte, Juristen, Ärzte und Apotheker. Leipzig, 
F. Leineweber, 1907. 

Mit der vorliegenden Zusammenstellung beabsichtigte der Verf. allen 
mit dem Medizinalwesen in nähere Berührung kommenden Personen eine 
kurze kompendiöse, übersichtliche Sammlung der Bestimmungen über das 
Medizinalwesen zu liefern, in welcher diese dem Inhalt entsprechend zu- 
Bammengestellt sind und leicht aufgefunden werden können. Um dies zu 
ermöglichen, wurden die Erlasse nicht im Wortlaut wiedergegeben, sondern 
nur auszugsweise nach ihrem hauptsächlichsten Inhalt und möglichst mit 
Quellenangabe, um ein schnelles Auffinden in den Ministerialblättern usw. 
zu ermöglichen. Der Stoff ist an die im Wortlaut abgedruckte Dienstan¬ 
weisung für die Kreisärzte angegliedert, wodurch die Benutzung und Orien¬ 
tierung wesentlich erleichtert wird. 

Das Büchlein kann den beteiligten Kreisen für Zwecke schneller Orien¬ 
tierung als brauchbarer Ratgeber empfohlen werden. (E. R.) 


Lehrbuch der Fleischhygiene. Mit besonderer Berücksichtigung 
der Schlachtvieh- und Fleischbeschau. Für Studierende der Veterinär¬ 
medizin, Tierärzte, Fleischbeschauer, Ärzte und Verwaltungsbeamte. 
Von Medizinalrat Dr.phil. Richard Edelmann, Königl.Sächs.Landes¬ 
tierarzt, Professor an der Königl. Tierärztlichen Hochschule zu Dresden. 
Mit 2 Farbentafeln und 201 Teltabbildnngen. Zweite umgearbeitete 
Auflage. Jena, Gustav Fischer, 1907. 

Wenn der Herr Verfasser in der Vorrede zu der 1. Auflage erklärt, 
daß sein Wei:k entstanden sei, um dem Wunsche vieler nachzukommen und 
ein zur Unterweisung der Studierenden der Veterinärmedizin in der Schlacht¬ 
vieh- und Fleischbeschau geeignetes knappes Buch zu schaffen, so wird man 
sagen können, daß es ihm durchaus gelungen ist, die gesamte Materie in 
einer, dem gesteckten Ziele entsprechenden Weise darzustellen — knapp nicht 
in dem Sinne, als wenn dadurch eine Art Repetitorium zustande gekommen 
wäre, sondern insofern, als jegliche Weitschweifigkeit vermieden und doch 
der Stoff erschöpfend behandelt ist. Knapp und abgerundet ist jedes Kapitel, 
wie aus einem Gusse das ganze Werk, so daß es für jeden, der Belehrung 
in ihm sucht, ein Vergnügen sein muß, sich darin zu vertiefen. Dabei ist 
bei aller Knappheit das gesamte Gebiet der Schlachtvieh- und Fleischbeschau 

Vierte ljahrsachrift für GerondheiUpflege, 1908. 24 


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210 


Kritiken und Besprechungen. 


einschließlich der damit zusammenhftngenden Nebenzweige berücksichtigt. 
Polizei*, Sanitäts- and Schlachthoftierärzte wie Verwaltungsbeamte finden 
darin alles, was sie suchen. Auch ist durch eine geschickte, durch verschie¬ 
denen Druck unterstützte Anordnung das Hauptsächlichste hervorgehoben 
vor dem weniger wichtigen, eine Einteilung, die das rasche Nachschlagen 
und die schnelle Orientierung wesentlich erleichtert. 

Die Einteilung der 1. Auflage hat sich bewährt und ist die gleiche 
geblieben. In dem I. Kapitel wird die Gewinnung und Herkunft der Fleisch¬ 
nahrung beschrieben. Hier erregen namentlich die Unterabteilungen: Ge¬ 
flügel, Wildbret, Fische, Krustentiere, Weichtiere, Reptilien und Amphibien, 
die Aufmerksamkeit des Fachmannes. Es gibt kein zweites Werk, in dein 
diese Tiere, soweit sie zur menschlichen Nahrung dienen, in gleich vorzüg¬ 
licher Weise beschrieben sind. Das II. Kapitel handelt von der Morphologie 
und Chemie der wichtigsten Gewebe und Organe der Schlachttiere. Hier hat 
namentlich der Abschnitt über die Verfahren zur Unterscheidung des Fleisches 
der verschiedenen Schlachttiere eine gründliche Umarbeitung erfahren. Im 
III. Kapitel wird die Verarbeitung, Zubereitung und Konservierung des 
Fleisches besprochen. Das IV. Kapitel bringt die gesetzlichen Grundlagen 
zur Durchführung von Maßnahmen auf dem Gebiete der Fleischhygiene, das 

V. Kapitel die Organisation und Ausführung der Schlachtvieh- und Fleisch¬ 
beschau unter Berücksichtigung der neuesten gesetzlichen Vorschriften. Im 

VI. Kapitel: „Entscheidungen der Fleischbeschauer und Behandlung beschlag¬ 
nahmten Fleisches“, ist der Abschnitt über die Behandlung des bedingt taug¬ 
lichen und untauglichen Fleisches vollkommen umgearbeitet und die neuesten 
Apparate zum Dämpfen bzw. zur unschädlichen Beseitigung des Fleisches 
beschrieben und abgebildet worden. Auch im VH. Kapitel, das den abnormen 
Zuständen und Krankheiten der Schlachttiere gewidmet ist, findet man sorg¬ 
fältige Berücksichtigung der neuesten Forschungen. So sind die Abschnitte 
über Piroplasmosen, Bradsot, Schafpocken entsprechend erweitert. Des¬ 
gleichen im VIII. Kapitel bei den postmortalen Veränderungen des Fleisches 
der Abschnitt über Fäulnis. Das IX. Kapitel handelt von der Untersuchung 
und Beurteilung von zubereitetem und konserviertem Fleische, sowie von 
Geflügel, Wildbret, Fischen, Amphibien, Krusten- und Weichtieren. Sehr 
sorgfältig ist dann das folgende X. Kapitel, „Fleischvergiftungen“, durch¬ 
gesehen und dem heutigen Standpunkte der Wissenschaft angepaßt worden, 
während Kapitel XI: „Geschichte der Fleischhygiene“, naturgemäß ohne 
wesentliche Änderungen aus der 1. Auflage übernotnmen werden konnte. 
Dagegen zeigt das letzte Kapitel: „Schlacht- und Viehhöfe“, ebenfalls eine 
sorgfältige Beachtung aller Fortschritte der Technik. Ganz neu aufgenommen 
sind in dieser Auflage Hinweise auf gesetzliche Vorschriften über den Tier¬ 
transport, Angaben über die Kennzeichnung lebenden Schlachtviehes, Tabellen 
über die Ausnutzungsfähigkeit verschiedener KleiBchnahrungsmittel (nach 
König), eine Zusammenstellung des Untersuchungsganges bei der Fleisch¬ 
beschau der verschiedenen Haustiere, die Pseudomaulseuche, die Pyobacillose 
der jungen Schweine u. a. m. Ebenso sind eine Reihe von Abbildungen 
durch bessere ersetzt und 29 neue aufgenommen, wodurch die Illustration 
des Werkes auf eine kaum übertreffbare Höhe gestellt wurde. Sie ist, kurz 
gesagt, vorzüglich. Daß bei diesen Verbesserungen der Umfang sich nur 


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Kritiken und Besprechungen. 


211 


um 53 Seiten vermehrt hat, ist, wenn auch mehr noch als bei der 1. Auf¬ 
lage Kleindruck angewendet wurde, ein weiterer Beweis für das alte Sprich¬ 
wort: „In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.“ Und ein Meister¬ 
werk ist hier geschaffen, ein prächtiges Dokument für die Bedeutung und 
den wissenschaftlichen Ausbau der Fleischhygiene, für das alle Fachleute 
dem Herrn Verfasser nur dankbar sein können. Dr. Bündle. 


Grundzüge der Hygiene unter Berücksichtigung der Ge¬ 
setzgebung des Deutschen Reichs und Österreichs, be¬ 
arbeitet von Dr. W. Prausnitz, o. ö. Professor der Hygiene, Vor¬ 
stand des hygienischen Institutes der Universität und der staatlichen 
Untersuchungsanstalt für Lebensmittel in Graz, für Studierende an 
Universitäten und technischen Hochschulen, Ärzte, Architekten, In¬ 
genieure und Verwaltungsbeamte. Achte erweiterte und vermehrte 
Auflage. Mit 253 Abbildungen. München, J. F. Lehmanns Verlag, 
1908. 

Die Tatsache, daß innerhalb 16 Jahren Prausnitz’ Hygiene 8 starke 
Auflagen erleben konnte, spricht wohl am besten für die Brauchbarkeit und 
auch Beliebtheit der „Grundzüge“. In vorliegender Auflage sind die meisten 
Kapitel vermehrt und dem jeweilig veränderten wissenschaftlichen Stand¬ 
punkte angepaßt worden. Daß dabei das große hygienische Gebiet immer 
noch in praktischer Kürze gebracht wurde, ist doppelt anerkennenswert. Was 
Referent an PrauBnitz’ „Grundzügen“ besonders schätzen gelernt hat: die 
Reichhaltigkeit der geradezu vorzüglichen instruktiven Abbildungen, kann 
auch diesmal wieder mit großer Freude konstatiert werden. 

Die wichtigsten der im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege in 
Deutschland und Österreich erlassenen Gesetze und Verordnungen sind in 
dieser Auflage gleichfalls wieder angeführt. 

Die „Grundzüge“ haben bisher ihren guten Weg in der Öffentlichkeit, im 
wissenschaftlichen Leben gefunden, die vorliegende neue Auflage wird wohl 
ebenso rasch wie ihre Vorgängerinnen Verbreitung finden. 

(S. Merkel, Nürnberg.) 


14 * 


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212 


Neu erschienene Schriften. 


Neu erschienene Schriften über öffentliche 
Gesundheitspflege. 

(116. Verzeichnis.) 


1. Allgemeines. 

Anstalten, medizinische, auf dem Gebiete der Volksgesundheitspflege in Preußen. 
Mit 1 Karte, 2 Plänen u. 128 Abbildungen im Text. Festschrift, dem XIV. Inter¬ 
nationalen Kongreß f. Hygiene u. Demographie, Berlin 1907, dargeboten von 
dem preuß. Minister der geistl., Unterriohts- und Medizinalangelegenheiten. 
(III, 445 S.) gr.-8°. Jena, G. Fischor, 1907. Geb. in Leinw. 6 M 
Arbeiten aus dem kaiserl. Gesundheitsamte. (Beihefte zu den Veröffentlichungen 
des kaiserl. Gesundheitsamtes.) 27. Bd. 1. u. 2. Heft. (S. 1 bis 424, m. 6 Tafeln.) 
Lex.-8*. Berlin, J. Springer, 1907. 21 M Die Abnehmer der Veröffent¬ 
lichungen des kaiserl. Gesundheitsamtes erhalten die Arbeiten zu einem um 
20 Proz. ermäßigten Preise. 

Arbeiten aus den kgl. hygienischen Instituten zu Dresden. (Königl. Zentralstelle 
f. öffentl. Gesundheitspflege u. Hygienisches Institut der königl. sächs. tecbn. 
Hochschule.) 2. Bd. 1. Heft. Zugleich Fortsetzung der Jahresberichte der 
chem. Zentralstelle f. öffentl. Gesundheitspflege. Herausgegeben von Geh. 
Med.-Rat, Minist.-Rat Prof. Dir. Dr. Friedr. Renk. (III, 114 S. m. 3 Tafeln 
u. 4 Tabellen.) Lex.-8°. Dresden, v. Zahn u. Jaensch, 1907. 8 M 
Archiv f. Schiffs- u. Tropenhygiene, unter besonderer Berücksichtigung der Patho¬ 
logie u. Therapie. 11. Bd. HerauBgegeben von Dr. C. Mense. gr.-8°. Leipzig, 
J. A. Barth. — 3. Beiheft. Giemsa, Assist. G., u. Vol.-Assist. Dr. H. Schau- 
mann: Pharmakologische u. chemisch - physiologische Studien über Chinin. 
(84 S.) 1907. Subskr.-Preis 2,40 M; Einzelpreis 3 M 
Bremen in hygienischer Beziehung. Herausgegeben von Prof. Dr. Tjaden. (IV, 
396 S. mit Abbildungen und 2 Tafeln.) Lex.-8°. Bremen, G. Winter Verl., 
1907. Geb. in Leinw. 10 M 

Brouardel, Chantemease et Mosny. Traite d’hygiene; fase. XIII: Hygiene 
rurale, par. MM. Imbeaux et Rolants, in-8*, 6 fres.; J.-B. Bailliere et fils. 
1 vol. Cart., 7,50 fres. 

Ehrlich, Geh. Med.-Rat, Dir. Prof. Dr. Paul: Das königL Institut f. experimen¬ 
telle Therapie zu Frankfurt a. M. Mit 2 Lageplänen u. 4 Abbildungen im 
Text. [Aus: „Festschr. z. XIV. Internat. Kongreß f. Hygiene u. Demogr.“] 
(20 S.) gr.-8®. Jena, G. Fischer, 1907. 0,50 M 
Gaffky, Geh. Ob.-Med.-Rat, Dir. Dr.: Das königl. Institut f. Infektionskrankheiten 
in Berlin. [Aus: „Festschr. z. XIV. Internat. Kongreß f. Hygiene u. Demogr.“] 
(44 S. m. 20 Abbildungen.) gr.-8°. Jena, G. Fischer, 1907. 1 M 
Handbuch der Krankenanstalten in Preußen 1906. Im Aufträge Sr. Exzellenz 
des Herrn Ministers der geistl., Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten 
herausgegeben von der Medizinalabteilung des Ministeriums. (VII, 471 S.) 
Lex.-8°. Berlin, J. Springer, 1907. 15 M; geb. in Leinw. n. 16,50 M 
Xlenke, Dr. Herrn.: Der Frauenarzt. Lehrbuch der Gesundheitspflege f. das 
weibl. Geschlecht. Zur selbständigen Erkenntnis und Beseitigung der weib¬ 
lichen Krankheitsanlagen und Erkrankungsgelegenheiten. Nebst Unterricht 


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Neu erschienene Schriften. 


213 


in der weiblichen Krankenpflege und in den nötigsten Hilfeleistungen yon 
Frauenhand an sich selbst und anderen ihres Geschlechts. 7. neu vermehrte 
und verbesserte Auflage. (XI, 425 S. mit Abbildungen.) 8°. Leipzig, 
E. Kummer, 1907. 4,50 M', geb. 5,70 M 

Lion, Stabsarzt Dr. Alex.: Tropenhygienisohe Ratschläge. (99 S.) gr.-8°. München, 
Verlag der ärztl. Rundschau, 1907. 1,50 M 
Parkes, Louis C. and Kenwood, Henry R.: Hygiene and Public Health. 8rd ed. 

Illust. 8vo, pp. 632. H. K. Lewis, net, 10/6. 

Prausnits, Prof. Vorst. Dr. W.: Grundzüge der Hygiene unter Berücksichtigung 
der Gesetzgebung des Deutschen Reiches und Österreichs. Für Studierende 
an Universitäten und technischen Hochschulen, Ärzte, Architekten, Ingenieure 
und Verwaltungsbeamte. 8. erweiterte und vermehrte Auflage. (IV, 592 S. 
mit 263 Abbildungen.) gr.-8°. München, J. F. Lehmanns Verlag, 1908. 8 M\ 
geb. in Leinw. 9 M 

Reich, das Deutsche, in gesundheitlicher und demographisoher Beziehung. Fest¬ 
schrift, den Teilnehmern am XIV. Internationalen Kongresse für Hygiene und 
Demographie, Berlin 1907, gewidmet vom kaiserl. Gesundheitsamts und vom 
kaiserl. statistischen Amte. (VII, 331 S. mit 30 zum Teil farbigen Tafeln.) 
Lex.-8*. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1907. Geb. in Leinw. 12 M> 
Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches Sanitätswesen. 
Unter Mitwirkung der königl. wissenschaftlichen Deputation für das Medizinal¬ 
wesen im Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegen¬ 
heiten herausgegeben von Proff. DD. Geh. Ob.-Med.-Rat A. Schmidtmann 
und Geh. Med.-Rat F. Strassmann. 3. Folge. 34. Bd. Jahrgang 1907. 
Supplementheft (III, 328 S.) gr.-8°. Berlin, A. Hirschwald, 1907. 8 Ms 
Vierteljahrssohrift für öffentliche Gesundheitspflege. 39. Bd. 3. und 4. Heft. 

I. Hälfte. Braunschweig, Friedr. Vieweg & Sohn. 13 Ms 
Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 57. Bd. 1. und 2. Heft. 
Leipzig, Veit & Co. 13 M 

Zeitschrift für soziale Medizin, Medizinalstatistik, Arbeiterversicherung, soziale 
Hygiene und die Grenzfragen der Medizin und Volkswirtschaft. Heraus¬ 
gegeben von DD. A. Grotjahn und F. Kriegei. 3. Bd. 4 Hefte. (1. Heft. 
96 S.) gr.-8°. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1907. 12,60 M, 

2. Statistik und Jahresberichte. 

Ballod, Privatdozent, Prof. Dr. C.: Sterblichkeit und Lebensdauer in Preußen. 
[Aus: „Zeitschrift des königl. preuß. statistischen Landesamtes".] (61 S.) 
32 X 28 cm. Berlin, Verlag des kaiserl. statistischen Landesamtes, 1907. 1,60 Ms 
Beiträge zur Statistik der Stadt Karlsruhe. Im Aufträge des Stadtrates heraus¬ 
gegeben vom statistischen Amte. 30,5 X 28,5 cm. Karlsruhe, G. Braunsche 
Hof-Buchdruckerei. — Nr. 20. Ergebnisse der Wohnungszählung von 1. De¬ 
zember 1906. (50 S. mit 2 Plänen.) 1907. Bar 1,80 M. Nr. 1, 2, 4, 6, 
9 bis 16 und 17 bis 19 sind nicht im Handel. 

Daten, statistische, über die Stadt Wien. 23. Jahrgang. (VIII, 40 S.) 11,9 X 7,7 cm. 

Wien, Gerlach & Wiedling, 1907. Bar nn. 0,40 Ms 
Generalbericht über die Sanitätsverwaltung im Königreich Bayern. Heraus¬ 
gegeben vom königl. Staatsministerium des Innern. Bearbeitet im königl. 
statistischen Bureau. 35. Bd. (Neue Folge, 34. Bd.), das Jahr 1904 umfassend. 
Mit 24 Tabellen, 6 Kartogrammen und 5 Diagrammen. (V, 334 u. 64 S.) 
Lex.-8*. München, F. Bassermann, 1907. 10 M> 

Government ofIndiaPublications. Sanitary Report, Central Provinces, 1905. 1/6. 
Government of India Publications. Sanitary Report, North-West Frontier 
Province, 1906. 1/. 

Handbuch, statistisches, der Stadt Frankfurt am Main. Im Aufträge des Magi¬ 
strats herausgegeben durch das statistische Amt. 1. Ausgabe. Enthält die 


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214 


Neu erschienene Schriften. 


Statistik bis zum Jahre 1905/6. (XX, 305 S.) Lex.-8. Frankfurt a. M., 
J. D. Sauerländer, 1907. Bar 2 

Handbuch, österreichisches statistisches, für die im Reichsrate vertretenen 
Königreiche und Länder. Nebst einem Anhänge für die gemeinsamen An¬ 
gelegenheiten der österreichisch-ungarischen Monarchie. Herausgegeben von 
der k. k. statistischen Zentralkommission. 25. Jahrgang. 1906. (IV, 420 S.) 
Lex.-8 # . Wien, C. Gerolds Sohn, 1907. 6 .H> 

Jahrbücher der hamburgischen Staatskrankenanstalten. Herausgegeben von 
Dirr. Proff. DD. Lenhartz, Reye, Deneke, Neuberger, sowie den Ärzten 
der Anstalten unter Redaktion von Prof. Dr. Lenhartz. 11. Bd. Jahr¬ 
gang 1906. (VIII, 110 und 309 S. mit 72 Abbildungen und 1 Tafel.) gr.-8®. 
Hamburg, L. Voss, 1907. Geb. in Leinw. 18 

Jahrbuch, statistisches, der Stadt Wien für das Jahr 1905. 23. Jahrgang. Be¬ 
arbeitet von der Magistratsabteilung XXI für Statistik. (XIV, 934 S.) Lex.-8". 
Wien, Gerlach & Wiedling, 1907. Geb. in Leinw. bar nn. 10 

Jahrbuch, statistisches, der Stadt Zürich. Herausgegeben vom statistischen Amt 
der Stadt Zürich. 2. Jahrgang. 1906. (III, 156 S.) gr.-8°. Zürich, Rascher 
& Co., 1907. Kart. 1,60 

Mitteilungen des statistischen Landesamtes des Königreichs ßöhmen. Deutsche 
Ausgabe. Lex.-8°. Prag, J. G. Calve. — 9. Bd. Aus den Ergebnissen der 
gewerblichen Betriebszählung vom 3. Juni 1902 im Königreich Böhmen. (IV, 
CXXVIII, 321 S.) 1907. 8 M 

Mitteilungen, medizinal-statistische, aus dem kaiserl. Gesundheitsamte. (Bei¬ 
hefte zu den Veröffentlichungen des kaiserl. Gesundheitsamtes.) 11. Bd. (III 
und S. 1 bis 101.) Lex.-8°. Berlin, J. Springer, 1907. 3 

Mitteilungen, statistische, veröffentlicht vom statistischen Amte der Stadt 
Amsterdam. Lex.-8*. Amsterdam, J. Müller. — Nr. 19. Saltet, Prof. R. H., 
und Ph. Falkenburg, DD.: Kindersterblichkeit, besonders in den Nieder¬ 
landen. (VII, 98 S. mit Figuren und 1 Tafel.) 1907. nn. 1,70 Jk 

Sitzungsberichte der medizinischen Gesellschaft zu Magdeburg 1906. [Aus: 
„Münch, med. Wochenschrift“.] (XI, 89 S. mit 2 Abbildungen.) gr.-8°. 
München, J. F. Lehmanns Verlag, 1907. 3 JL 

Sitzungsberichte der rheinisch-westfälischen Gesellschaft für innere Medizin 
und Nervenheilkunde. 4. Jahrgang. 1906/07. [Aus: „Münch, med. Wochen¬ 
schrift“.] (VIII, 40 S. mit 1 Figur.) gr.-8°. München, J. F. Lehmanns 
Verlag, 1907. 1,20 .H, 

Veterinär-Sanitätsberioht, statistischer, über die preußische Armee und das 
XIII. (königl. württembergische) Armeekorps für das Rapportjahr 1906. (IV, 
194 S. mit graphischen Figuren.) Lex.-8°. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 
1907. 7,50 

Zeitschrift für schweizerische Statistik. 1907. 3. bis 5. Lieferung. Bern, 

Francke. 5 .H> 

3. Wasserversorgung, Entwässerung und Abfuhr. 

Bibliothek der gesamten Technik. 8°. Hannover, Dr. M. Jänecke. — 67. Bd. 
Rottmann, Zivilingenieur Walt.: Die Untersuchung und Verbesserung des 
Wassers für alle Zwecke seiner Verwendung. Mit 71 Figuren im Texte. (VII, 
160 S.) 1907. 2,20 geb. 2,60 Jt, 

Bligh, W. G.: The Practical Design of Irrigation Works. Roy. 8vo., pp. 414. 
Constable, net, 21/. 

Boehmer, Baurat, Kulturinsp.-Vorst. B. v.: Die Wasserversorgung des Rhein- 
Selz-Gebietes. Mit 10 Tafeln und 26 Abbildungen. Photographische Auf¬ 
nahmen von Hof-Photograph Metz, Tafeln gezeichnet von Geometer Häring. 
(IV, 55 S.) Lex.-8°. München, R. Oldenbourg, 1907. 4,50 M 


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Neu erschienene Schriften. 2i5 

Dunbar, Dir. Prof. Dr.: Leitfaden für die Abwasserreinigungsfrage. (XXIV, 
386 S. mit 147 Abbildungen.) 8°. Mönchen, R. Oldenbourg, 1907. Geb. in 
Leinw. 9 Ji 

Kade, Carl: Die Beaeitignng der Rieselfelder von Groß-Berlin. (16 S.) 8'. Berlin, 
Baedeker & Moeller, 1908. 0,50 Ji 

Malmöjao, Comment epurer son ean, av. 12 fig., in-18. Vigot freres. 8,50 frcs. 

Mitteilungen aus der königl. Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und Ab¬ 
wässerbeseitigung zu Berlin. Heransgegeben von Proff. DD. Geh. Ob.-Med.- 
und vortr. Rat, Anstaltsleiter A. Sohmidtmann und Geh. Med.-Rat, Anstalts¬ 
vorsteher Carl Günther. 9. Heft. (III, 210 S. mit 38 Figuren, 4 Tafeln 
und 2 Blatt Erklärungen.) gr.-8 # . Berlin, A. Hirschwald, 1907. 8 Ji 

Naegele, Dr. Otto: Die Wasserversorgung in Bayern. Eine Darstellung sämt¬ 
licher einsehlägigen volkswirtschaftlichen, zivilrechtlichen, Verwaltungs- und 
verwaltungsrechtlichen, sowie finanziellen Fragen der Wasserversorgung, von 
dem Ursprünge des Wassers bis zu seinem Verbrauche unter Zugrundelegung 
des neuen bayerischen Wassergesetzes. (Vin, 103 8.) gr.-8°. München, 

J. Schweitzer Yerlag, 1908. 2,80 Ji 

S&lomon, Reg.- und Geh. Med.-Rat Dr. Herrn.: Die städtische Abwässerbeseiti¬ 
gung in Deutschland. W r örterbuchartig angeordnete Nachrichten und Beschrei¬ 
bungen städtischer Kanalisations- und Kläranlagen in deutschen Wobnplätzen. 
(Abwässerlexikon.) II. Bd. 3. Lieferung. Das Odergebiet, einschließlich der 
zur Ostsee gehörigen Küstenflüsse in Schleswig-Holstein, Mecklenburg und 
Pommern. Das Weichsel-, Pregel- und Memelgebiet. (V und S. 447 bis 874 m. 
76 Abbildungen und 23 Tafeln.) Lex.-8°. Jena, G. Fischer, 1907. Subskr.- 
Preis 14,50 Ji] Einzelpreis 18 Ji 


4. Straßen-, Bau- und Wohnungshygiene. 

Bau- und Feuerordnung für die Landgemeinden einschließlich der amtssässigen 
Städte und Flecken des Regierungsbezirks HildeBheim vom 12. Juni 1907 mit 
Abdrücken sonstiger bau- und feuerpolizeilicher Vorschriften. (IV, 74 S.) 8°. 
Hildesheim, A. Lax, 1907. Kart. 1 Ji 

Ehmig, Senator, Regierungsbanmeister: Streifzüge im Gebiete des Städtebau¬ 
wesens und der Städtebaukunst. Vortrag. (34 S.) Rostock, Stiller, 1907. 
0,30 

Fuchs, Prof. Dr. Carl Johs.: Zum Streite um Kleinhaus und Mietkaserne. Er¬ 
widerung. [Aus: „Kritische Blätter für die gesamten Sozialwissenschaften“.] 
(11 S.) Lex.-8°. Dresden, 0. V. Böhmert, 1907. 0,50 Ji 

Handbuch der Ingenieurwissenschaften in 5 Teilen. I. Teil. Vorarbeiten, Erd-, 
Grund-, Straßen- und Tunnelbau. 4., vermehrte Auflage. 4. Bd. Straßenbau 
einschließlich der Straßenbahnen. Bearbeitet von F. v. Lai b sie f, heraus¬ 
gegeben von Prof. L. v. Will mann. 1. Lieferung: Landstraßen, städtische 
Straßen. Mit 214 Textabbildungen und 12 lithographischen Tafeln. (V und 
VI und S. 1 bis 384, mit 1 Bildnis.) Lex.-8°. Leipzig; W. Engelmann, 1907. 
11 .H 

Xupffer, Dozent, Architekt E.: Das Arbeiterwohnhaus auf der „Ausstellung für 
Arbeiterwohnungen und Volksernährung“, Riga 1907. Zusammengestellt im 
Aufträge des Ausstellungskomitees. Nebst einem Nachtrage über die Lauben¬ 
gärten von Stadtgartendirektor G. Kuphaldt. (IV, 69 S. mit Abbildungen.) 
gr.-8®. Riga, G. Löffler, 1907. 2,20 Ji 

Mangold, Beigeordneter Emil: Baupolizeiverordnung für die Stadt Düsseldorf 
vom 8. Mai 1907, Polizeiverordnung betreffend Anwendung der Bestimmungen 
des IV. Teiles der Baupolizeiverordnung vom 8. Mai 1907 auf die einzelnen 
Straßen und Gebiete der Stadt, nebst einem Anhänge, enthaltend die neben 
der Baupolizeiverordnung geltenden wichtigsten Gesetze, Ministerialerlasse 


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216 


Neu erschienene Schriften. 


und Verordnungen auf dem Gebiete der Baupolizei. Handausgabe mit Er¬ 
läuterungen, Abbildungen im Texte, Str&ßenverzeichnis, Sachregister und 
Stadtplan. (XII, 412 S.) gr.-8*. Düsseldorf, A. Bagel, 1907. Geb. in Leinw. 6 Jh 

Mariö-Davy, M.-F.: Assainissement et salubrite de l’habitation (874 p.), in-8*, 

J. Rousset. 20 frcs. 

S amml ung Göschen. 348. Nussbaum, Prof. H. Chr.: Die Hygiene dee Städte¬ 
baues. Mit 30 Abbildungen. (164 S.) — 363. Nussbaum, Prof. H. Chr.: 
Die Hygiene des Wohnungswesens. Mit 20 Abbildungen. (104 S.) kl.-8*. 
Leipzig, G. J. Göschen, 1907. Geb. in Leinw. jedes Bändchen 0,80 Jk 

Sohluseers bau- und feuerpolizeiliche Vorschriften im Großherzogtum Baden. 
(Zum praktischen Gebrauche zusammengestellt.) 4., nach dem Stande rom 
September 1907 ergänzte Auflage, enthaltend die Landeebauordnung vom 
1. September 1907 nebst Vollzugsbestimmungen. Neubearbeitet von Ober¬ 
amtmann F. M. Franz. (VIII, 460 S.) kl.-8°. Karlsruhe, J. Lang, 1907. Geb. 
in Leinw. 3,26 Jk 

Voigt, Prof. Dr. Andr.: Zum Streit um Kleinhaus und Mietkaserne. Eine Ant¬ 
wort auf die Angriffe von Dr. Rudolf Eberstadt in Berlin und Prof. 
Dr. Carl Johannes Fuchs in Freiburg i. B. [Aus: „Kritische Blätter für 
die gesamten Sozialwissenschaften“.] (31 S.) Lex.-8°. Dresden, 0. V. Böhmert, 
1907. 0,50 Jk 

Stade, Architekt, Baugewerkenschaftslehrer Prof. Frz.: Die Schule des Bau¬ 
technikers. Lehrhefte zum Selbstunterricht im Hochbau und den dazu gehö¬ 
rigen Hilfswissenschaften. — 16. Bd. Wilcke, Ingenieur, Baugewerkenschafts¬ 
lehrer F.: Die Feuerungs-, Lüftungs- und Beleuchtungsanlagen. Lehrbuch 
zum Selbstunterricht. Mit 16 Abbildungen. (VIII, 96 S.) Lex.-8°. Leipzig, 
M. Schäfer, 1907. 2,60 Jt ,; Einband nn. 1,25 

5. Schulhygiene. 

Baur, Dr. A.: Atlas der Volks- und Schulhygiene. Eine Anleitung znr Pflege 
der Gesundheit nebst ausführlicher Betrachtung über die Heilung von Krank¬ 
heiten und die zahlreichen hierfür angewendeten Heilverfahren, sowie ein 
Anhang: Der Beistand bei Krankheiten und Verletzungen. [Aus: „Gesund¬ 
heitspflege fürs Haus“.] (IV, S. 245 bis 602 und X S. mit 284 Abbildungen 
und 10 farbigen Tafeln.) gr.-8®. Eßlingen, J. F. Schreiber, 1907. Geb. in 
Leinw. 6,60 Ji 

Jugend, gesunde. Zeitschrift für Gesundheitspflege in Schule und Haus. — 7. Jahr¬ 
gang. Ergänzungsheft. Verhandlungen der VIII. Jahresversammlung des 
deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege am 21. bis 23. Mai 1907 in 
Karlsruhe, herausgegeben von Privatdozent Dr. H. Selter und Oberlehrer 

K. Roller. (171 S.) gr.-8®. Leipzig, B. G. Teubner, 1907. 2,35 

Taschenbuch, schulhygienisches, herausgegeben von DD. Mor. Fürst, Ver- 

waltungsphysikus Ernst Pfeiffer. (VIII, 384 S. mit 9 Abbildungen und 
1 Tafel.) kl.-8°. Hamburg, L. Voss, 1907. Geb. 4 Ji 

Zimmer, Zahnarzt: Ist die Forderung von Schul-Zahnkliniken eine berechtigte 
Forderung? Eine sozial-hygienische Studie über die Einführung solcher An¬ 
stalten. (71 S.) gr.-8°. Greifswald, L. Bamberg, 1907. 1,50 JL 

6. Hospitäler und Krankenpflege. 

Allihn, Hans: Die Anfangsgründe der häuslichen Krankenpflege. Eine Anleitung 
für hilfsbereite Frauen und Jungfrauen. Durchgesehen von Med.-Rat 
Dr. Kalk off. 9. bis 10. Tausend. 4. Auflage. (X, 119 S.) 8*. Berlin, 
M. Wameck, 1907. 1 Jk 

Cullingworth, Charles J.: A Short Monthly Manual for Nurses. 6th ed., revised 
and enlarged. 12 mo, pp. 136. Churchill, net, 1/6. 


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Neu erschienene Schriften. 217 

Domville, Edward J.: A Manual for Hospital Nurses. 9th ed. 16 mo, pp. 160. 
ChurchilL net, 1/6. 

Düttmann, Dr.: Wegweiser für Krankenpfleger. (Umschlag: 2. Auflage.) (67 S.) 

kL-8*. Montabaur, W. Kalb, 1907. 0,60 JH> 

Einführung in das weimarische Taschenbuch der Krankenpflege, Teil A, S. 1 
bis 282, Abschnitt für den Krankenpflegeunterricht. (Herausgegeben von 
Dr. L. Pfeiffer.) (32 S.) kl.-8*. Weimar, H. Böhlaus Nachf., 1907. Kart. 
0,60 M, 

Eamarch, Dr. Friedrich: First Aid to the Injured. Six Ambulance Lectures. 
Translated from the German by H. R. H. Princess Christian, 7 th and enlarged 
ed. With additional Illust. Cr. 8vo, pp. 153. Smith Eider, net, 2/. 
Krankenzeitung. Herausgeber und Schriftleiter: Dr. M. Mader. 2. Jahrgang. 
Juli 1907 bis Juni 1908. 12 Nummern. (Nr. 17. 4 S.) 31,6x24 cm. Graz 
(Wienerstr. 182), Dr. Mader. Bar 3 M,\ vierteljährlich 1 M, 

Publications of the London County Council. Nursing. Scheines of Instruction 
in First Aid, Home Nursing, Health, and Infant Care, for Evening Schools, 
Session 1907/08. 1 d. 

Witthauer, Oberarzt Dr. Kurt: Leitfaden für Krankenpflege im Krankenhause 
und in der Familie. 3. Auflage. (VIII, 194 S. mit 76 Abbildungen.) gr.-8°. 
Halle, C. Marhold, 1907. Geb. in Leinw. 3 

7. Militär- und Schiffshygiene. 

Arendt, Marine - Generaloberarzt Dr.: Das Marinelazarett Kiel-Wik. Heraus¬ 
gegeben von der Medizinalabteilung des Reichsmarineamts. (27 S. mit Ab¬ 
bildungen, 9 Tafeln und 8 Plänen.) gr.-8°. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1907. 
3 J,; geb. 4 JH, 

Behelfsarbeiten im Feldsanitätsdienste. Sonderabdruok der Ziffern 300 bis 331 
der Krankenträgerordnung vom 15. Mai 1907 und der Ziffern 590 bis 634 der 
Anlagen zur Kriegs-Sanitätsordnung vom 26. Januar 1907. (46 S. mit Figuren.) 
8*. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1907. Bar + 0,60 
Convention et confärence pour Pamelioration du Bort des blesses et malades dans 
les armees en Campagne. 1 vol. in-8°. (Geneve, Arch. diplomatiques, 1906.) 
18 frcs. 

Qarnisonbesohreibungen, vom Standpunkte der Gesundheitspflege aus auf¬ 
gestellt. Herausgegeben von der Medizinalabteilung des königl. preußischen 
Kriegsministeriums. 8. Bd. Militärkuranstalten und Genesungsheime. Mit 

5 Plänen und 36 Tafeln. (VI, 123 S.) gr.-8°. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 
1907. 4 ,H> 

Kühn, Dr. Joe.: Zur Frage der Feldküchenwagen. (39 S.) Lex.-8°. Wien, 
L. W. Seidel & Sohn, 1907. Bar 1 M, 

Kowalk, Generaloberarzt, Garnisonarzt Dr.: Militärärztlicher Dienstunterricht 
für einjährig-freiwillige Ärzte und Unterärzte, sowie für Sanitätsoffiziere des 
Beurlaubtenstandes. 8. vermehrte Anflage. Mit einem Plane des Kriegs¬ 
sanitätsdienstes in Farbendruck. (XIII, 385 S.) gr.-8°. Berlin, E. S. Mittler 

6 Sohn, 1908. 7 geb. 7,75 M, 

Publikationen, militärärztliche. — Nr. 105. Cron, Oberstabsarzt Dr. Karl: 
Kriegswaffen und Feldsanitätsdienst. Ein Kompendium der Waffenlehre und 
Waffen Wirkung für Militärärzte. (Militärische Propädeutik als Einleitung in 
das Studium des Feldsanitätsdienstes. II.) 2. Auflage, revid. von Regiments¬ 
arzt Dr. Wilh. Raschofszky. Mit 39 Figuren im Texte. (IV, 69 S.) 
2 .H> — Nr. 109. Derselbe: Gelände und Feldsanitätsdienst. Ein Kom¬ 
pendium der Terrainlehre für Militärärzte. (Militärische Propädeutik als 
Einleitung in das Studium des Feldsanitätsdienstes. III.) Neue Ausgabe, 
mit Berichtigungen und Zusätzen von Regimentsarzt Dr. Theod. Beyer. 
Mit 156 Figuren im Texte. (VII, 128 S. und 12 Blatt.) 4,40 M> — Nr. 110. 


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218 


Neu erschienene Schriften. 


Derselbe: Beziehungen des Feldsanitätsdienstes zum Felddienste. (Militärische 
Propädeutik als Einleitung in das Stadium des Feldsanitätsdienstes. IV.) 
Neue Ausgabe, mit Berichtigungen und Zusätzen von Regimentsarzt Dr. Frs. 
Kroath. Mit 40 Figuren im Texte. (VI, 141 S. und 32 Blatt.) 4 .H> Lex.-8*. 
Wien, J. Safär, 1907. 

Sanitätaberioht über die kaiserL deutsche Marine für den Zeitraum vom 1. Ok¬ 
tober 1904 bis 30. September 1906. Bearbeitet in der Medizinalabteilung des 
Reichs-Marineamts. (IV, 193 S.) gr.-8°. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1907. 
2 .Hs', geb. 3 .Hs 


8. Infektionskrankheiten, Bakteriologie und Desinfektion. 

Arbeiten aus dem hygienischen Institut der königl. tierärztlichen Hochschule zu 
Berlin. Leiter: Prof. Dr. Ostertag. — Nr. 11. Eberle, Tierarzt Rhold.: 
Untersuchungen über Sporulation der Milzbrandkeime und ihre Bedeutung 
für die Nachprüfung der Milzbranddiagnose. (39 S.) 1,20 .Hs — Nr. 12. 
Neumark, Vol.-Assistent Eug.: Beitrag zur Frage der desinfizierenden Wir¬ 
kung des Lichtes. Sein Einfluß auf tierpathogene Erreger. Mit 1 Tafel. 
(76 S. 2,50 .Hs Lex.-8 # .) Berlin, R. Schoetz, 1907. 

Bacteriologioal Seotion, King Institute of Preventive Medicine, Madras. Report, 

1906. I/II. 

Dunbar, Dir. Prof. Dr.: Zur Frage der Stellung der Bakterien, Hefen und 
Schimmelpilze im System. Die Entstehung von Bakterien, Hefen und Schimmel¬ 
pilzen aus Algenzellen. (VIII, 60 S. mit 3 Figuren und 5 Tafeln.) Lex.-8*. 
München, R. Oldenbourg, 1907. 5 M> 

Festschrift, enthaltend Arbeiten über Tuberkulose, herausgegeben anläßlich der 
Tagung der VI. internationalen Tuberkulosekonferenz, Wien, September 1907 
vom österreichischen Organisationskomitee. Mit 4 Tafeln, 3 Beilagen, 6 Kurven 
und 36 Abbildungen im Texte. (450 S.) Lex.-8°. Wien, W. Brauraüller, 

1907. 15 .Hs 

Geschäftsbuch für Desinfektoren. Mit einem Vorworte von Kreisarzt Geh. 

Med.-Rat Dr. H. Hensgen. (59 S.) 8*. Berlin, E. Staude, 1907. 0,70 JH 
Handbuoh der Technik und Methodik der Immunitätsforschung. Herausgegeben 
von DD. Prof. R. Kraus und C. Levaditi. 1. Bd. 1. Lieferung. (368 S. 
mit 32 Abbildungen und 1 farbigen Tafel.) Lex.-8°. Jena, G. Fischer, 1907. 
15 .H 

Hublö: Guide hygienique contre la tuberculose (16 p.), in-8°. A. Maloine. 0,50 frc. 
Kirchner, Geh. Ob.-Med.-Rat, Vortragender Rat, Prof., Generaloberarzt d. Res. 
Dr. Mart.: Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen 
Reiche unter bes. Berücksichtigung Preußens. Festschrift, dem XIV. inter¬ 
nationalen Kongreß für Hygiene und Demographie dargeboten von dem 
preußischen Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegen¬ 
heiten. (XVI, 335 S.) gr.-8°. Jena, G. Fischer, 1907. 6 .H,- geb. 6 
Kirchner, Geh. Ob.-Med.-Rat, Vortragender Rat, Prof., Generaloberarzt d. Res. 
Dr. Mart.: Über den heutigen Stand der Typhusbekämpfung. [Aus: „Klin. 
Jahrb.“] (34 S. mit 5 Diagrammen und 2 Karten.) gr.-8®. Jena, G. Fischer, 
1907. 1,60 .Hs 

Kurth, G.: La Lepre en Occident avant les croisades (sc. et rel. n° 457), in-16. 
Lib. Bloud. 0,60 frc. 

Legal. No. 694. Public Health, England. Prevention of Epidemie Diseases. 
Regulation of the Local Government Board, September 9, 1907, as to Cholera 
and Plague on Coasting Ships. 1 d. — No. 695. Ditto. As to Cholera and 
Plague on Outward Bound Ships. 1 d. — Nos. 694, 695. Ditto. Circular to 
Port and other Sanitary Authorities. 1 d. — No. 710. Ditto. As to Cholera, 
Yellow Fever, and Plague Ships arriving from Foreign Ports. 1 d. 


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Neu erschienene Schriften. 


219 


Marcuae, Dr. Julian: Im Kampfe um die Gesundheit! Ein ernstes Wort zur 
Bekämpfung der Lungenschwindsucht. (69 S.) 8°. Mannheim, J. Bensheimers 
Verlag, 1907. 0,60 .H> 

Marcuae, Dr. Julian: Im Kampfe um die Gesundheit: Ein ernstes Wort zur 
Bekämpfung der Lungenschwindsucht. (Billige Ausgabe.) (48 S.) 22 X 13 cm. 
Mannheim, J. Bensheimers Verlag, 1907. + 0,20 Ms 

McVail, John C.: The Prevention of Infectious Diseases. Being the Lane Lec- 
tures. 8vo, pp. 306. Macmillan. net, 8/6. 

Martin, G.: Ansteckende Kinderkrankheiten. Masern, Scharlach, Diphtheritis. 
Für die Hand der Eltern bearbeitet. (39 S.) gr.-8°. Leipzig, 0. Borggold, 
1907. 1 M> 

Muir, Robert, and Bitchie, James: Manual of Bacteriology. 4th. ed. Cr. 8vo, 
pp. 630. Pentland. net, 10/6. 

Partridge, William: The Bacteriological Examination of Disinfectants. Cr. 8vo, 
pp. 66. Sanitary Pub. Co. net, 2/6. 

Sauerbeck, Dr. Ernst: Neue Tatsachen und Theorien in der Immunitätsforschung. 
(Aus: „Lubarsch-Ostertag, Ergebnisse, 11. Jahrg.“] (III und S. 689 bis 1014 
mit 5 Tafeln.) Lex.-8°. Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1907. 7,60 .Hs 

Tuberkulosearbeiten aus dem kaiserl. Gesundheitsamte. 6. Heft. (III, 219 S. 
mit 1 farbiger Tafel.) 9 M — 7. Heft. (IV, 107 S.) 4 M Lex.-8°. Berlin, 
J. Springer, 1907. 

Zeitschrift für Tuberkulose. Herausgegeben von B. Frankel, F. Kraus, 
E. v. Leyden, W. v. Leube. Red.: Prof. Dr. A. Kuttner. Gesamtregister 
für die Bde. 1 bis 10. Bearbeitet von Dr. R. Neisse. (71 S.) Lex.-8°. 

Leipzig, J. A. Barth, 1907. 3 M 


9. Hygiene des Kindes. 


I 


Beiträge, Zürcher, zur Rechtswissenschaft, herausgegeben von Proff. A. Egger, 
E. Hafter, H. H. Hitzig und Max Huber. — 17. Schoch, Dr. Otto: Die 
körperliche Mißhandlung von Kindern durch Personen, welchen die Fürsorge¬ 
pflicht für dieselben obliegt. Preisgekrönte Arbeit (142 S.) gr.-8°. Zürich, 
Schulthess & Co., 1907. 3,20 M 

Ebert, Dr. Max: Die Grundsätze einer vernünftigen Säuglingsernährung. Merk¬ 
bogen für Mütter, Pflegemütter und Hebammen. 1. bis 6. Tausend. 42 X 58,5 cm. 
Berlin-Wilmersdorf, Sanitas-Verlag, 1907. 0,50 ,H> (Partiepreise). 

Gesundheit ist das höchste Gut Sich gesund erhalten ist Tugend. (Hygiene¬ 
lehrtafel für Schüler.) Der Jugend gewidmet vom Berliner Verein für Schul- 
gesundheitspflege. 1 Blatt. 80 X 64 cm. Leipzig, Quelle & Meyer, 1907. 
0,50 . H >; Aufzug n — 0,60 M (Partiepreise.) 

Heim-Vögtlin, Dr. Marie: Die Pflege des Kindes im ersten Lebensjahre. 10Briefe 
an eine junge Freundin, im Aufträge des schweizerischen gemeinnützigen 
Frauenvereins verfasste 3., verbesserte Auflage. Nebst einer Tafel über Ge¬ 
wichtszunahme bei Kindern. (63 S.) 8°. Leipzig, R. Gerhard, 1907. 1,20 
geb. in Leinw. bar 1,80 .Hs 

Jahrbuch der Fürsorge. Im Aufträge der Zentrale für private Fürsorge, Frank¬ 
furt a.M., herausgegeben von Dr. Chr. J. Klumker und Wilh. Polligkeit. 
2. Jahrgang. (III, 208 S.) Lex.-8 # . Dresden, 0. V. Böhmert, 1907. 4 M 

Jahrbuch der Krüppelfürsorge. Zugleich Rechenschaftsbericht über das Krüppel¬ 
heim „Alten - Eichen“ zu Stellingen bei Altona. Herausgegeben von Pastor 
Diakonissenanstalts-Direktor D. Thdr. Schäfer 8. Jahrgang. 1906. Mit 
16 Bildern. (96 S.) Lex.-8°. Hamburg, Agentur des Rauhen Hauses, 1907. 
Bar 3 .Hs 


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220 


Neu erschienene Schriften. 


Klinik, medizinische. 3. Jahrgang. 1907. Beihefte. Redigiert von Privatdozent 
Dr. E. Abderhalden. — 11. Monti, Prof. Dr. A.: Die Ernährung der 
Kinder vom ersten Lebensjahre bis zur Pubertät. (S. 291 bis 310.) gr.-8°. 
Berlin, Urban & Schwarzenberg. Jedes Heft 1 
Kühner, Dr. A.: Zur Säuglingssterblichkeit und deren Abhilfe. [Aus: „Reichs- 
Med.-Anz.“] (11 S.) 8°. Leipzig, B. Konegen, 1907. Bar 1 
Müller, Dr. Fritz: Die Ernährung und Pflege des Kindes im ersten Lebensjahre. 

(VI, 77 S.) 8°. Wien, A. Holder, 1908. 1 M, 

Veröffentlichungen des deutschen Vereins für Volkshygiene. Im Aufträge des 
Zentralvorstandes in zwanglosen Heften herausgeg. von San.-Rat Dr. K. Beer¬ 
wald.— 13. Heft. Schlossmann, Dir. Prof. Dr. Arth.: Die Pflege des Kindes 
in den zwei ersten Lebensjahren. 1. Auflage. (1. bis 10. Tausend.) (40 S.) 
8°. München, R. Oldenbourg, 1907. 0,30 
Zeitschrift für Kinderpflege, Jugenderziehung und Aufklärung. Herausgeber: 
Mart. Brandus. Redaktion: Dr. Eug. Neter. Oktober 1907 bis September 
1908. 12 Hefte. (1. Heft. 24 S.) Lex.-8 # . Berlin, Brandus. Halbjährlich 

bar 2,40 ,M> 


10. Vuriola und Vaccination. 

Assemat, E.: Etüde de l’organisation du Service de la vaccine en France par 
application de la loi du 15 fevrier 1902 sur la sante publique (109 p.), in-8°, 
Dirion, ä Toulouse. 3 frcs. 

Kraus, Prof. R., und Dr. R. Volk: Studien über Immunität gegen Variolavaccine. 

Experimentelle Begründung einer subcutanen Schutzimpfung mittels verdünnter 
J Vaccine. [Aus: „Sitzungsber. der kaiserl. Akad. d. Wiss.“] (14 S.) gr.-8*. Wien, 
A. Holder, 1907. 0,50 M, 

Vaccination Report, Eiastern Bengal and Assam, 1906/07. 1/1. 

11. Geschlechtskrankheiten. 

Jaoquet, E'errand: Traitement de la syphilis, in-8°. Masson et Cie. 2,50 frs.; 
cart. 3 frcs. 


12. Gewerbe- und Berufshygiene. 

Arbeitszeit, die, in den Fabrikbetrieben Österreichs. Dargestellt vom k. k. arbeits¬ 
statistischen Amte im Handelsministerium. (XCVI, 459 S. mit 2 farbigen 
Tafeln.) 32 X 24,5 cm. Wien, A. Holder, 1907. 3,60 .M> 

Beaumont, A.: L’Agriculture et la legislation sur les accidents du travail, ex&men 
du projet de loi, in-8 ü . G. Roustan. 2 frcs. 

Berioht, 1., der Kommission zur Bekämpfung des Rauches in Königsberg i. Pr. 
Von Dr. Ascher, Dir. Kobbert, Oberingenieur Rolin, sowie Dr. Hurdel- 
brink. Mit 4 Abbildungen, 2 Tabellen und 1 Muster. [Aus: „Schriften der 
physikalisch-ökonomischen Gesellschaft“.] (S. 121 bis 154 mit Abbildungen.) 
Lex.-8°. Königsberg, W. Koch, 1907. 1,50 JL 

Bericht über die Tätigkeit der Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt für Mähren 
und Schlesien in Brünn für das Verwaltungsjahr 1906. (44 S.) 31 x 23,5 cm. 
Brünn, R. M. Rohrer, 1907. Bar 2 J(> 

Bleivergiftungen in hüttenmännischen und gewerblichen Betrieben. Ursachen 
und Bekämpfung. Herausgegeben vom k. k. arbeitsstatistischen Amte im 
Handelsministerium. VI. Teil. Protokoll über die Expertise, betr. die Farben¬ 
fabriken und die Betriebe mit Anstreicher-, Lackierer- und Malerarbeiten. 
(XII, 55 S.) 32 X24 cm. Wien, A. Holder, 1907. 1,80 .M> 


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Neu erschienene Schriften. 221 

Cabouat, J.: Traite des accidents da tr&vail. T. II, in-16 a . Les Lois nouvelles. 
6 fros. 

Concours, le, ponr l’emploi d’inspecteur et d’inspectrice du travail dans Indu¬ 
strie; guide-programme, in-12°. Berger-Levrault et Cie. 0,75 frc. 

Gewerbeordnung für das Deutsche Reich in ihrer neuesten Fassung (unter 
Berücksichtigung der Gesetze vom 14. Oktober 1905 und 7. Januar 1907). 
Nebst dem Kinderschutzgesetz vom 30. März 1903 und dem Gewerbegerichts - 
gesetz in der Fassung vom 29. September 1901. Textausgabe mit alpha¬ 
betischem Sachregister. 6. Auflage. (VIII, 211 S.) kl.-8°. München, C. H. Beck, 
1907. Geb. in Leinw. 1,20 M 

Heller, Konzip. d. R. Dr. Emil: Das österreichische Gewerberecht mit Berück¬ 
sichtigung der Gewerbenovelle vom 6. Februar 1907, R.-G.-B1. Nr. 26. Syste¬ 
matische Darstellung für die Praxis. (In etwa 20 Lieferungen.) 1. Lieferung. 
(S. 1 bis 48.) gr.-8°. Wien, Manz, 1907. 0,70 M 

Jahresberichte der Gewerbe-Auf sichtsbeamten und Bergbehörden für das Jahr 
1906. Mit Tabellen, einer Übersicht über die Gewerbe-Aufsichtsbeamten, ihr 
Hilfspersonal und die Aufsichtsbezirke, sowie einem Gesamtregister zu den 
Berichten. Amtliche Ausgabe. 4 Bde. (XL, 759; XI, 521; X, 851, 303, 184; VII, 
344, 24, 48, 15, 29, 54, 40, 35, 53, 49, 23, 24, 13, 14, 29, 19, 23, 32, 51, 43, 165 
und 791 S.) gr.-8*. Berlin, R. v. Decker, 1907. Geb. in Leinw. nn 27,50 M 

PoliaeiVerordnung und Arbeitersohutzbestimmungen für Bäckereien und 
Konditoreien. (16 S.) kl.-8*. Berlin, C. Heymann, 1907. nnn 20 M (Partie¬ 
preise). 

Reoueil de documents sur les accidents du travail, reunis par le ministere du 
Travail et de la prövoyance sociale, n # 27, quatrieme rapport sur l’application 
de la loi du 9 avril 18%, av. 34 p. de graphiques (202 p.), in-8°. Berger- 
Levrault et Cie. 2,50 frcs. 

Reoueil de documents sur les accidents du travail, reunis par le ministere du 
Travail et de la Prevoyance sociale, n # 28, notice sur la statistique des acci¬ 
dents du travail en Autriche (81p.), in-8*. Berger-Levrault et Cie. 0,50 frc. 

Roth, E.: Gewerbehygiene. Sammlung Göschen. kl.-8*. Leipzig, G. J. Göschen. 
Geb. in Leinw. 0,80 M 

Verordnungen, die, 1907 für Zigarrenfabriken und Werkstätten der Tabak¬ 
industrie. (14 S.) kl.'-8°. Berlin, C. Heymann, 1907. nnn 0,20 M (Partie¬ 
preise). 

Zacher, fr. Senatsvorsitzender Dr.: Leitfaden zur Arbeiterversicherung des 
Deutschen Reiches. Neu zusammengestellt für den XIV. Internationalen 
Kongreß für Hygiene und Demographie in Berlin 1907. Im Aufträge des 
Reichs-Versicherungsamtes bearbeitet von Zacher, fortgeführt unter Mit¬ 
wirkung von Geh. Regierungsräten DD. Senatsvorsitzendem Prof L. Lass und 
G. A. Klein. 12. Ausgabe. (47 S. mit Figuren.) gr.-8*. Berlin, Behrend & Co. 
Bar nn. 0,25 M (Partiepreise.) 


13. Nahrungsmittel. 

Abhandlungen des staatswissenschaftlichen Seminars zu Jena, herausgegeben 
von Prof. Dr. J. Pierstorff. 4. Bd. — 3. Heft. Wagner, Dr. Curt: Kon¬ 
serven und KonBervenindustrie in Deutschland. Mit einem Anhänge: U p t o n 
Sinclairs „The jungle“. (VII, 113 S.) gr.-8°. Jena, G. Fischer, 1907. 3 M 
Edelmann, Landestierarzt Prof. Med.-Rat Dr. Rieh.: Lehrbuch der Fleischhygiene 
mit besonderer Berücksichtigung der Schlachtvieh- und Fleischbeschau. Für 
Studierende der Veterinärmedizin, Tierärzte, Fleischbeschauer, Arzte und 


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222 


Neu erschienene Schriften. 


Verwaltungsbeamte. 2., umgearbeitete Auflage. (XVI, 404 S. mit 201 Ab¬ 
bildungen und 2 farbigen Tafeln.) Lex.-8°. Jena, G. Fischer, 1907. 10 
geb. 11 

Hausbücher für Gesundheitspflege. — 32. Bd. Goliner, Dr.: Die Ernährung 
des kranken Menschen, insbesondere der Magen- und Darmleidenden. Ein 
populärer Wegweiser für die diätetische Pflege. 2. verbesserte Auflage. 
(75 S.) 8°. Oranienburg, W. Möller, 1907. 1 M 

Milchmerkblatt (Milch und Milcherzeugnisse). Bearbeitet im kaiserl. Gesund¬ 
heitsamte. (8 S. mit 1 Figur.) gr.-8°. Berlin, J. Springer, 1907. Bar nn. 10.46; 
10 Stück 1 .M, 

Varges, Korps-Stabsapotheker, Laboratoriumsvorsteher J.: Nahrungsmittelchemie, 
ein illustriertes Lexikon der Nahrungs- und Genußmittel, sowie Gebrauchs¬ 
gegenstände. (VI, 298 S. mit 178 Abbildungen und 2 farbigen Tafeln.) gr.-8°. 
Leipzig, J. J. Weber, 1907. Geb. in Leinw. 10 

Vogel, Dr. R.: Der Verein für Säuglingsfürsorge Basel. Denkschrift zur Eröff¬ 
nung des Säuglingsheims und der Basler Milohküche. (66 S. mit Titelbild.) 
8°. Basel, Helbing & Lichtenhahn, 1907. 2 .M> 


14. Alkoholismus. 

Arbeiter - Abstinentenbund, deutscher. — Nr. 13. Mayr-Kowalski, Jos.: 
Wie wird man Abstinent? Eine kleine Schrift für denkende Arbeiter. (1. bis 
10. Tausend.) (23 S.) 0,10 .H> — Nr. 14. Katzenstein, Sim,: Moderne 
Jugendbewegung und Alkoholfrage. (1. bis 5. Tausend.) Ausgabe A. (18 S.) 
0,10 .M> — Nr. 16. Vandervelde, Emile: Alkoholismus und soziale Frage. 
Übersetzt von Geo. Davidsohn. (16 S.) 0,10 .M> kl.-8°. Berlin, Deutscher 
Arbeiter-Abstinentenbund, 1907. 

Böhmert, Prof. Dr. Vict.: 200 Urteile über die Alkoholfrage auf Grund von 
Fragebogen für Mäßige und Enthaltsame herausgegeben. In 2 Teilen. Mit 
Generalregister auf der 3. und 4. Umschlagseite. II. Teil. Fragebogen 116 
bis 200. (XVI, III und S. 133 bis 235.) gr.-8°. Dresden, O. V. Böhmert, 
1907. 0,60 .Mi (Vollständig: 1,60 .M>). 

Büchner, Prof. Dr. H.: Die studierende Jugend und die Alkoholfrage. Ein Vor¬ 
trag. 5. bis 6. Tausend. (13 S.) 8°. Basel, Schriftstelle des Alkoholgegner¬ 
bundes, 1907. Bar 10 .Mi 

Gaule, Prof. Dr. J.: Wie wirkt der Alkohol auf den Menschen? Ein Vortrag. 
19. bis 20. Tausend. (15 S.) 8°. Basel, Schriftstelle des Alkoholgegnerbundes, 
1907. Bar 0,10 .H> 

Kabrhel, Prof. Vorst. Dr. Gust.: Der Abstinentismus und seine Bedeutung für 
das Individuum und für die Gesellschaft. (III, 69 S.) gr.-8°. München, 
R. Oldenbourg, 1907. 1,50 M> 

Popert, Amtsrichter Dr. Herrn.: Ein Schritt auf dem Wege zur Macht. Ein 
Wort an die deutschen Abstinenten und die deutschen Anhängerinnen und 
Anhänger des Frauenstimmrechts. Vortrag. (IV, 32 S.) gr.-8°. Jena, 

G. Fischer, 1907. 0,50 jM> 

Sohroeder, Eduard Aug.: Der Alkoholismus und die soziologischen Grenzen 
seiner Bekämpfung. Eine sozialwissenschaftliche Rechtsuntersuchung. (VII, 
22 S.) gr.-8°. Leipzig, Rossbergsche Verlagsbuchhandlung, 1907. 0,75 M> 

Temme, Lehrer Gust.: Der Kampf gegen den Alkoholismus in Nordhausen. Eine 
Festschrift zum 400jähr. Bestehen der Nordhäuser Kornbranntweinindustrie. 
1507 bis 1907. (34 S.) 8". Nordhausen, C. Haacke, 1907. Bar nn 0,10 


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Neu erschienene Schriften. 


223 


Veröffentlichungen der wirtschaftlichen Abteilung des Vereins „Versuchs- und 
Lehranstalt für Brauerei in Berlin“. Herausgegeben von Prof. Dr. E. Struve. 
3. Heft. Struve, Prof. Dr. E.: Der Verbrauch alkoholischer Getränke in den 
H8uptknltnrländern. Vergleichende statistische Darstellung des Konsum» von 
Bier, Wein und Branntwein, sowie der darin enthaltenen Alkoholmengen pro 
Kopf der Bevölkerung seit 1885. Mit 2 farbigen Tafeln. (32 S. mit 4 Tabellen.) 
gr.-8®. Berlin, P. Parey, 1907. 2 

Viaud, Dr. et H.-A. Vasnier: La Lutte contre l’alcoolisme (XVIII—200 p.), in-8°. 
Asselin et Houzeau. 3 frcs. 

Weise, Sek.-Lehrer Wilh.: Die Aufgabe der Schule im Kampfe gegen den Alko¬ 
holismus. Vortrag. 3., verbesserte Auflage. 9. bis 10. Tausend. (31 S.) 8°. 
Basel, Schriftstelle des Alkoholgegnerbundes, 1907. Bar 0,10 

15. Verschiedenes. 

Arzberger, M. Laborat.-Vorst. Dr. Hans: Die Prüfung der Arzneimittel der 
österreichischen Pharmakopoe. (8. Ausgabe.) Mit kurzen Erläuterungen zum 
Gebrauche für Apotheker, Amtsärzte und Studierende bearbeitet. Mit 10 in 
den Text gedruckten Abbildungen. 2 Teile. (VI, 443 und VII, 228 S.) 
14,5x21,5 cm und 8°. Wien, F. Deuticke, 1908. Geb. in Leinw. 14 .H, 

AusführungsbeBtimmungen zum Nahrungsmittel- und Drogengesetz der Ver¬ 
einigten Staaten von Amerika vom 30. Juni 1906. [Aus: „Deutsches Handels¬ 
archiv“.] (7 S.) Lex.-8°. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1907. nn 0,25 M> 

Bibliothek für Körperkultur. — 3. Heinz, Karl: Die Körperpflege im höheren 
Lebensalter. Mit 12 Abbildungen. (38 S.) — 4. Satow, Hans: Die beste 
Gymnastik für Berufstätige. Wie man in der Familie Gymnastik treiben soll 
und kann. Mit Abbildungen und einer Übungstafel. (31 S.) kl.-8°. Berlin, 
Verlagsgesellschaft Corania, 1907. Jedes Heft 0,50 <H> 

Curtin, M., Jeunesse et beaute, abrege d’bygiene moderne, in-16°. G. Vares. 
0,25 frc. 

Führer, hygienischer, durch Berlin. Bearbeitet im königl. Institut für Infektions¬ 
krankheiten und im hygienischen Institut der königl. Universität. (XIV. Inter¬ 
nationaler Kongreß für Hygiene und Demographie, Berlin 1907.) (XV, 470 
und 32 S. mit einem farbigen Plan.) 8°. Berlin, A. Hirschwald, 1907. Geb. 
in Leinw. bar 2,50 ,H> 

Gesundheitspflege und Wohlfahrtseinriohtungen im Bereiche der vereinigten 
preußischen und hessischen Staatseisenbahnen. Bearbeitet im preußischen 
Ministerium der öffentlichen Arbeiten. (VII, 79 S.) Lex.-8°. Berlin, J. Springer, 
1907. Bar 2 ,H> 

Hygiöne de la femme, in-18°. 1 vol. E. Flammarion. 0,75 frc. 

Kingzett, C. T.: Nature’s Hygiene and Sanitary Chemistry. 5th ed. 8vo, pp. 544. 
Bailliere. net, 7/6. 

Kongreßblatt des XIV. Internationalen Kongresses für Hygiene und Demographie, 
Berlin, 23. bis 29. September 1907. Herausgegeben vom Organisationskomitee 
des Kongresses. Redigiert von Stabsarzt Dr. Pochhammer. 7 Nummern. 
(40, 52, 44, 44, 36, 36 und 24 S.) Lex.-8°. Berlin, A. Hirschwald, 1907. Bar 
je nn 0,50 .H> 

Lenz, Oberstabsapotheker a. D. Nahrungsmittelchemiker Dr. Wilh.: Anleitung zu 
medizinisch-chemischen Untersuchungen für Apotheker. (VIII, 164 S. mit 
12 Abbildungen.) 8®. Berlin, J. Springer, 1907. Geb. in Leinw. 3,60 M 

Menaendieck, Frau Dr. Bess M.: Körperkultur des Weibes. Praktisch hygienische 
und praktisch ästhetische Winke. 2. verbesserte Auflage. (XIV, 195 und 
32 S. mit Abbildungen.) kl.-8®. München, Verlagsanstalt F. Bruckmann, 1907. 
3,80 .H:', geb. bar 4,80 .Ä> 


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221 


Neu erschienene Schriften. 


Nieden, Dir. Dr. J.: Gesundheitsregeln für Haus und Schule. (11 S.) 8°. Stra߬ 
burg, Straßburger Druckerei und Verlagsanstalt, 1907. 0,20 .Mi 
Singer, Dir. Dr. K.: Hygiene und soziale Fürsorge in München. Eine Auswahl 
von Einrichtungen in Bild und Zahlen. (48 S. mit Abbildungen, 1 Bildnis 
und 1 graphische Tafel.) gr.-8°. München, J. Lindauer, 1907. Bar 0,50 Jt 
Spiegel, Dr. Ign.: Einführung in die erste Hilfe bei Unfällen. Für Samariter- 
kurse und zur Selbstbelehrung gemeinverständlich dargestellt. Mit zahlreichen 
Illustrationen nach photographischen Aufnahmen. 4. verbesserte Auflage. 
Durchgesehen und eingeleitet von Insp.-Arzt Dr. Karl Hawranek. (VIII. 
224 S.) 8°. Wien, M. Perles, 1908. 2,50 M> 

Wohlfahrtseinriohtungen, die, Charlottenburgs. Ein Führer für die Praxis. 
Mit alphabetischem Sachregister. Herausgegeben von der Armendirektion 
Charlottenburg. (III, III, 61 S.) 8°. Charlottenburg, C. Ulrich & Co., 1907. 0,30 JL 


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M. Pistor, Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


225 


Geschichte der preussischen Medizinalverwaltung. 

Von M. Pistor. 


Die Entwickelung der preußischen Medizinalverwaltung ist im folgenden 
auf Grund amtlicher Quellen und nach den Angaben früher erschienener 
Werke in zwei Teilen, von dem ersten Eingreifen der Verwaltung in das 
öffentliche Gesundheitswesen bis zum Ende des Jahres 1907, behandelt. 

Die Medizinalverwaltung im allgemeinen wird im ersten, nach den ein¬ 
zelnen Gebieten getrennt im zweiten Teile besprochen. 

Erster Teil. 

Die Medizinalverwaltung im allgemeinen. 

Erster Abschnitt. 

Das Medizinalwesen unter den Markgrafen, Kurfürsten von 

Brandenburg und den ersten Königen von Preußen 
von 1563 bis 1725. 

Die ersten Spuren einer Medizinalverwaltung im Markgrafentum Bran¬ 
denburg finden sich in einer Verordnung des Markgrafen Albrecht vom 
30. April 1563, zufolge deren die damals bestehenden vier Apotheken in der 
Stadt Königsberg öfter revidiert werden sollten, weil eine solche Ordnung 
nicht allein nötig, sondern auch zum allgemeinen Besten nützlich und heil¬ 
sam sei. Diese Visitationsordnung enthielt Vorschriften: 

1. wie geschickt die Apotheker und die Lehrlinge sein sollen; 

2. über die Eidespflicht der Apotheker; 

3. die Art der Visitation der Apotheken; 

4. die Beschaffung der Materialien für die Apotheken; 

5. das Verhältnis zwischen Ärzten und Apothekern; 

6. über die Behandlung von Landläufern, fremden Doktoren und 

Zauberern; solch vagierendes Volk soll, mit Ausnahme der Jahr¬ 
märkte, nicht geduldet werden. 

Ferner wird bestimmt: 

7. daß die Apotheke in einem Protokoll über die Visitation beschrieben 

werden soll; 

8. was die Apotheker auf sonderlicher Begnadung allein verkaufen 

dürfen; 

9. wieviel Apotheken in Königsberg eingerichtet werden sollen; 

10. über Bücher, worein die Rezepte geschrieben werden. 

Casper weist in seinem „Blick auf die Fortschritte der Königlich 
Preußischen Medizinalverwaltung bei ihrem hundertjährigen Jubiläum am 
27. September 1825“ (aus dem Journal der praktischen Heilkunde besonders 

Viertelj*hr*achrilt für GMondheiUpflege, 1908. jg 

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226 


M. Pistor, 


abgedruckt, Berlin 1827) darauf bin, daß schon Kurfürst Johann Georg 
1573 die Aufmerksamkeit der Pfarrer auf die durch ansteckende Krank¬ 
heiten herbeigeföhrten Sterbefälle gelenkt und 1574 eine Arzneitaxe für die 
kurfürstlich brandenburgischen Staaten erlassen habe, welche erst 118 Jahre 
später (1692) eine Erneuerung erfuhr. 

Im August 1661 erbaten die Leibmedici Martinus Weise, Christia¬ 
nus Menzelig, Thomas Panesvius, Johann Sigismund Eisholz 
von dem Großen Kurfürsten die Errichtung eines Collegii Medici in 
den beiden Residenzen Berlin und Cölln, damit der Unordnung und 
Nachlässigkeit und allerlei schädlichen Irrtümern begegnet werde, welche im 
ganzen Lande Boden gewinnen dank dem Unwesen, welches die Apotheker, 
Bader, Barbiere, Okulisten, Steinschneider, Hebammen und was sonst zur 
medizinischen Fakultät gehört, treiben. 

Der Entwurf zu einer Medizinalordnung vom 11. April 1661, bestehend 
aus 15 Nummern, wurde mit der Bitte beigefügt, zu befehlen, daß ein oder 
zwei Kammergerichtsräte unter Zuziehung eines oder des anderen Medici 
nach gehöriger Information dem Kurfürsten über den Antrag Vortrag halten 
sollten. Unter dem 16. August 1661 erteilte der Kurfürst Befehl dazu. 

Entwurf vom 11. April 1661. 

Eingang wie üblich. 

1. Dieses Collegium soll formirt werden von denen Leib- und Hoffmedicis, 
welche bei Hoffe und in den beiden Residenzien sich aufhalten und nachdem ea 
von drei oder mehreren graduirten medicis besetzt ist, soll es ferner Macht haben, 
andere graduirte oder sonst geübte erfahrene und verständige medicos, wenn sie 
sich bei denselben vorher angeben und ihrer Ehren, erudition und guten Lebens 
halber genugsam genügend produciret haben und also tüchtig befunden sein, 
auf- und anzunehmen. 

2. Nicht aber allein sollen die medici in den Residenzien, sondern auch andere 
in der Mark Brandenburg diesseits der Oder und jenseits der Elbe, sie halten 
sich auf wo sie wollen, wenn sie praktiziren wollen, sich bei diesem Collegio an¬ 
zugeben schuldig sein. 

3. Die medici unter sich sollen friedlich und einträchtig ohne Haß und Neid 
mit einander leben, ihr Amt, wenn sie berufen werden, fleißig und treulich be¬ 
stellen, anf gute und sichere Mittel sich befleißigen und ihres nahesten Gesund¬ 
heit aufs möglichste angelegen sein lassen. 

4. Wenn ihrer mehr als einer zu einer Beratschlagung gefordert wird, soll 
der erste dieses gern geschehen lassen, die Krankheit denen nach ihm geforderten 
mit allen Umständen vortragen und mit zusammengesetzten Consiliis des Patienten 
Gesundheit aufrichtig und ehrlich untersuchen und befördern. 

5. Sie sollen auch der Verschwiegenheit und anderer ihnen wohlanstehender 
Tugenden sich befleißigen, nichts von des Patienten Krankheit ohne Not offen¬ 
baren, oder was in deliberationibus fürgangen, entdecken. 

6. Alle halben Jahre soll einer aus den medicis dieses Collegii zu einem 
Decanen erwählet werden, welcher auf alles fleißig Acht geben, das Protokoll und 
die Bücher in Verwahrung nehmen und die anderen zu fürfallenden deliberatio¬ 
nibus zu berufen Macht haben soll. 

7. Dieses Collegium soll auch Macht haben, die Apotheken und dazu ge¬ 
hörige Persons nicht allein in den beiden Residenzien, sondern auch in den an¬ 
deren Städten diesseits der Oder und jenseits der Elbe mit Zuziehung der Rahts 
und Physici in den Städten alle Jahr zu visitiren und tüchtige gute medicamenta 
und materialia von den alten, verlegenen, falschen und untüchtigen zn unterscheiden. 

8. Die Apotheker sollen den medicis ihren respect geben, des Curirens und 
Practicirens sich enthalten, ohne ihr Vorwissen keine purgirende oder sonst ab- 


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♦ 

Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 227 

treibende starke medicamenta, viel weniger Gifte aus ihren Officinis folgen lassen. 
Sie sollen auch keine Recipe oder sonst verschriebenes Medicament annehmen zu 
machen, wenn es nicht von den allhier ordinariis oder in anderen obenerwähnten 
Landschaften constituirten medicis geschrieben ist. 

9. Die ankommenden Gesellen sollen sich zuerst dem Collegio darstellen, 
ihre testimonia aufweisen, und wenn sie wegziehen, ihres Vorhaltens ein Zeugnis 
fordern. Zugleichen soll es auch mit den discipulis also gehalten werden. 

10. Ebenso also sollen auch die Barbierer nebst ihren Gesellen und Jungen 
diesem Collegio so weit unterworfen sein, daß kein Meister ohne dessen Vorwissen 
examiniret oder angenommen werde, wie denn auch die Jungen, wenn sie an¬ 
genommen und losgezelet werden, allezeit dem Collegio vorgestellt werden sollen. 

11. Wenn eine tötliche oder sonst gefährliche Wunde, auch schwere Zufälle 
in ihrer praxis fürfallen, sollen sie bei Zeiten dieses hier dem Collegio (in den 
anderen Städten aber dem Phisico ordinario) notifizieren und einen oder mehr 
aus denselben zu Rate ziehen, des Kurirens aber der innerlichen Krankheit und 
Versehreibens innerlicher medicamenta sollen sie sich und ihre Gesellen ganz 
enthalten. 

12. Noch weniger soll solches den Barbierern verstattet sein, die sollen in 
ihren terminis bleiben und nicht mehr als ihr privilegium aufweist, zu tun 
befugt sein. 

13. Auch sollen die Oculisten, Bruch- und Steinschneider, wenn sie hier an¬ 
kommen und Teil haben wollen, nachdem sie solches vom Magistrat erhalten, 
eich zuvorher bei dem Collegio angeben und ihrer Wissenschaft und Kunst halber 
examinirt und befragt und nach dem sie befunden sein, zu- oder weggelassen 
werden. 

14. Nicht weniger sollen auch alle Hebammen dem Collegio medico unter¬ 
worfen sein, also daß keine hinfüro ohne ein fürhergehendes Examen angenommen 
werden soll. 

15. Die Hebammen sollen auch schuldig sein, wenn sie Gefahr bei den 
kreißenden oder deswegen fallenden Frauen sehen, solches den medicis anzuzeigen 
und sich nicht selbst zu kuriren unterstehen. 

Dieser Entwurf wurde, wie es scheint, auf Befehl des Kurfürsten nach 
einer anderweiten Vorlage vom April 1662, noch einer Beratung unter den 
Antragstellern lind mehreren hinzugezogenen Räten pp. der Verwaltung 
unterworfen, umgearbeitet, am 2. Juni 1662 festgestellt nnd nach wieder¬ 
holtem Vortrag vom Kurfürsten in nachstehender Fassung angenommen, 
aber nicht veröffentlicht, wie aus einer erneuten Vorstellung der vor¬ 
genannten Antragsteller, soweit sie noch lebten, vom 12. November 1685 
ersichtlich ist. 

Entwurf vom 2. Juni 1662. 

1. Es soll anfänglich dieses Collegium medicum electorale formiret und 
besetzet werden von denen allhier vorhandenen wirklichen Hofmedicis, denen 
ferner erlaubet wird, andere medicos, so sich bei ihrer Angabe und ihrer Eru¬ 
dition und ihrer Experienz halber genügsame per Zeugniß und glaubwürdige 
Erkundung produziret und also tüchtig erfunden worden, mit darin auf- und 
anzunehmen. 

2. Ferner haben die medici, so zu diesem Collegio gehören, einen Decanen 
und Vicedecanen zu erwählen, welcher bei deren Collegial-Zusammenkünften und 
Beratschlagungen das Directorium zu führen, auch, so oft die Noth es erfordert, 
das Collegium zu convoziren, puncta deliberanda zu proponiren und das Protokoll 
und Bücher in Verwahrung zu halten, auch was sonsten zu des Collegii Ruhm 
und Erhaltung gereichet, zu beobachten und zu befördern hat. 

3. Alle und jede medici, welche in diesem unsem Churlande dies- und 
jenseit der Oder und Elbe zu praktiziren gedenken, sollen schuldig sein, sich 
vorher bei diesem Collegio anzugeben, solch ihr Vorhaben demselben zu eröffnen, 

15* 


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228 


M. Pistor, 


ihre etwa habende publica testimonia zu produzireu oder sonst gehörigermaßen, daß 
sie zur Praxis zuzulassen, beizubringen, und sollen solches die gegenwärtige medici 
auch zu thun verbunden sein, damit sie von dem Collegio können approbirt werden. 
Auf erfolgter des Collegii approbation und erlangte permission erst des Curirens 
anmaßen, anderenfalls aber sich desselben gänzlich enthalten bei Vermeidung 
ernster und unausbleiblicher Bestrafung. Auch soll der Magistrat in den Haupt- und 
anderen Städten, wo sie einen Physicum anzunehmen willens sind, solchen vorher 
dem Collegio medico zu ihrer eigenen Versicherung zu praesentiren schuldig sein. 

4. Mit der medizinischen Fakultät unserer Universität zu Frankfurt a. O. 
soll dieses Collegium allzeit in guter Correspondentz und Vernehmen stehen, auch 
wegen Examinirung und Approbirung derer in der Neumark und meist an der 
Oder belegenen Orte sich befindenden Ärzte, Apotheker, Barbierem, Hebammen, 
Bader, Bruch- und Steinschneider, Oculisten und dergl. mit einander conferiren 
und sich in der Güte vergleichen. 

5. Die medici selbst sollen freundlich und einträchtig mit einander umb- 
gehen, ihr Amt bei den Kranken und Gesunden, denen sie berufen werden, treu¬ 
lich und fleißig, wie sie solches für Gott und jedermennig sich zu verantworten 
gedenken, verrichten, mit Anordnung und Verschreibung der medicamenta für- 
sichtiglich verfahren, ihrer Patienten Zustand und Beschaffenheit sich wohl 
erkundigen, die ihnen etwa entdeckten heimlichen Mängel und Gebrechen Niemand 
offenbaren, keine übermäßige Salaria oder Belohnungen, sondern sich bei den 
armen Leuten, welchen sie mit Rat und Hülfe ebensowohl als den Reichen bei¬ 
zuspringen schuldig sind, sondern sich darin aller Bescheidenheit gebrauchen und 
im übrigen ihnen die Conservasion und Wiederbringung ihres nächsten Gesund¬ 
heit dergestalt angelegen sein lassen, wie solches getreuen und gewissenhaften 
medicis gebührt und zusteht. Damit auch die Patienten wissen, wie sie vor ihre 
Mühe den medicis zu geben haben, so sind Churfürstl. Durchlaucht gnädigst zu¬ 
frieden, daß sie sich hierinnen der Hessen-Kasselschen oder anderer guter 
gedruckter Nutzungsordnungen conformiren, wobei der Collegien untertänigsten 
Bericht Sr. Churfürstl. Durchlaucht zur gnädigsten Confirmation mitzusenden hat. 

6. Keiner soll zwar dem andern seine patienten abspenstig zu machen oder 
an sich zu bringen oder sich in eines oder des anderen Cur zn mengen, und 
solche zu tadeln oder zu carikiren befugt sein, dafor aber von einigen Kranken 
mehr als einer erfordert würde, soll er sich allda dessen nicht entziehen, sondern 
ganz und völlig erscheinen, der vorhin gebrauchte medicus auch solches ihm 
nicht zuwider sein lassen, sondern in gefährliche und zweifelhafte Zufälle es viel¬ 
mehr selbst zu begehren, und haben sie in solchen Fällen alsda de qualitate 
morbi et adhibendis remediis freundlich und bescheidentlich zu conferiren und 
conjunctis viribus et operis des Patienten Bestes zu befördern. 

7. In ansteckenden und bekleibenden Krankheiten müssen sich die Leib- 
inedici wohl fürsehen und weil sie täglich ihre Aufwartung bei uns zu versehen 
haben, dergleichen Patienten nicht zu nahekommen, denen sie gleichwohl mit 
gutem Muth und sonst so wie es abgesehen metu et periculo contagii geschehen 
kann, behiilflich sein können. 

8. Welchem nächst wir diesem Collegium die Inspection über alle in unseren 
Landen vorhandenen Apotheken wie auch in unserer Hofapotheke dergestalt an¬ 
befohlen haben wollen, daß sie dieselben, jedoch ohne ihre Kosten jährlich oder 
so oft es vonnöthen ist und zwar in den Städten mit Zuziehung der Magistrate 
und Stadtphysicorum mit Fleiß visitiren, die darin vorhandenen medicamenta und 
materialia examiniren, was alt, verlegen, falsch und untüchtig ist, vom guten 
separiren und sowohl die Apotheker als deren Gesellen und Jungen zur Ver¬ 
richtung ihres Amtes ernstlich anweisen, auch dahin sehen, daß die medicamenta 
in gebührlichem Preis verkauft, nicht aber über die Maaß und Billigkeit gesteigert 
werden, zu welchem Ende aber eine gewisse taxa zu machen und darinnen das 
pretium zu setzen und uns zu unserer approbation zu übergeben sein wird. Außer 
den Apothekern aber soll Niemand zu verkaufen erlaubt sein bei Vermeidung 
ernster Strafen. Die Unkosten, welche auf die Inspektion und Visitation der 
Apotheken gehen, soll der Magistrat und der Apotheker zu tragen schuldig sein. 


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229 


Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 

9. Die neu ankommenden Apotheker wie auch deren Gesellen sollen sich 
zunächst bei diesem Collegio angeben, deren examini sich submittiren und darauf 
ihrer Censur und approbation nach Befinden gewärtig sein, fürder denen medicis 
allen gebührenden Respekt und geziemende Ehrerbietung erweisen, die ihnen 
sub manu approbatorum medicorum zugefertigten recepta treulich und sorgfältig 
verfertigen, selbst aber deB curirens und Besuchens der patienten enthalten und 
insonderheit ohne der medicorum Gutbefinden und Wissen keine purgirende auch 
treibende starke medicamenta, viel weniger Gifte aus ihrer Offizin verkaufen oder 
jemand verabfolgen lassen. 

10. Gleichergestalt sollen die Barbierer und Wundärzte diesem Collegio 
unterworfen sein, daß dieselben aller Orten praevia Collegii examinatione, appro- 
batione et censura angenommen, die discipuli oder Jungen auch jedesmal, ehe 
sie losgeholet (gesprochen) werden, dem Collegio vorher vorgestellet, auch mit 
dessen testimonio demittirt werden mögen. 

11. Zu tödlichen oder sonsten gefährlichen Wunden und schweren Zufällen 
sollen sie die approbirten medicos zu Rate ziehen und mit denen vorbewußt ver¬ 
fahren, des Kurirens aber der innerlichen Krankheiten und des Verschreibens 
der Medikamente, welche innerlich zu gebrauchen, sich gänzlich enthalten, die 
Leute auch um ein billiges kuriren und niemand über die Billigkeit übersetzen, 
worüber das Collegium eine Ordnung zu machen und selbige zur Confirmation 
zu überschicken hat. 

12. Die Bader sollen sich gleichergestalt hiernach achten und in denen in 
ihrem privilegio ihnen vorgeschriebenen terminis allerdings verbleiben und keine 
innerliche medicamenta geben. 

13. Wenn sich Oculisten, Stein- und Bruchschneider angeben und ihre Kunst 
und Wissenschaft öffentlich üben und feilhalten wollen, sollen sie nicht weniger 
diesem Collegio, also dem Magistrat sich sistiren und dessen Examini sich unter¬ 
werfen und darauf nach Befinden zugelassen oder abgewiesen werden. 

14. Nicht weniger sollen auch die Hebammen jedes Orts, ehe dieselben an¬ 
genommen oder zugelassen werden, vom Collegio oder denen vom Collegio appro¬ 
birten medicis examinirt werden, darbeneben auch schuldig sein, in gefährlichen 
Fällen bei den Schwangeren, Kreißenden und sechs Wochen haltenden Frauen die 
medicos zu consultiren, auch ohne Vorwissen des medici keine medicamenta geben. 

15. Damit die jungen studiosi medicinae, Wundärzte, Hebammen und andere, 
so in Schäden und in Nöhten bei den Kranken gebraucht werden, auch andere 
des menschlichen Leibes Constitution und der Glieder Beschaffenheit um so besser 
erlernen mögen, so sollen die medici darauf bedacht sein, daß so oft möglich und 
corpora zu erlangen sind, Anatomien angestellt werden, und wollen S. churfürst- 
lichen Gnaden ihnen einen Ort, woselbst solche Anatomia füglich kann augestellt 
werden, benennen und anweisen lassen. 

16. Stöhrer, Betrüger und dergleichen Gesindel sollen nirgends geduldet, 
viel weniger alte Weiber, Segensprecher und andere, so unziemliche, zauberische, 
abergläubische und unbekannte Mittel gebrauchen, das Kuriren oder Ratgeben 
zugelassen werden bei unnachlässiger harter Bestrafung. 

17. Damit auch endlich dieses Collegium besser bestehen und eine und 
andere fürfallende Kosten abgetragen werden können, so verwilligen wir gnädigst, 
daß dieselben wegen Visitation der Apotheken, examinirung der medicorum, 
Barbierern, Hebammen und dergleichen, wie auch für etwa erteilende attestata ein 
leidliches an gelde nehmen und solches zu vorbenöhtigten Ausgaben verwenden 
mögen. 

18. Was bei den vorangezogenen punktis etwa ferner für artes speciales 
et particulares fürfallen möchten, welche Weitläufigkeiten zu vermeiden in dieser 
Verordnung nicht exprimirt sind, deren Einrichtung wollen wir uns auf unter¬ 
tänigstes Erinnern des Collegii Vorbehalten haben. 

19. Im übrigen ist unser gnädigster und ernster Wille, daß über diese zu 
Wohlfahrt unserer Untertanen und des ganzen Landes gemeinem Nutzen ge¬ 
reichende Verordnung allenthalben fest und unverbrüchlich gehalten, derselben in 
allen Stücken gehorsamst nachgelebet und dawider in keinem Wege gehandelt 


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230 


M. Pistor, 


werde, gestalt, daß unser Kammergericht allhier und unsere neumärkische 
Regierung, wie auch alle unsere Haupt- und Amtsräte nebst denen Magistraten 
in den Städten sich hiernach zu richten und diejenigen, so diesem zuwider 
handeln möchten, mit gebührender Strafe (davon die Hälfte dem fisco, die andere 
Hälfte dem Collegio heimgefallen sein soll) zu belegen, wie wir denn, damit 
Niemand mit einiger ignorantz sich zu entschuldigen habe, diese unsere Verord¬ 
nung durch öffentlichen Druck publiciren zu lassen, gnädigst anbefohlen. Ur¬ 
kundlich haben wir dieselben eigenhändig unterschrieben und durch unseren 
Insiegel bekräftigen lassen. 

Die Antragsteller wiesen in der Eingabe vom 12. November 1685 darauf 
hin, daß solche Ordnungen, wie sie durch ein Collegium medicum geschaffen 
werden sollten, in Frankreich, England, Dänemark, Holland und in allen 
Staaten des Kaiserlichen Reiches mit Ausnahme der Kur- und Mark Branden¬ 
burg beständen. 

Zu der Vorlage vom 2. Juni 1662 sind bereits Physikatsbezirke für 
das damalige Kurfürstentum Brandenburg, wie folgt, bezeichnet: 

a) diesseits der Oder und jenseits der Elbe: 

Brandenburg, Ruppin, Perleberg. Havelberg, Prenszlaw (Prenzlau), 
Rathenow, Stendal, Garleben (Gardelegen), Soltwedel; 

b) jenseits der Oder: 

Küstrin, Lansberg, Königsberg, Arnszwalde, Drossen, Crossen, 
Cottbus, Beszkow. 

Unter dem 12. November 1685 wurde nun der mehrfach beratene, nur 
unwesentlich veränderte Entwurf vom 2. Juni 1662, welcher die Errich¬ 
tung eineB Collegium medicum anordnet und dessen Tätigkeit in 19 Artikeln 
festsetzt, genehmigt und als Medizinal-Edikt veröffentlicht. 

Das Collegium Medicum Electorale erhielt einen Geheimen Rat 
als Vorsitzenden, bestand aus den Hof- und Leibärzten in Berlin und 
Cölln, den Physicis, den ältesten Praktikern in Berlin, sowie dem Hof¬ 
apotheker, aus dem General-Chirurgus und aus drei bis vier Assessoren, 
Chirurgen und Apothekern; es sollte die Aufsicht über die Medici und 
Chirurgi, welche diesseits der Oder und jenseits der Elbe in der Kurmark 
Brandenburg praktizieren wollen, führen, alle Apotheken jährlich einmal visi¬ 
tieren, die Wundärzte, Barbiere, Bader, Wehmütter, Hebammen, alle Bruch- 
und Steinschneider usw. in ihrer Tätigkeit überwachen. 

Am 30. November 1685 wurden die ärztlichen Mitglieder des Collegium 
medicum aufgefordert, nach Benehmen mit der medizinischen Fakultät in 
Frankfurt an der Oder Dekan und Prodekan für dieselbe vorzuschlagen. 
Auf Grund des Artikels 11 des Ediktes vom 12. November 1685 beantragte 
das Collegium am 6. Juni 1692 den Erlaß einer neuen Arzneitaxe, um einer 
Überteuerung der Arzneien entgegen zu wirken. Die vom Collegium ent¬ 
worfene und von den zugezogeoen Apothekern gebilligte Arzneitaxe erhielt 
am 16-/22. Juni 1692 die landesherrliche Genehmigung und wurde mit den 
Vorschriften für Ärzte und Hebammen unter dem 30. August 1693 als 
Churfürstlich Brandenburgische Medicinal-Ordnung und Taxa 
auf Seiner Churfürstlichen Durchlaucht gnädige Verordnung und Befehl 
zusammengetragen von dero Collegio medico und publiciret Cölln an der Spree. 
Verlegte. Rupertus Völcker, MDCXC1V. 


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Geschichte der preußischen Medizinal Verwaltung. 281 

Die zunehmende Unordnung im Heilwesen, das Umsichgreifen der Kur¬ 
pfuscherei auf allen Gebieten der Heilkunst bewog König Friedrich I., auf 
Vorstellung des Collegium medicum durch königliche Verordnung vom 
25. März 1705 zu befehlen, daß die Freibarhierer und alle, welche zu diesem 
Amte (Berufe) gehören, in allen Dingen, welche zu ihrer Chirurgie und zu 
ihren Kuren gehören, dem Collegium medicum sich zu unterstellen und 
dessen Anordnungen Folge zu leisten haben. 

Einem wiederholten Anträge vom 21. Januar 1708 entsprechend er¬ 
hielt das Collegium medicum durch Allerhöchste Order vom 3. Mai 1708 
für die Bearbeitung forensischer Sachen einen Justitiarius beigegeben, und 
unter dem 24. Juli 1709 wurde bestimmt, daß der Fiskale, ein Kammer¬ 
gerichtsadvokat, die Kontraventionen gegen die Vorschriften des Medizinal- 
ediktes verfolgen solle. 

Ungeachtet der Verordnung vom 25. März 1705 und der Anstellung 
des Fiskalen nahmen die Ausschreitungen im Heilwesen und die Über¬ 
tretungen der Vorschriften des Medizinalediktes vom 12. November 1685 
und seiner Ergänzungen so erheblich zu, daß das Collegium medicum sich 
genötigt sah, unter dem 19. Juli 1713 bei dem Könige deswegen vorstellig 
zu werden, und zugleich Vorschläge zur Abhilfe machte. König Friedrich 
Wilhelm I. erließ in Anerkennung der berechtigten Klagen und im Hinblick 
auf die großen Nachteile, welche die Kurpfuscherei von allerhand arbeits¬ 
scheuem Volke nach sich zog, unter dem 9. Oktober 1713 eine Order, 
zufolge deren 

1. den privatim geprüften Medizinstudenten, den sog. medicis bullatis, bis 
zum Bestehen einer für das Königreich Preußen vorgesohriebenen Prüfung die 
Ausübung der ärztlichen Praxis untersagt wurde. 

2. Deutsche und französische Apotheker sollen, eingedenk ihres Eides und 
der Vorschriften des Medizinalediktes, bei Vermeidung einer Strafe von 20 Reichs¬ 
talern gehalten sein, die nicht von einem ordentlichen Arzte geschriebenen oder 
mindestens gebilligten (zensurierten) Rezepte nicht anfertigen. 

3. Die Materialisten, insonderheit die unter ihnen befindlichen Apotheker¬ 
gesellen, müssen, ihres Einwendens ungeachtet, wegen Debitierung und Vereinze¬ 
lung (Einzelverkauf) der Medikamente nach dem ihnen vorgeschriebenen Eid nach 
der bereits sub dato den 30. September 1710 ergangenen Verordnung unweigerlich 
abschwören oder bei dessen fernerer Weigerung gewärtigen, daß die Ungehorsamen 
nachdrücklich bestraft, ihnen auch nach Befinden, bis sie den Eid wirklich ab¬ 
gelegt haben werden, der Materialistenhandel wirklich verboten werden solle. 

4. Die Wundärzte, Chirurgi, sowohl die ordinarii, wie die concessionarii, 
sollen sich der Behandlung innerer Krankheiten enthalten. 

5. Den Kurpfuschern, abgedankten Soldaten, Weise-Müttern und Laboranten, 
sowie solchen, die ihre Profession aufgegeben haben, wird die ärztliche Tätigkeit 
bei Strafe, welche ohne Gnade zu vollziehen ist, gänzlich untersagt; die Fiskale 
des Ober-Collegii medici, wie deren in Provinzen eingerichteten Collegien werden 
zur Verfolgung von Übertretungen angewiesen. 

6. Den herumziehenden Operateuren, Bruch- und Steinschneidern, Zahnärzten, 
Marktschreiern u. dgl. wird die Medizinalordnung in Erinnerung gebracht, wo¬ 
nach sie bei Jahrmärkten und Messen nur eine bestimmte Zeit ausstehen dürften. 
Konzessionen zu anderweitigem Ausstehen sollen in Zukunft nicht erteilt werden, 
weil dergleichen Leute zu großen Schaden gestiftet und die Kranken nur um ihr 
Geld gebracht haben. 

7. Scharfrichter und Abdecker, Bowie ihre Knechte sollen überhaupt nicht 
mehr kurieren. 


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232 


M. Pistor, 


Zum Präses des Collegium medicum war am 16. April 1692 der Geheim¬ 
rat von Spanheim, ein Jurist, ernannt worden. Nachdem das Collegium 
medicum von 1692 bis 1715 vier juristisch gebildete Präsidenten gehabt 
und sich dabei ergeben hatte, wie wenig Nichtsachverständige zur Leitung 
dieser technischen Behörde geeignet waren, übertrug König Friedrich 
Wilhelm I. am 15. Juli 1715 dem Hallenser Professor Dr. Georg Ernst 
Stah 1, welcher an Stelle des am 16. Juni 1715 verstorbenen Dr. von Gun- 
delsheimer Hof- und Leibmedikus geworden war, hinwiederum 1 ) die 
Leitung des Kollegiums und ernannte ihn am 2. November 1715 zum Präsi¬ 
denten desselben. Infolgedessen hatte Dr. Stahl nicht nur den höchsten 
Kronräten, sondern auch dem Könige selbst über alle wichtigen Medi- 
sinalsaohen persönlich Vortrag zu halten. Stahl bezog nach wieder¬ 
holten Verhandlungen ein Gehalt von 1700 Talern, außerdem Futter für 
vier Pferde wie sein Vorgänger Dr. von Gundelsheimer. Dazu soll 
Stahl noch 100 Thaler von dem Gehalt seiner ihm übrigens verbleibenden 
Hallenser Professur erhalten. Stahl scheint bis zu seinem 1734 erfolgten Tode 
Präsident auch des Ober-Collegium medicum geblieben zu sein. Im Collegium 
hatte der Präsident auf Ordnung in der Geschäftsführung und Erledigung 
der Sachen zu halten, auch dahin zu wirken, daß die im Edikt vom 12. No¬ 
vember 1685 und dessen Abänderung vom 9. Oktober 1713 dem Collegium 
medicum übertragene Aufsicht über das gesamte Heilpersonal ausgeübt wurde. 
Mit dem vervollständigten und verbesserten Medizinaledikt vom 30. August 
1693 und dessen weiteren Ergänzungen bis zum Jahre 1713 erschien auf 
einen Immediatbericht des Collegium medicum, gezeichnet „Georg Ernst 
Stahl“, das im Jahre 1713 ausgearbeitete Dispensatorium Regium 
et Electorale Borusso-Brandenburgicum nebst einer Arzneitaxe. 

Am 25. Juni 1717 wurde das Collegium medicum bei dem Könige 
darüber vorstellig, daß viele Personen, dem § 4 des Medizinalediktes entgegen, 
nachdem sie promoviert seien, bei dem Collegium zur Prüfung ihrer Papiere 
und ihrer Leistungen sich nicht meldeten, sondern nach Einsendung ihrer 
Disputation die ärztliche Praxis ausübten. Es sei deshalb erforderlich, 
wiederholt auf das Ungehörige eines solchen Verfahrens hinzuweisen und die 
zur Praxis zugelassenen Personen zu vereidigen. 

Der König fand diese Beschwerde begründet und erforderte Vorschläge 
zur Abhilfe. Nach mehrfachem Schriftwechel erschien am 28. Februar 1718 
eine königliche Order, welche allgemein befahl, daß jeder Studierte oder 
Graduierte vor Ausübung der ärztlichen Tätigkeit sich einer Prüfung vor 
dem Collegium medicum unterwerfen müsse. Falls der Weg nach Berlin zu 
weit sei, müsse vor den Adjunctis Collegii medici in der Provinz diese 
Prüfung bestanden werden; zu all diesen Prüfungen solle der Rat und 
Fiscalis des Kommissariats und Collegii medici, damals Dr. Johann 
Benedict Schartaus, eingeladen werden. Von jedem Kandidaten solle 
dieser Kommissar einen Taler für seine Bemühungen erhalten. Die Appro¬ 
bation als Arzt durfte aber nur von dem Collegium medicum erteilt werden. 


*) Das Wort „hinwiederum“ in der Ernennungsorder für Stahl kann nur darauf 
sich beziehen, daß wieder ein Arzt zur Leitung des Collegium medicum berufen 
wurde. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


238 


Dem Adjunktus desselben wurde gleichzeitig die Aufsicht über das niedere 
HeilpersoDal übertragen. Alle Denunziationen seien dem Collegium medicum 
einzusenden. Auch solle der Adjunktus darauf achten, daß keine anderweite 
Obrigkeit sich in Sachen mische, worüber das Collegium medicum kraft 
Königlicher Verordnungen zu erkennen hat usw. In gleicher Weise sollten 
die Apotheker, Chirurgen, Bader und Hebammen vor Ausübung ihres Berufes 
geprüft werden. 

Das Collegium medicum erließ unter dem 16. Mai 1718 eine Instruktion 
(officium) für die Adjuncti Collegii medicL Die Ärzte und Chirurgen mußten 
folgenden Eid ableisten: 

„Ich gelobe und schwere zu Gott dem Allmächtigen einen leiblichen Eid, 
daß ich Seiner Königlichen Majestät in Preußen und Kurfürstlichen Durchlaucht 
zu Brandenburg, meinem Allergnädigsten Könige und Herrn, wie auch deren 
Hohem Hause und successoribus will getreu, hold und gehorsam sein. Dero 
Bestes fördern und nach Vermögen Schaden abwenden helfen, insonderheit nach¬ 
dem ich Erlaubnis habe, in Sr. Majestät Königlichen Landen Medicinam zu 
erxerciren und zu prakticiren, daß ich die Königliche MedicinalVerordnung in 
allen Stücken, soviel meinen Beruf betrifft, fest und unverbrüchlich halten, der¬ 
selben gehörig nachleben und das treulioh verwalten will, was einem treuen 
medico zukommt. So wahr mir Gott helffe durch Seinen Sohn Jesum Christum. 
Amen.“ 

Aus dem Cleve - Märkischen Lande kamen dem Könige Klagen zu 
Ohren über das widerrechtliche Kurieren durch als Ärzte vom Collegium 
medicum nicht approbierte Personen, sowie auch darüber, daß Ärzte von 
eigener Hand bereitete Heilmittel und arcana pp. an ihre Kranken ver¬ 
kauften. Auch übten nicht berechtigte Personen die höhere Chirurgie aus. 
Der König ließ zur Steuerung dieser Mißstände ein neues Medizinaledikt 
nach Vorschlägen der Kläger entwerfen und dem Collegium medicum am 
27. Juni 1723 zur gutachtlichen Äußerung vorlegen. 

Der Hofrat und Leibmedikus Lüning ward inzwischen beauftragt, alle 
in der Monarchie befindlichen medizinischen Ökonomien zu untersuchen, die 
Apotheken zu visitieren „zu Nutzen und Wohlfahrt der Bevölkerung“. Die 
entstehenden Kosten (Reise- und Zehrgelder) sollen die Städte und revi¬ 
dierten Apotheken zu gleichen Teilen tragen. Der pp. Lüning soll den 
Magistraten, Physicis und Ärzten bekannt geben, daß der König eine strenge 
Durchführung der erlassenen Edikte und der darauf gegründeten Verord¬ 
nungen anbefohlen habe. 

Das Collegium medicum sprach sich unter dem 8. September 1723 
nicht nur im Sinne des ihm zugegangenen Entwurfes aus, sondern ver¬ 
schärfte die Bestimmungen noch durch Begrenzung der Behandlung innerer 
Krankheiten auf geprüfte promovierte Ärzte, denen aber das Abgeben von 
Arzneien jedweder Art verboten werden sollte. Die Ärzte wie die Chirurgen 
sollten alle Arzneien in den privilegierten Apotheken anfertigen lassen. Die 
geprüften und approbierten Chirurgen sollten nur äußere Krankheiten be¬ 
handeln. Alle nicht als Ärzte oder Chirurgen geprüften Personen, soweit 
sie nicht im Besitze besonderer Erlaubnis seien, sollten sich des Kurierens 
aller Art enthalten, insonderheit die Apotheker. Diesen sei noch strenge 
die Abgabe von Brechmitteln, Purgantien, Urin und Menses treibenden 
Arzneimitteln, sowie von Bezoardicis und allen Compositis ohne ärztliche 


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234 


M. PiBtor, 


Verordnung bei hoher Strafe zu verbieten. Anderen Personen als den ge¬ 
prüften Apothekern sei der Vertrieb von Arzneien zu untersagen, so auch 
dem Halleschen Buchladen (vermutlich die Frankesche Stiftung, Waisen¬ 
haus). Besonders den ansländischen herumziehenden Händlern, thüringischen, 
russischen und böhmischen Laboranten und Siebmaehern, welchen durch die 
Polizei und durch die Landreiter die Arzneien abgenommen und konfisziert 
werden müßten. Auch die Tätigkeit der zivilen und militärischen Feld¬ 
scherer und Barbiere, wie der Hebammen wird zu strenger Regelung 
empfohlen. 

Außer den schon erwähnten Ergänzungsorders von 1713, 1714, 1718 
waren noch mehrere Spezialorders über Einzelheiten vom 11. Juli 1719 
und 28. Februar 1720 ergangen. 

Am 16. Oktober 1723 erhielt das Collegium medicum den Befehl, den 
Entwurf zu einem neuen Medizinaledikt zur Genehmigung vorzulegen. 

Unter Leitung von den Ärzten Dr. Georg Ernst Stahl und Dr. 
W. Eller, welche Hufeland in dem Vorworte zu Caspers „Blick auf die 
Fortschritte der königlich Preußischen Medi zinal Verwaltung“ 
„die um dieses heute (1830) noch wertvolle Gesetz verdientesten Männer“ 
nennt, wurde im Collegium medicum der befohlene Entwurf ausgearbeitet 
und am 8. September 1725 vorgelegt. 

Am 27. September 1725 vollzog der König Friedrich Wilhelm I. das 
neue, in einzelnen Vorschriften noch heute zu Recht bestehende Medizinal¬ 
edikt (abgedruckt in Pi stör, Gesundheitswesen, l.Bd., S. 4 ff.). 

Das Berliner Collegium medicum erhielt durch Kabinettsorder vom 
17. Dezember 1725 die Bezeichnung Ober-Collegium medicum des Staates. 
Dies wurde unter dem 27. gleichen Monats mitgeteilt und besonders 
den inzwischen eingerichteten Provinzi&l-Medizinalcollegien Subordination 
jenem Collegium gegenüber empfohlen. 

Unter dem 1. Februar 1726 erhielten die Regierungen das Edikt zur 
Nachachtung; dabei wurde angeordnet: 

1. Nur von dem Ober-Collegium medicum geprüfte, vereidete und approbierte 
Doctores medicinae sollen innerliche Kuren ausführen, keine Operationen vor¬ 
nehmen, abgesehen von genugBam auch durch andere medicinae doctores er¬ 
probte arcaua und specifica, alle medicamenta aus den Apotheken verschreiben 
und nicht selbst dispensieren. 

2. Den so und vor dem provinzialen Collegio medico approbierten Chirurgen 
soll die operative Praxis allein verbleiben. 

3. Nur vom Collegium medicum geprüfte, vereidete und approbierte Apo¬ 
theker sollen Arzneimittel zubereiten und nach ärztlicher Verordnung dispensieren; 
sie sollen sich des KurierenB enthalten. 

4. Auch die Bader, Hebammen sollen geprüft, vereidet und approbiert sein. 

5. Die Materialisten sollen den vorgeschriebenen Eid ablegen. Ober-Collegium 
medicum und die Provinzial-Collegia medica sollen darüber wachen. 

6. Den auf dem Lande herumziehenden Thüringer Wasser- und Olitäten- 
krämern, Siebmaehern usw. sollen die berufenen Behörden und Beamten (adelige 
Gerichtsobrigkeit und Beamte) ihre Mittel, womit sowohl die Accise (Steuer¬ 
behörden) wie die Bevölkerung hintergangen werden, sofort abnehmen und an 
die Collegia medica einsenden. 

7. Auch wird allen Predigern, Laboranten, Destillateuren, doctoribus bullatis, 
alten Weibern usw. das innerliche wie äußerliche Kurieren, Verkaufen von Arznei¬ 
mitteln bei harter fiskalischer Strafe verboten. 


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235 


Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 

8. Herumlaufende Operateure, Oculisten, Zahnärzte usw. sollen, nur mit be¬ 
sonderem Privilegium versehen, Arzneimittel, sei es wo auch immer, verkaufen. 

9. Nachtwächter und Abdecker und deren Knechte sollen bei Strafe jedes 
Kurierens sich enthalten. 

Wegen Verleihung des Doktorgrades und Ausfertigung der Approbation 
als Arzt oder Chirurg ordnete König Friedrich Wilhelm I. am 3. Januar 
1726 an, daß keinem Kandidaten, Land- oder Stadtphysikus die Doktor¬ 
würde verliehen werden dürfe, der nicht durch zuverlässige Atteste, Doku¬ 
mente u. dgL nach weisen könne, daß er die vorgeschriebenen Prüfungen, 
insbesondere den Cursus anatomicus, bestanden habe. W r enn die 
Kandidaten demnächst promoviert seien und dem Ober - Collegio medico die 
Bescheinigung eingeschickt haben, dann sollten sie erst approbiert und zur 
Ausübung der Praxis zugelassen werden. 

Mit dem Edikt erschien zugleich der Entwurf zu einer Gebühren¬ 
ordnung, Taxe, für die Ärzte, welche erst im Jahre 1802 umgearbeitet, für 
sämtliche Medizinalpersonen festgesetzt und unter dem 30. April 1802 im 
Namen des Königs veröffentlicht wurde, mit dem Hinweise darauf, daß die 
früheren Preisansätze nicht mehr angemessen und eine Ausdehnung auf 
sämtliche Medizinalpersonen unter den veränderten Verhältnissen not¬ 
wendig sei. 

Schon am 13. Februar ordnete der König eine Verbesserung des 
Ediktes an. 

Ungeachtet dieser Vorschriften nahm die Kurpfuscherei und Medikasterei 
nicht ab, sondern zu. Dazu trug auch eine Begünstigung dieses Treibens in 
Regierungskreisen bei, wie aus der nachstehenden Tatsache hervorgeht. 

Eine A.O. vom 28. August 1746, gez. Friedrich, bestimmte, daß Scharf¬ 
richter, welche sich gute Wissenschaften in äußerlichen Kuren zuwege 
gebracht und darüber glaubwürdige Zeugnisse haben, zur Prüfung beim 
Ober-Collegium medicum zugelassen und nach Bestehen derselben zum 
Kurieren gewisser äußerlicher Schäden die Erlaubnis erhalten sollten. Eine 
Gegenvorstellung der Chirurgen vom 26. September 1746 wurde unter dem 
28. September d. J. zurückgewiesen. 

Wie stark die Kurpfuscherei in jener Zeit im Schwange war, geht aus 
verschiedenen Beschwerden hervor, so besonders aus einer des Collegium 
SanitatiB vom 9. August 1758, worin auf den großen Schaden hingewiesen 
wurde, welchen alte Weiber durch ihr Kurieren stifteten. Die Beschwerde¬ 
führer werden am 4. September 1758 auf die bestehenden Bestimmungen 
und darauf hingewiesen, daß solche gehörig auszuführen und die Provinzial- 
Collegia medica dahin zu verständigen seien. Ein gleiches wurde gegen das 
unerlaubte Kurieren innerer und äußerer Krankheiten durch entlassene 
Feldscherer am 14. Juli 1759 angeordnet, und am 11. Oktober 1764 wurden 
die wider das Kurpfuschen erlassenen Verbote wiederum allerorten zur 
Veröffentlichung^ empfohlen. 

Über die dem Collegium medicum zugesprochenen Prüfungsrechte kam 
es zwischen diesem und der medizinischen Fakultät in Frankfurt (Oder) zu 
einem umfangreichen scharfen Schriftwechsel. 

Die Frankfurter medizinische Fakultät scheint mit der Verleihung des 
Doktortitels Mißbrauch getrieben zu haben, da eine K. 0. vom 13. Januar 


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236 


M. Pistor, 


1725 die Fakultät ernstlich erinnert, mit Erteilung des Doktortitels behut¬ 
sam umzugehen. Der König befahl, daß jeder, der promovieren will, vorher 
ein Zeugnis des Collegium medicum darüber beizubringen habe, daß er 
dort geprüft, auch einen anatomischen Kursus durcbgemacht habe. 

Sollten Kandidaten auf ausländischen Universitäten studiert haben, so 
sollten sie vor der Annahme zur Promotion noch einen Kursus auf dem 
Berliner anatomischen Theater durcbmachen. Das gleiche galt für diejenigen 
doctores medicinae, welche als Land- und Stadtphysiker, wie als adjuncti 
Collegii medici angestellt oder bei gerichtlichen Sektionen zugezogen zu 
werden wünschten usw. Abschrift dieser Order erhielten die Fakultäten zu 
Halle und Duisburg. 

Die medizinische Fakultät beschuldigte unter dem 20. März 1725 das 
Collegium medicum, daß, obwohl nach dem Edikt vom 12. November 1685 
zwei Professoren der Fakultät das Collegium mit konstituierten und als 
membra geachtet wurden, auch bis zur Zeit durch Schriftwechsel mit dem 
Collegium und sonstiges Benehmen vorschriftsgemäß behandelt und ihre 
Rechte unangetastet erhalten worden seien, sei dieses von den später in 
das Collegium medicum eingetretenen Mitgliedern nicht geschehen. Die von 
dem Könige an das Collegium erlassenen Vorschriften seien den Frankfurter 
Mitgliedern nicht mehr mitgeteilt, vielmehr den Rechten der Fakultät auf 
alle mögliche Art Abbruch getan worden. Die Fakultät sei älter wie das 
Collegium medicum, ihre Rechte seien von Kaiser und Reich bestätigt 
worden. Insbesondere wird dem Collegium medicum vorgeworfen, daß es 
der medizinischen Fakultät Prüfungen und deren Ergebnisse nicht anerkannt 
oder abfällig beurteilt und dadurch die Fakultät herabgesetzt habe, infolge¬ 
dessen habe die Zahl der Studierenden abgenommen. 

Die Bestimmung des Königs, daß die Studierenden erst nach Bestehen 
der anatomischen Prüfung vor dem Collegio medico in Berlin von der 
Fakultät in Frankfurt promoviert werden dürfen, sei eine Härte gegen diese, 
deren Ansehen und Vertrauen dadurch gefährdet werde. Ein tüchtiger 
Anatom und Physiologe sei nicht immer ein brauchbarer praktischer Arzt. 
Mehrere Beispiele irrtümlicher Beurteilungen forensischer Fälle durch das 
Collegium medicum wurden angeführt. Abgesehen hiervon würden die 
Kandidaten doppelte Kosten haben und dadurch leicht bewogen werden, 
ausländische Universitäten aufzusuchen, um dort die Prüfungen und die 
Promotion zu absolvieren. In der juristischen Fakultät sei ein Rückgang 
der Studierenden bereits eingetreten, nachdem ähnliche Vorschriften für die 
Prüfungen erlassen seien. Kurz gesagt, die Fakultät sehe sich in ihrer 
Ehre, aber auch in ihren Einnahmen geschädigt. Die Unterzeichneten, der 
Dekan und ein ordentlicher Professor der medizinischen Fakultät, bitteu 
um Remedur. 

Das Collegium medicum, zur Verantwortung auf gef ordert, wies 
in einer 30 Folioseiten umfassenden Gegenschrift zunächst den Vor¬ 
wurf zurück, daß es die Fakultät vernachlässigt oder herabgesetzt habe. 
Auffallen und verwundern müsse es, wie die Fakultät so verächtlich 
von der Anatomie sprechen könne, deren genaue Kenntnis doch nicht allein 
für Gerichtsärzte wichtig und notwendig, sondern die Grundlage für alle 
Teile der Medizin sei, wie schon Hippokrates betont habe: „Wer in 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


237 


der Anatomie nicht Bescheid wisse, der bleibe ein Stümper.“ 
Außerdem wisse niemand, der Medizin studiere, von vornherein, ob er nicht 
einmal Gerichtsarzt werden wolle oder müsse. Was die übrigen Aus¬ 
führungen der Fakultät anlange, so sei nicht verständlich, was man unter 
Anatomia rudis sich denke, vielleicht die Fleischeranatomie, welche die 
Organe benenne und deren Lage angebe. Eine solche Anatomie bringe aber 
weder für die Physiologie noch für die Pathologie Nutzen; dazu sei eine 
exquisite Kenntnis der Anatomie notwendig. 

Wenn die Fakultät angebe, daß jemand ohne Kenntnis der Anatomie 
ein tüchtiger Arzt sein könne, ein hervorragender Anatom aber durchaus 
kein tüchtiger Arzt sein müsse, so könne dies ja Vorkommen. Im ersteren 
Falle aber handele es sich lediglich um einen Routinier, im zweiten Falle 
stehe der tüchtige Anatom der Praxis fern. Einen Einzelfall der Art dürfe 
man nicht verallgemeinern; es gebe aber tüchtige Anatomen, welche auch 
hervorragende praktische Arzte seien. 

Die Vorwürfe über Verwechselungen in der Krankheitsdiagnose werden 
wie die angeblich falschen Beurteilungen gerichtlicher Fälle in. gebührender 
Weise mit Gegengründen beweisend widerlegt. 

Unter den strittigen Vorkommnissen ist die Beurteilung einer Verletzung 
des Colon sehr interessant. Die Fakultät hatte die nur geringe Verletzung 
für absolut letal erklärt, das Collegium medicum sie aber als durch Zufall 
tödlich bezeichnet. In der Verantwortungsschrift weist das Ober-Collegium 
medicum darauf hin, daß die Chirurgen kleine Darmwunden bei Anwendung 
der Darmnaht für nicht absolut tödlich erklärten, ja, daß solche Verletzungen 
durch Verwachsung mit einer äußeren Wunde sogar heilen könnten. 

Es werden dann noch mehrere Beschuldigungen der Fakultät mehr 
formeller Art als unbegründet zurückgewiesen. 

Der König trat den Ausführungen des Ober-Collegium medicum in allen 
Punkten bei und verwies der Fakultät unter dem 13. September 1726 ein 
solches Vorgehen in scharfer Form, indem er sie zugleich auf das Un¬ 
geziemende des Tones hinwies. 

Collegium medico-chirurgicum. 

Die Vorbildung und Prüfung der Ärzte war bis zum Ende des 17. Jahr¬ 
hunderts Sache der Universitäten, sie erteilten die Erlaubnis zur Ausübung 
der Praxis. Für die Wundärzte lag die Prüfung und Erlaubnis der Berufs- 
ausübung in der Regel den Gildeältesten der Bader und Barbiere ob. 

Das Medizinaledikt vom 12. November 1685 schrieb (a. a. 0.) ordentliche 
Prüfungen der Medizinalpersonen durch das Collegium medicum in Berlin 
oder dessen Delegierte (adjuncti) vor. ln besonders gutem Ruf für die Vor¬ 
bildung und Prüfung der Mediziner stand schon vorher die Universität in 
Frankfurt a. d.O. Das bezeugt eine kurfürstliche Order vom 12. Juni 1685, 
wonach diejenigen Mediziner, welche dort studiert hatten und promoviert 
waren, nach vorheriger Erkundigung bei der medizinischen Fakultät bei der 
Besetzung der Physikate oder der Berufung oder der Bestallung eines medici 
besonders zu berücksichtigen sein sollten. 

Zur besseren Vorbildung der Feldscherer, die naturgemäß für die Armee 
von hervorragender Bedeutung war, hatte Friedrich Wilhelm I. auf Vorschlag 


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238 


M. Pistor, 


des Generalchirurgus Dr. Holtzendorff im Jahre 1713 eine Anatomie- 
kammer ’) in der königlichen Akademie durch Spener anlegen lassen, welche 
als Theatrum anatomicum mit dem 1724 ins Leben gerufenen Collegium 
medico - chirurgicum verbunden war. In demselben Jahre wurde der Bota¬ 
nische Garten in Berlin zu Unterrichtszwecken angelegt. Eine königliche 
Order vom 17. März 1718 hatte bereits bestimmt, daß die Leichen der in 
den Hospit&lern Verstorbenen beiderlei Geschlechts gegen eine Entschädigung 
von 5 Talern an das Theatrum anatomicum abzuliefern seien. Durch eine 
weitere Kabinettsorder vom 15. April 1719 (Mylii C. C. M. *) VI. II, Nr. 117) 
überwies der König die Leichen Hingerichteter, wenn nicht ein anderer 
Befehl ergehe, und von Selbstmördern, wenn nicht der Selbstmord durch 
Geisteskrankheit begründet sei oder die Familie Einspruch erhebe oder aus 
anderen Gründen Bedenken bestehen, dem Theatrum anatomicum zur Be¬ 
lehrung der Studierenden. Auch die Leichen der in Armenhäusern Ver¬ 
storbenen, sowie von unehelich Schwangeren oder Wöchnerinnen fielen laut 
Kabinettsorder vom 28. August 1722 an die Anatomie. Diese Bestimmung 
wurde am 19. Januar 1725 in Erinnerung gebracht. 

Eine am 5. März 1719 vom Könige vollzogene Verordnung, „wie es 
bei dem Etablissement der anatomischen Wissenschaften soll gehalten werden“, 
hat in erster Reihe die Ausbildung tüchtiger Feldscherer im Auge, „damit 
allzeit geschickte und rechtschaffene Chirurgen den Königlichen Diensten 
gewonnen werden können“ (Mylii C. C. M. V. IV, S. 207). Das Theatrum 
anatomicum sollte in guten Stand gesetzt und darin erhalten werden, damit 
anatomische Übungen zu bequemer Zeit und gewissen Stunden nachmittags 
stattfinden könnten. Demgemäß sollten im Winter nach Michaelis bis gegen 
Ostern an menschlichen Körpern öffentlich anatomische Demonstrationen 
stattfinden und im Sommer Sektionen an Tieren oder an anatomischen 
Präparaten und an drei Tagen in der Woche Operationskurse für Chirurgen 
abgehalten werden, deren Beruf auf anatomischen Kenntnissen vornehm¬ 
lich beruhe. Dazu seien besonders die Körper Hingerichteter zu benutzen. 
Derartige Vorträge seien im Winter und Sommer durch gedruckte Zettel 
auch für studiosis medicinae anzuzeigen. 

Wenn menschliche Leichen aus den Hospitälern zur Sektion vorhanden 
seien, dann sollten die Studierenden, welche dazu Lust haben, mit dem 
Professor der Anatomie in einem besonderen Zimmer des Krankenhauses 
die Leichenzergliederung vornehmen. Todesfälle an seltenen Krankheiten 
sollten dem Anatomie-Professor zwecks Demonstration für die Chirurgen 
gemeldet werden. Die Vorträge seien nach einheitlichen Vorschriften der 
Sozietät der Wissenschaften zu halten und hätten sich auch auf Verletzungen 
und äußerliche Krankheiten zu richten. Auch seien die inneren Ärzte zu 
berücksichtigen. 


*) Über der Kammer stand folgende Inschrift: Fridericus Wilhelmus Rex 
Borussiae et Elector Brandenburgensis Theatrum hoc anatomicum A. MDCCXUI 
fundavit. Collegio Professorum medico - chirurgico A. MDCCXIV stabilivit, con- 
tinuo artis exercitio abundantiae subjectorum prospexit, inexercitus populique salu- 
tem, civium hospitiumque commodum. (Augustin, Die königlich Preußische 
Medizinalverfassung. Potsdam 1818, Band I.) 

*) Corpus Constitutionum Marchicarum. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 239 

Von Ostern bis Michaelis sollten wöchentlich zwei theoretische Vor¬ 
lesungen einschließlich der Operations- und Verbandlehre gehalten werden, 
„wie solche ein guter Regiments-Feldscherer notwendig wissen muß“. 

Auch sollten die Chirurgen wie die Ärzte sich Kenntnisse der Arznei¬ 
mittel in den Apotheken verschaffen. Am 21. Januar 1748 wurde Dr. Joseph 
Hillmer als Augen-Operateur, durch Kabinettsorder vom 16. Februar 1750 
Dr. Meckel als Professor der Anatomie an die Berliner Akademie, letzterer 
an des verstorbenen Dr. Cassebohm Stelle, berufen. 

Die Ausbildung am Krankenbett erhielten die Feldscherer in der im 
Jahre 1726 vom Könige zum Bürgerlazarett bestimmten Charite; hierher 
wurde auch die innere Klinik auf Befehl des Königs vom 10. Januar 1798 
gelegt und zugleich angeordnet, daß mit allen Studierenden eine ordentliche 
klinische Prüfung statt der bisher allein üblichen praktischen Ausarbeitung 
über den Kranken und ein klinischer Kursus statt der bisherigen praktischen 
Ausarbeitung abgehalten werden sollte. - 

Die Vorlesungen in den einzelnen medizinischen Fächern wurden in 
einem gedruckten gemeinschaftlichen Verzeichnis, das vorher von dem Dekan 
durchgesehen war, im Namen und auf allerhöchsten Spezialbefehl Sr. Majestät 
des Königs angezeigt. Das erste gedruckte Verzeichnis dieser Art bei den 
Akten des Geheimen Staatsarchivs bezieht sich auf die Jahre 1754 und 1755. 
Die früheren, hier auf bewahrten Verzeichnisse waren nur geschrieben und 
erschienen seit dem Jahre 1726 unter dem Titel „Verzeichnis der Lektionen, 
wie selbige bei dem von Seiner königlichen Majestät in Preußen zur Auf¬ 
nahme des Studii medicinae und chirurgiae in dero Residenz gestiftetem 
königlichen Collegio medico-chirurgico des 1726ten Jahres gehalten werden“. 

Nach einem Schreiben des Ober-Collegium medicum vom 9. März 1776 
waren die Professoren verpflichtet anzuzeigen, wenn sie ihre Vorlesungen 
aussetzten. 

Aus den Akten ergibt sich, daß die jüdischen Studenten der Medizin 
für die Inskription bei dem Collegium die doppelte Gebühr wie die Christen 
zahlen mußten. Ein gleiches fand auch bei den Akademien statt, „weil es 
im Interesse Seiner Majestät liege, daß den Juden das Studieren nicht zu 
leicht gemacht werde, da sie dadurch von gewerblichen Abgaben von ihren 
Berufen, welche sie sonst ergreifen würden, befreit würden“. Mit Rückpicht 
hierauf hält es das Collegium medico-chirurgicum für angemessen, daß die 
jüdischen Studenten höhere Kollegien- und Prüfungsgebühren bezahlen als 
die Christen. Von dem leitenden Minister sei die Erlaubnis erteilt. 

Den Kandidaten sollte nicht gestattet werden, die anatomischen Prä¬ 
parate in ihre Wohnungen mitzunehmen, da auf diesem Wege Betrügereien 
dadurch stattgefunden hatten, daß Freunde die Präparate gemacht und auch 
den Vortrag für den Prüfling zum Ablesen aufgeschrieben hatten. Die 
Prüfungen sollten nicht vor einem, sondern vor allen Professoren abgelegt 
und die Zeugnisse von allen Beteiligten unterschrieben werden. 

Unter dem 10. Juli 1750 wurde im Namen des Königs angeordnet, 
nachdem sich im Laufe der Jahre schwere Mißstände bei den Staatsprüfungen 
der Ärzte und Chirurgen eingeschlichen hatten, daß die Prüfungen, besonders 
in der Anatomie, künftig wieder mit aller Strenge abgehalten werden sollten. 
Niemand sollte als Arzt oder Chirurg approbiert werden, der die Prüfungen 


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240 


M. Pistor, 


nicht ausreichend bestanden hat. Das Abkauien durch Geschenke an die 
Professoren, welches eingerissen gewesen zu sein scheint, wurde mit schweren 
Strafen für beide Teile bedroht Zum Schlüsse wurde das Entwenden von 
ganzen Leichen und Leichenteilen aus dem Theatro anatomico und dem- 
nächstiges Deponieren auf den Straßen oder im Wasser strenge untersagt. 

Zwischen dem Obercollegium medicum und dem Collegium medico- 
chirurgicum kam es im Januar 1755 zu Eompetenzstreitigkeiten über die 
Zulassung zum Cursus anatomicus, welche das Ober-Collegium medicum für 
sich beanspruchte, während das Collegium medico-chirurgicum dies für sein 
Recht hielt; dieses Collegium wies überhaupt jede Unterstellung unter das 
Ober-Collegium medicum zurück. Der Federkrieg zwischen beiden Collegien 
zog sich bis zum Jahre 1768 hin und wurde durch die Kabinetteorder vom 
19. November 1768 zugunsten des Ober-Collegium medicum beendet 

Für die Ausbildung der Militärärzte gründete und richtete Friedrich 
Wilhelm II. nach langjährigen Verhandlungen auf nachdrückliches Betreiben 
des Generalstabschirurgus Dr. Görcke am 2. August 1797 das noch heute 
unter dem Namen Kaiser Wilhelms-Akademie bestehende Friedrich Wilhelms- 
Institut, die Pepiniöre ein, deren Pensionäre bei den Professoren des Collegium 
medico-chirurgicum seit 1798 Vorlesungen hörten. 

Alle Medizin Studierenden, besonders aber die Pensionärs der Pepiniere, 
mußten vor der Immatrikulation vom Dekan auf ihre wissenschaftliche Vor¬ 
bildung, namentlich darauf geprüft werden, ob sie der deutschen Sprache 
im Lesen, Schreiben und im Ausdruck mächtig waren. 

über die weitere Entwickelung dieser für das Militär-Medizinalwesen 
so bedeutungsvollen Anstalt wird auf die Jubiläumsschrift der militärärzt¬ 
lichen Bildungsanstalten von Dr. Schickert, Berlin 1895, Mittler und Sohn, 
verwiesen. 

Zweiter Abschnitt. 

Die Entwickelung der Medizinalverwaltung nach dem Erlaß des 
Medizinalediktes vom 27. September 1725 bis zur Errichtung 
einer besonderen Medizinalsektion im Ministerium des Innern 

1808/09. 

Gesundheitspolizei. 

Die bisher erwähnten Gesetze und Vorschriften behandeln lediglich das 
Heilwesen (die Medizinalpolizei) und lassen mit Ausnahme der Anordnung 
des Kurfürsten Johann Georg über die Beobachtung der Sterbefälle nach 
ansteckenden Krankheiten durch die Geistlichen vom Jahre 1573 den ge¬ 
sundheitspolizeilichen Teil des öffentlichen Gesundheitswesens, die Gesuud- 
heits- oder Sanitätspolizei, heute mit Vorliebe von vielen Hygiene genannt, 
unberührt. Und doch hatten sich gesundheitspolizeiliche Vorsichtsmaßregeln 
zur Zeit des Großen Kurfürsten bereits im 17. Jahrhundert bemerklich ge¬ 
macht, als die Pest sich den Grenzen des Kurfürstentums Brandenburg 
näherte. Die damaligen Schritte des Großen Kurfürsten zur Verhütung des 
Eindringens der Pest (Erlaß vom 30. Oktober 1680 ff.) werden der Übersicht¬ 
lichkeit wegen besser bei der Besprechung der Pest Erwähnung finden. 

Behufs Bekämpfung der Pest und der ansteckenden Krankheiten im all¬ 
gemeinen errichtete Friedrich Wilhelm I. zu Anfang des 18. Jahrhunderts das 


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Geschichte der preußischen Medizinal Verwaltung. 241 

Collegium sanitatis neben dem Ober-Collegium medicum. Sichere Nachrichten 
über die Zeit der Errichtung des Collegium sanitatis habe ich nicht ermitteln 
können; doch muß dasselbe schon am Beginne des 18. Jahrhunderts be¬ 
standen haben, da durch eine Order vom 24. August 1709 der Hofprediger 
Jabionski, wegen seiner guten Korrespondenzen, und ein oder zwei 
Mitglieder des Magistrates zu Mitgliedern des Collegium sanitatis ernannt 
wurden. Die Allerhöchste Order vom 7. September 1709 berief ferner 
zwei Geheime Räte zu Beisitzern. Unter dem 18. August 1710 wurde 
das Mitglied des Collegium sanitatis Dr. med. Christian Friedrich Benjamin 
Kauffmann in einer Gehaltsangelegenheit beschieden. Das frühere Be¬ 
stehen eines Collegium sanitatis geht außerdem auch aus einer Königlichen 
Order vom 8. August 1712 hervor, durch welche die Beamten und Offiziere 
angewiesen wurden, die Edikte über Maßregeln gegen die Pest, welche die 
kurbrandenburgischen Landesteile wieder bedrohte, von dem Collegium 
sanitatis zu erbitten. Diese Edikte vom 16. Februar und 2. November 1711 
sollten überall öffentlich angeschlagen, in den Kirchen aber vor versammelter 
Gemeinde abgelesen werden. 

Friedrich Wilhelm 1. verwandelte am 16. August 1719 das bisherige 
Collegium sanitatis in ein Pestkollegium, nachdem die Pest zufolge aller¬ 
dings nicht ganz zuverlässiger, bei den damaligen sehr langsam ein¬ 
gehenden Nachrichten in Siebenbürgen, Ungarn und Polen ausgebrochen 
sein sollte. Das Pestkollegium sollte nach der Instruktion vom 29. August 
1719 aus dem Vorsitzenden, dem Generalmajor Freiherrn v. Loeben, aus 
zwei Mitgliedern des Generalkommissariats, des General - Finanzdirektorium 
und je einem inneren Arzt und Chirurgen, welche aus dem Collegium medi¬ 
cum zu übernehmen seien, bestehen, sich wöchentlich einmal, nach Bedürfnis 
öfter in der Geheim ratsstube versammeln und über Maßregeln gegen Ein¬ 
schleppung und Verbreitung der Pest, über die Verhütung anderer an¬ 
steckender Krankheiten, sowie auch über die Bekämpfung der Viehseuchen 
beraten. Insbesondere sollte das Collegium darauf achten, ob die Pest 
(Seuche) von Osten weiter gegen die Staatsgrenze vordringe, und deswegen 
einen nötigen und fleißigen Schriftwechsel mit allen Gesandten von aus¬ 
wärtigen Höfen, welche den infizierten Ortschaften nahe benachbart sind, 
sowie mit den Staats- und Stadtbehördeu, den Militärkommandos unter¬ 
halten, die eingehenden Schriften collegialiter verlesen, das Erforderliche 
anordnen, besonders wichtige Nachrichten dem Könige mit der erlassenen 
Verfügung zur Unterschrift vorlegen. Falls die Pest Vordringen sollte, 
müßten alle pestfangenden Güter und Waren, Kleider, Linnen u. dgL aus 
infizierten Ländern, wenn nicht gehörige Ursprungszeugnisse über Provenienz 
aus gesunden Ortschaften vorgelegt werden könnten, von der Einführung 
in das Staatsgebiet ausgeschlossen sein. 

In den Provinzen seien Collegia sanitatis einzurichten; der Entwurf zu 
einer Instruktion für das Ober-Collegium sanitatis war dieser Order schon 
beigefügt. Durch Order vom 1. September 1719 wurden die Mitglieder, 
unter ihnen die Chirurgen Bin ge r und Marggraf, berufen, denen freistehen 
sollte, einige Regimentsfeldscherer zu Hilfe zu nehmen. 

Das Pestkollegium fand aber im Laufe der Jahre weniger Gelegenheit, 
sich mit der Pest und ansteckenden Menschenkrankheiten, als vielmehr mit 

Vierteljfthmchrlft für GWundheit«pflege, 1908. ]g 


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242 


M. Pistor, 


Viehseuchen und dem dadurch Verursachten Viehsterben zu beschäftigen, 
dessen Überwachung schon durch eine Order des Kurfürsten Friedrich III., 
späteren König Friedrich I., vom 5. Juni 1699 angeordnet war. Die auf 
solche Weise erheblich vermehrte Arbeit des Collegium sanitatis veranlaßt« 
die Mitglieder, 1731 um Neubesetzung der erledigten Stellen zu bitten, was 
1732 und auch später geschah, stets aber auf Grund der durch das Vieh¬ 
sterben vermehrten Arbeit. 

Mehr und mehr kam man zu der Überzeugung, daß ungeachtet des 
Rückganges der Pestgefahr eine dauernde Überwachung der Kranken¬ 
bewegung, namentlich der Entstehung und Verbreitung ansteckender Krank¬ 
heiten und eine Verbesserung der äußeren Lebensbedingungen im staatlichen 
Interesse notwendig sei und daß dies bei der Erweiterung des Staatsgebietes 
nicht durch eine Zentralbehörde bewirkt werden könne. Demgemäß wurden 
1762 neben dem Ober-Collegium sanitatis die schon in Aussicht genommenen 
Provinzialcollegia errichtet. 

Im Eingänge der Kabinettsorder vom 14. November 1786, einer In¬ 
struktion für das Ober-Collegium sanitatis, wird gesagt, daß die zur Landes¬ 
polizei mitgehörigen „Gesundheitsanstalten“ (soll wohl heißen Gesundheits¬ 
einrichtungen) überhaupt diejenigen Einrichtungen und Maßregeln betreffen, 
wodurch die Gesundheit der Menschen und des Viehes befördert und deren 
Beschädigung abgewandt werden könne. Die Medizinalanstalten hingegen 
beschäftigen sich vornehmlich mit den Mitteln zur Wiederherstellung der 
verlorenen Gesundheit der Einwohner. Weiter ist angeordnet, daß unter¬ 
geordnete Beamte oder Behörden des Ober-Collegium sanitatis nicht an¬ 
ordnen, sondern nur Rat erteilen, Vorschläge machen sollen. 

Die Tätigkeit des Ober-Collegium sanitatis sollte laut Instruktion vom 
21. Dezember 1786 hauptsächlich darauf gerichtet sein, die Gesundheit von 
Menschen und Tieren zu erhalten, die Verbreitung ansteckender Krankheiten 
im Lande und die Einschleppung vom Auslande zu verhüten. Das Collegium 
müßte deshalb über alle im Lande und an den Grenzen wie im Auslande 
vorkommenden bedenklichen Gesundheitsmißstände gehörig unterrichtet sein. 
Insbesondere sollte das Collegium (§ 15 a. a. 0.) das Auftreten der Pest im 
Auge haben und alle dagegen in den Jahren 1752 und 1770 angeordneten 
Maßnahmen zur Ausführung bringen. Wie gegen die sonstigen ansteckenden 
Krankheiten, wie hitzige Fieber, Pocken, Ruhr, zu verfahren sei (§ 16), das 
war durch Sondererlasse bereits verfügt. Die Ortsschulzen sollten solche Krank¬ 
heitsfälle „ohne den geringsten Zeitverlust“ dem Kreisphysikus und dem¬ 
nächst der Gerichtsobrigkeit und dem Landrat anzeigen, damit die 
erforderliche Hilfe geschafft werde. Solche Sondererlasse waren 1768 und 
1769 zur Bekämpfung der Pocken und der roten Ruhr, 1768 und am 29. Au¬ 
gust 1770 gegen die Verbreitung der Pest vom Ober-Collegium medicum, 
1772 vom Ober-Collegium sanitatis gegen hitzige Fieber ergangen und er¬ 
schienen zusammengefaßt gedruckt 1776 bei Decker. 

Die Leichen der an den bezeichneten Krankheiten Verstorbenen durften, 
wie bereits am 18. Mai 1769 angeordnet worden war, nicht ausgestellt 
werden; die Gräber sollten doppelt so tief wie für andere Leichen gemacht, 
die Särge verzinkt werden, wenn das Collegium dies für gut befinde. Auch 
sollten die Kirchhöfe außerhalb der Ortschaften angelegt werden. 


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243 


Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 

Der Verkehr mit Nahrungsmitteln sollte gehörig fiberwacht, Unreinlich¬ 
keit in Straßen und in den Wohnungen beseitigt werden. Die Sorge für 
uneheliche Kinder (Haltekinder) wurde empfohlen, Überwachung des Betriebes 
und der Einrichtung der Kranken- und Irrenhäuser befohlen, Verhütung des 
Beerdigens scheintoter Menschen, endlich Beobachtung des Viehsterbens. 

Ein wenig modifizierter Entwurf spezifizierte 1797 die Überwachung 
des Verkehrs mit Nahrungsmitteln mehr, wie Trinkwasser, Brot, Fleisch, 
Getränke, Wein, Bier, Branntwein; letzterer und Liköre sollten nicht durch 
kupferne Helme oder Schlangen destilliert werden. Die Koch- und Eß- 
geschirre wurden bereits berücksichtigt, ebenso giftige Farben. Die Lebens¬ 
mittelfabriken sollten überwacht, die Luftbeschaffenheit verbessert und die 
Übertragung ansteckender Krankheiten auf diese und jede sonst erforder¬ 
liche Weise verhütet werden. 

Bei Anlage neuer Städte und Dörfer sei ein Gutachten des Ober-Collegium 
sanitatis, ebenso über Krankenbehandlung in Krankenhäusern zu erfordern, 
die Verunreinigung von Strömen und Flüssen durch Hineingießen von Nacht¬ 
eimern, Hineinwerfen von Tierkadavern usw. zu verhüten, auch die An¬ 
legung von Abtritten an Strömen usw., Kontrollbrunnen, deren Röhren nicht 
aus Kupfer oder Messing, sondern aus Eisen oder reinem Zink herzustellen seien. 

Brot sei aus namentlich durch Mutterkorn nicht verunreinigtem, tadel¬ 
losem Mehl gut ausgegoren und ausgebacken zu bereiten. 

Fleisch sollte nicht aufgeblasen, Ochsen statt durch Schlag durch 
Halsschnitt getötet, Branntwein, Liköre, Essig, Bier nicht verfälscht werden; 
das Wasser zum Bier sei nicht aus Strömen, die immer verunreinigt seien, 
zu entnehmen. Die Beschaffenheit des Geschirres zur Aufbewahrung von 
Nahrungsmitteln wurde vorgeschrieben und verordnet, daß die Apotheker 
säuerliche oder sauere Medikamente nicht in kupfernen, sondern in Gefäßen 
aus reinem Zinn zubereiten sollten. Unreifes oder verdorbenes Obst, ver¬ 
dorbenes Gemfise, unreife Kartoffeln sollten nicht feilgehalten werden; die 
Färbung der Konditorwaren mit schädlichen Farben sei durch Bekannt¬ 
machung zu untersagen. Die Übertragung ansteckender Krankheiten durch 
Kleider und Gebrauchsgegenstände sei zu verhüten. 

Nach der Verschmelzung des Ober-Collegium medicum undsanitatis wurden 
auch die Provinzialcollegia vereinigt und erhielten unter dem 9. November 
1799 eine dementsprechende Instruktion. Für den Fall, daß eine gesetzliche 
Regelung gewisser Punkte erforderlich erachtet werde, oder wenn für das 
Staatswohl bedenkliche Erscheinungen in gesundheitlicher Beziehung beob¬ 
achtet würden (Ausbruch der Pest, Pocken u. dgl.), sei das Ober-Collegium 
medicum et sanitatis in Kenntnis zu setzen. 

Es ist erfreulich, aus diesen Instruktionen zu ersehen, wie die staatliche 
Fürsorge für die Volksgesundheit im Königreich Preußen schon vor länger 
als 100 Jahren sich auf alle die gesundheitlichen Schädlichkeiten erstreckte, 
welche auch heute der staatlichen Überwachung unterstehen. 

Zufolge einer Kabinettsorder Friedrich Wilhelm II. vom 28. September 
1786 gehörte es zu den Obliegenheiten des General-Oberfinanz-, Kriegs- und 
Domänendirektorium, dem das Ober-Collegium sanitatis unterstand, 

„alle zur Erhaltung und Beförderung der Gesundheit der Einwohner 
des Staates und zur Wiederherstellung der zerrütteten Gesundheit 

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M. Pistor, 


der Bürger vorhandenen öffentlichen Anstalten und Einrichtungen 
zu überwachen und für deren Instandhaltung und Verbesserung 
zu sorgen“. 

Dieser Oberbehörde wurde das Ober-Collegium sanitatis deshalb an¬ 
gegliedert; den Vorsitz sollte der Geheime Etatsminister, in dessen Behinde¬ 
rung ein Geheimer Finanzrat und in dessen Behinderung der ältest« Rat 
des Collegium führen, welchem außer einer Anzahl hervorragender Berliner 
Arzte ein Rat aus der kurmärkischen Kammer, ein Mitglied des Magistrats 
und der Stadtpbysikus von Berlin angehörten. 

In Gemäßheit der Instruktion vom '21. Dezember 1786 war das Ober- 
Collegium sanitatis dem genannten Generaldirektorium in allen die allgemeine 
Landeswohlfahrt und die Gesundheit der Einwohner betreffenden und dahin ge¬ 
hörigen Angelegenheiten untergeordnet. Die Unterbeamten wurden bezeichnet, 
deren Rechte und Pflichten bestimmt und ein Collegialfonds festgesetzt. 

Das Collegium verfügte selbständig an die Provinzialcollegia (von deren 
Bestehen dasselbe aber nach seinem Schreiben vom 3. Februar 1787 noch 
keine Kenntnis erhalten hatte), an die Kreis- und Stadtphysiker. 

Soweit geht der erste Abschnitt der Instruktion. Der zweite Abschnitt 
handelt in 13 Paragraphen 

„von den Gegenständen der DieDstverrichtung in dem Ober-Collegium 
sanitatis“. 

Das Collegium sollte, wie schon S. 241 erwähnt ist, sich durch Korre¬ 
spondenz mit den beteiligten Behörden in der Residenz und den Provinzen 
über den Gesundheitszustand der Menschen und Tiere stets auf dem 
laufenden erhalten, insbesondere ein scharfes Augenmerk auf das größte 
Übel, die Pest, richten, jedes Vorkommen derselben im Auslände, namentlich 
in den Grenzländern, dem Generaldirektorium melden und die durch die In¬ 
struktion vom 29. Februar 1752 und das Edikt vom 29. August 1770 vor¬ 
geschriebenen Maßregeln zur Geltung bringen und deren Ausführung über¬ 
wachen. 

Ferner hatte das Ober-Collegium sanitatis den Verkehr mit Nahrungs¬ 
mitteln in der angegebenen Weise zu überwachen, kein ungesundes Vieh 
schlachten, ebensowenig unreifes Obst, dumpfiges Mehl, schlecht ausgetrock¬ 
netes Brot usw. in den Verkehr gelangen zu lassen, Versüßung des Weines 
mit Silberglätte usw. zu verhüten. Erforderlichenfalls sei dem Genernl- 
direktorium Anzeige zu erstatten. Das Ober - Collegium sanitatis habe für 
Reinlichkeit in den Höfen und auf den Straßen zu sorgen, die Verwahr¬ 
losung unehelicher Kinder zu verhüten, gegen Tollwut bei Tieren und 
Menschen Vorschriften zu erlassen, das Viehsterben, wie den Betrieb von 
Kranken- und Irrenhäusern, das Beerdigungswesen zu überwachen und die 
Beerdigung Scheintoter zu verhüten. 

Die Provinzial-Collegia sanitatis erhielten eine ähnliche Instruktion. 

Auch damals, wie in späteren Zeiten, unterblieb die Anzeige an¬ 
steckender Krankheitsfälle an das Ober-Collegium häufig, wie aus einer Be¬ 
schwerde desselben an den König vom 7. Mai 1791 hervorgeht. Der König 
wies am 19. Mai diese Beschwerde mit dem Bemerken zurück, daß das Ober- 
Collegium sich nicht um Einzelheiten kümmern, sondern nur einen allgemeinen 
Überblick haben sollte. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


245 


Am 16. Oktober 1797 aberreichte das Ober-Collegium sanitatis den 
Entwurf zu einer neuen Instruktion, zufolge deren dem Collegium eine 
erweiterte Gescb&ftsyerwaltung zufallen sollte, wurde aber vom Könige unter 
dem 21. November 1797 zurückgewiesen. 

Schon seit Jahrzehnten waren zwischen dem Ober-Collegium medicum 
und dem Ober-Collegium sanitatis Reibungen über die Zuständigkeit jeder 
der beiden Behörden im Einzelfalle vorgekommen. Man gelangte daher 
immer mehr zu der Erkenntnis, daß das Nebeneinanderbestehen zweier Be¬ 
hörden, deren Wirkungskreise sich in so vielen Punkten berührten, sogar 
kreuzten, weder den Medizinalangelegenheiten, noch deren Verwaltung 
dienlich und deshalb überhaupt nicht zweckmäßig seL 

Die Präsidenten beider Collegien erhielten durch Kabinettsorder vom 
3. April 1798 den Auftrag, über eine Vereinigung der beiden Behörden 
gemeinschaftlich sich gutachtlich zu äußern; die höheren Reesortverhältnisse 
sollten aber dabei nicht berührt werden. Ein gemeinschaftlicher gutacht¬ 
licher Bericht vom 13. April 1798 stimmte der Vereinigung beider Behörden 
zu, weil dadurch eine große Vereinfachung des Geschäftsganges 
herbeigeführt werden würde. Für die Angelegenheiten, welche sich lediglich 
auf ansteckende Krankheiten der Menschen und Tiere bezogen, sollte zur 
Innehaltung der Verbindung mit dem Generaldirektorium, welche zur 
schleunigen Erledigung dieser eilbedürftigen Sachen notwendig sei, eine 
besondere Deputation aus den vereinigten Kollegien abgezweigt werden. Ein 
Plan der Geschäftsbesorgung in den vereinigten Kollegien wurde beigefügt. 

Das Generaldirektorium widersprach diesen Vorschlägen mit der Be¬ 
gründung, daß für die Tätigkeit jeder der beiden Behörden feste Grenzen ge¬ 
geben seien. Dem Ober-Collegium medicum sei das Medizinal wesen, dem Ober- 
Collegium sanitatis das Gesundheitswesen überwiesen. Eine Vereinigung 
beider Kollegien würde weder für notwendig, noch für nützlich oder zweck¬ 
mäßig gehalten. 

Der Präsident des Ober-Collegium sanitatis fand den Widerspruch des 
Gener&ldirektoriums nicht begründet und hob zutreffend insbesondere noch 
hervor, daß das Ober-Collegium sanitatis jährlich nur 200 Geschäftsnummern 
habe. 

Durch Kabinettsorder vom 2. Februar 1799 wies der König darauf hin, 
daß beide Collegia für Gegenstände der Landespolizei gestiftet seien, wobei 
es auf die Benutzung wissenschaftlicher Kenntnisse der Medizin und anderer 
mit derselben verwandten Wissenschaften ankomme. Daher seien auch die 
meisten Sachverständigen zugleich Mitglieder beider Behörden. Dieselben 
seien aus Gründen der Zweckmäßigkeit im Interesse der Staatswirtschaft 
und der einheitlichen Verwaltung zu vereinigen. Generaldirektorium und 
Medizinaldepartement sollten sich darüber benehmen und einen Plan zur 
Vereinigung beider Behörden vorlegen. Der am 16. Februar 1799 bereits 
vorgelegte Plan wurde am 21. Februar vom Könige vollzogen; die am 13. März 
1799 vereinigten Collegia hießen von da ab: Ober - Collegium medicum et 
sanitatis, oder Obermedizinaldepartement. 

Die Provinzialcollegia wurden in gleicher Weise vereinigt und die 
Provinzialbehörden (Kriegs- und Domänenkammern) unter dem 20. März 
1799 demgemäß angewiesen. 


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246 


M. Pistor, 


Eine Kabinettsorder vom 20. März 1799 bestimmte die Rangverhältnisse 
der Mitglieder in dem vereinigten Ober-Collegium medicum et sanitatiz 1 ). 
Ein Kombinationsreglement für die vereinigten Collegia wurde beigefügt. 
Der Dekan erhielt die Stelle gleich nach den beiden juristischen Vorsitzenden 
mit der Begründung zugewiesen, „weil er die Responsa medica, medico- 
legalia und sonstige in Sanitatis-Sachen vorkommende Gutachten nach Ein¬ 
sammlung der votorum von den sachkundigen Mitgliedern nach Stimmen¬ 
mehrheit abzufassen hätte“. 

Die Provinzialcollegia sanitatis, welche dem Ober-Collegium und wie 
dieses dem Finanzministerium und dem Generaldirektorium untergeordnet 
waren in Aurich, Küstrin, Stettin, Posen, Kalisch, Warschau, Danzig, Königs¬ 
berg, Halberstadt, Magdeburg, Hamm und Minden, sowie in den Kriegs¬ 
und Domänenkammern in Plock und Bialystock bestanden, sollten nach 
einer Dienstinstruktion vom 9. November 1799 und 21. April 1800 zur 
Beförderung des allgemeinen Gesundheitswohls der getreuen Untertanen Bich 
mit folgenden Angelegenheiten befassen: 

In dem zum Ressort der Kriegs- und Domänenkammer jeder Provinz gehörigen 
Distrikt alles beachten, was die Gesundheit der Bewohner benachteiligen könne, 
für die Abstellung im Wege der Belehrung auch durch die Stadt- und Kreis- 
physiker Sorge tragen und die Ausführung geeigneter Maßregeln bei den Kammern 
anregen und mit Nachdruck fördern. Dahin gehörte die Überwachung des Ver¬ 
kehrs mit Nahrungsmitteln, insbesondere des Getreides, wegen Verunreinigung 
durch Mutterkorn, mit Fleisch, künstlichen Getränken, von Vergiftungen, Aus¬ 
rottung giftiger Pflanzen. Ferner sollten die Fabriken für Nahrungsmittel nicht 
zum Betriebe zugelassen werden, bevor das Ober-Collegium medicum et sanitatis 
deren Erzeugnisse für der Gesundheit nicht nachteilig erklärt habe. 

Auch sollten die Provinzialcollegia für Reinlichkeit, insbesondere in den 
dicht bewohnten Städten sorgen, keine Gewerbebetriebe in den Städten zulassen, 
welche die Luft verunreinigen; solche Gewerbe sollten außerhalb der Städte, wo¬ 
möglich am Ausflusse eines Stromes angelegt und betrieben, die Kirchhöfe sollten 
außerhalb der Ortschaften angelegt werden. 

Auf die Bisse toller Hunde wurde aufmerksam gemacht, dann angeordnet, 
daß die Collegia sich die Beseitigung aller Schädlichkeiten angelegen sein lassen 
sollten, welche die Entstehung und Verbreitung epidemischer Krankheiten fördern 
könnten; die Ausführung der angeordneten Maßregeln sei durch die Stadt- und 
Kreisphysiker zu überwachen. Die Weiterverbreitung ansteckender Krankheiten 
sollten die Collegia beobachten und zu dem Zwecke nicht nur die Totenlisten 
der. größeren Städte allmonatlich einfordern, sondern auch die Physiker zur 
schleunigen Berichterstattung über solche Vorkommnisse anhalten, wobei Symptome 
und Behandlungsweise der Krankheiten anzugeben seien. 

Falls Pest oder sonstige epidemische Krankheiten im Nachbarlande mit Ge¬ 
fahr der Verbreitung in die Provinz auftreten sollten, so sei dem Ober-Collegium 
medicum et sanitatis wie bei allen Menschen- und Tierepidemien zu berichten. 

Diese Instruktion wurde unter dem 21. April 1800 in veränderter und 
vervollständigter Form veröffentlicht und erschien im Druck bei Georg- 
Decker, Königl. Geheimen Oberhofbuchdrucker unter dem Titel: Instruktion 
für sämtliche Provinzial-Collegia medica et sanitatis. 

In dem Ober-Collegium sanitatis saßen zur Zeit seiner Errichtung nur 
zwei Mediziner, die Chirurgen Binger und Marggraf. Bei der Vereinigung 
mit dem Ober-Collegium medicum bestand es aus einem Präsidenten und sieben 
Räten, darunter den fünf ärztlichen Mitgliedern: Klaproth, Gottfried 

‘) Eine außerordentlich wichtige Sache für eitle und kleinliche Menschen! V. 


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247 


Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 

Adolf Welper, Christ. Friedr. Richter, Dr. Hermbstaedt, Dr. Enape, 
Dr. Formey, Generalstabsarzt Dr. Goercke und den Hilfsarbeitern 
Dr. Riemer und Dr. Rose. In dem vereinigten Ober - Collegium medicum 
et sanitatis wurde zur Überwachung der Pestgefahr eine besondere Pest¬ 
kommission abgezweigt, welche wöchentlich einmal, und zwar womöglich 
vor dem Posttag ordentliche und nach Bedarfnis außerordentliche Sitzungen 
halten sollte. 

Unter dem 3. Dezember 1803 wurden die Stadt- und Landphysiker 
angewiesen, jährlich mit den Medizinalpersonen-Tabellen nach folgendem 
Muster eine Übersicht über den Gesundheitszustand ihres Wirkungskreises 
an die Provinzialcollegien und durch diese an das Ober-Collegium medicum 
et sanitatis einzureichen. Das Muster schrieb vor: 

1. Allgemeine geographische Lage des Ortes oder der Gegend in Hinsicht 
auf ihren Gesundheitszustand. 

2. Allgemeine polizeiliche Vorkehrungen zur Erhaltung der Gesundheit und 
gegenwärtige Mängel derselben. 

3. Allgemeine Nachrichten über die Population, die Beschäftigung und die 
Erwerbszweige der Einwohner in Hinsicht auf die Folgen für die Gesundheit. 

4. Nahrungsmittel und Getränke und die dabei bemerkten Fehler und 
Nachteile. 

5. Herrschende Krankheiten: a) endemische, b) epidemische, c) sporadische. 
Mit Rücksicht auf die wahrscheinlichen Ursachen der beiden ersteren und Aus¬ 
hebung der vorzüglich bemerkenswerten Fälle unter den letzteren. 

6. Wichtige medizinisch-gerichtliche Vorfälle. 

Obermedizinaldepartement. 

Durch Kabinettsorder vom 27. Januar 1797 war dem Generalleutnant 
und Minister des Innern Grafen von der Schulenburg die Leitung des 
gesamten Medizinalwesens übertragen. Dahin sollten gehören: 

1. die Aufsicht und Besorgung des Unterrichts aller Medizinalpersonen, 
sowie die Disposition über die dazu ausgeworfenen Fonds; 

2. Prüfung der Medizinalpersonen für ihren Beruf in amtlicher Stellung; 

3. die Aufsicht über die Amts-(Berufs-)prüfung aller Ärzte, Wund¬ 
ärzte, Apotheker und Hebammen; 

4. Verfassung der für diese Personen und deren Tätigkeit erforder¬ 
lichen Gesetze usw.; 

5. die Aufsicht über die königliche Hofapotheke. 

Die oberste Leitung des Collegium medicum et sanitatis verblieben dem 
Generaldirektorium, welches in allen zu dessen Ressort gehörigen Medizinal¬ 
geschäften und inbetreff der von dem Ober-Collegium medicum einzuziehenden 
Gutachten mit dem Chef des Medizinalwesens zu korrespondieren hatte. 

Dem Generaldirektorium verblieb auch die Anstellung der gehörig 
qualifizierten Ärzte als Land- und Stadtphysiker, Erteilung von Konzessionen 
für Chirurgen und Apotheker, Anstellung der Hebammen, Bewilligung und 
Ausmittelung eines Fonds für Hebammen schulen, insofern sie vom Lande 
aufgebracht oder aus anderen Kameralfonds hergegeben werden sollten. 

Damit war die Vereinigung der Ober-Collegia medicum, medico-chirurgi- 
cum et sanitatis eingeleitet. 

Über die Zugehörigkeit des Ober-Collegium sanitatis bestanden Zweifel. 
Graf v. d. Schulenburg war dieser Ansicht, verzichtete aber nach Er- 


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248 


M. Pi stör, 


wägung der dagegen sprechenden Gründe in einem Schreiben Tom 3. März 
1797 auf die Einbeziehung des Collegium sanitatis zum Medizinaldeparte¬ 
ment. Graf y. d. Schulenburg ließ bei seinem Amtsantritt zufolge einer 
Registratur yom 4. April 1797 die Sachlage im Ober-Collegium medicum wie 
folgt feststellen: 

Der Direktor Collegii sollte nach der Anweisung yom 11. Juli 1734 
alle Eingänge einsehen und an die Räte nach Regierungsbezirken (Departe¬ 
ments) zur Bearbeitung verteilen, sollte ferner sämtliche Expeditionen 
durchsehen und zeichnen, auf pünktliche Erledigung der Vorträge u. dgl. m. 
halten, für prompte Bescheidung von Bittstellern und Beschwerdeführern 
sorgen, die Registratur in Ordnung halten, die Sitzungen für den Ober¬ 
direktor abhalten, dringende Sachen ihm vortragen und über alle Vorkomm¬ 
nisse ihm Mitteilung, machen. 

Zur Verwaltung desMedizinalwesens rechnete Graf v.d.Schulenburg: 

1. die Überwachung des Unterrichts aller Medizinalpersonen; 

2. deren Prüfung und Auswahl der für Medizinalämter geeigneten Persön¬ 
lichkeiten ; 

3. die Aufsicht über die Berufs- oder Amtsführung der Ärzte, Wundärzte, 
Apotheker und Hebammen; 

4. Abfassung der erforderlichen Medizinalgesetze und Verwaltungsvor- 
schriften; 

5. die Bestallung der Land- und Stadtphysiker und der Wundärzte, Ertei¬ 
lung von Apothekenkonzessionen, Ausmittelung und Gewährung von Fonds zur 
Errichtung von Hebammenschulen; 

6. Überwachung der Königlichen Hofapotheke. 

Graf v. d. Schulenburg widmete sich den Medizinalangelegenheiten 
mit Umsicht und Fleiß, gestützt auf den sachverständigen Rat der Ärzte im 
Collegium medicum, schuf im Hebammenwesen die erforderliche Ordnung 
und förderte den Fortschritt desselben. 

Unter den sachkundigen Beratern des Grafen v. d. Schulenburg ist 
der Geheime Medizinalrat und Leibarzt des Königs Dr. Mayer in erster 
Linie zu nennen. 

Hier darf nicht unerwähnt bleiben, wie sich die Leitung der Medizinal¬ 
angelegenheiten im Laufe der Zeit gestaltet hatte. Nach Stahls Tode wurde 
zuerst v. Creutz und dann durch königliche Order vom 18. April 1733 der 
Minister v. Viereck Chef des Ober-Collegium medicum und medico-cbirurgicum. 
Friedrich II. ernannte seinen Leibarzt Hofrat Dr. Cothenius zum zweiten 
Direktor und Dekan des Collegium medico-chirurgicum und zum zweiten 
Generalstabsmedicus der Armee. Am 13. September 1776 zeigte Cothenius 
dem Könige an, daß das Ober-Collegium medicum, dessen Mitglied er auch 
war, im Laufe von fünf Wochen keine Sitzung gehalten habe; derselbe Fall 
liege bei dem Ober-Collegium sanitatis vor. Ein Erlaß des Königs befahl die 
vorschriftsmäßige Abhaltung der Sitzungen beider Collegia. Eine Revision 
des Geschäftsganges beider Behörden ergab, daß der derzeitige juristische 
Direktor des Collegium und Stellvertreter des Chef-Staatsministers trotz 
mehrfacher Erinnerungen 46 schleunige Vortragsachen des Ober-Collegium 
sanitatis und 60 Sachen des Ober-Collegium medicum sechs Wochen hatte 
lagern lassen. Eine Kabinettsorder vom 29. September 1776 übertrug dem 
Minister Freiherrn v. Zedlitz die Oberaufsicht über den Geschäftsgang 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 249 

beider Collegien unter Mitwirkung zweier Direktoren, von denen der eine der 
Kammergerichtspräsident v. Rebeur war, der bald darauf als Regierungs¬ 
präsident nach Stettin versetzt wurde. Darauf erließ Friedrich der Große 
die folgende Kabinettsorder an den Oberkonsistorialpräsidenten v. Hagen, 
der zugleich Präsident der beiden Collegia war: 

„Vester, Rat, lieber getreuer. Es hatt mich gewundert, aus Eurem Bericht 
vom 30. Januar er. zu ersehen, daß der beim Kammergericht gestandene Präsi¬ 
dent von Rebeur zugleich die Direktorstelle beim Ober-Collegium medicum mit 
einem Traktament von 200 Taler gehabt hat. Wie schickt sich denn ein Justiz 
Mann zu dem Medizinischen Fach; davon versteht er ja nichts und soll auch 
keiner dergleichen wieder dabei gesetzt werden. Vielmehr gehört dazu ein guter 
und vernünftiger Medicus, und muß man suchen einen solchen dazu vorzuschlagen; 
der schickt sich eher dahin als einer von der Justiz, welches Ich Euch also hier¬ 
nach zu erkennen geben wollen, umb Euch hiernach zu achten. Ich bin Euer 
gnädiger König.“ 

Potsdam, den 1. Februar 1784. Friedrich. 

Infolgedessen wurde der Hof- und Leibmedicus Dr. Cothenius Präsi¬ 
dent des Ober-Collegium medicum. 

Aber nach dem Tode des großen Königs wandte sich das Blatt 
wieder, schon etwa fünf Wochen nachher erwirkte das Generaldirektorium 
einen Erlaß vom 28. September 1786, zufolgedessen die Direktorstelle der 
Medizinalverwaltung einem Geheimen Finanzrat übertragen werden sollte. 
Obwohl am 28. Oktober 1787 dem königl. Leibarzt Dr. Meyer die Anwart¬ 
schaft auf alle Stellen des damals schon kranken Cothenius, ausgenommen 
die Direktorstelle am Collegium medico-chirurgicum, zugesichert war, wurde 
er doch auf seine Vorstellung, betr. die Übertragung der Oberleitung des 
Collegium medicum zurückgewiesen. Cothenius hatte auf einen Erlaß des 
Generaldirektorium vom 14. Februar 1788 in einem langen Votum vom 
7. März desselben Jahres klar und begründet dargelegt, daß der Direktor des 
Ober-Collegium medicum und chirurgicum ein Arzt sein müsse. Er führte 
unter anderem aus: 

„Ein Jurist könne die Prüfungsarbeiten der Ärzte, der Chirurgen und der 
Hebammen und die von Ärzten aus der Provinz eingesandten Protokolle nicht 
beurteilen; wohl aber liebten es die Nichtmediziner, sich öfters in die Medizinal¬ 
angelegenheiten einzumischen und wollten darin sogar zuweilen entscheiden. 
•Solche Anmaßung sei dem Präsidenten v. Rebeur eigentümlich gewesen, was 
Friedrich der Große mit klarer Einsicht richtig erkannt und deshalb in der er¬ 
wähnten Order befohlen habe, daß ein Medicus des Ober-Collegium medicum 
Direktor werden solle. Wa» gar ein nichtärztlicher Direktor an der Spitze des 
Collegium medico-chirurgicum solle, der doch von wissenschaftlicher Medizin und 
praktischer Betätigung gar nichts verstehe, sei nicht zu begreifen.“ 

Anstatt sich einfach an dies sachverständige Gutachten anzuschließen, 
gingen die Kollegen des Cothenius in ihren Ansichten auseinander. Wäh¬ 
rend einzelne darauf hinwiesen, daß bis dahin Juristen die Medizinal¬ 
angelegenheiten gut geleitet hätten, spricht aus den Äußerungen anderer Neid 
und Scheelsucht gegen Mayer; noch andere wiesen darauf hin, daß Mayer 
der Jüngere sei, ja aus einem Votum spricht sogar persönliche Gehässigkeit, 
die aber von einem vornehm denkenden Mitgliede bekämpft wurde. Auch die 
Jugend des Hofarztes Dr. Mayer wird von einzelnen hervorgehoben (als ob das 
Alter über die Befähigung zu einem Amte entschiede! An die Spitze einer 


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250 M. Pistor, Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 

solchen Verwaltungsstelle darf nur ein Mann von tadellosem Charakter 
und von großem Wissen mit dem nötigen Verwaltungstalent gestellt 
werden. V.). Aus den vorher genannten Voten geht so recht die Erbärmlich¬ 
keit einzelner der Beteiligten hervor. Nil novi auch in unserer Zeit! 

Aus einem Protokoll vom 29. Mai 1787 ist ersichtlich, daß das Colle¬ 
gium sanitatis das Recht hatte, neue Mitglieder vorzuschlagen, wie durch 
eine königl. Order vom 3. Januar 1793 bestätigt wird. 

Über die Stellung des Obermedizinaldepartements, d. h. der ver¬ 
einigten Ober-Collegia medicum et sanitatis, welche das Generaldirektorium 
als eine seiner Abteilungen sich unterstellt wissen will, kommt es zu einem er¬ 
regten Schriftwechsel zwischen demselben und dem Chef des Medizinalwesens, 
Grafen v. d. Schulenburg, der, fußend auf dem Wortlaute seiner Ernen- 
nungsorder, die Abteilung für eine selbständige Behörde in dem General¬ 
direktorium hält, welche selbstredend unter dessen Oberaufsicht stehe. 

Am 26. März 1800 fragte Graf v. d. Schulenburg bei dem Hofrat 
und Leibarzt des Herzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach, Prof. Dr. W. Hufe¬ 
land in Jena, an, ob er geneigt wäre, im Falle des Ablebens des erkrankten 
zeitigen Direktors des Ober-Collegium medico-chirurgicum, Geheimrates Prof. 
Seile, die Direktorstelle samt den Nebenämtern zu öbernehmen. Nach einigen 
Verhandlungen und nachdem inzwischen Seile verstorben ist, wurde Hufe- 
land durch Kabinettsorder vom 23. Dezember 1800 zum Direktor der 
medizinisch-chirurgischen Lehranstalten, der Oberexaminations-Kommission,, 
zum Mitglied des Armendirektorium, der Charite-Direktion, der Akademie 
der Wissen schäften ernannt und trat am 1. April 1801 seine Ämter an, in 
denen er zum Segen der Wissenschaft und der Verwaltung (er wurde 180Jf 
Direktor der Medizinalsektion im Ministerium des Innern) mit großem Erfolg 
gewirkt hat. Nach der Niederwerfung des preußischen Staates durch Na¬ 
poleon I. im Jahre 1806 siedelte König Friedrich Wilhelm III. nach Königs¬ 
berg über. Hier wurden die gewaltigen Umwälzungen in der Verwaltung 
des Landes vorbereitet, welche in der Verordnung vom 24. November 1808 
und in dem Publicandum vom 16. Dezember 1808 Ausdruck gefunden haben 
und die veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden der preußischen 
Monarchie in Beziehung auf die innere Landes- und Finanzverwaltung 
herbeiführten. Dadurch kam es auch zu einer Umgestaltung der Medizinal¬ 
verwaltung. (Fortsetzung folgt.) 


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Sanitätsrat Dr. Landsberger, Zur Wohnungsfrage. 


251 


Zur Wohnungsfrage. 

Von Sanitätsrat Dr. Landsberger (Charlottenburg). 


Vorbemerkung. Die am Schlüsse angefügten Thesen waren dem 14. inter¬ 
nationalen Kongresse für Hygiene und Demographie (Berlin, 1907) unterbreitet 
worden. Da dort nur ein kurzes Beferat erstattet werden konnte, sei jetzt aus¬ 
führlicher über den gegenwärtigen Stand der Angelegenheit und die weiteren Auf¬ 
gaben berichtet. 

In diesem Leserkreise die große hygienische Bedeutung der Wohnungs¬ 
frage darzulegen, dürfte kaum erforderlich sein; es wird volle Einigkeit 
darüber bestehen, daß wir unsere fortschreitenden Kenntnisse über die ver¬ 
breitetsten Krankheiten nicht nutzbar zu machen vermögen, solange wir 
auf dem Gebiete des Wohnungswesens nicht wesentlich vorwärts kommen. 
Die Nähe der menschlichen Wohnstätten aneinander bedeutet Kultur, aber 
ihre Enge Gefahr — das weiß man seit den ältesten Zeiten, und dennoch 
steht man der „Mietskaserne“ noch heute so ratlos gegenüber wie im alten 
Rom, wo sie ebenfalls bereits und sogar fast in Höhe der modernen „Wolken¬ 
kratzer“ bestanden hat, und wo schon Cato über die Unerschwinglichkeit 
der Mieten klagte! Der Industriebetrieb der Neuzeit mit seiner Zusammen¬ 
häufung und Massenansammlung von Arbeitern, die Freizügigkeit und Ge¬ 
werbefreiheit, sowie insbesondere das unverhältnismäßige Übergewicht, das 
die Städte immer mehr über das Land, die Großstädte *) wieder über die 
kleineren hinsichtlich des Bevölkerungszuwaches unaufhaltsam bekommen, 
haben die Wohnungsmißstände in geometrischer Progression gesteigert und 
ihr zum Teil einen spezifischen Charakter aufgedrängt: man denke an das 
Schlafgängerwesen. Zu den immer schon (und zwar auf dem Lande noch 
schlimmer als in den Städten) vorhandenen Wohnungsmängeln 2 ) gesellt 
sich der Wohnungsmangel, und damit entstand in allen Kulturstaaten 
eine Wohnungsteuerung und Wohnungsüberfüllung, welche eine ernste wirt¬ 
schaftliche und hygienische Gefahr bedeuten und vielfach zu einer Wohnungs¬ 
not, zu einem wahren Wohnungselend gediehen sind. Die Feststellungen 
und Klagen hierüber stellen bereits eine ungeheure, kaum übersehbare Lite¬ 
ratur dar, und auch an Abhilfsvorschlägen hat es nicht gefehlt. W T as uns 
fehlt und was dieser Kongreß neu anzuregen berufen ist, das ist 
ein allgemeines Vorwärtsdrängen zur Tat. Nicht lange nach dem 
Choleraunglück, das im Jahre 1892 die Stadt Hamburg betroffen hatte, er¬ 
klärte ihr Senator Burchard als Vertreter des Bundesrates im Deutschen 
Reichstage (am 23. April 1893): „Wir wollen es unmöglich machen, daß in 
Zukunft den sanitären Ansprüchen nicht genügende Wohnungen gebaut 

*) In Deutschland wohnte in den „Großstädten“ (über 100 000 Einwohner) 
1870 der zwanzigste, 1905 aber bereits der sechste Teil der gesamten Bevölkerung. 

*) In den Städten hat man mehr die Teuerung und Überfüllung der Woh¬ 
nungen, auf dem Lande mehr ihre schlechte Beschaffenheit zu beklagen. 


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252 


Sanitätsrat Dr. Landsberger, 


werden, und wir wollen zweitens das Bewohnen von vorhandenen, aber in 
sanitärer Beziehung unzureichenden Wohnungen verbieten.“ 

Wahrlich ein treffliches Staatsprogramm, aber wenn auch ein Jahrzehnt 
Bpäter Hamburg ein Wohnungsgesetz erlassen hat, wie unendlich weit sind 
wir noch heute von der Erfüllung entfernt! 1 ). Anfänge und ehrliche Ver¬ 
suche sind in einigen Staaten und an vielen Orten begonnen worden, aber 
die Notlage dauert noch immer fort, es muß weit mehr geschehen, es müssen 
alle Kräfte zu energischem Vorstoß vereinigt werden. Das Wohnungsproblem 
ist kompliziert, seine allmähliche Lösung erfordert das Zusammenwirken sehr 
vieler wirtschaftlicher, hygienischer, sozialer, — privater wie kommunaler und 
staatlicher Faktoren. Wie groß aber auch die soziale, sittliche und erziehliche 
Bedeutung der Wohnungsfrage sei, ihre wichtigste Seite ist zweifellos 
die hygienische, und gerade ihr kann genügt werden: durch Ein¬ 
führung und Durchführung einer regelmäßigen Wohnungsauf¬ 
sicht und die an sie anzuschließenden Maßnahmen. 

Zunächst sei ein knapper orientierender Überblick über die gesetz¬ 
geberischen und sonstigen öffentlichen Versuche gegeben, mit denen man 
bisher in den Kulturstaaten den immer mächtiger entwickelten Übelständen 
entgegenzutreten bestrebt war. Am umfassendsten geschah es in England. 
Dort wurde im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts eine ganze Beihe 
von Gesetzen erlassen: die Sanitary Acts 1874 und insbesondere der Public 
Health Act 1875, durch welche die Gemeinden zur Anstellung vorgebildeter 
Gesundheitsaufseher (inspectors of nuisances) verpflichtet wurden, die 
Torrents Acts (1868, 1879, 1882) und die für Städte über 25000 Ein¬ 
wohner bestimmten Cross Acts (1875, 1879, 1882), welche ein beträchtliches 
Enteignungsrecht aus Gesundheitsgründen schufen. Alle diese Gesetze 
wurden durch den Housing of the working classes Act von 1890 klar zu¬ 
sammengefaßt und zugleich ergänzt und verschärft. So verlieh man darin 
den Gemeinden neben einer weitgehenden Befugnis zur Räumung, Sanierung 
und Enteignung auch die zur Errichtung von Arbeiterwohnhäusern, und 
wie den Gemeinden, so auch den Distrikts- und Grafschaftsräten, also 
größeren Verbänden. Das war um so wichtiger, als es einen entschiedenen 
Mangel der bisherigen Gesetze bedeutet hatte, daß ihre Ausführung aus¬ 
schließlich in der Hand der Ortsbehörden lag, die oft ein allzukleines Gebiet 
(Kirchspiele!) beherrschten und widerstrebenden Interessenten keinen ge¬ 
nügenden Widerstand bieten konnten. Nun erst bekam der Eifer, der nicht 
überall befriedigend gewesen war, einen neuen mächtigen Anstoß, und als 
zumal ein Jahrzehnt später (Mai 1900) den Gemeinden und Grafschaftsräten 
die weitere Ermächtigung gegeben wurde, Arbeiterwohnhäuser auch außer¬ 
halb des eigenen Verwaltungsgebietes zu erwerben oder zu errichten, setzte 
eine energische Bewegung ein. Aber so viel auch geleistet wurde: von einem 
irgend ausreichenden Erfolge kann noch nicht entfernt die Rede sein. Auf 
dem Londoner internationalen Wohnungskongreß von 1907 erkannte der 

') Damals schlug Herr Burchard gar kräftige Töne an; er fügte seinen 
oben zitierten Sätzen hinzu: „Man wird der rücksichtslosen Ausbeutung des Grund 
und Bodens, welche — ich weiß keinen besseren Ausdruck — als „Raubbau“ zu 
bezeichnen ist, bei der Herstellung von Wohnungen für die arbeitende Bevölkerung 
entgegentreten müssen.“ 


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Zar Wohnungsfrage. 


253 


Minister Burns die Notwendigkeit weiteren gesetzlichen Vorgehens an und 
erklärte den Erlaß eines neuen englischen Wohnungsgesetzes als im nächsten 
Jahre bevorstehend. Aber daß die bisherigen Bestimmungen nicht befriedigen 
können, liegt, wenn man gerecht sein will, nicht nur daran, daß viele Lokal¬ 
behörden ihre Vollmachten und ihre Strafbefugnis nicht oder nicht voll aus¬ 
üben , auch nicht daran, daß die Vollmachten immer noch zu beengt sind, 
sondern im wesentlichen an der Riesengroße der Aufgabe. Hausen doch nach 
Bernsteins 1 ) Schätzung in London allein an 900000 Menschen zu eng! 
Und trotzdem die 800 Common Lodging Houses in London allnächtlich mit 
30000 Menschen gefüllt sind und weitere 10000 in den Shelter’s der Heils¬ 
armee und noch weitere Tausende in den gemeindlichen Asylen untergebracht 
sind, kann man dort so viele Menschen im Freien und unter den Brücken 
übernachten sehen. 

Nichts spricht so deutlich für die Notwendigkeit und die Durchführbar¬ 
keit einer strengen Wobnuugsinspektion, als daß sie zuerst und bis heute 
am umfassendsten gerade in England geübt wird. Trotzdem der Satz „my 
house is my castle“ der empfindlichste seiner Grundsätze ist, hat das eng¬ 
lische Volk den Wohnungsinspektoren, die durchweg Beamte sind, niemals 
Schwierigkeiten bereitet. Sie haben nach dem Gesetze jederzeit freien Zutritt 
zu den Häusern; — freilich bitten sie erst darum am Eingang, aber die Er¬ 
laubnis wird nie versagt. Dieses Recht hat sowohl der Oberbeamte der 
Sanitätsbehörde (der surveyor), wie der medical officer of health (der ein 
approbierter Arzt sein und außerdem ein besonderes Examen bestanden 
haben muß), wie auch seine Beamte, die inspectors of nuisances. In großen 
Städten hat der medical officer einen ganzen Stab solcher Beamten, zum Teil 
weiblicher, wie z. B. in Birmingham und Manchester. 

In London gibt es jetzt etwa 60 medical officers und etwa 260 inspectors 
of nuisances; auf jeden der letzteren entfielen 1895 durchschnittlich 2545 
Häuser mit 18706 Einwohnern, für welche eine genaue Mietsregisterführung 
vorgeschrieben ist. Die Abstellung der gefundenen Schäden erreicht meist 
schon der inspector selbst, sonst ein Brief des medical officer — einer eigent¬ 
lichen „order u bedarf es nur selten. Zur völligen Schließung oder Räumung 
eines als unbewohnbar erachteten Gebäudes bedarf es eines Beschlusses der 
Ortsbehörde und seiner Bestätigung durch den Friedensrichter; wird die 
Bestätigung versagt, so kann an die Zentralbehörde appelliert werden. 

Was die Neuherrichtung von Wohnungen betrifft, so war der Londoner 
Grafschaftsrat im Jahre 1900 bereits der Wirt von 42 000 Menschen und 
die Gemeindebehörde von Liverpool, wo die WohnungsVerhältnisse vielleicht 
noch schlimmer sind als in London, von etwa 10000. In Birmingham sind 
auf Grund der Housing of the Working ClasseB Act bisher 3677 Häuser als 
zum Bewohnen untauglich erklärt worden; 727 wurden niedergelegt, 1332 
durch die Eigentümer instand gesetzt, viele andere in Werkstätten umge¬ 
wandelt usw. Durch eben so energische wie humane Privatinitiative wurde 
nahe bei Liverpool das Arbeiterdorf Port Sunlight, bei Birmingham Bourn- 
ville angelegt, beide als überaus freundliche Gartenstädtchen. Besonders 
viel war und bleibt in Glasgow zu tun, wo trotz des Aufwandes sehr 


l ) Arch. f. Sozialgesetzgebung u. Statistik, Bd. 15. 


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254 


Sanitätsrat Dr. Landsberger, 


großer Mittel (seit 1866 etwa 25 Millionen Mark) immer noch sehr arge 
Zustände herrschen; die Mieten sind dort verhältnismäßig nicht teuer, aber 
der schottische Arbeiter verwendet — im Gegensatz zum englischen — einen 
allzu geringen Teil seines Einkommens zur Miete. Und da man in den Glas* 
gower Mietskasernen, welche bestimmungswidrig überfüllt sind, relativ billig 
wohnen kann, so wandern nach dem Zeugnis von Fuchs 1 ) täglich dort 
Tausende von Arbeitern bis zu acht englische Meilen in die Umgegend zu 
ihrer Tätigkeit und kehren zur Nacht in ihre städtische Behausung 
zurück 1 Eine Sonderbarkeit, die aller modernen Wohnungs- und Verkehrs¬ 
politik spottet, und für die es auch in Deutschland an Beispielen nicht fehlt. 

Frankreich suchte bereits 1850 die logements insalubres zu be¬ 
kämpfen. Das Gesetz vom 13. April jenes Jahres ließ es an Vollmachten 
dazu für die Gemeinden nicht fehlen und hätte auch sicher Ausgezeichnetes 
geleistet, wenn es nicht — lediglich auf dem Papier bestanden hätte. Eis 
hatte nur fakultative Gültigkeit, und so kam es, daß seine schönen und 
ausführlichen Bestimmungen kaum irgendwo zur Wirksamkeit gelangten. 
Wo man wirklich gemeindliche Kommissionen auf Grund des Gesetzes bildete, 
untersuchten sie die Mißstände nur auf Anzeige, und ihr Verfahren war, 
wie schon Nadaud klagte, von so verzweifelter Langsamkeit, ihre Strafen 
so geringfügig, daß ihre Abhilfsversuche durchaus als „Versuche mit unzu¬ 
reichenden Mitteln“ bezeichnet werden müssen. Nach Raffalovichs Bericht 
vom Jahre 1886 war das Gesetz 1878 fast überall — verschollen (lettre 
morte), und 1883 war es lediglich noch in Paris, Lille, Havre, Roubaix und 
Nancy angewandt. Aber selbst da in sehr schwächlicher Weise; so klagte 
Haussonville, daß die Pariser Hausbesitzer lieber die unbedeutende Geld¬ 
buße zahlen, als daß sie die angeordneten Änderungen vornehmen. 

Inzwischen ist es etwas besser geworden, wenigstens werden seit 1896 
in allen Städten über 100000 Einwohner amtliche Feststellungen über die 
Zahl der vorhandenen Wohnungen, ihrer Räume und Bewohner aufgenommen. 
In Paris geschah es bereits im Jahre 1891, und der Chef des dortigen 
städtischen statistischen Bureaus, Jacques Bertillon, findet in einer ver¬ 
gleichenden Studie 3 ) die Pariser Verhältnisse gegenüber denen der anderen 
europäischen Hauptstädte nicht ungünstig, besonders in der Hinsicht, daß 
es dort keine Schlafleute gibt. Wird auch der Begriff „Übervölkerung“ 
sehr verschieden angewandt — schon weil ja die Wohnräume je nach der 
Landessitte von sehr verschiedener Größe angelegt sind! — so sei doch aus 
Bertillons Tabellen hier entnommen, daß auf je 100 Einwohner in über¬ 
füllten Wohnungen kommen: in Paris 14, in Berlin und Wien 28, in Buda¬ 
pest 74, in Petersburg 46 und in Moskau 31. Das Interesse, das diese 
Zahlen erwecken, verringert sich freilich dadurch beträchtlich, daß sie zum 
Teil noch aus dem vorletzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts stammen, 
keine aber jünger ist als aus dem Jahre 1891. Daß aus Frankreich keine 
neueren Ergebnisse vorliegen, erlaubt den bedauerlichen Schluß, daß weitere 
Feststellungen und Fortschritte kaum gewonnen sind. Zudem besteht dort 
noch immer die Fenstersteuer mit einem Jahresertrage von über 60 Mill. 

*) Zur Wohnungsfrage. Leipzig 1904. 

*) Essai de statistique compar^e du surpeuplement des habitations ä Paris et 
dans les grandes capitales europ4ennes. Paris 1895. 


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Zur Wohnungsfrage. 


255 


Francs. Erfreulich ist dieser Ertrag nicht, denn er hat die Nebenwirkung, 
daß sahireiche Häuser, und natürlich am meisten solche der ärmsten Klassen, 
angeheuerlicherweise gänzlich ohne Fenster bleiben. RaffaloYich gab 
1886 die Zahl der Häuser, die ohne jegliches Fenster waren, auf 
219 270 an! 

Auch mit der positiven WohnungsfürBorge, der Neubeschaffung billiger 
guter Wohnungen, geht es in Frankreich nicht recht vorwärts. Dank den 
Bemühungen von Say, Trölat, lieinach und namentlich Siegfried 
kam zwar am 30. November 1894 ein Gesetz zustande, welches „zur Errich¬ 
tung gesunder und wohlfeiler Wohnungen“ Steuererlässe gewährte und die 
Elinsetzung besonderer Ausschüsse veranlaßte. Aber auch hier kam man 
über recht bescheidene Anfänge nicht hinaus, und bis 1901 waren in ganz 
Frankreich nur etwa 25000 Personen durch die neugegründeten Wohnungs¬ 
vereine untergebracht. Es war eben fast alles der Privattätigkeit überlassen 
{so überwies kürzlich das Haus Rothschild dem französischen Handelsmini¬ 
sterium eine Schenkung von 10 Mill. Francs zur Errichtung von Arbeiter¬ 
wohnungen im Seinedepartement) — die Gemeinden selbst ergriffen nicht 
die Initiative. Das müßte eigentlich nun anders werden, nachdem ein Gesetz 
vom 12. April 1906 bestimmt hat, daß die schon geschaffenen comites des 
habitations ä bon marche nunmehr, und zwar unter dem erweiterten Titel 
„et de la prevoyance sociale“ in allen Departements eingesetzt werden 
müssen. 

In Belgien war ebenfalls die Gesetzgebung bisher gleichgültig ge¬ 
blieben, obschon auch dort trotz der Vorherrschaft des Einfamilienhauses 
vielfach arge Wohnungsnot herrscht; so besteht in Brüssel der dritte Teil 
aller Arbeiterwohnungen nur aus einem Zimmer. Durch ministerielles 
Rundschreiben wurde 1899 allen Gemeindeverwaltungen die Einführung einer 
vom conseil superieur d’hygiöne publique entworfenen Verordnung zur Siche¬ 
rung reiner Straßen und gesunder Wohnungen empfohlen — aber eben nur 
empfohlen. Etwas besser sieht es mit dem Neubau von Wohnungen aus, 
welcher durch den Kredit der staatlichen Sparkasse wesentlich gefördert 
wird. Über 600 „Provinzial- oder Lokalkommissionen für Hygiene“ be¬ 
stehen im Lande, aberVer Hees, der Abteilungschef im belgischen Arbeits¬ 
ministerium, meint selbst, daß sie sich, obschon mit der Fürsorge für gesunde 
Wohnungen betraut, „im großen und ganzen wenig mit dem Wohnungs¬ 
wesen beschäftigt haben“! 

Etwas energischere Anläufe nahm Holland. Zwar überläßt da9 Gesetz 
vom 21. Juni 1901 es ebenfalls den Gemeinden, ob und wann sie neue bau- 
oder wohnungspolizeiliche Vorschriften einführen wollen, aber wenigstens 
die regelmäßige Inspektion durch „Gesundheitskommissionen“ wird 
obligatorisch verlangt, und außerdem sollen alle Gemeinden über 10000 
Einwohner sowie ferner diejenigen, deren Bevölkerung in den letzten fünf 
Jahren um über ein Fünftel gewachsen ist, einen Erweiterungsplan auf¬ 
stellen, der alle zehn Jahre revidiert werden muß. Betreffs der Räumung 
schlechter Wohnungen gewährt das Gesetz den Gemeinden weitgehende Be¬ 
fugnisse: die Verzögerung notwendiger Verbesserungen kann mit 5 fl. Strafe 
pro Tag gestraft werden, die Benutzung einer für unbewohnbar erklärten 
Wohnung mit bis 300 fl. oder mit Gefängnis bis zu zwei Monaten; die Ge- 


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256 


S&oitätsrat Dr. Landsberger, 


meinde kann geräumte Häuser abbrecben lassen und bat das Enteignungs- 
recbt zugunsten der Herstellung von Arbeiterwohnungen. Aber ob und 
wann und wie die Gemeinden ihre Befugnisse erfüllen, ist ihnen allzu lax 
anbei mgestellt. 

In Dänemark wurde staatlicherseits das Enteignungsrecbt gewährt, 
sowie (durch ein Gesetz vom Februar 1898) ein Kredit von je 2 Mill. Kronen 
für Sanierung schlechter Häuser und für Unterstützung von Gemeinden 
oder gemeinnützigen Gesellschaften zwecks Herrichtung von Neubauten be¬ 
willigt. Sonst ist seitens der Stadt Kopenhagen schon seit der Mitte des 
vorigen Jahrhunderts sehr rührig gearbeitet worden, insbesondere durch ener¬ 
gische Förderung der vielen Baugesellschaften und Stiftungen, die dort mit 
reichen Mitteln tätig sind. In der Tat sind die Wohnungsverhältnisse dort 
relativ günstig. 

Nur vereinzelten Bestrebungen begegnet man in Schweden und 
Norwegen; in Stockholm, Gothenburg und Christiania beginnt sich eben¬ 
falls die moderne Wohnungsnot fühlbar zu machen und die Geister zu 
mahnen. Staatliche Gesetze scheinen nicht zu bestehen. 

In Italien hat zwar vor zwei Jahrzehnten ein Gesetz (22. Dezember 
1888) einige allgemeine Bestimmungen getroffen, aber sie sind schwerlich 
irgendwo ernstlich durchgeführt worden. Wenigstens wird es niemand 
glauben, daß dort wirklich jedem Menschen 25 cbm Luftraum in seiner 
Wohnung gesichert seien, wie eine der Vorschriften lautet. Im ganzen ist 
auch in Italien alles den Lokalbehörden ohne Oberaufsicht überlassen. 

Überraschend sind die geringen Fortschritte in der Schweiz. Selbst 
der Kanton Basel-Stadt, dem wir eine der frühesten und besten Woh¬ 
nungsenqueten verdanken, die wir überhaupt besitzen, war trotz der be¬ 
trübenden Mißstände, die sie enthüllt hat, bisher zu keiner entschlossenen 
Abhilfemaßnahme gelangt. Nach langjährigen schweren Kämpfen kam endlich 
ein Gesetz vom 18- April 1907 zustande, das jedoch erst nach Erlaß der 
zugehörigen Verordnungen in Kraft treten wird, die vor dem Frühjahr 1908 
nicht zu erwarten sind. Das Gesetz enthält eine Reihe guter hygienischer 
Wohnungsvorschriften (pro Person im Schlafraum mindestens 10 cbm Luftraum, 
bei gleichzeitiger Verwendung als Arbeitsraum mindestens 15 cbm; für jede 
Familienwohnung ein besonderer Abort), aber eine allzu reichliche Konzedie- 
rung von Ausnahmemöglichkeiten. Die einzuführende Wohnungsaufsicht dürfte 
wenig wirksam werden, denn ihre Organe sind zur Prüfung der Verhältnisse 
an Ort und Stelle nur berechtigt, „wenn sich Anhaltspunkte für das Be¬ 
stehen sanitärer Übelstände in Wohnungen ergeben“ (§ 2). Das scheint zu 
bedeuten, daß die Besichtigungen lediglich auf Anzeigen hin erfolgen 
sollen! Andererseits enthält das Gesetz vorgeschrittene Bestimmungen über 
eventuelle staatliche Beihilfen zur Verbesserung von Wohnungen und über 
Enteignung aus sanitären Gründen. Ein staatlicher Wohnungsnachweis ist 
in Vorbereitung. 

In Österreich-Ungarn hat man zwar sehr eingehende und methodisch 
treffliche Untersuchungen veranstaltet, aber so Behr ihre Ergebnisse zu ener¬ 
gischer Abhilfe hätten anfeuern müssen, ist man über polizeiliches Ein¬ 
schreiten in Einzelfällen nicht hiuausgegangen, und es fehlt einstweilen dort 


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Zur Wohnungsfrage. 


257 


nicht nur an gesetzlichen Maßnahmen, sondern auch an irgend nennens¬ 
werter Selbsthilfe seitens der Großstädte. 

In den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es natürlich bei 
der eifersüchtig bewahrten Selbstverwaltung aller Gemeinwesen kein all¬ 
gemeines, auch kein von den einzelnen Bundesstaaten erlassenes Wohnungs¬ 
gesetz. Indessen fehlt es in Boston (wo die Niederlegung ungesunder Ge- 
b&nde durch ein Lokalgesetz von 1897 als zulässig erklärt und seitdem 
zeitweise geübt wurde), Philadelphia, Chicago und Washington nicht an ent¬ 
sprechenden Bestrebungen, besonders aber in Neujork, wo man schon 
seit langer Zeit mit einem gewissen Stolze eine gute Wohnungspolizei be¬ 
treibt. Das tenement houses law von 1895 gab dem Neuyorker Health 
Department weitgehende Rechte, und ein großes, gut organisiertes Korps 
von sanitary officers und inspectors waltet dort seines Amtes, wie es heißt, 
mit großer Strenge. Die „Resolute“ der Behörden sollen zum weitaus größten 
Teile glatt und ohne Weiterungen befolgt werden. Den günstigen Äuße¬ 
rungen, die Stübben 1892 über die Handhabung der Neuyorker Wohnungs¬ 
inspektion veröffentlichte, folgten freilich kurz darauf die viel skeptischeren 
Anschauungen, die Stradal auf Grund eigener Anschauung vor dem Wiener 
Ingenieurverein vortrug. Er fand, daß bei allen wichtigen Bestimmungen 
allzuviele Ausnahmen zugelassen sind, und daß viele in Wirklichkeit gar 
nicht eingehalten werden. Dazu kommt, daß die ausführenden Behörden 
bei jeder Änderung der kommunalpolitischen Verhältnisse — und diese 
Änderung ist ja häufig genug sehr radikal! — bis hinab zu den untersten 
Stellen mit neuen Leuten besetzt werden. Aber möge es immerhin auch im 
heutigen Neuyork nicht ganz an Schlupfwinkeln fehlen, wie sie Sinclairs 
Höllenpinsel aus Chicago schildert — man wird doch nicht zweifeln dürfen, 
daß wie alle sanitären, so auch die Wohnungsverhältnisse sich in den letzten 
Jahrzehnten dort wesentlich gebessert haben. Schon daß unter Bigge* 
Leitung so Hervorragendes in der Anzeige und Bearbeitung der Tuberkulose- 
fäile geleistet werden konnte, beweist sicher, daß man ernstlich auf eine 
Sanierung der Wohnungen bedaoht ist. Anch ist die Herstellung neuer 
Häuser in Amerika in großem Stile erfolgt: es gab bereits 1893 nicht weniger 
als 4512 building and loan associations, und mit Hilfe dieser lediglich Dar¬ 
lehen gewährenden Gesellschaften waren 315 000 Häuser erbaut und zum 
großen Teil in den Besitz besserer Arbeiter übergegangen. 

Wir kommen zu unserem Vaterlande. Müssen wir auch bekennen, daß 
bei uns in Stadt und Land schwere Wohnungsmißstände herrschen, so dürfen 
wir doch hinzufügen, daß es sich glücklicherweise überall rührt und daß 
eine äußerst lebhafte Agitation ohne Unterlaß das ganze Land in allen seinen 
Teilen bewegt. Freilich: gerade in demjenigen deutschen Staate, in dem 
von je am meisten reglementiert wurde, ist auf dem Gebiete der Wohnungs¬ 
frage noch immer keine staatliche Regelung und Anweisung erfolgt; aber 
endlich muß kommen der Tag, andern wir ein preußisches Wohnungsgesetz 
erscheinen sehen! Um so mehr, als ein anderer deutscher Staat — Hessen 
— bereits seit langen Jahren ein ausgezeichnetes und ausgezeichnet be¬ 
währtes Wohnungsgesetz besitzt, — als zahlreiche deutsche Städte mit vor¬ 
trefflichen Eigeneinrichtungen vorangegangen sind, und als auch eine große 

Vi*rteljahr*»chrift für Ge*undhelt*pflege, 1908. ]7 


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Sanitätsrat Dr. Landsberger, 


Zahl von Regierungsbezirken entsprechende Verordnungen ein- und durch¬ 
geführt haben. Dank den unermüdlichen Bestrebungen des Deutschen Vereins 
für öffentliche Gesundheitspflege und des Vereins für Sozialpolitik, die seit 
Jahrzehnten in Wort und Schrift überallhin die wertvollste Orientierung 
und Anregung verbreiten, ist der Boden bereitet, und die öffentliche Mei¬ 
nung drängt trotz vieler zäher Gegenarbeit kurzsichtiger Interessenten immer 
mehr auf Abhilfe. Zu der geistigen Propaganda gesellte Bich als treibende 
Kraft das Beispiel, welches Reich und Staaten und Städte mit der Herstellung 
von Wohnhäusern für ihre eigenen Beamten und Arbeiter gaben, und die 
beträchtlichen Mittel, welche die kapitalkräftigen Landesversicherungs- 
anstalten für den Bau von Kleinwohnungen zu billigem Zins zur Verfügung 
stellten. Man darf die Summe, die auf diesem Wege (ohne Einrechnung 
des Aufwandes von Arbeitgebern oder gemeinnützigen Baugenossenschaften) 
seit etwa 15 Jahren in Deutschland zur Verwendung kamen, auf weit über 
300 Mill. Mark taxieren, — ein Betrag, der selbst den in England aufge- 
wandten um ein Vielfaches übertrifft. Die Bedenken, die diesem Vorgehen 
entgegenstehen können, sind jedenfalls verschwindend gegenüber dem Nutzen, 
der geschaffen ist und der sich auch indirekt, durch Verminderung der 
Nachfrage auf dem Wohnungsmarkte, allmählich geltend machen muß. 

Es wird auf diese Art der Fürsorge noch später zurückzukommen sein, 
— hier sollte nur der anfeuernde Einfluß hervorgehoben werden, den sie 
auf alle Bestrebungen der Wohnungshygiene ausüben mußte. Welchen Um¬ 
fang diese angenommen haben, welche Überfülle von behördlichen Vorschriften 
erlassen ist, lehrt ein Blick in die Schrift v. Kalcksteins'). des Leiters des 
Bremer sozialen Museums. So verdienstlich diese Schrift ist, so ungeheuer 
reich das Material, das in ihr gesammelt ist, so sehr sie für jeden Bedarf 
(den der Großstadt sowohl wie den der Kleinstadt und des kleinsten länd¬ 
lichen Anwesens) Rat und Auskunft zu geben vermag, — gerade dieses ver¬ 
wirrende Gewimmel der Unzahl von erlassenen Bestimmungen drängt zu 
dem zwingenden Schluß, daß es zusammenfassender Landesgesetze 
bedarf, welche ein Mindestmaß von Bestimmungen allgemein an¬ 
ordnen müssen, ohne selbstverständlich ihre lokale Anpassung und Fort¬ 
entwickelung zu beeinträchtigen. Zumal trotz der Fülle der bestehen¬ 
den Bestimmungen doch beinahe zwei Drittel unserer Bevölkerung 
noch nicht damit versorgt sind, und bei dem versorgten Drittel 
die Bestimmungen unzureichend sind und ihre Handhabung allzu 
milde und mit allzu viel Ausnahmen geschieht. Mit Recht ironisiert 
Ebeling, daß auf jedem unserer Güterwagen sorgfältig seine Fassungsgröße 
von „6 Pferden oder so und so viel Mann“ vermerkt ist, — und hier handelt 
es sich doch nur um ganz vorübergehenden Aufenthalt. Aber keineswegs 
bei allen unseren Schlafgänger- oder Arbeitermassenquartieren findet sich 
ein ähnlicher Anschlag, und wo er vorhanden ist, wird unzählige Male und 
sehr lange Zeit gegen ihn gefehlt! Leider selbst bei den intelligentesten 
und kapitalkräftigsten Eigentümern, die sonst einen Stolz darein setzen, ihren 
ganzen Betrieb mustergültig zu führen. 


*) Die im Deutschen Reiche erlassenen Vorschriften über Benutzung und 
über Beschaffenheit von Wohnungen. Bremen 1907. 


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Zur Wohnungsfrage. 


259 


So konnte der Abgeordnete Hengsbach im Reichstage am 18. April 
1907, ohne Widerspruch zu erfahren, fürchterliche Bilder aus dem reichsten 
Kohlenrevier Deutschlands entwerfen. In den rasch aufschießenden Zechen¬ 
kolonien werden Häuser, auch wenn sie noch naß und zum Teil noch un¬ 
verputzt sind, nicht bloß bezogen, sondern alsbald in ihnen viel mehr 
Familien und Kostgänger untergebracht, als ursprünglich vorgesehen war. 
Die Straßen sind noch zum allergrößten Teil ohne Beleuchtung, und auf 
einer Kolonie der Zeche „Deutscher Kaiser“ mußten ein Vierteljahr lang 
mehrere hundert Menschen ohne Abort fertig zu werden suchen! 
Natürlich fehlt es da nicht an den baupolizeilichen Vorschriften, aber in un¬ 
verantwortlicher Weise an ihrer Anwendung. Man hat von agrarischer 
Seite, wo man berechtigterweise die übermäßige Abwanderung vom Lande 
in die Städte am meisten beklagt, öfters darauf hingewiesen, daß der § 1 
unseres FreizügigkeitsgeBetzes eigentlich das Niederlassungsrecht an die 
Notwendigkeit bindet, „sich eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen 
zu verschaffen“. Wer das nicht vermag, dem könnte also, wenn das Gesetz 
auch nichts Näheres darüber angibt, seitens der Gemeinde die Nieder¬ 
lassung versagt werden. Das mag im Einzelfalle selten angebracht sein, 
— bei einer Massenzuwanderung aber wird unbedingt darauf bestanden 
werden müssen, daß vorher und rechtzeitig für Unterkunft in 
ausreichender Menge und in gesunder Beschaffenheit zu sorgen 
ist. Und hiergegen wird oft genug gefehlt, — wie an den Zechen, so 
bei den Ziegeleien, bei Erntearbeiten, bei „Sachsengänger“- und ähnlichen 
Saisonbetrieben. 

Diese Erfahrungen dürfen natürlich keinen lähmenden Pessimismus er¬ 
zeugen. Wenn ein gutes Gesetz nicht wirkt, weil es lässig ausgeführt wird, 
muß man die Strenge der Aufsicht bessern, nicht aber an der Richtigkeit 
des Weges verzagen. Und in der Tat hat man überall in Deutsch¬ 
land, wo die hier noch junge Wohnungsauf sicht eingeführt ist, 
durchaus so gute Erfahrungen mit ihr gemacht wie in England, 
wo sie schon viel länger besteht Von allen Seiten wird berichtet, daß 
Vermieter wie Mieter fast stets ohne weiteres den Anordnungen willig nach- 
kommen, daß ein Zwangsverfahren nur sehr selten angewandt werden muß. 
Selbstverständlich ist das polizeiliche Eingreifen nicht ganz zu entbehren, 
aber es ist höchst selten erforderlich. Die Zahl der Beschwerden gegen die 
Anordnungen der Inspektoren ist außerordentlich gering, — ganz ver¬ 
schwindend aber die Zahl der als berechtigt anerkannten. Auch die Fälle, 
wo die Erledigung der Beanstandungen nicht ohne weiteres erfolgt, erfor¬ 
derten durchaus nicht immer Zwangsmaßregeln, sondern meist nur eine 
F ristge Währung. 

Die Aufsicht wirkt schon prophylaktisch, — noch vor dem 
Erscheinen des Inspektors werden viele Verbesserungen, die sonst unter¬ 
lassen wären, aus eigenem Antriebe gemacht, und der gütliche und mit 
Sachkenntnis in praktischer Weise erteilte Rat des Inspektors wird bei uns 
so gut, wie wir es von England berichteten, in der Regel befolgt. Wo man 
keinen Mißgriff bei der Besetzung der Stellen getan hatte, zeigte die Einrich¬ 
tung überall sichtliche Erfolge, sowohl den direkten der Abstellung von 
Mißständen, wie auch wesentliche indirekte: die Bevölkerung wurde zu 

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Sanitätsrat Dr. Landsberger, 


besserer und gesunderer Wohnungsweise erzogen 1 ). Die Gemeinden be¬ 
trieben viel intensiver den eigenen Bodenerwerb und die Herstellung neuer, 
guter, wenn möglich auch billigerer Wohnungen. Das ganze Wohnungs¬ 
bedürfnis hebt sich. Mehr und mehr bekennen sich deshalb sogar die Haus¬ 
besitzervereine ausdrücklich als Anhänger der WohnungBaufsicht und geben 
ihre segensreichen Wirkungen zu: die Wohnungen werden seitens der Mieter 
sorgfältiger und zweckmäßiger gehalten. So sprach man Bich auf dem Haus¬ 
besitzertage in München 1905 aus, und so hatte ebenda bereits 1902 der 
damalige Leiter der deutschen Hausbesitzervereine, Herr Hartwig, auf der 
Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege eine 
„kräftige, durchgreifende und rücksichtslose Wohnungsaufsicht“ gefordert. 
Mehr können wir nicht verlangen. Wenn er hinzufügte, sie werde „die 
Hausbesitzer in der ausgedehntesten Weise exkulpieren“, so muß erwidert 
werden, daß für soziale Schäden niemand die einzelnen verantwortlich ge¬ 
macht hat. Aber zur Besserung der gesamten Wohnungsverhältnisse ist 
jedenfalls eine sorgfältig geübte Wohnungsaufsicht eines der ersten Mittel. 

Eine sorgfältig geübte — das ist meines Erachtens auf die Dauer 
nur möglich, wenn sie von beamteten Personen wahrgenommen 
wird. Sie müssen bis zu einem gewissen Grade durch hygienische, tech¬ 
nische, bauliche Kenntnisse sachverständig vorgebildet sein und werden dann 
bei einiger Übung zu raschem Urteil und Rat befähigt sein. Es müssen 
praktische Männer von geschicktem Benehmen sein, keineswegs solche, die 
den Polizeiton annehmen zu dürfen glauben oder sich „nur auf den Zollstock 
beschränken“ wollen. Sie müssen sich als Beamte einer Wohlfahrtseinrich¬ 
tung fühlen und das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen wissen. Von 
diesem Gesichtspunkte aus hat man an manchen Orten die ganze Einrich¬ 
tung als eine ehrenamtliche begründen zu sollen gemeint. Den Erfah¬ 
rungen von Hamburg und Stuttgart gegenüber soll nicht geleugnet werden, 
daß man Erfolge damit erreichen kann. Wird ja von dort wie auch sonst 
überall bezeugt, daß die Ehrenbeamten sich in Eifer und Einsicht durchaus 
bewähren. Aber die Ausübung der Wohnungsaufsicht erfordert so viele 
und dauernde Tätigkeit, daß sie dennoch unmöglich ausschließlich Ehren¬ 
beamten auferlegt und zugemutet werden kann. In Hamburg werden (wir 
kommen noch später darauf zurück) nicht sämtliche Wohnungen systema¬ 
tisch besichtigt, sondern nur die verdächtigen und solche, gegen welche 
man Beschwerden vorgebracht hat. In Stuttgart findet allerdings eine aus¬ 
nahmslose Besichtigung statt, aber die dort ehrenamtlichen Wohnungspfleger 
(gegenwärtig 210) besorgen nur die Besichtigung; ist zu einer Beanstan¬ 
dung Anlaß, so wird ein Gutachten eingefordert, sei es vom Stadtarzt oder 
von der Feuerschau oder Baukontrolle, und dann von einer „gemeinde- 
rätlichen Abteilung für das Wohnungswesen“ endgültig beschlossen. 

Mit Recht wendet Dominicus 8 ), der verdienstvolle Förderer der Woh- 
nungsfürsorge in Straßburg i.E., hiergegen ein, daß bei diesem System Yor 

*) Zweckmäßig wirken in dieser Biclitung Kundmachungen der Wohnungs¬ 
ämter, wie sie z. B. in Stuttgart „über die wahren Ursachen feuchter Wohnungen*, 
iu Straßburg i. E. als „Batschliige betreffend gesundes Wohnen“ erlassen wurden. 

*) Zeitschr. f. Wohnungswesen, Bd. 1, ferner Archiv f. Sozialwissenschaft u. 
Sozialpolitik, Bd. 22. 


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Zur Wohnungsfrage. 

allem ein Mangel an Einheitlichkeit zu erwarten sei, daß Mißstände, die 
man in einem Bezirk beanstandet, in einem anderen übersehen oder bei 
anderer Auffassung der Pfleger ungerügt bleiben können. Dominicus 
empfiehlt am meisten, daß die Besichtigung durch einen berufsmäßigen 
Bautechniker gemeinsam mit einem ehrenamtlichen Pfleger erfolge, und 
er meint, daß dann auf je 10 000 Einwohner ein ehrenamtlicher Pfleger ge¬ 
nüge und daß diesem selbstverständlich alle Schreibarbeit zu ersparen sei. 

In Straßburg werden die ersten Besichtigungen von den beiden beam¬ 
teten Wobnungsinspektoren zusammen vorgenommen und die ehrenamtlichen 
Pfleger nur hinzugebeten, wenn entweder die gesundheitlichen Mißstände als 
besonders schwer zu erachten sind, oder Zweifel bestehen, ob man im Einzel¬ 
falle die Mindestforderungen nicht höher oder milder spannen müsse, oder 
endlich wenn sich der Hausbesitzer den von den Wohnungsinspektoren ge¬ 
machten Vorschlägen nicht aus eigener Einsicht fügt. Id diesem Falle 
werden dann die Vorschläge — zum sehr großen Teile nur kleine Repara¬ 
turen — dem Leiter des Wohnungsamtes überwiesen und von ihm in der 
Regel ohne weiteres offiziell angeordnet, wogegen dem Hausbesitzer die Be¬ 
rufung an die Vollkommission zusteht. Zu den Sitzungen derselben 
wird die Presse geladen, so daß der Fall alsbald zur Kenntnis der Öffent¬ 
lichkeit kommt, was freilich die Hausbesitzer williger machen mag, uns aber 
etwas rigoros vorkommt. Indessen scheinen sich die Dinge in Straßburg 
ohne große Schwierigkeiten abzuspielen. Bleibt in der Vollkommission die 
Anordnung aufrechterhalten, und der Hausbesitzer weigert sich dennoch, sie 
durchzuführen, so entscheidet der Gemeinderat über die einzuschlagenden 
Zwangsmaßregeln; hiergegen ist Rekurs an den Bezirksrat zulässig, „der 
bisher noch nie beschritten worden ist u . 

Es sei nochmals hervorgehoben, daß die günstigen Erfahrungen mit der 
'Wohnungsaufsicht überall in gleicher Weise gemacht wurden, daß man ihr 
auch auf dem Lande ein überraschendes Verständnis entgegenbringt. Mit 
der Beseitigung auch kleinerer Mängel wird bereits so viel hygienischer 
Nutzen gestiftet, daß es wirklich eine überflüssige Scheu bedeutet, wenn 
man hier und da für die Einführung der Wohnungsaufsicht eine Reform 
der gesamten Verhältnisse, einen genügenden Vorrat guter Wohnungen als 
Voraussetzung bezeichnen hört. Freilich stehen beide Abhilfsweisen in 
enger Beziehung zueinander; aber gerade die Kenntnis der Schäden — und 
aie ergibt sich mit Sicherheit bei dem Betriebe einer regelmäßigen Inspektion 
— gibt den Antrieb zu Besserungsmaßnahmen und wird, wie es auch 
Dominicus bezeichnet, der „ Ausgangspunkt jeder Wohnungspolitik“. Selbst¬ 
verständlich muß die Wohnungsinspektion nicht nur auf Beschwerden hin, 
aondern in regelmäßigem Turnus und vollkommen systematisch von Haus 
zu Haus erfolgen. Jeder Stadtteil, jede Straße, ja jedes Haus wird so all¬ 
mählich nach sozialem Charakter, wie nach hygienischer Beschaffenheit ge¬ 
kannt und registriert, und daß dies sehr wünschenswert ist, hat man nicht 
allein zu den Zeiten Pettenkofers und der „örtlichen Disposition“ emp¬ 
funden, sondern ebenso lebhaft beute, wo man die Bedeutung der Wohnungen 
für die Ausbreitung vieler Infektionskrankheiten sehr hoch einschätzt, und wo 
ganz neue Probleme, wie z. B. die Übertragung vtm malignen Geschwülsten, 
auf gewisse Nesterbildungen hinzuweisen scheinen. Für eine so groß ge- 


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Sanitätsrat Dr. Landsberger, 

faßte Aufgabe ist aber die ausschließliche Wahrnehmung durch 
Ehrenbeamte nicht angängig; sie erfordert Stetigkeit, Einheitlichkeit, 
Vorkenntnisse, Routine, und diese Bedingungen sind nur durch ständige 
Beamte in vollem Umfange zu erfüllen. Andererseits besteht bei diesen 
gewiß die Gefahr, daß die Routine in Bureaukratismus erstarrt, daß sie ver¬ 
suchen kann, die tausendfältige Variation des täglichen Lebens und seiner 
Bedürfnisse und Anpassungen in das Prokrustesbett des „Schema F“ zu 
zwingen. Und deshalb ist die Mitwirkung und die Kontrolle durch 
Ehrenbeamte nicht zu entbehren und besonders für die Nachprüfung 
und Festsetzung umfangreicherer Änderungen gewiß erforderlich. Daraus 
ergibt sich der Charakter der einzuführenden Wohnungsämter als ge¬ 
mischter Selbstverwaltungsbehörden, und für diese wird es auch 
nicht an der genügenden Zahl geeigneter Ehrenbeamten fehlen. Mißt man 
dagegen den letzteren ein allzugroßes Maß an Arbeit und Verantwortung zu, 
so dürfte doch an ihnen in den meisten Gegenden bald ein großer Mangel 
herrschen. Man bedenke doch, welche Fülle von Ehrenbeamten unsere ganze 
Gemeindeverwaltung ohnehin bereits bedarf, welche zahlreichen freiwilligen 
Kräfte sich in den Dienst der Waisen- und Armenverwaltung stellen müssen, 
und wie schwierig es oft ist, Ersatz für sie zu beschaffen. 

Geübte beamtete Wohnungsinspektoren besichtigen, wie die Erfahrung 
lehrt, pro Tag bequem etwa 22 bis 25 Wohnungen; in Augsburg, wo stets 
zwei gemeinsam inspizieren, waren es nach Rusts Bericht 1 ) bei sechs- bis 
siebenstündiger Dienstzeit durchschnittlich 22,2 pro Tag, in Nürnberg bei 
etwas längerer Dienstzeit 25,3. Natürlich kann im Anfang nur viel weniger 
geleistet werden, andererseits bei Wiederholung des Turnus, beim Wieder¬ 
besuch der gleichen Häuser, bedeutend mehr. Da mit der Enge der Ver¬ 
hältnisse die Schäden sich häufen, muß von den kleineren Wohnungen — 
bis zu drei Zimmern — eine jede besichtigt werden. Indessen bedürfen 
alle Wohnungen — auch die größten und feinsten — der Besichtigung 
betreffs der Räume für die Dienstboten und Angestellten, denn 
man kann es nicht anders als schmachvoll bezeichnen, daß oft genug in ganz 
modernen Luxusbauten neben einer ganzen Flucht von geräumigen Zimmern 
„für die Herrschaften“ ein bis aufs äußerste oder vielmehr unter das äußerst 
statthafte Maß abgesparter Raum für die Dienstboten bestimmt ist. Diese 
Räume bedürfen deshalb nach Ausdehnung und Einrichtung einer steten, 
strengen Überwachung, wir haben kein Recht, damit zu warten, bis Bich die 
altfränkischen nnd rückständigen Anschauungen so vieler über die Menschen¬ 
rechte ihres „Gesindes“ allgemein ändern werden a ). 

Ist die hygienische Beschaffenheit der Wohnungen ein die Gesamtheit 
angehendes und der Gesamtheit zugute kommendes Postulat, so wird es 
nicht von der Hand zu weisen sein, daß, wo kostspielige Änderungen in 

*) Augsburg 1906. 

*) Die Steilheit und ßchmalheit der Hintertreppen und ihr oft unverant¬ 
wortlich kleiner Krümmungsradius sind ebenfalls ein schlimmes Beispiel der Rück¬ 
sichtslosigkeit , die vielfach unter allzu toleranter Nachsicht der Baubehörden 
eingerissen ist. Der Zustand der Treppen und ihrer Geländer, ihre Bereinigung, 
ihre Beleuchtung bei Tag und am Abend verdienen überhaupt eine sorgfältigere 
Beachtung, als ihnen meistens zuteil wird. 


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Zur Wohnungsfrage. 

älteren Gebäuden in Frage kommen, dem Eigentümer unter Umständen aus 
öffentlichen Mitteln eine Beihilfe gewährt wird — natürlich nur als Dar¬ 
lehen, da der bessere Zustand seiner Wohnung ja seinen Mietsertrag hebt. 

Wir haben im vorstehenden die allgemeine Notwendigkeit einer Woh¬ 
nungsaufsicht dargelegt und durchweg Günstiges über ihre Durchführbarkeit 
und ihre Bewährung zu berichten gehabt. Daraus ergibt sich folgerichtig, 
daß wir ihre obligatorische Einführung überall fordern müssen. 
Staatsgesetze, welche sie bloß fakultativ empfehlen, sinken zu platonischer 
Bedeutung und praktischer Bedeutungslosigkeit herab, und der Staat als 
Wächter über die öffentliche Gesundheit hat das zweifellose Recht, aber auch 
die zweifellose Pflicht, Normen über die Herrichtung und ^Beschaffenheit der 
menschlichen Wohnungen aufzustellen und für ihre Einhaltung zu sorgen. 
Diesem allgemeinen Polizeirecht hat das Deutsche Reich und ebenso Preußen, 
sein größter Staat, keine spezialgesetzliche Folge gegeben. In Preußen be¬ 
stehen statt dessen eine Unmenge (wohl an 200) Einzel Verordnungen — 
selbstverständlich von dem verschiedensten Inhalt und dem verschiedensten 
Wert. Glücklicherweise hat wenigstens ein Viertel der 36 Regierungs¬ 
bezirke durch ihre Leiter einige allgemeine Direktiven bekommen. Beleh¬ 
rende Vergleiche lassen sich aus dem Chaos der Einzelbestimmungen leider 
nicht ableiten. Immerhin war es besser, daß sich im einzelnen Bezirk, in 
der einzelnen Stadt angesichts der dringend erforderlichen Regelung die 
Selbstbetätigung regte, als daß gar nichts geschehen wäre. Aber es ist 
höchste Zeit, daß der Staat dies nicht dem Gutdünken der einzelnen Ge¬ 
meinden, der Tatkraft der einzelnen Gemeindeleiter, also dem Zufall überläßt, 
sondern daß er es allen Gemeinden zur Pflicht macht, und daß er auch über 
die Art des Vorgehens Bestimmungen trifft. Der jetzige Zustand ist be¬ 
sonders unhaltbar. Seitdem ein preußischer Wohnungsgesetzent- 
wurf, und zwar ein im ganzen recht guter 1 ), veröffentlicht worden 
ist, ist die Initiative der einzelnen Verwaltungen beeinträchtigt, 
denn alle Welt wartet auf das Gesetz und auf die Richtung, die es geben 
muß. Und wartet seit Jahren vergebens! Was ist zwischen Lipp’ und 
Kelchesrand getreten? Haben sich nicht die in anderen Staaten getroffenen 
Bestimmungen mehr und mehr bewährt? Fast braucht sich das preußische 
Gesetz nur den zahllosen Vorbildern anzuschließen, — nur zu kodifizieren, 
was in einzelnen Landesteilen und in vielen Städten des preußischen Staates 
selbst bereits geltendes Recht ist. Und wie es für den ganzen Umfang des 
Staates nötig ist, so ist es jetzt auch eilig, weil eben die Zurückhaltung 
der Selbsthilfe den Fortschritt im Lande beträchtlich hemmt. 

Wie gesagt: andere deutsche Staaten sind bereits mit entsprechenden, zum 
Teil allerdings noch sehr unvollkommenen Gesetzen vorgegangen. Baden 
erteilte den Gemeinden nur die Ermächtigung, nicht die Verpflichtung, zur 
Einführung der Wohnungsaufsicht, erklärte aber die Enteignung eines jeden 
unbebauten Grundstückes für statthaft, wenn sie im öffentlichen Interesse 
zur Befriedigung des Wohnnngsbedürfnisses für erforderlich erachtet wird; 
eine bei richtiger Geltendmachung sicher sehr wirksame Anordnung. Eine 
neue badische Landesbauordnung ist am 1. November 1907 in Kraft getreten. 

‘) VgL meine „Bemerkungen“ zu dem Entwurf in dieser Zeitschrift, Bd. 37. 


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Sanitätsrat Dr. Landsberger, 


Nach ihr haben fortlaufende WohnungsunterBuchungen in Gemeinden yon 
über 10000 Einwohner stattgefunden; für die kleineren bestimmt der Bezirke¬ 
rat nach Anhörung des Gemeinderats, ob und innerhalb welcher Zeiträume 
sie zu geschehen haben. Wir haben schon hervorgehoben, daß für eine ge¬ 
sonderte Behandlung der Gemeinden nach ihrer Größe, soweit die Wohnungs¬ 
kontrolle in Betracht kommt, kaum ein triftiger Grund vorgebracht werden 
kann. In einigen Bestimmungen ist die neue Ordnung ziemlich fortgeschritten : 
sie verlangt für Ledige über 12 Jahre einen besonderen Schlafraum und für 
jede Familie einen Abort. Dagegen ist die Forderung des Luftraumes von 
der üblichen Knappheit (10 cbm pro Kopf) und die der Bodenfläche (pro 
Person 3 Vs qm) entschieden unzureichend. 

Ähnlich verfuhr das Königreich Sachsen, dessen „allgemeines Baugesetz“ 
vom 1. Juli 1900 bezüglich sehr vieler Bestimmungen als vorbildlich gelten 
kann. Es ermächtigt die Baupolizeibehörden, baufällige, gesundheitsgefähr¬ 
liche, verwahrloste Gebäude räumen oder ganz beseitigen zu lassen, eventuell 
sogar „das Erforderliche auf Kosten des Eigentümers selbst auszuführen. 
Weigert er sich dessen, so kann die Zwangsversteigerung beantragt 
und dem Käufer die Instandsetzung als Bedingung auferlegt werden“. Im 
übrigen überläßt das sächsische Baugesetz den Ortsbehörden die Initiative 
zur Einführung der Wohnungsaufsicht. 

Bayern hatte in der kgl. Verordnung vom 10. Februar 1901 die Ein¬ 
führung der Wohnungsaufsicht dringend empfohlen und die entsprechenden 
polizeilichen Vollmachten den Gemeinden verliehen. Erfreulicherweise machten 
davon viele derselben intensiven Gebrauch. Da aber in anderen die ehren¬ 
amtlichen Wohnungskommissionen rasch erlahmten, so betonte neuerdings 
(12. September 1907) eine Ministerialentschließung, daß mindestens in allen 
Städten von 15 000 Einwohnern an die ehrenamtliche Wohnungsaufsicht 
durch besondere, geeignet vorgebildete Wohnungsinspektoren zu ersetzen sei, 
und daß wenigstens alle diejenigen Wohnungen, welche am ehesten der 
Überwachung bedürfen, „so oft erforderlich, tunlichst aber alle zwei Jahre, 
zu besichtigen“ seien. Dahin gehören Wohnungen von drei und weniger 
Räumen, aber auch größere Wohnungen, bei denen durch Abvermieten nicht 
mehr als drei Räume für eine Haushaltung verfügbar geblieben sind, — 
außerdem sämtliche für die Unterbringung des häuslichen oder gewerblichen 
Dienstpersonals bestimmte Wohn- und Schlafräume. Die Bevölkerung setzte 
nach den Berichten den getroffenen Maßnahmen nirgends Widerstand, brachte 
ihnen vielmehr zunehmendes Verständnis entgegen, und an den Orten, welche 
besondere Inspektoren angestellt hatten, nahm die Wohnungsaufsicht einen 
erheblichen Aufschwung. Die im Jahre 1906 erfolgte Einsetzung eines 
„Zentralwohnungsinspektors“ im Staatsministerium des Innern bietet die 
Bürgschaft, daß seitens aller Behörden diesen Aufgaben fortan in Bayern 
dauernd volle Aufmerksamkeit und Fürsorge gewidmet werden wird. 

Obligatorische gesetzliche Maßnahmen schuf man in Hamburg, Gotha, 
Lübeck, Württemberg und insbesondere in Hessen. In Hamburg besteht, 
wie wir bereits angeführt haben, nur eine Kontrolle der verdächtigen 
Wohnungen, und auch das im Februar 1907 neu erlassene Gesetz hat hierin 
den Standpunkt des Gesetzes vom Jahre 1898 im wesentlichen festgehalten. 
„Die Wohnungspfleger haben sieb, soweit erforderlich, Kenntnis von den 


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Zur Wohnungsfrage. 

gesundheitlichen Verhältnissen der Wohnungen ihres Bezirkes zu verschaffen“ 
und haben „die ihnen überwiesenen Beschwerdefälle zu untersuchen 
und auf die Beseitigung von Mißständen im Wege gütlicher Verhandlungen 
hinzuwirken“. Die Wohnungspfleger sollen grundsätzlich Ehrenbeamte 
«ein, und auch das neue Gesetz will ihnen diesen Charakter gewahrt wissen. 
Wenn man indessen hört 1 ), daß sie sich, wie ganz natürlich, durch ihre 
Aufgabe allzu belastet fühlten und mehr und mehr nach Beamtenhilfe riefen, 
und wenn man erfährt, daß die amtliche „Behörde für Wohnungspflege“ 
außer dem leitenden Baurat bereits aus sieben Bureau* und sieben technischen 
Beamten besteht und dauernd vergrößert werden mußte, so muß man sagen, 
daß faktisch auch in Hamburg die Wohnungsaufsicht gemeinsam durch 
Berufs- und Ehrenbeamte geübt wird. Aber eben leider nur partiell. Es 
wurden 1905: 10 707, 1906: 12 776 Wohnungen „besichtigt“ (von 185 220 
Wohnungen überhaupt). „Meldungen“, also wohl Beschwerden, liefen jähr¬ 
lich etwa 1200 (im Durchschnitt der letzten acht Jahre) ein, davon etwa 
63 Proz. von Privaten, 17 von Behörden, 10 anonym. Es wird berichtet, 
daß die Handhabung des Gesetzes „milde und nachsichtig“ geschah, was bei 
Ehrenbeamten besonders natürlich ist. Um so überraschender ist es, daß 
zwar meistens die Beanstandungen gütlich erledigt wurden, aber doch in 
«inem Viertel der Fälle ein zwangsweises Vorgehen erforderlich war — 
viel häufiger also als in England und Hessen, wo die Aufsicht lediglich durch 
Berufsbeamte geübt wird und zwangsweise Abhilfe nur äußerst selten er¬ 
forderlich ist. 

Das Gesetz für das Herzogtum Gotha (vom 3. April 1907) empfiehlt 
zwar nur den Erlaß von Wohnungsvorschriften, ohne sie obligatorisch zu 
machen, verlangt aber doch, daß „durch Ortsstatut Wohnungskommissionen 
zur Durchführung einer regelmäßigen Wobnungsaufsicht einzusetzen sind, 
sofern nicht aus besonderen Gründen die Bezirksverwaltungsbehörde davon 
befreit“. Die Wohnungsaufseher haben das Recht, die Wohnräume von 
9 Uhr früh bis 6 Uhr nachmittags, diejenigen mit Schlafgängern von 6 Uhr 
früh bis 9 Uhr abends zu inspizieren. Genügen Belehrung, Raterteilung, 
Mahnung nicht, um die Mißstände zu beseitigen, so ist das Einschreiten der 
Polizeiorgane zu veranlassen. 

Das lübeckische Gesetz vom 7. Juli 1902 hat zu wenige Einzel¬ 
bestimmungen (darunter aber gute, z. B. die Grundforderung von 15 cbm 
Luftraum pro Person) und gestattet zu viele Ausnahmen. Die Wohnungs¬ 
pfleger sind Ehren beamte. 

Württemberg hatte durch Landesgesetz vom 21. Mai 1901 in den 
Gemeinden über 3000 Einwohner alle Wohnungen bis zu drei Räumen 
{Küche eingerechnet) und außerdem alle Wohnungen mit Schlafgängern, 
ferner in sämtlichen Wohnungen die Schlafgelasse der Dienstboten und 
Lehrlinge der ortspolizeilichen Aufsicht unterstellt und zugleich bestimmt, 
daß die Besichtigungen mindestens alle zwei Jahre zu wiederholen sind. 
Die Gültigkeit dieses Gesetzes wurde im Jahre 1907 auf sämtliche Gemeinden 
des Landes ausgedehnt. 


*) Bericht des Stadtarztes Sieveking auf der Tagung des Zentral Verbandes 
der städtischen Haus- und Grundbesitzervereine Deutschlands am 8. August 1907. 


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Sanitätsrat Dr. Landsberger, 

Am frühesten und energischsten ist das Großherzogtum Hessen vor¬ 
gegangen und darf den Ruhm beanspruchen, nicht bloß unter den deutschen 
Staaten die Führung hinsichtlich der Wohnungsfürsorge ergriffen zu haben. 
Ursprünglich — 1894 — nur für Gemeinden mit mehr als 3000 Einwohnern 
obligatorisch, hat sich das hessische Wohnungsgesetz so bewährt, daß es 
1902 über das ganze Land ausgedehnt wurde. Es hat, wie die dem Reichs¬ 
tage erstattete Denkschrift vom 10. Juni 1904 hervorhebt, nicht bloß zur 
Beseitigung einer großen Zahl von Mängeln, nicht bloß weiter dazu geführt, 
den baulichen Zustand der Wohnungen auf einer gewissen Höhe zu halten, 
sondern das ganze „Niveau des Kleinwohnungswesens zu heben“. Es 
darf, wie Gassner, der Oberbürgermeister von Mainz, bezeugte, „als ein 
denkwürdiger, empfehlenswerter, Erfolg versprechender Versuch bezeichnet 
werden zur Herbeiführung geordneter Zustände in den Wohnungsverhält- 
nissen der ärmeren Volksklassen“. Es führte eine straffe Anzeigepflicht 
für alle Vermietungen ein, und die behufs seiner Ausführung erlassenen 
Bestimmungen sind streng und präzis. Den Gemeindebeamten für die 
Wohnungsaufsicht ist ein Landeswohnungsinspektor vorgesetzt, und das 
Land hatte das Glück, für diesen Posten gleich bei der ersten Besetzung 
eine sehr geeignete Persönlichkeit zu finden. So wird dem Gesetze überall 
mit großer Rührigkeit und Bereitwilligkeit entsprochen, und es wird in 
einheitlicher Weise gehandhabt. Die jährlichen ausführlichen Berichte des 
Landeswohnungsinspektors Gretzschel, der zugleich Generalsekretär des 
hessischen Zentralvereins zur Errichtung billiger Wohnungen ist, geben 
ein schönes Bild der Leistungen und Strebungen und bieten eine Fülle 
lehrreicher Anregungen. Und das beste ist, daß er versichern kann, er 
finde überall volles Verständnis und bereite Mitarbeiter, nirgends Wider¬ 
stand und Mißtrauen. 

Anch in den kleinsten Gemeinden funktioniert die Einrichtung aus¬ 
gezeichnet; der Berichterstatter sagt, er sei oft überrascht gewesen, wie auch 
in kleinen Gemeinden die Ortswohnungsinspektoren — ganz einfache Leute 
— ein recht erfreuliches soziales Verständnis gezeigt haben. (Das gleiche 
Lob hören wir übrigens aus der Amtshauptmannschaft Chemnitz, in 
welcher 1903 durch Polizei Verordnung auf Grund des allgemeinen sächsischen 
Baugesetzes für 40 ländliche Gemeinden die Wohnungsaufsicht eingeführt 
wurde. Man bildete in ihnen 223 Bezirke und stellte ebenso viele Woh¬ 
nungspfleger an, von denen Carlitz 1 ) berichtet, daß sie mit Ernst und Eifer 
wirken.) Von welcher Wichtigkeit diese Ergebnisse sind, wird erst völlig 
klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß gerade in den kleinen Gemeinden 
die meisten Bewohner auf einen Wohnraum entfallen. Demgemäß 
sind in Hessen gerade an den kleinsten Plätzen die meisten Wohnungen 
beanstandet worden. Im allgemeinen steigt bei dieser allgemeinen regen Auf¬ 
merksamkeit allmählich der Grad der Mindestforderung: Gretzschel gruppiert 
mit Recht die Kleinwohnungen nach ihrer Geräumigkeit und bezeichnet die¬ 
jenigen mit einem Luftraum von unter 10 cbm pro Person als ungenügend, 
die mit 10 bis 15 cbm als kaum genügend, die mit 15 bis 20cbm als aus¬ 
reichend und erst diejenigen mit über 20 cbm als gut. Daß 10 cbm — die 


') Zeitschr. f. Wohnungswesen I, 22. 


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Zur Wohnungsfrage. 

übliche Mindestforderung — weit unter dem wirklichen Bedarf liegen, weiß 
jeder Kenner*), leider muß man sie als Notbehelf dulden, weil sonst allzu 
viele Wohnungen beanstandet werden müßten. In Frankfurt a. M. fand die 
städtische Gesundheitskommission noch 1902, daß in 14 Proz. der unter¬ 
suchten Schlafräume ein geringerer Luftraum als 10 cbm auf die Person 
kam. Ob es in Hessen stets besser bestellt war oder ob es — wie woh] 
möglich — bereits unter dem Einflüsse des dortigen Wohnungsgesetzes 
besser geworden ist, könnte Gegenstand einer besonderen Untersuchung sein; 
jedenfalls ergab sich 1906 für die hessischen Kleinwohnungen, daß nach der 
oben erwähnten Einteilung nur 6 Proz. unter 10 cbm Luftraum pro Person 
boten, dagegen 19 Proz. 10 bis 15, 21 Proz. 15 bis 20 und volle 54 Proz. 
über 20 cbm. Vom Gesichtspunkte der Geräumigkeit — also dem aller¬ 
wesentlichsten — waren Bonach über die Hälfte der hessischen Kleinwoh¬ 
nungen als „gut“ zu bezeichnen. 

Man wird nicht einwenden dürfen, daß in einem kleinen Staatsgebiete 
sich dergleichen Einrichtungen leichter organisieren lassen. Höchstens lassen 
sie sich in einem solchen einheitlicher gestalten und besser übersehen. Aber 
was hindert den größten Staat daran, in einzelnen Bezirken besondere Be¬ 
hörden mit einer solchen Organisation und Aufsichtsführung zu betrauen ? 
Die Wohnungsauf eicht selbst wäre ja ohnehin den Gemeinden zu über¬ 
tragen und von ihnen in voller Selbstverwaltung auszuüben. In dieser Weise 
regelte auoh der preußische Gesetzentwurf seinerzeit die Angelegenheit: die 
Gemeinden wurden zur Errichtung von Wohnungsämtern und Wohnungs¬ 
inspektion und zu ihrem Betrieb verpflichtet, und der Staat sollte seinerseits 
Bezirks-Wohnungsaufsichtsbeamte einsetzen — kein schönes Wort, aber ein 
vielleicht nicht ganz entbehrbarer Posten. Landesrat Brandts (Düsseldorf) 
betonte im Verein für Sozialpolitik 1901 ausdrücklich, daß die Regierungs- 
bezirke so gut wie einen Medizinalrat, Schulrat, Gewerberat auch einen Woh¬ 
nungsrat gebrauchten. Jedenfalls verfährt man in denjenigen preußischen 
Regierungsbezirken, deren Leiter selbständig eine Wohnungskontrolle ein¬ 
geführt haben, schon jetzt nach den Vorschlägen des erwähnten Gesetz¬ 
entwurfes, so vor allem im Düsseldorfer Bezirk, wo seit 1898 2 ) eine fort¬ 
laufende Prüfung aller Häuser (außer den Einfamilienhäusern) verlangt wird 
(und zwar mindestens alle zwei Jahre, in verdächtigen Fällen alljährlich), und 
wo seit 1903 ein staatlicher Wohnungsinspektor bestellt ist. Eine 
Wohnung, die als zum Bewohnen ungeeignet erachtet wird, darf dort nur 
mit Genehmigung der Polizeibehörde „in seltenen Ausnahmefällen“ (z. B. bei 
allzu großer Wohnungsknappheit) für kurze Zeit weiter vermietet werden. 
Wie vorzüglich solche Einrichtungen wirken, lehrt das Beispiel der Stadt 
Düsseldorf, deren neue Baupolizeiordnung (Mai 1907) bereits weit über die 
Anforderungen ihres Regierungsbezirks hinausgeht. Jede Familienwohnung' 
muß nach ihr aus zwei, zusammen wenigstens 30 qm großen Räumen be¬ 
stehen und einen besonderen Abort haben, der in der Regel innerhalb des 
Verschlusses der Wohnung liegen soll. 


*) Man vergleiehe dazu meine .Bemerkungen* in dieser Zeitschrift, Bd. 37. 
*) Die Verordnung ist von dem gegenwärtigen preußischen Finanzminister 
v. Bheinhaben erlassen worden. 


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Sanitätsrat Dr. Landsberger, 


Freilich mit der gesetzlichen Einführung der Wohnungsaufsicht ist nur 
der Grund gelegt zur Erkenntnis und Abhilfe der Notstände. Der Staat 
muß gleichzeitig ein Mindestmaß von gesundheitlichen und 
sozialen Forderungen aufstellen und über ihrer unbedingten 
Durchführung wachen. Diejenigen gesundheitlichen Forderungen, die 
wir als die wichtigsten in folgendem herausgreifen, sind durch allgemeines 
Einverständnis und hundertfache Handhabung längst als unterste Grenze 
des unbedingt Notwendigen überall anerkannt. Daß es trotzdem geboten 
erscheint, sie gesetzlich zu verlangen, ergibt sich aus der beschämenden 
Tatsache, daß sie trotz der Anerkennung als das Mindestnotwendige nur 
zu vielfach noch nicht erreicht sind. Und wenn man vorläufig nicht 
vermag, sie etwas höher zu bemessen, von dem Unerläßlichen auf das 
Menschenwürdige und auf das wissenschaftlich Geforderte zu heben, so 
liegt das an der brutalen Unmöglichkeit, für so viele Quartiere, die sich als 
unerlaubt ergeben würden, auch nur vorübergehenden Ersatz zu schaffen! 
Man käme sonst in vielen Orten in die Lage, mehr als die Hälfte 
der Wohnungen als ungenügend zu bezeichnen! 

Die wissenschaftliche Grundlage der einzelnen Mindestforderungen zu 
diskutieren, wird hier kaum erforderlich sein *). Und es ist ja auch selbst¬ 
verständlich, daß der Schlafraum, in dem alle Menschen etwa ein Drittel 
ihres Lebens verbringen, der Wohnraum, in dem (wenn er nicht gar zugleich 
Arbeitsraum ist!) wir mindestens ein weiteres Viertel verweilen, vor aller 
schädlichen Beschaffenheit gesichert und ihnen der Zutritt von Luft und 
Licht als unseren notwendigsten Lebensmedien verbürgt sein müßte. Nur 
ist die harte Wirklichkeit weit davon entfernt. Jenen Grundforderungen 
kommt in neuerer Zeit noch höhere Bedeutung zu, weil wir wissen, daß die 
Erreger der Infektionskrankheiten in Wohnräumen von schlechter Beschaffen¬ 
heit und Lüftung ihren besten Nährboden finden, daß sie dagegen von Licht 
und namentlich von Sonnenbelichtung wesentlich beeinträchtigt werden. Wir 
wissen genauer als früher, wie viel Unheil durch zu nahen Kontakt mit 
Leidenden herbeigeführt werden kann, die nicht einmal das Krankheitsbewußt¬ 
sein zu haben brauchen. Dennoch wird durch das Zusammenpferchen in 
Wohnungen täglich hiergegen gefehlt Gedankenlos übersieht man, daß ohne 
eine Änderung auf diesem Gebiete alle Bemühungen der Krankheitsverhütung 
vergeblich bleiben müssen. Ohne energische Gegenvorkehrungen pflegt 
sich die Wohnungsdichtigkeit unbegrenzt und bis zum Unerträglichen zu 
verschlimmern. Wie in überfüllte Sonntagszüge werden in dieselben 
Räume immer neue Insassen gedrängt, auch wenn schon die früheren das 
Aufnahme-Soll wesentlich überschritten hatten. Nur daß die Vergnügungs- 
zügler das nur ganz kurze Zeit zu ertragen haben, der Massenwohner und 
Schlafgänger aber sein halbes Leben! Das erweisen die Aufnahmen überall, 
in welchen Großstädten sie auch veranstaltet wurden. 

Daß die meist erhobene Mindestforderung für den Luftraum mit 10cbm a ) 
unzureichend ist, haben wir wiederholt hervorgehoben. Beruht sie schon 

') Wir haben sie in den bereits zitierten „Bemerkungen* im 37. Bande ein¬ 
gehender gewürdigt. 

*) Vielfach wird sie verschieden bemessen, je nachdem der Baum nur als 
Schlaf- oder zugleich als Wohnraum dient; so auch in dem London Public Health 


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Zar Wohnungsfrage. 

theoretisch auf nicht gesicherten Grundlagen (vgl. diese Zeitschrift, Bd. 37, 
S. 452), so wird sie durch die Besetzung der Räume mit Möbeln und durch 
die künstliche Beleuchtung praktisch erst recht ungenügend. Und da ohnehin 
nach dem oben Gesagten ein großes hygienisches Interesse vorliegt, die für 
den einzelnen Bewohner erforderliche Mindestplatzfläche zu verbürgen, 
so sollte man lieber diese zur Grundlage der Bestimmungen machen. Sie 
kann, wenn man die Größe eines Normalbettes ins Auge faßt und nur der aller¬ 
notwendigsten Ausstattung und dem knappsten Bewegungsspielraum Rechnung 
trägt, nicht unter 4 qm pro Person bemessen sein. Sie müßte eigentlich 
noch mindestens 1 qm größer sein, aber das ist einstweilen nicht durchführ¬ 
bar, da der Zimmerhöhe eine natürliche untere Grenze von 2,5m zu¬ 
gesprochen werden muß und aus den bereits angeführten Gründen von einer 
allgemeinen Erhöhung der Luftraumforderung leider noch abzusehen ist. 2,5 m 
Zimmerhöhe ergeben aber bei 4 qm Bodenfläche eben 10 cbm Luftraum. 
Zwar entspricht die Zimmerhöhe nicht überall der genannten unteren Grenze, 
besonders in den ländlichen Wohnungen bleibt sie vielfach nicht unwesent¬ 
lich unter derselben, und Bayern hat für sie nur eine Mindestforderung von 
2,2 m. Man mag auch, da niedrige Zimmer leichter zu ventilieren sind als 
hohe, unter der Voraussetzung, daß die Lüftung oft genug und 
bei freier Umgebung erfolgt, solche Räume an sich noch als hygienisch 
einwandfrei betrachten können. Aber die Heizung und Beleuchtung ver¬ 
schlechtern sie rasch wesentlich: die warme und kohlensäurebeladene Luft 
ist dann der Kopfhöhe, also den Eingangspforten der Atmungsorgane, be¬ 
denklich nahe gerückt. Immerhin wird man bei der Zimmerhöhe eine Aus¬ 
dehnung der Mindestforderung über 2,5 m hinaus nicht zu erstreben brauchen. 
Sie erfordert sonst gelegentlich einen zu großen Aufwand an Heizmaterial, 
und vor allen Dingen ist sonst zu fürchten, daß zugunsten der Höhe das 
hygienisch bedeutsamere Bodenflächenmaß herabgesetzt wird. Es soll gewiß 


Act von 1881, wo für jeden Erwachsenen für den Schlafraum ein freier Luftraum 
von 300 CubikfuS (= 9 cbm) vorgeschrieben ist, bei Zimmern jedoch, die nicht 
ausschließlich zum Schlafen dienen, 400 Cubikfuß. 

Auch die Stadt Straßburg i. E. differenziert die Luftraumforderung: für 
den 8chlafraum verlangt sie 10 cbm pro Kopf, ist er zugleich Wohnraum, 15 cbm, 
und dient er außerdem noch gewerblichen Zwecken, 20 cbm ; ebenso werden 20 cbm 
pro Person nachahmenswerterweise für Wohnungen verlangt, die im Erdgeschoß 
liegen an Gassen oder Höfen unter 6 m Breite und mit gegenüberstehenden Ge¬ 
bäuden von über zwei Stockwerken. 

In Hessen besteht ebenfalls die Forderung von 10 cbm nur für Schlafräume, 
während sie bei Duroheinanderrechnung von Schlaf- und Wohnzimmern 20 cbm 
betragen soll, aber der Landeswohnungsinspektor berichtet selbst (Zeitschr. f. 
Wohnungswesen 1904/05, 8.182), daß man sich bei der praktischen Handhabung 
mit 10 cbm durchweg begnügen müsse. 

Das sächsische Ministerium des Innern bestimmte (1896), daß eine Woh¬ 
nung als überfüllt anzusehen sei, wenn sie nicht wenigstens 20 cbm Luftraum pro 
Person (pro Kind 10cbm) bietet. Aber wie das bei bloß empfehlenden Anord¬ 
nungen der Fall zu sein pflegt: schon die beiden größten 8tftdte des Landes führten 
die Bestimmung verschieden aus. Während Dresden (1898) sie unverändert über¬ 
nahm, verlangt das Leipziger Begulativ über Teil Vermietungen (1896) im Schlaf¬ 
raum nur 10 cbm Luftraum bei nur 3% qm Bodenfläche — allerdings mit dem 
Zusatz: .Die Betten dürfen nicht übereinander gestellt werden.“ 


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Sanitätarat Dr. Landsberger, 


nicht bestritten werden, daß eine ansehnliche Zimmerhöhe das behagliche 
Wohnen zu erhöhen geeignet ist, aber über ein gewisses Maß hinaus beein¬ 
trächtigt sie etwas die Licht- und Wärmeverhältnisse und vor allem die 
Durchlüftung. Ohnehin kann sie am wenigsten allzu gering gehalten 
werden, weil das Gelaß dann ganz augenfällig der Bewohnbarkeit entbehrt. 
Viel größerem Mißbrauch ist die Ausbeutung der Bodenfläche ausgesetzt, die 
in schlimmen Fällen sogar dahin führt, daß Lagerstätten nicht bloß hart 
neben-, sondern auch übereinander gestellt werden. 

Von größter Wichtigkeit sind Bestimmungen über die Be¬ 
lichtung. Die Wohnungsenqueten sind voll von Berichten über nicht bloß 
dunkle, sondern geradezu fensterlose Wohnräume — und von noch reich¬ 
licheren über ganz ungenügende Fensteranlagen. Es kann natürlich nicht 
genügen, daß überhaupt in dem Wohnraum ein Fenster vorhanden ist, 
sondern es muß für den Raum ausreichend groß sein, und es muß ins Freie, 
und zwar in angemessene Weite führen, und es soll der Sonne zugänglich 
sein! Wie viele Wohn- und wie noch viel mehr Schlafräume diesen An¬ 
forderungen nicht genügen, ist allgemein bekannt. Und doch ist eine gesund¬ 
heitsgemäße Beschaffenheit der Wohnungen gerade von der Erfüllung dieser 
Bedingungen besonders abhängig! Wie lässig man hier aber bis in die 
neueste Zeit dachte, dafür ist nichts charakteristischer, als daß es über die 
Größe der erforderlichen Fensterfläche in den allermeisten Bauordnungen 
völlig an Bestimmungen fehlt; auch die Wohnordnungsgrundsätze des 
preußischen Gesetzentwurfs haben sie fortgelassen. Höchstens verlangt man 
„genügende“ Belichtung — mit welchem Erfolge, das weiß jeder, der unsere 
Wohnungsschäden kennt. Aber man muß schon anerkennen, daß alle neueren 
Bauordnungen wenigstens für jeden Wohnraum ein unmittelbar ins 
Freie führendes Fenster verlangen. Daneben ist aber unbedingt eine 
Bestimmung über das Verhältnis seiner Größe zu dem Raume er¬ 
forderlich, den es zu belichten hat. Sie ist bedauerlicherweise nur an wenigen 
Plätzen zahlenmäßig vorhanden. Mag sein, daß exakte Unterlagen dafür 
nicht leicht zu finden sind — die praktische tägliche Erfahrung setzt uns 
über diesen Mangel hinweg und bietet ausreichende Handhaben. Die vor¬ 
handenen Forderungen schwanken zwischen ein Sechstel bis ein Zwölftel der 
iiodenfläche; mag das letztere Verhältnis kaum noch einen Raum, zumal 
in einer engeren Straße genügend hell sein lassen, so muß es — analog den 
anderen Mindestforderungen — doch als ein Fortschritt erscheinen, wenn 
es überall durchgeführt würde und die viel schlimmeren bestehenden 
Lichtverhältnisse dadurch verbessert würden. Das hessische Gesetz und der 
London Building Act von 1894 verlangen eine Fensterfläche (und zwar die 
des Fensterglases, die bisweilen nur zwei Drittel der Fläche des Gesamt¬ 
fensters einschließlich seiner Holzteile beträgt!) von einem Zehntel der Boden¬ 
fläche. In Augsburg blieben unter dieser dort ebenfalls auf ein Zehntel der 
Bodenfläche festgesetzten Fenstergröße 28,6 Proz. der Miet- und 16 Proz. 
der Hauseigentümerwohnungen zurück. 

Endlich muß darauf bestanden werden, daß das Licht in keinen 
Wohnraum unter geringerem Winkel als 45 Grad einfällt — auch 
nicht in den untersten Raum des Gebäudes. Nur dann ist während des 
ganzen Jahres eine ausreichende Helligkeit und wenigstens ein zeitweises 


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Zur Wohnungsfrage. 


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Eindringen von Sonnenlicht möglich. Eelleranlagen vermögen dieser 
und der vorherigen Forderung so schwer zu genügen, daß man längst 
darüber einig ist, sie als Wohnkeller überhaupt zu verbieten. Für 
Neubauten besteht dieses Verbot auch bereits in großem Umfange; wo in 
älteren Häusern die Duldung von Kellerwohnungen vorübergehend noch an¬ 
gebracht erscheinen sollte, muß über ihre sonstige hygienische Gestaltung mit 
um so größerer Strenge und Aufmerksamkeit gewacht werden. Von welcher 
Wichtigkeit und Bedeutung dies ist. lehrt schon ein Hinweis z. B. auf Berlin, 
wo immer noch 24000 Keller zum Wohnen benutzt werden und vier Fünftel 
von ihnen zu Klagen Anlaß geben; zu einem großen Teile waren sie ur¬ 
sprünglich lediglich als Nutzkeller angelegt und wurden allmählich ohne 
weitere behördliche Genehmigung in Wohnkeller umgewandelt! 

Unter die zahlenmäßig festzulegenden Mindestforderungen sind auch 
die Bestimmungen über die Aborte aufzunehmen, denn die Mißbräuche, die 
auf diesem Gebiete herrschen, sind bekanntlich sehr zahlreich und das hygie¬ 
nische Interesse, ihnen entgegenzuwirken, ganz besonders groß. Aber so 
sehr man es bedauern mag: die Forderung eines Abortes für jede Wohnung 
ist einstweilen allgemein nicht durchführbar. Es sei als Beweis dafür nur 
auf Frankfurt a. M. hingewiesen, wo nach Adlers Feststellungen kaum 
30 Proz. der Haushaltungen einen besonderen Abort haben. Und dies in 
«iner unserer kulturell fortgeschrittensten und wirtschaftlich bestsituierten 
Gemeinden! Wohl aber wird man in der Regel für je 12 Personen mindestens 
einen Abort vorsehen und deshalb daneben als berechtigte Mindestforderung 
verlangen müssen, daß ein Abort höchstens für zwei Familien dienen soll. 
Mehr zu fordern, hieße vorläufig die Bestimmung illusorisch machen — 
wäre auch nicht mit den Einrichtungen in Elinklang zu bringen, die wir in 
Gasthäusern, Bahnzügen usw. für ausreichend zu halten pflegen. Und an¬ 
gesichts der Tatsache, daß es viele Häuser gibt, wo auf 10, ja auf 15 Familien 
nur ein Abort zur Verfügung ist, wird die Durchführung unserer Mindest¬ 
forderung doch bereits einen großen Fortschritt bedeuten. Um des Besseren 
willen soll man doch nicht das Gute verschmähen. 

Genaue Bestimmungen sind des weiteren für die Anlage und den 
Schutz von Brunnen zu treffen. Gehören sie auch eigentlich in den 
weiteren Rahmen der Bauordnungen hinein, so sind sie doch von einer so 
hervorragenden hygienischen Bedeutung, daß sie auch in den Wohn- 
Ordnungen nicht fehlen dürfen. Auch in den städtischen nicht, denn auch 
in den Plätzen mit allgemeiner Wasserleitung gibt es noch Brunnen genug, 
und die Sicherung von Reservoirs, Schöpfstellen u. dgl. vor Verunreinigung 
bedarf der ernstesten Aufmerksamkeit und Vorsicht. Welcher Mindest¬ 
schutzmittel die Anlage aller solcher Stellen bedarf, darüber herrscht heut¬ 
zutage volle Übereinstimmung, und es erübrigt sich deshalb eine Einzel¬ 
erörterung. 

Die Bestimmung, die wir unter 4e der Mindestforderungen aufgeführt 
haben, könnte als überflüssig erscheinen, weil sie selbstverständlich ist Aber 
auf dem Gebiete des Wohnens ist oft genug das Unsinnigste das alltäglichste 
Ereignis. Auf der einen Seite bleiben massenweise gerade die besten, 
hellsten, geräumigsten Zimmer als „Putzstube“, „gute Stube“ ungenutzt, 
und der landesübliche Unverstand läßt es sich mit dem spartanischen Rest 


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Sanitätsrat Dr. Landsberger, 

genügen. Und andererseits swingt umgekehrt die Not der Teuerung und 
Überfüllung oft Räume als Wohngelasse zu verwenden, welche nur als Löcher 
oder als Höhlen zu bezeichnen und nicht bloß menschenunwürdig sind, 
sondern nie als Obdach für Menschen gedacht waren. Gerade mit diesen 
nicht etwa seltenen Schlupfwinkeln aufzuräumen, die ebenso eine Gefahr 
für die öffentliche Gesundheit, wie für die Sittlichkeit und Sicherheit dar- 
stellen, wird der erste und nächste Erfolg einer allgemeinen Wohnungs¬ 
aufsicht sein. 

Anderen Gefahren wird sie zu begegnen haben, indem sie verhindern 
muß, daß Nahrungsmittel in Schlafräumen verarbeitet oder in größeren, zum 
Verkauf bestimmten Mengen auf bewahrt werden. Hier setzen bereits die 
erweiterten Aufgaben der Gewerbehygiene ein, welche sehr dringend, 
z. B. bei den Schlafstellen der Bäcker, interessiert und durch die häufige 
Verquickung von Arbeits- undWohnraum auch den Wohnungseinrichtungen 
besondere Beachtung zu widmen genötigt ist. 

Einer eingehenden Kontrolle bedürfen natürlich die Massenquartiere. 
Der Notwendigkeit, eigene Bestimmungen für sie zu treffen, hat man sich 
auch nirgends entzogen — aber wir haben oben in krassen Beispielen ge¬ 
zeigt, wie lax sie oft gebandhabt werden. Und doch sind gerade hier und 
auf dem Gebiete des Schlafgängerwesens, für welches eine Unzahl 
lokaler Polizeiverordnungen erlassen sind, die größten hygienischen Inter¬ 
essen im Spiele, und es ist unerläßlich, sie durch dauernde Aufsicht 
und häufige, namentlich auch unvermutete, zeitweise auch nächt¬ 
liche Kontrolle wahrzunehmen. Hier reichen die allgemeinen Bestim¬ 
mungen der Wohnordnungen nicht aus, sondern es sind Vorschriften über 
besondere Lüftungsvorkehrungen, über die Ausstattung und Reinigung der 
Lagerstätten, über die Trennung der Geschlechter, über die Zugänge usw. 
erforderlich und eine strenge Anzeigepflicht über die Aufnahme und den 
Wechsel der Insassen einzuführen. Und deshalb kann nicht alles der lokalen 
Regelung überlassen bleiben, sondern der Staat muß durch Gesetz ein 
Mindestmaß festlegen. Welche große, nicht bloß hygienische, sondern auch 
sittliche und kulturelle Interessen hier im Spiele sind, weiß jeder Kenner. 
In Berlin haben 15 Proz. aller Haushaltungen Schlafgänger bei sich, und 
dabei bestehen zwei Fünftel, also beinahe die Hälfte aller dieser Wohnungen, 
nur aus einem einzigen Raume. Daß es in anderen Großstädten nicht 
besser ist, weiß ebenfalls jeder. 


Zu den anderen Thesen ist nur weniges zu bemerken. Es darf erwartet 
werden, daß sie allgemeines Zugeständnis finden werden, wenigstens bei 
denen, die den vielfachen Erörterungen in unzähligen Kongressen und 
Körperschaften einigermaßen gefolgt sind. Man ist auch in allen Staaten, 
welche auf eine Besserung der Wohnungsverhältnisse bedacht sind, in der 
Richtung dieser Thesen zu arbeiten bemüht. Freilich mit sehr verschiedener 
Initiative und Energie. Und gerade um diese zu wecken und anzuregen, 
ist ja eine vergleichende Betrachtung des da und dort Erstrebten, Begonnenen, 
Geleisteten erwünscht und wahrscheinlich auch nützlich. Es ist allerdings 


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Zur Wohnungsfrage. 


273 


befremdlich, man muß sogar sagen: beschämend, wie die öffentliche Meinung 
oft längst über die Notwendigkeit und Durchführbarkeit einer sozialpolitischen 
Maßregel völlig geklärt und einig ist — und wieviel Zeit dennoch ver¬ 
streicht, ehe sie gesetzlich durchgeführt wird! Das Verbot der Bleifarben 
nnd der Phosphorzündhölzer, — die Einschränkung der Kinderarbeit, — 
das Verbot der Nachtarbeit der Frauen, — die Beschränkung der weiblichen 
Fabrikarbeit auf zehn Stunden täglich sind naheliegende Beispiele dafür. 
Die Gesetzgebung hinkt nach, statt mit leisem Druck auf den Fortschritt 
hinzaarbeiten. Auch auf dem Gebiete des Wohnungswesens müßte sie durch 
kluge Bestimmungen die Bevölkerung erziehen, anstatt sich durch laute 
Notschreie zu zögerndem, fast widerwilligem Einschreiten herbeiziehen zu 
lassen. In erster Linie muß es sich bei der Mitwirkung des Staates und 
der Gemeinden um die Abstellung der schlimmsten Schäden handeln, wie sie 
durch Festsetzung von Mindestforderungen und Überwachung ihrer Durch¬ 
führung durch eine regelmäßige Wohnungsaufsicht erzielt werden kann. 
Außerdem aber kann durch eine rechte Steuer- und Verkehrspolitik, die an 
dieser Stelle nicht ausführlich kritisch beleuchtet werden soll, das unge¬ 
messene Anwachsen des Bodenwertes in den Städten und ihrer nächsten 
Umgebung, wenn auch nicht verhindert, so doch gemindert und gemildert 
werden. Es sei hier nur darauf hingewiesen, daß durch eine Besteuerung 
der Grundstücke, der bebauten wie der unbebauten, nach dem gemeinen 
Werte, wenn sie nicht zu selten erfolgt, sondern in den gleichen 
Fristen wie die preußische Vermögenssteuer, wenigstens mit Sicherheit die 
volle steuerliche Heranziehung des liegenden Besitzes mit allen seinen 
Chancen zu erreichen wäre. Es würde dann die so viel empfohlene und so 
zäh bekämpfte Wertzuwachssteuer manchem weniger dringlich erscheinen. 
Von großer Wichtigkeit ist eine weitsichtige Bodenpolitik der Gemeinden, 
zu der es freilich beträchtlicher Mittel bedarf. Daß in England seit lange 
viele Städte mit kommunalen Mitteln den Wohnungsbau in großem Stile 
betreiben (und zwar zugunsten der Allgemeinheit, nicht bloß ihrer eigenen 
Angestellten), haben wir bereits hervorgehoben. Auch in Deutschland ist 
hier und da dergleichen geschehen, so namentlich in Ulm und in Freiburg i. B., 
häufiger nur in der Form der Kreditförderung. Überall aber ist man 
sich der Pflicht bewußt, den städtischen Bodenbesitz mög¬ 
lichst zu vermehren und ihn entweder überhaupt nicht mehr ganz 
zu veräußern oder wenigstens nur unter möglichster Beschränkung der Aus¬ 
nutzung. An einigen Stellen ist dies auch in ansehnlichem Maße gelungen: 
so hat Mannheim 36,8 Proz. seiner Gemarkung im städtischen Besitz, 
Hannover 37,5, Frankfurt a. M. sogar 44,3 Proz. Und dennoch gelingt 
es damit auch in diesen Städten durchaus noch nicht, Ausschreitungen 
der Terrainspekulation zu verhüten und die Bodenpreise in mäßigen 
Grenzen zu halten. Die städtische Bodenpolitik ist deshalb so schwierig, 
weil sie besondere Vorsicht und besonderes Geschick erfordert; verrät sie 
zu früh ihre Absicht oder Richtung, so kann sie verteuernd wirken und 
die Spekulation erst wachrufen! Insbesondere ist z. B. zu beachten, daß 
<lie Erwerbung von Außengeländen der Schaffung von Verkehrsgelegenheiten 
vorausgehen muß, weil sonst der Kaufpreis für jenes spekulativ gesteigert 
wird. 

Vierteljabrsaehrtft für GMundbeiUpflege 1908. JQ 

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274 


Sanitätsrat Dr. Landsberger, 


Ferner ist die Gewährung von billigem Kredit durch öffentliche Insti¬ 
tute (Staat, Gemeinden, Landesversicherungsanstalten) an gemeinnützige 
Baugenossenschaften in großem Maßstabe zu empfehlen. Wird er auf die 
wirklich gemeinnützigen beschränkt, d.h. auf diejenigen, welche kleine 
Wohnungen beschaffen und dabei außer den Verwaltungskosten nur einen 
spärlichen und nicht über den Zinssatz der Staatsanleihe hinausgehenden 
Ertrag erzielen wollen, so werden sich ihm auch die Gegeninteressenten, 
also die Hausbesitzer, nicht auf die Dauer widersetzen können. Das gleiche 
gilt für den Bau von Wohnungen, die der Staat oder die Gemeinden für ihr© 
eigenen Arbeiter und Beamten herstellen. Nur wird man auch hier den 
Grundsatz aufrecht erhalten müssen, daß aus allgemeinen Mitteln ledig¬ 
lich für die Klassen mit geringerem Einkommen gesorgt werden darf 1 ). 
Es ist nicht ganz sicher, ob überall diese Vorsicht geübt worden ist. Wenig¬ 
stens verlautet öfter zuverlässig, daß unter den Bewohnern der in der er¬ 
wähnten Weise subventionierten Vereins-oder Beamtenhiuser sich eine ganze 
Anzahl von — Hausbesitzern befindet, die es vorzieben, dort billig wohnen 
zu bleiben und die Wohnungen im eigenen Hause vorteilhafter zu vermieten! 
Das kann die öffentliche Fürsorge natürlich nicht begünstigen wollen, und 
dazu sind öffentliche Mittel nicht da. 

Wir halten ob auch für; unberechtigt, daß in den vom preußischen 
Staate für seine Beamten erbauten oder subventionierten Häusern fünf- 
räumige Wohnungen hergestellt wurden, wenn auch in geringer Zahl. 
Die seit Jahren dazu verwandten Summen sollen ausdrücklich „zur Ver¬ 
besserung der Wohnungsverhältnisse von Arbeitern, die in staatlichen Be¬ 
trieben beschäftigt sind, und von gering besoldeten Staatsbeamten“ verwandt 
werden. Nun, „gering besoldete“ Beamte können eine Wohnung von fünf 
Zimmern nicht brauchen, — nicht möblieren und nicht bewirtschaften. Von 
den bis zum Jahre 1907 bewilligten 89 Millionen 2 ) waren laut dem Bericht 
an den Landtag 85 Vs bereits verwandt, und zwar zu eigenen Bauten über 49, 
zu Darlehen für Baugenossenschaften über 36 Millionen. Für die erster© 
Summe sind 1815 Häuser mit 11118 Wohnungen hergerichtet („fertig- 
gestellt“ jedoch erst 7502), und darunter befinden sich 


Wohnungen mit 5 Räumen.398 

. . 4 » 2214 

„ . 3 „ 7480 

„ » 2 „ .1026 


Für die als Darlehen verwandte Summe sind 8945 Wohnungen fertig¬ 
gestellt und 1323 im Bau begriffen. Hier ist aber sogar beinahe ein 
Siebentel aller Wohnungen sechsräumig. Das Ministerium des Innern, 
das die Darlehen an die Baugenossenschaften vergibt und kontrolliert, hat 
deshalb neuerdings Bestimmungen getroffen, wonach für jede Wohnung, die 

*) Die Erstellung von Dienstwohnungen, wo solche durch das Interesse des 
Dienstes erforderlich werden, bleibt hier natürlich außer Betracht. 

*) Im Jahre 1907 wurden weitere 15 Millionen bewilligt, so daß insgesamt 
jetzt 104 Millionen diesen sehr löblichen Zwecken gewidmet sind. Es soheint 
übrigens, als bliebe das Tempo der Ausführung etwas hinter dem der Bewilligungen 
zurück, denn die Differenz zwischen erbauten und „fertiggestellten* Wohnungen 
ist auffällig groß. 


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275 


Zar Wohnungsfrage. 

man über vierzimmerig plant, 10 000 Jt von dem Darlehen gestrichen werden 
sollen. DaB ist sehr verständig, da man eben mit der ganzen Einrichtung 
den gering besoldeten Beamten eine Erleichterung hatte schaffen wollen. 
Die Durchführung der Bestimmungen sollte stets streng überwacht werden; 
es sind Fälle der Umgehung bekannt geworden, hei denen ein Zimmer z. B. 
als „Diele“ bezeichnet und dann bei der gesamten Zimmerzahl nicht mit¬ 
berechnet wurde. Man wird hoffen dürfen, daß der Ministerialkommissar 
recht behält, wenn er 1907 in der Kommission des preußischen Herren¬ 
hauses „die in früheren Petitionen und Eingaben erhobenen Behauptungen, 
daß auch höhere Beamte ihre Wohnungsbedürfnisse aus diesen Fonds be¬ 
friedigten“, für unbegründet erklärte. Die Darlehen, welche der Staat den 
Baugenossenschaften gewährt, werden unter so günstigen Bedingungen gewährt, 
daß eine genaue Kontrolle ihrer Verwendung durchaus berechtigt erscheint, 
zumal die Wohnungen zum größten Teile, aber nicht ausschließlich, an 
Staatsbedienstete vermietet werden. Das Darlehen darf — in Belgien wohl 
ähnlich wie in Preußen — bis neun Zehntel des Bau- und Boden wertes be¬ 
tragen und ist nur mit 3 Proz. zu verzinsen und mit 1 Proz. unter Zuwachs 
der ersparten Zinsbeträge zu tilgen, so daß es im 47. Jahre völlig getilgt 
ist. Auch das letzte Zehntel wird übrigens bisweilen noch gewährt. 

Die Herrichtung von Häusern, gewissermaßen „Dienstwohnungen“, seitens 
des Staates und der Gemeinden für ihre Angestellten ist gewiß vielfach eine 
Notwendigkeit. Was freie Verein Stätigkeit auf diesem Gebiete zu leisten 
vermag, zeigt in rühmenswerter Weise die Wirksamkeit des von Brandes 
mit weitem Blick und unter Heranziehung der Behörden sowohl wie der 
breitesten Öffentlichkeit begründeten „Rheinischen Vereins zur Förderung des 
Arbeiterwohnungswesens“. Durch ihn bestehen (bis 1907) bereits 142 ge¬ 
meinnützige Bau vereine in lebensfähiger Weise; sie haben 14 800 Mitglieder 
und an 5200 Häuser mit 12 500 Wohnungen hergestellt. In noch höherem 
Maße sind die Unternehmer an vielen Stellen gezwungen, für die Unter¬ 
bringung ihrer Arbeiter direkt Sorge zu tragen — gezwungen, weil es 
sonst gelegentlich und namentlich gerade in Zeiten starken Geschäftsganges 
an geeigneter Unterkunft fehlen würde. Aber die Sache hat auch ihre Kehr¬ 
seite: die so dargebotenen Wohnungen sind bei den Arbeitern nicht beliebt, 
selbst wenn sie gut und relativ billig sind. Sie fühlen sich in diesen Sonder¬ 
quartieren beaufsichtigt, die Kontrolle der Nachbarn macht sich noch pein¬ 
licher geltend, wenn diese Nachbarn zugleich Berufsgenossen sind, die Ein¬ 
seitigkeit des Umganges wirkt beengend („Klatschkasernen“) — vor allem 
aber wird das Mietsverhältnis zum Arbeitgeber als Fessel empfunden, welche 
die sonstige Abhängigkeit noch verstärkt. Der freie Entschluß, die Arbeits¬ 
stelle zu wechseln, ist gehemmt, weil die sachlichen Erwägungen durch die 
Unannehmlichkeit des eventuellen Wohnungswechsels, durch die oft große 
Schwierigkeit einer neuen passenden Unterkunft kompliziert werden. So ist 
es an verschiedenen Orten dazu gekommen, daß die von den Gemeinden her¬ 
gerichteten Wohnungen von ihren Angestellten verschmäht wurden und leer 
blieben oder frei vermietet werden mußten. So z. B. in Basel und in Mann¬ 
heim. Aub Basel berichtet Mangold 1 )« daß die Leute sich in den her- 

*) Denkschrift über die staatlichen Maßregeln zur Verbesserung der Wohnungs¬ 
verhältnisse im Kanton Basel-8tadt. Basel 1906. 

18 * 

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276 


Sanitäterat Dr. Landsberger, 


gestellten Wohnungen zu sehr unter Aufsicht fühlen und ihre Werkstatt¬ 
streitigkeiten in die Häuser tragen und umgekehrt, so daß der Dienst ebenso 
leidet wie der Hausfriede und Arbeiter und Verwaltung viel Verdruß haben. 
Als man vor Herstellung eines neuen Wohnhauses für die Straßenbahn¬ 
arbeiter bei ihnen Umfrage hielt, meldeten sich bo wenige, daß man vom Bau 
gänzlich absah! Und in Mannheim betonte der Oberbürgermeister Beck 
in einer Denkschrift, welche er seinem Stadtrat erstattete 1 ), daß man mit 
der GeländeaufSchließung und mit der Wohnungsaufsicht ausgezeichnete, 
dagegen mit der „unmittelbaren“ städtischen Wohnungsfürsorge keine 
guten Erfahrungen gemacht habe. Die für den Stamm ihrer Arbeiter 
von der Stadt erbauten Wohnhäuser blieben trotz herabgesetzter 
MietBpreise oft zum Teil leer, und die Parteien wechselten vielfach. 
Außer dem strikten Verbot der Abvermietung wird die verbreitete Abneigung 
gegen Arbeitgeberwohnungen als Grund dafür angegeben. Auch von den 
Nachlässen, die man seitens der Stadt privaten Unternehmern zur Erstellung 
von Arbeiterwohnungen anbot, wurde so gut wie kein Gebrauch gemacht. 
Auch die Kruppschen Häuser werden, so vortrefflich sie gebaut sein mögen, 
von den Arbeitern der Fabrik mit Mißtrauen betrachtet. Stehen auch nach 
Zweigerts Zeugnis von ihren Wohnungen nicht gerade viele leer, so ist es 
doch nur der Fall, weil sie weit billiger vermietet werden, als sonst orts¬ 
üblich. 

In Frankfurt a. M. hat man allerdings entgegengesetzte Erfahrungen 
gemacht; dort sind die städtischen Wohnungen außerordentlich gesucht, und 
es sind immer mehr Vormerkungen vorhanden, als befriedigt werden können. 
Dennoch wird angesichts der Ergebnisse an anderen Plätzen Herr Ad ick es 
seine auf der 25. Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege (Trier 1900) getane Äußerung schwerlich aufrechterhalten können, 
daß „die Befürchtung, städtische Arbeiter und Beamte lieben nicht, in Kolo¬ 
nien oder Arbeiterwohnungen zusammenzuwohnen, auf rein theoretischen 
Erwägungen beruht“. Jene Abneigung ist keine Befürchtung, sondern eine 
Tatsache, für die es in keinem Lande an Beispielen fehlt. Vielleicht hat 
man ihr in Frankfurt von vornherein entgegenzuwirken verstanden, indem 
man die betreffenden Gebäude nicht isolierte, nicht allzuweit in die Peri¬ 
pherie legte, nicht ausschließlich an städtische Beamte vergab, nicht 
von Aufsichtsbeamten verwalten ließ, so daß die Bewohner sich als freie 
Mieter fühlen können und nicht von anderen Volkskreisen und Berufen ab¬ 
gesondert sind. Die Verquickung von Dienst- und Mietsvertrag bindet 
immerhin den Arbeiter mehr und macht ihn unfreier — mehr noch in der 
Empfindung als tatsächlich, aber die Empfindung ist heutzutage ein wich¬ 
tiger sozialer Faktor und verdient volle Berücksichtigung. Es ist in diesem 
Falle ja auch nicht schwer, ihr zu genügen. Abgesehen von der Vermeidung 
aller Isolierung und aller bureaukratischer Verwaltung brauchte man dem 
Beamten oder Arbeiter die Wohnung eben nur mit der üblichen Kündigungs¬ 
frist zu überlassen und müßte auf die harte Verschärfung verzichten, daß 
mit der Lösung des Dienst- oder ArbeitsVertrages sofort und ohne Einhal- 

*) Die Mannheimer Wohnungsfrage und die Bau- und Bodenpolitik der Stadt¬ 
gemeinde. Mannheim, November 1906. 


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Zur Wohnungsfrage. 


277 


tung der Kündigungsfrist die Wohnung zn räumen sei. Die Errichtung von 
Wohnhäusern seitens des Staates und der Gemeinden (die seitens großer 
Arbeitgeber erfordert wohl größere Kautelen) ist im übrigen eine zu nütz¬ 
liche Maßnahme, als daß man nicht unablässig bemüht sein sollte, ihr durch 
weise Vorsicht die Schattenseiten zu nehmen und ihre Ausbreitung zu fördern. 
Erfolgt sie in einigermaßen großem Umfange, so wird sie eine allmähliche 
Rückwirkung auf die Verbilligung aller Volkswohnungen ausüben. Und 
diese Verbilligung der Wohnungen ist neben ihrer Verbesserung gewiß „ein 
Ziel, aufs innigste zu wünschen“, ein Ziel, das mit allen Mitteln und aller 
Anstrengung erstrebt werden muß. Denn es gehört zu den schwersten 
Schäden unserer Kultur, daß gerade der Mann mit kleinem Einkommen 
einen viel größeren Teil davon für sein Wohnen aufwenden muß als der 
Wohlhabendere. Wo die Miete ein Drittel des gesamten Haushaltsetats 
beansprucht, da muß die Ernährung und Arbeitskraft des einzelnen und 
damit die gesamte Volkskraft wesentlich beeinträchtigt werden. Und jener 
wirtschaftliche Krankheitszustand besteht wirklich bei dem 
größeren Teile mindestens der städtischen Volksmassen! Vielfach 
müssen sie noch mehr als ein Drittel, bisweilen beinahe die Hälfte ihres Ein¬ 
kommens zur Miete verwenden (und dabei wohnt die Hälfte der Bevölkerung 
der Großstädte in Wohnungen mit nur einem heizbaren Raume!), 
während bei den Wohlhabenden die Miete nur ein Fünftel bis ein Siebentel 
ihres Verbrauchs erfordert, also natürlich einen noch kleineren Teil ihres 
Einkommens. Es gilt eben auch heutzutage noch — vielleicht sogar heute 
noch mehr als früher — das alte Schwabesche Gesetz: der Mietsauf¬ 
wand steht in umgekehrtem Verhältnis zu dem Einkommen. Jeder 
Cubikmeter Luftraum kostet um so mehr, je kleiner die Woh¬ 
nung ist. Ein paar Beispiele ans den allerverschiedensten Gegenden. 
Herkner ermittelte (1894) in Basel, daß der Cubikmeter Luftraum kostete 
bei Wohnungen mit einem Zimmer 4,04 Frcs., bei solchen mit drei Zimmern 
3,56, bei solchen mit sechs Zimmern nur 3,16 Frcs. Kettler berechnete 
neuerdings für Hannover, daß der Cubikmeter bei einzimmerigen Wohnungen 
3,93 t.fC kostete, bei zweizimmerigen 2,93, bei dreizimmerigen 2,36, bei vier- 
zimmerigen 2,01 und bei sechszimmerigen 1,91 Jt. Und in Posen fand das 
städtische statistische Amt einen Preis pro Cubikmeter bei Wohnungen 




bis 10 cbm 

von 

. . . 6,41 Jt 

von 

10 

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20 

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TJ 

n 

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80 

TJ 

100 

TJ 

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. . . 2,02 „ 


Erst jenseit 100 cbm hebt sich der Preis wieder, offenbar infolge des 
größeren Aufwandes für reichere Ausstattung der Räume. 

Besonders bedrückend und betrübend wirkt daneben die Erfahrung, 
daß die Steigerung der Mietspreise in der Umgebung der Großstädte viel- 


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278 Sanitätsrat Dr. Landsberger, 

fach noch relativ rascher voranzuschreiten scheint als in den Großstädten 
selbst! 

Die Klagen über den Wohnungsmangel glaubt man so oft mit dem Hin¬ 
weis auf die leer stehenden Wohnungen abtun und widerlegen zu können. 
Aber unter den leer stehenden befinden sich am seltensten gerade die kleineren 
und kleinsten. Vielmehr werden diese durch Neubauten verhältnismäßig wenig 
vermehrt. Der Besitz von Häusern mit kleinen Wohnungen ist natürlich 
nicht gerade angenehm, ihre Verwaltung mühsam, ihre Mieten öfters rück¬ 
ständig, ihre Verkäuflichkeit erschwert. Und in welchen Zustand der Ver¬ 
wahrlosung geraten oft solche Wohnungen! Zu der Erbärmlichkeit der 
Anlage kommt die Überfüllung, die mangelnde Reinhaltung, die dürftige 
bauliche Unterhaltung. Bemüht sich ein Besitzer um seine kleinen Woh¬ 
nungen mit einiger Sorgfalt, so erleidet er beinahe Schaden, denn er kann 
sie dann nicht so billig, also auch nicht so leicht vermieten, und es kommt 
vor, daß die bessere Wohnung bei gleicher Größe zugunsten der verwahr¬ 
losten leer bleibt. Eine Schmutzkonkurrenz im wahrsten Sinne! Wenigstens 
gegen sie kann die Wohnungsinspektion gründlich helfen! Und kann 
eine Verbilligung der Wohnungen nicht erzwungen, sondern höchstens in¬ 
direkt gefördert werden, so muß um so eher ihre erträgliche Beschaffen¬ 
heit erzwungen werden, was durchaus möglich ist. Jedenfalls ist ein 
gesunderes Wohnen eher zu erzwingen als ein billigeres. Wie der Staat es 
längst als seine Aufgabe betrachtet, über die Feuersicherheit der Menschen¬ 
wohnungen mit Strenge zu wachen, so ist er verpflichtet und auch imstande, 
gegen ihre Gesundheitsgefährlichkeit Vorkehrungen zu treffen. Die Analogie 
ist beinahe vollständig. Die Meldepflicht von ansteckenden Krankheiten hat 
die Tendenz, als Alarm für den einzelnen Brandherd (Gefahrenherd) zu dienen 
— die Wohnungsaufsicht den Zweck, die Häufung der Brandstoffe (Keim- 
stoffe) zu verhüten und die Ansteckungs- und Übertragungsgefahren za 
mindern. Bei der Desinfektion gehen Meldepflicht und Wohnungskontrolle 
Hand in Hand — und was will die Desinfektion anderes, als Krankheits¬ 
funken löschen? 

Die führenden Köpfe aller Völker sind sich der Größe der Aufgabe be¬ 
wußt: der Unaufschiebbarkeit einer Besserung der Wohnungszustände. 
Aber ist man sich durchweg über die Notwendigkeit des Vorgehens klar, so 
ist es weniger der Fall über das Maß dessen, was zunächst erstrebt und er¬ 
reicht werden muß. So lesen wir neuerdings viel von der Gartenstadt¬ 
bewegung, die man fordern und fördern müsse. Gewiß, wer wird sich einem 
so schönen Gedanken entgegenstellen wollen, wer wird nicht an den ver¬ 
einzelten Versuchen zu seiner Verwirklichung seine Freude haben — aber 
man muß sich doch darüber klar sein, daß er einstweilen für die Allgemein¬ 
heit nur eine Fata morgana, höchstens ein sehr fernes Ideal darstellt, noch 
ferner als das schon vorJahrhunderten ersehnte: Jedermann aus dem Volke 
solle jeden Sonntag sein Huhn im Topfe haben. Wir dürfen uns angesichts 
der schweren Not des Lebens nicht mit weitfernen Problemen befassen, 
müssen vielmehr auf die gegenwärtig mögliche Abhilfe bedacht sein. Diese 
aber besteht zunächst in der allgemeinen Durchführung einer' regel¬ 
mäßigen Wohnungsaufsicht mit allen an sie zu knüpfenden Besse¬ 
rungen. Sie muß die Schäden aufdecken und beseitigen, die an des Volkes 


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Zur Wohnungsfrage. 


279 


Gesundheit and Sittlichkeit and Lebensfreade zehren — sie wird das Volk 
hygienisch erziehen und einen unwiderstehlichen Antrieb zu besserer Woh¬ 
nungsfürsorge bewirken. Freilich muß neben der Klein- und Einzelarbeit, 
die in der Beseitigung der WohnschAden und der Ausmerzung schädlicher 
Wohnräume zu bestehen hat, eine weitsichtige Wohnungs- und Bodenpolitik 
von den Gemeinden betrieben werden, wenn wir eine bessere Zukunft herauf¬ 
führen wollen! 

Thesen, vorgelegt dem 14. internationalen Kongreß für Hygiene 
und Demographie, Berlin, September 1907. 

1. Seit dem Entstehen der modernen Industrien und dem raschen An¬ 
wachsen der Städte hat sich zu den Wohnungsmängeln, die stets und 
überall beim größten Teile der Bevölkerung bestanden haben, noch eine viel¬ 
fach unerträgliche Wohnungsteuerung und Wohnungsüberfüllung 
gesellt. Um die Abstellung dieser die Volksgesundheit schwer schä¬ 
digenden Mißstände müht man sich in allen Kulturstaaten — dennoch 
wachsen sie an Stärke wie an Ausbreitung. Es ist deshalb notwendig, 
daß die Bekämpfung dieser Mißstände allgemein wird, daß sie also nicht 
dem Belieben der Gemeinden überlassen bleibt, sondern durch Staats¬ 
gesetz überall ein- und durchgeführt wird. 

2. Die dringlichste Seite der Wohnungsfrage ist die hygienische, 
und ihr ist am raschesten zu genügen durch eine organisierte, obliga¬ 
torische, regelmäßige Wohnungsaufsicht. Diese ist von beamteten 
Personen unter Zuziehung ehrenamtlicher Mitarbeiter auszuüben, und 
diese Behörde („Wohnungsamt“) muß das Recht erhalten, Mißstände, deren 
gütliche Abstellung nicht erreicht wird, selbst und auf Kosten des Eigen¬ 
tümers zu beseitigen, aber auch eventuell dem Eigentümer mit öffentlichen 
Mitteln zu Hilfe zu kommen. 

3. Zu diesem Zwecke ist seitens des Staates (Reiches) ein Gesetz zu 
erlassen, welches 

a) allen Gemeinden die obligatorische Ein- und Durchführung einer 
regelmäßigen Wohnungsaufsicht auferlegt (Beispiele: England und in Deutsch¬ 
land namentlich Hessen) und die Zusammensetzung und Befugnisse der hierzu 
notwendigen Organisationen regelt; 

b) Mindestforderungen über Bauordnungen und Wohnungsbescbaffen- 
heit aufstellt; 

c) Bestimmungen erläßt über Enteignungs- und Umlegungsmaßregeln 
zum Zwecke der Sanierung, sowie über Stadterweiterungspläne■ und Zonen¬ 
rechte im Interesse des Wohnungsbedarfs (Beispiele: Dänemark, Belgien, 
Holland); 

d) Beschwerde- und Aufsichtsinstanzen einsetzt. 

4. Als gesundheitliche Mindestforderungen sind in dem Gesetze 
hervorzuheben: 

a) Die Neuanlegung von Kellerwohnungen ist verboten. 

b) Die lichte Zimmerhöhe darf nicht unter 2 V 2 m herabgehen. 

c) Jeder Wohnraum muß ein ins Freie führendes Fenster haben, 
dessen Glasfläche mindestens ein Zwölftel der Bodenfläche betragen muß. 


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Sanitätarat Dr. Landsberger, 


d) Jeder Wohnraum muß für jede Person mindestens 10 cbm Luft¬ 
raum und 4 qm Bodenfläche gewähren. 

e) Bäume, die nicht zu Wohnzwecken bestimmt oder hergerichtet 
sind, dürfen nicht zum Wohnen benutzt werden. 

f) Räume, in welchen Nahrungsmittel verarbeitet oder für den Handel 
aufbewahrt werden, dürfen nicht als Schlafräume dienen. 

g) Ein Abort darf höchstens für zwei Familien oder 12 Personen dienen. 

h) Alle Brunnen müssen: 

ec) Metall- oder Mauerwände haben, 
ß) mindestens 1 m hoch nmwehrt sein, 

y) durch einen der Bodenbeschaffenheit entsprechenden, mindestens 
aber 10m betragenden Abstand von Aborten, Ställen, Dungstätten u. dgL 
entfernt sein. 

i) Für Schlafgänger- und Massenquartiere, sowie für Arbeitsräume 
sind besondere Lüftungs-, Einrichtungs-, Benutzungs- und Meldungsvor¬ 
schriften zu erlassen und häufige unvermutete Kontrollen anzuordnen. 

Auf die Durchführung dieser Mindestforderungen ist überall 
mit Strenge zu bestehen, denn sie stellen nach allgemeiner An¬ 
nahme das GeringstzuläBsige dar, und Wohnungen, die ihnen 
nicht entsprechen, sind als gefahrbringend für die Gesundheit 
und Sittlichkeit der Bewohner zu betrachten. 

5. Den Gemeinden bleibt die örtliche Anpassung der Bestimmun¬ 
gen über Bau und Beschaffenheit der Wohnungen überlassen; insbesondere 
ist aber bei allen Gemeinden seitens der Aufsichtsbehörden darauf zu dringen, 
daß die Mindestforderungen, wo irgend angängig, wesentlich über¬ 
schritten werden. 

Den größeren Gemeinden bleibt eine Abstufung der Bau- und Wohn- 
ordnung nach Stadtteilen Vorbehalten, ferner Erleichterungen derselben, so¬ 
wie der Besteuerung für Kleinhäuser, Wohnstraßen, Außenstraßen. 

Die Gemeinden müssen dauernd auf Erwerbung von Gelände und 
in Verbindung hiermit auf Erweiterung der Verkehrsmittel (Straßen¬ 
bahnen usw.) bedacht sein. 

6. Neben der Beseitigung der Wohnungsmißstände haben Staat und 
Gemeinden auf Herstellung guter Wohnungen hinzuwirken: 

a) durch eine aufmerksame Steuer- und Verkehrspolitik, 

b) durch Gewährung von billigem Kredit (Wohnungsbanken), ins¬ 
besondere für kleine Häuser (Beispiel: Belgien), 

c) durch Förderung gemeinnütziger Baugenossenschaften (Eng¬ 
land, Vereinigte Staaten von Amerika, Dänemark, Deutschland) mittels Kredit¬ 
hilfe, Bauerleichterungen, Abgabe von Gelände (eventuell im Erbbau), 

d) durch Eigenbau für die angestellten Beamten und Arbeiter, jedoch 
ohne besondere Bindung derselben (Einhaltung der Kündigungsfrist auch 
für den Fall der Entlassung). 

7. Es ist unberechtigt, mit der Einführung der Wohnungsaufsicht 
zu zögern bis zu einer weiteren Entwickelung der „positiven“ Maßnahmen (6). 
Denn die Wohnungsaufsicht hat sich bereits in unzähligen Orten 
Englands, Deutschlands, Nordamerikas praktisch in hohem Maße 


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Zur Wohnungsfrage. 


281 


bewährt, indem sie erfahrungsgemäß bei der Bevölkerung Verständnis und 
williges Entgegenkommen findet und dadurch 

a) die Bevölkerung aufklärt und hygienisch erzieht und die Reinhal¬ 
tung und rechte Benutzung aller Räume wesentlich fördert, 

b) die Beseitigung oder Verbesserung der verwahrlosesten Wohnräume 
ermöglicht; 

c) den besten Antrieb zu einer intensiveren Wohnungsfürsorge und 
zur Beschaffung neuer gesunder Wohnungen darstellt. 

Da eine ersprießliche Erörterung von Einzelfragen auf einem Kongresse 
nicht erfolgen kann, legte ich der Sektion (VIII) den folgenden allgemeinen 
Schlußsatz vor, der sowohl von ihr, wie alsdann von dem gesamten Kongreß 
einstimmig zum Beschluß erhoben wurde: „Der Kongreß hält die Ver¬ 
besserung der Wohnungsverhältnisse für eine der wichtigsten 
Fragen des Volkswohls. Neben den Bemühungen um reformato- 
rische Maßnahmen ist vor allem die gesetzliche Einführung einer 
von den Gemeinden auszuübenden Wohnungsaufsicht geboten . 14 


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282 


Dr. H. Liefmann. 


Über die Rauch- und Rufsfrage 

insbesondere vom gesundheitlichen Standpunkte und 

eine Methode des Rufsnachweises in der Luft. 


Von Dr. H. Liefmann, 

Privatdozenten der Hygiene, I. Assisenten am Hygienischen Institut der Uni¬ 
versität Halle a. S. (Dir.: Geheimer Med.-Rat Prof. Dr. C. Frankel). 

(Mit 8 Abbildungen im Text.) 


Man betrachtet die Rauch- und Rußplage heute zumeist als ein durchaus 
modernes Übel, da sie mit der gesamten Kulturentwickelung unserer Zeit 
aufs allerengste verknüpft ist. Dennoch würde man sich täuschen, wollte 
man annehmen, daß frühere Zeiten durch Rauch und Ruß entstandene Übel- 
stände nicht gekannt haben. Gerade das Gegenteil ist der Fall. 

Man braucht nur einen Rückblick auf die Geschichte der Steinkohlen¬ 
benutzung zu werfen und wird finden, daß die Geschichte der Rauch- und 
Rußbelästigungen 1 ) nur wenig jünger ist als die der Steinkohlen. Ja, 
die Klagen über den Ruß und Rauch und die Maßregeln zu seiner Ver¬ 
hütung bilden zum Teil die allerältesten Dokumente, die uns über die 
Verwendung von Kohlen Aufschluß geben. 

Das bekannteste Beispiel dieser Art bildet in Deutschland ein Verbot, 
das im Jahre 1348 die Zwickauer Schmiede betraf. „Das sullet ir wissen, 
das alle smide, di inderthalb der mur hizzen mit nichts sullen smiden mit 
steinkoln.“ 

Dies Dokument ist der erste geschichtliche Nachweis des angeb¬ 
lich schon im zehnten Jahrhundert von den Sorbenwenden in der Umgegend 
Zwickaus betriebenen Bergbaus. 

In England, wo die Verwendung der Kohlen bis in noch frühere Zeiten 
zurückreicht, beschwerte sich schon 1293 der Adel Londons bei Eduard I. 
(1272 bis 1307) über den Gebrauch der „seacols“, wie man damals die 
Kohlen aus Newcastle nannte. Im Anfang des 14. Jahrhunderts, unter 
Eduard II. (1307 bis 1327) wurde in London ein Mann gefoltert, weil er 
durch den Gebrauch von Steinkohlen die Luft seiner Nachbarschaft verpestet 
hatte. Verschiedentlich erfolgten Verbote der Kohlen Verwendung. Richard II. 
(1377 bis 1399) legte einen Zoll auf Kohlenschiffe, und Heinrich V. (1413 
bis 1422) ernannte eine Kommission zur Beaufsichtigung der Einfuhr. Trotz 
alledem nahm die Benutzung stetig zu. man gewöhnte sich allmählich auch 
wohl an die dadurch hervorgerufenen Übelstände, und unter Elisabeth (1558 
bis 1603) beschränkte man sich darauf, ein Verbot für die Dauer der Parla¬ 
mentssitzungen zu erlassen. 

Wenn wir trotzdem von der Rauch- und Rußfrage als einem modernen 
Übel sprechen, so möchte das auf den ersten Blick als ganz unberechtigt 

*) Soweit sie uns überliefert ist. 


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283 


Über die Raach- und Rußfrage usw, 

erscheinen. Tatsächlich aber haben sich zu den früheren Klagen unter dem 
Einfluß der modernen Kulturentwickelnng neue und schlimmere Übel- 
st&nde gesellt, und ihr Auftreten hat es veranlaßt, daß uns die Rauch- 
and Rußplage durchaus modern erscheint. Unter die Faktoren, die einen 
solchen Einfluß ausgeübt haben, ist in erster Linie die gewaltige Ent¬ 
wickelung unserer industriellen Tätigkeit und die dadurch bedingte 
Steigerung des Kohlenverbrauches, in zweiter Linie die Konzen¬ 
tration großer Bevölkerungsmassen in den Städten, die Bildung 
unserer modernen Großstädte zu rechnen. 

Ein hervorragender Chemiker *) hat unser Zeitalter das „der Verbren¬ 
nung“ genannt. Er hat damit die gewaltige Ausdehnung des Verbrennungs¬ 
prozesses, dessen wir zu den mannigfachsten Kulturzwecken bedürfen, für 
unsere Zeit als charakteristisch bezeichnet. In der Tat wird uns dieser Aus¬ 
druck in vieler Beziehung als berechtigt erscheinen, wenn wir an die ge¬ 
waltige Energiemenge denken, die wir in der Form von mechanischer Kraft, 
von Wärme, Licht und Elektrizität durch den Verbrennungsprozeß gewinnen, 
und ihre vielseitige Anwendung uns vor Augen führen. Wie bedeutend die 
Zunahme der Kohlen Produktion der ganzen Erde in der Neuzeit gewesen ist, 
mag die folgende Schätzung 3 ) deutlich machen. Es betrug die Kohlen¬ 
produktion der ganzen Erde im Jahre 

1800: 12 Millionen metrische Tonnen 

1850: 82,6 
1875: 283,0 
1880: 344,0 
1890: 514,0 
1895: 587,9 

Im Laufe des verflossenen Jahrhunderts hat sich der Kohlen¬ 
verbrauch etwa um das 50fache vermehrt. 

Der zweite Faktor, der die Entstehung der modernen Rauch- und Ru߬ 
plage wesentlich gefördert hat, ist die Bildung großer Städte. Zum 
Teil steht dieser Vorgang mit der Entwickelung unserer Industrie in engem 
Zusammenhang. Eine ganze Reihe unserer Großstädte verdankt der Industrie 
ihre Größe. An anderen Orten hat der Handel eine ähnliche Rolle gespielt. 
Stets aber ist der Boden einer solchen Großstadt der Schauplatz massen¬ 
hafter Verbrennungsprozesse, und die Konzentration dieses Vor-, 
ganges auf engem Raume hat die damit verbundenen Übelstände be¬ 
deutend verschärft, ja ganz neuartige Zustände hervorgerufen. 

Dabei spielt durchaus nicht die Industrie überall eine besondere Rolle, 
sondern die für unser Leben unmittelbar nötigen Verbrennungsprozesse, wie 
die zur Bereitung der Speisen und zur Erwärmung der Wohnräume dienen¬ 
den, sind — zumal im Winter — imstande, unter ungünstigen Verhältnissen 
zu einer Rauch- und Rußplage im modernen Sinne zu führen. 

In welcher Weise haben nun die sozialen Umwälzungen, die in der Ent¬ 
wickelung der industriellen Tätigkeit und der Bildung großer Städte ihren 


') Clemens Winkler, Wann endet das Zeitalter der Verbrennung? 
*) Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 2. 


77 n n 

7 ) n » 

77 77 77 

77 77 77 

77 77 77 


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284 


T)r. H. Liefmann. 


Ausdruck finden, auf die Bauch- und Bußfrage eingewirkt, inwiefern 
haben sich zu den Schäden, die in früheren Jahrhunderten Klagen hervor- 
riefen, neue und schlimmere Übelstände gesellt? 

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zunächst ganz allgemein 
betrachten, welcher Art der Schaden ist, den der Bauch unserer 
Feuerungen heutzutage anrichtet. 

Da muß man drei Übelstände unterscheiden. 

Zunächst besteht ein materieller Schaden. Er beruht im wesent¬ 
lichen darauf, daß eine jede Verbrennung, die von Bauch- und Rußbildung 
begleitet ist, eine unökonomische ist, da der Brennstoff dabei nicht voll¬ 
kommen ausgenutzt wird. Außerordentlich zahlreich sind die Versuche und 
Bestrebungen gewesen, diesen Verlust zu vermeiden. Der bei weitem größere 
Teil der Literatur der Bauch- und Bußfrage ist diesem Problem gewidmet, 
das eine ungemeine Bedeutung für unsere Technik hat und dessen voll¬ 
ständige Lösung 1 ) auch das Ende der Bauch- und Bußplage bedeuten würde*). 

Der zweite Nachteil des Rauches und Rußes besteht in seinem ge¬ 
sundheitsschädlichen Charakter. Die schlechte Beschaffenheit der Luft, 
die wir besonders in großen Städten so häufig treffen, wird zu einem großen 
Teil als eine Folge übermäßiger Rauchentwickelung angesehen. - So 
lebhaft die Verunreinigung der Atmosphäre in vielen großen Städten em¬ 
pfunden wird, so kann man aber bislang doch noch nicht sagen, daß der 
Grad der Belästigung, die Bedeutung für die menschliche Gesundheit und 
die hauptsächlich dabei in Betracht kommenden Faktoren bereits genau be¬ 
kannt seien. 

Zwischen den beiden genannten Nachteilen des Bauches etwa in der 
Mitte steht nun ein dritter, das ist der Schaden, den Bauch und Ruß nicht 
der menschlichen Gesundheit, sondern der uns umgebenden Vegetation 
zufügt; man weiß, daß bei diesen „Rauchschäden“ besonders gewisse Gase, 
wie die schweflige Säure s ), in Betracht kommen.. Der Schaden ist zunächst 
ein materieller, aber indirekt auch wohl ein hygienischer. 

Wir werden in Zukunft unsere Aufmerksamkeit im wesentlichen auf 
die hygienische Seite der Frage, auf die sogenannte Rauch- und Rußplage, 
beschränken müssen, und es erhebt sich daher die enger begrenzte Frage, 
welcher Art ist der gesundheitliche Schaden, den der Bauch und Ruß heut¬ 
zutage in unseren Städten anrichtet, und inwiefern dürfen wir diese Übelstände 
als neuartig und für unsere Verhältnisse charakteristisch bezeichnen? 

Man ist zumeist geneigt, den Ausdruck Bauch- und Rußplage für alle 
gesundheitlichen Nachteile, die der Rauch erzeugt, anzuwenden. Wenn man 
jedoch die bestehenden Zustände aufmerksam betrachtet, findet man, daß 
durchaus nicht einheitliche, gleichartige Verhältnisse bestehen, sondern 
daß die Belästigungen durch den Bauch sich trennen lassen in 
zweierlei Gruppen. 


') Für die industriellen wie für die Hausfeuerungen. 

*) Neben diesem besteht ein freilich weit weniger bedeutender, materieller 
Schaden des Rauches und Rußes in der Beschmutzung, die dieser auf den ver¬ 
schiedensten Gegenständen anrichtet. Immerhin belaufen sich die dadurch ent¬ 
stehenden materiellen Verluste in großen 8tädten auf Millionen. 

®) Daneben auch bestimmte Abgase gewerblicher Betriebe, wie HCl und HF. 


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Googl 


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285 


Über die Rauch- und Rußfrage usw. 

Es gibt eine lokale Rauchbelästigung und eine diffuse Rauch¬ 
plage! 

Unter der ersteren muß man den Zustand verstehen, daß ein einziger 
oder einige wenige Schornsteine einem ungünstig gelegenen 
Hause große Mengen Rauch zuführen. Ein solches Verhältnis kann 
man so gut wie überall finden, selbst in den kleinsten Orten kommen Belästi¬ 
gungen auf diese Weise zustande, wenn sie auch in den großen Städten und 
besonders in Industriezentren sich häufen werden. 

Demgegenüber bietet das ausgesprochene Bild einer diffusen Rauch¬ 
plage einen gänzlich anderen Charakter. Hier beschränkt sich der 
Rauch nicht auf einen eng umgrenzten Bezirk, sondern man sieht eine 
ganze Stadt in Ruß und Qualm begraben. Eine große graue Wolke hüllt 
alles ein, die Sonne ist nur wie durch einen Schleier sichtbar, die Kraft ihrer 
Strahlen ist vermindert. Von ferne sieht man, daß die Luft über der Stadt 
«in riesiges graues Gewölbe bildet, das bis in hohe Luftschichten hinauf¬ 
reicht und einzig und allein durch die Verunreinigung der Atmo¬ 
sphäre hervorgerufen wird. 

Das Wesentliche einer solchen diffusen Rauch plage besteht nun darin, 
daß der massenhaft in der Luft verteilte Ruß imstande ist, unter besonderen 
klimatischen Bedingungen einen Einfluß auf die meteorologischen 
Verhältnisse zu gewinnen und zu einer Abnahme der Sonnenschein¬ 
stunden und zu einer Vermehrung der Nebelbildung zu führen. Diese Zu¬ 
stände sind, wie wir später noch genauer sehen werden, mit den durch eine 
lokale Rauchbelästigung hervorgebrachten nicht zu vergleichen. Man 
bedenke, daß eine ganze große Stadt, jeder einzelne von der Bevölkerung 
in annähernd gleicher Weise in einer solchen Atmosphäre lebt, ein großer 
Teil zeit seines Lebens. 

Bei der lokalen Rauchbelästigung hingegen sind es nur einzelne Ge¬ 
bäude, ja einzelne Wohnräume., die unter dem Rauch und Ruß zu leiden 
haben. Ein schädlicher Einfluß auf die Bewohner wird schon darum weniger 
leicht erfolgen können, da sie zumeist wohl nur gewisse Stunden des Tages 
und die Nacht hindurch sich in den exponierten Räumen aufhalten. Nur 
bei Kranken und Siechen wird eine kontinuierliche Schädigung bestehen 
{sofern eine dauernde Rauchzufuhr erfolgt). Da es sich außerdem aber in 
den allermeisten Fällen nur um eine einzige Rauchquelle handelt, wird oft 
«in Wechsel der Windrichtung die Rauchzufuhr zu dem betreffenden Gebäude 
unmöglich machen. Dennoch entstehen nicht allzu selten bei einer über¬ 
großen Nähe erheblicher Rauchquellen an bewohnten Gebäuden arge Mi߬ 
stände, denen eine erhebliche hygienische Bedeutung zukommt Immerhin 
sind diese Zustände von einer diffusen Rauchplage aber zu unterscheiden, 
selbst wenn sie gehäuft in einer Stadt auftreten. Im einen Falle handelt 
«s sich um lokale Schädigungen, von denen einzelne Individuen betroffen 
werden, bei der diffusen Rauohplage aber besteht eine Schädigung der 
Oesamtbevölkerung, die durch einen Einfluß des die Atmosphäre massen¬ 
haft erfüllenden Rauches und Rußes auf meteorologische Zustände erfolgt. 
Ans diesen Gründen muß man die lokale Belästigung trennen von der 
diffusen Rauchplage, selbst wenn sich Zustände finden, bei denen die 
«ine in die andere übergeht 


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286 


Dr. H. Lief mann, 


Wir wollen im folgenden noch genauer auf die beiden Arten der Rauch - 
plage, auf das Gemeinsame und Unterscheidende, auf ihre Entstehung und 
Verhütung eingehen. 

1. Die lokale Rauchbelästigung. 

Für das Zustandekommen einer lokalen Rauchbelästigung müssen eine 
Reihe von Vorbedingungen erfüllt sein. Die naheliegendste ist das Vor¬ 
handensein einer genügend starken Rauchquelle. Die Erfahrung¬ 
hat gezeigt, daß der gewöhnliche Hausschornstein nur in den seltensten 
F allen zu einer einigermaßen erheblichen lokalen Belästigung führt. Sein Rauch 
ist meist zu schwach, zu rasch vom Winde verteilt, als daß er zu Klagen 
Anlaß geben könnte. Anders verhält es sich mit dem Rauch, der in Bäcke¬ 
reien, sowie überhaupt in kleineren Gewerbebetrieben, besonders solchen 
mit Dampfbetrieb, sich bildet. Diese sind zumeist im Innern der Stadt, im 
engsten Gewimmel der Häuser gelegen, und da von ihnen viel mehr Rauch 
produziert wird, vermögen sie oft intensiven Schaden anzurichten. 
Fabriken geben naturgemäß sehr häufig zu Klagen Anlaß. Freilich liegen 
sie seltener inmitten der Stadt, auch haben sie häufig einen größeren, 
nicht behauten Fabrikhof um sich herum. Wenn das zutrifft, sind die 
Klagen über sie geringer, außer wenn es sich um ganz große Etablisse¬ 
ments handelt, deren Einfluß auf die Luftbeschaffenheit ihrer Umgebung 
wir nachher noch genauer besprechen müssen, da sie Zustände herbeiführen 
können, die einer diffusen Rauchplage sich nähern. 

Wie wir bereits sahen, ist die Nähe der Rauchquelle zu dem Orte 
des Schadens für die lokale Belästigung von größter Bedeutung. Hierbei 
macht sich aber noch ein anderer Faktor geltend, das ist die Lage in der 
vorherrschenden Windrichtung. Beobachtungen, die man bei den 
sogenannten Rauchschäden an Pflanzen hat machen können, werden uns 
hierbei ein Bild geben, wie sich die Schadenfläche gestaltet, wenn einer 
Rauchquelle schädliche Stoffe entströmen. Die Pflanzen, und zwar am aus¬ 
gesprochensten die Koniferen, stellen ein äußerst scharfes Reagens *) dar, 
das uns die Luftverschlechterung durch Rauchquellen, ihren Grad, sowie 
ihre Ausdehnung demonstriert. Zwar gilt dies zunächst nur für gasförmige 
Bestandteile des Rauches, die nach den bisherigen Anschauungen im wesent¬ 
lichen die Rauchschäden bewirken; aber die festen Bestandteile müssen sich 
zweifellos ähnlich verhalten wie die spezifisch schweren Gase, und schwerer 
als Luft sind ja die für die Pflanzen besonders giftigen, insbesondere die 
schweflige Säure, sowie die Salzsäure. Schließlich kommen bei der 
lokalen Rauchbelästigung in erster Linie Gase, und zwar besonders 
auch übelriechende Verbrennungsprodukte und Teerstoffe in Betracht, und 
erst in zweiter Linie kommt den festen Bestandteilen, dem Ruß, ein Einfluß zu. 

Man hat nun gefunden, daß die Schadenfläche bei den Rauchschäden 
die Form einer Ellipse hat, in deren einem Brennpunkt die Rauch¬ 
quelle liegt; man kann hinzusetzen, daß die Richtung, in welcher der 


*) Nach 8chröder-Reuss macht ein Raumteil 8 0, in 1 Million Raumteilen 
Luft nach 339 Einzelräucherungen in 60 Tagen einen chronischen Rauchschaden, 
nach Wislicenus liegt die Grenze bei 1:500000. 


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Über die Rauch- und Rußfrage usw. 287 

lange Durchmesser dieser Ellipse liegt, die der vorherrschenden Wind¬ 
richtung ist. 

Wenn man sich hiernach ein Bild der Schadenfläche konstruiert, sieht 
man ohne weiteres ein, daß ein Haus wohl ziemlich nahe an einer Rauch¬ 
quelle liegen kann, ohne viel unter dem Rauch zu leiden, wenn nur die 
vorherrschende Windrichtung vermieden wird 1 ). 

Weiterhin ist für den Grad einer lokalen Rauchbelästigung die verti¬ 
kale Höhendifferenz zwischen einer Wohnung und dem Rauch zu¬ 
führenden Schornstein von Belang. Je höher der letztere und je niedriger 
die Wohnung, desto geringfügiger ist der angerichtete Schaden. Diese Tat¬ 
sache hat längst in praxi Bedeutung erlangt, und auf sie gründet sich das 
zumeist angewendete Verfahren, wenn es gilt, eine lokale Rauchbelästigung 
zu bekämpfen. 

Ich will nur anführen, daß eine sächsische Baupolizeiordnung vom 
21. Februar 1879 vor schreibt: 

„Die Höhe der Schornsteine ist den örtlichen Verhältnissen derartig anzu¬ 
passen, daß ungewöhnliche Rauch- und Rußbelästigungen der nachbarlichen Grund¬ 
stücke möglichst verhütet werden, weshalb in bedenklichen Fällen dahin Anord¬ 
nung zu treffen ist, daß zu diesem Zwecke eine entsprechende Erhöhung der 
Schornsteine erfolgen kann.“ ' 

Ein sehr erheblicher Grad lokaler Rauchbelästigung kommt, wie schon 
erwähnt, dann zustande, wenn eine Menge starker Rauchquellen auf 
engem Raume vereinigt ist. Es ist bei ganz großen industriellen Be¬ 
trieben 8 ) nicht so ganz selten der Fall, daß 10, 20, ja 30 und mehr Essen 
nahe beieinander stehen. Die Rauchmengen, die ihnen entströmen, verteilen 
sich nicht so rasch in der Luft wie die eines einzelnen Schornsteins, da der 
Rauch eines jeden von ihnen sich nicht mit frischer Luft, sondern mit dem 
seines Nachbarschornsteins mischt. Nur an der Peripherie der Rauchmasse, 
die einen solchen Schornsteinkomplex verläßt, tritt frische Luft hinzu. Hier¬ 
durch entsteht ein Bild, als ob eine große schwarze Wolke über eine Gegend 
hinzieht. Das Übel, daB dadurch entsteht, ist in jeder Beziehung ein viel 
ausgedehnteres als bei kleinen Rauchmengen. Natürlich spielt aber auch 
hier die Lage in der vorherrschenden Windrichtung eine wesent¬ 
liche Rolle. Dieser Tatsache trägt man vielfach dadurch Rechnung, daß man 
große Fabriken nur in bestimmten Stadtteilen duldet und die Schaffung be¬ 
sonderer Fabrikstadtteile befürwortet hat. 

Die durch große Betriebe entstehenden Verhältnisse kommen bereits 
denen sehr nahe, die man als diffuse Rauchplage bezeichnen muß. 

Doch sind bei deren Entstehung keineswegs die hohen Grade lokaler 
Rauchbelästigung unbedingte Voraussetzung. 

2. Diffuse Rauchplage. 

Gerade hier spielen die kleinen Hausschornsteine, die nicht im¬ 
stande sind, eine lokale Rauchbelästigung zu erzeugen, durch ihre Masse 

*) Zweifellos können den nahe liegenden Gebäuden bei ungewöhnlicher Wind¬ 
richtung größere Rauchmengen zugeführt werden, aber die Seltenheit dieses Vor¬ 
kommnisses erlaubt es nicht, dann sofort von unhygienischen Zuständen zu sprechen. 

*) Auch in großen Häfen und auf Bahnhöfen findet man eine ähnlich kon¬ 
zentrierte Rauchproduktion. 


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288 


Dr. H. Liefmann, 


eine wichtige Rolle. Man hat berechnet, daß in manchen großen Städten 
die Hauskamine gerade soviel, ja noch mehr Rauch erzeugen als die Fabriken. 
Es wurden z.B. verbrannt: 


in Hannover 
„ Dresden . 
„ Cöln . . 


in Grofifeuerungen 
60 000 Tonnen 
108 000 „ 

150 000 


in Kleinfeuerungen 
90 000 Tonnen (1879) 
100 000 „ (1888) 
124 000 „ (1885) 


und in Kleinbetrieben 16 000 Tonnen. 


Danach wurde also in Hannover in Kleinfeuerungen das Doppelte an 
Kohlen gebraucht wie in Großfeuerungen, in Dresden und Cöln würden 
beide Werte annähernd gleich sein. Das gleiche berechnet Rubner für 
Berlin im Winter, während, auf das ganze Jahr berechnet, dort die Gro߬ 
feuerungen jetzt den Hausbrand wesentlich überholt haben und drei 
Viertel der gesamten Kohleneinfuhr beanspruchen. 

Wenn man aber bedenkt, daß der Hauskamin als der unökonomischere 
durchschnittlich relativ mehr Rauch liefert als die industriellen Feuerungen, 
so ergibt sich daraus die Tatsache, daß in manchen Städten die Hausscbom- 
steine doch erheblich zur diffusen Verschlechterung der Luft bei¬ 
tragen müssen. 

Von vornherein ist klar, daß eine diffuse Rauchplage nur in großen 
Städten zur Entwickelung kommen kann. In kleinen wird überhaupt 
nicht genügend Ruß gebildet, um die Atmosphäre wesentlich verschlechtern 
zu können. Der Wind treibt in kurzer Zeit allen Rauch aus dem Weich¬ 
bilde der Stadt hinaus. 

Von größter Bedeutung für das Zustandekommen diffuser Luftverunrei¬ 
nigungen durch den Rauch sind aber die klimatischen Verhältnisse. 
Es ist zunächst sehr charakteristisch, daß alle im Süden liegenden 
Städte nicht in dem Grade unter Rauch und Ruß leiden als nördlic h ge¬ 
legene. Im allgemeinen spielt dort die Staubfrage die Rolle, die hier der 
Rauchfrage zukommt. Aber auch im Norden finden sich die nötigen Vor¬ 
bedingungen, mit deren Hilfe der Rauch einen schädlichen Einfluß auf das 
Klima ausübt, durchaus nicht überall vor. Die meteorologischen Fak¬ 
toren, die in einem nördlichen Klima die Rauch- und Rußplage am meisten 
begünstigen, sind die Luftfeuchtigkeit und die Neigung des Wasser¬ 
dampfes, zu kondensieren. Beides ist keineswegs identisch. Es 
muß die Luft nicht nur mit Wasserdampf stark beladen sein, sondern 
es muß auch eine plötzliche Abkühlung eintreten, die das Bestreben des 
Wasserdampfes, zu kondensieren, zur Folge hat. Dies ist aber nur 
unter ganz besonderen lokalen Bedingungen zu finden, und daher ist nicht 
jeder Ort gleich stark zur Entstehung einer diffusen Rauchplage prä¬ 
disponiert. 

Mit einem treffenden Vergleich hat Oslender die typischen Londoner 
Verhältnisse in seinen „Reiseeindrücken“ charakterisiert. Er sagt: 

„Wie sich am kalten Deckel des dampfenden Kochtopfes die Tropfen an¬ 
setzen, so schlagen sich an der kalten Erde der englischen Inseln die Dämpfe des 
Golfstromes nieder, um so mehr, je kälter diese Inseln mit ihrer umgebenden 
Atmosphäre sind, und je wärmer das Wasser des Golfstromes an die Insel ge¬ 
langt.“ 


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289 


Über die Rauch* und Rußfrage usw. 

Temperaturunterschiede zwischen Meer und Festland bilden 
auch wohl an der deutschen Nordseeküste die Ursache der zahlreichen Nebel 1 ) 
nnd der relativ starken Rauchplage, z. B. Hamburgs. 

Auf die Art und Weise, in der der Rauch in der Atmosphäre sich mit 
dem Wasserdampf gewissermaßen verbindet und zu unhygienischen Verhält¬ 
nissen führt, kann erst später eingegangen werden, wenn der Einfluß des 
Rauches auf die Gesundheit der Menschen besprochen werden soll. Das aber 
ist keine Frage, daß die Kombination der genannten Momente in erheblichem 
Grade sich nicht so sehr häufig findet. Demgemäß kann man das typische 
Bild diffuser Rauchplage nicht an sehr vielen Orten antreffen. Häufiger 
hingegen findet man jene Zustände, bei denen wohl erhebliche Rauchmengen 
diffus die Luft durchsetzen, aber infolge mangelnder Luftfeuchtigkeit den¬ 
noch die stärksten Grade sich nicht einzustellen pflegen, sondern nur leichtere 
Symptome der Luftverderbnis sich bemerkbar machen. In solchen Städten 
können aber die Rauchgase, die, wie wir sehen werden, auch eine bedeutende 
Schädlichkeit für die menschliche Gesundheit darstellen, wohl eine erhebliche 
und diffuse Luftverschlechterung erzielen. Es wäre daher sehr zweckmäßig, 
nicht nur zwischen lokaler Belästigung und diffuser Plage zu unterscheiden, 
sondern auch weiterhin nach der Art des schädlichen Agens (Ruß [Flug¬ 
asche], Rauchgase) eine Einteilung vorzunehmen. 

Es ist keine Frage, daß man heutzutage zumeist die Klagen über den 
Ruß allzu gleichartig behandelt. Häufen sie sich in einer Stadt, so spricht 
man von einer Rauchplage, ohne sich darum zu kümmern, ob wirklich 
eine diffuse Rauchplage besteht, ob die Atmosphäre über der gesamten 
Stadt wenigstens zeitweise eine Veränderung erfährt, oder ob es sich nur um 
Schäden handelt, die einzelne Wohnungen, einzelne Individuen, treffen. Im 
Jahre 1900 hat der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege eine 
Enquete unter den deutschen Städten mit mehr als 15 000 Einwohnern ver¬ 
anstaltet, um über die Ausdehnung der Rauch- und Rußplage im Deutschen 
Reiche ein Bild zu gewinnen. Das Ergebnis wurde dahin zusammengefaßt, 
daß etwa ein Fünftel bis ein Viertel dieser Städte (es gibt jetzt im ganzen 
307 Städte mit mehr als 15 000 Einwohnern*), also etwa 60, unter der 
Rauch plage leiden. Bei der Beantwortung der gestellten Fragen machte sich 
der Mangel einer präziseren Auseinanderhaltung und Bezeichnung 
der verschiedenen Zustände deutlich bemerkbar. Es ist kaum eine Frage, 
daß hier Verhältnisse zusammengeworfen werden, die ihrer hygienischen Be¬ 
deutung nach gar nicht verglichen werden können. 

Insbesondere sind in der Zahl der unter dem Rauche leidenden Städte 
sicherlich nicht wenige verzeichnet worden, in denen eine diffuse Rauchplage 
nicht bestand, sondern nur mehr oder weniger häufig lokale Belästi¬ 
gungen sich ereigneten, während andere Städte mit einbegriffen waren, in 
denen die gesamte Bevölkerung unter den Folgen einer diffusen 
Luftverderbnis leidet. 

Man müßte daher zur Aufklärung der wirklichen Übelstände wohl so 
▼orgehen, daß man zunächst die diffuse Rauchplage von den lokalen Be- 

') Einen erheblichen Einfluß auf die Kondensation des Wasserdampf es haben 
aueh manche Winde. 

*) 100 Städte haben mehr als 40000 Einwohner. 

Vl«rUljahr»»chrift für GesundheiUpflege, 1908. J9 


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290 


Dr. H. Lief mann, 


lästignngen scharf trennt und auch bezüglich der Art und der Ausdehnung- 
der Übelstände Unterschiede macht Man müßte feststellen, wieviel Silagen 
über lokale Rauchbelästigungen im Jahre sagen wir auf 10000 Einwohner 
entfallen, und zur Beurteilung einer diffusen Luftverschlechterung müßte 
der durchschnittliche Rußgehalt der Luft bekannt sein, sowie eine Anzahl 
klimatischer Verhältnisse, wie die Zahl der Nebel-, die der Sonnenschein- 
stunden usw. Schließlich müßten chemische Untersuchungen über die Ver¬ 
unreinigung der Luft mit Rauchgasen Aufschluß geben. Nur auf diesem 
Wage , kann man meines Erachtens zu einer einigermaßen zuverlässigen 
Beurteilung der Verhältnisse kommen, die es gestatten würde, verschiedene 
Orti zu vergleichen und eine Abnahme oder Zunahme der Übelstände 
fastzustellen. Wir werden aber sehen, daß sich einem solchen Verfahren 
flicht unerhebliche Schwierigkeiten in den Weg stellen, die aber mit der Zeit 
sicher überwunden werden dürften. 

Wir hatten zu Beginn die Frage aufgeworfen, worin sich unsere heutigen 
Verhältnisse in bezug auf Ruß und Rauch von denen früherer Jahrhunderte 
unterscheiden, und ob wir überhaupt im Rechte sind, wenn wir die Rauch- 
und Rußfrage ein modernes Problem nennen. 

Nach dem Gesagten beantwortet sich diese Frage leicht. Sowohl das 
Fehlen einer großen Industrie, wie das von Großstädten im modernen Sinne 
des Wortes spricht dafür, daß man früher eine diffuse Rauchplage kaum 
gekannt haben wird. Und wenn man die Klagen, die früher laut wurden, 
und die Maßregeln zu ihrer Verhütung studiert, wird man finden, daß es 
sich durchweg um lokalisierte Belästigungen gehandelt haben muß. 
In dieser Beziehung mag nur London eine Ausnahme gemacht haben, da es 
achon zu Bd^inn des 19. Jahrhunderts eine Stadt mit mehr als 800 000 Ein¬ 
wohnern wat und die Bedingungen zum Zustandekommen einer diffusen 
Rauchplage dort überaus günstig liegen. 

Anderwärts sind aber erst unter dem Einflüsse der zwei genannten 
Faktoren, der Bildung großer Städte und der Steigerung des Kohle Verbrauches, 
zu den alten nicht sehr intensiven Übelständen neuartige und hygienisch 
viel bedenklichere getreten, nämlich eine diffuse Verderbnis der 
Luft. Diese, aber auch nur diese, bezeichnet man mit Recht als modern. 
In der diffusen Rauchplage besteht das wesentliche Problem der Luftver¬ 
schlechterung in unseren Städten. 


I. Die gesundheitliche Bedeutung des Rauches und Rußes in der 
atmosphärischen Luft. 

Man ist zu verschiedenen Zeiten recht verschiedener Ansicht über den 
Einfluß gewesen, den der Rauch und der Ruß auf die Menschen ausübt. 
Daß man in den ältesten Zeiten mit dem Rauch religiöse Vorstellungen 
verband, wird niemanden wundernehmen, der bedenkt, daß wohl bei den 
meisten Naturvölkern im Feuer das Walten göttlicher Kräfte erkannt wurde. 
Dementsprechend hat man im Rauch auch keine gesundheitsschädlichen Stoffe 
vermutet und ihn selbst zur Bereitung gewisser Nahrungsmittel schon früh¬ 
zeitig verwendet. 


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Über die Rauch- und Rußfrage usw. 


291 


Sehr weit reichen zweifellos auch die Anschauungen zurück, daß der 
Bauch bei der Bekämpfung von Krankheitsursachen, bösen Geistern 
und Miasmen einen günstigen Einfluß besitze. Noch heutzutage veranstaltet 
man nach uralter germanischer Sitte in einigen Teilen Tirols sogenannte 
Bauchnächte, um die Menschen und das Vieh gegen schädliche Dämonen 
zu schützen. 

Eine primitive Kenntnis der desinfizierenden Eigenschaften des (Holz-) 
Bauches veranlaßte zur Zeit der großen Pest (423 v. Chr.) die Athener, 
mächtige Holzstöße in Brand zu setzen. Im Mittelalter ließ Herzog Ulrich I. 
von Böhmen ebenfalls zur Bekämpfung der Pest (1016) — wie man sagte, 
mit Erfolg — ganze Wälder anzünden, und dies Experiment wurde 1665 
in kleinem Maßstabe bei London wiederholt. 

Alle diese günstigen Berichte über einen hygienischen Einfluß des 
Bauches beziehen sich naturgemäß auf den Holzrauch. Eine feindselige 
Stellung nahm man von vornherein dem Steinkohlenrauche gegen¬ 
über ein, als die Verwendung von Kohlen mehr und mehr aufkam, ohne daß 
man eigentlich sagen könnte, auf welche Tatsachen diese Abneigung sich 
gründete. Man irrt wohl nicht, wenn man annimmt, daß vielfach Vor¬ 
urteile im Spiele gewesen sind, und daß man bis in die neueste Zeit sich 
übertriebene Vorstellungen von der Gefährlichkeit des Steinkohlenrauches 
gemacht hat. 

Es mutet einen seltsam an, wenn man hört, daß in einer kleinen 1633 
von Büntingen verfaßten Schrift: „Silva subterranea, herausgegeben auf 
hoher Patronen Befehl und Kuriosität“, die viel verbreitete Meinung bekämpft 
wird, daß die Steinkohlen wegen der Heftigkeit ihres Rauches nicht 
zum Kochen und Braten der Speisen verwendet werden können', wie unter 
anderen auch der berühmte englische Naturforscher Boyle behauptet hatte. 
Noch 1777 kämpfte Chr. F. Schulze in seiner „Betrachtung der brennbaren 
Materialien“ gegen das gleiche Vorurteil, und 1787 Hahnemann in seiner 
Abhandlung über die Vorurteile gegen die Steinkohlenfeuerung. 

In einem Buche über Steinkohlen aus dem Jahre 1775 von einem un¬ 
genannten Verfasser heißt es, „daß diejenigen Arbeiter, so die brennenden 
Kohlen mit eisernen Stangen ausbrechen, auf den gepflasterten Hof bringen, 
den Ofen mit neuen Kohlen anfüllen und folglich auf das Verschlucken der 
brennend heißen Dämpfe den ersten Anspruch haben sollen, nur gleich um 
Absolution in articulo mortis bitten dürfen. Ich wenigstens möchte zu dieser 
abscheulichen Operation keine anderen als das Leben verwirkte Missetäter 
widmen“. 

Allmählich aber trat — vielleicht mit dem Zwange der ökonomischen 
Notwendigkeit — die Abneigung gegen die Steinkohlenverwendung immer 
mehr in den Hintergrund, und unter dem Einflüsse der zunehmenden 
chemischen Kenntnisse über das Wfesen der Verbrennung und der Rauch¬ 
bildung entstand eine mildere Auffässüngseiüer gesundheitlichen Gefährlichkeit. 

Der Rauch ist in dem Zustande, in dem er die Schornsteine unserer 
Feuerungen verläßt, durchaus kein einheitlicher chemischer Körper. 
Wir können zunächst gasförmige Stoffe und feste Elemente in ihm 
unterscheiden. Die Gase bestehen im wesentlichen aus Kohlensäure, 
Kohlenoxyd, schwefliger Säure und Kohlenwasserstoffen (Methan, 

19 * 


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292 


Dr. H. Liefmann, 


Äthan, Äthylen), sowie dem aus der Verbrennungsluft stammenden Stick¬ 
stoff 1 ), sodann finden sich in Dampfform WaBser und Teerstoffe vor. 

> Ad. Wolpert definiert den Rauch als das „sichtbare Gemisch von Luft und 
den Produkten einer unvollkommenen Verbrennung“. 

Man sah zunächst in der Kohlensäure und im Kohlenoxyd gesundheits¬ 
schädliche Stoffe. 

Man ging davon aus, daß man berechnete, welche Quantitäten dieser 
Gase in größeren Städten gebildet werden, und man kam auf diesem Wege 
zu allerdings überraschenden Zahlen. Man hat die bei der Verbrennung 
von 1 kg Kohle in praxi entstehende Menge von Verbrennungsprodukten auf 
etwa 20 kg berechnet. Jedes Kilogramm entspricht etwa 0.66 cbm. Wenn 
man diese Zahlen verwendet, kommt man zu dem Resultat, daß in Hannover 
im Jahre 1893 etwa 1 Milliarde 848 Millionen Cubikmeter, in Dresden 2,7 
Milliarden, in Cöln 3,7 Milliarden, in Berlin im Jahre 1896 32,6 Milliarden 
Cubikmeter Verbrennungsgase in die Atmosphäre entwichen sind. 

Enthält sodann eine Kohle z. B. 0,8 Proz. Schwefel, so entwickeln 100 kg 
derselben 1,6 kg oder (da 1 kg der schwefligen Säure 0,347 cbm Volum besitzt) 
0,5552 cbm schweflige Säure. Bei einem Kohlenverbrauch von 1000000 
Tonnen der schwefelhaltigen Kohle (so viel verbraucht etwa Magdeburg 
heutzutage) werden also 5 552 000 cbm S0 9 gebildet. 

Es hat aber kaum einen Zweck, derartige Zahlen für die übrigen schäd¬ 
lichen Gase des Rauches zu berechnen. Sie haben nur geringen Wert, wenn 
man sie nicht vergleicht mit den Raummengen der Atmosphäre, in denen 
sie sich verteilen, wenn man nicht die Konzentration feststellt, in der sie 
sich in der Luft, die wir atmen, wiederfinden. 

Als man diesen Vergleich zog, ist man wiederum zu einem über¬ 
raschenden Resultat gekommen. So gewaltig die Mengen der Ver¬ 
brennungsprodukte erscheinen, die unseren Feuerungen entströmen, so gering 
erscheinen die Mengen, die man in der Luft unserer Städte wiederzufinden 
imstande war. Insbesondere hatte man eine erhebliche Steigerung des Kohlen¬ 
säuregehaltes der Luft erwartet und auch für das Kohlenoxyd und die 
schweflige Säure Ähnliches angenommen; man war aber erstaunt über die 
scheinbar geringe Differenz, die man zwischen der Stadt- und der Landlnft 
in dieser Beziehung auf fand. 

Rubner gab noch 1907 in seinem Lehrbuch der Hygiene an, daß 
zwischen Stadt- und Landluft nennenswerte Differenzen des Kohlensäure¬ 
gehaltes nicht gefunden seien, erstere enthielte im Mittel 0,385 Promille, 
letztere 0,318 Promille. Dieses Resultat ist im wesentlichen auch das der 


übrigen Untersucher gewesen. 

Es fanden in reiner Luft: 

Thorpe im irischen Kanal. 0,3086 Promille*) 

auf dem Ozean. 0,2953 „ 

Reizet in reiner Landluft.0,29 „ 


Uffelmann in der Nähe von Rostock 0,279 bis 0,366 


*) Rubner weist auch auf das Vorhandensein von NO t H hin. 

*) Ich entnehme diese Angabe wie auch einige andere der obigen der Ver¬ 
öffentlichung Rnbners im Archiv für Hygiene 1907. 


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293 


Über die Rauch- and Rußfrage usw. 

Und die 1882 zur Beobachtung des Venusdurchganges entsandten fran¬ 
zösischen Expeditionen haben durchschnittlich 0,278 Promille gefunden, 
ln jüngster Zeit hat Rubner durch Wolpert in Berlin und seiner Um¬ 
gebung umfangreiche Untersuchungen ausführen lassen. Er nimmt an, daß 
eine vollkommen reine Luft (d.h. eine auch nicht durch den Einfluß der 
Vegetation beeinflußte) etwa 0,268 Promille CO a enthält. (Er selbst fand 
bei Berlin [in waldreicher Gegend] als Durchschnitt von 4 Tagen 0,301 Pro¬ 
mille.) 

ln der Luft der Städte haben nun z.B. gefunden: 

Saussure für Genf .... 0,468 Promille 

für Paris. . . . 0,38 „ 

Uffelmann in Rostock 0,310 bis 0,404 „ 

Und Rubner gibt für Berlin: 

im Winter 1903 als Mittel 0,343 Promille 

im Winter 1906 Januar . 0,337 „ 

Februar 0,343 „ 

März . 0,325 „ 

April . 0,341 „ 

Smith fand in London: 

in den größeren Parks 0,301 Promille 
in den Straßen . . 0,475 „ 

bei Nebel .... 0,72 „ 

Uffelmann hatte das Mehr an Kohlensäure in der Stadtluft in Rostock 
auf 0,033 Promille berechnet, Blochmann 0,02 bis 0,03 Promille für 
Königsberg angenommen, Müntz und Aubin in Paris 0,033 bis 0,133 Pro¬ 
mille gefunden. 

Rubner findet für Berlin (Februar 1906) als Grad der Verunreinigung 
der Luft mit CO a 0,075 Promille. 

Man hat anfangs zweifellos den Wert dieser Differenzen ganz wesent¬ 
lich unterschätzt. Es war das aber um so erklärlicher, als man beim 
experimentellen Studium der Giftwirkung der Kohlensäure erst bei ganz 
bedeutend stärkeren Konzentrationen des Gases Gesundheitsstörungen nach- 
weisen konnte. Förster gibt z. B. an, daß er (freilich bei nur 10 Minuten 
langem Aufenthalt) in einer Luft, die 4 Proz. CO a enthielt, keinerlei Gesund¬ 
heitsstörungen verspürte. Die Untersuchungen Lehmanns ergaben, daß 
die Grenze der Giftwirkung etwa bei 20 bis 30 Promille liegt. 

Ähnliches wie für die Kohlensäure gilt für das Kohlenoxyd. Zwar 
Kommt ihm eine bedeutend stärkere Giftigkeit zu, deren Grenze nach 
Lehmann bei 0,2, nach Gruber zwischen 0,2 und 0,5 Promille liegt, aber 
die produzierten Mengen sind auch bedeutend geringer. Armand Gautier 
berechnete, daß pro Tag und Quadratmeter 125 Liter CO a , aber nur 8 Liter 
CO in die Atmosphäre von Paris gelangen, Gautier fand nur 0,002 Pro¬ 
mille GO in der Atmosphäre, und auch Rubner gibt nach Untersuchungen 
-won Spitta ähnlich geringe Werte für Berlin an. 

Eine größere Bedeutung schrieb man seit langem, vor allem in England, 
<ler schwefligen Säure zu, die aus dem Schwefel der Kohlen bei der Ver- 


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294 


Dr. H. Liefmann, 


brennung sich bildet, in der Loft sich aber nach längerer Zeit wohl zu SO, 
oxydiert. Hüppe gibt (in seinem Handbuch der Hygiene, S. 150) an, daß 
man in England auf dem Lande 0,474mg S0 3 pro Cubikmeter fand, in 
London 1,67, in Manchester 2,52 mg, in der Nähe einer Fabrik (also lokale 
Belästigung) 2,668 mg. Neuerdings hat man in Manchester bis zu 7,4 mg 
S0 3 pro Cubikmeter während eines Nebels gefunden. 

Oliver 1 ) fand in London: 

bei trübem Wetter 1,9 mg SO, pro Cubikmeter 

„ leichtem Nebel 2,9 „ „ „ „ 

n starkem „ 6,0 „ „ „ „ 

* gelbem „ 7,2 „ 

<i schwarzem „ 14,1 „ „ „ » 

Mabery fand in Cleveland sogar 16 bis 63 mg pro Cubikmeter. 

Rubner, der auf S0 2 berechnet, nimmt 1,0 bis 1,5 mg SO, pro Cubik¬ 
meter für Berlin an, Ascher und seine Mitarbeiter fanden in Königsberg 
0,01 bis 0,5mgS0 a pro Cubikmeter. 

Lehmann fand nun, daß eine Konzentration der Säure von etwa 0,04 SO* 
Promille schon hinreicht, um leichte Symptome hervorzurufen. 

Freilich werden diese Werte ja im Freien gewöhnlich bei weitem 
nicht erreicht, selbst die höchste Angabe von Mabery bleibt etwa halb 
so groß als die Zahl von Lehmann (0,114g pro Cubikmeter), aber es ist 
durchaus wahrscheinlich, daß lokal oft noch höhere Werte sich finden werden, 
und daß bei dauernder Aufnahme der schwefligen Säure der Organismus, 
insbesondere der wachsende, geschädigt werden kann. 

Rubner hat auf das Vorhandensein von Nitriten und Nitraten neben 
der schwefligen Säure aufmerksam gemacht. Er berechnete 1,3 bis 3 mg 
NO a H und NO,H pro Cubikmeter. Das NO a H ist möglicherweise nicht 
ohne Bedeutung. 

Durchaus nicht zu vernachlässigen sind auch wohl die organischen Be¬ 
standteile des Rauches. Leider ist aber über ihre Natur kaum etwas Sicheres 
bekannt. 

Armand Gautier fand in 100 Liter 

Pariser Luft 6,8 mg C (aus organischen Verbindungen) 
Waldluft 3,4 „ „ „ „ „ 

Gebirgsluft 1,97 „„ „ 

Er berechnet auf CH 4 = 22,6 bzw. 11,2 und 2,2 ccm pro 100 Liter. 
Rabner fand in Berlin nur 0,6 ccm. 

Das allgemeine Ergebnis der chemischen Untersuchung der Luft in den 
Städten auf die gasförmigen Bestandteile des Steinkohlenrauches war also 
zunächst ein überraschendes. Es besteht ein Widerspruch zwischen 
den gewaltigen Mengen der Verbrennungsprodukte, die in unseren Feuerungen 
entstehen, und den geringen Quantitäten, die wir in der Luft unserer Städte 
wiederfinden. Aber dieser Widerspruch ist doch nur ein scheinbarer. 


*) Zitiert naoh Rubner. 


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—i 



29fr 


Über die Rauch- und Rußfrage usw. 

Es sind ja die dem Rauch zur Verfügung stehenden Rautnmeugeu gan* 
ungeheure, und dazu kommt, daß die Atmosphäre über einer Stadt in 
dauernder Bewegung begriffen ist und stetig ihre Verunreinigungen weg¬ 
führt und neue frische Luft zugeführt erhält. Zweifellos spielt der Wind, 
sowohl horizontale als auch vertikale Luftströmungen, hierbei die wesent¬ 
lichste Rolle. Trotz allem ist die Frage durchaus nicht unberechtigt, ob nicht 
die geringen gefundenen Mengen schädlicher Gase doch auch ihre hygie¬ 
nische Bedeutung haben. Meines Erachtens muß man diese Frage 
bejahen. 

Man kann sich eine solche Einwirkung auf unseren Organismus in viel¬ 
facher Art und Weise vorstellen. 

Die vorsichtigste Erklärung ist die Renks, der in der Erregung von 
Ekel und Unbehagen und einer dadurch bewirkten Herabsetzung der Kraft 
und Tiefe des Atmens die schädliche Wirkung des Rauches erblickt. Renk 
verzichtet auf die Annahme eines direkten Einflusses des Rauches und 
sucht einen mittelbaren aufzufinden. Ich glaube, daß aber doch selbst die 
verhältnismäßig geringen gefundenen Mengen für eine direkte Wirkung 
häufig ausreichen mögen. Zunächst mag eine dauernde, ja immerwährende 
Aufnahme dieser Stoffe in den praktisch vorkommenden Mengen vielleicht 
doch chronische Intoxikationen leichten Grades erzeugen, sodann kann 
wohl die Kombination vieler schädlicher Bestandteile auch in den aller- 
schwächsten Konzentrationen Erscheinungen hervorbringen, die eine einzelne 
Substanz nicht zu erzeugen vermag, und schließlich mögen Kranke oder 
Geschwächte und Kinder vielleicht schon auf geringfügigere Grade der 
Luftverschlechterimg reagieren als Gesunde. Gerade diese letzte Annahme 
hat, so scheint es, viel für sich, auch mag die Empfindlichkeit für die 
vorhandenen Verunreinigungen bei Gesunden in weiten Grenzen schwanken* 
Es ist ja kein Zweifel, daß der schädliche Einfluß der Städteluft kein unbe¬ 
dingter ist. Es gibt Leute genug, die dauernd in großen Städten gelebt haben 
und gänzlich gesund sind und das höchste Lebensalter erreichen. Auch die 
Städte, die die erheblichsten Grade diffuser Rauchplage aufweisen, machen 
hierin keine Ausnahme. Die Mortalität in London ist durchaus keine hohe; 
sondern im Gegenteil bedeutend unter dem Durchschnitt der meisten anderen 
Städte Europas. 

Ich möchte nicht versäumen, hier auf die sehr interessanten Ergebnisse 
einzugehen, die man erzielte, als man den Einfluß ganz geringfügiger gas¬ 
förmiger Verunreinigungen der Luft auf Pflanzen studierte. 0. Richter 
hat darüber auf der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu 
Meran 1907 berichtet; ich schließe mich seinen Ausführungen in der Medi¬ 
zinischen Klinik 1906 (Nr. 19 und 20) an. Etiolierte, d. h. im Dunkeln 
gewachsene Keimlinge einiger Pflanzen (z.B. der Futterwicke, der 
Linse und Erbse) zeigen oft eine auffällige Krümmung ihrer Stengel, die 
man als horizontale Nutation bezeichnet. Neljubow hat 1901 die Ur¬ 
sache dieses eigentümlichen Verhaltens aufgedeckt und nachgewiesen, daß es 
der Einfluß geringfügiger gasförmiger Verunreinigungen der Luft ist, der 
bei den Pflanzen diese Abweichung von ihrer gewöhnlichen senk¬ 
rechten Wachstumsrichtung (von ihrem negativen Geotropismus) be¬ 
wirkt. Nach den Untersuchungen Richters stellt sich der Zusammenhang 


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296 


Dr. H. Liefman», 


folgendermaßen dar: Die im Dunkeln in unreiner Laboratoriumsluft gewach¬ 
senen Keimlinge insbesondere der Futterrübe zeigen eine ganz bedeutende 
Steigerung ihrer Reizbarkeit durch Lichtstrahlen, d. h. ihres Helio¬ 
tropismus, weiterhin eine Schwftchung des negativen Geotropismus, daneben 
zeigte sich auch oft eine bedeutende Verringerung des Längenwachstums, 
aber eine Steigerung des Dicken Wachstums. Richter nimmt an, „daß die 
Spuren von Leuchtgas und andere Verunreinigungen flüchtiger Natur, die 
sich in der Luft des Laboratoriums finden, genügen, um die Reizbarkeit des 
Plasmas so zu beeinflussen, daß die Stengel der Keimlinge keinen negativen 
Geotropismus mehr aufweisen. Mit dem Ausschalten des negativen Geo¬ 
tropismus stellt sich gleichzeitig eine so hochgradige heliotropische Empfind¬ 
lichkeit ein, daß es unter Umständen gelingt, gewisse Pflanzen noch zu helio- 
tropischen Bewegungen zu veranlassen, die unter normalen Verhältnissen 
dazu nicht mehr befähigt sind“. Die durch diese Versuche nachgewiesene 
Beeinträchtigung des pflanzlichen Protoplasmas durch die Ausschaltung von 
Licht und der Einfluß leichter Luftverunreinigung scheint mir immerhin 
nicht ganz belanglos für das Verständnis der Wirkung raucherfüllter 
Luft auch auf den Menschen, zumal da, wie wir hören werden, die Rauch¬ 
plage auch eine nicht unerhebliche Verdunkelung der Atmosphäre be¬ 
dingt, die mit der Verunreinigung der Luft durch Gase Hand in Hand geht. 

Wenn nun auch ein Einfluß der im Rauch enthaltenen Gase für die 
menschliche Gesundheit in hohem Grade wahrscheinlich ist, so lenkten an¬ 
fangs doch die im allgemeinen hinter den Erwartungen zurückgebliebenen 
Resultate der chemischen Untersuchungen die Aufmerksamkeit auf die festen 
Bestandteile des Rauches, auf den Ruß. Man nahm zunächst an, daß eine 
direkte Aufnahme des Rußes in den Körper, und zwar in die Lungen bei 
der Atmung, eine schädliche Wirkung ausübe; und die pathologisch - ana¬ 
tomischen Verhältnisse schienen eine Bestätigung dieser Anschauung zu 
bieten. Es lag ja überaus nahe, die bei den anderen Pneumokoniosen leicht 
zu konstatierenden verderblichen Folgen der Staubeinatmungen auch auf 
die Überschwemmung der Lungen mit Kohlenteilchen zu über¬ 
trag en 1 )- Der bekannte und charakteristische Befund der Kohlenlunge 
war anscheinend eine Gewähr für die Richtigkeit dieser Hypothese. Die 
Statistik bewies aber deutlich, daß unter allen Staubarbeitern die in den 
Kohlenbergwerken beschäftigten eine der günstigsten Mortalitäts¬ 
ziffern aufweisen, sowohl im allgemeinen als auch besonders in bezug auf 

l ) In ähnlicher Weise nahm man an, daß die pflanzlichen Rauchschäden da¬ 
durch zustande kämen, daß der Ruß die Spaltöffnungen der Blätter verstopfe, und 
so die Pflanze ersticke. Diese Ansicht wich aber bald der anderen, daß die 
Rauchgase das schädliche Agens seien. Vor einigen Jahren hat Borchgrevink 
behauptet, daß die Pflanzen die schädlichen Stoffe (HCl, SO,, FN) vermittelst des 
Bodens in sich aufnähmen. Eine interessante Parallele dazu stellt die Vermutung 
dar, die in jüngster Zeit in der medizinischen Literatur eifrig besprochen wird, 
daß es nicht das Einatmen der Kohlenteilchen sei, das die Kohlenlunge bedinge, 
sondern das Verschlucken derselben. Die in den Darm gelangten Rußteilchen 
sollen die Darmwand passieren, und dann in den Lungen zur Ablage¬ 
rung gelangen. Die jüngeren Forschungsergebnisse sprechen meines Erachtenr 
gegen diese Hypothese und für die alte Annahme einer „aerogenen“ Ent" 
stehung der Lungenanthrakose. Auch meine eigenen Versuche hatten das 
gleiche Resultat. 


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297 


Über die Rauch- und Rußfrage usw. 


Lungentuberkulose. Eine Statistik des KgL preuß. statistischen Bureaus 
{Zeitschr. des KgL preuß. stat. B. 1892, S. 80) zeigt dies deutlich. 



Von je 100 000 der 
neben bezeichneten 
Erwerbs tätigkeiten 
starben 

Die Sterblichkeit der Fischer 
= 100 gesetzt, starben von den 
nebenbezeiebneten Erwerbs- , 
tätigkeiten an 


über¬ 

haupt 

an Phthisis 
pulmonum 
und Lungen¬ 
krankheiten 

Phthisis 

sonstigen 

Lungen¬ 

krank¬ 

heiten 

Lungen¬ 

krankheiten 

überhaupt 

Zimmerer und Tischler . 

1269 

522 

103 

67 

170 

Bäcker und Konditoren . 

1482 

616 

107 

94 

201 

Arbeiter in Wollfabriken 
„ , Baumwoll- 

1597 

715 

130 

104 

234 

fabriken . . 

1683 

840 

137 

137 

274 

Messer- u. Zeugschmiede 

1969 

1176 

187 

136 

383 

Feilenhauer. 

2579 

1211 

219 

177 

396 

Maurer und Putzer . . . 
Arbeiter in Stein- und 

1499 

701 

127 

102 

229 

Schieferbrüchen . . 

1736 

900 

156 

138 

294 

■Töpfer . 

Bergleute in Cornwall 

2635 

1730 

239 

326 

565 

(Zinngruben) .... 
Bergleute in Kohlen- 

2845 

1776 

348 

231 

579 

gruben. 

1378 

507 

64 

‘ 102 

166 


Auf Grund dieser Ergebnisse ist man dann eine Zeitlang sogar zu dem 
•entgegengesetzten Extrem gekommen, und hat behauptet, daß das Einatmen 
von Kohlenteilchen der Lunge einen gewissen Schutz gegen die Tuber¬ 
kulose verleihe. Von einer derartigen Annahme ist man aber neuerdings 
wieder gänzlich zurückgekommen. 

Vor allem hat Ascher den direkten Beweis für den gesundheitlichen 
Schaden durch Rauch und Ruß zu erbringen versucht, einmal durch das 
T'ierexperiment und dann auf statistischem Wege. Er glaubt naohweisen 
zu können, daß in Gegenden mit stark rauchenden industriellen Werken 
-die Zahl der nichttuberkulösen Erkrankungen der Atmungsorgane eine 
-wesentlich höhere sei, als in den Industriezentren mit wenig Rauch erzeu¬ 
genden Werken. Er verglioh z. B. den Landkreis Krefeld mit dem Land¬ 
kreis Essen, und konnte in dem letzteren ein starkes Überwiegen nicht¬ 
tuberkulöser Erkrankungen der Atmungswerkzeuge konstatieren. Das gleiche 
Verhalten ergab eich bei einer Gegenüberstellung der Textil- und der Rauch¬ 
gegend in dem schlesischen Kreise Waldenburg. Wenn auch die statistischen 
Ergebnisse allein kaum imstande wären, einen untrüglichen Beweis für die 
Schädlichkeit des Rauches zu geben, so haben sie doch zusammen mit einer 
ganzen Reihe anderer Beweismittel eine erhebliche Bedeutung. Zunächst 
hat Ascher selbst an Tieren, die er längere Zeit dem Rauche eines Ofens 
oder auch nur einer mit Ruß erfüllten Luft ausgesetzt hatte, gezeigt, daß 
der Rauch eine erhöhte Disposition zu ansteckenden Krankheiten zu schaffen 
vermag. 


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298 


Dr. H. Liefmann. 


Auch die älteren Arbeiten von Arnold und von Com et sprechen da¬ 
für. Dann ergab sich, daß diejenigen Arbeiter, die am meisten von allen- 
Kohlenstaub einzuatmen gezwungen sind, nämlich die Grubenarbeiter in 
Kohlenbergwerken, doch eine auffallend hohe Mortalität an akuten Lungen- 
krankheiten aufweisen. Wenn jemand also dem Tierversuch keine entscheidende 
Bedeutung zusprechen möchte, muß ihn doch die eben erwähnte Tatsache 
bedenklich stimmen, ln jüngster Zeit macht sich nun, wie Ascher in einer 
neueren Publikation hervorhebt, in England ein Sinken der Mortalität an 
akuten Lungenkrankheiten bemerkbar, und der genannte Autor spricht die 
Vermutung aus, daß dies als eine Folge der energischen Rauchbekämpfung 
anzusehen sei. Schon 80 Städte hätten eine Abnahme des Rauches fest- 
steilen können; in Glasgow sei auch durch systematische Regenunter¬ 
suchungen eine Abnahme der Säuren in der Luft festgestellt worden. 


Wir haben damit im wesentlichen das Beweismaterial, das für eine 
direkte Schädigung unseres Organismus durch den Rauch spricht, erschöpft. 
Es ist nun meines Wissens zuerst der berühmte englische Chemiker, Lord 
Ramsay, gewesen, der auf eine ganz andere Wirkung der in der Luft 
schwebenden feinen Rußteile aufmerksam gemacht hat, nicht auf eine unseren 
Körper direkt angreifende, sondern ihm mittelbar schädliche. 

Nach Ramsay soll der Ruß vornehmlich dadurch unhygienisch wirken, 
daß er Licht abhält und die Luftfeuchtigkeit ungünstig beeinflußt. 

Er stützt sich dabei auf die bekannte Theorie Aitkins, nach welcher 
der in der Luft vorhandene Wasserdampf nur dann in tropfbar flüssige 
Form überzugehen vermag, wenn er sich um einen festen Kern herum kon¬ 
densieren kann. Die feinsten festen Elemente, die man kennt, die Sonnen¬ 
stäubchen, sind imstande, ein solches Kondensationszentrum zu liefern. Auf 
dieses Verhalten hin gründete bekanntlich Aitkin seine Methode, die in der 
Luft schwebenden feinsten Stäubchen zu zählen. — Ramsay nimmt nun 
an, daß der aus den Schornsteinen in die Atmosphäre gelangte Ruß in 
erheblichem Grade die Kondensation des in der Luft vorhandenen Wasser¬ 
dampfes vermittele und so eine Nebel- und Wolkenbildung veranlasse. Auf 
diese Weise würde das Klima in den Städten feuchter und damit auch 
kälter erscheinen, als außerhalb des Bereiches der rußigen Atmosphäre. 
Den Haupteinfluß des Rußes sieht Ramsay aber in einer Abhaltung von 
Sonnenstrahlen. Es ist bekannt, wie große Lichtmengen ein dichter 
Nebel zurückzuhalten vermag, und wie sehr er auch die Stärke der Belich¬ 
tung reduziert. Indem der Ruß Nebel und Wolkenbildung veranlaßt, macht 
er also das betroffene Gebiet lichtärmer, da die schwebenden Wasser¬ 
tröpfchen viel mehr Licht abzuhalten vermögen, als der diffus verteilte 
Wasserdampf. Im Licht erblickt Ramsay einen hygienisch überaus bedeut¬ 
samen Faktor. Nicht nur, daß es auf unsere Stimmung, unser Denken und 
Wollen einen Einfluß ausübt, es ist auch imstande, in unserer Umgebung 
eine Reihe von Prozessen auszulösen oder zu beeinflussen, die größtenteils 
einen Vorteil für die menschliche Gesundheit in sich tragen. Vor allem ist 
die keimtötende Kraft des Sonnenlichtes imstande, eine Menge Mikro- 


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299 


über die Bauch- und Rußfrage usw. 

Organismen, and anter ihnen besonders auch pathogene, zu vernichten, und so 
manche Infektionsmöglichkeit zu beseitigen. Besonders den blauen, violetten 
und ultravioletten Strahlen des Sonnenspektrums wohnt diese Kraft in ne, 
aber gerade sie werden vom Nebel und den Wolken am lebhaftesten ab¬ 
sorbiert. 

Ich kann es mir nicht versagen, die Worte hier wiederzugeben, in denen 
Ramsay seine Anschauung präzisiert 1 ). 

„In die drei folgenden Sätze kann man die Klagen über den Rauch und Ruß 
zusammenfassen: 

1. Der Rauch bringt auf unseren Häusern, unseren Kleidern und unseren 
Körpern seine schwarzen Flöckchen zur Ablagerung, die eine große Menge Arbeit 
und einen erheblichen Seifenverbrauoh bedingen. 

2. Der Rauch kondensiert den atmosphärischen Wasserdampf zu Nebel-und 
zu Regen; er macht unser Klima kälter und unser Leben mehr oder weniger 
freudearm und ungemütlich. 

3. Er verdunkelt das Sonnenlicht und unterstützt so die Entwickelung und 
Vermehrung der Bakterien, auch die der pathogenen; er erzeugt — durch die 
Kondensation des Wasserdampfes an den Staubpartikelchen — in der Atmo¬ 
sphäre in der Form der Nebel den Faktor, der besonders imstande ist, die blauen, 
violetten und ultravioletten Strahlen zu absorbieren, die gerade die bakterien- 
feindlichste Wirkung haben. 

Jeder wird mit mir übereinstimmen, wenn ich sage: Gelänge es, den Rauch 
in unseren Städten zu beschränken, so würden wir unser Leben voller genießen, 
denn dem Problem kommt auch eine psychologische Seite zu, ein klares und 
heiteres Wetter gibt klare und heitere Gedanken.“ 

Die in diesen Worten enthaltene Ramsaysche Theorie der Rauchplage 
muß unser ganz besonderes Interesse in Anspruch nehmen. Sie bildet ge¬ 
wissermaßen einen Gegensatz zu jenen Anschauungen, die durch eine 
direkte chemische Wirkung des Rauches und Rußes einen Schaden nach¬ 
zuweisen suchen. Dahingegen ist ihr Prinzip eine physikalische Auf¬ 
fassung, und ein mittelbarer Einfluß auf unsere Gesundheit. 

Ramsay spricht von einer dreifachen Bedeutung des Rauches und 
Rußes für unser Wohlergehen. 

Die erste vom hygienischen Standpunkt zweifellos unwichtigste Tatsache 
besteht in der Beschmutzung unseres Körpers und aller, der Luft ausgesetzten 
Objekte unserer Umgebung. 

Wiewohl der*) Schmutz zweifellos imstande ist, ein mehr oder minder 
starkes körperliches Unbehagen bei uns zu erzeugen, dürfte seine Wirkung 
im wesentlichen wohl eine unserem ästhetischen Empfinden feindliche sein. 
Daß die materiellen Einbußen, die durch diese Verunreinigung entstehen, 
sehr erheblich sein können, ist keine Frage. Die Beschmutzung unseres 
Körpers, unserer Kleider und Gebrauchsgegenstände, der Häuserfronten und 
Kunstdenkmäler verursacht sehr bedeutende Kosten. Man 3 ) hat sie vor 
längerer Zeit schon in London auf etwa 46 Millionen Mark im Jahre be¬ 
rechnet. 

Der zweite Faktor, den Ramsay anführt, ist die Kondensation des 
Wasserdampf es in der Luft, die Bildung von Nebeln und Wolken, die 


*) Ich entnehme diese Ausführungen der Revue d'hygiäne, 18. 
*) Durch den Rauch entstandener Schmutz. 

*) Chandler Roberts. 


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300 


Dr. H. Liefmann, 


Entstehung eines kälteren Klimas. Obwohl sich diese Tatsachen scheinbar 
folgerichtig auseinander ergeben, muß man meines Erachtens doch hier die 
Ramsaysche Theorie aufs genaueste auf ihre Prämissen prüfen. 

Wir hatten zu Anfang gesehen, daß eine Rauch- und Rußplage beson¬ 
ders an solchen Orten zu entstehen pflegt, die infolge eines zu Niederschlägen 
neigenden Klimas dazu besonders disponiert sind. 

Ein hoher Feuchtigkeitsgehalt der Luft ist also oft eine Voraussetzung, 
nicht eine Folge der Rauchplage. 

Der Schaden, den der Ruß stiftet, kann wohl nur darin bestehen, daß 
er den Wasserdampf kondensiert und ihn, in fein verteilter Form an den 
Rußteilchen gebunden, in der Atmosphäre Beb webend erhält. Nun kann 
zweifellos ein großer Feuchtigkeitsgehalt der Luft oft gesundheitsschädlich 
wirken, insbesondere bei hoher Temperatur. Ob aber eine teilweise Konden¬ 
sation desselben auf den Rußteilchen dann nicht eher einen Vorteil wie 
einen Schaden bedeutet, das wäre noch zu bedenken. 

Etwas anders liegt es wohl bei niederen' Temperaturen, im Winter. Da 
wird die vom freien Lande herströmende, meist mit Wasserdampf gesättigte 
Atmosphäre in den Städten zu Nebeln, Wolken und Niederschlägen sich ver¬ 
dichten und dort ein unfreundliches, feuchtes Klima erzeugen. 

Die Frage ist aber, ob dem Ruß dabei die wesentliche Rolle oder nur 
eine untergeordnete zukommt. Ramsay nimmt ohne weiteres das erstere 
an. Man muß aber bedenken, daß eine große Stadt eine Menge feinen 
Staubes in sich erzeugt (wir erkennen ihn allerorts an der Beschmutzung 
unserer Wohnstuben), und da jedes festes Stäubchen gleich gut geeignet 
ist, das Kondensationszentrum eines Wassertröpfchens abzugeben, scheint 
-genug Gelegenheit zur Nebel- und Wolkenbildung gegeben zu sein, auch 
wenn kein Rauch die Atmosphäre erfüllt. Es ist ja freilich gar nicht zu sagen, 
wieviel Staubteile nötig sind, um einen Nebel zu erzeugen, aber manche 
Erfahrungen sprechen dagegen, daß über einer Stadt ein Mangel an 
Staub bestehen sollte. Sieht man doch öfters auf offenem Meere die dich¬ 
testen Nebel auftreten, und Wolkenbildung kann man selbst in den Polar¬ 
gegenden beobachten. Die staubigsten Gegenden zeichnen sich keineswegs 
durch häufige Nebel aus. Dies spricht dagegen, daß der Ruß durchaus 
notwendig sei, um über einer Stadt die Kondensation des Wasserdampfes 
zu bewerkstelligen, denn, wenn auch im Winter der Staub in der Luft nur 
verhältnismäßig spärlich auftritt, so überwiegt doch selbst in dieser Jahres¬ 
zeit auch in Städten mit ausgesprochener diffuser Rauchplage die Zahl der 
Staubteilchen wesentlich die der Rußteilchen. Das widerspricht der An¬ 
nahme, daß das Auftreten des Rußes in der Atmosphäre es bedinge, daß 
dichte Nebel 1 ) sich bilden und das Klima feuchter erscheint. 

Es gibt aber eine Erfahrung, die scheinbar nicht ohne Berechtigung 
zur Stütze der Ramsayschen Anschauung herangezogen werden kann. 

Diese besteht darin, daß z. B. in London die Zahl der Tage mit Nebel 
in ständigem Wachsen begriffen ist. 


*) Daß er ihnen eine besondere Farbe verleiht, wird damit nicht bestritten 
(*• später). 


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Über die Rauch- und Rußfrage usw. 301 

Die folgende Tabelle gibt darüber Auskunft: 


Zeit 

Kohlen¬ 

verbrauch 

jährlich 

Nebeltage 
von Dezember 
bis Februar 

1870 bis 

1875 . 

4882000 t 

93 

1875 , 

1880 . 

— 

119 

1880 „ 

1885 . 

— 

131 

1885 . 

1890 . 

6 391000 t 

156 


(Nach Brodie.) 


Aber auch hier läßt sich der Einwand erheben, daß mit der erheblichen 
Vergrößerung der Stadt, die im Jahre 1801 958863, jetzt aber 4700000 
Einwohner besitzt, und heute einen Umfang von etwa 303 qkm hat, eine 
Zunahme derNebel ohne weiteres eingetreten wäre, vor allem durch die 
größere Produktion von Staub, entsprechend der gewaltigen Ausdeh¬ 
nung der Stadt und ihres Verkehrs. 

Wenn man also die Ramsaysche Vermutung genauer prüft, kann es 
einem nicht entgehen, daß seiner Anschauung Prämissen zugrunde liegen, 
deren Natur etwas hypothetisch ist. Der Rauch vermehrt den Feuchtigkeits¬ 
gehalt der Luft nicht, er führt nur den Wasserdampf in tropfbar flüssige , 
Form über. Würde aber dieser Prozeß nicht genau in dem gleichen Grade 
stattfinden, auch wenn der Rauch Und Ruß in der Luft gänzlich fehlte, 
wo doch die Atmosphäre einer Stadt genug Staub enthält, um Nebel- und 
Wolkenbildung zu begünstigen? Es muß hier auch darauf hingewiesen 
werden, daß auch ohne die Anwesenheit von Staub eine Kondensation des 
Wasserdampfes in der Luft erfolgen kann, dadurch, daß die elektrisch 
geladenen Teilchen, die Elektronen, imstande sind, als Kondensationszentren 
für den Wasserdampf zu dienen. Doch scheint eine derartige Entstehung 
der Nebel seltener vorsukommen. Es ist bislang wohl kaum möglich, die 
Berechtigung dieser Einwände genau abzuwägen und festzustellen, wieweit 
die Ramsaysche Ansicht für die klimatischen Verhältnisse unserer Städte 
Gültigkeit besitzt. 

Das Hauptgewicht legt Ramsay in seiner Theorie anscheinend auf dio 
durch Rauch und Ruß bewirkte Licht abhalt ung. Sie kommt zustande sowohl 
durch das erhebliche Absorptionsvermögen, das dem Ruß als solchem zukommt, 
als auch durch die Begünstigung von Nebel und Wolken, die, wie wir sahen, 
durch den Rauch stattfinden soll. Ramsay nimmt eine hohe hygienische 
Bedeutung des Lichtes an. Er schildert den guten Einfluß des Lebens in 
der freien Luft im Sommer, die Bräunung der Haut, durch die Bildung eines 
Pigmentes der Hautzellen, das sie vor den violetten und ultravioletten 
Strahlen des Sonnenlichtes schützen soll. Den Einfluß des Lichtes auf 
niedere Lebewesen, insbesondere auf Bakterien, erklärt er vornehmlich durch 
eine chemische Wirkung, indem der violette Teil des Sonnenspektrums im 
Wasser Wasserstoffsuperoxyd zu bilden 1 ) vermag, das einen Teil seines 

') Es mufl bemerkt werden, dafi man heutzutage die baktericide Wirkung 
des Sonnenlichtes nicht mehr auf die Bildung von Wasserstoffsuperoxyd zurück¬ 
führt, sondern eine direkte Wirkung der Sonnenstrahlen annimmt. 


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302 


Dr. H. Lief mann, 

Sauerstoffs zur Oxydation organischer Substanz abgibt, die dadurch zerstört 
wird. Diesem Vernichtungsprozeß unterliegen die Bakterien, und unter 
ihnen auch die pathogenen. Ramsay hält es für wahrscheinlich, daß man 
die Mehrzahl der Infektionskrankheiten verhüten könnte, wenn es gelänge, 
die Quelle der Infektion (bei Anwesenheit von Feuchtigkeit) den Sonnen¬ 
strahlen auszusetzen. 

Wir müssen auch auf diese sehr bedeutungsvollen Fragen noch näher 
eingehen. 

Wir wollen zunächst davon absehen, daß sich auch hier das Argument 
findet, daß der Rauch und Ruß für die Wolken- und Nebelbildung sehr 
bedeutungsvoll sei. 

Wenn man annimmt, daß diese Behauptung das Richtige trifft, so ergibt 
sich aus ihr in der Tat eine ganz erhebliche Lichtabhaltung, die wohl nicht 
ohne hygienische Bedeutung bleiben kann. 

Sehr interessant sind in dieser Beziehung einige Zahlen, die die Lon¬ 
doner Verhältnisse im Jahre 1890 charakterisieren. 

Die Anzahl der Sonnenscheinstunden betrug (in Stunden) 1890: 


a) in der City.1157 

b) in Aspley-Guise.1419 

c) in Eastbourne.1724 


Nimmt man eine 12 ständige Dauer des Sonnenscheines an einem Tage 
an, so bedeutet dies, daß Eastbourne in einem Jahre 143 sonnige Tage 
aufwies, London aber nur 9 7. 

Man hat auch öfters angeführt, daß in Hamburg in einem Jahre 
1236 Stunden die Sonne schien, während dies in Helgoland 1735 Stunden 
der Fall war. Diese beiden Zahlen sind aber nicht vollkommen vergleichbar, 
da Helgoland als Insel ein anderes Klima aufweist als Hamburg. Aber die 
Zählung der Sonnenscheinstunden scheint noch nicht einmal imstande zu 
sein, einen guten Index des tatsächlichen Lichtverlustes in großen Städten 
abzugeben. Die gewöhnliche Methode, mit der diese Zählung vorgenommen 
wird, vermag kaum die feineren Abschwächungen des Tageslichtes zu regi¬ 
strieren. Es ist aber auch an nichtsonnigen Tagen die über einer Stadt 
lagernde Nebel- oder Dunstschicht imstande, nicht unerhebliche Lichtmengen 
zu verschlucken. Man hat gefunden, daß eine Nebelschicht von der gering¬ 
fügigen Dicke von 80 mm imstande war, 

11,1 Proz. der Lichtstärke einer Steinkohlengasflamme, 

11,5 „ von Ölgaslicht, 

14.7 „ des Acetylenlichtes, 

20.8 „ „ Gasglühlichtes, und 

26,7 „ „ elektrischen Bogenliohtes 

zu absorbieren. Darin besteht eben der wesentliche Unterschied zwischen 
dem Wasserdampf und dem in feiner Form in der Luft verteilten flüssigen 
Wasser, daß letzteres unvergleichlich mehr Licht absorbiert. Rubner 
gibt an, daß 1885 die Luft Berlins viermal mehr Licht verschluckte als die 
der Umgebung. In Berlin gehen die Anregungen zur Bekämpfung des 
Rauches teilweise von der Sternwarte aus, da die Trübung der Atmosphäre 
es den Astronomen unmöglich macht, lichtschwache Sterne zu beobachten. 
Dazu kommt. noch die Absorption, die die Rußteilchen selbst durch ihre 


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303 


Über die Rauch- und Rußfrage usw. 

schwarze Farbe veranlassen. Auch der Umstand scheint von Wichtigkeit, 
daß von allen Strahlen des Spektrums am meisten die blauen, violetten und 
ultravioletten Strahlen zurückgehalten werden, denen gerade der bedeutendste 
hygienische Einfluß zugeschrieben werden muß. Die roten Strahlen scheinen 
den Nebel leichter zu passieren, und diese Tatsache wird daher zur Er¬ 
klärung der eigentümlichen Farbe der dichten Londoner Nebel herangezogen, 
die man wegen ihres gelbrötlichen Schimmers als Erbsensuppennebel 
bezeichnet hat. 

Aus den Erfahrungen, die man in vielen großen Staden hat sammeln 
können, geht unzweifelhaft hervor, daß die klimatischen Verhältnisse dort 
gegenüber dem freien Lande oft eine sehr bedeutende Veränderung und 
Verschlechterung erfahren haben. Wohl mit großem Recht kann man den 
Lichtmangel, der infolge der Trübung der Atmosphäre in jenen Städten 
herrscht, als einen der hygienisch wichtigsten Momente dabei bezeichnen. 
Wir müssen uns daher genauer mit der gesundheitlichen Bedeutung des 
Lichtes befassen, wenn wir nach dem Gesagten es auch noch als offene 
Frage betrachten müssen, wieweit der Ruß allein als Ursache für diesen 
Lichtmangel angesehen werden darf 1 , und in welchem Grade andere Faktoren, 
insbesondere der Staub, hierfür in Betracht kommen. 

Es ist kaum möglich, in wenigen Worten die Bedeutung zu schildern, 
die das Licht der Sonne für den Menschen besitzt. Es ist kein Zufall, daß 
nicht nur wilde Naturvölker, sondern auch die zivilisierten Nationen, sei es 
in ihrer Literatur und Kunst oder in ihren religiösen Vorstellungen, einen 
Sonnenkultus gehabt haben und noch besitzen. 

Die moderne Wissenschaft hat die Berechtigung dieser mythischen Vor¬ 
stellungen dargetan. Die Sonne ist die Quelle alles organischen Lebens auf 
der Erde, und jegliche Lebensenergie stammt, wenigstens mittelbar, von ihr. 
Uns soll hier natürlich nur die eine Frage interessieren, inwieweit ein Licht¬ 
mangel zu gesundheitlichen Übelständen für den Menschen führen kann. 
Man spricht bei der Elinwirkung des Sonnenlichtes auf unseren Körper von 
einem psychischen und einem somatischen Reiz. Für den ersteren pflegt 
man die landläufige Erfahrung geltend zu machen, daß das Sonnenlicht eine 
anregende, heiter stimmende Wirkung auf uns ausübt. Sichere Beobach¬ 
tungen existieren leider darüber nicht. Man muß wohl annehmen, daß das 
Auge, wenigstens zum Teil, diese Wirkung vermittelt, daß aber auch die 
Bestrahlung der Körperoberfläche dabei in Betracht kommt Der somatische 
Reiz des Lichtes beeinflußt verschiedene Organe und Organsysteme. Am 
intensivsten ist seine Wirkung auf das Organ, das unmittelbar von ihm 
getroffen wird, nämlich die Haut Die Bräunung der Haut, das solare 
Erythem mit seinen verschiedenen Formen, der Sonnenstich und die Resul¬ 
tate der Lichttherapie gehören hierher. Stets läßt sich das Licht als ein 
Reiz auffassen, der bei einer gewissen Intensität anregend, bei höherer zell¬ 
lähmend, ja tötend zu wirken imstande ist. Im ersteren Falle befördern die 
Lichtstrahlen die Proliferation der Hautzellen (z. B. der Haare) und die Bil¬ 
dung von Pigment; in letzterem Falle führen sie zur Entzündung und Degenera¬ 
tion. Das Absterben der Zelle vollzieht sich unter Bildung von Vakuolen. 

Von den inneren Organsystemen, die durch das Licht beeinflußt werden, 
ist vor allem die Atmung zu nennen. Das Licht erzeugt eine Vermehrung 


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304 


Dr. H. Liefmann, 


der 0-Aufnahme und der C0 2 - Ausscheidung. Es mag auch darauf hin¬ 
gewiesen werden, daß den verschiedenen Farben in dieser Hinsicht eine ver¬ 
schiedene Einwirkung zukommt. Der violette Teil des Spektrums ist wirk¬ 
samer als der rote. 

Die Gesetze, unter denen sich die Wirkungen des Lichtes vollziehen» 
sind im allgemeinen etwa folgende: 

1. Die Stärke des Reizes ist direkt proportional der Intensität der 
Strahlung und indirekt seiner Wellenlänge. 

2. Die Reaktion des Organismus erfolgt erst nach einer Latenzperiode, 
und ist von lange anhaltender Wirksamkeit. 

Von großem Interesse und von steigender Bedeutung ist der heilende 
Einfluß, den das Licht auf eine Reihe parasitärer und auch nicht parasitärer 
Krankheiten auszuüben vermag. Die Behandlung der Pocken nachFinsen, 
die Behandlung des Lupus mit Licht- und Röntgenstrahlen sind die schönsten 
Beispiele dieser Therapie. 

Während alle diese Tatsachen eine direkte Beeinflussung unseres Körpers 
durch das Licht beweisen, gibt es nun auch eine große Anzahl von Lichtwir¬ 
kungen, die eine mittelbare Bedeutung für unser Leben und unsere Gesundheit 
besitzen. 1 ) In der belebten wie in der unbelebten Natur machen sich solche 
Einflüsse des Lichtes geltend, und zwar in doppelter Weise. Sie sind ent¬ 
weder physikalischer Natur und gehen von den roten und ultraroten, 
langwelligen Strahlen des Sonnenspektrums aus, und sind Wärmewir¬ 
kungen — oder chemischer Natur und werden von den violetten und ultra¬ 
violetten Strahlen hervorgerufen. Die Wärmewirkung der Sonnenstrahlen 
hat für die Hygiene naturgemäß eine hervorragende Bedeutung. Die Er¬ 
wärmung der Luft, des Wassers und des Bodens und der gesamten, daunit 
zusammenhängenden Erscheinungen, die Luftbewegung und der Kreislauf 
des Wassers, also Wind und Niederschläge, sind unmittelbare Folgen der 
Wärmestrahlen des Sonnenspektrums. Mit Ausnahme von Ebbe und Flut 
und den wenig in Betracht kommenden meteorologischen Einflüssen des 
Erdinnern (und der Vulkane) ist wohl jeglicher Wechsel, jede Veränderung 
in der anorganischen Natur eine Wirkung dieser. Strahlen. In geringerem 
Grade gilt dies auch für die belebte Natur. Die gesamte Aufnahme der 
Kohlensäure durch die Pflanzen, die Assimilation, geschieht fast nur unter 
dem Einfluß der roten und gelben Strahlenarten. Der blaue und violette 
Teil des Spektrums hat in der anorganischen Welt keine gleich große Be¬ 
deutung, hingegen spielt er in der organischen eine hervorragende Rolle. 
Er erzeugt bei Pflanzen diejenigen Erscheinungen, die man als Heliotropismus 
bezeichnet, und ist vor allem für das Wachstum der Pflanzen unum¬ 
gänglich. 

Im Dunkeln oder in rotem und gelbem Lichte gezogene Pflanzen zeigen 
zumeist eigenartige Veränderungen, indem einzelne Organe eine abnorme 
Förderung erfahren, andere Zurückbleiben. Anders als auf die höher 
stehenden Arten der Pflanzen wirkt das violette und blaue Licht auf die 
niederen, vor allem die chlorophyllosen unter den Kryptogamen. Sie werden 

‘) In dieses Gebiet gehört auch die Behandlung der Lungentuberkulose im 
Freien, die Erfolge der Lichtbäder bei den verschiedensten Krankheiten, die der 
Leukämie mit Röntgenstrahlen, die der Kehlkopftuberkulose usw. 


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305 


Über die Rauch- und Rußfrage usw. 

in ihrem Wachstum gehemmt, ja häufig in kürzerer Zeit abgetötet. Die 
Wirkung vollzieht sich nicht nur an den vegetativen Formen, sondern selbst 
die sonst so widerstandsfähigen Dauerformen, die Sporen, werden davon 
betroffen. Es ist keine Frage, daß diese baktericide Fähigkeit des 
Lichtes in unserer Umgebung einen bedeutenden hygienischen Einfluß 
äußert (z. B. in der Luft und im Staube, weniger im Boden und im Wasser). 

Büchner hat die Hypothese aufgestellt, daß die sogenannte Selbst¬ 
reinigung der Flüsse, d. h. die rasche Abnahme einer künstlichen Ver¬ 
schmutzung, z. B. mit Abwässern, hauptsächlich der Wirkung der Sonnen¬ 
strahlen zuzuschreiben sei. Aber seine Vermutung erwies sich in dieser 
Form bereits als unrichtig, eine Selbstreinigung der Flüsse erfolgt auch des 
Nachts, dem Lichte kommt höchstens ein befördernder Einfluß dabei zu. 
Die Wirkungen des Lichtes auf den Organismus der Tiere sind noch ziem¬ 
lich unerforschte. Man beobachtete, daß Embryonen unter Lichteinfluß 
rascher wuchsen. Bei bestimmten Tierarten bestehen bekanntlich eigenartige 
Anpassungsfähigkeiten an den Wechsel des Lichtes (z. B. beim Chamäleon). 

Aus diesem Überblick läßt sieb eine hygienische Bedeutung des Lichtes 
leicht erkennen. Es folgt aber aus der übergroßen Anzahl der Lichtwirkungen 
auch, daß es äußerst schwer ist, zu bestimmen, wie groß der Schaden ist, 
den der Lichtmangel, sei es Schwächung des Lichtes oder zeitweise Ent¬ 
ziehung, für die Menschen besitzt. Oanz besonders schwer ist diese Schätzung, 
wenn es sich, wie in dem uns hier interessierenden Falle, nur um eine 
Lichtsohwächung an einem bestimmten Orte und zu bestimmten Zeiten 
handelt. Das, was man über den Einfluß einer Lichtentziehung auf den 
Menschen weiß, ist sehr wenig. Von großer Bedeutung scheint zu sein, ob 
der Licbtabschluß ein vollkommener oder ein partieller ist. 

Soldaten, die mit strengem, 24 tägigem Dunkelarrest bestraft werden 
(der auch eine reduzierte Ernährung mit sich bringt), zeigen noch relativ 
lange nachher die Spuren einer ungemein intensiven Einwirkung dieser Strafe. 
Auch bei Polarexpeditionen scheint ein großer Teil der psychischen und 
physischen Störungen auf den Einfluß der langen Polarnacht (vielleicht zu¬ 
sammen mit der eintönigen Kost) zurück geführt werden zu müssen. 

Kruse hat auf die Tatsache hingewiesen, daß die in Bergwerken be¬ 
schäftigten Pferde jahrelang dort unten zu arbeiten vermögen. Es ist aber 
zu bemerken, daß nur ausgesuchte Tiere dabei zur Verwendung kommen, 
daß die Ernährung eine möglichst vortreffliche ist, und daß trotzdem die 
Arbeitszeit dieser unterirdischen Tiere mit der der oberirdischen nicht ver¬ 
glichen werden kann. Daß die Bergleute, die doch gegen acht Stunden 
täglich in ziemlichem Dunkel und unter auch sonst oft nicht einwandfreien 
hygienischen Verhältnissen (große Hitze) arbeiten, keine besonders ungünstige 
Mortalität auf weisen, scheint aber dafür zu sprechen, daß der Organismus 
sich einer teilweisen Lichtentziehung anzupassen vermag. Daß die Berg¬ 
arbeiter sich fast durchweg durch eine blasse Hautfarbe auszeichnen, lehrt 
aber, daß eine Beeinflussung des Organismus wohl doch nicht ausbleibt. Kaum 
etwas ist bekannt über den schädlichen Einfluß des Lichtmangels auf Kinder 
und ihre Wachstumsverhältnisse, sowie auf Kranke und Geschwächte. Die inter¬ 
essanten Untersuchungen 0. Richters über den Einfluß schlechter Luft zu¬ 
sammen mit Lichtmangel bei Pflanzen haben wir bereits früher kennen gelernt. 

ViortelJ&hnichrift fttr GwundhelUpflege, 1908. «v) 


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306 


Dr. H. Liefmann, 


Fassen wir alle Erfahrungen über die Bedeutung des Lichtes für unser 
Leben und unsere Gesundheit zusammen und wenden wir sie anf das uns 
hier interessierende Problem an, so werden wir meines Erachtens zu dem 
Schlüsse geführt, daß eine Verdunkelung der Atmosphäre unserer Großstädte 
in dreifacher Weise gesundheitsschädlich wirkt: 

1. Ein anregender, unsere Gemütsstimmung beeinflussender Reis wird 
geschwächt und die Energie des Stoffwechsels, insbesondere, was die Atmung 
anbetrifft, verringert. 

2. Die Belichtung und Erwärmung des Bodens, des Wassers und der 
Luft wird im Bereiche der Stadt hintangehalten und auf diese Weise eine 
Reihe hygienisch wichtiger Prozesse beeinträchtigt oder unter¬ 
drückt 

8. Die chemische und baktericide Wirkung der Sonnenstrahlen wird 
verringert und so die Wucherung der Bakterien, auch die der patho¬ 
genen, befördert. 

Hieraus ergibt sich die Bedeutung der Ramsaysehen Hypothese für 
die Luftversohlechterung unserer Großstädte, wenn es auch nicht möglich 
ist, den Schaden genau, womöglich zahlenmäßig, zu bestimmen. Nur die 
eine Frage bleibt offen, ob in der Tat der Ruß dabei die ausschlaggebende 
Rolle spielt, die Ramsay vermutet, oder ob nicht auch andere Faktoren, 
vor allem der Staub, von großer Bedeutung sind. Mir möchte scheinen, als 
ob Rauch und Staub sich in ihrem gesundheitsschädlichen Einfluß unter¬ 
stützen und beide für die Nebel- und Wolkenbildung verantwortlich gemacht 
werden müssen. 

Für das ganze Problem des Schadens, den unsere Gesundheit durch 
Rauch und Ruß erfährt, ist aber jedenfalls auch der Einfluß der Rauchgase 
nicht zu vernachlässigen. Möglich, daß die Wirkung der Gase zu der durch 
Rauch und Staub bedingten Lichtabhaltung sich hinzugesellen muß, 
um unsere Gesundheit empfindlicher zu treffen, ähnlich wie sich der Elinfluß 
leichter Luftverunreinigungen an im Dunkeln gewachsenen Pflanzen ganz 
besonders deutlich zu dokumentieren vermag. 

Im Anschluß an dieses Kapitel muß auch einer Abart der Rauch plage 
Erwähnung getan werden, der Flugaschenkalamität, die in mancher 
Beziehung sich als eine andersartige Erscheinung erweist, in den meisten 
Punkten aber doch mit der Rauchplage übereinstimmt. Das Auftreten von 
Flugasche in dem Rauch der Schornsteine ist im wesentlichen von zwei 
Faktoren abhängig, nämlich erstens von der Verbrennung bestimmter 
Heizmaterialien, unter denen Braunkohle an erster Stelle, aber auch 
Koks, genannt sei, und dann von der Anwendung starken Zuges in den 
Feuerungen. Die Sonderstellung, die der Flugaschenfrage gegenüber der 
Rauch- und Rußplage zukommt, gründet sich darauf, daß die Flugasche relativ 
viel schwerer ist als der Ruß, daher nicht solange in der Luft schweben und 
nicht über so weite Entfernungen verteilt werden kann. Daher ist auch die 
Stärke des Zuges in einer Feuerung von großem Eiinfluß darauf, wieviel 
Flugasche sich den Abgasen beimengen kann. Neben der Schwere ist auch 
die sonstige Beschaffenheit der einzelnen Aschenpartikelchen gewiß nicht 
ohne Bedeutung. Während die Rußflocken im wesentlichen aus einer lockeren. 


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307 


Über die Rauch- und Rußfrage usw. 

pulverigen Masse bestehen, ist das Flugascheteilchen hart und scharfkantig. 
Man hat vielfach angenommen, daß infolge dieser Beschaffenheit der Flug¬ 
asche ihre Einatmung in besonderem Grade zur Entstehung von Katarrhen 
der Atmungswege Veranlassung geben müsse. Wenn dies auoh nicht ganz 
von der Hand zu weisen ist, so fehlt uns doch bisher der sichere Nachweis, 
daß wirklich in solchen Städten, in denen eine Flugaschenkalamität besteht, 
Katarrhe der Atmungswerkzeuge häufiger Vorkommen, als in denen mit einer 
Rußplage. Am unangenehmsten macht sich die scharfkantige Beschaffenheit 
der Flugasche, wie wohl jeder an sich selbst schon erfahren haben wird, 
dann bemerkbar, wenn ein Teilchen mit unserem Auge in Berührung 
kommt. Im allgemeinen kann man wohl sagen, daß die Flugasche kein ganz 
so großes Übel darstellt, als dies beim Ruß der Fall ist. Infolge ihrer Schwere 
vermag sie sich nicht solange in der Luft zu halten. Auch wird sie wohl 
nicht in solcher Menge die Schornsteine verlassen wie der Ruß. Auch 
hierbei spielt ihre Schwere die Hauptrolle; denn die Feuerungen mit 
schwachem Zug — also die große Masse der Hausfeuerungen — werden ver¬ 
hältnismäßig wenig Asche in die Luft überführen. So kommt es, daß selbst 
eine so große und engbevölkerte Stadt wie Berlin, in der vor allem Braun¬ 
kohlenbriketts gebrannt werden, eine verhältnismäßig reine Atmosphäre 
aufweist. 


n. Die Zukunft der Bauoh- und Bußplage. 

Es kann sich bei einem Versuche, die Zukunft der Rauch- und Rußplage 
zu besprechen, natürlich nioht darum handeln, mit möglichster Genauigkeit 
vorauszusagen, wie sich das Übel in 10 oder 20 Jahren gestalten wird, und 
welche Maßregeln man dann zu seiner Bekämpfung wohl ergreifen wird. Es 
soll vielmehr nur unsere Aufgabe sein, in möglichst weitem Umfange alles 
das aufzuzählen, was unter den Errungenschaften unserer Kultur, speziell 
welche technischen Fortschritte geeignet scheinen, der Rauch- und 
Rußplage entgegenzuwirken. Aber nicht nur eine Besprechung technischer 
Erfindungen wird hier nötig sein, sondern auch eine große Menge ver¬ 
schiedenartiger Fortschritte der sozialen Hygiene, wenn sie auch zum 
Teil nur mittelbar mit unserem Problem Zusammenhängen, verdient unsere 
Berücksichtigung. Denn wenn man heutzutage die Verschlechterung der 
Luft in den Städten zweckmäßig bekämpfen will, darf man nicht nur bestrebt- 
sein, der Entwickelung von Rauch und Ruß möglichst entgegenzutreten, son¬ 
dern muß auch all den Schaden, der durch den Rauch und Ruß entsteht 
und entstanden ist, zu mildern und auszugleichen suchen. Die Therapie der 
Rauch-Rußfrage kann — wenn ich mich so ausdrücken darf — noch keine 
rein ätiologische sein, sie muß auch symptomatisch durchgeführt werden. 

Wenn wir uns nun der Frage zuwenden, ob die Entwickelung unserer 
Technik einer Ab- oder Zunahme der Rauch- und Rußplage günstig zu sein 
scheint, müssen wir zu allererst eine Frage streifen, die — früher — eine 
vollständige Befreiung von dem Übel in nicht zu ferner Zeit in Aussicht 
stellte. Der Kohlenreichtum unserer Erde ist ein begrenzter. Bei der 
enormen Entwickelung der Industrie und des Handels, bei dem sich dadurch 
stetig steigernden Kohlen verbrauche, entstand vor nicht sehr langer Zeit auch 
in den Kreisen der Fachleute die Ansicht, daß der vorhandene Bestand an 

20 * 


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Dr. H. LiefmanD, 


Kohle in verhältnismäßig kurzer Zeit verbraucht sein werde. Die Indu¬ 
strie, überhaupt jede großer Energiemengen bedürfende menschliche Tätigkeit, 
würde dann gezwungen sein, die Arbeitskräfte auf andere Weise sich zu 
verschaffen, die Rauch- und Rußfrage wäre so von selbst an der Wurzel 
ausgerottet. Es hat sich aber längst gezeigt, daß diese pessimistischen An¬ 
sichten über den Reichtum der Erde an diesem für unsere Kultur so unendlich 
wichtigen Stoff doch nicht zu Recht bestanden. Die Entdeckung neuer Kohlen¬ 
felder und eine bessere Schätzung der Größe und Abbaufähigkeit der schon 
vorhandenen hat eine vollkommene Änderung der Ansichten zur Folge gehabt 
Nach dem Urteile der meisten Fachleute sind wir noch auf Jahr¬ 
hunderte hinaus mit Kohlen versorgt Der Gedanke, daß wir ge¬ 
zwungen werden könnten, in Kürze andere Arten der Energiegewinnung zu 
verwenden, hat damit jede Grundlage verloren. Aber es erhebt sich die 
Frage, ob wir nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen freiwillig einen anderen 
Weg einschlagen werden. Wenn wir hierauf eine Antwort geben wollen» 
müssen wir zunächst bedenken, daß die Kohle so ziemlich der einzige 
Brennstoff ist, den uns die Erde in großen Mengen zur Verfügung stellt 
William Siemens bezeichnet« einmal die Erde als „eine tote Aschen- 
kugel, die unaufhaltsam durch den Weltraum dahinrollt; denn alle Be¬ 
standteile unserer Erde, mit Ausnahme der edlen Metalle, der Kohle und 
des Naphtha, sind schon Produkte einer stattgehabten Verbrennung“. — 
Die Hoffnung, neue Brennstoffe auf unserer Erde zu finden, ist also wohl 
eine aussichtslose. Umsomehr ist aber in den letzten Dezennien die Hoff¬ 
nung gewachsen, andere Methoden der Energiegewinnung unseren 
Zwecken dienstbar machen zu können. In immer steigendem Maße macht 
sieb in der Technik das Bestreben geltend, nicht nur die in der Kohle seit 
Jahrtausenden aufgespeicherte Sonnenwärme, sondern auch die augenblicklich 
wirkenden Kräfte der Natur zu verwerten. In der Benutzung des Windes, 
der Ebbe und Flut hat man bislang nur wenig Fortschritte gemacht, in 
immer größerem Umfange aber stellt man die Wasserkräfte in den Dienst 
der Industrie. Natürlich ist das Verfahren, das fließende Wasser zur Kraft¬ 
gewinnung zu benutzen, uralt. Mühlen der verschiedensten Art hat ja schon 
das Altertum besessen. Aber derartige Anlagen waren naturgemäß nur zur 
Erzielung kleiner Kraftmengen befähigt. Die moderne Technik strebt vor 
allem die Nutzbarmachung der gewaltigen Energiemengen, wie sie die großen 
Wasserfälle, z. B. des Niagara oder des Rheines besitzen, an. Aber auch 
geringere Wassermengen lassen sich zu industriellen Zwecken verwenden, 
und ihren Wert kann man durch Talsperren und Stauweiher künstlich 
steigern. Die Anwendung des fließenden oder freifallenden Wassers — der 
weißen Kohle — wie man die Wasserfälle auch genannt hat, ist aber in 
großem Stile erst ermöglicht worden durch die Fortschritte derElektro- 
technik. Bei weitem die größte Menge der aus den Wasserkräften ge¬ 
wonnenen Energie wird zunächst in Elektrizität umgesetzt. 

Damit kommen wir zu einer für unser Problem sehr wichtigen Frage, 
nämlich der nach den Aussichten, die die Elektrotechnik unseren Zwecken 
eröffnet. 

Man wird auf den ersten Blick zweifellos geneigt sein, die in den elek¬ 
trischen Betrieben mögliche Ersparnis an Kohleverbrauoh und damit an 


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309 


Über die Rauch* und Rußfrage usw. 

Rauchbildung zu überschätzen. Freilich da, wo uns die Wasserkräfte in 
ansreichender Menge zur Verfügung stehen, ist natürlich jede Kohlenver¬ 
wendung von vornherein ausgeschlossen. Aber die bei weitem größte Menge 
von Energie, die wir in Elektrizität umsetzen, müssen wir heute noch durch 
Verbrennung von Kohle gewinnen. Ja die Elektrotechnik in ihren 
äußerst vielgestaltigen Formen ist geradezu eine der größten Abnehmerinnen 
der Koblenproduktion geworden, durch die Elektrizität sind der Kohle neue 
Absatzgebiete und Verwendungsmöglichkeiten eröffnet worden. Aber wenn 
nun auch die modernen elektrischen Maschinen ihre Energie zum größten 
Teil aus der Dampfmaschine beziehen, und so beim elektrischen Betriebe die 
Erzeugung von Bauch und Ruß nicht fehlt, so liegt in dieser Entwickelung 
doch ein gewisser Vorteil in hygienischer Beziehung. Er kommt zustande 
durch die Möglichkeit, elektrische Kraft über einige Entfernung hin zu 
leiten und Kraftzentralen zu errichten. Nehmen wir z. B. die Elektrizitäts¬ 
werke, wie sie die größeren Städte heutzutage fast alle besitzen. In ihnen 
wird nicht nur die zur Erzeugung von Licht nötige Elektrizität hergestellt, 
sondern auch für manche Gewerbe die zum Betriebe kleinerer Motoren nötige 
Kraft gewonnen. Dadurch vermeidet diese Zentrale eine große Menge 
kleiner Verbrennungsstellen, und wenn sie auch vielleicht selbst eine Menge 
Rauch bildet, ist das doch bei weitem nicht so viel, als alle die kleinen 
Betriebe liefern würden, wenn sie sich der Dampfkraft bedienen müßten. 
Ee kommt hinzu, daß es zumeist nicht schwer ist, derartige Zentralen in 
einer günstigen Lage zu errichten, d. h. außerhalb der Stadt und abgekehrt 
von der häufigsten Windrichtung. In hohem Grade aber ist es von unserem 
Standpunkte aus sicherlich zu bedauern, daß es der Technik noch nicht 
recht gelingt, größere Kraftmengen über weitere Entfernungen ohne stärkere 
Verluste zu übertragen. Speziell den Wasserkräften wäre damit ein weites 
Gebiet erschlossen, während heutzuge noch die Industrie gezwungen ist, in 
unmittelbarer Nähe dieser Kraftquellen ihren Sitz aufzuschlagen. 

Neben dem elektrischen Motor hat die moderne Technik aber noch eine 
Reihe anderer Kraftmaschinen erfunden, die unser Interesse in Anspruch 
nehmen müssen; in erster Linie die Gasmaschine! Auch sie setzt die Ver¬ 
wendung von Kohlen voraus, aber ohne daß damit eine Rauch- und Ru߬ 
bildung verknüpft wäre. Im wesentlichen besteht der Fortschritt, den sie 
darstellt, in der Möglichkeit, die bei der Verbrennung von Gasen sich ent¬ 
wickelnden Wärmemengen mit relativ sehr geringen Verlusten auszunutzen. 
Die Gasarten, die heutzutage noch zur Verwendung kommen, sind neben 
dem Koksofengas, dem Leucht- und dem Generatorgas, das Wassergas 
(Dellwick), das Kraftgas (Dowson-, Misch- oder Halbwassergas) und das 
Sauggas. 

Zu ihrer Herstellung dienen Generatoren, in denen bei hoher Hitze Kohle 
vergast oder Wasserdampf über glühende Kohlen geleitet wird, und so nach 
der Formel C -f- H 9 0 = CO -f- H 2 ein Gasgemisch entsteht, das als wesent¬ 
liche Bestandteile Kohlenoxyd und Wasserstoff enthält. 

Als Generatoren größten Stiles sind die Hochöfen anzusehen, 
da die ihnen entströmenden gewaltigen Mengen von Gasen, die sogenannten 
Schichtgase, erhebliche Mengen von CO enthalten. In immer steigendem 
Maße sucht man jetzt die hier vorhandene Kraftquelle auszunutzen und 


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Dr. H. LiefmanD, 


Gaskraftmaschinen größten Umfanges damit zu betreiben. So wird Licht 
und Kraft für viele Werkzeugmaschinen auf den großen Hüttenwerken 
gewonnen nnd viele Dampfmaschinen mit ihren rauchenden Feuerungen 
werden erspart. Die Gaskraftmaschinen aber eignen sich infolge ihrer öko¬ 
nomischen Verbrennung, ihrer leichten Bedienung nnd einer Reihe spezieller 
Vorteile auch für manche kleine Gewerbebetriebe, die im Inneren der Städte 
gelegen sind, so daß durch sie die Reinhaltung der Städteluft sehr befördert 
wird oder doch befördert werden könnte. Leider beschränkt der Preis des 
Gases, der den der Kohlen etwa um das 6- bis 10fache übersteigt, die An¬ 
wendung der Gasmaschinen auf ganz bestimmte Gebiete. 

Neben den Maschinen, die durch Verbrennung von Gasen Energie ge¬ 
winnen, verdienen auch die Erwähnung, die sich flüssiger Brennstoffe 
bedienen. Benzin- und Petroleummotoren finden bereits vielfache Anwendung, 
wenn auch ihre Benutzung wegen des Preises des benutzten Brennstoffes 
nur zu ganz besonderen Zwecken, z. B. zum Automobilbetrieb, dienen kann. 

Auch in diesen Maschinen liegt natürlich oft ein Vorteil für die Ver¬ 
minderung des Rauches und Rußes. 

Aber nicht alle Erfindungen der neueren Zeit scheinen im gleichen 
Sinne wirken zu wollen. Neben den Bestrebungen, an Stelle der Dampf¬ 
maschine andere, ökonomisch besser arbeitende Kraftmaschinen zu setzen, 
fehlt es auch nicht an Versuchen, die Dampfmaschine zu verbessern und ihr 
in veränderter Form die unumschränkte Herrschaft wieder zu sichern. Diese 
Bestrebungen sind unseren gesundheitlichen Zwecken insoweit von Nutzen, 
als sie darauf gerichtet sind, die Feuerung der Dampfmaschinen zu ver¬ 
bessern und eine rauchfreie oder rauchschwache Verbrennung zu erzielen. 
Diese Versuche sind aber noch lange nicht als voll und ganz gelungen zu 
betrachten. Man kann im Gegenteil ohne Übertreibung sagen, daß noch 
die Mehrzahl der Kesselfeuerungen zu einer mehr oder minder lebhaften 
Rauchbildung Anlaß gibt. Daher ist alles das, was die Anwendung der 
Dampfmaschine fördert, heutzutage noch für die Rauch- und Rußbeseitigong 
ungünstig. Es sind aber im Bau der Dampfmaschine recht erhebliche Fort¬ 
schritte gemacht worden. Es ist bekannt, daß die Wärmeökonomie beim 
Dampfbetriebe eine ganz überraschend schlechte war, daß 5, allerhöchstens 
15 Proz. des Heizmaterials nur ausgenutzt werden konnten. Durch eine 
Menge praktischer Verbesserungen hat man diesen Nutzeffekt zu steigern 
versucht. Am wertvollsten ist dabei wohl die Verwendung von überhitztem 
Dampf gewesen. Gleichfalls wichtig scheint — für die Zukunft — die 
Schaffung einer ganz neuen Art von Dampfmaschine werden zu wollen, 
nämlich die der Dampfturbine. Besonders sie scheint befähigt, infolge 
einer Reihe technischer Vorzüge, der Dampfkraft gegenüber der durch Ga« 
erzeugten Energie auf den wichtigsten Gebieten die alte Machtstellung von 
neuem zu befestigen. Diese Verbesserungen der Dampfmaschine bedeuten 
also für die Rauch- und Rußfrage einen Nachteil, solange es nicht gelingt, 
in den Dampfkesselfeuerungen die Bildung von Rauch ganz oder doch 
annähernd ganz zu vermeiden. Und damit kommen wir zn dem Problem, 
das für die Bekämpfung der Rauchplage die größte Bedeutung hat, nämlich 
zur Frage, ob Aussicht besteht, bald allgemein eine rauchfreie Ver¬ 
brennung der Kohle zu erzielen. 


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Über die Rauch- und Rußfrage ubw. 

Eine große Menge geistiger Kraft und praktischer Arbeit sind schon 
nur Lösung dieser Aufgabe verwandt worden, ob wird aber kaum eine Unter¬ 
schätzung des bisher sohon Geleisteten sein, wenn man behauptet, daß man 
von der völligen Erreichung des Zieles doch noch erheblich entfernt ist. 

Bevor wir darauf näher eingehen, wollen wir uns kurz mit dem Wesen 
des Verbrennungsvorganges bekannt machen. Man ist, wenigstens in den 
Kreisen der nicht technisch Vorgebildeten, im allgemeinen der Ansicht, daß 
die Verbrennung irgend eines Brennmaterials — sagen wir der Kohle — 
nichts als eine Folge verschiedener Oxydationsvorgänge sei. In Wirklichkeit 
stellt die Verbrennung aber einen aus sehr verschiedenen ohemischen und 
physikalischen Vorgängen zusammengesetzten Prozeß dar, bei dem die Oxy¬ 
dationsvorgänge allerdings die erste Rolle spielen, aber auch einfache Zer- 
setzungs-, ja sogar auch Reduktionsvorgänge auftreten. Bei jeder Verbren¬ 
nung ist Sauerstoff nötig, der zumeist von außen, durch Zufuhr atmosphärischer 
Luft, herbeigeschafft wird. 

Die einfachsten chemischen Vorgänge, die bei der Verbrennung auftreten, 
sind etwa folgende: 

1. C -f- Oj = COj, 

2. C -f 0 = CO, 

3. CO a -f C = 2 CO. 

Dieser letzte Vorgang beginnt bei etwa 550°, und ist vollkommen erst 
bei 1000°. Es ist ein Reduktionsprozeß, der in den Generatoren besonders 
angestrebt wird. 

4. CO -f 0 = C0 a . 

Ist, wie das natürlich regelmäßig der Fall ist, Wasser vorhanden, so 
treten folgende Vorgänge hinzu: 

ß. C+ &,0= H a CO 

und 

6. C-MHjO = 2H a -f C0 a . 

Besonderes Interesse haben für uns die Kohlenwasserstoffe, denn sie 
sind sowohl als in Dampfform befindliche, teerbildende Stoffe, wie auch als 
Methan CH 4 , als Äthylen C a H 4 und als Äthan C s H e im Rauch vorhanden. 

Sie verbrennen, wenn genügend Sauerstoff zur Verfügung steht, etwa 
nach der Formel: 

CH 4 + 0 4 = C0 4 -}-2H a 0. 

Wenn aber O-Mangel besteht, tritt eine Bildung freien Kohlenstoffs 
ein, und dieser Kohlenstoff ist es, den wir Ruß nennen. Der Vor¬ 
gang ist etwa folgender: 

C -f- 0 a — 2 H a 0 -f- C, 

C a H 4 -j- O a = 2 H a O -f- C a , 

CjHj -f - Oj = 3 H a 0 -f- C a . 

Rußbildung kann aber wohl auch bei einfacher Dissoziation eintreten, 
z. B. nach der Formel 

C a H 4 = C a 2 H a . 

Dies wird insbesondere bei sehr hohen Temperaturen und rasch ein¬ 
tretender Abkühlung der Fall sein können. 


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Dr. H. Lief mann, 


Von großer Bedeutung fQr das Verständnis der Verbrennungsprozesse 
in unseren Feuerungen ist nun die Kenntnis der Luftmengen, die znr Oxy¬ 
dation des Brennmaterials nötig sind. Die theoretisch berechnete Mindest¬ 
menge beträgt für 1 kg Kohle nicht weniger als 9,5 bis 10,5 kg Luft. Tat¬ 
sächlich wird aber im praktischen Betriebe eine bei weitem größere, etwa 
die doppelte Luftmenge erfordert, da es nicht möglich ist, eine so feine 
Durchmischung der Luft und der Heizgase zu erzielen, daß aller zugeführter 
0 völlig ausgenutzt wird. Man berechnet das notwendige Quantum Luft 
pro Kilogramm Kohle auf 20 kg Luft. Da nun 1kg Luft bei 100° einen 
Raum von etwa 1 cbm (genau 1,059 cbm) einnimmt, bedingt die Verbren¬ 
nung der genannten Kohlenmenge eine Zufuhr von etwa 20 cbm Luft 
(genauer 21,18 cbm). 

Nun ist bekanntlich der Sauerstoff in der Luft nicht der Hauptbestand¬ 
teil, sondern nur zu etwa 21 Proz. enthalten. Mit diesem für die Verbren¬ 
nung unentbehrlichen Stoff muß also unseren Feuerungen eine große 
Menge anderer gänzlich wertloser Gase zugeführt werden, in 
erster Linie Stickstoff, die, da sie auch mit erhitzt werden, nicht unbedeu¬ 
tende Wärmemengen absorbieren. Wenn man nur eine Temperatur 
der abziehenden Gase von etwa 25° annimmt — das wäre eine äußerst 
geringe Temperatur — würde doch allein infolge des durch die Heizung 
mitgeführten Stickstoffs der Luft ein Wärmeverlust von etwa 24 Proz. ent¬ 
stehen. Und dieser Schaden wächst im hohen Grade, wenn die Gase bei 
höherer Temperatur abziehen, oder, wenn man, und das ist besonders 
wichtig, zur Beförderung der Verbrennung einen Überschuß von Luft zu¬ 
führt. Die Verluste steigern sich dann leicht bis zu 45 und 60 Proz. 

Zu diesem Schaden tritt nun in den Feuerungen durch den Abzug 
unverbrannten Kohlenstoffs in der Form von Ruß neuer hinzu. Dieser 
erreicht aber bei weitem nicht den hohen Grad wie der aus den 
oben genannten Gründen. Der Verlust, der durch Ruß und unver¬ 
brannte Gase entsteht, beträgt unter gewöhnlichen Verhältnissen nur etwa 
3 bis 4 Proz. 

Dies ist für das Verständnis der Rauch- und Rußplage eine un- 
gemein wichtige Tatsache. Wohl ist in der Bildung von Rauch ein 
ökonomischer Nachteil zu erblicken, aber er spielt keine besonders aus¬ 
schlaggebende Rolle für den Nutzeffekt der Heizung. Nun ist es 
tatsächlich nicht einmal so schwer, wie man es vielleicht denken möchte, 
eine rauchfreie Verbrennung zu erzielen. Es gelingt dies relativ leicht und 
vollständig, wenn man mit großem Luftüberschuß arbeitet. Dadurch wird 
der Verlust durch Rauch und Ruß allerdings beseitigt, wie wir aber oben 
sahen, sind dann die Nachteile, die durch den mitgefübrten Stickstoff ent¬ 
stehen, bei weitem überwiegend. Eine derartige rauchfreie Verbrennung 
wird eine äußerst unökonomische und teuere, und deshalb praktisch 
undurchführbare. Die Aufgabe der Technik muß darin bestehen, eine 
rauchfreie oder rauchschwache Feuerung gleichzeitig zu einer ökonomi¬ 
schen zu gestalten. Darin bestehen die Schwierigkeiten, deren Über¬ 
windung bislang noch nicht völlig gelungen ist. An Versuchen in dieser 
Richtung hat es freilich nicht gefehlt. Man kann die Systeme, die erfunden 
wurden, die Patente, die existieren, nach Hunderten berechnen. An jedem 


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Über die Rauch- uqd Rußfrage usw. 

Teile der Feuerungen hat man Verbesserungen anzubringen versucht, um 
eine möglichst rauchfreie und ökonomische Verbrennung zu erzielen. 

Man hat auf die Bedienung des Feuers großen Wert gelegt, und 
auch die Auswahl des besten Brennstoffs berücksichtigt. 

Schon W. Siemens hat darauf hingewiesen, daß dem Heizraume im 
Verhältnis zu der zu verbrennenden Kohlenmenge eine bestimmte Größe 
sukommen müsse, damit die Flamme sich frei entfalten könne. Die Wand 
des Heizraumes, z.B. der zu heizende Kessel, dürfe nicht zu nahe an das 
Brennmaterial heranreichen, damit die Heizgase sich nicht zu früh an der 
kälteren Kesselwand abkühlen, und dann Ruß aussoheiden könnten. Durch 
Anlage besonderer Feuergewölbe hat man die hohe Temperatur der Heiz¬ 
gase zu sichern versucht. Sohon früh hat man auch auf den Rost großen 
Wert gelegt. Alle möglichen Rostarten sind erfunden worden. Von den 
Planrosten ist man zu schrägen und senkrechten, sowie zu Treppenrostea 
übergegangen. Auoh Schüttelroste, die eine möglichst gleichmäßige Ver¬ 
teilung des Brennmaterials garantieren sollen, sind angegeben worden. Ich 
möchte unter diesen Systemen nur die Ten Brinck- und die Cario-, sowie 
die Domeleyfeuerung erwähnen, die alle drei vielfach Anwendung gefunden 
haben J ). 

Aber nioht jede Heizung ist für jeden Zweck gleichmäßig geeignet, 
und auch der zur Verfügung stehende Brennstoff läßt sich nioht in jeder 
Feuerung gleich gut verbrennen. Backende und stark schlackende Kohlen 
eignen sich z. B. oft nicht für Schrägroste. Auch eine sehr griesige, d. h. bei 
der Verbrennung rasch zerfallende Kohle ist dort nicht am Platze. 

- In neuester Zeit hat man gute Resultate mit dem Prinzip der Unter¬ 
feuerung erzielt. Man ging von der Beobachtung aus, daß in den alten 
Feuerungen das Aufschütten neuer Kohlen meist eine mächtige Rauchent¬ 
wickelung zur Folge hatte, un4 suchte darum die Kohlenzufuhr von unten 
zu besorgen. So arbeitet z.B. die von Wegener angegebene Feuerung, in 
der ein hydraulisch bewegter Stempel die Kohle von unten auf einen schwach 
geneigten konischen Rost emporbefördert. Überhaupt hat die Art, wie die 
Kohlen auf den Rost verteilt werden, großen Einfluß auf den Gang der Ver¬ 
brennung. Es ist eine dem Feuerungsteohniker ganz geläufige Tatsache, 
daß ein geschickter Heizer bei sorgfältiger Bedienung des Feuers eine bei 
weitem rauchschwächere und ökonomischere Verbrennung erzielt als ein 
ungeübter. Auch die Kohlen verhalten sich bezüglich der Bildung von 
Ruß ganz verschieden. 

Bituminöse, d. h. Harze und andere Kohlenwasserstoffe enthaltende 
Kohlen bilden leicht Rauch, während der kohlenwasserstoffarme, schwer 
brennbare Anthrazit wenig, und der Koks so gut wie keinen Rauch pro¬ 
duziert. 

Run ist die Anwendung eines bestimmten Brennstoffs zumeist durchaus 
nicht in das Belieben der Feuerungstechniker gestellt Im allgemeinen ist 
an einem bestimmten Orte ein gewisser Brennstoff der billigste, und muß 
daher, wenn irgend möglich, verwendet werden. Die allgemeine Benutzung 


*) Die Ten Brinckfeuerung hat einen Schrägrost, die Domeleysche einen 
fast senkrechten, die Cariosche einen kegelförmigen. 


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Dr. H. Liefmann, 


von Koks, auf die man eine Zeitlang große Hoffnungen setzte, scheiterte 
schon vor allem daran, daß dieser Stoff zu teuer ist. Auch von einer künst¬ 
lichen Verarbeitung der Kohle, um sie den Zwecken einer rauchfreien und 
ökonomischen Verbrennung dienlicher zu machen, hat man sich eine Zeit¬ 
lang viel versprochen. Insbesondere hat man die Kohlen zermahlen und 
sie dann in den sog. Kohlenstaubfeuerungen verbrannt. Zweifellos ist 
der Kohlenstaub leichter zu verbrennen als ein grobkörniges Brennmaterial, 
aber vielleicht vor allem wegen der großen Selbstentzündungs- und Explosions¬ 
gefahr des Kohlenstaubes hat man diese Feuerungen bald wieder verlassen. 

Über die Heizung mit Gasen, die aus den Kohlen gewonnen werden 
können, haben wir sohon gelegentlich der Gasmaschine gesprochen. 

Neben der Art des Brennstoffs verdient auch die der Zufuhr des 
Sauerstoffs ein besonderes Interesse. Wir sahen, daß bei geringer Luft¬ 
zufuhr leicht starke Rauchbildung erfolgt, bei zu starker der Nutzeffekt der 
Heizung rasch sinkt. Das Innehalten eines Mittelweges ist daher eine 
der wichtigsten Aufgaben des Heizungstechnikers oder des Heizers. Man 
hat besondere Zugregulatoren angegeben, die aber keine sehr weit¬ 
gehende Verwendung gefunden haben. 

Hingegen ist in der Vorwärmung der Verbrennungsluft, sowie 
auch in der Einleitung heißer Dampf strahlen oft ein wesentlicher Nutzen 
zu erblicken. Auch daß die Heizgase und die zugeführte Luft sioh erst 
im richtigen Momente mischen, ist von Belang. Auf alle die einzelnen Er¬ 
findungen und Systeme kann natürlich nicht näher eingegangen werden, 
ich glaube aber, daß man aus dem Mitgeteilten schon ersehen wird, wie 
kompliziert das Problem der Rauchvermeidung ist, und welche Schwierig¬ 
keiten es bietet, den ökonomischen Vorteil mit dem hygienischen 
zu verbinden. 

Ganz kurz müssen wir noch auf die. Methoden eingehen, mit denen 
man den bereits gebildeten Rauch abzufangen und unschädlich zu 
machen gesucht hat. 

Bis zu einem gewissen Grade dient diesem Zwecke bereits ein jeder 
Kamin. Es sind ja gewaltige Rußmengen, die bei der Reinigung eines 
großen Fabrikschornsteines zutage kommen. Man hat aber auch versucht, 
den Rauch vor seinem Entweichen zu waschen, und so die schädlichen 
Stoffe abzufangen. Doch haben diese Bestrebungen wenig Erfolg gehabt. 
Nur in gewissen chemischen Industrien, wo mit den Abgasen oft große 
Mengen wichtiger chemischer Stoffe entweichen, hat man mit dem Waschen 
des Rauches oft nicht nur einen gesundheitlichen Vorteil, sondern gleich¬ 
zeitig auch einen materiellen erzielt. 

Wir haben bisher nur von den industriellen oder kleingewerblichen 
Feuerungen gesprochen, wie wir aber zu Anfang gesehen hatten, kommt 
nicht nur diesen, sondern auch den Hausfeuerungen oft ein wesentlicher 
Anteil an derRauoh- und Rußfrage zu. Beide Arten von Feuerungen unter¬ 
scheiden sich freilich wesentlich nicht nur in ihren Zwecken, sondern auch 
in ihrer Anlage und ihrem Betriebe. Man kann aber auch von der Heizung 
der Zimmer und von den Herdfeuerungen das Gleiche behaupten wie von 
den industriellen, sie entwickeln oft relativ sehr viel Rauch und sie sind 
äußerst unökonomisch. 


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Über die Rauch* und Rußfrage uaw. 

Woran liegt das? 

Die Gründe sind zweifellos sehr verschiedenartiger Natur. Eine un¬ 
zweckmäßige Bauart der Öfen, die Benutzung schlechter oder nicht geeig¬ 
neter Brennstoffe, vor allem aber auch wohl eine schlechte Bedienung durch 
•ein unverständiges Personal sind daran schuld. Auch die neueren Ofenkon- 
atruktionen leisten durchaus nicht immer Gutes in bezug auf Rauchver¬ 
meidung und Wärmeökonomie. 

WieHenrichsen in einer Studie ausgeführt hat, ist wie bei industriellen 
Feuerungen schwacher Zug Bedingung einer rentablen Heizung. Bei sehr 
günstigen Verhältnissen soll man mit einem Füllofen bei Koks- oder 
Anthrasitheizung bis zu 30 Pros. Nutzeffekt erzielen können. Das gilt 
über nur für die zwei genannten Brennmaterialien, für die Steinkohlen, ja 
■auch für die Holzfeuerungen ist das Problem einer guten Ofenheizung noch 
gänzlich ungelöst Außerdem wird durch eine unrationelle Bedienung 
des Feuers das Übel noch bedeutend verschlimmert, und erklärlicherweise 
kann man bei den Hausfeuerungen noch viel weniger wie bei den indu- 
«triellen Heizungen eine verständige Beschickung des Feuers fordern und 
erwarten. Wenn wir also in dieser Beziehung für die nächste Zukunft 
wenig Hoffnung haben dürfen, sondern annehmen müssen, daß die Haus¬ 
kamine wie bisher weiter rauchen werden, so erhebt sich doch die Frage, 
ob wir nicht in anderer Weise bei der Beheizung unserer Häuser in gesund¬ 
heitlicher Beziehung Fortschritte maohen können. Und es fehlt nicht an 
Anzeichen dazu. 

Zunächst ist in den Zentralheizungen, die zumeist wohl mit Koks 
Beschickt werden, ein Vorteil für die Rauchfrage zu erblicken. Dasselbe 
gilt für die Gasheizungen, die nicht nur zur Erwärmung der Wohnräume, 
sondern auch zur Bereitung der Speisen bereits vielfache Verwendung finden. 
Leider steht der hohe Preis des Gases an den meisten Orten einer viel¬ 
seitigeren Anwendung dieses Heizstoffs hindernd im Wege. Noch wenig ein¬ 
gebürgert ist ein Verfahren, das man in Amerika oft verwendet hat, nämlich 
ganze Stadtteile, oder wenigstens große Häuserblocks von einer Zentrale aus 
za beheizen. Meines Wissens besteht nur in Dresden ein derartiges Fern¬ 
heizwerk. Die dadurch erzielte Konzentration des Verbrennungsprozesses 
ist zweifellos der Beseitigung einer diffusen Rauchplage günstig. 

Wir müssen schließlich noch einige Heizungsarten besprechen, denen 
-eine besondere Stellung in mehrfacher Hinsicht zukommt, nämlich die nicht 
-stationären Feuerungen der Lokomotiven und Schiffskessel. Eigenartige 
Verhältnisse liegen bei diesen Heizungen insofern vor, als hier die Verhält¬ 
nisse des Zuges die größten Schwankungen auf weisen. Und zwar wird 
während des Stillstandes oder Leerlaufes der Lokomotive, also gerade im 
Bahnhofe, die Luftzuführung eine geringe sein, und so eine erhebliche Rauch¬ 
bildung erfolgen. Durch Anwendung von Hilfsgebläsen und andere Ma߬ 
nahmen bat man diese Mißstände beseitigt oder doch verringert. Auf 
einigen Strecken hat man auch mit der Einführung der Koksheizung eine 
Rauchbildung von vornherein vermieden. Man kann heutzutage die Bahn¬ 
höfe kaum als Stätten besonders starker Rauchentwickelung bezeichnen. 
Nicht das Gleiche gilt aber für die Schiffskesselfeuerungen. Gewaltig 
sind bekanntlich die Kohlenmengen, die in den Heizungen der großen 


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Dr. H. Liefmann, 


Dampfschiffe verbraucht werden, und ebenso erheblich sind auch die Rauch¬ 
mengen, die ihren Schloten entströmen. In den Häfen wetteifern mit den 
großen Dampfern zahllose kleine, bis herunter zu den Fährbooten, in der 
Produktion von Rauoh und Ruß. Hier kann man deutlich erkennen, wie 
die ganze Rauchmasse schließlich zusammenfließt, und die Luft diffus von den 
Produkten unvollkommener Verbrennung erfüllt wird. Zu dem Rauch der 
Schiffe gesellt sich der der großen Fabriken und Werften am Ufer, und das 
ganze Bild ist — vom ästhetischen Standpunkte vielleicht nicht reizlos — 
in hygienischer Beziehung aber typisch für das, was man als ausgesprochene 
Rauchplage bezeichnen muß. Eine Beseitigung dieser Verhältnisse ist um 
so schwerer, als hier die größten materiellen Interessen auf dem Spiele 
stehen. Man kann an einzelnen Orten, bei einzelnen Fahrzeugen vielleicht 
eine Heizung mit Koks fordern, und vor allem beim Anheizen, das meist 
mit besonderer Rauchentwickelung verbunden ist, eine Verwendung dieses 
Brennstoffs verlangen. Im übrigen wird man sich beschränken müssen», 
eine regelrechte Bedienung durch eine sorgfältige Kontrolle zu fördern. 

Auch unter den gewerblichen Feuerungen treten einige durch die Bil¬ 
dung erhebücher Rauchmengen besonders hervor. Es sind dies vor allem 
die Bäckereien. Zum Teil mag dies.darin begründet sein, daß ein Back¬ 
ofen eine ganz besondere Art der Wärmeausnutzung darstellt. Bekanntlich 
wird der Backofen geheizt und dann nach Herausnahme des Brennmaterials 
durch die Hitze der Wände erst das hinein gebrachte Brot gebacken. Zum 
wesentlichsten Teile liegt aber <^ie Rauchentwickelung der Bäckereien an 
den ganz veralteten Systemen ihrer Öfen. Man bat in neuerer Zeit 
eine Reihe von Verbesserungen erfunden, die einen rauchschwachen, ja rauch¬ 
freien Betrieb der Bäckereien ermöglichen, indem man die Verwendung von 
Koks- oder Gasfeuerung in freilioh besonders konstruierten Backöfen ein¬ 
führte. Man darf wohl annehmen, daß diese Systeme mit der Zeit eich 
immer mehr Eingang verschaffen werden, und muß dies um bo mehr wün¬ 
schen, da die neuen Öfen auch in bezug auf Reinlichkeit beim Backen 
einen Fortschritt darstellen. Eine Vermeidung übermäßiger Rauohent- 
wickelung in Bäckereien wird man um so energischer fordern müssen, weil 
die Bäckereien, mitten in der Stadt gelegen, oft Belästigungen in einer 
großen Anzahl von Wohnungen verursachen. 

Auch bei den stationären Feuerungen hat man mit der Zeit mehr und 
mehr Wert gelegt auf eine ordentliche Beschickung des Feuers. Man hat 
auf diesem Wege zwei Ziele zu erreichen gesucht, nämlich einen ökonomi¬ 
schen Betrieb und gleichzeitig eine rauchschwache Feuerung. Insbesondere 
von dem Hamburger Verein für Feuerungsbetrieb und Rauch¬ 
bekämpfung, einer privaten Vereinigung großer Hamburger industrieller 
Werke, an dessen Spitze früher der um die Feuerungstechnik sehr verdiente 
Oberingenieur Haier lange Zeit stand, ist die Ausbildung und Über¬ 
wachung der Heizer in erster Linie als zweckmäßig empfohlen worden. 
In welcher Weise diese Ausbildung der Heizer am besten erfolgt, darüber 
sind die Ansichten sehr geteilt. Im allgemeinen hat man der Abhaltung 
von Kursen, der Einführung von Heizerschulen, mit einer vorwiegend 
praktischen Ausbildung der Leute das Wort geredet. Auch von Staats¬ 
wegen sind (in Preußen) derartige Kurse errichtet worden. Manche Fach- 


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317 


Über die Rauch- und Rußfrage usw. 

leute erwarten von einer Unterweisung des Heizers vor der ihm anvertrauten 
Feuerung durch sog. Lehrheizer günstigere Resultate als von den Kursen 
oder Schulen. 

Ebenso, wie eine zweckmäßige Bedienung des Feuers im Sinne einer 
Rauch Vermeidung gelegen ist, wird auch eine vernünftige Reinigung der 
Kamine diesem Zwecke dienen. Ein jeder hat wohl schon an seiner eigenen 
Person die Erfahrung gemacht, welche Rußmengen bei unzweckmäßigem 
Kehren der Kamine in die Luft übergeführt werden. Prof. Hempel in 
Dresden hat bestimmte Grundsätze aufgestellt, um die Reinigungsweise der 
Kamine auf vernünftige Grundlagen zu stellen. Große Schornsteine brauchen 
nach ihm gar nicht gereinigt zu werden, Hausschornsteine nur so oft, daß 
•die Feuersicherheit und Zugwirkung nicht Not leidet. Stark benutzte 
Kamine müssen mit mechanischen Reinigungsapparaten versehen sein. 

Wir haben bisher die Entwickelung der Raucbfrage besprochen, wie sie 
auf Grund der technischen Entdeckungen sich zunächst wohl gestalten mag. 
Ein wirksames Mittel, auf ihren Gang einzuwirken, dürfen wir nicht ver¬ 
nachlässigen, nämlich die gesetzliche Regelung und Beschränkung. 

Auf die rechtliche Seite der Frage soll hier nicht näher eingegangen 
werden, nur so viel sei gesagt, daß bei den großen materiellen, auch für den 
Staatshaushalt in Betracht kommenden Interessen nur das allerschonendste 
und unbedingt notwendige Eingreifen berechtigt sein kann. 

Bislang bieten sich in Deutschland vier Arten von gesetzlichen 
Handhaben dar, einer übermäßigen Rauchentwickelung entgegenzutreten. 

1. Gesetze über die Genehmigung von gewerblichen und Dampfkessel¬ 
anlagen. § 16 und 24, 25, 51, 141 der Gewerbeordnung. 

2. Privatrecbtliche Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches. 

3. Landesrechtliche Bestimmungen des Polizeiverordnungsrechtes, und 

4. Ortsstatutarische Bestimmungen. 

Die Gewerbeordnung, die bekanntlich den Zweck verfolgt, „das ge¬ 
werbliche Leben derart zu ordnen, daß die gewerbliche Wertei-zeugung statt- 
ündet, ohne daß dadurch berechtigte Interessen verletzt werden“, verfügt in 
■den §§16 und 24, 25, 51, 141 über Bestimmungen, die die Luftverderbnis 
•durch gewerbliche Anlagen tangieren. Der erste Teil des § 16 lautet: 

„Zur Errichtung von Anlagen, welche durch die örtliche Lage oder die Be¬ 
schaffenheit der Betriebsstätte, für die Besitzer oder Bewohner der benachbarten 
Grundstücke oder für das Publikum überhaupt erhebliche Nachteile, Gefahren 
oder Belästigungen herbeiführen können, ist die Genehmigung der nach den 
Landesgesetzen zuständigen Behörde erforderlich.“ (Es folgt eine Aufzählung der 
hierher gehörigen industriellen Anlagen.) 

Diese Bestimmung ist zweifellos imstande, bei der Neuanlage gewerb¬ 
licher Betriebe die Interessen der Nachbarschaft in hohem Grade zu wahren, 
-da vor der Genehmigung einer Anlage eine sorgfältige Prüfung ihrer Be¬ 
schaffenheit erfolgt. Nun ist es aber wohl denkbar, daß erst nach erteilter 
-Genehmigung bei dem Betriebe einer Anlage sich Übelstände herausstellen, 
■die man nicht voraussehen konnte. In solchen Fällen ist ein Eingreifen 
der Behörden auf Grund der Gewerbeordnung nur nach § 51a zulässig, 
wenn überwiegende Nachteile und Gefahren für das Gemeinwohl bestehen. 
Unter solchen Umständen kann die Benutzung einer jeden gewerblichen 


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Dr. H. Liefmann, 


Anlage durch di© höhere Verwaltungsbehörde zu jeder Zeit untersagt werden. 
Doch muß dem Besitzer alsdann für den erweislichen Schaden Ersatz ge¬ 
leistet werden. 

Der § 24 der Gewerbeordnung beschäftigt sich speziell mit der Anlage 
von Dampfkesseln, und macht auch hier die Genehmigung der nach den 
Landesgesetzen zuständigen Behörden zur Voraussetzung. 

Außer den Bestimmungen der Reichsgewerbeordnung bestehen nun in 
den einzelnen deutschen Bundesstaaten eine Reihe Ton Gesetzen oder Ver¬ 
ordnungen, sowie Ausführungsbestimmungen der Reichsgesetze. 

Auf diese Weise wird die rechtliche Seite der Rauch- und Rußfrag» 
eine ungemein komplizierte. Denn Gesetze, Verordnungen, Ministerialerlasse 
und schließlich auch noch Ortspolizeivorscbriften können bei einer Beurtei¬ 
lung von Rauchschäden in Betracht kommen. Man wird im allgemeinen 
wohl sagen müssen, daß trotz der Menge dieser Bestimmungen den Be¬ 
hörden kein fester Maßstab gegeben ist, nach dem sie sich in ihren Ent¬ 
scheidungen richten könnten. Dies hat zweifellos den einen Vorteil, daß 
auf solche Weise gewisse Härten der Gesetze vermieden werden können,, 
schafft aber auf der anderen Seite auch leicht eine erhebliche Unsicherheit 
der rechtlichen Zustände. Deshalb hat Jurisch zu wiederholten Malen 
darauf hingewiesen, daß das Fehlen eines einheitlichen und den in Betracht 
kommenden Interessen gerecht werdenden deutschen Luftrechtes — etwa 
nach Muster des englischen — einen großen Nachteil mit sich bringt. 

Es würde zu weit führen, hier alle Bestimmungen, die den durch Rauch 
und Ruß angerichteten Schaden betreffen, auch nur für einen deutschen 
Bundesstaat vollständig zu besprechen. Nur einige besonders wichtige Er¬ 
lasse seien erwähnt. 

In Preußen enthält insbesondere der Erlaß des Ministers für Handel 
und Gewerbe vom 15. Mai 1895 (M. Bl. S. 196), betreffend technische An¬ 
leitung zur Wahrnehmung der den Kreis- (Stadt-) Ausschüssen (Magistraten) 
durch § 109 des Gesetzes über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und 
Verwaltungsgerichtsbehörden vom 1. August 1883 hinsichtlich der Geneh¬ 
migung gewerblicher Anlagen übertragenen Zuständigkeiten, wichtige Be¬ 
stimmungen, die das Gebiet der Rauchplage berühren. Es heißt darin: 

„Nach alter Praxis pflegt bei Fabriken mit größeren Feuerungsanlagen vor¬ 
geschrieben zu werden, daß der Unternehmer verpflichtet sei, durch Einrichtung 
der Feuerungsanlage, sowie durch Anwendung geeigneten Brennmaterials und 
sorgsame Bewartung auf eine möglichst vollständige Verbrennung des Rauche» 
hinzuwirken, auch, falls sich ergeben sollte, daß die getroffenen Einrichtungen 
nicht genügen, um Gefahren, Nachteile oder Belästigungen durch Rauch, Ruß uaw. 
zu verhüten, auf Anordnung der Polizeibehörde, solche Abänderungen in der 
Feuerungsanlage, im Betriebe, sowie in der Wahl des Brennmaterials vorzu¬ 
nehmen, die zur Beseitigung der hervortretenden Übelstände besser geeignet sind. 
Die Beibehaltung dieser Genehmigungsbedingung empfiehlt sich nicht bloß im 
Interesse der Nachbarschaft, sondern ebensosehr des Unternehmers, dem in der 
Einrichtung der Feuerungsanlage und der Wahl des Brennmaterials freier Spiel¬ 
raum gewährt, und infolgedessen die rasche Benutzung technischer Fortschritte 
und günstiger Konjekturen ermöglicht wird.“ 

Im Königreich Sachsen beschäftigt sich insbesondere die Verordnung- 
„Die Polizeibeaufsichtigung der Dampfkessel betreffend“ vom 5. September 
1890 in § 8 mit der Rauchfrage: 


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Über die Rauch- und Rußfrage usw. 


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Die Feuerungen müssen so eingerichtet sein, daß die Verbrennung mög¬ 
lichst rauchfrei erfolgt, und die benachbarten Grundbesitzer durch Rauch 
und Ruß usw. Beschädigungen oder erhebliche Belästigungen nicht erfahren. 
Treten solche Beschädigungen oder erhebliche Belästigungen, nachdem der 
Dampfkessel in Betrieb gesetzt worden ist, dennooh hervor, so ist der 
Unternehmer zur nachträglichen Beseitigung derselben durch Erhöhung des 
Schornsteines, Anwendung rauchverhütender Vorrichtungen, Benutzung eines 
anderen Brennmaterials oder auf andere Weise verpflichtet und bat solche 
innerhalb der nach dem Gutachten der GewerbeinBpektion zu bestimmenden 
Frist zu bewirken. 

In Bayern regelt die Allerhöchste Verordnung vom 28. Juni 1892 
„Die Anlegung und den Betrieb von Dampfkesseln und Dampfgefäßen be¬ 
treffend“, die Maßnahmen der Behörden. 

Auch hier, wie in den im Königreich Württemberg und Großherzogtum 
Baden geltenden Bestimmungen, verlangt das Gesetz eine möglichst« Ver¬ 
meidung von Rauch und Ruß, gibt aber der Behörde nur allgemeine Direk¬ 
tiven, die eine sehr verschiedene Anwendung gestatten. 

Zu den landesgesetzlichen Vorschriften kommen schließlich noch 
solche der Ortspolizei hinzu. Insbesondere die Baupolizeiordnungen 
enthalten Bestimmungen, die die Rauchbelästigungen betreffen, daneben 
bestehen in vielen Städten auch noch bezügliche Ortspolizeigesetze. 

In der verschiedensten Weise vermögen die städtischen Behörden einen 
Einfluß auf die Rauchverhältnisse einer Stadt zu gewinnen. Zunäohst kann 
auf Grund der Bauordnungen die Anlage stark rauchender industrieller 
Betriebe in manchen Stadtteilen untersagt und so verhütet werden, daß 
sich gerade aus der Richtung des vorherrschenden Windes größere Rauch¬ 
mengen über die Stadt verteilen. Dann sind eine Reihe von Bestimmungen, 
die die Höhe und Weite der Schornsteine betreffen, imstande, bei Rauch¬ 
belästigungen der Behörde ein Eingreifen zu ermöglichen. Und schließlich 
dienen auch hier wieder gewisse Vorschriften der Aufgabe bei der Anlage 
industrieller Betriebe, die Erzeugung von Rauch möglichst zu vermeiden, 
indem man die Erteilung der polizeilichen Genehmigung von einer sorg¬ 
fältigen Prüfung abhängig macht. 

In letzter Linie greifen einige Paragraphen des Bürgerlichen Gesetz¬ 
buches in die Frage der Rauchbelästigungen ein, insbesondere kommen 
die §§ 303 bis 307, sowie 1004 und 823 in Betracht. Die §§ 306 und 307 
lauten: 

Der Eigentümer eines Grundstückes kann die Zuführung von Gasen, Dämpfen, 
Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräusch, Erschütterungen und ähnliche von 
einem Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die 
Einwirkung die Benutzung seines Grundstückes nicht oder nur unwesentlich beein¬ 
trächtigt, oder durch einä Benutzung des anderen Grundstückes herbeigeführt 
wird, die nach den örtlichen Verhältnissen bei Grundstücken dieser Lage gewöhn¬ 
lich ist... Der Eigentümer eines Grundstückes kann verlangen, daß auf den 
Kachbargrundstücken nicht Anlagen hergestellt oder gehalten werden, von denen 
mit Sicherheit vorauszusehen ist, daß ihr Bestand oder ihre Benutzung eine un¬ 
zulässige Einwirkung auf sein Grundstück zur Folge hat. Genügt eine Anlage 
den landesgesetzliohen Vorschriften, die einen bestimmten Abstand von der Grenze 
oder sonstige Schutzmaßregeln vorschreiben, so kann die Beseitigung der Anlage 
erst verlangt werden, wenn die unzulässige Einwirkung tatsächlich hervortritt. 


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320 


Dr. H. Liefmann, 


Ebenso wichtig wie die Beantwortung der Frage, wie weit das Gesetz 
und die Behörden in das Problem der Rauchbekämpfung einzugreifen ver¬ 
mögen, ist für uns wohl die Frage, wie weit tatsächlich ein Eingreifen 
stattfindet. Wir hatten zuvor schon bemerkt, daß die bestehenden Ver¬ 
ordnungen den Behörden einen weiten Spielraum lassen, daß eine laxe und 
eine straffe Handhabung des Gesetzes möglich sei. So sehen wir auch, daß 
in den einzelnen Städten eine recht verschiedene Behandlung der Rauchfrage 
zutage tritt, und man kann wohl sagen, nicht ohne Berechtigung. 

Man wird in einer großen Fabrikstadt nicht so scharfe Maßregeln an¬ 
wenden dürfen, wie, sagen wir z. B., in einem Kurort, so bedauerlich es auch 
ist, daß die Bevölkerung der Fabrikstädte dadurch in einer viel schlechteren 
Luft zu leben gezwungen ist. Aber hier, wie in so vielen anderen hygieni¬ 
schen Fragen, stoßen die materiellen und die gesundheitlichen Interessen 
hart aufeinander, und es kann die Aufgabe des Hygienikers wie der Be¬ 
hörden nur sein, den bestmöglichen Ausgleich zwischen den zwei Interessen¬ 
sphären zu erzielen. 

Über das in verschiedenen deutschen Städten bei der Bekämpfung der 
Rauchplage übliche Verfahren berichtet insbesondere Stange auf Grund , 
seiner Ermittelungen in seinem Büchlein „Die Rauchbelästigung und deren 
Bekämpfung“ *). 

Gewöhnlich findet die Überwachung durch das Stadtbauamt und die 
Baupolizei statt. Manche Städte haben ein besonderes Bureau mit einem 
Fachmann an der Spitze zur Beaufsichtigung der Feuerungen geschaffen, 
z. B. Stuttgart, München, Düsseldorf und Dresden. Die Beobach¬ 
tungen an den Schornsteinen werden z. B. in Stuttgart zunächst von den 
Schutzleuten vorgenommen, deren Angaben dann der städtische Heizingenieur 
kontrolliert. Die rauchende Feuerung wird darauf einer Untersuchung 
unterzogen, und je nach dem Resultat entweder eine Änderung der Anlage 
oder eine bessere Beschickung des Feuers gefordert. Von besonderem Inter¬ 
esse sind die Anforderungen, die die Beamten an den aus den Schornsteinen 
ausströmenden Rauch zu stellen haben. 

Man bedient sich dabei meist einer Einteilung der Rauchstärke in drei 
oder mehr Grade, z. B. nach dem Vorbilde der in der Heiztechnik auch sonst 
üblichen „Ringelmannschen“ Skala. Nach ihr bedeutet: 

Nr. 0. Kein Rauch. 

Nr. 1. Leichter grauer Rauch. 

Nr. 2. Dunkler grauer Rauch. 

Nr. 3. Sehr dunkler grauer Rauch. 

Nr. 4. Schwarzer Rauch. 

Nr. 5. Ganz schwarzer Rauch. 

Unzulässig sind z. B. in Hannover die Grade 4 und 5, wenn sie länger 
als fünf Minuten hintereinander auftreten. Die Untersuchung dauert je 
eine halbe Stunde, jede halbe Minute ist eine Beobachtung zu notieren. 
Vormittags und nachmittags sind je drei Untersuchungen vorzunehmen, doch 
sind die Zeiten von 3 / 4 8 bis 8 / 4 9 vormittags, 8 / 4 12 bis 1 / 9 2 und 1 / a 4 bis 1 / 1 5 
nachmittags ausgeschlossen. 

l ) Teplitz-Schönau 1906. 


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321 


Über die Rauch- und Rußfrage usw. 

Eine so sorgfältige Beaufsichtigung der Feuerungen ist aber bei uns 
in Deutschland noch eine ziemliche Seltenheit. 

In den meisten Städten begnügt man sich dann einzuschreiten, wenn 
Beschwerden von seiten der Nachbarschaft eines rauchenden Schorn¬ 
steines einlaufen. Die Prüfung dieser Klagen erfolgt entweder durch einen 
städtischen Ingenieur oder duroh Kommissionen, in denen der Gewerbe¬ 
inspektor, der Vorstand des Dampfkesselrevisionsvereins, ein Kaminfeger¬ 
meister, der Kreisarzt, Beamte der Baupolizei vertreten sein können. 

Bevor ich auf den Nutzen zu sprechen komme, den das gesetzliche Ein¬ 
greifen für die Rauchplage hat oder haben kann, möchte ich kurz auch die eng¬ 
lischen Verhältnisse berühren *). 

In England gehen die Bestrebungen, durch Gesetze eine Verminderung der 
Rauchplage zu erzielen, wie wir schon sahen, bis ins Mittelalter zurück. Eine 
feste Form nahmen sie erst im vergangenen Jahrhundert an. Auch hier gibt es 
eine große Reihe verschiedener Gesetze, welche bei der Bekämpfung von Rauch 
und Ruß in Betracht kommen können, Städtehebungsgesetze, Wohlfahrtsgesetze, 
Alkaligesetze und spezielle Rauchverhiuderungsgesetze. Die Verhältnisse liegen 
also auch ziemlich kompliziert. Was der englischen Gesetzgebung aber einen 
bestimmten Stempel aufdrückt, ist die Klausel von der Anwendung der besten 
praktischen Mittel zur Verhinderung des Rauchens, ein Passus, der in der größten 
Mehrzahl der Gesetze immer wiederkehrt. 

Die englischen Gesetze verlangen meist nicht eine Vermeidung des Rauches 
schlechtweg, sondern nur die Anwendung der besten zurzeit bekannten Mittel 
zu seiner Verhütung. Jedoch muß man wohl gestehen, daß die Fassung der 
Gesetze mit der Zeit eine immer schärfere geworden ist, und zwar mit 
Recht, da es sich herausstellte, daß eiue Vermeidung allzu starken Rauchens bei 
zweckmäßiger Heizung und guter Anlage der Feuerung sehr wohl möglich ist. 
Das wichtigste Gesetz ist heutzutage der „Public Health (London) Act von 
1891“. Der Abschnitt 23, der dem Rauchverhinderungsgesetz von 1853 ent¬ 
nommen wurde, hat darin die folgende Fassung erhalten: 

1. Jede Feuerung, welche zum Betrieb von Dampfmaschinen dient..., soll so 
konstruiert sein, daß der darin erzeugte Rauch verzehrt oder verbrannt wird. 

2. Wenn irgend eine Person — mag sie der Eigner oder Besitzer des 
Grundstückes sein, oder mag sie ein Aufseher oder eine Person im Dienste des 
Eigners oder Besitzers sein — 

a) irgend eine solche Feuerung oder Ofen benutzt, welche nicht so kon¬ 
struiert sind, daß sie den darin entstehenden Rauch verzehren oder verbrennen, oder 

b) eine solche Feuerung oder Ofen so nachlässig benutzt, daß der darin 
erzeugte Rauch nioht wirksam verzehrt oder verbrannt wird, oder 

c) irgend ein Handwerk oder Geschäft betreibt, welches schädliche oder 
lästige Dämpfe aussendet, oder welches der Nachbarschaft oder ihren Bewohnern 
auf andere Weise beschwerlich fällt, ohne die besten praktischen Mittel zu 
benutzen, um die Verbreitung solcher Dämpfe zu verhindern, oder Bie unschäd¬ 
lich zu machen, oder um andere Beschwerden zu verhüten, 

so soll solche Person eine Strafe von höchstens 5 £ zahlen, und bei einer 
zweiten Verurteilung eine Strafe von 10 £ und bei jeder folgenden Verurteilung 
eine Strafe vom doppelten Betrage der bei der letzten Verurteilung auferlegten 
Strafe... 

3. Mit den Worten dieses Abschnittes „Verzehren oder Verbrennen des 
Rauches“ boII jedoch nicht in allen Fällen gemeint sein, Verzehren oder Ver¬ 
brennen allen Rauches, und der Gerichtshof, welcher gegen eine Person wegen 
Entweichens von Rauch verhandelt, braucht nicht auf Bestrafung zu erkennen, 
wenn er die Ansicht gewinnt, daß solche Person ihre Feuerung derart einge- 


l ) Ich halte mich dabei insbesondere an die Veröffentlichungen von Imisch 
and Ascher. 

Vierteljahr»schrift fttr Gesundheitspflege, 1908. 21 


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322 


Dr. H. Lief mann, 


richtet hat, daß aller darin erzeugte Rauch soweit wie möglich verzehrt oder 
verbrannt wird, und daß sie die Feuerung sorgfältig bedient hat, und auch den 
daraus entstehenden Rauch, soweit wie es möglich war, verzehrt oder ver¬ 
brannt hat... 

Im nächsten Abschnitt wird nochmals mit aller Schärfe darauf hingewiesen, 
daß ein Richter eine Klage abzuweisen hat, wenn er die Überzeugung gewinnt, 
daß der Ofen oder die Feuerung (Hauskamine fallen niemals unter das Gesetz) 
in solcher Weise konstruiert ist, daß aller darin entstehende Rauch, soweit ea 
praktisch möglich ist, verbrannt wird, indem er auf die Natur der Fabri¬ 
kation oder des Gewerbes Rücksicht nimmt. 

Bei der Bekämpfung der unsichtbaren, schädlichen Abgase aus den Schorn¬ 
steinen hat sich in England das Bestreben geltend gemacht, bestimmte Quan¬ 
titäten des schädlichen Stoffes alB Grenze festzusetzen, deren Überschreitung 
strafbar ist. 

Der Vorteil einer solchen zahlenmäßigen Bestimmung ist ja unver¬ 
kennbar, da dadurch eine subjektive Beurteilung der Rauchschäden fast 
ganz vermieden wird. Aus diesem Grunde soll auch im letzten Abschnitt 
der Versuch gemacht werden, auch für den Ruß eine quantitative Bestim¬ 
mung zu ermöglichen. 

Wenn wir nun zu einer Beurteilung des Einflusses der Gesetzgebung 
auf die Rauchplage übergehen, so muß als Wichtigstes vorausgeschickt 
werden, daß alle Rauchgesetze sich zunächst direkt nur gegen die 
lokale Rauchbelästigung wenden. Es ist ja das im Grunde auch ganz 
selbstverständlich, da eine Beschränkung des diffus in der Luft verteilten 
Rauches, zu dem auch von den Hauskaminen in lebhaftester Weise bei- 
gesteuert wird, auf gesetzlichem Wege kaum denkbar ist. Wenigstens ist 
heutzutage, wie erwähnt, die Technik noch nicht so weit vorgeschritten, 
daß man auch bei diesen kleinen und oft sehr wenig zweckmäßig bedienten 
Heizeinrichtungen eine Rauchverzehrung anwenden könnte. Die Gesetze 
haben also zunächst nur lokale Rauchbelästigungen im Auge, und zwar ist 
dies am deutlichsten ausgesprochen an jenen Orten, in denen erst auf eine 
Beschwerde, die ja der Ausdruck einer lokalen Belästigung ist, ein Eingreifen 
der Behörden stattfindet. 

Aber auch dort, wo auch ohne diese eine Beaufsichtigung der Feuerungen 
stattfindet, und der Rauch, der den Schornsteinen entweicht, beobachtet 
wird, wird nur auf die größeren Kamine geachtet, die imstande sind, lokale 
Belästigungen zu erzeugen. 

Natürlich wird man, indem man die größeren Feuerungen zur Ver¬ 
meidung dicken schwarzen Rauches zwingt, auch auf die diffuse Verunrei¬ 
nigung der Luft einen gewissen Einfluß ausüben. Aber — und das ist das 
Wesentliche, was hier zunächst festgestellt werden soll, man wird doch 
bislang nur die lokale Rauchbelästigung mit Gesetzen bekämpfen können, 
und auf die diffuse deshalb nur einen indirekten, nicht vollständigen Ein¬ 
fluß ausüben können. Ich glaube, das muß man berücksichtigen und bei 
jedem gesetzlichen Eingreifen ein Gleichgewicht herzustellen suchen zwischen 
dem hygienischen Nutzen, den man erreichen kann, und den materiellen 
Anforderungen, die man an den Einzelnen stellt. 

Über die Wirksamkeit der deutschen Gesetzgebung und ihre Vor- und 
Nachteile sind die Ansichten etwas geteilt. Man tadelt bei ihr — gegen¬ 
über der englischen — eine zu große Bevormundung der in Betracht 


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323 


Über die Ranch- und Rußfrage ubw. 

kommenden Industrien und Gewerbe, da die Anwendung bestimmter Mittel 
zur Rauch Vermeidung polizeilich verlangt werden kann. Meines Erachtens 
tritt ein erheblicherer Unterschied zwischen der praktischen Anwendung der 
deutschen und der englischen Gesetze nur gelegentlich hervor, und ist mehr 
bedingt durch eine unzweckmäßige Anwendung der Gesetze seitens unserer 
Behörden, als durch die Fassung der Vorschriften. Es kann ja auch nicht 
Wunder nehmen, daß die englischen Fabrikinspektionen, die über jahrzehnte¬ 
lange Erfahrungen verfügen, häufiger das Rechte treffen werden, als das bei 
uns der Fall sein wird, wo wir noch nicht zu einer so genauen Feststellung 
gelangt sind, wie weit die hygienischen Interessen gegenüber den materiellen 
geschützt werden müssen und können. Man muß aber meines Erachtens 
Jarisch darin recht geben, wenn er behauptet, daß die Schaffung einer 
zentralen Behörde uns rascher auf den richtigen Weg führen würde, als 
dies ohne solche der Fall sein wird, und daß das Urteil technisch ausgebildeter 
Beamten vor dem gesetzlichen Eingreifen in erster Linie gehört werden sollte. 

Wie weit man mit den besprochenen Maßregeln bei uns in Deutschland 
gelangen wird, darüber laßt sich heutzutage noch nichts Sicheres ermitteln. 
Zum Teil liegt dies daran, daß die den Rauch bekämpfenden Einrichtungen 
noch zu juDgen Datums sind, zum Teil aber auch an der Tatsache, daß man 
bislang noch keine guten Methoden besitzt, um den Grad einer Rauchplage 
objektiv festzustellen und so einen Vergleich zu ziehen. 

Etwas weiter ist man in dieser Beziehung in England in einigen — 
aber wohl nur wenigen Städten, wie z. B. Manchester, wo freilich die Rauch¬ 
plage auch einen bei weitem schlimmeren Grad erreicht hat, als bei uns. 
Die Schwärze, die dort einige insbesondere ältere Gebäude angenommen 
haben, und die sie dem Ruß und dem Säuregehalt der Luft verdanken, ist 
für unsere Begriffe unerhört *)• Über die dort angewendeten Bekämpfungs¬ 
methoden hat jüngst Ascher ausführlich berichtet. Es scheint, als ob man 
bereits günstige Ergebnisse beobachten könne. Die Zahl der Nebeltage soll 
sich verringert haben und auch die Sterblichkeit an akuten Lungenkrank¬ 
heiten zurückgegangen sein. 

Wir haben uns damit einen Überblick verschafft über die Faktoren, die 
in der heutigen Kulturentwickelung einen Einfluß auf die Rauch- und Ru߬ 
plage zu besitzen scheinen. Wir müßten nun noch kurz alles das auf- 
zfthlen, was den schädlichen Folgen des Rauches auf unsere Gesundheit ent¬ 
gegenzuarbeiten geeignet ist. Die einzelnen Menschen in den Städten 
werden je nach ihrer Tätigkeit und sozialen Stellung von dem Übelstande 
der Luftverderbnis in sehr verschiedener Weise betroffen. 

Am ungünstigsten sind wohl die arbeitenden Klassen, insbesondere die 
industriellen Arbeiter, gestellt. Aber auch hier sind große Fortschritte ge¬ 
macht worden. Speziell der Kampf gegen die Tuberkulose verschafft in 
den Lungenheilstätten manchem Arbeiter, der in der schlechten Atmosphäre 
der Städte wohl seiner Krankbeit erlegen wäre, die Möglichkeit, außerhalb 
derselben Heilung oder Besserung zu finden. Eine ganze Reihe von Ma߬ 
nahmen sozialer Hygiene kommen dann den Kindern der unbemittelten 


‘) Man bat oft den Eindruck, als seien diese Gebäude geradezu mit Tinte 
begossen. 


21 * 


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324 


Dr. H. Liefmann. 


Klasse zugute. Die Seehospize, Ferienkolonien und Waldschulen, Solbäder, 
Kinderheilstätten gehören hierher, auch einfache Schulausfläge dienen bereits 
diesem Zwecke. Das gleiche gilt von den Bestrebungen, den Kindern Spiel- 
und Sportplätze außerhalb der Städte anzulegen, wo sie in reinerer Luft 
freie Bewegung genießen können. Von großem Vorteil für die arbeitende 
Bevölkerung sind zweifellos auoh die Laubenkolonien und Schrebergärten, 
die die Ruhe und Annehmlichkeiten eines kleinen Landsitzes auch den 
minder Wohlhabenden zuteil werden lassen. Auch die Schaffung und Er- 
haltung hübscher Ausflugspunkte in der nächsten Umgebung der Städte 
ist von unserem Standpunkte von nicht geringer Bedeutung. 

Kranke oder Rekonvaleszenten können in den Walderholungsstätten 
für einige Zeit den Schädigungen durch das städtische Klima entrinnen. 
Auch eine ganze Reihe von Maßnahmen und Forderungen der Wohnungs¬ 
hygiene werden für das Problem der Rauchbekämpfung von Bedeutung 
sein. Eine offene Bauweise wird die Klagen über lokale Rauchbelästigungen 
zu verringern vermögen, ebenso wie die Innehaltung einer zweckmäßigen 
Bauordnung. Von eminenter Bedeutung für die Reinheit der Stadtluft ist 
die Anlage von großen freien Plätzen, von Parks und Gartenanlagen, 
von Spiel- und Sportplätzen. Bestimmte Vorschriften über die Breite der 
Straßen, die Größe der Fenster bei bewohnten Räumen werden verhindern 
müssen, daß der Lichtmangel, der für die Großstadt ohnehin schon charak¬ 
teristisch ist, in den Wohnungen, Schulen usw. allzu hohe Grade annimmt. 

Günstiger als die unbemittelten sind die wohlhabenden Klassen gestellt, 
die durch längere Ferienreisen zeitweise dem städtischen Klima ganz den 
Rücken kehren können. Auch in der Wahl der Lage ihrer Wohnhäuser 
vermögen sie leichter hygienischen Grundsätzen zu folgen, zum Teil auch 
neben den städtischen Wohnungen Villen auf dem Lande zu unterhalten. 

Um das Wesentliche unserer bisherigen Erörterungen noch einmal 
hervorzuheben, möchte ich die Ergebnisse in Folgendem kurz zusammen¬ 
fassen. 

1. Man muß die durch Rauch und Ruß entstehenden Übelstände nicht 
alle als gleichartig und hygienisch gleichbedeutend ansehen, sondern vor 
allem zwei Mißstände unterscheiden, eine lokalisierte Rauch¬ 
belästigung und eine diffuse Rauchplage. Die erste führt zu einer 
Beeinträchtigung einzelner Personen durch den direkten Einfluß der sie 
treffenden Rauchgase und Rußteilchen. Eine diffuse Plage aber trifft eine 
ganze Bevölkerung und bewirkt nicht nur eine direkte Schädigung durch 
Ruß und Rauch, sondern sie kann auch einen Einfluß auf das Klima der 
Stadt ausüben, indem sie Nebel und Wolkenbildung verursacht oder wenig¬ 
stens begünstigt und eine Lichtarmut der Stadtatmosphäre erzeugt. 

Bei beiden Arten von Mißständen muß man unterscheiden, ob die 
Rauchgase die Hauptrolle spielen oder der Ruß (bzw. Flugasche). 

2. Das Moderne an der Rauchplage ist nur die diffuse Verunreinigung 
der Luft, lokale Belästigungen hat man zu allen Zeiten gehabt, solange 
man Kohlen verwendet. 

3. Die Zukunft der Rauch plage ist von einer Menge von Faktoren ab¬ 
hängig, die wohl in der Mehrzahl einer allmählichen Abnahme der Kalamität 
günstig sind. Man kann insbesondere von der Technik Fortschritte auf 


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325 


Über die Ranch- und Rußfrage usw. 

dem Gebiete der industriellen Feuerungen erwarten, für die Hausfeuerungen 
iat mit Ausnahme der Verwendung von Gas noch kein wesentlicher Erfolg 
erzielt worden. 

4. Einer sorgfältigen Beschickung des Feuers ist bei jeder Art von 
Feuerung große Bedeutung beizulegen. 

5. Zu einem gesetzlichen Eingreifen bieten sich bei uns in Deutschland 
eine Reihe von Handhaben dar, die den Behörden im allgemeinen weiten 
Spielraum lassen. Es ist zu hoffen, daß die für die Genehmigung neu«* 
Anlagen und für die Kontrolle der bestehenden, zuständigen Behörden stets 
den notwendigen Ausgleich der gesundheitlichen und der materiellen Inter¬ 
essen herznstellen imstande sein werden. 

Für die Beurteilung, ob an einem Punkte eine Rauchplage besteht oder 
nicht, stellt die quantitative Untersuchung auf die tatsächlich zuge¬ 
führte Menge der schädlichen Stoffe die sicherste Grundlage dar. Für die 
Rauchgase hat man derartige Untersuchungen oft ausgeführt, für die festen 
Bestandteile fehlt es zurzeit noch an einfachen Nachweismethoden. Der 
nächste Abschnitt soll sich mit solchen Versuchen, den Ruß in der Luft 
quantitativ zu bestimmen, befassen. 

m. Über den Nachweis von Buß in der Luft. 

Ein Nachweis der festen Bestandteile des Rauches in der Luft unserer 
Städte kann von doppeltem Werte sein. Zunächst kann es sich darum 
bandeln, den diffus in der Luft verteilten Ruß zu messen und aus seiner 
Menge zu schließen, welcher Anteil an der Lichtverarmung unserer Atmo¬ 
sphäre, an Wolken- und Nebelbildung ihm zugeschrieben werden muß. Auf 
der anderen Seite wird es sich darum handeln, bei lokaler Rauchbelästi- 
gung, d. h. dann, wenn eine Wohnung durch einen benachbarten Schorn¬ 
stein größere Rauchmengen zugeführt bekommt, durch eine Bestimmung des 
Rußes einen Maßstab zu erhalten für den angerichteten Schaden. Besonders 
die Lösung dieser zweiten Aufgabe würde einen praktischen Fortschritt bei 
der Bekämpfung der Rauch- und Rußplage bedeuten, da bislang die Beurtei¬ 
lung lokaler Rauchbelästigungen einer objektiven Grundlage entbehrte, und 
man oft auf Grund allgemeiner Erfahrungen und subjektiven Empfindens 
entscheiden muß. Daß man bislang noch keine Rußnachweismethode prak¬ 
tisch verwertet hat, liegt einerseits wohl daran, daß sich bis vor kurzem für 
derartige Untersuchungen kein sehr weitgehendes Interesse zeigte, dann aber 
auch an einigen Schwierigkeiten, die solchem Vorhaben entgegentreten. 

Diese bestehen zunächst darin, daß der Ruß in der Luft höchst un¬ 
gleichmäßig verteilt ist. Man muß annehmen, daß der Rußgehalt in den 
höheren Luftschichten allmählich geringer wird; doch weiß man nicht, in 
welchem Grade dies der Fall ist und wie hoch die feinsten Teilchen sich zn 
erheben pflegen. Gleich große Schwierigkeiten verursacht der Umstand, daß 
der Rußgehalt der Luft zeitlich die größten Schwankungen auf weist. Hierbei 
kommt in Betracht, daß die Bildung des Rauches (wenigstens in unserem 
Klima) nach den Jahreszeiten nicht nur, sondern auch nach Tages- und 
Nachtstunden die größten Unterschiede zeigt. Sodann ist der Ruß, sobald 
er sich in der Atmosphäre befindet, von einer großen Reihe meteorologischer 


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326 


Dr. H. Liefmann, 


Einflüsse abhängig, die in ihrer Wirksamkeit sich gegenseitig beeinflussen 
und nur schwer abznschätzen sind. Schließlich ist seine ungleichmäßige ört¬ 
liche Verteilung anch in horizontaler Richtung von Belang. Das Innere 
einer Stadt wird mehr diffus verteilten Ruß aufweisen, als manche Außen¬ 
quartiere. Eine vierte Reihe von Hindernissen liegt in der Natur des Rußes 
begründet; seine enorme Leichtigkeit, seine Unlöslichkeit erschweren einen 
Nachweis mit den gewöhnlichen Methoden, um so mehr, als sich nur sehr 
geringfügige Gewichtsmengen in der Luft vorfinden, und auch diese noch 
vermengt Bind mit anderen Staubteilen, die sich so gut wie gar nicht vom 
Ruße trennen lassen. 

Wenn alle diese Schwierigkeiten möglichst umgangen werden sollen, so 
muß man, bevor man an die Ausarbeitung eines Verfahrens, die Rußplage 
in einer Stadt zu bestimmen, gebt, drei Fragen beantworten: 

1. In welcher Weise fängt man den Ruß am zweckmäßigsten 

auf? 

2. An welchem Orte soll dies geschehen? 

3. Wie bestimmt man den Ruß am besten aus den gewonnenen 

Proben? 

Bevor wir an die Beantwortung dieser Fragen gehen, wollen wir uns 
kurz orientieren, in welcher Weise man früher eine Rauchplage zu bestimmen 
versucht hat. 

Das naheliegendste Verfahren, das auch wohl zuerst angewendet wurde, 
bestand darin, daß man statistisch festzustellen suchte, wieviel Ruß 
überhaupt in einer Stadt gebildet wird. Man ging davon aus, daß 
an einem bestimmten Ort vorwiegend eine gewisse Kohlensorte verbrannt 
wird, da ihre Benutzung sich am ökonomischsten stellt. Man berechnet« 
nun, wieviel Verbrennungsprodukte, insbesondere wieviel Ruß ein Kilogramm 
dieser Kohlensorte bei normaler Verbrennung liefert. Indem man dann den 
Kohlenverbrauch in der ganzen Stadt berücksichtigte, kam man zu einem 
Resultat, das über die Menge des gesamten gebildeten Rußes Aufschluß gab. 
Dieses Verfahren ist aber zunächst nicht überall anwendbar, am allerwenigsten 
in großen Hafenstädten. Ich hatte mir große Mühe gegeben, den Kohlen¬ 
verbrauch in Hamburg zu berechnen. Man findet in der Statistik des ham- 
burgischen Staates auch Angaben über die Kohlenaus- und -einfuhr. Die 
letztere betrug 1900 etwa 30 Millionen Doppelzentner Stein- und Braun¬ 
kohlen (im Werte von etwa 35 Millionen Mark). Demgegenüber steht eine 
Ausfuhr von etwa 8 Millionen Doppelzentner (im Werte von 15 867 300 <JC). 
Die Differenz zwischen Einfuhr und Ausfuhr gibt nun aber nicht das rich¬ 
tige Maß des Kohlenverbrauches in Hamburg an, da unter Export (zur See) 
nur die Kohlenmenge verstanden wird, die von besonderen Kohlenschiffen 
verladen wird. Wieviel Kohlen die anderen Dampfer einnehmen, wieviel 
davon noch im Hamburger Hafen und wieviel auf hoher See verbrannt wird, 
entzieht sich jeder Berechnung. Sodann haftet einer solchen Berechnung 
des Rußgehaltes der Luft noch ein anderer Fehler an, der darin besteht, 
daß durchaus nicht die gesamte, bei einer Verbrennung sich bildende 
Rußmenge in die atmosphärische Luft Übertritt. Ein großer Teil 
wird an den Wänden des Verbrennungsapparates, in den Rauchzügen und 


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327 


Über die Ranch- und Rußfrage usw. 

Schornsteinen zor&ckgehalten. In jeder größeren Stadt ist ja eine ganze 
Zunft, eine größere Anzahl yon Menschen allein damit beschäftigt, diesen 
Teil der Rnßprodnktion zn beseitigen. Wenn man allein aus dem Kohlen- 
verbrauch auf den Rußgebalt der Luft schließt, wird man daher leicht viel 
zu hohe Werte finden 1 ). 

Man könnte nun daran denken, diesen Fehler dadurch zu vermeiden, 
daß man nicht die gebildete Rußmenge zu berechnen versucht, sondern den 
aus der Mündung der Schornsteine austretenden Teil mißt. Eine Anzahl 
derartiger Versuche sind auch von mir angestellt worden. Ich hatte über 
einer Reihe von Kaminen große Glasscbalen angebracht, die den entströmen¬ 
den Ruß sammelten. Für eine erfolgreiche Benutzung dieser Methode 
hätte ich aber noch einer Anzahl von Daten benötigt, die unmöglich zu 
erhalten waren. Man müßte nicht nur die Zahl aller Schornsteine kennen, 
die sich in einer Stadt befinden a ), sondern auch wissen, wie lange Zeit 
durchschnittlich ein Hauskamin bzw. ein Fabrikschornstein raucht, und 
sodann, wie groß im Durchaohnitt seine Mündung ist, da die Menge deB 
entströmenden Rußes natürlich zu der Weite des Schornsteines in einem 
bestimmten Verhältnis steht. Bei der Unmöglichkeit, alle diese Durch¬ 
schnittswerte zn bekommen, ergab sich daher die Undurchführbarkeit auch 
dieser Methode. 

Es bleibt also nichts anderes übrig, als den Ruß dann zu bestimmen, 
-wenn er sich bereits in der Atmosphäre verteilt hat. Er verhält 
sich dann wie jeder andere Staubbestandteil der Luft; die Dauer seines 
.Schwabens ist von seiner Schwere abhängig, und eine große Anzahl meteoro¬ 
logischer Faktoren wirkt auf ihn ein. Die Flugbahn der Rußteilchen muß 
demnach eine wesentlich verschiedene sein; die leichtesten Teilchen vermögen 
lange Zeit schwebend zu bleiben, während die schwersten bald zu Boden 
sinken. Starke Luftbewegungen hemmen den Vorgang der Sedimentierung 
und ermöglichen eine Verbreitung über weite Entfernungen. 

Niederschläge befördern die Sedimentierung, indem sie die Rußteilchen 
mit sich herniederreißen. Die Verteilung von einer Quelle aus wird nun bei 
gleichbleibender Windrichtung, schematisch gedacht, etwa die Form eines 
Kreissektors haben; bei wechselnder Windrichtung ist die Schadenfläche 
eine Ellipse, in deren einem Brennpunkt die Rauchquelle liegt. 

In einer Großstadt haben wir es nun mit einer großen Menge von 
Rauchquellen zu tun, deren Schadenfläche sich teilweise deckt, und in der 
Luft entsteht neben lokalen Rauchbelästigungen unter Umständen eine 
'diffuse, mehr oder weniger gleichmäßige Verunreinigung der Atmosphäre, 
kurz, das Bild, das man als diffuse Rauchplage bezeichnen muß. Wie 
soll man in einem solchen Gebiete den Rußgehalt bestimmen, der mit der 
Höhe immer mehr abnimmt, der in den Außenquartieren einer Stadt durch¬ 
schnittlich geringfügiger ist als im Zentrum, der zu verschiedenen Zeiten 
wechselt und von meteorologischen Faktoren stark beeinflußt wird? 


') Herdfeuerungen sollen in vier Wochen etwa fünf Liter Ruß bei der Reini¬ 
gung des Schornsteines ergeben. Im Jahre 1887 soll der durch die Kaminreini¬ 
gung entfernte Ruß in Dresden die Menge von 4780 cbm betragen haben. 

*) Das ist in einer großen Stadt kaum möglich. 


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Dr. H. Liefmann, 


1. Aspiration. 

Man ist zunächst in der gleichen Art und Weise vorgegangen, in der 
man sonst irgend einen Staubbestandteil der Atmosphäre, z. B. die Luft¬ 
bakterien, quantitativ zu bestimmen sucht. Man hat eine bestimmte Luft¬ 
menge aspiriert, den Ruß dabei durch ein Filter abgefangen und zu be¬ 
stimmen gesucht. Auf diese Weise hat Mabery in Cleveland die Luft auf 
ihren Rußgebalt untersucht. Er kam zu dem Resultat, daß sie in 1 cbm 
0,00154 bis 0,03391 mg Ruß enthielt. In welcher Höbe und an was för 
einem Ort diese Mengen gefunden wurden, ist mir leider nicht bekannt 
Die Methode, ein bestimmtes Luftquantum anzusaugen und den Ruß aus 
ihr abzufangen, bietet nun ein Reihe erheblicher Schwierigkeiten. Schon 
das erwähnte Beispiel aus Cleveland, das als große Fabrikstadt wohl kaum 
einen besonders niederen Rußgehalt seiner Atmosphäre aufweist, zeigt, daß 
die in 1 cbm Luft enthaltene Rußmenge wenigstens dem Gewichte nach 
meist eine äußerst geringfügige ist. Es ist aber nicht leicht möglich, 
ohne größeren maschinellen Betrieb in kurzer Zeit mehr wie 1 cbm 
Luft anzusaugen. Und wenn größere Apparate zur Verfügung stehen, sieht 
man sich infolge ihrer Unhandlichkeit gezwungen, die Untersuchungen nur 
an einem Punkte vorzunehmen. Dies hat natürlich seine großen Nachteile, 
wenn dieser Punkt nicht günstig gelegen ist, ganz besonders, wenn große 
Rauchquellen in seiner Nähe den Rußgehalt der Luft über das durchschnitt¬ 
liche Maß steigern. 

ln jüngster Zeit hat Rubner in sehr sinnreicher Weise von dem Ver¬ 
fahren der Aspiration Gebrauch gemacht. Er saugt ein größeres Luft¬ 
quantum, etwa 6 bis 8 cbm, an (wozu freilich eine längere Zeit erforderlich 
ist), und fängt den Ruß und die übrigen festen Staubbestandteile durch ein 
Papierfilter ab. Dies Verfahren ist von Rubner in Berlin und in Dresden 
von Renk mit Erfolg angewendet worden, um ein deutliches Bild der Rauch¬ 
verhältnisse der beiden Städte zu gewinnen. Renk hat die durch den an¬ 
gesaugten Staub geschwärzten Filter in übersichtlicher Weise zusammen- 
gestellt, und so einen Vergleich zwischen verschiedenen Tages- und Jahres¬ 
zeiten ermöglicht. Rubner weist darauf hin, daß man sein Verfahren auch 
zur quantitativen Bestimmung des Rußes verwenden könne, indem man mit 
abgewogenen Rußmengen beschickte Filter als Maßstab verwendet, aber 
da bei Luftuntersuchungen der mitaspirierte Staub mit bestimmt wird, 
scheint mir daB Rubnersche Verfahren an quantitativen Feststellungen 
nicht exakt genug zu sein. Das Verfahren ist überaus einfach, wenn man 
nur über genügende Apparate verfügt, um große Luftmengen anzusaugen. 
Auch ich hatte 1902 im Hamburger hygienischen Institut zahlreiche Ver¬ 
suche angestellt, ein ABpirationsverfahren praktisch zu verwenden. Ich 
mußte mich aber schließlich einer anderen Methode zuwenden, da ich mich 
nicht an eine Stelle binden, sondern meine Untersuchungen an verschiedenen 
Punkten der Stadt vornehmen wollte, wo mir die nötigen Apparate nicht 
immer zur Verfügung standen *). Das einzige Verfahren, das mir noch übrig 

‘) Eine besondere Schwierigkeit bei der Anwendung des Aspirationsverfahrens 
liegt, wie gesagt, in der Ansaugung genügend großer Luftmengen. Die dazu zur 
Verfügung stehenden Pumpen erweisen sich meist als nicht genügend. Ich wüßte 


ized by G00gle 


329 


Uber die Rauch- und Rußfrage usw. 

blieb, und das schon vielfach zu den verschiedensten Untersuchungen der 
Luft verwendet worden ist, war das der Sedimentierung. 

2. Sedimentierung. 

Wenn es nicht richtig ist, den Ruß zu berechnen, der sich in den Feue¬ 
rungen bildet, wenn es nicht immer angeht, ihn zu messen, sowohl wenn er 
die Mündung der Schornsteine verläßt, als auch dann, wenn er diffus ver¬ 
teilt in der Luft schwebt, bleibt nur die eine Möglichkeit übrig, ihn zu be¬ 
stimmen, wenn er sich aus der Luft wieder niederBchlägt. Ein solches 
Vorgehen bezeichnet man als Sedimeutierverfahren. Man kann dabei eine 
passive und eine aktive Sedimentierung unterscheiden, je nachdem 
man den von selber niedersinkenden Ruß bestimmt oder ihn auff&ngt, wenn 
er durch Niederschläge zu Boden gerissen wird. 

Inwieweit bietet das Sedimentierverfahren für unsere Zwecke Vorteile? 

Wenn man ein gewisses Luftquantum in bestimmter Höhe über dem 
Erdboden aspiriert, und die darin enthaltene Rußmenge bestimmt, erhält 
man nur eine Zahl für den in einer ganz bestimmten Höhe vorhanden ge¬ 
wesenen Ruß. Einen ganz anderen Wert liefert das Sedimentierverfahren. 
Die Rußteilchen, die sich an einem Punkte absetzen, stammen aus verschie¬ 
denen Höhen und liefern in ihrer Gesamtheit einen Wert für die ganze 
Rußmenge, die sich in der Atmosphäre befand. Der Ruß, der sich von 
selbst an einem bestimmten Punkte niederschlägt, stammt aber nicht allein 
aus der Luftsäule, die sich über dem betreffenden Punkte erhebt, sondern 
alle Rußteile, die sioh absetzen, haben einen größeren oder kleineren Weg 
durch die Luft zurückgelegt, und zwar stammen die schwereren aus größerer 
Nähe, während die leichteren von weiter her kommen. Es gibt uns daher 
das aktive Sedimentierverfahren auch nicht an, wie groß die Rußmenge ist, 
die sich senkrecht über einem Punkte befindet, aber bei einer längeren 
Versuchsreihe kommt man doch zu einem guten Durchschnittswerte für 
den Ruß, der innerhalb einer bestimmten Zeit die ganze Atmosphäre 
erfüllt hat, dem Lauf der Liohtstrahlen in den Weg getreten ist und even¬ 
tuell zu Nebel- und Wolkenbildung Veranlassung gab. 

Scheinbar das beste Resultat müßte das passive Sedimentierverfahren 
liefern, das den durch Niederschläge ausgefällteu Ruß zu bestimmen sucht. 
Es gründet sich auf die Tatsache, daß ein einigermaßen reichlicher Regen 
oder Schnee imstande ist, die Luft von fast allen Staubbestandteilen zu 
säubern. Ich habe selbst vor ungefähr drei Jahren Gelegenheit gehabt, diese 
Tatsache, die öfters bezweifelt wird, an einem anderen Staubbestandteil 
unserer Atmosphäre zu beobachten. Da nun die Niederschläge meist eine 
vertikale oder annähernd vertikale Riohtung haben, wird also tatsächlich auf 
diesem Wege die Rußmenge gewonnen, die über einer gewissen Fläche in 
der Luft verteilt schwebt. Es ist aber von vornherein ersichtlich, daß dieses 
Verfahren deshalb kaum praktische Anwendung zu finden vermag, weil die 
Niederschläge zu unregelmäßig eintreten. Auch das erschwert ein solches 

zurzeit kein (transportables) Instrument zu nennen, das in kürzerer Zeit das An¬ 
saugen von 1 cbm Luft, und so viel muß man zur quantitativen Bestimmung des 
Bußes verlangen, leistet. Auch die von Benk angegebene Pumpe erscheint mir 
nicht leistungsfähig genug. 


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330 


Dr. H. Liefmann, 


Vorgeben, daß man genau im Beginn des Regens die auffangenden Schalen 
exponieren müßte, da man sonst Fehler nach der einen oder anderen Seite 
hin nicht ausschließen kann. Diese Umstände machen eine praktische An¬ 
wendung dieses Verfahrens nicht ratsam x ). 

So bleibt nichts anderes übrig, als sich mit dem aktiven Sedimentierungs- 
prozeß zu behelfen. Die Methode wird also die sein, daß man im Freien 
auffangende Instrumente aussetzt und über eine gewisse Zeit hin den von 
selbst sich niederschlagenden Ruß sammelt und bestimmt. Das, was 
man möglichst zu vermeiden suchen muß, sind Niederschläge, da sie, wie 
wir sahen, durch ihre plötzliche Ausfällung aller Staubteilchen die Lage 
verändern. Auf diese Weise gewinnt man ein Maß nicht etwa der in einem 
Moment über einer gewissen Fläche in der Atmosphäre schwebenden Ru߬ 
menge, sondern, indem man die Untersuchung längere Zeit hindurch fort¬ 
führt, der Rußquantität, die in jener ganzen Zeit die Atmosphäre passiert hat 

Eine Anzahl von Untersuchem hat sich bereits der Methode der Sedi- 
mentierung der Rußteilchen bedient, um die Raucbplage zu studieren. Nament¬ 
lich englische Forscher haben diese Verfahren angewendet und den Roß sich 
selber niedersetzen lassen, oder seine Ausfällung durch Regen und Schnee 
benutzt, oder endlich in wohl nicht zweckmäßiger Weise beide Methoden 
kombiniert In der Literatur sind eine Reihe von Angaben darüber zer- 
streut. Der bereits erwähnte Mabery fand in Cleveland im Liter Schnee- 
scbmelzwasser 0,0418 bis 0,1113g Ruß 3 ); in Manchester sollen sich in drei 
Tagen 13Zentner Ruß auf eine englische Meile abgesetzt haben 8 ). Auch 
über die Menge von Rauohgasen, die man dort im Schneeschmelzwasser 
fand, existieren Angaben 4 ). 

Die Sammlung der Proben. 

Nachdem wir festgestellt haben, daß das selbständige Niedersinken der 
Rußteile, nachdem sie ihren Weg durch die Atmosphäre zurückgelegt haben, 
die relativ beste Möglichkeit gewährt, ihre Quantität zu messen und in ein 
Verhältnis zu dem durch sie bewirkten Lichtverlust zu bringen, erhebt sich 
die Frage, auf welche Weise man den Ruß am besten auffängt und 
sammelt. Damit zusammen hängt die weitere Frage, wo die Sammlung 
am zweckmäßigsten stattzufinden habe, damit die Ergebnisse der 
Untersuchung ein möglichst treffendes Bild der an einem Orte zu 
findenden Rußmengen geben. Von allen Methoden, die man bei der Unter¬ 
suchung der Luft auf Staubbestandteile angewendet hat, sind die Sedi- 
mentierverfahren verhältnismäßig am wenigsten ausgearheitet und verfeinert 
worden. Wohl hat Miquel in seinem Buche über „die lebenden Mikro- 

*) Die genannten Einwände gegen dies Verfahren haben Geltung gegenüber 
den manigfachen Ergebnissen, die man auf diesem Wege noch neuerdings zu er¬ 
zielen versucht hat. Quantitativ sind die Resultate nur mit großer Vorsicht zu 
verwerten , während man aus dem Verhältnis der gefundenen Stoffe zueinander 
wohl allerhand Schlüsse ziehen kann. 

*) Mit dieser Zahl ist nicht viel anzufangen, da nicht gesagt ist, wie lange 
dieser Schnee im Freien gelegen hat. 

*) Auoh Heim, dessen interessante Methode des Rußnachweises später noch 
genauer besprochen werden muß, hat sich der aktiven ßedimentierung bedient. 

4 ) Siehe den Bericht von Ascher in dieser Schrift, Bd. 39, 1907. 


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Über die Raach- and Rußfrage usw. 


381 


Organismen der Atmosphäre" eine Reihe sehr sinnreicher Apparate be¬ 
schrieben, mit denen er die Keime auffing und ihre Zahl zu verschiedenen 
Tageszeiten registrieren konnte. Aber für unsere Zwecke sind diese Appa¬ 
rate nicht brauchbar. Heim hat die Sammlung der Ruß proben einfach in 
4er Weise vorgenommen, daß er flache Schalen aussetzte, die mit etwas leicht 
karbolisiertem Wasser angefüllt waren. Der Ruß, der sich in diesen Schalen 
absetzte, wurde dann mit diesem Wasser bis zur endgültigen Untersuchung 
in gewöhnlichen verschlossenen Flaschen aufbewahrt. Ein so einfaches Ver¬ 
fahren ist aber kaum imstande, einige Fehlerquellen su vermeiden, die 
durch meteorologische Einflüsse, und zwar duroh den Wind ver¬ 
ursacht werden. Diese Gefahr besteht nicht etwa darin, daß ein starker 
Wind auf dem Wasser schwimmenden Ruß wieder mit sich fortträgt — 
auch das kann ja Vorkommen, ist aber wegen seiner Seltenheit ziemlich 
belanglos —, sondern in der Tatsache, daß die Bewegung der Luft dem 
Ruße eine von der Vertikalen mehr oder weniger abweichende Flugrichtung 
verleiht, und dann die horizontal ausgestellten Schalen nicht mehr 
imstande sind, die ihnen adäquate Rußmenge aufzufangen. Die 
Menge nämlich, die eine horizontal exponierte Schale auffängt, hängt wesent¬ 
lich von der Flugrichtung ab, und die Flugrichtung wird ja von der Bewe¬ 
gung der Luft bestimmt. Einige Zeichnungen veranschaulichen diese Tat¬ 
sache leioht. 

Fig.1. 


Fig. 2. 
? 

j! 

T o 
u 

y 

E 

i! 


Flngriehtung 


Sedimentierung 
bei vollkommener Windstille. 


Schale (S.) 

Flugrichtung bei sehr heftigem Winde. 



Bei vertikal zur Erde gerichtetem Fluge der Rußteile (Fig. 1) wird die 
Schale S genau so viel auffangen, als ihrem Flächeninhalt entspricht. Ist 
hingegen die Flugrichtung vollkommen horizontal (Fig. 2), so wird sie gar 
nichts auffangen. Man kann schon hieraus schließen, daß bei einer Flug¬ 
richtung von 45° auf der horizontalen Schale nur ein Teil der ihr zukom¬ 
menden Rußmenge zum Absitzen gelangen wird. 

In der Tat läßt sich dies leicht dadurch beweisen, daß tatsächlich die 
auffaDgende Fläche dann gleich der Projektion der betreffenden Schale auf 
«ine um 45° geneigte Ebene ist. Ich könnte, wie Fig. 3 zeigt, die Schale S 
hei einer um 45° geneigten Flugrichtung ersetzen durch die Schale Si ; diese 


y Google 





























332 Dr. H. Liefmann, 

ist aber bedeutend kleiner als S, und hat nicht mehr die Form eines Kreises, 
sondern einer Ellipse. 

Da nun die Flugrichtung des Rulles infolge seiner Überaus großen 
Leichtigkeit von jeder Luftbewegung in hohem Grade beeinflußt wird, sind 
horizontal ausgesetzte Schalen zumeist nicht imstande, eine ihrer Größe 
entsprechende Rußmenge zu sammeln. Nur bei vollkommener Windstille, 
die doch relativ selten ist, erfüllen sie ihre Aufgabe; je stärker die Luft¬ 
bewegung ist, desto weniger Ruß sammeln sie. 

Daß diese theoretischen Erwägungen tatsächlich zutreffen, ergeben aufa 
deutlichste mehrere Versuche, die ich in Hamburg anstellte. Bei einiger¬ 
maßen lebhaftem Winde konnte ich in der gleichen Zeit auf vertikalen 
Schalen drei- bis viermal so viel Ruß auffangen, als auf gleich 
großen horizontalen. Es ist nun leicht, aber immerhin nur mit einer 
gewissen Komplizierung der Untersuchungsmethode möglich, die Fehler, die 
durch die stets wechselnde Flugrichtung der Rußteile entstehen, auszugleichen. 
Man braucht nur gleichzeitig eine horizontale und eine vertikale 
Schale auszusetzen, und muß dafür Sorge tragen, daß die letztere stets dem 
Winde genau entgegengesetzt gerichtet ist. Dies kann mittels einer Wetter¬ 
fahne leicht geschehen. Man kommt dadurch zu einer Versuchsanordnung, 
wie sie in freilich etwaB anderer Form zuerst von C. H. Blackley bei 
Untersuchungen über den Gehalt der Luft an Gräserpollen angewendet 
wurde. Der Erfolg einer Aussetzung von zwei gleich großen Schalen, 
einer wagerechten und einer drehbaren lotrechten, hat nun zur Folge, 
daß man — woher der Wind auch wehen und wie die Rußteilchen auch 
fliegen mögen — stets etwa ebensoviel Ruß auffängt, als eine einzige 
wagerechte Schale bei vollkommener Windstille liefern würde. Dies rührt, 
wie man leicht aus den obigen Zeichnungen ersehen kann, daher, daß jede 
Schale etwa so viel Ruß auffängt, als der anderen entgeht. Bei Windstille 
wird die vertikale Schale, bei wagrechter Flugrichtung die horizontale 
nichts auffangen, und bei den Mittelwerten werden sich beide ergänzen. 

Freilich trifft dies nur 
annähernd zu; es ist aber 
nicht schwer, zu be¬ 
rechnen, um wieviel die 
Werte zu hoch sind, di» 
man mit einem solchen Ver¬ 
fahren auf zwei Platten 
erzielt. Man hat dann nur 
nötig, die gefundene Meng» 
des Rußes um den berech¬ 
neten Wert zu reduzieren. 

Wenn ich zwei kreisförmige Schalen mit einer Oberfläche von der Größ» 
r ä Jt, die eine horizontal, die andere vertikal und drehbar aussetze, so wird 
bei ganz senkrechtem Fluge des Rußes die vertikale Schale II gar keinen 
Ruß sammeln, bei ganz horizontaler Flugrichtung aber die horizontale I keinen 
aufweisen. 

Wieviel sammeln sie nun beide zusammen bei einer um den 2^ « ge¬ 
neigten Flugbahn. (Der Einfachheit wegen zeichne ich die beiden Schalen 


Fig. 4. 



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333 


Über die Rauch- and Rußfrage asw. 

zusammen, Fig. 4.) Wie wir schon sahen, wird dann in Wirklichkeit die 
Auffangefläche jeder einzelnen Schale kleiner als r a JT, weil ans der auf¬ 
fangenden Kreisfläche eine Ellipse wird, deren Größe r .a .7t für die hori¬ 
zontale Schale I, r.b.7t für die vertikale Schale II ist. Die tatsächliche 
Auffangfläche beider Schalen zusammen ist jetzt also nicht etwa 2 r 2 7t, 
sondern rn(a -f- b). Die Größe von r ist bekannt, unbekannt ist aber a -j- b 
(Fig. 4). Diesen Wert kann man berechnen, wenn man den z$a kennt, 
und dieser Winkel (der durchschnittlichen Flugrichtung wahrend der 
Expositionszeit) läßt sich aus dem Verhältnis des auf beiden Schalen nach¬ 
weisbaren Rußquantums ermitteln. 

Die Rußmengen R 1 und i? 9 auf den beiden Schalen (S. I und S. II) (Fig. 5) 
sind ja proportional der 
Größe der Auffangflächen: 

Ri-Rt = r .a. 7t: r .b .7t, 

R l :R i = a : b. 

Nun sind in der Zeich¬ 
nung (Fig. 5) die beiden 
Dreiecke ABC und BDE S-I. 
einander kongruent, daher 
2b = AC. 

Dann ist: 

tg u = 2 a: 2 b = a : b, 
also auch: 
tgu = R l :R i . 

Wenn wir auf diese Weise das Verhältnis der auf beiden Schalen nach¬ 
weisbaren Rußmengen gleich der Tangente des 2i « der (durchschnittlichen) 
Flugrichtung gefunden haben 1 ), erübrigt es noch, den Wert 2a -f- 2b zu 
berechnen. Aus Zeichnung (Fig. 5) ergibt sich: 

2 a = 2 r. sin a, 

2 b = 2 r .cos ot, 

folglich: 

2a -}- 2 b = 2 r( sin a -f- cos a). 

Setzen wir diesen Wert für a -f- b in den vorhin gefundenen Ausdruck 
für die tatsächliche Größe der von beiden Schalen zusammen (bei geneigter 
Flugrichtung) gebildeten Auffangfläche, so ist deren Formel: 

rn (a -f- b) = r a ?t ( sin u 4- cos u). 

Statt der Fläche r a sr, die eigentlich die Auf fangfläche sein sollte, fängt 
also tatsächlich eine um den Wert (sinct -|- cos a) zu große Fläche 
den Ruß auf. Ich muß also auch mein Resultat der Rußbestimmung durch 
den Wert (sinn -f- cosa) dividieren. 

Finde ich z. B. auf Schale I 0,5 mg Ruß, auf Schale II 2,5 mg, so be¬ 
steht das Verhältnis 1:5 = 0,200. Ich sehe also in der Logarithmentafel den 
Winkel nach, dessen Tangente = 0,200 ist, und finde dort den 2£ 11°20 / » 


*) Auf diese Weise erhält man Aufschluß über die Flugrichtung der Ruß- 
te ilchen. 


Fig. 5. 





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334 Dr. H. Lief mann, 

Also war der 2i a der durchschnittlichen Flagrichtung während der Exposi¬ 
tion szeit um 11° 20' geneigt. 

Der Sinus des 2$. 11° 20' = 0,19662 
der Cosinus des 2i 11° 20' = 0,98050 
Sinus -f- Cosinus = 1,17702 

Also mein gesamter Rußbefund auf beiden Schalen ist mit dem Werte 
1,177 zu dividieren. 

Bei um 45° geneigter Flugbahn findet man natürlich auf der horizon¬ 
talen Schale ebensoviel Ruß wie auf der vertikalen. Das Verhältnis ist also 

tg 1,0000 = 45° 
sin 45» = 0,70711 
cos 4 50 = 0,70711 
sin cos = 1,41422 

Demnach ist die gefundene Rußmenge mit 1,414 (das ist der höchste 
erreichbare Wert) zu dividieren. 

Bei ganz horizontaler Flugrichtung ist das Verhältnis: 

0:1=0. tg 0,000 = 2^0° 
sin 0° = 0,00000 
cos 0° = 1,00000 
sin -\- cos = 1,00000 

Das gefundene Resultat gibt also ohne weiteres die richtige Rußmenge 
wieder, weil die Auffangfläche diesmal wirklich = r a 7t war. 

Was nun die Art und Weise betrifft, in der man den Ruß auf den auf¬ 
fangenden Flächen fixiert, so wird durch die Notwendigkeit, eine vertikale 
Fläche auszusetzen, jede größere FlüsBigkeitsmenge, also z. B. eine Wasser¬ 
schicht, wie sie Heim verwandte, von selbst unmöglich. Man muß eine 
klebende Substanz an wenden, und bei ihrer Auswahl kommt es darauf an, 
wie man den Ruß später weiter verarbeitet. Für meine Zwecke erwies sich 
aus später zu besprechenden Gründen eine feine ölsohicht am geeignetsten. 

Die Beschaffenheit der Auffangfläche wird 
ebenfalls im wesentlichen durch die Art 
und Weise bestimmt, wie nachher der Ru߬ 
nachweis ausgeführt wird; als praktisch 
erwiesen sich mir ganz flache Trichter, 
wie sie die nebenstehende Zeichnung 
im Durchschnitt veranschaulicht (Fig. 6), 
deren Größe so bemessen war, daß die von dem oberen Rand umsäumte Öffnung 
eine Kreisfläche von 100 qcm darstellte. Je größere Schalen verwendet werden, 
desto vorteilhafter ist es, da dadurch etwaige Versuchsfehler kleiner werden; 
einmal, weil Zufälle, die bei der Sedimentierung Vorkommen, sich ausgleichen, 
und dann, weil die gesammelte Rußmenge größer ist und daher leichter 
bestimmt werden kann. Aber praktische Umstände geben die Veranlassung, 
die Größe der Schalen in gewissen Grenzen zu halten, und so mußte ich 
mich auch mit der Exponierung von zwei Schalen mit je 100 qcm Auffang- 
fläche begnügen. 


Fig. 6. 



1:1 = 1 , 0 . 

demnach 


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335 


Über die Rauch- und Rußfrage usw. 

Ort der Sammlung. 

Am allerschwereten ist bei der Sammlung der Rußproben sicherlich 
die Frage zu beantworten, wo man in einem so großen Bezirk, 
wie ihn eine moderne Großstadt darstellt, die Rußproben am besten 
sammelt. Diese Schwierigkeiten liegen vor allem darin begründet, 
daß die Verteilung des Rußes in einer Stadt keine gleichmäßige 
ist, sondern daß neben der diffusen Luftverderbnis, die zu bestimmen 
unsere erste Aufgabe ist, an einzelnen Punkten lokale Rauchbelästigungen 
Vorkommen. Solche können schließlich in der Nähe jedes rauchenden 
Schornsteines bestehen. Für die Beurteilung der gesamten Stadtatmo¬ 
sphäre haben sie hier aber zunächst keine Bedeutung. Darum ist es bei 
der Bestimmung der diffusen Rauchplage unsere erste Pflicht, uns von 
jeder lokalen Rauchbel&stigung, (L h. von der allzu großen Nähe rauchender 
Schornsteine, möglichst entfernt zu halten. Oftmals hat man allerdings diese 
Regel nicht befolgt, und ist daher ab und zu zu sehr hohen Werten gelangt, 
die im Grunde nichts anderes beweisen, als daß ein Schornstein in der Nähe 
war, der stark rauchte, — eine Tatsache, die man auch mit bloßem Auge 
feststellen kann. Dadurch, daß man also die Nähe jeglicher rauchender 
Kamine meiden muß, wird die Anzahl der zur Auffangung des Rußes dienenden 
Orte bereits sehr beschränkt. Man ist vornehmlich auf freie Plätze angewiesen. 

Heim ist in seiner Arbeit von der Idee ausgegangen, daß man in ver¬ 
schiedenen Stadtteilen Proben sammeln müsse. Dies hat wohl manches für 
sich, und doch kommt man meines Erachtens gerade auf diese Weise nicht 
zu richtigen Zahlen. Wenn man an vier verschiedenen Punkten der Peri¬ 
pherie der Stadt, im Norden, Süden, Osten und Westen untersucht, und 
schließlich auch im Zentrum, dann gibt der aus den Untersuchungen resul¬ 
tierende Durchschnittswert mehr die Verhältnisse an der Peripherie an, als 
die im Innern der Stadt herrschenden. Nun ließe sich dieser Übelstand ja 
dadurch vermeiden, daß man auf jede Untersuchung in der Peripherie eine 
im Zentrum ausführen würde, aber die Resultate, die man in den Außen¬ 
quartieren einer Stadt erhält, sind überhaupt-sehr schwankend und unsicher. 
Es ist ja leicht verständlich, daß bei Ostwind eine Untersuchung im Osten 
einer Stadt nur wenig Ruß liefern kann, da der Wind den ganzen Rauch 
nach Westen treibt. Da man nun aber kaum gleichzeitig an allen vier 
Himmelsrichtungen den Ruß sammeln kann, ist es besser, von diesen Unter¬ 
suchungen der Außenbezirke ganz abzusehen. Dieser Vorschlag hat um so 
mehr Berechtigung, als ja in den meisten Städten wenigstens am Tage das 
Gros der Bevölkerung sich im Zentrum ansammelt, weil das Geschäftsleben 
dort konzentriert ist. Wenn man also die Verhältnisse dort bestimmt, be¬ 
kommt man einen Maßstab der Luftverunreinigung, unter der die Mehrzahl 
der Bevölkerung zu leiden hat *). Und ausgehend von der Idee, daß für die 


') Speziell in sehr großen Städten ist es fast unmöglich, die Verhältnisse der 
8tadtperipherie zu berücksichtigen. Man bedenke, wie weit sich bei einer Stadt 
wie Berlin die Vororte hinausziehen. Man kann meines Erachtens in den Luft¬ 
verhältnissen, wie sie sioh etwa in Wilmersdorf finden, nichts für Berlin charak¬ 
teristisches erblicken, und aus dem Rußgehalt in Wandsbek nicht auf Hamburgs 
Verhältnisse Rückschlüsse machen. Deshalb muß man sich auf den Bezirk dea 
Stadtinnera beschränken. 


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336 


Dr. H. Lief mann, 


Raucbplage einer Stadt es am charakteristischen sei, zu wissen, biß za 
welchem Grade die diffuse Luftverunreinigung anzuwachsen imstande ist, 
glaube ich, daß man den Punkt zur Untersuchung wählen müsse, der voraus¬ 
sichtlich den höchsten Rußgehalt der Luft auf weist, jedoch ohne daß dabei 
irgend eine lokale Rauchbelästigung im Spiele ist. 

Diesen Punkt des voraussichtlichen maximalen (diffusen) Rauch¬ 
gehaltes kann man nun ungefähr berechnen, da er nur von zwei Faktoren 
abhängig ist, nämlich von der vorherrschenden Windrichtung und von der 
Bauanlage der Stadt. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren wird man 
also einen Punkt wählen, der, wie ein Blick auf den Stadtplan zeigt, am 
meisten Rußgehalt aufweisen muß, weil der Wind, bevor er dorthin gelangt, 
schon am meisten Rauchquellen passiert hat. Die vorherrschende Wind¬ 
richtung aber, und überhaupt die Häufigkeit der einzelnen Windrichtungen 
und ihr Verhältnis zueinander, ist in den einzelnen Jahreszeiten recht ver¬ 
schieden. Da man die Untersuchungen über die Rauchplage zumeist dann 
vornehmen wird, wenn sie am empfindlichsten ist, also im Winter, muß man 

die Windverhältnisse dieser Jahreszeit be¬ 
rücksichtigen. Nehmen wir nun an, A sei 
in Fig. 7 ein Stadtgebiet, und die vor¬ 
herrschende Windrichtung Bei Süd west, 
dann muß sich am Punkte NO am meisten 
Ruß sammeln, weil der Wind dort die 
größte Anzahl Rauchquellen passiert hat. 
0 Wäre Südwestwind die einzige in Betracht 
kommende Windrichtung, dann wäre also 
N 0 der gesuchte Ort des maximalen Ru߬ 
gehaltes. Da aber auch andere Winde wehen, 
so muß der gesuchte Ort mehr zum Zentrum 
liegen, aber auf der Linie C — N0, wenn die 
anderen Windrichtungen annähernd unter¬ 
einander gleich häufig sind. Man wird also einen zur Untersuchung geeigneten 
Ort dann finden, wenn man auf einem möglichst freien Platze, der zwischen dem 
Zentrum und der Peripherie in entgegengesetzter Richtung zu der des vor¬ 
herrschenden Windes liegt, den Ruß sammelt. Auf diese Weise muß man den 
maximalen diffusen Rußgehalt der Luft finden, also eine Luftverderbnis, die 
nicht an allen anderen Punkten der Stadt in gleichem Maße vorhanden, die 
aber doch für die ganze Frage am bedeutungsvollsten ist Man kann in 
den meisten Städten diese Verhältnisse sich auch ziemlich vereinfachen, ohne 
größere Fehler zu begehen, indem man am Rande des inneren Stadt¬ 
bezirkes, wie er sich in älteren Städten, die früher eine Stadtumwallung 
gehabt haben, stets findet, die Untersuchung anstellt, und zwar an der 
Stelle, die der vorherrschenden Windrichtung gerade entgegen¬ 
gesetzt liegt. Nur in wenigen Orten muß man meines Erachtens von 
dieser Regel abgehen, so z. B. bei Städten, die infolge irgendwelcher Um¬ 
stände eine besondere Form des Stadtgebietes aufweisen. Bei der Wahl des 
Standpunktes des Untersuchers ist noch die Frage von Bedeutung, in welcher 
Höhe sich die zum Sammeln der Rußproben nötigen Apparate befinden 
sollen. Ich habe meine Untersuchungen mit Vorliebe in Dachhöhe &n- 


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Fig. 7. 
N. 



S. 


337 


Über die Rauch- und Rußfrage ubw. 

gestellt, da za ebener Erde die Luftströmungen and demgemäß auch die 
Raßverteilang meist nicht so gleichmäßige sind. Dies wird es insbesondere 
unmöglich machen, in Straßen einigermaßen konstante Verhältnisse zu finden. 
Natürlich muß gerade bei Untersuchung in Dachhöhe die Nähe jeder Rauch¬ 
quelle vermieden, also nur auf solchen Häusern untersucht werden, in denen 
nur Koks verwandt wird, und alle benachbarten Rauchquellen dürfen zum 
mindesten nicht in der vorherrschenden Windrichtung liegen. 

Die Zeit, in der die Untersuchungen Btattfinden sollen, ergibt sich von 
selbst aus den Absichten des Untersuchenden. Da aber im Winter die Rauch¬ 
plage sich am meisten bemerkbar macht, werden diese Untersuchungen zu¬ 
meist im Dezember und Januar statt- 
zufinden haben. Es ist ja leicht ver¬ 
ständlich, daß infolge der im Winter 
besonders intensiven Beanspruchung der 
Zimmeröfen die Rauchplage um diese 
Zeit ihren höchsten Grad erreicht. 

Die bei den Untersuchungen ver¬ 
wendeten Apparate gibt die neben¬ 
stehende Figur 8 wieder. Auf einem 
Fuße F, der zur Anbringung des 
Apparates dient, liegt eine kleine Platte 
P y von der aus vier dünne Streben aus¬ 
gehen, die das Dach D halten. Grund¬ 
platte und Dach werden durchbohrt 
durch eine drehbare Achse A, die in 
der Mitte eine kleine Vorrichtung zum 
Halten einer Glasschale G trägt. Ober¬ 
halb des Daches ist an der Achse die 
Windfahne befestigt, die groß genug 
ist, um auch bei leichtem Winde ein 
Hin- und Herspielen zu garantieren. 

Freilich ist eine genau wagerechte 
Aufstellung des Apparates Bedin¬ 
gung. Es mag befremdlich erscheinen, 
daß an dem Apparat eine Bedachung 
angebracht ist, da man annehmen 
könnte, daß sie einen Teil des Rußes, der sich auf der exponierten Schale 
niedersetzen könnte, abfängt *). Diese Gefahr ist jedoch recht gering, da die 
Flugrichtung des Rußes infolge seines geringen Gewichtes fast stets eine 
sehr schräge ist, selbst bei nur mäßiger Luftbewegung. Neben dieser vertikal 
exponierten Schale zeigt die Abbildung (2) die ebenso große horizontal gelagerte. 

Die Methoden, die man anwenden kann, um den Ruß, der sich in be¬ 
stimmter Zeit auf den exponierten Schalen angesammelt hat, zu bestimmen, 
sind durch mehrere Umstände ziemlich beschränkt. 

Zunächst kommt in Betracht, daß die Menge, die man in 12 oder 24 
Stunden niedergeschlagen findet, meist eine so kleine ist, daß sie eine 

‘) Ich habe neuerdings auch Apparate ohne Bedachung verwendet. 

VierteljahrMchHft fflr Geiundheitgpflege, 1908. 22 



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338 


Dr. H. Liefraann, 


genaue chemische Wägung vereitelt. Sie wird nur nach Bruchteilen eines 
Milligramms zu zählen sein. Aber wenn dem auch nicht so wäre, so wurde 
doch eine einfache Wägung nur unzuverlässige Resultate geben, da der Ruß 
in der Luft nicht der einzige feste Bestandteil ist, sondern auch alle die 
anderen Stoffe sich absetzen, die man gemeinhin als Staub bezeichnet. Und 
da gerade diesen Stoffen zumeist ein höheres Gewicht zukommt als dem 
verhältnismäßig so leichten Ruß, ist auch aus diesem Grunde eine einfache 
Wägung der gesammelten Proben unmöglich. Es gibt nun keinerlei che¬ 
misches oder mechanisches Verfahren, um diese Stoffe vom Ruß scharf zu 
trennen, besonders deshalb, weil sie fast alle, ebenso wie dieser, so gut 
wie unlöslich sind. Gerade diese Schwierigkeiten sind die Ursache, daß bis¬ 
her verhältnismäßig wenige Untersucher den Rußgehalt der Luft zu be¬ 
stimmen versucht haben. Es ist eigentlich neben Rubner nur ein Autor, 
Heim, der die Frage des Rußnachweises ernstlich in Angriff genommen und 
ein bestimmtes Verfahren dazu angegeben hat. Auch er sah ohne 
weiteres ein, daß eine einfache Wägung des abgesetzten Rußes nicht möglich 
sei, da er zu sehr mit anderen Staubteilchen versetzt ist, die sich nicht in 
genügendem Maße von ihm trennen lassen. Heim verwandte deshalb den 
zweifellos richtigen Gedanken, daß mit keinem Mittel der Ruß sich so scharf 
von den anderen Staubteilchen unterscheiden läßt, wie durch das Auge. Er 
versuchte daher eine kolorimetrische Bestimmung des Rußes, aber da 
er damit nicht zum Ziele kam, mußte er einen recht komplizierten Weg ein- 
schlagen. Seine Methode ist eine Verbindung einer mikroskopisch- 
volumetrischen Bestimmung mit einem gewichtsanalytischen 
Verfahren. Er trennt zunächst den Ruß so gut wie möglich teils chemisch, 
teils auch mechanisch von den anderen Staubteilen und, da dieB nur unvoll¬ 
kommen gelingt, schätzt er dann unter dem Mikroskop das Volum Verhältnis 
des bei Trennung in dem Ruß-Staubgemenge noch übrig gebliebenen Rußes 
zu dem des Staubes und setzt das Resultat dieser Schätzung bei einer darauf¬ 
folgenden Wägung ein. 

Praktisch gestaltet sich ein Verfahren folgendermaßen: 

1. Auffangen des Bußes in mit Wasser teilweise gefällten Schalen. 

2. Sammlung des Wassers und des niedergeschlagenen Bußes aus den Schalen 
in Flaschen. 

3. Entleeren in große Porzellanschalen, Entfernen grober Teile. 

4. Kochen in 5proz. Kalilauge V* 8tunde. 

5. Neutralisieren und in Säure % Stunde koohen. 

6. Filtrieren und waschen, bis das Filtrat nicht mehr sauer abläuft. 

7. Mikroskopierung des Büokstandes auf dem Filter und Angabe, wieviel 
Volumprozente auf dem Filter Buß sind, und wieviele auf-andere Stoffe entfallen. 

8. Entwässern des Büokstandes mit Spiritus und Äther, Trocknen eine Stunde 
lang bei 105 bis 110°, im Exsikkator erkalten lassen nnd wiegen. 

9. Von dem Gewicht den Prozentteil abziehen, der sich bei der Mikrosko¬ 
pierung nicht als Buß erwiesen hatte. 

Man hat verschiedene Ein wände gegen diese Heimsche Methode geltend 
gemacht, vor allem aber den, daß sie ein subjektives Moment, nämlich die 
Schätzung des Verhältnisses des Rauches zu anderen Teilen, in die Bestimmung 
hineinträgt. 

Heim erblickt gerade in der mikroskopischen Bestimmung des Rußes * 
einen Vorzug seiner Methode, da es auf keine andere Weise gelinge, den 


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339 


Über die Rauch- und Rußfrage usw. 

Ruß so gut nachzuweisen, wie mit dem Mikroskop. Es gibt in der Tat 
sicherlich kein Mittel, das so winzige Spuren von Ruß noch deutlich er¬ 
kennen ließe, als die Betrachtung, Bei es mit unbewaffnetem Auge oder gar 
mit dem Mikroskop. Aber dieser Rußnachweis ist doch nur ein qualitativer, 
und es scheint mir um so mehr bedenklich, ihn bei einer quantitativen Be¬ 
stimmung des Rußes zu verwenden, als dabei eine Übertragung von Volum¬ 
verhältnissen auf Gewichtsbestimmungen stattfindet. 

Nehmen wir an, daß bei einer mikroskopischen Betrachtung auf einem 
Filter bei der Heim sehen Methode 50Proz. Ruß und 50 Proz. andere Staub¬ 
teile sich fanden, so bezieht sich das doch nur auf das sichtbare Volumen der 
Substanzen, aber die Gewichtsverhältnisse können ganz andere sein. Ja, sie 
werden es sogar sicherlich sein, da der Ruß unter den Staubbestandteilen 
einer der leichtesten ist, so daß bei dem oben angezogenen Beispiel die 
Gewichtsverhältnisse eher etwa wie 25 Proz. Ruß zu 75 Proz. Staub sich ver¬ 
halten mögen. Ich halte den auf diese Weise entstehenden Fehler für 
größer als den, der durch etwaige subjektive Fehlerquellen bei der Schätzung 
entstehen könnte. 

Aber trotzdem scheint mir auch dieser Umstand in praxi nicht so be¬ 
deutend, daß er die He im sehe Methode nicht anwendbar gestalten würde, 
und ich glaube auch, daß man mit ihr Resultate gewinnen kann, die dem 
tatsächlichen Gewicht der zu messenden Rußmenge sehr nahe kommen mögen. 
Was aber ihre Anwendung sehr erschwert, ist ihre zu große Umständ¬ 
lichkeit und Langsamkeit. Außerdem sahen wir, daß sie für unsere 
Zwecke deshalb kaum in Betracht kommen kann, da sich die Aussetzung 
einer senkrecht gestellten Schale als notwendig erwies und mit dieser An¬ 
forderung das Auffangen des Rußes auf Wasser nicht zu vereinbaren ist. 

Wir haben gesehen, daß die Rußmengen, die aus der Luft sich nieder- 
achlagen, so kleine sind, daß ihr quantitativer Nachweis Schwierigkeiten be¬ 
reitet, zumal da sie sich von anderen Staubteilchen nicht trennen lassen. 
Wir sahen auch, daß die Wage nicht imstande ist, so feine Unterschiede in 
der Rußmenge nachzuweisen, wie das Auge, das äußerst geringe Spuren an 
ihrer intensiven Farbe bereits erkennt. Methoden, die sich auf das Farben- 
unterscheidungsvermögen des menschlichen Auges zum Nachweis irgend 
einer Substanz bedienen, heißen kolorimetrische Verfahren. Sie sind sowohl 
zur qualitativen wie auch zur quantitativen Bestimmung gewisser Substanzen 
zu verwenden. Es ist das Naheliegendste für die Bestimmung des Rußes, ein 
kolorimetrisches Verfahren zu versuchen. 

Für ein solches Vorgehen spricht: 

1. die charakteristische und lebhafte Eigenfarbe des Rußes, die ihm 
unter allen Staubteilchen fast allein zukommt; 

2. die Möglichkeit, die schwierige oder unmögliche Trennung von an¬ 
deren Staubteilen zu vermeiden (da ein kolorimetrisches Verfahren durch 
sie nicht oder wenig beeinflußt wird); 

3. die Möglichkeit, Rußteilchen zu bestimmen, die unter der Grenze 
exakter Wägung liegen; 

4. die Einfachheit und Schnelligkeit eines solchen Verfahrens. 

Ein Nachteil bei jeder Kolorimetrie ist der Umstand, daß eine gewisse 

Abhängigkeit von subjektiven Momenten nicht zu umgehen ist, nnd ferner 

22 * 


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340 Dr. H. Liefmann, 

speziell in unserem Falle die Schwierigkeit, den Ruß in irgend einer Flüssig- 
keit gleichmäßig zu verteilen. 

Gerade letzteres ist für ein kolorimetrisches Verfahren von besonderer 
Bedeutung, da es darauf ankommt, welche Färbung die za bestimmende 
Menge eines Stoffes einer gewissen Flüssigkeitsmenge verleiht. Das erste 
Bestreben bei der Ausarbeitung einer kolorimetrischen Methode muß also 
sein, den Ruß in irgend einer Flüssigkeit, wenn auch nicht zu lösen, so doch 
so fein zu verteilen, daß dadurch eine homogene Farbe der Rußauf- 
schwemmung erzielt wird. Heim hat mit verschiedenen Stoffen dieses 
Ziel zu erreichen gesucht. Er hat den Ruß mit Xylol, Alkohol, Benzol und 
Wasser zusammengebracht und sich bestrebt, durch Schütteln mit feinem 
Quarzsand eine homogene Suspension zu erzielen. Er fand auch, daß die 
Farbe, die eine solche Aufschwemmung liefert, der Menge des verwandten 
Rußes genau proportional ist. 1mg Ruß, in 10 ccm Xylol, 2 mg in 20 ccm, 
5 in 50 ergaben stets eine genau gleiche Farbe. Die notwendige Grund¬ 
lage eines kolorimetrischen Verfahrens ist also gegeben. Dennoch hat 
Heim seine kolorimetrischen Versuche aufgegeben, wie er sagt, aus zwei 
Gründen: 

1. Weil bei höherer Prozentuierung als 1:10000 die Erkennung von Farben¬ 
unterschieden immer schwieriger wird und 

2. weil es ihm nicht gelang, mit vorher unbekannten (später durch Wägung 
bestimmten) Rußmengen ein annähernd richtiges Ergebnis aus den Abstufungen 
des Rauchgraus zu schätzen. 

Auf den ersten Einwand gegen ein kolorimetrisches Verfahren läßt sich 
nun erwidern, daß es ganz auf die Menge der zur Suspendierung des 
Rußes verwandten Flüssigkeit ankommt, wieviel Ruß man kolorimetrisch 
noch nachzuweisen vermag. Je geringer die Flüssigkeitsmenge ist, die man 
verwendet, desto geringere Rußmengen werden bereits eine intensive Schwär¬ 
zung verursachen. 

Der zweite Ein wand Heims verliert seine Bedeutung vollkommen, wenn 
man bedenkt, daß eine Gewichtsbestimmung mit der Wage und eine kolori- 
metrische Bestimmung bei gewöhnlichem Ruß schlechterdings nicht über¬ 
einstimmende Resultate liefern können. Denn der Ruß, stamme er aus 
Schornsteinen, von Petroleum- oder Gaslampen, ist nie ein ganz einheitlicher 
Körper, er enthält stets einige Aschenbestandteile, die die schwarze Färbung 
des Kohlenstoffs nicht besitzen, demgemäß kolorimetrisch nicht mitbestimmt 
werden, bei der Wägung aber oft infolge eines relativen größeren Gewichts 
als Ruß nicht ohne Einfluß bleiben. 

Die vollkommen exakte Bestimmung des Rußes mit allen seinen 
Bestandteilen ist nun sicherlich ein Ding der Unmöglichkeit. Auch 
das Verfahren Heims erfüllt diese Forderung nicht. Es bleibt also nichts 
übrig, als sich auf eine Bestimmung des Kohlenstoffs im Ruß zu beschränken, 
der ja bei weitem der Hauptbestandteil ist'), schon was das Gewichts- 

*) Heim fand bei der Verbrennung von 0,0722g Schornsteinruß folgende 
^ erte ' Anorg. Rückstand. . . . 15,51 Proz. 


C.81,44 , 

H. 2,35 „ 

In Volumprozenten — und auf diese kommt es ja eigentlich an — stellt sich 


das Verhältnis nooh bedeutend günstiger für den C. 


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341 


Über die Rauch- und Rußfrage usw. 

Verhältnis angeht, und in noch höherem Maße dom Volumen nach. Auch 
kann der Ruß, der in der Luft schwebt, äußerst verschieden zusammen¬ 
gesetzt sein. Schon durch die Art und Weise der Verbrennung kann ein 
Einfluß auf die Rußbeschaffenheit ausgeübt werden, von noch höherer Be¬ 
deutung ist die Art der verwendeten Kohle. Es ist bekannt, daß speziell 
bei der Braunkohlenfeuerung den Verbrennungsprodukten sich viel Flug¬ 
asche beimischt, die einen erheblich von gewöhnlichem Ruß abweichenden 
Charakter aufweist. 

Wenn sich auf diese Weise die Bedenken Heims gegen ein kolori- 
metrisches Verfahren auch entkräften lassen, so kann doch kein Zweifel 
darüber bestehen, daß das kolorimetrische Verfahren kein absolut 
genaues ist. 

Ein solches ist aber bei den rein praktischen Zwecken, die der Ruß- 
nachweis verfolgt, auch gänzlich überflüssig. Eis kann sich nur darum handeln, 
eine für praktische Zwecke geeignete Methode anzuwenden, die es erlaubt, 
mit einfachen Mitteln und möglichst mühelos den Grad einer Rauchplage zu 
bestimmen und bei Untersuchungen an verschiedenen Orten vergleich¬ 
bare Resultate zu liefern. 

Am einfachsten gestaltet sich ein kolorimetrisches Verfahren, wenn man 
die aufgefangene Rußmenge nach ihrer Verarbeitung mittels einer Ver¬ 
gleichsskala, die genau bekannte Rußmengen enthält, bestimmen kann. 
Die Frage ist aber, womit man eine derartige Skala herstellen soll. Da es sich 
um die Bestimmung von Schornsteinruß handelt, würde es nahe liegen, diesen 
als Vergleichsobjekt zu benutzen. Aber dem widerstreitet seine variable 
Zusammensetzung und seine häufige Verunreinigung insbesondere durch 
Asche. Und da nach dem bereits Gesagten es bei dem kolorimetrischen 
Verfahren nur darauf ankommen kann, die schwarz färbenden Bestandteile 
des Rußes, also den Kohlenstoff (und eventuell auch Teerdämpfe, die er 
enthält) zu bestimmen, erscheint es am besten, möglichst reinen Ruß mit 
hohem Kohlenstoffgehalt zur Herstellung der Skala zu verwenden. Als 
solcher empfiehlt sich besonders der durch Verbrennen von chemisch reinem 
Naphtalin gewonnene. 

Von Wichtigkeit ist es nun, daß man die Skala mit der gleichen Flüssig¬ 
keit herstellt, in der man später den Ruß zu bestimmen gedenkt. Von vorn¬ 
herein muß man darauf verzichten, ein Lösungsmittel für den Ruß zu finden, 
da er überhaupt so gut wie unlöslich ist. Es bleibt also nur übrig, ihn 
fein zu suspendieren, und es ist daher von besonderer Wichtigkeit, eine 
Flüssigkeit zu finden, die eine möglichst homogene Suspension ermöglicht. 
Heim hat Xylol, Benzol oder Alkohol zweckmäßig gefunden, doch erfüllten 
sie meines Erachtens bei weitem nicht die Anforderungen, die man an ein 
Suspensionsmittel stellen müßte. Am besten schien es mir, einen Stoff zu 
verwenden, in dem man auch in praxi den Ruß zu verreiben pflegt. Er 
findet ja eine sehr ausgedehnte Anwendung, die vor allem auf seiner intensiv 
schwarzen Farbe beruht. Er wird als Anstreichfarbe, zur Bereitung von 
Tusche und als Druckerschwärze verwendet und dazu in öl, Leim- und 
Zuckerlösungen verrieben. In der Tat ist die Suspension, die man mit 
solchen Mitteln erhält, viel leichter zu erzielen und viel feiner, da der Ruß 
von diesen Substanzen bedeutend besser benetzt wird. Am leichtesten 


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342 


Dr. H. Liefmann, 


gelingt eine ölsuspension, und ich habe daher diesen Stoff verwendet 
und ihn nicht nur zur Anfertigung der Skala und zur Verarbeitung des 
gesammelten Rußes verwendet, sondern die exponierten Schalen damit be¬ 
strichen. Mit einem Pinsel läßt sich leicht eine feine ölschicht auf die 
Schalen auftragen, die recht geeignet ist, die auf sie sich niedersetzenden 
Partikelchen festzuhalten. Am besten ist es, ganz wasserklares öl zu 
benutzen, wie es zu verschiedenen Zwecken im Handel k&uflich ist, aus dem 
Grunde, weil ein öl mit Eigenfarbe leichter einen Einfluß auf die Farbe der 
Rußsuspension haben kann. Ich habe anfangs den Ruß von den Schalen 
mit reinem öl entfernt und ihn direkt in ein Kolorimeterröhrchen gebracht, 
wo er, mit Glasperlen geschüttelt, zu einer feinen Verreibung gebracht wurde. 
Da die dabei zur Verfügung stehende ölmenge nur eine begrenzte sein 
konnte, habe ich später ein etwas anderes Verfahren angewendet. Die feine, 
auf den Glasschalen befindliche, mit Ruß und Staub durchsetzte Ölschicht 
wurde mit Äther entfernt und in einen Mörser gebracht. Nach dem Ver¬ 
dunsten des Äthers wurde mit recht wenig öl eine möglichst feine Ver¬ 
reibung des Rußes erzielt, dann bis auf eine bestimmte Flflssigkeitsmenge 
nacbgefüllt und erst diese Verreibung in das Kolorimeterröhrchen gebracht. 
Besondere Sorgfalt beansprucht die Herstellung der Ver¬ 
gleichsskala. Eine bestimmte Menge reinsten, bei 100° getrockneten 
und geglühten Naphtalinrußes wurde gewogen und mit öl im Mörser fein 
verrieben. Hie Verdünnungen wurden so angestellt, daß die Skala von 
V,o mg bis zu B /io mg reioht. Während das erste Röhrchen kaum eine 
schwarze Verfärbung erkennen läßt, ist das letzte ganz intensiv schwarz 
gefärbt", und die Unterschiede bei den einzelnen Gläsern, die je um ein 
Vio m g voneinander differieren, sind überaus deutlich und ohne Übung 
erkennbar. Für gewöhnliche Zwecke reicht man bei einem. einigermaßen 
starken Raßgehalt der Luft mit dieser Vergleichsskala aus. Indem man die 
Flüssigkeitsmenge, die man zur Suspension verwendet, vermindert (bis zu 
1 1 / a oder 1 ccm), kann man auf diese Weise noch Mengen von l / ih mgnach- 
weisen, und indem man den Ruß in größeren Mengen öl verteilt, auch 
größere Werte bestimmen. Bedingung ist natürlich, daß man bei der Unter¬ 
suchung stets gleichweite Röhrchen verwendet; mir haben sich graduierte, 
1 cm weite Kolorimeterröhrchen mit Glasstöpsel und flachem Boden am 
besten bewährt *)• 

Von Einfluß auf die Farbe ist in geringerem Grade wohl auch die 
Beleuchtung. Man kann die Röhrchen entweder hinter einer Mattglas¬ 
scheibe oder bei gewöhnlichem diffusen Tageslicht am Fenster betrachten. 

*) Die Tatsache, daß die zu beobachtende schwarze Verfärbung durch den 
Buß proportional der Dicke der durchleuchteten Flüssigkeitsschicht ist, ermöglicht 
es — obwohl dies kaum jemals praktisch von Bedeutung sein wird —, noch ge¬ 
ringere Bußmengen nachzuweisen, indem man die Betrachtung der Kolorimeter¬ 
röhrchen nicht seitwärts, sondern von oben vornimmt, also die ganze Höhe der 
Flüssigkeitsmenge durchschaut. Dann nimmt der obere Flüssigkeitsspiegel eine 
mehr oder minder schwarze Verfärbung an, die dem Bußgehalt proportional ist. 
Auf diese Weise kann man — freilich nicht ohne vorherige Einübung — noch 
Bußmengen von Vioo mg unterscheiden. Zum Nachweise ist natürlich noch eine 
weitere Skala nötig, die von '/ l00 mg bis zu § / I00 mg geht und bei der die Differenz in 
den einzelnen Böhrchen je '/ IH mg beträgt. 


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343 


Über die Rauch* und Rußfrage usw. 

Der Ruß setzt sich auch in öl nach einiger Zeit ab, darum empfiehlt es sich, 
den Skalenröhrchen und auch im Freien gewonnenen Proben, die man aufzu¬ 
heben gedenkt, entweder etwas Quarzsand oder feine Glasperlen zuzusetzen, 
um später ein Aufschütteln zu erleichtern. Unbedingt notwendig ist dies 
aber nicht. Sobald man sich eine Skala aus reinstem Naphtalinruß her- 
gestellt hat, gestaltet sich also der Nachweis der auf den Schalen aufge- 
fangenen Rußmengen folgendermaßen: 

1. Abspülen der Rußölschicht mit Äther in einen Mörser hinein. 

2. Verjagen des Äthers im Trocken schrank, Zusatz von a / s ccm öl und 
Herstellung einer möglichst feinen Suspension. 

3. Zufügen einer bestimmten Menge öl, so daß eine schwarze Farbe 
bestehen bleibt. Vermischen und Einfüllen des Ganzen oder eines Teiles in 
ein Kolorimeterröhrchen und Vergleichen mit den Skalenröhrchen. 

4. Berechnen auf 5 ccm öl und die gefundene Rußmenge mit 100 multi¬ 
plizieren. 

5. Übertragung der auf zwei Schalen gefundenen Rußmenge auf 
100 qcm bzw. 1 qm. 

Von besonderem Interesse ist nun die Frage, mit welcher Genauigkeit 
man auf diese Weise den Ruß bestimmt. Nach meinen Erfahrungen und 
Versuchen übersteigen die Fehler nicht die Grenze von 0,06 mg. Natürlich 
kommt viel auf die Genauigkeit und Sorgfalt an, mit der man den Ruß 
verreibt und die Farbe prüft. Man könnte wohl einwenden, daß eine der¬ 
artige Genauigkeit nicht genügt, da zum Beispiel bei der Bestimmung von 
0,2 mg Ruß eine Fehlerquelle von 0,05 mg ein um 25 Proz. abweichendes 
Resultat ergibt. Demgegenüber aber ist schon wiederholentlich darauf hin¬ 
gewiesen worden, daß es eine absolut exakte Rußbestimmung wohl überhaupt 
nicht geben kann, und daß es auf den Nachweis so geringer Rußmengen 
auch nicht ankommt, da doch nur eine größere Versuchsreihe über die 
Luftverhältnisse an einem Orte Auskunft geben kann und dabei Fehler nach 
der einen oder anderen Seite sich ausgleichen müssen. 

Einige Untersuchungsresultate, wie sie sich bei Versuchen in Hamburg 
ergaben, zeigt die Tabelle (siehe S. 344). Zu ihrer Erläuterung ist hinzu¬ 
zufügen, daß die auf 100 qcm gefundene Rußmenge auf einen (idealen) 
Quadratmeter und auf 24 Stunden umgerechnet worden ist. Eine besondere 
Rubrik nehmen die Witterungsverhältnisse ein, von denen ein Einfluß auf 
den Rußgehalt anzunehmen war. 

Auch bei lokaler Rauchbelästigung bietet eine Rußnachweis- 
methode die Möglichkeit einer zahlenmäßigen Bestimmung. 
Natürlich hat ein solcher Nachweis nur dann Wert, wenn bei einer Be¬ 
lästigung der Ruß wirklich als der störende Bestandteil des zugeführten 
Rauches auftritt. 

Gegenüber den Schwierigkeiten, welche die Bestimmung einer diffusen 
Rauch plage, wie wir sahen, bietet, gestaltet sich ein Versuch, eine lokale 
Rauchbelästigung nachweisen, verhältnismäßig einfach. 

Der Hauptfaktor, der bei der Bestimmung berücksichtigt werden muß, 
ist die Windrichtung. Man findet oft, daß eine Wohnung verhältnismäßig 
nahe an einer Rauchquelle gelegen sein kann, ohne viel unter Rauch und 
Ruß zu leiden, wenn nur die Riehtung der vorherrschenden Luftströmung 


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344 


Dr. H. Liefmann, Über die Rauch- und Rußfrage usw. 


vermieden wird. Daraus ergibt sich als erste Aufgabe, sich über die Wind¬ 
verhältnisse an einem Orte, die je nach den Jahreszeiten verschieden sind, 
zu orientieren. ier 

Weiterhin sind von Bedeutung die allgemeinen Rauchverhältnisse, die __ 
an dem betreffenden Platze herrschen. Wenn an einem Punkte auch ohnehin 
schon viel Rauch und Ruß sich in der Luft befinden, kann eine bestimmte 
Rauchquelle nicht für den ganzen Schaden haftbar gemacht werden. Dieser **1 
Umstand kann leicht berücksichtigt werden, wenn man eine Eontrollunter- 
suchung anstellt zu einer Zeit, in der der Schaden stiftende Schornstein 
nicht raucht. Die Bestimmung der Rußmengen, die der Wohnung zugeführt 
werden, vollzieht sich dann sehr einfach. 

Am Fenster wird eine horizontale und eine vertikale 1 ) Schale von 
100 qcm Größe ausgesetzt und nach einer bestimmten Stundenzahl die ab¬ 
gelagerte Rußmenge bestimmt. Besteht nun die Annahme, daß an der be¬ 
treffenden Stelle ein stärkerer diffuser Gehalt der Luft an Ruß besteht, oder 
auch andere Schornsteine Rauch dorthin entsenden, dann muß noch eine 
Bestimmung vorgenommen werden, wenn der beschuldigte Schornstein 
nicht raucht. Durch derart angestellte Untersuchungen kann man zu einem 
sicheren Urteil über die an einem Punkte herrschenden Rußverhältnisse 
kommen. 

Zum Schlüsse noch einige Bemerkungen über die Anwendbarkeit der 
geschilderten Methode. Es gibt zweifellos zwei Umstände, die geeignet 
sind, die Resultate dieses Verfahrens ungünstig zu beeinflussen, nämlich 
1. das Vorhandensein von viel Staub (neben dem Ruß) in der Luft 
und 2. das Vorkommen von Flugasche. In Städten, in denen die 
Staubplage die erste Rolle spielt, wird ein kolorimetrischer Nachweis des 
Rußes in der geschilderten Weise überaus häufig auf Schwierigkeiten 
stoßen, da der Staub, in öl aufgeschwemmt, eine graue Trübung erzeugt, 
die die Erkennung der durch Ruß bewirkten Schwärzung sehr erschwert 
DaB gleiche gilt für die Flugasche, die sich namentlich bei der Verbrennung 
von Braunkohle in erheblichem Grade zu bilden und dem Rauch beizumengen 
pflegt. Doch bilden die beiden genannten Faktoren deshalb wohl keine so 
sehr erhebliche Beeinträchtigung, da die Flugaschenplage auch vom 
hygienischen Standpunkt als etwas Eigenartiges angesehen werden muß, 
und der Staub in den Städten und in der Jahreszeit, in der der Ruß vor¬ 
herrscht, meist sehr erheblich an Bedeutung zurücktritt. Die eigentliche 
Rußplage ist ja in ganz besonderem Grade von bestimmten meteorologischen 
Faktoren, von einem feuchten Klima abhängig. 

l ) Die vertikale Schale braucht hierbei nicht drehbar zu sein, da ja nur eine 
"Windrichtung in Betracht kommt. 


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erung von Ruß aus der Luft, 


Zu Seite 344, 


Größe der 
exponierten 
Schalein qcm 

Dauer der 
Exposition 

ij 

■ Resultat: 
berechnet auf 1 qm 
nach 24 Stunden 

mg 

Bemerkungen 

254,3 

24 8tunden 

23,59 


132,7 

24 

» 

18,85 


254,4 

24 

„ 

23,59 


105,6 

24 

n 

18,94 


185,3 

24 

n 

16,14 


73,8 

24 

„ 

6,8 


73,8 

24 

„ 

13,54 


102 

24 

n 

9,8 

| 

75,5 

24 

D 

39,69 

. Bewölkung 10. Dunst. 

75,5 

24 

n 

6,6 

1 

75,5 

25 

„ 

3,3 


78,5 

28 

„ 

9,1 


78,5 

24 

„ 

57,3 


78,5 

26 

n 

46,72 


78,5 

48 

„ 

63,7 


78,5 

48 

n 

28,66 


81,6 

7 

„ 

15,87 


78,5 

1 Std. 40 Min. 

1«3,45 

/ Wind vom Hafen her, 





\ sehr heftig. 

78,5 

29 Stunden 

35,29 


78,5 

18'/, 

n 

4,8 

1 Auf die richtige Fläche 

78,5 

18 l /s 

„ 

12,0 

/ reduziert 12,3 mg. 

78,5 

53 

„ 

20,14 


75,4 

96 

„ 

298,7 


78,5 

24 


76,4 

\ Auf die richtige Fläche 

78,5 

24 

„ 

19,11 

/ reduziert 79,5 mg. 

81,6 

14% 

» 

69,6 

1 Auf die richtige Fläche 

81,6 

14% 

r 

13,9 

1 reduziert 70,76 mg. 

78,5 1 

20% 

- 

14,64 

78 m Höhe. Osten. 

81,6 

20% 

v 

45,6 

60 m Höhe. N O. 

81,6 

20% 

y» 

26,0 

50 m Höhe. Osten. 

78,5 

20% 

n 

65,88 

30 m Höhe. Osten. 

81,6 

20% 

- 

39,0 

15 m Höhe. Osten. 


Friedr. Vieweg <ft Sohn in Braunichweig. 


Diqitized b' 


GoogI< 





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Dr. A. Flinker, DaB religiöie Fasten in hygien. und sozialpolitischer Beziehung. 345 


Das religiöse Fasten in hygienischer und sozial¬ 
politischer Beziehung. 

Von Dr. Arnold Flinker, k. k. Bezirksarzt in Wiznitz a. Cz. 

Vortrag, gehalten auf dem internationalen Kongresse für Hygiene und Demo¬ 
graphie in Berlin, September 1907. 


Das Fasten als religiöser Brauch war schon im grauesten Altertum 
bei vielen Völkern üblich. In den heiligen Büchern der Inder, in den Papyrus¬ 
rollen der alten Ägypter finden sich oft genug asketische Lebensanschauungen. 
Die Juden sind durch das mosaische Gesetz verpflichtet, am Versöhnungs- 
tage zu fasten. Die sonstigen Fasttage, der Juden knüpfen an historische 
Ereignisse an, welche zumeist den Untergang des jüdischen Reiches zur 
Folge hatten, und sind offenbar dazu bestimmt, die Erinnerung an die 
«instige Selbständigkeit Israels wach zu erhalten. Außerdem gibt es bei den 
Juden Fasttage zur Abwendung von Unglücksfällen aller Art, insbesondere 
Hunger, Krieg und Seuche. 

Aus dem Judentum und gleichzeitigen asketischen Richtungen des 
Heidentums ging das Fasten auch in die christliche Kirche über, trotzdem 
Jesus und seine Jünger dem Fasten gegenüber eine freiere Stellung ent¬ 
nahmen. So heißt es im Evangelium: 

Indes kamen die Jünger Johannes zu ihm und sprachen: Warum fasten 
wir und die Pharisäer so viel, und deine Jünger fasten nicht? (Matth. 9, 14.) 

Und Jesus selbst sagt ein andermal: 

Johannes ist kommen, aß nicht und trank nicht, so sagen sie: Er hat 
den Teufel. 

Des Menschen Sohn ist kommen, isset und trinket, so sagen sie: Siehe, 
wie ist der Mensch ein Fresser und ein Weinsäufer, der Zöllner und der 
Sünder Geselle usf. (Matth. 11, 18.) 

Doch war Jesus deswegen kein Gegner des Fastens, denn er selbst 
hatte in der Wüste vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet (Matth. 4, 2). 
Er lehrte seine Jünger, mit dem Fasten nicht Staat zu machen, sondern das¬ 
selbe zu verbergen: Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer sehen wie die 
Heuchler, denn sie verstellen ihre Angesichter, auf daß sie vor den Leuten 
scheinen mit ihrem Fasten. Wahrlich ich sage euch: Sie haben ihren Lohn 
dahin. Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein An¬ 
gesicht, auf daß du nicht scheinest vor den Leuten mit deinem Fasten, 
sondern vor deinem Vater, welcher verborgen ist; und dein Vater, der ins 
Verborgene ziehet, wird dir’s vergelten öffentlich. (Matth. 6, 16—18.) 

Aber auch aus vielen anderen Stellen des Evangeliums ist zu entnehmen, 
wie sehr die Vorstellung von der außerordentlichen Bedeutung des Fastens 
zu jener Zeit die Gemüter beherrschte. So sagt Paulus in seiner Verteidigung 
wider die Nachreden seiner Gegner und der falschen Apostel, daß er in 
Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, 
in Frost und Blöße gewesen sei. (2. Korinther 26—27.) 


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346 • 


Dr. Arnold Flinker, 


Die Prophetin Hanna wird im Evangelium mit den Worten geschildertr 
Die kam nimmer vom Tempel, dienete Gott mit Fasten und Beten Tag 
und Nacht. (Lucä 2, 37.) 

Im Mittelalter wurde mit aller Strenge auf die Befolgung des Fasten- 
gebotes gedrungen. Wer noch im zehnten Jahrhundert, wo zuerst die 
christliche Religion in Polen eingeführt wurde, in den Fasten Fleisch aß, 
dem wurden die Zähne in den Hals geschlagen; denn, sagt der deutsche 
Bischof Ditmar von Merseburg, das in diesen Ländern erst neuerdings be¬ 
kannt gewordene göttliche Gesetz wird auf solche Art weit besser befestigt 
als durch die von den Bischöfen auf erlegten Fasten. Inzwischen konnten sich 
die Reicheren noch durch Geld von der Buße loskaufen: 

Wenn einer nicht fasten kann und reich ist, heißt es, so gebe er für 
sieben Wochen 20 Solidos; wenn er nicht so viel geben kann, so gebe er 10, 
wenn er aber sehr arm ist, so gebe er 3. (Schmied, Geschichte der Deut¬ 
schen, zitiert nach Peter Frank, System einer vollst. medizinischen Polizei, 
HI. Bd.) 

Heutzutage nimmt die katholische Religion im Geiste Christi gegenüber 
dem Fasten einen liberaleren Standpunkt ein und verbietet auch niemandem 
den Fleischgenuß, dessen Gesundheit denselben erfordert. 

Luther enthob das Fasten vollends von allem kirchlichen Zwange und 
ließ es nur als feine äußerliche Zucht gelten, zumal man durch das Fasten 
bei Gott nichts verdienen könne. 

In der griechischen Kirche haben sich im Laufe der Zeit folgende 
Fasten ausgebildet: 

1. Das Quadragesimalfasten vor Ostern (beiläufig sieben Wochen), 

2. das Apostelfasten vor dem Peter - Paulfeste, vom Montage nach Tri¬ 
nitatis bis 29. Juni (zwei bis fünf Wochen), 

3. das Mutter gottesfasten vor Mariä Himmelfahrt (vom 1. bis 14. August), 
endlich 

4. daB Weihnachtsfasten (vom 15. November bis 24. Dezember). 

Außerdem gibt es drei strenge Fasttage im Jahre, und zwar: 5. Januar, 

einen Tag vor dem Jordanfeste; 11. September (Enthauptung Johannis des 
Täufers) und 27. September (Kreuzerhöhung). 

Dazu kommen noch je drei Fasttage in der Woche, Montag, Mittwoch 
und Freitag. Alle diese Fasttage versagen den Genuß sämtlicher Milch- und 
Fleischspeisen. 

Zählt man diese Fasttage zusammen, so ergibt sich, daß in der griechi¬ 
schen Kirche durch mehr als vier Monate im Jahre der Genuß von Fleisch 
und Milchspeisen untersagt ist. Hierbei muß noch besonders hervorgehoben 
werden, daß weite Bevölkerungskreise in den Ländern der griechischen 
Kirche, von der Bedeutung des Fastens durchdrungen, alle diese Fasttage 
stengstens beobachten. 

Fragen wir nun, welche Bedeutung das Fasten in hygienischer und 
sozialpolitischer Beziehung hat, so müssen wir vor allem von der Tat¬ 
sache ausgehen, daß heutzutage in sehr vielen Ländern zu viel Fleisch ge¬ 
gessen wird. Der übermäßige Genuß des Fleisches muß aber mit der Zeit 
einen höchst schädlichen Einfluß auf die menschliche Gesundheit ausuben. 
Die zahlreichen Stoffwechselerkrankungen der reichen Leute sind großenteils 


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Da» religiöse Fasten in hygienischer und sozialpolitischer Beziehung. 347 

auf den übermäßigen Fleischgennß zurückzuführen, und sicherlich sind die 
Extraktivstoffe und die Kalisalze des Fleisches nebst anderen Schädlichkeiten 
für die so weit verbreitete Arteriosklerose mit allen ihren für den Organis¬ 
mus verhängnisvollen Folgen verantwortlich zu machen. 

Von diesem Gesichtspunkte aus ist demnach das in der römisch-katho¬ 
lischen und wohl auch in der evangelischen Kirche als religiöser Brauch 
übliche Fasten, insoweit hierdurch der übermäßige Fleischgenuß mit allen 
seinen nachteiligen Folgen eine bedeutende Einschränkung erfährt, auch als 
hygienische Einrichtung zu begrüßen, und es wäre nur zu wünschen, 
daß das Fasten in den Ländern, in denen notorisch zu viel Fleisch gegessen 
wird, strenger beobachtet werden sollte, zumal in den wohlhabenden Kreisen 
die Menge von Nährstoffen, welche notwendig ist, um den Körper in seinem 
Bestände zu erhalten, sehr leicht auch aus dem Pflanzenreiche gedeckt 
werden kann. 

Anders steht jedoch die Sache, wenn durch das Fasten nicht bloß das 
Fleisch, sondern auch Eier, Milch und sämtliche Molkereiprodukte (Rahm, 
Käse, Magermilch, Butter) beschlagnahmt werden und diese harten Fasten 
die in tiefster Armut lebenden Bevölkerungsklassen treffen, wie dies in der 
griechischen Kirche der Fall ist. Bann bleibt zur Ernährung bloß die 
Gruppe der vegetabilischen Nahrungsmittel zurück, die sich beschränkt auf 
die Körnerfrüchte mit den daraus gewonnenen Mehlen, die Hülsenfrüchte, 
Ölfrüchte, Kartoffeln, Gemüse und Obstfrüchte. 

Diese Gruppe von Nahrungsmitteln findet infolge der Armut der in Be¬ 
tracht kommenden Bevölkerung noch eine bedeutende Einschränkung, indem 
die breiten Volksschichten auf die aus den vorgenannten Stoffen auf künst¬ 
lichem Wege erzeugten Produkte, insbesondere Brot, Zucker, Wein und Bier, 
nahezu vollständig verzichten müssen. Sie sind daher genötigt, bloß mit 
Mamaliga (Polenta), Gurken, Sauerkraut, Erdäpfeln, Rüben, Zwiebeln und 
dergleichen ihr Auslangen zu finden. Die traurige Konsequenz ist, daß diese 
Bevölkerungsklassen, die ohnehin das ganze Jahr in bitterster Armut leben, 
zur Zeit des Fastens vollends herunterkommen. 

ln meiner Heimat, in der Bukowina, kann ich den tief schädigenden Ein¬ 
fluß, den die ständige Unterernährung zur Folge hat, auf Schritt und Tritt 
wahrnehmen. Die armen Menschen machen zur Zeit des Fastens auf den 
ersten Blick den Eindruck des Hungers, der aus dem eingefallenen, erdfahlen 
Gesichte, aus den in ihre Höhlen tief eingesunkenen Augen, aus den farb¬ 
losen Lippen eine ergreifende Sprache führt. Die Armen verfallen in einen 
dekrepiden Zustand eines minimalen Lebens, der an den Winterschlaf der 
Tiere erinnert. 

Als Zeichen der höchstgradigen Erschöpfung tritt bei ihnen sehr häufig 
das unter dem Namen der Hemeralopie (Nachtnebel) bekannte Augenleiden 
auf. Diese Krankheit kommt zur Fastenzeit epidemisch vor und ist unter 
der ruthenischen Bevölkerung in Galizien und der Bukowina als „Hühner¬ 
blindheit“ allgemein bekannt. 

Viele dieser armen, vom Hunger gepeinigten Geschöpfe suchen den 
Hunger durch den Schnaps zu betäuben und ergeben sich in un¬ 
gezügelter Weise dem Alkoholgenusse, so daß die verheerenden 
Wirkungen der ungenügenden Ernährung noch durch die Gift- 


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348 


Dr. Arnold Flinker, 


Wirkung des Alkohols gesteigert werden. Und alle diese Fasttage 
bedeuten ebenso viele verlorene Arbeitstage, verloren für das Individuum, 
verloren für die Familie, verloren für die Volkswirtschaft. 

Auf die im Aufkeimen begriffene Jugend hat die unzureichende Nahrung 
einen um so nachteiligeren Einfluß, als die Kinder im zartesten Alter oft 
genug gezwungen sind, durch harte Arbeit den armen Eltern die kümmer¬ 
liche Nahrung verdienen zu helfen. Schon Hippokrates lehrte: Der Säugling, der 
Knabe und der Jüngling ertragen den Mangel an Nahrung kürzer als der Mann, 
der Mann kürzer als daB Weib, und beide wiederum kürzer als der Greis. 

Auf die Frauen hat der chronische Hunger, wie ich durch jahrelange 
Beobachtungen festgestellt habe, noch einen anderen höchst nachteiligen 
Einfluß: die Herabsetzung der Leistungsfähigkeit ihrer Brust¬ 
drüsen. Die verminderte Leistungsfähigkeit manifestiert sich durch die 
geringe Entwickelung der Drüsensubstanz und sohin auch durch die Herab¬ 
setzung der Milchproduktion, die bei manchen Frauen vollständig versiegt. 

Es scheinen infolge der mit dem langdauernden Fasten verbundenen 
Unterernährung unter den Huzulenfrauen in der Bukowina und Galizien 
Verhältnisse zu bestehen, wie sie hinsichtlich der schwäbisch - bayerischen 
Hochebene der Leipziger Arzt Polycarpus Schachner im Jahre 1752 in 
einer Dissertation geschildert hat. 

Nur in den allerseltensten Fällen sind demnach die Mütter in der Lage, 
selbst ihre Kinder zu stillen. An Stelle der Muttermilch tritt unverdünnte 
Kuhmilch, die dem Neugeborenen aus einem kaum gereinigten, mit schmutzigen 
Lappen umwundenen, als Saugflasche dienenden Kuhhorn verabfolgt wird. 

Infolge dieser, in ihrer Art auf dem Kontinent wohl einzig dastehenden, 
jedes mütterliche Gefühl verleugnenden Auffütterung erklärt es sich, daß 
Ernährungsstörungen im Säuglingsalter unter der Landbevölkerung noch 
viel häufiger sind als in großen Städten. Diese Ernährungsstörungen haben, 
begünstigt durch den deletären Einfluß der verdorbenen Luft iu den engen, 
mit Ausdünstungen aller Art geschwängerten Wohnräumen, sowie durch 
Vernachlässigung der primitivsten Reinlichkeitspflege, eine ganz enorme 
Mortalität der Säuglinge zur Folge. 

Die ständige Unterernährung bat aber nachweislich noch andere traurige 
Konsequenzen. Es ist seit altersher bekannt, daß der Not und dem Eilend 
häufig Epidemien auf dem Fuße folgen und daß Volksseuchen um so mörde¬ 
rischer um sich greifen, wenn sich Hungersnot mit ihnen verbindet. Der 
durch das Fasten hervorgerufene krankhafte Zustand, insbesondere des 
Magen-Darmtraktes, wird für die Invasion von Krankheitskeimen neue Pforten 
eröffnen, und wenn einmal ein Einbruch der Krankheitskeime erfolgt ist, so 
werden dieselben um so leichter und um so rascher ihre krankmacbenden 
Eigenschaften entwickeln, als die normalerweise in den Körpersäften kreisen¬ 
den Schutzkörper infolge der ungenügenden Ernährung bedeutend herab¬ 
gesetzt sind. 

Der Zusammenhang zwischen dem Fasten und der Ausbrei¬ 
tung der Epidemien läßt sich auch statistisch nachweisen. So 
geht aus einer sehr sorgfältigen Arbeit des Dr. Sekiewicz 1 ) über die Fleck- 


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') ßqkiewicz, Österr. Sanitätswesen 1904. 



Das religiöse Fasten in hygienischer und sozialpolitischer Beziehung. 349 

typhusepidemien in Galizien hervor, daß die Zahl der Flecktyphusfälle in 
Galizien während der griechisch •orientalischen Fasten den Höhepunkt er¬ 
reicht, von welchem sie dann ganz rapid abfällt. 

Aber auch der Grad der Mortalität bängt innig mit der Fastenperiode 
zusammen. Gerade in denjenigen Monaten, in denen der ruthenische Bauer 
am strengsten fastet, war das Letalitätsprozent am größten, um mit der 
Rückkehr zu einer geordneten Ernährung wieder rapid abzufallen. 

Noch viel krasser tritt der ursächliche Zusammenhang zwischen dem 
strengen orientalischen Fasten und der Ausbreitung von Volksseuchen bei 
der Pellagra hervor. 

Diese Krankheit, welche in einzelnen Mais bauenden Ländern, wie z. B. 
in der Bukowina, in der letzten Zeit in erschreckender Progression zuge- 
nommen hat, sucht bekanntlich ihre Opfer in erster Linie unter den arm¬ 
seligen, in Not und Elend hinsiechenden Geschöpfen aus. Ist doch von 
hervorragenden Forschern behauptet worden, daß die Ursache der Pellagra 
nicht im verdorbenen Mais, .sondern einzig und allein in der mangelhaften 
Ernährung zu suchen sei. Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, daß 
durch das langdauernde Fasten eine ganz bedeutende Prädisposition für diese 
Krankheit geschaffen wird. 

Damit ist jedoch die Reihe der Krankheiten, für welche das Fasten die 
Disposition erhöht, noch nicht erschöpft. 

Schon seit langem ist das häufige Vorkommen von Darmver¬ 
schlingungen in den Ländern der griechischen Kirche, insbesondere in 
Rußland, aufgefallen. Lucksch 1 ) hat nun in überzeugender Weise nach- 
gewiesen, daß die schwer verdauliche vegetabilische Nahrung, zu der ins¬ 
besondere die vielen Fasttage zwingen, einerseits zu einer Anpassung des 
Organismus durch Verlängerung des Darmes führt, andererseits zu krank¬ 
haften Veränderungen am Bauchfell, daß aber beide Prozesse: die Verlänge¬ 
rung des Darmes und die Narbenbildung am Mesenterium, die betreffenden 
Individuen in hohem Grade für die Darmverschlingung disponieren, welche, 
wie aus der Statistik hervorgeht, einen ungewöhnlich hohen Prozentsatz 
unter den Erkrankungen in diesen Ländern einnimmt. 

Nach den Mitteilungen von Felix 8 ) wird Skorbut in den Gefängnissen 
zu Bukarest nicht beobachtet, wenn die Arrestanten neben dem Brot auch 
mehrmals in der Woche Fleisch erhalten, dagegen sehr häufig in der lange 
dauernden Fastenzeit, wo statt des Fleisches bloß Leguminosen und Gemüse 
gereicht werden. 

Wiewohl nach den religiösen Satzungen Kranke vom Fasten befreit 
sind, kommen in den Spitälern oft genug Kranke vor, die sich weigern, 
während der Fastenzeit Fleisch und Fleischspeisen zu sich zu nehmen. 
Peter Frank klagte schon zu Ende des 18. Jahrhunderts, daß er auf seiner 
Klinik zu St. Petersburg keinen russischen Kranken zum Genüsse einer 
Fleischspeise bereden konnte, selbst wenn er den Popen denselben zu billigen 
aufgefordert hatte, und der berühmte russische Leibarzt Collins hebt her¬ 
vor, daß während der Fastenzeit von den russischen Ärzten keine Arznei¬ 
mittel aus dem Tierreiche verschrieben werden dürfen. 

*) Lucksch, Verhandlungen der deutschen patholog. Gesellschaft, Jena 1905. 

*) Felix, Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentl. Gesundheitspflege, 3. Bd. 


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350 Dr. A. Flinker, Das religiöse Fasten in hygien. und sozialpolitischer Beziehung. 

Während wir „mit heißem Bemühen“ danach streben, das Problem der 
Yolksernährung zu lösen, müssen wir uns — nicht ohne ein Gefühl der Be¬ 
schämung — sagen, daß in vielen Ländern der große Notstand, unter 
welchem die breiten Volksmassen seufzen, noch übertroffen wird von dem 
bittersten Mangel, dem sich dieselben freiwillig unterwerfen. 

Wenn wir uns vor Augen halten, daß das Fasten die Widerstands¬ 
fähigkeit gegen krankmachende Einflüsse aller Art herabsetzt und insbesondere 
die Disposition für ansteckende Krankheiten erhöht, wenn wir weiter statistisch 
nach weisen, daß zur Fastenzeit viel mehr Menschen hingerafft werden, wenn 
wir uns überzeugen, daß das Fasten die Mutternahrang beeinträchtigt und 
die Mortalität der Säuglinge auf das ungünstigste beeinflußt, wenn wir 
endlich in dem Fasten einen gefährlichen Zutreiber des Alkoholismus kennen 
lernen, dann dürfen wir es auch nicht unterlassen, auf diese ZuBtände auf¬ 
merksam zu machen, die in hygienischer und sozialpolitischer Be¬ 
ziehung von der größten Tragweite Bind, da sie zur physischen 
Entartung ganzer Bevölkerungsklassen führen und demnach 
geradezu eine Gefahr für die Volkskraft bedeuten. Wir dürfen 
es nicht unterlassen, unsere Stimme laut zu erheben, auch wenn 
wir uns sagen müssen, daß dieselbe anfangs ungebört verhallen 
wird wie die Stimme des Predigers in der Wüste. Denn so lange 
es den breiten Yolksmassen an der nötigen Aufklärung gebricht, 
werden dieselben in fanatischem Aberglauben an den Fasten¬ 
geboten strenge festhalten. Möchten doch die berufenen Kirchen¬ 
fürsten, von dem Geiste des wahren Christentums beseelt, die 
Bedeutung dieser für das Gesundheitswohl der Bevölkerung so 
wichtigen Frage in ihrem ganzen Umfange erfassen und wür¬ 
digen und auch ihrerseits dahin wirken, daß das Fasten vom 
strengen kirchlichen Zwange enthoben werde. Es wäre dies 
eine sozialpolitische Tat von unvergänglichem Werte. 


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Dr. Wern. H. Becker, Alkohol und Herz. 


351 


Alkohol und Herz. 

Eine kritische Studie 

-von Dr. Wern. H. Beoker (staatsärztl. geprüft. Arzt), Dassel a. Solling. 


In Alkoholgegnerkreisen macht man, häufig mit recht scharfen, wenig 
liebenswürdigen Ausfällen, den Ärzten den Vorwurf, daß sie sich mit der 
Alkoholfrage viel zu wenig beschäftigt hätten und beschäftigten. Der Vor¬ 
wurf ist wohl kaum stichhaltig zu nennen; denn seit Jahrzehnten figuriert 
der Alkoholgenuß in den in Kliniken und Krankenhäusern aufgenommenen 
Krankengeschichten ständig als eine in der Anamnese berücksichtigte Frage, 
das so gewonnene Material ist im Verein mit den Resultaten, die die 
experimentelle Physiologie geliefert hat, oft genug in Lehrbüchern und 
anderen Schriften verwertet und gesichtet worden; erst jetzt wieder sucht 
*. B. Prof. Bunge in Basel durch eine ausgedehnte Enquete, die auch die 
praktischen Ärzte nicht übergeht, die Frage des Zusammenhanges zwischen 
Alkoholgenuß und Stillungsunfähigkeit der Frauen zu klären. Aber zu¬ 
gegeben muß werden, daß die wissenschaftliche Forschung hier noch manche 
Lücke auszufüllen hat. Wie die ganze Alkoholbewegung in Deutschland 
noch im Werden begriffen ist, hier und da noch einer kräftigen Weiter- 
entwickelung bedarf, anderswo wohl wieder etwas übers Ziel hinausschießt, 
so harrt auch der Wissenschaft noch manche Arbeit auf diesem Gebiete; 
noch manche feste Unterlage für die Legislatur muß geschaffen werden. 
Bekannt ist ja der wissenschaftlichen Welt längst die ungünstige Ein¬ 
wirkung des Alkohols auf die großen Drüsen des menschlichen Körpers, auf 
das Zentralnervensystem, auf den Verdauungstraktus usw., unverkennbar 
die ätiologische Schuld dieses Volksgiftes bei den verschiedensten Er¬ 
krankungen des menschlichen Körpers, aber noch wenig sichergestellt, wie 
weit die ungünstige Einwirkung und ätiologische Schuld geht. Oder, um 
gleich die praktische Schlußfolgerung zu ziehen: Soll man Totalabstinenzler 
sein bzw. werden, oder inwieweit dürfte Alkoholgenuß wohl als unschädlich 
gelten? — Nun, diese Frage kann nicht generell beantwortet werden, sie 
richtet sich nach der Individualität des Einzelnen. Aber wie weit gehen da 
wieder die Ansichten der Ärzte auseinander! — Hier muß die Wissenschaft 
einsetzen, dem Arzt die Direktive geben, daß er nicht mehr nach eigener, 
wissenschaftlich mehr oder weniger unbegründeter Anschauung urteilt, sie 
muß, wie schon erwähnt, die Frage so weit klären, daß die Gesetzgebung dieses 
Gebietes, fußend auf unwiderlegbare Tatsachen, Neues, dem Vaterlande Nutz¬ 
bringendes schafft. Die nachfolgenden Zeilen mögen ein Scherflein dazu 
beitragen und, um nur einen Teil des großen Gebietes zu nehmen, das Herz 
in seiner Beziehung zum Alkohol besprechen. 

Durch Bollingers 3 ) und Bauers staunenerregende Mitteilungen über 
das „Münchener Bierherz“ ist ja die Beobachtung des Herzens beim Potator 
aktuell geworden. Auch in Trinkerheilanstalten wird neuerdings, wie ich 


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352 


Dr. Wern. H. Becker, 


bei Co 11a 6 ) lese, großes Gewicht auf die Herzbeobachtung gelegt, da Herz¬ 
schwäche bei den Neuaufgenommenen ein gar häufiges Symptom ist. Welche 
Verheerungen im Zirkulationsapparat der starke Abusus alkoholi anzurichtea 
vermag, war ja schon länger bekannt. Die Verfettung der Intima und 
Media, die dann folgende Atheromatose, die resultierende Hypertrophie des¬ 
linken Ventrikels — eine ebenso oft auf dem Seziertische beobachtete Reih» 
von Folgeerscheinungen, wie die schwielige Herzdegeneration, die Bildung 
von Herzinfarkten und die Fettentartung des Herzmuskels. Snell 24 ) und 
Smith 23 ) haben uns u. a. im vorigen Jahrzehnt darüber näheres berichtet*). 

Von diesen Verwüstungen, die lange fortgesetzter unmäßiger Alkohol¬ 
genuß häufig zeitigt (aber nicht immer zeitigen muß!), wollen wir jedoch im 
folgenden nicht reden; uns interessiert der sogenannte „mäßige Alkohol¬ 
genuß“. 

Vorausschicken will ich, daß wir unter „Alkohol“ den in unseren Genu߬ 
mitteln Bier, Wein, Branntwein, sofern dieselben nicht „minderwertige 
Qualität“ darstellen, enthaltenen Äthylalkohol verstehen wollen. Die un¬ 
zweifelhaft toxische Wirkung der höher siedenden Alkoholderivate, wie wir 
sie beispielsweise im Fusel vorfinden, bedarf wohl kaum der Diskussion, 
während der niedriger siedende Methylalkohol für unsere deutschen Produkte 
kaum praktisch in Betracht kommt (Baer 2 ). 

Wenn wir uns dann zunächst zu vergewissern suchen, was die Physio¬ 
logen zu der Wirkung des Alkohols auf das Herz sagen, so sollte man an¬ 
nehmen, daß genaue Resultate die Frucht der gewiß nicht spärlich zu 
nennenden Beobachtungen und Versuche sein müßten. Das trifft aber doch 
nicht zu, wie wir sehen werden. Vor mir liegt eine Doktorarbeit aus dem 
Jahre 1869, schon eine Monographie über den Einfluß des Alkohols auf das 
Herz. Zimmerberg 29 ) stellte damals bereits fest, daß dem Alkohol nicht 
nur eine die Herztätigkeit exzitierende Wirkung vollständig abzusprechen, 
sondern ihm im Gegenteil ein schwächender Einfluß auf die Tätigkeit des 
Herzens zuzuschreiben sei. Diese Zimmerbergsche Ansicht war aber 
jahrelang, jahrzehntelang weit entfernt von allgemeiner Anerkennung und 
bildet sogar heute noch eine mindestens zu modifizierende These. Bunge 4 ) 
ist derjenige, der rückhaltlos sie anerkannt und offen ausspricht, daß die 
unter Alkoholwirkung zunehmende Pulsfrequenz gar nicht von der Alkohol¬ 
wirkung abhinge, sondern durch die Situation herbeigeführt würde, in der 
die alkoholischen Getränke meist konsumiert würden („lebhaftes Gebahren“)^ 
Bunge erklärt a. a. 0. 5 ) in Übereinstimmung mit Baer 1 )» daß die Puls¬ 
erhöhung bei vollständiger Ruhe des Körpers ausbleibe. Zu dem gleichen» 
verdammenden Urteil, nämlich daß alle vermeintlichen erregenden Eigen¬ 
schaften des Alkohols ohne Ausnahme Lähmungserscheinungen seien, di» 
nur bislang noch nicht als solche angesehen wären, kommt die stattlich» 
Schar teils namhafter, teils weniger bekannter Ärzte, welche sich die Be¬ 
kämpfung des Alkoholismus, folgend dem modernen Zuge der Abstinenz- 

*) Interessant ist in dieser Beziehung die Statistik Maxens* 4 ), der unter 68ft 
teils recht schweren Alkoholikern des Kieler städtischen Krankenhauses 39 mal 
das Herz erkrankt fand, und zwar: Cor adiposum 7mal, Dilatatio cordis lSmal, 
Hypertrophia lmal, Endocarditis 2mal, Myocarditis 10mal, Pericarditis 1 mal. 
Aorteninsuffizienz 2 mal, Mitralinsuffizienz 5 mal, Vitium cordis 4 mal. 


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Alkohol und Herz. 


353 


bewegung, zur Aufgabe gemaobt haben. Andere Autoren sprechen sich 
weniger vernichtend ans. Landois 19 ), der in ihm noch eine „Quelle der 
Wärme“ und in gewisser Weise einen „Fettsparer“ sieht, sagt von dem 
Alkohol bezüglich des HerzenB, daß er in geringer Menge anregend und die 
arterielle Zirkulation beschleunigend wirke. Tigerstedt 2S ), der sogar dem 
Alkohol nach eingetretener Gewöhnung eine eiweißsparende Kraft zuschreibt, 
macht — soviel mir bekannt, als Erster — den Versuch, die Tagesmenge 
an Alkohol, die der Mensch ohne Schaden regelmäßig zu sich nehmen könne, 
sn bestimmen, worauf ich unten noch einmal zurückkomme. Andere Autoren 
wieder schweigen über diese Frage, obwohl sie das Gebiet der Physiologie 
sonst ziemlich umfassend behandeln. So bieten uns sogar neuere Lehr¬ 
bücher, wie z. B. das von Frey 18 ), nichts über die Stellungnahme des Autors 
zu dieser Frage. Auch Spezialschriften, wie z. B. die kürzlich erschienene 
von Zuntz und Schumburg 30 ), die eine eingehende „Physiologie des 
Marsches“ behandelt, wissen nichts von einer Würdigung des Alkoholgiftes; 
letztgenannte Autoren lassen ihre Versuchsobjekte unbedenklich täglich 
77,30 g Alkohol genießen, teils in Form von Bier, teils in Form von Kognak, 
ohne von der etwa eingetretenen Leistungs Unfähigkeit durch den Alkohol¬ 
genuß zu sprechen. 

Und die Internen? — Die Pharmakologen und Toxikologen? — Nun, 
die Verhältnisse liegen hier ähnlich, wenn auch schon etwas übereinstim¬ 
mender. Krehl 18 ) bekennt offen, daß „verschiedene Menschen auf die 
gleiche Menge des gleichen Getränkes verschieden reagieren“. Die Tat¬ 
sache, daß Trinker leicht an primärer Herzschwäche einerseits, an dilatativer 
Hypertrophie mit sekundärer Herzerschlaffung andererseits erkranken, erklärt 
derselbe Autor damit, daß im ersteren Falle vielfach die sonstigen Sünden 
des Potators, der doch häufig gleichzeitig mit übermäßiger Nahrungszufuhr, 
mit forcierten Sportausübungen oder intensiver Berufsarbeit, mit sexuellen 
oder Rauchexzessen sündige, — im letzteren Falle namentlich der über¬ 
mäßige gewohnheitsmäßige Bierkonsum ätiologisch zu beschuldigen seien. 
Ähnlich äußert sich Krehl mit seinen reichen Erfahrungen auf dem Gebiete 
der Herzkrankheiten a. a. 0. 17 ): Biertrinker stellen das Hauptkontingent 
für die im Gefolge überreichlichen Trinkens alkoholischer Getränke ent¬ 
standenen Erscheinungen der chronischen Herzinsuffizienz; bei Weintrinkern 
sind diese Herzerkrankungen seltener; ob bloßer Schnapsgenuß eine analoge 
Form der Herzerkrankung hervorruft, erscheint zweifelhaft. Ebenso macht 
Dornblüth 9 ) in seinem knapp gehaltenen, kürzlich neu aufgelegten Kom¬ 
pendium kurz die Angabe, daß längerer Mißbrauch von Alkohol, namentlich 
Bier, die idiopathische Herzvergrößerung hervorrufe. Strümpell 37 ) schreibt 
dem Alkohol hauptsächlich degenerative Schädigungen des Herzmuskels und 
insbesondere der Herznerven zu, wodurch dann erst sekundär bei der un¬ 
zureichenden Herztätigkeit und der Kreislaufstörung die Herzhypertrophie 
herbeigeführt würde. 

Die Herzhypertrophien der Biertrinker, d. h. der regelmäßig im Über¬ 
maße Bier Genießenden, wurden bereits oben im Zusammeuhange mit Bol- 
lingers 8 ) Namen erwähnt. Seine Angaben haben den Nachuntersuchungen 
anderer Autoren standgehalten. Man wird hier dem Alkohol nicht allein 
die Schuld beimessen können, sondern mitschuldig ist hier entschieden die 

Vlfrtrlj»hrMehrift für Gwundheittpflege, 1908. 03 


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364 


Dr. Wem. H. Becker, 


tägliche kolossale Menge an Flüssigkeit. So rechnet auch Nothnagel 21 ) 
zu den Schädlichkeiten, welche analog der durch Bakteriengift hervor- 
gerufenen Schädigungen des Herzmuskels durch Intoxikationen und mecha¬ 
nische Momente, das Bier in erster Linie; „Wein und ganz besonders Brannt¬ 
wein kommen erst in zweiter Linie“. 

So begegnen wir überall Berichten, die den übermäßigen ständigen 
Alkokolgenuß als Krankheitsursache beschuldigen. Keiner behauptet, mäßiger 
Genuß habe die oder die Herzkrankheit im Gefolge gehabt, so daß man dar¬ 
aus eine Schlußfolgerung auf Alkohol als schädigendes Gift ableiten könne. 
Krehl gesteht offen, daß „die Dinge nicht ganz einfach liegen“, da doch 
Alkoholiker meist gleichzeitig starke Raucher, geschlechtlich häufig Ex¬ 
zedierende oder Sportliebhaber seien. 

Im Gegensatz dazu läßt Hoppe 1 '*’) in einer eigens dem Dämon Alkohol 
gewidmeten Monographie diesen an allem möglichen schuld sein. Da uns 
hier nur die Einwirkung auf das Herz interessiert, so hören wir, was ge¬ 
nannter Autor, dessen Fleiß bezüglich der immensen Zusammenstellungen 
aus der Alkoholliteratur übrigens uns Bewunderung abringen muß, über die 
Schädigung des Kreislaufes sagt. Zunächst bespricht er die Erweiterung 
der Hautgefäße, die sich nach reichlichem Alkobolgenuß in Gesichts- und 
Nackenröte, in chronischen Fällen durch die blaurote Farbe des Gesichts 
und der Nase kundgibt. Das sind wohl unbestreitbare Tatsachen; aber wo 
liegt die Grenze, was heißt „reichlich“? — Da stützt sich Hoppe auf 
Swientochowski, der bei Gaben von 50 bis 100 ccm ÖOproz. Alkohols 
die Gefäßerweiterung nach 5 bis 10 Min. auftreten und nach 30 bis 40 Min. 
verschwinden sah. Das ist ja auch schon eine Menge, die entschieden über 
die gewöhnlichen Begriffe von Mäßigkeit hinausgeht, denn sie würde einem 
Weinglas voll guten Kognaks entsprechen. Obgleich wohl eine solche täglich 
genossene Menge Alkohols schon vielen Menschen auf die Dauer nicht be¬ 
kommen würde, sondern sich chronische Vergiftungserscheinungen hier oder 
da zeigen würden, wie ich selbst annehme, so beweist dieser zitierte Versuch 
Swientochowskis doch für eine dauernde Schädigung des menschlichen 
Organismus ebensowenig, wie der nun folgende Bericht über die Blutdruck¬ 
bestimmung mit dem Gärtnersehen Tonometer nach Alkoholdarreichung. 
Denn ein Fabrikheizer, der an einzelnen Hautpartien sich regelmäßig täglich 
künstlich Hyperämien erzeugt, und ein Landbriefträger, der sich in seinem 
Beruf täglich eine zeitweilige Blutdrucksteigerung holt — sind das ohne 
weiteres Berufe, die durch dauernde Sohädigung der Herzkraft das Leben 
verkürzen ? 

„Die ganze Lehre von der exzitierenden Wirkung des Alkohols sinkt in 
ein Nichts zusammen“, zitiert dann Hoppe nach Rosenfeld weiter, wenn 
er die nicht auf die Herztätigkeit anregend wirkende, sondern lähmende 
Kraft des Alkohols folgendermaßen beweisen will. Wieder ist von dem 
gleichen Quantum Alkohols, dessen untere Grenze diesmal auf 25 g herab¬ 
gesetzt ist, als Versuchsmenge die Rede, und wieder muß ich entgegnen, 
daß der Beweis für eine dauernde Schädigung des Zirkulationsapparates 
durch z. B. regelmäßigen täglichen Genuß von ein bis zwei Glas leichten 
Weines mit den mittels solcher Alkoholdosen angestellten Experimenten 
noch nicht erbracht ist. Aber die toxische Dosis für den chronischen 


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izec 



Alkohol und Herz. 


355 


Alkoholismufl ist auch ungeheuer schwer zu bestimmen*). Das Eine aber 
bat uns praktische Erfahrung gelehrt: Wie hei fast allen Giften liegt die Dosis 
toxica bei Kindern bedeutend niedriger. Es ist Demmes Verdienst, auf die 
besonders große Gefahr, die Kindern aus dem Alkoholismus erwächst, hin¬ 
gewiesen zu haben. Wenn Demme 8 ) auf Grund seiner überzeugenden Dar¬ 
legungen seinerzeit zu dem Schluß kam: „Vom Standpunkte der Volks¬ 
hygiene aus werden wir auf das Energischste danach trachten müssen, die 
alkolischen Genußmittel vom Kinde fernzuhalten", so ist wohl heute nichts 
mehr dagegen einzuwenden, vielmehr ist meines Erachtens sogar dieser Satz 
noch insofern zu erweitern, daß auch die ärztliche Verordnung des Alkohols 
bei kranken Kindern möglichst einzuschränken ist, da doch eine „stärkende“ 
Wirkung des Alkohols, zumal in chronischen Fällen, kaum noch von irgend 
welcher ärztlichen Seite angenommen werden kann. Eher schon in akuten, 
fieberhaften Erkrankungsfällen. Jeder Praktiker wird gleich mir die Er¬ 
fahrung gemacht haben, daß in schweren fieberhaften Kollapszuständen, wie 
sie sich in der Kinderpraxis häufig im Gefolge von Bronchitiden und Pneumo¬ 
nien, von akuten Infektionskrankheiten u. dgL finden, der Wein, besonders 
der Sekt, das einzige ist, was imstande ist, den Kräftezustand noch etwas 
hinzuhalten, ev. über die Krisis hinauszubringen, da der Magen die bei dem 
Flüssigkeitsverlust notwendig werdende Flüssigkeitszufuhr in anderer Form 
verweigert. In solchen Fällen ist der Wein, besonders der moussierende, 
das einsige Getränk, welches rasch resorbiert wird und so den Kräfte verfall, 
die Herzlähmung, hintanhält**). 

ln der gleichen Weise wird man auch beim Erwachsenen am Kranken¬ 
bette des Alkohols nicht entraten können. Und da hat auch wieder die 
Erfahrung gelehrt, daß in akuten fieberhaften Stadien die Toleranz gegen 
Alkohol zunimmt. Wie groß aber sonst die ohne Schaden zu nehmende 
regelmäßige Tagesration an alkoholischen Getränken sein darf, hängt von 
der Individualität, wie wir oben sahen, einerseits und den sonstigen Leistungen, 
die dem Herz aufgebürdet werden, andererseits ah. Hier bietet uns die 
Literatur noch manchen Fingerzeig, wo der Alkoholgenuß besonders schäd¬ 
lich, also wohl am besten ganz zu meiden ist. Bezüglich des Sportes hat 
Stehr as ) eingehend dargelegt, wie sehr Muskelarbeit durch Alkoholdarreichung 
beeinträchtigt wird. Alle Radfahrer stimmen wohl auch darin überein, daß 
Abstinenz bei größeren Radtouren am bekömmlichsten sich herausgestellt hat. 

•) Es mag hier nioht unerwähnt bleiben, daß Kobert 1 ®) für aknte Alkohol¬ 
vergiftung die Dosis letalis bei Nichttrinkern nach Taylor auf 60 bis 180 g und 
nach Kunkel auf 100 bis 200g für den Erwachsenen angibt. Baer (s. o.) gibt 
die letale Dosis des Alkohols nach Dujardin, Beaumetz und Audigö auf 8 g 
in reinem, 7,75g in verdünntem Zustande an, pro Kilo Körpergewicht gerechnet, 
trotz des großen Spielraumes in den erstgenannten Versuchsresultaten sehen wir 
also doch noch eine erhebliche Verschiedenheit. 

**) Aus diesen Beobachtungen erklären sich meiner Ansicht nach die ver¬ 
schiedenen Auffassungen über den Alkohol als Exzitans. Auf der einen 8eite 
wird die exzitierende Wirkung ja gänzlich geleugnet, wie wir gesehen haben, 
auf der anderen Seite noch bis in die jüngste Zeit hinein verfochten bzw. als 
wissenschaftliche Tatsache angesehen, wie 'ich aus der jüngst erschienenen 
Rosenthalschen Schrift“) (8. 17) ersehe. — Auch Sticker hat in derselben 
Weise vor einigen Jahren, selbst in Alkoholgegnerkreisen, eine Lanze für den 
.Alkohol am Krankenbette* gebrochen (nach Flade 1 ®). 

23* 


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356 


Dr. Wern. H. Becker, 


Hiller 14 ) machte vor einigen Jahren darauf aufmerksam, daß über¬ 
reichlicher Bier- oder Schnapsgenuß in vielen Fällen als die siohere Ursache 
des Hitzschlages auf militärischen Märschen anzusehen war. Und der Hitz- 
schlag ist anatomisch ja als ein durch pathologische Herzveränderungen *) 
prädisponiertes Ereignis anzusehen. Ebenso war es ja schon lange bekannt, 
wie wenig widerstandsfähig der an Alkohol Gewöhnte in den Tropen ist, 
wo durch dieselbe Wasseraufnahme und -abgabe besonders hohe Anforde¬ 
rungen an das Herz gestellt werden (nach Fla de 11 ). Wird der Trunk dort 
gar noch fortgesetzt, so erlahmt das Herz stets früher oder später. Auch 
hier ist also dem heutigen Kulturmenschen Totalabstinenz dringend anzu¬ 
raten. Daß auch manche fieberhafte Erkrankungen den Potator in drohende 
Lebensgefahr bringen, wie Pneumonien, sei hier nur nebenbei als kaum noch 
das Thema streifend erwähnt. 

Eine Totalabstinenz ist endlich noch da angebracht, wo es sich um ehe¬ 
malige Trinker handelt, was lange Erfahrung lehrt und wohl kaum noch 
ärztlicherseits bestritten wird. Berichtet doch Smith sogar von einem ehe¬ 
maligen Trinker, welcher durch Abendmahlswein (!) rückfällig geworden 
wäre. Einige andere krasse Beispiele von Rezidiven bei nicht innegehaltener 
Abstinenz finden wir bei Colla 7 ). 

Wir stehen am Schlüsse unserer Ausführungen, ich möchte aber an¬ 
schließend daran noch einen Punkt erwähnen, der — wenn auch nicht 
speziell die Einwirkung auf das Herz, sondern den Gesamtorganismus be¬ 
treffend — sich wie ein roter Faden durch die dem Alkohol gewidmete 
Presse des letzten Jahres hindurchzieht, ich meine die Tatsache, daß Lebens- 
Versicherungsgesellschaften, besonders englische, ihre Versicherten in zwei 
Klassen teilen, Nichtabstinente und Abstinente, letzteren einen hohen Rabatt 
geben und gut dabei fahren. Einen größeren Aufsatz widmete kürzlich 
noch Stille 88 ) diesem Punkt. Das gibt ja allerdings zu denken und sollte 
die Abstinenz als unbedingt klüglich erscheinen lassen. Geht man aber der 
Sache auf den Grund, so ergeben sich doch Bedenken. Denn die Kategorie 
der Nichtabstinenten umfaßt alle mit, die wir Ärzte „Potatoren“, das Volk 
„Säufer“ nennt, die ihre Gesundheit also durch reichlichen regelmäßigen 
Alkoholkonsum verkürzen. Und wenn auch die sämtlichen Versicherungs¬ 
nehmer bei ihrer Aufnahme von dem untersuchenden Arzte als „gesund 1 * 
und „nicht der Alkoholsucht fröhnend“ rubriziert wurden, so ist doch zu 
berücksichtigen, daß die meisten Versicherten sich zur Zeit der Aufnahme 
noch in einem Gesundheitszustände befanden, in dem sich OrganVerände¬ 
rungen, durch Alkoholmißbrauch hervorgerufen, noch kaum ärztlich nach- 
weisen ließen, und der Gutachter vornehmlich auf die Aussagen des Reflek¬ 
tanten, bei dem der Wunsch nach Genehmigung des Antrages durch die 
Gesellschaft natürlich im Augenblick vorherrschte, angewiesen war, dessen 
Privatleben sich sehr häufig seiner Beobachtung und Beurteilung entzog. Dazu 
kommt, daß „Alkoholsucht“ bislang noch immer ein in gewissen Grenzen 
dehnbarer Begriff, sowohl für den Versicherungsnehmer wie für den begut¬ 
achtenden Arzt, ist Auch kann ich Stille nicht beipflichten, wenn er meint, 

*) Worunter auch z. B. wieder das myokarditische Potatorenherz ebenso wie 
das dilatatorische zu verstehen ist. 


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Alkohol und Herz. 


357 


daß der „vorsichtige and behutsame Mensch meist nicht abstinent ist“, and 
daß „Menschen, die einen unpopulären Standpunkt einnehmen und sich gegen 
eine allgemeine soziale Gewohnheit stemmen, gewöhnlich nicht von der 
ruhigen, behutsamen, zufriedenen Gemütsverfassung sind, die für Frieden, 
Gesundheit und Langlebigkeit disponiert". Ich habe im Gegenteil immer 
gerade von Abstinenzlern die glückselige Gemütsverfassung von sich rühmen 
hören, in der sie sich, seit sie dem Alkoholgenuß Valet gesagt, befänden, 
und ich habe oben bereits zur Genüge dargetan, daß die ärztliche Statistik 
lehrt, wie sehr meist Alkoholiker auch noch anderen Genüssen, die geeignet 
sind, den Organismus zu ruinieren, fröhnen. Ich bin überzeugt, daß die 
Statistik der Versicherungsgesellschaften genau dasselbe Bild darbieten 
würde, wenn die Temperenzler noch der Klasse der Abstinenten zugeteilt 
würden. 

Ziehen wir aus den bisherigen Ausführungen die Schlußfolgerungen, so 
gelangen wir zu folgendem Resultat: 

Der Alkohol, selbst der Äthylalkohol, ist ein Gift, das bei den meisten 
{nicht allen!) Menschen, in kleinen Quantitäten genossen, aber anscheinend 
unschädlich ist*). Da er aber ein Volksgift ist, so verdient er die größte 
Beaohtung fachwissenschaftlicher Kreise. In reichlichen Mengen häufig 
genommen, ruft er neben Erkrankungen anderer Organe des Körpers auch 
sehr oft solche des Herzens hervor, besonders Myocarditis und diktatorische 
Herzhypertrophie. Kleine konzentrierte Dosen, die lokalätzende Wirkung 
haben, schaden speziell dem Herzen weniger als große verdünnte Dosen, wie 
sie größere Quantitäten Bieres z. B. darstellen. Ob auch kleine, regelmäßige 
Dosen dem Herzen schaden, ist nach dem heutigen Stande der Wissenschaft 
noch als nicht erwiesen zu betrachten, sie wirken dann aber ungünstig auf 
das Herz ein, wenn dasselbe gleichzeitig von anderen Schädlichkeiten [schwere 
körperliche Arbeit**), schwächende Krankheiten, wiederholte Exzesse in 
Venere, ständige Überernährung] getroffen wird. Kindesalter und ehemalige 
Trunksucht bilden eine Intoleranz gegen Alkohol und bedingen Total¬ 
abstinenz. 

Die für die meisten Menschen unschädliche Tagesdosis an Alkohol ist 
gering, sie liegt wahrscheinlich unter 60 g; sie ist individuell sehr ver¬ 
schieden. 

Und welche Maßnahmen soll die Hygiene Vorschlägen, um in diesem 
Sinne unser Volk zu sanieren? 

1. Der in den Handel gebrachte Branntwein muß fuselfrei sein, darf 
möglichst nur Äthylalkohol enthalten. Auch dieser darf keinen zu hohen 
Prozentsatz ausmachen. Die in den Handel zngelassene Stärke von 40 Proz. 
müßte wenigstens auf 30 Proz. herabgesetzt werden. Diese Forderung 
Kulbins 10 ) darf ärztlicherseits nicht fallengelassen werden. 

2. Um den Alkoholkonsum einzuschränken, muß die Steuer, namentlich 
die Brausteuer und Branntweinsteuer, erhöht werden. 


*) Tigerstedt gibt die unschädliche Dosis für den nicht an Alkohol Ge¬ 
wöhnten auf 16 bis 25 g an. 

**) Freudenthal hat kürzlich auf diese unserer schwer arbeitenden Bevölke¬ 
rung drohenden Gefahr hingewiesen **). 


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358 


Dr. Wern. H. Becker, 


3. Das wegen Trunksucht eingeleitete Entmündigungsverfahren ist 
rascher als bisher zu gestalten; bei der Wiederaufhebung der Entmündigung 
muß die Frage, ob der Entmündigte Totalabstinent geworden ist, in erster 
Linie entscheidend sein. 

4. Eine weitere Aufklärung des Volkes ist noch notwendig. Um den 
Bierkonsum einzuschränken, ist namentlich in studentischen Kreisen seitens 
der Ärzte, die als ehemalige Verbindungsstudenten noch einen besonderen 
Einfluß auf das akademische Leben haben, auf Mäßigkeit hinzuwirken, wie 
z. B. jetzt in der „Deutschen Burschenschaft“ Abschaffung der „Bierjungen“, 
des „Spinnenlassens“ und ähnlicher Gebräuche vorgeschlagen ist. 

5. Die jedesmalige Bedürfnisfrage bei Schankstättenkonzesaionierungen 
ist sorgfältiger zu prüfen, während hingegen Konzessionierungen von Feil¬ 
bietungen alkoholfreier Getränke gänzlich fortfallen müßten. 

6. Bezüglich der Gefahren, die Kindern von dem Alkoholgenuß drohen, 
ist weiter aufklärend zu wirken. 

7. Ferner ist das Strafgesetzbuch in den Paragraphen 229 und 230 in 
der Weise anzuwenden, daß mindestens mit Geldstrafe belegt wird, wer 
einem Kinde (fortgesetzt) Alkohol beibringt; denn das ist mitzurechnen unter 
die Rubrik „Gift oder andere Stoffe, welche die Gesundheit zu zerstören 
geeignet sind“. — Ebenso ist bei der Feilhaltung von Weinen die Aufschrift 
„Kinderwein“ oder ähnlich die Kauflust der Eltern oder Pfleger kranker 
Kinder anregender Bezeichnungen zu verbieten. 


Literatur. 

') A. Baer, Der Alkoholismua usw. Berlin 1878. 

*) G. Baer, Beitrag zur Kenntnis der akuten Vergiftung mit verschiedenen 
Alkoholen. Dias. Berlin 1898. 

■) Bollinger u. a., Die studierende Jugend und die Alkoholfrage. München 1895. 
4 ) Bunge, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Leipzig 1905. 
s ) Derselbe, Die Alkoholfrage, ein Vortrag. Leipzig 1887. 

8 ) Colla, Voraussetzungen und Grundsätze der modernen Trinkerbebandlung. 
Halle a. S. 1901. 

7 ) Derselbe, Die Behandlung der Alkoholiker. Ärztliche Monatsschrift, Nr. 12. 
Leipzig 1898. 

8 ) Dem me, Über den Einfluß des Alkohols auf den Organismus des Kindes. 
Stuttgart 1891. 

*) Dornblüth, Kompendium der inneren Medizin. Leipzig 1903. 

,0 ) Flade, Zur Alkoholfrage. Hygienische Rundschau, Nr. 13. Berlin 1902. 
“) Derselbe, Zur Alkoholfrage. Hygienische Rundschau, Nr. 11. Berlin 1903. 
'*) Freudenthal, Beiträge zur Kenntnis der idiopathischen Herzerkrankung 
infolge von Überanstrengung. Diss. Breslau 1889. 

,a ) Frey, Vorlesungen über Physiologie. Berlin 1904. 
u ) Hi 11er, Der Hitzschlag auf Märschen. Berlin 1902. 

Hoppe, Die Tatsachen über den Alkohol. Berlin 1904. 

“) Kobert, Lehrbuch der Intoxikationen. Bd. 2. Stuttgart 1906. 

17 ) Krehl, Die Erkrankungen des Herzens und die nervösen Herzkrank¬ 
heiten. Wien 1901. 

™) Derselbe, in Merings Lehrbuch der inneren Medizin. Jena 1907. 

IB ) Landois, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Berlin-Wien 1900. 

*°) Maxen, Beitrag zur Kenntnis des Alkoholismus. Diss. Kiel 1900. 


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Alkohol und Herz. 


359 


fl ) Nothnagel, Spezielle Pathologie und Therapie. Wien 1903. 

**) Bosenthal, Alkoholismus und Prostitution. Zwei Vorträge usw. 
Berlin 1905. 

**) 8 inith, Über den heutigen Stand unserer klinischen Kenntnis des 
Alkoholismus, Referat, erstattet im Aufträge des VII. internationalen Kongresses 
des Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke. Paris 1899. 

* 4 ) Snell, Über die gesundheitlichen Nachteile des Alkoholmißbrauches und 
die gesundheitspolizeilichen Maßregeln dagegen. Vierteljahrsschrift für öffentliche 
Gesundheitspflege. 1894. 

”) Stehr, Alkoholgenuß und wissenschaftliche Arbeit. Jena 1904. 

**) ßtille, Alkohol und Lebensdauer. Medizinische Klinik, Nr. 34. Berlin 1907. 

*0 Strümpell, Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie. Leipzig 1904. 

”) Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Leipzig 1907. 

**) Zimmerberg, Untersuchungen über den Einfluß des Alkohols auf die 
Tätigkeit des Herzens. Diss. Dorpat 1869. 

*•) Zuntz und Schumburg, Physiologie des Marsches. Bibliothek von 
Ooler. Berlin 1901. 


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360 


Dr. Julian Marouse, 


Arbeiterwohnungen in England. 

Von 

Dr. Julian Marouse. 

Mit fünf Abbildungen im Text. 


Im Mittelpunkte aller wirtschaftlichen und sozialhygienischen Bestre¬ 
bungen der Gegenwart steht nach wie vor das Wohnungsproblem, das 
dank der mehr und mehr wachsenden Erkenntnis von der Dringlichkeit 
seiner Lösung aus dem Stadium der theoretisierenden Erwägung und pa¬ 
pierenen Bearbeitung allmählich auch in Deutschland in das der praktischen 
Ausführung und Gestaltung überzugehen sich anschickt. Die dezentralistische 
Entwickelung Deutschlands, seine wenigstens noch bis vor einigen Jahr¬ 
zehnten nahezu lückenlose Scheidung in Industrie- und Ackerbauprovinsen, 
das staffelweise Hineinwachsen industrieller Betriebe in rein ländliche Distrikte 
und nioht zum wenigsten die in ihren wirtschaftlichen Konsequenzen Staat 
und Gesellschaft fast unvorbereitet treffende rapide Ausdehnung maschinen¬ 
technischer Produktion, alle diese Momente haben nicht bloß ein äußerst 
langsames Tempo in der Frage der Wohnungsreform, sondern auch eine 
vielgestaltige, wenig einheitliche Form der Versuche einer positiven Lösung 
zur Folge gehabt. Ganz anders dagegen in England, wo die Konglomeration 
der Industrie auf bestimmte Teile des Landes, ihr Riesenwachstum und ihr« 
Vereinigung von Millionen von Arbeitern auf mehr oder minder großen 
Raumflächen und last not least der praktische, mit dem Gang der Entwicke¬ 
lung und deren Konsequenzen zugleich handelnde Sinn der englischen Union 
eine Wohnungsreform kommunaler Art und weitesten Umfangs bereits seit 
Jahrzehnten durchgeführt hat. Was auf diesem Gebiete geleistet, wie ins¬ 
besondere durch Sanierung ganzer Stadtviertel Arbeiterwohnhäuser in zahl¬ 
reichen Kommunen des Inselreiches erstanden sind, dies wie die wirtschaft¬ 
lichen und sozialen Folgen dieser tief einschneidenden Maßnahmen ist in 
der zeitgenössischen Literatur aufs eingehendste wiederholt behandelt worden; 
ioh erinnere unter vielem anderen nur an die verdienstvollen Arbeiten von 
Fuchs 1 ) und Lehwess*). 

Dieses Thema noch weiter fortzuspinnen, wäre gegenüber den vor¬ 
liegenden eingehenden Studien ein müßiges Unterfangen: Vielmehr sollen 
die folgenden Ausführungen die Kenntnis eines jüngsten Zweiges englischer 
Wohnungsreform vermitteln helfen, die bei uns auch schon vielfach be¬ 
schritten worden iBt, wenn auch nicht in dem gewaltigen Umfang und der 
eigenen Art wie in England, nämlich der Bau und die Herstellung von Wohn¬ 
häusern durch die Arbeitgeber. Ein Gedanke, der, so naheliegend er 

') Carl Johannes.Fuchs, Zur Wohnungsfrage. Leipzig, Dunker und 
Humblot, 1904. 

*) Walter Lehwess, Englische Arbeiterwohnungen. Berlin, Ernst u. Sohn, 

1904. 


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361 


Arbeiterwohnungen in England. 

auch ist, doch in Deutschland durch die Überbleibsel alter feudalistischer 
Anschauungen und durch die mangelnde Einsicht von dem wirtschaftlichen 
and rechtlichen Wesen eines Arbeitsverhältnisses sich minderer Sympathien 
erfreut; hat er doch nicht selten zu Versuchen geführt, die wirtschaftliche 
Unabhängigkeit des Arbeiters zu beeinträchtigen. Diese Verquickung mit 
politischen und kapitalistischen Interessen hat dem System in Deutschland 
wenig Freunde erstehen lassen; was es aber, von gesunden Ideen erfüllt 
and getragen von weitsehenden Gesichtspunkten, zu leisten imstande ist, das 
ist aus der geradezu glänzenden und nach jeder Richtung hin mustergültigen 
Entwickelung zu ersehen, den diese Wohnungsanlagen in England genommen 
haben. Ihre eingehende Kenntnis verdanken wir der verdienstvollen Arbeit 
von E. v. Berlepsch-Valendas 1 ), der nicht nur mit dem Blicke des Sozial¬ 
hygienikers, sondern vor allem auch mit dem Auge des Künstlers die Dinge 
geschaut und sie uns in Text wie Bild — und zwar letztere außer einer 
großen Reihe von photographischen Reproduktionen in vorzüglichen eigens 
hergestellten Tafeln — wiedergibt. Um diese vorbildlichen Schöpfungen 
kennen zu lernen, wird es notwendig sein, dem Verfasser auf Schritt und 
Tritt in seiner Darstellung zu folgen. 

Seine Studien erstreckten sich auf die bedeutsamsten Typen moderner 
Wohnhausanlagen für die arbeitenden Klassen, nämlich auf die ArbeiterBtadt 
Bournville, begründet von den Kakaofabriken G. Cadbury, und weiterhin 
auf eine korrespondierende Anlage in Port Sunlight, den Seifenfabriken von 
Lever Brothers. Beide haben mit dem ursprünglichen System, ältere Viertel 
niederzureißen und an deren Stelle neue, hygienisch sanierte Unterkunfts- 
stätten zu erbauen, gebrochen und dafür den Weg gewählt, die Arbeitsplätze 
außerhalb der Städte zu verlegen, große Terrains behufs Anlegung von 
Wohnquartieren zu erwerben und damit Betrieb und Wohnmöglichkeit fern 
von den durch die Spekulation in unerschwingliche Höhe getriebenen Grund- 
und Bodenpreisen zu etablieren. Damit war von vornherein eine Sanierung 
nach der Richtung hin gegeben, daß eine Verzinsung des Anlagekapitals 
ermöglicht war, ohne daß der Preis der Wohnungen darunter zu leiden hatte, 
aber auch das Prinzip der Verbindung von Stadt und Land, die sanitär- 
hygienische Seite des Unternehmens, war gewährleistet. Die finanzielle 
Basis, auf der Port Sunlight begründet ist, ist die eines Kooperativsystems 
mit Gewinnbeteiligung der Inwohner, nicht aber in Form von Barerträg- 
nisuan, sondern vielmehr in der eines äußerst niedrigen Mietszinses, der da¬ 
durch zustande kommt, daß die Firma Lever die Differenz zwischen dem 
dem Anlagewert entsprechenden Erträgnis (pro Jahr 22 Pfund 8 Schilling) 
und dem tatsächlich bezahlten Mietsbetrag (13 Pfund) zu ihren Lasten rechnet. 
Hierin wie in der Nutznießung all der Einrichtungen, die in Port Sunlight 
geistiger und körperlicher Kräftigung dienen, liegt ein weiteres Bindeglied 
der gemeinsamen Interessen von Mieter und Vermieter. 

Die Finanzierung von Bournville war ursprünglich eine ähnliche, später 
ist das rein genossenschaftliche Prinzip mit Anteilnahme aller Inwohner 
am Besitztum durchgeführt worden. Die Entwickelung der Siedelung — 


') Berlepsch-Valendas, Bauernhaus und Arbeiterwohnung in England. 
Eine Reisestudie. Stuttgart, J. Engelhorn, 1907. 


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362 


Dr. Jalian Marcuse, 


wir folgen hier einem in der letzten Zeit erschienenen Reisebericht von 
A. Fischer 1 ) — war folgende: Cadbury kaufte in der Nähe von Bir- 
mingham ein aasgedehntes Terrain und verlegte dorthin seine Fabrik. Von 
dem Gelände sollten 730 Morgen der Ansiedelung dienen, ein Zehntel des 
Terrains — die Straßen nicht eingerechnet — war für öffentliche Anlagen 
Vorbehalten. Jeder Bauparzelle wurden 550 qm zuerteilt, jedoch sollte nur 
der vierte Teil hiervon bebaut werden. In wenigen Jahren waren 200 Häuser 
entstanden, die Mieten brachten die Zinsen fflr das Anlagekapital auf; nun 
maohte Cadbury aus seinem Besitztum eine öffentliche Stiftung. Der Wert 
der Schenkung betrug 4 bis 5 Millionen Mark; die Verwaltung derselben 
liegt in Händen eines Trusts. Heute umfaßt die Kolonie Aber 600 Häuser, 
darunter sind 


17, die wöchentlich etwa 4,50 M> kosten 


81, , 
121 , „ 
73, „ 
58 , . 
85, „ 


n 5,25 „ 



■ 8 

über 8 „ „ *). 


Unter den Ansiedlern befinden sich, außer etwa 40 Proz. Arbeitern und Be¬ 
amten der Cadburyschen Fabriken, 40 Proz. Arbeiter usw. aus Birmingham, 
das durch eine elektrische Bahn mit der Kolonie verbunden ist, und etwa 
20 Proz. aus den umliegenden Ortschaften. Entsprechend den ganzen Ein¬ 
richtungen und den leitenden Gesichtspunkten der Anlagen, die wir noch 
des näheren betrachten werden, sind die sanitären Verhältnisse die denkbar 
günstigsten. Die Statistik ergab im Jahre 1905 pro 1000 Einwohner folgende 
Mortalitätsziffern: in Bournville 7,3, demgegenüber in Birmingham 10,5, in 
England und Wales 15,7. Die Kindersterblichkeit speziell betrug pro 1000 Ge¬ 
burten in Bournville 72,5, in Birmingham 100,0, in England und Wales 
134,7. In Port Sunlight ist das Verhältnis gegenüber dem nahen Liverpool 
ebenso günstig 3 ); Tuberkulose gehört zur äußersten Seltenheit, außer den 
eingeschleppten Fällen ist irgend welche nennenswerte Verbreitung derselben 
nicht konstatiert worden. Hand in Hand mit dieser Salubrität gehen auch 
die sittlichen Verhältnisse; uneheliche Geburten sind kaum zu registrieren 
gewesen; die Eheschließungen erfolgen meist um daB 20. Lebensjahr herum. 
Besonders hervorzuheben ist, daß der Ausschank geistiger Getränke in beiden 
Kolonien durch freie Vereinbarung nicht erfolgen darf. 

Was nun die Bauart anlangt, so liegt die Hauptstärke der Häuser in 
der durchweg vorzüglichen Grundrißdisposition. Sie zog, obschon durchweg 
an ein engbegrenztes Programm gebunden, nirgends die endlose Wieder¬ 
holung ein und derselben Außenerscheinung nach sich, die anderwärts oft 
zum Grunde der Trostlosigkeit des Aussehens solcher Niederlassungen, zum 
Kasernen- und Gefängnisstil wird. Durch die mannigfache Abwechselung 
der Häusererscheinungen, durch die Offenbaltung großer Plätze gewinnen die 


') Alfons Fischer, Die Gartenstadt, die hygienisch beste Siedelung. Münch, 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 39. 

*) In Port Sunlight stellt sich die Miete auf etwa 3,50 für die einfachen 
Cottages, auf 5,50 J(s für die Parlourhäuser. 

a ) Die Gesamtsterblichkeit ist 9 pro 1000 gegen 21,6 in Liverpool und 17,7 
in dem benachbarten Birkenhead. 


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Arbeiterwohnungeu in England. 


363 


Straßenbilder außerordentlich an Reiz (Fig. 1). Endlich ist die Art der Straßen- 
tracierung, obwohl den Bed&rfnissen entsprechend, nirgends langweilig. Das 
Terrain wurde nicht in lauter Rechtecke zerlegt und damit jede architek¬ 



tonische Bildwirkung unmöglich gemacht. Das Gelände von Bournville zum 
Beispiel ist h&gelig; diesem Umstande wurde in günstigster Weise Rechnung 
getragen, die Anlage der Straßen — sie haben, durchweg mit Bäumen be¬ 
pflanzt, die ansehnliche Breite von 12,80 m, dahinter kommen Vorgärten von 
6,05 m Tiefe, so daß von Bauflucht zu Bauflucht ein offener Raum von 25 m 


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364 


Dr. Julian Marcuse, 


vorhanden ist — so gehalten, daß die Bodenbewegung, z. B. die mit herr¬ 
lichen alten Bäumen bestandene, von einem Bach durchflossene unbebaute 
Niederung zwischen den bebauten Höhenzögen landschaftlich in günstigster 
Weise zur Geltung kommt. 

In Bournville wie Port Sunlight ist bei der Bebauung die Notwendig¬ 
keit ausgiebiger Besonnung der Wohnungen von vornherein vorgesehen 
worden. Da überall zwischen den einzelnen Quartieren ausgiebig große 
Flächen für Gartenbau offen blieben, ist die Erfüllung dieser wichtigsten 
gesundheitlichen Vorbedingung aufs beste durchgeführt. In Bournville 
schließen die Gärten, durchschnittlich 500 qm Flächeninhalt, ohne besondere 
Abgrenzung direkt an die Rückseiten der Häuser an, so daß also Haus und 


Fig. 2. 



Wohnküche in einem Arbeiterhause in Bournville. 


Garten zusammenhängend ein Ganzes bilden. Unter sich Bind die einzelnen 
Grundstücke durch lebende Hecken getrennt. In Port Sunlight dagegen 
sind die „Allotments Gardens“ zwischen den Häusergruppen liegende offene, 
nicht durch sichtliche Grenzen geteilte Grundstücke, die, von ringsum laufen¬ 
den Wegen umsäumt, nicht in direkter Verbindung mit den Wohnräumen 
stehen. Von dem überall vorhandenen kleinen mauerumschlossenen Hof mit 
Nebengebäuden (Abort, Aschen- und Kohlenraum) führt hier eine Pforte zu 
den Pflanzenkulturen. Ferner ist durch die Anlage großer, freier Plätze 
überall für reichlichen Zutritt von Luft und Licht gesorgt. Kanalisation, 
Wasserversorgung, große Spielplätze für Erwachsene wie für Kinder, ge¬ 
räumige Schwimmbassins, selbst Freiluftbäder und ähnliche Anlagen mehr, 
dem Zwecke des gesunden Wohnens und Lebens dienend, sind in beiden 
Kolonien in mustergültigster Ausführung vorhanden. Von öffentlichen Ge- 


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Arbeiterwohnungen in England. 366 

biuden findet man prächtige Schulh&user, Hallen für Versammlungen und 
Vorträge, Bibliotheken, Kirchen, technische Anstalten und vieles andere mehr. 

Das Einfamilienhaus ist nur in wenigen Fällen als Einzelerscheinung 
auagebildet. In Bournville herrscht das Doppelhaussystem vor, in Port 
Sunlight dagegen der Gruppenbau, durch vor- und zurücktretende Partien 
gegliedert, mit durchlaufender Firstlinie. Maßgebend für die räumliche 
Ausdehnung der Wohnungen war, daß gewisse Größenverhältnisse beim 
Arbeiter hause, wo Dienstboten nicht zur Verfügung stehen, im Interesse 
einer stets ermöglichten Reinhaltung nicht überschritten werden dürfen. 
Indes sind noch zwei Typen zu unterscheiden: 1. das einfachere Haus mit 
zwei Wohnräumen (davon der eine als Wohnküche ausgebildet) (Fig. 2) und 

Fig. 3. 


Versenkte Badewanne in der Küche eines Arbeiterhauses in Bournville. 

Nebengelaß im Erd-, drei Schlafzimmer im Obergeschoß, letzteres durchweg ins 
Dach eingebaut, und 2. der Parlourtypus mit zwei großen Wohnräumen und 
Küche unten, entsprechend mehr Schlafzimmmern und Baderaum oben. 
Wie beim englischen Hause überhaupt, ist auch bei diesen Arbeiterhäusern 
Rücksicht auf genügendes Nebengelaß genommen. Keller existieren nirgends. 
Neben der Wohnküche liegen, die allereinfachsten Cottages ausgenommen, 
die 8pül- und Waschküche; der Abort ist in Port Sunlight überall von der 
Wohnung völlig getrennt, in Bournville zwar im Hause eingebaut, jedoch 
von außen zugänglich. Für Badegelegenheit ist überall gesorgt, entweder 
in den Parlour-Cottages durch besondere Badezimmer, in den einfacheren 
durch eine in der Abwaschküche versenkte, bei Nichtbenutzung durch eine 
mit Deckel verschlossene Badewanne mit Zuleitung für Warm- und Kalt¬ 
wasser (Fig. 3). Äußerst praktisch und für deutsche Verhältnisse durchaus 


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366 


Dr. Julian Marouse, 


nachahmenswert sind in einem Wandschrank untergebrachte Badewannen, die 
beim Aufklappen der Schranktür zur Erscheinung kommen (Fig. 4). Reichlich 
bemessen ist die Lichtzufuhr der Räume. Der schon bei älteren englischen 
Häusern zwecks ausgiebiger Besonnung und freien Ausblicks angebrachte 
Erker ist für die Innenräume ebenso wichtig wie für die äußere Erscheinung. 
Die meist dicht daneben liegende, durch ein yorBpringendes Dach geschützte 
oder in einer Nische befindliche Haustür bietet, selbst bei ganz einfacher 
Behandlung, Gelegenheit zur Ausbildung reizvoller Motive. In vielen Fällen 


Fig. 4. 



Aufklappbare Badewanne in einem Arbeiterbause in Bournville. 


ist der Erker hochgeführt, so daß er gleichzeitig für die Räume des Ober¬ 
geschosses als Lichtquelle dient. Die Zimmer sind in ihrer Behandlung 
äußerst wohnlich, einfach, aber gut möbliert. Besondere Betonung erfährt, 
wie im neueren englischen Hause überhaupt, der „Inglenook“, der Kamin¬ 
winkel. Die in das Kamin eingesetzten, meist sauber geputzten Vertikal¬ 
kochherde sind äußerst praktisch im Vergleich zum altenglischen „Range“ 
sowohl als auch gegenüber dem platzversperrenden kontinentalen Horizontal¬ 
herde. Durch mäßige, aber infolge guter Lüftungsmöglichkeit völlig aus¬ 
reichende Stockwerkshöhen — durchschnittlich 2,70 m im Lichten — nehmen 


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Arbeiterwohnungen in England. 


367 



Cottagehäuser in Park Road, Port Sunlight. 

zusam menfassendes Bild verschiedenartiger architektonischer Gestaltnngsweise 
(Fig. 5). Während in Bournville mehr der Dorfcharakter überwiegt, ist in Port 
Snnlight vorwiegend der der Gartenstadt eingehalten. In beiden aber ist 
gezeigt, wie großartige Fabrikanlagen mit einer Ansiedelongsumgehang ver¬ 
einigt werden können ohne Verunstaltung des landschaftlichen Bildes. 

Hat Cadbury, der Begründer von Bournville, sich seiner einzigartigen 
Schöpfung, die von Anfang an ja schon mehr seinen Arbeitern als ihm 
gehörte, anch formell dadurch entäußert, daß er den gesamten Besitz von 
458 Acres Land mit 600 Wohnhäusern (so war der Stand Ende 1900 an¬ 
läßlich der notariellen Übergabe) an den „Bournville Village Trust“ zedierte, 
so ist eine dritte Gründung in Letchworth, der wir noch kurz Erwähnung 
tun wollen, von vornherein auf rein genossenschaftlicher Basis erfolgt. Mit 
einem Kapital von 6 Millionen Mark, das durch die Initiative Howards, des 
bekannten Propagateurs der Idee der Gartenstädte, zusammengebracht 


die Treppen, meist 70 cm breit und für den Verkehr völlig genügend — 
wenig Platz ein, ein nicht zu unterschätzender Vorteil. 

In bezug auf die äußerliche Haltung der einzelnen baulichen Erschein 
unngen ist zwischen Bournville und Port Sunlight ein prinzipieller Unterschied 
vorhanden. In ersterem ist durchweg an dem Grundsätze feBtgehalten worden, 
daß alle Verwendung historischer Stilformen vom Übel sei. Die Wirkung ist 
mit den denkbar einfachsten Mitteln erreicht, die äußere Physiognomie ent¬ 
spricht dem Wesen der Anlage, es handelt sich also um Hausbaukunst im 
besten Sinne des Wortes. In Port Sunlight dagegen spielen prächtige Fach¬ 
werkbauten, weiterhin gotische Vorbilder bzw. Backsteinbauten eine wesent¬ 
liche Rolle und geben in der großen Mannigfaltigkeit der Hausanlagen ein 


Fig. 5. 


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368 Dr. Julian Marcuee, Arbeiterwohnungen in England. 

wurde, ging man daran, ein Terrain zwischen London und Cambridge plan¬ 
mäßig zu bebauen. Von diesem Kapital sind bereits 5 Millionen in bau¬ 
liehen Anlagen investiert, und zwar sind schon Plätze für 720 Häuser, 25 
Geschäfte, für Schulen, Versammlungshallen usw. vergeben. Wasser-, Gas-, 
Elektrizitätswerke sind errichtet bzw. im Bau, eine Art griechisches Gymna- 
seion mit Wandelgängen, Plätzen für Gymnastik und Sport soll erstehen — 
eine philantropische Dame ist die Stifterin — kurzum, alte Kultur auf mo¬ 
dernem Boden in ihrer Vereinigung von Harmonie und Zweckdienlichkeit 
erblüht an dieser Stätte. Die Häuser sind Einfamilienhäuser, von Garten¬ 
anlagen umgeben, die Straßen sind breit und mit jungen Bäumen bepflanzt, 
Luft und Licht von allen Seiten. Auf dem gosamten Gelände, das teilweise 
prachtvolle Parkanlagen, reiches Wiesen- und Rasengelände umfaßt, sollen 
höchstens 35 000 Menschen angesiedelt werden. Zwei Drittel des Terrains 
bleiben für landwirtschaftliche Zwecke Vorbehalten. Die Dichtigkeit der 
Bevölkerung soll etwa 23 pro Ar auf dem bewohnten Gelände, 9 pro Ar 
auf dem ganzen Terrain betragen. Alleinige Besitzerin ist und bleibt die 
Gartenstadtgenossenschaft; die Häuser wurden zumeist von einer gemein¬ 
nützigen Baugesellschaft errichtet. 

Der größte Teil der obigen Ausführungen stammt, wie schon erwähnt, 
aus der Studie von Berlepsch-Valendas, die nicht bloß in ihrem text¬ 
lichen Teil, Bondern auch in ihren Illustrationsbeigaben, den zahlreichen, 
nach eigenen Skizzen ausgeführten Tafeln, uns ein abgerundetes Bild von 
der sozialhygienischen wie auch vor allem ästhetischen Bedeutung dieser 
Anlagen gibt. Die Vereinigung dieser Gesichtspunkte auch für heimische 
Bestrebungen dürfte eins der erstrebenswertesten Ziele sein, denn auch bei 
uns fehlen jedwede Ansätze zur Lösung dieser glücklichen Verbindung 
praktisch ausführbarer und ästhetischer Momente. Und die Kritik, die 
Berlepsch in seinem Schlußwort von den landläufigen Versuchen auf dem 
Gebiete der Wohnungsfrage gibt, trifft so sehr den Nagel auf den Kopf, daß 
ich es mir nicht versagen möchte, sie in extenso an dieser Stelle wieder¬ 
zugeben: „Bei den meisten kontinentalen ebenso wie bei der Mehrzahl der 
englischen Anlagen spielt das ästhetische Moment bisher gar keine oder 
doch nur eine höchst untergeordnete Rolle, trotzdem auch nach dieser Rich¬ 
tung nichts im Rahmen der Möglichkeiten Liegendes unversucht bleiben 
sollte, um das Wesen der psychischen Entwickelung der Arbeiterfamilie zu 
heben, für Dinge empfänglich zu machen, die weit tiefer gehen, als gewöhnlich 
angenommen wird. Natürlich denkt der, welcher selbst kein wahres Bedürfnis 
nach den Anregungen hat, die in der Welt der Formenbildung liegen können, 
nicht daran, derartiges seinen Angestellten, den unteren Ständen, bieten in 
wollen. Damit charakterisiert sich der kulturfremde Standpunkt des weitaus 
größeren Teiles der Plutokratie zur Genüge. Die meisten mit Fabrik¬ 
betrieben in Verbindung stehenden Wohnkolonien sind Leistungen von trost¬ 
loser Langeweile! Jedes intimeren Reizes bar, geben sie ein deutliches, wenig 
erfreuliches Bild der Wertschätzung wirklicher Kultur. Es sind Massen- 
kasernements, projektiert und ausgeführt unter der Forderung, daß die Grenze 
der dabei verausgabten Mittel so weit wie nur möglich zurückgeschraubt 
werden soll.“ 


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Dr. F. Prölsa, Beobachtungen a. d. 3. Allgem. milchwirtschaftl. Kongreß im Haag. 369 


Beobachtungen auf dem 3. Allgemeinen 
milchwirtschaftlichen Kongress im Haag. 

Scheveningen 1907. Vom 15. bis 20. September. 


Schon die Eröffnungsfeier zeigte den internationalen Charakter dieses Kon¬ 
gresses und die günstige Wahl des Tagungsortes, eines Weltbades von Ruf. 

Im prachtvollen Konzertsaal des Kurhauses von Scheveningen, wo sonst 
das Berliner Philharmonische Orchester die Ohren der Kenner entzückt und 
berauscht, hatte sich eine illustre Versammlung eingefunden. Unter Vorsitz 
Sr. Königl. Hoheit des Prinzgemahls Heinrich eröffnete Se. Exzellenz Dr. 
J. D. Veegens, Minister für Landwirtschaft, Gewerbe und Handel, den 
Kongreß in einer viersprachigen Anrede (holländisch, französisch, deutsoh 
und englisch), und der Vorsitzende des Kongresses, Dr. H. P. Wijsmann, 
Professor in Leiden, übernahm nach einer Ansprache, in der auch italienisch 
und spanisch zu Gehör kam, die Leitung der Sitzung. 

Unter den Reden, die bei der Eröffnungsfeier gehalten wurden, nahm 
die des deutschen Delegierten, Prof. Ostertag, Direktor der Tierärztlichen 
Hochschule Berlin, wohl den ersten Platz ein. Kurz und doch umfassend 
besprach er die Tuberkulosetilgung beim Rindvieh nach den Verfahren von 
Bang, v. Behring und ihm selbst und deren Aussichten. 

Die Zusammensetzung des Kongresses war eine sehr bunte, die europäi¬ 
schen Länder waren mit Ausnahme der Türkei wohl alle vertreten, aber 
auch Nordamerika und Argentinien hatten Delegierte entsandt. Von deut¬ 
schen Vertretern war vor allem der Senior der deutschen Milchwirtschaft, 
Prof. Benno Martiny, anwesend, sodann verschiedene Leiter der provinzialen 
oder Universitäts- Milchwirtschaftsinstitute, als Eichlof-Greifswald, Tie- 
mann-Wreschen, Weigmann-Kiel,Pflugrath-Oldenburg; ferner Budden- 
berg vom hygienischen Institut zu Hamburg. Auch von der beteiligten 
Iudustrie waren Vertreter aus Deutschland anwesend, so von den Bergedorfer 
Eisen werken, von Schlüter u. Gsell - Düsseldorf, Gerbers - Leipzig, Pfund in 
Dresden. Von deutschen Ärzten traf ich nur einen: den Hamburger 
Physikus Dr. Sieveking. 

Die Sitzungen waren in vier verschiedene Abteilungen gegliedert, und 
jeder stand ein eigener Prunksaal des Kurhauses oder Palace-Hotels zur 
V erfügung. 

In der ersten Abteilung wurde über Gesetzgebung verhandelt, in der 
zweiten (getrennt) über Gesundheitspflege und tierärztliche Fragen, in der 
dritten über Industrie. 

In der ersten Abteilung einigte man sich zunächst über einheitliche Vor¬ 
schriften für die chemische Untersuchung der Milch, der Butter und des Käses 
dahin, daß allen Staaten die gleichmäßige Einführung des Verfahrens von Leff- 
mann-Beam zur Ermittelung der Reichert-Meisslzahl anzuempfehlen sei. 

Hinsichtlich der Milchkontrolle wurde auf die Notwendigkeit einer all¬ 
gemeinen Überwachung des Milchverkehrs vom Melken bis zur Abnahme 

Vierteljatarnchrift Jur G«aundheit«pflege, 1908. 24 


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370 


Dr. F. Prölss, 


des Konsumenten hingewiesen. Die Butterüberwachang erregte lebhafte 
Debatten, war doch an derselben Holland am meisten interessiert. Hollands 
Butterbandel ist nämlich im Sinken, die Preise für holländische Butter fallen, 
der englische Markt ging ihr an Dänemark verloren, der japanische an 
Queensland. Der Grund ist der, daß in Holland viel Margarine ohne Fir- 
bungszwang fabriziert wird und daß man daselbst viel Butter mit Margarine 
und mit Kokosfett fälscht. 

Die holländische Gesetzgebung hat sich dagegen bisher wirkungslos 
gezeigt. Das Gesetz bedroht dortselbst allerdings den Milchtäufer and 
Butterfälscher mit Gefängnis (nicht mit Geldstrafe), aber diese Bestrafung 
kommt kaum vor, weil anscheinend den kontrollierenden Beamten zu wenig 
Befugnisse zustehen. Daher haben sich solide Händler und Butterprodu- 
zenten zu freiwilligen Kontrollgenossenschaften zusammengeschlossen, za 
„Butterkontrollstationen“, wie es deren acht in Holland gibt, und zwar in 
Leeuwarden, im Haag, in Groningen, Assen, Deventer, Maastricht, Eindhoven 
und Middelburg. Diese Kontrollstationen unterstehen der Aufsicht einer 
Staatsanstalt, der Reichsmolkereiversuchsstation zu Leiden. 

Die Kontrolle wird so ausgeführt, daß in den unterstehenden Molkereien 
durch Kontrollbeamte Probe von Sahne und Butter entnommen wird. Die 
Sahneprobe wird im Laboratorium verbuttert, und es muß nun die so ge¬ 
wonnene Butter genau mit der entnommenen Probe übereinstimmen. Die 
so kontrollierten Molkereien erhalten dann für ihre vollständige Butter¬ 
produktion sogenannte Reichskontrollmarken, welche von der Reichsmolkerei¬ 
versuchsstation zu Leiden ausgegeben werden und mit dem Staatswappen 
versehen sind. Jede Marke entspricht einem bestimmten Butterquantum. 
Die kontrollierten Molkereien haben das Recht und die Pflicht, ihrer sämt¬ 
lichen Butter diese Marken aufzudrücken. Angeblich ist es unmöglich, die 
Buttermarke ohne Verletzung wieder zu entnehmen und sie neu zu verwenden. 

Die Holländer sind überzeugt von der Wirksamkeit dieser Kontrolle, 
die mir bekannten Nahrungsmittelchemiker und Molkereisachverständigen 
jedoch nicht, sie halten die Marke für entfernbar und behaupten, daß die 
Wiederverwendung vorkärae. 

Auf dem Kongreß kam die Meinung zum Ausdruck, daß erst ein 
künftiges Margarinegesetz in Holland Wandel schaffen würde. Die Ab¬ 
teilung nahm folgenden Schlußsatz an: 

Es ist wünschenswert, zu verbieten 1. alle Buttereinfuhr aus Ländern, 
in denen eine gesetzliche Verpflichtung zur latenten Färbung der zur Ver¬ 
fälschung der Butter dienenden Fette nicht besteht. 

2. Die Einfuhr solcher Butter, welche keine Kontrollmarke trägt, wenn 
sie aus Ländern stammt, die eine wirksame Überwachung der Butter auf 
ihre Reinheit eingeführt haben. 

Die Debatte über Kontrolle des Käsehandels zeigte, daß dieselbe bei 
weitem schwieriger ist als die Butterkontrolle. Hinsichtlich der Über¬ 
wachung der Molkereien war die Debatte in dem Punkte sehr lebhaft, ob 
die Überwachung eine polizeiliche oder eine merkantile sein solle. Bei 
ersterer kam dann wieder das Übergewicht des Arztes, des Veterinärs, des 
Chemikers oder des Molkereifachmannes in Frage; die Forderung merkan¬ 
tiler Überwachung, welche die Butter nur auf Handelseigenschaften prüfen 


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Beobachtungen auf dem 3. Allgem. milohwirtschaftl. Kongreß im Haag. 371 

sollte, als Konsistenz, Farbe, Geschmack, Geeignetsein für den Pariser, 
Brüsseler oder Antwerpener usw. Markt, lief meines Erachtens nur darauf 
hinaus, jedweder Fälschung der Butter Tor und Tür zu öffnen. 

Es gelang, diese Forderung zurückzudrängen und in den Schlußsätzen 
zu normieren, daß die allgemeine gesundheitspolizeiliche Überwachung der 
Molkereien im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege zu fordern sei, 
und daß in Ländern, wo diese Forderung unangängig sei, eine gegenseitige 
freiwillige Kontrolle der Molkereien anzustreben sei. 

In der zweiten Abteilung des Kongresses, für Gesundheitspflege, kam 
es bei den einzelnen Fragen zu einer lebhaften Kontroverse zwischen den 
Anhängern der pasteurisierten oder gekochten Milch und denen der rein 
ermolkenen Rohmilch; im übrigen waren die Forderungen an Stallhygiene, 
Viehauswahl und Milchbehandlung keine neuen. 

Anscheinend herrschte keine Einigkeit über den Begriff pasteurisierte 
Milch. Dr. J. J. Reyst-Haag erachtet es als erwünscht, daß zu pasteuri¬ 
sierende Milch 40 Minuten lang auf 71 bis 72°C erhitzt werde, während 
E.G. A. ten Siethoff-Scheveningen eine Erhitzung auf 60° C für genügend 
und geeignet erachtet, hierbei aber freilich einwandfreie Rohmilch voraus¬ 
setzt. (Dann bedarf es keiner Pasteurisierung! Der Berichterstatter.) 

Französische, belgische und einige holländische Veterinäre gingen sogar 
so weit, für jede Milch gleich nach dem Ermelken die Pasteurisierung zu 
fordern, ein Postulat, welches nicht nur die anwesenden Industriellen und 
Produzenten als unmöglich, sondern auch die anwesenden deutschen Ärzte 
als fehlerhaft zurückwiesen. 

Erstere machten darauf aufmerksam, daß es technisch sehr schwierig 
■ei, große Milchmengen längere Zeit auf bestimmte Grade erhitzt zu halten, 
letztere wiesen auf die Gefahr hin, der die pasteurisierte oder erhitzte Milch 
beim Auf bewahren ausgesetzt ist, da ihr die Säurebakterien mangeln, sie 
betonten die Schädigungen des menschlichen Organismus durch Genuß von 
erhitzter Milch und stellten als wünschenswertes Ziel der Milchhygiene die 
Förderung der Reinmelkungs- und Milchkühlungsmethoden dar. 

Erfreulich war es, aus einem Berichte eines Milohproduzenten (Ruhdorf 
aus Glinde bei Hamburg) zu erfahren, daß die Forderungen an Milchbehand¬ 
lung, welche er von seinem Standpunkt als möglich bezeichnet, dem Stand¬ 
punkt des Hygienikers als recht wohl genügend erscheinen müssen. 

Bezeichnend war auch die Kontroverse, welche um die Frage der öffent¬ 
lichen Milchküchen (gouttes de lait) entbrannte. Dr. Jonkheer Texcira 
de Mattos-Rotterdam bezeichnet sie als eine öffentliche Gefahr, weil sie 
die Mütter vom Stillen abbrächten und den Genuß gesunder Rohmilch be¬ 
schränkten, M. Rout-Paris führt auf ihren Segen die Abnahme der Säug¬ 
lingssterblichkeit zurück! 

Unter diesen Umständen litten die Schlußsätze an Verschwommenheit 
und interessieren als neu gewonnene feste Standpunkte kaum. Nur einer 
sei des Beispiels halber angeführt: Auf die zweite Frage, Anforderungen an 
Marktmilch und Vorzugsmilch: Bei dem gegenwärtigen Stand der Wissen¬ 
schaft ist die Frage über den Wert des Erhitzens der Milch endgültig noch 
nicht zu entscheiden. Es scheint aber empfehlenswert, dort, wo man ein¬ 
wandfreie Rohmilch erhalten kann, diese der Erhitzung nicht auszusetzen; 

24* 


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372 


Dr. F. Prölss, 


nur dort, wo der Ursprung der Milch nicht bekannt ist, ist es geboten, sie 
für Zwecke der Säuglingsernährnng zu erhitzen. 

Bei der Unterabteilung: Tierärztliche Fragen, erscheint eine viel größere 
Stimmigkeit, dies zeigt sich z. B. in den sechs Schlußsätzen der Frage über 
Stallhygiene, die einstimmig angenommen wurden: 

1. Milchviehställe müssen mit Hinsicht auf Gewinnung gesunder Milch 
nach hygienischen Grundsätzen eingerichtet werden. 

2. Ein Mittel zu diesem Zweck sind Preisausschreiben für einwandfreie 
Viehställe. 

3. Auch in gesundheitlich einwandfreien Ställen gehaltenes Yieh sollte 
täglich Gelegenheit zum Aufenthalt in frischer Luft haben. 

4. Wo sie durchführbar erscheinen, sollten gesetzliche Vorschriften zur 
gesundheitlich zweckmäßigen Einrichtung der Ställe angestrebt werden. 

5. Die Ställe müssen so eingerichtet sein, daß Krankheiten des Viehes, 
speziell Eutertuberkulose, rechtzeitig wahrgenommen werden können. 

6. Die tierärztliche Aufsicht über die Milchviehbestände ist ein Gesichts¬ 
punkt von großer milchhygieniBcher Bedeutung und verdient in allen Län¬ 
dern, in denen sie durchführbar ist, gesetzlich eingeführt zu werden. Die 
tierärztliche Untersuchung sollte so oft wie möglioh, mindestens alle drei 
Monate, vorgenommen werden. 

Zwei unvereinbare Meinungen standen sioh bei der siebenten Frage 
gegenüber: 

Poels-Rotterdam und Ostertag-Berlin vertraten die Ansicht, daß nur 
Kühe mit Eutertuberkulose Bazillen mit der Milch ausscheiden, daß aber auch 
durch Kühe mit offener Tuberkulose die Milch im Stalle infiziert werden wird. 

De Jong-Leiden und Arloing-Lyon vertreten den Standpunkt, daß 
auch Kühe, welche keine offene, klinisch erkennbare Tuberkulose haben, 
wenn sie nur auf Tuberkulin reagieren, Bazillen ausscheiden können. Nach 
ihnen müssen also auch diese Kühe ausgemerzt werden. Auf folgenden 
Schlußsatz einigte man sich schließlich: 

1. Die Ausmerzung von Tieren, die an offener Tuberkulose leiden, ist die 

wichtigste Maßnahme, um Ansteckung der Milch vorzubeugen. 

2. Völlig einwandfrei mit Bezug auf die Ansteckungsgefahr gegen Tuber¬ 

kulose ist nur Milch von solchen Kühen, die 

a) keine klinischen Anzeichen von Tuberkuloseerkrankungen zeigen: 

b) nicht auf Tuberkulin reagieren; 

c) nicht in verseuchten Ställen stehen. 

3. Milch von Tieren, die auf Tuberkulin reagieren, muß vor dem Verzehr 

erhitzt werden. 

Die Verhandlungen der dritten Abteilung betrafen nur die Industrie, 
sie werden Leser dieses Blattes kaum interessieren, ich selbst habe keiner 
beigewohnt. 

Interessant waren aber jedenfalls die gemeinsam unternommenen Aus¬ 
flüge. Dieselben konnten, da sie mit den Verhandlungen kollidierten, nicht 
alle mitgemacht werden, die weitesten (nach Maastricht, Amsterdam, Gelder¬ 
land, Oberyssel, Limburg) waren auch erst die Woche nach dem Kongreß, 
sie waren alle wohl organisiert und nicht teuer in Anbetracht des Gebotenen. 
Nur drei will ich näher erwähnen, die ich mitmachen konnte. 


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Beobachtungen auf dem 3. Allgem. milchwirtschaftl. Kongreß im Haag. 373 

1. Ausflug nach dem Reichs - Seruminstitut zu Rotterdam, das ist die 
▼on J. Poels geleitete Anstalt, von der aus z. B. die Rindertuberkulose in 
Holland bekämpft wird. Es sind dort bisher über 8000 Rinder, die vom 
Staat enteignet wurden, getötet und seziert, und 7000 Milchproben auf 
Tuberkelbazillen untersucht. Alle eingesendeten Sekrete, Exkrete und Tier¬ 
organe werden daselbst bakteriologisch gratis untersucht. Verschiedene 
Sera werden hergestellt, als gegen Kälberruhr, septische Pleuropneumonie, 
Hühnercholera, Milzbrand und Impfstoffe gegen Schweinepest, Rauschbrand 
und Milzbrand. In einer chemischen Abteilung werden außerdem Geheim¬ 
mittel gegen Viehkrankheiten analysiert und geprüft. Das Institut besteht 
seit 1904 und hat sich in dieser kurzen Zeit erstaunlich entwickelt. 

2. Die Fahrt durch den Hafen von Rotterdam, zu welcher die Kongressisten 
▼on der Stadt eingeladen waren, bot äußerst imposante und interessante 
Bilder Tom schnellen Aufblühen dieses Emporium dar. Die einzelnen Häfen 
liegen dicht zusammen und der Überblick gestaltet sich imposanter als der, 
den z. B. Hamburgs Hafen bietet, dessen einzelne Teile fingerförmig tief ins 
Land gehen. — Nur 300000 Einwohner zählt Rotterdam, und aus eigenen 
Mitteln hat es in dem letzten Jahrzehnt drei Häfen gebaut, den Königshayen 
für 15 Millionen, den Rhynhayen für 22 Millionen und den noch im Bau 
befindlichen Maasbayen für 50 Millionen Gulden. 

3. Die Gelegenheit, echt holländisches Landleben kennen zu lernen, bot 
der Ausflug nach dem Käsemarkt in Alkmar. Alkmar liegt nördlich yon 
Amsterdam auf der Halbinsel Nordholland, welche im Osten yon dem Zuider- 
see, im Westen yon der Nordsee bespült wird. Diese Halbinsel liegt tiefer 
als der Meeresspiegel, aber höbe Dünen im Westen und künstliche Damm¬ 
anlagen im Osten sichern das Land yor den Fluten, welche nur durch 
Schleusenanlagen hereingelassen werden, um die zahlreichen, breiten, schiff¬ 
baren Kanäle zu speisen. Das aus den Kanälen, die ja höher als das Land¬ 
niveau liegen, eindringende Sickerwasser wird von zahlreichen kleinen Hebe¬ 
werken aufgepumpt, die durch Windmühlen getrieben werden. Riesige Wiesen¬ 
flächen, yon zahlreichem Vieh begangen, werden yon den Wassermengen ge¬ 
speist und in üppigem Grün erhalten, und die Abwechselung yon Kanälen und 
Schiffen, Windmühlen und Wiesen mit Vieh gibt dem Lande das für Holland 
kennzeichnende Gepräge. Die Milchproduktion des Landes wird zur Käse¬ 
fabrikation verwendet, es sind das die sog. Edamer Käse, rot gefärbt und kugel¬ 
förmig, sowohl Fabriken als die einzelnen Bauern fertigen diese Art von Käse. 

Die anderen Arten des holländischen Käses sind ja bekanntlich der 
weichere Limburger in würfelförmigem Format und der härtere Gouda- (sprich 
Gauda) käse. Letzterer kommt in gelber Färbung und flacherem Scheiben- 
format in den Handel, beide werden in Süd- und Westholland gefertigt. 

Die reellen Käsefabrikanten erzeugen einen Käse von 40 Proz. Fett¬ 
gehalt, unter Verwendung der abgerahmten Abendmilch und der vollen 
Morgenmilch eines Hofes oder eines Molkereibezirkes. Von der Sahne der 
Abendmilch wird der Butterbedarf gedeckt. Die von uns besichtigte Käse¬ 
fabrik „Prinz Hendrik“ wird genossenschaftlich betrieben. Sauberkeit zeich¬ 
nete sie aus, aber andererseits auch Platzmangel und die Tatsache, daß die 
mechanische Käseaufnahme aus den Molken nicht maschinell, sondern 
mittels Menschenhänden bewirkt wurde. Ungünstig ist auch der Verbleib 


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374 Dr. F. Prölss, Beobachtungen a. d. 3. Allgem. milohwirtschaftl. Kongreß im Haag. 

der Abfallstoffe und der Wasserversorgung. Alle Abfallstoffe, die mensch¬ 
lichen und die gewerblichen, gehen in den Wassergraben, der das Gewese 
umzieht, an einer anderen Stelle entnimmt man ihm das Gebrauchswasser, 
nur kleine Dämme trennen beide Stellen. 

Die Besichtigung eines nahegelegenen Hofes ergab denselben Übelstand, 
der freilich bei der oben geschilderten Lage des Landes schwer zu beseitigen 
ist; denn auch aus der Tiefe entnommenes Untergrundwasser ist nicht 
trinkbar, weil es mit dem Meere in Verbindung steht und salzig ist 

Im übrigen gab der Hof ein schönes Bild von der holländischen Sauber¬ 
keit: Die Gänge und Korridore im Hause, das Ziegelpflaster des Hofes, die 
vom Vieh nicht bestandenen Teile der Ställe waren blitzbank gescheuert 
und werden nur mit weiß lackierten Holzschuhen oder Strümpfen betreten. 
Freilich führt diese Reinlichkeit auch zu Mißständen: So wurde im sauber 
gehaltenen Schweinestall die Milch verbuttert 

Interessant erscheint es, daß man mittels kleiner, glockenförmig ge¬ 
bauter Taucherapparate das Sumpfgas über dem Grabenwasser auffängt und 
nach dem Hause leitet, wo es durch Erhitzung von Glühstrümpfen zu Be¬ 
leuchtungszwecken dient 

Die Käseproduktion des Landes geht nun an bestimmten Tagen zu Markt 
nach Alkmar, wo sie abgenommen und ausbezahlt wird. Inmitten der Stadt 
umgeben von Kanälen, liegt die altertümlich erbaute, mit steinernem Lauben¬ 
gang ringsum versehene „Waag“, ein Gebäude, daß trotz seines Alters in 
bunten Farben strahlt, da es in vielfarbigem Ziegelsteinmosaik aufgeführt ist 

Mit bunt bemalten Wagen und mit schwer beladenen Kähnen kommt das 
Landvolk heran, seine zunächst gelben und blank poliert aussehenden Käse¬ 
kugeln ausbietend. Geschäftige Marktbelfer, ganz in blendend weiße, sauber 
gewaschene Anzüge gekleidet, und mit bunten Hüten gekennzeichnet, laden 
die Käse auf saubere Tragen und bewirken die Feststellung des Gewichts 
einer ganzen Traglast an der Waag. Durch Anklopfen und Anbohren 
probt der Käufer die Ware. 

Dies alles geschieht stets unter Aufsicht des betreffenden Gemeinde¬ 
vorstandes, der dann auch unter alten Zeremonien den Handel abschließt 
Die Käse gehen dann in die Lagerhäuser der städtischen Firmen, wo sie 
reifen und mit karminroter Farbe versehen werden. — Kontrastierend von 
dieser Sauberkeit wirkt es, wenn man beobachtet, daß die zahlreichen Nischen 
und Pfeilerwinkel der „Waag“ und der benachbarten Kirche überall zu 
Pissoirs benutzt werden, einfach durch Anbringung von Becken in geeigneter 
Höhe, ohne jede weitere VerblendungsVorrichtung. 

' Die Reinlichkeit ist dem Volke eine Gewohnheit geworden, man wendet 
sie der Repräsentation halber an, nicht wegen ihres Endzieles, der privaten 
oder öffentlichen Gesundheitspflege. 

Es wird befremden, daß ich nicht den als mustergültig bekannten 
holländischen Milchviehstall beschreibe, er war uns leider verschlossen, denn 
an vielen Orten Hollands herrschte die Maul- und Klauenseuche and die 
geplanten Ausflüge nach der Musterstallung Oud-Bussern, sowie die Be¬ 
sichtigung der Musterfarm Sr. Königl. Hoheit des Prinzgemahls zu het Loo 
mußte unausgeführt bleiben. Dr. F. Prölss. 


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Entgegnung vom Stab8apotheker Droste in Hannover. 


375 


Entgegnung vom Stabsapotheker Droste in Hannover. 


In dem Aufsätze des Herrn Geheimrats Pistor in der Vierteljahrs¬ 
schrift für öffentliche Gesundheitspflege findet sich folgende Stelle über die 
Tätigkeit der Militärapotheker: 

Wenn Militärapotheker und pharmazeutische Beamte als im Berufe stehend 
angesehen werden, so erscheint dies als eine Bevorzugung, die man gewiß einem 
Apotheker gern zugestehen wird, der seine Tätigkeit im Kriege ausgeübt hat. 
Aber ein Friedensapotheker führt gegenüber einem Apotheker in dienender 
bürgerlicher Stellung ein sehr bequemes Leben, hat außerdem, wenn er sein Amt 
aufgibt, seine Pension und wird nun noch für das bequeme Leben während des 
Militärdienstes durch die Erteilung meist einer solchen Betriebserlaubnis belohnt, 
die gewöhnlich eine recht gute Einnahme gewährt, aus dem einfachen Grunde, 
weil der Militärapotheker im Bewußtsein seiner größeren Chancen sich nur um 
einträgliche Konzessionen bewirbt. 

Trotz der bestimmten Form dieser Sätze muß ich annehmen, daß die 
Kenntnisse des Herrn Geheimrats Pistor über den Dienst der Militär¬ 
apotheker aus Angaben solcher Personen herzuleiten sind, die sich ihm 
gegenüber als fachkundig ausgegeben haben. Da ich die Ehre habe, dem 
Stande der Militärapotheker anzugehören, werden Sie den Wunsch begreiflich 
finden, durch etwas eingehendere Erörterungen des Urteils, das Herr Geheim¬ 
rat Pistor in kurzen Worten über unseren Stand und dessen angebliche 
Bevorzugung bei Verleihung von Konzessionen fällt, den Lesern Ihrer ge¬ 
schätzten Zeitschrift einige Aufklärungen über die Tätigkeit der Militär¬ 
apotheker zu geben. Aus diesem Grunde bitte ich um gefällige Veröffent¬ 
lichung meiner Ausführungen. 

Die als Beamte in Betracht kommenden Militärapotheker sind Korps¬ 
stabsapotheker und Stabsapotbeker >), von denen, außer in Berlin, in jedem 
Armeekorps je einer angestellt ist, der Korpsstabsapotheker beim Sanitäts¬ 
amt, der Stabsapotheker beim Garnisonlazarett am Sitze des General¬ 
kommandos. Die Tätigkeit des Korpsstabsapothekers besteht zunächst in 
der Untersuchung und Beurteilung aller im Militärhaushalt vorkommenden 
Nahrungsmittel, Genußmittel und Gebrauchsgegenstände. Zur Ausführung 
dieser Untersuchungen ist für jedes Armeekorps ein den weitgehendsten 
Anforderungen entsprechend eingerichtetes Laboratorium vorhanden, dessen 
Vorstand der Korpsstabsapotheker ist. Er wird in diesen Arbeiten, über deren 
Umfang die jährlichen Veröffentlichungen im Sanitätsbericht Auskunft geben, 
durch den Stabsapotheker unterstützt. Der Korpsstabsapotheker hat ferner 
den Arznei- und Verbandmittelverkehr im Armeekorps zu überwachen und 
alle erforderlichen Nach Weisungen über die richtige Verwendung der beim 
medizinisch-chirurgischen Etat zur Verfügung gestellten Geldmittel zu 
prüfen. Die Tätigkeit des Stabsapothekers besteht außer der Laboratoriums- 

*) Außer dem 8tabsapotheker im preußischen Kriegsministerium. 


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376 Entgegnung vom Stabaapotheker Droste in Hannover. 

tätigkeit in der Leitung der Lazarettapotheke und Verbandmittelabteilung 
des Garnisonlazaretts am Sitze des Generalkommandos, der Verwaltung der 
für den Kriegsfall beim GarniBonlazarett lagernden Truppensanitätsaus- 
rüstung und sonstigen Kriegsbeatände, sowie in der Unterrichtung der ein¬ 
jährig-freiwilligen Militärapotheker. Ferner ist er Vorstand des Sanitäts¬ 
depots. Die Sanitätsdepots beschaffen den ganzen Bedarf für die Lazarette 
des Armeekorps an Arzneien, Verbandmitteln, ärztlichen Geräten, Apotheken¬ 
geräten und sonstigen Hilfsmitteln des medizinisch- chirurgischen Etats. 
Ferner erfolgen durch das Sanitätsdepot alle Beschaffungen für die im 
Garnisonorte aufgestapelten sanitären Kriegsbestände des Gamisonlazaretts 
und Traindepots. Beim Sanitätsdepot erfolgt die Abnahme aller dieser Gegen¬ 
stände unter persönlicher Verantwortung des Vorstandes, von hier aus werden 
alle Reparaturen, Änderungen und Instandsetzungen der Gegenstände des 
medizinisch-chirurgischen Etats veranlaßt. Hier ist die Prüfungsstelle für 
alle im Korps verbrauchten Arzneimittel, hier befindet sich ein großes Lager 
von Arzneitabletten und der Tablettenfabrikationsbetrieb mit maschineller 
Einrichtung. Hier werden die rohen Verbandstoffe für den laufenden Bedarf 
des Armeekorps und für sämtliche im Armeekorps befindliche Kriegsbestände 
verarbeitet, gepreßt, zu Binden geschnitten, imprägniert und sterilisiert. Neu 
einzuführende Fabrikations- und Präparierungsverfahren werden im Sanitäts¬ 
depot nachgeprüft. Der Verarbeitung der Verbandstoffe muß selbstredend 
eine genaue chemische, technische und mikroskopische Prüfung vorangehen, 
ebenso wie die fertiggestellten imprägnierten Stoffe nochmals auf ihren 
WirkungBwert zu prüfen sind. In den Sanitätsdepots wird das Personal in 
der Herstellung von Verbandmitteln und Arzneitabletten geschult, hier ist 
die Auskunftstelle für alle pharmazeutisch-technischen und chemischen Fragen. 
Wie umfangreich die Tätigkeit des Apothekers beim Sanitätsdepot ist, zeigt 
dem in die Einzelheiten nicht Eingeweihten die jährliche Ausgabe bei den 
einzelnen Titeln des medizinisch-chirurgischen Etats, die, auf den Umsatz 
einer Zivilapotheke berechnet, den Umsatz von etwa drei der größten Zivil¬ 
apotheken repräsentiert. 

Ich frage nun: Kann es als eine Bevorzugung erscheinen, wenn ein 
Militärapotheker als im Berufe stehend angesehen wird, dessen amtliche 
Tätigkeit sich nicht allein in intensiver Weise auf alle pharmazeutisch-tech- 
nischen Gebiete erstreckt, sondern auch ein großes Wissen in allen Zweigen 
der chemisch-biologischen und hygienischen Wissenschaft voraussetzt und 
eingehende Kenntnisse der verschiedensten Industrien, sowie gute Erfahrungen 
auf kaufmännischem und wirtschaftlichem Gebiete zeitigen muß? 

Die so weitgehende Bevorzugung der Kriegstätigkeit vor der Friedens¬ 
tätigkeit, wie sie den obigen Ausführungen in ihrer Allgemeinheit zugrunde 
liegt, ist bei aller Hochachtung vor Kriegsteilnehmern meines Erachtens selbst 
bei Offizieren nicht am Platze, da für manchen die Friedenstätigkeit auf¬ 
reibender ist, als für manchen der Krieg es war. Beim Apotheker aber ist 
der Kriegsdienst nicht anstrengender als der Friedensdienst. 

Das bequemere Leben des Militärapothekers soll sich dem bürgerlichen 
Apotheker gegenüber besonders dadurch hervorheben, daß sich der Militär¬ 
apotheker nicht in dienender Stellung befindet. Hier will ich zunächst 
folgende drei Fragen auf stellen und näher besprechen. 1. Befindet sich der 


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Entgegnung vom StabBapotheker Droste in Hannover. 377 

Militärapotheker nicht in dienender Stellung? 2. Gibt es nicht bei bürger¬ 
lichen Apothekern teils mehr, teils weniger dienende Stellungen mit sehr 
unterschiedlicher Bequemlichkeit? 3. Soll es Grundsatz werden, bei Ver¬ 
gebung von Konzessionen diejenigen Apotheker an erster Stelle zu berück¬ 
sichtigen, die das unbequemste Leben während ihrer Berufstätigkeit nach- 
weisen können? 

Zu 1. Der bürgerliche Apotheker in dienender Stellung hat Bich nach 
einem Chef zu richten, den er beliebig wechseln kann, während die Militär¬ 
apotheker bei ihrer dienstlichen Tätigkeit die Wünsche und Bestimmungen 
mehrerer Vorgesetzten und höherer Instanzen zu berücksichtigen haben. 
Ein Wechsel dieser Vorgesetzten hängt nicht vom Willen der Beamten ab, 
ebensowenig wie dieser, im Gegensatz zum dienenden Apotheker in bürger¬ 
licher Stellung, persönlich nichts zur Erhöhung seines Gehaltes beitragen kann. 

Zu 2. Die dienenden Stellungen im bürgerlichen Leben sind in bezog 
auf das Maß von Bequemlichkeit sowohl wie an Selbständigkeit, pekuniären 
Vorteilen und gesellschaftlichen sehr verschieden. Der Verwalter oder 
Pächter einer Apotheke wird sicherlich ein im Sinne der Äußerungen des 
Herrn Geheimrats Pistor bequemeres Leben führen als ein zweiter oder 
dritter Gehilfe. Desgleichen wird der Verwalter oder Gehilfe im kleineren 
Orte gesellschaftlich eine größere Rolle spielen als der dienende Apotheker 
in der Großstadt. Aber was dem einen erstrebenswert und bequem erscheint, 
ist’s für den anderen nicht. Ich kenne eine Reihe von dienenden bürger¬ 
lichen Kollegen, die den unverantwortlicheren Dienst eines Großstadtgehilfen 
und die Freuden und Zerstreuungen, die das großstädtische Leben in der 
dienstfreien Zeit bietet, dem zurückgezogenen sorgenvolleren Leben, das der 
Leiter einer Land- oder Kleinstadtapotheke führt, weit vorziehen. 

Zu 3. Wollte man nun bei Vergebung einer Apothekenkonzession nach 
obigem Grundsatz verfahren, so wäre unter anderem zu berücksichtigen, 
welche Stellung der betreffende bürgerliche Apotheker während des größten 
Teiles seiner Berufstätigkeit eingenommen hat; war er Verwalter, Pächter, 
Filialenleiter oder Gehilfe? Wieviel Chefs hat er gehabt? Welche Mittel 
standen ihm zur Verfügung sowohl intellektueller wie pekuniärer Art, um 
sich das Berufsleben bequemer gestalten zu können? Ob aber bei dieser 
Art der Vergebung an erster Stelle die Würdigsten Berücksichtigung finden 
würden, scheint mir nicht sicher. Soll jedoch außer der Zahl der Jahre, die ein 
Apotheker nach erlangter Approbation im Berufe tätig war, noch etwas 
anderes in Betracht kommen, so ist es wohl nicht unbillig, wenn persönliche 
Tüchtigkeit, bewiesen durch eine Reihe von Tatsachen, die durch kein 
persönliches Regiment anders gedeutet werden können, entsprechend bewertet 
wird. Durch Allerhöchste Kabinettsorder vom 14. Mai 1902 ist durch Er¬ 
hebung der Korpsstabsapotheker und Stabsapotheker in die V. Rangklasse der 
höheren Provinzialbeamten die gesellschaftliche Stellung der Militärapotheker 
Terbessert worden, aber die Bedingungen für das Aufrücken in die höhere 
Beamtenklasse sind so, daß sie nur von den tüchtigsten und strebsamsten 
Fachgenossen, soweit Examina und wissenschaftliche Bildung für diese 
Eigenschaften beweisend sind, erfüllt werden können. Es wird vom Militär¬ 
apotheker der genannten Rangklasse verlangt, daß er sein pharmazeutisches 
Staatsexamen mit der Note „sehr gut“ bestanden hat oder Abiturient ist 


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378 Entgegnung vom Stabsapotheker Droste in Hannover. 

und die Qualifikation als Nahrungsmittelchemiker besitzt. Das setzt eine 
Universitätsbildung von neun Semestern in allen für die Pharmazie wich¬ 
tigen Disziplinen voraus. Ich glaube kaum, daß ein Beruf, dessen selbst¬ 
ständige Ausübung aus Gründen des öffentlichen Interesses von der staat¬ 
lichen Erlaubnis abhängig ist, den staatlichen Organen einen Vorwurf machen 
kann, wenn sie bei sonst gleichen Chancen den als Konzessionär bevorzugen, 
der dem anderen durch die größere Vorbildung und Durchbildung in den 
zur ordnungsmäßigen Ausübung des Berufes erforderlichen Wissenschaften 
voraus ist, und dessen ganze Tätigkeit und Lebensführung jahrelang einer 
behördlichen Kontrolle unterworfen war. Ich möchte hiernach behaupten: 
Der beamtete Militärapotheker hat das Recht zu verlangen, daß er bei Ver¬ 
gebung von Konzessionen als primus inter pares behandelt wird. 

Die in den letzten zehn Jahren abgegangenen Militärapotheker haben 
alle in einem konzessionsfähigen Alter gestanden, einzelne davon hatten 
sogar ein reichlich hohes Dienstalter und außerdem große Verdienste um 
den ganzen Stand. Von einer Bevorzugung kann da wohl nicht die Rede 
sein. Wohl aber sind mir einzelne Fälle bekannt, daß dienende bürgerliche 
Apotheker im Alter von 12 bis 14 Dienstjahren bereits Konzessionen er¬ 
halten haben und hierbei erheblich ältere Apotheker derselben Qualität 
übersprungen haben sollen. Die Beziehungen, in die Herr Geheimrat Pistor 
die Pension mit der Erlaubnis zur Einrichtung einer Apotheke setzt, halte 
ich für etwas sonderbar. Welchem Beamten oder Offizier wird es verwehrt, 
nach seiner Pensionierung irgend einer Gewinn bringenden Tätigkeit nach¬ 
zugehen'? Soweit staatlicherseits hierzu hilfreich die Hand gereicht werden 
kann, geschieht dies in vielen Fällen, man denke nur an die Vergebung von 
Lotteriekollekten. Und bei den Apothekern soll nun eine ganze Klasse, die 
genau wie ihre Berufsgenossen unter dem im öffentlichen Interesse ein¬ 
geführten Konzessionszwang gelitten hat und den weitgehendsten staat¬ 
lichen Ansprüchen bezüglich der Vor- und Ausbildung nachgekommen ist, 
von der Berechtigung ausgeschlossen Bein, sich im höheren Lebensalter unter 
denselben Bedingungen eine selbständige Existenz zu schaffen, wie jeder 
dienende bürgerliche Kollege, weil sie eine Pension bezieht? Gesetzt den 
Fall, es würde aus denselben Gründen der öffentlichen Interessen der Kon- 
zesBionszwang für Ärzte eingeführt wie für Apotheker. Sollte dann dem 
pensionierten beamteten Arzt auch die selbständige Ausübung seines Berufes 
aus dem Grunde nicht mehr gestattet sein, weil er eine Pension bezieht? 
Oder sollen beamtete Ärzte keine selbständige Praxis mehr ausüben dürfen, 
wenn sie 2000 Jft Gehalt beziehen? Über diese Summe hinaus dürfte sich 
wohl kaum die Pension eines Militärapothekers bewegen. 


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Gegenäulierung. (M. P.) 


379 


Gegenäußerung. 


Die Pharmazeutische Wochenschrift vom 28. Oktober 1907, Nr. 43, hat 
meine vorstehend bekämpfte Ansicht über die bequeme Stellung der Militär¬ 
apotheker nach der Auslassung von kundigen Thebanern (S. 689) be¬ 
stätigt und mich dadurch einer Erwiderung auf Herrn Drostes Äußerungen 
überhoben. 

Ich überlasse es ruhig dem Urteil der Kundigen, ob die dienstliche und 
gesellschaftliche Stellung des Militärapothekers oder eines beschäftigten 
Zivilapothekers in abhängiger Stellung bequemer und angenehmer ist, ob es 
interessanter ist, die von Herrn Droste aufgeführten Arbeiten auszuführen 
oder tags ev. auch nachts Rezepte zu machen und für 5 bis 10 Salbe, 
Tee, Pomade u. dgl. zu verkaufen. 

Hiermit ist die Sache für mich erledigt. (M. P.) 


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Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. 


Vorläufige Mitteilung. 

Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege wird in diesem 
Jahre 

vom lb. bis 19. September in Wiesbaden 

tagen. 

Zur Verhandlung sind folgende Gegenstände in Aassicht genommen: 

1. Städtische Gesundheitsämter und ihre Aufgaben für die öffentliche 

Gesundheitspflege. 

2. Wasserversorgung ländlicher Bezirke. 

3. Die Ursachen der Nervosität und deren Bekämpfung. 

4. Die hygienische Bedeutung städtischer Markthallen, ihre Ein¬ 

richtung und ihr Betrieb. 

5. Die gesundheitlichen Grundsätze für den Bau von Volksschulen. 

Der Ausschuß hat beschlossen: 

1. Bewirtungen von seiten der Städte in Zukunft abzulehnen. 

2. Das gemeinsame Festessen ausfallen zu lassen. 


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Kritiken und Besprechungen. 


381 


Kritiken und Besprechungen. 


Dunbar, Prof. Dr., Leitfaden für die Abwasserreinigungs¬ 
frage. München und Berlin, R. Oldenbourg, 1907. 386 S. Mit 

147 Abbildungen. 

Es wird in allen beteiligten Kreisen auf das dankbarste begrüßt werden, 
daß der verdiente Direktor des Hamburger staatlich-hygienischen Instituts 
einen „Leitfaden“ für dasjenige Gebiet herausgibt, auf dem er eine so an¬ 
erkannte Autorität ist. Wir glauben es einem Forscher wie ihm, daß es 
ihm „leichter gefallen wäre, ein umfassendes Nachschlagewerk zu schreiben 
als einen kurzen Leitfaden“. Aber wir halten mit ihm seinen einschränken¬ 
den Entschluß für richtig, weil die Frage sich im Stadium intensiver Ent¬ 
wickelung, „tagtäglicher“ Änderung befindet. Das Buch, das dem Verf. 
„ein rechtes Sorgenkind“ war, wird seinen Zweck vollkommen erfüllen, 
weil es über das ebenso weite wie wichtige Gebiet einen vollen Überblick 
gibt und weil es von den zahllosen einschlägigen Gesetzesbestimmungen und 
von Anführungen aus der überwältigend großen Literatur Abstand ge¬ 
nommen hat. Der Verf. berichtet, daß er mehr als tausend Veröffent¬ 
lichungen benutzt hat, und sein Literaturverzeichnis weist 166 Nummern auf! 

Nach einer ausgezeichneten Einleitung zur Entwickelungsgeschichte der 
Abwasserfrage erörtert der Verf. den gegenwärtigen Stand der Abwasser¬ 
behandlung, bespricht eingehend alle Aufgaben und Methoden und wägt 
sie kritisch von allen Gesichtspunkten gegeneinander ab. Daß er selbst ein 
eigenes hervorragendes „biologisches“ Verfahren ausgearbeitet bat, das sich 
bereits vielfach praktisch bewährt hat, ist überall bekannt, aber hier in diesem 
Buohe erfahren wir es erst gegen das Ende hin. Wie so mancher Erfinder, 
hat auch Verf. „zahlreiche Ehrabschneidereien und Verdächtigungen“ er¬ 
fahren und sie bis dahin nie einer Antwort gewürdigt, und S. 324 bemerkt 
er, daß er nicht schon im Vorwort seine Gefühle der Indignation habe zum 
Ansdruck bringen wollen, weil er damit dem ganzen Buche den Stempel 
der Subjektivität und den Anschein einer Kampfschrift verliehen hätte, den 
es aber nicht erhalten sollte und wahrlich auch nicht erhalten hat. Viel¬ 
mehr sind alle Verfahren mit größter Objektivität besprochen. Bei den 
„künstlichen biologischen“, d. h.bei den künstlichen Filteranlagen im Gegen¬ 
satz zur Filtration durch den gewachsenen Boden, werden der Corbett sehen 
Zerstäubungs- und Verteilungsmethode ihre Prioritätsansprüche gewahrt. 

Mit berechtigtem Ernst weist Dunbar auf die Notwendigkeit hin, bei 
infektiösen Abwässern auf gehörige Desinfektion Bedacht zu nehmen. 
Keine der Reinigungsverfahren bietet absolute Sicherheit, daß, nicht einige 
AnsteckungBkeime durchschlüpfen, dennoch bietet jedes von ihnen bei rich¬ 
tiger Anwendung den normalen Abwässern gegenüber genügende Leistungen. 
Diejenigen Krankheitserreger, auf die es dem Hygieniker besonders ankommt, 
findet man überhaupt nicht in normalen Abwässern, wohl aber die doch ebenfalls 


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882 


Kritiken und Besprechungen. 


virulenten Streptokokken und Baeter. enter., jedoch auch sie nur in wenigen 
Hunderten bis Tausenden pro Kubikzentimeter. Dagegen finden sich vom 
Bact. coli in jedem Kubikzentimeter jeden Abwassers über 100 000 Exemplare, 
und deshalb hat Dunbar es schon im Jahre 1892 als Indikator für die 
Reinheit des Wassers vorgeschlagen und ebenso als Indikator für die Leistling 
der Reinigungsmethode und Desinfektion eines Abwassers. Als solcher 
Indikator ist das Bact. coli auch jetzt überall acceptiert. Indessen ist die 
Desinfektion der gesamten Abw&sser kaum durchführbar: Für eine Großstadt 
würde allein schon der dazu nötige Chlorkalk mehrere tausend Mark täglich 
kosten. Um so wichtiger ist es, auf der Desinfektion infektiöser Aus¬ 
scheidungen schon am Krankenbette zu bestehen (in Hamburg werden 
ev. dorthin die Desinfektionsinittel staatlich geliefert) und die Abwässer aus 
den Infektionsabteilungen der Krankenhäuser vor dem Einlaß in die Kanäle 
zu desinfizieren. 

Was die Gesamtheit der Abwässer einer Stadt betrifft, so bezweifelt 
Dun bar, ob die gegenwärtig empfohlene chemische Behandlung (vor der 
biologischen) zweckmäßig ist. Er rät mehr dazu, den biologischen Körpern 
das Absitz- oder das Faulverfahren vorzuschalten, um die Abwässer dadurch 
so sehr wie möglich von ungelösten Bestandteilen zu befreien. Das Faul¬ 
verfahren ist das billigere und liefert geringere Mengen Schlamm, der außer¬ 
dem, weil er ausgefault ist, die Umgebung nicht belästigt und zu Terrain- 
erhöhungen und ähnlichen Zwecken unbedenklich benutzt werden kann. 
Jedenfalls ist ein gut und rationell betriebenes „künstliches biologisches Ver¬ 
fahren“ dem Rieselverfahren ebenbürtig. Dunbar ist sogar davon über¬ 
zeugt, daß es sich für viele Städte billiger stellen würde, wenn sie ihr Be- 
rieselungsverfahren aufgeben und durch das künstliche biologische ersetzen. 
Er bezweifelt nicht, daß viele von uns es noch erleben werden, „daß Berlin 
seine Rieselflächen für Bebauungszwecke verkauft und künstliche biologische 
Anlagen als Ersatz herstellt“. Ob es gerade noch „viele“ erleben werden, 
mögen andere wiederum bezweifeln, aber jedenfalls ist es die Pflicht aller 
städtischen Verwaltungen, der lebhaften Entwickelung der Abwasserfrage 
dauernd ihre volle Aufmerksamkeit zu widmen und Dunbars Buch ein¬ 
gehend studieren zu lassen. (Landsberger, Charlottenburg.) 


Kirchner (vortrag. Rat im preuß. Kultusministerium), Die gesetz¬ 
lichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen 
Reiche unter besonderer Berücksichtigung Preußens. (Zugleich Fest¬ 
schrift des preußischen Kultusministeriums für den XIV. internatio¬ 
nalen Kongreß für Hygiene und Demographie.) Jena, Gustav Fischer. 
1907. 335 S. 5 JC, geb. 6 Jl. 

Die umfassenden Gesetze, welche das Reich (am 30. Juni 1900) und 
Preußen (am 28. August 1905) zwecks Bekämpfung übertragbarer Krank¬ 
heiten erlassen haben, erfordern zu ihrer Handhabung eine eindringliche 
Kenntnis, nicht bloß der tatsächlichen Bestimmungen, sondern der gesamten 
Ziele und Absichten, die ihnen zugrunde liegen. Ein ausführlicher Kommentar 
zu ihnen entspricht deshalb einem dringenden Bedürfnis, und keiner war 
mehr berufen, ihn herauszugeben, als Kirchner, der seit Jahrzehnten an 


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Kritiken und Besprechungen. 


383 


führender Stelle an der gesetzgeberischen, wissenschaftlichen und verwaltungs¬ 
technischen Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten mitarbeitet und die 
vorliegenden Gesetze mitveranlaßt, mitbegründet, in allen Instanzen mit¬ 
vertreten hat. Es wird ihm unvergessen bleiben, mit welchem Eifer er jede 
Verbesserung durchzufechten bemüht war. Leider gelang dies nicht überall 
gegenüber widerstrebenden materiellen Interessen; — trotzdem darf Verf. 
mit Recht die neuen Seuchengesetze als einen gewaltigen hygienischen Fort¬ 
schritt bezeichnen. Das preußische Gesetz — und ebenso das ihm an¬ 
gelehnte nnd noch verbesserte braunschweigische — ist nicht nur ein Aus- 
führungBgesetz des Reichsgesetzes, sondern ein Erweiterungsgesetz im 
gleichen Geiste geworden. Verf. hat in seinem Kommentar nicht die 
einzelnen Paragraphen der Reihe nach behandelt, sondern die Bestimmungen 
nach ihrem Inhalte zusammenhängend besprochen und die Verhältnisse der 
übrigen deutschen Bundesstaaten dabei nach Möglichkeit berücksichtigt. 
Sehr dankenswert ist die reichliche Beigabe statistischen Materials bei den 
einzelnen Krankheiten, so daß die Opfer ersichtlich werden, die eine jede 
noch in neuerer Zeit von 1890 bis 1905 alljährlich gefordert hat. 

(Landsberger, Charlottenburg.) 


Goldschmidt, Die Tierwelt des Mikroskops (die Urtiere). 
Wieler, Kaffee, Tee, Kakao und die übrigen narkotischen 
Aufgußgetränke. 

Der Alkoholismus, seine Wirkungen und seine Bekämpfung. Her¬ 
ausgegeben vom Zentralverband zur Bekämpfung des Alkoholismus. 

Die vorstehend benannten populären Schriften gehören zu den neuesten 
(1906, 1907) der als Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt“ von der Firma 
Teubner in Leipzig herausgegebenen wissenschaftlich-gemeinverständlichen 
Darstellungen. Sie sind, wie ihre Vorgänger, fern von flüchtiger, oberfläch¬ 
licher Schreibweise, vielmehr ist allen eine ernste und gründliche Behand¬ 
lung des Gegenstandes eigen, ohne sich von der Aufgabe zu entfernen, daß 
sie allgemein-verständlich bleiben müssen. So sind ihnen tabellarische 
Übersichten und Abbildungen gerade in solcher Zahl und Auswahl bei¬ 
gegeben, daß die vollkommene Orientierung gewährleistet und doch nirgends 
eine zu starke Stoffüberladung vorhanden ist. Dieser Standpunkt ist in 
allen drei Schriftchen gewahrt, die wir deshalb guten Gewissens empfehlen 
können. Das erstgenannte, aus einem Cyklus von Volkshochschul-Vor- 
lesungen hervorgegangen, gibt auch bemerkenswerte fachmännische An¬ 
leitungen zu eigener Beobachtung. Preis jedes Büchels 1 </#, geb. 1,25 eit. 

(Landsberger, Charlottenburg.) 


Kori, H., Die Korisohen eisernen Ofen. H. Kori, Berlin w., 
1907. 

Das Heft soll eine Beschreibung der verschiedenen Korischen Kon¬ 
struktionen von eisernen Öfen für Einzelheizungen aller Art darstellen. Es 
hat aber weitergehendes Interesse deshalb, weil es mit Recht betont, wie 
nachlässig beim Bau von Krankenhäusern, Schulen usw. oft insofern ver- 


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384 


Kritiken und Besprechungen. 


fahren wird, als ohne Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse des Baues 
einem beliebigen Ofenh&ndler die Lieferung der Öfen übertragen wird. An 
einer Reihe von Beispielen wird gezeigt, wie verschieden die Ansprüche sein 
können, die von den Öfen in solchen Anstalten zu erfüllen sind, insbesondere, 
wenn mit der Heizung zugleich die Lüftungsvorrichtungen verbunden sind. 
Die Ausführungen sind geeignet, den Krankenhaus- und anderen Ver¬ 
waltungen zu zeigen, daß es für sie empfehlenswert ist, auch bei Beschaffung 
von Einzelheizanlagen sich nicht einem beliebigen Handeltreibenden anzu¬ 
vertrauen, sondern zur Vermeidung von Mißständen, unnötigen Kosten und 
bald notwendig werdenden Reparaturen lieber einen erfahrenen Heiztecbniker 
zu Rate zu ziehen. (R. Abel, Berlin.) 


Lehmann, K. B., und Neumann, R. 0., Atlas und Grundriß der 
Bakteriologie und Lehrbuch der speziellen bakterio¬ 
logischen Diagnostik. Lehmanns medizinische Handatlanten, 
Bd. X, 1 u. 2. 2 Bde. München, J. F. Lehmann, 1907. 4. Aufl. 

18 -M. 

Die vierte Auflage des bekannten und beliebten Lehrbuches ist durch 
die neuesten Ergebnisse der Forschung etwa bis Anfang des Jahres 1907 
bereichert. Besonders starke Veränderungen zeigen die Abschnitte, die sich 
mit den zurzeit am meisten gepflegten Gebieten der Bakteriologie befassen, 
so die Kapitel über Immunität, Streptokokken, Typhus, Tuberkelbazillen. 
Stark erweitert ist der die Protozoen behandelnde Anhang. Der Atlas zählt 
in der neuen Auflage 79 Tafeln; die Zahl der Bilder ist um viele vermehrt, 
zahlreiche ältere sind durch neue bessere ersetzt worden. Treu geblieben ist 
das Werk seinem Bestreben, eine botanisch richtige Nomenklatur der Bak¬ 
terien durchzufühlen, die allerdings bisher bei den medizinischen Bakterio¬ 
logen noch nicht recht Anklang gefunden hat. Auch in der Betonung der 
Variabilität der Bakterien steht die vierte Auflage auf dem Standpunkte 
ihrer Vorgängerinnen. 

Es ist nicht zu zweifeln, daß das kurze, klare, zuverlässige und billige 
Lehrbuch auch in seiner neuen Auflage wieder viele Freunde und große 
Verbreitung finden wird. (R. Abel, Berlin.) 


König, J., und Juckenack, A., Die Anstalten zur technischen 
Untersuchung: von Nahrungs- und Genußmitteln, sowie 
Gebrauchsgegenständen, die im Deutschen Reiche bei der 
Durchführung des Reichsgesetzes vom 14. Mai 1879 und seiner Er¬ 
gänzungsgesetze von den Verwaltungsbehörden regelmäßig in Anspruch 
genommen werden. Berlin, J. Springer, 1907. 308 S. 6 

Einem Beschlüsse der Freien Vereinigung deutscher Nahrungsmittel¬ 
chemiker entsprechend, haben die Verfasser eine Übersicht über die im 
Deutschen Reiche bestehenden, mit amtlichen Nahrungsmitteluntersuchungen 
betrauten Anstalten nach einheitlichen Gesichtspunkten aufgestellt. Es er¬ 
gibt sich aus ihr, daß die Verhältnisse im Deutschen Reiche und selbst inner- 


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Kritiken and B es p rech an gen. 


386 


halb der einzelnen Bandestaaten sehr verschieden liegen. Von den 174 An¬ 
stalten, die überhaupt in Frage kommen, sind 27 lediglich aas staatlichen, 
49 lediglich aus kommunalen Mitteln, 10 von Landwirtschaftskammern und 
88 aus privaten Mitteln errichtet worden. Nur ein Teil von ihnen besitzt die 
Anerkennung als öffentliche Anstalt mit dem daraus gemäß § 17 des Nahrungs- 
mittelgesetzes erwachsenden Vorteile der Vereinnahmung der auf Grund der 
Nahrungsmittelgesetze verhängten Geldstrafen. Beschäftigt sind an den 
Anstalten etwa 485 Chemiker, von denen etwa 345 den Befähigungsausweis 
als Nahrungsmittelchemiker besitzen. Die Verfasser vermeiden die bei 
Durchsicht des von ihnen beigebrachten Materials sehr nahe liegende Kritik, 
daß die bisherige Regelung der Nahrungsmitteluntersuchungen für amtliche 
Kon trollzwecke noch in vieler Beziehung der Verbesserung bedarf. Nur das 
betonen sie mit Kecht, daß die Besoldung der Nahrungsmittelchemiker in 
Anbetracht der hohen Anforderungen an ihre Ausbildung und ihrer schwie¬ 
rigen Tätigkeit vielfach noch nicht ausreichend ist. 

Neben der Übersicht über die Organisation der einzelnen Anstalten 
bringt das Buch die landesrechtlichen Vorschriften der einzelnen Bundes¬ 
staaten für die Einrichtung von Untersuchungsämtern, sowie Gebührentarife 
einiger Anstalten und den im Kaiserlichen Gesundheitsamt vor einer Reihe 
von Jahren durch eine Kommission von Nahrungsmittelchemikern beratenen 
Entwurf von Gebührensätzen. Ferner führt es die Vorschriften über die 
Prüfung der Nahrungsmittelchemiker und die zur Ausbildung von Nahrungs- 
mittelchemikern berechtigten Anstalten auf. 

Das Werkchen wird nicht nur für den in der Nahrungsmittelkontrolle 
tätigen Chemiker, sondern auch für die an der Durchführung der Nahrungs- 
mittelgesetzgebung beteiligten Behörden von Interesse und Wert sein. Die 
Zuverlässigkeit der von ihm gebrachten Nachweisungen ist, außer durch den 
Namen der Verfasser, dadurch gewährleistet, daß sie auf den Angaben der 
Leiter der einzelnen Anstalten beruhen. (R. Abel, Berlin.) 


Lang, L„ Die kindliche Psyche und der Genuß geistiger 
Getränke. Wien, J. Safäf, 1907. 81 S. 1,40 c 4t. 

Die für Lehrer und gebildete Eltern bestimmte Abhandlung bespricht 
in ihrem ersten Teile den Einfluß des Alkoholgenusses der Eltern auf die 
kindliche Psyche. Es finden dabei zunächst die Beobachtungen Erwähnung, 
die annebmen lassen, daß Trunkenheit beim Zeugungsakte für die Ent¬ 
wickelung der geistigen Fähigkeiten des Kindes schädlich ist; namentlich 
die vergleichende Statistik von Bezzola über den Zeugungsmonat der 
schwachsinnigen Kinder in der Schweiz und die Höhe des AlkoholkonsumB 
in den einzelnen Monaten wird dabei verwertet. Dann wird an der Hand 
der Statistik von Bourneville, der norwegischen und bayerischen Idioten¬ 
zählung die Häufigkeit der Idiotie bei Kindern trunksüchtiger Eltern dar¬ 
getan. Die Bedeutung von Trunksucht der Eltern für die Kriminalität der 
«Jugendlichen wird in zwei Beziehungen gesehen: einmal in der Zengung 
minderwertiger Kinder durch die Eltern, dann in dem schlechten Einfluß 
der Umgebung, in der das Trinkerkind aufwäohst. Es wird betont, daß die 

Viertelj*hrwchrift für Gesundheit*pflege, 1908. 25 

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386 


Kritiken und Besprechungen. 

Kinder auch dann minderwertig sein können, wenn die Eltern anseheinend 
vom Alkoholgenuß nicht ungünstig beeinflußt werden, and der Annahme 
Ausdruck gegeben, daß bei Einstellung des Alkoholgenusses voraussichtlich 
mehr Kinder mit guter Begabung erzeugt werden würden. Endlich wird an 
der Hand der Bungeschen Zahlen die zunehmende Unfähigkeit des Stillens 
von Generation zu Generation infolge des Alkoholgenusses mit ihren bedauer¬ 
lichen Folgen für die normale Ernährung des Säuglings erörtert. 

Der zweite Abschnitt behandelt die Beeinflussung der kindlichen Psyche 
durch den Alkoholgenuß von seiten deB Kindes selbst. Nach einer kurzen 
Übersicht über Entstehung und Ablauf der einfachsten psychischen Vorgänge 
wird die Beeinträchtigung der Empfindungsfähigkeit und der geistigen 
Arbeitsleistung durch den Alkohol bei einmaliger und wiederholter Auf¬ 
nahme unter Zugrundelegung und eingehender Wiedergabe der Unter¬ 
suchungen von Kraepelin, Smith, Fürer, Demme, Joss, Bergemann 
u. a. geschildert und aus alledem der Schluß gezogen, daß, wenn schon die 
Leistung des erwachsenen Gehirns durch geringe Alkoholmengen in so deut¬ 
licher Weise herabgesetzt wird, das so viel empfindlichere kindliche Gehirn 
unbedingt von jeder Alkoholeinwirkung frei gehalten werden muß. Statistiken 
über den großen Umfang, in dem nach Aufstellungen in Wien, Braunschweig, 
Holland usw. Kindern gelegentlich oder regelmäßig Alkohol verabreicht wird, 
und über die Minderleistung der Alkohol genießenden Schulkinder gegen¬ 
über den Abstinenten werden zu weiterer Bestätigung herangezogen. Die 
Besprechung der üblen Folgen, die für die geistige und körperliche Ent¬ 
wickelung des Kindes unter dem Einfluß des Alkohols entstehen können, 
führt den Verf. zu der Schlußforderung völliger Abstinenz auch der Eltern 
zur Vermeidung des bösen Beispiels gegenüber den Kindern. 

Die Schrift ist von Begeisterung für ihre Sache getragen, leicht ver¬ 
ständlich und eindrucksvoll geschrieben und jedem zum Studium zu empfehlen, 
der die Literatur über die psychischen Wirkungen des Alkohols in kurzem 
Überblick kennen lernen will. Ihr Studium durch Lehrer, Verwaltungs¬ 
beamte und Eltern wird sicher manchem Anlaß zu weiterem Nachdenken 
über die so wichtige Frage des Alkoholgenusses im Kindesalter geben und 
die Erkenntnis seiner völligen Unzweckmäßigkeit verbreiten, ohne daß man 
nun auch dem Verf. bis zu dem radikalen Standpunkte der völligen Ver¬ 
werfung des Alkoholgenusses auch bei Erwachsenen zu folgen braucht. 

(R. Abel, Berlin.) 


Deutsch, Julius, Die Kinderarbeit und ihre Bekämpfung. 

Preisgekrönt von der Universität Zürich. Zürich, Rascher & Co. 

Die vorliegende Arbeit wurde von der staatswissenschaftlichen Fakultät 
der Universität Zürich im Wettbewerb um eine Preisausschreibung, betreffend 
Kinderschutz, preisgekrönt. 

In übersichtlicher Darstellung unter besonderer Berücksichtigung der 
Verhältnisse in Deutschland und der Schweiz ist das vorliegende Thema in 
sieben Abschnitten, umfassend die Geschichte der Kinderarbeit und die Ent¬ 
wickelung der Kinderschutzgesetzgebung, die geltenden Kinderschutzgesetze, 
den Umfang der Kinderarbeit, die Art der Kinderarbeit und ihre Schäden, 


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Kritiken und Besprechungen. 


387 


die volkswirtschaftliche Bedeutung der Kinderarbeit, die Bekämpfung der¬ 
selben und Zusammenfassung der Vorschläge, sachgemäß und erschöpfend 
behandelt. Die vorgescblagenen Reformen sind, dem Wunsche der Preis¬ 
ausschreibung entsprechend, den Schweizer Verhältnissen angepaßt, können 
jedoch in ihren Grundzügen auf alle Länder, in denen die Ausnutzung der 
kindlichen Arbeitskräfte einen ähnlichen Grad erreicht hat, angewandt 
werden. Die Schrift kann allen Sozialpolitikern und Sozialhygienikern, sowie 
Ärzten, Lehrern und Verwaltungsbeamten aufs wärmste empfohlen werden. 

(E. R.) 


Bleivergiftungen in hüttenmännischen und gewerblichen 
Betrieben. Ursachen und Bekämpfung. VI. Teil. Protokoll 
über die Expertise, betreffend die Farbenfabriken und die Betriebe mit 
Anstreicher-, Lackierer- und Malerarbeiten, k. k. Arbeitsstatistisches 
Amt im Handelsministerium. Wien, Alfred Holder, 1907. 

Im Januar 1907 wurde vom Arbeitsstatistischen Amt des österreichischen 
Handelsministeriums eine Erhebung aber Bleivergiftungen in Farbenfabriken 
und Betrieben mit Anstreicher-, Lackierer- und Malerarbeiten veranstaltet. 
Wie den früheren Enqueten, die sich mit den Bleivergiftungen in Blei- 
und Zinkhütten, wie in den Bleiweiß- und Bleioxydfabriken, beschäftigten, 
gingen auch der vorliegenden umfangreiche Erhebungen des Arbeitsstatistischen 
Amts in den einschlägigen Betrieben voraus. Die mit der Durchführung der 
Enquete betraute Kommission war aus Vertretern der beteiligten Zentral¬ 
stellen, des Obersten Sanitätsrates und des ständigen Arbeitsbeirates zu¬ 
sammengesetzt. 

Von den eingeladenen Experten waren 33 erschienen, welche teils den 
Kreisen der in Betracht kommenden Arbeitgeberkategorien, teils den Kreisen 
der Arbeitnehmer dieser Industrien und teils dem Kreise der hygienischen 
Fachmänner angehörten. Auf Grund besonderer Einladung waren außerdem 
noch Vertreter der inländischen Bleiweiß-, Zinkweiß- und Lithoponefabriken 
zugezogen. Die Befragung der Experten erfolgte an der Hand eines vom 
Arbeitsstatistischen Amt ausgearbeiteten Fragebogens. Das Ergebnis dieser 
Verhandlung ist in dem vorliegenden Protokoll zur Darstellung gebracht» 
das ein reiches Tatsachenmaterial zu der vorliegenden Frage enthält. (E. R.) 


Götze, Rudolf, Über Nervenkranke und Nervenheil Stätten. 
Mit einem Vorwort von Prof. Robert Sommer in Gießen. Halle a. S.„ 
Carl Marholds Verlagsbuchhandlung, 1907. 

Der Gedanke, Nervenheilstätten, besonders auch für die weniger 
bemittelten und die ärmeren Schichten des Volkes zu sohaffen und dabei, 
soweit es zu Heilzwecken erforderlich ist, Beschäftigung vor allem auch mit 
ländlicher und gärtnerischer Arbeit anzuwenden, bildet einen folgerichtigen 
Fortschritt auf der Bahn einer aus der Erkenntnis der nervösen Erkrankungen 
abgeleiteten Behandlungsweise. Die vorliegende Schrift ist ein Niederschlag 
der reichen Erfahrungen, die der Verf. in der von ihm geschaffenen Nerven- 
heilstätte in Naunhof bei Leipzig gesammelt hat. In den ersten drei Ab- 

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Kritiken und Besprechungen. 


schnitten analysiert der Verf. die von ihm in den Jahren 1903 bis 1906 in 
Naunhof behandelten etwa 300 Fälle von Nervenkranken, um im Anschluß 
daran die klinische und soziale Aufgabe und die Einrichtung der Nerven- 
heilstätte zu besprechen. Die Ausführungen des Verf. sind geeignet, auf¬ 
klärend und fördernd in der Frage der Nerrenheilstätten zu wirken, wenn 
es auch noch vieler Mühe bedürfen wird, bis das in der Nervenheilstätte 
Haus Schönow bei Zehlendorf gegebene Beispiel allenthalben die rechte Nach¬ 
folge gefunden haben wird. E. R 


Julius Marouse, Im Kampf um die Gesundheit. Ein ernstes 
Wort zur Bekämpfung der Lungenschwindsucht. Mannheim, J. Bens- 
heimer, 1907. Preis 60 billige Ausgabe 15 ^ 

Das Heftchen ist ursprünglich geschrieben, um den Zuhörern des Verf. 
Gelegenheit zu geben, das, was sie in seinen Vorträgen gehört hatten, noch¬ 
mals nachzulesen. Es richtet sich an das breite Publikum, insbesondere 
an das Proletariat und ist seiner Schreibweise nach sicher geeignet, hier 
aufklärend zu wirken. Leider finden sich Stellen darin, gegen die Ver¬ 
wahrung eingelegt werden muß, wie die geringschätzige Behandlung der 
Desinfektion; auf die Gefahr beim Wohnungswechsel eines Tuberkulösen 
und die Notwendigkeit der Anzeigepflicht sollte gerade heutzutage mehr 
Gewicht gelegt werden, ebenso spielt die Tröpfcheninfektion eine zu geringe 
Rolle. Auch „Geißeln“ der Tuberkelbazillen und ähnliche Fehler wären 
besser vermieden. (Kisskalt, Berlin.) 


Entwässerung und Reinigung der Gebäude. Mit Einschluß 
der Spül-, Wasch- und Badeeinrichtungen, Aborte und Pissoire. Von 
F. Rudolf Vogel und Dr. phiL u. Dr. Ing. Eduard Schmitt. 
(Handbuch der Architektur, 3. Teil, 5. B<L, Heft 2.) Dritte Auflage. 
Leipzig, Alfred Kröner, 1908. Preis 32 Jft. 

Der vorliegende Band des Handbuches der Architektur umfaßt die Ent- 
wässerungs- und Reinigungsanlagen, soweit sie Hochbaukonstruktionen 
betreffen. Der erste Teil behandelt die Entwässerung und Reinigung der 
Gebäude im allgemeinen, die Grundsätze für die Fortschaffung der Abfall¬ 
stoffe, die Gesamtanordnung der Hausentwässerungsanlage und ihre Einzel¬ 
teile. Es folgen die Einrichtungen zum Reinigen der Geräte, der Haus¬ 
haltungen und der Wäsche; die Einrichtungen zur Reinigung des mensch¬ 
lichen Körpers; die Aborte und Pissoire; die Fortschaffung der menschlichen 
Ausscheidung und der trockenen Auswurfstoffe aus den Gebäuden« Den 
Schluß bilden Beispiele von Vorschriften und Verordnungen, sowie Tabellen. 
Jedes Kapitel bringt interessante historische Mitteilungen, dann folgen die 
technischen Einzelheiten der Anlagen, erläutert durch eine Fülle von Ab¬ 
bildungen von guten und fehlerhaften Mustern und die Literatur über die 
einzelnen Kapitel. Obwohl das Werk nach der Behandlung des Stoffes wohl 
nur für den Architekten geschrieben ist und sogar dieser wohl öfters ein 
größeres Bedürfnis nach mehr hygienischen Einzelheiten haben dürfte, als 


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Kritiken und Besprechungen. 


389 


ihm manchmal geboten werden, wird andererseits der Hygieniker das Buch 
zur Information über technische Details gern in die Hand nehmen. Von 
großem Werte ist der überall durchgeführte Grundsatz, daß Teile, die früher 
ängstlich verborgen wurden, jetzt nicht nur frei gezeigt werden, sondern oft 
sogar durch bessere Ausstattung eine hervorragende Stelle einnehmen sollen. 
Von den einzelnen Kapiteln, die für den Hygieniker besonderes Interesse 
haben, können im folgenden nur einzelne herausgegriffen werden. In Betracht 
kommt zunächst das ganze System der Hausentwässerung mit den zahl¬ 
reichen Beispielen für richtige und fehlerhafte Wasserverschlüsse, Rohr¬ 
leitungen usw. Der Abschnitt über Abwasserreinigung allerdings enthält 
manches Unrichtige. Die Ausführungen über Einrichtungen zum Reinigen 
der Wäsche sind für jeden wertvoll, der mit Einrichtung oder Inspektion 
von Krankenhäusern, Erziehungsanstalten usw. zu tun hat. Von Bade¬ 
einrichtungen sind teure wie einfache gleich ausführlich geschildert, während 
Schwimmanstalten sich in einem anderen Teile des Handbuches befinden. 
Die zahlreichen Abbildungen von Aborten zeigen, wie viel Mühe auf Kon¬ 
struktion einer allgemein passenden Form verwendet worden ist und wie 
schwer eine solche zu finden ist; auffallend ist übrigens, daß sich kein Vor¬ 
schlag für Spülung und Öffnung der Tür mit Fußbetrieb findet, was nach 
neueren Untersuchungen über die große Häufigkeit des Bacterium coli an 
Abortgegenständen sehr wünschenswert erschiene. Auch das Kapitel über 
Desinfektion dürfte etwas modernisiert werden. Doch sollen diese kleinen 
Ausstellungen nichts gegen den Wert des Buches sagen. Sein Inhalt ist so 
reich und klar angeordnet und die Ausstattung so vorzüglich, daß es niemand 
ohne Befriedigung aus der Hand legen wird. (Kisskalt, Berlin.) 


Der tatsächliche Krebserreger, sein Zyklus und seine 
Dauersporen« von Dr. Robert Behla, Geh. Medizinalrat. Berlin, 
Richard Schoetz, Wilhelmstraße 10, 1907. 

Behlas Ansicht über das Wesen des Krebses ist: Die krebsige Neu¬ 
bildung stellt eine zelluläre Proliferation dar, die entweder zugleich epithelial- 
und bindegewebig-vaskulär (Karzinom) oder nur bindegewebig-vaskulär ist 
{Sarkom), einen krankhaften, zweck-, funktions- und abschlußlosen, an und 
für sich fieberlosen Prozeß. Ihr eigentliches Wesen ist die dauernd schranken¬ 
lose Wucherung, die von einer lokalen Stelle auBgeht. Sie wird verursacht 
durch einen gemeinsamen Parasiten, der den Wucherungsreiz setzt. Die 
Yerschiedenartigkeit der Zellwucherung richtet sich danach, je nachdem der 
Parasit anfangs in eine Epithel-, Bindegewebe- oder Endothelzelle eindringt 
Die Art und Weise, wie Behla seine Theorie stützt, hat etwas ungemein 
Überzeugendes und Klares. Es wird zuerst die bisherige zelluläre Theorie 
besprochen und der Zweifel, daß die Krebszelle der Parasit sei. Das WeBen 
des Parasitismus ist ektogen, nicht entogen. Die Entwickelung der parasi¬ 
tären Krebstheorie, sowie der Krebserreger und sein Entwickelungszyklns 
wird in zwei weiteren Kapiteln sorgfältigst vorgeführt und erläutert, es 
schließen sich kritische Bemerkungen zum Krebsproblem an. 

Behla fordert zum Schluß die Errichtung eines onkologischen Institutes 
mit internationalem Charakter, woselbst auch die anderen Tumoren erforscht 


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390 


Kritiken und Besprechungen. 

werden müßten, und weist selbst auf neue Forschungswege hin. Zur 
schnelleren Erforschung der Geschwülste ließe sich bei der außerordent¬ 
lichen Wichtigkeit — es gilt Menschenleben zu sparen (!) — schon jetzt 
eine kleine onkologische Abteilung in der Protozoenabteilung des Reiohs- 
gesundkeitsaintes einrichten. Ref. steht nicht an, Behlas Buch als eine der 
epochemachendsten Mitteilungen auf dem Gebiete der Krebsforschung zu 
bezeichnen. (S. Merkel, Nürnberg.) 


Merkblätter für die erste Ernährung des Kindes von Henry 
v. Winkler, Stadtchemikerin Reval, und Frau Irmgard v. Winkler, 
geb. Röser. Reval, Kluge u. Ströhn» — Leipzig, Rudolf Hartmann, 1908. 

Nach einer Einführung, was die Verff. zur Herausgabe der Merkblätter 
veranlaßte, folgen: Merkblatt für stillende Frauen, ein weiteres: Der beste 
Ersatz für Frauenmilch. Merkblatt für Mütter und Pflegerinnen von Säug¬ 
lingen, welchen Frauenmilch nicht zur Verfügung steht; schließlich: Er¬ 
gänzendes Merkblatt über Nahrung, Kleidung und Wartung. 

Die Art der Merkblätter ist ähnlich den allseits bekannten vom Vater¬ 
ländischen Frauenverein herausgegebenen „I? atschlägen zur Ernährung und 
Pflege des Kindes im ersten Lebensjahre“. Der Inhalt der Blätter befriedigt 
fast nach jeder Hinsicht, er ist klar, deutlich, die wichtigeren Punkte aind 
besonders in die Augen fallend gedruckt. Ref. hätte nur die eine Ausstel¬ 
lung, daß für Kinder der Genuß von Kakao vom Verf. als gleichwertig dem 
von Kaffee, Tee usw. verworfen wird. Es dürfte dies, zumal bei entölten 
Kakaosorten (Reichardt), doch etwas zu weit gehen; ebenso hätte Ref. lieber 
den Soxhletschen Apparat beschrieben und eingeführt gesehen, als die 
Forderung, die Nahrung im Wasserbade 20 Minuten lang zwischen 60 und 
70 Grad zu bereiten, und zwar sollen die gefüllten, mit einem frisch aus¬ 
gekochten Gummisauger verschlossenen Flaschen in ein Kochgefäß mit 
heißem Wasser gebracht werden. Theoretisch verdient dieser Vorschlag 
alle Anerkennung, praktisch ist er wohl im Laboratorium, aber nicht in* einer 
Haushaltung durchführbar. Ebenso kann sich Ref. mit einer weiteren For¬ 
derung nicht einverstanden erklären: Bleiben die gefüllten Flasohen langer 
als vier Stunden stehen, so erhitze jede kurz vor Gebrauch in derselben 
Weise (!), damit inzwischen zur Entwickelung gekommene Bakterienkeime 
von neuem unschädlich werden. Und: In der heißen Jahreszeit sind alle 
übriggebliebenen Flaschen nach Verlauf von je sechs bis acht Stunden erneut 
zu erhitzen. 

Winkler will das Kochenlassen der Nahrung vermeiden, das wieder¬ 
holte Erwärmen der Milch auf 60 bis 70 Grad 20 Minuten Lang dürfte für 
die Qualität der Milch ebensowenig zuträglich sein. 

(S. Merkel, Nürnberg.) 


Dunbar, Zur Frage der Stellung der Bakterien, Hefen und 
Schimmelpilze im System. R. Oldenbourg, 1907. 

Die Versuche, eine Art Lebewesen aus der anderen herznleiten, aind 
alt und zahlreich uud bis jetzt noch stets erfolglos gewesen. Jetzt kommt 


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Kritiken und Besprechungen. 


391 


Dunbar mit der Nachricht, daß die Bakterien aus Algen entständen. 
Dunbar ging aus Ton einer angeblich reinen Algenkultur; es wuchsen ihm, 
besonders wenn ein Alkaleszenzgrad, der ungefähr 0,01 Proz. HCl entsprach, 
vorhanden war und der flüssige Nährboden Ammoniumsulfat enthielt, nach 


längerer Zeit, vielfach erst nach Wochen und Monaten, Bakterien. Dieses 


'Wachstum trat aber durchaus nicht in allen Kulturen auf, sondern nur in 
einer sehr beschränkten Zahl. Die gewachsenen Bakterien waren nicht, wie 
man hätte erwarten sollen, einer Art, nein, es waren Kokken, Bazillen, 


Vibrionen, Hefen und Schimmel. Das ist eine Schöpfungsgeschichte, welche 
auch dem gläubigsten Gemüt zu viel sein dürfte. Dem Autor sind zweifellos 
trotz seines gewiß recht vorsichtigen Arbeitens vereinzelte Verunreinigungen 
vorgekommen, die selbst durch die beste Statistik nicht widerlegt werden 


können; außerdem ist eine Symbiose möglich, die lange verborgen bleiben 
kann. — Es ist nicht mehr angängig, allein aus dem Vorkommen von 


anderen Organismen in einzelnen Proben einer Algenkultur anzunehmen, die 


Bakterien usw. seien Abkömmlinge der Algen. Wenn das der Fall sein soll, 


so müssen beide Organismen dasselbe Eiweiß haben, das ist so Sitte zwischen 


Mutter und Kind; dieser Nachweis, der sich nach den neueren Forschungen 
der Bakteriologie leieht erbringen läßt, hätte erbracht werden müssen. Es 
gibt außerdem Stoffe, die spezifisch Bind, z. B. Agglutinine; wenn man jetzt 
behaupten will, zwei Organismen seien gleicher Art oder gleicher Abstam¬ 
mung, ich muß wieder sagen, wie Mutter und Kind, so muß man mit Recht 
verlangen, daß diese identischen Körper nachgewiesen werden; kurz, es 
müssen auch biologische Beweismethoden herangezogen werden, die in der 
Dun barschen Arbeit vollständig fehlen. Solange die Behauptungen des 
Antors nicht besser gestützt werden, als sie zur Zeit sind, verdienen sie wenig 
Beachtung. (Gärtner.) 






892 


Neu erschienene Schriften. 


Neu erschienene Schriften über öffentliche 
Gesundheitspflege. 

(117. Verzeichnis.) 


1. Allgemeines. 

Altschul, Sanit.-R. Dr. Thdr.: Lehrbuch der Körper- u. Gesundheitslehre (Soma- 
tologie u. Hygiene). Für Mädchenlyzeen u. ähnliche Lehranstalten. Mit 
183 Abbildungen im Texte, 2 farbigen Tafeln, „eßbare u. giftige Schwämme 1 ', 
u. ^Übersichtskarte, „erste Hilfe“. (183 S.) gr. -8°. Leipzig, G. Freytag. 
Wien, F. Tempsky, 1908. Geb. 3 Ji. 

Archiv f. Schiffs- u. Tropenhygiene, unter besonderer Berücksichtigung der Patho¬ 
logie u. Therapie. 11. Bd. Herausgegeben von Dr. C. Mense. gr.-8*. Leipzig, 
J. A. Barth. — 5. Beiheft. Ziemann, Marine-Oberstabsarzt Med.-Refer. Prof. 
Dr.: Wie erobert man Afrika für die weiße und farbige Rasse? Vortrag. 
(29 S.) Subskriptionspreis —,60.#; Einzelpreis —,75 JL. 6. Beiheft. Werner, 
Stabsarzt .AsBist. Dr. Heinr.: Über die Nieren beim Schwarzwasserfieber mit 
besonderer Berücksichtigung der Therapie der Anurie. Mit 3 Tafeln. (20 S.) 
Subskriptionspreis 1,20 Jt; Einzelpreis 1,60 Jt. 

Dippe, San.-Rat Dr. H.: Die wichtigsten Gesundheitsregeln für das tägliche Leben. 
(108 S.) 8 # . Leipzig, S. Hirzel, 1908. Kart. 1,50 Ji. 

Flügge, Prof. Dir. Dr. Carl: Grundriß der Hygiene. Für Studierende und prak¬ 
tische Ärzte, Medizinal- und Verwaltungsbeamte. 6., umgearbeitete und ver¬ 
mehrte Auflage. (XII, 788 S. mit 193 Figuren.) gr.-8°. Leipzig, Veit u. Co., 
1908. 15 JH>\ geb. in Leinw. 16,50 Ji. 

Hey, Reg.-Arzt i. V. Dr. Fr.: Der Tropenarzt. Ausführlicher Ratgeber für Euro¬ 
päer in den Tropen, sowie für Besitzer von Plantagen und Handelshäusern, 
Kolonialbehörden und Missionsverwaltungen. (Neue [Titel-]Ausg.) (VI, 459 S. 
mit 1 Figur und 2 Tafeln.) gr.-8 # . Wismar, Hinstorffs Verlag [1906], 1907. 
8 A; geb. in Leinw. 9 A. 

Kongreß, 14. internationaler für Hygiene und Demographie 1907. Besuch in 
Hamburg. 7 Hefte. (29 , 38 , 26 , 42 , 41, 66 und 40 S. mit Abbildungen, 
8 Tafeln und 1 Karte.) gr.-8°. Hamburg, L. Voss, 1907. In Leinw.-Mappe 
bar 12 A. 

Jahrbücher, enzyklopädische, der gesamten Heilkunde. Herausgegeben von Geh. 
Med.-R. Prof. Dr. Alb. Eulenburg. 15. Bd. Neue Folge: 6. Jahrg. (616S. 
mit 86 Abbildungen.) Lex.-8*. Wien, Urban u. Schwarzenberg, 1908. 15 A; 
geb. in Halbfrz. n. 17,50 A. 

Masbrenier (Dr. J.): Notions d’hygiöne medicale, in-16, 2 frcs. EL Cornely 
et Cie. 

Real-Enzyklopädie der gesamten Heilkunde. Medizinisch-chirurg. Handwörter¬ 
buch für praktische Ärzte. Herausgegeben von Geh. Med.-R. Prof. Alb. 


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Neu erschienene Schriften. 


893 


Enlenbnrg. 8., amgearbeitete und'vermehrte Auflage. 816. bis 824. Liefe¬ 
rung. 32. Bd. Enzyklopäd. Jahrbücher 16. Bd. Neue Folge: 6. Jahrgang. 
(616 S. mit 86 Abbildungen.) Lex.-8°. Wien, Urban u. Schwarzenberg, 1908. 
16 JL] geb. in Halbfrz. n. 17,60 JL- 

Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege. 39. Bd. 4. Heft. II. Hälfte. 

Braunschweig, Friedr. Yieweg & Sohn* 6,60 JL. 

Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 67. Bd. 8. Heft. Leipzig, 
Veit «k Co. 7 JL- 

Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 68. Bd. 1. Heft. Ebd. 7,50 JL. 

2. Statistik und Jahresberichte. 

Berioht des Medizinalrates über die medizinische Statistik des Hamburgischen 
Staates für das Jahr 1906. (III, 102 S. mit 6 Abbildungen und 9 Tafeln.) 
Lex.-8°. Hamburg, L. Voss, 1907. 7 JL- 

Berioht über die Gesundheitsverhältnisse und Gesundheitsanstalten in Nürnberg. 
Herausgegeben vom Verein für öffentliche Gesundheitspflege unter Mitwirkung 
des Stadtmagistrates. Jahrgang 1906. (V, 305 S. mit 1 Tabelle.) gr. -8*. 

Nürnberg, J. L. Schräg, 1907. 3 JL. 

Jahrbuch der hamburgischen wissenschaftlichen Anstalten. XXIV. Jahrgang 1906. 
(in, 387 S. mit Abbildungen und 2 Tabellen.) Lex.-8°. Hamburg, L. Gräfe 
& Sillem, 1907. 13 JL. 

Jahrbuch, statistisches, für das Königreich Bayern. Herausgegeben vom k. sta¬ 
tistischen Bureau. 9. Jahrgang 1907. Mit einem Anhänge: Die Veröffent¬ 
lichungen des k. bayerischen statistischen Bureaus. (XVI, 330 S.) gr.-8°. 
München, J. Lindauer, 1907. Geb. in Leinw. 1,50 JL. 

Jahrbuch, statistisches, für den Preußischen Staat. 5. Jahrgang 1907. Heraus¬ 
gegeben vom königl. preußischen Landesamte. (Xn, 308 S.) gr.-8°. Berlin, 
Verlag des königl. statistischen Landesamtes, 1908. Geb. in Leinw. 1 JL- 
Jahresbericht, 91., der Naturforschenden Gesellschaft in Emden für 1905/1906. 

(H, 61 S.) 8°. Emden, W. Haynel, 1907. 1,50 JL. 

Jahresbericht des Zentralwohnungsinspektors im k. Staatsministerium des 
Innern für das Jahr 1907. Herausgegeben im Aufträge des k. Staatsministe¬ 
riums des Innern. (Von Dr. Bergmann.) (82 S.) 8°. München, J. Lin¬ 
dauer, 1908. Bar nn. —,30 JL. 

Jahresbericht über die Ergebnisse der Iramunitätsforschung. Unter Mitwirkung 
von Fachgenossen herausgegeben von Priv.-Doz. Dr. Wolfg. Weichardt. 
II. Band: Bericht über das Jahr 1906 einschließlich ,des Berichtes über die 
„Beziehungen der Immunitätsforschungen zur Lehre von den Geschwülsten“ 
von Dr. G. Schöne, und über „Opsonine“ von Priv.-Doz. Dr. W. RosenthaL 
(III, 448 S.) Lex.-8". Stuttgart, F. Enke, 1908. 14 JL. 

Jahresbericht über die Fortschritte in der Lehre von den pathogenen Mikro¬ 
organismen, umfassend Bakterien, Pilze und Protozoen. Bearbeitet und 
herausgegeben von Proff. DD. P. v. Baumgarten und F. TangL 21. Jahrg. 
1905. 2. Abt. (Xn und S. 401 bis 941.) gr.-8°. Leipzig, S. Hirzel, 1907. 
18 JL 

Jahresbericht, medizinisch-statistischer, über die Stadt Stuttgart im Jahre 1906. 
34. Jahrgang. Herausgegeben vom Stuttgarter ärztlichen Verein. Red. von 
Dr. W. Weinberg. (33 S.) gr.-8°. Stuttgart, C. Grüninger, 1907. 1 JL. 
Jahrbuch, statistisches, für Elsaß-Lothringen. 1. Jahrgang 1907. Herausgegeben 
vom statistischen Bureau des kaiserl. Ministeriums für Elsaß - Lothringen. 
(XVI, 236 S. mit 4 färb. Tafeln.) gr.-8 # . Straßburg, Straßburger Druckerei 
und Verlagsanstalt, 1907. Kart. nn. 1 JL. 

Mitteilungen des statistischen Bureaus des herzoglichen Staatsministeriums zu 
Gotha. Jahrgang 1907. (II, 46 S.) Lex.-8°. Gotha, E. F. Thienemann, 1908. 
1,50 JL. 


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394 


Neu erschienene Schriften. 


Myrdacz, Ober - Stabsarzt I. Kl. Sanit.-Chef Dr. Paul: Ärztliche Rekrutierungs- 
stati8tik von Österreich - Ungarn in den Jahren 1894 bis 1905. Mit Genehmi¬ 
gung des k. und k. Reichskriegsministeriums nach den militärstatistisohen 
Jahrbüchern bearbeitet. Mit 4 Tabellen und 12 Kartogr. [Aus: „Streffleur* 
militär. Ztschr.“] (IV, 20 8.) gr.-8°. Wien, L. W. Seidel & Sohn, 1907. 
2,40 M. 

Sitzungsberichte der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in München. 
XXIII, 1907. 1. Heft. [Aus: „Münch, med. Wochenschr.“] (§5 S. mit Ab¬ 
bildungen.) gr.-8°. München, J. F. Lehmanns Verlag, 1907. 3 M. 

Statistique annuelle des institutions d’assistance. An nee 1905 (ministere du 
Travail, Statistique generale de la France), in-8°, 5 fros. 1 vol. Berger- 
Levrault et Cie. 

Statistik der Stadt Zürich. Herausgegeben vom statistischen Amte der Stadt 
Zürich. gr.-8°. Zürich, Rascher & Co. Nr. 7: Bautät igkeit, die, in der Stadt 
Zürich. 1896 bis 1905. (80 S.) 1907. —,80 M. 

Statistique internationale du mouvement de la population, d’apres le registre 
de l’etat civil. Resume retrospectif ,depuis l’origine des statistiques de l’etat 
civil jusqu’en 1905 (ministere du Travail. Statistique generale de la France), 
in-8°, 15 frcs. Berger-Levrault et Cie. 

Zeitschrift für schweizerische Statistik. 1907. 6. und 7. Lieferung. Bern, 

Francke. 6,40 .Hs. 

3. Wasserversorgung, Entwässerung und Abfuhr. 

Bothas, Reg.-Baumstr. a. D. Ludw.: Massendestillation von Wasser, insbesondere 
zur Erzeugung von Trinkwasser und Lokomotivspoisewasser. (60 S. mit 
8 Abbildungen und 1 Tabelle.) 8°. Berlin, J. Springer, 1908. 2 M. 

Leben, neues, Das neue biologische Verfahren. Red.: Dr. A. Kühner. 10. Jahrg. 
1908. 12 Nummern. (Nr. 1. 8 S.) 32 V 24,5 cm. Konstanz, Hygien. Verlag 
(C. Wortmann). Vierteljährlich bar 1 M>\ einzelne Nummern — ,30 M. 

Schollmayer - Lichtenberg, E. Heinr.: Wasserversorgung im Karstgebiete. 
Referat, gehalten am VIII. intern, landw. Kongreß in Wien 1907. [Aus: 
„Mitteilungen d. Musealver. f. Krain“.] (44 S.) 8°. Laibach 1907. Wien, 
W. Frick. 1 .Hs. 

Voller, Prof. Labor.-Dir. Dr. A.: Das Grundwasser in Hamburg. Mit Berück¬ 
sichtigung der Luftfeuchtigkeit, der Lufttemperatur, der Niederschlagsmengen 
und der Flußwasserstände. 15. lieft, enthaltend Beobachtungen aus dem Jahre 
1906. (1. Beiheft zum Jahrbuch der hamburg. wissenschaftl. Anstalten. XXIV. 
1906.) (7 S. mit 4 Tafeln.) 34 x26 cm. Hamburg, L. Gräfe & Sillem, 1907. 
3 .Hs. 


4. Straßen-, Bau- und Wohnungshygiene. 

Bauordnung für die kleineren Städte und Flecken des Regierungsbez. Schleswig 
in der durch Nachträge vom 27. VI. 1903, 2. Kl. 1905, 30. XI. 1906 und 7. X. 
1907 abgeänderten Fassung. Die in der Bauordnung angeführten Verord¬ 
nungen sind teils als Anmerkungen, teils im Anhänge abgedruokt. (148 S.) 
kl.'-8°. Schleswig, J. Ibbekeu, 1908. Kart, bar 1,25 .Hs. 

Bauordnung für die kleineren Städte und Flecken des Regierungsbezirkes 
Schleswig. Nach der amtlichen Ausgabe vom 7. X. 1907. Mit 4 Anhängen 
und einem alphabetischen Sachregister. (81, 19, 8 und 7 S.) kl.-8®. Schles¬ 
wig, J. Bergas Verlag, 1907. —,80 Ms. 

Baupolizeiverordnung für die Stadt Hagen in Westfalen. (127 und Nachtrag 
11 S. mit 1 Tafel und 1 farbigen Plan.) 8°. Hagen, 0. Hammerschmidt, 1906. 
Bar nn. 1,25 ,H. 


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Neu erschienene Schriften. 


395 

Plerioht über den vom 3. bis 6. VI. 1907 in Wien abgehaltenen Kongreß für 
Heizung und Lüftung (VI. Versammlung von Heizung«- und Lüftungsfaeh- 
männem). Vom geschäftsführenden Ausschuß herausgegeben. (292 S. mit 
99 Abbildungen und 6 Tafeln.) gr.-S°. München, R. üldenbourg, 1907. 4 J6-. 
Orensfragen des Nerven- und. Seelenlebens. Einzeldarstellungen für Gebildete 
aller Stände. Begründet von DD. L. Loeweufeld und H. Kurella. Her¬ 
ausgegeben von Dr. L. Loewenfeld. Lex.-8". Wiesbaden, J. F. Bergmann. 
54. Heft. Leasing, Thdr.: DerLiirm. Eine Kampfschrift gegen die Geräusche 
unseres Lebens. (V, 94 S.) 1908. 2,40 J(. 

Kappes, Archit. Alb.: Grundrisse für kleinere Etagenwohn- und Mietshäuser, so¬ 
wie einseitig angebaute Einfamilienwulmhäuser. (103 S. mit Figuren.) gr.-8°. 
Berlin, 0. Baumgärtel, 1908. 5 Jt- 

Bangenberger, Ingenieurs.: Der Hausschwamm (Merulius lacrymaus). Gemein¬ 
verständliche Ausführungen über seine Entwickelung und die zu seiner Be¬ 
kämpfung dienlichen Maßnahmen. [Aus: „Bautechn. Ztschr.“ und .Suddeut. 
Bauhütte“.] (16 S.) gr.-8°. München, G. 1). W. Callwey, 1908. —,50 .11. 
Pfeiffer, Baupolizei-Revis. J. : Darmstädter Bauvorschriften nebst den wichtigsten 
gesetzlichen Bestimmungen im Bauwesen (zum praktischen Gebrauch). Zu¬ 
sammengestellt und bearbeitet. (VIII, 150 S.) gr.-8°. Darmstadt, A. Berg- 
straeßer, 1908. 3 Jk. 

Sohneeberger, C.: Die Beseitigung der Rauch- und Rußplage nach dem jetzigen 
Stande der Heiztechnik. ,(17 S.) gr.-8". München (Wittelsbacherplatz 3), 

Ferd. Grubert, 1908. Bar 1 JH,. 

Sohneeberger, C.: Wie heize ich richtigV (4 S.) kl.-8°. München (Wittels¬ 
bacherplatz 3), Ferd. Grubert, 1908. Bar —,10 Jh. 

5. Sch u 1 hy g i en e. 

Zeitschrift für Schulgesnndheitspfleg*'. Begründet von Dr. L. Kotelm ann. 
Red. von Prof. Dr. Fr. Erismann. 21. Jahrgang. Mit einer Beilage: Der 
Schularzt. Red. von DD. Prof. F. Eris manu und Krafft. 6. Jahrgang 1908. 
12 Hefte. (1. Heft. 58 und 28 S.) gr.-8°. Hamburg, L. Voss. Halbjährlich 

bar 6 M,. 

6. Hospitäler und Krankenpflege. 

Brunner, Chefarzt Dr. Fritz: Grundriß der Krankenpflege. Leitfaden für den 
Unterricht in Diakonissenanstalten , Schwesternhäusern, Krankenpflegekursen. 
4., verbesserte und vermehrte Auflage. (244 S. mit 11 Abbildungen.) kl.-8°. 
Zürich, Schulthees & Co., 1908. Kart. 1,80./(-. 

Oberst, Priv.-Doz. Dr. Adf.: Leitfaden der Krankenpflege, mit besonderer Berück¬ 
sichtigung des Bundesratserlasses über die staatliche Prüfung von Kranken¬ 
pflegepenonen, nebst einem Verzeichnis von Fremdwörtern, welche in der 
Krankenpflege häufig Vorkommen. (VII, 207 S. mit 40 Abbildungen.) gr.-8°. 
Jena, G. Fischer, 1908. 3 Jk ; geh. 3,60 J(*. 

Peukert, Wettersteig. J. K. Rioh.: Das Rettungswesen im Bergbau. Neue (2.) 
verbesserte Auflage (IX, 64 S. mit 11 Abbildungen). 8°. Kattowitz, Phönix- 
Verlag, 1908. 1,50 M,. 

7. Militär- und Schiffshygiene. 

Bathülömy. Alimentation da Soldat. Considerations theoriques et pratiques ä 

l’uaage dea offioiers, in-18°, 1,25 fres. A. Maloine. 

Baudienstvorschriften für das k. und k. Heer. III. Teil. Instruktion für die 
Militärgebäadeverwaltungen. (VI, 170 S.) Lex.-8°. Wien, Hof- und Staats¬ 
druckerei, 1907. 2,50 Jh. 



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396 


Neu erschienene Schriften. 


Baudienstvorschrifteii, dasselbe. III. Teil. Anhang, Beleuchtung, Marketen¬ 
dereibetrieb. (40 S.) Lex.-8*. Ebenda 1907. — ,30 Jl. 

Castaing, H.: Le Chien du Service de santü, avenir sportif et avenir militaire, 
in-8°, 1 fr. 1 vol. Imp. Leoerf et fils, a Rouen. 

Publikationen, militärärztliche. Wien, J. Öafär. — Nr. 111. Cron, Oberstabs¬ 
arzt: Studie über die Einleitung der Evakuation mit Vollbahn aus Anlaß von 
Gefechten. Nach handschriftlichen Aufzeichnungen des C. zusammengestellt 
und durch ein Beispiel illustriert von Regimentsarzt Thdr. Beyer. (Mono¬ 
graphien aus dem Gebiete des Feldsanitätsdienstes. IV.) Mit 3 Figuren. 
(62 S.) gr.-8°. 1907. 1,80 Ji. — Nr. 112. Cron, Oberstabsarzt Dr. Karl: 
Versuch einer Ableitung von Grundsätzen für Anlage und Durchführung der 
Evakuation, dann für Organisierung und Verwendung von Krankenzügen. 
Eine sanitäts-operative Studie. Mit 1 Figur. [Aus: „Mitteilungen über Gegen¬ 
stände des Artillerie- und Geniewesens.“] (Monographien aus dem Gebiete 
des Feldsanitätsdienstes. V.) (53 S.) gr. -8°. 1907. 1,35 Jk. — Nr. 114. 

Cron, Oberstabsarzt: Feldtaschenbuch für den Sanitätsdienst im Kriege. 
2. Auflage des „Feldtaschenbuches für k. und k. Militärärzte“. Unter Mit¬ 
wirkung mehrerer Kameraden zusammengestellt. I. Heft: Allgemein mili¬ 
tärischer Teil. Mit zahlreichen Abbildungen. (124 S.) kl.-8°. 1908. 2,20 M- 

Sanitätsberieht über die königl. preußische Armee, das XII. und XIX. (1. und 
2. königl. sächsische) und das XIII. (königl. württembergische) Armeekorps, 
sowie über die kaiserl. ostasiatische Besatzungsbrigade für den Berichtszeit¬ 
raum vom 1. X. 1904 bis 30. IX. 1905. Bearbeitet von der Medizinalabteilung 
des königL preußischen Kriegsministeriums. Mit 30 Karten und 16 graphi¬ 
schen Darstellungen. (VII, 260, 217 und 18 S.) Lex.-8°. Berlin, E. S. Mittler 
& Sohn. 

Service de sante. Formulaire pharmaceutique des höpitaux militaires, app. par 
le ministre de la Guerre (dec. min. du 26 mars 1890), mis ä jour d’apres lea 
examens 1 et 2 jusqu’en aoüt 1907, in-8°, 6 frcs. H. Charles-Lavauzelle. 


8. Infektionskrankheiten, Bakteriologie und Desinfektion. 

BÖBson, Dr.: Technique microbioloque et serotherapique, 4« ed., in-8°, 16 frcs. 
1 vol. J.-B. Bailliere et fils. 

Handbuoh der pathogenen Mikroorganismen. Nebst mikrophotographischem 
Atlas, zusammengestellt von Prof. Dr. E. Zettnow, herausgegeben von Proff. 
DD. W. Kolle und A. Wassermann. II. Ergänzungsband. 1. Heft. (230 S. 
mit Abbildungen und 2 farbigen Tafeln.) Lex.-8°. Jena, G. Fischer, 1908. 
81. 

Kitt, Doz. Prof. Dr. Th.: Bakterienkunde und pathologische Mikroskopie für 
Tierärzte und Studierende der Tiermedizin. 5., wiederholt verbesserte und 
umgearbeitete Auflage. Mit mehr als 200 Abbildungen und 4 kolorierten 
Tafeln. (V, 578 S.) Lex.-8°. Wien, M. Perles, 1908. 15 geb. bar n. 17 Jk. 

Tuberkulosekonferenz, 6. internationale. Wien, 19. bis 21. IX. 1907. Unter 
dem Protektorate Sr. Maj. des Kaisers Franz Joseph. Bericht. Im Aufträge 
der Verwaltungskommission der internationalen Vereinigung gegen die Tuber¬ 
kulose herausgegeben vom Gen.-Sekr. Prof. Dr. Pannwitz. (In deutscher, 
französischer und englischer Sprache.) (XXIII, 315 S.) gr.-8°. Berlin-Char¬ 
lottenburg 1907. (Berlin, R. Moese.) Geb. in Leinw. 5 M>. 

Wasielewski, Stabsarzt a. D. Chefarzt Priv.-Doz. Th. v.: Studien und Mikro¬ 
photogramme zur Kenntnis der pathogenen Protozoen. 2. Heft. (Aus den 
hygienischen Instituten der Universität Berlin und dem Institut für Krebs¬ 
forschung zu Heidelberg.) Untersuchungen über Blutschmarotzer. Mit 
26 Textbildern und 8 Lichtdrucktafeln (70 Mikrophotogramme). (IV, 175 S. 
mit 4 Blatt Erklärungen.) gr.-8°. Leipzig, J. A. Barth, 1908. 12 



Neu erschienene Schriften. 


397 


9. Hygiene des Kindes. 

Buekeley, Dr. Aug. : Zur Frage der Mutterschaftsversieherung. (IV, 79 S.) gr.-ä“. 

Regensburg, Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz, 1908. 1,50.46. 

-Comby, Dr. J.: Alimentation et hygiöne des enfants, in-18, 5 frcs. J. Rueff. 
Burville, H.: Pour combattre le mal de dents et les maladies de la beuche — 
favoriser la dentition et öviter les accidents qui en sont la consequence — 
hygiene et moyens preventifs, iu-32, 1 fr. Lib. du magnetisme. 

Ergebnisse der Säuglingsfürsorge. Herausgegeben von Dir. Dr. Arth. Keller. 
Lex.-8°. Leipzig, F. Deuticke. 1. Heft. Keller, Dr. Arth.: Kommunale 
Säuglingsfürsorge. Ärztliche Erfahrungen. — Lindemann, Stadtrat Paul: 
Die Stadtgemeinde im Dienste der Säuglings für sorge. Praktische Vorschläge. 
III, 136 S. mit Figuren. 1908. 4 .H>. 

Hammer, Dr. W.: Bericht über die Verhandlungen des Allgemeinen Fürsorge* 
Erziehungstages am 11. bis 14. VI. 1906 zu Breslau. Erstattet unter Be¬ 
nutzung des stenographischen Protokolls. — Eine persönliche Bemerkung zum 
Breslauer Fürsorge-Erziehungstage. — Nachruf zum Breslauer Fürsorgetag.— 
[Aus: „Monatsschrift für Harnkrankheiten usw.“] (84 S.) gr.-8°. [Leipzig, 
Verlag der Monatsschrift für Harnkrankheiten. 1907. 2,40 ,/U 
Hausbibliothek, medizinische. 8®. Leipzig, M. Spohr. — Nr. 14. Fehringer, 
Dr. A.: Was muß man von Ehegeheimnissen und Säuglingspflege wissen? 
Zweck der Ehe, Beischlaf, Schwangerschaft und Übelsein, Verhütung der 
Fehl- und Frühgeburt, Verhalten nach der Entbindung, Beschwerde |heim 
Stillen und Nichtstillen, Milchfluli, nebst.: Wie die junge Mutter ihr Kind 
pflegen, nähren und kleiden muß. Hand- und Hilfsbuch für Verlobte und 
Neuvermählte. (62 S.) 1907. 1 Ji. — Nr. 15. Derselbe: Krankheiten älterer 
Kinder. Ursachen und Heilung. Beschreibung sämtlicher Krankheiten älterer 
Kinder, nebst praktischen Ratschlägen über richtige Pflege derselben und 
Angabe vorzüglich wirkender Heilmittel. Unentbehrlicher Ratgeber für Eltern 
und alle, welche mit Erziehung und Pflege der Kinder zu tun haben. (55 S.) 
1908. 1 JL- — Nr. 15. Derselbe: Krankheiten der Säuglinge. Ursachen und 
Heilung. Beschreibung sämtlicher Krankheiten unserer Lieblinge nebst prak¬ 
tischen Ratschlägen über richtige Pflege derselben behufs Erlangung der 
Gesundheit. Unentbehrlicher Ratgeber für Mütter. (62 SA 1907. 1 M. 
Husch, Prof. Landestierzucht - Dir. Med.-R. Dr.: Die Kindermilchproduktion in 
wirtschaftlicher und hygienischer Beleuchtung unter besonderer Berücksich¬ 
tigung der im Rassestalle der tierärztlichen Hochschule in Dresden gemachten 
Erfahrungen. (73 S. mit 10 Abbildungen.) gr.-8‘ l . Berlin,'11. Schoetz, 1908. 2 .16. 
Roux, Dr. L.: Puericulture, hy. de l’enfauoe, precis ä l’usage des meres, in - 18, 
2,50 frcs. J. Rousset. 

Terrien, Dr. E.: Precis d’alimentation des jeunes enfants, 2* 1 cd. rev. et augm., 
av. graphiques, in-16, cart., 4 frcs. G. Steinheil. 

'Wattenberg, Geh. San.-R. Dr. Herrn.: Wie verschaffen wir unseren Kindern 
gesunde Knochen und erhöhen dadurch die Widerstandsfähigkeit des Körpers 
gegen Krankheit? Erfahrungen aus 60jähriger ärztlicher Praxis, als Volks¬ 
belehrung mitgeteilt. (31 S.) gr.-8 # . München, Verlag der ärztl. Rundschau, 
1908. —,75 Ji. 

Zeitschrift für Säuglingsfürsorge, red. von Prof. Dr. Bruno Salge. II. Band. 
12 Hefte. (1. Heft. 44 S.) gr.-8". Leipzig, J. A. Barth, 1908. Bar 12 .46; 

einzelne Hefte nn. 1,25 JL. 

10. Variola und Vacci nution. 

Assemat, E. : Etüde de l’organisation du service de la vaccine [en France par 
application de la loi du 15 fevrier 1902 sur la saute publique, in-8°, 3 frcs. 

Dirion, ä Toulouse. 



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898 


Nen erschienene Schriften. 


11. Geschlechtskrankheiten. (Fehlt.) 

12. Gewerbe- und Berufshygiene. 

Brouardel, Dr. C.: Les Accidents dn travail, guide du medecin, 2 e ed., in-16. 
1,60 frc. 1 vol. J.-B. Bailiiere et fils. 

Handbuch der Arbeiterkrankheiten. Herausgegeben von Dr. Thdr. WeyL 
(LXIX, 809 S. mit 21 Abbildungen.) Lex.-8°. Jena, G. Fischer, 1908. 22 Jk; 
geb. n. 24,50 M- 

13. Nahrungsmittel. 

Abhandlungen, Würzburger, aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin. 
HerauBgegeben von Proff. DD. Joh. Müller und Otto Seiffert. VIII. Band. 
gr.-8°. Würzburg, C. Kabitzsch. Jedes Heft —,85 M>. — 3.4. Dieudonne, 
Oberstabsarzt Prof. Dr. A.: Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 
(II und S. 39 bis 88.) 1908. 

Dosquet, Dr. Wilh.: Die Fabrikation von Fleischkonserven. [Aus: „Deutsche 
Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege.“] (VII, 37 S. mit 4 Ab¬ 
bildungen.) gr.-8°. Braunsehweig, Friedr. Vieweg & Sohn, 1908. 1,20 Jk- 
Favre, J.: Dictionnaire universel de cuisine pratique, encyclopedie d’hygiene ali- 
mentaire, 4 vol., iu-8°, 60 frcs.; rel., 70 frcs. 1 vol. Vve Lebroc et Cie. 

14. Alkoholismus. 

Bender, Pfr.: Unsere Arbeit auf dem Lande. Vortrag, gehalten in der Sitzung 
des Verwaltungsausschusses des deutschen Vereins gegen den Mißbrauch gei¬ 
stiger Getränke. [Aus: „Bericht über die 23. Jahresversammlung d. d. V. g. 
d. M. g. G.“] (8 S.) 8°. Berlin, Mäßigkeitsverlag, 1907. —,10 .Ä. 

Flaig, 2. Geschäftsführer J.: Frauenarbeit im Kampf gegen den Alkoholismus. 

(45 S.) 8°. Berlin, Mäßigkeitsverlag, 1907. —,40 Jk. 

Flugblätter des deutschen Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke. 8*. 
Berlin, Mäßigkeitsverlag. 100 Stück bar 2 Jk. -*- Nr. 7. Wort, ein treu- 
gemeintes, an die Kanalarbeiter. (4 S. mit Abbildungen.) 1907. 100 Stück 
bar 2 Ms- 

Flugblätter, vierseitige, des Blauen Kreuzes. II. Serie, enthaltend 100 Exem¬ 
plare. Nr. 9 bis 16. 8®. Barmen, Buchhandlung des Blauen Kreuzes, 1907. 
nn. —,65 Mi. 

Q-ruber, Max, und Emil Kraepelin, Proff: Wandtafeln zur Alkoholfrage. 10 far¬ 
bige Blätter je 79 v 100cm. München, J. F. Lehmanns Verlag, 1907. In 
Mappe 10 Mt] mit Metalleisten und Ringen bar 12 M>\ auf Leinwand mit 
Ringen 26 Ms] einzelne Tafeln 1,50 Ms, bzw. 2 und 8 Ms] erläuternder Text 
mit den 10 verkleinerten Tafeln. (35 S.) gr.-8®. 1,50 M>. 

Morgen, der. Blätter zur Bekämpfung des Alkoholismus und zur Erneuerung 
christlichen Lebens. Organ des katholischen Mäßigkeitsbundes Deutschlands. 
Schriftleitung: Rekt. J. Haw. 2. Jahrgang 1908. 12 Hefte. (1. Heft. 24 S.> 
8°. Trier, Paulinus-Druckerei. Bar 1 Ms] einzelne Hefte —,15 M. 

Traktate, illustrierte, des Blauen Kreuzes, III. Serie. Nr. 17 bis 24. (100 Stück 
zu je 4 S.) 8°. Bannen, Buchhandlung des Blauen Kreuzes, 1907. nn 1 Jk. 
Weymann, Reg.-R. Dr. Konrad: Der Abstinenzvogel. (Mit einer Fortsetzung: 
„Drei Jahre später.“) 2. Auflage. (23 S.) gr. -8*. Berlin, Mäßigkeitsverlag. 

1907. —,20 M>. 

15. Verschiedenes. 

Arzneitaxe, deutsche, 1908. Amtliche Ausgabe. (96 S.) 8®. Berlin, Weidmann. 

1908. Geb. in Leinwand 1,20 Mi. 

Aus Natur und Geistes weit. Sammlung wissenschaftlich - gemeinverständlicher 
Darstellungen. 8". Leipzig, B. G. Teubner. Jedes Bändchen 1 Ms] geb. in 


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Neu erschienene Schriften. 


399 


Leinwand 1,25 M,. — 171. Stich er, fPriv.-Dr. Roland: Gesuudheitslehre 
für Frauen. In 8 Vorträgen. Mit 15 Abbild, im Text. (IV, 128 S.) 1907. 

Braokenlioeft, Rechtsanw. Dr. Ed.: Das Krematorium und der Urnenfriedhof 
in Hamburg. Entstehung, Einrichtungen und Betriebsvorschriften. 2. ver¬ 
mehrte Auflage. Mit Illustrationen nach Origiualaufnahmen des Ateliers 
Schaul. (123 S. mit 8 Tafeln.) Lex.-8°. Hamburg, A. Frederking, 1907. 3 JL 

Dornblüth, Dr. Otto: Hygiene der geistigen Arbeit. 2., völlig umgearbeitete und 
bedeutend erweiterte Auflage. (258 S.) 8°. Berlin, Deutscher Verlag für 
Volkswohlfahrt, 1907. Geb. in Leinw. 4 

Hanoock, H. Irving, et Kataukuma Higashi: Traite complet de jiu-jitsu. 
Methode Kano. Jiu-jitsu officiel du gouvernement japonais. Traduction de 
L. Ferru8 et J. Pesseaud, in-8*, 12,50 frcs.; rel., löfrcs. Bcrger-Levrault et Cie. 

Kalle, Stadtr. Prof. Fritz, und Stadtarzt Dr. Gust. Schellenberg: Wie erhält 
man sich gesund und erwerbsfähig? 49. Auflage. 470. bis 489. Tausend. (16 8.) 
gr.-8°. Berlin, Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung, 1908. —,10.(6 
(Partiepreise). 

Iiindhamer, Hedw.: Die Wohlfahrtseiurichtungen Münchens. Herausgegeben vom 
statistischen Amt der Stadt München unter Mitwirkung des Vereins für Frauen- 
interessen. (XX, 112 S.) 8°. München, J. Lindauer, 1908. Bar 1 „(6. 

Käuber, Reg.- und Med.-R. Dr. H. : Die Bestimmungen über den Verkehr mit 
Giften, Arznei- und Geheimmitteln außerhalb der Apotheken für Medizinal¬ 
beamte, Apotheker, Drogen-, Gift-, Farbwarenhändler und Polizeibehörden. 
Zusammengestellt und herausgegeben. 2., vennehrte und verbesserte Auflage. 
(62 S.) 8°. Düsseldorf, L. Schwann, 1908. Kart. —,75 .16. 

Starck, Dr. F.: Wetterfest! Neue Mittel und Wege zur Abhärtung gegen Witte¬ 
rungseinflüsse, sowie zur Verhütung von Erkältungen und zur Heilung von 
Erkältungskrankheiten. (Neue [Titel-] Ausgabe von: „Die Heilung und Ver¬ 
hütung der Erkältung.“) (48 S.) 8°. Leipzig, Modern-medizin. Verlag, 1907 
(1908). —,75 M>. 

Werde gesund! Zeitschrift für Volksgesundheitspflege, KrankheitsVerhütung und 
gesunde Erziehung. Herausgegcben von Dr. Geo. Liebe. Schriftleitung: 


DD. Geo. Liebe, Prof. Ludw. Gurlitt und Frz. Thalwitzer. Des lleil- 
stättenboten 8. Jahrgang. 1906. 12 Hefte. (1. Heft. 30 S.) Lex.-8°. Kötzschen- 
broda, H. F. A. Thalwitzer. Vierteljährlich 1 ./6. 

Witthaue, Zahnarzt Carl: Unsere Zähne und ihre Erhaltung. Ein Ratgeber für 
Gebildete aller Stände. (60 S.) 8°. Osnabrück 1908. Rotterdam, C. SVitthaus. 
1 Ms. 





Der erste und zweite Band 

des 

Berichtes über den XIV. internationalen 
Kongress für Hygiene und Demographie 

Berlin, 23. bis 29. September 1907 

sind bei August Hirschwald in Berlin N. W., Unter den 
Linden 68, sehr pünktlich erschienen und vom General¬ 
sekretariat mit dem Bemerken versandt, daß die folgen¬ 
den Bände in kurzer Zeit zur Ausgabe gelangen werden. 

Die Redaktion. 


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Dr. med. W. Gemünd. Beiträge zur Kenntnis d. großstädt. Luft verunreinigung usw. 4< H 


Beiträge zur Kenntnis 

der großstädtischen Luftverunreinigung und des 
Grofsstadtkli mas auf Grund von rntcrsuchuiigen 
mittels des Aitkensehen Staubzählers. 

Von Dr. med. Wilh. Gemünd, Aachen. 

Dozent für Hygiene au der technischen Hochschule. 


Durch die verschiedenen Aufsätze von Dr. Ascher, Königsberg, wurde 
die Aufmerksamkeit der Leser der Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege wieder einmal auf die eigentümlichen Verunreinigungen der gro߬ 
städtischen Atmosphäre gelenkt, welche man in ihrer Gesamtheit als Raucb- 
und Rußplage zu bezeichnen pflegt. In den erwähnten Abhandlungen 
sind eine Reihe von Untersuchungsmethoden der Luft auf die mannigfachsten 
hier in Betracht kommenden Verunreinigungen angeführt. Weiteres um¬ 
fassendes Material liefert auch die Arbeit Rubners im Archiv für Hygiene ‘). 

In diesen Aufsätzen ist jedoch eine eigenartige Untersuchungsmethode 
der Loft, welche Behr interessante und bedeutsame Aufschlüsse über die Ver¬ 
unreinigungen derselben, besonders aber der Großstadtluft gibt, nur flüchtig 
erwähnt, nämlich die Zählung der Staubteilchen mittels des Aitken- 
schen Staubzählers. Vor allem auch demonstriert diese Untersuchungs- 
methodein außerordentlich augenfälliger Weise den l’nterschied in den Quali¬ 
täten der Landluft einerseits, der Stadt 1 u ft andererseits und belehrt uns über 
die klimatischen Verhältnisse der Großstadtluft, das sogenannte „Großstadt¬ 
klima“. Bekanntlich ist ja sogar der Laie sieh darüber einig, daß die 
Stadtluft gegenüber der Landluft in gesundheitlicher Beziehung höchst 
minderwertig sei und diese Ansicht prägt sich auch in der sommerlichen 
Flucht von den Städten aufs Land zur Genüge aus. Aber dieses „Gefühl“, 
wenn man so sagen darf, für die Minderwertigkeit der Stadtluft entbehrte 
lange positiver Anhaltspunkte und erst in neuerer Zeit gewinnen wir mehr 
und mehr Kenntnis auf diesem bisher noch so vernachlässigten Gebiet. 

Wenn Rnbner demnach in der erwähnten Arbeit 2 ) sich folgender¬ 
maßen äußert: 

«Die vorliegenden Betrachtungen stellten sich zur Aufgabe, statt vager und 
unbestimmter Behauptungen für das, was mit unserer Stadtatmosphäre vergeht, 
einen genauen Ausdruck zu finden und eine Begrenzung «1er Größenordnung «1er 

Luftverschmutzung zu gewinnen“, 

so wird dieses von ihm angedeutete Ziel in besonders schöner und augen¬ 
fälliger Weise durch die Zählung der Rauch- und Rußpartikelcheu mittels 
des Aitken sehen Staubzählers erreicht. 


*) Über trübe Wintertage nebst Untersuchungen zur sogenannten Raueh- 
plage der Großstädte. Von Max Bubner, Archiv für Hygiene, Bd. 57 u. 59. 

*) Archiv für Hygiene, Bd. 59, S. 145. 

Vierteljahnichrift fü* * GesundheiUpflece, 1908 . .>c 


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102 


Dr. med. Wilh. Gemünd, 


An anderer Stelle *) habe ich ausführlich über meine Untersuchnngen 
der Luft verschiedener Städte mittels dieses Apparates berichtet 
l>a aber der Gesundheitsingenieur nicht allen Lesern der Vierteljahrs¬ 
schrift für öffentliche Gesundheitspflege zur Hand ist, andererseits die er¬ 
wähnten Untersuchungen aber auch gerade für die Ärzte zur Kenntnis der 
klimatischen Beschaffenheit unserer Stadtatmosphäre bedeutsam 
sind, so folge ich einer Anregung auB Kollegenkreisen und will auch an dieser 
Stelle über meine Untersuchungen berichten und einige weitere Betrachtungen 
daran knüpfen. 

Der Aitkensche Staubzähler beruht auf der von dem englischen 
l’hysiker Aitken gefundenen Tatsache, daß der Wasserdampf der Luft auch 
bei völliger Sättigung nur dann sich zu kondensieren vermag, wenn freie 
Oberflächen vorhanden sind, an welchen das Wasser seinen Zustand 
ändern kann. Als solche freie Oberflächen dienen in der Luft in der Regel 
die Staubteilchen. Sie sind hier die Kondensationskerne, um welche 
sich der Wasserdampf in Gestalt feinster Wassertröpfchen kondensiert und 
so den Nebel, die weißen Dampfwolken ubw. bildet. Nur wenn solche Kon¬ 
densationskerne in der Luft sind, findet demnach eine Kondensation von 
Wasserdampf statt und es zeigt sich, daß dann jedes, auch das feinste 
Nebel- oder Wassertröpfchen einen solchen Kondensationskern zum Mittel¬ 
punkt hat. 

Auf dieser Tatsache beruht das folgende bekannte physikalische Ex¬ 
periment. Läßt man den Dampf kochenden Wassers in einen großen Glas¬ 
kolben einströmen, welcher mit gewöhnlicher, also staubhaltiger Luft gefüllt 
ist, so kann man den Dampf deutlich in Gestalt einer weißen dichten Wolke 
eintreten und allmählich das ganze Glasgefäß erfüllen sehen, er bildet in 
demselben eine dichte weiße Nebelwolke. Ganz anders verläuft der Versuch, 
wenn der Glaskolben vor dem Einleiten des DampfeB mit staubfreier Luft 
gefüllt wurde, was in einfachster Weise dadurch erreicht wird, daß man 
längere Zeit Luft durch den Glaskolben saugt, wobei die an Stelle der ab¬ 
gesaugten Luft neu eintretende Luft durch eine Röhre geleitet wird, welche 
mit einem fest zusammengedrehten Wattebausch verschlossen ist. Dieser 
Wattepfropf hält dann die staubartigen Verunreinigungen der Zimmerluft 
zurück und die Luft in dem Glaskolben wird nach einiger Zeit tatsächlich 
staubfrei sein. 

Läßt man in einen so vorbehandelten Glaskolben den Dampf kochen¬ 
den Wassers eintreten, so entsteht ein völlig anderes Bild wie vorher. Der 
Dampf bleibt in dem Kolben absolut unsichtbar, so lange man ihn auch ein¬ 
treten läßt, er bleibt hier in Dampfform und kondensiert sich nicht zu 
kleinsten Wassertropfen, weil die Kondensationskerne fehlen. 

Dieses physikalische Experiment bildet die Grundlage des Aitken sehen 
Staubzählers. Der Apparat ist von Emmerich, München, zum ersten Male 
in einem Lehrbuch der hygienischen Untersuchungsmethoden ausführlich 


l ) Die Beurteilung der Intensität der Rauch- und Rußplage unserer Städte 
mittels des Aitken sehen Staubzählers. Von Privatdozent Dr. Gemünd, Aachen. 
Gesundheitsingenieur 1907, Nr. 2, S. 21—27. 


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Beiträge zui 


beschrieben wordi 
kurze Andeutung' 

Die zu unters 
Apparat befindlich« 
hier in einem der 
freier, d. h. Luft, 
gemischt. Diese W 
Verdünnung der v 
nicht zählen lasse 
papier ausgekleidet 
werden muß, so i 
gesehen werden k 
der zu untersuchei 
50 fachen Menge e 
artigen Hebel kam 

Wird durch 
Luftpumpe der in 
den ihr nun zur 
dieselbe infolge di« 
da sie vorher mit 
punkt abgekühlt, 
haltenen Wassers 
als Kondensationsk 
suchenden staubhs 
ersten Verdünnung 
bereits sämtliche 1 
des Versuches zeig 
fallen. Im andere 
noch zu groß um 
bewirkt werden. 

Die feinen W 
ruhigen Luft der ] 
auf dem Boden de 
wird und mit ein 
zählt werden. Di« 
erleichtert durch e 
Im übrigen sind 
der Durchschnittsz 
der in 1 ccm der 
kannt ist, auch dei 
werden kann. 

Auf diese W 
die Zahl der Ko 
halten sind, best 
Natur und Bescl 
Staubpartikelche] 
Aitken hat 
Erscheinungen, < 
bildung usw. unc 
darüber *): „Die 

‘) Emmeric 
Auflage 1902, 8. 1 

*) On the nt 
Britain and on th 
burgh, vol. XVII, 


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404 


Dr. med. Wilh. Gemünd, 


großen Wert, da so viel von der unmittelbaren Umgebung des Ortes abhängt, 
an dem die Zählungen gemacht werden.“ An angeführter Stelle berichtet 
Aitken auch über solche Zählungen. So fand er unter anderem, daß die 
Zahl der in 1 ccm untersuchter Luft befindlichen Staubteilchen (bzw. Ron¬ 
den sationskerne) betrug auf dem Rigi 210—260; in Paris, Spitze des 
Eiffelturmes, je nach Wind und Wolkenzug 226—104 000 (Regenschauer); 
in Paris, Garten des meteorologischen Instituts 160000 — 210 000; in 
London bis 400000. 

Emmerich *) benutzte den Apparat zu Zählungen in München und 
seiner Umgebung, auch dem bayerischen Alpenvorlande. Einige der 
Zahlen, die er erhalten hat, seien hier angeführt: 

München, je nach Witterung 50000—200 000; verschiedene Orte im 
bayerischen Alpen vorlande: Josefstal bei Schliersee 1080, Ne uh aus 
bei Schliersee nach zweistündigem Regen 420, Tegernsee 6500, Brecher- 
spitze (1687 m Meereshöhe) 650, Hirschberghaus (1671m Meereshöhe) 
1000, Hirschberggipfel (etwa 1800m Meereshöhe) 830. 

Ich selbst machte Zählungen in verschiedenen Städten Nord- und 
Mitteldeutschlands. Einige davon'seien herausgegriffen: 

Hamburg, 25. Mai 1904, 4—7 h. p. m., kräftige östliche Winde. Das 
Wetter war in den vorausgegangenen Tagen stürmisch und regnerisch, daher 
die Luft relativ rein. 

An der Außenalster, vis-ä-vis dem Fährhaus, 16 000; Garten im 
Innern eines Baublocks an der Esplanade 120000; auf der Lombard¬ 
brücke (Innenalster) 80 000; Rathaushof 80000; RödingBmarkt (Ecke 
großer Burgstall) 70000; Rehrwiederspitze (Hafen) 110000; Baum wall 
(Hafen) 140000. 

Eiei, 26. Mai 1904, frischer Wind östlicher Richtnng, helles, heiteres 
Wetter, 12—3 h. p. m.: 

Am kleinen Riel (Inneres der Stadt) 60000; im Hafen beim See¬ 
garten (Inneres der Stadt) 80000; im ehemaligen Folkers Garten (außer¬ 
halb der Stadt) 35 000; in Laboe (außerhalb der Eieier Föhrde am Ostsee¬ 
strande) 16 000; ebenda, etwa */* Stunde weiter am Strand außerhalb des 
Ortes 10000. 

Wiesbaden, 1. August 1904, 9—12 h. a. m., schwache westliche bis 
südwestliche Winde. Heiteres, trockenes Wetter. 

Bei der Ringkirche (westliche Peripherie der Stadt) 20000; Bis¬ 
marckring 25000; Louisenplatz 40000 — 50000; Markt (Zentrum 
der Stadt) 60 000—100000; warmer Damm 40000—50000; Ruranlagen 
(Rurpark) im Nordosten außerhalb der Stadt 30000—40000; Ruranlagen 
(Tennisplatz) im Nordosten außerhalb der Stadt 30 000—40000; Markt 
60000; Louisenplatz 50000; Bismarckring 40000—50000; bei der 
Ringkirche 25 000; Va Stunde westwärts außerhalb der Stadt 10000 
bis 12 000. 

Aachen. Auf dem Balkon eines Hauses am äußersten Ende der 
Rütscherstraße (äußerste Peripherie der Stadt nach Nordwesten) habe 

l ) Prof. Rudolf Emmerich, über Staub und Stadtnebel, Vortrag, gehalten 
am 8. März 1897 in der Mitgliederversammlung des polytechnischen Vereins in 
München. 


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Beiträge zur Kenntnis der großstädtischen Luftverunreinigung usw. 405 

ich mehrere Wochen durch täglich verschiedene Zählungen gemacht. Es 
zeigt sich, daß im allgemeinen bei nördlichen und westlichen Winden, wenn 
der Wind vom unbebauten Lende her kam, die Zahl der Staubteilchen 
zwischen 6000 — 20 000 schwankte, bei südöstlichen bis östlichen Winden 
(Richtung von der Stadt her) zwischen 40000 — 80000. Heftige 
Regenfälle bewirkten stets eine starke Abminderung der Staub¬ 
teilchen. Von sonstigen Zählungen an diesem Ort seien angeführt: 
17. Juni 1904, sehr schwache, südliche bis südwestliche Winde, heiteres 
Wetter, 10—12 h. a. m.: 

Haus Ende der Rütscherstra ße (nordwestliche Peripherie) 60000; 
Nizzaallee 80 000; Anlagen am Ludwigsplatz 100000; Chorusplatz 
(Inneres der Stadt) 120000—160 000; Hof (Inneres der Stadt) 140000— 
160000; Lousberg, Südseite (nach der Stadt hin gerichtet), an ver¬ 
schiedenen Stellen 60000—80000; Lousberg, auf der Höhe desselben 
60 000; Lousberg, Nordseite von der Stadt abgewandt, an verschiedenen 
Stellen 30000. 

Die angeführten Zählungen sind nur einige von vielen, welche ich im 
Laufe der letzten Jahre zu machen Gelegenheit hatte. Da die Zählungen 
im allgemeinen aber überall die entsprechenden Resultate ergaben, mögen 
«dieselben genügen, und ich will nur einige allgemeine Schlüsse aus den¬ 
selben ableiten. 

Auf Grund der mitgeteilten Zahlen kann man sich natürlich noch kein 
Bild von der Verteilung der Staubteilchen an den verschiedensten Orten 
und unter den verschiedensten Verhältnissen machen. Die Zahlen werden 
sehr beeinflußt von der Größe der Stadt, dem Witterungscharakter, 
dem Charakter des betreffenden Ortes (Fa brikstadt, In dustriest ad t usw.), 
immerhin lassen sich aus den angeführten Zahlen einige überall gültige Ge¬ 
sichtspunkte über die Verteilung der Staubpartikelchen machen. 

Was zunächst die Zahl derselben anlangt, so ist dieselbe auf dem 
Lande, fern von der Rauch- und Rußatmosphäre der Städte sehr gering 
und schwankt etwa zwischen 6000 —12 000. Je mehr man sich mit dem 
Apparate von den menschlichen Ansiedelungen entfernt, um 60 reiner und 
staubfreier wird die Luft und nimmt z. B. auf den Gipfeln der Alpen 
sehr geringe Werte an (Rigigipfel etwa 200, Gipfel der bayerischen 
Vor alpen etwa 600 usw.). Sogar schon in der Höhe des Eiffelturmes 
über Paris konnte Aitken einmal nur 216 Teilchen zählen, nachdem ein 
Regenschauer den Staub niedergeschlagen hatte, während unter normalen 
Verhältnissen die Dunstatmosphäre der Großstadt auch bis zu diesen Höhen 
hinaufreicht und bis zu 104000 Teile gezählt wurden. 

Man kann wohl annehmen, daß in noch größeren Höhen die Zahl 
der Staubteilchen noch geringer wird und dieselben schließlich völlig ver¬ 
schwinden. Immerhin ist möglich, daß auch dann noch Kondensationskerne 
anderer .Art für die Bildung von Wassertröpfchen vorhanden sind, welche 
dementsprechend der Apparat auch zählen würde. 

Aitken l ) selbst läßt diese Frage offen: 


*) a. a. O. 


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406 


Dr. med. Wilh. Gemünd, 


,We have no means of knowing wether this number (about 200 particles 
p. ccm) i9 the lowest possible, or of knowing, how mach of this is terrestrial and 
how mucb cosmic, formed by the millions of meteors, wich daily fall into our 
atmosphere.“ 

Er vermutet weiterhin, daß teilweise vielleicht auch feinste Salz¬ 
partikelchen in der Luft als Kondensationskerne dienen könnten. Durch 
die Stürme, die Brandung, den Wellenschlag würden fortwährend feinste 
Tröpfchen auf dem Weltmeer in die Lüfte geführt und lange schwebend 
erhalten. 

Die neueren Forschungen über die Elektronen und die Ionisierung der 
Luft lassen aber auch noch an andere Dinge denken. So hat z. B. der 
englische Physiker Thomson nachgewiesen, daß auch die Ionen der Luft 
als Kondensationskerne für Wasserdampf dienen können. Er konnte 
in einem völlig staubfreien, mit WaBserdampf gefüllten Zylinder gleichfalls 
Nebel, die sog. Ionennebel, erzeugen, indem er durch Röntgenstrahlen, 
welche er hindurchleitete, die Luft im Inneren des Zylinders ionisierte. Die 
Luftionen selbst dienen also bei diesem Versuch als Kondensationskerne. 

Sicherlich können solche und ähnliche Verhältnisse in der freien, mit 
Staubteilchen wenig verunreinigten Atmosphäre eine große Rolle spielen. 
Wie anders könnte man sonst die Bildung von Nebel auf dem Meere, weit¬ 
ab vom Festland, oder in großen Höhen, der staubfreien Luft des Hoch¬ 
gebirges erklären, und so hat man auch neuerdings zur Erklärung solcher 
Nebel die elektrischen Dissoziationsverhältnisse der Luft heran¬ 
gezogen. Wie dem auch Bei, sicherlich traten in der verunreinigten Luft 
der Städte diese Faktoren gegenüber der ungeheuren Zahl der hier durch 
Rauch- und Rußpartikelchen gebildeten Kondensationskerne völlig zurück 
und können die Zählresultate nicht beeinträchtigen. 

In dem Maße, wie man sich nun vom offenen, unbebauten Lande dem 
Weichbilde einer großen Stadt mit ihrer Rauch- und Rußatmosphäre 
nähert, um so größer wird die Zahl der Teilchen, welche der Apparat zählt, 
sie steigt von 6000— 12 000, in der weiteren Umgebung auf 100 000, 
200000 und in den großen Städten (Paris, London) sogar auf 400000— 
500000 in einem Kubikzentimeter. 

Dabei weist die Verteilung derselben bei Windstille eine außer¬ 
ordentliche Regelmäßigkeit auf. So oft ich mich auch mit dem Apparate 
von der Peripherie her dem Zentrum einer Stadt näherte, stets wuchs die 
Zahl der Teilchen ziemlich gleichmäßig an, hielt sich im Zentrum innerhalb 
eines größeren Bezirkes auf ziemlich gleicher Höhe und nahm dann nach 
der anderen Seite hin allmählich wieder ab. Dabei ist die Verteilung der 
Teilchen in der Atmosphäre eine äußerst gleichmäßige. Ich nahm an¬ 
fänglich an, in geschlossen umbauten Höfen, im Inneren der Baublöcke usw. 
werde die Zahl derselben größer sein, als etwa auf breiten Straßen, offenen 
Plätzen, wo auch schon durch sehr schwache Luftströmungen eine Luft¬ 
erneuerung bewirkt wird. Aber eine Reihe zu dem Zweck angestellter ver¬ 
gleichender Zählungen belehrte mich bald, daß meine Voraussetzung irrig 
war, zum mindesten für die Verunreinigungen, welche der Aitkensche 
Apparat zählt. Die Durchsetzung der Luft mit den Rauchgasen und sonsti¬ 
gen Verbrennungsprodukten ist offenbar eine so innige und gleichmäßige, 


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Beiträge zur Kenntnis der großstädtischen Luftverunreinigung usw. 407 


weil die Teilehen so außerordentlich klein Bind und durch den leisesten Luft¬ 
zug überall hingetragen und durcheinander gemischt werden. Nur in der 


Nähe itark rauchender Fabrikschornsteine, der Bahnhöfe usw., wenn gerade 
ein Luftlug den Qualm der Lokomotiven auf den Apparat zutrieb, traten 

erhebliche lokale Schwankungen auf. 

Ganz anders liegen die Verhältnisse bei starkem Wind. Die Rauch- 


und Dunstatmosphäre macht sich dann oft noch weit in der Umgebung der 


Städte, überall da, wo der Wind die Stadtluft hinweht, in einer Vergrößerung 
der Teilchenzahl gegenüber der Landluft bemerkbar. Die Zone der Stadt¬ 
luft reicht auf dieser Seite weit über das Stadtgebiet hinaus. Um¬ 
gekehrt reicht die Landluft auf der Seite, von welcher der Wind kommt, 


bis hart an die Stadt heran (s. die Zahlen von Wiesbaden und Hamburg) 


und verdünnt entsprechend die Luft der angrenzenden Stadtteile. Außer¬ 
halb der Stadt gelegene Plätze, Vororte, Villenkolonien usw. haben dem¬ 
nach je nach Windrichtung mehr die niederen Zahlen der Landluft oder 

die höheren der Stadtluft. 

Im übrigen schwanken die Zahlen an ein und demselben Orte je nach 
dem Witterungscharakter. Herrschte längere Zeit hindurch ruhiges wind¬ 
stilles Wetter, so sind sie hoch und können dann selbst in ziemlich kleinen 
Städten nicht unbeträchtliche Werte annehmen. Umgekehrt führen kräftige 
Winde die Rauchgase alsbald aus dem Weichbilde der Stadt heraus und 
lassen es nicht zu einer Ansammlung derselben kommen. Heftige Kegen¬ 
fälle reißen sie nieder und wirken so gleichfalls klärend und reinigend auf 
die Luft. 

Die angeführten Tatsachen zeigen, daß die Zahl der mittels des Appa¬ 
rates gezählten Kondensationskerne genau dem Bilde entspricht, wie wir 
es auch durch den Augenschein über die Intensität der Hauch- und Ku߬ 
plage erhalten. Wem wäre nicht schon bei windstillem Wetter die dichte 
graue Dunstwolke aufgefallen, welche über unseren Städten lagert und. 
namentlich von einem etwas entfernteren Standpunkt außerhalb gesehen, die 
ganze Stadt in einen gleichmäßigen, grauen Mantel einzuhüllen scheint, so 
dicht, daß es oft kaum mehr möglich ist, irgend welche Details zu erkennen. 
Nicht selten schneidet die Dunstmasse ganz scharf nach oben gegen den 
blauen Himmel ab und sind eben die Spitzen der Kirchtürme darüber zu 
erkennen. 

Bei schwachem Wind ändert sich das Bild insofern, als dann auf der 
Seite, wo der Wind herkommt, die Dunstwolke erst ganz allmählich die 
Stadt einhüllt, während sie sich auf der anderen Seite in Gestalt einer 
langen, grauen Rauchfahne oft meilenweit «über das Land hinaus er¬ 
streckt. Auf photographischen Totalansichten größerer Städte kann man 
nicht selten diese Rauchwolke als eine die Bildschärfe in der Kegel sehr be¬ 
einträchtigende Zugabe beobachten. Line eigens zur Demonstration der¬ 
selben gefertigte, sehr gelungene photographische Aufnahme Königsbergs, 
wo Dr. Ascher neuerdings eine energische Rauchbekämpfung veranlaßt hat, 
bringt der erste Bericht über die Bekämpfung des Rauches daselbst J )- Man 

*) Enter Bericht der KommissLn zur Bekämpfung des Rauches in Königs¬ 
berg i. Pr. 1907. Sonderabdruck aus den Schriften der physikalisch-ökonomischen 

Gesellschaft. 








408 


Dr. med. Wilh. Gemünd, 


sieht auf derselben auch sehi' schön die Verschiebung durch den leichten 
Ostwind, welcher am Tage der Aufnahme herrschte. 

äehrkräftige Winde, namentlich in Verbindung mit Regenschauern, 
zerreißen dagegen sehr bald den Dunstschleier. Selbst bei großen Städten 
kann dann unter Umständen die Luft über der Stadt rein und klar sein und 
iu ihrer Durchsichtigkeit kaum von der der Umgebung abweichen. 

Diese Betrachtungen zeigen, wie genau die Zahlen, welche der Apparat 
uns liefert, mit der Vorstellung übereinstimmen, welche wir schon durch den 
bloßen Augenschein von der Verteilung der Rauchpartikelchen gewinnen. 
Schon diese Übereinstimmung in Verbindung mit der Verschiedenheit der 
Zahlen von Stadt und Land, dem allmählichen Ansteigen von der Peripherie 
nach dem Zentrum hin usw. läßt folgern, daß die verschiedenen oben als 
Kondensationskerne angeführten Faktoren in der Stadtluft jedenfalls völlig 
zurücktreten gegenüber der einen Entstehungsursache derselben, welche mit 
der Verbrennung unserer Heizmaterialien, insbesondere der Steinkohlen, 
zusammenhängt. Die ganz überwiegende Mehrzahl der in der Stadtluft auf¬ 
tretenden Verunreinigungen sind wohl, ganz allgemein gesagt, Verbrennungs¬ 
produkte, nicht nur der industriellen, sondern ganz besonders auch 
der zwar kleinen, aber durch ihre Masse wirkenden Haushaltungs- 
feuerungen. 

Damit ist noch keineswegs im Einzelnen gesagt, um was es sich da 
alles handeln kann. Der größte Teil derselben wird vermutlich gebildet 
von den feinsten und allerfeinsten Ruß- und Kohlepartikelchen, besteht 
ja doch nach den vorliegenden Angaben der den Kaminen entströmende 
Rauch etwa zur Hälfte aus solchem gewöhnlich als Ruß bezeichneten 
Material. An zitierter Stelle J ) habe ich Angaben gemacht über Konden¬ 
sationskerne anderer Art, die den Rauchgasen entstammen, vor allem Flug¬ 
asche, also feinst verteilte, unbrennbare, mineralische Substanzen, welche 
durch die Feuergase mit emporgewirbelt werden und sich dem Rauch bei¬ 
gesellen. Fernerhin dürfte aber auch nicht ausgeschlossen sein, daß auch 
Verbrennungsprodukte gasförmiger Natur, so namentlich schweflige Säure, 
Salzsäure und Ammoniak, welche ja in nicht unbeträchtlicher Menge 
bei der Verbrennung unserer Steinkohlen auftreten, zur Bildung von 
Kondensationskernen Veranlassung geben können. 

Dies zeigt in anschaulicherWeise folgender von Emmerich 8 ) an¬ 
geführte Versuch. Füllt man je einen Glaszylinder mit Salzsäure und 
Ammoniak, verschließt dieselben durch eine Glasplatte und stellt sie der¬ 
art aufeinander, daß die Glasplatten sich decken, so kann man sehr leicht 
durch schnelles Wegziehen der Glasplatten den Inhalt der beiden Zylinder 
miteinander in Kommunikation bringen. Man sieht dann folgendes Bild: 
Dichter Nebel erfüllt plötzlich den Innenraum der Zylinder, bb sind das die 
feinen Partikelchen des durch die Vereinigung der beiden Gase entstehenden 
salzsauren Ammoniaks, welche zunächst in der Luft schweben und sich 
dann auf den Zylinderwandungen absetzen. Bei gleichzeitiger Anwesenheit 
von Wasserdampf wird der Nebel noch dichter. Es dienen daun oftenbrr 


') Gesundlieitsing. a. a. 0. 

*) Emmerich, Staub und Stadtnebel, a. a. 0. 


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Beiträge zur Kenntnis der großstädtischen Luftverunreinigung usw. 409 

die Partikelchen des salzsauren Ammoniaks als Kondensationskerne für den 
Wasserdampf. 

In ähnlicher Weise bildet sich beim Zusammentreffen von Ammoniak 
und schwefliger Säure bei Gegenwart von Wasser Ammoniumsulfat 
und ein äußerst dichter, feiner Nebel, in dem wieder die Ammoniumsulfat¬ 
partikelchen als Kondensationskerne dienen. Dieser Ammoniumsulfat¬ 
nebel ist wohl von großer Bedeutung für die Entstehung der Stadtnebel. 

Mit diesen Faktoren mag die Zahl der Substanzen, welche in der Luft 
im allgemeinen und in der Stadtluft im besonderen als Kondensationskerne 
für Wasserdampf dienen können, keineswegs erschöpft sein. Es gibt wohl 
noch manche, die sich unserer Kenntnis entziehen und über welche erst 
weitere chemische und physikalische Untersuchungen der Großstadtluft, der 
Verbrennungsprodukte usw. unserer Heizmaterialien Auskunft geben werden. 

Darauf kam es mir bei obigen Ausführungen auch nicht an. Sie sollten 
vielmehr dartun, daß die landläufige Bezeichnung des Aitken sehen Appa¬ 
rates als Staubzähler und der von ihm gezählten Partikelchen als Staub¬ 
teilchen nicht zutreffend ist. Er zählt, um es nochmals hervorzuheben, zu¬ 
nächst nur die Kondensationskerne, nicht aber etwa ausschließlich 
Staubpartikelchen, zum mindesten nicht, wenn man hierbei an Staub ira ge¬ 
wöhnlichen Sinne denkt, also etwa den Straßenstaub. 

Es wäre ja auch im höchsten Grade merkwürdig, wollte man sich z. B. 
vorstellen, daß in 1 ccm Pariser oder Londoner Luft bis 500 000 Staub¬ 
teilchen vorhanden sein könnten, vor allem aber, daß diese Teilchen der 
Zahl nach so konstant sind, während wir doch durch alltägliche Erfahrung 
wissen, wie außerordentlich der Staubgehalt der Straßenluft wechselt. 

Unter Staub im gewöhnlichen Sinne versteht man etwas ganz an¬ 
deres, als der Aitken sehe Apparat zählt, für gewöhnlich nur den an der 
Erd- bzw. Straßenoberfläche erzeugten Straßenstaub. Dieser ist über¬ 
wiegend mineralischer Beschaffenheit, er setzt sich ja vor allem aus 
Trümmern jener Gesteiusarten, aus welchen das Pflaster, die Bodenoberfläche, 
die Häuser, die Dächer bestehen, zusammen. Dazu kommt als Staub ani¬ 
malischer Herkunft zermahlener, getrockneter Pferdekot. Dieser Straßen¬ 
staub ist ziemlich schwer, besteht aus verhältnismäßig großen Partikel¬ 
chen und setzt sich demnach, wie schon der Augenschein lehrt, sehr schnell 
wieder ab, wenn er etwa durch Luftströmungen aufgewirbelt wurde. Dem¬ 
nach ist auch die Menge dieser Staubpartikelchen in der Luft innerhalb 
kurzer Zeiträume oft außerordentlich schwankend. 

Auch ich ging bei meinen Zählungen mit dem Ait ken sehen Apparat 
anfänglich von der Meinung aus, daß dieser gewöhnliche Straßeustaub zum 
mindesten die Zählungen mit beeinflusse, konnte mich aber bald überzeugen, 
daß davon kaum die Rede sein kann. Es war ganz einerlei, ob die Zählun¬ 
gen auf staubiger Straße, wo ab und zu dicke Staubwolken einherrollten, 
oder auf einem in der Nähe liegenden, mit Buschwerk bepflanzten Platz 
ausgeführt wurden, sofern nur beide Plätze innerhalb der gleichen 
Dunstzone der Stadt lagen. Das beweist ferner auch die außerordentliche 
Konstanz der mit dem Apparat erhaltenen Zahlen. Oft ergaben zehn Zäh¬ 
lungen hintereinander am gleichen oder auch benachbarten Ort das gleiche 
Resultat. Das ist nur erklärlich durch die äußerst gleich mäßige Mischung 


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410 


I)r. med. Wilh. Gemünd, 


und Verteilung der Verbrennungsprodukte (vermutlich als Folge der 
stets vorhandenen, wenn auch noch so schwachen Luftströmungen), anderer¬ 
seits dadurch, daß gegenüber ihrer außerordentlich großen Zahl die Partikel¬ 
chen des mineralischen Straßenstaubes gar nicht in Betracht kommen and 
demnach, seihst wenn sie bis in die Zählkammer gelangten, das Resultat 
kaum beeinflussen würden. Es scheint mir aber sehr fraglich, ob diese 
relativ großen und schweren Partikelchen wirklich bis in die Kammer ge¬ 
langen. Vermutlich setzen Bich dieselben schon vor dem Eintritt in dieselbe 
in dem Hahn und dem Rohr, welches zur Kammer hinführt, ab oder fallen 
doch sofort nach dem Eintritt in der Kammer nieder, noch ehe evakniert 
wird, und gelangen so gar nicht mit zur Zählung. Auf diese Weise kann 
man recht gut verstehen, daß die Resultate so wenig vom gewöhnlichen 
Straßenstaub beeinflußt werden. 

Der Aitkensche Apparat zählt also nicht den gewöhnlichen 
Straßenstaub und eignet sich deshalb auch nicht zur Beurteilung der 
Wirkung staubbindender Öle (Westrumit und andere), er zählt vielmehr nahe¬ 
zu ausschließlich die verschiedenen oben beschriebenen Verbrennungs¬ 
produkte, soweit sie zur Bildung von Kondensationskernen Veranlassung 
geben können. 

Will man aber absolut alle Verunreinigungen körperlicher Natur der 
Luft einfach als Staub bezeichnen, so muß man wenigstens zwei Arten 
streng unterscheiden, einmal den zuvor beschriebenen, der Straßenoberfläche 
entstammenden Staub, und andererseits den den Schornsteinen ent¬ 
stammenden, zuerst auf steigenden, dann in dem Maße, wie er sich abkühlt, 
ganz allmählich zu Boden sinkenden Staub, welchen man gewöhnlich als 
Rauch und Ruß bezeichnet. Nur diesen letzteren zählt der Aitken sehe 
Apparat. 

Seine Partikelchen verhalten sich auch in vieler Beziehung direkt ent¬ 
gegengesetzt wie die des Straßenstaubes. Sie sind außerordentlich fein, 
selbst mikroskopisch klein, bleiben infolgedessen längere Zeit, namentlich 
bei Windstille, in der Luft schweben und setzen sich nur sehr allmählich zu 
Boden, wohl deshalb, weil jedes Partikelchen sich mit einer feinen Luft- 
und Wasserdampfhülle umgibt, welche es trägt. Von fein verteilter 
Kohle ist ja bekannt , daß sie die Eigenschaft hat, an ihrer Oberfläche Gase 
zu adsorbieren. 

Bei diesem langen Verweilen in der Luft, dem allmählichen Nieder¬ 
sinken usw. ist den Luftströmungen genügend Gelegenheit gegeben, eine 
gleichmäßige Verteilung und Durchsetzung der Luft mit diesen Teilchen zu 
bewirken und so erklärt sich die außerordentliche Gleichmäßigkeit der Zähl¬ 
resultate innerhalb der gleichen Stadtzone. Andererseits befähigt gerade 
die außerordentliche Feinheit die Teilchen, bis in die Kammer des Apparates 
vorzudringen und hier so lange schwebend zu bleiben, bis sie bei der Eva- 
kuatiou mittels der Luftpumpe dem sich ausscheidenden Wasser als Kon¬ 
densationskerne dienen. 

Wir sehen also, daß der Aitkensche Apparat tatsächlich die den 
Schornsteinen entstammende Art der Luftverunreinigung, wie wir sie in 
ihrer Gesamtheit als Rauch- und Rußplage bezeichnen, zählt. Ob das nun 
feste oder nicht feste Kerne sind, ob es alle oder nur ein Teil derselben ist, 


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Beiträge zur Kenntnis der großstädtischen Luftverunreinigung usw. 411 

ist im allgemeinen ziemlich gleichgültig. Es kommt zunächst weniger 
darauf an, was der Apparat zählt, als darauf, daß sie mittels der von ihm 
erhaltenen Zahlen der Gesamtmenge der Verbrennungsprodukte parallel 
gehen und demnach mit der Rauch- und Rußplage zu- und abnehmen, uns 
also vergleichbare Werte geben. 

Das tun sie aber in vollkommener Weise. Alle die erwähnten Ver¬ 
brennungsprodukte in ihrer Gesamtheit bilden ja die graue Ruß- und Dunst- 
schicht, welche über unseren Städten schwebt. Sie dienen auch hier, ver¬ 
mutlich lange, ehe die Luft völlig mit Wasserdampf gesättigt ist, als 
Kondensationskerne und umgeben sich mit feinsten Wassertröpfchen, wo¬ 
durch die Undurchsichtigkeit der über den Städten lagernden Dunstschicht 
noch mehr gesteigert werden muß. ln gleicher Weise dienen sie auch im 
Aitke napparat als Kondensationskerne und "werden mit den niederfallenden 
Tröpfchen gezählt. 

Beim Durchlesen der Arbeit Rubners 1 ), welche mir erst nach Ver¬ 
öffentlichung meines Aufsatzes im Gesundheits-Ingenieur in die Hände kam, 
fiel mir folgender Satz auf: 

„Für die atmosphärischen Veränderungen in großen Städten sind die feinen 
Rußanreicherungen viel wichtiger als die lokale Entwickelung groben 8taubes. 
Ich glaube nicht, daß hier in Berlin der eigentliche Straßenstaub in hohem Maße 
zur Verunreinigung der höher liegenden Luftsohichten beiträgt oder an sich nebel¬ 
bildend wirkt. Gerade in trüben Monaten haben wir überhaupt keinen Straßen¬ 
staub, vielmehr nasse, feuchte Flächen, Schnee usw.“ 

Es zeigt sich in überraschender Weise, wie völlig die mittels des 
Aitkenschen Apparates erzielten Resultate mit den auf ganz anderer Beob¬ 
achtungsart beruhenden Folgerungen Rubners übereinstimmen. 

An zitierter Stelle a ) habe ich vorgeschlagen, den Apparat zur Be¬ 
urteilung der Intensität der Rauch- und Rußplage in all den Fällen zu ver¬ 
wenden, in denen es darauf ankomme, die Fehlerquellen zu vermeiden, welche 
bei bloßer Beurteilung nach dem Augenschein infolge der subjektiv ge¬ 
färbten Auffassung verschiedener Beobachter unvermeidlich sind. Ich führte 
dort aus: 

„ Bekanntlich entstehen nicht selten Klagen der Anwohner der 8tädte über die 
Rauchbelästigung von seiten einzelner, in der Nachbarschaft gelegener Industriewerke 
oder mit lebhafter Rauchentwickelung verbundener Gewerbebetriebe (Bäckereien 
z- B.). Es ist jedoch für den begutachtenden Sachverständigen außerordent¬ 
lich schwierig, hier in völlig unparteiischer Weise den tatsächlich vorhandenen 
Grad der Bauchbelästigung festzustellen. Nur dann, wenn sich in der Nachbar¬ 
schaft dieser Werke andauernd oder öfters eine wesentlich stärkere Rauchbelästigung 
bemerkbar macht wie in der übrigen Stadt, ist die Behörde berechtigt, dagegen 
vorzugeheD. Zu derartigen vergleichenden Beobachtungen würde der Aitkensche 
Staubzähler vielleicht ein geeignetes Mittel an die Hand geben. Es käme darauf 
»n, durch eine Reihe von Zählungen bei windstillem Wetter nachzuweisen, daß in 
der Umgebung der Werke tatsächlich eine starke Vermehrung der Kondensations¬ 
kerne statt hat. Das ist der sicherste Gradmesser für die Rauchbelästigung.“ 

Im übrigen demonstriert der Aitkensche Staubzähler in besonders 
schöner, augenfälliger Weise den Unterschied zwischen Stadtluft und 
Landlnft, was nicht nur für die Ärztewelt, sondern auch für jeden Laien 
von Interesse ist. Die ursprüngliche Vorstellung, daß es sieb bei der Stadt- 

*) A. a. O., S. 132. 

*) Gesundheits-Ingenieur, a. a. O., 8. 26. 


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412 


Dr. med. Wilh. Gemünd, 


luft um eine „verbrauchte“ Luft handele, mußte man bekanntlich fallen 
lassen, als man durch genaue Analysen erfuhr, daß in dem 0- und C0 a - 
Gehalt als wichtigsten der für diese Anschauung in Betracht kommenden 
Gase zwischen Stadt* und Landluft nur ein minimaler Unterschied bestehe. 
Zweifellos hat man ja wohl auch manches aufs Konto der Stadtluft ge¬ 
schrieben, was nicht dieser, sondern der gänzlich veränderten Lebens¬ 
weise der Stadtbewohner, vor allem ihrer Berufstätigkeit, die sie mehr 
oder weniger zu Stubenhockern macht, zuzuschreiben ist. Erst ziemlich 
spät haben Untersuchungen gezeigt, daß aber doch tatsächliche Unterschiede 
der beiderseitigen Luftarten bestehen, man hat z. B. die genannten Säuren 
in der Stadtluft bestimmt, ihren Rußgehalt dem Gewichte nach usw. (s. die 
Arbeiten Aschers und Rubners). 

Aber die geringen Werte’, welche sich da, z. B. auf 1 cbm berechnet, 
ergeben, sagen namentlich dem Laien sehr wenig, er kann sich kaum davon 
eine Vorstellung machen, und doch ist es dringend wünschenswert, daß 
auch das Laienpublikum Verständnis für die Schäden der großstädtischen 
Luftverunreinigung gewinnt, weil man seine Mithilfe bei der Bekämpfung 
derselben nicht entbehren kann. Die Haushaltungsfeuerungen spielen 
ja nach Angabe aller Autoren die wesentliche Rolle, hier muß also gleich¬ 
falls Abhilfe einsetzen. 

Von diesem Gesichtspunkte aus ist es sehr erfreulich, daß wir in dem 
Aitkensehen Apparate ein Mittel besitzen, welches jedermann die Unter¬ 
schiede zwischen Stadt- und Landluft in besonders augenfälliger Weise zeigt. 

Da nach meinen Ausführungen der gewöhnliche Straßenstaub nicht 
gezählt wird, es aber doch auch von Interesse ist, einen etwaigen Unterschied 
im Gehalt der Luft an diesen Staubpartikelchen kennen zu lernen, so will 
ich darauf hin weisen, daß in dieser Zeitschrift von Stich 1 ) eine Methode 
beschrieben wurde, welche ausschließlich oder doch ganz überwiegend 
die Partikelchen des Straßenstaubes, nicht aber den Rauch- und Rußgehalt 
der Luft zu zählen gestattet. Da dieses Verfahren also geradezu in direktem 
Gegensatz zu dem Aitken sehen Zählverfahren steht und andererseits eine 
wesentliche Ergänzung der Luftuntersucbung auf ihren Staubgehalt darstellt, 
so will ich unter Hinweis auf die genannte Arbeit nur kurz das Prinzip 
desselben beschreiben. 

Läßt man eine geschwärzte und in der Hitze verflüssigte Harzmasse 
allmählich an einem vor Erschütterung geschützten Ort erkalten, so erstarrt 
dieselbe mit einer absolut glatten, glänzenden Oberfläche, auf welcher auch 
die feinsten Staubteilchen außerordentlich leicht sichtbar sind, besonders 
aber, wenn die Oberfläche unter einem Winkel von etwa 33° von der Seite 
intensives Licht zugestrahlt erhält. Die Fläche mitsamt den Staubteilchen, die 
sich auf ihr abgesetzt haben, wird sodann direkt bei schwacher Vergrößerung 
unter dem Mikroskop angesehen. Es erscheinen bei der erwähnten Be¬ 
leuchtung die Staubteilchen als stark glänzende, licht brechende Punkte, so 
daß sie leicht gezählt werden können. Die Harzmasse läßt man zweck¬ 
mäßigerweise in kleinen, mit einem Deckel verschlossenen Schalen erstarren. 


l ) Dr. Konrad Stich, Eine neue Methode zur Bestimmung des Luftstaubes 
und ihre Verwendung. Vierteljahrsschrift f. öffentl. Gesundheitspflege 1904, S. 655. 


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Beiträge zur Kenntnis der großstädtischen Luftverunreinigung usw. 413 

Will man nun irgendwo eine Untersuchung des Staubgehaltes der Luft vor¬ 
nehmen, so stellt man eine solche Schale dort auf und entfernt für eine be¬ 
stimmte Zeit, im allgemeinen 10 Minuten, den Deckel. Dann schließt man 
wieder die Schale, bringt sie ins Laboratorium und zählt unter dem Mikro¬ 
skop mittels eines Okularmikrometers, wie viel Teilchen sich auf der Flächen¬ 
einheit, etwa 1 qcm, abgesetzt haben. 

Diese Methode gibt natürlich nicht die Gesamtmenge der in einem Luft¬ 
quantum enthaltenen Staubteilchen direkt an, sondern nur den relativ 
geringen und obendrein von der Luftbewegung sehr abhängigen 
Bruchteil, welcher sich in zehn Minuten absetzt. 

Diese Zahlen sind aber bei sonst gleicher Versuchsanordnung sehr wohl 
vergleichbar und somit zur vergleichenden Beurteilung der Luftverunreinigung 
zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten sehr wohl geeignet. 
(In der erwähnten Arbeit ist eine Anzahl derartiger Zahlen angeführt.) 

Diese Methode eignet sich demnach in hervorragender Weise zur Be¬ 
urteilung der Wirkung staubbindender öle (Westrumit usw.) auf Land¬ 
straßen, städtischen Straßen, in Turnhallen, Schulräumen usw. Bei der¬ 
artigen Zählungen handelt es sich ja gerade um die gröberen, an der 
Straßenoberfläche erzeugten Staubteilchen. Würden auch alle die 
feinen Rauch- und Rußpartikelchen gezählt, so würden gegenüber ihrer 
großen Zahl die Differenzen im Gehalt an Straßenstaub ganz verschwinden. 
Aber gerade der Umstand, welcher die überwiegend mineralischen Partikel- 
eben des Straßenstaubes verhindert, in die Zählkammer des Aitkensehen 
Apparates einzudringen, ihre Schwere und Größe, demnach ihre Eigenschaft, 
sich schnell in ruhender oder wenig bewegter Luft abzusetzen, bewirkt, daß 
dieses von Stich angegebene (ursprünglich von Vorn er herrührende) Ver¬ 
fahren dieselben zu zählen gestattet, während umgekehrt die feinen, lange 
Zeit in der Luft schwebenden Rauch- und Rußteilchen kaum mit zur Zäh¬ 
lang kommen können, weil sich nur die allerwenigsten von ihnen in der 
kurzen Zeit absetzen. 

Insofern bildet also das Stich-Vörnersche Verfahren, eine will¬ 
kommene und instruktive Bereicherung der Untersuchungsmethoden, welche 
uns den Staubgehalt der Luft bestimmen Bollen, da es fast nur den ge¬ 
wöhnlichen Straßenstaub zählt. Eine Reihe bedeutsamer Fragen auf dem 
Gebiete der Städtehygiene, z. B. die Wirkung der offenen und geschlossenen 
Bebauung auf den Staubgehalt der Luft im Inneren der Baublöcke, die Be¬ 
deutung des verschiedenen Pflastermaterials, der Bepflanzung öffentlicher 
Plätze mit Rasen, Buschwerk usw. für den Staubgehalt der Luft, dürften sich 
exakt nur mittels dieses Verfahrens beantworten lassen. Ich habe zurzeit 
mit solchen Untersuchungen begonnen und behalte mir vor, später darauf 
z urückzukommen. 

Nachdem nun im vorstehenden die Methoden und Zählresultate be¬ 
schrieben sind, welche bei Untersuchung der Stadtluft auf die beiden wesent¬ 
lich in Betracht kommenden Staubarten zur Anwendung kommen können, 
möchte ich im folgenden einige Betrachtungen anschließen über die gesund¬ 
heitliche Bedeutung, welche diesen beiden ihrem Ursprung, ihren physi¬ 
kalischen und sonstigen Eigenschaften nach so sehr verschiedenen Luftver¬ 
unreinigungen zukommt. 


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414 


Dr. med. Wilh. Gemünd, 


Um mit dem Staub in gewöhnlichem Sinne, dem Straßenstaub, za 
beginnen, so folgen schon aus der Art seiner Entstehung allerlei für unsere 
Gesundheit bedeutsame Eigenschaften. Er ist im wesentlichen zermahlener 
Gesteinsstaub, also mineralischer Beschaffenheit. Sieht man ihn unter 
dem Mikroskop an (am besten etwa 100fache Vergrößerung), so fällt einem 
sofort eine Anzahl scharfkantiger, Bpitziger Partikelchen auf. Daraus folgt 
seine Eigenschaft, bei Einatmung die Schleimhäute der Luftwege mechanisch 
zu reizen, indem sich diese scharfen Gesteinssplitter in die die Schleimhäute 
auskleidenden Epithelien und Endothelien einbohren und so kleine Ver* 
letzungen schaffen. Andererseits bedingt die Art seiner Entstehung, daß in 
demselben die verschiedensten Mikroorganismen enthalten sind. Alles, 
was an Unrat und Schmutzstoffen, Pferdekot, sonstigen menschlichen und 
tierischen Ausleerungen auf die Straßen gelangt, Substanzen, die im übrigen 
nach Menge und Beschaffenheit sehr verschieden sind je nach dem Stande 
der öffentlichen Reinlichkeitspflege, gesellt sich dem dort lagernden Staube 
hinzu, und die den Staub aufwirbelnden Luftströme sorgen dafür, daß alle» 
gründlich gemischt wird. 

Weiterhin ist bekannt, daß die Keime der Luft meist nicht isoliert sind, 
auch nicht an den ganz kleinen, den sogenannten Samenstäubchen haften, 
sondern meist an den gröberen und schwereren. Das hängt mit der Art 
und Weise zusammen, wie die Keime sich dem Staube beimachen. Die 
meisten derselben gelangen in mehr oder weniger flüssigen oder feuchten 
Substraten auf die Straßenoberfläche, z. B. im Harn, Kot, Auswurf usw. So¬ 
lange diese Stoffe noch genügend feucht sind, besteht nach den Unter¬ 
suchungen Flügges 1 ) keine Möglichkeit, daß die in ihnen enthaltenen 
Keime durch Luftströmungen, welche die normalen Geschwindigkeiten nicht 
übersteigen, in die Luft übergehen. Von nassen Flächen lösen sich Keime 
nicht« ab. Sind sie aber angetrocknet, ist das Material, an dem sie Jtjeben, 
also zumeist der Straßenschmutz, ebenfalls getrocknet, wird es weiterhin 
durch die Räder der Fuhrwerke, die Füße der Passanten usw. zenüaKlen, 50 
genügen sohon sehr geringe Luftströmungen, um diese Partikel mitsamt den 
an ihnen klebenden Keimen in die Luft zu erheben und herum zu wirbeln. 
Bei diesem Verhalten wird es äußerst selten Vorkommen, daß isolierte Keime 
frei in der Luft schweben, sie haften vielmehr an den Staubteilchen, an 
welchen sie zufällig angetrocknet sind und mit denen sie dann empor¬ 
gewirbelt wurden. So müssen wir einen Teil dieser Staubpartikelchen also 
auch als Träger von Mikroorganismen ansehen. 

Infolge dieser eigenartigen Beschaffenheit des StraßenBtaubes, vor allem 
seiner Schwere und demnach der Fähigkeit, sich rasch abzusetzen, ist ansa- 
nehmen, daß die meisten seiner Partikelchen sich bereits in den vordersten 
Luftwegen, bei normaler Nasenatmung also größtenteils schon innerhalb der 
Nase, absetzen, worauf dann das dieselbe auskleidende Flimmerepithel für 
ihre allmähliche Entfernung sorgt, oder man Bich durch Niesen derselben 
entledigt. Wenn man die Staubwolken einer Landstraße mit starkem Auto¬ 
mobilverkehr passiert hat und nachher kräftig die Nase putzt, ist man oft 
erstaunt zu sehen, welche Massen von Staub sich in dem vorgehaltenen 


') Flügge, Über Luftinfektion, Zeitschr. f. Hygiene, 27. Band, 1897. 


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Beiträge zur Kenntnis der großstädtischen Luftverunreinigung usw. 415 

Schnupftuch vorfinden. Die überwiegende Masse dieses Staubes wird also 
wohl ziemlich bald wieder in die Außenwelt befördert, wenigstens, wenn es 
sich um intakte Schleimhäute und nur zeitweilige Einatmung solchen Staubes 

handelt. 

Etwas anderes ist es natürlich bei den Staubarten, welche in manchen 
gewerblichen Betrieben erzeugt werden und früher, solange man dieselben 
nicht sofort mittels Exhaustoren an der Entstehungsstätte absaugte, sehr 
häufig zu den sogenannten Staubinhalationskrankbeiten führten. Aber da 
handelt es sich einmal um viel feineren Staub und weiter um eine viel länger 
dauernde, oft während der ganzen Arbeitszeit fortgesetzte und sich Tag für 
Tag wiederholende Einatmung desselben. 

In die tieferen Luftwege, die feinen Bronchien und die Lungenalveolen 
gelangt nach obigem wohl nur der allergeringste Teil des Straßenstaubes, 
höchstens die allerfeinsten Teilchen. Das sind aber gerade diejenigen, welche 
keine Keime tragen. 

Ob überhaupt und in welchen Mengen Krankheitskeime im Straßen- 
staub vorhanden sind, ist eine viel diskutierte und noch immer nicht ganz 
gelöste Frage. Die Ansicht der meisten Autoren geht wohl dahin, daß die 
Gefahr der Infektiosität des Straßenstaubes überschätzt worden ist. 
Die meisten pathogenen Keime gelangen doch nur in verhältnismäßig ge¬ 
ringer Menge in die Außenwelt und erfahren hier alsbald eine ungeheure 
Verdünnung, außerdem eine sehr erhebliche Austrocknung und mehr 
oder weniger starke Belichtung durch Sonnenlicht oder diffuses Tageslicht. 
Die beiden letzten Faktoren machen sich vor allem geltend, wenn das be¬ 
treffende Material bereits getrocknet, zerrieben und in die Luft geführt ist 
also zur Zeit, wo überhaupt erst die Infektionsmöglichkeit durch Einatmung 
beginnt. 

Am günstigsten lägen noch die Verhältnisse für Tuberkelbazillen, ein¬ 
mal weil sie in verhältnismäßig großer Menge produziert werden und anderer¬ 
seits gegen Austrocknung und Belichtung wesentlich widerstandsfähiger sind, 
als die meisten anderen pathogenen Keime. Immerhin hat man auch diese, 
die sogar durch das Tierexperiment verhältnismäßig leicht nachweisbar sind 
(men bringt etwas von dem zu untersuchenden Staub einem Meerschwein¬ 
chen unter die Haut; im Falle der Anwesenheit von Tuberkelbazillen geben 
die Tiere nach einiger Zeit an Tuberkulose zu Grunde), bei zahlreichen Unter¬ 
suchungen nur sehr selten gefunden, meist nur da, wo Tuberkulöse Gelegen¬ 
heit hatten, ihren Auswurf zu entleeren. (Flügge.) 

Andere pathogene Keime sind bisher im Straßenstaube noch nicht ein¬ 
wandfrei nachgewiesen worden. Nun könnte das ja allerdings darin be¬ 
gründet sein, daß bei dem gegenwärtigen Stande der bakteriologischen Unter¬ 
suchungsmethoden der Nachweis ganz vereinzelter pathogener Keime in 
Substraten, die außerordentlich reich sind an sonstigen Keimen, noch sehr 
schwierig und zeitraubend, in vielen Fällen wohl unmöglich ist. Aber auch 
statistische Untersuchungen über die Gesundheitsverhältnisse solcher Berufe, 
die viel der Einwirkung des Straßenstaubes ausgesetzt sind (Straßenkehrer, 
Droschkenkutscher), sprechen nicht sehr für die Infektiosität des Straßen¬ 
staubes. 







416 


Dr. med. Wilh. Gemünd, 


Damit soll selbstverständlich nicht gesagt werden, daß demselben nicht 
eine erhebliche gesundheitsschädliche Bedeutung zukomme. Aber die¬ 
selbe ist wohl in anderer Richtung zu suchen. Seine fortgesetzte Ein¬ 
atmung wirkt vor allem mechanisch reizend und verletzend auf die Schleim¬ 
häute der Nase, des Rachens usw. und schädigt das dieselben auskleidende 
Epithel. Wiederholen sich diese Einwirkungen tagtäglich, dann treten schlie߬ 
lich dauernde Veränderungen auf, die Regenerationskraft der Schleimhäute 
versagt, chronische Katarrhe treten auf und es kann wohl keinem 
Zweifel unterliegen, daß dadurch bei empfindlichen Individuen eine Disposi¬ 
tion für eine ganze Reihe von Infektionen geschaffen wird, indem durch 
die Verletzungen des Epithels Eingangspforten für etwaige patho¬ 
gene Keime gebildet werden, während die intakte Schleimhaut einen ziem¬ 
lichen Schutz gewährt. Dabei könnte man auch hier zunächst wieder daran 
denken, daß vor allem etwaige, an den verletzenden Staubpartikelchen haf¬ 
tende Krankheitskeime diesen Infektionsweg benutzen, aber nach obigem ist 
daB wenig wahrscheinlich, vermutlich handelt es sich mehr um Bolche Keime, 
die auf anderem Wege, etwa durch Nahrungsmittel, durch die Einatmung 
von Staub innerhalb geschlossener Wohnräume, namentlich von Kranken¬ 
zimmern, dorthin gelangt sind. Dem Wohnungsstaube kommt ja, was 
den eventuellen Gehalt an pathogenen Keimen anbelangt, eine wesentlich 
andere Bedeutung zu als dem Straßenstaub, einmal weil hier gegebenenfalls 
die Aussaat eine relativ größere ist, andererseits die Bedingungen für die Ab¬ 
tötung der Keime wesentlich ungünstiger liegen. Es können weder die Aus¬ 
trocknung noch das Licht in der Weise zur Einwirkung kommen, wie in der 
freien Luft draußen. Auch die sogenannte Tröpfcheninfektion nach Flügge 
durch beim Sprechen, Niesen, Husten herausgeschleuderte Speichel- oder 
Schleimtröpfchen entsprechend erkrankter Personen dürfte nennenswert nur 
in Wohn räumen in Betracht kommen. 

Es kann sich also sehr wohl auch in der Mund- und Nasenhöhle ge¬ 
sunder Personen eine ganze Zahl von Krankheitskeimen aufhalten, vielleicht 
viel häufiger, wie wir für gewöhnlich annehmen. Glücklicherweise führen 
dieselben aber meist nicht zur Infektion, weil das unverletzte Epithel einen 
ausreichenden Schutz gewährt. 

Die Bedeutung des Straßenstaubes dürfte also, um das zusammenfassend 
zu sagen, darin liegen, daß er (namentlich bei Personen mit empfindlichen 
Schleimhäuten) bei häufig wiederholter Einatmung in den Anfangsteilen des 
Respirations- und Digestionsapparates Verletzungen Bchafft, welche als Ein¬ 
gangspforten für etwa vorhandene Krankheitskeime dienen können. Auf 
diese Weise gibt er jedenfalls indirekt, wenn vielleicht auch selten direkt, zu 
Infektionen Veranlassung. Es ist also immerhin Grund genüg vorhanden, 
ihn nach Möglichkeit zu beseitigen. 

Wie steht es nun mit der anderen Art der Luftverunreinigung, den 
Rauch- und Rußpartikelchen, wie sie der Aitkensche Staubzähler 
zählt? Kommt auch ihnen eine gesundheitsschädigende Bedeutung zu und 
in welchen Faktoren ist dieselbe zu suchen? 

Um das zu verstehen, muß man sich ihrer außerordentlichen Feinheit er¬ 
innern, weiterhin ihrer großen Zahl und schließlich ihrer Abstammung au9 den 
Feuerungen, ihrer Herkunft als Verbrennungsprodukte der Kohlenfeuerungen. 


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Beiträge zur Kenntnis der großstädtischen Luftverunreinigung usw. 417 

Was das erste der angeführten Momente betrifft, so bedingt ihre außer¬ 
ordentliche Feinheit, daß wohl zweifellos ein sehr erheblicher Prozentsatz 
derselben mit der eingeatmeten Luft, zum mindesten bei kräftigen und tiefen 
Atemzögen, bei welchen die Inspirationsluft in lebhaftem Strome in die 
Atemwege eindringt, bis in die feinsten Verzweigungen der Bronchien und 
schließlich auch in die Lungenalveolen hineingelangt. Ein Teil derselben 
wird hier wohl, zumal wenn auf der Höhe der Inspiration eine Stauung des 
Luftstromes und schließlich bei Beginn der Exspiration eine Umkehr des¬ 
selben eintritt, auf den die Lungenalveolen auskleidenden Endothelien hängen 
bleiben. Der größte Teil wird aber wegen der außerordentlichen Feinheit 
der Teilchen mit der ausgeatmeten Luft wieder entfernt. Wenn nun auch 
der Bruchteil, welcher jedesmal zurückbleibt, noch so klein ist, so wird sich 
doch im Laufe von Jahren und Jahrzehnten bei denjenigen Personen, welche 
sich ständig in der Rauch- und Rußatmosphäre der Städte aufhalten, eine 
nicht unbeträchtliche Menge in den Lungen ansammeln. Die Teilchen werden 
nach und nach von den mit den Alveolen in Verbindung stehenden Lymph¬ 
gefäßen aufgenommen und dem interstitiellen Gewebe und den Lymphdrüsen 
am LungenhiluB, den sogenannten Bronchialdrüsen, zugeführt. So findet 
man denn auch sehr häufig bei den Sektionen solcher Personen eine völlig- 
Durchsetzung des Lungen ge web es mit Ruß und Kohlenstaub, welche 
in hochgradigen Fällen zu einer förmlichen Schwarzfärbung der Lunge führt 
(Anthrakosis nach Zenker). 

Kommt diesen Verhältnissen eine erhebliche gesundheitsschädliche Be¬ 
deutung zu? Nach der Häufigkeit derselben könnte man zunächst vermuten, 
daß die Schäden nicht sehr erhebliche sein könnten. Auch sind diese feinen 
Rußpartikelchen als steril anzusehen, sie kommen ja hochgradig erhitzt, 
also in vollkommen keimfreiem Zustande, aus den Schornsteinen und haben 
in der Luft kaum Gelegenheit, sich mit den noch fraglichen pathogenen 
Keimen derselben zu beladen. Infektiös sind also die Rußpartikelchen sicher¬ 
lich nicht. 

Ähnlich aber wie der Straßenstaub in den oberen Luftwegen, wirken 
diese Partikelchen in der Lunge mechanisch reizend. Auch bei ihnen 
kann man sich mittels des Mikroskops überzeugen (bei entsprechend stärkerer 
Vergrößerung), daß eine ganze Menge derselben scharfkantig und spitzig 
ist, und ihre Kleinheit ist nur eine scheinbare. Im Verhältnis zu den 
Alveolarendothelien besitzen Bie immer noch eine ganz ansehnliche Größe. 
Ähnlich wie man also vom Straßenstaub annehmen muß, daß er durch mecha¬ 
nische Reizung und Verletzungen Eingangspforten für etwaige Infektions¬ 
keime auf den Schleimhäuten der Nasen-, Mund- und Rachenhöhle macht, 
kann man das von den feinsten Rußpartikelchen für die Lunge tun. Ob 
und inwieweit das wirklich stattfindet, entzieht sich natürlich unserer 
Kenntnis, immerhin muß man damit rechnen. 

Ein sehr wesentliches weiteres Moment kommt hinzu. Viele dieser 
Teilchen sind nicht nur mechanisch reizend, sondern auch als chemisch 
reizend zu betrachten. In den Verbrennungsprodukten der Steinkohlen 
finden sich, wie bereits erwähnt, in nicht unbeträchtlichen Mengen schwef¬ 
lige Säure, Salzsäure, Ammoniak. Ein Teil derselben haftet wohl an 
den Rußpartikelchen der Luft. Es ist ja bekannt, daß fein verteilte Kohl«* 

Vierteljahrs schrift für Qesandheitipflege, 1908. 27 


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418 


Dr. med. Wilh. Gemünd, 


in hohem Maße die Fähigkeit besitzt, Gase, in Flüssigkeiten gelöste Stoffe usw. 
an ihrer Oberfläche zu absorbieren. Das geht aber auch mit aller Bestimmt¬ 
heit aus den Analysen des Rußes, wie er in den Städten fällt, hervor. So 
enthält nach Rubner 1 ) der Ruß, der in London fällt, 


Schwefelsäure.4,3 Proz. 

Salzsäure.1,4 „ 

Ammoniak.1,4 „ 


Das sind nun zwar die gröberen Rußpartikelchen (nur diese fallen im 
allgemeinen als Ruß), aber es ist kein Grund anzunehmen, daß die kleinen 
und kleinsten, wie sie bis in die Lungen gelangen, einen geringeren Gehalt 
an diesen Stoffen aufweisen. Auch sie beladen sich mit diesen die Körper¬ 
zellen hochgradig reizenden Substanzen und führen sie bis in die feinsten 
Lungenbläschen. Wenn sie hier auf den Endothelien hängen bleiben, ge¬ 
langen auch die von ihnen absorbierten Säuren in innige Berührung mit 
denselben und müssen in hohem Maße reizend und schädigend wirken. Man 
muß an diese Verhältnisse denken und damit die von Dr. Ascher gefun¬ 
dene und statistisch erwiesene Tatsache Zusammenhalten, daß in den Städten 
mit starker Rauch- und Rußplage die Sterblichkeit an akuten Lungen¬ 
krankheiten zugenommen hat und die Lungentuberkulose, wenn 
auch an Zahl geringer, so doch in den einzelnen Fällen schneller verläuft 
Dann wird man für seine Behauptung, daß die Zunahme der Rauch- und 
Rußplage die Ursache dieser Erscheinungen sei, volles Verständnis gewinnen. 
Wenn man sich klar macht, daß in der Luft der großen Städte bis 200 000 
feinste Partikelchen in einem Kubikzentimeter vorhanden, von diesen viel¬ 
leicht die Hälfte feinste Rußteilchen sind, daß diese als Träger schädlicher 
Gase, insbesondere schwefliger Säure auf treten, und bedenkt, daß die Ein¬ 
wohner solcher Städte fast fortgesetzt eine derartige Luft einatmen, so könnte 
man sich höchstens wundern, daß die Gesundheitsstörungen nioht noch er¬ 
heblicher sind. 

Schließlich kommt aber auch noch die physikalische Beschaffenheit 
der Rauch- und Rußpartikelchen in Betracht, bzw. die durch ihre Anwesen¬ 
heit bedingte Änderung wichtiger physikalischer Eigenschaften der Luft, 
welche für unser Wohlergehen bedeutsam sind. 

Reine, d. h. staub- und wasserdampffreie Luft ist diatherman, 
d. h. sie läßt Licht- und Wärmestrahlen passieren, ohne sich dabei, wenig¬ 
stens in den in Betracht kommenden Schichten, nennenswert zu erwärmen. 
Dementsprechend ist ja auch die Luft der Höhen im allgemeinen kalt und 
wird nach oben immer kälter, weil nach oben die Luft immer staubfreier 
wird. Dagegen sind die tieferen Luftschichten wärmer, weil sie bei direkter 
Berührung mit der durch die Sonnenstrahlen erwärmten Erdoberfläche gleich¬ 
falls Wärme aufnehmen. 

Enthält die Atmosphäre aber Staub und namentlich Wasserdampf, 
so wird ein sehr erheblicher Teil der Wärmestrahlen zurückgebalten, absor¬ 
biert. Die Hauptrolle spielt dabei der WasBerdampf (Hann 2 ). Dadurch 
erwärmt sich dann aber auch die Luft selbst, weil sich ihr die in den Staub- 


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') Rubner, Lehrbuch der Hygiene, S. 43. 
*) Hann, Lehrbuch der Klimatologie. 





Beiträge zur Kenntnis der großstädtischen Luftverunreinigung usw. 41!) 

teilchen und dem Wasserdampf aufgespeicherte Wärme mitteilt. Dadurch 
wird die Atmosphäre dann selbst zu einer Wärmequelle. 

Diese Verhältnisse sind sehr bedeutsam für unsere Wärmeabgabe 
und unsere Wärmeregulation. Abgesehen von der chemischen Wärme¬ 
regulation, welche darauf beruht, daß die Temperatur der uns umgebenden 
Medien vermutlich auf feine Nervenendorgane in der Haut wirkt und diese 
reflektorisch die Zersetzungen in den Muskeln, also die Wärmeproduktion 
beeinflussen, besitzen wir vor allem noch die physikalische Wärmeregu¬ 
lation. Diese wirkt durch Wärmeabgabe. Für letztere kommen drei ver¬ 
schiedene Möglichkeiten in Betracht. Einmal die Abgabe von Wärme durch 
direkten Kontakt (Leitung) an die umgebende Luft, solange die Tempe¬ 
ratur derselben niedriger ist als die der Körperoberfläche. Dabei steigt die 
erwärmte Luft auf und macht immer wieder kälterer Platz. Ferner die 
Wärmeabgabe durch Strahlung. Wie jeder warme Körper verliert auch 
der Mensch, wenn er sich in einer Umgebung befindet, die kühlere Tempe¬ 
ratur besitzt als er selbst, Wärme durch Ausstrahlung auch nach entfernten 
kühleren Gegenständen. Diese Wärmeabgabe setzt aber eine Durchlässig¬ 
keit der umgebenden Luft für Wärmestrahlen voraus und wird demnach 
um so geringer, je weniger diatherman die Luft ist, d. h. je mehr Staub¬ 
teilchen und Wasserdampf sie enthält. 

Endlich die Wärmeabgabe durch Wasserverdampfung von der Haut, 
welche Behr erheblich zur Abkühlung des Körpers beitragen kann. Sie be¬ 
ginnt meist erst ihre Wirkung zu entfalten, wenn die anderen Wege der 
Wärmeabgabe versagen (infolge zu hoher Lufttemperatur, erschwerter Aus¬ 
strahlung). Sie wird um so geringer, je höher der Gehalt der Luft an Wasser¬ 
dampf ist und gleich Null bei völliger Sättigung, weil dann das an der 
Hautoberfläche durch die Tätigkeit der Schweißdrüsen gebildete Wasser, der 
Schweiß, nicht verdunsten kann. 

Alle diese für unsere Wärmeregulation in Betracht kommenden Eigen¬ 
schaften der Luft werden durch die in so ungeheurer Menge in ihr ent¬ 
haltenen Rauch- und Rußpartikelchen erheblich beeinflußt. Man vergegen¬ 
wärtige sich nur, daß, um einmal nur geringe Zahlen zu nehmen, im Mittel in 
der Großstadtluft 100000 derartige Partikelchen, darunter vielleicht die 
Hälfte Rußteilchen sind. Nun besitzt aber gerade der Ruß ein außer¬ 
ordentliches Absorptionsvermögen für Wärmestrahlen. Allerdings 
ist die Gesamtmasse dieser Teilchen dem Gewichte nach sehr gering — nach 
Rubner 1 ) sind in 1 cbm Stadtluft durchschnittlich nur 0,140mg Ruß, zu¬ 
gleich ein Beweis für die außerordentliche Feinheit der im A itk e n-Apparat 
gezählten Teilchen — und die Wärmemenge, welche in denselben bei Sonnen¬ 
bestrahlung aufgespeichert werden kann, demnach ebenfalls nur sehr gering. 
Habei muß man aber noch berücksichtigen, daß diese Partikelcheu nicht nur 
selbst als kleinste Wärmemagazine auftreten, sondern sich auch schon in 
einer Atmosphäre, die noch keineswegs mit Wasserdampf gesättigt ist, mit 
einer Hülle von kondensiertem Wasser umgeben. Aitken 2 ) sagt darüber: 

,The dust in air begins to condense vapour, long before the air is cooled 
to the dust point. It seems probably, that in all States of humidity the dust has 

') A. a. O. 8. 367. 

*) Nature, vol. 41, p. 394. (Referat.) 

27* 


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420 


Dr. med. Wilh. Gemünd, 


-ome moisture attached to it, and that, as the humidity increases, the load of 
moisture increases with it.“ 

Diese Wasserdampfhülle wirkt natürlich ebenfalls absorbierend anf 
Wärmestrahlen, so daß bei Sonnenschein ein sehr erheblicher Teil der 
Sonnenstrahlung durch die Rauch- und Rußatmosphäre der Städte 
absorbiert wird, Tatsachen, die ja durch die verschiedensten Beobachter 
schon mehrfach bestätigt sind. 

Während also reine, staubfreie Luft nahezu diatherman ist, verliert die 
Luft der Großstädte in dem Maße, wie sich die Rauch- und Rußplage in 
ihnen bemerkbar macht, immer mehr diese Eigenschaft. Außerdem wird 
sie im Hochsommer an sonnigen Tagen selbst zu einer Wärmequelle, 
indem durch die intensive Sonnenbestrahlung die Rußteilchen und ihre 
Wasserdampfhüllen hochgradig erhitzt werden. Nach den Beobachtungen, 
die über die Erwärmung dunkeln Bodens unter dem Einfluß der Sonnen¬ 
bestrahlung auftreten und selbst in unserem Klima Temperaturen bis 55° C 
ergeben haben, kann diese Erwärmung recht hochgradig werden, sicherlich 
Temperaturen von 60° und selbst 70°C erreichen. Wenn nun auch diese 
Wärme immer wieder rasch an die umgebende Luft abgegeben wird, so 
speichern andererseits die Rußteilchen dieselbe immer wieder von neuem 
auf, geben sie wieder ab und so fort und schweben so als winzige, aber in 
angeheurer Menge vorhandene kleinste Heizkörper in unserer Atmosphäre. 
So speichern sie fortwährend Sonnenwärme auf und geben sie an die um¬ 
gebende Luft ab, ähnlich wie ein Ofen die von der Feuerung stammende 
Wärme an die Zimmerluft abgibt. 

Durch diese Verhältnisse wird die mit Rauch und Ruß geschwängerte 
Luft der Großstädte im Hochsommer zur Zeit intensiver Sonnenbestrahlung 
nicht nur eines erheblichen Teiles ihrer Diathermanität beraubt, sondern 
auch selbst mehr und mehr erwärmt, sie wird in viel höherem Maße zu 
einer Wärmequelle, als das in reiner staubfreier Luft der Fall ist. 

Daß diese Verhältnisse für die Wärmeabgabe unseres Körpers, der dann 
ohnehin unter dem Einfluß der sommerlichen Hitze leidet, sehr erschwerend 
wirken, ist wohl selbstverständlich. Die Abgabe durch Leitung ist erschwert, 
weil die Luft selbst erwärmt ist, um so mehr, je mehr Rußteilchen sie ent¬ 
hält, die Abgabe durch Strahlung ist behindert, weil die Diathermanität der 
Luft gleichfalls herabgesetzt ist, und die Wasserverdampfnng von der Haut 
bleibt als einziger wirksamer Faktor, wenn nicht etwa auch der Feuchtig¬ 
keitsgehalt der Luft ein erhöhter ist. 

Aber auch, wenn das nicht der Fall ist, immer bedeutet die fortgesetzte 
Schweißproduktion für unseren Körper einen viel angreifenderen Modus, 
einer Überhitzung vorzubeugen, als die Wärmeabgabe durch Leitung und 
Strahlung bei kühler, diathermaner Luft. 

Daraus folgt, daß die schwüle, drückende Beschaffenheit der 
Stadtluft im Sommer durch die besprochenen Verhältnisse sehr erheblich 
gesteigert werden muß. Das Gefühl der Schwüle ist ja im wesentlichen ein 
Ausdruck der erschwerten Wärmeabgabe, also der Beginn einer Wärme¬ 
stauung in unserem Körper. 

Dieses Wärmegefühl, unser sogenanntes Temperaturgefühl, hängt 
ja bekanntlich keineswegs nur von der Lufttemperatur ab, sondern von 


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Beiträge zur Kenntnis der großstädtischen Luftverunreinigung usw. 421 

einer ganzen Reihe von Faktoren, vor allem aber davon, ob die Wärme¬ 
abgabe der Wärmezufuhr entsprechend leicht von statten geht. Wenn wir 
z. B. bei starker Sonnenhitze in der Sonne wandeln, erfahren wir auf der 
der Sonne zugewandten Körperseite eine starke Erwärmung, eine Wärme¬ 
zufuhr, welche aber leicht kompensiert wird durcli eine entsprechende Wärme¬ 
abgabe auf der entgegengesetzten Seite an die Luft, wenn dieselbe kühl 
und wärmedurchlässig ist, wobei auch die Wärmeausstrahlung nach dem 
kalten Weltenraume in Betracht kommt. Besonders stark prägen sich diese 
Verhältnisse aus auf hohen Bergen in der reinen Höhenluft, wo trotz inten¬ 
sivster Sonnenstrahlung die Lufttemperatur selbst infolge der Reinheit der 
Luft gering und ebenso die Ausstrahlung von der Schattenseite des Körpers 
unbehindert ist. Niemals kommt es dann zu einem Gefühl der Wärme¬ 
stauung, der Schwüle. Höchstens kann es nötig werden, daß mau den Rock 
ablegt, einmal weil dieser die Wärmestrahlen absorbiert und deshalb, wenn 
er auch zunächst als schlechter Wärmeleiter die Wärmestrahlen vom Körper 
abhält, schließlich doch die in ihm aufgespeicherte Wärme an denselben ab- 
gibt, und andererseits, weil er auf der Schattenseite des Körpers die kompen¬ 
sierende Wärmeabgabe durch Leitung, Strahlung und Wasserverdunstung 
sehr erschwert. Solange wir unter den geschilderten Verhältnissen mit 
dem Rock bekleidet bleiben, sagt unser Temperaturgefühl als Ausdruck der 
beginnenden Wärmestauung, daß es unerträglich heiß und schwül sei. 
Legen wir dann aber den Rock ab, so wird sofort die Wärmeabgabe derart 
erleichtert, daß auf der Schattenseite unseres Körpers infolge der sehr 
energischen Wärmeentziehung geradezu Frostgefühl eintreten kann. Unser 
Temperaturgefühl sagt, es ist kühl, und doch hat sich an den äußeren 
Faktoren nichts geändert. 

Während also ein Mensch draußen in der reinen Landluft, noch mehr 
im der staubfreien Gebirgsluft, durch Ablegen seines Rockes seine Wärme¬ 
regulation in den Stand setzen kann, einer Überhitzung infolge intensiver 
Sonnenbestrahlung vorzubeugen, erreicht ein Mensch in der Sonnenhitze der 
sommerlichen Großstadtatmosphäre damit viel weniger. Auch er erleichtert 
dadurch seine Wärmeabgabe, aber einer weiteren Hülle kann er sich nicht 
entledigen, die gleichfalls die Wärmeabgabe erschwert, das ist die beschriebene 
Rauch- und Rußschicht, die Gesamtheit aller die Luft erfüllenden Ru߬ 
partikelchen und ihrer Wasserdampfhüllen. Diese Hülle kann nicht beliebig 
abgelegt werden, sie breitet sich wie ein gleichmäßig grauer, dichter 
Mantel über die Stadt aus, macht die Luft wärmer und undurchlässiger. 

Daß diese höhere Wärme der Stadtluft bei den üblichen Messungen der 
Lufttemperatur, welche zur Vermeidung des Einflusses der Sonnenstrahlung 
nur die Schattentemperatur messen, nicht zum Ausdruck kommen kann, ist 
klar. Denn sie kann ja nur dort sich zeigen, wo direkt die Sonnenstrahlen 
auf die in der Luft schwebenden Rußteilchen auftreffen, aber bei einem hier 
aufgestellten Thermometer würde der Einfluß der Sonnenstrahlung auf die 
Quecksilberkugel die durch die erhitzten Teilchen bewirkte Temperatur¬ 
erhöhung verdecken. Gleichwohl zeigen aber auch schon die Luft- bzw. 
Schattentemperaturen zwischen dem Inneren der Großstädte 
und ihrer ländlichen Umgebung unter Umständen einen recht 
erheblichen Unterschied, wie verschiedentlich nachgewiesen wurde. 


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422 


Dr. med. Wilh. Gemünd, 


So betont Berlewitz *), daß die Stadt Berlin gegenüber den benach- 
barten Stationen Norddeutschlands wesentlich höhere Temperaturbeobach¬ 
tungen aufweise, daß es sich in bezug auf seine Wärmeverhältnisse gewisser¬ 
maßen wie ein geheizter Ofen verhalte, und aus seinen Tabellen geht hervor, 
daß die Temperaturdifferenzen der Innenstationen und der 10 und 16 km 
außerhalb der Stadt gelegenen Außenstationen bis zu 5° betragen. Das sind 
aber Schattentemperaturen, wie viel mehr würde sich dieser Unterschied 
noch ausprägen, wenn bei den Messungen auch der Einfluß der Sonnen¬ 
strahlung auf die rauchgeschwängerte Atmosphäre sich geltend machen könnte. 

So wenig zuverlässige Angaben also auch über diese Werte zu erhalten 
sind, so kann man doch wohl mit Bestimmtheit annehmen, daß die Luft durch 
die Gegenwart der zahlreichen Rußpartikelchen und ihrer mutmaßlichen 
Wasserdampfhüllen unter dem Einfluß der Sonnenbestrahlung wärmer wird, 
da dann ihre Erwärmung nicht nur an der Erdoberfläche, Bondern auch an 
diesen erwärmten Teilchen erfolgt. Des weiteren, daß die Wärmeabgabe 
unseres Körpers durch diese Verhältnisse erschwert ist, weil durch dieselben 
ja auch die Wärmedurchlässigkeit der Atmosphäre ungünstig beeinflußt wird. 
Das prägt sich umgekehrt auch darin aus, daß die Rauch- und Rußatmosphäre 
einen erheblichen Bruchteil des Sonnenlichtes und der Sonnenwärme zurück¬ 
hält und diesen dem innerhalb derselben lebenden Städter entzieht. Dafür 
bringt Ascher in seiner letzten Arbeit 8 ) treffende Belege. Es kann keinem 
Zweifel unterliegen, daß all diese Faktoren zusammen sich zum mindesten 
für unser Temperaturgefühl sehr bemerkbar und so die sommerliche Hitze 
oft geradezu unerträglich machen. 

Dazu kommt noch als weiterer erschwerender Faktor, daß unter dem 
Einfluß längerer Sonnenscheindauer auch das Pflaster, die Gebäude¬ 
mauern usw. sehr hohe, oft die Körpertemperatur weit übersteigende 
Temperaturen annehmen, wie man sich schon durch bloßes Auflegen der 
Hand überzeugen kann, so daß der Körper auch von diesen, statt Wärme an 
sie abzugeben, noch Wärme zugestrahlt erhält. Sind die Gebäudemauem, 
das Pflaster usw. aber einmal erwärmt, so behalten sie auch nach dem 
Untergang der Sonne, oder wenn sie in den Schatten kommen, noch lange 
die aufgespeicherte Wärme bei und erwärmen ihrerseits wieder die mit ihnen 
in Berührung tretende Luft und die in ihr schwebenden Rußteilchen. So 
kann dann auch zur Nachtzeit oder im Schatten keine rechte Abkühlung 
der Luft erfolgen. Dieser Umstand macht sich ganz besonders bei ge¬ 
schlossener Bauweise, in geschlossenen Innenhöfen usw., wo die 
Luft stagniert, bemerkbar. 

Endlich ist wohl selbstverständlich, daß es auch für unsere Luftwege und 
die Lunge nicht einerlei sein kann, ob wir eine relativ kühle, staubfreie Luft 
in dieselbe einführen oder ob dieselbe beladen ist mit zahlreichsten kleinen, 
hochgradig erhitzten Rußteilchen, wenn wir jetzt einmal ganz von ihrer 
vorher besprochenen Fähigkeit, mechanisch und chemisch zu reizen, abaehen 
wollen. Was wir da atmen, ist eben keine reine Luft mehr, Bondern eine 
solche, die tausende winzige Heizkörper trägt und bis in die feinsten Lungen- 


') Paul Berlewitz in: „Das Wetter“ 1890, Heft 5. 
*) Diese Zeitschrift 1907, S. 664. 


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Beiträge zur Kenntnis der großstädtischen Luftverunreinigung usw. 423 

bläschen hineinführt. Diese geben dann auf dem Wege dorthin ihre Wärme 
an die Schleimhäute der Luftwege ab. Wenn demnach unsere Dichter von 
dem Gluthauch der Großstädte reden, so ist etwas Wahres daran. Es ist 
zur Zeit des Hochsommers oft eine tatsächlich hochgradig erwärmte und mit 
stark erhitzten Teilchen beladene Luit, die wir dort in unsere nach Ab¬ 
kühlung verlangenden Lungen einführen. 

Wie aus den vorstehenden Betrachtungen hervorgeht, sind diese Ände¬ 
rungen der physikalischen Beschaffenheit der Luft infolge der zahlreichen 
in ihr schwebenden, mittels des Aitken sehen Apparates zählbaren Partikel¬ 
chen keineswegs unwesentlich für uns. Mir scheint, als habe man bei der 
Würdigung der gesundheitlichen Bedeutung der Rauch- und Rußplage bisher 
diese physikalischen Verhältnisse sehr wenig beachtet und allzu sehr nur 
an die chemische Beschaffenheit, den Bakteriengehalt, die Durchsetzung mit 
dem gewöhnlichen Straßenstaub usw. gedacht. 

Daß eine fortgesetzte Erschwerung der Wärmeabgabe bei gleichzeitig 
gesteigerter Zufuhr selbst dann zu Störungen unseres Wohlbefindens führen 
muß, wenn auch noch durch Schweißabsonderung und die folgende Wasser¬ 
verdunstung von der Haut abgeholfen werden kann, ist anzunehmen. Man 
braucht sich nur der bekannten Versuche Rubners zu erinnern, nach denen 
stets, wenn durch irgendwelche Temperatureinflüsse unsere Wärmeregulation 
aufs äußerste angespannt wird, stets sehr lebhafte Störungen des Allgemein¬ 
befindens auftreten. 

Inwieweit nun solche fortgesetzten Erschwerungen und Störungen der 
Wärmeabgabe, wie sie unter den geschilderten Verhältnissen im sommer¬ 
lichen Großstadtklima auftreten, die fortwährende Inanspruchnahme der 
Schweißbildung usw. schädigend wirken, ist ja schwer festzustellen. Wir 
können aber annehmen, daß dieselbe Ursache, die in starker Intensität plötz¬ 
lich heftige Störungen hervorbringt, bei geringerer Intensität, aber längerer 
Dauer doch auch ähnliche, wenn auch allmählicher und weniger heftig auf¬ 
tretende Störungen setzt. 

„Leben wir doch“, nach Rubner 1 ), „in einem Zeitalter, in welchem die 
Kenntnisse chronischer Wirkungen ungünstiger, äußerer Einwirkungen in den An¬ 
fängen der Erkenntnis stehen und dem Forscher stets noch immer die grobsinnige, 
schnell wirkende Störung den Gesichtskreis trübt. Von den allerwenigsten Ein¬ 
flüssen wissen wir zahlengemäü, welche Nachteile eine monate- und jahrelange 
Einwirkung besitzen, was zur Folge hat, daß man überhaupt solchen Wirkungen 
wenig Interesse entgegenbringt.“ 

Mit den vorstehend besprochenen Verhältnissen ist übrigens die Ände¬ 
rung der physikalischen Beschaffenheit der Großstadtluft, wie sie durch die 
Rauch- und Rußpartikelchen bewirkt wird, keineswegs erschöpfend dar¬ 
gestellt. Eine weitere, sehr wesentlich in Betracht kommende Eigenschaft 
derartiger Luft ist ihre Neigung zur Bildung von Nebel, dem so¬ 
genannten Stadtnebel. 

Über diese Stadtnebel, d. h. die Fähigkeit der mit Rauchgasen ge¬ 
schwängerten Luft, Nebel zu bilden, auch wenn in der Umgebung der Städte 
kein Nebel auftritt, ist in den letzten Jahren sehr viel veröffentlicht worden, 
und die Arbeiten Aschers und Rubners bringen weiteres Material zu 

*) Archiv f. Hygiene 57, 329. 


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424 


Dr. med. Wilh. Gemünd, 


dieser Frage. Ich kann mich daher unter Hinweis auf diese darauf be¬ 
schränken, hier kurz einige Andeutungen darüber zu machen, in welchem 
Lichte diese Nebelbildung auf Grund der Aufschlüsse erscheint, welche uns 
die Luftuntersnchung mittels des Aitkenschen Staubzählers ergibt. 

In vielen Städten mit starker Rauch- und Rußplage kann man beob¬ 
achten, daß sehr häufig im Inneren der Städte dichter, dicker Nebel lagert, 
während in der weiteren Umgebung, dort, wo sich noch die reine Landluft 
vorfindet, völlig nebelfreie Luft ist. Diese Erscheinung findet sich namentlich 
im Winter bei schöner, beständiger Witterung, also zur Zeit hohen Barometer¬ 
standes bei ruhiger, windstiller Luft. Am bekanntesten sind die Londoner' 
Nebel; sie haben zuerst die Aufmerksamkeit weiterer Kreise erweckt. Aber 
auch bei uns in deutschen Großstädten sind sie längst nicht mehr unbekannt 
So sind namentlich für Hamburg und Berlin solche Beobachtungen ge¬ 
macht worden. 

Ich selbst hatte jahrelang Gelegenheit, in München diese Verhältnisse 
zu beobachten. München hat erst eine halbe Million Einwohner, ist ziemlich 
weiträumig gebaut und liegt auf einer den Winden sehr ausgesetzten Hoch¬ 
ebene. Gleichwohl macht sich dort, namentlich im Winter, die Rauchplage 
recht bemerkbar, vor allem als Folge der minderwertigen und sehr schwefel¬ 
haltigen bayerischen Grobkohle, die dort überwiegend gebrannt wird. Sehr 
häufig machen sich auch dort im Winter diese eigentümlichen Stadtnebel 
bemerkbar. Die Bewohner der Stadt befinden sich zur Zeit derselben den 
ganzen Vormittag, nicht selten auch den ganzen Tag in einer gelbbraunen 
Nebelschicht, so dick und schwer, daß man unmöglich auch nur ahnen kann, 
daß darüber ein blauer, wolkenloser Himmel sich breitet. Mit Staunen er¬ 
fährt man von Leuten, die von auswärts in die Stadt kommen, daß draußen, 
schon >/a Stunde außerhalb der Stadt, das herrlichste, klarste Frostwetter 
herrsche bei absolut wolkenlosem Himmel; nur von der Stadt sehe man 
draußen nichts, die sei in eine dunkelbraune Dunstwolke gehüllt. Dieser 
Zustand dauerte manchmal 8, selbst 14 Tage an. 

Was ein solcher Verlust an Sonnenschein in dem ohnehin sonnen&rmen 
Winter bedeutet, ist begreiflich. Bilden sich doch diese Nebel gerade bei 
an und für sich guter Wetterlage, wo man noch am ehesten auf Sonnen¬ 
schein rechnen könnte. Setzt dann schließlich anderes Wetter ein, reißen 
heftige Winde den Dunstschleier auseinander, so folgt nicht selten längere 
Zeit dauerndes Regenwetter, die Stadtbewohner sind zwar vom Nebel befreit, 
müssen aber gleichwohl wiederum der Sonne entbehren. 

Bebber 1 ) bringt eine Tabelle über diese Nebeltage in Hamburg, ver¬ 
glichen mit Sylt und Helgoland. Einige Zahlen daraus führe ich an, weil 
sie in ganz besonders augenfälliger Weise diese Verhältnisse demonstrieren. 

Zahl der Tage mit Nebel: 


September 

| Oktober j 

November 

Dezember 

Januar [ 

Februar 

in Helgoland . 

1,0 

0,9 

2,9 

6,3 

6,3 

5,6 

auf Sylt . . . 

2,6 

4,0 

5,7 

8,6 

7,7 

7,1 

in Hamburg . 

. , 12,4 

14,3 

17,0 

18,9 

18,0 

15,2 


') Bebber, Hygienische Meteorologie, S. 158. 


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Beiträge zur Kenntnis der großstädtischen Luftverunreinigung usw. 425 

Im ganzen Jahr hatte Helgoland 39,4, Sylt 43,2, Hamburg 
126,4 Nebeltage. 

Daß diese Stadtnebel aufs engste mit der Rauch- und Rußplage Zu¬ 
sammenhängen, ist selbstverständlich. Man muß annehmen, daß die große 
Zahl der Kondensationskerne dabei eine Rolle spielt. Nun können ja 
gewiß Nebel sich auch in einer an Kondensationskernen viel ärmeren Luft 
(Landluft, Hochgebirgsluft) bilden, aber die große Zahl der in der Stadluft 
vorhandenen Kerne und ihre eigentümliche physikalische Beschaffenheit 
scheint die Nebelbildung zu erleichtern. 

Aitken hat nacbgewiesen, daß der Staub in der Atmosphäre den 
Wasserdampf zu verdichten beginnt, lange bevor die Luft bis zu dem Tau¬ 
punkt abgekühlt ist. Namentlich aber bilden feine Rußpartikelchen gut 
ausstrablende und daher sich leicht abkühlende feste Punkte in der 
Atmosphäre, um welche sich dann der Wasserdampf kondensiert, auch ohne 
daß die Temperatur der Luft schon entsprechend erniedrigt ist. 

In sehr anschaulicher Weise hat Rüssel 1 ) diese Nebelbildung in den 
Städten dargestellt. Er betont, daß morgens die Feuerherde der Großstadt 
ungeheure Rauchmengen und Verbrennungsgase, welche Kohleteilchen mit¬ 
führen, in die Luft schicken. Sobald sich diese Partikelchen auf Luft¬ 
temperatur oder noch unter dieselbe abgekühlt haben, setzen sich die schon 
vorhandenen Wassertröpfchen und neuerdings kondensierter Wasserdampf 
an sie an. Hat sich aber einmal eine Nebelschicht auf diese Weise gebildet, 
so hindert diese die Sonnenstrahlen, die tieferen Schichten zu erwärmen. 
Im Gegenteil strahlt der Nebel Wärme gegen den Himmel und den oft 
kälteren Erdboden, Kohle hat ein großes Strahlungsvermögen, die Kohle¬ 
teilchen kühlen sich ab und kondensieren auf sich den Wasserdampf. 

Wenn man die große Zahl der mittels des Aitkenschen Apparates 
gezählten Kerne bedenkt und auf sie obige anschauliche Schilderung 
Rüssels anwendet, versteht man leicht den engen Zusammenhang zwischen 
Rauchplage und Stadtnebel. 

Schließlich noch einige Worte über die Beseitigung der Rauch- 
und Rußplage. Über diesen Gegenstand sind in den letzten Jahren ja 
eine Unmenge von Veröffentlichungen erschienen. Was zunächst die so¬ 
genannten kleinen Mittel anlangt, also bessere Schulung der Heizer, Auf¬ 
sicht durch Rauchinspektoren, Anwendung geprüfter Heizvorrichtungen, 
rauchverzehrende Feuerungen, Verwendung von Koks usw., so herrscht 
wohl Einstimmigkeit darüber, daß dadurch wohl eine Abminderung der 
Rauch plage erfolgen kann, wie es z. B. nach Aschers Bericht in manchen 
englischen Städten tatsächlich erfolgt ist, daß aber damit niemals eine 
radikale Beseitigung des Übels erzielt werden kann. Solange überwiegend 
Kohle gefeuert wird, wird in größeren Städten, selbst bei denkbar bester 
Feuerung, immer eine, wenn auch vielleicht geringere Rauchplage sich be¬ 
merkbar machen. 

Als radikales Mittel ist deshalb von den verschiedensten Seiten vor¬ 
geschlagen worden, die Kohle ganz auB den Städten zu verbannen und nur 
Gas in denselben zur Verbrennung gelangen zu lassen. Da dieser Vorschlag 


') Zitiert aus: Hann, Handbuch der Klimatologie, S. 82. 


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426 


Dr. med. Wilh. Gemünd, 


vielleicht in nicht allzu ferner Zeit in der einen oder anderen Stadt zur Aus¬ 
führung gelangen dürfte, möchte ich die diesbezüglichen Vorschläge Arthur 
J. Martins 1 ), welche er auf dem englischen Kongreß für Rauchverhütung 
in WeBtminister im Dezember 1905 gemacht hat, und welche auch die 
finanzielle und technische Möglichkeit der Sache berühren, kurz hier er¬ 
wähnen. 

Auch er geht von dem Gedanken aus, daß nur durch billiges Gas die 
starke Rauchentwickelung Londons vermindert werden könne. Dies billige 
Gas lasse sich am besten dadurch beschaffen, daß man die Kohle bereits auf 
den Zechen vergase und das komprimierte Gas nach London drücke. Er 
schlug dazu vor, das Gas auf den Kohlenfeldern Yorkshires zu erzeugen 
und mittels einer Stahlrohrleitung unter hohem Druck nach London zu 
schaffen. Er berechnet, daß zurzeit die Transportkosten der Kohle nach 
London jährlich alles in allem ungefähr 180 Millionen Mark ausmachteu. 
Dagegen würden die gesamten jährlichen Ausgaben für Kapitalinteresse, 
Abschreibung und Betriebskosten bei einer entsprechenden Versorgung mit 
Gas in dem von ihm vorgeschlagenen Sinne nur 41 Millionen, also ein 
Viertel der jetzigen Transportkosten ausmachen. Dadurch könne man den 
Gaspreis in London außerordentlich herabsetzen, und außerdem sei man in 
der Lage, Kleinkohle und Kohlenstaub zu vergasen, der jetzt nutzlos ver¬ 
geudet würde. 

Man sieht, daß derartige Projekte also technisch und finanziell sehr 
wohl begründet sind und ihrer Übersetzung in die Praxis demnach unüber¬ 
windliche Schwierigkeiten nicht mehr entgegentreten können. Eine andere 
Frage ist allerdings die, ob denn tatsächlich bei einer ausschließlichen Ver¬ 
brennung von Gas in den Städten die geschilderten Verhältnisse der gro߬ 
städtischen Luftverunreinigung völlig abgestellt werden. 

Daß die dicken, dunkeln Rauchwolken, wie sie jetzt noch immer zeit¬ 
weilig den Schornsteinen entströmeu, damit verschwinden werden, ist selbst¬ 
verständlich. Aber man braucht nur unsere jetzigen Leuchtgasflammen 
genau anzusehen, um zu finden, daß gewisse Rußmengen, auch bei sorg¬ 
fältigster Regulierung, immer noch auftreten. Die Flammen der modernen 
Gasöfen z. B. verbrennen alle mit leuchtender Flamme, dieses Leuchten 
beruht aber darauf, daß sich in der Flamme feinstverteilter Kohlenstoff aus¬ 
scheidet, welcher zur Weißglut erhitzt wird, und man kann sich davon leicht 
überzeugen, wenn man etwa einen Porzellanteller über die Flamme hält 
Es setzt sich dann auf demselben der Ruß ab. Aber auch die nicht leuch¬ 
tende Flamme des Bunsenbrenners liefert Teilchen, welche als Kondensationa- 
kerne dienen können, wie man ohne weiteres erfährt, wenn man mit dem 
Aitkenschen Apparat Luft, welcher die Verbrennungsprodukte eines Bunsen¬ 
brenners zugemischt sind, untersucht. Emmerich machte in dem erwähnten 
Vortrage 2 ) bereits darauf aufmerksam, daß bei der sogenannten „unvoll¬ 
kommenen Verbrennung“ eben eine geringere Zahl größerer Rauchteilchen 
gebildet wird, welche durch die stärkere Hitze einer „vollkommen ver¬ 
brennenden“ Flamme in eine weit größere Zahl kleinerer Teilchen zer- 

') Zitiert nach einem Referat im Jahrb. f. Gasbel. u. Wasserversorgung 1906. 
S. 152. 

*) A. a. 0. 


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Beiträge zur Kenntnis der großstädtischen Luftverunreinigung usw. 427 

splittert wird. Es scheint also, daß auch bei der denkbar vollkommen¬ 
sten Gasfeuerung eine Unmenge von Partikelchen in die Luft überführt 
wird, die, wenn sie auch vielleicht mikroskopisch klein sind, doch als 
Kondensationskerne für Wasserdampf dienen können. Dadurch würde 
die Atmosphäre aber doch wieder eine Reihe der vorher besprochenen Eigen¬ 
schaften annehmen, selbst wenn ihr direkt grobsichtbare Rauchmassen nicht 
zugeführt würden. Die Frage, ob mit der Einführung der ausschließlichen 
Gasbeleuchtung und Heizung (abgesehen von Elektrizität) die Luft unserer 
Städte tatsächlich von allen Verunreinigungen, welche man jetzt als Rauch- 
und Rußplage bezeichnet, befreit würde, dürfte also noch nicht mit aller 
Bestimmtheit beantwortet werden können. 

Also vielleicht wäre selbst die Gasfeuerung noch kein radikales Mittel 
gegen die Rauchplage. Um so interessanter dürfte es sein, daß in den 
letzten Jahren ein Verfahren vorgeschlagen wurde, welches nun tatsächlich 
in der denkbar radikalsten Weise die Beseitigung der Rauch plage bewirken 
würde. Da dasselbe noch wenig bekannt ist, möchte ich es der Vollständig¬ 
keit halber hier noch kurz erwähnen, selbst wenn es, vorläufig wenigstens, 
in das Gebiet utopischer Zukunftsgedanken gehört. 

Es ist der Vorschlag des Wiener Ingenieurs Konta 1 ), die Abgase der 
gesamten Feuerungen einer Stadt nach einem Zentrum zu schaffen und dort 
unschädlich zu machen. Dazu soll eine Anlage dienen, die in ihren Haupt¬ 
teilen aus einem durch alle Straßen verzweigten Rohrnetz mit Anschlüssen 
in jedes Haus und aus einer Kraftstation besteht, welche für die Absaugung 
der Rauchgase sorgt. Statt die Verbrennungsprodukte in die Luft zu leiten, 
sollen sie also unterirdisch fortgeführt und in geeigneter Weise unschädlich 
gemacht werden, wobei die in dem Rauch noch verwertbaren Nebenprodukte 
zu gewinnen wären. In dem betreffenden Referat des Gesundheits-Ingenieurs 
heißt es zum Schluß, daß diese sonderbare Idee keine Verwirklichung finden 
werde, sei sicher. 

Das wird man wohl für die nächste Zeit und die Mehrzahl der Städte 
sicherlich zugeben müssen. Warum aber in einer ferneren Zeit eine Stadt, 
wie beispielsweise London, das so außerordentlich durch die Rauch- und 
Rußplage, bzw. die durch sie hervorgerufenen Nebel leidet, nicht schließlich 
doch einmal zu diesem denkbar radikalsten Mittel greifen soll, zumal wenn 
vielleicht alle anderen Mittel versagen, ist doch nicht recht einzusehen. 
London leidet nicht nur gesundheitlich, wie in England längst bekannt ist, 
unter seinem berüchtigten Nebel, sondern auch finanziell, indem für Be¬ 
leuchtung und Sicherung der Straßen während desselben erhebliche Auf¬ 
wendungen gemacht werden müssen, ganz abgesehen von dem außerordent¬ 
lichen Verkehrshindernis, welches derselbe bedeutet und welches sich schlie߬ 
lich auch in Geldwert bzw. Geldverlust umrechnen läßt. 

Zurzeit können wir absolut nicht übersehen, wie viele andere große 
Städte noch bei weiterer Ausdehnung demselben Schicksal entgegentreiben 
wie London. Wir können gegenwärtig nicht einmal beurteilen, ob die 
enorme Entfaltung städtischen Lebens bereits ihren Höhepunkt erreicht hat 
Nimmt die Vergrößerung der Städte aber noch immer weiter zu, so kommt 


l ) Gesundheits-Ingenieur 1905, 8. 574. 


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428 


Dr. med. Wilh. Gemünd, 



es mit der Zeit von selbst im Inneren derselben zu einer immer dichteren 
Grundausnutzung durch intensivere Bebauung, höhere Stockwerkzahl usw., 
damit zu einer Vermehrung der Feuerstätten auf der Flächeneinheit, ganz 
abgesehen von denen, welche in den an der Peripherie neu entstehenden 
Stadtteilen hinzukommen, und die Rauch- und Rußplage wird immer inten¬ 
siver werden. 

Möglich ist ja allerdings auch, daß diese Entwickelung bereits ihren 
Höhepunkt erreicht hat, daß der Zug von der Stadt hinaus aufs Land, 
wie er sich bei vielen Angehörigen der besser situierten und in der W&bl 
ihres Wohnsitzes ziemlich unabhängigen Stände bereits heute recht bemerk¬ 
bar macht, immer weitere Kreise erfaßt, daß das Prinzip der Dezentrali¬ 
sation der Städte in Verbindung mit der Gartenstadtbewegung und 
den Versuchen, die Produktion der Industrieerzeugnisse auf das Land hinaus 
zu verlegen und nur den Verkauf in den Städten zu belassen, allmählich zu 
einer völlig anderen Gestaltung unserer Großstädte führen wird. Etwa in 
dem Sinne, daß an Stelle einer großen, dicht besiedelten und baulich zu¬ 
sammenhängenden Millionenstadt verschiedene kleinere Städte traten, die 
zwar ein Gemeinwesen und einen Verwaltungsbezirk bilden, räumlich aber 
so weit voneinander getrennt sind, daß größere Strecken Ackerlandes, Wald- 
und Wiesenflächen, Parks usw. zwischen denselben liegen, während durch 
Schnellbahnen für rasche und häufige Verbindung gesorgt wird. Ein Ver¬ 
hältnis, wie es schon heute zwischen manchen Orten und ihren weit in die 
Natur hinaus vorgeschobenen Vororten, Villenkolonien und später wohl auch 
Gartenstädten besteht. 

Das sind ja Entwickelungsmöglichkeiten, die bereits lebhaft diskutiert 
werden, alle aber noch sehr im Schoße der Zukunft liegen. Sollte dagegen 
die Entwickelung der Großstädte im heutigen Sinne noch viel weiter gehen, 
so wird sich sicherlich mancherorts das dringende Bedürfnis nach einer 
radikaleren Beseitigung der Rauch- und Rußplage geltend machen, als sie 
zurzeit möglich ist, und dann wird man doch vielleicht noch einmal auf 
die Kontaschen Vorschläge zurückgreifen müssen. 

Daß ein derartiges Projekt in unserer Zeit technisch oder finanziell 
unmöglich sei, wird wohl kaum jemand behaupten wollen. Auch an dem 
Erfolg könnte man nicht zweifeln. Eine radikalere Beseitigung der Rauch- 
und Rußplage ist undenkbar. Nicht nur werden keinerlei Verbrennungs¬ 
produkte in die Luft geführt, es werden auch noch tausende von Kubikmetern 
Luft täglich aus der Stadt abgesaugt, welche durch frische Luft aus der 
Umgebung und den höheren Schichten ersetzt werden, also nebenbei noch 
eine Ventilation der Stadt im Großen bewirkt. Diese frisch zuströmende 
Luft erwärmt sich in der Stadt, erhält dadurch ein größeres Sättigungs¬ 
defizit und ihre relative Feuchtigkeit wird geringer. Abgesehen von der 
Entfernung der Kondensationskerne findet also auch noch eine Verminderung 
des zweiten für die Nebelbildung in Betracht kommenden Faktors, der 
relativen Feuchtigkeit, statt. Eine derartig entrußte und ventilierte Stadt 
würde weniger Nebel aufzuweisen haben, als die Umgebung. 

Mit diesem Überblick über die gegen die Rauchplage vorgeschlagenen 
Mittel will ich meine Ausführungen schließen. Dieselben haben vielleicht 
gezeigt, welch instruktive Einblicke in die Natur der großstädtischen Luft- 


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Beiträge znr Kenntnis der großstädtischen Luftverunreinigung usw. 429 

Verunreinigung die Untersuchungen mittels des Aitkensehen Staubzählers 
und die sich daran anschließenden Schlußfolgerungen ergeben. Und so 
hoffe ich bei der geringen Beachtung, welche diese Methode bisher in Deutsch¬ 
land gefunden hat, auch dem Kenner der Rauch- und Rußplage einiges Neue 
gebracht zu haben. 

Wie auf vielen anderen Gebieten der Hygiene, wird es auch auf dem 
in den letzten Jahren erst erschlossenen Gebiet der Lufthygiene gehen. 
Wenn erst einmal das Verständnis für die gesundheitlichen Schäden, welche 
die andauernde Luftverunreinigung durch die Rauchgase mit sich bringt, in 
immer weitere Kreise gedrungen ist, wenn die Überzeugung sich Bahn 
bricht, daß etwas geschehen müsse, finden sich auch mit der Zeit die Mittel 
dazu. In diesem Sinne das Verständnis für die Bedeutung und das Wesen 
der großstädtischen Luftverunreinigung fördern zu helfen, war der Zweck 
vorstehender Ausführungen. 


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430 


R. Wehmer, 


Hygienische Rückblicke aus England. 

Von E. Wehmer in Berlin. 


Im Anschlüsse an den zweiten internationalen Kongreß für Schulhygiene 
und den achten internationalen Wohnkongreß zu London im August d. J., 
über den in dieser Vierteljahrsschrift (Bd. 39, Heft 4, S. 779) bereits be¬ 
richtet ist, wurden vom Berichterstatter eine Anzahl hygienisch wichtiger 
Einrichtungen besichtigt, über welche in einem Vortrage „Hygienisches 
aus England und Schottland“ in der „Deutschen Gesellschaft für 
öffentliche Gesundheitspflege“ (vgl. Hyg. Rundschau 1908, Nr. 2) bereits einem 
größeren Kreise im allgemeinen berichtet ist. 

Da dieser Bericht aus nahehegenden Gründen kurz gehalten werden und 
viele wichtige Punkte unberührt lassen mußte, so mögen hier über einige, sonst 
in dieser Vierteljahrsschrift seltener behandelte Gegenstände ausführlichere 
Schilderungen folgen, da diese vielleicht manchen Lesern Interesse bieten 
dürften. 

1. Gefängnisse. 

Wenn auch, soweit uns bekannt geworden, die großbritannischen Ver¬ 
hältnisse den unserigen, was die Hygiene anbetrifft, wesentlich neue grund¬ 
sätzliche Anregungen zu bringen nicht mehr vermögen, so bieten sie doch 
immerhin manches Bemerkenswerte und von unseren Verhältnissen Ab¬ 
weichende. 

Die Bauten sind meist elegant und gleichen oft, z. B. Holloway in 
London und das große Gefängnis in Edinburgh, alten Schlössern, 
obwohl sie lediglich zu Gefängniszwecken gebaut wurden, sind auch von reich¬ 
lichen grünen Gärten und Erholungsplätzen im Innern der Mauern um¬ 
geben. — Die inneren Einrichtungen, insbesondere die fächerförmige An¬ 
lage sog. panoptischer Flure, entsprechen durchaus denjenigen moderner 
hiesiger Gefängnisse (z. B. Moabiter Strafanstalt, Gefängnis im Polizei- 
Dienstgebäude in Berlin); nur ist in englischen (nicht in schottischen) Ge¬ 
fängnissen oberhalb des untersten Stockwerkes der durch mehrere Stock¬ 
werke reichenden Flure, an deren Seiten an Gallerien die Zellen liegen, 
ein starkes Drahtnetz auf gespannt, das etwa sich von oben herabstürzende 
Selbstmörder auffangen soll. — Über innere Einrichtungen wird unten die 
Rede sein. 

Aus den Gefängnisordnungen und Vorschriften für die Gefangenen, die 
im allgemeinen sonst mit den unserigen übereinstimmen, sei als eigenartig 
das System der stufenweise auf steigenden Klassen — etwa mit 
den einst üblichen „Sittenklassen“ auf den Schulen vergleichbar — hervor¬ 
gehoben. Mittels guter „Punkte“, welche der Gefangene für sein Ver¬ 
halten und seine Leistungen erhält, wird ihm ermöglicht, nach Erwerbung 


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Hygienische Rückblicke aus England. 


431 


einer gewissen Punktezahl ans der ersten Strafklasse allmählich in die drei 
höheren zu steigen, und so sein anfangs härteres Los allmählich sich erträg¬ 
licher zu gestalten. 

Je nach der von jedem Gefangenen geleisteten Arbeit erhält er täglich 
sechs bis acht Punkte; der arbeitsfreie Sonntag wird mit der Durchschnitts¬ 
zahl der Wochentagspunkte ebenfalls in Rechnung gestellt. 

Es bestehen vier Klassen, und jeder Gefangene hat diese oder so viele 
derselben, als sein Strafmaß gestattet, durchzumachen. 

Er hat mit der ersten Klasse zu beginnen und hat so lange darin zu 
verweilen, bis er sich 28 X 8 oder 224 Punkte erworben hat; er verbleibt 
in der zweiten Klasse, bis er weitere 224 Punkte oder 448 im ganzen, in 
der dritten Klasse, bis er noch weitere 224 Punkte oder im ganzen 672 Punkte 
erworben hat. In der vierten Klasse hat er bei weiterem guten Verhalten 
während der ganzen noch übrig bleibenden Strafzeit zu verweilen. 

Ein Gefangener, dessen Strafmaß 28 Tage oder weniger beträgt, hat 
diese ganze Zeit in der ersten Klasse zu verbringen. 

Ein zu Strafarbeit verurteilter Gefangener (entsprechend unseren 
Zuchthausgefangenen) in der ersten Klasse (wenn er nicht ein jugendlicher 
Verbrecher ist) soll: a) täglich in strenger Isolierung mit schwerer körperlicher 
oder schwerer Handarbeit nicht mehr als zehn oder weniger als sechs Stunden, 
ausschließlich der Mahlzeiten, beschäftigt werden; b) während der ersten 
14 Tage ohne Matratze schlafen (gilt aber nicht für männliche Gefangene 
unter 16 und über 60 Jahre und nicht für weibliche Gefangene); c) keine 
Geldvergütung erhalten; d) mit Büchern zwecks religiösen und geistigen 
Unterrichts versehen werden. 

Ein Gefangener in der zweiten Klasse: a) wird mit weniger schwerer 
Arbeit und wenn tunlich in Gemeinschaft mit anderen beschäftigt; b) kann 
sich eine, 1 sh nicht übersteigende, Vergütung erwerben; c) kann außer 
den religiösen und sonstigen Unterrichtsbüchern ein Buch aus der Bibliothek 
geliehen erhalten, welches einmal die Woche umgetauscht wird; d) erhält 
Schulunterricht, falls er unter den Vorschriften, die von Zeit zu Zeit betreffs 
des Unterrichts Gefangener erlassen werden, dazu geeignet ist. 

Die Vergütung in dieser Klasse an einen Gefangenen, dessen Strafzeit 
nicht lange genug ist, um 224 Punkte darin zu erwerben, kann ihm im 
Verhältnis von 1 Penny für je 20 Punkte gut gebracht werden. 

In der dritten und späteren vierten Klasse treten hierzu weitere Ver¬ 
günstigungen, wie Schreiben von Briefen, Empfang von Besuchen von 20 
bzw. 30 Minuten langer Dauer, Erwerbung einer kleinen Geldsumme unter 
gewissen Voraussetzungen, wobei 10 Punkte als 1 Penny gerechnet werden. 
Für weibliche Gefangene sind ähnliche Bestimmungen und einige andere 
Vergünstigungen, z. B. bezüglich der Kost, vorhanden. 

Gefangene, die nicht zur Strafarbeit verurteilt sind, entsprechend unseren 
gewöhnlichen Gefängnisinsassen, können für trotzdem geleistete Arbeit 
allerlei Vergünstigungen sich erwerben. 

Für Trägheit, unerlaubtes Sprechen — es soll Stillschweigen beobachtet 
werden — wie sonstige Disziplinwidrigkeiten treten zuerst Strafen ein, die 
durch Entziehung guter Punkte, Entziehung von Vergünstigungen und 
Zurüokversetzung in eine frühere Klasse geahndet werden. Dann folgen die 


Dii 


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432 


R. Wehmer, 


auch sonst in Deutschland üblichen Strafen, wie Arrest, Dunkelarrest mit 
Nahrungs Verminderung, im äußersten Falle auch als Körperstrafe Peitschen¬ 
hiebe; doch soll von letzterem Strafmittel kaum je und von den anderen 
auch nur selten Gebrauch gemacht werden, ein Beweis für die in den Ge¬ 
fängnissen herrschende gute Disziplin. 

Das früher viel berufene Arbeiten in den Tretmühlen ist vor einiger 
Zeit gesetzlich abgeschafft. Immerhin ist aber auch das jetzt noch neben 
anderen Arbeitszweigen übliche Werg- und Manilazupfen eine an sich wenig 
hygienische Arbeit. — Auch das anfängliche Schlafen auf einer Holzpritsche, 
die nur von einer leichten Wolldecke bedeckt ist, und die erste dürftige 
Diät, auf die weiter unten einzugehen sein wird, Maßnahmen, die in den 
ersten Wochen der Strafzeit und bei schlechter Führung den Gefangenen 
auferlegt werden, um erst später einer besseren Behandlung (Schlafen auf 
einer Seegrasmatratze mit Laken, bessere Diät) Platz zu machen, sind eigent¬ 
lich unhygienisch. Freilich darf man dabei nicht vergessen, daß in erster 
Linie der Strafzweck kommt, und daß die ärmste Bevölkerung draußen vielfach 
dauernd unter noch viel ungünstigeren Bedingungen ihr Leben fristet. 

Dagegen ist man, wie mir mitgeteilt wurde, und wie ich in den von 
mir besuchten Anstalten zu beobachten Gelegenheit hatte, von vielen Einzel¬ 
heiten der streng durchgeführten Isolierhaft ahgekommen. Wenn auch die 
Gefangenen zum großen Teile und besonders ir der Nacht, in Einzelzellen 
gehalten sind, so werden doch Masken nicht mehr angewandt, und auch 
die käfigartigen Einzelspazierhöfe sind dort beseitigt worden. Beim 
Spazierengehen werden gemeinsame Höfe benutzt, in denen die Gefangenen 
in bestimmten Abständen voneinander zu gehen haben; die Aufseher stehen 
sowohl in der Mitte wie seitlich, z. B. in Wormwood Scrubbs in London, 
auf kleinen steinernen Postamenten, von denen sie die Gefangenen besser 
beobachten können. 

Im Unterrichte, für den übrigens teilweise nur kleinere Räume vor¬ 
handen waren, sowie in der Kirche, sitzen die Gefangenen nebeneinander, 
ohne Trennungswände, Mißstände sollen nicht vorgekommen sein. In 
Edinburgh sitzen die Männer im Schiff, die von dort nicht sichtbaren Frauen 
im Chor der Kirche. 

Die sehr großen Spazierhöfe machen durch ihren Rasen, ihr grünes 
(niedrig gehaltenes) Strauchwerk und ihre Blumen einen sehr freundlichen 
Eindruck. In einigen Gefängnissen, z. B. in dem Londoner Frauen ge fängnisse 
Holloway, wird auch Unterricht im „Drill“, in körperlichen Übungen, erteilt, 
eine vom gesundheitlichen Standpunkte aus sehr anzuerkennende Maßnahme. 

Was die sonstige Körperpflege betrifft, so erhalten die Gefangenen 
sofort bei ihrer Aufnahme ein warmes Bad, wobei sie auf Ungeziefer, Vor¬ 
handensein ansteckender oder entstellender Krankheiten u. dgl. untersucht 
werden und ihre Zivilkleidung mit der Anstaltskleidung vertauschen müssen. 
— Die Kleider werden dann in trockener Luft von 240° F (= 112° C) be¬ 
handelt, ein Verfahren, das allerdings nur Ungeziefer und Bakterien, aber 
nicht deren Sporen abzutöten vermag. 

Kranke sind durchweg gut gehalten und werden, sobald erforderlich, 
in besondere Kranken säle gebracht, wo sie entsprechende bessere Verpflegung 
erhalten. Bei besonders ernsten Erkrankungen, z. B. zum Zwecke größerer 


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Hygienische Rückblicke aus England. 


433 


Operationen, werden sie unter Bewachung von zwei Schutzleuten nach einem 
entsprechenden Krankenhause gebracht, in dem dann für solche Fälle be¬ 
sonders sichere Räume mit vergitterten Fenstern und besondere Bewachung, 
unter Umständen durch einen alle sechs Stunden abgelösten Schutzmann, 
vorgesehen ist. 

Von allen Todesfällen wird dem Coroner in England Mitteilung 
gemacht, der eventuell durch einen von ihm zugezogenen beliebigen Arzt, 
— die Medical officerB of healthtun dies nicht—, eine gerichtliche Obduk¬ 
tion vornehmen läßt, um festzustellen, ob auch bei seiner Behandlung 
nichts versehen und ob sein Tod in der gemeldeten Weise erfolgt ist. 

Aus einer dem Verfasser mitgeteilten Diätübersicht für Zuchthaus¬ 
gefangene (Prisoners sentenced to hard labour and offenders of the third 
division) sei hier einiges angeführt. — Dazu sei bemerkt, daß die „Unze“ 
etwa = 30g und die Pinte etwa = 1 / a Liter ist; „Porridge“ (Grütze) ist 
eine dem verwöhnteren deutschen Gaumen wenig zusagende, in England 
und Schottland aber sehr beliebte bräunliche Hafergrützsuppe. 


Diät A Diät B I Diät C 

(Strafform, höchstens 3 Tage) (höchstens 4 Monate) (für langfristige Gefangene) 



Täglich: 


Brot .... 

8 Unz. 

8 Unz. 

Brot .... 

8 Unz. 

8 Unz. Brot .... 

8 Unz. 

8 Unz. 

Grütze . . . 

1 Pint 

1 Pint 

Grütze . . . 

1 Pint 

1 Pint Grütze . . . 

1 Pint 

— 






j Tee .... 

— 

1 Pint 




Sonn 

tag: 




Brot .... 

8 Unz. 

0 Unz. 

Brot .... 

8 Unz. 

0 Unz. Brot .... 

0 Unz. 

8 Unz. 

Suppe . . . 

1 Pint 

1 Pint 

Kartoffeln . 

8 n 

8 „ ^ Kartoffeln . 

12 , 

8 „ 




Kochfleisch . 

4 „ 

3 „ Kochfleisch . 

5 „ 

* - 


Montag: 

I " I ! ! 

Brot .... 8 Unz. i 6 Unz. ' Brot .... 8 Unz. 6Unz.| Brot . . . . | 6Unz. 8 Unz. 

Kartoffeln . 8 „ , 8 „ 1 Kartoffeln . 8 „ 8 „ Kartoffeln . 12 „ 8 „ 

Bohnen . . 10 „ 8 „ Bohnen . . 12 „ jlO „ 

Speck . . . 2 „ 1 „ Speck ... 2 , j 2 „ 

Dienstag: 

Brot. . . . 8 Unz. 6 Unz. Brot. . . . 6Unz. 0Unz. Brot. . . . 6Unz.j 6Unz. 

Grütze ... 1 Pint 1 Pint Kartoffeln . 8 „ 8 „ Kartoffeln . 12 „ 8 „ 

! Suppe ... 1 Pint 1 Pint' Suppe ... 1 Pintj 1 Pint 

Mittwoch: 

Brot .... 8 Unz. 6 Unz. 1 ! Brot .... 6 Unz. 6 Unz. Brot .... I 6 Unz. I 6 Unz. 

Süß. Pudding 8 , 6 „ , Kartoffeln . 8 „ 8 „ Kartoffeln . 12 „ | 8 , 

j j 8üß. Pudding 10 B 8 „ Süß. Pudding 12 „ |10 „ 

Viorteljahrsichrift tür Gesundheitspflege, 1908. 28 


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Abendessen Mittagessen Mahlzeiten 


434 


R. Wehmer, 


Diät A , Diät B DiätC 

(Strafform, höchst. 3 Tage) ! (höchstens 4 Monate) |i (für langfristige Gefangene) 


1 

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Frauen und 

Jugendliche 

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Frauen und 
Jugendliche 


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Donnerst« 

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Brot . . . 

8 Cnz. 

6 Unz. 

! Brot .... 

6 Unz. 

6 Unz. 

Brot.... 

6 Unz. 

6 Unz. 

Kartoffeln . 

8 „ 

8 „ 

| Kartoffeln . 

8 „ 

8 ’ 1 

' Kartoffeln . 

12 . 1 

8 , 




Gek. Rindfl. 



Gek. Rindfl. 




| 


ohneKnoch. 

4 , 

3 „ 

ohneKnoch. 

5 . 

4 . 


Freitag: 


Brot . . . 

8 Unz. 

6 Unz. 

Brot .... 

6 Unz. 

6 Unz. Brot .... 

6 Unz. 

Grütze . . 

1 Pint 

1 Pint 

Kartoffeln . 

6 * 

8 „ II Kartoffeln . 

12 „ 




Suppe . . . 

1 Pint 

1 Pint Ji Suppe . . . 

Ii 

1 Pint 




Sonnaben 

d : 


Brot . . . 

8 Unz. 

6Unz. 

Brot .... 

6 Unz. 

1] 

6 Unz.; Brot .... 

6 Unz. 

Süß. Pudding 

8 „ 

6 n 

Kartoffeln . 

8 „ 

8 „ i Kartoffeln . 

12 „ 




Süß. Pudding 

10 „ 

8 » j| 8üß. Pudding 

12 „ 




T ä g 

ich: 



Brot . . . 

8 Unz. 

6Unz. 

Brot .... 

8 Unz. 

6 Unz. Brot .... 

8 Unz. 

Grütze . . 

1 Pint 

1 Pint 

Grütze. . . 

1 Pint 

1 Pint Kakao . . . 

1 Pint 


6l'nz. 
8 . 

1 Til. 


8 . 

10 , 


6ÜB7- 
1 Pit: 


Jugendliche Gefangene können außerdem täglich '/s Liter Milch and 
statt Tee (in Diätform C) Grützsuppe erhalten. (Man sieht, daß die preußi¬ 
sche GefängniskoBt wechselvoller ist. Auch hat sie den Vorzug, daß nicht 
mehr so viele Speisen in Breiform und außerdem noch grünes Gemüse ver¬ 
abfolgt werden, ein Fortschritt der letzten Jahre.) 

Eine Reihe von Sonderbestimmungen, deren Anführung hier zu weit 
führen würde, regeln noch die Abwechselung der Diätformen von allerlei 
Zusätzen. 

Im einzelnen mag über drei vom Verfasser besichtigte Gefängnisse noch 
folgendes Platz finden: 

Das Männergefängnis Wormwood-Scrubb9 
(„Wermut- Busch“) 

ist jetzt 40 Jahre alt und liegt im Nordosten von London, 20 Gehminuten 
entfernt vom Stadtbahnhofe, der mit der (Distric) Railway in unmittelbarer 
Verbindung steht, auf freiem Felde inmitten großer Garten- und Rasen¬ 
flächen hinter einem großen, neuen „Poor-(Armen-, Arbeite-) House“ gleichen 
Namens, ist für 1400 Gefangene mit 120 Wärtern bestimmt, und besteht 
aus modern eingerichteten (meist aber nicht fächerartig oder radiär zu¬ 
einander gestellten) einzelnen Gebäuden. Diese sind in derselben Weise 
wie die Berliner Moabiter Strafanstalt auch in den verschiedenen Einzel- 


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Hygienische Rückblicke aus England. 435 

heiten, z. B. in den Zellen, eingerichtet. Eine nähere Beschreibung der 
Anstalt, die eine eigene Grundwasserversorgung mit Wasserkuren hat, dürfte 
erübrigen. 

Bemerkt sei nur, daß die Betten meist aus bei Tage an die Wand empor¬ 
geklappten und dort befestigten Holzlagern bestehen, auf die dann ent¬ 
weder die Seegras-(„fibre“) Matratzen oder — im Straf anfange — die 
wollenen Decken, die sonst in einer Zellenecke aufbewahrt werden, gelegt 
werden. Wasserklosetts befinden sich nicht in den Zellen, sondern nur auf 
den Fluren; wohl aber ist in ersteren — abgesehen von Trink-, Eß- 
geschirr u. dgl. — ein zinnernes Nachtgeschirr vorhanden. 

In den Zellen arbeiten die Gefangenen auch, soweit dies nicht in gemein¬ 
samen Räumen, z. B. bei Bäckerei, Huchdruckerei, Tischlerei u. dgl., erfolgt. 

Die Gefangenen erhalten bei ihrem Eintritt eine gelbe Kleidung, auf 
der bei guter Führung oder bei solchen Gefangenen , die von vornherein 
nach ihrem Charakter und der Yorbeobachtung einer milderen Behandlung 
würdig sind, ein roter Stern angebracht wird. — Bei Eintritt in die zweite 
Klasse (vgL die Bestimmungen) erhalten sie eine braune Kleidung. 

Bei der Beförderung gibt das geschilderte Punktsystem den Ausschlag 
und schließt zugleich Strafen in sich. Von Körperstrafen können 
Peitschenhiebe in äußersten Fällen zur Anwendung gebracht werden. Doch 
muß vorher der Anstaltsarzt gehört werden. Nach Angabe des mich führen¬ 
den stellvertretenden Governors kommen sie indessen kaum zur Anwen¬ 
dung, in der Regel reichen die anderen, durch das Punktsystem gegebenen 
Strafen und Zurücksetzungen aus. 

Die Beschäftigung der Kranken erfolgt, abgesehen von Wergzupfen 
und von Garten- bzw. kleiner Feldwirtschaft, in den verschiedenartigsten 
Handwerken, meist so, daß — zur Vermeidung einer die Fabriken schädi¬ 
genden Konkurrenz — wesentlich für Staatsanstalten gearbeitet wird. 
Die einzelnen Arbeitsräume, auch Küche, Wäscherei, waren durchaus zweck¬ 
mäßig eingerichtet, boten aber keine Besonderheiten; erwähnt sei nur, weil 
kürzlich in einer derartigen Sache in einem hiesigen Gefängnisse Ände¬ 
rungen der Heizeinrichtungen für die Leimkocherei vorgenommen wurden, 
daß diese in Wormwood-Scrubbs in der Bürstenwerkstätte auf besonderen 
dicken Schieferplattentischen in einzelnen Töpfen (im Wasserbade) mit Bunsen¬ 
brennern bewirkt wird. 

Was die Beköstigung anbetrifft, so erhalten die Gefangenen, ab¬ 
gesehen von Brot, Kaffee, Suppe, an fünf Tagen in der suppenartigen Speise 
kleine Fleischstücke, zweimal Fleischpuddings; Fische werden nur Kranken 
gereicht; die Salzung nehmen die einzelnen Gefangenen selbst vor, wie dies 
auch sonst englische Sitte ist. 

Alle 14 Tage erhält jeder Gefangene ein Bad in den übrigens ein¬ 
fachen Zementbadewannen. Brausebäder, die auch sonst in England nicht 
beliebt sind, werden nicht gereicht. Außerdem wird bei der Aufnahme ein 
warmes Bad gegeben, gleichzeitig hierbei die Kleidung gewechselt und die 
bisherige (meist wegen des Ungeziefers nötig) im sogenannten „Des¬ 
infektor“ mit heißer Luft von 240° F (= 112°C) behandelt. 

Der Bart wird den Gefangenen nicht rasiert, sondern alle acht Tage 
mit einer Schere abgeschnitten („gezwickt“, wie bei den orthodoxen 

28* 

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436 R. Wehmer, 

polnischen und russischen Juden). Man denkt hierbei leichter die Bart¬ 
flechte zu vermeiden. 

Die Krankenbehandlung erfolgt durch zwei Ärzte auf den Zellen, 
erforderlichenfalls im freundlich, auch mit blühenden Blumen ausgestatteten 
Hospital innerhalb der Anstalt, mit 50 Betten (Sprungfederboden); ansteckend 
erkrankte Gefangene gelangen in einen besonderen iBolierblock. Kranke, 
an denen größere Operationen vorzunehmen sind, werden in die allgemeinen 
Krankenhäuser durch zwei Wärter gebracht. 

Irre Gefangene gelangen sämtlich nach der großen Gefangenen¬ 
anstalt Broadmore im Südwesten von England, zu dessen Besuch mir 
leider schließlich die Zeit fehlte. — Für Einzelfälle von Tobsucht waren 
Gummizellen vorhanden. 

Das Weibergefängnis Holloway in London 

ist 1848 erbaut, liegt im Norden von London nahe von Holloway Road, in¬ 
mitten eines herrlichen großen Gartens, und ist ein von vorn wie ein altes 
englisches Schloß anzusehendes Gebäude mit großem Turm, Bastionen u. dgL 
im englisch - gotischen (sogenannten Elisabethen-) Stile. — Es besteht 
wesentlich aus zwei Abteilungen für 700 (eigentlich 688) convicted prisoners 
(zu Zwangsarbeit verurteilt) und 70 inconvicted prisoners (d. li. Gefangene, 
die nicht zu Zwangsarbeit verurteilt sind und nur kurze Strafen durchzu- 
machen haben). Die Wartung erfolgt durch 88 Wärterinnen (wardens). 
die eine der Krankenwärterinnen (nurses) ähnliche Tracht haben. 

Die nicht zu Zwangsarbeiten verurteilten Gefangenen sind in einem 
besonderen Gebäude mit abgetrenntem Hofe untergebracht. — Die anderen 
Gefangenen befinden sich in den Flügeln eines panoptisch angeordneten Ge¬ 
bäudes, von denen der eine, neue, haupsächlich aus Eisen und Zementboden 
hergestellt ist. Der Bau entspricht durchaus den Einrichtungen der bekannten 
Berliner Moabiter Strafanstalt; im Zentrum, und zwar zu ebener Erde, 
ist eine ständige Wärterin stationiert, die alle Flure gleichzeitig übersieht 
Die Flure sind dadurch sehr hell, daß sie im spitzen Dache Oberlichtfenster 
haben; die Gänge vor den Zellen haben teilweise Hartglasfußboden. Sonst 
ist letzterer meist Terrazzo, teilweise auch Stabfußboden in Zement ge¬ 
bettet. — In der Höhe des untersten Verbindungsganges sind überall die¬ 
selben durch kräftige Drahtnetze verbunden, um Personen, die zu Selbstmord¬ 
versuchen sich hinabstürzen, aufzufangen. 

Die Zellen, in denen jede Gefangene für sich untergebracht ist, und die 
eine Gittertür und eine Holztür mit Beobachtungsloch haben, entsprechen 
in Größe und innerer Einrichtung im allgemeinen denjenigen in Berlin, nur 
sind die Zellen im untersten, etwas in der Erde liegenden Stock wegen 
hoher Lage und Kleinheit der Fenster etwas dunkel, werden daher auch zu 
Strafzellen, in denen dann die Gefangenen nur Wasser und Brot erhalten, 
benutzt. Doch kommt dies selten vor. — Einige Zellen sind mit Polste¬ 
rungen und Gummiboden (auf Polsterungen) versehen, für den Fall des 
Auftretens von Delirium tremens, das bei den vielfach dort dem Trünke 
ergebenen Frauen der niederen Stände nicht so selten ist. Eine derartige, 
entsprechend bekleidete Person sah ich; sie wurde, als sie beim Öffnen der 
Zellentür hervorstürzte, in geeigneter Weise zurückgebracht. 


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Hygienische Rückblicke aus England. 437 

Zum Schlafen dienen meist aufklappbare Pritschen, gewöhnlich 
mit Sprungfederboden (ähnlich denen von „Westphal u. Reinhold u in 
Berlin), vielfach auch nur Holzböden; auf diese kommt eine mit Seegras 
(fibre) gefüllte Matratze, Wolldecke und Laken, sowie Kopfpolster. — Polster 
und Matratze fallen in den Straf zellen fort. Wasserklosetts sind auf den 
einzelnen Stationen meines Erachtens an Zahl etwas wenig. — ln jedem 
Zimmer ist, außer Eß- und Waschnäpfen aus Steingut, ein zinnernes Nacht¬ 
geschirr. Nur in Isolierzellen sind Wasserklosetts. 

Die Kranken sind in einer besonderen Krankenabteilung untergebracht 
und liegen hier gemeinsam in den gut gelüfteten Sälen; ich fand sie beim 
Nachmittagskakao mit Weißbrot an mit einem weißen Tischtuch gedeckten 
Tischen. Vielfach standen hier auch Blumentöpfe und Blumensträuße. 

Iufektiöse Gefangene, z. U. Tuberkulöse, werden in Einzelzellen gehalten, 
eine meines Erachtens etwas harte Maßregel, wenn man bedenkt, daß sonst 
Einzelhaft nicht überall hier durchgeführt ist. Für besser situierte Gefangene, 
besonders wenn sie noch in Untersuchungshaft sind, finden sich einige 
Extrazimmer vor. So wurde mir ein Raum gezeigt, in dem ein viel genannter 
afrikanischer Gouverneur in Untersuchungshaft gesessen hatte (früher war 
Holloway Männergefängnis). 

In besonderen Gebäuden und Räumen finden sich die Badezellen; die 
nicht mehr recht modernen Zementwannen sind in den Boden eingelassen. 
Jede Gefangene erhält wöchentlich ein Bad. 

Zur Erholung der Gefangenen dienen die sehr großen, zum Teil mit 
Strauchwerk, meist Rhododendron, Kirschlorbeer, dem durch seine wohl¬ 
riechenden Blüten überall in London auffallenden Evonymus (englisch pri- 
vith), und mit Blumen umrahmten Grasplätze; einmal in der Woche be¬ 
kommen die Gefangenen Unterricht in schwedischen Turnübungen, alle 
14 Tage werden ihnen belehrende Vorlesungen gehalten. 

Die Beschäftigung der Gefangenen erfolgt wesentlich in den verschiedenen 
weiblichen Handarbeiten, z. B. in einem sehr großen, mit Oberlicht 
versehenen Saale an zahlreichen Nähmaschinen; hier werden u. a. für die 
Post die Briefsäcke und die Stempelkissen gefertigt. 

Sehr umfänglich ist ferner die Wäscherei, in der 72 Personen be¬ 
schäftigt sind; sie besorgt nicht nur die Wäsche für das Haus, sondern 
auch für eine Anzahl von öffentlichen Anstalten, z. B. auch für das 
Parlament. 

Diese Räume sind, wie auch die ebenfalls zahlreiche Gefangene beschäfti¬ 
gende Küche, mit modernen maschinellen Einrichtungen aller Art in üblicher 
Weise zweckmäßig eingerichtet. 

Die Klosetts sind überall mit Spülung, von besonderen Wasserkästen 
aus, versehen und zweckmäßig eingerichtet, die an die Wäscherei angren¬ 
zenden waren allerdings etwas enge. 

Das Gefängnis in Edinburgh. 

Diese große Gefangenanstalt liegt nahe dem Bahnhofe Waverley- 
Station und am Fuße des Caltonhügels, oberhalb des alten, von Maria Stuart 
bewohnten Palastes „Holyroadhouse“ und bietet durch seine schloßartigen 
Bauten im englisch • gotischen Elisabethenstile geradezu eine Sehens- 


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438 


R. Wehmer, 


Würdigkeit, die besonders auffiliig sich in das landschaftlich schöne Bild 
dieses Teiles der herrlich gelegenen Stadt einfügt. Sie ist in seinen ersten 
Teilen vor 100 Jahren gebaut, die letzten sind vor 20 Jahren hinzugefügt, 
und ist für 300 Männer und 150 Frauen bestimmt. Charakteristisch für 
englisch-schottische Verhältnisse war, daß der mich führende Governor für 
die Frauenabteilung keinen Hauptschlüssel besaß, sondern durch Klingeln 
erst die Oberaufseherin („Matron“) herbeirufen mußte. 

Die innere bauliche Einrichtung und Ausstattung entsprach 
derjenigen in England (bzw. im Moabiter Zentralgefängnis); Einzelhaft ist 
nicht streng durchgeführt. — Bemerkenswert war, wenn ich den Governor 
richtig verstanden habe, ein im Tiefparterre befindlicher, etwa 5 X 6m 
großer, eingefriedigter Raum unter freiem Himmel an einem Hause, oben 
nur mit einem Gitter zur Bewegung eines abgesondert zu haltenden Ge¬ 
fangenen im Freien. 

Die Schlafeinrichtungen, Hospitaleinrichtungen u. dgl., auch das Schlafen 
in den ersten zwei Monaten auf der nur von einer dünnen Wolldecke nebst 
Laken belegten, aufklappbaren Holzpritsche entsprach den Einrichtungen 
in englischen Gefängnissen. 

Gleiches gilt von der Beköstigung, bei der die in ganz Schottland 
übliche Hafergrützsuppe (Porridge) bzw. Hafergrützbrei eine große Rolle 
spielt. Das Brot ist, ebenfalls nach schottischer Sitte, nicht wie in England 
weiß, Bondern dunkelgrau und grob, ähnlich unserem Soldatenbrot. Das 
Fleisch wird mit in der breiartigen Suppe gereicht, für Katholiken am 
Feiertage statt dessen ein Fischgericht. 

Sodann sei noch erwähnt, daß nach allgemeiner schottischer Sitte auch 
die männlichen Gefangenen kurze Hosen, sog. Knicker-bockers, tragen. 

Bäder erhalten — abgesehen von der Aufnahme — die Gefangenen 
einmal in der Woche in kleinen Zementbadewannen von zum Teil einfacher 
Beschaffenheit; vor denselben ist die Tür nur in der unteren Hälfte vor¬ 
handen, so daß eine Kontrolle der Badenden möglich ist. 

Die zuerst Bestraften werden, zur Vermeidung einer moralischen 
Infektion von anderen Gefangenen, völlig getrennt in einem besonderen 
Flügel gehalten; jugendliche Gefangene, welche vom 14. Jahre ab in der 
Anstalt sind, werden auch unterrichtet, wozu zwei kleinere einfache 
Zimmer vorhanden waren. 

Die Beschäftigung der Gefangenen erfolgt in den verschiedensten Ge¬ 
werben, auch im Zupfen von Manilahanf. In der sehr großen und mit allen 
modernen Einrichtungen versehenen Wäscherei wird auch für die Edin- 
burgher Hotels die Wäsche besorgt. 

Work- (Poor-) Houses. 

Eine eigentümliche Einrichtung in Großbritannien bilden die sog. Arbeits¬ 
oder Armenhäuser. Sie bieten den beschäftigungslosen, sowie alten und 
siechen Leuten eine Unterkunft, die sie sich aber selbst durch ihre in den 
Dienst des Hauses zu stellende Kraft erarbeiten müssen, insoweit sie zu 
einer Arbeit fähig Bind. London hat etwa 20 Work houses. Diese 
Werkhäuser, die im Haushalte der Gemeinden und des Volkes eine eigen¬ 
artige, in englischen Romanen oft geschilderte Rolle spielen, sind keines- 


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Hygienische Rückblicke aus England. 


439 


wegi irgendwie eine Strafeinrichtung, wenn auch tatsächlich der Aufenthalt 
manchen der Arbeit abgeneigten Insassen, besonders den kräftigen Arbeitern 
in ihren besten Jahren, durch die von ihnen geforderte Tätigkeit, Zerkleinern 
von Holz u. dgl. grobe Arbeit, sich oft weniger angenehm gestaltet und ihnen 
leicht verleidet wird. Andererseits sind diese Häuser, die in großen Städten 
oft wahre Prachtbauten darstellen, ein Auskunftsmittel zur Unterbringung 
nicht bloß von alten, erwerbslosen Leuten, sondern auch von lästigen Per¬ 
sönlichkeiten aller Art, z. B. von Bettlern, unterkunftslosen Personen, von 
sinnlos Betrunkenen, insofern sie nicht in ein Krankenhaus gehören u. dgl. m. 
Aus äußeren Gründen hatte ich nur Gelegenheit, eine solche Einrichtung, 
deren Schilderung hier folgen mag, zu besichtigen. 

Das Craigleith-Poor-House in Edinburgh 
liegt inmitten umfänglicher Gartenanlagen in einer Vorstadt von Edinburgh, 
ist vom Parish-Council (Gemeindebehörde) errichtet und bietet einschließlich 
der Kinder, die vom Poorhouse aus in eine Schule geschickt oder in Familien 
außerhalb gegen ein für ein von der Anstalt zu zahlendes Wochengeld von 
2*' a bis 3 sh untergebracht werden, Unterkunft für 251 Frauen und 
217 Männer; die Überwachung und erforderlichenfalls Pflege erfolgt durch 
Nurses (Pflegerinnen) oder Wärter. 

Die vor 44 Jahren gebaute Anstalt besteht aus verschiedenen zwei- bis 
dreistöckigen Mauerstein-, zum Teil grauen Sandsteingebäuden, deren Ver¬ 
kehrsräume und Treppen Zementfußböden, deren Zimmer meist gedielten, 
zum Teil Parkettfußboden haben. Bei üblicher Geschlechtertrennung sind 
Männer und Frauen in gemeinsamen großen und luftigen Schlafsälen 
untergebracht; die eisernen Bettstellen haben für Männer meist eiserne 
Gurte, für Frauen und in einzelnen Männersälen Sprungfederboden, worauf 
dann eine Fibre- (Seegras-), auf den Krankenabteilungen meist eine Ro߬ 
haarmatratze mit Laken und Federkopfkissen liegt, während zum Zudecken 
eine oder zwei Wolldecken mit Laken dienen. 

Zum Waschen sind besondere gemeinsame, an die Wasserleitung an¬ 
geschlossene Waschräume vorhanden. Die Klosetts haben Wasserkästen. 
Die Heizung erfolgt durch zentrale Dampfheizung, besondere Luftzufüh¬ 
rungen sind vorhanden, die Fenster in üblicher englischer Weise Schiebe¬ 
fenster. 

Zum Arbeiten sind eine größere Anzahl Werkstätten vorhanden, 
außerdem eine große Waschanstalt und Küche mit üblichen maschinellen 
Apparaten, in denen weibliche Anstaltsinsassen tätig sind. 

Ferner ist eine größere Anzahl freundlicher Tage räume, mit Bildern, 
Blumen u. dgL, sowie für ältere Leute, die nicht mehr oder wenig arbeits¬ 
fähig sind, mit bequemen Sesseln und Stühlen ausgestattet; in diesen Räumen 
werden auch von Frauen kleinere Handarbeiten geleistet. 

Zum Essen ist ein gemeinsamer großer Saal vorhanden mit 
Bänken und auffällig schmalen, an Vorlesesäle erinnernden Tischen; der 
Raum dient auch für kirchliche Zwecke und Vorlesungen. 

Täglich werden drei Mahlzeiten gereicht, wobei früh besonders die 
schottische Porridge (Hafergrütze) als Suppe oder Brei, außerdem s / 4 Pinte 
(= Vs Liter Milch) gegeben werden. Alte elende Leute bekommen auf 


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440 


R. Wehmer, 


Wunsch Kaffee oder Kakao. Badevorrichtungen (Fayence-Badewannen) sind 
in entsprechender Anzahl vorhanden, in denen in der Regel jeder Insasse 
alle acht Tage ein Bad erhalten soll. 

Für Kranke sind besondere Krankenzimmer, deren Betten durch¬ 
gängig Sprangfederböden hatten, vorhanden. 

Polizeilioh - Hygienisches. 

In dieser Beziehung war es mir besonders wichtig, einzelne bestimmte 
Punkte festzustellen: Eine Kontrolle der Prostituierten ist in Eng¬ 
land und Schottland nicht vorhanden. Es findet keinerlei Einschreibung 
von Dirnen und dementsprechend auch keine ärztliche Untersuchung der¬ 
selben statt. Dagegen wird die Straßenprostitution, wenn sie sich in 
lästiger Weise bemerkbar macht, bestraft, die betreffende Persönlichkeit 
wird vom Schutzmann festgestellt, zur Wache gebracht und dem Richter 
vorgeführt, der über sie aburteilt; meist erhalten sie Gefängnisstrafen. — 
Geschlechtskranke werden, soweit erforderlich, den Krankenhäusern über¬ 
wiesen. Bordelle sind offiziell nicht vorhanden. 

Tatsächlich macht sich die Prostitution auf den Straßen Londons, im 
Zentrum, z. B. besonders im Strand und in der Oxfordstraße, in noch un¬ 
angenehmerer und aufdringlicherer Weise bemerkbar als in Berlin in den 
bekannten Straßen, ohne daß eingeschritten wird. In ärmeren Vierteln soll 
dies noch viel ungenierter und brutaler vor sich gehen. — Dabei unterliegt 
es wohl keinem Zweifel, daß als Absteigequartiere in jenen Gegenden viel¬ 
fach die sogenannten Familien-Uuterkunftshäuser benutzt werden 
mögen, Logierzimmer, in denen Einzelzimmer oder abgeteilte sogenannte 
Cubical Rooms mit einigen Stühlen, einem zweischläfrigen Bett und einer 
Kommode für 80 Pence bis 1 sh 2 Pence für die Nacht vermietet werden, 
allerdings meist bereits um 8 Uhr bezogen werden müssen. 

Nachfragen bei zuverlässigen uninteressierten Persönlichkeiten ergaben, 
daß bordellartige Privateinrichtungen allerdings in manchen Stadt¬ 
gegenden unter der Hand bestehen und den Besuchern den Vorzug größerer 
Sicherheit gegenüber einer Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten bieten 
sollen. Doch dürften derartige geheime Lasterstätten auch in anderen 
Großstädten verbotenerweise vegetieren. Im übrigen sollen, bei der man¬ 
gelnden behördlichen Überwachung und der sehr geringen Regelung de* 
Krankenkassenwesens — offizielle Krankenkassen fehlen ganz — Syphilis 
und andere Geschlechtskrankheiten unter den Dirnen in fürchterlicherWeise 
verbreitet sein. Die Vorliebe gewisser englischer Kreise für immaculatae 
virgines und minderjährige Mädchen, über die vor einigen Jahrzehnten die 
Pall-Mall-Gazette so schlimme Enthüllungen brachte, findet hierdurch eine 
teilweise Erklärung. — Selbstverständlich kann Verfasser keinerlei Garantie 
für die Richtigkeit derart unbestimmter Angaben übernehmen. 

Die Unterbringung sinnlos betrunkener und hilfloser Personen, 
die in Berlin sehr oft mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, weil die 
Krankenhäuser oft die Aufnahme derartiger Personen ablehnen, ist deshalb 
nicht mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft, weil die hier üblichen 


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Hygienische Rückblicke aus England. 441 

Kompetenzstreitigkeiten über die Zahlungspflicht der einzelnen Behörden in 
London wegfallen; die meist aus Wohltätigkeitsfonds gebauten und er¬ 
haltenen Krankenhäuser verpflegen in der Regel unentgeltlich. 

In entsprechenden Fällen werden übrigens die Betrunkenen in den mit 
Gummiwänden versehenen Tobzellen der Polizeistationen untergebracht. 
Endlich bieten die Work-(Poor-) Houses eine sehr bequeme Gelegenheit zur 
Abschiebung dieser Persönlichkeiten, wenn sie sonst arbeits- und unter¬ 
kunftslos sind. 

Im übrigen ist man aber in England und besonders in London viel 
weitherziger gegenüber Herumtreibern aller Art, als in Deutschland. Überall, 
auch in den vornehmen Stadtteilen, nächtigen unbehelligt auf Bänken, 
Rasenplätzen usw. obdachlose Personen. Allerdings ist dies nur infolge 
des milden englischen Klimas, bei dem überall im Freien subtropische 
Pflanzen, ein Rhododendron, Evonymus (Privith), KirBchlorbeer, Lorbeer, 
Zypressen, Pistazien u. dgl. gedeihen, möglich. — Hierzu kommt, daß die 

Armenpflege 

in ganz anderer Weise, wesentlich durch private Wohltätigkeit, geübt wird. 
Auch Krankenkassen sind nur in geringer Zahl als private Einrichtungen 
vorhanden. Ferner ist die Unfall-Haftpflichtversicherung der Unter¬ 
nehmer erst ganz neuen Datums, vom Herbst 1906. Die Folge dieser Bill war 
aber, wie man mir sagte, so, daß nicht neue Einrichtungen wie in Deutsch¬ 
land geschaffen wurden, sondern daß der einzelne Unternehmer seine Arbeiter, 
Beamten usw. bei einer der zahlreichen Versicherungsgesellschaften ver¬ 
sicherte. 

Eine polizeiliche Meldepflicht, auf deren Grund z. B. das Berliner 
Einwohnermeldeamt beruht, besteht nicht. 

Die Schutzleute. 

Die Police-men, meist kräftige, auffällig große Irländer, über deren 
Zuverlässigkeit, Geschicklichkeit und Gewandtheit so viel geschrieben ist, 
daß ich hier darüber hinweggehe, sind in London zum großen Teil un¬ 
verheiratet und leben daselbst, 17000 bis 18000 an der Zahl, meist 
in Kasernements, die mit jeder der etwa 200 Polizeistationen verbunden 
sind, in einer relativ freundlichen und zum Teil vortrefflichen klubartigen 
Weise. Die von mir auf Vermittelung des Chefs der Kriminalpolizei, 
Mr. Atkinson, besichtigte, vor drei Jahren neu errichtete John-Street- 
Police-Station, nahe der vom Hydepark-Corner abgehenden St. Edgeward- 
Road, war ein freundlich mit Verblendsteinen versehenes zweistöckiges Haus, 
in dessen obersten Geschossen zwei verheiratete Wachtmeister wohnten. 
Im Erdgeschoß waren Wacht-, Verhörs-, Bureau- und Unterkunftsräurae, 
und zwar als gemeinsame Räume und Kinzelzellen für die Sistierten, mehrere 
mit Gummifütterung für Deliranten. — Bemerkt sei dabei, daß bei gesund¬ 
heitlich zweifelhaften Fällen (Geisteskranke, sinnlos Betrunkene, Fie¬ 
bernde usw.) der von Fall zu Fall (meist mit 3 1 / a sh) bezahlte Polizei¬ 
arzt herbeigeholt wird. 

50 unverheiratete Schutzleute wohnten im Hause; sie schliefen in gut 
ausgestatteten Cubical Rooms (abgeteilten Einzelräumen, deren Holzwände 


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R. Wehmer, 


nur bis zu V 8 Zimmerhöhe gingen) in großen Sälen; das Bett hatte Sprung¬ 
federboden, Roßhaarmatratze, Decken in Laken usw.; ferner war ein Schrank 
mit Kleider- und Facheinteilung, Waschtisch und zwei Stühle in jedem ein- 
fenBterigen Raume. Daneben waren vorhanden, in überaus freundlicher Weise 
mit Bildern, Büsten, Blumen usw. ausgestattet: ein gemeinsamer Eßsaal, 
Unterhaltungs- (Drawing Room), Rauchzimmer, Billardzimmer, Turnhalle, 
ferner ein großer Raum im Tiefparterre zum Trocknen der nassen Uniform- 
Stücke, ein Raum zur Aufbewahrung derselben, ein besonderer zum Reinigen 
und Entdecken derselben, ferner Bäder für die Schutzleute. 

Die wenigen verheirateten Schutzleute wohnen außerhalb in Privat¬ 
häusern. 

Die Schutzleute erhalten durchschnittlich 25 , / a sh Löhnung die Woche, 
wovon sie 7 sh für die Beköstigung abgeben, die sie im Hause durch einen 
Unternehmer erhalten. 

Endlich sei hervorgehoben, daß Bich auf dem zementierten Hofe eine 
Krankentragbahre auf Rädern befand. Dieselbe Btand in einem 
niedrigen, kastenartigen Holzbau, wie solche vielfach auf den Straßen 
Londons vorhanden sind, und enthielt unter dem Kopfende, von hinten 
herauszunehmen, einen Kasten mit Verbandmaterial, Instrumenten und 
Medikamenten für erste Hilfeleistung bei Unglücksfällen. 

Sanitätsaufseher. 

Im Hinblick auf die vielfachen Schilderungen an anderen Orten, ins¬ 
besondere von M. Pistor über „Die Medizinalverwaltung von London“ 
(D. Med. Wochenschr. 1905, Nr. 40), kann ein näheres erneutes Eingehen 
auf die gesamte Medizinalverwaltung von London hier unterbleiben. Es mag 
nur angeführt werden, daß an der Spitze der Medizinalverwaltung der „Pro¬ 
vinz London“ mit ihren 4721217 Einwohnern Mitte 1906, d. h. an der 
betreffenden Abteilung (Public Health Department) des diese Verwaltung 
leitenden „London County Council“ ein Arzt als „Chief Medical Officer of 
Health“, zurzeit der durch sein Lehrbuch über Gesundheitswesen wie sonstige 
Arbeiten viel bekannte Sir Shirley Murphy steht, dem zwei Hilfsärzte, 
mehrere Bureaubeamte und eine Zahl von Gesundheitsaufsehern (Sanitary 
inspectors, Inspectors of nuisances) beigegeben sind. — Andererseits stehen 
unter der Medizinalabteilung des „LCC“ die 29 lokalisierten Amtsärzte, Me¬ 
dical Officers of Health, jeder an der Spitze eines der 29 Stadtbezirke 
(Parishes), denen wieder Hilfsärzte, Bureaubeamte und Sanitätsaufseher 
unterstellt Bind. 

Die besonders von M. Pistor immer wieder betonte Zweckmäßigkeit 
und Notwendigkeit dieses Subalternpersonals der Sanitätsaufseher, 
Inspectors of nuisances, hat sich auch mir besonders eindringlich gezeigt 
Wie wichtig derartige Persönlichkeiten, die in London dem „County Council“, 
in den sonstigen Städten dem „Parish Council“, also Selbstverwaltungsbehörden 
mit polizeilichen Befugnissen, unterstellt sind, auch für Berliner Verhältnisse 
sein würden, das ist häufig und eindringlich in der Denkschrift des vor¬ 
erwähnten Gewährsmannes betont worden. Leider scheiterte die Verwirk¬ 
lichung dieser zweckmäßigen Idee hierorts bisher immer am Geldpunkte. 


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Hygienische Rückblicke aus England. 

Die englischen Inspectors of nuisances sind, wie erwähnt, dem Medical 
Officer of Health der betreffenden Stadt (in London in jedem Parish) unter¬ 
stellt und haben in der Regel einen ganz bestimmten Stadtteil, in dem sie 
die Aufsicht über Nahrungsmittel, Baulichkeiten usw. führen. — Die da¬ 
neben in London der Zentralstelle „London County Council“ (Provinzial¬ 
verwaltung von Groß-London) unterstellten „inspectors of common lodging 
houses“, an Zahl 14, sind eine Art von Spezialisten mit einem Jahresgehalte 
von 150 bis 250 £ (3000 bis 5000 <M)\ sie stehen unter dem Chief inspector, 
der seinerseits wieder Untergebener des Chief Medical Officer of Health 
der Provinz London (London County Council) ist. Sie haben, ihrerseits 
auch wieder in verschiedenen Stadtteilen stationiert, die großen Logier- 
und Unterkunftshäuser in den verschiedenen Parishes zu besichtigen, 
während die Inspektoren der letzteren sich um diese Einrichtungen nicht 
zu kümmern haben. Ihre Tätigkeit erstreckt sich auf alle 29 zum London 
County Council gehörigen, zum Teil entfernteren Vororte, z. B. auch Green¬ 
wich. — Im übrigen wird auf die gedruckten Jahresberichte des London 
County Council (London, P. S. King & Son, 2 a. 4 Great Smith-Street, 
Victoria-Street, Westminster SW) verwiesen. 

UnterkunftshäuBer und Arbeiterwohnungen. 

Die Common lodging houses (Unterkunftshäuser) spielen im 
Haushalte der ärmeren Klassen Londons — in anderen Orten fehlte mir 
Zeit zur Besichtigung — eine viel größere Rolle, als ähnliche Einrichtungen 
z. B. in Berlin, da breite BevölkerungBSchichten ständig nur dieser Ein¬ 
richtungen zu ihrer Unterkunft sich zu bedienen pflegen, und zwar nicht 
nur alleinstehende Männer und Frauen, sondern auch Ehepaare. 

Abgesehen von letzteren, denen auch ständig zu bewohnende, eingerichtete 
Einzelzimmer für etwa 1 sh täglich vermietet werden, müssen die Schlaf¬ 
steller, die um 7 oder 8 Uhr am Abend Einlaß erhalten, in der Regel früh um 
10 Uhr, Frauen vielfach auch erst um 1 Uhr das Haus verlassen, welches dann 
zur völligen Reinigung und Lüftung frei steht. Hier werden in der Regel 
5 bis 6 Pence für die Nacht bezahlt, nur die Heilsarmee nimmt, z. B. in 
ihrem großen neuen Unterkunftshause in der Blackfriars-Road am südlichen 
Themseufer, 2 Pence für die Nacht. 

Diese Unterkunftshäuser bedürfen nach der Common lodging houses 
act 1894, zu der am 1. November 1903 eine neue Bylaw erlassen 
wurde, einer besonderen Erlaubnis — License — vom County Council, 
welches dabei besondere Bedingungen stellt. So werden gewöhnlich als 
Mindestmaß 300 englische Kubikfuß und 30 Quadratfuß für das 
Bett vorgeschrieben; Bettwäsche muß wenigstens alle acht Tage ge¬ 
wechselt werden. Ferner muß überall reichliche Luft- und Lichtzuführung 
vorhanden sein; mehrfach waren zu diesem Zwecke, worauf der mich füh¬ 
rende Chief inspector of common lodging houses, Mr. Jury, aufmerksam 
machte, besondere Wanddurchbrüche u. dgL erfolgt. 

Nach dem Berichte des Londoner Gesundheitsamtes (Public Health Com¬ 
mittee of the London County Council) über das Jahr 1905 (S. 66) und 1906 
(S. 66) bestanden 413 bzw. 402 (1895 noch 626) eingetragene 


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R. Wehmer, 


Unterkunft8h&user mit 2757 1 bzw. 28063 Schlafplätzen. Sie 
wurden von den Gesundheitsaufsehern 28158 bzw. 30 028 Tag- und 
1565 bzw. 2349 Nachuntersuchungen unterzogen. — Dabei wurden 
21 bzw. 4 Strafanträge gestellt, auf die 16 bzw. 4 Verurteilungen im 
Gesamtbeträge von 77 £. 3 sh bzw. 11 £ 1 sh erfolgten. 

In den UnterkunftshäuBern, die naturgemäß hauptsächlich in den 
ärmeren östlichen Stadtteilen liegen, erhalten die Insassen ferner für 
billiges Geld einfache Eßwaren, z. B. im Hause der Heilsarmee Suppe 
oder Kaffee, Kuchen mit Fruchtgelee (Jam) oder ein Butterbrot für 1 Penny, 
für 5 Pence auch eine Portion Fleisch. Heißes Wasser zum Tee wird um¬ 
sonst abgegeben. 

In allen Unterkunftsbäusern sind besondere Waschräume, zum 
Teil mit warmem und kaltem Wasser, reichliche Wasserklosetts mit Spül¬ 
kästen; ferner ist bei jedem Bett ein — um dem Mitnebmen vorzubeugen 
— auffällig großes Nachtgeschirr, meist von emailliertem Blech. Letztere, 
wie auch alle sonstigen Geräte und Räume, waren bei meiner Besichtigung 
sauber und von guter Beschaffenheit, auch herrschte stets gute Luft. (Die 
Häuser, die ich bzw. die mich begleitenden fremdländischen anderen Amts¬ 
ärzte sehen wollten, wurden meist eröt unmittelbar vor dem Eintritt vod 
uns den Beamten bezeichnet, so daß nicht etwa für uns die Besichtigung 
vorbereitet war.) 

Überall waren besondere Eß- bzw. Tagesräume. Letztere waren teil¬ 
weise in Keller- oder niedrigen Parterreräumen und etwas dunkel und weniger 
freundlich, auch nicht mit guter Luft, da die Bewohner an den Feuerstellen 
oder Kaminen daselbst zum Teil sich einfache Speisen bereiteten, Fische 
brieten u. dgl. — Da diese aber hauptsächlich in der Nacht und in dunkeln 
Morgenstunden benutzt werden, während zu deren künstlicher Beleuchtung 
meist Gas benutzt wird, so fällt hier die mangelhafte Zuführung von Tages¬ 
licht nicht überall in Betracht. 

In diesen Speiseräumen befand sich meist an einer Schmalseite ein 
Buffet, an dem gegen sehr geringe Bezahlung (s. o.) einzelne Speisen, die in 
der anstoßenden Küche bereitet waren, verabreicht wurden. — In einzelnen 
Häusern befanden sich auch besondere Räume mit einer größeren Anzahl 
von Feuerstellen, an denen die Schlafgänger sich einfache Speisen bereiten 
konnten. 

Im einzelnen mag über die vom Berichterstatter unter Führung des 
Chief inspector of Common lodging houses, Mr. Jury, in den 
Vormittagsstunden eines Augusttages 1907 besichtigten Anstalten folgende« 
angeführt werden: 

1. Shelter-House of the Salvation Army. 

Das Unterkunftshaus der Heilsarmee in Blackfriars Road Nr. 115 b 
bietet in einfachen, schuppenartigen Tage- und Schlafräumen im Erd¬ 
geschoß, sowie im ersten und zweiten Obergeschoß Raum für 370 Betten 
für je 2 Pence; zum Teil sind die Lagerstätten Holzpritschen mit einer 
dicken Gummidecke, also leicht abwaschbar; Abendessen und Frühstück 
kosten je 2 Pence, ebensoviel ein Brot, verschiedene einfache Speisen, 
z. B. Butterbrot, Brot mit Jam u. dgl. 1 Penny. — Bemerkenswert war ein 


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Hygienische Rückblicke aus England. 


445 


besonderer Raum zur Kleiderwäsche. — Männer und Weiber sind in 
getrennten Räumen untergebracht. 

2. Shelter-House of the London County Council 

in Southwark Bridge Road enthielt 120 Betten (eiserne Bettstellen mit 
Eisengurten, Seegrasmatratze, Wolldecke in Laken) für 4 und 6 Pence 
pro Nacht. 

3. Privatunterkunftshaus für Frauen in der Mint Street 

(Southwark) 

enthielt für200Frauen relativ viele kleinere und enge Räume, an denen sich 
aber die Assanierungstätigkeit der Gesundheitsaufseher insofern besonders 
zeigte, als hier vielfach Wanddurchbrüche vorgenommen waren, um Licht 
und Loft zu schaffen. Bemerkenswert war hier, wie in den meisten dem¬ 
nächst za erwähnenden Häusern, die besondere Sorgfalt, mit der für Not- 
ansgänge für Feuersgefahr, u. a. durch eiserne Treppen an der Außenseite 
der Häuser auf den Höfen, durch Bezeichnung von Notausgängen u. dgl. 
gesorgt war. — Preis 6 Pence pro Bett, auf das 300 Kubikfuß Luftraum kamen. 

Auffällig bei diesen zum großen Teile (auch bezüglich der Insassen 
anderer Frauenhäuser gilt dies) von Prostitution lebenden Frauen war ihr 
örperlich verfallenes und altes, z. B. auch die Spuren der Trunksucht 
tragendes Aussehen, ihre saloppe Kleidung und im Gegensätze hierzu die 
besondere Sorge für ihre Haartracht. Meist trugen diese Personen zur Vor¬ 
bereitung für den Abend Lockenwickel, was ihr Aussehen noch ab¬ 
schreckender machte. 

4 . Privatübernachtungshaus für Männer in Marshall Sea Road 

(Southwark). 

Es befindet sich neben einem großen öffentlichen (nicht besichtigten) 
Unterkunftshause für 700 Männer, bietet seinerseits Platz für etwa 200 Männer 
für je 5 Pence und war bemerkenswert durch die Wascbeinrichtungen, die 
für Gesicht und Oberkörper einerseits und für Füße andererseits vorhanden 
waren. Ferner war eine besondere Kleiderwascheinrichtung und eine große, 
schöne Küche hier hervorzuheben. 

5. Privatunterkunftshaus für beide Geschlechter in der 
Silvester-Street (Southwark). 

Es war ein vier Stockwerke hohes Backsteinhaus für 740 Personen 
mit meist kleineren, engen und nicht besonders ventilierten Räumen, Preis 
5 bzw. 6 Pence die Nacht. Bemerkenswert waren die besonderen schrank- 
artigen verschließbaren Gelasse für die Kleider, die besonders von hier 
dauernd wohnenden Personen benutzt wurden. 

6. Familienobdach Dewall-Street in Whitechapel. 

Hier fanden 125 bis 150 Ehepaare in Cubical Rooms in größerem Salon 
für je 9 Pence Unterkunft. In diesen durch Wände, die bis zu a / 3 Zimmer¬ 
höhe reichen, abgeteilten kleinen Vorschlägen befand sich je ein zweischläfriges, 


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R. Wehmer, 


eisernes Bett mit Sprungfederboden, Seegrasmatratze und Wolldecken in 
Laken, Waschtisch, Tisch und eine Art kleiner Kommode. 

Außerdem waren ähnlich ausgestattete, nur öfters auch einige Bilder und 
dergleichen enthaltende Einzelzimmer vorhanden, die 1 sh 2 Pence auf den Tag 
kosteten; ein an einem kleinen Lichthof gelegenes, ziemlich dunkles Zimmer 
wurde uns als Schauplatz des ersten Lustmordes von Jack the ripper 
gezeigt, und die an der Wand noch vorhandene Bleistiftbemerkung desselben 
vorgewiesen. Es scheint nachträglich fast unbegreiflich, wie in einem derart 
überfüllten Hause eine solche Untat geschehen konnte, ohne daß Hilfe herbei¬ 
gerufen werden konnte. Übrigens mögen diese Häuser auch vielfach unter 
der Hand als Absteigequartiere von Liebespaaren der untersten Volksklassen 
benutzt werden. 

7. Chinesenhänser. 

Eine besondere Art von Unterkunftshäusern boten die übrigens stets 
sehr sauber gehaltenen, meist kleineren, für 20 bis 40 Personen bestimmten, 
mehr familienartig gehaltenen Cbinesenhäuser in der Nähe der India-Docks. 
Hier sind ganze Straßen oder Stiyißenteile wesentlich von den meist euro¬ 
päisch gekleideten Chinesen, die meist auch europäische Haartracht haben, 
bewohnt. Bemerkenswert waren dort u. a. die zweischläfrigen Betten für 
die Opiumraucher, deren Geräte, mit Ausnahme der Pfeifen, immer zwei 
Personen gleichzeitig dienend, auf größeren Holztabletts in der Mitte der 
Betten standen. Mehrfach sah man die Opiumraucher in den sonderbarsten 
Stellungen ihren Opiumrausch dort ausschlafen. 

S1 u m 8. 

Im Anschluß hieran wurde eine Anzahl der jetzt meist beseitigten Slums, 
die sich übrigens auch in anderen Großstädten finden, besichtigt (in Edin¬ 
burgh sah ich zwischen High-Street und Princes-Street, und auch iD 
Glasgow gelegentlich solche). Sie ähneln sehr den schmalen Hamburger 
Wohnhöfen oder den Berliner Wohnhöfen zwischen Stralauer Straße und 
Spree, einschließlich des „Krögel“, nur daß die Londoner Wohnhöfe, deren 
Häuser hinten an andere Häuser mit ebensolchen Höfen anstoßen (back-to- 
back-houses), viel eoger, schmutziger und unfreundlicher als die Hamburger 
oder gar Berliner Gäßchen sind, und daß die Bewohner, welche in White¬ 
chapel meist Juden sind, einen unendlich traurigeren, schmutzigeren, ver¬ 
kommenen Eindruck mit zerlumpten Kleidern machen als die Berliner oder 
Hamburger Bevölkerung. — Derartige Armut und derartige Verkommenheit 
habe ich bisher nur in südlichen Gegenden (Italien, Orient), nur teilweise 
in Rußland gesehen. — Freilich darf man hierbei nie die eigenartigen klima¬ 
tischen Verhältnisse Londons, seine relativ warme Witterung, seinen enormen 
Fabriken- und Schornsteinrauch und seine dicken, schweren Nebel außer 
Betracht lassen, die überhaupt für Herbeiführung jener Verhältnisse eine 
große Rolle spielen. 

In den von mir besichtigten anderen Großstädten Edinburgh und Glas¬ 
gow trat derartiges etwas weniger hervor. — 

Im Anschluß an diese Einrichtungen mag einiger anderer besserer, von 
mir besichtigter Logierhäuser gedacht werden. 


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Hygienische Rückblicke aus England. 


447 


Das Deutsche Seemannsheim in der West-India-Dock-Road 

(Whitechapel) 

ist wesentlich durch die Opferwilligkeit des auch in hervorragender Weise 
für das German Hospital in Dalston sorgenden Barons v. Schroeder 
ins Leben gerufen. Es liegt nahe einem älteren, inzwischen wohl ein¬ 
gegangenen. dem gleichen Zwecke dienenden Hause an der Commercial 
Road und war bei der Besichtigung seiner dann auch im Herbst 1907 
erfolgten Eröffnung nahe. Das Grundstück hatte 2400 £ (= 48000*/#) 
gekostet, die Gesamtkosten sollten, einschließlich Bau und innerer Ein¬ 
richtung, sowie Grundstück 13600 £ (272000*/#) betragen. Während 
im alten Hause 47 deutsche Seeleute Unterkunft fanden, sollte das neue 
für deren 50 Platz bieten. — Abgesehen von gemeinsamen Eß-, Auf¬ 
enthalts- (Drawing-) und Rauch-, sowie Billardzimmern, die alle in 
Zement liegenden Parketfußboden und bis zur halben Höhe Wände aus 
bunten Kacheln hatten, waren Schlafzimmer für je eine bis vier Personen 
mit schöner, freundlicher Einrichtung vorhanden (eiserne Bettstellen mit 
Sprungfederböden, Roßhaarmatratzen, Keilkissen und Wolldecken, Kommode 
mit Schrank zusammen, Stühle, Bilder). Der Mietpreis betrug einschließlich 
vier Mahlzeiten am Tage 16 bis 18 sh für die Woche. Die Hei¬ 
zung sollte in besonderen eisernen Einzelöfen mit einem ganz neuen, eigen¬ 
artigen Köhler sehen Koblenersparnisverfahren erfolgen. 

Die Rowton-Housea 

bilden eine erheblich höher als die erstgenannten Unterkunftshäuser 
stehende Wohngelegenheit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 
deren Kapital 450 000 £ (= 9000000*.#) beträgt. Gegenwärtig sind in 
den verschiedenen Gegenden von London sechs verschiedene Arbeiterhäuser 
vorhanden, und zwar in Bond-Street (Vauxhall, SW) mit 484 Betten, in 
Calthorpe-Street (Kings CroBB Road, WC) mit 964 Betten, in Newington 
Butts (SE) mit 1015 Betten, in Nr. 221 der Hammersmith Road (W) mit 
800 Betten, in Fieldgat - Street, nahe dem London Hospital (E) mit 
816 Betten und in Arlington Road (Camden Town) mit 1103 Betten. 

Die Preise betrugen 3 1 /* sh für die Woche zu sieben Nächten, 
die am Sonnabend pränumerando zu zahlen sind, bzw. 7 Pence für die Nacht 
in gemeinsamen Cubicalräumen; wird ein besonderes Schlafzimmer 
genommen (was in Camden Town möglich ist), so kostet das 5 sh bzw. 
9 Pence. 

Die Häuser enthalten Schlafgelegenheit in gemeinsamen Sälen, in denen 
aber jedes Bett durch einen verschließbaren einfensterigen Verschlag mit 
Holzwänden in halber Zimmerhöhe abgetrennt ist; die eisernen Bettstellen 
haben Sprungfederböden und Roßhaar- bzw. Seegrasmatratzen; ferner ist 
ein Stuhl, in Einzelräumen auch Waschtisch und Toilettekommode mit Kästen 
vorhanden. — Außerdem sind gemeinsame Eßräume und im Anschluß an 
diese Kochgelegenheiten vorhanden; ferner Rauchsäle, in denen Zeitungen 
ausliegen, Schreib- und Lesezimmer, Einrichtungen für wanne und kalte 
Bäder, zum Waschen der Kleidung und ferner Rasier- und Frisierstube, 
Reparaturwerkstätten (Schusterei, Schneiderei), in denen die Insassen ihre 


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R. Wehmer, 


Sachen sich selbst in stand setzen oder gegen billige Entschädigung können 
reparieren lassen. — Außerdem finden sich reichlich sehr sauber gehaltene 
Waschräume mit warmem und kaltem Wasser, Klosetts mit Wasserkästen 
in großer Anzahl u. dgl. m. Auch besondere Räume mit verstellbaren Einzel- 
schränken sind vorhanden. 

Einfache, gut zubereitete warme und kalte Speisen werden zu billigen 
Preisen nach einem bestimmten Tarife an besonderen Buffetts verkauft. — 
Ausgeschlossen sind alle alkoholischen Getränke. Verboten ist das Rauchen 
außerhalb der Rauchräume, insbesondere in den Schlafsälen. 

Berichterstatter besichtigte im August 1907 mit dem Wohnkongreß das 
Rowtonhouse in Hammersmith, das zwar von außen etwas kasernenartig, 
innen aber überaus freundlich und gefällig aussah und mit seinen Wand¬ 
dekorationen, Blumenarrangements in den gemeinsamen Sälen u. dgl. über¬ 
aus freundlich wirkte. Überall herrschte große Ordnung und Sauberkeit. 

Familienwohnungen 

für Ehepaare mit Kindern sind in vielen Großstädten durch die öffentliche 
Wohltätigkeit eingerichtet; doch bemüht sich der praktische Geschäftssinn 
der Engländer, dafür zu sorgen, daß diese Einrichtungen sich auch wirt¬ 
schaftlich rentieren. Von den besonders bekannten Einrichtungen dieser 
Art wurden u. a. die bereits von Reineke und Olshau sen-Hamburg ge¬ 
schilderten Rosemounth-Buildings in Edinburgh besichtigt. Sie bilden 
einen großen Block nicht weit von der Haymarketstation und liegen um 
einen großen grünen Platz im Innern des großen Häuserkarrees, bei dem 
mir aber der Mangel geeigneter Einfahrten (z. B. für den Fall einer 
Feuersgefahr) auffiel. Daß ich dies übersehen haben sollte, glaube ich nicht, 
wenn ich auch diese Gebäude ohne Führung besichtigte. Charakteristisch 
waren die großen, gleichzeitig den Zugang zu den Oberwohnungen bietenden 
Balkons auf der Innenseite der Häuser. — 

In London waren den Teilnehmern des Wohnkongresses als beson¬ 
ders bemerkenswert die 

Workmen Dwellings des Guinness-Trust, 

einer von Sir E. C. Guinness Bart, (jetzt Lord Iseagh) mit einer Dar¬ 
bietung von 200000 £ (= 4 000 000 J() ins Leben gerufenen Gesellschaft, 
gezeigt. Jetzt beträgt das Kapital 316 294 £, wobei acht verschiedene 
Wohnblocks in verschiedenen Stadtgegenden sich befinden; Berichterstatter 
besichtigte die Einrichtung in Falham Palace Road in Hammersmith. 

Diese Familienhäuser enthalten Wohnungen von einem bis vier Räumen, 
die zu einem Mietzins von 1,9 bis 2,9 sh für den Einzelraum, bis zu 6 
bis 6V2 für vierzimmerige Wohnungen für die Woche ver¬ 
mietet werden. Außerhalb der Wohnräume ist für jede Wohnung ein Klo¬ 
sett und ein Abwaschraum, die zu zweien nebeneinander auf den Fluren 
liegen, vorhanden. Ferner sind gemeinsame Bäder, Waschräume, Back¬ 
räume, Räume zur Entnahme von heißem Wasser und Unterhaltungssäle 
vorhanden. Besonders die Gemeinsamkeit dieser letzteren Einrichtungen 
bot etwas Eigenartiges, das von deutschen Verhältnissen völlig abwich. Alle 
Wohnungen waren um große, helle, luftige Höfe gruppiert. 


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Hygienische Rückblicke aus England. 


449 


Die Einfamilienhäuser, wie solche für bessere Arbeiter (Vor¬ 
arbeiter, Unterbeamte u. dgl.) hergestellt werden und u. a. den Besuchern des 
Wohnkongresses in den „Municipal Cottages“ in Manor Grove bei 
Richmond gezeigt wurden, bieten eine Einrichtung dar, die für deutsche 
Verhältnisse wegen der großen Beschränktheit der betreffenden Räume kaum 
passen würde. Hierbei kommt die Eigenart des englischen Lebens, bei dem 
der Familienvater und auch andere Familienmitglieder fast den ganzen Tag 
aas der Wohnung fern sind und andererseits das milde englische Klima, das 
keine sehr dicht schließenden Türen und Fenster, Korridore u. dgl. erfordert 
und die Aufstellung von Wasserklosetts z. B. in offenen Garten sch uppen ge¬ 
stattet, mit in Betracht. Außerdem sind die Hausgärten, die in Deutsch¬ 
land in einem großen Teile des Jahres nicht zu benutzen sein würden, von 
besonderer Wichtigkeit und ein wesentlicher Aufenthaltsort der Familie. 
Die Zimmer sind oft puppenstubenartig klein und beschränkt. 

In Richmond (Manor Grove), einer ziemlich abgelegenen Gegend auf 
freiem Felde, enthielten die Häuschen meist drei bis vier Zimmer in zwei 
Stockwerken: Von einem kleinen Vorgarten trat man in das Wohn- und 
Besuchszimmer unmittelbar. Es machte den Eindruck der wenig benutzten 
„guten Stube“, enthielt besonders in der in England üblichen Weise zahl¬ 
reiche bequeme Stühle u. dgl.; dann folgte das eigentliche Wohnzimmer, das 
zugleich al9 Küche diente, daneben war die Treppe, die zu dem sehr be¬ 
schränkten kleinen Schlafzimmer, meist mit Doppelbetten, führte, während 
für Schränke nur ganz wenig Platz war. Ein Raum zum Wäsche¬ 
waschen u. dgl. (Scullery) lag unter der Treppe, das Klosett mit einem 
kleinen Holz- und Kohlenstall in besonderem Gebäude innerhalb des meist 
mit Gemüse bepflanzten Gärtchens. 

Im übrigen boten diese Häuser ein freundliches und sauberes Bild, 
waren auch nicht so eintönig gehalten, wie man dies sonst in englischen 
Städten vielfach sieht, wo ganze Straßen Einfamilienhäuser nach einer und 
derselben Schablone enthalten, so daß dort ein Zurechtfinden selbst für die 
Bewohner nur mit Hilfe der Hausnummer möglich ist. 

Auf dem Wohnkongreß wurde aber gerade, besonders vom General¬ 
sekretär Dr. Alridge, die Zweckmäßigkeit der Einfamilienhäuser gegen¬ 
über den mehrstöckigen Blockhäusern betont, dabei auf die Wichtigkeit der 
Dezentralisation der Großstädte, unter Schaffung reichlicher Bahn- usw. Ver¬ 
bindungen hingewieBen, und die vielfachen Führungen und Ausstellungen 
hatten den Zweck, gerade die Vorteile der Cottage - Häuser vorzuführen. 
(Vgl hierüber auch den Aufsatz von Dr. Julian Marcuse im voran¬ 
gegangenen 2. Heft dieser Vierteljschr.: „Arbeiterwohnungen in England“.) 


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Vierteljahr*ichrift für Ge«un<lheit*ptlege, 1908. 


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450 


Dr. Nesemann, 


Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren 
Stand Ende 1907. 

Von Dr. Nesemann, 

Regierungs- und Medizinalrat in Berlin. 


Die im Verhältnis zur Gesamtsterblichkeit große Sterblichkeit der Säug¬ 
linge, d. h. der Kinder vor Ablauf des ersten Lebensjahres, erfüllt mehr und 
mehr in den einzelnen europäischen und außereuropäischen Ländern weite 
Eireise mit Besorgnis. 

Auch Deutschland hat allen Grund, sich gleicher Besorgnis nicht zu 
verschließen. Wenn auch zurzeit noch der Überschuß der Geburten und 
damit die jährliche Bevölkerungszunahme eine viel größere ist, als in den 
meisten anderen Ländern, so beginnt doch die Geburtsziffer langsam, aber 
stetig zu sinken l ), sie iat seit den siebziger Jahren um etwa 6 Proz. zurück¬ 
gegangen, während die Ziffer der Säuglingssterblichkeit, seitdem sie in den 
siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ihren Gipfel er- 
reicht hatte, zwar etwas abgefallen, aber immer noch überaus hoch ist. 

Es starben in den Jahren 1891 bis 1895 in Deutschland über 24 Pros, 
der lebendgeborenen Eiinder im ernten Lebensjahre 2 ). In einzelnen deutschen 
Staaten war die Sterblichkeit noch höher; in Sachsen betrug sie sogar 
28 Proz., eine Höhe, die in diesen Jahren sonst nur Ungarn erreichte, in 
Bayern betrug sie 27 Proz., in Württemberg 25 Proz., in Preußen dagegen 
nur 20,5 Proz. 

Im Jahre 1901 war die Säuglingssterblichkeit in ganz Deutschland 
allerdings auf 21 Proz. gesunken, doch bedeutet das immerhin, daß von 
2000000 lebendgeborenen Kindern 420 200 vor Ablauf ihres ersten Lebens¬ 
jahres ins Grab gesunken waren! 

Im Verhältnis zu anderen Ländern war die Sterblichkeit auch in diesem 
Jahre eine so hohe, daß nur Österreich und Ungarn höhere Zahlen anfwiesen. 

Ganz besonders auffallend und gleichzeitig beweisend ist es, daß gerade 
die deutschen großen Städte, denen es doch gelungen ist, durch großartige 
sanitäre Einrichtungen ihre Gesundheitsverhältnisse zu verbessern und die 
allgemeine Sterblichkeit nicht unwesentlich herabzumindern, teilweise eine 
außerordentlich hohe Säuglingssterblichkeit aufweisen*). In den Jahren 
1886 bis 1895 starben 2 ) in Ingolstadt 40,9 Proz., in Regensburg 37,4 Proz.. 

*) Daß die hygienischen Fortschritte allein nicht imstande sind, die Säug¬ 
lingssterblichkeit erkennbar herabzusetzen, ergibt sich auch für England. Nach 
einem Vortrage von Sir Shirley Murphy bei der Jubiläums - Festsitzung des 
Medizinalbeamtenvereins in London vom 11. November 1906 (Referat in Nr. 3 der 
Med.-Beamten-Ztg. f. 1907), hat sich nämlich seit 1841 die Säuglingssterblichkeit 
in England nicht gebessert, in der ersten Lebenswoche ist sogar die Sterblichkeit 
größer geworden. Der Vortragende meint daher, entweder haben die Säuglinge 
von den hygienischen Vorschriften keinen Nutzen gehabt oder die künstliche Er¬ 
nährung sei als Gegengewicht gegen diese wirksam gewesen. 


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Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren Stand Ende 1907. 451 

in Chemnitz 35,6 Proz., in Augsburg 34 Proz., in München 34,4 Proz., in 
Königsberg 28,6 Proz., in Breslau 28,4 Proz., in Magdeburg 25,5 Proz., in 
Coln 25,4 Proz., in Berlin 25,3 Proz., in Dresden 22 Proz., in Hamburg und 
Leipzig 21 Proz der lebendgeborenen Kinder im Säuglingsalter. Keine 
europäische Stadt erreichte, soweit wenigstens Nachweisungen Torliegen, 
eine gleiche Höhe der Säuglingssterblichkeit, nur in Budapest betrug die 
Sterblichkeit 28 Proz., während sie in London und Paris nur 16 Proz. 
betrug. 

Es konnte nicht ausbleiben, daß die beredten Zahlen der Statistik die 
Aufmerksamkeit einsichtsvoller und sorgender Männer in Anspruch nahmen, 
und ihr Bestreben weckten, dem jährlichen Hinsterben der vielen Tausende 
von Säuglingen Einhalt zu tun. Vor allem erhoben die Ärzte, die ja alljähr¬ 
lich, namentlich in den Großstädten, im aussichtslosen Kampfe sich ab¬ 
mühten, die dem Tode geweihten jungen Kinder zu erretten, schon vor 
langen Jahren ihre Stimme, um das allgemeine Interesse zum Kampfe gegen 
die Säuglingssterblichkeit wachzurufen. 

Bisher vermochten diese Rufer im Streit nicht dauernd das öffentliche 
Gewissen in Deutschland zu wirksamem Handeln aufzurütteln. Hemmend 
mit bezug auf die Gewinnung weiter Kreise zur Anteilnahme am Kampfe 
gegen die Säuglingssterblichkeit wirkten auch wohl die hier und da 
von Theoretikern verkündeten, dem Neumalthusianismus entstammenden 
Lehren 3 *), daß durch das jährliche Hinsterben der Säuglinge eine gewisser¬ 
maßen notwendige natürliche Auswahl im Darwinschen Sinne erfolge. 

Man behauptete wohl, daß nur die widerstandslosen Individuen hin¬ 
gerafft würden, während die kräftigeren am Leben blieben, daß die Kinder, 
welche der großen Kindersterblichkeit des ersten Lebensjahres entgangen 
seien, in den nächsten Jahren einer besonders geringen Sterblichkeitsgefahr 
ausgesetzt seien und daß in Ländern mit hoher Kindersterblichkeit die Be¬ 
völkerung besonders kräftig sei. Die Haltlosigkeit dieser Theorie ist unter 
anderem namentlich von Printzing 4 ) dargetan worden. Ebensowenig zu¬ 
treffend ist die gleichfalls vertretene Annahme, die hohe Säuglingssterblich¬ 
keit sei nationalökonomisch ein Gewinn, da sie die Nation vor Übervölkerung 
schütze; sie bedeutet im Gegenteil nach Seiferts Ausführungen*) einen 
Verlust an Nationalvermögen. 

Wenn dem aber auch nicht so wäre, so bliebe es doch eine humane 
Pflicht; die zarten kindlichen Leben, an den oft so viel Sorge und so viel 
Hoffnung hängt, zu erhalten. 

Das erste Land, das den Kampf gegen die Säuglingssterblichkeit auf¬ 
nahm und bald in großzügiger Weise organisierte, war Frankreich. Freilich 
lag dort auch aller Anlaß vor. War auch die Säuglingssterblichkeit viel 
geringer wie in Deutschland und hatte namentlich Paris weit günstigere 
Sterblichkeitsverhältnisse wie fast alle großen deutschen Städte, so war doch 
andererseits die Geburtsziffer in Frankreich eine so geringe, daß eine Zu¬ 
nahme der Bevölkerung kaum erfolgte, man sogar ernstlich deren Rückgang 
befürchtete. 

DaB Amtsblatt der französischen Republik hat dieser Tage den Bericht 
über die Bewegung der Bevölkerung im Jahre 1906 veröffentlicht. Danach 
betrug der Überschuß der Geburten — während im Jahre 1905 die Zahl der 

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Dr. Nesemann. 


Geburten die der Todesfälle noch um 37 120 überstieg — im Jahre 1906, 
das sich allerdings durch große Sterblichkeit auszeichnete, nur 26651. 

Die Zunahme der Bevölkerung Frankreichs in den letzten 20 Jahren 
beträgt überhaupt nur 66 759! Daß angesichts dieser Tatsachen die fran¬ 
zösische Nation sich ernsten Befürchtungen hingibt, und um das drohende 
Gespenst der Entvölkerung zu bannen, alle Kräfte anzuspannen sucht, ist 
nur natürlich. 

Mag nun auch in Frankreich der stete Hinblick auf Deutschland und 
dessen infolge der hohen Geburtsziffer rapide anwachsende Bevölkerung 
wesentlich bei den Franzosen mitgewirkt haben, in den Kampf gegen die 
Säuglingssterblichkeit in energischerWeise einzutreten, so bleibt ihnen doch 
das Verdienst, diesen Kampf in großzügiger und patriotisch opferfreudiger 
Weise aufgenommen und dadurch auch andere Nationen, insbesondere 
Deutschland, angeregt zu haben, ungeschmälert. 

Ehe wir auf die Entwickelung der Säuglingsfürsorge in Frankreich und 
anderen Ländern, besonders aber in Deutschland, eingehen, erscheint es 
zweckmäßig, zunächst die Ansichten zu erörtern, die sich im Laufe der 
Zeit über die Ursachen der Säuglingssterblichkeit herausgebildet haben, da 
ja naturgemäß die Entwickelung der einzelnen Fürsorgemaßnahmen auf der 
allmählichen Entwickelung der Kenntnis der Ursachen der Sterblichkeit 
beruhen. 

Die Erfahrung lehrt und die Statistik bestätigt es, daß die Säuglings¬ 
sterblichkeit alljährlich in den heißen Sommermonaten einen außerordent¬ 
lichen Umfang annimmt. Die Sterblichkeit der Säuglinge pflegt iu unseren 
klimatischen Verhältnissen in den Monaten Juli, August und September auf 
daB Zwei- bis Dreifache anzusteigen. Nach der jährlich von dem Kaiserlichen 
Statistischen Amt veröffentlichten Übersicht der Sterblichkeit in den Städten 
über 15 000 Einwohnern ist in diesen die Sommersterblichkeit der Säuglinge 
eine so bedeutende, daß dadurch die allgemeine Sterblichkeit, die doch sonst 
in den Sommermonaten naturgemäß eine geringere sein müßte, ungünstig 
beeinflußt wird. 

Auch nach Pfaffenholtz• s ) ist der Sommergipfel in den großen 
rheinischen und überhaupt in den großen deutschen Städten für die hohe 
Sterblichkeit in den Sommermonaten verantwortlich *). 

Diese Zunahme der Säuglingssterblichkeit in den Sommermonaten, die 
hauptsächlich in den großen Städten, weit weniger in den ländlichen Ver¬ 
hältnissen auftritt, ist nun, wie gleichfalls die Statistik lehrt, fast allein auf 
Rechnung der künstlich ernährten Kinder zu Betzen. Das hat besonders 
die Berliner Statistik erwiesen, die seit dem Jahre 1889 bei allen Todes¬ 
fällen von Säuglingen die Ernährungsweise festgestellt hat. Besonders lehr¬ 
reich ist der Nachweis aus den Jahren 1900 und 1901. Im Jahre 1900 


*) Seitdem die Industrie ihren Einzug auch in viele ländliche Gegenden 
Deutschlands gehalten hat, ist dort auch die Säuglingssterblichkeit eine größere 
geworden. Auch in den nichtindustriereichen Gegenden ist die Säuglingssterblich¬ 
keit auf dem Lande gestiegen, und zwar, wie der Verfasser annimmt, namentlich 
dort, wo viele Genossenschaftsmolkereien entstanden sind, da durch diese die 
Milch an Ort und Stelle wertvoller und knapper und die Ernährung der Säuglinge 
dadurch beeinträchtigt wird. 


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Die Entwickelung der Säuglingsfüreorge und deren Stand Ende 1907. 453 

waren 880 der mit Muttermilch genährten Säuglinge gestorben, davon in 
den drei genannten Sommermonaten 132, d. h. 15 Proz. aller Gestorbenen, 
während die Sterblichkeit der mit Tiermilch ernährten Säuglinge in diesem 
Jahre 6631 betrug, von denen 2870, d. h. fast 42 Proz., in den drei Sommer¬ 
monaten starben. Im Jahre 1901 waren von allen gestorbenen Säuglingen 
841 mit Muttermilch, 6982 mit Tiermilch ernährt, in den drei Sommer¬ 
monaten betrug die Sterblichkeit der erstgenannten nicht ganz 20 Proz., die 
der letztgenannten über 42 Proz. 

Im allgemeinen war in Berlin die Sterblichkeit der mit Kuhmilch er¬ 
nährten Kinder sechsmal so groß als die der an der Mutterbrust ernährten 8 ). 

Gleiche Verhältnisse bestehen erfahrungsgemäß in allen großen Städten 
mit hoher Säuglingssterblichkeit, wenn auch eine ähnliche brauchbare 
Statistik aus anderen Städten nicht vorliegt. 

Das lawinenartige Anwachsen der Sterblichkeit der mit Kuhmilch er¬ 
nährten Säuglinge erfolgt aber fast ausschließlich, wie auch Fränkel 7 ) 
überzeugend nachweist, an Ernährungsstörungen aller Art, vornehmlich 
unter Sytnptomen, die man auch als Cholera infantum bezeichnet hat. Da 
alles darauf hinwies, daß die krankmachende Ursache nur in der Tiermilch 
liegen konnte und als solche fast ausschließlich die Kuhmilch in Betracht 
kommt, so war es nur natürlich, daß sich die Bestrebungen, die Säuglings¬ 
sterblichkeit zu bekämpfen, zunächst darauf erstreckten, einwandfreie 
Säuglingsmilch zu beschaffen. Es galt daher vor allem Mittel und Wege 
zu finden, um der Kuhmilch ihren für die Sommermonate so gefährlichen 
Charakter zu nehmen. 

Die Bakteriologie hatte gezeigt, daß in der rohen frischen Milch Bak¬ 
terien aller Art vorhanden seien, und Flügge 8 ) 9 ) hat wohl zuerst nach¬ 
gewiesen, daß von diesen alB harmlos angesehenen Bakterien, namentlich 
von den in jeder rohen Milch vorhandenen Heubazillen, einzelne Arten 
recht heftig wirkende Gifte produzieren, die wohl imstande seien, die 
choleraähnlichen mörderischen Erkrankungen bei den Säuglingen hervorzu¬ 
rufen. Es lag daher nahe, die für die Säuglinge bestimmte Milch zu 
sterilisieren. Diesen Gedanken nahm zuerst Soxhlet auf; der Erfolg 
seines Sterilisationsapparates, der bald einen Triumphzug durch die Welt 
machte, war ein großer. Es war unverkennbar, daß die mit der so sterilisierten 
Milch ernährten Säuglinge viel mehr von den verhängnisvollen Sommer¬ 
erkrankungen verschont blieben, als »die sonst mit Tiermilch ernährten 
Säuglinge. 

ln Anbetracht des nicht unbedeutenden Preises und der auf seine Be¬ 
dienung zu verwendenden Mühe und Zeit konnte der Segen des Apparates 
indessen nur einem kleinen Teile der Bevölkerung zugute kommen, während 
die größte Sterblichkeit gerade unter den Säuglingen der Armen und Ärmsten 
herrschte. Man suchte ihnen zu helfen, indem man sie lehrte, die für die Säug¬ 
linge bestimmte Milch abzukochen und zu diesem Zwecke verschiedene einfache 
Milchkochapparate, von denen wohl der Flüggesche Topf am bekanntesten 
ist, angab. Der Erfolg entsprach jedoch keineswegs den Erwartungen; 
die auf Ernährungsstörungen beruhenden Erkrankungen und ihre hohe 
Sterblichkeit blieben unberührt. Diese beweisende Tatsache ist darauf 
zurückzuführen, daß, wie von Flügge und seinen Schülern nachgewiesen 


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Dr. Nesemann, 


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wurde, eine Sterilisation der Milch, d. h. die Abtötung aller Keime durch 
kurzzeitiges Aufkochen, nicht erfolgt. Wenn auch sonstige pathogene 
Keime, wie Cholera-, Typhus- und Tuberkelbazillen, dabei zugrunde gehen, so 
ist dieses doch nicht der Fall bei den erwähnten giftig wirkenden Arten der 
1 I eubazillen, da sie sehr widerstandsfähige Dauerformen bilden, die bei kurz¬ 
zeitigem Kochen nicht getötet werden, sondern zu neuen, sich schnell ver¬ 
mehrenden Keimen auswachsen. Dieses Auswachsen der Sporen und die 
Vermehrung der Keime tritt namentlich dann ein, wenn die Milch längere 
/eit an einem wärmeren Orte aufbewahrt wird. Durch langdauerndes 
Kochen würden nun wohl die genannten Sporen abzutöten sein, doch nimmt 
die Milch dann einen so brenzlichen Geschmack an, daß sie ungenießbar 
wird. Die gefährliche Vermehrung der Keime läßt sich nur vermeiden, 
wenn die Milch nach dem Aufkochen schnell abgekühlt und an einem 
kühlen Orte, dessen Temperatur nicht über 20° C steigen darf, aufbewahrt wird. 

Damit wäre auch für die ärmere Bevölkerung ein Weg gewiesen, die 
-Milch, falls sie an und für sich nur einwandfrei ist, auch zu einwandfreier 
Säuglingsnahrung zu verwenden. Allein die Erfahrung hat gelehA, daß es 
einmal der Bevölkerung der unteren und unbemittelten Klassen im ganzen 
an der nötigen Einsicht fehlt, um von selbst diese Grundbedingung der 
Milchbehandlung im Hause zu erfüllen, daß es aber auch in den im Sommer 
Gluthitze beherbergenden Wohnungen der ärmeren Bevölkerung in den 
Großstädten oft gar nicht möglich ist, die Milch kühl zu halten. 

Von verschiedenen Seiten hat man sich überhaupt gegen die Ernährung 
der Säuglinge mittels sterilisierter oder gekochter Milch gewendet, da die 
hohen Hitzegrade die Milch durch Vernichtung wichtiger Bestandteile, der 
sogenannten Enzyme, biologisch verändern. Als Folge dieser biologischen 
\ eränderung sieht man eine bei künstlich mit sterilisierter Milch ernährten 
Kindern auftretende skorbutartige Erkrankung an, der man den Namen 
Barlowscbe Krankheit gegeben hat 10 ) 11 ). 

Soll die Milch aber in rohem Zustande als Säuglingsnahrung dieneD, so 
besteht wieder die Gefahr, daß sie Tuberkelbazillen und bei der weithin aus 
allen möglichen unkontrollierten ländlichen Milchhaltungen erfolgende Milch- 
versorgung der Großstädte auch Typhusbazillen oder ähnliche pathogene 
Bazillen enthält. Es ist daher die Forderung zu erheben, daß die Milch 
aus tierärztlich stetig kontrollierten Viehhaltungen und von Kühen ge¬ 
wonnen wird, die durch die Tuberkulinprobe als absolut einwandfrei er¬ 
wiesen sind. Naturgemäß verteuert sich eine unter derartigen Kautelen 
gewonnene Milch und wird daher wieder mir dem wohlhabenderen Teil der 
Bevölkerung zugänglich. Nach einem Vorschläge v. Behrings hat man 
auch Versuche mit Sterilisierung der Säuglingsmilch mittels Formalinzusatzes 
angestellt, doch sie bald als nicht zweckentsprechend und auch nicht un¬ 
bedenklich wieder aufgegeben. Gegen diesen Formalinzusatz spricht sich 
auch ein Gutachten der Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinal¬ 
wesen in Preußen vom 24. April 1907 aus*), das den Formalinzusatz zur 
Säuglingsmilch nicht für unbedenklich hält und ihn daher verwirft. Auch 


*) Abgedruckt im Ministerialblatt für Medizinal- und medizinische Unter- 
ichts-Angelegenheiten 1907, Nr. 16. 


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Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren Stand Ende 1907. 455 

durch ultraviolette Strahlen hat man geglaubt, die etwa in der Milch ent¬ 
haltenen Tuberkelbazillen abzutöten. 

Im übrigen sind die Ansichten darüber, ob die skorbutartigen Erkran¬ 
kungen, die man bei Säuglingen, die mit Tiermilch ernährt wurden, beob¬ 
achtet hat, tatsächlich auf den Genuß sterilisierter oder sogar pasteurisierter 
Milch zurückzuführen sind, geteilt 12 ). Darin stimmen aber alle überein, 
daß es sich von vornherein darum handelt, zur Ernährung der Säuglinge 
nur einwandfreie Kuhmilch zu verwenden. 

Eine solche zu erhalten, ist jedoch, namentlich in Großstädten, von be¬ 
sonderer Schwierigkeit. Die für einzelne große Städte oder größere Bezirke 
in Deutschland zur Regelung der Milchwirtschaft erlassenen Verordnungen 
enthalten zum Teil zwar Vorschriften in betreff der Säuglingsmilch oder 
besonderer Vorzugsmilch. Die für solche Kindermilch oder mit einem ähn¬ 
lichen Namen bezeichnete Milch muß nach den Voraussetzungen Schloss¬ 
manns 1 *) hygienisch einwandfrei sein, d. h. von gesunden Kühen stammen, 
sauber gewonnen und in frischem Zustande in die Hände der Konsu¬ 
menten gelangen. Für den die Städte Berlin, Charlottenburg, Rixdorf, 
Schöneberg und Wilmersdorf umfassenden Landespolizeibezirk Berlin ver¬ 
ordnet, den genannten Anforderungen entsprechend, auch die den Milch¬ 
verkehr regelnde Polizeiverordnung, daß die in den Bezirk eingeführte, dort 
feilgehaltene oder verkaufte Kindermilch besondere Bedingungen zu erfüllen 
bat. Die Ställe müssen in jeder Beziehung einwandfrei sein und dürfen nur 
zur Unterbringung für die zur Gewinnung der Kinder milch bestimmten 
Kühe dienen; auch dürfen nur ganz gesunde, unter steter Kontrolle des 
amtlichen Tierarztes stehende Kühe eingestellt werden. Alle Erkrankungen 
von Kühen sind sofort dem beamteten Tierarzt anzuzeigen und kranke Tiere 
sofort aus dem Stalle zu entfernen. Die Milch ist sofort nach dem Melken 
durch Seihen oder Zentrifugieren zu reinigen und auf 12° C abzukühlen. 
In anderen Städten sind ähnliche Bestimmungen getroffen. Eine unter der¬ 
artigen Kautelen gewonnene Kindermilch erhöht sich aber so wesentlich im 
Preise — in Berlin kostet das Liter zurzeit 70 Pfennige —, daß sie nur 
dem wohlhabenderen Teile des Publikums erschwinglich ist. Wie oben er¬ 
wähnt, findet sich die größte Säuglingssterblichkeit aber gerade bei 
dem ärmeren und ärmsten Teile der Bevölkerung. Es handelt sich 
daher darum, auch für diese Kreise der Bevölkerung eine einwandfreie Milch 
zu beschaffen und zur Verfügung zu stellen. 

Wie schon Schlossmann 14 ) und Dunbar 1 *) betonen, sind leider bei den 
Verordnungen über den Verkehr mit Milch die hygienischen Rücksichten zu¬ 
gunsten der wirtschaftlichen Zufuhr in den Hintergrund getreten, so daß 
die in den Großstädten der ärmeren Bevölkerung zur Verfügung stehende 
Milch keineswegs den Anforderungen zu entsprechen braucht und tatsäch¬ 
lich auch nicht entspricht, die in hygienischer Beziehung an eine zur Säug¬ 
lingsnahrung dienende Milch gestellt werden müssen. 

Schon des hohen Preises wegen können natürlich die Anforderungen 
an diese Milch nicht so hoch gespannt sein wie die an eine als Vorzugs¬ 
milch deklarierte Milch, immerhin ist jedoch mit Dunbar zu verlangen, daß 
die Milch bei der Ablieferung an den Konsumenten nicht allein unverfälscht, 
sondern auch frisch und unzersetzt sei. Um diese Anforderungen zu er- 


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Dr. Neseinaun, 


füllen, wird weiter zu verlangen sein, daß sie auch sauber gewonnen wird, 
denn, wie Schlossmann hervorhebt, ist die Konservierung desto leichter, je 
weniger Keime in die Milch kommen, ist Asepsis (d. h. keimfreie Gewinnung) 
besser als Antisepsis (Keimtötung). 

Dieser Förderung steht nun zunächst als Hindernis entgegen, daß die 
großen Städte nur einen geringen Teil ihres Milchbedarfes in ihren Mauern 
produzieren, während ihnen der größere Teil des Bedarfes aus einem immer 
mehr sich ausdehnenden Umkreise — nach Berlin wird z. B. aus Dänemark 
Milch eingeführt — zugeführt wird. 

Die Wirksamkeit der für die einzelnen Städte und Bezirke erlassenen 
Verordnungen hört selbstverständlich außerhalb deren Grenzen auf. Eine 
Regelung hygienischer Milchgewinnung und Milchbehandlung könnte daher, 
wie auch Dun bar fordert, nur durch eine für ganz Preußen oder sogar ganz 
Deutschland zu erlassende Verordnung ihren Zweck erfüllen. 

Für die Konservierung der Milch, namentlich wenn sie einen weiten 
Transport durchzumachen hat, ist ferner ihre sofortige Kühlung nach dem 
Melken sowie auch während des Transportes notwendig. Für die Kühlung 
nach dem Melken sorgen in Berlin wenigstens die größeren Milchgeschäfte, 
da sie am Ort der Gewinnung der Milch ihre besonderen Kühler angestellt 
haben; für die Kühlung während des Transportes ist aber leider, so viel 
bekannt, für uns noch wenig gesorgt. 

Ein Krebsschaden für die Behandlung der Milch sind, wenigstens in 
Berlin, die vielen kleinen Milchgeschäfte, von denen doch ein großer Teil 
des ärmeren Publikums auch seine Säuglingsmilch bezieht. Nach der Polizei¬ 
verordnung soll die zum Verkauf bestimmte Milch zwar nur in Räumen 
aufbewahrt werden, die genügend hell, stets sorgfältig gelüftet sind und 
sauber und kühl gehalten werden, sowie nicht als Schlaf- oder Kranken¬ 
zimmer benutzt werden; in Wirklichkeit liegen aber, da eine fortwährende 
Kontrolle nicht möglich ist, die Verhältnisse oft recht ungünstig. 

Ähnliche Verhältnisse sind in anderen Großstädten. Gelangt die durch 
den Transport bis zur Großstadt und innerhalb der Großstadt, sowie während 
ihres Verweilens bei dem kleineren Milchhändler genügsam malträtierte 
Milch endlich in die Hände des Konsumenten, so ist dort ihre schlecht« 
Behandlung noch nicht zu Ende. Sie wird dann wohl allgemein abgekocht, 
die nicht sofort zur Verwendung gelangende Milch aber teils aus Mangel 
an Verständnis und Gleichgültigkeit, teils aber auch, weil, wie wir sahen, 
sich eine Kühlung in den Großstadtwohnungen des Proletariats oft über¬ 
haupt nicht erzielen läßt, nicht gekühlt und dann nach diesem, eine Zer¬ 
setzung auf das Höchste begünstigenden Verfahren den unglücklichen Säug¬ 
lingen als Nahrung dargeboten. Um diese gefährlichen Übelstände bei der 
Ernährung der Säuglinge mit Kuhmilch zu beseitigen, bleibt nur das Mittel 
übrig, Stellen zu schaffen, an denen die ärmere Bevölkerung eine in oben 
erörtertem Sinne einwandfrei gewonnene und einwandfrei be¬ 
handelte Milch zu einem mäßigen Preise erhält. 

Wird die Milch in rohem Zustande abgegeben, so sind die Empfänger 
genau über die Behandlung der Milch zu belehren und zu kontrollieren. 
Mit Rücksicht auf die ungünstigen Einsichts- und sozialen Verhältnisse eines 
großen Teiles der ärmeren Bevölkerung wird es sich indessen empfehlen. 


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Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren Stand Ende 1907. 457 

diesem die Milch in kleinen trinkfertigen Portionen abzugeben. In diesem 
Falle muß die Milch sterilisiert oder pasteurisiert sein; etwaige hiergegen 
geltend zu machende kleinere Bedenken müssen gegenüber den oben er¬ 
örterten großen Gefahren, denen die Milch bei der schlechten Behandlung im 
Hause ausgesetzt ist, verschwinden. 

Im Jahre 1903 setzte der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege gelegentlich der Hamburger Ausstellung für hygienische Milchversor- 
gung einen Preis für das beste Verfahren zur Versorgung der ärmeren Be¬ 
völkerung mit einwandfreier Milch aus, doch ist die Frage bisher noch nicht 
gelöst worden 16 )! 

In Anbetracht der großen Gefährdung der Säuglinge durch die künst¬ 
liche Ernährung, eine Gefährdung, die durch die immer mehr in den Gro߬ 
städten sich steigernde Schwierigkeit, einwandfreie Milch zu erhalten, wächst, 
sowie veranlaßt durch die Tatsache, daß in den Ländern, wo das Stillen 
der Säuglinge am verbreitetsten ist, wie in Norwegen, Schweden, England, 
Schottland, Dänemark, Holland und der Schweiz, auch die Säuglingssterb¬ 
lichkeit eine entsprechend geringere ist, macht sich neuerdings ein reges 
Streben geltend, den Säuglingen wieder die natürliche Quelle ihrer Er¬ 
nährung, die Mutterbrust, zu erschließen. 

In Deutschland ist die Ernährung der Säuglinge an der Mutterbrust 
in den großen Städten bis auf einzelne, wie Barmen I7 ), wo noch 95 Proz. der 
Säuglinge mütterliche Nahrung erhielten und dementsprechend ihre Sterb¬ 
lichkeit auch eine geringe war, immer mehr zurückgegangen. 

Für Berlin liegen nähere Angaben vor. Während 1882 noch 55,2 Proz. 
der Säuglinge an der Mutterbrust ernährt wurden, ging der Prozentsatz im 
Jahre 1892 auf 59 Proz. zurück und betrug im Jahre 1904 nur noch etwa 
33 Proz. 1S ). 

Lange glaubte man, daß eine Degeneration der weiblichen Brustdrüsen 
die Ursache sei, daß immer weniger Mütter sich ihrer natürlichen Pflicht 
entzogen; doch allmählich wurde von immer neuen Seiten betont, daß nur 
selten wirklich Unfähigkeit zum Stillen die Ursache des Nichtstillens sei 
und daß die meisten Mütter imstande seien, ihre Kinder, wenn auch teilweise 
nur vorübergehend und in nicht ganz ausreichendem Maße, zu stillen. 

Dem Niederrheinischen Verein für öffentliche Gesundheitspflege gebührt 
das Verdienst, in seiner Versammlung am 11. Oktober 1902 zuerst Leitsätze 
aufgestellt zu haben, die als den wichtigsten Punkt in den Bestrebungen 
zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit die Ernährungsfrage und dabei 
besonders die Förderung der natürlichen Ernährung hinstellten. 

Naturgemäß haben sich die Bestrebungen, die natürliche Ernährung zu 
fördern, einmal in der Richtung zu bewegen, die nötige Aufklärung mit 
allen Mitteln zu verbreiten, und die aus irgend einem Grunde lässigen Mütter 
auf passende Weise an ihre Pflicht zu erinnern, sowie leicht verzagte zur 
Geduld zu erziehen, dann aber auch solchen Müttern, die wohl den Willen 
zum Stillen ihrer Kinder haben, durch soziale Verhältnisse aber daran ver¬ 
hindert werden, die Möglichkeit zu gewähren, ihrer Mutterpflicht zu genügen. 
Dazu wird auch gehören, daß die Mütter der ärmeren Stände, insbesondere 
auch uneheliche Mütter, vor, während und nach der Entbindung die nötige 
Pflege und Ruhe, sei es in ihrem Haushalt, sei es in einer Anstalt, haben 


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Dr. Nesemann, 


und daß ihnen, sobald sie wieder anf Erwerb angewiesen sind, Gelegenheit 
und Zeit gewährt wird, ihr Kind zu stillen. 

Eines besonderen Schutzes bedürfen die unehelichen Säuglinge, die 
teils schon infolge der Entbehrungen der Mutter während der letzten Zeit 
der Schwangerschaft, wenn diese am Erwerben verhindert ist, lebensschwach 
zur Welt kommen und, falls der Mutter nicht die Verhältnisse gestatten, 
ihr Kind zu stillen, vielfach gerade kurz nach der Geburt, zu einer Zeit, zu 
der sie erfahrungsgemäß am widerstandslosesten sind, oft die mangelhafteste 
und schlechteste Ernährung genießen. 

Ihre Sterblichkeit ist daher im Verhältnis zu den ehelichen Säuglingen 
auch eine außerordentlich große. In den Jahren 1877 bis 1900 starben in 
Preußen 6 ) im ersten Lebensjahre von 1000 Geborenen (die Totgeborenen 
eingeschloBsen) durchschnittlich jährlich von den ehelichen Kindern 184,6, 
von den unehelichen 335,9, und zwar in den Jahren: 


1877/8J.183,4 eheliche, 328,6 uneheliche, 

1882/90 . 188,0 „ 336,8 

1891/95 . 185,8 „ 341,0 

1896/1900 .... 182,4 , 337,2 


Von den unehelichen Säuglingen bedürfen wieder eines ganz besonderen 
Schutzes die gegen Entgelt von den Müttern oder der Armenpflege in 
fremde Pflege gegebenen, die sogenannten Kost-, Zieh - oder Haltekinder, 
da an deren Gedeihen und Leben teilweise die Pflegemütter, manchmal auch 
die eigenen Mütter, ein Interesse nicht haben. Eine weitere Fürsorge be¬ 
dürfen erkrankte Säuglinge. Es ist daher zunächst für die Möglichkeit 
ärztlicher Behandlung zu sorgen und auf dessen alsbaldige Inanspruchnahme 
bei Säuglingen hinzuwirken. Die Behandlung der Erkrankungen des Säug- 
lingsalters, namentlich die mörderischen Magen- und Darmkrankheiten er¬ 
fordern aber auch besondere Kenntnisse und Tüchtigkeit des behandelnden 
Arztes. In Fällen, in denen die häuslichen Verhältnisse eine wirksame Be¬ 
handlung des kranken Säuglings im Hause erschweren oder gar unmöglich 
machen, ist für seine Unterbringung in ein geeignetes Krankenhaus zu sorgen. 
Als solches kann aber nur ein besonders eingerichtetes Krankenhaus, das 
namentlich mit einem in der Säuglingspflege erfahrenen und ausreichenden 
Personal versehen ist, in Betracht kommen. 

Von verschiedenen Seiten hat man der Wohnungsfrage mit Bezug auf 
die Ursachen der Säuglingssterblichkeit und ihre Bekämpfung einen wesent¬ 
lichen Wert beigelegt. So hat Prausnitz in seinem Referate in der Ver¬ 
sammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege 19 ) die 
schlechte Beschaffenheit der Wohnungen und ihre schlechte Ventilierbarkeit 
in den Vordergrund gerückt und hat ferner für Graz nach seinen örtlichen 
Ermittelungen nachgewiesen 20 ), daß mehr als die Hälfte der Wohnungen, 
in denen tödliche Erkrankungen der Säuglinge vorkamen, überfüllt waren. 
Auch Meinert 21 ) legt den Wohnungsverhältnissen und der Durchführbar¬ 
keit der Wohnungen mit Bezug auf die Kindersterblichkeit besonderen 
Wert bei, ebenso wie der Wasserversorgung. Daß allen diesen Neben¬ 
umständen, wie den ganzen sozialen Verhältnissen, in denen der Säugling 
geboren wird und seine Ernährung und Pflege erhält, eine gewisse Bedeu¬ 
tung mit Bezug auf die Säuglingssterblichkeit zukommt, läßt sich nicht 


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Die Entwickelung der Säugliugsfürsorge und deren Stand Ende 1907. 459 


verkennen. Anderex - seits wird aber von anderer Seite gewarnt, diese Momente 
im Kampfe gegen die Säuglingssterblichkeit zu überschätzen, wie dieses 
auch in der Diskussion zu dem Prausnitz sehen Vorträge hervorgehoben 
wurde. 

Treffend äußerte damals der leider nicht mehr unter den Lebenden 
weilende Medizinalrat Reineke-Hamburg, 

„daß die YentilationsVerhältnisse die Hauptsache bildeten, erscheine ihm 
zweifelhaft. Es sei gewiß schwierig, in engen, warmen, dunkeln, schleoht gelüfteten 
Räumen die Milch gut zu konservieren, doch glaube er, daß die schmutzigen Lebens¬ 
gewohnheiten der Bewohner die Hauptrolle spielen. Schlechte Wohnungen und 
schmutzige Menschen ziehen sich gegenseitig an, da werde die Milch sorglos auf¬ 
bewahrt, die Küche sei unsauber, die Gefäße würden nicht genügend rein gehalten, 
alte Milchreste wieder verwendet usw. Bei derartigen Menschen und derartigen 
Verhältnissen dürfte es eben, wie dieses oben schon erwähnt wurde, notwendig 
sein, die Milch in sterilisierten oder pasteurisierten kleinen, trinkfertigen Portionen 
abzugeben“. 

Als Ursachen, die das kindliche Leben in so verhängnisvoller und weit 
über das natürliche Maß hinausgehender Stärke gefährden, führt Finkei¬ 
stein 8b ) zwei an: 

„Vereint“, sagt er, „lehren uns tägliche Erfahrung und Statistik zwei Gründe 
von fundamentaler Bedeutung kennen. Der erste und vor allem zu betonende ist 
die Vorenthaltung der natürlichen Nahrung und ihr Ersatz durch unnatür¬ 
liche, für den Säugling nur bedingt geeignete Surrogate. Auf der anderen Seite 
ist in weitem Umfange für die Lebensaussichten des Kindes bestimmend die Gunst 
oder Ungunst der sozialen Verhältnisse, in die es hineingeboren wird.“ 

Da es leider nicht in menschlicher Macht steht, die traurigen sozialen 
Verhältnisse vieler Tausende in den Großstädten zu beseitigen, so wird sich 
die Säuglingsfürsorge zunächst darauf beschränken müssen, hauptsächlich, 
wenn auch Neben punkte nicht zu vernachlässigen sein werden, dabin zu 
wirken, daß den Kindern die Mutterbrust erschlossen wird, oder, wo 
dieses aus irgend welchen Ursachen nicht angängig ist, daß ihnen für die 
künstliche Ernährung eine einwandfreie Milch gesichert wird. 

ln dieser Richtung hat sich auch im wesentlichen die Säuglingsfürsorge 
bisher entwickelt. Bei deren Besprechung ist in erster Reihe Frankreich 
zu nennen, das Land, in dem man, wie eingangs schon erwähnt wurde, am 
frühesten und in ausgedehntestem Maße den Kampf gegen die Säuglings¬ 
sterblichkeit aufgenommen hat. Es mögen zunächst die Bestrebungen Er¬ 
wähnung finden, die sich auf die gesundheitsgemäße Ernährung der Säug¬ 
linge richten. 

Im Jahre 1894 begründete Dufour in Fecamp eine für die Säuglings¬ 
fürsorge bestimmte Einrichtung, welche er goutte de lait nannte. Nach 
v. Ohlen M ) war der Zweck dieser Einrichtung, die Mutter zunächst zum 
Stillen zu ermuntern und sie hierbei zu beraten, uud wo sich dieser Zweck 
nicht erreichen ließ, lieferte die Anstalt sterilisierte und vorher humanisierte 
Milch*). Nach dem Vorgänge von Fecamp wurden bald an vielen Orten der 
Säuglingsfürsorge bestimmte und gouttes de lait genannte Einrichtungen 
begründet, die jedoch von der Anstalt in Fecamp darin im wesentlichen ab- 

*) Da« Humanisieren der Milch (materniser le lait) besteht darin, daß sie 
mit der Hälfte Wasser verdünnt und ihr dann auf das Liter etwa 20 g frischer 
Rahm, 35 g Laktose und 1 g Kochsalz zugesetzt werden. 


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I>r. Xesemann, 


wichen, daß sie nicht die Erzielung der nat&rliohen Ernährung bezweckten, 
sondern sich die Aufgabe stellten, einwandfreie Milch für die künstliche Er¬ 
nährung zu beschaffen. 

Zurzeit überzieht ein Netz solcher gouttes de lait ganz Frankreich. 
Soviel aus der Literatur ersichtlich ist, geben sie die Milch teils roh, teils 
sterilisiert in trinkfertigen Portionen, und zwar an Private gegen volles 
Entgelt, an Bedürftige aber zu geringerem Preise ab. Die großartigste 
dieser Einrichtungen ist das von H. de Rothschild 1898 auf Veranlassung 
der Commission pour l’etude du lait begründete l’Quevre philantrophique 
oder laiteries philantropiqueB in Paris. 

Nach Keller 25 ) bat eine Gesellschaft von Molkereien in der Umgebung 
von Paris sich verpflichtet, dem Institut die Milch unter Bedingung der 
Reinheit und guten Qualität zu liefern. 

Nach Bugger 8 “), dem wir hierin folgen, wird in der Anstalt frische 
sowie sterilisierte Milch zu 60, 100, 150, 200 und 1000 g verabfolgt 
Frische Milch kostet 25 Cents pro Liter. Der Preis der sterilisierten Milch 
ist geringer als in den gewerbsmäßigen Verkaufsstellen und wird nur an 
Personen des Arbeiterstandes und an Arme abgegeben. Außerdem werden 
an Wohltatigkeitsgesellschaften, Polikliniken, Ärzte und Krippen Bons ver¬ 
kauft, die sie an bedürftige Mütter verschenken. Diese erhalten dann für 
die Bons frische und sterilisierte Milch zu halben Preisen oder auch ganz 
unentgeltlich. Eine Anzahl von Depots befindet sich in den volkreichsten 
und ärmsten Quartieren von Paris. Das Institut war zunächst auf Wohl¬ 
tätigkeit angewiesen, deckt aber jetzt seine Unkosten durch Erzielung eines 
kleinen Gewinnes und gibt monatlich 5O0 bis 600 FrcB. für Gratis¬ 
bons aus. 

Die Ansichten über den Nutzen der gouttes de lait sind in Deutschland 
geteilt, und auch in Frankreich wird ein solcher nur teilweise und bedingt zu¬ 
gegeben, so von Peyraux 23 ) und Riviöre 24 ). Allerdings dürfte bei nicht 
befriedigenden Resultaten zu berücksichtigen sein, daß das Material der 
gouttes de lait häufig ein ungünstiges ist, da die gouttes de lait, wie sich 
bei Keller 25 ) erwähnt findet, nach einer Veröffentlichung von Variot erst 
dann von den Müttern aufgesucht werden, wenn die Kinder entwöhnt oder 
wenr^ sie krank sind 2,; ). 

Im Jahre 1892 wurde von Professor Budin in der Pariser Charite die 
erste Consultation des nourrissons zu dem Zwecke gegründet, die in der Anstalt 
geborenen Kinder auch nach der Entlassung aus der Anstalt zu überwachen und 
den Müttern bei der Ernährung und Pflege ihres Kindes mit Rat zur Seite 
zu stehen. Gleiche Einrichtungen wurden auf seine Veranlassung noch an 
anderen Pariser Gebäranstalten getroffen. Außerdem wurden in Paris noch 
ähnliche Anstalten, die ihre Fürsorge aber auch auf andere als in der An¬ 
stalt geborene Kinder erstreckten, teils im Anschluß an Polikliniken, teils 
aber auch auf Veranlassung des Conseil general de la Seine und unter 
Leitung und Kontrolle der Assistance publique eingerichtet, ebenso in 
einzelnen Städten der Provinz. Einzelne dieser Consultations übernahmen 
nicht nur die ärztliche Überwachung der an der Mutterbrust ernährten 
Säuglinge, sondern auch die Beschaffung einwandfreier Kuhmilch für die 
künstlich ernährten. 


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Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren Stand Ende 1907. 461 


In Paris gibt es nach Oppenheimer 30 ) 25 solcher öffentlichen Be¬ 
ratungsstellen, an denen die Mütter Rat erhalten und zum Stillen angehalten 
werden. Die Kinder müssen alle 14 Tage in die öffentliche Sprechstunde 
gebracht werden, wo sie gewogen werden und die Mütter Rat erhalten. 
Nach Fernbleibenden wird geforscht. Fleißige Besucherinnen erhalten 
Wäschestücke, Mütter, die vier Monate stillen, Geldprämien. 

In Rouen werden von einer Anstalt sogar je 3 Pfund wöchentlich an 
die stillenden Mütter verteilt' 1 ). 

Wie aus dem obigen hervorgeht und wie von Keller (a. a. 0.) noch 
besonders betont wird, ist somit der Hauptunterschied der Consultations und 
der gouttes de lait der, daß diese für einwandfreie Kindermilch behufs ge- 
Bundheitsgemäßer körperlicher Ernährung sorgen, während jene die Aufgabe 
haben, die Mütter zum Stillen anzuhalten, sie über Säuglingsernährung und 
Säuglingspflege zu belehren und die Kinder selbst ärztlich zu überwachen. 

Nun hebt Pfaffenholz allerdings hervor, daß diese Consultations in 
durchaus speziellen Pariser Verhältnissen begründet seien. Die Hälfte der 
Pariser Kinder, gleichviel ob ehelich oder unehelich, werden in den Mater- 
nit4s geboren, und für diese Kinder sei an vielen Gebäranstalten eine con- 
Bultation des nourrissons angegliedert. Die in der Anstalt geborenen Kinder 
wurden, falls sich die Mütter dazu bereit erklären, unter ärztlicher Aufsicht 
gehalten und die Mütter zum Selbststillen angehalten, während für künst¬ 
liche Nahrung nur in Notfällen gesorgt werde. 

Wenn die Fürsorge durch die Consultations sich immerhin auf eine 
ziemlich große Anzahl von Kindern erstrecke und diesen zweifellos von 
Nutzen sei, so komme sie nach Pfaffenholz doch fast ausschließlich den in 
den Gebäranstalten geborenen Kindern zugute. Mit Recht plädiert daher 
Maquot 31 ) für eine Verbesserung und Verallgemeinerung der allgemeinen 
Säuglingsfürsorge und dafür, daß die Einrichtung der Consultations weiter 
ausgebaut werde. 

Auf einem anderen Wege sucht Riviere 24 ) die Wohltaten der Säug¬ 
lingsfürsorge allen Säuglingen zuteil werden zu lassen. Auf dem Congres 
d'Assistence publique zu Bordeaux im Jahre 1903 bestimmte er unter Zu¬ 
stimmung der Versammlung eine ständige Überwachung oller Säuglinge, die 
sich auf Ernährung, Pflege und Hygiene zu erstrecken habe. Nur der Arzt 
sei imstande, dieser Pflicht gerecht zu werden. Diese Patronage des 
nourrissons ergänze und vervollständige die Bestrebungen der Societes pro- 
tectrices de l’enfances, der gouttes de lait etc. 

Den Consultations des nourrissons gleich scheinen die „Mütterschulen“ 
zu wirken, die in einer Anzahl von französischen Städten im Anschluß an 
Wöchnerinnenasyle gegründet sind und sich nach Dietrich 21 ) bewährt haben. 

Eine vorzügliche Anstalt besitzt nach Sleuber 23 ) Paris in dem hospice 
des enfants assistes, in das die Kinder ohne weitere Formalität aufgenommen 
und mit Kuhmilch genährt werden. Sind sie gesund, so werden sie in die 
Umgebung von Paris zu Bäuerinnen gebracht, die ihre Kinder schon entwöhnt 
haben, und die Verpflichtung erhalten, die Pflegekinder bis zum 10. Monat 
zu stillen. 

Über das Nebeneinanderbestehen und die Unterschiede verschiedenerWohl- 
fahrtseinrichtungen in Boulogne sur mer erfahren wir bei Aigre 29 ) näheres. 


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I)r. Nesemann, 


Danach bestanden dort 1. Secours d’allaitement: die stillende Mutter 
bekommt eine Geldunterstützung; 2. Gouttes de lait: es wird sterilisierte 
und der ('rauenmilch ähnlich gemachte Milch an die Säuglinge verteilt; 
3. Consultations des nourrissons: die Säuglinge sollen unentgeltlich gewogen 
und Ratschläge an die Mütter erteilt werden. 

Wie Aigre erwähnt, hat von den Consultations in dem ersten Jahre 
überhaupt keine Mutter Gebrauch gemacht. 

Von wohltätigen Gesellschaften, die in Frankreich ihre Tätigkeit ganz 
oder zum Teil der Säuglingsfürsorge widmen, nennt Keller (a. a. 0.): 
La societe de charit4 maternelle, l’association des femmes en couche de 
Mulhouse, la societe de l’allaitement maternel, le patronage des enfants 
en bas äge, la societe philantropique und die Vereinigung des Dames 
moucoires. 

Die in vielen Städten Frankreichs bestehenden societes de charite 
maternelle sind für stillende Mütter begründet worden, die, falls sie monat¬ 
lich 50 Centimes Beitrag gezahlt haben, nach der Entbindung wöchentlich 
18 Franks erhalten. Ähnlichen Zwecken dient die mutualite maternelle. 

Um die Mütter über die zweckmäßige Ernährung der Säuglinge zu be¬ 
lehren, werden seit einigen Jahren von den Standesämtern Merkblätter ver¬ 
teilt, die eine kurze Anweisung über natürliche, gemischte und künstliche 
Ernährung der Säuglinge enthalten. Die Merkblätter sind als Anlage 5 
der in der preußischen Medizinalabteilung bearbeiteten Denkschrift - S1 ) ab¬ 
gedruckt. Diese Denkschrift, die in klarer und objektiver Weise die Frage 
der Ursachen und die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit im einzelnen 
behandelt, enthält auch über das Krippenwesen in Frankreich interessante 
Angaben. Unter Krippen versteht man, wie wohl bekannt sein dürfte, An¬ 
stalten, in denen zarte Kinder, während die Mütter ihrem Erwerb nach¬ 
gehen, tagsüber aufbewahrt und verpflegt werden. Diese Krippen bestehen 
in Frankreich seit dem Jahre 1840 und haben infolge ihrer schnellen Zu¬ 
nahme im Jahre 1862 sogar eine gesetzliche Regelung gefunden, die sieb 
namentlich auch vor der Eröffnung einer Krippe auf eine sanitätspolizeiliche 
Kontrolle aller Einrichtungen und die Qualifikation der Pflegerinnen er¬ 
streckt. Für diese Krippen werden vom Staate und den kommunalen Be¬ 
hörden nicht unbedeutende Summen aufgewendet. Meist sind die Krippen 
an Fabriken und größere Arbeitsstätten angegliedert und enthalten be¬ 
sondere Stillzimmer, in denen die Arbeiterinnen ihren Kindern die Brust 
reichen können. Plakate machen die Arbeiterinnen auf die Nützlichkeit der 
Krippen aufmerksam und sichern den selbst stillenden weite Zugeständnisse zu. 

Das Ziehkinderwesen ist durch ein besonderes Gesetz vom Jahre 
1874, die loi Roussel, geregelt, das einen sehr wohltätigen Einfluß ausüben 
soll 84 ). Außer den genannten Fürsorgeeinrichtungen für Säuglinge sind 
noch in Frankreich Findelhäuser. 

Nach der ausführlichen Besprechung der Säuglingsfürsorge in Frank¬ 
reich kann diese Fürsorge in den außerdeutschen Staaten kürzer behandelt 
werden, da sie vielfach eine ähnliche wie in Frankreich und der dortigen 
nachgebildet ist. Namentlich in England und Amerika sind in einzelnen 
größeren Städten Milchkücben und sonstige Einrichtungen zur Milchvertei¬ 
lung getroffen worden, für die die gouttes teils direkt vorbildlich waren. 


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Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren Stand Ende 1907. 463 

In England sind solche Milchdepots, wie sie dort genannt werden, vielfach 
von den kommunalen Verwaltungen eingerichtet worden. Das erste Milchdepot 
in England eröffnete die Stadt St. Helens, nachdem sie durch eine besondere 
Kommission die gouttes de lait in Frankreich hatte studieren lassen, im Jahre 
1899. Andere Depots wurdenin Ashton-conder-Lyne in Leith (Schottland), Liver¬ 
pool und dem Londoner Stadtbezirk Batterse eingerichtet. Näheres über diese 
Milchdepots und deren gute Resultate findet sich bei Pfaffenholz (a. a. 0.). 
Ans Amerika erwähnt dieser namentlich die Einrichtungen der Kindermilch- 
anstalt aus Rochester, einer Stadt von 160000 Einwohnern, über die er im 
Jahre 1903 zuletzt näheres erfahren hatte. Ganz besonders wurde dort 
auf Gewinnung einwandfreier Milch Wert gelegt, da man zum großen Teil 
die große Kindersterblichkeit des Ortes auf die schlechte Milchbeschaffenheit 
zorückführte. Während die Milch im Anfänge in den Milcbdepots sterili¬ 
siert wurde, ging man von diesem Verfahren später ah und ließ die Milch 
direkt auf der Farm verarbeiten, wo sie unter möglichst aseptischen Kautelen 
gewonnen und gefüllt wurde. Außerdem ist Rochester wahrscheinlich bisher 
die erste Stadt, die bei der Milchkontrolle die Zählung der Keime in 1 ccm 
eingeführt hat. Die Resultate waren so gute, daß Rochester trotz Zunahme 
der Bevölkerung in 12 Jahren eine Abnahme der Sommersterblichkeit um 
fast die Hälfte erzielte. 

Andere amerikanische Städte, die ähnliche Einrichtungen haben, 
namentlich auch Newyork, sollen doch nicht einen ähnlichen günstigen Er¬ 
folg haben. In Newyork, wo, wie Weise 25 ) erwähnt, ein besonderes System 
durch den verdienstvollen Bürgermeister Strauss eingeführt ist, erfolgt die 
Milchverteilung nicht von Polikliniken aus, sondern teils durch Private, teils 
durch die ärztlichen Sanitätsinspektoren. Die Einrichtung wirkt in so 
großem Maßstabe, daß im Jahre 1903 über lVj Millionen Portionen 
pasteurisierter Säuglingsmilch verteilt wurden. 

In Washington wird die von einer Farm gelieferte Milch mit Bezug auf 
den Viehstand und die Art ihrer Gewinnung von einem Tierarzt, einem 
Arzt, einem Chemiker und einem Bakteriologen geprüft 82 ). 

Bekannt sind die vorzüglichen Milchverhältnisse Dänemarks, wo sich 
die Milchgewinnung und Milch Verarbeitung auch in hygienischer Beziehung 
auf einer hohen Stufe befindet. Bei der großen Produktionsfähigkeit des 
Landes an Milch gelangt daher eine einwandfreie Milch nach Kopenhagen 
und ist dort zu einem billigen Preise erhältlich. Ein Liter rohe Säuglings- 
xnilch kostete nach Pfaffenholz im Jahre 1903 in Kopenhagen 22 Pfennig. 
Besonders scheinen diese vorzüglichen Milchverhältnisse auch dem Umstande 
zuzuschreiben zu sein, daß der Kleinhandel fast beseitigt ist und der Milch¬ 
vertrieb durch zwei große Gesellschaften stattfindet, die Säuglingsmilch in 
trinkfertigen Einzelportionen abgeben. 

Dr. H. de Rothschild 88 ), der in offiziellem Aufträge die Milcheinrich- 
tungen Kopenhagens zu studieren hatte, schreibt in seinem Bericht die 
auch während der größten Sommerhitze Kopenhagens geringe Sterblichkeit 
der Säuglinge der vorzüglichen Milchversorgung der Stadt zu. 

In Wien 84 ) hat der Verein „Säuglingsschutz“ die Säuglingsfürsorge 
übernommen. Der Wirkungskreis der von ihm gegründeten Schutzstelle 
umfaßt sowohl den der französischen gouttes de lait als auch den der Con- 


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Dr. Nesemann, 


sultations de nourrissons. Die Schutzstelle dient ausschließlich den Bedürf¬ 
nissen unbemittelter Personen und hat sich hauptsächlich die Überwachung 
gesunder Säuglinge zum Zweck gesetzt. Die natürliche Ernährung wird 
durch Gewährung von Stillprämien gefördert, nur wenn die Mütter zum 
Stillen ungeeignet sind, erhalten sie die sterilisierte Kuhmilch in entsprechen¬ 
der Verdünnung portionsweise täglich. 

In Krakau sind 1905 nach französischem Muster gouttes de lait ein¬ 
gerichtet a6 ). 

Nach anderer Richtung hin sind die Bestrebungen anderer Länder auf 
dem Gebiete der Säuglingsfürsorge erwähnenswert. 

In Ungarn hat der Staat in weitgehender Weise sich der Säuglings¬ 
fürsorge angenommen. Nach den Worten yon Dr. Alexander Szana 
(Temesvar) auf dem 14. internationalen Kongreß für Hygiene und Demo¬ 
graphie zu Berlin im Jahre 1907 hat in Ungarn jedes Kind, welches nicht 
versorgt werden kann, Anspruch auf Versorgung durch den Staat. Das 
wesentlichste an der Fürsorge des sogenannten ungarischen Systems ist der 
Umstand, daß nicht erst mit Prüfung der Bedürfnisfrage, wie in anderen 
Ländern, kostbare und für den Neugeborenen oft verhängnisvolle Zeit ver¬ 
loren wird, sondern daß er sofort Aufnahme zusammen mit der Mutter in 
einem nach modernen hygienischen Grundsätzen eingerichteten Kinderasyl 
findet. Von den Asylen aus werden dann Mutter und Kind in Einzelpflege 
gegeben. Ein besonderer Vorzug dieses Systems besteht nach Szana darin, 
daß es, wenn irgend möglich, Mutter und Kind beisammen läßt und damit 
die natürliche Ernährung der Säuglinge erzielt. Alle Fürsorgezöglinge 
werden fortdauernd ärztlich kontrolliert 3 *). 

In Italien hat nach Keller (a. a. 0.) jede Frau, die in einem Fabrik¬ 
betriebe arbeitet, das Recht, außerhalb der üblichen Ruhepausen vormittags 
und nachmittags je einmal zu ihrem Kinde zu gehen. In Italien sowohl 
wie in Portugal ist ferner gesetzlich vorgeschrieben, daß in Fabrikbetrieben 
mit mehr als 50 Arbeitern ein außerhalb der Fabrikräume belegener sauberer 
und gut gelüfteter Raum vorhanden sein muß, in dem die Frauen ihre 
Kinder stillen können. 

Als Kuriosum möge noch Erwähnung finden, daß man vor 200 Jahren 
in Schweden, da die Mütter anfingen, sich ihrer Stillpflicht zu entziehen, mit 
Polizeist'rafen gegen die säumigen vorging. Es wird uns nicht berichtet, 
ob diese Maßnahmen zu dauerndem Erfolge geführt haben. 

Nach Norwegen, wo das Nichtstillen die Ausnahme bildet, gehört aller¬ 
dings auch heute Schweden mit England, Schottland, Dänemark, Holland 
und die Schweiz zu den Ländern, wo das Stillen am verbreitetsten ist und 
auch die Säuglingssterblichkeit sich in unteren Grenzen hält. 

Wir kommen nunmehr zu Deutschland. Nach v. Ohlen 82 ) war die 
erste den gouttes de lait ähnliche Anstalt und vielleicht älteste Einrichtung 
dieser Art überhaupt die 1889 von Pastor Manchot im Gemeindehause der 
St. Gertrudengemeinde begründete, die sich aus ganz kleinen Anfängen ent¬ 
wickelte und zurzeit in dem Stadtteile Barmbeck eine nicht unbedeutende 
Tätigkeit entwickelt. Sie verlangt nicht den Nachweis der Unbemittelt heit, 
wohl aber eine auch die Zusammensetzung der Milch im Einzelfalle vor¬ 
schreibende ärztliche Verordnung. Diese wie ähnliche Einrichtungen in 


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Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren Stand Ende 1907. 465 

anderen Städten umfaßten doch nur einen kleinen Wirkungskreis und 
dienten teils nur ganz bestimmten Zwecken, wie die vom Verein zur Unter¬ 
stützung und Verpflegung aimer Wöchnerinnen in Berlin eingerichtete 
Milch Verteilung, die vorzugsweise für Zwillingsmütter bestimmt ist. 

Um die Betätigung in dieser Richtung zu einer allgemeinen zu machen, 
war es noch nötig, das öffentliche Interesse für die Sache der Säug¬ 
linge zu wecken. Nicht zum wenigsten darf der Deutsche Verein für 
öffentliche Gesundheitspflege das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, 
aufklärend und fördernd gewirkt zu haben. Hierzu war aber dieser Verein 
ganz besonders berufen, da zu seinen Mitgliedern nicht nur Mediziner, 
sondern auch viele Bürgermeister und sonstige Vertreter großer deutscher 
Städte gehören, die hier einen Einblick in die traurigen Verhältnisse der 
deutschen Säuglingssterblichkeit und gleichzeitig Anregung erhielten und 
Wege kennen lernten, um in ihren Kommunen auf Besserung dieser Ver¬ 
hältnisse hinzuwirken. Nachdem schon im Jahre 1900 Professor Praus- 
nitz (Graz) die Ursachen und Bekämpfung in der Versammlung in Trier 
in einem längeren Referate, an das sich eine lebhafte und lehrreiche Debatte 
knüpfte, vor Augen geführt hatte, behandelte Professor Dunbar (Hamburg) 
1903 in der Versammlung in Dresden die Milchversorgung der Städte mit 
besonderer Berücksichtigung der Säuglingsernährung in anregender Weise. 

Außer dem Deutschen Verein für öffentliche Gesundheitspflege hat, ab¬ 
gesehen von der Behandlung der Angelegenheit in reinen Fachvereinen, 
auch der um die Gesundheitspflege sehr verdiente Niederrheinische Verein 
für öffentliche Gesundheitspflege die Säuglingsfürsorge mehrfach in seinen 
Generalversammlungen zum Gegenstand der Verhandlungen gewählt, und 
auch im Deutschen Verein für Armenpflege und Wohltätigkeit ist die Be¬ 
kämpfung der Säuglingssterblichkeit im Jahre 1905 Gegenstand hochinter¬ 
essanter Besprechungen von Brugger (Cöln), Professor Finkeistein 
(Berlin) und Marie Baum gewesen*). Wohl nicht zum geringsten ist es 
diesen Verhandlungen zu verdanken, wenn die Säuglingsfürsorge von weiten 
Kreisen und vor allem von vielen Kommunen als eine dringend zu erfüllende 
Aufgabe erkannt wurde. 

Brugger erwähnt (a. a. 0.), daß nach einer an 176 Städte gerichteten 
Umfrage im Jahre 1905 folgende, der Säuglingsfürsorge dienenden Milch¬ 
verteilungsanstalten bestanden: In Bielefeld, Breslau, Dortmund, Dresden, 
Eisleben, Elberfeld, Hörde, Königsberg i. Pr., Konstanz, Lübeck, Neiße, 
Rathenow, Remscheid, Saarbrücken, Stettin, Stolp wurde seitens der Armen¬ 
verwaltung Rohmilcb, in Danzig, Düsseldorf, Halle, Kassel, Kottbus, Pots¬ 
dam, Straßburg, Trier, Leipzig sterilisierte oder pasteurisierte Milch ab¬ 
gegeben. In trinkfertigen Einzelportionen wurde sterilisierte Milch von der 
Stadt an Arme unentgeltlich, an andere für einen mäßigen Preis abgegeben 
in Aachen, Koblenz, Crimmitschau, Reichenbach, Stuttgart, Hamburg, Magde¬ 
burg, M.-Gladbach, B.-Gladbach und Cöln. In Posen wird durch den Vater¬ 
ländischen Frauen verein, in Frankfurt a. M. dnrch den Armen verein und 
in Düren durch ein besonderes Komitee gleichfalls sterilisierte Milch in 
trinkfertigen Portionen abgegeben. Eigene städtische Milchkuranstalteu 


*) Die Referate sind in den unter *) angegebenen Schriften enthalten. 

Vierteljahr«»chrilt für Gesundheitspflege, 1908. 3Q 


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Dr. Nesemann, 


besitzen B.«Gladbach, M.-Gladbach, Malmedy und Cöln, die Errichtung 
weiterer Anstalten planen die Stadtverwaltungen in Aachen, Eschweiler, 
Eupen, Bonn, Königshütte und Stolberg. In einzelnen anderen Städten 
haben Wohltätigkeitsanstalten die Errichtung von Milchküchen in Angriff 
genommen. 

Es ist danach unverkennbar, daß die Kommunen immer mehr die Fürsorge 
für die Säuglinge unter ihre Aufgaben rechnen und damit auch eine Aufgabe 
zu erfüllen suchen, die ihnen bereits im Jahre 1877 in der Versammlung 
des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege Biedert und Heuber 
zugewiesen hatten, indem sie beide forderten, daß die Kommunen, wie für 
die Beschaffung eines guten Trinkwassers, auch für die einer reinen Milch, 
zumal als Säuglingsnahrung, zu sorgen hätten, und daß die Errichtung von 
Musteranstalten ebenfalls zu den hygienischen Verpflichtungen der Kommunen 
gehöre 37 ). 

Erwähnenswert dürften an dieser Stelle noch die von einzelnen Wohl- 
tätigkeitsanstalten, Kommunen und weiteren Bezirken in größerem Ma߬ 
stabe getroffenen Einrichtungen sein. 

Die älteste städtische Fürsorge für einwandfreie Milch dürfte wohl in 
Straßburg bestehen, wo schon im Jahre 1899 die Stadt eine nach 
dem Forsterschen Verfahren pasteurisierte Milch gegen Gutscheine die 
9 / 10 -Literflasche, für die sie selbst 20 Pfennig zahlt oder wenigstens früher 
zahlte, für 15 Pfennig abgibt. Die Gutscheine wurden Ärzten, Hebammen, 
Waisenräten, Armenpflegern usw. zur Verteilung übergeben. Seit 1900 
gibt die Armenverwaltung auch unentgeltlich Gutscheine aus. In den Etat 
der Stadt waren im Jahre 1903 für die Kosten der Milchabgabe 5000 «.# 
eingestellt worden. Der Erfolg dieses Verfahrens soll auch mit Bezug auf 
die Sterblichkeit der Säuglinge ein günstiger sein. 

In Hamburg haben sich nach Sieveking 88 ) die Säuglingsmilchküchen 
der alten Patriotischen Gesellschaft, die 1904 in bescheidenem Umfange ihre 
Tätigkeit begonnen, zu einem weitverzweigten Betriebe ausgedehnt, der mit 
drei Hauptküchen und zwölf Ausgabestellen in Hamburg sowie zwei in 
Harburg den größten Teil des Stadtgebietes umfaßt. Am 15. August v. J. 
betrug der Tagesverbrauch rund 1250 Liter, und es wurden täglich 
7600 Flaschen an 1350 Kinder abgegeben. Die Gewinnung und die Be¬ 
förderung der Säuglingsmilch steht unter steter Kontrolle des Vereins 
„Gesunde Milch“. Die Milch wird außer den für die Armen bestimmten 
Portionen, die vom Armenarzt verschrieben und unentgeltlich abgegeben 
werden, gegen Zahlung geliefert. Die Berechnung des Preises richtet sich 
nach dem Milchgehalt einer jeden der drei in der Milchküche zubereiteten 
Mischungen, indem der Preis der Vollmilch mit 25 Pfennig für das Liter 
zugrunde gelegt wird. Sämtliche Milch wird in einem Wasserbade 10 Minuten 
lang auf 70° erhitzt und nach erfolgter Zubereitung in trinkfertigen Por¬ 
tionen abgegeben. 

Wie der Verfasser bei seinem Aufenthalt in Hamburg im Herbst 1906 
erfuhr, kommt leider diese groß angelegte Fürsorge vorläufig nicht denen 
zugute, für die sie wohl in erster Reihe bestimmt ist, da die ärmeren Klassen 
bisher von ihr wenig Gebrauch machen. 


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Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren Stand Ende 1907. 467 

Die Säuglingsmilchanstalt der Stadt Cöln dürfte nach den Ausführungen 
Siegerts 87 ) die größte in Deutschland sein. Die Anstalt soll nur als Wohl¬ 
fahrtseinrichtung dienen, S&uglingsmilch wird daher nur an Personen ab¬ 
gegeben, die nicht mehr als 2000 Mark Einkommen haben. Bei einer Tages¬ 
portion (6 bis 7 Fläschchen) setzt die Stadt ungefähr 4 bis 6 Pfennige zu. 
Die Milchlieferung erfolgt durch Landwirte, die sich einer strengen Kontrolle, 
auch der Ställe, haben unterwerfen müssen. Die Abgabe der in der Anstalt 
durchweg sterilisierten Milch erfolgt in einer Anzahl über die ganze Stadt 
verstreuter Ausgabestellen in trinkfertigen Einzelportionen. Die Armenver¬ 
waltung, welche für die von ihr unterstützten Mütter die Milch aus der 
Anstalt gegen Zahlung des Selbstkostenpreises entnimmt, hat, um nicht etwa 
durch die Milchlieferungen das Selbststillen der Mütter zu verhindern, die 
nachahmenswerte Einrichtung getroffen, daß die stillenden Mütter eine nicht 
unbedeutende monatliche Geldunterstützung erhalten, während den nicht¬ 
stillenden anstatt der Geldunterstützung Säuglingsmilch geliefert wird. 

Auch Aachen hat eine Milchversorgungsanstalt vor kurzem eingerichtet, 
für deren Betrieb die Stadt die Milch selbst zu produzieren gedenkt, indem 
sie auf einem ihrer Güter zur Gewinnung der Milch eine Musteranstalt ein¬ 
zurichten beabsichtigt. Durch die Armenärzte soll eine fortlaufende Kontrolle 
des Gesundheitszustandes der unter Armenpflege stehenden Säuglinge statt¬ 
finden, außerdem soll eine Pflegerin sich in die Wohnungen der betreffenden 
Mütter und Pflegemütter begeben, um die Behandlung der Milch und Pflege 
der Säuglinge zu überwachen. 

In Halle a. S. hat Fränkel unter pekuniärer Beihilfe der Stadt im 
Jahre 1902 eine auf ähnlicher Basis wie in Straßburg beruhende Milch¬ 
verteilung in einem von der ärmeren Bevölkerung bewohnten Stadtteil 
organisiert 7 ). Es wird einwandfreie sterilisierte Milch gegen Blechmarken, 
die gegen Zahlung von 8 Pfennigen für das halbe Liter abgelassen werden, 
abgegeben. Fränkel glaubt ein Abnehmen der Darmerkrankungen und 
damit auch der Sterblichkeit der Säuglinge dieses Bezirks konstatieren zu 
können. 

Bergisch-Gladbach hat eine, wie in Cöln, an den Schlachthof an¬ 
gegliederte Milchsterilisierungsanstalt. Die Milch wird aus einer unter tier¬ 
ärztlicher Kontrolle stehenden ländlichen Milchwirtschaft geliefert und billig 
abgegeben. Zuschüsse leisten die Stadtsparkasse und der Vaterländische 
Frauenverein. 

München-Gladbach, das auch für seine Kindermilohsterilisierungs- 
anstalt die Milch bisher von auswärts bezieht, hat eine eigene Kuhhaltung 
in Aussicht genommen (Brugger a. a. 0.). 

Kl ix ,a ) berichtet sehr ausführlich über eine große Milchküche, die die 
Stadt Posen mit 50 000 Mark errichtete, die dem Magistrat auf seinen 
Antrag von der Stadtverwaltung gelegentlich der silbernen Hochzeit des 
kaiserlichen Paares zur Verfügung gestellt worden sind. Die Milchküche 
ist ebenfalls wie in Cöln dem städtischen Schlachthof angegliedert und im 
Keller des Restaurationsgebäudes in sieben Räumen und einem Korridor 
untergebracht. Die Milch wird von zwei benachbarten Gutsbesitzern ge¬ 
liefert, deren Ställe mit Bezug auf Gesundheit des Viehes (Tuberkulinprobe) 
und Milchgewinnung dauernd kontrolliert werden, und möglichst aseptisch 

30* 


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Dr. Nesemann, 


gewonnen und behandelt,. sowie stark gekühlt gehalten. Trotz der vor¬ 
sichtigen Gewinnung und Behandlung wird die Milch zehn Minuten auf 
100° in der Milchküche erwärmt, ehe sie wieder auf 3 bis 4°C gekühlt und 
auf Flaschen gefüllt wird. 

Leute mit einem Einkommen bis zu 2000 Mark zahlen je nach der 
Mischung 15 bis 20 Pfennige, Wohlhabendere 20 bis 40 Pfennige für die 
auf Haschen verteilte Tagesportion. 

Die in Berlin und Leipzig geübte Art der Milch Verteilung wird bei 
der besonderen Besprechung der Fürsorgeeinrichtungen dieser Städte noch 
besonders Erwähnung finden. 

In ähnlicher Weise wie eine der oben näher beschriebenen Milchküchen 
sind wohl alle Milchverteilungsanstalten eingerichtet. 

Kommt deren Wirksamkeit nur der Bevölkerung einzelner Städte zu¬ 
gute, so hat auf Anregung des Regierungspräsidenten der ganze Regierungs¬ 
bezirk Aachen die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit begonnen. Wie 
Schiegten dal 40 ) erwähnt, sind, um die Milchverhältnisse zu verbessern, 
Tausende von Schweizer Zuchtstieren in den Bezirk eingeführt worden. Wo 
keine Kühe gehalten werden, oder sterilisierte Kuhmilch zu teuer ist, haben 
sich Ziegenzuchtvereine gebildet, um wenigstens gute Ziegenmilch zu ge¬ 
winnen. In einzelnen Kreisen haben viele Gemeinden, in einigen Kreisen 
sogar alle Gemeinden die Beschaffung frischer Kuhmilch für Säuglinge un¬ 
bemittelter Familien beschlossen. Im Kreise Düren haben die Gemeinden 
außerdem die Hebammen verpflichtet, die Behandlung der Milch in den 
Haushaltungen zu überwachen. 

Erwähnenswert sind noch die Bestrebungen der Gesellschaft zur Be¬ 
kämpfung der Säuglingssterblichkeit, durch von Tierärzten und Ärzten aus¬ 
geübte Stallkontrolle Berliner Molkereien, die sich freiwillig solcher Kontrolle 
unterwarfen, für möglichst saubere und einwandfreie Gewinnung von Milch 
für die Säuglingsernährung zu sorgen. 

Neben dieser Fürsorge für die Beschaffung einwandfreier Milch zur 
künstlichen Ernährung der Säuglinge gehen auch im Regierungsbezirk 
Aachen wie überall die Bestrebungen zur Beförderung der natürlichen Er¬ 
nährung an der Mutterbrust einher. 

Seitdem die Überzeugung sich immer mehr Bahn gebrochen hat, daß 
der Zurückgang des Stillens in Deutschland im allgemeinen nicht auf einen 
Zurückgang der Fähigkeit der Frauen, ihre Mutterpflicht zu erfüllen, 
sondern auf soziale Verhältnisse, vielfach auch geringfügige Ursachen zurück¬ 
zuführen ist, oder, um mit Taube 43 ) zu reden, daß das Nichtkönnen 
seltener ist als das Nichtwollen, bat eine zurzeit noch an wachsende Be¬ 
wegung eingesetzt, die natürliche Ernährung der Säuglinge in Deutsch¬ 
land zu fördern. 

Die Erkenntnis von der Notwendigkeit, die natürliche Ernährung der 
Säuglinge im Interesse des Volkswohls zu heben, hat nicht nur die Ärzte 
und großen Wohltätigkeitsvereine zur Propaganda angeregt, sondern auch 
die städtischen und staatlichen Behörden veranlaßt, sich an diesen Bestre¬ 
bungen zu beteiligen. Ein wesentliches Mittel, vorwärts zu kommen, sah 
man in der Belehrung der Frauen über ihre Pflichten ihren Kindern gegen¬ 
über. Was in dieser Richtung geschehen ist, findet sich in der bereits mehr- 



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Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren Stand Ende 1907. 469 

fach erwähnten Denkschrift 6 ) der preußischen Medizinalabteilung zusammen¬ 
gestellt und ist folgendes: 

Auf Anregung der deutschen Kaiserin hat der Vaterländische Frauen¬ 
verein, der mit seinen 1200 Zweigvereinen ganz besonders zu einer wirk¬ 
samen Agitation berufen ist, ein belehrendes Merkblatt zusammengestellt 
und den Standesämtern, die mit entsprechender Anweisung der höheren 
Dienststelle versehen sind, zur Verteilung übergeben. Das Merkblatt enthält 
Ratschläge zur Ernährung und Pflege der Kinder im ersten Lebensjahre, die 
sich nicht nur auf die Ernährung an der Mutter Brust, sondern auch auf 
künstliche Ernährung, Körperpflege des Kindes, Behandlung von Grind, 
Wundsein und Schwämmchen, Pflege kranker Säuglinge und Beruhigungs¬ 
mittel beziehen. 

Von dem Zweigverein Berlin des Vaterländischen Frauenvereins sind 
Kurse veranstaltet worden, in denen die Sänglingsernährung und Abwartung 
gelehrt wurde. Solche Kurse haben auch in Wiesbaden stattgefunden. 

Nachdem der Vaterländische Frauenverein seinerseits in den Kampf 
gegen die Säuglingssterblichkeit eingetreten war, gelang es auch, andere Ver¬ 
eine, so die Organisation der Frauenhilfe, für denselben Zweck zu gewinnen. 

Durch Erlaß vom 10. Februar 1905 veranlaßte der Minister der Medi- 
ziualangelegenheiten die Regierungspräsidenten zur Anweisung an die Kreis¬ 
ärzte, wonach sie mit den Vereinen zur Bekämpfung der Säuglingssterblich¬ 
keit enge Fühlung halten und sie unterstützen, sowie an allen Bestrebungen 
zur Aufklärung der Bevölkerung in betreff der Säuglingssterblichkeit teil¬ 
nehmen sollten. 

Auch die Hebammen wurden herangezogen und ihnen durch die Kreis¬ 
ärzte besonders zur Pflicht gemacht, die sich ihnen anvertrauenden Frauen 
zum Stillen anzuhalten. 

Ganz besonders ist dieses im Regierungsbezirk Aachen geschehen, wo 
der Regierungspräsident eine besondere Verordnung*) für die Hebammen 
erlassen hat, wonach diese zunächst mit ernster Entschiedenheit bei den 
Müttern darauf zu dringen haben, daß sie ihre Kinder mindestens drei 
Monate selbst stillen, und daß sie darauf zu dringen hat, einen Arzt zuzuziehen, 
falls eine Mutter anscheinend nicht selbst stillen kann. 

ln einzelnen Provinzen Preußens, sowie in einzelnen Städten wurden 
noch besondere Merkblätter ausgearbeitet und verteilt. 

Wegen seiner eindrucksvollen Kürze möge hier das von Brugger (a. a.O.) 
erwähnte Merkblatt der Stadt Düren Erwähnung finden, von dem der 
erste Absatz lautet: Mütter, gebt euern neugeborenen Kindern die Brust. 
Von Brustkindern sterben sechsmal weniger als von solchen, die künstlich ge¬ 
nährt sind. 

Die Gleichgültigkeit, Lässigkeit, oft auch die zwingende Not der Ver¬ 
hältnisse bringen es naturgemäß mit sich, daß die Verordnungen und Be¬ 
lehrungen allein oft versagen werden. Man hat sich daher auch in Deutsch¬ 
land, wie in Frankreich, zur besonderen Unterstützung oder Belohnung 
•fallender Mütter, zur Gewährung von Stillprämien entschlossen. Der 

*) Eine derartige Verordnung hat leider nur in solchen Bezirken Kraft, wo 
Bezirkshebammen von den Kreisen angestellt sind, nioht aber dort, wo nur frei 
praktizierende Hebammen tätig sind, wie in Berlin und anderen großen Städten. 


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470 


Dr. Nesemann, 


Erfolg dieser Stillprämien, wie sie u. &. nach dem Vorgang von Leipzig 
außer in anderen Städten auch in Berlin eingeführt sind, ist nach Salge 43 ) 
ein ausgezeichneter. Noch fehlten aber in Deutschland Stellen, von denen 
aus die Säuglinge unter stets ärztlicher Beobachtung gehalten werden und 
.von denen die Mütter stets Anregung zum Stillen und Bat bei der Er¬ 
nährung ihrer Kinder erhalten, wie sie Frankreich in seinen Consultations 
des nourrissons zu besitzen so glücklich ist. Es ist bereits oben darauf 
hingewiesen worden, daß sich die Einrichtung und der Betrieb der Consul¬ 
tations in Frankreich so erleichtert, da sie an die maternites, die Gebär¬ 
anstalten, an geschlossen sind, die dort eine so große Rolle spielen, daß in 
Paris wohl die Hälfte der Kinder in den Anstalten geboren werden. 

Ganz anders liegen die Verhältnisse in Deutschland, wo, wie Marie 
Baum 30 ) klagend hervorhebt, im Jahre 1902 nur 33 Wöchnerinnenasyle mit 
insgesamt einigen hundert Betten vorhanden waren. 

Nach Keller (a. a. 0.) haben noch untere Kinderpolikliniken, und dar¬ 
unter besonders die vorbildliche Breslauer Poliklinik mit den Consultations 
am meisten Ähnlichkeit. 

Die Breslauer Kinderpoliklinik wirkt mit drei Ärzten völlig im Sinne 
der Consultations. Musterhaft sind ferner die Einrichtungen der von Pro¬ 
fessor Schlossmann (jetzt in Düsseldorf) begründeten, mit einem Säuglings¬ 
heim in Verbindung stehenden Poliklinik in Dresden. 

Einen besonderen und den deutschen Verhältnissen angepaßten Weg 
bat wohl, soviel aus der Literatur ersichtlich, zuerst Berlin mit der Er¬ 
richtung von Fürsorgestellen betreten, zu welchem Zweck vorläufig 
90 000 Mark bewilligt und zur Errichtung von zunächst sechs Fürsorge- 
steilen bestimmt sind. Die Säuglingsfürsorgestellen dienen im allgemeinen 
demselben Zwecke wie die französischen Consultations, nur daß sie sich 
nicht auf bestimmte, in den Gebäranstalten geborene Kinder wie die 
französischen beschränken, sondern Rat allen den Müttern und Pflege¬ 
müttern zuteil werden lassen, die sich an sie wenden und Unterstützung 
denen, die ihrer bedürfen. Professor H. Neu mann 44 ) äußert sich über sie 
mit folgenden Worten: 

„Wie man etwas zu erreichen hoffen kann, zeigen die Berliner Säuglings- 
fürsorgestellen, welche dem neuesten Stande der praktischen und wissenschaftlichen 
Erfahrung entsprechen und gleichzeitig in ihrer Gesamtheit eine Leistung dar- 
8tellen, die nirgends in Deutschland erreicht wird. Dem Säugling die Mutterbrust 
zu erhalten, wird hier nicht nur durch die unablässige ärztliche Mahnung, durch 
Gegenüberstellung künstlich und natürlich ernährter Säuglinge, durch Vorträge u. dgl. 
angestrebt, sondern noch erfolgreicher durch Unterstützung mit Geld und Naturalien, 
die in jedem Fall und nach strenger Individualisierung und unter dauernder 
Kontrolle im Haus und in der Sprechstunde gewährt werden.“ 

Neumann erwähnt dann weiter, daß er oft nur sehr geringer Unter¬ 
stützungen bedarf. Künstlich ernährte Kinder werden nicht von der Für¬ 
sorge ausgeschlossen, da manche Kinder aus physischen Gründen nicht die 
Brust bekommen können; so erhielten 5292 Säuglinge künstliche Nahrung 
im Jahre 1906 umsonst. Neumann läßt in der ihm unterstehenden Säug¬ 
lingsfürsorgestelle nur für solche Kinder die Milch besonders in der Saug- 
lingsküche zubereiten, welche infolge chronischer Ernährungsstörungen oder 
besonderer Schwäche in besonders subtiler Weise genährt werden müBBen, 


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Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren Stand Ende 1907. 471 

allen übrigen künstlich genährten Kindern gibt er einwandfreie Milch roh 
in Flaschen ab. 

Soviel dem Verfasser bekannt, wird in anderen Berliner Fürsorgestellen 
dagegen die Milch nur sterilisiert oder pasteurisiert abgegeben. Im Jahre 
1906 wurden in den einzelnen Fürsorgestellen 112000 Konsultationen ge¬ 
währt und durch die den einzelnen Fürsorgestellen zugewiesenen Schwestern 
in den Wohnungen 20 677 Besuche gemacht. Dankbar anzuerkennen ist 
es, daß die Fürsorgestellen auch den unter polizeilicher Kontrolle stehenden 
Haltekindern auf eine die Notwendigkeit bescheinigende Anweisung der 
polizeilichen Aufsichtsdamen hin eine Woche und länger unentgeltlich Milch 
verabfolgen. Über Einrichtung, Betrieb und Ergebnisse der ihm unter¬ 
stehenden SäuglingsfürsorgeBtelle macht Neumann an anderer Stelle aus¬ 
führliche Angaben 45 ). 

Auch in Charlottenburg sind im Jahre 1905 vier Säuglingsfürsorge¬ 
stellen eingerichtet worden, von denen zwei vom Vaterländischen Frauen¬ 
verein, zwei vom Elisabeth-Frauen verein übernommen worden sind. Sie 
dienen der Aufklärung der Mütter vor der Entbindung über die normale 
Säuglingsernährung, der Pflege gesunder Säuglinge (Brust- und Flaschen¬ 
kinder) und deren Überführung, der Abgabe einwandfreier Säuglingsmilch 
sowie anderer Säuglingsernährungsmittel, die in zwei neu errichteten Milch¬ 
küchen hergestellt werden, teils zu mäßigem Preise, teils unentgeltlich. Zur 
Gewährung von Stillprämien waren im Jahre 1906 von der Stadt 6000 Mark 
zur Verfügung gestellt, außerdem noch 3000 Mark für den Hauspflegeverein, 
um unbemittelten Schwangeren vor der Entbindung Milch und gute Er¬ 
nährung zqkommen zu lassen. Über die Wirksamkeit der Säuglingsfürsorge¬ 
stollen in Charlottenburg ist soeben nachstehender Bericht erschienen. 

Vom 15. Juni 1905 bis zum 31. März 1906 wurden in dieser Fürsorge¬ 
stelle 958 Kinder vorgestellt, von denen 20 Proz. Brustkinder waren, vom 
31. März 1906 bis zum 31. März 1907 dagegen 2007 Kinder, von denen 
nur 48,38 Proz. Brustkinder waren. Nach dem Bericht wurde dieser Effekt 
durch den fortwährenden Hinweis auf die Notwendigkeit des Selbststillens 
und durch Gewährung von Stillprämien erreicht. Von den 2007 Kindern 
waren 83,86 Proz. ehelich, 16,14 Proz. unehelich. Von den in Fürsorge 
genommenen Kindern starben 1905 8,4 Proz., 1906 nur 5,8 Proz., während 
die allgemeine Säuglingssterblichkeit in Charlottenborg 1906 14,21 Proz. 
betrug. 

Wo künstliche Ernährung sich nicht umgehen ließ, erfolgte sie durch 
Abgabe von pasteurisierter Milch in 7a"Literflaschen zum Preise von 
18 Pfennigen für das Liter Vollmilch, dessen Ankauf 28 Pfennige kostet. 
Auch unentgeltlich wird an Bedürftige Milch abgegeben, die Abgabe gilt 
nicht als Armenunterstützung. Die Stadt zahlt für das Liter der unent¬ 
geltlich abgegebenen Milch 28 Pfennige, der sonst abgegebenen 10 Pfennig 
Zuschuß. Im Jahre 1906 wurden 30 Proz. der Milch unentgeltlich abgegeben. 

Auch in Rixdorf ist im Mai d. J. eine Säuglingsfürsorgestelle eröffnet. 

Wie wir bei der Besprechung der notwendigen Maßnahmen zur Be¬ 
kämpfung der Säuglingssterblichkeit sehen, erweist sich in vielen Fällen eine 
sofortige Unterbringung von Mutter und Kind notwendig, wenn sie 
aus der Entbindungsanstalt entlassen sind und kein anderes geeignetes 


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Dr. Neaemann, 


Unterkommen haben. Es kann auch eine sofortige Unterbringung des 
Kindes notwendig sein, wenn die Mutter durch Krankheit oder durch andere 
zwingende äußere Gründe verhindert ist, für ihr Kind zu sorgen. In diesen 
Fällen sollten die Kinderheime oder Kinderasyle als Unterkunftsstätte 
dienen. 

Das älteste derartige Kinderheim in Deutschland dürfte das von Professor 
Soltmann (jetzt in Leipzig) im Jahre 1882 in Graebschen bei Breslau ge¬ 
gründete Kaiserliche Kinderheim sein, das hilflosen, aber gesunden Neugeborenen 
mit ihren in Notlage befindlichen, noch nicht arbeitsfähigen Müttern zeit¬ 
weilige Unterkunft und Pflege zuteil werden läßt. Soviel dem Verfasser 
bekannt ist, haben die aufgenommenen Mütter einige Monate ihr Kind selbst 
zu stillen und nehmen dann meist, nachdem sie ihr Kind in Pflege unter¬ 
gebracht haben, Stellung als Amme an. 

Seit dem Jahre 1893 hat es sich der Deutsche Verein für Kinderasyle 
angelegen sein lassen, die Begründung von Säuglingsheimen oder Säuglings- 
asylen zu betreiben. 

In Schöneberg-Berlin hat er ein Kinderasyl für 48 Betten gegründet, 
an dem zwölf Pflegerinnen und meist acht Ammen tätig sind. Aufgenommen 
werden Mütter mit ihren Kindern, wenn ihnen nach ihrer Entlassung aus 
der Entbindungsanstalt oder sonst oine Unterkunft fehlt oder auch hilfs¬ 
bedürftige Kinder allein. Außerdem befindet sich in Schöneberg noch ein 
ebenfalls von einem Verein gegründetes Säuglingsheim, das im Jahre 1904 
als eine Wohltätigkeitsanstalt gegründet ist und jetzt 20 Betten hat; ein 
gleichzeitig im Jahre 1904 in Verbindung hiermit begründetes Mutterheim 
hat zurzeit 20 Betten. Aufgenommen werden, gleichviel ob ehelich oder 
unehelich, Mutter und Kind nach der Entlassung aus der Entbindungs¬ 
anstalt 46 ). 

Die Mutter muß sich verpflichten, drei Monate im Heim zu bleiben und 
dem Kinde die Brust zu geben. Später wird das Kind in geeignete Pflege 
und die Mutter in eine ihren Fähigkeiten entsprechende Stelle gebracht 
Gegen Zahlung von 20 Mark monatlich für das Kind, 5 Mark für sich, 
können die Mütter auch ein Jahr lang im Heim bleiben und am Tage ihrer 
Beschäftigung nachgeheu. Die Kosten beliefen sich im Jahre 1906 etwa auf 
30 000 Mark. Im SüdweBten von Berlin wurde im Jahre 1901 aus den Geldern 
der Schmidt-Gallischen Stiftung unter Aufwendung von 300 000 Mark 
Baukosten ein Säuglingsasyl gegründet und der städtischen Waisendeputation 
unterstellt 48 ). In die Anstalt, die von Professor Finkeistein geleitet wird, 
werden nur Säuglinge aufgenommen, und zwar in erster Linie solche, die 
aufgefunden und deren Eltern nicht zu ermitteln sind, oder sich in Kranken¬ 
häusern befinden oder ausgewandert sind, außerdem uneheliche Kinder, deren 
Väter die Aufnahme ausdrücklich nachsuchen. Die Säuglinge werden so 
lange in der Anstalt verpflegt, bis ihr Zustand gestattet, sie in Außenpflege 
zu geben. Im Jahre 1906 befanden sich 123 Kinder mit 45 092 Ver¬ 
pflegungstagen in der Anstalt. Tätig sind an der Anstalt, für die für das 
Jahr 1907 122 500 Mark ausgeworfen sind, 1 Oberarzt mit 2 Assistenz¬ 
ärzten, 1 Vorsteherin, 2 Schwestern, 23 Wärterinnen, 12 Ammen ubw. Die 
moderne und hygienisch praktisch gebaute Anstalt lehnt sich mit der Rückseite 
an einen Park und besitzt eine Loggia, sowie Zimmer für Mütter und Ammen. 


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Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren Stand Ende 1907. 473 

Außerdem befindet sich in Berlin in dem noch weitere Zweige der 
Kinderfürsorge beherbergenden „Kinderhaus“ im Osten Berlins außer einer 
der Fürsorgestellen auch eine Unterkunft für hilfsbedürftige Wöchnerinnen 
and deren Säuglinge, in die in den letzten fünf Jahren 644 Mütter und 
635 Säuglinge aufgenommen wurden 47 ). 

Auch in Wilmersdorf-Berlin ist ein Säuglingsheim, das allerdings 
Kinder bis zu sechs Jahren auf nimmt. 

In Danzig ist ein Säuglingsheim, das vom Verein Säuglingsfürsorge 
im Jahre 1903 begründet worden ist, mit 40 Betten und 2 Couveusen im 
Betrieb. Im Jahre 1906 wurden 205 Säuglinge verpflegt. Die Anstalt er¬ 
hält Unterstützungen von der Provinz und der Stadt. 

Auch in Magdeburg wurde 1906 ein Säuglingsheim eröffnet. 

In Hannover 48 ) besteht seit 1903 ein vom deutsch-evangelischen 
Frauenbünde begründetes und unterhaltenes Säuglings- und Versorgungs¬ 
haus, das erstmalig gefallenen Mädchen drei Monate vor ihrer Niederkunft 
und drei Monate nach dieser Unterkunft gewährt, falls sie ihr Kind selbst 
stillen. Außerdem ist neuerdings ein Säuglingsheim in Hannover gegründet 
worden, das Säuglingen, die bei Pflegeeltern nicht unterzubringen waren, 
Unterkunft gewährt. 

In Solingen 49 ) besteht ein Versorgungshaus für Mütter und Säuglinge, 
das dem Verein „Caritas“ gehört, in das vor kurzem Entbundene mit ihren 
Kindern, Mädchen in den letzten drei Monaten der Schwangerschaft und 
Kinder unter einem Jahre Aufnahme finden. Die Anstalt teilt sich in eine 
Entbindungs- und Wöchnerinnenstation, eine Säuglingsstation und eine 
Säuglingskrankenstation. 

In Hamburg und Breslau sollen Säuglingsheime gegründet werden. 

Nachrichten über weitere derartige Säuglingsheime und Säuglingsasyle 
in anderen deutschen Städten finden sich in der dem Verfasser zugänglich 
gewesenen Literatur nicht. 

Auch für kranke Säuglinge hat die Fürsorge durch die Errichtung 
von Säuglingshospitälern eingesetzt. 

Uneingeschränkte Anerkennung scheint überall das von Schlossmann 
in Dresden zur Aufnahme kranker Säuglinge unter ungünstigen äußeren 
Verhältnissen in einem Mietshause gegründete Säuglingsheim zu finden. 
Durch kluge hygienische Einrichtungen und vorzügliche Maßnahmen gelang 
es ihm, dort außerordentlich gute Erfolge zu erzielen. So sei nur erwähnt, 
daß er, um den kranken Kindern natürliche Nahrung zu gewähren, die aus 
der Hehammenlehranstalt entlassenen Wöchnerinnen mit ihren Kindern, wenn 
sie aus irgend einem Grunde nicht in der Lage waren, für ihr Kind zu 
sorgen, in seine Anstalt aufnahm und ihnen gegen eine besondere Vergütung 
die Pflicht auferlegte, außer ihrem Kinde auch kranken Kindern die Brust 
zu reichen. Nach Keller (a. a. 0.) ist in der Anstalt die Pflege des Kindes, 
die Ausbildung der Pflegerinnen, der Ammendienst und die Ammenvermitte¬ 
lung, die Aufsicht Über die aus der Anstalt entlassenen Ammenkinder, für 
deren Unterbringung und Außenpflege die Anstalt sorgt, mit aller Sorgfalt 
organisiert. 

Es befinden sich sonst nach Brugger (a. a. O.) noch Säuglingshospitäler 
in Berlin, Breslau und Marburg als Univeraitätsinstitute. Die unter 


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Dr. Nesemann, 


Professor Vierordts Leitung stehende Säuglingsstation in Heidelberg ist 
zwar selbständig, aber der Luisenheilanstalt für kranke Kinder angegliedert. 
Die Säuglingsheilstätte in Straßburg wird von Professor Siegert geleitet iS ). 
Ferner ist noch die Abteilung für kranke Säuglinge in dem oben erwähnten 
Säuglingsheim in Solingen, sowie die Säuglingsabteilung des unter Leitung 
von Professor Baginski stehenden Kaiser und Kaiserin Friedrich-Kranken¬ 
hauses in Berlin 62 ), sowie des städtischen Elisabeth-Krankenhauses in Aachen 
zu nennen. 

In allerneuester Zeit ist auch in Charlotten bürg ein Säuglings- 
krankenhauB gegründet worden. 

Erwähnenswert scheint es, was Professor Dr. Wesen er, Oberarzt des 
Aachener Krankenhauses, über die Frage, ob in jedem Falle ein besonderes 
Säuglingshospital notwendig sei, oder ob eine Säuglingsabteilung auch einem 
allgemeinen Krankenhause angegliedert werden könne, äußert. Nach seiner 
Ansicht sind auch in den an allgemeine Krankenhäuser angeschlossenen 
Säuglingsabteilungen gute Resultate zu erzielen, wenn nur die drei Forde¬ 
rungen Schlossmanns erfüllt werden: 

1. Geschulte Wartung und Pflege, wenigstens eine Pflegerin auf sechs 
Säuglinge. 

2. Behandlung und Verpflegung der Säuglinge, als ob jedes an einer 
hereditären Krankheit leidet. 

3. Zweckmäßige und für jeden Fall angepaßte Ernährung, Bei es mit 
künstlichen Nährpräparaten, sei es mit natürlicher Ammenernährung. Letztere 
müßte aber auf jeden Fall zur Verfügung stehen M ). 

Die in Deutschland vorhandenen nicht allzureichlichen (etwa 70) Krippen 
scheinen für die Säuglingsfürsorge keine Rolle zu spielen. An Stillkrippen 
ist anscheinend die in der mechanischen Weberei in Linden bei Hannover 
vorhandene bisher die einzige geblieben. Der Staat gewährt den in Gewerbe¬ 
betrieben beschäftigten Frauen insofern einen gewissen Schutz, als § 137 
der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich bestimmt, daß Wöchnerinnen 
während vier Wochen nach ihrer Niederkunft überhaupt nicht, und in den 
nächsten zwei Wochen nur dann beschäftigt werden, wenn dieses nach dem 
Zeugnis eines approbierten Arztes zulässig ist. 

Dieser Schutz wird indessen von ärztlicher Seite nicht für genügend 
gehalten, ebensowenig die sechs Wochen nach ihrer Niederkunft ihnen zu 
gewährende Unterstützung in Höhe des Krankengeldes. 

Es blieben noch die in verschiedenen Städten in Preußen befindlichen, 
doch schließlich auch der Säuglingsfürsorge zugute kommenden Entbindungs¬ 
anstalten und Wöchnerinnenasyle zu erwähnen. 

In dem Handbuch der Krankenanstalten in Preußen 54 ) findet sieb 
folgendes darüber. In Potsdam ist an dem allgemeinen Krankenhause eine 
Abteilung für Wöchnerinnen, in Lankwitz bei Berlin besteht ein von dem 
Verein „Wöchnerinnen-Zuflucht St. Monica“ unterhaltenes Zufluchtshaus mit 
31 Betten, in Bromberg ein Wöchnerinnenasyl, 1898 von dem Verein für 
Erhaltung eines Wöchnerinnenasyls gegründet, außerdem besteht dort eine 
Entbindungsstation am städtischen Krankenhause. In Altona ist eine 
städtische Entbindungsanstalt, in Dortmund gewährt das Dudenstift ehrbaren 


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Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren Stand Ende 1907. 475 

und unbemittelten Ehefrauen Unterkunft; im Jahre 1906 wurden dort 701 
Wöchnerinnen verpflegt. 

In Münster sind zwei Entbindungsanstalten, das Monicastift, vom Für¬ 
sorgeverein begründete, mit 14 Betten, und das Mathildenstift, vom Wöch¬ 
nerinnenverein begründet, mit 6 Betten. In Wiesbaden besteht ein vom 
Frauenverein zur Unterhaltung eines Wöchnerinnenasyls gegründetes Wöch¬ 
nerinnenheim für bedürftige Ehefrauen seit 1894, in Barmen ein solches, das 
vom Vaterländischen Frauen verein gegründet ist, in Düsseldorf ein gleiches, 
gegründet vom Verein „Wöchnerinnenasyl“. In Essen besteht ein 1888 
eröffnetes Wöchnerinnenheim für ehrbare unbemittelte Wöchnerinnen neben 
der städtischen Entbindungsanstalt, ferner ist in Essen eine Entbindungs¬ 
anstalt Magdalenenheim von dem Frauenverein zur Hebung der öffentlichen 
Sittlichkeit gegründet. 

Cöln besitzt ein Wöchnerinnenasyl für unbescholtene dürftige Ehefrauen 
ohne Unterschied der Konfession, 1889 vom Wöchnerinnenasylverein der 
Stadt Cöln gegründet. Außerdem ist in Cöln noch eine städtische Ent¬ 
bindungsanstalt für unehelich Gebärende für 30 Betten, 9 für Kinder, vor¬ 
handen. 

Auch die Universitätsentbindungsanstalten und die Provinzial-Heb- 
ammenlehranstalten dürften in betreff der Säuglingsfürsorge nicht ohne Be¬ 
deutung sein. Besondere, die ganze Säuglingsfürsorge umfassende Organi¬ 
sationen bestehen in Karlsruhe 65 ), in Stuttgart 68 ) und in Hannover 48 ), 
doch würde deren genaue Beschreibung über den Rahmen dieses Aufsatzes 
binausgehen. 

Nicht übergehen dürfen wir jedoch das großzügige Programm, welches 
der Verein für Säuglingspflege im Regierungsbezirk Düsseldorf für seine 
Tätigkeit aufgestellt hat. Aus den Satzungen vom 7. November 1907 des, 
soviel bekannt, unter der Ägide von Professor Schlossmann stehenden 
Vereins möge folgendes hier Erwähnung finden. 

Der Verein verfolgt den Zweck, die Säuglingssterblichkeit im Regierungs¬ 
bezirk Düsseldorf zu bekämpfen und für die physische Kraft des heranwacbsenden 
Geschlechts, vornehmlich in den arbeitenden und minder bemittelten Klassen, von 
dessen Anbeginn zu sorgen. 

Insbesondere will er eine Zentralstelle schaffen, bei welcher die Ursaohen 
der 8äuglingskrankheiten und die Mittel zu ihrer Verhütung erforscht werden; 
er will weiter die Ergebnisse der von dieser und anderen Stellen geleiteten 
Forschungen der breitesten Öffentlichkeit und zumal den Müttern vermitteln durch 
Errichtung einer für Unbemittelte unentgeltlichen Auskunftsstelle, durch Wander¬ 
lehrer, durch Herausgabe von Flugschriften, durch Veranstaltung von Kursen für 
Hebammen, Kinderpflegerinnen und Ärzte und durch Förderung alles dessen, was 
für das leibliche und geistige Wohl des heranwachsenden Geschlechts von Vorteil 
ist- Unter anderem sollen auch örtliche gemeinnützige Veranstaltungen für Säug¬ 
lingsfürsorge innerhalb des Regierungsbezirks Düsseldorf angeregt und — eventuell 
mit Geldmitteln — gefördert werden. 

Herr Professor Schlossmann hatte die Güte, dem Verfasser darüber 
noch folgendes mitzuteilen. 

Der Verein hat ein Vermögen von rund % Million Mark zusammen gebracht 
durch ßpenden der Eingesessenen des Regierungsbezirks Düsseldorf; ferner ge¬ 
sicherte Jahreseinnahme in Höhe von 47 000 Mark. Ein Teil davon kommt durch 
Beiträge von Privatpersonen und industriellen Werken ein, der größte Teil jedoch 
daduroh, daß sämtliche Stadt- und Landkreise des Regierungsbezirkes freiwillig 


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Dr. Nesemann, 


gewissermaßen eine Steuer auf sioh genommen haben, die halb nach der Kopfzahl 
und halb nach den Einkommensteuern der Kreise sioh berechnet. 

Das vollständige Programm der Einrichtung hat der Genannte in seinem 
in der Sitzung der Gesellschaft für soziale Medizin, Hygiene und 
MedizinalBtatistik am 14. März 1907 gehaltenen Vortrage entwickelt 57 ). 

Es bleibt noch die Fürsorge für diejenigen Säuglinge zu besprechen, 
deren Eltern oder Mütter verstorben sind, also die Waisenkinder, sowie die¬ 
jenigen Kinder, für welche die Mutter die Ernährung und Pflege nicht selbst 
übernehmen kann oder will, in Deutschland also die große Zahl der unehe¬ 
lichen Kinder. 

Zur Aufnahme der zweiten Kategorie von Säuglingen dienen, wie wir 
eingangs sehen, in Rußland, dann aber in Italien, Spanien, Frankreich 
und Brasilien die Findelanstalten. Da die Findelanstalten somit haupt¬ 
sächlich in den romanischen Ländern bestehen, nennt man die durch sie 
ausgeübte Art der Säuglingsfürsorge auch das romanische System, ln 
Deutschland dagegen werden die Säuglinge der genannten Kategorie in 
Familienpflege untergebracht (germanisches System); als drittes System 
wird dann von Szana 36 ) das oben erörterte ungarische System genannt, 
d. h. die sofort nach der Geburt eintretende staatliche Fürsorge für alle 
Kinder, die sonst nicht versorgt werden können. 

Das romanische System hat große Nachteile im Gefolge gehabt, einmal 
wegen der großen Sterblichkeit der in die Findelhäuser aufgenommenen 
Säuglinge, wegen des Verlustes der Rechtsansprüche der in die Findelanstalten 
namenlos aufgenommenen illegitimen Kinder, dann auch, weil die Findel¬ 
anstalten, namentlich in Italien, vielfach von Eheleuten benutzt worden sind, 
um sich der Fürsorge für ihre Sprößlinge zu entledigen. 

Die nach dem germanischen System in Familienpflege gegebenen Kinder 
teilen sich in solche, für die die öffentliche Fürsorge, Armenwaisen¬ 
pflege einzutreten hat und solche, welche von ihren wohl durchweg unehe¬ 
lichen Müttern in fremde Pflege gegeben werden. Der Armenwaisen¬ 
pflege fallen nicht nur die vollen Waisen, Findlinge und von ihren Eltern 
verlassenen Kinder, sondern auch solche zu, die aus besonderen äußeren 
Gründen von ihren Eltern getrennt werden mußten 5S ). 

Die Notwendigkeit, eine Kontrolle über die in Familienpflege unter¬ 
gebrachten Kinder auszuüben, namentlich wenn die Unterbringung gegen 
Entgelt erfolgt ist, dürfte auf der Hand liegen. Die gesetzliche Möglichkeit 
hierzu ist auch in Deutschland durch die Novelle zur Reichsgewerbeordnung 
vom 25. Juli 1878 gegeben, da diese, entgegen den Bestimmungen der Ge¬ 
werbeordnung vom 21. Juni 1869, in § 6 bestimmt, daß die Bestimmung des 
Gesetzes keine Anwendung findet auf die Erziehung von Kindern gegen Entgelt 

Nach Puetter 69 ) sind daher in den größeren deutschen Staaten, wie 
z. B. im Königreich Sachsen, sowie in einigen kleineren Vorschriften zur 
Regelung des Haltekinderwesene erlassen worden, und zwar meist mit Bezug 
auf polizeiliche Anmeldung der Haltekinderstelle oder Einholung der polizei¬ 
lichen Erlaubnis, dann aber auch mit Bezug auf die Kontrolle der Halte¬ 
kinder selbst. 

Die Bestimmungen stützen sich teils auf Gesetze, so in Bayern und 
Baden, teils auf Verordnungen. 


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Die Entwickelung der Sau glingsfür sorge und deren Stand Ende 1907. 477 

In Berlin und einer Anzahl größerer preußischer Städte ist das Halte¬ 
kinderwesen durch Polizeiverordnungen geregelt. Über die Art der Auf¬ 
sicht über die Haltekinder fällt Puetter (a. a. 0.) kein günstiges Urteil, da 
er meint, daß die verschiedenen Arten der Aufsicht, die es in Deutschland 
gibt, nicht aus den Bedürfnissen der Haltekinder heraus, sondern aus bu- 
reaukratischen Erwägungen hervorgegangen seien. 

Als hervorragend wird jedoch allseitig die Fürsorge anerkannt, die die 
Stadt Leipzig ihren Kost- (Zieh-) Kindern angedeihen läßt. Obwohl im König¬ 
reich Sachsen ein das Kostkinderwesen regelndes Gesetz oder eine solche Ver¬ 
ordnung nicht besteht, übte Leipzig, wie der bekannte ärztliche Leiter des 
Leipziger Ziehkinderwesens, Sanitätsrat Dr. Taube 80 ), hervorhebt, schon seit 
dem Jahre 1824 eine durch Aufsichtsdamen im Ehrenamt ausgeübte 
Aufsicht über die Kostkinder aus. Die Einrichtung wurde 1858 in der 
Weise reorganisiert, daß ein besoldeter Aufsichtsarzt und eine besoldete 
Aufsichtsdame angestellt wurden. Die Einrichtung wurde allmählich durch 
Einstellung mehrerer Aufsichtsdamen erweitert und durch Anschluß an das 
Armenamt straffer organisiert. Die Fürsorge für die Kostkinder in Leipzig 
kam im Jahre 1900 einen weiteren großen Schritt vorwärts, indem, gestützt 
auf Bestimmungen des bürgerlichen Gesetzbuches, folgende Verordnung er¬ 
lassen wurde: 

Die Fürsorge und Aufsicht des Ziehkinderwesens erstreckt sich auf alle in 
Leipzig befindlichen unehelichen Kinder von ihrer Geburt ab bis zur Entlassung 
aus der Schule, gleichviel ob sie von der Mutter oder von fremden Personen ver¬ 
pflegt werden. 

Die Art der Fürsorge für die unehelichen Kinder entwickelt sich in der 
Weise, daß ein jedes uneheliche Kind, das in Leipzig geboren wird, nach einigen 
Tagen von einer besoldeten Aufsichtsdame besucht wird. Diese schreibt einen 
kurzen Bericht, der am nächsten Freitag dem leitenden Arzt vorgelegt wird; 
ist der Bericht nicht günstig, so untersuchen die Ärzte die Verhältnisse. „Der 
Freitag hat sich zu einer Zentrale für die uneheliche Säuglingsfürsorge entwickelt; 
‘.'6 besoldete Aufsichtsdamen und 3 Ärzte sowie mehrere Beamte sind anwesend, 
die Kinder werden gebracht, gewogen und das Notwendige mit den Damen be¬ 
sprochen, die, in der Kinderpflege unterrichtet, die Kinder mit Hilfe der Ärzte 
im Hause weiter kontrollieren.“ Die Tätigkeit der Ärzte besteht in der ärztlichen 
Untersuchung der zur Freitagsvorstellung gebrachten Kinder und in der entsprechen¬ 
den Belehrung und Anweisung, ferner in der Unterweisung der Helferinnen 
während der Vorstellung, indem ihnen an den vorgestellten Kindern normale und 
krankhafte Zustände klar gemacht und sie hierbei über die zu treffenden Ma߬ 
nahmen belehrt werden, endlich in der Besichtigung erkrankter Kinder in den 
Pflegestellen. 

Als ein besonderer Übelstand hatte sich die für die Mutter oder Pflege¬ 
matter vorhandene Schwierigkeit erwiesen, die von dem unehelichen Vater 
za zahlenden Unterstütznngsgelder (Alimente) überhaupt oder auch rechtzeitig 
zu erhalten. Diesem Übelstande hat die Einführung der Generalvormund¬ 
schaft im Königreich Sachsen abgeholfen, die sich hier auf die Minder¬ 
jährigen erstreckt, die der öffentlichen Armenpflege nicht anheim gefallen 
sind. In Leipzig wird die Generalvormundschaft von dem Vorsitzenden 
der städtischen Armendirektion wahrgenommen, dem das Standesamt jede 
uneheliche Geburt zu derselben Zeit wie dem Vormundschaftsgericht anzeigt. 

Während so in Leipzig eine einheitliche Kontrolle sämtlicher unehe¬ 
licher Kinder — im Jahre 1905 standen 9573 uneheliche Kinder bis zu 


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178 


Dr. Nesemaun, 


14 Jahren unter Aufsioht! — stattfindet, ist in Berlin die Aufsicht über die 
der Waisen armen pflege unterstehenden Kinder in Händen der Stadt, die der 
übrigen in Familienpflege befindlichen unehelichen Kinder bis zum sechsten 
Jahre mit einer noch zu erwähnenden Ausnahme in Händen der Polizei¬ 
behörde. Die der Armenwaisenpflege unterstehenden Säuglinge werden ein¬ 
mal von besoldeten Waisenpflegerinnen kontrolliert. Dann dienen zu ihrer 
Kontrolle und wesentlichen Fürsorge die oben besprochenen sechs städtischen 
Kürsorgestellen, endlich aber wirkt für sie außerordentlich segensreich das 
gleichfalls oben besprochene städtische Kinderasyl. Finkei stein hielt 
den günstigen Einfluß des Kinderasyls für so wesentlich, daß nach seinen 
Ausführungen durch die Tätigkeit des Asyls die Sterblichkeit in der Kost- 
pflege auf weniger als die Hälfte der früheren Höhe herabgesetzt ist 61 ). 
Die der polizeilichen Aufsicht, die sieb bis zum sechsten Lebensjahre er¬ 
streckt, unterstehenden Haltekinder werden von 26 besoldeten Aufsichtsdamen*) 
kontrolliert, ein eigentlicher leitender Arzt, sowie sonstige Ärzte für das 
llaltekinderwesen fehlen. Als Aufsichtsärzte fungieren bisher die Kreisärzte, 
die hierzu in ihren Bezirken auf Grund einer Bestimmung der Dienst¬ 
anweisung für die Kreisärzte in Preußen vom 23. März 1901 herangezogen 
werden. 

Nach Krautwig 5 *) unterscheidet sich die Berliner Einrichtung von 
dem Leipziger Vorbilde wesentlich durch den Mangel an Beschauterminen und 
durch das weniger intensive Zusammenarbeiten des Arztes und der Pflege¬ 
rinnen. Diese Unterschiede bedeuten nach seiner Ansicht unter allen Um¬ 
ständen einen Nachteil der Berliner Organisation; denn die Belehrung einer 
Pflegerin sei eigentlich nur möglich durch direkte Demonstration am Kinde. 

Ein Teil der Berliner Kostkinder wird infolge einer Vereinbarung mit 
der Polizeibehörde noch von dem Berliner Kinderschutzverein durch Damen 
im Ehrenamt beaufsichtigt. Im Jahre 1906 waren es 137 Pflegestellen und 
227 Kinder. 

In den anderen Städten des Landespojizeibezirkes Berlin, außer in 
(’harlottenburg, findet die Aufsicht über die von der Polizeibehörde zu 
kontrollierenden Kostkinder ebenfalls durch die Aufsichtsdamen und die 
Kreisärzte statt. In Charlottenburg wird die Aufsicht durch Damen im 
Ehrenamt versehen. 

In Halle a. S. ist durch Puetter das Kostkinderwesen ganz nach 
Leipziger Muster eingerichtet und der Armendirektion unterstellt worden, 
die Kontrolle erfolgt durch einen besonders angestellten Ziehkinderarzt und 
besoldete Waisenpflegerinnen. 

In derselben Weise ist auch in Danzig seit dem Jahre 1902 die Zieh¬ 
kinderpflege organisiert. Außer einem Ziehkinderarzte sind sechs theoretisch 
und praktisch durchgebildete Helferinnen tätig 6a ). 

Über die Einrichtungen in den anderen preußischen und deutschen 
Städten findet sich bei Puetter und Krautwig (a. a. 0.) näheres. 

Blicken wir auf das, was für die Säuglingsfürsorge in Deutschland ge¬ 
schehen ist, so mag es wohl scheinen, als ob bereits viel erreicht sei. Was 


*) Die Aufsichtsdamen erhalten ihre Ausbildung in dankenswerter Weise in 
lern von Prof. Finkeistein geleiteten Kinderasyl. 


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Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren Stand Ende 1907. 479 

will die bisherige Fürsorge indessen gegenüber den ungeheueren Opfern be¬ 
sagen, die der Tod noch allj&hrlich unter den Kindern des ersten Lebens¬ 
jahres in Deutschland fordert! Die Aufgaben, welche nach dem Stande 
unserer Erkenntnis eine moderne Säuglingsfürsorge zu erfüllen hat, sind 
namentlich von Finkeistein, Keller, Wuertz u. a., zuletzt von Dietrich 
auf dem internationalen Kongreß für Hygiene und Demographie zu Berlin 6S ) 
in erschöpfender Weise klar gelegt worden *). 

Wohl regt es sich aller Orten, doch noch viel muß geschehen, ehe ein 
wirklicher Erfolg siohtbar sein wird. Manche Frage harrt auch noch in 
betreff der S&uglingsfürsorge, namentlich der künstlichen Ernährung der 
Säuglinge, auf die wir trotz aller Förderung des Stillens, in absehbarer Zeit 
noch zum großen Teil angewiesen sein werden, ihrer befriedigenden Lösung. 

Nach dieser wie nach mancher Richtung aufklärend, belehrend und 
befruchtend zu wirken ist der Zweck der in Charlottenburg unter dem 
Protektorat alle Bestrebungen der Säuglingsfürsorge unterstützenden und 
fördernden Deutschen Kaiserin mit Unterstützung des Reiches und des 
preußischen Staates zu erriohtenden Kaiserin Auguste Viktoria-Anstalt 
zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit, deren Grundsteinlegung im 
Dezember 1907 erfolgte. Die Anstalt, eine Stiftung mit Rechtsfähigkeit, 
untersteht einem Kuratorium. Über ihre Bestimmung ist in dem bereits 
erwähnten Handbuch der Krankenanstalten Preußens folgendes angegeben: 

„Sie wird eine Schale für Wochen- und Säuglingapflegerinnen, Unterkunfts¬ 
räume für Schwangere, eine Entbindungs- und Wöchnerinnenabteilung für kranke 
Säuglinge, eine Fürsorgestelle zur Beratung von Müttern und Pflegemüttern, von 
Schwangeren und Wöchnerinnen enthalten. In geeigneten Fällen wird sie auch 
Unterstützungen in Form von Stillprämien und einwandfreier Säuglingsmilch ver¬ 
abreichen. Mit ihr sind auch chemische und bakteriologische Laboratorien, 
ßtallung für Milchvieh, Bäume und Vorrichtungen zur tadellosen Gewinnung, 
Keimfreimachung, Abkühlung und Aufbewahrung der Milch verbunden. Die An¬ 
stalt ist als eine Zentralstelle für ganz Deutschland hinsichtlich der wissenschaft¬ 
lichen und praktischen Erfahrungen alles dessen gedacht, was in bezug auf Säug- 
lingsfürsorge sowie Schutz und Pflege der Wöchnerinnen und Mütter geschehen kann." 

Für die Erbauung der Anstalt ist von der Stadt Charlottenburg aus 
Anlaß der silbernen Hochzeit des Kaiserpaares ein 179 ha umfassendes, in 
günstiger Lage befindliches und sehr wertvolles Grundstück zur Verfügung 
gestellt worden, die auf etwa 1 500 000 Jt veranschlagten Kosten für Bau 
und innere Einrichtung sind durch freiwillige Beiträge aufgebracht. Von 
den etwa 100000 >M jährlich betragenden Betriebskosten ist die preußische 
Medizinal Verwaltung 20000 <M zu übernehmen bereit, außerdem ist auf 
einen Reichszuschuß von 40000^ zu rechnen, während die übrigen 40000 utt 
durch Gemeinden, öffentliche Körperschaften, Vereine und Private aufzu¬ 
bringen bleiben. 

Mit der Erwähnung der von großen Gesichtspunkten aus geplanten 
Auguste Viktoria-Anstalt, die eine Hochschule für die Lehren der 
Säuglingsernährung, der Säuglingspflege und der Säuglingserkrankungen 
sowie eine Musterstätte der Fürsorge für die Säuglinge und ihre Mütter 

*) Der Vortrag von Herrn Ober-Medizinalrat Prof. Dr. Dietrich findet sich 
jetzt auch im Bd. II, Heft 1 und 2 der Zeitschrift für Säuglingsfürsorge ab¬ 
gedruckt. 


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480 


Dr. Nesemann, 


zu werden verspricht, möge diese Abhandlung schließen, wie ja auch die 
Grundsteinlegung der Anstalt einen würdigen Abschluß der Säuglings¬ 
fürsorge in Deutschland bis zu Ende des Jahres 1907 bildet. 

Abgeschlossen den 31. Dezember 1907. 


Literatur. 

') Dietrich, Geheimer Obermedizinalrat Dr., Die Säuglingssterblichkeit in 
Preußen, ihre Ursachen und ihre Bekämpfung. Zeitschr. f. Säuglingsfürsorge I, 
Heft 2. Berlin 1901. 

*) 8eiffert, Dr. Doz., Säuglingssterblichkeit, Volkskonstitution und National¬ 
vermögen. Leipzig. Klinisches Jahrbuch XIV. Jena, Gustav Fischer, 1905. 

*) Die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit: a) Hauptbericht, erstattet im 
Aufträge des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit von Brugger, 
Beigeordneter der Stadt Cöln, b) Ärztlicher Bericht, erstattet von Dr. med. und 
phil. Heinrich Finkeistein, c) Mitbericht von Dr. Marie Baum. Schriften 
d. Deutsch. Ver. f. Armenpfl. u. Wohltätigkeit, Heft 74 (8. 2). Leipzig, Duncker 
u. Humblot. 

*) Prinzing, Dr. Fr., Die angebliche Wirkung hoher Kindersterblichkeit im 
Sinne Darwinscher Auslese. Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspfl., Jahrg. XXII, 
lieft 3 u. 4. Ulm 1903. 

6 ) H. Pfaffenholz, Dr., Weitere Mitteilungen über die Prophylaxe der 
S. immersterblichkeit der Säuglinge. Zentralbl. f. d. allgem. Gesundheitspfl., Jahr¬ 
gang XXII, S. 354. 

*) Die Säuglingssterblichkeit, ihre Ursachen und Bekämpfung. Denkschrift, 
bi arbeitet in der Medizinalabteilung des Ministeriums der geistlichen, 
Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten. Als Manuskript gedruckt. Berlin 1905. 

7 ) Fraenkel, Prof. Dr. Karl, Die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit 
duroh die Gemeinde. Technisches Gemeindeblatt. Halle, April 1903. 

*) Flügge, Dr. med. Karl, o. ö. Professor u. Direktor des Hygienischen In¬ 
stituts der Universität Breslau, Grundriß der Hygiene, 5. Aufl. Leipzig, Veit 

u. Co., 1902. 

*) Derselbe, Die Aufgaben und Leistungen der Milchsterilisation gegenüber 
den Darmkrankheiten der Säuglinge. Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrankh. XVH, 
Heft 2. 

l0 ) Neumann, Dr. H., Privatdozent in Berlin, Bemerkungen zur Basedow¬ 
schen Krankheit. Deutsche med. Wochenschr. 1902, Nr. 35 u. 36. 

") Derselbe, Der Säuglingsskorbut in Berlin. Berliner klin. Wochenschr. 
1907, Heft 1. 

u ) Finkeistein, Prof. Dr. H. in Berlin, Die rohe Milch in der Säuglings¬ 
nahrung. Therap. Monatshefte 1907, Heft 10. 

**) Schlossmann, Prof. Dr. Arthur in Dresden, Referat über Kindermilch. 
Verhandl. d. 21. Versamml. d. Gesellsch. f. Kinderheilk., d. 76. Versamml. d. Gesellsch. 
Deutsch. Naturforsch, u. Ärzte in Breslan 1904. 

u ) Derselbe, Über Milch und Milchregulation. Deutsche med. Wochenschr. 
1900, Heft 29 u. 30. 

,s ) Dunbar, Prof. Dr. in Hamburg, Referat: Die gesundheitliche Über¬ 
wachung des Verkehrs mit Milch. Versamml. d. Vereins f. öffentl. Gesundheitspfl. 
Dresden 1903. 

ie ) Poetter, Dr., Stadtbezirksarzt in Chemnitz, Referat: Die Milchversorgung 
ilnr Städte mit besonderer Berücksichtigung der Säuglingsernährung. XXXI. Ver- 
mml. d. Deutsch. Ver. f. öffentl. Gesundheitspfl. zu Augsburg. 

* 7 ) Krieger, Dr., Kreisarzt, und Sentemann, Dr., Leiter des statistischen 
Amts, Untersuchung über Ernährungsverhältnisse und Sterblichkeit der Säuglinge 
m Barmen. Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspfl., Jahrg. XXV, 1906. 

1B ) Heimann, Die Säuglingssterblichkeit in Berlin. Zeitsohr. f. Sozial- 

v. issenschaft VH, Heft 4, 1904. 


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Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren Stand Ende 1907. 481 

'*) Prausnitz, Prof. Dr. in Graz, Referat: Ursachen und Bekämpfung der 
hohen Säuglingssterblichkeit. XXY. Versamml. d. Deutsch. Yer. f. öffentl. Gesund¬ 
heitspflege in Trier. 

* # ) Hammer, Dr. H., Dr. K. Helle, Dr. M. Kaiser, Dr. P. Th. Müller 
und Prof. Dr. Prausnitz, Sozialhygienische und bakteriologische Studien über 
die Sterblichkeit der Säuglinge an Magen- und Darmerkrankungen und ihre 
Bekämpfung. Aus dem hygienischen Institut der Universität und der staat¬ 
lichen Untersuchungsanstalt für Lebensmittel in Graz. Arch. f. Hyg. LVI, 
Heft 1 u. 2. 

*') Meinert, Über Cholera infantum aestiva. Therap. Monatsh. 1891, Heft 10 
bis 12. 

**) Ohlen, Dr. v., Die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit durch öffent¬ 
liche Organe und private Wohltätigkeit mittels Beschaffung einwandfreier Kinder¬ 
milch unter Berücksichtigung Hamburger Verhältnisse. Zeitschr. f. Hyg. u. In- 
fektionskrankh. XLIX. Leipzig, Yeit n. Co., 1905. 

*') Peyroux, Consultations de nourrissons et gouttes de lait. La semaine 
mädicale 1902, No. 52. 

M ) Riviäre, Du patronage des nourrissons. L’obstätrique VIII, S. 323. 
Referat im Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspflege, Jahrg. XXII, 1903. 

fi ) Keller, Dr. A., Kinderarzt in Bonn, Säuglingssterblichkeit und Säuglings¬ 
fürsorge. Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspflege, Jahrg. XXII, 1903, S. 177. 

**) Variot, L’avenir des gouttes de lait. Archives de m6d. des enfants VI. 
April 1903. 

”) Dietrich, Dr. med., Frauenarzt in Cöln, Säuglingsernährung und Wöch¬ 
nerinnenasyle. Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspflege, Jahrg. XXII, 1903. 

**) Heubner, Geh. Medizinalrat Prof. Dr., Säuglingsernährung und Säug¬ 
lingsspitäler. 1897. 

**) Aigre, La goutte de lait et les consultations de nourrissons de Boulogne 
sur Mer. Annales d’hygi^ne publique. Novembre 1904. Referat aus Zentralbl. 
f. allgem. Gesundheitspflege. Jahrg. XXIV. 

M ) Oppenheimer, Über Säuglingsfürsorge in Paris mit Vorschlägen für 
Säuglingsschutz in München. Med. Wochenschr., Jahrg. LII, Nr. 37. Referat im 
Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspflege 1906, Heft 6. 

• l ) Moquot, La loi Roussel et les consultations de nourrissons. L’obstätrique 
VTH, 8. 329, 1903. Referat: Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspflege, Jahrg. XXII. 

**) Kober, Dr. med. George M., Prof, der Hygiene in Washington, Die Her¬ 
stellung einer Milch für kleine Kinder in Washington. Zeitschr. f. Säuglingspflege, 
Heft 11. 

**) Rothschild, Dr. Henri de, Le lait ä Kopenhague. Revue d’hygiäne et 
de mödecine 1902, No. 6. 

M ) Dehne, Dr. Robert, Über den Betrieb der Schutzstelle des Vereins Säug¬ 
lingsschutz in Wien im Jahre 1906. Zeitschr. f. Säuglingsfürsorge I, Heft 2. 

M ) Zelenski, F., Erster Jahresbericht der gouttes de lait in Krakau. Refe¬ 
rat: Zeitschr. f. Säuglingsfürsorge I, Heft 9. 

“) Szana, Staatliche Säuglingsfürsorge in der 25. Jahresversammlung des 
Deutschen Vereins f. Armenpflege und Wohltätigkeit in Mannheim, 1905. Münch, 
med. Wochenschr. 1905, Nr. 44. 

* 7 ) Siegert, Prof. Dr. in Bonn, Vortrag über die Aufgaben der Gemeinden 
im Kampfe gegen die Säuglingssterblichkeit mit besonderer Berücksichtigung der 
Versorgung der Städte mit Säuglingsmilch. Hauptversamml. d. Niederrhein. Ver. 
f. öffentl. Gesundheitspflege zu Bonn, 28. Oktober 1905. Zentralbl. f. allgem. 
Gesundheitspflege 1906, Heft 1 und 2. 

**) Sieveking, Dr., Physikus und Stadtarzt, Die Säuglingsmilchküchen der 
patriotischen Gesellschaft in Hamburg. Internat. Kongr. f. Hyg. u. Demogr. 1907. 
Besuch in Hamburg. (Festgabe der Stadt Hamburg.) 

••) Klix, Dr., Kreisarzt in Darkehmen, früher Kreisassistenzarzt in Posen, 
Die Säuglingssterblichkeit und ihre Bekämpfung in Posen. Zeitschr. f. Medizinal¬ 
beamte 1907, Heft 1. 

Vierteljahr* schrift für Gesundheitspflege, 1908. 32 


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482 Dr. Nesemann, Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge U8W. 

40 ) Schlechtendal, Reg.- u. Medizinalrat Dr., Ein Beitrag zur Säuglingssterb¬ 
lichkeit und ihre Bekämpfung. Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspflege, Jahrg. XXIV, 
S. 147 ff. 

4 ‘) Engel, E. E., Der Grund der hohen Kindersterblichkeit in den 8tädten. 
Zeitschr. f. Milch- u. Fleischhygiene 1904, Nr. 12. 

4t ) Taube, Sanitätsrat Dr., städtischer Kinderarzt, Zur Herabsetzung der 
Säuglingssterblichkeit. Eine Großstadtskizze. Zeitschr. f. Säuglingsfürsorge, Heft 1. 

4S ) Salge, B. in Dresden, Einige Bemerkungen über den Wert von Still- 
prämien. Zeitschr. f. Säuglingsfürsorge I, Heft 2. 

44 ) Neu mann, H. in Berlin, Zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit. 
Deutsche med. Zeitschr. 1907, Nr. 50. 

45 ) Derselbe und Dr. A. Jap ha, Die 8äuglingsfärsorgestelle I der Stadt 
Berlin; Einrichtung, Betrieb, Ergebnisse. Berlin, 8. Kasper, 1906. 

48 ) XIV. internationaler Kongreß für Hygiene und Demographie. Hygieni¬ 
scher Führer durch Berlin C. I. Fürsorge für Säuglinge und Kinder. 

47 ) Oberwerth, Dr. E. und Frau L., Die Säuglingsfürsorge im Heim und 
Außenpflege nach Ergebnissen der letzten fünf Jahre in der .Unterkunft für 
hilfsbedürftige Wöchnerinnen und deren Säuglinge“ zu Berlin. Zeitschr. f. Säug- 
liugsfürsorge I, Heft 5. 

4B ) Wahrendorff, Dr., Die Säuglingsfürsorge in Hannover. Zeitschr. f. 
Säuglingsfürsorge, Heft 9. 

4# ) Selter, Dr., und Dr. 8. Behr, Erster Jahresbericht des Versorgungshauses 
für Mütter und Säuglinge zu Solingen-Haan. Zentralbl. f. öffentl. Gesundheitspflege, 
Jahrg. XXIII, 8.195 ff. — Zweiter Jahresbericht. Jahrg. XXIV derselben Zeitschrift. 

40 ) Hohaus, Prof. Dr. in Cöln, Über die Versorgung der Säuglinge in Hospi¬ 
tälern. Vortrag. Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspflege, Jahrg. XXIII, 8. 42ff. 

41 ) Wesener, Prof. Dr., Die Behandlung von Säuglingen in allgemeinen 
Krankenhäusern. Wiesbaden 1906. Ref. i. d. Medizinalbeamtenztg. 1907, Heft 2. 

M ) Baginski, Prof. Dr. A., Säuglingskrankenpflege und 8äuglingskrankheiten, 
unter Mitwirkung von Dr. phil. Paul Sommerfeldt. Stuttgart, Friedr. Enke, 1906. 

4 *) Neumann, H., Säuglingsbehandlung in Anstalten. Deutsche med. 
Vochensohr. 1903, Nr. 50. 

M ) Handbuch der Krankenanstalten in Preußen. Im Aufträge Sr. Exzellenz 
des Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten 
bnrau8gegeben von der Medizinalabteilung 1907. J. Springer. 

44 ) Behrens, Dr. und Dr. Schüler in Karlsruhe, Die Säuglingsfürsorge in 
Karlsruhe. Zeitschr. f. Säuglingsfürsorge I, Heft 5. 

48 ) Dieselben, Die Säuglingsfürsorge in Stuttgart. Zeitschr. f. Säuglings- 
f .rsorge, Heft 9. 

47 ) Schlossmann, Prof. A. in Düsseldorf, Probleme der Säuglingsfürsorge. 
Vortrag. Med. Reform-Wochenschr. f. sozial. Medizin, Hygiene und Medizinal¬ 
statistik, herausgegeben von Dr. R. Lennhoff. 

48 ) Krautwig, Dr. in Cöln, Über Säuglingsfürsorge, besonders über Halte¬ 
kinderwesen. Vortrag. Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspflege, Jahrg. XXHI, 8. 8 ff. 

4# ) Puetter, Stadrat Ernst, Das Ziehkinderwesen. Gutachten, erstattet im 
Aufträge des Deutschen Vereins für Armenpflege u. Wohltätigkeit. Schriften d. 
Deutsch. Ver. f. Armenpflege u. Wohltätigkeit, Heft 79. Leipzig, Duncker u. 
ilumblot. 

8# ) Taube, Sanitätsrat Dr., Die Säuglingsfürsorge durch Staat, Gemeinde und 
freie Liebestätigkeit. Zeitschr. f. Säuglingsfürsorge I, Heft 1. 

8I ) Finkeistein, Prof. Dr. H., Die Bedeutung städtischer Waisenasyle für 
die Herabsetzung in der Waisenkostpflege. Zeitschr. f. Säuglingsfürsorge I, Heft 1. 

8< ) Die Organisation der Ziehkinderpflege in Danzig. Zeitschr. f. Gesundheit 
1902, Nr. 13. 

8a ) Revue d’hygiene et de police sanitaire. Paraissant sous la direction de 
A. J. Martin. Tome XXIV, No. 9—10. Paris. XIV6me Congr^s d’hygiene et de 
demographie. Lection III. Assistance ä donner aux nourrissons Dietrich-Berlin. 


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Dr. med. Arthur Wandel, Über das Schlafburschenunwesen usw. 


483 


Über das Schlafburschenunwesen und über 
Ledigenheime yom Standpunkte der öffentlichen 
Gesundheitspflege. 

Von Dr. med. Arthur Wandel (Kiel). 


Schon im Altertume trat, wie wir von den Geschichtsschreibern er¬ 
fahren können, namentlich im alten Rom eine ausgesprochene Wohnungsnot 
auf. Infolge der überaus großen Nachfrage nach kleinen, für die ärmeren 
Klassen bestimmten, billigeren Wohnungen bei dem Zusammenströmen der 
besitzlosen Arbeitermassen in die Hauptstädte brachte das nur in demselben 
Verhältnis zum plötzlichen Steigen der Bevölkerungszahl allzu unzulängliche, 
sehr geringe Angebot von Wohnungen schon damals erschreckende Mi߬ 
stände in den Arbeiterquartieren hervor. Die Mietshäuser im alten Rom 
waren bereits deshalb auf das gewissenloseste — meist von Spekulanten — 
gebaut, so daß Häusereinstürze an der Tagesordnung waren und der Staat 
gezwungen war, derartigen Übelständen durch strengere Wohnnngsgesetze 
zu steuern *)• 

Im Mittelalter waren es Verwaltungen alter deutscher Städte, welche 
nach verschiedenen Quellenangaben der Erhaltung der Gesundheit ihrer 
Bürger ihr Augenmerk zuwandten und strengere Bestimmungen über die 
Bebauung des durch die Umfassungsmauern beschränkten Weichbildes der 
befestigten Städte und die Instandhaltung von Verkehrsstraßen und Wasser¬ 
versorgungsstellen erließen 3 ). Über die Wohnungseinrichtungen in gesund¬ 
heitlicher Hinsicht, namentlich aber über die gesundheitsschädliche Über¬ 
füllung der städtischen Wohnungen finden sich nur geringe Angaben aus 
den Zeiten, in denen infolge länger andauernder Kriege und Belagerungen 
die Landbevölkerung in den gegen die Feinde sicheren, befestigten Städten 
Zuflucht suchte. Erklärlicherweise aber mußte nach Ansicht verschiedener 
Autoren die auf das Bereich zwischen den Stadtmauern sich beschränkende 
einheimische Bürgerschaft bei ihrer Zunahme an Zahl sich auf einen zu 
geringen Raum und eine nur beschränkte Häuserzahl zusammendrängen. 
Erst in unseren modernen Städten traten die Erscheinungen der größten 
Wohnungsnot wieder auf das krasseste in den Vordergrund, nachdem infolge 
des rapiden Aufschwunges der Technik im Dampfzeitalter mit der daraus 
folgenden Arbeitsteilung in den Gewerbebetrieben, der Vervollkommnung 
und Verbilligung der Verkehrsmittel, der Gewährung der Gewerbefreiheit 
und Freizügigkeit eine vollkommene Verschiebung der Bevölkerungsverhält¬ 
nisse sich geltend machte 3 ). 

Bei dem rapiden Zuwachs der Bevölkerungszahlen der Industriezentren 
konnte die Beschaffung menschenwürdiger Unterkunftsräume für die in 
großen Massen von den aufblühenden Gewerbebetrieben angenommenen 
Arbeitskräfte nicht erreicht werden. Es entstand deshalb eine ganz plötz- 

31 * 


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484 


Dr. med. Arthur Wandel, 


lieh brennend werdende Not um Wohnungsräume, die begreiflicherweise mit 
einer ungeheuren Preissteigerung der vorhandenen, verhältnismäßig geringen 
Anzahl von entsprechenden Wohnräumen einherging. Auf der anderen 
Seite mußte bei dem massenhaften Zuzug von Arbeitskräften auch eine 
Steigerung der Lebensmittel preise erfolgen, die den ärmeren Schichten die 
Lebensbedürfnisse auf das größtmögliche Minimum zu beschränken, zur Not¬ 
wendigkeit machte. Zufolge des unzulänglichen Angebots von kleinen 
Wohnungen waren die vorhandenen sehr teuer, dabei aber meist noch 
schlecht ausgestattet. Der Arbeiter wurde nun notgedrungen gezwungen, 
mit diesen schlechten und teuren Wohnungen vorlieb zu nehmen. Er pferchte 
sich in einem für die Zahl der Familienmitglieder geringen Raum mit seiner 
Familie zusammen, oder leistete sogar in vielen Fällen auf den Besitz einer 
ganzen Wohnung Verzicht und ging entweder selbst zur Aftermiete oder in 
Schlafstelle, oder nahm in die eigene Haushaltung Fremde als Schlaf- und 
Kostgänger auf, um auf diese Weise den sonst unerschwinglichen Mietzins 
aufbringen zu können 4 ). Jeder verfügbare Raum wurde an Untermieter 
und Schlafleute abgegeben, ohne auf die Regeln der Schicklichkeit und 
Gesundheit Rücksicht zu nehmen. Am Ende des vorigen Jahrhunderts 
traten die Mitteilungen über die allmählich unhaltbar gewordenen Zustände 
in den Wohnräumen der arbeitenden Klassen der Industriezentren häufiger 
hervor und veranlaßten, daß diesen Verhältnissen zwecks Beseitigung von 
seiten der Verwaltung durch Fachmänner auf den Grund gegangen wurde. 
Denn die Fortschritte der öffentlichen Gesundheitspflege hatten einsehen 
gelehrt, daß eine Abwehr gemeingefährlicher Krankheiten am ehesten mög¬ 
lich wurde durch eine gesundheitsfördernde Lebensweise, bei der als ein 
Hauptmoment das Wohnen in gesunden und geräumigen Wohnungen er¬ 
kannt wurde. Es flössen nun die Mitteilungen über das Wohnungselend 
etwas reichlicher. Insbesondere wurden genauere statistische Erhebungen 
über die Dichtigkeit der Belegung der Arbeiterwohnungen angestellt. So er¬ 
nannten die verschiedensten Gemeindeverwaltungen besondere Kommissionen 
zur Untersuchung dieser Fragen. Fast in allen größeren Gemeinden konnten 
nun diese Ermittelungsverfahren feststellen, daß die kleinen, meist schon 
überfüllten Wohnungen auch für die Unterbringung von Schlafleuten in der 
Hauptsache in Betracht kamen s ). Erschreckend wurden die Wohnungs- 
verbältnisse mit den hohen Behausungsziffern namentlich in den Arbeiter¬ 
vierteln von Berlin angetroffen, wo wesentlich durch die zahlreichen Schlaf¬ 
leute und den Kinderreichtum der ärmeren Klassen die Dichtigkeit der 
Bevölkerung am größten war. In den Jahren von 1880 bis 1890 war 
die Zahl der Schlafleute noch um 54,2 Proz. neben der um 62,1 Proz. an¬ 
gewachsenen Haushaltungsbevölkerung gestiegen e ). Hier wurden sehr häufig 
Wohnungen von nur einem Raume angetroffen, in denen neben der zahl¬ 
reichen Familie noch Schlafleute Aufnahme gefunden hatten. 

Auch konnte noch die Zählung vom 1. Dezember 1900 in Berlin und 
seinen Vororten bestätigen, daß die überwiegende Mehrzahl der Haushal¬ 
tungen mit Schlafleuten auf die Kleinwohnungen von 1 bis 3 Wohnräumen 
entfiel. Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß die Statistik 
jeden abgesonderten Raum, also jedes heizbare oder unheizbare Zimmer oder 
auch nur jede Küche als Wohnraum bezeichnete. In Berlin und seinen Vor- 


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Uber das Schlafburschenunwesen und über Ledigenheime usw. 485 

orten aber bedeutete eine mit zwei Wohnräumen gezählte Wohnung nichts 
anderes als die bekannte Kleinwohnung, bestehend aus Stube und Küche. 
Diese wurden zu einem großen Teile überdies yon Familien bewohnt, die 
Kinder besaßen und neben diesen Schlafleute, zum Teil verschiedenen Ge¬ 
schlechtes, entnahmen •• 7 - 8 -). Beachtenswerte Einzelheiten ergaben z. B. auch 
die auf Veranlassung des Bürgermeisters von Lüttich durch eine polizeiliche 
Untersuchung der Schlafgängereien gewonnenen Erfahrungen 9 ). Nach diesen 
lagen die Schlaflokale meist in Mansardenräumen, ja selbst auf offenem 
Speicher. In der Regel benutzten je zwei Schlafgänger gemeinsam ein Bett. 
Dann wiederum dienten nur lange Korridore oder enge muffige Zimmer, 
wahre Löcher, die mit Strohsäcken belegt waren, als Schlafräume. Das Bett¬ 
zeug war gewöhnlich äußerst mangelhaft, so daß es im Winter nicht einmal 
ausreichend Schutz gegen die Kälte gewährte. Die Bewohner dieser Höhlen 
wechselten fast jede Nacht und boten deshalb die größtmögliche Gelegenheit 
zur Verbreitung von Infektionskrankheiten. 

Von den anderen Großstädten, wie Breslau, Leipzig, Dresden, Stettin, 
Chemnitz, Straßburg, werden ähnliche Zahlen berichtet. Erwähnt sei noch, 
daß im Jahre 1902 in Straßburg von 2524 Personen nur 330 eine eigene 
Lagerstätte aufzuweisen hatten 10 ). Wahrhaft erschreckende Verhältnisse! 

In noch höherem Maße als in Deutschland wurde das stets wachsende 
Zusammendrängen der Bevölkerung in einzelnen Ortschaften Österreichs fest¬ 
gestellt. Hier nahm im Jahre 1902 noch die Benutzung früher unbewohnter 
Raume als Wohnräume ständig zu. In einzelnen österreichischen Städten, 
so in Reichenberg, bestanden über die Hälfte aller Wohnungen nur aus 
einem Raume, und waren zu einem hohen Prozentsatz noch so übervölkert, 
daß bis zehn Personen in 17,2 Proz. dieser Haushaltungen untergebracht 
waren 1 *). 

Von den gleichen Erscheinungen im Wohnungswesen konnte man ebenso 
aus den anderen benachbarten Staaten, wie Frankreich und England, aus 
sozialpolitischen Skizzen genügend hören. Wie es nun neben der Über¬ 
füllung mit Menschen in solchen Wohnungen aussieht, davon können wir 
aus den Schilderungen, einzelner Sozialpolitiker uns |ein Bild machen 13 “• a -). 

Unter Zuhilfenahme von statistischen Ergebnissen wurden auch die 
Schlafstellen, welche die Arbeitgeber den in Haushaltungsgemeinschaft bei 
ihnen wohnenden Hilfsarbeitern in den einzelnen Gewerbebetrieben gewährten, 
beleuchtet. Auch bei der größten Mehrzahl dieser wurden die größten Übel¬ 
stände aufgedeckt, die den Beweis lieferten, daß für die der Neuzeit ent¬ 
sprechenden Forderungen der Gesundheitspflege noch keinerlei Verständnis 
nnd Wohlwollen von seiten einzelner Klassen von Arbeitgebern wie Arbeit¬ 
nehmern vorhanden war. Alle Berichte über das größte Wohnungselend 
bewiesen, daß in den ältesten und schmutzigsten Häusern, in denen von den 
wirtschaftlich am schlechtesten gestellten Familien mit ihren zahlreichen 
Familienmitgliedern noch für hohen Mietzins die menschenunwürdigsten 
Wohnräume notgedrungen bewohnt wurden, auch das Schlafstellenunwesen 
immer in seinen krassesten Auswüchsen anzutreffen war. Die gesundheit¬ 
lichen Schädigungen, die durch dieses Schlafstellenwesen breiteren Volks¬ 
schichten lange Jahre hindurch zugefügt wurden, mußten somit offenkundig 
werden. In welchem Maße und in welcher Weise diese das Volkswohl auf 


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Dr. med. Arthur Wandel, 


die Dauer immer mehr gef&hrdeten, ist wohl am ehesten zu erkennen, wenn 
wir die am meisten gesundheitswidrigen Einrichtungen der Schlafstellen 
vom Stande der Gesundheitspflege entsprechend beurteilen. 

In den Arbeitervierteln treten uns zunächst die meist engen, schmutzigen 
Straßen entgegen, von denen der Arbeiter natürlich in seine Behausung an 
Kleidung und Stiefeln die Schmutzpartikeln mit hinübernimmt. Die Häuser 
sind selbst alte, meist baufällige, verräucherte, eng aneinander gebaute Miets¬ 
kasernen, in denen Kellerwohnungen und andere winklige, fensterlose, dunkle 
Räume anzutreffen Bind, und die meist selbst vor Schmutz und Unrat starren. 
Die Kellerwohnungen in diesen Häusern liegen in der Mehrzahl tief unter 
dem Straßenniveau, so daß der Luftwechsel in ihnen nur ein ganz minimaler 
zu sein pflegt, während wiederum die Feuchtigkeit der Mauern nie aufhört. 
Tageslicht dringt nur ganz spärlich durch die kleinen Fenster in die Räume. 
Dafür verpesten stinkende Öllampen die Luft und verderben sie noch durch 
schädliohe Verbrennungsprodukte und Verbrauch des für die große Zahl von 
Menschen überaus notwendigen und ungenügend vorhandenen Sauerstoff¬ 
gehalts der Luft. Der Fußboden ist in der Regel undicht und gestattet 
den aus dem durch das eindringende Schmutzwasser lauge Jahre hindurch 
verunreinigten Boden entströmenden Gasen ungehinderten Zutritt in die 
Wohnungen, um die Luft zu verschlechtern. Eine ständige Verunreinigung 
der Zimmerluft findet weiterhin statt durch die Ausdünstungen der zahl¬ 
reichen, dicht gedrängten Inwohner, sowie durch die Staubentwickelung der 
von Schmutz oft starrenden Arbeitskleidung. Dazu kommt, daß oft noch 
Gewerbebetriebe mit ihrer gesundheitsschädlichen Staub- oder Geruchs- und 
Gasentwickelung in diesen Räumen sich tagsüber befinden. Wenn schon 
die Straßenluft in diesen engen Gassen in ausreichender Weise verunreinigt 
ist, um wieviel mehr ist da noch die Luft des Hofraums dieser Mietskasernen 
verschlechtert, in den aus den umliegenden Wohnungen, den Aborten und 
Müllablagerungsstätten die unreinen Luftbeimengungen Zuströmen, um auf 
der anderen Seite noch schlechter ventilierten Wohnräumen als Lufterneue¬ 
rung zu dienen. Nicht viel besser bestellt ist es mit den höher gelegenen 
Wohnungen dieser Kasernen, ln diesen fällt wohl die Bodenausdünstung 
und die Feuchtigkeit in geringem Maße weg, dafür aber kommt hinzu die 
Verunreinigung der Luft durch die Staubentwickelung aus dem Füllmaterial 
der Decken, das durch lange Jahre hin für Krankheitskeime zwischen den 
undicht gewordenen Fußbodenbrettern eine gute Ablagerungs- und Brutstätte 
abgegeben hatte. Die Luft solcher Räume ist immer muffig und feucht 
Die hier in größerem Maße vorhandene Möglichkeit der Lufterneuerung 
durch Ventilation wird meist nicht benutzt, weil mit dem Zuströmen der 
äußeren Luft auch die Wärme des Zimmers in kalten Tagen Einbuße erleidet 
und eine nochmalige Erwärmung mit Ausgaben für Brennmaterial verbunden 
ist, das gespart werden muß. In sehr vielen Fällen ist es nicht einmal mög¬ 
lich, gegen die Winterkälte durch Heizung sich zu schützen, da nach den 
statistischen Erhebungen die Schlafstellen sehr viel in unheizbaren Räumen 
untergebracht sind. Ihre Inhaber sind öfter Erkältungen ausgesetzt. Zur 
Vermeidung derselben werden gründliche Körperreinigungen in den kälteren 
Jahreszeiten unterlassen und in Ermangelung sauberer warmer Kleidung 
und ausreichenden Bettzeugs die schmutzigsten alten Lumpen, an denen 


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Über das SchlafburBchenunwesen und über Ledigenheime usw. 

Keime aller Art hängen geblieben sind, als schützende Hülle gegen Witte* 
rungseinflüBse benutzt. 

In warmen Zeiten aber wiederum müssen die Fenster geschlossen ge¬ 
halten werden, um den Ausdünstungen vom Hof oder der Straße keinen 
Zutritt zu gestatten. Außerdem ist in diesen Wohnungen im Sommer infolge 
der geringeren Luftbewegung in den eng aneinander gebauten, hohen Häusern 
und infolge der unter der Besonnung sich erhitzenden Häuserflächen mit 
ihren nächtlichen, erheblichen Wärmeausstrahlungen eine erdrückende, fast 
unerträgliche, stinkende Schwüle anzutreSen. 

Kehrt der Schlafbursche abends müde von seiner Arbeitsstätte heim, 
nachdem er noch meist in Wirtshäusern seine Nahrung notdürftig ein¬ 
genommen, so findet er die Luft in seinem Schlafraum bereits verbraucht. 
Er legt sich auf dem für ihn bemessenen Raume nieder, womöglich ohne 
daß ihm Gelegenheit geboten wurde, sich nach seiner Arbeit gründlicher 
Körperreinigung durch eine Waschung zu unterziehen. Ist ihm dieses ge¬ 
stattet, ebenso wie die Mahlzeit in seiner Wohnung einzunehmen, so ist er 
wohl meist genötigt, mit den anderen Haushaltungsgenossen denselben Haus¬ 
rat, dasselbe Eßgeschirr, dieselben Wascheinrichtungen zu benutzen. Dicht 
gedrängt, mit dem notdürftigsten Bettzeug zufrieden, liegen dann die Ärmsten 
die Nacht über in den muffigen, von mephitischen Gerüchen erfüllten Räumen 
und atmen die Ausatmungsluft der Nachbarn. Zu diesen gesundheitsschäd¬ 
lichen Einflüssen gesellt sich neben dem mühevollen Kampfe ums tägliche 
Brot die meist schlechte und ungenügende Ernährungsweise der den ärmeren 
Klassen angehörenden Schlafstelleninhaber wie Vermieter, die entsprechend 
ihrem Arbeitsverdienst nur von der Hand in den Mund leben und bei dem 
häufigen Wechsel des Arbeitsangebotes in den Industriezweigen auch oft¬ 
mals wegen Arbeitsmangels brotlos werden und zu darben genötigt sind. 
Die nachteiligen Folgen auf die Gesundheit können dabei natürlich nicht 
ausbleiben. Bald zeigt sich eine Herabsetzung der Energie und Leistungs¬ 
fähigkeit, ein vermindertes Widerstandsvermögen gegen krankmachende 
Einflüsse, Blutarmut und Körperschwäche n ). 

Als „ Wohnungskrankheiten “ bekannt und so bezeichnet worden sind 
bereits bei Kindern Verdauungsstörungen, die, neben diätetischen Schädlich¬ 
keiten, namentlich durch Überhitzung des kindlichen Organismus in den 
engen, überfüllten, schlecht gelüfteten Wohnungen und Einflüssen infektiöser 
Art hervorgerufen werden. Weiterhin führt man Blutmangel, Bleichsucht, 
Rachitis auf den Mangel an Luft und Licht in überfüllten Wohnungen mit 
zurück. Ebenso sind Luftröhrenkatarrhe zum großen Teile durch die an¬ 
dauernden Staubinhalationen in den unsauberen und baufälligen Arbeiter¬ 
vierteln bedingt. Erkältungen und rheumatische Affektionen aber finden 
ihre Ursache in dem vermehrten Feuchtigkeitsgehalt der Luft, welcher durch 
die Feuchtigkeit der Mauern, die unzweckmäßige Benutzung der Wohnräume 
als Waschküche und Werkstatt bei Gewerbebetrieben und bei der Über¬ 
füllung mit Menschen ohne genügende Lufterneuerung durch die Ausatmungs¬ 
luft der dichtgedrängten Bewohner verursacht wird, und in der mangelhaften 
Dichtigkeit der Wände, Türen und Fenster der Schlafräume 14 ). 

Daß in derartig ungesunden und überfüllten Wohnungen Infektions¬ 
krankheiten die Bedingungen zu ihrer größtmöglichen Weiterverbreitung 


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Dr. med. Arthur Wandel, 


unter einer großen, bereits an Blutarmut und Körperschwäche leidenden 
Volksmenge finden, ist nach alledem selbstverständlich und bereits durch 
die in der Literatur vielfach festgelegten Beobachtungen bei Epidemien 
bewiesen. 

So fand Feer 15 ) bei einer Diphtherieepidemie in Basel, daß die hygie¬ 
nisch mangelhaften oder die sehr dicht von ärmlichen Familien bewohnten 
Häuser am schwersten von der Krankheit heimgesucht wurden. Ebenso hebt 
die Möglichkeit der Weiterverbreitung und dauernden Beherbergung von 
Diphtheriebazillen durch die Schlafstellen mit ihren dichten Ansammlungen 
von Menschen in engen schmutzigen Räumen und ihrem regen Verkehr 
zwischen den verschiedensten, meist übervölkerten Bezirken Aust 16 ) beson¬ 
ders hervor. 

Nach Pistor 17 ) war Typhus am meisten in denjenigen Bezirken ver¬ 
breitet, welche von der Industrie eingenommen sind. Hier begünstigten die 
sehr dürftigen, engen und übervölkerten Wohnungen bei dem geringen Sinn 
für Reinlichkeit der Industriearbeiter die Ausbreitung der Krankheit. 

Flügge 18 ) betont in seinem Lehrbuche, daß sehr häufig Kontaktinfek¬ 
tionen zu Typhusepidemien Veranlassung geben können. Übereinstimmend 
hiermit beobachtete Robert Koch 19 ), Eschricht 20 ) und Neesemann 11 ) 
die Ausbreitung der Krankheit wesentlich auf dem Wege der direkten Über¬ 
tragung von Mensch zu Mensch. Letzterer fand an statistischen Erhebungen 
über die Ausbreitung des Typhus in Breslau, daß die zahlreichsten Erkran¬ 
kungen in den schlechtesten und ärmlichsten Quartieren mit großer Menschen¬ 
anhäufung auftraten, in denen gerade das Schlafstellenwesen zu Hause war. 
Neben der direkten Übertragung von Mensch zu Mensch spielten hier auch 
noch die Einschleppungen der Krankheitskeime durch Fliegen eine große 
Rolle. Von Ficker 22 ) wurde ja doch der Beweis hierfür durch das Experi¬ 
ment erbracht. Sehr treffend waren die Angaben, die Pietrusky 28 ) über 
das Auftreten des Fleckfiebers in Schlesien machte. Er erklärte die große 
Ausbreitung des Fleckfiebers in Oberschlesien mit den kläglichen WohnungB- 
und Lebensverhältnissen der oberschlesischen Arbeiter, die ohne Sinn für 
Sauberkeit und Ordnung sich in engen Räumen zusammenpferchten. Die 
gleichen ungesunden Verhältnisse bedingten die Massenerkrankungen in 
Breslau in den Proletarierviel tein. Hier war von altersher in der großen 
Anzahl von elenden und schmutzigen Häusern, in denen die Schlafstellen¬ 
wirtschaften blühten, der Schlupfwinkel der Ärmsten, die sich in engen 
Räumen ohne hinreichende Bekleidung, ohne Bettlager, vor Schmutz und 
Ungeziefer starrend, zusammendrängten. Dieselben Bezirke lieferten auch 
bei den Epidemien an Rückfallfieber und bei den Ausbrüchen der Cholera 
die meisten Erkrankungen 24 ). 

Die Übertragbarkeit durch Insekten, wie Fliegen, die in den schmutzig¬ 
sten Arbeiterwohnungen in den Sommermonaten zu Tausenden und Aber¬ 
tausenden anzutreffen sind, wurde ja auch bei der Cholera gelegentlich der 
Hamburger Epidemie im Jahre 1892 bewiesen (Lowschentski und 
Simmerud8 25 ). 

Für die Massenerkrankungen an Ruhr wiederum, hervorgerufen durch 
die Kontaktübertragung von Mensch zu Mensch, ohne daß eine Verunreini¬ 
gung des Trinkwassers beobachtet werden konnte, haben wir in der Ruhr- 


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Über das Schlafburschenunwesen und über Ledigenheime usw. 

epidemie in Barmen in den Jahren 1899 and 1900 den schlagendsten Beweis. 
Hier fand die Krankheit bei den schlechten hygienischen Verhältnissen der 
älteren Häuser, die in dem verseuchten Stadtteile lagen, unter der dicht¬ 
gedrängt wohnenden Arbeiterbevölkerung zur Ausbreitung den günstigsten 
Boden (Boettger) 26 ). 

Alle anderen Infektionskrankheiten, wie Masern, Scharlach, Influenza, 
Keuchhusten, Genickstarre, Pocken, haben, erst einmal auf diesem Boden 
ausgesäet, immer eine ungeheure Ausbreitung und nehmen, entsprechend 
dem bereits durch die schlechten Lebensbedingungen krank und schwach 
gemachten Körper der in diesen Pesthöhlen wohnenden Menschen, meist 
einen besonders schweren Verlauf, wenn sie nicht gar tödlich enden. 

Diese akuten Infektionskrankheiten treten in den Bezirken des Schlaf- 
Btellenunwesens meist als schnell aufflackernde Epidemien auf. Einen lang¬ 
sameren, aber doch sicheren Verlauf nimmt die als Volksseuche nicht genug 
hervorgehobene Tuberkulose. Schon Rubner 27 ) hatte auf dem internatio¬ 
nalen Tuberkulosekongreß vom Jahre 1899 den Satz aufgestellt, daß die 
Verbreitung der Tuberkulose zur Wohndichtigkeit in proportionalem Ver¬ 
hältnisse steht, und hatte die gesundheitsschädlichen Einflüsse der über¬ 
völkerten Arbeiterwohnungen als die Ursache hingestellt, die die Wider¬ 
standsfähigkeit weiter Volksmassen herabsetzt und für die Erkrankung an 
Tuberkulose geeignet macht. Wie wir auch aus den Untersuchungen 
B. Fränkels 2 *) und Baldwins 29 ) in neuerer Zeit wieder erfahren haben, 
spielt ja doch der geringe Sinn für Reinlichkeit bei den an Tuberkulose er¬ 
krankten Individuen hinsichtlich der Verstreuung infektiösen Materials eine 
nicht hoch genug einzuschätzende Rolle. Daß dann bei dem im vorigen 
gewürdigten geringen Sinn für Reinlichkeit und Ordnung der Schlafstellen¬ 
inhaber in den übervölkerten Wohnungen eine weitgehende Übertragung 
der Krankheit von tuberkulösen Individuen auf gesunde erfolgen kann, ist 
wohl einleuchtend. Plique 80 ) hat das Verdienst, auch bereits auf die Wechsel¬ 
wirkungen zwischen Wohnungsverhältnissen und Lungenschwindsucht mit 
besonderer Berücksichtigung der so überaus häufigen Übertragung der Krank¬ 
heit in den Schlafstellen hingewiesen zu haben. Ebenso hob Marcuse 81 ) auf 
Grund einer Wobnungsenquete in Mannheim die Beziehungen zwischen 
Wohnung und Erkrankung an Tuberkulose besonders hervor und legte eine 
fundamentale Bedeutung der Beseitigung von ungesunden Wohnungen für 
den Kampf gegen die Tuberkulose bei. 

Geteilt sind noch die Ansichten über die Verbreitung der venerischen 
Leiden durch das Schlafgängerwesen. Kampffmeyer 82 ) stellte die Behaup¬ 
tung auf, daß das Schlafgängerwesen nur einen sehr minimalen Einfluß auf 
die Ausdehnung der venerischen Leiden habe. Er stützte seine Behauptung 
auf die von Spann 88 ) hervorgehobenen Tatsachen, daß die arbeitenden 
Klassen, denen ja in der Mehrzahl die Schlafgänger angehören, außerordent¬ 
lich selten von Geschlechtskrankheiten befallen seien. Wenn auch ein ein¬ 
schneidender Einfluß auf die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten durch 
das Schlafburschen wesen bisher nicht nachweisbar gewesen ist, so ist die 
Möglichkeit der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten durch das Schlaf¬ 
gängerwesen doch nicht ausgeschlossen, sogar sehr oft gegeben. Zunächst 
ermöglichen die leider allzu oft beobachteten Schlafstellen für Schlafgänger 


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Dr. med. Arthur Wandel, 


beiderlei Geschlechts in demselben Raume einen ungebundenen außerehelichen 
Geschlechtsverkehr unter den Schlafgängern und geben wahrscheinlich nicht 
allzu selten bei derartig freien Anschauungen über Sittlichkeit und Ordnung 
doch Gelegenheit zur Ansteckung unter den einzelnen Bettnachbarn. Dann 
ist auch durch eine außergeschlechtliche Übertragung des venerischen Giftes 
auf die eng zusammengedrängten Schlafgänger durch das Schlafen zu zweien 
in einem Bett, durch unsaubere Bettlaken, durch die gemeinsame Benutzung 
der Wasch- und Trinkgefäße und Handtücher die Möglichkeit der Weiter¬ 
verbreitung von venerischen Krankheiten im vollsten Maße vorhanden. 

Wir haben also gesehen, daß aus dem Schlafstellenwesen, das sich all¬ 
mählich als eine wirtschaftliche Notwendigkeit sowohl für Schlafstellen¬ 
vermieter als für die Schlafgänger herausgebildet hatte, zahllose Übel für 
die ärmere Bevölkerung größerer Industriebezirke zutage traten. Der Ruin 
der deutschen Arbeiterfamilie drohte durch diese auf sie immer heftiger ein¬ 
stürmenden gesundheitlichen und sittlichen Feinde in raschem Schritte herein¬ 
zubrechen (Jäger 84 )* Diesen Ruin aufzuhalten, galt es Abhilfe zu schaffen. 
Hervorragende Sozialpolitiker mahnten daher, indem sie den günstigen Ein¬ 
fluß gesunder und freundlicher Wohnungen auf das Volkswohl immer mehr 
hervorhoben, Schritte zu ergreifen, um dem weit verbreiteten Wohnungselend 
Einhalt zu tun. 

Recht vielseitig waren die Vorschläge, die von dem einzelnen zur Beseiti¬ 
gung der Übelstände gemacht wurden. So wurde von hygienischer Seite 
auf die Vermieter von Arbeiterwohnungen ein besonderer Druck ausgeübt, 
um die schlimmsten Übel der Arbeiterwohnungen beseitigt zu sehen. Ver¬ 
schiedene Großstädte gingen daran, die durch die Wohnungsenqueten be¬ 
kannt gewordenen ungesunden Stadtteile zu assanieren. So waren in Prag 
großartige Arbeiten geplant. Die alten, baufälligen Häuser wurden von der 
Stadtgemeinde angekauft und niedergerissen. Damit war die Zahl der 
menschenunwürdigen Wohnungen wohl verringert, der Mangel an kleinen 
Wohnungen aber wurde größer und trat noch bedeutender hervor, da man 
nicht auf einen Ersatz für die kleinen Wohnungen der in den Assanierungs¬ 
gebieten niedergerissenen Häuser bedacht gewesen war (Preininger si ). 
In anderen Gemeinden wurden die offenkundigsten Mißstände der Arbeiter¬ 
wohnungen durch Reparaturen in den Häusern gemildert. Der Erfolg war 
gerade das Gegenteil von dem, was man im Interesse der breiten Volks¬ 
schichten gewünscht hatte. Durch Reparaturen und Beseitigung menschen¬ 
unwürdiger Wohnräume trat abermals eine Steigerung der Mieten ein, durch 
die der Arbeiter erst recht zum Abvermieten des nötigsten Raumes an 
Schlafgänger gezwungen wurde (Albrecht 1 ). 

Im Jahre 1879 wurden in der Versammlung des Deutschen Vereins für 
öffentliche Gesundheitspflege in Stuttgart Bestimmungen angenommen, welche 
die Mindestforderungen für die gesunde Unterbringung von Kost- und 
Quartiergängern gegen Entgelt regelten. Die Aufnahme von Schlafgängern 
sollte der Genehmigung der Ortspolizeibehörde unterstellt werden, welche 
die Beschaffenheit der Unterkunftsräume prüfte. Die Logierräume soUten 
den örtlichen sanitären Vorschriften der Baupolizei entsprechen. Für jeden 
Schläfer wurde ein Luftraum von 10 cbm, eine Bodenfläche von mindestens 
4 qm und eine Fensterfläche von 0,5 qm verlangt. Weiterhin sollte jedem 


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Uber das Schlafburschenunwesen und über Ledigenheime usw. 491 

Schlafgänger mindestens ein Strohsack, eine starke wollene Decke mit zwei 
reinen Bettüchern, sowie das nötige besondere Waschgerät, Waschwasser 
und Handtuch gewährt werden. Der Quartiergeber sollte für tägliche Besen¬ 
reinigung des Raumes und gehörige Lüftung durch öffnen der Fenster Sorge 
tragen. Die Fußböden, Treppen, Flure sollten wöchentlich gescheuert, die 
Wände und Decken zweimal im Jahre von Grund aus gereinigt werden. 
Erkrankungen an ansteckenden Krankheiten sollten vom Vermieter der 
Polizeibehörde gemeldet werden 88 ). 

Die berechtigte Forderung der Sozialpolitiker, die Familienwohnungen 
des kleinen Mannes von dem lästigen und gefährlichen Schlafstellenwesen 
möglichst ganz frei zu halten, war hiermit wieder nicht erfüllt. Es wurde 
daher als besonders wichtig für die Lösung der Frage die Schaffung von 
gesunden Unterkunftshäusern für die große Zahl derjenigen Arbeiter an¬ 
gesehen, welche ohne Familienanschluß im Leben der übervölkerten Städte 
und Industriebezirke daBtehen. Mit diesen Logierhäusern war es am ehesten 
möglich, die übervölkerten Familien wohn ungen von den fremden Elementen 
zu befreien. In manchen Gegenden Deutschlands waren die Arbeitgeber 
infolge der Besonderheit der Arbeiterverhältnisse schon vor vielen Jahren 
gezwungen, für die Arbeiter Schlafgelegenheiten in der Nähe der Betriebe 
zu beschaffen, um für ihre großen Betriebe die erforderliche Anzahl von 
jungen leistungsfähigen Arbeitern zur Verfügung zu haben. Es handelte 
sich hierbei meist um Betriebe, die abseits von den Ortschaften gelegen 
waren. In den Schlafhäusern fanden die Arbeiter Unterkommen, die ent¬ 
weder nur während der Wochentage wegen der Entfernung der Arbeitsstätte 
von ihrer Wohnung diese benutzten oder als Alleinstehende immer in ihnen 
zu wohnen genötigt waren. 

Es kommen hierbei zunächst in Frage die zur Beherbergung von Ar¬ 
beitern dienenden Anlagen der Bergwerks- und Hüttenbetriebe. So erbaute 
die kgl. preußische Berg Verwaltung im Saargebiet in der Nähe der Werke 
große Häuser, in denen die Schlafgänger in großen Schlafräumen zu 
mehreren (bis acht) Personen untergebracht waren. Die Wohnungen, welche 
hier die Verwaltungen ihren Arbeitern zur Verfügung stellten, waren gut 
ventiliert und boten dem einzelnen Bewohner einen bedeutend größeren 
Wohnraum als die dichtbevölkerten Privatwohnungen. Daneben wurde 
peinlichste Sauberkeit in den Häusern beobachtet. So wurde den Insassen 
die Reinhaltung des Körpers zur Pflicht gemacht. In dem Schlafhause durfte 
der Schlafgänger seine Arbeitskleider nicht tragen, sondern mußte dieselben 
an den dazu bestimmten Orten aufbewahren, um die Schlafräume nicht durch 
den ihnen anhaftenden Schmutz von der Arbeit zu verunreinigen. Das 
Schlafhaus lieferte Bett und Bettwäsche, Handtuch und Schrank und besorgte 
auch die Reinigung der Räume selbst durch besondere Arbeitskräfte, die 
dazu angestellt wurden. Die Möglichkeit der Weiterverbreitung anstecken¬ 
der Krankheiten in diesen Massenquartieren wurde durch den Ausschluß 
von Elementen, die nachweisbar an ansteckenden Krankheiten litten, ver¬ 
mieden. 

Ähnliche Bestimmungen zur Erhaltung der Ordnung und der von den 
Verwaltungen getroffenen hygienischen Einrichtungen hatten die Schlafhäuser 
der Mansfelder Kupferschiefer bauenden Gewerkschaft in Klostermansfeld. 


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Dr. med. Arthur Wandel, 


Das Hervorragendste in der Einrichtung hatte die Gailstahlfabrik von 
Friedrich Krupp in Essen a. d. Ruhr bei der Errichtung der Anlage für 
unverheiratete Facharbeiter geleistet. Je nach der Frequenz gab die Anstalt 
auch Zimmer an einzelne Personen ab. Für peinliche Sauberkeit und Ord¬ 
nung war Sorge getragen und den Mitgliedern der Menage für billige Preise 
angemessene Verpflegung gewährt. 

Auch das Wohn- und Kosthaus des Bochumer Vereins für Bergbau und 
Gußstahlfabrikation in Stahlhausen gestattete in einem umfangreichen Bau 
in weiten, freundlichen Schlafräumen 1200 Schlafgängern Unterkommen und 
Verpflegung den Regeln der Gesundheitspflege angemessen und erfreute sich 
deshalb auch im allgemeinen eines guten Besuchs. 

Andere Industrie- und Bergwerksbetriebe legten dem Bedarf ent¬ 
sprechend kleinere Anlagen an und versahen dieselben mit den den wirt¬ 
schaftlichen Ansprüchen ihrer Arbeiter angepaßten Ausstattungen, so daß 
in Belegzahl der Schlaf räume und Verpflegung die verschiedensten Modi¬ 
fikationen beobachtet werden konnten. Bei der großen Anzahl der von den 
zahlreichen Betrieben unterhaltenen Kost- und LogierhäuBer würde eine 
Beschreibung der sämtlichen Anstalten zu weit führen. Im allgemeinen 
vertreten sie einen bestimmten Typus. Jedes einzelne ist entsprechend 
seinen umfangreichen Baulichkeiten imstande, einer großen Menge von 
Arbeitern als Heimstätte zu dienen. 

Nur wenige Betriebsverwaltungen haben es vermieden, das System der 
Kasernierung größerer Massen anzuwenden, und die ledigen Arbeiter in 
getrennten kleineren Scblafhäusern zu kleineren Gruppen untergebracht, die 
der Fürsorge einer Arbeiterfamilie an vertraut wurden. Einzelne Betriebe 
gewährten den Arbeitern Wohnung, Heizung, Beleuchtung und Wäsche 
sogar unentgeltlich. Die meisten verbanden mit dem Schlafhause B&de- 
einrichtung, deren regelmäßige Benutzung den Schlafgängern nicht nur frei¬ 
stand, sondern vielfach sogar zur Pflicht gemacht war. Kubikinhalt des 
gewährten Raumes, sowie die ganze Einrichtung entsprach den Forderungen 
der Gesundheitspflege. Für die Heizung und sehr oft auch Reinhaltung der 
Wohnräume trug die Verwaltung dieser Anstalten Sorge. Kranke Insassen 
wurden nicht geduldet, sondern den zuständigen Krankenanstalten zu¬ 
gewiesen. 

Somit bieten diese Einrichtungen der Arbeitgeber für ihre ständigen 
allein stehenden Arbeiter ein Unterkommen, wie es sich der Arbeiter selbst 
in der Regel auch bei entsprechend größerem Kostenaufwande nicht zu ver¬ 
schaffen vermag. 

Eine andere, weniger gerühmte Unterbringung erfahren in den meisten 
Fällen seitens der Arbeitgeber die in vielen Betrieben unentbehrlichen fremd¬ 
ländischen Saisonarbeiter. Diese logieren meist in großer Zahl in Baracken 
und nehmen nicht in derselben Weise, wie die einheimischen Arbeiter, an 
den vielseitigen Wohlfahrtseinrichtungen der Werke teil. Sie müssen sich 
im allgemeinen mit primitiver ausgestatteten großen Schlafsälen begnügen. 

Neben den Bestrebungen der Arbeitgeber, ihren Arbeitern in der Nähe 
der Betriebe in Schlafhäusern menschenwürdiges Unterkommen zu gewähren, 
sind auch die Logierhäuser, die von Konfessionsgemeinschaften, Vereinen 
und Korporationen unterhalten werden, zu erwähnen. In den Vordergrund 


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Über das Schlafburschenunwesen und über Ledigenheime usw. 


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treten auf diesem Gebiete hauptsächlich die katholischen Arbeitervereine, 
deren im Jahre 1902 bereits 1059 gezählt wurden, mit 329 eigenen Vereins¬ 


häusern. In diesen finden am Orte arbeitende Mitglieder des Verbandes der 


Vereine meist für geringe Entschädigung Beköstigung und gesunde Wohnung. 
Die Unterbringung der Schlafgänger geschieht hier teils in Schlafsälen, teils 


in kleineren Zimmern mit verschiedener Bettenanzahl. Die Einrichtungen 


sind durchweg mustergültig; Ordnung und Sauberkeit werden durch strenge 
Hausordnungen aufrecht erhalten. Neben den Herbergsräumen finden sich 
fast durchweg Versammlungs- und Unterhaltungsräume. 

In geringerem Umfange hat die evangelische innere Mission ihre Tätig¬ 
keit bei der Schaffung von Ledigenheimen entfaltet, so daß von dieser Seite 
nur wenige Einrichtungen zur Beherbergung männlicher Arbeiter geschaffen 
worden sind. Die Unternehmungen verfügen nur über eine Gesamtzahl von 
124 Betten und tragen auch im allgemeinen meist nicht einen 60 großartigen 
Charakter wie die analogen der katholischen inneren Mission. 

So hat der ostdeutsche Jünglingsbund in Berlin in gemieteten Woh¬ 
nungen vier Heime für alleinstehende Arbeiter errichtet. Die Einrichtungen 
sind rein bürgerlich einfach, aber den Anforderungen der Gesundheitspflege 
und dem Zwecke entsprechend. Die Unterbringung geschieht nur in 
Zimmern zu einem bis drei Betten. Die Verwaltung jedes einzelnen dieser 
kleinen Heime ist einem Ehepaare unter Oberaufsicht des Geschäftsführers 
des Bundes übertragen. Sie tragen daher immer noch einen familiären 
Charakter. 

Wenig und nur mit Nennung von nackten Zahlen wurden in der Litera¬ 
tur die von nicht konfessionellen Vereinen und Körperschaften betriebenen 
Logierhäuser für Männer genannt, obwohl ihre volkswirtschaftliche Bedeu¬ 
tung im Kampfe gegen das Schlafstellenunwesen eine ganz besondere Beach¬ 
tung verdient. Bisher aber ist die Zahl dieser Einrichtungen von seiten 
nicht konfessioneller Vereinigungen immer noch eine sehr beschränkte ge¬ 
blieben. So unterhält der Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen in 
Stuttgart ein aus einem vierstöckigen großen Gebäude bestehendes Arbeiter¬ 
heim, in welchem 107 Zimmer mit zwei Betten und 26 Zimmerchen mit nur 
einem Bett ausgestattet sind. Die ganze Einrichtung des Hauses muß als 
mustergültig angesehen werden. Neben der gesunden Wohnung bietet das 
Unternehmen den Insassen auch Wäschereinigung und Frühstück. Eine mit 
Verständnis ausgearbeitete Hausordnung, welche die Eigenart des ganzen 
Unternehmens wohl berücksichtigt, ermöglicht es, ohne zu große Härten 
und lästigen Zwang den Insassen gegenüber Ordnung und Reinlichkeit zu 
erhalten. Weniger umfangreich ist das Gesellenheim der Volkskaffee- und 
Speiseh&llenge8ellschaft in Berlin. Dieses verfügt über 68 Betten, die in 
Zimmern zu zwei bis acht Betten untergebracht sind. Die Zimmer sind 
hoch, gut ventiliert, sehr sauber gehalten und behaglich, so daß die Bewohner 
dieselben auch für den Aufenthalt am Tage gern benutzen. Die Reinigung 
der Zimmer liegt einem die Verwaltung führenden Hausvater ob, der auch 
für Bettwäsche und Instandhaltung der Zimmereinrichtungen Sorge za 
tragen hat. 

Wieder bedeutend größer ist das Logierhaus Konkordia, das 1891 vom 
Verein für Volkskaffeehallen in Hamburg erbaut wurde. Der Betrieb dieses 






494 


Dr. med. Arthur Wandel. 


ähnelt ganz dem eines Gasthofes für männliche Gäste. Die Einrichtungen 
sind gute. Ebenso gut ausgestattet ist das Arbeiterheim in Benrath in der 
Rheinprovinz. 200 Arbeiter können in Schlafräamen zu je vier bis sechs 
untergebracht werden. Nebenbei betreibt die Anstalt eine Dampfwäscherei 
für die Reinigung der Wäsche des Heims, sowie der Insassen. Das Arbeiter¬ 
hospiz der Gesellschaft für Volkswohlfahrt in Duisburg-Hochfeld verfügt über 
50 Betten. Die Gesellschaft für Wohlfahrtseinrichtungen in Frankfurt a. M. 
hat ebenfalls mit der Erbauung von kleineren Logierhäusern angefangen. 
Von der Kasernierung größerer Arbeitermassen wurde hier absichtlich Ab¬ 
stand genommen und auch einem jeden Insassen wenigstens ein kabinen¬ 
artiger Raum von einem der Anforderung der Hygiene gerecht werdenden 
Kubikinhalt als abgesonderter Schlafraum zur Verfügung gestellt, um jedem 
Bewohner Gelegenheit zu geben, sich von seinen Mitinsassen wenigstens 
nachts abzusondern. 

In beschränktem Maße gewähren auch die Wanderherhergen der freien 
Gewerkschaften am Orte arbeitenden, alleinstehenden Arbeitern dauernde 
Unterkunft. Die Einrichtungen in diesen Wanderherbergen sind allgemein 
als zeitgemäß anerkannt und mit Badeeinrichtungen und Desinfektions¬ 
anstalten ausgestattet, die es ermöglichen, trotz des regen Verkehrs in diesen 
Herbergen Ungeziefer und Krankheitskeime bald bei der Ankunft vor der 
Aufnahme der verdächtigen Elemente zu vernichten. Kranke finden eben¬ 
falls keine Aufnahme, so daß eine Verschleppung von Krankheitskeimen 
durch den lebhaften Durchgangsverkehr in diesen Anstalten unmöglich ge¬ 
macht werden kann. 

Bisher wurde nur von den Veranstaltungen zur Unterbringung der 
männlichen Arbeiter gesprochen. In viel höherem Maße, wie das Schlaf¬ 
stellenunwesen für den männlichen Arbeiter verderblich wurde, zeigten sich 
noch die Übelstände bei den mangelhaften Wohnungsverhältnissen für den 
weiblichen Teil der arbeitenden Klassen, welcher doch noch wirtschaftlich, 
entsprechend den niedrigen Preisen für weibliche Arbeitkräfte, weit hinter 
dem männlichen steht. Die Unterbringung der weiblichen Arheitskräite in 
hygienisch eingerichteten Heimen bot noch größere Schwierigkeiten als die 
der männlichen Arbeiter. In erster Linie wurde auch von Arbeitgebern, 
welche sich weibliche Arbeitskräfte für ihre abseits liegenden Betriebe zu 
halten gezwungen waren, in Ermangelung von ausreichenden Unterkunfts- 
Stätten in umwohnenden Familien die Erbauung von Fabrikmädchenheimen 
betrieben. Die Einrichtung dieser ist vielfach bedeutend einfacher als die 
der männlichen Arbeiter. Die Unterbringung geschieht meist in größeren 
Schlafsälen. In mehreren Heimen führen konfessionelle Vereinigungen die 
Aufsicht. Die Reinigung der Unterkunftsräume wird meist durch die In¬ 
sassen selbst besorgt, die dadurch auch zur Sauberkeit und Ordnung erzogen 
werden. Viele Betriebsleitungen unterhalten nicht konfessionell geleitete 
Mädchenheime. Einzelne davon, wie die der Firma Scböller, Bücklers 
und Co. in Düren und der Aktienspinnerei Aachen, beherbergen die Mehrzahl 
der Mädchen noch in zweischläfrigen Betten, während alle übrigen streng 
darauf achten, daß jede Arbeiterin ihr besonderes Bett zur Verfügung hat 

Eine modern eingerichtete Musteranstalt dieser Art hat die kgl. Munitions¬ 
fabrik in Spandau erbaut. Die Schlafzimmer, die je sieben Betten Raum 


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Über das SchlafburscheBUnwesen und über Ledigenheime usw. 


405 


gewähren, liegen an direkt belichteten Korridoren, in den meisten Heimen 
wird für geringe Bezahlung neben der Wohnung auch Beköstigung geliefert, 
oder es eind Einrichtungen vorhanden, daß die Mädchen sich selbst die mit¬ 
gebrachten Speisen zubereiten können. 

In zweiter Linie sind die von Konfessionsgemeinschaften begründeten 
Mädchenheime zu erwähnen. 

So unterhält in Stuttgart der Verein zur Fürsorge für Fabrikarbeite¬ 
rinnen eine Herberge für Fabrikarbeiterinnen. In dieser, einem vierstöckigen 
Bau, können 150 Mädchen in Räumen mit je zwei bis vier Betten Unter¬ 
kunft finden. 

In Berlin hat der Verein zur Fürsorge für die weibliche .Tugend drei 
Heime in Betrieb genommen, von denen zwei in eigenen ..stattlichen“ Häusern 

sich befinden. 

Weiterhin verfügen das Barmer Diakonissen- und Mägdehaus, das 
Diakonissenhaus Sarepta in Bielefeld, die Anstalt Salem in Pforzheim, die 
evangelische Kirchengemeinde in München-Gladbach je über ein eigenes 
Anstaltsgebäude, in dem Logierräume für Mädchen eingerichtet sind. In 
gemieteten Räumen unterhalten in Barmen und Elberfeld, das Daheim für 
Arbeiterinnen in Leipzig, daB Arbeiterinnenbeim des Evangelischen Vereins 
in Cannstatt, der Deutsch- Evangelische Frauenbund in Kassel kleinere 
Logierhäuser. 

Den Charakter von Erziehungsanstalten tragen die Mädchenheime in 
Dieringhausen in der Rheinprovinz und Dahlhausen a. d. Wupper. 

Ausschließlich für Fabrikarbeiterinnen erbaut wurde von katholischen 
Arbeitgebern das Arbeiterinnenhospiz in München-Gladbach. Ähnliche Ver¬ 
unstaltungen sind in Aachen, Cöln, Düsseldorf, Neuß, Trier, Bocholt in 
Westfalen, Dortmund, Freiburg i. B. von katholischen Vereinigungen ins 
Leben gerufen worden. 

Von den Häusern, die von nicht konfessionellen Vereinen zur Beher¬ 
bergung von alleinstehenden Frauen unterhalten werden, wäre dann noch 
zu nennen das Arbeiterinnenheim des Frauenvereins in München. Andere 
Vereine haben nur Räume gemietet und sie zu Mädchenheimen ausgestattet, 
so in Pforzheim der Verein Mädchenheim, in Berlin der Verein Jugendschutz, 
in Dresden der Verein für Fabrikarbeiterinnen 3 "). 

Bei der an manchen stark bevölkerten Orten recht umfangreichen Nach¬ 
frage nach Schlafstellen sind die Gemeindeverwaltungen bereits daran ge¬ 
gangen, die Erbauung von Ledigenheimen für die alleinstehenden Arbeiter 
selbst zu betreiben und durch Gewährung gesunder und billiger Wohnungen 
einen Teil der Schlafgänger von den Privatschlafstellen fernzuhalten. 

Viel früher als in unserem Heimatlande wurden die traurigen Verhält¬ 
nisse der Schlafgänger in den Arbeiterquartieren der Industriebezirke Eng¬ 
lands allgemein bekannt und zum Gegenstand allgemeiner Fürsorge gemacht. 
Bereits 1844 bildete sich in London die Gesellschaft zur Verbesserung der 
Verhältnisse der arbeitenden Klassen unter dem Protektorat der Königin 
von England. Durch das tatkräftige Eingreifen dieser Gesellschaft gelang 
es schnell, die verrufensten und das Wohl der Massen stets bedrohenden 
Häuserviertel mit ihren alten, von Schmutz starrenden Logierhäusern der 
ärmsten Klassen zu beseitigen und durch gesunde Wohnungen enthaltende 





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496 


Dr. med. Arthur Wandel, 


Logierhäuser zu ersetzen. Der Erfolg war bei dem Ausbruch einer Cholera¬ 
epidemie in London im Jahre 1849 schon ersichtlich. Auch der Staat ließ 
sich die Fürsorge für die Ärmsten ebenfalls angelegen sein und erließ in 
den Jahren von 1845 bis 1853 verschiedene Gesetzesbestimmungen über die 
Beschaffenheit und Benutzung der Arbeiterwohnungen in den Logierhäusern. 
In den darauffolgenden Jahren mußte durch die strenge Durchführung der 
Bestimmungen ein großer Erfolg in der Bekämpfung von Massenerkrankungen 
anerkannt werden 88 ). Einzelne Gemeinden nahmen sich der Frage daher 
ganz besonders an und griffen selbst ein durch Schaffung menschenwürdiger 
Wohnungen für alleinstehende Arbeiter. 

An der Spitze dieser Bewegung steht die Stadt Glasgow, welche in 
wenigen Jahren sieben Logierhäuser erbaute. In diesen finden Schlafgänger 
dauernden Aufenthalt. Dem Beispiele der Stadt Glasgow folgten London, 
Liverpool und andere Großstädte Englands. Neben der Errichtung von 
Logierhäusern durch die Eommunen beteiligten sich in England auch ge¬ 
meinnützige Gesellschaften an der Schaffung von Logierhäusern. Es bildete 
sich bald ein besonderes System hinsichtlich der Unterbringung der Insassen 
aus, das es ermöglicht, jedem Einlogierer einen gut ventilierten, besonderen 
Schlafraum zur Verfügung zu stellen, während Aufenthaltssäle und andere 
Einrichtungen der gemeinsamen Benutzung dienen. Als mustergültige Ein¬ 
richtungen hierfür gelten die Rowtonhäuser, die von der Rowton-Houses, 
Limited, erbaut wurden. 

In Italien, wo in den Großstädten dasselbe Wohnungselend anzutreffen 
war, fanden die Bestrebungen der englischen Gesellschaften ebenfalls An¬ 
klang. Es bildete sich in Mailand eine Vereinigung, die Unione cooperativa 
di Milano, welche eine Nachahmung des Rowtonhauses in Mailand schuf. 

Auch in Wien und Paris hat man mit der Erbauung von Ledigenheimen 
begonnen, um der Wohnungsnot der Arbeiter Einhalt gebieten zu können. 

Im Auslände, namentlich in England, erfreuen sich die Ledigenheime 
seit ihrer Erbauung andauernder Beliebtheit, so daß die Zahl der Betten 
meist belegt ist. 

Anders steht es mit dem Besuch der Schlafhäuser in unserem Heimat¬ 
lande. Häufige Mißerfolge wurden schon nach kurzem Bestehen einzelner 
Heime beobachtet. Teils waren es Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt«, 
teils Entstehung besserer Verkehrsgelegenheiten, welche die Bewohner der 
Logierhäuser veranlaßten, die gesunde Wohnung aufzugeben. Häufig be¬ 
nutzten auch die Arbeiter die Logierhäuser nur so lange, bis sie in Privat¬ 
wohnungen ein ihren Ansprüchen passendes Unterkommen gefunden hatten. 

Dabei natürlich leisteten sie auf die ihnen in den Logierhäusern ge¬ 
botenen modernsten gesundheitlichen Einrichtungen in den meisten Fällen 
Verzicht (Pietrusky 2S ). 

Das Verständnis für die ihnen durch eine schlechte Schlafstelle drohen¬ 
den gesundheitlichen Schädigungen geht der Mehrzahl der deutschen Arbeiter 
eben noch ab. Die Vorzüge eines behaglichen Heimes werden erst allmäh¬ 
lich der großen Masse einleuchtend werden können, da noch heute unter der 
Mehrzahl von Arbeitgebern und Arbeitnehmern das Verständnis für die 
Forderungen der Gesundheitspflege sehr wenig verbreitet ist. Leider können 
die berechtigten Wünsche der Arbeiter, wenn ihnen der Wert der gesunden 


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Über du Schlafburschenunwesen and über Ledigenheime ubw. 497 

Wohnung auch bekannt geworden ist, vielfach infolge wirtschaftlicher 
Schwierigkeiten nicht erfüllt werden. 

Das Angebot von Schlafstellen von seiten ärmerer Familien ist noch 
immer ein ungeheures, da bei den hohen Mietpreisen durch Vermietung von 
Schlafstellen viele Arbeiterfamilien noch einen Nebenverdienst suchen. Diesen 
den Familien ganz zu nehmen, hat man in Ermangelung einer schnellen und 
gründlichen Besserung unterlassen müssen. Man begnügte sich von behörd¬ 
licher Seite, die gröbsten Schäden radikal zu entfernen und den Betrieb von 
Schlafstellenwirtschaften durch genauere Polizeiverordnungen zu regeln. 

Hierbei muß als das Verdienst Pistors angesehen werden, die von ihm im 
Jahre 1879 in seinem Referat: „Über die Anforderungen der Hygiene an 
Kost- und Logierhäuser“ ausgearbeiteten Bestimmungen bald in die Praxis 
eingeführt zu haben dadurch, daß er seine Vorgesetzte Behörde zum Ein¬ 
schreiten gegen die hauptsächlichsten Übel des Schlafstellenwesens in Ober¬ 
schlesien auf dem Wege der Verordnung zu veranlassen vermochte, der die 
von ihm aufgestellten Normen zugrunde gelegt wurden 39 ). Eine generelle 
Regelung des SchlafstellenweBens wurde für den ganzen Umfang der 
Monarchie erst durch Erlaß der Minister für Handel und Gewerbe, der 
geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, des Inneren und für 
Landwirtschaft, Domänen und Forsten vom 19. März 1901 angebahnt 40 ). 

Trotz strenger Aufsicht der Schladstellen in privaten Haushaltungen 
werden die Schäden nie ganz zu beseitigen sein, da die Kleinwohnungen in 
der Regel baulich zum Betriebe von Schlafstellen ungeeignet sind, das Zu¬ 
sammendrängen der Familienmitglieder meist unausbleiblich wird und die 
Vermietung von Schlafstellen, erst im großen betrieben, für den Vermieter 
rentabel wird 37 ). Die Arbeiterfamilien würden aber von der Aufnahme der 
fremden Elemente absehen, wenn gesunde und billige Wohnungen in genügen¬ 
der Zahl zu Gebote ständen, die der Erwerbsklasse des kleinen Mannes hin¬ 
sichtlich des Mietpreises entsprächen. 

Zur Förderung des Baues von Arbeiterwohnungen haben daher bereits 
Reichsregierung und Gemeinden eingegriffen. Und es kann als Fortschritt 
auf diesem Gebiete angesehen werden, daß in der Gegenwart für Erbauung 
von gesunden Arbeiterwohnungen durch Gewährung niedrig verzinslicher 
Darlehne von seiten der Versicherungsanstalten auf Grund des Invaliditäts¬ 
und Altersversicherungsgesetzes vom 22. Juni 1889 und der Novelle vom 
9. Juli 1899 zur Verfügung gestellt werden können 41 ). 

Vielfach haben auch bereits Kommunen zur Erbauung von gesunden 
Arbeiterwohnungen geeignete Baugrundstücke an gemeinnützige Gesell¬ 
schaften unter Ermäßigung des Kaufpreises abgetreten 49 ). Andererseits 
sind sie schon bemüht, durch eine zweckmäßige Bodenpolitik dem Boden¬ 
wucher Einhalt zu tun und die Steigerung der Bodenpreise in Schranken zu 
halten, um die Mietpreise so indirekt erniedrigen zu können. 

Literaturverzeichnis. 

*) Heinrich Albrecht: Die Wohnungsnot in den Großstädten und die 
Mittel zu ihrer Abhilfe. 1891. 

*) J. Köhler, Berlin: Beiträge zur-öffentlichen Gesundheitspflege deutscher 
Städte im Mittelalter. Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin. Bd. 9. 1895. 

Vi«rteljahxs»chrüt ffir 0«aandh«itapflege, 1908. 32 

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498 


Dr. med. Arthur Wandel, 


*) Ernst Cahn: Das Schlafstellenwesen in den deutschen Großstädten und 
seine Reform, mit besonderer Berücksichtigung der Stadt München. Münchener 
volkswissenschaftliche Studien. Heft 25 bis 30. 1898/99. 

*) E. Hasse: Die WohnungsVerhältnisse der ärmeren Volksklassen in Leipzig. 
Schriften des Vereins für Sozialpolitik. Bd. 30 bis 31. Leipzig 1886. 

6 ) Th. Weyl: Handbuch der Hygiene. 4. Suppl.-Bd.: Soziale Hygiene. 1904. 

*) G. Bert hold: Die Wohnungsverhältnisse der ärmeren Klassen in Berlin. 

— Ursachen ihrer Mängel, Versuohe und Vorschläge zur Abhilfe derselben. Schriften 
des Vereins für Sozialpolitik. Bd. 30 bis 31. Leipzig 1886. 

7 ) Pfeiffer: Das Wobnungselend der großen Städte und seiue Beziehungen 
zur Prostitution und den Geschlechtskrankheiten. Zeitschrift für Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten. Bd. 1. Leipzig 1903. 

•) W. Philipps, Pastor: Schlechte Wohnungsverhältnisse, eine Quelle der 
Unsittlichkeit. (Beleuchtet an Berliner Zahlen.) Vortrag, gehalten auf der Konfe¬ 
renz der Sittlichkeitsvereine Deutschlands in Kassel am 20. August 1889. 

•) Karl Bücher: Die belgische Sozialgesetzgebung und das Arbeiterwohn 
gesetz vom 9. August 1889. Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. 

,0 ) Medizinische Reform (Wochensohrift für soziale Medizin) 1902, 10. Jahr¬ 
gang: Straßburger Wohnungs Verhältnisse. 

ll ) H. Lindemann: Zur Literatur über die Wohnungsfrage. Archiv für 
soziale Gesetzgebung und Statistik. Bd. 17. Berlin 1902. 

'*) Friedrich Weill, Rechtsanwalt in Karlsruhe: Die Arbeiterwohnungen 
in Straßburg im Elsaß. Schriften des Vereins für Sozialpolitik. Bd. 30 bis 31. 
Leipzig 1886. 

“) Rubner: Lehrbuch der Hygiene, 1903. 

14 ) Troeger: Über die Unterstützungen gemeinnütziger Bestrebungen auf 
dem Gebiete der Wohnungshygiene durch die Kreisärzte mit Rücksicht auf §'3 
der Dienstanweisung. Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin. Bd. 26. 1903. 

,6 ) Feer: Ätiologische und klinische Beiträge zur Diphtherie. Mitteilungen 
aus Kliniken und medizinischen Instituten der Schweiz. 1. Reihe, Heft 7. Basel- 
Leipzig 1894. 

*•) Karl Aust: Entstehung und Verbreitung der Diphtherie nebst sanitäts- 
polizeilichen Maßregeln zur Verhütung derselben. Vierteljahrsschrift für Gesund 
heitspflege. Bd. 31. Braunschweig 1899. 

,7 ) M. Pistor: Die Verbreitung des Typhus in Preußen während des Jahr¬ 
zehntes 1892 bis 1901 nebst Bemerkungen über Entstehung, Verbreitung und Be¬ 
kämpfung der Krankheit. Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege 1904. Bd. 36. 

,8 ) Flügge: Grundriß der Hygiene. 5. Auflage. 1902. 

1# ) Robert Koch: Die Bekämpfung des Typhus. Veröffentlichungen aus | 
dem Gebiete des Militärsanitätswesens. Herausgegeben von der Medizinalabteilung 
des kgl. preußischen Kriegsministeriums. Heft 21. Berlin. 

*°) Eschrioht: Zeitschrift für Medizinalbeamte, Nr. 13. 1900. 

*‘) Franz Neesemann: Über Ausbreitung des Unterleibstyphus in ländlichen 
und großstädtischen Verhältnissen. Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin. | 
Bd. 29. 1905. 

**) Ficker, Prof.: Typhus und Fliege. Archiv für Hygiene. Bd. 46. 

**) W. Pietrusky, Breslau: Über das Auftreten des Fleckfiebers in Schlesien 
und die zu dessen Verhütung geeigneten sanitätspolizeilichen Maßregeln. Viertel¬ 
jahrsschrift für gerichtliche Medizin. Bd. 10 und 11. 

M ) Paul Honigmann: Die Wohnungs Verhältnisse in Breslau. Bericht, dem 
Verein für Sozialpolitik erstattet. Schriften des Vereins für Sozialpolitik. Bd. 30 j 
bis 31. Leipzig 1886. 

“) Zitiert nach Neesemann: Über Ausbreitungswege des Unterleibstyphus 
in ländlichen und großstädtischen Verhältnissen. Vierteljahrsschrift für gericht¬ 
liche Medizin. Bd. 29. 1905. 

**) Böttger: Zentralblatt für allgemeine Gesundheitspflege. 

* 7 ) Rubner: Bericht über den Kongreß zur Bekämpfung der Tuberkulös« 
als Volkskrankheit. 1899. 


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Über das Schlafburschenunwesen und über Ledigenheime usw. 


499 


**) B. Fraenkel, Berlin: Die Tröpfcheninfektion der Tuberkulose und ihre 

Verhütung. Zeitschrift für Tuberkulose und Heilstättenwesen. Bd. 1, Heft 5. 

**) E. R. Baldwin: Die Ansteckung der Tuberkulose durch Vermittelung 
der Hände. Studien aus dem Sarenao-Laboratorium. Sonderabdruck. 

**) A. F. Plique: Wohnungsverhältnisse und Lungenschwindsucht. Congres 
d’hygiine; sect. de dömogr. Paris, 1900. 

*') Julian Marouse: Die Wohnung in ihrer Beziehung zur Tuberkulose. 
Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege. Bd. 36. 1904. 

**) Paul Kampffmeyer: Die Wohnungszustünde im Prostitution'- und im 
Schlafgängerwesen und ihre gesetzliche Reform. Zeitschrift für Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten. Bd. 3, Nr. 5 u. 6. 1904/05. 

**) Dr. Otb. Spann: Die geschlechtlich - sittlichen Verhältnisse im Dienst¬ 
boten- und Arbeiterinnenstande, gemessen an der Erscheinung der unehelichen 
Geburten. 

M ) Dr. Eugen Jäger: Die Wohnungsfrage. (Die Wohnungsdichtigkeit im 

umgekehrten Verhältnis zur Wohnungsfrage.) Berlin 1902. 

*) V. Preininger: Die Prager Assanation. Vierteljahrsschrift für Gesund¬ 
heitspflege. Bd. 31. 1899. 

**) Bericht des Ausschusses über die 7. Versammlung des deutschen Vereins 

für öffentliche Gesundheitspflege zu Stuttgart vom 15. bis 17. September 1879. 
Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege. Braunschweig 1880. 

,r ) Schlafstellenwesen und Ledigenheime. Schriften der Zentralstelle für 
Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen. Nr. 26. Berlin 1904. 

“) Über die Anforderungen der Hygiene an Kost- und Logierhäuser. Deutsche 
Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege. 1880. 

**) Polizeiverordnung, betreffend das Kost- und Quartiergängerwesen in den 
Kreisen Beuthen, Gleiwitz, Kattowitz, Tarnowitz und Zabrze des Regierungsbezirkes 
Oppeln. Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentl. Gesundheitspflege. Bd. 1'2. 1880. 
*•) Technisches Gemeindeblatt vom 20. April 1901. 

4I ) Albrecht: Arbeiterwohnungen. Deutsche Vierteljahrsschrift für öffent- 

liche Gesundheitspflege. Suppl.-Bd. 32. 1901. 


4t ) Schriften der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen. Nr. 17. 

Berlin. 








500 


M. Pistor, 


Geschichte der preussischen Medizinalverwaltung. 

Von M. Pistor. 


Fortsetzung von B. 215. 

Erster Teil. 

Die Medizinalverwaltung in Preußen von 
1809 bis Ende 1907 »)• 

Dritter Abschnitt. 

Am 2. Mai 1808 lud der Minister des Innern von Schrötter den 
Geheimrat Dr. med. Hufeland und den Generalchirurgus Dr. Goercke 
in Königsberg, wo der König mit der Regierung in jener traurigen Zeit 
weilte, zu einer Besprechung Aber die für die künftige Leitung des 
Medizinalwesens zu treffenden Maßnahmen ein. Bevor dieselben vereinbart 
und vom Könige genehmigt waren, ersuchte der neue Minister Graf Dohna am 
9. Januar 1809 Hufeland und Goercke um Vortrag zur Sache. In einem 
Votum über die Neuorganisation vom 4. Januar 1809 hatte sich Hufeland 
dahin ausgesprochen, daß fast alle zum Geschäftsbetriebe des Medizinal- 
wesens gehörenden Gegenstände, die er einzeln aufführte, 

„wissenschaftliche Gegenstände seien, die nur von Ärzten 
bearbeitet und entschieden werden könnten. Selbst die 
legalen Gegenstände seien der Materie nach rein wissen¬ 
schaftliche, nur die Form verlange die Mitwirkung eines 
Juristen. Das Ober-Collegium medicum et sanitatis be¬ 
stände auch seither seinem Wesen nach nur aus Ärzten, 
aber sein Direktor wäre immer ein Jurist gewesen; der 
könnte folglich nie mit Sachkenntnis die Geschäfte leiten, 
und sein einziges Geschäft bestehe demnach nur darin, die Form 
des Geschäftsganges zu besorgen, die Arbeiten zu verteilen 
und dem Minister die nötigen Vorträge zu machen. Aber auch 
dieser letzte Punkt sei nicht zweckmäßig, denn es sei unmöglich, 
durch einen Nichtarzt richtige und erschöpfende Berichte 
über medizinische Gegenstände zu erhalten.“ 

Hufeland schlug vor, aus sämtlichen Mitgliedern des Ober-Collegium 
medicum et sanitatis eine wissenschaftliche Obermedizinaldeputation zu 
bilden, aus welcher alles, was nicht Arzt sei, austreten müsse, also sowohl 
der bisherige Präsident, als auch die Justiziarien. Der Direktor sei aus 


*) Abkürzungen: M. C. C. M. = Mylii Corpus Constitution um Marchicarum. 
v. K. A. = von Kamptz Annalen. R.-G.-B1. = Reichsgesetzblatt. G.-8. — 
Preußische Gesetzsammlung. M.-Bl. = Preußisches Ministerialblatt für die 
gesamte innere Verwaltung. M.-Bl. M. A. = Preußisches Ministerialblatt für die 
Medizinal- und medizinischen Unterrichts - Angelegenheiten. D. V. f. ö. G. = 
Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 501 

den Mitgliedern der Deputation zu wählen; er schlage den Obermedizinalrat 
Dr. Welper nach Geschäftskenntnissen nnd Alter als den geeignetsten vor. 

Hufelands Organisationsvorschläge über die ärztliche Vorbildung 
übergehe ich hier, so interessant seine Ansichten über die Einrichtung der 
medizinischen Fakultät und über Anstellung von Professoren an derselben 
auch sind. Die Wahl der Lehrer sollte stets durch die wissenschaftliche 
Deputation erfolgen, welche auch über Unterrichtspläne, Einrichtungen der 
Krankenhäuser, der Kliniken u. dgl. mehr gehört werden müsse. Eine 
Äußerung dieses edlen Mannes aber möohte ich hier zu seinem Andenken 
festlegen. In einem Privatbriefe über die Organisation des Medizinalwesens 
schreibt Hufeland an seinen Chef, den Freiherrn Wilhelm von Humboldt: 

„Er sei von Jena nach Berlin vor acht Jahren gegangen, nicht um seine 
Stellung nach irgend einer Seite zu verbessern, sondern nur um einen 
größeren Wirkungskreis zu gewinnen. Diese Hoffnung habe sich nicht 
erfüllt. Eine umfangreiche Praxis habe ihn so in Anspruch genommen, 
daß er seine Absichten nicht habe verwirklichen können. Er wolle dies 
jetzt tun, 

und zu diesem Zwecke seine ganze Praxis in wohlhabenden Familien 
niederlegen nnd nur die ärztliche Behandlung der Königlichen Familie, mit 
der er in Freundschaft und in der jetzigen Notlage eng verbunden sei, und 
in den dürftigen Klassen der Kranken behalten, um sich ganz dem Lehr¬ 
fach und der Medizinal Verwaltung widmen zu können.“ 

Das kennzeichnet den Mann ohne Worte. Möchte es allzeit viele seines¬ 
gleichen geben! 

Am 16. November 1809 beantragten die Minister der Finanzen Freiherr 
von Altenstein und des Innern Graf zu Dohna bei dem Könige die Ein¬ 
richtung einer Medizinalsektion in dem Ministerium des Innern und die 
Errichtung der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen, weil 
die Medizinalangelegenheiten in der bisherigen Weise nachlässig und zweck¬ 
widrig verwaltet worden seien, unter Hinweis auf die Verordnung vom 
24. November 1808 und das Publikandum vom 16. Dezember desselben 
Jahres. 

Sie fügten den folgenden Plan bei, welcher von dem Geheimen Staats¬ 
rat Wilhelm v. Humboldt unter ausgiebiger Mitwirkung des Staatsrats 
Hufeland ausgearbeitet sei. Die aus der Verordnung von 1808 hierher 
gehörigen Paragraphen lauten: 

§ 16 . Die Abteilung für das Medizinalwesen im Ministerium des Innern 
leitet die ganze Medizinalpolizei mit allen Anstalten des Staates für die Gesund¬ 
heitspflege, dieselbe hat ferner die oberste Aufsioht auf die Qualifikation des 
Medizinalpersonals und dessen Anstellung im Staate, auch unter Mitwirkung der 
8ektion für die allgemeine Polizei, die oberste Leitung aller Krankenanstalten. 
Ihr gebührt ferner eine Teilnahme an dem Militärmedizinalwesen, welche jedoch 
näher durch eine besondere Verordnung bestimmt werden wird. Vorläufig wird 
indessen festgesetzt, daß dieselbe bei den Bildungsanstalten des Militärmedizinal¬ 
wesens und bei Prüfung der Qualifikation der Subjekte mitwirkt. 

§ 17. (Unterbehörden derselben.) Dieser Abteilung sind unmittelbar unter¬ 
geordnet: 1. Die zu errichtende wissenschaftliche Deputation für das Medizinal¬ 
wesen. Sie besorgt den wissenschaftlichen Teil des Medizinalwesens, prüft die 
darin gemachten Fortschritte, teilt selbige zur Anwendung in polizeilicher Hin¬ 
sicht der Abteilung mit und unterstützt dieselbe mit ihren Gutachten über Gegen¬ 
stände, wobei es auf kunstverständige nnd wissenschaftliche Kenntnisse ankommt. 


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502 


M. Pistor, 


Sie bildet in den Provinzen ähnliche Deputationen, durch welche sie die benötigten 
Nachrichten einzieht und mit denen sie in fortwährender Verbindung steht. Sie 
vertritt künftig die Stelle des Ober-Collegium medicum et sanitatis und erhält 
durch eine besondere Verordnung ihre Organisation. 2. Die allgemeinen Bildungs- 
anstalten für das Medizinalwesen. 3. Die größeren Krankenanstalten in den Haupt¬ 
städten, soweit sie eigene Direktionen haben und nicht der Kammer unter¬ 
geordnet sind. 


Plan zur Organisierung der Medizinalsektion im 
Ministerium des Innern. 

§ 1. Das Ressort und die Organisation der obersten Medizinalbehörde wird 
durch die auszugsweise anliegenden Paragraphen der Verordnung vom 24. No¬ 
vember 1808 des Publikandum vom 16. Dezember 1808 bestimmt. 

§ 2. Die Ober-Medizinalbehörde muß soviel wie möglich bloß aus Ärzten be¬ 
stehen, welche sich die erforderlichen staatswirtschaftlichen Kenntnisse erworben 
haben. Alles was irgend technisch ist, gehört vor die wissenschaftliche Deputation 
für das Medizinalwesen. 

§ 3. Da die Medizinalsektion auf der einen Seite mit der Sektion der all- 
gemeinen Polizei, auf der anderen mit der des öffentlichen Unterrichts in der 
genauesten Verbindung steht, und es wichtig ist, diese Verbindung so leicht und 
für die Geschäfte so nützlich als möglich zu machen, so würde ein Rat von jeder 
der beiden Sektionen der Medizinalsektion beizuordnen sein. Der Rat der Polizei¬ 
sektion kann die ökonomischen und Rechnungsgeschäfte der Medizinalsektion zu¬ 
gleich mit besorgen. Es versteht sich übrigens, daß diese beiden gleichsam 
fremden Mitglieder auch bei sie betreffenden Gegenständen nicht mehr an der 
Diskussion teilnehmen und nicht mehr Recht an der Entscheidung haben, als jedes 
andere Mitglied, mithin nicht gleichsam ihre Sektion bei der Medizinalsektion ver¬ 
treten ; sondern bloß dazu dienen, die vorkommenden Sachen mit ihren Kenntnissen 
und von ihren Standpunkten aus in ein helleres Licht zu setzen und dadurch 
die Sektionen selbst mehr in Übereinstimmung zu bringen. Wo wirklich gemein¬ 
schaftliches Handeln einer von beiden Sektionen mit der Medizinalsektion nötig 
ist, kommt es danach immer noch auf eine anderweitige Mitteilung oder eine 
Diskussion im Plenum des Ministerium des Innern an. 

Die reohtliohen Angelegenheiten besorgt der Justitiarius des Ministers des 
Innern. 

§ 4. Hiernach bestände die Sektion für das Medizinalwesen aus 

1. dem speziellen Chef, 

2. einem Staatsrat, welcher einer der ausgezeichnetsten Ärzte sowohl in 
Rücksicht auf wissenschaftliche Bildung, als wie auf ausgebreitete Erfahrung 
sein muß, 

3. dem Direktor der wissenschaftlichen Deputation, dem man zu mehreren 
Auszeichnungen gleichfalls den Titel eines Staatsrats geben könnte; 

4. und 5. zwei Geheimen Ober-Medizinalräten. 

Alle diese unter 4. aufgeführten ärzlichen Mitglieder hätten vollkommen 
gleiches Stimmrecht und wären nur durch den Titel und die Besoldung unter¬ 
schieden, da die beiden Staatsräte bzw. 3000 und 2000 Reichstaler, die Geheimen 
Ober-Medizinalräte bzw. nur 1500 und 1400 Reiohstaler erhalten; 

6. dem Rat aus der Sektion der allgemeinen Polizei, 

7. so oft von medizinischen Bildungsanstalten die Rede wäre, da seine be¬ 
ständige Gegenwart bei den Sitzungen unnütz sein würde, dem Rate der Sektion 
des öffentlichen Unterrichts. 

Zu diesen unter 7. aufgeführten Mitgliedern käme endlich, allein ausschließend 
für alle Gegenstände, welche mehr oder minder auf das Militär - Medizinalwesen 
Bezug haben, und daher auoh nur, wenn er vom Chef wegen dieser eingeladen 
würde oder selbst etwas in derselben anzubringen für gut fände, 

8. der Chef des Militär-Medizinalwesens. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


503 


Der Geschäftsgang wäre wie bei den anderen Sektionen. Der Chef erbräche, 

verteilte und Unterzeichnete allein alle Sachen; indes würde es gut sein, daß die 
entliehen Mitglieder selbst unter sich übereinkämen, für welche Art von Ge¬ 
schäften jeder sich am besten geeignet glaubte. 

§ 5. Unmittelbar unter der Sektion stehen nach der Verordnung 

1. die wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen, 

2. die medizinischen Bildungsanstalten, 

3. die größeren Krankenanstalten. 

Die wissenschaftliche Deputation hat, außer den ihr in der Verordnung zu¬ 
geteilten Geschäften, noch die Prüfung aller Arzte , Wundärzte und Apotheker, 
die nach der jetzigen Verfassung kursieren müssen. Obgleich dieses in der Folge 
näher wird bestimmt werden müssen, so kann man im voraus annehmen, daß 
diejenigen, welche vor diese Prüfungen gehören, die sind, welche auf einer Uni¬ 
versität studiert, oder sich sonst die vorgeschriebene Bildung, um heilen zu dürfen, 
erworben haben. Die Prüfung der übrigen Subjekte bleibt den Medizinal¬ 
kommissionen der Begierungen unter dem Vorsitz der Medizinalräte überlassen. 

§ 6. Da die Medizin mehrere Disziplinen unter sich begreift, welche sehr 
verschiedene Talente und Kenntnisse erfordern, und es für manche Fächer gut 
ist, mehr als einen Mann zu besitzen, so muß die wissenschaftliche Deputation 
aus einer ziemlichen Anzahl von Mitgliedern bestehen. 

Ihre Zahl wird auf 12 festzusetzen sein. Es würde in Rücksicht auf die 
Ernennung .und Bemuneration der Mitglieder der wissenschaftlichen Deputation 
für das Medizinalwesen ganz dieselbe Verfassung eintreten , wie bei der wissen¬ 
schaftlichen Deputation für die geistlichen und Schulangelegenheiten ; es fänden 
mithin nicht lebenswierige Anstellungen statt, sondern es würden jährlich vom 
Chef der Sektion auf Grund des Gutachtens der Mitglieder derselben des Königs 
Majestät die ausgezeichnetsten Männer vorgeschlagen, welche aus Liebe zur 
Wissenschaft und reinem Eifer für die Beförderung des allgem einen Besten 
gegen einer den individuellen Verhältnissen eines jeden angemessenen Remune¬ 
ration, auf ein Jahr es übernehmen, Mitarbeiter bei der wissenschaftlichen De¬ 
putation für die Medizinalangelegenheiten zu sein. 

§ 7. In Absioht der BildungsanBt alten ist es besonders notwendig, die 

Grenzen der Unterrichts-und Medizinalsektion genau zu bestimmen. Vorausgesetzt, 
daß aller und jeder medizinische Unterricht vom Schulunterricht durchaus ge 
trennt ist, so kann es viererlei Arten der medizinischen Unterrichts- und Bildungs¬ 
anstalten geben: 

1. die medizinischen Fakultäten der Universitäten, 

2. praktische Anstalten nach vollendetem Universitätsstudium, 

3. medizinische Spezialschulen und zwar eigentlich wissenschaftliche, oder 

4. empirische für diejenigen, die nicht studieren können. 

Die Universitäten stehen allein unter der Sektion des öffentlichen Unterrichts 
und sind von der Medizinalsektion durchaus unabhängig. Dies setzt schon die 
Verordnung vom 24. November 1808, wenn man die verschiedenen hierher ge¬ 
hörigen Stellen genau vergleicht, fest. Es ist aber auch darum schlechterdings 
notwendig, weil der Universitätsunterricht auch in einer einzelnen Fakultät 
vorzugsweise theoretisch und auf das Allgemeine der Wissenschaft gerichtet sein 
muß und ja nioht isoliert und aus dem gemeinschaftlichen Bande der Wissen¬ 
schaft herausgerissen werden darf, Bedingungen, welche alle bei der Unterordnung 
der medizinischen Fakultäten der Universitäten unter die Medizinalsektion , die 
ihrer Natur nach eine mehr praktische, politische und selbst lokale Tendenz hat, 
viel schwerer erfüllt werden würden. Überdies würde eine wirklich doppelte Unter¬ 
ordnung der Universitäten unter zwei Oollegia, da sie schon an einem beinahe zu 
viel haben, die ihnen so sehr zu gönnende Unabhängigkeit noch mehr stören, und 
endlich könnten die Tribunale gleiche Ansprüche auf die juristische, die Sektion 
des Kultus auf die theologische Fakultät machen, es bliebe der Unterrichtssektion 
nur die, auch noch vielleicht mit den staatswirtschaftlichen Behörden zu teilende 
philosophische übrig; es ginge alle Einheit in diesem Punkte verloren und die 


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604 M. Pistor, 

Universitäten wären nicht mehr in Fakultäten geteilt, sondern in Spezialschulen 
zerrissen. 

§ 8. Damit es aber der Sektion - dos öffentlichen Unterrichts nicht an der 
notwendigen medizinischen Kenntnis fehle, wird ein Mitglied der Medizinalsektion 
ihr zugeordnet. Von diesem Mitgliede gilt aber übrigens alles, was von dem der 
Unterrichtssektion in der Medizinalsektion gesagt ist. Es vertritt nicht die eine 
Sektion in der anderen, sondern hat nur die Rechte jedes anderen einfachen Mit¬ 
gliedes, und nur in Sachen seiner Kompetenz; daher es dann auch nur den 
Sitzungen beiwohnt, wenn es vom Chef Nachricht erhält, daß eine medizinische 
Sache Vorkommen wird, oder es eine solche selbst anbringen will. 

Die wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen unterstützt vor¬ 
züglich die Sektion des öffentlichen Unterrichts mit ihrem Gutachten über das 
Ob- und Subjektive des Medizinalunterrichts auf Universitäten. 

Übrigens wählt der Chef der Sektion des Unterrichts, welches Mitglied der 
Medizinalsektion er zu haben wünscht und ebenso der Chef dieser, welches Mit¬ 
glied jener in seinem Collegio beiordnen will. 

Die wissenschaftliche Deputation der Sektion des öffentlichen Unterrichts 
tritt mit der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen zusammen, 
wo sie deren Beirat für erforderlich hält, oder wo solcher einzuholen vorge- 
schrieben ist. 

Außerdem kommuniziert auch die Unterriohtssektion mit der Medizinal¬ 
sektion über medizinische Gegenstände, auch der Universitäten, und auch die 
letztere kann die erstere unaufgefordert dazu einladen. Nur handeln beide bei 
diesen Mitteilungen, wie überhaupt zwei Sektionen, frei und unabhängig von¬ 
einander, vereinigen sich entweder, oder bringen ihre Differenzen zur Entscheidung 
des St&atarats oder im Plenum des Ministerium des Innern. 

§ 9. Die dritte Art ist niohts als eine isolierte medizinische Fakultät und 
muH künftig durchaus ganz wegfallen. Nur so lange, als noch keine Universität 
in Berlin errichtet ist, muß man die in Berlin existierende Anstalt dieser Art be¬ 
stehen und der Aufsicht der Medizinalsektion anvertraut lassen. 8tatt solcher 
erhält die Medizinalsektion die Aufsicht auf die Bildungsanstalten ad 2. 

Ob die vierte Gattung endlich existieren soll oder nicht und wie sie im 
ersten Falle zu modifizieren und allgemein nützlich zu machen, oder was ihr im 
letzteren Falle zu substituieren sei, ist der richtigste und erste Gegenstand der 
reiflichsten Prüfung der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalweseu. 

§ 10. Von Krankenanstalten müßte bloß die Charitö in Berlin unmittelbar 
untergeordnet bleiben. Daß diese aber geradezu unter ihr stehe, ist höchst not¬ 
wendig, weil die 8ektion einer Krankenanstalt zu ihren Bildungs- und Prüfungs¬ 
anstalten bedarf, sie auch, um das Hospitalwesen überhaupt zu verbessern, ein 
Hospital selbst dirigieren muß, um ein Muster von Instituten dieser Art aufstellen 
zu können. Die notwendige Verbindung der Charitö mit den Berliner Armen¬ 
anstalten wird dadurch erleichtert, daß ein Mitglied der Polizeisektion selbst der 
Medizinalsektion beigeordnet iRt. 

§ 11. Das Verhältnis der Medizinalräte und Kommissionen bei den Regie¬ 
rungen , welche in die Stelle der Provinzial - Collegiorum medicorum treten, zur 
Sektion wird dasselbe, in welchem Geistliche und Schuldeputationen zur Sektion 
des Kultus und öffentlichen Unterrichts stehen. Überhaupt ist die Sektion für 
alle Gegenstände ihres Ressorts zugleich Oberbehörde der Regierungen. Es bilden 
sich in den Provinzen die wissenschaftlichen Deputationen für das Medizinalweeen 
bei den Regierungen in ähnlicher Art, wie die wissenschaftliche Deputation bei 
der Sektion. 

Das Militär-Medizinalwesen steht zwar in Absicht seiner äußeren Organisation 
unter den Militärbehörden, jedoch mit folgenden zwei Modifikationen: 

1. wo und inwiefern Militärärzte Zivilpraxis treiben, sind sie wie jeder 
andere Zivilarzt zu betrachten und allein und ausschließlich der Sektion unter¬ 
worfen, 

2. insofern das Militär - Medizinal wesen in das wissenschaftliche eingereiht, 
steht es unter der Sektion, der aus diesem Grunde der Chef desselben als Mitglied 


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505 


Geschichte der preußisohenMedizinalverwaltung. 

zugeordnet ist, und die Sektion verfährt hier entscheidend, jedoch, wo nur irgend 
der militärische Gesichtspunkt eintritt, immer mit Zuziehung der Militärbehörde. 

§ 12. In dieser letzteren Hinsicht ist die wissenschaftliche Deputation, in 
welcher ohne Unterschied, und nur mit Rücksicht auf ihre Geschicklichkeit, 
Militär- und Zivilärzte Platz finden, ebensowohl für das Militär- als Zivilmedizinal¬ 
wesen geschäftig. 

Diese Modifikationen haben vorzüglich Einfluß auf 

1. die Prüfung und 

2. die Bildung der Militärärzte und auf 

3. die Militärhospitäler. 

Die Prüfung geschieht, wie bei den Zivilärzten, durch die wissenschaftliche 
Deputation, der nur für den besonderen Teil der Militärpraxis, vorzüglich im 
Kriege, ein oder zwei Militärärzte zu diesem Behuf zugeordnet werden. 

Das Maß der Kenntnisse und Geschicklichkeit, welche die Reife bestimmen 
sollen, müßte von den Militärbehörden und der Sektion gemeinschaftlich fest¬ 
gesetzt werden, da dasjenige, womit man sich begnügen muß, von den Mitteln 
und von dem Auf sich taverhältnis abhängt, in welches die verschiedenen Arten 
der Militärärzte gesetzt werden. 

Im Zivil und überhaupt im ganzen muß es zwei Klassen von Ärzten geben, 
nämlich vollendet wissenschaftlich theoretisch und praktisch und zwar in minderem 
Grade theoretisch, aber vorzüglich praktisch gebildete Ärzte. 

Die Ärzte von der ersten Klasse müssen auf einer Universität studieren und 
promoviert haben, und müssen vorher einen ganz vollständigen Schulunterricht 
durchgegangen sein. 

Die zweite Klasse der Ärzte hat wissenschaftliche Bildung bis auf einen ge-- 
wissen Punkt, der ihrem beschränkten Wirkungskreise angemessen ist 

Um dem zur Schande unseres Medizinalwesens schon solange geduldeten 
Badestubenunwesen ein Ende zu machen, muß man die zweite Klasse der Ärzte 
selbst bilden und organisieren, ihnen einen so hohen Grad von Vollkommenheit 
geben, als möglich ist, aber anch eine bestimmte Schranke ziehen, und sich dieser 
Schranke bewußt bleiben. 

Diesen Unterschied einmal festgesetzt, müssen die Militärbehörden überlegen, 
ob sie zu allen Militärärzten oder zu welchen Gattungen derselben die der ersten 
oder zweiten Klasse fördern wollen und können. 

Unter den oberen Militärärzten könnten die Ärzte der zweiten Klasse ge¬ 
braucht werden, diese aber müßten nicht zu Regimentschirurgen ascendieren, son¬ 
dern anderweitig im Zivil zu gleichen, aber einträglicheren oder weniger mühsamen 
Poeten befördert, oder sonst auf irgend eine Weise bei höheren Jahren besser 
gesetzt werden. 

Daß indes es hier nioht gerade auf Schule, Universität und Doktortitel an¬ 
kommt, versteht sich übrigens von selbst. Wenn also einer sich ohne diese Formen 
im Mili tär eine wirklich wissenschaftliche Bildung erworben hätte, so könnte auch 
er nach gehörig bestandener Prüfung, jedoch nur ausnahmsweise, zu der höheren 
Klasse zugeiaasen werden. 

Würde dieser Unterschied festgesetzt, so bestimmte sich hiernach nun auch 
die Prüfungsart bei der wissenschaftlichen Deputation. 

§ 13. Was nun die 8tellenbesetzung nach diesem Plan betrifft, so wird für 
die Sektion zum Staatsrat der Geheime Rat Hufeland, zum Geheimen Ober- 
Medizinalrat der vom p. Hufeland empfohlene und mit dem ganzen bisherigen 
Geschäftsgänge genau bekannte Dr. Welper, der jedoch sein Physikat nieder¬ 
legen müßte, zum Mitglied für die Militärbehörden der Generalstabschirurgus 
Goercke, zum Mitglied von seiten der Sektion für den öffentlichen Unterricht 
der Staatsrat Süvern vorgeschlagen. 

Die Stellen des anderen Staats- und anderen Geheimen Ober - Medizinalrats 
bleiben für jetzt unbesetzt. 

Der p. Hufeland würde zugleich Mitglied der wissenschaftlichen Deputation 
für das Medizinalwesen sein und einen wesentlichen Anteil an den Prüfungen 


M. Fiator, 



506 

nehmen. Die übrigen Mitglieder der Deputation werden naoh der Organisierung 
der Medizinalsektion von dem Chef sofort für das erste Jahr vorgeschlagen werden. 

§ 14. Bei diesem Punkte der Stellenltesetzung hat man geglaubt, daß es 
darauf ankomme, solche Vorschläge zu machen, von denen man eine zweckmäßige 
Führung der Geschäfte erwarten kann, und die verschiedenen 8tellen so zu 
dotieren, daß sich der Mann , dem sie übertragen werden , wirklich auch seiner 
äußeren Lage nach ernstlich damit zu beschäftigen imstande ist. Das alte System, 
lauter kleine, aber viele Gehälter zu geben, wenig auf das Verhältnis des Auf¬ 
wandes zum Zweck, sondern nur auf die absolute Größe des Aufwandes zu sehen, 
kann nicht gebilligt werden. Die wahre Ökonomie liegt nur in der richtigen Be¬ 
stimmung der Mittel zum Zweck. Man glaubt jedoch auch die beiden anderen 
Rücksichten, die bis jetzt angestellt gewesenen Personen mit Billigkeit zu be¬ 
handeln und dem Staate in seiner gegenwärtigen Lage nnr so wenig Kosten als 
möglich zu verursachen, mit den höheren auf die innere Güte zu bildenden 
Kollegien verbunden zu haben. 

§ 15. Das Ober-Collegium medicum et sanitatis und das Collegium medico 
chirurgicum hörte sogleich auf, und die Mitglieder würden teils mit, teils ohne 
Pension und Wartegelder entlassen. 

Nur diejenigen, welche als Dozenten angestellt sind, blieben auoh jetzt bis 
zur Einrichtung der Universität in Berlin. Vielmehr würde dieser Unterricht 
noch vollständiger gemacht und verbessert. Bei Errichtung der Universität setzten 
diejenigen, die nicht zu Professoren dersellen berufen würden, ihre Vorlesungen 
als Privatdozenten fort. 

Die neue Sektion trete sogleich ihre Geschäfte an. 

§ 16. Solange die Ministerien noch nicht in Berlin zurück sind, machten 
der Dr. Welper mit einem vom Geheimen Bat Hufeland zu ernennenden 
Bevollmächtigten, unter dem Vorsitz des in Berlin befindlichen Bevollmächtigten 
des Chefs der Sektion des öffentlichen Unterrichts, eine mit gehöriger Vollmacht 
versehene Kommission der Sektion aus. Weniger wichtige oder dringende Ge¬ 
schäfte besorgten sie auf der Stelle, die anderen schiokten sie, gehörig vorbereitet, 
hierher an den Chef, der sie hier mit Geheimen Bat Hufeland, dem Mitglied 
der Sektion der allgemeinen Polizei, und wo es nötig wäre, dem Generalstabs- 
chirurgus Goercke und Staatsrat Süvern abmachte. Auf gleiche Weise würde 
die Korrespondenz mit den Regierungen geführt. 

§ 17. Die wissenschaftliche Deputation hätte ihre Sitzungen abgesondert 
und das älteste Mitglied führte, bis zur Ernennung eines wirklichen Direktors, 
den Vorsitz in derselben. 

Nachdem noch einige Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ministern 
des Innern und des Krieges über die Beteiligung der Militärmedisinalver- 
waltung bei der Medizinalsektion beglichen waren, genehmigte der König 
durch Kabiuettsorder vom 13. Dezember 1809 den am 10. Dezember wieder 
vorgelegten Plan zur Organisierung der Medizinalsektion, und zwar wurde 
die Sektion dem Ministerium des Innern überwiesen, 

„weil ihr Geschäftskreis in vielfachen sehr wesentlichen und sogar unzertrenn¬ 
lichen Beziehungen zu dem Kreise der allgemeinen Polizei stehe und mit dem 
öffentlichen Unterricht zur Vorbildung der Ärzte Zusammenhänge". 

Der König erteilte die Genehmigung zu den Vorschlägen W. v. Hum¬ 
boldts, besonders da sie 

1. noch keine gesetzliche Bestimmung, sondern nur die Grundzüge zur all¬ 
gemeinen Verfassung enthielten; 

2. die Administration des Militärm« Hzinalwesens, der Pepintere für die 
Militärärzte und deren Ernennung dem Chef des Militärmedizinalwesens verbleibe: 

3. dieser als .Mitglied der Sektion in allen auf das Militärwesen bezug¬ 
habenden Gegenständen entscheidende, in den übrigen aber konsultative Stimme 
haben soll, welches Verhältnis alsdann in Hinsicht der übrigen Mitglieder und 
der anderen als militärischen Angelegenheiten stattfindet. 


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Geachichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


507 


Zum Chef der Sektion wurde der Freiherr Wilhelm v. Humboldt, 
zum Direktor der Staatsrat Hufeland in Vorschlag gebracht und ernannt. 

Das Ober-Collegium medicum et sanitatis samt dem Collegium medico- 
chirurgicum wurden durch Order vom 14. Dezember 1809 aufgelöst, weil 
die Gründung der Berliner Universität mit einer medizinischen Fakultät und 
die Verlegung der Frankfurter Universität bereits in Aussicht genommen war. 

Die Berufung W. v. Humboldts zum gemeinschaftlichen Dirigenten 
der Abteilungen für die Medizinalverwaltung und das Unterrichtswesen war 
auf sein bereits bewiesenes Interesse für das Unterrichtswesen mit dem Hin¬ 
weis auf die enge Verbindung zwischen Medizinalverwaltung und Unter¬ 
richt beim Könige begründet. Der Immediatbericht vom 16. Februar 1809 
führte folgendes aus'r 

„Der Chef dieser Abteilung ist noch nicht bestimmt ; Ew. Majestät bringe ich 
indessen den Geheimen Staatsrat v. Humboldt dazu ehrerbietig in Vorschlag. 

„Die Medizinalpolizei steht in der innigsten Verbindung mit der des öffent¬ 
lichen Unterrichts. Es gehört unleugbar zu den wichtigsten Gegenständen der 
ersteren die Fürsorge wegen Bildung geschickter Ärzte und Chirurgen, und diese 
kann vorzüglich nur der mit Übereinstimmung und Erfolg leiten, dem die Für¬ 
sorge wegen des öffentlichen Unterrichts und die Oberaufsicht über die Universitäten 
anvertraut ist.“ 

Durch die Verfügung des Ministers des Innern vom 29. Dezember 1809 
wurden die Regierungen von dieser Einrichtung in Kenntnis gesetzt und 
angewiesen, in allen Medizinalsachen von dieser Sektion Befehle anzunehmeu 
und ihre Berichte in dergleichen Angelegenheiten an dieselbe zu richten, 
v. Humboldt erklärte unter dem gleichen Datum das Mitstimmen der 
Juristen in medizinischen Fragen für „unstreitig zweckwidrig“. 

Zu Mitgliedern der Medizinalsektion wurden Staatsrat Dr. Hufeland, 
Geh. Obermedisinalrat Dr. Welper, General-Chirurgus Dr. Goercke, Medi¬ 
zinalrat Dr. Langermann, zum Justiziarius Kammergerichtsrat Köhler 
im Nebenamt ernannt. 

Von den Genannten wurde Hufeland, außerdem die Geh. Ober¬ 
medizinalräte Dr. Knape, Dr. v. Koeneu, l)r. Formey, Dr. Klaproth, 
der Chemiker Professor Hermbstädt, der Botaniker Professor Wildenow, 
Generalchirurgus Murainna und Dr. Kohlrausch Mitglieder der wissen¬ 
schaftlichen Deputation, welche seit 1810 im Ministerium des Innern als 
Ober-Medizinaldeputation zn der Medizinalsektion gehörte. (§ 8 des Organi¬ 
sationsplanes.) Den Vorsitz erhielt der Geheime Bergrat und Professor 
Dr. Reil aus Halle a. S., ein Mediziner, der Therapie lehrte. 

Die Mitglieder der Wissenschaftlichen Deputation wurden auf drei Jahre 
ernannt, durften aber dem Könige zur Bestätigung wieder vorgeschlagen 
werden und sollten eine Jahresentschädigung 6 Mitglieder von 500, 6 Mit¬ 
glieder von 300 Talern nach dem Staatshaushalt für Trinitatis 1810/11 er¬ 
halten. 

Reil gab die Leitung der Deputation am 31. Dezember 1811 ab; 
Staatsrat Dr. Langermann, den Rust als einen „besonders hervorragen¬ 
den Medizinalverwaltungsbeamten'' bezeichnet, übernahm die interimistische 
Leitung bis Ende 1812, dann Knape bis 1817. Die Wirren der Kriegs¬ 
jahre, die Entscheidung über die Angliederung der Medizinalsektion an das 
eine oder andere Ministerium, verzögerten die Ernennung eines ordent- 







508 


M. Pistor, 


liehen Leiters der Deputation, bis der Geheime Medizinalrat Dr. Berends 
am 23. Januar 1817 die Leitung erhielt. Zugleioh erschien die Geschäfts* 
nnweisung vom 23. Januar 1817 für die Deputation (abgedruokt in Horn, 
Das Preußische Medizinalwesen, Bd. I, S. 17). Nach Berends 1 Tode wurde 
der Geheime Medizinalrat Dr. Klug als der letzte Mediziner Direktor der 
Deputation. 

Als Klug 1858 starb, lehnte der Kliniker Schönlein die Übernahme 
der Leitung ab, Dr. Schmidt war krank, und Dr. Horn, der auch in Frage 
kam, war zu jung, deshalb wurde der Jurist Lehnert zum Direktor ernannt 

Unter den juristischen Direktoren sind nur die hochgebildeten geist¬ 
reichen Unterstaatssekretäre Dr. Lehnert und Dr. Sydow zu nennen. 

Der Kultusminister v. Mühler übertrug nach Lehnerts Tode 1871 
dem Geheimen Obermedizinalrat Dr. Frerichs, der zugleich Vortragender 
Kat im Nebenamt war, die vorläufige Leitung der Wissenschaftlichen 
Deputation. Infolgedessen baten Martin, Langenbeck und Virchow 
um ihre Entlassung, „da mit Herrn Frerichs bei dessen Charakter¬ 
eigenschaften ein gedeihliches Zusammenwirken in der Deputation nicht 
mehr möglich sei“. Die Einzelheiten dieses unliebsamen Vorfalles 
gingen durch alle Zeitungen mit der vorstehenden Begründung. Darauf 
hob eine amtliche Notiz in einzelnen großen Zeitungen hervor, daß der 
Vorsitzende der Deputation ein wissenschaftlich gebildeter Mediziner sein 
müsse und die Verbindung des Vorsitzes mit der Stelle eines Ministerialrates 
als selbstverständlich angesehen worden sei. 

Inzwischen trat der Minister Dr. Falk an v. Mühlers Stelle, erklärte 
dem Könige gegenüber es für wünschenswert, ebenso die drei Deklaranten 
wie Frerichs der Deputation zu erhalten. Da der Geheime Ohermedisinal- 
rat Dr. Housseile die Übernahme des Vorsitzes abgelehnt habe, schlage er 
nunmehr den Unterstaatssekretär Dr. Achenbach als Leiter ohne Stimm* 
recht, wie Lehnert, vor, um dem Streit ein Ende zu machen. Der König 
trat diesem Vorschläge durch die Order vom 10 Mai 1872 bei. 

Am 22. Oktober 1888 erhielt die Deputation eine neue Geschäfts¬ 
anweisung (abgedruckt in: Pistor, Gesundheitswesen, Bd. I, S. 29). In der 
Allerhöchsten Genehmigung wurde für die Zukunft angeordnet: 

„Zwischen den Mitgliedern, welche vermöge ihres Hauptamtes in die Wissen¬ 
schaftliche Deputation berufen würden, und den sonstigen Mitgliedern sei ein 

Unterschied zu machen. 

„Zu den ersteren gehören der Direktor der Medizinalabteilung des Mini¬ 
steriums und die technischen Mitglieder der Medizinalabteilung des Ministeriums. 

„Diese Mitglieder der Deputation würden für die Dauer ihres Hauptamtes 
in der Medizinalabteilung mit der Wirkung des § 12 des Pensionsgesetzes zn 
ernennen sein. Die übrigen Mitglieder würden nur auf 5 Jahre zu ernennen 
sein, weil sonst bei eintretender Dienstunfähigkeit mangels eines selbständigen 
Pensionsanspruches sich wegen Versetzung in den Ruhestand Schwierigkeiten er¬ 
geben würden.“ 

Nach der Allerhöchsten Verordnung vom 25. Mai 1887 sollten die 
Ärztekammern (S. 529) je einen Vertreter zu den in der Regel jährlich ab¬ 
zuhaltenden Sitzungen der erweiterten Deputation entsenden, welchen aber 
nicht volles Stimmrecht verliehen war. Dieses erhielten die Vertreter der 
Ärztekammern erst durch die Allerhöchste Verordnung vom 21. Juli 1892. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


509 


Die Allerhöchste Order vom 28. August 1892 vertagte die folgende 
veränderte Fassung des Absatzes 2 des § 17 der 1888 er Geschäftsanweisung: 

.Die Hilfsarbeiter und die gemäß § 8 zu einzelnen Beratungen etwa hinzu¬ 
gezogenen Personen haben eine beratende Stimme.“ 

Zugleich wurde genehmigt, daß der Minister der Medizinalangelegen¬ 
heiten ermächtigt sein solle, in Zukunft nicht wesentliche Änderungen der 
Geschäftsanweisung erforderlichen Falles selbständig zu treffen, bei wichtigen 
Änderungen aber die Allerhöchste Genehmigung einznholen. 

Bereits im Jahre 1810 erfuhr die Organisation der Medizinalverwaltung 
insofern eine Veränderung, als die Abteilung für das Medizinalwesen als 
besondere Abteilung zu bestehen aufhörte und mit der Abteilung fOr die 
allgemeine Polizei verschmolzen wurde (Verordnung vom 27. Oktober 1810, 
G.-8. Nr. 3). 

Das Ministerium des Innern hat folgende Abteilungen, deren jede einen be¬ 
sonderen Chef erhält, welche Sitz und Stimme im Staatsrat haben: 

a) Für die allgemeine Polizei im ausgedehnten Sinne. Dazu gehört auch das 
Medizinalwesen. 

b) . 

Durch die Kabinettsorder vom 3. November 1817 (G.-S. Nr. 16, 
8. 289) wurde das Ministerium der geistlichen-, Unterrichts- und Medizinal- 
Angelegenheiten errichtet, welchem auch die Medizinalangelegenheiten über¬ 
wiesen wurden. 

Art. 3. Der Minister des Innern gibt das Departement für den Kultus 
und den öffentlichen Unterricht und das damit in Verbindung stehende 
Medizinalwesen ab . . . 

Über die Verhandlungen nnd Beweggründe, welche dafür maßgebend 
gewesen sind, dem neuen Ministerium auch das Medizinal wesen zu über¬ 
weisen, ergeben die Akten der Medizinalabteilung nichts; auch die bei dem ge¬ 
heimen Staatsarchiv ruhenden Akten bieten nur ganz dürftige Anhaltspunkte. 

Darüber, welche Gebiete des Medizinalwesens an das neugebildete 
Ministerium übergehen sollten, waren die Ansichten geteilt. Daraus ent¬ 
wickelten sich Staatshaushaltsfragen. 

Die verwaltungsrechtliche Bedeutung der Neuerungen der Allerhöchsten 
Order vom 8. November 1817 liegt darin, daß die Verwaltung des Medizinal¬ 
wesens und die Verwaltung der allgemeinen Landespolizei in der Zentral¬ 
instanz zwei verschiedenen Ministerien übertragen wurde, während in der 
Provinzialinstanz beide Verwaltungszweige in einer Behörde vereinigt blieben. 

Die Fassung dieser Order gab Anlaß zu neuen Ressortstreitigkeiten 
unter den beteiligten Ministerien. 

Als unzweifelhaft wurde angenommen, daß die Ausbildung, Prüfung 
und Anstellung der Medizinalpersonen sowie die Beaufsichtigung der 
medizinischen Lehrinstitute dem Kultusministerium allein zustehe; in 
bezug auf die Irren- und Krankenhäuser stellte dagegen der Minister 
des Innern die Meinung auf, daß diese hauptsächlich aus dem Gesichts¬ 
punkte der Armenpflege auf gef aßt werden müßten und deshalb zu dem 
Ressort der Polizeiverwaltung gehörten. Nur soweit es hierbei auf wissen¬ 
schaftliche Grundsätze ankomme, sei eine Beteiligung des Ministers der 
Medizinalangelegenheiten gerechtfertigt. Der Minister des Innern faßte die 


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M. Pistor, 


Worte der Allerhöchsten Order vom 3. November 1817 „und das damit 
in Verbindung stehende Medizinalwesen“ als eine Beschränkung 
der Überweisung der Medizinalsachen in dem Sinne auf, daß nur der mit 
dem öffentlichen Unterricht in Verbindung stehende Teil des Medizinal¬ 
wesens, d. h. der wissenschaftliche Teil, dem neuen Ministerium über¬ 
wiesen sei, und daß demzufolge die Kranken- und Irrenanstalten, bei 
welchen „der äußere materielle Zusammenhang mit der allgemeinen Ver¬ 
waltung der Armen- und Sicherheitsanstalten gegen den wissenschaftlichen, 
den die Kabinetsorder ausspricht, wohl überwiegend sei“, seinem Ressort 
verbleiben müßten. 

Der Minister v. Alten stein meinte dagegen, daß die Verwaltung der 
Krankenanstalten im großen wie im einzelnen nach wissenschaftlichen Grund¬ 
sätzen geleitet werden müsse, und führte aus: 

»Nach richtigen Grundsätzen ist wohl alle öffentliche Krankenpflege wissen¬ 
schaftlich, und die medizinische Wissenschaft und Kunst, welche vom Staate mit 
großen Kosten gepflegt wird, ist dafür vorhanden und erwartet von der öffent¬ 
lichen Krankenpflege ihre wichtigsten Fortschritte und Erweiterungen hauptsäch¬ 
lich für ihre praktischen Teile.“ 

Aus diesem Grunde reklamierte der Kultusminister auch die Verwaltung 
der Krankenhäuser für dasjenige Ministerium, welchem die Fortschritte der 
Wissenschaft und der Heilkunde zu Gebote stehen. 

Demzufolge wurde auch die Aufsicht über die Krankenanstalten dem 
Minister der Medizinalangelegenheiten übertragen; desgleichen leitete der¬ 
selbe auch die Medizinal- und Sanitätspolizei in höchster Instanz und nur 
in Fällen, wo allgemeine landespolizeiliche Rücksichten konkurrierten, wurde 
die Mitwirkung des Ministers des Innern in Anspruch genommen. 

In dieser Weise wurden die Geschäfte ohne wesentliche Störung bis 
zum Jahre 1825 geführt. 

Im Jahre 1824 machte eine von dem Könige eingesetzte Kommission 
wegen Untersuchung des Staatshaushaltes aus Ersparungsrücksichten den 
Vorschlag, in dem Medizinalwesen den polizeilichen Teil von dem technisch- 
wissenschaftlichen zu trennen, jenen dem Ministerium des Innern zu über¬ 
weisen, die Verwaltung des technisch-wissenschaftlichen Teiles dagegen, d. h. 
die höchste wissenschaftliche Aufsicht über das gesamte Medizinalwesen, die 
Begutachtung aller Einrichtungen und die selbständige Leitung der medi¬ 
zinischen Unterrichtsanstalten, in dem Ministerium der geistlichen und 
Unterrichts-Angelegenheiten, wie bisher, von einer besonderen von dem 
Minister selbst zu dirigierenden Abteilung besorgen zu lassen. Dazu wurde 
bemerkt: 

„Dabei hat das Ministerium für das technisch-wissenschaftliche Sanitäts und 
Medizinalwesen in der wissenschaftlichen Deputation desselben und in dem Medizi¬ 
nal-Hilfspersonal ein Organ, welches dasselbe hierbei auf das kräftigste unter¬ 
stützen kann.“ 

Die folgende Order vom 31. August 1824 billigte diesen Vorschlag im 
allgemeinen. 

Aus Meiner, wegen des zu verbessernden Zustandes des Staatshaushaltes au 
das Staatsministerium erlassenen Order vom heutigen Tage ersehen 8ie unter 
anderem, daß die polizeiliche Verwaltung des Sanitäts- und Medizinalweseus 
ganz von der technisch-wissensohaftlichen getrennt und jene unter das Ministerium 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 511 

des Innern, diese aber unter das der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten 
gestellt werden soll. Diese Scheidung macht eine andere Gestaltung beider Mini¬ 
sterien in dieser Beziehung nötig, wie in dem, im Extrakt mitfolgenden Protokoll 
der wegen Untersuchung des Staatshaushaltes verordneten Kommission vom 
12. Januar d. J. und den dazu gehörenden Berechnungen angegeben ist. 

Die Fonds für die Medizinal- und Sanitätsverwaltung, nebst der bei der 
Generalstaatskasse deshalb ausgesetzten Dispositionssumme geben demnächst auf 
das Ministerium des Innern, als polizeilishe Verwaltungsbehörde, insoweit über, 
als sie nicht auf medizinisch-technische Anstalten sich beziehen. Sie haben sich 
hierüber zu vernehmen und den Erfolg anzuzeigen, um die Trennung obiger 
Fonds sodann etatsmäßig vornehmen zu können. Zum Behuf der in Beziehung 
auf die Sanität*- und Medizinalverwaltung in Ihren Ministerien zu treffende Ein¬ 
richtung haben Sie Bäte, welche mir anzuzeigen sind, besonders zu beauftragen 
und dieselben zur gehörigen Beschleunigung des Geschäftes anzuweisen, indem 
vom Jahre 1825 an die neue Ordnung der Dinge ihren Anfang nehmen muß. 
Über den Erfolg der getroffenen Einrichtung haben Sie Anzeige zu erstatten und 
zugleich einen Entwurf zu einer zu erlassenden Bekanntmachung einzureichen. 

Zugleich bleibt es Ihnen noch unbenommen, die bei dem einen oder dem 
anderen Punkte vorhandenen Bedenken anzuzeigen, jedoch lediglich unter der 
Bedingung, die in Meiner an das 8taatBministerium erlassenen Order enthalten ist. 

Noch ist nach dem anliegenden Protokollextrakt vom 16. Dezember v. J. bei 
der Kommission in Erwägung gekommen, ob nicht die Medizinalkollegien aufzu¬ 
heben und ihre Funktionen auf die, aus den medizinischen Fakultäten der Landes¬ 
universitäten zu bildenden Deputationen zu übertragen sein dürften. Sie haben 
diese Ansicht zu prüfen und Mir darüber Ihr Gutachten zu erstatten. 

Die Minister v. Altenstein und v. Schuokmann sahen sich jedoch 
veranlaßt, gegenüber den Schwierigkeiten, welche ihnen bei der Ausführung 
des Teilungsgeschäftes begegneten, dem König unter dem 24. Dezember 1824 
in einem gemeinschaftlichen Immediatbericht ihre Bedenken vorzutragen und 
daran die Bitte zu knüpfen, von der Ausführung der Maßregel Abstand zu 
nehmen. 

»Wir haben“, so heißt es unter anderem in dem Immediatberichte, „uns 
überzeugen müssen, daß bei einer konsequenten Durchführung des Planes nicht 
nur Gegenstände, welche in sich innig Zusammenhängen, zum Nachteile der Ver¬ 
waltung selbst getrennt, sondern auch der Zweck verfehlt werden würde, welcher 
bei den Allerhöchst befohlenen Organisationsveränderungen erreicht werden soll. 
Anstatt eine Geschäftsvereinfachung herbeizuführen, würde vielmehr die Stellung 
beider Ministerien gegeneinander höchst schwierig und der notwendigen Selbst¬ 
ständigkeit nicht entsprechend werden; woraus unvermeidlich mehrfache Geschäfts¬ 
verwickelungen und Kollisionen zum Nachteile der Verwaltung und des Dienstes 
hervorgehen, und das gegenwärtige Geschäftsverhältnis nicht vereinfacht werden 
würde. Es ergeben sich unbesiegbare Schwierigkeiten nach allen Richtungen, 
wenn ein Ministerium die technisch - wissenschaftlichen Grundsätze, Anordnungen 
und Einrichtungen besorgen soll, ohne solche aus dem Ganzen der Verwaltung 
aufzufassen und diese daher selbst zu leiten. Es muß solches zu dem Ende eine 
Menge Veranstaltungen treffen, um sich die erforderlichen Daten zu verschaffen, 
welehe sich in der Leitung der Verwaltung von selbst ergeben, und es wird doch 
durch alle diese Vorkehrungen der Gefahr nicht vorgebeugt, daß alles zu theore¬ 
tisch wird und die praktische Anwendbarkeit verliert. Ein Ministerium aber, 
welches die Verwaltung leiten soll, ohne den wissenschaftlich-technischen Teil 
selbst aufzufassen, und welches in dieser Beziehung von einem anderen Ministerium 
abhängig ist, gerät in eine höchst nachteilige Lage und verliert für diese Ver¬ 
waltung alles Ansehen und alle Kraft. Es sind eine Menge Verzögerungen ganz 
unvermeidlich.“ An einer anderen Stelle heißt es, „daß eine mehr oder weniger 
künstliche, der Natur der Sache nicht entsprechende Trennung dieser Verwaltung 
in sich, alles, was in den letzten Jahrzehnten zum Gedeihen derselben geschehen 


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512 


M. Pistor, 


ist, notwendig zum Nachteil gereichen würde“, und „daß nach unserem unma߬ 
geblichen Dafürhalten die gegenwärtige Vereinigung der Medizinalverwaltung mit 
demjenigen Ministerium, dessen Hauptzweck die Förderung der Wissenschaft and 
die Verbreitung gründlicher wissenschaftlicher Kenntnisse im allgemeinen ist, in 
mancher Hinsicht bedeuteude Vorzüge hat. Namentlich kann ich, der Minister 
des Innern, die Besorgnis nicht ganz unterdrücken, daß bei einer völligen Ver¬ 
schmelzung dieser Administrationspartie mit der Polizeiverwaltung die für die 
erstere besonders wichtige wissenschaftliche Tendenz nach und nach verloren 
gehen und somit das Ganze eine nachteilige Biohtung nehmen würde. Ee würde 
in der Hauptsache stets den bei dem Ministerium angestellten wenigen Technikern 
vertraut, hierdurch aber eine Einseitigkeit herbeigeführt werden müssen, welche 
bei dem Ministerium der geistlichen Angelegenheiten infolge seiner nahen Ver¬ 
bindung mit den wissenschaftlichen Anstalten, medizinischen Fakultäten und 
seinen sonstigen Verhältnissen leicht vermieden werden kann.“ 

Zur Beseitigung der wenigen Meinungsverschiedenheiten, welche noch 
bestanden, bringen die Minister gleichzeitig in mehreren Punkten eine 
schärfere Ressortscheidung dem Könige in Vorschlag und fügen zu diesem 
Zwecke besondere Anträge bei. 

Es erging hierauf die Allerhöchste Order vom 29. Januar 1825, in 
welcher der König erklärte, daß zwar die vorgetragenen Gründe noch keine 
volle Überzeugung für die Unrichtigkeit der von der Kommission zur 
Recherche des Staatshaushaltes aufgestellten Ansicht gewährten, daß er 
aber gleichwohl die beantragte schärfere Ressortscheidung genehmigen wolle. 
Diese Order überwies: 

I. dem Ministerium des Innern: 

1. alle Gegenstände, welche zur Sanitätspolizei zwar gerechnet werden 
können, aber bisher schon wegen der überwiegenden polizeilichen Rück¬ 
sichten und wegen ihrer Verbindung mit allgemeinen Polizeizwecken und 
Anstalten dem Polizeidepartement überlassen sind, und wobei das Medizinal¬ 
departement nur ratgebend beizuziehen ist. Namentlich gehört hierher außer 
der polizeilichen Fürsorge für die gesunde Beschaffenheit der Lebensmittel 
die Ergreifung und Leitung der Maßregeln gegen ansteckende Krankheiten 
und Seuchen aller Art bei Menschen und Tieren. 

2. Die Sorge für die den Untertanen zu gewährende Gelegenheit der 
ärztlichen Hilfe, einschließlich der Sorge für arme Kranke; ferner die alleinige 
Leitung aller gewöhnlichen Heilinstitute und der Aufbewahrungsanstalten 
für unheilbare Kranke, nach Maßgabe des in vorkommenden Fällen einzu¬ 
holenden Beirates des Medizinaldepartements. Ebenso wie daher bei diesen 
unter 1. und 2. gedachten Gegenständen die Ausführung in den Händen 
der gewöhnlichen unteren und bzw. Provinzialbehörden liegt, ebenso werden 
dieselben auch in oberer Instanz von dem Ministerium des Innern und der 
Polizei selbständig geleitet werden, und wird das Ministerium der geistlichen, 
Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten hierbei nur insoweit einwirkeo, 
als die Teilnahme desselben als der oberen technischen Behörde durch das 
Sachverhältnis begründet wird. 

II. Dem Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal- 
Angelegenheiten verbleiben: 

1. „die gewöhnlichen Pockenimpfungen, soweit sie den allgemeinen 
Schutz gegen diese Krankheit beabsichtigen, und insoweit nicht der Aus¬ 
bruch einer Pockenepidemie augenblicklich eine Zwangsimpfung nötig macht; 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


513 


2. „die Irrenheilanstalten; 

3. „die Irrenaufbewahrungsanstalten; 

4. „das Charitekrankenhaus zu Berlin. u 

In dieser Order entsohied der König auch über die Anregung v. Alten- 
steins wegen Aufhebung der Medizinalkollegien: 

»Was hiernächst die Aufhebung der Medizinalkollegien und Übertragung 
der Funktionen derselben auf Deputationen, gebildet aus den Professoren der 
Landesuniversitäten, anbetrifft, so bestimme Ich, daß diese Maßregel zwar noch 
nicht allgemein auszuführen, dennoch aber damit der Versuch auf einer Universi¬ 
tät zu machen ist, wo sich nach den individuellen Verhältnissen der Professoren 
ein günstiger Erfolg erwarten läßt, und vertraue ich Ihnen, dem 8taatsminister 
Freiherrn v. Altenstein, daß Sie hierbei mit sorgfältiger Auswahl zu Werke gehen 
werden. Die beabsichtigte Bildung eines besonderen Medizinalkollegiums für Berlin, 
neben der bestehenden wissenschaftlichen Deputation, kann Ich daher um so 
weniger angemessen finden, als es nicht rätlich erscheinen kann, bei der überall 
angeordneten Beschränkung ein neues, bisher nicht erforderlich gewesenes Kol¬ 
legium zu bilden. Zunächst kommt es darauf an, von der wissenschaftlichen 
Deputation keine Arbeiten zu fordern, die den Ressortverhältnissen nach nicht 
für dieselbe gehören. 8ollte dessen ungeachtet der Geschäftsumfang zu groß 
bleiben und auf andere Art keine Beschränkung zulässig sein, so werden noch 
einige angehende junge Medizinalpersonen anzustellen und diese zu vermögen sein, 
einige Zeit unentgeltlich zu dienen und sich auf diese Weise Ansprüche auf Be¬ 
willigung von Gehalt bei entstehenden Vakanzen zu erwerben.“ 

Über die Ausführung dieser Bestimmungen, welche durch eine Verein¬ 
barung der Minister der Medizinalangelegenheiten und des Innern vom 
22. März 1825 näher ausgestaltet und abgegrenzt wurden, ergaben sich bald 
wieder neue Zweifel und Meinungsverschiedenheiten. Dieselben erlangten be¬ 
sondere Bedeutung, als im Jahre 1831 die Cholera sich den Grenzen des 
Staates näherte und der Minister der Medizinalangelegenheiten eine Mit¬ 
wirkung bei den zu treffenden Maßregeln in Anspruch nahm. 

Der Streit verschärfte sich, als im Jahre 1832 die für den Zweck 
eingesetzte Immediatkommission aufgelöst und deren Geschäfte den be¬ 
treffenden Ministerien zurückgegeben wurden. 

Der Minister des Innern wollte die ganze fernere Leitung dieser An¬ 
gelegenheit allein übernehmen, wogegen der Minister der Medizinal¬ 
angelegenheiten seine Mitwirkung verlangte und dies damit begründete, daß 
die Natur der Krankheit noch nicht hinreichend erforscht sei, um allgemein 
gültige Normen für die Verwaltung aufzustellen, und daß ferner das wissen¬ 
schaftliche Interesse seines Ministeriums es erfordere, von den Fortschritten, 
der Ausbreitung und dem Charakter der Krankheit in den Provinzen genaue 
Kenntnis zu erhalten. 

Der Minister des Innern v. Brenn nahm infolgedessen Veranlassung, 
zunächst in einem Schreiben an den Minister der Medizinalangelegenheiten 
vom 30. April 1832, sodann in einem Votum an das Staatsministerium vom 
19. April 1833 die Vorschläge der Kommission zur Recherche des Staats¬ 
haushaltes vom Jahre 1824 wieder aufzunehmen und darauf anzutragen: 

die Verwaltung des Medizinalwesens, völlig getrennt von dem 

technisch-wissenschaftlichen Teile desselben, seiner Verwaltung allein 

unterzuordnen. 

Vferteljahrstcbrift für Geiundheits pflege, 1908. 33 

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514 


M. Pistor, 


Als innere Gründe werden angeführt, daß in medizinal - polizeilichen 
Angelegenheiten nicht der wissenschaftliche Standpunkt allein leiten könne, 
sondern eine Abwägung aller Bedürfnisse des Verkehrs und des inneren 
Staatslebens erforderlich sei, deren stets wechselnde Gestaltung nur dem 
verwaltenden Ministerium des Innern klar vor Augen liege, ferner, d&ß die 
Verwaltung des Medizinalwesens mit der Verwaltung des Armen- und Kom¬ 
munalwesens in einem untrennbaren Zusammenhänge stehe, und daß »us 
diesen Gründen auch bei den Provinzialbehörden die Verwaltung der Polizei- 
und der Medizinalangelegenheiten in einer Hand vereinigt sei. 

Endlich bezeichnete der Minister des Innern es als einen Widerspruch, 
daß das Ministerium des Innern dafür sorgen solle, daß es den Untertanen 
nicht an ärztlicher Hilfe fehle, ohne daß ihm die Mittel zur Anstellung von 
Medizinalpersonen gegeben seien, sowie, daß es für die Unterbringung armer 
Kranker und geistesschwacher Personen Sorge tragen solle, ohne daß ihm 
die Verwaltung der Irrenanstalten und des größten Krankenhauses, der 
Charite, übertragen sei. 

Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten 
Freiherr v. Altenstein verkannte in dem sehr ausführlichen Schreiben vom 
3. Oktober 1832 zunächst nicht, daß die gegenwärtige Trennung der Medi¬ 
zinalverwaltung und der Medizinalpolizei von mehrfachen Übelständen be¬ 
gleitet sei. Der Grund hiervon liege darin, daß die im Jahre 1825 be¬ 
wirkte Scheidung nicht sachgemäß sei, und eine Besserung sei nur zu 
erwarten, wenn die ganze Medizinalverwaltung wieder in einer Hand vereinigt 
werde. Dem Ministerium des Innern aber könne diese Gesamtverwaltung nicht 
übertragen werden. Das Medizinalwesen könne nicht von dem polizeilich¬ 
praktischen Standpunkte aus allein geleitet werden. Geschehe dies, so 
werde die Medizinal Verwaltung von der Höhe, auf welcher sie sich gegen¬ 
wärtig befinde, bald herabsinken, und zu einem bloß formellen Handhaben 
bestehender Vorschriften werden. Ein Fortschreiten mit der Wissenschaft 
werde abgeschnitten. 

Das Ministerium des Unterrichts habe dagegen als solches die Aufsicht 
über die allgemeine medizinische Bildung. Es bedürfe aber andererseits 
auch der praktischen Verwaltung des Medizinalwesens, um selbst rege und 
mit den Erfahrungen des Lebens im Einklang zu bleiben. Nach dem Vor¬ 
schläge der Staatshaushaltskommission würde das Ministerium der Medizinal- 
verwaltung aufbören, eine administrierende Behörde zu sein und zu einer 
bloß begutachtenden werden. Theorie und Praxis, voneinander gerissen, 
würden aufhören, sich gegenseitig zu fördern und zu ergänzen. Nur durch 
die Vereinigung beider sei es möglich geworden, das zu leisten, was wirklich 
geschehen, und als Früchte der Vereinigung werden hervorgehoben: 
Vereinigung der Chirurgie mit der Medizin in derselben Person, die Er¬ 
hebung der Chirurgie von einer bloßen Empirik zur Wissenschaft, die Be¬ 
nutzung der Heilanstalten zugleich als wissenschaftliche Institute, die Um¬ 
gestaltung der Seelenheilkunde in den Irrenanstalten, die fortdauernde 
Ausbildung der schon ins praktische Leben übergetretenen Medizinal* 
personen usw. 

Diese Ausführungen stützten sich im wesentlichen auf ein Gutachten 
des Präsidenten Professor Dr. med. Rust, welches in dessen Buch „Pie 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 615 

Medizinalverfassung in Preußen“, Berlin, Ch. Fr. Th. Enslin, 1888, wieder¬ 
gegeben ist. 

Aus diesen Gründen sehe er sich veranlaßt, daranf anzutragen, daß 
die im Jahre 1825 erfolgte Trennung des Medizinalwesens wieder auf¬ 
gehoben und die gesamte Medizinalverwaltung dem Kultusministerium 
ungeteilt zurflckgegeben werde. Der Schriftwechsel schleppte sich ungeachtet 
wiederholter Anregungen seitens des Ministers des Innern durch hartnäckiges 
Schweigen des Kultusministers fast zwei Jahrzehnte lang hin. Die streiten¬ 
den Minister v. Brenn und Freiherr v. Altenstein starben inzwischen 
(1840). Darüber waren sie gleicher Ansicht, daß eine Teilung der Medizinal¬ 
verwaltung unter beide Ministerien sachlich nioht zweckmäßig sei; jeder von 
ihnen beanspruchte die ungeteilte Medizinalverwaltung für sich unter Kor¬ 
referat des Anderen in bestimmten Angelegenheiten. Nach wiederholter 
Vertagung der Verhandlung gelangte das Staatsministerium erst im Jahre 
1849 dazu, zu der Meinungsverschiedenheit Stellung zu nehmen, und zwar 
in dem Sinne, daß entsprechend den Anträgen des Ministers Freiherrn 
v. Altenstein die Überweisung der gesamten Medizinalverwaltung mit 
Einschluß der Medizinal- und Sanitätspolizei an den Minister der Unter¬ 
richts- und Medizinalangelegenheiten beschlossen und dem Könige in diesem 
Sinne unter dem 18. Juni 1849 der folgende Immediatbericht erstattet wurde 

.... Diese Teilung des Zentralressorts der Medizinalverwaltung führte bald 
wieder zu mannigfachen Meinungsverschiedenheiten. Der Minister des Innern nahm 
die alleinige Entscheidung in allen Angelegenheiten der Gesundheitspolizei in An¬ 
spruch und wollte dem Minister der Medizinalangelegenheiten nach den Worten 
des Allerhöchsten Erlasses vom 28. Januar 1825 dabei nur die Stellung einer 
lediglich begutachtenden Behörde einräumen, die Berücksichtigung des Gutachtens 
aber allein von seinem Ermessen abhängig machen. In diese Stellung, bei weloher 
das verwaltende Element in dem Ressort des Ministeriums der Medizinalangelegen¬ 
heiten unbeachtet geblieben, wollte der Chef desselben sich nicht fügen. Die 
Konflikte steigerten sich bei dem Ausbruch der Cholera in Preußen im Jahre 1831. 
Die Maßregeln zu deren Abwehr wollte der Minister des Innern allein anordnen, 
wogegen der Minister der Medizinalangelegenheiten eine wesentliche Mitwirkung 
dabei in Anspruch nahm. Diese Differenz wurde damals durch Ernennung einer 
besonderen Immediatkommission für die Maßregeln zur Abwehr und Bekämpfung 
der Cholera beseitigt. Für die Zukunft glaubte der Minister des Innern nach 
Auflösung der Immediatkommission eine Beseitigung ähnlicher Konflikte nur von 
der Bealisierung des Vorschlages der Kommission zur Untersuchung des Staats¬ 
haushaltes erwarten zu können und beantragte demgemäß die Übertragung der 
gesamten Medizinalverwaltung auf das Ministerium des Innern und die Beschrän¬ 
kung des Ministers der Medizinalangelegenheiten auf den wissenschaftlichen Teil 
des Medizinalwesens. Diesem Anträge widersprach der Minister der Medizinal¬ 
angelegenheiten auf das Entschiedenste. Er wies die praktische Unmöglichkeit 
der vorgeschlagenen Trennung der beiden Elemente der Medizinalverwaltung nach, 
erachtete die Funktion einer bloß begutachtenden Behörde mit der Stellung eines 
Ministeriums, welches seiner Bestimmung nach verwalten solle, für unvereinbar 
und verlangte seinerseits, die Wiederherstellung des Zustandes vor 1825, wo die 
gesamte Medizinalverwaltung, mit Einschluß der Gesundheitspolizei, dem Minister 
der geistlichen und Medizinal-Angelegenheiten anvertraut gewesen und irgend erheb¬ 
liche Konflikte mit anderen, in einzelnen Angelegenheiten der Gesundheitspolizei 
mitwirkenden Ministern nicht hervor getreten seien. 

Die Differenz ward der Beratung des StaatBministeriums übertragen, hier 
jedoch nicht zum Austrag gebracht, da der Minister Freiherr v. Altenstein das 
Votum des Ministers des Innern unbeantwortet bei sich liegen ließ. Später ward 
die Angelegenheit zwischen den Ministem v. Rochow und Eichhorn wieder 

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516 


M. Pistor, 


aufgenommen. Die bei der diesfälligen Korrespondenz über mehrere nicht uner¬ 
hebliche Punkte verbliebenen Meinungsverschiedenheiten sind jedoch ebeufalli 
nicht weiter verfolgt. Die Ausgleichung scheint, nach Andeutungen in den Akten, 
im Wege mündlicher Besprechung einstweilen vertagt worden zu sein. Indessen 
fehlte es auch in neuerer Zeit nicht an mannigfacher Verschiedenheit der An¬ 
sichten über die Grenzen des Ressorts der beiden Ministerien und das Bedürfnis 
einer einheitlichen Gestaltung des Zentralressorts für die Medizinalverwaltung 
ward immer lebhafter empfunden. Bei der jetzigen Lage der Sache könnten Kon¬ 
flikte, wie die vorstehend erwähnten, jederzeit wieder hervortreten und den Gang 
der Verwaltung lähmen. Das Bedürfnis einer anderweitigen, solchen Ubelständen 
nachhaltig vorbeugenden Regulierung der Sache ist demnach nicht in Abrede za 
stellen. 

Um zu entscheiden, auf welche Weise diesem Bedürfnis am zweckmäßigsten 
zu genügen sei, wird man nicht außer acht lassen dürfen, daß Wissenschaft und 
Praxis, insbesondere das Unterrichts- und Staatsprüfungswesen in der Medizinal¬ 
verwaltung, mehr als in irgend einem anderen Zweige der Staatsverwaltung, in 
einem innigen Zusammenhang miteinander stehen, daß in dieser Verwaltung eine 
konsequente und praktisch durchführbare Sonderung des wissenschaftlichen Ele¬ 
mentes von dem administrativen Teil nicht möglich ist. Dies führt von selbst za 
der Überzeugung, daß ohne wesentlichen Nachteil für Wissenschaft und Praxis 
das Ministerium des öffentlichen Unterriohts von der Medizinalverwaltung nicht 
ausgeschlossen werden kann. Im Gegenteil wird es, um ein Zentralressort für die 
gesamte Medizinalverwaltung zu gewinnen, als zweckmäßig anerkannt werden 
müssen, dem Unterrichtsministerium, von welchem, wie oben gezeigt worden, 
bereits der umfangreichste und wichtigste Teil der gedachten Verwaltung ressor- 
tiert. auch die übrigen Zweige derselben anzuvertrauen und dem pflichtmäßigen 
Ermessen desselben zu überlassen, falls gewerbliche, kommerzielle, finanzielle oder 
allgemein landespolizeiliche Interessen wahrzunehmen sind, mit den dieselben ver¬ 
tretenden Ministerien sich in Verbindung zu setzen bzw. gemeinschaftlich za 
handeln. Daß dies ein ebenso zweckmäßiges als unbedenkliches Mittel ist, Einheit 
in der Medizinal Verwaltung herzustellen und ferneren Konflikten vorzubeugen, 
ergibt sich aus einer näheren Betrachtung der dem Minister des Innern durch 
den Eriaß vom 29. Januar 1825 überwiesenen Gegenstände der Medizinalverwaltune. 

Was zunächst das Armenkranken wesen und die damit in unmittelbarer Ver¬ 
bindung stehenden Krankenhäuser anbetrifft, so hat der Minister der Medizinal¬ 
angelegenheiten nach der jetzt bestehenden Ressortteilung die Anregung zu Ver¬ 
besserungen U8W. von dem Minister des Innern erwarten und sich auf Vorschläge 
beschränken müssen, ohne irgend einen nachhaltigen Einfluß auf deren Verwirk¬ 
lichung üben zu können. Es ist aber in der Tat kein innerer Grund erfindlich, 
weshalb dem Minister der Medizinalangelegenheiten die Oberaufsicht über die 
Kranken- und Siechenhäuser entzogen worden, während er sie in bezug auf die 
bedeutendste Anstalt des Staates, das hiesige Gharitö-Krankenhaus sowie auch das 
Krankenhaus Bethanien, ausübt, während ferner die Irrenheil- und Aufbewahrungs¬ 
anstalten von ihm ressortieren, obgleich auch diese fast durchweg aus Provinzial¬ 
oder Kommunalmitteln unterhalten werden. Es erscheint vielmehr, wenn man 
erwägt, daß die obere Leitung des KrankenhauswesenB vorzugsweise auf techni¬ 
scher Grundlage, auf der in den Krankenhäusern auf ärztlichem und administra¬ 
tivem Gebiet gesammelten Erfahrung beruhen muß, völlig angemessen, diesen 
wichtigen Teil der Medizinalverwaltung dem Minister der Medizinalangelegenheiten 
allein zu übertragen und ihm zu überlassen, in solchen Fällen, in denen die 
Leistungsfähigkeit der Kommunen zweifelhaft erscheint oder noch dringendere 
Bedürfnisse als die Einrichtung bzw. Verbesserung von Krankenhäusern geltend 
gemacht werden, mit dem Minister deB Innern in Kommunikation zu treten. 
Durch die Bestellung eines besonderen Zentralorgans für die Krankenhaus¬ 
angelegenheiten und das Armenkrankenwesen überhaupt wird zugleich den Kom¬ 
munen allmählich zum Bewußtsein gebracht werden, daß die Fürsorge für gut* 
Krankenhäuser sowie für kranke Arme eine ihrer vorzüglichsten Pflichten ist, der 
nicht bloß notdürftig und nebenbei, soweit es andere materielle Interessen g*- 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


517 


statten, sondern auf eine den Anforderungen der Wissenschaft und der Humanität 
entsprechende Weise genügt werden muß. 

Der König genehmigte unter dem 22. Juni 1849 die Anträge des Staats- 
ministeriums mittels nachstehender Order (G.-S., S. 335): 

„Auf den Bericht des Staatsministeriums vom 18. d. Mts. genehmige 
ich hierdurch unter Aufhebung der Order vom 29. Januar 1825 die 
Überweisung der gesamten Medizinalverwaltung mit Einschluß der 
Medizinal- und Sanitätspolizei an den Minister der Unterrichts- und 
Medizinalangelegenheiten mit der Maßgabe, daß der letztere in allen 
Fällen, in welchen durch Anordnungen in der Medizinal Verwaltung 
die Interessen anderer Ressorts betroffen werden, vor der Entscheidung 
sich mit den beteiligten Ministern zu benehmen und nach Lage der 
Umstände gemeinschaftlich mit ihnen zu handeln hat. Insbesondere 
ist der Lehrplan der Tierarzneischule usw. . . .“ 

Seit länger als einem halben Jahrhundert ist in Preußen der Kultus¬ 
minister auch Minister der Medizinalangelegenheiten, von denen auf seit dem 
25. Februar 1863 wiederholten Antrag des Landwirtschaftsministers und 
des Landesökonomiekollegiums die bisher dort verwalteten Veterinär¬ 
angelegenheiten durch die Königliche Order vom 27. April 1872 abgelöst 
und dem landwirtschaftlichen Ressort zugeteilt worden sind (Ges.-S. Nr. 34, 
S. 594). Inzwischen erneuerten sich in der Landesvertretung die Anregungen, 
die gesamte Medizinalverwaltung dem Ministerium des Innern wieder an¬ 
zugliedern. Im Landtage wies man wiederholt auf die so dringend not¬ 
wendige Medizinalreform hin, deren Ausbleiben man auf die Überbürdung 
des Kultusministers schob. Einen Fortschritt in der Medizinal Verwaltung 
haben die wiederholten Anregungen zur Medizinalreform bewirkt: die Ab¬ 
teilung hatte bis dahin keinen eigenen Direktor gehabt, sondern nur einen 
Dirigenten, der zunächst ein juristischer Vortragender Rat gewesen war. 
Später war sie dem jeweiligen Unterstaatssekretär und in den letzten Jahren 
einem Direktor der geistlichen Abteilung im Nebenamt überwiesen worden. 
Im Jahre 1900 erhielt die Medizinalabteilung wieder einen eigenen juristi¬ 
schen Dirigenten, welcher 1901 zum Ministerialdirektor ernannt wurde. 

Medizinalreform. 

Das Medizinaledikt vom 27. September 1725 war nicht mehr zeit¬ 
gemäß, so vorzüglich seine Bestimmungen seinerzeit gewesen waren und so 
sehr sie noch heute geschätzt werden. 

Am 8. April 1826 hatte das Rheinische Medizinalkollegium in Koblenz 
bereits einen Entwurf zu einem neuen Medizinaledikt vorgelegt, der von 
dem Minister mehreren Regierungs- und Medizinalräten zur gutachtlichen 
Äußerung übersandt wurde. 

Zu Anfang des Jahres 1829 erschien in Altenburg unter dem Titel: 
„Kritischer Überblick der Preußischen Medizinalgesetzgebung“, 
eine anonyme Schrift, welche dieselbe im allgemeinen ungünstig be¬ 
urteilte, und offenbar gegen einen Aufsatz von Johann Ludwig Caspar 
im Januarhefte des Hufelandschen Journals der praktischen Heilkunde, 
S. 182, betitelt: „Geschichtlicher Überblick der Preußischen Medi- 
zinalverfassung“, gelichtet war. In diesem Aufsatze war das Preußische 


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Ö18 M. Pistor, 

Medizinalwesen, wie es aus offiziöser Feder kaum anders sein konnte, sehr 
günstig beleuchtet. 

Der Minister ließ durch Casper darauf in einem Aufsatze: „Gegen 
eines Ungenannten Schrift über die Preußische Medizinalver¬ 
fassung“ antworten. 

Darauf erhielt der Minister in dem vierten Jahrzehnt unmittelbar oder 
in Denkschriften eine große Anzahl von Vorschlägen zu einer neuen Medi¬ 
zinalordnung. Der Minister v. Eichhorn ließ nun durch den Geheimen 
Obermedizinalrat Dr. Trüstedt im Jahre 1842 aus dem gesamten Material 
eine Denkschrift ausarbeiten und übertrug die Bearbeitung einer Medizin&l- 
ordnunp auf Grund der Denkschrift und der von den Provinzialbehörden 
eingegangenen Berichte am 9. März 1843 dem Regierungsrat Heegewaldt 
und statt dessen am 31. Dezember desselben Jahres dem als Hilfsarbeiter 
einberufenen Sanitätsrat Dr. Schmidt, welcher schon am 24. Januar 1844 eine 
Darlegung der Prinzipien vorlegte, nach denen das neue Medizinal¬ 
edikt zu bearbeiten sein dürfte. Daran schlossen sich Denkschriften. Mit 
Genehmigung des Ministers v. Eichhorn veröffentlichte Schmidt, der in¬ 
zwischen Vortragender Rat und Geheimer Medizinalrat im Ministerium ge¬ 
worden war, seine Ansichten durch den Druck unter dem Titel: „Die Reform 
der Medizinalverfassung Preußens“ bei Enslin 1846. Der Minister empfahl 
die Schrift zur Beurteilung der persönlichen Ansichten des um die Medizinal¬ 
reform hochverdienten Verfassers und gestattete zu dem Zwecke die Ver¬ 
öffentlichung durch Erlaß vom 24. Juli 1846. Dieser Aufforderung wurde 
außer von den beauftragten Behörden vielseitig von ärztlichen Vereinen und 
einzelnen Ärzten entsprochen und dabei mehrfach der Wunsch laut, der 
Minister möge einen ärztlichen Kongreß zur Beratung der Medizinalreform 
einberufen. 

Der Minister war den Ansichten der Ärzte geneigt, beschloß der Sache 
näher zu treten, erhielt auf seinen Vortrag die Königliche Genehmigung zur 
Einberufung eines Kongresses behufs Vorberatung des Entwurfes für eine 
neue Medizinalordnung. Unter den Anträgen und Vorstellungen über die 
Reform des Medizinalwesens sind hervorzuheben eine 1842 von dem ärzt¬ 
lichen Verein in Cöln herausgegebene Schrift über „Die Medizinalverfassung 
Preußens“, eine Denkschrift des Professors der Anatomie Dr. Froriep, 
sowie eine Denkschrift des Medizinalrates Dr. Tourtual in Münster, und 
der Entwurf der Grundsätze einer neuen Medizinalordnung der General¬ 
versammlung der Berliner Ärzte und Wundärzte, Berlin 1849, A. Hirsch¬ 
wald, am 26. Februar 1849 durch Rudolf Virchow überreicht im Namen 
der Kommission, zu der unter anderen die noch lebenden Berliner Ärzte 
Fr. Körte und S. Neumann gehörten. Ferner verdient Erwähnung die 
Schrift von Dr. M. Kali sch: „Materialien zur neuen Medizinal Verfassung 
in Preußen“, Berlin 1849, A. Hirschwald, nach den Akten des Ministeriums 
mit kritischer Beleuchtung. 

Der mit der Bearbeitung der Medizinalreformfrage beauftragte Dr. Schmidt 
legte am 15. März 1849 den Entwurf zu einer Medizinalordnung für den 
Kongreß vor, welcher vom 1. bis 22. Juni 1849 über die Vorlage 
beriet. Die Versammlung bestand aus je einem Medizinalbeamten und 
einem Arzt aus jeder Provinz. Die Verhandlungen über die Reorganisation 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 519 

des Medisinalwesens erschienen in amtlicher Ausgabe noch 1849 bei 
A. Hirsch wald. 

Nach Sichtung und Ordnung der Verhandlungen legte Dr. Schmidt am 
8. Juli 1850 einen neuen Entwurf vor, welcher bei dem mehrfachen Minister¬ 
wechsel in jener politisch unruhigen Zeit zwar noch weitere begründete Um¬ 
arbeitungen erfuhr, aber im April 1852 in den Akten verschwand. 

Im Jahre 1867 überreichte Dr. Otto Schraube in Querfurt noch eine 
Denkschrift unter dem Titel: „Studien zur Medizinalreform“. 

Seit dem Jahre 1868 waren dem Minister der Medizinalangelegenheiten 
wiederholt Vorschläge zur Reform des Medizinalwesens gemacht worden, 
nachdem in der 38. Sitzung des Hauses der Abgeordneten am 27. Januar 
1868 die Frage von Virchow besprochen und darauf eine Resolution an 
die Regierung angenommen war, der zufolge die Staatsregierung ersucht 
wurde, der Sache näher zu treten. 

Am 17. Februar 1870 erhielt die wissenschaftliche Deputation für das 
Medizinalwesen den Auftrag, über die Reorganisation der Medizinalverwaltung 
sich gutachtlich zu äußern. Dieses Gutachten wurde dadurch verzögert, 
daß immer neue Vorschläge, unter anderem auch im Dezember 1872 der in 
der D. V. f. ö. G., Bd. 38, S. 479, abgedruckte Vorschlag des Verfassers, 
bei dem Minister eingingen, welche neue Ermittelungen erforderten. Das 
Gutachten der Deputation aus Virchows Feder konnte erst im Oktober 
1876 vorgetragen werden, und wurde in dritter Lesung am 27. Juni 1877 
von der Deputation angenommen. Die Beratungen über dieses Gutachten 
und den dazu vorgelegten Gesetzentwurf schleppten sich durch Jahre hin. 

Inzwischen hatte Professor Dr. Hermann Eberhard Richter in 
Dresden im Juni 1872 die deutschen Ärztevereine zur Gründung eines 
deutschen Ärztevereinsbundes aufgerufen. Bei Gelegenheit der Naturforscher¬ 
versammlung in Leipzig berieten Delegierte der Ärztevereine Statuten, und 
am 17. September 1873 trat der deutsche Ärztevereinsbund in Wiesbaden ins 
Leben. (Näheres bringt Dr. Eduard Graf: Das ärztliche Vereinswesen in 
Deutschland und der deutsche Ärztevereinsbund. Festschrift zum inter¬ 
nationalen medizinischen Kongreß in Berlin, Leipzig, F. C. W. Vogel, 1890.) 

Der deutsche Ärztevereinsbund richtete am 25. März 1876 an den 
preußischen Minister der Medizinalangelegenheiten die Bitte, eine ärztliche 
Standesvertretung, welche in mehreren deutschen Bundesstaaten bereits be¬ 
stehe, auch für Preußen ins Leben zu rufen. Die Medizinalbeamten legten 
gemeinsame oder von einem Beamten gezeichnete Vorstellungen um eine 
Medizinalreform wie in den fünfziger Jahren wieder vergeblich vor. 

Am 10. Mai 1882 nahm die zur Beratung der Gewerbeordnung nieder- 
gesetzte Reichstagskommission den Antrag betreffend einen Gesetzentwurf 
zor Herstellung einer deutschen Ärzteordnung an. 1884 fanden erneute 
Beratungen über den inzwischem veränderten Gesetzentwurf der wissen¬ 
schaftlichen Deputation zur Organisation der Medizinalverwaltung aus dem 
Jahre 1876 statt, deren Ergebnis den Regierungspräsidenten zur vertrau¬ 
lichen Äußerung zuging, aber wieder im Sande verlief. 

Am 9. Februar 1884 regte Dr. Eduard Graf im Preußischen Hause 
der Abgeordneten in wohlbegründeter Rede die Frage der ärztlichen Standes- 
vertretung für das deutsche Reich und der Organisation des ärztlichen 


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M. Pistor, 


Standes in Preußen als Grundlage der ärztlichen Medizinalreform an. Der 
Abgeordnete Dr. Virchow stimmte dem zu, wenn auch unter Abweichung 
in manchen Punkten. 

Am 28. November 1884 wandte sich der Minister von Gossler 
mit Reformvorschlägen an die damaligen Minister der Finanzen und 
des Innern von Scholz und von Puttkamer, erhielt aber am 10. März 
1885 vom Finanzminister eine ablehnende Antwort mit der Begründung, 
daß die vorgeBchlagene Reform der gesetzlichen Regelung nicht bedürfe, 
daß die Mängel der bestehenden Organisation durch Königliche Verordnung 
oder durch Verwaltungsverfügungen beseitigt werden könnten. Im übrigen 
gestatte die gegenwärtige Finanzlage nicht, auf die Anträge wegen Gehalts¬ 
erhöhung und Pensionsberechtigung der Kreismedizinalbeamten und weiterer 
Ausgaben für die öffentliche Gesundheitspflege einzugehen. 

Der Minister des Innern hatte sich bereits am 11. Januar 1885 gegen 
den Reformplan ausgesprochen, weil es ihm zweifelhaft erscheine, ob die 
Mängel, welche auf dem Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege bisher 
beobachtet worden seien, in der Tat so zahlreich und erheblich Beien, daß 
es zur Beseitigung derselben einer anderweitigen gesetzlichen Organisation 
der Verwaltung im Sinne des Entwurfes bedürfe, durch welche im Laufe der 
Dinge eine größere Belastung der Gemeinden voraussichtlich herantreten 
würde. 

Es blieb daher beim Alten. 

Auf eine erneute Anregung des Abgeordneten Dr. Graf im Landtage 
am 2. März 1885 antwortete der Medizinalminister zögernder, zurück¬ 
haltender als im Vorjahre entsprechend den mit seinen Ministerkolleger. 
gemachten für die Reform unerfreulichen Erfahrungen. 

In der Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses vom 8. März 1886 
lenkte der Abgeordnete von Schwarzkopf die Aufmerksamkeit des 
Hauses wieder auf die noch immer ausstehende Medizinalreform unter Hin¬ 
weis auf eine Äußerung des Professors Rudolf von Gneist in der Kom¬ 
missionssitzung vom 18. April 1876: 

„daß Preußen, wo lange Zeit die vortrefflichste Medizinal Verfassung 
der Welt gewesen sei, er erinnere nur an die beiden berühmten Medizinal¬ 
edikte vom 12. November 1685 und vom 27. September 1725, in dieser 
Hinsicht in die Lage derjenigen Länder eingetreten sei, wo es damit 
am schlechtesten bestellt gewesen.“ 

Der Redner begründete dann seine Forderungen für die Reform und 
machte Vorschläge für die Ausführung derselben, welche vielfach mit den 
vom Verfasser 1872 angegebenen übereinstimmten. In derselben Sitzung 
sprach sich auch Virchow wärmer als früher für die Reform des Medizinal¬ 
wesens aus. 

Der Minister der Medizinalangelegenheiten erwiderte in zurückhaltender 
Weise über die Gründe der Verzögerung, da es sich um Interna handle, er¬ 
klärte aber gleichzeitig seine Bereitwilligkeit, die Medizinalverwaltung 
an ein anderes Ressort abzugeben, wenn dadurch die Reform gefördert 
werden könne. Wo der Widerstand gegen die Medizinalreform bestand, 
war bekannt. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


521 


Die Medizinalreform wurde von Zeit zu Zeit wieder angeregt UDd in der 
Medizinalabteilung wieder und wieder ohne Erfolg in Angriff genommen. 

Nachdem Dr. Bosse, welcher als Justiziarius der Medizinalabteilung 
im Jahre 1878 den Entwurf einer Organisation der Medizinal Verwaltung 
ausgearbeitet hatte, 1892 an die Spitze des Ministeriums getreten war, fanden 
neue Beratungen über die Reform statt, scheiterten aber wie früher besonders 
an dem Widerstand des Finanzministers. 

Im Mai 1896 wurde dann eine Kommission außerhalb der Medizinal¬ 
abteilung zur Beratung eines Gesetzentwurfes über die Medizinalreform 
eingesetzt, welche in mehreren Sitzungen desselben Jahres Grundzüge 
über die Umgestaltung der Medizinalbehörden beriet und feststellte. Nach 
weiteren Vorarbeiten wurden diese Grundzüge einer größeren Konferenz zur 
Beratung vorgelegt, an welcher Mitglieder der beiden Häuser des Landtages, 
hervorragende Mediziner mitwirkten. Diese freie Kommission, welche 
aus 29 Mitgliedern bestand, trat vom 3. bis 5. Mai 1897 im Kultusministe¬ 
rium zusammen und beriet die vorgelegten Grundzüge zu einem Gesetz 
betreffend die Dienststellung des Kreisarztes und die Bildung von Gesund¬ 
heitskommissionen an der Hand einer Denkschrift über die geschichtliche 
Entwickelung der Medizinalverwaltung und über die Gründe, welche gegen 
eine Reform in allen Instanzen derselben und für die Beschränkung der ge¬ 
setzlichen Regelung in der örtlichen Instanz sprachen. 

Der nach diesen Beratungen ausgearbeitete Gesetzentwurf gelangte 
im März 1898 zur Verhandlung in einer Kommission von Vertretern 
der beteiligten Ministerien, wurde von der Staatsregierung dem Landtag in 
der Tagung 1898/1899 vorgelegt, und nach Annahme vom Könige am 
16. September 1899 vollzogen. (G.-S., S. 172.) 

Durch dieses Gesetz hat der ehemalige Kreisphysikus, jetzige Kreisarzt, 
eine wesentlich verbesserte Stellung nach der Art seiner dienstlichen Tätigkeit 
erhalten und erfreut sich der lange ersehnten Gehaltserhöhung und Pensions¬ 
fähigkeit. Das Gehalt ist, wenn er vollbesoldet und damit von der Privat¬ 
praxis und dem Bezug von Gebühren ausgeschlossen ist, ein festes und 
höheres als das Gehalt des nicht vollbesoldeten Medizinalbeamten. Die 
Zahl der vollbesoldeten Kreisärzte wird nach Bedürfnis vermehrt. Die amt¬ 
liche Tätigkeit derselben hat sich erheblich vergrößert. Die Stellen der 
Kreiswundärzte, deren Zahl allmählich Bchon seit Jahrzehnten vermindert 
war, wurden eingezogen; in sehr geschäftsreichen Kreisen können aber dem 
Kreisarzt ein oder mehrere Assistenzärzte widerruflich beigegeben werden, 
welche die kreisärztliche Prüfung bestanden haben müssen. 

Die Befugnisse des Kreisarztes haben im § 8 des Gesetzes insofern eine 
Erweiterung erfahren, als er in Fällen, wenn Gefahr im Verzüge ist, selbst¬ 
ständig Anordnungen treffen kann, wenn eine Verständigung mit der Orts¬ 
polizeibehörde vorher nicht möglich ist, muß dieselbe ohne Säumen über 
die getroffenen Anordnungen verständigt werden. 

Im allgemeinen ist der Kreisarzt der Gerichtsarzt seines Kreises; wo 
die Verhältnisse es erfordern, können besondere Gerichtsärzte angestellt werden. 

Im übrigen wird auf das Gesetz selbst verwiesen, welches wegen der 
nicht unerheblichen Vorarbeiten für die Ausfübrungsbestimmungen erst am 


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M. Pistor, 


1. April 1901 in Kraft treten konnte. Die Einteilung der Kreisarztbezirk« 
erfolgte nach Benehmen mit den Provinzialbehörden; dabei wurden mehrfach 
auf Grund des § 4 des Gesetzes kleine Kreise zu einem Kreisarztbezirke ver¬ 
einigt, einzelne Kreise wegen des erheblichen Umfanges der Dienstgeschifte 
geteilt Näheres ergibt der folgende: 

Auszug aus der Denkschrift über die Ausführung des Kreis- 
arztgesetzes vom 16. September 1899 für den preußischen 

Landtag. 

Unter den Gründen, welche für die Reform der Organisation der Medi¬ 
zinalbehörden bestimmend waren, stand an erster Stelle die in weiten Kreisen 
der Bevölkerung empfundene Erkenntnis, daß das Physikat in seiner bis¬ 
herigen Verfassung und zum Teil auch in seiner Personalbesetzung den 
zeitigen Anforderungen der öffentlichen Gesundheitspflege nicht mehr ge¬ 
nügen könne. Dies trat besonders bei der Bekämpfung der ansteckenden 
Krankheiten hervor, als die Bekämpfung der Choleraepidemie von 1892 
und die Abwehr der drohenden Pestgefahr brennend wurde. Aber auch auf 
den übrigen Gebieten der öffentlichen Gesundheitspflege war es unter der 
bisherigen Organisation der kreisärztlichen Tätigkeit schwierig, seitens der 
Beamten wirksam einzutreten, weil die Gesundheitswissenschaften durch 
ihren gewaltigen Aufschwung in letzter Zeit tief in das praktische Leben 
eingegriffen hatten. Die Chemie und Bakteriologie hatten in den letzten 
Jahrzehnten große wissenschaftliche und praktische Triumphe gefeiert und 
waren auch der praktischen Gesundheitspflege dienstbar geworden. Infolge¬ 
dessen traten auf allen Gebieten der öffentlichen Gesundheitspflege, als 
da sind Wasserversorgung, ordnungsmäßige Beseitigung der Abfallatoffe. 
Bau-, Wohnungs- und Schulhygiene, Bodenbeschaffenheit, Heizung, Lüftung, 
Überwachung des Verkehrs mit Nahrungsmitteln, an die Medizinalverwaltung 
Anforderungen heran, welchen die bisherigen Medizinalbeamten infolge ihrer 
nicht ausreichenden Vorbildung zum Teil nicht mehr zu genügen vermochten. 
Nur wo Sachkenntnis neben umfangreicher Erfahrung vorhanden ist, wird 
die erforderliche Urteilsfähigkeit vorausgesetzt werden können und einem 
solchen Beamten allein kann die Befugnis, selbständige Anordnungen zu 
treffen, z. B. bei gemeingefährlichen Krankheiten, übertragen werden. 

Es mußte daher erstens der Erlaß einer neuen Prüfungsordnung für 
diejenigen Ärzte, welche Gesundheitsbeamte werden wollten, zweitens die 
Ausarbeitung einer Dienstanweisung für die Kreisärzte (Physiker), drittens die 
Aufstellung von Grundsätzen für die Besoldung und den Gebührenbezug der 
Kreismedizinalbeamten für die Pensionsfestsetzung usw., viertens ein Or¬ 
ganisationsplan für die künftigen Kreisarztstellen nach Regierungsbezirken 
aufgestellt, die Bearbeitung der Personalverhältnisse der im Dienste befind¬ 
lichen Kreisphysiker, die Auswahl der als Kreisärzte weiter verwendbaren 
und der zur Verfügung zu stellenden Medizinalbeamten, die Festsetzung der 
Wartegelder für letztere u. dgl. stattfinden und sechstens eine Geschäfts- 
anweisung für die Gesundheitskommissionen gegeben werden. 

Wenn auch die Medizinal Verwaltung bisher schon durch Fortbildungs¬ 
kurse das Wissen ihrer Medizinalbeamten zu vervollkommnen bestrebt ge* 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


523 


wesen war und ihre wissenschaftlichen Unterweisungen der Kreisärzte fort¬ 
setzen wollte, so war es doch dringend notwendig, strengere Vorschriften 
für die Prüfung der nunmehr in die gesundheitsamtliche Laufbahn ein¬ 
tretenden Ärzte zu erlassen. Die bisher geltende Prüfungsordnung vom 
24. Januar 1896 und deren Erweiterung mußte dem Stande der Wissen¬ 
schaften und den Anforderungen des praktischen Lebens im Interesse der 
staatlichen Gesundheitspflege geändert und vervollkommnet werden. Die 
öffentliche Gesundheitspflege war nach den früheren Prüfungsordnungen bei 
der Prüfung bis dahin wohl insoweit berücksichtigt worden, als die münd¬ 
liche Prüfung sich auf die Gesundheitswissenschaften zu erstrecken hatte 
und als eine der schriftlichen wissenschaftlichen Ausarbeitungen aus dem 
Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege oder aus dem der Psychiatrie ge¬ 
nommen wurde. Die neue Prüfungsordnung vom 30. März 1901 aber ordnet 
an, daß bei den schriftlichen Ausarbeitungen stets ein Gegenstand der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege behandelt werden muß. Für die praktische münd¬ 
liche Prüfung ist ferner von dem Prüfling nach näherer Bestimmung des 
§ 16 der Prüfungsordnung eine hygienische Aufgabe praktisch zu lösen und 
ein gründliches Wissen in der Gesundheitswissenschaft einschließlich der 
Bakteriologie nachzuweisen. Diesen Forderungen entsprechend ist auch eine 
umfangreiche Vorbildung in den kreisärztlichen Sonderwissenschaften ge¬ 
fordert. Vergleicht man die heutigen Prüfungsvorschriften mit den früheren, 
so tritt klar hervor, daß die Gesundheitswissenschaft und -Pflege jetzt der 
Zeit und den Verhältnissen entsprechend in den Vordergrund gerückt, und 
daß die gerichtliche Medizin, welche früher vorherrschte, auf das rechte Maß 
beschränkt ist. 


Dienstanweisung. 

Seit der Amtsinstruktion vom 17. Oktober 1776, welche das Ober-Colle¬ 
gium medicum für die Landkreis- und die Stadtphysiker in den königlich 
preußischen Landen erlassen hatte, war eine Dienstanweisung nicht mehr 
ergangen, obwohl die den Kreisärzten seither zugewiesenen erweiterten Auf¬ 
gaben, welche zu vielfachen Berührungen der kreisärztlichen Tätigkeit mit den 
anderen staatlichen Behörden, den Organen der Selbstverwaltung, den Ge¬ 
meinden und Privaten führten, eine eingehende Regelung der Pflichten und 
Rechte des kreisärztlichen Amtes unbedingt notwendig machten. Derartige 
Anordnungen bestanden bereits in den größeren deutschen Bundesstaaten 
und wurden auf Grund von schriftlichen Mitteilungen und Prüfungen an 
Ort und Stelle für die Bearbeitung einer Dienstanweisung für die preußischen 
Kreisärzte benutzt, welche am 23. März 1901 von dem Minister der Medizinal¬ 
angelegenheiten im Einverständnisse mit den beteiligten Ministern bekannt 
gegeben wurde. 

Die Dienstanweisung legt im einzelnen die Aufgaben des Kreisarztes 
fest, für welche das Gesetz im § 6 nur die Grundzüge gibt. Die gutacht¬ 
liche Tätigkeit, für welche der Kreisarzt auf Erfordern der Behörden in 
Sachen des Gesundheitswesens verpflichtet ist, wird gegenüber dem Landrat, 
den Ortspolizeibehörden, in Stadtkreisen, dem Kreis-, (Stadt-) und Bezirks¬ 
ausschuß, den Organen der Selbstverwaltung (Kreisausschuß, Kreistag), den 
Gesundheitskommissionen, den anderen technischen Beamten des Kreises, den 


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M. Pistor, 


Gesundheitsbehörden, dem Reichsversicherungsamte und den Schiedsgerichten 
für Arbeiterversicherung, den Bergbehörden und Privatpersonen durch die 
§§ 12—22 der Dienstanweisung des Näheren geregelt. 

Die Behörden sind durch die Dienstanweisung gehalten, vor Erlaß von 
Baupolizeiverordnungen und Ortsbebauungsplänen, bei der Konzessionierung 
von gewerblichen Anlagen, bei Prüfung von Schulbauvorlagen, bei Schließung 
und Wiedereröffnung von Schulen, bei der Vorlage von Bauplänen für Neu-und 
Umbauten von Kranken- usw. Anstalten, bei der Konzessionierung von 
Privatkranken-, Privatentbindunga- und Privatirrenanstalten, bei der Für¬ 
sorge für Geisteskranke, Epileptische und Idioten, bei Leichentransporten, 
bei der Ausgrabung von Leichen, der Anlegung und Erweiterung von Be¬ 
gräbnisplätzen. die Kreisärzte und deren Vertreter anzuhören. 

Der Kreisarzt ist verpflichtet, die gesundheitlichen Verhältnisse seines 
Amtsbezirkes zu beobachten und auf die Bevölkerung aufklärend nnd be¬ 
lehrend einzuwirken. Dazu ist ihm durch die Zuweisung eine» - erheblichen 
selbständigen Tätigkeit, durch eine größere Bewegungsfreiheit, durch Kom- 
petenzerweiterung und durch die Anordnung regelmäßiger Besichtigungs¬ 
reisen innerhalb eines bestimmten Turnus in der Dienstanweisung reichliche 
Gelegenheit gegeben. Dabei überläßt ihm der § 40 der Dienstanweisung, 
bei Unregelmäßigkeiten von geringerer Bedeutung durch geeignete Vor¬ 
stellungen und Ratschläge Abhilfe zu bewirken und die Durchführung der 
Gesundheitsgesetzgebung und der hierauf bezüglichen Anordnungen zu über¬ 
wachen. 

Ein besonderes Besichtigungsrecht ist dem Kreisärzte nach § 39 der 
Dienstanweisung nur für die seiner Aufsicht unterstellten Institute und solche 
anderweiten Einrichtungen, welche im Interesse des Gesundheitswesens ge¬ 
schaffen sind, eingeräumt. Dem Medizinalbeamten steht die Initiative da¬ 
durch zu, daß er Vorschläge zur Abstellung von Mängeln zu machen und 
für die öffentliche Gesundheit geeignete Maßnahmen anregen kann. In 
dieser Richtung ist ihm außerdem ein weiteres Eingreifen über die über¬ 
wachende Tätigkeit hinaus bei der Erfüllung seiner Aufgabe ermöglicht, 
gemeinnützige Bestrebungen auf dem Gebiete der Wohnungs- und Schul¬ 
hygiene zu fördern, auf planmäßige Beseitigung von Abfallstoffen in größeren 
Gemeinden binzuwirken, Untersuchungen von Nahrungs- und Genußmittelu 
anzuregen, die statutarische Regelung des Hebammenwesens durch die 
Kreise herbeizuführen, den Bau von Bade- und Schwimmanstalten zu fördern. 

Vor allen Dingen ist ein initiatives selbständiges Handeln des Kreisarztes 
auf dem Gebiete der Seuchenverhütung und der Seuchenbekämpfung durch 
die vorgeschriebene direkte Anzeige von dem Ausbruche einer weitere Volks¬ 
kreise gefährdenden Krankheit und die ihm übertragene Befugnis gewähr 
leistet, unverzügliche Ermittelungen an Ort und Stelle vorzunehmen und die 
zur Verhütung, Feststellung, Abwehr und Unterdrückung erforderlichen vor¬ 
läufigen Anordnungen zu treffen. 

Um den Kreisärzten alle amtlichen Erlasse, welche auf die Medizinal¬ 
verwaltung Bezug haben, zugänglich zu machen, die Nachrichten über das 
Auftreten von gemeingefährlichen und anderweitig übertragbaren Krankheiten 
und deren Verlauf rechtzeitig, ebenso Personalnachrichten zur Kenntnis der 
Ortsmedizinalbehörden zu bringen und eine fortlaufende Sammlung dieser 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


525 


Dinge herbeizuführen, wurde im Jahre 1901 das Ministerialblatt für Medi¬ 
zinal- und Medizinische Unterrichtsangelegenheiten ins Leben gerufen. 

BeBoldungs- und Pensionsverhältnisse usw. 

Das Kreisarztgesetz unterscheidet folgende Klassen von Kreismedizinal¬ 
beamten : 

1. Vollbesoldete Kreisärzte, 

2. Nicht vollbesoldete Kreisärzte, 

3. Kreisassistenzärzte, 

4. Die mit kreisärztlichen Obliegenheiten betrauten Stadtärzte. 

Sämtliche Kreisärzte mit voller Besoldung anzustellen, war aus sach¬ 
lichen und finanziellen Gründen nicht möglich, es mußte vielmehr der weit¬ 
aus größte Teil der Kreisärzte mit nur teilweiser fester und pensionsfähiger 
Besoldung angestellt werden. Die Maikonferenz zur Vorberatung des Kreis¬ 
arztgesetzes hatte von einer Anstellung vollbesoldeter Kreisärzte ganz ab¬ 
gesehen. Dessen ungeachtet hatte die Staatsregierung von vornherein be¬ 
reits beabsichtigt, auch vollbesoldete Kreisärzte in Bezirken anzustellen, 
deren besondere Verhältnisse dies erfordern sollten und ist dies im Gesetz 
zum Ausdruck gekommen. 

Die vollbesoldeten Kreisärzte dürfen außer konsultativer keine ärztliche 
Praxis treiben und auch keine Gebühren für Dienstgeschäfte beziehen. Es 
wurden zunächst 15 vollbesoldete Kreisärzte angestellt in Gumbinnen, Thorn, 
Frankfurt a. d. Oder Stadt mit Lebus, Waldenburg, Oppeln Stadt und Land, 
Kattowitz Stadt und Land, Barburg Stadt und Land mit Winsen, Reckling¬ 
hausen Stadt und Land, Bochum Stadt und Land mit Witten, Gelsenkirchen 
Stadt und Land, Duisburg Stadt mit Ruhrort, Mühlheim a. d. Ruhr mit 
Stadtkreis Oberhausen, Essen Stadt und Land, Solingen Stadt und Land. 
M.-Gladbach Stadt und Land. 

Die Zahl dieser vollbesoldeten Kreisärzte ist bis heute auf die Zahl 43 
gestiegen, außerdem sind sieben vollbesoldete Kreisärzte als ständige Hilfs¬ 
arbeiter bei den Regierungen in Königsberg, Gumbinnen, Potsdam, Oppeln. 
Arnsberg, Düsseldorf, Breslau und drei vollbesoldete Kreisärzte als Vorsteher 
von Untersuchungsämtern angestellt. 

Der vollbesoldete Kreisarzt erhält ein Durchschnittsgehalt von 4700 
beginnt mit 3600 jft und steigt bis auf 5700 jft nach Dienstaltersstufen in 
Zeiträumen von je drei Jahren. Die Gehaltsstufen regeln sich nach dem 
Dienstalter des Kreisarztes, das Dienstalter wird von dem Tage der etats¬ 
mäßigen Anstellung als Kreisarzt ab gerechnet. Als dieser Tag gilt derjenige, 
von welchem ab dem Kreisärzte die etatsmäßigen Kompetenzen zugewiesen 
sind. Über die Einzelheiten der Dienstbezüge muß hier hinweggegangen 
werden. Außer diesem festen Diensteinkommen, bestehend im Gehalt und 
dem tarifmäßigen Wohnungsgeldzuschusse, erhält er keine Gebühren; soweit 
solche zu entrichten sind, fließen dieselben in die Staatskasse. Außerdem 
erhält er weiter eine nicht pensionsmäßige Entschädigung für Amtsunkosten, 
aus welcher die Kosten der Bureaubedürfnisse usw. zu decken sind, 3. bei 
Dienstreisen Tagegelder und Reisekosten nach Maßgabe der gesetzlichen 
Bestimmungen. Für die Deckung der Amtsunkosten erhält der vollbesoldete 


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M. Pistor, 


Kreisarzt eine jährliche Entschädigung von 750 oft, bis höchstens 1000 %/i, 
je nacli dem Umfang der Dienstgeschäfte und des Dienstaufwandes. 

Nicht voll besoldete Kreisärzte. 

Dem nicht vollbesoldeten Kreisärzte ist die Ausübung der ärztlichen 
Privatpraxis gestattet , soweit darunter die amtliche Tätigkeit nicht leidet. 
Der Regierungspräsident ist befugt, aus dienstlichen Gründen Einschränkung 
der ärztlichen Privatpraxis zu fordern. Die pensionsfähige Besoldung 
des nicht vollbesoldeten Kreisarztes setzt sich aus dem Gehalt und den 
amtsärztlichen Gebühren zusammen. Das Gehalt ist durchschnittlich 
auf 2700 oft bemessen, beginnt mit 1800 Jft und erreicht die Höhe mit 
3600 J( , in Steigerungen von je 300 Jt-, je nach dem Freiwerden einer höher 
besoldeten Stelle. Die Staatsregierung kann persönliche pensionsfähige Zu¬ 
lagen von 600 bis 1 200 > ft gewähren. Außer der pensionsfähigen Besol¬ 
dung erhält der nicht vollbesoldete Kreisarzt Gebühren, 3. eine nicht pen¬ 
sionsfähige Entschädigung für Amtsunkosten, Reisekosten und Tagegelder 
nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen. Zur Deckung der Amte¬ 
unkosten ist ein Betrag von durchschnittlich 250 *M, höchstens 750 < # bereit¬ 
gestellt. Diese geringe Bemessung gegenüber dem für den vollbesoldeten 
Kreisarzt ausgeworfenen Betrag findet ihre Rechtfertigung in dem verschie¬ 
denen Umfang der Dienstgeschäfte und des Dienstaufwandes, sowie in dem 
Umstände, daß die nicht vollbesoldeten Kreisärzte meist schon entsprechende 
Einrichtungen, wie Sprechzimmer für die Ausübung ihrer Privatpraxis, bereit 
halten müssen. 

Zurzeit sind im ganzen 454 nicht vollbesoldete Kreisärzte angestellt. 

darunter zugleich sieben als Vorsteher von Medizinal-Untersuchungsämtem. 

Kreisassistenzärzte. 

Die Kreisassistenzärzte sind teils Untergebene der Kreisärzte, teils deren 
Hilfsbeamte mit selbständigem Wirkungskreise und werden in solchen Kreisen 
angestellt, deren Umfang und Geschäftstätigkeit so bedeutend ist, daß die 
Kraft eines Beamten sie nicht bewältigen kann. Die Stellung der Kreis¬ 
assistenzärzte hat nichts gemein mit derjenigen der ehemaligen Kreiswund- 
ärzte. Die Stellen der Kreisassistenzärzte sollen dazu dienen, einen Stamm 
tüchtiger Medizinalbeamten heranzubilden, die unter Leitung erfahrener 
Kreisärzte sich in der öffentlichen Tätigkeit praktisch durch Wissen und 
Können bewährt haben, es sind daher keine dauernden Lebensstellungen. 
Zur Anstellung ist das Bestehen der kreisärktlichen Praxis erforderlich. 
Damit aber diese Beamten sich in der Praxis betätigen könnten, mußten sie 
auch in der Privatpraxis weiter wirken. Die Kreisassistenzärzte erhalten 
gleichmäßig versuchsweise 1200 oft jährliche Entschädigung. Die Auswahl 
der Stellen für Kreisassistenzärzte erfolgt nach Anhören der Provinzial’ 
behörden. 

Für Dienstreisen in medizinal- und sanitätspolizeilichen Angelegenheiten 
stehen den Kreisassistenzärzten Tagegelder und Reisekosten gleich den Kreis - 
ärzten zu. 

Die Ausübung der Privatpraxis ist den Assistenzärzten gestattet, kann aber 

von dem Regierungspräsidenten im Interesse des Dienstes untersagt werden 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


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Die Beschäftigung der Kreisassistenzärzte soll so eingerichtet werden, daß 
sie dadurch in alle Zweige der kreisärztlichen Tätigkeit eingeführt werden. 
Mit den Obliegenheiten als zweite gerichtsärztliche Sachverständige sollen sie 
betraut werden und einen Iinpfbezirk erhalten, zur gesundheitspolizei¬ 
lichen Überwachung der Schiffe in Hafenstädten und zum Dienste als 
Quarantäne&rzte herangezogen, sowie auch sonst mit der praktischen Ausfüh¬ 
rung aller kreis&rztlichen Obliegenheiten bekannt gemacht werden. Nach 
dem Staatshaushalt 1908 sind 43 Kreisassistenzärzte angestellt. 

Stadtärzte mit kreisärztlichen Obliegenheiten. 

Für Stadtkreise können nach § 3 Abs. 5 des Kreisarztgesetzes die als 
Gemeindebeamte angestellten Stadtärzte geeigneten Falles mit Wahrnehmung 
des kreisärztlichen Dienstes widerruflich beauftragt werden, sei es im ganzen 
Umfange oder teilweise. Selbstredend haben sie die kreisärztlichen Pflichten 
nach den bestehenden Vorschriften zu versehen. Eine Remuneration er¬ 
halten sie nach den Verhältnissen im einzelnen Falle. Pensionsanspruch aus 
der Staatskasse steht ihnen nicht zu. Bei der Einführung dieser Organisa¬ 
tionsform war der Gedanke leitend, durch die Vereinigung der staatlichen 
und gemeindlichen Aufgaben auf gesundheitlichem Gebiete in der Hand 
eines Beamten wirksamere Erfolge auf dem Gebiete der städtischen Gesund¬ 
heitspflege zu erzielen. Die Übertragung der staatlichen gesundheitspolizei- 
licben Aufsicht auf den Stadtarzt sollte zugleich auf diejenigen städtischen 
Verwaltungen, welche für die Gesundheitspflege ein besonderes Interesse be¬ 
tätigen, einen Antrieb ausüben, einen Stadtarzt anzustellen. Staatlicherseits 
mußte dabei vorausgesetzt werden, daß erstens die in Betracht kommenden 
Stadtärzte die staatlichen Anstellungsbedingungen erfüllt haben und daß 
zweitens nach Lage aller in Betracht kommenden örtlichen und persönlichen 
Verhältnisse die nebenamtliche Besorgung der kreisärztlichen Geschäfte durch 
einen Gemeindebeamten voraussichtlich nicht zu einer Vernachlässigung der 
gesundheitspolizeilichen Aufgaben oder zu einer Beeinträchtigung der staat¬ 
lichen Gesundheitsinteressen führen werde. Infolgedessen wurden zunächst 
die Stadtärzte in Altona, Düsseldorf, Osnabrück und Dortmund als solche 
Beamte angestellt. Weitere Vereinbarungen fanden im Laufe der Jahre statt. 

Feststellung der Kreisarztbezirke. 

Die Amtsbezirke der Kreisärzte wurden nach Anhörung der Provinzial¬ 
behörden von dem Minister der Medizinalangelegenheiten, soweit nach den 
Verhältnissen möglich, nach den alten Kreisen abgegrenzt. In größerem 
Umfange mußten aber namentlich in der Provinz Hannover mehrere kleine 
Kreise zu einem KreiBarztbezirke zusammengezogen, dagegen große und ge¬ 
schäftsreiche Kreise geteilt werden, auch mußten hin und wieder einzelne 
Kreisteile von dem ursprünglichen Kreise abgeteilt und neuen Bezirken zu¬ 
gelegt werden, um allen Kreisärzten einen angemessenen und doch nicht zu 
umfangreichen Geschäftsbezirk zu sichern, zumal ja von einer solchen Tei¬ 
lung auch die Höhe der Gebühren und unter Umständen auch diejenige des 
Gehaltes abhängig war. Daß dabei hier und da eine Unzufriedenheit der 
Bevölkerung mit den neuen Verhältnissen sich kund gab, ist nicht zu ver- 



528 M. Pistor, 

schweigen, soweit es angängig war, wurde den Wünschen der Bevölkerung 
nnchgekommen. 

Wie schon bemerkt, sind die Kreisärzte fast in allen Kreisen zugleich 
Gerichtsärzte, indessen mußten für einzelne größere Kreisarztbezirke beson¬ 
dere Gerichtsärzte angestellt werden, und zwar in Berlin 4, in den Kreisen 
und Städten Nieder-Barnim, Breslau, Gleiwitz, Beuthen, Magdeburg, Hannover, 
Dortmund, Bochum, Frankfurt a. M., Elberfeld und Cöln je einer, außerdem 
waren noch zwei weitere Stellen in Altona und Düsseldorf zu errichten. Die 
Bestellung besonderer Gerichtsärzte ist im Interesse einer geordneten Rechts¬ 
pflege für Großstädte und industrielle Bezirke, in denen der Kreisarzt durch 
seine sonstigen gesundheitspolizeilichen Verpflichtungen stark beansprucht ist. 
dringend erforderlich. 

Auf die Regelung der Personenfrage, auf die zur Dispositionsstellung 
von alten Medizinalbeamten, die (so wichtigen) Bang- und Titelverhältuis«“ 
derselben wird hier nicht weiter eingegangen. 

Die Gesundheitskommissionen des K reisarztgesetzeB 
sind nicht dieselben Einrichtungen wie die SaDitätskommissionen des Regu¬ 
lativs vom 8. August 1885. Die ständigen örtlichen Gesundheitskommis¬ 
sionen mußten ganz audere Kompetenzen erhalten, als jene, weil die Bedürf¬ 
nisse der öffentlichen Gesundheitspflege gerade in der Lokalinstanz am 
unmittelbarsten und lebhaftesten bervortreten, und weil die Anforderungen 
des wirtschaftlichen Lebens eine besondere Berücksichtigung verlangen. Die 
neue Einrichtung soll daher vor allen Dingen dafür Gewähr geben, daß die 
Beseitigung gesundheitswidriger Zustände, Verbesserungen bestehender Ein¬ 
richtungen und Einführung zeitgemäßer Neuerungen unter Beachtung der 
sozialen wirtschaftlichen Verhältnisse vorgeschlagen werden, mit einem Worte, 
daß nicht theoretische Probleme verwirklicht, sondern praktisch durchführ¬ 
bare Maßnahmen getroffen werden. Die Tätigkeit der Gesundheitskommis¬ 
sionen ist von dem Minister der Medizinalangelegenheiten und dem Minister 
des Innern auf Grund des 5j 17 des Kreisarztgesetzes durch eine Geschäfts¬ 
anweisung vom 13. März 1901 geregelt (M.-Bl. M. A., S. 67). 

Diese Anweisung unterscheidet zwischen Kommissionen in Städten und 
Landgemeinden mit mehr als 5000 und solchen mit 5000 und weniger Ein¬ 
wohnern und läßt außerdem Unterkommissionen in größeren Städten zu. 

Im zweiten Abschnitte werden die Aufgaben der Gesundheitskommissioneo 
im allgemeinen besprochen. Es wird betont, daß die Gesundheitskommission 
als ein aus den Wahlen der Selbstverwaltungskörper hervorgegangenes Organ 
nicht auf gemeindliche Angelegenheiten beschränkt ist, sondern auch staat¬ 
liche Aufgaben zu erfüllen hat und als kollegiales Hilfsorgan für die Zwecke 
der staatlichen Gesundheitsverwaltung dienen soll. Ihr Wirkungskreis um¬ 
faßt neben der Seuchenbekämpfung die Überwachung der gesamten Geeund- 
heitsverhältnisse. Eine besondere Initiative gewährt ihnen das Recht. Vor¬ 
schläge auf dem Gebiete des Gesundheitswesens zu machen. Im dritten 
Abschnitt wird das Verhältnis der Gesundheitskommissionen zum Kreisärzte 
behandelt, welcher zu den Sitzungen derselben rechtzeitig zu benachrichtigen 
ist. An den regelmäßigen Ortsbesichtigungen des Kreisarztes haben die G<* 
sundheitskommissionen auf dessen Einladung teilzunehmen. 


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629 


Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 

Im vierten Abschnitte „Geschäftsordnung der Gesundheitskommission“ 
wird die Beschlußfassung über die Geschäftsordnungen in den Stadtgemeinden 
den städtischen Vertretern, in den Landgemeinden den Landräten zugewiesen. 
Außerdem werden darin weitere Vorschriften über die Zuziehung von Ver¬ 
tretern anderer Behörden und dgl. mehr getroffen, und namentlich bestimmt, 
daß die Kommission wenigstens alle drei Monate zu einer Sitzung zusammen¬ 
treten soll und daß sie berechtigt ist, erforderlichenfalls Sachverständige 
mit beratender Stimme zu den Verhandlungen einzuladen, sowie mit der 
Polizeibehörde oder dem Landrate, sowie mit dem Kreisarzt in unmittelbaren 
Geschäftsverkehr zu treten. Endlich wird noch besonders empfohlen, von 
djr Befugnis, auch in Gemeinden von 5000 und weniger Einwohnern die 
Bildung einer Gesundheitskommission anzuordnen, insbesondere davon in 
allen Kur-, Badeorten und Sommerfrischen Gebrauch zu machen, und nach 
Umständen die Bildung der Kommission anzuordnen, falls sie nicht frei¬ 
willig erfolgt. 

Wieviel umfangreicher die Tätigkeit in der Medizinalverwaltung in den 
letzten Jahrzehnten geworden ist, ergibt sich auch daraus, daß die Regierungs¬ 
und Medizinalräte in sechs Regierungsbezirken Hilfsarbeiter nach dem 1886 
für das Polizeipräsidium in Berlin geschaffenen Beispiel erhalten haben; an 
letzterem hat die Vermehrung der Arbeit die Bewilligung einer zweiten 
Regierungs- und Medizinalratstelle notwendig gemacht. 

Seit geraumer Zeit werden immer wieder Stimmen aus amtlichen und 
privaten Kreisen, wie von Mitgliedern des Landtages laut, welche eine Über¬ 
weisung der Medizinalverwaltung an das Ministerium des Innern betonen, 
dies mit der Überlastung des Kultusministers begründen und deshalb be¬ 
fürworten. . Eine an der Wende des Jahrhunderts ziemlich hochgehende 
Bewegung flaute 1903 ab, machte sich aber in der Tagung des Landtages 
1906/07 sogar auf konservativer und freikonservativer Seite wieder bemerkbar. 

Ärztliche Standesorganisation. 

Am 16. Mai 1886 empfahl der Reichskanzler Fürst Bismarck eine Vor¬ 
stellung des Abgeordneten Dr. Graf-Elberfeld um 

Gewährung einer ärztlichen Standesvertretung durch Königliche Ver¬ 
ordnung, durch welche den in Preußen angesessenen Ärzten das Reeht 
erteilt würde, durch eine geordnete Vertretung die Wünsche und Be¬ 
dürfnisse ihres Standes dem Staate gegenüber zum Ausdruck zu bringen, 
dem Kultusminister zur Berücksichtigung. 

Nach wiederholten Beratungen, schließlich unter Zuziehung von hervor¬ 
ragenden Vertretern des ärztlichen Standes, wurde der Entwurf der „Ein¬ 
richtung einer ärztlichen Standesvertretung“ vom König am 25. Mai 1887 
vollzogen und erschien als Königliche Verordnung (G.-S., S. 169). 

Die Ärzte erhielten damit das Recht, durch Wahl aus ihren Kreisen in 
jeder Provinz eine Ärztekammer zu bilden. Wahlberechtigt und wählbar 
ist jeder Arzt, welcher innerhalb des Wahlbezirkes seinen Wohnsitz hat, 
Angehöriger des Deutschen Reiches ist und sich im Besitze der bürgerlichen 
Ehrenrechte befindet. 

Der Geschäftskreis der Ärztekammern umfaßt die Erörterung aller 
Fragen und Angelegenheiten, welche den ärztlichen Beruf oder das Interesse 
Vierteljabrssctarift für Gesundheitspflege, 1908. oi 


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M. Pistor, 


530 

der öffentlichen Gesundheitspflege betreffen oder auf die Wahrnehmung und 
Vertretung der ärztlichen 8tandesinteressen gerichtet sind. Die Ärzte¬ 
kammern sind befugt, innerhalb ihres Geschäftskreises Vorstellungen und 
Anträge an die Staatsbehörden zu richten. Über Fragen der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege sollen die letzteren die Ärztekammern geeigneten- 
falls gutacbtlioh hören. 

Jede Ärztekammer hat für das Provinzial-Medizinalkollegium zwei, für 
die wissenschaftliche Deputation einen Vertreter und deren Stellvertreter zu 
wählen. Im übrigen wird auf die Verordnung selbst verwiesen, auch &b- 
gedruckt in: Pistor, Das Gesundheitswesen, Bd. 1, S. 229. 

Der Medizinalminister erließ dazu Ausführungsbestimmungen und Er¬ 
klärungen zur Auslegung einzelner Bestimmungen, von denen hier nur eine 
Allerhöchste Verordnung vom 25. Juli 1892 erwähnt sein mag, welche den 
Vertretern der Kammern in den Medizinalkollegien und der Wissenschaft¬ 
lichen Deputation statt der nach § 3 der Verordnung beratenden Stimme 
volles Stimmrecht verlieh. 

Durch Königliche Verordnung vom 6. Januar 1896 wurde die Bildung 
eines schon bestehenden Ausschusses der Ärztekammern legalisiert, welchem 
die Vermittelung zwischen den einzelnen Ärztekammern unter sich und 
zwischen diesen und dem Minister der Medizinalangelegenheiten zugewiesen 
wurde (G.-S., S. 1). 

Endlich änderte die Allerhöchste Verordnung vom 8. Juli 1907 (G.-S. 
S. 237) das sehr umständliche und für große Ärztekammern zeitraubende 
Wahlverfahren des 5} 8 der Verordnung vom 25. Mai 1887 dahin ah, 
daß die bis dahin in geheimer Abstimmung durch Stimmzettel in be¬ 
sonderen Wahlgängen vorgeschriebene Wahl der Vorstandsmitglieder durch 
Zuruf erfolgen dürfe, wenn von keiner Seite Widerspruch erhoben werde. 

Der Deutsche Ärztevereinsbund hatte schon in den siebziger Jahren den 
Erlaß einer ärztlichen Standesordnung angeregt, diesem Gedanken im 
Jahre 1882 gelegentlich der Beratung der Novelle zur Gewerbeordnung durch 
„Grundzüge zu einer deutschen Ärzteordnung“ in seinem Organ, dem ärzt¬ 
lichen Vereinsblatt, Form gegeben und eine darauf zielende Petition an den 
Reichstag gerichtet. Im Preußischen Hause der Abgeordneten hatte der 
Abgeordnete Dr. med. Thilenius einen Zusammenschluß der Ärzte im 
Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege angeregt und von dem Minister 
der Medizinalangelegenheiten von Gossler eine entgegenkommende Ant¬ 
wort erhalten. 

Auf die Petition des deutschen Ärztetages beschloß der Reichstag ent¬ 
sprechend dem Anträge seiner Kommission in der Sitzung vom 2. Juni 1883: 

den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, Fürsorge zu treffen, 
daß dem Reichstag ein Gesetzentwurf über Herstellung einer Ärzte¬ 
ordnung vorgelegt würde, in welohem Organen der Berufsgenossen 
eine ehrengerichtliche Strafgewalt über dieselben beigelegt wird. 

Der Bundesrat trat am 14. Juni diesem Beschluß bei. 

Im Laufe des neunten Jahrzehntes kam die Frage im Preußischen 
Hause der Abgeordneten wiederholt, meistens in Verbindung mit der 
Anregung zur Medizinalreform, zur Sprache, wurde aber später gesondert 
davon behandelt. Nachdem dem Medizinalminister darauf zielende An¬ 
regungen auch anderweit mehrfach zugegangen waren, erklärte er sich 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


531 


in dem Erlaß vom 13. Januar 1892 bereit, die durch den § 5 der Ver¬ 
ordnung vom 25. Mai 1887 Ober die Einrichtung einer ärztlichen Staats- 
vertretung dem Vorstände der Ärztekammern den Ärzten gegenüber erteilte 
Disziplinarbefugnis, welche sich auf dauernde oder zeitweise Entziehung des 
Wahlrechts und der Wählbarkeit beschränkt, zu erweitern. 

Der Ärztekamm eraus9chuß bejahte die Bedürfnisfrage einer Ärzteordnung 
und sprach sich für eine gesetzliche Regelung der Frage unter folgenden Be¬ 
dingungen aus, daß die bisherige Exemtion der beamteten Ärzte fortfalle, oder 
wenigstens der Kammervorstand die Befugnis erhalte, bei Beschwerden über die 
beamteten Ärzte die Einleitung der Untersuchung bei der Vorgesetzten Behörde 
zu beantragen, welche die Pflicht hätte, die Untersuchung zu führen und dem 
Kammervorstande von dem Ausfall derselben Kenntnis zu geben. 

Ferner sollte das Ehrengericht in beiden Instanzen, ohne die Heranziehung 
von Juristen ganz auszuschließen, im wesentlichen aus Ärzten bestehen. Der Vor¬ 
sitzende müsse mindestens in der ersten Instanz ein Arzt sein. 

Die Formen des Verfahrens sollten möglichst einfach sein, Geldstrafen wurden 
angenommen, die Veröffentlichung des Urteils sollte lediglich eine Verschärfung 
der Strafe sein. 

Das Besteuerungsrecht behufs Aufbringung der Kosten sei bei der derartigen 
Regelung der Sache den Ärztekammern zu erteilen. 

Nach jahrelangen Verhandlungen zwischen dem Medizinal- und dem 
Kriegsminister mit dem Ärztekammerausschuß insbesondere über die Exemtion 
der beamteten und der Militärärzte, sowie über die ehrengerichtliche Prüfung 
des beruflichen Verhaltens eines Arztes kam das Gesetz über die ärzt¬ 
lichen Ehrengerichte, das Umlagerecht und die Kassen der Ärzte - 
kammern zustande, nachdem der letzte Entwurf der Staatsregierung im 
Landtage noch nicht unwesentliche Änderungen erfahren hatte. 

Über alle übrigen Differenzpunkte zwischen der Verwaltung und dem 
Ärztekammerausschuß ließen sich ziemlich leicht Verständigungen herbei¬ 
führen. Aber die Exemtion der beamteten und Militärärzte von der Dis¬ 
ziplinargewalt der Ärztekammern stieß selbst bei den Vertretern der Ärzte¬ 
schaft und in derselben auf heftigen Widerspruch, der wiederholt zum 
Ausdruck kam. 

Die Regierung erklärte aber auch in dem letzten Schreiben an den 
Ärztekamraeraus8chuß vom 27. Dezember 1897, daß sie in dem Punkte der 
Exemtion der beamteten und Militärärzte nicht nachgeben könne. 

Dagegen kam der Medizinalminister den Bedenken der Ärzte gegen 
die ehrengerichtliche Prüfung der ärztlichen Berufstätigkeit und die Führung 
der Ärzte außerhalb des Berufes soweit entgegen, daß er erklärte: 

„Daß nicht die Rede davon sein könne, die politischen, religiösen oder 
wissenschaftlichen Ansichten und Handlungen eines Arztes zum Gegen¬ 
stände einer ehrengerichtlichen Untersuchung auf Grund des § 13 des 
Gesetzentwurfes zu machen. Da indessen nach § 3, Absatz 1 des Ent¬ 
wurfes das Ehrengericht über „Verstöße gegen die ärztliche Standesehre“ 
zu entscheiden habe, und hierbei unter Umständen auch das außerberufliche 
Verhalten eines Arztes in Frage kommen könne, sofern es denselben der 
Achtung und des Vertrauens unwürdig mache, welche der ärztliche Beruf 
erfordere, so ergeben sich schon hieraus Bedenken gegen eine Abänderung 
der in Frage stehenden Bestimmung. 

Übrigens enthalte die Bayerische und die Königlioh Sächsische ärztliche 
Standesordnung gleiche Bestimmungen ohne Einspruch seitens der Ärzte.* 

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M. Pistor, 


Der Ärztekammerausscbuß stimmte mit unwesentlichen Ablederungen 
dem Entwürfe zu, welcher mit Königlicher Ermächtigung vom 23. Jänner 
1899 dem Landtage zuging, am 4. Februar 1899 im Hause der Abgeordneten 
zur ersten Lesung kam und am 25. November 1899 vom Könige volllogen 
wurde. 

Gleichzeitig mit der Königlichen Ermächtigung zur Einbringung des 
Entwurfes war der § 4 der Verordnung vom 25. Mai 1887 sinngemäß 
und folgerichtig dahin abgeändert worden, daß von der aktiven nnd pawiven 
Wahlberechtigung: 

1. die Militär- und Marineärzte, 

2. „ „ „ „ des Beurlaubtenstandes 

für die Dauer ihrer Einziehung zur Dienstleistung ausgeschlosssen wurden. 

Die Ausschließung der bezeichneten Ärzteklassen von der Wahlbereehti- 
gung in beiden Beziehungen ist die notwendige gerechte Folge der Aus¬ 
schließung derselben von der Disziplinarbefugnis der Kammern. 

Einen Auszug aus dem Gesetz zu geben, erscheint nicht zweckdienlich; 
es muß vielmehr auf dasselbe im Original (G.-S., S. 565) und Abdrücke 
aus derselben in verschiedenen Büchern, besonders auf den Kommentar 
von dem Geheimen Regierungsrat Dr. Altmann, „Ärztliche Ehrengerichte 
und ärztliche Standesorganisation in Preußen“, Berlin 1900, Verlag von 
H. W. Müller, verwiesen werden, in welchem auch Näheres über die Ent¬ 
stehung des Gesetzes, die jetzige Fassung des § 3, Absatz 3 in der Ein¬ 
leitung und S. 36 ff. zu finden ist. 

Der Medizinalminister erließ am 21. Dezember 1899 Ausführnngs- 
bestimmungen zu dem Gesetz. 

Von großer Bedeutung war das Zustandekommen des Gesetzes für das 
Umlagerecht und die Kassen der Ärztekammern (dritter Abschnitt, §§ 49—55). 
Dadurch haben die Ärztekammern einen festen finanziellen Boden erhalten, 
sind berechtigt, steuerartige Beiträge zu erheben, Zuwendungen aller Art 
anzunehmen, Geldstrafen einzuziehen zur Bestreitung der Verwaltungskosten 
einschließlich der Tagegelder und Reisekosten für die Mitglieder der Ärzte¬ 
kammern u. dgl. m., insbesondere aber auch: 

der sonstigen von der Ärztekammer beschlossenen Aufwendungen 
für Angelegenheiten des ärztlichen Standes. 

Durch diesen letzten Satz des § 50 ist den Ärztekammern die Möglich¬ 
keit gewährt, bedürftigen Ärzten und ärztlichen Hinterbliebenen Unter¬ 
stützungen zu gewähren, die bei Erhebung nicht zu geringer Jahresbeitrag« 
immerhin nicht unbeträchtlich werden können, wie das Beispiel der Ärzte¬ 
kammer Brandenburg-Berlin bereits bewiesen hat. 

Diese Ärztekammer erhebt neben einer festen Grundgebühr von 10 
von allen wahlberechtigten Ärzten Beitragszuschläge von denjenigen Kollegen, 
welche ein Gesamteinkommen über 5000 ufC aus der Praxis, dem Vermögen 
und anderen Quellen haben. 

Gegen die Fassung des § 46 des Gesetzes über die Kosten des Ver¬ 
fahrens wurden Bedenken geltend gemacht. 

Die Erhebung der Beiträge, § 49, erregte bei Ärzten, die eine Praxi* 
überhaupt nicht oder nicht mehr ausübten, Widerspruch, der auch im LmJ- 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


533 


tage im Mai 1902 Ausdruck fand. Daraufhin erklärte der Medizinal- 
mmister sich zur Änderung der §§ 46 und 49 des Gesetzes bereit. 

Durch Erlaß vom 21. April 1902 (M.-BL M. A., S. 144) wurden zunächst 
die Oberpräsidenten veranlaßt, darauf hinzuwirken, daß solche Ärzte, welche 
die ärztliche Praxis nicht ausüben, dieselbe niedergelegt oder sich sonst dem 
ärztlichen Berufsleben entfremdet haben, in Anbetracht ihres geringen 
Interesses an den Einrichtungen der ärztlichen Standesvertretungen mit 
höchstens 50 Proz. der Beiträge der übrigen Ärzte herangezogen und ge- 
eignetenfalls ganz von Beiträgen befreit würden. 

Diese Anregung hatte nicht den gewünschten Erfolg. Der Minister 
fand sich deshalb bewogen, eine Änderung der §§ 46 und 49 des Gesetzes 
im Sinne der gutachtlichen Äußerungen der Ärztekammern und des Ärzte- 
kammerauschusses durch den Landtag herbeizuführen. Die Regierungs¬ 
vorlage erhielt mit geringen Änderungen die Zustimmung des Landtages 
und erschien als Gesetz zur Abänderung des Gesetzes betreffend die ärzt¬ 
lichen Ehrengerichte, das Umlagerecht und die Kassen der Ärztekammern 
vom 27. Juli 1904 in der G.-S., S. 182. 

Demzufolge können die bezeichneten Klassen der nicht praktizierenden Ärzte, 
sofern sie dem Vorstände der Ärztekammer eine entsprechende schriftliche Er¬ 
klärung abgeben, von der Beitragapflicht befreit werden. Während der Dauer der 
Befreiung ruht das Wahlrecht und die Wählbarkeit zur Ärztekammer. 

Hier dürfen die Hufelandschen Stiftungen zur Unterstützung not- 
leidender Ärzte und Arztwitwen als die ersten Einrichtungen solcher Art 
nicht unerwähnt bleiben. 

Hufelandsche Stiftungen. 

Am 5. Januar 1830 legte der Staatsrat Dr. Hufeland dem Minister 
der Medizinalangelegenheiten den Entwurf zu einem Hilfsverein für 
notleidende Ärzte mit dem Bemerken vor, daß die Anregung dazu bei 
allen Ärzten lebhafte Zustimmung gefunden habe. Er glaube dadurch nicht 
bloß einem sehr schmerzhaft gefühlten Bedürfnis des medizinischen Publi¬ 
kums abzuhelfen, sondern auoh den Staatskosten eine Erleichterung zu ver¬ 
schaffen. Die Mitgliedschaft sollte durch einen jährlichen Mindestbeitrag 
von einem Taler erlangt werden. 

Am 21. November 1830 erfolgte die Königliche Genehmigung. Das erste 
Direktorium der Stiftung bestand aus dem Gründer Staatsrat Dr. Hufeland, 
dem Präsidenten Dr. Rust, Geheimen Medizinalrate Dr. Klug und dem 
Regierungs - und Medizinalrate Dr. Barez und dem Generalstabsarzt 
Dr. von Wiebel. 

Hufeland begleitete seinen Stiftungsantrag mit einem Stiftungskapital 
von 1000 Talern. 

Am 28. Juli 1836 beantragte das Direktorium der Stiftung die Gründung 
einer Unterstützungskasse für notleidende Arztwitwen mit dem Bemerken, 
daß Hufeland für diese Einrichtung ein Stammkapital von 3000 Talern 
gestiftet habe. Die Königliche Bestätigung erfolgte nach dem inzwischen 
eingetretenen Tode des edlen Stifters am 22. September 1836. 

Diese Kasse wurde demselben Direktorium überwiesen. Beide Kassen 
haben ungeachtet der geringen Mittel, welche zu Gebote standen, und der 


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634 


M. Pistor, 


großen Not, die unter den Ärzten und deren Witwen in zum Teil großem 
Umfange, besonders bei den so dürftig bezahlten Ärzten auf dem Lande 
und in den kleinen Städten bestand, viel Gutes gewirkt. 

Durch Kabinettsorder vom 24. April 1847 wurden die Satzungen der 
Witwenunterstützungsanstalt, nachdem das Stiftungskapital die vorgeschrie- 
bene Höhe erreicht hatte, dahin abgeändert, daß die Jahresbeiträge nicht 
mehr bis zur Hälfte, sondern im ganzen zu Unterstützungen verwendet 
werden durften. 

Die Kapitalien müssen mündelsicher angelegt werden, die Wert¬ 
papiere wurden und werden in der General-(Bureau-) Kasse des Ministeriums 
der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten verwahrt. Die 
Wertpapiere der Preußischen Staatsanleihen sind im Staatsschuldbuch ein¬ 
getragen. 

Wiederholt haben die Stiftungsgelder erhebliche Vermehrung durch Ver¬ 
mächtnisse erhalten, unter denen besonders die Zuwendung des Generalarztes 
Dr. Büttner in Höhe von etwa 140000 Jt zu nennen ist. 

Auf den Bericht des Kultusministers vom 2. Juli genehmigte der König 
am 7. Juli 1857 eine weitere Änderung der Statuten der Stiftungen dahin, 
daß nicht mehr die Hälfte, sondern nur ein Drittel der im ganzen eingehenden 
Beiträge zu kapitalisieren und die anderen zwei Drittel zu temporären Unter¬ 
stützungen und zur Bestreitung der Verwaltungskosten zu verwenden sei 

Das Vermögen der Hufelandschen Stiftungen betrug Ende 1907 in 
Hypotheken und Wertpapieren 495 300 «/#. 

Als Zweigstiftung der Hufelandschen Stiftungen besteht die durch 
Königliche Order vom 8. Mai 1869 genehmigte Dr. Ignaz Braun sehe 
Stiftung der Witwe des Geheimen Sanitätsrates Dr. Braun, welche, mit 
9000 oft begründet, zur Unterstützung bedürftiger und würdiger Arzte 
in Berlin und Hirschberg bestimmt ist, jetzt ein Vermögen von 13500 c# 
besitzt. 

Ein wesentlicher, sehr fühlbarer Mangel dieser Unterstützungskaaaen 
bestand darin, daß für Ärztewaisen in keiner Weise gesorgt war. In hoch¬ 
herziger Weise sorgte für diese oft sehr Bedürftigen der Sanitätsrat Dr. 
Heinrich Goburek in Tilsit, welcher „in Ergänzung der Hufelandschen 
Stiftungen“ letztwillig dem Direktorium derselben die Summe von 200 000 c.'# 
zur Unterstützung von solchen Arztwaisen überwies, deren Väter Mitglieder 
beider Kassen gewesen waren und innerhalb des preußischen Staates die 
ärztliche Tätigkeit ausgeübt hatten. 

Die Unterstützungen werden aus den Zinsen des Stiftungskapitals ge¬ 
wählt, dessen Substanz nebst der etwaigen Vergrößerung durch Zinserspar¬ 
nisse, Vermächtnisse usw. niemals angegriffen werden darf. Die Kapitalien 
sind mündelsicher anzulegen. 

Die Stiftung wird von dem Direktorium der Hufelandschen Stiftungen 
verwaltet und untersteht der Aufsicht des Ministers der Medizinalangelegen¬ 
heiten. 

Bevor ein kurzer Rückblick auf die Entwickelung der preußischen Me¬ 
dizinalverwaltung gegeben und auf die Entwickelung der einzelnen Teile 
der amtlichen öffentlichen Gesundheitspflege eingegangen wird, erscheint es 
erforderlich, abgesehen von der Entstehung des Gesetzes: Sanitätspolizeiliche 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 535 

Vorschriften (Regulativ) bei ansteckenden Krankheiten vom 8. August 1835, 
noch einige allgemeine Gebiete, Einrichtungen und Vorschriften zu besprechen, 
welche zu der Medizinalabteilung gehören oder mit derselben in unmittelbarer 
Verbindung stehen oder von ihr ausgegangen sind. 

Dahin rechne ich die Entwickelung der gerichtlichen Medizin, die 
Prüfungsvorschriften für Ärzte und Kreisärzte, die preußische Gebühren- 
ordnung für die Ärzte und Zahnärzte, die Technische Kommission für die 
pharmazeutischen Angelegenheiten und für die Bearbeitung der Pharma- 
copoea Borussica, die staatliche Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasser¬ 
versorgung und Abwässerbeseitigung. 

Die Oberexaminationskommissionen für Ärzte und Apotheker bestehen 
nicht mehr. Die Prüfungsvorschriften für Apotheker finden beim Apotheken¬ 
wesen Platz. 

Gerichtliche Medizin. 

Die gerichtliche Medizin ist vielleicht der älteste Teil der Staatsarznei¬ 
kunde, des öffentlichen Gesundheitswesens, weil Verbrechen gegen daB Leben 
der Menschen und Verletzungen, wie sonstige Schädigungen der Gesundheit 
von altersher vorgekommen sind. Wir haben aber keine Nachrichten dar¬ 
über, daß bei der Rechtsprechung im Altertum, soweit eine solche überhaupt 
bestand, von Sachverständigen in solchen Fällen Gutachten erfordert 
worden sind. Gleiches gilt für Deutschland und Preußen bis zum 15. Jahr¬ 
hundert. 

Während Maßnahmen der öffentlichen Gesundheitspflege in der Gesetz¬ 
gebung Moses durch die Vorschrift der Beschneidung, der Reinigungsbäder, 
der Schlachttierbeschau und in dem Verbot des Genusses von Schweinefleisch 
sich bereits kundgaben, traten erst später in den ersten drei Jahrhunderten 
unserer Zeitrechnung bei den Juden Anzeichen dafür auf, daß Ärzte in der 
Rechtspflege mitwirkten. Bei jedem Gerichtshause war ein Gerichtsarzt 
(Ropke) angestellt, dessen Expertise bei Kriminalfällen mit entschied. Ärzte 
beurteilten die Gefahr für das Leben bei Kontusionen, sie beurteilten die 
Widerstandsfähigkeit der zu Körperstrafen Verurteilten; sie wurden auch 
für irreguläre Kuren nach gesetzlichen Normen verantwortlich gemacht. 
Sogar die Legalinspektion von Objekten fand schon statt. 

Die Mitwirkung von Ärzten in solchen Fragen vermißt man ganz bei 
den Griechen; bei den Römern kann man in einzelnen Fällen Andeutungen 
für eine gerichtsärztliche Mitwirkung vermuten *). 

Für Deutschland trat die gerichtliche Medizin als solche zuerst in der 
peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. im Jahre 1533 auf, in welcher 
bereits angeordnet ist, daß das Gericht über schwere Verletzungen, Ab¬ 
treibungen, heimliche Geburten, Vergiftungen und verdächtige Todesfälle das 
Gutachten eines Arztes, Chirurgen oder einer Hebamme einzuholen habe. 

Obgleich schon im 15. Jahrhundert geschworene, besoldete Wund¬ 
ärzte in Berlin und in der Folge auch in anderen Städten dergleichen Wund¬ 
ärzte angestellt waren, so blieb doch hinsichtlich ihrer Vorbildung und 
Befähigung sehr viel zu wünschen übrig. 

') Placzek, Geschichte der gerichtlichen Medizin in dem Handbuche der 
Geschichte der Medizin von Neuburger und Pagel, 8. 731. 


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536 


M. Pistor, 


Im 16. Jahrhundert gab es in Berlin schon Stadtphysiker, die auch als 
gerichtliche Sachverständige fungierten. Aber erst zu Anfang des 17. Jahr¬ 
hunderts traten besondere Sach verständige auf, die vor dem Collegium 
medicum zu Berlin mindestens einen Cursus anatomicus bestanden haben 
mußten. 

Durch Kabinetsorder vom 29. April 1765 wurde angeordnet, 

1. „daß Obduktionen von Leichen an Körperverletzungen Verstorbener von 
einem approbierten Medico oder Chirurgo nur in den Fällen vorgenommen werden 
sollen, wo de lethalitate vulneris annoch ein Zweifel übrig bleibt, dagegen bei den 
Criminalcasibus, wo immediate gleich der Tod auf der That erfolget, der e. g. 
wenn Jemand erschossen oder dergestalt verwundet wird, daß er sogleich auf der 
Stelle todt bleibet, oder wenn eine Kindermörderin dem Kinde den Hals ganz 
durohschneidet, daß es daran gleich versterbet, es keine Sektion des Körpers be¬ 
dinge, sondern alsdann genug, daß der Körper äußerlich vom nächsten Medico 
oder Chirurgo besichtiget und die Beschaffenheit desselben attestiert werde.* 

Die beiden folgenden Nummern der Order behandeln Kosten. 

Wenn der Physikus zu einer gerichtlichen Obduktion von der Obrigkeit 
requiriert wurde, so mußte er sich sofort einfinden und auch dafür sorgen, 
daß der Chirurgus forensis oder zweite Gerichtsarzt, der die Sektion ver¬ 
richten sollte, mit reinlichen und tüchtigen Instrumenten zur Stelle war. In 
einer Instruktion vom 17. Oktober 1776 finden sich Vorschriften über die 
Tätigkeit des Physikus als Gerichtsarzt, auch in welcher Weise gerichtliche 
Leichenöffnungen ausgeführt werden sollten. 

§ 9. "Wenn ihm Kranke Vorkommen, die in Schlägerei begriffen gewesen, 
so muß er bedachtsam untersuchen, ob dadurch dem Patienten eine so starke 
Verletzung beigebracht wurde, daß er in Lebensgefahr steht. In solchem Falle 
ist er schuldig, der Gerichtsobrigkeit solches anzuzeigen. "Wenn er auch höret, 
daß in einem Hause eine Person, welche eben nicht krank gewesen, plötzlich ver- 
stirbet, und verdächtige Gerüchte umhergehen, als ob es nicht natürlich damit 
zugegangen, so muß der Physicus sich genau danach erkundigen , und wenn er 
einigen Grund findet, bei dem Magistrat auf eine Obduktion antragen, um gewiß 
zu sein, ob etwa Zeichen von einer Vergiftung zu entdecken sein möchten. 

§ 10. Wenn auch ledige Weibspersonen seinen Kat begehren, so maß er 
hierbei mit aller Behutsamkeit zu Werke gehen, dieselben in seinem Diario be¬ 
merken und ohne genügsame Erkenntnis keine treibenden Arzneien, heftige Purgier¬ 
mittel oder Aderlässe anordnen. Wenn ihm solche aber höchst verdächtig Vor¬ 
kommen, so ist er schuldig, es der Dienstherrschaft zu melden, damit sie auf 
dergleichen Dienstmagd ein wachsames Auge haben, gleichwie er solches bei ver¬ 
achteter Warnung der Obrigkeit des Ortes anzeigen kann. 

§ 11. Wenn der Physicus zu einer legalen Obduktion von der Obrigkeit 
requiriert wird, so muß er bei jedem Fall so schleunigst als möglich sich einßnden, 
auch sorgen, daß der Chirurgus forensis, der die Sektion verrichten soll, mit rein¬ 
lichen und tüchtigen Instrumenten versehen sei, und wenn also ein totgefundenes 
Kind zu obduzieren ist, so muß er nieht allein den ganzen Körper vom Haupt bis 
zu Fuß äußerlich betrachten, ob dasselbe ein vollbürtiges Kind mit Haaren und 
Nägeln bewachsen sei, ob die Zunge zwischen den Lippen hervorrage und der 
Mund voll Schleim oder mit einem andern Körper ausgefüllt sei, ob um den H^l« 
ein sugillierter Hing zu bemerken, oder ob an dem Kinde eine verübte Gewalt 
oder Sugillationen wahrzunehmen, ob die Nabelschnur verbunden und wie lang 
sie sei. (Büttners Anweisung, wie durch anzustellende Besichtigungen ein ver¬ 
übter Kindermord auszumitteln sei. Königsberg und Leipzig 1771, wird ihm hierin 
gewiß ein großes Licht geben.) 

§ 12. Bei Eröffnung des Körpers hat er besonders darauf zu sehen, ob die 
Gefäße voller Blut oder ledig sind und vorzüglich die Beschaffenheit des Herzens 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 537 

zu untersuchen, ob dessen rechte Kammer voll Blut oder leer sei, ob die Lungen 
zusammengefallen oder ausgedehnt, wie die obere Luftröhre beschaffen, ob sie voll 
Schleim oder von einem fremden Körper, als: Baumwolle, Leinwand und dergl. 
zugestopft sei, ob die Lungen ganz und auch stückweise auf dem Wasser schwimmen 
oder untersinken, ob die Halswirbeln in ihrer Lage oder verrückt, ob die Ossa 
Cranii sugilliert oder eingedrückt oder zerbrochen, wie das Cerebrum beschaffen, 
ob die Blutgefäße in demselben und dessen Häuten voll Blut oder leer oder aus¬ 
getretenes Blut auf oder unter der Dura Matre oder in den Hirnhöhlen anzu¬ 
treffen sei. 

§ 13. Wie aber diejenigen Personen, die durch plötzliche Zufälle ums Leben 
gekommen, zu behandeln sind, darüber hat das Ober-Collegium medicum den 
15. November 1775 das Edict wegen schleuniger Rettung der durch plötzliche Zu¬ 
fälle leblos Gewordenen, im Wasser oder sonst Verunglückten oder für tot ge¬ 
haltenen Personen publiciret. 

Eine Order vom 30. Oktober 1789 wies darauf hin, daß schon am 
24. Dezember 1726 und 19. Dezember 1755 die Regimentsfeldscherer für 
gerichtsärztliche Tätigkeit den Physikern gleichgestellt sein, sie vertreten 
sollten, wenn diese nicht zur Stelle seien, auch zur Verminderung von Kosten 
oder aus anderen triftigen Gründen. 

Das Ober-Collegium medicum hatte höchstens gefordert, daß die Kandi¬ 
daten für gerichtliche Medizin einen anatomischen Kursus abgelegt, d. h. einige 
anatomische Aufgaben auswendig gelernt haben sollten. Eine eigene Prüfung 
aus der gerichtlichen Arzneikunde, welcher sich die Wundärzte zu unter¬ 
ziehen, die das Amt eines gerichtlichen Wundarztes zu erhalten wünschten, 
wurde erst unter dem 11. Oktober 1800 vorgeschrieben, am 23. September 
1817 wiederholt und endlich durch das Prüfungsreglement vom 1. Dezember 
1825 mit zeitgemäßen Vorschriften erlassen. 

Ausführliche Bestimmungen über die Anstellung von Obduktionen er¬ 
gingen an die Gerichtsbehörden bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts, 
und wurden durch Erlaß vom 26. Mai 1796 in Erinnerung gebracht. Am 
14. Dezember 1796 ordnete der Justizminister an, daß Obduktionen auch in 
solchen Fällen gemacht werden sollten, wo die äußere Verletzung von den 
Sachverständigen als absolut tödlich anerkannt würde. 

Die Obduktionen sollten schon Ende des 18. Jahrhunderts vom Kreis¬ 
stadt-) Physikus und Chirurgus und ausnahmsweise im Behinderungsfalle 
eines oder beider Medizinalbeamten von christlichen Ärzten gemacht werden. 
Diese Vorschrift brachte eine Verfügung der Kurbrandenburgiscben Regierung 
am 4. Oktober 1813 auf die Beschwerden einiger Physiker in Erinnerung. 

Auf Anregung des Ministers des Innern bestimmte der Justizminister 
schon am 28. September 1813, daß die Gerichtsbehörden Abschriften sämt¬ 
licher Obduktionsverhandlungen und darauf erstatteten medizinischen Gut¬ 
achten den Provinzialregierungen zur Einsichtnahme und Prüfung auf die vor¬ 
schriftsmäßige Ausführung der Obduktion und zutreffenden Beurteilung des 
Befundes wie der gutachtlichen Äußerungen einzuBenden hätten. 

Der Minister des Innern verständigte hierauf die Provinzialregierungen, 
daß die eingehenden Abschriften von dem Regierungs- und Medizinalrat im 
obigen Sinne zu prüfen seien. Sollten sich dabei wissenschaftliche Bedenken 
gegen die Gutachten oder Unrichtigkeiten heraussteilen, oder andererseits 
bedeutungsvolle Gutachten gefunden werden, so seien solche ohne Säumen 
an das Departement der allgemeinen Polizei (zu welchem die Medizinalsektion 



538 M. Pistor, 

gekörte) einzureichen. Sämtliche Obduktion«Verhandlungen und Gutachten 
seien vierteljährlich vorzulegeu. 

Gleichzeitig ordnete der Erlaß an, daß die Obduktionen in der von der 
Kurmärkischen Regierung verfügten bisherigen Weise in Zukunft von für 
diese Fälle geprüften Sachverständigen ausgeführt werden sollten. Seit dem 
Jahre 1818 mußten auch die gerichtsärztlichen Verhandlungen über zweifel¬ 
hafte Geisteszustände den Provinzialregierungen zur Nachprüfung durch den 
Regierungs- und Medizinalrat eingesaudt werden. 

Je mehr aber die gerichtliche Medizin wissenschaftlich begründet wurde, 
namentlich durch Johann Ludwig Casper in Berlin und durch andere 
Gelehrte, desto mehr stiegen auch die staatlichen Anforderungen an die 
Gerichtsärzte, desto strenger wurden die Vorschriften über die Ausführung 
gerichtlicher Leichenöffnungen, nachdem man mehr und mehr erkannt hatte, 
welche hohe Verantwortung der Arzt mit seinem Gutachten über Verletzungen 
und gewaltsame Todesarten und über abnorme geistige Zustände auf sich 
nähme. 

Eine für das Fürstentum Bayreuth erlassene Anweisung zur Ausführung 
von gerichtlichen Leichenöffnungen vom 17. Dezember 1802 wandte sich fast 
nur an die Gerichtsbehörden in dem Sinne, unter welchen Umständen über¬ 
haupt eine gerichtliche Leichenöffnung erforderlich Bei und welchen Ärzten 
dieselbe übertragen werden solle. 

Die sehr allgemeinen Bestimmungen der Kriminalordnung von 1717, 
Kapitel 3, wurden durch das Rundschreiben vom 11. Juni 1756 (Neue Edikten- 
sammlung II, S. 111) dahin vervollständigt, daß zur Gültigkeit der Obduktion 
die Aufnahme eines von einer verpflichteten Justizperson aufzunehmenden 
Protokolls erforderlich sei. 

Auf Veranlassung der Aufsichtsbehörden hatte das Ober-Collegium 
medicum bereits 1744 von dem Hofrat Buddeus Tabellen aufsetzen lassen, 
nach welchen die gerichtlichen Obduktionen im Königreich ausgeführt werden 
sollten. 

Die Vorschriften der Kriminalordnung vom 11. Dezember 1805, Teil H, 
Abschnitt 2, § 139 ff., faßten die bis dahin ergangenen Einzelerlasse zeitgemäß 
zusammen. 

Über das Verhalten der Physiker bei gerichtlichen Obduktionen bear¬ 
beitete das Ober-Collegium medicum später ebenfalls eine Instruktion, deren 
Abdruck jedoch unterblieb, weil gleichzeitig die zweckmäßigen Anweisungen 
zu gerichtlichen Leichenöffnungen von Rose, Autenrieth und anderen 
erschienen. 

Sonstige allgemeine Vorschriften über das ärztliche Verfahren bei 
gerichtsärztlichen Leichenöffnungen bestanden bis Mitte 1818 nicht, wie aus 
einer Äußerung deB Staatsrats Dr. Langermann hervorgeht. Am 23. Juni 
1830 beauftragte der Minister der Medizinalangelegenheiten (gez. Hufeland) 
die wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen, „um ein sweck- 
mäßigeres Verfahren bei den gerichtlichen Leichenöffnungen zu erzielen, eine 
möglichst umfassende und zugleich leicht übersichtliche Anweisung unter 
Benutzung der inzwischen auf eine Rundverfügung vom 27. November 1825 
eingegangenen Äußerungen der Medizinalkollegien nach zwei verschiedenes 
Mustern für Kinder- und Leichen von Erwachsenen" zu entwerfen. Dieser 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 589 

Auftrag fand erst naoh 14 Jahren durch das Reglement über das Verfahren 
bei der medizinisch-gerichtlichen Untersuchung menschlicher Leichname 
(Obduktionen) vom 21. Oktober 1844 seine Erledigung. 

Am 31. März 1858 wies die wissenschaftliche Deputation für das 
Medizinalwesen auf die Unzulänglichkeit der Vorschriften über gerichtliche 
Leichenöffnungen vom 21. Oktober 1844 hin und arbeitete nach Auftrag des 
Ministers einen Entwurf neuer Vorschriften aus, welcher genehmigt 
wurde und als „Regulativ für das Verfahren der Gerichtsärzte bei 
den medizinisch-gerichtlichen Untersuchungen menschlicher Leichname“ am 
1. Dezember 1858 veröffentlicht wurde. Dieses Regulativ erfuhr eine neue 
Bearbeitung 1874, erschien im Justizministerialblatt 1875, S. 75, und blieb bis 
1905 in Kraft. 

Durch Beschluß der wissenschaftlichen Deputation vom 17. Oktober 
1904 wurde ein neues Reglement angenommen und am 4. Januar 1905 
(M.-Bl. M. A., S. 67) veröffentlicht. 

Um eine größere Gleichmäßigkeit in der Beurteilung von Geisteskrank¬ 
heiten herbeizuführen, hatte der Minister der Medizinalangelegenheiten mit 
dem Justizminister am 14. November 1841 bereits eine Anweisung erlassen. 
Danach sollten nur promovierte Ärzte nach mehrmaliger (dreimaliger) vor¬ 
heriger Untersuchung solcher Kranken derartige Gutachten erstatten, welche 
eine genaue Geschichtserzählung über die Entstehung der Krankheit und 
Niederschrift über das im Untersuchungsgange abgehaltene Colloquium sowie 
das kurz begründete Endergebnis enthalten sollten. Falls das Endgutachten 
nicht unzweifelhaft war, mußte ein eingehend begründetes Gutachten er¬ 
stattet werden. 

Diese Verhandlungen und Gutachten waren, wie die Obduktions¬ 
verhandlungen und die dazu erstatteten Gutachten, von den Provinzial- 
Medizinal kollegien zu prüfen und mit deren Revisionsbemerkungen dem 
Minister zur Superrevision durch die wissenschaftliche Deputation für das 
Medizinalwesen vierteljährlich einzuBenden. Durch die Ministerialerlasse vom 
28. April, 31. Mai und 16. September 1887 wurden diese Vorschriften dahin 
abgeändert, daß die Verhandlungen über die Untersuchung von Geisteskranken 
wie die Verhandlungen und Gutachten über Leichenöffnungen ebenso in 
Zukunft nur von den Medizinalkollegien revidiert werden sollten. Zur Über¬ 
wachung des Revisionsverfahrens der Medizinalkollegien wurden die ge¬ 
sammelten Verhandlungen von Zeit zu Zeit von dem Minister zur Überprüfung 
durch die wissenschaftliche Deputation eingefordert. Zur Begutachtung 
zweifelhafter Geisteszustände sollten seit 1842 in der Regel nur beamtete 
oder solche Ärzte herangezogen werden, welche die Kreisarztprüfung be¬ 
standen haben. 

Über die Stellung der Medizinalbeamten vom ersten Auftreten derselben 
in der Verwaltung sei hier Folgendes kurz erwähnt: 

Im 15. und 16. Jahrhundert stellten die Städte, die Ritterschaft und die 
Kreise die Physiker an, besoldeten sie und erteilten ihnen Dienstanweisungen. 
Die Physiker waren zugleich Gerichts- und Armenärzte, und hatten den An¬ 
ordnungen und Ersuchen aller Königlichen und Gemeinde- (Kommunal-) 
Behörden Folge zu leisten. 


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540 


M. Pistor, 


Durch das Medizinaledikt vom 12. November 1685 wurde verordnet, 
„daß der Magistrat in den Haupt- und anderen Städten, wie auch auf dem 
Lande die Stände und Ritterschaft, wenn sie einen Physicum anzunehmen 
willens sind, solchen vorher dem Collegio medico zu ihrer eigenen Ver¬ 
sicherung zu präsentieren schuldig sein sollen“ (M. C. C. M. IV, S. 13). 

Das Generaldirektorium bestimmte weiterhin, daß einem als Stadt- oder 
Landphysikus vorgeschlagenen Subjekte nach der Bestallung ein Casus 
medico-legalis vom Ober-Collegium medicum zur Ausarbeitung überwiesen 
werden solle. Nur ein Subjekt, welches diese Aufgabe neben den übrigen 
Aufgaben der Medizinalordnung befriedigend gelöst habe, dürfe höheren 
Ortes in Vorschlag gebracht werden. 

Mit der Reorganisation der Staatsbehörden ging die Ernennung der 
Medizinalbeamten an das Ministerium des Innern und später an das Kultus¬ 
ministerium über. 

Am 30. Januar 1810 bestimmte das Ministerium des Innern, daß die¬ 
jenigen, welche ein Physikat zu erlangen wünschen, sich dazu nibht nur 
durch die Ausarbeitung der von der oberen Medizinalbehörde ihnen be¬ 
stimmten Themata medico legalia, sondern auch durch eine mündliche Prüfung 
qualifizieren müßten. 

Gleichzeitig ward angeordnet, daß die Stadtphysici nicht als reine 
Kommunal-, sondern als Polizeioffizianten angesehen und daher nicht von 
den Stadtverordneten gewählt, sondern von Staatswegen bestellt werden 
sollten. Unter dem 21. Mai und 23. September 1810 wurden die Regierungen 
von demselben Ministerium aufgefordert, bei ihm die Bestätigung der neuen 
Kreis- und Stadtphysiker in gleichen der Kreis- und Stadtchirurgenstellen, 
sowie die Vollziehung der diesen Medizinalbeamten auszufertigenden Be¬ 
stallungen nachzusuchen, „indem ohne Mitwirkung der Medizinalsektion keine 
Bedienung erteilt werden könne, die eine vorher geschehene höhere Quali¬ 
fikation durch die Prüfung der höchsten Medizinalbehörde in Berlin verlange 
und den Regierungen (nach § 38 der Regierungsinstruktion vom 28. De¬ 
zember 1808) die Anstellung in Bedienung ohne Anfrage nur hinsichts 
solcher Personen freistehe, die zu ihrer Qualifikation als Medizinalpersonen 
einet' Prüfung der Provinzial-Medizinalkollegien bedürfen“. 

Der Erlaß des Ministeriums des Innern vom 30. Juli 1813 ordnete an, 
daß die Anstellung der Kreisphysiker nicht wie bisher von der Wahl der 
Kreisstände abhängen dürfe, sondern die anzustellenden Physiker von den 
Regierungen in Vorschlag gebracht werden sollen. 

Kreischirurgen (Kreiswundärzte) waren vor dem Jahre 1816 nur in 
einzelnen Provinzen und Kreisen mit einem Gehalt von 50 Talern, freier 
Kolonistenwohnung nebst etwas Wiesenwachs und Acker zur Erhaltung eines 
Reitpferdes angestellt. 

Eine Kabinettsorder ordnete 1816 an, daß in jedem Kreise außer dem 
Physikus auch ein Kreischirurg mit einem Gehalt von 100 Talern angestellt 
und bei der Wahl in Kollisionsfällen auf diejenigen, welche die Feldzüge von 
1813 bis 1815 mitgemacht und die erforderliche Qualifikation und die var- 
geschriebene Prüfung als gerichtliche Wundärzte (Prüfungsvorschrifteu 
vom 23. September 1817) bestanden hätten, Rücksicht genommen 
werden solle. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


541 


Auch diese Medizinalbeamten erhielten auf Vorschlag der Regierungen 
ihre Bestallung von dem Minister der Medizinalangelegenheiten und waren 
besonders zur Unterstützung der Physiker behufs Ausführung der gericht¬ 
lichen Obduktionen angeetellt. Außerdem sollten sie in sanitätspolizeilicher 
Beziehung im Kreise in analoger Weise wirken wie die Physiker. 

Da diese Beamtenklasse eingegangen ist, erübrigt sich ein weiteres Ein¬ 
gehen anf ihre Tätigkeit. (Übrigens vgL Augustin, Bd. 2, S. 110.) 

Ärztliche Staatsprüfungen. 

Bis zum Jahre 1789 war die Qualifikation der Ärzte auf den im 
Medizinaledikte bestimmten anatomischen Kursus und auf die Ausarbeitung 
eines ärztlichen Kasus in lateinischer Sprache beschränkt. Durch die 
Kabinettsordern vom 15. Dezember 1789 und 4. Februar 1791 ward 
aber festgesetzt, daß die Ärzte nach Ablegung des anatomischen Kursus 
Öffentlich und streng, durch vier Examinatoren, nämlich zwei Mitglieder des 
Ober*Collegii medici und zwei Mitglieder des ColL medico-chirurgici, geprüft, 
die Examina über die wichtigsten Teile der Medizin in deutscher Sprache 
abgehalten werden sollten, und keinem Arzte nach absolviertem Kursus die 
Approbation eher, als nach beigebrachtem Zeugnisse seiner in der Prüfung 
bewiesenen Tüchtigkeit erteilt werden dürfe. — In dem Reglement, wie es 
künftig mit der Prüfung der angehenden Ärzte, Wundärzte und Apotheker 
gehalten werden soll, d. d. Berlin, den 1. Februar 1798, ward gleichfalls be¬ 
stimmt, daß „jeder Arzt, welcher das Recht zu praktizieren gewinnen will, 
schuldig ist, den anatomischen und klinischen Kursus zu machen, auch sich 
nachher der öffentlichen mündlichen Prüfung zu unterwerfen. Des Endes 
müsse er mit Überreichung seines Doktordiploms und seiner Inaugural¬ 
dissertation, wovon er mehrere Exemplarien zu übergeben habe, bei dem 
Ober-Collegium medicum die Erlaubnis zu allen diesen Prüfungen nachsuchen, 
da dann, wenn er qualifiziert befunden werde, an das Collegium medicum 
chirurgicura das Erforderliche, mittels Anschreibens, erlassen werden solle. 
Nur wenn er den anatomischen Kursus wenigstens gut gemacht und nach- 
weise, daß er drei Monate lang die Berlinische, Hallische oder ähnliche 
klinische Lehrübungen frequentiert habe, könne er zum klinischen Kursus 
zugelassen werden, da er sich dann zuletzt, wenn er auch hier wenigstens 
gut bestanden, der mündlichen Prüfung vor der Examinationsdeputation 
unterwerfen müsse. Die Pensionärs und andere auf die Armee Kursierende 
sollten außer dem anatomisch-chirurgischen Kursus, gleich den Ärzten, auch 
den klinischen machen, und sich gleich denselben dem öffentlichen münd¬ 
lichen Examen unterwerfen“. Zugleich ward durch dieses Reglement 
vom 1. Februar 1798 dasjenige vom 4. Februar 1791 aufgehoben, und statt 
der Prüfung durch wechselnde Mitglieder des Ober-Collegium medicum und 
Collegium medico-chirurgicum eine besondere beständige, aus einem Direktor 
und vier Mitgliedern bestehende Examinationsdeputation eingeführt und fest- 
gestellt. 

„Die Art der Prüfung müsse zwar dem pflichtmäßigen Ermessen 
der Deputation überlassen werden, doch solle jeder Examinand aus den 
vorzüglichsten Branchen desjenigen Metier, dessen Ausübungsrecht er 
gewinnen wolle, besonders aber derjenige, der den klinischen Kursus 


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542 


M. Pistor, 


gemacht, Aber die Krankheitsgeschichte seiner behandelten Patienten 
nach Anleitung seines Journals, und über andere Ähnliche Krankheits¬ 
arten geprüft, des Kandidaten theoretische und praktische Kenntnis 
gründlich erforscht, nicht aber derselbe durch bloß spekulative, im 
Reiche der Wissenschaften noch problematisch gebliebene Fragen 
intimidiert werden. Sobald das Examen beendigt sei, wozu nie mehr 
als drei Subjekte auf einmal admittiert werden sollen, sollte der 
Direktor der Deputation die Mitglieder rotieren lassen und dem Sekretär 
derselben ein kurzes Protokoll diktieren, worin, wie jeder Kandidat be¬ 
standen, nach der Mehrheit der Stimmen, auf eine unzweideutige 
Weise gesagt, dann das Protokoll von allen Votanten unterschrieben; 
auch der Bericht von dem Befand eines jeden Kandidaten, mittels 
Beifügung der Kursusatteste an die Obermedizinalbehörde projektiert 
werden solle, welche dann das Approbationspatent ausfertigte. Die über 
die Prüfung der Militär Wundärzte aufgenommenen Verhandlungen sollen 
aber sämtlich in der Registratur des Ober-Medizinalcollegii bleiben, 
bis der Kandidat wirklich in der Armee angestellt wird und der 
General-Stabschirurgus die Atteste fordert.“ 

In Gemäßheit dieser Reglements hatten die Ärzte sowohl den Kursus 
als die öffentliche Prüfung, unter Einreichung ihres Doktordiploms und ihrer 
Inauguraldissertation nach 1810 bei dem KönigL Ministerium des Innern, 
von 1817 ab bei dem Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal- 
Angelegenheiten nachzusuchen, welches die Ober-Examinationskommission 
mit der Abnahme des Kursus und mit der mündlichen öffentlichen 
Prüfung beauftragte. Hatte der Kandidat den ihm obliegenden Kursus 
gut absolviert, so bekam er das Attest, worin „die Königl. Direktion der 
medizinischen Staatsprüfungen“ ihm bezeugte, daß er den anatomischen und 
klinischen Kursus gut (recht gut, vorzüglich gut) verrichtet habe und wenn 
er dann auch die öffentliche Prüfung bestanden, auch darüber ein gleiches 
Attest derselben Behörde. Hatte er sich alsdann schon für den Ort, wo er 
sich als praktischer Arzt niederlassen wollte, bestimmt, so reichte er die von 
der Ober-Examinationskommission erhaltenen Atteste bei dem Ministerium 
der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten ein, und erhielt 
auf sein Ansuchen die Approbation. Diejenigen Kandidaten aber, welche in 
Berlin ihre Studien beendigt hatten und noch nicht wußten, wo sie sich 
niederlassen sollten, wurden, um ihnen eine weitere Reise zu ersparen, zur 
Prüfung verstattet; auch erhielten sie demnächst, insofern sie selbige be¬ 
standen, ein Fähigkeitszeugnis erteilt, damit sie, wenn sie ihren Etablisse¬ 
mentsort gefunden hatten, sich gleich bei der kompetenten Regierung über 
ihre Qualifikation ausweisen konnten, und die Regierung sodann ihre Appro¬ 
bation bei dem Ministerio der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal- 
Angelegenheiten für den Fall naohsuchte, daß sie sonst gegen die Nieder¬ 
lassung nichts zu erinnern hatte. 

Sämtliche auf einer Universität vorschriftsmäßig promovierte Doktoren 
der Medizin mußten, wenn sie sich zur ärztlichen Praxis in den Königlichen 
Landen qualifizieren wollten, den anatomischen und klinischen Kursus und das 
öffentliche Examen vor der Ober-Examinationskommission in Berlin bestehen. 
Diejenigen Ärzte, welche, ohne den Doktortitel erlangt zu haben, die Rechte 


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643 


Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 

eines praktischen Arztes in den Königlichen Landen erhalten wollten, und durch 
Atteste nachweisen konnten, daß sie nicht nur die Medizin, sondern auch die 
Chirurgie durch Unterricht und praktisch erlernt haben, mußten sich nach 
dem Erlaß des Ministerii des Innern vom 28. Februar 1817, dem anatomischen, 
chirurgischen und klinischen Kursus und der öffentlichen Prüfung vor der 
Ober-Examinationskommission unterziehen. 

Übrigens war von der wiederholt ergangenen Verfügung, keinem Arzte 
ohne die vorschriftsmäßige Prüfung die Praxis zu erlauben, durch den Erlaß 
des Ministerii des Innern vom 8. Dezember 1809, eine Ausnahme bestimmt, 
wonach künftig „jeder Arzt, den der Staat für würdig hält, zur Lehre oder 
zur Ausübung der Heilkunst selbst, in das Land zu rufen, ohne weitere An¬ 
frage von jeder Prüfung befreit und berechtigt sein sollte, seine Kunst aus¬ 
zuüben“. 

Am 6. September 1810 legte Hufeland einen kurz gehaltenen Plan zu 
einer neuen Prüfungsordnung in XXX Sätzen mit der Begründung vor, daß 
das Reglement vom 1. Februar 1798 nicht mehr genüge. Seine Vorschläge 
erfuhren die eingehendsten Beurteilungen insbesondere durch die in erster 
Linie dazu berufenen und befähigten Universitätslehrer und sonstige hervor¬ 
ragende Mediziner. 

Erst fünfzehn Jahre später erschien das Prüfungsreglement vom 1. De¬ 
zember 1825 (abgedruckt in: Pistor, Gesundheitswesen Bd.1, S. 67 ff.), dessen 
Bestimmungen bis zu Anfang dieses Jahrhunderts mit einigen zeitgemäßen 
Änderungen und Ergänzungen gültig gewesen und im wesentlichen, soweit 
die ärztliche Prüfung in Betracht kommt, in die Prüfungsordnung für den 
Norddeutschen Bund vom 25. September 1869 und auch in die Reichs¬ 
prüfungsordnung vom 28. Juni 1872 und 2. Juni 1883, wenn auch in die 
letztere mit wesentlichen Verbesserungen, übergegangen sind. 

Bei den schnellen und weittragenden Fortschritten der medizinischen 
Wissenschaft, der Technik, den therapeutischen Erfahrungen erkannte man 
gegen Ende des achten Jahrzehnts bereits die Unzulänglichkeit der 1883 er 
Prüfungs Vorschriften und trat in Vorberatungen zu einer neuen Prüfungs¬ 
ordnung für Ärzte ein, die von der Medizinalabteilung in Gemeinschaft mit 
der Unterrichtsabteilung geleitet wurden. 

Wie im Jahre 1810 wurden wiederum die Universitätslehrer und her¬ 
vorragende praktische Ärzte, in durchaus gegebener Weise auch der Ärzte¬ 
vereinsbund zur Sache gehört, welcher auf dem Ärztetag bereits 1890 eine 
Reihe von Abänderungsanträgen beschlossen und 1891 dem Reichskanzler vor¬ 
getragen hatte, unter denen die Verlängerung der Studienzeit auf zehn 
Semester und die Forderung eines praktischen Jahres nach dem Bestehen 
der Staatsprüfungen die bedeutendsten waren. Die eingegangenen Vor¬ 
schläge wurden in wiederholten Besprechungen durch beraten, dann die 
Ergebnisse im Kultusministerium zusammengestellt und dem Reichskanzler 
übergeben. 

Im Reichsamte des Innern berieten die Vertreter der Bundesstaaten die 
Vorlagen der einzelnen Bundesstaaten und stellten daraus die Reichsprüfungs¬ 
ordnung zusammen, welcher der Bundesrat am 28. Mai 1901 seine Zustim¬ 
mung erteilte. 


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544 


M. Pistor, 


Die wichtigsten Änderungen der neuen Prüfungsordnung bestanden 
1. in der Zulassung der Realschulabiturienten zum medizinischen Studium, 
welche nach den eingehendsten Erwägungen durch die Kabinettsorder 
vom 26. November 1900 genehmigt wurde, 2. in der Verlängerung des 
Studiums auf zehn Semester, 3. die einjährige praktische Tätigkeit in 
einem Krankenhause nach bestandener Staatsprüfung, 4. ferner Zwei* 
teilung der Prüfung in Vor- und Staatsprüfung, doch sollte die Prüfung 
in der Anatomie und Physiologie bereits in der Vorprüfung erledigt und 
in der klinischen Prüfung das Wissen nur noch gelegentlich nachgeprült 
werden. 

Im übrigen wird verwiesen auf M. Kirchner: Die wesentlichen 
Bestimmungen der deutschen Prüfungsordnung für Ärzte vom 
28. Mai 1901, abgedruckt im Klinischen Jahrbuch. Jena. Gustav Fischer 
1901, und ebendaselbst als Sonderabdruck erschienen. 

Im Anschluß an die ärztliche Prüfungsordnung folgt hier 

Die kreisärztliche Prüfung. 

Die Anfordeiuugen an die Physikatskandidaten in den §§ 25 ff. des 
Prüfungsreglements vom 1. Dezember 1825 wurden durch Erlasse des Medi¬ 
zinalministers, den Fortschritten der Wissenschaft folgend, verschärft. Das 
Prüfungsreglemeut behufs Erlangung der Qualifikation als Kreisphysiku? 
vom 20. Febrnar 1863 gab diesen Anforderungen eine feste Form. Diese 
Vorschriften blieben mit einigen zeitgemäßen Abänderungen bis zum Jahre 
1875 in Kraft und wurden durch die Erlasse vom 4. März 1880 und 
24. Mai 1888 (M.-Bl., S. 120 und 1880, S. 107) zeitgemäß ergänzt. Diese 
neuen Vorschriften legten immer noch besonderes Gewicht auf die Kenntnisse 
der Prüflinge in der gerichtlichen Medizin sowohl in der Beurteilung von 
Verletzungen mit oder ohne tödlichem Ausgang, als auch auf die zutreffende 
Beurteilung von zweifelhaften Geisteszuständen. Eine erheblichere Berück¬ 
sichtigung der öffentlichen Gesundheitspflege konnte nach Lage der Wissen¬ 
schaft und Erfahrung auf hygienischem Gebiete damals noch nicht stattfindeu. 
mußte aber im Laufe der Jahre infolge der Entwickelung der Gesundheits¬ 
wissenschaft (Hygiene) notwendig eintreten. 

Die neuesten Prüfungsvorschriften vom 30. März 1901 (M.-Bl. M. A-, 
S. 71) haben den Fortschritten auf diesem Gebiete in hervorragender 
anerkennenswerter Weise Rechnung getragen, ohne die Prüfung in der ge¬ 
richtlichen Medizin zu beschränken oder zu benachteiligen. 

Ärztliche Gebührenordnung. 

Die im ersten Teil, Heft 2, S. 235 dieser Zeitschrift erwähnte „TaxOrd¬ 
nung für die Medizinalpersonen“ vom 30. April 1802, welche gemäß der 
Allerhöchsten Order vom 9. November 1799 eine Vervollständigung der Tax- 
ordnung vom Jahre 1725 sein sollte, ergänzte diese zwar dadurch, daß sie 
auch Gebühren für die Geburtshelfer und Zahnärzte festgesetzt hatte; es 
fehlten aber Taxsätze für die Gerichtsärzte. Außerdem wurden viele Ge¬ 
bührensätze wegen ihrer Höhe oder Unzulänglichkeit bemängelt. 


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Geschichte der preußische^ Medizinal Verwaltung. 546 

Infolgedessen erhielt die Medizinaldepntation am 27. November 1812 
den Auftrag, eine Revision der Taxe von 1802 vorzunehmen und nach Ma߬ 
gabe der bisher gemachten Erfahrungen neue Bestimmungen aufzunehmen 
und dabei besonders darauf Rücksicht zu nehmen, daß bei den 

„für große Städte angenommenen Sätzen ein Minimum für die Landpraxis in armen 
Gegenden festgestellt werde, nach welchem dann für kleinere Städte sowie für un¬ 
bemittelte Personen in großen Städten sich angemessene Mittelsätze der Taxe von 
selbst leicht ergeben würden.“ 

Der Entwurf wurde dem Könige am 7. März 1815 vorgelegt, voll¬ 
zogen und durch das Edikt, betreffend „die Einführung einer neu revi¬ 
dierten Taxe für die Medizinalpersonen“ am 21. Juni 1815 in der Gesetz¬ 
sammlung veröffentlicht. Abgesehen von Änderungen in den einzelnen 
Sätzen erhielt die neue Taxe zwei neue Abschnitte: V. Taxe für die gericht¬ 
lichen Ärzte und Wundärzte und VI. Taxe für die Tierärzte. 

Diese Gebührenordnung hat ungeachtet vielfacher Bemängelungen seitens 
der Ärzte unter Hinweis auf den verminderten Wert des Geldes bis zum 
Jahre 1896 Gesetzeskraft behalten. 

Bei der Verschiedenheit der Auffassungen der ärztlichen Kreise über 
den Erlaß einer neuen Taxe hielt es der Minister der Medizinalangelegen¬ 
heiten, Dr. Bo88e, für angezeigt, vor dem Eintritt in die Beratung einer 
neuen Gebührenordnung für die Medizinalpersonen die Ansichten der ärzt¬ 
lichen Kreise durch Vermittelung der berufenen Vertretung, die Ärztekammern, 
zu erfahren, und wies die Oberpräsidenten durch Erlaß vom 19. November 
1892 demgemäß an a ). 

Die Ärztekammern äußerten sich in weit überwiegender Mehrzahl 

für die Notwendigkeit der Aufhebung der alten Taxe und Erlaß einer neuen Taxe, 
und erachteten es für zweckmäßig, auf der Grundlage der Kombinierung eines 
Mindest- und Höchstbetrages eine einheitliche Taxe für den ganzen Staat zu er¬ 
lassen. Ferner erklärten die Ärztekammern es für wünschenswert, in der Taxe 
unter der Voraussetzung, daß die ärztliche Leistung die Zurücklegung eines längeren 
Weges oder ein besonders hohes Maß von Zeitaufwand erfordern, den Grundsatz 
der Zulassung einer bestimmt abzustufenden Sonderentschädigung in Form einer 
Zuschlagsgebühr zur Anerkennung und Durchführung zu bringen; 

daß im übrigen die Festsetzung der ärztlichen Forderung innerhalb der durch 
die Taxe bestimmten Maximal- und Minimalgrenzen nach Maßgabe des auf die 
Leistung verwendeten Maßes von Zeit und Arbeit sowie nach der Zahlungsfähig¬ 
keit des Verpflichteten zu erfolgen habe. 

Unter Zugrundelegung dieser Anschauungen ist die Gebührenordnung 
bearbeitet worden. Bei der Neubearbeitung mußten den veränderten Verhält¬ 
nissen entsprechend die Abschnitte V und VI der alten Taxe, Gebühren für 
die Gerichtsärzte und für die Tierärzte, fortfallen, nachdem inzwischen für 
erstere durch das Gesetz vom 9. März 1872 (G.-S., S. 265) eine Sonder¬ 
gebührenordnung geschaffen worden, und nachdem die Tierärzte dem 
landwirtschaftlichen Ministerium 1872 überwiesen waren. 


*) Näheres über die Bearbeitung der neuen Gebührenordnung findet der Leser 
hei Dr. A. Förster, Geheimer Ober-Regierungsrat, Vortragender Rat und Justiziar 
im Ministerium der Medizinalangelegenheiten: Die preußische Gebührenordnung 
für approbierte Ärzte und Zahnärzte vom 15. Mai 1896. Berlin 1896. Richard 
Schoetz. 

Viartcljahraachrift für Getundhdtipflege, 1008- 35 


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546 


M. Pistor, 


Technische Kommission für die pharmazeutischen Angelegen¬ 
heiten. Arzneitaxe. Hof-Apotheken-Kommission. Kommission 
für die Bearbeitung der Pharmacopoea Borussica. 

Nachdem die Preise der Arzneimittel etwa in fünfjährigen Zwischen¬ 
räumen bisher von einer ad hoc berufenen Kommission unter Mitwirkung 
von Mitgliedern des Ober-Collegium medicum, später der Wissenschaftlichen 
Deputation festgesetzt waren, beschloß der Minister von Altenstein auf 
Rusts Anregung, eine „stehende Kommission zur jährlichen Festsetzung der 
Arzneitaxe und zur Beratung anderweiter pharmazeutischer Angelegenheiten“ 
zu schaffen. Zu dem Zweck forderte der Minister die Berliner Apotheken¬ 
besitzer am 29. Februar 1832 auf, zwei Vertreter aus ihrer Mitte als Mit¬ 
glieder der Kommission in Vorschlag zu bringen. Die Kommission trat be¬ 
reits am 2.Mai 1832 ins Leben und bestand aus den Professoren: Link als 
Botaniker, Mitscherlich als Chemiker, einem Vertreter der Medizinalabteilung 
als Leiter der Kommission, Geheimrat Trüstedt, dem Oberstabsapotheker 
Kleist, zwei Berliner Apothekenbesitzem Baerwald und Hertz, und erhielt 
als Arbeitsgebiet: 

a) fortlaufende Revision und Bearbeitung der Pharmacopoea auf Grund 
der neuesten wissenschaftlichen Erfahrungen und mit möglichster Berück¬ 
sichtigung der Preise der Arzneien; 

b) fortlaufende Revision und Bearbeitung der Arzneitaxe; 

c) Sammlung von Materialien zur Ausarbeitung einer neuen Apotheker¬ 
ordnung. 

Am 27. Oktober 1849 erhielt diese Kommission die Bezeichnung »Tech¬ 
nische Kommision für die pharmazeutischen Angelegenheiten“ und dazu eine 
Geschäftsanweisung (abgedruckt in: M. Pistor, Das Gesundheitswesen 
in Preußen, Bd. I, S. 713, Berlin 1896, R. Schoetz). Die Kommission 
sollte der Regel nach aus einem Vortragenden Rat der Medizinalabteüung 
des Ministeriums als Leiter und drei Berliner Apothekern bestehen, außer 
der jährlichen Bearbeitung der Arzneitaxe die ihr von dem Minister zu¬ 
gewiesenen Vorlagen bearbeiten. 

Ob und wieweit Materialien zu einer neuen Apothekerordnung gesammelt 
worden sind, ist aus den Akten nicht ersichtlich; zustande gekommen ist 
eine neue Apothekerordnung bis heute nicht. 

Die Bearbeitung der Pharmacopoea hatte sich inzwischen ganz anders 
gestaltet. 

Über den Betrieb der 1605 eingerichteten Hofapotheke ergingen die 
Reglements vom 16. Dezember 1752 und 23. November 1763, ein „Neu¬ 
geschärftes und von Sr. Königlichen Majestät in Preußen pp. allergnädigst re¬ 
vidiertes Hof-Apotbeken-Reglement“, in welchem befohlen wurde, daß in der 
Hofapotheke nur Arzneimittel, keine Genuß-und Luxusmittel gehalten werden 
sollten. Ferner wurde bestimmt, wer freie Arzneimittel verschreiben und 
erhalten sollte, und daß bei Anfertigung der Arzneien stets die größte Sauber¬ 
keit und Sorgfalt geübt werden müsse. 

Die noch heute bestehende Hofapotheken-Kommission, welche zuerst aus 
dem Königlichen ersten Leibarzt und aus einem Mitgliede des Generaldirek¬ 
toriums bestand, heute aus dem Generalstabsarzte, einem juristischen 


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547 


Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 

Vortragenden Rat, einem Professor der Chemie und einem Berliner Apo¬ 
thekenbesitzer zusammengesetzt ist, übt die Aufsicht über den Betrieb der 
Königlichen Hofapotheke und die Führung des Personals aus, an dessen 
Spitze der Hof-Apotheker steht. 

Die Hofapotheken-Kommission untersteht seit einigen Jahren nicht mehr 
dem Kultusminister, sondern dem Minister des Königlichen Hauses. 

Das bereits 1713 ausgearbeitete Dispensatorium Borusso-Brandenburgi- 
cum (S. 232) wurde im Anschluß an das Medizinal-Edikt von 1725 im 
Jahre 1726 als erste staatliche Landespharmacopoea veröffentlicht und er¬ 
schien nach vollständiger Umarbeitung im Jahre 1781 unter dem Titel: 
Dispensatorium regium et electorale Borusso-Brandenburgicum; juxta quod 
in provinciis regiis et electoralibus medicamenta comparanda et composita 
praeparanda. Auspiciis sacrae Regiae Majestatis Borussiae cura et opera 
regii Collegii medici superioris denuo editum, revisum, emendatum et auctum. 
Berolini 1781. 139 Quartseiten. 

Schon in dieser Auflage wurde der in der ersten Bearbeitung enthaltene 
Wust von Arzneiformeln beschränkt, zugleich eine kurze Übersicht der Ma- 
teria medica gegeben und eine kurze Nachweisung derjenigen Drogen hinzu¬ 
gefügt, welche in den größeren und kleineren Städten vorgehalten werden 
sollton. 

Nach denselben Grundsätzen bearbeitete eine Kommission des Ober- 
Medizinal-Departements, bestehend aus den Ärzten Geh. Medizinalräten 
Dr. Roloff, Schräpel, Meyer, Riemer, Formey und den Chemikern 
Klaproth, Hermbstädt, Rose und einigen Berliner Apothekern die 
Pharmacopoea Borussica editio I. Diese erste Auflage der Pharmacopoea 
Borussica cum gratia et privilegio sacrae Regiae Majestatis. Berolini 1799, 
veröffentlicht am 12. August 1799, enthielt auf 216 Quartseiten in sorg¬ 
fältiger und geschickter Auswahl nur diejenigen Arzneimittel, deren Wirk¬ 
samkeit durch Theorie und Erfahrung erwiesen war, außerdem genaue 
Anweisungen zur Herstellung der Präparats und Composita und führte eine 
den großen Fortschritten der Chemie entsprechende Nomenklatur ein. 

Die Pharmacopoea Borussica wurde im In- und Auslande als ein vor¬ 
treffliches Werk anerkannt, fand auch in anderen Ländern Eingang und 
erlebte bis 1872 sieben veränderte Auflagen. Die Neubearbeitungen führten 
Mitglieder der Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen unter 
Mitwirkung von hervorragenden Berliner Apothekern aus, sobald Verände¬ 
rungen oder Ergänzungen aus wissenschaftlichen oder praktischen Gründen 
nach dem Urteil Sachverständiger erforderlich erschienen. 

Nach Wiedererrichtung des Deutschen Reiches ging die Bearbeitung der 
Pharmacopoea auf Grund des Artikels 4 der Reichsverfassung auf die Reichs¬ 
behörden über. Bereits im Jahre 1872 erschien das in einer Kommission 
von Sachverständigen im Reichsamte des Innern bearbeitete erste Deutsche 
Reichsarzneibuch als Pharmacopoea Germanica und wurde durch die Bekannt¬ 
machung des Reichskanzlers vom 1. Juni 1872 (R.-G.-B1., S. 172) für das 
Deutsche Reich verbindlich gemacht. 

Neubearbeitungen erschienen 1882, 1890 und 1900 nach Entwürfen 
von Sachverständigen, die nunmehr im Kaiserlichen Gesundheitsamte zu¬ 
sammengetreten waren. 


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35 * 



548 


M. Pittor, 


Zurzeit arbeitet eine Abteilung des Reichsgesundheitsratea an der 
fünften Ausgabe des „Arzneibuches für das Deutsche Reich“, wie das Werk 
seit 1890 genannt ist. 


Der Apothekerrat. 

Schon seit Jahren hatten die Apotheker eine Standes Vertretung erstrebt, 
so noch im Jahre 1892 durch eine Vorstellung des Apothekers Schneider 
in Sprottau, die in der Fachpresse lebhaften Widerhall gefunden hatte. 

Als die Frage einer Reform des Apothekenwesens bei der Beratung des 
Staatshaushaltes 1895 im Landtage zur Sprache gekommen war, nahm die 
Regierung den Gedanken einer Standesvertretung auf. Zunächst dachte 
man an die Erweiterung und Umgestaltung der Technischen Kommission für 
die pharmazeutischen Angelegenheiten, fand aber bei weiterer Erwägung 
diese Lösung nicht für zweckentsprechend. 

Im September 1895 wurde beschlossen, statt dessen eine neue begut¬ 
achtende Behörde zur Beratung von Fragen des Apothekerwesens zu schaffen. 
Sie erhielt den Namen Apotbekerrat und trat nach Bewilligung der erforder¬ 
lichen Mittel durch die Allerhöchste Order vom 29. April 1896 als ein Teil 
der Medizinalabteilung ins Leben. 

Der Apothekerrat besteht aus dem Direktor der Medizinalabteilung als 
Leiter, den vier Vortragenden Räten, vier Apothekenbesitzern und vier nicht 
im Besitze befindlichen Apothekern, tritt in der Regel jährlich einmal zu¬ 
sammen, um über von dem Minister ihm vorgelegte Fragen zu beraten und 
sich gutachtlich zu äußern. 

In der Sitzung vom 30. und 31. Mai 1900 spraoh sich der Apothekerrat 
auf die von dem Minister zur Beratung gestellte Frage: 

„Ist es ratsam oder nicht, dahin zu wirken, daß für die Apotheker eine 
Standesvertretung ins Leben gerufen werde?“ 

1. einstimmig für die Schaffung einer 8tandesvertretung aus; 

a) zur Erhaltung der Apotheken als zuverlässiger, staatlich beaufsichtigter 
Arzneizubereitungsstätten; 

b) zur Erhöhung der Verantwortlichkeit der Apotheker; 

c) zur Wahrung der Interessen des Apothekerstandes. 

2. Die Organisation der Standesvertretung für das Apothekenwesen hat sich 
an die politische Einteilung des Staatsgebietes anzuschließen, so daß für jede Pro¬ 
vinz eine Apothekerkammer einzusetzen ist. 

3. Das Wahlrecht zur Apothekerkammer kann nur von solchen Apothekern 
ausgeübt werden, welche nach erlangter Approbation im Apothekenbetriebe als 
Besitzer, Verwalter oder Gehilfen tätig sind, der Erfüllung ihrer Militärdienstpflicht 
obliegen oder ein staatliches pharmazeutisches Amt bekleiden. 

4. Die Mitglieder der Apothekerkammer sind mit einfacher Stimmenmehrheit 
zu wählen. Die Wahl gesonderter Vertreter für Apothekenbesitzer und nicht be¬ 
sitzende Apotheker ist nicht angezeigt. 

Der diesen Beschlüssen beigefügte Entwurf einer Allerhöchsten Ver¬ 
ordnung, welcher auch die Errichtung eines Apothekerkammer-Ausschusses 
enthielt, fand die Zustimmung des Ministers und erhielt die Königliche Ge¬ 
nehmigung am 2. Februar 1901. (G.-S., S. 49.) 

Ein Mangel der Vorschriften liegt darin, daß als Nichtbesitzer aucb die¬ 
jenigen Apotheker angesehen werden können und nach den bereits gemachten 
Erfahrungen auch gelten, welche ihre Apotheke verkauft haben, also nicht 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 549 

mehr Besitzer sind. Dadurch werden die tatsächlichen Nichtbesitzer in 
ihren Interessen benachteiligt, weil der ehemalige Besitzer seinen im Besitze 
befindlichen Kollegen wohl fast immer gegen die Nichtbesitzenden zu- 
h tim men wird. 

Übrigens wurde damit ein berechtigter Wunsch des Apothekerstandes 
erfüllt. Bei richtiger Leitung und Verständnis Toller Beurteilung dessen, 
was der Bevölkerung und dem Apothekerstande zugleich nutzbringend ist, 
aber auch nur bei einer solchen Auffassung ihrer Aufgaben kann die Apotheker¬ 
standesvertretung Ersprießliches wirken und schaffen. 

Staatliche Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasserversorgung 
und Abwässerbeseitigung. 

Am 25. August 1899 beantragte der Minister der Medizinalangelegen¬ 
heiten auf Anregung des Vortragenden Rates Dr. Schmidtmann bei dem 
Finanzminister, zur Errichtung einer Versuchs- und Prüfungsanstalt für 
Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung in Berlin die erforderlichen 
Mittel in den Staatshaushalt für das Jahr 1900 einzustellen. Der Antrag 
wurde duroh Hinweis auf die gesundheitliche Bedeutung guten Wassers für 
die erwiesene Hebung der öffentlichen Gesundheit, Abnahme der Sterblichkeit 
in kanalisierten Städten, die kulturelle Bedeutung einer Versorgung der Be¬ 
völkerung mit gesundheitsgemäßem Brauch- und Nutzwasser, Reinhaltung 
der Flüsse usw. begründet und von den Ministern des Innern, für Land¬ 
wirtschaft, Domänen und Forsten, für Handel und Gewerbe und der öffent¬ 
lichen Arbeiten warm unterstützt. Auch in den Kreisen der Industrie und 
der Landwirtschaft fand der Antrag lebhafte Zustimmung. 

Die erforderlichen Mittel, 60 000 t,ü, wurden vom Landtage für die pro¬ 
visorische Elinrichtung der Anstalt im Jahre 1901 bewilligt. Die Anstalt 
wurde in dem Hause Kochstraße 73 eingerichtet und bat sich derartig be¬ 
währt, daß die erforderlichen Mittel für das Definitivum vom Landtage 
bereits in den Staatshaushalt 1902 eingestellt und bewilligt wurden. 

Nach der Geschäftsanweisung hat die Anstalt folgende Aufgaben: 

1. Die auf dem Gebiete der Wasserversorgung und Beseitigung der Abwässer 
und Abfallstoffe sich vollziehenden Vorgänge in Rücksicht auf deren gesundheit¬ 
lichen und volkswirtschaftlichen Wert zu verfolgen. 

2. Dahin gehörige Ermittelungen und Prüfungen im allgemeinen Interesse 
aus eigenem Interesse zu veranlassen. 

3. Untersuchungen über die in ihren Geschäftsbereich fallenden Angelegen¬ 
heiten im Aufträge der Ministerien und auf Antrag von Behörden und Privaten 
gegen Gebühren auszuführen. 

4 . Den Zentralbehörden auf Erfordern des Vorgesetzten Ministers Auskunft zu 
erteilen und einschlägige Gutachten im öffentlichen Interesse zu erstatten. 

Die speziellen Aufgaben sind zub den „Mitteilungen aus der König¬ 
lichen Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung zu 
Berlin 1 *, herausgegeben von Dr. A. Schmidtmann und Dr. Carl Günther, 
Heft 1, S. 6, Berlin 1902, A. Hirschwald, zu ersehen. 

Die Anstalt untersteht dem Minister der Medizinalangelegenheiten; die 
Geschäftsführung wird von einer Ministerialkommission, welche außer dem 
Anstaltsleiter und Anstaltsvorsteher aus Vertretern der Minister der Medi¬ 
zinalangelegenheiten, des Innern, für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe, 



560 M. Pistor, 

der öffentlichen Arbeiten und der Finanzen besteht and vierteljährlich Zu¬ 
sammentritt, überwacht. 


Karzer Rüokblick. 

Die Preußische Medizinalverwaltung- hat sich nach Vorstehendem bis 
heute wie folgt entwickelt: 

Der Große Kurfürst rief auf Antrag seiner Leibärzte durch das von 
ihnen verfaßte Edikt 1685 das Collegium medicum ins Leben, eine selbst¬ 
ständige Behörde, die in allen Medizinal- und gesundheitspolizeilichen Sachen 
die Entscheidung hatte und in gerichtlichen Fällen auch Gutachten abgeben 
mußte. Aus dieser Behörde entstand 1725 das Ober-Medizinal-Kollegium 
mit Medizinalkollegien in den einzelnen Provinzen, neben welchen seit 1719 
ein Ober-Collegium sanitatis mit Provinzialkollegien tätig war. Die Aus¬ 
bildung der Mediziner fand unter Leitung des Ober-Collegium medicum im 
Collegium medico-chirurgicum statt. 

Als Ortsbeamte für das Medizinalwesen fungierten Land- und Stadt¬ 
physiker, welche von den Kreisständen, Ritterschaften und städtischen Be¬ 
hörden angestellt und besoldet wurden, sowohl die gesundheitepolizeilichen 
Geschäfte besorgten, wie gerichtliche Gutachten abgaben und Leichenöffnun¬ 
gen machten. Sie mußten, seit 1761, bevor sie in die amtsärztliche Tätigkeit 
eintreten konnten, vor dem Ober-Medizinal-Kollegium einen Cursus anato- 
micus absolviert und einige schriftliche gerichtliche Aufgaben gelöst haben. 
Im Laufe des 18. Jahrhunderts, seit 1755, mußten diese von den Städten, 
Kreisen und Ritterschaften berufenen Amtsärzte vom Ober-Collegium medicum 
geprüft und später von dem Generaldirektorium auf Vorschlag bestätigt 
werden, bevor sie ihr Patent erhielten. Mit dem Beginn des 19. Jahrhun¬ 
derts ging die Anstellung der Kreisphysiker und Kreiswundärzte auf die 
Staatsregierung über und lag zunächst in der Hand der Bezirksregierungen, 
denen dieses Recht aber durch einen Erlaß vom 23. September 1810 ent¬ 
zogen und dem Medizinalminister übertragen wurde. 

Mit der Errichtung der Medizinalsektion im Ministerium des Innern 
trat der Minister deB Innern an die Spitze der Medizinalverwaltung. Als die 
Medizinalangelegenheiten 1817 zwischen dem Minister des Innern und dem 
Kultusminister geteilt wurden, waren beide Minister an der Verwaltung der 
Medizinalangelegenheiten beteiligt. Der Minister der geistlichen, Unter¬ 
richts- und Medizinal-Angelegenheiten übernahm mit der Medizinalverwaltung 
für das Medizinalwesen auch die wissenschaftliche Deputation als beratende 
Behörde, welche bei den Regierungen in den Medizinalkollegien gewisser¬ 
maßen Zweiganstalten haben sollte. Die Dienstanweisung für die Medixinal- 
kollegien vom 23. Oktober 1817 ist veraltet, deshalb nicht abgedruckt. 

Zurzeit liegt die gesamte Medizinalverwaltung in der Hand der Medi¬ 
zinalabteilung des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal- 
Angelegenheiten, welcher als beratende Behörden die Wissenschaftliche Depu¬ 
tation für das Medizinalwesen, die Technische Kommission für die 
pharmazeutischen Angelegenheiten, der Apothekerrat und die Anstalt für 
WaBserprüfungen zur Seite stehen. Die Medizinalabteilung hat ihren eigenen 
Ministerialdirektor, bestand 1810 aus zwei Vortragenden Räten, zu denen 
1872 ein dritter trat und besteht zurzeit auB vier Vortragenden Räten, 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltuug. 


551 


einem Hilfsarbeiter für das Irrenwesen, einem ärztlichen Hilfsarbeiter als 
Vertreter der Ärzte, einem pharmazeutischen Hilfsarbeiter und einem Justi- 
ziarius. Die Abteilung steht unmittelbar unter dem Minister der Medizinal¬ 
angelegenheiten, welcher in solchen Angelegenheiten, die ein anderes 
Ministerialressort auch angehen, den zuständigen Minister hinzuziehen muß. 
Der Medizinalminister ist berechtigt, die Provinzialbehörden und zwar die 
Oberpräsidenten und die Regierungspräsidenten anzuweisen. 

Der Oberpräsident hat das Recht, mit Zustimmung des Provinzialrates 
durch Polizeiverordnung Anordnungen auf dem Gebiete des öffentlichen Ge¬ 
sundheitswesens für die ganze Provinz oder mehrere Regierungsbezirke der¬ 
selben oder für Kreise verschiedener Regierungsbezirke auf Grund des §137 
des Gesetzes über die allgemeine Landes Verwaltung vom 30. Juli 1883 und 
auf Grund der §§ 3 und 6 des Gesetzes über die Polizeiverwaltung vom 
11. März 1850 zu erlassen. Nach § 6 des genannten Gesetzes gehören zu 
den Gegenständen der in Betracht kommenden Vorschriften seitens der Ober¬ 
präsidenten, Regierungspräsidenten, Landräte und Ortspolizeileute „die 
Sorge für Leben und Gesundheit". 

Der Oberpräsident leitet die Verhandlungen des ihm als technische 
Behörde zur Seite stehenden Provinzial-Medizinalkollegiums, welches aus 
mindestens drei Ärzten als Mitgliedern, einem Tierarzt und einem 
Apotheker als Beisitzern bestehen soll und eine lediglich beratende 
Körperschaft mit kollegialer Verfassung ist, dessen Haupttätigkeit seit 
Jahrzehnten fast nur in der Revision der aus der ganzen Provinz viertel¬ 
jährlich eingehenden Verhandlungen über gerichtliche Leichenöffnungen und 
die darauf bezüglichen Gutachten der Kreisärzte, sowie der gerichtsärztlichen 
Gutachten über zweifelhafte Geisteszustände und in der Erstattung von 
Obergutachten in beiden Richtungen auf Ersuchen der Gerichtsbehörden besteht. 
Eine Mitwirkung bei der staatlichen Gesundheitspflege findet kaum noch statt. 

Die Medizinalverwaltung in den nach dem 1866 er Kriege an Preußen ge¬ 
fallenen Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover und Hessen-Nassau wurde 
duroh KönigL Verordnung vom 13. Mai 1867 auf Grund der Gesetze vom 
20. September und 24. Dezember 1866 dem Kultusminister übertragen. 

Dem Oberpräsidenten allein steht es zu, die Anlage neuer und die Ver¬ 
legrung alter Apotheken nach Anhörung des Regierungspräsidenten zu ge¬ 
nehmigen und überflüssig gewordene Anlagen einzuziehen. (Instruktion für 
die Oberpräsidenten vom 31. Dezember 1825, §11, lit. B nebst Ausführungs¬ 
bestimmungen.) 

Die ausübende öffentliche Gesundheits- und Medizinalpolizei, insbesondere 
die Überwachung der Ausführung der gesetzlichen und reglementarischen 
Bestimmungen, der Erlaß von neuen, durch das Bedürfnis bedingten Anord¬ 
nungen und Vorschriften gehören zum Geschäftsgebiet der Bezirksregie¬ 
rungen, liegen nach der Neuorganisation dieser Behörden, seit 1879, in der 
Hand der Regierungspräsidenten, welchen als Berater und Bearbeiter in Fragen 
des öffentlichen Gesundheitswesens ein Regierungs- und Medizinalrat, für 
Berlin zwei Räte beigegeben sind. Dem Regierungspräsidenten stehen unter 
Zustimmung des Bezirksausschusses für seinen Bezirk und mehrere Kreise 
desselben dieselben Verordnungsrechte mut. mut. zu, wie dem Oberpräsi¬ 
denten nach obiger Angabe. 


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552 


M. Pistor, 


In den Kreisen übt der Landrat die staatliche Gesundheitspflege unter 
Beirat des ihm zugeordneten Kreisarates (früher Kreisphysikus) aus. Der 
zweite Amtsarzt (einst Kreiswundarzt) ist seit dem Kreisarztgesetz von 1899 
beseitigt; nur ausnahmsweise wirkt neben dem Eireisarzt ein Elreis- 
Assistenzarzt. Über die Befugnisse und Rechte dieser Beamten ergeben die 
früheren Ausführungen das Nähere. 

Wiederholt war von den Ärzten der Wunsch ausgesprochen worden, 
daß an die Spitze der Medizinalabteilung und der mit ihr verbundenen 
Wissenschaftlichen Deputation für das MedizinalweBen ein ärztlicher Direktor 
gestellt werden möchte. Dieser Wu&sch hatte aber niemals auf dem amt¬ 
lichen Wege Aufnahme gefunden. Im Jahre 1906 regten die Ärztekammern 
für die Provinzen Sachsen und Brandenburg mit dem Stadtkreis Berlin fast 
gleichzeitig bei dem Ärztekammer-Ausschuß diese Frage behufs Anhörung der 
übrigen Ärztekammern an. Sämtliche Ärztekammern stimmten einmütig 
für die Besetzung beider Stellen durch einen Arzt, sobald eine Erledigung 
der zeitigen Besetzung eintreten sollte. Darauf richtete der Ärztekammer- 
Ausschuß die nachstehende Vorstellung vom 3. März 1907 an den Minister 
der Medizinalangelegenheiten. 


Cöln, den 3. März 1907. 

Betrifft Leitung der Medizinalabteilung und der Wissenschaftlichen Deputation 
für das Medizmalwesen durch einen Arzt. 

Ew. Exzellenz beehrt sich der Ausschuß der Preußischen Ärztekammern 
nachstehend deren einstimmig beschlossene Anträge vorzulegen und zu be¬ 
gründen : 

Die Königliche Staatsregierung wolle veranlassen, daß 

1. die Leitung der Medizinalabteilung im Kultusministerium einem ärztlichen 
Vortragenden Bat als Ministerialdirektor und 

2. die Leitung der Wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen 
einem ärztlichen Mitgliede derselben als Direktor übertragen werde, sobald eine 
dieser Stellen durch Ausscheiden des jetzigen Inhabers erledigt wird. 

Begründung: 

Zugleich mit dem Erlaß des Medizinalediktes vom 12. November 1685 er¬ 
richtete der Große Kurfürst das Collegium medicum, spätere Oberkollegium, dessen 
Leitung zunächst Juristen übertragen wurde. Aber schon König Friedrich Wilhelm I. 
berief 1713 den Hallenser Professor der Medizin Dr. Stahl als Direktor an die 
Spitze, ernannte ihn, vermutlich 1715, zum Präsidenten und übertrug ihm den 
Immediatvortrag. Nach Stahls Tode erhielten wieder Juristen den Vorsitz im 
Oberkollegium, bis Friedrich der Große durch folgende Kabinettsorder vom 
1. Februar 1784 die Juristen für ungeeignet zu dieser Stellung erklärte und seinen 
Leibarzt Dr. CotheniuB zum Präsidenten ernannte. Die Kabinettsorder lautet: 

Tester Rat, besonders lieber Getreuer! Es hat Mich gewundert, 
aus Eurem Bericht vom 80. Januar! tu ersehen, daß der beym Kammer* 
gericht gestandene Präsident von Reboeur zugleich die Direktor- 
Stelle beym Ober-Collegio-Medlco, mit einem Traktament von 300 Taler 
gehabt hat. Wie schickt sich denn ein Justiz Mann zu dem Medl* 
clnschen Fach; davon versteht er ja nichts, und soll auch keiner der* 
gleichen wieder dabei gesetzt werden. Vielmehr gehört dazu eia 
guter und vernünftiger Medicus, und muß man suchen einen solche! 


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553 


Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 

dazu Torzuschlagen, der schickt sich eher dahin, als einer von der 
Jostiz, welches Ich Euch also hierdurch za erkennen geben wollen, 
amb Euch hiernach zn achten. Ich bin Euer gnädiger König. 

gez. Friedrich l ). 

Nach Cothenius Tode erhielten wieder Juristen die Leitung des Ober-Col¬ 
legium medicum und des seit anfangs des 18. Jahrhunderts zur Bekämpfung von 
Menschen-und Tierseuchen errichteten Ober-Collegium sanitatiB bis zur Vereinigung 
beider zur Medizinalsektion bei dem Ministerium des Innern im Jahre 1809, deren 
Leitung dem Geheimen Ober-Medizinalrat Dr. A. W. von üufeland übertragen 
wurde; die Medizinalsektion übte die Medizinalverwaltung aus. Als gutachtliches, 
wissenschaftliches Kollegium wurde 1817 die Wissenschaftliche Deputation für das 
Medizinalwesen der Sektion unterstellt und ging mit ihr 1817, 1825 bzw. 1849 an das 
Kultusministerium über. Als Präsident der nunmehr als Medizinalabteilung be- 
zeichneten Sektion wird nach einer Mitteilung des Geheimen Ober-Medizinalrate 
Professor Dr. Kirchner in der Deutschen medizinischen Wochenschrift der Ge¬ 
heime Ober-Medizinalrat Professor Dr. Rust noch genannt, übrigens leiteten 
Juristen die Medizinalabteilung bis heute. Den Vorsitz in der Wissenschaftlichen 
Deputation führten bis zum Tode des Geheimen Ober-Medizinalrats Dr. Klug 
ärztliche Mitglieder, dann bis heute Direktoren der Abteilungen des Ministeriums, 
also Juristen. Bis zum Anfänge der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts beruhte 
die Medizinalverwaltung auf so geringen wissenschaftlichen Unterlagen nach Inhalt 
und Umfang, daß die Leitung der Abteilung wohl durch einen Nichtfachmann ge¬ 
schehen konnte. Dessen ungeachtet hat man schon seit der Errichtung einer Zen- 
tral-Medizinalbehörde Ärzten wie Btahl, Cothenius, Hufeland und Rust die 
Leitung derselben übertragen, wohl in der Erkenntnis, daß eine fachmännische 
Leitung zweckmäßig sei. Seit drei Jahrzehnten hat nun aber die medizinische 
Wissenschaft und Kunst, insbesondere der hygienische Teil, dessen Anwendung auf 
das praktische Leben der Medizinalverwaltung obliegt, so staunenswerte, umfangreiche 
Fortschritte gemacht, daß es für einen Laien beinahe unmöglich erscheint, ohne 
entsprechende Vor- und Ausbildung auf medizinischem Gebiete ein wirkliches Ver¬ 
ständnis zu erlangen und darauf gestützt eine Entscheidung zu treffen. Das muß 
nach Ansicht der Ärzteschaft für denjenigen, der die Medizinalverwaltung leiten 
soll, gefordert werden. Es sei nur kurz auf die gewaltigen Fortschritte in der 
Chemie, Physik, Bakteriologie und in der Physiologie hingewiesen. Ein Laie ist wohl 
kaum imstande, die Genußbrauchbarkeit eines Wassers, die gesundheitsgemäße Be¬ 
seitigung der Abfälle, die Einrichtung und den Betrieb von Krankenhäusern, die 
richtige Ernährung und Behandlung von körperlich Kranken, Geisteskranken und 
Strafgefangenen usw. zu beurteilen. Dazu gehören gründliche Kenntnisse der be- 
zeichneten naturwissenschaftlichen und medizinischen Disziplinen, und deren prak¬ 
tische Anwendung in der Gesundheitspflege. Wer diese Vor- und Ausbildung nicht 
durch jahrelanges systematisches ßtudium sich erworben und durch praktische Tätig¬ 
keit erprobt hat, kann die hohen Anforderungen an die Medizinal Verwaltung nicht 
erfüllen, sondern wird in derselben von dem für maßgebend gehaltenen Sachver¬ 
ständigen beeinflußt werden, häufig auch auf 8timmensammeln angewiesen sein. 
Wer dagegen die erforderlichen Fachkenntnisse erworben und erwiesenermaßen 
erfolgreich anwenden gelernt hat, der kann sich ein selbständiges Urteil bilden 
und danach die Verwaltung leiten, irrige Anschauungen von Laien widerlegen und 
unrichtige Ansichten seiner Fachgenossen zurückweisen, kurz, ein solcher sachver¬ 
ständiger Direktor der Medizinalabteilung ist allein imstande, selbständig die Ver¬ 
waltung zum Wohle des Volkes zu leiten. Was für die Medizinalabteilung gilt, 
das gilt in gleichem, fast in noch höherem Grade für die Wissenschaftliche Depu¬ 
tation für das Medizinalwesen, die höchste wissenschaftliche Behörde, welche der 
Medizinalahteilung in allen Fragen des öffentlichen Gesundheitswesens und der 
gerichtlichen Medizin beratend zur Seite stehen soll. Zu Mitgliedern der Depu¬ 
tation sind deshalb von jeher mit den Vortragenden Räten der Medizinalabteilung 
die hervorragendsten medizinischen und chemischen Lehrer der Berliner Univer- 


') Diese Order ist an den Minister von Hagen gerichtet. 


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554 M. Piator, Geachichte der preußiachen Medizinalverwaltung. 

aität berufen worden. Wenn dieaea Kollegium sachlich und nicht nur formell ge¬ 
leitet werden aoll, dann muß der Direktor unter aeinen Fachgenoaaen sachlich her 
vorragen. Die Notwendigkeit der Leitung technischer Abteilungen in anderen 
Verwaltungen durch Fachmänner hat die Königliche Btaatsregierung zum Teil 
aohon seit Jahrzehnten anerkannt und deshalb an die 8pitze Fachmänner, and 
zwar mit bestem Erfolge, berufen. Daß der Medizinalabteilung wie der Deputation 
ein Jurist angehören muß, um im ersten Falle ungesetzliche Anordnungen zu ver¬ 
hüten, in der Deputation für Beachtung gewisser Formen zu sorgen, ist selbstver¬ 
ständlich. Der Ärztekammer-Ausschuß betrachtet hiernach das Votum sämtlicher 
Kammern, das nur den seit Jahrzehnten gehegten und auch Ew. Exzellenz und 
deren Amts Vorgängern nicht unbekannten Wunsch der Ärzteschaft zum Ausdruck 
bringt, für begründet und berechtigt und bittet Ew. Exzellenz, für die Anträge nach 
Zustimmung des Königlichen Staatsministeriums die Genehmigung seiner Majestät 
des Königs hochgeneigtest zu erwirken. 

Der Ausschuß der Preußischen Ärztekammern 
Dr. Lent, Vorsitzender. 


An 

den Königlichen Staatsminiater und Minister der geistlichen, Unterrichts- und Me¬ 
dizinal-Angelegenheiten Herrn Dr. von Studt, Exzellenz, Berlin. 


Bei dem Ausscheiden des derzeitigen Direktors der Wissenschaftlichen Depu¬ 
tation, Wirklichen Geheimen Bates Dr. Althoff, unter dessen Leitung die außer¬ 
ordentlichen Mitglieder der Deputation, welche der Begel nach jährlich einberufen 
werden sollen, länger als fünf Jahre lang nicht eingeladen wurden, erhielt entgegen 
vorstehendem Anträge der Ministerialdirektor Dr. Förster am 1. Oktober 1907 
die erledigte Stelle. 


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Berichtigungen. 


Id meiner Entgegnung im letzten Hefte der Deutschen Vierteljahrs¬ 
schrift für öffentliche Gesundheitspflege muß es in der Fußnote S. 375 
anstatt: „Außer dem Stabsapotheker“ — „Außer dem Oberstabsapotheker* 
heißen. Droste, Stabsapotheker. 


Im ersten Absatz der S. 806 des 39. Bandes dieser Vierteljahrsschrift 
ist der Satz: „Verdünnt man dann mittels einer Luftpumpe die Luft in dem 
Glaskasten bis auf ein Fünftel Atmosphäre, während die Büchsen eine Tem¬ 
peratur von 116° auf weisen, so wird man durch das Glas aus den Büchsen, 
welche Undichtigkeiten auf weisen, Luft oder Bouillon oder beides austreten 
sehen“ durch folgenden zu ersetzen: 

„Verdünnt man dann mittels einer Luftpumpe die Luft in dem Glas¬ 
kasten bis auf ein Fünftel Atmosphäre, während die Büchsen noch warm 
sind und die gelatinierte Bouillon und das Fett noch flüssig ist, so wird 
man durch das Glas aus den Büchsen, welche Undichtigkeiten aufweisen, 
Bouillon mit Luft gemischt oder Bouillon allein austreten sehen.“ 

Dr. Dosquet. 


Durch Fertigstellung des vier Bände umfassenden offiziellen 
Kongreßberichts sind die Arbeiten des XIV. Internationalen Kongresses 
für Hygiene und Demographie, Berlin 1907, beendet. Der Versand 
der beiden letzten Bände an die Mitglieder des Kongresses erfolgt 
noch im Laufe dieses Monats. 

Der gesamte Bericht ist im Verlage August Hirschwald, Berlin, 
erschienen und zum Preise von Jt 50.— im Buchhandel erhältlich. 
Auch werden die Bände einzeln zu folgenden Preisen abgegeben: 
Band I Jt 6.—, Band II Jt 14.—, BandIII, l.Teil, Jt 10.—, Band ni, 
2. Teil, Jt 10.—, Band IV Jt 10.—. 


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Kritiken und Besprechungen. 


Kritiken und Besprechungen. 


Salomon: Die städtische Abwässerbeseitigung in Deutsch- ! 
land. II. Band, 3. Lieferung. Das Odergebiet. Das Weichsel-, 
Pregel- und Memelgebiet. Mit 23 Tafeln und 26 Abbildungen im 
I’ext. .lena, Gustav Fischer, 1907. Preis 18 <M. 

Die vorliegende Schlußlieferung des zweiten Bandes behandelt das öst¬ 
liche Deutschland. Die Anordnung des Stoffes ist genau dieselbe, wie sie 
bereits mehrfach in dieser Zeitschrift besprochen wurde. Von größeren 
Städten interessieren hier besonders Breslau, Kiel, Posen, Stettin, Bromberg, 
Danzig und Königsberg, doch finden auch zahlreiche mittlere und kleinere 
Städte Besprechung, wie die zahlreichen Badeorte an der Ostseeküste. An¬ 
geschlossen sind die Beschreibungen der Abwässerbeseitigungsanlagen in 
größeren Anstalten; besonders die Provinzialanstalten bieten zahlreiche 
Daten. Weiter folgen die Beschreibungen von Hauskläranlagen, so daß 
der Benutzer des Buches auch für die kleinsten Verhältnisse Beispiele findet 
Den Schluß bilden die Register : Angaben über Flüsse, Zeittafel, Zusammen¬ 
stellung der Städte beider Bände nach der Art ihrer Abwasserreinigung. 
Ortsverzeichnis. Eine Karte bietet die Möglichkeit, die Verteilung der kana¬ 
lisierten und nicht kanalisierten Städte über das Reich sofort zu übersehen. 

Somit liegt das Werk fertig vor, dessen erster Band bereits mit großer 
Befriedigung aufgenommen wurde. Die Erwartungen, die man damals 
hegen konnte, sind vollständig erfüllt worden. Das Hauptcharakteristikum 
für das Werk ist die Sorgfalt, mit der alle erreichbaren Angaben gesammelt 
wurden, und mit der auch die Verzeichnisse und Register zusammengwteht 
worden sind. Daraus resultiert eine Vollständigkeit, wie man sie in ähn¬ 
lichen Werken nur selten findet. Ergänzungtbefte, die von zwei zu zwei 
Jahren erscheinen, sollen dazu führen, daß das Buch nicht veraltet; hoffent¬ 
lich werden diese auch eingehendere Mitteilungen über Kläranlagen von 
Fabriken bringen. — Das Werk darf als unentbehrlich bezeichnet werden 
für den, der sich mit Abwässerfragen beschäftigt, für Medizinal- wie Ver¬ 
waltungsbeamte und Techniker, wie für Gemeinden. Durch seinen reichen 
Inhalt und seine klare Anordnung läßt es beim Nachschlagen viel Zeit er¬ 
sparen, durch seine Literaturangaben gibt es Hinweise auf das, was ans 
Mangel an Raum nicht in ihm enthalten sein kann. (Kisskalt, Berlin.) 


Hausschwamm-Forschungen. Im amtlichen Aufträge herans- 
gegeben von Prof. Dr. A. Möller. Erstes Heft. Mit fünf Tafeln 

Jena, Gustav Fischer, 1907. 

Das Werk ist als Folge der kommissarischen Erörterungen über For- 
schungen und Untersuchungen auf dem Gebiete der Hausschwammfrags ent¬ 
standen, die im Jahre 1905 stattfanden. Es wurde damals die Errichtung 


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Kritiken und Besprechungen. 

eines Hausschwammlab Oratoriums angeregt und die Herausgabe der „For¬ 
schungen“ angeordnet, deren erstes Heft hier vorliegt. Die vier darin ent¬ 
haltenen Arbeiten sind folgende: 1. Falck, Denkschrift, die Ergebnisse der 
bisherigen Hausschwammforschung und ihre zukünftigen Ziele betreffend. 
Hier wird zunächst auf 18 Seiten ein Überblick über den gegenwärtigen 
Stand der Frage mit besonderer Berücksichtigung der Literatur gegeben, 
die Unterscheidung des echten Haussohwammes, seine Beinkultur, die Frage 
der Infektion und Disposition der Häuser und die Prophylaxe besprochen. 
— 2. Flügge, Bedingen Hausschwammwucherungen Gefahren für die Ge¬ 
sundheit der Bewohner des Hauses? Die Frage kann auch heutzutage noch 
verneint werden; auch ein Zusammenhang mit Carcinom existiert nioht. — 
3. Möller, Hausschwamm Untersuchungen. Verf. fand den Hausschwamm 
im Walde, wo das Mycel die Rinde in ihren toten Borkepartien durch¬ 
wuchert, dagegen das Holz und die Wurzeln frei läßt. Die Angaben Falcks 
von dem Vorkommen zweier Meruliusformen, der echten und der wilden 
Form, konnten bestätigt werden. Versuche über das Auskeimen der Sporen 
ergaben u. a. die merkwürdige Tatsache, daß dieses in mehrbasischen orga¬ 
nischen Säuren stattfindet, in einbasischen nicht. — 4. Falck, Wachstums¬ 
gesetze, Wachstumsfaktoren und Temperaturwerte der holzzerstörenden 
Mycelien. Die Arbeit ist die ausführlichste. Sie handelt von der Aus¬ 
breitung der Mycelien im Raume, den Grundtypen der holzzerBtörenden 
Mycelien, der Kultur. Unter gleichen äußeren Bedingungen ist das Wachs¬ 
tum konstant und läßt sich in eine Formel bringen. Die Temperatur ist 
von großem Einfluß, jeder Grad erhöht das Wachstum genau um denselben 
Betrag, innerhalb einer Grenze von 6 bis 26° (bzw. 23). Die Ernährungs¬ 
fragen sind noch nicht eingehend behandelt. — Das Erscheinen des Heftes 
ist sehr zu begrüßen, da seit längeren Jahren auf diesem Gebiete keine ein¬ 
gehende Untersuchung mehr erschienen ist. Die Ausstattung — auch einige 
stereoskopische Bilder sind beigegeben — ist eine vorzügliche. 

(Kisskalt, Berlin.) 


Dr. Greinacher, Privatdozent an der Universität Zürich: ÜlD0r die 
Klassifizierung: der neueren Strahlen. Antrittsvorlesung. 
Braunschweig, Friedr. Vieweg u. Sohn, 1908. 14 S. 0,6 Ji. 

Die Entdeckung Röntgens hatte wie ein Wunder auf uns gewirkt, 
sie gestaltete alle unsere Vorstellungen um und brachte uns eine ungeheure 
Erweiterung unseres Gesichtssinnes. Nioht minder wunderbar ist die 
wissenschaftliche Erweiterung, welche sie unmittelbar im Gefolge hatte: 
eine ganz neue Welt geheimnisvoller Strahlen lernten wir allmählich kennen, 
und unsere Anschauung von der Materie, von Atomen und Molekülen, erfuhr 
radiknie Wandlungen. Es ist auch für den in der modernen Physik Be¬ 
wanderten nicht leicht, den neuen Forschungsergebnissen in ihrer täglich 
zunehmenden Fülle mit raschem, vollem Verständnis zu folgen, die vor¬ 
liegende Arbeit kann dabei als Führer dienen. Sie ist bemüht, das neue 
Gebiet übersichtlich zu ordnen, die verschiedenen neu entdeckten Strahlen¬ 
formen auseinander abzuleiten und gegeneinander abzusondern, sie zu klassi¬ 
fizieren und in ein Schema zu bringen. Wie schwierig das ist, ergibt sich 


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Kritiken und Besprechungen. 


schon daraus, daß immer neue Modifikationen gefunden werden. — Wir 
kennen jetzt außer den Lichtstrahlen, die auf Ätherwellen beruhen, auch 
materielle Strahlen und unter diesen wieder solche mit positiver und solche 
mit negativer Elektrizität geladen. Positive Elektrizität kann nur aa mate¬ 
riellen Teilchen haften, negative auch frei existieren, in Gestalt der Elek¬ 
tronen. Man hat auch Elektronenstrablen kennen gelernt, die sich ohne 
alle Elektrizität erzeugen lassen: durch Erhitzen von Metalloxyden oder 
durch Belichten von Metallflächen. Über alle diese künstlichen und natür¬ 
lichen Elektronenstrahlen, über die Anoden-, Kathoden- und Kanalatrahlen, 
über die Röntgen- und die a-, ß-, y-, Ö-Strahlen orientiert die gehaltreiche 
Schrift, vorausgesetzt, daß man sie sehr aufmerksam liest. 

(Landsberger, Charlottenburg.) 


Lehrbuch der Körper- und Gesundheitslehre (Somatologrie 
und Hygiene). Für Mädchenlyzeen und ähnliohe Lehranstalten 
von Dr. Theodor Altschul, k. k. Sanitätsrat. Mit 133 Abbil¬ 
dungen im Text usw. Leipzig, G. Freytag; Wien, F. Tempsky, 1908. 
Preis geb. 3 tM. 

Das vorliegende Lehrbuch enthält eine recht ausführliche Schilderung 
der menschlichen Anatomie und eine sorgfältig ausgewählte kurze Be¬ 
arbeitung der verschiedenen Zweige der Gesundheitspflege, wobei die Schul¬ 
hygiene entsprechend dem Zwecke des Buches besondere Beachtung findet. 

Referent bezweifelt nicht, daß das Buch eine gute Grundlage für den 
Schulunterricht abgeben wird, wenn auch nicht erwartet werden darf, daß 
die höheren Töchter alles, was darin steht, in sich aufnehmen werden, da 
der Stoff immerhin etwas groß und reichhaltig ist. 

Beim Durchblättern des Buches sind mir einzelne Stellen aufgestoßen, 
die ioh nicht unerwähnt lassen möchte. Vor allem die Wiederbelebungs¬ 
versuche bei Scheintoten. Man soll den Kopf über die Tischkante herab¬ 
hängen lassen (!) und soll bei der Ausatmungsbewegung den Brustkorb 
seitlich zusammendrücken. Ich möchte deshalb darauf hinweisen, daß die 
Vorderfläche des Brustkorbes zu seiner Entleerung gegen die Hinterfläche 
der Wirbelsäule gedrückt werden muß. Beim Zusammendrücken von der 
Seite geht die vordere Fläche des Brustkorbes in die Höhe und füllt sich 
die Brust. Die Anweisung Altschuls ist deshalb falsch, ebenso der photo¬ 
graphisch abgebildete Vorgang. 

Mit Recht sind die Geschlechtsteile in der Anatomie und die sexuelle 
Aufklärung in dem Buche nicht berücksichtigt. Verf. geht aber zu weit, 
wenn er im Abschnitt Hygiene zwar alle möglichen Krankheiten aufführt, 
aber die Säuglingssterblichkeit mit keinem Worte erwähnt. Die natürliche 
Ernährung des Säuglings wird gleichfalls nicht erwähnt, die künstliche Er¬ 
nährung nur oberflächlich Wenn wir als Hygieniker die Säuglingssterblich¬ 
keit bekämpfen wollen, müssen wir vor ollem für Aufklärung über die Ur¬ 
sachen sorgen, diese muß in einer höheren Töchterschule, wenn der Hygiene 
ein so großer Raum gegeben wird, erfolgen. 

Daß auf der Abbildung eines Kindes im Einzelbrausebad dasselbe mit einer 
Badehose versehen ist, ist vom hygienischen Standpunkte aus nicht zu billigen. 



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Kritiken und Besprechungen. 

Bei Vergiftungen soll man recht viel Wasser trinken lassen. Es fehlt 
die Ergänzung, daß man dann den Vergifteten veranlassen muß, zu erbrechen, 
um das Gift aus dem Magen möglichst zu entfernen. (A. Hartmann, Berlin.) 

Die Hygiene des Wohnungswesens. Die Hygiene des Städte¬ 
baues. 1907. Zwei Heftchen der Sammlung Göschen. 
Von Prof. H. Chr. Nussbaum. 

Die beiden Arbeiten des sehr fleißigen Verfassers wenden sich weniger 
an die eigentlichen Fachleute als einen größeren Leserkreis, dem die gesund¬ 
heitlichen Maßnahmen und Rücksichten beim Wohnungs- und Städtebau, 
zum Teil in etwas breiter Weise und nicht ganz frei von Irrtümern, vor¬ 
getragen werden. Der Eindruck wird in gewisser Weise beeinträchtigt 
dadurch, daß der Verf. mitunter altbekannte Grundsätze oder Lehren für 
ein neueres Ergebnis seiner eigenen Tätigkeit hält. Als ausführliche 
Zusammenstellung geltender, hier und da auch streitiger Anschauungen 
sind aber beide Heftchen von nicht zu unterschätzendem Werte. (J. St.) 


R. Müller: Die Bekämpfung der Bleigefahr in Bleihütten. 
Von der internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz 
preisgekrönte Arbeit. Mit 7 Tafeln. Jena, Gustav Fischer, 1908. 

Der Verfasser behandelt in der vorliegenden Arbeit die Frage der Blei¬ 
erkrankungen bei Bleihüttenarbeitern, indem er zunächst den Ursprung der 
Bleivergiftungen in Bleihütten, die Wege, auf denen das Blei in den Körper 
des Arbeiters gelangt, die verschiedene Empfänglichkeit des Arbeiters gegen 
Bleivergiftungen u. a. erörtert und im Anschluß daran die allgemeinen Ma߬ 
nahmen zur Verhütung der Bleierkrankungen der Bleihüttenarbeiter bespricht, 
wobei auch die ständige ärztliche Überwachung der Bleihüttenarbeiter, der 
regelmäßige Wechsel der Arbeit in der Hütte, die Länge der Arbeitszeit u. a. 
Berücksichtigung gefunden haben. Der dritte technische Abschnitt be¬ 
handelt die Verhüttung der Bleierze und die bei den einzelnen Arbeiten 
auftretenden Bleigefahren. 

Besondere Erwähnung verdient, daß der Verfasser die von ihm ge¬ 
stellten Forderungen in seiner eigenen Hütte seit 1902 zur Durchführung 
gebracht hat und bei einem Bestände von durchschnittlich 60 Hüttenarbeitern 
im ganzen nur vier Fälle von Bleierkrankungen mit zusammen 40 Kranken¬ 
tagen zu verzeichnen hatte. Die grundlegende Bedingung jedes hygienischen 
Fortschrittes im Hüttenbetriebe sieht der Verfasser in der Beseitigung allen 
Rauches und Staubes. Von der mehr oder weniger vollkommenen Lösung 
dieser Frage hängt der ganze Erfolg der auf die Beseitigung von Bleierkran¬ 
kungen gerichteten Bestrebungen ab. Auch darin ist dem Verfasser bei¬ 
zustimmen, daß es wünschenswert wäre, wenn die Hygieniker im allgemeinen 
mehr Fühlung mit den Praktikern suchten; eine Aussprache an Ort und 
Stelle würde sicherlich beiden Seiten Gewinn bringen und neue Anregungen 
geben. Besondere Beachtung verdient die Forderung des Verfassers, die 
auch Referent seit Jahren gestellt hat, daß die Hütten zu einer genauen 
Statistik und za einer regelmäßigen Veröffentlichung ihrer Bleierkrankungen 
angehalten werden sollten unter Beifügung von Angaben über Belegschaft 
und Produktion. Wenn man dagegen eingewandt hat, daß eine Bolche 


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öüu Kritiken und Besprechungen. 

Statistik nicht durchführbar sei wegen der Unsicherheit und der Ungleich¬ 
mäßigkeit in der Beurteilung der Frage, ob ein Krankheitabild durch Blei 
verursacht ist oder nicht, so läßt eich diese Schwierigkeit bei gutem Willen 
sehr wohl überwinden: denn „wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg“, das 
ist das Motto, das der Verfasser seiner Arbeit voranstellt und das ihn bei 
Beinern erfolgreichen Vorgehen geleitet hat. 

Sehr beachtenswert ist auch die am Schlüsse der Arbeit gegebene „Über¬ 
sicht der bei Bleihütten zur Vermeidung von Bleierkrankungen erforder¬ 
lichen Maßnahmen“, die als allgemeine und als besondere, bei den einzelnen 
Arbeiten zu beobachtende Vorsichtsmaßregeln unterschieden werden und die 
eine kurze, aber erschöpfende Zusammenfassung aller wesentlichen, zur Ver¬ 
hütung der Bleigefahr in Bleihütten in Frage kommenden Maßnahmen enthält 

Die vorliegende, von der internationalen Vereinigung für gesetzlichen 
Arbeiterschutz preisgekrönte Arbeit kann allen Beteiligten, insbesondere 
Unternehmern, Hygienikern und Gewerbeaufsiohtsbeamten aufs Wärmste 
empfohlen werden. E. R. 

Dr. med. a. Baur: Atlas der Volks- und Schulhygiene. Eine 
Anleitung zur Pflege der Gesundheit nebst ausführlicher Betrachtung 
über die Heilung von Krankheiten und die zahlreichen hierfür an¬ 
gewendeten Heilverfahren, sowie einem Anhang: „Der Beistand 
bei Krankheiten und Verletzungen“. 270S. gr. 8° mit 284 Ab¬ 
bildungen und 10 feinen Farbendrucktafeln. Eßlingen, J. F. Schreiber. 

Man kommt als Referent in eine gewisse Verlegenheit, wenn man das 
ziemlich umfangreiche Buch, das als III. Band eines größeren Werkes er¬ 
schienen ist (L Band: „Atlas der Anatomie des Menschen“, II.Band: „Atlas 
der Krankheiten des Menschen" sind dem Referenten nicht zugekommen), 
einer objektiven Kritik unterziehen soll. Viel Arbeit und Mühe ist hier 
verwendet, viel Wissen ist unverkennbar; aber alles ist so ungeordnet durch¬ 
einander geworfen, es wird „de omnibus et quibusdam aliis“ gesprochen, 
neben vielem Zutreffenden ist so viel Unzulängliches und Überflüssiges auf¬ 
gestapelt, daß man nicht recht weiß, soll man die Arbeit des Verfassers eine 
gute nennen, oder nicht. 

Zuerst kommen einige hygienische Bemerkungen über Desinfektion, 
Schutz vor Tuberkulose und Typhus, dann folgt „Berufswahl und Ehever¬ 
bot“, „Abhärtung, Ventilation, Beheizung, Beleuchtung, Ernährung“; darauf 
„Leibesübungen“, „die Pflege der einzelnen Körperorgane“, sodann „die 
Gesundheitspflege im Kindesalter“, weiter „die korporative Gesundheitspflege“ 
(ein nichtsehr glücklich gewähltes Synonymum für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege, Ref.), wie Wasserversorgung, Wohnungsfürsorge, Entfernung der Ab¬ 
fallstoffe, Leichenbestattung u. dg].; ferner „die Sohulgesundheitspflege", 
„Gewerbehygiene". Der IV. Teil spricht von der Allopathie, der Homöo¬ 
pathie (ziemlich ausführlich), der „Heilserumkur“ (Impfung), die als der 
„Homöopathie ähnlich“ bezeichnet wird, der „Röntgographie“, dem Radium, 
der Odkur Reichenbachs (! Ref.). Jetzt kommt die Massage, Heil- und 
Lungengymuastik, Schrotkur, Mastkur, Vegetarismus, Zitronenkur, Natur¬ 
heilmethode, Lehmkur, Elektrizität bei Krankheiten, Lichttherapie, Hypno¬ 
tismus, das Jägersche Wollsystem, die Gebeimmittel und das Kurpfuscher- 


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Kritiken und Besprechungen. 


561 


tum daran und das Schlußkapitel handelt auf 89 Seiten rom Beistand bei 
Krankheiten und Verletzungen — ein embarras de richesse, das kaum zu 
bewältigen ist 

Warum Baur sein Buch „Atlas“ benennt, ist auch nicht klar. Der 
Sprachgebrauch versteht unter „Atlas“ ein Bilderwerk, bei welchem ein 
kurzer Text lediglich zur Erläuterung der Abbildungen dient, für welch 
letztere bei einem „Atlas“ eine künstlerische Ausführung Voraussetzung ist. 
In Baur8 textreichem Buche sind die meisten Abbildungen nichts weniger 
als „Kunstwerke“, ausgenommen die zehn „feinen Farbendrucktafeln“, die in 
der Tat sehr schön ausgeführt sind. Manche „Illustration“ wirkt sogar 
unfreiwillig etwas grotesk, so z. B. Fig. 434, welche das „Ersticken des 
Feuers an in Brand geratenen Kleidern“ darstellen soll, und Fig. 448, welche 
uns im Bilde vorführt, wie der Hilfeleistende „bei Erstickungsgefahr infolge 
eines in den Kehlkopf gelangten Fremdkörpers“ dem Verunglückten auf den 
Rücken klopft. 

Man muß lobend anerkennen, daß Baur in seinem kleinen Wirkungs¬ 
kreise — er lebt in Schwäbisch-Gmünd — mit großem Fleiße das Studium 
der Hygiene und besonders der Schulhygiene betreibt und zweifellos in der 
lautersten und besten Absicht in zahlreichen volkstümlichen Schriften die 
Lehren der Hygiene zu verbreiten bemüht ist; aber seine Belehrungen sind 
zumeist nicht sehr geschickt abgefaßt; indes „si desint vires, tarnen est 
laudanda voluntas“! Altschul (Prag). 

Prof. Dr. A. Tobeitz in Graz: Differentialdiagnose der An- 
fangsstadien der akuten Exantheme. Stuttgart, F. Enke, 1 908. 

Der Verfasser geht von dem Gedanken aus, daß es für jeden Arzt und 
besonders für den Amtsarzt von der größten Wichtigkeit sein muß, schnell 
und sicher schon die Anfangsstadien der akuten Exantheme zu erkennen. 
Nicht die vollentwickelten Krankheitsbilder bieten Schwierigkeiten und geben 
zu Verwechselungen Anlaß, sondern die Anfangsstadien, und gerade das 
richtige Erkennen dieser ist für die Feststellung einer Epidemie und ihre 
Bekämpfung von großer Bedeutung. Deshalb bespricht der Verfasser die 
einzelnen Krankheiten, Scharlach, Masern, Röteln, Dukes „Vierte Krankheit“, 
epidemische Schweißfriesel, Blattern und Varizellen, indem er bei jeder Krank¬ 
heit zunächst die Ätiologie kurz angibt und dann auf die Symptomatologie 
genauer eingeht Hierbei werden die Symptome derjenigen Eirankheiten, 
die eine Verwechselung möglich machen, zum Vergleich herangezogen und 
ihre Wichtigkeit für die richtige Diagnose abgewogen. Der Stoff ist aus 
der zum Schlüsse angeführten einschlägigen Literatur gesammelt und durch 
viele eigene Beobachtungen ergänzt. Die Behandlung des Stoffes ist klar 
und anschaulich, so daß auch ohne farbige Bilder der Leser eine klare Vor¬ 
stellung dei einzelnen Exanthemformen gewinnt, selbst von Krankheiten, 
wie die Blattern, die er selbst nur höchst selten oder nie gesehen hat. 
Durch die Anordnung und den Druck ist das Ganze sehr übersichtlich, so 
daß das kleine Werk jedem, der es zur Hand nimmt, gute Dienste leisten 
wird. Dr. R. Boltz (Hamburg). 


Viert*ljahn«cbrift für GesnndheiUpflege, 1908. 


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Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. 


Dreiunddreißigste Versammlung 

in 

Wies baden 


vom 16. bis 19. September 1908, unmittelbar vor der am 20. September beginnenden 
Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Cöln. 


Tagesordnung: 

Dienstag, den 15. September. 

Abends 8 Uhr: 

Gesellige Vereinigung zur Begrüßung der Teilnehmer im Paulinensohlößchen. 


Mittwooh, den 18. September. 

Eröffnung der Versammlung. Rechenschaftsbericht. 

I. Städtische Gesundheitsämter und ihre Aufgaben. 

Referentt^Geh. Medizinalrat Professor Dr. v. Esmarch (Gotting« t 
Frühstückspause. 

n. Wasserversorgung in ländlichen Bezirken. 

Referent: Geh. Oberbaurat Schmiok (Darmstadt). 

Besichtigungen: 

1. Abt. LandeBhaus, Gutenbergschule, Kanal, Marktkeller, Badeeinrichtung rer- 

schiedener Badehäuser nach Wahl. 

2. Abt. Rathaus, Brausebad, Töchterschule, Kaiser Wilhelm-Heilanstalt. 

3. Abt. Schulen: Riederbergschule, Zietensohule, Brausebad Roonstr&ße, Rhein¬ 

straßenschule mit Kochschule und Bad. 

Abends 7*/ t Uhr: Vorstellung im Kgl. Theater. 


Donnerstag, den 17. September. 

IH. Die Ursachen der „Nervosität“ und ihre Bekämpfung. 

Referent: Geh. Medizinalrat Professor Dr. A. Cramer (Göttingen). 

IT. Die hygienischen Grundsätze für den Bau von Volksschulen. 

Referent: Stadtbaurat R. Rehlen (München). 

Besichtigungen: 

1. Abt. Stadt. Krankenhaus, offentl. Desinfektionsanstalt, Kinderhort, Bäckerbrunnen. 

2. Abt. Hospiz zum heil. Geist, Metropole-Bad, orthopädische Anstalt Staffel 4 

Guradze, Augusta-Viktoria-Bad, St. Josefs-Hospital. 


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33. Versammlung in Wiesbaden. 563 

3. Abt. Schlachthaus mit Säuglingsmilohanstalt, Arbeiterhäuser, Armen - Arbeits¬ 

haus, Kehrichtverbrennungsanstalt. 

4. Abt. Besichtigung der neuen Grundwasserwerke in Schierenstein (einschließlich 

der Enteisenungs- und Ozonisierungsanlagen). 

Abends 8 Uhr: Konzert und Feuerwerk im Kurgarten. 


Freitag, den 18. September. 

V. Die hygienische Bedeutung städtischer Markthallen, Ihre Einrichtung 
und ihr Betrieb. 

Referent: Stadtbauinspektor Dr. ing. Köster (Breslau). 

Besichtigungen: 

1. Abt. Augenheilanstalt. 

2. Abt. Kreuz- und Schläferskopfstollen des Wasserwerks. 

Nachmittags 5 Uhr: Gesellige Zusammenkunft auf dem Neroberg. 


Samstag, den 10. September. 

Rheinfahrt nach dem Niederwald unter Leitung der Kurverwaltung. 


Die Sitzungen finden im Paulinenschlößchen statt. För die Dauer der 
Tagung Ausstellung von Zeichnungen und Modellen, sowie Betriebsgerätschaften 
der von der Stadt zur Ausführung gebrachten gesundheitstechnischen Anlagen 
und Betriebe im Paulinenschlößohen. 


Teilnahme an der Versammlung. 

Die Teilnahme an der Versammlung in Wiesbaden ist nur den Mitgliedern 
des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege gestattet. 

Naoh §2 der Satzungen ist zur Mitgliedschaft jeder berechtigt, der Interesse 
an öffentlicher Gesundheitspflege hat und den Jahresbeitrag von 6 JC zahlt. 

Behörden, Stadtgemeinden und Korporationen können dem Verein 
mit einem oder mehreren Vertretern als Mitglieder beitreten und zahlen für jeden 
Vertreter 6 JC pro Jahr. 

Anmeldung zur Mitgliedschaft nimmt der Unterzeichnete entgegen. 

Cöln, den 15. Mai 1906. Der ständige Sekretär: 

Dr. Pröbsting. 


36 * 


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564 


Neu erschienene Schriften. 


Ne» erschienene Schriften über öffentliche 
Gesundheitspflege. 

(118. Verzeichnis.) 


1. Allgemeines. 

Arbeiten aus dem kaiserl. Gesundheitsamte. (Beihefte zu den Veröffentlichungen 
des kaiserl. Gesundheitsamtes.) 27. Bd. 3. (Schluß-) Heft. (III u. S. 425 bis 
671.) Lex.-8°. Berlin, J. Springer, 1908. 9.#. Die Abnehmer der Veröffent¬ 
lichungen des kaiserl. Gesundheitsamtes erhalten die Arbeiten zu einem um 

20 Proz. ermäßigten Preise. 

Arbeiten aus dem kaiserl. Gesundheitsamte. (Beihefte zu den Veröffentlichungen 
des kaiserl. Gesundheitsamtes.) 28. Bd. 1. Heft. (S. 1 bis 260.) Lex.-8*. 
Berlin, J. Springer, 1908. 9 Die Abnehmer der Veröffentlichungen de* 
kaiserl. Gesundheitsamtes erhalten die Arbeiten zu einem um 20 Proz. er¬ 
mäßigten Preise. 

Archiv f. Schiffs- u. Tropenhygiene. Herausgegeben von Dr. C. Mense. 12. Bd. 
1908. Beihefte. gr.-8°. Leipzig, J. A. Barth. — 1. Beiheft. Mayer, Assist. 
Dr. Mart.: Beiträge zur Morphologie der Spirochaeten (Sp. duttoni). Nebst 
Anhang über „Plasmakugeln“. (Aus dem Institut f. Schiffs- u. Tropenkrank¬ 
heiten in Hamburg, Direktor: Med.-Rat Prof. Dr. Nocht.) Mit 1 (farb.)Taf 
(19 S.) Subskr.-Preis 1 Einzelpreis 1,25 — 2. Beiheft. Zupitza. 

Ob.-Stabsarzt Dr. Max.: ( her die Schlafkrankheitefliege bei Duala. Mit 1 Karte 
der Umgegend von Duala. (27 S.) Subskr.-Preis 1,20.#; Einzelpreis 1,50 A- 
Archiv f. rationelle Therapie, hauptsächlich Homöopathie, physiologische Bio¬ 
chemie, Naturheilkunde, Diätetik, Hygiene, Magnetismus und Psychiatrie. 
Herausgegeben und redigiert von M. E. G. Gottlieb. 3. Jahrgang. 1908. 
12 Nummern. (2. Bd. Nr. 1. 16 u. 4 S.) Lex.-8°. Lorch, K. Rohm. Bar 3JP 
einzelne Nummer 0,30 M- 

Arzt, der, als Erzieher. Zeitschrift f. persönl. u. soziale Gesundheitspflege. Her- 
ausgegeben von Otto Gmelin. 4. Jahrg. 1908. 12 Hefte. (1. Heft. 16 S.) 
31,5 '23 cm. München, Verlag der ärztl. Rundschau. Bar 4 M>. 

Bericht über den XIV. Internationalen Kongreß für Hygiene und Demographie, 
Berlin, 23. bis 29. IX. 1907. Herausgegeben von der Kongreßleitnng. Red. 
vom Generalsekretär Prof. Dr. Nietner. 1. Bd. (VII, 314 S. mit Abbild.» 
Lex.-8°. Berlin, A. Hirschwald, 1908. Bar 6 Jt., 

Bericht über den XIV. Internationalen Kongreß für Hygiene und Demographie, 
Berlin, 23. bis 29. IX. 1907. Herausgegeben von der Kongreßleitung. Red. 
vom Generalsekretär Prof. Dr. Nietner. 2. Bd. (XII, 1171 S. mit 4 Taf > 
Lex.-8®. Berlin, A. Hirscliwald, 1908. Bar 14 Jk. 

Bodin, J.: Hygiene de la peau et du cuir chevelu, in-8®, 1,50frcs.; rel. 2,50 fr«. 
Ch. Delagrave. 

Brooke, Gilbert E.: Tropical Medicine, Hygiene and Parasitology. 12mo, pp.514. 

Griffin. Ir., net, 12/6. 


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Neu erschienene Schriften. 565 

Dreyfus, Mlle M.: Hygiene et Science domestique, Se ed. ent ref., in- 18, 2,50 fros. 
F. Alcan. 

Duncan, Andrew: A Guide to Sick Nursing in the Tropics. Cr. 8vo, pp. 170. 
Scientific Press, net, 2/6. 

Fiesainger, Dr.: Hygiene du cardiaque, in-8*, 1,50 fros.; rel. 2,50 frcs. Ch. De- 
lagrave. 

Jahresbericht über die Fortschritte der inneren Medizin im In- und Auslande. 
Unter Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrten herausgegeben von W. Ebstein. 
Red. von Oberarzt Dr. E. Schreiber. Bericht über das Jahr 1901. 9.Heft. 
(2. Bd. S. 417 bis 576.) Lex.-8°. Stuttgart, F. Enke, 1908. 4 A. 
Kurberichte und neue Gesundheitswarte. Zentralblatt f. Gesundheitspflege und 
Gesundheitssport, Bade- und Bäderwesen. Red. von Ernst Kretschmer. 
12.Jahrg. 1908. 24 Nummern. (Nr. 1 bis 6. 48 S.) 30,5 x 23 cm. Leipzig- 
Plagwitz (Nonnenstr. 25/27), K. Wagner & Co. Vierteljährlich bar 1 A. 
Legal. No. 209. Burial, England. Order in Council under the Burial Acts. 
Sedgefleld. 1 d. 

Legal. No. 210. Burial, England. Order in Council under the Burial Acts. 
Stoke Ferry. 1 d. 

Maabrenier, Dr. J.: Notions d’hygiene medicale, av. ill., in-16°, 2 frcs. E. Cor- 
nely & Cie. 

Pauchet, Dr. V.: La vie hygienique, tableau mural, 76x65, 0,50 frcs.; cart. 
1,50 frcs. 1 vol. H. Paulin & Cie. 

Ratgeber, ärztlicher. Volkstümliche Monatsschrift f. Gesunde u. Kranke. Schrift¬ 
leiter: Dr. F. Dumstrey. April 1908 bis März 1909. 12 Hefte. (l.Heft. 16 S. 
mit Abbild.) Lex.-8°. Berlin, Regenhardt sehe Verlagsanstalt. Bar 3 A- 
Rumpf, Prof. Dr. Th.: Vorlesungen über soziale Medizin. (VI, 290 S.) Lex.-8°. 

Leipzig, G. Thieme, 1908. 8 A\ geb. 9 A- 
Schoofa, F.: Traite d’hygiene pratique, in-8°, 12 frcs. J.-B. Bailliere & fils. 
Vierte ljahrsschrift, deutsche, für öffentliche Gesundheitspflege. Redigiert von 
Mor. Pistor und Sigm. Merkel. 38. Bd. Suppl. gr.-8°. Braunschweig, 
Friedr. Vieweg & Sohn. Jahresbericht, 23., über die Fortschritte und Lei¬ 
stungen auf dem Gebiete der Hygiene. Begründet von weil. Prof. J. Uffel- 
mann. Jahrgang 1905. Herausgegeben von Reg.- und Geh. Med.-Rat Dr. 
A. Pfeiffer. (X, 593 S.) 1908. 14 A. 

Vierteljahrssohrift für öffentliche Gesundheitspflege. 40. Bd. 1. Heft. Braun¬ 
schweig, Friedr. Vieweg & Sohn. 9 A. 

Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin u. öffentliches Sanitätswesen. Unter 
Mitwirkung der königl. wissenschaftl. Deputation für das Medizinal wesen im 
Ministerium der geistl., Unterrichts- und Medizinal - Angelegenheiten heraus¬ 
gegeben von Proff. DD. Geh. Ob.-Med.-Rat A. Schmidtmann und Geh. Med.- 
Rat Fritz Strassmann. 3. Folge. 35 Bd. Jahrg. 1908. Suppl.-Heft. gr.-8 # . 
Berlin, A. Hirschwald. Verhandlungen der III. Tagung der deutschen Gesell¬ 
schaft für gerichtliche Medizin in Dresden, 16. bis 18. IX. 1907. (VI, 189 S. 
mit 9 Taf.) 1908. 8 A. 

Wilson, James W.: The New Hygiene, a Drugless Remedy for the Treatment 
of all Diseases. Cr. 8vo, pp. 292. Putnam’s Sons. 2/6. 

Zeitschrift f. Balneologie, Klimatologie und Kurort-Hygiene, herausgegeben von 
DD. San.-Rat Graeffner u. Kaminer. 1. Jahrg. April 1908 bis März 1909. 
12 Nummern. (Nr. 1. 44 S.) Lex.-8°. Berlin, Allgemeine medizin. Verlags¬ 
anstalt. Halbjährlich 4 A; einzelne Nummer 1 A- 
Zeitschrift f. Hygiene u. Infektionskrankheiten. 58. Bd. 2. u. 3. Heft. Leipzig, 
Veit & Co. 13,50 A. 

Zeitschrift f. Kosmetik u. Diätetik. Organ für die gesamte Volksgesundheits¬ 
pflege. Unter Mitwirkung von hervorragenden Professoren und Fachgelehrten 
herausgegeben von Dr. M. Dietze. Verantwortlich: Dr. C. Seidemann. 


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566 Neu erschienene Schriften. 

Jahrg. 1908. 12 Hefte. (1. Heft. 16 S.) 32 x 24 cm. Berlin, Ch. H. Knrtng. 

Halbjährlich bar 3 .ft. 

Zeitschrift f. Hygiene u. Infektionskrankheiten. Heraasgegeben von DD. WirkL 
Geh. Bat Bob. Koch, Geh. Med.-Rat Dir. C. Flügge, Proff., und Geh. Ob.- 
Med.-Bat Dir. G. Gaffky. 69. Bd. Carl Flügge von seinen Schülern 
gewidmet. (III, 483 S. mit Abbildungen und 2 Tafeln.) gr.-S # . Leipzig, Veit 

& Co., 1908. 15 .ft. 


2. Statistik und Jahresberichte. 

Annuaire statistique, 26e vol., 1906 (ministere du Travail, statistique generale 
de la France), gr. in-8°, 7,50 frcs. Berger-Levrault & Cie. 

Gebarung, die, und Ergebnisse der Krankheitsstatistik der nach dem Gesetze 
vom 30. III. 1888, B. G BL Nr. 33, betr. die Krankenversicherung der Arbeiter, 
eingerichteten Krankenkassen im Jahre 1905. Vom Minister des Innern dem 
Reichsrate mitgeteilt in Gemäßheit des § 72 des bezogenen Gesetzes. (IV, 
171 S.) Lex.-8°. Wien, Hof- u. Staatsdruckerei, 1908. 2,60 X- 
Gebarung, die, und Ergebnisse der Unfallstatistik der im Grunde des Gesetzes 
vom 28. XII. 1887 (R. G. Bl. Nr. 1 ex 1888), betr. die Unfallversicherung der 
Arbeiter, errichteten Arbeiter-Unfallversicherungsanstalten im Jahre 1906. Vom 
Minister des Innern dem Reichsrate mitgeteilt in Gemäßheit des § 60 des 
zitierten Gesetzes. (III, 215 S.) Lex.-8*. Wien, Hof- u. Staatsdruckerei, 1907. 
2,50 .ft. 

Handbuch, statistisches, für das Deutsche Reich. Herausgegeben vom kaiserl 
statistischen Amt. 2. Teil. (VIII, 595 S.) Lex.-8*. Berlin, C. Heymana. 
1907. 5 .ft; geb. 7 .ft. Vollständig zusammen bezogen: 10 X] geb. 14 X 

Jahrbuch der Medizinal-Verwaltung in Elsaß-Lothringen. 19. Bd. Jahrg. 1907. 
Im amtlichen Aufträge herausgegeben von Med.-Refer. Geh. Med.-Rat Prof. 
Dr. Ph. Biedert. (VIII, 297 S.) gr.-8 # . Straßburg, F. Bull, 1907. 9 X 
Jahrbuch, statistisches, der Haupt- und Residenzstadt Budapest. Vni. Jahrg. 
1905. Bed. von Dir. Prof. Dr. Gust. Thirring. (Ungarisch und deutsch.) 
(XXII, 359 8.) Lex.-8°. Budapest 1907. (Berlin, Puttkammer & MühlbrechU 
Geb. in Leinwand 6 .ft. 

Jahrbuch, statistisches, für das Königreich Sachsen. 36. Jahrg. 1908. Heraus¬ 
gegeben vom königl. sächs. Statist. Landesamte im März 1908. (V, 307 S.) 

gr.-8°. Dresden, C. Heinrich. 1 X- 

Jahrbuch, statistisches, für das Großherzogtum Baden. 36. Jahrg. 1906 u. 1907. 

(XXI, 699 S.) Lex.-8". Karlsruhe, Macklot, 1907. Geb. in Leinwand bar 6 X 
Local Government Board. Reports of Medical Inspeotors. Report npon the 
Sanitary Circumstances and Administration of the Rural District of Dorchester. 

No. 296. 2 d. 

Local Government Board. Ditto. On the Sanitary Circumstances and Ad¬ 
ministration of the Emley, Farnley Tyas, Gunthwaite - and - Ingbirchwortb, 
Hoylandswaine and Thurstonland Urban Districts, in the West Riding of 
Yorkshire, together with suggestions for the formation of Joint Sanitary 

Districts. No. 297. 6 d. 

Medizinalbericht von Württemberg für das Jahr 1906. Im Aufträge des königl- 
Ministeriums des Innern herausgegeben von dem königl. Medizinalkollegium. 
Mit 2 Abbildungen und 3 Übersichtskärtchen im Text. (VII, 184 S.) Lex.-8*. 
Stuttgart, W. Kohlhammer, 1906. Bar 2,50 X- 
Medizinalberichte über die deutschen Schutzgebiete Deutsch-Ostafrika, Kamerun. 
Togo, Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Neu-Guinea, Karolinen-, MarshaU-lnsela 
und Samoa für das Jahr 1905/06. Herausgegeben vom Reichskolonialamt 


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Neu erschienene Schriften. 567 

Mit 4 Skizzen im Text u. 2 Plänen. (III, 440 S.) gr.-8*. Berlin, E. S. Mittler 
& Sohn, 1907. Geb. in Leinwand 7,50 M. 

Publioations of the London County Council. Statistical Abstraot for London 
for the Year 1907. VoL 10. 1/. 

Statistik:, österreichische. Herausgegeben von der k. k. statistischen Zentral- 
kommission. 80. Bd. 36,6 x 26 cm. Wien, C. Gerolds Sohn. HL Heft. Statistik 
des Sanitätswesens in den im Reichsrate vertretenen Königreichen u. Ländern 
für das Jahr 1904. (II, XXIX, 253 S.) 1908. 8,50 JL. 

Statistik, preußische. (Amtliches Quellenwerk.) Herausgegeben in zwanglosen 
Heften vom königl. preuß. statistischen Landesamt in Berlin. 33,5 X 24 em. 
Berlin, Verlag des königl. Statist. Landesamts. 206. Ergebnisse, die end¬ 
gültigen, der Volkszählung vom 1. XII. 1905 im preußischen Staate sowie in 
den Fürstentümern Waldeok und Pyrmont, nebst einem aktenmäßigen Berichte 
über die Ausführung dieser Zählung. 1. Teil. (VI, L, 435 S.) 1908. 12,40 Jt. 
— 208. Sterblichkeit, die, nach Todesursachen und Altersklassen der Ge¬ 
storbenen im preußischen Staate während des Jahres 1906. (IV, XXTV, 212 S.) 
1906. 6,20 A» 

Statistik, schweizerische. Herausgegeben vom Statist. Bureau des eidgenössischen 
Departements des Innern. Lex.-8*. Bern, A. Francke. 159. Lieferung. Irren-, 
Heil- und Pflegeanstalten, die kantonalen, der Schweiz. Statistische Angaben 
über die während der Jahre 1900 bis 1904 ein- und ausgetretenen Geistes¬ 
kranken. (18 und 43 S.) 1906. 1,50 Jk\ französische Ausgabe 1,50 A- — 

160. Lieferung. Bewegung, die, der Bevölkerung in der Schweiz im Jahre 
1906. (36 S.) 1908. 2 Ji; französische Ausgabe 2 Jt>. — 161. Lieferung. 

Jahrbuch, statist., der Schweiz. Annuaire statistique de la Suisse. 16. Jahr¬ 
gang. 1907. (II, 392 S.) 1906. 6 JC; geb. 7 JL. 

Übersicht über die Jahresberichte der öffentlichen Anstalten zur technischen 
Untersuchung von Nahrungs - und Genußmitteln im Deutschen Reich für das 
Jahr 1904. Bearbeitet im kaiserl. Gesundheitsamt. (VIII, 285 S.) Lex.-8*. 
Berlin, J. Springer, 1908. nn. 5 M>. 

'Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen Vereins zu Heidelberg. Neue 
Folge. IX. Bd. 1. Heft. (246 S. mit 13 Abbildungen und 1 Tafel.) gr.-8°. 
Heidelberg, C. Winter, Verlag, 1908. 8 JL. 

Zeitschrift für schweizerische Statistik. 1907. 8. Lieferung. 2,80 JC. — 1908. 
1. und 2. Lieferung. 6 JC. Bern, Francke. 

3. Wasserversorgung, Entwässerung und Abfuhr. 

Bibliothek der gesamten Teohnik. 8°. Hannover, Dr. M. Jänecke. 79. Bd. 
Reich, Dir. A.: Die Entwässerung der Städte. Mit 120 Abbildungen im 
Text. (VI, 138 S.) 1908. 2 Jt ,; geb. 2,40 Ji. 

Calmette. Recherches sur l’epuration biologique des eaux d’egout, 3e vol., in-8°, 
8 frcs. 1 vol. Masson & Cie. 

Fischer, Stadtbaumeister: Die Schmutzwasser - Kanalisation und Kläranlage der 
Gemeinden Rheydt, Odenkirohen, Wickrath. Denkschrift. Mit 1 Karte des 
Kanalisationsgebietes und 2 Plänen der Kläranlage im Anhang sowie mehreren 
Abbildungen im Text. (III, 31 S.) 8°. Rheydt, W. R. Langewiesche, 1908. 
1,20 A. 

Lauterborn, Prof. Dr. Rob.: Die Verunreinigung der Gewässer und die biolo¬ 
gische Methode ihrer Untersuchung. Im Aufträge des großherzogl. badischen 
Ministeriums des Innern allgemein verständlich dargestellt. (31 S.) gr.-8°. 
Ludwigshafen, A. Lauterborn, 1908. 1 JC. 

Sammlung Göschen, kl.-8°. Leipzig, G. J. Göschen. Geb. in Leinwand, jedes 
Bändchen 0,80 JC. 380. Wolff, Stadt-Oberbaurat Dr. Carl: öffentliche Bade- 
und Schwimmanstalten. Mit 50 Figuren. (151 S.) 1908. 


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568 


Neu erschienene Schriften. 


4. Straßen-, Bau- und Wohnungshygiene. 

Bauordnung für die kleineren Städte und Flecken des Reg.-Bez. Schleswig in 
der durch Nachträge vom 27. VI. 1903 , 2. XI. 1905 , 30. XI. 1906 und 7. X. 
1907 abgeänderten Fassung. Nebst Sachregister und einem Anhang, ent¬ 
haltend den Wortlaut aller in dieser Bauordnung angeführten wichtigeren 
Stellen aus anderen Gesetzen und Verfügungen. Neuabdfnck. (176 S.) kl.-S*. 
Garding, II. Lühr & Dircks, 1908. Kart. 1,20 Jl. 

Bau-Polizeiordnung für den Stadtkreis Berlin vom 15. VIII. 1897 nebst den 
dieselbe ergänzenden neueren Polizeiverordnungen. 7. Aufl. (92 S.) kl.-SV 
Berlin, l’olytechn. Buchh. A. Seydel, 1908. Kart. 1 M>. Hieraus einzeln, nur 
bar: Benutzung von Koksöfen. Verfügung vom 15. II. 1908. (4 S.) 0,15 Jk 
Einrichtung von Stallungen unter zu dauerndem Aufenthalt bestimmten 
Räumen. Verfügung des königl. Polizei-Präsidiums zu Berlin. (3 S.) 0,15 Jl- 
— Grundsätze für die Einrichtung von Fleischereibetrieben mit Ausnahme 
der Schlachthäuser. Aufgestellt vom königl. Polizei-Präsidium zu Berlin. (3S.i 
0,15 .11. — Grundsätze für die gewerbliche Überwachung der Betriebe zur 
Herstellung von Zelluloidwaren und der zugehörigen Lagerräume. Auf gestellt 
vom königl. Polizei - Präsidium zu Berlin. (6 S.) 0,15 Jl. — Allgemeine 
Vorschriften für die Einrichtung gewerblicher Anlagen (gemäß § 120a—d der 
Reiehs-Gewerbe-Ordnung). (6 S.) 0,15 Jl. 

Bau-Polizeiordnung für die Stadt Charlottenburg vom 22. VIII. 1898 mit Aus¬ 
nahme des Teiles. welcher der Bau - Polizeiordnung vom 5. XII. 1892 unter¬ 
steht, für den mit dem Namen Plötzensee bezeichneten Teil des Forstgut- 
bezirks Tegel und für die Gemeinden Rummelsburg, Lichtenberg, Strslsu. 
Deutsch-Wilmersdorf, Schöneberg, Tempelbof, Rixdorf und Treptow, soweit 
dieselben innerhalb der Berliner Ringbahn liegen. 2. vermehrte Auflage 
(70 S.) kl.-8Berlin, Polytechn. Buchh. A. Seydel, 1908. Kart. nn. 0,75 Jk 

Bau-Polizeiordnung für die Vororte von Berlin vom 5. XII. 1892 in der jetzt 
gültigen Fassung und ergänzt durch die für den Teil „Westend“ von Cbar- 
lottenburg erlassenen neueren Polizeiverordnungen. Neue Ausgabe. 190>. 
(63 S.) kl.'-8°. Berlin, Polytechn. Buchh. A. Seydel, 1908. Kart. nn. 0,75 Jk 

Entwürfe, mustergültige, für ländliche Arbeiterwohnungen. Preisgekrönte and 
angekaufte Arbeiten. Herausgegeben im Aufträge der Landes-Versicherungs¬ 
anstalt Posen. (29 Tafeln mit 4 S. Text.) 34,5 v 26 cm. Wiesbaden, West¬ 
deutsche Verlagsgesellschaft, 1908. In Mappe 10 Jl. 

Joniak, Nicol. . Das Arbeiter-Wohnungselend im rheinisch-westfälischen Induttrie- 
bezirk. (34 S.) gr.-8®. Frankfurt a. M., Neuer Frankfurter Verlag, 19t*- 
0,50 

Kotze, Bürgermeister a. D. Otto: Die baupolizeilichen Vorschriften für das platte 
Land des Reg.-Bez. Liegnitz. (VIII, 89 S.) gr.-8°. Berlin, A. W. Hayn: 

Erben, 1908. 1,20 

Küster, StadtbauinBpektor Dr.-Ing.: Die Belichtung von Aufenthaltsränmen ir 
den Bauordnungen. Aus: „Techn. Gemeindebl.“] (79 S.) 8*. Berlin, C. Hfj- 

mann, 1908. 1 M- 

Landhaus und Villa. Unter Mitwirkung führender Männer herausgegeben too 
Emil Abigt. Einzelwohnhauskultur, Architektur, Wohnungskunst, Bau und 
Einrichtung des Eigenheims, Arbeiter-, Sommer- und Ferienhäuser. Beilage: 
„Die < iartenstadt“, Mitteilungen über Wohnungsreform und gemeinnützige 
Bautätigkeit. 5. Jahrg. 1908. 24 Hefte. (1. Heft. 16 S. mit Abbildung« 1 
31 v'23,5 cm. Wiesbaden, Westdeutsche Verlagsgesellschaft. 12 Jl; einzelne 
Ilefte 0,75 .&. 

Michael, Architekt W. Die bürgerliche Wohnung. (12 Tafeln und Titelblatt) 
41,5 ' 36 cm. Leipzig, Seemann & Co., 1908. In Mappe 6,50 Jl. 


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Neu erschienene Schriften. 


569 


Polizeiverordnung betr. den Anschluß der bebauten Grundstücke an die städti¬ 
schen Kanäle und die Anlage der Hausentwässerungen nebst Ortsstatut und 
Gebührenordnung für den Stadtkreis Rheydt. (24 S. mit 2 farbigen Tafeln.) 
8*. Rheydt, W. R. Langewiesohe, 1907. 1,80 M. 

Provensal, H.: L’habitation salubre et ä bon marche, in-8°, 3 frcs. Ch. Sohemid. 
Röeeler, Reg.-Sekretär A.: Die Bau-Polizeiverordnung für die Vororte von Berlin 
vom 28. V. 1907. Für den Handgebrauch herausgegeben. (130 S.) kl.-8*. 
Berlin, A. W. Hayns Erben, 1907. Kart. 3 M. 

Sohmohl, Dir. Pani, u. G. Staehelin, Architekten: Das deutsohe Haus. I. Serie. 
Villen und Landhäuser, Wohnhäuser, Ein- und Zweifamilienhäuser für mittlere 
und kleinere Plätze, nebst den dazugehörigen wichtigsten Grundrissen, Schnitten 
und Details. (In 6 Lieferungen.) 1. Lieferung. (10 [2 färb.] Tafeln mit 2 S. 
Text.) 42,5 x 80,6 cm. 6 M. — II. Serie. Wohn - und Geschäftshäuser für 
mittlere und kleinere Plätze, nebst den dazugehörigen wichtigsten Grund¬ 
rissen, Schnitten und Details. (In 5 Lieferungen.) 1. Lieferung. (10 [2 färb.] 
Tafeln mit 2 S. Text.) 42,5 ^ 30,5 cm. 6 M- Stuttgart, K. Wittwer, 1908. 
Twiatel, Bürgermeister: Volksbad und Schulbad für kleine 8tädte und das flache 
Land. (59 S.) gr.-8®. Mewe. 1908. (Berlin, Deutscher Städteverlag.) 2 M- 
"Vorort-Bibliothek. Eine Sammlung von Einzeldarstellungen aller wichtigsten 
Fragen des Vorortlebens. kl.-8 # . Berlin, Baedeker & Moeller. 1. Bd. Fischer, 
Dr. Alfons: Gartenstadt und Gesundheit. Mit 4 Einschalttafeln und einem 
Lageplan. (45 S.) 1908. Kart. 1,50 M. — 2. Bd. Lux, Dr. H.: Licht, 
Luft und Wärme im eigenen Heim. Mit 16 Abbildungen. (150 S.) 1908. 
Kart. 3 M- 

Vorschriften für die Aufstellung von Fluchtlinien- und Bebauungsplänen vom 
28 V. 1876, nebst dem Gesetze vom 2. VII. 1875, betr. die Anlegung und 
Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften. 
Hierzu ein farbiges, in der Plankammer des Ministeriums der öffentlichen 
Arbeiten bearbeitetes Musterblatt (66,6 X 62 cm). 3. durchgesehene Auflage. 
(10 S.) 33 X 21,5 cm. Berlin, W. Ernst & Sohn, 1908. In Mappe bar 4,60 M- 
"Voss, Stadt baurat: Der städtische Pflasterwirtschaftsplan. (16 S.) 31 X 23,5 cm. 
Berlin, Deutscher Städteverlag, 1908. 1,60 M- 

5. Schulhygiene. 

Czerny, Prof. Ad.: Der Arzt als Erzieher des Kindes. Vorlesungen. 2. Auflage. 

(HI, 103 S.) 8®. Wien, F. Deuticke, 1908. 2 M. 

Flugschriften der Zentralstelle für Volks Wohlfahrt. kl.-8°. Berlin, C. Heymann. 

I. Heft. Jessen, Prof. Dr.: Merkbüchlein für Zahnpflege. (1 —100000.) 
(10 S. mit Abbildungen.) 1908. 0,20 M (Partiepreise). 

Poelchau, Schularzt Dr. Gust.: Anleitung für die schulärztliche Tätigkeit. (VIII, 
134 S.) 8°. Hamburg, L. Voss, 1908. 2,50 M- 
Staiger, Assistenzarzt Dr. E.: Die Abgabe warmen Frühstücks an bedürftige 
Schulkinder vom Standpunkt des Schularztes. (61 S. mit 2 Tafeln.) gr.-8°. 
Stuttgart, C. A. Reitz, 1907. 1,50 M- 

6. Hospitäler und Krankenpflege. 

Arthur, William B.: Supplementary First Aid to Miners. 12mo, sd., pp. 27. 

J. Wright, Bristol net, 6 d. 

Beiträge zur Kriegsheilkunde aus der Hilfstätigkeit der deutschen Vereine vom 
Roten Kreuz während des russisch - japanischen Krieges 1904 bis 1905. Her¬ 
ausgegeben vom Zentral-Komitee der deutBohen Vereine vom Roten Kreuz in 
Berlin. Mit 17 Tafeln, 12 Fieberkurven und 112 Abbildungen im Text. (XXXI, 
431 S.) Lex.-8®. Leipzig, F. Engelmann, 1908. 42 M] geh. bar 45 M- 


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570 


Neu erschienene Schriften. 


Blätter des bayerischen Frauenvereins vom Roten Krenz. Herausgegeben vom 
Zentral-Komitee des bayer. I rauenvereins vom Roten Kreuz. Red.: Obersta.D. 
Freiherr v. Tautphoeus. 8. Jahrg. April 1908 bis März 1909. 12 Nummerm 
(Nr. 1, 24 S.) gr.-8 # . Augsburg, Gebr. Reichel. Bar 1 JL. 

Bock, Prof. I)r. C. E.: Der Lebensretter oder Die erste Hilfe bei Unglücksfällen. 
(Umschlag: Erste Hilfeleistung und lebensrettende Mittel bei Unglücksfällen, 
bei plötzlichen Erkrankungen, Verletzungen, Vergiftungen usw.) (80 S.) 8*. 
Leipzig, Modern-medizin. Verlag, 1908. 1 Jt. 

Gautier. L’alimentation et les rägimes; chez l’homme sain ou malade, 3e edit. 

rev. et aug., in-18", 12 frcs. Masson & Cie. 

GrosB-Droz, Mine.: Premiers Boins aux malades et aux blesses, 2e edit. rev., 
cor. et augm., in-18", 3,50 frcs., reL 4 frcs. Ch. Delagrave. 

Grotjahn, Dr. Alfr. : Krankenhauswesen und Heilstättenbewegung im Liohte der 
sozialen Hygiene. (VIII, 406 S.) gr.-8°. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1908. 

10 .ß; geb. 11,25 .K>. 

Heilanstalt, die. Fachblatt für Bau und Einrichtung, sowie für den sanitären 
und wirtschaftlichen Betrieb von Heilanstalten aller Art. Red.: Dr. P. Ditt- 
mar und A. W. Möschke. 3. Jahrg. 1908. 12 Nummern. (Nr. 1, 16 S. 
mit Abbildungen.) 31,5x23,6 cm. Leipzig, W. Möschke. Bar 4,50 JL. 
Lenhartz, Dir. Prof. Dr. H., und Baurat F. Kuppel: Der moderne Kranken- 
hausbau vom hygienischen und wirtschaftlich - technischen Standpunkte. Re¬ 
ferate. [Aus: „Deutsch. Viorteljahrsschr. f. öffentl. Gesundheitspfl.“] (VIII, 
72 S. mit 50 Abbildungen.) gr.-8°. Braunschweig, Friedr. Vieweg & Sohn, 
1908. 2,40 J(. 

Manuel de la Croix-Rouge par P. Faucille et N. Politis, in-18*, 2 frcs.; cart. 

2,50 frcs. 1 vol. Soc. fran£. imp. et lib. 

Schanz, San.-Kat Dr. A.: Uber Krüppelnot und Krüppelhilfe mit besonderer 
Berücksichtigung der Verhältnisse im Königr. Sachsen. (51 S.) 8®. Dresden. 

v. Zahn & Jaensch, 1908. 1,50 Jk. 

Sternberg, Dr. Wilh.: Die Küche im Krankenhaus, deren Anlage, Einrichtung 
und Betrieb. (XXIV, 237 S. mit 49 Abbildungen und 2 Tafeln.) Lex.-8*. 
Stuttgart, F. Enke, 1908. 7 Ji-, geb. in Leinw. n. 8,20 Jl. 


7. Militär- und Schiffshygiene. 

BeköstigungsVorschriften für die Kranken des HeereB im Frieden und im 
Kriege. (47 S.) 8°. Berlin. E. S. Mittler & Sohn, 1908. 0,60 .A; kart. 0,75 Jk- 

Kühn, Dr. Jos.: Zur Verhütung einer Spitalsnot in künftigen Kriegen. Ein 
Anerbieten des Ersten Wiener Volksküchen-Vereins an die Landes- und 
Frauenhilfsvereine der Österreich. Gesellschaft vom Roten Kreuz. (27 und 
Nachtrag 9 S.) Lex.-8°. V ien, L. W. Seidel & Sohn,. 1908. 1,20 JL. 

Programme des conditions d'admission ä l’Ecole du Service de sante militaire, 
ä l’emploi d’eleve en pharmacie du Service de santö militaire, et ä l’emploi 
de medecin et de pharmacien stagiaires ä l’Ecole d’application du service de 
sante militaire, 18 X 12, 0.30 frcs. 1 vol. Vuibert & Nony. 

Publikationen, militärärztliche. Wien, J. Safär. Nr. 115. Cron, Ob.-Stabsarst 
Karl, und lieg.-Arzt Emil Hochmann, DD.: Über Krankenstände im Felde 
und ihre vorherige Abschätzung. (Monographien aus dem Gebiete des Feld¬ 
sanitätsdienstes. VI.) Mit 13 Tabellen und 1 Farbentafel. (68 S.) gr. -8*. 
1908. 2,70 

Roths, W., Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete 
des Militär-Sanitätswesens. Herausgegeben von der Redaktion der Deutschen 
militärärztlichen Zeitschrift. XXX11. Jahrg. Bericht für das Jahr 1906. Er- 
gänzungsband zur Deutschen militärärztlichen Zeitschrift. (XII, 131 S.) gr.-tJ*. 

Berlin, E. S. Mittler «fe Sohn, 1907. 3,50 Jk. 


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Neu erschienene Schriften. 


671 


Veröffentlichungen ans dem Gebiete des Militär-Sanitätswesens. Herausgegeben 
von der Medizinal - Abteil, des königl. preuß. Kriegsministeriums. Lex.-8*. 
Berlin, A. Hirschwald. 37. Heft. Über die Anwendung von Heil- und Schutz¬ 
seris im Heere. Beratungsergebnisse aus der Sitzung des wissenschaftlichen 
Senats bei der Kaiser Wilhelms - Akademie für das militärärztliohe Bildungs¬ 
wesen am 80. XI. 1907. Mit 3 Tafeln. (V, 42 S.) 1908. 1,20 Jfc. — 38. Heft. 
Arbeiten aus den hygienisch - chemischen Untersuchungsstellen. Zusammen¬ 
gestellt in der Medizinal-Abteil. des königl. preuß. Kriegsministeriums. II. Teil. 
(V, 116 S.) 1908. 2,80 jH,. 

Veröffentlichungen des deutschen Vereins für Volkshygiene. Im Aufträge des 
Zentralvorstandes in zwanglosen Heften herausgegeben von San.-Rat Dr. 
K. Beerwald. 8*. München, R. Oldenbourg. 14. Heft. Gruber, Ob.-Med.- 
Rat Prof. Dr. Max: Kolonisation in der Heimat. Vortrag. 1. Auflage. (1. bis 
6. Tausend.) (48 S.) 1907. 0,30 M> (Partiepreise). 


8. Infektionskrankheiten, Bakteriologie und Desinfektion. 

Bericht aus der königl. bayerischen biologischen Versuchsstation in München. 
Herausgegeben von Prof. Dr. Bruno Hofe. I. Bd. Mit Tafeln 1 bis 11, 
2 Textbeilagen und 16 Textfiguren. (XV, 220 S.) Lex.-8°. Stuttgart, E. Sohweine- 
bart, 1908. 10 M,. 

Bongert, stellv. Ob.-Tierarzt Laborat.-Leit. J.: Bakteriologische Diagnostik mit 
besonderer Berücksichtigung der Immunitätslehre, der Serodiagnostik und der 
Schutzimpfungen für Tierärzte und Studierende. 2., stark vermehrte und ver¬ 
besserte Auflage. Mit 16 Abbildungen u. 1 Farbendr.-Taf. im Text sowie 20 
Lichtdr.-Taf., enthaltend 111 vom Verfasser hergestellte Photogramme. (X, 
403 S. mit 20 BL Erklärungen.) gr.-8 # . Leipzig, 0. Nemnich, 1908. Geb. in 
Leinwand 12 JL. 

Burnet, Dr. E.: La lutte contre les miorobes: cancer, tuberculose, maladie du 
sommeil, tetanos, enterite et microbes intestinaux, variole et vaccine: L’oeuvre 
de Jenner, in-18, br., 3,60 frcs. Lib. Armand Colin. 

Burnet, Etienne: La Lutte contre Les Microbes. Cr. 8vo, sd., pp. 318. Armand 
Colin, Paris. 3/6. 

Conference internationale concemant la maladie du sommeil (Londres) 1907, in-8", 
6 frcs. 1 vol. Archives diplomatiques. 

JTollet, Dr. A.: La pratique de la desinfection departementale, in-8", 3,60 frcs. 
1 vol. H. Dunod et E. Pinat. 

Sandbuch der Technik und Methodik der Immunitätsforschung. Herausgegeben 
von DD. Prof. R. Kraus und C. Levaditi. I. Bd. Antigene. 2. Lieferung. 
(IV u. S. 369 bis 1138 mit 94 teils färb. Abbildungen, 1 Kurve u. 2 färb. Taf.) 
Lex.-8*. Jena, G. Fischer, 1908. 20 JL. 

Benagen, Kreisarzt Geh. Med.-Rat Dr.: Anleitung zur Desinfektion. Für den 
Unterricht der Mitglieder von Sanitätskolonnen herausgegeben. (23 S.) 8°. 
Berlin, R. Schoetz, 1908. 0,40 JL. 

Kirchner, Geh. Ob.-Med.-Rat Prof. Dr. Mart.: Die Bekämpfung der Tuberkulose 
und die Fürsorge für die Phthisiker. (Referat für den XIV. internationalen 
Kongreß f. Hygiene u. Demographie, Berlin 1907.) [Aus: „Klin. Jahrb.“] 
(30 S.) gr.-8°. Jena, G. Fischer, 1908. 1 JL. 

Kirstein, Kreisarzt Vorst. Dr. Fritz: Leitfaden für Desinfektoren in Frage und 
Antwort. 4., vollständig umgeänderte u. vermehrte Auflage. (62 Bl. u. S. u. 
Anlagen 3 Stück Bl. 67 u. 68, 6 Stück 63 bis 66 und 3 Stück 67 bis 69.) kl.-8°. 
Berlin, J. Springer, 1908. Geb. in Leinwand 1,40 JC u. durchsch. n. 1,60 JL. 

XiOgal. No. 138. Public Health, Ireland. Prevention of Epidemie Diseases. Re- 
gulations of the Local Government Board for Ireland, dated January 21, 1908, 
as to Cholera, Yellow Fever, and Plague on Ships arriving from Foreign 


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572 


Neu erschienene Schriften. 


Ports. 1 d. — No. 139. Ditto. As to Cholera and Plague on Coasting Ships. 
1 d. — No. 140. Ditto. As to Cholera and Plague on Outward Bound 

Ships. 1 d. 

Legal. Local Government Board. Report on a Recent Epidemie of Scarlatina 
in the Urban District of Burnham-on-Crouch (Essex); and on the Measure« 

taken with respect thereto. No. 298. 2 d. 

Parasitology. A Supplemeut to the Journal of Hygiene. Edit. by Geo. H. F. 
Nuttall and A. E. Shipley. (Vol. 1, No. 1.) Diagrams. 4to, sd., pp. 100. 

Camb. Univ. Press, net, 7/. 

Sanitary. Nuisauce from Flies. Report by Dr. Harner on the Extent to which 
Fly Nuisance is produced in London by Accumulation of Offensive Matter. 

With Diagrams. 3 d. 

Steinhaus, Stadtassist.-Arzt Dr. F.: Über die zur Bekämpfung der Ankylosto- 
miasis (Wurmkraukbeit) der Bergleute zu ergreifenden sanitätspolizeilichen 
Maßnahmen. Eingereicht bei der königl. Wissenschaft!. Deputation für das 
Medizinahveseu und nach dem amtlichen Material des königl. Oberbergamts 
Dortmund ergänzt und erweitert. (98 S.) gr.-8°. Gelsenkirchen, C. Stück. 
2,75 M. 

Waibel, Bez.-Arzt Med.-Rat Dr.: Über Wundinfektion und Wundbehandlung. 
(20 S.) gr.-8°. Augsburg, Bayer. Schulmuseum, 1908. 0,30 Jh. 


9. Hygiene des Kindes. 

Brüning, Priv.-Doz. Oberarzt Dr. Herrn.: Geschichte der Methodik der künst¬ 
lichen Säuglingsernährung. Nach medizin-, kultur- u. kunstgeschichtl. Studien 
zusammenfassend bearbeitet. (VII, 132 S. mit 78 Abbildungen.) Lex.-8*. 
Stuttgart, F. Enke, 1908. 6 J,; geb. in Leinwand n. 7,20 .Hs. 

Blumenbach, Schularzt Dr. Edm.: Zur Hygiene der Schuljugend im Elternhause. 

(132 S.) 8°. Riga, Jonck & Poliewsky, 1908. 2 jH- 
Camp, Dir. Prof, de la: Die ärztliche und soziale Bekämpfung der Säuglings¬ 
sterblichkeit. öffentliche Antrittsrede. (32 S.) 8". Freiburg i. B., Speyer 
& Kärner, 1908. 0,90 M>- 

Pehu, Dr. : L’alimentation des enfants malades, in-16°, 1,50 fres. J.-B. Bailiiere 

& fils. 

Rühle, Otto: Die Aufklärung der Kinder über geschlechtliche Dinge. (2. Auflage.) 

(20 S.) 8°. Bremen, Buchh. Bremer Bürger-Zeitg., 1908. 0,20 M. 
Tugendreich, leit. Arzt Dr. Gust.: Vorträge für Mütter über Pflege und Er¬ 
nährung des gesunden Säuglings. Nebst einem Vorwort v. Prof. Dr. Finkei¬ 
stein. (IV, 63 S. mit 7 Abbildungen.) 8°. Stuttgart, F. Enke, 1908. 1,20.41; 
kart. n. 1,60 .H. 

Veröffentlichungen des deutschen Vereins f. Volkshygiene. Im Aufträge des 
Zentralvorstandes in zwanglosen Heften herausgeg. v. San.-Rat Dr. K. Beer¬ 
wald. 8°. München, R. Oldenbourg. 13. Heft. Schlossmann, Dir. Prof. 
Dr. Arth.: Die Pflege des Kindes in den zwei ersten Lebensjahren. 2. Auf¬ 
lage. (11. bis 20. Tausend.) (40 S.) 1908. 0,30 JH- 
Weigl, Dr. J.: Gesundheitspflege für die Jugend. (59 S.) kl.-8®. München, 

Pb. L. Jung, 1908. 0,30 .H> (Partiepreise). 

Windust, Florance Hufton: Home Nursing and Hygiene. Cr. 8vo, pp. 13Q. Black 
net, 1/. 

Winkler, Stadtchem. Henry v., und Frau Irmgard v. Winkler, geb. Röser: 
Merkblätter für die erste Ernährung des Kindes. (16 S.) 8*. Reval, Kluge 

& Ströhm, 1908. 1 .Hs. 


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Neu erachienene Schriften. 


57S 


10. Variola und Vaccination. 

Government of India Pnblications. Vaccination Report, United Provinces, 1906 
to 1907. 9 d. 

MiacellaneouB. Vaccination (Scotland) Aot, 1907. Return of Statutary Decla- 
ration8 of Conscientious Objection. 1 d. 

Shaw ’s Manual of the Vaccination Law. 8th ed. By J. Lithiby. 8vo. Butter¬ 
worth. net, 7/6. 


11. Geschlechtskrankheiten. 

Arendt, Polizeiassistentin Schwester Henriette: Mehr staatliche Fürsorge für Ge¬ 
fallene und Gefährdete! Der beste Weg zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten! 4. bis 6. Tausend. (24 S.) 8°. Stuttgart, M. Kielmann, 1908. 
0.30 A,. 

Flugschriften der deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten. gr.-8°. Leipzig, J. A. Barth. 9. Heft. Münsterberg, Landt.- 
Abg. Otto: Prostitution und Staat. Vortrag. (30 S.) 1908. 0,30 M,. Flug¬ 
schriften der deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrank¬ 
heiten. Neue Auflage. gr.-8°. Leipzig, J. A. Barth. 1. Heft. Alexander, 
Dr. Carl: Geschlechtskrankheiten und Heilschwindel. Ein Vortrag. 3. gänz¬ 
lich umgearbeitete Auflage. (30 S.) 1908. 0,30 A. 

Keyes, E. L.: Syphilis. Illust. 8vo. S. Appleton. net, 21/. 

Krukenberg, Frau Elsb.: Sexuelle Aufklärung, die Aufgabe der Mutter des 
Hauses. Referat auf dem 3. Kongreß der deutschen Gesellschaft zur Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten. (18 S.) kl.-8®. Berlin 1908. Leipzig, 
H. G. Wallmann. 0,20 Jk. 

Aff&isonneuve, Paul and Others: The Experimental Prophylaxis of Syphilis. 
Translated, and with an Introduction, by Fernand L. De Verteuil. Cr.8vo, 
pp. 110. Simpkin, net, 4/. 

Zeitschrift für Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Herausgegeben von 
A. Blaschko, S. Ehrmann, E. Finger, J. Jadassohn, K. Kreibioh, 
E. Lesser u. A. Neisser. Red. v. A. Blaschko. 8. Bd. 12 Hefte. (l.Heft. 
44 S. gr.-8°.) Leipzig, J. A. Barth, 1908. Bar 12 A; einzelne Hefte nn. 1,25 Jk. 

12. Gewerbe- und Berufshygiene. 

Bourgeois, Dr.: L’eclairage rationnel du travail, in-8°, 1 frcB. 0. Doin. 

Coreil, F., et L. Nicolas: Les industries insalubres, in-8°, 15 frcs. H. Dunod 
& E. Pinat. 

Jahresberichte, die, der königl. bayerischen Gewerbeaufsichtsbeamten, dann der 
königl. bayerischen Bergbehörden für das Jahr 1907. Im Aufträge des königl. 
Staatsministeriums des königl. Hauses und des Äußern veröffentlicht. (XVII, 
482 S.) gr.-8*. München, Th. Ackermann, 1908. 6,40 Bisher unter dem 
Titel: Jahresberichte, die, der königl. bayerischen Fabriken- und Gewerbe- 
Inspektoren. 

Aff filier, Hüttenverw. Dipl.-Ing. Rieh.: Die Bekämpfung der Bleigefahr in Blei¬ 
hütten. Von der internationalen Vereinigung f. gesetzt. Arbeiterschutz preis¬ 
gekrönte Arbeit. (VI, 207 S. mit 7 Tafeln.) gr.-8°. Jena, G. Fischer, 1908. 
4,50 A. 

Aff Odern Plumber and Sanitary Engineer, The, Div. Vol. 5. 4to, pp. x—219. 
Gresham Pub. Co. 

Bocueil de documents sur les accidents du travail, reunis par le ministere du 
Travail (direction de l’Assurance et de la Prevoyance sociales). No 1: Lois, 
reglementa et circulaires (janv. 1908), in-8°, 1,75 frcs. Berger-Levrault & Cie. 




574 


Neu erschienene Schriften. 


Sammlung von Abhandlungen über Abgase u. Ranchschäden, nnter Mitwirkung 
von Fachleuten herausgeg. von Prof. Dr. H. Wislicenue. gr.-8*. Berlin, 
P. Parey. 1. Heft. Wislicenus, H.: Über die Grundlagen technischer und 
gesetzlicher Maßnahmen gegen Rauohschäden. (Ans dem ehern. Institut der 
königl. sächs. Forstakademie and forstl. Versuchsanstalt Tharandt.) (80 S.) 
1908. 1,20 ß. 

Sammlung von Abhandlungen über Abgase u. Rauchschäden, unter Mitwirkung 
von Fachleuten herausgeg. von Prof. Dr. H. Wislicenus. gr.-8*. Berlin, 
P. Parey. 2. Heft. Schröter, Forstrefer. E.: Die Rauchquellen im Königr. 
Sachsen und ihr Einfluß auf die Forstwirtschaft. Mit 3 Karten. (Aus dem 
chem. Institut der königl. sächs. Forstakademie und forstl. Versuchsanstalt 
Tharandt.) (IV, 220 S.) 1908. 4 ß. 

13. Nahrungsmittel. 

Arbeiten aus dem hygienischen Institut der königl. tierärztlichen Hochschule zo 
Berlin. Leiter: Prof. Dr. Oster tag. Lex.-8°. Berlin, R. Schoetz. Nr. XIII. 
Knüsei, Tierarzt Otto: Studien über die sogenannte sterilisierte Milch des 
Handels. Ein Beitrag zur Biologie der peptonisierenden Milchbakterien. 79 S. 
1908. 2,50 ß. 

Dugat, H.: Les aliments animaux, in-16", cart. 1,50 fres. J.-B. Bailliere & fils. 
Gernhardt, J. F.: Übersichtstabelle der Nährwerte in Prozenten nebst Kalorien 
v. 185 Nahrungsmitteln naoh Dr. J. König. (10 S. in Leporelloform.) kl.-8*. 
Friedensau b. Burg, 1908. (Leipzig, Krüger & Co.) 0,50 ß. 

Kühner, Dr. A.: Natürliche Nahrungsmittel und Nährpräparate. [Aus: „Reichs- 
Medizinal-Anzeiger“.] (7 S.) 8°. Leipzig, B. Konegen, 1908. Bar 1 ß. 
Maurel, Prof. E.: Traitö de l’alimentation et de la nutrition, t. II, in-8®, 14 fres. 
0. Doin. 

Praotical Guide to Meat Inspection (A) Walley. Rewritten and enlarged by 
Stewart Stockman. Illust. 8vo, pp. 310. W. Green, net, 10/6. 
Rubner, Geh.-Rat Prof. Dr. Max: Volksernährungsfragen. (IV, 143 S.) gr.-8*. 
Leipzig, Akadem. Verlagsgesellschaft, 1908. 5 ß\ geb. in Leinwand 6 ß. 

14. Alkoholismus. 

Abstinent, der christliche (früher „Mäßigkeitsfreund“). Älteste deutsche Zeit¬ 
schrift mit dem Grundsatz gänzlicher Enthaltsamkeit von allen berauschenden 
Getränken. Herausg. u. Red.: Dr. A.J. Bücher. 25. Jahrg. 1908. 12Nummern. 
(Nr. 1 u. 2, 8 S.) Lex.-8°. Bremen, Buohhandl. u. Verlag des Traktathaosea 
Bar 0,60 ß. 

Alkohol & Co., Hoflieferanten Sr. Maj. des Königs Tod. Größtes Geschäft 
Deutschlands, 300000 Filialen in allen Städten, Flecken und Dörfern. Täglich 
werden neue eröffnet. (Von Dr. Wilh. Bode.) 4. verbesserte Auflage. (15S. 
mit Abbildungen.) gr.-8°. Berlin, Mäßigkeits-Verlag, 1908. 0,20 ß. 
Arbeiter-Abstinenten-Bund, deutscher. kl.-8°. Berlin, Deutscher Arbeiter- 
Abstinenten-Bund. Nr. 15. Holitscher, Dr. A.: Alkohol und Kind. (1. bi? 
10. Tausend.) (31 S.) 1908. 0,10 ß. 

Arthus, M.: L’alcohol est-il un aliment? in-8®, 0,50 fres. Masson & Cie. 
Bericht über die 24. Jahresversammlung des deutschen Vereins gegen den Mi߬ 
brauch geistiger Getränke (e. V.) zu Posen am 9. bis 11. Okt. 1907. Anhang: 
Bericht über die 8. Jahresversammlung des Verbandes von Trinkerheilstätten 
des deutschen Sprachgebiets. (166 S.) 8°. Berlin, Mäßigkeits-Verlag, 190s. 
1,25 ß. 

Claas, Patentgerichtshofsrat Prof. Dr. Adf.: Bier und Wein als berechtigte Nab¬ 
rungs- und Genußmittel. Nach seinem größeren Werke „Die Alkoholfrage 


Diciiti. 


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Neu erschienene Schriften. 


575 


vom physiologischen, sozialen u. wirtschafte Standpunkt“ gemeinverständlich 
bearbeitet. 50. Tausend. (16 S.) 8°. Wien (XIX/1, Hochschulstr. 17), Selbst¬ 
verlag, 1907. Bar f 0,60 JC (Partiepreise). 

Forel, Prof. Dr. Aug.: Bewährte Mittel zur Bekämpfung des Trinkelendes. Ein 
Vortrag. Neue, uragearbeitete Auflage. 5. bis 6. Tausend. .(31 S.) 8°. Basel, 
Schriftstelle des Alkoholgegnerbundes, 1908. Bar 0,10 M> (Partiepreise). 

Geschichtliches aus dem Kampfe gegen den Alkoholismus in Deutschland. gr.-8®. 
Berlin, Mäßigkeits-Verlag. 2. Heft. Stubbe, Past. Dr. Christian: Der 
Kampf gegen den Alkoholismus in Mecklenburg. [Aus: „Der Alkoholismus“.] 
(III, 61 S.) 1908. 1,20 JL. 

Kassowitz, Prof. Dr. Max: Ist Alkohol ein Nahrungsstoff oder ein Gift? Neue 
Auflage. (8 S.) 8°. Basel, Schriftstelle des Alkoholgegnerbundes, 1908. Bar 
0,05 M (Partiepreise). 

Kraopelin, Prof. Emil: Alkohol und Jugend. Nach einem Vortrage vor den 
Oberklassen der Heidelberger Mittelschulen. 17. bis 20. Tausend. (16 S.) 8°. 
Basel, Schriftstelle des Alkoholgegnerbundes, 1908. Bar 0,10 Ji (Partiepreise). 

Sulz, Reg.-Arzt Dr.: Zur Hygiene des Trinkens in den Tropen. (15 S.) 8°. 
Hamburg, Deutschlands Großloge II, 1907. 0,20 M. 

Kultur und Fortschritt. Neue Folge der Sammlung „Sozialer Fortschritt“. 
Hefte für Volkswirtschaft, Sozialpolitik, Frauenfrage, Rechtspflege u. Kultur¬ 
interessen. 8°. Gautzsch bei Leipzig, Fel. Dietrich. Jede Nr. 0,25 Ji; für 
die Reihe von 10 Nrn. 1,50.4t; auch in Bdn. (je20Nm.) zu 3.4t; geb. 3,60 M,. 
163. Kellenaers, A.: Die Anti-Alkoholbewegung in den Niederlanden. 
(12 S.) 1908. 

Meinert, San.-RatDr.: Die Trinkfestigkeit vom ärztlichen Standpunkt aus. [Aus: 
„Die Alkoholfrage“.] (28 S. mit Abbildungen.) gr.-8 # . Hamburg, Deutsch¬ 
lands Großloge II, 1908. 0,80 .4t. 

Müderspach, Dir. L.: Die geistigen Getränke und deren Wirkungen auf den 
menschlichen Körper. Aus dem Dänischen von Edvard Schäffer. (Um¬ 
schlag: König Alkohol von L. Muderspaoh.) (44 S. mit Abbildgn., Bildnis 
und 2 farbigen Tafeln.) 8'*. Berlin - Steglitz, Verlag Kraft & Schönheit, 
1908. 1 JL. 

Fetersson, Osk.: Die schwedische Alkoholgesetzgebung und das Gotenburger 
System. Aus dem Schwedischen von Dr. R. Kraut. (88 S.) 8°. Hamburg, 
Deutschlands Großloge II, 1907. 1 Jk. 

Bonickau, Prof. Dr. Rieh.: Gedanken zur Methodik des Kampfes gegen den 
Alkoholismus der Jugend. [Aus: „Die Alkoholfrage“.] (69 S.) gr.-8°. Dresden, 
O. V. Böhmert, 1907. 0,60 JL 

Stille, San.-Rat Dr.: Alkohol und Lebensdauer. [Aus: „Medizin. Klinik“.] (88 S.) 
gr.-8 # . Hamburg, Deutschlands Großloge II, 1907. 0,15 JC. 


15. Verschiedenes. 

Brenn ecke, San.-Rat Dr.: Freiheit! Ein offenes Wort zur sexualen Frage an 
Deutschlands Jugend. Vortrag. 2. unveränderte Auflage. (24 S.) gr.-8°. 

Magdeburg, Fabersche Buchdruckerei, 1908. 0,60 J, t. 

Dreyfua, M.: Hygiene et Science domestique. En. sec. des j. filles, 3e et 4e 
annöes, in-18°, cart., 3,50 fres. F. Alcan. 

Gesundheit, die, in Wort und Bild. Offizielles Organ des Vereins Säuglings- 
krankenhaus zu Berlin und des deutschen Zentralverbandes zur Bekämpfung 
der Tuberkulose. Unter Mitwirkung von Universitätsprofessoren, hervor¬ 
ragenden Ärzten, Pädagogen usw. Herausgegeben von Dr. S. Landsberger. 
Red.: DD. Weißbein u. Lipliawsky. 5. Jahrg. 1908. 12 Hefte. (1. Heft. 
30 S.) Lex.-8\ Berlin, Medizin. Union. Halbjährlich bar 2,40 Jk\ einzelne 
Hefte 0,40 M,. 




576 


Neu erschienene Schriften. 


Gumpreoht, Med.-Refer. Med.-Rat Pi'of. Dr.: Die Regelung des deutschen Apo¬ 
thekenwesens und der Entwurf eines Reichs-Apothekengesetzes vom März 

1907. Vortrag. [Sonderabdruck aus dem offiziellen Berichte des deutschen 
Medizinalbeamtenvereins.J (83 S.) gr.-8*. Berlin, Fischers medizin. Buchh., 

1908. 1,60 ß,. 

Hiller, Dr. W.: Hygienische Winke für Bergtouren. 2. verbesserte Auflage. (6. bi» 
8. Tausend.) (47 S.) kl.-8*. Stuttgart, E. H. Moritz, 1908. 0,75 JA- 

Hotz, Dr. W.: Licht, Luft und Wasser und deren Wirkung auf den menschlichen 
Körper. (82 S. mit Abbildungen.) 8°. Mellenbach, Geschäftsstelle „Gesunde* 
lieben“, 1908. 0,60 JA. 

Kafemann, Prof. Dr. R.: Hygiene der Sprechstimme für Lehrer, Vorleser, Geist¬ 
liche, Kommandoführer u. Sänger. Vortrag. (12 S.) 8“. Danzig, A. W. Kafe- 
mann, 1908. 0,40 JA. 

Laux, Dr. Waith.: Preußische Apothekerordnung auf Grund der zurzeit gelten¬ 
den gesetzlichen Bestimmungen für Apotheker und Medizinalbeamte zusammen- 
estellt. 4. völlig neu bearbeitete Auflage. (81 S.) 8°. Berlin, M. Warneck. 

1908. Geb. in Leinwand 1,60 JA- 

Li* l ermann, Prof. Dr. L. v.: An die akademischen Bürger und Abiturienten 
höherer Lehranstalten. Zur Aufklärung in sexuellen Fragen. Im Auftrag? 
der medizin. Fakultät der Universität Budapest verfaßt. (Deutsche Ausgabe, 
besorgt vom Verfasser.) (III, 23 S) 8°. Halle, C. Marhold, 1908. 0,40 A- 

Lipowski, clirig. Arzt Dr. I.: Anleitung zur Beurteilung und Bewertung der 
wichtigsten neueren Arzneimittel. Mit einem Geleitwort von Geh. Med.-Rat 
l’rof. Dr. H. Senator. (XVI, 102 S.) 8 n . Berlin, J. Springer, 1908. 2,80 A: 
geb. in Leinwand n. 3,60 JA. 

Ruff, Badearzt Dr. Jos.: Illustriertes Gesundheits-Lexikon. Ein populäres Hand¬ 
buch für jedermann zur Belehrung und Beratung in gesunden und kranken 
Tagen, mit besonderer Berücksichtigung der Gesundheitslehre und Kranken¬ 
pflege in der Familie, sowie der Unterweisung in den von Laien ausführ¬ 
baren Hilfeleistungen und leichten Operationen, in der Behandlung von Ver¬ 
letzungen, im Anlegen von Verbänden und Bandagen und in der Bereitung 
von Hausmitteln nebst deren Anwendung usw. Mit 465 Abbildungen, 7. voll¬ 
ständig umgearbeitete Auflage. (In 25 Lieferungen.) 1. und 2. Lieferung. 
(S. 1 bis 96.) gr.-8°. Straßburg, Straßburger Druckerei und Verlagsanstalt, 
1908. Je 0,40 JA- 

Schriften, kleine, des Zentralausschusses zur Förderung der Volks- und Jugend¬ 
spiele in Deutschland. kl.-8°. Leipzig, B. G. Teubner. 4. Bd. Schencken- 
dorff, E. v., u. Prof. J. Heinrich: Ratgeber zur Pflege der körperlichen 
Spiele an den deutschen Hochschulen. Im Aufträge des Zentralausschusses 
und unter Mitwirkung einiger Mitglieder desselben herausgegeben. 3. ver¬ 
besserte Auflage. (II, 56 S.) 1908. Gebunden in Leinwand 0,80 A,. 

Skutetzky, Regimentsarzt Dr. A.: Die neueren Arzneimittel in der ärztlichen 
Praxis. Wirkungen und Nebenwirkungen, Indikationen und Dosierungen. Mit 
rinem Geleitwort von Prof. Dr. J. Nevinny. (VII, 379 S.) 8°. Berlin. 
J. Springer, 1908. 7 A; geb. in Leinwand n. 8 JA. 

Werther, Oberarzt Dr.: Hütet Euch! Ärztliche Mahnworte an unsere Söhne beim 
Eintritt ins Leben. Rede an die Gymnasial-Abiturienten, gehalten im Auf¬ 
träge des Rates zu Dresden am 14. März 1908. (48 S.) gr.-8 # . Dresden. 
A. Köhler, 1908. 0,90 JA. 


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Dr. A. Frankenburger, Bekämpfung der Tuberkulose in Nürnberg. 577 


Die Anstalten und die Tätigkeit des Vereins 
zur Bekämpfung der Tuberkulose in Nürnberg 
im Jalire 1907. 

Von Dr. A. Frankenburger, leitender Arzt. 

Mit 8 Abbildungen. 


Der Kampf gegen die große Volksseuche Tuberkulose hat bei uns in 
Deutschland, nachdem er durch die mächtige Bewegung der Volksheilstätten¬ 
behandlung einen energischen Vorstoß gemacht hatte, jahrelang auf dieses 
Angnffsmittel sich beschränkt. Erst neuerdings, seit wenigen Jahren, rang 
sich die Erkenntnis durch, daß bei aller Anerkennung der Erfolge der Heil- 
atättenbehandlung von ihr allein eine Eindämmung der Tuberkulose als 
Volkskrankheit nicht zu erwarten ist, daß der Kampf wieder nicht minder 
energisch, nicht weniger Yerheißungsvoll sich gegen die Verbreitung der In¬ 
fektion richten muß und als Siegespreis nicht die Heilung der ausgebrochenen 
Krankheit, sondern die Verhütung des Ausbruches anstreben muß. Niemals, 
nicht mit noch so vielen Mitteln, werden wir verhindern, daß die Mehrzahl 
der infizierten Kranken ungeheilt bleibt, früher oder später in schwerere 
iniektionsgefährlichere Stadien kommt. Diesen Gefahren zu begegnen, die 
nähere und weitere Umgebung der Kranken davor zu schützen, daneben 
aber auch den Kranken selbst nach Möglichkeit Heilung, wo nicht möglich 
Besserung, Linderung zu verschaffen, das sind die Aufgaben der seit wenigen 
Jahren in Deutschland in ansehnlicher Zahl begründeten Fürsorgestellen für 
Tuberkulöse, von deren Wirken sich berufene Beurteiler, wie R. Koch, 
Cornet u. a. Erfolg versprechen. 

Diese Art der Tuberkulosebekämpfung jagt nicht Idealen nach; sie 
findet sich mit jedem Einzelfalle ab und bessert so viel, als eben gebessert 
werden kann. Sie muß alle verfügbaren Hilfsmittel und Kräfte kennen 
und heranziehen. Wo der Kranke nicht aus seinen schlechten häuslichen 
Verhältnissen heransgebracht, in die Heilstätte, in das Krankenhaus über- 
ge/iihrt werden kann, da folgt ihm unsere Hilfe in die Wohnung, sucht diese 
bestmöglichst hygienisch za gestalten, Übertragungsgefahr möglichst zu be¬ 
seitigen , einzudämmen, die noch gesunden. gefährdeten Angehörigen zu 
schützen, zu kräftigen, widerstandsfähig zu machen, und wenn sie schon 
infiziert sind, sie der Heilbehandlung zuzuführen, so lange es Zeit ist. 

Alle diese Aufgaben haben wir auch unserer im August 1906 be¬ 
gründeten „Auskünfte- und Fürsorgestelle für Lungenkranke“ 

gestellt. 

Während der Vorbereitungen zur Einrichtung der Stelle hatten wir 
Gelegenheit, die Notwendigkeit der Gründung einer Walderholungsstätte 
für Nürnberg zu betonen. Edler Opfersinn eines Stifterpaares stellte uns 
alsbald eine solche vollständig eingerichtet, betriebsfähig für 100 Personen, 

Viert«ty*tir»»chrift für ßeinndbeitapflege, 19CS. 



Digitized by 
























678 


Dr. A. Frankenburger, 


zur Verfügung, so daß wir im Juli 1907 dieses weitere wichtige Kampf¬ 
mittel unseren Waffen zufügen und den Betrieb des Walderholungsheimi 
„Frida Schramm-Stiftung“ eröffnen konnten. 

Beide Anstalten werden von dem im Januar 1906 unter dem Ehren- 
Vorsitze unseres Oberbürgermeisters Herrn Geh. Hofrat Dr. von Schah 
begründeten Verein zur Bekämpfung der Tuberkulose in Nürn¬ 
berg betrieben und verwaltet. Unter allseitiger Unterstützung aller in 
Frage kommenden öffentlichen Stellen und zahlreicher Mitarbeiter and 
Freunde haben sie in der kurzen Zeit ihres Bestehens schon eine aus¬ 
gedehnte und erfolgreiche Wirksamkeit entfalten können. Wie sie ihren 
Aufgaben im Jahre 1907 nachgekommen sind, darüber soll der nachfolgende 
Bericht Aufschluß geben. 

Im Jahre 1907 wurden 94 Fürsorgesprechstunden abgehalten, 
in welchen insgesamt 2725 Personen erschienen. 

Neuzugegangen sind im Betriebsjahre 966 Personen, nämlich 
412 Männer, 391 Frauen, 163 Kinder. Die 966 Personen gehörten 757 
Familien an. 

Auf eine Sprechstunde trafen durchschnittlich 29,6 Personen, 
und zwar 10,5 Zugänge und 19,1 Nachuntersuchungen. 

Die einzelnen Monate ergaben folgende Frequenz: 


Monat 

Zugänge 

Übergänge 

Gesamt- 

frequeni 

Januar . 

62 

81 1 

143 

Februar . 

84 

136 

220 

März. 

92 

119 

211 

April. 

103 

170 

273 

Mai. 

110 

141 

251 

Juni. 

80 

158 

238 

Juli. 

101 

162 

263 

August. 

100 

147 

247 

September. 

68 

183 

251 

Oktober. 

44 

163 

207 

November. 

55 

152 

207 

Dezember. 

67 

147 

214 

Zusammen ! 

966 

1759 

2725 


Die Zuweisung der 966 Zugänge war erfolgt: durch Ärzte der Stadt 
in 555 Fällen, durch Heilstätten in 126 Fällen, durch das städtische Kranken¬ 
haus in 31 Fällen. Durch die Fürsorgestelle zur Nachuntersuchung bestellt 
wurden 188 Besucher, von selbst gekommen sind 66 Besucher. 

Von den 966 Zugängen waren nicht tuberkulös 87. 

Als Tuberkulosekranke oder-verdächtige mußten somit 879 
Personen neu in Fürsorge genommen werden. Zu ihnen kamen noch 21 
Fälle von Schwerkranken, welche zur Fürsorgesprechstunde nicht 
kommen konnten und nach Besuchen durch die Fürsorgeschwestern in Für¬ 
sorge genommen wurden. 


Diqitized b' 


GoogI< 




















Bekämpfung der Tuberkulose iu Nürnberg usw. 


579 


Aus dem Jahre 1906 waren übergegangen 337 Pfleglinge, im Jahre 
1907 sind zugegangen 879 -j— 21 = 900 Pfleglinge, so daß während des 
Betriebsjahres 1907 1237 Personen der Fürsorgetätigkeit unter¬ 
standen. 

Während des Jahres 1907 sind ausgeschieden: durch Tod 123, aus 
sonstigen Gründen 127, zusammen 250, so daß auf das Jahr 1908 
987 Fürsorgepfleglinge, bzw. Familien übergehen. 

Im ganzen sind seit August 1906 bis 31. Dezember 1907 1402 ver¬ 
schiedene Personen durch unsere Fürsorgesprechstunden gegangen. 

Dieselben gehören nachfolgenden Altersstufen an: 


Alter 

Zahl der 
Untersuchten 

Alter 

Zahl der 
Untersuchten 

unter 1 Jahr. 

3 

Übertrag 

829 

1— 3 Jahre . 

24 

31—40 Jahre . 

395 

4—5 . . 

21 

41-50 „ . 

128 

6—10 „ . 

104 

51-60 „ . 

29 

11—15 „ . 

93 

61-70 „ . 

9 

16—20 . 

152 

über 70 „ . 

— 

21—30 „ . 

432 

Unbekannt . 

12 

Übertrag 

829 

Zusammen 

1402 


Unter den Fürsorgebefohlenen waren alle Krankheitsstadien, von den 
leichtesten bis zu den vorgeschrittensten vertreten. 

Eine besondere Aufmerksamkeit haben wir den aus Heilstätten ent¬ 
lassenen Kranken und ihren Familien zuzuwenden uns bemüht. Leider 
hat sich noch ein großer Teil der Heilstätcenentlassenen unserer Kontrolle 
entzogen, bzw. nicht unterstellt. 

So sind bis jetzt seit Eröffnung unseres Betriebes uns aus den Heil¬ 
stätten Engelthal und Fürth als Entlassene angezeigt worden: 

aus Engelthal. 227 Männer, 

n Fürth.170 Frauen 

Zusammen 397 Kranke. 

Von diesen haben sich unserer Kontrolle unterstellt : 

im Jahre 1906 . 72 

, , 1907 . 126 (58 Männer, 68 Frauen) 

Zusammen 198 

Gerade die Hälfte der Entlassenen ist nicht zu uns gekommen. Wir 
haben deshalb die Leitungen der Heilstätten ersucht, ihre Entlassenen auf 
die Wichtigkeit, sich der Fürsorgestelle zu unterstellen, noch mehr hinzu¬ 
weisen. Wir haben auch begonnen, den nicht freiwillig erschienenen Heil¬ 
stättenentlassenen selbst nachzugehen und uns von ihren Schicksalen zu 
überzeugen. 

Ein besonderer Wert wurde darauf gelegt, die krankheitsverdäch¬ 
tigen Familienangehörigen von der Fürsorgestelle überwiesenen 
Kranken zur Untersuchung zu bringen. 


37 * 
























680 


Dr. A. Frankenburger, 


Von 191 Kranken wnrden insgesamt 289 weitere Familien- 


angehörige zur Untersuchung bestellt. 

Je 1 Familienglied wurde nachuntersucht in 

123 Familien 

„ 2 Familienglieder wurden 

i» » 

48 , 

i» 3 * n 

» n 

14 fl 

»4 r n 

fl n 

5 „ 

8 

n n 

1 Familie. 


Von den nachnntersnchten Familiengliedern waren 108 Er¬ 
wachsene nnd 181 Kinder. 

Die Nachuntersuchten waren: 

der Vater, bzw. Gatte des Erstnntersnchten . . 52mal 

die Mutter, bzw. Ehefrau des „ . . 56 , 

Geschwister des Erstantersuchten.33 „ 

Kinder „ „ .148 „ 

Die Nachuntersuchungen der Familienangehörigen lieferten folgende 


Ergebnisse: 


Von den Nachuntersuchten wurden 
befunden 

M&nner 

Frauen 

Kinder 

Zusammen 

An Lungentuberkulose leidend .... 

12 

19 

13 

44 

Skrofulös. 

— 

— 

31 

31 

Tuberkulosverdächtige. 

17 

24 

37 

78 

Zusammen der Fürsorgebeobachtung 





bedürftig.'. . 

29 

43 

81 

153 

Nicht tuberkulös. 

23 

13 

100 

136 

Zusammen 

52 

50 

161 

289 


Bei den in Fürsorge stehenden Familien wurden von den Fürsorge¬ 
schwestern insgesamt 3599 Besuche in den Wohnungen gemacht, 
und zwar im 


Januar . 



Übertrag 

2011 Besuche 

Februar . 

. 240 

„ 

August . 


318 

März . . 


ry 

8eptember 


234 „ 

April . . 

. 309 

„ 

Oktober . 


350 , 

Mai . . . 

. 317 

n 

November 


396 

Juni . . 


71 ■ 

Dezember 


290 

Juli. . . 

. 342 

Übertrag 2011 

n 

Besuche 


Zusammen 

3599 Besuche 


Leistungen der Försorgestelle. 

A. Verschaffung geeigneter Behandlung. 

An das städtische Krankenhaus wurden 46 Kranke überwiesen. 
Heil8tättenanträge wurden für 51 Patienten gestellt. 

Für das Walderholungsheim „Frida Schramm-Stiftung“ wurden teils 
-durch die Fürsorgestelle direkt, teils durch Vermittelung der behandelnden 
Ärzte 140 Patienten beantragt, welche sämtlioh aufgenommen wurden. 
21 Kranke wurden aus Vereinsmitteln dort untergebracht. Mit den er- 


Digitized 


Google 



























Bekämpfung der Tuberkulose in Nürnberg usw. 


581 


reichten Erfolgen waren wir in hohem Maße zufrieden. (Siehe Bericht des 

W alderholungsheims.) 

16 Patienten wurden zu anderweitigem Landaufenthalt verwiesen. 

Schließlich wurde wieder eine große Reihe von Kranken an die Herren 
Armenärzte und an die Poliklinik zur Behandlung verwiesen; eine ansehnliche 
Zahl von Kranken, welche eich nur zur Kontrolle vorstellten, mußten als 

einer Behandlung bedürftig an ihre Hausärzte verwiesen werden. 

B. Füreorgomaßnahmen. 

1. Leistungen der I'ürsorgestelle selbst. 

Tuberkulosemerkblätter wurden 837 ausgegeben. (Ein Teil 

der aus Heilstätten entlassenen Kranken war schon von dorther im Be- 
aitze von Merkblättern.) 

Abgabe von Spuckgefäßen. Es gelangten Taschenspuckflaschen, 
Krankenspuckbecher und insbesondere Spuckschalen für Wohnräume zur 
Abgabe. Die Gesamtzahl der abgegebenen Stücke betrug 237. Als 
Krankenspuckbecher und Spucksohalen haben wir an Stelle der früher ab¬ 
gegebenen emaillierten Gefäße solche aus Steingut, die viel billiger sind, 
hinausgegeben. 

Desinfektionsmittel. Als solches wurde ausschließlich Rohlyso- 
form abgegeben. Es wurden 167 Flaschen zu je 250 g verabreicht. 

Wohnungshygiene. Diesem wichtigsten Zweige der Fürsorgetätig¬ 
keit haben wir unsere größte Aufmerksamkeit zugewendet. Es sei gestattet, 
der Aufzählung unserer Maßnahmen einige allgemeine Bemerkungen und 
Feststellungen vorauszuschicken. Die Bedeutung der Wohnungshygiene für 
die Tuberkulosebekämpfung ist zu bekannt und zu unbestritten, um weitere 
allgemeine Ausführungen zu erfordern. In allen Fällen, welche sich unserer 
Fürsorge unterstellten, haben wir Sorge getragen, die Wohnungsverhältnisse 
festzustellen und an Mißständen zu bessern, was gebessert werden konnte. 
Nicht ganz selten hat unser Eingreifen versagt, weniger, weil es uns an 
Mitteln gefehlt hätte, als weil andere nicht überwindbare Hindernisse vor¬ 
handen waren. Viele Schwierigkeit hat uns der bestehende sogenannte 
„ Wohnungsmangel“, welcher aber gar kein eigentlicher Mangel war, bereitet. 
Familien, welche wir in sehr unhygienischen Wohnungen fanden, haben wir 
nicht herausbringen können, weil es nicht nur ihnen selbst, sondern auch 
den heißen Bemühungen unserer Fürsorgeoberschwester selbst unmöglich 
war, andere, bessere Wohnungen aufzufinden, deren Mietpreis auch mit unserer 
Unterstützung für sie erschwinglich gewesen wäre. Auch das uns auf unser 
Frauchen vom Stadtmagistrat überlassene, von diesem aufgestellte Ver¬ 
zeichnis leerstehender Kleinwohnungen hat uns wenig genutzt; einmal waren 
das zum Teil hygienisch nooh schlechtere Räume, die aufgenommen waren, 
zum anderen aber mangelte es nach unseren Erfahrungen nicht an „kleinen“, 
sondern an „ billigen“ Wohnungen. Bei der starken Wohnungsnachfrage 
hatten besonders die kinderreichen Familien sich der unbedingten Ablehnung 
von seiten der meisten Hausherren versichert zu halten. Hoffentlich werden 
die zur Beseitigung dieser Wohnungsnot jetzt eingeschlagenen Wege bald 
eine Besserung bringen. 














682 


Dr. A. Frankenburger, 


Wir haben eine Zusammenstellung der Wohnungen aller unserer bis¬ 
herigen Fttrsorgepfleglinge naoh Straßen und Häusern gemacht, deren lehr¬ 
reiche Ergebnisse demnächst an anderer Stelle ausführlicher besprochen 
werden Bollen. Sie hat uns nicht nur die erwartete Tatsache gelehrt, daß 
besonders einzelne Straßen der äußeren Stadtbezirke (z. B. Helmstraße, 
Heroldstraße, Adam-Klein-Straße, Denisstraße u. a.) einen besonderen Reich¬ 
tum an Tuberkulosefällen aufweisen, sondern hat auch in diesen Straßen 
einzelne ganz verseuchte Häuser ergeben. Wir haben Häuser, aus welchen 
wir in jetzt l 1 /, Jahren unserer Tätigkeit vier bis sieben bis neun (!) 
Familien mit Tuberkulose in Fürsorge bekommen haben. Hier muß die 
direkte Ansteckung durch die Wohnung eine Rolle spielen! Dagegen kann 
nur die Einführung einer ZwangBdesinfektion helfen, welche wir dem¬ 
nächst bei dem Stadtmagistrat beantragen werden. Sie erscheint uns nm 
so mehr notwendig, alB wir mit unseren Desinfektionsanträgen auch in diesem 
Jahre wiederholt auf Widerstand gestoßen sind. Es wäre sehr wünschenswert, 
daß die Hausbesitzer mehr als bisher sich überzeugten, wie wichtig die Des¬ 
infektion der von Tuberkulösen verlassenen Wohnungen nicht nur für die 
Nachmieter, sondern für sie selbst und ihre Familien ist, aber auch, daß die 
Herren einsähen, wie viel sicherer und unbedenklicher sie ihre Wohnungen 
einem bekannten Tuberkulösen überlassen können, der reinlich ist und über¬ 
wacht wird, als einer Familie, in welcher die Krankheit verheimlicht und 
die Wohnung unreinlich gehalten wird. Und nicht minder bedeutungsvoll 
wäre es, wenn die Mieter sich überzeugen ließen, wie viel ruhiger und 
sicherer man in eine von einem Tuberkulösen verlassene, aber desinfiziert« 
Wohnung einziehen kann, als in eine, von welcher niemand weiß, was für 
ein Kranker sie verlassen hat. Hier bleibt noch unendlich viel Aufklärungs¬ 
arbeit zu leisten, um die von beiden Seiten geübte falsche Stellungnahme, 
welche den Vogel Strauß naohahmt, zu beseitigen. 

Folgende Zahlen verdienen noch Beachtung. Wir haben bisher in 
Fürsorge bekommen: 

Aus 93 Häusern des Stadtbezirkes je 2 Familien mit Tuberkulose 



(Aus letzterem Hause sind in der ersten Januarwoche 1908 zwei weitere 
Familien gekommen.) 

Über die Schlafverhältnisse unserer Pfleglinge besitzen wir genauere 
Aufzeichnungen von 804 Fällen. 

Von diesen hatten einen eigenen Schlafraum (Schlafzimmer 
konnte man leider nicht häufig sagen) für sich allein zur Verfügung 239. 
565 kranke Personen mußten den Schlafraum mit anderen Personen teilen, 


und zwar wurde derselbe geteilt 



mit noch 1 

Person 

. . . . 220 mal 

mit noch 6 Personen . . 

. 12 mal 

, . 2 


.... 176 , 

. . 1 . 

l . 

„ „ 3 

n 

.... 90 , 


1 . 

- . 4 

» 

.... 46 B 

. . 9 , 

1 , 

- » 5 

„ 

.... 18 „ 




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583 


Bekämpfung der Tuberkulose in Nürnberg usw. 


Von den 566 Kranken, welche den Schlafraum mit anderen teilten, 

hatten ein Lager (nicht immer Bett) für sich noch 378. 

187 Tuberkulöse teilten das Lager mit anderen Personen, 
und zwar mit noch einer Person 175 Kranke; mit noch 2 Personen 
wurde das Schlaflager von 9 Kranken geteilt; ein Kranker teilte 

sein Krankenbett mit noch 3, einer mit noch 4 und einer mit 
noch 5 Personen! 

Unsere Fürsorgemaßnahmen zur Wohnungsbesserung waren 

die folgenden: 

In rund 500 Fällen war ein Eingreifen der Stelle durch Ratschlage 
zur hygienischen Verbesserung der Wohnung, sei es Verlassen einer unzu¬ 
länglichen Wohnung oder bessere, zweckmäßige Einteilung der Räume, rich¬ 
tigere Aufstellung der Betten usw. notwendig; häufig war direkte Unter¬ 
stützung, wo nicht die Armenpflege eintrat, welche, wie in jeder Beziehung, 
auch hier unseren Anträgen bereitwilligst nachkam, durch unsere Mittel 
dringend erforderlich. 

Es wurden abgegeben: 42 vollständige Betten und 28 einzelne 
Bettstücke; außerdem 59 Bettbezüge, 64 Bettücher, 19 Stück 

SpreukisBen. 

Mietzuschüsse wurden im Gesamtbeträge von 445,70./# gewährt 
(eine große Summe von Mietzuschüssen gewährte auf Antrag die Armen¬ 
pflege). 

Desinfektionen (durch die städtische Desinfektionsanstalt kosten¬ 
los ausgeführt) haben wir 188mal beantragt: 123 mal wegen Todesfall, 

65 mal wegen Wohnungswechsels. 

Auf die Belehrung zur Reinigung und Reinhaltung der Wohnung 
haben wir ebenfalls größten Wert gelegt und dabei vielfach selbst nach¬ 
geholfen. 

Eine besondere Unterstützung haben wir hierbei durch die Abteilung 

für Hauspflege des Vereins „Frauenwohl“ erfahren. In 12 Fällen wurde 
schwer erkrankten Frauen Hauspflegorinnenunterstützung zuteil, welche 
teilweise kostenlos durch die Angestellten des Vereins „Frauenwohl“ ge¬ 
leistet wurde, während in anderen Fällen einen Teil der Kosten unser 

Verein trug. 

Nahrungsmittelunterstützung: An Milch wurden abgegeben 

19069 Liter, nämlich im 


Januar. 1866,5 Liter 

Februar. 1573 „ 

März.1546 

April. 1350 „ 

Mai. 1742,5 „ 

Juni.1391 n 


Juli. 

. . . . 1006 

Liter 

August. 

. . . . 1559 

„ 

September .... 

. . . . 1169 


Oktober. 

. . . . 2051 


November .... 

. . . . 2148 


Dezember .... 

. . . . 1667 



Speiseportionen aus den Volksküchen wurden 666 angewiesen. 
Außerdem wurden einer Reihe von Kranken Kosttage durch die be¬ 
stehenden Suppen vereine und bei Privaten verschafft. 

Aus Mitteln der Fürsorgestelle wurden noch weiter verabreicht : 195 kg 
Kakao (Reichhardt), 41 Flaschen Fleischsaft Puro, 47 Flaschen Wein. 





























584 


Dr. A. Frankenburger, 

Barunterstützungen: Außer den schon genannten Mietzuschüssen 
im Betrage von 445,70 Jtt wurden an Barmitteln in kleineren Einzel (Wochen-) 
betrügen 389,95 JfC ausgegeben. Dazu kommen 446 <Jt, welche aus den Mitteln 
der Wilhelm und Milly Gerngrosschen Stiftung in größeren Einzelgaben 
(meist zur Erleichterung der Verschaffung einer Erwerbstätigkeit für erwerbs¬ 
beschränkte Tuberkulöse, z. B. Werkzeuganschaffung für Heimarbeit usw.) 
verausgabt wurden, so daß insgesamt an Barunterstützungen 1281,65 JC 
verausgabt wurden. 

Für Kinder, welche von der kranken Mutter nicht verpflegt 
werden konnten, wurde in 24 Fällen vorübergehend oder dauernd 
Unterkunft geschafft, davon in drei Fällen aus Mitteln des Vereins allein, 
in anderen mit Unterstützung anderer Stellen. 

2. Vermittelung von Unterstützung durch andere Stellen. 

Die meisten der hierher gehörigen Leistungen und der unterstützenden 
Stellen haben schon im' vorhergehenden Teile des Berichtes Erwähnung 
gefunden. 

Dankbarst müssen wir vor allem nochmals der nie versagten Unter¬ 
stützung erwähnen, welche unseren Bestrebungen durch den Annenpfleg- 
sohaftsrat und die einzelnen Herren Armenräte gewährt wurde, deren Hilfe 
wir mit Erfolg auch für die Unterstützung auswärts beheimateter Pfleg¬ 
linge nützen konnten. 

Auch die Versicherungsanstalt für Mittolfranken ist mit gewohntem 
Verständnis unseren Unterstützungsanträgen, besonders für Übernahme des 
Heilverfahrens und Aufenthalt im Walderholungsheim, sowie für Gewährung 
von Invalidenrenten stets entgegengekommen. 

Dem Heilstättenverein Nürnberg danken wir die Ermöglichung der 
Heilstättenverpflegung in verschiedenen Fälleu: die Brandeissche Stift : 
konnte für mehrere weibliche Kranke heran gezogen werden. Die Ort ? - 
krankenkasse für die polygraphischen Gewerbe und die Gemeindekranken¬ 
kasse Nürnberg sind uns in gleicher Beziehung entgegengekommen. 

Die Pflege- und Krippenanstalt, die schon genannte Abteilung für Haus¬ 
pflege des Vereins „Frauenwohl“, die Suppenvereine, Krankenunterstützungs- 
vereine, die sämtlichen Krankenpflegevereine und Pflegeatation*u T - «mlicn 
viele private Wohltäter haben wir in Anspruch genommen und sind allen 
für ihre Mithilfe herzlich dankbar. 


Bericht 

über das Walderholungsheim „Frida Schramm -Stiftung:-. 
Von Dr. A. Frankenburger, leitender Arzt. 

Das Walderholungsheim „ FridaSchramm-Stiftung“ von Herrn 
Fabrikbesitzer Jean Schramm und seiner Gattin Gretchen zum Gedenken 
an ihre verstorbene Tochter Frida gestiftet, wurde von den Stiftern selbst 
erbaut und eingerichtet, vollkommen betriebsfertig zur Aufnahme von 100 
Pfleglingen am 7. Juli d. J. dem Vereine als Geschenk übergeben. 


GoogI< 




Bekämpfung der Tuberkulose in Nürnberg usw. 585 

Das Gelände des Walderholungsheimes umfaßt 12 Tagwerk = 4 ha 
Wald auf dem sogenannten Dachsberg bei Rückersdorf, Vorortstation, 


Fig. 2 


12,5km von Nürnberg. Der Wald besteht aus hochstämmigen, 70- bis 
80jährigen Föhren. Er läßt Licht und Sonne reichlich durch, bietet aber 
zu allen Tageszeiten Schatten. Das Gelände liegt nach Norden geschützt, 
nach Süden offen mit schönem Ausblick auf das Pegnitztal und die Kette 
des Fränkischen Jura. Die Bodenbeschaffenheit ist eine sehr günstige: selbst 














586 


Dr. A. Frankenburger, 

nach stärkster DurchnäBsung erfolgt rascheste Auftrocknung. Das Gelände 
liegt unmittelbar gegenüber dem Bahnhof Rückersdorf und wird Ton dem¬ 
selben aus in zwei Minuten erreicht. 

Das im Stile des fränkischen Bauernhauses in Fach werk ausgeführte, 
überaus gefällige Betriebsgebäude steht am Südende des Geländes. 

Es enthält zunächst rechts vom Haupteingang die Hausmeisterwobnung, 
links das Aufnahme* bzw. Geschäftszimmer der leitenden Schwester. An 
beiden Seiten schließen sich, durch eine Mauer geschieden, welche auch 



Grundriß. 


außerhalb des Gebäudes sich fortsetzend, das Gelände in r die Abteilungen 
für Männer und Frauen trennt, die eigentlichen, für jede Abteilung gleichen 
Betriebsräume an, nämlich die Kleiderablage, das Bad (je ein Wannenbad 
zwei Brausen), die Aborte, die Speisesäle für je 80 Personen. Zwischen 
beiden SpeiseBälen liegt die große Küche mit entsprechend großem Kochherd, 
zwei großen Kochkesseln, einem Dampf-Milchkochapparat. An diese schließt 
sich der Wirtschaftshof mit Waschküche und Maschinenraum an. In diesem 
befindet sich eine Heißdampfmaschine, welche das Wasser aus dem gebohrten 
Felsenbrunnen in die Hochbehälter pumpt und die Warmwasserleitung n 
bedienen hat, ein Desinfektionsapparat für Decken und Wäsche, sowie ein 
Sputumdesinfektor. 


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Bekämpfung der Tuberkulose in Nürnberg usw. 687 

Im Obergeschoß befinden Bich die WohD- und Schlafzimmer der Schwe¬ 
stern, zwei Krankenzimmer mit je einem Bett für Notfälle, die Vorratsräume. 
Auf dem ersten, geräumigen Boden liegen die Mägdekammern und Vorrats- 
riume. Auf dem Dachboden stehen die Hochbehälter für das Wasser, 
welches von dort durch eine Leitung im ganzen Hause verbreitet wird. 
Reichliche Waschgelegenheiten für die Pfleglinge befinden sich innerhalb des 
Hauses vor dem Eingänge zu den Speisesälen, sowie beim Ausgang aus den¬ 
selben in den Wald. Außerhalb des Hauses, am Ende einer kleinen Wandel¬ 
bahn, liegen nochmals Aborte und Remisen. Im Gelände verteilt befinden 
sich beiderseits je zwei Liegehallen mit Rohrliegesesseln, außerdem zahl¬ 
reiche Bänke, Tische, Spielgeräte usw. 


Fig. 4. 



Küche. 


Die Abwässer gehen durch zwei große Klärgruben nach biologischem 
System in einen Kanal, welcher sie völlig geklärt in einen nahen Bach 
ab führt. 

Die anderwärts (z. B. in Frankfurt a. M.) von uns gesehene Ein¬ 
richtung, wonach an den kleineren und leichteren Arbeiten des Betriebes 
nicht nur weibliche, sondern sogar männliche Pfleglinge sich selbst helfend 
beteiligten, ja um das Recht, helfen zu dürfen, sogar ein edler Wettstreit 
geführt wurde, hat sich bei uns nicht nachabmen lassen. Nur vereinzelte 
Franen und Mädchen, niemals männliche Pfleglinge, haben sich zu kleinen 
Hilfeleistungen freiwillig erboten. Da ein Zwang nicht ausgeübt werden 
sollte, haben wir mehr Hilfskräfte benötigt, als anderwärts gebraucht 
werden. 

Auch die auswärts viel angegebene Tatsache, daß die Pfleglinge durch 
Schaffung kleiner Gartenanlagen selbst an der Verschönerung des Heims 
mitarbeiten, haben wir bis jetzt leider nicht feststellen können, öfter alB 
uns lieb war, haben wir gegenüber entsprechenden Andeutungen hören 
müssen: „Wir sind doch zur Erholung und nicht zur Arbeit hier.“ Daß 


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Speisesaal für Männer. 
Fig. 6. 


588 Dr. A. Frankenburger, 

auch eine kleine Arbeitsleistung im Freien zur Erholung dienen kann, scheint 
von unserer Klientel noch nicht gewürdigt zu werden. 

Fig. 5. 




Speisesaal für Frauen. 


Von den reichlich vorhandenen Liegestühlen, Hängematten, den Spiel¬ 
gelegenheiten, besonders dem Kegelspiel, wurde ausgiebiger Gebrauch 
gemacht. *<j 


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e 


















589 


Bekämpfung der Tuberkulose in Nürnberg usw. 


Für die Beurteilung der Verköstigung der Pfleglinge geben wir nach¬ 
stehend den Speisezettel einer Woche: 


Tage 

1 

Früh¬ 
stück ! 

Mittag 

Nach¬ 

mittag 

Vesper 

1 

Sonntag . . 1 

1 

Milch, 
2 Brote 

Brotsuppe, Schweine¬ 
braten, Nudeln 

Milch od. 
Kaffee, 

2 Brote 

Schinkenwurst, Butter¬ 
brot, Bier oder Milch 

Montag . . 


8chweinekotelettes, Kar¬ 
toffelsalat 

9 

Lyoner Wurst, Bratkar¬ 
toffeln, Kakao od. Milch 

Dienstag. . 

» 

Gerstensuppe, Rindfleisch, 
Wirsing, Kartoffeln 

n 

Weißer Preßsack, Butter¬ 
brot, Milch od. Kakao 

Mittwoch . 

9 

Griessuppe, deutsch. Beef¬ 
steak, Bohnengemüse, 
Kartoffeln 

9 

Bockwürstchen, Butter¬ 
brot, Bier, Milch oder 
Kakao 

Donnerstag 

r) 

1 

Kartoffelsuppe, Schweine¬ 
fleisch, Sauerkraut, 
Kartoffeln 

n 

Eier, Kartoffelsalat, Milch 
oder Kakao 

Freitag. . . 1 


Erbsensuppe, Rindsbraten, j 
Semmelklöße 

- 

Weißer Preßsack, Butter¬ 
brot, Milch oder Kakao 

Sonnabend 

" 

Sagosuppe, Rindfleisch, 
Meerrettich, Kartoffeln 

n 

Bratkartoffeln, Frankfurt. 
Leberwurst, Milch od. 
Kakao 


Der Verbrauch an Milch auf den Pflegling und Tag betrug nahezu 
zwei Liter. 

Die ursprüngliche Absicht, den Genuß alkoholischer Getränke ganz 
auszuschließen, hat sich als nicht durchführbar erwiesen. Es wurde ein¬ 
geführt, daß den Männern — sofern sie selbst es wünschten, was fast aus¬ 
nahmslos der Fall war — zweimal wöchentlich ein halber Liter Bier zur 
Vespermahlzeit verabreicht wurde. An den anderen Tagen konnte jeder 
täglich einmal einen halben Liter zum Selbstkostenpreise kaufen. Mehr 
wurde niemals abgegeben. Nur auf diese Weise war es möglich, die anfangs 
häufige, unkontrollierbare Einschleppung von Bier zu vermeiden. Frauen 
und Kinder erhielten kein Bier. 

Die Aufnahme in das Walderholungsheim geschieht nach vorgängiger 
Anmeldung in unserer Geschäftsstelle. Die Überwachung der Ausfertigung 
der Papiere usw. leitete die Oberschwester der Fürsorgestelle unter Beihilfe 
des dazu angestellten Hilfsbeamten. 

Es erwies sich als notwendig, alle Angemeldeten vor der Gewährung 
der Aufnahme einer Besichtigung, bzw. Untersuchung durch den leitenden 
Arzt zu unterstellen, da doch anfangs sehr ungeeignete Kranke (hoch¬ 
fiebernde u. dgl.) untergelaufen waren. Um die Schlafverhältnisse der 
Pfleglinge zu überwachen und gesundheitsgemäß zu regeln, wurde ferner 
angeordnet, daß alle tuberkulösen Kranken, welche aufgenommen wurden, 
in Fürsorgebeobachtung sich begeben mußten. 

Die Bahnverwaltung gewährte den Pfleglingen Monatskarten zu er¬ 
mäßigtem Preise, später Ferienkarten. Für die Pfleglinge stellte sich da¬ 
durch der Fahrpreis für tägliche Hin- und Rückfahrt auf 0,25 1 /#, gleich der 


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Bekämpfung der Tuberkulose in Nürnberg usw. 591 

Bei der Ortskrankenkasse für die polygraphischen Gewerbe und den 
Betriebskrankenkassen wurde mit Genehmigung der Kgl. Regierung die Ge¬ 
währung von Walderholungsstättenaufenthalt unter Zahlung des Kranken¬ 
geldes wenigstens an die Verheirateten — worauf wir größten Wert legten — 
als erweiterte Kassenleistung in die Satzungen aufgenommen. Bei der Ge¬ 
rn eindekrankenkasBe war das gleiche Vorgeben nicht möglich, daher die 
Frage schwieriger und nicht so schnell zu lösen. Es waren daher zunächst 


Fig.8. 



Ausblick von der Schwesternwohnung. 


die Mitglieder der Gemeindekrankenkasse in diesem Betriebsjakre genötigt, 
die Kosten von ihrem Krankengelde zu bestreiten, wozu die Summe des 
Krankengeldes bei den Männern, nicht aber bei den Frauen und jugend¬ 
lichen Arbeitern ausreichte. Mehrfache Nachlässe wurden von uns gewährt. 
Für das kommende Jahr hat jedoch, wie wir hören, auch die Gemeinde¬ 
krankenkasse, unter Voraussetzung der Genehmigung der Regierung, einen 
entsprechenden Betrag zur Gewährung von Verpflegung im Walderholungs¬ 
heim in ihren Voranschlag eingesetzt. 

Der Betrieb des Walderholungsheims wurde in diesem Jahre bis zum 
15. Oktober durchgeführt. Vom 30. September ab fanden Neuaufnahmen 
nicht mehr statt. 

Die Zahl der Pfleglinge, am ersten Betriebstage 20, ging sehr rasch in 
die Höhe. 

Wenn auch, wie im Anfänge eines jeden Betriebes, kleinere Schwierig¬ 
keiten erst überwunden werden, Erfahrungen gesammelt werden mußten, 
wenn einzelne kleinere Anstände deB Betriebes abzustellen waren, so 
hat sich doch der Betrieb im ganzen glatt und ohne größere Störung ab- 


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692 


Dr. A. Frankenburger, 


gewickelt; die Pfleglinge haben sich mit Ausnahme weniger, in keiner An¬ 
stalt fehlender stets Unzufriedener bei uns sehr wohl befunden und das 
dankbarst anerkannt. Auch wir haben— von einzelnen gröberen diszipli¬ 
nären Verstößen abgesehen — allen Grund gehabt, mit unseren Pfleglingen 
zufrieden zu sein, und sind gut mit ihnen ausgekommen. 

Für das kommende Jahr sind Erweiterungen deB Betriebes, welche sine 
Aufnahme der doppelten Zahl von Pfleglingen gestatten, insbesondere der 
Bau großer Unterstands- und Speisehallen mit weiteren Kleiderablegeräumen 
und weiteren Liegehallen, sowie von Sonnenbädern geplant. 

Über Einzelheiten des Betriebes in diesem ersten Betriebsjahre sollen 
noch die folgenden Einzelaufstellungen Aufschluß geben. 

Zur Aufnahme angemeldet wurden im Betriebsjahre 1907: 261 
Personen, von welchen 16 wegen Untauglichkeit oder mangels von Mitteln 
abgewiesen werden mußten oder selbst ihre Anmeldung wieder zurückzogen. 

Die Aufnahme wurde gewährt: 241 Personen, davon im Monat 
Juli 95 Personen, im Monat August 100 Personen und im Monat September 
46 Personen. 

Hiervon waren: 121 Männer, 105 Frauen und erwachsene Mäd¬ 
chen, zusammen 226 Erwachsene und 15 Kinder. 

Außer den eingewiesenen Kindern hat noch eine größere Zahl nicht 
schulpflichtiger Kinder für längere und kürzere Zeit Aufenthalt im Wald¬ 
erholungsheim genossen, da den Müttern in freigebiger Weise erlaubt 
wurde, Kinder mitzubringen. 

Die Pfleglinge gehörten folgenden Altersstufen an: 

Kinder: 


Alter Männlich j Weiblich Zusammen 


unter 1 Jahr. 1 — 1 

1— 5 Jahre.|. 3 4 7 

6—10 , . 1 1 2 

10—14 „ .| 2 | 3 5 

Zusammen 7 | 8 15 

Erwachsene: 


Alter Männlich Weiblich Zusammen 

16—20 Jahre. 16 j 11 27 

21 — 30 „ . i 33 | 48 81 

31—40 „ .: 40 1 25 65 

41—50 „ .. 25 11 36 

51—60 „ . 3 5 8 

61 — 70 „ .| 3 3 6 

Unbekannt.. 1 2 3 


Zusammen 121 105 | 226 

Die Einweisung in das Walderholungsheim war erfolgt durch 
die Fürsorgestelle direkt bei 28 Pfleglingen, durch das städtische Kranken¬ 
haus bei einem Pflegling und durch Ärzte bei 212 Pfleglingen. 


zed by G00gle 















593 


Bekämpfung der Tuberkulose in Nürnberg usw. 

Diese 212 Pfleglinge wurden von 77 Ärzten eingewiesen. 

Die Zahl der Betriebstage betrug 100 (vom 8. Juli bis 15. Oktober). 
Die Zahl der Aufenthaltstage sämtlicher Pfleglinge betrug 6632. 

Es treffen auf den Monat 


Juli. 24 Betriebstage, 1228 Aufenthaltstage 

August.31 „ 1972 

8eptember.30 „ 1940 „ 

Oktober.15 „ 492 


Die durchschnittliche Tagesbesuchsziffer betrug 66 Per¬ 
sonen. 

Auf die einzelnen Monate entfielen folgende Durchschnittsbesuchsziffern: 
Juli 51, August 95, September 64, Oktober 32 Personen. 

Der niedrigste Besuchsstand war 20 Personen am 8. Juli, der höchste 
Besuchsstand war 110 Personen am 1. und 10. August. 

Die durchschnittliche Aufenthaltszeit betrug für einen Pfleg¬ 
ling 28 Tage. 

Es waren anwesend: 


2— 7 Tage.13 Pfleglinge 43—49 Tage.9 Pfleglinge 

8—14.12 „ 50—56 „ 6 „ 

15—21.26 „ I 57—63 . 5 „ 

22—28 „ 96 . 64—70 .2 

29—35 „ 62 „ 71—77 „ — 

36—42 „ . 9 „ I 78—84 „ .1 


Die niedrigste Aufenthaltszeit betrug 2 Tage, die höchste Aufenthalts¬ 
zeit betrug 81 Tage. 

Die Kostendeckung erfolgte durch folgende Stellen: 

Auf Kosten der Fflrsorgestelle, bzw. des Vereins zur Bekämpfung 
der Tuberkulose wurden verpflegt: vollständig 13 Personen (an 381 Tagen), 
teilweise 8 Personen (an 197 Tagen). 

Selbstzahlung des Kostenbetrages leisteten: vollständig 118 Per¬ 
sonen J ), teilweise 8 Personen J ). 


Die Pfleglinge litten nach den Angaben der Überweisungsscheine an 
folgenden Krankheiten: 



Männlich 

Weiblich 

Zusammen 

Lungentuberkulose, einschließlich Lungen¬ 
spitzenkatarrh . 

76 

69 

145 

Kehlkopftuberkulose. 

1 

1 

2 

Knochentuberkulose. 

1 

2 

3 

Lungenemphysem. 

2 

1 

3 

Bronchiektasien. 

1 

— 

1 

Bronchialasthma. 

1 

— 

1 

Rippenfellentzündung (abgelaufen) . . . 

7 

1 

8 

Bronchitis chronica. 

9 

1 

10 

Katarrh der oberen Luftwege. 

2 

1 

3 

Anämie, Blutarmut, Chlorose . 

1 3 

21 

24 


103 

97 

200 


') Von den Selbstzahlern waren die meisten Mitglieder der Qemeindekranken- 
kasse Nürnberg, welche die Kosten aus ihrem Krankengelde bestritten (s. oben). 
Viert«l)«hrMcbrift für Geaondheitapftege, 1908. 3 g 




























594 Dr. A. Frankenburger, Bekämpfung der Tuberkulose in Nürnberg usw. 


\ Männlich 

Weiblich 

Zusammen 

Übertrag: 

103 

97 

200 

Nervenleiden, Nervosität, Neurasthenie . 

8 

3 

11 

Myocarditis. 

2 

— 

2 

Herzklappenfehler. 

1 

3 

4 

Herzschwäche.i 

— 

1 

1 

Nierenleiden.1 

— 

1 

1 

Diabetes mellitus. 

1 

— 

1 

Gastritis chronica. 

1 

— 

1 

Arthritis, Rheumatismus, Gicht .... 

2 

1 

3 

Schlaflosigkeit. 

1 

— 

1 

Cerebrospinalmeningitis (Rekonval.) . . 

1 

— 

1 

Schwere Phlegmone (Rekonval.) . . . . 

1 

— 

1 

121 

106 

227 


An Tuberkulose litten 150 = 66 Proz., an nichttuberkulösen Krank¬ 
heiten 76 = 34 Proz. 

Über die Erfolge des Aufenthaltes im Walderholungsheim konnten 
folgende Feststellungen gemacht werden: 

Regelmäßige Kontrollen des Körpergewichtes konnten bei 220Pfleg¬ 
lingen vorgenommen werden. Von diesen haben während des Aufenthalte? 
an Körpergewicht verloren 6 Pfleglinge und zwar: 

0,5 kg.3 Pfleglinge, 

1.5 ■ . 2 

3.5 B . 1 Pflegling. 

Im Gleichgewicht blieben 9 Pfleglinge. 

Eine Gewichtszunahme erfuhren 205 Pfleglinge. Die Geeamt- 

zunahmen betrugen 552,8 kg. 

Es nahmen zu: 


0,5 kg ... . 

.... 7 Pfleglinge 

4,5 kg ... . 

.... 9 

Pflegling* 

1,0 „ .... 

.... 23 

5,0. 

. . . . 4 


1,5 . • • • • 

.... 21 

5,5 „ . . 

.... 2 


2.0 , .... 

.... 31 

6,0. 

.... 2 


2,5 „ .... 

.... 33 

6,5, .... 

.... 1 


3,0 » .... 

.... 30 

7,0 * .... 

.... 1 


3.5 „ .... 

.... 24 

7,5. 

.... 1 


4,0 „ .... 

.... 15 

14,0 * .... 

.... 1 

, 


Die durchschnittliche Gewichtszunahme betrug 2,7 kg, die niedrigste 
0,5 kg, die höchste 14,0 kg (in 50 Tagen). 


Eine genaue Kontrolle des objektiven Gesamthefundes und Lungen¬ 
befundes konnte bei 36 Personen (30 Männern und 6 Frauen) atattfinden. 
welche schon vor ihrer Aufnahme in Fürsorgebeobachtung gestanden waren. 

Davon erreichten eine erhebliche Besserung des allgemeinen Zustandes 
bei gleichbleibendem Lungenbefund 21 = 55 Proz. Eine Besserung des 
objektiven Lungenbefundes wurde festgestellt bei 15 = 45 Proz. 

Im übrigen haben sich die meisten der überweisenden Ärzte von den 
bei ihren Patienten erreichten Erfolgen überaus befriedigt erklärt. 


GoogI< 






























Dr. med. Paul Kayser, Über Turnen und Bewegungsspiele usw. 


595 


Über Turnen und Bewegungsspiele 
in den höheren und niederen Schulen vom Stand¬ 
punkte der öffentlichen Gesundheitspflege. 

Von 

Dr. med. Paul Kayser, Magdeburg, 

Oberarzt beim Sanitätsamt IV. Armeekorps. 


Wer in unseren Tagen die fast allwöchentlich wieder in Kongressen und 
Vereinen erörterte Frage der körperlichen Erziehung verfolgt, der könnte 
fast meinen, einer ganz neuen Bewegung gegenüber zu stehen, deren Förde¬ 
rung die Schule erst in moderner Zeit als ihre soziale Pflicht erkannt habe. 
Und doch ist die Hygiene der Leibesübung so alt wie alle Kultur 1 Eigen¬ 
tümlich mag es den modernen Arzt anmuten, der — in berechtigtem Kampfe 
gegen die Auswüchse des Sports — seinen Anfängen und seiner geschicht¬ 
lichen Entwickelung nachgeht, an seiner Seite Aristoteles zu finden, wie er 
gegen die einseitige sportliche Erziehung der spartanischen Jugend ankämpft, 
und Oalen, den Autor des ersten Werkes „Vom Nutzen des Ballspiels“, als 
scharfen Polemiker gegen berufsmäßiges Athletentum. Nur veränderte 
Lebensbedingungen und Lebensziele haben in jahrhundertelangen Epochen 
die Leibesübung in der Erziehung, wenigstens bei uns Deutschen, zurück¬ 
treten lassen, bis vor nun mehr als einem Jahrhundert die Reaktion auf 
diesen Zustand eintrat. 

Von der hohen Stufe, die sie in der Gymnastik der Hellenen zur Blüte¬ 
zeit der olympischen Spiele erreicht, war die Pflege körperlicher Erziehung 
schon bei den Römern wesentlich herabgesunken. DaB Christentum in seinen 
Anfängen, das die Asketik des Leibes predigte, ließ sie noch mehr zurück¬ 
treten. Die schönen Grundlagen, die der frohen Übung des Körpers nach 
vorübergehender, wenn auch einseitiger Betonung in den Turnierspielen der 
Ritterzeit die Humanisten geschaffen, schlugen die Wogen der Religions¬ 
kriege in Trümmer. Erst Rousseaus zur Natur zurückstrebende Welt¬ 
anschauung bereitete den Boden für eine'neue Blüte der Gymnastik; Pesta¬ 
lozzi 14 ) räumte in seinem Erziehungssystem den „Gelenkübungen“ eine 
bescheidene Stellung ein; die Philanthropisten Basedow, Salzmann, vor 
allen Guths Muths schufen die Grundlagen, ‘auf denen noch heute die 
Hygiene der Leibesübungen ruht. Doch die Bestrebungen volkstümlich zu 
machen, gelang erst dem Feuereifer des reckenhaften Volksmannes Fried rieh 
Ludwig Jahn, den uns in all seiner Grobheit und allen seinen Vorzügen 
Treitschke so wundervoll vor Augen gestellt hat. Er ward der Begründer 
des deutschen Turnens. — Die leidige Verquickung der Bestrebungen, die 
uns heute so selbstverständlich als Bestandteile der Volksgesundheitspflege 
erscheinen, mit politischem Parteifanatismus machte der jungen Bewegung 
bald ein Ende, bis mehr als zwei Jahrzehnte später auf eines Arztes, 
Lorinsers, Weckruf die Regierung und damit die Schule sie in geordnete 
Pflege nahm 28 ). Damals schuf Spiess die Methodik des deutschen Turnens. 

38 * 


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I>r. med. Paal Kayser, 


51)6 

Daneben das Bewegungsspiel in dem für di« Gesundheitspflege erforderlichen 
Umfange zu seinem Hechte kommen zu lassen, blieb der neuesten Zeit und 
besonders dem „Zentralausschuß zur Förderung der Jugendr und Volks¬ 
spiele in Deutschland“ Vorbehalten. Gleichen Schritt haltend mit diesen aus 
der Erfahrung erwachsenen Bestrebungen haben die Errungenschaften der 
pädagogischen, besonders aber der medizinischen Wissenschaft die Frage der 
körperlichen Erziehung in höheren und niederen Schulen zu einem wichtigen 
Problem der Gesundheitspflege gemacht, zu dem Stellung zu nehmen, heute 
kaum einem in der Öffentlichkeit tätigen Arzte erspart bleibt. 

Bevor im folgenden der Versuch gemacht werden kann, Turnen und 
Bewegungsspiele in den höheren und niederen Schulen vom Standpunkte des 
Arztes als des berufenen Vertreters der öffentlichen Gesundheitspflege zn 
besprechen, müssen wir — zunächst ohne kritische Stellungnahme — die 
Begriffe klarlegen, um die es sich handelt. 

Das Turnen, wie es heutzutage auf Grund einer Allerhöchsten Kabinetts¬ 
ordre aus dem Jahre 1842 in unseren Schulanstalten gelehrt und geübt wird, 
geht zurück auf Jab ns Buch über die deutsche Turnkunst. Er gab hier die 
Kegeln für eine in gesetzmäßigen Formen, unter Leitung von Vorturnern 
sich vollziehende Übung des Leibes, teils in volkstümlicher Form ohne Gerät, 
teils am Gerät. Spiess stellte, indem er das Geräteturnen als Klassen¬ 
turnen dem Gange des Unterrichtes anpaßte, die Übungen methodisch zu¬ 
sammen, ließ dagegen die volkstümlichen Übungen und die Betätigungen 
des Gehens zurücktreten und verpflanzte die Leibesübungen, auch die zu 
einem System zusammengestellten Ordnungs- und Freiübungen, aus der 
freien Luft in die Hallen; er machte durch eine allzu strenge Methodik das 
Mittel zum Selbstzweck. Auf dieser Grundlage ruhte bis vor kurzem und 
ruht in den wesentlichsten Punkten noch beute das Turnen in den öffent¬ 
lichen Lehranstalten: Es ist ein unter Leitung des Turnlehrers und nach 
seinem Beispiel geübtes Durcharbeiten der gesamten Körpermuskulatur nach 
streng gesetzmäßigen Regeln und soll, nach dem Wortlaut des Leitfadens 
für den Turnunterricht, „durch wohlgeordnete Übungen die Jugend an 
rasches Auffassen und genaues Ausführen eines Befehles gewöhnen“. Diesen 
Zweck zu erreichen, bedient sich die Turnkunst der verschiedenartigsten 
Übungen, die — wenigstens in großen Umrissen — aufgeführt sein mögen SJ ). 

Die Kraftübungen sind Übungen, die, ohne die Koordinationsf&hig- 
keit wesentlich in Anspruch zu nehmen, Höchstleistungen der Muskeln er¬ 
fordern. Sie können als „allgemeine 11 Kraftübungen sehr große Muskel- 
bezirke in Anspruch nehmen (wie das Ringen und Stemmen), oder als 
„lokalisierte“ nur kleine Muskelgruppen heranziehen (wie die Übungen in 
Stütz und Hang an Barren, Heck und Leiter). 

Die Geschicklichkeitsübungen nehmen vorzugsweise die Koordi¬ 
nationsfähigkeit in Anspruch, erfordern dementsprechend rege Hirntätigkeit. 
Dahin geboren die Schwingübungen an Reck und Barren, der Sitzwechsel 
und anderes mehr. Ihnen stehen, was Inanspruchnahme der Kräfte betrifft, 
die Aufmerksamkeitsübungen nahe: das Taktgehen, die Aufmarscb- 
bewegungen nach militärischem Vorbild. 

Die Schnelligkeitsübungen: Gehen, Laufen, Springen, dienen im 
wesentlichen der Fortbewegung. Sie vollziehen sich fast automatisch, sind 


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Über Turnen und Bewegungsspiele in den höheren und niederen Schulen usw. 597 

aber, da Bie die großen Organtätigkeiten anregen, von weitgehender Bedeu¬ 
tung für den Körper. Ihnen verwandt sind die Dauerübungen, bei denen 
es weniger auf schnelle Folge und Intensität als auf die Ausdauer der Be¬ 
wegung ankommt 

In ganz anderer Weise und doch gleichsam umfassender beansprucht 
den Körper das Bewegungsspiel, das zunächst gegenüber dem Turnen in 
den Hintergrund getreten war und erst seit den letzten Jahrzehnten in Auf¬ 
nahme kam, um durch den „Spielerlaß“ des Kultusministers von Gossler 
Tom 27. Oktober 1882 als gleichberechtigter Erziehungsfaktor auch in den 
Unterrichtsplan der staatlichen Schulen eingeführt zu werden. Im Gegen¬ 
satz zum Turnen will und soll es die freie und freiwillige Bewegung des 
Körpers in allen Gelenken pflegen und durch den Wegfall einer alle in ge¬ 
meinsame Grenzen bannenden Regel und Aufsicht die individuelle Betätigung 
der Kräfte jedes einzelnen ermöglichen. 

Bis in die letzten Jahre hinein hat man in Fachzeitschriften und Kon¬ 
gressen, zuweilen mit Heftigkeit, um die Frage gestritten: Soll unsere Jugend 
turnen oder spielen? Über diesen Standpunkt ist die Bewegung — so 
scheint es — jetzt hinweg. Die Anschauungen haben sich geklärt, und 
Pädagogen wie Ärzte Bind darüber einig, daß in der Erziehung wie in der 
Gesundheitspflege Turnen und Spielen nebeneinander berechtigt sind, daß 
das eine das andere nicht ausschließt, sondern ergänzt. 

So stehen jetzt höchstens noch die Fragen, in welchem Umfange, wann, 
wo und wie geturnt und gespielt werden soll, zur Erörterung. Auch hierzu 
muß vom Standpunkte der öffentlichen Gesundheitspflege Stellung genommen 
werden. Ehe wir uns diesen Sonderfragen zuwenden, müssen wir uns 
darüber klar werden, worin der hygienische Nutzen der Leibesübungen in 
unseren Schulen besteht. Die rein hygienischen Fragen, des Arztes eigent¬ 
liches Gebiet, stehen hier in so inniger Beziehung zu ethischen, volkswirt¬ 
schaftlichen und nationalen Gesichtspunkten, daß wir auch diese zuweilen in 
den Kreis unserer Betrachtungen werden hineinziehen müssen. Dies gilt 
besonders für das psychische Moment, das neben dem physischen bei jeder 
Muskeltätigkeit eine große Rolle spielt. 

Auf der Jahresversammlung der deutschen Irrenärzte zu Eisenach 1880 
hat Hasse zuerst das Augenmerk auf die schweren Gefahren gelenkt, die 
der Psyche unserer Jugend aus der geistigen Überbürdung erwachsen 19 ). 
„Eine bestimmte Einseitigkeit und Mangel an Gleichgewicht in den verschie¬ 
denen Fakultäten des Gehirns vermag den durch Vererbung gegebenen 
Keim nervöser Erregbarkeit unter den herrschenden ungünstigen Verhält¬ 
nissen in der üppigsten Weise zu entwickeln und zu steigern.“ Schon da¬ 
mals wurde die Leibesübung als Königens ihm entgegengehalten, deren 
wohltätiger Einfluß auf die Psyche nicht mehr bestritten ist. — Noch herrscht 
in einseitiger Auslegung des geflügelten Wortes: mens sana in corpore sano, 
vielfach in Laienkreisen die Ansicht, als hätten die Leibesübungen nur in¬ 
direkt einen Einfluß auf Psyche und Nervensystem, insofern ihre Vernach¬ 
lässigung zunächst die leibliche und infolge davon die geistige Gesundheit 
beeinträchtige. Der unmittelbare Einfluß der körperlichen Erziehung auf 
die Entwickelung des Nervensystems und auf die Funktion der Hirnrinde 
wird allenthalben — sehr zu Unrecht — unterschätzt. „ Die Schulgymnastik 


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598 


Dr. med. Paul Kayser. 


aoll keine bloße Muskel-, ßie soll auch Nervengymnastik sein“ S2 ). Sie muß 
aber — das sei schon hier hervorgehoben — stets die richtigen Grenzen 
innehalten; für die Gefahren des „Übertrainierens“ darf die Schule nie die 
Hand bieten. 

Alle Leibesübung, soweit sie freiwillig geschieht, wird physiologisch 

veranlaßt durch den Bewegungstrieb, den Ausdruck des Bewegungsbedürf¬ 
nisses, d. h. des gesundheitlich erforderlichen Mindestmaßes von Bewegung. 
Dieses Bewegungsbedürfnis ist aus naheliegenden Gründen bei unserer Jugend 
besonders groß, weil die Wachstumsvorgänge einen reichlichen und raschen 
Stoffwechsel zur Voraussetzung haben. Deshalb muß dem Bewegungstrieb 
Genüge geschehen; die Schule muß durch Leibesübungen in der Form des 
Turnens sowohl wie in der freieren des Spiels ein Gegengewicht schaffen 
gegen die gerade durch den Unterricht bedingte Sitzarbeit. 

Nun sind Leibesübungen, insbesondere die Turnstunden, keineswegs 
gleiohzusetzen einer völligen Kühe des Nervensystems. Wir wissen aus den 
Untersuchungen von Mosso und Kraepelin, daß die durch Geistestätigkeit 
erzeugte Müdigkeit durch Leibesübungen nicht beseitigt, sondern gesteigert 
wird 10 ). Die Ordnungs- und Freiübungen nehmen Aufmerksamkeit und 
Gedächtnis in Anspruch; jede Geschicklichkeitsübung verlangt nennenswerte 
Nervenarbeit, indem das Hirn den Erregungsreiz nach den Muskeln aus¬ 
senden, das erforderliche Kraftmaß abmessen, Mitbewegungen hemmen muß. 
Auszunehmen sind höchstens die Dauerübungen, die wir nach vielfacher 
Wiederholung so beherrschen, daß das Erinnerungsbild des komplizierten 
Vorganges durch einen Willensimpuls die ganze Handlung in Gang setzt 
ohne weitere Anforderungen an die Hirntätigkeit zu stellen 38 ). 

Aber wenn wir auch wirklich in der Regel die Kräfte unseres Nerven¬ 
systems ganz intensiv in Anspruch nehmen, so sind es doch andere Teile der 
Hirnrinde, die motorischen Regionen, und andere Bahnen, die herangezogen 
werden 2 ), und die Turnstunde ist immerhin eine Kompensation gegen geistig 
anstrengende Unterrichtsstunden, wenn sie auch niemals für die völlige Ruhe, 
für den Schlaf, eintreten kann. Dazu kommt, daß der Ermüdung die Übung 
entgegenarbeitet, daß damit bei regelmäßiger Körpertätigkeit die Ermüdbar¬ 
keit — nicht nur des Muskels, sondern auch auf psychischem Gebiet — 
herabgesetzt wird. Ein weiterer wichtige]' Faktor ist das Moment der An¬ 
regung, die Steigerung der Arbeitsfreudigkeit, die durch alle Abwechselung 
in die Tätigkeit kommt. Auch wissen wir seit Flechsigs Forschungen, 
daß erst durch die ständige Inanspruchnahme beim motorischen Reiz die 
Faserbahnen des Hirns, besonders die Assoziationsfasern ausgebildet, Nerven¬ 
bahnen „ausgeBchliffen“ **), Hemmungen überwunden werden. Wieviel durch 
diesen Vorgang der Bahnung durch Willensimpulse erreicht werden kann, 
das hat uns — zwar nicht auf hygienischem, aber auf therapeutischem Ge¬ 
biet — die „ Übungstherapie u der Nervenärzte gezeigt. Wie wichtig in der 
psychologischen Erziehung gerade der kleinen Kinder diese Bahnung durch 
den Willen ist, haben Kenner der Kinderwelt schon lange gewußt und ge¬ 
schätzt, ehe wir Ärzte die naturwissenschaftliche Erklärung dafür geben 
konnten. Schon Fröbel hat bemerkt, „daß, wenn wir dem Kinde als daE 
erste aus der materiellen Welt, womit es fertig werden aoll, den Ball in die 
Wiege geben, wir damit nicht allein seine körperliche, sondern mehr noch 


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Über Turnen und Bewegungsspiele in den höheren und niederen Schulen usw. 599 

seine geistige Regsamkeit entwickeln und steigern“. Und auch die Blinden¬ 
lehrer haben als ersten Grundsatz, daß die Erziehung auf den Willen ge¬ 
richtet sein mtiß, und daß zur Erreichung einer Kräftigung des Willens 
nichts mehr beiträgt als der Unterricht im Turnen und das Einfiben der 
Spiele* 6 ). — Hierher gehört auch die Entwöhnung vom Schwindelgefühl, in 
der Goethe uns ein Beispiel energischer Selbsterziehung gegeben hat*): Die 
Erhaltung des Gleichgewichtes, zumal bei kleiner Unterstützungsfläche, er¬ 
fordert eine große Reihe äußerst komplizierter Muskelkontraktionen, die 
blitzschnell auf den Erregungsreiz sich vollziehen müssen. Diese selten ge¬ 
übten Bewegungen werden durch dauernde Übung gebahnt. Auch diese Be¬ 
deutung turnerischer Betätigung verdient gewiß Beachtung; sind doch eine 
ganze Reihe von Frei- und Geräteübungen Gleichgewichtsübungen in diesem 
Sinne: die tiefe Kniebeuge, die Übungen im Zehenstand, auf einem Fuß; der 
Sitzwechsel an Reck und Pferd. 

Soviel vom Werte des Turnens für das motorische Nervensystem. 

Ganz anders ist die Inanspruchnahme der geistigen Funktionen beim 
Spiel. Hier vollzieht sich die Bewegung vielfach unbewußt; zudem tritt, 
wenigstens für die einfacheren Spiele, die Aufmerksamkeit in den Hinter¬ 
grund. Auf der anderen Seite gibt es auch Spiele, die das Nervensystem 
der Jugend aufs äußerste anspannen und deren Bewertung deshalb nicht 
geringer, aber nach anderer Richtung zu geschehen hat; dahin gehören z. B. 
das Ringen, eine Reihe von Ballspielen, Lawn Tennis u. a. m., bei denen es 
blitzschnell erfassen und handeln heißt. Aber trotzdem sind sie nicht so 
anstrengend für das Nervensystem wie das Turnen, weil die Aufmerksamkeit 
nicht ununterbrochen in Anspruch genommen wird. 

Noch ein anderes Moment fällt auf psychischem Gebiet für das Spiel ins 
Gewicht Wir müssen im kindlichen Spiel mit Groos eine Einübung und 
Selbstausbildung vererbter Anlagen erblicken**), nicht, wie es Schiller 
wollte, die Entladung eines Kraftüberschusses. Trifft dies auch mehr für 
die sogenannten kulturellen Spiele zu, so kann doch auch die Schule diesen 
Umstand sich nutzbar machen und die Bewegungsspiele in diesem Sinne er¬ 
zieherisch gestalten. Ich denke hier besonders an die einfacheren, dem mitt¬ 
leren Kindesalter angepaßten Kampf- und Laufspiele; sie erziehen im Knaben 
den zukünftigen wehrhaften Kämpfer, der sich der Verfolgung des Feindes 
entzieht und den Gegner überlistet. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil 
des Spiels nach der intellektuellen Seite hin ist auch der, daß es zu selbst- 
Bchöpferischer Betätigung des Willens Gelegenheit gibt, während alle Turn¬ 
übungen doch schließlich nur nachgeahmte Bewegungen sind. „Das Spiel 
führt den Geist zur Produktion, die er frei und ohne Zwang vollführt“ 10 ). 
Treffend hat aus diesem Gesichtspunkte wie aus dem der verschiedenartigsten 
Anspannung des Geistes heraus Dollinger das Turnen mit der Sprach¬ 
lehre, das Spiel mit der Konversation verglichen 10 ). 

Indem das Turnen, wenigstens in seinen schwierigeren Geräteübungen, 
von den Spielen das der älteren Knaben, der Fußball, den jugendlichen Körper 
vor Schwierigkeiten und Gefahren stellt, erzieht es auf psychischem Gebiete 


•) Goethe, Wahrheit und Dichtung, II. Teil, 9. Buch. 

**) Groos, Die Spiele der Tiere, Jena 1896. 


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600 


Dr. med. Pani Kayser, 


zu schnellem Entschluß und zur Verachtung, der Gefahr. Haben wir als 
Ärzte auch die Pflicht, vorbeugend zu sorgen und Gefahren zu vermeiden, 
so können wir dooh die tiefe Bedeutung dieses erziehlichen Einflusses nicht 
leugnen, und gerade ein Hygieniker, Hueppe, ist es, der dem Fußballspiel 
in den Schulen das Wort redet 81 ). „Die Gefahr ist zweifellos krafterweckend, 
die Gefahrentwöhnung in philisterhafter Selbstbeschaulichkeit verderblich.“ 
Würden für unser Fußballspiel die Voraussetzungen zutreffen, von denen 
noch in den letzten Jahren aus England und Amerika berichtet wird*), 
dann hätten wir als Ärzte die Pflicht, uns gegen dies Bewegungsspiel aus* 
zusprechen; aber wir dürfen nicht vergessen, daß es sich dort um Wett¬ 
kämpfe und Rekordleistungen mit Totalisator und Berufsspielern, bei uns 
um ein harmloses Jugendspiel unter Leitung verantwortlicher Lehrer handelt 

Indem das Turnen und das Spiel Selbstzucht und Mut im Knaben und 
Jüngling stählen, erziehen diese Übungen ihn zum wehrhaften Kämpfer der 
Nation. So wie die Errungenschaften der modernen Technik die Grauen 
des Krieges und des Schlachtfeldes, veränderte Strategik die Marschmöhsale 
uüd damit die an die Nerven unseres Volkes zu stellenden Anforderungen 
gesteigert haben, so muß logisch die Erziehung die psychischen Eigenschaften 
der Ruhe, der Kaltblütigkeit, des Mutes in höherer Vollendung ausbilden. 
Und sie hat dazu kein besseres Mittel als das Turnen. Dessen muß sich die 
Schule bewußt sein und innerhalb der Grenzen, die die Sorge für das leib¬ 
liche Wohl und die individuelle Leistungsfähigkeit zuläßt, auch die Stärkung 
der seelischen Widerstandskräfte durch kompliziertere und schwierigere 
Turnübungen in ihre Ziele aufnehmen. Denn, wie der § 1 der Vorschriften 
über das Turnen der Infanterie in praktischer Verwirklichung dieser Forde¬ 
rungen bestimmt: „Das Turnen bezweckt, die moralischen Eigenschaften de» 
Soldaten, Willenskraft, Selbstvertrauen und Mut zu heben.“ 

Der Nutzen, der dem psychischen Wesen unseres VolkBtums und da¬ 
mit unserer Volksgesundung im weitesten Sinne mittelbar durch die Leibes¬ 
übungen erwächst, kann hier nur angedeutet werden: Dahin gehört der Aus¬ 
gleich sozialer Gegensätze, den zweifellos die gemeinsame Freude der Jugendaller 
Stände an frohem Spiel geschaffen, dabin der Umstand, daß Turnen und Be¬ 
wegungsspiele in höheren Schulen die Neigung von anderen schädlichen Gewohn¬ 
heiten, vom Kneipenwesen und Alkoholmißbrauch ablenken, daß sie Zucht und 
Unterordnung, Selbstlosigkeit und Opfermut fördern; daß sie die Freude ander 
schönen Form, den künstlerischen Sinn bilden und alles Linkische und Unge¬ 
schickte abschleifen a7 ), daß sie endlich durch die Befriedigung des Bewegungs- 
triebes dem Anwachsen des Geschlechtstriebes ein Gegengewicht bilden. 

Doch das sind Werte, die zu bemessen mehr Sache der Volkswirtschafts¬ 
lehre und der Ethik als Aufgabe des Hygienikers ist. 

Sehen wir so schon auf Psyche und Nervensystem unserer Jugend 
Turnen und Bewegungsspiele in höheren und niederen Schulen außerordent¬ 
lich günstig einwirken, wieviel mehr fällt erst ihr physischer Wert für die 
körperliche Entwickelung ins Gewicht! 

Entsprechend unserer Aufgabe, lediglich vom Standpunkte der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege die Leibesübungen zu besprechen, scheiden wir den 

*) Referat in: Ärztliche Sachveratändigenztg. 1006, Nr. 20. 


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Über Turnen und Bewegungsspiele in den höheren und niederen Schulen usw. 601 

Wert z. B. der schwedischen Gymnastik als Heilmethode von vornherein aus 
der Betrachtung aus und wenden uns gleich dem großen Gebiete der „positiven 
Volkshygiene durch Leibesübungen“ zu, wie es Hueppe im Gegensatz zu 
den oft mehr negativen Aufgaben der Seuchenbekämpfung bezeichnet hat. 

Wenn auch jede Muskeltätigkeit nicht nur lokal eine Wirkung oder 
Veränderung hinterläßtsondern mehr oder minder den ganzen Körper be¬ 
einflußt, so kann doch aus praktischen Gründen der Einfluß der Leibes¬ 
übungen nach Organsystemen besprochen werden. So soll denn nachein¬ 
ander die Rede sein von der Einwirkung auf 1. die Muskulatur, 2. das 
Skelett, 3. die großen Organtätigkeiten, 4. die Sinnesorgane und 5. den 
Gesamtstoffwechsel. 

Aus dem Experiment wissen wir, daß ein Muskel seine Kraft erst dann 
voll entfaltet, wenn er zu Beginn der Kontraktion völlig erschlafft, ja ge¬ 
dehnt war; eine physiologische Tatsache, die das Turnen berücksichtigen 
muß. Dieser Forderung tragen denn auch die ausholenden Bewegungen 
Rechnung: die Kniebeuge z. B. beim Sprung aus dem Stand, das Rückwärts¬ 
führen des Armes beim Schlagball. — Physiologische Versuche Verworns 
haben uns über die Vorgänge im Muskel bei seiner Tätigkeit aufgeklärt: 
Bei der Kontraktion auf den motorischen Impuls bilden sich im Gewebe dem 
neuen Reiz entgegen wirkende Ermüdungsstoffe. Die Durchströmung durch 
den Blutstrom, im Experiment durch Kochsalzlösung, beseitigt sie und macht 
den Muskel fähig zu neuer Reaktion. Die Tätigkeit regt ihrerseits die Blut¬ 
zufuhr an, steigert sie bis auf das Fünffache, und es kann schließlich zu 
einem Überschuß an Ersatzmaterial und — durch die „Übung“ — zu einer 
Neubildung von Muskelelementen kommen: der Muskel nimmt an Masse zu. 
Voraussetzung dazu ist freilich, daß die Erholungspausen genügend lang 
sind; anderenfalls würde die Ermüdung in Erschöpfung übergehen. In 
unseren Schulen haben wir nun die heranwachBende Jugend zu erziehen; 
hier unterstützt die Leibesübung, indem sie planmäßig die Anforderungen 
steigert, den natürlichen Wachstumsvorgang der Muskelsubstanz. 

Wohl ist von beachtenswerter Seite, von dem Turiner Physiologen 
Mos so, gegen das Geräteturnen der Ein wand erhoben worden, daß die teta- 
nische Kontraktion bei turnerisohen Übungen unphysiologisch sei; durch 
Kompression der Lymphbahnen würden die giftigen Ermüdungsstoffe 
länger in den Muskeln zurückgehalten und diese so geschädigt und früher 
arbeitsunfähig gemacht; eine Muskelhypertrophie sei, wie das Beispiel des 
Herzens beweise, ein pathologischer, kein physiologischer Vorgang. Wie 
tausendfache Erfahrung an Turnern gegen diesen Ein wand spricht, so hat 
ihn auch die Wissenschaft abgetan. Denn das, was den hypertrophischen 
Herzmuskel schließlich leistungsfähig macht, sind degenerative Verände¬ 
rungen; sie kommen im motorischen Muskel des Turners nicht zustande 
er bleibt auch mit zunehmendem Umfange der steigenden Arbeitslast ge¬ 
wachsen. Aus der gleichen Begründung heraus hat Mosso den Barren als 
unzweckmäßiges Gerät hinzustellen versucht. Deutsche Physiologen und 
Ärzte (Du Bois-Reymond, Grützner, Partsch, Hueppe, Schmidt 
und Notthafft) haben auch diesen Einwand zurückgewiesen: Der Barren- 
stfitz wird keineswegs als minutenlange tetanische Kontraktion geübt, ist 
nur ein Durchgangspunkt zu anderen Übungen. Gerade die Barrenübungen 


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602 


Dr. med. Paul Kayser, 


erfordern als Geschicklichkeitsübungen die abgemessene, mit der geringsten 
Kraftanstrengung erfolgende Leistung (Grützner); gerade sie ermöglichen 
die wünschenswerteste Ausbildung bestimmter Muskelgruppen und geben 
Gelegenheit zu Übungen, die den Mut stählen und den Gleichgewichtssinn 
fördern. — Die Vorteile der Übung für das Muskelsystem unserer Schul¬ 
jugend sind mit der Zunahme der Muskelkraft nicht erschöpft. Nicht nur 
die Quantität, auch die Qualität der Arbeit wird gehoben. Jeder, der mit 
körperlichen ihm ungewohnten Übungen beginnt, der Turner, der Badfahrer, 
ganz besonders der Reiter, merkt, wie alle möglichen, für die beabsichtigte 
Leistung gar nicht erforderlichen Muskeln mit in Tätigkeit treten und so 
die Erschöpfung, die sich subjektiv in Schmerzen äußert, herbeiführen. Durch 
die Übung wird — und zwar durch einen psychologischen Vorgang, wie wir 
oben sahen — dieser unnötige Kraftaufwand vermieden und so ein physischer, 
materieller Gewinn geschaffen: eine Ersparnis an Kraft, die dem Gesamt¬ 
stoffwechsel zugute kommt. Darum ist die Unterdrückung unzweckmäßiger 
Mitbewegungen ebenso nötig, wie die gewollte Bewegung selbst. 

Duroh planmäßige Abwechslung der Übungen erzielt so das deutsche 
Turnen und vor allem auch das Bewegungsspiel, das ausgleichend die Mus¬ 
keln der unteren Gliedmaßen heranzieht, eine gleichmäßige Ausbildung der 
Gesamtmuskulatur; und die Leibesübungen, wie sie heutzutage von einsich¬ 
tigen Turnlehrern in unseren Schulen geleitet werden, verdienen nicht mehr 
den Vorwurf, den Hueppe 1894, Notthafft noch 1898 erhoben haben, 
„daß sie einseitig Brust- und Armmuskeln aasbilden in Verkennung der 
Tatsache, daß wir unser Leben auf den Füßen zuzubringen haben". Das 
Beinheben am Beck, die Frei- und Stabübungen nehmen alle Muskeln, auch 
die großen Muskelmassen der Wirbelsäule, der Lenden und der Oberschenkel, 
in Anspruch; und das Bewegungsspiel übt, so wie es jetzt bei uns getrieben 
wird, ganz vorwiegend die Bewegungen des Laufens und Springens, und 
diese in unendlich häufiger Wiederholung, während es sich bei den Arm¬ 
übungen doch eben immer nur um kurz dauernde Inanspruchnahme des 
Muskels handelt. — An dieser Stelle mag eine Schädigung Erwähnung finden, 
die man beim Geräteturnen an Reck und Querbaum beobachtet hat und die, 
so wenig sie geeignet ist, etwa gegen diese Geräte und gegen turnerische 
Betätigung ins Feld geführt zu werden, immerhin Beachtung verdient, die 
sogenannte „Klimmzugläbmung". Es handelt sich um eine Hyperextensions- 
lähmung des Plexus brachialis. Sie ist außerordentlich selten und wird, wie 
Sehrwald anatomisch nachgewiesen hat, nur dann zustande kommen, wenn 
der Turnende aus dem Klimmzug in den passiven Langhang übergeht oder 
gar in diese Stellung durch einen unvernünftigen Lehrer gezogen wird 34 ). 

Von der größten Tragweite für die ganze körperliche Entwickelung 
unserer schulpflichtigen Jugend ist der Einfluß des Turnens und der Muakel- 
bewegung beim Spiele auf das Skelett. Er ist selbstverständlich ein mittel¬ 
barer, vermittelnd wirken die Bänder und Sehnen der Muskeln, die, am 
Knochen ansetzend, ihn durch ihre Bewegungen beeinflussen. Wie groß 
dieser Einfluß des Muskelzuges auf den Knochen ist, ist durch anatomische 
Befunde wie durch Versuche erwiesen, wobei besonders der Forschungeo 
Julius Wolffs über die funktionelle Anpassung der Knochen gedacht und 
die Tatsache erwähnt sei, daß die sogenannten Muskelhöcker und Muskel- 


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Über Turnen und Bewegungsspiele in den höheren und niederen Schulen usw. 603 

rauhigkeiten bei muskelst&rken Männern sehr viel ausgesprochener als bei 
muskelschwachen Frauen entwickelt sind, in einem Verhältnis, das dem 
Größenrerhältnis keineswegs entspricht S7 ). „Die typische Ausgestaltung des 
Knochengerüstes, seine Festigkeit und Widerstandskraft ist wesentlich be¬ 
dingt durch das Maß der Zugkräfte, durch die Arbeit der Muskeln, welche 
an ihm wirksam sind **).“ Dementsprechend sind denn auch die Knochen 
muskelgeübter fester und widerstandsfähiger als die Knochen muskel- 
schwacher Personen. 

Sehr viel mehr als diese nicht abzuleugnende indirekte Beeinflussung 
der Knochenbildung und -entwickelung springt die günstige Einwirkung des 
Turnens auf diejenigen Deformitäten des jugendlichen Skeletts in die Augen, 
die wir als „flachen“ und „runden" Rücken und als Skoliose zu bezeichnen 
pflegen und auf deren ständiges Zunehmen in unseren Schulen — als ein 
Zeichen verbreiteter Muskelschwäche — Axel Key zuerst das allgemeine 
Augenmerk gelenkt hat *). Beeinflußt doch die Form und Haltung der 
Wirbelsäule die ganze äußere Erscheinung und die vitale Funktion der 
Atmung in tiefgreifender Weise. Für den „flachen oder hohlen Rücken“, 
den wir so häufig in den Entwickelungsjahren finden, hat Hoffa zuerst 
neben der zweifellos ins Gewicht fallenden Nachgiebigkeit der jugendlichen 
Wirbelsäule und der nicht gar seltenen rhachitischen Veranlagung, die 
mangelhafte Muskelleistung mit verantwortlich gemacht, die das Becken in 
aufrechter Stellung nicht aufzurichten vermag 18 ). Damit ist ein wichtiger 
Fingerzeig für vorbeugende Maßnahmen gegeben: Wir müssen durch plan¬ 
mäßige Muskelübung diese Haltungsanomalie unserer Jugend ausgleichen, 
noch besser sie überhaupt nicht erst zustande kommen lassen. 

Viel bedeutungsvoller und viel verbreiteter ist der sogenannte „runde 
Rücken“. Daß an seiner Entstehung fast ausschließlich die mangelhafte 
Entwickelung — ursprünglich der mangelhafte motorische Impuls — der 
Muskulatur die Schuld trägt, ist erwiesen. „Anstatt mit Hilfe der Muskeln 
ihre Wirbelsäule zu tragen, überlassen die Kinder es ihrer Wirbelsäule, 
lieber so weit sich zu krümmen, bis sie sich durch das Eingreifen der natür¬ 
lichen Hemmapparate und der Körperschwere selbst fixiert“ (Hoffa). Bei 
unserer Schuljugend wirken andere Schädlichkeiten, diese Willensschwäche 
begünstigend, mit ein: falsch konstruierte Schulbänke, die zu einer gebückten 
Haltung beim Schreiben zwingen; der Mangel einer passenden Lehne; Kurz¬ 
sichtigkeit und schlechter Druck. Hier gilt es, durch fortgesetzte Inanspruch¬ 
nahme der ausfallenden Muskelgruppen diese überhaupt dem motorischen 
Impuls wieder zugänglich zu machen. 

Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den seitlichen Verkrümmungen der 
Wirbelsäule, den Skoliosen; durch das stundenlange Sitzen ermüdet, suchen 
die Kinder die ermüdeten Muskeln zu entlasten durch schiefen Sitz. Damit 
ist die ungleichseitige Belastung der Wirbelsäule gegeben S3 ) und die Sko¬ 
liose eingeleitet. Bald wird die Haltung, wenn nicht Korrektur eintritt, ge¬ 
wohnheitsmäßig, und bald entwickelt sich dann aus der ursprünglichen 
Belastungs- und Ermüdungsdeformität die bleibende Formänderung der 
Wirbelkörper. Hier ist die Turn- und Spielstunde, indem sie durch gleich¬ 
mäßige Übung der Muskeln beider Körperseiten die schlimmen Folgen der 
einseitigen Belastung, des Schief sitzen s, ausgleicht, die rechte Kompensation. 


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Dr. med. Paul Kayser, 


Wenn wir aus der Statistik dieser Erkrankung sehen, daß auf fünf bis sechs 
(Hoffa) oder gar auf zehn skoliotische Mädchen erst ein skoiiotischer 
Knabe kommt, so ist das mehr als alles andere beweisend dafür, daß der 
Muskelschwache leichter der Schädigung erliegt, als der Muskelstarke. Gleich¬ 
zeitig ist es aber auch ein Ansporn, mit aller Energie einzutreten für das 
regelmäßige Turnen der Mädchen. Gerade diese Deformitäten der Wirbel¬ 
säule geben, wie ich aus Erfahrung weiß, nur zu oft den Eltern Anlaß, aus 
falscher Besorgnis die Befreiung der Kinder vom Turnunterricht beim Schularzt 
nachzusuchen. Gerade sie aber bieten einem einsichtigen Turnlehrer unter 
schulärztlicher Mitarbeit ein Erfolg versprechendes Objekt. 

Der Verbreitung dieser Haltungsanomalien durch planmäßige Turn¬ 
übungen vorbeugend und bessernd entgegenzuwirken, das ist gewiß eine 
ernste und dankbare Aufgabe nicht nur der Heilgymnastik, sondern auch 
der Volksgesundheitspflege! 

Von außerordentlicher Wichtigkeit für die öffentliche Gesundheitspflege 
wie für die Wehrhaftigkeit unserer Nation ist der Einfluß der Leibesübungen 
auf die Entwickelung des jugendlichen Brustkorbes. Wissen wir auch (was 
noch zu erörtern sein wird), daß der Brustspielraum im wesentlichen ab¬ 
hängt von der Erweiterungsfähigkeit der Lungen, so ist doch der Einfluß 
der den Brustkorb bewegenden Muskeln, von denen z. B. die Rippenmuskeln 
bei Dauer- und Schnelligkeitsübungen ausgiebig tätig sind, nicht zu gering 
in Rechnung zu stellen. Wohl hat Engel Reimers bewiesen, daß athle¬ 
tische Arm- und Brustmuskelbildung allein für die Erweiterung des Brust- 
spielraumes wenig bedeutet; aber trotzdem ist nicht zu leugnen, daß Rippen¬ 
knorpel und Rippengelenke starrer und fester werden müssen, wenn man 
die Muskeln, die sie bewegen, zur Untätigkeit verurteilt und atrophieren läßt 

Freilich wird der Nutzen turnerischer Übungen und froher körperlicher 
Betätigung im Spiel leicht illusorisch werden, wenn unsere weibliche Schul¬ 
jugend durch das Korsett die Bewegungen unmöglich macht, die den Brust¬ 
korb auch gerade in seinen unteren Teilen erweitern sollen. Der Arzt als 
getreuer Eckart der Volksgesundheit wird eben fordern müssen, daß in 
Sohulen überhaupt und ganz besonders beim Turnen und Bewegungsspiel 
das Korsett verboten wird. 

Über dem Einfluß des Turnens auf die Entwickelung des Skeletts darf man 
nicht vergessen, von welch außerordentlicher Bedeutung die kräftige Gestaltung 
der Muskeln und Muskelansätze für alle Gelenke ist. Daß es, wie artistische 
Leistungen beweisen, bei methodischer Ausbildung möglich ist, einen geradezu 
staunenerregenden Grad von Beweglichkeit in verschiedenen Gelenken zu 
erzielen, kommt ja für den Schularzt und Hygieniker nicht in Frage. Aber 
wichtig ist es für ihn, zu wissen, daß gar oft die mangelhafte Schulung und 
Ausbildung der Muskeln es ist, die so leicht Verstauchungen und Reizungen 
der Gelenke selbst zustande kommen läßt, und daß der geschulte Turner 
auf schlüpfrigem Wege und über Stein und Geröll sicherer tritt, als der, der 
durch naturwidrige Fußbekleidung gewiohtige Muskelgruppen zur Untätigkeit 
verdammt und durch falsche Belastung und mangelhafte Übung die wunderbar 
schöne und zweckmäßige Architektur des menschlichen Fußes zerstört hat S1 ). 

Nicht nur Muskeln, Knochen und Gelenke werden durch das Turnen 
und das Bewegungsspiel im Sinne der Zweckmäßigkeit beeinflußt, auch auf 


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Über Turnen und Bewegungsspiele in den höheren und niederen Schulen usw. 605 

die großen Organtätigkeiten: Blutzirkulation, Atmung und Verdauung, üben 
sie eine tiefgreifende Wirkung aus. 

Um die Wirkung auf die Herztätigkeit und Blutbewegung in ihrer 
ganzen Tragweite für die Heranwachsende Jugend zu fassen, muß man die 
außerordentliche Umwälzung kennen, die sich in der Größe des Herzens und 
der Lungen in den Entwickelungsjahren vollzieht. Es wächst in den Lebens¬ 
jahren vom 14. bis 20. 

die Körperlänge.durchschnittlich um das 1,18 fache, 

das Körpergewicht. „ „ * 1,42 „ 

das Volumen der Lungen. „ „ „ 1,63 „ 

das Volumen des Herzens .... „ „ „ 1,92 „ 

Auf 100cm Körperlänge berechnet, beträgt nach Beneke: am Schluß 
des 1. Lebensjahres das Volumen des Herzens 57 bis 62, der Lungen 300 
bis 360; am Schluß des 13. bis 14. Lebensjahres das des Herzens 83 bis 
100, der Lungen 640 bis 710; am Ende der Entwickelung das Herzvolumen 
130 bis 168, das der Lungen 820 bis 1050ccm. Auf die gleiche Körper¬ 
länge besitzt der reife Mann eine drei- bis viermal so große Muskelmasse 
des Herzens und dreimal so großen Lungeninhalt wie das neugeborene Kind; 
und das Volumen des Herzens verhält sich zur Weite der Aorta beim Kinde 
wie 25 zu 20, vor Eintritt in die Entwickelungszeit wie 140 zu 50, nach 
Vollendung der Entwickelung wie 290 zu 61. In die Schuljahre also, und 
vor allem in die Jahre, die unsere Jugend in den höheren Schulen zubringt, 
in eine Zeit, die an etwa ein Drittel des Tages den in der Entwiokelung be¬ 
griffenen Körper zum Stillsitzen in der Schulbank zwingt, fällt das unver¬ 
hältnismäßige Wachstum des Herzens, des lebenswichtigsten Organs; fällt 
eine vollständige Änderung des ganzen Kreislauftypus. Welch schwer¬ 
wiegende pathologische Zustände aus einem Stehenbleiben auf der infan¬ 
tilen Stufe resultieren, darauf hat Virchow zuerst in seiner berühmten Ab¬ 
handlung über die Chlorose aufmerksam gemacht und die Hirnanämie lang¬ 
aufgeschossener, bleicher Jungen und Mädchen, das Herzklopfen, die krank¬ 
hafte Erregbarkeit der Bleichsüchtigen erklärt. „Diese Erregbarkeit des 
Herzens beruht auf einem Mißverhältnis zwischen der Größe des Herzens 
und dem Blutröhrensystem, das Pumpwerk ist zu klein im Verhältnis zur 
Länge der Leitung.“ — Jetzt verstehen wir den Bewegungstrieb des Kindes 
in den Entwickelungsjahren; wir sehen in ihm das Bestreben, durch Übung 
den schädigend und hemmend auf das Herz und den Blutumlauf wirkenden 
Einfluß des Sitzens wett zu machen und so das lebenswichtige Organ durch 
gesteigerte Anforderungen in seinem Wachstum zu fördern. Denn jede 
Muskelbewegung steigert, indem sie zunächst in dem kontrahierten Muskel 
den Durchtritt des Blutes erschwert, den Blutdruck; indem sie dann dem 
erschlafften in selbsttätiger Regulierung die fünffache Menge an Blut zu- 
führt, um ihn so schneller von seinen Ermüdungsstoffen zu befreien, be¬ 
schleunigt sie den Umlauf. Nun wissen wir durch Vierordts Unter¬ 
suchungen, daß an sich beim Kinde der Blutdruck dauernd niedriger ist als 
beim Erwachsenen, was sich aus dem Verhältnis zwischen der Weite der 
Schlagadern und dem Herzvolnmen erklärt. Nur ein Fingerzeig mehr, daß 
das Kind einem physiologisch begründeten Drange folgt, wenn es so unge¬ 
stüm läuft und spielt. 


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Dr. med. Paul Kayser, 


Zur Begründung mögen hier die Ergebnisse der Untersuchungen Stae- 
helins am Ergostaten kurz Erwähnung finden. Danach ist der Einfluß der 
Übung, insbesondere auch hinsichtlich des Erholungsvermögens des Herzens, 
nicht zu verkennen; je mehr sich das Individuum an die Arbeit gewöhnt, um so 
schneller kehrt das Herz zur normalen Aktion zurück 35 ). — Nicht unerwähnt 
darf auch der günstige Einfluß bleiben, den die Leibesübungen mittelbar auf 
die Herztätigkeit ausüben, indem sie die Atmung vertiefen. Tiefe Atemzüge 
wirken saugend auf den Inhalt der großen Venenstämme vor dem Herzen. Sie 
fördern damit mittelbar den Blutkreislauf und erleichtern die Füllung des 
rechten Herzens, gewähren so dem Organ die günstigsten Arbeitsbedingungen. 

Und doch setzt gerade hier, bei dem Einfluß des Turnens auf die Herz¬ 
tätigkeit, ein Widerspruch ein, den man gegen das Turnen der Kinder — 
und nicht ganz mit Unrecht — erhoben hat: Parallel der Steigerung des 
Blutdruckes geht eine Steigerung der Pulsfrequenz. Steigt sie bis zu dem 
Grade, daß in den Pausen der Herzkontraktion die Binnenräume des Herzens 
sich nicht genügend füllen, so wird einerseits die in den großen Kreislauf 
geworfene Blutmenge vermindert, andererseits die in den Lungen, sowie im 
kleinen Kreislauf vermehrt. Die weitere Folge ist dann die Herzinsuffizienz 
und bei fortgesetzter Schädigung die Herzerweiterung. Solche schädigenden 
Einflüsse hat man den Dauerübungen vorgeworfen. Aber auch die eigent¬ 
lichen Kraftübungen, besonders am Gerät, können in diesem ungünstigen 
Sinne wirken: Der Turner, der eine große Kraftleistung ausführt, muß den 
Rumpf feststellen, um der Muskelkraft einen festen Ansatzpunkt zu geben; 
er hält den Atem an und spannt die Muskeln des Rumpfes; er preßt damit 
die Eingeweide der Brust zusammen; die Folge ist eine Stauung im Venen- 
system und — mit dem Aufhören der Kraftleistung — ein plötzliches Ein¬ 
stürzen des gestauten Venenblutes in das Herz, das von verderblichen Folgen 
sein kann a,J ) 32 ). 

Die Folgerungen, die wir vom Standpunkte der Schulhygiene aus diesen 
Bedenken ziehen müssen, sind: Zunächst eine sachgemäße Beaufsichtigung 
des Turnens durch physiologisch gebildete Turnlehrer, die nicht nur vom 
Bau des menschlichen Körpers, sondern auch von seinen Proportionen in 
den verschiedenen Lebensaltern unterrichtet sind; ein langsames Steigen der 
Anforderungen an die Kräfte des einzelnen; die Beschränkung der den Blut¬ 
druck steigernden Flüssigkeitszufuhr, besonders auf Turnmärschen; das 
Verbot übermäßiger Kraft- und Dauerübungen durch den Schularzt; die 
Ausschaltung jedes mit anomalem Herzen behafteten Schülers wie auch jedes 
Diphtherierekonvaleszenten 3 ), ganz besonders von Kraftübungen am Gerät; 
nicht aber ein grundsätzliches Verwerfen der ganzen, so überaus nutz¬ 
bringenden, Geist und Körper stählenden Disziplin, weil einzelne unzweck¬ 
mäßige Übungen in seltenen Fällen wohl schaden könnten. 

Alle diese Bedenken fallen weg beim Bewegungsspiel: Hier kann 
der einzelne seinem persönlichen Bewegungsdrang in freiem Lustgefühle 
Spielraum lassen; fühlt das Kind das Unbehagen der Überanstrengung, so 
bleibt es stehen und läßt sich willig haschen. Darum soll der Schularzt 
ganz besonders die Spielbewegung fördern, damit die Wohltaten geregelter 
Leibesübung auch denen zugute kommen, denen ein schwaches Herz das 
Geräteturnen nicht gestattet. 


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Ober Turnen und Bewegungsspiele in den höheren und niederen Schulen ubw. 607 

Wahrlich, wenn nicht seit langer Zeit die Erfahrungen der Ärzte die 
das Wachstum auch des jugendlichen Herzens fördernde Wirkung körper¬ 
licher Arbeit, wenn nicht das wissenschaftliche Experiment erst wieder in 
neuester Zeit die Zunahme des Herzgewichtes an Arbeitstieren durch Ver¬ 
gleich mit anderen unter denselben Bedingungen erwiesen hätten*), schon 
die Naturbeobachtung müßte den Zweifelnden überzeugen: Eingepferchte 
Tiere haben erheblich kleinere Herzen als solche, die in freier Bewegung 
leben: Auf 1000gKörpergewicht kommt beim Schwein 4,52, beim Menschen 
5,00, beim Hasen 7,7, beim Reh 11,5g Herzgewicht 80 ). 

Aus den oben angeführten Zahlen war ersichtlich, daß wie für das 
Herz, so auch für die Lungen das Hauptwachstum in die Schuljahre fällt. 
Daraus erhellt, daß, um den physiologischen Entwickelungsvorgang zu unter¬ 
stützen, auch die funktionelle Anforderung entsprechend gesteigert, die 
Atmung ausgiebiger werden muß. Wie schon erörtert worden war, wirken 
nun eine große Zahl turnerischer Übungen Bchon unmittelbar auf die Er¬ 
weiterungsfähigkeit des Brustkorbes ein, indem sie die Hilfsmuskeln der 
Atmung wie auch die eigentlichen Atemmuskeln durch Übung funktions¬ 
tüchtig machen und die Rippengelenke beweglich gestalten. Dazu kommt 
der weitgehende Einfluß, den systematische Muskelübung auf das Breiten¬ 
wachstum, auf die Form der obersten Partien des Brustkorbes, die die so 
gefährdeten Lungenspitzen aufnehmen, ausübt, indem sie die Muskeln des 
Nackens, der Schultern kräftigt und befähigt, die Schultern zu heben und 
die ganze obere Brustgegend gewölbt, frei beweglich und damit atemtüchtig 
zu erhalten; dazu kommt weiter der Vorteil der beim Turnen erstrebten 
geraden Haltung, die die Wirbelsäule streckt und schon dadurch den oberen 
Brustraum in Einatmungsstellung bringt ss ). 

Sehr viel bedeutender ist der mittelbare Einfluß der gesamten Muskel¬ 
tätigkeit auf die Erweiterung der Lungen: Der Muskel verbraucht von allen 
Organen am meisten Sauerstoff, er bildet am meisten Kohlensäure. Gilt dies 
für den Zustand der Rübe, so erst recht für den der Anspannung, in dem 
sich der Gaswechsel um das Zwanzigfache steigert. Um diesen erhöhten 
Ansprüchen zu genügen, muß der Gasaustausch in den Lungen — und zwar 
parallel der Schnelligkeit der Bewegung — vermehrt, damit die Atmung 
vertieft und beschleunigt werden. Wird die Übung systematisch betrieben, 
so wird unser wichtigster Atemmuskel, das Zwerchfell, der direkter gym¬ 
nastischer Übung gar nicht zugänglich ist, durch die Anregung der unwill¬ 
kürlichen Tiefatmung gekräftigt; und nach und nach steigt die vitale Kapa¬ 
zität des Lungenraumes. Bei Muskelruhe, beim Sitzen oder Liegen, atmen 
wir mit einem ganz geringen Bruchteil unserer Atemfläche, mit einem Sechstel 
oder Siebentel der Lungenbläschen. Und doch ist die zeitweilige Inanspruch¬ 
nahme aller Lungenteile für ihre Atemtüchtigkeit ganz unerläßlich. Denn 
wenn die zumeist untätig bleibenden Abschnitte des Lungengewebes nicht 
wenigstens zeitweilig bei angestrengter Muskeltätigkeit zu stärkerer Betei¬ 
ligung herangezogen werden, so fehlt für sie der Anreiz zu kräftiger Ent¬ 
wickelung, so bieten sie dem Eindringen und Fortschreiten der Tuberku- 


*) Külps, Versuchsergebnisse über die Wirkung körperlicher Arbeit ubw. 
Arch. f. exp. Path., Bd. 55. 


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608 


Dr. med. Paul Kayser, 


lose den geeigneten Boden. Die mächtige Erweiterung der gesamten Lungen, 
wie sie nicht bei einseitiger Übung der Brust- und Schultermuskeln, sondern 
vor allem durch den automatisch - regulatorischen Einfluß des vermehrten 
Sauerstoffverbrauches bei Schnelligkeits- und Dauerübungen statthat, kommt 
ganz besonders auch dem wesentlichsten Atemmuskel, dem Zwerchfell, zu¬ 
gute. Denn dieser am stärksten arbeitende Atemmuskel liegt ja nicht an 
den Seitenwänden, sondern an der Basis der Lungen. Die einseitigen Kraft¬ 
übungen sind, indem sie den intraabdominalen Druck steigern, eher ge¬ 
eignet, ihn ruhig zu stellen, als in seiner Tätigkeit zu fördern. Dies tun 
aber in vollstem Umfange alle jene Übungen, die die gesamte Inspiration 
beschleunigen und vertiefen. 

Wie uns eingehende statistische Erhebungen besonders für die Bevölke¬ 
rung der Schweiz gezeigt haben, ist die Gefährdung des menschlichen Lebens 
durch die Lungentuberkulose in den Jahren der Schulpflicht am geringsten, 
indem die Sterblichkeit der Altersstufe von 2 bis 14 Jahren nur 5 von 
10000 gegen z. B. 35 von 10 000 für die Lebensalter von 30 bis 40 Jahren 
beträgt. Nicht mit Unrecht hat man für diese günstigen Verhältnisse 
eben die intensive Wachstumsenergie und die dadurch bedingte bessere 
Blutversorgung lind größere Widerstandsfähigkeit der Lungen zur Erklärung 
herangezogen. Diese Tatsache darf der Schularzt nun nicht in dem Sinne 
deuten, daß zu tun nichts übrig bleibt, sondern er hat im Gegenteil den 
Fingerzeig, den die Beobachtung gibt, zu verwerten, und darauf zu dringen, 
daß der in der Entwickelung begriffene Organismus durch rege Körper¬ 
bewegung die Lungen pflegt und benutzt. Das beste Mittel hierzu, die 
wirksamste Lungenpflege, ist das Bewegungsspiel und der Lauf, nicht eine 
methodische, doch bald versagende „Atemgymnastik“, nicht das Geräte¬ 
turnen an Reck und Barren, dessen Vorzüge auf ganz anderem Gebiete 
liegen. Voraussetzung ist freilich, daß die Spiele im Freien, in frischer, 
gesunder Luft stattfinden, nicht in staubigen Hallen, die wohl als Notbehelf für 
winterliches Turnen, nie aber zu Bewegungsspielen benutzt werden sollten. 

Die statistischen Ziffern geben im Kampfe gegen die Lungentuber¬ 
kulose als Volkskrankheit dem Hygieniker noch eine andere dankens¬ 
werte Aufgabe: Sie zeigen, daß gerade mit dem Ende der Schulpflicht 
die Gefahr der tuberkulösen Erkrankung zunimmt, und sie stellen damit 
unsere Mittelschulen und höheren Schulen, ganz besonders auch die 
Fortbildungsschulen vor die verantwortungsvolle Aufgabe, durch richtig 
geleitete Körperübungen in den Jahren vom 14. aufwärts die Lungenpflege 
in dem oben dargelegten Sinne weiter fortzuführen. Einen untrüglichen 
Beweis für die Möglichkeit des Erfolges erbringen in dieser Frage die ziffern¬ 
mäßigen Feststellungen der Heeresverwaltung, wie sie 1899 Schjerning 
dem Berliner Kongreß zur Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheit 
vorlegen konnte *). Sie zeigen die bedeutsame Tatsache, daß die über¬ 
wiegende Mehrzahl der Erkrankungen an Lungentuberkulose im ersten 
Dienstjahre ausbrach, daß also die planmäßige Körperübung, wie sie der 
Militärdienst mit sich bringt, den einzelnen widerstandsfähiger gegen die 


*) Die Lungentuberkulose in der Armee. Heft 14 der Veröffentlichungen 
aus dem Gebiete des Militär-Medizinalwesens, 8. 93, Berlin 1899. 


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Über Turnen und Bewegungsspiele in den höheren und niederen Schulen usw. 609 

Ansteckung macht. Immerhin mag man einwenden, daß gerade die plötz¬ 
lich gesteigerte Anforderung die Disponierten erliegen läßt und so die 
Kranken im ersten Dienstjahre schon ausscheidet. Unzweideutig aber ist 
eine weitere ziffernmäßige Feststellung: Bei den in Frontdienst befindlichen 
Truppen kam eine unverhältnismäßig niedrige Zahl von Lungenschwind¬ 
süchtigen vor, nämlich 1,8 bis 1,9 vom Tausend; diejenigen Mannschaften 
dagegen, welche mehr auf eine Tätigkeit in geschlossenen Bäumen bei 
körperlicher Ruhe angewiesen waren: Die Ökonomiehandwerker, die Militär¬ 
bäcker, die Schreiber bei den Behörden, zeigten eine unverhältnismäßig höhere 
Zahl an Tuberkulosekranken, nämlich 4,9 Promille. Die neueste Veröffent¬ 
lichung der Medizinalabteilung des Kriegsministeriums über die Lungen¬ 
tuberkulose in der Armee in den letzten sechs Berichtsjahren 16 ) hat zum 
Teil noch erheblichere Unterschiede in der Erkrankungsziffer zugunsten der 
im Frontdienst Befindlichen ergeben: so für die Infanterie 1,5, für die Öko¬ 
nomiebandwerker 9,0 Promille der Iststärke. 

Aus solchen Feststellungen soll auch der Arzt, besonders der beamtete 
Arzt, seine Schlußfolgerungen ziehen und an seinem Teile mit Nachdruck 
dahin wirken, daß die Jugend, besonders unserer mittleren und höheren 
Schulen, ihre geordnete und ausreichende Muskeltätigkeit hat. Der „Front¬ 
dienst“ unserer Schuljugend sei Turnen und Bewegungsspiel! 

Der günstige Einfluß, den geordnete Leibesübungen auf die Verdauung 
und damit auf die Entwickelung des jugendlichen Körpers ausüben, ist ohne 
weiteres verständlich: Die Tätigkeit der Bauchpresse regt die Peristaltik 
an und wirkt im Sinne der Vorwärtsbewegung der Kotsäule; das bei der 
vertieften Atmung sich ausgiebig entspannende Zwerchfell wirkt fördernd 
auf den Abfluß der Galle; die Anämie der Magenwand, die als Folge des 
großen Blutzuflusses zu den tätigen Muskeln eintritt, regt den Appetit an. 
Voraassetzung ist freilich, daß zu rechter Zeit und in zweckmäßiger Klei¬ 
dung geturnt wird: So werden wir nie, wenn nach reichlicher Mahlzeit der 
Verdauungsprozeß im Gange ist, den physiologischen Blutzufluß zu den 
Organen des Unterleibes ablenken dürfen, indem wir durch Muskelanstren- 
gung eine Hyperämie des Bewegungsapparates herbeiführen. Wir werden 
alle den Unterleib beengenden Kleidungsstücke verbieten müssen, Die bei 
vielen Übungen unerläßliche Anspannung der Bauchpresse, vor allem aber 
die stärkere Ausdehnung der Lungen, erhöht schon an sich den Druck in 
der Bauchhöhle. Wird die Erweiterung der unteren Teile des Brustkorbes 
durch die „Schnürbrust“ behindert, so muß die Drucksteigerung im Abdomen 
pathologische Grade annehmen. Die Folge ist dann eine Stauung des venösen 
Blutstromes in den Organen des Unterleibes mit ihrem schädigenden Einfluß 
auf Gallenabsonderung und VerdauungBprozeß, eine Zerrung der hyperämi- 
schen Eingeweide an ihren Bandapparaten, schließlich die Enteroptose 8S ). 
Auf eine ganz akute Gefahr der Schnürung während des Turnens hat Henke 
die Aufmerksamkeit gerichtet: Er führt die mehrfach bei jungen Damen 
beobachteten plötzlichen Todesfälle auf eine Unterbrechung der Zirkulation 
in der unteren Hohlvene zurück *). Also auch aus diesem Gesichtspunkte muß 
die Entfernung des Korsetts in allen Turn- und Spielstunden verlangt werden. 

*) Henke, Der Baum der Bauchhöhle des Menschen. Archiv f. Anatomie 
und Physiologie 1891. 

Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege, 1908. 39 


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610 


Dr. med. Paul Kayser, 


Von den Sinnesorganen ist es im wesentlichen das Auge, dem die Vor¬ 
teile der Leibesübungen zugute kommen. Schon Jahn wollte auf den Turn - 
und Spielplätzen seiner norddeutschen Tiefebene Türme erbaut wissen, damit 
die Jugend den Blick in die Weite üben könne. Was er — nicht ohne 
phantastische Übertreibung — erzielen zu können glaubte, davon muß auch 
die Wissenschaft einiges anerkennen. Auch für die Sinne hat der Begriff 
der Übung vollste Geltung: „Mit der Übung wachsen Orts- und Farbensinn 
der Netzhaut und Augenmaß; erst sie lehrt körperlich sehen 12 )“. Wie der 
Jäger, der auf das Kleinleben von Feld und Wald zu achten gewohnt ist, 
jede Bewegung, jedes Wild, auch in gleichförmiger Umgebung, erspäht, an 
dem so mancher Wanderer achtlos vorübergeht, ohne daß seine Sinne den 
Eindruck aufnehmen, so kann auch das Auge unserer Jugend durch Schulung, 
wie sie das Freiluftturnen, der Turnmarsch, das Spiel erst recht ermöglichen, 
seine Empfindlichkeit für undeutliche Gegenstände, gegen schwächere Reize 
steigern. Schon ein altdeutsches Sprichwort rühmt den Einfluß der Spiele: 
„Gut Gesicht, geschwinden Fuß ein Ballspieler haben muß.“ Dazu kommt 
der wohltuende Einfluß, den das Blicken auf grüne Wiesenfläcben auf das 
Auge ausübt und den ein Fachmann, Schmidt-Rimpler, rühmt. — In 
England, der Heimat des Bewegungsspiels, gibt es fünfmal weniger Kurz¬ 
sichtige als bei uns. Auch im Kampfe gegen die Myopie wird sich der 
Schularzt Turnen und Spiel nutzbar machen können. Ist auch die organisch 
bedingte, auf einer Verlängerung des Augapfels beruhende Kurzsichtigkeit 
einer Korrektur in diesem Sinne nicht zugänglich, so ist doch das die Akkom¬ 
modation erschlaffende Einstellen des Auges auf die Ferne von wohltuend¬ 
stem Einfluß für jene der Myopie verwandten Zustände, welche auf einem 
Krampf des Akkommodationsmuskels beruhen. Hier ist das Sehen in die 
Ferne der ausgleicbende Ruhezustand. Nicht die Sehfunktion ist dabei in 
Ruhe (sie kann sogar eine maximale sein), nur die Bewegungsorgane des 
inneren Auges sind in Ruhe, und die ernährenden Säfte des Auges zirku¬ 
lieren ungestört. — So erzielt der Aufenthalt auf dem Spielplätze, indem er 
.zeitweilig die Schädigungen ausschaltet, eine mittelbare Heilwirkung. 

So interessant die Einwirkung systematischer körperlicher Tätigkeit 
auf die Physiologie des Gesamtstoffwechsels ist, und so umfangreich auch 
die Literatur gerade über das „Training“ in der neuesten Zeit anschwillt, 
so kann doch hier, wo es sich lediglich um Turnen und Bewegungsspiel in 
unseren Schulen und seine Ergebnisse für die Volksgesundheit handelt, dieser 
Punkt in Kürze erledigt werden. Denn wir wollen und dürfen bei den 
pflichtmäßigen körperlichen Übungen unserer heranwachsenden Jugend keine 
Höchstleistungen fordern und erstreben, keine Umwälzungen im Gesamt¬ 
stoffwechsel herbeifübren; wir wollen und sollen lediglich eine Ökonomie der 
Kräfte erzielen, die den physiologischen Vorgängen bei dem unter normalen 
Bedingungen lebenden Gesunden entspricht. Darum fallen auch für den 
Schulhygieniker die Ergebnisse der hochinteressanten Versuche, wie sie z. B. 
Chauveau und Mos so, bei uns — an militärischem Material — Leiten- 
storfer und Schumburg über den Einfluß der Zuckernahrung bei 
körperlichen Anstrengungen angestellt haben, nicht ins Gewicht. 

Die Umsetzungen, die sich im Muskel bei seiner Kontraktion vollziehen, 
die Anhäufung von Ermüdungsstoffen bei dem Vorgänge der Oxydation, 


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über Tarnen und Bewegungsspiele in den höheren und niederen Schulen usw. 611 

ihre Beseitigung, die Art, wie Atmung und Blutumlauf sich in den Dienst 
der Muskulatur stellen, waren schon Gegenstand der Besprechung. Da nun 
bei der Muskelarbeit der durch das Blut zugeführte Sauerstoff, den der Gas¬ 
austausch in den Lungen vermittelt, nicht ausreichen würde, werden die 
Reservebestände des Körpers, insbesondere das Fett, in den Stoffwechsel 
einbezogen und verbraucht. So geht der Zunahme der Muskelmassen, die 
wir unter dem Einflüsse regelmäßigen methodischen Turnens zustande 
kommen sehen, eine Abnahme des Fettpolsters parallel. Die Folge davon 
ist eine gesteigerte Ausnutzung der in der Nahrung zugeführten Ersatz¬ 
mittel und eine Steigerung der Assimilationsfähigkeit, mithin eine Hebung 
aller Stoffwechselvorgänge im Organismus. 

Was regelmäßige und geordnete Leibesübung in Turn- und Spielstunden 
für die Entwickelung des jugendlichen Körpers zu leisten vermag, was sie 
für alle Organe und für den Gesamtstoffwechsel bedeutet, dürfte damit zur 
Genüge klargelegt sein. Auch, die Ein wände, die in der einen oder anderen 
Richtung erhoben worden sind, haben ihre Berücksichtigung gefunden. Das 
unterliegt keinem Zweifel mehr, daß Turnen wie Bewegungsspiel — eines 
neben dem anderen — ein unerläßliches Glied in der Kette der erziehlichen 
Faktoren in höheren wie niederen Schulen sind; daß wir in ihnen, wie Fach¬ 
männer erwiesen haben, ein Mittel zur Steigerung der Wehrfähigkeit unserer 
Nation besitzen ; daß die öffentliche Gesundheitspflege ihre planmäßige Be¬ 
rücksichtigung fordern muß und keinen Einwand dulden darf, der etwa in 
einseitiger Betonung des (im engsten Sinne) rein pädagogischen Stand¬ 
punktes erhoben werden könnte. 

Aber neben der Grundfrage verdienen eine Reibe von anderen Gesichts¬ 
punkten Beachtung, die der Schularzt nur in engster Fühlung mit dem 
Schulmann zu entscheiden vermag. 

Dahin gehört zunächst die Frage, wieviel Lehrstunden der Unterrichts¬ 
plan für Turnen und Bewegungsspiel vorsehen soll. Die Entscheidung steht 
im innigsten Zusammenhänge mit der Überbürdungsfrage. Wenn die Lei¬ 
stungsfähigkeit unserer Schuljugend wirklich bis zur Grenze des Möglichen 
angespannt ist, so werden wir — auch schon um den erzieherischen Einfluß 
des Elternhauses nicht noch mehr in den Hintergrund zu drängen — die 
Zahl der Schulstunden nicht vermehren können, zumal die Leibesübung, wie 
wir oben sahen, keine Erholung im Sinne der Ruhe ist. So werden vor¬ 
läufig Forderungen, wie sie Vogl im Interesse der Wehrkraft unserer 
Nation stellen zu müssen glaubt: „Jeden Tag der Schulwoche eine Turn¬ 
stunde und freie Nachmittage für Marschübungen“, oder wie die Hueppes: 
„Zwei Stunden körperlicher Übung pro Tag die ganze Schulzeit hindurch“ 20 ) 
nicht zu verwirklichen sein. Ob es möglich sein wird, mehr Zeit für körper¬ 
liche Übungen zu gewinnen mit der auf unseren höheren Schulen wahr¬ 
scheinlich noch eintretenden Spezialisierung, welche einzelne wissenschaftliche 
Disziplinen, nicht zum Nutzen der Allgemeinbildung, aber aus unabweisbarer 
Notwendigkeit für die Vorbildung auf den künftigen Beruf zurücktreten 
läßt, das muß eine spätere Zeit entscheiden. Der Schulhygieniker kann es 
nur wünschen. Verlangen muß er meines Erachtens schon jetzt, daß die 
Pflege der körperlichen Erziehung eine ungleich stärkere Betonung fände in 
den höheren Mädchenschulen. Hier muß und kann ohne Schaden für die 

39* 


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612 Dr. med. Paul Kayser, 

geistige Bildung täglich eine obligatorische Stunde für Spiel und Turnen 
bereitgestellt werden. 

Bezüglich der Art körperlicher Übung ist das Wesentliche bereits be¬ 
sprochen : Der Schularzt hat die Pflicht, auf tunlichste Berücksichtigung der 
individuellen Verhältnisse nach Alter, seelischer und körperlicher Konsti¬ 
tution, auf Meidung aller, besonders unvermittelt geforderter Höchstleistungen, 
dafür reichliche Übung mittlerer Leistungen mit der Tendenz ruhiger, all¬ 
mählicher Steigerung zu dringen; das Bewegungsspiel und alle Betätigung 
des Laufes ist noch weit mehr in den Vordergrund zu stellen, als es auf 
den meisten Schulen geschieht. Das Hallenturnen ist als ein Notbehelf zu 
betrachten und grundsätzlich die Körperübung in freier Luft anzustreben. 
„Es ist im Sinne der Volksgesundheitspflege eine unabweisbare Pflicht der 
Gemeinden, in allen Stadtgebieten Plätze freizuhalten, welche der be¬ 
wegungsbedürftigen Jugend ungehindert zur Benutzung stehen“ *). Die 
Sorge des Hygienikers muß sich nooh weiter erstrecken: Die Hallen, die wir 
in unserem Klima nicht entbehren können, muß er überwachen, die Staub- 
sch&digungen durch zweckmäßige Anlage und Behandlung des Bodens, durch 
Turnschuhzwang und Reinhaltung der Matten auf ein Mindestmaß be¬ 
schränken ; bei der Anlage von Spielplätzen alle hygienischen Gesichtspunkte 
zur Geltung bringen, wie sie in eingehender Weise auf der Tagung des 
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in Mannheim 1905 besprochen 
worden sind. 

Eine Frage von einschneidender Bedeutung, deren endgültige Lösung 
weiteren psychologischen Forschungen Vorbehalten bleiben muß, ist die Lage 
der Turn- und Spielstunden innerhalb des Stundenplanes. Gerade aus päda¬ 
gogischen Kreisen (Wickenhagen) hat man zuerst auf die Bedenken hin¬ 
gewiesen, die gegen das Turnen in der Schlußstunde des Unterrichts sprechen. 
Wissen wir doch aus den bereits erwähnten Versuchen Mossos und Gries¬ 
bachs, daß infolge geistiger Arbeit nicht nur die Leistungsfähigkeit für 
diese, sondern auch für die Muskeltätigkeit herabgesetzt wird. So wird 
dann aus dem Turnen, das eine Betätigung von Frohsinn sein sollte, leicht 
eine unlustig und handwerksmäßig geübte automatische Tätigkeit. Aber 
aus der umgekehrten, entsprechenden Folgerung heraus sträubt sich der 
Schulmann gegen das Einschieben der Turnstunden vor oder zwischen die 
Stunden geistigen Unterrichts, und auch die Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Ärzte in München 1899 ist durch die These: „Gymnastische 
Übungen sollen niemals zwischen wissenschaftlichen Lehrstunden liegen“, 
dieser Auffassung beigetreten. Seitdem hat sich erneuter Widerspruch er¬ 
hoben und in ärztlichen wie pädagogischen Kreisen stehen Meinung gegen 
Meinung. 

Für das Bewegungsspiel wenigstens scheint man in neuester Zeit sich 
für eine gänzliche Trennung entschieden zu haben durch die Forderung 
eines obligatorischen Spielnachmittags und die Verlegung des gesamten 
Unterrichts an diesem Tage auf den Vormittag. Das württembergische 
Kultusministerium hat im Sommer 1906, allerdings nur für die höheren 
Schulen, diese Einrichtung getroffen. 

*) Die Bedeutung der Spielplätze usw. Verhandl. d. D. Vereins f. öffentl. 
Gesundheitspfl., Mannheim 1005. 


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über Turnen und Bewegungsspiele in den höheren und niederen Schulen usw. 613 

Umfangreicheren psychologischen Versuchen wird, so darf man hoffen, 
die endgültige Entscheidung der Frage Vorbehalten sein. Hier ist ein 
schönes Feld wissenschaftlicher Tätigkeit für die Schulärzte eröffnet. 

Viel ist in dem letzten Jahrzehnt für die körperliche Erziehung unserer 
Jugend seitens der Staatsregierung geschehen. Es sei erinnert an den 
MinisterialerlaQ vom 3. April 1890, der auf die Wichtigkeit der Laufübungen 
hinwies; an die Lehrpläne von 1892, durch die jene Übungen auch den 
höheren Schulen vorgeschrieben wurden, an den Ministerialerlaß vom 15. März 
1897, der die letzte Schranke zwischen dem Kunstturnen und den volks¬ 
tümlichen Übungen niederriß. 

Eine Folgerung müssen wir Ärzte aus all den Überlegungen, die bei 
der Betrachtung des Turnens und der Bewegungsspiele in unseren Schulen 
vom Standpunkte der öffentlichen Gesundheitspflege sich eröffnen, noch 
ziehen, eine Folgerung, die über den engen Rahmen dieser Erörterungen 
hinausgeht: Wir müssen die hygienische Überwachung sämtlicher, auch der 
höheren Schulen durch staatlich oder von der Gemeinde anzustellende Schul¬ 
ärzte fordern. 

Nur dadurch werden die Vorteile der körperlichen Erziehung zur vollen 
Geltung kommen. Nur dann wird der Kampf gegen die körperliche Minder¬ 
wertigkeit des in unseren Schulen heranwachsenden Geschlechts erfolgreich 
durchgeführt werden können, nur dann sich die Anschauung Montaignes 
Bahn brechen, auf der aller pädagogische Erfolg beruht: „Wir sollen nicht 
einen Geist erziehen und nicht einen Körper, sondern einen Menschen, und 
wir dürfen ihn nicht teilen.“ 


Literaturverzeichnis. 

l ) Axel Key, 8chulhygienische Untersuchungen. Hamburg 1889. 

*) Angerstein, Die sittliche und physiologische Bedeutung der Bewegungs¬ 
spiele in: v. Schenkendorff u. Schmidt, Jahrbuch für Volks- und Jugend¬ 
spiele. Leipzig 1892, I. Jahrgang. 

') Altschul, Nutzen und Nachteile der Körpernbungen. Hamburg 1901. 
(Referat: Hygienische Rundschau XII, 8. 654.) 

*) Baginsky, Die ßchule im Dienste der öffentlichen Gesundheitspflege. 
Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin 1905, Heft 2. (Referat: Zentralblatt 
für öffentl. Gesundheitspflege 1906, 8. 264.) 

s ) Baur, Die Hygiene der Leibesübungen. Stuttgart 1901. (Ref.: Hyg. 
Rundsch. XI, 8. 244.) 

*) Beneke, Die anatomischen Grundlagen der Konstitutionsanomalien. Mar¬ 
burg 1878. 

7 ) Birch-Hirschfeld, Die Bedeutung der Muskelübung für die Gesundheit. 
Leipzig 1883. (Ref.: Zentralblatt f. öffentl. Gesundheitspflege 1884, 8. 370.) 

*) Burgerstein-Netolitzki, Handbuch der Schulhygiene. Jena 1902. 

•) Dedolph, Die Bedeutung der Körperübungen, besonders der Volks - und 
Jugendspiele, vom hygienischen und militärischen Standpunkt. Verhandl. der 
Naturforscherversammlung zu Frankfurt a. M. 1896. (Ref.: Hyg. Rundsch. VII, 
8. 962 und Deutrohe militärärztl. Zeitschr. XXVI, Nr. 45.) 

,# ) Dollinger und Supan, Über die körperliche Erziehung der Jugend. 
Stuttgart 1891. 

u ) Dollinger, Der Fußball. Zeitschrift für Schulgesundheitspflege 1902, 
Nr. 3 u. 4. 

**) Du Bois-Reymond, Über die Übung. Festrede. Berlin 1881. 


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614 


Dr. med. Paul Kayser, Über Turnen und Bewegungsspiele usw. 

,a ) Graf, Inwiefern nützen die Jugend- und Volksspiele der Armee? Jahr¬ 
buch II, 1893, S. 159. 

w ) Euler, Pestalozzi und die körperliche Erziehung der Jugend. Jahr¬ 
buch V, 1896. 

1S ) Fischer, Die Lungentuberkulose in der Armee. Heft 34 der Veröffent¬ 
lichungen aus dem Gebiete des Militär-Sanitätswesens. Berlin 1906. 

**) Haeger, Die körperliche Ausbildung und Erziehung usw. Zeitschr. für 
Schulgesundheitspflege 1898, Nr. 6. (Ref.: Hyg. Rundsch. IX, 8. 728.) 

,7 ) Hoffa, Die körperliche Erziehung der Jugend. Würzburg 1896. (Ref.: 
Hyg. Rundsch. VII, 8. 571.) 

,8 ) Derselbe, Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie. Stuttgart 1894. 

,B ) Hosaeus, Die Überbürdung der Jugend mit Schularbeiten. 

*°) Hueppe, Körperübungen und Alkoholismus. Berl. klin. Woohenschr. 1903, 
S. 436. 

*') Derselbe, Volksgesundung durch Volksspiele, Jahrbuch VII, 1898, S. 1. 

**) Derselbe, Über die Körperübungen in Schule und Volk und ihren Wert 
für die militärischen Übungen. Festschrift zur 100 jährigen Stiftungsfeier des 
medizinisch-chirurgischen Friedlich-Wilhelms-Instituts, Berlin 1895, S. 485. 

**) Derselbe, Über antike und moderne Athletik. Wien 1899. 

**) Jahrbuch für Jugend- und Volksspiele. Leipzig, Jahrg. Ibis XV. 

* 5 ) Koch, Die Entwickelung des Jugendspiels in Deutschland. Zentralblatt 
f. allgem. Gesundheitspflege 1894, 8. 398. 

**) Leitenstorfer, Das militärische Training. Stuttgart 1897. 

* 7 ) Möller, Die kunsterziehlichen Bestrebungen und ihr Verhältnis zu den 
Leibesübungen. Jahrbuch XI, 8. 55, 1902. 

* B ) Mosso, Die körperliche Erziehung der Jugend. Hamburg 1894. 

**) Notthafft, Vergleichende Untersuchungen über Turnen und Bewegungs¬ 
spiel und ihren Wert für die körperliche Erziehung. Vierteljahrshefte f. allgem. 
Gesundheitspflege 1898, S. 472. 

*°) Ranke, Das Bewegungsspiel in seiner physiologischen Bedeutung. Jahr¬ 
buch IV, 1895. 

*') Reim an n, Die körperliche Erziehung und die Gesundheitspflege in der 
8chule. Kiel 1885. 

**) F. A. Schmidt, Schulunterricht und Bewegungsspiele im Interesse der 
Schulhygiene (Ref.: Vierteljahrsschr. f. allgem. Gesundheitspflege 1905, 8. 329) 
und die zahlreichen Veröffentlichungen des gleichen Verfassers in anderen Zeit¬ 
schriften. 

M ) Schulthess, Schule und Rückgratsverkrümmung. Zeitschr. f. Schul¬ 
gesundheitspflege 1902, Nr. 1 u. 2. (Ref.: Hyg. Rundsch. 1903, 8. 482.) 

M ) Sehrwald, Klimmzuglähmungen. Deutsche med. Wochenschr. 1898, 
Nr. 30 u. 1900, 8. 98. 

* 5 ) Stachelin, Über den Einfluß der Muskelarbeit auf die Herztätigkeit. 
Arch. f. klin. Med., Bd. 59, S. 79. (Ref.: Vierteljahrshefte f. allgem. Gesundheits¬ 
pflege 1898, 8. 252.) 

se ) von Woikowsky-Biedau, Das Bewegungsspiel in der deutschen Volks¬ 
hygiene usw. Jahrbuch V, S. 97, 1896. 

,7 ) Zander, Die Leibesübungen und ihre Bedeutung für die Gesundheit. 
Leipzig 1904. 

**) Derselbe, Die Bedeutung der Leibesübungen für das weibliche Geschlecht. 
Jahrbuch VIII, S. 48, 1899. 


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Dr. med. Friedr. Hetterßdorf, Über Selbstreinigung der Flüsse. 


615 


Über Selbstreinigung der Flüsse. 

Von Dr. med. Friedr. Hetteredorf, prakt. Arzt, Kemnath. 


Unstreitig die wichtigste hygienische Fürsorge in allen größeren ver¬ 
kehrsreichen Orten, wo dauernd eine Menge Menschen anf einem engen 
Raum beisammen leben, ist die Entfernung des sich bildenden Unrats. So¬ 
lange derselbe nur in geringeren Mengen entsteht und daher schleunigst 
beiseite gebracht werden kann, bevor er zur Schädigung der Gesundheit 
beiträgt, sind die Gefahren, die in den faulenden Abfall- und Fäkalstoffen 
liegen, verhältnismäßig geringe und durch geeignete Maßregeln, vor allem 
regelmäßige Vernichtung, leicht zu umgehende. 

Groß aber wird die Gefahr für die Gesundheit einer ganzen Bevölkerung, 
wenn in Städten der Unrat nicht schleunigst beseitigt wird. Vor allem die 
animalischen Entleerungen, die Abfallstoffe aus den Haushaltungen und der 
Industrie und der durch den Verkehr entstehende, massenhafte Straßen¬ 
schlamm fordern zwingend eine schnelle Vernichtung. 

Die Gefahren im Falle der Anhäufung dieser Stoffe, vor allem der 
flüssigen und staubförmigen, d. h. aller derjenigen, welche eine Möglichkeit 
der feinsten Verteilung und dadurch nicht nur Verbreitung in den bewohnten 
Räumen und noch mehr in dem menschlichen Körper selbst durch Aufnahme 
per os und per respirationem zulassen, sind dadurch für die Bevölkerung 
einer Stadt so hohe, da gerade sie teils die geeignetsten Nährböden für die 
schädlichsten pathogenen Keime darstellen, teils durch chemische Zersetzung 
und Bildung von Giftstoffen und Fäulnisgasen zu einer Schädigung der 
menschlichen Gesundheit beitragen. Die festen Abfallstoffe bieten noch 
lange keine derartig große hygienische Gefahr, da ihre Verbreitungsmöglichkeit 
eine geringere ist. 

Von alters her hat man versucht, in großen Städten allen Unrat zu 
sammeln und in offenen oder geschlossenen Kanälen fortzuschaffen. Vor 
allem besorgte in unregelmäßigen bergigen Städten der Regen dieses Geschäft, 
während in flachen Orten künstliche Gefälle den Abfluß herstellten. Glücklich 
waren diejenigen Städte, die, am Meere gelegen, diesem direkt ihre Abgangs¬ 
produkte zuleiten konnten, während der größte Teil der Städte die Abfall¬ 
stoffe dem Lande für Düngerzwecke zuführte. So sorgte schon das Altertum 
für diesen natürlichsten Gang der Stadthygiene. 

Durch die höchst interessanten Funde E. de Sarczecs in Fello im süd¬ 
lichen Babylonien sind wir imstande, nachzuweisen, daß Ninive um 3000 
vor Christus, ja sogar schon 1000 Jahre vor der Gründung Ninives eine 
andere, dem Namen nach unbekannte Stadt eine Wasserleitung und ein 
System von Abschwemmkanälen besessen hat. Wie hoch die hygienischen 
Anforderungen im jüngeren Altertum gestiegen sind, zeigen Volksbeschlüsse 
der Stadt Athen um 320 vor Christus, wonach „diejenigen, welche Abfall 
auf die Straße werfen, gezwungen werden sollten, denselben wieder zu ent¬ 
fernen. Und um alles gut imstande zu halten, sollten diejenigen, welche in 


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616 Dr. med. Friedr. Hettersdorf, 

der Zukunft Abfall und Exkremente auf die Straßen oder den Markt werfen, 
bestraft werden“. 

Namentlich die Römer haben alle technisch-hygienischen Veranstaltungen, 
wie Straßenpflasterungen, Quellwasserzuleitung und Abwässerableitung, Rein¬ 
haltung der Straßen u. a. m., bedeutend vervollkommnet und die Aufrecht¬ 
erhaltung derartiger hygienischer Anstalten und Vorschriften allen mit dem 
Bürgerrecht ausgestatteten Städten obligatorisch gemacht. Rom hatte ein 
Kanalisationssystem, das sein Abwasser teils durch die Cloaca Maxima in 
den Tiber — wie noch heute! — entfernt, teils nach Art der Rieselfelder 
auf die „müden Brachfelder“ entleerte. 

Um so unbegreiflicher ist es, „daß alle diese nützlichen, hygienischen 
Einrichtungen der Menschheit vollständig aus dem Gedächtnis entschwinden 
konnten, so daß die ersten fünf bis sechs Dezennien des 19. Jahrhunderts 
sich allen Ernstes rühmen konnten, auf dem Gebiete der Stadthygiene etwas 
Originales geschaffen zu haben“. 

Wir dürfen nicht vergessen, daß die Straßen der Städte bis in unser 
Jahrhundert hinein im äußersten Grade schmutzig waren. Waren doch Paris 
im Jahre 1641 und London 1651 noch nicht mit der Pflasterung ihrer Straßen 
fertig und hatten doch Berlin und Kopenhagen erst in der letzten Hälfte 
des 17. Jahrhunderts mit einer geordneten Pflasterung begonnen. (Prof. 
Nielsen: Über die Straßenhygiene im Altertum.) Die Reinhaltung der 
Straßen war dadurch eine ungeheuer primitive. Noch schlimmer stand es 
mit Beleuchtung und Wasserversorgung. Eine geeignete und zweckdien¬ 
liche Entfernung aller Abwässer war nicht eingerichtet und erst dem letzten 
Jahrhundert war es beschieden, bei der immer wachsenden Bevölkerungs¬ 
zunahme der Binnenstädte, der größeren Abfallproduktion derselben durch 
die erhöhte Industrie den Modus der Beseitigung des Abfalles in andere 
Bahnen zu lenken. Verschiedene Arten derselben kommen zurzeit in Frage. 
Der feste Bestandteil des Unrats wird heutzutage einer geeigneten Ver¬ 
wertung und Verbrennung überwiesen, während der größtenteils flüssige 
Hauptbestandteil der Abfall- und Fäkalmassen in Kanälen gesammelt und 
außerhalb der Peripherie der Großstadt unschädlich gemacht werden soll. 
Dies geschieht zurzeit durch verschiedene Systeme: 1. die sogenannten Ab¬ 
fuhrsysteme, welche mit lokalen Sammelstellen ohne unterirdische kommuni¬ 
zierende Kanäle arbeiten und vorzugsweise nur die Fäkalien beseitigen; 
dahin gehört das Grubensystem, das Tonnensystem und die Abfuhr mit 
Präparation der Fäkalien: 2. bei den Kanalsystemen, bei welchen die 
Fäkalien oder auch die sämtlichen Abwässer durch ein unterirdisches Kanal¬ 
netz gemeinsam für größere Komplexe von Häusern fortgeschafft werden, 
kommen vor allem die Verfahren der Bodenfiltration und Berieselung in 
Betracht, wobei der Kanalinhalt auf geeignete in nicht allzu großer Nähe 
der Stadt liegende Felder geleitet und durch geeignete Drainagen verbreitet 
und durch Bepflanzung der Felder unschädlich gemacht wird (Rieselfelder, 
z. B. in Berlin). 

Die chemischen Klärungsverfahren ebenso wie die Oxydationsverfahren 
erfordern zu kostspielige, technische Anlagen. 

Bei denjenigen Städten, die an Flüssen liegen, lag von alters her der 
Gedanke nahe, den Kanalinhalt dem Flusse selbst zu übergeben. Doch 


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617 


Über Selbstreinigung der Flüsse. 

stießen die Vorschläge, den Eanalinhalt dem strömenden Floßwasser zu 
übergeben, von seiten der unterhalb der Einleitungsstelle befindlichen An¬ 
wohnerschaft auf nicht geringen Widerstand. Vor allem waren es einzelne 
Typhusfälle, die auf eine Verunreinigung des Flußwassers durch Fäkalien 
zurückgeführt wurden. Bei einer sanitären Überwachung der Wasserleitung 
steht die Flußverunreinigung im Vordergründe und da ist es richtig, die 
Verunreinigung mit Krankheitserregern, die Infektion des Flußlaufes noch 
besonders hervorzuheben. 

Da in größeren Städten immer einige Fälle von Typhus vorhanden 
sind, hielt man es für nötig, die gesamten Abwässer vorher zu desinfizieren. 
Die Praxis lehrte es jedoch bald, daß die Infektionen durch Flußwasser 
nicht häufig sind und nur in einzelnen Fällen solche auf die Effluvien der 
Städte zurückzuführen sind. In erster Linie verschleppt die Flußbevölke¬ 
rung selbst die Krankheitskeime, ferner zeigt es sich, daß die pathogenen 
Bakterien rasch absterben, wenn sie aus dem nahrungsreichen Abwasser in 
offenes Licht gelangen, und drittens erweist es sich als tatsächlich unmög¬ 
lich, das Abwasser einer ganzen Stadt zu desinfizieren. 

Bei kleineren Flüssen ist die Infektion eine häufigere und die Bewohner 
von Mühlen, welche das Bachwasser mit Vorliebe auch für häusliche Zwecke 
benutzen und trinken, erkranken relativ häufig am Typhus. Die Frage, 
wie lange Typhuskeime und andere pathogene Keime (Genickstarre!) im 
Flußwasser sich zu halten und virulent zu bleiben vermögen, ist noch 
unentschieden. Hingegen liegen Beobachtungen über die Lebensdauer von 
Typhuskeimen im Leitungswasser vor. Die Stadt Paris hatte im Jahre 1899 
eine schwere Typhusepidemie zu überstehen. Nachweislich ist sie über¬ 
mittelt worden durch das Wasser der Vanneleitung, die täglich 120000 cbm 
aus dem foret d’othe aus 170 km Entfernung zuführt. 

Besan$on erhält sein Wasser aus einer Quelle, die durch Erdfälle das 
Abwasser eines Dorfes Nancray aufnimmt. In letzterem Dorfe waren einige 
Typhusfälle. Als dann mächtige Regen niedergingen, brach drei Wochen 
später eine heftige Typhusepidemie in demjenigen Teil Besan^ons aus, welcher 
das Wasser von Nancray erhält, die übrigen Stadtteile mit anderem Wasser 
blieben verschont. Das in den Bach von Nancray eingeschüttete Fluo- 
rescein erschien nach 93 Stunden, also 4 Tagen, in Besan§on wieder. So 
lange also vermögen sich Typhusbazillen im fließenden Wasser zu halten. 
Bedeutender noch als die häuslichen Abwässer sind die Verunreinigungen 
durch die Industrieabwässer. Eine Reihe Industrien liefern Wasser mit viel 
organischen Substanzen, so die Zuckerfabriken, Stärke- und Spiritusfabriken, 
Brauereien usw. Bodenbender hat berechnet, daß eine täglich 4000 Ztr. 
Rüben verarbeitende Fabrik ebensoviel Abwasser liefert, als eine Stadt von 
20 000 Einwohnern, und daß in den Abwässern so viel organische Substanzen 
vorhanden sind, wie in den Abwässern einer Stadt von 50 000 Einwohnern. 

Eine andere Reihe von Industrien liefert anorganische Abfallstoffe, die 
teils in gelöster, teils in suspendierter Form den Wasserläufen übergeben 
werden. Zu den letzteren zählen manche Montanfabriken, Holzstoffabriken, 
chemische Fabriken u. a. So wurde erst in den letzten Monaten vergangenen 
Jahres (November 1906) in der Salzach ein großes Fischsterben hervor¬ 
gerufen, dessen Ursache in Aluminiumfabriken gelegen ist, deren Abwässer 


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618 


Dr. med. Friedr. Hettersdorf, 


bedeutende Massen von Calciumcarbid enthalten. Demgegenüber hat sich 
schon Pettenkofer im Jahre 1891 in Leipzig geäußert: 

„Wenn man die Typhusbewegung an der Isar verfolgt, so ergibt sich, daß 
gerade München, das das reinste Isarwasser vom Gebirge herunterbekam, früher 
am meisten Typhus hatte. Ja, München war eine berühmte Typhusstadt, und 
die Orte weiter hinab, also Freising, Landshut usw., hatten verhältnismäßig viel 
weniger Typhus und da konnte man sich leicht denken: der Typhus, soweit er in 
Freising und Landshut vorkommt, kommt eben davon her, weil die Münchener 
ihre Typhusstühle abschwemmen.“ 

In neuerer Zeit ist München infolge seiner Assanierungsarbeiten beinahe 
typhusfrei geworden; also kommt gegen früher ungeheuer wenig in die Isar 
hinein, und da dürften die Freisinger und die Landshuter, wenn sie früher 
einige Fälle hatten, jetzt eigentlich gar keine mehr haben. Aber es ist 
ganz anders. In Freising und in Landshut ist die Typhusfrequenz zurzeit 
verhältnismäßig größer als in München, gauz einfach deshalb, weil die unter¬ 
halb liegenden Städte für die Assanierung nicht so gearbeitet haben, wie es 
in München der Fall war. 

Also wenn ein Ort, welcher unterhalb eines Abschwemmortes gelegen 
ist, mehr Typhus hat, oder überhaupt eine größere Morbidität und Mortalität 
hat, als eine obengelegener, so hat man kein Recht, anzunehmen, daß das 
nur von dieser Einleitung in diesen Fluß herkommt. Die von Pettenkofer 
und seinen Schülern durchgeführten Untersuchungen und bakteriologische 
Durchforschung der Isar ergab die Unschädlichkeit der Abwässereinleitung 
für die Anwohner der Isar. Nach einer Untersuchung der Isar am 
21. Januar 1891 bei einem auffallend niedrigen Wasserstande wurde bei 
Thalkirchen oberhalb München und an der Brücke in Freising unterhalb 
München Wasser entnommen und hat keine Differenz ergeben. Die bak¬ 
teriologische Untersuchung von Prausnitz hat ergeben, daß unmittelbar 
unter dem Hauptsiel eine bedeutende Vermehrung von Bakterien nachweisbar 
ist, die aber auf dem Wege bis Freising zu mehr als 80Proz. wieder ver¬ 
schwunden sind. Ebenso hat Stadtbezirksarzt Medizinalrat Dr. Niedner 
in Dresden eine Reihe von systematischen Untersuchungen der Elbe über 
ihre Aufnahmefähigkeit an Abfallstoffen vorgenommen, die sich auf das 
Gebiet von der böhmischen Grenze und Grippenbach bis Niederwartha, 9 km 
unterhalb Dresden, ja bis weiter nach Magdeburg erstrecken. Die Keim¬ 
zahlen waren: 

An der böhmischen Grenze. 19000 bis 30000 in 0,5 ccm 

Oberhalb Dresdens. 27400 „ 0,5 „ 

100 m unterhalb der letzten Schleuse vor Dresden . . . 38000 „ 0,5 „ 

Bei Niederwartha, 9 km unterhalb Dresdens von 20 600 bis 5 000 „ 0,5 „ 
Vor Magdeburg. 800 

Der gesammelte Trockenrückstand vor und nach Dresden war überall 
gleich 0,1425 g pro Liter Wasser. 

Daraus ergibt sich, daß Dresden ein Wasser erhält, das an und für 
sich schon bedeutend höher verunreinigt ist, wie die Isar, und daß 100 m 
unterhalb der letzten Schleuse Dresdens das Elbwasser nicht besonders mehr 
verunreinigt ist als oberhalb Dresdens am städtischen Wasserwerk, daß es 
dagegen nur 9 km abwärts schon bedeutend reiner ist. Am unreinsten war 


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619 


Über Selbstreinigung der Flüsse. 

bei näheren Untersuchungen das Wasser an der böhmischen Grenze, von 
da an ist es allmählich reiner geworden und nur an den Stellen, wo gerade 
eine größere Menge Abfallstoffe organischer Art in die Elbe gelangten, hat 
sich eine rasch vorabergehende größere Verunreinigung gezeigt (Pirna und 
Übigau). In dem ganzen Wasserlaufe der Elbe bis Dresden und unterhalb 
Dresdens befindet sich keine Spur von Ablagerungen von Schlamm und 
organischen Substanzen. Wenn nun das Wasser unterhalb Dresdens reiner 
ist als oberhalb der Stadt, so muß eine Reinigung des Stromes stattgefunden 
haben und zwar muß die Elbe ein ganz bedeutendes Vermögen von Selbst¬ 
reinigung besitzen. Ähnliche Verhältnisse konstatiert Bürgermeister Dehlius 
für den Siegfiuß bei Siegen. 

Als Flußverunreinigung muß man jede durch künstliche oder natürliche 
Beimengungen herbeigeführten Abweichungen in der Zusammensetzung des 
Wassers ansehen, welche den Gebrauchswert eines Wassers merklich und in 
den seitens der Hygiene festgestellten bedeutungsvollen Bestandteilen ver¬ 
ändern. Die Anforderungen, die die Hygiene an ein Wasser stellt, sind 
1. daß das Wasser frei von Infektionskeimen ist, 2. das Trinkwasser kein 
unklares Aussehen, schlechten Geruch und Geschmack hat. Auch die Land¬ 
wirtschaft hat einen gewissen Anspruch auf Reinhaltung des Flusses. Es 
muß zum Viehtränken und zur Benutzung im Haushalt geeignet bleiben. 
Von vornherein aber sei der Satz aufgestellt, daß nach dem jetzigen Stande 
der Wissenschaft und hygienischen Gewohnheiten ungereinigtes, rohes Flu߬ 
wasser nicht als Trinkwasser angesehen werden kann, und daß die sanitären 
Bestrebungen dahin zu richten sind, daß auch für die Flußbevölkerung die 
Trinkwasserversorgung soweit zu regulieren ist, daß keinerlei Flußwasser 
als Trinkwasser zu benutzen nötig ist. 

Für die Orte jedoch, die aus ökonomischen Rücksichten (Lage, pekuniäre 
Belastung) für ihre Wasserversorgung auf Flußwasser angewiesen sind, ist 
entschieden ein erheblich höherer Reinheitsgrad zu verlangen als dort, wo 
das Flußwasser nicht Industriezwecken dient. 

Auch die Fischzucht hat selbstverständlich gewisse Anforderungen an 
den Reinheitsgrad des Wassers zu stellen. Das Absterben der Fische dient 
gewissermaßen als Indikator für die Verunreinigung. Dort, wo Fische nicht 
mehr zu leben vermögen, ist das Wasser übermäßig schlecht. Das Ver¬ 
schwinden der einen oder anderen Fischart aus einem Gewässer bedeutet 
noch nicht viel wegen der übergroßen Empfindlichkeit einiger Fische gegen 
gelöste Stoffe. Immerhin verdient es stets Beachtung und ist ein beachtens¬ 
wertes Warnungszeichen, welches die Natur uns gibt. Als Grundsatz für 
die Frage der Fluß Verunreinigung soll immerhin gelten, daß der Erfolg der 
Flußreinigung nicht ein völlig keimfreies WasBer sei, sondern nur ein Wasser, 
welches sich durch die Sinne und anderweitig nicht mehr von einem guten 
Wasser unterscheiden läßt, also ein Wasser, dessen organische Beimengungen 
zum allergrößten Teil vergast oder mineralisiert worden sind. Mit dem 
Aufhören der organischen Nahrungsmenge nimmt die Keimzahl von selbst 
ab. Die Abwässer gut kanalisierter Städte sollen keine Jauche, d. h. eine 
in stinkender Fäulnis begriffene Flüssigkeit sein, sondern infolge der schnellen 
Beseitigung und der ausgiebigen Durchlüftung sowie großen Verdünnung, 
die sie schon in den Kanälen erfahren, in relativ frischem Zustande abfiießen. 


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Dr. med. Friedr. Hettersdorf, 


Der Gehalt der städtischen Abwässer an Schmutzstoffen beträgt, soweit 
sie häuslicher Abstammung sind, nur 1 bis 2 Prom., und zwar Bind die 
Schmutzstoffe zur Hälfte etwa organischer, zur Hälfte anorganischer Natur, 
teils gelöst, teils aber ungelöst in Form von schwebenden Schmutzstoffen 
oder in Gestalt sogenannter schwerer Sinkstoffe vorhanden. Der Zweck der 
Abwasserbehandlung ist, zu verhüten, daß das ästhetische Gefühl verletzt 
wird durch unappetitliche Stoffe, die sich in den Flußläufen umhertreiben, 
zu verhüten, daß die Flußbetten verschlammen, daß in den öffentlichen Ge¬ 
wässern überhaupt grob sinnlich wahrnehmbare Veränderungen und Fäulnis¬ 
vorgänge auftreten. 

Die Schmutzstoffe im Wasser setzen sich verschiedentlich zusammen: 
1. Menschliche Fäkalien und Harn. Hiervon ist der letztere von geringer 
Bedeutung, da er sehr bald in Ammoniak übergeht. 2. Die Abfälle der 
Haustierhaltung, vor allem Pferde, Hunde, Groß- und Kleinvieh. 3. Einen 
sehr großen Bestandteil bildet Papier und Gewebsfetzen. 4. Zu berück¬ 
sichtigen ist ferner aucli eine große Menge von Fett. Nach Angaben von 
Dr. Schreiber stammt das Fett vor allem aus den Küchen und Wasch¬ 
wässern, also aus Nahrungsmitteln (Talg, Schmalz, Butter, Margarine, Öl), 
ein größerer Teil dieses Fettes gelangt zwar nicht in das Kanalwasser, da 
er sich in den Wasserleitungen nach dem Erkalten des Spülwassers absetzt, 
das meistens eine höhere Temperatur hat und daher das Fett meist im ge¬ 
schmolzenen Zustande enthält. Ferner enthält das Körperreinigungs- und 
Wäschereinigungswasser ziemlich viel Fettstoffe und Seife. Zum weiteren 
liefert der Restaurationsbetrieb sowie Schlächtereien, ferner eine Reihe von 
Industriebetrieben, wie Wollwäschereien, Fettfabriken, sowie Seifen- und 
Kerzenfabriken, eine nicht geringe Menge dieses Stoffes. Weniger in Be¬ 
tracht kommt der Ölverlust maschineller Betriebe, da das Schmiermaterial 
und Mineralöl zu möglichst großem Teil aus den Abwässern wieder ge¬ 
wonnen wird. Der Gesamtfettgehalt der Abwässer für Berlin z. B. beträgt 
0,0101 bis 0,0259 Proz., der Fettgehalt der Trockenrückstände im Mittel 
l3,8Proz. Die in den Abwässern enthaltenen ungelösten Stoffe bat man zu 
trennen in Schwimm- und Schwebestoffe. Erstere bleiben auch im ruhenden 
Wasser an der Oberfläche, letztere fallen allmählich nieder. 

Die Schwimmstoffe sind entweder von Hause aus spezifisch leichter 
oder haben die Schwimmkraft durch Lufteinschluß dauernd oder temporär. 
Das spezifische Gewicht der Schwebestoffe ist nicht unbedeutend, wird aber 
durch Quellung und dadurch herbeigeführte Volumvergrößerung ein leichteres. 
Durch Gärung tritt fortwährend eine Änderung der Beschaffenheit ein, welche 
teils durch Lockerung des Verbandes ein Niedersinken der Teilchen begün¬ 
stigt. Schwimmstoffe aus Fett gehen in Wasser durch die Umwandlung in 
Säure und Kalkbildung in Schwebestoffe über und können sedimentieren. 

Die Art und Weise, wie sich die Gewässer der ihnen zngeführten 
Schmutzstoffe entledigen, ist eine sehr verschiedene und ist insbesondere 
abhängig: 1. von der Beschaffenheit der Verunreinigung; 2. von den Mengen¬ 
verhältnissen; 3. von der Bewegung des Wassers und auch von dem in der 
Nähe der Strommündung sich geltend machenden Einfluß der Ebbe und 
Flut; 4. bei Landseen von der Einwirkung des Windes auf die Wasserober¬ 
fläche. Bei dem Prozesse der Selbstreinigung, unter dem man bekanntlich 


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Über Selbstreinigung der Flüsse. 

die Möglichkeit versteht, daß der Fluß durch verschiedene Vorgänge 
mechanischer, chemischer oder biologischer Art sich seiner Verunreinigungs- 
Stoffe zum großen Teil entledigt, spielen eine hervorragende Rolle 1. niedere 
Algen und Wasserpflanzen, oder niedere Wassertiere; 2. verschiedene Bak¬ 
terienarten, welche durch ihre Lebensvorgänge die organischen Stoffe zer¬ 
setzen; 3. ist die Selbstreinigung abhängig von der Beschaffenheit des Bodens, 
von der Tiefe und Zusammensetzung des Wassers; 4. von meteorologischen 
Verhältnissen, wie Luftdruck, Windbewegung und Temperatur; 5. wird dieselbe 
beeinflußt durch oxydative Prozesse und durch die Einwirkung des Lichtes. 

Immerhin ist aus alledem zu ersehen, daß die Selbstreinigungen in ver¬ 
schiedenen Gewässern durch verschiedene Ursachen bedingt sein können, 
und wie das Kaiserliche Gesundheitsamt in einem Gutachten vom Jahre 1892 
sich schon äußerte, sind selbst Untersuchungen erschöpfendster Art keines¬ 
wegs maßgebend in ihren Ergebnissen, da die Bedingungen der Selbstreini¬ 
gung unter dem Einflüsse wirtschaftlicher wie baulicher Veränderungen im 
Laufe der Zeit sich ändern. 

Was in speziellen Fällen die Flußreinigung bedingt und wie dieselbe 
bei jeder Art der Verunreinigung stattfindet, ergibt sich aus zahlreichen 
Untersuchungen des Flußwassers überhaupt, sowie aus zahlreichen Ver¬ 
suchen, die von verschiedenster Seite in hygienischen Laboratorien in 
dieser Hinsicht stattgefunden haben. Vor allem kommt bei der Einleitung 
der Abwässer in den Fluß die Verdünnung des Sielwassers in Betracht, 
v. Pettenkofer fordert eine wenigstens 15 fache Verdünnung und nimmt 
an, daß dieselbe ausreichend sei, um ein nicht allzusehr verunreinigtes 
Wasser bis zur hygienischen Brauchbarkeit zu reinigen. 

Nach den heutigen Anschauungen jedoch ist die von Pettenkofer 
angenommene 15 fache Verdünnung allein zum mindesten nicht ausreichend, 
da durch eine solche Verdünnung die Wirksamkeit einer schwebenden Sub¬ 
stanz an sich nicht geändert wird. Es kommt vor allem noch die Sedi- 
mentierung in Betracht, die, abhängig von der Bewegung der Strömung, 
einen großen Teil des Schmutzstoffes zu entfernen imstande ist. Wie sehr 
die Sedimentierung auf den Bakteriengehalt des Wassers wirkt, zeigt ein 
Versuch Rubners. Es wurde zu diesem Zweck der Versuchsbrunnen des 
hygienischen Instituts in Marburg nach einer Probeentnahme kräftig durch¬ 
gerührt und dadurch der Boden schlämm aufgewühlt. Hierauf wurden alle 
zwei bis drei Stunden die Keime in dem getrübten Wasser gezählt und nach 
einigen Tagen sowie vier Wochen der Ruhe der Keimgehalt des Wassers 
nachgeprüft. Die Prüfung ergab: 

Keime pro 1 ccm Aussehen | Zeit 

Vor dem Versuch: 

1 620 | klar | 25. August 1886 

Nach dem Aufschütteln: 

1 475 000 trüb 25. August, 1 Uhr 

196 000 B 25. , 4 „ 

180 000 „ 25. „ 6 „ 

44 100 klar 27. „ 1 „ 

960 , 21. September 


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Dr. med. Friedr. Hettersdorf, 


Es hat also die Sedimentierung der Keime allein in dem gedeckten 
Brunnen zu einem reichlichen Rückgang des Keimgehaltes geführt. Im 
Flußwasser ist die Sedimentierung selbstverständlich durch die Bewegung 
des Wassers eine verlangsamte und ist in diesem Falle die Einleitung der 
Abwässer abhängig von der Differenz der Geschwindigkeiten des einzu¬ 
leitenden Kanalinbalts und des Flusses. So beträgt z. B. die mittlere Ge¬ 
schwindigkeit des Wassers in den Münchener Kanälen etwa 60 cm pro 
Sekunde, während die der Isar bei Niederwasser 100 cm beträgt. Umgekelirt 
beruht die starke Verunreinigung der Seine in Paris mit darauf, daß die 
Seine nur 14 cm Sekundengeschwindigkeit, das Sielwasser dagegen über 40 cm 
hat. Die Isar wirkt daher weniger sedimentierend, als hauptsächlich verdünnend 
auf den Sielinhalt. In schnell fließenden Strömen verteilt sich das Sediment auf 
eine weit größere Bodenfläche und wir müssen langsam fließende Flüsse als 
zur lokalen Verschmutzung durch Sedimentierung besonders disponiert an¬ 
geben. Störend auf die Sedimentierung wirken Wind- und Wellenbewegung. 
Die Wellenbewegung geht so tief nach abwärts, daß die schwebenden Teil- 
ohen davon betroffen werden. Ebenso hindert die Tätigkeit der Schiffahrt, 
Rudern, Auf wühlen durch Stangen, Schrauben- und Raddampfer das lang¬ 
same Absetzen der Schwebeteilchen. 

Bei der Sedimentierung sind nach Dr. Spitta zwei Zonen zu unter¬ 
scheiden: Die erste enthält die makroskopisch sichtbaren Teile, mit denen 
schon ein größerer Teil Bakterien mitgerissen wird, und dehnt sich nie 
weit hinter die letzte Verunreinigungsstelle aus. Die zweite Zone enthält 
die feinsten Suspensa, die gelösten organischen Bestandteile und Bakterien. 
Auch Frankland Percy nimmt an, daß sich die Flüsse durch Ablagerung 
ungelöster Stoffe, und zwar in langsam fließenden Flüssen rascher wie in 
schnell fließenden, davon befreien. Haider hat dasselbe für die Donau 
unterhalb Wien, Frank für die Spree und Havel nachgewiesen. 

Die Stadt Schwerin leitet seit 1893 sämtliche KanalwäBser dicht bei 
Schwerin in den Ziegelsee und in den Großen See ein. Das städtische Ent¬ 
wässerungsgebiet beträgt 233 ha; die tägliche Menge der Kanalwässer ein¬ 
schließlich der gewöhnlichen Niederschläge beträgt ungefähr 200 cbm. 
Innerhalb vier Jahren wurden aus dem eingeleiteten Kanalwasser 600 bis 
800 cbm Schlamm in den beiden Seen sedimentiert, die sich auf eine Fläche 
von 800 qm verteilen. Die mittlere Höhe des Schlammes betrug 10 cm, die 
höchste 30 cm. Der bei 100° C getrocknete Schlamm bestand zu 79,9 Proz. 
aus anorganischen, zu 20,04 Proz. aus organischen Stoffen, darunter 2,33 Proz. 
Stickstoff. Der Kanalschlamm Schwerins ist also reich an anorganischen 
und dementsprechend arm an stickstoffhaltigen Stoffen. Chemische und 
bakteriologische Untersuchungen von Wasserproben aus den Seen von 
Schwerin im August 1897 haben im Vergleich zu Untersuchungen im Jahre 
1887 ergeben, daß die Einleitung der Kanalwasser zu hygienischen Nach¬ 
teilen nicht geführt hat. 

Mit den Schwebe- und Sinkstoffen wird der größte Teil der Bakterien 
abgesetzt; viele Bakterien jedoch besitzen in ihrer Eigenbewegung ein Schutz¬ 
mittel gegen die Sedimentierung und haben im Besitze einer stark quellen¬ 
den Hülle die Eigenschaft, ihr spezifisches Gewicht zu verringern und somit 
den Auftrieb zu erleichtern. Dr. Spitta fand durch direkte mikroskopische 


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623 


Über Selbstreinigung der Flüßse. 

Untersuchung, daß an den suspendierten Teilen oft ganze Bakteriennester 
anhaften, doch zeigt sich, daß dieselben hauptsächlich nur an dem toten 
organischen Material haften, während die lebenden Algen davon frei sind. 
Nach Laboratoriumsversuchen enthält 1 mg feuchte Suspensa 728 000 Keime. 
Verschiedenerlei Untersuchungen über die Arten der Bakterien ergaben z. B. 


für die Straßburger Wasserleitung etwa 27 Arten. 

I. Bakterien: Sporen nicht nachzuweisen. 

a) Gelatine nicht verflüssigend . . 7 

b) Gelatine verflüssigend .... 6 

II. Bazillus: Mit durch Färbung nachweisbaren Sporen. 

a) Gelatine nicht verflüssigend . . 1 

b) Gelatine verflüssigend .... 4 

III. Mikrokkokus: Gelatine nicht verflüssigend . . 4 

IV: Sarcina: a) Gelatine nicht verflüssigend . . 1 

b) Gelatine verflüssigend .... 1 

V. Actinomyces: a) Gelatine nicht verflüssigend . . 1 

b) Gelatine verflüssigend .... 1 

VI. Plastomyces: 1 Art. 


Im Mittel wurden 18 Keime in 1 ccm gefunden. Ähnliche Befunde 
erhielt Bernhard Rosenberg für den Bakteriengehalt des Mainwassers. 

Würzburg besitzt eine Schwemmkanalisation, welche die Auswurfstoffe 
der ganzen Stadt dem Main zuführt. Zur Spülung der städtischen Kanäle 
werden zwei Bäche verwandt, die bei Würzburg in den Main münden. Es 
wurde der Bakteriengehalt des Wassers oberhalb der Stadt vor der Kanal¬ 
verunreinigung und nach dem Einströmen der Siele bestimmt. Die Zählungen 
ergaben für das Wasser oberhalb des Kanaleinlasses: 

Im Februar: im Minimum 350, im Maximum 1020 (also durchschnittlich 660), 
im März: „ „ 385, „ „ 2050 (Durchschnitt 850). 

Die Zählungen nach dem Sieleinlaß ergaben: 

Im Februar: als Minimum 2950, als Maximum 22 000 pro Cubikcentimeter 
im März: „ „ 7000, „ „ 35 000 „ „ 

Leider sind aus den Angaben Rosenbergs über die Einzelarten der 
Bakterien keine bestimmten Angaben zu erkennen. 

Von mehreren Seiten wurde dem Vorkommen des Bacterium coli eine 
besondere Aufmerksamkeit geschenkt; so schlägt Stadtarzt Direktor 
Dr. Petruschky vor, das Vorkommen des Bacterium coli direkt als Indi¬ 
kator der Flußverunreinigung zu benutzen, entgegen den Anschauungen 
von Prof. Cruse, Weissfel dt u. a., daß dasselbe eine allgemeine Ubiquität 
besitze, so daß man es in jeder Wasserprobe nachweisen könne. 

Für die Flüsse liegt die Sache anders: Hier gibt Dr. Petruschky 
ohne weiteres zu, daß wohl jede größere Wasserprobe das Bacterium 
coli enthalte. Aber gerade hier sei es als Maßstab für die Größe der Fäkal¬ 
verunreinigung überaus brauchbar; so sei es doch ein kolossaler Unterschied, 
ob man in 1 ccm Wasser das Bacterium coli nachweisen könne, oder ob man 
es bereits in der millionenfachen Verdünnung nachweisen könne. Ja man 
könne direkt eine Skala von Reinheitsgraden aufstellen, je nachdem in einer 


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Dr. med. Friedr. Hettersdorf, 


Wasserprobe das Bacterium coli erst in l /iooo ooo. Viooooo» Vioooo oder Viooo ccm 
nachweisbar sei. Die Untersuchung sei eine relativ sehr einfache; man 
brauche sich von dem Wasser nur drei Verdünnungen mit sterilem Wasser 
anzulegen, eine von 1 :100, von dieser wieder 1:100, und abermals davon 
1:100, so habe man am Schluß eine Verdünnung von 1:1000000. Dazu 
komme das unverdünnte Wasser. Von diesen vier Proben könne man je 
zwei Aussaaten anlegen und zwar direkt in Bouillonröhrchen, 1 ccm und 
V'joecm. Die Bouillonröhrchen stelle man in den Brutschrank und am 
nächsten Tage habe man das überraschende Resultat, daß eine Anzahl 
Röhrchen klar geblieben sei, während die anderen vollständig trüb geworden 
seien. In den Röhrchen, in denen nur eine leichte Trübung sichtbar sei, sei 
Bacterium coli niemals nachweisbar. Die Zahl der völlig getrübten Röhrchen 
nennt er den termopbilen Titer; in stark verunreinigten Gewässern stimme 
er völlig überein mit dem Coli-Titer. Je nachdem man nun in einer Wasser- 
probe das Bacterium coli nachweise, in 1 ccm i 0 ccm, l /ioo ccm usw., habe 
man einen guten Anhalt für die fäkale Verunreinigung. 

Ebenso betrachtet Jordan die Menge des Coli-Bazillus als Indikator 
der Selbstreinigung. Er hat es nachgewiesen am Illinoisfluß nach seiner 
Abwasseraufnahme in Chicago. 

Er bedient sich dabei der Methoden: Vorzüchtung in Carboibouillon 
mit nachfolgender Plattenkultur auf Lackmus-Milchzucker-Agar. Untersucht 
werden 1 ccm des auf 1 :10000, sowie 1:100000 verdünnten Wassers. 

Das Verfahren bezweckt nicht die Zahl der in dem jeweils benutzten 
Impfstoff vorhandenen Colibazillen, sondern vor allem festzustellen, ob die¬ 
selben überhaupt vorhanden sind. 

Auch Mackgill und Sarach benutzen das Bacterium coli als Indikator 
der Selbstreinigung. Sie nehmen zum Nachweis von Colibazillen Neutralrot, 
Bacterium coli bringt in 1 proz. Neutralrotbouillon einen FarbenumBchlag 
in Kanariengelb mit grüner Fluoreszenz zustande. 

Nur Bacterium tetani und Oedematidis maligni rufen ähnliche Ver¬ 
änderungen hervor. Dieselben sind aber leicht unterscheidbar. Das Fehlen 
der Reaktion beweist das Fehlen von Bacterium coli. 

Außer der Verdünnung durch Sedimentierung spielen oxydative Vor¬ 
gänge und Zersetzungsprozesse im Flußwasser bei der Selbstreinigung des¬ 
selben eine große Rolle. Die Oxydation organischer Substanzen im Wasser 
ist an dem Gaswechsel desselben verfolgbar. Der Sauerstoffgehalt bzw. seine 
Abnahme ist ein Maßstab für die Größe der im Wasser ablaufenden Oxy¬ 
dation. In Laboratoriumsversuchen ist feBtgestellt, daß im Wasser ein 
permanenter Gaswechsel stattfindet. Sauerstoff (0) wird aufgezehrt, das 
entstehende O-Defizit wird aus der Luft möglichst gedeckt. Ist die O-Auf- 
nahme aus der Luft nicht möglich, so sinkt der Sauerstoffgehalt allmählich 
bis gegen Null, je nach der Qualität des Wassers verschieden schnell. Flu߬ 
wasser mit einem Sauerstoffgehalt von 3,5 ccm pro Liter war in Zimmer¬ 
temperatur in 43 Stunden auf 0,89, in 93 Stunden auf 0,04 heruntergegangen 
(Sauerstoffzehrung 0,06 bis 0,017 ccm pro Stunde und Liter bei einer Keim¬ 
zahl von 24 600). Wurde das WaBser in Dampf sterilisiert und verschlossen 
aufbewahrt, so war der Sauerstoffgehalt 3,28, nach 50 Stunden 3,16; das 
Wasser blieb steril. 


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Über Selbstreinigung der Flüsse. 


Also in nichtsterilisiertem Wasser fand eine lebhafte 0-Zehrung statt, 
während im sterilisierten Wajjser so gut wie kein Sauerstoff verzehrt war. 
Durch Infektion des sterilen Wassers kann man die Sauerstoffzehrung wieder 
in Gang setzen. Die Sauerstoffzehrung ist zum größten Teil an das Vor¬ 
handensein von Bakterien geknüpft. 

Nichtsterilisiertes, destilliertes Wasser zeigt in 72 Stunden nur eine 
Abnahme des Sauerstoffgehaltes von 0,04 bis 0,1 ccm pro Liter. 

Die Sauerstoffzehrung ist um so größer im Flußwasser, je mehr es mit 
gut nährenden organischen Substanzen verunreinigt ist. Girardin gibt an, 
daß der Sauerstoffgehalt von Regenwasser, das man ruhig stehen läßt, ab- 
nimmt, ebenso haben Boudet und Girardin 1874 bei Untersuchungen der 
Seine festgestellt, daß der Sauerstoffgehalt des Seinewassers sich bedeutend 
verringert an der Einmündungsstelle der Sammelstelle und später allmählich 
wieder ansteigt und zwar: 


Brücke von Asnieres oberhalb des Sammelkanals . 

Clichy unterhalb des Sammelkanals. 

S. Denis, rechter Arm oberhalb des Sammelkanals 
» » » * unterhalb „ „ 

Bezons . 

Marly. 

Maison Lafitte und Poissy. 


5,34 0 pro L.-W. 

4,60 „ „ „ 

2,65 „ „ n 

1,02 „ „ „ 

1,54 „ * „ 

3,74 „ fi „ 

6,12 „ , „ 


Nach Untersuchungen Spittas ergibt sich für das Spree- und Havel¬ 
gebiet, daß die höchsten O-Gehalte in den reinsten Seegebieten sind, die 
niedrigsten 0-Werte innerhalb der Stadt Berlin, außerhalb Berlins nur an 
Stellen, wo Stagnation von Schiffen oder Einfluß von Schmutzwässem statt¬ 
findet. Das Rheinwasser war bei Untersuchungen Dr. Spittas nirgends 
mit Sauerstoff gesättigt. Das Sauerstoffdefizit war überall ein gleichmäßiges, 
0,5 bis 1,01 ccm pro Liter. König wies durch Versuche eine direkte Oxy¬ 
dation der organischen Stoffe nach. Er ließ verdünnte Jauche in dünner 
Schicht über dickere Filtermassen fließen, die in einigen Versuchen mit fein 
verteilten Oxyden, z. B. Manganoxyd oder Gartenerde und nitrifizierenden 
Bakterien beschickt waren. Aus dem Versuch ergab sich eine direkte Oxy¬ 
dation des Ammoniaks. Beim feinen Ausbreiten über faserigen Stoffen scheint 
eine Oxydation nicht stattzufinden; beim Vorhandensein von Nitrifikations- 
bakterien in Gartenerde findet sofort eine lebhafte Nitrifikation statt. 

Auch in nicht geimpften Filtern tritt mit der Zeit infolge Zutritts von 
nitrifizierenden Bakterien auf der filtrierenden Flüssigkeit bzw. aus der Luft 
Nitrifikation ein, namentlich wenn genügende Mengen von organischen 
Stoffen vorhanden sind. Die Nitrifikation und weiter überhaupt die Oxy¬ 
dation durch oxydierende Bakterien wird in den Filtern durch fein verteilte 
Oxyde, z. B. Mangan und Oxyd, unterstützt. Bei der niedrigen Nitrifikation 
in den Filtern findet ein Verlust von freiem Stickstoff statt. Es wirken also 
bei Reinigung fauliger NH s -haltiger Wässer gleichzeitig neben den nitri¬ 
fizierenden auch denitrifizierende Bakterien mit. 

Die Oxydation von Schwefelverbindungen geht wenigstens zum Teil 
schon allein durch den Luftsauerstoff vor sich. Indes wird dieselbe durch 
den gebundenen leicht abtrennbaren Sauerstoff des Manganoxyds unterstützt; 
weniger ist dieselbe von Bakterien abhängig. 

Vierteljahrsachrift für Geanndheitapflego. 1808. 4 q 


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Dr. med. Friedr. Hetteradorf, 


Ohne Zweifel spielt die direkte Oxydation der organischen Substanzen 
bei der Selbstreinigung der Flüsse nur eine untergeordnete Rolle; jedenfalls 
hat man in den Gewässern, die große Mengen organischen und Ammoniak- 
Stickstoff aufnehmen, eine wesentliche Vermehrung an Salpetersäure nicht 
feststellen können. 

Um den Einfluß der Bewegung des Lichtes, des freien Luftzutritts und 
der Verdunstung auf die Bestandteile des Wassers zu prüfen, hat König 
Versuche gemacht, in denen das Fließen des Wassers nachgeahmt wurde; 
und zwar ließ er das Wasser in sanftem Fall eine 2 bis 4 km lange Strecke 
durch Zinkrohre bzw. Glasrohre fließen. Ebenso um die Wirkung der freien 
Luft neben Licht und Bewegung zu studieren, in einer ebensolangen offenen 
Rinne; weitere Untersuchungen wurden mit einem Bach bei Münster an der 
Aa, welcher die gesamten Abwässer der Stadt aufnimmt, angestellt. Die 
Versuche ergaben folgendes: Eine Verminderung der gelösten organischen 
Stoffe heim künstlichen Fließen des Wassers auf 2 bis 4 km ließ sich nicht 
nachweisen. Nur bei 7 km langem Fließen des natürlichen Aawassers war 
eine Verminderung der leicht oxydierbaren organischen Stoffe vorhanden, die 
nicht auf eine Verdünnung des Aawassers durch anderes, reines Wasser zu¬ 
rückgeführt werden kann. Die Bewegung des Wassers als solche ist ohne 
Einfluß auf die Beseitigung der Verunreinigungsbestandteile. Dagegen nimmt 
der Ammoniakgehalt beim Fließen unter Zutritt von Licht und Luft sehr 
stark ab. Diese Abnahme steht in einem gewissen Verhältnis zur Wasser¬ 
verdunstung und ist demnach in erster Linie von den meteorologischen Ver¬ 
hältnissen abhängig. Es findet aber gleichzeitig eine Diffusion des flüchtigen 
Ammoniaks statt. Eine nennenswerte Oxydation des Ammoniaks zu sal¬ 
petriger Säure und Salpetersäure beim Fließen des Wassers ist kaum erkenn¬ 
bar, dagegen eine leichte Vermehrung der Schwefelsäure. 

Aus der Tatsache der Verdunstung und Diffusion gasiger Bestandteile 
aus einem fauligen Gewässer erklärt König eine Reihe Erscheinungen, für 
welche bis jetzt eine völlig befriedigende Erklärung fehlte, nämlich, daß in 
den verunreinigten Gewässern durchwegs keine freie Kohlensäure und nur 
wenig freies Ammoniak auftritt, daß der Fluß unter Umständen sehr viel 
organischen Stickstoff aufnehme, ohne daß dieser wieder in Form von Lebe¬ 
wesen oder Salpetersäure zum Vorschein kommt, und daß schließlich die 
Selbstreinigung der Flüsse im Sommer bei warmem Wetter, ebenso in Flüssen 
mit starker Stromgeschwindigkeit, in welchem Falle die Verdunstung und 
Diffusionsverhältnisse sehr günstig sind, viel besser und schneller verläuft t 
als bei kühler, feuchter Witterung und in Flüssen mit geringer Strom¬ 
geschwindigkeit. Bei den Versuchen wurde der Stickstoffgehalt, spez. die 
Salpetersäure, durch Titration mit einer Lösung von 0,1 g Brucin in 30 ccm 
Schwefelsäure vom spezifischen Gewicht von 1,837 bis zur dauernden Rosa¬ 
färbung bestimmt. Der Sauerstoffgehalt wird nach Winkler folgender¬ 
maßen bestimmt: 100 ccm Wasser werden in einem Erlen mey er sehen Kölb¬ 
chen von 300 ccm mit 10 ccm V 100 normaler alkalischer Chamäleonlösung 
zersetzt und auf einer Asbestplatte bis zum Aufkochen der Flüssigkeit mit 
großer Flamme im Kochen erhalten. Dann werden sofort nach Entfernung 
der Flamme erst 10 ccm verdünnte Schwefelsäure (100 S0 4 : 300 H a O) und 
dann sogleich 100 ccm '/ioo normaler Oxalsäure hinzugegeben. Nach einigen 


b y Google 




627 


Über Selbstreinigung der Flüsse. 

Minuten, nachdem vollständige Entfärbung eingetreten ist, wird mit KMn0 4 - 
Lösung bis zur rosenroten Färbung titriert. 

Außer der Oxydation findet auch noch Aufnahme von Sauerstoff aus 
der Luft statt, durch Diffusion, jedoch äußerst langsam. Begünstigend dafür 
ist die Strömung und Wellenbewegung des Wassers. 

Neben der Sauerstoffzehrung findet eine Kohlensäureausscheidung durch 
Wassertiere und chlorophyllhaltige Pflanzen statt. Dieselbe spielt jedoch nur 
bei sehr reicher Fauna eine bedeutendere Rolle. Für die Sauerstoffzehrung 
kommen noch rein chemische Umsetzungen in Betracht, vor allem Oxydation 
von Eisenoxydul zu Eisenoxydhydrat und von Schwefelwasserstoff zu 
Schwefelsäure. 

Welchen Einfluß die Oxydation der organischen Verunreinigung auf 
die Selbstreinigung der Flüsse hat, zeigen die Untersuchungen, die Professor 
Emmerich an der Isar vornahm. Bei Niederwasser ist in der Isar nirgend 
etwas von Kot und Schlammbänken zu bemerken. Was die Abnahme des 


Sauerstoffs betrifft, so beträgt der Sauerstoffgehalt der Isar 

bei Großhesselohe oberhalb Münchens.7,9 ccm 

bei Föhring.7,6 „ 

nach Einleitung des Münchener Kanalwassers bei Ismanning. 7,4 „ 

ebenso bei Grüneck.7,4 „ 

bei Freising. 7,1 „ 

Die Menge der organischen Substanzen in den Suspensis der Isar beträgt 

innerhalb Münchens.4,9 mmg 

bei Föhring. 1,7 „ 

nach Einleitung des Kanalwassers bei Ismanning.45,8 „ 

bei Grüneck.13,0 „ 

ebenso bei Freising.13,0 „ 


was zweifellos eine ganz bedeutende Wirkung der Selbstreinigung darstellt. 

Da von dem Sauerstoffgehalt des Wassers angeblich der Fischreich¬ 
tum abhängig ist, haben König und Hämmermeyer über den für das 
Leben der Fische notwendigen Sauerstoffgehalt des Wassers Versuche an¬ 
gestellt, welche zeigten, daß die Fische, besonders Karpfen, mit einem sehr 
geringen Sauerstoff geh alt fortleben. Erst bei 0,4 bis 1,4 Volumprozent 
Sauerstoffgehalt sind die Versuchsfische eingegangen oder erkrankt. Unter 
natürlichen Verhältnissen im fließenden Wasser wird diese für das Leben 
der Fische notwendige Sauerstoffmenge noch niedriger liegen. Außerdem 
wird infolge des raschen Austrages der Gase des Wassers mit denen der 
überstehenden Luft in einem an freier Luft liegenden oder strömenden 
Wasser ein Fisch an Sauerstoffmangel nur selten zugrunde gehen. Wenn 
in einem fauligen Wasser die Fische an der Oberfläche nach Luft schnappen, 
so liegt dies weniger an dem Sauerstoffmangel, als an sonstigen schädlichen 
Bestandteilen des Wassers, z. B. an Salzen, Färb- und Gerucbstoffen. 

Nach der Ansicht Pettenkofers beruht jedoch die Selbstreinigung 
nicht nur auf Verdünnung, Sedimentierung der Suspensa und Oxydation der 
organischen Stoffe durch den im Wasser absorbierten Sauerstoff, sondern zum 
mehr oder minder großen Teil auch auf dem vegetativen Leben im Wasser. 

40* 


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628 Dr. med. Friedr. Hettersdorf, 

Auch Dr. L ö w zählt die Algenentwickelung mit zu den Ursachen der Selbst¬ 
reinigung; so ist nach seinen Angaben die Euglena viridis in jedem Wasser 
zu finden und nährt sich vorzüglich in faulendem Wasser. Sie ist Tempe¬ 
ratureinflüssen gegenüber äußerst widerstandsfähig. Ferner gelingt es, 
Algen, Spirogyra nitida, Cladophora, Oedogarium, Oscillaria in stark fauligen 
Peptonlösungen in 1 promilligen Methylsulfitlösungen am Leben zu erhalten; 
bei Ernährung in Methylal läßt sich sogar Längenwachstum beobachten. Be¬ 
sonders günstig gedeihen Algen in Asparaginsäurelösung, ferner in Lösung 
von Urethan, Glykokoll, Kreatin, Betain- und Neurinsalzen; Coffein, carmin- 
saures Ammoniak kann in den Leibern lebender Algen nachgewiesen werden. 
Eingehende Untersuchungen über den Einfluß des Planktons, d. i. also 
das im Wasser treibende Material, an lebenden und toten Pflanzen und 
Tieren hat Dr. Oskar Spitta über das Plankton der Spree und Havel 
angestellt. 

Das Plankton besteht aus Algen, Diatomeen, niedersten Tieren, Bakterien, 
Detritus und anorganischen Staubteilen und ist an kalten Tagen geringer 
wie an warmen. 

Das Plankton der Spree und Havel und teilweise des Rheins besteht aus 
folgendem: 

I. Schizomyceen: 

Polycyalis aeroginosa, Merispomedia. 

II. Diatomeen: 

Melosira varians, Diatomeen vulgare, Artesionella gracillima, 
fragilania crotonensis et capucina, Navicula, Surinella, Gomphorema. 

III. Chlorophyceen und Phaeophyceen: 

Pediastrum boryanum, Ceratium, Volvos Oscillaria. 

IV. Niedere Tiere: 

Amoeben, Paramaecium, Rotifer, Chilodon, Notolca, Turbellarien, 
Rotularien, Daphnien, Leptodera cyclops, Milben, kleinen Krebs- 
chen u. a. 

Die vertikale Verteilung von Algen und Diatomeen ist vom Licht ab¬ 
hängig, wegen der im Sonnenlicht ein tretenden erhöhten Sauerstoffproduktion. 
Die chlorophyllhaltigen Algen steigen bei Tag an die Oberfläche des Wassers, 
durch die produzierten Sauerstoffbläschen getragen. Die Sedimentierung 
der Bakterien ist abhängig von den gröberen suspendierten Teilchen. Das 
Plankton ist hervorragend bakterienreich, doch zeigen bloß die Detritus¬ 
teilchen lind das tote organische Material Bakteriennester. Die lebenden 
Algen und Diatomeen sind bakterienfrei. 

Für die Selbstreinigung der Flüsse kommen nur die chlorophyllhaltigen 
und ähnlich assimilierenden im Wasser treibenden Tierchen in Betracht. 
Daß phanerogame Pflanzen organische Substanzen aufnehmen können, ist 
bewiesen. Auch höhere Wasserpflanzen sind dazu imstande und nach den 
Untersuchungen von Löw und Bokorny auch Algen und Diatomeen. Mit 
dem Auftreten der Vegetation konnte folgendes konstatiert werden: 

1. Das "Wasser verlor seinen unangenehmen Geruch, 

2. der Sauerstoffgehalt stieg, 


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629 


Über Selbstreinigung der Flüsse. 

3. der Ammoniakgebalt nahm ab, ohne daß sich die Oxydationsstufen 
des Ammoniaks, nämlich Salpetersäure und salpetrige Säure, gebildet hätten, 
so daß anznnehmen ist, daß die Algen bei ausgeschlossener Verdunstung 
des Ammoniaks diesen Stoff aufgenommen und zum Zellaufbau verwendet 
haben. Im grellen Sonnenlicht stieg der Sauerstoffgehalt in algenhaltigem 
Wasser auf 23Prom., bei Lichtabschluß zehren die Algen den Sauerstoff¬ 
gehalt rasch auf. 

Dr. Oskar Spitta erhielt die angegebenen Resultate durch folgende 
Versuchsanordnung: 

Er nahm fünf Glaszylinder, in denen ein Gemenge von 1 Teil Kanal¬ 
wasser (eine schwärzliche, übelriechende Flüssigkeit mit reichem Sediment) 
und 13 Teile Leitungswasser gemischt stand und zwar je 15 Liter Gesamt¬ 
wasser. In vier Zylindern war ein Bodengemisch von 4 bis 5 cm Sand bzw. 
Erde und zwar in jedem Zylinder: 

I. Glas: Sauerstoffabschluß, kein Bodenzusatz, 

II. Glas: Kein Sauerstoffabschluß, Gartenerde, 

III. Glas: Kein Sauerstoffabschluß, Sand, 

IV. Glas: Sauerstoffabschluß, Sand, 

V. Glas: Sauerstoffabschluß, Flußboden. 

Aus der Mitte der Zylinder wurden in größeren Intervallen Proben ent¬ 
nommen uDd auf organische Substanz (Ammoniak, salpetrige Säure und 
Salpetersäure), auf Geruch, Farbe, Durchsichtigkeit, Bakteriengehalt, geprüft. 
Das Verdunstwasser wurde mit sterilem destillierten Wasser ergänzt. Die 
Beobachtung währte acht Monate. 

Resultat: Die Wasser in den offenen Zylindern klärten sich rasch, 
wurden geruchlos, nahmen an Sauerstoffgehalt zu und an Oxydierbarkeit ab. 
Ammoniak schwand und wurde durch Salpeter- und salpetrige Säure ersetzt. 
In den offenen Zylindern trat keine Spur von Algenwachstum auf; das 
Sediment schwand. So war in Glas III nach etwa zehn Wochen reiner 
Sandboden. In dem IV. Glase mit Sauerstoffabschluß blieb das Wasser trübe, 
stinkend, der Sauerstoffgehalt stieg nur in geringem Grade. Die Oxydier¬ 
barkeit blieb konstant. Ammoniak war immer nachweisbar, niemals dagegen 
salpetrige Säure und Salpetersäure. Bakterien nahmen nur wenig ab. In 
allen drei Gläsern mit Sauerstoffabschluß trat, wenn auch zeitlich verschieden, 
reichliche Algen Vegetation auf; es bildete sich ein reichliches Sediment, das 
in Glas V in deutliche Gärung überging. Kohlensäure war überall reichlich 
enthalten. Diese Laboratoriums versuche beweisen, daß Algen in unreinem 
Wasser gedeihen und dort viel Sauerstoff produzieren, der von den Bakterien 
jedoch nicht zur Nitrifikation, wohl aber zur Zerstörung anderer organischer 
Substanzen gebraucht werden kann. 

Durch die Algenflora tritt insofern ein Reinigungseffekt auf, als eine 
Transformation toten organischen Materials in lebendes eintritt. Dieses 
lebende, neue organische Material verfällt in Kurzem wieder dem Tode und 
aus den ekelerregenden Ausscheidungen und Abfällen sind insofern Ver¬ 
änderungen zustande gekommen, daß wenigstens unsere Sinne nicht mehr 
beleidigt werden. 

Im Experiment wenigstens ist allerdings die Wirksamkeit der Algen 
und Diatomeen eine langsame. Andererseits können die absterbenden 


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630 


Dr. med. Friedr. Hettersdorf, 


Pflanzen dadurch zu einer Kalamität fOhren, daß sie durch eine allzureich¬ 
liche Entwickelung das Wasser völlig verseuchen können, z. B. Elodea Can- 
densis und Polycistua oeroginosa, WaBserblüte. Auch nach König ist den 
höheren grOnen Wasserpflanzen bei der Selbstreinigung der Gewässer ein 
Einfluß zuzuschreiben, als dieselben imstande sind, ihren Stickstoffbedarf 
ebenso wie ihren Kohlenstoffbedarf in kohlensäurefreien Lösungen aus orga¬ 
nischen Quellen zu decken. Die Mehrzahl der Pflanzen bringt es dabei zu 
einer bedeutenden Vermehrung der Trockensubstanz. Alle diese großen 
und kleinen Blattgrün führenden Wasserpflanzen dienen im Lichte als Ver¬ 
besserer des Sauerstoffgehaltes im Wasser und als Durchlüfter desselben. 
Außerdem wirken ein großer Teil von Organismen im Wasser als Entfäuler, 
indem sie die zersetzungsfähigen Stoffe teils mineralisieren, d. h. in Schwefel¬ 
wasserstoff, Ammoniak, Kohlensäure und Wasser umwandeln und ihnen da¬ 
durch die Fäulnistätigkeit nehmen, teils in Leibessubstanz umwandeln und 
zu ihrem Wachstum verwerten. So entstehen Bakterien, Wimper- und 
Geißelinfusorien, Rädertiere, Würmer, Insektenlarven u. a. m., die meist 
nicht absterben, und dadurch zu Herden neuer Verschmutzung werden, 
sondern von größeren Tieren wieder gefressen werden und dadurch zur 
Produktion von Fischnahrung führen, wodurch für die Fischzucht ein Er¬ 
folg gesichert wird. Ein anderer Teil wandelt sich in Insekten um und 
wird dadurch dem Wasser entzogen. 

Beeinflussend auf den Sauerstoffgehalt und mithin den Reinheitsgrad 
des Wassers ist die Bestrahlung durch die Sonne, die sowohl belebend auf 
die Algen und sonstigen chlorophyllhaltigen Wasserpflanzen, abtötend auf die 
Bakterien einwirkt. Dr. Rapp kommt nach einer Reihe von Versuchen zu 
folgendem Schluß: Das Sonnenlicht ist bei der Selbstreinigung der Flüsse 
als ein mächtiger Faktor anzusehen, welcher einerseits die Abtötung von 
Bakterien bewirkt, andererseits die chlorophyllhaltigen Lebewesen günstig be¬ 
einflußt. Die Frage, ob das Licht für die Umwandlung chemischer Körper 
bei der Flußreinigung ebenso wichtig ist, wird immer so lange unentschieden 
bleiben taüssen, als nicht Methoden gefunden sind, die es in so starken 
Verdünnungen ermöglichen, einen sichtbaren Nachweis hierüber zu er¬ 
bringen. Es ist mit höchster Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß alle 
chemischen Körper vom Lichte, zumal in so starken Verdünnungen, ver¬ 
ändert werden. Auch Prof. Büchner schreibt darüber, wenn ein wesent¬ 
licher Einfluß des Lichtes auf die Bakterienmenge besteht, so möchte 
das Ergebnis einen beträchtlichen Unterschied zwischen Tag- und Nacht¬ 
periode im Keimgehalt des Flußwassers erkennen lassen, und zu Beginn 
des ersteren bei Sonnenaufgang das Maximum, bei Sonnenuntergang das 
Minimum des Keimgehaltes des Flußwassers zu erwarten sein. Die Probe¬ 
entnahme des Wassers erfolgte zum Nachweis dieser Lichtbeeinflussung bei 
Bad Pullach an der Überfahrt nach Grünwald und zwar von abends 
6 Uhr an, während der Nacht in Zwischenpausen bis morgens 8 Uhr. 
Innerhalb dieser Zeit mußte sich der Lichteinfluß geltend machen, voraus¬ 
gesetzt, daß die Verunreinigung der Isar während dieser Zeit eine gleich¬ 
mäßige ist, was ja bei den örtlichen Verhältnissen sicher anzunehmen ist. 
Es fand sich aber auch eine Zunahme um mehr als das Doppelte während 
der Nachtzeit. 


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631 


Über Selbstreinigung der Flüsse. 


Isaruntersuchungen bei Pullach. 
26. Oktober 1898. 


Temperatur 

Zeit der 

Probe¬ 

entnahme 

Keime 
pro 1 ccm 

Wasser 

•c 

Luft 

°C 

13,0 

8,8 

' 7P30 

146 

12,1 

7,0 

9 30 

270 

10,5 

6,2 

5“ 00 

370 

%2 

8,2 

8 00 

320 


28. Novem 

ber 1898. 


5,5 

3,0 

1 6P 00 

266 

5,5 

2,5 

8 00 

402 

5,5 

2,0 

2 00 

482 

5,0 

2,0 

3* 00 

532 

4,5 

2,5 

[ 7 30 

400 


Wie schon bemerkt, ist auch die Beschaffenheit des Flußprofils und des 
Bodens von besonderer Bedeutung für den Reinheitsgrad des Wassers. 

Die Reinheit des Wassers hat nicht immer ohne weiteres Reinheit des 
Flußbodens zur Folge, dagegen umgekehrt wirkt eine dauernde Verschmutzung 
des Wasserlaufes ebenso auf den Flußboden. Die abgelagerten Teilchen 
bleiben nicht etwa dauernd ruhig am Flußboden der Zersetzung überlassen 
liegen. Durch die Geschwindigkeit des Stromes, welche am Flußboden eine 
geringere wie an der Oberfläche ist, geraten die Teilchen in gleitende um¬ 
wälzende Bewegung, uftd zwar verschieden nach der Glätte des Bodens. Die 
durchschnittliche Sohlengeschwindigkeit der Spree z. B. beträgt 10 cm pro 
Sekunde. Je schneller die Strömung, desto günstiger ist sie für die Be¬ 
schaffenheit und Reinheit des Bodens. 

Die Selbstreinigung des Flußbodens findet fast ebenso statt, wie die¬ 
jenige des freien Erdbodens, nur daß beim Flußboden die löslich geworde¬ 
nen Stoffe permanent entleert werden. Die stickstoffhaltigen Stoffe verfallen 
der Nitrifikation, die Kohlehydrate mit Ausnahme der Zellulose werden zer¬ 
legt, die Fette gespalten, zerlegt oder verseift. Auch der Flußboden bedarf 
zur Oxydation der organischen Substanzen des Sauerstoffs, den er aus dem 
Wasser bezieht. Bei sehr reichhaltigem organischen Material kann der 
Sauerstoffgehalt bald verzehrt sein, dann tritt anaerobe Gärung, Fäulnis 
und Gasbildung auf. Diese anaerobe Arbeit der Schlammassen durch Bak¬ 
terien ist von großer Bedeutung für die Zerstörung des Eingeschwemmten. 
Erst durch diese Gärung, die durch anaerobe Bakterien hervorgerufen ist, 
wird die Zellulose, die ja einen massenhaften Bestandteil des Schlammes 
bildet, zerstört Die Fäulnis und Gasbildung tritt zusammen mit der 
Schlammbankbildung auf und ist in Ufernähe meist eine stärkere. Es bilden 
sich dabei als Produkte der Gärung die Gase: Kohlensäure, Saueratoff, 
Kohlenoxyd und Methan (Sumpfgas). 

Die Schlammbankbildung ist für die Flußreinigung von größter Be¬ 
deutung. Das Wasser laugt die durch Fäulnis entstandenen Stoffe aus und 


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632 


Dr. med. Friedr. Hettersdorf, 


führt sie fort. Der Schlamm unserer Gewässer wird von zahlreichen Or¬ 
ganismen, besonders Wasserregenwürmern, durchwühlt, wodurch er eine 
lockere Beschaffenheit erhält und den Zutritt von Sauerstoff ermöglicht. 
Andererseits werden viele Bakterien in den Schlamm sinken und dort einer 
teilweisen Vernichtung durch Organismen anheimfallen. So sind gewisse 
Schnecken als gierige Schlammfresser bekannt. 

Führt jedoch die Zersetzung am Flußboden bei nicht hinreichender 
Flußströmung zu ausgedehnteren Schlammbankbildungen, so ist die Grenze der 
Selbstreinigungsmöglichkeit erreicht. In diesem Falle ist namentlich bei 
befahrenen Strömen, in denen die Schiffahrt die sich ruhig absetzenden 
Schlammpartikelchen beständig auf wühlt, von der Selbstreinigung nichts 
mehr zu erwarten. Der hier eintretenden Kalamität kann nur durch künst¬ 
liche Nachhilfe, wie Erhöhung des Gefälles und Entfernung der Schlamm¬ 
massen durch Ausbaggern, abgeholfen werden. 

Der Sauerstoffgehalt des Wassers ändert sich entsprechend den Jahres¬ 
zeiten und den Witterungsverhältnissen. Im Winter ist der Sauerstoffgebalt 
ein höherer als im Sommer. Das Wasser kann sich im Sommer entsprechend 
seiner Temperatur weniger mit Sauerstoff beladen. Auch der Barometer¬ 
stand und wahrscheinlich auch elektrische Einflüsse wirken, wenn auch im 
geringen Grade, auf den Gaswechsel des Wassers ein. Überhaupt wirken 
meteorologische Einflüsse auf den Reinheitsgrad der Flüsse in verschiedener 
Weise. So ist an Regentagen der Unterschied der Verunreinigung durch 
Sielwasser ein bedeutender gegenüber trockenen Tagen. Es steigt der Wert 
der Keimzahlen und der Sauerstoffzehrung auf das 10- bis 20 fache (Keim¬ 
zahl 200000 pro Liter an feuchten Tagen, 16 000 biB 86 000 an trockenen 
Tagen); die Sauerstoffzehrung beträgt 0,254 ccm pro Stunde und Liter 
an feuchten Tagen, gegen 0,01 bis 0,05 an trockenen Tagen. Bedingt 
ist diese Veränderung durch erhöhten Zufluß durch die geöffneten Kanal- 
notauslässe der verschiedenen Pumpstationen. Doch ist dieser Einfluß der 
Notauslässe keineswegs ein feststehender und ist sehr abhängig von der 
Zahl der geöffneten Durchlässe und ihrer gegenseitigen Entfernung. Die 
oben angegebenen Zahlen sind Maximalunterschiede, die bei der Untersuchung 
der Spree gewonnen sind, während sich wiederholt fast kein Unterschied 
zwischen dem Keimgehalt des Spreewassers in geringer Entfernung von dem 
Notauslasse vor, während und nach dem Speien derselben ergeben hat. 
Jedenfalls ist die Verunreinigung während des Speiens der Notauslässe eine 
vorübergehende, die, wie experimentell nacbgewiesen, einige Stunden nach 
dem Schlüsse der Notauslässe nicht mehr nachweisbar ist (Dr. Spitta). 

Interessant ist das Verhalten der Selbstreinigung des Wassers bei Ein¬ 
tritt von Hochwasser. 

Für die Isar liegen folgende Verhältnisse vor: Die Schwebestoffe sind 
bei Hochwasser in größter Menge vorhanden und berechnen sich auf 400 mg 
pro Liter, rühren dann aber zum größten Teil von mitgerissenem Sand und 
Ton her. Maßgebend ist daher die Untersuchung derselben nur bei niedrig¬ 
stem Wasserstand. 

Der Keimgehalt des IsarwaBsers ist bei Hochwasser relativ hoch, während 
ein niedriger Wasserstand die Zahl wahrscheinlich durch Sedimentierung 
herabsinken läßt. 


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633 


Über Selbstreinigung der Flüsse. 

An der Elbe fand Andreas Meyer im Jahre 1899 folgendes Ergebnis: 
Wenn der Strom nach längerem Niederwasser ansteigt, stellt sich mit der 
eintretenden Trübung auch Vermehrung der Keime ein, die bei weiterem 
Anstiege oder Dauer des Hochwassers sich wieder vermindert, und bei in 
Kürze erneuter Hochflut nicht wieder auftritt. 

Als Beitrag zur Frage der Selbstreinigung sind einige Untersuchungen 
von Wert, die Hilsum an einem Schwimmbade in Amsterdam, ebenso Koslik 
für ein Schwimmbad in Graz und Prof. Kruse für Talsperrenwasser an¬ 
stellte. 

Hi Isums Untersuchungen fanden in einem Schwimmbade statt, dessen 
Wasser unablässig durch frischen Zufluß teilweise ergänzt wurde, während 
die gröberen Verunreinigungen durch einen Überlauf abflossen. Die Proben 
wurden stets aus 1 m Tiefe und 1 m Abstand von den Wandungen ent¬ 
nommen und mittels Gelatineplattenverfahren untersucht. Es ergab sich 
regelmäßig in den ersten Tagen nach der Neufüllung des Bassins eine starke 
Zunahme der Keime, dann wieder eine fast ebenso erhebliche Abnahme. 
Dasselbe wurde an dem Wasser eines Wannenbades nach dessen Benutzung, 
und an einer Probe Vechtwassers, welches ohne besondere Vorsorge in einem 
Kolben aufgestellt war, beobachtet. Diese Selbstreinigung des Badewassers 
konnte weder mit Lichteinwirkung, noch mit Sedimentierung erklärt werden, 
da zur Abend- und Morgenzeit entnommene Proben nicht wesentlich unter¬ 
schieden und das Wasser durch die in dem Badewasser schwimmenden Per¬ 
sonen tagsüber fortwährend in Bewegung gehalten wurde. Auch Mangel 
an Näbrmaterial oder Bildung bakterienfeindlicher Stoffe kamen nicht in 
Betracht. Denn das durch Chamberland-Pasteur-Kerzen gewonnene 
Filtrat erwies sich auch zur Zeit der Bakterienabnahme als vorzüglicher 
Nährboden für verschiedene Bakterienarten. Ebensowenig genügt der Ein¬ 
fluß der Verdünnung zur Erklärung des Vorganges. Hilsum vermutet, 
daß es sich um biologische Vorgänge handelt und daß die Bakterien im 
gegenseitigen Kampf miteinander zugrunde gehen. Zu einem ähnlichen 
Schlüsse kommt Dr. Koslik in Graz, der angibt: 

1. Der Bakteriengehalt offener Schwimmbäder ist unabhängig von deren 
Benutzung. Nach kurz andauernder starker Vermehrung der Mikroorganis¬ 
men ist eine schnelle Abnahme zu bemerken. 

2. Die Ursache dieser Abnahme und des darauf folgenden anhaltend 
geringen Bakteriengehalts ist zurzeit nicht aufgeklärt. Mangel an Nähr¬ 
stoffen ist ausgeschlossen, Sedimentierung als quantitativ zu gering und 
kaum in Betracht kommend zu betrachten. Jedenfalls ist die Belichtung 
bei dem Schwinden von Organismen von Einfluß. Es ist also die Zahl der 
in dem Wasser eines Schwimmbassins enthaltenen Bakterien als Index für 
deren Benutzungsfähigkeit nicht verwertbar. 

Nach Prof. Kruse erleidet das Oberflächen wasser, das den Talsperren 
zufließt, Veränderungen in den Staubecken, die es zu einem unverdächtigen 
Genußmittel machen. Es befreit sich darin von seinen Bakterien, klärt sich 
von suspendierten Bestandteilen und erfährt einen Ausgleich der Temperatur. 

Die Selbstreinigung des Wassers kann bei Hochwasser Störungen unter¬ 
liegen, die um so weniger ins Gewicht fallen, je weiter die Mündungsstellen 
der Zuflüsse von der Sperrmauer entfernt sind. 


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634 


Dr. med. Friedr. Hettersdorf, 


Im übrigen ist es Aufgabe des Technikers, Einrichtungen zu treffen, 
um den Wasserkörper der Sperre vor plötzlichen Erschütterungen zu be¬ 
wahren. 

Leider ist durch die bis jetzt angestellten Untersuchungen noch kein 
endgültiger Überblick über die Frage der Selbstreinigung zu bringen. So 
fehlen z. B. fast gänzlich Untersuchungen darüber, welchen Einfluß die Flut¬ 
bewegung und der Wechsel des Salzgehaltes in den Strommündungen (Brack¬ 
wasser) und in den Seehäfen auf den Reinheitsgrad des Wassers ausübt. Die 
im Hafen von Kiel und Christiania ausgeführten Untersuchungen über 
die Verunreinigung derselben berücksichtigen die Selbstreinigungskraft des 
Wassers nicht. 

Aus den bisherigen Untersuchungen ergibt sich als jetzt feststehendes 
Resultat nur: 

Die Selbstreinigung der Flüsse ist von den angegebenen Bedingungen 
abhängig, an und für sich unbeschränkt und würde zu einer vollkommenen 
Reinheit der Flüsse führen, wenn dem Wasser genügend Zeit und Raum ge¬ 
lassen wird, von einer Verunreinigungsstelle zur anderen. Kann aber in 
dichten Industriegegenden eine allzu große und nie aussetzende Verunreini¬ 
gung stattfinden, so erreicht die Selbstreinigung das gewünschte Maß nicht. 
Gerade die Abwässer der Fabriken sind für die Flüsse am schädlichsten, 
und es sind namentlich kleinere Gewässer, wie z. B. die Wupper, Ruhr, Orla, 
Ples8e, Innerste, Saale u. a., deren Wasser den höchsten Grad von Ver¬ 
unreinigung erreicht haben und wo die Grenze der Selbstreinigung er¬ 
schöpft ist. 

Was die Einleitung von Kanalwässern in die Flüsse anbelangt, so 
empfiehlt Prof. Kruse: 

1. Bei einer 15 fachen Verdünnung wird die Einleitung des Sielwassers 
in einen Fluß stets zu verbieten sein, wenn der Fluß noch einen längeren 
Weg zu machen hat, bis er von einem größeren Gewässer unschädlich ge¬ 
macht wird. Nur bei kurzer Strecke und hoher Stromgeschwindigkeit kann 
die Einleitung gestattet werden. 

2. Bei lOOfacher Verdünnung ist bei sehr langsam fließenden Strömen 
die Einleitung von Sielwasser, wegen der voraussichtlich starken Ver¬ 
schlammung, zu untersagen. 

3. Bei 1000 facher Verdünnung erfahren weder die suspendierten noch 
die gelösten Substanzen des Stromes eine Vermehrung. Wenn die gelösten 
Sink- und Schwimmstoffe vor der Einleitung in den Fluß entfernt und die 
Kanalmündung soweit in den Fluß hineingelegt wird, daß Schmutz- und 
Flußwasser schnell und vollständig miteinander vermischt und die Ufer¬ 
verunreinigungen vermieden werden, so kann das Abwasser ruhig eingelassen 
werden. 

Bei der Anlage von Kanaleinlässen soll die Stromgeschwindigkeit genau 
bekannt sein und nur dann, wenn die Strömungsgeschwindigkeit des Siel- 
wnssers erheblich hinter der Strömungsgeschwindigkeit des Flusses zurück¬ 
bleibt, ist eine bleibende Flußverunreinigung völlig ausgeschlossen. 


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Über Selbstreinigung der Flüsse. 
Literatur. 


635 


*) Rosenberg, Bernh., Über die Bakterien des Mainwassers. Arch. f. Hvg. 
Y, 1886. 

*) Bogner, Dr., Beitrag zur Lehre von den Wasserbakterien. Arch. f. Hyg. 
XI, 1890. 

•) Röttger, Dr., Die Trinkwasserverhältnisse in Würzburg. Arch. f. Hyg. 
XIL 1891. 

4 ) Löv, Dr. O, Zur Frage der Selbstreinigung der Flüsse. Arch. f. Hyg. 

s ) Spitta, Dr., Über Flußplankton. Arch. f. Hyg. XXXVin, 1900. 

*) Derselbe, Arbeiten über Flußverunreinigung. Arch. f. Hyg. XLVI, 1903. 

7 ) Rubner, Dr., Das städtische 8ielwasser und seine Beziehung zur Flu߬ 
verunreinigung. Arch. f. Hyg. XLVI, 1903. 

B ) Müller, Armand, Über die Einwirkung des Lichtes auf Wasser. 
(Zürich 1874.) 

®) Bokorny, Pflanzenphysiologie, 1897. 

1# ) Bericht des Ausschusses des deutschen Vereins für öffentl. Gesundheitspflege: 

a) 17. Versammlung 1891, Leipzig, v. Pettenkofer Antrag: Systematische 
Untersuchungen über die Selbstreinigung der Flüsse. 

b) 23. Versammlung 1898, Köln. Prof. Dunbar, Hamburg: Die Behandlung 
städtischer 8püljauche mit besonderer Berücksichtigung der neueren Methoden. 

c) 27. Versammlung 1902, München. Prof. Gärtner: Die hygienische Über¬ 
wachung der Wasserleitung. Stadtarzt Dr. Petruschky: Über das Vorkommen 
des Bacterium coli im Flußwasser. 

d) 29. Versammlung 1904, Danzig. Prof. Emmerich, München: Über die 
Isarverunreinigung. 

") Flügge, Dr. Karl, Grundriß der Hygiene. 

'*) Girardin, Über den respiratorischen Gaswechsel des Wassers. Compt. 
rend. 1875. 

'*) Grosse-Bohle, Beiträge zur Frage der Selbstreinigung der Gewässer. 
(Dissertation, Arnsberg 1900.) 

u ) Frankland Percy, The bacterial puriflcation of water. London 1907, 
Referat. Hygienische Rundschau VII, 1897. 

,J ) Mayer, Gutachten betreffend die Verunreinigungen der Dresdener Wasser¬ 
versorgung beim Eintritt der Hochfluten der Elbe. Hygienische Rundschau 1899. 

1# ) Nachtrag zum zweiten Gutachten betreffend die Kanalisierung der Residenz¬ 
stadt Schwerin (Arbeit aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt Berlin). Hygienische 
Rundschau 1899. 

,7 ) Koslik, Dr. Viktor, Graz, Der Bakteriengehalt des Wassers offener 
Schwimmbäder. Hygienische Rundschau 1898. 

,8 ) Hilsum, Bakteriologische Untersuchung eines Schwimmbades in bezug 
auf Selbstreinigung. Amsterdam. Hygienische Rundschau 1901. 

*•) Jordan, The relative abundance of bacillus coli communis in river 
water as an index of the self-puriflcation of streams. Hygienische Rundschau 1902. 

**) Mackgill a. Savage, Neutral red in the bacteriological examination of 
water. Hygienische Rundschau 1902. 

,! ) Prausnitz, Der Einfluß der Münchener Kanalisation auf die Isar. Hy¬ 
gienische Rundschau XIII, 1903. 

**) Derselbe, Über die Bakterien der Straßburger Wasserleitung. Hygieni¬ 
sche Rundschau. 

* B ) Winkler, Über die Bestimmung des ReduktionsVermögens natürlicher 
Wässer. Hygienische Rundschau. 

* 4 ) Kolkwitz, Marsson und Thun, Mitteilung der Königl. Prüfungsanstalt 
für Wasservorsorgung und Abwasserbeseitigung. 

Si ) Kolkwitz, Prof. Dr., Über biologische Selbstreinigung der Gewässer. 

**) Knaute, Kreislauf der Gase in unseren Gewässern. 

w ) König, Verunreinigung der Gewässer. 

“) Prausnitz, Der Einfluß der Münchener Kanalisation auf die Isar. II. 

**) Lustig, A., Diagnostik der Bakterien des Wassers. Jena, U. Turin. 


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686 Dr. med. Friedr. Hettersdorf, Über Selbstreinigung der Flüsse. 

30 ) Schreiber, Dr. Karl, Über den Fettreichtum der Abwässer Berlins und 
das Verhalten des Fettes in den Rieselfeldern Berlins. 

31 ) Rapp, Dr., Über den Einfluß des Lichtes auf organische Substanzen mit 
besonderer Berücksichtigung der Selbstreinigung der Flüsse. 

3 *) Tie mann und Gärtner, Untersuchung und Beurteilung der Gewässer. 
Braunschweig 1895. 

33 ) Willem er, Einfluß der 8chwemmkanalisation auf die Isar. 

**) Bayer, Die Einleitung von Kaliindustrieabwässern in die Flüsse. Zeit¬ 
schrift für Hygiene und Infektionskrankheiten XLI. 

35 ) König, Beiträge zur Selbstreinigung der Flüsse. Zeitschrift für Unter¬ 
suchung der Nahrungs- und Genußmittel. 

a *) König und Hämmermeyer, Über den niedrigsten für das Leben der 
Fische notwendigen Sauerstoffgehalt des Wassers. Zeitschrift für Untersuchung 
der Nahrungs- und Genußmittel. 

s7 ) Kruse, Prof., Beiträge zur praktischen Hygiene: Über Verunreinigung 
und Selbstreinigung der Flüsse. Zentralblatt für allgemeine Gesundheitspflege 1899. 

**) Derselbe, Hygienische Beurteilung des Talsperrenwassers. Zentralblatt 
für allgemeine Gesundheitspflege 1906. 

3# ) Zim mermann, Über Bakterien unserer Trink- und Flußwässer insbesondere 
der Chemnitzer Wasserleitung. 


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Dr. med. Enno Arends, Bekämpfung ansteckender Krankheiten usw. 637 


Über die Mitwirkung des Badearztes bei der 
Bekämpfung ansteckender Krankheiten und über 
den Bau und die Einrichtung von Isolieranstalten 
für Infektionskrankheiten in den Kurorten. 

Von Dr. med. Enno Arends, Badearzt in Juist. 

(Mit 3 Abbildungen im Text.) 


Die Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten ist für die Kurorte in 
volksgesundbeitlicher und volkswirtschaftlicher Hinsicht von höchster Be* 
deutung. 

Hier sammelt sioh während der Saison eine große Menschenmenge an, 
so daß die Zahl der Bewohner eines Kurortes sich in kurzer Zeit um das 
Doppelte bis Zehnfache und noch stärker vermehren kann. Da diese Men¬ 
schen aus den verschiedensten Gesellschaftsklassen und Altersstufen, zum 
großen Teil, wie es in sogenannten Familienbädern, z.B. den Seebädern, der 
Fall ist, aus Kindern bestehen; da ferner in den Badeorten Kranke und 
Erholungsbedürftige aus den verschiedensten Gegenden, besonders aus Gro߬ 
städten, wo gewisse Seuchen nie erlöschen, Zusammenkommen: so ist damit 
die Gefahr der Einschleppung und Übertragung ansteckender Krankheiten 
in hohem Grade gegeben. 

Diese Gefahr besteht aber sowohl für die Badegäste als auch für die 
Ortseingesessenen. Und deshalb haben die letzteren die doppelte Pflicht, 
nicht nur für ihre eigene Gesundheit, sondern auch für die Gesundheit ihrer 
Gäste zu sorgen. Die Einwohner haben die Pflicht, den Kurgästen, die 
durch ihren Kuraufenthalt zur Förderung des Wohlstandes der Gemeinde 
beitragen, denen alle mehr oder weniger direkt oder indirekt ihre Existenz 
verdanken, und die deshalb vertrauensvoll in ihren Kurort kommen, um 
ihre Gesundheit zu kräftigen und wiederzuerlangen, die Gewähr zu bieten, 
daß nicht nur die Kuranstalten und Kurmittel gut sind, sondern daß auch 
alles Menschenmögliche geschieht, um die Kurgäste vor der Gefahr der An¬ 
steckung mit neuen Krankheiten zu bewahren. Deshalb ist die Forderung, 
daß die Kurorte allen hygienischen Forderungen genügen sollen, namentlich 
auch mit Einrichtungen zur Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten, 
mit Isolieranstalten und Desinfektionsvorrichtungen versehen sein müssen, 
gerechtfertigt. Ganz abgesehen von den Pflichten der Dankbarkeit und 
Humanität, erfordert allein schon das materielle Wohl der Gemeinde, den 
gesundheitlichen Anforderungen zu entsprechen. Wehe, wenn während der 
Saison ansteckende Krankheiten aushrechen und um sich greifen! Der da¬ 
durch verursachte Schaden ist unberechenbar und kann den Ruin des Ortes 
herbeiführen. Es ist deshalb Pflicht der Badeverwaltung und der Gesund¬ 
heitskommission, für solche Fälle gerüstet zu sein, um das Unheil zu ver¬ 
hüten, zum Wohle des Badeortes und der ihm an vertrauten Badegäste. 


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638 


Dr. med. Enno Arends, 


Vor allem kommt dabei die Mitwirkung des Badearztes in Betracht. 
Von seiner Entscheidung und Handlung kann unter Umständen das Wohl 
und Wehe des Badeortes und der Badegäste abhängen. 

Zwar kann der Badearzt nicht Vorbeugen im eigentlichen Sinne; er 
kann nicht verhüten, daß einzelne Fälle von ansteckenden Krankheiten ein¬ 
geschleppt werden; höchstens kann er durch Wort und Schrift auf das 
Publikum und auf die Ärzte einzuwirken suchen, in der Auswahl der in das 
Bad zu sendenden Kranken vorsichtig zu sein und im Interesse des öffent¬ 
lichen Wohles Ansteckungsverdächtige aus solchen Gegenden, wo Scharlach, 
Diphtherie, Typhus, Masern, Keuchhusten u. a. herrschen, von dem Besuche 
des Bades abzuhalten. In diesem Sinne mag wohl ein Appell in den Bade¬ 
prospekten, wie er z. B. im Prospekte des Nordseebades Juist enthalten ist, 
der sich besonders gegen den Keuchhusten richtet, von Nutzen sein. Dort 
heißt es in dem Kapitel: „Heilanzeigen, Gegenanzeigen und ärztliche Rat¬ 
schläge“ u. a. folgendermaßen: 

„Um eine Übertragung von ansteckenden Krankheiten möglichst zu ver¬ 
meiden, bitten wir die Gäste aus solchen Gegenden, wo Diphtheritis, Scbarlaob, 
Masern, Keuchhusten, Typhus u. a. herrschen, darauf hinzuwirken, daß alle ver¬ 
dächtigen Pille dieser Art dem Bade fern gehalten werden. Es ist eine bekannte 
Tatsache, daß besonders Kinder mit Keuchhusten, ja selbst solche, die noch an 
heftigen krampfhaften Hustenanfällen leiden, in die Seebäder geschickt werden, 
und ist auch an uns oft die Anfrage gerichtet, ob solche Kinder von uns auf- 
genommen würden. Im Interesse des öffentlichen Wohles, welches allen materiellen 
Vorteilen voranstehen soll, müssen wir derartige Kranke ganz entschieden zurück¬ 
weisen. Unser Bad ist vorzugsweise ein Familienbad, das von vielen Kindern be¬ 
sucht wird. Deshalb erlauben wir uns auch an die Herren Familienärzte die 
herzliche Bitte zu richten, uns in diesem Bestreben zu unterstützen und Erholungs¬ 
bedürftige nach ansteckenden Krankheiten nicht eher in das Bad reisen zu lassen, 
bevor die Ansteckungsgefahr vorüber ist, namentlich auch Keuchhustenkranken 
von dem Besuche des Badeortes abzuraten. 

„Denn durch die Ausbreitung von Keuchhustenepidemien in Kurorten ist 
nach Naegeli-Aokerblom oft großes Unheil angerichtet 1 ). Auoh tadeln manche 
andere hervorragende Ärzte die planlose Überweisung keuchhustenkranker Kinder 
in die Kurorte. 80 bezeichnet Vo g e 1 *) die „Luftveränderung“ als Gewissenlosig¬ 
keit, wenn nicht die Kinder an einsame Orte gebracht werden können. Und ähn¬ 
lich spricht sich auch Ganghofner') aus: „Mit Büoksicht darauf, daß in irgend 
eine Sommerfrische oder einen sonst geeigneten Ort übergeführte keuchhusten¬ 
kranke Kinder die Krankheit in bisher seuchenfreie Gegenden verschleppen 
können, ist eine Transferierung nur dann statthaft, wenn man die Patienten ge¬ 
nügend isoliert unterbringen kann: in einsam gelegenen Häusern, in einer Försterei, 
auf Landgütern usw.“ Siebelt 4 ) berichtet über eine sohwere Keuchhusten¬ 
epidemie, die nachgewiesenermaßen von Kurgästen eingeschleppt war und viele 
Opfer forderte. Er zeigt, wie selbst Ärzte nachlässig und gedankenlos bezüglich 
ihrer kleinen Patienten handeln, indem sie diese in die besuchtesten Badeorte 
schicken, und bittet die praktischen Ärzte, „mit den Badeärzten Hand in Hand 
zu gehen in der Aufklärung der großen Öffentlichkeit über die Unvernunft und 
Selbstsucht, welche in der jetzt vielfach beobachteten Art und Weise enthalten ist“. 


*) Naegeli-Ackerblom, Über die Gefahren der Verschickung keuchhusten- 
kranker Kinder auf das Land. Therapeut. Monatshefte, Sept. 1907. 

*) Vogel, Lehrbuch der Kinderkrankheiten 1890, 8.282. 

*) Pentzold und Stinzing, Handbuch der Therapie innerer Krankheiten 
1902, Bd.I, 8. 327. 

*) Siebelt, Zum Kapitel Keuchhusten und Kurorte. Medizin. Klinik Nr. 51, 
1907,8.1573. 


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Mitwirkung des Badearztes bei der Bekämpfung ansteckender Krankheiten usw. 639 

„Neuerdings wird überhaupt der Wert der Freiluftbehandlung gegen Keuch¬ 
husten bestritten und dagegen von einigen Autoren, wie Boltmann *) und Lin- 
hart*), die Behandlung daheim im warmen, gut gelüfteten Zimmer empfohlen. 
Jedenfalls ist Aufenthalt in windgeschützten, bewaldeten Tälern dem Aufenthalt 
auf freien, windbeherrschten Nordseeinseln vorzuziehen. Es ist ein Irrtum, an¬ 
zunehmen, daß der Nordseeluft eine spezifische Heilkraft gegen Keuchhusten inne¬ 
wohne, im Gegenteil kann sich das Leiden bei anhaltendem rauhen Wetter ver¬ 
schlimmern. 

„Sind einmal irrtümlich Kurgäste mit keuchhustenkranken Kindern in unseren 
Badeort gelangt, so hat zwar die Badeverwaltung nicht die Macht, solche Kranken 
auszuweisen. Aber solche Gäste müssen nicht glauben, daß sie hier freundlich 
aufgenommen werden. Sobald die Krankheit bei ihnen festgestellt ist, werden sie 
aus der betreffenden Wohnung von den ängstlichen mitwohnenden Kurgästen und 
Hausbesitzern vertrieben. Vergeblich irren sie dann im Dorfe umher, um ander¬ 
weitig Unterkunft zu finden, bis sie schließlich im Isolierhause für ansteckende 
Krankheiten aufgenommen werden, wenn sie es nicht vorziehen, unverrichteter 
Sache wieder abzureisen. Wir raten deshalb Keuchhustenkranken dringend, unseren 
Badeort zu vermeiden.“ 

Leider ist aber die Unwissenheit, Gleichgültigkeit und Rücksichtslosig¬ 
keit, um nicht zu sagen Gewissenlosigkeit, des Publikums bei Infektions¬ 
krankheiten oft erstaunlich. So kamen zu mir einmal in der Sprechstunde 
Badegäste mit Kindern, die an Keuchhusten litten, mit krampfhaften Husten¬ 
anfällen, so daß sie die wahre Natur des Leidens nicht verheimlichen konnten 
und mit Sicherheit die Diagnose stellen ließen. Als ich diesen Leuten Vor¬ 
stellungen machte, daß sie mit ausgesprochenem Keuchhusten in ein von 
vielen Kindern besuchtes Bad kämen und ihnen unter Hinweisung auf die 
Ansteckungsgefahr empfahl, entweder in unser Isolierhaus für Infektions¬ 
krankheiten zu ziehen oder wieder abzureisen, fand mein gutgemeinter Rat 
keine Billigung, sondern sie äußerten unwirsch ihre Meinung dahin: es wäre 
ihr gutes Recht, sich hier zur Kur aufzuhalten; die Kurorte seien als offene 
Heilanstalten dazu da, um Kranke aufzunehmen und wieder gesund zu 
machen; der Badearzt sollte sich überhaupt freuen und dankbar sein, wenn 
Kranke zu ihm kämen. — Bei solcher Gesinnung ist es kein Wunder, wenn 
ansteckende Krankheiten in die Kurorte eingeschleppt werden. 

Die Hauptaufgabe des Badearztes muß also darin bestehen, darauf 
hinzuwirken, daß einzeln auftretende Fälle von Infektionskrankheiten ver¬ 
einzelt bleiben und nicht weiter um sich greifen. Und zwar sind es, ab¬ 
gesehen von Masern und Keuchhusten, hauptsächlich Diphtheritis, Scharlach 
und Typhus, die er zu bekämpfen hat. 

Zunächst besteht beim Ausbruch von Infektionskrankheiten die Melde¬ 
pflicht. Das heutige Meldewesen ist aber in mancher Hinsicht zu umständ¬ 
lich und führt nicht immer zum Ziel. Bricht in einem Hause eine melde¬ 
pflichtige Infektionskrankheit aus, so hat der behandelnde Arzt diesen Fall 
zunächst der Ortspolizeibehörde (Landrat, Bürgermeister) zu melden. Diese 
schickt die Meldekarte dem Kreisärzte, welcher die im gesundheitlichen 
Interesse erforderlichen Maßregeln zu bestimmen hat. Darüber kann aber 
längere Zeit vergehen, während die Krankheit sich weiter ausbreitet. Mir 
erzählte einst ein Kreisarzt, daß in seiner Bezirksstadt die Meldekarten 


') Deutsche med. Wochenschrift Nr. 17 u. 18, 1908. 
*) Deutsche Medizinal-Zeitung Nr. 51, 1907. 


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640 


Dr. med. Enno Arends, 


zuvor bei allen Mitgliedern des Magistratskollegiums zirkulieren müßten, bis 
die Karten schließlich unter Umständen nach einer Verzögerung von 8 bis 
14 Tagen in seinen Besitz gelangten. Das gilt namentlich auch für ent¬ 
legene Badeorte, z. B. für Badeorte auf einigen Nordseeinseln mit primitiven 
Verkehrseinrichtungen, wo es unter Umständen zwei Tage lang dauern kann, 
bis die Meldung erst auf dem Landratsamte eintrifft. 

Für den Badearzt ist es deshalb von größter Wichtigkeit, daß er sich, 
ebenso wie der Kreisarzt, mit den gesetzlichen Bestimmungen über die an¬ 
steckenden Krankheiten, namentlich mit dem Reichsgesetz, betreffend die 
Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, vom 30. Juni 1900 ] ), dem 
preußischen Gesetz, betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, 
vom 28. August 1905 2 ), mit den Ausführungsanweisungen zu diesem „Land¬ 
seuchengesetz“ vom 7. Oktober 1905 und mit den Einzelanweisungen für 
die Bekämpfung von Scharlach, Diphtherie, Typhus u. a. vom 10. August 
1906 bekannt zu machen 3 ). 

Nach den Anweisungen zum Landesseuchengesetz vom 28. August 1905 
hat der praktische Arzt bei der Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten 
größere Pflichten und Rechte zu übernehmen, sofern zur Ermittelung und 
Feststellung der ersten Fälle von Scharlach, Diphtherie u. a. der nächst 
erreichbare Arzt gewählt werden kann, während diese Aufgabe früher aus¬ 
schließlich Sache des beamteten Arztes war. 

Die baldigste Ermittelung und Feststellung des ersten Falles einer an¬ 
steckenden Krankheit ist aber ganz besonders für Badeorte von allergrößter 
Bedeutung. Hier fällt dem Badearzte eine schwierige, verantwortungsvolle 
Aufgabe zu. Wie soll er sich in solcher Lage verhalten? 

Gesetzt den Fall, es tritt Diphtheritis auf, so hat sich nach § 6 der be¬ 
treffenden Anweisung „die Ermittelung auf die Art, den Stand und die Ur¬ 
sache der Krankheit zu erstrecken; auch ist womöglich eine bakteriologische 
Untersuchung des Rachenbelages des Erkrankten zu veranlassen. Der Arzt 
hat genau zu ermitteln, wie lange die verdächtigen Krankheitserscheinungen 
schon bestanden haben, sowie wo und wie sich der Kranke vermutlich an¬ 
gesteckt hat. Insbesondere ist nachzuforschen, wo der Kranke sich in den 
letzten acht Tagen vor Beginn der Erkrankung aufgehalten hat, mit welchen 
Personen er in Berührung gekommen ist, ob in seiner Umgebung, auf seiner 
Arbeitsstätte oder in seiner Herberge, bei Kindern, welche die Schule be¬ 
suchen, in der betreffenden Schulklasse, verdächtige Erkrankungen vor¬ 
gekommen sind, ob er von auswärts Besuch oder Zuzug von Dienstboten, 
Lehrlingen und dergl. erhalten hat und woher, ob der Kranke oder An¬ 
gehörige von ihm in den letzten acht Tagen in anderen Ortschaften gewesen 
sind und in welchen“. 

In Badeorten kommt naturgemäß besonders die Frage in Betracht, ob 
die Krankheit eingeschleppt ist, woher die Badegäste zugezogen sind, ob sie 
aus verseuchten Gegenden gekommen sind usw. 

l ) Reichs-Gesetzblatt 1900, 8. 306 u. f. 

*) Gesetz-Sammlung 1905, 8. 373 u. f. 

8 ) Solbrig, Die Anweisungen für die Bekämpfung der Diphtherie, des Schar¬ 
lachs und der Körn erkrank heit zur Ausführung de9 Gesetzes vom 28. August 1905. 
Deutsche Medizinal-Zeitung Nr. 84, 1906. 


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M it Wirkung des Badearztes bei der Bekämpfung ansteckender Krankheiten usw. 641 


„Auf Grund seiner Ermittelungen hat der Arzt der Polizeibehörde eine 
Erklärung darüber abzugeben, ob der Ausbruch der Krankheit festgestellt 
ist, und ihr sonst die erforderlichen Mitteilungen zu machen.“ 

Was hat der Badearzt weiter zu tun? Er hat zwar, sofern er nicht 
zugleich beamteter Arzt ist, nicht das Recht, in dringenden Fällen An¬ 
ordnungen aus eigener Initiative zu treffen, wohl aber das Recht, der Polizei¬ 
behörde Maßregeln vorzuschlagen, „welche nach Lage des Falles ausreichend 
erscheinen, um eine Weiterverbreitung der Krankheit zu verhüten“. Bei der 
Auswahl dieser Maßregeln ist nach § 10 „nichts zu unterlassen, was zur 
Verhütung der Ausbreitung der Krankheit notwendig ist, andererseits aber 
dafür Sorge zu tragen, daß nicht durch Anwendung einer nach Lsge des 
Falles zu weitgehenden Maßregel unnötig in die persönlichen und wirt¬ 
schaftlichen Verhältnisse der Bevölkerung eingegriffen wird, oder vermeidbare 
Kosten entstehen“. 

Fürwahr, eine heikle, verantwortungsvolle Aufgabe für den Arzt, die 
ihn in einen Konflikt von Pflichten und Rücksichten bringt — hier Skylla, 
dort Charybdis! Bricht in einem Badeorte eine Infektionskrankheit aus, 
dann entsteht gewöhnlich eine große Panik; die ängstlichen Badegäste ver¬ 
lassen nicht nur die verseuchte Wohnung, sondern fliehen womöglich aus 
dem Badeorte und reißen viele andere mit sich fort, so daß dadurch nicht 
nur dem betreffenden Logierhausbesitzer, sondern mehr oder weniger der 
ganzen Bevölkerung großer wirtschaftlicher Schaden erwächst. Was Wunder, 
wenn die Hauswirte die Offenbarwerdung fürchten und den Arzt bitten, die 
Sache zu verheimlichen! Da tritt die Versuchung heran, den ersten Fall zu 
vertuschen, oder die Anmeldung zu verzögern, in der Hoffnung, die Krank¬ 
heit werde vereinzelt bleiben. Aber davor muß dringend gewarnt werden! 
Wehe, wenn die Krankheit um sich greift und Opfer fordert! Dann trifft 
den Arzt, ganz abgesehen von der gerichtlichen Bestrafung, die moralische 
Verantwortung für alles Unheil, welches danach entsteht. Auch ist der 
Schaden für den Badeort dann noch viel größer. Und dann sind diejenigen, 
denen zu Liebe der Arzt ein Auge zugedrückt hat, die ersten, die einen Stein 
auf ihn werfen. Deshalb soll er ohne Menschenfurcht nach bestem Wissen 
und Gewissen bandeln und nach Feststellung der Krankheit ohne Zögern 
die pflichtmäßige Anzeige erstatten. 

Inzwischen darf aber der Arzt die Hände nicht in den Schoß legen, 
sondern muß, im Einvernehmen mit der Ortsbebörde und der Gesundheits¬ 
kommission, das Erforderliche veranlassen, aufklären und belehren und mit 
Rat und Tat zur Seite stehen, namentlich auch darauf Bedacht nehmen, daß 
der Kranke abgesondert wird. Nach § 12 der Anweisung ist 
„die Absonderung womöglich in der Behausung des Kranken durchzuführen, in 
Fällen aber, wo dies nach den Verhältnissen nicht möglich, ist duroh entsprechende 
Vorstellung nach Möglichkeit dafür zu sorgen, daß der Kranke sich freiwillig in 
ein geeignetes Krankenhaus überführen läßt. Dies gilt namentlich von solchen 
Kranken, welche sich in engen, dicht bevölkerten Wohnungen, in öffentlichen Ge¬ 
bäuden, Schulen, Kasernen, Gefängnissen usw. oder in Bäumen neben Milch- und 
Speisewirtschaften, Vorkostbandlungen, Eß- und Delikateßwarenhandlungen oder 
auf Gehöften, welche Milchlieferungen besorgen, befinden, sowie von Personen, 
welche kein besonderes Pflegepersonal zur Verfügung haben, sondern von ihren 
zugleich anderweitig in Anspruch genommenen Angehörigen verpflegt werden 
müssen, von Dienstboten, Zieh- und Haltekindern“. 

Viertel jabneohrift für Geeundheitapflege, 1908. 4 J 


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642 


Dr. med. Enno ArendB, 


Andererseits muß man sich vor übertriebener Vorsicht hüten und dafür 
Sorge tragen, 

„daß nicht durch Anwendung einer nach I.age des Falles zu weitgehenden Ma߬ 
regel unnötig in die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Bevölkerung 
eingegriffen wird oder vermeidbare Kosten entstehen“. 

Aus einer unrichtigen Diagnose können dem Arzte große Unannehmlich¬ 
keiten erwachsen. Bestätigt sich der ausgesprochene Krankheitsverdacht 
nicht, dann wird die gute Absicht verkannt; dann wird gescholten über un¬ 
nötige Beunruhigung des Publikums; der Arzt wird verlacht, verspottet und 
unter Umständen auch materiell geschädigt. Und doch ist bei der Bekämpfung 
der ansteckenden Krankheiten die Feststellung des „Krankheitsverdachtes“ 
von der größten Bedeutung. Sind erst alle ausgesprochenen Symptome der 
Krankheit vorhanden, die geradezu zur Feststellung der Diagnose zwingen, 
dann kann inzwischen schon die Seuche sich weiter verbreitet haben. 

Ich pflege in solcher kritischen Lage also zu handeln: Regt sich in mir 
ein nicht anmeldepflichtiger Verdacht einer Krankheit, so mache ich den be¬ 
treffenden Hauswirten und Badegästen vertrauliche Mitteilung und empfehle, 
die nach Lage des Falles nötig erscheinenden Vorsichtsmaßregeln zu beob¬ 
achten. Kommen schwierige, bakteriologische Untersuchungen von Rachen¬ 
belag, Stuhl, Harn, Blut, Wasser usw. in Frage, so werden zur Ermittelung 
Proben an die zuständige Untersuchungsanstalt geschickt. Inzwischen bitte 
ich, da ich alleiniger Arzt im Orte bin, einen der zur Kur hier anwesenden 
Ärzte, mit mir gemeinschaftlich den verdächtigen Fall zu untersuchen und 
die Diagnose festzustellen. Stets sind mir die Herren Kollegen in dieser 
für Badegäste und Badeort so ernsten Angelegenheit in der freundlichsten, 
uneigennützigsten Weise mit Rat und Tat behilflich gewesen. Und ich 
benutze deshalb gern die Gelegenheit, um ihnen dafür an dieser Stelle 
meinen herzlichen Dank auszusprechen. Handelt es sich auf Grund unserer 
Konsultation um einen Fall von Scharlach, Diphtheritis oder Typhus, so 
teilen wir dieses dem Ortsvorstande mit und veranlassen die baldigste Über¬ 
führung des Kranken in das Isolierhaus. 

Bei der Bekämpfung des Scharlachs ist in ähnlicher Weise zu verfahren. 
Auch hier ist die Ermittelung und Feststellung des ersten Falles sehr wichtig. 
In § 6 der betreffenden Anweisung wird zur sicheren Ermittelung eine 
bakteriologische Untersuchung des Rachenbelags empfohlen, um festzustellen, 
ob nicht etwa eine Erkrankung an Diphtherie vorliegt. Ferner muß man 
ermitteln, ob die Krankheit von außen eingeschleppt oder im Orte entstanden 
und wie und wo sie entstanden ist, ob in einem Privathause, in einem Gast¬ 
hause oder in einer Handlung mit Nahrungsmitteln. Dabei wird großes 
Gewicht auf die Kontrolle der Milchhandlungen gelegt. Die Ermittelung 
soll sich darauf erstrecken, ob der Kranke Milch aus einem Gehöft, einer 
Molkerei oder Milchwirtschaft bezogen hat, in denen in jüngster Zeit Schar¬ 
lacherkrankungen vorgekommen sind; ob Sendungen mit gebrauchten Klei¬ 
dungsstücken, Wäsche u. dergL in letzter Zeit eingetroffen sind und woher, 
ob der Kranke mit dem Auspacken oder Verarbeiten von Waren verdächtiger 
Herkunft (Lumpen) beschäftigt gewesen ist, und woher diese stammen. 

Sobald die Krankheit festgestellt ist, muß man für die Absonderung 
des Kranken sorgen, sei es in der Wohnung oder in einem Krankenhause. 


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Mitwirkung des Badearztes bei der Bekämpfung ansteckender Krankheiten usw. 043 

Von höchster Bedeutung sind die Ratschläge an Arzte f&r die Be¬ 
kämpfung-des Typhus 1 ), die wir uns fest einprägen müssen und darum im 
Auszug hier wiedergeben. 

Da heißt es in § 2, betreffend die Anmeldepflicht: 

„Es ist wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schädigungen, welche 
Typhusepidemien nach sich ziehen, dringend erforderlich, daß womöglich jede 
Erkrankung und jeder Todesfall an Typhus sowie jeder typhusverdächtige Er- 
krankungs- oder Todesfall rechtzeitig zur Kenntnis der Behörden gebracht wird. 
Hierbei mitzuwirken, ist eine dankenswerte Aufgabe der Arzte.“ 

Zur Feststellung der Krankheit wird in § 10 dringend geraten, „in jedem 
typhusverdächtigen Falle eine bakteriologische Untersuchung der Ausleerungen 
und des Urins, womöglich auch des Blutes des Kranken herbeizuführen. Es ist 
eine Probe davon an die Untersuchungsstelle unter Beifügung genauer Angaben 
über den Krankheitsverlauf einzusenden; in kürzester Frist wird von der Unter¬ 
suchungsstelle ein Bescheid über den Ausfall der Untersuchung erteilt.“ 

Um die Weiter Verbreitung der Krankheit zu verhüten, geben § 11 bis 
18 sorgfältige Vorschriften über die Absonderung des Kranken, sowie klare, 
ausführliche Verhaltungsmaßregeln für die Ärzte, für die Angehörigen des 
Kranken, für das Pflegepersonal und für die Desinfektoren. 

Da bekanntlich Typhusepidemien oft durch Wasser und Milch ver¬ 
ursacht werden, so sind in § 18 bis 21 zur Verhütung der Verbreitung der 
Krankheit durch Brunnen und Wasserleitungen, durch Molkereien und Milch¬ 
handlungen Maßregeln gegeben. 

In solchen Orten, wo die Abfuhr der Fäkalien aus Eimern oder Tonnen 
durch einen Abfuhrunternehmer bewerkstelligt wird, ist dieser von dem Vor¬ 
handensein von Typhus und anderen Krankheiten, die durch menschliche 
Dejektionen gefährlich werden können, baldigst in Kenntnis zu setzen. Der 
Abfuhrunternehmer ist besonders darüber zu belehren, daß durch die Fä¬ 
kalien eine Verseuchung des Bodens und somit auch des Wassers herbei¬ 
geführt werden kann, daß deshalb die größte Sorgfalt auf die Beseitigung 
der Fäkalien gelegt werden muß und namentlich auch das Reinigen der 
Aborttonnen nicht in der Nähe von Brunnen und Wasserleitungen erfolgen 
darf. Die Fäkalienbehälter müssen nach Anweisung desinfiziert werden. 

Aus allen Anweisungen zur Bekämpfung der Infektionskrankheiten 
leuchtet vor allem die Notwendigkeit der Absonderung der Kranken hervor. 

In Badeorten ist nun während der Hochsaison ein Absondern in der 
Behausung der Kranken selten möglich; die Gastwirte und die Vermieter 
von Logierhäusem sind so beschäftigt, daß sie keine Zeit zur Pflege von 
kranken Dienstboten und Badegästen haben; auch steht schwerlich ein ge¬ 
eignetes Isolierzimmer in den meist vollbesetzten Häusern zur Verfügung. 
Aber wenn dieses auch der Fall wäre, so würden doch die ängstlichen 
Badegäste ausziehen aus einem Hause, in welchem eine ansteckende Krank¬ 
heit ausgebrochen ist. Die Überführung in ein Krankenhaus wird also in 
den meisten Fällen notwendig und nur dann zu umgehen sein, wenn das 
ganze verseuchte Haus ausschließlich von dem Kranken und seinen An- 

*) Anweisung des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal¬ 
angelegenheiten zur Ausführung des Gesetzes betreffend die Bekämpfung übertrag¬ 
barer Krankheiten, vom 28. August 1905 (G. 8., 8. 373), Heft 7: Typhus, amt¬ 
liche Ausgabe, Berlin 1906. 

41* 


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044 


Dr. med. Enno Arends, 


gehörigen bewohnt ist, vorausgesetzt jedoch, daß diese Leute keinen Handel 
mit Nahrungsmitteln, namentlich keinen Handel mit Milch betreiben. Als¬ 
dann müßte entweder der Kranke aus der Wohnung entfernt oder der Handel 
mit Milch und anderen Nahrungsmitteln, durch welche die Übertragung der 
Krankheit möglich ist, für die Dauer der Ansteckungsgefahr verboten werden. 

Da nun aber nicht jeder kleine Ort sich ein vollständiges Krankenhaus 
leisten kann, so ist es von großem Segen, daß für die Kurorte durch den 
preußischen Ministerialerlaß vom 8. Oktober 1896, betreffend Gesundheits- 
Widrigkeiten in Bade- und Kurorten, die Einrichtung von Isolieranstalten 
für Infektionskrankheiten vorgeschrieben ist. 

Dadurch wird, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann, viel 
Unheil, Ärger und Verdruß verhütet. Früher hatten wir in unserem kleinen 
Inselbadeorte kein Isolierhaus. Brach während der Badesaison eine Infektions¬ 
krankheit aus, so mußte der Kranke an Ort und Stelle bleiben; von einem 
Transport in ein Krankenhaus konnte nicht die Rede sein, da das nächst- 
liegende Krankenhaus eine Tagereise weit entfernt und die Reise dahin zu 
Wasser und zu Lande sehr schwierig und umständlich war. Unter den 
Badegästen entstand Unruhe und Verwirrung, und viele reisten ab, zumal 
wenn die Krankheit sich ausbreitete. So erinnere ich mich mit Grauen eines 
eingeschleppten Typhusfalles, der mir viele Sorgen und Unannehmlichkeiten 
bereitet und dem Badeorte sehr geschadet hat. Vergeblich hatte ich im 
Gemeindeausschuß wiederholt die Einrichtung eines Isolierhauses beantragt, 
es blieb alleB beim Alten. Bis mir schließlich der oben gedachte Ministerial¬ 
erlaß zu Hilfe kam und die Gemeinde zwang, eine Isolieranstalt zu bauen. 

Wie soll nun eine solche Isolieranstalt beschaffen sein? 

Am meisten gebräuchlich in Kurorten sind wohl die beweglichen 
Docker sehen Baracken. Diese haben ohne Frage viele Vorzüge: sie sind 
infolge ihrer eigenartigen Konstruktion rasch, leicht und einfach in kurzer 
Zeit an jedem geeigneten Orte aufzubauen und dabei verhältnismäßig billig; 
obgleich aus Holz angefertigt, haben sie nicht die Nachteile der Holzbauten, 
sofern die in Betracht kommenden Holzteile durch das Docker sehe Be¬ 
kleidungsmaterial gegen Temperaturschwankungen und Witterungseinflüsse 
geschützt sind; sie entsprechen allen hygienischen Anforderungen hinsicht¬ 
lich der Isolierung, der Desinfektion und Ventilation. Besonders eignet sich 
die neuerdings eingeführte Baracke mit abnehmbaren Seiten- und Giebel¬ 
tafeln, von der Art, daß sie in kürzester Zeit in eine Halle verwandelt werden 
kann, die an einer oder mehreren Seiten oder ringsherum offen ist und so¬ 
mit zugleich als Baracke und als Liegehalle dient. 

Da aber das Publikum eine gewisse Scheu und Abneigung gegen solche 
Seuchenbaracken hat und oft schwer zu bewegen ist, in derartige Noth&user 
einzuziehen, so haben wir in unserem Badeorte zu diesem Zwecke ein 
massives Haus errichtet. 

Dasselbe besteht, wie aus den folgenden bildlichen Darstellungen (Fig. 1 
bis 3) ersichtlich ist, aus einem einstöckigen Gebäude, welches durch eine 
Brandmauer in zwei gleiche Teile getrennt ist. Jede Hälfte hat einen be¬ 
sonderen Eingang und einen Korridor für sich und enthält im Erdgeschoß 
2 Zimmer, 1 Küche, 1 Waschküche, 2 Aborte (einen für Gesunde, einen für 
Kranke), ferner im Dachgeschoß noch ein Wohnzimmer. Auf diese Weise 


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Mitwirkung des Badearztes bei der Bekämpfung ansteckender Krankheiten usw. 645 

kann das Isolierhaus erforderlichenfalls zu gleicher Zeit zwei gesonderten 
Familien, die an verschiedenen Infektionskrankheiten leiden, Unterkunft 
gewähren, da die Wohnungen, wie angegeben, völlig getrennt sind. 

Fig. 1. 


Vordere Ansicht (Südseite) des Isolierhauses. 
Fig. 2. 


Seitliche Ansicht (Westseite bzw. Ostseite) des Isolierhauses. 

Seinem Zweck entsprechend, hat das Absonderungshaus eine günstige 
Lage. Es befindet sich außerhalb des Verkehrs, in einem Dünentale, welches 
jedoch von einem öffentlichen Wege aus zu erreichen ist, in der nächsten 
Nähe des Dorfes, aber durch eine Dünenkette davon getrennt. Vom Dorfe 


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646 


Dr. med. Enno Arends, 


aus kann man also das Isolierhaus, welches von den nächstgelegenen Woh¬ 
nungen 100 bis 200 m entfernt ist, in kurzer Zeit erreichen. 

Das Haus ist den örtlichen Verhältnissen angepaßt. Es ist gebaut und 
eingerichtet wie ein einstöckiges Logierhaus und unterscheidet sich auch 
äußerlich nicht von einem solchen. Eine derartige Anstalt eignet sich für 
uns besser als ein Krankenhaus, in welchem in der Regel nur einzelne Kranke 
untergebracht und dort vom Anstaltspersonal verpflegt werden, während ein 
Zusammenleben mit den Familienangehörigen und eine Verpflegung durch 
dieselben ausgeschlossen ist. Diese Familienpflege wollen wir aber gerade 
mit unserem Isolierhause ermöglichen. .Unser Bad ist ein sogenanntes 
Familienbad, in welchem Eltern gemeinschaftlich mit ihren Kindern sich zur 
Kur aufzuhalten pflegen. Die Infektionskrankheiten kommen aber meist bei 
Kindern vor. Nun ist es aber für die Eltern sehr hart, wenn sie in einem 



fremden Orte, weit von der Heimat entfernt, von einem kranken Kinde sich 
trennen und unbekannten Leuten zur Pflege überlassen sollen. Dagegen 
sind sie lieber bereit, mit dem Kranken und den übrigen Familienmitgliedern 
in das Isolierhaus zu ziehen, da ja hiermit gewissermaßen nur ein Umzug 
von einem Logierhaus in ein anderes stattfindet. Andererseits kann aber 
auch nur in dieser Weise eine wirksame Isolierung bewirkt werden, sofern 
infolge eines Ausbruchs von ansteckenden Krankheiten, wie Scharlach und 
Diphtheritis, in der betreffenden Familie nicht nur das erkrankte Mitglied 
in Frage kommt, sondern auch die übrigen Angehörigen mehr oder weniger 
als ansteckungsverdächtig zu betrachten sind. Daß in der Familie Über¬ 
tragungen von Krankheitserregern häufig Vorkommen, zeigen Beobachtungen 
über Diphtherie in Bremen *)• Danach wurden von den Geschwistern lOProz., 

*) T.jaden: Die Diphtherie als Volksseuche und ihre Bekämpfung. Archiv 
für klin. Medizin, Bd. 89, Ref. Deutsche Medizinal-Ztg. Nr. 20, 1908. 


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Mitwirkung des Badearztes bei der Bekämpfung ansteckender Krankheiten usw. 647 

von den Müttern 14,5 Proz., den Vätern 7,7 Proz. und sonstigen Haus¬ 
genossen 2,8 Proz. mit austeckungsverdächtigen Diphtheriebazillen behaftet 
gefunden. Bleiben diese Familienangehörigen und Hausgenossen an dem 
ursprünglichen Krankheitsherde, so ist, zumal wenn es sich dabei um ein voll¬ 
besetztes Logierhaus handelt, die Gefahr der Weiterbreitung in hohem Grade 
gegeben. Auch ist alsdann eine zuverlässige Desinfektion der Räume, in welchen 
der Kranke mit seinen Angehörigen gewohnt hat, schwerlich durchführbar. 

Unter den obwaltenden Umständen wird es gegebenenfalls nicht schwer, 
die ganze Familie zu bewegen, in das Isolierhaus überzusiedeln, wenn wir 
mit freundlichem Zuspruch darauf hinweisen, daß es sich doch eigentlich nur 
um einen Umzug in ein in einem hübschen Dünentale gelegenes, behagliches 
Familienhaus handelt, andererseits aber auch mit Ernst den Eltern oder 
deren Stellvertretern die große Verantwortung zeigen, die sie im Weigerungs¬ 
fälle treffen kann, indem sie nicht nur die bei ihnen ausgebrochene Krankheit 
auf andere Gäste und Mitbewohner übertragen, sondern auch dadurch ihren 
Hauswirten und weiterhin dem ganzen Badeorte großen Schaden zufügen. 

So hat sich unser Isolierhaus oft in nützlichster und segensreichster 
Weise bewährt. Trat früher in einem vollbesetzten großen Hotel oder 
Logierhause ein Fall von Scharlach, Diphtherie oder einer anderen gefähr¬ 
lichen Infektionskrankheit auf, dann verließen die meisten Gäste das ver¬ 
seuchte Haus und reisten ab, und viele ängstliche Familien aus anderen 
Häusern schlossen sich an. Bald verbreitete sich dann auch in aller Welt 
das Gerücht von dem Ausbruch der Seuche, wodurch viele Gäste von dem 
Besuche des Badeortes abgeschreckt wurden. Jetzt wird bei uns der Kranke 
mit seiner ganzen Familie im Isolierhause untergebracht. Darauf wird eine 
gründliche Desinfektion der von ihnen bewohnten Räume vorgenommen. So 
wird die Ansteckungsgefahr beseitigt. Die Gäste werden beruhigt und 
bleiben unbesorgt in ihrer Wohnung, wenn sie sehen, daß für ihre Sicherheit 
alles Menschenmögliche geschieht. 

Im Anbau des Isolierhauses ist eine Leichenhalle errichtet und damit 
Punkt 6 des vorgedachten Ministerialerlasses genügt. 

Unser Isolierhaus ist im Jahre 1901 erbaut worden. Die Kosten eines 
solchen massiven Gebäudes belaufen sich auf etwa 8000 Jt und können 
sich unter Umständen, wenn die Anstalt viel benutzt wird, rentieren, da ja 
die darin untergebrachten Gäste hier ebensogut Miete bezahlen, wie in einem 
anderen Logierhause. 

Im allgemeinen dürfte wohl für kleinere Ortschaften die Anzahl der 
bei uns vorhandenen Räume genügen, für große Städte und Kurorte könnte 
die Anstalt leicht durch Anbau oder Aufbau vergrößert werden. 

Das Isolierhaus hat sich für unsere Verhältnisse als recht praktisch und 
brauchbar erwiesen, wenn es auch noch in einigen Teilen verbessert werden kann. 

Vom hygienischen Standpunkte muß auf den Bau und die Einrichtung 
solcher Isolieranstalten naturgemäß große Sorgfalt verwendet werden. 

Was zunächst die Lage des Gebäudes anbelangt, so soll möglichst die 
Richtung des Gebäudes so gewählt werden, daß die Hauptfront nach Süden 
schaut. Seinem Zweck entsprechend muß das Isolierhaus nicht in einer 
verkehrsreichen Gegend, sondern in einem abgelegenen Teile des Badeortes 
angelegt werden. 


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648 


Dr. med. Enno Arends, 


Sodann muß man für einen reinen, gesunden Bauplatz sorgen. Als Bau¬ 
grund darf kein Boden genommen werden, der mit Fäkalien, Dünger, Kehricht 
und anderen Abfallstoffen, in welchen sich Krankbeitsstoffe entwickeln können, 
durchsetzt ist. Ferner muß der Baugrund trocken und so beschaffen sein, 
daß er gegen das Eindringen von Regen- und Wirtschaftswasser geschützt 
ist und außerhalb des Bereiches von Grundwasser sich befindet. Das Grund¬ 
stück soll deshalb keinesfalls tiefer liegen als das umgebende Gelände, 
sondern Bich womöglich über dasselbe erheben. Der Abstand der Sohle des 
Kellers muß mindestens 0,5 m vom höchsten Grundwasserstande entfernt 
sein. Als Baugrund eignet sich am meisten der Sandboden. Dagegen sind 
schwere, kleiige, undurchlässige Bodenarten möglichst zu vermeiden, weil bei 
feuchtem Untergründe das Mauerwerk Wasser kapillar ansaugt. Will man 
nun solchen Boden benutzen, so muß man die obere Schicht ausschachten 
und mit Sand ausfüllen oder durch Drainage trocken legen. 

Bei der Ausführung des Baues muß man von vornherein sorgfältig 
darauf bedacht sein, sowohl den Untergrund als das ganze Gebäude trocken 
und rein zu erhalten; man muß zum Bau nur einwandfreies Baumaterial ver¬ 
wenden und für eine tadellose Anlage für die Beseitigung der Fäkalien und 
Schmutzwässer sorgen. Wo Kanalisation und Wasserleitung nicht vorhanden 
sind, ist ein durch ortspolizeiliche Bestimmungen geregeltes Tonnensystem 
oder Grubensystem einzuführen. In jedem Isolierhause müssen außer der 
erforderlichen Anzahl von Zimmern an geeigneten Stellen Küche und Wasch¬ 
küche und zwei Aborte, einer für die Kranken und einer für die Gesunden, 
angebracht werden. Auch empfiehlt es sich, ein besonderes Badezimmer 
anzulegen. Zum Schutze gegen Regen und sonstige atmosphärische Nieder¬ 
schläge ist das Gebäude mit starken, wetterbeständigen, trockenen Isolier¬ 
mauern und mit einem wasserdichten, über das Mauerwerk vorspringenden 
Dache zu versehen. Zur Ableitung des Traufwassers und des an den Außen¬ 
wänden niederrieselnden Wassers sind Dachrinnen mit Ablaufröhren und 
am Fuße der Mauern gepflasterte, nach außen abgeschrägte TraufBtreifen 
anzubringen. Um das Eindringen der Bodenfeuchtigkeit zu verhindern, 
empfiehlt es sich, den Fußboden des Gebäudes wasserdicht herzustellen und 
die Mauern durch eine Isolierschicht, durch Einfügen von Teer- oder Asphalt¬ 
pappe in den Steinlagen, etwa 50cm über dem Fußboden, gegen Nässe zu 
schützen, In Ermangelung einer guten Wasserleitung muß bei dem Isolier¬ 
hause ein tadelloser Brunnen nach allen Regeln der Hygiene angelegt werden. 

Dem Zwecke der Anstalt entsprechend ist die größte Sorgfalt auf die 
Vorrichtungen für Belichtung, Heizung, Ventilation und Desinfektion zu ver¬ 
wenden. Das gilt besondeis für die Zimmer, die zur Aufnahme der Kranken 
bestimmt sind. Hier sollte der Fußboden durch eine mit Zementverputz 
versehene Steinpflasterung, durch einen Estrich mit Zementbeton, Terrazzo 
oder dgl. wasserdicht hergestellt werden, einerseits zum Schutze gegen die 
Bodenfeuchtigkeit, andererseits um zu verhindern, daß das zum Reinigen 
des Zimmers gebrauchte Wasser in den Boden eindringt. Die Wände und 
Decken sind mit einem reinen Kalkanstrich oder mit abwaschbarer Emaille¬ 
farbe zu versehen, die Ecken abzurunden, damit das Zimmer gut desinfiziert 
werden kann. Keinesfalls dürfen die Wände tapeziert werden. Zum Zwecke 
einer sicheren Desinfektion muß die Ausstattung des Zimmers möglichst 


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Mitwirkung des Badearztes bei der Bekämpfung ansteckender Krankheiten usw. 649 

einfach sein; gepolsterte Stühle, Sophas, Plüschdecken und andere Staub¬ 
fänger sind zu vermeiden. Aus diesem Grunde dürfen die Zimmer auch 
nicht miteinander durch Türen verbunden, sondern müssen einzeln angelegt 
werden; es müssen wirkliche Isolierzimmer sein, um in der Anstalt die kranken 
von den gesunden Familienmitgliedern absondern zu können. 

Enthält die Anstalt kein besonderes Badezimmer, so sollte wenigstens 
eine Badewanne für die Kranken vorhanden sein. Ferner empfiehlt es sich, 
für das Isolierhaus einen Formalin-Desinfektionsapparat und eine Kranken¬ 
trage oder einen Krankenwagen anzuschaffen. 

Zur Einrichtung der Krankenzimmer gehören vor allem gute, bequeme 
Betten. Die Betten müssen im Interesse des Kranken, des behandelnden 
Arztes und der Pflegenden so aufgestellt werden, daß sie von allen Seiten 
zugänglich sind. In jedem Zimmer müssen Vorrichtungen zur Reinigung 
und Desinfektion der Hände: Seife, Nagelbürste, Handtücher, Alkohol, Sub¬ 
limat, Creolin oder ein anderes bewährtes Desinfektionsmittel vorhanden sein, 
ferner ein Gefäß mit Schmierseifenlösung für die eintägige Aufbewahrung 
von beschmutzter Leib- und Beltwäsche, Taschentücher usw. Speichel, Aus¬ 
würfe, Gurgelwasser sind wie die Fäkalien in besonderen Gefäßen zu sam¬ 
meln und darin in frisch bereiteter Kalkmilch mindestens eine Stunde lang 
zu desinfizieren, bevor sie in den Abort geschüttet werden. 

Es empfiehlt sich, gedruckte „Schutzmaßregeln“ 1 ), wie sie z. B. von 
dem Verein der Medizinalbeamten für den Regierungsbezirk Potsdam her¬ 
ausgegeben sind, in den Krankenzimmern und Wirtschaftsräumen des Isolier- 
hauses an geeigneten Stellen anzuheften oder auszuhängen, wodurch das 
Pflegepersonal, die Anstalts- oder Haushaltungsvorstände und die Familien¬ 
angehörigen belehrt werden, wie sie Bich zu verhalten haben, um einerseits 
selbst eine Ansteckung zu vermeiden, andererseits die Weiterverbreitung 
der Krankheit nach außen zu verhüten. In diesen „Schutzmaßregeln“ wird 
unter anderem dem Pflegepersonal die peinlichste Sauberkeit, Schutz des 
eigenen Körpers durch waschbare Überkleider, sorgfältige Desinfektion nach 
jeder Berührung der Kranken zur Pflicht gemacht, besonders auch das Ein¬ 
nehmen von Speisen und Getränken im Krankenzimmer, sowie die Auf¬ 
bewahrung von für Gesunde bestimmten Nahrungs- und Genußmitteln im 
Krankenzimmer verboten. Ferner ist darin dem Pflege-und Anstaltspersonal 
angeordnet: die Speisereste im Ofen zu verbrennen oder vor dem Weg- 
schütten in den Abort mit Kalkmilch zu behandeln; den Fußboden im 
Krankenzimmer täglich mit Schmierseifenlösung zu reinigen, nach vorheriger 
Desinfektion beschmutzter Stellen mit 3 proz. Karbol- und Lysollösung; die 
von dem Kranken benutzten Eß- und Trinkgeräte von denen anderer Leute 
streng abzusondern und nach dem Gebrauch mit 2 proz. heißer Sodalösung 
zu reinigen; die von dem Kranken zuletzt getragenen Kleidungsstücke in 
einem mit 3 proz. Karbollösung getränkten Leinensack zu verpacken usw. 

Ebenso ist es zweckmäßig und nützlich, gesondert für die einzelnen 
Infektionskrankheiten Auszüge aus den Einzelanweisungen vom 10. August 
1906 für die Bekämpfung von Diphtherie, Scharlach, Typhus usw. drucken 

*) Roth, Schutzmaßregeln bei ansteckenden Krankheiten. Berlin, Richard 
Schoetz, 1904. 


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650 Dr. med. Enno Arends, Bekämpfung unsteckender Krankheiten usw. 

zu laasen und diese gegebenenfalls zur Belehrung des Pflegepersonals im 
Krankenzimmer auszuhängen. 

Fassen wir zum Schluß unsere Beobachtungen und Erfahrungen über 
die Bekämpfung ansteckender Krankheiten in Kurorten kurz zusammen, so 
ergibt sich daraus folgende hygienische Lehre: 

1. Zur Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten in Kurorten ist die 
Mitwirkung des Badearztes von großer Bedeutung. 

Dieser muß sich deshalb mit den einschlägigen gesetzlichen Bestimmun¬ 
gen und allen anderen Angelegenheiten, die zur Bekämpfung der anstecken¬ 
den Krankheiten dienen, vertraut machen. 

2. Der Badearzt kann nicht verhindern, daß einzelne Fälle von In¬ 
fektionskrankheiten in den Badeorten eingeschleppt werden, höchstens kann 
er insofern prophylaktisch wirken, daß er in einem öffentlichen Apell dem 
Badepublikum und den Ärzten ans Herz legt, in der Auswahl der in die 
Kurorte zu sendenden Kranken vorsichtig zu sein, und alle irgendwie an¬ 
steckungsverdächtigen Personen vom Besuche des Bades abzuhalten. 

3. Es ist die vornehmste Aufgabe des Badearztes, baldigst den ersten Fall 
einer Infektionskrankheit im Kurorte zu ermitteln und festzustellen, dann 
aber im Einvernehmen mit dem Kreisarzt und der Ortspolizeibehörde un¬ 
verzüglich zu handeln und nach Kräften alles zu tun, um die Weiterver¬ 
breitung der Krankheit zu verhüten. 

4. Dazu dient vor allem das Isolierhaus für Infektionskrankheiten. 

5. Zur Durchführung einer wirksamen Isolierung müssen gegebenen¬ 
falls nicht nur die betreffenden Kranken, sondern auch deren Familien¬ 
angehörigen, die alle mehr oder weniger als ansteckungsverdächtig zu be¬ 
trachten sind, im Isolierhause untergebracht werden. 

6. Um dieses zu ermöglichen und zu erleichtern, empfiehlt es sich, das 
Isoliergebäude massiv und geräumig zu errichten, im Stile eines Logier¬ 
hauses des betreffenden Badeortes, so daß die Anstalt einen freundlichen, 
einladenden, behaglichen Eindruck macht. 

7. Im übrigen muß das Isolierhaus seinem Zwecke entsprechend nach 
allen Regeln der Hygiene gebaut und eingerichtet werden. 


Gewiß sind solche hygienische Einrichtungen mit Eingriffen in die per¬ 
sönliche und wirtschaftliche Freiheit und mit Opfern sowohl für den ein¬ 
zelnen als auch für die Gemeinde verknüpft, die manchem anfangs hart und 
drückend erscheinen mögen. Wir müssen aber, ganz abgesehen von dem 
guten humanitären Zweck, dabei bedenken, daß solche Opfer dennoch für 
die Zukunft nutzbringend sind, wenn auch der Nutzen weniger ein direkter 
als ein indirekter ist. Denn fördern wir damit die Sicherheit und Zu¬ 
friedenheit unserer Kurgäste, so fördern wir den guten Ruf des Bades; wir 
erhöhen die Frequenz und damit auch unser Wohlergehen. Trefflich drückt 
von Petteukofer diesen Gedanken aus mit den Worten: „Die Gomeinde 
folgt nicht nur Humanitätsrücksichten, wenn sie zur Verbesserung der ge¬ 
sundheitlichen Verhältnisse Opfer bringt, sondern sie schafft dadurch zu¬ 
gleich und legt ein Kapital an, welches in Zukunft Zinsen bringt“. 


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Dr. med. W. Hanauer, Geschichte der Sterblichkeit usw. 


651 


Geschichte der Sterblichkeit und der öffentlichen 
Gesundheitspflege in Frankfurt a. M. 

Von Dr. med. W. Hanauer, praktischer Arzt in Frankfurt a. M. *). 


(Fortsetzung.) 

B. Die Neuzeit. 

I. Vom Ausgange des Mittelalters bis zur Einführung des 
Kirchenbuches. 

Während für das Mittelalter der Frankfurter Chronist sich darauf 
beschränken mußte, die Jahre zu verzeichnen, welche sich durch besonders 
hohe Sterblichkeit auszeichneten, tritt in der ersten Hälfte des 16. Jahr¬ 
hunderts die Frankfurter Medizinalstatistik insofern in ein neues Stadium, 
als mit Einführung der Kirchenbücher eine regelmäßige Aufzeichnung 
der Verstorbenen stattfand. Dies war im Jahre 1531 der Fall. Von diesem 
Zeiträume ab stehen wir auf sicherem statistischen Boden, und von da 
ab ist erst eine systematische und vergleichende Behandlung der Sterblichkeit 
in Frankfurt a. M. möglich. 

Wir hätten daher jetzt an dieser Stelle zunächst über das zu berichten, 
was uns von der Sterblichkeit in Frankfurt vom Ausgange deB Mittelalters 
bis zum Jahre 1531 überliefert worden ist. 

1496 ward das erste Auftreten der Syphilis in Frankfurt a. M. gemeldet. 
Irrtümlicherweise bezeichnet Lersner II dieselbe als Blattern, ein Irrtum, 
der auch von Kirchner und Stricker beibehalten wurde. Kriegk weist 
jedoch darauf hin s ), daß die Krankheit in Frankfurt unter drei Namen vor¬ 
kommt: Maselsucht, Blattern und Franzosenkrankheit. Daß die damaligen 
Blattern und die Franzosenkrankheit eins seien, gehe aus einer Stelle des 
Kirchenbuches um 1500 hervor, in welcher die Rede ist von „der Krankheit 
der bösen Blattern, genannt Mall franczoß“. Wie 1496, so regierte 
auch 1497 und 1498 die Syphilis stark. Daß die allgemeine Sterblichkeit 
durch das Auftreten der Syphilis gesteigert wurde, ist zwar nicht aus¬ 
drücklich angegeben, läßt sich aber vermuten. Denn einmal war überhaupt 
der Charakter der Seuche bei ihrem ersten epidemischen Auftreten ein 
bösartiger. Die Krankheit trat auch in Frankfurt sogleich mit großer 
Vehemenz auf, wie aus dem Tagebuch Joh. Rohrbachs hervorgeht 8 ): 
Anno 1496 ist ein ongehort grußlich und erschrockenlich Krankheyt unter 
die theutschen von den walen komen, — die krankheit macht den menschen 
onseglich ongeschaSen; welcher sie batt, ist über ganz syn lipp foll schwarz 
rotter blättern; wert eyn teyllen eyn halb iar, den anderen dry firteill, 


*) Siehe diese Zeitschrift, Bd. XXXIX, 4. Heft, 8. 498. 

' *) Bürgertum I, 8. 80. 

*) Grotefend, Quellen zur Frankfurter Geschichte. 1. Bd. Chroniken des 
Mittelalters. Frankfurt a. M. 1885, 8. 207. 


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652 


Dr. med. W. Hanauer, 


den anderen eyn gantz iar, und noch dem belibent die flecken an eyn 
en etwen lang. Ongestallter ding hat keyn mensch hie gesehen von 
solicher oder dergleichen krankbeyt.“ Über die sittlichen Zustände des 
damaligen Frankfurt und wie sie der Ausbreitung der Krankheit Vorschub 
leisteten, vgl. des Verfassers Schrift: Geschichte der Prostitution in Frank¬ 
furt a. M. >)• 

Was die Sterblichkeit an Lues bei ihrem ersten Auftreten überhaupt 
anlangt, so hatte dieselbe sehr häufig den Tod der Befallenen zur Folge 2 ). 
Viele aus der ärmsten Klasse der Bevölkerung, welche bei weitem am stärk¬ 
sten befallen war (daher der Frankfurter Chronist bemerkt, daß 1497 und 
1498 auch vornehme Personen damit infiziert gewesen) starben, verstoßen und 
gemieden von ihren Mitmenschen, selbst von den Aussätzigen, hilflos auf 
offener Straße und im freien Felde. Später erlagen die Befallenen mehr 
den Folgen der Krankheit, im tertiären Stadium der Lues, oder sie starben 
an Erschöpfung, Wassersucht und hektischen Fiebern. Natürlich vermehrte 
die Seuche die Sterblichkeit im allgemeinen durch Schwächung der KonBti- 
tutio. Direkte Todesfälle werden in Frankfurt a. M. nur in spärlicher Anzahl 
berichtet. 1497 war eine der Dirnen im Hauptbordell der Stadt an ihr 
gestorben. Arnold von Schwarzenberg, welcher 1497 von ihr angesteckt 
worden war, blieb mehr als drei Jahre krank und erlag seinem Übel. 

Al8 Jahre abnormer Sterblichkeit findet sich dann bei den beiden Lersner 
angeführt s ): 1502, 1507, 1517, 1519, 1527, 1529, 1530. 

1529 grassierte der englische Schweiß. Von 1502 ist nicht näher an¬ 
gegeben, wodurch die erhöhte Sterblichkeit hervorgerufen wurde. Die übrigen 
Jahre sind ausdrücklich als Pestjahre bezeichnet. 

Was die erhöhte Sterblichkeit im Jahre 1502 anlangt, so dauerte sie 
bis zum 9. Februar 1503; um das Sterben zu bannen, wurde wieder einmal 
eine Prozession abgehalten. Die Natur dieser Seuche ist schwer festzustellen, 
da Deutschland in dieser Zeit von Drüsenpest, von Typhus und Bluthusten 
heimgesucht wurde. Jedenfalls herrschte 1502 in Köln eine echte Bubonen¬ 
pest, und für die Entstehung einer Seuche war der Boden in Frankfurt inso¬ 
fern gut vorbereitet, als 1501 Teuerung war, so daß man kein Korn aus 
der Stadt ließ. Vom Beginne des 16. Jahrhunderts bis zum Jahre 1509, 
dann von 1514 bis 1520, während viele Gegenden an Hungersnot litten, 
war die Pest in Deutschland allgemein verbreitet. So waren auch die 
Epidemien in Frankfurt vom Jahre 1507, 1517 und 1519 keine isolierten. 
1507 war die Sterblichkeit so groß, daß das Pestilenzhaus eröffnet werden 
mußte, die Kirchhöfe nicht ausreichten, um alle Leichen zu begraben, daß 
man sie daher erweitern mußte. Im Jahre 1517 begann die Pest am 29. Sep¬ 
tember und es starben an ihr 918 Personen. Während dann die Pest des 
Jahres 1519 nicht näher charakterisiert ist, heißt es von den Jahren 1527 
und 1530, daß es „stark“ an der Pest gestorben habe. 

*) Festschrift «ies ersten Kongresses zur Bekämpfung der Geschlechtskrank¬ 
heiten in Frankfurt a. M. 

*) Häser, Geschichte der Medizin. Bd. 3. S. 270. 

*) Achilles August von Lersner, Der weitberühmten freyen Reichs-, 
Wahl- und Handelsstadt Chronika. Frankfurt a. M. 1706; Georg August von 
Lersner, Dieselbe Chronik. II. Teil. 1734. 


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Geschichte der Sterblichkeit und der öffentl. Gesundheitspfl. in Frankfurt a.M. 653 

Im Jahre 1517 war zum ersten Male das Auftreten zweier mörderischer 
Seuchen zu beobachten, won welchen die erstere von da ab Deutschland oft 
heimsuchte und sich meistens als Lagerkrankheit der Armeen zeigte, die 
sogenannte Hauptseuche, ein hirnentzündliches, typhöses Fieber, das gerade 
aber jene heimtückische Krankheit ist, welche jetzt noch alljährlich ihre 
Opfer in der Kinderwelt fordert, die Diphtherie 1 ). 

Der englische Schweiß, der im Jahre 1529 grassierte, begann am 
11. September und währte bis 11. Oktober. Diese Epidemie war außer in 
England über einen großen Teil von Europa verbreitet. Anfangs September 
wurden die Rheingegenden, Bayern und Österreich heimgesucht. „Die Leute 
schwitzten 24 Stund, darauf waren sie entweder tot oder wurden wieder 
gesund.“ Der englische Schweiß war eine wohl charakterisierte Infektions¬ 
krankheit, welcher in seinen Erscheinungen einige Ähnlichkeit mit der Influenza 
hatte. Er begann mit Schüttelfrost, Kopfschmerzen, mitunter auch schweren 
Gehirn schm erzen. Hierauf folgte das Hitzestadium, dann folgte der Schweiß, 
bald in mäßiger Menge, bald in Strömen ergossen. Völlig hergestellt waren 
die Kranken erst nach 8 bis 14 Tagen. Charakteristisch für Frankfurt ist, 
daß die Epidemie hier zwei Monate anhielt, während sie sonst selten länger 
wie 14 Tage an einem Orte blieb. 

Die Sterblichkeit am englischen Schweiß muß um so größer gewesen 
sein, als gleichzeitig eine Hungersnot herrschte, die ebenfalls viele Opfer 
forderte. Auch in Frankfurt a. M. herrschte Teuerung infolge von Nässe. 
In Göttingen war die Sterblichkeit so groß, daß eine Prozession abgehalten 
wurde und daß 5 bis 8 Menschen in ein Grab gelegt werden mußten. In 
Augsburg starben in den ersten 5 Tagen von 15 000 Ergriffenen 800, im 
November von 3000 Ergriffenen 600. 

II. Von der Einführung des Kirchenbuches (1631) bis zum Ende 

des 18. Jahrhunderts. 

1. Die Frankfurter Kirchenbücher 8 ). 

Erst in neuerer Zeit beginnt man immer mehr einzusehen, welches 
wichtige Material für die Bevölkerungs- und Medizinalstatistik in den alten 
Kirchenbüchern verborgen ist, und man fängt an, dasselbe nach und nach 
nutzbar zu machen. Das Aufkommen der Kirchenbücher hängt auf das 
engste mit der Reformation zusammen, da es erst von jetzt ab von er¬ 
heblichem Interesse war, in authentischer Weise feststellen zu lassen, in 
welcher Konfession man geboren bzw. getauft, verehelicht und begraben 
bzw. gestorben war. Die Einführung der Kirchenbücher erfolgte meist auf 
behördliche Anordnung. Dies war auch in Frankfurt a.M. der Fall. 

„1531 seynd die Namen der Getauften, Eingesegneten und Verstorbenen 
ordentlich aufzuzeichnen befohlen worden.“ Frankfurt a. M. zählt zu den 
Städten, die am frühesten die Einführung der Kirchenbücher anordneten. 


*) Pallmann, Pestjahre in Frankfurt a.M. Frankf. Ztg. 27. Februar 1879. 
*) Böhmer, Joh. Georg, Die Kirchenbuchführung der freien Stadt Frank¬ 
furt a. M. 1848 (unvollständig); v. Nathusius - Neinstedt, Die Frankfurter 
Kirchenbachführung. Mitt. f. Frankfurts Geschichte. 3. Folge. 1899. 


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654 


Dr. med. W. Hanauer, 


Allgemein vorgeschrieben wurde die Führung von Kirchenbüchern erBt durch 
den Trienter KirchenBchluß vom 11. November 1563. 

Mit dem Jahre 1533 beginnt das Frankfurter Kirchenbuch, und zwar 
wurden zuerst die Taufen und Trauungen regelmäßig verzeichnet. Wann 
die Totenbücher, die eigentlich Beerdigungsbücher heißen müßten, denn 
nicht der Tag des Todes, sondern der der Beerdigung wurde eingetragen 
(später allerdings ist als zweites Datum der Todestag vermerkt), eingeführt 
wurden, ist ungewiß. Das erste der noch vorhandenen Totenbücher beginnt 
mit dem Jahre 1635. Da Lersner die Zahl der Verstorbenen in früheren 
Jahren anführt, so ist wahrscheinlich noch ein älteres Totenbuch vorhanden 
gewesen, das aber später verloren ging. 

Von großer Wichtigkeit ist die Frage nach der Vollständigkeit und 
Richtigkeit der in die Kirchenbücher gemachten Einträge, da es davon 
abhängt, wie weit Bie ein zutreffendes Bild von der tatsächlichen Gesamt¬ 
sterblichkeit Frankfurts in den verschiedenen Jahrhunderten abgeben. 

In dieser Hinsicht weisen nun die Kirchenbücher zahlreiche Lücken 
auf. Die jüdische Bevölkerung war von vornherein ausgeschlossen, von der 
christlichen Bevölkerung war nur die protestantische vollständig erfaßt. In 
bezug auf die Reformierten und Katholiken war das Kirchenbuch unvoll¬ 
ständig, weil diese eigene Kirchenbücher hatten. Doch fanden die Beerdi¬ 
gungen der Reformierten auf dem evangelischen Peterskirchhofe statt, und 
sie mußten wohl schon deswegen ihre Toten in dem Barfüßerkirchenbuch 
verzeichnen lassen. 

Die Frankfurter Katholiken hatten gemeinschaftliche Bücher, für Ge¬ 
taufte, Getraute und Beerdigte seit 1626. Wie weit die Katholiken im Bar¬ 
füßerkirchenbuche stehen, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Bleicher 
glaubt*), daß die vom Rate befohlenen Anmeldungen der Geburten bzw. 
Taufen, sowie die Aufgebote und Trauungen von den Katholiken nicht regel¬ 
recht befolgt wurden, während die Anmeldung der Toten mit Rücksicht auf 
den zu holenden Totenschein unerläßlich war. Seit der Mitte des 18. Jahr¬ 
hunderts verlangte der Rat die Anmeldung. Aus einer Bemerkung des 
Kassenamtsschreibers im Kirchenbuche 1709 ergibt sich, wie die Verhältnisse 
am Anfänge des 18. Jahrhunderts lagen. Die Katholiken wurden im Kreuz¬ 
gange des Domes, bei den Karmelitern und Dominikanern, „durch unseren 
Totengräber“ beerdigt, im Deutschen Hause und dem katholischen Kirch¬ 
hofe in Sachsenhausen „senket die Leichen ein, wer da will“, eine Anzeige 
erfolgte nicht, man wußte nicht, wer dort beerdigt wurde 2 ). Nach der In¬ 
struktion des Totengräbermeisters von 1746 sollte keine Beerdigung ohne 
Schein der Stadtkanzlei oder des Kirchendieners stattfinden. Der Toten¬ 
gräber der Katholiken entsprach jedoch dieser Vorschrift nur ungenügend. 
In der Begräbnisordnung vom 26. Januar 1797 wurde daher jene Vorschrift 
erneuert, jedoch dem Kirchendiener allein die Ausstellung der fraglichen 
Scheine überlassen. Von dieser Zeit an wurden die Todesfälle der 
Katholiken ziemlich regelmäßig auch in das Barfüßerkirchenbuch eingetragen, 


*) Statistische Beschreibung der Stadt Frankfurt a. M. und ihrer Bevölkerung, 


II. Teil. 18P5. 8. 240. 

*) von Nathusius-Neinstedt, 1. c., 8.180. 


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Geschichte der Sterblichkeit und der öffentl. Gesundheitspfl. in Frankfurt a.M. 655 


mit Ausnahme jedoch der Kinder, von deren Ableben, da ihre Bestattung 
meistens durch Glöckner geschah, die Barfüßerkirchenbuchführung keine 
Kenntnis erhielt 1 ). 

Gänzlich ausgeschlossen von der Aufnahme in die Kirchenbücher waren 
die Juden. Die Kirchenbücher derselben wurden, soweit die Todesfälle in 
Betracht kommen, ersetzt durch die Verzeichnisse der Beerdigungsvereine, 
welche seit 1627 erhalten sind. 

Aber auch nach der Richtung wiesen die Kirchenbücher Lücken auf, 
als nicht einmal hinsichtlich der Lutheraner die Bevölkerungsbewegung 
völlig zum Eintrag gelangte. Die Einträge waren nicht immer richtig und 
auch lückenhaft. Da die Totenbücher richtiger Beerdigungsbücher waren, 
so blieben z. B. die Verunglückten, deren Leichen nicht auf gefunden wurden, 
von dem Einträge ausgeschlossen; das gleiche dürfte wohl auch zutreffen 
gegenüber denjenigen, denen ein kirchliches Begräbnis versagt wurde. Da¬ 
gegen wurden naturgemäß die zwar auswärts Gestorbenen, aber hier Be¬ 
erdigten eingetragen. 

Da dem Kirchendiener die Beerdigungen nur mangelhaft angezeigt 
wurden, so waren die Einträge oft fehlerhaft. In späterer Zeit sollte indessen 
jeder Todesfall sofort schriftlich mit Angabe der Stunde des Todes dem 
Kirchendiener angezeigt und ohne dessen Erlaubnis niemand beerdigt 
werden. Erst 1789 beschloß der Rat, daß Tag und Stunde des Todes jedesmal 
dem Beerdigungsprotokoll beizuschreiben wären. Der Todestag ist gewöhn¬ 
lich der vorhergehende, die Beerdigungen erfolgten demnach sehr schnell- 
Jedoch blieben fortwährend alle Verstorbenen ausgeschlossen, die kein kirch¬ 
liches Begräbnis erhalten hatten. 

Da von der Reformation ab Frankfurt und Sachsenhausen immer für eine 
Parochie angesehen wurden, so erstreckte sich das Barfüßerkirchenbuch auch 
über die lutherische Gemeinde in Sachsenhausen. 

Vom Jahre 1635 ab scheinen zum ersten Male Auszüge aus den Kirchen¬ 
büchern gedruckt worden zu sein, wenigstens sind sie von diesem Jahre an 
noch erhalten. Hier werden die Gestorbenen nach ihrem Wohnorte, Frank¬ 
furt oder Sachsen hausen, abgesondert. Diese summarischen Extrakte beginnen 
mit tabellarischen Monatsübersichten über die Getrauten, Getauften und 
Gestorbenen. Auf den weiteren Inhalt dieser Übersichten wird noch später 
zurückzukommen sein. 

2. Die absolute Sterblichkeit in Frankfurt a. M. von 1539 bis 1800. 

Mit der Aufzeichnung der Toten, die im Jahre 1531 angeordnet wurde, 
scheinen sich die Pfleger des Almosenkastens nicht sehr beeilt zu haben. 
Denn erst vom Jahre 1539 findet sich bei Lersner die Zahl der Verstor¬ 
benen angegeben, dasselbe gilt auch vom Jahre 1540, dann finden sich Lücken 
bis zum Jahre 1551. Von jetzt ab kommt die Aufzeichnung in einen besseren 
Gang, denn mit Ausnahme der Jahre 1552, 1557 und 1559 ist die Sterb¬ 
lichkeit von allen Jahren notiert. 

Die Sterblichkeitsziffern lauten demnach: 


‘) Böhmer, 1.c. f 8.44. 


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656 


Dr. med. W. Hanauer, 


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1539 

1254 

1585 

1053 

1631 

1132 

1677 

607 

1540 

466 

1586 

724 

1632 

2900 

1678 


1541 

» 

1587 

720 

1633 

762 

1679 

552 

1542 

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1588 

621 

1634 

3512 

1680 


1543 

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1589 

604 

1635 

6943 

1681 

864 

1544 

9 

1590 

873 

1636 

2301 

1682 

822 

1545 


1591 

578 

1637 

3152 

1683 

749 

1546 

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1592 

500 

1638 

1079 

1684 

1143 

1547 

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1593 

674 

1639 

948 

1685 

838 

1548 

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1594 

689 

1640 

1034 

1686 

857 

1549 

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1595 

619 

1641 

735 

1687 

880 

1550 

? 

1596 

1021 

1642 

883 

1688 

977 

1551 

436 

1597 

636 

1643 

528 

1689 

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1552 

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1598 

640 

1644 

491 

1690 

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1553 

771 

1599 

804 

1645 

678 

1691 

1104 

1554 

474 

1600 

698 

1646 

774 

1692 


1555 

688 

1601 

680 

1647 

662 

1693 

1348 

1556 

974 

1602 

613 

1648 

575 

1694 

981 

1557 

» 

1603 

726 

1649 

504 

1695 

748 

1558 

497 

1604 

579 

1650 

399 

1696 

704 

1559 

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1605 

1608 

1651 

579 

1697 

973 

1560 

398 

1606 

1195 

1652 

534 

1698 

778 

1561 

410 

1607 

1098 

1658 

494 

1699 

869 

1562 

352 

1608 

524 

1654 

480 

1700 

704 

1563 

1966 

1609 

639 

1655 

524 

1701 

803 

1564 

785 

1610 

906 

1656 

530 

1702 

791 

1565 

459 

1611 

1135 

1657 

501 

1703 

880 

1566 

564 

1612 

1072 

1658 

565 

1704 

1118 

1567 

620 

1613 

1140 

1659 

454 

1705 

895 

1568 

965 

1614 

664 

1660 

615 

1706 

918 

156» 

543 

1615 

680 

1661 

554 

1707 

1282 

1570 

458 

1616 

788 

1662 

525 

1708 

884 

1571 

918 

1617 

622 

1663 

545 

1709 

1137 

1572 

998 

1618 

625 

1664 

536 

1710 

995 

1573 

854 

1619 

544 

1666 

881 

1711 

983 

1574 

855 

1620 

670 

1666 

1802 

1712 

979 

1575 

1895 

1621 

674 

1667 

605 

1713 

1169 

1576 

746 

1622 

1785 

1668 

532 

1714 

1148 

1577 

738 

1623 

725 

1669 

694 

1715 

946 

1578 

539 

1624 

955 

1670 

677 

1716 

1068 

1579 

463 

1625 

1871 

1671 

592 

1717 

1094 

1580 

567 

1626 

963 

1672 

707 

1718 

1072 

1581 

517 

1627 

773 

1673 

1003 

1719 

1074 

1582 

1134 

1628 

680 

1674 

1137 

1720 

1241 

1583 

804 

1629 

832 

1675 

851 

1721 

1170 

1584 

1133 

1630 

927 

1676 

949 

1722 

1006 


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Geschichte der Sterblichkeit und der offentl. Gesnndheitspfl. in Frankfurt a.M. 657 


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1723 

1427 

1743 

1568 

1763 

1169 

1783 

1148 

1724 

987 

1744 

1167 

1764 

988 

1784 

1274 

1725 

1011 

1745 

1151 

1765 

1064 

1785 

1201 

1726 

1296 

1746 

1345 

1766 

575 

1786 

1022 

1727 

1129 

1747 

1162 

1767 

984 

1787 

996 

1728 

1255 

1748 

1266 

1768 

979 

1788 

1170 

1729 

1539 

1749 

1345 

1769 

1264 

1789 

1250 

1730 

1227 

1750 

1347 

1770 

1043 

1790 

1020 

1731 

1489 

1751 

1087 

1771 

1068 

1791 

1128 

1782 

1163 

1752 

1228 

1772 

1312 

1792 

1079 

1733 

1881 

1758 

1097 

1778 

998 

1798 

1896 

1784 

1097 

1754 

1115 

1774 

1045 

1794 

1497 

1735 

1160 

1755 

1029 

1775 

1080 

1795 

1641 

1786 

1153 

1756 

1863 

1776 

1168 

1796 

1444 

1737 

1168 

1757 

1170 

1777 

929 

1797 

1197 

1738 

1367 

1758 

1456 

1778 

990 

1798 

1002 

1739 

1191 

1759 

1700 

1779 

1043 

1799 

1383 

1740 

1180 

1760 

1781 

1780 

1025 

1800 

1205 

1741 

1440 

1761 

1463 

1781 

1013 



1742 

1426 

1762 

1512 

1 1782 

1253 




3. Die relative Sterblichkeitsziffer. 

In seinem BOrgerbuche macht A. Dietz 1 ) den Versuch, die durch¬ 
schnittliche Bevölkerungszahl je eines Dezenniums für das 16. und 17. Jahr¬ 
hundert zu berechnen. Die von ihm zugrunde gelegten Verhältniszahlen 
ergeben sich aus der Tatsache, daß die Fruchtbarkeit der Ehen vom Anfänge 
des letzten Jahrhunderts ab, wo auf 100 Lebende etwa 30 Geburten ent¬ 
fielen, sich rückwärts bis zum Zeitalter Ludwig XIV. zwar immermehr steigert, 
daß aber selbst dann noch diese große Zahl der Geburten von derjenigen 
der Todesfälle überwogen wird. Danach entfallen in der Zeit von 1533 bis 
1700 auf je 1000 Lebende gewöhnlich 10 bis 12 Eheschließungen, 41 bis 
45 Taufen und 45 bis 48 Todesfälle. 

Für das 18. Jahrhundert liegt eine Berechnung von Bohrende a ) vor. 
Behrends berechnete im Jahre 1770 die Anzahl der Einwohner nach der 
Zahl der Häuser, indem er für jedes der 3000 vorhandenen Häuser 12 Ein¬ 
wohner annahm, auf 36 000, eine Berechnung, die von Bücher 8 ) zwar 
für sehr naiv gehalten wird, deren Ergebnis nach Ansicht dieses Autors 
aber von der Wahrheit nicht allzu weit abweicht. Die relative Sterblichkeits¬ 
ziffer ergibt sich demnach aus folgender Tabelle I. 

') Dietz, Frankfurter Bürgerbuch. Frankfurt a.M. 1897, 8.186. 

*) Behrends, Der Einwohner von Frankfurt a. M., in Rücksicht auf seine 
Fruchtbarkeit, Mortalität und Gesundheit geschildert. Frankfurt a.M. 1771. 

•) Bücher, Zur mittelalterl. Bevölkerungsstatistik. Tüb. Zeitschr. 1881, 8.539. 

Vierte ljahrMchriit für Gesundheit*pflege, 1908. 42 


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658 


Dr. med. W. Hanauer, 
Tabelle I. 


Jahrzehnt 

Durch¬ 

schnittliche 

Einwohner¬ 

zahl 

Sterblich¬ 

keit 

auf 1000 
Einwohner 

Jahrzehnt 

Durch¬ 

schnittliche 

Einwohner¬ 

zahl 

Sterblich¬ 

keit 

auf 1000 

1 Einwohner 

1550 

bis 

1560 

12 000 

50 


1630 

bis 

1640 

15 000 

158 

1560 

_ 

1570 

13 500 

52 


1640 


1650 

13 000 

47 

1570 

_ 

1580 

14 000 

59 


1650 


1660 

12 500 

41 

1580 

„ 

1590 

15 500 

50 


1660 


1670 

14 500 

52 

1590 


1600 

18 000 

43 


1670 


1680 

19 000 

46 

1600 


1610 

20 000 

42 


1680 


1690 

21 000 

44 

1610 

„ 

1620 

18 000 

45 


1690 

„ 

1700 

23 000 

40 

1620 


1680 

19 000 

59 


1760 

„ 

1770 

36 000 

28 


4. Chronologische Übersicht der Ereignisse in Frankfurt a. M. 
von 1530 bis 1800, soweit sie auf die Sterblichkeit 
und die Gesundheitsverhältnisse von Bedeutung sind 1 )- 

1541. Großes Sterben an der Pest. Von Ärzten verfaßte Verhaltungsma߬ 
regeln werden von den Kanzeln verlesen. 

1545. Es werden geschärfte Befehle zur Straßenreinigung erlassen. 
1547. Abstellung des Grempelmarktes der sterbenden Läufte halber. 

1549. Publizierung der „Reformation oder Ordnung der Reichsstadt Frank¬ 
furt a. M., Pflege der Gesundheit betreffend, für Ärzte, Apotheker, 
Materialisten usw.“ 

1552. Belagerung Frankfurts durch Moritz von Sachsen. 

1555. Starkes Sterben an der Pest. 

1562. Teuerung. 

1563. Großes Sterben an der Pest. Verhaltungsvorschriften seitens der 

Physiker Palmarius und Lonicerus. 

1571. Starkes Sterben an der Pest. 

1573. Nützliche Reformation zur guten Gesundheit und christlichen Ordnung. 

Reformation oder Ordnung für die Hebammen von Adam Lonicerus. 
1574 bis 1575. Pest, Teuerung, Schließung der Schulen. 

1596. Pest. 

1597. Pest. Verbot des Leinwandverkaufes auf dem Grempelmarkte. Schlie¬ 

ßung der Badstuben. 

1599. Pest. 

1604 bis 1605. Pest. Verbot der Tanzmusik. 

1622. Dreißigjähriger Krieg. Schlacht bei Höchst. 

1622 bis 1625. Pest. 

1625. Wiedereröffnung des Pestilenzhauses. 

') Vgl. Stricker, Kulturgeschichtliche Annalen der Stadt Frankfurt a. M., 
mit besonderer Rücksicht auf Gesundheitszustand und Medizinalverfassung. Zeitschr. 
f. Kulturgeschichte. 1856 und 1857; Finger, Entwurf einer Zeittafel zur Geschichte 
von Frankfurt a.M. Frankfurt 1882; Schrotzenberger, Chronologische Übersicht, 
zur Geschichte von Frankfurt a. M. Frankfurter Hausblätter 1840. 


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Geschichte der Sterblichkeit und der öffentl. Geaundheitspfl. in Frankfurt a.M. 669 


1626. Große Teuerung. 

1631 bi» 1636. Häufige Pestepidemien. 

1632. Große Teuerung. 

1635 bis 1636. Pest und Hungersnot. 

1665. Pest von Köln eingeschleppt. 

1666. Letztes Auftreten der Pest. Isolierungs- und Quarantänevorschriften. 

1667. Vorschriften über Desinfektion. 

1668. Reformation oder erneuerte Ordnung der freien Reichsstadt Frank¬ 

furt a. M., Pflege der Gesundheit betreffend. 

1669. Erbauung eines neuen Pestilenzhauses. 

1667. Errichtung des Armen- und Waisenhauses. 

1682. Starke Überschwemmung durch den Main. 

1693. Teuerung. 

1703. Erneuerte Hebammenordnung. 

1709. Rote Ruhr. Teuerung. 

1712. Anpflanzung der Stadtallee. 

1719. Große Dürre. 

1723. Kindbettfieber. 

1728 bis 1733. Influenza. 

1737. Verordnung über das Halten von Kostkindern. 

1749. Anstellung des ersten Stadtgeburtshelfers. 

1757. Anpflanzung der ersten Kartoffeln. 

1758. Siebenjähriger Krieg. Von der französischen Besatzung in Mainz 

verbreitet sich die Ruhr nach Frankfurt. 

17 58. Hebammenordnung. 

1759. Schlacht bei Torgau. 

1759 bis 1762. Besetzung der Stadt. 

1764. Verordnung über die Untersuchung der Säugeammen. 

1770 bis 1772. Teuerung, Seuchen. 

1776. Errichtung eines öffentlichen Badeplatzes und von Badehäusern am 
Main. 

1779. Eröffnung des Senckenbergschen Bürgerhospitals. 

1782. Influenza. 

1783 bis 1785. Sehr strenger Winter. Erbauung des Irrenhauses. 

1784. Große Überschwemmung durch den Main. 

1790. Ausfüllung der Roßschwemme auf dem Roßmarkte. 

1791. Elinführung der Staatsprüfung für Arzte. 

1792. Besetzung der Stadt durch die Franzosen. 

1793. Sehr heißer Sommer. 

1794/95. Sehr strenger Winter. 

1796. Beschießung der Stadt durch die Franzosen. 

1799. Sehr strenger Winter. 

1800. Blatternepidemie. 

5. Der allgemeine Gang der Sterblichkeit in Frankfurt a.M. 
im 16. bis 18. Jahrhundert. 

Wirft man einen Blick auf die absoluten Sterblichkeitsziffern der heutigen 
Städte, etwa von den letzten 25 Jahren an, so gewahrt man eine von Jahr zu 

42* 


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660 


Dr. med. W. Hanauer, 


Jahr fast ständig steigende Zunahme derselben, entsprechend dem ständigen 
Uevölkerungswacbstum der letzteren. Nicht so war dies in früheren Jahr¬ 
hunderten der Fall. Wollte man z. B. für Frankfurt über die Sterblichkeit 
der einzelnen Jahre des 16. und 17. Jahrhunderts eine Kurve anfertigen, so 
würde dieselbe im Zickzack verlaufen, bald steigend, bald fallend, von irgend 
einem regelmäßigen Verlaufen derselben ist nichtB zu entdecken. Die ab¬ 
solute Sterblichkeit nimmt ja natürlich auch zu, proportional der Zunahme 
der Bevölkerungsziffer, aber dieses Verhalten wird verdunkelt durch das viel 
mehr in die Augen springende Ansteigen der Sterblichkeitsziffer infolge von 
Epidemien, namentlich Pest, von Kriegsnöten, Teuerung und Hungersnot 
(vgl. die chronologische Übersicht S. 658). In derjenigen Periode des 16. Jahr¬ 
hunderts, die uns hier beschäftigt, sind Jahre besonders großer Sterblichkeit 
in Frankfurt 1539, 1563, 1575, 1596 (sämtlich Pestjahre), 1582, 1584 und 
1585. Das starke Sterben ist wohl auch in diesen Jahren der Pest zuzu¬ 
schreiben gewesen. Im Jahre 1555 ist ebenfalls starkes Sterben an der 
Pest verzeichnet, obwohl die Sterblichkeitsziffer bloß 688 betrug. Da die¬ 
selbe im folgenden Jahre 974 war, so läßt sich annehmen, daß die Epidemie 
sich bis in dieses Jahr erstreckte. 

Bedeutend erhöht war jedenfalls die Sterblichkeit im Schmalkaldischen 
Kriege, obwohl gerade für diese Jahre die genauen Zahlen fehlen. Als im 
Dezember 1546 die Soldaten unter dem Grafen von Büren in Frankfurt ein¬ 
zogen, da bestand das Heer aus kranken und ausgehungerten Landsknechten, 
von welchen in den ersten zehn Wochen ihres Aufenthaltes 800 starben. 
Das Frauenbruderkloster, schreibt Kirchner 1 ), war ein Leichenhaus. Von 
dort verbreitete sich das Gift tödlicher Seuchen über die ganze Stadt und 
ganze Familien starben aus. Vom 17. Juli bis 9. August 1532 wurde die 
Stadt von Moritz von Sachsen belagert, es brach hierbei eine Seuche aus, 
die in zwei Monaten mehr alB 500 Krieger und eine große Anzahl Bürger 
hinwegraffte. 

Die besonders während der letzten Hälfte des 16. Jahrhunderts zahlreich 
wiederkehrenden und die Sterblichkeit vermehrenden Seuchen setzen sich 
auch in den Anfang des 17. Jahrhunderts fort. So ist das Jahr 1605 durch 
eine hohe Sterblichkeit ausgezeichnet infolge einer Pestilenzepidemie, die 
schon im Jahre zuvor begonnen hatte. Erhöhte Sterblichkeit weisen auch 
die beiden folgenden Jahre 1606 und 1607 auf. Am Jahresschlüsse 1604 
trat die Pest so heftig auf, daß die Schneider nicht hinreichten, die Toten 
zu begraben, und Totengräber bestimmt werden mußten, und der Rat das 
Verbot erließ, Fremde aufzunehmen. 

In den Jahren 1610 bis 1613 war in Frankfurt die Sterblichkeit erhöht, 
es starben im Jahre 1610: 906, 1611: 1135, 1612: 1072, 1613: 1140, 
während sonst 650 bis 700 Menschen zu sterben pflegten! 

Es beginnt nunmehr die schlimmste Periode in der Sterblichkeits¬ 
geschichte Frankfurts, nämlich die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Die 
Verheerungen desselben fangen mit dem Zeitpunkte an, wo der Krieg sich 
auf die Rbein- und Maingegend verpflanzt. Am 19. Juni 1622 fand die 
Schlacht bei Höchst a. M. statt, in diesem Jahre starben in Frankfurt 


*) Kirchner, Geschichte der Stadt Frankfurt a. M. 2. Bd. S. 35. 1810. 


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Geschichte der Sterblichkeit und der öffentl. Gesundheitapfl. in Frankfurt a.M. 661 

1785 Menschen an Typhus und Ruhr. 1625 starben 1871, so daß in diesem 
Jahre das Pestilenzhaus wieder eröffnet werden mußte. 1626 ist die Sterb¬ 
lichkeit infolge einer Teuerung wieder erhöht (das Malter Korn kostete 6 bis 
8 Gulden). In den folgenden Jahren bis zum Jahre 1631 ist die Sterblich¬ 
keit nur in mäßigem Grade gestiegen, ungeheuer steigt sie jedoch an seit 
der schwedischen Okkupation: Es starben 1631: 1132, 1632: 1900, 1633: 
762, 1634: 3512, 1635: 3421, 1636: 6943, 1637: 3152, 1638: 1079, 
1640: 1034. 

Die Ursache der starken Sterblichkeit 1632 war die Pest, diejenige 
der mörderischen Sterblichkeit 1635 bis 1636 waren Pest, Krieg und Hunger. 
Schon gleich nach der Schlacht bei Nördlingen hatte Frankfurt die Schrecken 
des Krieges unmittelbar zu empfinden. Ein Teil des geschlagenen prote¬ 
stantischen Heeres zog in das Weichbild von Frankfurt, wo es 8000 bis 
11000 Mann stark lagerte 1 ). Die Teuerung begann bereits im Jahre 1634 
und erreichte 1636 ihren höchsten Grad, da der Malter Korn 12 bis 18 Gulden 
kostete, und der Notstand wurde noch vergrößert dadurch, daß auch viele 
Menschen sowohl der Kriegsgefahr wie der Pest wegen sich in die Stadt 
flüchteten, ihre Nahrung teils erbettelten, teils auf den Schindangern und 
Friedhöfen holten. Die armen Leute fingen auf der Straße Hunde und 
Katzen auf und verzehrten sie, andere holten sich aus den am Main befind¬ 
lichen Schindkauten das Aas und verzehrten es. Das Hospital und Lazarett 
beherbergte schon am 1. Oktober 1634 nicht weniger als 750 Kranke. Am 
27. Januar 1635 zeigten die HoBpitalpfleger dem Bäte an, das Krankenhaus 
sei mit Armen und Kranken derart überfüllt, daß es nicht länger so weiter 
gehen könne. Auch die Friedhöfe erwiesen sich als zu klein und mußten 
vergrößert werden. Im Jahre 1635 war der schlimmste Monat der Sep¬ 
tember, in welchem 1112 Menschen starben. Die durchschnittliche Zahl der 
täglichen Todesfälle dieses Jahres war 19, die größte Zahl der Todesfälle 
wies der 24. Januar auf, nämlich 92. 

1636 wurde wegen fortdauernder Not und Teuerung die Getreide¬ 
ausfuhr verboten. Wegen der herrschenden Sterblichkeit schloß man die 
Badestuben. 

Mit zunehmender Abnahme der Teuerung sank in den folgenden Jahren 
die Sterblichkeit, der normale Preis des Getreides trat übrigens erst 1643 
wieder ein. 

Wie stark die Bevölkerung durch den Dreißigjährigen Krieg dezi¬ 
miert wurde, geht aufs deutlichste aus der Zahl der Todesfälle hervor, 
welche in den nächsten 15 Jahren nach dem Dreißigjährigen Kriege 
verzeichnet sind. In jenen 15 Jahren starben nämlich durchschnittlich 
nur je 526 Einwohner, während in den 15 Jahren vor dem Kriege die 
Durchschnittszahl auf 888 sich belief. Das Sinken der Bevölkerungs¬ 
ziffer dokumentierte sich natürlich auch in der Abnahme der Geburten. 
Die Einwohnerziffer, die vor dem Kriege 19 000 betragen hatte, sank in 
der Zeit von 1650 bis 1660 auf 12 500 herab, und erst in den Jahren 
1670/80 war sie wieder so weit gestiegen, daß sie der Ziffer vor dem 
Kriege gleichkam. 


') Kriegh, Geschichte von Frankfurt a.M. Frankfurt 1871, S. 241 u.f. 


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662 


Dr. med. W. Hanauer, 


Nach Aufhören des Krieges hielt der günstige Gesundheitszustand in 
Frankfurt a. M. bis zum Jahre 1665 an, wo sich nach längerer Zeit wieder 
einmal, und zwar zum letzten Male, die Pest zeigte. Die Seuche zog sich 
über das ganze folgende Jahr hin und bedingte 1666 eine Sterblichkeit von 
1802, sie erlosch erst im Januar 1667. Übernormale Sterblichkeit findet sich 
dann wieder 1673 (1003) und 1674 (1137), ohne daß lokale Ursachen dafür 
anzugeben sind. Dies ist jedoch der Fall bei der andauernd erhöhten Sterb¬ 
lichkeit der Jahre 1689 bis 1693, indem diese mit einer Teuerung in Frank¬ 
furt korrespondierte. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeichneten 
sich folgende Jahre durch erhöhte Sterblichkeit aus: 1707 mit 1282 Gestor¬ 
benen, 1709, in welchem die Ruhr und Teuerung herrschten, mit 1707. 
Im Jahre 1713 starben 1169 Personen, 1720: 1241, 1723: 1427, 1726: 1269. 
Ungesund infolge des Auftretens der Influenza waren die Jahre 1733 bis 
1738, wo die Sterblichkeit bis zur Ziffer von 1367 anstieg. 

Erhöhte Sterblichkeit weisen dann weiter auf die Jahre 1741 bis 1743, 
in welchem letzteren Jahre die Sterblichkeitsziffer 1568 betrug, das Jahr 
1746: 1345, die Jahre 1749 und 1750 mit 1345 bzw. 1347 Todesfällen. 

Die Jahre 1758 bis 1763, die Zeit des Siebenjährigen Krieges, in welchen 
die Franzosen Frankfurt besetzt hatten und in welchen viele Epidemien 
herrschten, wiesen die größte Sterblichkeit im 17. Jahrhundert auf. Schon 
1758 verbreitete sich von der französischen Besatzung die Ruhr hierher, im 
folgenden Jahre stieg die Sterblichkeit auf 1700, 1760 auf 1781. Dabei 
waren die in den Lazaretten verstorbenen Franzosen noch nicht einmal in 
den Listen verzeichnet J )- 

1770 und 1771 herrschte in Frankfurt a. M. eine Teuerung, die sich 
aber erst 1772 in der erhöhten Sterblichkeit — sie betrug in diesem Jahre 
1312 — zu erkennen gab. 

Vom Jahre 1792 bis 1796 hatte Frankfurt unter den Revolutionskriegen 
zu leiden, 1792 wurde die Stadt von den Franzosen besetzt, 1796 beschossen. 
Dazu kamen abnorme Witterungsverhältnisse, sehr heiße Sommer und sehr 
kalte Winter. Die Jahre 1793 bis 1796 zeichnen sich daher durch erhöhte 
Sterblichkeit aus. Der Gang der relativen Sterblichkeit ist aus Tabelle I zu 
ersehen. Man sieht, wie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die 
Sterblichkeit vom Jahre 1550 bis 1580 von 50 Promille auf 59 Promille an¬ 
steigt und damit den höchsten Stand erreicht, dann sinkt sie wieder bis zum 
Jahre 1610, steigt dann wieder an und erreicht im 17. Jahrhundert in der 
Dekade von 1630 auf 1640 den höchsten Stand, wobei allerdings nicht zu 
vergessen ist, daß unter den Gestorbenen der Jahre 1632 bis 1636, nament¬ 
lich des Jahres 1635, viele Fremde sich befanden, die der Sicherheit halber 
in den Kriegsnöten in die Stadt flohen. Nach dem Dreißigjährigen Kriege 
fällt die Sterblichkeitsziffer wieder und steigt vorübergehend in den Jahren 
1660 bis 1670 wieder an. Danach folgt ein ständiges Absinken der Sterb¬ 
lichkeitsziffer, das sich bis in das 18. Jahrhundert fortsetzt, so daß die Sterbe¬ 
ziffer in dem Jahrzehnt 1760 bis 1770 nur noch etwa 28 Promille beträgt. 
Diese ständige Abnahme der relativen Sterblichkeit ist drei Momenten 
zuzuschreiben, einmal dem Aufhören der Pest, welche 1666 zum letzten 


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*) Bebrends, I. c., S. 54. 




Geschichte der Sterblichkeit and der öffentl. Gesundheitspfl. in Frankfurt a.M. 663 

Male die Stadt Frankfurt befiel, andererseits den fortschreitenden sanitären 
Erkenntnissen, welche sich gerade im Kampfe gegen die ansteckenden 
Krankheiten zu erkennen gaben und vernünftige Abwehrmaßregeln zeitigten. 
Die chronologische Übersicht zeigt auch, wie in der zweiten Hälfte des 17. 
und im 18. Jahrhundert die Gesundheitspflege durch eine verbesserte 
Medizinalorganisation und durch Errichtung von Krankenanstalten 
gehoben wurde. Was aber endlich drittens für die Abnahme der Sterblich¬ 
keit am erheblichsten ins Gewicht fiel, war das ständige Sinken der 
Geburtenziffer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, denn während 
die Geburtsziffer im Jahrzehnt 1690 bis 1700 noch 40 Promille betrug, war 
sie in dem Jahre 1770 auf etwa 26 Promille gefallen. 

Vergleicht man die Sterblichkeit Frankfurts mit derjenigen anderer 
Städte, deren Sterblichkeitsziffer für die früheren Jahrhunderte berechnet ist, 
so ergibt sich folgendes: 

In Genf war nach den Angaben Prinzings 1 ) das Verhältnis: 


1551 bis 1600 

. 39,7 

1701 

bis 

1750 . . . . 

. . 33,5 

1601 . 1650 


1 1751 

„ 

1800 ... . 

. . 29,5 

1651 „ 1700 

. 35,9 

1 




In London: 

1620 bis 1643 . . . 



. 70 



1728 „ 1757 . . , 



. 52,0 


In Berlin im 

18. Jahrhundert: 





1721 bis 1730 

.40,6 

1761 

bis 

1770 . . . . 

. . 37,4 

1731 „ 1740 

. 44,7 

1771 

n 

1780 . . . . 

. . 40,1 

1741 „ 1750 

. 37,9 

1781 


1790 . . . . 

. . 35,6 

1751 „ 1760 


1791 

n 

1800 . . . . 

. . 34,9 


Die Sterblichkeit in Straßburg betrug auf 1000 Einwohner 8 ): 


1564 

bis 

1600 . . . 

. . . 53,3 

1739 

bis 

1749 . . . 

. . . 42,76 

1601 

„ 

1633 . . . 

. . . 52,1 

1750 

n 

1760 . . . 

. . . 37,93 

1641 

„ 

1679 . . . 

. . . 26,0 

1761 


1770 . . . 

. . . 35,53 

1684 


1691 . . . 

. . . 41,06 i 

1771 

T) 

1780 . . . 

. . . 34,61 

1728 

1» 

1738 . . . 

. . . 44,01 

1781 

„ 

1790 . . . 

. . . 34,38 


Schließlich haben wir nach den Angaben Grätzers 3 ) für Breslau 
folgende Relativziffem berechnet. 

Auf 1000 Einwohner starben: 


1552 bis 

1561 . . . 

... 39 

1746 

bis 

1755 . . . . 

... 28 

1613 „ 

1622 . . . 

... 41 

1759 

_ 

1768 . . . . 

... 33 

1670 „ 

1680 . . . 

... 37 

1769 


1778 . . . . 

... 24 

1705 0 

1714 . . . 

... 31 

1779 

„ 

1783 . . . . 

... 20 


Eg ergibt sich daraus, daß die Sterbeziffer Frankfurts kleiner war wie 
diejenige von London und Berlin, größer jedoch wie diejenige von Genf und 
Breslau. 


') Prinzing, Handbuch der med. Statistik. S. 529. Jena 1906. 

*) Statistische Mitteilungen aus Elsaß-Lothringen. 11. Heft. 8.93. 1878. 

*) Grätzer, Edmund Halley und Kaspar Neumann. Breslau 1883, 8.89/90 u.94. 


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664 


Dr. med. W. Hanauer, 

6. Verhältnis der Gestorbenen zu den Geborenen. 

Auf 100 Gestorbene kamen in Frankfurt a. M. Geborene in den 


Jahren: 



Tabelle II. 




1560 

bis 

1570 . . . 

.... 75 

1680 

bis 

1690 . . 

.94 

1570 


1580 . . . 

.... 67 

1680 


1700 . . 

.99 

1580 


1590 . . . 

.... 74 

1700 

w 

1710 . . 

.108 

1590 


1600 . . . 

.... 97 

1710 

„ 

1720 . . 

.98 

1600 

n 

1610 . . . 

.... 110 

1720 

„ 

1730 . . 

.81 

1610 


1620 . . . 

.... 87 

1730 

„ 

1740 . . 

.83 

1620 

v 

1630 . . . 

.... 76 

1740 

„ 

1750 . . 

.79 

1630 


1640 . . . 

.... 31 

1750 

„ 

1760 . . 

.70 

1640 

n 

1650 . . • 

.... 121 1 

1760 

„ 

1770 . . 

.82 

1650 

r 

1660 . . . 

.... 120 

1770 


1780 . . 

.83 

1660 

„ 

1670 . . . 

.... 84 

1780 


1790 . . 

. 77 

1670 

n 

1680 . . . 

.... 95 i 

1790 


1800 . . 

.74 

Es trifft 

demnach 

auch für Frankfurt 

zu, daß 

in früheren Jahrv 

hunderten 

die 

Sterblichkeit größer 

war 

als die Geb 

urtsziffer; Süss- 


milch 1 ) war es bekanntlich, der durch seine Tabellen zuerst den Nachweis 
führte, daß in den Städten, besonders in volkreichen Städten, mehrenteils 
die Zahl der Toten größer war als die der Geborenen, während in den Pro¬ 
vinzen das Umgekehrte der Fall war. Die Ursache für das Überwiegen der 
Sterblichkeitsziffer gegenüber der Geburtsziffer findet Süssmilch einmal in 
der größeren Sterblichkeit in den Städten, deren Ursachen er in subjektive 
und objektive einteilt. Erstere sind die verderbteren Sitten, das luxuriöse 
Leben, die größeren Sorgen und Leidenschaften der Städter. Objektive 
Ursachen sind die dickere Luft und ungesundere Atmosphäre großer Städte 
überhaupt, die leichtere Ansteckung bei Seuchen und Epidemien, der Zuzug 
von Fremden in den Kranken-, Waisen- und Findelhäusern, deren Sterbe¬ 
fälle alle auf Rechnung der Städte fallen. 

Neben der größeren Sterblichkeit kommt die verringerte Fruchtbarkeit 
in den Städten in Betracht. Es ist nach Süssmilch erwiesen, daß die ge¬ 
stiegene Menge von Bedürfnissen, die vermehrte Pracht und der Aufwand 
und der vergrößerte Preis der Lebensmittel in Städten die Bewohner von 
dem Entschluß, zu heiraten, zurückhält. Den geringeren Verehelichungs¬ 
zahlen entspricht natürlich auch eine geringe Geburtsziffer. In großen 
Städten fällt endlich noch die große Zahl der Unverheirateten ins Gewicht, 
der Angestellten, Dienstpersonen usw. 

Das Defizit in den Städten wird glücklicherweise durch vermehrte Pro¬ 
duktion auf dem Lande wieder ausgeglichen. Süssmilch berechnete das 
Generalverhältnis in allen preußischen Provinzen auf 100 Gestorbene zu 
133 Geborenen, eine Ziffer, die je nach den einzelnen Provinzen und in 
den einzelnen Jahren wechselte, die aber z. B. in Preußen und Litauen im 
Jahre 1702 bis auf 203, im Jahre 1712 gar auf 220 stieg. 

Die Städte wären ausgestorben, wenn ihnen nicht der ländliche Geburten¬ 
überschuß zugute gekommen wäre, wenn die Landbevölkerung nicht damals 
schon einen großen Prozentsatz in das Danaidenfaß der Städte abgeführt 
hätte. Das traf sogar für kleine Städte zu, wie z. B. für die schwäbische 

l ) Büssmilch, Göttliche Ordnung, I. Teil, 1705, S. 256. 


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Geschichte der Sterblichkeit und der öffentL Gesundheitspfl. in Frankfurt a.M. 665 


Stadt Hall. Nach Gmeiin 1 ) traf man dort auf dieselbe Erscheinung, min¬ 
destens für die Zeit von 1650 bis 1800, die sonst meist nur das Charakte¬ 
ristikum der eigentlichen Großstädte ist, daß sie ihre eigene Bevölkerung 
fortwährend fressen und nur durch den Zuschuß von außen sich konservieren. 
Das war bei Hall in dem Maße der Fall, daß bei der Fortdauer desselben 
Prozesses die Stadt etwa alle 300 bis 400 Jahre, d. h. etwa in jedem Jahr¬ 
tausend etwa zwei- bis dreimal, sich selbst aufgezehrt haben würde, und auch 
tatsächlich sich aufgezehrt hat, wie ein Vergleich mit den Kirchenbüchern 
der umliegenden Städte ergibt. 

Nicht ununterbrochen war jedoch in den Städten die Sterblichkeitsziffer 
größer als die Geburtsziffer; es lassen sich vielmehr einzelne Perioden nach- 
weisen, wo das Umgekehrte galt. So ist dies in Frankfurt der Fall in den 
Jahrzehnten 1600 bis 1610, 1640 bis 1650 und 1700 bis 1710. In der 
erstgenannten Periode beruhte das Überwiegen der Geburtsziffer über die 
Sterblichkeitsziffer auf der Zunahme der Geburten. Die Zeit 1640 bis 1660 
ist diejenige, welche dem Dreißigjährigen Kriege unmittelbar folgte. Diese 
Periode ist charakterisiert durch eine Verringerung der Sterblichkeit, viel¬ 
leicht daher rührend, daß in den vorhergehenden schlimmen Jahren alle 
Kranken und Siechen hinweggerafft wurden; außerdem aber durch eine Er¬ 
höhung der Geburtsziffer. Die Erfahrung, daß nach mörderischen 
Seuchen und Kriegen die Geburtsziffer steigt und instinktiv so die Bevölke¬ 
rungsverluste wieder auszugleichen sucht, ist oft wahrgenommen worden. 
Dies war nach dem schwarzen Tod und nach der Dezimierung der Bevölke¬ 
rung durch den Dreißigjährigen Krieg der Fall. 

Der Geburtenüberschuß der Jahre 17X0 bis 1720 endlich wurde durch 
die ungewöhnlich hohe Geburtenziffer dieser Periode veranlaßt. 

Befremden muß, daß auch noch im 18. Jahrhundert der Sterbefallüber¬ 
schuß in Frankfurt a. M. ein so außerordentlich großer ist, dies trotz der 
im ständigen Sinken sich befindenden relativen Sterblicbkeitsziffer. Wenn 
man Frankfurt hier mit anderen Städten vergleicht, wozu eine Tabelle 
Wernickes 2 ) Veranlassung gibt, so zeigt sich hier unsere Stadt recht un¬ 
günstig gestellt Die Ursache der starken Todesfallüberschüsse im 18. Jahr¬ 
hundert bei sinkender Sterblichkeit beruht eben auf der Abnahme der 
Geburtsziffer, von der oben bereits die Rede war. 

Das merkwürdige Übergewicht der Gestorbenen über die Geborenen 
hat man in mannigfacher Weise zu erklären versucht. Stricker 3 ) glaubte 
das Rätsel dadurch zu lösen, daß er die Katholiken zu Hilfe nahm. Es 
seien wohl die gestorbenen, aber nicht die geborenen Katholiken in den Listen 
verzeichnet worden, und daher rühre das Überwiegen der Gestorbenen. 
Bleicher hat nachgewiesen, daß diese Annahme unzutreffend ist. Denn die 
Zahl der Geborenen war bei den Katholiken so gering (sie betrug 1580: 3, 
1672: 50, 1780: 76), daß, selbst wenn man sie zu der Zahl der vom Bar¬ 
füßer Kirchenbuch verzeichneten Geburten addiert, der Sterbefallüberschuß 

l ) Gmeiin, Bevölkerungsbewegung im Hällischen seit Mitte des 16. Jahr¬ 
hunderts. AJlgem. Statist. Archiv, Bd. 6, 8. 251. 

*) Wernicke, Das Verhältnis zwischen Geborenen und Gestorbenen in histo¬ 
rischer Entwiokelung und für die Gegenwart in Stadt und Land. Jena 1896, 8. 75. 

•) 1. c., 8. 21. 


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666 


Dr. med. W. Hanauer, 


dadurch nicht wesentlich verringert wird. Recht sehr wesentlich ist auch 
der Umstand ins Gewicht fallend, daß nicht alle Kinder, deren Mütter hier 
ihren Wohnsitz hatten, in Frankfurt geboren wurden, vielmehr, wie die un¬ 
ehelichen, teilweise außerhalb. 

Mehr Licht auf die Verhältnisse gibt ein Blick auf die Alters- und 
soziale Gliederung der Bevölkerung. Schon Burggrave 1 ) weist in seiner 
medizinischen Topographie auf die große Zahl unverheirateter, sich in Frank¬ 
furt aufhaltender Dienstleute jeder Art hin, welche wohl die Sterbelisten, 
nicht aber die Geburtslisten vergrößerten. 

Dazu kam der Charakter Frankfurts als Messe- und Handelsstadt. 
Der dort herrschende Fremdenverkehr hat sicher ebenfalls auf die Sterbe¬ 
ziffer ungünstig eingewirkt, ohne in gleicher Weise die Geburtsziffer zu 
beeinflussen. In welcher Weise die Sterblichkeit beeinflußt wurde, dadurch, 
daß in Kriegszeiten die Bewohner der umliegenden Ortschaften in die Stadt 
flüchteten, ist oben bereits bemerkt worden. Wie Behr die fluktuierende 
Bevölkerung eine Übersterblichkeit in Frankfurt bedingte, ergibt sich aus 
den Berechnungen Bleichers. Sondert man nämlich die „Bürger“ von der 
Gesamtbevölkerung, so ergibt sich, daß die Bürger, für sich berechnet, mit 
Ausnahme der Periode von 1750 bis 1800, einen Überschuß an Geborenen 
über die Gestorbenen auf wiesen. 

7. Die Sterblichkeit nach dem Geschlecht. 

In den Auszügen aus den Kirchenbüchern sind die Verstorbenen nach 
drei Kategorien gesondert: 1. die verbürgerten Personen überhaupt, 
2. Fremde und Beisassen, 3. Verstorbene im Hospital, Lazarett, Armen- 
und Waisenhaus. Die in den Anstalten Verstorbenen waren natürlich wieder 
selbst entweder Bürgerliche oder Fremde oder Beisassen; es ist aber nichts 
Näheres darüber angegeben; sie wären also, wenn man die Gestorbenen nach 
der sozialen Gliederung oder nach der Gebürtigkeit erfassen will, einer der 
beiden anderen Gruppen zuzurechnen; höchstwahrscheinlich haben sie 
weniger zur Kategorie der Bürgerlichen, wie zu derjenigen der Fremden und 
Beisassen gehört. 

Die Kategorie der verstorbenen Bürgerlichen aber ist wieder unter¬ 
schieden nach den Untergruppen: Männer, Frauen, Witwen, Knaben und 
Mädchen, ein Gemisch demnach von Geschlecht, Alter und Zivilstand. 

Jedenfalls gestattet diese Gruppierung, einiges über die Sterblichkeit 
nach dem Geschlecht festzustellen; natürlich nur bei einem, allerdings dem 
größeren Teile der Gestorbenen, während die nicht zu berücksichtigenden 
Fremden und Beisassen, sowie Spitaliten den dritten bis vierten Teil sämt¬ 
licher Gestorbener ausmachten. 

In Frankfurt nun ergibt sich bezüglich der Sterblichkeit nach dem 
Geschlecht bei den Bürgerlichen, wenn man einerseits die verstorbenen 
Männer und Knaben, andererseits die Frauen, Witwen und Mädchen zu¬ 
sammenfaßt, daß auf 100 verstorbene Angehörige des männlichen Geschlechts 
entfielen weibliche: 

') Burggrave, De aere, aquis et locis urbis Francofurtiae ad Moenum com- 
mentatio. Frankfurt 1751. 


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Geschichte der Sterblichkeit und der öffentl. Gesundheitspfl. in Frankfurt a.M. 667 


TabeUe III. 


1635 bis 1640 . 

. . 107 

1691 bis 1700 

. . 95 

1751 bis 1760 

. . 99 

1641 „ 1650 

. . 98 

1701 „ 1710 

. . 99 

1761 , 1770 

. . 101 

1651 , 1660 

. . 98 

1711 „ 1720 . 

. . 89 

1771 „ 1780 

. . 107 

1661 „ 1670 

. . 106 

1721 „ 1730 

. . 92 

1781 „ 1790 

. . 106 

1671 „ 1680 

. . 101 

1731 „ 1740 

. . 100 

1791 „ 1800 

. . 104 

1681 . 1690 

. . 94 

1741 „ 1750 

. . 99 




Man ersieht daraas, daß das Gesetz, daß die Sterblichkeit des weiblichen 
Geschlechts fast überall kleiner ist als die des männlichen, für Frankfurt 
auch bereits in früheren Jahrhunderten gegolten hat. Denn, abgesehen von 
der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, ist die Sterblichkeit bei den 
Männern, von einzelnen Schwankungen abgesehen, immer größer gewesen 
wie bei den Frauen. Bleicher weist darauf hin, daß gerade in der Zeit 
nach dem Dreißigjährigen Kriege eine steigende Zunahme der Männersterblich¬ 
keit unter den Bürgern zu konstatieren ist, mit welcher die Sterblichkeit der 
Angehörigen derselben, Frauen und Kinder, oder an verbürgerten Witwen, 
nicht gleichen Schritt gehalten hat. Bücher 1 ) hat die erhöhte Sterblichkeit 
der Männer im Mittelalter und das daraus resultierende Überwiegen des 
weiblichen Geschlechts auf die größere Sterblichkeit der Männer bei den 
pestartigen Krankheiten, auf die zahlreichen Bedrohungen, welchen das männ¬ 
liche Leben in den mittelalterlichen Städten infolge der fortwährenden 
Fehden und Bürgerzwiste ausgesetzt war, und endlich auf die größere Un¬ 
mäßigkeit der Männer in jeder Art von Genuß zurückgeführt. Man muß 
annehmen, daß diese Ursachen oder ein Teil derselben auch noch im 16. und 
17. Jahrhundert wirksam gewesen und zur Dezimierung des männlichen 
Geschlechtes geführt haben. 

Da mehr vom männlichen Geschlecht geboren wurden, so folgert Süss¬ 
milch, mußten ihrer auch im ganzen mehr leben und folglich auch mehr 
sterben. Was das Sexualverhältnis der Geborenen in Frankfurt anlangt, 
so überwog in der uns beschäftigenden Periode mit Ausnahme einer einzigen 
Dekade, nämlich von 1760 bis 1770, die Zahl der geborenen Knaben die¬ 
jenige der Mädchen. Unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Kriege waren die 
meisten Knabengeburten zu verzeichnen; es war das Verhältnis 109 Knaben 
zu 100 Mädchen, dem Gesetze entsprechend, daß Angehörige desjenigen 
Geschlechtes am meisten wieder erzeugt werden, das vorwiegend vom Tode 
hinweggerafft wurde. In den übrigen Jahrzehnten war der Knaben¬ 
überschuß fast ausnahmslos etwas geringer. 

Ausnahmen von der Regel der Mehrsterblichkeit des männlichen Ge¬ 
schlechtes sollen nach Süssmilch davon herrühren, daß in den großen Städten 
wegen der Zahl der Dienstmädchen die Zahl des weiblichen Geschlechtes 
größer war und daher auch dessen Sterblichkeit leicht größer werden konnte. 

8. Die Sterblichkeit nach dem Alter. 

In der uns hier beschäftigenden Periode war es unter allen deutschen 
Großstädten der damaligen Zeit allein Breslau, in welcher es genau geführte, 


l ) Bacher, Die Frauenfrage im Mittelalter. Zeitschrift für Staatswissen¬ 
schaft, 8. 349. 1852. 


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668 


Dr. raed. W. Hanauer, 


nach Kalenderjahren und Monaten, sowie nach Alter, Geschlecht und Todes¬ 
ursache der Gestorbenen geordnete, seit 1585 fortlaufende Sterberegister gab. 
Aus dem 17. und 18. Jahrhundert liegen aus einer weiteren Anzahl von 
Städten und Provinzen Altersangaben der Gestorbenen vor. In Frankfurt 
ist erst seit dem Jahre 1812 die Möglichkeit gegeben, eine Gliederung nach 
dem Alter zur Darstellung zu bringen; für die frühere Zeit sind wir allen¬ 
falls bloß in der Lage, die Kindersterblichkeit zu berechnen, und zwar 
auch dies nur bei einem Teile der Verstorbenen, nämlich den Verbürgerten, 
bei welchen wir ja gesehen haben, daß die Verstorbenen gesondert wurden 
in Männer, Frauen, Witwen, Knaben und Mädchen. Nehmen wir alsdann 
die Zahl der verstorbenen Knaben und Mädchen zusammen, stellen diese der 
Gesamtzahl der Verstorbenen gegenüber, so ergibt sich, daß von 100 Ge¬ 
storbenen dem Kindesalter angehörten: 


Tabelle IV. 


1635 bis 1640 . . 

54 

1691 bis 1700 

. . 66 

1751 bis 1760 . . 

61 

1641 „ 1650 . . 

66 

1701 

„ 

1710 

. . 68 

1761 „ 1770 . . 

62 

1651 „ 1660 . . 

62 

1711 

„ 

1720 

. . 67 

1771 „ 1780 . . 

61 

1661 „ 1670 . . 

62 

1721 

„ 

1730 

. . 59 

1781 „ 1790 . . 

59 

1671 „ 1680 . . 

62 

1731 


1740 

. . 63 

1791 „ 1800 . . 

54 

1681 „ 1690 . . 

63 

1741 

„ 

1750 

. . 61 




Wie weit das Kindesalter reichte, läßt sich aus den Totenlisten nicht 
entnehmen. Einen Anhaltepunkt gibt uns jedoch die Bezeichnung „Knaben“, 
welche den „Männern“ gegenübergestellt sind. Man darf wohl annehmen, 
daß das Knabenalter bis zum 14. oder 15. Lebensjahr reichte und daß die 
älteren männlichen Individuen als Jünglinge bereits den Männern zugerechnet 
wurden und daß dementsprechend auch das Mädchenalter begrenzt wurde. 

Während im Jahre 1904 in Frankfurt der Anteil der Kinder bis 
15 Jahre an der Gesamtsterblichkeit 40 Proz. betrug, war er demnach im 
16. und 17. Jahrhundert ein bedeutend erhöhter, indem wir, um einen Ver¬ 
gleich anstellen zu können, wie vorher begründet, annehmen, daß es sich 
bei den „Knaben“ und „Mädchen“ der alten Frankfurter Sterbelisten eben¬ 
falls um Individuen im ungefähren Alter bis 15 Jahre gehandelt hat. Die 
Kindersterblichkeit betrug demnach in Frankfurt zu manchen 
Zeiten zwei Drittel sämtlicher Gestorbenen; sie zeigte ein starkes 
Ansteigen nach dem Dreißigjährigen Kriege, am Ende des 17. und am Be¬ 
ginne des 18. Jahrhunderts, entsprechend dem Anschwellen der Geburts¬ 
zahlen in diesen Perioden. Es wirkte wohl auch, wie dies Gmelin für 
Halle angibt, die Auslese durch den großen Krieg mit, infolgedessen alle 
halbwegs Siechen vorher weggerafft wurden und es so in diesem erstfolgenden 
Jahrzehnt nach dem Kriege nichts zu sterben gab als Kinder. Die Kinder¬ 
sterblichkeit zeigte in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, ent¬ 
sprechend wohl der Abnahme der Geburtsziffer und den Fortschritten der 
ärztlichen Kunst, eine sinkende Tendenz. 

Die große Kindersterblichkeit war natürlich nicht eine für Frankfurt 
vereinzelte Erscheinung, vielmehr war sie allenthalben nachzuweisen. An 
der an sich hohen Gesamtsterblichkeit (speziell in den Städten) war die 
Kindersterblichkeit in hervorragendem Maße beteiligt. Die hohe Kinder¬ 
sterblichkeit war es auch, welche das Sterblichkeitsverhältnis im allgemeinen 


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Geschichte der Sterblichkeit und der öffentl. Gesundheitspfl. in Frankfurt a.M. 669 

so außerordentlich ungünstig erscheinen läßt und zu dem so bedeutenden 
Überwiegen der Gestorbenen über die Geborenen führt. 

In den beleuchteten Zeiträumen war die Fruchtbarkeit der Ehen sehr 
groß. Ebenso groß wie die Zahl der Bänder war aber auch deren Sterblichkeit. 
Infolge der mangelhaften ärztlichen Kunst verstarben schon viele Kinder 
bald nach der Geburt; die Sterblichkeit war naturgemäß, wie auch heute noch, 
in den ersten Jahren nach der Geburt am größten. 

Nach dem Verlauf der großen Epidemien stellen die Kinder das Haupt¬ 
kontingent zu der hohen Zahl der Toten. Zum Vergleich mit den Ziffern der 
Frankfurter Kindersterblichkeit seien hier noch einige Daten aus anderen 
Städten angegeben, aus welchen sich ergibt, daß überall die Zahl der ver¬ 
storbenen Kinder die der Erwachsenen ganz erheblich übertraf. In München 
trafen in der Frauenpfarrei auf 100 verstorbene Erwachsene in den drei 
Jahrfünften von 1686 bis 1700 139 bzw. 114 und 151 Kinder 1 ). 

Nach Süssmilch waren um die Mitte des 18. Jahrhunderts im Durch¬ 
schnitt von 1000 Gestorbenen in den Städten Berlin, Braunschweig, Wien 
und Paris 516 Kinder bis zum 15. Lebensjahr. 

Nach Benoistan de Chateauneuf starben um 1775 in Europa vor 
Ablauf des zehnten Lebensjahres fast volle 50 Proz. 2 ). 

Daß übrigens die Kindersterblichkeit in den Städten am größten war, 
ist auch damals von Süssmilch nachgewiesen worden. Während in den an¬ 
geführten Großstädten bei 1000 Gestorbenen 516 Bänder unter 15 Jahren 
waren, waren es auf dem Lande nur 457, in Kleinstädten 494. 

Während, wenn man die damalige Kindersterblichkeit mit der heutigen 
vergleicht, sich wohl überall ein Minus zugunsten der Neuzeit ergibt, konnte 
Grätzer 8 ) für Breslau nachweisen, daß die Sterblichkeit der ersten Alters- 
dezennien in den Jahren 1876/80 weit größer war als in den früheren 
Perioden 1687/91, was er auf die viel höhere Geburtsziffer und die stärkeren 
Epidemien des Kindesalters in der Jetztzeit zurückführt. 

Die Ursache der großen Kindersterblichkeit in den Städten findet Süss- 
milch in der größeren Schwachheit der Eltern in den Städten, in der Menge 
schlechter und liederlicher Eltern und in der großen Zahl der Ammen, deren 
Mangel an Zärtlichkeit oft die Ursache mancher tödlicher Versäumnis sei. 

Über den Einfluß der Ernährung auf die Kindersterblichkeit äußern sich 
auch die älteren Frankfurter Schriftsteller. Burggrave 4 ) bemerkt: „Wenige 
Frankfurterinnen können ihre Kinder selbst stillen“, worauf Senckenberg 
erwidert: „Sie könnten wohl, wenn sie nur wollten.“ Auf die Säugammen 
ist auch Behrends schlecht zu sprechen. Durch die Säugammen wurden 
ehemals viele Kinder geopfert. Teils schwächliche, teils allzu bequeme 
Frauenzimmer ließen ihre Kinder durch andere tränken. Diese oft mit Grind 
und Franzosen Angefochtenen jagten den Säuglingen das tödliche Gift in 

') Bost, Die Bevölkerung Münchens im 17. Jahrhundert. Hist. - politische 
Blätter. München 1904. Blätter. 8.672. 

*) Kirchhoff, Beiträge zur Bevölkerungsstatistik von Erfurt (besonders im 
17. und 18. Jahrhundert). Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Alter¬ 
tumskunde in Erfurt. 5. Heft. B. 64. 

*) Grätzer, Edmund Halley und Kaßpar Neumann. Breslau 1883, 8.53. 

*) Vgl. 8trioker, Geschichte der öffentlichen Gesundheitspflege in der 
Stadt Frankfurt a. M. im 18. Jahrhundert. Virchows Archiv, Bd. 117, 8. *200. 


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670 


Dr. med. W. Hanauer, 


den Leib. Wenn den Müttern drei Säuglinge starben, bo starben den Säug- 
ammen fünf. Recht eindringlich riet daher Behrends -den Müttern das 
Selbststillen an. 

Bei Beurteilung der Kindersterblichkeit müssen auch die Verhältnisse 
der unehelichen Kinder ins Auge gefaßt werden; denn allerorten und zu 
allen Zeiten hat sich ergeben, daß die Sterblichkeit der unehelichen Kinder 
bedeutend größer ist als die der ehelich geborenen. Christian Jakob 
Baumann 1 ), der Herausgeber der späteren Auflage der Süssmilchschen 
„Göttlichen Ordnung“, berechnete bereits, daß die Sterblichkeit der unehe¬ 
lichen Kinder im ersten Lebensmonat noch einmal so groß war wie bei 
allen Geborenen zusammen. Wenn nun die Zahl der unehelichen Kinder in 
früheren Jahrhunderten eine sehr große gewesen ist, so dürfte man darin ein 
ätiologisches Moment für die große Kindersterblichkeit sehen. Auffallender- 
weise war in früheren Zeiten die Zahl der unehelichen Geburten äußerst 
gering in Frankfurt wie auch anderwärts. So kamen in Frankfurt in den 
Jahren 1635 bis 1640 auf 1000 eheliche Geburten bloß 9,3 uneheliche, am 
Ende des 17. Jahrhunderts 13, um die Mitte des 18. Jahrhunderts etwa 54, 
am Ausgang desselben etwa 120, womit die Ziffer genau der Unehelichkeits¬ 
ziffer am Ende des 19. Jahrhunderts entspricht. Nach SüBsmilch kommen 
um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Preußen auf 100 Geburten auf dem 
Lande 6,2 uneheliche, in den großen Städten 10, im Durchschnitt 7,5. 
Frankfurt unterschied sich damit vorteilhaft von dem Durchschnitt. 
Woher rührte nun die geringe Ziffer der Unehelichen in den früheren Zeiten, 
die mit der angeblichen sittlichen Verwilderung, die man immer als charak¬ 
teristisch für diese Zeiten angibt, nicht in Einklang steht ? Einen Fingerzeig 
gibt Sophia Daszynska 2 ). Sie meint, daß unter den Geburten die unehe¬ 
lichen selten und fast immer ungenau notiert wurden. Auch mochten ört¬ 
liche Verhältnisse mitspielen. Bothe 3 ) z. B. meint, daß viele Uneheliche nicht 
in Frankfurt getauft wurden, sondern außerhalb, und infolgedessen auch 
nicht registriert wurden. Behrends erinnert, indem er seine Geburts¬ 
statistik aufstellt, an die Mütter, die außerhalb in die Nachbarschaft reisen, 
um sich ihrer Bürde zu entledigen, womit natürlich nur uneheliche Mütter 
gemeint sein können. 

Interessant ist auch die Bemerkung der oben genannten Autorin dar¬ 
über, wie man sich in Zürich gegenüber unehelichen Müttern verhielt 4 ). Dort 
wurde nämlich die Erzeugung außerehelicher Kinder sehr strenge bestraft, 
und daher dürfte es wohl rühren, daß sich nur sehr wenige uneheliche Ge¬ 
burten in den Registern verzeichnet finden. 

Was das Verhältnis des Geschlechtes der gestorbenen Kinder anlangt, 
so ergibt sich folgendes. Es starben auf 100 Mädchen Knaben: 


l ) SüBsmilch, Göttliche Ordnung, 2. Teil, 1787, S. 223. 

*) Sophia Daszynska, Stoff und Methode der historischen Bevölkerungs¬ 
statistik. Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 66, S. 500. 

“) Bothe, Beiträge zur Wirtschafts- und 8ozialge8cliichte der Reichsstadt 
Frankfurt a. M. 1906, S. 73. 

4 ) 8. Daszynska, Zürichs Bevölkerung im 17. Jahrhundert. Zeitschrift für 
schweizerische Statistik 1889, 8. 393. 


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Geschichte der Sterblichkeit und der öffentl. Gesundheitspfl. in Frankfurt a.M. 671 


Tabelle V. 


1635 bis 1640 . . 

103 

1691 bis 1700 

. . 109 

1751 bis 1760 

. . 109 

1641 „ 1650 .'. 

115 

1701 „ 1710 

. . 106 

1761 „ 1770 

. . 102 

1651 „ 1660 . . 

129 

1711 „ 1720 

. . 105 

1771 „ 1780 

. . 98 

1661 „ 1670 . . 

104 

1721 , 1730 

. . 114 

1781 „ 1790 

. . 98 

1671 „ 1680 . . 

114 

1731 „ 1740 

. . 107 

1791 „ 1800 . 

. . 96 

1681 „ 1690 . . 

118 

1741 „ 1750 

. . 105 




Mit Ausnahme der letzten drei Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts war 
demnach ein Überwiegen der Sterblichkeit des männlichen Geschlechtes bei 
den Kindern zu konstatieren; am größten war die Sterblichkeit der Knaben 
unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Kriege. Wir haben gesehen, daß um 
diese Zeit der Knabenüberschuß bei den Geburten auch am stärksten war. 
Vergleicht man in Hinsicht des Geschlechtes die Kindersterblichkeit mit der 
Gesamtsterblichkeit, so ergibt sich, daß die Kurve nicht in gleicher Weise 
verläuft; sie stimmt überein bezüglich des Überwiegens des weiblichen 
Geschlechtes am Ausgang des 18. Jahrhunderts, im übrigen sind bei der 
Gesamtsterblichkeit noch einige Perioden zu verzeichnen, wo die Sterblich¬ 
keit beim weiblichen Geschlecht im allgemeinen die des männlichen über¬ 
wiegt, während dies bei der Kindersterblichkeit nicht der Fall ist 

Auch Süssmilch stellte bereits fest, daß jederzeit mehr Knaben als 
Mädchen sterben, und zwar ist dieser Überschuß der sterbenden Knaben 
größer als der der Mädchen. Wenn das Verhältnis der geborenen Knaben zu 
den Mädchen sich wie 104:100 verhält, so ist das Verhältnis der gestorbenen 
Knaben zu den Mädchen wie 108:100, was der Frankfurter Ziffer in der 
Mitte des 18. Jahrhunderts ungefähr entspricht. 

9. Die Totgeburten. 

Eine Spezialrubrik für Totgeborene gab es in den alten Kirchenbüchern 
nicht, wohl aber eine solche für ungetauft Verstorbene. In diese wurden 
aufgenommen die vor und während der Geburt Verstorbenen, aber auch 
die bald nach der Geburt Verstorbenen, die nicht mehr getauft werden 
konnten. Ungetaufte und Totgeborene sind demnach nicht identisch. Da 
aber die Kinder sehr bald nach der Geburt getauft zu werden pflegten, so 
ist anzunehmen, daß unter den Ungetauften doch überwiegend die auch im 
heutigen Sinne totgeborenen Kinder zu verstehen sind. Um so auffallender 
ist, daß trotz des umfassenderen Begriffes in Frankfurt die Zahl der Tot¬ 
geborenen im 18. Jahrhundert eine außerordentlich geringe war, sie war 
1635 bis 1640 auf 100 Lebendgeburten 3,66 Proz., sank dann ständig bis 
zum AusgaDg dieses Jahrhunderts bis auf 1,52 Proz., stieg dann wieder an 
und variierte im 18. Jahrhundert zwischen 3,12 und 5,2 Proz. 

Woher mag nun die auffallend geringe Zahl der Totgeborenen im 18. Jahr¬ 
hundert in Frankfurt kommen? Denn, daß sie abnorm niedrig war, ergibt 
ein Vergleich mit anderen Städten. In Breslau betrug sie nach Grätzer 1 ) 
1687 bis 1691 5,2 Proz., in Halle nach Wernicke 2 ) 1672 bis 1702 4,3 Proz., 
im Hallischen 1651 bis 1700 3,86 Proz. 3 ). In letzterer Stadt ist ein Rückgang in 

*) Grätzer, 1. c., 8. 61. 

*) Wernicke, 1. c., 8. 8. 

3 ) Gmelin, 1. c., 8. 278. 


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672 


Dr. med. W. Hanauer, 


der Ziffer der Totgeburten im Laufe der Jahrhunderte zu konstatieren, die von 
Gmelin in der Hauptsache auf die Fortschritte der ärztlichen Kunst, in 
zweiter Linie auf den Rückgang in der Strenge der Beurteilung unehelicher 
Geburten, auf welche unverhältnismäßig viel Totgeborene kamen, zurück¬ 
geführt wurden. 

Nach Sophia Daszynska unterlagen die Totgeborenen keiner Kontrolle. 
Ob das auch in Frankfurt der Fall war, steht dahin. Sicherlich bestand 
aber ein Zusammenhang zwischen der Zahl der Totgeborenen und der Zahl 
der unehelichen Kinder. Denn wir haben gesehen, daß auch diese im 
17. Jahrhundert in Frankfurt außerordentlich gering war; beide Kurven 
haben in ihrem ständigen Anwachsen viel Ähnlichkeit miteinander. 

Daß die Unehelichen einen besonders hohen Prozentsatz zu den Tot¬ 
geburten stellen, war bereits Süssmilch bekannt, ebenso, daß sich unter den 
Totgeborenen mehr Knaben als Mädchen befinden; im übrigen bezog er die 
Totgeborenen nicht auf die Zahl der Geburten, sondern auf die Todesfälle. 
Erst Baumann berechnete das Verhältnis der Totgeborenen zur Zahl der 
Geborenen. Nach dessen Angaben betrug die Zahl der Totgeborenen in 
Dresden von 1717 bis 1752 5,7 Proz., in Leipzig 6,3 Proz., war also höher 
als in Frankfurt. In anderen Städten war sie wiederum kleiner, wie in 
Lübeck, wo sie 1750 bis 1769 bloß etwa 2,7 Proz. betrug 1 ). Auf dem Lande 
und in kleineren Städten ist sie geringer, was auf die kräftigere Konstitution 
der Frauen auf dem Lande und auf das daselbst übliche Selbststillen zurück¬ 
geführt wird. Während nach Süssmilch die Totgeborenen unter allen 
Geborenen etwa 4 Proz. ausmachen, ist diese Ziffer unter den Unehelichen 
größer, sie betrug etwa 6 Proz. 

10. Einfluß der Jahreszeit auf die Sterblichkeit. 

Während heute durchweg in den Großstädten der Gipfel der Sterblich¬ 
keit im Juli und August sich findet, war in früheren Jahrhunderten der 
Sommer vielfach die günstigste Jahreszeit. In Frankfurt allerdings war dies 
für die Jahre 1600 bis 1700 nicht der Fall; hier war es der August, welcher 
die größte Sterblichkeit aufweist. Im 18. Jahrhundert ist jedoch das 
Frühjahr, und zwar der Monat April, am meisten belastet. Die gesundesten 
Jahreszeiten sind Sommer und Herbst, die ungesundesten Frühjahr und 
Winter, allerdings mehr der Nachwinter als der Vorwinter. Auch Breslau 
weist in der Periode von 1687 bis 1691 die höchste Sterblichkeit im August auf, 
während in Erfurt im 17. Jahrhundert die Sterblichkeit im Sommer am gering¬ 
sten ist. Im 18. Jahrhundert ist allenthalben, soweit darüber Nachrichten ver¬ 
öffentlicht sind, die Sommersterblichkeit am geringsten, die Frühjahrssterblich- 
keit am größten, so nach Süssmilch in Berlin und Danzig. Berlin weist 1746 
bis 1755 im März die höchste Sterbeziffer auf, Danzig 1739 bis 1750 im Mai, 
Lübeck nach Reissner 1 ) 1750 bis 1769 im Mai die höchste, im November 
die geringste; in der Kurmark Brandenburg war nach W. H. Müller 2 ) die 
Sterblichkeit am höchsten im Winter, am geringsten im Sommer. 

*) Reissner, Die Einwohnerzahl deutscher Städte in früheren Jahrhunderten 
mit besonderer Berücksichtigung von Lübeck. 1903, 8. -8. 

*) W. H. Müller, Tabellarische Nachrichten über die Population der ge¬ 
samten kgl. preußischen Staaten. Berlin 1799, 8. 37. 


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Geschichte der Sterblichkeit und der öffentL Gesundheitspfl. in Frankfurt a.M. 673 

Wenn man den Ursachen nachgeht, welche die Verschiebung des Sterb¬ 
lichkeitsmaximums vom Sommer nach dem Frühjahr und Winter im 16. und 
17. Jahrhundert bedingen, so wird man wohl an den Einfluß der großen 
Seuchen denken müssen, die noch im 16. Jahrhundert grassierten und die 
am meisten wohl in der heißen Jahreszeit wüteten. 

Nachdem im 18. Jahrhundert die großen Seuchen aufhörten, müssen die 
Erkrankungen der Atmungsapparate und die Tuberkulose im 18. Jahrhundert 
als Todesursache wirksamer gewesen sein als die Erkrankungen des Ver¬ 
dauungsapparates , und daher dürfte die Häufung der Todesfälle, nament¬ 
lich im Frühjahr, herrühren. Möglicherweise ist auch die zeitliche Ver¬ 
rückung der größeren oder geringeren Häufigkeit der Mortalität aus der im 
Laufe der Zeiten geänderten Empfänglichkeit der menschlichen Natur für 
KrankheitBeinflüsse zu erklären. Jedenfalls geht aus den Differenzen zwischen 
Maximum und Minimum der Sterblichkeit hervor, daß die Jahreszeiten 
früher einen größeren Einfluß auf die Geburt und das Sterben der Menschen 
ausgeübt haben als gegenwärtig. 

11. Die Gliederung der Sterblichkeit nach Stadtteilen. 

ln großen Städten ist man in der Lage, für bestimmte Stadtteile be¬ 
sondere Sterbelisten aufzustellen. Man findet da bestimmte Sterblichkeits¬ 
ziffern, die je nach den sozialen und WohlstandsverhältniBsen differieren und 
auch stark durch die Geburtsziffer beeinflußt werden. In ärmeren Vierteln 
ist die Sterblichkeit sehr groß, ebenso auch die Geburtsziffer; in Vierteln, 
wo die oberen Zehntausend wohnen, ist das Umgekehrte der FalL 

Für Frankfurt ist es möglich, eine derartige Ausscheidung bis ins 
17. Jahrhundert zurück zu verfolgen, da die Sterbefälle in dem Kirchenbuch 
bereits seit 1635 für die rechte Mainseite, das eigentliche Frankfurt und 
den linksseitigen, den bekannten Stadtteil Sachsenhausen, getrennt angegeben 
sind, die Geburten aber erst seit 1677. 

Die Bevölkerungsbewegung verlief nun in Sachsenhausen wesentlich 
anders, wenn man zunächst das Verhältnis der Geburten zu den Gestorbenen 
vergleicht. 

In Frankfurt entfallen: 

1677 bis 1700 auf 100 Gestorbene. 99 Geborene 

1700 „ 1750 . 100 „ 86 

1751 , 1800 , 100 „ 71 

In Sachsenhausen entfallen: 

1677 bis 1700 auf 100 Gestorbene.109 Geborene 

1700 „ 1750 , 100 „ 101 

1751 „ 1800 , 100 , 80 

Man sieht, in den ersten beiden Perioden ist in Sachsenhausen, während 
in Frankfurt ein Sterbefall Überschuß vorhanden ist, ein Geburtenüberschuß 
vorhanden; in der letzten Periode ist zwar auch in Sachsenhausen ein Sterbe¬ 
überschuß zu verzeichnen, aber er ist nicht so bedeutend wie in Frankfurt. 
Dies ließe sich nur so erklären, daß entweder die relative Sterblichkeit ge¬ 
ringer war als in Frankfurt, oder die Geburtenziffer größer. 

Vierteljahr*Schrift für Gesundheitspflege, 1908. ^3 


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674 


Dr. med. W. Hanauer, 


Wir werden sehen, daß in Sachsenhansen die Sterblichkeitsziffer sogar 
größer war als in Frankfurt, aber dementsprechend muß auch die Geburts¬ 
ziffer um so viel größer gewesen sein, daß obige Zahlen resultierten. 

Entsprechend der höheren Geburtsziffer ist in Saohsenhausen auch die 
Sterblichkeit der Kinder größer als in Frankfurt. 

Von 100 gestorbenen Bürgerlichen gehörten dem Kindesalter an in 


Frankfurt: 



Sachsenhausen: 


1650 bis 1700. . . . 

. 64 


1650 bis 1700. 

65 

1701 „ 1750. . . . 

. 63 


1701 „ 1750. 

66 

1751 „ 1800. . . . 

. 54 

1 

1751 , 1800. 

67 

Auch die Ziffer der Totgeburten ist in 

Sachsenhausen größt 

er i 

Frankfurt. 





Auf 100 Geburten entfielen Totgeburten 

in 


Frankfurt: 



Sachsenhausen: 


1680 bis 1700 . . . . 

2,0 


1680 bis 1700 .... 

2,8 

1701 „ 1750 . . . . 

. 4,2 


1701 „ 1750 .... 

4,9 

1751 „ 1800 . . . . 

4,4 


1751 n 1800 .... 

5,0 


Desgleichen ist auch die Zahl der unehelichen Geburten links des Mains 
größer als rechts des Mains. 

Behrends berechnete für die sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts aus der 
Zahl der Feuerstellen eine Bevölkerungsziffer für Frankfurt von 30 456 Ein¬ 
wohnern, für Sachsenhausen eine solche von 5544 Einwohnern. Danach läßt 
sich die Sterblichkeitsziffer für Frankfurt mit 32, für Sachsenhausen mit 
40 Promille berechnen; die Geburtsziffer in den beiden Städten verhält sich 
wie 23:34. Die Ursache für die Unterschiede findet Behrends in der ver¬ 
schiedenen sozialen Gliederung. In Sachsenhausen gab es viel Proletariat: 
Gärtner, Tagelöhner und Handlanger, welche viel eher heirateten als die Frank¬ 
furter; daher ist die Geburtsziffer höher. Als Ursache der erhöhten Sterblich¬ 
keit gibt er die stärkeren Strapazen bei der Arbeit, die heftigeren Leiden¬ 
schaften und größeren Schwelgereien an; an die größere Bändersterblichkeit 
infolge der erhöhten Geburtsziffer hat. er nicht gedacht. Dagegen war ihm 
bereits die größere Zahl der Totgeburten in Sachsenhausen bekannt , die er 
auf die körperliche Arbeit der Sachsenhäuser Frauen zurückführt, sowie auf 
den Umstand, daß sie nicht rechtzeitig sich nach Ärzten und Hebammen 
umsahen. 


12. Die Sterblichkeit nach der Konfession. 

Wir haben gesehen, daß das Barfüßerkirchenbuch in erster Linie für 
die evangelische Bevölkerung bestimmt war. Was die Katholiken anlangt, 
so wurden nur die Todesfälle verzeichnet, und auch diese erst in späterer 
Zeit und unvollständig. Spezialberechnungen für die Katholiken anzustellen 
ist deswegen nicht möglich, weil bei den einzelnen Sterbefällen die Konfession 
der Verstorbenen nicht verzeichnet war. Vielleicht wird diese Lücke aus¬ 
gefüllt werden können, wenn man das katholische Kirchenbuch zur Ver¬ 
arbeitung mit heranzieht. 

Neben der christlichen Bevölkerung gab es aber in Frankfurt eine 
jüdische Bevölkerung, die schon ihrer Zahl wegen nicht unberücksichtigt 


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Diqitiz 









Geschichte der Sterblichkeit und der öffentl. Gesundheitspü. in Frankfurt a.M. 67ö 

bleiben darf. Denn seit dem Jahre 1580 bis zum Beginn dieses Jahr¬ 
hunderts haben die Juden durchschnittlich etwa 10 Proz. der Gesamtbevölke¬ 
rung ausgemacht. In das allgemeine Kirchenbuch wurden natürlich ihre 
Verstorbenen nicht verzeichnet, dafür ist uns aber seit 1624 die Anzahl der 
Verstorbenen in den Verzeichnissen des israelitischen Beerdigungs¬ 
verein b erhalten geblieben, und da auch die Bevölkerungsziffer für die ver¬ 
schiedenen Perioden, da sie alle zusammen in der Judengasse wohnten und 
sehr leicht zu zählen waren, sich aus der Anzahl der Häuser und auch aus 
den Steuer Verzeichnissen leicht feststellen ließ, so ist man in der Lage, die 
relative Sterblichkeitsziffer der Juden zu berechnen und die Sterblichkeit der 
jüdischen Bevölkerung mit der der christlichen zu vergleichen. Die Seelen¬ 
zahl der Frankfurter Juden betrug nach den Berechnungen von Dietz l ) 
im Jahre 1630 bis 1640 etwa 1000, in den Jahren 1650 bis 1660 500 
und stieg von da an ständig, um gegen das Ende des 17. Jahrhunderts sich 
auf etwa 2000 Seelen zu belaufen. Für den Anfang des 18. Jahrhunderts 
liegen uns die Resultate einiger Zählungen vor, die der Rat hatte vornehmen 
lassen, weil das Steigen der jüdischen Bevölkerung im Verhältnis zu 
früheren Zeiten seine Aufmerksamkeit erregt hatte, was ihn veranlaßte, durch 
Visitation der Gassen die Anzahl der Juden festzustellen und nach den 
Gründen für die starke Vermehrung zu forschen. So wurde die Zahl der 
Juden im Jahre 1703 mit 2364 festgestellt, im Jahre 1709 mit 3019 Köpfen 2 ). 
Nach den Berechnungen von Dietz ist seit dieser Zeit die Bevölkerungs¬ 
ziffer nicht mehr unter 3000 heruntergegangen, hat sich also während des 
ganzen 18. Jahrhunderts annähernd auf gleicher Höhe erhalten. 

Unter Zugrundelegung dieser Seelenzahlen und der von Horovitz 3 ) 
mitgeteilten Totenzahlen des Beerdigungsvereins ergibt sich, nach Jahr¬ 
zehnten abgeteilt, folgende relative Sterbeziffer der Frankfurter jüdischen 
Bevölkerung im 17. und 18. Jahrhundert Promille: 

Tabelle VI. 


1624 bis 1630 

. . 74 

1691 bis 1700 . . 

. 48 

1751 bis 1760 . . 

42 

1631 , 

1640 

. . 206 

1703 . 

. 53 

1761 „ 1770 . . 

41 

1641 „ 

1650 

. . 102 

1709 . 

. 40 

1771 „ 1780 . . 

38 

1651 „ 

1660 

. . 108 

1710 bis 1720 . . 

. 35 

1781 „ 1790 . . 

31 

1661 , 

1670 

. . 67 

1721 „ 1730 . . 

. 36 

1791 „ 1800 . . 

35 

1671 „ 

1680 

. . 56 

1731 „ 1740 . . 

. 41 



1681 „ 

1690 

. . 48 

1741 „ 1750 . . 

. 45 




Vergleicht man diese Ziffern mit der früher für die christliche Bevölke¬ 
rung Frankfurts allgemein berechneten, so ergibt sich zur Evidenz, daß in 
allen Perioden die Sterblichkeit der jüdischen Bevölkerung größer 
war als diejenige der christlichen, wofür namentlich die Jahre 1703 und 
1709 ein exaktes Beispiel geben, während heute das Umgekehrte der Fall ist. 

Da in den Verzeichnissen der Beerdigungsbrüderschaft die Zahl der 
verstorbenen Bänder von den Erwachsenen gesondert angegeben ist, so läßt 
sich auch die Kindersterblichkeit bei den Juden berechnen. 

*) Bürgerbuch, 1. c., 8.184 u. f. 

*) Bothe, Beiträge zur Wirtschafts - und 8ozialgeschichte der Reichsstadt 
Frankfurt a. M., 8. 70. 1906. 

*) Horovitz, Die Inschriften des alten FriedhofeB der israelitischen Gemeinde 
zu Frankfurt a. M. 1901, 8. 20. 

43* 


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676 


Dr. med. W. Hanauer, 


Es waren demnach von 100 Verstorbenen Kinder: 


Tabelle VH. 


1624 bis 1630 . . 

42 

1681 bis 1690 

. . 42 

1741 bis 1750 . . . 

36 

1631 

„ 1640 . . 

25 

1691 

. 1700 

. . 49 

1751 , 

1760 . . . 

40 

1641 

„ 1650 . . 

41 

1703 

„ 1709 

. . 54 

1761 , 

1770 . . . 

41 

1651 

„ 1660 . . 

45 

1710 

„ 1720 

. . 45 

1771 „ 

1780 . . . 

40 

1661 

„ 1670 . . 

46 

1721 

„ 1730 

. . 46 

1781 „ 

1790 . . . 

39 

1671 

, 1680 . . 

43 

1731 

„ 1740 

. . 42 

1791 „ 

1800 . . . 

32 


Beim Vergleich mit der Kindersterblichkeit der 

Christen ergibt sich 

die 


Tatsache, daß dieselbe bei den Juden durchweg bedeutend geringer war als 
bei ersteren, was entweder darauf zurückzuführen sein dürfte, daß die 
Kinderzahl bei den Juden eine kleinere war als bei der christlichen Bevölke¬ 
rung, was kein Wunder gewesen wäre, da ja die Juden infolge der Beschrän¬ 
kung ihres Wohnraumes, der nicht erweiterungsfähig war, sich auch in der 
Produktion der Kinder eine Beschränkung auferlegen mußten, oder der 
Grund könnte auch in der besseren und sorgfältigeren Pflege der Kinder zu 
suchen sein. Charakteristisch ist hier, daß die Juden, als sie im Jahre 1462 
nach dem Getto zwangsweise verpflanzt wurden und sich dagegen wehrten, 
als Grund unter anderem angaben, es wäre schwer möglich, nach der ent¬ 
legenen und fernen Gegend bei Geburtsnöten eine Hebeamme herbeizurufen. 

Es ist nicht ohne Interesse, noch einige Augenblicke bei den Sterblich¬ 
keitsverhältnissen der Frankfurter Juden zu verweilen; und zwar um so mehr, 
als Dietz in seinem neuesten Werke J ) gegenüber Kracauer 2 ) die Behauptung 
aufstellte, daß die Gesundheitsverhältnisse der dicht bevölkerten Judengasse, 
und dementsprechend die Sterblichkeitsziffer, keine ungünstigen wären, ja sogar 
bessere als bei der übrigen christlichen Bevölkerung. Bas ist nicht richtig, 
wie wir oben nachgewiesen haben; unsere Zahlen stimmen vielmehr mit 
den Kracauer sehen Zahlen ziemlich überein, sind nur um ein geringeres 
niedriger, weil Kracauer eine geringere Bevölkerung zugrunde legt, wir 
dagegen für das 18. Jahrhundert die von Dietz selbst angegebene Ziffer 
von 3000 Seelen. 

Und nach den Gründen, warum die Sterblichkeit in der Frankfurter 
Judengasse größer sein mußte, braucht man wahrlich nicht lange zu suchen. 
Sie werden von Kracauer sehr anschaulich geschildert auf Grund seiner 
archivalischen Untersuchungen und den Schilderungen der Zeitgenossen. Die 
Juden lebten zusammengepfercht in der engen, düsteren, von hohen Mauern 
umgebenen, der Luft und des Lichtes entbehrenden Gasse, und für sie ging 
die Sonne viel später auf und viel früher unter als für die anderen Bewohner 
der Stadt. Da gab es keine Höfe und keine Gärten, die Mauern wurden 
statt erniedrigt, ständig noch erhöht. Die Höfe waren stets feucht, ja 
geradezu kotig, da sie keinen Ablauf für die Ausflüsse hatten. Die An¬ 
tauchen befanden sich in widerlichem und ekelhaftem Zustande. In manchen 
Häusern fehlten die Abtritte überhaupt, die an ihrer Stelle benutzten Nacbt- 
stühle wurden von besonders dazu angestellten Weibern ausgeleert. Die 
Antauchen waren zum großen Teil offen und ihre Spülung war durchaus 

') Dietz, 8tammbuch der Frankfurter Juden. Frankfurt a. M. 1907, 8.431. 

*) Kracauer, Die Geschichte der Judengasse in Frankfurt. Festschrift zur 
Jahrhundertfeier der Philanthropen, 8. 463. Frankfurt a. M. 1904. 


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Geschichte der Sterblichkeit und der öffentl. Gesundheitspfl. in Frankfurt a. M. 677 

ungenügend, namentlich im heißen Sommer war die Wassermenge so un¬ 
bedeutend, daß sie die Fäkalien kaum fortspülen konnte. Wenn daher in 
der Judengasse schon das ganze Jahr der Gestank groß war, so war die 
Luft in der heißen Jahreszeit geradezu verpestet. Allgemein wunderten sich 
die Fremden, daß in dieser Gasse nicht Seuchen herrschten und die Bewohner 
wegrafften. Da die Bevölkerung im 18. Jahrhundert zunahm, neue Häuser 
aber nicht gebaut werden durften, so schritt man zur Teilung der Häuser, 
zur Umwandlung von Ställen, Schuppen oder kleineren Gebäuden in Häuser, 
namentlich in Hinterhäuser. Auch die Wohnungen selbst konnten sich 
nicht durch besondere Sauberkeit auszeichnen. 

Ein Reisender beschreibt das Aussehen der Insassen. Die meisten, auch 
solche, die in der Blüte der Jahre stehen, sehen aus wie herumwandelnde 
Tote, so daß sie nicht eines besonderen Kennzeichens brauchten. 

Behrends nimmt die Juden übrigens gegenüber dem Vorwurf der 
übergroßen Unreinlichkeit ihrer Wohnungen in Schutz. Doch, fragt er, wer 
kann da überhaupt Reinlichkeit vermuten, wo alles voll von Menschen 
wimmelt? 

Was den Gesundheitszustand der Bewohner anlangt, so macht er einen 
Unterschied zwischen solchen, welche sich den ganzen Tag in der Gasse 
aufhalten, und solchen, welche durch ihr Geschäft in die Stadt geführt 
werden. Dieser ist bei letzteren naturgemäß viel besser wie bei ersteren. 

Sehr instruktiv werden diese Verhältnisse noch durch einige Zahlen 
illustriert, die wir bei Horovitz finden. 

Nach Horovitz betrug die absolute Sterblichkeit bei den Frankfurter 
Juden: 

1624 bis 1674 . . . 3574 1726 bis 1775 . . . 6433 

1675 „ 1725 . . . 4529 1776 „ 1820 . . . 4519 

In den beiden ersten Perioden finden wir eine Zunahme der Sterblich¬ 
keit, welche durch die Zunahme der Bevölkerung erklärt ist. Die enorme 
Zunahme in der Periode 1726 bis 1775 wird jedoch nicht dadurch erklärt, 
vielmehr durch die unerträglichen sanitären Verhältnisse der Judengasse, 
wie sie Kracauer geschildert hat. Dann aber folgt in der letzten Periode 
eine erhebliche Abnahme der Sterblichkeit, trotz weiteren Wachsens der 
Bevölkerung, und dies ist nur dadurch zu erklären, daß jetzt die Verhältnisse 
anfangen günstiger zu werden. Jetzt schon wird es einzelnen Juden ver- 
stattet, außerhalb der Judengasse zu wohnen. Die Lebensbedingungen 
werden besser, die Zustände gesünder, und dies dokumentiert sich auch in 
der abnehmenden Sterbeziffer am Ausgang des 19. Jahrhunderts, so daß 
bereits 1818 die Sterbeziffer der Juden unter die der Christen herab¬ 
gegangen ist. 

13. Sterblichkeit und Todesursachen. 

Es wäre zur Vervollständigung dieser Ausführungen wünschenswert 
gewesen, auch über die Todesursachen in Frankfurt a. M. in den genannten 
Zeiträumen zahlenmäßig Aufschluß zu erhalten, wie diese von einer Reihe 
von Städten bekannt sind. In Breslau z. B. wurden von den Gestorbenen 
bereits im 17. Jahrhundert die Todesursachen aufgezeichnet, worüber die 

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G78 Dr. med. W. Hanauer, Geschieht« der Sterblichkeit usw. 

interessanten Tabellen aus Grätzer 1 ) nachzusehen sind. Von London teilt 
Süssmilch 8 ) Tabellen und Todesursachen aus dem 18. Jahrhundert mit. 
Für das 18. Jahrhundert fließen die Quellen natürlich reichlicher und sollen 
hier neben den von Süssmilch dargestellten Listen namentlich die Tabellen 
über die Todesursachen in der preußischen Monarchie, wie sie von Behre 3 ) 
angegeben sind, und für die Mark Brandenburg, wie sie yon W.H.Müller 4 ) 
veröffentlicht wurden, erwähnt werden. 

Für Frankfurt sind uns leider keine Todesursachenregister für das 
16. bis 18. Jahrhundert überliefert worden. Zwar war bereits in der Be¬ 
gräbnisordnung vom 26. Januar 1779 bestimmt worden, daß Todesfälle 
durch Zeugnisse Frankfurter Ärzte beurkundet werden mußten, die Todes¬ 
ursache wurde aber in das Begräbnisbuch nur selten beigeschrieben. 1797 
wurde der Kirchendiener gelegentlich einer Anfrage eines Hallenser Pro¬ 
fessors über die Zahl der an Blattern dahier verstorbenen Personen durch 
den Rat veranlaßt, bei jeder Anzeige eines Sterbefalles die Art der Krank¬ 
heit zu erforschen, solche in tabellarischer Ordnung, unter besonderer 
Berücksichtigung der Blattern, zu vermerken und die Tabelle an das Sani¬ 
tätsamt vierteljährlich einzusenden. Da die Verwandten des Verstorbenen 
jedoch nicht immer die erforderliche Mitteilung über seine letzte Krankheit 
machen konnten oder wollten, und die Ärzte dazu nicht verpflichtet waren, 
so befand sich der Kirchendiener nicht in der Lage, die Todesursachen gründ¬ 
lich zu erforschen, und der oben genannte Ratsbeschlaß kam bald wieder in 
Vergessenheit. 

Daß Seuchen, wie die Pest, Typhus, Influenza, Ruhr, als Todesursachen 
wirksam waren, haben wir oben gesehen; zahlenmäßige Angaben finden sich 
jedoch nur selten. Dasselbe gilt von den Blattern. 

Was die Schwindsucht anlangt, so muß dieselbe nach dem Zeugnis 
von Behrends namentlich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sehr 
verbreitet gewesen sein. „Trockene Auszehrungen mit harten Knoten in der 
Lunge, mit erstaunlicher Engbrüstigkeit ohne Auswurf fallen hier häufig vor. 
Die Krankheit ist unter den Handwerkern, Arbeitern und dem niederen 
Volke sehr verbreitet.“ Als Ursachen werden angegeben die Ausdünstungen 
der Kloakenluft, die anstrengenden Arbeiten des arbeitenden Volkes und die 
Ausschweifungen des Pöbels. 

') Vgl. Grätzer, Eduard Halley und Kaspar Neumann, S. 66. — Derselbe, 
Christian Gohl und Daniel Kundmann, 8.22 u. f.; 8.36. 

*) Süßmilch, 1. c., Bd. 2, 8. 410. 

*) Behre, Geschichte und Statistik von Brandenburg-Preußen. 1905, 8. 150. 

*) W. H. Müller, 1. c., S. 59 u. f.; 8. 79; 8. 100 bis 110. 


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E. Axel Holm8tröm, Über käufliche Apothekenprivilegien ubw. 679 


Über käufliche Apothekenprivilegien 
und deren Ablösung sowie über die Pensionierung 

der Apotheker. 

Von E. Axel Holmström, 

Inhaber der Apotheke Enhörningen in Stockholm. 


Seitdem wir in Schweden die Abschaffung des größten Teiles der käuf¬ 
lichen Apothekenprivilegien im Jahre 1874 durchfiibrten und zu persön¬ 
lichen Konzessionen übergingen, hat sich eine allgemeine Befriedigung mit 
dieser Veränderung kundgegeben, und es ist uns deshalb eine Genugtuung, 
andere an der Erfahrung, welche wir durch diese Reform gewonnen, teil¬ 
nehmen zu lassen. 

Vor mehreren Jahren erstatteten wir auf Ersuchen eines hochgestellten 
Staatsbeamten in Berlin einen Bericht über die Durchführung der schwedi¬ 
schen Reform; dieser Bericht ist in der Deutschen Vierteljalirsschrift für 
öffentliche Gesundheitspflege, Bd. 29, S. 609; Bd. 30, S. 357 u. Bd. 31, S. 538, 
Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig, veröffentlicht worden- 

Infolgedessen hat sich eine nicht geringe Anzahl Apotheker und anderer 
interessierten Personen in den europäischen Staaten hierher gewandt, um 
Näheres über diese Reform zu erfahren. Da derartige Anfragen noch immer 
einlaufen, die Separatabdrücke aber, welche wir seinerzeit von der Redaktion 
der Zeitschrift erhielten, schon lange vergriffen sind, dürften einige Mit¬ 
teilungen über die Abschaffung der käuflichen Apothekenprivilegien im all¬ 
gemeinen, ohne andere Bezugnahme auf schwedische Verhältnisse als in 
Sonderfällen, vielleicht auch anderen zustatten kommen. Wir sind von der 
Voraussetzung ausgegangen, daß es immerhin besser ist, etwas zu wissen 
als nichts, wenn es gilt, die Durchführung von Reformen im Apotheker- 
wesen von praktischem Gesichtspunkte aus zu beleuchten, und wir gestatten 
uns deshalb, diese Mitteilung in derselben vortrefflichen Vierteljahrssohrift 
und zwar in der überall bekannten deutschen Sprache erscheinen zu lassen. 

Zur Vermeidung allzu häufiger Wiederholungen und Erklärungen der 
Abhandlung wird auf Bd. 29 der genannten Zeitschrift hingewiesen, in dem 
die schwedische kgl. Bekanntmachung vom 9. September 1873, betreffend 
die Abschaffung der käuflichen Apothekenprivilegien, sowie der kgl. Beschluß 
desselben Datums betreffend Statuten deB Tilgungsfonds enthalten sind. 

Daß wir jetzt wieder hervortreten, ist außerdem auch dadurch veran¬ 
laßt, daß wir die Ehre gehabt haben, von hervorragenden, für das Wohl 
unseres Korps eifernden deutschen Sachverständigen mehrere Schriften in 
der Privilegienfrage zu empfangen, für deren Übersendung wir sehr dankbar 
sind. Diese Schriften haben bei uns das Interesse für diese in unseren 
Tagen so bedeutungsvolle Frage von neuem erweckt. 

Obgleich unser Berioht nicht sehr umfangreich ist, teilen wir ihn 
dennoch in einige Unterabteilungen ein; dieselben sind: 


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680 


G. Axel Holmström, 


1. Überblick über die wesentlichsten Teile der Privilegien frage. 

2. Über die veralteten käuflichen Apothekenprivilegien und deren Über¬ 
gang in persönliche Konzessionen. 

3. Über die Notwendigkeit von Pensions- und Leibrentenkassen sowohl 
für Apothekeninhaber als auch für unbeförderte Apotheker. 

4. Über den Verkauf von Heilmitteln und die Gesetzgebung. 

5. Über Amortisationsfonds, Tilgungsfonds und Ablösung der käuf¬ 
lichen Apotheken Privilegien. 

Als Elinleitung werden wir vorerst die Möglichkeit der Abschaffung der 
käuflichen Apothekenprivilegien und allerlei andere Verhältnisse betrachten, 
welche dabei von Bedeutung sind. 

I. Überblick über die wesentlichsten Teile der Privilegienfrage. 

Bekanntlich erwachte in der Mitte des vorigen Jahrhunderts, besonders 
im Nordwesten von Europa, die Forderung auf größere Freiheit im Handel 
und Gewerbe usw., und dasselbe Verlangen regte sich in bezug auf den 
Handel mit Apothekerwaren, indem zugleich die Abschaffung der käuflichen 
Apothekenprivilegien angeregt wurde. Schon im Jahre 1851 wurde im 
schwedischen Reichstag ein diesbezüglicher Antrag gestellt, der zur Folge 
hatte, daß der Apothekerverband auf Veranlassung der Regierung einen Ge¬ 
setzentwurf ausarbeitete, worauf diese Privilegien gemäß der oben erwähnten 
kgl. Bekanntmachung vom 9. September 1873 abgeschafft wurden. 

Zugleich waren die Vertreter der neueren Zeit bestrebt, nur Fachkennt¬ 
nisse, wissenschaftliche Bildung und andere persönliche Verdienste als Be¬ 
förderungsgrund innerhalb des Apothekerstandes gelten zu lassen. Dem¬ 
gemäß werden die Konzessionen bei der Errichtung neuer Apotheken jetzt 
nur solchen Bewerbern erteilt, welche hervorragende persönliche Verdienste 
besitzen. Derjenige, der eine Konzession erhalten hat, ist nicht berechtigt, 
dieselbe gegen Vergütung oder anders auf eine andere Person zu übertragen 
als die, welche die Regierung unter den Bewerbern gewählt hat. 

Man betrat somit einen ganz neuen Weg, der allgemeine Sympathie 
erweckte, und tatsächlich war hiermit das Urteil gesprochen, daß die früheren 
käuflichen Privilegien gänzlich veraltet und ungebührend seien. 

Überall, wo solche Privilegien noch vorhanden sind, scheint die Partei 
anzuwachsen, welche für deren Abschaffung eifert. Die Behörden scheinen 
für dieses Überbleibsel aus früherer Zeit, welches ihnen nur Sorge und 
Kummer macht, auch nicht günstig gestimmt zu sein. 

Es scheint indessen, als ob die Inhaber der käuflichen Privilegien sich 
vom Zeitgeist ganz unabhängig fühlten, und in dem Bewußtsein, ihre Privi¬ 
legien erworben, bezahlt und durch gerichtliche Bestätigung gesichert zu 
haben, nichts mehr zu befürchten hätten. Allerdings kann man ihnen ihre 
Privilegien nicht gewaltsam entreißen, aber trotzdem sollte man doch meinen, 
sie müßten sieb in bezug auf den Privilegienhandel beunruhigt fühlen, denn, 
abgesehen von eventuell strengeren Maßregeln, muß es doch deprimierend 
wirken, wenn die Medizinaltaxen nicht mehr nennenswert erhöht, sondern 
nur so hoch gehalten würden, daß die kleineren, persönlichen Apotheken 
bestehen können. 


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681 


Über käufliche Apothekenprivilegien und deren Ablösung ubw. 

Wir, die wir mit den Taxenredaktionen and anderen Unannehmlich¬ 
keiten zu tan hatten, und nach der Abschaffung des Privilegien handeis uns 
in unserer neuen Stellung wohlfühlten, verstehen nicht den Zauber, der die 
Betreffenden gebunden hält, und begreifen nicht, daß man in den euro¬ 
päischen Staaten mit ihrer sonst so hohen Kultur etwa« so Anstößiges bei¬ 
behalten will wie den Handel mit ursprünglich persönlichen Rechten zur 
Förderung der Gesundheitspflege. Auch ist nicht zu erwarten, daß dieser 
Handel dauernd wird bestehen können, sondern es wird die Zeit kommen, 
wo er sich infolge fallender Privilegien werte in einer bedrängten 
Lage befinden wird. 

Bin weiterer schwerwiegender Grund zur Abschaffung des Privilegien¬ 
handels besteht darin, daß, je länger man wartet, die Schuld immer größer 
wird und die Ablösung der Privilegien sich immer schwieriger gestaltet. 
Und ein anderer Ausweg zur Rückerlangung der gehabten Aus¬ 
lagen dürfte wohl nicht zu finden sein. 

Unzweifelhaft sind unter diesen Privilegienbesitzern auch solche zu 
finden, welche sich dem Zeitgeiste' fügen möchten, indessen ist der gesamte 
Wert der käuflichen Privilegien ein so ungeheurer, daß sie die Ablösung 
derselben für gänzlich unmöglich halten. Und solche Bedenken wirken wie 
eine Seuche im Volk. Man kann sich auch nicht darüber wundern, daß Per¬ 
sonen, welche nicht Geschäftsleute sind, zurückschrecken, wenn sie hören, 
daß sämtliche käufliche Privilegien nur eines einzigen Staates auf 300 Millio¬ 
nen Reichsmark geschätzt werden. Erreicht der Privilegienwert eines einzigen 
Staates einen so hohen Betrag, dann versteht man, welche ungeheure Summen 
erforderlich wären, wenn man den Wert aller käuflichen Apotheken von Europa 
zusammenlegte. 

Ein Uneingeweihter würde sich wohl wie vernichtet verkommen, wenn 
er vor die Frage gestellt würde: wie kann dem abgeholfen werden? Man 
darf aber nur nicht den Mut verlieren. Wäre es nicht vielleicht am klüg¬ 
sten, diese ganze heikle Angelegenheit einer speziellen internationalen Kon¬ 
ferenz zu überlassen, welche in Erwägung zu ziehen hätte, wie man unter 
anderem die Geldfrage bei der Ablösung der Privilegien ordnen sollte, ohne den 
allgemeinen Geldmarkt zu sehr zu beeinflussen? Desgleichen wäre die Art 
und Weise zu regeln, in welcher jeder Staat die Tilgungsfonds der Apotheken¬ 
privilegien bilden müßte, damit sie sich nicht gegenseitig im Wege ständen, 
sondern die Geldanleihen wesentlich im eigenen Gebiete machen könnten. 

Bei dieser Gelegenheit müßte man auch alle zur Ablösung der Privi¬ 
legien eingebrachten Entwürfe, die ausführbar erscheinen, einer Prüfung 
unterwerfen und dabei beschließen, welcher Vorschlag zu befürworten sei. 
Wäre es nicht außerdem angezeigt, eine juridisch - ökonomische Unter¬ 
suchung der Sache einzuleiten, um feBtstellen zu können, wie der Privilegien¬ 
handel nunmehr zu beurteilen sei und welchen Anteil der Apothekerverband, 
die Regierungen, die Bevölkerung der Staaten und deren Repräsentation 
daran hätten, in welchem Grade sie verantwortlich seien, und schlie߬ 
lich, wie sie zur Abschaffung der käuflichen Privilegien Zu¬ 
sammenwirken müßten? 

Wenn auch die jetzige Geldlage für eine Abwickelung nicht günstig ist, 
kommen doch wieder bessere Zeiten; inzwischen kann man alle diesbezög- 


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682 


E. Axel Holmström, 


liehen Fragen ine Reine bringen und eine Organisation ausarbeiten. Die 
Frage der Privilegienablösung kam auch uns Schweden ziemlich unklar vor, 
so lange ein jeder für sich arbeitete, obgleich der Privilegienwert nur 
2 1, 2 mal die jährliche Verkauf ssumme aller Heilmittel betrug; nach¬ 
dem wir uns aber mit den in solchen Angelegenheiten erfahrenen Personen 
in Verbindung gesetzt hatten, erschien uns alles einfach und ausführbar, 
und das ist es auch geworden. 

Die Apotheker müssen den Gedanken fallen lassen, daß sie selbst ein 
solches Riesenunternehmen wie die Beschaffung des nötigen Geldes usw. zur 
Ausführung bringen könnten. Dazu gehört der Beistand sachverständiger 
Finanzmänner u. a., worüber weiter unten mehr. Erst nachdem man seine Blicke 
nach dieser Richtung gewandt hat, wird man Licht sehen, wo früher nur Dunkel 
herrschte. Man kann auch jetzt schon etwas Licht wahrnehmen, wenn man 
einigen Umständen von größter Bedeutung seine Beachtung schenkt. Betrachtet 
man zuerst den Handel mit den Apothekenprivilegien, so soll derselbe nicht 
mit Verlust, Bondern im Gegenteil mit Gewinn betrieben werden. Sonst 
wären die Apothekeninhaber nicht so bemüht, diesen Handel für sich zu be¬ 
halten. Kurzum, man hält ihr Einkommen für genügend, um die Zinsen 
und eine nicht geringe Abzahlung des für das Privilegium hinterlegten 
Kapitals sowie alle mit dem Betrieb verbundenen Ausgaben zu bezahlen, 
und wenn sie ihre Privilegien verkaufen, geschieht es immer mit Vorteil. 

Verhält es sich wirklich so und wird jede einzelne Apotheke mit 
Gewinn betrieben, dann ist es klar, daß alle käuflichen Apotheken zusammen 
einen nicht unbedeutenden Reingewinn geben. Aus dieser Annahme folgt, 
daß, wenn alle käuflichen Apotheken eines Staates von einem einzigen oder 
einigen wenigen Käufern übernommen würden, dieB ein lohnendes Geschäft 
wäre. 

Dies ist der wichtigste Punkt der ganzen Ablösungsfrage, denn kann 
man darauf rechnen, daß die abgelösten Apotheken nach Abzug der Ver¬ 
waltungskosten auch die Zinsen und jährlichen Abzahlungen der Ablösungs¬ 
summen an den Tilgungsfonds zahlen, so werden die Darlehngeber die 
zinsentragenden Wertpapiere, welche man ihnen anbietet, auch mit vollem 
Vertrauen annehmen. Dieses Vertrauen würde noch gesteigert werden, 
wenn man jeden anderen Handel mit Heilmitteln nach einem gegebenen 
Plan abschaffte, so daß die Apotheker mit ihrer wissenschaftlichen Fachbildung 
schließlich das würden, was sie sein müßten, nämlich Alleinverkäufer aller 
Heilmittel. Den Verkauf aller Heilmittel in die Hände der Apotheker zu 
legen, sobald die käuflichen Apotheken abgeschafft werden, wäre eine kluge 
und gerechte Maßnahme, welche allen Zweifeln an den glücklichen Ausgang 
der Amortisation ein Ende machen würde. 

Die hier angeführten Gründe lassen demnach erkennen, daß die Ablösung 
der käuflichen Apotheken im Bereich der Möglichkeiten liegt. Dies ist ein Licht¬ 
punkt. Der zweite liegt darin, daß nicht nur die betreffenden Regierungen, 
sondern auch die Vertreter des Volkes in den Reichsversammlungen, also 
das Volk selbst, die verkäuflichen Privilegien groß gezogen und gesetzlich 
geschützt haben, und deshalb ist es gerecht und wahrscheinlich, daß Regie¬ 
rung und Reichstag sich verpflichtet fühlen werden, die Steuerlast, welche 
auf dem Volke in der Form verteuerter Heilmittel liegt, wieder 


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Über käufliche Apothekenprivilegien und deren Ablösung usw. 683 

zu entfernen. Diese Hilfe würde hauptsächlich darin bestehen, daß 
Regierung und Reichstag teils SicherungsVorschriften für die Statuten der 
Tilgungsfonds, und teils die Gesetzgebung betreffend das Apothekenwesen 
im allgemeinen überwachten, damit die Interessen der Amortisation voll¬ 
ständig gewahrt würden. Ganz besonders sind die Darlehngeber zu über¬ 
zeugen, daß die Errichtung neuer Apotheken nur nach gründlicher Prüfung 
geschehen wird, somit die Apotheken wie der Tilgungsfonds dadurch keinen 
Schaden erleiden, und daß die Preise der Medizinaltaxen während der 
Amortisationszeit derart festgestellt werden, daß den Darlehngebern volle 
Sicherheit für die gegebenen Darlehen geboten wird. 

Es geht hieraus also hervor, daß eine Reform auf diese beiden Grund¬ 
sätze basiert werden muß: die Existenzmöglichkeit der käuflichen 
Apotheken und die Verpflichtung des Staates, den Apotheken ein 
genügendes Einkommen zu sichern. 

Sobald man dies eingesehen und es so weit gebracht hat, daß der Be¬ 
schluß zur Abschaffung der käuflichen Privilegien und zu deren Umwand¬ 
lung in persönliche Konzessionen, so daß alle Apotheken gleichgestellt sind, 
gefaßt ist, folgt die praktische Ausführung. Dies geschieht durch Bildung 
der Tilgungsfonds, welche alles besorgen, was mit den Geldanleihen zum 
Ankauf der Privilegien und mit der Abzahlung derselben zusammenhängt. 
Hierauf werden wir in der fünften Abteilung zurückkommen. 

Berechnet man die Zinsen, welche die Inhaber der käuflichen Apotheken 
für den Preis der erkauften Privilegien bezahlen müssen, so erhält man eine 
Summe von etwa 14 Millionen Reichsmark jährlich und zwar nur in dem 
eben erwähnten Lande, dessen Privilegiensumme 300 Millionen Reichsmark 
beträgt. Diese 14 Millionen sind von dem Kapital genommen worden, das 
das Volk für Heilmittel bezahlt. 

Man denkt oft nicht daran und vergißt auch leicht, daß ein Teil des 
Geldes, das für Heilmittel bezahlt wird, nicht nur zur Deckung der Zinsen, 
sondern auch zur Abzahlung des Privilegienpreises und zum Betriebsgewinn 
ausreichen muß. Dies ist indessen keine Kleinigkeit, und da es sich außer¬ 
dem immer wiederholt, verdient es, in Betracht gezogen zu werden. Erst 
wenn die Amortisation abgeschlossen ist, ergibt sich die Möglichkeit, die 
Taxen zu reduzieren. Die Einwohner des eben erwähnten Staates werden 
ihre Heilmittel dann um etwa 14 Millionen Reichsmark billiger 
ka uf en als jetzt. 

Leider muß man aber ziemlich lange hierauf warten und zwar wegen 
der Folgen, welche die Privilegienschuld nach sich zieht. Die Zinsen und 
Abzahlungen der Privilegien-Ablösungssumme müssen natürlich zuerst be¬ 
zahlt werden. Alsdann muß man dafür sorgen, daß das Apothekerkorps, 
welches die Schuldenlast zu tilgen hat, pensioniert werden kann. 

Nachdem das Pensionswesen geordnet ist, müssen also die alten Apo¬ 
theker in einem gewissen Alter abgehen und durch Pensionen unterstützt 
werden, während die jüngeren Kräfte befördert werden und die freien Stellen 
einnehmen, wodurch also das Korps stets einer ökonomisch sorgenfreien 
Zukunft entgegengeht. Weiter unten werden wir auf das Pensionswesen 
wieder zurückkommen. 


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684 


E. Axel Holmström, 


Das Apothekerkorps wird es übrigens als eine große Erleichterung 
empfinden, wenn dereinst die Tilgungsfonds gebildet und die käuflichen Privi¬ 
legien erworben sind. Von allen eingekauften Apotheken werden dann während 
der Amortisationszeit anfänglich ungefähr dieselben Zinsen in den Fonds ein- 
laufen, aber bei weitem nicht so große Kapitalabzahlungen wie die¬ 
jenigen, welche den jetzigen Gläubigern der Apotheker zugute 
kommen. Außerdem können in den halbjährigen Abgaben Erleichterungen 
eintreten, wenn die Geldlage im allgemeinen günstig ist. Seit dem Beginn der 
Amortisation in Schweden 1874 sind die halbjährigen Abgaben der Teilhaber 
mehrmals ermäßigt worden. In den letzten zehn Jahren sind auch die Zinsen 
der Anleihe seit der Stiftung des Fonds bedeutend verringert worden. A1 s n ä m - 
lieh die Obligationen des Fonds zum ersten Male verkauft wurden, 
bezahlte der Fonds 5,5 Proz. Zinsen. Jetzt dagegen betragen die 
Zinsen nur 3,6 Proz. von dem Testierenden, unbezahlten Teil der 
Obligationsanleihe. Durch eine solche Ermäßigung der Obligationszinsen 
brauchen die Teilhaber dem Fonds nur 4,8 Proz. von der Ablösungs¬ 
summe zu bezahlen, was vorteilhaft ist in Anbetracht dessen, daß bis 
7 Proz. ausgeschrieben werden können. Wir verdanken diese günstigen 
Verhältnisse der guten Geldlage und dem allgemeinen Wohlstände, der bis 
jetzt angehalten, wenn auch jetzt vielleicht knappere Zeiten bevorstehen. 

Nach diesem kurzen Überblick über einige allerdings zerstreute, aber 
dennoch bedeutungsvolle Momente der Privilegienfrage werden wir in dem 
folgenden Kapitel einiges näher erläutern, was auch für Nichtpharma¬ 
zeuten, welche mit dieser Angelegenheit zu tun haben werden, von 
Interesse sein dürfte. 

11. Über die veralteten, käuflichen Apothekenprivilegien und deren 
Umgestaltung in persönliche Konzessionen. 

Wenn man die Gelegenheit hätte, die Geschichte einer jeden käuflichen 
Apotheke durch die Jahrhunderte zurückzuverfolgeD, würde man vielleicht 
finden, daß der ursprüngliche Inhaber in den meisten Fällen eine persön¬ 
liche Erlaubnis, den Einwohnern eines gewissen Ortes Heilmittel feil zu 
halten, als Geschenk erhalten hat, ohne eine andere Zahlung für diese Be¬ 
fugnis zu leisten als die Gebühr für den Privilegienbrief und etwaige andere 
Gebühren. Wahrscheinlich würde man außerdem finden, daß in diesem 
Privilegienbriefe keinerlei Bestimmungen enthalten sind, wie die Apotheke 
auf einen anderen Inhaber zu übertragen sei 

In einer Zeit, wo Gerechtsamen und sogar Ämter verkauft wurden, war 
es natürlich, daß man diesem Beispiel folgen würde und sich bezahlen ließ 
für die Mühe und die Kosten, welche man auf die Beschaffung und wissen¬ 
schaftliche Einrichtung von Lokalen, auf Verbesserungen von Material und 
Gerätschaften und auf die Anpreisung des Geschäftes niedergelegt hatte, 
und somit entstand der Privilegienhandel. 

Dieser Handel mit den Apothekenprivilegien hat dem Gewerbe selbst 
oder dem Betrieb der Apotheken niemals Nutzen gebracht. Alle diese 
Millionen KroDen, welche im Laufe der Zeit durch abgebende Apotheker 
dem Gewerbe entzogen worden sind, scheinen vollständig weggeworfen zu 


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Über käufliche Apothekenprivilegien und deren Ablösung usw. 


685 


sein. Dagegen hat es zu den Obliegenheiten des Gewerbes gehört, unaus¬ 
gesetzt die Zinsen dieser Millionen zu zahlen, und diese Last wird 
mit der Zeit immer schwerer und beunruhigender. 

Der Privilegienhandel hatte zur Folge, daß jeder Apotheker, der ein 
Privilegium gekauft, die Apotheke mit dem gezahlten Betrage belasten mußte. 
Sein Nachfolger mußte ebenso Vorgehen, jedoch noch so viel hinzulegen, wie 
sein Vorgänger über den Einkaufspreis hinaus verkaufte. Dies wiederholte 
sich bei jeder Übergabe des Privilegiums, Jahrhundert nach Jahr¬ 
hundert. 

Auf diese Weise und durch den in den Privatbesitz eines jeden Ver¬ 
käufers übergebenden Reingewinn vermehrte sich die Privilegienschuld oder 
der Privilegienwert, wie man jetzt sagt, unaufhörlich, bis sie die erschreckende 
Höhe, welche jetzt mehrfach vorkomrat, erreicht hat, nämlich etwa den 
siebenfachen Betrag des jährlichen Umsatzes der Apotheke. Wahrscheinlich 
haben aber viele Apotheker, und deren gibt es wohl noch, ihre eigenen pri¬ 
vaten Geschäfte und diejenigen ihrer Familie mit der Buchführung der 
Apotheke vermischt. Dies ist aber ein großer Fehler, denn beim Verkauf 
des Privilegiums glauben sie oft, einen ansehnlichen Gewinn gehabt zu haben, 
während derselbe tatsächlich bei weitem nicht so groß war, wie sie wähnten. 
Bei der genauen Berechnung der Summen, die im Laufe der Jahre als Zinsen 
zum Besten des Privilegiums aus eigenen Mitteln bezahlt worden sind, würde 
es sich vielleicht nicht so selten heraus stell en, daß der angebliche Gewinn 
größtenteils tatsächlich nur die Rückzahlung der Auslagen bedeutet, welche 
man selbst gehabt hat. 

Besitzt also ein Apotheker Privatvermögen, das er in seinem Geschäft 
anbringt, so muß die ganze Einzahlung als ein Darlehen betrachtet werden, 
und die jährlichen Zinsen kommen ihm selbst zu. Wenn die Apotheke ver¬ 
kauft oder das Privilegium dereinst abgelöst wird, ist es ganz in der Ord¬ 
nung, daß er sich und der Familie in der Buchführung zugute schreibt, 
was für das Privilegium von eigenen Mitteln ausgezahlt worden ist, und 
dabei beachtet, was der Betrieb ihm eingebracht hat. 

Wenn von der Abschaffung der käuflichen Privilegien und der Bildung 
eines Tilgungsfonds die Rede ist, hört man zuweilen die Behauptung, daß 
diejenigen Apotheken schuldenfrei seien, welche im Besitz wohlhabender 
Apotheker sind, und daß für diese deshalb keine Lösesumme, worauf Zinsen 
und Amortisation zu zahlen sind, nötig sei. 

Hier hat man es aber mit ganz verschiedenen Dingen zu tun, die genau 
auseinander zu halten sind. Wenn nämlich ein reicher Apotheker nicht in 
den Ablösungsfonds eintritt, dann ist er ein Gegner der Privilegienablösung. 
Das Privilegium seiner Apotheke bleibt käuflich und er muß sich den 
Folgen unterwerfen. Tritt er aber in den Ablösungsfonds ein, so bezahlt 
man ihm sein Privilegium. Dieser Betrag ist sein Privatvermögen, das 
er nach Belieben anlegen kann, und der Ertrag fällt ihm und seiner 
Familie zu. Außerdem behält er die Apotheke, so lange er lebt oder 
bis er das Pensionsalter erreicht, wenn er nur die vorgeschriebeneu 
Abgaben an den Fonds bezahlt. Demnach fällt ihm der Ertrag seines eigenen 
Vermögens, sowie der jährliche Reingewinn der Apotheke zu, und damit 
kann er schon zufrieden sein. 


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E. Axel Holmström, 


Man hört wohl auch zuweilen den Einwand, daß derjenige, der seine 
Apotheke kurz vor der Ablösung verkaufe und sich die Ablösungssumme 
als Zahlung ausbedinge, etwas Verwerfliches tue, weil er dadurch seinen 
Nachfolger mit den Zinsen und der Amortisation des ihm selber zugefallenen 
Kapitals belaste, als unrichtig bezeichnen. Hierbei ist aber zu beachten, 
daß die Verpflichtung zur Rückzahlung der Lösesumme auf der 
A potheke lastet, welche das Eigentum des Ablösungsfonds ist. Der 
Inhaber ist nur der Vorsteher. Während der Amortisationsdauer übernimmt 
ein neuer Inhaber nach dem anderen die Apotheke, sobald der Vorgänger 
gestorben oder pensioniert ist. Alle nehmen den Rückzahlungsbetrag aus 
der Apotheke und übergeben ihn jährlich dem Fonds, bis die Apotheke 
schuldenfrei ist. Der letzte Inhaber behält die Apotheke, bis er stirbt, oder 
er erhält eine lebenslängliche Pension. Alsdann übernimmt der Staat die 
Apotheke und bestimmt das System, nach welchem sie fortan betrieben 
werden soll. 

Es wird somit für diese Nachfolger nicht schwerer werden, 
als zu der Zeit, wo die Apotheke noch käuflich war. 

Wenn also beim Verkauf des Privilegiums der gewesene Besitzer mit 
der ganzen Lösesumme in der Tasche abzieht, übt dies weder auf den 
Tilgungsfonds noch auf den Nachfolger irgend welohen nachteiligen Einfluß 
aus. Ungebührlich wäre ein solches Vorgehen allerdings doch, sofern es 
nicht durch Krankheit oder vorgeschrittenes Alter begründet ist, und muß 
möglichst verhütet werden. Es würde in den Beförderungen näm¬ 
lich eine Stockung eintreten, wenn gerade zurzeit derAblösung 
die älteren abgingen und die jüngeren einträten. Dieser Um¬ 
stand, in Verbindung damit, daß das Pensionswesen nicht sorgfältig genug 
geordnet worden ist, infolgedessen nämlich die alten Apotheker 
ihren Dienst auf Lebenszeit behalten, hat bei uns besonders dazu 
beigetragen, daß das Beförderungsalter so hoch ist, daß man meistens das 
45. bis 47. Lebensjahr erreicht hat, ehe man eine eigene Apotheke erhält. 
Allerdings ist dies auf anderen Lebensbahnen leider auch nichts Ungewöhnliches. 

Ferner ist möglichst zu vermeiden, daß der Verkäufer sich unmäßigen 
Verdienst beim Verkaufe berechnet, wenn er sich unbedingt vom Berufe 
zurückziehen will und man ihn nicht daran hindern kann. Sonst würde 
die PrivilegienBchuld noch größer werden und die Schwierigkeiten der 
Ablösung sich noch vermehren. Für jüngere Apotheker, welche einen 
größeren Teil der Amortisationsdauer erleben werden, ist es kein Vorteil, 
eine zu hohe Lösesumme zu nehmen, denn die Zinsen derselben können 
recht fühlbar werden. 

Bei der Ablösung der Privilegien muß man in allen Beziehungen sehr 
vorsichtig Vorgehen. Die letzten Inhaber der käuflichen Apotheken müssen 
ihre Ansprüche mäßigen und ihre Privilegien nicht zu hoch taxieren, denn 
dadurch könnte der ganze Plan vereitelt werden. Wenn eine Anzahl Käufer 
eine große Abtretungssumme bietet, muß diese für ihre eigene Rechnung 
stehen und nicht in die Lösesumme mit eingerechnet werden, die der letzte 
Käufer vom Tilgungsfonds verlangt. Somit müssen sowohl diese Verkäufer als 
auch der letzte Käufer der guten Sache etwas opfern. Man muß hierbei 
an die großen Vorteile denken, die das neue System den abgelösten 


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Über käufliche Apothekenprivilegien und deren Ablösung usw. 687 

Apotheken zuführen wird. Einer dieser Vorteile besteht darin, daß neue 
Apotheken, im Fall solche in der Nähe desselben Gebietes erforderlich sind, 
einen Teil der Abgaben, welche die älteren Apotheken an den Ablösungs¬ 
fonds zu zahlen hatten, übernehmen müssen. 

Wenn die käuflichen Apotheken allgemein eingelöst werden, 
wird ein weiterer Vorteil zu erwarten sein, nämlich der, daß sich die Medi¬ 
zinaltaxen bei wirklichem Bedarf leichter erhöhen lassen, nachdem der Privi- 
legienhandel verschwunden ist. Hoffentlich werden deshalb alle Apotheken in 
den Staaten, wo eine Reform des Privilegienwesens angestrebt wird, einsehen, 
daß es ihr eigenes Bestes und das Beste des ganzen Korps bedeutet, wenn sie sich 
entschließen, die Apotheken auch nach deren Ablösung weiter zu leiten. Dies ist 
ja doch ein großer Vorteil, den ihre Vorgänger nicht besaßen, welche 
sich nämlich alle zurückziehen mußten, sobald sie den Erlös für 
das Privilegium erhalten hatten. Für diesen großen Vorteil muß man 
sich erkenntlich erweisen und nicht zu übertriebene Lösesummen fordern. 

Bei näherer Betrachtung des Privilegienhandels läßt es sich nicht 
leugnen, daß etwas Empörendes darin liegt, daß in früheren Zeiten die 
Pharmazeuten nicht Apothekeninhaber werden und die Kranken keine Heil¬ 
mittel erbalten konnten, sofern nicht jeder Pharmazeut, der kein persön¬ 
liches Privilegium erworben hatte, eine große Geldsumme zahlte, um die 
Gelegenheit zu haben, seinen Beruf auszuüben, dem er sein Leben geweiht. 
Von einem solchen Erwerb eines Dienstes in der Krankenpflege kann man 
ruhig behaupten, daß er veraltet ist. Er ruht nicht auf den humanen 
Grundlagen, die man hier fordern kann, sondern auf der allgemeinen 
Geschäftsregel, so viel wie möglich zu gewinnen. 

Man sollte deshalb meinen, daß man gern ein System verließe, bei dem 
nur diejenigen, welche Geld besitzen, vorwärts kommen und das mit Sorgen 
und Schwierigkeiten verbunden ist, und anstatt dessen lieber zu einem 
System überginge, wo das persönliche Verdienst allen den Weg ebnet, wo 
man keine Geldsorgen hat und bei dem man sein gutes Auskommen findet. 
Dieses persönliche System ist außerdem vollkommen zeitgemäß. Die Preise 
der Heilmittel brauchen hier nicht so hoch zu sein, denn es sind keine 
Privilegienschulden vorhanden, deren Anteil an der Zinsenzchuld beim jedes¬ 
maligen Verkauf von Heilmitteln berechnet werden muß, wie oben schon 
erwähnt. Gerade hierdurch ist das System so vorteilhaft und der Ab¬ 
schaffung des Privilegienhandels so günstig. 

Wenn in einem Staate die Medizinaltaxen überall gleich sind, wird 
der Reingewinn einer persönlichen Apotheke viel größer. Dadurch 
werden auch die bedeutenden Beiträge dieser Apotheken zu den Pensions- 
kassen des Apothekerkorps ermöglicht, welche durchaus notwendig sind, und 
zwar nicht am wenigsten für die Abschaffung der käuflichen Privilegien. 

Bei der Abschaffung des alten Systems wird dieses System allerdings 
teilweise beibehalten — hauptsächlich in bezug auf die Erwerbsrechte —, 
die vollständige Überführung desselben geschieht aber erst nach der schließ- 
lichen Abzahlung der Privilegienschuld. Dann können die Taxen nämlich 
herabgesetzt und die Preise der Heilmittel billiger werden. Vor allem 
muß man aber, wie oben schon erwähnt, für die Pensionierung der Apotheker 
sorgen. 


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E. Axel Holmström, 


Den Vorteilen des persönlichen Systems gegenüber muß man sich nicht 
blind Btellen, dadurch schadet man nur sich selbst. Die Zukunft wird schon 
erkennen lassen, was man dadurch gewonnen bat, daß man die persönlichen 
Konzessionen z. B. in Schweden, Baden, Württemberg usw. tadelte, und 
wenn der Privilegienhandel noch eine Zeitlang andauert, wird das schöne Ge¬ 
rede von seinem Ungeheuern Gewinn und den vermeintlichen übrigen Vor¬ 
teilen verschwunden sein. 

Im allgemeinen sind übrigens jetzt keine großen Summen am Privi¬ 
legienhandel zu verdienen. Sein größter Vorteil besteht vielleicht darin, 
daß junge Leute mit Vermögen schnell Apothekenbesitzer werden können. 
Dieser Vorteil für junge Männer ist bei dem neuen System aber auch 
nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil kommt es gerade diesem System 
zu, alle anzuerkennen und zu befördern, welche durch neue Errungenschaften 
oder hervorragende Befähigung und große Kenntnisse dem Berufe nützen. 

Wenn ein System vom Zeitgeist verurteilt ist, gewährt es keine 
Sicherheit mehr; und widersetzen sich die Apotheker noch weiter der 
allgemeinen Meinung, so hat dies seine Gefahren. In den Staaten, wo näm¬ 
lich die käuflichen Apotheken nicht vor der Errichtung neuer Apotheken 
in ihrer Nachbarschaft gesetzlich geschützt sind, wird der Tag kommen, wo 
man sich nicht mehr um die alten, verschuldeten Apotheken und ihre Ver¬ 
zinsung kümmert, sondern den Konkurrenten Platz gibt. Ferner ist es 
vielleicht nicht ausgeschlossen, daß man in den Staaten, welche ein freieres 
Expropriationsgesetz besitzen und wo die käuflichen Privilegien dem Grund¬ 
besitz gleichgestellt sind, diejenigen Privilegien expropriieren wird, deren Be¬ 
sitzer sich nicht gutwillig der Abschaffung des Privilegienhandels anschließen 
wollen. Auch ist, wie wir schon oben erwähnt, die Gefahr vorhanden, daß 
man die Taxen nicht erhöht und die Privilegien mit einer größeren Steuer 
belegt, weil die Inhaber derselben es als einen so großen Vorteil ansehen, sie 
zu behalten. Und wer weiß, wie es in den Staaten gehen wird, deren Volks¬ 
vertretung ihre Zustimmung zur Ausübung des Privilegienhandels und der 
damit verbundenen Besteuerung erweislich nicht gegeben hat? 

Wir haben hiermit einige der wichtigeren Punkte in bezug auf die 
Umwandlung der käuflichen Privilegien in persönliche Konzessionen be¬ 
rührt. Wir hatten allerdings die Absicht, auch diese Konzessionen etwas 
näher zu besprechen, da aber das neue System mit seinen unverkäuflichen 
und nicht erblichen Rechten jetzt allbekannt ist, sind keine weiteren Mit¬ 
teilungen oder Empfehlungen mehr nötig. Es ist zu hoffen, daß dieses 
System im Laufe der Zeit sich noch vervollkommnen wird. Dahin zählen 
wir, was in dem folgenden Kapitel über die Pensionierung der Apotheker 
wird angeführt werden. 

III. Über die Notwendigkeit von Pensionskassen sowohl für 
Apothekeninhaber als auch für unbeförderte Apotheker. 

Da wir schon mehrmals die Notwendigkeit der Pensionskassen für das 
Apothekerkorps hervorgehoben haben, wollen wir diese für unseren Beruf 
so unabweisbare und für die Ruhe und Sicherheit unserer Zukunft so 
bedeutungsvolle Angelegenheit etwas näher ins Auge fassen. Es scheint 
nämlich durchaus unvermeidlich zu sein, daß man besonders bei einer 


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Über käufliche Apothekenprivilegien und deren Ablösung usw. 689 

größeren Reform des Apothekenwesens das Wohl aller Mitglieder zu sichern 
sucht. Dies läßt sich bewerkstelligen teils dadurch, daß diejenigen, welche 
das für Staatsbeamte festgestellte Pensionsalter erreicht haben, abgehen und 
eine Pension erhalten und andere ihre Stellung als Apothekeninhaber ein- 
nebmen, und teils auch dadurch, daß diejenigen, welche nicht Apotheken¬ 
inhaber geworden sind, dennoch eine Pension für ihren ferneren Lebens¬ 
unterhalt erhalten. 

Als in Schweden die Apotheken noch alle verkäuflich waren, konnte 
das ganze Personal der Apotheke natürlich nicht erwarten, selbst Apotheken¬ 
inhaber zu werden, und da überdies keine Pensionskasse vorhanden war, 
sahen sich viele von denjenigen, welche kein Vermögen besaßen, genötigt, in 
einen anderen Beruf einzutreten. 

Da die meisten Apotheken nunmehr persönliche sind, kann das Per¬ 
sonal auf persönliche Konzessionen hoffen, und seitdem kommt es daher 
äußerst selten vor, daß jemand seinen Beruf verläßt. Alle haben deshalb 
in den letzten Jahrzehnten auf eine glückliche Zukunft gehofft; da es aber 
in der letzten Zeit vorgekommen ist, daß geprüfte Apotheker, welche sich 
um Apotheken beworben, übergangen worden sind, und die Anzahl der 
Apotheken übrigens nicht für alle reichte, fängt man an unruhig zu werden, 
besonders, weil man noch nicht ernstlich an die Pensionierung oder an eine 
andere Altersversorgung gedacht hat. 

Gin solcher Zustand tritt ja in allen mit festem Gehalt verbundenen 
Berufen ein, wo also das Einkommen aufhört, wenn die Leistungsfähigkeit 
abnimmt. Damit nun die Beamten diesem Zeitpunkt ohne Sorgen entgegen¬ 
sehen können, haben die Staaten und übrigens auch die meisten privaten 
Korps Pension skassen eingerichtet. 

Das schwedische Apothekerkorps hat diese Notwendigkeit nicht un¬ 
beachtet gelassen. Im Jahre 1887 wurde die Pensionskasse des Apotheker¬ 
korps gegründet. Das Bedürfnis derselben war zurzeit des Privilegien¬ 
handels nicht weniger groß, man beschäftigte sich aber nicht weiter damit; 
die älteren Pharmazeuten widmeten sich, wie gesagt, anderen Berufen, sie 
wurden Gehilfen in chemischen Gewerben, in Parfümerien, Mineralwasser¬ 
fabriken, in kleineren technischen Geschäften usw. und schieden somit aus 
ihrem eigentlichen Berufe gänzlich aus. 

Als der Tilgungsfonds seine Tätigkeit begann, dachte man allerdings 
sofort auch an die Gründung einer eigenen PensionBkasse, viele waren aber der 
Ansicht, daß dies unnötig sei, weil so viele Lebensversicherungsgesellschaften 
usw. vorhanden wären, durch die man sich für seine alten Tage ein Auskommen 
sichern könnte. Man erkannte indessen bald, daß nur wenige sich dieses Aus¬ 
weges bedienten, weshalb mehrere Apothekeninhaber von neuem auf die 
Gründung der oben erwähnten Pensionskasse für Apotheker drangen. 

Wir werden hier kurz die Hauptzüge in der Organisation dieser Kasse 
erwähnen. 

Ihr Zweck ist der, aus den durch 

1. Jahresgebühren der Mitglieder, 

2. Extraeinkommen, wie Abgaben gewisser Apotheken, Prüfungs- und 

Beförderungsgebühren, geschenkten Mitteln usw., 

3. fällige Zinsen 

Vierteljahrttchrlfl för Qeeandheitepflege, 1008. 44 


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690 


E. Axel Holmström, 


gebildeten Foods zu zahlen: teils jährliche Pensionen, entweder an das 
Mitglied selbst oder an seine Frau oder Töchter nach vollendetem 49. oder 
54. Lebensjahre, teils Pensionen an die Witwe and die minderjährigen 
Kinder des Mitgliedes unmittelbar nach seinem Tode, und teils gelegent¬ 
liche Unterstützungen. 

Die Fonds der Kasse sind in Hauptfonds, Gewinnfonds, Verstärkungs- 
und Unterstützungsfonds eingeteilt. Ein jeder, der sein erstes pharmazeu¬ 
tisches Examen absolviert und in seinem Berufe eine Anstellung erhält, ist 
verpflichtet, in die Kasse einzutreten und sich selbst eine jährliche Pension 
von wenigstens 300 Kronen (ä 1,10«^) bei 55 Jahren zu sichern. Ein 
Mitglied kann außerdem nicht nur sich selbst, sondern auch der Gattin und 
den Töchtern eine Pension von 300 bis 3000 Kronen sichern. 

Ein verheiratetes Mitglied kann seiner Witwe oder der Witwe und 
den unmündigen Kindern zusammen oder den Kindern allein eine jährliche, 
gleich nach seinem Tode zahlbare Pension von 300 bis 1000 Kronen aus 
der Kasse schaffen. Im Jahre 1906 zählte die Kasse 1083 Mitglieder. An 
Pensionen und zufälligen Unterstützungen wurden 31 575,45 Kronen aus¬ 
gezahlt. Als Jahresgebühren für Pensionen wurden 88 392,80 Kronen an 
die Kasse eingezahlt. Die Verwaltungskosten betrugen 12 388,72 Kronen. 
Der Kassenbestand betrug am Schlüsse des Jahres 1906: 1895784,45 Kronen. 

Der kräftigste Beitrag der Kasse besteht gegenwärtig aus den Abgaben 
der persönlichen Apotheken; diese Beiträge werden immer größer werden, 
denn die jetzigen abgabenfreien Apotheken werden beim Wechsel der In¬ 
haber in abgabenpflichtige verwandelt. Diese Beiträge betrugen im Jahre 
1906 38 403,33 Kronen von 86 abgabenpflichtigen Apotheken. 

Die Lebenskraft einer Pensionskasse liegt allerdings in den persön¬ 
lichen Jahresgebühren der Mitglieder, es ist aber doch von größter Be¬ 
deutung, daß die Kasse Gönner und die Sympathien der Fachgenossen besitzt, 
denn dann werden jedenfalls auch noch andere Anordnungen hinzukommen, 
sowie Vermächtnisse, Schenkungen und andere Gaben. Durch derart 
gebildete Fonds können die Pensionen später vergrößert werden, 
wodurch der mathematische Wert der Pensionen, die sich die Mitglieder 
selbst geschaffen, erheblich erhöht wird. 

Als Beispiel kann erwähnt werden, daß in den beiden ersten Monaten 
des verflossenen Jahres an 11 unterstützungsbedürftige Mitglieder zusammen 
4400 Kronen vom Unterstützungsfonds ausgezahlt wurden. Bis jetzt ist 
die Kasse mit mehreren Dotationen und auch in Testamenten bedacht 
worden, wovon eins 20 000 und eins 20 700 Kronen betrug. Man kann 
deshalb sagen, daß diese Kasse schon von Anfang an in einer guten Lage 
ist und denjenigen, die sich derselben bedienen wollen, einen kräftigen Bei¬ 
stand leisten kann. 

Die meisten Mitglieder haben sich sonderbarerweise nur die kleinste 
Pension gesichert, nämlich 300 Kronen pro Jahr, obgleich ihr Einkommen 
standesgemäß und groß genug gewesen ist, um diesen Betrag bedeutend er¬ 
höhen zu können. Der Grund hierzu liegt zweifelsohne darin, daß die meisten, in 
dem sicheren Glauben, ein eigenes Apothekenprivilegium zu erhalten, abgeneigt 
waren, die Gebühren an die Pensionskasse zu zahlen, obgleich es ihnen wohl 
bekannt sein mußte, daß sie auf verstärkte Pensionen zu rechnen haben würden. 


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Uber käufliche Apothekenprivilegien und deren Ablösung usw. 691 

Es wäre allerdings das vorteilhafteste, eine Pension zu erhalten, ohne 
selbst dazu beizutragen, es ist aber jetzt allgemein gebräuchlich, von den 
Gehältern der Staatsbeamten Abzüge zu machen und für ihre Pensionierung 
zurückzulegen. Man kann ja immerhin bestrebt sein, eine bessere Stellung 
zu erlangen, aber solange kein anderer Ausweg vorhanden ist, muß man 
sich mit dem begnügen, was man hat. 

Bei der Bildung neuer Ablösungsfonds ist die Bestimmung zu machen, 
daß alle reservierten oder rückständigen Mittel an die Pensionskasse des 
Korps übergeben werden, sobald die Amortisation beendet ist. 

ÜbrigenB müßte man im allgemeinen bei den Bestrebungen für die 
Förderung der Pensionskassen erwarten können, daß der Staat mit jährlichen 
Ergänzungspensionen beitrüge oder anderweitig das Pensionswesen unter¬ 
stützte, damit die alten Apotheker bei erreichtem PeDsionsalter tatsächlich 
zurücktreten und anderen Platz maohen können. Aber jedenfalls müssen 
alle Mitglieder des Korps zu ihrer Pensionierung selbst beitragen. Hierbei ut 
nicht zu vergessen, daß jeder Staat eines geordneten Apothekenwesens bedarf, 
und wenn man diese Angelegenheit nicht zugleich mit der Abschaffung 
der käuflichen Apotheken ordnet, können schlimme Übelstände entstehen. 

Unter den Auswegen, die wir sonst noch zur Sicherung des Pensions* 
wesens uns vorzuschlagen erlauben, nennen wir auch den, daß in die Sta¬ 
tuten der Tilgungsfonds eines jeden Staates die Bestimmung aufgenommen 
werde, die halbjährlichen Abgaben der Apotheken halbjährlich im vor¬ 
aus zu entrichten und die halbjährlichen Zinsen sorgfältig duroh den 
FondB zu verwalten und teilweise, z. B. jedes zweite Jahr, an die Pensions¬ 
kassen zu überlassen. Solange die Reservefonds unzulänglich sind, haben 
diese Vorschußzahlungen noch einen anderen wichtigen Zweck, indem sie 
nämlich dafür sorgen, daß die Ablösungsfonds immer über Mittel zur Ein¬ 
lösung der Zinsscheine und der ausgelosten Obligationen verfügen. Je 
nachdem diese Zinsenbeträge an die Pensionskassen überwiesen werden, 
sind daraus Grundfonds zu bilden, am besten solange die Amortisation 
dauert, denen die reservierten Mittel der Tilgungsfonds schließlich zu über¬ 
lassen sind. Nur die Zinsen dürfen für die Pensionen verwendet werden, 
sobald die betreffende Regierung dazu ihre Genehmigung erteilt hat 

Es ist nicht ausgeschlossen, daß dieser Vorschlag auf Widerstand von 
seiten der Tilgungsfonds stoßen wird, und daß sie selber die Zinsen der 
halbjährlichen Vorschußzahlung behalten wollen. Dies darf ihnen aber nie 
eingeräumt werden, dann wäre es noch vorzuziehen, die halbjährlichen Ab¬ 
gaben der Mitglieder um ein weniges zu erhöhen. 

Wenn wir das obige Beispiel festhalten, werden, wenn der Privilegien¬ 
wert eines Staates mehr als 300 Millionen Reichsmark beträgt, die jährlichen 
Zinsen sich auf etwa 14 Millionen Mark belaufen, angenommen, daß die 
halbjährlichen Abgaben 7 Millionen und die Zinsen des ersten Halbjahres 
150000Reichsmark betragen. Diese halbjährlichen Abga ben kapitali¬ 
sieren und verzinsen sich ununterbrochen und in jedem Halb¬ 
jahr kommen neue hinzu. Diese Art und Weise, ein Kapital zu sammeln, 
ist für die Mitglieder des Fonds nicht sehr fühlbar. Es ist nämlich nur die 
erste Zahlung, welche den Eindruck eines wirklichen Vorschusses macht, bei 
den späteren Zahlungen verschwindet aber dieses Gefühl. 

44* 


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692 


E. Axel Holmström, 


Ein anderes ausgezeichnetes Mittel zur Verstärkung der Pensionen 
besteht, wie schon oben erwähnt, darin, daß sich jeder Apotheker, der eine 
nicht zu unbedeutende, neue oder alte persönliche Konzession erhält, ver¬ 
pflichtet, vorher bestimmte jährliche Abgaben an die Pensionskasse zu zahlen. 

In den Staaten, wo abgabenfreie persönliche Apotheken vorhanden 
sind, es sich aber nicht um das Ablösen der käuflichen Apotheken handelt, 
wäre es angezeigt, eine ähnliche Bestimmung baldigst einzufahren und die 
Abgabe der Apotheke nach ihrer Zahlungsfähigkeit zu richten. Die ein¬ 
gezahlten Mittel könnten vorläufig für einen Pensionsfonds zurückgelegt 
werden, über dessen Anwendung später zu bestimmen wäre. 

Wenn aber die käuflichen Privilegien eines Staates abgelöst werden 
sollen, können gleichzeitig die persönlichen Apotheken allmählich propor- 
tionaliter mit halbjährlichen Abgaben an die Pensionskassen belastet werden, 
ebenso wie die Apotheken des Tilgungsfonds ihre halbjährlichen Abgaben 
zahlen, was jenen nicht empfindlicher sein wird, als diesen, weil sie dieselben 
Medizinaltaxen gebrauchen. 

Eine große Hilfe würde es künftig für die Pensionierung sein, wenn 
die jetzigen verkäuflichen Apotheken noch eine Zeitlang über die Amortisa¬ 
tion hinaus an die Pensionskassen dieselben Abgaben zahlen müßten, die 
sie bis dahin an den Tilgungsfonds gezahlt haben. 

Auf diese Weise kann man Auswege ersinnen und für die Förderung 
des Pensionswesen8 tätig sein. Diese Angelegenheit können indessen die 
Apotheker selbst nicht ins Reine bringen, sondern der Staat muß ihnen bei¬ 
stehen, wie schon erwähnt. Widrigenfalls könnte es eintreffen, daß der 
Staat die Apotheken dereinst für eigene Rechnung übernehmen müßte. 
Dieser Gedanke ist hier in Schweden schon einmal aufgeworfen worden. 
Hier wurde nämlich im vorigen Reichstage von privater Seite der Antrag 
gestellt, daß die Regierung eine Untersuchung über das beste System, 
welches nach Ablauf des Jahres 1920 im Apotheken wesen zu befolgen sei, 
speziell hinsichtlich der Frage, ob der Staat den Apothekenbetrieb 
für eigene Rechnung übernehmen müsse, einleiten und dem Reichs¬ 
tage das Ergebnis der Untersuchung unterbreiten möchte. Dem Anträge 
gemäß überreichte der Reichstag den Vorschlag der Regierung. 

Unserer Meinung nach würde es für die Zukunft des Apothekerkorps 
viel ruhiger und vorteilhafter sein, wenn der Staat alleiniger Apotheken¬ 
inhaber und die Apotheker seine Beamten würden, da sie dann aller Sorgen 
um das Pensionswesen enthoben wären, weil die Pensionierung Sache des 
Staates ist. 

Wenn man aber den ganzen Umfang dieses Antrages betrachtet, stellt 
sich die Sache auf die Dauer ziemlich umständlich. Außer den Einrichtungen, 
Apparaten, Waren und Inventarien müßten für die jetzigen 369 Apotheken 
Schwedens Häuser, Fabrikgebäude, Depots und Waren vertriebsstellen 
gekauft oder gemietet und eingerichtet und außer den nötigen Beamten 
auch ein beträchtliches Personal für Buchhaltung, KorreBpondenzabteilung, 
ausländische Geschäfte, Revision der Rechenschaften, Inventarisierung der 
Waren usw., Inspektion der Lokale und Materialien und sonstige Kontrolle, 
Erhaltung der Gebäude, Geräte und anderweitige Materialien usw. angestellt 
werden. 


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Uber käufliche Apothekenprivilegien und deren Ablösung usw. 693 

Der Zweck dieser Anordnung wäre wohl in erster Linie der, dem 
Publikum billigere Heilmittel zu verschaffen; wenn man indessen nach 1920 
die Taxen nach Schluß der Amortisation ermäßigt, ergibt sich dasselbe 
Resultat. Früher schon sind Pläne in dieser Richtung vorgelegt worden, 
man hat sie aber verworfen in der Annahme, daß das System in ein lästiges 
Pachtwesen übergehen würde. 

Wir erwähnen diese Angelegenheit nur, um ein ausgezeich¬ 
netes Beispiel eines Systems zu geben, wo es Sache des Staates 
zu sein scheint, für die Pensionierung des Apothekerkorps zu 
sorgen. 

Da nun der Reichstag sich dieser Verpflichtung bewußt ist und den 
Vorschlag trotzdem der Regierung übersandt hat, so hat es den Anschein, 
als ob er prinzipiell anerkannt hätte, daß der Staat die Pensionierung des 
Apothekerkorps, das in allem unter seiner Leitung und Kontrolle steht und 
das Publikum ordnungsgemäß bedient, selbst übernehmen müßte. Wie viel 
besser und einfacher wäre es dann nicht, wenn der Staat das Apotheker- 
korps des persönlichen Systems pensionierte ; dieses System wird in dem 
deutschen Gesetzentwurf zur Umgestaltung des Apothekenwesens, wie auch 
im schwedischen Apothekerkorps für das dem Apothekerberuf vorteil¬ 
hafteste gehalten. 

In der letzten Zeit ist in Schweden für die Pensionierung ein Über¬ 
gangssystem vorgeschlagen, dessen Grundzüge darin bestehen, daß die 
Apotheker, welche kränklich oder alt sind und für ihre Apotheke einen 
anderen Vorsteher nötig haben, bei der Medizinaldirektion die Anstellung 
eines solchen beantragen und zugleich die näheren Umstände ihrer Apo¬ 
theke darlegen sowie die Höhe des jährlichen Beitrages angeben, den 
sie von derselben zu erhalten wünschen, worauf die Direktion einen 
gewissen Anteil vom Reingewinn der Apotheke zu bestimmen 
habe, den der Vorsteher dem Inhaber, solange er lebt, aus¬ 
zahlen müsse. Alsdann würde die Apotheke zur Bewerbung aus¬ 
geschrieben, die Stelle besetzt und angetreten, ganz wie bei 
den persönlichen Apotheken. Der ernannte Vorsteher hätte 
alsdann die Apotheke zu verwalten, und nach dem Tode des In¬ 
habers würde er selbst zum Inhaber der in Rede stehenden Apo¬ 
theke ernannt. Dieses System bezweckt, das jetzige Pachtsystem zu 
ersetzen und ist der Untersuchung und Befolgung wert. Da in allen großen 
Städten Lebensversicherungsanstalten mit sachverständigem Personal vor¬ 
handen sind, von dem man alle nötigen Ratschläge erhalten kann, werde 
ich meine Reflexionen über das Pensionswesen der Apotheker hier jetzt ab¬ 
schließen. 

IV. Über den Handel mit Heilmitteln und die Regierung. 

Es mag wohl vermessen erscheinen, daß wir uns über die Regierungen 
derjenigen Staaten, in denen Privilegienhandel vorkommt, äußern, da wir 
aber nur einem kosmopolitischen Berufe und den Apothekern zu nützen 
beabsichtigen, bitten wir um gütige Nachsicht. 

Zur weiteren Erläuterung der Angelegenheit erlauben wir uns somit 
über die Regierungen im allgemeinen noch folgendes hinzuzufügen. 


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694 


E. Axel Holmström, 


Der Privilegienhandel wäre nie entstanden, wenn die Regie¬ 
rungen zu der Zeit, als die ersten Apotheken errichtet wurden, in die Pri¬ 
vilegienbriefe die Bestimmung eingeschaltet hätten, daß derjenige, der die 
Befugnis zur Errichtung einer Apotheke erhalten, nur den Nießbrauch auf 
Lebenszeit hätte. Das Recht zum Besitze der Privilegien hätten die Regie¬ 
rungen sich Vorbehalten sollen. Ihre Sache wäre es dann gewesen, bei 
jeder Vakanz einen neuen Inhaber zu ernennen, und diesem hätte es dann 
obgelegen, sich die Waren, das Inventarium und die Einrichtung zu er¬ 
handeln. Dies geschah indessen nicht, der Grund ist fast überall unbekannt. 

Der Apothekerberuf hatte allerdings viele Eigenheiten, und nur wenige 
verstanden ihn, viele verwechselten wohl auch das, was sie für das Privi¬ 
legium, mit dem, was sie für Waren und Inventarium bezahlt hatten. Das 
Wahrscheinlichste wird wohl sein, daß der Privilegienhandel schon im ersten 
Jahrhundert seines Bestehens den Behörden nicht ganz unbekannt war. Es 
mag aber sein, daß sie sich dem Zeitgeiste fügten und in anbetracht des 
traurigen Zustandes, der vor Errichtung der Apotheken in der Kranken¬ 
pflege geherrscht hatte, nachsichtig waren, und daß die Apotheker deshalb 
besonders geschätzte Leute waren, die man hegen und pflegen mußte. 

Daß der Privilegienhandel im letzten Jahrhundert unbekannt war, läßt 
Bich aber nicht behaupten. Die Regierungen hätten sich durch die Apotheker 
nicht zur Fortsetzung aller Wirren und aller durch sie selbst hervorgerufenen 
Übelstände bereden lassen sollen; es wäre vielmehr vorteilhaft gewesen, wenn 
man in der Mitte des 19. Jahrhunderts die allgemeine Ablösung der Privi¬ 
legienschuld, welche damals wahrscheinlich nur die Hälfte der jetzigen betrug, 
veranstaltet hätte. Es war ja Grund genug vorhanden, damals oder sogar 
noch früher eine derartige Maßregel vorzunehmen; es gab ja Beispiele genug 
davon, daß Staaten, Gemeinden u. dgl. große Anleihen mit langer Zahlungsfrist 
erhoben, und Hypothekenvereine waren auch für solche Zwecke vorhanden; 
aber nichts von alledem geschah. 

Indessen sieht man jetzt fast überall ein, daß der Privilegienhandel in 
einem Kulturstaate nicht fortdauern kann; die Schwierigkeiten der Ablösung 
sind aber so angewachsen, daß die ganze Angelegenheit vor lauter Ver¬ 
stimmung ins Stocken geraten ist. Heutzutage handeln die Regierungen 
nicht recht, wenn sie-erwarten, daß die Apotheker selbst die Befreiung von 
den Millionenschulden durchführen. Vielmehr obliegt es den Regierungen, 
wieder gutzumachen, was frühere Regierungen versäumt oder ver¬ 
gessen haben, die Angelegenheit selbst in Angriff zu nehmen und den 
ersten Schritt zu der Reform zu tun, wie es hier bei uns in Schweden 
geschehen ist. 

Da die Inhaber der käuflichen Apotheken ihre Privilegien von den 
Regierungen erhalten haben, liegt die Verantwortung für ihre jetzige 
bedauerliche Stellung bei den Regierungen, denen es deshalb zukommt, sie 
wieder aus der Bedrängnis heraus und in eine Lage zu führen, die ihrem 
Berufe und dem ganzen Apothekerkorps dienlich wäre, und zwar ganz 
besonders deshalb, weil die Regierungen von Anfang an so vorgegangen 
sind, als ob cb ein Gesetz für den Privilegienhandel gegeben hätte, und da¬ 
durch die Apotheker in dem Glauben ließen, daß sie richtig handelten, wenn 
sie ihre Privilegien kauften und verkauften. 


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Über käufliche Apothekenprivilegien und deren Ablösung usw. 69. r > 

Es läßt sich aber nicht leugnen, daß die Regierungen durch die wieder¬ 
holten Bestätigungen der herkömmlichen käuflichen Privilegien den Apo¬ 
thekern ein großes Wohlwollen bewiesen haben, denn dadurch wurden die 
Apotheker von Zeit zu Zeit jedesmal ihrer Schwierigkeiten enthoben. 

Ist man einmal zu der Ansicht gelangt, daß die Ablösung 
der käuflichen Privilegien sich bewerkstelligen läßt, müßte der 
erste Schritt in dieser Richtung darin bestehen, daß die betreffen¬ 
den Behörden von ihren Regierungen beauftragt würden, an die 
Inhaber der käuflichen Privilegien ein Rundschreiben zu erlassen 
mit dem Ersuchen, Entwürfe betreffend die Bildung vonTilgungs- 
fonds zur Ablösung ihrer Privilegien einzusenden und zu diesem 
Zwecke Delegierte zu wählen. Es wäre außerdem angezeigt, in 
dem Rundschreiben die Folgen anzugeben, welche diejenigen 
Apotheken treffen würden, deren Inhaber sich dieser für das allge¬ 
meine Wohl des Volkes berechtigten Reform widersetzen wollten. 

Außer den eben erwähnten Delegierten müßte jede Regierung einige 
Vertreter zur Beteiligung an der Arbeit wählen, z. B. einen Beamten aus 
der Verwaltung der Staatsschulden und einen anderen Finanzmann. Dieser 
Ausschuß müßte alsdann Entwürfe für die Ablösung der käuflichen Privi¬ 
legien ausarbeiten und zugleich Vorschläge für die fernere Organisation der 
abgelösten Apotheken Vorbringen. Der Ausschuß müßte berechtigt sein, 
Bankleute, Juristen, Mathematiker u. a. in gewissen Fällen als Gehilfen 
heranzuziehen. 

In bezug auf die Ablösung der käuflichen Privilegien und die Ab¬ 
zahlung der geliehenen Mittel sieht es zuweilen aus, als ob es das Sicherste 
wäre, daß die Staaten die Mühe und Verantwortung übernähmen. Wenn 
aber die Sache sich trotzdem ordnen läßt und es überdies auch Vorkommen 
könnte, daß die Regierungen in allerlei Verwickelungen gerieten, dürfte es 
das Zweckmäßigste sein, freistehende, von der Regierung gestützte und kon¬ 
trollierte Tilgungsfonds zu bilden; diese Fonds müßten in allem, was die 
Sicherstellung der Mittel betrifft, so zuverlässig verwaltet sein, daß die Dar¬ 
lehngeber die Überzeugung gewönnen, daß die Obligationen der Fonds 
ebensogut seien wie Staatspapiere. 

Zur Förderung der Reform müßte man außerdem bestrebt 
sein, den Verkauf von Heilmitteln ausschließlich den Apotheken 
zu überlassen. Überdies müßte die Patentierung derselben, da sämtliche 
Kranke und Leidende der ganzen Menschheit der Arzneien bedürfen, nur 
in solcher Form gestattet sein, daß nur das Verfahren zur Herstellung der 
Heilmittel, aber nicht die Ware selbst geschützt würde, damit also dasselbe 
Mittel, aber nach einem anderen Verfahren hergestellt, in den Patentschutz 
nicht eingeschlossen würde. Patente auf Heilmittel müßten auch nur auf 
verhältnismäßig kurze Zeit bewilligt werden. Außerdem müßte der ganze 
Handel mit solchen Geheimmitteln, die in den Apotheken nicht hergestellt 
werden können, dort nach den Preisen der Medizinaltaxe stattfinden, jedoch 
erst nach erlangter Befugnis und vorgenommener Untersuchung von Seiten 
einer bestimmten Behörde, nachdem der Erfinder unter eidlicher Ver¬ 
antwortung den Inhalt und das Herstellungsverfahren angegeben. Jeder 
anderweitige Handel mit Geheimmitteln müßte gänzlich verboten werden. 


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696 


E. Axel Holmström, 


Diese Angelegenheit wäre am zweckmäßigsten auf internationalem Wege zu 
ordnen und zwar derart, daß die Staaten die Herstellungsverfahren von 
anerkannt guten Heilmitteln ankauften und überdies die Erfinder belohnten, 
nachher aber die Verfahren bekannt machten und den alleinigen Vertrieb 
derselben den Apotheken überließen. 

In den Staaten, wo sogenannte Detaildrogenhändler zu¬ 
gelassen sind, müßte die Berechtigung dieser Händler zum Ver¬ 
kauf von Heilmitteln mit dem Ableben des jeweiligen Besitzers 
und demzufolge der ganze Handel nach einer gewissen Zeit auf¬ 
hören. Als Ersatz müßten von der Medizinalbehörde bei Bedarf Apotheker 
konzessioniert werden, welche Arzneiniederlagen einrichteten, mit der Ver¬ 
pflichtung, je nach dem geschäftlichen Umfange eine mäßige Jahresgebühr 
au die Pensionskasse der Apotheker zu zahlen. Außerdem ließen sich kleinere 
Dispensationsaustalteu mit täglichem Bezug aus Apotheken auf Bestellung 
sowohl von seiten der Ärzte als auch von anderen Personen einrichten. 

An gewissen Orten sind vielleicht statt der Detaildrogengeschäfte neue 
persönliche Apotheken einzurichten mit der Verpflichtung, außer den eigenen 
halbjährlichen Abgaben an den betreffenden Ablösungsfonds auch einen Teil 
von den ähnlichen Abgaben der benachbarten abgelösten Apotheke zu ent¬ 
richten. Da nun ein spezielles Korps vorhanden ist, dessen Unterricht und 
Vorbereitung für den Dienst in der Gesundheitspflege der Staat besorgt und 
kontrolliert, wäre es nicht mehr als gerecht, daß eine so wiohtige Angelegen¬ 
heit, wie es der Verkauf von Heilmitteln ist, diesem Korps an vertraut 
würde und nicht anderen Personen, welche das Geschäft oft mit über¬ 
mäßigem Gewinn betreiben und die Leichtgläubigkeit deB Publikums aus- 
beuten. Ein solches Gewerbe ist tatsächlich unnötig und des Schutzes der 
Behörden nicht würdig. 

Es wäre also nur ein Akt der Gerechtigkeit sowohl gegen das Publikum 
als auch gegen das Apothekerkorps, daß der Verkauf von Heilmitteln den 
Detaildrogenhändlern genommen und denjenigen wieder übergeben würde, 
denen er von Rechtswegen zukommt. Außerdem ist es für die Amor¬ 
tisation eine Notwendigkeit, daß dieser Handel den Apotheken 
ganz überlassen wird und zur Amortisation und zum Pensions- 
wesen beiträgt sowie eine glückliche Durchführung der Reform ermöglicht. 
Es ist nicht ausgeschlossen, daß dieser Detailhandel, wenn er nicht gehemmt 
wird, nach Art der käuflichen Apothekenprivilegien ausartet und dem 
Staat und dem Volke zur neuen Bürde wird. Man ist zu der Hoffnung be¬ 
rechtigt, daß die Staaten bei der Reform des Apothekenwesens alles berück¬ 
sichtigen werden, was mit der Frage zusammeuhängt, und eine gründliche 
Umgestaltung vornehmen, sowie alles, was jetzt lose und zerstreut ist, 
zu einem Ganzen zusammenstellen werden. 

Ehe wir diese Abteilung verlassen, werden wir noch etwas über die 
sogenannte Selbstamortisation sagen. 

Im Auslande hat man über die sogenannte Selbstamortisation der käuf¬ 
lichen Privilegien gesprochen und dabei angeführt, daß sie in Schweden 
schon stattgefunden habe. Tatsächlich ist dies zum Teil auch der Fall. Als 
unser Tilgungsfonds nämlich gegründet wurde, meldeten sich in der ersten 
Anmeldezeit nur 64 von den 119 käuflichen Apotheken des Reichs zum 


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Über käufliche Apothekenprivilegien und deren Ablösung usw. 


697 


Eintritt in den Fonds. Die Inhaber der übrigen Apotheken zögerten, aber 
nach wiederholtem Aufruf von seiten der Direktion ließen vor Ablauf des 
Jahres 1874 noch 30 Apotheker sich bewegen; zusammen machte dies also 
94 käufliche Apotheken. Sämtlichen angemeldeten Apotheken wurde die 
Lösesumme von 16 Proz. auf die Hälfte herabgesetzt. Einige, deren Pri¬ 
vilegien um etwa 20 Proz. herabgesetzt worden waren, zogen ihre An¬ 
meldungen wieder zurück. Auf diese Weise blieben 25 Apotheken un- 
abgelöst; ihre Inhaber entschlossen sich, ihre Privilegien im Laufe von 
46 Jahren oder bis zum Jahre 1920 selbst zu amortisieren, nach welcher 
Zeit jeder Handel mit Apothekenprivilegien verboten ist. Einige hatten 
gehofft, ihre Privilegien später mit ungeheurem Gewinn verkaufen zu können, 
aber sie irrten sich, und deshalb gründeten 13 Inhaber unabgelöster 
Apotheken im Jahre 1892 einen neuen von der Regierung be¬ 
stätigten Tilgungsfonds, der ihre Privilegien ablöste, wobei von 
der LöseBumme eine ebenso große Amortisation abgezogen wurde 
wie diejenige, die der ältere Fonds an seiner Schuld schon ab¬ 
gezahlt hatte. Demnach sind es nur 12 Apotheken, welche nicht 
abgelöst blieben, und hierauf beschränkt sich somit die schwe¬ 
dische Selbstamortisation. Die Besitzer dieser Apotheken besorgen ihre 
Amortisation ganz nach eigenem Belieben, und bis 1920 können sie ihre 
Apotheken verkaufen, nach welcher Zeit aber ihr Verkaufsrecht auf hört, 
ohne daß sie irgend welche Vergütung für ihre Privilegien erlangen können. 
Der Grund dieses Vorgehens lag darin, daß ihre geschäftliche Lage in allen 
Beziehungen günstig war und der Privilegienwert bei uns sich verhältnis¬ 
mäßig niedrig stellte. 

Bei den heutigen hohen Privilegienwerten, welche selten weniger als 
das fünf- bis siebenfache des Umsatzes betragen, ist eine Selbstamortisation 
ganz ausgeschlossen, sofern nicht die betreffenden Staaten sie unterstützen 
und verwalten sowie spezielle Halbjahrskontrollen usw. einführen und dabei 
eine sehr lange Amortisationszeit bewilligen, außerdem auch ein vollständiges 
Pensionswesen mit besonderen Bedingungen für die Inhaber der käuflichen 
Privilegien organisieren. 

Wenn die Regierungen sich diesen Aufopferungen und Mühen unter¬ 
ziehen und auch alle Einkäufe und Verkäufe der Apotheken während der 
Amortisationszeit vermitteln wollen, ist eine sorgfältig organisierte 
Selbstamortisation nicht als unausführbar anzusehen. 

V. Über die Tilgungsfonds 

und die Ablösung der käuflichen Apothekenprivilegien. 

Viele Entwürfe sind ausgearbeitet worden in dem Bestreben, die käuf¬ 
lichen Apothekenprivilegien abzusohaffen; selten hört man aber, daß sie von 
Finanzmännern geprüft oder gebilligt und für durchführbar erklärt worden 
sind. Vielfach ist man überzeugt, das Geld zur Ablösung der Privilegien 
an angegebener Stelle zu erhalten, meistens fehlen aber Angaben, ob die 
Anfragen überhaupt gemacht worden sind. Viele meinen sogar, daß kleine, 
geradezu lokale Ablösungsfonds die Ablösung der Privilegien usw. durch¬ 
zuführen vermöchten. 


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698 


E. Axel Holmström, 


Während man sich mit diesen Fragen beschäftigte, gab man kaum auf 
die günstige Geldlage acht, welche im vorigen Jahrhundert in den siebziger 
Jahren anfing und bis Ende der neunziger Jahre anhielt. Hätte man jene 
Zeit zur Ablösung der Privilegien benutzt, anstatt ihren Wert noch zu er¬ 
höhen, wären jetzt gewiß viele Ablösungsfonds in Tätigkeit und die Inhaber 
der käuflichen Privilegien säßen schon lange in guter Lage. Wie man 
sieht, kommt man aber nicht weit damit, nur in ApothekerkreiBen Entwürfe 
auszuarbeiten. Es wäre besser gewesen, wenn man sich an die Finanzwelt 
gewandt und ihr die herrschende Lage dargelegt, sowie zugleich die Reform 
angegeben hätte, die man erstrebte. 

Zur weiteren Erläuterung der Ablösungsfrage sei noch folgendes be¬ 
merkt. Man muß voraussetzen, daß alle Darlehngeber volle Sicherheit ver¬ 
langen, und diese Sicherheit muß eine derartige sein, daß sie sowohl den 
größeren als auch den kleineren Darlehngebern paßt. Diese Sicherheit muß 
in dem Einkommen der Apotheken — einer nie versiegenden Quelle — 
und in den festgestellten, an die Ablösungsfonds zu zahlenden halb¬ 
jährlichen Gebühren liegen. Als Bestätigung werden den Darlehngebern 
von den Ablösungsfonds Schuldbriefe oder Obligationen mit halbjährlichen 
Zinsscheinen ausgestellt. Dies ist das gewöhnlichste Vorgehen für die Auf¬ 
nahme fester Abzahlungsanleihen, und es wird sich wohl nicht vermeiden 
lassen, auch hier diesen üblichen Weg einzuschlagen. 

In Schweden ist der Wert der Obligationen 1000 und 5000 Kronen. 
In größeren Amortisationsfonds werden aber mehrere Serien und Werte Vor¬ 
kommen müssen, weil die Anleihen voraussichtlich nur teilweise gekündigt 
und konvertiert werden können. Die Vorderseite unserer Obligationen zeigt 
das gewöhnliche, hübsche Aussehen mit dem Stempel des Fonds und folgen¬ 
der Aufschrift: 

Obligationen des Amortisationsfonds für Apothekerprivilegien. 

Ser. Nr. 

4 Kronen Kronen. 

in Gold mit Prozent Zinsen 

als Anteil einer mit der Bank abgeschlossenen 

Anleihe im Betrage von Kronen 

Dem Inhaber dieser Obligation zahlt der Amortisationsfonds der Apotheker¬ 
privilegien am des Jahres, in welchem diese Obligation 

verlost wird, gegen Rückgabe derselben nebst nicht fälligen Zinsscheinen den 
Betrag von Kronen und löst an den jährlichen Fälligkeitstagen 

am . und am bis einschließlich des Fälligkeitstages der 

Obligation denjenigen der beiliegenden Stück Zinsscheine ein, der zurzeit 

fällig ist. 

Solange diese Obligation und die dazu gehörenden Zinsscheine nicht fällig 
sind, verzichtet der Amortisationsfonds auf jeglichen Verjährungseinspruch nach 
der jetzt geltenden und der künftigen Gesetzgebung; jedoch verjähren fällige 
Obligationen oder Zinsscheine nach Ablauf von zehn Jahren vom Fälligkeitstage ab. 

Im übrigen gelten die nachfolgenden, gedruckten Bestimmungen des bei der 
Anleihe geschlossenen Kontraktes, als wären sie hier wörtlich wiedergegeben. 

Diese Obligation nebst Zinsscheinen werden am Fälligkeitstage bei der 
Bank eingelöst. 

(Name der Stadt), den . 19.. 

Der Amortisationsfonds für Apothekerprivilegien: 

(Namen der Direktionsmitglieder.) 


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699 


Über käufliche Apothekenprivilegien und deren Ablösung usw. 

Auf der zweiten Seite der Obligation steht gedruckt: 

Die Anleihe wird durch jährliche Amortisation bis zum Jahre 19 gemäß 
anliegendem Amortisationsplan zurückgezahlt, doch »-teilt es dem Darlehnnehmer 
frei, nach dem 19 die Amortisation zu vergrößern 

oder die ganze Anleihe zu verlosen usw. 

Diese Seite enthält außerdem Auszüge aus dem oben erwähnten Kon¬ 
trakt, betreffend Verlosung, Zinsvergütung usw. 

Die dritte Seite enthält den Amortisationsplan; derselbe ist in dieser 
Vierteljahrsschrift, Bd. 30, S. 370 veröffentlicht. 

Laut Vernehmen scheint man in verschiedenen Ländern, sowohl in den 
Stadt- als auch in den Landgemeinden, volles Vertrauen für die geschäftliche 
Stellung der käuflichen Apotheken zu haben, und Kassen jeder Art scheinen 
geneigt zu sein, Darlehn zur Ablösung derselben zu geben. Vorkommenden¬ 
falls müßte jeder Apotheker bemüht sein, mit den eventuellen 
Darlehngebern wegen Ankaufs der Obligationen, die nach beschlossener 
Ablösung der käuflichen Privilegien ausgestellt werden, in Verbindung zu 
treten. Desgleichen müßten alle Apotheker, welche Schulden haben, ihren 
Gläubigern die Obligationen anbieten, und diejenigen Apotheker, 
welche keine Schulden haben, müßten, wenn auch nur zum Teil, für ihre 
Privilegien Obligationen in Zahlung nehmen. Indem die Apotheker in den 
Städten und auf dem Lande außerdem die Aufmerksamkeit der Kapitalisten, 
der öffentlichen Kassen und Geldinstitute usw. auf die volle Sicherheit der 
Obligationen lenkten, könnte auch auf privatem Wege für die Geld¬ 
beschaffung gewirkt werden. 

Dies genügt aber nicht, um zum Ziele zu gelangen. In erster Linie 
muß man mit den größeren Bankgeschäften, die ja weitläufige Verbindungen 
haben, die Beschaffung der erforderlichen Geldmittel durch den Verkauf der 
Obligationen kontraktlich vereinbaren; die Obligationen werden ausgestellt, 
sobald die Anmeldezeit der Apotheken zum Eintritt in die Amortisations¬ 
fonds abgelaufen ist und die Größe der Anleihe festgestellt werden kann. 
Inzwischen besorgen die Bankgeschäfte die Anleihen gegen Interimsquittungen 
der Fonds, die sie dann mit den nötigen Geldmitteln versorgen. Die Ab¬ 
lösungsfonds müssen sich hierbei das Recht Vorbehalten, die 
Obligationen unmittelbar selbst zu einem gewissen Preise zu 
verkaufen, ohne Kapitalabzug, indem zugleich den Bankgeschäften au¬ 
geboten werden muß, einen größeren Teil der Obligationen für eigene Rech¬ 
nung al pari zu übernehmen unter der Bedingung, daß von denselben nichts 
verkauft werden darf, ehe die Banken einen vorher bestimmten Be¬ 
trag der Obligationen für Rechnung der Ablösungsfonds in 
Kommission verkauft haben. 

In den Kontrakten ist zu bestimmen, daß die Abzahlung der Schuld 
nach dem Amortisationsplane durch Verlosung und Ablösung der Obliga¬ 
tionen bewerkstelligt werde. Außerdem ist die Zeit festzustellen, nach 
welcher die Obligationen konvertiert oder die Verlosung beschleunigt werden 
kann, indem zugleich die gangbaren Provisionen für die Einlösung und den 
Verkauf der Obligationen sowie die Einlösung der Zinsscheine usw. an¬ 
gegeben wird. 


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700 


E. Axel Holmström, 


Um die Obligationen begehrlich zu machen, stelle man die Zinsen 
etwas höher als bei sonst gleichwertigen Papieren und schiebe den Zeit¬ 
punkt ihrer Einlösung auf einige Jahre hinaus, auch sorge man dafür, daß 
die Zeit ihrer Konvertierung sich auf eine Dauer von wenigstens zehn Jahren 
erstreckt, damit die Käufer auch hieraus Vorteile gewinnen. 

Sobald der Geldvorrat wieder reichlich wird und die Zinsen demzufolge 
bedeutend fallen, kann man die ganze Anleihe oder Teile derselben kündigen 
und mit den Banken eine Konvertierung vereinbaren, sobald man aus¬ 
gerechnet hat, daß sich dies günstiger stellen würde usw. 

ln bezug auf den Umfang und die Größe der Ablösungsfonds in großen 
Staaten wäre es zweckmäßig für die Erlangung einer gewissen Beschränkung 
der Verwaltungskosten und für die möglichste Gleichförmigkeit in allerhand 
Verhältnissen, größere Ablösungsfonds zu gründen und die Banken usw. in 
den verschiedenen Teilen des Reiches als Kommissionäre zu benutzen. 

Zur Klarlegung des Verlaufs bei der Ablösung der käuflichen Privilegien 
wollen wir die verschiedenen Hauptpunkte hier kurz zusammenfassen. Sobald 
die Regierung eines Staates die Statuten eines Ablösungsfonds genehmigt 
und durch Bekanntmachungen den Zeitpunkt festgestellt, nach welchem 
jeder Handel mit Apothekenprivilegien auf hören muß, und angegeben hat, 
was dabei zu beobachten ist, kommen die Hauptpunkte in Betracht, 
welche wir hier anführen wollen, indem wir zugleich auf die Gesetze 
in dieser Vierteljahrsschrift, Bd. 29, S. 619 bis 625 hinweisen. 

1. Die Fonds bezwecken, die Mittel zur Ablösung der käuflichen Privilegien 
zu beschaffen und die halbjährlichen Abgaben der Mitglieder zur Deckung der 
Schulden und Unkosten zu erheben. 

2. Die Inhaber der käuflichen Privilegien wählen eine Direktion, in der 
die Regierung durch ein Mitglied vertreten ist. Die Direktion besorgt alles, 
was dem Zwecke des Fonds entspricht, den Statuten gemäß und laut Beschluß 
der Mitglieder. 

3. Jeder Inhaber eines käuflichen Privilegiums ist berechtigt, innerhalb einer 
bestimmten Zeit, beispielsweise 1% Jahre, seine Teilnahme an dem Fonds 
anzumelden, mit der Obliegenheit, eine Eintrittsgebühr von 1 Proz. von 
dem Betrage der Teilnahme für Organisationskosten und Reservefonds einzuzahlen. 

4. Der Fonds bezahlt jedem Mitgliede den Wert seines Privilegiums, nachdem 
derselbe festgestellt worden ist, und zwar gegen einen schriftlichen 
Verzicht auf das Eigentumsrecht und eine schriftliche Verbindung nebst 
Bürgschaft oder einer anderen Sicherheit, daß jedes Halbjahr die für jede 
Apotheke speziell festgestellte halbjährliche Abgabe für die Amor¬ 
tisation der Privilegiensumme sowie für Zinsen und Verwaltungskosten vorschu߬ 
weise gezahlt werden solle. 

5. Die Schätzung der Privilegien geschieht durch Ausschüsse, 
bestehend aus einem Arzt als Vertreter der Regierung für jeden Regierungs- oder 
anderen Verwaltungsbezirk, aus einem von der Direktion des Fonds gewählten 
Apotheker aus dem Bezirk der betreffenden Apotheke und aus einem Mitglied der 
Direktion oder seinem Stellvertreter. 

6. Begnügt der Privilegienbesitzer sich nicht mit der Schätzung, 
steht es ihm frei, sich innerhalb eines Monats wieder abzumelden gegen Rück¬ 
zahlung der Eintrittsgebühr, andernfalls hat er die Schätzung gebilligt. 

7. Sobald die Teilnahmezeichnung eine festgestellte Minimalsumme erreicht 
hat, fängt die Tätigkeit der Fonds an, während die Eintrittsanmeldungen 
weiter andauern. 

8. Diejenigen, welche sich vor einem gewissen bekanntgegebenen ersten 
Zeichnungstermin anmelden, sind zu der Erhebung ihrer Lösesumme unter 


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Über käufliche Apothekenprivilegien und deren Ablösung ubw. 701 

sich gleichberechtigt. 8ind genügende Geldmittel noch nicht eingelaufen, wird die 
Reihenfolge durch das Los bestimmt. Denjenigen, die sich nach dem ersten 
Zeichnungstermin anmelden, werden die Lösesummen der Reihe nach 
ausgezahlt. 

9. Das ausgelöste Privilegium gehört dem Amortisationsfonds und kann vom 
Inhaber später nicht mehr verkauft werden. 

Wenn eine solche Apotheke frei wird, geschieht die Bewerbung wie 
um die persönlichen Apotheken, und derjenige, der sie erhält, wird Mitglied 
des Fonds und ist demzufolge verpflichtet, die halbjährlichen Zahlungen 
an den Fonds zur Wiedererstattung der Privilegiensumme zu leisten und außerdem 
die Waren und Materialien der Apotheke einzulösen. 

Nachdem wir nun dieses einfache Verfahren für die Ablösung der 
Privilegien beschrieben haben, brechen wir hier ab, indem wir uns der Hoff¬ 
nung hingeben, nicht nur den Freunden, sondern auch den Widersachern 
der Reform gedient zu haben, so daß sie vereint sich derselben widmen 
können. Ehe wir abschließen, möchten wir nur noch die weniger gute 
Meinung widerlegen, die man im Auslande vielfach von der schwedischen 
Privilegienreform hat. Wir haben schon vor einiger Zeit die Fehler und 
Mängel widerlegt, die man ihr aufgebürdet hat, da aber immer noch neue und 
ebenso unbegründete Angriffe Vorkommen, finden wir eine andere Ver¬ 
teidigung als die vorliegende unnütz, und lassen daher die Reform für sich 
selbst sprechen. 

Indessen sind wir von privaten einflußreichen Personen schriftlich er¬ 
sucht worden, die Unzufriedenheit mit der jetzigen Lage zu erklären, die, 
nach den Zeitschriften usw. zu urteilen, angeblich die schwedischen Pharma¬ 
zeuten beherrscht, und ferner hat man angefragt, ob nicht gerade die Ab¬ 
schaffung der käuflichen Privilegien und deren Umgestaltung in persönliche 
Konzessionen diese Unzufriedenheit hervorgerufen hätten. 

Damit die Beantwortung dieser Fragen nicht von uns abhängig sei, be¬ 
lieben alle Ausländer, welche aus Interesse die Reform näher kennen lernen 
und erfahren wollen, ob dieselbe irgend welche Unzufriedenheit erregt hätte, 
sich an ihre hiesigen Konsulate zu wenden mit dem Ersuchen, diesbezüg¬ 
liche Informationen im kgL Zivildepartement, in der kgl. Medizinaldirektion, 
in der Direktion der Apothekersozietät und in anderen Korporationen, welche 
mit dem Zustande des Apothekerkorps vertraut sind, einzuholen. 

Wir unserseits gestatten uns mitzuteilen, daß weder die Apothekeninhaber 
noch die in den Apotheken angestellten Pharmazeuten jemals über die 
Reform geklagt haben. Dagegen klagen unsere unbeförderten Apo¬ 
theker über solche Zustände, welche an die Zeit des Privilegien¬ 
handels erinnern, nämlich über das Pachtwesen und die unent¬ 
wickelte Pensionierung. Ihre größte Unzufriedenheit richtet sich 
indessen darauf, daß sie so spät zum Besitz einer eigenen Apotheke be¬ 
fördert werden, was hauptsächlich die Folge des Privilegienhandels 
und seiner Abwickelung ist, wie schon oben erwähnt. 

Bei einer Reform kann natürlich nicht alles auf einmal umgestaltet 
werden, weil eine längere Zeit dazu erforderlich ist; man muß eben einige 
Schwierigkeiten in der Übergangszeit geduldig mit iu den Kauf nehmeu, 
bis man in eine bessere Lage gelangt. Ganz anders wird es sich künftig 
gestalten, wenn die alten Apotheker pensioniert sind und ihre Stelle den 


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702 


E. Axel Holmström, 


jüngeren überlassen, wenn die Amortisationsabgaben anfhören und 
die Pensionsfonds gegründet sind, an welche dann nur noch kleine 
Jabresgebübren zu zahlen sein werden. Später lassen sieb dann neue 
Apotheken in größerer A nzahl errichten, was auch zur Beschleunigung 
der Beförderung beitragen wird. 

Außerdem sind unsere geprüften Apotheker unzufrieden mit den jetzigen 
freien Gehaltsbestimmungen und fordern, daß alle nach bestandenem Apo¬ 
thekerexamen einen Mindestlohn von 3025 Reichsmark mit drei Alterszulagen 
von je 275 Reichsmark erhalten, so daß alle nach zwanzigjähriger Dienst¬ 
zeit 3850 Reichsmark jährlich haben. Sie verlangen außerdem, daß die Apo¬ 
thekeninhaber einen Gehaltsregelungsfonds mit jährlichen Abgaben 
der Apotheken je nach deren Größe bilden. Dieser Fonds hätte die 
Gehaltszulagen solcher Apotheker zu bestreiten, die z. B. an kleineren Apo¬ 
theken angestellt wären, welche die hohen Gehälter nicht zu zahlen ver¬ 
möchten, damit die Gehälter der examinierten Apotheker im ganzen Reiche 
gleichförmig würden usw. Bestände der Zweck der Gehaltszulage und 
der Gehaltsregelungsfonds hauptsächlich darin, den Unbeförderten Apothekern 
größere Pensionen zu bereiten, dann würde die Sache sich leichter arrangieren 
lassen, da aber hierfür bisher keine Garantien geleistet worden sind, ver¬ 
halten sich die Apothekeninhaber zurückhaltend und sind wenig 
geneigt, diese Forderungen in der Eile zu erfüllen. Man könnte 
sagen, daß unser Pharmazeutenkorps von dem Streit beeinflußt sei, der 
jetzt in der ganzen zivilisierten Welt zwischen den Arbeitgebern und den 
Arbeitern besteht und die höhere Besoldung der geleisteten Arbeit bezweckt, 
wodurch in diesem Falle die Apothekeninhaber sich mit geringerem Ein¬ 
kommen begnügen müßten. Sie haben die Gehälter ziemlich all¬ 
gemein auf 3000 und 3300 Reichsmark pro Jahr erhöht, finden 
es aber bedenklich, sich zu verpflichten, allen den gleichen Gehalt 
zu zahlen, weil Kenntnisse und Befähigung so verschieden sind. 

In der gedrückten Zeit aber, welche infolge des verringerten Geld¬ 
vorrats, der Arbeiterbewegung usw. jetzt bevorzustehen scheint, wäre es 
nicht zweckmäßig, auf der Durchführung zu bestehen. Wir bitten deshalb 
diejenigen Ausländer, die sich für schwedische Verhältnisse interessieren, 
kein Gewicht auf die Meinungsverschiedenheiten zu legen, welche 
hier in Ruhe und Frieden zum Ausdruck kommen und mit der 
Abschaffung der käuflichen Privilegien gar nichts zu tun haben. 

Man spricht auch von einer gewissen Unruhe bei uns in bezug darauf, 
wie das Apotheken wesen nach 1920 zu ordnen sei; da aber bis dahin noch 
12 Jahre zur Verfügung stehen, ist für die Vorbereitungen Zeit genug vor¬ 
handen. Wie aus dem obigen ersichtlich, hat man zwar schon angefangen, 
diesbezügliche Entwürfe vorzulegen — auch von einem hervorragenden 
deutschen Apotheker ist einer erschienen —, voraussichtlich wird unsere 
Regierung die Frage aber noch lange nicht zur Behandlung vornehmen. 
Aber natürlich steht es auch Privatpersonen, Vereinen und Zeitschriften frei, 
die Frage nach Belieben zu erörtern. 


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Über käufliche Apothekenprivilegien und deren Ablösung usw. 703 

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß auch andere Personen als Apotheker 
die Sache in Angriff nehmen und vorschlagen werden, wie der Handel mit 
Heilmitteln künftig gehandhabt werden müßte sowohl hier als auch im Aus¬ 
lande, und deshalb ist nur zu wünschen, daß die Mitglieder des Apotheker¬ 
gewerbes und besonders die Inhaber der käuflichen Apotheken ihre Sym¬ 
pathien der Reform zukehrten und daß alle anderen in ihren Schriften 
vorsichtig und geduldig auftreten möchten, damit man es nicht dahin bringt, 
daß die Staatsmänner und Behörden aller Forderungen schließlich über¬ 
drüssig werden und künftig ein freies Apotbekenwesen einführen 
wie in den großen Kulturstaaten England, Frankreich u. a. Ein derartiger 
Beschluß ist nunmehr nicht so undenkbar, nachdem man sogar hat Vor¬ 
schlägen können, die Apotheken nicht nur der Medizinalbehörde 
unterzuordnen, sondern in gewissen Fällen sogar unter polizei¬ 
liche Aufsicht zu stellen, wodurch die Interessen des Publikums angeb¬ 
lich noch mehr würden gewahrt sein. Für den Staat ist dies ja auch 
das Wichtigste, aber für die Apotheker würde ein freies System sich viel 
schlimmer gestalten, indem anfänglich jedenfalls eine verderbliche 
Konkurrenz entstehen würde. Aber vielleicht liegt uns das Streben 
nach Freiheit näher, als wir ahnen, worüber wir hier ein Beispiel anführen 
wollen. 

In Norwegen, wo der Privilegienhandel ungestört fortbesteht, wo aber 
unter dem Apothekenpersonal zugleich große Unzufriedenheit mit den jetzigen 
Verhältnissen im Apotheken wesen herrscht, hat der Pharmazeutische Verein, 
von dem die Apothekeninhaber nunmehr ausgeschlossen sind, im Odelstbing 
(einer Abteilung des norwegischen Storthings) den Antrag gestellt, daß 
examinierten Apothekern unter gewissen Bedingungen die Befugnis erteilt 
werde, in gewissen unbedeutenderen Entfernungen von den pri¬ 
vilegierten, käuflichen und persönlichen Apotheken je nach 
Belieben neue Apotheken zu errichten. Dies läßt erkennen, daß das 
Verlangen nach dieser bedenklichen Freiheit sogar in unserem eigenen Ge¬ 
werbe vorhanden sein kann. 

Man muß hoffen, daß man sich bedenken und nicht vergessen wird, 
daß ein freies System mit allen Gefahren auch einiges enthält, was dem 
Privilegienhandel entspricht. Die Inhaber der größeren und mehr bevor¬ 
zugten, freien Apotheken würden es wahrscheinlich nicht versäumen, eine 
so große Abtretung8summe wie möglich für ihr Geschäft zu verlangen, und 
die anderen würden wohl ebenso Vorgehen. Will man es vermeiden, daß 
sich die Zahl der Apotheken unmäßig vervielfältigt, dann muß man sich 
auch danach einrichten, und zum mindesten muß man hierbei bemüht sein, 
die persönlichen Konzessionen hoch zu schätzen und zu empfehlen. 


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704 


Kritiken and Besprechungen. 


Kritiken und Besprechungen. 


Dr. Fr. Schoofs: TraitÖ d’Hygiöne pratique. Pari«, J. B. Bailiiere 
et fils, 1908. 

Bei dem Aufschwünge und der Wichtigkeit der Hygiene von heute 
haben alle Kulturstaaten die Einrichtung von hygienischen Laboratorien 
für notwendig gefunden und fordern mit Recht die Ausbildung der jungen 
Mediziner und speziell derjenigen, die sich in den Dienst der Hygiene als 
beamtete Ärzte stellen wollen, an diesen Instituten. Für diese hat der Verf. 
das vorliegende Buch geschrieben, ein Lehrbuch der praktischen Hygiene, 
das bei den Arbeiten im Laboratorium dem Studenten oder Arzt stets zur 
Hand sein soll. 

Da von einer genauen kritischen Beurteilung des 600 Seiten starken 
Werkes an dieser Stelle Abstand genommen werden muß, soll hier nur der 
Inhalt im allgemeinen und seine Bearbeitung besprochen werden. 

Das Buch zerfällt in zwei Hauptteile. Im ersten Teile werden die all¬ 
gemeinen Untersuchungsmethoden aus der Physik, der Chemie, der Mikro¬ 
skopie und der Bakteriologie insoweit behandelt, als sie für die Labora¬ 
toriumsarbeiten auf dem Gebiete der Hygiene wichtig sind. Verf. geht hierbei 
von dem richtigen Erfahrungssatze aus, daß alle die Kenntnisse, die wir 
schon in den ersten Jahren unserer Studien erworben haben, später meist 
in Vergessenheit geraten sind und einer Auffrischung bedürfen. Dies gilt 
in erster Linie von gewissen physikalischen und chemischen Dingen, und da 
hat Verf. es verstanden, mit meisterhafter Klarheit und als wirklicher Lehrer 
gerade schwierige Kapitel dem Leser vorzutragen. Ich weise in dieser Be¬ 
ziehung nur hin auf die Kapitel, die von der Polarisation und die von den 
Titriermethoden handeln; gewiß Themata, die beim Studium jedem Schwierig¬ 
keiten bereitet haben. Neben derartigen mehr theoretischen Erörterungen 
verliert Verf. keinen Augenblick das Praktische aus dem Auge und so wird 
jede Tätigkeit im Laboratorium, mag es sich nun um die Behandlung der 
chemischen Wage, oder um die Herstellung von Nährboden, oder um die 
Sektion eines geimpften Tieres handeln, von*Anfang bis zu Ende genau und 
sorgfältig beschrieben. Auch Beispiele mit allen Formeln und Berechnungen 
werden, wenn es zweckdienlich für die Klarheit erscheint, bis zum Resultate 
durchgeführt. Durch diese in vorzüglicher Kürze und Deutlichkeit vor¬ 
getragenen Einzelheiten, die auch das Kleine nicht außer acht lassen, werden 
sicher besonders dem Anfänger viel Ärger und manche Enttäuschung bei 
einem Mißerfolge erspart bleiben. 

Der zweite, bei weitem umfangreichere Teil des Werkes umfaßt folgende 
Kapitel: Atmosphäre, Boden, Trinkwasser, Abwässer, Wohnungen, Kleidung, 
Körperpflege, Ernährung, Verhütung übertragbarer Krankheiten, Hygiene 


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Kritiken und Besprechungen. 


705 


des Kindesalters, Gewerbehygiene, Statistik und Demographie. Bei der Be¬ 
handlung dieser Themata nimmt Verf. immer den praktischen Fall als Aus¬ 
gangspunkt und zeigt dem Leser, was jedesmal von ihm als Hygieniker 
gefordert werden kann. Naturgemäß beanspruchen für alle Themata die 
üblichen physikalischen, chemischen nnd bakteriologischen Laboratoriums- 
untersuchungen die ausgiebigste Bearbeitung, und die Vorzüglichkeit ihrer 
Darstellung möchte ich besonders hervorheben. Jede chemische Analyse 
wird zunächst ihrem Prinzip nach erklärt und dann qualitativ und quanti¬ 
tativ durchgeführt. Dabei werden alle Einzelheiten bis ins kleinste genau 
besprochen und schließlich, wenn nötig, alles Rechnerische an einem Beispiel 
erläutert. Ergänzend wirkt die äußerst anschauliche Beschreibung der ein¬ 
schlägigen Apparate mit einer großen Anzahl guter Abbildungen. 

Die bakteriologischen Untersucbungsmethoden, deren Wichtigkeit in 
den Kapiteln über Wasser, Abwässer und übertragbare Krankheiten am 
meisten zutage tritt, werden in gleicher Weise klar und gründlich behandelt. 
So lernt der Schüler ebensogut die vorschriftsmäßige Verpackung und Ver¬ 
sendung von Choleradejektionen wie die Anlage von Kulturen, Tierversuche 
nnd die Untersuchung unter dem Mikroskop. Auch die nötigen Anleitungen 
zur physikalischen Untersuchung, sowie Aufklärung über Bodengestaltung 
und Luft- und Wasser Verhältnisse finden wir an geeigneten Stellen. Wichtig 
ist dabei, daß Verf. sich stets nur auf die Besprechung der gebräuchlichsten 
und ganz sicheren Methoden beschränkt. 

Sehr lesenswert und brauchbar sind weiter die Belehrungen über die 
Neuanlage von Wohnungen mit richtigen Ventilations-, Beleuchtungs- und 
Heizvorrichtungen, ferner von Brunnen, Sielen, Senkgruben, Kirchhöfen und 
Desinfektionsanstalten, sowie über die Prüfung und Überwachung solcher 
bereits fertigen und eventuell zu Klagen Anlaß gebenden Anlagen. Auch 
hier wird vielfach die chemische und bakteriologische Untersuchung als not¬ 
wendig besprochen, doch verfehlt Verf. nie, auch auf andere mehr allgemeine 
Gesichtspunkte hinzuweisen, wobei ihm seine eigenen Worte als Richtschnur 
gelten: „Die genaue Inspektion erübrigt oft eine Analyse.“ 

Die Kapitel über Kleidung, Körperpflege, Ernährung bieten besonders 
Gelegenheit, auf die Untersuchung von Kleidungsstoffen, Nahrungsmitteln 
und Gebrauchsgegenständen, sowie deren häufig vorkommenden Verfäl¬ 
schungen, genauer einzugehen. 

Über die richtige Abfassung und Beurteilung von Statistiken und über 
Erhebungen, z. B. bei Epidemien, Dinge, die zum Teil mehr bureaukratischer 
Natur Bind, finden wir gute und wichtige Belehrung in den Kapiteln: Über¬ 
tragbare Krankheiten, Schulhygiene, Gewerbehygiene und Statistik und 
Demographie. 

Schließlich sei noch die jedem Kapitel angefügte gründliche Literatur¬ 
angabe erwähnt. 

All es zusammenfassend, haben wir vor uns ein Buch, das nicht am 
grünen Tische entstanden ist, sondern das den Bedürfnissen der Praxis eines 
hygienischen Institutes seinen Ursprung verdankt, und somit auch in der 
Praxis dem Hygieniker von gutem Nutzen sein wird. 

(Dr. R. Boltz-Hamburg.) 


45 


Vierteljahr«achrift für Gesundheitspflege, 1908. 


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706 


Kritiken und Besprechungen. 

Wundinfektion und Wundbehandlung im Wandel der 
Zeiten und Anschauungen. Rede, gehalten am Stiftungsfest 
der Kaiser Wilhelms-Universität Straßburg am 1. Mai 1908 von dem 
derzeitigen Rektor, Prof. Dr. Hermann Fehling, ordentl. Professor 
der Geburtshilfe und Gynäkologie. Straßburg, J. H. Ed. Heitz (Heitz 
und Mündel), 1908. S. 32. Preis 1,20 c/#. 

ln kurzer, sehr übersichtlicher Rede führt Fehling die Entwickelung 
der Lehre von der Wundinfektion und der Wundbehandlung von Hippo- 
k rat es bis auf die heutige Zeit vor. Des unvergeßlichen Ignaz Semmel¬ 
weis, des Messias der kreißenden Frauen, gedenkt er mit gleichem Recht, 
wie der Apostel Lister, Pasteur und Koch, auf deren geistigen Errungen¬ 
schaften die medizinische Welt heute ihre Triumphe feiert. 

Ob Fehlings Zukunftsträume für die Aufnahme aller Gebärenden in 
Anstalten unter sachverständiger Leitung sich erfüllen werden, erscheint 
zweifelhaft. Dagegen dürfte es kein frommer Wunsch bleiben, daß die Aus¬ 
übung der Geburtshilfe immer mehr in die Hände gebildeter Frauen über¬ 
gehen möge. Unter den nach dem Vorbilde des Luisenheim in Mannheim 
ins Leben gerufenen Anstalten wäre auch das Wöchnerinnenheim am Urban 
in Berlin zu erwähnen gewesen. 

Die in schöner Sprache abgefaßte Rede erfrischt und erfreut den Fach¬ 
mann. M. P. 


W. Weichardt: Jahresbericht über die Ergebnisse der Im- 
munitätsforsohung. Herausgegeben unter Mitwirkung von 
Fachgenossen. II. Bd.: Über das Jahr 1906. Stuttgart, Enke, 
1908. 

Der zweite Band des Jahresberichtes liegt vor. Es ist mit Freude zu 
begrüßen, daß er dem ersten Bande so prompt gefolgt ist. Ist doch bei der 
Ausdehnung, welche die moderne Immunitätsforschung genommen hat, und 
bei der Schwierigkeit, sich in der Literatur zurecht zu finden, eine zusammen¬ 
fassende Darstellung eine Notwendigkeit geworden. 

Der zweite Band zeigt gegenüber dem ersten wesentliche Erweiterungen, 
da auch die Karzinom- und Opsoninliteratur wesentliche Berücksichtigung 
gefunden hat; auch hat Verf. dem Werke zwei zusammenfassende Sammel¬ 
referate hinzugefügt. Die Beziehungen der Immunitätsforschung zur Lehre 
von den Geschwülsten hat Schöne, die Opsonine hat Werner Rosenthal 
bearbeitet. 

Die Referate, unter denen sich eine große Anzahl von Autoreferaten 
befindet, sind recht gut; besonders gut ist die Karzinomliteratur von Schöne 
und die Syphilisliteratur von Landsteiner referiert. Die Referate sind 
in alphabetischer Reihenfolge nach den Autornamen angeordnet. Sach¬ 
gemäßer und übersichtlicher wäre vielleicht eine Anordnung nach der 
Materie. Etwas dürftig ist das Sachregister, auf dessen möglichste Ausführ¬ 
lichkeit gerade bei einem Jahresbericht Wert gelegt werden muß. Es wäre 
wünschenswert, wenn diesem Teile des sonst so vorzüglichen Werkes größere 
Sorgfalt zugewendet würde. Es würde dadurch die praktische Brauchbar¬ 
keit des Jahresberichtes wesentlich erhöht werden. 


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707 


Kritiken und Besprechungen. 

Eine geistvolle allgemeine Übersicht führt das Werk ein, eine gute 
Zusammenfassung — wie erstere aus der Hand des Verf. — schließt das 
Werk, das, wie schon die Aufnahme des ersten Bandes zeigte, sich viele 
Freunde erwerben wird. K. Altmann. 


Was soll der Arzt über die Gefahren der Infektionskrank¬ 
heiten in den Samariterkursen lehren? Vortrag, gehalten 
bei dem I. internationalen Kongreß für Rettungswesen zu Frank¬ 
furt a. M. von Ferd. Hueppe. Berlin, A. Hirschwald, 1908. 

Verfasser bringt auf wenig Seiten das Wichtigste von dem, was in einem 
Samariterkurse über die Infektionskrankheiten gelehrt werden kann. Zunächst 
denkt er sich die Entstehung einer akuten und einer chronischen Infektions¬ 
krankheit an der Hand von Präparaten, abgetöteten Kulturen usw. dargestellt 
Hierbei solle besonders auf die Bedeutung der Zahl der Keime, also die Gefahr 
ihrer Anhäufung, aufmerksam gemacht werden; ferner auf die Disposition, 
besonders der einzelnen Altersklassen, und die ererbten Eigenschaften, sowie 
darauf, daß diese unter dem Einfluß der Ernährung, Wohnung und der 
sozialen Lebens- und Verkehrsbedingungen wechseln können. Daneben ist 
auf die Bedeutung der aufbauenden Hygiene und auf die Wichtigkeit körper¬ 
licher Rüstigkeit als Abwehrmittel hinzuweisen. Es hätte sich anzuschließen 
ein Abschnitt über den Nutzen der Immunisierung und Impfung. Dann 
folgt eine Darlegung des Verhaltens der Bakterien außerhalb des Körpers 
und der Übertragungsmöglichkeit durch Milch, Wasser, Insekten, sowie die 
Verhütung. 

Soweit dieser Teil des Vortrages, der mehr als Vorbereitung für den 
zweiten gedacht ist. In diesem wird dem Schüler das gelehrt, was er zu 
tun hat, wenn in seiner eigenen Familie Infektionskrankheiten ausgebrochen 
sind. Zunächst wird hier die Bedeutung der Disposition wieder eingeschränkt, 
da die Widerstandsfähigkeit durch irgend welche äußere Umstände ge¬ 
brochen werden kann. Die Isolierung der ersten Fälle, die Bedeutung der 
Bazillenträger und die Wichtigkeit einer richtigen Desinfektion ist aus- 
einanderzusetzen. Der Kranke ist als wichtigster Verbreiter der Infek¬ 
tionsstoffe zu betrachten und dementsprechend zu behandeln. Vor allem 
ist auf die Bekämpfung der Infektionskrankheiten durch Reinlichkeit Wert 
zu legen. 

Dies ist in kurzen Worten der Inhalt des Vortrages, dessen Studium 
denen sehr zu empfehlen ist, die sich mit der Aufklärung der Laien be¬ 
fassen. Man mag mit manchem nicht einverstanden sein, speziell mit der 
starken Hervorhebung der Disposition gegenüber der Infektion; immerhin 
wird man dem Verfasser dankbar sein müssen, daß er auf dieses noch wenig 
bekannte, weil schon erforschbare Gebiet immer wieder aufmerksam macht, 
und es wird für die Erziehung des Volkes zur Körperpflege von Nutzen 
sein, wenn es auch bei derartigen Gelegenheiten auf ihre Wichtigkeit hin¬ 
gewiesen wird. (Kisskalt-Berlin.) 


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708 


Kritiken und Besprechungen. 

Krankenpflege bei den Infektionskrankheiten. Von Else 
Hueppe. Leipzig, Fr. Gröber, 1908. 

Die Schrift ist dem I. internationalen Kongreß für Rettungswesen ge¬ 
widmet. Sie gebt von der Ansicht aus, daß die Maßnahmen im Kampfe 
gegen die Seuchen nicht von vereinzelten, besonders ausgebildeten auszu¬ 
führen seien, sondern daß jede Hausfrau soviel davon verstehen müsse, daß 
der Arzt, wenn er später dazukommt, an einem richtig vorbereiteten 
Material einsetzen kann. Wie man diesem Gedanken vollständig beistimmen 
muß, so ist auch der Verfasserin die Darstellung der notwendigen Ma߬ 
nahmen vorzüglich gelungen. Auf ihre reichen Erfahrungen gestützt, 
schildert sie die Ausführung in Krankenhäusern und in der häuslichen 
Pflege. Sie macht beispielsweise auf die Schwierigkeiten einer steten Durch¬ 
führung der Händedesinfektion beim Krankenpflegepersonal aufmerksam, 
wo die Verhältnisse ganz anders liegen als bei Operationen. Oie Bedeutung 
der Desinfektion am Krankenbette wird besonders eingehend dargelegt. 
Dann folgt die Schilderung des Vorgehens im einzelnen. Der Schwerpunkt 
liegt in der Reinlichkeit im eigenen Heim und am eigenen Körper. Be¬ 
sonders eingehend ist Reinigung und Desinfektion, aber auch die notwendige 
Pflege der Hände behandelt. Dann findet das Krankenzimmer, seine Lüftung, 
das Sonnenlicht, die Desinfektion des Fußbodens Besprechung. Hier wäre 
allerdings der Ort gewesen, darauf hinzuweisen, daß schwere Infektious- 
kranke überhaupt nicht in die Wohnung, sondern ins Krankenhaus gehören. 
Zur Desinfektion der Ausscheidungen werden die chemischen Mittel an¬ 
gegeben und die Vorteile und Nachteile nach Erfahrungen aus der Praxis 
besprochen. Ferner findet die Krankenwäsche Besprechung, ihr Wechsel 
und ihre Desinfektion. Das Verfahren allerdings, nur die Scbmutzstellen 
zu desinfizieren, dann einzuseifen und dann auszukochen, ist doch für die 
Wäscherin gefährlich; das vorgeschriebene zweistündige Einlegen in ver¬ 
dünntes Kresolwasser nimmt nicht viel mehr Zeit weg. Bei der Schlu߬ 
desinfektion ist die Wirkung des Durchlüftens (nach Desinfektion des Fu߬ 
bodens allein), überschätzt. Wie man sieht, enthält das Heftchen auf 
20 Seiten alles, was die Infektionskrankheiten an Besonderheiten bieten. 
Hervorgehoben sei die klare, leicht lesbare Darstellung. Wir wünschen, daß 
es nicht nur in der Hauspflege, sondern auch in Krankenhäusern unter dem 
Personal weite Verbreitung finden möge. (Kisskalt-Berlin.) 


Dr. med. Alfred Grotjahn (Berlin): Krankenhauswesen und Heil¬ 
stättenbewegung im Liebte der sozialen Hygiene. Leipzig, 
F. C.W. Vogel, 1908. 10 JL 

Der als Herausgeber der Zeitschrift für soziale Medizin bestens be¬ 
kannte Verfasser sacht auf Grund des bekannten Krankenhauslexikons von 
A. Guttstadt und anderer Quellen die Art der bisherigen Entfaltung des 
Hospitalwesens, die sich zeigenden Entwickelungstendenzen und die daraus 
für die Zukunft zu erwartende Gestaltung des Heil- und Pflegestättenwesens 
zu ermitteln und darzustellen. Das Krankenhauswesen wird in seiner Ab¬ 
hängigkeit von der Entwickelung der modernen Medizin und besonders 


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Kritiken und Besprechungen. 


709 


von der sozialpolitischen Entwickelung der letzten Jahrzehnte, soweit sie 
in der an Beziehungen zur Medizin so reichen Arbeiterversicherung ihren 
Niedersohlag gefunden hat, geschildert. Neben dem Standpunkte der 
höchsten Zweckmäßigkeit für die Behandlung und Verpflegung erkrankter 
und siecher Personen wird mit Nachdruck auf die Tragweite aufmerksam 
gemacht, die sowohl die Wohltaten des Krankenanstaltwesens als auch die 
Kosten desselben für die Gesamtheit der Bevölkerung besitzen. In der 
jetzigen Zeit strebt das moderne Krankenhaus-, Heil- und Pflegestättenwesen 
überall nach der Hospitalisierung der an akuten, heilbaren Krankheiten 
oder Unfall Verletzungen leidenden Individuen und nach der Aaylisierung 
der an chronischem und unheilbarem Siechtum Leidenden. Die Fürsorge¬ 
behandlung soll durch ihre Beobachtung die Trennung der Erkrankten in 
die verschiedenen Kategorien ermöglichen. 

Grotjahn stellt hierauf Untersuchungen darüber an, ob dieser Prozeß 
der Hospitalisierung und Asylisierung als Fortschritt zu begrüßen und wie 
weit er ökonomisch zu ertragen ist. Er zeigt, daß die Ausscheidung und 
Festhaltung des defekten Teiles der Bevölkerung eine gewisse Amortisation 
der Minderwertigen darstellt, die als eine wichtige Prophylaxe der Entartung 
anzuseben ist; auch ist durch die Hospitalisierung und Asylisierung eine 
Verminderung der Infektionskrankheiten, der Kriminalität und der Vaga- 
bondage zu bemerken. Das Krankenhaus-, Heil- und Pflegestätten wesen 
verdient nicht nur vom Standpunkte der Fürsorge für die Kranken und 
siechen Individuen, sondern in ebenso hohem Grade von dem der Wohlfahrt 
der Gesamtbevölkerung und der sozialen Hygiene aus betrachtet zu werden. 

Grotjahn bringt dann den Nachweis, daß genügend Krankenhäuser 
für akute und, nicht zu lange Zeit, auch für chronisch Kranke interner 
und chirurgischer Art vorhanden sind; auch für Geisteskranke ist genügend 
gesorgt. Eine Kategorie Kranker, die nicht ganz schweren und ausgesprochen 
Geisteskranken, sind jedoch in keiner W’eise versorgt; sie sind eher in Ge¬ 
fängnissen oder als Vagabunden und Bettler anzutreffen. Ebenso dürftig 
ist die Asylierung der Blinden, Taubstummen, Krüppel, Epileptiker und chro¬ 
nischer Alkoholkranken. Hier wäre noch ein weites Feld für die öffentliche 
Wohltätigkeit offen, besonders in der Möglichkeit, Krüppel, Taubstumme und 
Blinde zu unterrichten und sie, wenn auch beschränkt, arbeitsfähig zu machen. 

ln der Beurteilung des Wertes der Lungenheilanstalten und Wald¬ 
erholungsstätten steht Grotjahn auf einem ablehnenden Standpunkte; er 
stützt sich hierbei auf die bekannten, allerdings nicht gerade glänzenden 
Statistiken. Asyle für Schwerlungenleidende, ferner Kinderheime, Rekon¬ 
valeszentenheime, auch Epileptiker- und Nervenheilstätten fordert Verf., wohl 
auch mit Recht, und weist zugleich auf die Notwendigkeit hin, die Kranken, 
soweit tunlich und möglich, im Interesse der Anstalt zu Arbeiten heranzu¬ 
ziehen. Es ist dies eine Forderung, die sich neuerdings mehr und mehr 
Bahn bricht. Die Erbauung von Genossenschafts-, auch Unfallkranken¬ 
häusern, wird durch Grotjahn bekämpft, dagegen mögen große Gemein¬ 
wesen Krankenanstalten erbauen und, wenn nötig, nach Krankheitsgruppen 
scheiden. 

Das Werk ist, wie bei dem allseits bekannten Verf. nicht anders zu 
erwarten war, eine äußerst wertvolle Bereicherung der Literatur über daB 


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710 


Kritiken und Besprechungen. 


Krankenhauewesen und die Heilstättenbewegung, und zwar um so mehr, als 
das ganze auf diese Fragen bezügliche Material, sowie das über die Kosten 
der Anstalten in dieser Vollständigkeit noch nicht veröffentlicht wurde. 

(S. Merkel-Nürnberg.) 


Über die Verhütung: der Bleigefahr. Von Dr. Joseph Ram- 
bousek, Privatdozent für Gewerbehygiene, k. k. Bezirksarzt der 
Stadthalterei in Prag. Wien und Leipzig, A. Hartlebens Verlag, 
broschiert 3 ^. 

Verfasser schildert zunächst die Wirkung des Bleies auf den mensch¬ 
lichen Körper und geht dann auf die innere und äußere Behandlung der 
Bleivergiftung über, sowie auf die persönliche Prophylaxe (Bäder, Waschungen, 
innere und äußere Vorbeugungsmittel) und deren Erfolge. Das Blei wird 
durch den salzsauren Magensaft bei Peptonanwesenheit gelöst und im Magen 
sowie allerersten Teil des Darmes aufgenommen Im alkalischen Darmsafte 
fällt das Blei. Von diesen Erwägungen ausgehend, empfiehlt Rambousek 
die ausgiebige Anwendung des Bleisulfids (Schwefelblei, Galenit) bzw. die 
möglichst baldige Überführung der Bleiabfälle in dieses Salz, da dies in keinem 
der beiden genannten Verdauungssäfte löslich und daher relativ ungiftig ist. 
Verfasser bringt damit zur Verhütung der Bleigefahr einen neuen, zur Nach¬ 
prüfung sehr empfehlenswerten Vorschlag und gibt zugleich eine Reihe von 
Anregungen, wie diese Tatsache in der industriellen und hüttenmännischen 
Praxis nutzbar gemacht werden kann. 

Alles in allem eine sehr lesenswerte und zur Weiterarbeit anregende 
Schrift. (S. Merkel-Nürnberg.) 


Jahresbericht Über soziale Hygiene. Demographie und Medi¬ 
zinalstatistik, sowie alle Zweige des sozialen Versicherungswesens. 
Siebenter Band: Bericht über das Jahr 1901. Herausgegeben von 
Dr. med. A. Grotjahn und Dr. phil. F. Kriegei. Jena, Verlag von 
Gustav Fischer, 1906, broschiert 11,50^. 

Es ist äußerst anerkennenswert, daß Grotjahn und Kriegei bereits 
jetzt den Jahresbericht für das Jahr 1907 bringen. Dieselbe Pünktlichkeit 
ist auch in dem Inhalt des Buches, der guten, treffenden Berichterstattung, 
der Sorgfältigkeit der Zusammenstellung bei den Referaten, der Bibliographie 
und dem Namenverzeichnis zu finden. Mit Genugtuung können diesmal die 
beiden Herausgeber im Vorworte konstatieren, wie sie, nur gestützt auf rein 
theoretische Erwägungen, bei der ersten Herausgabe ihres Jahresberichts 
die Verbindung von Hygiene und Demographie im Anschluß an die inter¬ 
nationalen Kongresse gewählt haben und wie sich jetzt die soziale Hygiene 
so glänzend aus dieser Gliederung entwickelt und den beiden Autoren ihre 
theoretische Annahme durch den Erfolg bestätigt hat. 

Im HerauBgeberkollegium des Berichtes ist eine Änderung durch Aus¬ 
scheiden des verstorbenen Berliner Neurologen Martin Bloch eingetreten. 

(S. Merkel-Nürnberg.) 


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Kritiken und Besprechungen. 

Immunität, Schutzimpfung und Serumtherapie. Zusammen¬ 
fassende Übersieht über die Immunitätslehre von Oberstabsarzt Prof. 
Dr. A. Dieudonne. Fünfte umgearbeitete Auflage. Leipzig, Verlag 
von Johann Ambrosius Barth, 1908. 6,80^, geb. 7,80 <M. 

Verfasser hat sich bei der ersten Auflage des Werkchens die Aufgabe 
gestellt, eine rasche Orientierung auf dem Gebiete der Immunitätslehre zu 
geben, er hat seinerzeit die gestellte Aufgabe mit anerkennenswertem Eifer 
und Gründlichkeit gelöst — heute erscheint das Buch nunmehr in 5. Auflage 
und sind jetzt alle einschlägigen Gebiete der neuzeitlichen Anschauung ent¬ 
sprechend, und zwar mit Glück, umgearbeitet. Besondere Fortschritte 
waren auf dem Gebiete der Schutzimpfungen, sowie der Serumtherapie zu 
verzeichnen. Neu aufgenommen ist als Anhang eine kurze Technik der 
wichtigsten Immunitätsreaktionen und eine kurze Erklärung der meist nicht 
ohne weiteres verständlichen Fachausdrücke aus der Immunitätslehre — 
beides Zugaben, die als sehr wünschenswert und nötig bezeichnet werden 
müssen; auch das Sachregister wird rascheres Auffinden von Gesuchtem er¬ 
möglichen und zur Brauchbarkeit des Buches beitragen. 

Der Inhalt des Werkchens ist in vier Hauptkapitel gegliedert: 1. Natür¬ 
liche Resistenz (angeborene Immunität), 2. Erworbene Immunität, 3. Schutz¬ 
impfung (künstliche Immunisierung), 4. Blutserumtherapie. 

(S. Merkel-Nürnberg.) 


Jahrbuoh für Volks- und Jugendspiele. In Gemeinschaft mit 
den Vorsitzenden des Zentralausschusses zur Förderung der Volks¬ 
und Jugendspiele in Deutschland E. von Schenckendorff-Görlitz, 
Mitglied des Preußischen Landtages und Prof. Dr. med. F. A. Schmidt, 
Sanitätsrat in Bonn a. Rh., herausgegeben von Hofrat Prof. H. Ray dt, 
Studienrektor der Handelshochschule in Leipzig. Siebzehnter Jahr¬ 
gang: 1908. Mit Buchschmuck von Alois Kolb. 32 Abbildungen im 
Text und 2 Tafeln. Verlag von B. G. Teubner in Leipzig und Berlin, 
1908. Geh. 3 Jt. 

Es genügt wohl, in aller Kürze darauf hinzuweisen, daß das allseitig 
bestbekannte Jahrbuch wieder erschienen ist. Die Qualität des Gebotenen 
ist wie alljährlich vortrefflich und kann Referent nur wünschen, daß sich 
recht viele neue Freunde als Helfer der nunmehr wohl allgemein als vor¬ 
züglich anerkannten Bestrebungen finden mögen. Die Hauptbestrebungen 
des Vereins und dementsprechend wichtigsten Arbeiten des Jahrbuches sind 
zurzeit: allmähliche Durchführung eines allgemein verbindlichen Spielnach¬ 
mittages in allen Schulen, die Gewinnung der schulentlassenen Jugend zu 
regelmäßiger körperlicher Betätigung, insbesondere auch der akademischen 
Jugend, und die Interessierung der Arbeiterschaft für die Spielbewegung. 

(S. Merkel-Nürnberg.) 


Desinfektion. Monatsschrift, Herausgeber: Geh. Medizinalrat Prof. 
Dr. Flügge-Breslau, Geh. Ober-Medizinalrat Prof. Dr. Gaffky- 
Berlin, Baurat Herzberg-Berlin, Geh. Ober-Medizinalrat Prof. 


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Kritiken und Besprechungen. 


Dr. Kirchner-Berlin, Geh. Regierungsrat I’rof. Proskauer-Berlin. 
Schriftleiter: Dr. med. Lentz und Dr. phil. Lockemann, Abteilungs¬ 
vorsteher im kgL Institut für Infektionskrankheiten in Berlin. Jahr¬ 
gang I, Juli 1908, Heft 1. Geschäftsstelle: Deutscher Verlag für Volks¬ 
wohlfahrt, Berlin W. 80, NollendorfStraße 29 80. 

Ob die neue Zeitschrift ein dringendes Bedürfnis ist, soll des weiteren 
hier nicht erörtert werden. Eine geringe Ausdehnung der Rubrik „Des¬ 
infektion“ in der hygienischen Rundschau oder im Zentralblatt für Bak¬ 
teriologie, Abteilung Referate, hätte das Bedürfnis, sich über alle Erscheinungen 
auf dem Gebiete des Desinfektionswesens zu unterrichten, vollauf befriedigt. 
Zugegeben muß werden, daß der Inhalt der „Desinfektion“ ein sehr guter 
und sehr geschickt zusammengestellter ist. Nach zwei größeren Original¬ 
arbeiten (Prof. Dr. W. Hofmann: Über ein neues Prüfungsverfahren von 
Sterilkatgut auf Keimfreiheit; Dr. E. Seligmann: Über zwei neue Form¬ 
aldehydseifenpräparate) folgen eine Literaturübersicht, ferner Bücher¬ 
besprechungen, Referate, Gesetzgebung und behördliche Verordnungen, 
patentamtliche Mitteilungen, allgemeine Umschau. Die Referate sind geteilt 
in solche über Raumdesinfektion, Desinfektion von Gebrauchsgegenständen, 
Desinfektion von Abwässern und Abfall stoffen, Desinfektion in der Chirurgie 
und Gynäkologie, Desinfektion in der inneren Medizin, Sterilisation and 
Konservierung von Nahrungsmitteln, Prüfung von Desinfektionsmitteln, 
-Apparaten und -Methoden und Verschiedenes. Gewiß eine sehr genaue, 
fast überreiche Referatenzusammenstellung. (S. Merkel-Nürnberg.) 


Diätvorsohriften für Gesunde und Kranke jeder Art von 
Geheimem Medizinalrat Dr. J. Bornträger, Regierungs- und Medi¬ 
zinalrat in Düsseldorf. Fünfte verbesserte und erweiterte Auflage. 
Würzburg, Curt Kabitzsch (A. Stubens Verlag). 2,50 -M-. 

Diätvorschriften, welche in früherer Zeit nur seitens der Badeärzte 
verteilt wurden, haben sich mehr und mehr auch für den praktischen Arzt 
in gedruckter Form als nötig herausgestellt. Gibt es doch für den Patienten 
nichtB bequemeres, als kurz und prägnant über sämtliches Erlaubtes und 
Verbotenes informiert zu sein. Auch die vorliegenden Diätzettel kommen 
diesem Bedürfnis in treffender Weise nach. Es sind die jeweils passenden 
Nahrungsmittel in möglichst breitem Maßstabe vorgefübrt, um dem Arzte 
zu ermöglichen, durch Herausstreichen einzelner Speisen das jeweils zu Er¬ 
laubende zu präzisieren. Erweitert sind die Vorschriften durch Anfügung 
komplizierter Diätkuren (Mast-, Entziehungs- usw. Kuren), sowie Vorschriften 
für Krankenpflege, zumal bei ansteckenden Krankheiten; neu bearbeitet er¬ 
scheint die Diätetik der Schwangerschaft, des Wochenbettes und des Säug- 
lingsalters gemäß den modernen Anschauungen. Die Vorschriften sind in 
bekannt guterWeise gegeben, als besonders schätzenswert erscheinen — wie 
früher — die Sondervorschriften für Bemitteltere und Minderbemittelte. 

(S. Merkel-Nürnberg.) 


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Dr. med. W. Fischer, Überhandnehmen des Genusses alkohol. Getränke usw. 713 


Welche Mittel hat der Staat, um dem 
Überhandnehmen des Genusses alkoholischer 
Getränke yorzubeugen? 

Von Dr. med. W. Fischer, EsBen (Ruhr). 

Wenn man eine Staatshilfe gegen das Überhandnehmen des Genusses 
alkoholischer Getränke fordert, so setzt man voraus, daß der Staat als solcher 
ein Interesse daran hat, dän Mißbrauch dieser Getränke (kurzweg Alkoho¬ 
lismus genannt) möglichst hintanzuhalten. Dieses Interesse, welches die 
Vorbedingung für die Staatshilfe gegen das weitere Umsichgreifen des über¬ 
mäßigen Alkoholkonsums bildet, ist bedingt durch die Schäden des Alkoho- 
lismus, sowohl diejenigen, die sich beim Einzelindividuum bemerkbar machen, 
als auch derjenigen, welche für den Staat von Bedeutung sind, denn letztere 
ergeben Bich aus den ersteren. 

Da kann nun zunächst die Frage aufgeworfen werden: Ist es bei uns 
in Deutschland — und darum handelt es sich in erster Linie — wirklich 
so schlimm bestellt, daß man von einer Überhandnahme des Genusses gei¬ 
stiger Getränke und der dadurch bedingten Schäden sprechen kann? Zur 
Beantwortung dieser Frage sei nur darauf hingewiesen, daß der Branntwein¬ 
verbrauch im Berichtsjahre 1904/05 auf den Kopf der Bevölkerung 6,0 *), 
der Bierverbrauch im Rechnungsjahre 1904 117 Liter 9 ) betrug. Brannt¬ 
wein und Bier sind aber diejenigen Alkoholika, welche bei unserer Erörte¬ 
rung in erster Linie in Betracht kommen, weil sie ihres verhältnismäßig 
niedrigen Preises wegen von der großen Masse des Volkes am meisten 
genossen werden. Wenn schon diese hohen Zahlen zu denken geben — in 
Bayern beträgt der Bier verbrauch auf den Kopf sogar 237 Liter 3 ) — so 
sprechen auch die nachstehenden Zahlen eine um so beredtere Sprache, als 
aus ihnen die Folgen dieses hohen Alkoholkonsums hervorgehen. In den 
allgemeinen Krankenhäusern des Deutschen Reiches sind in der Periode 
1899/1900 an chronischem Alkoholismus und Säuferwahnsinn Leidende 
48 959 zugegangen, während für den gleichen Zeitraum 1877/78 12863 
ermittelt wurden 4 ). Diese Zahl hat sich also in 20 Jahren etwa vervier¬ 
facht, während die Zahl der Betten in den öffentlichen Krankenhäusern in 
der gleichen Zeit sich kaum verdoppelt hat: von 62140 auf 115 524 5 ). Bei 
den Zahlen der wegen chronischem Alkoholismus in die öffentlichen Kranken¬ 
häuser Aufgenommenen sind die wegen Nerven- und Herzkrankheiten Be¬ 
handelten noch nicht einmal mitgezählt und unter diesen findet sich doch 
jedenfalls auch noch eine große Anzahl, die ihr Leiden in letzter Linie dem 
chronischen Alkoholismus zu verdanken hat. Wenn ich — um auch gleich 

*) Vierteljahreschr. z. Stat. d. Deutsch. Reiches 1905, I. 

*) Ebendaselbst 1904, IV. 

*) Ebendaselbst 1904, IV. 

*) Baer-Laquer, Die Trunksucht und ihre Abwehr, 2. Aufl., 1907, 8. 81. 

s ) Stat. Jahrb. f. d. Deutsche Reich 1904, 8. 259. 

Vierteljahr»schrift für Genindbeitapflege, 1908. 45 * 


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Dr. med. W. Fischer, 


das geistige Siechtum zu erwähnen — noch anführe, daß nach statistischen 
Erweisen bei mindestens einem Viertel der in die deutschen Irrenanstalten 
aufgenommenen Männer die Entstehung des Irrsinns mit Alkoholmißbrauch 
zusammenhängt 1 ), so glaube ich, daß man wohl mit Recht von Schäden 
sprechen kann, die der chronische Alkoholismus zur Folge hat. 

Es würde den Rahmen dieser Arbeit weit überschreiten, wollte ich 
auch nur eine gedrängte Übersicht geben über die Folgen des Alkohol¬ 
mißbrauchs auf den einzelnen; es genüge zu betonen, daß wir wohl kein 
Organ des menschlichen Körpers kennen, welches nicht durch die Wir¬ 
kungen des chronischen Alkoholismus in Mitleidenschaft gezogen würde. 
Ebenfalls sehe ich ab von einer Stellungnahme zu der bis heute immer 
wieder aufgeworfenen Frage, ob der Alkohol den Nahrungsmitteln oder 
Giften zuzuzählen sei; ich verweise hier auf die Arbeiten von Rosemann 8 ), 
Neumann 8 ), Bjerre 4 ), Wolff 5 ) u. a. auf der einen, und von Kasso- 
witz 6 ), Colla 7 ) u. a. auf der anderen Seite. 

Welches sind nun die für den Staat sich aus dem Alkoholismus er¬ 
gebenden schädlichen Folgen, die ihn zum Eingreifen veranlassen müssen? 

Die Regierung eines Staates hat die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, 
daß die Bürger, welche den Staat bilden, das Staatsgefüge nicht gefährden, 
mit anderen Worten, sie hat darauf Bedacht zu nehmen, daß ein jeder das 
leistet, wozu ihn das Gesetz verpflichtet, wofür ihn der Staat als Gegen¬ 
leistung in seinen Schutz nimmt. 

Dieses Verhältnis zwischen Staat und Bürger wird nun durch den 
Alkoholmißbrauch ganz empfindlich gestört. Schon der im akuten Alkohol¬ 
rausch Befindliche ist sich über seine Pflichten und Rechte dem Gemein¬ 
wesen gegenüber nicht mehr klar. Die Trübung seiner Urteilskraft läßt 
ihn Handlungen begehen, welche die Öffentlichkeit als bedroht erscheinen 
lassen. Staatliche Organe müssen in Tätigkeit treten, um durch Strafe usw. 
die Öffentlichkeit vor dem Trinker zu schützen. Die Gefährdung der öffent¬ 
lichen Ordnung und damit auch der Sittlichkeit ist der erste Grund, weshalb 
der Staat gegen den Alkoholmißbrauch einzuschreiten berechtigt ist. 

Die ganzen Schädigungen durch den Alkoholismus lassen sich am 
besten darstellen, wenn wir einmal den Lebensgang eines solchen Indivi¬ 
duums, beispielsweise eines Arbeiters, der sich betrunken hat, weiter ver¬ 
folgen. Der erste Alkoholexzeß hat vielleicht stattgefunden, um irgend¬ 
welche Unlustgefühle zu betäuben, welche sich bei der wenig günstigen 
materiellen Lage, in der er sich befindet, öfters einstellen. Nachdem er die 
betäubende Wirkung des Alkoholgenusses kennen gelernt hat, benutzt er 
ihn häufiger zu diesem Zwecke, kurz, er wird allmählich zum Gewohnheits¬ 
trinker. Als solcher ist er Erkrankungen leichter ausgesetzt, als andere 
Arbeiter; während der Krankheiten hört der Verdienst auf, er selbst nimmt 


*) Finkelnburg, Staat und Trunksucht, Magdeburg 1881. 

*) Pflügers Arch. Bd. 86, 1901. 

") Die Bedeutung des Alkohols als Nahrungsmittel, Arch. f. Hyg. Bd. 36, 1899. 
4 ) Skand. Arch. f. Physiol. Bd. 9, 323, 1899. 

*) Brauers Beiträge zur Klin. d. Tub. Bd. 4, Heft 3. 

*) Deutsche med. Wochenschr. 1900, Nr. 32/34. 

7 ) Therapeut. Monatsh. 1897, Nr. 1. 


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Überhandnehmen des Genusses alkoholischer Getränke usw. 715 

die Mittel der Krankenkasse, in letzter Linie einer staatlichen Einrichtung, 
in Anspruoh. Das ihm zustehende Krankengeld genügt aber nicht, um auch 
seiner Familie Unterhalt zu gewähren, und so kann diese, wenn die Frau 
nicht in der Lage ist, durch eigene Arbeit Geld zu schaffen, der öffentlichen 
Armenpflege zur Last fallen. Die Krankheiten häufen sich, der Körper 
bricht zusammen, und der Trinker hinterläßt nach seinem Tode die Familie 
mittellos, so daß sie aus öffentlichen Mitteln unterhalten werden muß. Das 
ist für den Staat noch der verhältnismäßig günstigste Ausgang. Oft tritt 
aber nicht vorzeitig der Tod ein, sondern der Alkoholist wird invalide und 
muß von der staatlichen Landesversicherungsanstalt mit einer jährlichen 
Rente unterstützt werden, welche aber nicht genügt, um auch die Familie 
zu ernähren, so daß diese auch in diesem Falle auf die Armenmittel an¬ 
gewiesen ist. Oder der Trinker verfällt in Geisteskrankheit und muß auf 
Staatskosten in einer öffentlichen Irrenanstalt verpflegt werden, während die 
Familie wieder auf die Armenpflege angewiesen ist. Um ein Beispiel anzu¬ 
führen, welche Summen für Arme, deren Verarmung ihren Grund in der 
Trunksucht hat, jährlich ausgegeben werden, erwähne ich, daß Laquer 1 ) 
für 3360 deutsche Mittel- und Großstädte 25 Millionen Mark herausgerechnet 
hat. Darüber, welche Unsummen die Krankenkassen, Berufsgenossen¬ 
schaften und Versicherungsanstalten alljährlich für Krankheiten, Unfälle und 
eingetretene Invalidität, die alle in der Trunksucht ihre Ursache haben, aus¬ 
geben, fehlen bisher noch genauere Angaben. Der Staat müßte die genannten 
Organe veranlassen, mit Hilfe der Arzte in allen Fällen die Ursache genau 
feststellen zu lassen; auf diese Weise würde eine Statistik entstehen, welche 
eine deutliche Sprache reden würde. Auf jeden Fall hat also der Staat 
von einem Trinker Kosten und abgesehen hiervon bedeutet dieser, wie be¬ 
reits erwähnt, eine Gefahr wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit 
und Sittlichkeit. 

Alle die Folgen des Alkoholismus werden von Tuczek 2 ) folgender¬ 
maßen treffend geschildert: 

Die akute Alkoholvergiftung führt wegen Schwächung der Selbstbestimmung 
bei Steigerung der Empfindlichkeit und Sinnlichkeit zur Gefährdung der eigenen 
Person, sowie der öffentlichen Sicherheit und Sittlichkeit. Die Trunkenheit hat 
erheblichen Anteil an der Unfallstatistik, an Vergehen gegen die Sittlichkeit, 
an der Häufigkeit der unehelichen Geburten, an der Verbreitung der Geschlechts¬ 
krankheiten. Die Trunksucht verschuldet einen nicht geringen Teil alles sozialen 
Elendes (Müßiggang, Bettelei, Vagebondage, Armut, Unwissenheit, Verwilderung, 
Sittenlosigkeit, lasterhafte, verbrecherische Lebensführung, Prostitution, Verwahr¬ 
losung der Jugend, häusliches Elend, Ehescheidung, Selbstmord). Sie trägt direkt 
oder indirekt (Belastung der Deszendenz) bei zur Uberfüllung der Armen- und 
Arbeitshäuser, der Gefangenen- und Besserungsanstalten, der Kranken- und 
Siechenhäuser, der Irren-, Idioten- und Taubstummenanstalten. Andererseits be¬ 
fördert das so geschaffene soziale Elend wieder die Trunksucht; so entsteht also 
ein verhängnisvoller circulus vitiosus. — 

Da nun, wie oben ausgeführt, die Zahl der Trinker eine ganz ungeheure 
ist, so sind auch die Folgen der Trunksucht ganz bedeutende und sie werden 
immer mehr in die Augen springen, je mehr die Anzahl der Trinker noch wächst. 


’) Alkoholismus 1906, Heft 2. 

*) XII. Jahresvers. d. Deutsch. Vereins f. öffentl. Gesundheitspflege; Hyg. 
Rundschau, VII. Jahrg., Nr. 20. 

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716 


Dr. med. W. Fischer, 


Es muß daher gebieterisch die Forderung aufgestellt werden, daß der weiteren 
Ausbreitung der Trunksucht mit allen Mitteln entgegengetreten wird. Dies kann 
erstens geschehen durch private Tätigkeit, wie es früher auch bei Beginn des 
Kampfes gegen die Tuberkulose der Fall war. Hier sah man im Laufe der Zeit 
ein, daß hierdurch allein kein bemerkenswerter Stillstand oder Rückgang der 
Schwindsucht zu verzeichnen war, und daher stellte der Staat Mittel bereit zur 
Bekämpfung der Schwindsuchtsgefahr. Ebenso wird und muß es beim Kampfe 
gegen den übermäßigen Alkoholgenuß gehen. Die private Fürsorge hat bei uns 
seit der Mitte der 90er Jahre kräftig eingesetzt, Trinkerheilstätten sind gebaut, 
Mäßigkeits- und Enthaltsamkeitsvereine mit verhältnismäßig großem Mitglieder¬ 
bestände zur Aufklärung der Massen sind gegründet worden, aber wesentliche, 
bezüglich der Verminderung der Trunksucht in die Augen springende Erfolge 
sind noch nicht gezeitigt worden. Darum muß auch hier die staatliche Hilfe 
eingreifen, zumal der Alkoholismus, genau genommen, eine größere Gefahr be¬ 
deutet, als die Tuberkulose; krank machen beide, Ansteckungsgefahr ist auch bei 
beideu vorhanden, bei der Tuberkulose durch direkte Übertragung, beim Alkoho¬ 
lismus durch schlechtes Beispiel, aber der Tuberkulöse ist für die öffentliche Ord¬ 
nung und Sittlichkeit nicht gefährlich , was doch beim Alkoholisten in hohem 
Maße der Fall ist. Dazu kommt noch, daß der Alkoholismus in einer großen 
Anzahl der Fälle durch Schwächung des Körpers und die dadurch geschaffene 
Disposition für ansteckende Krankheiten als eine Quelle der Tuberkulose zu be¬ 
trachten ist [Guttstadt 1 ), Baer*), Schenk*), Gruber 4 ), Laitinen*)]. Durch 
Bekämpfung des Alkoholismus bekämpft man also gleichzeitig auch die Tuber¬ 
kulose. Aus diesem Grunde hat man auch in manchen Lungenheilstätten die 
alkoholischen Getränke von der Liste der Heil- und Genußmittel gestrichen; in 
Deutschland ist es Liebe 9 ), welcher in Wort und Schrift für die Entfernung des 
Alkohols aus den Heilstätten eintritt. 

Wie aus obigen Erörterungen hervorgeht, ist es der Staat, welcher, 
wenn die Trunksucht an einem Menschen ihr Werk vollbracht hat, ein¬ 
greifen muß und daher liegt es in seinem eigenen Interesse, dafür zu sorgen, 
daß es zu diesem Eingreifen nicht zu kommen braucht, und dabei kann er 
sich einer ganzen Reihe von Maßnahmen bedienen. Man halte dem nicht 
entgegen, daß andere Länder noch viel mehr durch den Alkohol verseucht 
seien, als Deutschland, z. B. Frankreich; wir müssen aber den Brunnen 
nicht erst zudecken, wenn jemand hineingefallen ist. Damit kommen wir 
zu unserer Hauptaufgabe. 

Die Mittel, welche dem Staate zur Verfügung stehen, um dem über¬ 
mäßigen Alkoholgenuß steuern zu können, müssen in erster Linie vor¬ 
beugender Natur sein, in zweiter Linie kommen erst diejenigen Maßregeln 
in Betracht, welche der bereits ausgebildeten Trunksucht gegenüber ergriffen 
werden können. Wenn erst einmal unheilbare Folgen des Alkoholismus 
vorhanden sind, so schafft sie kein Gesetz und keine Verordnung wieder 
aus der Welt. Sehr wohl kann aber durch diese Mittel der Entstehung der 
Trunksucht vorgebeugt werden, und zur Anwendung dieser Mittel hat der 
Staat nicht nur die Macht und das Recht, sondern auch die Pflicht. 

Nach Möglichkeit werden in den folgenden Ausführungen die prophy¬ 
laktischen und die repressiven Maßnahmen auseinandergehalten werden; es 

l ) Klin. Jahrb. Bd. 12. 

*) Tüb.-Kongreß Berlin 1899, 8. 630. 

*) Deutsche Med.-Zeitung 1906, Nr. 44. 

4 ) Wien. med. Wochenschr. 1901, Nr. 20. 

*) Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrankh. Bd. 34, 206. 

") Deutsche Krankenpflegezeitung, I. Bd., 1898. 


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Überhandnehmen des Genusses alkoholischer Getränke usw. 717 

liegt aber in der Natur des Stoffes, daß sie hier und da ineinander über¬ 
gehen, da die repressiven Maßnahmen als Abschreckungsmittel auch ihre 
vorbeugende Wirkung haben sollen. Ferner werden in der Hauptsache 
nur die prophylaktischen Mittel besprochen werden, da sie für die vor¬ 
liegende Frage fast ausschließlich in Betracht kommen, doch werden die 
repressiven, soweit es ans obigem Grunde nötig ist, auch erörtert werden. 

Bekanntlich macht Gelegenheit Diebe; in gewisser Weise läßt sich 
dieses Wort auch auf den Alkoholismus anwenden. Je mehr Gelegenheit 
dem Volke gegeben wird, alkoholische Getränke zu sich zu nehmen, desto 
größer ist auch das Verlangen danach und der Verbrauch. Hier ist also 
zunächst der Hebel anzuBetzen; der Staat muß Mittel und Wege finden, 
um die Gelegenheit, alkoholische Getränke zu bekommen, einzuschränken. 
Dies kann dadurch geschehen, daß die Menge des im Lande vorhandenen 
und damit auch verbrauchten Alkohols verringert wird; es ist dies bei der 
Bekämpfung des Alkoholismus wohl das schwierigste Problem, aber gerade 
'weil es so schwierig ist, sollte es zu immer erneuten Versuchen reizen. 

Die natürlichste, aber auch radikalste Maßnahme wäre eine Herab¬ 
setzung der Produktion im eigenen Lande. Dies kann erstens dadurch 
erreicht werden, daß man die Zahl der Brennereien beschränkt. Der be¬ 
sonders auf dem Lande zu beobachtende große Branntweinverbrauch ist in 
erster Linie wohl auf den Betrieb der kleinen Hausbrennereien zurück¬ 
zuführen, die dafür sorgen, daß der produzierte — meistens Btark mi t 
Fuselöl verunreinigte — Branntwein in der nächsten Umgebung gleich ver¬ 
braucht wird. Gerade diese Hausbrennereien begünstigen die Trunksucht 
in ganz hervorragendem Maße, durch Beseitigung derselben würde der 
Staat sich ein Verdienst erwerben; es könnte dies geschehen dadurch, daß 
vielleicht von Jahr zu Jahr in den Etat Mittel eingestellt werden, welche 
zum Ankauf solcher kleinen Brennereien dienen sollen, die nicht ein genau 
vorgescbriebenes Mindestjahresquantum produzieren können. Die Beauf¬ 
sichtigung dieser Eieinbrennereien durch die behördlichen Organe ist außer¬ 
ordentlich schwierig und schon aus diesem Grunde wäre ihr Verschwinden 
zugunsten der Großbetriebe zu wünschen, denn in diesen wird erstens eher 
ein einwandfreies Produkt zu erreichen sein und zweitens die Kontrolle 
nach Eingehen der Kleinbetriebe verhältnismäßig einfacher und dabei doch 
eingehender sein können. Die Mittel zur Ausschaltung der Hausbrenne¬ 
reien würden sich ergeben aus denjenigen Einnahmen, welche aus den noch 
weiter unten zu besprechenden Maßnahmen zu erzielen sind. Diese Ein¬ 
schränkung der Betriebe würde illusorisch sein, wenn nicht zugleich auch 
für jede Brennerei, je nach ihrer Größe, ein bestimmtes Produktionsquantum 
festgesetzt würde, über welches nicht hinausgegangen werden darf. Man 
müßte hier ausgehen von dem zurzeit zutreffenden Kopfverbrauch (1904/05 
6,0 Liter) und diesen auf die einzelnen Brennereien nach ihrer Größe und 
Leistungsfähigkeit verteilen. Durch genaue Kontrolle würde eine Mehr¬ 
produktion festzustellen sein. Dieses Zuviel könnte dann entweder staat- 
licherseits mit Beschlag belegt werden oder schon auf das im nächsten 
Jahre zu produzierende Quantum in Anrechnung gebracht werden. Was 
den Nutzen der Großbetriebe betrifft, so darf hier nicht unerwähnt bleiben, 
daß diese eher, als die kleinen, in der Lage sind, den Alkoholverbrauch 


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Dr. med. W. Fischer, 


durch den Genuß dadurch einzuschränken, daß sie möglichst große Mengen 
zu gewerblichen Zwecken nach vorgenommener Denaturierung unter Preis¬ 
nachlaß verabfolgen und auf diese Weise dem Genüsse entziehen. Welche 
Bedeutung der Alkohol beim Betriebe von Maschinen usw. neuerdings 
gewonnen hat, erhellt am besten aus der Tatsache, daß im deutschen 
Branntweinsteuergebiet der Verbrauch sich von 1,1 Liter pro Kopf im 
Jahre 1889 90 auf 2,4 Liter im Jahre 1903/04 gehoben, sich also mehr als 
verdoppelt hat 1 ). Der Staat würde sich ein Verdienst erwerben, wenn er 
dadurch die einheimische Spiritusindustrie zu fördern suchte, daß er es ihr 
ermöglicht, zu gewerblichen Zwecken noch größere Mengen zu produzieren. 
Dies würde sich z. B. erreichen lassen durch hohe Besteuerung des aus¬ 
ländischen Petroleums. Die Verminderung des Verbrauchs an diesem würde 
die Benutzung des Spiritus zu Beleuchtungs- und Koohzwecken ganz wesent¬ 
lich steigern, zumal sein Preis sich infolge der größeren Nachfrage bedeu¬ 
tend ermäßigen ließe. 

Es ist klar, daß diese Art und Weise, den Alkoholismus einzuschränken, 
nur das ultimum refugium sein kann, denn diese Maßnahme würde einer¬ 
seits eine Gruppe von Gewerbetreibenden finanziell schwer treffen — was 
bei der Bekämpfung des Alkoholismus allerdings niemals ganz zu umgehen 
sein wird — und andererseits der Bevölkerung ein bedauerliches Zeugnis 
der Unreife ausstellen. Ich meine aber, etwas höher ist die Urteilskraft 
unseres Volkes doch noch einzuschätzen, als daß man annehmen sollte, daß 
der Staat zu einem solchen Mittel gTeifen müßte, weil das Volk sich der 
Einsicht verschließt, welche Gefahren von seiten des Alkoholismus ihm 
drohen. 

Indirekt läßt sich die Menge des im Lande vorhandenen Alkohols da¬ 
durch verringern, daß der Staat den Export begünstigt und den Import 
erschwert. Das erstere Mittel ist nicht anwendbar, denn erstens würde es 
ein schwerer moralischer Fehler in der Bekämpfung des Alkoholmißbrauches 
sein, wenn der eine Staat, um sich zu entlasten, den anderen mit Brannt¬ 
wein überschwemmte; der Kampf gegen den Alkohol muß international sein, 
wenn auch gewiß der Satz, jeder ist sich selbst der Nächste, seine Berech¬ 
tigung hat. Außerdem würde sich auch jeder Staat durch hohe Einfuhr¬ 
zölle zu schützen wissen. Wenn der Zoll hoch genug ist, so ist dieses 
Mittel, die Erschwerung des Imports, wohl geeignet, die Alkoholmenge im 
Lande herabzumindern. Tatsächlich ruht ja bei uns auf dem eingefübrten 
Alkohol ein ziemlich hoher Zoll, der zuletzt am ersten Juli 1900 noch erhöht 
wurde; diese Erhöhung hatte ein ganz rapides Sinken der eingeführten 
Branntweinmenge zur Folge: von 37 000 hl im Jahre 1898/99 und 75300hl 
im Jahre 1899/00 ging 1900/01 die Zahl auf 14 600hl zurück 2 ). Von da 
an bis 1904/05 ist aber schon wieder ein Ansteigen auf 26 200 hl zu beob¬ 
achten; wir werden also bald wieder ein gleiches Quantum eingeführt be¬ 
kommen, wie vor der Erhöhung des Zolles. Und das sollte schon jetzt ein 
Fingerzeig sein, wieder den Einfuhrzoll in die Höhe zu setzen. Wenn es 
auch viele Schwierigkeiten mit sich bringt, so würde doch vielleicht ein 

l ) Vierteljahrshefte z. StAt. d. Deutsch. Reiches, I. Bd., 1905. 

*) Ebendaselbst, Bd. I, 1905. 


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Überhandnehmen des Genusses alkoholischer Getränke usw. 


719 


internationales Abkommen za erzielen sein, nach welchem überall der Zoll 
aof Branntwein derartig erhöht würde, daß eine £infahr so gat wie un¬ 
möglich wäre. Dies zu erreichen, würde eine wichtige Aufgabe sein eines 
von Abderhalden 1 ) nach dem Muster des schon bestehenden internatio¬ 
nalen Amtes für die Bestrebungen des Arbeiterschutzes in Anregung ge¬ 
brachten internationalen Arbeitsamtes zur Bekämpfung des Alkobolismus. 
Dieses Unmöglichmachen der Einfuhr würde allerdings die Gefahr mit sich 
bringen, daß dem Schmugglerwesen Tür und Tor geöffnet wird; meiner 
Ansicht nach ist aber die hierdurch gesetzte moralische Schädigung eines 
verhältnismäßig kleinen Teiles der Bevölkerung weitaus geringer anzu¬ 
schlagen, als die durch jene oben erwähnten 26 000 hl eingeführten Brannt¬ 
weins verursachten Folgen des Alkoholmißbrauchs. 

Diejenige Maßregel, welche bisher für die Einschränkung des Brannt- 
weinverbrauchs am erprobtesten gewesen ist, ist die Besteuerung des Brannt¬ 
weins. Bei der Einführung einer solchen Steuer geht man von der richtigen 
Annahme aus, daß, je niedriger der Preis des Branntweins, desto größer der 
Verbrauch ist. Durch Belastung des Branntweins mit einer hohen Steuer 
sind die Brennereien aber genötigt, den Preis in die Höhe zu setzen, er 
wird also teuerer und infolgedessen nicht mehr so viel gekauft und getrunken. 
Neben einer ergiebigen Einnahmequelle für den Staat bedeutet die Brannt¬ 
weinsteuer also auch ein wertvolles Mittel, den Alkoholverbrauch ein¬ 
zuschränken; daß dem wirklioh so ist, zeigt die Tatsache, daß nach Inkraft¬ 
treten des Branntweinsteuergesetzes am 1. Oktober 1887 einerseits die 
Steuereinnahmen ganz wesentlich in die Höhe gingen und andererseits der 
Verbrauch von Trinkbranntwein von 8,5 auf 5 Liter sank 3 ). Seitdem ist 
die Steuer nicht mehr erhöht worden, und trotzdem ist der Verbrauch bei 
uns noch weiter auf 3,7 Liter gefallen 8 ); bei der Beurteilung dieser Er¬ 
scheinung wird man nicht fehl geben, wenn man das weitere Sinken auf 
den überhaupt planmäßig betriebenen Kampf gegen den AlkoholismuB zurück¬ 
führt. Daß wir aber, was die Einnahmen betrifft, welche doch zum Teil 
dem Kampfe gegen den Alkoholismus wieder zugute kommen sollen, noch 
günstiger abscbneiden können, zeigen uns folgende Zahlen 4 ): Während in 
Deutschland das Hektoliter reinen Alkohols mit 90 besteuert war, ver¬ 
einnahmten dafür England 391,4, Vereinigte Staaten 202,4, Rußland 176,8, 
Frankreich 126,6 jH,.. Bei weiterer Erhöhung der Steuer wäre also eine 
weitere Verteuerung des Branntweins und damit eine weitere Erschwerung 
des Verbrauchs bei uns die Folge. Wir brauchen aber staatlicherseits noch 
gar nicht einmal an eine Erhöhung der allgemeinen Branntweinsteuer zu 
denken, wenn der Staat, wie es in vielen anderen Ländern bereits der Fall 
ist, den Gemeinden das Recht einräumen wollte, auch ihrerseits noch den 
eingeführten Branntwein mit Abgaben zu belegen; sicherlich würde auch 
hierdurch eine weitere Verteuerung des Branntweins erreicht. Diese Ma߬ 
nahmen würden die Einnahmen von Staat und Gemeinden noch ganz erheb¬ 
lich erhöhen: England, wo Staat und Gemeinde den Branntwein besteuern, 

') Med. Klinik 1906, Nr. 48. 

*) Baer-Laquer, Die Trunksucht und ihre Abwehr, 2. Aufl., 1907. 

*) Ginsberg, Die deutsche Branntweingesetzgebung, Berlin 1903. 

4 ) Ebendaselbst. 


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720 


Dr. med. W. Fischer, 


zieht ein Viertel seiner Gesamteinnahmen ans der Besteuerung alkoholischer 
Getr&nke, Deutschland noch nicht einmal ein Zehntel *). 

Mit der Besteuerung des Branntweins muß diejenige der Biere mit 
hohem Alkoholgehalt Hand in Hand gehen, denn wenn vielleicht auch zu* 
zugeben ist, daß durch die Steigerung des Bierverbrauchs der Branntwein¬ 
genuß eingeschränkt wird, so ist es doch auch ebenso wahr, daß das, was 
an Branntwein durch Erhöhung des Bierkonsums auf der einen Seite dem 
Verbrauch entzogen wird, auf der anderen Seite doch wieder durch den 
hohen Alkoholgehalt des Bieres in den Verkehr gelangt. Die viel gerühmte 
segensreiche Steigerung des Bierverbrauchs hat also so lange noch ihre 
Schattenseite, als der Alkoholgehalt ein so hoher ist. Die Brauereien pro¬ 
duzieren heute in der Mehrzahl das alkoholreiche untergärige Bier. Geht 
man nun so vor, daß man dieses, wie es heute schon geschieht, mit hohen 
Steuern belegt, während man die obergärigen, alkoholarmen Biere fast oder 
ganz steuerfrei ließe, so würde der Staat die Produktion dieser zu Ungunsten 
der schweren Biere unterstützen. Auf diese Weise würde Bich, schon weil 
die leichten Biere infolge ihrer ganz fortfallenden oder doch niedrigen Be¬ 
steuerung billig sind und trotzdem gut schmecken, der Verbrauch heben 
und mit diesem Biere dem Volke viel weniger Alkohol zugeführt werden. 

Auf die Bereitung und den Vertrieb der alkoholfreien Ersatzgetränke, 
deren Preis übrigens immer noch ein sehr hoher ist, hat ja der Staat als 
solcher keinen Einfluß. Er kann aber insofern deren Konsum steigern, als 
er durch seine Organe auf gute, erprobte Ersatzgetränke hinweisen läßt 
und auch selbst in den Fällen, in denen er Arbeitgeber ist, sie zum Vertrieb 
bringt; durch den erhöhten Konsum ließe sich dann der Preis auch wohl 
verringern. Bis es dazu kommt, werden guteB Trinkwasser, Tee und Kaffee 
die gegebenen durststillenden Getränke bleiben. Es muß daher die vor¬ 
nehmste Aufgabe des Staates sein, überall sein Augenmerk auf die Her¬ 
stellung von Trinkwasserleitungen mit einwandfreiem Wasser zu richten, 
besonders dort, wo große MenBohenmassen Zusammenkommen (Eisenbahn, 
Fabriken usw). Zu erwägen ist ferner auch eine Erniedrigung des Einfuhr¬ 
zolles auf Tee und KaSee, um diese auch noch relativ teueren Getränke 
dem kleinen Manne noch zugänglicher zu machen. 

Weiterhin ist es Pflicht des Staates, durch seine Polizeiorgane die Rein¬ 
heit des in den Handel kommenden Alkohols zu überwachen, wenn diese Auf¬ 
gabe auch nicht unmittelbar in Zusammenhang steht mit der Bekämpfung 
des Alkoholi8mu8. In dem Branntweinsteuergesetz von 1887 war eine 
Reinigung des Alkohols von den Fuselölen vorgeschrieben worden, eine 
Bestimmung, welche späterhin wieder aufgehoben wurde bis zu dem Zeit¬ 
punkte, wo die Wissenschaft über die toxischen und sanitären Beziehungen 
der einzelnen, das Fuselöl bildenden Alkohole genauere Kenntnis haben 
würde. Auch heute sind die Meinungen über die als Fuselöle bezeichneten 
Alkohole mit höherem Kohlenstoffgehalt noch keineswegs völlig geklärt, doch 
scheint nach von Grützner 3 ) festzustehen, daß durch sie die Giftigkeit 
der alkoholischen Getränke ganz bedeutend erhöht wird; auchBaer 3 ) steht 

') Reichsarbeitsbl., Juni 1906. 

*) Alkoholismus 1906, Heft 1. 

3 ) Arch. f. Physiologie 1898, 8. 283. 


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Überhandnehmen de» Genusses alkoholischer Getränke usw. 


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auf diesem Standpunkte und betont, daß die Giftigkeit der Alkohole mit 
ihrem Kohlenstoffgehalt steigt. Es würde daher jetzt wohl berechtigt sein, 
wenn in einem Zusatz zum Branntweinsteuergesetz der Handel und Aus¬ 
schank mit fuselölhaltigen Getränken wegen ihrer die Giftigkeit des Alkohols 
erhöhenden Eigenschaften unter Verbot und Strafe gestellt wird. 

Eine andere Frage ist es, ob es angebracht ist, im Verordnungswege 
einen bestimmten Alkoholhöcbstgehalt der Getränke vorzuschreiben. Es 
wäre gewiß im Interesse des Kampfes gegen den Alkobolismus zu begrüßen, 
wenn die sehr konzentrierten Getränke überhaupt ausgeschaltet würden, 
doch fehlt es noch an genauen Feststellungen, inwieweit die Haltbarkeit 
eines Getränkes durch eine geringere Konzentration beeinflußt wird. Es gilt 
also, hier die untere Grenze zu finden. Erst, wenn diese genau feststeht, 
würde man daran gehen können, einen Alkoholhöchstgehalt vorzuscbreiben. 

Während die im vorstehenden besprochenen Maßnahmen den Alkohol 
selbst betrafen, sollen nunmehr diejenigen Mittel zur Einschränkung des 
Alkoholmißbrauchs erörtert werden, welche sich auf die Stätten beziehen, in 
welchen der Branntwein verschänkt oder verkauft wird. Von reichsgesetz¬ 
lichen Bestimmungen kommt hier besonders die Gewerbeordnung in Betracht. 
Es handelt sich in den für diese F'rage gültigen Paragraphen hauptsächlich 
um die Bedürfnisfrage und die Konzessionspflicht. Wenn man im all¬ 
gemeinen auch nicht den Satz auf stellen darf, daß, je größer die Zahl der 
Sohankstätten, desto verbreiteter auch die Trunksucht sei — die Statistik 
spricht dagegen — so darf man doch das als richtig anerkennen, daß die 
größere Zahl von Schankstätten erfahrungsgemäß ein Lockmittel zum Genuß 
alkoholischer Getränke darstellt, denn bei der großen Konkurrenz wird jeder 
Schankwirt mit allen Mitteln danach streben , sich einen möglichst großen 
Kundenkreis zu erwerben und zu erhalten. Der Verlockung wird nur zu 
leicht nachgegeben und die Folge davon ist, daß, je größer die Zahl der 
Schankstätten ist, eine desto größere Anzahl von Einwohnern dem geord¬ 
neten Familienleben entzogen und an das Wirtshaus gefesselt wird. In 
dieser Erkenntnis haben mit Recht alle geordneten Staatswesen darauf 
Bedacht genommen, auf das Schankstätten wesen ganz besonders zu achten 
und gesetzliche Bestimmungen darüber zu erlassen; für das Deutsche Reich 
sind diese in der Gewerbeordnung niedergelegt. 

Wenn man einer Beschränkung der Zahl der Schankstätten das Wort 
redet, so begegnet man immer dem Einwurf, daß man dadurch die Leute 
dem noch viel verwerflicheren Haustrunke in die Arme treibe. Etwas Rich¬ 
tiges hat ja diese Bemerkung, aber wie so oft, ist auch hier ein einziges 
Mittel nicht dazu imstande, dem Übel abzuhelfen, sondern, um das Ver¬ 
langen nach Alkohol einzuschränken, müssen eine Reihe von Maßnahmen 
Zusammenwirken, welche auch noch besprochen werden sollen. 

Die sich auf die Bedürfnisfrage und Konzessionspflicht beziehenden 
Bestimmungen der Gewerbeordnung bilden bei sachgemäßer Handhabung 
ein wichtiges prophylaktisches Kampfmittel gegen die Überhandnah me des 
Genusses geistiger Getränke. Es mag daher etwas mehr darauf eingegangen 
und dabei erörtert werden, inwiefern sie geeignet sind, den Alkoholkonsum 
einzudämmen, und welche Bestimmungen zu treffen wären, um ihre Wir¬ 
kung zu erhöhen. 

Viertelj*hr»«chrift fOr Gwundheitspflege, 1908. 4 ß 


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722 


Dr. med. W. Fischer, 


§ 33 bestimmt im wesentlichen, daß der Betrieb von Gast- und Schank* 
Wirtschaft, sowie der Kleinhandel mit Branntwein und Spiritus von der Er¬ 
teilung einer Erlaubnis abhängig ist. Dann wird fortgefahren: die Erlaubnis 

ist nur dann zu versagen; 1.. 2. Hier liegt offenbar schon ein 

Mangel des Paragraphen vor; statt daß offen ausgesprochen wird, die Er¬ 
laubnis kann nur erteilt werden, wenn usw., betont man, daß die Ver¬ 
weigerung der Erlaubnis im allgemeinen nur eine Ausnahme von der Regel 
bilden soll. Diese unglückliche Fassung trägt auch wohl die Hauptschuld 
daran, wenn die Konzessionen nur allzu leicht erteilt werden; denn es ist 
tatsächlich eine Seltenheit, daß eine Konzession versagt wird. 

Der Paragraph verbietet nun die Erlaubniserteilung erstens, wenn 
gegen den Nachsuchenden Tatsachen vorliegen, welche die Annahme recht- 
fertigen, daß er das Gewerbe zur Förderung der Völlerei, des verbotenen 
Spiels, der Hehlerei oder Unsittlichkeit mißbrauchen werde, zweitens, wenn 
das zum Betriebe des Gewerbes bestimmte Lokal wegen seiner Beschaffenheit 
oder Lage den polizeilichen Anforderungen nicht genügt. 

Nach Ziffer 1 kann also eventuell jeder, welcher der genannten Ab¬ 
sichten nicht verdächtig erscheint, also jeder, der sich dazu berufen fühlt, 
das Schankgewerbe betreiben, und tatsächlich wird auch keine Vorbildung 
verlangt; in Mannheim waren z. B. im Jahre 1902 von 634 Schank- und 
Gastwirten nur 268 gelernte Leute *). Gerade der Beruf eines Schankwirts 
sollte demjenigen, der ihn ausübt, bei den genugsam bekannten Wirkungen 
des übermäßigen Alkoholgenusses auf die Konsumenten einen hohen Grad 
von Verantwortung auferlegen. Dabei braucht man noch nicht so weit zu 
gehen, daß man die Schankwirte verantwortlich macht für alle Schäden, 
welche von Personen herbeigefübrt werden, die .sich bei ihnen betrunken 
haben 2 ). Nur wenn festgestellt wird, daß bei ein und demselben Wirte 
sich unverhältnismäßig häufig Trunkenheitsfälle ereignen, welche eine Ge¬ 
fährdung der öffentlichen Sicherheit herbeiführen, würde zu erwägen sein, 
ob bei bewiesener Schuld des Wirtes an der Trunkenheit dieser haftpflichtig 
gemacht werden kann. Bei dieser Lage der Dinge muß man erstaunt sein, 
daß bis heute noch nicht eine gesetzlich vorgeschriebene Vorbildung die 
Voraussetzung für die Erteilung einer Konzession bildet. Die Forderung 
eines Befähigungsnachweises ist daher bei Ziffer 1 des § 33 der Gewerbe¬ 
ordnung unumgänglich notwendig. Abgesehen davon, daß man hierdurch 
die Zahl der Bewerber und damit auch die der erteilten Konzessionen ganz 
erheblich herabmindern kann, trägt man auch zur Hebung des Gastwirte- 
standes bei, denn bei der geringeren Konkurrenz wird ein Wirt es nicht 
mehr nötig haben, durch alle möglichen Lockmittel sein Lokal zu füllen. 
Durch diese Hebung des Standes würde es voraussichtlich gelingen, ihn nach 
und nach auf eine Höhe zu bringen, welche die in Ziffer 1 des § 33 genannten 
eine Erlaubniserteilung ausschließenden unlauteren Absichten des Bewerbers 
unmöglich machen würde. Der Befähigungsnachweis würde derart zu er¬ 
bringen sein, daß der die Konzession Nachsuchende Zeugnisse über eine 
genügend lange (etwa 3 bis 5 Jahre) im Schankgewerbe verbrachte Lehr- 


l ) Fl ade, Zur Alkoholfrage, Hyg. Rundschau 1904, H. 14. 
*) Ebendaselbst 1902, H. 4. 


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Überhandnehmen des Genusses alkoholischer Getränke usw. 


723 


und Gehilfenzeit, sowie über eine während dieser Zeit beobachtete gute sitt¬ 
liche Führung auf weisen kann. Diesen Nachweis würden nicht nur die Schank¬ 
wirte im engeren Sinne des Wortes zu erbringen haben, sondern vor allem 
auch alle Personen, welche um die Erlaubnis einkommen, Branntwein ver- 
achänken zu dürfen. Es würden also auch die Kaufleute einbegriffen sein, 
welche um die Konzession einkommen; da diese aber die verlangte Vor¬ 
bildung meistens nicht besitzen, so müßte in solchen Fällen die Konzessions¬ 
erteilung rundweg abgeschlagen werden, woraus sich dann auch wieder eine 
erhebliche Verminderung der Schankstätten ergeben würde. Wie man es 
vielleicht erreichen kann, die Schankwirte als Inhaber der Konzessionen 
überhaupt auszuschalten, davon soll weiter unten die Rede sein. Daß die 
Eilaubniserteilung zur Ausübung des Schankgewerbes nur an eine ganz 
bestimmte Person geknüpft fein darf, mit deren Tode oder Geschäftsaufgabe 
sie erlischt, muß sich von selbst verstehen. Eine besondere Beachtung ver¬ 
dienen die Schankgerechtsame oder Erbkruggerechtigkeiten; es wäre 
wünschenswert, wenn auch diese nach dem Tode des jeweiligen Inhabers 
erlöschen würden, und der Käufer des Anwesens von neuem um die Kon¬ 
zession einkommen müßte. 

Ziffer 2 des §33 der Gewerbeordnung führt aus, daß die Erlaubnis zum 
Schankbetriebe versagt werden kann, wenn das Lokal seiner Beschaffenheit 
und Lage nach den polizeilichen Vorschriften nicht entspricht. Der aufsicht- 
führenden Behörde wird hierdurch eine genügende Handhabe geboten, 
Schankstätten, welche billigen Anforderungen nicht genügen, nicht auf- 
kommen zu lassen. Wenn bei der Ausführung dieser Bestimmung mit 
Strenge verfahren wird, so kann auch sie dazu beitragen, die Zahl der 
Schänken zu verringern. Je mehr Scbankstätten konzessioniert sind, je 
schärfer also die Konkurrenz ist, desto weniger Geld kann an die Her¬ 
richtung der Schankräume gewandt werden, desto minderwertiger und 
hygienisch ungünstiger sind also die Räume. Stellt man nun vor Erteilung 
der Konzessionen an die Schankräume möglichst strenge Anforderungen, so 
ist der Bewerber in vielen Fällen genötigt, größere Aufwendungen zu 
machen, zu denen er oft nicht in der Lage ist. Die Folge davon wird die 
Zurückziehung oder Ablehnung des Gesuches sein. Was für die Beschaffen¬ 
heit der Räume gilt, das trifft auch auf die Lage zu; wie die größeren 
Hotels und Restaurants, so dürfen auch die kleinen Schankstätten nicht in 
Gassen und Winkeln liegen. Sie können sich dadurch zu leicht der Auf¬ 
sicht entziehen und somit Zustände schaffen helfen, von denen in Ziffer 1 
des § 33 der Gewerbeordnung gesprochen wird. 

Weiterhin regelt der § 33 das Schankstättenwesen im Deutschen Reiche 
dahin, daß die Landesregierungen befugt sein sollen, die Erteilung einer 
Konzession für Schank- und Kleinhandel mit Branntwein abhängig zu 
machen von dem Nachweis eines besonderen Bedürfnisses: unter diese Be¬ 
stimmung fallen auch die Gastwirtschaften, welche nur Wein oder Bier usw., 
aber keinen Branntwein im Sinne des Gesetzes verschänken. Von dieser 
Bestimmung werden aber nur Ortschaften mit weniger als 15 000 Einwohnern 
betroffen, während Orte mit größerer Einwohnerzahl berechtigt sein sollen, 
ein Ortsstatut festzusetzen, nach welchem die Erlaubniserteilung ebenfalls 
von einem etwaigen Bedürfnisse abhängig gemacht werden kann. Die Ein- 

46 * 


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Dr. med. W. Fischer, 


führung der BedOrfnisfrage ist also in das Belieben der einzelnen Landes¬ 
regierungen oder Gemeindeverwaltungen gestellt; außer dem Bremischen 
haben alle Bundesstaaten von dieser Befugnis Gebrauch gemacht in der 
richtigen Erkenntnis, daß Konzessionszwang und BedOrfnisfrage zusammen 
ein besonders wirksames Mittel zur Verhütung des Alkoholismus darstellen. 
Daß trotzdem — die Bestimmungen sind zum Teil seit 1879 in Kraft — 
eine sehr wesentliche Abnahme der Trunksucht bis heute noch nicht fest¬ 
zustellen ist, liegt ebenso, wie bei den Bestimmungen betreffend die Kon¬ 
zessionen an der nicht zweckmäßigen Handhabung des Gesetzes; es ist aber 
falsch, deswegen gleich die Aufwerfung der Bedürfnisfrage überhaupt ver¬ 
dammen zu wollen. Es wird doch von den meisten Seiten anerkannt, daß 
die Wirkungen der Ortsstatute im allgemeinen günstige zu nennen sind, 
sowohl was die Zahl der Schankstätten betrifft, als auch was die sittlichen 
Zustände im Schankgewerbe angeht. Zur Illustration dieser Angaben seien 
folgende Zahlen angeführt: Mannheim, die einzige Stadt Badens, welche 
kein Ortsstatut besitzt, zählte 1895 bei 90000 Einwohnern 488 Schank- 
stätten, 1902 aber schon 818 *), in Elberfeld (mit Ortsstatut) stieg die Zahl 
der Schankstätten von 1884 bis 1901, bei einer Bevölkerungszunahme von 
103 000 auf 150000 nicht nur nicht, sondern sank von 594 auf 535 2 ). 
Ohligs und Lehe hoben ihre Ortsstatute auf; die Folge davon war innerhalb 
drei Jahren bei ersterem Orte eine Zunahme der Schankstätten um das 
Doppelte, in letzterem um das Vierfache 8 ). Ich will gar nicht behaupten, 
daß durch die Betonung der Bedürfnisfrage allein die Trunksucht aus der 
Welt zu schaffen ist, doch halte ich sie im Verein mit anderen Maßnahmen 
für außerordentlich geeignet, dem Alkoholismus zu steuern, und deshalb 
muß alles daran gesetzt werden, daß der § 33 der Gewerbeordnung eine 
Fassung erhält, welche irrige Auslegungen ausschließt. Dazu ist in erster 
Linie notwendig, daß der Nachweis eines vorhandenen Bedürfnisses für Gast- 
und Schankwirtschaft und Kleinhandel mit Branntwein reichsgesetzlich 
überall vorgeschrieben wird; es darf kein Unterschied gemacht werden 
zwischen Stadt und Land. Es bedeutet dies ja einen Eingriff in das Selbst¬ 
verwaltungsrecht der Städte, doch gibt die Sorge für das allgemeine Volks¬ 
wohl hierzu doch das Recht, und einsichtsvolle Stadtverwaltungen werden 
sich diesem Eingriff in ihre Rechte gern fügen, denn die Bekämpfung der 
Alkoholgefahr bedeutet eine Entlastung der Armenkasse. 

Auf jeden Fall muß die Behörde vorsichtig sein mit der Erteilung 
von Konzessionen für Branntweinausschank in Gegenden, in denen eine 
große Arbeitermasse zusammenströmt, also besonders in der Nähe von 
Fabriken, Bahn- und Kanalbauten usw., damit der Arbeiter möglichst wenig 
Gelegenheit findet, sich Branntwein zu verschaffen. Auf der anderen 
Seite müßte die Errichtung von Schankstätten mit alkoholarmen Getränken, 
auch Milchrestaurants, in jeder Weise unterstützt werden, eventuell da¬ 
durch, daß für diese eine Befreiung von der KonzessionBerteilung eingeführt 
würde. 


') Flade, Zur Alkohnlfrage, Hyg. Rundschau 1904, H. 14. 
*) Ebendaselbst 1902, H. 4. 
a ) Ebendaselbst 1902, H. 4. 


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Uberhandnehmen des Genusses alkoholischer Getränke usw. 


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Da die Art und Weise, wie Konzessionen bei uns vergeben werden und 
die Bedürfnisfrage gehandbabt wird, den Hauptgrund dafür bildet, daß die 
Trunksucht bei uns noch nicht augenfällig im Rückgänge begriffen ist, 
sondern jetzt, wenigstens was den Branntweinverbrauch betrifft, auf gleicher 
Höhe bleibt, so ist es von Wert, hier die Systeme zu erörtern, nach denen 
andere Staaten dem Alkoholübel zu steuern versuchen, und zu erwägen, 
was davon für unsere Verhältnisse brauchbar ist. 

In Amerika, wo der nachdrückliche Kampf gegen den Alkoholismus 
wohl zuerst auf genommen wurde, geht man in den verschiedenen Staaten 
verschieden vor. Einzelne haben die Entscheidung über die Zulässigkeit 
des Kleinhandels mit Branntwein in die Hände der Bürger selbst gelegt 
(Lokaloption); eine Konzession wird nur mit Genehmigung von zwei Dritteln 
der Wahlfähigen oder Hausbesitzer erteilt. Andere Staaten belegen die 
Schankkonzession mit einer hohen Steuer (High Licence), die je nach der 
Lage des Lokals im Orte verschieden hoch ist. Drittens ist man in noch 
anderen Staaten so vorgegangen, daß Schankkonzessionen nur nach einem 
bestimmten Verhältnis zur Einwohnerzahl eines Bezirkes oder Ortes ver¬ 
geben werden (Limitation). 

Es ist zuzugeben, daß durch das erste System (LokalOption) der Kampf 
gegen den AlkoholiBmus ein politischer wird, und tatsächlich ist dies in 
Amerika auch der Fall: Die Republikaner sind Temperenzler, die Demokraten 
Abstinenten. Die politischen Verhältnisse eines Landes sind aber Wechseln 
unterworfen, während der Kampf gegen die Trunksucht, um ihn überhaupt 
erfolgreich führen zu können, ein stetiger sein muß. Schon aus diesem 
Grunde ist das System für uns zu verwerfen, ganz abgesehen davon, daß 
es ebenso, wie viele andere Maßregeln, den illegalen Ausschank doch nicht 
ausschließt. 

Beachtenswerter ist die hohe Besteuerung der Konzession (High Li¬ 
cence); man geht hierbei in den Städten bis zu 2000 Dollars 1 ) und erreicht 
dadurch, daß eine große Anzahl von kleinen Schankstätten, welche diese 
Last der Besteuerung nicht zu tragen vermag, eingeht. Durch die Herab¬ 
minderung der Zahl wird erstens die Beaufsichtigung durch die behörd¬ 
lichen Organe ungemein erleichtert, und zweitens können diejenigen Lokale, 
welche verbleiben, hygienisch einwandfreier hergestellt werden, weil sie 
finanziell leistungsfähiger sind. Tatsächlich ist diese Besteuerung für ein¬ 
zelne Staaten von großem Segen gewesen; dort, wo nichts erreicht wurde, 
lag es daran, daß man mit der Einführung der Steuer zu rigoros vorging, 
wodurch dann der geheime Ausschank begünstigt wurde. Besonders gute 
Erfolge erzielten diejenigen Staaten, welche außer dieser High Licence auch 
noch das System der Limitation einführten. Man könnte gegen dieses 
System anführen, daß die Niederlande, welche es 1881 einführten, keine 
günstigen Erfahrungen gemacht haben; nach Baer-Laquer 2 ) hat dies aber 
seinen Grund darin, daß das Gesetz nur sehr wenig streng gehandhabt wurde. 

Nicht für sich allein, aber gemeinsam mit der hohen Besteuerung halte 
ich die Vergebung der Konzessionen nach einem bestimmten Verhältnis zur 


') Baer-Laquer, a. a. O. 
•) A. a. O. 


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Dr. med. W. Fischer, 


Zahl der Einwohner für wohl geeignet, auch bei uns eingefübrt zu werden. 
Für Großstädte, Mittelstädte und das Land müßte hier natürlich eine ver¬ 
schiedene Norm angenommen werden; man könnte sich vielleicht nach dem 
niederländischen Schankgesetz richten, welches bestimmt, daß in Orten von mehr 
als 50000 Einwohnern auf 500, in Orten von 20000 bis 50 000 Einwohnern 
auf 300 und in den übrigen auf 250 Einwohner ein Schanklokal kommen 
soll. Welche Unzahl von Schenken dabei bei uns verschwinden würde, 
ersieht man daraus, daß z. B. in Berlin im Jahre 1904 schon auf 128 Ein¬ 
wohner ein Ausschank kam*). Aus diesem Grunde müßte auch durch 
Übergangsbestimmungen dafür Sorge getragen werden, daß allzu große 
Härten vermieden werden. Was die Steuer betrifft, so würde eie als ein 
Zusatz zu der schon bestehenden Gewerbesteuer zu erheben sein. Wenn 
man auch zugeben muß, daß dies eine Belastung eines einzelnen Standes 
bedeutet, so muß man andererseits dem entgegenhalten, daß ungewöhnliche 
Zustände — und das ist doch die starke Verbreitung der Trunksucht durch 
die große Zahl der Schankstätten — auch ungewöhnliche Maßnahmen er¬ 
heischen. Daß bei uns jetzt der im vorstehenden gekennzeichnete Weg 
beschritten werden soll, geht hervor aus dem im Frühjahr 1907 veröffent¬ 
lichten Kreis- und Provinzialabgabengesetz vom 26. April 1906, welches 
den Land- und Stadtkreisen das Recht gibt, eine Schankkonzessionssteuer 
zu erheben. Diese Bestimmung ist schon als ein ganz außerordentlicher 
Fortschritt zu begrüßen; es wäre nur wünschenswert, daß alle Gemeinden 
von diesem Rechte Gebrauch machten und daß allmählich aus diesem Rechte 
eine Pflicht und aus dem preußischen Landes- ein Reichsgesetz würde. 

Für ganz verfehlt muß man das in einzelnen Staaten Nordamerikas 
bestehende Verbot der Bereitung und des Handels mit berauschenden Ge¬ 
tränken (Prohibition) halten, wobei der Kauf, die Einfuhr und der Konsum 
unerklärlicherweise nicht mit inbegriffen sind. Dadurch öffnet man dem 
Betrüge alle Pforten und vernichtet die Achtung vor den Gesetzen. Man 
sollte es daher auch unterlassen, derartige radikale, durch nichts gerecht¬ 
fertigte und daher auch undurchführbare Maßnahmen staatlicherseits zu 
ergreifen. 

Anders steht es mit einem System, welches zwei unserer Nachbar¬ 
staaten, Rußland und die Schweiz, eingeführt haben, das ist das Branntwein¬ 
monopol. In beiden Staaten bestehen aber bezüglich der Art des Monopols 
große Unterschiede. 

Die Regierung in Rußland überläßt seit 1896 die Produktion des Brannt¬ 
weins den Privaten (sie führt nur die Aufsicht darüber), während der Staat 
selbst den Kleinhandel damit übernommen hat; in den dem Staat gehörigen 
Schenken darf nichts an Ort und Stelle verzehrt werden; der Branntwein 
wird in versiegelten Flaschen verkauft. Wie man vorausgesehen hatte, war 
nach der Einführung des Monopols von einer Abnahme des Alkoholverbrauchs 
keine Rede, im Gegenteil, er stieg noch immer mehr. Man nimmt wohl 
nicht mit Unrecht an, daß durch diese Art des Monopols der Trunk aus 
dem Wirtshaus in die Familie verlegt wird, und das ist viel gefährlicher, 
als wenn der Verbrauch in Schanklokalen vor sich geht. Auf der anderen 


') Stat. Jahrb. d. Stadt Berlin 1B05. 


Dii 


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Seite ist wohl das mangelnde Verständnis des russischen Volkes für solche 
Maßnahmen und die wenig geeignete Ausführung der gesetzlichen Bestim¬ 
mungen durch die nicht zuverlässige russische Beamtenschaft als Hindernis 
für eine erfolgreiche Bekämpfung des Alkoholismus durch das Staatsmonopol 
anzusehen. Der einzige Erfolg ist eine beträchtliche Füllung des Staats¬ 
säckels auf Kosten der Volksgesundbeit. 

Ein wesentlich anderes Monopol hat seit 1887 die Schweiz eingeführt. 
Dort hat der Staat selbst das alleinige Recht zur Fabrikation und zum 
Import von Spiritus, den er nach genügender Reinigung in Mengen von 
wenigstens 150 Litern den Wiederverkäufern überläßt. Den einzelnen 
Kantonen ist die Regelung deB Wirtschaftsgewerbes überlassen; in den 
meisten wird der Konzessionserteilung, auf welcher eine hohe Steuer ruht, 
die Bedürfnisfrage zugrunde gelegt. Eins ist an diesem Monopol ohne Ein¬ 
schränkung lobenswert, die große Zahl der kleinen Brennereien wird völlig 
ausgeschaltet. Was die Herabminderung des Branntwein verbrauch es betrifft, 
so ist eine solche kaum zu bemerken, wohl aber ist kein Ansteigen, wie in 
Rußland, sondern ein Verbleiben auf einer gewissen Höhe zu beobachten. 
Schon aus dem Grunde, weil der Staat, der etwa 6 Liter bOgradigen Alko¬ 
hols pro Kopf als Durchschnittsquantnm annimmt, es als Produzent in 
seiner Gewalt hat, die Höhe des Alkoholverbrauchsquantums genau zu 
bestimmen, würde diese Art des Monopols eher zu empfehlen sein, als das 
russische, denn der Verbrauch kann sich nicht ins ungemessene steigern. 
Von den Summen, welche der Staat aus dem Verkauf einnimmt, wird ein 
Zehntel zur Bekämpfung der Trunksucht verwendet; dieses Zehntel be¬ 
trag in den Jahren 1889 Mb 1902 im Durchschnitt jährlich 571000frcs., 
welche sowohl den prophylaktischen, wie den repressiven Maßnahmen zu¬ 
gute kamen *). 

Wenn die Schweiz mit dem Monopol auch bessere Erfolge erzielt hat 
als Rußland, sowohl weil die Art desselben eine andere ist, als auch weil 
die Durchführung eine strengere ist, so bin ich doch der Meinung, daß der 
Staat so lange von einer Monopolisierung absehen soll, als es noch andere 
Mittel gibt, um der Trunksucht Herr zu werden. Neben den oben er¬ 
wähnten, die gesetzlichen Bestimmungen über das Konzessionswesen und die 
Bedürfnisfrage betreffenden Verbesserungen, kann dies besonders geschehen 
dadurch, daß man, wie schon oben angedeutet, den Schankwirt als gewinn¬ 
suchenden Faktor überhaupt ausschaltet. Daß dies mit Erfolg durchgeführt 
werden kann, zeigt uns das Beispiel der nordischen Länder, Schweden und 
Norwegen. Es geschieht dies hier nicht wie in Rußland durch ein Monopol, 
sondern durch das nach der Stadt, in der es zuerst durchgeführt wurde, 
genannte Gothenburger System. Da durch dieses System wirklich Großes 
geleistet worden ist, so sei an dieser Stelle das Wesentlichste hervor¬ 
gehoben a ). 

Den Grund zur Einführung des Systems bildete der ganz ungeheure 
Branntweinkonsum; in Schweden soll 1830 der Kopfverbrauch 46 Liter 


*) Laquer, Die Bekämpfung des Alkoholismus in der ßchweiz; Der Alko¬ 
holismus 1004. 

*) Bode, Das Gothenburger System in Schweden, Weimar 1901. 


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Dr. med. W. Fischer, 


50 prozentigen Schnapsen betragen haben. Der Staat gestattete non 1855 
zunächst den Gemeinden, erstens den Kleinhandel unter 40 Liter und den 
Ausschank von Branntwein zu verbieten, soweit keine besonderen Gerecht¬ 
same darauf ruhten, und zweitens die neu zu erteilenden Konzessionen der 
Zahl nach festzusetzen. Diese wurden meistbietend an einwandfreie Per¬ 
sonen auf drei Jahre vergeben. Zugleich wurden die Hausbrennereien ver¬ 
boten. Die Folge davon war, daß auf dem Lande die Zahl der Brennereien 
von 23 342 im Jahre 1853 auf 123 im Jahre 1897, die Zahl der Kon¬ 
zessionen von 1 auf 8028 Einwohner im Jahre 1869 auf 1 auf 18 297 Ein¬ 
wohner zurückging. Die Bestimmung des Gesetzes von 1855, daß der 
Schank und Kleinhandel mit Schnaps an Gesellschaften (Bolags in Schweden, 
Samlags in Norwegen) vergeben werden könne, fand zunächst wenig Be¬ 
achtung, bis 10 Jahre später in Gothenburg ein Versuch damit gemacht 
wurde. Dort wurden verschiedene Konzessionen von einer Reihe von Bür¬ 
gern, die sich zu diesem Zwecke zu einer Gesellschaft vereinigten, angekauft 
mit der Maßgabe, aus den Überschüssen der Betriebe nur die Zinsen be¬ 
anspruchen, alles übrige zum Teil für die soziale Besserstellung der Arbeiter 
verwenden, zum Teil an die Gemeindekasse abführen zu wollen. Seit 1868 
hat diese Gesellschaft alle zu vergebenden Konzessionen an sich gebracht 
und, was das Wesentliche ist, viele davon eingehen lassen. Fast alle schwe¬ 
dischen Städte folgten dem Beispiele Gothenburgs, und auch Norwegen und 
Finnland schlossen sich mit einigen Änderungen des Systems an. Die 
Bolags sind nun nicht bei der Verminderung der Schankstätten stehen 
geblieben, sondern sie haben auch noch andere Bestimmungen getroffen. 
Zunächst muß der verschankte Branntwein fuselfrei sein; im Kleinhandel 
ist l Liter Branntwein zu 1 < U das Mindeste, was gekauft werden muß, 
auf Borg darf nicht verkauft werden, die Verkaufszeit liegt von 9 Uhr mor¬ 
gens bis 8 Uhr abends, Sonnabends nur bis 6 Uhr, an Sonntagen sind die 
Schankstätten geschlossen, an Personen unter 18 Jahren und Betrunkene 
darf nicht verkauft werden. Um den Arbeiter dem Trünke zu entwöhnen, 
haben die Bolags Speisehäuser mit gutem billigen Essen, verbunden mit 
Lesehallen, errichtet. Jeder Ausschank wird geleitet von einem Wirte 
welcher Angestellter der Gesellschaft ist und die Einnahmen für die alko¬ 
holischen Getränke voll abliefern muß, während er von dem Erlös aus den 
verabreichten Speisen und dem Verkauf alkoholfreier Getränke einen ge¬ 
wissen Prozentsatz erhält; er wird also immer darauf bedacht sein, diese 
Getränke auf Kosten des Branntweins anzubieten. Den Reingewinn erhält 
die Stadt und der Staat zu verschiedenen Teilen, mit der Bestimmung, daß 
er zu gemeinnützigen Zwecken verwandt wird. 

Das Gothenburger System stellt also ein Zusammenarbeiten von staat¬ 
licher und privater Fürsorge dar, wie es wohl idealer nicht gedacht werden 
kann. Seit seiner Einführung in Schweden ist nun genügend lange Zeit 
verflossen, so daß man sich über den praktischen Wert oder Unwert dieser 
Art der Bekämpfung des Alkoholismus ein Urteil hat bilden können. 

Als Folge machte sich zunächst, wie oben bereits erwähnt, eine Ver¬ 
minderung der Zahl der Brennereien und Konzessionen bemerkbar. In Er¬ 
gänzung der obigen Zahlen seien zum Vergleich einige deutsche und schwe¬ 
dische nebeneinander gestellt; es kamen in: 


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Überhandnehmen des Genusses alkoholischer Getränke usw. 


729 


Gothenburg (1899) .... 

. . 75 Konzessionen auf 122 370 Einw., 

Stockholm (1899). 

. . 213 

n 

„ 291580 „ 

Danzig (1898). 

. . 489 

V 

* 125605 „ 

Stettin (1898). 

. . 994 

r> 

« 151813 „ 

Kiel (1898). 

. . 318 

r> 

n 96 640 „ 

Bremen (1898). 

. . 1130 


„ 150000 „ 


Man sieht hieraus, wie schlecht unsere Großstädte zum Teil abschneiden, 
Bremen (es sei hier nochmals darauf verwiesen, daß hier die Bedürfnisfrage 
nicht erwogen wird) hat bei der Hälfte der Einwohnerzahl Stockholms reich¬ 
lich das Fünffache der Branntweinkonzessionen aufzuweisen. 

Allein es würde dies alles nichts bedeuten, wenn nicht auch tatsächlich 
der Alkohol verbrauch zurückgegangen wäre; und dieses Eindämmen des 
Verbrauchs ist dem Gothenburger System auch gelungen: Von 46 Litern im 
Jahre 1824 und 22 Litern im Jahre 1851 ist der Kopfverbrauch 1896 auf 
7,2 Liter zurückgegangen (es handelt sich dabei um 50prozentigen Brannt¬ 
wein). Diese Zahl entspricht etwa der Höhe des Trinkbranntweinverbrauchs 
bei uns, und wenn man bedenkt, daß die Trunksucht in Schweden eine be¬ 
deutend größere Ausdehnung angenommen hatte als bei uns und daß daher 
die Bolags mit viel größeren Schwierigkeiten bei der Erziehung des Volkes 
zur Mäßigkeit zu kämpfen hatten, so wird man nicht umhin können, ihr 
Verdienst voll anzuerkennen. 

Auch aus einer anderen Wirkungsweise des Systems tritt sein Wert 
deutlich hervor. Bekanntlich bildet einen guten Maßstab für die einem 
Volke innewohnende gesunde Kraft die Zahl der beim Aushebungsgeschäft 
für tauglich befundenen Mannschaften; während diese vor Einführung des 
Gotbenburger Systems nur 64,3 Proz. der Vorgestellten betrug, ist sie 
jetzt auf 79,6 Proz. gestiegen. Wenn die Erhöhung dieser Zahl auch nicht 
als die unmittelbare Folge des Zurückflutens des Trinklasters anzusehen 
ist, so wird man doch kaum fehl gehen können, sie insofern auf eine 
Einschränkung des Alkoholismus zurückzuführen, als die große Masse des 
Volkes durch Hebung des Wohlstandes unter bessere hygienische Be¬ 
dingungen gestellt wird, woraus sich dann eine größere körperliche Gesund¬ 
heit ergibt. 

Tadelnswert an dem System ist, daß nur die Branntweinkonzessionen 
von den Gesellschaften erworben werden können, während die Bierausschänke 
nach wie vor im Besitz von einzelnen sich befinden; diesen Fehler hat man 
auch in Norwegen erkannt und das System auch auf Bier und Wein aus¬ 
gedehnt. 

Wir sehen also, was sich durch das Gothenburger System erreichen 
läßt: Verminderung der Schankstätten, Ausschaltung der Konkurrenz, recht¬ 
zeitige Schließung der Lokale, Vermeidung des Kreditierens, Ausschluß des 
Verschanks an Minderjährige und Trunkene, und das alles ohne scharfe 
gesetzliche Bestimmungen allein durch die vom Staat gepflogene Sitte, die 
Konzessionen an gemeinnützige Gesellschaften zu vergeben. Und ferner 
kommt noch hinzu, daß die großen sich ergebenden Überschüsse dem Staate 
und der Gemeinde zur Verwendung zum Zwecke des Volkswohls zur Ver¬ 
fügung gestellt werden. 


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730 


Dr. med. W. Fischer, 


Von einer Bedingung allerdings ist der Erfolg des Systems immer ab¬ 
hängig: Es muH eine planmäßige Bewegung gegen die Trunksucht schon 
vor Einführung des Systems ordentlich vorgearbeitet und in allen Kreisen 
der Bevölkerung einen gewissen Einfluß gewonnen haben. 

Wenn bei uns in Deutschland die Antialkoholbewegung auch schon 
einige Erfolge errungen hat, so stecken wir in dieser Beziehung doch noch 
zu sehr in den Kinderschuhen, als daß wir schon jetzt daran denken könnten, 
durch staatliches Eingreifen das Gothenburger System einzuführen. Wo 
man aber schon hinreichend für die Aufklärung des Volkes gesorgt zu 
haben glaubt, da lege man von seiten des Staates den gemeinnützigen 
Gesellschaften, welche Konzessionen erwerben wollen, keine Schwierig¬ 
keiten in den Weg, denn die Absicht ist jedenfalls eine lobenswerte. Tat¬ 
sächlich hat sich auch schon ein deutscher Verein für Gasthausreform ge¬ 
bildet, welcher die Regelung des Schankwesens ganz nach Gothenburger 
System bezweckt 1 ). 

Ich habe mich bei der Erörterung des Gothenburger Systems mit Ab¬ 
sicht länger aufgehalten, weil ich es im Gegensätze zu den teilweise zu 
strengen und deshalb undurchführbaren oder umgangenen gesetzlichen Vor¬ 
schriften Amerikas einerseits und den Monopolen Rußlands und der Schweiz 
andererseits für uns als den Zukunftsweg ansehe, welcher, nachdem die nötige 
Vorarbeit geleistet worden ist, beschritten werden muß. Ich halte das System 
schon aus dem Grunde für besonders wertvoll, weil der Staat als solcher 
dabei weder mit der Produktion, noch mit dem Ausschank des Branntweins 
etwas zu tun hat, ihm also nie der Vorwurf gemacht werden kann, er wolle 
durch das von der Bevölkerung für den Trunk ausgegebene Geld seine 
Kassen füllen. Und dann hat das System den großen Vorzug, daß dadurch 
die Durchführung aller gesetzlichen Bestimmungen, betreffend den Verkauf 
an Minderjährige und Betrunkene, die Verkaufszeit, das Verschenken auf 
Borg, die jetzt zum Teil nur auf dem Papier stehen, da es bei der großen 
Zahl von Schankstätten naturgemäß an der wünschenswerten Kontrolle fehlt, 
fast spielend erreicht wird. 

Da unser Volk für die Einführung des Gothenburger Systems zurzeit 
aber noch nicht reif ist, so ist es notwendig, alle diese Bestimmungen jetzt 
reichsgesetzlich zu regeln, um überall Gleichheit zu schaffen, denn es wird 
sich kein Einsichtiger der Meinung verschließen, daß das Verbot des Brannt¬ 
weinverkaufs an Minderjährige oder Betrunkene, des Verkaufs auf Borg und 
die Beschränkung der Verkaufszeit bei einer planmäßigen Bekämpfung der 
Trunksucht unbedingt notwendig sind. Auch das Verbot des Branntwein¬ 
verkaufs an Sonntagen ließe sich bei uns wohl durchführen. Nach meinen 
obigen Ausführungen versteht es sich von selbst, daß bei der eventuellen 
Einführung des Systems der Bierausschank inbegriffen werden muß, denn 
es ist nicht angängig, daß man es ruhig mit ansieht, wie beim Zurückgehen 
des Branntweinkonsums der Verbrauch des Bieres, welches, chronisch im 
Übermaß genossen, ebenfalls schwere Gesundheitsstörungen verursacht, ins 


*) Vertrauensgesellschafteu für Gasthausverwaltung. Englische Schriftstücke 
für deutsche Leser. Herausgegeben vom Deutschen Verein für Gasthausreform, 
Weimar 1902. 


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Überhandnehmen des Genusses alkoholischer Getränke usw. 731 

Ungeheuerliche steigt Schon aus diesem Grunde auch ist die schon seit 
längerer Zeit erhobene Forderung gerechtfertigt, auch den Flaschenbier* 
handel von der Erteilung einer Konzession nach Prüfung der Bedürfnisfrage 
abhängig zu machen. Tatsächlich ist die Ausbreitung des Flaschenbier- 
handels bei uns eine ungeahnt große, in Kolonial- und Gemüsehandlungen, 
Markthallen usw. kann man heutzutage Flaschenbier bekommen; das 
Flaschenbiersystem hat die Linbürgerung des Biergenusses in allen Bevölke¬ 
rungeschichten erreicht. Besonders schwer wird die gewerbliche Arbeiter¬ 
bevölkerung durch das große Angebot geschädigt, denn das Bier wird ihr 
geradezu aufgedrängt besonders an Lohn* und Abschlagszahlungstagen; 
dabei ist das Bier ein verhältnismäßig teueres Getränk. Bei dieser Lage 
der Dinge kann man es dem Gastwirtsstande wahrlich nicht verdenken, 
wenn auch er infolge der ihm durch den Flaschenbierhandel erwachsenden 
Schädigung eine Konzessionspflicht für diesen Handel fordert. Man 
muß Fuchs 1 ) beistimmen, wenn er betont, daß die bevorstehende Neu¬ 
regelung des Konzessionswesens ihren Zweck nicht erreichen werde, wenn 
die seitherige Freiheit des Flaschenbierhandels unangetastet bleibe; nach 
ihm soll eine Konzession nur dann erteilt werden, wenn die Beschaffung des 
Bieres aus bereits bestehenden Wirtschaften auf Schwierigkeiten stößt. 
Einer weiteren Erhöhung der Biersteuer möchte ich nicht das Wort reden, 
da durch die Verteuerung dieses Getränkes mit Sicherheit der Branntwein¬ 
konsum wieder ganz bedeutend zunehmen würde. Auf welche Weise durch 
steuergesetzliche Maßnahmen im übrigen der Bierkonsum sich einscbränken 
läßt, habe ich oben bei der Besprechung der Bier- und Branntweinsteuer 
erwähnt. 

Während ich im vorstehenden die Maßnahmen erörtert habe, welche 
dem Staat zur Verfügung stehen, um den Verbrauch alkoholischer Getränke 
unmittelbar zu beeinflussen, sollen im folgenden diejenigen Mittel besprochen 
werden, welche für den Staat bei der Prophylaxe der Trunksucht zwar un¬ 
entbehrlich sind, aber doch nicht direkt den Alkohol oder die Verkaufs¬ 
stellen betreffen. Diese Mittel bilden einen Teil der von mir oben erwähnten 
Vorarbeit, welche vor der eventuellen Einführung des Gothenburger Systems 
geleistet werden muß. 

Das Wort, „wer die Jugend hat, hat die Zukunft“ hat eine ganz be¬ 
sonders hohe Bedeutung im Kampfe gegen die Trunksucht. Wenn es uns 
gelingt, durch eifrige, nie ermüdende Aufklärung die Jugend zu der Über¬ 
zeugung zu bringen, daß die Alkoholseuche unser Volk mehr als andere 
Volksseuchen an den Abgrund des Verderbens bringe, ja daß ein gut Teil 
der gefahrdrohenden anderen Volkskrankheiten, wie Tuberkulose und Syphilis, 
in der Überhandnahme der Trunksucht ihre letzte Ursache habe, daß also 
die Trunksucht der zunächst zu bekämpfende Feind ist, dann haben wir 
gewonnenes Spiel. Es soll damit nicht gesagt sein, daß die Jugend zu 
Muckern und Duckmäusern erzogen werden soll, aber eine vernunftgemäße 
Aufklärung tut bitter not, zumal auch schon die Jugend Gefahr läuft, in 
das Alkoholelend mit allen seinen verderblichen Folgen hin zeingezogen zu 
werden, denn Erhebungen, welche an den verschiedensten Schulen angestellt 

*) Mäßigkeitsblätter, Januar 1904. 


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732 


Dr. med. W. Fischer, 


wurden, lassen keinen Zweifel darüber, daß der Prozentsatz der Schüler; 
welche regelmäßig zu Hause alkoholische Getränke zu sich nehmen, noch 
weit größer ist, als man im allgemeinen anzunehmen geneigt war. Ans 
einer mir vom Stadtmagistrat Braunschweig 1 ) zur Verfügung gestellten Zu¬ 
sammenfassung der Ergebnisse einer im Januar 1906 an den mittleren und 
unteren Schulen vorgenommenen Untersuchung über den Alkoholgenuß der 
Schulkinder entnehme ich, daß von den Schülern bzw. Schülerinnen der 
Mittelschulen 47 Proz. gelegentlich, 1,3 Proz. täglich Wein, 64,5 Proz. ge¬ 
legentlich, 8,9 Proz. täglich Bier, 37,3 Proz. gelegentlich, 1,2 Proz. täglich 
Branntwein, Rum, Arrak, Kognak usw. tranken; 31 Proz. dieser Kinder 
gaben an, daß sie diese Getränke auch gern zu sich nähmen. Ganz ähnlich 
liegen die Verhältnisse bei den unteren Schulen Übereinstimmend berichten 
die Schulinspektoren, daß bei den meisten der obigen Kinder Anlaß zu 
Klagen über Aufmerksamkeit, Fleiß und Fortschritte gegeben ist. Noch 
schlimmere Zahlen findet man bei Hecker 8 ) und Bayr 8 ). Bei den Schülern 
und Schülerinnen der höheren Schulen mögen die Ergebnisse ja vielleicht, 
was den Schnapsgenuß betrifft, günstiger sein, doch ist anzunehmen, daß 
auoh dort die Gewohnheit, alkoholische Getränke zu sich zu nehmen, viel 
verbreitet ist. Ausführlichere statistische Mitteilungen hierüber fehlen 
meines Wissens bisher; man sollte sich doch aber nicht scheuen, auch an 
diesen Schulen das Übel aufzudecken. Über die ganz besondere Schädlich¬ 
keit des Alkohols auf kindliche und noch in der Entwickelung begriffene 
Individuen ist sich heute alles einig, ich verweise u. a. auf die Veröffent¬ 
lichungen von Stumpf 4 ), Boas 6 ), Emmerich 6 ), Dem me 7 ), Hartmann 3 ), 
Kassowitz 9 ). Um so nachdrücklicher muß der Kampf gegen den Alkohol¬ 
genuß der Schüler aufgenommen werden, zumal wir die Hilfe der Jugend 
nötig haben zur Ausrottung der schon tief im Volke eingewurzelten Trunk¬ 
sucht. Der Staat hat die Pflicht, hier belehrend einzugreifen, und zwar durch 
Vermittelung der Lehrerschaft. Die aufklärende Tätigkeit verfehlt aber 
ihren Zweck, wenn sie sich nicht sowohl auf die Schüler als auch auf deren 
Eltern erstreckt; denn das in der Familie gegebene Beispiel ist es häufig, 
welches den Alkoholgenuß der Schuljugend im Gefolge hat. Um für diese 
Aufklärungsarbeit das geeignete Personal zur Verfügung zu haben, muß der 
Staat sich einen Lehrerstand heranbilden, der über die Wichtigkeit der 
Alkoholfrage voll unterrichtet ist; dies kann aber nur geschehen, wenn die 
Lehrer von sachverständiger Seite geeigneten Unterricht erhalten. Ich 

*) Ergebnisse der in den städtischen Bürgerschulen im Januar 1906 ver¬ 
anstalteten Umfrage über den Alkoholgenuß der Schulkiuder. Zusammengestellt 
von der städtischen statistischen Stelle im Aufträge des Stadtmagistrat9 zu Braun¬ 
schweig. 

*) Münch, med. Woclienschr. 1906, Nr. 12. 

*) Zeitschr. f. Schulgesundheitspflege 1901, Nr. 4/5. 

4 ) Münch, med. Wochenscbr. 1899, Nr. 3. 

6 ) Zeitschr. f. Krankenpflege 1906, Märzheft. 

*) Arch. f. Kinderheilkunde 20, 226. 

7 ) Über den Einfluß des Alkohols auf den Organismus der Kinder, Stutt¬ 
gart 1891. 

") Alkohol und Jugend, Vortrag, gehalten in den wissenschaftlichen Kursen 
zur Bekämpfung des Alkoholismus, Berlin, April 1906. 

*) Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 54, 152. 


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Überhandnehmen des Genusses alkoholischer Getränke usw. 733 

denke mir die Sache so, daß die Regierung die beamteten Ärzte beauftragt, 
an den Schullehrerseminaren hygienische Vorlesungen zu halten unter be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Alkoholfrage; für die akademisch gebildeten 
Lehrer würde der Nachweis einer gehörten zweisemestrigen hygienischen 
Vorlesung für die Zulassung zur Staatsprüfung obligatorisch zu machen 
sein. Auch nach erfolgter Anstellung würden aufklärende Vorträge über 
die Alkoholfrage von seiten der beamteten Ärzte von Zeit zu Zeit angebracht 
sein. Insbesondere sei aufmerksam gemacht auf die vom Zentralverband zur 
Bekämpfung des Alkoholismus seit mehreren Jahren veranstalteten Kurse 
zum Studium des Alkoholismus, welche sich einer stets steigenden Teil- 
nehmerzahl zu erfreuen haben. Der Staat und die Stadtgemeinden würden 
sehr verdienstvoll handeln, wenn sie die Abordnung einer größeren Anzahl 
von geeigneten Lehrern zu diesen Kursen zu einer ständigen Einrichtung 
werden ließen. Der Lehrer hat zur Verwertung seiner Kenntnisse dann 
Gelegenheit, sowohl im naturkundlichen, Religions- und Geschichtsunterricht, 
wie in einem besonders einzuricbtenden hygienischen Unterricht (den Aus¬ 
druck Alkoholunterricht, den man wohl hier und da liest, halte ich für ver¬ 
fehlt, da er die Auffassung aufkommen läßt, in diesem Unterricht würde 
für eine ganze bestimmte Richtung der Bekämpfer des Alkoholismus Propa¬ 
ganda gemacht). In diesem Unterricht würden nicht allein die auf die 
Alkoholfrage sich beziehenden Tatsachen und Maßregeln, soudern auch 
Fragen von allgemeinem hygienischen Interesse zu besprechen sein. Be¬ 
sonders wertvolle Dienste können dabei die von Grub er und Kraepelin 1 ) 
bearbeiteten Wandtafeln zur Alkoholfrage leisten. Es ist erfreulich daß ein 
Erlaß des preußischen Kultusministers vom 8. November 1907 die Provinzial- 
Schulkollegien und Regierungen auf die Wandtafeln empfehlend aufmerksam 
macht, da sie geeignet seien, die Belehrung über die Alkoholgefahr wirksam 
zu unterstützen. 

Was die Belehrung der Eltern betrifft, so sollte es zur Regel werden, 
daß den Impfärzten für die Erst- und Wiederimpfungstermine das Alkohol¬ 
merkblatt des Reichsgesundheitsamtes, in welchem auf die Gefahren des 
gewohnheitsmäßigen Alkoholgenusses hingewiesen wird, zur Verfügung ge¬ 
stellt wird zwecks Verteilung an die Eltern; das gleiche sollte geschehen 
durch die Schulvorsteher bei der Anmeldung der Kinder zur Schule. In 
manchen Impfbezirken ist man damit ja schon vorgegangen 2 ), doch sollte 
es allgemein Sitte werden. Ferner ist den Schulärzten, die doch meist 
beamtete Ärzte sind, zur Pflicht zu machen, daß sie gelegentlich der 
Untersuchungen der Kinder entweder ebenfalls ein sich auf die Alkohol¬ 
frage beziehendes Merkblatt an die Eltern verabfolgen, oder sogar einen 
belehrenden Vortrag über den gleichen Gegenstand halten. Ersprießliche 
Folgen würde es auch haben, wenn der Staat die Direktoren der Frauen¬ 
kliniken usw. anweisen wollte, jeder Mutter nach der Entbindung unter 
Erteilung der nötigen mündlichen Anweisungen ein Alkoholmerkblatt aus¬ 
zuhändigen. Einen beachtenswerten Vorschlag macht Hartmann 8 ). Er 

') Mäßigkeitsverlag, Berlin W 15. 

*) Mäßigkeitsblätter, Mai 1904. 

*) Die Aufgaben der Schule im Kampfe gegen den Alkoholismus; Der 
Alkoholismus, Leipzig 1906. 


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734 


Dr. med. W. Fischer, 


empfiehlt, am ersten Schultage die Eltern zur Eröffnungsfeier laden zu 
lassen, und ihnen in einem Vortrage unter anderem die durch den Al¬ 
koholismus bedingten Schäden und deren Verhütung vor Augen zu führen; 
nach freier Entschließung des Leiters der Schule sollen auch sonst noch 
Elternabende stattfinden, an denen die verschiedenen sich auf die Ver¬ 
breitung der Trunksucht beziehenden Fragen beleuchtet werden. Zweck¬ 
mäßiger ist es aber doch wohl, diese Abende — ebenso wie den oben er¬ 
wähnten Unterricht der Lehrer — nicht nur in den Dienst der Bekämpfung 
des Alkoholismus allein zu stellen, sondern auch andere Kapitel aus dem 
weiten Gebiete der Hygiene, welche für Eltern und Kinder der Beherzigung 
wert sind, zum Gegenstände der Belehrung zu machen. Es versteht sich 
von selbst, daß in allen Vorträgen keine bestimmte Stellung genommen 
werden darf zu den verschiedenen bestehenden Richtungen der den Alkoho¬ 
lismus bekämpfenden Vereine, aber eines muß dabei immer betont werden: 
die ganz außerordentliche Schädlichkeit des Alkohols für den kindlichen 
Organismus und die sich ergebende Forderung der völligen Abstinenz für 
die Jugend. 

Etwas weit geht meiner Ansicht nach Weygandt 1 ), wenn er jede 
Verabreichung von Alkohol an Kinder als fahrlässige Körperverletzung 
bestraft wissen will; hingegen wird man eine zwar etwas rigorose, aber 
unter Umständen durchaus gerechtfertigte Maßregel der Regierung in Königs¬ 
berg 2 ) empfehlen können: bei gewohnheitsmäßiger Verabreichung von 
Schnaps oder Bier durch die Eltern an ihre Kinder ist der behördliche Antrag 
auf Fürsorgeerziehung zu stellen, und über alle Fälle von Trunkenheit bei 
Schulkindern ist an die Regierung zu berichten. 

Neben der Fürsorge für die Belehrung in der Schule hat der Staat 
sein Augenmerk darauf zu richten, daß an den Schulen ein vernünftiger 
Sport getrieben wird, denn ein sachgemäß betriebener Sport ist eines der 
besten Mittel zur Hintanhaltung des Trunkes; Turnen, Schwimmen, Rudern, 
Schlittschuhlaufen sind eifrig zu pflegen. Obligatorische Spiel nachmittags 
sind in möglichst großer Zahl einzuführen; um diese recht vielseitig gestalten 
zu können, ist schon bei Aufstellung der Baupläne auf die Anlage von großen 
Spielplätzen Bedacht zu nehmen. Die Regierung sollte die Gemeinden an- 
halten, nicht nur bei den Schulen, sondern auch an vielen anderen Stellen 
der Stadt Jugendspielplätze zu errichten, statt die vorhandenen Plätze einer 
schnöden Bauspekulation auszuliefern. 

Überhaupt dürfte es für den Staat durchaus angebracht sein, von Zeit 
zu Zeit die Stadtverwaltungen darauf hinzuweisen, wie wesentlich es ist, 
der Bauspekulation gewisse Schranken zu setzen, denn diese ist es, welche 
auch das Haus des kleinen Mannes verteuert. Durch diese Verteuerung 
ist er genötigt, mit dem billigsten und meistens auch schlechtesten, was 
sich ihm bietet, vorlieb zu nehmen. Gerade in diesem Punkte haben es die 
Gemeindeverwaltungen in der Hand, in den Kampf gegen den Alkoholismus 
ganz wesentlich einzugreifen. Die kleine, ungemütliche, allen hygienischen 
Anforderungen hohnsprechende, dazu noch verhältnismäßig teuere Wohnung 


l ) Weygandt, Der Alkohol und das Kind; Der Alkoholismus 1006 . 
*) Ebendaselbst. 


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Überhandnehmen des Genusses alkoholischer Getränke usw. 


736 


ist es, welche den Arbeiter oft seinem Heim, wenn man es überhaupt so 
nennen will, und seiner Familie entfremdet und der Schenke zuführt; ein 
Arbeiter, welcher das Bewußtsein hat, daß er nach des Tages Mühe einen 
Platz hat, an dem seiner eine gewisse Behaglichkeit wartet, wird viel eher 
den Lockungen des Wirtshauslebens widerstehen. Es sollten daher die 
Gemeindeverwaltungen besonders unserer Großstädte auf Veranlassung des 
Staates untereinander wetteifern, die ihnen zur Verfügung stehenden Grund¬ 
stücke nicht zum Zwecke der Bauspekulation aus der Hand zu geben, sondern 
je nach der Lage der Grundstücke und nach dem Bedürfnis, erstens, wie 
oben erwähnt, Spielplätze daraus zu machen und zweitens billige und dabei 
allen hygienischen Ansprüchen gerecht werdende Arbeiterwohnhäuser darauf 
zu errichten. Unsere schon so oft bewährten staatlichen Landesversicherungs- 
anstalten, die doch ein großes Interesse an der Gesunderhaltung der Arbeiter¬ 
schaft haben, stehen auch in diesen Fällen mit reichlichen Geldmitteln zur 
Verfügung zwecks Entlastung der städtischen Etats. Wieviel Familien¬ 
elend kann dadurch verhütet werden. Einzelne Stadtverwaltungen sind in 
lobenswerter Weise auf diesem Gebiete vorangegangen, so Kiel und Leipzig 1 ); 
es betrifft dies zwar nicht speziell den Bau von Wohnungen, sondern den 
Ankauf von kleinen Gartengrundstücken, die an Minderbemittelte zu geringem 
Pachtzins abgegeben werden. Kiel z. B. hat 1896 2380 solcher Grundstücke 
angekauft; es ist nicht abzuleugnen, daß die Bearbeitung und Pflege eines 
solchen Gartengrundstücks manchen Arbeiter vom Wirtshausbesuch ab¬ 
halten wird. 

Da der Staat einmal das allergrößte Interesse daran hat, die Trunk¬ 
sucht einzuschränken, so muß es seine vornehmste Pflicht sein, überall dort, 
wo er als Arbeitgeber auftritt und infolgedessen berechtigt ist, Forderungen 
aufzustellen, mit gutem Beispiel voranzugehen; es wird dann nicht aus- 
bleiben, daß auch die privaten Arbeitgeber ihm nachzueifern sich bestreben 
werden. 

ln richtiger Erkenntnis dieser Tatsache ist man von seiten der deut¬ 
schen Eisenbahnverwaltungen gegen die Überhandnahme des Genusses 
geistiger Getränke vorgegangen. Die Eisenbahnbeamten haben die Ver¬ 
antwortung für das Leben von vielen Hunderttausenden von Reisenden, 
und dazu gehört neben einem gesunden Körper vor allen Dingen ein klarer 
Geist. Dieser wird aber bei einem Alkoholisten meistens vermißt, und des¬ 
halb ist ein solcher für den genannten Dienst völlig untauglich. Bisher 
handelt es sich bei den allgemeinen Maßnahmen der Eisenbahnverwaltungen 
um den Hinweis auf die Beschaffung guten Trinkwassers mit reinen Trink¬ 
gefäßen, um die Errichtung von Kantinen in den größeren Aufenthalts- und 
Übernachtungsräumen mit Verbot des Bier- und Schnapsausschankes und 
Gelegenheit, sich Speisen zu wärmen, Kaffee herzustellen usw., ferner um 
die Beschaffung der Quenselschen Schrift über den Alkohol und seine 
Gefahren. Man hat es aber noch nicht für nötig gehalten, den Alkohol¬ 
genuß während des Dienstes im ganzen Gebiete der deutschen Eisenbahn 
zu verbieten, wenn auch einzelne Direktionsbezirke schon damit vorgegangen 
sind; man sollte hier doch ganze Arbeit machen und auf ein allgemeines 

') Flade, Zur Alkoholfrage; Hygien. Rundschau 1898, Nr. 21. 


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736 


Dr. med. W. Fischer, 


Alkoholverbot während der Dienststunden von seiten aller Eisenbahn- 
verwaltnngen im Reiche hinarbeiten. Ich stimme hier Beck 1 ) vollkommen 
bei, der es für ganz verkehrt hält, für den Eisenbahner überhanpt völlige 
Abstinenz zu verlangen, wie es schon geschehen ist, denn dies bedeutet eine 
Ausnahmestellung der Eisenbahner vor allem Volke, welches von dem Be¬ 
wußtsein der Gefahren des Alkoholgenusses bis jetzt noch nicht durch¬ 
drungen ist; er empfiehlt neben dem Alkoholverbot während des Dienstes 
eine Belehrung des Personals unter Hinweis auf die Mäßigkeit, die eher 
dazu geeignet sei, die Menschen zur Charakterstärke zu erziehen als die 
Enthaltsamkeit. Daneben sind natürlich möglichst strenge Bestimmungen 
zur Ausführung des Alkoholverbotes während des Dienstes zu fordern. Auf 
Trunkenheit im Dienst muß Dienstentlassung stehen. Um überhaupt schon 
von vornherein notorische Alkoholisten auszuschalten, ist bei der Aufnahme¬ 
untersuchung seitens der Bahnärzte in erhöhterem Maße als bisher auf 
bereits vorhandene Spuren von Alkoholismus zu fahnden. Vertragsmäßig 
ist festzulegen, daß jeder, der sich infolge von Alkoholismus einen Unfall 
zuzieht oder akut oder chronisch dienstuntauglich wird, aller Ansprüche 
verlustig geht. Diese Btrengen Bestimmungen dürfen natürlich nicht von 
heute auf morgen eingeführt # werden, sondern bedürfen der Vorbereitung 
durch etwas mildere Übergangsbestimmungen. Sie werden aber wohl 
geeignet sein, allmählich einen Stamm von mäßig lebenden Eisenbahnbeamten 
zu schaffen, der bei der großen Anzahl der Eisenbahner zur Aufklärung der 
großen Massen außerordentlich wertvoll sein kann. Der vor einigen Jahren 
ins Leben gerufene Verein enthaltsamer Eisenbahner trägt obigen Er¬ 
wägungen Rechnung und verdient die Unterstützung der Eisenbahn¬ 
verwaltung. 

Es wäre nun ungerecht, wenn der Staat bei seinen Untergebenen 
Unterschiede machen wollte in bezug auf die Fernhaltung vom Alkoholgenuß. 
Für alle seine Beamten und Arbeiter müßte der Staat ein Alkoholverbot 
während der Dienststunden erlassen. Auch die oben bei den Eisenbahnern 
geforderten Bestimmungen, betreffend die infolge der Trunksucht erlittenen 
Unfälle oder eingetretene Invalidität, müssen auf alle Beamten und Arbeiter 
Anwendung finden. Dabei ist natürlich dafür Sorge zu tragen, daß in 
allen staatlichen Betrieben gutes Trinkwasser vorhanden ist und alkohol¬ 
freie Getränke, wie Milch, Kaffee, Tee usw. zu niedrigen Preisen zu haben 
sind. Jedenfalls ist Schnaps und sehr alkoholhaltiges Bier aus jedem Be¬ 
triebe zu verbannen. 

Von der oben geforderten Ausschaltung der Gewohnheitstrinker bei 
den Bewerbungen um die Aufnahme in den Eisenbahndienst kann so lange 
keine Rede sein, als nicht in der Armee strengere Maßregeln zur Beseitigung 
des Trunkes getroffen werden, denn das niedere Eisenbahnpersonal rekrutiert 
sich fast ausschließlich aus gedienten Soldaten. Es ist nun nicht zu leugnen, 
daß vielfach während der Dienstzeit der jungen Leute der Grund zum 
Alkoholismus gelegt wird. Den Vorschlag von Beck 2 ), über das Verhalten 
der sich Meldenden zum Alkohol die Militärbehörde um Auskunft zu bitten, 


*) Ärztl. Sachverst.-Ztg. 1903, Nr. 19. 
*) A. a. O. 


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Uberhandnehmen des Genusses alkoholischer Getränke usw. 787 

halte ich zwar für wohlgemeint, aber doch für nutzlos, denn die Militär¬ 
behörde wird in den meisten Fällen kaum in der Lage sein, eine genügende 
Antwort zu geben, schon weil es an Beobachtungen fehlt. Eines ist aber 
zu fordern, daß in der Armee der Unmäßigkeit sowohl bei Mannschaften, 
als auch bei Vorgesetzten gesteuert wird. Wer Belbst Soldat gewesen ist, 
weiß es aus Erfahrung, wie nach beendetem Dienst alles, Mannschaften und 
Unteroffiziere, in die Kantinen stürzt, um schnell einen oder mehrere Schnäpse 
und das für nötig gehaltene Quantum Bier hinunterzuspülen; bis zum 
Zapfenstreich dauert oft der Aufenthalt in der Kantine. Ein Heer ist um 
bo leistungsfähiger und zuverlässiger hinsichtlich seiner Disziplin und Gesund¬ 
heit, je nüchterner es erzogen wird; es ist zahlenmäßig nachgewiesen, daß die 
Nüchternen fast zehnmal weniger Bestrafte während des Dienstes aufweisen 
als die dem Trünke Huldigenden ’). Es sollte daher zum mindesten die 
Forderung aufgestellt werden, daß Schnaps und schnapsähnliche Getränke 
in den Kantinen überhaupt nicht verkauft werden, wie es z. B. beim 
16. Armeekorps unter Haeseler der Fall war, der allerdings durch eigenes 
Beispiel seine Maßregeln noch unterstützte. Man hat diesem Verbot des 
Schnapsgenusses entgegengehalten, daß der Soldat dann außerhalb der 
Kaserne sich Schnaps verschaffen werde. Daß dieser Einwand hinfällig ist, 
zeigt das Beispiel von Metz, wo von allen Wirten, bei denen Militärpersonen 
verkehrten, die Verpflichtung gefordert wurde, Schnaps an diese nicht zu 
verabfolgen; weigerten sie sich, so wurden sie mit dem Militärverbot belegt. 
Diese Maßregel ist zwar hart, aber der Lage der Dinge nach zu verstehen 
und auch für die ganze Armee und Marine zu befürworten. Für die Zeit 
der Manöver ist — neben der Sorge für einwandfreies Trinkwasser — die 
gleiche Verpflichtung von den Wirten der Ortsunterkünfte zu fordern. Ab¬ 
gesehen von diesen Maßnahmen ist auch dafür zu sorgen, daß in Wort und 
Schrift von Zeit zu Zeit Belehrungen der Mannschaften und Vorgesetzten 
über die Gefahren des übermäßigen Alkoholgenusses stattfinden. Den 
Sanitätsoffizieren, als den hygienisch geschulten Vorgesetzten, würde sich 
ein dankbares Feld der belehrenden Tätigkeit eröffnen. Was die Belehrung 
durch die Schrift betrifft, so hat der Deutsche Kaiser in neuester Zeit 
Bestimmungen erlassen, nach denen an alle Rekruten die vom Verein 
gegen den Mißbrauch geistiger Getränke herausgegebene Belehrungsschrift 
„Alkohol und Wehrkraft“ zur Verteilung gelangt. Es ist zu hoffen, daß 
das Studium dieser kleinen Schrift viel Nutzen stiften wird und daß dann 
auch ein großer Teil der wieder ins bürgerliche Leben zurückkehrenden 
jungen Leute mitarbeiten hilft, der Trunksucht einen Damm entgegen zu 
setzen. 

Ich möchte im Anschluß an die Besprechung des Alkoholismus im 
Heere nicht versäumen, darauf hinzuweisen, wie wichtig es für den Staat 
ist, den Alkohol von unseren in den Tropen gelegenen Kolonien fern zu 
halten. Wieviel ist in dieser Beziehung früher im allgemeinen und in 
jüngster Zeit im besonderen an unseren Kolonialtruppen gesündigt worden. 
Zahlreiche Beobachtungen bestätigen, daß der Grund, weshalb die Europäer 
den Tropen so leicht erliegen, in vielen Fällen eine Entkräftung ihres 


*) Fl ade, Zur Alkoholfrage; Hygien. Rundschau 1898, Nr. 21. 
Vierteljahrtschrlft fBr Qesandhaitapflege, 1908. a - 


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738 


Dr. med. W. Fischer, 


Körpers durch Alkohol mißbrauch ist, so Ripley 1 ), Külz a ), Fiebig 8 ). So¬ 
lange wir Alkohol in die Kolonien einführen, wird es uns niemals gelingen, 
dort festen Fuß zu fassen, wie es im Interesse der Kolonien wünschenswert 
wäre; denn was nützt es uns, wenn die Beamten, kaum daß sie sich ein¬ 
gearbeitet haben, wieder von ihren Posten abtreten müssen, weil der Alkohol¬ 
genuß, auch wenn er verhältnismäßig gering ist, sie unfähig macht, ihre 
Stelle noch weiter auszufüllen. Was von den Beamten gilt, trifft in gleicher 
Weise auf die Truppen zu, welche nur felddienstfähig erhalten werden 
können, wenn sie alkoholfrei leben. Und ebenso gilt dies auch für die Ein¬ 
geborenen. Wir wollen doch diese nicht dadurch, daß wir sie an Alkohol¬ 
genuß gewöhnen, dezimieren, sondern unsere Kultnraufgabe ist es, sie für 
die Zivilisation zu gewinnen und so uns nutzbar zu machen. Es handelt sich 
also um nichts weniger, als um die Erhaltung der Kolonien, wenn man die 
Forderung auf stellt, ein Einfuhrverbot für Alkohol in die Kolonien zu 
erlassen. 

Zum Schluß meiner Ausführungen bedarf es noch einer Erörterung 
der repressiven Maßnahmen gegen die Trunksucht, welche zum Teil infolge 
der durch sie zu erreichenden Abschreckung geeignet erscheinen, die prophy¬ 
laktischen Maßregeln zu unterstützen. 

Man stellt sich bei uns in Deutschland vielfach auf den Standpunkt, 
für eine in der Trunkenheit begangene strafbare Handlung diese Trunken¬ 
heit bei der Strafzumessung als mildernden Umstand gelten oder die Hand¬ 
lung sogar unbestraft zu lassen, weil bei dem unter Alkoholwirkung stehenden 
Täter die freie Willensbestimmung ausgeschlossen sei. Gegen diese Auf¬ 
fassung Wird von vielen Seiten gewiß mit Recht geltend gemacht, daß 
durch die Zubilligung mildernder Umstände der Täter sozusagen für seine 
Tat eine Prämie bekomme. Nun ist aber von wissenschaftlichem Stand¬ 
punkte aus jeder Rausch als eine vorübergehende Geistesstörung zu be¬ 
trachten und das alkoholische Delikt als eine Folge pathologischer Gehirn¬ 
arbeit [Juliusburger 4 ), Binswanger 5 )]. Als solches ist es aber nach 
§51 des Strafgesetzbuches nicht strafbar. Tatsächlich haben sich die 
meisten Richter diese Anschauungen nur insofern zu eigen gemacht, als sie 
den Rausch nur als Milderungsgrund gelten lassen, weshalb zwar eine 
geringere Strafe, aber nicht Straffreiheit ausgesprochen wird. Um aus 
diesem unerquicklichen Zustand herauszukommen, hat man schon seit langer 
Zeit die Forderung aufgestellt, die Trunksucht als solche zu bestrafen, 
denn irgend ein Mittel muß doch die Gesellschaft besitzen, um sich vor den 
Schäden, die ihr durch die Trunkenheit drohen, zu schützen. In Deutsch¬ 
land wurde bereits 1881 ein Gesetzentwurf betreffend die Bestrafung der 
Trunkenheit eingebracht, aber vom Reichstage zurückgewiesen. In anderen 
Staaten hat man schon seit längerer Zeit derartige Gesetze, welche teils die 
Trunkenheit an sich, teils nur, wenn sie öffentliches Ärgernis erregt, unter 
Strafe nimmt; das neueste Gesetz in dieser Art hat England. Die Erfolge 

') Fl ade, Zur Alkoholfrage; Hygien. Rundschau 1900, Nr. 18. 

*) Zur Hygiene des Trinkens in den Tropen, Flensburg 1905. 

*) Arch. f. Schiffs- und Tropenhygiene 5, 14. 

*) Hygien. Centralblatt 1, Nr. 9/10, 1906. 

Flade, Zur Alkoholfrage; Hygien. Rundschau 1897, Nr. 12. 


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überhandnehmen des Genasses alkoholischer Getränke usw. 


739 


werden als wenig verlockend geschildert; es liegt dies wohl znm größten 
Teil an der wenig strengen Handhabung durch die Behörde, welche ihren 
Grund darin hat, daß das Volksempfinden sich dagegen auflehnt, wenn 
jemand, der nichts Verbrecherisches begangen hat, bestraft wird „nur weil 
er sich betrunken hat“. Für derartige Gesetze ist das Volk eben noch 
nicht reif, man betrachtet die Trunkenheit noch nicht als eine Schande, es 
ist noch nicht genügend aufklärende Arbeit geleistet worden, und bis wir 
soweit sind, ist ein solches Gesetz vom Übel. Zweifellos muß aber anerkannt 
werden, daß diese Gesetze insofern etwas Gutes an sich haben, als sie die 
Trunkenheit als etwas Verwerfliches hinstellen, vor dem die Öffentlichkeit 
geschützt werden muß. Andererseits ist dabei aber im Auge zu behalten, 
daß wir durch Strafen den Trinker doch gewiß nicht zu einem besseren 
Menschen machen, denn bei der heutigen Anschauung des Volkes über 
Alkoholgenuß wirkt eine Strafe nur verbitternd, ohne an der Heilung der 
Trunksüchtigen mitzuarbeiten, und letzteres ist doch zunächst das erstrebens¬ 
werte Ziel. 

Aus diesem Grunde muß man sich auch gegen die frühzeitige Ent¬ 
mündigung der Trinker aussprechen, zu welcher ja der § 6 des B. G. B. die 
Handhabe bietet. Diese Entmündigung kann für die Familie des Trinkers 
insofern segensreich sein, als der drohende wirtschaftliche Verfall auf¬ 
gehalten werden kann, aber in den meisten Fällen wird der Antrag auf 
Entmündigung von den Angehörigen erst dann gestellt, wenn die Familie 
schon vor dem völligen Ruin steht und der Armenpflege zur Last zu fallen 
droht. Eine frühzeitige Entmündigung wird von der Familie meistens aus 
falsch angebrachter Scham nicht beliebt und wird auch für den Trinker 
selbst zwecklos sein, denn er bleibt ja in seinen Verhältnissen, sieht täglich 
das schlechte Beispiel und geht doch seinem Verfall entgegen. Zwar hat 
nach § 1631 des B. G. B. der Vormund des Trinkers das Recht und die 
Pflicht, über den Aufenthaltsort seines Mündels zu verfügen, mit anderen 
Worten, für die Unterbringung in einer Spezialanstalt für Trunksüchtige 
zu sorgen, aber es fehlt bis heute an einer genügenden Anzahl solcher An¬ 
stalten und dadurch wird obige Bestimmung illusorisch. Dies bildet wohl 
den Hauptgrund dafür, daß die Zahl der Anträge auf Entmündigung von 
Trinkern in krassem Gegensatz steht zu der tatsächlich vorhandenen Trunk¬ 
sucht. Denn wenn im Jahre 1901 im Deutschen Reiche 16 474 Personen 
wegen chronischen Alkoholismus und Säuferwahnsinns in Krankenhäusern 
aufgenommen wurden, so erstaunt man darüber, daß in dem gleichen Jahre 
nur 852 Entmündigungen wegen Trunksucht ausgesprochen wurden J ). 
Der §6 des B. G. B. zusammen mit dem § 1631 hat also nicht das gehalten, 
was man von ihm erwartet hatte, und zwar erstens, weil nicht genügend 
Anstalten zur Unterbringung der Trinker vorhanden sind und zweitens, 
weil die Angehörigen mit der Stellung des Antrages vorsichtig sind, da sie 
sich keinen Nutzen davon versprechen. Und hier ist der Punkt, bei dem 
ein Versuch zur Besserung der bestehenden Mängel einsetzen muß. Daß 
entmündigte Trinker nicht in ihren Familien bleiben dürfen, bedarf keiner 
weiteren Erörterung; auch ist es nicht zweifelhaft, daß das Recht zur Ent- 


*) Baer-Laquer, a. a. 0. 

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740 


Dr. med. W. Fischer, 


mündigung des Trinkers als etwas zum Schutz der Familie und des Trin¬ 
kers selbst durchaus Notwendiges bestehen bleiben muß. Nur fragt es sich, 
wann sollen wir die Entmündigung vornehmen und wo sollen wir den Ent¬ 
mündigten unterbringen? Wenn eine frühzeitige Entmündigung gleich¬ 
bedeutend wäre mit der Unterbringung in einer Anstalt, dann stände dieser 
Entmündigung ja nichts entgegen; wegen der geringen Anzahl der An¬ 
stalten ist dies aber nicht möglich. Durch frühzeitige Entmündigung würde 
man also nur erreichen, daß der Betreffende über sich und seine Angelegen¬ 
heiten nicht mehr selbst verfügen kann, aber auf Kosten seiner Familie lebt 
und nichts leistet, bis er entweder zugrunde geht oder in Geisteskrankheit 
verfällt Dies würde sich mit einem Schlage ändern , wenn man die Ent¬ 
mündigung möglichst lange hinauszuschieben versuchte und statt dessen 
eine frühzeitige Anstaltsbehandlung anstrebte, welche eine Heilung des 
Trunksüchtigen, nicht nur eine Unterbringung bezweckt, denn wie bei allen 
anderen Leiden, so ist auch bei der Trunksucht bei rechtzeitigem Einsetzen 
der Behandlung eine Heilung möglich. Das Trinken ist, sobald es zur 
Leidenschaft geworden ist, eine Geisteskrankheit und zwar ein wohlum¬ 
schriebenes Krankheitsbild; Trunksüchtige sind also Geisteskranke, welche 
eine Gefahr für die Öffentlichkeit bedeuten, und daher ist die Forderung 
berechtigt, ihnen selbst und auch den Angehörigen — hier spielen nur zu 
oft Gefühlsmomente eine große Rolle — die Verfügung über ihre Angelegen¬ 
heiten zu entziehen und zwar nicht, wie bei Geisteskranken im engeren 
Sinne des Wortes, dadurch, daß man sie entmündigt, sondern daß man sie 
statt dessen in frühen, meist heilbaren Stadien, einer Anstalt überweist, in 
weit vorgeschrittenen, unheilbaren Fällen sie aber außerdem noch entmündigt. 

Das Wesentliche aber hierbei ist, daß der Staat die Rolle der An¬ 
gehörigen übernimmt. Wenn wir die Trunksucht als Geisteskrankheit auf¬ 
fassen, so ist dies auch völlig berechtigt, denn bei den Geisteskranken hat 
ja der Staat auch das Recht, ohne Antrag der Angehörigen das Entmündi¬ 
gungsverfahren einzuleiten. Wenn der Staat also eine derartige gesetzliche 
Bestimmung schafft, daß er das Recht hat, Trinker in frühen Stadien ohne 
Entmündigung einer Anstalt zu überweisen, so hat er aber auch die unab¬ 
weisbare Pflicht, für geeignete Anstalten zu sorgen. Bisher war es Sitte, 
die Trinker zum größten Teil den Irrenanstalten zu überweisen. Gewiß 
gehört derjenige Teil der Trinker in diese Anstalten, bei welchem die Trink¬ 
leidenschaft auf einer schon vorher vorhandenen Geisteskrankheit fußt; 
ich erwähne hier besonders die sogenannten Quartalssäufer [Tuczek] 1 )- 
Das Gros der Trinker setzt sich aber aus Personen zusammen, die, ohne 
zu Geisteskrankheiten disponiert zu sein, durch fortgesetzten und unmäßigen 
Alkoholgenuß alle jene krankhaften Erscheinungen sich erwerben, wie sie 
für die TrinkleidenBchaft charakteristisch sind. Mit diesen im engsten Sinne 
-des Gesetzes nicht geisteskranken Personen darf man die Irrenanstalten 
nicht auch noch belasten, die bei der Fülle von Arbeit, die sie so wie so 
schon zu bewältigen haben, mit vollem Recht den Trinker, sobald eine akute 
Störung als beendet anzusehen ist, wieder zur Entlassung bringen, zumal 
sie auch gesetzlich zur Detention gar nicht berechtigt sind. 


*) Das pathologische Element in der Trunkenheit, Bremen 1888. 


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Überhandnehmen des Genusses alkoholischer Getränke usw. 


741 


Solche Trinker, bei denen noch Aussicht auf Heilung besteht, gehören 
in eine Trinkerheilanstalt, diejenigen, bei denen sich die Unheilbarkeit 
herausstellt, in eine Trinkerbewahranstalt; und zur Überweisung in solche 
Anstalten maß der Staat gesetzlich das Recht, ja die Pflicht haben. Das 
ist nun unter den jetzigen Verhältnissen ein Ding der Unmöglichkeit, denn 
trotzdem, wie oben erwähnt, sich im Bürgerlichen Gesetzbuche, also seit 
sieben Jahren, ein Hinweis findet auf die Unterbringung von entmündigten 
Trunksüchtigen in einer Anstalt, fehlt es bisher an jeder derartigen staat¬ 
lichen Spezialanstalt. Es mag ja sein, daß der Gesetzgeber die Irrenanstalten 
im Auge hatte, aber diese sind nach heutigen Anschauungen für die Unter¬ 
bringung von Trunksüchtigen ungeeignet, und deshalb erwächst für den 
Staat jetzt die Pflicht, tunlichst bald an die Errichtung von Trinkerheil¬ 
anstalten heranzugehen, denn die bestehendeu privaten Anstalten genügen 
nicht. Für rund 6500 in Preußen für die Heilstättenbehandlung in Betracht 
kommende Trinker standen 1901 nur 27 Anstalten mit 558 Betten zur Ver¬ 
fügung *)• Für unheilbare Trinker waren überhaupt keine Bewahranstalten 
vorhauden; diese mußten in Irrenanstalten und Krankenhäusern versorgt 
werden, für welche sie eine wahre Plage bilden. Die Mittel zum Bau der 
Anstalten müßten eventuell aus den Erträgnissen der Bier- und Branntwein¬ 
steuer zu decken sein. Auch hier würden die Versicherungsanstalten viel¬ 
leicht in der Lage sein, zu den Kosten beizutragen, da sie doch ein weit¬ 
gehendes Interesse an der Heilung der Trinker haben insofern, als durch 
die Unterbringung in Anstalten die Invalidität hinausgeschoben wird. Bei 
der Bereitstellung der Mittel zum Bau der Trinkerheilstätten sollte man 
auch immer bedenken, daß die Trunksucht bekämpfen auch die Tuberkulose 
bekämpfen heißt. Nun müssen nicht nur solche Personen, welche, nachdem 
sie mit dem Strafgesetz in Konflikt geraten sind, sich als chronische Alko- 
holisten dokumentieren, von dieser Maßregel betroffen werden, sondern auch 
solche, deren Alkoholismus der Behörde zur Kenntnis kommt, ohne daß sie 
eine strafbare Handlung begangen haben. Zwar kann ein chronischer Trinker 
nach § 361, Ziffer 5 des Strafgesetzbuches auch heute bestraft werden und 
durch Vermittelung der Landespolizeibehörde auf zwei Jahre in einem Arbeits- 
hause untergebracht werden, doch wird dadurch keine Heilung erreicht, 
zumal auch im Arbeitshause wegen der dort [meist sich auf haltenden un¬ 
lauteren Elemente ein Rückfall nicht verhütet wird. 

Da es sich im Laufe der Zeit infolge der gemachten Erfahrungen heraus¬ 
gestellt hat, daß nur dann eine Heilung oder Besserung zu erzielen ist, wenn 
die Trinker eine genügend lange Zeit in der Anstalt verbleiben, so würde 
ein Mindestaufenthalt von einem Jahre auch gesetzlich festzulegen sein; aber 
auch darüber hinaus muß der Leitung der Anstalt das Recht gegeben werden, 
wenn sie es zur Heilung für notwendig erachtet, den Trinker noch weiter 
festzuhalten. Hiervon werden natürlich die Erfolge der Trinkerheilstätten 
abhängen, denn solange es nicht gelingt, die Mehrzahl der Pfleglinge min¬ 
destens ein Jahr festzuhalten, werden die mitgeteilten Ergebnisse kein klares 
Bild davon geben, in wieviel Prozent der Fälle Heilung oder Besserung ein¬ 
getreten ist. Der schon heute vorhandene große Prozentsatz der Heilungen 


*) Zeitachr. d. Kgl. Preuß. Stat. Bureaus 1901, 8. 193 bis 208. 


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742 


Dr. med. W. Fächer, 


läßt, wenn die Leitungen der Anstalten die Berechtigung zur Detention er¬ 
halten, noch viel Besseres erwarten. Als Beispiel sei folgendes erwähnt: Von 
282 aus der Heilstätte „Waldfrieden“ entlassenen Trinkern haben sich bei 
einer Behandlungsdauer von nur 146 Tagen 32,6 Proz. nach der Entlassung 
abstinent gehalten *)• 

Über die Frage der staatlichen Trinkerheilanstalten scheinen die An¬ 
sichten noch geteilt zu sein. Während Waldschmidt 2 ) keine staatlichen 
Anstalten wünscht, weil die Behandlung ein viel zu individuelles, sich frei 
entfaltendes Vorgehen erfordere, betont Alt 8 ), daß nur öffentliche Anstalten 
in Betracht kommen könnten, da nur solche der Öffentlichkeit gegenüber die 
erforderlichen Garantien einer sachgemäßen Überwachung, Behandlung und 
Beurteilung der Trinker bieten. Ich bin der Ansicht, daß man Alt Recht 
geben muß, besonders wenn man die Forderung aufstellt, daß eine Trinker¬ 
heilstätte unbedingt unter ärztlicher Leitung stehen muß; dann ist nicht eiu- 
zusehen, weshalb nicht auch hier ein individuelles, sich frei entfaltendes 
Vorgehen in der Behandlung stattfinden kann, wie wir es doch auch in 
unseren staatlichen Irrenanstalten kennen. 

Während nun der Ernährer in einer Heilstätte der eventuellen Heilung 
entgegensieht, wird die Familie in den meisten Fällen der öffentlichen Armen¬ 
pflege zur Last fallen. Dies darf aber von dem Beschreiten des vorgeschla¬ 
genen Weges keineswegs zurückschrecken. Der Armenetat wird dadurch, 
daß man den Trinker ruhig seiner Wege gehen läßt, sicherlich noch mehr 
belastet, denn die Zeit, in welcher noch Heilung möglich ist, verstreicht un¬ 
genützt, während doch im anderen Falle mit der Wahrscheinlichkeit ge¬ 
rechnet werden kann, daß der Trinker über Jahr und Tag seiner Familie 
wiedergegeben wird und seiner Pflicht ihr gegenüber nachkommen kann. 
Der geheilte Pflegling kann dann auch zu einem Verfechter der guten Sache 
werden. 

Bei aller Vorsicht läßt es sich natürlich nicht vermeiden, daß in einer 
Trinkerheilstätte auch solche Trinker Aufnahme finden, deren Unheilbarkeit 
sich im Laufe der Behandlung herausstellt; für solche Pfleglinge sind Trinker¬ 
bewahranstalten zu errichten. 

Eine ebenso wichtige Frage im Zivilrecht, wie die Entmündigung des 
Trinkers oder Unterbringung in einer Heilstätte ist die der Ehescheidung. 
Unser Bürgerliches Gesetzbuch kennt bisher die Ehescheidung wegen Trunk¬ 
sucht noch nicht. Trotzdem sind schon Scheidungen oder Aufhebungen von 
Ehen wegen Trunksucht erfolgt, und zwar bot dazu die Handhabe entweder 
der § 1333 oder der § 1568. Strassmann 4 ) berichtet von einem Falle 
von Aufhebung der Ehe nach § 1333, nach welchem eine Ehe von einem 
Ehegatten angefochten werden kann, der sich bei der Eheschließung in der 
Person des anderen Ehegatten oder über solche persönlichen Eigenschaften 
des anderen Ehegatten geirrt hat, die ihn bei verständiger Würdigung des 
Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten haben würden. Das 


l ) Der Alkoholismus, Heft 3, 1905. 

*) Zeitschr. d. Kgl. Preuß. Stat. Bureaus 1901, S. 193 bis 208. 

') Fl ade, Zur Alkoholfrage; Hygien. Rundschau 1903, Nr. 23. 
*) Ärztl. Sachverst.-Ztg. 1905, Nr. 4. 


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Überhandnehmen des Genusses alkoholischer Getränke usw. 743 

Gericht sah in der krankhaften Anlage des Ehemannes, die ihn dazu be¬ 
stimmte, dem Alkoholismus zum Opfer zu fallen, eine solche persönliche 
Eigenschaft und fragte Strassmann, ob dieser degenerative Zustand schon 
vor der Ehe vorhanden gewesen sei; auf die Bejahung dieser Frage wurde 
die Ehe aufgehoben. Das Reichsgericht vertritt den Standpunkt, daß chro¬ 
nischer Alkoholmißbrauch schon an und für sich ein ehrloses oder unsitt¬ 
liches Verhalten im Sinne des § 1568 des Bürgerlichen Gesetzbuches dar¬ 
stellen kann. Da auf diesem Gebiete also eine gewisse Unsicherheit herrscht, 
und nach der heute allgemein herrschenden Anschauung doch dem einen 
Ehegatten, der infolge der Trunksucht des anderen Ehegatten das ganze 
Familienleben in Trümmer gehen sieht, ein ganz bestimmtes Recht zur Seite 
stehen muß, so bedarf es einer genauen gesetzlichen Festlegung dieser Frage. 
Daß der Staat daran ein Interesse hat, steht außer Zweifel. Man denke nur 
an die Entartung der Nachkommenschaft. Rechtzeitige Trennung der Trinker¬ 
ehen wird oft imstande sein, die Gefahren hintanzuhalten. Mit Recht schlägt 
Leppmann 1 ) daher die Schaffung eines neuen Paragraphen im Bürger¬ 
lichen Gesetzbuche vor: Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn 
durch Trunkf&lligkeit oder Trunksucht des anderen Ehegatten eine so tiefe 
Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses bewirkt wird, daß dem Ehegatten die 
Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann. 

Alle die die Trunksucht und die Trunksüchtigen betreffenden gesetz¬ 
lichen Bestimmungen sind in einem Gesetz zur Bekämpfung des Alkohol¬ 
mißbrauches zusammenzufassen, eine Forderung, die schon von vielen auf¬ 
gestellt worden ist. 1881 und 1892 waren diesbezügliche Gesetzentwürfe 
dem Reichstage zugegangen, fanden aber nicht die Zustimmung der Mehr¬ 
heit. Jetzt, nachdem inzwischen viel an Aufklärungsarbeit geleistet wurde, 
ist der Zeitpunkt vielleicht günstig, um den Volksvertretern wieder eine solche 
Vorlage zu machen. 

Es ist nun vom Staate nicht zu verlangen, daß er bei den vielseitigen 
Verpflichtungen, die er hat, den Kampf gegen den Alkoholismus ganz allein 
führt, sondern staatliche Hilfe und private Tätigkeit müssen sich wechsel¬ 
seitig unterstützen. Alle Mittel, welche von privater Seite vorgeschlagen 
werden, und geeignet erscheinen, dem staatlichen Kampfe gegen die Über- 
handnahme des Genusses alkoholischer Getränke wirksam zu Hilfe zu kommen, 
müssen dankbar begrüßt werden. Der Staat kann und darf sich aber nicht 
auf die Seite einer bestimmten Richtung im Kampfe gegen die Trunksucht 
(Mäßigkeits- und Abstinenten vereine) stellen und dann seine Ansicht der 
Bevölkerung aufzwingen, denn das wäre ein Eingriff in das Selbstbestimmungs¬ 
recht eines einzelnen Individuums. 

Von den privaten Mitteln, welche die staatliche Fürsorge zu unter¬ 
stützen geeignet sind, seien erwähnt die Aufklärung der breiten Massen des 
Volkes über die Gefahren des Alkoholismus in Wort und Schrift, die Schaf¬ 
fung von Volksspeisehallen, in denen gute, kräftige Speisen zu mäßigen 
Preisen nebst alkoholfreien Getränken zu haben sind. Zweckmäßig werden 
mit solchen Speisehäusern Lesehallen und gute Volksbibliotheken verbunden. 
Überhaupt ist auf die Vervollkommnung der Bildung der arbeitenden Klassen 


l ) Ärztl. 8aohvenit.-Ztg. 1905, Nr. 1 . 


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744 Dr. med. W. Fischer, Überhandnehmen des Genusses alkohol. Getränke usw. 

Wert zu legen und da muß bei den Kindern angefangen werden: Kinder¬ 
heime, Fortbildungsschulen, Jugendbibliotheken sind zu grflnden. Damit 
auch der Körper zu seinem Rechte kommt, können auch von privater Seite 
Jugendspielplätze, Schwimmbäder, Turnhallen errichtet werden. Die Ge¬ 
meindeverwaltungen können durch Gründung von Baugenossenschaften in 
der Schaffung gesunder Wohnungen für die niederen Bevölkerungsklassen 
wirksam unterstützt werden. Besonders wichtig ist die Gründung von Haus¬ 
haltungsschulen; es ist eine große Seltenheit, daß die Frauen unserer Arbeiter 
ihren Männern mit geringen Mitteln ein schmackhaftes und nahrhaftes Essen 
zu bereiten verstehen, einfach aus dem Grunde, weil sie es niemals gelernt 
haben. Der Mann greift natürlich, um das sich einstellende Hungergefühl 
zu betäuben, zur Flasche, wodurch dann immer ein Teil seines Tagesver¬ 
dienstes draufgeht. Da sollte schon während des Schulbesuches den jungen 
Mädchen in sogenannten Haushaltungsschulen unentgeltlicher Unterricht im 
Kochen und allen anderen Zweigen der Hauswirtschaft gegeben werden. Die 
Lehren, welche den Kindern hier gegeben werden, können ihnen in ihrem 
Berufe als Hausfrauen gute Dienste leisten. 

Der Staat kann nichts Besseres tun, als alle privaten Bestrebungen, um 
die Trunksucht zu bekämpfen, zu unterstützen, eventuell auch finanziell, denn 
sie kommen, wenn sie ihren Zweck erfüllen, in letzter Linie doch wieder dem 
Staate zugute. 

Daß es dem Staate Ernst ist mit der Bekämpfung der Trunksucht, sieht 
man aus einer Reihe von Verfügungen (z. B. Verbot des Branntweinverkaufs 
an Personen unter 16 Jahren), die im Verfolg des Antrages Douglas im 
Preußischen Landtage (1. Mai 1902), der die Abwehr der Trunksucht zum 
Gegenstände hat, erlassen worden sind. 

Endlich wäre noch zu erwägen, ob es nicht angebracht wäre, mit an¬ 
deren Staaten in Verbindung zu treten, und über Mittel und Wege zu be¬ 
raten, wie die Alkoholgefahr gemeinsam zu bekämpfen ist. Aus dem 
Meinungsaustausch hierüber könnten sich vielleicht viele ersprießliche An¬ 
regungen ergeben (siehe internationales Alkoholamt, S. 7). 

Aus meinen Ausführungen geht hervor, daß die in Deutschland geltenden 
Bestimmungen zur Bekämpfung der Trunksucht unzureichend und der Er¬ 
gänzung bedürftig sind. Es ist ein Reichsgesetz zu erlassen, in welches alle 
Bestimmungen aufzunehmen sind, welche geeignet sind, die Trunksucht ein¬ 
zuschränken, mögen sie nun liegen auf dem Gebiete der Gewerbeordnung, 
Verwaltung, Sanitätspolizei, des Straf- oder Zivilrechts. Wenn auch von 
vielen Seiten vor einer Gesetzgebung zur Bekämpfung des Mißbrauchs 
geistiger Getränke gewarnt wird, so glaube ich doch, daß man sie nicht 
entbehren kann und daß sie wohl imstande ist, gemeinsam mit einer plan¬ 
mäßigen Aufklärung des Volkes über die Gefahren der Trunksucht Gutes 
zu stiften. 


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Die Y. Versammlung der Tuberkuloseärzte. 


745 


Die Y. Versammlung der Tuberkuloseärzte 

wurde am 15. und 16. Juni in diesem Jahre zum ersten Male außerhalb 
Berlins und zwar in München abgehalten. Bisher fand diese Versammlung 
stets in unmittelbarem Anschluß an die Generalversammlung „des deutschen 
Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose“, die in jedem Frühjahr 
in Berlin Zusammentritt, statt. Es war ein glücklicher Gedanke, die Ärzte¬ 
versammlung selbständig und unabhängig von der Generalversammlung 
des Zentralkomitees in die süddeutsche Hauptstadt zu verlegen, um so auch 
den süddeutschen Ärzten einmal die Teilnahme möglichst bequem zu machen 
und ihnen Gelegenheit zu geben, die zahlreichen auf die Bekämpfung der 
Tuberkulose gerichteten Einrichtungen in Süddeutschland, besonders in und 
um München, zu zeigen. Herr Hofrat May, der auch sonst in Bayern mit 
an der Spitze der Tuberkulosebekämpfung steht, hat sich um die Verwirk¬ 
lichung dieses in Ärztekreisen längst gehegten Wunsches ein großes Ver¬ 
dienst erworben; der überaus gelungene Verlauf der wissenschaftlichen Ver¬ 
sammlungen, die er selbst leitete, wie auch der geselligen Veranstaltungen 
werden ihn überzeugt haben, daß er sich durch seine Bemühungen den 
Dank der zahlreichen Teilnehmer verdient hat. 

Der Zweck dieser „Tuberkuloseärzteversammluugen“ besteht vorwiegend 
darin, über Fragen sowohl wissenschaftlicher wie praktischer Natur eine 
ungezwungene Aussprache zwischen den Vertretern der Wissenschaft, den 
in der Praxis stehenden Ärzten und den Verwaltungsbeamten — besonders 
den Vorständen der Versicherungsanstalten — herbeizuführen. Während 
nun auf den Generalversammlungen der Zentralkomitees naturgemäß die 
Interessen der Verwaltungsbeamten und nicht ärztlicher Mitglieder überwiegen, 
sollen auf diesen Versammlungen in erster Linie ärztliche Anschauungen 
und Wünsche zu Wort kommen. 

Diesem Zweck entsprach gleich der erste Vortrag, den Herr Professor 
Friedrich v. Müller-München „Zur Diagnose der Tuberkulose“ hielt, 
in mustergültiger Weise. Konnte und wollte der Vortrag auch nichts wirk¬ 
lich Neues auf diesem Gebiete bringen, so faßte er doch in übersichtlicher 
und klarer Weise unsere jetzigen Kenntnisse und Erfahrungen zusammen und 
führte sie auf ihre wissenschaftlichen Grundlagen zurück. Der Vortragende 
besprach alle anamnestischen, physikalischen und „spezifischen“ Symptome und 
erwog nüchtern und aus reicher Erfahrung heraus den tatsächlichen Wert 
jedes einzelnen. Gerade den täglich mit der Behandlung und Diagnose der 
Tuberkulose beschäftigten Arzt berührte es wohltuend, daß von so hervor¬ 
ragender Stelle einmal wieder die Bedeutung der alten klinisch-physi¬ 
kalischen U ntersuchungen — Perkussion, Auskultation, Thermometrie — 
hervorgehoben und der Wert der jetzt allgemein im Vordergründe des Interesses 
stehenden spezifischen Reaktionen auf das rechte Maß zurückgeführt wurde. 
Wohl wird in Zukunft die Diagnose der Tuberkulose an sich mehr und 
mehr durch spezifische Reaktionen gestellt werden können und müssen. Für 
die in der Praxis so ungeheuer und fast allein wichtige Frage, ob eine 


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746 


Die V. Versammlung der Tuberkuloseärzte. 


aktive oder inaktive Tuberkulose im Einzelfalle vorliegt, ist man auch 
heute noch nach wie vor auf die alten Methoden angewiesen, die daher nicht 
vernachlässigt werden dürfen. 

Im Anschluß an diesen Vortrag zeigte Herr Professor Rieder-München 
in Lichtbildern eine große Anzahl wohlgelungener Röntgenaufnahmen von 
Lungentuberkulose. 

Man sah auf ihnen mit großer Deutlichkeit auch kleine offenbar tief¬ 
sitzende tuberkulöse Herde, besonders außerhalb der Lungenspitzen, und die 
Schatten der vergrößerten Bronchialdrüsen. Ob freilich die jetzt übliche 
Deutung dieser feinsten Veränderungen auf der Röntgenplatte auch in Zukunft 
weiteren pathologisch-anatomischen Forschungen standhalten wird, steht 
wohl noch nicht ganz feBt, wie besonders Herr Ranke-München nachher in der 
Diskussion zutreffend hervorhob. Vor allem aber betonte auch Rieder selbst, 
daß zur Erkennung solcher Herde aber doch meist nicht die Durchleuchtung 
genügt, sondern die Anfertigung einer Platte erforderlich ist, was sich für 
die Praxis in weiterem Umfange schon allein der Kosten wegen verbietet. 

An diese Vorträge schloß sich eine ausgedehnte und recht angeregte 
Diskussion, die sich aber — leider möchte man sagen — wieder vorwiegend 
um die spezifischen Reaktionen drehte, so daß die physikalischen Methoden, 
wenn auch nicht vergessen wurden, so doch zu kurz kamen. 

Am folgenden Tage sprach zunäohst Chefarzt Roepke-Melsungen über 
die Frage: 

Welche Fälle von Larynxtuberkulose können in den Volksheil¬ 
stätten mit Erfolg behandelt werden? 

Er teilt die Larynxtuberkulose, ähnlich wie die Lungentuberkulose, in 
drei Stadien ein: 

I. Oberflächliches Geschwür, umschriebenes Infiltrat und isolierter tuber¬ 
kulöser Tumor, d. h. leichte Erkrankung begrenzter Gebiete des Kehl¬ 
kopfes. 

II. Tiefergehendes Geschwür, ausgedehnteres Infiltrat, die Kombination 
von Ulcus, Granulom und Infiltrat in mäßigem Umfange, d. h. mittel schwere, 
höchstens auf eine Kehlkopfhälfte ausgedehnte Erkrankung. 

III. Alle darüber hinausgehenden Erkrankungsformen. 

Roepke ist der Ansicht, daß im allgemeinen die Vereinigung einer 
Lungentuberkulose I mit einer Larynxtuberkulose I sowie II, ebenso eine 
Lungentuberkulose II mit einer Larynxtuberkulose I sich noch gut für die 
Behandlung in einer Volksheilstätte eignen, während die Verbindungen von 
II und II schon auf der Grenze der Behandlungsfähigkeit stehen. Alle 
übrigen Formen der Kehlkopftuberkulose können in den Volksheilstätten in 
der Regel nicht mehr mit Erfolg behandelt werden. In der Besprechung 
betonte Schröder-Schömberg, daß man auch schwerere Formen der Larynx¬ 
tuberkulose mit gutem Erfolg behandeln könne, wenn man längere Zeit 
(vier bis sechs Monate) zur Verfügung habe. 

Rumpf-Ebersteinburg hob hervor, daß in der Praxis die leichten, ja 
auch die mittelschweren Formen der Larynxtuberkulose meist gar nicht zur 
Beobachtung kämen, weil sie wenig Symptome machten. So erkläre sich 
die trübe Prognose, die man im allgemeinen bei der Larynxtuberkulose zu 


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Die V. Versammlung der Tuberkuloseärzte. 


747 


stellen gewohnt sei, weil man eben nur die schweren und schwersten 
Formen za sehen bekomme. 

Eine sehr ausgedehnte Diskussion rief der nächste Vortrag von Prof. 
Kayserling-Berlin hervor: 

Die Entwickelung der Auskünfte- und Fiirsorgestellen für Lungen¬ 
kranke und deren weitere Ausgestaltung in Deutschland. 

Daß eine möglichst weite Verbreitung der Fürsorgestellen, die ja er¬ 
freulicherweise auch zum Teil schon erreicht ist, weiterhin anzustreben ist 
und daß sie mehr und mehr zu Zentralstellen ausgebaut werden müssen, 
denen möglichst jeder Lungenkranke des betreffenden Bezirks zu weiterer 
Veranlassung zugeführt wird, darüber herrschte unter allen Rednern Einig¬ 
keit. Die Meinungen gingen im wesentlichen nur darüber auseinander, ob 
es dazu nötig sei, die Fürsorgestellen selbst zu Behörden auszubauen 
(Kayserling, Samter-Charlottenburg) oder ob sie vorwiegend, unter An¬ 
lehnung an Behörden, der Vereinstätigkeit Vorbehalten bleiben sollten. 
(F rankenburger-Nürnberg.) 

Im ersteren Falle könnten sie ihren Wünschen und Forderungen zweifel¬ 
los größeren Nachdruck geben; im letzteren Falle hätten sie eine größere 
Bewegungsfreiheit. Aach hat das Publikum im allgemeinen ja eine gewisse 
Scheu vor allen „Behörden“. Zurzeit freilich ist die Entscheidung dieser 
Frage noch nebensächlich, wie Herr Liebrecht-Hannover zutreffend aus¬ 
führte; es kommt jetzt für die Entwickelung der Fürsorgestellen nicht auf 
die Festlegung einer bestimmten Form, sondern auf die Gewinnung von 
organisatorisch veranlagten Persönlichkeiten an, die in jedem Bezirk die ge¬ 
eignetste Form zu finden wissen. 

Er warnte übrigens vor der Gründung von „Arbeitsheilstätten“, die in 
der Diskussion mehrfach erwähnt wurden. In Stübeckshorn hat die Landes¬ 
versicherung Hannover schlechte Erfahrungen damit gemacht, und zwar vor¬ 
wiegend durch Unlust und Mißverständnis der Kranken selbst. 

Herr Stabsarzt Kuhn-Berlin sprach über Physikalische Behandlung 
der Lungentuberkulose durch Hyperämie, Lymphstrombeförderung 
usw. mittels Lungensaugmaske. 

Er bespricht, unter Vorführung von Tierversuchen, die theoretischen 
Grundlagen seiner Lungensaugmaske, mit der er auch gute klinische Er¬ 
fahrungen gemacht hat besonders bei der Beseitigung einzelner Symptome 
(Husten, Karzluftigkeit, Blutungen). In der Diskussion wurde über Er¬ 
fahrungen aus verschiedenen Anstalten berichtet. Im allgemeinen wurden 
die theoretischen Grundlagen (besonders die Blutveränderungen) bestätigt, 
während man einen deutlichen Einfluß auf die Lungenerkrankung selbst 
bisher nicht hat feststellen können. 

Herr Wiohmann-Hamburg: Die Behandlung des Lupus. 

In klarer Weise bespricht er die Bedeutung und den praktischen Wert 
der jetzt üblichen Behandlungsmethoden. Bei Frühfällen rät er zu energischem 
chirurgischen Eingreifen. 

Im übrigen fordert er systematische Bekämpfung auch des Lupus durch 
Lupusheilstätten und -heime. 


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748 


Die V. Versammlung der Tuberkuloseärzte. 


Herr Chefarzt Busohmann-Friedrichsheim: 

Inwieweit ist eine Trennung der offenen Tuberkulose von der ge¬ 
schlossenen in den Lungenheilstätten erforderlich und durchführbar? 

Die beiden Formen der Tuberkulose lassen sich ohne Tierversuch, und 
auch dann nicht dauernd, gar nicht maßgebend voneinander trennen. Die 
Ansteckungsgefahr der Lungenkranken untereinander ist außerordentlich 
gering. Eine Trennung der beiden Formen muß die Bazillen furcht unnötig 
vermehren und unangebrachten Pessimismus einer-, gefährlichen Optimismus 
andererseits großziehen. 

Die Trennung dieser beiden Formen der Tuberkulose in den Heilstätten 
ist daher als undurchführbar, unnötig und bedenklich abzulehnen. Alle 
Redner stimmten dieser Ansicht — zum Teil sehr nachdrücklich — zu; nur 
Herr Kreisarzt Krieger-Barmen war anderer Ansicht, ohne jedoch über¬ 
zeugen zu können. Der Vortrag war aus einer Umfrage der rheinischen 
Versicherungsanstalt bei den Heilstätten hervorgegangen. Das Ergebnis dieser 
Rundfrage war ebenso eine entschiedene Ablehnung der Trennung wie diese 
Diskussion. Ritt er-Edmundsthal. 


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M. Piator, Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


749 


Geschichte der preussischen Medizinalverwaltung. 

Von M. Piator. 

- Fortsetzung von 8. 500. 

Zweiter Teil. 

Die Medizinalverwaltung auf den einzelnen 
Gebieten des öffentlichen Gesundheitswesens bis zum Schluß 

des Jahres 1907. 

Mit dem gewaltigen Aufschwung der Naturwissenschaften, mit der 
steigenden Einsicht von dem hervorragenden Werte der Volksgesundheit für 
die Staatswirtschaft und den National Wohlstand, mit dem allmählich beginnen¬ 
den segensreichen Rflokgang des Mystizismus und des Köhlerglaubens ist die 
wichtigste Aufgabe der Medizinaiverwaltung die öffentliche Gesundheitspflege 
und an erster Stelle die Erhaltung der Volksgesundheit durch Verhütung und 
Bekämpfung der ansteckenden Volkskrankheiten geworden. Das Stichwort 
lautet heute: Krankheiten verhüten istwertvoller als Krankheiten 
behandeln. 

Dieser Erkenntnis hat die preußische Medizinalverwaltung seit Jahr¬ 
zehnten immer mehr Rechnung getragen und ihre Aufmerksamkeit in erster 
Linie der Bekämpfung der gemeingefährlichen und übertragbaren Volks¬ 
krankheiten zugewandt. Aus diesem Grunde sind jene Aufgaben an die Spitze 
des zweiten Teiles dieser Gesohiohte gestellt. Es folgen die vorbeugen¬ 
den Maßnahmen zur Hebung und Erhaltung der Volksgesundheit durch 
Verbesserung der Gesundheitsbedingungen und durch Beseitigung von 
Gesundheitsschädlichkeiten und endlich die Einrichtungen zur Heilung Er¬ 
krankter, zum Schutze Gebrechlicher. 

Den Sohluß bildet, wie im Leben der Tod, so in der Geschichte der 
Medizinalverwaltung die Beiseiteschaffung der Leichen. 

Ansteckende (gemeingefährliche und sonst 
übertragbare) Eirankheiten. 

Allgemeines. 

Zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten, außer Cholera und Pest, 
welche eine sorgfältige Berücksichtigung von jeher erfahren hatten, wie die 
Einzelbesprechung ergeben wird, bestanden bis 1835 keine gesetzlichen Vor¬ 
schriften. 

Nach Auflösung der Immediatkommission zur Bekämpfung der Cholera 
durch die Kabinettsorder vom 19. Januar 1832, erhielt der Vorsitzende 
derselben, von Thiele, den Auftrag, die Ausarbeitung eines allgemeinen 
Regulativs über das bei ansteckenden Krankheiten zu beobachtende Verfahren 
unter Zuziehung je eines Rates aus dem Ministerium des Innern und dem 
Ministerium der Medizinalangelegenheiten durch eine sachverständige Kom¬ 
mission unter der Mitwirkung der bisherigen Mitglieder der aufgelösten 


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750 


M. Pistor, 


Immediatkommission vorzunehmen und baldigst yorzulegen. Ansichtever- 
schiedenheiten in den beteiligten Ministerien des Innern und der Medizinal¬ 
angelegenheiten über die Kompetenz (S. 513) verzögerten die Arbeiten der 
Kommission, welche ja an sich tiefes Studium der Einzelheiten und längere 
Zeit erfordern mußten. 

Mit dem folgenden Schreiben überreichte von Thiele dem Könige den 
Gesetzentwurf unter der Bezeichnung „Sanitätspolizeiliche Vorschriften 
(Regulativ) bei ansteckenden Krankheiten 1 *, welches am 8. August 1835 die 
Genehmigung des Königs erhielt und in der preußischen Gesetzsammlung 
1835, S. 240, veröffentlicht wurde. 

Auszug. 

Die Kommission ist davon ausgegangen, daß sie alle nur einigermaßen erheb¬ 
lichen ansteckenden Krankheiten, also auch diejenigen, welche von Tieren auf 
Menschen übergehen können, zu beachten habe; das Regulativ umfaßt daher alle 
die Krankheiten, welche die Inhaltsübersicht vor dem Eingänge desselben nach¬ 
weist. Es ist nur die Pest und das gelbe Fieber dabei für jetzt ausgeschlossen 
worden aus den weiter unten erwähnten Gründen. 

Die Arbeit der Kommission zerfällt in drei Teile: 

1. Das sanitätspolizeiliche Reglement, und als Beilagen dazu: 

2. Eine Instruktion über das Desinfektionsverfahren. 

3. Eine populäre Belehrung über die Natur und Behandlung der ansteckenden 
Krankheiten. 

Dieser letztere Teil ist hauptsächlich bestimmt, den Sanitätskommissionen 
gegeben zu werden, um nach Anleitung desselben (wie der § 6 des Reglements es 
besagt) das Publikum bei dem Ausbruch einer ansteckenden Epidemie oder in 
Fällen des Bedürfnisses mit der zweckmäßigsten Belehrung über das Verhalten, 
über augenblicklich anzuwendende Hilfen usw. sofort zu versehen. 

Diese wichtige Beilage des Regulativs füllt eine so allgemein empfundene 
Lücke in den bisherigen Anweisungen über das Verfahren bei ansteckenden 
Krankheiten aus, daß die Kommission sich verpflichtet gehalten hat, sie so aus¬ 
führlich, wie ihr Zweck es notwendig macht, wenngleich mit aller zulässigen 
Gedrängtheit zu bearbeiten. 

Die Pest und das gelbe Fieber sind, wie schon gesagt, in dem Regulativ 
nicht mitberücksichtigt worden; die Kommission war dazu durch folgende Gründe 
veranlaßt: die bisherigen Maßregeln zur Verhütung der Pest in den Ländern, 
welche zu solchen Maßregeln durch ihre Lage vorzüglich genötigt sind, wie Ru߬ 
land, Österreich usw., bestehen, sobald die Pest sich im Nachbarlande zeigt, in 
einer absoluten Absperrung der Landgrenzen durch Militärkordons, verbunden mit 
der strengsten Anwendung von Kontumazen und Quarantänen von der Land- und 
Seeseite, beim Ausbruch der Krankheit im Innern des Landes aber in der mili¬ 
tärischen Umschließung und gänzlichen Isolierung der von der Pest ergriffenen 
Orte usw. 

Wenn die von Euerer Königlichen Majestät ernannte Kommission jetzt ein 
Pestreglement hätte entwerfen sollen, wie sie in der Tat den Versuch dazu durch 
die erforderlichen Vorarbeiten gemacht hat, so würde sie, wie sie sich bald über¬ 
zeugte, bei unserem Mangel an eigenen Erfahrungen über diese Krankheit, nur 
nach dem Vorbilde des seit 100 Jahren üblichen Verfahrens in den obengenannten 
Staaten haben arbeiten können. Es ist aber einesteils durch die Erfahrung der 
Jahre 1831 und 1832 zu klar geworden, wie wenig eine Sanitätsgesetzgebung 
dieser Art mit dem Lebensprinzip und allen Verhältnissen eines so bevölkerten 
und verkehrreichen Landes, wie das unserige, verträglich ist, wie wenig unsere 
ausgedehnte Landgrenze sich zu einer gleichsam hermetischen Verschließung 
eignet, und wie unzulänglich die Mittel dazu sein würden; — anderenteils wird 
Belbst dort, wo bisher die strengsten Maßregeln gegen die Pest bestehen, wie in 
Österreich und Frankreich, die Unzweckmäßigkeit ihrer Beibehaltung in der bis- 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


751 


herigen Weise gefühlt, und es sollen deshalb in Wien und in Marseille schon seit 
mehreren Jahren Kommissionen mit den Vorarbeiten zu neuen Pestreglements 
beauftragt sein. 

Das gelbe Fieber ist von der Kommission in ihrer Arbeit nicht berücksichtigt 
worden, weil nach dem Urteil der Ärzte dasselbe in dem nördlichen Klima, wenn 
es auch einmal bis zu uns gelangen könnte, die Verbreitung, die es in den heißen 
Südländern hat, nicht gewinnen, und somit aufhören würde, eine so gefährliche 
ansteckende Krankheit zu sein. 

Ich muß in diesem alleruntertäuigsten Bericht noch erwähnen, daß die 
Kommission, bei dem Regulativ über die Pocken, die Schutzblatternimpfung als 
eine allgemeine Verpflichtung feststellen zu müssen geglaubt hat, nachdem 
Euere Königliche Majestät die Zwangsimpfung sowohl bei der Armee zu befehlen, 
als auch festzusetzen geruht haben, daß eine Aufnahme von Kindern in Pensious- 
anstalten, welche mit öffentlichen Unterrichtsinstituten verbunden sind, nicht eher 
8tattftnden dürfe, als bis der aufzunehmende Zögling seine Vaccination oderRevac- 
cination, als innerhalb der letzten zwei Jahre wirksam an ihm vollzogen, nach¬ 
gewiesen hat. 

Berlin, den 17. Juni 1835. gez. von Thiele, Generalleutnant. 

Bereits im Jahre 1836 erforderten die Minister von den Regierungen 
Bericht über die Ausführbarkeit and die Zweckmäßigkeit des Gesetzes. Aus 
den Berichten ergibt sich nur, daß die Cholera im Jahre 1837 38 von ein¬ 
zelnen Regierungen nicht als ansteckende, sondern lediglich als epidemische 
Krankheit angesehen wurde. Die Ärzte scheinen sich mit dem Regulativ 
von 1835 nicht vertraut gemacht zu haben, denn vom September 1845 
an erhielt jeder neu approbierte Arzt das Regulativ zugleich mit der Appro¬ 
bation gegen Bezahlung von 15 Silbergroschen = 1,50 oft zugesandt. 

Am 6. März 1854 wurden die Vortragenden Räte Dr. Dr. med. Barez, 
Casper und Horn mit der Revision des Gesetzes beauftragt. Für den 
vorgelegten Entwurf forderte der Erlaß vom 1. Oktober 1855 von den 
Genannten eine Erläuterung in einer Denkschrift, welche begründen sollte, 
wieviele und welche Bestimmungen des Gesetzes von 1835 fortzulassen und 
wieviele und welche neuen Vorschriften aufzunehmen seien. 

Am 11. März 1856 legte Casper einen neuen Entwurf, an welchem 
Horn und an Stelle des verstorbenen Barez der Vortragende Rat Dr. med. 
Housselle mitgearbeitet hatten, nebst einer Denkschrift vor. Erst am 
11. April 1857 wurden die Regierungen über die Zweckmäßigkeit und Aus¬ 
führbarkeit zur Äußerung aufgefordert, erstatteten aber die erforderten 
Berichte trotz zweimaliger Aufforderung des Ministers so saumselig, daß bis 
zum Jahre 1861 die Sache ins Stocken geriet, obwohl der Minister des 
Innern und der Kriegsminister den Minister der geistlichen Unterrichts¬ 
und Medizinalangelegenheiten wiederholt um Beschleunigung der Sache 
ersucht hatten. 

Endlich am 18. August 1861 legte der Geh. Obermedizinalrat Dr. 
Housselle unter Benutzung der inzwischen endlich eingegangenen Re¬ 
gierungsberichte einen neuen Entwurf mit Begründung vor. Nachdem am 
30. Juni 1873 die Regierungen der neu erworbenen Landesteile in Schleswig, 
Kassel und Wiesbaden über den Entwurf des neuen Gesetzes gehört waren, 
regte der Medizinalminister die reichsgesetzliche Regelung der Angelegen¬ 
heit an. 

Am 21. Oktober 1875 übersandte der Reichskanzler dem preußischen 
Minister der Medizinalangelegenheiten den Entwurf eines Gesetzes über die 


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762 


M. Pistor, 


Anzeigepflicht bei dem Auftreten gemeingefährlicher Krankheiten, demzufolge 
die Ärzte und Familienhäupter und bei der letzteren Behinderung oder 
Fehlen derjenige, in dessen Wohnung oder Behausung der Fall sich ereignet, 
spätestens 12 Stunden nach Erlangung der Kenntnis von dem Auftreten 
einer ansteckenden Krankheit zur Anzeige verpflichtet sein sollten. Für 
andere, mit gemeiner Gefahr verbundene Krankheiten sollte der Bundesrat 
den Ärzten die gleiche Pflicht auferlegen können. 

Der Medizinalminister regte bei dem Reichskanzler 1876 die Revision 
des preußischen Regulativs vom 8. August 1835 wiederum an. Nach An¬ 
hörung der Bundesregierungen vertagte man diesen Antrag bis zu dem Ab¬ 
schluß der gesetzlichen Anzeigepflicht für gemeingefährliche Erkrankungen, 
sowie bis zur Einführung der obligatorischen Leichenschau (Termin ad 
calendas graecas!) und dem Schlußbericht der Reichscholerakommission, 
welcher im Jahre 1877 erfolgen sollte. 

Im Februar 1878 forderte man auf verschiedenen Seiten des Reichs¬ 
tages die Vorlegung eines Reichsgesetzes über die Anzeigepflicht bei an¬ 
steckenden Krankheiten. Dazu kam, daß das Regulativ vom 8. August 1835 
keine Handhabe bot, die Anzeige von Erkrankungen der immer mehr um 
sich greifenden Diphtherie und des mörderischen Kindbettfiebers zu fordern, 
dessen Übertragung Semmelweiss schon seit 1847 trotz aller Gegner und 
trotz allen Widerspruchs nachgewiesen hatte. 

So ruhte denn die Revision des preußischen Gesetzes vom 8. August 
1835 sowie aller ähnlichen Vorschriften bei den Bundesregierungen ohne 
weitere Störung, bis Dr. Eduard Graf im preußischen Abgeordnetenhause 
am 9. Mai 1891 den Erlaß eines Seuchengesetzes für Menschenkrankheiten 
mit Nachdruck wieder betonte. 

Darauf ersuchte der Medizinalminister am 14. September 1891 den 
Reichskanzler erneut um gesetzliche Regelung der Sache. Der Reichskanzler 
überließ Preußen die Initiative und schlug zu dem Zweck kommissarische 
Beratungen unter Zuziehung von Vertretern des Reichsamtes des Innern vor. 

Schon im Oktober 1891 hatte die erweiterte wissenschaftliche Deputation 
über die Anzeigepflicht und im Oktober 1892 über die Desinfektion bei an¬ 
steckenden Krankheiten verhandelt und Beschlüsse gefaßt, worauf der Reichs¬ 
kanzler 1892 aufmerksam gemacht wurde. Übrigens wies der Medizinalminister 
in einem Schreiben vom 10. September 1892 daraufhin, daß seit Jahrzehnten 
in seinem Ministerium Vorarbeiten zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr 
und Unterdrückung der ansteckenden Krankheiten unter den Menschen sowohl 
der Volksseuchen, welche zeitweise vom Auslande über die Reichsgrenzen 
hereinbrechen und das Land verheerend durchziehen, wie Cholera, Fleck¬ 
fieber, Pocken, PeBt usw., als auch derjenigen ansteckenden Krankheiten, 
welche dauernd bald vereinzelt, bald mehr oder weniger verbreitet in einzelnen 
Bezirken auftreten und im Reichsgebiet niemals verlöschen, stattgefunden. 
Nach wiederholten Beratungen über Abänderung des preußischen Regulativs 
über Vorschriften gegen die Verbreitung ansteckender Krankheiten sei schon 
von seiten des Medizinalministers am 7. November 1868 bei dem Kanzler 
des Norddeutschen Bundes der Erlaß eines Bundesseuchengesetzes augeregt, 
vom Kanzler aber am 18. November 1868 abgelehnt worden. Ein erneuter 
Antrag des Medizinalministers vom 6. November 1876 habe ein gleiches 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


753 


Schicksal erfahren, weil ein Teil der Bundesregierungen das Bedürfnis eines 
solchen Gesetzes vollständig verneint, ein anderer Teil ein solches nur für 
einzelne besonders gefährliche Krankheiten anerkannt habe; es müsse daher 
dem preußischen Medizinalminister überlassen bleiben, die Frage nochmals 
in Erwägung zu nehmen. 

So hat die Sache geruht, während inzwischen die erweiterte wissen¬ 
schaftliche Deputation fflr das Medizinalwesen bereits die erwähnten Be¬ 
ratungen gepflogen und die folgenden Beschlüsse über Desinfektion und 
Anzeigepflicht gefaßt hatte. 

(Auszug.) Anzeigepflicht. 

1. „Die hauptsächlichsten Schwierigkeiten, welche dem Meldewesen anhaften, 
bestehen in folgendem: 

1. Es wird überhaupt nicht jeder ansteckende Kranke ärztlich untersucht bzw. 
nicht jeder Fall wird erkannt. 

2. Die weitaus meisten Fälle kommen erst dann zur Kenntnis, wenn die 
Infektionsfähigkeit derselben bereits kürzere oder längere Zeit bestanden, 
die Verschleppung des Krankheitsgiftes bereits begonnen hat. 

3. In vielen Fällen meinen die Verpflichteten sieh selbst oder die An¬ 
gehörigen der Kranken durch die Anzeige zu benachteiligen. Hierdurch 
wird ihr Urteil über die Art der Krankheit beeinflußt. 

2. Viele Schwierigkeiten werden in dem Maße leichter überwunden werden 
können, in welchem es gelingt, die angezeigten Fälle rasch zur Grundlage 
nutzbringenden Handels zu machen. 

A) Unbedingt anmeldepflichtig ist jeder Fall der Erkrankung: 

1 . an asiatischer Cholera, Gelbfieber, Beulenpest, Fleckfleber, Pocken (Blattern), 
Kindbettfleber; 

2. an Darmtyphus (gastrischem Fieber, sog. Nervenfieber, Schleimfleber), 
Rückfallfieber, häutiger Bräune (Diphtherie und Krupp), Genickstarre, 
Ruhr (Dysenterie), Scharlach, 

ferner: Milzbrand, Rotz, Hundswut und Trichinose. 

B) Die Landespolizeibehörde kann vorübergehend auch für andere als die vor¬ 
stehend unter A bezeichneten Krankheiten, insbesondere für alle Fälle von 
choleraverdächtigen Erkrankungen, Masern, Keuchhusten, kontagiöser Augen¬ 
entzündung, für einen bestimmten Zeitraum die Anmeldepflicht anordnen. 
In Kurorten, in welchen Kurlisten veröffentlicht werden, sind die im vor¬ 
stehenden Absatz namentlich aufgeführten Krankheiten unbedingt anmelde¬ 
pflichtig. 

C) Der infolge der unter A) Nr. 1 aufgeführten Krankheiten eingetretene 
Sterbefall ist ebenfalls anmeldepflichtig, desgleichen jeder Todesfall weib¬ 
licher Personen, welche in den ersten sechs Wochen nach einer Entbindung 
versterben. 

Die Anzeige (A, B, C des vorhergehenden Beschlusses) liegt ob: dem Arzte 
(Wundarzte), dem Familienoberhaupt, demjenigen, in dessen Wohnung oder 
Behausung sich der Kranke befindet, dem Anstaltsvorsteher, jeder Person, 
welche mit der Pflege oder Behandlung des Kranken beschäftigt ist. 

Zur Anzeige verpflichtet ist jede der vorbezeichneten Personen; durch die 
Erfüllung seitens einer derselben erlischt die Pflicht für die übrigen 
Personen. 

Die Anzeige, welche nicht durch einen Arzt erfolgt, wird erst dann zur 
vollwichtigen Meldung, wenn die Art der Krankheit durch einen praktischen 
Arzt sicher gestellt ist. 

Die Anzeige des Krankheitsfalles hat ohne Verzug zu geschehen. Die 
Form sei eine möglichst einfache. Die Verwendung vorgedruckter Formulare 
ist wünschenswert. 

In die Erkrankungsanzeige sind aufzunehmen: Namen, Stand, Alter, 
Wohnung des Kranken, Beginn der Erkrankung, Namen der Erkrankung, 
Vierteljahr8*ch rift für Geiundheitspflege, 1908. 


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M. Pistor, 


wenn nötig beweisende Kennzeichen, schon getroffene oder noch zu treffende 
Maßregeln, bei Wöchnerinnen außerdem der Tag der Entbindung und der 
Name der Person, welche Hilfe geleistet hat. Auch ist anzugeben, ob sich 
in der Haushaltung des Erkrankten Lehrer oder ßchüler, und ev. welchen 
Schulen angehörig, befinden. 

In die Anzeige bei Sterbefällen sind aufzunehmen: Namen, Alter, Stand, 
Wohnung, Sterbeort, Art der Erkrankung, getroffene oder wünschenswerte 
Schutzmaßregeln, Gebrauch vorgedruckter Karten auch hier erwünscht. 

Die Kosten des Meldewesens werden aus öffentlichen (fiskalischen) Mitteln 
bestritten, insbesondere sollen die Meldungen, welche sich als Folge der 
Anzeigepflicht darstellen, Portofreiheit genießen. 

Nur durch die Übernahme der Kosten auf öffentliche Mittel wird die wirk¬ 
same Durchführung des Meldewesens gesichert. 

I. »Die Desinfektion hat sich zu erstrecken: 

1. auf die Personen des Kranken und der Pfleger. 

Der Pfleger muß sich, bevor er wieder mit Gesunden in Berührung kommt, 
die Hände und das Barthaar mit 2 Proz. gereinigter Karbolsäurelösung 
sorgfältig reinigen, 

2. Auf die Ausscheidungen des Kranken mit Ausnahme des Urins. 

Bei den Stuhlabgängen ist 20 Proz. gereinigte Kalkmilch, bei den übrigen 
Ausscheidungen 2 Proz. Soda- bzw. 5 Proz. gereinigte Karbolsäurelösung als 
Desinfektionsmittel anzuwenden. 

3. Auf die Gebrauchsgegenstände im Krankenzimmer. 

Bei Bückfallfleber, Genickstarre und Rotlauf bedarf es einer Desinfektion 
dieser Gebrauchsgegenstände nicht. 

4. Auf die Krankenräume. 

Einer Desinfektion der Wände bedarf es nur bei Darmtyphus, Flecktyphus, 
Rückfallfleber, epidemischer Ruhr, asiatischer Cholera, Genickstarre, Diph¬ 
therie, Pest und Gelbfieber. Die Reinigung der mit Ölanstrich versehenen 
Wände, Türen und Fenster erfolgt mittels Anwendung von 2 Proz. gereinigter 
Karbolsäurelösung. 

II. „Die Desinfektion nach Maßgabe des Beschlusses unter I. hat, sofern nicht 
für besondere Fälle vorstehend Abweichungen festgesetzt sind, bei nach¬ 
stehenden Krankheiten stattzufinden: 

»Diphtherie, Scharlach, Pocken, Flecktyphus, Darmtyphus, Rückfallfleber, 
asiatische Cholera, epidemische Ruhr, bösartige Masern, Genickstarre, 
Rotlauf, Pest, Gelbfieber, Milzbrand und Rotz, 
und zwar nach Ablauf der Krankheit (Genesung, Tod, Wohnungswechsel). 
Die während der Krankheit einer Berührung mit den Aus wurfsstoffen aus¬ 
gesetzten Kleidungsstücke, Geräte, Bett-, Leib- und Tischwäsche sind gesondert 
aufzuheben und jedesmal zu desinfizieren, 
in. Die Tuberkulose erfordert: 

1. zeitweise Desinfektion der Kleidung, des Bettzeuges und der Wohnung auf 
Antrag des behandelnden Arztes; 

2. vollständige Desinfektion der Wohnräume nach Ablauf der Krankheit 
sowie beim Wechsel der Wohnung. 

IV. Die kontagiöse Augenentzündung erfordert: 

1. Überwachung der Schulen und aller Einrichtungen, welche einer größeren 
Zahl von Menschen dauernd zu gemeinsamem Aufenthalte dienen; 

2. ärztliche Behandlung; 

8. besonderes Waschgerät und Tücher des Kranken und Reinhaltung derselben. 

V. Das Kindbettfieber erfordert die persönliche Desinfektion der Hebammen, 
Wochenpflegerinnen und Arzte, ferner die Desinfektion der Kleidung und 
Gebrauchsgegenstände dieser Personen, sowie der Leib- und Bettwäsche nebst 
Unterlagen der Kranken. 

VI. Desinfektionsmittel sind: 

1. Reinhaltung des Kranken und seiner gesamten lebenden wie toten Um¬ 
gebung. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


755 


2. Reichliche Zuführung frischer Luft. 

3. Vernichtung oder Unschädlichmachung der Ansteckungskeime an dem 
Kranken und seiner Umgebung durch Anwendung nachstehender Mittel, 
soweit nicht für einzelne Fälle in dem Beschlüsse unter I. besondere Be¬ 
stimmungen getroffen sind: 

a) Verbrennen wertloser Gegenstände (Verbandstoffe, Bettstroh usw.); 

b) halbstündiges Kochen aller waschbaren Gegenstände; 

c) Anwendung strömenden Wasserdampfs von mindestens 100 # C. für dazu 
geeignete Gebrauchsgegenstände während 30 Minuten; 

d) mechanische Beinigung aller übrigen derartigen Sachen, für Lederzeug 
mit 5 Proz. gereinigter Karbolsäurelösung. 

e) Abreiben tapezierter oder mit guter Leimfarbe getünchter Wände 
mittels frischen groben Brotes, Tünchung von mit Wasserfarbe ge¬ 
tünchten Wänden mit 20prozentiger gereinigter Kalkmilch; 

f) von fünfprozentiger gereinigter Karbolsäurelösung, hergestellt durch 
sorgfältige Mischung (anhaltendes Umrühren) von einem Teile Handels¬ 
karbolsäure von mindestens 80 Proz. reiner Karbolsäure (Acidum car- 
bolicum purum) mit entsprechenden Teilen Wasser; 

g) von zweiprozentiger gereinigter heißer Sodalösung; dieselbe gewinnt man 
durch Auflösung von zwei Gewichtsteilen gereinigter (kalzinierter) Soda 
in 100 Teilen, vorher gekochtem Wasser; 

h) von zwanzigprozentiger gereinigter Kalkmilch, welche man erhält, wenn 
100 Gewichtsteile zerkleinerten guten gebrannten Kalkstein (Ätzkalk) in 
einer Schüssel mit 400 Teilen Wasser allmählioh übergießt. 

Jeder Kreis muß im Besitze eines Dampfdesinfektionsapparates von mindestens 
2 cbm Rauminhalt sein. Auch ist den Gefahren des Lumpenhandels sowie 
bei nahenden Epidemien der Einschleppung über die Landesgrenze zu be¬ 
gegnen. 

Das Sublimat wurde von der Versammlung als ein geeignetes Desinfektions¬ 
mittel nicht befunden. 

Über die Anwendbarkeit des Lysol enthielt sich die Versammlung mit 
Rücksicht darauf, daß die zur Feststellung der Desinfektionskraft desselben 
anderweit eingeleiteten Verhandlungen noch nioht abgeschlossen sind, der 
Beschlußfassung. 

vn. 

1. Für die Ausführung der Desinfektion sind die Haushaltungsvorstände, 
Abvermieter, Vorstände und Leiter von Gasthöfen, Pensionaten, An¬ 
stalten usw. haftbar zu machen. 

2. Die praktische Ausführung ist staatlich geprüften Desinfektoren, 

3. die Überwachung der Ausführung lediglich beamteten Ärzten zu über¬ 
tragen. 

4. Der behandelnde Arzt muß die Desinfektion bei den Krankheiten, für 
welche dieselbe vorgeschrieben ist, von dem Verpflichteten schriftlich gegen 
Empfangsbescheinigung (Checkbuch) fordern“. 

VHI. Zur Frage der Desinfektion sprach sich die Versammlung nach längerer 
Debatte dahin aus, daß es im Interesse der Sicherung des praktischen Erfolges 
des Desinfektionszwanges sich empfehle, die Desinfektion auf Öffentliche 
Kosten, und zwar zu Lasten der Kommunalverbände, unter Aus¬ 
schließung der Wiedereinziehung derselben ausführen zu lassen. 

Die Übersendung eines im Ministerium ausgearbeiteten Gesetzentwurfes 
unterblieb, weil gleichzeitig im Reichsgesundheitsamte Beratungen statt¬ 
gefunden hatten. In diesem Entwürfe war bereits eine Scheidung derjenigen 
Krankheiten, welche gemeingefährlich sind, d. h. den ganzen Staat bedrohen, 
wie Cholera, Fleckfieber, Pest, Pocken usw., und deshalb viel einschneidendere 
Maßregeln erfordern, von einer zweiten Gruppe vorgesehen, welche, wie 
Sch&rlaoh, Masern, Röteln, Geschlechtskrankheiten, Keuchhusten u. dergl. m., 

48 * 


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756 


M. Pistor, 


weniger gefährlich für die Bevölkerung sind und im allgemeinen nicht 
so scharfe Maßregeln erfordern, als die erstgenannten. Die Tuberkulose 
(Schwindsucht) hatte mit Rücksicht auf das tiefe Eingreifen in die Familien¬ 
verhältnisse und die Unmöglichkeit der Durchführung von Maßregeln gegen 
die Verbreitung der Tuberkulose keine Aufnahme in dem Entwürfe ge¬ 
funden. Das Vorhandensein von Lepra (Aussatz) im Deutschen Reich war 
noch nicht bekannt. 

Am 7. Februar 1893 trat man, mobilgemacht durch den Ausbruch der 
Cholera 1892 in Hamburg, die schon einmal in den dreißiger Jahren des 
vorigen Jahrhunderts die öffentliche Gesundheitspflege offensichtlich be¬ 
fördert hatte, der Sache wieder näher. Der Reichskanzler teilte mit, daß der 
Gesetzentwurf fertig gestellt sei; derselbe gelangte im April 1893 zur Be¬ 
ratung im Reichstage, fand aber keine Erledigung. Die wiederholte Vorlage 
in der Tagung 1893/94 zweite Session gelangte überhaupt nicht zur Be¬ 
ratung. 

Am 19. Juli 1894 fragten die preußischen Minister des Innern und der 
Medizinalangelegenheiten bei dem Reichskanzler an, ob der bis dahin un¬ 
erledigte Gesetzentwurf wieder vorgelegt werden würde, und erhielten eine 
bejahende Antwort. Der Entwurf aber gelangte erst im Jahre 1896 nur 
zur Beratung in der Kommission und ruhte dann bis zum November 1899. 
Am 3. und 4. November 1899 fanden neue kommissarische Beratungen statt. 
Der veränderte 1894er Gesetzentwurf gelangte in der Sitzung des Reichs¬ 
tages am 12. Juni 1900 zur Annahme und wurde am 30. Juni 1900 vom 
Kaiser vollzogen (R. G. Bl. S. 306 ff.) 

Durch das Reichsgesetz über die „Maßregeln gegen die Verbreitung ge¬ 
meingefährlicher Krankheiten“ sind die Einzelstaaten ermächtigt, die gesetz¬ 
lichen Vorschriften zur Verhütung der sonst übertragbaren Krankheiten zu 
erlassen. Die Vorarbeiten zu einem preußischen AusfQhrungsgesetz begannen 
gleich nach Annahme des Seuchengesetzes im Reichstage und erstreckten 
sich auf Maßregeln gegen die Verbreitung von Typhus, Diphtherie, Scharlach, 
Masern, Wurmkrankheit, Geschlechtskrankheiten, Tuberkulose, Trichinose, 
Genickstarre usw. Auf Einzelheiten über die Vorberatungen kann in diesem 
Grundriß einer Geschichte der Medizinalverwaltung nicht eingegangen werden, 
da sie sich über fast 5 Jahre hinzogen und für den vorliegenden Zweck zu 
umfangreich sind. Die Haupt Schwierigkeiten boten die Vorschriften zur 
Bekämpfung der Tuberkulose und die Regelung der leidigen Kostenfrage 
zwischen Staat und Gemeinwesen, welche ja der Gesundheitspflege bo oft 
Hindernisse bereitet hat und bereitet. 

Im Jahre 1901 sprach sich die wissenschaftliche Deputation für das 
Medizinalwesen für die Absonderung Schwindsüchtiger von den Gesunden 
aus, wo die häuslichen Verhältnisse dies erforderten. Einzelne Minister 
sahen in dieser Maßregel eine Beschränkung der persönlichen Freiheit. Der 
am 21. März 1903 vom Staatsministerium genehmigte Entwurf des preußischen 
Ausführuug8gesetzes gelangte am 16. Februar desselben Jahres zur ersten 
Lesung im preußischen Hause der Abgeordneten, erhielt aber in dieser 
Tagung leider nicht die Zustimmung des Landtages, obwohl die Regierung 
nachdrücklich darauf hinwies, daß die Gesundheitsbeamten gegen die Ver¬ 
breitung der Diphtherie und des Kindbettfiebers machtlos seien, nachdem 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 757 

das Kammergericht die zor Einschränkung dieser Krankheiten in den 
Provinzen erlassenen Polizeiverordnnngen für ungesetzlich erklärt hatte. 

Die Kommission des Abgeordnetenhauses hatte die Anzeigepflicht bei 
Geschlechtskrankheiten beseitigt, dafür Bißverletzungen durch tollwutkranke 
Tiere hinzugefügt, den Zutritt des beamteten Arztes zu den Kranken 
zu regeln ersucht, außerdem mancherlei Formelles und auf die Kosten¬ 
frage Bezügliches beanstandet und redaktionelle Änderungen vorgeschlagen. 
Diesen Wünschen der Kommission entsprechend wurde der Entwurf ge¬ 
ändert und kam nach mehreren Kommissionsberatungen am 15. Juni 1904 
zur zweiten Beratung in das Abgeordnetenhaus, wurde aber nochmals 
an die Kommission zurückverwiesen, gelangte erst am 18. Januar 1905 
in das Plenum zurück und dort am 1. Februar zur dritten Lesung und 
am 8. April 1905 zur Annahme. Nachdem auch das Herrenbaus am 31. Mai 
seine Zustimmung erteilt hatte, wurde das Gesetz am 28. August 1905 aller¬ 
höchst mit dem Schlußsatz vollzogen, daß es für die epidemische Genickstarre 
sofort in Kraft treten solle, im übrigen erst nach besonderer königlicher Ver¬ 
ordnung, welche am 10. Oktober 1905 das Inkrafttreten für den 20. Oktober 
festsetzte. 

Als Ausführungsgesetz zu dem Reichsgesetz vom 30. Juni 1900 über 
die Vorschriften zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten lehnt sich 
dasselbe an das Reichsgesetz an. Beide Gesetze können daher inhaltlich hier 
zusammen mit ihren Ausführungsbestimmungen nur kurz besprochen werden. 
Übrigens sind die Gesetze und Ausführungsbestimmungen im Bd. 38 D. V. 
f. ö. G., S. 394, abgedruckt. 

Das Reichsgesetz über die Bekämpfung der gemeingefährlichen Krank¬ 
heiten legt die Anzeigepflicht auf: 1. dem zugezogenen Arzte, 2. dem Haus- 
haltungsvorstande, 3. jeder sonst mit der Behandlung oder Pflege des Er¬ 
krankten beschäftigten Person, 4. demjenigen, in dessen Wohnung oder 
Behausung die Erkrankung oder der Todesfall sich ereignet hat, 5. dem 
Leichenschauer. Zum Schlüsse wird angegeben, wie weit die bezeicbneten 
Personen zur Anzeige verpflichtet sind. Im folgenden Paragraphen werden 
diejenigen Personen bezeichnet, welche für Erkrankungen und Todesfälle in 
den näher bezeichneten, öffentlichen Anstalten oder auf Schiffen oder Flößen 
Vorkommen, verpflichtet sind, auch in welcher Art die Anzeige zu erstatten ist. 
§ 5 bestimmt, daß weitergehende Vorschriften landesrechtlicher Art durch 
das Gesetz nicht aufgehoben werden und daß durch Beschluß des Bundesrats 
das Gesetz auch auf weitere Krankheiten ausgedehnt werden kann. 

Das preußische Gesetz vom 28. August 1905 ordnet die Anzeigepflicht 
für die dort genannten Krankheiten in gleicher Weise. 

Die Ermittelung der Krankheit findet in den folgenden Paragraphen Er¬ 
ledigung. Dem beamteten Arzt ist der Zutritt zu dem Kranken oder zur 
Leiche gestattet. Die Untersuchung und sogar die Öffnung der Leiche ist 
bei Cholera — Gelbfieber — und Pestverdacht auf polizeiliche Anordnung 
nach dem Ermessen deB beamteten Arztes zulässig. Der behandelnde Arzt 
kann diesen Untersuchungen beiwohnen. Die folgenden Paragraphen han¬ 
deln über die nach Feststellung der Krankheit erforderlichen Mitteilungen 
und gestatten dem beamteten Arzte unter Umständen eigenmächtiges Ein¬ 
greifen, falls Gefahr im Verzüge ist. Darauf werden die zur Bekämpfung 


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758 


M. Pistor, 


der Krankheiten erforderlichen Schutzmaßregeln erörtert, von denen hier 

erwähnt sei, daß Kranke und krankheits-oder ansteckungsverdächtige — 

Personen einer Beobachtung unterworfen werden können, bei welcher eine 
Beschränkung in der Wahl des Aufenthaltes oder der Arbeitsstätte nur bei 
Personen zulässig ist, welche obdachlos oder ohne festen Wohnsitz sind, oder 
berufs- oder gewohnheitsmäßig umherziehen. Für Personen, welche aus 
verseuchten Landstrichen oder Ortschaften zureisen, darf nach ihrer Ankunft 
eine Meldung bei der Ortspolizeibehörde angeordnet werden. 

§ 14 behandelt die Absonderung kranker, krankheits-oder ansteckungs¬ 
verdächtiger Personen. Die Absonderung soll so erfolgen, daß der Kranke 
mit anderen, als den zu seiner Pflege bestimmten Personen, dem Arzte und 
dem Seelsorger nicht in Berührung kommt. Falls diese Verhältnisse nicht 
herbeizuführen sind, kann unter Umständen die Überführung des Kranken 
in ein geeignetes Krankenhaus oder in einen anderen geeigneten Unter¬ 
kunftsraum gefordert werden. 

Im folgenden werden die Befugnisse der Landesbehörden behandelt für 
Ortschaften und Bezirke, welche von einer der genannten Seuchen befallen 
oder bedroht sind, die zulässigen Verkehrsbeschränkungen anzuordnen. Für 
jugendliche Personen wird der zeitweilige Ausschluß vom Schulbesuch für 
zulässig erklärt. 

Es folgen Vorschriften über die Regelung der Wasser- und Reinlichkeits¬ 
verhältnisse, die Räumung von Wohnungen, über Desinfektionsmaßregeln, 
über Vertilgung von Ratten, Mäusen und anderem Ungeziefer (zum Schutze 
gegen Pest), die Vorschriften über die Behandlung von Leichen. Die Aub- 
führungsbestimmungen für diese Vorschriften sind vom Bundesrat zu erlassen. 

Die Vorschriften für den Schiffsverkehr werden in dem § 24 bis 26 
erteilt. § 27 ermächtigt den Bundesrat, die bei der Ausführung wissen¬ 
schaftlicher Arbeiten mit Krankheitserregern zu beobachteten Vorsichts¬ 
maßregeln vorzuschreiben. 

Es folgen die Vorschriften über Entschädigungsansprüche für ver¬ 
nichtete Gegenstände, endlich allgemeine Vorschriften über die Assanierung 
der Ortschaften, ferner eine Erklärung darüber, wer beamteter Arzt im Sinne 
dieses Gesetzes ist, wie weit die Vorschriften für Heer und Marine und 
deren Einrichtungen, für den Eisen-, Post- und Telegraphenverkehr, sowie 
für den Schiffahrtsverkehr Geltung haben. 

Dem Reichskanzler liegt es nach § 41 ob, die Ausführung dieses Ge¬ 
setzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften zu über¬ 
wachen. Falls mehrere Bundesstaaten von einer Seuche befallen werden, 
kann er oder ein von ihm bestellter Kommissar für einheitliche Anordnungen 
der Landesbehörden sorgen, in dringenden Fällen die Landesbehörden auch 
mit Anordnungen versehen. 

Nach § 43 wird in Verbindung mit dem Kaiserlichen Gesundheitsamt 
ein Reichsgesundheitsrat gebildet. 

Das Gesetz endet mit Strafvorschriften und Schlußbestimmungen. 

Durch Beschluß des Bundesrats vom 28. Januar 1904 sind die Aub- 
führungsanWeisungen für die Bekämpfung von Cholera, Fleckfieber, Lepra, 
Pocken, abgedruckt in Sonderbeilagen der Veröffentlichungen des Kaiser¬ 
lichen Gesundheitsamtes, Jahrg. 1904, und am 6. Juni 1907 die Des- 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 759 

iniektionsanweiaungen des Bundearata vom 21. März 1907 erlassen. (M. BL, 
M. A., S. 228.) 

Das preußische Aüsführungsgesetz enthält, wie schon bemerkt, analoge 
Vorschriften für die dort bezeichneten Krankheiten, bestimmt nur noch daß, 
wenn der Erkrankte die Wohnung oder den Aufenthaltsort wechselt, dies 
innerhalb 24 Stunden nach erlangter Kenntnis an der vorgeschriebenen 
Stelle zu melden ist, ferner, daß jeder Todesfall an Lungen- und Kehl¬ 
kopftuberkulose anzuzeigen ist, wie dies bei den in § 1 bezeichneten 
Krankheiten vorgeschrieben ist. Die Ermittelung der näher bezeichneten 
übertragbaren Krankheiten findet nach den früher besprochenen Vorschriften 
des Reichsgesetzes mut. mut. statt; doch ist dem beamteten Arzt der Zutritt 
zu dem Kranken untersagt, wenn der behandelnde Arzt erklärt, daß von 
dem Zutritt des beamteten Arztes eine Gefährdung der Gesundheit oder des 
Lebens deB Kranken zu befürchten ist. Bei Kindbettfieber oder Verdacht 
auf dasselbe, darf der beamtete Arzt nur mit Zustimmung des Haushaltungs¬ 
vorstandes die Kranke besuchen. Bei Typhus- oder Rotzverdacht kann eine 
Leichenöffnung nach Antrag des beamteten Arztes polizeilich angeordnet 
werden. 

Die Ermächtigung des Bundesrats, für gemeingefährliche Krankheiten 
weitergehende Vorschriften zu erlassen, wird für dieses Gesetz auf das 
preußische Staatsministerium übertragen. 

Im dritten Abschnitt werden die Schutzmaßregeln, im vierten das Ver¬ 
fahren und die Behörden, im fünften die Entschädigungen behandelt, im 
sechsten wird die Kostenfrage geregelt. 

Endlich folgen die Straf- und Schlußbestimmungen. 

Im übrigen wird auf die Gesetze selbst verwiesen, welche im R. G. BL, 
S. 306 und in der Preußischen G. S., S. 373 veröffentlicht sind. Die preu¬ 
ßischen Ausführungsbestimmungen zu dem letzteren Gesetz finden sich M. Bl. 
M. A., S. 389, die Bundesratsbestimmungen zu dem Reichsgesetz sind im 
R. G. BL, S. 67 veröffentlicht. 

Zur Ergänzung der Ausführungsvorschriften vom 7. Oktober 1905 hat 
der preußische Medizinalminister unter dem 10. August 1906 noch weitere 
Bestimmungen erlassen und dazu populäre Anweisungen erteilt, welche zur 
Verteilung an die Bevölkerung bestimmt und soweit sie Ratschläge für Ärzte 
enthalten, denselben zugefertigt worden Bind. 

Zur wirksameren Bekämpfung der gemeingefährlichen epidemischen 
Krankheiten, namentlich zur Vereinbarung gemeinsamer Maßregeln gegen 
Cholera, Gelbfieber und Pest, fanden von Zeit zu Zeit Beratungen unter Ab¬ 
gesandten der Kulturstaaten statt, deren Beschlüsse dann von den ein¬ 
zelnen Regierungen erwogen und mit oder ohne Abänderungen als ver¬ 
bindlich angenommen wurden. 

Solche Konferenzen traten in Venedig 1892, in Dresden 1893, in Paris 
1894, wieder in Venedig 1897 und zuletzt 1903 in Paria zusammen, deren 
von den beteiligten Regierungen bestätigte Beschlüsse für den inter¬ 
nationalen hygienischen Kongreß in Brüssel im August 1903 von dem 
Präsidenten desselben, Emil Beko sehr übersichtlich tabellarisch zusammen¬ 
gestellt worden sind. Die Beschlüsse dieser Konferenzen beziehen sich auf 
die Feststellung des Auftretens der Pest oder des Ausbruchs der Cholera in 


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760 


M. Pistor, 


einem Lande oder Landesbezirk, auf die Mitteilung dieses Vorkommnisses 
an die beteiligten Regierungen, fernerauf die Vorbeugungsmaßregeln in bezug 
auf den überseeischen Personenverkehr, die Überwachung der Pilgerfahrten, 
gesundheitspolizeiliche Maßregeln auf den Schiffen während der Fahrt, Ma߬ 
regeln in Häfen, welche von den Schiffen angelaufen werden, insbesondere 
auch bei der Fahrt durch das Rote Meer und den Golf von Persien. Im 
dritten Titel sind die Vorbeugungsmaßregeln gegen die Einschleppung von 
Pest und Cholera in freie Länder überhaupt und namentlich nach Europa 
enthalten. Der vierte Titel behandelt die örtlichen gesundheitspolizeiliohen 
Einrichtungen und Vorschriften an den Einbruchsplätzen: Donaumündung, 
türkische Landesgrenze, Golf von Genua, Persischer Golf, Rotes Meer, Sudan, 
Hedjas, Mekka, Ägypten usw. Im fünften Titel wird die Überwachung und 
Ausführung der Maßregeln besprochen, im sechsten Titel werden noch Rat¬ 
schläge und Empfehlungen gegeben. Die Beschlüsse 1 der Konferenz in 
Dresden, betreffend Maßregeln gegen die Cholera vom 15. April 1893 sind 
im R. G. Bl. 1894, S. 343 ff. veröffentlicht. 

Die Beschlüsse der letzten internationalen Übereinkunft in der Pariser 
Konferenz, betreffend Maßregeln gegen Pest, Cholera und Gelbfieber vom 
3. Dezember 1903 für das Deutsche Reich sind im R. G. Bl. 1907, S. 425 ff., 
veröffentlicht. Dazu hat der Bundesrat am 29. August 1907 noch Aus- 
führungsvorschriften über die gesundheitliche Behandlung der Seeschiffe in 
den deutschen Häfen nebst Desinfektionsanweisung beschlossen, welche im 
R. G. BL, S. 563 ff. veröffentlicht sind. 

Besondere Einrichtungen zur Bekämpfung der gemeingefährlichen und 
übertragbaren Krankheiten der preußischen Medizinalverwaltung sind: die 
Ordnung des Desinfektionsverfahrens, die Errichtung von Desinfektoren- 
schulen, die Prüfung von Desinfektionsgeräten und bakteriologische Unter- 
suchungsanstalten behufs Ermittelung der Erreger ansteckender Krankheiten. 

Für die Desinfektion von Personen und Gegenständen, welche mit an¬ 
steckenden Kranken oder mit an ansteckenden Krankheiten Verstorbenen in 
Berührung gekommen waren, bestanden bereits in dem Regulativ vom 
8. August 1835 Vorschriften. Unter den Desinfektionsmitteln spielte das 
Chlor gasförmig und an Chlorkalk gebunden und so aufgelöst die Haupt¬ 
rolle. Reisende, welche aus von der Cholera befallenen Ländern die preußische 
Grenze überschritten, mußten sich persönlich und ihre Effekten in Des¬ 
infektionsanstalten (besser Schuppen genannt) vor Eintritt in das preußische 
Gebiet einer Entgiftung vom Ansteckungsstoff unterwerfen. Dieses Ver¬ 
fahren war, wie der Augenschein lehrte und die Untersuchungen bestätigten, 
nutzlos, schädigte vielmehr besonders die Atmungsorgane der desinfizierten 
Personen, wenn die Desinfektion sorgfältig ausgeführt wurde. 

Schon im 7. und 8. Jahrzehnt des XIX. Jahrhunderts wurden Stimmen 
gegen diese Art der Desinfektion laut. Bei dem Auftreten der Cholera 1873 
bis 1875 wurde die schweflige Säure als Desinfektionsmittel für Gebrauchs¬ 
gegenstände, Krankenräume und Schiffe empfohlen und gebraucht, bald darauf 
aber auch auf Grund sorgfältiger Prüfung für wirkungslos erklärt. 

In einzelnen Regierungsbezirken, z. B. 1887 in Berlin wurden durch 
Polizeiverordnungen Desinfektionsvorschriften auf Grundlage neuerer wissen¬ 
schaftlicher Forschungen erlassen und mit Zustimmung aufgenommen. Diese 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


761 


Vorschriften blieben lange Zeit in Kraft, obwohl sie, wie heute gesagt werden 
muß, ungesetzlich waren, solange die im Anschluß an das Regulativ vom 
8. August 1835 erlassenen nicht gesetzlich aufgehoben waren. Der von einer 
Regierung gegebenen Anregung, verseuchte Gebrauchsgegenst&nde nur in 
festen Kisten verpackt zur Versendung durch die Eisenbahn zuzulassen, 
konnte von der Medizinalverwaltung keine Folge gegeben werden, weil im 
Rahmen des erw&hnten Regulativs eine solche Vorschrift nicht enthalten 
war. Solche Versendungen kamen nämlich deshalb in Betracht, weil einzelne 
große Städte Desinfektionsanstalten für die Verwendung des strömenden 
heißen Wasserdampfes seit der Hygieneausstellung im Jahre 1883 nach 
Schimmelschem oder anderen Mustern errichtet hatten. Diese Anstalten 
wurden öfter auch aus größeren Entfernungen durch Zusendung von in¬ 
fizierten Gebrauchsgegenständen in Anspruch genommen. Es sei gleich hier 
bemerkt, daß nach mehreren Jahren auch bewegliche Desinfektionsanstalten 
hergestellt wurden, welche nach Bedarf im Kreise von Ort zu Ort fuhren 
und zur Verwendung kamen. 

Die Frage der Desinfektion wurde immer brennender und veranlaßte den 
Medizinalminister im Oktober 1891, von der erweiterten wissenschaftlichen 
Deputation für das Medizinal wesen ein Gutachten über die Notwendigkeit 
der Desinfektion von Personen, Räumen und Gebrauchsgegenständen bei 
und nach ansteckenden Krankheiten zu erfordern. Auf Grund dieses Gut¬ 
achtens, dessen Ergebnisse S. 7 54 abgedruckt sind, übersandte der Medizinal- 
minister 1892 dem Reichskanzler eine Vorlage zur Herbeiführung einer Des- 
infektionsordnung für das deutsche Reich, die aber mit Rücksicht auf die in¬ 
zwischen in Fluß gekommene Beratung des Reichsseuchengesetzes und auf 
die immer noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen über den Wert der 
einzelnen Desinfektionsmittel nicht zur Verabschiedung gelangte. 

Die sich mehrenden Apparate zur Desinfektion mittels strömenden 
Wasserdampfes waren nicht immer bezüglich der Wirksamkeit zuverlässig 
geblieben. Infolgedessen ordnete der Medizinalminister am 25. September 
1902 (M. BL M. A., S. 286) an, daß sämtliche derartige Gerätschaften 
einer außerordentlichen Prüfung durch die Kreisärzte in der Weise unter¬ 
worfen werden sollten, daß bei der Beschickung der Apparate Briefchen aus 
Fließpapier, in welchen sich an Seidenfäden angetrocknete Milzbrandsporen 
befänden, im Innern von Wäschebündeln mit hineingebracht würden. Nach 
halbstündiger Einwirkung des Dampfes sollte eine Untersuchung der Sporen 
auf ihre Entwickelungsfähigkeit stattfinden. 

Am 22. Mai 1906 übersandte der Medizinalminister dem Reichskanzler 
den Entwurf zu einer Desinfektionsanweisung, welcher bald darauf für die 
einzelnen Krankheiten zustande kam und veröffentlicht ist (Erlaß vom 
6. Juni 1907, M. BL M. A., S. 228). 

Das Verdienst Robert Kochs und seiner Schüler ist es, die Wirksam¬ 
keit der zahlreich empfohlenen Desinfektionsmittel durch exakte Versuche 
auf ihre Leistung betreffs der Abtötung von Dauersporen festgestellt zu 
haben. Als wirksamste Mittel zur Desinfektion sind heute anzusehen: 
strömende, auf 100° erhitzte Wasserdämpfe, Karbolsäure in verschiedenen Ver¬ 
dünnungen, Kalkmilch, Chlorkalkmilch, Sublimat und in neuester Zeit Form¬ 
aldehyd in den verschiedensten Formen, ferner grüne Seife, kochende Soda- 


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762 


M. PiBtor, 


löBung, sowie als mechanisches Mittel: Abreibung der Wände mit frischem 
Brot. Diese Mittel finden naoh den Desinfektionsvorschriften jetzt Ver¬ 
wendung. 

Damit aber die Desinfektion sachgemäß ausgeführt werden konnte, war 
es erforderlich, dafür besonders ausgebildete Leute anzustellen. Die Aus¬ 
bildung von derartigen Personen fand in der Berliner städtischen Des¬ 
infektionsanstalt in der Reichenbergerstraße unter der Leitung des Direktors 
des Moabiter Krankenhauses Merke statt. Seit dem 3. August 1890 waren 
in Berlin und Charlottenburg 60 ausgebildete Desinfektoren angestellt und 
hatten mit gutem Erfolge gewirkt. 

Im Jahre 1899 trat die Medizinalverwaltung dieser Angelegenheit näher, 
nachdem die städtischen Behörden in Breslau die Einrichtung einer Des¬ 
infektorenschule beschlossen hatten, und vereinbarte mit den Behörden 
wegen Errichtung einer Desinfektorenschule Näheres. 

Diese Schule trat Ende 1899 ins Leben und wirkte nach von dem 
Minister gebilligten Vorschriften über die Ausbildung und Prüfung der Des¬ 
infektoren, welche durch Polizeiverordnung verbindlich gemacht wurden, von 
da ab erfolgreich. Die Ausbildung der Personen sollte überall den prak¬ 
tischen Zweck ihrer Tätigkeit im Auge behalten und sich von theoretischen 
Auseinandersetzungen fernhalten. 

In den folgenden Jahren riefen die Regierungspräsidenten in Danzig 
und Posen nach dem Beispiel Breslaus Desinfektorenschulen ins Leben. 
Darauf regte der Medizinalminister auf Grund der gemachten Erfahrungen 
die Errichtung solcher Schulen in Verbindung mit den hygienischen Instituten 
und anderen Anstalten bei einer größeren Zahl von Regierungen am 11. März 
1902 weiter an. Bis Ende 1903 waren 14 Desinfektorensohulen für 60 Kreise 
eingerichtet, in welchen 601 Personen im Jahre 1902 ausgebildet worden 
waren, von denen 585 die vorgeschriebene Prüfung bestanden hatten. Aus 
den von den Regierungspräsidenten über die Tätigkeit dieser Schulen in den 
Jahren 1903/04/05 ubw. erstatteten Jahresberichten läßt sioh der Umfang 
und der Erfolg ihrer Leistungen ersehen. 

Für den Landespoliseibezirk Berlin ist die Ausbildung von Desinfektoren 
in der seit 1890 geübten Weise nicht geändert worden; eine Desinfektoren¬ 
schule nach dem Muster in Breslau besteht hier nicht, ohne daß Nachteile 
der anderseitigen Ausbildung bekannt geworden wären. 

Bei der Beratung des Gesetzentwurfes über die Dienststellung des Kreis¬ 
arztes und die Bildung von Gesundheitskommissionen hatte das Haus der 
Abgeordneten in der Sitzung vom 28. Juni 1899 beschlossen: 

Untersuchungsanstalten zu Zwecken des Gesundheits- und Veterinär¬ 
wesens sind in jeder Provinz nach Bedürfnis einzurichten, sowie eine 
Zentrallandesuntersuchungsanstalt und die hierzu erforderlichen Mittel 
in den nächstjährigen Etat einzustellen. 

Demgemäß ersuchte der Medizinalmmister am 28. August 1899 den Finanz¬ 
minister, sich mit der Einstellung der erforderlichen Mittel in den Haushalt 
für 1900 einverstanden zu erklären, erhielt aber auf seinen wohlbegründeten 
Antrag eine ablehnende Antwort mit dem Bemerken, daß bei der Bedeutung 
der Sache und der Höhe der geforderten Summe von im ganzen 616202«/# 
über den Antrag kommissarische Beratungen außerhalb der Haushalts- 


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Geschichte der preußischen Medizinal Verwaltung. 


763 


beratung erforderlich seien, zumal das Verbleiben der Medizinalabteilung 
bei dem Kultusministerium zweifelhaft sei. 

Entsprechend den überraschenden Ergebnissen der bakteriologischen 
Forschungen und den sich darauf stützenden Vorschriften des Reichsseuchen¬ 
gesetzes vom 30. Juni 1900, sowie des preußischen Gesetzes betreffend die 
Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 28. August 1905 mußte die Medi¬ 
zinalverwaltung Sorge tragen, die Medizinalbeamten in den Stand zu setzen, 
daß sie den ihnen zugewiesenen Aufgaben durch entsprechende Einrichtungen 
gerecht werden konnten. Dahin gehörte in erster Linie die bakteriologische 
Feststellung der ersten Erkrankungen an gemeingefährlichen oder übertrag¬ 
baren Krankheiten, soweit deren Krankheitserreger und ihre Eigenschaften 
bekannt waren. Solche Aufgaben konnten nur bakteriologisch geschulte 
Medizinalbeamte mit Zuverlässigkeit ausführen. 

Inzwischen hatte Graf Douglas am 13. Mai 1901 im Abgeordneten¬ 
hause die Errichtung von Untersuchungsanstalten wieder in Erinnerung 
gebracht. Am 25. Mai 1901 regte der Medizinalminister die Errichtung 
weiterer derartiger Anstalten an, und wies am 21. Oktober 1901 darauf 
hin, daß die Stadt Halle (Saale) im Anschluß an das dortige hygienische 
Institut ein Untersuchungsamt für ansteckende Krankheiten errichtet habe, 
welches den Ärzten die Möglichkeit gewähren solle, in verdächtigen und 
zweifelhaften Krankheitsfällen zu einer Diagnose zu gelangen; die kosten¬ 
freie Untersuchung erstrecke sich auf alle ansteckenden Krankheiten, deren 
Erreger bekannt seien. Die Regierungspräsidenten möchten anzeigen, ob 
ähnliche Anstalten in ihrem Bezirke beständen. Unter Darlegung des Kosten¬ 
aufwandes der Hallenser Anstalt und der Ausdehnung ihrer Tätigkeit auf 
den Regierungsbezirk Merseburg und voraussichtlich auf den Bezirk Erfurt 
erforderte der Minister am 5. Mai 1904 (Min. BL M. A., S. 188) weiteren 
Bericht über die Zweckmäßigkeit solcher Anstalten und teilte am 27. März 
1907 mit, daß vorbehaltlich der Zustimmung des Landtages, die inzwischen 
erfolgt ist, 10 bakteriologische Untersuchungsstellen bei den Regierungen 
in Gumbinnen, Potsdam, Stettin, Liegnitz, Magdeburg, Hannover, Stade, 
Münster, Koblenz und Düsseldorf in Medizinaluntersuchungsämter um¬ 
gewandelt und je einem Kreisarzt als Leiter unterstellt werden sollten. 
Gleichzeitig wird angegeben, welche bestehenden bakteriologischen Unter¬ 
suchungsstellen in Zukunft eingehen sollen. Die weiteren Mitteilungen des 
Erlasses beziehen sich auf Einrichtung und Betrieb der Ämter, sowie die 
zukünftige Vermehrung jener „ Medizinal untersuchungsstellen “, welche für 
das Jahr 1908 geplant ist. 

Durch Erlaß vom 22. Juli 1903 (M. Bl. M. A., S. 302) erhielten 
100 Kreisärzte Bakterienmikroskope mit Zubehör. Es stellte sich jedoch 
bald heraus, daß die überwiegende Mehrzahl der Kreisärzte nicht die erforder¬ 
liche Zeit habe, um mikroskopische und bakteriologische Untersuchungen 
einwandfrei ausführen zu können; deshalb wurde eine Anzahl Mikroskope 
wieder eingezogen. Dieser Zeitmangel war bedingt durch die Zunahme 
der Dienstgeschäfte der Kreisärzte nach dem Inkrafttreten des Kreis¬ 
arztgesetzes. Die Medizinalverwaltung ging aus diesem Grunde dazu 
über, Untersuchungsstellen bei einer Anzahl von Regierungen zu errichten. 
Die Mehrzahl dieser Untersuchungsstellen, obgleich sie nur mäßig aus- 


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764 


M. Pistor, 


gestattet waren, hat sich bewährt. Infolgedessen wurden durch den Haushalt 
für 1907 die Mittel bereit gestellt, um einen Teil dieser Anstalten unter 
dem Namen „Königliches Medizinaluntersuchungsamt" vollkommener ein¬ 
zurichten. Außerdem wurden noch n Medizinaluntersuchungsstellen“ in 
Verbindung teils mit städtischen Anlagen, teils mit den hygienischen In¬ 
stituten eingerichtet. Anstalten erster Art wurden in Düsseldorf, Gumbinnen, 
Hannover, Koblenz, Liegnitz, Magdeburg, Münster, Potsdam, Stade und 
Stettin errichtet. Nach dem Erlaß vom 22. Juli 1903 sollte ihre Tätigkeit 
eine vorwiegend oder fast allein praktische und auf den Zweck der Fest¬ 
stellung ansteckender Krankheiten allein gerichtete sein, und zwar unter 
Anwendung lediglich erprobter Verfahren; wissenschaftliche Forschungen 
sollten mit ihnen nicht verbunden sein. Nahrungsmitteluntersuchungen 
oder gerichtsärztliche Prüfungen dürfen nur ausnahmsweise aus ganz be¬ 
sonderen Gründen stattfinden. Daß die Untersuchung von Nahrungs- und 
Genußmitteln usw. nur ausnahmsweise in den vorhezeichneten Anlagen statt¬ 
finden dürfe, betonte ein Erlaß vom 23. Mai 1907 (M. Bl. M. A., S. 209). 

Im August 1906 erschienen Einzelhefte, welche für jede einzelne 
übertragbare Krankheit, die gesetzlichen und Ausführungsbestimmungen, 
DesinfektionsVorschriften, gemeinverständliche Belehrungen für die Be¬ 
völkerung, Ratschläge für Ärzte für einzelne der Krankheiten und Vor¬ 
schriften über die Versendung infektiösen Materiales an die Untersuchungs¬ 
ämter und -stellen enthielten. 

A. Gemeingefährliche Krankheiten 1 ). 

1. Cholera. 

Die ersten Nachrichten über die Annäherung der Cholera an die preu¬ 
ßische Grenze gingen am 3. Dezember 1830 von dem Oberpräsidenten 
von Schön aus Königsberg ein. Am 4. Dezember erstattete der Minister 
von Altenstein Immediatbericht an den König, daß in Rußland „der 
cholera morbus“ ausgebrochen sei. Die Krankheit wurde als epidemisch 
und kontagiös bezeichnet. Unter dem Vorsitz des Präsidenten, Professors 
Dr. med. Rust, kam es zu Kommissionsberatungen, infolge deren Ärzte zum 
Studium der Krankheit nach Rußland entsandt wurden. In einer Denkschrift 
spricht sich die Kommission dahin aus: 

1. Weil die Krankheit an den entferntesten Orten, den Verkehrswegen folgend 
(Karawanen), auftrete, sei es notwendig, daß Gesundheitspatente von den Konsuln 
für Reisende aus befallenen Gegenden ausgestellt und Kontumazanstalten, das 
heißt Reinigungs- und Beobachtungsstationen errichtet würden. Die Patente sollten 
in drei Klassen, für reine, verdächtige und unreine Personen, ausgestellt werden, 
je nachdem die Reisenden aus krankheitsfreien, krankheitsverdächtigen oder ver¬ 
seuchten Ortschaften auf sicher reinen Straßen zur Grenze kommen würden. Nur 
krankheitsreine Personen sollten in das Staatsgebiet eingelassen, verdächtige und 
unreine Personen, auch solche ohne Patente, in Kontagienanstalten aufgenommen 
werden. 

') Ausführliche Behandlung der gesetzlichen Vorschriften zur Bekämpfung 
der ansteckenden Krankheiten findet man in: M. Kirchner, Die gesetzlichen 
Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen Reiche. Festschrift, dargeboten 
von dem preußischen Minister der geistlichen Unterrichts- und Medizinalangelegen¬ 
heiten. Jena 1907, Gustav Fischer. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


765 


2. Sanitätsavisolinien sollten errichtet und für dieselben SO Ärzte und Beamte 
angestellt werden, welche den Gang der Krankheit beobachten und die Behörden 
bei drohender Gefahr unverzüglich durch Estaffetten benachrichtigen müßten. An 
den Grenzen sollte ein Militärkordon gezogen werden. Diese Einrichtungen seien 
unumgänglich notwendig. 

8. Der Militärsanitätskordon sollte an den hauptsächlichsten Einfall- und 
Verkehrsstellen die Grenze bewachen und sperren, derselbe sollte aus Militär-, 
Polizei-, Zoll- und Medizinalbeamten unter militärischer Leitung bestehen. Die 
Kontumazzeit müßte 14 Tage und falls das Kontagium als pestartig erkannt und 
festgestellt würde, 40 Tage dauern. Die Desinfektion sollte nach Maßgabe der 
Anweisung zum Verfahren bei Pestdesinfektion stattfinden. 

Am 5. Januar 1831 ordnete der König die Errichtung einer Immediat- 
kommiasion aus Vertretern der Ministerien der Medizinalangelegenheiten und 
des Innern und Mitgliedern der wissenschaftlichen Deputation für das Medi¬ 
zinalwesen unter dem Vorsitz des Generalmajors von Thiele an, welche am 
5. Mai 1831 zum erstenmal zusammentrat und dann jeden Mittwoch Sitzung 
hielt. Bereits am 3. Mai waren dem Könige die erforderlichen Instruktionen 
zur Erhaltung der Gesundheit, zur Erkenntnis und Heilung der Cholera und 
zur Desinfektion von der Rustschen Kommission überreicht. Bald darauf 
erfolgte durch Kabinettsorder das Publikandum vom 15. Juni 1831 über das 
bei dem Ausbruche der Cholera zu beobachtende Verfahren für Berlin, 
welches nach weiteren Erfahrungen am 22. August 1831 abgeändert wurde, 
nachdem der Oberpräsident in Königsberg wiederholt um Erlaß von Vor¬ 
schriften zur Verhütung und Heilung der Cholera gebeten hatte. 

Gegenüber standen sich bei der Abfassung dieser Vorschriften immer 
die Wünsche und Anträge derer, die geschützt sein wollten, und derjenigen, 
welche durch die Ausführung der verordneten Maßregeln in ihrem Erwerbe 
gestört und geschädigt wurden. Besonders beschwerten sich die Gewerbe- 
und Handeltreibenden gegen die Orts- und Grenzsperren. Für die Provinzen 
Preußen, Posen und die rechte Oderuferseite der Provinz Schlesien bestimmte 
eine Kabinettsorder vom 6. Juni 1831 für die Gefahrzeit wegen der Lage 
unmittelbar an der russischen Grenze folgendes: 

1. Jeder reisende Inländer soll eine besondere Legitimationskarte führen, 
welche nur für die Dauer der Reise Gültigkeit hat und mindestens von der Orts¬ 
polizeibehörde ausgestellt ist, falls keine Paßbehörde am Orte besteht. 

2. Ausgenommen davon sind die auf Dienstreisen befindlichen Militärs und 
öffentlichen Beamten, falls sie sich als solche ausweisen können. 

3. Alle Verkehrsanstalten (Posten, Fuhrleute, Schiffer usw.), Gastwirte dürfen 
niemand ohne Legitimation fortschaffen oder aufnehmen. 

Diese Bestimmungen sollten nach dem Ermessen der Immediatkommission 
erforderlichenfalles auf andere Provinzen ausgedehnt werden. 

Die Ostgrenze des Staates vom Niemen bis zur Südspitze Oberschlesiens 
wurde durch aktive Truppen seit Ende Mai 1831 abgesperrt, nachdem die 
Cholera in Polangen ausgebrochen war. 

Das Gesetz vom 15. Juni 1831 (G.-S. Stück 8, S. 61) bestimmte, daß 
diejenigen Personen, welche die zur Abwendung der Cholera erlassenen Vor¬ 
schriften verletzten, streng bestraft werden sollten. Alle Personen, welche 
die gezogenen Kordons und die Kontumazanstalten umgehen oder auf Zuruf 
nicht stehen oder zurückgehen, sollten sofort erschossen werden. Zucht¬ 
hausstrafe bis zu zehn Jahren bedrohte diejenigen, welche die übrigen 


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764 


M. Pistor, 


gestattet waren, hat sich bewährt. Infolgedessen wurden durch den Haushalt 
für 1907 die Mittel bereit gestellt, um einen Teil dieser Anstalten unter 
dem Namen „ Königliches Medizinal untersuch ungsamt" vollkommener ein¬ 
zurichten. Außerdem wurden noch „Medizinaluntersuchungsstellen" in 
Verbindung teils mit städtischen Anlagen, teils mit den hygienischen In¬ 
stituten eingerichtet. Anstalten erster Art wurden in Düsseldorf, Gumbinnen, 
Hannover, Koblenz, Liegnitz, Magdeburg, Münster, Potsdam, Stade und 
Stettin errichtet. Nach dem Erlaß vom 22. Juli 1903 sollte ihre Tätigkeit 
eine vorwiegend oder fast allein praktische und auf den Zweck der Fest¬ 
stellung ansteckender Krankheiten allein gerichtete sein, und zwar unter 
Anwendung lediglich erprobter Verfahren; wissenschaftliche Forschungen 
sollten mit ihnen nicht verbunden sein. Nahrungsmitteluntersuchungen 
oder gerichtsärztliche Prüfungen dürfen nur ausnahmsweise aus ganz be¬ 
sonderen Gründen stattfinden. Daß die Untersuchung von Nahrungs- und 
Genußmitteln usw. nur ausnahmsweise in den vorbezeichneten Anlagen statt¬ 
finden dürfe, betonte ein Erlaß vom 23. Mai 1907 (M. Bl. M. A., S. 209). 

Im August 1906 erschienen Einzelhefte, welche für jede einzelne 
übertragbare Krankheit, die gesetzlichen und Ausführungsbestimmungen, 
Desinfektionsvorschriften, gemeinverständliche Belehrungen für die Be¬ 
völkerung, Ratschläge für Ärzte für einzelne der Krankheiten und Vor¬ 
schriften über die Versendung infektiösen Materiales an die Untersuchungs¬ 
ämter und -stellen enthielten. 

A. Gemeingefährliche Krankheiten 1 ). 

1. Cholera. 

Die ersten Nachrichten über die Annäherung der Cholera an die preu¬ 
ßische Grenze gingen am 3. Dezember 1830 von dem Oberpräsidenten 
von Schön aus Königsberg ein. Am 4. Dezember erstattete der Minister 
von Altenstein Immediatbericht an den König, daß in Rußland „der 
cholera morbus" ausgebrochen sei. Die Krankheit wurde als epidemisch 
und kontagiös bezeichnet. Unter dem Vorsitz des Präsidenten, Professors 
Dr. med. Rust, kam es zu Kommissionsberatungen, infolge deren Ärzte zum 
Studium der Krankheit nach Rußland entsandt wurden. In einer Denkschrift 
spricht sich die Kommission dahin aus: 

1. Weil die Krankheit an den entferntesten Orten, den Verkehrswegen folgend 
(Karawanen), auftrete, sei es notwendig, daß Gesundheitspatente von den Konsuln 
für Reisende aus befallenen Gegenden ausgestellt und Kontumazanstalten, das 
heißt Reinigungs- und Beobachtuugsstationen errichtet würden. Die Patente sollten 
in drei Klassen, für reine, verdächtige und unreine Personen, ausgestellt werden, 
je nachdem die Reisenden aus krankheitsfreien, krankheitsverdächtigen oder ver¬ 
seuchten Ortschaften auf sicher reinen Straßen zur Grenze kommen würden. Nur 
krankheitsreine Personen sollten in das Staatsgebiet eingelassen, verdächtige und 
unreine Personen, auch solche ohne Patente, in Kontagienanstalten aufgenommen 
werden. 

l ) Ausführliche Behandlung der gesetzlichen Vorschriften zur Bekämpfung 
der ansteckenden Krankheiten findet man in: M. Kirchner, Die gesetzlichen 
Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen Reiche. Festschrift, dargeboten 
von dem preußischen Minister der geistlichen Unterrichts- und Medizinalangelegen¬ 
heiten. Jena 1907, Gustav Fischer. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 765 

2. Sanitätsavisolinien sollten errichtet und für dieselben 30 Arzte und Beamte 
angestellt werden, welche den Gang der Krankheit beobachten und die Behörden 
bei drohender Gefahr unverzüglich durch Estaffetten benachrichtigen müßten. An 
den Grenzen sollte ein Militärkordon gezogen werden. Diese Einrichtungen seien 
unumgänglich notwendig. 

3. Der Militärsanitätskordon sollte an den hauptsächlichsten Einfall- und 
Yerkehrsstellen die Grenze bewachen und sperren, derselbe sollte aus Militär-, 
Polizei-, Zoll- und Medizinalbeamten unter militärischer Leitung bestehen. Die 
Kontumazzeit müßte 14 Tage und falls das Kontagium als pestartig erkannt und 
festgestellt würde, 40 Tage dauern. Die Desinfektion sollte nach Maßgabe der 
Anweisung zum Verfahren bei Pestdesinfektion stattflnden. 

Am 5. Januar 1831 ordnete der König die Errichtung einer Immediat- 
kommission aus Vertretern der Ministerien der Medizinalangelegenheiten und 
des Innern und Mitgliedern der wissenschaftlichen Deputation für das Medi¬ 
zinalwesen unter dem Vorsitz des Generalmajors von Thiele an, welche am 
5. Mai 1831 zum erstenmal zusammentrat und dann jeden Mittwoch Sitzung 
hielt. Bereits am 3. Mai waren dem Könige die erforderlichen Instruktionen 
zur Erhaltung der Gesundheit, zur Erkenntnis und Heilung der Cholera und 
zur Desinfektion von der Rust sehen Kommission überreicht. Bald darauf 
erfolgte durch Kabinettsorder das Publikandum vom 15. Juni 1831 über das 
bei dem Ausbruche der Cholera zu beobachtende Verfahren für Berlin, 
welches nach weiteren Erfahrungen am 22. August 1831 abgeändert wurde, 
nachdem der Oberpr&sident in Königsberg wiederholt um Erlaß von Vor¬ 
schriften zur Verhütung und Heilung der Cholera gebeten hatte. 

Gegenüber standen sich bei der Abfassung dieser Vorschriften immer 
die Wünsche und Anträge derer, die geschützt sein wollten, und derjenigen, 
welche durch die Ausführung der verordneten Maßregeln in ihrem Erwerbe 
gestört und geschädigt wurden. Besonders beschwerten sich die Gewerbe- 
und Handeltreibenden gegen die Orts- und Grenzsperren. Für die Provinzen 
Preußen, Posen und die rechte Oderuferseite der Provinz Schlesien bestimmte 
eine Kabinettsorder vom 6. Juni 1831 für die Gefahrzeit wegen der Lage 
unmittelbar an der russischen Grenze folgendes: 

1. Jeder reisende Inländer soll eine besondere Legitimationskarte führen, 
welche nur für die Dauer der Reise Gültigkeit hat und mindestens von der Orts¬ 
polizeibehörde ausgestellt ist, falls keine Paßbehörde am Orte besteht. 

2. Ausgenommen davon sind die auf Dienstreisen befindlichen Militärs und 
öffentlichen Beamten, falls sie sich als solche ausweisen können. 

3. Alle Verkehrsanstalten (Posten, Fuhrleute, Schiffer usw.), Gastwirte dürfen 
niemand ohne Legitimation fortschaffen oder aufnehmen. 

Diese Bestimmungen sollten nach dem Ermessen der Immediatkommission 
erforderlichenfalls auf andere Provinzen ausgedehnt werden. 

Die Ostgrenze des Staates vom Niemen bis zur Südspitze Oberschlesiens 
wurde durch aktive Truppen seit Ende Mai 1831 abgesperrt, nachdem die 
Cholera in Polangen ausgebrochen war. 

Das Gesetz vom 15. Juni 1831 (G.-S. Stück 8, S. 61) bestimmte, daß 
diejenigen Personen, welche die zur Abwendung der Cholera erlassenen Vor¬ 
schriften verletzten, streng bestraft werden sollten. Alle Personen, welche 
die gezogenen Kordons und die Kontumazanstalten umgehen oder auf Zuruf 
nicht stehen oder zurückgehen, sollten sofort erschossen werden. Zucht¬ 
hausstrafe bis zu zehn Jahren bedrohte diejenigen, welche die übrigen 


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766 M. Pistor, 

Vorschriften übertraten, besonders aber nicht .gehörig legitimierten Personen 
Unterkunft gaben. 

Die durch Kabinettsorder vom 5. Januar 1831 eingesetzte Abwehrkom¬ 
mission wurde vom Könige am 3. Mai 1831 dem Generalmajor von Thiele 
mit fast unumschränkter Vollmacht zur Ausführung der Kommissions- 
beschlüsse, sofern von Thiele mit den Beschlüssen einverstanden wäre und 
sofern keine gesetzlichen Vorschriften notwendig wären, unterstellt Diese 
Maßregel sollte eine Einheitlichkeit des ganzen Verfahrens schaffen und 
Störungen und Zeitverluste durch Schriftwechsel und Beratungen zwischen 
den beteiligten Ministerien verhindern. Es wurden Zivilkommissare für den 
Grenzbezirk am Niemenufer angestellt, eine Maßregel, die sich bei dem Auf¬ 
treten der Cholera im Jahre 1892 wiederholte. 

Die Kabinettsorder vom 10. November 1831 ordnete an, daß für die 
Witwen und Kinder von Ärzten, welche sich bei Choleralazaretten anstellen 
ließen und an der Krankheit starben, dieselben Pensionsgrunds&tze Gültig¬ 
keit haben sollten, welche im Jahre 1813 für die Hinterbliebenen solcher 
Ärzte festgestellt worden waren, die in den Kriegslazaretten an Typhus 
starben. 

Der Präsident, Professor Dr. Rust, hatte einen ärztlichen Verein zur 
wissenschaftlichen Erforschung der Cholera ins Leben gerufen, dessen Mit¬ 
glieder die Ärzte Dr. Horn, Dr. Klug, Dr. Bartels, Dr. Barez, Dr. Albers 
und der Stadtpbysikus und Professor Dr. Wagner waren. Dieser Verein 
unterstützte die Verwaltungsbeamten und insonderheit die Immediatkom- 
mission mit seinem Rat. 

Am 29. Dezember 1831 überreichte von Thiele dem Könige einen von 
der Immediatkommission ausgearbeiteten zeitgemäßen Entwurf zu einer 
neuen Verordnung über Maßregeln zur Bekämpfung der Cholera. Einen 
Hauptanstand bei dem ersten Entwurf erfuhr die Verwendung des Chlors 
als Desinfektionsmittel von den Mitgliedern der Kommission, Geheimem 
Medizinalrat von Koenen, Generalstabsarzt der Armee von Wiebel und 
Geheimem Medizinalrat Horn. Der auf Befehl des Königs veränderte Ent¬ 
wurf erhielt seine Zustimmung am 5. Februar 1832. Es sei hier nur er¬ 
wähnt, daß demzufolge Sonderkrankenhäuser für Cholerakranke in Kasernen 
und anderen Staatsgebäuden, z. B. im Gestüt zu Insterburg, angelegt werden 
sollten. Die Choleraleichen mußten auf besonderen Cholerakirchhöfen be¬ 
erdigt werden. Durch Order vom 27. November 1833 wurde Beerdigung 
auf gewöhnlichen Kirchhöfen wieder gestattet. 

Die Kabinettsorder vom 5. Februar 1832 ist in der G.-S. 1831, Nr. 5, 
S. 41—60 und in F. L. Augustin, Die Königlich Preußische Medizinalver¬ 
fassung Bd. 5, S. 155, abgedruckt. 

Am 8 August 1835 trat das Regulativ über sanitätspolizeiliche Ma߬ 
regeln auch für die Cholera in Kraft und hat bis zum Erscheinen des Reichs¬ 
gesetzes zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30. Juni 
1900 materielle Veränderungen nicht, sondern nur erklärende Auslegungen 
und Zusätze erhalten. Eine Änderung wurde im Jahre 1847/48 wegen 
Meldung der Krankheitsfälle und Bezeichnung der Häuser, in welohen 
Cholerakranke lagen, eingeleitet. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


767 


Die Quarantänevor Schriften wurden am 29. August 1853 und im Ver¬ 
laufe der Zeiten bei neuen Choleraepidemien, so 1867 und 1873 in zeitge¬ 
mäßer Weise geändert. 

Es würde zu weit führen, alle Änderungen, die im Laufe des 19. Jahr¬ 
hunderts noch bei dem wiederholten Drohen oder Ausbrechen der Cholera 
getroffen wurden, hier zu erörtern, da dieselben entweder veraltet oder 
aber, wenn brauchbar, in die Ausfübrungsbestimmungen zu dem Reiohs- 
geSetz von 1900 aufgenommen sind. Es sei daher nur kurz darauf hin¬ 
gewiesen, daß die Vorschriften über den Seeverkehr und die Quarantäne, 
sowie über Desinfektion der Schiffe, Behandlung der Reisenden und des 
Reisegepäoks, welche von außerhalb die deutsche Grenze überschritten, von 
Zeit zu Zeit den Fortschritten der Wissenschaft und den gemachten Er¬ 
fahrungen entsprechend durch Ministerialerlasse Änderungen erfuhren. 

Nachdem Robert Koch im Jahre 1883 den Erreger der Cholera, den 
Kommabazillus, während seiner wissenschaftlichen Reise in Ägypten und 
Indien entdeckt hatte, mußten selbstredend zur Bekämpfung der Cholera 
anderweite Vorschriften, natürlich im Rahmen des Gesetzes vom 8. August 
1835, erlassen werden; doch blieb es im ganzen bei geringen Änderungen, 
bis im August 1892 der erschreckende Ausbruch der Cholera in Hamburg 
die Reichsregierung und die preußische Regierung zum Erlaß von zeitge¬ 
mäßen Vorschriften zwang. 

Bereits am 6. Juli 1892 warnte der Reichskanzler zur Vorsicht gegen 
aus Rußland und Persien kommende Reisende und riet namentlich zur Beob¬ 
achtung der aus dortigen Häfen kommenden Schiffe, nachdem bekannt ge¬ 
worden war, daß in beiden Ländern die Cholera sehr heftig ausgebrochen war. 

Nach dem explosiven Ausbruche der Krankheit im Hamburg-Altona er¬ 
nannte der Reichskanzler für das Stromgebiet der Elbe einen Reichskom¬ 
missar, dem es obliegen sollte, die gegen Hamburg erforderlichen Maßregeln 
zur Verhütung des Einbruchs der Cholera in das übrige Reichsgebiet unter 
den aneinandergrenzenden Bundesstaaten einheitlich zu gestalten und deren 
Ausführung zu überwachen. An demselben Tage setzte der Reichskanzler 
eine Cholerakommission ein, welche Maßregeln zur Bekämpfung der Cholera 
und der Seuchen überhaupt beraten sollte. 

Die von der internationalen Konferenz in Dresden am 15. April 1893 
gefaßten Beschlüsse bezogen sich: 

1. auf die erste Benachrichtigung vom Ausbruch der Seuche; 

2. auf die Voraussetzungen, unter denen ein örtlicher Bezirk als verseucht 
oder als rein anzusehen sei; 

3. auf die Notwendigkeit, die zur Verhinderung der Ausbreitung der Seuche 
bestimmten Maßregeln auf tatsächlich verseuchte Bezirke zu beschränken; 

4. auf die Behandlung des Verkehrs mit Waren oder Gegenständen, welche 
Träger des Ansteckungsstoffes sein können und deren Ein- und Durchfuhr und 
deren eventuelle Desinfektion; 

5. auf die Maßregeln an den Landesgrenzen für den Eisenbahndienst und die 
Beisenden; 

6. bis 8. auf Bestimmungen für die Grenzbezirke, Wasserstraßen, den See¬ 
verkehr und auf die Maßnahmen in den Häfen, endlich auf Maßregeln, welche 
nur den Verkehr auf der Donau und an deren Ufern betrafen. 

Auf diese internationalen Vorschriften machte der Reichskanzler am 
17. Juni 1893 aufmerksam (V. d. K. G. A. Nr. 28 und 30) und knüpfte 


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768 


M. Piator, 


daran die für das Deutsche Reich im Falle eines Wiederausbruchs der 
Cholera erforderlichen Vorschriften. Dazu gehörten auch Vorschriften über 
die Anforderungen, welche in Cholerazeiten an öffentliche Wasserwerke 
mit Sandfiltern zu stellen seien, da die Cholerakeime durch Trink- und Ge¬ 
brauchswasser oft verbreitet werden. In einer beigefügten Anweisung zur 
Desinfektion bei Cholera wurde besonders hervorgehoben, „daß Reinlich¬ 
keit besser sei als eine schlechte Desinfektion“. 

Die vorstehenden Maßregeln galten für das ganze Reich, also auch für 
Preußen, welches außerdem mit Rücksicht auf die von Rußland drohende 
Gefahr schon am 18. Juli 1892 Sondermaßregeln über die Behandlung 
russischer Auswanderer, sowie ein Verbot der Ein- und Durchfuhr von ge¬ 
brauchten Kleidern, Leib- und Bettwäsche aus Rußland am 25. Juli und am 
27. Juli 1892, Vorschriften über die Anzeigepflicht und die Feststellung der 
ersten Krankheitsfälle erlassen hatte. Darauf folgte ein Erlaß des Medi¬ 
zinalministers vom 25. August 1892 über Untersuchung und Versendung 
choleraverdächtiger Gegenstände, am 3. September über die Desinfektion der 
Aborte in den Eisenbahnzügen, sowie Vorschriften über die gesundheits- 
polizeiliche Überwachung der Eisenbahn- und Postbeamten. Der Handel 
mit Desinfektionsmitteln unterlag während der Cholerazeit den sonn- und 
festtäglichen Betriebsbeschränkungen nicht, und dergleichen weitere Einzel¬ 
bestimmungen, von denen hier nur noch der Runderlaß des Ministers des 
Innern vom 27. August 1892 über Maßregeln zur Verhütung der Cholera 
in Strafanstalten (M.-Bl. S. 258) erwähnt sei. 

Gleiche Maßregeln traten in Kraft nach dem Ausbruche der Cholera in 
der Irrenanstalt Nietleben. 

Da inzwischen Vorbereitungen zu dem Erlaß eines Reichsseuchengesetzes 
dank dem Auftreten des Verbündeten der öffentlichen Gesundheitspflege, 
nämlich der Cholera, eingeleitet waren, sehe ich von weiterer Aufzählung 
der sonst noch getroffenen Maßregeln ab. 

Hier sei nur noch bemerkt, daß die schon in den früheren Vorschriften 
besonders in der allerhöchsten Order vom 5. Februar 1832 erwähnten Staats¬ 
kommissare auch während der Epidemie 1892/93 außer für das Elbgebiet noch 
für das Weichsel-, Oder- und Rheingebiet ernannt, aber nicht mit denselben 
Befugnissen ausgestattet wurden, wie die preußischen Staatskommissare jener 
Zeit. Sie wurden vielmehr nur als vermittelnde Stellen zur Herbeiführung ein¬ 
heitlicher Maßregeln zwischen den maßgebenden Behörden, der aneinander¬ 
grenzenden Bundesländer für das Reich, und der aneinandergrenzenden Pro¬ 
vinzen und Regierungsbezirke für den preußischen Staat ermächtigt. Auf diesen 
bedenklichen Zustand wies eine nach den selbstgemachten Erfahrungen sehr 
maßgebende Stelle bin. Beim Auftreten der Cholera im Jahre 1904 trug die 
preußische Regierung diesem Hinweise bei der Ernennung eines Staatskom- 
missars Rechnung. Ein Erlaß vom 22. Januar 1903 schrieb für Preußen noch 
vor, daß die Anzeige des Auftretens jeder gemeingefährlichen Erkrankung, 
also auch der Cholera, sofort nach amtlicher Feststellung zu erstatten sei. 

Auf die im Jahre 1904 gegebenen Anweisungen zum Reichsgesetz vom 
30. Juni 1900 zur Bekämpfung der Cholera und der übrigen Seuchen wird 
hier nicht eingegangen, da inzwischen im Jahre 1907 (M. Bl. M. A. S. S. 138 
u. 287) neue Ausführungsbestimmungen seitens des Bundesrates erlassen sind. 


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769 


Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 

2. Fleckfieber (Flecktyphus). 

Die Bekämpfung des Fleckfiebers, das fälschlich bis zu Ende des vorigen 
Jahrhunderts Flecktyphus, Hungertyphus, Kriegstyphus usw. genannt wurde, 
erhielt zu den Vorschriften des Regulativs vom 8. AuguBt 1835 immer nur 
dann ministerielle AusfQhrungsbestimmungen, wenn diese gefährliche Krank¬ 
heit sich in Preußen epidemisch verbreitete, wie 1868 in der Provinz Ost¬ 
preußen, 1876/77 in Oherschlesien, 1881 in Westpreußen. Bei der größten 
Epidemie in Oberschlesien 1846/47 wurden ministerielle Vorschriften zur 
Bekämpfung dieser überaus ansteckenden Krankheit nicht erlassen. Hier 
sei nur der Erlaß vom 19. Dezember 1878 erwähnt, welcher die Ermitte¬ 
lung der Einschleppung der Seuche 1. durch zugereiste Personen, besonders 
Vagabunden, Kesselflicker usw.; 2. duroh Bewohner eines Hauses, in welchem 
Fleckfiebererkrankungen vorgekoramen waren; 3. durch ungünstige Gesund¬ 
heitsverhältnisse, wie überfüllte Wohnungen, Nächtigen in schlechten Her¬ 
bergen, in Baracken, wie solche beim Bau von Eisenbahnen, chaussierten 
Straßen Vorkommen. 

Am 27. Januar 1880 ordnete der Medizinalminister an, daß sofort 
nach Feststellung der Krankheit die Anzeige erstattet werde, und fügte am 
21. Januar 1881 eine ungenügende Mitteilung darüber hinzu, an welchen 
Zeichen das Fleckfieber im allgemeinen erkannt werde. 

Erst durch das Inkrafttreten des Reichsgesetzes vom 30. Juni 1900 zur 
Bekämpfung der gemeingefährlichen Krankheiten und der darauf vom 
Bundesrat erlassenen Ausführungsbestimmungen vom 28. Januar 1904 und 
den weiter erlassenen Desinfektionsvorschriften vom 11. April 1907 (R.-G.-B1., 
S. 95) ist der Bedeutung des Fleckfiebers für das Gemeinwohl in genügender 
Weise Rechnung getragen. Seit 1881 hat diese Krankheit in Preußen keine 
Veranlassung zur Bekämpfung mehr geboten. 

3. Gelbes Fieber. 

Das gelbe Fieber hat bis jetzt in Europa noch niemals dauernd Boden ge¬ 
funden. Maßregeln gegen die Krankheit sind daher nur durch die Besorgnis 
vor der Einschleppung veranlaßt worden. Dahin gehört die Bekanntmachung 
der Kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammer vom 17. Dezember 1804, 
welche Maßregeln gegen die Einschleppung des gelben Fiebers aus Spanien 
und Italien betrifft. Waren, die nicht die vorgeschriebene Kontumaz nach¬ 
weislich gehalten haben, sollen zurückgewiesen, Kleidungsstücke, getragene 
Wäsche, Betten überhaupt nicht eingelassen werden, dann folgen besondere 
Vorschriften. 

Am 17. April 1805 wurde die folgende Preisaufgabe in deutscher, fran¬ 
zösischer und lateinischer Sprache veröffentlicht: 

1. Ist man durch tatsächliche Erfahrungen berechtigt, zuverlässig anzu¬ 
nehmen, daß der Ansteckungsstoff des gelben Fiebers sich an leblose Substanzen 
anhänge, von diesen, ohne sein Ansteckungsvermögeu zu verlieren, aufgenommen 
werde und zwar auf solche Weise, daß beim Berühren dieser infizierten Sub¬ 
stanzen derselbe sich auf gesunde, anderweitig nicht angesteckte Personen über¬ 
trage und dadurch in der Entfernung das gelbe Fieber hervorbringe? 

2. Falls man diese Möglichkeit annimmt, fragt sich, worin die Tatsachen, 
Versuche und darauf gebaute Erfahrungen bestehen, welche diese Meinung wahr- 

Vierteljahraichrift für GesnndheiUpflege, 1908. 40 


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770 M. Pistor, 

gcheinlich oder völlig gewiß machen? Entgegengesetzten Falles wird gleioher Beweis 
verlangt. 

3. Kann man mit Wahrscheinlichkeit annehmen oder beweisen, daß der 
Anateekungsstoff des gelben Fiebers ein Produkt dieser Krankheit sei und in einer 
oder der anderen der tierischen Exkretionen allein oder vorzüglich enthalten sei 
und in welcher? 

4. Hat man bereits einige Kenntnis der chemischen Beschaffenheit dieses 
Stoffes, und kann, darauf gestützt, solche chemischen Gegengifte anwenden, welche 
diesen Stoff entweder minder wirksam zu machen oder völlig zu zerstören ver¬ 
mögen oder gibt es andere Verwahrungsmittel dagegen? Welche sind jene oder 
diese? Hat man sich einiger derselben mit einem unbezweifelten Nutzen bedient? 
Wie muß bei der Anwendung derselben genau verfahren werden, um Substanzen, 
welche den Stoff des gelben Fiebers enthalten, völlig und so zu absorbieren, daß 
sie durch dieses Verfahren ganz unschädlich werden ? 

5. Wie lange behält dieser Stoff sein verderbliches Vermögen bei, die An¬ 
steckung zu verbreiten, und wie lange sind die damit imprägnierten verschie¬ 
denen Substanzen fähig, solchen unverändert zu erhalten und die Krankheit zu 
verbreiten ? 

8. Findet unter den leblosen Substanzen ein Unterschied, in Rücksicht ihrer 
Fähigkeit, den Ansteckungsstoff des gelben Fiebers leichter oder schwerer aufzu¬ 
nehmen und längere oder kürzere Zeit unverändert zu erhalten, statt? Gibt es 
daher völlig ansteckungsunfähige und dagegen auch vorzüglich giftfangende Waren, 
und welche sind diese? (Hier wird eine tabellarische Übersicht der vorzüglichsten 
Kaufmannswaren nach Maßgabe ihrer notorischen und verschiedenen gifttragenden 
Eigenschaften zu geben sein.) 

7. Ist diejenige Krankheit, welche in Nordamerika, im südlichen Teile von 
Spanien und in Livorno unter dem Namen des gelben Fiebers geherrscht hat, 
überall eine und dieselbe Krankheit gewesen, oder hat man nach Verschiedenheit 
der damit befallenen Gegenden in Hinsicht der Entstehung der Zufälle und des 
Verlaufes, der Tödlichkeit und der Ansteckungsfähigkeit dieses Übels einen Unter¬ 
schied beobachtet? Worin hat dieser bestanden und wodurch wird diese Behaup¬ 
tung begründet? 

8. Enthält Preisangaben für die besten eingelieferten Arbeiten: I. Preis 
200 Stück vollwichtige Dukaten, II. Preis 100 Stück vollwichtige Dukaten. Termin 
1. Januar 1807. 

Eine Bewerbung um diese Preise durch Arbeiten ist aus den Akten 
nicht ersichtlich. 

Mit Ausnahme von Einzelerkrankungen auf Schiffen, die aus tropischen 
Ländern kommen, sind nach der Epidemie in Spanien 1819/1821 Aus¬ 
brüche von Gelbfieberepidemien in Europa dank der sorgsam durchgeführten 
Verhütungsmaßregeln nicht vorgekommen, daher auch außer den dagegen 
erlassenen Quarantänevorschriften Maßregeln gegen die Krankheit nicht er¬ 
forderlich geworden. Für den kaum anzunehmenden Fall der Einschleppung 
der Krankheit in einen Hafen des Deutschen Reiches kommen die Vorschriften 
des Reichsseuchengesetzes vom 30. Juni 1900 und die dazu erlassenen Aus¬ 
führungsbestimmungen zur Anwendung. 

Übrigens sind die in Paris beschlossenen Vorschriften der internatio¬ 
nalen Übereinkunft vom 3. Dezember 1903, betreffend Maßregeln gegen 
Pest, Cholera und Gelbfieber (R.-G.-B1.1907, S. 425), und die dazu ergangenen 
am 29. August 1907 vom Reichskanzler veröffentlichten Vorschriften über 
die gesundheitliche Behandlung der Seeschiffe in den deutschen Häfen nebst 
DesinfektionsanWeisung (R.-G.-Bl. 1907 S. 563) verbindlich. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


771 


4. Lepra (Aussatz). 

Erkrankungen an Aussatz waren bis zum Jahre 1889 der preußischen 
Medizinalverwaltung nicht bekannt geworden. Im April 1889 erhielt der 
Medizinalminister durchE. von Bergmann und andere Nachricht, daß einzelne 
Leprakranke im Osten des Staates vorhanden waren. Auch in der Tages¬ 
und Fachpresse wurde auf das Vorhandensein von Leprakranken in Ost¬ 
preußen hingewiesen. Der erforderte Bericht stellte fest, daß im Memeler 
Kreise 18 Leprakranke seit 1874/1894 zur behördlichen Kenntnis gekommen 
waren, von. denen aber schon 8 verstorben waren. Ob die Krankbeit aus 
Rußland eingeschleppt sei, wäre nicht zu ermitteln. 

Auf Grund eines Gutachtens der wissenschaftlichen Deputation für das 
Medizinalwesen erließ der Minister im Juni 1894 eine Belehrung über die 
Lepra und eine Warnung an die Bevölkerung durch die ostpreußischen Re¬ 
gierungsbehörden über Zeichen und Verlauf, Art der Verbreitung und Ma߬ 
regeln dagegen. Es wurde 1. Überwachung des Schiffsverkehrs mit Norwegen, 
wo der Aussatz seit Menschengedenken verbreitet, aber durch die getroffenen 
Maßregeln wesentlich eingeschränkt ist, empfohlen; 2. Anzeigepflicht für 
Lepröse und Absonderung der bekannten Krankheitsfälle angeordnet; 3. auf 
Grund der in Norwegen damit gemachten Erfahrungen die Errichtung von 
Leprahäusern dringend empfohlen, welche, wie unter dem Titel „Kranken¬ 
häuser“ erwähnt ist, schon im Mittelalter in Deutschland und anderen 
Staaten bestanden hatten. 

Inzwischen hatten weitere Ermittelungen ergeben, daß auch in den 
Kliniken zu Breslau und Halle einige Aussätzige waren. Von im ganzen 
bis dahin in Preußen ermittelten 27 Leprösen waren 17 gestorben. 

Die Errichtung eines Lepraheims zog sich nach dem üblichen zeit¬ 
raubenden Schriftwechsel vom Januar 1897 ab hin. Das in den Jahren 
1898/99 in der Plantage von Memel errichtete Lepraheim für 16 Kranke 
beiderlei Geschlechts wurde am 20. Juni 1899 eröffnet. 

Durch Erlaß vom Januar 1900 ließ der Medizinalminister Ermittelungen 
darüber anstellen, ob und welche Reste sich von den Aussatzhäusern des 
Mittelalters und deren innerer Einrichtung noch erhalten haben. 

Mit dem Inkrafttreten deB Reichsgesetzes von 30. Juni 1900 wurden 
die dort zur Bekämpfung des Aussatzes vorgeschriebenen Maßregeln auch 
für den preußischen Staat verbindlich. Dazu erließ der Reichskanzler am 
11. April 1907 (R.-G.-BL, S. 195) nach dem Beschlüsse des Bundesrates vom 
21. März 1907 die Desinfektionsanweisung für gemeingefährliche Krank¬ 
heiten. Als Desinfektionsmittel, deren Herstellung für den Gebrauch in dem 
Erlaß mitgeteilt ist, werden bezeichnet: 

1. verdünntes 2 1 /, prozentiges sog. Kresolwasser, 2. dreiprozentige Karbol¬ 
säurelösung, 3. Vio prozentige Sublimatlösung, 4. Kalkmilch, 5. Chlorkalkmilch, 
6. Formaldebyd, 7. Wasserdampf, 8. Auskochen in Wasser, 9. Verbrennen. 

Über die Ausführung der Desinfektion an den einzelnen Gebrauchs¬ 
gegenständen an den Kranken und Leichen in den infizierten Räumen, der 
Pflegepersonen und der benutzten Transportmittel, der Brunnen und Wasser¬ 
leitungen finden sich unter II. eingehende sehr klare Vorschriften. Im 
Anhang sind besondere Vorschriften für die Desinfektion von Wasserfahr- 

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772 


M. Pistor, 


zeugen enthalten. Für die Desinfektion bei Aussatz sind besondere Vor¬ 
schriften gegeben, auf welche durch Ministerialerlaß vom 6. Juni 1907 
(M.-Bl. M. A. S. 228) hingewiesen ist. 

5. Pest. 

Aus einem Briefwechsel zwischen dem Großen Kurfürsten und dem 
Herzog von Mecklenburg vom 7. bis 13. September 1664 geht hervor, daß 
die Pest in Hamburg, Lauenburg und Umgegend ausgebrochen war. Als 
die Krankheit auch in das sächsische Land eingedrungen war, befahl der 
Große Kurfürst am 30. Oktober 1680, daß der Eintritt in das Kurfürsten¬ 
tum über die Elbe, Havel und Spree bei harter Leibes- und Lebens- (Todes)strafe 
nur an den Zollstellen stattfinden dürfe. Fremde Juden sollten überhaupt 
nicht eingelassen werden; für einheimische Juden war der Verkehr frei. 
Alle staatlichen Behörden, Magistrate, Flecken- und Dorfbehörden wurden 
angewiesen, sorgfältig darauf zu achten, daß keine infizierten Reisenden in 
das Land gelangen. Von dem Auftreten irgendwie verdächtiger Krankheiten 
sollte sofort Anzeige gemacht werden. 

Diese Verordnung hat offenbar auf Behörden und Bevölkerung keinen 
erheblichen Eindruck gemacht; denn schon unter dem 6. November 1680 folgte 
eine weitere Order, in welcher mißfällig bemerkt wurde, daß ungeachtet 
einer weiteren Ausbreitung der Pestseuche die Grenz- und Torkontrolle 
nicht sorgsam gehandhabt würde. Deshalb sei an den Toren der Städte 
sofort eine Bürgerwehr aufzustellen, welche jedermann ohne Ausnahme an- 
halten und ausforschen sollte. Wer keine glaubwürdigen Pässe hätte, 
sollte abgewiesen, aus dem Sächsischen Zuwandernde überhaupt nicht zu¬ 
gelassen werden. 

Am 4. Dezember 1704 befahl der König, weil in einzelnen Orten des 
Königreichs Polen die Pest ausgebrochen sein sollte, die Brücken an dem 
Neuen Graben zu Müllrose (Regierungsbezirk Frankfurt) ohne Dämme ab¬ 
zuwerfen. Dieselbe Anordnung wurde auf die gesamten Brücken der Mark 
Brandenburg ausgedehnt. Im Namen des Königs erhielt der Rat und Hof¬ 
medikus Dr. Thormann Befehl sich nach Zossen zu begeben und dort Er¬ 
kundigungen über den Stand der Krankheit einzuziehen, ob sie gefährlich 
und ansteckend sei und also die Not erfordere, den Verkehr und andere 
Gemeinschaft mit dem Sachsenlande aufzuheben. 

Eine Kabinettsorder vom 1. Oktober 1708 befahl wegen der an einigen 
Orten des Königreichs Polen herannahenden Pest, daß sich die Einwohner 
aller Orten an der Grenze auf vier bis sechs Monate mit Lebensmitteln und 
sonstigem Notbedarf versehen mögen. Auch sollten die an den Grenzen 
noch immer fehlenden Pestgalgen wegen der Pestgefahr in Sicht nun end¬ 
lich errichtet werden. Am 23. Oktober 1708 wurde angeordnet, daß an den 
Grenzen Schlagbäume errichtet würden, die nachts zu schließen seien, aber 
von Soldaten, denen der Schlüssel zu behändigen sei, bewacht werden sollten. 

Am 31. Oktober 1708 wurde die Paßpflicbt wegen des Ausbruches 
der Pest in benachbarten Ländern wieder in Erinnerung gebracht. Nach¬ 
dem die Krankheit im Königreich Polen um sich gegriffen hatte, verbot 
eine weitere Order vom 12. Dezember 1708 bei Lebensstrafe andere Wege 
als ordentliche Landstraßen, sogenannte Schleich- und Nebenwege zum Über- 


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773 


Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 

schreiten der Landesgrenze von auswärts za benutzen. An der Grenze 
sollten Galgen errichtet werden, an welchen eine Inschrift denjenigen mit 
Todesstrafe bedrohte, welcher aus einem pestverdächtigen Orte käme und 
die Grenze auf Schleich* oder Nebenwegen zu überschreiten versuchte. 
Außerdem wurden die strengsten Absonderungs - und Beobachtungsma߬ 
regeln namentlich gegen vagierendes Volk, Zigeuner usw. angeordnet. 

Durch eine am 7. November 1712 vom Collegium medicum entworfene, 
1713 veröffentlichte königliche Order über Maßregeln zur Verhütung des Ein¬ 
dringens der Pest wurde angeordnet, da die Städte Altona, wo die Schiffer 
der Beförderungsfahrzeuge für die Artillerie sich aufgehalten hatten, und 
Glückstadt von der Pest infiziert zu sein schienen, die Schiffe nicht landen 
zu lassen und der Besatzung derselben das Betreten des Landes zu unter¬ 
sagen. Nur falls dringend Nahrungsmittel eingenommen werden mußten, 
wurde gestattet, daß ein oder zwei Leute in einem Kahn an das Ufer gehen, 
an bestimmten näher bezeichneten Zollstellen durch Vermittelung des Zoll¬ 
verwalters das Notwendige beschaffen lassen, dann entnehmen sollten, ohne 
sich dem Verwalter zu nähern. Das Geld für die erhaltenen Waren mußte 
auf die Erde gelegt und von dem Zollverwalter in Essig gereinigt werden, 
bevor es weiter verwendet werden durfte. Der Zollverwalter hatte das 
Schiff bis zur nächsten Zollstation am Lande zu begleiten und darauf zu 
achten, daß bis dabin nirgends eine Landung stattfände. Auch sollte kein 
Jude, noch weniger dessen Waren aus verdächtigen Ländern, gleichviel ob 
ein Paß vorgewiesen wurde oder nicht, zur Frankfurter (Oder) Messe zu¬ 
gelassen werden. 

ln Orten, welche der Einschleppung der Pest am meisten ausgesetzt 
waren, sollten die zur Unterbringung und Verpflegung von Kranken er¬ 
forderlichen Einrichtungen in gehöriger Weise und in der Zeit, d. h. im 
voraus getroffen werden, kurz alles im voraus veranstaltet werden, was 
nach menschlicher Voraussicht zur Bekämpfung der Seuche geschehen könne. 
Befallene Ortschaften sollten mit aller Notdurft, mit dienlichen Medika¬ 
menten, mit Lebens- und anderen Hilfsmitteln versorgt, tüchtige Pestmedici 
und Chirurgen bestellt und beschafft werden. 

Am 7. September 1712 war eine Beschwerde darüber an den König 
gerichtet, daß öfters fremde Juden ohne gehörig visierte Pässe vor den 
Toren ohne Obdach sich eine bis zwei Wochen und länger aufhielten; es 
möchte für deren Unterkommen gesorgt werden. Aber auch vornehme 
Leute überschritten nicht selten die Grenze ohne ordnungsmäßigen oder 
ohne jeglichen Paß; das widerspreche dem Edikt vom 16. Februar 1711. 
Behufs Verhütung dieser Übelstände wurden Vorschläge zur Prüfung und 
Begutachtung durch das Collegium Sanitatis beigefügt. 

Dem Collegium Sanitatis wurde von der kurfürstlich braunschweigischen 
Regierung im Frühjahr 1713 mitgeteilt, daß der König von Polen und Kurfürst 
von Sachsen beabsichtige, sein in Glückstadt liegendes Artillerieregiment nach 
Dresden durch Schiffe auf der Elbe zurückbefördern zu lassen. 

Der Durchzug der königlich polnischen, herzoglich sächsischen Artillerie 
aus dem pestverseuchten Glückstadt nach Dresden wurde am 28. Juni 1713 
unter der Bedingung gestattet, daß die Truppen entweder elbaufwärts zu 
Schiff, ohne dasselbe zu verlassen, heimkehren, oder daß die bei der Artillerie 


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774 


M. PiBtor, 


befindlichen Leute mit ihren leicht giftfangenden, zu durchwetternden und 
zu durchweichenden Sachen Quarantäne halten, oder die SchiffBgefäße, wo¬ 
durch der Transport geschehen wird, „durch dazu zu kommandierende 
Mannschaften so cotoyiret werden sollten, daß die Artillerie-Bediente und 
andere auf deren Schiffen befindliche Menschen nicht eher als in Sachsen 
wieder an das Land treten können." 

Durch eine Verfügung vom 29. August 1713 wurde für Berlin-Cölln 
bereits eine verschärfte Torkontrolle durch die Torschreiber eingeführt; 
Einwohner, welche die Stadt oder Vorstädte auch nur auf einen halben 
oder ganzen Tag verließen, mußten Passierzettel, wer über Nacht ausbleihen 
wollte, einen vorschriftsmäßigen Paß haben. Für die aus umliegenden oder 
entfernten Ortschaften nach Berlin kommenden Reisenden wurde Paßzwang 
ein geführt. 

Eine Kabinettsorder vom 14. Oktober 1713 befahl, daß 

1. alle Ärzte, Chirurgen, Apotheker, auch die Prediger, welche zu in einer 
Weise der Pestilenz verdächtigen Kranken gerufen würden, in allen Orten und 
zwar bei unvermeidlicher Lebensstrafe den Ortsobrigkeiten sofort ansagen 
sollten. Bestätigte sich der Verdacht, auch nur einigermaßen, bo sollte das Haus, 
in welchem der Kranke oder die Leiche sich befindet, besetzt und so bewacht 
werden, daß niemand ein- oder ausgelassen würde, bevor die höhere Behörde 
weiter entschieden haben würde. Inzwischen sei der Verstorbene, wes Standes er 
auch sei, innerhalb 24 Stunden mit seiner Krankheitsbekleidung von den Mit¬ 
bewohnern in einen gleich zu verfertigenden Notsarg unter starkem Schwefel¬ 
oder Wachholderbeerengeruch zu legen und so eingesargt im Hof, Keller oder 
Garten acht bis 10 Fuß tief einzugraben und in der wohlverscharrten Grube bis 
zu höherer Entscheidung über sein ordentliches Begräbnis entschieden ist, zu be¬ 
lassen. 

2. Kurpfuscher beiderlei Geschlechtes, welche arme Kranke derart kurieren, 
sollten mit einer schimpflicheren Todesstrafe als andere belegt werden. 

3. Wer die befohlene Anzeige unterläßt, soll mit dem Schwerte hingerichtet; 
das Haus, aus welchem die Krankheit verbreitet wird, soll konfisziert werden. 

4. Ebenso bei festgesetzter Totlesstrafe und Konfiskation aller Habseligkeiten 
die Mieter solcher Häuser, Pächter und Verwalter auf dem Lande. 

5. Enthält Bestimmungen über das Verhalten der Behörden bei der Anzeige. 

6. Die Anzeige soll enthalten: 1. Die Art der Krankheit und des Todes, 
2. die vermutliche Ursache derselben, 3. was für Umstände und Zufälle sich dabei 
gezeigt haben, 4. wie lange der Verstorbene krank gewesen ist, 5. warum er 
keinen Prediger und Arzt begehrt hat. 

7. In zweifelhaften Fällen sollen die Obrigkeiten sich schleunigst Rat bei 
den Collegiis Sanitatis erbitten. 

Die Miliz und die Postierungen (Gendarmerieposten) sollen die Zivilbehörden 
überall und jederzeit unterstützen. 

8. Diese Kabinettsorder soll auf jede Weise, auch von der Kanzel zur Kenntnis 
der Bevölkerung gebracht werden. 

Eine königliche Order vom 17. Oktober 1714 bestimmte, daß diejenigen 
Jaden, bo aus gesunden und unverdächtigen Orten kommend, hinfüro alle 
Orten, zumal wenn sie mit der Post kämen, passieren und durchgelassen 
werden sollten. 

Es folgen eine große Anzahl von Ordern auf Meldung vom Ausbruch 
kontagiöser Krankheiten in den Grenzländern, welche ceteriB paribus stets 
desselben Inhalts sind. Um die Mitte des Jahrhunderts scheint indessen 
die Pest sich den Grenzen des Königreiches wieder genähert und weitere 
Maßregeln erfordert zu haben. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


775 


Die nächsten Nachrichten über das Auftreten der Pest datieren aus 
Rom vom 12. Januar 1748 und teilten mit, daß jüngst ein Schiff im sizilia- 
machen Hafen Melazzo mit sieben Toten eingelaufen sei. 

Ähnliche Berichte über das Auftreten kontagiöser Krankheiten ohne 
Sonderbenennnng gelangten 1751 und 1755 an das Obercollegium Sanitatis. 

1752 kam aus Regensburg die Nachricht, daß in der Stadt Amberg 
in der Oberpfalz die Pest ausgebrochen sei: dies scheint sich aber nioht 
bewahrheitet zu haben. 

Durch eine Instruktion vom 29. Februar 1752 wurde dem Ober¬ 
collegium Sanitatis aufgegeben, seine Aufmerksamkeit wieder nach Maßgabe 
der bestehenden Vorschrift auf die Verbreitung der Pest in den Grenzlän¬ 
dern zu richten. Zur Ermittelung der Anstalten und Elinrichtungen, welche 
gegen die Einschleppung der Pest in das Königreich und gegen die Ver¬ 
breitung im Lande ins Leben gerufen oder in Aussicht genommen waren, 
hatte König Friedrich der Große eine besondere PestkommisBion eingesetzt. 

Auf Allerhöchste Order vom 18. Mai 1769 hatte das Generaldirekto¬ 
rium angeordnet, daß die an Pocken und anderen ansteckenden Krankheiten 
Verstorbenen nicht zur Schau ausgestellt, die Gräber noch einmal so tief, 
wie für die an gewöhnlichen Krankheiten Verstorbenen angelegt und die 
Fugen der Särge verzinkt werden sollen. 

Unter dem 29. August 1770 erschien das „Edikt wegen der zuneh¬ 
menden Präkautionen gegen die in einigen polnischen Gegenden bereits 
sich geäußerte Pest“. Die früher erwähnten Maßregeln, namentlich die 
Verkebrsbeschränkungen, wurden erneuert: [auch sollten Pestprediger an¬ 
gestellt werden. 

Besonders heftig ist die Pest in den Jahren 1770 uud 1771 in Polen 
und den Donauländern aufgetreten. Allgemeine anderweite Maßregeln sind 
aber nicht angeordnet worden. 

Die von den ausländischen Regierungen gegen die Einschleppung und 
Verbreitung der Pest erlassenen Maßregeln werden eingefordei t, so aus 
Frankreich, Belgien, Holland, Ostmark usw. Diese Maßregeln werden bei 
jedesmaligem Auftreten der Pest im Auslande (Türkei, Levante, Ungarn usw.) 
wiederholt zur Beachtung mit einigen Änderungen empfohlen. Bettler und 
Juden werden in allen Ländern als Verbreiter der Pest angesehen, ebenso 
alte Leute. 

Infolge des heftigen Auftretens der Pest in Polen und in den Donau¬ 
ländern beauftragte der König am 22. August 1770 eine Kommission aus 
Mitgliedern der beteiligten Behörden und den Leibärzten Geheimrat Dr. Co- 
thenius und Dr. Mutzel bestehend, die gegen die Elin Schleppung der 
Krankheit über die Landesgrenze und deren Verbreitung im Lande erlassenen 
Vorschriften zu prüfen und sich über weitere zeitgemäße Anordnungen zu 
äußern. 

Schon am 29. August 1770 wurde durch ein neues verändertes Edikt, 
welches die Paßpflicht wieder eingeschärft, Vergraben kleiner Nebenwege, 
Abwerfen der Brücken usw. anbefohlen. Wer dessen ungeachtet in das 
Königreich einzudringen wagte, sollte vom Militär Feuer erhalten. Eis 
folgen weitere Vorschriften über die Behandlung der Reisenden, Untersuchung 
der Pässe, Behandlung des Reisegepäckes und der Waren. 


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776 


M. Pistor, 


Paßschmuggelei wurde mit Leibes- und unter Umständen Lebensstrafe 
bedroht. 

Sollte die Pest ungeachtet aller Vorsichtsmaßregeln im Königreich sich 
zeigen, war sogleich Anzeige zu erstatten. 

Im vorletzten Artikel XXIII wurde empfohlen, Pr&servativmittel für 
die Beamten vorrätig zu halten. Der Schlußartikel ordnete Publikation des 
Ediktes durch Anschlag an den Toren, auf öffentlichen Plätzen usw. an; 
auch soll es in den Grenzorten von den Kanzeln abgelesen werden. 

Zu diesem Edikt erbat die Pestkommission Verhaltungsmaßregeln für 
die Pestärzte und Pestchirurgen an den Kontumazanstalten, welche von 
dem Leibarzt des Königs, Geheimrat Dr.Cothenius sehr eingehend namens 
des Collegium medicum am 4. und 14. September 1770 entworfen, vom Ober- 
Collegium medicum samt den gesamten Kurregeln genehmigt, aber, wie es 
scheint, niemals vom Könige vollzogen, daher auch nicht veröffentlicht 
worden sind, jedenfalls weil die Pest die Grenzen des Preußischen Staates 
nicht überschritten hat. 

Infolge eines Berichtes vom 7. Januar 1771 aus Königsberg i. Pr., daß 
die Pest in Polen und den Donauländern abnehme, wurden die Vorsichts¬ 
maßregeln gegen die Einschleppung der Seuche zwar nicht aufgehoben, aber 
milder als bisher gebandhabt. 

Als die Pest im Jahre 1812 in der Levante ausbrach, wies der Minister 
des Innern auf die früheren Vorschriften zur Nachachtung hin. Bei dem 
Ausbruch der Seuche 1816 in der Moldau verfuhren die Regierungen in 
Bromberg und Posen in gleicher Weise. Seit dem Schwinden der Pest¬ 
gefahr schliefen naturgemäß Maßregeln gegen das Eindringen der Seuche 
ein. Die Staatsregierung behielt aber die wissenschaftlichen Forschungen 
über die Krankheit im Auge und verfolgte seit dem September 1838 die 
Ergebnisse der an Ort und Stelle (Ägypten und Türkei) von dem franzö¬ 
sischen Arzte Dr. Bulard angestellten Forschungen über die orientalische 
Pest eifrig, trat durch eine zur Prüfung der Bulard sehen Forschungen ein¬ 
gesetzte Kommission mit dem Gelehrten in Verbindung und beabsichtigte 
mit den Regierungen der übrigen Kulturstaaten Maßregeln zur Bekämpfung 
derPest zu vereinbaren. Nach längeren Verhandlungen erklärte Dr. Bulard, 
die Seuche müsse zunächst wissenschaftlich noch weiter erforscht werden, 
bevor Mittel gegen die Verbreitung des Pestübels angeraten werden könnten. 
Damit war die Staatsregierung außer stände Vorschriften zu erlassen und 
vertagte die Sache am 30. April 1840 mit dem Schlußsatz: 

„Das Unterzeichnete Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten wird indes 
die 8ache nicht aus dem Auge verlieren und eventuell dem Gesandten in Wien 
in einiger Zeit wieder in Erinnerung bringen.“ 

Dazu scheint kein Grund mehr vorhanden gewesen zu sein; denn die Akten 
der Preußischen Medizinalabteilung enthalten bis zum Ausbruch der Pest im 
Jahre 1894 in China nichts, abgesehen davon, daß die Ministerder auswärtigen 
Angelegenheiten, für Handel und Gewerbe und der Medizinalangelegenheiten 
am 3. Juli 1863 (M.-Bl., S. 163) Quarantänemaßregeln gegen die Einschleppung 
der orientalischen Pest durch den Schiffsverkehr, nachdem die Pest sich in 
Rußland gezeigt hatte, im internationalen Interesse und im Einverständnis mit 
den Kulturstaaten auf Anregung der englischen Regierung erlassen hatten. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 777 

Als die Pest 1878 und 1879 an der Wolga, besonders in Wetljanka 
auftrat, erschien die Kaiserliche Verordnung vom 29. Januar 1879 (R.-G.-B1., 
S. 3), welche die Einfuhr von gebrauchten Kleidern, Leib- und Bettwäsche 
und gewissen Erzeugnissen, Waren und Genußmitteln verbot oder beschränkte. 
Daran schloß sich eine weitere Kaiserliche Verordnung vom 2. Februar 
1879 (R.-G.-B1., S. 9) über die Paßpfliohtigkeit der aus Rußland kommenden 
Reisenden behufs Verhinderung der Einschleppung der Pest. 

Die Ausführungsverordnung vom folgenden Tage (R-G.-Bl., S. 10) 
enthält die Vorschriften über die Desinfektion des Reisegepäckes der ins 
Reichsgebiet übertretenden Reisenden aus pestverseucbten oder pestverdäch¬ 
tigen russischen Gouvernements. Der Medizinalminister erließ dazu am 
20. Februar 1879 Vorschriften über die Desinfektion der aus Rußland ein¬ 
zuführenden Schafwolle und über Ermittelung sanitärer Schädlichkeiten, 
welche der Pestkrankheit Vorschub leisten, sowie über Maßregeln zur Siche¬ 
rung gegen das Eindringen der Pest auf dem Wege des Seeverkehrs, mit 
einem Desinfektionsverfahren und Abänderungen vom 31. März 1879, im 
Einverständnis mit dem Minister für Handel und Gewerbe. Sämtliche Er¬ 
lasse sind abgedruckt im M.-Bl., 1879 und in Pistor, Gesundheitswesen 
Bd. II, S. 600 ff. 

Mit dem Erlöschen der Pest an der Wolga traten die Verordnungen 
und Erlasse außer Kraft. 

Als die Pest 1896 in mehreren asiatischen Reichen wieder auftrat, be¬ 
schränkte die Kaiserliche Verordnung vom 8. Februar 1897 (R.-G.-B1., S. 15) 
wiederum die Einfuhr aus Asien. 

Robert Koch wurde, während er in Kimberley (Kapkolonie) mit dem 
Studium der Rinderpest beschäftigt war, zur Erforschung der Pest in Indien 
nach Bombay entsandt. Zugleich mit ihm gingen Prof. Dr. Gaffky in 
Gießen, Prof. Dr. R. Pfeiffer vom Institut für Infektionskrankheiten, 
Dr. Dieudonnä und Dr. Sticker aus Gießen dorthin. Bis zur Ankunft 
Robert Kochs leitete Gaffky die Arbeiten der Kommission, die später 
von Robert "Koch geführt wurde. 

Die Arbeiten der Kommission haben außerordentlich wertvolle Auf¬ 
schlüsse über das Wesen der Pest, ihre Entstehung durch den wenig widerstands¬ 
fähigen Pestbazillus, dessen Übertragung auf Tiere, vom Menschen zum Men¬ 
schen ergeben und festgestellt, daß die Verbreitung der Seuche besonders durch 
Ratten gefördert wird, in welchen der Pestbazillus mit Vorliebe sich ein¬ 
nistet. Die Ratten nähren sich von menschlichen Abgängen, welohe, wenn 
sie von Pestkranken herrühren, die Ratten infizieren. Diese verbreiten dann 
die Seuche, verschleppen sie im Schiffsverkehr überseeisch. Auffallend ist es, 
daß die Schweine, die gleich den Ratten im Unrat wühlen, nie an Pest oder 
dergleichen erkranken. Auf die Einzelheiten kann hier nicht eingegangen 
werden. Bemerkt sei nur noch, daß auch die Haffk in eschen Schutz¬ 
impfungen und die Yer sin sehe Serumbehandlung der Pest durch die Kom¬ 
mission der Prüfung unterworfen wurden. Die Haffkineschen Schutz¬ 
impfungen erwiesen sich vielfach als wirksam; die Serumbehandlung ließ 
1897 kein bestimmtes Ergebnis gewinnen; die Wirkung und der Erfolg 
der aktiven wie passiven Immunisierung blieben unsicher. 


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778 


M. Pistor, 


Die wissenschaftlichen Untersuchungen nahmen nach der Rückkehr der 
Kommission aus Indien im Juli 1897 in der Heimat ihren Fortgang. Die 
erforderlich erscheinenden Verwaltungsmaßregeln wurden inzwischen ver¬ 
breitert und soweit vorbereitet, daß die Preußische Medizinalverwaltung 
gerüstet war, als die Pest im August 1899 sehr heftig in Porto und im 
russischen Kreise Zarewo ausbrach. 

Der Ministerialerlaß vom 1. September 1899 führte die Anzeigepflicht 
für Erkrankungen und Todesfälle an Pest ein; durch Erlaß vom 14. Sep¬ 
tember wurde die Einrichtung von Laboratorien zur Untersuchung von Pest- 
material angeordnet und gleichzeitig transportable Laboratorien in Reise¬ 
koffern in Aussicht gestellt, mit deren Hilfe von entsprechend vorgebildeten 
Sachverständigen durch Untersuchung des Krankheitsmateriales an Ort und 
Stelle die bakteriologische Diagnose gestellt werden sollte. 

Zur Ausbildung gehörig vorbereiteter Sachverständiger für den Fall 
eines Pestausbruches in Preußen ordnete der Medizinalminister die Abhal¬ 
tung von Kursen in den hygienischen Staatsanstalten am 14. Oktober 1899 an. 

Zur Belehrung über die Pest sind für die Bevölkerung wie für die Ärzte 
die im Kaiserlichen Gesundheitsamte bearbeiteten Belehrungen erschienen 
und im Aufträge des Medizinalministers zur Verteilung gelangt. 

Die Pest in Porto war Ende März 1900 erloschen. Die Vorarbeiten 
für die Errichtung von Pestlaboratorien nahmen dessenungeachtet ihren 
Fortgang. 

Die durch die Pestforschung in Indien 1904 erzielten Ergebnisse sind 
in den Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte veröffentlicht, die 
Berichte über die Pest in Oporto von Kossel und Frosch und von Vagedes 
in den Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte Bd. XVII, Heft 1,1900. 

Nachdem der Ausbruch der Pest in Oporto erwiesen hatte, daß die 
Seuche in Europa durch den überseeischen Verkehr sich verbreiten könne, 
traf man Vorbeugungsmaßregeln im größeren Umfange. Der Reichskanzler 
veröffentlichte am 15. September 1900 einen Entwurf von vorläufigen Aus¬ 
führungsbestimmungen zu dem Seuchengesetze vom 30. Juni 1900, wie in 
dem Anschreiben gesagt ist, 

„um gegenüber der Pest, welche in letzter Zeit besorgniserregende Fort¬ 
schritte gemacht hat, nichts zu verabsäumen“. 

Der Medizinalminister ließ im Einverständnis mit dem Minister der 
öffentlichen Arbeiten im Mai 1901 feststellen, 

a) die Stationen, auf welchen Arzte sofort erreichbar seien, 

b) die Stationen, bei welchen geeignete Krankenhäuser zur Unterbringung 
von Pestkranken bereit stehen. 

Am 23. Januar 1902 regte der Minister der Medizinalangelegenheiten 
wiederholt den Bezug Döckerscher Baracken durch Vermittelung der Pro¬ 
vinzialvereine vom Roten Kreuz zur Versorgung von kleineren Städten und 
ländlichen Ortschaften für den Fall des AusbrucheB gemeingefährlicher 
Krankheiten, insbesondere der Pest an. 

Die Beschaffung der von dem Bundesrate zum Seuchengesetz erlassenen 
Ausführungsvorschriften vom 3. Juli 1902 wurde den Provinzialbehörden 
empfohlen (M.-Bl. M. A. 1903, S. 24 und 54) und durch Erlaß vom 28. No¬ 
vember 1903 (Ebenda, S. 416) erhielten die Behörden eine Anweisung zur 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


779 


Desinfektion der Güterbahnwagen, die mit pestverseuchten oder pestver¬ 
dächtigen Waren beladen gewesen waren. Ein Erlaß vom 18. Februar 1904 
(M.-Bl. M. A., S. 81) suchte Mißverständnisse der Unterbehörden zu be¬ 
seitigen, welche die ergangenen Vorschriften vielfach zu scharf ausgelegt 
and ausgeführt und damit über das Ziel hinausgeschossen hatten. Nament¬ 
lich waren mehrfach wertvolle Gegenstände, Wäsche, Kleider, Möbel usw. 
durch Feuer vernichtet, Reiseeffekten und Güter desinfiziert worden, welche 
gar nicht mit Pestansteckungsstoffen in Berührung gekommen waren. Solche 
Rigorosität erschien nutzlos, unzweckmäßig, wegen des Mangels von Dauer¬ 
formen der Pestbazillen. 

Die Ausführungsanweisungen zum Seuchengesetz mit den preußischen 
Sondervorschriften wurden wiederholt 1904 und 1905 empfohlen. 

Über das Arbeiten und den Verkehr mit Pesterregern und sonstigen 
gefährlichen Krankheitserregern erließ der Bundesrat für das Deutsche Reich 
Vorschriften am 6. Oktober 1900 und 4. Mai 1904 (R.-G.-B1. 1900, S. 849, 
1904, S. 159). 

Am 6. Juni 1907 teilte der Medizinalminister die vom Bundesrat am 
21. März 1907 zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten beschlossene 
allgemeine Desinfektionsanweisung mit den besonderen Anweisungen unter 
anderem auch für Pest den Provinzialbehörden zur Weiterverbreitung in 
üblicher Weise mit. 

Vorschriften des Bundesrates über die gesundheitliche Behandlung der 
Seeschiffer in den deutschen Häfen nebst DesinfektionsanWeisung veröffent¬ 
lichte der Reichskanzler am 29. August 1907 (R.-G.-B1., S. 563.) 

Um jederzeit beim Ausbruch von Cholera oder Pest über die erforder¬ 
lichen gut vorgebildeten ärztlichen Kräfte zur Feststellung von Erkrankungen 
an beiden Seuchen durch einwandfreie bakteriologische Untersuchungen ver¬ 
fügen zu können, erforderte der Medizinalminister am 5. September 1907 
Angaben geeigneter Persönlichkeiten seitens der zuständigen Sachverstän¬ 
digen. 

6. Pocken- und Schutzpockenimpfung. 

Die Pockenepidemien mit ihrer großen Sterblichkeit haben die Preußische 
Medizinalverwaltung schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts in erheb¬ 
lichem Maße beschäftigt. Zahlreiche Verfügungen wurden im Laufe des 
18. Jahrhunderts behufs Bekämpfung der Pockenseuche erlassen. Es ist 
nicht möglich, diese Verfügungen auch nur inhaltlich hier wiederzugeben, 
ja, es würde zu weit führen, alle Erlasse der Minister und Bekanntmachungen 
der Regierungen, welche sich auf die Bekämpfung der natürlichen Blattern 
und die Schutzpockenimpfung bis zum Erlaß des Reichsimpfgesetzes be¬ 
ziehen, auch nur nach dem Datum anzuführen; das würde den Leser er¬ 
müden und ihn bei allem Interesse für die Sache doch nicht befriedigen. 

Es werden deshalb nur die nach meiner Überzeugung wichtigsten Vor¬ 
schriften usw. hier aufgeführt und im übrigen für die ältere Zeit bis etwa 
zum Jahre 1842 auf die sehr ausführlichen Mitteilungen des mehrgenannten 
Augustinschen Werkes verwiesen. 

Angeregt wurde die Blatternimpfung am 2. Dezember 1755 durch den 
Magdeburger Pbysikus Dr. Kessler, welcher während einer Blatternepidemie, 


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780 


M. Pifltor, 


in welcher 1000 Kinder gestorben waren, sechs Kinder mit Pockeninhalt 
ohne GesundheitsBchädigang, aber mit bestem Erfolg geimpft und dadurch 
vor der Ansteckung geschützt hatte. Diese Versuche wurden von mehreren 
Ärzten aufgenommen, welche den Kessler sehen Erfolg bestätigten, obwohl 
das Vorurteil der Bevölkerung die Ausführung der Impfung sehr erschwert 
hatte. 

Das Ober-Collegium Sanitatis machte im Jahre 1768 bekannt, „in welcher 
Weise sich der Landmann vor der Ansteckung durch die Blattern schützen 
könne“. Friedrich der Große befahl am 24. Februar 1775 die Einimpfung 
der Kinderpocken (Menschenblattern); am 9. März desselben Jahres bat der 
englische Arzt W. Baylies den König, ihm das Einimpfen der Blattern zu 
gestatten. 

Im Jahre 1778 richteten mehrere Physiker Anfragen an das Ober- 
Collegium Sanitatis über die Art und die Möglichkeit der Ausführung der 
Impfung, für deren Ausführung mittels Blatterninhalt sich einzelne Physiker 
unter Beifügung gedruckter Berichte über den Erfolg mit Angabe von Zahlen 
bereits ausgesprochen hatten. 

Unter dem 25. Juli 1788 wurde auf Antrag des Ober-Collegium medicum 
et sanitatis angeordnet, daß die Provinzmedizinalkollegien über die statt¬ 
gehabte Einimpfung der Blattern und deren glücklichen oder unglücklichen 
Erfolg berichten sollten. Aus diesen Berichten geht hervor, daß die echten 
Blattern entweder mittels ImpfsticheB oder durch Einlegen eines mit Pocken¬ 
inhalt angefeuchteten Fadens unter die Haut oder durch Einreiben des 
Inhaltes von Blattern in die wundgemachte Flachhand oder Kniekehle ein¬ 
geimpft worden sind. Die so erzeugten, oft sehr zahlreichen Schutzpocken 
sollten mit wenigen schädlichen Ausnahmen glücklich verlaufen sein. Dessen¬ 
ungeachtet fand die Impfung aus Menschenblattern bei der Bevölkerung, 
besonders des platten Landes wenig Anklang. 

In der Stadt Brandenburg a. H. waren 1770 die ersten Blatternimpfungen 
bald nach der Gattischen, bald nach der Dalesehen Methode in großer 
Zahl und ausnahmslos mit günstigem Erfolge gemacht worden. Aus Prenzlau 
berichtete der Kreisphysikus Dr. Rehfeld 1770, daß er 18 Jahre hindurch 
800 Kindern und Erwachsenen mit glücklichem Erfolge Blatternstoff ein¬ 
geimpft habe. 

Das vom Generaldirektorium bereits am 8. April 1769 verbotene Aus¬ 
stellen der Leichen von an Blattern Verstorbenen wurde am 18. September 
1787 erneuert. Die Leichen sollten nach einer Instruktion für die Prediger 
vom 31. Oktober 1794 im Sommer nach 60, im Winter nach 80 Stunden 
noch einmal so tief als üblich begraben werden. 

Am 31. Mai 1791 erforderte der König vom Ober-Collegium medicum 
ein Gutachten darüber, ob mit der Blatternimpfung nicht auch die Hebammen 
nach gehöriger Einübung betraut werden könnten. Das Gutachten vom 
22. Juli 1791 wies auf die geringe Vorbildung der Hebammen und die da¬ 
durch bedingte Schwierigkeit der Ausbildung zur Impfoperation, sowie auf 
die Gefahr der Übertragung auf die Kindbettnerinnen durch die impfenden 
Hebammen und die Lebensgefahr hin und sprach sich gegen die Beteiligung 
der Hebammen an der Blatternimpfung aus. Ebenso wurde eine Mitwirkung 
der Chirurgen allerorten, wo ein praktischer Arzt vorhanden war, abgelehnt. 


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781 


Geschieht« der preußischen Medizinalverwaltung. 

Am 25. März 1794 erhielt das Ober*Collegium medicum den Auftrag, 
eine neue gemeinverständliche Belehrung Aber den Schutz der Pocken¬ 
impfung gegen die Erkrankungen an echten Blattern zu verfassen, weil die 
Belehrung von 1768 wenig beachtet und nicht mehr zeitgemäß sei. In 
dieser Belehrung machte das Kollegium auf die verminderte Sterblichkeit 
an Blattern in denjenigen Gegenden und Ortschaften aufmerksam, in 
welchen die Blatternimpfung Eingang gefunden hatte. Die Mitwirkung von 
Nichtärzten, namentlich von Hebammen bei der Impfung wurde wieder be¬ 
rührt. Am 21. November 1794 sprach sich das Ober - Collegium medicum 
gegen eine zwangsartige Empfehlung der Blatternimpfung und gegen die 
Mitwirkung von Nichtärzten aus den angeführten Gründen aus. Nach 
weiteren Ermittelungen über die Verbreitung der Blattern und über die 
Sterblichkeit an dieser Krankheit, über den Erfolg der Impfungen mit 
Blatterninhalt, über die geringe Sterblichkeit, über die Folgen dieser Impfung 
erschien die veränderte 1768er Belehrung unter dem Titel 

„Kurze Anweisung, wie der Landmann bei grassierenden Pocken und Schar¬ 
lachfieber sich zu verhalten habe, auf Seiner Königl. Majestät Befehl vom Ober- 
Collegium medicum zeitgemäß verändert und verbessert und 1796 bei G. Decker 
herausgegeben. “ 

Das Hauptbedenken der Sachverständigen gegen die Einführung der 
gesetzlichen Zwangsblatternimpfung äußerte sich in der Beschränkung der 
persönlichen Freiheit durch die Zwangsimpfung, sowie darin, daß nicht selten 
durch die Impfung der Kinder mit Blatterngift eine epidemische Verbreitung 
der Blattern in der Bevölkerung herbeigeführt sei. 

Am 23. Januar 1798 berichtete Prof. Dr. Juncker in Halle an den 
König, daß in Preußen 26 646 Menschen während des Jahres 1796 an den 
Blattern gestorben seien. Unter seiner Leitung war ein Archiv zur Be¬ 
kämpfung der Pockennot entstanden. Auf Grund eines Gutachtens des Ober- 
Collegium medicum et sanitatis ordnete der König am 29. Oktober 1798 an, 
daß den Vorschlägen des Dr. Juncker, denen sich die Ärzte Gebe!er und 
Fischer angeschlossen hatten, näher getreten würde. Darauf erstatteten 
die vereinigten Collegia am 19. September 1799 ein ausführliches Gutachten, 
in welchem sie die Ausrottung der Pocken für einen frommen Wunsch er¬ 
klärten, zur Einschränkung der Seuche aber folgendes empfahlen: 

1. Belehrung des Landmannes über die Behandlung und Verhütung 
der Krankheit (die beigedruckte Belehrung müsse bei jedem Landgeistlichen 
und Schulmeister deponiert werden). 

2. Einführung der Pockenimpfung und Gewährung von Prämien an 
die Eltern für Zulassung der Impfung an ihren Kindern. 

3. Anstellung von Landärzten und Landchirurgen zur kostenlosen 
Behandlung Pockenkranker. 

Die Belehrung genehmigte der König am 25. September 1799, schlug 
aber die Gewährung von Prämien und die Anstellung von Pockenärzten 
wegen der hohen Kosten ab, und hielt die beigefügte Anweisung zur Aus¬ 
führung für den Landmann für nicht ganz passend. Mit eigener Hand 
fügte Friedrich Wilhelm III. am Rande hinzu: 

„Die Ärzte aber, welche Pockenkranke behandeln, glauben auch ihre Kur 
zu verstehen und werden also jene Anweisung nicht einmal lesen.“ 


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782 


M. Piator, 


Man muß staunen, wie weit schon vor länger denn einem Jahrhundert 
die ärztliche Erkenntnis vorgeschritten war. Die Impfungen sollten nioht 
in Gegenden stattfinden, wo andere ansteckende Krankheiten herrschten, am 
zweckmäßigsten zwischen dem 3. und 14. Lebensjahre usw. Damit der 
Landmann diese Vorschriften auch erfahre, sollten die Geistlichen und Lehrer 
dieselben verkünden. 

Vom Königlichen General-Oberfinanz-Kriegs- und Domäneudirektorium 
wird der Abdruck der Belehrung im Hauskalender empfohlen, nachdem der 
König seine Genehmigung zur Veröffentlichung erteilt hatte. 

Inzwischen wurde die Jennersche Entdeckung der Kuhpockenimpfung 
bekannt. Dr. Johann Karl Sybel in Brandenburg a. d. Havel trug seine 
umfangreichen Erfahrungen über Kuhpockenimpfungen am 24. Februar 
1801 dem derzeitigen Präsidenten des Medizinaldepartements vor, welcher 
unter 25. März 1801 ein Gutachten des Ober-Collegium medicum et sani- 
tatis zur Sache erforderte. 

Nach Anhörung der Provinzialcollegia medica et sanitatis über die Er¬ 
folge der Kuhpockenimpfung, insbesondere darüber „ob die Kubpocken 
ohne gefährliche Folgen vor der Erkrankung an den menschlichen Blattern 
Sicherheit gewähren“, kamen die genannten Obercollegia in dem Bericht an 
den König vom 2. Juni 1802 zu folgendem Ergebnis: 

1. Die Kuhpoekenimpfung bewirkt nur eine leichte, gefahrlose und selbst durch 
Komplikationen mit anderen Übeln nicht zu fürchtende Krankheit. 

2. Sie schützt gegen die Ansteckung der natürlichen Pocken wenigstens 
ebenso sicher, als es die Impfung mit natürlichen Pocken tut. 

3. Sie gewährt also ein der größten Empfehlung wertes Mittel, um Millionen 
Menschen vor den schrecklichen Folgen der natürlichen Pocken zu sichern und 
sie am Ende ganz zu vertilgen. 

Es wird beantragt: 

1. die vorstehenden Sätze in üblicher Weise bekannt zu maohen; 

2. die ärztlichen Medizinalpersonen zur Fortsetzung der Vaccination mit 
Kuhpockenlymphe und zur Berichterstattung über die Erfolge aufzufordern und 
darauf hinzuweisen, daß es der früher angewendeten Vorsichtsmaßregeln nicht 
weiter bedürfe (den Chirurgen war das Impfen nur unter Aufsicht von appro¬ 
bierten Ärzten gestattet); 

3. in der Charitö ein Impfinstitut unter der Direktion der Geheimen Medi¬ 
zinalräte Dr. Hufeland und Fritze einzurichten; 

4. Provinzialeinrichtungen der Art mit den Hebammenschulen zu verbinden; 

5. Ärzten, welche viele Kinder unentgeltlich geimpft haben, Impfprämien zu 
gewähren. 

Die zu 1. und 2. aufgeführten Ergebnisse über die Wirksamkeit und 
den Nutzen der Kuhpockenimpfung stützen sich auf die an 7445 Kindern 
gemachten Impfungen mit Kuhpockenlymphe. Den Schutz gegen die An¬ 
steckung mit Menschenpocken hatte man dadurch erwiesen, daß man die 
Geimpften bald nach der Kuhpockenimpfung mit Blatterngift geimpft, mit 
Blatternkranken in ein Bett gelegt hatte u. dgl. m., niemals war eine Er¬ 
krankung der Geimpften an Blattern eingetreten. 

Nach weiteren Ermittelungen und Prüfungen befahl der König am 
21.Oktober 1802 die Einrichtung einer Schutzpockenimpfanstalt imFriedrichs- 
WaiBenhause, in welcher die Kinder wie Erwachsene unentgeltlich geimpft 
werden sollten. Auch sollte die Anstalt stets Impfstoff an die Ärzte zur Aus¬ 
führung der Impfung abgeben. Zu dem Ende sollten stets zwei mit echtem 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


783 


Schutzpockenstoff geimpfte Kinder unentgeltlich in der Anstalt erhalten 
werden (das Reglement vom 19.Oktober 1802, Augustin, Bd. 2, S.647). 

Auch in Königsberg und anderen großen Städten wurden gleichzeitig 
Impfanstalten errichtet. 

Die Schutzkraft der Vaccine bestätigten weitere Erfahrungen, welche 
zu der Anordnung des Königs vom 31. Oktober 1803 über die Ausführung 
der Kuhpockenschutzimpfung führte. Nur ausnahmsweise wurde im § 3 
daselbst die Impfung mit Pockenstoff noch gestattet, wenn an einem Orte 
die echten Blattern auftraten oder in einem Hause, in welchem ungeimpfte, 
also pockenfähige Personen wohnten, aber nur, wenn die Personen die Ein¬ 
impfung des Kubpockenstoffes ablehnten und echten Pockenstoff verlangten, 
endlich wenn die Polizeiobrigkeit eine zuverlässige Absonderung der mit 
Pockengift Geimpften für gewährleistet erklärte. Je länger je mehr über¬ 
zeugte man sioh von der Gefahr der Einimpfung des Pockengiftes für das 
Gemeinwohl. 

Denjenigen, welche sich um Förderung der Impfung besonders verdient 
gemacht hatten, sollten aus einem hierfür bestimmten Fonds Impfprämien 
gezahlt und Impfmedaillen verliehen werden. 

Das im Jahre 1804 empfohlene Maukegift Grease zum Schutze 
gegen Pockenansteckung bewährte sich nach umfangreichen Versuchen nicht 
(Kabinettsorder vom 19. Juli 1804). 

Einzelne Geistliche predigten von den Kanzeln zu Gunsten der Kuh¬ 
pockenimpfung. 

Das Impfreglement vom 31. Oktober 1803 erfuhr durch Kabinettsorder 
vom 13. Oktober 1804 eine Abänderung dahin, daß auch die Wundärzte 
impfen durften. Außerdem wurde den Militärärzten wie den Geistlichen 
wieder eingeschärft, die Vorurteile gegen die Schutzblatternimpfung nach¬ 
drücklich zu bekämpfen. 

Nach dem Bericht des Obercollegium medicum et sanitatis vom 20. Juni 
1803 waren im Jahre 1802 bereits im ganzen 17 741, darunter 689 Sub¬ 
jekte im Impfungsinstitut mit Kuhpockenimpfstoff ohne jegliche üble Folgen 
erfolgreich geimpft worden. In dem Berichte wurde ein gesetzliches Verbot 
der Impfung mittels Blatternstoff beantragt. Wo Ärzte nicht ansässig seien, 
sollte Chirurgen und wo auch diese fehlen, Apothekern, Hebammen, Geist¬ 
lichen, Schullehrern die Ausführung der Impfung nach genügender Vor¬ 
übung unter gewissen Bedingungen gestattet werden. 

Am 25. April 1805 veröffentlichte das Obercollegium medicum et 
sanitatis eine Aufforderung an die Einwohner des Preußischen Staates, be¬ 
sonders an „den Landmann betreffend die Impfung der Schutzblattern", in 
welcher auf die Schutzkraft der Kuhpocken auf Grund der inzwischen ge¬ 
machten zahlreichen Erfahrungen hingewiesen und zur Benutzung dieses 
Schutzes ermahnt wurde. 

Im Jahre 1805 sind im Königreich mit Ausnahme von Schlesien und 
Südpreußen 102330 Impfungen gemacht worden. Das Medizinaldepartement 
bittet den König 1. die Impfgebühr, welche einschließlich der erforderlichen 
Besuche bis dahin auf 3 bis 5 Taler! festgesetzt war, auf einen Taler herab¬ 
zusetzen; der hohe Satz schrecke die weniger wohlhabende Bevölkerung ab. 
2. Den Gemeinden und Dorfschaften auf dem platten Lande anbefehlen zu 


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784 


M. Pistor, 


lassen, wenn die Blattern in einer Ortschaft, welche ohne Arzt ist, aas¬ 
brechen sollten, dorthin den nächsten Arzt oder den Physikus zu entsenden. 
3. Sollte die beauftragte Medizinalperson unbemittelt sein, so möge 
deren Salarierung aus einem öffentlichen Fonds genehmigt werden. Die 
Litt. 1 und 2 wird genehmigt einschließlich einer unentgeltlichen Fuhre für 
den Impfarzt. 

Am 28. Dezember 1808 legte der Kanzler von Schroetter in Königs¬ 
berg den Entwurf zu einer Verordnung mit Vorschlägen zur Ausrottung 
der natürlichen Blattern behufs gesetzlicher Einführung der Schutzblattern¬ 
impfung vor; die Kinderpocken (soll wohl heißen die natürlichen Blattern) 
sollten als pestartiges Übel betrachtet werden. Diese Vorschläge gründeten 
Bich auf Ergebnisse einiger Konferenzen des Kanzlers v. Schroetter mit 
Hufeland und Görcke. 

Nach Durchberatung der Vorlage in den beteiligten Behörden und 
Begutachtung in der Sektion für die allgemeine Gesetzgebung erklärte sich 
diese am 23. Juni 1809 gegen die gesetzliche Zwangsschutzimpfung aus 
Gründen, welche in der theoretisch konstruierten Tätigkeit der Polizei 
wurzelten, der nur ein Verbietungs-, kein Gebietungs- oder Förderungs¬ 
recht zugestanden wurde. Auch der Justizminister erklärte sich gegen 
den gesetzlichen Impfzwang, dem sich der Staatskanzler von Harden¬ 
berg am 20. Oktober 1811 anschloß, indem er außer dem Eingriff in 
die persönliche Freiheit, deshalb Bedenken trag, weil nach dem Gutachten 
von Heim und Görcke, der seine Ansicht seit 1808 wohl geändert haben 
muß, die Einimpfung der Schutzpocken auch Krankheiten, wie Hautaus¬ 
schläge, nach sich ziehe. Dagegen erklärte sich der Kanzler damit ein¬ 
verstanden, daß im Falle des Ausbruches von Blattern Zwangsimpfung mit 
Kuhpocken gesetzlich eingeführt werde. 

Damit war der Entwurf vorläufig abgetan und kam erst wieder ans 
Licht, als die Wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen am 
8. Januar 1817 von neuem mit der Angelegenheit befaßt wurde. Am 
23. Dezember 1817 ordnete der Minister von Altenstein eigenhändig an, 
daß der Gesetzentwurf dem Staatsrat Dr. med. Langermann zur weiteren 
Vorbereitung für die Beratung im Ministerium vorgelegt werde. Am 
12. November legte der Geheime Medizinalrat Dr. Formey, dem die Sache 
nach Langermanns Rücktritt überwiesen war, den neu verfaßten Entwurf 
vor. Inzwischen halfen sich einzelne Regierungen durch Sonderverordnungen 
und Bekanntmachungen, so die Regierung in Münster durch eine Bekannt¬ 
machung vom 9. April 1820 u. a. m. 

Eine Bekanntmachung des Medizinalministers vom 24. September 
1819 (v. K. A. III, 4, S. 1019) machte die Bevölkerung, welche der Schutz¬ 
pockenimpfung immer noch großes Mißtrauen entgegenbrachte, wiederholt 
auf die Schutzkraft und Ungefährlichkeit der Impfung aufmerksam. 

Da die gesetzliche Regelung der Schutzpockenimpfung sich immer 
weiter verzögerte, erließ der Medizinalminister am 1. Mai 1825 die in den 
öffentlichen Blättern nicht veröffentlichte, in Pistor, Gesundheitswesen, Bd.2, 
S. 499 abgedruckte Anweisung über die Ausführung des Impfgeschäftes. 

Ein am 12. Mai 1826 von den Ministern der Medizinalangelegenheiten, 
des Innern und des Krieges vorgelegter Entwurf zu einer die Zwangs- 


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785 


Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 

impfung bis zu einem gewissen Grade einfahrenden K&binettsorder erhielt 
die königliche Genehmigung zum Teil nach dem folgenden Wortlaut der 
Order vom 30. Mai 1826. 

„Ich habe auf ihren wegen der Schutzblattern an mich erstatteten Bericht 
vom 12. d. M., die wegen der zum Militärverbande gehörenden Leute angetragene 
Maßregel als militär-disziplinarisch zu genehmigen kein Bedenken gefunden. Was 
dagegen die Einführung einer allgemeinen Impfung betrifft, will ich keinen direkten 
Zwang gestatten, der zu sehr in die häuslichen Verhältnisse eingreift, genehmige 
dagegen, daß Sie die Maßregel eines indirekten Zwanges durch Versagung der 
Aufnahme in Schulen, Gymnasien, Pensionsanstalten, Kadetten- und Waisenhäuser, 
sowie in die Lehre bei Handwerkern und bei Einwanderungen in die diesseitigen 
Staaten zur Ausführung bringen. Inwieweit es als eine Anwendung des indirekten 
Zwanges angemessen sei, auch das Aufgebot und die Kopulation von dem Nachweis 
der Impfung oder der überstandenen Blatternkrankheit abhängig zu machen, gebe 
ich Ihnen zur näheren Erwägung anheim.* 

Eine Kabinettsorder vom gleichen Tage verpflichtete die Zivilbehörden, 
die Schutzblatternimpfung der zum Militärverbande gehörenden Leute, 
namentlich der Kriegsreserven und Landwehrrekruten, welche ihnen von den 
Militärbehörden als ungeimpft namhaft gemacht wurden, sofort erforderlichen 
Falls unter Anwendung direkten Zwanges, zur Impfung zu veranlassen. 

Daraufhin erging der Erlaß der Minister der Medizinalangelegenheiten 
und des Innern vom 17. Oktober 1827 über die Ausfahrung der Impfung 
(v. K. A. 1827, Heft I u. IV). 

Auf einen wiederholten Antrag auf Einführung der allgemeinen Zwangs¬ 
impfung erforderte der König vor Entscheidung der Sache Bericht darüber, 
ob und in welchen anderen Staaten diese Maßregel bereits gesetzlich durch¬ 
geführt worden und welche Modalitäten dabei stattfinden? Auf den am 
20. Februar 1834 erstatteten Bericht lehnte der König am 16. Juni die 
Einführung einer allgemeinen Zwangsimpfung ab (G.-S., S. 119). Die Schutz¬ 
pockenimpfung wurde nun nach den gegebenen Anweisungen in den ein¬ 
zelnen Regierungsbezirken zum Teil auf Grund von Polizeiverordnungen 
durchgeführt, welche aber keinen direkten Zwang aussprachen, sondern nur 
die Zulassung der Kinder zum Schulunterricht usw. von der Vorlage einer 
ärztlichen Bescheinigung über erfolgreiche Impfung abhängig machten. Die 
Wiederimpfung wurde empfohlen. Impfzwang trat nur im Falle des Auf¬ 
tretens der natürlichen Pocken auf Grund des § 55 des Reglements über 
sanitätspolizeiliche Maßregeln zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten 
vom 8. August 1835 (G.-S-, S. 240) ein. 

Ich übergehe hier die schon in dem 7. Jahrzehnt sich mehrenden Klagen 
über Gesundheitsschädigungen durch die Kuhpockenimpfung, welche durch 
einzelne, besonders homöopathische Arzte unterstützt wurden. Auch die 
Weiterentwickelung der Impfanstalten bedarf nur insoweit einer Erwähnung, 
als der Direktor der Berliner Anstalt die Vermischung der humanisierten 
von den Schutzpocken der Kinder gewonnenen Lymphe mit Glycerin in die 
Praxis einführte. Den Gebrauch der Glycerinlymphe ordnete der Ministerial- 
erlaß vom 10. Mai 1871 (M.-Bl., S. 201) allgemein an. 

Etwa gleichzeitig fand die Anwendung von Kälberlymphe viele An¬ 
hänger, weil bei ihrer Verwendung statt der bisher verwandten humanisierten 
Lymphe keine Übertragung von konstitutionellen Krankbeiten, insbesondere 

Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege, 1908. eq 


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786 


M. Pistor, 


der Syphilis zu befürchten stand. Daß die Syphilis bei der Abimpfung von 
einem Kind auf ein anderes übertragen werden konnte, war erwiesen. 

Die umfangreichen Pockenepidemien unter den französischen Gefangenen 
und deren Ausdehnung auf ungeimpfte oder nicht wieder geimpfte Personen 
der deutschen Bevölkerung erweckten das Verlangen nach einem Zwangs¬ 
impfgesetz und besiegten die früheren juristischen Bedenken. 

Schon der Reichstag deB Norddeutschen Bundes hatte bei der Beratung 
von Petitionen des Dr. Wasserfuhr aus Stettin und Genossen und des Ärzt¬ 
lichen Zweigvereins in Leipzig u. a. m., um Errichtung einer Verwaltungs¬ 
organisation der öffentlichen Gesundheitspflege u. dgl. m. in der Sitzung 
am 6. April 1870 beschlossen: 

den Herrn Bundeskanzler zu veranlassen, schon vor der Einsetzung einer 
medizinischen Zentralbehörde für den Norddeutschen Bund baldigst eine 
statistische Erhebung über den Einfluß der einmaligen und wiederholten 
Einimpfung der Bchutzpocken auf die Verbreitung und Gefährlichkeit der 
Menschenpocken, sowie auf die Gesundheit der Geimpften innerhalb der 
Staaten des Norddeutschen Bundes und tunlichst auch der übrigen deutschen 
Staaten ins Werk zu setzen. 

Der Bundeskanzler wünschte über diesen Beschluß unter dem 14. Februar 
1870 das Gutachten der Preußischen Wissenschaftlichen Deputation für das 
Medizinal wesen. Das Ersuchen gelangte erst nach der Beendigung des 
französischen Krieges unter dem 12. Februar 1872 an den Medizinal¬ 
minister. Die Wissenschaftliche Deputation sprach sich dahin aus: 

1. daß die Mortalität bei der Pockenkrankheit seit der Einführung der Vac- 
cination bedeutend abgenommen habe; 

2. daß die Vaccination für eine ganze Reihe von Jahren einen vollkommenen 
Schutz vor der Pockenkrankheit gewährt; 

3. daß die Revaccination die wiederkehrende Empfänglichkeit für die Pocken¬ 
krankheit wiederum für längere Zeit tilgt und einen immer größeren gegen den 
Tod durch diese verschafft; 

4. daß keine verbürgte Tatsache vorliegt, welche für einen nachteiligen 
Einfluß der Vaccination auf die Gesundheit der Menschen spricht. 

Nach weiteren Erwägungen und Beratungen erschien am 8. April 1874 
das Reichsimpfgesetz (R.-G.-BL, S. 31), welches die Impfung der Kinder im 
ersten Lebensjahr und die Wiederimpfung im 12. Lebensjahre gesetzlich 
regelt, die Bildung von Impfbezirken anordnet und vorschreibt, daß die ein¬ 
zelnen Orte des Impfbezirkes von dem Impforte nicht über 5 km entfernt 
sein sollen. Erfolglose Erstimpfungen sollen dreimal in den folgenden 
Jahren wiederholt und im Laufe von drei Jahren auBgeführt werden. Nur 
Arzte dürfen impfen usw. Über die Erfolge der Impfungen sollen tabellarische 
Übersichten nach für das Deutsche Reich vorgeschriebenen Mustern erstattet 
werden; die Scheine über den Erfolg der Impfung und Wiederimpfung 
erhielten verschiedene Farben. 

Am 12. April 1875 erschien das Preußische Ausführungsgesetz zum 
Reichsimpfgesetz (G.-S., S. 191), welches die Bildung der Impf bezirke, die 
Anstellung der Impfärzte und die Tragung der Kosten für die Impfung den 
Kreisen überträgt, die Gemeinden der Impf Ortschaften zur Beschaffung der 
erforderlichen Impf räume und der Schreibhilfe verpflichtet. Dazu ergingen 
am 19. April 1875 die AusführangBbestimmungen. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


787 


Den Wundärzten zweiter KlaBse wurde durch Erlaß vom 24. April 1875 
die Ausführung der Impfung untersagt. 

Das Haus der Abgeordneten hatte bereits 1873 die Einrichtung von 
Impfinstituten in jeder Provinz angeregt. 

Nach § 9 des Reichsimpfgesetzes haben die Landesregierungen nach 
näherer Anordnung des Bundesrates dafür zu sorgen, daß eine angemessene 
Anzahl von Impfinstituten zur Beschaffung und Erzeugung von Schutz¬ 
pockenlymphe eingerichtet werde. 

In den Provinzen Pommern, Hessen-Nassau und der Rheinprovinz be¬ 
standen bis 1875 keine Impfinstitute, wurden aber dann eingerichtet. 

Der Widerstand gegen die Schutzpockenimpfung hatte sich im Laufe 
der Jahre gemehrt und verstärkte sich nach dem Inkrafttreten des ReichB- 
impfgesetzes ganz erheblich, unterstützt von einzelnen Ärzten, welche ge¬ 
sundheitliche Schädigungen durch die Impfung mit humanisierter Lymphe 
nachwiesen. Besonders wurden genannt: Übertragungen der Skrofulöse, 
Tuberkulose, Rhachitis, des Rotlaufes und der Syphilis, sowie vereinzelt noch 
andere Erkrankungen. Während die Übertragung der übrigen Erkrankungen 
nicht einwandfrei nachgewiesen werden konnte, hatten Übertragung der 
Wundrose und der Syphilis durch die Impfung mit humanisierter Lymphe 
zweifellos in einer Anzahl genau untersuchter Fälle stattgefunden. 

Um die berechtigten Beschwerden über so bedenkliche Gesundheits* 
Schädigungen durch die Zwangsimpfung mit humanisierter Lymphe zu be¬ 
seitigen, trat die Medizinalverwaltung der Frage der Verwendung von 
tierischem Impfstoff zur Impfung und Wiederimpfung im Jahre 1877 näher, 
nachdem bereits seit 1864 im Berliner Impfinstitut Versuche mit aus Italien 
bezogenem tierischen Impfstoff gemacht waren, welche zu keinem günstigen 
Ergebnis geführt hatten. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß schon im 
Jahre 1828 mehrere Ärzte im Regierungsbezirk Arnsberg den Wunsch geäußert 
hatten, mit dem direkt von Euterpocken der Kuh entnommenen Inhalte zu 
impfen, wie aus einer Verfügung der Arnsberger Regierung vom 21. Juli 1829 
(Augustin, Preußische Medizinal Verfassung, Bd. 5, S. 591) ersichtlich ist. 

Inzwischen hatte Dr. Pissin in Berlin in den 60er Jahren einen Impf¬ 
stall zur Gewinnung von Kälberlymphe errichtet und dieselbe für die Impfung 
so warm empfohlen, daß der Medizinalminister am 23. April 1870 die Re¬ 
gierungen zum Bericht über die mit dem tierischen Impfstoff gemachten Er¬ 
fahrungen aufforderte. Nach den Berichten konnte 1877 ein sicheres 
Ergebnis nicht gewonnen werden; die Frage der tierischen Impfung konnte 
als abgeschlossen nicht betrachtet werden. 

Am 18. Januar 1882 erhielt der Medizinalminister Kenntnis davon, 
daß in Leipzig eine Anstalt für animale Impfung bestände und alle Ärzte, 
welche sich mit Impfung beschäftigten, tierischen Impfstoff zu beziehen auf¬ 
forderte. Der Minister trat auf Grund des Berichtes des Begründers jener 
Anstalt Dr. med. Fürst der Frage der Impfung mit tierischem Impfstoff 
wieder näher. Am 30. Oktober 1884 begannen kommissarische Beratungen 
über die hochwichtige Frage der Verwendung von tierischem Impfstoff für 
die gesetzlichen Impfungen und Wiederimpfungen. 

Die Beschlüsse dieser Kommission nahm der Bundesrat am 18. Juni 
1885 in folgender Fassung an: 

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788 


M. Pistor, 


Beschlüsse, 

betreffend die allgemeine Einführung der Impfung mit Tierlymphe. 

1. Da die mit der Impfung mit Menschenlymphe unter Umständen verbundenen 
Gefahren für Gesundheit und Leben der Impflinge (Impfsyphilis, Impfery¬ 
sipel usw.) durch die Impfung mit Tierlymphe, soweit es sich um direkte 
Übertragung der Syphilis oder der accidentellen Wundkrankheiten handelt, 
vermieden werden können, und da die Impfung mit Tierlymphe in der Neuzeit 
soweit vervollkommnet ist, daß sie der Impfung mit Menschenlymphe fast 
gleichzustellen ist, so hat die Impfung mit Tierlymphe tunlichst an Stelle 
der mit Mensclienlymphe zu treten. 

2. Die allgemeine Einführung der Impfung mit Tierlymphe ist allmählich 
durchzuführen, und zwar sind unter Zuhilfenahme der bisher gewonnenen 
Erfahrungen Anstalten zur Gewinnung von Tierlymphe in einer dem voraus¬ 
sichtlichen Bedarfe entsprechenden Anzahl zu errichten. 

Sobald der Bedarf an Tierlymphe seitens einer solchen Anstalt gesichert 
ist, sind die öffentlichen Impfungen in dem betreffenden Bezirke mit Tier¬ 
lymphe auszuführen. 

3. Für die Einrichtung und den Betrieb der Anstalten sind folgende all¬ 
gemeine Bestimmungen maßgebend. 

a) Die Anstalt ist der Leitung eines Arztes zu unterstellen. 

b) Die Lymphe wird den Impfärzten kosten- und portofrei überlassen. 

c) Es ist gestattet, an Stelle der sogenannten genuinen Vaccine die Retro- 
vaccine zu benutzen. 

d) Die Lymphe ist nicht eher an die Impfärzte abzugeben, als bis die 
Untersuchung der geschlachteten Tiere, welche die Lymphe lieferten, 
deren Gesundheit erwiesen hat. 

e) Über Alter, Pflege und Wartung der Kälber, Zeit und Art der Lymphe¬ 
abnahme, Methode der Konservierung, der Aufbewahrung, des Ver¬ 
sandes usw. werden durch eine Kommission von Sachverständigen spezielle 
Instruktionen ausgearbeitet. 

Diese Beschlüsse teilte der Medizinalminister am 20. Januar 1886 den 
Oberpräsidenten zum Berichte über die zurzeit bestehenden königlichen, 
gemeindlichen und privaten (Ärzte, Apotheker) Anstalten zur Erzeugung 
von tierischem Impfstoff unter dem Bemerken mit, daß voraussichtlich die 
vorhandenen Anstalten einer wesentlichen Umgestaltung bedürfen würden. 
Sehr günstig würde es sein, wenn die Anstalten mit unter andauernder tier¬ 
ärztlicher Aufsicht stehenden SchlachthauBanlagen in organischen Zusammen¬ 
hang gebracht werden könnten. 

Weiter kam die Anstellung der Impfärzte und deren Entschädigung in 
Frage, da in Zukunft die Bestellung derselben durch die Staatsbehörde 
erfolgen, das öffentliche Impfgeschäft vorzugsweise den beamteten Ärzten 
übertragen werden sollte usw. Erlaß vom 24. März 1886 (PiBtor, Gesund¬ 
heitswesen, Bd. 2, S. 539). 

Am 6. April 1886 (M.-Bl., S. 51) erhielten die Oberpräsidenten die 
Ausführungsvorschriften zu dem Bundesratsbeschluß vom 18. Juni 1885, 
nämlich: 

I. Vorschriften, welche von den Ärzten bei der Ausführung des Impf¬ 
geschäfts zu befolgen sind. 

II. Verhaltungsvorschriften für die Angehörigen der Impflinge. 

III. Vorschriften, welche von den Ortspolizeibehörden bei der Ausführung 
des Impfgeschäftes zu befolgen sind. 

Zu diesen Vorschriften sind in dem oben bezeichneten Erlaß sorgfältige 
Erläuterungen enthalten. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


789 


Die Durchführung der Impfung mit tierischem Impfstoff im ganzen 
Staate zog sich naturgemäß so lange hin, bis alle Impfstoffgewinnungsanstalten 
die erforderlichen Mengen Impfstoff liefern konnten. 

Neben den Königlichen Anstalten wurden vereinzelte Privatanstalten 
(Ärzten, Apothekern) der Vertrieb von tierischem Impfstoff unter ganz be¬ 
stimmten Bedingungen gestattet; sämtliche Impfgewinnungsanstalten unter¬ 
stehen der staatlichen Aufsicht. 

Die Studierenden der Medizin wurden durch Erlaß vom 19. Januar und 
30. April 1886 verpflichtet, praktischen Unterricht im Impfen zu nehmen 
und in der Staatsprüfung sich der Prüfung im Impfen (Bekanntmachung 
des Reichskanzlers vom 25. April 1887. Z.-Bl. f. d. D. R., S. 110) zu unter¬ 
werfen. Ärzte, welche dieser Vorschrift nicht genügt hatten, dürfen als Impf¬ 
ärzte nicht angestellt werden. Als Nachweis der erforderlichen Kenntnisse 
und Übung genügt für die vor dem 1. November 1887 approbierten Ärzte 
das Zeugnis, daß sie sich als Impfärzte bewährt hatten. 

Für die Gewinnung, Aufbewahrung und Versendung von tierischem 
Impfstoff ist der Bundesratsbeschluß vom 28. April 1887 (Pistor, Gesund¬ 
heitswesen, Bd. II, S. 544) maßgebend. 

Eine reichBgesetzliche Regelung der Abgabe tierischen Impfstoffes aus 
Privatanstalten und Einrichtungen (Ärzte, namentlich Apotheker) hielt man 
bis Ende 1890 regierungsseitig nicht für erforderlich, nachdem die Lieferung 
der für die Impfung und Wiederimpfung genügender Mengen durch staat¬ 
liche Anstalten sicher gestellt war. 

Am 31. März 1897 bestimmten die Minister der Medizinalangelegen¬ 
heiten und des Innern, daß für die öffentlichen Impfungen in Zukunft aus¬ 
schließlich tierischer Impfstoff aus den Landesanstalten zu verwenden sei. 
Die Länge und Entfernung der Impfschnitte wie das Einverleiben des Impf¬ 
stoffes wurde vorgeschrieben, die Anlegung von Kreuz- und Gitterschnitten 
und das wiederholte Einreiben deB Impfstoffes verboten. Gleichzeitig 
wurden die den Impfärzten und den Eltern erteilten Vorschriften über 
Asepsis bei der Ausführung der Impfung und über die seitens der Eltern 
zu beobachtende Reinlichkeit der Impflinge in Erinnerung gebracht, auch 
bestimmt, daß in demselben Impftermine zur Vermeidung von Überfüllung 
der Räume nur 50 Impflinge oder 80 Wiederimpflinge zugelassen werden 
sollten. 

Der Bandesrat beschloß am 28. Juni 1899, daß die Tierlymphe für alle 
Impfungen nur aus staatlichen Impfanstalten oder deren Niederlagen oder 
aus solchen Privatanstalten, welche einer staatlichen Aufsicht unterstehen, 
bezogen werden dürfe. 

Am gleichen Tage vereinbarte der Bundesrat Vorschriften über Ein¬ 
richtung und Betrieb der staatlichen Anstalten zur Gewinnung tierischen 
Impfstoffes und änderte seine Beschlüsse vom 18. Juni 1883 nach dem zei¬ 
tigen Stande der Wissenschaft und nach den bei der Ausführung der 
Impfungen gemachten Erfahrungen zeitgemäß ab; die sämtlichen Beschlüsse 
haben die Minister der Medizinalangelegenheiten und des Innern am 28. Fe¬ 
bruar 1900 den nachgeordneten Behörden zur Nachachtung empfohlen. 

Durch Erlaß vom 20. Juli 1905 bestimmte der Medizinalminister, daß 
die Impfstoffgewinnungsanstalten durch seinen Fachreferenten ein Jahr um 


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790 


M. Pistor, 


das andere revidiert werden sollten; in dem zwischenliegenden Jahr sollte 
der Regierungs- und Medizinalrat die Revision ausführen, aber auch stets 
bei den Revisionen durch den Fachreferenten zugegen sein. 

Um die Sicherheit gegen Abnahme des tierischen Impfstoffes von tuber¬ 
kulösen Kälbern noch zu erhöhen, deren Gesundheitszustand nach den be¬ 
stehenden Bestimmungen nach der Schlachtung unmittelbar nach der Ab¬ 
impfung tierärztlich sorgfältig untersucht werden mußte, schrieb der 
Medizinalminister am 20. Oktober 1905 vor, daß sämtliche für die Impf¬ 
stoffgewinnung verwendeten Tiere vor der Impfung einer diagnostischen 
Einspritzung von Tuberkulin unterworfen werden sollten; nur die nicht 
darauf reagierenden Tiere dürfen geimpft werden. 

Die Vorstände der deutschen staatlichen Impfstoffgewinnungsanstalten 
baten um Überweisung eines Impfbezirkes, damit sie selbst sich die geeig¬ 
neten Erstimpflinge zur Abimpfung behufs Gewinnung von Kälberimpfstoff 
auswählen und Vorprüfung des Impfstoffes auf seine Wirksamkeit vor der 
Versendung vornehmen könnten. Die Beteiligung der Vorsteher der Anstalten 
an dem öffentlichen Impfgeschäft zur Erfüllung der ihnen obliegenden Auf¬ 
gabe der wissenschaftlichen Förderung der Impfung sei nur unter Benutzung 
amtlicher Impftermine möglich. Der Minister entsprach diesem Wunsche. 

Die Vorschriften zur Ausführung des Impfgesetzes erfuhren zum Schutze 
für die Angehörigen der Erstimpflinge und für die Wiederimpflinge einige 
Änderungen, um Übertragung des Inhaltes der Impfpusteln von den Ge¬ 
impften auf sich selbst oder andere zu verhüten, durch den Erlaß vom 
2. November 1907 (M.-Bl. M. A., S. 448). 

Weitere Bestimmungen über Behandlung des Impfstoffes, Neubauten 
der alten Anstalten fallen in das Jahr 1908. 

Blatternepidemien von größerer Ausdehnung kommen im Deutschen 
Reiche kaum noch auf, nachdem die Vorschriften des Reichsimpfgesetzes 
ausgeführt und wirksam geworden sind. Beim Auftreten dienen zur Be¬ 
kämpfung die Vorschriften des Reichsseuchengesetzes vom 30. Juni 1900 
nach den Ausführungsbestimmungen des Bundesrates. 

Nach der Einführung der Impfung mit Kälberimpfstoff sind Erkran¬ 
kungen der Impflinge an Syphilis infolge der Impfung nicht mehr, an 
Rotlauf (Erysipel) nur selten nachgewiesen worden. 

Dagegen sind mehrfach Erkrankungen an impetigo contagiosa, einer 
akuten Hautkrankheit beim Impfen beobachtet worden, ob infolge der 
Impfung, ist nicht erwiesen. Die Krankheit wurde auch auf Nichtgeimpfte 
übertragen. 

Infolgedessen richtete der Reichskanzler am 5. September 1888 ein 
Schreiben an die Bundesregierungen, in welchem Ermittelungen über das 
Auftreten der Krankheit und Maßnahmen behufs Verhütung und Behand¬ 
lung empfohlen wurden. Dieses Schreiben teilte der Medizinalminister den 
Provinzialbehörden zur gegebenenfalls sofortigen Berichterstattung unter 
Angabe der Impfstoffbezugsquelle mit. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


791 


B. Übertragbare Krankheiten. 

1. Diphtherie. 

Das Auftreten der Diphtherie fällt in den Anfang, die epidemische Ver¬ 
breitung in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die erwiesene Übertragung 
der gefährlichen Krankheit durch Berührung der Gesunden mit Kranken 
oder deren Auswurfstoffen, insbesondere des Nasen- und Mundschleimes 
ließ einige Regierungspräsidenten der besonders von der Krankheit heim¬ 
gesuchten Bezirke oder Provinzen zur Ergänzung des Regulativs vom 

8. August 1835, in welchem die Diphtherie naturgemäß noch keine Auf¬ 
nahme gefunden hatte, zu Polizeiverordnungen greifen, welche die An¬ 
zeigepflicht für diese Krankheit ebenso einführten wie für das in dem 
erwähnten Regulativ auch nicht berücksichtigte Kindbettfieber. Der Polizei¬ 
präsident von Berlin ging 1879 voran, Regierungspräsidenten, z. B. der¬ 
jenige von Wiesbaden und der Oberpräsident von Brandenburg erließen 
gleiche Verordnungen. Daraufhin und mit Rücksicht auf das immer weitere 
Umsichgreifen der Diphtherie ordnete der Medizinalminister am 1. April 1884 
den Erlaß von Polizeiverordnungen in allen Provinzen an (M.-Bl., S. 109). 

Diese Polizeiverordnungen, wie hier gleich bemerkt werden soll, wurden 
von dem Kammergericht in Berlin am 18. April 1895, 13. Juli 1899 und 

9. April 1903 für rechtsungültig erklärt, weil sie über das Gesetz, das 
Regulativ vom 8. August 1835, hinausgingen. 1894 entdeckte E. v. Behring 
sein Heilserum, welches sich im Laufe der Jahre als vorzügliches Heilmittel 
erwies. Darauf wies der Kriegsminister am 30. Oktober 1896 hin und gab 
Vorschriften über die Anwendung des Heilmittels (Pistor, Gesundheitswesen, 
Bd. I, S. 614). 

Da die Herstellung dieses Heilmittels der größten Sorgfalt bedarf, um 
die Kranken vor Schaden zu bewahren und eine sichere Wirkung zu er¬ 
zielen, wurde die Herstellung nur einzelnen Fabriken von der Regierung 
übertragen, deren Fabrikate sich nach Prüfung durch hervorragende Sach¬ 
verständige als einwandfrei erwiesen hatten. Die Mittel selbst aber wurden 
außerdem vor Abgabe in den Verkehr an besonderen Prüfungsstellen auf 
ihre Reinheit und Wirksamkeit geprüft. Das Mittel durfte nur von Apo¬ 
thekern an die Ärzte abgegeben werden. Diejenigen Serien der Fabrikation, 
welche durch das Alter unwirksam geworden waren, zog der Minister aus 
dem Verkehr. Als Fabrikationsstätten für Serum wurden damals allein die 
chemische Fabrik auf Aktien, vorm. E. Schering in Berlin und die Farb¬ 
werke vorm. Meister, Lucius u. Söhne in Höchsta. M. staatlich anerkannt, 
welche sich bereit erklärt hatten, diese Präparate in mit Plombenverschluß 
versehenen Fläschchen abzugeben und erforderlichenfalls umzutauschen. 

Um die Bevölkerung vor Gesundheitsschädigungen zu schützen, erließ 
der Minister mehrere Verfügungen. Der erste derartige Erlaß vom 
25. Februar 1895 (M.-BL, S. 41) gibt die Maßregeln an, welche nach 
Gutachten von Sachverständigen erforderlich sind, um das Behringsche 
Serum vor Verderben zu schützen, beschreibt auch die Art der Verpackung 
und Aufbewahrung des Serums; das Serum muß vor Licht geschützt und 
an einem kühlen, aber frostfreien Ort aufbewahrt werden, soll klar sein und 


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M. Pietor, 


darf höchstens einen geringen Bodensatz haben. Das Diphtherieserum gehört 
gemäß der Kaiserlichen Verordnung vom 31. Dezember 1894 (R.-G.-BL, 
1895, S. 1) zu den starkwirkenden, nur auf ärztliche Verordnung abzu¬ 
gebenden Mitteln und darf nur in Apotheken feilgehalten werden; der 
Taxpreis ist festgesetzt und ein Kontrollbogen zur Überwachung des Ver¬ 
kehrs mit diesem Mittel vorgeschrieben. 

Durch das Preußische Ausführungsgesetz vom 28. August 1905 zum 
Reichsseuchengesetz vom 30. Juni 1900 wurden Anzeigepflicht und Be¬ 
kämpfung der Diphtherie gesetzlich festgelegt. Unter dem 3. August 1904 
hatte der Reichskanzler bereits ein vom Kaiserlichen Gesundheitsamt© 
bearbeitetes Diphtheriemerkblatt zur Belehrung des Publikums dem Minister 
der Medizinalangelegenheiten empfohlen. Am 30. August und 13. Oktober 

1906 (M.-Bl. M. A., S. 362 u. 445) erließ der Medizinalminister, einem Wunsche 
des Preußischen Landtages Rechnung tragend, zur Erleichterung des Ver¬ 
ständnisses und der praktischen Handhabung des Gesetzes Ober die Be¬ 
kämpfung übertragbarer Krankheiten vom 28. August 1905 zur Beachtung 
für die Landräte, die Ortspolizeibehörden der Stadtkreise und für die Kreis¬ 
ärzte eine Sonderanweisung, welche außer den gesetzlichen Bestimmungen 
Ausführungsanweisungen über die Desinfektion, über die Entnahme und Ver¬ 
sendung diphtherieverdächtiger Untersuchungsobjekte, Muster für Listen, 
Anweisung über die Ausführung der Desinfektion, eine gemeinverständliche 
Belehrung über die Diphtherie, Ratschläge an die Ärzte und dergleichen 
mehr enthielt. Am 4. Dezember 1906 folgten nach einer Verständigung mit 
dem Staatssekretär des Reichspostamtes über die Versendung von Infektions¬ 
material veränderte Vorschriften (M.-Bl. M. A., S. 509). 

Am 21. März 1907 bestimmte der Medizinalminister, daß nach dem 
Gesetz vom 28. August 1905 über die Bekämpfung übertragbarer Krank¬ 
heiten vorgeschriebene namentliche Verzeichnisse der Erkrankten und 
Verstorbenen nur dann einzureichen seien, wenn die Diphtherie epidemisch 
auftrete. Die Bestimmung über die Beförderung der Leichen der an Diphtherie 
verstorbenen Personen, daß eine Überführung mit der Eisenbahn nur ein 
Jahr nach dem Tode stattfinden dürfe, wurde durch Erlaß vom 27. Juni 1907 
(M.-Bl. M. A., S. 269), ebenso für Leichen an Scharlach oder Gelbfieber Ver¬ 
storbener aufgehoben, da bereits früher für die Beförderung auf dem See¬ 
wege eine mildere Bestimmung Platz gegriffen hatte. In welcher Weise zu 
verfahren sei, um die Verbreitung der Diphtherie durch die Schule zu ver¬ 
hindern, wird unter Schulgesundheitspflege besprochen werden (Erlaß vom 
9. Juli 1907, M.-Bl. M. A„ S. 283). 

Den geprüften Desinfektoren wird wie jeder Gemeindeschwester ein 
Abdruck der gemeinverständlichen Belehrungen über Diphtherie behändigt. 
Gleiches soll in Zukunft den Teilnehmern an den Kursen für Ausbildung in 
der Desinfektion durch die Leiter jener Schulen zu teil werden. 

Die Überwachung der Brauchbarkeit des Heilserums erfuhr auf Grund 
gemachter Erfahrungen noch mehrfache Änderungen; unterm 19. März 

1907 (M.-Bl. M. A., S. 130) dahin, daß fortan sämtliche Proben von 
Diphtherieheilserum drei Jahre nach Ausführung ihrer ersten staatlichen 
Prüfung serienweise der laufenden Kontrollnummer nach einzuziehen seien, 
und ferner, daß vom 1. Januar 1908 ab vierteljährlich alle über drei Jahre 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


793 


alten Sera seitens des Direktors des Institutes für experimentelle Therapie in 
Frankfurt a. M. serienweise dem Minister zur Einziehung anzumelden seien. 

2. Genickstarre. 

Meningitis cerebrospinalis epidemica. 

Erkrankungen an Genickstarre waren vereinzelt schon in früheren 
Jahren vorgekommen, traten aber gehäuft nach 1858 im Staatsgebiet auf, 
ohne indessen bis zum letzten Jahrzehnt des abgelaufenen Jahrhunderts 
eine epidemische Verbreitung zu erlangen. Immerhin sah sich der Medi¬ 
zinalminister bei der großen Tödlichkeit der Krankheit (bis 60 Proz.) und 
mit Rücksicht auf die nach der Genesung häufig doch noch zurückbleibenden 
gesundheitlichen Schädigungen, als Taub- und Taubstummheit, Lähmungen, 
Geistesstörungen usw. veranlaßt, durch Erlaß vom 19. Januar 1887 bei 
epidemischem Auftreten der Genickstarre Berichte über die Entstehung, 
Einschleppung, den Verlauf der Krankheit und die Sterblichkeit usw. an¬ 
zuordnen, um, darauf gestützt, Anhaltspunkte zur Bekämpfung derselben 
zu gewinnen. 

Auf Grund der erstatteten Berichte, welche die Übertragbarkeit der 
Krankheit, die hohe Sterblichkeit und das oft zurückbleibende Siechtum 
bestätigten, ordnete der Erlaß vom 23. November 1888 die Anzeigepflicht 
für die Krankheit seitens der Ärzte, die Isolierung der Kranken, die Fern¬ 
haltung der Kinder aus Familien, in welchen Genickstarrekranke waren, 
aus der Schule, die Desinfektion der Krankenräume, Auswurfstoffe, besonders 
Nasenschleims, der Gebrauchsgegenstände usw. nach dem Stande der Wissen¬ 
schaft an und ersuchte die Regierungspräsidenten, diese Vorschriften durch 
Erlaß von Polizeiverordnungen verbindlich zu machen. Soweit zu erreichen, 
sollten Sektionen der Leichen zur Klärung des Krankheitsbildes gemacht 
werden. Nachdem im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts die Genick¬ 
starre mehrfach epidemisch aufgetreten war, bestimmte der Runderlaß vom 
2. Mai 1896, daß dem Berliner Institut für Infektionskrankheiten behufs 
Erforschung des Krankheitserregers Leichenteile von typischen Fällen zu¬ 
gänglich gemacht werden sollten. Die dabei zu beachtenden Gesichtspunkte 
und Vorsichtsmaßregeln zur Sicherung der bakteriologischen Untersuchung 
sind in dem Erlaß angegeben. Diese Zusendungen wurden nach der Ent¬ 
deckung des Erregers der Genickstarre durch Weichselbaum und Jäger 
am 25. Januar 1897 aufgehoben. 

Eine epidemische Verbreitung der Genickstarre trat erst im Jahre 1905 
im Regierungsbezirk Oppeln und im rheinisch-westfälischen Industriebezirk 
1907 ein, wo es zu 3149 Erkrankungen mit 258 Todesfällen kam. Bei nur 
125 Erkrankungen im Jahre 1902 

121 „ „ 1903 

118 » „ 1904 

im ganzen Staatsgebiete kann von einer epidemischen Verbreitung 

wohl nicht gesprochen worden. Die Zusammenstellungen der ein berichteten 
Zahl der Erkrankungen und deren Verhalten nach Zeit und Orten, nach 
Geschlecht und Alter erhielten und erhalten die Provinzialbehörden zur 
Kenntnisnahme. 


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M. Pietor, 


Der Magistrat in Breslau regte im Frühjahre 1905, als die Krankheit 
im Bezirk Oppeln herrschte, die Frage an, ob es nicht geboten sei, daß aus 
Oberschlesien heimatliche Schüler, welche Breslauer Schulen besuchten, wäh¬ 
rend der Osterferien nicht in ihre Heimat reisen sollten oder daß sie nach 
Ablauf der Ferien nur dann zum Unterricht wieder zugelassen werden 
sollten, wenn sie ein hausärztliches Attest darüber beibr&chten, daß die be¬ 
suchte Heimat seuchenfrei sei. Der Medizinalminister hielt es für genügend, 
wenn diejenigen Schüler, welche in den Osterferien in die oberschlesische 
Heimat reisen, bei dein Wiederbeginn der Schule durch ein polizeiliches 
Zeugnis nachweisen, daß in dem Hause, in welchem sie sich während der 
Ferien aufgehalten haben, in den letzten vier Wochen ein Fall von Genick¬ 
starre nicht vorgekommen sei. 

Nach dem Ausbruch der epidemischen Genickstarre im Bezirk Oppeln 
erforderte der Minister am 20. April 1905 sofortigen Bericht von dem Re¬ 
gierungspräsidenten der vom 1. Januar bis 15. April 1905 erfolgten Erkran¬ 
kungen und Todesfälle an Genickstarre nach Kreisen und Ortschaften und 
am 28. April halbmonatliche Nachweisungen gleicher Art bis auf weiteres. 

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung der übertragbaren 
Krankheiten vom 28. August 1905 traten dessen Vorschriften mit den dazu 
erlassenen vorläufigen Ausführungsvorschriften vom 15. September 1905 am 
7. Oktober 1905 (M.-Bl. M. A., S. 389) und der dazu unter dem 30. August 
1906 für jede der übertragbaren Krankheiten erlassenen Sonderanweisungen 
(M.-Bl. M. A., S. 362 bis 445) in Geltung. 

Die Verteilung der gemeinverständlichen Belehrungen usw., die Vor¬ 
schriften über die Versendung infektiösen Materiales wurden generell durch 
Erlaß vom 4. Dezember 1906 (M.-Bl. M. A, S. 509) geregelt, wie im allge¬ 
meinen Teil erwähnt ist. 

Die von einigen Ärzten im Jahre 1907 ausgesprochene Ansicht, daß 
die epidemische Genickstarre eine besondere Krankheit der Bergleute sei 
oder durch deren Berufsverhältnisse gefördert werde, konnte von der Medi¬ 
zinalverwaltung als zutreffend nicht anerkannt werden. 

3. Körnerkrankheit. 

Granulöse, Trachom. 

Die Anweisungen in den §§62 bis 64 des Regulativs vom 8. AuguBt 
1835 zur Bekämpfung ansteckender Krankheiten (G.-S., S. 240) enthielten 
die Vorschriften zur Bekämpfung der ansteckenden Augenentzündungen. 
Es ist hierbei zu bemerken, daß die Körnerkrankheit auch kontagiöse Augen¬ 
krankheit genannt, im preußischen Heere sich 1812 und 1813 und zwar 
zuerst im Yorkschen Korps, das die Napoleonische Armee nach Rußland be¬ 
gleitete, gezeigt hatte. Ob die Krankheit in Preußen nicht schon früher 
verbreitet gewesen ist, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Die ersten Ma߬ 
regeln der Medizinalverwaltung gegen die Krankheit bezogen sich (Erlaß vom 
28. Dezember 1821 v. K. A. S. 985) auf die Verhütung einer Verbreitung der 
Krankheit durch trachomkranke Heeresangehörige, die bei ihrer Entlassung 
nicht völlig geheilt waren; diese sollten von der Militärbehörde den Regie¬ 
rungen gemeldet uud von den Medizinalbeamten und Polizeibehörden bezüg¬ 
lich ihrer Augenkrankheit überwacht werden. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


795 


Die Beobachtung einer größeren Zahl von Erkrankten gelegentlich der 
Aushebungen in Schlesien 1861 veranlaßt« den Medizinalminister, eine Rund¬ 
frage bei sämtlichen Regierungen über das Vorkommen in ihren Bezirken 
zu halten. Aus den Berichten ergab sich, daß das Trachom in den Regie¬ 
rungsbezirken Marienwerder, Köslin, Posen, Bromberg und Oppeln stärker 
verbreitet war. Am 6. November 1862 ordnete der Medizinalminister an, 
daß die Polizeibehörden verdächtige Kranke ermitteln und für ihre Behand¬ 
lung sorgen, sowie eine Weiter Verbreitung zu verhüten suchen sollten. Durch 
die Amtsblätter sollten Belehrungen über die Krankheit veröffentlicht 
werden. 

Beim Ersatzgeschäft des Jahres 1871 fiel die große Zahl Trachom¬ 
kranker im Regierungsbezirk Erfurt, besonders im Eichsfeld auf. Man 
schritt ernstlicher gegen die Krankheit ein, indem man Staatsmittel bewilligte, 
und unterdrückte die Krankheit im wesentlichen bis Ende 1875. Aber alle 
diese Maßregeln rotteten die Krankheit nicht aus. Sie trat im Eichsfelde 
wieder auf, besonders in Heiligenstadt und Borwitz, auch in Schlesien, in dem 
Regierungsbezirk Münster, ferner im Regierungsbezirk Bromberg, insbeson¬ 
dere aber in der Provinz Ostpreußen, in welcher um das Jahr 1880 wiederum 
zahlreiche Erkrankungen an Trachom gefunden wurden. Wiederum ging 
man gegen die Krankheit energischer vor, nach den von dem Augenarzt 
Dr. Jakobson in Königsberg angegebenen Vorschriften. Die Behörden wurden 
angewiesen festzustellen, wo sich etwa größere Krankheitsherde fänden. In 
solchen Gebieten sollten besondere Augenärzte zur unentgeltlichen Behand¬ 
lung der Kranken angestellt werden. Granulosekrank befundene Personen 
sollten gezwungen werden, sich zur Behandlung die von den Behörden be¬ 
zeichnten Ärzte zu befragen, den Schullehrern wurde aufgegeben, auf 
Augenkranke unter den Schulkindern sorgsam zu achten. Die Maßregeln 
wurden seit 1884 nicht mehr so streng durchgeführt, nachdem man eine 
Abnahme der Krankheit wahrzunehmen geglaubt hatte; diese Beobach¬ 
tungen scheinen aber auf Irrtümern beruht zu haben. Die Krankheit hatte 
keineswegs abgenommen, sondern war nur nicht im vollen Umfange erkannt 
worden. Sie zeigte sich im Regierungsbezirk Gumbinnen, Kreis Wehlau 
und Johannisburg 1887 besonders verbreitet. Trotz der Einrichtung von 
ärztlichen Behandlungsstationen, ausgedehnter Behandlung schwer Erkrankter 
durch operative Eingriffe, Beteiligung der Lehrer bei der Behandlung der 
Schulkinder und Aufwendung nicht unbedeutender Geldmittel, aus der Staats¬ 
kasse allein 28 000 von 1890 bis 1896, vermochte man der Krankheit 
nicht Herr zu werden. 

Am Ende des Jahres 1896 war der Stand der Körnerkrankheit in 
Preußen größer als vorher; am stärksten befallen waren die östlichen Pro¬ 
vinzen: Ost- und Westpreußen, Posen, zum Teil auch Hinterpommern und 
Schlesien. Der alte Krankheitsherd im Eichsfelde bestand fort, und erstreckte 
sich bis in den Regierungsbezirk Hildesheim. In Westfalen schien ein neuer 
Krankheitsherd im Kreise Recklinghausen sich zu entwickeln. Auch in der 
Rheinprovinz und in Hessen-Nassau fanden sich im Schwinden begriffene, 
alte Granuloseherde. Der am stärksten befallene Osten wurde immer von 
neuem verseucht durch Einschleppung aus den hochgradig befallenen russi¬ 
schen Ostseeprovinzen und Russisch - Polen; wohin überhaupt Landarbeiter 


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M. Pistor, 


aus diesen Gegenden kamen, verschleppten sie auch die Körnerkrankheit in 
die Provinzen Preußens, wie sich genau nachweisen ließ. Trotz der bisher 
verausgabten Summen kam man zu der Überzeugung, daß zur Tilgung 
der Krankheit größere Mittel aufgewandt werden müßten, auch die in dem 
Staatshaushalt für 1897 eingestellte Summe von 75 000 reichte nicht 
hin, und so entschloß sich die Staatsregierung, für die folgenden Jahre für 
diesen Zweck jährlich 350 000 herzugeben 1 ). 

Mit dem Jahre 1897 wurde die Bekämpfung der Granulöse nach fol¬ 
genden, zwischen den beteiligten Ministerien vereinbarten (im Auszuge) mit¬ 
geteilten Grundsätzen geleitet. 

1. a) der Gefahr weiterer Einflüsse der Krankheit durch Anziehen von Per¬ 
sonen aus verseuchten Gegenden durch polizeiliche Anordnung entgegenzutreten. 

b) Maßnahmen zur Unterdrückung der .Krankheit, insbesondere zur Heilung 
der Erkrankten zu ergreifen und nötigenfalls im Wege des Zwanges durchzu¬ 
führen. 

2. bis 4. Behandelt die Tragung der Kosten. 

Es hat zunächst in den Regierungsbezirken Königsberg, Gumbinnen und 
Danzig in regelmäßiger Wiederkehr, etwa alle Vierteljahre, eine ärztliche Unter¬ 
suchung der Lehrer und Schüler sämtlicher Schulen, einschließlich der Kochküchen 
und Kleinkinderschulen, auf Körnerkrankheit stattzuflnden und sich auch auf das 
in den Schulhäusem wohnende Personal zu erstrecken. Die zur Heilung der 
Krankheit und zur Verhütung ihrer Weiterverbreitung erforderlichen Maßnahmen 
sind in die Wege zu leiten. Eine Schließung der Schulen dürfte nur in den 
seltensten Fällen erforderlich und ratsam sein. Eine Anweisung über die Behand¬ 
lung augenkranker Kinder in den Schulen und über die Schließung in Schulen 
ist alsbald zu erlassen. 

5. Erörtert die Behandlung besonders schwerer oder wissenschaftlich inter¬ 
essanter Fälle aus den Provinzen Ost- und Westpreußen und die Ausbildung von 
Ärzten und Studierenden in der Universitätsaugenklinik in Königsberg auf drei 
Jahre. 

fl. Zur Ausbildung derjenigen Arzte, welche in den von der Körnerkrankheit 
besonders befallenen Gegenden der Provinzen Ost- und Westpreußen tätig sind, 
in erster Linie der beamteten Ärzte, Rollen im Etatsjahr 1897/98 Kurse einge¬ 
richtet werden. 

7. Es wird staatlicherseits eine regelmäßige Statistik über die Körnerkrank¬ 
heit in den genannten Provinzen geführt. 

8. Staatlicherseits wird eine kurz und gemeinverständlich abgefaßte Druck¬ 
schrift über die Körnerkrankheit ausgearbeitet und an Geistliche, Lehrer und 
andere Personen behufs mündlicher Belehrung der Bevölkerung verteilt. 

Die leitenden Gesichtspunkte für die Gestaltung der Granulosebekämpfung 
sind in großen Zügen folgende gewesen: 

I. Ausbildung von Ärzten in der Erkennung und Behandlung der Krankheit. 
Im Laufe der Jahre wurden neue Direktiven zur Bekämpfung der Krankheit ent¬ 
worfen. 

II. Ermittelung der Kranken. 

III. Behandlung der Kranken. 

IV. Fürsorge für die allgemeine Hygiene. 

Auf diesem Wege ist es gelungen, die Verbreitung der Körnerkrank¬ 
heit mit Erfolg zu hemmen. 

l ) Näheres ergibt die Denkschrift über die Bekämpfung der Körnerkrankheit 
in Preußen, bearbeitet in der Medizinalabteilung des Königl. Preuß. Ministeriums 
der geistlichen, Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten, 4. Ergänzungsband zum 
klin. Jahrb. Jena, Gustav Fischer, 1906. 


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Geschichte der preußischen Medizinalvenvaltung. 


797 


Es bleibt nur Doch zu bemerken, daß in der Bekämpfung der Krankheit 
nicht nachgelassen werden darf, wenn nicht das mit vieler Arbeit und hohen 
Kosten Erreichte wieder in Frage gestellt oder gänzlich verloren gehen soll. 
Die StaatsregieruDg wird daher nach den bisher gewonnenen Erfahrungen 
den einmal aufgestellten Grundsätzen weitere Folge geben, um der Sache 
möglichst Herr zu werden. 

Schließlich sei noch erwähnt, daß eingehende Untersuchungen über die 
letzten Ursachen der Granulöse seit Jahresfrist stattfinden, deren Ergebnisse 
aber noch nicht zur Veröffentlichung reif sind. 

4. Geschlechtskrankheiten. 

(Syphilis, Schanker, Tripper.) 

Abgesehen von einer Verordnung über die Kosten für die Behandlung 
armer syphilitischer Kranker aus dem Jahre 1834 finden wir bis zum Jahre 
1835 keine allgemeinen Vorschriften über die Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten. In einem Runderlaß vom 18. November 1834 v. K. A. S. 1120 
schreibt der Medizinalminister vor, daß Militärpersonen, welche sich zur Be¬ 
handlung an Syphilis heimlich an einen Zivilarzt wenden, von diesem nicht 
in Behandlung übernommen werden dürfen; die Zivilärzte sollen vielmehr jeden 
derartigen Fall sofort dem Kommando des betreffenden Truppenteiles melden. 

In dem Regulativ vom 8. August 1835 (G.-S., S. 240) handeln die 
§§ 65 bis 73 über die Anzeige von an venerischen Krankheiten leidenden 
Personen, welche nur unter bestimmten Verhältnissen erfordert wurde, deren 
Behandlung eventuell in besonderen Krankenhäusern, Desinfektion, Ermitte¬ 
lung der Ansteckungsquelle, Aufsicht auf liederliche Personen usw. 

Durch KönigL Order vom 5. August 1841 und 31. Oktober 1845 wurde 
das Halten von Bordellen in Preußen verboten. Neue gesetzliche Bestim¬ 
mungen, betreffend die Überwachung der Prostituierten, sind nicht getroffen, 
vielmehr blieb es den einzelnen Polizeibehörden überlassen, in geeigneter 
Weise die zum Schutze der Gesundheit erforderlichen Vorschriften behufs 
Unterdrückung der Unzucht im Rahmen der bestehenden Gesetze zu er¬ 
lassen. Das Strafgesetzbuch von 1851 enthielt ebenso wie dasjenige von 
1872 in den §§ 361 Nr. 6 und 362 die Bestimmungen über die Bestrafung 
Prostituierter, die den polizeilichen Anordnungen nicht Folge leisten. Solche 
Vorschriften haben die Polizeibehörden auf Grund des allgemeinen Land- 
rechtes Teil 2, Titel 17, § 10 in vielen großen Städten erlassen. Im übrigen 
wird hier auf die lediglich polizeiliche Überwachung der Prostituierten nicht 
eingegangen, sondern nur noch auf die §§ 180 und 181 des Reichsstraf- 
gesetzbuches, welche die Kuppelei behandeln, hingewiesen. 

Den Wundärzten II. Klasse war durch Erlaß vom 18. November 1851 
die Behandlung von syphilitisch Kranken untersagt. 

Im Februar 1892 fragte der Medizinalminister bei den Regierungs¬ 
präsidenten an, in welcher Weise für die Heilung von Geschlechtskranken 
von den Krankenkassen gesorgt werde, insbesondere ob solche Personen 
freie Behandlung in einem Krankenhause erhielten. Am 6. April 1893 
wurden die Bezirksregierungen angewiesen, darauf hinzuwirken, daß ge- 
schlechtskranke Kassenmitglieder ferner nicht mehr der Wohltaten des 


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798 


M. Pistor, 


Krankenversicherungsgesetzes verlustig gehen und daß solche Kranken in 
Krankenhäusern ordnungsmäßig behandelt werden sollten. 

Am 20. Juli 1894 erhielten die Regierungspräsidenten den Auftrag: 

a) für alle Ortschaften, die nach der Volkszählung des Jahres 1890 6000 
oder mehr Einwohner aufwiesen, 

b) für alle Garnisonorte, auch wenn sie eine geringere Einwohnerzahl haben, 

c) für diejenigen Orte, mit einer geringeren Einwohnerzahl, in denen es 
nach besonderen Verhältnissen angezeigt erscheint, die erforderlichen Ermitte¬ 
lungen einzuleiten und nach einem beigefügten Fragebogen zu beantworten. 

Der Erlaß vom 23. März 1897 ordnete an: 

1. die Überwachung der Prostituierten an allen Orten, soweit dies noch nicht 
geschehen, durch Polizeibeamte; 

2. die ärztliche Untersuchung nur von besonders zu diesem Zwecke ange- 
stellten approbierten Ärzten in Amtsräumen (niemals in der Wohnung der Dirne 
oder des Arztes) nach einer beigefügten Anweisung. Diese Untersuchungen sollten 
wenigstens einmal, wenn möglich zweimal wöchentlich stattfinden. Bei Verdaoht 
auf Tripper wurde die Untersuchung des Ausflusses mittels des Mikroskopes 
empfohlen. 

3. und 4. behandeln die polizeiliche Überwachung der Dirnen. 

5. Jede venerisch erkrankte weibliche Person, von welcher die weitere Ver¬ 
breitung des Übels zu befürchten steht, muß sofort in einem Krankenhaus unter¬ 
gebracht werden. Auch ist darauf hinzuwirken, daß venerisch Erkrankte beiderlei 
Geschlechtes in einem Krankenhaus Aufnahme finden. 

Diese Maßnahmen worden nach weiterer Berichterstattung der Provinzial¬ 
behörden durch den gemeinschaftlichen Erlaß der genannten Minister vom 
13. Mai 1898 zur Durchführung ohne Säumen empfohlen und weiterer Bericht 
zum Schluß des Jahres 1900 erwartet. 

Der Erlaß vom 7. Dezember 1899 wies darauf hin, daß es im Interesse 
der Hebammen und ihrer Pflegebefohlenen dringend erforderlich sei, daß die 
Hebammen über die äußeren Erscheinungen von Geschlechtskrankheiten 
unterrichtet würden. Ein Erlaß vom 22. Dezember 1899 erklärt die Auf¬ 
hebung derjenigen Bestimmungen für erwägenswert, welche die mit der¬ 
artigen Krankheiten behafteten Studierenden von den hinsichtlich der Be¬ 
handlung solcher Krankheiten bestehenden Vergünstigungen ausschließen, 
und ersucht, die Beseitigung der bei einzelnen akademischen Krankenkassen 
für die Behandlung geschlechtskranker Studierender noch bestehenden Be¬ 
schränkungen ins Auge zu fassen. 

Am l.März 1900 ordnete der Medizinalminister nach Anhörung der Ärzte¬ 
kammern an, daß statistische Erhebungen über die am 30. April desselben 
Jahres aller in ärztlicher Behandlung befindlichen Geschlechtskranken statt¬ 
finden sollten, um auf Grund dieser Erhebungen weitere Maßnahmen zur Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten zu erwägen. In demselben Jahre trat 
der Medizinalminister mit dem Reichskanzler in Schriftwechsel über die 
weitere Erörterung der Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. Diese Ver¬ 
handlungen zogen sich längere Zeit hin. 

Am 14. April 1900 trafen die Minister des Innern und der Medizinal¬ 
angelegenheiten weitere Bestimmungen über die Untersuchung kranker 
Dirnen und verfügten zugleich, daß Demonstrationskurse für diejenigen 
Ärzte, welche solche Untersuchungen ausführen sollten oder wollten, ein¬ 
gerichtet würden. Gleichzeitig wird auf die Überwachung solcher Dirnen 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 799 

hingewiesen, welche sich der polizeiärztlichen Untersuchung unter Angabe 
eingetretener Erkrankung zu entziehen suchten. 

Durch Erlaß vom 22. August 1900 bestimmten die Minister, daß die 
Innehaltung der Vorschriften des Erlasses vom 13. Mai 1898 über die 
Untersuchung der Dirnen durch die zuständigen Medizinalbeamten überwacht 
werden sollte. 

Aus ärztlichen Kreisen wurde die Aufhebung der Anzeigepflicht bei 
venerischen Krankheiten in Gemäßheit der Vorschriften des Regulativs vom 
8. August 1835 angeregt. Die Regierungspräsidenten sollten darüber be¬ 
richten, in wie vielen Fällen der Anzeigepflicht an die Polizeibehörden seit 
dem Erlaß vom 13. Mai 1898 genügt sei und inwieweit diese Anzeigen Anlaß 
zu weiteren erfolgreichen Maßnahmen gegen syphilitisch kranke Personen 
gegeben haben. 

Die bereits bearbeitete Statistik der venerischen Krankheiten nach 
Maßgabe des Erlasses vom 1. März 1900 veröffentlichte das Preußische 
Statistische Bureau im 20. Ergänzungsheft zu seiner Zeitschrift. 

Am 12. Juni 1903 ersuchte der Minister der Medizinalangelegenheiten 
die Provinzialregierungen um Bericht darüber, ob und in welchem Umfange 
in den letzten Jahren ein gehäuftes Auftreten der Geschlechtskrankheiten in 
einzelnen Teilen ihres Bezirkes, namentlich in ländlichen Distrikten beob¬ 
achtet worden sei und inwieweit zureisende Personen dabei beteiligt gewesen 
seien (Sachsengänger, Wanderarbeiter, reisende Kaufleute). 

In den folgenden Jahren nahm die Einrichtung von Fortbildungskursen 
für Sittenärzte, die Veranstaltung unentgeltlicher Vorlesungen an den Uni¬ 
versitäten und Technischen Hochschulen für Studierende aller Fakultäten 
behufs ihrer Belehrung über die Geschlechtskrankheiten und die Förderung 
der Bildung von Zweigvereinen der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung 
der Geschlechtskrankheiten, welche im Jahre 1902 ins Leben getreten war, 
ihren Fortgang. Die genannte Gesellschaft hatte ein gemeinverständliches 
Merkblatt zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten herausgegeben. 

Die anderweite Regelung der Prostitution, wie Maßregeln zur Verhü¬ 
tung der Verbreitung der Geschlechtskrankheiten wurde von Frauen vereinen 
und in dem Hause der Abgeordneten 1906 und 1907 angeregt, besonders 
nachdem Dänemark ein bezügliches Gesetz erlassen hatte. Am 10. Juni 
1907 legte der Minister des Innern den Entwurf eines gemeinschaftlichen 
Erlasses zur Bekämpfung der Prostitution und der Geschlechtskrankheiten 
dem Medizinalminister vor. Die hier für den Monat Oktober in Aussicht 
genommene Beratung der Frage in der erweiterten wissenschaftlichen De¬ 
putation für das Medizinalwesen fand aus dienstlichen Gründen nicht statt. 

Am 11. Dezember wiesen die Minister die Provinzialbehörden an, auf 
Grund der Bestimmungen des Gesetzes über die Bekämpfung übertragbarer 
Krankheiten vom 28. August 1905 in den §§ 8, Ziff. 9 und 9 Abs. 2 und 
der dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen vom 7. Oktober 1905, in 
Zukunft in folgender Weise zu verfahren: 

Ärztliche Untersuchungsstellen in Sprechstunden der Ärzte oder bei Kranken¬ 
häusern für die Prostituierten zu schaffen, wo solche noch nicht beständen. Wegen 
des Verdachtes gewerbsmäßiger Unzucht zum erstenmal angehaltenen Personen 
ein Verzeichnis dieser Untersuchungsgelegenheiten einzuhändigen und eine polizei¬ 
ärztliche Untersuchung nur unter näher bezeichneten Umständen zu verhängen. 


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800 


M. Pifltor, 


Darauf folgen rein polizeiliche Vorschriften über zwangsweise Behand¬ 
lung, Nachlaß einer solchen auch bei gewerbsmäßig Prostituierten, Stellung 
unter polizeiliche Aufsicht, über die Erleichterung der Rückkehr zu einem 
geordneten Leben, Überwachung der regelmäßigen Gestellung zur sitten¬ 
ärztlichen Untersuchung, Verhaltungsmaßregeln über den Straßenverkehr, 
das Mieten von Wohnungen, Verkehr in denselben und die Krankenhaus- 
behandlung. 

Bemerkt sei, daß zurzeit Beratungen über die zur Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten im Deutschen Reiche zu empfehlenden Maßnahmen 
stattfinden. 

5. Epidemische Ruhr. 

Das Regulativ vom 8. August 1835 enthält in den §§ 41 bis 43 die 
Vorschriften zur Bekämpfung der „bösartigen, ansteckenden und epidemisch 
gich verbreitenden“ Ruhr. Ergänzende Vorschriften hat die Zentralverwal¬ 
tung bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 28. August 1905 nicht er¬ 
lassen, vermutlich weil die Ruhr niemals bösartig und in größerer Verbrei¬ 
tung aufgetreten oder zur Kenntnis der Medizinalverwaltung gebracht ist. 
Jetzt enthalten das oben bezeichnete Gesetz und die dazu ergangenen Aus¬ 
führungsbestimmungen und deren Ergänzungen die geltenden Vorschriften. 

Zu bemerken ist, daß Shiga in Japan und Kruse in Bonn 1896 die 
Erreger der Ruhr entdeckt haben. Das von Kruse hergestellte Ruhrserum 
gilt für wirksam. 


6. Tuberkulose (Schwindsucht). 

Die Tuberkulose wird bereits in dem § 90 des Regulativs vom 8. August 
1835 erwähnt; die zur Bekämpfung der Krankheit erforderlichen Maßregeln 
beschränkten sich auf die vorschriftsmäßige Reinigung und Vernichtung der 
mit den Absonderungen der Kranken in unmittelbare Berührung gekom¬ 
menen Kleidungsstücke und sonstigen Effekten. Bei der Unbekanutschaft 
mit den Ursachen der Krankheit und den abweichenden Ansichten der 
Forscher über Entstehung und Verbreitung konnten bestimmte Vorschriften 
zu ihrer Verhütung und Bekämpfung, ungeachtet der großen Verheerungen, 
die die Schwindsucht in den Familien, in dem Volk anrichtete, damals und 
auch später nicht erlassen werden. 

Erst Robert Kochs Entdeckung des Tuberkelbazillus im Jahre 1882 
zeigte die Wege der Entstehung und Verbreitung der Krankheit an und 
ließ damit auch allmählich Mittel und Wege zu ihrer Bekämpfung, wenn 
auch nur in eingeschränktem Maße, finden. Die Behandlung der Krankheit 
in der von Koch im Jahre 1890 und in den folgenden Jahren angegebenen 
Weise durch das Mittel Tuberkulin erfüllte nicht die darauf gesetzten 
Hoffnungen; noch heute weichen die Ansichten der Forscher darüber von¬ 
einander ab, inwieweit das Tuberkulin auch in seinen später von Koch an¬ 
gegebenen Derivaten einen dauernden oder vorübergehenden Erfolg er¬ 
zielen kann. Inzwischen haben sich andere Wege zur Bekämpfung der 
Tuberkulose gangbar erwiesen. Bevor darauf eingegangen wird, muß hier 
der weitere Gang der Forschung über Entstehung und Verbreitung der 
Tuberkulose auf Grund der Entdeckung des Tuberkulins besprochen werden. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 801 

Bereits durch Erlaß vom 19. Januar 1884 (M.-Bl., S. 27) wies der 
Medizinalminister die beteiligten Regierungspräsidenten an, in den Straf¬ 
anstalten, wo Schwindsucht häufig durch Übertragung verbreitet werde, an¬ 
zuordnen, daß 

1. die Tuberkulösen von den gesunden Gefangenen möglichst getrennt 
gehalten, 

2. Leib- und Bettwäsche solcher Kranken vor jedesmaligem Gebrauch 
in Lauge gekocht, und 

3. daß die sogenannten Spuckgläser mit einer Auflösung von Sublimat 
(2: 1000) oder Karbol (20:1000) versehen, auch die Spucknäpfe häufig mit 
reinem feuchten Sand gefüllt würden, dem Karbol beigemischt werde. 1887 wies 
Dr. Gornet aus Reichenhall darauf hin, daß die berufsmäßige Krankenpflege 
von Tuberkulosen nachweislich die Ansteckung der Pflegenden herbeiführe 
oder fördere. Infolgedessen veranlaßte der Medizinalminister am 28. Februar 
1888 die Oberpräsidenten, Ermittelungen darüber anzustellen, inwieweit die 
Angaben Cornets durch ziffernmäßige Tatsachen zunächst aus den Mutter¬ 
häusern der katholischen Orden und Kongregationen bestätigt würden. 

Am 16. September 1889 hielt Professor Heller aus Kiel in der 
XV. Versammlung des D. Vereins f. ö. G. einen Vortrag über Entstehung 
und Verbreitung der Tuberkulose und die dagegen zu ergreifenden Ma߬ 
regeln. Ein über diesen Vortrag erstattetes Gutachten der wissenschaft¬ 
lichen Deputation für das Medizinalwesen veröffentlichte der Minister und 
wies auf die von Heller vorgescblagenen Maßregeln zur Bekämpfung der 
Tuberkulose, welche die wissenschaftliche Deputation bestätigt hatte, hin 
(M.-BL, S. 32). Diese Maßregeln fanden Anwendung zur Bekämpfung der 
Tuberkulose in Kranken-, Irren- und Gefangenanstalten. Die Ausführung 
der empfohlenen Maßregeln und deren Erfolge ließ der Medizinalminister 
überwachen; die gesammelten Jahresberichte begutachtete dann wieder die 
wissenschaftliche Deputation. Die anfänglich jährliche Berichterstattung 
darüber wurde vom Jahre 1900 auf dreijährige Berichte eingeschränkt. 

Zur weiteren Bekämpfung der Tuberkulose trat infolge von Vorträgen, 
welche 1895 wiederum in der Versammlung des D. Vereins f. ö. G. zu Stutt¬ 
gart gehalten waren, im Jahre 1896 eine Anzahl von Gelehrten, Ärzten, 
Verwaltungsbeamten zusammen, um nach Art der bereits seit Jahren in 
England, z. B. in Ventnor auf der Insel Wight, bestehenden Lungenheil¬ 
stätten derartige Einrichtungen auch in Deutschland zu schaffen, auf deren 
Errichtung Finkelnburg als Volksheilstätten für Lungenkranke bereits 
1869 gedrungen hatte. Aus diesem Zentralkomitee für das Deutsche Reich, 
das sich von Jahr zu Jahr vergrößerte, gingen schließlich internationale 
Kongresse zur Errichtung von Lungenheilstätten und zur Beratung von 
Maßregeln zur Bekämpfung der Tuberkulose hervor. Der erste Kongreß 
fand 1899 in Berlin statt. 

Am 1. Januar 1900 bestanden im preußischen Staate schon 26 Lungen¬ 
heilstätten (Grabowsee, gegründet 1897, Oderberg am Harz durch die 
Hanseatische Landesversicherungsanstalt, die überhaupt sehr umfang- und 
segensreich in dieser Richtung gewirkt hat, Loslau in Oberschlesien 1898 
vom Regierungs- und Medizinalrat Dr. Roth begründet). Dazu kommt 
die erfolgreiche Tätigkeit des Roten Kreuzes. Diese Anstalten nehmen aber 

Vierteljthnachrift für GWundheit?pflege, 1908. tjj 


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802 


M. Pietor, 


nur solche Schwindsuchtskranken auf, deren Leiden noch im Beginne steht 
und nicht verbreitet ist. Man legte von allen Seiten das größte Gewicht 
darauf, durch Belehrung der Bevölkerung über Entstehung, Verbreitung 
und Bekämpfung der Tuberkulose Erfolge zu erzielen. Diese Belehrungen 
wurden von den Kranken nach deren Heimkehr aus der Heilstätte den An¬ 
gehörigen erteilt und erzielten allmählich Aufklärung und Verbreitung der 
erforderlichen Schutzmaßregeln gegen die Krankheit. Um aber auch der 
großen Menge diese Aufklärung zuteil werden zu lassen, entwarf das Kaiser¬ 
liche Gesundheitsamt im August 1900 ein gemeinverständliches Merkblatt, 
welches die Fragen auf warf und beantwortete: 1. Was ist Tuberkulose? 
2. Wie erfolgt die Ansteckung? 3. Wie schützt man sich a) gegen die 
Erreger selbst und wieweit b) durch Körperkräftigung? Die letzte Vor¬ 
beugungsmaßregel gründet sich auf die Tatsache, daß jeder geschwächte 
Körper für alle Krankheiten, namentlich aber für Tuberkulose, empfäng¬ 
licher ist als ein kräftiger, widerstandsfähige^ Körper. 

Nach längeren Untersuchungen, Tierversuchen, fanden Erwägungen 
darüber statt, inwieweit tuberkelbazillenhaltige Milch, Butter oder Käse ge¬ 
sundheitsschädlich auf den Genießenden einwirken können, infolge deren der 
Minister am 31. Januar 1901 eine Warnung vor dem Genuß ungekochter 
Milch, namentlich für die jüngsten Kinder, durch die Tagespresse verbreiten ließ. 

Bald darauf, im Juni 1901, trat Robert Koch mit seiner auf zahl¬ 
reiche mit Professor Schütz gemeinschaftlich in der Berliner tierärztlichen 
Hochschule lange durchgeführte Versuche gestützt, mit der Ansicht hervor, 
daß die Tuberkelbazillen des Menschen und des Rindes (Perlsuchtbazillen) 
nicht identisch seien, wie bisher auch von ihm angenommen sei. Die ange- 
stellten Versuche hätten ergeben, daß die Infektion von Kälbern mit mensch¬ 
lichen Tuberkelbazillen auf den verschiedensten Wegen, durch den Verdauungs¬ 
kanal, durch die Atmung mittels Zerstäubung, durch Einbringung in die 
Bauchhöhle, endlich durch Einspritzung keine Tuberkulose erzeugten, wäh¬ 
rend bei Verwendung von perlsüchtigem Material auf denselben Wegen nicht 
allein bei Kälbern, sondern auch bei Schweinen und Schafen ein Erfolg er¬ 
zielt wurde. 

Der Bericht über die Versuche schließt: 

„Mithin sind die Rinder in hohem Grade empfänglich für eine Infektion mit 
Bazillen der Rindertuberkulose, während sie der Infektion mit Bazillen der mensch¬ 
lichen Tuberkulose vollkommen widerstehen. Zu demselben Ergebnis haben die 
Versuche bei Schweinen geführt.“ 

Aus diesen Ergebnissen wurde der Schluß gezogen, daß die Rinder¬ 
tuberkulose voraussichtlich auch nicht auf Menschen übertragbar sei. 
Dahinzielende Versuche wurden in Aussicht gestellt 

Bei der hohen Bedeutung für die künftige Ernährung mit Fleisch und 
Milch von tuberkulösen Schlachttieren und mit Rücksicht darauf, daß der 
Nachweis für die Unschädlichkeit der Perlsuchtbazillen für Menschen durch 
Impf- usw. Versuche bisher nicht geführt war, wurde auB Spezialsachver¬ 
ständigen im Reichsgesundheitsrat ein Unterausschuß zur Tuberkulose- 
forschung behufs Nachprüfung der Koch-Schützschen Versuche und deren 
Ergebnisse noch im Jahre 1901 gebildet Auf dem vorher im August 1901 
in London stattgefundenen Kongreß hatten die Ansichten Kochs vielfach 


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803 


Geschichte der preußischen Medizinal Verwaltung. 

Widerspruch hervorgerufen. Auch die von dem Reichsunterausscbuß für 
Tuberkulose gelieferten umfangreichen Arbeiten haben bis zum Ende 1907 
zwar mancherlei Änderungen der Koch-Schützschen Ansichten herbei¬ 
geführt, aber bis dahin keineswegs diese wichtige Frage der Verschieden¬ 
heit von Perlsucht- und Menschentuberkulosebazillen geklärt. Es wird daher 
hier von weiteren Mitteilungen über die gepflogenen Verhandlungen umso¬ 
mehr abgesehen, als die preußische Medizinalverwaltung bei den Beratungen 
des Reichsgesundheitsrates vertreten ist. 

Soviel steht bis jetzt fest, der Genuß von tuberkulösem Fleisch und von 
Milch tuberkolöser Kühe muß unter Vorsichtsmaßregeln (Kochen) stattfinden. 
Die Wirksamkeit der Immunisierungsmittel gegen Tuberkulose der Rinder, 
Bovovaccin und Tauroman ist sehr zweifelhaft. 

Ende Dezember 1903 wurden Anregungen zur Errichtung von An¬ 
stalten für die Schwererkrankten laut, welche im Juni 1904 von v. Leube 
in Würzburg und Generalarzt Dr. Sc ha per, dem Direktor der Charitö, in 
begründeter Weise vorgetragen wurden und Boden bei den Reichs- und 
Staatsbehörden fanden. Der Reichsgesundheitsrat nahm am 24. Juni desselben 
Jahres in den verstärkten Ausschüssen für Tuberkulose und für Heilwesen 
im allgemeinen für die Krankenhausfürsorge für Tuberkulöse, die bereits in 
den vorgeschrittenen Stadien der Krankheit sich befinden, mit Einstimmig¬ 
keit die nachstehenden Grundsätze an: 

Nach dem jetzigen Stande der Wissenschaft ist die Tuberkulose eine In¬ 
fektionskrankheit, welche namentlich in ihrer Form als Lungen- oder Kehlkopf¬ 
schwindsucht sich von einem Menschen auf den anderen verbreiten kann. Zur 
Beseitigung dieser Ansteckungsmöglichkeit ist es erforderlich, Schwindsüchtige, 
vornehmlich solche im vorgeschrittenen Stadium, in den Krankenhäusern ent¬ 
sprechend abzusondern. Zu diesem Zwecke wird empfohlen: 

1. die Errichtung von eigenen Krankenhäusern für solche Kranke; 

2. wo diese nicht angängig ist, die Errichtung von besonderen Abteilungen 
in den allgemeinen Krankenhäusern, welche baulich getrennt und als Sanatorien 
einzurichten sind; 

3. wo auch dies nicht auszuführen ist, die Unterbringung der Kranken in 
besonderen Bäumen der Krankenanstalten. 

An die Reichsverwaltung wurde die Bitte gerichtet, den Landes¬ 
regierungen diese Grundsätze zur Annahme warm zu empfehlen, insbesondere 
ihnen anheimzugeben, in allen Fällen, wo der Bau neuer allgemeiner Kranken¬ 
häuser in Frage kommt, darauf Bedacht zu nehmen, daß durch ent¬ 
sprechende Auflagen mittels der sich bietenden Handhaben (z. B. Konzessions¬ 
bedingungen, Aufsichts- oder Kuratelverfügungen) die Schaffung besonderer 
und getrennter Einrichtungen für Schwindsüchtige sichergestellt wird. 

Es bestand Einverständnis, daß die empfohlene Maßnahme der Ab¬ 
sonderung nur auf die an Lungen- und Kehlkopf sch wind sucht Erkrankten, 
nicht etwa auch auf die mit anderen Formen der Tuberkulose (Knochen- 
und Gelenktuberkulose, Hauttuberkulose usw.) Behafteten sich beziehen soll 
und auch bei ersteren nur in Betracht zu kommen hat, wenn sie bereits in 
einem Krankenhaus Aufnahme gefunden haben. 

Die wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen äußerte sich 
auf Erfordern des Medizinalministers, übrigens dem Gutachten des Reichs- 
gesundheitsrates zustimmend, am 14. März 1906 zum Schlüsse wie folgt: 

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804 


M. Pistor, 


Wenn wir also die Unterbringung der Lungenschwindsüchtigen im vorge¬ 
schrittenen Krankheitsstadium mit starker Bazillenverstreuung bzw. der beiden 
Kategorien dieser Patienten, erstlich der Schwerstkranken, völlig Arbeitsunfähigen, 
zweitens derjenigen der (wenigstens längere Zeit hindurch) noch arbeitsfähigen 
Phthisiker ebensowohl als Maßregel zugunsten der Leidenden wie aus prophylakti¬ 
schen Gesichtspunkten betrachten, d. h. hauptsächlich eine mit allen Mitteln auf 
freiwilligen Wegen herbeifübrende Isolierung dieser Kranken anstreben, so er¬ 
scheinen ganz im allgemeinen Krankenhäuser völlig unentbehrlich — einerseits 
zur Beobachtung und Klassifizierung, andererseits zur längeren Behandlung der 
Patienten. 

Die schwerstkranken Arbeitsunfähigen gehören in Pflegestätten (Pflegeheime, 
Heimstätten, Asyle für Tuberkulöse). 

Für die noch Arbeitsfähigen, welche in der Regel der unter Aufsicht der 
öffentlichen Fürsorgestellen für Tuberkulöse Btehenden Hauspflege überlassen bleiben, 
sind zum Zwecke der schon erwähnten genaueren Klassifizierung und in den er¬ 
fahrungsgemäß sich öfter wiederholenden Fällen wochenlang notwendig werdender 
und auch greifbare Erfolge versprechender Behandlung, jedenfalls auch mit Rück¬ 
sicht auf die Absonderung, geeignete Einrichtungen zu treffen, erstlioh in den 
allgemeinen Krankenhäusern der großen Städte, zweitens in Gestalt von Spezial¬ 
krankenhäusern für fortgeschrittene Tuberkulöse. Demgemäß sind natürlich in 
den allgemeinen Krankenhäusern die Tuberkulösen isoliert von den anderen Kranken 
zu versorgen. 

Das Verhältnis zwischen den Tuberkuloseabteilungen der allgemeinen Kranken¬ 
häuser zu den Sonderkrankenanstalten für Tuberkulöse sollte aber nicht im Sinne 
der Empfehlung des Reichsgesundheitsrates einseitig so aufgefaßt werden, daß 
zunächst prinzipiell die Errichtung von eigenen Krankenhäusern für die zur Auf¬ 
nahme in die Volksheilstätten nicht geeigneten vorgeschrittenen Schwindsüchtigen 
und nur wo und so weit die Gründung von eigenen Tuberkulose¬ 
krankenhäusern nicht angeht, die Unterbringung und Verpflegung der 
Tuberkulösen in besonderen Abteilungen der bereits bestehenden oder neu zu 
bauenden allgemeinen Krankenhäuser in Betracht kommt. Diese besonderen Tuber¬ 
kuloseabteilungen bilden vielmehr einen unentbehrlichen Bestandteil der¬ 
selben unter allen Verhältnissen. Am besten werden sie als Durchgangs¬ 
abteilungen beschränkten Umfanges eingerichtet, während das Gros der Tuber¬ 
kulösen in städtischen Spezialkrankenhäusern auf dem Lande, im Walde usw. 
unterzubringen ist. Die Herstellung einer organischen Verbindung zwischen 
diesen letzteren und den früher genannten Heimstätten für die Schwerstkranken 
wäre wenigstens teilweise in Erwägung zu ziehen. Sowohl die Durchgangsabtei¬ 
lungen als die Spezialkrankenhäuser für Tuberkulöse des sogenannten zweiten und 
dritten Krankheitsstadiums sind mit den Erfordernissen der modernen hygienisch¬ 
diätetischen Phthisiotherapie auszustatten. 

In dieser Fassung wird von der wissenschaftlichen Deputation für das 
Medizinalwesen das Wesentliche der von den verstärkten Ausschüssen des 
Reichsgesundheitsrates für Tuberkulose und für Heilwesen vom 24. Juni 1904 
aufgestellten Grundsätze zur Annahme empfohlen. Insbesondere mögen 
tunlich baldigst in den bestehenden allgemeinen Krankenanstalten besondere 
Räume für Schwindsüchtige hergerichtet und Konzessionen für Neubauten 
künftighin nur erteilt werden, wenn für die Tuberkulösen, welche Bazillen 
verstreuen, isolierte an die in den Volksheilstätten erprobten Grundsätze 
sich anschließende Einrichtungen vorgesehen sind. 

Der Medizinalminister empfahl nach dem Vorbilde des Dispensaire anti- 
tuberculeux in Lille, Städten von mehr als 10 000 Einwohnern, Universitäts¬ 
städten und solchen Orten, in denen sich ein hygienisches Institut oder 
eine bakteriologische Anstalt befindet, die Errichtung ähnlicher „Wohlfabrts- 
stellen für Lungenkranke“. In diesen Einrichtungen sollte die Krankheit 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


805 


festgestellt and daraufhin die erforderliche ärztliche Behandlung angeraten 
werden. In Lille werden bedürftigen Kranken Milchmarken, Geldunter¬ 
stützungen, auch Geld fiir Desinfektionsmittel gegeben, auch Belehrung 
über die Ausführung der letzteren erteilt. 

Im Jahre 1904 wies die Presse darauf hin, daß durch die gemeinsamen 
Abendmahlskelche leicht ansteckende Krankheiten, insbesondere Tuberkulose 
und Syphilis verbreitet werden könne. Seitdem wird in vielen Kirchen das 
Abendmahl aus Einzelkelchen gereicht. 

Inzwischen hat man sich von kommunaler und privater Seite der Für¬ 
sorge der in häuslicher Pflege verbleibenden Tuberkulösen gewidmet und 
angeblich damit Erfolge erzielt, welche ein Fortschreiten auf diesem Wege 
wünschenswert machen. 

Die Zahl der Lungenheilstätten war bis Ende 1905 auf 72 Anstalten 
mit etwa 6000 Betten und 25 Privatanstalten mit etwa 1500 Betten für 
Minderbemittelte angewachsen. 

7. Typhus (Darmtyphus). 

Die ersten Maßregeln gegen die Verbreitung des Typhus, unter welchem 
Namen noch bis zum Jahre 1848 ebenso Darmtyphus, auch wie Fleckfieber 
nach der „Belehrung über den Typhus“, Beilage B zum Regulativ vom 
8. August 1835, § 30, verstanden wurde, erließ das überoollegium medicum 
am 5. März 1772 unter dem Titel: „Anweisung auf was Art der Landmann 
bei gegenwärtig sich äussernden hitzigen Fiebern in Ermangelung eines 
geschickten und erfahrenen Medici sich selbst behandeln könne.“ 

Bei der großen Verbreitung des Typhus 1813 erließen alle Provinzial¬ 
regierungen Vorschriften zur Bekämpfung der Seuche. Weitere Bestim¬ 
mungen fanden sich erst in dem erwähnten Regulativ, welche nun durch das 
preußische Gesetz vom 28. August 1905 zeitgemäß verändert sind. 

Bereits im Jahre 1903 erschienen Merkblätter für Typhus und Ruhr, 
ausgearbeitet im Kaiserlichen Gesundheitsamt. Am 14. März 1904 veran- 
laßte der Medizinalminister die Bezirksregierungen, die für die Manöver 
in Aussicht genommenen Ortschaften ärztlich untersuchen zu lassen. Diese 
bereits für einzelne Bezirke am 4. September 1903 angeordnete Maßregel 
wurde für sämtliche Manövergelände verallgemeinert, um festzustellen, 
ob in den vom Manöver berührten Ortschaften Typhuserkrankungen in 
jüngster Zeit sich gezeigt hatten, oder ob der Typhus in einzelnen Ort¬ 
schaften wiederholt epidemisoh verbreitet gewesen sei. Diese Anordnung 
bezweckte, die Armee vor der Ansteckung mit Typhus, welche in früheren 
Jahren wiederholt eingetreten war, nach Möglichkeit zu schützen. 

Während man in früheren Jahren die Typhuskranken in Krankenhäusern, 
unbekümmert um Übertragung der Krankheit auf andere Kranke, in die 
allgemeinen Krankensäle gelegt hatte, kam man im Laufe der Jahre durch 
mehrfache Vorkommnisse zu der Ansicht, daß der Typhus auf diese Weise 
in Krankenhäusern verbreitet würde. Die wissenschaftliche Deputation für 
das Medizinalwesen äußerte sich am 17. Februar 1904 zustimmend zu dieser 
Annahme und sprach sich demgemäß für Absonderung der Typhuskranken 
von den übrigen Kranken in folgender Weise aus: 


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806 


M. Pistor, 


Nach dem gegenwärtigen Stande der wissenschaftlichen Kenntnis von der 
Art der Verbreitung des Unterleibstyphus und nach den vorliegenden üblen Er¬ 
fahrungen in der Hospitalpraxis, kann es nicht mehr als zulässig angesehen 
werden, Typhuskranke zusammen mit anderen Kranken in dieselben Kranken¬ 
räume zu legen. Will man vielmehr der allerersten Aufgabe, welche bei der 
Unterbringung von Infektionskranken zu erfüllen ist, dieselben für andere Menschen 
unschädlich zu machen, völlig Genüge leisten, so ist die Isolierung der Typhus¬ 
kranken in allen Krankenhäusern grundsätzlich zu fordern. Ein Verfahren, wobei 
Typhöse zwischen anderweitig Kranke gelegt werden, und wobei die Desinfektion 
von Stuhl und Wäsche als hinreichend erachtet wird, stellt übrigens im Geltungs¬ 
bereiche des Regulativs vom 8. August 1835 einen Rückschritt dar. 

Zur Bekämpfung des Typhus wurden in den häufiger befallenen 
Gegenden Untersuchungsämter eingerichtet, so in dem oberschlesischen und 
dem rheinisch-westfälischen Industriebezirk. 

Auf Robert Kochs Vorschlag bestimmte der Medizinalminister im 
Jahre 1902 die Errichtung eines solchen Untersuchungsamtes in dem immer 
wieder vom Typhus befallenen Regierungsbezirk Trier, insbesondere im 
Kreise Saarbrücken. Dieses Untersuchungsamt sollte nach Kochs Vorschlag 
den Einzelerkrankungen an Typhus und deren Entstehung nachgehen und 
feststellen, auf welche Weise, ob durch verseuchtes Wasser, verseuchte 
Nahrungsmittel, besonders Milch, oder durch Berührung mit Typhuskranken, 
deren Abgängen oder infizierten Gebrauchsgegenständen im vorliegenden 
Einzelfall die Krankheit verursacht sei. 

Während bis dahin von einer bestimmten Richtung der Forschung eine 
Übertragung des Typhus durch Berührung mit Kranken oder den ange¬ 
führten Mittelgegenständen fast abgeleugnet war, kam diese Schule, über¬ 
führt durch die Tatsachen der großen Gelsenkirchener Epidemie in den 
Jahren 1901 bis 1903, zu der Überzeugung, daß die in den 50er Jahren 
von Forschern, wie Virchow, Dietl u. a. ausgesprochene Ansicht, daß 
der Typhus durch Berührung übertragbar sei, begründet sei, nachdem 
Robert Koch sich dieser Ansicht zugeneigt hatte. Mit Rücksicht auf diese 
Tatsache wurde den Einzelerkrankungen die angeordnete Aufmerksamkeit 
gewidmet und dabei festgestellt, daß die Übertragung durch Berührung 
neben dem explosiven Entstehen der Krankheit durch Wasser- oder Nahrnngs- 
mittelverseuchung nicht selten vorkomme, daß insbesondere der Typhus bei 
Kindern gar häufig unerkannt bleibe, ja die Ermittelungen durch bakterio¬ 
logische Untersuchungen führten dahin, daß scheinbar gesunde Personen den 
Typhusbazillus in ihrem Darm herumtragen können, und die Krankheit 
auf diese Weise zu verschleppen vermögen, während sie selbst gesund 
bleiben. 

Die für den Regierungsbezirk Trier eingeleitete Bekämpfung des Typhus 
schien erfolgreich zu sein und wurde deshalb weiter für Elsaß - Lothringen 
und die Bayerische Pfalz eingeführt. Ob der bisher erzielte Erfolg von 
Dauer sein wird, läßt sich zurzeit noch nicht beurteilen, das müssen längere 
Beobachtungen lehren. 

Es sei hier nur noch bemerkt, daß die Regierung in Trier schon im 
Jahre 1903 die Aufnahme des Typhus in das Reichsgesetz unter die gemein¬ 
gefährlichen Krankheiten anregte, das Kaiserliche Gesundheitsamt hatte 
diesen Punkt im Oktober 1903 auch schon in Erwägung gezogen. 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 807 

Über die Versendung infektiösen Typhusmateriales erteilte der Erlaß 
des Medizinalministers vom 4. Dezember 1906 (M.-B1. Ma., S. 509) an die 
Regierungspräsidenten die erforderlichen Anweisungen. 

Die Ratschläge des Kaiserlichen Gesundheitsamtes zur Förderung der 
Bekämpfung von Typhus und Ruhr vom 6. Juni 1903 erhielten eine weitere 
Ausfahrung in den Anweisungen des Medizinalministers vom 16. Oktober 
1906 (M.-BI. Ma., S. 474), welche zur Ausführung der Vorschriften des 
preußischen Gesetzes zur Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten er¬ 
lassen wurden. Außer gemeinverständlichen Ratschlägen für die Bevölkerung 
und die beteiligten Kreise waren auch Ratschläge an die Ärzte für Typhus, 
Milzbrand, Ruhr, Genickstarre und Körnerkrankheit beigefügt. 

8. Milzbrand. 

Der Milzbrand galt schon in früher Zeit als eine auf Menschen über¬ 
tragbare Tierkrankheit, die auch andere Tierarten als das Rindvieh, 
z. B. Schafe, Pferde und Wild, Hirsche, Rehe, Antilopen usw. befällt. Seine 
Übertragbarkeit auf Menschen wird schon in dem Patent wegen Abwendung 
der Viehseuchen vom 2. April 1803 (Ediktensammlung 1801/1803, S. 1591) 
erwähnt. Mehrere Fälle von Ansteckung der Menschen, insbesondere eine 
Erkrankung in Westpreußen, veranlaßte das Ministerium des Innern im 
Jahre 1810 die Regierungen zum Erlaß von öffentlichen Warnungen der 
Bevölkerung vor Berührungen usw. aufzufordern. Derartige Warnungen ver¬ 
öffentlichten bis 1820 sämtliche Regierungen und erneuerten dieselben im 
Laufe der Jahre. Das Abledern des an Milzbrand gefallenen Rindviehes 
wurde bei Strafe verboten, Beschreibungen der Krankheitserscheinungen 
veröffentlicht. 

Das Regulativ vom 8. August 1835 enthielt in den §§ 109 bis 117 nach 
dem damaligen Stande der Wissenschaft die Vorschriften zur Verhütung der 
Übertragung der Krankheit auf Tiere und Mensohen; das Verhalten im 
letzteren Falle gibt § 117 an. 

Das Reichsviehseuchengesetz vom 23. Juni 1880 (R. - G. - Bl. S. 153) 
regelte den Gegenstand anderweitig. 

Die Medizinalverwaltung hatte sich nun darauf zu beschränken, eine 
Übertragung der Krankheit auf Menschen im Berufsleben, insbesondere bei 
Bearbeitung der über See eingeführten Rohhäute durch geeignete Maßregeln 
zu verhüten. Derartige Maßnahmen regte der Reichskanzler bereits im 
Jahre 1890 an. Nach einem längeren Schriftwechsel mit dem Landwirt¬ 
schaftsminister, Anhörung der Regierungspräsidenten über das Vorkommen 
von Milzbranderkrankungen nach der Bearbeitung von überseeischen Roh¬ 
häuten erließ der Medizinalminister am 5. Juni 1891 eine Anleitung zum 
Schutze gegen die mit der Bearbeitung ausländischer Rohhäute verbundenen 
Gefahren nach einer vom Kaiserlichen Gesundheitsamt verfaßten Belehrung. 
Auch der Handelsminister regte am 6. Juli 1897 Maßregeln zum Schutze 
der Gerbereiarbeiter gegen Milzbrand an. 

Im Jahre 1902 wies der Reichskanzler darauf hin, daß das Kaiserliche 
Gesundheitsamt seine 1891 verfaßte Anleitung zum Schutze gegen Milz- 
brandübertragung in einigen Punkten umgearbeitet habe. Die Regierung6- 


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808 


M. Pistor, 


Präsidenten erhielten am 6. Januar 1903 davon Kenntnis mit der Auflage, 
die beteiligten Kreise zu unterrichten. Die Beratungen über diese Ma߬ 
regeln dauerten fort unter Zugrundelegung der von der Lederindust rieberufs- 
genossenschaft entworfenen besonderen „Unfallverhütungsvorschriften für 
Anlagen zur Verarbeitung ausländischer Häute, sowie inländischer Scbaf- 
und Ziegenfelle“, sind aber bis Ende 1907 nicht zum Abschlüsse gelangt. 

Seit dem 28. August 1905 gelten die Vorschriften des preußischen Ge¬ 
setzes gegen übertragbare Krankheiten zur Bekämpfung des Milzbrandes 
und die dazu ergangenen erwähnten Ausführungsbestimmungen. 

Am 4. April 1907 regte der Reichskanzler eine fortlaufende Reichs- 
statistik über alle Milzbranderkrankungen an, um daraus festzustellen, wie¬ 
viele Übertragungen durch Beschäftigung mit infizierten Häuten veranlaßt 
wurden. 

Im Frühjahr 1902 wurde die Errichtung einer Anstalt zur Gewinnung 
von Milzbrandserum in Halle erörtert und von den Ministern der Medizinal¬ 
angelegenheiten und für Landwirtschaft nach einem kurzen Schriftwechsel 
genehmigt. Die Firma Merk in Darmstadt richtete die Anstalt unter Beirat 
des Professor Sobernheim in Halle ein. Mehrere Todesfälle von Rindern 
an Milzbrand nach Behandlung mit dem Serum machten die Erfindung 
einer Prüfungsmethode ähnlich der Prüfung der Diphtherie- und Pestsera 
notwendig. Bis Ende des Jahres 1907 war ein solches Prüfungsverfahren 
nicht gewonnen. 


9. Rotz. 

Der Rotz wird höchst selten auf Menschen und fast nur auf solche 
übertragen, welche durch ihren Beruf mit rotzigen Pferden oder anderen 
Einhufern und deren Leichenteilen in Berührung kommen. Bis zum Jahre 
1827 erkannte man in der Medizinalverwaltung den Rotz als auf Menschen 
übertragbar nicht an, wie aus einem Erlaß der Minister der Medizinal¬ 
angelegenheiten und des Innern vom 14. Januar 1827 über das Abledern 
rotziger Pferde ersichtlich ist (v. K. Ann. Bd. HI, H. 1, S. 236). Erst das 
•Regulativ vom 8. August 1835 nahm den Rotz in die Zahl der auf Menschen 
übertragbaren Tierkrankheiten auf. 

Am 6. August 1904 wiesen die Minister der Medizinalangelegenheiten 
des Innern, für Landwirtschaft und für Handel usw. auf die vom Bundesrat 
beschlossenen im Reichsgesetzblatt 1904, S. 159, veröffentlichten Vorschriften 
über das Arbeiten und den Verkehr mit Krankheitserregern hin (M.-Bl.M. A. f 
S. 376, vgl. auch die Erlasse vom 4. Mai 1904, ebendort S. 220 und 6. August 
1904, S. 312). Die Ausführungsbestimmungen zum preußischen Gesetz vom 
28. August 1905 erhielten die Provinzialbehörden, wie schon angegeben ist, 
ebenso den bei der Tollwut erwähnten Schulerlaß. 


10. Tollwut (Lyssa). 

Die Bekämpfung der Tollwut durch allgemeine Maßregeln der Zentral¬ 
verwaltung richtete sich im 18. Jahrhundert nur gegen die Tollwut der 
Tiere, insbesondere der Hunde und des Rindviehes und mit Recht, da eine 
genuine Menschenwut nicht vorkommt, die Krankheit vielmehr stets, wie 


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Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 


809 


Milzbrand und Rotz, vom Tiere auf den Menschen übertragen wird und 
noch seltener vom Menschen auf den Menschen übertragen werden kann. 

Zu jenem Zwecke erlassene Vorschriften der Königlichen Kriegs- und 
Domänenkammer wurden unter dem 2. August 1784 und in dem Edikt vom 
20. Februar 1797 veröffentlicht (Neue Ediktensammlnng X, Nr. 14). 

Das Patent wegen Abwendung der Viehseuchen vom 2. April 1803 und 
das ergänzende Publikandum vom 6.November 1804 (Augustin, Preußische 
Medizinalverfassung, Bd. 2, S. 736—742) enthielten weitere Vorschriften. Zu 
diesen Zentralvorschriften erschienen erläuternde Ausfübrungsverfügungen 
von mehreren Regierungen, welche bei Augustin in den folgenden Bänden 
abgedruckt sind. Mittel zur Behandlung von Tollwut beim Menschen wurden 
vielfach auch von den Verwaltungsbehörden empfohlen. 

Auch das Regulativ vom 8. August 1835 gibt in Nr. 11 in den §§ 92 
bis 106 nur Vorschriften über die Bekämpfung der Tollwutverbreitung beim 
Hunde und durch denselben und anderes Vieh; nur die §§ 107 und 108 be¬ 
handeln die Tollwut (Wasserscheu) beim Menschen. Das preußische Gesetz 
über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 28. August 1905 
enthält allgemeine Vorschriften über das Verhalten der Behörden, im Falle 
ein Mensch von einem tollwutkranken oder verdächtigen Tier gebissen wird. 

Es ist das Verdienst Louis Pasteurs, daß die Heilung der Tollwut 
beim Menschen jetzt möglich ist, wenn der Gebissene frühzeitig der Impfung 
mit der Pasteurschen Rückenmarksemulsion und entsprechender Behand¬ 
lung unterworfen wird. Nach dieser Methode wird der Gebissene auch in 
Berlin behandelt, da bis jetzt ein anderes Heilverfahren nioht erfunden ist. 

Um über die Verbreitung der Tollwut im Staate durch den Biß toller 
Hunde und die Folgen beim Menschen ein Urteil zu gewinnen, hatte der 
Medizinalminister am 23. Februar 1887 die Regierungspräsidenten ersucht, 
Ermittelungen darüber anzustellen, wieviele Personen in jedem Jahre des 
fünfjährigen Zeitraumes von 1882 bis 1886 derartige Verletzungen, an 
welchen Körperteilen und von welchen Tieren erlitten hätten, welche Be¬ 
handlung und mit welchem Erfolge stattgefunden habe, auf welche Weise 
das Berichtsmaterial gewonnen sei. Eine andere Art jährlicher Bericht¬ 
erstattung forderte der Minister am 12. Oktober 1897. 

Am 28. Mai 1898 berichtete Dönitz, der auf der Rückfahrt vom 
Madrider internationalen hygienischen Kongreß das Institut Pasteur be¬ 
sichtigt hatte, über das Institut und die Arbeit in der Wutabteilung und 
sprach sein Bedauern über das Fehlen einer solchen Abteilung in Berlin aus. 

Die Einrichtung einer Abteilung zur Behandlung von Menschen, welche 
von tollwutkranken Tieren gebissen waren, war bereits eingeleitet und soweit 
vorgeschritten, daß der Ministerialerlaß vom 22. Juli 1898 den Provinzial¬ 
regierungen die Eröffnung einer Abteilung für Schutzimpfungen gegen Toll¬ 
wut bei Menschen seit Mitte Juli mitteilen und deren schleunige Verwertung 
in gegebenen Fällen empfehlen konnte. Gleichzeitig wiesen die beteiligten 
Minister wegen Beobachtung und Tötung der tollen oder der Tollwut ver¬ 
dächtigen Tiere, von welchen Menschen gebissen waren, auf die Vorschriften 
des Reichsviehseuchengesetzes und der Bundesratsinstruktion vom 27. Juni 
1895 hin und ordneten an, daß Kopf und Hals des obduzierten Tieres vor¬ 
schriftsmäßig, im Sommer in Eis verpackt, an die Direktion des Instituts 


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810 M. Pi8tor, Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. 

mit Eilpost gesandt werden sollen. Näheres findet der Leser auoh bei 
Martin Kirchner: „Über die Bißverletzungen von Mensohen durch tolle 
oder der Tollwut verdächtige Tiere in Preußen während des Jahres 1897.“ 
Abdruck aus dem siebenten Bande des Klinischen Jahrbuches. Jena 1898, 
Gustav Fischer und Dr. Marx. „Die Abteilung zur Heilung und Erforschung 
der Tollwut am Institut für Infektionskrankheiten zu Berlin.“ Ebendaselbst. 

Die Behandlung der Verletzten auf der Wutabteilung findet möglichst 
poliklinisch statt; aufgenommen werden nur solche Kranke, die, wie 
Kinder ohne Begleitung, in Berlin kein Unterkommen finden können. Die 
Kosten betrugen anfangs täglich 1,50 und 2 c M, wurden aber vom 1. Januar 
1900 auf 2 und 2,50 <M erhöht. 

Die Jahresberichte über die Tollwutverletzungen beim Menschen und 
die Erfolge der Behandlung im Institut werden im Ministerialblatt für die 
Medizinal* und medizinischen UnterrichtBangelegenheiten veröffentlicht und 
den Regierungspräsidenten und Oberpräsidenten durch Runderlasse außer¬ 
dem mitgeteilt. 

In dem Erlaß vom 9. Juli 1907 mit der Anweisung zur Verhütung 
übertragbarer Krankheiten durch die Schulen finden sich im § 3 auch Milz¬ 
brand, Rotz, Tollwut aufgeführt. 

Die Errichtung einer Tollwutabteilung in Breslau hatte der Magistrat 
beantragt. Seit Mai 1907 ist die Anstalt eröffnet. 

Zu den übrigen im § 1 des preußischen Gesetzes vom 28. August 1905 
über die Bekämpfung „übertragbarer“ Krankheiten auf geführten Krankheiten 
läßt sich nur bemerken, daß es auffallen muß, wenn unter die Zahl der von 
Mensch zu Mensch übertragbaren Krankheiten auch Kindbettfieber, welches 
nur von Wöchnerin zu Wöchnerin, also lediglich auf Glieder des weiblichen 
Geschlechts im Alter der Empfängnis unmittelbar in Anstalten oder mittelbar 
durch gemeinsame Pflegerinnen übertragbar ist, und Fleisch-, Fisch- und 
Wurstvergiftung und Trichinose aufgenommen sind, welche überhaupt nicht 
von Mensch zu Mensch übertragen werden können. Für Milzbrand, Rotz 
und Tollwut liegt wenigstens die Möglichkeit menschlicher Übertragung vor. 

Es darf angenommen werden, daß diese Anordnung stattgefunden hat, 
um alle Krankheiten, deren Bekämpfung gesetzlich geregelt werden sollte, 
in ein Gesetz zu bringen. Nur lassen sich die erforderlichen Maßregeln 
schwer vereinigen, wie auch die erlassenen Ausführungsbestimmungen zum 
Teil beweisen. 


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Kritiken und Besprechungen. 


811 


Kritiken und Besprechungen. 


Br. med. Julian Marcus e: Körperpflege duroh. Wasser, Luft 
und Sport. Eine Anleitung zur Lebenskunst. Mit 121 Abbil¬ 
dungen. In illustriertem Rohleinenband 6 Jft. Leipzig, J. J. Weber. 

Ein verdienstvolles empfehlenswertes Werkchen, das zu richtiger Zeit 
erscheint, wird uns von dem nicht mehr unbekannten Verfasser hier ge¬ 
bracht. Nach einer flott geschriebenen Einleitung über die Gesundheit und 
die Funktionen des menschlichen Körpers folgt eine Abhandlung über „Der 
Mensch und das Wasser“, dann über „Der Mensch und die Luft“, schlie߬ 
lich über „Der Mensch und der Sport“. Bei den einzelnen Kapiteln werden 
alle einschlägigen Faktoren aufs genaueste besprochen, besonders im letzten 
und größten Abschnitt fehlt keine auch nur erdenkliche Abart des Sportes, 
so Wandern, Bergsport, Gymnastik, Reiten, Polospiel, Schnitzeljagd, Rad¬ 
fahren, Rudern, Schwimmen, Ballspiele, Fechten, zuletzt der Wintersport in 
den verschiedensten Variationen als Eislauf, Rodeln, Skilauf, Rennwolf usw. 
Aus der kurzen Übersicht des Inhaltes ist die Reichhaltigkeit des Buches 
am besten erkenntlich. Daß überall auf eine richtige Ausübung des be¬ 
treffenden Sportes hingewiesen und vor Übertreibung gewarnt wird, ist 
doppelt anerkennenswert. Die beigegebenen vorzüglichen, durchweg der 
Natur abgelauBchten Abbildungen erleichtern das Verständnis der Aus¬ 
führungen. (S. Merkel-Nürnberg.) 


Dr. M. Hindhede: Eine Reform, unserer Ernährung. Autori¬ 
sierte Übersetzung nach der dritten Auflage des dänischen Originals 
von Gustav Bargum. Verlag von Tillges Buchhandlung (Holger 
Tillge), Kopenhagen. Auslieferung bei K. F. Köhler, Leipzig 1908. 
Preis 3,75^; elegant gebunden 5,25 Jft. 

Einen interessanten Beitrag zur Ernährungslehre bilden die vorliegen¬ 
den Versuche des Verfassers, welcher es unternommen hat, allerdings nur 
in praktischer Weise, festzustellen, wieweit man unter Erhaltung des Körper¬ 
gleichgewichtes die Zufuhr an Eiweiß in der Nahrung herabsetzen und da¬ 
durch gleichzeitig die Kosten der Ernährung sehr billig gestalten kann. Für 
den Zeitraum von acht Woohen, über welchen sioh diese Versuche erstreckten, 
werden unter Angabe der Art und Menge der Nahrung und ihres Preises 
auch die Kalorienwerte derselben aufgeführt. Im Durchschnitt betrag die 
zugeführte Eiweißmenge für den Tag 57 g bei einem Gesamtkalorienwerte 
der Nahrung von 2236 Einheiten, während sich der Preis einer Tagesportion 
auf nur 26,1 Öre (29,2 Pf.) stellte. Ein derartiges Herabsetzen der Eiwei߬ 
menge und des Preises war natürlich nur durch Ausschluß von Fleisch mög¬ 
lich. Daß hier bei der Art der Nahrung, welche vorzugsweise aus Grützen, 
Kartoffeln, Gemüsen, Obst, Miloh, Brot, Fett und Eiern besteht, die Zuberei- 


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812 


Kritiken und Besprechungen. 


tung eine Hauptrolle spielt, steht außer Frage. In dieser Hinsicht wird auf 
das demnächst in deutscher Sprache erscheinende „ökonomisk Kogebog“ 
des Verfassers hingewiesen. In bezug auf die praktische Durchführung 
einer solchen Ernährung verkennt Hindhede nicht die Schwierigkeiten, 
welche für den einzelnen in persönlicher und gesellchaftlicher Hinsicht ent* 
stehen würden. Im allgemeinen ist diese Frage durch Begründung von 
sogenannten Hindhede-Pensionen in Dänemark bereits gelöst. Auf die 
Polemik des Verfassers gegen die Voitsche Eiweißnorm, sowie die Behand¬ 
lung von Fragen, wie Einfluß der Ernährung auf die Ausübung von Sport, 
Verpflegung der Soldaten, Verpflegung in Sanatorien, sei hier nur kurz hin¬ 
gewiesen. Es wäre wünschenswert, wenn die interessanten Versuche, welche, 
wie erwähnt, bereits in die Praxis des täglichen Lebens übersetzt worden 
sind, auch in wissenschaftlicher Hinsicht nachgeprüft würden. 

(S. Merkel-Nürnberg.) 


Leo Burgerstein: Zur Schulbankfrage. Sonderabdruck aus: 
„Internationales Archiv für Schulhygiene“. V. Hand. Leipzig 1908, 
Wilhelm Engelmann. 

Die Schulbankfrage ist das „enfant terrible“ der Schulhygiene. Obwohl 
eines der ältesten Probleme der wissenschaftlichen Schulgesundheitspflege, 
ist die Schulbankfrage von einer vollständigen Lösung noch weit entfernt. 
Die Literatur über Schulbänke ist ins Ungeheuerliche gestiegen, es gibt eine 
Unmasse patentierter und nicht patentierter Systeme aus alter, neuer und 
neuester Zeit — aber die Systeme, die uns Ärzte befriedigen können, finden 
nicht die ungeteilte Anerkennung bei den Pädagogen, und jene Systeme, die 
den Pädagogen gefallen, sind uns Ärzten wieder nicht recht. Indes kann 
man nicht leugnen, daß wir auch in der Schulbankfrage ein erhebliches 
Stück vorwärts gekommen sind und wir besitzen doch schon eine große 
Anzahl von Modellen, mit denen wir, selbst wenn sie nicht fehlerfrei sind, 
vom hygienischen und pädagogischen Standpunkte ganz zufrieden sein und 
unser Auslangen finden können. Es ist heute wirklich mehr Geschmacks¬ 
sache, welchem brauchbaren und rationell konstruierten System man den 
Vorzug geben will. 

Bei dieser Sachlage wirkt die vorliegende Arbeit Burgersteins auf 
den ersten Blick etwas überraschend, sie ist eine scharfe, bis in kleinste 
Detail gehende Streitschrift gegen den Architekten Arnim von Domi- 
trovich, welcher im „Internationalen Archiv für Schulhygiene“ zwei (später 
auch als Broschüre erschienene) Artikel veröffentlicht hat, welche sich für 
die Rettigbank einsetzen und gegen die Gegner derselben scharf zu Felde 
ziehen — und so auch gegen Burgerstein. Burgerstein zergliedert in 
seiner umfangreichen Polemik Punkt für Punkt die gegen ihn bzw. sein 
weltbekanntes Lehrbuch gerichteten Angriffe v. Domitrovichs und beweist, 
daß die von v. Domitrovich aus Burgersteins Lehrbuche herausge¬ 
griffenen Zitate den Text regelmäßig nicht richtig wiedergeben und sozu¬ 
sagen „präpariert“ sind. 

Man muß wohl zugeben, daß ein Kritiker nicht das ganze Buch, das 
er rezensiert, in seinen Zitaten abschreiben kann und daß gewisse Kürzungen 


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Kritiken und Besprechungen. 


813 


der bemängelten Stellen des Originals in einer Besprechung unvermeidbar 
sind, aber in dem vorliegenden Falle gewinnt man aus den Darlegungen 
Burgersteins den Eindruck, daß die kritischen Bemerkungen v. Domi- 
trovichs oft den Stempel des Tendenziösen an sich tragen. 

ln der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Kritik muß die Sache 
über die Person gestellt werden — der Schreiber dieses zählt auch nicht zu 
den höfliohen Kritikern, die alles loben, was von „Autoritäten“ ausgeht — 
aber gerecht soll eine Kritik sein und ohne sichere Beweise darf man 
die Ehrenhaftigkeit seines Gegners nicht angreifen. 

Burgerstein ist — trotzdem er nicht Arzt ist — als einer unserer 
bedeutendsten Schulhygieniker bekannt und anerkannt, gegen die Makel¬ 
losigkeit seines Charakters kann nicht der geringste Verdacht erhoben werden. 

Man kann es daher wohl begreifen, daß er sich wehrt und empört ist, 
wenn man ihn an seiner Ehre kränkt; aber der ganze Streit ist für den 
Leser nicht herzerfreuend. 

Burgerstein ist Beit jeher ein warmer Fürsprecher der Schenkschen 
Schulbank gewesen und es ist ihm zweifellos gelungen, die unleugbaren 
Vorzüge derselben in das richtige Licht zu setzen; aber ohne Mängel ist 
auch dieses System nicht und sehr verbreitet ist dessen Anwendung in der 
Schulpraxis gerade nicht. Burgersteins Sach- und Literaturkenntnis, die 
ihresgleichen sucht, ist aber auch in der besprochenen Schrift deutlich er¬ 
kennbar und so wird jeder, der sich für die Schulbankfrage interessiert, in 
der 86 Seiten fassenden Streitschrift mancherlei Anregung finden, die von 
Nutzen werden kann. (Altschul-Prag.) 


Dr. deKeating-Hart: Die Behandlung des Krebses mittels 
Fulguration. Übersetzt von Dr. E. Schümann. Leipzig 1908, 
Akademische Verlagsgesellschaft 

Die vom Verfasser geübte Methode zur Behandlung des Krebses besteht 
darin, daß man die Funken eines hochfrequenten und hochgespannten elek¬ 
trischen Stromes auf das erkrankte Gebiet wirken läßt. Die Funken springen 
von einer vom Operateur in der Hand gehaltenen und hin und her bewegten 
Elektrode auf den Patienten über. Im einzelnen gestaltet sich das Vor¬ 
gehen folgendermaßen: Der Patient wird tief chloroformiert, dann wird die 
Haut durchtrennt und die Geschwulst in ihrer ganzen Ausdehnung frei¬ 
gelegt. Dann erfolgt die erste Blitzbehandlung. Diese hat den Zweck, vor¬ 
bereitend zu wirken. Sie verändert die Dichtigkeit der Geschwulst und 
erleichtert dadurch die Auffindung der Grenze zwischen Gesundem und 
Krankem. Ferner hat sie eine große, gefäßverengernde Kraft und ver¬ 
mindert hierdurch wesentlich die Blutung. Der zweite Akt ist die eigent¬ 
liche Operation, d. h. die Entfernung des Krebses im Gesunden, wobei man 
sich dicht an die Grenze halten darf, ähnlich wie bei der Entfernung einer 
gutartigen Geschwulst Nach Abtragung alles Kranken folgt drittens die 
zweite Blitzbehandlung. Diese ist die wichtigere. Sie bewirkt Verschorfung 
(Wärmewirkung) und Abtötung des Gewebes, ohne sein Aussehen zu ver¬ 
ändern (Tiefenwirkung des Stromes). Erstere ist die weniger erwünschte, 
letztere die eigentlich wirksame. Bei gleicher Ladung nimmt die Ober- 


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Kritiken und Besprechungen. 


flächen- und Wärmewirkung durch Annäherung der Elektrode zu, dagegen 
steigt durch Vermehrung der Distanz die Heftigkeit der Entladung und 
zugleich die Tiefenwirkung. Die Steigerung der Lymphströmung und die 
reaktive Veränderung des tiefer liegenden Gewebes scheinen speziell durch 
lange Funkenstrecken hervorgerufen zu werden. Während und gleich nach 
der Operation setzt eine gewaltige seröse Absonderung ein, die selbst den 
dicksten Verband in kurzer Zeit durchtränkt. 

Ist der Schorf abgestoßen, so erscheint darunter eine Granulationsbil- 
dung von ungewöhnlich lebhaft roter Farbe mit großer Neigung zur Ver¬ 
narbung. 

Die Fulguration hat eine höohst bemerkenswerte Fernwirkung; vor¬ 
handene Metastasen erleiden eine Art Lähmung und Entwickelungshemmung. 
Sie sterben ab und verfallen der Nakrobiose. 

Die heilende Wirkung der Fulguration glaubt Verfasser in der speziell 
vitalisierenden Wirkung des elektrischen Funkens auf das Körpergewebe zu 
finden, ln dem Kampf zwischen Körper- und Geschwulstzellen neigt sich 
das vitale Übergewicht auf seiten der Körperzellen. 

Den Schluß der Arbeit bilden Krankengeschichten, welche den glänzen¬ 
den Erfolg der Methode dartun. (Port-Nürnberg.) 


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Neu erschienene Schriften. 


815 


Neu erschienene Schriften über öffentliche 
Gesundheitspflege. 

(119. Verzeichnis.) 


1. Allgemeines. 

Alliance d’Hygiene sociale. Bulletin n° 9 bis, congres de Lyon (13-16 mai 1907). 

1 vol. in-8°. Impr. reunies, ä Lyon. 6 frcs. 

Arbeiten aus dem kaiserl. Gesundheitsamte. (Beihefte zu den Veröffentlichungen 
des kaiserl. Gesundheitsamtes.) 28. Bd. 2. Heft. (S. 261 bis 448 mit 1 Tafel.) 
Lex.-8°. Berlin, J. Springer, 1908. 7,40 J 6. Die Abnehmer der Veröffent¬ 
lichungen des kaiserl. Gesundheitsamtes erhalten die Arbeiten zu einem um 
20 Proz. ermäßigten Preise. 

Arbeiten aus dem kaiserl. Gesundheitsamte. (Beihefte zu den Veröffentlichungen 
des kaiserl. Gesundheitsamtes.) 29. Bd. 3. (Schluß-) Heft. (IV u. S. 449 bis 
599, mit Abbildungen.) Lex.-8°. Berlin, J. Springer, 1908. 5,40 M. Die Ab¬ 
nehmer der Veröffentlichungen des kaiserl. Gesundheitsamtes erhalten die 
Arbeiten zu einem um 20 Proz. ermäßigten Preise. 

Archiv für Schiffs- und Tropenhygiene, unter besonderer Berücksichtigung der 
Pathologie und Therapie. Herausgegeben v. Dr. C. Mense. 12. Bd. Jahrg. 1908. 
gr.-S". Leipzig, J. A. Barth. — 3. Beiheft. Höhnel, F.: Über Trypanosoma 
congolense. (Aus dem Seemannskrankenhause und Institut für Schiffs- und 
Tropenkrankheiten in Hamburg. Direktor: Med.-Rat Prof. Dr. Nocht.) Mit 

2 Tafeln. (30 S.) 1908. Einzelpreis 1,50 M; Subskr.-Preis bar 1,20 M- — 
4. Beiheft. Steudel, Oberstabsarzt Dr.: Kann der Deutsche sich in den 
Tropen akklimatisieren? Nach einem Vortrage. (22 S.) 1908. Subskr.-Preis 
0,60 M\ Einzelpreis 0,75 M- — 5. Beiheft. Verhandlungen der deutschen 
tropenmedizinischen Gesellschaft. Erste Tagung vom 14. bis 16. April 1908. 
Mit 5 Abbildungen. (164 S. mit Titelbild.) 1908. Subskr.-Preis 2,40 M; 
Einzelpreis 3 M- 

Bericht über den XIV. Internationalen Kongreß für Hygiene und Demographie, 
Berlin, 23. bis 29. September 1907. Herausgegeben von der Kongreßleitung. 
Red. vom Generalsekretär Prof. Dr. Nietner. Lex.-8°. Berlin, A. Hirschwald, 
1908. — 3. Bd. 2 Teile (XV, 1484 S. mit Abbildungen, 2 eingedruckten Karten 
und 8 eingedruckten Tafeln). Je 10 Mi. — 4. Bd. (Mit General-Namen- und 
Sachregister.) (XXni, 861 S.) 10 M* 

Fehling, Prof. Dr. Herrn.: Wundinfektion und Wundbehandlung im Wandel der 
Zeiten und Anschauungen. Rede. (Rektoratsreden der Universität Straßburg 
1908.) (32 S.) gr.-8 < ’. Straßburg, J. H. E. Heitz, 1908. 1,20 M>. 
Geaundheitabüohlein. Gemeinfaßliche Anleitung zur Gesundheitspflege. Bear¬ 
beitet im kaiserl. Gesundheitsamte. 13. Ausgabe. (X, 272 S. mit Abbildungen 
und 3 farbigen Tafeln.) 8°. Berlin, J. Springer, 1908. Kart. 1 Mi; geb. in 
Leinwand n 1,25 Mi. 

Cteaundheitakalender. Jahrg. 1909. Red. von DD. Müller, Körner, Schmitt. 
(96 S. mit Abbildungen und 4 farbigen Tafeln.) gr. 8°. Würzburg, Etlinger. 
0,50 M. 


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816 


Neu erschienene Schriften. 


Gesundheitswesen, Das, des Preußischen Staates im Jahre 1906. Im Aufträge 
Sr. Exzell, des Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal- 
Angelegenheiten bearbeitet von der Medizinalabteilung des Ministeriums. (XII, 
510 u. 48 S.) Lex.-8°. Berlin, R. Schoetz, 1908. Bar 14 Jf>. 

Gouttes, F.: Conditions generales d’hygiene legale, professionelle, industrielle, 
commerciale. 1 vol. in-8°. L’avenir de la mutualite, ä Bordeaux. 0,50 frcs. 

Iiumley’s Public Health. 2nd ed. 2 vols. Roy 8vo, pp. 3000. Butterworth, 
net, 77/6 d. 

Meyer, Prof. Dr. George: Die Entwickelung des Rettungswesens im Deutschen 
Reiche. Festschrift, dargeboten den Teilnehmern am I. internationalen Kon¬ 
greß für Rettungswesen in Frankfurt a. M., Pfingsten 1908, vom Organisations¬ 
komitee des Kongresses. (XVI, 192 S.) 8°. Berlin, A. Hirschwald, 1908. 3 M. 

Reid, George: Practical Sanitation. 14 th ed., thoroughly revised. Cr. 8vo, 
pp. 364. C. Griffin. 6 d. 

Sani täts Vorschriften, Die wichtigsten, mit einem Anhang für Ärzte, Wundärzte 
und Hebammen in Oberösterreich. (IV, 155 S.) kl.-8°. Linz a. D., Jos. Feich- 
tingers Erben, 1908. (Nur direkt.) 3 „H>. 

Schoofs, F.: Traite d’hygiene pratique. in-8°. J.-B. Bailliere et fils. 12 frcs. 

Siohart, Architekt: Moderne Wohlfahrtseinrichtungen. Mit 70 Tafeln Natur¬ 
aufnahmen, Grundrissen, Schnitten usw. in feinem Lichtdruck und Photolitho¬ 
graphie ausgeführt. (In 4 Lieferungen.) 1. bis 3. Lieferung. (62 Tafeln.) 
45 X 33,5 cm. Stuttgart, C. Ebner, 1908. Je 10 Jk. 

Vierteljahrssohrift für öffentliche Gesundheitspflege. 40. Bd. 2. Heft. 7,50 Jk. 

— 3. Heft. 6,50 JL. Braunschweig, Friedr. Vieweg & Sohn. 

Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. 60. Bd. 1. u. 2. Heft. 14 Jk. 

— 3. Heft. 7 Jt. — 61. Bd. 1. Heft. 10 Jb. Leipzig, Veit & Co. 

Zeitschrift für Krüppelfürsorge. Organ der Gruppe Krüppelfürsorge der deut¬ 
schen Zentrale für Jugendfürsorge und des Berlin-Brandenburgischen Krüppel- 
Heil- und Fürsorge Vereins. Red. vom leitenden Arzt Dr. Konr. Biesalski. 
I. Bd. 4 Hefte. (1. Heft. 78 S.) gr.-8°. Hamburg, L. Voss, 1908. Bar 12 M>. 

2. Statistik und Jahresberichte. 

Bericht der k. k. Gewerbeinspektoren über ihre Amtstätigkeit im Jahre 1907. 
(CXLVI, 497 S. mit 10 Abbildungen und 4 Tafeln.) Lex.-8®. Wien, Hof- und 
Staatsdruckerei, 1908. 4 Jt. 

Bericht, Sanitätsstatistischer, des k. u. k. Heeres für das Jahr 1906. Über An¬ 
ordnungen des k. u. k. Reichskriegsministeriums, bearbeitet und herausgegeben 
von der dritten Sektion des k. u. k. technischen Militärkomitees. (IV, 239 S.) 
31,5 X 24,5 cm. Wien, Hof- und Staatsdruckerei, 1907. 6 Jfc. 

Government of India Fublioations. Sanitary Report, North-West Frontier 
Province, 1907. 5 d. 

Jahrbuch, Statistisches, für das Deutsche Reich. Herausgegeben vom kaiserl. 
statistischen Amt. 29. Jahrg. 1908. (XXIX, 388 u. 79 S. mit 10 [6 farbigen] 
Tafeln.) gr.-8°. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1908. Kart. 2 M>. 

Jahrbuch, Ungarisches statistisches. Neue Folge XIV. 1906. Im Aufträge des 
königl. ungarischen Handelsministers verfaßt und herausgegeben vom königl. 
ungarischen statist. Zentralamt. Amtliche Übersetzung aus dem ungarischen 
Original. (XX, 523 S.) Lex.-8°. Budapest, F. Kilians Nachf., 1908. Geb. 
in Leinwand nn 5 

Jahrbuch der Wohnungsreform 1906/7. 4. Jahrg. Herausgegeben vom deutschen 
Verein für WohnungBreform (Verein Reichs-Wohnungsgesetz). (90 S.) gr.-8 # . 
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1908. 1 Jt. 

Jahresbericht, Statistischer, der Stadt Wiesbaden. Herausgegeben vom städti¬ 
schen statistischen Amt. 1. Jahrg. 1907. (66 S. mit 1 Figur.) Lex.-8°. Wies¬ 
baden, J. F. Bergmann, 1908. Bar 1,60 


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Neu erschienene Schriften. 


817 


Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten und der Bergbehörden in Elsaß- 
Lothringen für 1907. (II, 149 S.) 8°. (Bisher unter dem Titel: Verwaltungs¬ 
berichte.) Berlin 1908. (Straßburg, E. d'Oleire.) Bar 1 Jt. 

Jahresbericht der großherzoglich badischen Fabrikinspektion für das Jahr 1907. 
Erstattet an großherzogliches Ministerium des Innern. (169 S.) Lex.-8°. 
Karlsruhe, F. Thiergarten, 1908. 3 Jt. 

Jahresbericht der großherzoglich hessischen Gewerbeinspektionen für das Jahr 
1907. Herausgegeben im Aufträge des großherzoglichen Ministeriums des 
Innern. (VIII, 258 S.) gr.-8°. Darmstadt, G. Jonghaus, 1908. 1 Jt. 
Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte in der gesamten Medizin. 
(Fortsetzung von Virchows Jahresbericht.) Unter Mitwirkung zahlreicher 
Gelehrten herausgegeben von W. Waldeyer und C. Posner. 42. Jahrgang. 
Bericht für das Jahr 1907. 2 Bde. Je 3 Abteilungen. (l.Bd., 1. Abt. 321 S.) 
Lex.-8°. Berlin, A. Hirschwald, 1908. 46 Jt. 

Jahresbericht über soziale Hygiene, Demographie und Medizinalstatistik, sowie 
alle Zweige des sozialen Versicherungswesens. 7. Bd.: Bericht über das Jahr 
1907. Herausgegeben von DD. A. Grotjahn und F. Kriegei. (VIII, 391 S.) 
gr.-8°. Jena, G. Fischer, 1908. 11,50 Jt. 

Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten im Königreich Württemberg für 
1907. (IV, 256 S.) 8°. Stuttgart, H. Lindemann, 1908. 2 Jt. 

Isooal Government Board. Report to the Local Government Board upon the 
Sanitary Circumstances and Administration of the St. Asaph (Flintshire) and 
of the St. Asaph (Denbighshire) Rural District. No. 305. 5 d. 
Mitteilungen der großherzoglich hessischen Zentralstelle für die Landesstatistik. 
37. Bd. Nr. 843 bis 860. Januar bis Dezember 1907. (VII, 296 S.) 8°. Dann¬ 
stadt, G. Jonghaus, 1907. 3,80 Jt. 

Mitteilungen, Medizinal-statistische, aus dem kaiserL Gesundheitsamte. (Beihefte 
zu den Veröffentlichungen des kaiserl. Gesundheitsamtes.) 11. Bd. 2. Heft. 
(S. 103 bis 134 u. 177 S. mit 4 farbigen Karten.) 6 Jt. — 3. (Schluß-) Heft. 
(III u. S. 135 bis 244.) 3 ,H>. Lex.-8 # . Berlin, J. Springer, 1908. 

Resultats statistiques du recensement general de la population effectue le 
24 mars 1901, t. V.: Enquetes annexes. Familles. Aveugles et sourds-muets. 
Habitations. Forces motrices (publ. du min. du Travail). 1 vol. in-8®. Berger- 
Levrault et Cie. 5 frcs. 

Statistique annuelle du mouvement de la population. Annees 1905 et 1906, 
t. XXXV et XXXVI (publ. du min. du Travail). 1 vol. in-8°. Berger-Levrault 
et Cie. 5 frcs. 

Übersichten, Statistische, der Bevölkerungs- und Medizinalstatistik in graphischer 
Darstellung. Nach den Originaltabellen der Ausstellung: „Volkskrankheiten 
und ihre Bekämpfung“ zu Dresden, herausgegeben von K. A. Lingner. Mit 
Vorwort. (3 8.) Lex-8°. Tabelle I. Roesle, Dr. E.: Die natürliche Bewegung 
der Bevölkerung der europäischen Staaten seit Beginn des 19. Jahrhunderts. 
Nach den amtlichen Ergebnissen bearbeitet. (1 Bl.) 45,5 X 64 cm. — Tabelle II. 
Roesle, Dr. E: Die natürliche Bewegung der Bevölkerung in den deutschen 
Großstädten seit dem Jahre 1870/71. Nach den amtlichen Angaben der Stadt¬ 
verwaltungen und städtischen statist. Ämter bearbeitet. (1 Bl.) 45,5 X 64 cm. 
Berlin, Deutscher Verlag für Volkswohlfahrt, 1908. Je 1,50 
Zeitschrift für schweizer. Statistik. 3 Lieferungen. Bern, Francke, 1908. 2,40 Jt. 


3. Wasserversorgung, Entwässerung und Abfuhr. 

By-Laws äs to House Drainage and Sanitary Fittings made by the London County 
Council. Annotated by J. G. Jensen and another. Containing References to 
the By-Laws of various other Cities in the United Kingdom. 2nd ed. Cr. 8vo. 
pp. xvii —147. Sanitary Pub. Co. net, 3/6 d. 

Viertelj*hr»»ehrift für Oeiundheitipflege, 1908. ^2 


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818 


Neu erschienene Schriften. 


C&lmette, R.: Recherches sur l’epuration biologique des eaux d’ägout. Analyse 
des eaux d’egout, par E. Rolants. 1. suppl. 1 vol. Masson et Cie. 4 frcs. 
Finger, Reg.- und Med.-Rat Dr.: Die Wasserversorgung in den Marschen des 
Regierungsbezirkes Stade. [Aus: „Klin. Jahrb.“] (54 S. mit 2 Abbildungen 
und 1 Karte.) gr.-8°. Jena, G. Fischer, 1908. 2 Ms- 
Fortschritte der Ingenieurwissenschaften. 2. Gruppe. 17. Heft. Assanierung, 
Die, der Städte in Einzeldarstellungen. Herausgegeben im Verein mit Hygie¬ 
nikern und Ingenieuren des In- und Auslandes von Priv.-Doz. Dr. Th. Wey 1. 
II. Bd. 2. Heft. Die Assanierung von Düsseldorf. Bearbeitet von Inspektor 
G. Brix, Direktor W. Frhr. v. Engelhardt, Beigeordneter Stadtbaurat 
C. Geusen u. a. Herausgegeben von Priv.-Doz. Dr. Th. Weyl. Mit 96 Ab¬ 
bildungen im Text und 8 Tafeln. (XI, 178 S.) Lex.-8°. Leipzig, W. Engel¬ 

mann, 1908. 14 M. 

Gutachten des Reichsgesundheitsrates, betreffend die Verunreinigung der Orla 
und Kötschau durch gewerbliche Abwässer. Berichterstatter: Geh. Ob.-Reg.- 
Rat Prof. Dr. v. Buchka. Mitberichterstatter: Geh. Med.-Rat Ministerialrat 
Prof. Dr. Renk. [Aus: „Arbeiten aus dem kaiserL Gesundheitsamte.“] (77 S. 
mit 1 farbigen Tafel.) Lex.-8°. Berlin, J. Springer, 1908. 4,40 Jt>. 
Jaetrow, Dr.-Ing. F.: Maschinelle Abwasserreiniger. (63 S. mit 22 Figuren.) gr.-8*. 
Berlin, C. Heymann, 1908. 2 Mt. 

Ley, Ingenieur Heinr.: Die Verseuchung der Rheinwasserleitung durch Rück¬ 
saugung, ihre Verbreitung und Verhinderung. (40 S. mit Abbildungen und 
2 Tafeln.) 8°. Düsseldorf, W. Deiters, 1908. 1,20 Ms- 
Razous, P.: Eaux d’egout et eaux residuaires industrielles. Soc. d’Edit. techniquee. 
7,50 frcs. 

Rundschau, Haustechnische. Zeitschrift für Heizung, Lüftung und Beleuchtung, 
für Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung und Kanalisation. Herausgegeben 
von Oberingenieur H. Müllenbach. 13. Jahrgang. Juli 1908 bis Juni 1909. 
24 Nummern. (Nr. 1. 14 S. mit Abbildungen.) 34,5x24 cm. Halle, C. Mar- 
hold. Halbjährlich bar 6 M- 

Tiefbau, Der städtische. Im Verein mit Fachgenossen herausgegeben von Geh. 
Baurat Prof. Dr. Dr.-Ing. Eduard Schmitt. Lex.-8°. II. Bd. Lueger, 
Otto: Die Wasserversorgung der Städte. 2. Abteilung. Einzelbestandteile der 
Wasserleitungen. Unter Mitwirkung von Maschineningenieur Ernst Fischer. 
Mit 754 in den Text gedruckten Illustrationen. (VIII, 545 S.) Leipzig, 
A. Kröner, 1908. 24 M; geb. in Halbfranz n 28 M. 

Voller, Prof. Labor.-Dir. Dr. A.: Das Grundwasser in Hamburg. Mit Berück¬ 
sichtigung der Luftfeuchtigkeit, der Lufttemperatur, der Niederschlagsmengen 
und der Flußwasserstände. 16. Heft, enthaltend Beobachtungen aus dem Jahre 

1907. (1. Beiheft zum Jahrbuch der Hamburger wissenschaftlichen Anstalten. 
XXV. 1907.) (7 S. mit 4 Tafeln.) 34 x 26 cm. Hamburg, L. Gräfe & Sillem, 

1908. 3 M. 

4. Straßen-, Bau- und Wohnungshygiene. 

Layriz, Oberstleutnant z. D. Otfr.: Die Staubplage und ihre Bekämpfung. (35 S.) 

gr.-8°. München, J. Lindauer, 1908. 0,50 M>- 
Putzeye, F. et E.: Hygiene appliquee. Les installations sanitaires des habitations 
privees et collectives, 2e ed. rev. et augm. 1 vol. in-8°. rel. Ch. Beranger. 
10 frcs. 

Teohow, Geh. Baurat: Baupolizeiordnung 1. für die Städte und 2. für das platte 
Land der Regierungsbezirke Potsdam und Frankfurt a. 0. vom 1. Dezember 
1894 und 28. November 1895 bzw. 18. Februar und 23. März 1872, nebst den 
Polizeiverordnungen 1. betr. die bauliche Anlage von Theatern usw., 2. betr. 
die Wohnungen der Wanderarbeiter, 3. Grundsätze für die Berechnung der 


y GoogIe 


D 



Neu erschienene Schriften. 


819 


Standfestigkeit von Schornsteinen. Neuer Abdruck. (126 S.) kl.-8°. Berlin, 
R. Eisenschmidt, 1908. Kart. 1 

Wohnungafürsorge, Praktische, in Hessen. Herausgegeben vom Ernst-Ludwig- 
Yerein, Darmstadt, hessischer Zentralverein für Errichtung billiger Wohnungen. 
Protektor: Se. Kgl. Hoheit der Großherzog. (IV, 98 S. und 66 S. Abbildungen.) 
— Die Kleinwohnungskolonie auf der hessischen Landesausstellung für freie 
und angewandte Kunst 1908 in Darmstadt. (65 S. mit Abbildungen.) Lex.-8°. 
Darmstadt 1908. Wiesbaden, Westdeutsche Yerlagsgesellsohaft. Je 6 Ma. 

5. Schulhygiene. 

Mitteilungen des statistischen Amts der Stadt Kiel. Nr. 9. Weber, Prof. L.: 
Die Tagesbeleuchtung der städtischen Schulen in Kiel. (42 S. mit 4 Tafeln.) 
31,5x24 cm. Kiel, Lipsius & Tischer, 1908. 4 M. 

YoÜBBohriften der österreichischen Gesellschaft für Gesundheitspflege. Nr. 20. 
Stand, Der, der Schularztfrage in Österreich. Verhandlungen der „österr. 
Gesellschaft für Kinderforschung“ in Wien unter Vorsitz von Hof rat Prof. 
Dr. Th. Escherich im Januar 1908. Bericht der Schriftführer der Gesell¬ 
schaft DD. Th. Heller und Frhr. v. Pirquet. (145 S.) kl.-8°. Wien, 
M. Perles, 1908. nn 0,50 Ms. 

6. Hospitäler und Krankenpflege. 

Clavel, L’assistance medicale indigene en Indo-Chine. in-8°. A. Challamel. 12 frcs. 
Eydam, fDr. W.: Sämariterbuch für Jedermann. Allgemeinverständliche An¬ 
leitung zur ersten Hilfeleistung bei Unglücksfällen. 9. verbesserte Auflage, 
bearbeitet von Dr. Tägtmeyer. (VIII, 80 S. mit 69 Abbildungen.) kl.-8°. 
Berlin, 0. Salle, 1908. Geb. in Leinwand 1 M- 
Hueppe, Ferd.: Was soll der Arzt über die Gefahren der Infektionskrankheiten 
in den Samariterkursen lehren? Vortrag. [Aus: „Berl. klin. Wochenschr.“] 
(15 S.) 8". Berlin, A. Hirschwald, 1908. Bar 0,40 
Jaquet, Dr. Alb.: First aid to the injured for volunteer nurses in war and 
volunteers of the Red Cross Society. Translated by Frau Bettina v. Gut¬ 
feld. (71 S.) 8°. Berlin, H. Steinitz, 1908. 1,80 
Neumeister, Prof. A.: Deutsche Konkurrenzen. 22. Bd. (Mit Abbildungen.) 
12. Heft. Nr. 264. Genesungsheim für Sohirmeck i. E. (36 S. und Konkurrenz- 
Nachrichten S. 1999 bis 2002.) gr.-8°. Leipzig, Seemann & Co., 1908. Jedes 
Heft Einzelpreis 1,80 M; Subskr.-Preis mit Beiblatt: Konkurrenz-Nachrichten 
1,26 Mi. 

OEuvre, 1’, d’assistance publique ä Paris. Memento des secours publics et des 
etablissement d’assistance ä Paris (publ. de l’admin. gen. de l’AsBist. publ.). 
1 vol. in-8“. Berger-Levrault et Cie. 1,25 frcs. 


7. Militär- und Schiffahygiene. 

Firth, R. H.: Military Hygiene. A Manual of Sanitation for Soldiers. Cr. 8vo, 
pp. 396. Churchill, net, 3/6 d. 

Publikationen, Militärärztliche. Nr. 117. Cron, Ob.-Stabsarzt: Feldtaschenbuch 
für den Sanitätsdienst im Kriege. 2. Auflage des „Feldtaschenbuches für 
k. u. k. Militärärzte“. Unter Mitwirkung mehrerer Kameraden zusammen¬ 
gestellt. 2. Heft: 1. Teil des sanitätsoperativen und sanitätstaktischen Dienstes, 
enthaltend: Grundsätze für sanitäre Leitung und Dienstverkehr. Sanitätsdienst 
außerhalb des Gefechtes. Grundzüge des Sanitätsdienstes im Rückengebiete 
der Armee. Mit zahlreichen Abbildungen. (154 S.) kl.-8". Wien, J. Öafäf, 
1908. Kart. 2,70 Mi. 

52* 


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820 


Neu erschienene Schriften. 


Reglement sur le service de sante de 1’arme ä l’interieur, 3e ed., mise a jour 
jusqu’au 1 er mai 1908. in.-8*. H. Charles-Lavauzelle. 4 frcs. 

Röthlisberger, Prof. Ernst: Die neue Genfer Konvention vom 6. Juli 1906. (91 S. 
mit 4 Tafeln.) gr.-8°. Bern, A. Francke, 1908. 1,20 Jk. 

Sanit&tsbericht über die kaiserl. deutsche Marine für den Zeitraum vom 1. Ok¬ 
tober 1905 bis 80. September 1906. Bearbeitet in der Medizinalabteilung dea 
Reichsmarineamts. (IV, 208 S.) gr.-8°. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1908. 
2 Jfc; geb. 3 Jt,. 


8. Infektionskrankheiten, Bakteriologie und Desinfektion. 

Abel, Geh. Med.-Rat Dr. Rud.: Bakteriologisches Taschenbuch, enthaltend die 
wichtigsten technischen Vorschriften zur bakteriologischen Laboratoriumsarbeit. 
12. Auflage. (VI, 122 S.) kl.-8°. Würzbnrg, C. Kabitzsch, 1908. Gebunden 
in Leinwand und durchschossen 2 

Arbeiten aus dem Institut zur Erforschung der Infektionskrankheiten in Bern und 
den wissenschaftlichen Laboratorien des Schweizer Serum- und Impfinstituts, 
herausgegeben von Prof. Dr. W. Kolle. 1. Heft. Mit 3 Tafeln und 10 Kurven 
im Text. (III, 126 S.) Lex.-8 # . Jena, G. Fischer, 1908. 6 J(,. 

Behla, Geh. Med.-Rat Dr. Rob.: Die künstliche Züchtung des Krebserregers, seine 
Feststellung in der Außenwelt und der rationelle Krebsschutz. (VIII, 86 S. 
mit 2 [1 farbigen] Tafeln.) Lex.-8°. Berlin, R. Schoetz, 1908. 2,50 Jfc. 

Desinfektion. Monatsschrift. Herausgegeben von Geh. Med.-Rat Flügge, Geh. 
Ober-Med.-Rat Gaffky, Proff. DD., Baurat Herzberg u. a. Schriftleitung: 
DD. Lentz und Lockemann. 1. Jahrg. Juli 1908 bis Juni 1909. 12 Hefte. 
(1. Heft. 42 S. mit Abbildungen). gr.-8°. Berlin, Deutscher Verlag für Volks¬ 
wohlfahrt. Bar 10 Jfe; einzelne Hefte 1 J6. 

Desinfektionsordnung für den Regierungsbezirk Düsseldorf. 2. Auflage. (39 S.) 
8°. Düsseldorf, L. Voss & Co., 1908. Bar 0,50 Jts. 

Emery, W. D’Este: Clinical Bacteriology and Haematology for Practitioners. 3rd 
ed. 8vo, pp. 286. H. K. Lewis, net, 7/6 d. 

Handbuch der Technik und Methodik der Immunitätsforschung. Herausgegeben 
von DD. Prof. R. Kraus und C. Levaditi. 2. Bd. 1. Lieferung. Mit 1 Kurve 
und 56 teils farbigen Abbildungen im Text. (S. 1 bis 278.) Lex.-8°. Jena, 
G. Fischer, 1908. 8 Jt. 

Ireland’s Crusade against Tuberculosis. Being Series of Lectures. Vol. 2. Edit» 
by the Countess of Aberdeen. 8vo, pp. 190. Maunsel net, 1 d. 

Local Government Board. Sanatoria for Consumption and Certain Other 
Aspects of the Tuberculosis Question. Supplement in continuation of the 
Report of the Medical Officer for 1905-06, to the 35 th Annual Report of the 
Local Government Board, 1905-06. 5 d. 

Neveu-Lemaire, Dr. M.: Preois de parasitologie humaine, maladies parasitaires 
dues ä des vegetaux et ä des animaux, preface de R. Blanchard. in-18*, 
cart. F.-R. de Rudeval. 8 frcs. 

Newsholme, Arthur: The Prevention of Tuberculosis. 8vo, pp. 442. Methuen. 
net, 10/6 d. 

Pope, E. G.: A Second Study of the Statistics of Pulmonary Tuberculosis: Marital 
Infection. (3, Drapers’ Company Research Memoirs. Studios in National 
Deterioration.) Edit. and revised by Karl Pearson. With an Appendix on 
Assortative Mating from Date reduced by B. M. Eiderton, 4to, sd. Dulau. 
net, 3 d. 

Ränon. Le traitement pratique de la tubercnlose pulmonaire, Bept Conferences 
faites ä l’höpital de la Pitie. in-8°. Masson et Cie. 3,50 frcs. 

Schwalbe, Prof. Dr. Ernst: Kleinlebewesen und Krankheiten. Sechs volkswissen- 
schaftliche Vorträge über Bakteriologie und Hygiene. Mit 2 [1 färb.] Karten 


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Neu erschienene Schriften. 


821 


und 67 Abbildungen im Text. (XII, 187 S.) 8°. Jena, G. Fischer, 1908. 

1,80 A\ geb. 2,40 A. 

Sonnenberger , San.-Rat Dr.: Der Volksheilstättenverein vom Roten Kreuz und 
seine Tätigkeit auf dem Gebiete der Tuberkulosebekämpfung im Kindesalter. 
[Aus: „Der Kinderarzt.“] (8 S.) gr.-8°. Leipzig, B. Konegen, 1908. Bar 1 A- 
Tuberkulosearbeiten aus dem kaiserl. Gesundheitsamte. 8. Heft. Heilstätten, 
Deutsche, für Lungenkranke. Geschichtliche und statistische Mitteilungen. IV. 
Berichterstatter: Reg.-Rat Dr. Hamei unter Mitwirkung von Dr. Frdr. Peters. 
(V, 464 S. mit acht Tafeln.) 25 A. — 9. Heft. (III, 126 S.) 5 A. (Für die 
Abnehmer der Veröffentlichungen des kaiserl. Gesundheitsamtes zu einem um 
20 Proz. ermäßigten Preise.) Lex.-8°. Berlin, J. Springer, 1908. 
Verbreitungsweise und Bekämpfung, Die, der Tuberkulose auf Grund experi¬ 
menteller Untersuchungen im hygienischen Institut der königl. Universität 
Breslau 1897 bis 1908. Herausgegeben von Direktor Prof. Karl Flügge. 
(X, 818 S. mit 21 Figuren und 1 Tafel.) gr.-8°. Leipzig, Veit & Co., 1908. 
20 A ; geb. in Halbfranz 23 A- 

Zentralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und Infektionskrankheiten. 1. Ab¬ 
teilung: Medizinisch - hygienische Bakteriologie und tierische Parasitenkunde. 
In Verbindung mit Proff. DD. Loeffler, R. Pfeiffer, Geh. Med.-Räte, und 
Staatsrat M. Braun herausgegeben von Prof. Dr. Oskar Uhlworm. General¬ 
register für die Bände 26 bis 40. Bearbeitet von Prof. Dr. Gustav Lindau. 
(IV, 429 S.) gr.-8°. Jena, G. Fischer, 1908. Bar 9 A- 

9. Hygiene des Kindes. 

Barbarin, Dr., F. Quillier et Surbled. L’hygiene de l’enfant, de la naissance 
ä l’adolesoence. in-18. 0. Doin. 4 frcs. 

Baron, Dr. C.: 25 Merkblätter für die Pflege and Behandlung von Kindern in 
gesunden und kranken Tagen. Zur Mitgabe an die Mütter oder Pflegerinnen 
bestimmt. (4 mal 25 Bl. und S. mit 1 S. Text.) kl.-8°. Leipzig, B. Konegen, 
1908. 1,60 A- 25 verschiedene Blocke zu je 40 Blatt bar je 0,50 A. 
Behütet eure Kindlein vor englischer Krankheit (Rachitis)! Den deutschen 
Frauen! Gewidmet vom Plauener Verein „Jugendfürsorge“. Von Direktor 
Delitsch und Dr. Frucht. (1 Tafel und 1 Blatt Text.) 23,5 x 29,5cm. 
Plauen, A. Keil, 1908. Bar nn 0,50 A- 

Cauetier, E. et Mme. Moreau-Börillon: Hygiene et economie domestique ä 
l’usage de l’enseignement secondaire des jeunes Alles. 18 X 12. 1 vol. Vuibert 
et Nony. 2 frcs. 

Dohrn, Kreisarzt Dr. Karl: Über die geschlechtliche Aufklärung der Jugend. 
(Nach einem Volksvortrage.) [Aus: „Praxis der Volksschule“.] (7 S.) gr.-8°. 
Halle, H. Schroedel, 1908. Bar 0,30 A- 

Jahrbuch der deutschen Jugendfürsorge in Böhmen. 1. Jahrg. 1908. Jubiläums¬ 
werk der Zentralstelle für deutsche Waisenpflege und Jugendfürsorge in 
Böhmen. Bearbeitet von Hugo Heller. (XI, 644 S.) gr.-8°. Prag, J. G. Calve, 
1908. 7 M\ geb. 8 A. 

Pesoatore, Dr. M.: Pflege und Ernährung des Säuglings. Ein Leitfaden für 
Pflegerinnen. 2. verb. Auflage. (VII, 85 S.) 8°. Berlin, J. Springer, 1908. 
Kart. 1 A. 

Puörioulture et hygiene infantile. Conferences faites pour l’enseignement secon¬ 
daire des jeunes Alles, in-16. F. Alcan. 2 frcs. 

Bewald, Gertr.: Zähne und Zahnpflege. Zahnkrankheiten mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der gewerblichen Erkrankungen. (23 S. mit 11 Abbildungen.) 8°. 
Berlin, Buchhandlung Vorwärts, 1908. 0,50 A. 

Bosenkranz, Rektor C.: Uber sexuelle Belehrungen der Jugend. [Aus: „Praxis 
der Volksschule“.] 2. Auflage. (20 S.) gr.-8®. Halle, H. Schroedel, 1908. 
Bar 0,50 A. 


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822 


Neu erschienene Schriften. 


Veröffentlichungen des Vereins für Säuglingsfürsorge im Regierungsbezirk 
Düsseldorf. Herausgegeben von DD. Prof. A. Schlossmann und Marie Baum. 
1. Heft. Berufsvormundschaft und Kostkinderfrage mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der im ersten Lebensjahre stehenden Kinder. Konferenzbericht, 
Herr Vormundschaftsrichter J. F. Landsberg, Herr Beigeordneter Cosamann 
Referenten. (IV, 59 S.) gr.-8°. Berlin, C. Heymann, 1908. 1 Jk- 

10. Variola und Vaccination. (Fehlt.) 

11. Geschlechtskrankheiten. 

Engel-Reimers, weil. Oberarzt Dr. Jul.: Die Geschlechtskrankheiten. Vorträge. 
Nach den Manuskripten bearbeitet und herausgegeben von DD. R.Hahn und 
Polizeioberarzt C. Maes. (Mit 149 Abbildungen auf 47 [farbigen] Tafeln.) 
(V, 95 S.) 32 x 24 cm. Hamburg, L. Gräfe <fc Sillem, 1908. Geb. in Halb¬ 
leinwand 16 .ft. 

Flugschriften der deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrank¬ 
heiten. 10. Heft. Ton ton, Prof. Dr. K.: Über sexuelle Verantwortlichkeit. 
Ethische und medizinisch-hygienische Tatsachen und Ratschläge. Ein Vortrag 
vor Abiturienten. [Aus: „Zeitschrift für Bekämpfung der Geschlechtskrank¬ 
heiten“.] (24 S.) gr.-8°. Leipzig, J. A. Barth, 1908. 0,80 M,. 

Hecht, Sek.-Arzt Dr. Hugo: Verbreitung der Geschlechtskrankheiten an den Mittel¬ 
schulen. [Aus: „Zeitschrift für Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“.] 
(14 S.) gr.-8°. Leipzig, J. A. Barth, 1908. 0,80 M,. 

Niessen, Dr. Max v.: Der Syphilisbazillus. Seine Geschichte, Literatur, Kultur 
und spezifische Pathogenität für Tiere und Menschen. (VII, 84 S. mit 37 
[4 farbigen] Tafeln.) 36,5 x 26cm. Leipzig, 0. Nemnich, 1908. Geb. in 
Leinwand 25 .ft. 

Peters, E.: Prostitution und Geschlechtskrankheiten. Ihre gesundheitlichen, sitt¬ 
lichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden und ihre Bekämpfung. 
(104 S.) 8°. Berlin-Steglitz, Verlag „Kraft und Schönheit“, 1908. 1 M>. 

12. Gewerbe- und Berufshygiene. 

Abhandlungen, Volkswirtschaftliche, der badischen Hochschulen, herausgegeben 
von Carl Johs. Fuchs, Eberh. Gothein, Gerh. v. Schulze-Gävernitz. 
10. Bd. 2. Heft. Wächter, Dr. Karl: Die gewerbliche Bleivergiftung und 
ihre Bekämpfung im Deutschen Reiche. (IV, 107 S.) gr.-8°. Karlsruhe, 

G. Braunsche Hofbuchdruckerei, 1908. Subskr.-Preis 2 A>\ Einzelpreis 2,40 A. 

Bericht des Vereins für Feuerungsbetrieb und Rauchbekämpfung in Hamburg 
über seine Tätigkeit im Jahre 1907. (68 S. mit Figuren.) Lex.-8 # . Hamburg, 
Boysen & Maasch, 1908. Bar 2 A>. 

Chantemesee et E. Mosny: Traite d’hygiene, fase. VII: Hygiene industrielle. 
in-8®. J.-B. Bailliere et fils. 12 fres.; cart. 13,50 fres. 

Frois, M.: Captage, evacuation et utilisation des poussieres industrielles. 1 voL 
Soc. d’Edit. techniques. 10 fres. 

Frois, M.: Pratique de l’hygiene industrielle. in-8°. Soc. d’Edit. techniques. 6 fres. 

Gertner, Bergmstr.: Über Entstaubungsanlagen in Braunkohlen-Brikettfabriken. 
[Aus „Zeitschrift für das Berg-, Hütten- und Salinenwesen“.] (III, 90 S. mit 
40 Abbildungen und 3 Tafeln.) Lex.-8 # . Berlin, W. Ernst & Sohn, 1908. 8 M,. 

Iiiefm&nn, Privatdozent Dr. H.: Über die Rauch- und Rußfrage insbesondere 
vom gesundheitlichen Standpunkte und eine Methode des Rußnachweises in 
der Luft. [Aus: „Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentl. Gesundheitspflege“.] 
(VIII, 90 S. mit 8 Abbildungen.) gr.-8°. Braunschweig, Friedr. Vieweg & Sohn, 
1908. 2,50 A,. 

R&mbousek, Privatdozent Bez.-Arzt Dr. Jos.: Über die Verhütung der Bleigefahr. 
(79 S.) gr.-8°. Wien, A. Hartleben, 1908. 3 geb. 4 


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Neu erschienene Schriften. 


828 

Sammlung gemeinnütziger Vorträge. Herausgegeben vom deutschen Vereine zur 
Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse in Prag. Nr. 360, 351. Kätscher, 
Berta, und Leop. Kätscher: Kinderschutz und Kinderarbeit in England. 
Neuere kleine Beiträge. (S. 163 bis 171.) 1907. nn 0,30 JH>. — Nr. 366. 
Rambousek, Privatdozent Bez.-Arzt Dr. J.: Raumluft und Raumlüftung. 
Vortrag. (S. 37 bis 48 mit 6 Abbildungen.) 1908. nn 0,20 Jt,. gr.-8 # . Prag, 
J. G. Calve. 

Working Classes, Germany. Cost of Living of the Working Classes. Report of 
an Inquiry by the Board of Trade into Working Class Rente, Housing, and 
Retail Prices, together with the Rates of Wages in Certain Occupations in 
the Principal Industrial Towns of the German Empire. With an Introductory 
Memorandum and a Comparison of Conditions in Germany and the United 
Kingdom. 4/11 d. 


13. Nahrungsmittel. 

Bibliothek, Illustrierte, der Gesundheitspflege. (Neue Auflage.) 20. Bd. Rubner, 
Geh. Med.-Rat Direktor Prof. Dr. Max: Nahrungsmittel- und Ernährungskunde. 
2. vermehrte Auflage. (4. bis 10. Tausend.) (136 S.) kl.-8°. Stuttgart, 
E. H. Moritz, 1908. 2 .Hy', geb. in Leinwand 2,60 JH. 


14. Alkoholismus. 

Ungar, Dr. Karl: Mäßigkeit oder Enthaltsamkeit? (46 S.) 8°. Hermannstadt, 
G. A. Seraphin, 1908. 0,40 M,. 

Volksfreund gegen den Alkoholismus und für Gesundheitspflege. Monatlich er¬ 
schein. Vereinsorgan des Kreuzbündnisses mit seinen Unterabteilungen Anna- 
bund und Schutzengelbund usw. Redigiert von P. Schmitz und Repetent 
Köhler. 12. Jahrg. 1908. 12 Nummern. (Nr. 1, 16 S.) Lex.-8 # . Heidhausen 
bei Werden a. d. R. Essen, Fredebeul & Koenen. Bar 1,40 Jh. 


15. Verschiedenes. 

Baur, Dr. Alfr., und Lehrer E. Fisoher: Wie bleiben wir gesund? Erklärender 
Text zu dem anatomisch-hygienischen Wandtafelwerk. (159 S. mit Abbildungen.) 
gr.-8°. Leipzig, F. E. Wachsmuth, 1908. 1,20 J(y. 

Bericht über den I. Internationalen Kongreß für das Rettungswesen zu Frank¬ 
furts. M. vom 10. bis 14. Juni 1908. Herausgegeben von der Kongreßleitung. 
Redigiert vom Generalsekretär Prof. Dr. George Meyer. 1. Bd. Vorträge. 
(XII, 701 S. mit Abbildungen.) gr.-8°. Berlin, A. Hirschwald, 1908. Bar 14 M,. 

Bibliothek, Illustrierte, der Gesundheitspflege, herausgegeben von DD. fHans 
Büchner, Geheimrat Max Rubner, Pro ff., und Obermedizinalrat F. Gusb- 
mann. (Neue Auflage.) kl.-8°. 9. Bd. Forel, Prof. Dr. Aug.: Hygiene der 
Nerven und des Geistes im gesunden und kranken Zustande. Mit 10 Illustra¬ 
tionen, darunter 4 Tafeln. 3. revidierte und vermehrte Auflage. (7. bis 
9. Tausend.) (319 S.) 3,50 jHy\ geb. in Leinwand 4,50 Jt. — Bd. 10a. Dennig, 
Prof. Dr. Adf.: Hygiene des Stoffwechsels und die Stoffwechselkrankheiten 
(Fettsucht, Gicht, Zuokerkrankheit usw.) Mit 1 kolorierter Tafel und 5 Text¬ 
abbildungen. 3. Tausend. (88 S.) 1,20 Jk. — Bd. 10b. Walz, Med.-Rat Dr. 
Karl: Hygiene des Blutes und die Blutkrankheiten. Mit 8 färb. Abbildungen 
auf 2 Tafeln. 3. Tausend. (86 S.) 1,20 JH>. Stuttgart, E. H. Moritz, 1908. 

Kafemann, Prof. Dr. R.: Hygiene der Sprechstimme für Lehrer, Vorleser, Geist¬ 
liche, Kommandoführer und Sänger. Vortrag. (12 S.) 8°. Danzig, A. W. Kafe¬ 
mann, 1908. 0,40 Jt>. 

Legal. No. 480. Burial, England. Order in Council under the Burial Acts: — 
Coulsdon. 1 d. 


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824 


Neu erschienene Schriften. 


M&rouse, Dr. Julian: Körperpflege durch Wasser, Luft und Sport. Eine Anlei¬ 
tung zur Lebenskunst. (VIII, 222 S. mit 121 Abbildungen.) Lex.-8°. Leipzig, 
J. J. Weber, 1908. Geb. in Leinwand 6 Jh. 

Möllers Bibliothek für Gesundheitspflege und Volksaufklärung, Hauswirtschaft 
und Unterhaltung. Heft 66. 100 Kernsprüchlein und Stammbuchverse für 

Freunde der Gesundheitspflege und naturgemäßer Lebenslehre. Anh.: Prologe 
und Festlieder. (32 S.) — Heft 68, 69. Grünfeld, Dr.: Unsere wichtigsten 
Heilpflanzen. Deren Kenntnis und richtige Verwendung. Nebst einem Anh.: 
Die häufigsten Krankheiten und ihre pflanzlichen Heilmittel. Gemeinverständ¬ 
lich dargestellt. (101 S.) kl.-8 # . Oranienburg, W. Möller, 1908. Jedes Heft 
bar 0,20 j& : geb. 0,40 M>- 

Mon dooteur. Traite de medecine et d’hygiene. 17 X 25. Lib. Comraerciale. 
rel., 45 frcs. 

Schriften der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. 1. Heft der neuen Folge der 
Schriften der Zentralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen. gr.-8°. 1. Pro¬ 
gramm, Das, der Wohlfahrtspflege. Vorträge, gehalten auf der ersten Konfe¬ 
renz der Zentralstelle für Volkswohlfahrt am 21. Oktober 1907. (III, 82 S.) 
Berlin, C. Heymann, 1908. 1,60 ,H>. 

Veröffentlichungen der deutschen Gesellschaft für Volksbäder. Herausgegeben 
von dem geschäftsführenden Ausschuß. 4. Bd. 4. Heft. (IV, 115 S.) — 4. Bd. 
Schlußheft. (VIII, V und S. 451 bis 559.) Das 4. Heft des 4. Bandes gilt als 
1. Heft des 5. Bandes. gr.-8 # . Berlin, A. Hirschwald, 1908. Bar je 1 .Hs- 


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GesamtüberBicht deB XXXIX. und XL. Bandes. 


825 


Gesamtübersicht des XXXIX. und XL. Bandes. 


Enthaltend: 

I. Sachverzeichnis. 

II. Namenverzeichnis. 

III. Ortsverzeichnis. 


I. Sachverzeichnis. 

Die in fetter Schrift gedruckten Namen bezeichnen die Autoren von Original¬ 
mitteilungen und die Namen der Referenten, die in Kursivschrift gedruckten 
die Namen von Verfassern der in der Vierteljahrsschrift besprochenen Werke 
oder Mitteilungen. D. V. f. ö. G. bedeutet: Deutscher Verein für öffentliche 
Gesundheitspflege. 


Abwässer , Reinigung und Beseitigung 
städtischer und gewerblicher —. (S. Mer¬ 
kel, Referat.) XXXIX, 859. 
Abwässerbeseitigung , Die städtische 
— in Deutschland. II. Bd., 3. Lieferung. 
Das Odergebiet. Das Weichsel-, Pregel- 
und Memelgebiet. (Kisskalt, Referat.) XL, 

556. 

—, Die städtische — in Deutschland. Das 
Elbegebiet. (Kisskalt, Ref.) XXXIX, 502. 
—, Die städtische — in Deutschland. (Kiss¬ 
kalt, Referat.) XXXIX, 208. 
Abwässern, Gutachten des Reichsgesund¬ 
heitsrats über den Einfluß der Ableitung 
von — aus Chlorkaliumfabriken auf die 
Schunter usw. (Roth, Referat.) XXXIX, 
837. 

Abwasserreinigungsfrage. Leitfaden 
für die —. (Landsberger, Referat.) LX, 
381. 

Alkohol, Gegen den—. (Schenk, Referat.) 
XXXIX, 202. 

— und Hers. (Becker.) LX, 351. 
Alkoholfrage , Die —, die Ärzte und 
unsere Trinksitten. (Referat.) XXXIX, 

557. 

Alkoholischer, Welches Mittel hat der 
Staat, um dem Überhandnehmen des Ge¬ 
nusses — Getränke vorzubeugen. (Fischer.) 
LX, 713. 

Alkoholismus, Der — in München. 

(Schenk, Referat.) XXXIX, 558. 

—, Der —, seine Wirkungen und seine Be¬ 
kämpfung. (Schenk, Referat.) XXXIX, 
202, 559. 


Alkoholismus, Der — seine Wirkungen 
und seine Bekämpfung. (Landsberger, 
Referat.) XL, 383. 

Almanach, Schweizer Reise- und Kur-. 

(S. Merkel, Referat.) XXXIX, 206. 

Apothekengesetze, Die preußischen — 
mit Einschluß der reichsgesetzlichen Be¬ 
stimmungen über den Betrieb des Apo¬ 
thekergewerbes. (Pistor, Referat.) XXXIX, 
840. 

Apothekengesetzes , Entwurf eines 
Reichs- — nebst Erläuterungen. (Pistor.) 
XXXIX, 708. 

Apothekenprivilegien , Über käufliche 
— und deren Ablösung, sowie über die 
Pensionierung der Apotheker. (Holm- 
ström.) XL, 079. 

Apothekenwesens, Zur reichsgesetz¬ 
lichen Regelung des —. (Kempf, Dessau.) 
XXXIX, 534. 

Arbeiten aus dem Kaiserlichen 
Gesundheitsamt. Bd. 23. (M. Pistor, 
Referat.) XXXIX, 210, 842. 

Arbeiterwohnungen in England. (Mar- 

cuse.) XL, 360. 

Badewesen, Deutsches — in vergangenen 
Tagen. (Pistor, Referat.) XXXIX, 369. 

Bäderbuoh, Deutsches —. (S. Merkel, 

Referat.) XXXIX, 560. 

Bakterien , Die — und ihre Bedeutung 
im praktischen Leben. (S. Merkel, Ref.) 
XXXIX, 858. 

—, Infektionskrankheiten und deren Be¬ 
kämpfung. (S. Merkel, Referat.) XXXIX, 
567. 


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826 


Gesamtübersicht des XXXIX. und XL. Bandes. 


Bakterien, Zur Frage der Stellung der — 
Hefen und Schimmelpilze im System. 
(Gärtner, Referat.) XL, 390. 

Bakteriologie, Atlas und Grundriß der 

— und Lehrbuch der speziellen bakteriolo¬ 
gischen Diagnostik. I. Teil: Atlas. (S. Mer¬ 
kel, Referat.) XXXIX, 374. 

—, Atlas und Grundriß der — und Lehr¬ 
buch der speziellen bakteriologischen 
Diagnostik. (R. Abel, Referat.) XL, 384. 

—, Lehrbuch der —. (Kisskalt, Referat.) 
XXXIX, 374. 

—, Praktikum der — und Protozoologie. 
(Fürst, Referat.) XXXIX, 565. 

Bakteriologische, Das — Untersuchungs¬ 
amt , seine Aufgabe und Organisation. 
(Esmarch, Göttingen.) XXXIX, 519. 

Bauordnung, Die neue badische Landes- 

— in hygienischer Beziehung. (Bau¬ 
meister.) XXXIX, 829. 

— für Großstadterweiterungen und Weit¬ 
räumigkeit. (Stubben, Referat.) XXXIX, 
382. 

Bausystem, Ein neues — für Kranken¬ 
anstalten und Wohnhäuser. (Sarason.) 
XL, 205. 

Beri-Beri, Über — und ihre Bedeutung 
für wirtschaftliche und kriegerische Unter¬ 
nehmungen in den warmen Ländern. 
(S. Merkel, Referat.) XXXIX, 857. 

Berufsvormundsohaft, Zur Frage der 
—. (v. Rad, Referat.) XXXIX, 560. j 

Bleigefahr, Die Bekämpfung der — in 
Bleihütten. (Roth, Referat.) XL, 559. 

—, Über die Verhütung der —. (S. Mer¬ 

kel, Referat.) XL, 710. 

Bleivergiftungen in hüttenmännischen 
und gewerblichen Betrieben. Ursachen 
und Bekämpfung. (E. Roth, Referat.) XL, [ 
387. 

Bücherdesinfektion, Über—. (S. Mer¬ 
kel, Referat.) XXXIX, 857. 

Chemikers, Die Praxis des — bei Unter¬ 
suchung von Nahrungs- und Genußmit¬ 
teln usw. (Juckenack, Referat.) XXXIX, 
886. 

Chlorakne, Über Ätiologie und Prophy¬ 
laxe der —. (Holtzmann.) XXXIX, 258. 

Desinfektion, Monatsschrift. (S. Merkel, i 
Referat.) XL, 711. 

—, Über die — von Büchern, Drucksachen | 
und dgl. mittels feuchter, heißer Luft. I 
(S. Merkel, Referat.) XXXIX, 569. 

—, Wie hat sich auf Grund der neueren 
Forschungen die Praxis der — gestaltet? 
(Tjaden.) Referat auf der 32. Versamm¬ 
lung d. V. f. ö. G. in Bremen. XL, 39. ' 

Desinfektoren, Hülfsbüchlein Für —. 
(S. Merkel, Referat.) XXXIX, 569. 

—, Leitfaden für —. (S. Merkel, Referat.) 

XXXIX, 569. | 

Diätvorsohriften für Gesunde und Kranke 
jeder Art. (S. Merkel, Referat.) XL, 712. 

Entnebelung, Die — von gewerblichen 
Betriebsräumen. (Roth, Referat.) XXXIX, 
836. 


1 Entwässerung und Reinigung der 
I Gebäude. (Kisskalt, Referat.) XL, 388. 
Erkältung und Erkältungskrank¬ 
heiten. (Th. Schilling, Ref.) XXXIX, 
564. 

Ernährung, Eine Reform unserer —. 

(S. Merkel, Referat.) XL, 791. 

—, Merkblätter für die erste — des Kindes. 

(S. Merkel, Referat.) XL, 390. 
Ernährung«- und Übermüdungs¬ 
maßmethoden. (Weichardt.) XXXIX, 
324. 

Exantheme, Differentialdiagnose der An¬ 
fangsstadien der akuten —. (Boltz, Ref.) 
XL, 561. 

Fasten, Das religiöse — in hygienischer 
und sozialpolitischer Beziehung. (Flinker.) 
XL, 345. 

Fleisohhygiene , Lehrbuch der —. 

(Bündle, Referat.) XL, 209. 
Fleischkonserven, Die Fabrikation von 
—. (Dosquet.) XXXIX, 785. 

Flüsse, Deutsche — oder deutsche Kloaken. 

(S. Merkel. Referat.) XXXIX, 572. 
Fußbodenöle, Wird durch Anwendung 
der staubbindenden — in den Schulen die 
Staubaufwirbelung während des Unter¬ 
richts vermindert? (A. Meyer.) XXXIX, 
439. 

Gartenstadt, Die —. (Fuchs.) Referat 
auf der 32. Versammlung d. D. V. f. ö. G. 
in Bremen. XL, 91. 

Geisteskrankheiten. (Möli, Referat.) 
XXXIX, 860. 

Geistiger Getränke , Die kindliche 
Psyche und der Genuß —. (Abel, Ref.) 
XL, 385. 

Genickstarre, Arbeiten über die über¬ 
tragbare — in Preußen im Jahre 1905. 
(Neißer.) XXXIX, 273. 

—, Die Verbreitungsweise und Bekämpfung 
der epidemischen —. (Flügge.) Referat 
auf der 32. Versammlung d. D. V. f. ö. G. 
in Bremen. XL, 9. 

Genußgiften, Aufklärungsarbeit über die 
Bewahrung der Jugend vor den —. 
(Weigl.) XXXIX, 821. 

Genußmittel — Genußgifte? (S. Merkel, 
Referat.) XXXIX, 373. 
Gerichtlichen, Handbuch der — Medizin. 

(M. Pistor, Referat.) XXXIX, 366. 
Geschlechtliche, Die — Belehrung der 
Kinder. (Landsberger, Referat.) XXXIX, 
849. 

Geschlechtskrankheiten, III. Kongreß 
der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung 
der —. Mannheim (24. bis 25. Mai 1907). 
(Marcuse, Mannheim.) XXXIX, 550. 
Gesundheit, Ein Kampf um die —. 

(Kisskalt, Referat.) XL, 388. 
Gesundheitspflege , Gewerbliche —. 

(S. Merkel, Referat.) XXXIX, 572. 

—-, Gewerbliche —. (Roth, Ref.) XXXIX, 
204. 

—, Öffentliche — und Medixinalwesen. 
(Roth, Referat.) XXXIX, 204. 


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GeaamtöberBicht des XXXIX. und XL. Bandes. 


827 


Gesundheitspflege, Über die Erfolge 
der öffentlichen — in Augsburg. Verb. d. 
D. V. f. ö. G. 1906. (Müller.) XXXIX, 160. 
Gesundheitswesen, Das — des preuß. 
Staates 1904. (M. Pistor, Hef.) XXXIX, 
365. 

—, Das — des preuß. Staates im Jahre 1905. 

(Pistor, Referat.) XXXIX, 841. 
Gewerbehygiene, Internationale Über¬ 
sicht über —. (S. Merkel, Referat.) 

XXXIX, 856. 

Gonokokkus, Der — Neisseri. (Grün¬ 
wald, Referat.) XXXIX, 834. 
Granulöse, Denkschrift über die Be¬ 
kämpfung der — (Körnerkrankheit, Tra¬ 
chom) in Preußen. (Isakowltz, Referat.) 
XXXIX, 203. 

Granulosebehandlung, Heissraths 
Tarsalezzision und K u h n t s Knorpelaus- 
scbälung in der —. (Isakowitz, Referat.) 
XXXIX, 562. 

Grundwftsser, Studien über den Filtra¬ 
tionseffekt der —. (Ruzicka, Referat.) i 
XXXIX, 388. 

Hftndereinigung, Über —. (Port.) j 
XXXIX, 609. 

Hausaufgaben und höhere Schuleu. 

(v. Rad, Referat.) XXXIX, 560. 
Haussohwamm — Forschungen. (Kiss- 
kalt, Referat.) XL, 556. 

Hebammen, Die venerische Ansteckung 
der — im Berufe und die Notwendigkeit 
eines Hebammen-Versicherungsgesetzes für 
das Deutsche Reich. (S. Merkel, Referat.) 
XXXIX, 855. 

Heilgehilfen, Lehrbuch für — und 
Masseure, Krankenpfleger und Bademeister. 
(E. Roth, Referat.) XXXIX, 838. 
Heilsera, Die staatliche Prüfung der —. 

(Kisskalt, Referat.) XXXIX, 208. 
Hornplattenfabriken, Die gesundheit¬ 
liche Bedeutung der — für die Anwohner. 
(Spät.) XXXIX, 301. 

Hygiene, Atlas der Volks- und Schul-. 

(Altschul, Referat.) XL, 560. 

—, Grundzüge der —. (S. Merkel, Referat.) 
XL, 211. 

—, Jahresbericht über soziale —. (S. Mer¬ 

kel, Referat.) XL, 710. 

—, Lehrbuch der —. (S. Merkel, Referat.) 

XXXIX, 571. 

—, — — Körper- und Gesundheitslehre 
(Somatologie und —). (Hartmann, Ref.) ! 
XL. 558. 1 

Hygiene, Trait4 d’ — pratique. (Boltz, 
Referat.) XL, 704. j 

Hygienische Rückblicke aus England. 
(Wehroer.) XL, 480. 

Hygienischer Unterricht für Bautech¬ 
niker in Frankreich. (J. Sttibben, Refe¬ 
rat.) XXXIX, 556. 

Immunität, Schutzimpfung und Serum- 
therapie. (S. Merkel, Referat.) XL, 711. 
Immunitfttsforsohung, Jahresbericht 
über die Ergebnisse der —. (S. Merkel, 
Referat.) XXXIX, 205. 


Immunitfttsforsohung, Jahresbericht 
über die Ergebnisse der —. (Altmann, 
Referat.) XL, 706. 

Infektionskrankheiten, Die — rück- 
sichtlich ihrer Verbreitung, Verhütung 
und Bekämpfung. (Pistor, Ref.) XXXIX, 
863. 

—, Über die Mitwirkung des Badearztes bei 
der Bekämpfung ansteckender Krankheiten 
und über den Bau und die Einrichtung 
von Isolieranstalten für — in den Kur¬ 
orten. (Arends.) XL, 637. 

Jahrbuch, Klinisches, Bd. XVI. (S. Mer¬ 
kel, Referat.) XXXIX, 206. 

Kaffee, Tee, Kakao und die übrigen nar¬ 
kotischen Aufgußgetränke. (Landsberger, 
Referat) XL, 388. 

Kanalisation, Die — für Oppau in der 
Rheinpfalz. (Stübben, Ref.) XXXIX, 861. 

Kathodenstrahlen, Die —. (Port, 
Referat.) XXXIX, 866. 

Kinderarbeit, Die — und ihre Be¬ 
kämpfung. (E. Roth, Referat.) XL, 386. 

Kindersterblichkeit, besonders in den 
Niederlanden. (S. Merkel, Ref.) XXXIX, 
855. 

Kinematik organischer Gelenke. (Port, 
Referat.) XXXIX, 865. 

Kleidung, Hygiene der —. (S. Merkel, 
Referat) XXXIX, 852. 

Kochkunst und Heilkunst. (Landsberger, 
Referat) XXXIX, 848. 

Körperpflege durch Wasser, Luft und 
Sport. (S. Merkel, Referat.) XL, 791. 

Körpers, Bau und Tätigkeit des mensch¬ 
lichen —. (S. Merkel, Referat.) XXXIX, 
571. 

Kostkinderwesens, Jahresbericht für die 
Kreishauptstadt Ulm pro 1906, mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung des —, des 
Prostitutionswesens und der Kindersterb¬ 
lichkeit während der Jahre 1902 bis 1906. 
(Sing.) XXXIX, 761. 

KrankCDhaus, Das ländliche—. (Dosquet- 
Manasse.) XXXIX, 200. 

Krankenhausbau, Der moderne— vom 
hygienischen und wirtschaftlichen Stand¬ 
punkte. (Lenhartz-Ruppel.) Referat auf 
der 32. Versammlung des D. V. f. ö. G. 
in Bremen. XL, 115. 

Krankenhauswesen und Heilstätten¬ 
bewegung im Lichte der sozialen Hygiene. 
(Merkel, Referat.) XL, 708. 

Krankenversicherung, Die Mitwirkung 
der — auf dem Gebiete der öffentlichen 
Gesundheitspflege. (Mugdan.) Referat auf 
der 32. Versammlung d. D. V. f. ö. G. in 
Bremen. XL, 59. 

Krankheiten, Anweisungen des preußi¬ 
schen Ministers zur Bekämpfung übertrag¬ 
barer —. (M. Pistor, Referat.) XXXIX, 

362. 

Krankenpflege. (Landsberger, Referat.) 
XXXIX, 847. 

— bei den Infektionskrankheiten. (Kisskalt, 
Referat.) XL, 708. 


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828 


Ge8amtüber8icht des XXXIX. und XL. Bandes. 


Krankenpflege, Taschenbuch der — für 
Krankenpflegeschulen, für Ärzte und tur 
die Familie. (Landsberger, lief.) XXXIX, 

849. 

Krebses, Die Behandlung des — mittels 
Fulguration. (Fort, Referat.) XL, 793. 

Krebserreger, Der tatsächliche —, sein 
Zyklus und seine Dauersporen. (S. Mer¬ 
kel, Referat.) XL, 389. 

Kreisarzt, Der —. (M. Pistor, Referat.) 
XX XIX, 364. 

Krüppel , Fürsorge für —. (Rosenfeld, 
Nürnberg.) XXXIX, 538. 

Lazarettwesens , Die Entwickelung des 
— in Schweden. (Wavorinsky.) XXXIX, 
615. 

Leioheneinäscherung , Die — vom 
sozialhygienischen Standpunkte. (M. Fürst.) 
XXXIX, 480. 

Leuchtgas, Die Vergiftung durch — und 
andere Kohlenoxyd führende Gasarten und 
deren Verhütung wie gerichtsärztliche 
Bedeutung. (Buchbinder.) XXXIX, 669. 

Luftuntersuchungen, Die — in Man¬ 
chester. (Ascher.) XXXIX, 652. 

Luftverunreinigung , Beiträge zur 
Kenntnis der großstädtischen — und des 
Großstadlklimas auf Grund von Unter¬ 
suchungen mittels des Aitkenscben Staub¬ 
zählers. (Gemünd.) XL, 401. 

Lungentuberkulose, Die — im Hoch¬ 
gebirge, die Indikationen und Kontraindi¬ 
kationen derselben, sowie die Anwendung 
des alten Kochschen Tuberkulins. (Referat)) 
XXXIX, 760. 

Medizinalgesetze, Die — und Verord¬ 
nungen des Königreichs Sachsen. (E. Roth, 
Referat.) XXXIX, 839. 

Medizinalverwaltung, Geschichte der 
preußischen —. (Pistor.) XL, 225. 

—, Die — in Preußen von 1809 bis Ende 
1907. (Pistor.) XXXIX, 500, 749. 

Medizinalwesen, Das — in Elsaß-Loth¬ 
ringen. (Landsberger, Referat.) XXXIX, 

850. 

—, Zusammenstellung der gesetzlichen Be¬ 
stimmungen, Erlasse und Verfügungen für 
das — in Preußen. (Roth, Ref.) XL, 209. 

Milch Versorgung, Die — der Städte 
mit besonderer Berücksichtigung der Säug- I 
lingsernähruug. Verh. d. D. V. f. ö. G. 1906. 
(Pötter und Brugger.) XXXIX, 32. 

Milchwirtschaftlichen, Beobachtungen 
auf dem 3. allgemeinen — Kongreß in 
dem Haag. (Prölss.) XL, 369. 

Militärgesundheitspflege , Grundsätze 
der — für den Truppenoffizier. (Kolb, 
Referat.) XXXIX, 381. 

Militärsanitätswesens , Jahresbericht 
über die Leistungen und Fortschritte auf 
dem Gebiete des —. (S. Merkel, Referat.) 
XXXIX, 373. 

Mißhandlung , Die körperliche — von 
Kindern durch Personen, welchen die Für¬ 
sorgepflicht für dieselbe obliegt. (S. Mer¬ 
kel, Referat.) XXXIX, 854. 


| Nahrungs- und Genußmitteln, Die An¬ 
stalten zur technischen Untersuchung von 
—, sowie Gebrauchsgegenständen. (R. Abel, 
Referat.) XL, 384. 

-, Die Kennzeichnung (Deklarstion) 

der —. (S. Merkel, Referat.) XXXIX, 

568. 

Nationalbiologie, Beiträge zu einer — 
nebst einer Kritik der methodologischen 
Einwände und einem Anhang über wissen¬ 
schaftliches Kritikerwesen. (E. Pfeiffer, 
Referat.) XXXIX, 376. 

Naturwissenschaften, Die — im Haus¬ 
halt. (S. Merkel, Referat.) XXXIX, 567. 

Nervenkranke, Das — Kind in der 
Schule. (Hartmann, Referat.) XXXIX, 
840. 

—, Über — und Nervenheilstätten. (E. Roth, 
Referat.) XL, 387. 

Öfen, Die Korischen eisernen —. (R. Abel, 
Referat.) XL, 383. 

Ospitaliera, Bull’ assistenza — in Itaiia 
e in alcui altri stati. (Pröbsting, Referat.) 
XXXIX, 379. 

1 Pestepidemien, Geschichte der — in 
Rußland. (S. Merkel, Referat.) XXXIX, 

1 372. 

j Pharmazie, Vierteljahrsschrift für prak¬ 
tische —. (Landsberger, Referat.) XXXIX, 
847. 

I Hauches, Erster Bericht der Kommission 
zur Bekämpfung des — in Königsberg i. Pr. 
(Pistor, Referat.) XXXIX, 845. 

I Rauohbekämpfung , Die — in Eng¬ 
land und Deutschland. Ein Reisebericht. 

| (Ascher.) XXXIX, 291. 

| Rußnaohweises , Eine Methode des — 
in der Luft. (Liefmann.) XL, 282. 
i Saohverständigentätigkeit, Lehrbuch 
j der ärztlichen — für die Unfall- und Invali- 
, ditätsversicherungsgesetzgebung. (E. Roth, 
Referat.) XXXIX, 835. 

Säuglingsfürsorge, Die Entwickelung 
der — und deren Stand Ende 1907. 
(Nesemann.) XL, 450. 

Säuglingssterblichkeit und Säugling*- 
fürsorge. (Kindt.) XXXIX, 456. 

—, Die — in München in den Jahren 1895 
bis 1904 und der Einfluß der Witterungs- 
Verhältnisse auf dieselbe. (Fürst.) XXXIX, 
417. 

Samariterkursen, Was soll der Arzt 
über die Gefahren der Infektionskrank¬ 
heiten in den — lehren? (Kisskalt, Refe¬ 
rat.) XL, 707. 

Sohiffshygiene, Vorlesungen für Schifts- 
ärzte der Handelsmarine über —, Schifls- 
und Tropenkrankheiten. (Kisskalt, Ret.) 
XXXIX, 207. 

Schlachtvieh-, Die Ergebnisse der — 
und Fleischbeschau im Deutschen Reiche 
im Jahre 1904. (Landsberger, Referat.) 
XXXIX, 850. 

Schlafburschenunwesen, Uber das — 
und über Ledigenheime vom Standpunkte 


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Gesamtübersicht des XXXIX. and XL. Bandes. 


829 


der öffentlichen Gesundheitspflege. (Wandel.) i 
XL, 483. I 

Schularzt, Der — für höhere Lehranstalten. 
(Altschul, Referat.) XXXIX, 213. 

Schularztes, Gesamtbericht über die Tätig- 
keit des — in Ulm im Wintersemester 
1906/07. (Sing.) XXXIX, 742. 

Sohularztt&tigkeit und Schulgesund¬ 
heitspflege. (Altschul, Referat.) XXXIX, 
862. 

Sohulbankfrage, Zur —. (Altschul, 
Referat.) XL, 792. 

Schulhygiene. (Altschul, Ref.) XXXIX, I 
212. 

—, Internationales Archiv für —. (Alt- I 
schul, Referat.) XXXIX, 863. 

—, Lehrerschaft und — in Vergangenheit j 
und Gegenwart. (Altschul, Referat.) | 
XXXIX, 861. 

—, Uber den 2. internationalen Kongreß 
für — zu London vom 5. bis 10. August 
1907. (Wehmer.) XXXIX, 779. 

Sohulhygienisohe Betrachtungen. (Sol- 
brig.) XXXIX, 233. 

Schwachsinn, Uber den — nebst seinen 
Beziehungen zur Psychologie der Aussage 
mit einem Anhänge, (v. Rad, Referat.) 
XXXIX, 214. 

Selbstreinigung, Über — der Flüsse. 
(Hettersdorf.) XL, 615. 

Seuchenbekämpfung, Die gesetzlichen 
Grundlagen der —. (Landsberger, Ref.) 
XL, 382. 

Sexualen Frage, Freiheit! Ein ofTenes 
Wort zur — an Deutschlands Jugend. 
Vortrag. (S. Merkel, Referat.) XXXIX, 
859. 

Spielnachmittage. (Grünwald, Referat.) 
XXXIX, 834. 

Städtebau, Der —. (Genzmer, Referat.) 
XXXIX, 390. 

Statistik, Handbuch der medizinischen —. 
(Landsberger, Referat.) XXXIX, 209. 

Staubes, Die Bekämpfung des — im Hause 
und auf der Straße. Verh. d. D. V. f. ö. G. 
1906. (Heim und Nier.) XXXIX, 109. 

Sterblichkeit, Geschichte der — und der 
öffentlichen Gesundheitspflege in Frank¬ 
furt a. M. (Hanauer, Frankfurt a. M.) 
XXXIX, 498; XL, 651. 

Stimme, Die menschliche — und ihre 
Hygiene. (S. Merkel, Referat.) XXXIX, 
569. 

Strahlen, Über die Klassifizierung der i 
neueren —. (Landsberger, Referat.) XL, 
567. 

Straßenbehandlung, Erfahrungen über 
die moderne —. (Ammann.) XXXIX, 
817. 

Tierwelt, Die — des Mikroskops (die Ur¬ 
tiere). (Landsberger, Referat.) XL, 383. j 

Tollwut, Die Bekämpfung der —. Verh. 
d. V. f. ö. G. 1906. (Frosch.) XXXIX, 8. | 

Tropenkrankheiten, Handbuch der —. [ 
(Kisskalt, Referat.) XXXIX, 375. , 


Tuberkulösen, Über Behandlung und 
Unterbringung von — in allgemeinen 
Krankenhäusern und dem neuen Pavillon 
für Lungenkranke in der städtischen 
Krankenanstalt in Kiel. (Hoppe-Seyler.) 
XXXIX, 449. 

Tuberkulose, Die Bekämpfung der — 
innerhalb der Stadt. (E. Roth, Referat.) 
XXXIX, 835. 

—, Die — und die Schule. (Seyffert, Re¬ 
ferat.) XXXIX, 385. 

—, Die Anstalten und die Tätigkeit des 
Vereins zur Bekämpfung der — in 
Nürnberg 1907. (Frankenburger.) XL, 577. 

—, Die Sterblichkeit an — in Österreich 
1873 bis 1904. (Seyffert, Referat.) XXXIX, 
384. 

Tuberkuloseärzte, Bericht über die 
IU. Versammlung der —. (Referat.) 
XXXIX, 759. 

—, Die V. Versammlung der —. (Ritter.) 
XL, 745. 

Tuberkulosearbeiten aus dem Kaiserl. 
Gesundheitsamt. (E. Roth, Ref.) XXXIX, 
759. 

Tuberkulosebekämpfung, Zur—1906. 
(Seyffert, Referat.) XXXIX, 386. 

Turnen, Über — und Bewegungsspiele in 
den höheren und niederen Schulen vom 
Standpunkte der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege. (Kayser.) XL, 595. 

Typhusbekämpfung, Über den heutigen 
Stand der —. (Pistor, Ref.) XXXIX, 846. 

Typhusepidemie, Über eine Trinkwasser- 
. (Kaiser.) XXXIX, 265. 

Übertragbarer, Das preußische Gesetz, 
betreffend die Bekämpfung — Krankheiten 
vom 28. August 1906. (Fürst, Referat.) 
XXXIX, 851. 

—, Grundzüge für die Mitwirkung des 
Lehrers bei der Bekämpfung — Krank¬ 
heiten. (Altschul, Referat,) XXXIX, 563. 

"Volks- und Jugendspiele, Jahrbuch für —. 
(Landsberger, Referat.) XXXIX, 847. 

— — —, Jahrbuch für —. (S. Merkel, 
Referat.) XL, 711. 

Volks Wohlfahrt, Zur Errichtung einer 
Zentralstelle für —. XXXIX, 335. 

Walderholungsstätten und Genesungs¬ 
heime. Verh. d. D. V. f. ö. G. 1906. 
(Lenhoff.) XXXIX, 71. 

Waldschulen,Über—. (Bendix.) XXXIX, 
305. 

Warmwasserbereitungsanlagen und 

Badeeinrichtungen. (Nussbaum, Referat.) 
XXXIX, 556. 

Wasserenteisenung, Zutn Vorgang der 
—. (Merkel, Referat.) XXXIX, 853. 

Wohnkongreß, Überden 8. internationa¬ 
len — zu London vom 5. bis 10. August 
1907. (Wehmer.) XXXIX, 779. 

Wohnungen, Welche Mindestanforderun¬ 
gen sind an die Beschaffenheit der —, 
insbesondere der Kleinwohnungen zu stel¬ 
len ? Verh. d. D. V. f. ö. G. 1906. (Schil¬ 
ling.) XXXIX, 167. 


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830 


Gesamtübersicht des XXXIX. und XL. Bandes. 


Wohnungsfrage, Zur—. (Landsberger.) 
XL, 251. 

Wohnungafüraorge, Die — im Groß- 
h erzogt um Hessen. (Nussbaum , Referat,) 
XXXIX, 556. 

Wohnung8pflege in England und Deutsch¬ 
land. (Stubben.) XXXIX, 353. 
Wohnungswesens, Die Hygiene des —. 
Die Hygiene des Städtebaues. (Stiibben, 
Referat.) XL, 559. 


Wundinfektion und Wundbehandlung im 
Wandel der Zeiten und Anschauungen. 
(Pistor, Referat.) XL, 706. 
Zahnhygieniachen , Der heutige Stand 
der — Frage; die Stellung der Schul¬ 
zahnärzte als städtische Beamte. (Referat.) 
XXXIX, 563. 

Zinkgewinnung, Die — im oberschlesi¬ 
schen Industriebezirk und ihre Hygiene. 
(Roth, Referat.) XXXIX, 836. 


IL Namenv 

Abel, R., (Berlin), Atlas und Grundriß der 
Bakteriologie und Lehrbuch der bakte¬ 
riologischen Diagnostik. ( Lehmann und 
Neumann, Referat.) XL, 384. 

—, Die Anstalten zur technischen Unter¬ 
suchung von Nahrungs- und Genußmitteln, 
sowie Gebraucbsgegenständen. ( König 
und Juckenack, Referat.) XL, 384. 

—, Die kindliche Psyche und der Genuß 
geistiger Getränke. ( Lang , Referat.) 
XL, 885. 

—, Die ATortschen eisernen Öfen. (Kort, , 
Referat.) XL, 383. 

A(Um , G., Die Entnebelung von gewerb¬ 
lichen Betriebsräumen. (Referat.) XXXIX, 
836. 

Albrecht, Prof., Zur Errichtung einer 
Zentralstelle für Volks Wohlfahrt. XXXIX, 
335. 

Altmann, Jahresbericht über die Ergebnisse 
der lmmnuitätsforschung. ( Weichardt, 
Referat.) XL, 706. 

AltBChul, Dr. Th., k. k. Sanitätsrat (Prag), 
Atlas der Volks- und Schulhygiene. ( Baur , 
Referat.) XL. 560. 

—, Der heutige Stand der zahnhygienischen 
Frage; die Stellung der Schulzahnärzte 
als städische Beamte. (Jessen, Referat.) 
XXXIX, 563. 

—, Der Schularzt für höhere Lehranstalten. 
(M. Hartmann , Referat.) XXXIX, 213. 

—, Grundzüge für die Mitwirkung des 
Lehrers bei der Bekämpfung übertragbarer 
Krankheiten. (Kirstein, Referat.) XXXIX, 
563. 

—, Internationales Archiv für Schulhygiene. 
XXXIX, 863. 

—, Lehrbuch der Körper- und Gesundheits- 
lehre (Somatologie und Hygiene). (Referat.) 
XL, 558. 

—, Lehrerschaft und Schulhygiene in Ver¬ 
gangenheit und Gegenwart. ( Roller , Re¬ 
ferat.) XXXIX, 861. 

—, Schularzttätigkeit und Rchulgesundheits- 
pflege. ( Leubtischer , Referat.) XXXIX, 
862. 

—, Zur Schulbankfrage. (Burgerstein, 
Referat.) XL, 792. 

—, Schulhygiene. (L. Burgerstein, Refe¬ 
rat.) XXXIX, 212. 


erzeiohnis. 

| Ammann, Dr. (Winterthur), Erfahrungen 
über die moderne Straßen behandlung. 
XXXIX, 817. 

Arends, Dr. (Juist): Über die Mitwirkung 
des Badearztes bei der Bekämpfung an¬ 
steckender Krankheiten und über den Bau 
und die Einrichtung von Isolieranstalten 
für Infektionskrankheiten in den Kurorten. 
XL, 637. 

Ascher, Dr., Bobbert, Direktor usw. usw., 
Erster Bericht der Kommission zur Be¬ 
kämpfung des Rauches in Königsberg i. Pr. 
(Referat.) XXXIX, 845. 

Asober, Dr. (Königsberg i. Pr.), Die Luft¬ 
untersuchungen in Manchester. XXXIX, 
652. 

Ascher, Dr. med. L., Kreisassistenzarzt 
(Königsberg i. Pr.), Die Rauchbekämpfung 
in England und Deutschland. Ein Reise¬ 
bericht. XXXIX, 291. 

Beniner, Dr. Franz, Über die Desinfektion 
von Büchern, Drucksachen und dgl. mit¬ 
tels feuchter, heißer Luft. (Referat.) 
XXXIX, 569. 

Barthelmes, Stabsarzt Dr., Grundsätze der 
Militärgesundheitspflege für den Truppen¬ 
offizier. (Kolb, Referat.) XXXIX, 381. 

Baumeister, R. Dr. ing. (Karlsruhe), Die 
neue badische Landesbauorduung in hygieni¬ 
scher Beziehung. XXXIX, 829. 

Baur, Dr. A., Atlas der Volks- und Schul¬ 
hygiene. (Referat.) XL, 560. 

Beoker, Dr. (Kassel), Die Ärzte und unsere 
Trinksitten, die Alkoholfrage. (StiQe, 
Referat.) XXXIX, 557. 

Becker, J., Lehrbuch der ärztlichen Sach¬ 
verständigentätigkeit für die Unfall- und 
Invaliditätsversicherungsgesetzgebung. (Re¬ 
ferat.) XXXIX, 835. 

Beoker, Dr. W. (Dassel a. S.), Alkohol und 
Herz. XL, 351. 

Behla, Dr. Robert, Geh. Med.-Rat, Der 
tatsächliche Krebserreger, sein Zyklus 
und seine Dauersporen. (Referat.) XL, 
389. 

Bender, A., Gewerbliche Gesundheitspflege. 
(Referat.) XXXIX, 204, 572. 

Bendix, Privatdozent Dr. B., Über Wald¬ 
schulen. XXXIX, 305. 


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Gesamtübersicht des XXXIX. and XL. Bandes. 


831 


Biedert , Geh. Rat Prof. Dr. und General¬ 
oberarzt a. D. Dr. Weigand, Da* Medizinal- 
weaen in Elsaß - Lothringen. (Referat.) 
XXXIX, 850. 

Böttger, Dr. H., Redakteur und E. Urban, 
Redakteur, Die preußischen Apotheken- 
gesetze mit Einschluß der reichsgesetz- 
licheu Bestimmungen über den Betrieb des 
Apothekergewerbes. (Referat). XXXIX, 
840. 

Böltensterv, 0. v., Öffentliche Gesundheits¬ 
pflege und Medizinalwesen. (Referat.) 
XXXIX, 204. 

Bolts, Dr. R. (Hamburg), Differentialdia¬ 
gnose der Anfangsstadien der akuten Ex¬ 
antheme. ( Tobfitz , Referat.) XL, 561. 

— , Trait£ d’Hygiene pratique. ( Schoofs , 
Referat.) XL, 704. 

Bongardt, Dr. J. (Bochum), Die Natur¬ 
wissenschaften im Haushalt. (Referat.) 
XXXIX, 567. 

Bonne, Dr. Georg (Hamburg), Deutsche 
Flüsse oder deutsche Kloaken? (Referat.) 
XXXIX, 572. 

Bornträger, Geh. Medizinalrat (Düsseldorf), 
Diätvorschriften für Gesunde und Kranke 
jeder Art. (Referat.) XL, 712. 

Brennecke , Dr. Sanitätsrat (Magdeburg), 
Freiheit 1 Ein offenes Wort zur sexualen 
Frage an Deutschlands Jugend. Vortrag. 
(Referat.) XXXIX, 859. 

Buohbinder, Dr. Stabsarzt (Ehrenbreit- 
siein), Die Vergiftung durch Leuchtgas 
und andere Kohlenoxyd führende Gasarten 
und deren Verhütung wie gerichtsärztliche 
Bedeutung. XXXIX, 669. 

Bündle, Dr., Lehrbuch der Fleischhygiene. 
(Edelmann, Referat.) XL, 209. 

Burgerstein, Lev., Schulhygiene. (Referat.) 
XXXIX, 212. 

—, Zur Schnlbankfrage. (Referat.) XL, 
792. 

Brugger, Beigeordneter (Köln), Die Milch¬ 
versorgung der Städte mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Säuglingsernährung. 
Referat auf der 30. Versammlung des D. 
V. f. ö. G. in Augsburg 1906. XXXIX, 45. 

Chodounsky , Prof. Dr. Karl (Prag), Er¬ 
kältung und Erkältungskrankheiten. (Re¬ 
ferat.) XXXIX, 564. 

Deganello, Dr. Umberto (Bologna), Bull’ 
assistenza ospitaliera in Italia e in alcui 
altri stati. (Referat.) XXXIX, 379. 

Deutsch, Julius, Die Kinderarbeit und ihre 
Bekämpfung. (Referat.) XL, 386. 

Dieudonni, Prof. Dr. A., Immunität, Schutz¬ 
impfung und Serumtherapie (Referat.) 
XL, 711. 

Dörbeck , Dr. med. F., Primararzt am fran¬ 
zösischen Hospital „St. Marie Magdeleine“ 
zu St. Petersburg. Geschichte der Pest¬ 
epidemien in Rußland. (S. Merkel, Re¬ 
ferat.) XXXIX, 372. 

Dosquet, Dr. Wilhelm, Die Fabrikation 
von Fleischkonserven. XXXIX, 785. 


Dosquet - Mammae, Dr., Das ländliche 
Krankenhaus. XXXIX, 200. 

Droste, Stabsapotheker (Hannover). Ent¬ 
gegnung. XL, 375. 

Dunbar, Prof. Dr. (Hamburg), Leitfaden für 
die Abwasserreinigungsfrage. (Referat.) 
XL, 381. 

—, Zur Frage der Stellung der Bakterien, 
Hefen und Schimmelpilze im System. 
(Referat.) XL, 390. 

Edelmann, Mediziualrat Dr. phil. Richard, 
Lehrbuch der Fleischhygiene. (Referat.) 
XL, 209. 

Eimer, Dr. Fritz, Die Praxis des Chemikers 
bei Untersuchung von Nahrungs- und Ge¬ 
nußmitteln U8w. (Referat.) XXXIX, 866. 

Eamaroh, Prof. E. v. (Göttingen), Das 
bakteriologische Untersuchungsamt, seine 
Aufgabe und Organisation. XXXIX, 519. 

Fehling, Prof. Dr. Hermann (Straßburg), 
Wundinfektion und Wundbehandlung im 
Wandel dev Zeiten und Anschauungen. 
(Referat.) XL, 706. 

Fischer, Dr. Otto, Kinematik organischer 
Gelenke. (Referat.) XXXIX, 865. 

Fischer, Dr. W. (Marburg) , Welche Mittel 
hat der Staat, um dem Überhandnehmen 
des Genusses alkoholischer Getränke vor¬ 
zubeugen? XL, 713. 

Flinker, Dr. Arnold (Wiznitz a. Cz.), Das 
religiöse Fasten in hygienischer und sozial¬ 
politischer Beziehung. XL, 345. 

Flinzer, R., Die Medizinalgesetze und Ver¬ 
ordnungen des Königreichs Sachsen. (Refe¬ 
rat.) XXXIX, 839. 

Flügge, Geh. Medizinalrat Prof. Dr. (Bres¬ 
lau), Die Verbreitungsweise und Bekämp¬ 
fung der epidemischen Genickstarre. Refe¬ 
rat auf der 32. Versammlung des D. V. 
f. ö. G. in Bremen. XL, 9. 

Frankenburger, Dr. A. (Nürnberg), Die 
Anstalten und die Tätigkeit des Vereins 
zur Bekämpfung der Tuberkulose in Nürn¬ 
berg im Jahre 1907. XL, 577. 

Frey , Die Zinkgewinnung im oberschlesi¬ 
schen Industriebezirk und ihre Hygiene. 
(Referat.) XXXIX, 836. 

Frosoh, Prof. Dr. (Berlin), Die Bekämp¬ 
fung der Tollwut. Referat auf der 30. Ver¬ 
sammlung des D. V. f. ö. G. in Augsburg 
1906. XXXIX, 8. 

Fuohs, Prof. Dr. (Freiburg i. B.), Die 
Gartenstadt. Referat auf der 32. Ver¬ 
sammlung des D. V. f. ö. G. in Bremen. 
XL. 91. 

Fürst, Dr. (Berlin), Das preußische Ge¬ 
setz, betreffend die Bekämpfung übertrag¬ 
barer Krankheiten vom 28. August 1905. 
(Referat.) XXXIX, 851. 

—, Praktikum der Bakteriologie und Proto- 
zoologie. (Kisskalt und Hartmann, 
Referat.) XXXIX, 565. 

Fuerst, Dr. Moritz (Hamburg), Die Lei¬ 
cheneinäscherung vom sozialhygienischen 
Standpunkte. XXXIX, 480. 


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832 


Gesamtüberijicht de# XXXIX. und XL. Bandes. 


Puerst, Walter (München), Die Säuglings¬ 
sterblichkeit in München in den Jahren 
1895 bis 1904 and der Einfluß der 
Witterungs Verhältnisse auf dieselbe. 
XXXIX, 417. 

G&rtner, Prof. Dr. (Jena), Zur Frage der 
Stellung der Bakterien, Hefen und Schim¬ 
melpilze ira System. ( Dunbar , Referat.) 
XL, 390. 

Gemünd, Dr. Privatdozent (Aachen), Bei¬ 
träge zur Kenntnis der großstädtischen 
Luftverunreinigung und des Großstadt¬ 
klimas auf Grund von Untersuchungen 
mittels des Aitkenschen Staubzählers. 
XL, 401. 

Genzmer , Prof. Ewald, Der Städtebau. 

( Stubben , Referat.) XXXIX, 390. 

Gerber , Prof. Dr. P. H. (Königsberg i. P.), 
Die menschliche Stimme und ihre Hygiene. 
(Referat.) XXXIX, 569. 

Glaser, Dr. med. phil. E. (Wien), Über 
Bücherdesinfektion. (Referat.) XXXIX, 857. 

Götze , Rudolf, Über Nervenkranke und 
Nervenheilstätten. (Referat.) XL, 387. 

Goldschmidt, Die Tierwelt des Mikroskops 
(die Urtiere). (Referat.) XL, 383. 

Granier, R., Lehrbuch für Heilgehilfen und 
Masseure, Krankenpfleger und Bademeister. 
(Referat.) XXXIX, 838. 

Gretnacher, Dr. (Zürich), Über die Klassi¬ 
fizierung der neueren Strahlen. (Referat.) 
XL, 567. 

Grotjahn, Dr. med. Alfred (Berlin), j 
Krankenhauswesen und Heilstättenbewe- | 
gung im Lichte der sozialen Hygiene. I 
(Referat.) XL, 708. 

—, u. Kriegei, Dr. F., Jahresbericht über 
soziale Hygiene. (Referat.) XL, 710. 

Grünwald , Spielnachmittage. ( Ray dt, 
Referat.) XXXIX, 834. 

Jiampe, Uber den Schwachsinn nebst seinen 
Beziehungen zur Psychologie der Aussage 
mit einem Anhänge. (Referat.) XXXIX, 
214. 

Hanauer, Dr. med. W. (Frankfurt a. M.), 
Geschichte der Sterblichkeit und der 
öffentlichen Gesundheitspflege in Frank¬ 
furt a. M. XXXIX, 498. XL, 651. 

Hartmann, Dr. K. A. (Leipzig), Der Schul¬ 
arzt für höhere Lehranstalten. ( Altschul, 
Referat.) XXXIX. 213. 

Hartmann, Das nervenkranke Kind in der 
Schule. (Stadelmann, Referat.) XXXIX, 
840. 

—, A. (Berlin), Lehrbuch der Körper- und 
Gesundheitslehre (Somatologie und Hygiene). 

( Altschul , Referat.) XL, 558. 

Heim, Prof., Dr. (Erlangen), Die Bekämp¬ 
fung des Staubes im Hause und auf der | 
Straße. Referat auf der 30. Versamm- ' 
lang des D. V. f. ö. G. in Augsburg 1 
1906. XXXIX, 109. 

Heim , L., Lehrbuch der Bakteriologie. 
XXXIX, 374. 

Helenius, M. und Trypy - Helenius A., 
Gegen den Alkohol. (Referat.) XXXIX, 202. 


Hettersdorf, Dr. F. (Kemnath), Über 
Selbstreinigung der Flüsse. XL, 615. 

Heyd, Th., Dipl.-Ing., Die Kanalisation für 
Oppau in der Rheinpfalz. (Referat.) 
XXXIX, 881. 

Hindhede , Dr. M., Eine Reform unserer 
Ernährung. (Referat.) XL, 791. 

Holm Ström, E. Axel (Stockholm), Über 
käufliche Apothekenprivilegien und deren 
Ablösung sowie über die Pensionierung 
der Apotheker. XL, 679. 

Holtsmann, Dr. med. Friedrich, Beamter 
der Großberzogl. bad. Fabrikinspektion 
(Karlsruhe), Über Ätiologie und Pro¬ 
phylaxe des Chlorakne. XXXIX, 258. 

Hoppo-Seyler, Prof. Dr. G. (Kiel), Über 
Behandlung und Unterbringung von Tuber¬ 
kulösen in allgemeinen Krankenhäusern 
und dem neuen Pavillon für Lungenkranke 
in der städtischen Krankenanstalt in Kiel. 
XXXIX, 449. 

Hueppe, Else, Krankenpflege bei den Infek¬ 
tionskrankheiten. (Referat.) XL, 708. 

—, Ferd., Was soll der Arzt über die Ge¬ 
fahren der Infektionskrankheiten in den 
Samariterkursen lehren? (Referat.) XL, 
707. 

Ilbery , G., Geisteskrankheiten. (Referat.) 
XXXIX, 860. 

Is&kowitB, Dr. (Nürnberg), Heisraths 
Tarsalexzision und Knhnts Knorpelaus¬ 
schälung in der Granulosebehandlung. 
(Pollnow, Referat.) XXXIX, 562. 

—, Jahresbericht über die Bekämpfung der 
Granulöse (Trachom, Körnerkrankheit) in 
Preußen. (Referat.) XXXIX, 203. 

Jäger , Prof. Dr. H., Generaloberarzt und 
Frau Anna Jäger, Hygiene der Kleidung. 
(Referat.) XXXIX, 852. 

Jessen, Prof. Dr. (Straßburg i. E.), Der 
heutige Stand der zahnhygienischen Frage; 
die Stellung der Schulzahnärzte als städ¬ 
tische Beamte. (Referat.) XXXIX, 563. 

Juckenaok, A., Die Praxis des Chemikers 
bei Untersuchung von Nahrungs- und 
Genußmitteln usw. (Elsner , Referat.) 
XXXIX, 866. 

Kabrhel, Prof. Dr., Studien über den Fil¬ 
trationseffekt der Grundwässer. (Ruzivka, 
Referat.) XXXIX, 388. 

Kaiser, Dr. med. M., Assistent (am hygie¬ 
nischen Institut der k. k. Universität 
Graz), Über eine Trinkwasser-Typhusepi¬ 
demie. XXXIX, 265. 

Kamen, Dr. M., Oberstabsarzt, Die Infek¬ 
tionskrankheiten rticksichtlich ihrer Ver¬ 
breitung, Verhütung und Bekämpfung. 
(Referat.) XXXIX, 363. 

Kayser , Dr. Heinrich (Straßburg i. E.), 
Hilfsbüchlein für Desinfektoren. (Referat.) 
XXXIX, 569. 

Kayser , Dr. Paul (Magdeburg), Über 
Turnen und Bewegungsspiele in den 
höheren und niederen Schulen vom Stand¬ 
punkte der öffentlichen Gesundheitspflege. 
XL, 595. 


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Gesamtübersicht des XXXIX. and XL. Bandes. 


833 


Keating-Hart, Die Behandlung den Krebses | 
mittels Fulguration. (Referat.) XL, 793. ] 

Kempfj G. (Dessau), Zur reichsgesetzlichen 
Regelung des Apothekenwesens. XXXIX, 
534. 

Kindt , Dr. Rudolph (Grimma), Säuglings¬ 
sterblichkeit u. Säuglingstürsorge. XXXIX, 
456. 

Kirchner (vortr. Rat, Berlin), Die gesetz¬ 
lichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung. 
(Referat.) XL, 382. 

—, Prof. Dr. Martin, Geh. Obermedixinalrat 
(Berlin), Die Tuberkulose und die Schule. 
(Referat.) XXXIX, 385. 

—, Über den heutigen Stand der Typhus- 
bekämpfung. (Referat.) XXXIX, 846. 

Kirstein, Dr. Fritz (Lippstadt), Grundlage 
für die Mitwirkung des Lehrers bgi der 
Bekämpfung übertragbarer Krankheiten. 
(Referat.) XXXIX, 563. 

Kiuk&lt (Berlin), Die städtische Abwasser¬ 
beseitigung in Deutschland: Das Elbegebiet. 

( Solomon , Referat.) XXXIX, 562. 

—, Vorlesungen für Schiffsärzte der Handels¬ 
marine über Schitfshygiene, Schiffs - und 
Tropenkrankheiten. ( Nocht , Referat.) 
XXXIX, 207. 

—, Die staatliche Prüfung der Heilsera. 
(R. Otto , Referat.) XXXIX, 208. 

—, Die städtische Abwässerbeseitigung in 
Deutschland. (H. Salomon, Referat.) 
XXXIX, 208. — H. Bd., 3. Lieferung, 
Das Odergebiet. Das Weichsel-, Pregel- 
und Memelgebiet. ( Salomon , Referat.) 
XL, 556. 

—, Entwässerung und Reinigung der Ge¬ 
bäude. (Vogel und Schmitt, Referat.) 
XL, 388. 

—, Hausschwammforschungen. ( Möller , Refe¬ 
rat.) XL, 556. 

—, Im Kampf um die Gesundheit. (Lungen¬ 
schwindsucht.) (Marcuse, Referat.) XL, 
388. 

—, Krankenpflege bei den Infektionskrank¬ 
heiten. (Hueppe, Referat.) XL, 708. 

KiaBkalt, Dr. (Gießen), Lehrbuch der Bak¬ 
teriologie. (Heim, Referat.) XXXIX, 374. 

—, Handbuch der Tropenkrankheiten. ( Mense .) 
XXXIX, 375. 

Kisskalt, Was soll der Arzt über die Ge¬ 
fahren der Infektionskrankheiten in den 
Samariterkursen lehren? (Hueppe, Refe¬ 
rat.) XL, 707. 

Kiaakalt , Dr. Karl und Dr. Max Hart¬ 
mann, Praktikum der Bakteriologie und 
Protozoologie. (Referat.) XXXIX, 565. 

König, J. und Juckenack, A., Die Anstal¬ 
ten zur technischen Untersuchung von 
Nahrungs- und Genußmitteln , sowie Ge¬ 
brauchsgegenständen. (Referat.) XL, 384. 

Kolb) Dr., Grundsätze der Militärgesund¬ 
heitspflege für den Truppenoffizier. (Bart¬ 
helmes, Referat.) XXXIX, 381. 

Kori, H., Die Korischen eisernen Öfen. 
(Referat.) XL, 383. 

Vierteljahnschrift ftir Gesundheitspflege, 1908. 


Kräpelin , Prof., Dr. E., Dr. Friedrich 
Vocke, Dr. Hugo Lichtenberg, Der 
Alkoholismus in München. (Referat.) 
XXXIX, 558. 

Landsberger (Charlottenburg), Das Medi¬ 
zinalwesen in Elsaß-Lothringen. ( Biedert 
und Weigand, Referat.) XXXIX, 850. 

—, Der Alkoholismus, seine Wirkungen und 
seine Bekämpfung. (Referat.) XL, 383. 

—, Die Ergebnisse der Schlachtvieh- und 
Fleischbeschau im Deutschen Reiche im 
Jahre 1904. (Referat.) XXXIX, 850. 

—, Die geschlechtliche Belehrung der Kin¬ 
der. (M. Lischnewska, Referat.) XXXIX, 
849. 

—, Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchen¬ 
bekämpfung. ( Kirchner, Referat.) XL, 
382. 

—, Handbuch der medizinischen Statistik. 
(Prineing, Referat.) XXXIX, 209. 

—, Kaffee, Tee, Kakao und die übrigen nar¬ 
kotischen Aufgußgetränke. (Witler, Refe¬ 
rat.) XL, 383. 

—, Krankenpflege. (Leick, Referat.) XXXIX, 
847. 

—, Kochkunst und Heilkunst. ( Sternberg, 
Referat.) XXXIX, 848. 

—, Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele. 
VI. Jahrgang. (Referat). XXXIX, 847. 

—, Leitfaden für die Abwasserreinigungs¬ 
frage. (Dunbar, Referat.) XL, 381. 

—, Taschenbuch der Krankenpflege für 
Krankenpflegeschulen, für Arzte und für 
die Familie. (Pfeiffer, Referat.) XXXIX, 
849. 

—, Die Tierwelt des Mikroskops (die Ur¬ 
tiere). (Oolschmidt, Referat.) XL, 383. 

—, Über die Klassifizierung der neueren 
Strahlen. ( Greinacher , Referat.) XL, 557. 

—, Vierteljahrsschrift für praktische Phar¬ 
mazie. (Referat.) XXXIX, 847. 

—, Zur Wohnungsfrage. XL, 251. 

Lang, L., Die kindliche Psyche und der 
Genuß geistiger Getränke. (Referat.) XL, 
385. 

Lehmann, Prof. Dr. K. (Würzburg) und 
Neumann, Prof. Dr. med. und phil. R. 
O. (Heidelberg), Atlas und Grundriß der 
Bakteriologie und Lehrbuch der speziellen 
bakteriologischen Diagnostik. I. Teil: 
Atlas. (F. Merkel, Referat.) XXXIX, 
374. (Referat.) XL, 384. 

Leick, Dr. (Witten a. d. Ruhr), Kranken¬ 
pflege. (Referat) XXXIX, 847. 

Lenbuscher, Prof. Dr. G. (Meiningen), Schul¬ 
arzttätigkeit und Schulgesundheitspflege. 
(Referat.) XXXIX, 862. 

Lenhartz, Prof. Dr. (Hamburg), Der 
moderne Krankenhausbau vom hygienischen 
und wirtschaftlichen Standpunkte. Referat 
auf der 82. Versammlung des D. V. f. ö. G. 
in Bremen 1907. XL, 115. 

Lennhoff, Dr. R. (Berlin), Walderholungs¬ 
stätten und Genesungsheime. Referat auf 
der 30. Versammlung des D. V. f. ö. G. 
in Augsburg 1906. XXXIX, 71. 

53 


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834 


Gesamtübersicht des XXXIX. und XL. Bandes. 


Lenz, Dr. med. und Lockemann, Dr. phil., 
Abteilungsvorsteher (Berlin), Desinfektion, 
Monatsschrift. (Referat.) XL, 711. 

Liefm&nn, Dr. H., Privatdozent (Halle a. S.), 
Gedanken über die Rauch- und Rußfrage 
insbesondere vom gewerblichen Stand¬ 
punkte und eine Methode des Rußnach¬ 
weises in der Luft. XL, 282. 

Li8chnew8ka , M., Die geschlechtliche Be¬ 
lehrung der Kinder. (Referat.) XXXIX, 
849. 

Loetscher, Dr. med. Hans, Schweizer Reise- 
und Kur-Almanach. (Referat.) XXXIX, 206. 

Marouae, Dr. J., Arbeiterwohnungen in 
England. XL, 360. 

Marcuse , Julius, Im Kampf um die Ge¬ 
sundheit. Ein ernstes Wort zur Bekämp¬ 
fung der Lungenschwindsucht. (Referat.) 
XL, 388. 

Marouae, Dr. Julian (Mannheim), 3. Kon¬ 
greß der deutschen Gesellschaft zur Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankheiten. 
Mannheim, 24. bis 25. Mai 1907. XXXIX, 
550. 

—, Dr. Julian, Körperpflege durch Wasser, 
Luft und Sport. (Referat) XL, 791. 

Martin , Alfred, Deutsches ßadewesen in 
vergangenen Tagen. (Referat.) XXXIX, 
369. 

Mense , Handbuch der Tropenkrankheiten, 
XXXIX, 375. 

Merkel, Dr. E. (Nürnberg), Zum Vorgang 
der Wasserenteisenung. (Referat.) XXXIX, 
853. 

Merkel, Dr. S., Atlas und Grundriß der 
Bakteriologie und Lehrbuch der speziellen 
bakteriologischen Diagnostik. I. Teil: At¬ 
las. (Lehmann und Neumann, Referat.) 
XXXIX, 374. 

—, Bakterien, Infektionskrankheiten und 
deren Bekämpfung. ( Schottelius , Referat.) 
XXXIX, 567. 

—, Bau und Tätigkeit des menschlichen 
Körpers. (Sachs, Referat.) XXXIX, 571. 

—, Der tatsächliche Krebserreger, sein Zy¬ 
klus und seine Dauersporen. (Behlu, Refe¬ 
rat.) XL, 389. 

—, Die Bakterien und ihre Bedeutung im 
praktischen Leben. ( Miehe , Referat.) 
XXXIX, 858. 

—, Die Kennzeichnung (Deklaration) der 
Nahrungs - und Genußmittel. (Rühle, 
Referat.) XXXIX, 568. 

—, Die körperliche Mißhandlung von Kin¬ 
dern durch Personen, welchen die Kür¬ 
sorgepflicht für dieselben obliegt. (Wild, 
Referat.) XXXIX, 854. 

—, Die menschliche Stimme und ihre Hygiene. 
(derber, Referat.) XXXIX, 569. 

—, Die Naturwissenschaften im Haushalt. 
(Bongardt, Referat) XXXIX, 567. 

—, Die venerische Ansteckung der Hebam¬ 
men im Berufe und die Notwendigkeit 
eines Hebammenversicherungsgesetzes für 
das Deutsche Reich. (Schindler, Referat.) 
XXXIX, 855. 


Merkel, Dr. S., Desinfektion, Monatsschrift. 
(Lentz und Lockemann, Referat.) XL 

711. 

—, Deutsche Flüsse oder deutsche Kloaken. 

(Bonne, Referat.) XXXIX, 572. 

—, Deutsches Bäderbuch. (Referat.) XXXIX, 
566. 

—, Diätvorschriften für Gesunde und Kranke 
jeder Art. (Bomträger , Referat) XL, 

712. 

—, Freiheit! Ein offenes Wort zur sexualen 
Frage an Deutschlands Jugend. ( Brennecke, 
Referat.) XXXIX, 860. 
i —, Genußmittel, GenußgifteV (Röttgcr, 
Referat.) XXXIX, 373. 

—, Gewerbliche Gesundheitspflege. XXXIX, 
572. 

—, Geschichte der Pestepidemien in Ru߬ 
land. (F. Dörbeck, Referat.) XXXIX, 372. 

I —, Grundzüge der Hygiene. (Praussnitz, 
Referat.) XL, 211. 

—, Hilfsbüchlein für Desinfektoren. (Kayser, 
Referat.) XXXIX, 569. 

I —, Hygiene der Kleidung. (Jäger, Referat.) 
XXXIX, 852. 

1 —, Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele. 
(Raydt, Referat) XL, 711. 

—, Jahresbericht über die Ergebnisse der 
Immunitätsforschung. (Weichardt, Refe¬ 
rat.) XXXIX, 205. 

—, Jahresbericht über soziale Hygiene. 
(drotjahn und Kriegei , Referat) XL, 
708. 

—, W. Roths Jahresbericht über die Lei¬ 
stungen und Fortschritte des Militär- 
Sanitätswesens. XXX. Jahrgang. (Referat.) 
XXXIX, 373. 

—, Immunität, Schutzimpfung und Serum¬ 
therapie. (Dieudonne, Referat.) XL, 711. 
—, Internationale Übersicht über Gewerbe¬ 
hygiene. (j Sei88er, Referat.) XXXIX, 856. 
—, Kindersterblichkeit besonders in den 
Niederlanden. (Saltet und Falkenburg, 
Referat.) XXXIX, 855. 

—, Klinisches Jahrbuch. (Referat.) XXXIX, 
206. 

—, Körperpflege durch Wasser, Luft und 
Sport (atarcuse, Referat.) XL, 791. 

—, Krankenhauswesen und Heilstättenbewe¬ 
gung im Lichte der sozialen Hygiene. 
(Grotjahn, Referat.) XL, 708. 

—, Lehrbuch der Hvgiene. (Rubner, Referat.) 
XXXIX, 571. 

—, Leitfaden für Desinfektoren. (Sobern - 
heim, Referat.) XXXIX, 569. 

—, Merkblätter für die erste Ernährung des 
Kindes. (Winkler, Referat.) XL, 390. 
—, Eine Reform unserer Ernährung. (Hind- 
hede, Referat.) XL, 791. 

—, Reinigung und Beseitigung städtischer 
und gewerblicher Abwässer. (Reich, Refe¬ 
rat.) XXXIX, 859. 

—, Schweizer Reise- und Kur-Almanach. 

(Loetscher, Referat.) XXXIX, 206. 

—, Über Beri-Beri und ihre Bedeutung für 
wirtschaftliche und kriegerische Unter- 


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Gesamtüberaicht des XXXIX. und XL. Bandes. 


835 


nehmungen in den warmen Ländern. 
(Plehn , Referat.) XXXIX, 857. 

Merkel. Dr. S., Über Bücherdesinfektion. 
(Glaser, Referat.) XXXIX, 857. 

—, Über die Desinfektion von Büchern, 
Drucksachen u. dergl. mittels feuchter, 
heißer Luft. (BaUner, Referat.) XXXIX, 
569. 

—, Über die Verhütung der Bleigefahr. 
(Pambousek , Referat.) XL, 710. 

—, Zum Vorgang der Wasserenteisenung. 
(Merkel, Referat.) XXXIX, 853. 

Meyer, Dr. Arnold (Bremen), Wird durch 
Anwendung der staubbindenden Fußboden' 
öle in den Schulen die Staubaufwirbelung 
während des Unterrichtes vermindert. 
XXXIX, 439. 

Miehe, Dr. H., Privatdozent (Leipzig), Die 
Bakterien und ihre Bedeutung im prak¬ 
tischen Leben. (Referat.) XXXIX, 858. 

Möli, Prof. Dr. (Berlin), Geisteskrankheiten. 
(lloerg, Referat.) XXXIX, 860. 

Möller , Prof. Dr. A., Hausschwammfor¬ 
schungen. (Referat.) XL, 556. 

Müller, Dr. (Augsburg), Über die Erfolge 
der öffentlichen Gesundheitspflege in Augs¬ 
burg. XXXIX, 160. 

Müller, R., Die Bekämpfung der Bleigefahr 
in Bleihütten. (Referat.) XL, 559. 

Mugdan, Sanitätsrat Dr. (Berlin). Die 
Mitwirkung der Krankenversicherung auf 
dem Gebiete der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege. Referat auf der 32. Versamm¬ 
lung des D. V. f. ö. G. in Bremen. XL, 
59. 

Neiseer, Dr. med. M. (Frankfurt a. M.), 
Arbeiten über die übertragbare Genick¬ 
starre in Preußen im Jahre 1905. XXXIX, 
273. 

Neisser, Dr. E. (Berlin), Internationale 
Übersicht über Gewerbehygiene. (Referat.) 
XXXIX, 856. 

Neaemanil, Dr., Regierungs- und Medizinal¬ 
rat (Berlin), Die Entwickelung der Säug- 
iingsfnrsoree und deren Stand Ende 1907. 
XL, 450. 

Niedner, Bericht über die 8. Versammlung 
der Tuberkuloseärzte. (E. Roth, Referat.) 
XXXIX, 759. 

Nier, Stadtbaumeister (Dresden), Die Be¬ 
kämpfung des Staubes im Hause und auf 
der Straße. Referat auf der 30. Ver¬ 
sammlung des D. V. f. ö. G. in Augsburg 
1906. XXXIX, 116. 

Nietner , Dr., Zur Tuberkulosebekämpfung 
1906. XXXIX, 386. 

Nocht, Vorlesungen für Schiffsärzte der 
Handelsmarine über Scbiffshygiene, Schiffs¬ 
und Tropenkrankheiten. (Referat.) XXXIX, 
207. 

Nussbaum, Prof. H. Chr., Die Hygiene des 
Wohnungswesens. Die Hygiene des Städte¬ 
baues. (Referat.) XL, 559. 

Ntusbaum, Prof. H. Chr., Die Wohnungsfur- 
sorge im Großherzogtum Hessen. ( Siegert, 
Referat) XXXIX, 556. 


Nnssbaum, Prof. H. Chr., Warmwasser- 
hereitungsanlagen und Badeeinrichtungen. 
(Moose, Referat) XXXIX, 556. 

Oehmcke , Th., Regierungs- und Baurat 
a. D. (Großlichterielde-ßerlin), Bauordnung 
für Großstadterweiterungen und Weit¬ 
räumigkeit. (Referat.) XXXIX, 382. 

Otto, R., Die staatliche Prüfung der Heil¬ 
sera. (Referat.) XXXIX, 208. 

Paldrock, Dr. med. A. (Dorpat), Der Gono¬ 
kokkus Neisseri. (Referat.) XXXIX, 834. 

Pfeiffer, Physikus Dr. E. (Hamburg), Bei¬ 
träge zu einer Kationalb(ologie nebst 
einer Kritik der methodologischen Ein¬ 
wände und einem Anhang über wissen¬ 
schaftliches Kritikerwesen. (Schallmayer, 
Referat.) XXXIX, 376. 

Pfeiffer, L. sen. (Weimar), Taschenbuch 
der Krankenpflege für Krankenpflege¬ 
schulen , für Arzte und für die Familie. 
(Referat.) XXXIX, 849. 

Philippi , H., Die Lungentuberkulose im 
Hochgebirge, die Indikationen und Kontra¬ 
indikationen derselben, sowie die Anwen¬ 
dung des alten Kochschen Tuberkulins. 
(Referat.) XXXIX, 760. 

Pistor, Dr. M., Anweisungen des preußi¬ 
schen Ministers zur Bekämpfung übertrag¬ 
barer Krankheiten. (Referat.) XXXIX, 

362. 

—, Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesund¬ 
heitsamte (Referat). XXXIX, 210, 842. 

—, Das Gesundheitswesen des preußischen 
Staates im Jahre 1905. (Referat.) XXXIX, 
841. 

—, Deutsches Badewesen in vergangenen 
Tagen. (Martin, Referat.) XXXIX, 369. 

—, Die Medizinalverwaltung in Preußen von 
1809 bis Ende 1907. XL, 500, 749. 

—, Die preußischen Apothekengesetze mit 
Einschluß der reichsgesetzlichen Bestim¬ 
mungen über den Betrieb des Apotheker¬ 
gewerbes. (Urban und Böttger, Referat.) 
XXXIX, 840. 

—, Erster Bericht der Kommission zur Be¬ 
kämpfung des Rauches in Königsberg 
i. Pr. ( Ascher , Bobbert, Polin, Hun¬ 
delbrink, Referat.) XXXIX, 845. 

—, Handbuch der gerichtlichen Medizin. 
(Schmidtmann, Referat.) XXXIX, 366. 

—, Das Gesundheitswesen des preußischen 
Staates 1904. (Referat.) XXXIX, 385. 

—, Der Kreisarzt. (Schlockow-Rottl-Lepp- 
mann, Referat.) XXXIX, 364. 

—, Die Infektionskrankheiten rücksichtlich 
ihrer Verbreitung, Verhütung und Be¬ 
kämpfung. (Kamen, Referat.) XXXIX, 

363. 

—, Entwurf eines Reichsapothekengesetzes 
nebst Erläuterungen. XXXIX, 708. 

—, Geschichte der preußischen Medizinal¬ 
verwaltung. XL, 225. 

—, Über den heutigen Stand der Typhus¬ 
bekämpfung. (Kirchner,Referat.) XXXIX, 
846. 


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836 


Gesamtübersicht des XXXIX. und XL. Bandes. 


Pistor, Dr. M., Wundinfektion und Wund¬ 
behandlung im Wandel der Zeiten und 
Anschauungen. ( Fehling , Referat.) XL, 
706. 

Plehn, Dr. A. (Berlin), Über Beri-Beri und 
ihre Bedeutung für wirtschaftliche und 
kriegerische Unternehmungen in den 
warmen Ländern. (Referat.) XXXIX, 857. 

Pötter, Dr., Stadtbezirksarzt (Chemnitz), 
Die Milchversorgung der Städte mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Säuglings¬ 
ernährung. Referat auf der 30. Ver¬ 
sammlung des D. V. f. ö. G. in Augs¬ 
burg 1906. XXXIX, 32. 

Pollnow , Dr. L. (Königsberg i. Pr.), Heiss¬ 
raths Tursalexzision und Kuhnts Knor¬ 
pelausschälung in der Granulosebehand- 
iung. (Referat.) XXXIX, 562. 

Port, Dr. K. (Nürnberg), Die Kathoden¬ 
strahlen. (Schmidt, Referat.) XXXIX, 866. 

—, Die Behandlung des Krebses mittels 
Fulguration. (de heating-Hart, Referat.) 
XL, 793. 

—.Kinematik organischer Gelenke. (Fischer, 
Referat.) XXXIX, 865. 

—, Über Händereinigung. XXXIX, 609. 

Praussnitz , Prof. Dr. (Graz), Grundzüge 
der Hygiene. (Referat.) XL, 211. 

Prinzing, Friedrich (Ulm a. D.), Handbuch 
der medizinischen Statistik. (Referat.) 
XXXIX, 209. 

Pröbsting, Dr. (Cöln), Bull’ assistenza 
ospitaliera in Itnlia e in alcuni altri stati. 
(Deganello, Referat.) XXXIX, 379. 

Prölsa , Dr. F., Beobachtungen auf dem 
3. Allgemeinen milchwirtschaftlichen Kon¬ 
greß in dem Haag. XL, 369. 

Piitter, E., Die Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose innerhalb der Stadt. (Referat.) 
XXXIX, 835. 

Rad, Dr. v. (Nürnberg), Hausaufgaben 
und höhere Schulen. (Roller, Referat.) 
XXXIX, 560. 

—, Über den Schwachsinn nebst seinen Be¬ 
ziehungen zur Psychologie der Aussage 
mit einem Anhänge. (Hampe , Referat,) 
XXXIX, 214. 

—, Zur Frage der Berufsvormundschaft. 
(Referat.) XXXIX, 560. 

Räuber, H., Zusammenstellung der gesetz¬ 
lichen Bestimmungen, Erlasse und Ver¬ 
fügungen für das Medizinalwesen in Preußen. 
(Referat.) XL, 209. 

Rambousek, Dr. Joseph, Bezirksarzt (Prag), 
Über die Verhütung der Bleigefahr. (Refe¬ 
rat.) XL, 710. 

Ray dt, Prof. Dr., Studienrektor (Leipzig), 
Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele. 
(Referat.) XL, 711. 

Raydt, Hofrat Prof. H., Spielnachmittage. 
(Referat.) XXXIX, 834. 

Reich, A., Direktor, Reinigung und Beseiti¬ 
gung städtischer und gewerblicher Ab¬ 
wässer. (Referat.) XXXIX, 859. 

Ritter (Edmundstal), Die 5. Versammlung 
der Tuberkuloseärzte. XL, 745. 


Röttger, Dr. W. (Berlin), Genußmittel — 
Genußgifte? (Referat.) XXXIX, 373. 

Roder, Oberlehrer, Karl (Darmstadt), Haus¬ 
aufgaben und höhere Schulen. (Referat.) 
XXXIX, 560. 

—, Lehrerschaft und Schulhygiene in Ver¬ 
gangenheit und Gegenwart. (Referat.) 
XXXIX, 861. 

Roose, Holger, Warmwasserbereitungsaulagen 
und Badeeinrichtungen. (Referat.) XXXIX, 
556. 

Rosenfeld, Dr. L. (Nürnberg), Fürsorge 
lür Krüppel. XXXIX, 538. 

Roth, E., Dr., Reg.- und Geh. Med.-Rat 
(Potsdam), Bericht über die 3. Versamm¬ 
lung der Tuberkuloseärzte. (Ni edner, 
Referat.) XXXIX, 759. 

—, Bleivergiftungen in hüttenmännischen 
und gewerblichen Betrieben. Ursachen 
und Bekämpfung. (Referat.) XL, 387. 

—, Die Kinderarbeit und ihre Bekämpfung. 
(Deutsch, Referat.) XL, 386. 

—, Die Lungentuberkulose im Hochgebirge, 
die Indikationen und Kontraindikationen 
derselben, sowie die Anwendung des alten 
Kochschen Tuberkulins. (Philippi, Refe¬ 
rat.) XXXIX, 760. 

—, Die Bekämpfung der Bleigefahr in Blei¬ 
hütten. (Müller, Referat.) XL, 559. 

—, Die Bekämpfung der Tuberkulose inner¬ 
halb der Stadt. (E. Putter , Referat.) 
XXXIX, 835. 

—, Die Entnebelung von gewerblichen Be¬ 
triebsräumen. (Adam, Referat.) XXXIX, 
836. 

—, Die Medizinalgesetze und Verordnungen 
des Königreichs Sachsen. (Flinzer, Refe¬ 
rat.) XXXIX, 839. 

—, Die Ziukgewinnung im oberschlesischen 
Industriebezirk und ihre Hygiene. (Frey, 
Referat.) XXXIX, 836. 

—, Gewerbliche Gesundheitspflege. (Bender, 
Referat.) XXXIX, 204. 

—, Gutachten des Reichsgesundheitsrats 
über den Einfluß der Ableitung von Ab¬ 
wässern aus Chlorkaliumfabriken auf die 
Schuuter, Oker und Aller. (Referat.) 
XXXIX, 837. 

—, Lehrbuch der ärztl. Sachverständigen¬ 
tätigkeit für die Unfall- und Invaliditäts¬ 
versicherungsgesetzgebung. (Becker, Re¬ 
ferat.) XXXIX, 835. 

—, Lehrbuch für Heilgehilfen und Masseure, 
Krankenpfleger und Bademeister. (Granier, 
Referat.) XXXIX, 838. 

—, Öffentliche Gesundheitspflege und Medi¬ 
zinalwesen. (Boltenstem, Referat.) XXXIX, 
204. 

—, Tuberkulosearbeiten aus dem Kaiserlichen 
Gesundheitsamt (Referat). XXXIX, 759. 

—, Über Nervenkranke und Nervenheilstätten. 
(Götze, Referat.) XL, 387. 

—, Zusammenstellung der gesetzlichen Be¬ 
stimmungen, Erlasse und Verfügungen für 
das Medizinalwesen in Preußen. (Räuber, 
Referat.) XL, 209. 


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Gesamtübemoht des XXXIX. und XL. Bandes. 


Roth , W., Jahresbericht über die Leistungen 
und Fortschritte suf dem Gebiete des 
Militärsanitätswesens. XXXI. Jahrgang. 
XXXIX, 373. 

Rubner , Prof. Dr. Max (Berlin), Lehrbuch 
der Hygiene. (Referat.) XXXIX, 571. 

Rühle, Dr. H. (Stettin), Die Kennzeichnung 
(Deklaration) der Nahrungs* und Genuß- 
mittel. (Referat.) XXXIX, 568. 

Kuppel, F., Baurat (Hamburg), Der moderne 
Krankenhausbau vom hygienischen und 
wirtschaftlichen Standpunkte. Referat auf 
der 32. Versammlung des D. V. f. ö. G. 
in Bremen. XL, 115. 

Ruiiöka, Dr. Vlad., Studien über den 
Filtrationselfekt d. Grundwässer. ( Kabrhel, 
Referat.) XXXIX, 388. 

Sachs, H., Bau und Tätigkeit des mensch¬ 
lichen Körpers. (Referat.) XXXIX, 571. 

Salomon, H., Die städtische Abwässerbeseiti¬ 
gung in Deutschland. (Referat.) XXXIX, 
208. 

Salomon , S., Die städtische Abwässerbeseiti¬ 
gung in Deutschland: Das Elbegebiet. 
(Referat.) XXXIX, 562. 

—, Die städtische Abwässerbeseitigung in 
Deutschland. II. Bd., 3. Lielerung: Das 
Odergebiet. Das Weichsel-, Pregel- und 
Memelgebiet. (Referat.) XL, 556. 

Saltet, Dr. R. H., Prof, der Hygiene 
(Amsterdam) und Falkenburg, Dr. jur. 
Ph. (Amsterdam), Kindersterblichkeit, be¬ 
sonders in den Niederlanden. XXXIX, 
855. 

Sarason, Dr., Ein neues Bausystem für 
Krankenanstalten und Wohnhäuser. XL, 
205. 

Schallmayer , Dr. W., Beiträge zu einer 
Nationalbiologie nebst einer Kritik der 
methodologischen Einwände und einem 
Anhang über wissenschaftliches Kritiker¬ 
wesen. XXXIX, 376. 

Schenk, Dr. Paul, Der Alkoholismus, seine 
Wirkungen und seine Bekämpfung. ifXXIX, 
202. 

—, Der Alkoholismus, seine Wirkungen und 
seine Bekämpfung. (Referat.) XXXIX, 559. 

—, Gegen den Alkohol. (M. Helenius und 
A. Trypy-Helenius , Referat.) XXXIX, 
202. 

—, Der Alkoholismus in München. (Emil 
Kräpelin, Friedrich Vocke, Hugo Lieh- 
tenberg, Referat.) XXXIX, 558. 

Schilling, Dr. Th. (Nürnberg), Erkältung 
u. Erkältungskrankheiten. (K. Chodounsky, 
Referat.) XXXIX, 564. 

Schilling, Regierungsbaumeister a. D., 
Beigeordneter (Trier), Welche Mindestan¬ 
forderungen sind an die Beschaffenheit der 
Wohnungen, insbesondere der Kleinwoh¬ 
nungen zu stellen. Referat auf der 80. Ver¬ 
sammlung des D. V. f. ö. G. in Augs¬ 
burg 1906. XXXIX, 167. 

SchtncUer, Dr. Carl (Berlin), Die venerische 
Ansteckung der Hebammen im Berufe 
und die Notwendigkeit eines Hebammen- 


837 

Versicherungsgesetzes für das Deutsche 
Reich. (Referat.) XXXIX, 855. 

Schlockow - Roth - Leppmann, Der Kreis¬ 
arzt. (Referat.) XXXIX, 364. 

Schmidt, Prof. G. C., Die Kathodenstrahlen. 
(Referat.) XXXIX, 866. 

Schmidtmann, Dr. A., Prof., Geh. Ober- 
Medizinalrat, Handbuch der gerichtlichen 
Medizin. (Referat.) XXXIX, 366. 

Schoof8, Dr. F., Traite d’Hygiene pratique. 
(Referat.) XL, 704. 

Schottelius, M., Prof. Dr. (Freiburg i. B.), 
Bakterien, Infektionskrankheiten und deren 
Bekämpfung. (Referat.) XXXIX, 567. 

Seyffert, Dr., Die Sterblichkeit an Tuber¬ 
kulose in Österreich 1873 bis 1904. 
( Teleky , Referat.) XXXIX, 384. 

—, Zur Tuberkulosebekämpfung 1906. ( Niet - 
ner, Referat.) XXXIX, 386. 

—, Die Tuberkulose und die Schule. ( Kirch¬ 
ner ,, Referat.) XXXIX, 385. 

Siegert, Dr. jur. Rudolph, Die Wohnungs¬ 
fürsorge im Großherzogtum Hessen. (Refe¬ 
rat.) XXXIX, 556. 

Sing, Dr. K., Stadtschularzt (ülm a. D.), 
Gesamtbericht über die Tätigkeit des 
Schularztes in Ulm im Wintersemester 
1906/07. XXXIX, 742. 

—, Jahresbericht für die Kreishauptstadt 
Ulm pro 1906 mit besonderer Berück¬ 
sichtigung des Kostkinderwesens, des 
Prostitutionswesens und der Kindersterb¬ 
lichkeit während der Jahre 1902 bis 1906. 
XXXIX, 761. 

Sobernheim, Prof. Dr. W. G. (Halle a. S.), 
Leitfaden für Desinfektoren. (Referat.) 
XXXIX, 569. 

Solbrig, Dr. med., Regierungs- und Medi¬ 
zinalrat (Allenstein), Schulhygienische Be¬ 
trachtungen. XXXIX, 233. 

Spftt, Dr. Franz, Kgl. Bezirksarzt (Fürth 
i. B.), Die gesundheitliche Bedeutung der 
Hornplattenfabriken für die Anwohner. 
XXXIX, 301. 

Stadelmann, Dr. H. (Dresden), Das nerven¬ 
kranke Kind in der Schule. (Referat.) 
XXXIX, 840. 

Sternberg, Dr., Kochkunst und Heilkunst. 
(Referat.) XXXIX, 848. 

Stille, Dr. W., Die Arzte und unsere Trink¬ 
sitten, die Alkoholfrage. (Referat.) XXXIX 
557. 

Stübben, Dr. ing., Ober- und Geh. Baurat 
(Berlin), Bauordnung für Großstadter¬ 
weiterungenu. Weiträumigkeit. ( Oehmcke, 
Referat.) XXXIX, 382. 

—, Der Städtebau (Referat). XXXIX, 390. 

—, Die Kanalisation für Oppau in der 
Rheinpfalz ( Heyd , Referat.) XXXIX, 861. 

—, Die Hygiene des Wohnungswesens. Die 
Hygiene des Städtebaues. (Xuesbaum, 
Referat.) XL, 559. 

—, Hygienischer Unterricht für Bautechniker 
in Frankreich. (Referat.) XXXIX, 556. 

—, Wohnungspflege in England und Deutsch¬ 
land. XXXIX, 353. 


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Dii 



638 


G«8amtüber8icht des XXXIX. und XL. Bandes. 


Teleky, Dr. mcd. Ludwig, Die Sterblichkeit 
an Tuberkulose in Österreich 1873 bis 
1904. (lieferst.) XXXIX, 38*. 

Tjaden, Frof. Dr. (Bremen), Wie hat sich 
auf Grund der neueren Forschungen die 
Praxis der Desinfektion gestaltet? Referat 
auf der 32. Versammlung des D. V. f. 
ö. G. in Bremen. XL, 39. 

Tobeitz , Prof. Dr. A. (Graz), Differential¬ 
diagnose der Anfangsstadien der akuten 
Exantheme. (Referat.) XL, 561. 

Vogel , F. Rudolph und Schmitt, Dr. phil. 
und Dr. ing., Entwässerung und Reinigung 
der Gebäude. (Referat.) XL, 388. 

Wandel^ Dr. med. Arthur (Kiel), Über 
das Schlafburschenunwesen und über Ledi¬ 
genheime vom Standpunkte der öffentlichen 
Gesundheitspflege. XL, 483. 

WawrinBky, Medizinalrat Dr. (Stockholm), 
Die Entwickelung des Lazarettwesens in 
Schweden. XXXIX, 615. 

Wehmer, Dr. R., Regierungs- und Geh. 
Medizinalrat, Hygienische Rückblicke aus 
England. XL, 430. 


Wshmery Dr. R., Regierungs- und Geh. 
Medizinalrat, Über den 2. internationalen 
Kongreß für Schulhygiene und den 8. inter¬ 
nationalen Wohnkongreß zu London vom 
5. bis 10. August 1907. XXXIX, 779. 

Weichardt , Wolfgang, Privatdozent Dr. 
med. (Erlangen), Ermtidungs- und Über¬ 
müdungsmaßmethoden. XXXIX, 324. 

—, Jahresbericht über die Ergebnisse der 
immunitätsforschung. (Referat.) XXXIX, 
205. — (Referat). XL, 706. 

Weigl, F. (München), Aufklärungsarbeit 
über die Bewahrung der Jugend vor den 
Genußgiften. XXXIX, 821. 

Wieler, Kaffee, Tee, Kakao und die übrigen 
narkotischen Aufgußgetränke. (Referat.) 
XL, 383. 

Wild, Pfarrer A., Die körperliche Mißhand¬ 
lung von Kindern durch Personen, welchen 
die Fürsorgepflicht für dieselben obliegt. 
(Referat) XXXIX, 854. 

Winkler, H. von (Reval), Merkblätter für 
die erste Ernährung des Kindes. (Referat.) 
XL, 390. 


III. Ortsv< 

Augsburg, Über die Erfolge der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege in —. XXXIX, 
160. 

Deutsche Flüsse oder deutsche Kloaken? 
XXXIX, 572. 

Deutschen, Die Ergebnisse der Schlacht¬ 
vieh- und Fleischbeschau im — Reich im 
Jahre 1904. XXXIX, 850. 

Deutschland, Die städtische Abwässer¬ 
beseitigung in —. Das Elbegebiet. XXXIX, 
562. 

Deutsches Bäderbuch. XXXIX, 566. 

England, Arbeiterwohnungen in —. XL, 
360. 

— i Hygienische Rückblicke aus —. XL, 
430. 

Frankfurt a. M. , Geschichte der Sterb¬ 
lichkeit und der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege in —. XXXIX, 438. — XL, 651. 

Hessen, Die Wohnungsfürsorge im Gro߬ 
herzogtum —. XXXIX, 556. 

Manchester, Die Luftuntersuchungen in 
—. XXXIX, 652. 

München, Die Säuglingssterblichkeit in 
— in den Jahren 1895 bis 1904 und der 
Einfluß der Witterungsverhältnisse auf 
dieselbe —. XXXIX, 417. 

—, Der Alkoholismus in —. XXXIX, 558. 

Niederlanden, Kindersterblichkeit, be¬ 
sonders in den —. XXXIX, 855. 


rzeiohnis. 

Nürnberg, Die Anstalten und die Tätig¬ 
keit des Vereins zur Bekämpfung der 
Tuberkulose in —. XL, 577. 

, Oppau , Die Kanalisation für — in der 
Rheinpfalz. XXXIX, 861. 

1 Preußen, Die Medizinalverwaltung in — 
von 1809 bis Ende 1907. XL, 500, 749. 

—, Zusammenstellung der gesetzlichen Be¬ 
stimmungen, Erlasse und Verfügungen für 
das Medizinalwesen in —. XL, 209. 

—, Zur Bekämpfung der Granulöse (Trachom, 
Körnerkrankheit) in —. XXXIX, 203. 

PreUBBisohen, Das Gesundheitswesen des 
— Staates im Jahre 1905. XXXIX, 841. 

Sachsen , Die Medizinalgesetze und Ver¬ 
ordnungen des Königreichs —. XXXIX, 
839. 

Schweden, Die Entwickelung des Laza¬ 
rettwesens in —. XXXIX, 615. 

Sohweiser, Reise- und Kor-Almanach. 
XXXIX, 206. 

TJlm, Gesamtbericht über die Tätigkeit des 
Schularztes in — im Wintersemester 
1906/07. XXXIX, 742. 

—, Jahresbericht für die Kreishauptstadt 
— pro 1906 mit besonderer Berücksichti¬ 
gung des Kostkinderwesens, des Prosti¬ 
tutionswesens und der Kindersterblichkeit 
während der Jahre 1902 bis 1906. 
XXXIX, 761. 


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Fünfundzwanzigster Jahresbericht 

über die 

Fortschritte und Leistungen 

auf dem 

Gebiete der Hygiene 

Jahrgang 1907 


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Frloilr. Tltweg tid floh« in Br»»n«oliw«ig. 



Fünfundzwanzigster Jahresbericht 

über die 

Fortschritte und Leistungen 

auf dem 

Gebiete der Hygiene 

Begründet von weiland Professor J. Uffelmann 

Jahrgang 1907 

Unter Mitwirkung 
von 

Dr. Beez, prakt. Arzt in Olsnitz i. V., Dr. Bernhardt, Assistenzarzt in Dalldorf-Berlin, 
Dr. Boehncke, Stabsarzt in Metz-Montigny, Vorstand der hygienischen Untersuchungs- 
Stelle XVL A. K., Professor Dr. G. Frank, Leiter des Mainwasser-Untersuchungsamtes 
in Wiesbaden, Dr. Genth, Augenarzt in Wiesbaden, Dozent Dr. L. Grünhnt, Abteilungs¬ 
vorstand am Freseniussohen Laboratorium in Wiesbaden, Dr. Hamm, Spezialarzt für 
Hals- usw. Krankheiten in Braunschweig, Höpfner^Königlicher Baurat und Stadtbaurat 
in Kassel, Professor Dr. Hofftnann, Stabsarzt an der Kaiser-Wilhelms-Akademie in Berlin, 
Dr. Koenig, Sanitätsrat und Stadtarzt in Frankfurt a. M., Dr. Kronecker, Sanitätsrat in 
Wilmersdorf, Dr. Krueger, Stabs- und Bataillonsarzt in Charlottenburg, Metzger, Stadtrat 
und Stadtbaurat in Bromberg, Dr. Peerenboom, Marinegeneraloberarzt in Wilhelmshaven, 
Dr. Petschldl, Medizinalrat und Kreisarzt in Diez, Dr. W* Bosenstein, prakt. Arzt in 
Berlin, Dr. Hermann Schmidt, Stadtassistenzarzt in Düsseldorf, Dr. Solbrig, Regierungs¬ 
und Medizinalrat in Allenstein, Wehrle, Kaiserlicher Regierungsrat und Mitglied des 

Reichsgesundheitsamtes in Berlin 

herausgegeben 

von 

Dr. A. Pfeiffer 

Regierung*- und Geheimer Medizinalrat in Wiesbaden 


Supplement 

zur 

„Deutschen Vierteljahrsschrift fttr öffentl. Gesundheitspflege“ Band XL 


Mit zwei Bildnissen 


BRAUNSCHWEIG 

DRÜCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN 

19 10 


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Alle Rechte, namentlich daB Recht der Übersetzung in fremde Sprachen, 

Vorbehalten. 


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VORWORT. 


Mit Erscheinen dieses Jahrgangs kann der Uffelmannsche 
Jahresbericht über die Fortschritte und Leistungen auf dem 
Gebiete der Hygiene sein 25jähriges Jubiläum feiern. Welchen 
Aufschwung hat in diesem verhältnismäßig kurzen und doch so arbeits¬ 
reichen Zeitabschnitt die Gesundheitspflege genommen, welche Erfolge 
hat sie erreicht 1 Dem leider zu früh verstorbenen Gründer des Jahres¬ 
berichtes war es nicht vergönnt, diese beispiellose Epoche in der 
Entwickelung der Naturwissenschaften, der Technik und der Industrie 
ganz mitzuerleben. Allzuzeitig hat er von seiner erfolgreichen Tätig¬ 
keit als Lehrer der Gesundheitspflege scheiden müssen. Ihm, dem 
rastlosen Forscher, wird ein ehrendes Andenken bewahrt werden. 

Ein besonderer Dank sei dem treuen Leserkreise des Jahresberichtes 
dargebracht, der ihm in den jetzt verflossenen fünfundzwanzig Jahren 
seines Bestehens sein Interesse zugewandt und bewahrt hat. Auch 
der Verlagsfirma gebührt für die stets tadellose und mustergültige 
Ausstattung des Buches volle Anerkennung. 

Es sei gestattet, dem Wunsche und der Hoffnung Ausdruck zu 
geben, daß dem Jahresberichte auch fernerhin das gleiche Interesse 
und die gleiche wohlwollende Beurteilung wie in den vergangenen 
25 Jahren bewahrt bleiben möge. 


Mit dem Danke an die Herren Mitarbeiter, an die Herren Autoren 
und Verleger des In- und Auslandes, die den Jahresbericht durch 
mühsame Arbeit oder durch Zuwendung von Literatur seither unter¬ 
stützt haben, ist die dringende Bitte verbunden, ihm die gleiche För¬ 
derung auch fernerhin zuteil werden zu lassen. 

In die Reihe der Mitarbeiter ist Herr Stadtassistenzarzt Dr. Schmidt 
in Düsseldorf eingetreten, der einen Teil des seitherigen Referates des 
Herrn Dr. Bernhardt in Dalldorf übernommen hat. 

Wiesbaden im Mai 1910. 

Pfeiffer. 


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Inhaltsverzeichnis 


Seite 

Einleitung (Pfeiffer). 1 

Erster Abschnitt. 3 

Gesetze und Verordnungen (Beez). 3 

Literatur über allgemeine und spezielle Hygiene. Lehrbücher 

der Hygiene und verwandter Gebiete (Pfeiffer). 10 

Gesundheitsstatistik (Koenig). 18 

Allgemeine Geburts- und Sterblichkeitsverhältnisse, Säuglingssterblichkeit 

an Infektionskrankheiten. 18 

Masern. 29 

Scharlach. 29 

Diphtherie und Croup. 30 

Unterleibstyphus. 30 

Keuchhusten. 31 

Kindbettfleber. 32 

Lungentuberkulose. 33 

Influenza. 35 

Genickstarre. 36 

Pocken. 37 

Impfwesen . .. 37 

W undstarrkrampf. 38 

Lepra. 38 

Übertragbare Tierkrankheiten (Milzbrand, Tollwut). 39 

Krankenhausstatistik. 41 

Taubstumme. Blinde. Geisteskranke. 42 


Zweiter Abschnitt. 

Hygienische Topographie (Kronecker). 

Allgemeines und europäische Länder. 

Allgemeine Tropenhygiene (Kronecker). 

Allgemeine Tropenpathologie (Kronecker). 

Infektionskrankheiten (Hof f mann, Bosenstein, Boehncke, Pfeiffer, 
Kronecker). 

A. Allgemeines. 

Bakteriologie, Methodik, allgemeine Biologie (Hoffmann) . . . . 

Natürliche und erworbene Immunität (Hoffmann). 

Agglutination. Präzipitation (Hoffmann). 

Proteolyse, Hämolyse, Toxine und anderes (Hoffmann). 

Desinfektion (Hoffmann) . . . 

B. Spezielles. 

Tuberkulose (Bosenstein) . . 

Allgemeines. 

Verbreitung i 

Verhütung der Tuberkulose 
Heilbarkeit / 



45 

45 

45 

48 

65 

72 

72 

72 

75 

77 

77 

79 

81 

81 

81 

84 

89 

102 

110 


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VIII 


Inhaltsverzeichnis. 


Seit« 

Heilstätten.116 

Tiertuberkulose.121 

Typhus und Paratyphus (Boehncke).124 

Cholera asiatica (Hoffmann).148 

Diphtherie (Hoffmann).144 

Ruhr (Dysenterie) (Boehncke).145 

Masern (Boehncke).147 

Scharlach (Boehncke).148 

Pneumonie (Boehncke).150 

Influenza (Boehncke).152 

Keuchhusten (Boehncke).153 

Meningitis cerebrospinalis (Boehncke).154 

Tetanus (Hoffmann).159 

Pocken (Boehncke).160 

Verbreitung, Therapie und Pathologie.160 

Impfstoff.163 

Vaccination.165 

Lepra (Pfeiffer).169 

Malaria (Kronecker).171 

Schwarzwasserfieber (Kronecker).183 

Gelbfieber (Kronecker).188 

Beri-beri (Kronecker).192 

Pe81 (Hoffmann).200 

Puerperalfieber (Boehncke).200 

Geschlechtskrankheiten und Prostitution (Boehncke) . . 202 

Geschlechtskrankheiten .202 

Prostitution.212 

Geschwülste (Krueger).215 

Ansteckende Augenkrankheiten und Verwandtes (Genth) . 223 

Epizootien (Wehrle). 225 

Allgemeines.225 

Rinderpest.227 

Milzbrand.228 

Rauschbrand.231 

Tollwut.232 

Rotz. 236 

Maul- und Klauenseuche.238 

Lungenseuche.241 

Pocken.241 

Beschälseuche und Bläschenausschlag.242 

Räude.242 

Rotlauf der Schweine.243 

Schweineseuche (einschließlich Schweinepest).245 

Geflügelcholera und Hühnerpest.249 

Gehirn-Rückenmarksentzündung (Bornasche Krankheit) und 

Gehirnentzündung der Pferde.250 

Influenza der Pferde.251 

Ansteckender Scheidenkatarrh der Rinder.251 

Druse der Pferde.253 

Dritter Absohnitt.254 

Haut- und Muskelpflege (Schmidt).254 

Pflege der Haut.254 

Bäder.256 

Kleidung.259 

Muskelpflege.260 


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Inhalts verzeiobnis. 


IX 
Seite 

Hygiene des Kindes (Kroneoker).262 

Schulgesundheitspflege (Solbrig, Höpfner).269 

Allgemeines (Solbrig).'.269 

Ausstattung der Schulzimmer mit öchulgeräten und Lehrmitteln (Solbrig) 287 
Die 8chulstubenluft in ihrer hygienischen Bedeutung (Solbrig) . . . 289 
Die Beziehungen zwischen Gesundheitsstörungen der Schüler und dem 

Schulbesuche (8olbrig).291 

Schulkrankheiten (8olbrig).301 

Schulbauten (Höpfner).815 

Gefängnishygiene (Petschull).320 

Fürsorge für Kranke (Kronecker).331 

Krankenpflege. 331 

Ausbildung des Pflegepersonals.338 

Krankenhäuser.341 

Fürsorge für Irre und Nervenleidende (Bernhardt).345 

Fürsorge für Irre.345 

Gemeingefährliche Geisteskranke und ihre besondere Fürsorge .... 352 

Fürsorge für Schwachsinnige und Idioten.355 

Fürsorge für Alkoholisten.356 

Fürsorge für Nervenleidende.860 

Unfall-, Invaliditäts- und Altersversicherung (Pfeiffer).861 

Gewerbehygiene (Solbrig).363 

Allgemeines.368 

Baumwollindustrie.372 

Bergbau.373 

Bleivergiftung.375 

Bleichereien und Färbereien.379 

Caissonarbeiter.379 

Chemische Industrie.380 

Elektrizität.383 

Explosivindustrie.384 

Gerbereien.385 

Giftige Gase.385 

Glasschleifer.386 

Heimarbeit.387 

Horn Verarbeitung.887 

Kanalarbeiter.388 

Landwirtschaft.388 

Mangan.389 

Hessing.389 

Metallschleifereien.390 

Nahrungsmittel. 390 

Phosphor.391 

Bingkämpfer.392 

Stickereiappreturen.392 

Zigarren.392 

Zink.393 

Schiffshygiene (Peerenboom).394 

Eieenbahnhygiene (Pfeiffer).400 

Heilpersonal (Pfeiffer).402 

Vierter Absohnitt.403 

Luft und Licht (Hamm).403 

Luft, Gase ..403 


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X 


Inhalts Verzeichnis. 


Seite 


Licht, Beleuchtung im allgemeinen, Lichttherapie.414 

Gaslicht.424 

Gasglühlicht.435 

Elektrisches Licht.438 

Acetylenbeleuchtung. 454 

Petroleum und andere Beleuchtungsarten.456 


Wasser (Grünhut, Metzger). 

Trinkwasser (Grünhut). 

Allgemeines. 

Chemische Untersuchung. 

Bakteriologische Untersuchung. 

Sterilisation.| , _ . , I 

Chemische Veränderungen I de ’ Tr.nkwa.»er, j 
Trinkwasserversorgung (Metzger). 


Nahrungs- und Genußmittel (Grünhut, Wehrle).490 

Allgemeines (Grünhut) .490 

Ernährungslehre (Grünhut).496 

Chemie der Nährstoffe (Grünhut).502 

Diätetische Präparate (Grünhut).503 

Fleischbeschau (Wehrle).505 

Allgemeines.505 

Ausführung der Fleischbeschau .506 

Ergebnisse der Fleischbeschau.508 

Trichinenschau.509 

Schlachthöfe und deren Betrieb.509 

Fleisch (Wehrle).511 

Fleischuntersuchung.511 

Miloh (Grünhut).512 

Milchgewinnung.512 

Allgemeine Milchhygiene.515 

Zusammensetzung und Analyse der Milch.522 

Sterilisation, Pasteurisieren der Milch.527 

Enzyme.530 

Pathogene Organismen.532 

Säuerung.536 

Serummilohpräparate.538 

8äuglingsernährung.542 

Eier (Grünhut).564 

Butter und Margarine (Grünhut).564 

Andere Speisefette und Oie (Grünhut).576 

Käse (Grünhut).578 

Mehl-, Teig- und Backwaren (Grünhut).582 

Gemüse und Obst, Pilze (Grünhut).589 

Honig, Fruchtsäfte und Marmeladen, Alkoholfreie Ge¬ 
tränke (Grünhut).591 

Geistige Getränke (Grünhut).595 

Alkoholgärung.595 

Wein.595 

Bier.600 

Branntwein.601 

Alkoholfrage.602 

Essig (Grünhut).606 

Kaffee, Kakao, Schokolade (Grünhut).608 

Gewürze (Grünhut).615 


457 

457 

457 

458 
464 
470 
474 
483 


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Inhaltsverzeichnis. XI 

Seite 

Konservierungsmittel und Konservierungsmethoden 

(Grünhut).019 

Gebrauchsgegenstände (Grünhut).625 

Fünfter Abaehnitt.627 

Bauhygiene, (Metzger, Frank, Koenig)].627 

Kanalisation (Metzger).627 

Abwasserbeseitigung und Flußverunreinigung (Frank).630 

Wohnungshygiene (Koenig).644 

Arbeiterwohnungen.644 

Abdeckereiwesen (Wehrle).057 

Leichenbestattung, Leichenverbrennung (Pfeiffer).657 

Autorenregister.659 

Sachregister.672 


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Einleitung. 


Der am Schlosse der Einleitung zum 24. Jahresbericht über die Fort¬ 
schritte und Leistungen auf dem Gebiete der Hygiene ausgesprochene Wunsch, 
daß auch die kommenden Jahre weitere Errungenschaften für die Gesundheits¬ 
pflege bringen möchten, ist für das vorliegende Berichtsjahr in weitem Maße 
in Erfüllung gegangen. 

Staatsbehörden und Gemeindeverwaltungen waren bemüht, die Ergebnisse 
wissenschaftlicher und technischer Forschungen durch Erlaß von Gesetzen 
und Verordnungen für weiteren Ausbau der öffentlichen Gesundheitspflege 
und der sozialen Fürsorge nutzbringend zu verwerten. 

In ebenso reichem Maße haben sich Privatpersonen, gemeinnützige Vereine 
und Genossenschaften bemüht, durch Bereitstellung von Geldmitteln auch 
ihr Teil zum Ausbau der Gesundheitspflege, zur Förderung wissenschaftlicher 
Forschungen, sowie zur Unterstützung Kranker und Gebrechlicher beizutragen, 
so daß wir wohl berechtigt sind, auf die Leistungen des Berichtsjahres mit 
Befriedigung zurückzublicken. 

Verheerende Volksseuchen haben unser engeres Vaterland verschont; um 
so ersprießlicher konnte der Kampf gegen die einheimischen Infektions¬ 
krankheiten geführt werden. Die Bestimmungen des deutschen Reichs- und 
der einzelstaatlichen Gesetze zur Bekämpfung gemeingefährlicher und über¬ 
tragbarer Krankheiten haben wesentlich dazu beigetragen, diesen Kampf 
wirksam zu gestalten. 

Eine besondere Förderung hat die Bekämpfung der Tuberkulose erfahren. 
Die wichtige Entdeckung der sogenannten Dauerausscheider und Bazillen¬ 
träger hat neue Wege gegen die Weiterverbreitung einiger Infektions¬ 
krankheiten gewiesen. 

Auch der Verhütung übertragbarer Tierkrankheiten und der mit diesen 
verbundenen großen Geldverluste ist die weitgehendste Aufmerksamkeit zu¬ 
teil geworden. 

Der körperlichen Kräftigung der Bevölkerung dienten Spiel- und Sport¬ 
plätze. Der Körperpflege durch Bäder wurden weitere Gelegenheiten eröffnet. 
Auf dem Gebiete der Schulgesundheitspflege ist durch zweckentsprechende 
Einrichtung der Schulräume, durch Bekämpfung der eigentlichen Schulkrank¬ 
heiten und der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten durch die 
Schule Nennenswertes geleistet worden. 

Die Fürsorge für Kranke und Gebrechliche, für Irre- und Nervenleidende 
hat eine weitere Förderung durch Errichtung mustergültiger Krankenhäuser, 
Vermehrung der Irrenanstalten, Errichtung von Krüppelheimen und Rekon¬ 
valeszentenhäusern, sowie in dem Bestreben zur besseren Ausbildung des 
Pflegepersonals zu verzeichnen. 

VterteljftbrMchrUt für QeaundheiUpflege, 1908. ßupplement. } 


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2 


Einleitung. 


Die Hygiene in Fabrik- und Kleinbetrieben bat sich wesentlich gehoben; 
strenge Betriebsvorschriften sind bestimmt und geeignet, die Zahl der Unfälle 
zu vermindern. Die hygienischen Einrichtungen mancher großen Fabrik 
dürfen geradezu als mustergültig bezeichnet werden. 

Die Betriebseinrichtungen im Schiffs- und Eisenbahnverkehr haben 
weitere gesundheitliche Verbesserungen erfahren. Die Fürsorge für die Eisen- 
bahnbediensteten ist in weiterem Ausbau begriffen, seitdem man erkannt hat, 
daß mit Verbesserungen auf diesem Gebiete eine solche der Betriebssicherheit 
Hand in Hand geht. 

Der Reinhaltung der Luft in den Städten hat man besondere Aufmerk¬ 
samkeit geschenkt und auf dem Gebiet der Straßenreinigung zweckmäßige 
Einrichtungen zu schaffen gesucht. Eine bessere Straßenbeleuchtung ist das 
Sorgenkind der städtischen Verwaltungen. 

Die Beschaffung einwandfreien Trinkwassers für die großen Städte 
machte hier und da erhebliche Schwierigkeiten, die nur durch Aufwendung 
großer Geldmittel überwunden werden konnten. 

Endlich beginnt es, sich auf dem Gebiete der Nahrungs- und Genu߬ 
mittelkontrolle zu regen, auf dem lange Zeit ein Stillstand geherrscht hatte. 
Durch Errichtung einer genügenden Zahl öffentlicher Untersuchungsanstalten 
muß angestrebt werden, den immer weiter um sich greifenden Verfälschungen 
unserer täglichen Lebensbedürfnisse zu steuern. Ein großer Fortschritt ist 
hier schon dadurch erreicht, daß man der Säuglingsmilch eine einwandfreie 
Beschaffenheit zu verleihen bestrebt war, um auf diesem Wege eine Ver¬ 
minderung der hohen Säuglingssterblichkeit herbeizuführen. 

Der Entfernung unreiner Abgänge aus den Städten suchte man durch 
Verbesserung der Straßenreinigung und Müllbeseitigung, sow-ie durch Anlage 
ordnungsmäßiger KanalsyBteme weitere Förderung angedeihen zu lassen, 
wobei allerdings zu bedauern ist, daß vollbefriedigende Methoden zur unschäd¬ 
lichen Beseitigung der Abgänge noch immer nicht zur Verfügung stehen. 

Die Verunreinigung der Flußläufe, in die die Endabgänge der Kanali- 
sationsanlagen der anliegenden Städte unvermeidlicherweise doch zuletzt 
gelangen müssen, nimmt das lebhafteste Interesse in Anspruch, weil die Ver¬ 
unreinigung mancher Flußläufe eine Höhe erreicht hat, die zu den ernstesten 
Maßregeln geradezu zwingt. 

Auch auf dem Gebiete der Wohnungshygiene ist man eifrig bestrebt, 
durch Beschaffung besserer und auch billigerer Wohnungen in den Städten, 
durch gesundheitsmäßigere Einrichtung der Häuser auf dem Lande, durch 
Errichtung gesunder Arbeiterwohnungen usw. befriedigende Verhältnisse an¬ 
zubahnen. 

Als beste Beseitigungsart menschlischer Leichen hat die Feuerbestattung 
immer mehr an Ausdehnung gewonnen, wenn auch leider in Preußen die 
Gestattung der fakultativen Einäscherung noch immer in weiter Ferne zu 
stehen scheint. Pfeiffer. 


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Gesetze und Verordnungen. 


3 


Erster Abschnitt 

Gesetze und Verordnungen. 

Nachstehende Notizen entstammen dem Jahrgang 1907 der „Veröffent¬ 
lichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes“ (Berlin, J. Springer) 
und enthalten die in hygienischer Beziehung wichtigeren Verordnungen des 
Jahres 1907. Nachträge aus vorhergehenden Jahren sind mit der Jahreszahl 
gekennzeichnet. 

Deutsches Reich: Vom Jahre 1906 ist nachzutragen: Unterm 17. Juli 
ein Erlaß des Reichsversicherungsamtes betr. die Bekämpfung des Al¬ 
koholmißbrauchs (S. 4); unterm 26. September ein Staatsvertrag zwischen 
dem Deutschen Reiche, Österreich-Ungarn, Belgien, Dänemark, Spanien, 
Frankreich, Großbritannien, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal, 
Schweden, der Schweiz betr. den internationalen Arb eit er schütz (Nacht¬ 
arbeit der Frauen in der Industrie) (S. 59), sowie unter gleichem Datum 
ein gleicher Vertrag zwischen dem Deutschen Reiche, Dänemark, Frankreich, 
Italien, Luxemburg, den Niederlanden, der Schweiz über das Verbot der 
Verwendung weißen (gelben) Phosphors in der Streichholzindustrie 
(S. 61). 

Vom Jahre 1907 datieren folgende Verordnungen: Unterm 10. Januar 
ein Erlaß des Reichskanzlers über die Unterbringung bedürftiger 
Lungenkranker in Heilstätten (S. 277); unterm 27. Januar eine 
Kriegs-Sanitätsordnung (Allerh. Kabinettsorder) (S. 451); unterm 
17. Februar ein Bundesratsbeschluß betr. die Einrichtung und den Be¬ 
trieb der zur Anfertigung von Zigarren bestimmten Anlagen 
(S. 278); unterm 27. Februar ein gleicher über die Beschäftigung jugend¬ 
licher Arbeiter in Werkstätten mit Motorbetrieb (S. 312), sowie 
unterm 21.März ein solcher über die Bekämpfung gemeingefährlicher 
Krankheiten (Cholera) (S.579). 

Eine Desinfektionsanweisung für gemeingefährliche Krankheiten erschien 
nnterm 21. März (S. 863); eine Beilage zu Nr. 24 brachte Bestimmungen 
über die Bekämpfung von Aussatz, Cholera, Fleckfieber, Pest, 
Pocken; ein BundesratBbeBchluß vom 21. März betraf die Beförderung 
von Leichen auf Eisenbahnen (Scharlach, Diphtherie und Gelbfieber) 
(S. 712); ein gleicher vom 12. April regelte die Beschäftigung von 
Arbeiterinnen auf Steinkohlenbergwerken, Zink- und Bleiberg¬ 
werken im Regierungsbezirk Oppeln (S.481). 

Über die Unterbringung bedürftiger Lungenkranker in Heilstätten 
bestimmten Erlasse vom 15.Mai und 16. Juli (655 und 886), über die Ein¬ 
richtung und den Betrieb der Buchdruckereien und Schrift¬ 
gießereien ein Bundesratsbeschluß unterm 5. Juli (S. 817). 

Ein Erlaß des Reichskanzlers unterm 21. Juli betraf die Impfung und 
Wiederimpfung von Arbeitern in gewissen gewerbliche n Betrieben 
(S. 1274), ein gleicher des Bundesrats vom 29. August die gesundheitliche 

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4 


Gesetze und Verordnungen. 

Behandlung der Seeschiffe in den deutschen Häfen, nebst Des¬ 
infektionsanweisung (S. 1033). 

Schutzgebiete: Für Deutsch-Ostafrika, Kamerun und Deutsch-Südwest- 
afrika ergingen unterm 25. September, 20. Juni, 20. Juli 1906 Verfügungen 
über die Beförderung von Leichen auf dem Seewege (S. 524 u. 525). 
Die Marshallinseln erhielten unterm 12. Juni 1906 ein Verbot der Einfuhr 
von Opium und der Verabfolgung an Eingeborene (S. 75). 

Preußen: Vom Jahre 1906 sind folgende Verordnungen bemerkens¬ 
wert: Unterm 10. Oktober die Abstellung derMißstände in Bäckereien 
betr. (S. 595); unterm 13. Oktober die Verwendung von denaturiertem 
Spiritus zur Herstellung von Trinkbranntweinen betr. (S. 5); unterm 
16. Oktober die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten betr. (S. 5); 
unterm 24.Oktober die Krankenfürsorge für die in Staatsbetrieben 
beschäftigten nichtversicherungspflichtigen Personen betr. (S. 23): 
unterm 29. Dezember Belehrungen über ansteckende Krankheiten 
betr. (S. 313). 

Erlasse vom Jahre 1907: Unterm 30. Januar die Übertragung an¬ 
steckender Krankheiten durch die' Schulen betr. (S. 543); unterm 
16. März die Belehrung von Fachschülern über Geschlechtskrank¬ 
heiten betr. (S. 482); unterm 21.März Verzeichnisse der an übertrag¬ 
baren Krankheiten Erkrankten und Gestorbenen betr. (S. 557); 
unterm 27. März die Bekämpfung der Trunksucht betr. (S. 713); unterm 
28. März die Beschäftigung von Arbeiterinnen und jugendlichen 
Arbeitern in Werkstätten der Tabakindustrie betr. (S. 599); unterm 
30.März die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse betr. (S. 600); 
unterm 11. April die Bleierkrankungen der Feilenhauer betr. (S. 655); 
unterm 17. April die Erkrankungen in Chromgerbereien und Metall¬ 
schleifereien betr. (S. 657); unterm 23. April die Beschaffung brauch¬ 
baren, hygienisch einwandfreien Wassers betr. (S. 772); unterm 
23. Mai dieUntersuchungvon Nahrungsmitteln durch die Medizinal¬ 
untersuchungsämter betr. (S. 840); unterm 23. Juni die Tätigkeit der 
Gesundheitskommissionen betr. (S.908); unterm 27. Juni die Beförde¬ 
rung der Leichen von an Scharlach, Diphtherie und Gelbfieber 
verstorbenen Personen betr. (S. 908); unterm 9. und 30. Juli die Ver¬ 
hütung der Verbreitung ansteckender Krankheiten durch die 
Schulen betr. (S. 840 und 908); unterm 16. Juli die Durchführung der 
obligatorischen Leichenschau betr. (S. 1138); unterm 20. August 
Maßnahmen gegen Übertragung der Pocken auf Arbeiter inLager- 
räumen von Lumpen usw. betr. (S. 1275); unterm 22. August die Be¬ 
kämpfung der Cholera in den deutsch-russischen Grenzgebieten 
betr. (S. 1140, 1237); unterm 21. Oktober endlich die gesundheitliche 
Behandlung der Seeschiffe in den deutschen Häfen betr. (S. 1296). 

Verordnungen für einzelne preußische Landesteile: Für den 
Regierungsbezirk Königsberg erging unterm 4. Januar ein Erlaß über die 
Bekämpfung der Masern im Kreise Pillkallen (S. 119); für den 
Regierungsbezirk Danzig unterm 23. Oktober 1906 ein gleicher betr. die 
Herstellung und den Verkauf von künstlichen Mineralwässern 
usw. (S. 24). 


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Brandenburg, Hannover, Minden, Trier, Bayern, Sachsen, Württemberg. 5 

Die Provinz Brandenburg erhielt unterm 13. April eine Verfügung des 
Oberpräsidenten betr. das Haltekinderwesen (S. 581). 

Regierungsbezirk Schleswig: Eine Brunnenordnung erging unterm 

27. Dezember 1906 (S. 281). 

Regierungsbezirk Hannover: Ein Erlaß des Regierungspräsidenten vom 
24. August 1906 betraf Bleivergiftungen infolge des Genusses von 
Brunnenwasser (S. 75). 

Regierungsbezirk Minden: Verordnungen vom 4. April, 6. Mai und 
17. Juli bestimmten über die Herstellung künstlicher Mineralwässer, 
über die Verhütung des Rücktritts unreiner Flüssigkeiten in die 
Reinwasserleitung und über den Handel mit giftigen Farben 
(S. 1021). 

Für den Regierungsbezirk Trier erging unterm 4. März ein Erlaß über 
das Desinfektionswesen (S. 918). 

Bayern: Vom Jahre 1906 sind nachzutragen: Unterm 5. Oktober ein 
Ministerialerlaß betr. den Betrieb von Bäckereien und Konditoreien 
(S. 597); unterm 20. Oktober ein gleicher über die Einrichtung öffent¬ 
licher Wasserversorgungsanlagen (S. 683); unterm 22. Dezember eine 
Verordnung betr. Erhebungen über krüppelhafte Kinder (S. 199). 

Eine Verordnung der Staatseisenbahnverwaltung betraf die Bekämp¬ 
fung der Tuberkulose (S. 417, 422); unterm 13. März verfügte ein 
Ministerialerlaß über öffentliche Mittel und Stiftungsgelder für die 
Unterbringung bedürftiger Lungenkranker in Heilstätten (S.487); 
unterm 23. März erschien ein Wassergesetz (S. 601); eine Verordnung vom 

28. März bestimmte über Leichenschau und Zeit der Beerdigung 
(S. 526); eine gleiche vom 31.März betraf die Bekämpfung gemeingefähr¬ 
licher Krankheiten (S.631), eine solche vom 23. April die Beförderung 
von Leichen auf Eisenbahnen (Scharlach, Diphtherie und Gelb¬ 
fieber) (S. 712). 

Für den Regierungsbezirk Unterfranken erging unterm 16. April eine 
Verfügung betr. die mißbräuchliche Verwendung von Bier-, Milch-, 
Mineralwasserflaschen, Bierkrügen usw. (S. 967). 

Königreich Sachsen: Ein Ministerialerlaß unterm 25.Oktober 1906 
betraf die Einrichtung und den Betrieb von Bäckereien und Kon¬ 
ditoreien (S. 597),. ein gleicher vom 15. Dezember 1906 die Bekämpfung 
der menschlichen Tuberkulose (S. 119). 

Vom Jahre 1907 sind zu erwähnen: Ein Erlaß betr. gerichtliche 
Untersuchungen menschlicher Leichen (S.227); unterm 25.Januar 
eine Anleitung für die Einrichtung öffentlicher Wasserversor- 
gnngsanlagen (S. 683); unterm 1.Februar eine Verordnung über das 
Auftreten übertragbarer Krankheiten (S. 744); unterm 14. Februar eine 
Verfügung betr. die Untersuchung von Trinkbranntwein auf Vor¬ 
handensein von Denaturierungsmitteln (S. 713); unterm 8. März eine 
Bekanntmachung über Taubstummenanstalten (S. 744). 

Württemberg: Gerichtliche Untersuchungen menschlicher 
Leichen (S.227). Unterm 9.März erging eine Verordnung über die Ein- 


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6 


Gesetze und Verordnungen. 

richtung und den Betrieb der zur Anfertigung von Zigarren be¬ 
stimmten Anlagen (S.256), unterm 3.August eine gleiche betr. die 
Abwasserbeseitigung (S. 1021), unterm 7. August eine solche betr. die Be¬ 
förderung von Leichen (S. 1050); unterm 21.September endlich erschien 
ein Erlaß betr. die Beförderung von an Scharlach und Diphtherie 
Verstorbenen in einem einfachen Holzsarge (S. 1178). 

Baden: Beförderung von Leichen auf dem S eewege (S. 49); Ein¬ 
richtung und Betrieb von Bäckereien und Konditoreien (S.598). 
Beförderung von Leichen auf Eisenbahnen (S.712). 

Eine Landesherrl. Verordnung unterm 24.Februar betraf die Einrich¬ 
tung eines Landesgesundh ei tsrats(S. 451); eine Landesbauordnung 
erschien unterm 1. September (S. 1078). 

Hessen: Statistische Erhebungen über das Auftreten, die 
Bewegung und den Stand der Influenza wurden unterm 11. Januar 
verfügt (S. 182). Die Fürsorge für Wöchnerinnen und Säuglinge 
betrafen Ministerialerlasse unterm 21. und 29. Januar (S.315). 

Mecklenburg-Schwerin: GerichtlicheUnterBuchungen mensch¬ 
licher Leichen, S. 227. Weitere Ministerialerlasse betrafen: Schwefel¬ 
antimonhaltige Kautschukringe und -Scheiben als Gefäßver¬ 
schlüsse, unterm 8. Februar (S. 316); Gefahren und Verhütung des 
Genusses verdorbener Konserven, unterm 30. August (S. 1160); Ma߬ 
nahmen gegen Übertr agung der Pocken auf Arbeiter in Lager¬ 
räumen von Lumpen usw., unterm 12. September (S. 1275). 

Sachsen-Weimar: Gerichtliche Untersuchungen menschlicher 
Leichen, S. 227. Beförderung von Leichen auf dem Seewege, S. 49. 
Maßnahmen gegen Übertragung der Pocken usw., S. 1275. 

Oldenburg: Unterm 11.März erging eine Verordnung betr. die Ver¬ 
wendung von Bier-, Wein- oder Mineralwasserflaschen zum Auf¬ 
füllen von giftigen usw. Flüssigkeiten (S. 491), sowie unterm 6. Mai 
eine Warnung vor dem Genuß verdorbener Konserven (S. 609). 

Braunschweig: Gerichtliche Untersuchung menschlicher 
Leichen, S. 227. Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, S. 87, 
120 . 

Sachsen-Meiningen: Eine Verordnung vom 14.August betraf die 
Bekämpfung der Pocken (S. 971), eine solche vom 16. August den 
Verbrauch schadhafter und alter Konserven (S. 1161). 

Sachsen-Altenburg: Über die Einrichtung und den Betrieb 
von Bäckereien und Konditoreien bestimmte ein Erlaß vom 3.Dezember 
1906 (S. 598), sowie vom 14.September (S. 1161); über öffentliche WasBer- 
versorgungsanlagen bestimmte eine Verordnung vom 10. Juli (S. 1178). 

Anhalt erhielt unterm 21. Juli 1906 eine Anleitung für die Ein¬ 
richtung öffentlicher Wasserversorgungsanlagen (S. 684). Die 
Bekämpfung der Pocken behandelte ein Erlaß unterm 5. August (S. 1275). 

Schwarzburg-Sondershausen:Gerichtliche Untersuchung 
menschlicher Leichen, S. 227. Einrichtung und Betrieb von Bäcke- 


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Reuß j. L, Lippe, Bremen, Hamburg, Elsaß-Lothringen, Österreich-Ungarn. 7 

reien und Konditoreien, S. 598. Beförderung von Leichen auf dem 
Seewege, S.49. Anleitung für die Einrichtung öffentlicher Wasser¬ 
versorgungsanlagen, S. 684. Auf denselben Seiten finden sich auch 
für die übrigen Bundesstaaten die gleichen Erlasse. 

Reuß j. L. erhielt unterm 8. März ein Gesetz betr. den Schutz der 
Wasserleitungen (S. 527), sowie unterm 12. März ein gleiches betr. die 
Anlegung, Veränderung und Bebauung von Straßen und Plätzen 
(S. 560). Ein Ministerialerlaß vom 16. Mai behandelte die Unterkunfts¬ 
räume und Aborte, sowie Schutzvorschriften für Bauarbeiter (715). 

Lippe: Ein Regierungserlaß vom 14. März bestimmte über das Ver¬ 
fahren bei gerichtlichen Leichenuntersuchungen (S. 931). 

Bremen: Ein Senatsbeschluß vom 6.September betraf die Ausrüstung 
der Kauffahrteischiffe mit Hilfsmitteln zurKrankenpflege(S. 1119). 

Hamburg: Rat Schläge zur Verhütung der Tuberkulose erschienen 
im August 1906 (S. 527). Ein Gesetz betr. die Wohnungspflege erging 
unterm 8. Februar (S. 344), ein Senatsbeschluß vom 17. April betraf die 
Beförderung von Leichen auf Eisenbahnen (Scharlach, Diphtherie, 
Gelbfieber) (S. 712). 

Elsaß-Lothringen: Eine Verordnung unterm 27. Juni brachte Vor¬ 
schriften über das Verfahren der Arzte bei gerichtlichen Unter¬ 
suchungen menschlicher Leichen (S. 1179). 

Österreich-Ungarn: Ein Staatsvertrag unterm 26.September 1906 
zwischen dem Deutschen Reiche, Österreich - Ungarn usw. betraf den inter¬ 
national en Ar beiter schütz (Nachtarbeit der F rauen in der Industrie) 
(S. 59). 

Österreich: Ein Bleimerkblatt findet sich S. 218. Den Verkehr mit 
Wein, Weinmost und Weinmaische regelte ein Gesetz unterm 12.April 
(S. 1051). Ein Verbot der Einfuhr von Genußartikeln in gefärbtem 
Papier erging unterm 17.Mai (S. 844). Weiterhin sind noch anzuführen: 
Unterm 1. Juni ein Erlaß betr. die Verwendung transportabler Bier¬ 
druckapparate (S. 869); unterm 5. Juni ein gleicher betr. die Einsendung 
von Speiseresten an Lebensmittel-Untersuchungsanstalten (S.888); 
unterm 10. August eine Verfügung betr. die Verhütung der Einschleppung 
von Infektionskrankheiten in Strafanstalten usw. (948). 

Für Niederösterreich ergingen folgende Statthaltereierlasse: Unterm 
21.Juli 1906 betr. die Totenbeschauordnung für die Reichshaupt- 
stadt Wien (S.25) und eine Instruktion für die hiermit betrauten 
Amtsärzte (S. 26); unterm 16. April betr. Milchsammelstellen (Milch¬ 
häuser) (S. 910). 

Steiermark erhielt unterm 27. Januar eine Verordnung betr. die Ver¬ 
hütung der Verbreitung ansteckender Krankheiten (S.228); 

Böhmen unterm 12.Februar eine gleiche über die Verwendung von 
Farben usw. bei Erzeugung von Lebensmitteln usw. (S.797); 

Galizien unterm 5. Oktober 1906 ein Gesetz betr. die Organisierung 
des Sanitätsdienstes in den Gemeinden und auf Gutsgebieten 
(S. 229). 


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Gesetze und Verordnungen. 


Ungarn: Die Seebehörde zu Fiume verfügte unterm 14.November die 
Anzeigepflicht aller Krankheitsfälle an Bord der im Hafen liegen¬ 
den Schiffe (S. 1217). 

Italien: Ein Gesetz vom 16. Juni betraf den Anbau von Reis und 
dabei zu beobachtende sanitätspolizeiliche Vorschriften (S. 1119). 

Schweiz: Vom 22. Juni datiert ein Gesetz betr. die Abänderung des 
Alkoholgesetzes vom 29. Juni 1900 (S. 931, 1278). 

Kanton Basel Stadt: Das Halten von Schlaf- und Kostgängern 
und Pflegekindern betraf ein Erlaß unterm 25. August 1906 (S. 799). 
Ein Wohnungsgesetz erschien unterm 18. April (S. 971). 

Kanton Aargau: Über das Verfahren beim Auftreten von Genick¬ 
starre bestimmte eine Verordnung vom 28. Juli 1906 (S. 91). 

Frankreich: Ein Erlaß des Präsidenten vom 19. Juni 1906 betraf die 
Tätigkeit des Comite consultatif d’hygiöne publique de France 
(S. 56), ein Gesetz vom 22. Juni 1906 den Schutz der öffentlichen 
Gesundheit (S. 202), ein gleiches vom 13. Juli 1906 die Sonntagsruhe 
in Gewerbebetrieben (S. 130). Weiterhin sind bemerkenswert: Unterm 
10. Januar eine Verordnung betr. den Bau billiger Wohnungen (S. 783); 
unterm 18. Januar eine gleiche betr. die chemische Untersuchung des 
Weins (S. 659), unter gleichem Datum eine Verfügung betr. die chemische 
Untersuchung von Konfitüren, Sirup, Honig,LimonadeundZucker 
(S. 1080). Ein Gesetz vom 30. Januar behandelte den Verkehr mit Absinth, 
Bitter und ähnlichen Getränken (S. 529). Weitere Erlasse betrafen die 
Verhütung übertragbarer Krankheiten indenHäfenvon Frankreich 
und Algier (5. April, S. 783), Atmungsapparate zu Rettungszwecken 
im Bergwerksbetriebe (15. April, S. 821), Wässerung und mißbräuch¬ 
liche Zuckerung des Weins (Gesetz vom 29. Juni, S. 912), Verkehr mit 
Wein (Gesetz vom 15. Juli, S. 913), Unterdrückung des Betruges beim 
Butterhandel und Herstellung von Margarine (23. Juli, 29. August, 
S. 948, 1142). 

Großbritannien und Irland: Unterm 28. August erschien ein Gesetz 
über die Maßregeln bei der Einfuhr gesundheitsschädigender 
Nahrungsmittel (S. 1095). Für Großbritannien erging unterm 28. August 
ein Gesetz betr. das öffentliche Gesundheitswesen (Ergänzungen) 
(S. 1198), für England und Wales ein gleiches betr. Ergänzung zum Impf¬ 
gesetz (28. August, S. 1144). 

Belgien: Ein Gesetz vom 25. September 1906 verbot die Herstellung, 
Einfuhr, Beförderung, den Verkauf und das Feilhalten von Absinth 
(S. 76), eine Kgl. Verordnung vom 26. September 1906 traf Maßnahmen 
gegen die Einschleppung der Pest oder Cholera (S. 1218), eine gleiche 
vom 26. November 1906 und 20.Mai bestimmte über die gefährlichen 
usw. Betriebe (S. 131, 870). 

Niederlande: Vom lÖ.Oktober 1906 und 18. Oktober datieren Kgl. 
Verordnungen betr. Maßregeln zur Abwehr der asiatischen Cholera 
(S. 152, 1280). 


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Luxemburg, Dänemark, Serbien, Rumänien, Türkei, Algier, Japan ubw. 9 


Luxemburg erhielt unterm 3. August und 7. September ein Gesetz und 
eine Verordnung über das Verbot der Einfuhr von Phosphorzünd¬ 
waren und über den Schutz der Kinder in den ersten Lebensjahren 
(S.1101). 

Dänemark: Ein Gesetz vom 30. März 1906 betraf die Bekämpfung 
der öffentlichen Unsittlichkeit und venerischen Ansteckung (S. 156). 
Ein weiteres Gesetz vom 22. März behandelte die Vernichtung der 
Ratten (S. 870), ein gleiches vom 19. April die Zubereitung und den 
Verkauf von Margarine (S. 822, 931). 

Serbien: Der Finanzminister erließ unterm 28. April ein Verbot der 
Einfuhr von Gegenständen aus Metallegierungen mit mehr als 
lOProz. Bleigehalt (S.890). 

Rumänien: Die Verhütung ansteckender Krankheiten betraf ein 
Erlaß unterm 18. Juli 1906 (S. 202), die Verwendung von mit Blei 
gelöteten Konservenbüchsen ein gleicher unterm 28. Oktober 1906 
(S. 185). 

Türkei: Pilgervorschriften für 1907/08 ergingen unterm 21. Mai 
(S. 1280, 1296). 

Algier: Verordnungen des Präsidenten der französischen Republik 
unterm 5. April und 27. Mai betrafen die Verhütung übertragbarer 
Krankheiten in den Häfen (S. 783) und die Schutzpockenimpfung 
(S. 888). 

Japan: Unterm 24. Juni erging ein Gesetz über Hafenquarantäne 
(S. 1163, 1200). 

Somaliland: Eine Verfügung regelte die Einfuhr und den Verkauf 
von Giften (21. November 1906, S.913). 

Kapkolonie: Ein Gesetz unterm 31. August 1906 verbot den Zu¬ 
satz fremder Stoffe zu Wein und Spirituosen (S. 132). 

Transvaalkolonie: Unterm 18. August 1906 erfolgte eine Verordnung 
betr. die Einfuhr von Opium (S. 209). 

Kolonie Natal: Den gleichen Gegenstand behandelte eine Bekannt¬ 
machung vom 14. August 1906 (S. 57). 

Vereinigte Staaten von Amerika: Eine Zusammenstellung der 
NahrungsmittelgeBetzgebung findet sich S. 466. Grundlagen für di e 
Reinheit von Nahrungsmitteln wurden unterm 26. Juni 1906 bekannt 
gegeben (S. 209). Auf Seite 871 und 1119 finden sich Verfügungen über 
Nahrungsmittel, Genußmittel und medizinische Zubereitungen. 

Kanada: Unterm 26. Juni 1906 erschien ein Gesetz über den Aussatz 
(S. 57), unterm 29. November 1906 ein Verbot der Einfuhr von Oleo- 
margarin, Butterin usw. (S. 467). Quarantänevorschriften ergingen 
unterm 12. Juni (S. 949). 

Trinidad und Tobago: Eine Verordnung unterm 23. Juli 1906 betraf 
die Einfuhr von Nahrungsmitteln (S. 163). 


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10 


Gesetze und Verordnungen. Literatur. 


Argentinien; Unterm 11.Mai erging ein Verbot der Einfuhr von 
mit Borsäure behandelten Fleischwaren (S.915). 

Australischer Bund: Ein Gesetz vom 12. Oktober 1906 bestimmte über 
die Einfuhr von Spirituosen (S. 371), ein Erlaß vom 11. Dezember 1906 
über die Einfuhr von Saccharin und anderen künstlichen Süßstoffen 
(S. 563), eine Verordnung vom 27. März über die Einfuhr von denatu¬ 
riertem Branntwein (S. 845). 

Queensland: Die Errichtung und Beaufsichtigung von Schlacht¬ 
häusern regelte eine Verfügung vom 28. Juni 1906 (S. 636). 

Victoria: Den Verkehr mit Milch und Molkereierzeugnissen 
betraf ein Gesetz vom 12. Dezember 1905 (S. 784, 752, 754). 

West-Australien: Vom Zentralgesundheitsamt erfolgte eine Bekannt¬ 
machung betr. die Bekämpfung ansteckender Krankheiten, ins¬ 
besondere der Pest (23.November 1906, S.493). Quarantäne-Verord¬ 
nungen wurden unterm 6. Februar verfügt (S. 1239). Beez. 


Literatur 

über allgemeine und spezielle Hygiene, Lehrbücher der Hygiene 
und verwandter Gebiete. 

Statistik. 

Heinrich Schwiening, Beiträge zur Arbeiterstatistik. (Klin. 
Jahrbuch, Bd. XVIII, Heft 3. Jena 1907. Verlag von G. Fischer.) 

Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat (Berlin 
1908. Herausgegeben von dem Kgl. statistischen Landesamt, Selbstverlag. 
Preis 1 <#.) 

Bericht des Medizinalrats über die medizinische Statistik 
des Hamburgischen Staates für das Jahr 1907. Mit 5 Abbildungen 
im Text und 9 Tafeln nebst Anhang: Schulärztliche Untersuchungen in den 
Volksschulen. (Hamburg 1907. Verlag von L. Voss.) 

Statistische Mitteilungen aus der Bockenheimerschen chirur¬ 
gischen Klinik in Frankfurt a. M. XI. Jahrgang. (Gotha 1907. Druck 
von Fr. Andr. Perthes, Aktiengesellschaft.) 

Desinfektio n. 

Selter (Bonn). Weitere Untersuchungen über das Desinfektions- 
Verfahren mit Autan. (Klin. Jahrbuch, Bd. XIX, Heft 3. Jena 1908. 
Verlag von G. Fischer.) 

0. Blasius (Halle), Eston, Subeston, Formeston und deren bak¬ 
terizide Eigenschaften. (Sonderabdruck aus Hygienische Rundschau 
1908, Nr. 16.) 


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Literatur. 


11 


0. Solbrig (Allenstein), Anleitung über Wesen, Bedeutung und 
Ausführung der Desinfektion, zugleich Desinfektionsordnung für 
den Regierungsbezirk Allenstein. Im amtlichen Aufträge verfaßt. (Allen¬ 
stein 1907. Druck und Verlag von W. E. Harich.) 

Infektionskrankheiten. 

Gaffky, Bericht über die Tätigkeit des Instituts für Infek¬ 
tionskrankheiten in Berlin vom 1. Januar 1905 bis 31. März 1906. 
(Klin. Jahrbuch, Bd. XVIII, Heft 2. Jena 1907. Verlag von G. Fischer.) 

M. Kirchner (Berlin), Die Verbreitung übertragbarer Krank¬ 
heiten durch sogenannte Dauerausscheider und Bazillenträger* 
(Klin. Jahrbuch, Bd. XIX, Heft 4. Jena 1908. Verlag von G. Fischer.) 

Genickstarre. 

Hugo Bruns und Joseph Hohn, Über den Nachweis und das 
Vorkommen der Meningokokken im Rachenraum. (Klin. Jahrbuch, 
Bd. XVHI, Heft 3. Jena 1907. Verlag von G. Fischer.) 

M. Westenhoeffer, Die Feststellung der Rachenerkrankung 
bei der übertragbaren Genickstarre. (Klin. Jahrbuch, Bd. XVIH, 
Heft 3. Jena 1907. Verlag von G. Fischer.) 

v. Lingelsheim, Die Feststellung der Rachenerkrankung bei 
der übertragbaren Genickstarre. (Klin. Jahrbuch, Bd. XVIII, Heft 3, 
Jena 1907. Verlag von G. Fischer.) 

E. Levy, Erfahrungen mit Kolle-Wassermannschem Meningo¬ 
kokkenheilserum bei 23 Genickstarrekranken. (Klinisches Jahrbuch, 
Bd. XVHI, Heft 3. Jena 1907. Verlag von G. Fischer.) 

Herford (Altona), Bakteriologische und epidemiologische Be¬ 
obachtungen bei einer Genickstarreepidemie in Altona. (Klin. 
Jahrbuch, Bd. XIX, Heft 3. Jena 1908. Verlag von G. Fischer.) 

Wassermann und Leuchs (Berlin), Über die Serumtherapie bei 
Genickstarre. (Klin. Jahrbuch, Bd. XIX, Heft 3. Jena 1908. Verlag 
von G. Fischer.) 

Trautmann (Hamburg), Zur Keimträgerfrage bei Genickstarre. 
(Klin. Jahrbuch, Bd. XIX, Heft 3. Jena 1908. Verlag von G. Fischer.) 

W. v. Lingelsheim (Beuthen), Die Verbreitung der übertrag¬ 
baren Genickstarre durch sogenannte Dauerausscheider und 
Bazillenträger. (Klin. Jahrbuch, Bd. XIX, Heft 4. Jena 1908. Verlag 
von G. Fischer.) 

Cholera. 

R. Pfeiffer (Königsberg), Die Verbreitung der Cholera durch 
sogenannte Dauerausscheider und Bazillenträger. (Klin. Jahrbuch, 
Bd. XIX, Heft 4. Jena 1908. Verlag von G. Fischer.) 

Diphtherie. 

F. Löffler (Greifswald), Die Verbreitung der Diphtherie durch 
sogenannte Dauerausscheider und Bazillenträger. (Klin. Jahrbuch, 
Bd. XIX, Heft 4. Jena 1908. Verlag von G. Fischer.) 


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12 


Literatur. 


Pest. 

G. Gaffky (Berlin), Die Verbreitung der Pest durch sogenannte 
Dauerausscheider und Bazillenträger. (Klin. Jahrbuch, Bd. XIX, 
Heft 4. Jena 1908. Verlag von G. Fischer.) 

Ruhr. 

W. Kruse (Bonn), Die Verbreitung der Ruhr durch sogenannte 
Dauerausscheider und Bazillenträger. (Klin. Jahrbuch, Bd. XIX, 
Heft. 4. Jena 1908. Verlag von G. Fischer.) 

Tollwut. 

H. Töpfer, Bericht über die Tätigkeit der Wutschutzabteilung 
des Instituts für Infektionskrankheiten in Berlin in der Zeit vom 

1. Januar 1905 bis 31. März 1906. (Klin. Jahrbuch, Bd. XVIII, Heft 2. 
Jena 1907. Verlag von G. Fischer.) 

Ostermann, Bericht über die Tätigkeit der Wutschutz¬ 
abteilung am hygienischen Institut der Universität Breslau vom 
28. Juli 1906 bis 31. März 1907. (Klin. Jahrbuch, Bd. XVIII, Heft 2. Ver¬ 
lag von G. Fischer.) 

Tuberkulose. 

Martin Kircher, Die Bekämpfung der Tuberkulose und die 
Fürsorge für die Phthisiker. (Klin. Jahrbuch, Bd. XVIII, Heft 3. Jena 
1907. Verlag von G. Fischer.) 

Albin Burkhardt (Dresden), Über die Häufigkeit und Ursache 
menschlicher Tuberkulose auf Grund von etwa 1400 Sektionen. (Sonder¬ 
abdruck aus Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskrankheiten, Bd. I.TIT- Leipzig 
1906. Verlag von Veith u. Co.) 

Typhus und Paratyphus. 

Sachs-Müke, Über die Möglichkeit der Übertragung des 
Typhus durch Flaschenbier und Bierflaschen. (Klin. Jahrbuch, 
Bd. XVIII, Heft 3. Jena 1907. Verlag von G. Fischer.) 

Rieger, Wasserversorgung mit filtriertem Flußwasser und 
Darmtyphus. (Klin. Jahrbuch, Bd. XVIII, Heft 3. Jena 1907. Verlag 
von G. Fischer.) 

Hilgermann, Zum Ausbau der Gruber-Widalsohen Reaktion. 
(Klin. Jahrbuch, Bd. XVIH, Heft 3. Jena 1907. Verlag von G. Fischer.) 

Konrich (Jena), Eine Paratyphusepidemie in einem Kranken¬ 
hause. (Klin. Jahrbuch, Bd. XIX, Heft 3. Jena 1908. Verlag von G. Fischer.) 

P. Frosch, Die Verbreitung des Typhus durch sogenannte 
Dauerauescheider und Bazillenträger. (Klin. Jahrbuch, Bd. XIX, 
Heft 4. Jena 1908. Verlag von G. Fischer.) 

Pocken. 

Schultz-Schultzenstein (Oppeln), Über die Einschleppung der 
Pocken aus Rußland in den Regierungsbezirk Oppeln im Winter 


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Literatur. 


13 


1907/08. (Klio. Jahrbuch, Bd. XIX, Heft 4. Jena 1908. Verlag von 
6. Fischer.) 

Granulöse. 

0. Solbrig (Allenstein), Die Granulöse im Regierungsbezirk 
Allenstein, im besonderen vom Jahre 1899 bis 1908, mit 2 Karten 
und 9 Übersichten nebst 11 Kurven im Text. (Abdruck aus dem Klin. 
Jahrbuch, Bd. XX. Jena 1908. Verlag von G. Fischer.) 

Lepra. 

Paul Bergengrün, Zur Lepra tuberosa der oberen Luftwege. 
(Klin. Jahrbuch, Bd. XIX, Heft 2. Jena 1908. Verlag von G. Fischer.) 

Schulgesundheitspflege. 

Die Tätigkeit der Schulärzte in Wiesbaden 1906/1907. (Aus 
dem Verwaltungsbericht der Stadt Wiesbaden.) 

Georg Müller (Berlin), Skoliosen-Schulen. (Sonderabdruck aus 
Therapie der Gegenwart, Dezember 1907. Druck von JuL Sittenfeld, Berlin.) 

Verf. fordert für skoliotische Schulkinder die Einrichtung von Skoliose- 
Schulen (richtiger wohl Schulen für skoliotische Kinder), in denen in ganz 
kleinen Klassen neben dem ordnungsmäßigen Schulunterricht eine spezia- 
listische Behandlung des Leidens vorgenommen werden soll. Wir sind über¬ 
zeugt, daß in solchen Schulen, die als Internate gedacht sind, eine erfolg¬ 
reiche Behandlung skoliotischer Kinder vorgenommen werden kann; es ist 
aber zu befürchten, daß eine Verallgemeinerung dieser gewiß segensreichen 
Einrichtung an dem Kostenpunkt scheitern dürfte. 

Eugen Dornberger (München) und Karl Grassmann (München), 
Unsere Mittelschüler zu Hause. Schulhygienische Studie. (München 
1908. Preis 5 <At. Verlag von J. F. Lehmann.) 

Auf Grund zahlreicher Erhebungen über die hAushygienischen Verhält¬ 
nisse der Mittelschüler Münchens, die von der Schulkommission des ärzt¬ 
lichen Vereins vorgenommen wurden, haben die Verff. das vorliegende Werk 
bearbeitet, dessen erster Teil diese Verhältnisse für die Schüler von fünf huma¬ 
nistischen Gymnasien, der zweite Teil für diejenigen vom Realgymnasium, 
Kadettenkorps, Real-, Handels- und höheren Mädchenschulen bespricht. Der 
Zweck ist, den Anteil der häuslichen Einflüsse auf die Gesundheit der Schüler 
und Schülerinnen zu schildern in Gegenüberstellung zu denjenigen der ver¬ 
schiedenen genannten Schulbetriebe. Der Inhalt dieser außerordentlich 
interessanten Arbeit eignet sich nicht zur Besprechung im Rahmen eines 
Referats, das genaue Studium derselben muß aber allen, die sich für das 
Gebiet der Schulhygiene interessieren, auf das dringendste empfohlen werden. 

M. Bresgen (Wiesbaden), Nasenbluten und Schule. (Aus Gesund¬ 
heitswarte der Schule, herausgegeben von A. Baur. Leipzig. Verlag von 
Otto Nemnich, Stern'wartenstraße 46.) 

Nahrungs- und Genußmittel. 

Niederstadt (Hamburg), Über Untersuchungen von Nahrungs¬ 
und Genußmitteln. 


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14 


Literatur. 


Karl Schreiber, Die chemische Untersuchung vonTrinkwasser 
an der Entnahmestelle. (Sonderabdruck aus Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 
Heft 1. Berlin 1908. Verlag von H. Kornfeld.) 

W. Hanauer (Frankfurt a. M.), Zur Geschichte der Milchhygiene 
bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts. (Sonderabdruck aus Hygien. 
Rundschau 1908, Nr. 20.) 

Wernicke (Posen) und Weldert (Berlin), Untersuchungen über 
das von Wernicke angegebene Verfahren der gegenseitigen Ent¬ 
eisenung und Entbräunung von eisenhaltigen und durch Humin- 
stoffe braun gefärbten Grundw&ssern. (Sonderabdruck aus den Mit¬ 
teilungen der Kgl. Prüfungsanstalt für Wasserversorgung usw. 1907, Heft 8. 
Berlin. L. Schumacher.) 

Fürsorge für Kranke und Verunglückte, Rettungswesen. 

Georg Meyer (Berlin), Erste Hilfe und Verkehr-Rettungswesen. 
(Sonderabdruck aus der Zeitschr. f. Samariter und Rettungswesen, Heft 21 
und 22, 1907.) 

Derselbe, Die Ausgestaltung des Rettungswesens in Berlin. 
(Sonderabdruck aus Medizinische Reform. Gutenbergdruckerei und Verlag, 
Berlin W 35, Lützowstr. 105.) 

Derselbe, Rettungswesen. (Sonderabdruck aus Enzyklopädische 
Jahrbücher der gesamten Heilkunde. Neue Folge, Bd. VI. Berlin u. Wien. 
Verlag von Urban und Schwarzenberg.) 

Derselbe, Krankenbeförderung. (Sonderabdruck aus Enzyklo¬ 
pädische Jahrbücher der gesamten Heilkunde. Neue Folge, Bd. VI. Berlin 
und Wien. Verlag von Urban und Schwarzenberg.) 

Ohlandt (Hamburg), Entwickelung und Organisation des 
Rettungswesens in Hamburg. (Vortrag auf dem internationalen Kon¬ 
greß für Rettungswesen in Frankfurt a. M. 1908.) 

Festschrift der Rettungsgesellschaft Samariterverein in 
Leipzig. Zur Erinnerung an das 25jährige Bestehen herausgegeben vom 
Vorstande. Leipzig 1907. Druck von Friedr. Gröber.) 

VI. Bericht des deutschen Samariterbundes für die Zeit von 
1905 bis 1908. (Leipzig. Druck von Friedr. Gröber.) 

W. Hanauer (Frankfurt a. M.), Krankenversicherung und Säug- 
lingBfürsorge. (Aus: Volkstümliche Zeitschr. f.prakt. Arbeiterversicherung, 
XIV. Jahrgang, Nr. 15, 1908.) 


Impfwesen. 

Alfred Groth (München), Über Züchtung und Verwertung von 
Variolavaccine. Aus der Kgl. Bayer. Zentralimpfanstalt in München. 
Mit 4 Tafeln. (Abdruck aus dem Klin. Jahrbuch, Bd. XIX. Jena 1908. 
Verlag von G. Fischer.) 


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Literatur. 


15 


Gewerbehygiene. 

Leymann (Wiesbaden), Die Bekämpfung der Bleigefahr in der 
Industrie. Im Aufträge des internationalen Arbeitsamtes zu Basel. (Jena 
1908. Verlag von G. Fischer). 

E. Roth (Potsdam), Gewerbehygiene. (Sonderabdruck aus der Fest¬ 
schrift des preußischen Medizinalbeamtenvereins: Das preußische Medizinal- 
und Gesundheitswesen 1883 bis 1908.) 

Jahres- und sonstige Berichte. 

Übersicht über die Kranken Versorgung im städtischen 
Krankenhause in Höchst a. M. 1905/1906. 

36. und 37. Jahresbericht über die Idiotenanstalt in Scheuern 
bei Nassau a. d. Lahn. (Nassau 1907. Druck von Heinrich Müller.) 

Oebbecke (Breslau), 6. Jahresbericht über den schulärztlichen 
Überwachungsdienst in den Volksschulen zu Breslau für das Schuljahr 
1906/07, nebst Bericht des Hilfsschularztes Thiemich. (Breslau 1907. 
Druck von Grass, Barth u. Co. [W. Friedrich]). 

51. Jahresbericht der Augenheilanstalt für Arme in Wies¬ 
baden für 1906. (Druck von Rud. Bechtold u. Co.) 

Gaffky (Berlin), Bericht über die Tätigkeit des Instituts für 
Infektionskrankheiten in Berlin vom 1. April 1906 bis 31. März 1907. 
(Klin. Jahrbuch, Bd. XX, Heft 1. Jena 1908. Verlag von G. Fischer.) 

Lentz (Berlin), Bericht über die Tätigkeit der Wutschutz¬ 
abteilung am Institut für Infektionskrankheiten in Berlin vom 
1. April 1906 bis 31. März 1907. (Klin. Jahrbuch XX, Heft 1. Jena 1908. 
Verlag von G. Fischer.) 

Robert Hilgermann (Coblenz), Bericht über das erste Jahr der 
Tätigkeit des Medizinal-Untersuchungsamtes der königlichen 
Regierung zu Coblenz vom 1. April 1907 bis 31. März 1908. (Klin. 
Jahrbuch, Bd. XX, Heft 1. Jena 1908. Verlag von G. Fischer.) 

Krankenhausverein Biebrich. Bericht des Vorsitzenden für das 
Jahr 1907. 

Bericht über die XII. Konferenz für das Idioten- und Hilfs- 
8chulwesen vom 17. bis 20. September 1907 in Chemnitz. (Idstein 1908. 
Druck von G. Grandpierre.) 

22. Jahresbericht des Vereins Viktoriahaus für Krankenpflege. 
(Berlin 1907. Druck von L. Simion Nachf.) 

30. Jahresbericht der Kreuznacher Kinderheilanstalt Viktoria¬ 
stift, 1907. (Kreuznach 1908. Verlag von R. Voigtländers Nachf.) 

A. Reinsch, Bericht des chemischen Untersuchungsamtes der 
Stadt Altona für das Jahr 1907. (Druck von Gustav Timmermann, 
Altona-Ottensen.) 

Bericht über den XIV. internationalen Kongreß für Hygiene 
und Demographie. Berlin, 23.bis 29.September 1907. 4 Bände. (Berlin 
1908. Verlag von A. Hirschwald.) 


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16 


Literatur. 


XVIII. Jahresbericht des Vereine für die Idiotenanstalt in 
Idstein für das Jahr 1906. (Idstein 1907. Druck von G. Grandpierre.) 

XLII. Jahresbericht der Augenheilanstalt für Arme in Wies¬ 
baden, 1907. (Druck von Karl Ritter.) 

XXII. Jahresbericht des Vereins Viktoriahaus für Kranken¬ 
pflege, 1907. (Berlin. Druck von Leonhard Simion.) 

9. Jahresbericht der Volksheilstätte Loslan (Oberschlesien) über 
das Jahr 1907. (Loslan 1907. Druck von C. T. C. Rösch.) 

Jahresbericht über die Fortschritte in der Lehre von den 
pathogenenMikroorganismen, umfassend Bakterien, Pilze und Protozoen. 
Herausgegeben von v. Baumgarten (Tübingen) und Tan gl (Budapest). 
21. Jahrgang 1905. (Leipzig 1907. S. HirzeL) 

Das Gesundheitswesen des Preußischen Staates im Jahre 1905. 
Im Aufträge des Ministers der geistlichen usw. Angelegenheiten bearbeitet 
von der Medizinalabteilung des Ministeriums. (Berlin 1907. Verlag von 
R. Schötz, Wilhelmstraße 10.) 

Zeitschriften. 

Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, mit der Beilage: Der 
Schularzt. Herausgegeben von Fr. Erismann (Zürich) und Oebbecke 
(Breslau). Jahrgang 1907. (Hamburg. Verlag von L. Voss.) 

Das Schulzimmer. Herausgegeben von H. Th. Matth. Meyer. 
Jahrgang 1907. (Schulzimmerverlag, Charlottenburg, P. J. Müller.) 

Deutsche Vierteljahrs Schrift für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege, 1907. (Braunschweig. Friedr. Vieweg u. Sohn.) 

Gesundheit. (Zeitschrift für Städtehygiene und Gesundheitstechnik, 
1907. Leipzig. F. Leineweber.) 

The Philippines Journal of Science, Bd. III, 1908. Herausaegeben 
von Paul C. Freer und Richard P. Strong. Manila. Mitteilungen des 
Bureau of Science of the Government of the Philippines Islands. (Manila. 
Bureau of Printing.) 

Lepra. Bibliotheka internationalis. (Leipzig 1907. J. A. Barth.) 

Zeitschrift für Gewerbehygiene, Unfallverhütung und 
Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen mit Die Fabrikfeuerwehr. Her¬ 
ausgegeben von V. Steiner. (Wien 1907. G. Gistel u. Co.) 

Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin und öffentliches 
Sanitätswesen. Herausgegeben von Schmidtmann und Strassmann. 
(Berlin 1907. A. Hirschwald.) 

Ärztliche Sachverständigenzeitung. Herausgegeben von 
F. Leppmann. (Berlin 1907. R. Schötz.) 

Zeitschrift für Medizinalbeamte. Herausgegeben von 0. Rap¬ 
mund (Minden). (Berlin 1907. H. Kornfeld.) 

Zentralblatt für allgemeine Gesundheitspflege. (Bonn 1907. 
Martin Hager.) 


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Literatur. 


17 


Technisches Gemeindeblatt. Herausgegeben von H. Albrecht 
(Großlichterfelde). 1907. (Berlin. Karl Heymann.) 

Zeitschrift für Eisenbahnhygiene. Organ für das gesamte Eisen¬ 
bahnsanitätswesen, geleitet von A. Rekäss. 1907. (Leipzig. Verlag von 
Benno Konegen.) 

Verschiedenes. 

Deutsche Bücherei, Bd. 67 bis 71, enthaltend „Populäre Auf¬ 
sätze“ von E. v. Leyden und „Kreuz und Quer“ von Hans Leyden. 
(Berlin 1907. Verlag Deutsche Bücherei, G. m. b. H., Berlin SW 68, Koch¬ 
straße 73.) 

Viktor Steiner (Wien), Handbuch der praktischen Hygiene 
und Unfallverhütung in Industrie, Gewerbe und Bergbau, Bd. I. 
Wien 1908. (Im Selbstverläge des Verfassers. Wien II/'l, am Tabor 18.) 

Thiesing (Berlin), Die Sammelausstellung der Königlichen 
Versuchs- und Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und Ab¬ 
wasserbeseitigung auf der Hygiene-Ausstellung in Berlin 1907. 
(Sonderabdruck aus Hygien. Rundschau 1908, Nr. 16.) 

Sioli (Frankfurt a. M.), Geisteskrankheiten bei Angehörigen 
verschiedener Völker. (Sonderabdruck aus der Festschrift der 39. Ver¬ 
sammlung der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft. Frankfurt 1908.) 

E. Roth (Potsdam), Ländliche Hygiene, mit 2 Beilagen nach Vor¬ 
trägen des Verfassers in der Vereinigung für staatswissenschaftliche Fort¬ 
bildung zu Berlin. (Sonderabdruck aus dem Klin. Jahrbuch, Bd. XX. Jena 
1908. Verlag von G. Fischer.) 

Derselbe, Gewerbehygiene. (Sonderabdruck aus der Festschrift 
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins. Berlin 1908. H. Kornfeld.) 

Georg Meyer (Berlin), Die Ausstellung beim XIV. internatio¬ 
nalen Kongreß für Hygiene und Demographie. (Abdruck aus der 
Zeitschrift für ärztliche Fortbildung. V. Jahrgang. Jena 1908. Verlag 
von G. Fischer.) 

Claus-Schilling, Bericht über eine Studienreise nach West¬ 
afrika. (Klin. Jahrbuch, Bd. XIX, Heft l. Jena 1908. Verlag von 
G. Fischer.) 

Löffler und Uhlenhuth, A. Wassermann, Scholz und Marx, 
M. Neisser und H. Sachs, Untersuchungen über das Verfahren von 
M. Neisser und H. Sachs zur chemischen Unterscheidung von 
Menschen- und Tierblut. (Klin. Jahrbuch, Bd. XIX. Heft 1. Jena 1908. 
Verlag von G. Fischer.) 

Clausen, Untersuchungen über die Entstehung und Ent¬ 
wickelung des Trachoms. (Klin. Jahrbuch, Bd. XIX, Heft 1. Jena 1908. 
Verlag von G. Fischer.) 

Finger, Die Wasserversorgung in den Marschen des Regie¬ 
rungsbezirkes Stade. (Klin. Jahrbuch, Bd. XIX, Heft 1. Jena 1908. 
Verlag von G. Fischer.) 

Vierteljehrsschrift für Gesundheitspflege, 1908. Supplement. 2 


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18 


G es undheitsBtati stik. 


Paul am Ende, Die Gemeinde als Kurort. (Dresden 1908. Selbst¬ 
verlag des Verfassers.) 

R. Kafemann (Königsberg), Hygiene der Sprechstimme. (Danzig 

1907. Verlag von A. W. Kafemann.) 

Nietner (Berlin), Bericht über den XIV. internationalen Kon¬ 
greß für Hygiene und Demographie in Berlin 1907. Bd. I. (Berlin 

1908. Verlag von A. Hirschwald.) 

F. Schmidt (Bern), Prostitution. (Sonderabdruck aus dem Hand¬ 
wörterbuch der schweizerischen Volkswirtschaft, Spezialpolitik und Verwal¬ 
tung. Herausgeber N. Reichenberg (Bern 1907. Verlag Enzyklopädie.) 

W. Hanauer (Frankfurt a. M.), Geschichte der Sterblichkeit und 
der öffentlichen Gesundheitspflege in Frankfurt a. M. Fortsetzung. 
(Sonderabdruck aus Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheits¬ 
pflege, Bd. XL, Heft 4. Braunschweig. Verlag von Friedr. Vieweg u. Sohn.) 

Handbuch der Krankenanstalten in Preußen, 1906. Im Auf¬ 
träge des Ministers der geistlichen usw. Angelegenheiten herausgegeben von 
der Medizinalabteilung des Ministeriums. (Berlin 1907. Verlag von Jul. 
Springer.) 

Das preußische Medizinal- und Gesundheitswesen in den 
Jahren 1883 bis 1908. Festschrift zur Feier des 25 jährigen Bestehens 
des Preußischen Medizinalbeamtenvereins, herausgegeben von Rapmund 
(Minden). (Berlin 1908. Fischers med. Buchhandlung, H. Kornfeld.) 

Karl Schreiber (Berlin), Bericht über Versuche an einer Ver¬ 
suchsanlage der Jewell Export Filter-Compagnie. (Sonderabdruck 
aus Mitteilungen der Königlichen Prüfungsanstalt für Wasserversorgung usw. 
1906. Heft 6. Berlin. L. Schumacher.) Pf. 


Gesundheitsstatistik. 

Allgemeine Geburts- und Sterblichkeitsverhältnisse. 

Nach dem Vierteljahrsheft zur Statistik des Deutschen Reiches 1907, I 
wurden während des Jahres 1905 im Deutschen Reiche 2 048453 Kinder, d.h. 
34,00 Prom. der Bevölkerung geboren (gegen 2 089 347, d.h. 35,18 Prom. 
in 1904). Es ist demnach ein erheblicher Rückgang zu verzeichnen, der 
besonders gegen die Zahl des 10 jährigen Durchschnitts 1896—1905 (36,26> 
auffällt. Die Gesamtzahl der Gestorbenen, welche im vergangenen Jahre 
zurückgegangen war, ist wiederum von 1 226 683 oder 20,65 Prom. des Jahres 
1904 auf 1 255614 oder 20,84 Prom. gestiegen; hiermit bleibt sie noch 
immer unter dem 10jährigen Durchschnitt, welcher sich auf 21,68 Prom. be¬ 
rechnet. Die Zunahme der Sterblichkeit zeigt sich auch in den Orten von 
15 000 und mehl 1 Einwohnern, indem die Zahl der Todesfälle an Tuberkulose. 
Erkrankungen der Atmuugsorgane und Darmkrankheiten einschl. Brechdurch¬ 
fall gestiegen ist, während die Sterbefälle an Maseru und Röteln, Scharlach 
Diphtherie und Croup, sowie Unterleibstyphus etwas seltener geworden sind 
als im Vorjahre. 


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Allgemeine Geburts- und Sterblichkeitsverhältnisse. 


19 


Der Geburtenüberschuß hat wegen der geringen Geburtenhäufigkeit und 
der größeren Sterblichkeit abgenommen und betrug 792 839 gleich 13,16 Prom.; 
derselbe ist gering im Vergleich zum Durchschnitt des letzten Jahrzehnts, 
wo er 14,57 Prom. betrug, übersteigt aber die beiden vohergegangenen 
Dezennien, in welchen derselbe nur 12,56 bzw. 12,18 Prom. ausmachte. 

Die Totgeborenen betrugen im Berichtsjahre 61300 (gegen 63500 
in 1904) gleich 2,99 Prom. der überhaupt Geborenen. Die seit 1876 fast 
konstante Abnahme derselben hat sich demnach fortgesetzt und erreicht so 
den bisher niedrigsten Stand. Der Durchschnitt der letzten drei Dezennien 
berechnet sich auf 3,14, 3,45 und 3,87 Prom. der Geborenen. 

Die größten Zahlen der Totgeburten im Vergleich zur Gesamtgeburts¬ 
ziffer weisen Sachsen-Altenburg (3,9), Mecklenburg-Strelitz (3,55), König¬ 
reich Sachsen (3,4), Berlin (3,39), Schwarzburg-Rudolstadt (3,34), Koburg- 
Gotha (3,30), Brandenburg (3,28), Sachsen-Weimar (3,27) und Hamburg 
(3,25 Proz.) auf. 

Bei den unehelich Geborenen finden sich im Reiche mehr Totgeborene 
als bei den ehelichen, jedoch in sechs Landesteilen ist das Verhältnis ein 
umgekehrtes, wie die folgende Zusammenstellung ergibt: 


Preußen . 

Bayern. 

Sachsen . 

Württemberg . . . 

Baden. 

Hessen . 

Mecklenb.-Scbwerin 
Sachsen-Weimar . 
Mecklenb.-8trelitz. 
Oldenburg .... 
Braunschweig . . 
Sachsen-Meiningen 
Sachsen - Altenburg 
Sachsen-Koburg- 
Gotha. 


Auf 


Auf 

100 

ehelich 

100 

unehelich 


100 

ehelich 

100 

unehelich 

Geborene kommen 
Totgeborene 

Geborene kommen 
Totgeborene 

2,9 

4,3 

Anhalt. 

3,0 

2,9 

2,7 

3,3 

8chwarzburg - Son- 



3,3 

4,2 

dershausen . . 

2,3 

4,1 

2,8 

3,6 

Schwarzburg- 



2,6 

3,4 

Budolstadt . . . 

3,1 

5,7 

3,0 

3,7 

Waldeck. 

3,1 

3,7 

3,1 

3,9 

Beuß ä. L. 

3,1 

2,5 

3,1 

4,4 

Beuß j. L. 

3,0 

3,9 

3,6 

3,3 

8chaumburg-Lippe 

3,2 

2,3 

3,0 

3,4 

Lippe. 

2,9 

5,4 

3,0 

2,9 

Lübeck . 

3,2 

2,3 

2,8 

3,6 

Bremen. 

2,9 

4,5 

3,8 

4,8 

Hamburg .... 

2,9 

5,7 



Elsaß-Lothringen . 

2,6 

3,8 

3,2 

3,8 

Deutsches Beich . 

2,9 

4,0 


In Städten Preußens wurden von 1000 geborenen Kindern totgeboren 
29,9 (30,7 in 1904), auf dem Lande 30,1 (30,9). 

Die Zahl der Lebendgeborenen im Deutschen Reiche betrug 1 987 153 
oder 97 Prom. der überhaupt Geborenen und 32,8 Prom. der Einwohner; 
sie ist also im Verhältnis zur Einwohnerzahl gesunken (1904 34,1 Prom.). 

In Preußen 1 ) kommen 33,7 Lebendgeborene auf 1000 Einwohner; es ist 
also ein allmählicher Rückgang von Jahr zu Jahr festzustellen. Nach der 


2 * 


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) Das Gesundheitswesen in Preußen 1905. 





















20 


G esund heitsstatistik. 


Höhe der Lebendgeburtziffer ordnen sich die preußischen Provinzen folgender¬ 
maßen ein: Westfalen 40,1, Posen 39,4, Westpreußen 39,2, Schlesien 36,3, 
Rheinland 36,2, Ostpreußen 33, Hohenzollern 32,5, Pommern 32,5, Sachsen 
31,7, Schleswig-Holstein 30,3, Hannover und Hessen-Nassau 30,1, Branden¬ 
burg 28,5, Landespolizeibezirk Berlin 24,9. 

Die Ziffer der unehelich Geborenen im Reiche ist absolut um ein 
geringes gesunken, auf 174 494 von 175 720, relativ dagegen gestiegen auf 
8,52 von 8,41 Prom. der Geborenen überhaupt. Diese Verhältniszahl kommt 
dem letzten zehnjährigen Durchschnitt, welcher 8,77 Prom. beträgt, nahe, 
bleibt aber gegen die zwei weiteren Dezennien 1886/95 und 1876/85, in 
denen er 9,23 bzw. 9,03 betrug, wesentlich zurück. 

Von den 1905 geborenen 2 048453 Kindern waren 1055 396 Knaben 
und 993 053 Mädchen (4 Kinder waren unbestimmten Geschlechts), 
der Knabenüberschuß beziffert sich demnach auf 62 343, d. h. 106,3:100. 
Mehrlingsgeburten kamen im Reiche 26 177 vor, darunter 3 Vier¬ 
lingsgeburten. Auf 1000 Geburtsfälle kamen 12,9 Mehrlingsgeburten, dar¬ 
unter 12,8 Zwillings- und 0,1 Drillingsgeburten. Von den 52 601 Mehr¬ 
lingskindern waren 26 871 Knaben, 25 729 Mädchen und 1 Kind un¬ 
bestimmten Geschlechts. Eine Zunahme der Geburten ist fast nur in An¬ 
halt, Hamburg und Berlin zu verzeichnen. Die stärkste Abnahme zeigen 
das Königreich Sachsen, Schlesien, Bayern, Posen, Ostpreußen, die Provinz 
Sachsen, Pommern, Hannover, Westpreußen, Hessen-Nassau, Schleswig-Hol¬ 
stein und Hessen. 

Von den 1255 614 (einschl. 61300 Totgeborene) Gestorbenen waren 
654 362 männliche und 601248 weibliche Personen, 4 unbestimmten Ge¬ 
schlechts. In den preußischen Provinzen war die Ziffer am höchsten in 
Schlesien mit 25,8 Prom. der Einwohner, Westpreußen 24,3, Ostpreußen 
23,3, Posen 22,8, Hohenzollern 22,7, Pommern 22,5 und Sachsen 20,8 Prom., 
am niedrigsten in Schleswig-Hol stein mit 17,3, Hessen-Nassau 17,6, Han¬ 
nover und Berlin mit je 17,9 Prom. 

Für das Reich betrug die Sterbeziffer 20,8 (20,7*), für Preußen 20,7 
(20,8), in den Bundesstaaten überstieg sie 20,0 Prom. der Einwohner, in 
Sachsen-Altenburg 23,8, Bayern 23,7, Reuß j. L. 21,8, Württemberg 21,6, 
Mecklenburg-Strelitz 21,2, in Sachsen, Baden und Reuß ä.L. je 20,9, iu 
Elsaß-Lothringen 20,8 und in Sachsen-Weimar 20,2 ;die niedrigsten Zahlen 
weisen auf Schaumburg-Lippe 14,1, Hamburg 16,6, Waldeck 16,8, Lippe 
16,9, Bremen 17,5, Lübeck 17,6 und Oldenburg 17,8. 

Am höchsten bezüglich der Altersklassen ist wie immer, so auch im 
Berichtsjahre, das Säuglingsalter an den Sterbefällen beteiligt mit nicht 
weniger als 34,2 Proz. aller Gestorbenen; auf die Zahl der Lebendgeborenen 
berechnet starben 20,5 Proz. (19,6) der Säuglinge. Die Intensität der 
Sterblichkeit der einzelnen Altersstufen, berechnet auf 1000 Lebende, in 
Vergleich zum Vorjahre 2 ) ergibt folgende Tabelle: 

*) Die neben den Zahlen in Klammern gesetzten Ziffern geben, wenn nichts 
weiter angegeben ist, die Vergleichszahlen des Vorjahres an. 

*) Die im vorhergehenden Jahrgang angeführte Tabelle war auf 1000 Lebende 
jeder Altersklasse berechnet, nicht auf die Gesamtbevölkerung bezogen. 


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Allgemeine Geburta- und Sterblichkeitsverhältnisse. 


21 


Im Alter von 

Jahren 

Gestorben Promille 
der Bevölkerung 

Im Alter von 

Jahren 

Gestorben Promille 
der Bevölkerung 

1904 

1905 

1904 

1905 

0—1 

342,0 

341,6 

50—60 

76,8 

76,1 

1— 5 

100,6 

96,7 

60—70 

109,7 

111,6 

5—10 

24,2 

22,8 

70-80 

110,2 

112,5 

10—15 

13,7 

13,7 

80—90 

50,7 

52,4 

15—20 

18,5 

19,0 

90 u. mehr 

3,8 

4,0 

20—30 

46,0 

46,0 

Unbekannt. 



30—40 

48,3 

47,5 

Alters 

0,3 

0,3 

40—50 

55,2 

55,8 





Einen Vergleich der allgemeinen Bevölkerungsbewegung des Deutschen 
Reiches mit der des Auslandes erlaubt nachstehende Übersicht. In Deutsch¬ 
land ist der Geburtenüberschuß wegen der Verminderung der Geburten 
und der Zunahme der Sterbeziffer von 14,5 auf 13,2 gesunken. Immer¬ 
hin steht er noch an dritter Stelle, da nur die Niederlande ihn wesentlich 
überragen und Dänemark ihm fast gleichkommt. In letzterem Lande macht 
sich aber (von 15,0 auf 13,3) ebenso wie in Frankreich (von 1,5 auf 0,9) 
ein scharfer Rückgang gegen 1904 bemerkbar. Nennenswert gestiegen, von 
11,8 auf 12,2, ist der Geburtenüberschuß nur in Schottland. Den größten 
Geburtenüberschuß zeigt wie in früheren Jahren auch dieses Mal wieder 
Argentinien. 


Staat 

j Geborene 
! (ohne Totgeb.) 

■ Gestorbene 

Geburten- 
| Überschuß 

auf 1000 Einwohner 

1905 

Deutsches Reich .... 

33,0 

19,8 

13,2 

Österreich. 

34 

25,3 

8,7 

Ungarn. 

35,7 

27,8 

7,9 

Rußland. 

— 

— 

— 

Italien. 

32,5 

21,9 

10,6 

8clrweiz. 

27,4 

17,9 

9,5 

Frankreich . 

20,5 

19,6 

0,9 

Belgien. 

26,2 

16,5 

9,7 

Niederlande. 

30,8 

15,3 

15,5 

Dänemark. 

28,1 

14,8 

13,3 

Schweden. 

25,7 

15,6 

10,0 

Norwegen. 

27,2 

14,7 

12,5 

Spanien. 

35,4 

25,9 

9,5 

England und Wales . . 

27,2 

15,2 

12,0 

Schottland. 

28,1 

15,9 

12,2 

Irland. 

23,4 

17,1 

6,3 

Argentinien. 

34,0 

15,4 

18,6 

Chile. 

35,5 

33,1 

2,4 


Die Ziffer der Lebendgeborenen schwankte in den europäischen Gro߬ 
städten zwischen 17,0 in Bordeaux und 40,3 in Essen. Außerhalb Europas 
finden Bich höhere Zahlen in Alexandrien (40,7), Kairo (40.9) und Rosario 


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Gesundheitsstatistik. 


de Santa Fe (41,8), niedrigere u. a. in Chicago (12,9) und San Francisco 
(13,0). 

Mehr als ein Vierte) aller neugeborenen Kinder waren außerehelich: in 
Prag (43,3 Proz.), Wien (32,1), Stockholm (31,7), München (27,2), Bordeaux 
(27,1), Budapest (26,9), Paris (26,5) und Kopenhagen (25,2). Den geringsten 
Prozentsatz unehelicher Geburten weisen auf der Haag (3,7), Essen (3,7), 
Rotterdam (4,2) und Amsterdam (4,8). 

Die Bevölkerungsvorgänge in den einzelnen Bundesstaaten des Deutschen 
Reiches während, des Jahres 1905 sind in der nebenstehenden Tabelle an¬ 
gegeben, wobei zum Vergleich der zehnjährige Durchschnitt angefügt ist, 
und auch Legitimität der Geburt und das prozentuale Verhältnis der Tot¬ 
geborenen berücksichtigt wurde. 

Mit Ausschluß der Totgeborenen belief sich die Sterblichkeit in Preußen 
auf 19,8 Prom. (19,5) der Einwohner, und zwar 20,9 (20,5) männliche und 
18,6 (18,4) weibliche Personen. Die Zahl ist also gegen das Vorjahr ge¬ 
stiegen, beibt aber hinter 1903 (21,1) noch zurück. 

Geburten- und Sterbeziffer laufen in den einzelnen Provinzen nicht 
parallel; nach der letzteren, auf 1000 Einwohner berechnet und geordnet, 
ergibt sich folgende Reihenfolge, bei welcher die in Klammern stehende Zahl 
die Stelle bezeichnet, welche die Provinz in der Reihe der Geburtsziffern 
ein nimmt. 


1. 

Schlesien .... 

. . 24,75 

(4) 

9. Rheinland. 

18,35 (5) 

2. 

Westpreußen . . . 

. . 23,24 

(3) 

10. Westfalen. 

17,49 (1) 

3. 

Ostpreußen . . . 

. . 22,22 

(6) 

11. Berlin (Stadt) . . . 

17,12 (14) 

4. 

Hohenzollern . . 

. . 22,12 

(7) 

12. Hannover. 

17,08 (11) 

5. 

Posen. 

. . 21,80 

(2) 

13. Hessen-Nassau . . . 

16,80 (12) 

6. Pommern .... 

. . . 21,58 

(8) 

14. Schleswig-Holstein 

16,52 (10) 

7. 

Brandenburg . . 

. . . 20,16 (13) 

15. Berlin, Landespolizei- 


8. 

Sachsen . 

. . . 19,88 

(») 

bezirk. 

16,38 (11) 


Von den preußischen Regierungsbezirken Stehen am günstigsten Aurich, 
am schlechtesten Liegnitz, Danzig, Oppeln und Breslau. Vermehrt ist die 
Sterblichkeit in 24 Regierungsbezirken, und unter diesen um mehr als 1 Prom. 
in Lüneburg, Köslin, Frankfurt, Posen, Bromberg, Marienwerder, Stettin, 
Stralsund, Gumbinnen, Königsberg, Liegnitz und Danzig, vermindert um 
mehr als 1 Prom. hat sich die Sterbeziffer in Minden, Arnsberg und Münster. 

In Preußen ist die Sterblichkeit fast in allen Altersklassen gestiegen, 
besonders in denen bis zu 2 und über 60 Jahr; etwas günstiger als 1904 
stehen die Ziffern nur in 2 bis 10 und 30 bis 40 Jahr. 

In den Großstädten Preußens, deren Zahl durch Hinzutreten von Duis¬ 
burg und Wiesbaden auf L'8 angewachsen ist, betrug die Sterblichkeit 
18,03 Prom. der Lebenden, blieb also um 1,73 Prom. unter dem Staats¬ 
durchschnitt; nur in 7 Städten (Bochum, Halle, Stettin, Königsberg, Dauzig. 
Breslau und Posen) überschreitet sie den Staatsdurchschnitt. Wesentlich ge¬ 
bessert steht Kiel da, erheblich ungünstiger Halle a. S. Verringert gegen 
1904 hat sich die Sterblichkeit in 14 Großstädten. 

Die Säuglingssterblichkeit nimmt wie immer den ersten Platz ein, 
da nicht weniger als 34,2 Proz. aller Gestorbenen das erste Lebensjahr nicht 
vollendeten und 20,6 Proz. der Geborenen im Säuglingsalter starben. 


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Allgemeine Geburts- and SterbliohkeitsverhältniBae. 2 

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24 


üesundbeitastatistik. 


Von 100 ehelich Geborenen starben 19,4. von ebensoviel Unehelichen 
32,6, d. h. von den ersteren überlebten vier Fünftel ihr erstes Lebensjahr, 
von den letzteren dagegen stirbt fast ein volles Drittel. Die höchsten Todes¬ 
ziffern der unehelichen (ehelichen) Säuglinge im Verhältnis zu den unehelich 
(ehelich) Geborenen zeigen Westpreußen 44,0 Proz. (18 7), Posen 43,1 (21,3), 
Brandenburg 37,9 (22,1), Schlesien 37,3 (29,8), Ostpreußen 37,1 (21,6); 
die geringsten Schaumburg-Lippe 9,6 (9,0), Lippe 14,9 (11,6), Waldeck 
19,2 (8,2), Schwarzburg - Sondershausen 19,7 (16,4). Für Preußen beträgt 
diese Ziffer bei den unehelichen 34,4, bei den ehelichen 18,7, für Berlin 28,7 
bzw. 19,0, für Hamburg 29,5 (gegen 15,4 eheliche), für Bremen 35,7 bzw. 158. 

Das Verhalten der Säuglingssterblichkeit in den größeren Bundes¬ 
staaten während des letzten halben Dezenniums erweist die folgende Tabelle: 



Unter 1 

Jahr alt Gestorbene überhaupt treffen 

auf 100 

Sterbefälle (ohne Totgeborene) 

Lebendgeborene überhaupt 

1901 

1902 

1903 

1904 

1905 

1901 

1902 

1903 

1904 

1905 

Königreich Preußen . 

85,3 

31,8 

33,9 

33,3 

33,8 

20,0 

17,2 

19,4 

18,5 

19,8 

Provinz Ostpreußen . 

35,1 

29,3 

33,5 

29,2 

34,1 

23,1 

18,4 

22,7 

17,6 

23,0 

„ Westpreußen 

41,3 

38,4 

41,3 

38,5 

41,9 

24,0 

20,3 

22,7 

19,9 

24,8 

Stadt Berlin .... 

33,2 

29,0 

29,6 

29,3 

29,5 

22,4 

18,1 

19,8 

20,0 

20,6 

Prov. Brandenburg . 

38,0 

33,0 

35,1 

34,4 

34,8 

24,6 

19,3 

22,7 

22,1 

23,7 

„ Pommern . . . 

39,2 

33,4 

36,1 

34,5 

36,0 

23,5 

18,8 

22,2 

20,2 

23,9 

„ Posen . 

40,3 

37,3 

38,9 

37,8 

40,5 

21,5 

17,8 

20,7 

18,1 

22,4 

„ Schlesien . . . 

36,9 

35,2 

36,6 

35,4 

36,6 

23,2 

20,9 

23,6 

22,5 

24,9 

„ Sachsen . . . 

36,4 

33,7 

35,6 

35,7 

34,7 

21,3 

18,7 

21,4 

21,9 

21,7 

„ Schlesw.-Holst.. 

32,6 

27,2 

29,1 

30,3 

30,2 

17,6 

14,1 

15,5 

15,2 

16,5 

„ Hannover . . . 

27,9 

24,0 

26,3 

26,0 

24,8 

15,0 

12,3 

14,7 

14,0 

14,1 

* Westfalen . . . 

33,5 

30,6 

38,8 

33,8 

32,8 

15,6 

13,6 

15,0 

15,6 

14,3 

„ Hessen-Nassau . 

24,7 

22,8 

24,5 

24,6 

23,5 

13,1 

12,2 

13,9 

12,9 

13,1 

, Rheinland . . 

34,6 

31,8 

33,7 

34,5 

33,5 

17,3 

16,3 

17,3 

17,2 

16,9 

Künigr. Bayern . . . 

38,6 

37,9 

38,0 

37,9 

36,8 

23,9 

23,3 

25,0 

23,9 

24,1 

„ Sachsen . . 

44,9 

41,4 

42,3 

41,7 

41,7 

25,7 

22,4 

24,7 

24,4 

25,7 

„ Württemberg 

36,0 

35,2 

36,1 

36,1 

34,3 

22,1 

20.8 

22,2 

21,1 

21,4 

Baden . 

33,9 

33,6 

33,9 

34,2 

32,5 

20,5 

19,6 

20,7 

20,6 

19,7 

Hessen. 

27,8 

27,9 

28,2 

28,8 

27,3 

14,9 

15,3 

15,8 

15,7 

15,4 

Bremen. 

28,5 

26,2 

28,7 

29,6 

30,2 

16,3 

14,3 

16,0 

16,7 

17,3 

Hamburg. 

32,7 

25,2 

27,9 

27,9 

28,4 

19,8 

15,0 

17,7 

16,2 

17,2 

Elsaß-Lothringen . . 

27,1 

28,0 

28,1 

29,3 

27,4 

17,2 

17,9 

18,9 

19,6 

18,9 

Deutsches Reich. . . 

35,8 

33,0 

34,5 

34,2 

34,2 

20,7 

18,3 

20,4 

19,6 

20,5 


Der in den ersten Jahren dieser Übersicht bemerkbare starke Rückgang 
hat überall Halt gemacht, und es ist in den meisten Staaten oder Provinzen 
sogar eine teilweise recht erhebliche Steigerung eingetreten (Ost-, Westpreußen, 
Posen, Pommern und Schlesien); vermindert hat sich die Sterblichkeit nur 
in Sachsen, Westfalen und den Rheinlanden, sowie in Baden, Hessen und 
Elsaß-Lothringen. 

Von den Regierungsbezirken Preußens haben die höchste Säug¬ 
lingssterblichkeit Breslau, Stralsund, Liegnitz, Stettin, Danzig, Gumbinnen, 


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Allgemeine Geburts- und Sterblichkeitsverhältnisse. 


25 


Bromberg und Marienwerder; am günstigsten steht Aurich, es folgen Minden, 
Kassel, Osnabrück, Wiesbaden, Hildesheim, Arnsberg, Koblenz, Hannover, 
Trier und Lüneburg. Auch in diesem Jahre sind am ungünstigsten die 
ärmeren ländlichen Bezirke des Ostens, am besten dagegen die wohlhabenden 
westlichen Bezirke gestellt, soweit sie nicht rein industriell sind. 

ln den Großstädten Deutschlands schwankt die Säuglingssterblichkeit 
zwischen 13,4 in Kassel und 28,6 in Chemnitz. Hoch stehen im allgemeinen 
die östlichen Provinzen, Bayern, Sachsen und die Reichslande. Genaueres 
weist die folgende Tabelle auf. 


Städte 

|S 

c 

•8 • 

S .'S 

! s 

Ziffer d. Lebend¬ 
geborenen, Pro¬ 
mille d. Lebenden 

lOjähr. Durch¬ 
schnitt 

Ziffer der Tot¬ 
geborenen, Pro¬ 
mille d. Geborenen 

lOjähr. Durch¬ 
schnitt 

Sterbeziffer, Pro¬ 
mille d. Lebenden 

lOjähr. Durch¬ 
schnitt 

Säuglingssterb¬ 
lichkeit in Proz. 
d. Lebendgeb. 

i 

3 -> 

0 1 
t o 

H5 

Aachen .... 

143 184 

29,9 

33,9 

25,0 

25,5 

19,1 

20,7 

21,6 

23,4 

Altona .... 

167 734 

26,2 

31,4 

39,4 

35,1 

16,5 

18,0 

18,1 

19,3 

Barmen . . • . 

154 296 

30,4 

33,1 

26,1 

28,8 

15,0 

16,2 

14,3 

15,7 

Berlin .... 

2 016 040 

24,5 

26,6 

36,0 

35,1 

17,1 

17,7 

20,6 

21,4 

Breslau .... 

462 855 

31,0 

32,8 

34,2 

34,9 

23,6 

24,7 

25,2 

26,3 

Charlottenburg 

230 110 

21,6 

26,1 

26,7 

26,6 

12,8 

14,6 

15,2 

18,5 

Danzig .... 

158 658 

32,9 

34,2 

29,3 

32,3 

23,3 

23,6 

24,6 

25,9 

Dortmund . . . 

172 099 

40,8 

42,4 

17,6 

21,2 

18,3 

20,5 

18,1 

18,0 

Düsseldorf . . 

249 817 

34,7 

38,2 

26,1 

27,1 

16,8 

19,0 

19,1 

20,3 

Elberfeld . . . 

162 206 

30,6 

33,3 

34,0 

32,5 

15,8 

17,4 

16,1 

16,6 

Essen. 

228 516 

40,8 

41,0 

25,7 

29,9 

15,6 

20,2 

14,9 

16,8 

Frankfurt a. M. 

328 350 

27,8 

28,7 

32,3 

31,4 

16,1 

16,0 

17,; 

15,9 

Gelsenkirchen . 

145 422 

51,9 

52,9 

25,2 

26,9 

17,5 

25,2 

15,0 

17,8 

Halle. 

168 791 

30,1 

33,6 

31,8 

30,4 

20,7 

22,2 

22,2 

22,5 

Hannover . . . 

248 833 

23,9 

30,7 

38,2 

36,0 

15,8 

17,2 

16.4 

18,6 

Kassel .... 

119 245 

26,9 

28,0 

30,6 

34,9 

15,4 

16,6 

13,4 

15,5 

Kiel. 

160 197 

31,1 

33,4 

27,1 

33,3 

15,0 

16,5 

18,5 

18,6 

Köln. 

424 511 

35,8 

37,9 

27,7 

29,7 

19,4 

21,7 

21,5 

23,5 

Königsberg . . 

213 704 

29,3 

30,6 

29,0 

32,4 

23,0 

24,3 

24,7 

24,7 

Krefeld .... 

110 242 

24,8 

28,8 

30,7 

34,6 

14,0 

17,1 

13,7 

19,0 

Magdeburg . . 

237115 

26,0 

31,6 

32,9 

34,5 

18,2 

20,0 

24,4 

25,1 

Posen. 

135 397 

37,0 

34 0 

23,8 

30.0 

24,5 

23,7 

25,8 

24,0 

Stettin .... 

222 963 

32,2 

35,3 

28,3 

27,5 

22,3 

24,3 

25,7 

30,7 

München . . . 

535 806 

30,2 

34,6 

33,0 

33,5 

20,0 

22,7 

22,8 

26,7 

Nürnberg . . . 

291 653 

34,8 

37,6 

37,9 

40,7 

20,6 

21,7 

25,4 

25,0 

Chemnitz . . . 

241 069 

34,0 

38,7 

33,2 

33,0 

20,3 

24,1 

28,6 

32,4 

Dresden .... 

1 503 174 

28,6 

32,8 

37,2 

36,9 

18,0 

18,7 

20,9 

19,7 

Leipzig .... 

498 699 

29,4 

33,5 

36,0 

34,9 

17,4 

19,0 

22,7 

23,4 

Stuttgart . . . 

237 337 

27,3 

27,9 

28,7 

33,6 

17,7 

17,0 

20,4 

20,1 

Mannheim . . 

160 332 

31,8 

37,5 

34,7 

31,0 

16,2 

19,3 

21,7 

23,2 

Karlsruhe . . . 

106 840 

28,5 

29,1 

24,3 

24,7 

17,8 

17,9 

20,1 

21,0 

Braunschweig . 

135 740 

25,2 

31,4 

27,8 

28,1 

17,7 

18,9 

20,4 

19,9 

Straßburg i. E. . 

163 984 

28,3 

29,9 

20,4 

28,2 

20,0 

20,6 

21,3 

22,4 


Nach einer Zusammenstellung des statistischen Amtes zu Amsterdam 
schwankte die Ziffer der Säuglingssterblichkeit 1905 in den europäischen 


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26 


GeBundheitBstatiBtik. 


Großstädten zwischen 9,3 in Bordeaux und 33,6 in Lemberg. Hohe Säug¬ 
lingssterblichkeit haben Posen (29,2), Chemnitz (28,7), St.Petersburg (27,4), 
Moskau (26,7), Kairo (32,3) und Alexandrien (28,2). Durch niedrige Säug¬ 
lingssterblichkeit zeichnen sich aus Paris (10,6), Amsterdam (10,9), Genf 
(11,2), Stockholm (11,3), Lyon, Haag und Zürich (je 11,4), Buenos Aires 
(10,4). Wird die Säuglingssterblichkeit auf die Geborenen überhaupt, also 
mit Einschluß der Totgeborenen berechnet, was einen besseren Vergleich mit 
dem Auslande erlaubt wegen der Verschiedenartigkeit der als totgeboren ge¬ 
meldeten Kinder in den verschiedenen Ländern (vgl. diesen Jahresber. 1905, 
S. 32 f.), so ergibt sich z. B. für Lemberg 40,0, für Posen 31,1, für Rouen 
31,0, für St. Petersburg 30,4, für Stockholm 12,9, für Amsterdam und Zürich 
14,7, für den Haag 14,6, Lyon 15,9 usw. 

Bei der Verschiedenartigkeit der Eintragungen Totgeborener in Deutsch¬ 
land und Frankreich steht die Zahl derselben zweifellos in engem Zusammen¬ 
hänge mit der Säuglingssterblichkeit. Sehr bemerkenswert ist daher die in 
der Annuaire statistique de la ville de Paris auf zehnjährigen Durchschnitt 
(1886/95) gebrachte Zusammenstellung für Berlin und Paris der auf je 1000 
eheliche und außereheliche Geburten entfallenden Totgeburten: 



Bei ehelichen 
Geburten 

Bei außerehelichen 
Geburten 

Überhaupt 

In Berlin . 

29,9 

49,0 

32,4 

In Paris . . 

70,3 

88,7 

75,2 


Das Verhältnis der Säuglingssterblichkeit in Stadt und Land bezüglich 
der preußischen Provinzen mit dem Jahre 1904 verglichen ergibt nach¬ 
stehende Tabelle: 


Landesteil 

Auf 1000 Lebendgeborene starben im 

1. Lebensjahre 

1904 

1905 

Überhaupt 

In Stadt¬ 
gemeinden 

In Land¬ 
gemeinden 

Überhaupt 

In Stadt- 
gemeinden 

In Land¬ 
gemeinden 

Ostpreußen.... 

176,16 

183,27 

173,93 

229,72 

235,66 

227,67 

■Westpreußen . . . 

198,94 

214,50 

192,95 

248,19 

255,42 

247,35 

Landespolizeibez. 







Berlin. 

197,23 

197,29 

— 

201,33 

201,33 

— 

Brandenburg . . . 

226,19 

235,89 

221,07 

245,19 

255,30 

239,88 

Pommern .... 

201,77 

226,61 

185,47 

239,12 

254,66 

228,67 

Posen. 

130,81 

204,07 

171,85 

224,18 

238,70 

218,08 

Schlesien. 

204,56 

227,34 

223,44 

249.44 

246,20 

250,78 

Sachsen . 

218,71 

227,50 

211,66 

217,33 

223,24 

212,58 

Schleswig-Holstein 

152,-tH 

171,94 

137,21 

165,15 

180,24 

153.26 

Hannover .... 

139,55 

157,97 

129,35 

140,54 

152,48 

134.04 

Westfalen .... 

155,71 

164,19 

149,71 

143,05 

151,62 

136,92 

Hessen-Nassau . . 

129,18 

145,24 

117,82 

131,28 

145,72 

120,72 

Rheinland . . . . 

172,36 

177,97 

167,05 

169,49 

172,93 

166,19 

Hohenzollern . . . 

230,77 

186,87 

235,29 

220,11 

152,47 

227,71 

Im ganzen .... 

184,92 

192,94 

179,44 

198,11 

199,15 

197,39 


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Allgemeine Geburts- und Sterblichkeitsverhältnisse. 


27 


An erster Stelle von den tödlichen Krankheiten der Säuglinge stehen 
die Verdauungskrankheiten, welche trotz aller Fürsorge ebenso wie die 
Lungenentzündung und die sonstigen Krankheiten der Atmungsorgane 
als Todesursache zugenommen haben, während Masern, Scharlach, Diphthe¬ 
rie und Wundinfektionskrankheiten etwas weniger häufig aufgetreten sind 
als 1904. Auf 10 000 Kinder im ersten Lebensjahre starben 1905 an 
Krankheiten der Verdauungsorgane 702,1 (619,5) Knaben und 586,6 

(521.1) Mädchen, an Lungenentzündung 140,1 (132,8) Knaben und 113,9 
(108,5) Mädchen, an sonstigen Erkrankungen der Atmungsorgane 94,0 
(81) Knaben und 74,3 (66,9) Mädchen, an Keuchhusten 80,9 (72,2) 
bzw. 82,4 (76,3), Gehirnkrankheiten 60,2 (63,4) bzw. 47,8 (48,2), Tuber¬ 
kulose 33,8 (34,2) bzw. 28,9 (29,3), Krankheiten des Kreislaufes 31,8 

(34.1) bzw. 25,9 (28,2), Masern und Röteln 20,4 (25,6) bzw. 19,3 (22,7), 
Diphtherie und Croup 19,6 (23,3) bzw. 16,1 (19,1), Scharlach 7,4 (10,2) 
bzw. 6,9 (8,4). 

Die Säuglingssterblichkeit in Deutschland ist groß im Vergleich zu der¬ 
jenigen des Auslandes, wobei wieder die Zahlen z.B. für Belgien, Holland 
und Frankreich niedriger erscheinen, weil als totgeboren alle die Kinder ge¬ 
rechnet werden, welche innerhalb der Meldefrist (meist drei Tage) gestorben 
sind, während in Deutschland jedes Kind, welches überhaupt geatmet hat, 
als lebend registriert wird. Höher als Deutschland steht nur Österreich- 
Ungarn. Für Rußland fehlen Angaben seit 1901 (27,2 Proz.), für Rumänien 
seit 1899 (21,3). Im übrigen ergibt eine Zusammenstellung für die letzten 
drei Jahre: 


Land 

Jahr 

U 

o -5 
a «J 

(V 

X3 

O 

u 

8 2 

O c 

3 

. £> 

—3 Ol 
^ b£ 

N 'S 
o 9, 

— o> 

-J 

Land 

Jahr 

Gestorbene 
unter 1 Jahr 

Proz. d. 
Lebendgeb. 

| 

1903 

404 529 

20,4 

| 

1903 

113311 

13,7 

Deutsches Reicht 

1904 

397 781 

19,6 

Frankreich • • < 

1904 

117 997 

14,4 

1 

1905 

407 999 

20,5 

1 

1905 

109 633 

13,6 

Österreich . . 

1903 

202 633 

21,5 

( 

1903 

1 168 

16,0 

( 

1903 

153 999 

21,2 

Luxemburg • • { 

1904 

1 339 

17,8 

Ungarn . . . . < 

1904 

144 216 

19,5 

1 

1905 

1 207 

16,2 

1 

1905 

165 631 

23,0 

| 

1903 

29 782 

15,5 

1 

1903 

10 840 

12,7 

Belgien •••••' 

1904 

29 085 

15,2 

Finnland . . . < 

1904 

10 810 

12,0 

1 

1905 

27 410 

14.6 

1 

1905 

11 826 

13,5 

| 

1903 

22 985 

13.5 

( 

1903 

15 909 

15,1 

Niederlande • 

1904 

23 474 

13,7 

ßerbien . . . . < 

1904 

14 386 

13,5 

1 

1905 

22 357 

13,1 

1 

1905 

16 312 

16,3 


1903 

8 388 

11,6 

| 

1903 

179 109 

17,2 

Dänemark • • < 

1904 

8 219 

11,2 

Italien . . . . < 

1904 

174 810 

16,1 

1 

1905 

8 848 

12,1 

| ( 

1905 

180 204 

16,6 

_ . i 

1903 

12431 

9,3 









( 

1903 

12 506 

13,3 


1904 

11 381 

8,4 

Schweiz. . . . < 

1904 

13 291 

14,0 

Norwegen • • • < 

1 

1903 

5 146 

7,9 

1 

1905 

12 195 

12,9 

1904 

4 831 

7,6 


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28 


G esundheitsstatisti k. 


Land 

Jahr 

Ij 

Gestorbene 

unter 1 Jahr 

•6 

ä> 

. T3 

M S 

2 Jo 

a. ^ 

Land 


Gestorbene 

unter 1 Jahr 

Proz. d. 

Lebendgeb. 


'' 1903 

124 718 

13,2 

| 

1903 

3146 | 10,6 

England und 

• 1904 

137 490 

14,6 

Viktoria • • •] 

1904 

2319 7,8 


1905 

123 934 

13,3 

1 

1905 

2508 ! 8,3 


t 1903 

15 693 

11,8 

| 

1903 

3969 1 11,0 

Schottland • • < 

1904 

16 S29 

12,3 

Neu Südwales • [ 

1904 

3187 8,2 


| 1905 

15 275 

11,6 

1 

1905 

3162 8,1 


, 1903 

9 772 

9,6 

| 

1903 

1513 12,0 

Irland .... 

1904 

10 381 

10,0 

Queensland • • J 

1904 

1072 | 7,6 


1905 

9 792 

9,5 

1 

1905 

1029 7,6 


1903 

10 269 

14,0 

1 

1903 

820 97 

Massachusetts • 

1904 

9 992 

13,3 

Südaustralien • { 

1904 

637 7,0 


1905 

10 519 

14,0 

1 

1905 

643 7,3 

Mexiko • • • • 

'1 1903 

144 769 

30,8 

| 

1903 

946 14,1 

,, 

1903 

3 557 

10,9 

Westaustralien • ! 

1904 

811 | 11,3 


1904 

2 398 

8,9 

1 

1905 

790 10,4 


1903 

15 384 

10,1 


1903 

563 11,1 

Algerien • • • 

1904 

18 812 

12,7 

Tasmanien • • j 

1904 

480 ' 9,1 


19C5 

16 o46 

12,0 

| 

1903 

1770 8,1 

. 

1903 

226 982 

15,2 

Neuseeland • • ! 

1904 

1616 7,1 


1, 1904 

218 756 

15,2 

1 

1905 

1599 6,8 


In 70 größeren Städten Österreichs mit zusammen 4 666 711 Ein¬ 
wohnern betrug die Zahl der Lebendgeborenen 121 979 = 26,1 Prom., die 
Zahl der Totgeborenen 5311. Sterbefälle ereigneten sich 104 935 (25 641 
Säuglinge) = 22,5 Prom. der Einwohner. 

In 18 größeren Städten der Schweiz mit 826 879 Einwohnern betrug 
die Zahl der Lebendgeborenen 19 639, die der Totgeborenen 703, die der 
Sterbefälle 12 274 (2494 Säuglinge) = 14,8 Prom. der Einwohner. 

In 71 Städten Frankreichs mit 8069001 Einwohnern betrug die 
Zahl der Lebendgeborenen 162 097, die der Totgeborenen 11994, die der 
Sterbefälle 16 423 (22106 Säuglinge) = 20,1 auf 1000 Einwohner. 

In 76 Städten Englands mit 15 609 377 Einwohnern betrug die Zahl 
der Lebendgeborenen 438 360; es starben 244 840 Personen (61279 Säug¬ 
linge) = 15,7 Prom. der Einwohner. 

Im zehnjährigen Durchschnitt betrug die Säuglingssterblichkeit 15,3 
in städtischen und 12,6 Proz. der Lebendgeborenen in ländlichen Bezirken. 

In 77 Städten Belgiens und 8 Vororten von Brüssel mit 2 644 573 
Einwohnern wurden 63 080 lebend und 2981 tot geboren; es starben 42 115 
Personen (10021 Säuglinge) = 15,9 Prom. der Bevölkerung. 

In den Niederlanden mit 5 509 659 Einwohnern wurden 170 700 
lebend und 7200 tot geboren; es starben 85 262 Personen (22 409 Säug¬ 
linge) = 15,4 auf 1000 Einwohner. 

In 32 Städten Rumäniens mit 978 896 Einwohnern betrug die Zahl 
der Lebendgeborenen 28 440, die der Totgeborenen 1376, die der Gestorbenen 
26 248 (6781 Säuglinge) = 26,8 auf 1000 Einwohner. 


Digitized by L^OOQle 









Sterblichkeit an Infektionskrankheiten. 


29 


In 49 Städten Spaniens mit 3 202 622 Einwohnern betrug die Zahl 
der Lebendgeborenen 95 201, die der Totgeborenen 5682, die der Sterbefälle 
89 622 = 28,0 Prom. der Einwohner. 

In Kuba mit 1656 776 Einwohnern betrug die Zahl der Lebend¬ 
geborenen 64 760, der Totgeborenen 2188, die der Gestorbenen 27 089 
(7969 Säuglinge) = 16,4 auf 1000 Einwohner. 


Sterblichkeit an Infektionskrankheiten. 
1. Masern. 


Die Sterblichkeit betrug 1905 in den Städten auf 1000 Einwohner 


Österreichs.0,25 

der Schweiz.0,23 

Frankreichs.0,13 


(Paris 0,16) 


Englands.0,39 

Belgiens.0,22 

Spaniens.0,60 

Rumäniens.0,03 


Im Staate 


Niederlande.0,21 

Kuba.0,11 

Rußland.1,36 


In den Städten Deutschlands betrug die Masernsterblichkeit 1,7 Prom. 
der Einwohner (3414 Fälle), Bayerns 2,9, Sachsens 1,1, Württembergs 1,3, 
Badens 2,2, Hessens 3,6. Im Königreich Preußen ist die Sterblichkeit 1,7, 
also gleich derjenigen der deutschen Städte. Berlin steht wie auch im ver¬ 
gangenen Jahre mit 2,07 (2,04) über dem Durchschnitt. In den einzelnen 
Regierungsbezirken ist die Beteiligung eine sehr wechselnde, indem die¬ 
jenigen, welche in einem Jahre stark mit Masern durchseucht waren, in 
anderen Jahren besonders niedrig stehen und umgekehrt 

Der Verlauf war im allgemeinen gutartig; nur in der Stadt Celle ver¬ 
liefen sie durch Komplikation mit Lungenentzündung und croupartigen 
Kehlkopfentzündungen ausgesprochen bösartig. 

Zahlreiche wiederholte Erkrankungen auch bei Erwachsenen wurden im 
Regierungsbezirk Stettin und Merseburg festgestellt. 


2. Scharlach. 


Die Sterblichkeit betrug auf 1000 Lebende in den Städten 


Österreichs.0,13 

der Schweiz.0,10 

Frankreichs.0,02 

(Paris 0,02) 


Englands . 
Belgiens. . 
Spaniens. . 
Rumäniens 


Im Staate 


Niederlande.0,03 

Rußland.1,83 

Kuba.0,04 


0,13 

0,04 

0,04 

0,21 


In den Städten Deutschlands starben 2803 Personen an Scharlach. Es 
betrug die Sterblichkeit auf 1000 Einwohner berechnet 1,4, in denen Bayerns 
1,0, Sachsens 0,9, Württembergs 1,3, Badens 0,9, Hessens 1,2, Elsaß-Loth¬ 
ringens 0,9. Im Königreich Preußen ist die Sterblichkeit 2,03, also gegen 
die beiden Vorjahre (2,83 bzw. 3,49 Prom.) erheblich zurückgegangen und 


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Digiti. 
























30 


Gesundheitsstatistik. 


so niedrig, wie Beit 1898 nicht beobachtet wurde; in 15 Regierungsbezirken 
steht eie über dem Staatsdurchschnitt und beträgt in dem Stadtkreise Berlin 
2,13. Die größte Sterblichkeit findet sich im Regierungsbezirk Allenstein 
(6.86), dem Danzig (6,27) und Posen (5,73) folgen. Am niedrigsten stehen 
Schleswig (0,36), Breslau (0,49), Stade und Liegnitz (je 0,55). Eine Zunahme 
der Morbidität wurde aus den Bezirken Gumbinnen, Münster und Sünden 
berichtet, während in den übrigen Bezirken ein Zurückgehen der Erkran¬ 
kungen beobachtet wurde. Ausgedehnte Epidemien herrschten im Regierungs¬ 
bezirk Allenstein mit 17,2 Proz. Todesfälle, im Regierungsbezirk Frankfurt 
und Köslin und in der Stadt Essen, wo 1 / 6 sämtlicher im Regierungsbezirk 
Düsseldorf gemeldeter Fälle beobachtet wurde. 

Der Verlauf war im allgemeinen leicht; besonders schwere Epidemien 
kamen jedoch in Posen, im Regierungsbezirk Slagdeburg, Breslau und Kassel 
vor, mit einer Sterblichkeit bis zu 35 Proz. 


3. Diphtherie und Croup. 

Die Sterblichkeit Promille der Einwohner betrug 1905 in den Städten 


Deutschlands.0,22 

(Berlin 0,15) 

Österreichs.0,21 

der Schweiz.0,18 

Frankreichs.0,08 

(Paris 0,08) 


Englands.0,16 

Belgiens.0,11 

Spaniens.0,15 

Rumäniens.0,15 


Im Staate 


Niederlande.0,12 

Rußland.0,71 

Kuba.0,08 


In Preußen starben 1205 Personen = 0,33 Prom. der Lebenden, also 
weniger, als je beobachtet wurde, in Bayern 0,22, im Königreich Sachsen 0,19, 
in Württemberg 0,35, in Baden 0,19, in Hessen 0,19, in Elsaß-Lothringen 
0,29. 12 der preußischen Regierungsbezirke stehen über dem Durchschnitt, 
25 darunter. Am schlechtesten steht Gumbinnen (1,51), Allensteiu (1,35) 
und Marienwerder (0,9), am günstigsten Schleswig (0,12) und Wiesbaden 
(0,13). In einer Reihe von Städten wurde eine hohe Sterblichkeit der Er¬ 
krankten beobachtet, so in Berlin 15,2 Proz., Essen und Münster. Dieser 
Umstand soll in direkter Parallele stehen mit dem Verbrauch des Diphtherie¬ 
serums. 

An den Todesfällen ist wie auch früher das männliche Geschlecht stärker 
beteiligt als das weibliche und am meisten das zweite Lebensjahr betroffen. 
93,5 Proz. aller Gestorbenen waren weniger als zehn Jahr alt. 

Mehrfach wurde ebenso wie beim Scharlach der Ausbruch einer Epidemie 
durch Leichenbegleitung verursacht. 


4. Unterleibstyphus. 


Die Todesfälle betrugen in Städten 


Österreichs.0,10 j 

der Schweiz.0,05 i 

Frankreichs.0,16 I 


(Paris 0,09) 


Belgiens.0,11 

Spaniens.0,35 

Rumäniens.0,39 


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3y Google 



















Sterblichkeit an Infektionskrankheiten. 


31 


In deutschen Städten starben 1305 Personen = 0,06 Prom. der Leben¬ 
den an Typhus, in Preußen 0,07, in Bayern 0,063, in Sachsen 0,069, in 
Württemberg 0.07, in Baden 0,11, in Hessen 0,11, in Elsaß-Lothringen 0,19. 


Die Sterbeziffer ist wieder etwas gesunken. 


1000 Lebende: 


1887 . 

. 0,26 

1888 . 

. 0,23 

1889 . 

. 0,24 

1890 . 

. 0,20 

1891. 

. 0,20 

1892 . 

. 0,20 

1893 . 

. 0,17 


1894 . . . 

. . . 0,15 

1895 . . . 

. . . 0,15 

1896 . . 

. . . 0,14 

1897 . . . 

. . . 0,13 

1898 . . . 

. . .0,11 

1899 . . . 

. . . 0,13 

1900 . . . 

. . . 0,14 


Sie betrug in Preußen auf 


1901 

1902 

1903 

1904 

1905 


0,13 

0,08 

0,08 

0,08 

0,07 


Auf 100 Todesfälle kamen auf Typhus 0,38, und zwar 0,36 männliche 
und 0,39 weibliche Personen. 

. Am meisten betroffen ist die Altersklasse von 30 bis 40 und von 15 
bis 20 Jahr. 

Der preußische Staatsdurchschnitt wird in 15 Regierungsbezirken über¬ 
troffen, in den übrigen 22 bleibt er dahinter zurück. An erster Stelle stehen 
Allenstein (1,5), Posen (1,4), Marienwerder (1,3), Bromberg (1,2) und Danzig, 
die geringsten Zahlen weisen auf Köln und Schleswig (je 0,4). 


5. Keuchhusten. 


Die Sterblichkeit auf 1000 Lebende berechnet ergibt in Städten 


Österreichs . . 
der Schweiz . . 
Frankreichs . . 
(Paris 0,11) 


0,12 

0,15 

0,08 


Englands 
Belgiens . 
Spaniens. 
Rumäniens 


Im Staate 


Niederlande.0,25 

Rußland.0,91 

Kuba.0,05 


0,28 

0,11 

0,12 

0,19 


In den deutschen Städten betrug die Sterblichkeit 0,21 und in Preußen: 


1898 . . 

12 748 Personen 

= 

0,35 Prom. der Lebenden 

1899 . . 

13 351 

» 

= 

0,40 

ff 


ff 

1900 . . 

13 133 


= 

0,40 

n 

n 

ff 

1901 . . 

13 990 


= 

0,40 


n 


1902 . . 

13 284 


= 

0,38 

n 



1903 . . 

11 663 


= 

0,33 


r 


1904 . . 

12 051 


= 

0,33 

„ 



1905 . . 

13 327 

*1 

= 

0,36 

„ 

n 

„ 


Am stärksten befallen sind wieder die östlichen Landesteile (Bromberg, 
Posen, Oppeln). Die Sterbeziffer ist uln ein geringes gegen das Vorjahr ge¬ 
stiegen, jedoch noch wesentlich geringer als im Anfang der 90er Jahre. 
Immerhin starben noch mehr als doppelt so viel Menschen an Keuchhusten 
wie an Masern und Scharlach, sogar die Diphtheriesterblichkeit wird von der 
des Keuchhustens noch übertroffen. 


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32 


Gesundheitsstatistik. 


Von den Todesfällen entfallen 65,5 Pros, auf das erste, 22,4 Proz. auf 
das zweite, 5,8 Proz. auf das dritte und nur 5,6 Proz. auf das vierte bis 
zehnte Lebensjahr. Auf daB Alter über zehn Jahr kommen zusammen nur 
0,42 Proz. aller Sterbefälle. 

Die hohe Gefährlichkeit für das früheste Alter ergibt sich aus der Tat¬ 
sache, daß von 1000 Lebenden 8,2 Kinder im ersten, 3,1 im zweiten, aber 
nur noch 0,8 im dritten und 0,3 im vierten und fünften Lebensjahre an 
Keuchhusten starben. Von 100 Todesfällen kommen auf Keuchhusten 3,55 
im ersten, 6,51 im zweiten, 4,9 im dritten und 3,15 im vierten und fünften 
Lebensjahre. Auch hier ist wie bei Masern das früheste Säuglingsalter 
weniger beteiligt als die späteren Lebensjahre, weil dort der Darmkatarrh 
als Todesursache vorherrscht. 

6. Kindbettfieber. 

Es starben 1905 (1904) in Preußen im Wochenbett 3963 (4395) Mütter 
= 0,21 (0,24) Prom. der lebenden Frauen, davon in Städten 1645 (1643) 
und 2318 (2752) in den Landgemeinden. 

Den Verlauf der Wochenbettodesfälle 1905 im Vergleich mit den 15 
Vorjahren ergibt die folgende Tabelle. Von 1000 Entbundenen starben im 
Kindbett: 


Im Jahre 

In den 
Städten 

In den Land¬ 
gemeinden 

Zusammen 

1890 

l 3,4 

4,8 

4,3 

1891 

! 3,2 

4,5 

4,0 

1892 

3,3 

4,5 

4,1 

1893 

3,9 

5,5 

4,9 

1894 

3,0 

4,5 

3,9 

1895 

2,7 

3,9 

3,5 

1896 

2,5 

3,8 

3,3 

CO 

CO 

2,3 

3,6 

3,1 

1898 

2,3 

3,4 

3,0 

1899 

2,6 

3,7 

3,3 

1900 ! 

2,7 

3,6 

3,2 

1901 

2,6 

3,4 

3,1 

1902 ! 

2,8 

3,5 

3,2 

1903 1 

2,9 

3,5 

3,3 

1904 

3,1 

3,6 

3,4 

1905 

3,2 

3,1 

3,1 


Die Gesamtsterbeziffer im Wochenbett ist demnach seit 1901 zum ersten 
Male wieder gesunken; dies ist auf die Abnahme in den Landgemeinden 
zurückzuführen, da in den Städten sich sogar eine kleine .Steigerung zeigt. 
Diese Verschlechterung ist wahrscheinlich auf die in Städten weitaus häufi¬ 
geren kriminellen Aborte zurückzuführen. Es steht daher auch Berlin an 
erster Stelle mit 6,1 Todesfällen auf 1000 Entbundene. 

Höher war die Sterblichkeit in den Landgemeinden als in den Stadt¬ 
gemeinden der Regierungsbezirke Danzig 3,7 (Stadt) : 6,5 (Land), Erfurt 
1,8 : 3,6, Gumbinnen 2,9 : 4,4, Koblenz 2,4 : 4,1, Wiesbaden 2.0 : 3,2. Um- 


GoogI< 


Sterblichkeit ao Infektionskrankheiten. 


33 


gekehrt war das Verhältnis in den Bezirken Stettin 3,7 in den Städten und 
2,1 auf dem Lande, Stralsund 4,3: 2,7, Aurich 4,1 :2,7, Hannover 4,8: 3,7, 
Köln 2,8 :1,6 und Schleswig 3,5 : 2,5. 

An Kindbettfieber starben in deutschen Städten 1063 Frauen = 0,05 Prom. 
aller Lebenden, im Königreich Preußen 1789 = 0,25 Proz. aller Todesfälle 
und 0,05 von 1000 lebenden Personen; in den Städten Bayerns betrug die 
Sterbeziffer 0,06, Sachsens 0,06, Württembergs 0,11, Badens 0,08, Hessens 
0,05, Elsaß-Lothringens 0,06. Für Berlin ergibt sich 0,08 und für Hamburg 
0,09 Prom. 

In den Städten Österreichs und Frankreichs wird die Sterblichkeit auf 
0,08 Prom. der Lebenden berechnet. In Paris starben von je 1000 Geburten 
3,63 Frauen nach fünfjährigem Durchschnitt. 


7. Lungentuberkulose. 


Es starben von 1000 Lebenden 


Österreichs.4,74 

der 8chweiz.2,07 

Frankreichs.3,12 


(Paris 3,81) 


an Lungenschwindsucht in den Städten 


Belgiens.1,2 

Spaniens.2,4b 

Rumäniens.3,91 


Im Staate 


Niederlande.1,37 

Frankreich.2,71 

Kuba.2,17 


In deutschen Städten starben 45 344 = 2,23 Prom. der Lebenden an 
Tuberkulose (Berlin 2,59), in denen Bayerns 3,08, Sachsens 1,7, Württem¬ 
bergs 2,37, Badens 2,53, Hessens 2,35, Elsaß-Lothringens 2,81. 

In Preußen starben 70 323 Menschen, d. h. 1,91 Prom. der Lebenden an 
Tuberkulose. Es hat demnach eine Steigerung der absoluten Zahl, jedoch 
«ine kleine Verminderung der relativen Sterblichkeitsziffer stattgefunden; 
auch das Verhältnis der Tuberkulosetodesfälle zur Gesamtzahl der Ver¬ 
storbenen, 9,68 Proz. (9,87), ist etwas vermindert gegen die letzten drei 
Jahre. 

Die TuberkuloBesterblichkeit überstieg 1905 diejenige von Typhus, Ruhr, 
Pocken, Scharlach, Diphtherie und Croup, Masern, Keuchhusten und Kind¬ 
bettfieber zusammen um rund 24 000; die Zahl der Lungenentzündung blieb 
nur um rund 14 000 hinter der Tuberkuloseziffer zurück. 

Unter den preußischen Regierungsbezirken zeigt, wie auch in den Vor¬ 
jahren, die höchste Tuberkulosesterblichkeit Osnabrück (2,58), Münster (2,56), 
Breslau (2,49), Berlin (2,37) und Köln (2,29 auf 1000 Lebende). Die höchste 
Sterblichkeit weist der Stadtkreis Berlin auf. Die geringsten Sterbeziffern 
an Tuberkulose zeigen die Regierungsbezirke Allenstein (1,05), Gumbinnen 
(1,23), Marienwerder (1,39) und Merseburg (1,49). Eine Abnahme der rela¬ 
tiven Sterbeziffer gegen das Vorjahr hat in 19 Regierungsbezirken (Osna¬ 
brück, Münster, Breslau, Köln, Sigmaringen, Minden, Wiesbaden, Oppeln, 
Düsseldorf, Trier, Stralsund, Kassel, Koblenz, Erfurt, Stettin, Stade, Arns- 

Viertcljahmchrift für GeiundheiUpflege, 1908. Supplement. 3 


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34 


Gesundheitsstatistik. 


berg, Schleswig und Gumbinnen) stattgefunden, in den anderen war ein 
Steigen bemerkbar. 

Auch in diesem Jahre besteht ein Antagonismus zwischen der Kinder¬ 
sterblichkeit und der Tuberkulosesterblichkeit, so daß anzunehmen ist, daß 
in den Bezirken, in denen die schwächlichen Kinder durch andere Krank¬ 
heiten hinweggerafft wurden, Tuberkulose nicht Fuß fassen konnte, und daß 
demnach umgekehrt eine soziale Fürsorge für gesunde, aber schwächliche 
Kinder durch Hebung der Allgemeinkonstitution einen gewissen Schutz gegen 
die Ausbreitung der Tuberkulose bietet. 

Die Sterblichkeit nach den Altersklassen im Vergleich zu den früheren 
Jahren zeigt folgende Tabelle: 


Altersklassen Von ^0 Gestorbenen d. Altersklassen Von 1000 Lebenden der Altersklassen 
l ('»«tnrlienpn starben an Tuberkulose ■ starben an Tuberkulose 


Jahre 

1901 

1902 

1903 

1904 

1905 

1901 

1902 

1903 

1904 

1905 

0—1 

0,91 

0,94 

1,56 

1,43 

1,37 

2,24 

1,97 

3,69 

3,18 

3,14 

1—2 

3,02 

3,22 

4,51 

4,63 

4,55 

1,57 

1,53 

2,36 

2,15 

2,17 

2—3 

4,54 

4,61 

6,16 

6,40 

7,02 

0,93 

0,85 

1,18 

1,10 

1,15 

3-5 

5,47 

5,85 

6,92 

6,95 

8,01 

0,62 

0,59 

0,70 

0,65 

0,73 

5—10 

8,04 

9,30 

10,66 

10,84 

11,94 

0,41 

0,45 

0,52 

0,49 

0,52 

10—15 

20,01 

21,57 

24,44 

24,30 

25,04 

0,58 

0,58 

0,67 

0,66 

0,70 

15—20 

39,08 

39,96 

40,44 

40,74 

40,37 

1,55 

1,54 

1,61 

1,65 

1,72 

20—25 

44,47 

45,30 

45,33 

43,95 

45,74 

2,29 

2,25 

2,21 

2,08 

2,21 

25—30 

41,9 

42,41 

42,01 

42,30 

42,79 

2,49 

2,49 

2,42 

2,48 

2,49 

30—40 

34,99 

34,30 

34,34 

34,07 

33,84 

2,57 

2.46 

2,43 

2,46 

2,38 

40—50 

25,65 

25,33 

24,82 

24,31 

23,22 

2,88 

2,81 

2,67 

2,61 

2,53 

50—60 

17,28 

16,48 

16,23 

15,53 

15,04 

3,44 

3,28 

8,20 

3,09 

2,98 

60—70 

9,42 

9,17 

8,79 

8,37 

7,77 

3,87 

3,89 

3,69 

3,52 

3,32 

70—80 

2,65 

2,43 

2,52 

2, 1 4 

2,26 

2,51 

2,35 

2,39 

2,46 

2,23 

Über 80 

0,61 

0,50 

0,48 

0,48 

0,47 

1,25 

1,06 

0,99 

0,99 

1,01 

Unbekannt 

1,34 

1,32 

1,08 

1,94 

1,95 

— 

0,66 

0,47 

0,63 

0,02 

Zusammen 

9,45 

9,85 

9,89 

9,87 

9,68 

1,95 

1,90 

1,97 

1,92 

1,91 


Es hat also demnach in den Altersklassen von 1 bis 30 Jahr die 
Tuberkulosesterblichkeit zugenommen, ist aber in den anderen gesunken. 

Das männliche Geschlecht ist an der Tuberkulösesterblichkeit stärker 
beteiligt als das weibliche, besonders in den ersten beiden Lebensjabreu, in 
der Altersklasse von 40 bis 50 Jahr, aber auch noch bei 50 bis 60 und 
60 bis 70 Jahr. 

Die Sterblichkeit des weiblichen Geschlechtes überwiegt in den Alters¬ 
klassen von 5 bis 10, 10 bis 15, 15 bis 20 und 25 bis 30 Jahr. Es ist 
also die größte Tuberkulosesterblichkeit bei Männern im kräftigsten Mannes¬ 
alter, bei Frauen in der Jugend gelegen. 

In sämtlichen deutschen Städten mit mehr als 15 000 Einwohnern über¬ 
schreitet die Sterblichkeit an Schwindsucht den zehnjährigen Durchschnitt, 
welcher 2,14 beträgt, während diejenige für die akuten Erkrankungen der 
Atmungsorgane mit 2,52 demselben genau entspricht. Das Verhältnis zu¬ 
einander iu den Großstädten ergibt die folgende Tabelle: 


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Sterblichkeit an Infektionskrankheiten. 


35 


Städte 

Sterblichkeit an Lungen- '1 Sterblichkeit an akuten Er- 
.chwind.ucht auf 1000 ; 

Lebende | Keuchhusten und Diphtherie 

1905 

lOjähr. 

Durchschnitt 

1905 

lOjähr. 

Durchschnitt 

Aachen .... 

1,79 

1,74 

2,93 

3,16 

Altona .... 

2,04 

1,95 

2,28 

2,49 

Barmen .... 

2,06 

2,08 

2,93 

2,69 

Berlin .... 

2,56 

2,18 

2,34 

1,96 

Breslau .... 

3,82 

3,20 

3,32 

3,13 

Charlottenburg 

1,35 

1,29 

1,68 

2,25 

Danzig .... 

1,95 

1,95 

2,33 

2,59 

Dortmund . . . 

1,67 

1,42 

2,91 

4,14 

Duisburg . . . 

1,67 

1,88 

3,50 

4,13 

Düsseldorf . . 

1,72 

1,78 

2,41 

2,46 

Elberfeld . . . 

1,99 

1,99 

2,78 

2,54 

Essen. 

1,72 

2,10 

2,88 

4,14 

Frankfurt a. M. 

2,30 

2,49 

2,66 

2,21 

Oelsenkirchen . 

1,22 

1,79 

3,04 

4,28 

Halle. 

2,07 

1,87 

2,46 

2,80 

Hannover . . . 

1,68 

1,93 

2,15 

2,25 

Kassel .... 

1,99 

2,08 

2,13 

1,92 

Kiel. 

1,50 

1,37 

2,54 

2,51 

Köln. 

2,37 

2,19 

2,76 

2,58 

Königsberg . . 

1,78 

1,85 

3,24 

3,60 

Krefeld .... 

1,62 

1,85 

2,29 

2,23 

Magdeburg . . 

2,00 

1,88 

2,59 

2,56 

Posen . 

2,36 

2,60 

2,56 

2,74 

Stettin .... 

1,83 

2,17 

2,85 

2,33 

Wiesbaden . . 

1,88 

1,70 

1,73 

1,87 

München . . . 

3,56 

2,84 

1,80 

2,29 

Nürnberg . . . 

3,22 

3,16 

3,47 

3,06 

Chemnitz . . . 

1,92 

1,96 

1,95 

1,53 

Dresden.... 

2,47 

2,41 

2,09 

1,70 

Leipzig .... 

2,46 

2,21 

1,80 

2,14 

Stuttgart . . . 

2,23 

1,88 

1,80 

1,83 

Karlsruhe . . . 

2,61 

2,36 

2,27 

1,92 

Mannheim . . 

2,18 

2,38 

1,68 

2,37 

Braunschweig . 

2,40 

2,27 

2,97 

2,69 

Straßburg . . . 

2,80 

2,28 

3,04 

3,01 


8. Influenza. 

Die Gesamtmortalität der Influenza in Preußen betrug 0,17 auf 1000 
Lebende und machte 0,88 Prom. aller Todesfälle aus. Dieselben sind zwar 
etwas höher als im vergangenen Jahre, bleiben aber noch erheblich hinter 
dem Durchschnitt der letzten 13 Jahre zurück. Den Monaten nach ent¬ 
fallen die Todesfälle auf 


Januar . . . 

. . 1917 

Mai ... . 

. . 273 

September . . 

. . 67 

Februar . . 

. . 1512 

Juni .... 

. . 147 

Oktober . . . 

. . 128 

März .... 

. . 1194 

Juli : . . . 

. . 72 

November . . 

. . 167 

April . . . . 

. . 543 

August . . 

. . 77 

Dezember . 

. . 286 


3* 


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36 


Gesundheitsstatistik. 


Es herrschte im allgemeinen die katarrhalische Form vor, nervöse 
Störungen wurden selten beobachtet. Der Verlauf war im allgemeinen ein 
milder; die relativ meisten Todesfälle hatten die Regierungsbezirke Stral¬ 
sund, Kassel, Frankfurt, Magdeburg, Schleswig und Erfurt, die geringste 
relative Sterblichkeit wurde berechnet in Oppeln, Aachen, Arnsberg, Posen, 
Münster und Trier. 

9. Genickstarre. 

In Preußen kamen im Berichtsjahre 3764 Fälle von Genickstarre vor. 
gegen 118 im Vorjahre. Nach den Provinzen verteilen sich dieselben 
folgendermaßen: 

Ostpreußen. 28 (6) Schleswig-Holstein. 21 (8) 

Westpreußen . 26 (12) Hannover.28 (11) 

Brandenburg. 84 (14) Westfalen.70 (8) 

Pommern. 18 (6) Hessen-Nassau.26 (10) 

Posen. 37 (2) Rheinprovinz.61 (12) 

Schlesien. 3317 (26) Sigmaringen. 5 (0) 

Sachsen. 47 (3) 

84 Proz. dieser Fälle entfallen auf eine Epidemie in Oberschlesien, aber 
in den meisten anderen Regierungsbezirken hat eine Steigerung stattgefunden, 
nur in Bromberg und Osnabrück sind die Zahlen die gleichen geblieben, 
während in den Bezirken Danzig und Hannover keine Fälle mehr zur Beob¬ 
achtung gelangten. In den Regierungsbezirken Stralsund und Hannover ist 
in den letzten sechs Jahren kein Fall von Genickstarre gemeldet worden. 

Hinsichtlich der Jahreszeit traten die Erkrankungen auf: 


Januar. 139 I Juni. 339 November.60 

Februar. 320 ! Juli.124 Dezember.72 

März. 759 | August .... 72 Unbestimmt .... 2 

April.1010 | September ... 44 

Mai. 776 | Oktober.47 


67,6 Proz. fallen auf das Frühjahr (März, April und Mai), welches somit 
wieder die meisten Erkrankungen auf weist; ein erhebliches Nachlassen zeigen 
die Herbstmonate, während Sommer und Winter ungefähr ebenso befallen 
sind wie in den früheren Jahren. 

Von den Erkrankten waren: 


Im Jahre 

i Männlich j 

Weiblich 

1903 

' 53,7 Proz. 

46,3 Proz. 

1904 

! 56,8 „ 

43,2 „ 

1905 

j •'>4 

46 


Hinsichtlich des Alters waren 83,7 Proz. der Erkrankten Kinder unter 
15 Jahren. 

Tödlich verliefen: 

1905 1904 1903 1902 

67,2 Proz. 69,9 Proz. 59,8 Proz. 70,4 Proz. 

In dem Epidemiebezirk Oppeln betrug die Sterblichkeit 70 Proz. 


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Sterblichkeit an Infektionskrankheiten. 


37 


Die meisten (406) Todesfälle traten am zweiten Krankheitstage ein, es 
folgen der erste (241), der dritte (221), vierte (174) usw. Auf die erste 
Krankheitswoche fallen 62 Proz. der Todesfälle, auf die zweite 10 Proz., auf 
die dritte 5,6 Proz. Während der ersten drei Wochen Btarben zusammen 
1905: 78,1, 1904: 93,8, 1903: 96,8 Proz. 

Im Königreich Bayern kamen 1905 202 Erkrankungen mit 116 Todes¬ 
fällen vor. Hiervon entfielen auf das erste Vierteljahr 32 mit 16 Todes¬ 
fällen, auf das zweite 127 mit 71 Todesfällen, auf das dritte 27 mit 20 Todes¬ 
fällen und auf das vierte 16 mit 9 Todesfällen. Von den 202 Erkrankten 
standen 122 im Alter von 1 bis 15 Jahr. Mit dem Tode endeten 57,4 Proz. 
der Fälle. 

Von dem Auslande liegen nur spärliche Meldungen vor. So soll in 
Luxemburg 1 Fall vorgekommen sein, in Dänemark 60, in Norwegen 25, in 
Rumänien, Serbien, Bosnien, der Bukowina keiner, dagegen in Galizien 1796. 

10. Pocken. 

Die Sterblichkeit an Pocken betrug in den Städten: Österreichs 6 Per¬ 
sonen, der Schweiz 21 (0,02 Prom. der Lebenden), Frankreichs 186 (0,02 Prom., 
Paris 117 = 0,04 Prom.), Englands 51, Belgiens 58, Spaniens 962 (0,3 Prom.). 
In den Reichen: Niederlande 13, Norwegen 2, Rußland 42 564 (0,66 Prom.), 
Frankreichs 295 (0,02 Prom.), Schweiz 35 (1904 4), Japan 25 bei 72 Er¬ 
krankungen (1903). 

In Preußen wurden 77 Fälle gemeldet, von denen 11 starben (2 männ¬ 
liche, 9 weibliche Personen). Im Vergleich zu früheren Jahren ist die Er¬ 
krankungsziffer gering. Es waren: 


Im Jahre 

Erkrankte 

Personen 

In Kreisen 

In Ortschaften 

Gestorben 

Personen 

1898 

112 

15 

20 

12 

1899 

314 

57 

94 

25 

1900 

351 

60 

117 

46. 

1901 

325 

76 

133 

49 

1902 

88 

30 

50 

13 

1903 

93 

21 

28 

44 

1904 

122 

36 

45 

17 

1905 

77 

41 

49 

11 


Eine Epidemie hat nirgends geherrscht, die meisten Erkrankungen (14) 
kamen im Regierungsbezirk Marienwerder vor, dann in den Bezirken Brom¬ 
berg und Trier mit je 9 Erkrankungen. Aus fremden Ländern wurden als 
Erkrankungsziffern gemeldet: Luxemburg 37 (1904/5), Dänemark 9, Nor¬ 
wegen 34, Rumänien 14, davon 3 in Stadt- und 11 in Landgemeinden, Ser¬ 
bien 698, Bosnien und Herzegowina 131, Galizien 170. In der Stadt Moskau 
allein wurden 297 Fälle beobachtet. 

11. Impfwesen. 

In Preußen waren 1905 2 331 704 Impfpflichtige vorhanden, und zwar 
1 430 891 Erstimpflinge und 900 813 Wiederimpflinge. Der Erfolg der 
Impfungen in den letzten fünf Jahren war folgender in Prozenten: 


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38 


GesundheitsBtatistik. 


Jahr 

Mit Erfolg 

Ohne Erfolg 

Unbekannt blieb 
der Erfolg 

Vorschriftswidrig 
wurden d. Impfung 
entzogen 

Erst¬ 

impfung 

Wieder¬ 

impfung 

Erst¬ 

impfung 

Wieder¬ 

impfung 

bei der 
Erst¬ 
impfung 

bei der 
Wieder¬ 
impfung 

bei der 
Erst¬ 
impfung 

bei der 
Wieder¬ 
impfung 

1901 

97,59 

93,25 

2,18 

6,58 

9,23 

0,17 

2,14 

0,57 

1902 

97,41 

93,21 

2,34 

6,61 

0,25 

0,18 

2,07 

0,51 

1903 

97,30 

93,29 

2,48 

6,55 

0,23 

0,16 

2,07 

0,51 

1904 

96,00 

91,43 

3,80 

8,41 

0,20 

0,16 

2,11 

0,50 

1905 

94,65 

90.88 

5,18 

8,97 

0,17 

0,15 

2,13 

0,51 


Als sogenannte Impfschädigungen wurden beobachtet: Entzündung und 
Eiterung an den Impfstellen in 3 Fällen. EryBipelartige Entzündung 12 mal 
(lmal mit vorübergehendem Erguß ins Ellbogengelenk). Achseldrüsen- 
schwelluugen 93 mal. Verschwärung der Impfpusteln 19 mal. Masernähn¬ 
licher Hautausschlag 7 mal. Scharlacbähnliches Exanthem 1 mal. Nessel¬ 
fieber lmal. Pemphigus 2maL Impetigo contagiosa 2mal. Pustulöses 
Ekzem 1 maL Chronisches Ekzem 13 mal. Fieber mit Durchfall 3 mal. Ver¬ 
breitung der Impfpusteln über den ganzen Körper (generalisierte Vaccine) 
12 mal. 

12. Wundstarrkrampf. 

Es wurden in Preußen 138 Erkrankungen mit 94 Todesfällen gemeldet 
(61 Todesfälle in Berlin), ln den allgemeinen Krankenanstalten wurden 
209 Personen (161 männliche, 48 weibliche) an Trismus und Tetanus be¬ 
handelt, von denen 157 (120 männliche, 37 weibliche) = 75,12 Proz. starben. 

Tetanusheilserum wurde in 10 Fällen angewendet, von denen 7 tödlich 
verliefen. 

13. Lepra. 

Die Zahl der Leprakranken belief sich Ende 1905 in Deutschland auf 
27 (24), davon entfielen auf Preußen 20 (19), Hamburg 5 (3), Mecklenburg- 
Schwerin und Elsaß-Lothringen je 1 (1), außerdem waren vorübergehend 
3 Kranke in Hamburg. In Preußen sind 3 Kranke gestorben und 4 hinzu¬ 
gekommen (3 männliche, 1 weiblicher). 

Im Lepraheim waren 15 Kranke (3 männliche, 12 weibliche) unter¬ 
gebracht-, von diesen zeigten 11 die tuberöse und 4 die anästhetische Form. 

In Deutsch-Ostafrika ereignete sich ein Fall von Lepra bei Europäern 
und 15 bei Farbigen. 

In Norwegen ist die Zahl der Leprösen seit 1901 von 577 auf 474 
(231 männliche, 243 weibliche) gesunken. Diese verteilen sich auf 111 
Gemeinden, die sämtlich Bezirken der Westküste angehören. In den fünf 
Jahren sind gestorben 242 Kranke (135 männliche, 107 weibliche). Von den 
Ende 1905 bekannten 474 Aussätzigen litten 226 an Knoten-, 238 an 
Nerven- und 10 an gemischtem Aussatz. In den fünf Berichtsjahren wurden 
in den drei Lepraheimen 449 Kranke verpflegt, von denen 165 starben, 31 
wurden entlassen (1 geheilt). Die Sterblichkeit in den Anstalten betrug im 
fünfjährigen Durchschnitt 10,7 Proz. (12,9 Proz. für die Männer und 


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Sterblichkeit an Infektionskrankheiten. 


39 


9,7 Proz. für die Frauen). Für die mit Knotenlepra Behafteten betrug die 
Sterblichkeit 13,1 Proz., für die an Nervenaussatz leidenden 6,7 Proz. und 
für die an gemischtem Aussatz Leidenden 8,8 Proz. Das mittlere Lebens¬ 
alter der Gestorbenen betrug 50,4 Jahr. 

Auf den Philippinen kamen 60 (58) Todesfälle vor. Das Dorf Culion 
wurde als Leprastation für den ganzen Archipel eingerichtet; es bietet Platz 
für etwa 800 Kranke. Von den im ganzen etwa vorhandenen 4000 bis 6000 
Kranken deB Archipels wurden zunächst 500 dort untergebracht. 

In der Ansiedelung für Aussätzige auf der Insel Molakai (Hawai) waren 
im Berichtsjahre 926 Kranke untergebracht (davon 10 Europäer), von denen 
94 starben. 

14. Übertragbare Tierkrankheiten. 

Es starben an übertragbaren Tierkrankheiten in Preußen 1905 24 männ¬ 
liche und 6 weibliche Personen, was auf 10 000 Lebende berechnet eine 
Sterblichkeit von 0,01 ergibt. 

a) Milzbrand. 

Es gelangten in Preußen 130 Fälle zur amtlichen Kenntnis mit 13 
Todesfällen. Die meisten Erkrankungen (14) kamen wie im Vorjahre im 
Regierungsbezirk Schleswig vor, es folgen Kassel (11), Stade (10), Posen 
(10), Danzig (9), Wiesbaden (9), Frankfurt (8), Breslau (7), Merseburg (6), 
Berlin (5) und Köln (5). 

Der seltene Fall der indirekten Übertragung durch Sporen in einer Woh¬ 
nung, in welcher vor einem Jahre ein Milzbrandfall vorgekommen war, er¬ 
eignete sich im Kreise Limburg bei drei Angehörigen einer Familie. 

Aus Großbritannien werden 59 Fälle von Milzbrand gemeldet; es ent¬ 
standen 34 Erkrankungen bei der Bearbeitung von Wolle, 17 beim Verkehr 
mit Häuten und Fellen, 7 bei der Bearbeitung von Roßhaar und 1 bei 
anderer gewerblicher Tätigkeit. 


b) Tollwut. 


Insgesamt kamen in Preußen 368 Verletzungen von Menschen durch 
tolle oder verdächtige Hunde vor (262 männliche = 71,7 Proz. und 106 
= 28.8 Proz. weibliche). 

Die Verletzungen wurden durch 211 Hunde, 7 Katzen, 4 Rinder und 
2 Pferde herbeigeführt. Von den 224 Tieren kamen 27 nicht zur Unter¬ 
suchung, bei 104 wurde Tollwut festgestellt, 67 wurden als verdächtig er¬ 
klärt und 15 waren nicht tollwütig. 

Von den 368 Verletzungen ereigneten sich in den Provinzen 


Schlesien. 94 (122) 

Kheinprovinz."6 (63) 

Westpreußen.37 (12) 

Westfalen. 33 (34) 

Hessen-Nassau. 28 (20) 

Posen. 24 (23) 


Von den 368 Verletzten begäbe 
krankheiten zur Behandlung. Seit 


I Ostpreußen. 22 (67) 

I Ponunern. 20 (26) 

| Sachsen.16 (l) 

1 Hannover.12 (—) 

' Brandenburg. 6 (2) 


sich 328 in das Institut für Infektions- 
dem Bestehen der dortigen Wutschutz- 


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-10 


Gesundheitsstatistik. 


abteilung betrug die Prozentzahl der Verletzten, welche sich in spezifische 
Behandlung begaben: 


1898 29,0 1901 78,1 1904.91,7 

1899 80,5 1902 90,8 1905 87,8 

1900 82,3 1903 91,5 | 


Es starben 11 Personen, von denen 3 der Schutzimpfung unterzogen 
waren. Die Mortalität der Geimpften betrug 0,93 Proz., diejenige der Nicht¬ 
geimpften 17,8 Proz. 

In Britisch-Ostindien wurden im Jahre 1905 nicht weniger als 1145 
Personen im Pasteurinstitut untergebracht. Die Zahl der in Südindien jährlich 
an Tollwut verstorbenen Personen übersteigt 300 erheblich. Es wurde ein 
zweites Seruminstitut im Berichtsjahre eröffnet. 

Bezüglich der Todesfälle an Infektionskrankheiten und einigen anderen 
wichtigeren Todesursachen in Preußen während 1905 ergibt die folgende 
Tabelle eine Übersicht. 


Von den nebenstehenden Todesursachen 
betrafen unter 100 Todesfällen 


Todesursache 

• männliche 

i 

weibliche 

Personen 

zusammen 

Angeborene Lebensschwäche. 

6,75 

5,76 

6,27 

Altersschwäche. 

8,42 

12,35 

10,30 

Kindbett. 

— 

1,14 

0,55 

Scharlach. 

0,98 

1,08 

1,02 

Masern. 

0,84 

0,89 

0,87 

Diphtherie. 

1,65 

1,65 

1,65 

Keuchhusten. 

1,68 

2,00 

1,83 

Typhus. 

0,36 

0,39 

0,38 

Übertragbare Tierkrankheiten. 

0,01 

0,00 

0,00 

Rose. 

0,17 

0,17 

0,17 

Andere Wundinfektionen. 

0,36 

0,22 

0,30 

Tuberkulose. 

9,66 

9,70 

9,68 

Lungenentzündung. 

8,08 

7,53 

7,82 

Influenza. 

0,76 

1,01 

0,88 

Andere übertragbare Krankheiten . . . 

0,51 

0,49 

0,50 

(darunter Yenerie). 

0,09 

0,09 

0,09 

Krankheiten der Atmungsorgane .... 

5,63 

5,18 

5,41 

„ des Kreislaufes. 

6,26 

6,96 

6,60 

GehirnBchlag. 

2,95 

3,01 

2,98 

Andere Krankheiten des Nervensystems . 

3,20 

2,85 

3,03 

Krankh. der Verdauungsorgane. 

14,39 

13,51 

13,97 

„ „ Harn- u. Geschlechtsorgane 

1,61 

1,45 

1,53 

Krebs. 

2,76 

3,64 

3,18 

Andere Neubildungen. 

0,30 

0,42 

0,36 

Selbstmord. 

1,54 

0,51 

1,05 

Mord und Totschlag. 

0,13 

0,06 

0,09 

Verunglückung. 

3,11 

0,84 

2,02 

And. benamte Todesurs. (Delirium usw.) 

14,23 

13,52 

13,89 

Todesursache unbekannt. 

3,66 

8,67 

3,67 


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Krankenhausstatistik. 


41 


Die Sterblichkeit in deutschen Ortschaften mit mehr als 15 000 Ein¬ 
wohnern, nach Todesursachen und Monaten während der letzten drei Jahre 
auf 1000 Einwohner berechnet, ergibt (s. Tabelle S. 42 und 43 oben). 

Krankenhausstatistik. 


Es bestanden in Preußen im Berichtsjahre 2333 Krankenhäuser mit 
131 307 Betten. Den Gang der Entwickelung während der letzten fünf Jahre 
zeigt die folgende Tabelle: 


Jahr 

Zahl der 
Heilanstalten 1 ) 

Zahl der vorhandenen Betten 
in diesen Anstalten 

Zahl der ver- 
ptlegten Kranken 

Zahl der Ver¬ 
pflegungstage 

1901 

1950 

107 523 

756 699 

24 875 685 

1902 

2083 

115 178 

802 645 

26 307 122 

1903 

2114 

118 023 

807 424 

27 801 887 

1904 

2229 

125 001 

934 937 

29 268 679 

1905 

2333 

13t 307 

994 488 

30 975 680 


Auf je 1000 Einwohner kamen 3,6 (3,5) Betten und 27,0 (25,9) Ver¬ 
pflegte. Die höchsten relativen Ziffern weisen auf die Regierungsbezirke 
Köln (7 Prom.), Münster (6,9), Arnsberg (5,1), Breslau (5,0), die niedrigsten 
Stade (1,0), Allenstein (1,4), Gumbinnen (1,5) und Bromberg (1,7); es stehen 
im ganzen 23 Regierungsbezirke unter dem Staatsdurchschnitt. 

Auf jedes Bett kamen im Staatsdurchschnitt 7,58 Verpflegte (Maximum 
in Stralsund 13,18, Minimum 3,07 in Sigmaringen). Auf jeden Verpflegten 
kamen im Durchschnitt 31,25 Verpflegungstage (Maxiraum Minden mit 43,49, 
Minimum Stralsund mit 25,32). Auf 100 Verpflegte kommen Verstorbene im 
Durchschnitt 6,59 (im Maximum 10,78 Stadtkreis Berlin und Danzig 8,19, 
im Minimum 3,63 Allenstein). 

Die Häufigkeit der in den preußischen Krankenhäusern behandelten 
Krankheitsgruppen stellte sich in den Jahren 1904 und 1905 wie folgt: Es 
waren von 1000 behandelten Krankheiten 


Krankheitsgruppe 

1904 

1905 

1. Entwickelungskrankheiten. 

21,78 

23,33 

2. Infektions- und parasitäre Krankheiten. 

203,65 

203,13 

3. Sonstige allgemeine Krankheiten. 

69,42 

69,42 

4. Örtliche Krankheiten. 

694,31 

692,74 

Darunter: 



a) des Nervensystems. 

52,49 

52,56 

b) der Atmnngsorgane . •. 

80,48 

79,59 

c) des Kreislaufes.1 

32,58 

33,75 

d) der Verdauungsorgane.| 

111,43 

114,07 

e) der Harn- und Geschlechtsorgane. 

58.84 

59,15 

f) der äußeren Bedeckungen.j 

110,83 

104,48 

g) der Bewegungsorgane. 

78,95 

78,22 

h) des Ohres. 

10,25 

10,57 

i) der Augen. 

24,61 

23,83 

k) Verletzungen. 

133,90 

136,52 

5. Anderweitige Krankheiten und unbest. Diagnosen . 

I 

10,84 

11,38 


‘) Neue Strafanstalt«- und Gefängnislazarette. 


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Gesundheitsstatistik. 


42 


Monate 

Masern und 
Röteln 

Scharlach 

Diphtherie u. 
Croup 

Keuch¬ 

husten 

Typhus 

Influenza 

L 

1903 

1004 

1905 

1903 1904 

1906 

1903 

1904 

1905 

1903 

1904 1905 

1903 

1904 

1906 

1903 

1904 

IM 

Jan. . 

0,3 

0,3 

0.2 

0,3 

0,2 

0,2 

0,3 

0,3 

0,3 



0,2 

0,06 

0,07 

0,05 

0,20 

— 

0,05 

|0,J 

Febr. . 

0,2 

0,2 

0,1 

0,2 

0,2 

0,2 

0,3 

0,3 

0,3 



0,2 

0,05 

0,05 

0,04 

0,19 

0,05 

'0,1 

März . 

0,3 

0,2 

0,1 

0,3 

0,1 

0,2 

0,3 

0,3 

0,3 



0,2 

0,05 

0,05 

0,05 

,0,11 

0,05 

i0,05 

April . 

0,3 

0,2 

0,2 

0,3 

0,1 

0,2 

0,3 

0,2 

0,2 

£3 

□ 

0,2 

0,05 

0,04 

0,04 

0,07 

0,04 

|o,os 

Mai . 

0,3 

0,2 

0,2 

0,3 

0,1 

o,i 

0,2 

0,2 

0,2 


3 

0,2 

0,05 

0,04 

0,04 

0,04 

0,03 

0,01 

Juni . 

0,3 

0,2 

0,2 

0,2 

0,2 

0,1 

0,2 

0,2 

0,1 

«M 

CM 

0,1 

0,06 

0,07 

0,04 

jo,03 

0,01 

0,00 

Juli. . 

0,3 

0,2 

0,2 

0,2 

0,2 

0,09 

0,2 

0,2 

0,1 

fl 

0> 

c 

* 

0,2 

0,07 

0,08 

0,07 

0,02 

0,009 0,001 

Aug. . 

0,2 

0,2 

0,2 

0,2 

0,2 

0,1 

0,2 

0,2 

0,1 

05 

cC 

0,3 

0,09 

0,1 

0,1 

0,01 

0,01 

0,00 

Sept. . 

0,1 

0,9 

0,1 

0,2 

0,3 

0,1 

0,2 

0,2 

0,2 



0,3 

0,09 

0,1 

0,1 

0,01 

0,01 

0,00 

Okt. . 

0,2 

0,1 

0,1 

0,2 

0,3 

0,2 

0,2 

0,3 

0,2 



0,2 

0,09 

0,09 

0,1 

0,01 

0,02 

0,01 

Nov. . 

0,3 

0,2 

0,2 

0,2 

0,3 

0,1 

0,3 

0,3 

0,3 



0,2 

0,10 

0,05 

0,08 

0,02 

0,03 

(0,01 

Dez. . 

0,4 

0,2 

0,3 

0.2 

0,2 

0,1 

0,3 

0,4 

0,3 



0,3 

0,08 

0,05 

0,05 

|0,04 

0,1 

[0,02 

Zu». 

0,3 

0,2 

0,2 

0,2 

0,2 

0,1 

0,2 

0,2 

0,2 


|o ,2 

0,07 

0,07 

0,07 

0,06 Io, 03 

'0.0+ 


Taubstumme, Blinde, Geisteskranke. 

Eine Auszählung der Blinden in Frankreich hat die Zahl 27 174 (14 721 
männliche, 12 453 weibliche) ergeben. Von diesen waren 3052 in Anstalten 
untergebracht; verheiratet waren bzw. waren gewesen 8745 Männer und 
8137 Frauen. 

Taubstumme wurden 19 514 gezählt, unter denen 4311 Insassen von 
Anstalten waren. Im Gegensatz zu den Blinden, die zum bei weitem größten 
Teile über 40 Jahr alt waren (fast Vs aU® r war über 60 Jahr alt), ist die 
Zahl der Taubstummen am größten im Alter von 10 bis 20 Jahr, bleibt 
hoch bis etwa zum 40. Lebensjahre und nimmt dann rapide ab. 

In den 15 Blindeninstituten Österreichs waren nach der Statistik des 
Sanitätswesens (Bd. LXXX11 der österreichischen Statistik) im Jahre 1905 
1159 Zöglinge untergebracht, und zwar in den Erziehungsinstituten 710 und 
449 in den Beschäftigungsinstituten. Von den Blinden waren blindgeboren 
13,7 Proz., durch Krankheit erblindet 77,9, durch äußere Zufälle 5,5, aus 
unbekannten Ursachen 2,9. Unter den Krankheiten, welche zur Blindheit 
geführt haben, beteiligen sich Augenentzündungen mit 37,2 Proz., Atrophie 
der Netzhaut, des Sehnerven usw. mit 15,2, Pocken 6,2, Katarakt 7,7, TyphuB 
und Meningitis 4.3, Scharlach 4,1, Masern 2,6; die sonstigen Krankheiten 
betragen 22,7 Proz., Augenkrankheiten machen demnach 60,1, Hautausschläge 
12,9 Proz. aus. 

Die Entstehungsursache der Blindheit für die außerhalb von Anstalten 
Befindlichen in den letzten fünf Jahren ergibt folgende Tabelle: 


Jahr 

Infekt. Augen- 
entzündung d. 

1 Neugeborenen 

Blattern 

Verletzungen 

Andere 

Krankheiten 

Blindgeboren 

1901 

1. 5.8 , 

6,h 

9,3 I 

63,2 

14,9 

1902 

5,9 

6,4 

10,2 

62,5 

15,0 

1903 

5,4 

6,1 

11,5 

61,7 

15,3 

1904 

5,7 1 

5,8 

9,1 | 

63,7 

15,7 

1905 

5,4 | 

6,0 

11,5 i 

61,9 | 

15,2 


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Taubstumme, Blinde, Geisteskranke. 


43 


Kindbettfieber 

Tuberkulose 

Krankheiten d . 
Atmungsorg . 

Magendarm ¬ 

katarrh 

Alle übrigen 
Krankheiten 

Gewaltsamer 

Tod 

903 

1904 

1905 

1903 

1904 

1906 

1903 

1904 

1906 

1903 

1904 

1906 

19«'3 

1904 

1906 

1903 

1904 

1905 

,06 

0,04 

0,05 

2,1 

2,0 

2,4 

3,2 

3,0 

3,7 

1,0 

0,9 

0,9 

11,4 

10,7 

11,1 

0,6 

0,5 

0,6 

,0« 

0,06 

0,07 

1,9 

2,1 

2,3 

2,8 

2,8 

3,3 

0,8 

0,9 

1,0 

10,1 

10,8 

10,4 

0,5 

0,6 

0,5 

00 

0,07 

0,07 

2,2 

2,1 

2,5 

2,9 

2,8 

3,2 

0,9 

0,9 

1,1 

11,2 

10,8 

10,2 

0,6 

0,6 

0,6 

,00 

0,06 

0,06 

2,3 

2,2 

2,6 

2,7 

2,5 

3,1 

0,9 

1,0 

1,1 

10,7 

10,5 

9,9 

0,6 

0,6 

0,6 

06 

0,04 

0,05 

2,2 

2,1 

2,6 

2,5 

2,3 

2,8 

1,3 

1,2 

1,4 

10,9 

10,3 

9,6 

0,7 

0,6 

0,7 

05 

0,04 

0,04 

2,0 

1,9 

2,4 

2,0 

2,0 

2,3 

1.8 

2,1 

2,3 

9,6 

9,6 

9,4 

0,7 

0,7 

0,7 

09 

0,05 

0,04; 

1,8 

1,9 

2,2 

1,8 

2,0 

1,7 

5,0 

5,9 

6,9 

10,0 

10,1 

9,3 

0,7 

0,8 

0,8 

04 

0,05 

0,03 ! 

1,7 

1,7 

2,1 

1,4 

1,6 

1,5 

6,6 

9,9 

10,3 

10,1 

10,3 

9,1 

0,6 

0,7 

0,7 

04 

0,06 

0,05 

1,6 

1,6 

1,9 

1,4 

1,6 

1,5 

4,9 

3,9 

4,5 

9,6 

9,5 

8,3 

0,6 

0,6 

0,6 

04 

0,08 

0,04 

1.7 

1,6 

1,9 

1,6 

1,7 

1,9 

2.8 

1,5 

1,8 

9,7 

9,1 

8,5 

0,6 

0,6 

0,6 

05 

0,07 

0,00 

1,7 

1,7 

1,9 

2,1 

2,1 

2,2 

1,2 

0,9 

1,1 

9,5 

9.7 

8,6 

0,5 

0,5 

0,6 

05 

0,05 

0,05 

2,0 

1,9 

2,0 

2,7 

2,8 

2,6 

1,0 

1,0 

0,9 

10,6 

10.5 

8,8 

0,6 

0,6 

0,6 

05 

0,05 

0,05 

1,9 

1,9 

2,2 

2,3 

2,3 

2,5 

2,4 

2,5 

2,8 

10,3 

10,0 

M ji 0,6 

0,6 

0,6 


Außerhalb der Blindenanstalten befanden sich 1901: 13 824 (55,1 Proz. 
männliche, 44,9 Proz. weibliche), 1902: 13 800 (54,1 Proz. männliche, 
45,9 Proz. weibliche), 1903: 13 445 (54,3 Proz. männliche, 45,7 Proz. weib¬ 
liche), 1904: 13140 (53,9 Proz. männliche, 46,1 Proz. weibliche), 1905: 
12 893 (55,1 Proz. männliche, 44,9 Proz. weibliche). 

Taubstumme außerhalb der Institute waren in den im Reichsrate Öster¬ 
reichs vertretenen Königreichen und Ländern 27 567 (1904 27 867), und 
zwar 15 303 männliche und 12 264 weibliche Personen. Eine starke Ab¬ 
nahme der Taubstummen weist Galizien und Steiermark nach, eine erhebliche 
Zunahme Salzburg, Krain, Böhmen und die Bukowina. 

In den 22 österreichischen Taubstummenanstalten waren 1685 (928 
männliche, 757 weibliche) untergebracht. Von den letzteren waren taub¬ 
stumm geboren 40,3, durch Gehirn- oder Nervenleiden erkrankt 11,4, durch 
Scharlach 6,5 Proz.. 

Dieselben Länder, in denen die Taubstummheit am stärksten ver¬ 
treten ist, weisen auch die meisten Kretins auf, so namentlich Kärnten, 
Salzburg und Steiermark. In Galizien finden sich viel Taubstumme und 
wenig Kretins, während in Oberösterreich und Tirol das Umgekehrte 
der Fall ist. Es kommen auf 1000 Einwohner 10,7 Taubstumme und 
6,4 Kretins. 

Die Zahl der Irrenanstalten (32 öffentliche und 9 private) hat sich in 
Österreich seit dem Vorjahre nicht geändert, jedoch ist die Bettenzahl von 
15 825 auf 17 180 = 8,6 Proz. vermehrt. Die Zahl der behandelten Irren 
stieg von 28 679 auf 29 862, weist also eine Zunahme von 4,1 Proz. auf. Es 
kam 1 Bett auf 1583 und 1 Verpflegter auf 914 Einwohner. Trotz dieser 
verhältnismäßig hohen Bettenzahl blieben mehr als Vs der Privatpflege über¬ 
lassen. Es waren von 100 Geisteskranken 51,6 in Irrenanstalten, 10,4 in 
Versorgungsanstalten und 38 in Privatpflege. 61,4 verblieben während des 
ganzen Jahres in der Anstalt, 38,6 wurden neu aufgenommen. Geheilt ent¬ 
lassen wurden 7,3, gestorben sind 9,8. 


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44 


Gesundheitastatistik. 


Dem Geschlecht nach verteilen sich die Geisteskranken: 



Männlich 

weiblich 

1901 

53,7 

46,3 

1902 

53,7 

46,3 

1903 

53,6 

46,4 

1904 

53,6 

46,4 

1905 

53,8 

46,2 

m nach gruppieren 

sich die 


Anstalten: Erworbener Blödsinn 24,7, primäre Verrücktheit 18,0, paralytische 
Geistesstörung 9,9, Verwirrtheit 9,6, epileptische Geistesstörung 7,9, Alkoholis¬ 
mus 6,5, angeborener Schwachsinn 6,4, periodische Geistesstörung 3,9, Me¬ 
lancholie 3,8, angeborener Blödsinn 3,0, hysterische Geistesstörung 1,8, Manie 
1,7 Proz. Die übrigen Geistesstörungen betragen je weniger als 1 Proz. 

Unter den Todesursachen steht obenan mit 30,5 Proz. die Paralyse, es 
folgt der erworbene Blödsinn mit 25,7 Proz. der Behandelten. 

Nach dem Religionsbekenntnis entfallen: 



F’rozente der Gesamtzahl 

der Bevölke¬ 
rung 

der in den Irrenanst. 
neu Angenommenen 

Katholiken (lateinisch und griechisch) .... 

Evangelisch. 

Griechisch-orientalisch. 

Israelitisch. 

Sonstige Konfessionen. 

91,1 

1,9 

2,3 

4.7 

0,0 

88,4 

2,4 

1,6 

7,2 

0,4 


In den vier staatlichen Irrenanstalten Ungarns wurden 1905 nach den 
Veröffentlichungen des Königlich Ungarischen Ministeriums 3647 (3422) 
Geisteskranke behandelt mit 841 196 (822 610) Verpflegungstagen. 183 
(225) Kranke wurden geheilt entlassen, 393 (361) starben. Als hauptsäch¬ 
lichste Krankheiten werden genannt Verrücktheit (1070 Fälle), Paralyse (648), 
Dementia (512), Imbezillität und Idiotie (351), epileptisches (297) bzw. hallu¬ 
zinatorisches (232) Irresein, Manie (264), Säuferwahnsinn (178), Melan¬ 
cholie (75). Als Ursache werden genannt erbliche Anlage in 372 Fällen, 
Trunksucht in 310, Syphilis in 122, Gemütseinwirkung in 105, Schädel¬ 
verletzung in 46, Typhus in 24, Pellagra in 4 Fällen. 

In den Irrenabteilungen von Krankenhäusern, Spitälern, Gefängnissen 
wurden 8895 Geisteskranke verpflegt, von denen 682 geheilt wurden und 
1160 starben. 

Der mit Familienpflege gemachte Versuch hat sich bewährt. Die an 
zwei Krankenhäusern errichteten Jugendabteilungen waren mit 120 bzw. 
300 Kranken belegt. 

In den 16 Irrenanstalten Norwegens mit 2246 Betten wurden 3146 
(1686 männliche, 1460 weibliche) Personen verpflegt. Die durchschnitt¬ 
liche Aufenthaltsdauer eines Kranken stellte sich auf 247,5 Tage, die 
Gesamtzahl der Verpflegungstage auf 778786. Entlassen wurden 443 Pfleg- 


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Dii 









45 


Gesundheitsstatistik. Hygienische Topographie. 

linge als geheilt, gestorben sind 161, darunter 37 an Lungentuberkulose. 
18 an Lungenentzündung, 8 an Nierenentzündung, 4 an Krebs, 2 durch 
Selbstmord, 1 an Typhus. Es litten 1334 an Dementia, 675 an Melancholie 
oder Manie, 259 an Verrücktheit, 73 an Idiotie, 64 an Alkoholismus, 50 an 
Paralyse, 49 an epileptischem Irresein. Erbliche Belastung wurde bei 97, 
Lues bei 29, Trunksucht bei 68 als ätiologisches Moment festgestellt. 

In den Irrenanstalten Frankreichs befanden sich am 1. Januar 1905 
70 693 Personen, aufgenommen wurden 22 605, entlassen 21829, so daß 
Ende des Jahres ein Bestand verblieb von 71 469. Nach Art der Erkrankung 
und Aufenthaltsdauer zusammengestellt ergibt sich: 



. Einf. u. epilept. ; 
j Geistesstörung : 

Alkohol. 

Irresein 

1 Paralytisches 
Irresein 

i 

j tnfinnl. 

weibl. | 

männl. j 

weibl. | 

\ männl. weibl. 

Zahl der Personen. 

Mittlere Dauer des Aufenthalts 

24 398 

1 284 ’ 4 

35 927 
280,0 | 

I 6253 
218,8 

2090 | 
207,2 j 

3622 

189,4 

1666 

241,6 



Dementia 

senilis 

Idiotie und 
Kretinismus 

Zusammen 


1 männl. 

weibl. 

männl. 

weibl. 

männl. 

weibl. 

Zahl der Personen. 

Mittlere Dauer des Aufenthalts 

3157 

267,4 

4592 

307,8 

6301 

291,4 

5290 

262,0 

43 731 

269,2 

49 567 

284,6 


Geheilt entlassen wurden 3897, gestorben Bind 8073. 

In den Schulen der Schweiz wurden in den Jahren von 1899 bis 1905 
397 558 Schulkinder beim Schuleintritt ärztlich untersucht und 221 Kinder 
als blödsinnig und 1314 als hochgradig schwachsinnig bezeichnet. 

Alb. Koenig. 


Zweiter Abschnitt. 

Hygienische Topographie. 


Allgemeines und europäische Länder. 

Horrocks, Hennedy and Crawford: „Goats as a Mean of pro- 
pagation of mediterranean fever.“ (Journ. of the Royal Army. Med. 
Corps, Vol.VI, 1906, No. 4, p. 381.) Unter Malta- oder Mittelmeer¬ 
fieber versteht man eine, vorzugsweise an den Küsten und auf den Inseln 
des Mittelmeers endemisch, zuweilen auch epidemisch auftretende, fieberhafte 
Infektionskrankheit, welche klinisch eine gewisse Ähnlichkeit mit Typhus 
abdominalis besitzt. Sie unterscheidet sich indessen von ihm durch ihre 
lange, nicht selten viele Monate betragende Dauer, durch den starke Schwan¬ 
kungen zeigenden Fieberverlauf, das Besteben profuser Schweiße und das 
häufige Auftreten rheumatischer Gelenkerkrankungen, sowie von Neuralgien, 
Hoden- und Nebenhodenentzündungen. Erreger des Maltafiebers ist ein von 


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46 


Hygienische Topographie. 


Bruce im Jahre 1887 auf Malta entdeckter Mikroorganismua: Der „Micro- 
coccus melitensis“. Es ist dies ein rundeB oder leicht ovales Gebilde von 
etwa Va fl Durchmesser, welches nicht selten zu Paaren oder auch in Ketten 
von vieren getroffen wird. Er besitzt keine Eigenbewegung und färbt sich 
gut mit Gentiana- und Methylenblau, dagegen nicht nach Gram. Man findet 
ihn in großer Zahl in Milz, Leber und anderen Organen. Der Micrococcus 
melitensis läßt sich künstlich züchten und man kann durch seine Reinkulturen 
die Krankheit auf Tiere übertragen. Nach den neuesten Forschungen wird 
die Affektion vorzugsweise durch den Genuß der Milch von an Maltafieber 
leidenden Ziegen auf den Menschen übertragen. 

Die Verfasser machten Massenimpfungen der die Inseln mit Milch ver¬ 
sorgenden Ziegen mit einem Serum, welches sie aus dem Blut maltafieber¬ 
kranker Menschen und Affen hergestellt hatten. Sie fanden hierbei nicht 
weniger als 41 Proz. der untersuchten Tiere von der Krankheit infiziert. 
Aber nur 10 Proz. der Ziegen, welche Malta mit Milch versorgen, scheiden 
den Micrococcus melitensis aus, ohne daß hierbei ihre Milch physikalisch 
oder chemisch verändert zu sein braucht, und ohne daß die Tiere objektiv 
wahrnehmbare Krankheitserscheinungen darbieten. Die Ziegen können eine 
ausgesprochene Serumreaktion zeigen, ohne Kokken durch die Milch aus¬ 
zuscheiden. Affen und Ziegen können infiziert werden durch Fütterung 
mit aus der Milch gewonnenen Kulturen des Micrococcus melitensis und 
durch Fütterung mit der infizierten Milch selbst. Die Inkubationszeit bei 
Fütterungsversuchen scheint zwischen drei bis vier Wochen zu schwanken. 
Infizierte Affen erkranken in typischer Weise. Andere wieder zeigen keine 
Symptome des Maltafiebers, nehmen sogar an Gewicht zu. Bei letzteren 
enthalten die Lymphdrüsen stets weit mehr Kokken als die Milch. Ziegen 
können auch mittels Fütterung von Staub, welcher durch den von dem Mittel¬ 
meerfieberkranken gelassenen Urin infiziert wurde, erkranken. Es gelang 
nicht, Maltafieber von Ziege auf Ziege durch Insekten zu übertragen. • Pasteuri- 
sation, d h. 10 Minuten währende Erwärmung der Milch auf 68° C, zerstört 
die in ihr enthaltenen Kokken. (Ref. in Menses Archiv, Bd. 11, 8. 70, 71.) 

Horrocks and Hennedy: „Mosquitos as a means of dissemi- 
nation of mediterranean fever.“ (Ebenda, Nr. 39487.) Da der Mensch 
empfänglicher für Mittelmeerfieber ist als Affen und Ziegen und es auf Malta 
an infiziertem Staub nicht fehlt, so kann eine direkte Infektion mittels Auf¬ 
nahme von Staub durch Nase, Luftwege und Verdauungskanal sehr wohl in 
Frage kommen. Ferner kann dieselbe durch den Genuß von Milch infizierter 
Ziegen verursacht werden. Dieser Infektionsmodus spielt wahrscheinlich 
bei den eingeborenen Maltesern, welche rohe Ziegenmilch zu genießen pflegen, 
die Hauptrolle. Endlich glauben die Autoren auch sichere Beweise für die 
Übertragbarkeit der Krankheit durch Mosquitos von Mensch auf Mensch in 
Händen zu haben, während, wie oben bemerkt, die Übertragung durch In¬ 
sekten von Ziege auf Ziege nicht gelang. Als Überträger kommen vor 
allem Culex pipiens und Stegomyia fasciata in Betracht. Bei 4 von 896 
untersuchten Mosquitos wurde der Micrococcus melitensis gefunden und in 
zwei Fällen dessen Virulenz dadurch erwiesen, daß bei zwei Affen mittels 
Kulturen, welche mau aus jenen Mosquitos gewonnen, die Krankheit erzeugt 


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Allgemeines und europäische Länder. 


47 


werden konnte. Auch erkrankte ein Lazarettdiener an Mittelmeerfieber zehn 
Tage nachdem er zufällig von einer Mücke, in welcher später der Micro- 
coccus melitensis nachgewiesen wurde, gestochen worden war. Da derselbe 
indessen mit infizierten Affen zu tun hatte, dürfte das Experiment nach der 
Meinung des Referenten Scheube als nicht einwandfrei zu betrachten sein. 
Die Verfasser glauben, daß die Milch infizierter Ziegen wie der Stich in¬ 
fizierter Mosquitos eine größere Rolle in der Ätiologie des Mittelmeerfiebers 
spielt als das Verschlucken infizierten Staubes. An prophylaktischen Ma߬ 
nahmen empfehlen sie: Beseitigung der Ziegen, welche deutliche Serumreaktion 
zeigen; Verbot, die Ziegen, wie es in Malta üblich, durch die Straßen zu 
führen und dort zu melken; Vernichtung der Mosquitos und ihrer Larven; 
Verbot, auf die Straße zu urinieren; bessere Wohnungshygiene. (Referiert 
ebenda, S. 71.) 

Hennedy: „Bacteriological examinations of cases of medi- 
terranean fever.“ (Ebenda, Nr. 6, S. 623.) Im Speichel Mittelmeerfieber¬ 
kranker wurde der Micrococcus melitensis nicht nachgewiesen. Hingegen 
fand man ihn bei den Sektionen solcher Individuen, welche jener Krankheit 
erlegen waren, in der Leber, der Milz und den Lymphdrüsen ausnahmslos, 
im Herzblut, der Perikardialflüssigkeit und dem Knochenmark in 50 Proz. 
und im Urin in 30 Proz. aller Fälle. (Ref. ebenda, S. 72.) 

Shaw: „The ambulatory type of case in mediterranean or 
Malta fever.“ (Ebenda, S. 638.) Bei 525 Malteser Hafenarbeitern fiel 
die Serumreaktion 22 Mal positiv aus. Bei 6 von ihnen gelang es, den 
Micrococcus melitensis aus dem Urin zu züchten, bei 3 aus dem Blute und 
dem Urin, bei einem aus dem Blute allein. Bei 5 von diesen 10 Arbeitern 
bestanden leichte Temperatursteigerungeu. Die meisten gaben an, vor 
kürzerer oder längerer Zeit an Fieber gelitten zu haben. Indessen konnten 
sie alle ihrer Arbeit nachgehen. Durch diese Beobachtungen hält Verfasser 
das Vorkommen ambulatorischer Fälle von Mittelmeerfieber, welche durch 
ihren Urin zur Weiterverbreitung der Krankheit beitragen, für erwiesen. 
Eb gelang, Affen und Ziegen durch Verfütterung oder subkutane Einspritzung 
des von jenen Arbeitern gelassenen Harns zu infizieren. (Ref. ebenda, S. 72.) 

Brown: „Pellagra in England.“ (Practitioner, Mai 1906.) Ein 
junges Mädchen, welches man mit der Fütterung von Hühnern betraut hatte, 
pflegte von dem für das Federvieh bestimmten schimmligen Mais zu essen. 
Sie erkrankte an Pellagra, genaß aber bald unter geeigneter Pflege und 
Behandlung. Es soll dies der erste in England beobachtete Fall von Pellagra 
sein. (Menses Archiv, Bd. 11, S. 312.) 

Balder Hechelheim und Metzger: „Untersuchungen über den 
Einfluß großer Körperanstrengungen auf Zirkulationsapparat 
Nieren und Nervensystem.“ (Münch, med. Wochenschr. 1906, Nr. 38.) 
Die Autoren untersuchten 12 junge Leute, welche sich an einem Wett¬ 
marsche von 100 km Länge beteiligten und das Ziel erreichten. Nur einer 
von ihnen konsumierte während des Marsches größere Quantitäten Alkohol, 
nämlich 22 Glas Bier und 1 / 3 Flasche Malaga. Nach dem Marsche enthielt 
der Urin sämtlicher Teilnehmer Eiweiß, 4 von ihnen hatten im Urin Blut 


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48 Hygienische Topographie. 

von beträchtlicher Menge, 9 Zylinder von verschiedener Art außgeschieden. 
Die Herzdämpfung war mehrfach beträchtlich erweitert, die Pulszahl ver¬ 
mehrt, der Blutdruck gesunken. 

Die Sehnenreflexe zeigten sich meist abgeschwächt; in einem Falle waren 
sie völlig geschwunden. (Ref. ebenda, S. 620.) 

Michelson: „Kleine Sammlung praktischer Wetterregeln.“ 
(Braunschweig 1906.) Das kleine Büchlein, welches jeder Freund der Natur 
gern zur Hand nehmen wird, liefert auf 17 Seiten eine gedrängte Übersicht 
der auf Wissenschaft und Erfahrung gegründeten Wetterregeln. 

* Da niemand eine Wetterprognose nur auf Grund einer Regel aufstellen 
sollte, so sind dieselben in fünf Gruppen geordnet. Je mehr von den an¬ 
geführten Punkten sich mit den Regeln decken, desto größer ist die Wahr¬ 
scheinlichkeit des Zutreffens der Vorhersage. 

Die Regeln stützen sich auf folgende Wahrnehmungen: 

1. Wind- und Wolkenbeobachtungen. 

2. Die täglichen Schwankungen der meteorologischen Elemente. 

3. Die Angaben der einzelnen Instrumente. 

4. Die StrahluDg8erscheinungen. 

5. Die optischen und akustischen Erscheinungen der Atmosphäre. 

Eine sechste Gruppe beschäftigt sich mit den wichtigsten Regeln zur 

Vorhersage der Nachtfröste. (Ref. in Menses Archiv, Bd. 11, S. 375.) 

Hernaudey: „Note sur l’bygiene etl’ötat sanitaire de Gibraltar 
et d’Algesiras.“ (Ann. de med. nov. 1907, No. 5.) Obwohl die engli¬ 
schen Behörden es an Verordnungen und Revisionen der sanitären Einrich¬ 
tungen nicht fehlen ließen, sind die Fortschritte der Hygiene in Gibraltar 
recht langsam. Ein „Officier de sante“ ist zur Durchführung hygienischer 
Maßnahmen dem bakteriologischen Laboratorium beigegeben. Alle Nahrungs¬ 
mittel, vor allem die Milch, sowie die Wohnungen, die Gasthäuser und Her¬ 
bergen werden fleißig kontrolliert. 

Zu den im Jahre 1905 am häufigsten beobachteten Krankheiten gehörten 
außer Pocken (573 Fälle, von welchen 35 tödlich endeten) Pneumonie und 
Lungentuberkulose. Unter 17 Erkrankungen an Typhus abdominalis ver¬ 
liefen 7 tödlich. Maltafieber kam nur noch 11 mal vor. Das neuerbaute 
Militärlazarett ist gut eingerichtet. (Ref. ebenda, S. 784.) 

Allgemeine Tropenhygiene. 

Diesing: „Die Gewinnung von Lymphe in den Tropen.“ (Zen- 
tralbl. f. Bakteriol. 1906, Bd. XLII.) In einer tropischen Kolonie Afrikas 
impfte Verfasser behufs Vergleichung ihrer Wirkung von zwei Kälbern 
das eine mit europäischer Lymphe, das andere mit einer solchen, welche 
er aus den Impfpusteln von Negern gewonnen hatte. Die erste erwies 
sich als gut brauchbar, die zweite dagegen als derartig virulent, und bei 
vier geimpften kräftigen Negern so heftige Reaktionen verursachend, daß 
eine zweite Kalbpassage vorgenommen werden mußte, um sie auf eine 
brauchbare Virulenz zu bringen. Nach diesem Vorgehen unterschied sie 
sich nicht mehr von guter europäischer Lymphe und besaß die Vorzüge 


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Allgemeine Tropenhygiene. 


49 


einer billigen Herstellung, genügende Virulenz und große Haltbarkeit. (Ref. 
in Menses Archiv. Bd. 11, S. 145.) 

Eermorgant: Maladies endemiques, epidemiques et conta- 
gieuses qui ont regnees dans les colonies frangaises en 1904.“ 
(Ann. d’hyg. et de med. col. 1906, p. 349.) Die einzelnen Krankheiten ver¬ 
teilten sich auf die verschiedenen Kolonien ungefähr folgendermaßen: 
Keuchhusten wurde beobachtet in Madagaskar, Tonkin, Camhodga, Sene¬ 
gal. Diphtherie 43 mal in Tananariva, der Hauptstadt Madagaskars. 
Typhus, Masern, Tuberkulose überall in geringem Maße. Lungen¬ 
katarrhe in ziemlich schweren Formen in Madagaskar. Meningitis 
cerebrospinalis im Sudan, Senegal, Annam. Eine wahre Epidemie 
herrschte im Januar und Februar 1906 in Timbuktu. Parotitis: Überall 
in Hinterindien, besonders in Tonkin alle Jahre im Oktober bis März. 
Scarlatina kam sporadisch vor in Martinique, im Sudan, in Tonkin und 
Französisch-Indien. Man weiß, daß sie in den warmen Ländern im ganzen 
zu den Seltenheiten gehört. Cholera wütete wie alle Jahre in Hinterindien. 
Diarrhoe und Dysenterie betreffend, so waren alle unter jenem Sammel¬ 
namen begriffenen Affektionen häufig, Leberabszeß vor allem in Cochinchina. 
In Tonkin nahmen Darmaffektionen im allgemeinen einen leichteren Verlauf, 
Leberabszeß ist indessen dort ebenfalls häufig und endet oft letal. Gelb¬ 
fieber, dessen drohender Einschleppung in die afrikanischen Kolonien an 
dieser Stelle schon öfter Erwähnung geschah, grassierte im Jahre 1904 
zu Groß-Bassau an der Elfenbeinküste als Epidemie, welche bereits 1903 
eingesetzt hatte. Es kamen ferner in Dahomey (Nordwestafrika) 12 aus¬ 
gesprochene Fälle vor, von welchen 11 tödlich endeten. Ein Fall in Dakar 
(Senegal) konnte isoliert werden. Beriberi wurde nur in Cochinchina be¬ 
obachtet. Sie zeigte sich ferner bei den Bahnarbeiten der neuen Linien, 
welche an der Elfenbeinküste, auf Madagaskar und auf Reunion im Bau 
sind, sowie in der Strafanstalt Paulo Condore (Hinterindien), wo unter 
561 Sträflingen nicht weniger als 375 an Beriberi erkrankten und 244 
starben. Infektiöse Conjunctivitis, übertragen durch Fliegen, wird in 
Pondicherry (Vorderindien) häufig beobachtet. Lepra wird in Neu-Cale- 
donien mehr und mehr auch für die Weißen zu einer dauernden Gefahr; dort 
erlagen im Jahre 1903 19 Deportierte der furchtbaren Seuche. Schlaf¬ 
krankheit kam vor in Caramance am unteren Senegal, am oberen Senegal und 
im Nigergebiet, wo die Tsetse-Fliege häufig ist, an der Elfenbeinküste, im 
Innern des französischen Congostaats wie an der Loangoküste, außerdem in 
einigen Teilen des Sudans. Die Pest, welche im Jahre 1903 sehr heftig in 
Tonkin gewütet hatte, trat dort im Jahre 1904 dank der Vernichtung der 
Ratten sehr viel milder auf. Malaria bleibt die wichtigste und häufigste aller 
Tropenkrankheiten. Seit 1903 wütet sie in Madagaskar in Form einer 
schweren Epidemie, in der Bie bei 22 Proz. der erkrankten Europäer zu 
Malaria-Kachexie führt. Doch kam es 1904 weit seltener zu Schwarz¬ 
wasserfieber, und zwar bei den Europäern 18 mal mit 5 Todesfällen, bei 
den Eingeborenen nur 3 mal mit 2 Todesfällen, während 1903 von den 
Weißen 158 an Schwarzwasserfieber erkrankt und 24 gestorben waren, von 
den Eingeborenen aber 25, von welchen 5 der Krankheit erlagen. In Tonkin 

Vierteljahnsohrift für Gesundheitspflege, 1908. Supplement. 4 


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50 


Hygienische Topographie. 


hingegen wurde diese Affektion im Hospital bei den Eingeborenen weit 
häufiger beobachtet als bei den Europäern. Bei ersteren kam sie 65 mal 
vor und endete 11 mal tödlich, während man bei den Weißen nur 35 Fälle 
zählte, von welchen 2 erlagen. Die Lepra breitet sich leider aus, da Isolie¬ 
rung wegen Fehlens gesetzlicher Vorschriften unmöglich erscheint und völlig 
illusorisch bleibt aus Mangel an Asylen, an Geld und Energie. Die Tuber¬ 
kulose nimmt unter den Eingeborenen rapide zu, vor allem infolge des 
Alkoholmißbrauchs, welchem die Neger Afrikas mehr und mehr fröhnen. 
Bei den Fetischanbetern des Sudans, welche viel Spirituosen konsumieren, 
findet man unter sechs Männern kaum einen für den Kriegsdienst tauglich, 
während unter den Mohammedanern, welche keinen Alkohol trinken, Zwei¬ 
drittel zum Dienst geeignet waren. (Ref. ebenda, S. 373 u. 558.) 

Mense: „Handbuch der Tropenkrankheiten“, III. Bd., Leipzig 
1906. Mit dem dritten, umfangreichsten, 818 Seiten starken Bande liegt 
das von Mense herausgegebene „Handbuch der Tropenkrankheiten“ 
nunmehr abgeschlossen vor. Dieser letzte Band behandelt die durch Proto¬ 
zoen verursachten Krankheiten der heißen Länder. Das Werk beginnt mit 
der Amöbenruhr, welche Richard Rüge knapp aber erschöpfend ab¬ 
handelt. Es folgen die Leberaffektionen von MacCullum, nament¬ 
lich der tropische Leberabszeß, welcher in engster Beziehung zur tropischen 
Amöbenruhr steht und eine durch das Eindringen des Amöben in das Organ 
hervorgerufene Koagulationsnekrose des Lebergewebes darstellt. Max Lahe 
beschreibt die imBlute schmarotzendenProtozoen und ihre nächsten 
Verwandten. Er macht einen Unterschied zwischen den Parasiten der Kalt- 
und der Warmblüter. Für erstere will er die Bezeichnung „Trypanosoma“ 
beibehalten, während er für letztere den Namen „Trypanozoon“ vorschlägt. 
In einem Anhänge werden die „Coccidien“ besprochen. Ein Drittel des 
Werkes ist der Malaria, bearbeitet von Ziemann, gewidmet. Verfasser 
hebt gewisse Unterschiede zwischen den Parasiten der schweren Perniciosa 
Afrikas gegenüber der gewöhnlichen Tropenmalaria und den Ästivoautumnal- 
fiebern Italiens hervor. Die Prophylaxe angehend, so empfiehlt Ziemann 
eine von ihm „Universalprophylaxe“ benannte Methode, bestehend in Gaben 
von lg Chinin oder Euchinin, an jedem vierten Tage und nar, falls dies 
nicht vertragen wird, 0,5 g Chinin oder Euchinin in gleichem Zeiträume. 
Behufs Ausrottung der Malaria kommt für ihn nicht allein die Chininisierung, 
sondern auch die Vernichtung der Mücken sowie der Schutz der Häuser 
gegen die Insekten, ferner die Trennung der Ansiedelungen der Europäer 
von denen der Eingeborenen in Betracht. Das Kapitel „Schwarzwasserfieber“ 
hat der gleiche Autor bearbeitet. Er sieht diese Krankheit als Folge der Bildung 
von Autocystohämolisinen (selbstauflösende Stoffe des Blutes) im Körper an. 
Die Bildung derartiger Stoffe erfolgt hauptsächlich unter dem Einfluß des 
Chinins bei Leuten, welche durch eine bestehende oder überstandene Malaria 
hierzu disponiert sind. Zuweilen kommt sie aber auch ohne Malaria oder 
Chinin zustande. Kala-Azar, bearbeitet von Leishmann, dem ersten 
Entdecker der Parasiten in der Milz, ferner die menschliche Trypano¬ 
somenkrankheit und die afrikanische Schlafkrankheit von 
Mense, Rückfallfieber von Schilling, tropische und subtropische 


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Allgemeine Tropenhygiene. 


51 


Viehseuchen von Sander und Hennig, Psittakosis von Philippo Rho, 
endlich einige weniger bekannte Krankheitsbilder von Mense. Das Werk 
ist mit Abbildungen, namentlich farbigen Tafeln reich ausgestattet. (Ref. 
ebenda, S. 174, 175.) 

L. Brieger und M. Krause: „Kann man durch Einspritzung 
von Chemikalien, wie übermangansaures Kali und Chlorkalk, 
den menschlichen und tierischen Organismus gegen die Wir¬ 
kung des Schlangengiftes schützen?“ [Aus dem Laboratorium 
der hydropatiscben Anstalt der Universität Berlin. Leiter Prof. Dr. Brieger. 
(Menses Archiv, Bd. 11, S. 212 ff.)] Die Autoren wurden bei den Vorarbeiten 
zur Herstellung eines Schlangengiftserums für die deutschen Kolonien wieder¬ 
holt darauf hingewiesen, daß man mit Kali hypermanganicum sowie Chlor¬ 
kalk als Schutz gegen Schlangengiftwirkung nicht selten gute Erfolge erzielt 
habe. So erzählte ein deutscher Arzt, er habe neun Jahre alB Farmer in 
Venezuela gelebt und dort seien seine Kühe öfters von Klapperschlangen 
ins Maul gebissen worden. Zur Aufhebung der Giftwirkung habe er durch 
seine Hirten etwa 1 ccm einer 1 proz. Lösung von Kali hypermanganicum 
den Tieren unter die Bauchhaut spritzen lassen mit dem Erfolge, daß sie 
selbst dann noch am Leben erhalten wurden, wenn sie schon anfingen zu 
taumeln! Da auch durch die Tagespresse ähnlich lautende Nachrichten ver¬ 
breitet waren, so beschlossen die Laboratoriumsleiter, dahin zielende Ver¬ 
suche an Meerschweinchen vorzunehmen. — Das Ergebnis war, wie erwartet, 
ein völlig negatives. Die Tiere erlagen ausnahmslos sowohl nach subkutaner 
Einspritzung von Colubriden-(Cobra)Gift als Krotälus-(Klapperschlangen-) 
Gift, ob nun Kali permanganicum oder Chlorcalciumlösung fünf Minuten 
später eingespritzt wurde oder nicht. Ebenso verliefen subperitoneale Ein¬ 
spritzungen, welche mit dem Gift der Rhinoceros-Viper (Deutsch-Ostafrika) 
vorgenommen wurden. Diese negativen Resultate waren von vorneherein zu 
erwarten. Die Verfasser halten es für ausgeschlossen, daß durch nachträglich 
eingespritzte Kaliumpermanganat- oder Chlorkalklösungen ein Gift zerstört 
werden kann, welches bereits in die Lymph- oder Blutbahn gelangt ist. 
Kaliumpermanganat wie Chlorkalk sind starke Oxydationsmittel, welche bei 
Berührung einer jeden organischen Substanz unter Oxydation derselben sich 
selbst reduzieren. Es erscheint daher rationell, die Wunde mit einer jener 
Lösungen auszuwaschen und sie zu desinfizieren, um das Gift, welches äußer¬ 
lich an der Wunde sitzt und noch nicht in die Lymph- oder Blutbahn ein¬ 
drang, zu vernichten. Die Wirkung des bereits in jene Bahnen gelangten 
Giftes kann indessen nach dem augenblicklichen Stande der Wissenschaft 
lediglich durch ein Schutzserum aufgehoben werden. (Ref. ebenda, S. 212.) 

Zur bleibenden Erinnerung an den als Opfer seiner Untersuchungen 
über die Schlafkrankheit im Jahre 1906 in Kasongo verstorbenen Tropen¬ 
arzt Everest Dutton soll ein Lehrstuhl für die Erforschung der Tropen¬ 
krankheiten an der Schule für Tropenmedizin in Liverpool errichtet werden. 
Die Schule beabsichtigt zu diesem Zweck einen Fonds von 10 000 Pfund 
Sterling durch öffentliche Sammlung zusammenzubringen. (Ref. ebenda, S. 250.) 

Aldo Castellani: „The opsonic treatment of some diseases 
in the tropics.“ (Menses Archiv, Bd. 11, S. 251 ff.) Verfasser, Direktor 

4 * 

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52 Hygienische Topographie. 

der Klinik für Tropenkrankheiten und des bakteriologischen Instituts in 
Colombo, beschreibt in vorliegendem Aufsatz kurz die Erfahrungen seiner 
Impftherapie, welche er bei verschiedenen Krankheiten auf der Insel 
Ceylon anwandte. 

Die Technik betreffend, so schloß er sich eng an die Methode von 
Wrigth und Douglas an. Aus ihren klassischen Versuchen ist bekannt, 
daß, sobald die Lymphe einem Tiere einverleibt wird, die unmittelbare Wir¬ 
kung auf sein Blut in einer Herabsetzung seiner Widerstandskraft besteht 
Dieser Phase, welche man als die „negative“ bezeichnet, folgt unmittelbar 
die „positive“, in welcher die Schutzstoffe an Stärke gewinnen und die 
Widerstandskraft des Blutes zunimmt. Man befolgt im allgemeinen den 
Grundsatz, während der negativen Phase keine weiteren Impfungen vor¬ 
zunehmen. Verfasser macht indessen gelegentlich eine Ausnahme, falls der 
Patient sehr kräftig ist und an einer ausgesprochenen lokalen Affektion leidet 
Er stellte die Lymphe stets direkt aus den Krankheitskeimen her, welche 
er aus den Geweben des Patienten isolierte und zwar in folgender Art: Er 
übertrug den Keim auf Agar-Röhrchen und ließ ihn dort 48 Stunden wachsen. 
20 mg Kultur werden sodann mit 10 ccm steriler physiologischer Kochsalz¬ 
lösung oder sterilen Peptonwassers gemengt Die Emulsion wird 1 Stunde 
lang bis zu einer Temperatur von 60 bis 65° erwärmt. Danach ist die 
Lymphe fertig zum Gebrauch, doch setzt Verfasser gewöhnlich 7s Proz. 
Carbollösung zu. Es erscheint ratsam, die Lymphe an einem dunklen und 
kühlen Platze aufzubewahren. Jedes Cubikcentimeter der Lösung entspricht 
also 2 mg Kultur. Der Autor beginnt mit Injektionen von 7« ccm Lymphe 
und Bteigt allmählich bis 8 /« ccm. Über 1 ccm ist er nie hinausgegangen. 

Der erste so behandelte Fall betraf einen Singhaiesenknaben von fünf 
Jahren, welcher an Pseudogranuloma pyogenicum erkrankt war. Patient 
hatte am Gesicht, Armen und Beinen mehrere eigentümlich infiltrierte Flecke 
von 7s bi® 1 Zoll Durchmesser. Verfasser entnahm aus diesen Flecken 
einzelne Gewebsstückchen, bettete sie in Paraffin ein und untersuchte sie 
mikroskopisch. Er fand keine Plasmazellen, weshalb er die Flecke nicht 
für echte Granulome erklärte. Aus dem Gewebssaft der erkrankten Haut¬ 
partien züchtete er den Staphylococcus pyogenes aureus, aus welchem er 
eine Lymphe herstellte. Mit dieser Lymphe impfte der Autor das erkrankte 
Kind achtmal. Binnen drei Wochen verschwanden die Granulome allmäh¬ 
lich. In analoger Weise wurde ein erwachsener Singhalese behandelt, welcher 
an Sycosis litt. Dieselbe hatte bisher jeder Behandlung getrotzt Die bak¬ 
teriologische Untersuchung der Pusteln ergab StaphylococcuB aureus und 
albus. Der Zustand des Patienten besserte sich schon nach der zweiten 
Injektion erheblich. Nach der dritten trat Heilung ein, ohne daß eine andere 
Behandlung angewandt worden wäre. Ein dritter Patient, ein malayischer 
Konstabler, welcher an Pseudogranuloma pyogenicum und Sycosis litt, war 
schon nach der zweiten Injektion geheilt. Ebenso sah Verfasser öfter eine 
eigentümliche Form eitriger Folliculitis bei den Eingeborenen an den unteren 
Extremitäten, die sie unbedeckt lassen. Während die bisher übliche 
Methode der medikamentösen Behandlung versagte, erfolgte durch vier 
Injektionen vollständige Heilung. Ein nur teilweiser Erfolg wurde er¬ 
zielt bei zwei Europäern, welche an einer sehr hochgradigen Form von 


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Allgemeine Tropenhygiene. 


53 


Acne vulgaris litten; nach vier Injektionen trat Besserung, aber nicht voll¬ 
ständige Heilung ein. Dagegen gelang es einen 27 Jahre alten Europäer, 
welcher an einer ausgedehnten, äußerst schmerzhaften Furunkulose der 
Beine erkrankt war, völlig zu heilen. Aus dem Eiter zweier größerer Furunkel 
wurden nämlich Staphylococcus anreus und albus gezüchtet. Nach drei In¬ 
jektionen eines aus beiden Staphylokokken gemischten Extraktes verschwanden 
die Furunkel in Zeit von drei Wochen nach Beginn der Kur. 

Auch ein Fall von chronischer Bakterien-Dysenterie wurde durch jene 
Art der Behandlung günstig beeinflußt. Im April 1906 konsultierte den 
Verfasser ein junger Franzose, welcher aus China kam und sechs Monate 
lang an Ruhr litt. In China hatte er zwei sehr heftige, zwei Wochen 
währende Anfälle durchgemacht. Seitdem hatte er hin und wieder Diarrhoe 
mit blutigen Stühlen und Tenesmus. Er war mit salinischen Mitteln, 
Ipecacuanha, Bismut usw., ohne dauernden Erfolg behandelt worden. Als 
der Autor den Patienten sah, hatte er täglich vier bis sechs Ausleerungen, 
welche wenig Fäces, viel Schleim und Eiter und etwas Blut enthielten. 
Mikroskopisch zeigten sie zahlreiche Leucocyten, wenige rote Blutkörperchen, 
keine Amöben. Bei bakteriologischer Prüfung gelang es, den Bazillus 
Kruse-Shiga zu isolieren. 

Die Anwendung von Anti-Dysenterie-Serum aus dem Lister-Institut in 
London, welches in zwei Fällen von akuter Bakterienruhr gut gewirkt hatte, 
blieb ohne Erfolg. Verfasser präparierte nunmehr eine Lymphe, in welche 
der aus den Stühlen gewonnene Bazillus Kruse-Shiga gepreßt war. Zuerst 
wurde 0,25 ccm eingespritzt, vier Tage später 0,5 ccm, ein drittes Mal nach 
Verlauf von acht Tagen 1 ccm. Blut und Eiter verschwanden binnen sechs 
Tagen aus dem Stuhl; eB erfolgten nur noch zwei fäkulente Entleerungen. 
Patient mußte Ceylon verlassen und konnte deshalb nicht länger unter Be¬ 
obachtung bleiben. Drei Monate später schrieb er aus Ägypten, daß er 
jetzt keine Anfälle mehr gehabt hätte, während sie früher jeden Monat auf¬ 
getreten waren. 

Natürlich darf man aus der Behandlung nur eines Falles keine Schlüsse 
ziehen. Es könnte sich hier um ein zufälliges Zusammentreffen handeln. 
Immerhin berichtete Dr. Graig aus Kassaul (Indien), daß er ebenfalls ganz 
unabhängig vom Verfasser einen Fall von Ruhr in gleicherweise mit gutem 
Erfolge behandelt habe. Es erscheint deshalb ratsam, mit jenen Versuchen 
fortzufahren, zumal es sich bei der chronischen Dysenterie um eine sehr 
hartnäckige, schwer zu heilende Affektion handelt. 

Friedrich Plehn: „Tropenhygiene mit spezieller Berücksichti¬ 
gung der deutschen Kolonien. Ärztliche Ratschläge für Kolonial¬ 
beamte, Expeditionsführer, Pflanzer und Faktoristen“. 21 Vor¬ 
träge. 2. Aufl. Neubearbeitet von Albert Plehn. Die Neubearbeitung 
des rühmlichst bekannten Werkes hat nach dem Ableben des Verfassers 
sein Bruder Albert Plehn übernommen, dessen Arbeitsgebiet während vieler 
Jahre das gleiche wie das des Autors gewesen ist, so daß er in der Lage 
war, seine reichen Erfahrungen auf Grund eigener Beobachtungen und Unter¬ 
suchungen zu ergänzen. Die Anordnung des Stoffes ist im wesentlichen unver¬ 
ändert geblieben. Entsprechend den neueren Forschungen haben namentlich 


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54 Hygienische Topographie. 

die Kapitel über Malaria und Dysenterie Umarbeitungen erfahren. Neu 
hinzugekommen ist eine Vorlesung über die Hygiene der Eingeborenen, in 
welcher auch die praktisch wichtigsten Erkrankungen derselben kurz ab¬ 
gehandelt werden. Sehr treffend und beherzigenswert ist der Inhalt des 
Abschnitts, welcher von dem Verkehr mit den Farbigen handelt. (Ref. in 
Menses Archiv, Bd. 11, S. 304.) 

Albert Plehn: „Kurzgefaßte Vorschriften zur Verhütung und 
Behandlung der wichtigsten tropischen Krankheiten.“ Jena 1906. 
Das Büchlein gibt auf nur 34 Seiten in knapper und prägnanter Form 
die wichtigsten Ratschläge über Verhütung und Behandlung der Krankheiten 
der beißen Länder. Allerdings konnten nicht alle Tropenerkrankungen Be¬ 
rücksichtigung finden; vielmehr ist das Schriftchen vor allem auf afrikanische 
Verhältnisse zugeschnitten. (Ref. ebenda, S. 314.) 

Dier in g-Baden -Baden: „Das Kaliumpermanganat in der Be¬ 
handlung von Schlangenbißvergiftungen.“ (MenseBArchiv, Bd. 11, 
S. 372 ff.) In vorliegender Arbeit tritt Verfasser den in einem früheren Referat 
angeführten Behauptungen von Brieger und Krause entgegen. Allerdings 
erscheint es aussichtslos, durch derartig differente Mittel wie Kaliumper¬ 
manganat und Chlorkalk, ein organisches Gift, welches sich in der großen 
Masse organischer Substanzen des menschlichen oder tierischen Organismus 
verbreitet hat oder noch verbreiten wird, von einer einzigen Körperstelle 
her beeinflussen zu wollen. Da man nur sehr geringe Mengen jener 
scharf wirkenden Gegengifte dem Körper einverleiben darf, vermögen 
dieselben ihre oxydierende Wirkung nur am Ort der Applikation zu 
entfalten. Eine allgemeine Schutzwirkung aber können sie weder vor 
noch nach dem Biß ausüben. Sie sind eben nichts weiter als ein Antidot, 
wie es das Ferrisulfat gegen Arsenik oder die Magnesia gegen Säuren 
darstellt. Daß es aber als solches hohen Wert besitzt, kann nach den 
zahlreichen günstigen Erfahrungen, wie sie zuerst von englischen Ärzten 
in Indien und später auch in den deutschen Kolonien gemacht wurden, 
keinem Zweifel mehr unterliegen. Die ring selbst hat während eines zehn¬ 
jährigen Aufenthaltes in den Tropen häufig Schlangenbisse behandelt. Er 
schildert die Art seiner Anwendung des Kali hypermanganaticum folgender¬ 
maßen : 

In der Regel werden die von Schlangen gebissenen Personen dem Arzte 
mit einer Abschnürung um das verletzte Glied zugefübrt. Man läßt die¬ 
selbe, falls sie fest genug liegt, an Ort und Stelle; anderenfalls befestigt 
man sie schnell oder legt eine solche an, falls das noch nicht geschehen ist 
Darauf sucht man die Bißstelle auf; sie iBt in der Regel durch zwei feine, 
strichförmige, parallel laufende Hautwunden sicher gekennzeichnet. Dort 
injiziert man möglichst schnell 1 bis 2 ccm der 1 proz. Kaliumpermanganat¬ 
lösung in sechs bis acht Portionen kranzförmig rings um die Wunde herum 
in das Unterhautzellgewebe. Nachdem man auf diese Weise das noch nicht 
resorbierte Gift eingekreist und unschädlich gemacht hat, wartet man einige 
Minuten und kann dann meist den Rückgang der vielleicht schon auf¬ 
getretenen allgemeinen Intoxikationserscheinungen beobachten. Man löst 
sodann die Umschnürung, reicht dem Patienten Kognak und wird dann ge- 


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Allgemeine Tropenhygiene. 55 

wohnlich aller weiteren Eingriffe entraten können. Es genügt nicht, die In¬ 
jektion von Kaliumpermanganat neben der Bißstelle zu machen, da natürlich 
auf der dem Medikament abgewandten Seite immer noch genug nicht oxydiertes 
Gift durch die sich verästelnden Lymphbahnen dem Kreislauf zugefiihrt 
wird, um den Tod des Gebissenen herbeizuführen. Das Ausbrennen, Aus¬ 
schneiden oder tiefe Ätzen der Bißstelle wirkt lange nicht so sicher und 
führt in den Tropen meist zu umfangreichen, schwer heilenden Ulcerationen. 

Die bis jetzt dargestellten Schlangengiftsera besitzen doch wohl noch 
nicht jene Eigenschaften, welche es gestatten, auf sichere Wirkung in allen 
Fällen zu rechnen. Erstlich muß man für die beiden großen Gift gruppen, 
die ne uro toxischen und die hämolytischen Gifte, zwei Arten Serum haben 
und man ist meist genötigt, beide zu injizieren, um sicher zu gehen. 

Zweitens aber halten sich derartige Sera in den Tropen nicht lange und 
sind da, wo die meisten Menschen von Schlangen gebissen werden,- auf ent¬ 
legenen Stationen, auf kriegerischen Expeditionen, auf Jagd usw. meistens 
überhaupt nicht vorhanden. Bevor es nicht gelungen ist, diese Schwierig¬ 
keiten einer Schlangenbißbehandlung zu heben, darf man auf keinen Fall 
ein so bewährtes Mittel, wie es daB Kaliumpermanganat bei sachgemäßer 
Anwendung ist, über Bord werfen! 

Louis Saubon: „Tropical Clothing.“ (Jorn. trop. Med., 15. Febr. 
1907.) Da es die aktinischen, nicht aber die Wärmestrahlen der Sonne 
sind, welche in den Tropen so unangenehme Wirkungen auf die Haut des 
Weißen üben, so suchte Verfasser einen Stoff herzustellen, welcher für die 
aktinischen Strahlen undurchlässig ist, ohne die Wärmestrahlen zu absor¬ 
bieren, wie dies Schwarz, Rot und Orange tut. Durch Versuche mit gelben, 
blauen und roten Fäden wurde ein Stoff „Solaro“ hergestellt, dessen Farbe 
dem des „Khaki“ ähnelt. Der „Solaro“ hat neben anderen Vorzügen, wie 
Porosität, Festigkeit usw., die Eigenschaft, die aktinischen Strahlen nicht 
durchzulassen. (Ref. ebenda, S. 561.) 

„Medizinalberichte üb er die deutschen Schutz gebiete Deuts ch- 
Ostafrika, Kamerun, Togo, Südwestafrika, Neuguinea, Karolinen, 
Mariannen, Marschallinseln und Samoa für das Jahr 1904/05.“ 
Herausgegeben von der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts. Berlin 1907. 
Die Medizinalberichte über die deutschen Schutzgebiete, welche früher als 
Anhang der Denkschriften vom Reichsgesundheitsamt publiziert wurden, 
liegen hier zum zweiten Male, als Sammelwerk zu einem stattlichen Bande 
vereinigt, vor. Die wichtigste Frage für die Mehrzahl der Kolonien lautet 
auch heute noch: „Wie steht es mit der Malaria und welche Erfolge zeitigt 
ihre Bekämpfung?“ In Deutsch-Ostafrika hat sich die Zahl der an Malaria 
in Behandlung gewesenen Personen gegen das Jahr 1904/05 vergrößert. 
Dies erklärt sich indessen einerseits durch die Bevölkerungszunahme, anderer¬ 
seits durch eine ungewöhnlich starke und anhaltende Regenperiode, zum 
mindesten für die Küstenstationen. Während in Dar es Salam die Erkran¬ 
kungen etwas abnahmen, erfuhren sie in Tanga eine erhebliche Zunahme. 
Die Chininprophylaxe handhabte man in der Weise, daß an drei aufeinander¬ 
folgenden Tagen der Woche je 0,5 g gereicht wurden. Grammdosen, vom 
achten und neunten Tage genommen, bewährten sich ebenfalls. Gleich wichtig 


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Hygienische Topographie. 


ist die Vernichtung der Anopheles, welche in Dar es S&lam trotz großer 
Schwierigkeiten energisch begonnen wurde. Ebenso Yerfährt man in West- 
afrika, wo sowohl der Chininprophylaxe wie der Mückenbekämpfung ein¬ 
gehende Sorgfalt gewidmet wird. Die Berichte aus Lona und Anecho lauten 
recht ermutigend. 

In Deutsch-Neuguinea (Kaiser Wilhelms-Land) wird das Chinin in 
Grammdosen alle fünf Tage gereicht. Diese Medikation hat sich auch in 
diesem Jahre meist gut bewährt. Auch hier beginnt man mit der Mücken¬ 
vertilgung, vor allem durch Zuschüttung der Sümpfe. 

Leider stellen sich der Durchführung der Prophylaxe in den Kolonien 
mancherlei Hindernisse in den Weg. Schon bei den Europäern sieht man 
nicht selten Gleichgültigkeit gegen die Gefahr, welche sich gelegentlich bis 
zur prahlerischen Verachtung steigert. Aber auch bei den Willigen ist die 
nötige Zuverlässigkeit in der Chininmedikation nicht immer zu erreichen. 
Die stark fluktuierende Eingeborenenbevölkerung erfordert nun vollends 
behufs Kontrolle sanitärer Maßregeln ein Sanitätspersonal, welches zurzeit 
in hinreichender Zahl noch nicht vorhanden ist. Austrocknung von Sümpfen 
und stagnierenden Gewässern, Vertilgung der Brutstätten der Anopheles 
verlangen schwierige und kostspielige Arbeiten. Endlich ist das Verständnis 
für mechanischen Schutz der Wohnstätte und der eigenen Person gegen 
Mücken noch nicht hinreichend bei der Bevölkerung verbreitet. — Außer 
Malaria sind freilich noch andere gefährliche Krankheiten in den Kolonien 
vorgekommen. In Aneccho, Agone und Grandpopo, mit einer Bevölkerung von 
nur 62 Köpfen, brach Gelbfieber aus; 16 Personen erkrankten und nur drei 
genasen. Durch See- und Landquarantäne, vor allem aber durch energische 
Mosquitobekämpfung gelang es, die Seuche auf ihren Herd zu beschränken. 
Auf der Insel Kome im Viktoriasee wies man einen Herd der Schlafkrank¬ 
heit durch Auffindung der Glossina palpalis bzw. des Trypanosoma ogandense 
nach. Es kamen 33 Fälle zur Beobachtung, von welchen 28 tödlich endeten. 
Eine unmittelbare Gefahr der Weiterverbreitung scheint nicht zu bestehen. 
Im Bezirk der Station Iringa (Deutsch-Ostafrika) trat die Pest wieder auf, 
aber erheblich milder als in den Vorjahren. Dies günstige Resultat führt 
man neben systematischer Vernichtung der Ratten in den verseuchten Ge¬ 
bieten auf die Pestimpfung zurück, welcher 1Ö00 Personen, unter ihnen auch 
drei deutsche Militärärzte unterworfen wurden. 

Wir finden zum ersten Male einen Bericht über das Lienkard-Sana- 
torium Wagiri. Ara 1. September 1904 wurde dieses Genesungsheim er¬ 
öffnet, welches nach seiner Lage 1000 m über dem Meeresspiegel auf einem 
der schönsten Punkte des West-Usambara-Gebirges berufen ist, den Europäern 
der Kolonie als Erholungs- und Genesungsheim zu dienen. Bis zum Berichts¬ 
jahre fanden 39 Personen: 29 Männer, 9 Frauen und 1 Kind dort Auf¬ 
nahme. In allen Fällen war ein guter Erfolg zu verzeichnen. (Ref. ebenda, 
S. 616, 617.) 

Regnaud: „Observations sur l’alimentation des indigönes 
dans les pays chauds.“ (Ann. d’hyg. publ. et de med. leg. Paris 1907, 
p. 315.) Die Arbeit enthält genaue Angaben über die Art der Verpflegung 
der Gefangenenarbeiter sowie über die Ernährung der freien Arbeiter in 


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Allgemeine Tropenhygiene. 67 

Neu-Caledonien, Hinterindien, China, Korea, am belgischen Kongo, in Daho- 
mey und in Ägypten. (Ref. ebenda, S. 618.) 

Max Martin: „Studien über den Einfluß der Tropensonne auf 
pathogene Bakterien.“ Aus dem Nachtigalkrankenhaus in Togo. 
(Münch, med. Wochenschr., Nr. 51, 18. Dezember 1906.) Es ist eine alte 
Erfahrung, daß Wunden bei den Negern stets glatt heilen, entzündliche 
Wundprozesse aber selten sind. Hiervon ausgehend, machte Verfasser eine 
Reihe von Versuchen, welche den Einfluß der Wärme des Lichtes der Tropen¬ 
sonne auf pathogene Keime klarlegen sollten. Er kam zu folgenden Resul¬ 
taten : 

1. In den tropischen Ländern herrscht eine gewisse Bakterienarmut 
hinsichtlich der pathogenen Arten. 

2. Sie ist bedingt durch die bakterientötende Wirkung der Sonne. 

3. Den Hauptfaktor der Sonnenwirkung bildet anscheinend die Sonnen¬ 
wärme, doch kommt auch dem Sonnenlicht eine erhebliche Bedeutung zu. 

4. Eine Anzahl nichtpathogener Keime bleibt von dem Einfluß der 
Sonne unberührt. 

5. Die mechanische Reinigung durch das Seewasser der Brandung er¬ 
zeugt Sterilität des Oherflächensandes im Bereich der Brandung. (Ref. 
ebenda, S. 621.) 

Külz: „Die Hygiene des Trinkens in den Tropen.“ (Flensburg 
1905.) Das Toleranzquantum für Alkohol erscheint in den Tropen ent¬ 
schieden wesentlich herabgesetzt. Deshalb ist schon ein sogenannter „mäßiger 
Genuß“ vom Übel. Die für die Tropen bestimmten Biere sind mit Rücksicht 
auf ihre Haltbarkeit stärker eingebraut, daher alkoholreicher. Manch steno- 
kardischer Anfall, mancher Ausbruch von Nervosität und Tropenkoller ist 
sicher mehr auf Konto des Alkobolmißbrauchs als des warmen Klimas zu 
schreiben. Hierzu kommt, daß bei dem an Abwechslung ärmeren Leben 
innerhalb der heißen Länder die Verführung zum Trünke stärker ist als in 
der Heimat. Auch stößt die Versorgung mit einwandfreiem Trinkwasser 
meist auf große Schwierigkeiten. Als Wasserzusatz werden Fruchtsäfte, 
namentlich Zitronensäure empfohlen. Außerdem kommen zum Stillen des 
Durstes Mineralwässer und die frischen Früchte in Betracht. (Ref. ebenda, 
S. 627.) 

Deherme: „Der Alkoholismus in den Kolonien.“ (Annales anti- 
alcooliques, April 1905.) Mit dem Alkoholmißbrauch sieht es speziell in den 
französischen Kolonien übel aus. Neben tüchtigen Kräften finden sich dort 
wie auch in anderen außereuropäischen Ländern vielfach Individuen ein, 
welche die Kolonien aufsuchen, um dort möglichst schnell zu Ehre und 
Reichtum zu gelangen. Das sind die Rekruten für den Alkoholismus. In 
der französischen Kolonialarmee spielt derselbe eine höchst verhängnisvolle 
Rolle. Seine Hauptursache ist, wie nicht scharf genug betont werden kann, 
die Langeweile. Der französische Kolonialkrieger kennt kaum eine 
andere Erholung, als in den chinesischen Spelunken die giftigen Schnäpse, 
besonders den Absinth zu konsumieren. Nicht besser treibt es der Beamte 
und der Kaufmann. Um 5 Uhr abends ist Geschäftsschluß, diniert wird 
um 8 Uhr. Die Zwischenzeit ist dem Likörgenuß geweiht. Nach dem 


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58 Hygienische Topographie. 

Essen kommen die „Cocktails“ an die Reihe und bei jeder festlichen Ge¬ 
legenheit wird dem Champagner gehuldigt. Verläßt man zu später Stunde 
das Speisehaus, so regt sich der Tropenkoller, man schlägt seinen Kuli und 
begeht Exzesse in Venere. In den englischen Kolonien, wie Honkong, Singa- 
pore, Colombo, steht es viel besser. Dort herrscht der Sport, vertreibt die 
Zeit und stählt den Körper wie den Geist. Man sorge daher auch in den 
französischen Kolonien für die Pflege des Sports und beschränke nebenbei 
die Zahl der Kolonialämter auf ein Mindestmaß, damit nicht gut bezahlte, 
aber mangelhaft beschäftigte Beamte durch Müßiggang und Völlerei den 
’ Soldaten, Zivilisten und Eingeborenen schlechte Beispiele geben. (Referiert 
ebenda, S. 628.) 

v. Muralt: „AbstinenteNaturvölker.“ Internationale Monatsschrift 
zur Erforschung des Alkoholismus 1905, Heft 5. Naturvölker, welche von 
den Segnungen der Kultur bisher unberührt blieben, gibt es heute nur noch 
in sehr geringer Zahl. Durch die Forschungsreisen von denSteinens 
erhielten wir Kunde von Indianerstämmen Zentralbrasiliens, welchen jeder 
Genuß von Alkohol, sowie der Gebrauch des Kochsalzes bis jetzt unbekannt 
geblieben ist. Dabei stehen sie auf keiner niedrigeren Kulturstufe als ge¬ 
wisse andere Stämme Mittel- und Südamerikas, welche bereits vor der Ent¬ 
deckung des Landes durch Columbus alkoholhaltige Getränke zu bereiten 
wußten, teils durch einfaches Kauen brotähnlicher Substanzen, teils durch 
Gärung zuckerhaltiger Früchte wie Agawen und Kaktusfeigen. 

Verfasser kommt zu folgendem Schluß: Die erste Gewinnung alkoholi¬ 
scher Getränke erscheint mehr als Zufall, denn als notwendige Folge eines 
auf einer bestimmten Kulturstufe sich einstellenden Bedürfnisses nach Be¬ 
rauschung. (Ref. ebenda, S. 630.) 

Ziemann: „Schutzpockenimpfung in den Kolonien.“ Vortrag, 
gehalten auf dem XIV. internationalen Kongreß für Hygiene und Demo¬ 
graphie zu Berlin. Die Pocken herrschen in allen tropischen Kolonien ende¬ 
misch. Schriftliche und mündliche Belehrung über ihr Wesen und ihre 
Bekämpfung durch die Schutzpockenimpfung erscheint dringend geboten. 
Untersuchung der Eingeborenen auf den Häuptlingsversammlungen ist be¬ 
sonders in mohammedanischen Ländern anzustreben, um den aus religiösen 
Anschauungen entsprungenen Aberglauben zu überwinden. Allgemeine 
Impfung muß überall eingeführt werden. An der Schutzpockenimpfung 
haben sich neben dem Sanitätspersonal auch die übrigen Beamten der be¬ 
treffenden Bezirke zu beteiligen. Ihre Durchführung kann als Prüfstein für 
die Güte der Verwaltung der betreffenden Landstriche angesehen werden. 
In jeder Kolonie sind je nach ihrer Ausdehnung ein oder mehrere Reiseärzte 
anzustellen, welche neben der Bekämpfung anderer Seuchen vor allem die 
systematische Durchimpfung der Bevölkerung, besonders auf den Karawanen¬ 
straßen, durchzuführen und eingeborene Hilfskräfte heranzubilden haben. 
Die Technik der Impfung soll die gleiche sein wie in Europa. Dieselbe ist 
am besten während der kälteren Hälfte des Jahres in den kühleren Tages¬ 
stunden vorzunehmen, ln jeder Kolonie soll mindestens ein Schutzimpfungs¬ 
institut angelegt werden, welches dem Chef der Medizinalpolizei untersteht. 
Wo nicht genügend Kälberlymphe erhältlich ist, kann auch von Arm zu 


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Allgemeine Tropenhygiene. 59 

Arm geimpft werden. Doch soll man zu Abimpfungen nur ganz gesunde 
Bänder bis zu acht Jahren wählen. Die Versuche, haltbare Lymphe zu ge¬ 
winnen, welche bei höherer Temperatur ihre Wirksamkeit nicht einbüßt, sind 
fortzusetzen (Trockenlymphe, Lanolin an Stelle des Glycerinzusatzes), ebenso das 
Bestreben, in Ländern, wo Rindvieh selten ist, die Kälberlymphe durch Lymphe 
von anderen Tieren, wie Kaninchen, zu ersetzen. Bei den Versuchen, welche 
Ziemann mit Kaninchenlymphe vornahm, bildeten sich bei den Tieren sofort 
Krusten anstatt der Pusteln, welche in Form von Glycerinemulsion Verwen¬ 
dung fanden. Der Impfschutz der Farbigen währt meist nicht so lange wie 
derjenige der Europäer. Daher ist die Impfung schon nach fönf Jahren zu 
wiederholen. Jeder Weiße, welcher zum erstenmal in einer Kolonie von 
Amts wegen zu tun hat, muß vor der Abreise geimpft werden, falls er nicht 
innerhalb der letzten zwei Jahre mit Erfolg vacciniert wurde oder die Pocken 
öberstand. (Ref. Menses Archiv, Bd. 11, S. 694.) 

Plehn: „Über Sanatorien in den Tropen.“ (Menses Archiv, Bd. 11, 
S. 731 ff.) Der Weiße, welcher durch seinen Beruf gezwungen ist, längere 
Zeit in dem feuchtheißen tropischen Tieflande zu weilen, empfindet von Zeit 
zu Zeit das Bedürfnis nach Erquickung in der kühlen, reinen Luft der Berge. 
Mehr noch als der Gesunde verlangt der chronisch Kranke oder der Rekon¬ 
valeszent von akutem Leiden, vor allem Malaria, nach einer derartigan Er¬ 
holung. Er braucht aber deshalb nicht gleich einen Europaurlaub anzu¬ 
treten; komfortable Gebirgsstationen in den Tropen selbst bieten seit geraumer 
Zeit vorzügliche Erholungsstätten für den durch Hitze ermatteten oder durch 
längere Krankheit geschwächten Kolonisten des tropischen Tieflandes. Hier 
verschwinden schnell jene quälenden Entzündungen der stets schweißdurch¬ 
feuchteten Haut (Lichen tropicus, roter Hund), welche in der Niederung den 
ohnedies durch die Hitze stark beeinträchtigten Schlaf noch mehr verkümmern. 
Hier heilt auch der chronische Magenkatarrh, welchen das durch den 
quälenden Durst bedingte übermäßige Trinken erzeugt. Denn infolge der 
Aufnahme großer Flüssigkeitsmengen wird der Magensaft bis zur Wirkungs¬ 
losigkeit verdünnt in den Darm gespült. Die eingeführten Speisen, vor 
allem das frischgeschlachtete und deshalb barte Fleisch, bleiben dann lange 
mangelhaft verdaut im Magen liegen und üben schon einen rein mechani¬ 
schen Reiz auf seine Schleimhaut aus. Neben der Besserung dieser Ver¬ 
hältnisse bewirkt der Aufenthalt im Gebirge auch eine energische Durch¬ 
blutung des Körpers, während im heißfeuchten Klima der Ebene meist eine 
Erweiterung der Hautgefäße und dadurch eine Minderung der Blutzufuhr 
zum Magendarmkanal wie zu den großen Unterleibsdrüsen beobachtet wird. 
Indirekt beeinflußt die Verbesserung der Zirkulation des Blutes das Nerven¬ 
system günstig, indem zu seiner Kräftigung im Höhenklima auch die nur 
dort leicht erhältlichen kühlen Bäder beitragen sowie die Möglichkeit, sich 
ausgiebige Bewegung in freier Luft zu machen. Von größtem Einfluß auf 
das Wohlbefinden des Menschen ist ferner der Grad der Luftfeuchtigkeit 
und die hiermit in Zusammenhang stehende Niederschlagshäufigkeit. Je 
trockener die Luft, um so zuträglicher ist sie in einer Höhenlage. Deshalb 
müssen derartige Luftkurorte möglichst entfernt von der Meeresküste und 
jedenfalls stets auf dem dem Meere abgewandten Bergabhange errichtet 


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Hygienische Topographie. 


werden. Die von dem Seewinde gegen das Gebirge getriebenen regen- 
schwangeren Wolkenmassen schlagen sich bereits an dem der See zugewandten 
Abhange nieder und erreichen deshalb nur zum kleinsten Teile und meist 
lediglich während der Regenzeit die dem Meere abgekehrten Gebirgspartien. 

Sehr zu beherzigen ist andererseits, daß ein längerer Aufenthalt im 
tropischen Gebirge in erster Linie nur für Erschöpfungszustände, wie solche 
durch langjährige Tätigkeit an der feuchtheißen Tropenküste zustande 
kommen, von guter Wirkung sein wird. Ganz anders aber steht es mit dem 
schwerkranken Organismus, welchen der schroffe Klimawechsel bei Über¬ 
siedelung in das Gebirge meist -nachteilig beeinflußt. Obwohl die in unseren 
Kolonien vorhandenen Bergzüge im Gegensatz zu den indischen Hochlanden 
und den Anden von Malaria frei sind, verlaufen die Rückfälle, welche das 
kühle Bergklima auslöst, vielfach schwerer als die in der feuchtheißen Niede¬ 
rung ausgebrochene Grundkrankheit; sie kompliziert sich ganz besonders 
häufig mit Schwarzwasserfieber. Den erfahrenen Tropenarzt überrascht dies 
nicht. Ist es doch lange bekannt, daß aucb nacb der Heimkehr aus dem 
heißen Gürtel, wenn längst jede Neuinfektion auszuschließen ist, Recidive 
eintreten, welche leider nicht selten tödlich enden. Bis zum völligen Er¬ 
löschen der latenten Infektion wird der Höhenaufenthalt kaum je fortgesetzt 
werden können. Hierzu sind selbst in der Heimat bei zweckmäßigem Fort¬ 
gebrauch des Chinins meist sechs Monate und mehr erforderlich. Daß ohne 
systematischen Chiningebrauch die Malariafälle sich selbst daheim jahrelang 
hinziehen können, ist eine unumstößliche Tatsache. Bei rationeller Chinin¬ 
therapie wird allerdings auch ein geschwächter Organismus, namentlich zu 
einer Zeit, wo er an der Malaria weniger leidet, erheblichen Nutzen aus dem 
Aufenthalt im Gebirge ziehen, und das wird indirekt auch seiner Wider¬ 
standskraft gegen die üblen Folgen der chronischen Malaria und ihrer Kom¬ 
plikationen zugute kommen. Es sollte deshalb jedem Kolonisten Gelegenheit 
geboten werden, seinen Organismus, vor allem sein Nervensystem alljährlich 
durch einige Wochen Gebirgsaufenthalt zu stählen. 

Noch ungünstiger als für die Malaria liegen die Verhältnisse im höheren 
Gebirge für die Dysenterie. Im Gegensatz zu ersterer kommen Erkrankungen 
des Darmkanals, vor allem Tropenruhr in den Gebirgen der heißen Zone 
recht häufig vor. Wahrscheinlich wirken die zahlreichen Gelegenheiten zu 
Erkältungen hier nachteilig mit. Da ferner ein lebhafter Appetit, wie 
ihn die Gebirgsluft schafft, für den Ruhrkranken wenig erwünscht und 
körperliche Bewegung nur in bescheidenen Grenzen indiziert ist, so scheinen 
für die Ruhr Höhenkuren nur einen recht problematischen Wert zu besitzen. 
Die durch vielseitige Erfahrungen sicher gestellte Tatsache, daß bei der t 
Überführung eines schwer Leidenden, besonders eines Schwarzwasser- oder 
Ruhrkranken, aus der feuchtheißen Küstenebene in die Berge schwere 
hygienische Bedenken vorliegen, hat seit langem besonders in unseren 
Kolonien Veranlassung gegeben, Erholungsstätten zu suchen, welche die für 
Schwerkranke und sehr geschwächte Patienten nachteiligen Faktoren des 
Höhenklimas vermissen lassen, die aber andererseits in gleichem Sinne^ wenn 
auch erheblich milder, wirken. Das sind die Erholungsstätten an der See. 

Seit Jahrtausenden ist es bekannt, welch wohltätigen Einfluß die von 
Infektionskeimen jeder Art freie, durch ihren Salzgehalt und ihre fast uu- 


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Allgemeine Tropenhygiene. 


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unterbrochene Bewegung mild anregende Seeluft auf den kranken und 
schwachen Organismus ausübt. Auch bewirkt die gerade unter der Tropen¬ 
sonne stets lebhafte Verdunstung von der Wasserfläche, daß die Seeluft stets 
kühl und erfrischend empfunden wird. An den Küsten des äquatorialen 
Afrikas brachte man schon seit geraumer Zeit Kranke und Rekonvaleszenten 
an Bord der dort verkehrenden Dampfer. Häufig kehrten die Leidenden 
von solchen Seereisen erfrischt und erholt als völlig andere Menschen zurück. 
Indessen gibt es hier mannigfache Übelstände, welche den Erfolg einer der¬ 
artigen Seefahrt beeinträchtigen. Verpflegung und Unterkunft sind auf den 
Küstendampfern keineswegs erstklassig. Nachteilig wirkt auch die Störung 
der Nachtruhe durch das Rasseln der Dampfkräne heim Landen und Löschen 
sowie das Geschrei der arbeitenden Mannschaft, ferner das Schwanken des 
in glühender Sonnenhitze auf freier Reede ankernden Dampfers, während 
dort auch die erfrischende Seebriese meist fehlt, und nicht zum wenigsten 
die lärmende Geselligkeit der Kolonisten vom Lande, welchen die Ankunft 
des Schiffes willkommenen Anlaß zum Pokulieren gibt. So lag es denn 
nahe, durch den Bau stabiler Unterkunftshäuser unmittelbar am Meeres- 
strande kranken Kolonisten schon in frühen Stadien der Rekonvaleszenz 
die großen Vorteile des Seeklimas zugänglich zu machen, ohne sie die 
Nachteile einer Seefahrt an tropischen Küsten fühlen zu lassen. Besser 
als verankerte Lazarettschiffe, welche früher solchen Zwecken dienten 
und deren Instandhaltung große Kosten verursachte, eignen sich hierzu 
kleine, unbewohnte Inseln nabe dem Ufer, vor allem aber flache Nehrungen, 
wie solche an der afrikanischen Ost- und Westküste in den breiten Flu߬ 
mündungen häufig zu finden sind. Sie haben vor den Lazarettschiffen den 
gewaltigen Vorteil, daß die Wohngebäude hier im direkten Bereich der See¬ 
briese unmittelbar vor der Brandung errichtet werden können, während die 
Schiffe stets unter Land in ruhigem Wasser des Stromes oder der Lagune 
verankert werden müssen. Solche Plätze pflegen auch in den Tropen gänz¬ 
lich mücken- und damit auch malariafrei zu sein, da die lebhaften Seewinde 
die Insekten verscheuchen. Derartige Lokalitäten sind an der afrikanischen 
Ostküste die Behausung des Leuchtturmwärters auf der Insel Ulenga vor 
Tanga, wo bereits mancher kranke Europäer schnelle Genesung fand. An 
der Westküste ist es die gänzlich unbewohnte sandige Nehrung von Suellaha, 
welohe das meilenweite Mündungsgebiet des Kamerunfiusses als langgestreckte 
Insel von der offenen See trennt und stellenweise etwa 400 m breit ist, die 
alle jene Vorbedingungen in vorzüglichem Maße erfüllt. Hier wurde 1900 
eine nach Angaben Plehns errichtete Erholungsstation eröffnet. Das Haupt¬ 
gebäude erhebt sich wenige Schritte von der Meeresbrandung und vermag 
bis zu zehn Kranke aufzunehmen. Den Urwald, welcher die ganze Insel 
dicht bedeckt, rodete man von der Station dicht am Meere bis zur Flußseite 
etwa 200 m breit aus. Die freie Fläche wurde mit Gras angesät, welches 
dem Schlachtvieh zur Weide dient. Über jene breite Schneise weht nun 
fast ununterbrochen ein lebhafter Wind von der Seeseite und von der Land¬ 
seite durch das Gelände. Auch der Landwind streicht meilenweit über das 
breite Kamerunbecken, bevor er die Insel erreicht. Er ist daher völlig frei 
von Krankheitskeimen und bewirkt, daß die Mücken in der Umgebung des 
Sanatoriums gänzlich fehlen. 


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Hygienische Topographie. 


Einer der größten Vorteile zweckmäßig angelegter Seesanatorien ist der, 
daß Kranke, welche nicht gehen können und für welche eine Beförderung 
in die Berge seihst mittels einer Hängematte große Bedenken hat, auf dem 
Wasserwege in jene Erholungsstätten befördert werden können, ohne sich 
von der Trage erheben zu müssen. Nach Ausbau des Bahnnetzes wird jene 
Wohltat auch Leuten, welche fern im Innern erkranken, zuteil werden 
können. Da viele tropische Ströme an ihrer Mündung Nehrungen bilden 
oder flache Inseln besitzen, so ist die Möglichkeit gegeben, Institute gleich 
Suellaba auch anderwärts zu errichten. Ähnliche Verhältnisse findet man 
beispielsweise auch in Banana an der Kongomündung. Es ist bekannt, daß 
letzterer Ort als Erholungsstätte von zahlreichen im Kongogehiet erkrankten 
Europäern gern aufgesucbt wird. 

Stitt: „Differentialdiagnose zwischen Dengue und Influenza 
in den Tropen“. (United States Naval Medical Bulletin, Bd. I, Heft 1.) 
Während der Blutbefund hei Influenza nahezu normal ist, zeigt der Dengue¬ 
fieberpatient zunächst unter Verminderung der polynukleären Leukocyten 
auf 40 Proz. die kleinen mononukleären Lymphocyten stark vermehrt; im 
weiteren Verlauf geht die Zahl der letzteren zurück, während sich die großen 
Leukooyten vermehren. Die Symptomatologie angehend, so treten bei 
Dengue Gliederschmerzen, bei Influenza Rückenschmerzen mehr in den 
Vordergrund. Schlaflosigkeit und Prostration sind bei Influenza mehr aus¬ 
geprägt. Während den Ausbruch des Denguefiebers meist ein initiales, 
immer aber ein terminales Erythem begleitet, ißt dasselbe bei Influenza 
weniger häufig und wenig intensiv, vielfach nur eine Folge des Schmerzes. 
Bei Dengue erkrankt in den Hospitälern die nicht immune Umgebung des 
Patienten in der Regel nicht, während Influenza beinahe auf alle nicht 
immunen Mitkranken übertragen wird. (Ref. ebenda, S. 785.) 

Anhang. 

Einige Bemerkungen über Nahrangs- und Genaßmittel in den Tropen. 

I. Mehl und Backwaren. 

„Brot als Krankennahrung“. (Presse mädicale, 11. August 1906.) 
Brot ist für die Ernährung des Menschen doppelt so wertvoll wie Fleisch, obwohl 
in 100 Teilen Fleisch ebensoviel Stickstoff wie in 250 Teilen Brot enthalten 
ist, da der Stickstoff, welchen 75 Teile Hülsenfrüchte enthalten, demjenigen 
von 100 Teilen Fleisch gleichkommt. Freilich vermag kein Mensch auf 
die Dauer lediglich von Wasser und Brot zu leben, doch ist letzteres ein 
verhältnismäßig sehr gut zusammengesetztes Nahrungsmittel und zudem 
dank des vorhergehenden Backprozesses für die Verdauung ausgezeichnet 
vorbereitet. Von kalorimetrischem Standpunkt aus betrachtet ist Brot doppelt 
so wertvoll wie Fleisch, denn es enthalten 

100 g Brot.= 257 Kalorien 

100 g Fleisch.= 134 „ 

100 g Hülsenfrüchte . . . = 337 „ 

Diese Ziffern beziehen sich auf Brot aus jetzt marktgängigem Mehl, welches 
durch Sieben von etwa 30 Proz. Kleie befreit wurde. Hierdurch wird 


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Allgemeine Tropenhygiene. 


63 


freilich dem Brot eine beträchtliche Quantität wertvoller Substanz entzogen, 
darunter Stoffe, welche bis 13 Proz. Stickstoff, 31 Proz. Stärkestoff und 3 Proz. 
Fett haben. Derartiges Mehl liefert geradezu ein „Hungerbrot“. Es wurde 
aus diesem Grunde schon häufig empfohlen, den Kleiegehalt nicht gar zu tief 
hinabzudrücken, ja man backte Brot aus geschroteten Körnern (Schrotbrot) 
oder sogar aus unverletzten, in besonderer Weise gleich in Teig verwandelten 
Körnern (Simonsbrot). 

Die Frage nach dem bekömmlichsten Brot kann nur vom Standpunkte 
der Verdauungsphysiologie aus einwandfrei gelöst werden. Schon lange ist 
es bekannt, daß das Brot je nach der Feinheit des verbackenen Mehls, d. h. 
als sogenanntes weißes, halbweißes, Graham-, Schwarzbrot (Pumpernickel, 
Kommißbrot), zu 95, 92, 86, 80 Proz. resorbiert wird, d. h. daß nach seinem 
Genuß 4, 5, 6, 8, 12,2 und 19 Proz. ungenutzt in die Fäces übergehen. 
Damit war experimentell bewiesen, was Parmentier schon 1777 vermutet 
hatte, daß nämlich „Kleie wohl das Gewicht, nicht aber den Wert des Mehls 
vermehre, weil sie ungenutzt den Verdauungskanal passiert“. Anders aber 
stellen sich die Verhältnisse in bezug auf die Bekömmlichkeit der betreffen¬ 
den Backware. Die Kleie übt einen gewissen mechanischen und chemischen 
Reiz auf die Magen- und Darm wand aus, steigert die Peristaltik, vermehrt 
die Masse der Fäces und macht sie locker. Aus diesem Grunde eignet sich 
das an Kleie reiche Brot vortrefflich für solche Leute, welche an Stuhlträg¬ 
heit leiden. 

Der Londoner Pathologe Lauder-Brunton stellt sogar die Behauptung 
auf, daß das beinahe völlig resorbierte englische Weißbrot neben Whisky 
und Syphilis die Veranlassung zu der in England so stark verbreiteten Ge¬ 
sichtsröte bildet. Andere glauben, daß die durch seinen Genuß bewirkte 
dauernde Hartleibigkeit die immer häufiger auftretende Appendicitis und 
Perityphlitis bedingt. (Ref. ebenda, S. 619, 620.) 

II. Geistige Getränke. 

Alfred Plötz: „Alkohol und Rassenhygiene“. (Der Alkoholismus 
1906 , Heft 3.) Verfasser hat in den wissenschaftlichen Kursen über den 
Alkoholismus, welche im April 1906 in Berlin stattfanden, eine Reihe 
von Vorträgen gehalten, welchen er sieben Leitsätze zugrunde legte. Die 
wichtigsten derselben lauten: 

„Der Alkoholismus bewirkt eine Vermehrung der inneren Reibung im 
Lebensprozeß der Rasse, die sich zeigt in Verminderung der Arbeitsleistung, 
Vermehrung der Verbrechen, der geistigen und körperlichen Krankheiten, 
der Unfälle, der frühzeitigen Invalidität. Er schädigt durch alle diese 
Momente die Spannkraft der Rasse nach außen im Kampf mit anderen 
Rassen.“ 

„Der Alkoholismus scheidet einen verhältnismäßig kleinen Teil der 
Individuen aus ohne Rücksicht auf die Qualität ihrer Anlagen. Einen bei 
weitem größeren Teil eliminiert er auf Grund ihrer stärkeren Zuneigung, 
ihrer schwächeren Widerstandskraft in bezug auf den Alkohol.“ 

„Der alkoholischen Auslese arbeitet der ungünstige Einfluß entgegen, 
den der Alkohol auf Vererbung und Variabilität ausübt. Denn eben die 


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Hygienische Topographie. 


leichteren Degenerationen, welche häufig gerade bei »mittelmäßigem« Alkohol¬ 
genuß sich zu zeigen und einer Regeneration Widerstand entgegenzusetzen 
pflegen, sind von größtem Einfluß auf Weiterentwickelung der Rassen.“ 

„Rassehygienisch ist die Beseitigung des »mittelmäßigen« Trinkens am 
wichtigsten, weniger wichtig die Beseitigung des unmäßigen Trinkens“. 
(Ref. ebenda, S. 306.) 

Hunziker: „Der Absinth und seine Gefahren“. (Internationale 
Monatsschrift zur Erforschung des Alkoholismus und Bekämpfung der 
Trinksitten 1906, Heft 4, 5.) Unter Absinth versteht man das alkoholische 
Destillat einer Reihe von Kräutern, unter welchen die Absinthpflanze Artemisia 
absinthium die wichtigste ist. Von letzterer verwendet man vor allem die 
Blätter. Man schreibt ihr wie den meisten Amaris eine appetitanregende, 
leicht stimulierende Wirkung zu. Neuerdings finden indessen zur Herstellung 
des Absinths wie anderer Liköre meist nicht mehr die betreffenden Kräuter, 
sondern die aus ihnen fabrizierten Essenzen Verwendung. Hierdurch wird 
ihre Herstellung zwar einfacher und billiger, aber ihr Genuß zugleich schäd¬ 
licher für die Gesamtheit. Denn durch Zusatz der betreffenden Essenzen 
steigert sich der Alkoholgehalt jener Liköre erheblich. 

Für 30g Absinthlikör berechnet man folgende Ziffern: 

Absinth ordin.14 Proz./g 

„ demi-flne.15 „ 

„ fine.20,4 , 

„ süße .24,2 . 

Beinahe alle Sorten enthalten also über 50 Proz. Alkohol, d. h. mehr als 
die meisten Kognakarten. Viele Absinthtrinker begnügten sich früher mit 
Most, Wein und Bier, gingen aber, wie es die Alkoholiker häufig tun, zu immer 
stärkeren Genußmitteln über, bis sie schließlich beim Absinth anlangten. 
Während die Wirkung des Absinths auf Blutgefäße, Herz, Magen und viele 
andere Organe derjenigen anderer Alcoholica ähnelt und hier wie dort die 
Widerstandsfähigkeit gegen Infektionskrankheiten abnimmt, scheint sich 
Beine degenerative Wirkung auf die Nachkommenschaft in weit höherem 
Maße geltend zu machen, als es bei anderen alkoholischen Getränken der 
Fall ist. Vor allem zeigt sich dies bei den Kindern des Absinthtrinkers in 
hochgradig herabgesetzter Widerstandskraft gegen die Tuberkulose sowie in 
Neigung zu schweren Neurosen wie Epilepsie und Idiotie. 

Lanceraux versucht eine Trennung zwischen akutem Absinthismus 
und gewöhnlichem Alkoholismus. Ersterer macht aggressiver und wirkt 
länger nach als der gewöhnliche Alkoholrausch. Dem Absinthrausch pflegt 
tiefster Stupor zu folgen. 

Für den chronischen Absinthismus scheinen Störungen der Sensibilität 
und Motilität der Beine besonders charakteristisch zu sein. Hyperästhesie 
beider Unterextremitäten, von unten nach oben abnehmend, und auch am 
Rücken und am Bauche sich zeigend ist ein gewöhnliches Symptom. Der 
Fußsohlenreflex zeigt sich meist gesteigert, während Hornhaut-, Nacken- und 
Kniereflex häufig herabgesetzt sind. Die Lähmungen der Beine treten meist 
plötzlich und zwar zunächst an den Streckmuskeln auf. 


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Allgemeine Tropenpathologie. 66 

Im allgemeinen macht der physische und psychische Verfall beim Ab¬ 
sinthtrinker meist schnellere Fortschritte als bei anderen Alkoholikern. Ein 
besonderes charakteristisches Gepräge erhält das Krankheitsbild des Alko- 
holismus durch die Häufigkeit von Krampfanfällen und halluzinatorischen 
Delirien, durch die abnorme Schmerzempfindung und die spezifischen Läh¬ 
mungen an den Unterextremitäten. (Ref. ebenda, S. 628, 629.) 

Allgemeine Tropenpathologie. 

Rogers: „The Milroy lectures on Kalar-Azar, its differen- 
tation and its epidemiology.“ (The Lancet 1907, No. 4356, 4357, 4358.) 
Das in dem letzten Jahrgang über Kalar-Azar Referierte ist noch durch 
einige bemerkenswerte Erfahrungen zu ergänzen. 

Die Übertragung der Krankheit geschieht wahrscheinlich durch Wanzen, 
da Patton in denselben die Flagellatenentwickelung der Leishmania Dono- 
vani, des Erregers der Kalar-Azar, in allen Stadien verfolgen konnte. In 
welcher Form die Parasiten wieder in den Menschen gelangen, ist noch 
unbekannt. Die Prophylaxe erfordert die Isolierung der Kranken und 
Evakuierung der Gesunden in neuerbauten Häusern. Eventuell sind ganze 
Dörfer in gesunden Gegenden neu anzulegen. Desinfektion oder Abbrennen 
infizierter Quartiere, Vernichtung der Insekten durch Schwefel Verbrennung. 

Die Therapie angehend, so vermag Chinin in großen Dosen zu dem 
weniger gefährlichen intermittierenden Typus der Krankheit und dann sogar 
nicht selten zur Genesung überzuleiten. Rogers empfahl zuerst in Er¬ 
mangelung anderer Mittel die Anwendung des Chinins in großen Dosen von 
4 bis 5 g pro die monatelang. Besonders sichert seine Anwendung im Früh¬ 
stadium oft guten Erfolg. Nach Angaben von Rogers und Price wird die 
Mortalität durch rationelle Chinintherapie um 20 bis 25 Proz. reduziert. 
Bei einem Kinde wurden sieben Wochen lang täglich 3 g Chinin gegeben, 
ohne daß üble Nachwirkungen eintraten. (Ref. ebenda, S. 631, 632.) 

Gründung einer deutschen und einer internationalen tropen¬ 
medizinischen Gesellschaft. (Vom XIV. internationalen Kongreß für 
Hygiene und Demographie in Berlin. Menses Archiv, Bd. 11, S. 632, 633.) 
Auf dem Kongreß, welcher vom 23. bis 26. September 1907 in Berlin tagte, 
wurde die Gründung einer deutschen tropenmedizinischen Gesellschaft be¬ 
schlossen. In den Vorstand wählte man Bälz-Stuttgart, früher langjähriger 
interner Kliniker in Tokio, 1. Vorsitzender; Nocht-Hamburg, 2. Vorsitzender; 
Fülleborn-Hamburg, 1. Schriftführer; Mense-Kassel, 2. Schriftführer. 
Mit Ausarbeitung der Satzungen wurden PI eh n-Berlin, Ruge-Kiel, Steudel- 
Berlin und Ziemann-Charlottenburg beauftragt. 

Zwei Tage später, am 27. September, folgte die Gründung der inter¬ 
nationalen tropenmedizinischen Gesellschaft, als unter dem Vorsitz des 
Seniors der Tropenmedizin, Sir Patrick Manson-London, 20 deutsche, 
8 englische, 4 französische, 3 brasilianische, 2 nordamerikanische, 2 hollän¬ 
dische und 1 griechischer Fachmann zusammentraten. Manson wurde 
zum Präsidenten, Nut all-Cambridge zum Generalsekretär und Schatzmeister 
ernannt. Diese Vereinigung verfolgt den Zweck, die tropenmedizinischen 
Gesellschaften aller Länder zu gegenseitigem Meinungsaustausch zusammen- 


Vlorteljahraschrift für Gesundheitspflege, 1908. Supplement. § 

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Hygienische Topographie. 


zuführen. Zu diesem Behufe sollen etwa alle drei Jahre tropenmedizinische 
Kongresse stattfinden. Ort und Zeit der Kongresse bestimmt der Vorstand. 
Derselbe soll jedes Jahr zu eingehender Besprechung aller einschlägigen 
Fragen sich in London zusammenfinden. (Ref. ebenda, S. 633, 634.) 

v. Krause: „Tier- und Pflanzengifte in den deutschen Kolo¬ 
nien.“ Vortrag, gehalten auf der Versammlung Deutscher Naturforscher 
und Ärzte, Dezember 1907. (Menses Archiv, Bd. 11, S. 651 ff.) Die Tier- 
und Pflanzengifte, welche der kulturfremde Eingeborene der Tropenländer 
benutzt, um in Ermangelung europäischer Feuerwaffen seine Feinde zu be¬ 
kämpfen und jagdbare Tiere zu erlegen, werden schon seit Jahrzehnten in 
emsiger Forscherarbeit durch englische, französische und deutsche Gelehrte 
untersucht. Verfasser selbst hat zusammen mit Brieger seit mehr als 
fünf Jahren die chemischen Eigenschaften, die pharmakologischen und 
physiologischen Wirkungen der Pfeilgifte sowie auch andere Tier- und 
Pflanzengifte der deutschen Kolonien, namentlich Afrikas, eingehend studiert. 
Was zuvörderst die Pflanzengifte angeht, bo findet man in ganz Afrika fast 
stets die gleiche Familie als wichtigste Giftlieferanten für Pfeilgifte, die 
Familie der Apocynaceen. Sie produzieren Glykoside, deren totbringende 
Dosis von 0,02 bis 0,06 pro Kilogramm Meerschweinchen schwankt. Diese 
Apocynaceenglykoside sind alle starke Blut- und Herzgifte und ähneln dem 
Glykosid Digitalin, dem wirksamen Prinzip der Digitalis purpurea. Während 
in Ostafrika Glykosid enthaltende Pflanzenextrakte von Acocanthera-Arten, 
nebst Acocanthera venenata, zur Pfeilgiftbereitung verwandt, werden, wählt 
man in Westafrika, besonders in Kamerun, die Glykoside der Strophantus: 
Str. hispidus, Kombe und gratus. In Südwestafrika hingegen bilden Pachy- 
podium adenium und Euphorbium-Arten die Quellen für das Pfeilgift. Von 
der deletären Wirkung jener Stoffe zeugt ihre Verwendung seitens der Ein¬ 
geborenen in Kamerun bei ihren Elefanten- und Flußpferdjagden. Sie 
schießen die Dickhäuter mit vergifteten Pfeilen und Speeren aus Flinten¬ 
läufen. Eine blutende Verletzung reicht hin, das Riesentier binnen 10 bis 
20 Minuten zu fällen. Verfasser konnte an solchen Pfeilen und Speeren, 
welche ihm seinerzeit Graf Pückler-Limburg Abersandte, die tödliche Dosis 
für 40 Elefanten nachweisen. Diese Lanzen waren mit Gift von Strophantus 
gratus bestrichen. Solchen und ähnlichen Giften sind eine Reihe deutscher 
Forscher und Offiziere, wie Graf Fugger, Hauptmann Thierry, Leutnant 
Plehn, jüngster Bruder des bekannten Tropenpathologen, erlegen. Auch 
zwei Ordensschwestern fielen im vorigen Jahre in Ostafrika in dem erst 
kürzlich beendeten Aufstande vergifteten Pfeilen zum Opfer. Sie starben 
etwa 20 Minuten nach ihrer Verwundung. Einen jener Giftpfeile hat der 
Autor untersucht. Seine Belegmasse stammte von Acocanthera venenata. 

Nachdem man die Natur des Giftes erkannt hatte, galt es vor allem, 
ein Schutzmittel bzw. ein Gegengift zu suchen. Verfasser hat nun gefunden, 
daß in gewissen Diastasen ein Ferment enthalten ist, welches kurz nach der 
Vergiftung die Wirkung des schädlichen Agens zu paralysieren vermag, in¬ 
dem es das Glykosid in seine unschädlichen Komponenten spaltet. Allerdings 
ist die Wirkung jener Fermente beschränkt, da die Gifte in größeren Dosen 
zu schnell töten, v. Krause vermochte durch Einspritzen der Fermente 


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Allgemeine Tropenpathologie. 67 

nur Tiere, welche Gift big zur fünffach tödlichen Dose empfangen hatten, 
am Leben zn erhalten. 

Während bei der Pfeilgiftbereitung meist Apocynaceenglykoside in Be¬ 
tracht kommen, bedienen sich die Schwarzen zum Vergiften von Menschen, 
zum Fischfang, zum Töten der Krokodile meist stickstoffhaltiger Verbin¬ 
dungen. Hierzu dienen alkaloidhaltige Pflanzen, besonders Strychnusarten, 
wovon sich Verfasser durch mehrfache Untersuchungen bei Giftmordprozessen 
in den Kolonien überzeugen konnte. 

Von dem Reichtum Afrikas an giftigen und therapeutisch wichtigen 
Pflanzen zeugen unter anderem die erst kürzlich erschienenen Arbeiten 
Wellmanns: „The poison test in the portugese Colony Angola in West¬ 
afrika 11 . „Some medicinal plants of Angola, with observations on their use 
by natives of the province“. Ihre sorgfältige Untersuchung in chemischer 
und pharmakologischer Hinsicht dürfte in wissenschaftlicher sowie in medi¬ 
zinisch-praktischer Hinsicht von weittragender Bedeutung für die Kolonien 
sein. Sollte es auch nicht gelingen, aus der großen Zahl von afrikanischen 
Pflanzengiften ein allen Anforderungen genügendes Herzmittel herzustellen, 
ao dürfte doch die eingehende wissenschaftliche Untersuchung jener Gifte 
nicht nur für ihren gerichtsärztlichen Dienst in den Kolonien, sondern mit 
Hilfe der Synthese neuer brauchbarer Herzmittel auch für die Herztherapie 
von hohem Werte sein. 

Unter den tierischen Giften sind die Schlangengifte die wichtigsten, 
Nattern und Vipern finden wir in West- und Ostafrika stark verbreitet. 
Die Hauptvertreter der Vipern bilden: Puffotter, Rhinozeros- und Hornviper. 
Unter den Nattern kommen Naja-haje, Naja nigrocollis, schwarze Baum¬ 
schlange und andere vor. Während das Gift der Nattern schneller tötet, 
besitzen die Vipern längere Giftzähne. Die Schlangengifte sind eiweißartige 
Verbindungen, leicht zersetzlich, von sehr mannigfaltiger Wirkung. Sie ent¬ 
halten je nach ihrer Eigenart ein Neurotoxin, welches auf die Nervenzelle 
wirkt, ein Hämorrhagin, welches das Endothel der Blutgefäße verändert, ein 
Hämolysin, welches die roten Blutzellen zerstört, eine proteolytische Diastase, 
welche das Fibrin und die Muskelfasern beeinflußt, und eine Thrombase 
(Thrombin), welche als Fibrinferment wirkt. 

Die stärksten Gifte sind diejenigen der Seescblangen, welche im Salz¬ 
wasser an den Küsten des Großen Ozeans und der Südsee, auch an denjenigen 
Neu-Guineas, Samoas, der Marschallinseln, nicht aber an der afrikanischen 
Küste Vorkommen. Für Afrika kommt lediglich Nattern- und Viperngift in 
Frage. Die Giftschlangen sind bisweilen sehr zahlreich. Verfasser hörte 
von einem alteingesessenen Afrikaner, einem Arzt, daß beim Ausroden auf 
einem Morgen Urwald bisweilen 40 bis 50 Schlangen gefunden würden. 
Indessen sind in Deutsch-Afrika Todesfälle durch Schlangenbiß weitaus nicht 
so häufig als in Indien, wo jährlich etwa 20000 Menschen den Giftschlangen 
zum Opfer fallen. Es ist vor kurzem Brieger und v. Krause geglückt, 
ein Serum gegen Nattergift, ein Serum gegen Vipergift und ein polyvalentes 
Serum herzustellen. Auch die Eingeborenen kennen die Wirkung des 
Schlangenbisses und benutzen dieses Gift zur Pfeilgiftbereitung, z. B. die 
Buschmänner in Südwestafrika, ferner die Eingeborenen Togos. Letztere 
rösten allerdings die Köpfe der Puffotter und zerstören auf diese Weise das 

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68 Hygienische Topographie. 

Gift, da ihnen seine leichte Zersetzlichkeit nicht bekannt zu sein scheint. 
Zu gleichem Zwecke verwenden die Buschmänner in der Kalahari ein Tox¬ 
albumin, welches aus einer Käferlarve der Diamphidia locusta gewonnen 
wird. Wahrscheinlich stammt das Gift aus pathogenen Mikroorganismen, 
welche mit der Larve eine Symbiose unterhalten. Es ist indessen sehr ver¬ 
gänglich und daher nicht von großer Wirkung. Ein anderes Gift, welches 
gleichfalls zur Pfeilgiftbereitung dient, ist dasjenige gewisser, in der Kolonie 
sehr häufig vorkommender Skorpione, welches in seiner Wirkung dem 
Viperngift ähnelt. 

So unheimlich alle diese Gifte dem Laien Vorkommen, so natürlich 
und leicht erklärlich in Beziehung auf ihre Wirkung erscheinen sie dem 
Naturforscher. Sind sie doch nichts anderes als Stoffwechselprodukte der 
tierischen oder pflanzlichen Organismen. Die Glykoside stellen wahrschein¬ 
lich Zwischenprodukte beim Aufbau von Stärke und Zellulose dar. 

Die Schlangengifte sind Drüsensekrete, deren das Tier nicht nur zum 
Fangen der Nahrung bedarf, sondern deren es auch benötigt, um das ver¬ 
schlungene, nicht zerkleinerte Tier mit Haut und Haaren verdauen zu 
können. Produziert doch auch der menschliche Organismus eine Reihe sehr 
giftiger Stoffwechselprodukte, wie die Endprodukte des Eiweißes: Indol, 
Skatol und die von Brieger zuerst dargestellten Pt omaine. 

Louis Fales: Tropical Neurastenia“. (Americ. Journ. of med. 
Sciences, April 1907.) Nach Beobachtungen, welche der Verfasser auf den 
Philippinen machte, glaubte er, daß fast alle Amerikanerinnen und der 
größte Teil der männlichen Amerikaner, die sich dort ein Jahr oder länger 
aufhalten, an nervösen Erschöpfungszuständen erkranken, welche der Neu¬ 
rasthenie ähneln, und das Haupthindernis für die Akklimatisation in den 
Tropen bilden. Bei den Frauen kompliziert sich jene Affektion meist mit 
ernsten Menstruationsanomalien; bei beiden Geschlechtern sind vasomotorische 
Störungen häufig. Nicht weniger sds 50 Proz. der amerikanischen Frauen 
und mindestens 30 Proz. der Männer sind als Halbinvalide anzusehen, so 
daß sie nur durch Klimawechsel geheilt werden können. Ätiologisch kommt 
neben Amöbenruhr und Denguefieber sowie der hohen Luftwärme und 
Feuchtigkeit die für die Tropeu ganz ungeeignete Lebensweise in Betracht, 
welche sich derjenigen der Eingeborenen zu wenig anpaßt. Auch die Licht¬ 
wirkung spielt eine wesentliche Rolle. Großgewachsene Menschen besitzen 
eine im Verhältnis geringere Hautoberfläche als kleine; ihre Hauttätigkeit 
wird deshalb relativ mehr in Anspruch genommen, wenn die notwendige 
Abkühlung erreicht werden soll. Daher leidet ihr Gefäßsystem in höherem 
Grade. Abweichend von anderen Autoren betrachtet Verfasser den Alkohol 
nicht als besonders schädlich, betont vielmehr seine antiseptische und anti¬ 
parasitäre Wirkung besonders gegenüber Darmschmarotzern. 

Empfohlen wird Schutz gegen Licht, ruhige Lebensweise und Beschrän¬ 
kung der täglichen Arbeit auf höchstens fünf Stunden. Alle Speisen Bind 
mit großer Sorgfalt zuzubereiten. Fleisch soll reichlich genossen werden. 
(Ref. ebenda, S. 658.) 

Valentino Charles: „L’ecole d’application du Service de sante 
des troupes coloniales.“ (Presse med., 23. März 1907.) 


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Allgemeine Tropenpathologie. 


69 


Derselbe: „Comment inatruire les futurs medecins coloniaux.“ 
(Ebenda, 3. April 1907.) Am 1. Februar 1907 wurde zu Marseille eine 
Schule zur Ausbildung von Kolonialärzten eröffnet, in welcher die zur Kolo¬ 
nialarmee kommandierten Mediziner einen achtmonatlichen Kursus durch¬ 
zumachen haben, um dann nach bestandenem Examen ihre Arbeit in den 
tropischen Kolonien zu beginnen. Verfasser glaubt, daß diese Institution 
zwar für die Militärärzte, die „Medecins auxiliaires u , welche sofort nach 
Absolvierung der Vorbildungsanstalt zu Bordeaux in ihren tropischen Wir¬ 
kungskreis abreisen und bisher durchaus ungenügend vorgebildet waren, 
eine empfindliche Lücke ausfüllt. Anders steht es mit den „Medecins 
stagiaires“, welche sich aus Zivilärzten rekrutieren. Hier hält er diese 
weitere tropenmedizinische Ausbildung für eine unnötige Belastung, da sie 
meist schon auf der Universität sich genügende tropenpathologische Kennt¬ 
nisse aneignen. Es würde sich überhaupt mehr empfehlen, alle für den 
Kolonialdienst bestimmten Ärzte vorerst den großen kolonialen Hospitälern 
zur weiteren Ausbildung zu überweisen. Dort haben sie Gelegenheit, sich 
auch gründliche Kenntnisse und Fertigkeiten in der Chirurgie anzueignen, 
wozu auf der tropenmedizinischen Schule in Marseille jede Möglichkeit fehlt. 
Erfolge, welche durch operative Chirurgie erzielt werden, imponieren aber 
den Eingeborenen in den Kolonien weit mehr als noch so schöne, aber lang¬ 
dauernde Kuren innerer Krankheiten. (Ref. ebenda, S. 658, 659.) 

Rösle: „Die Gesundheitsverhältnisse der deutschen Kolonien 
in statistischer Betrachtung.“ (Münch, med.Wochenschr. Nr. 28 vom 
8. Juli 1907.) Die Aufzeichnungen der Regierungsärzte lehren in Kürze 
folgendes: Deutsch-Ostafrika lieferte wegen der großen Zahl der dort an¬ 
sässigen Europäer die brauchbarsten Ziffern. Die Infektionskrankheiten 
spielen dort natürlich die wichtigste Rolle: 40 Proz. aller Erkrankungen. Unter 
diesen entfielen wieder 93 Proz. auf die spezifischen Tropenaffektionen, und 
zwar auf Malaria 80 Proz., Schwarzwasserfieber 9 Proz., Ruhr 2,5 Proz., 
Pest 1 Proz., Denguefieber 0,5 Proz. Bei den Eingeborenen waren es Haut¬ 
krankheiten, welche in erster Linie Anlaß zur ärztlichen Behandlung gaben. 
In anderen deutschen Kolonien handelte es sich gleichfalls vor allem um 
spezifische Tropenkrankheiten, besonders Malaria. Auch als Todesursache 
spielten Tropenkrankheiten die wichtigste Rolle. 

Am ungünstigsten liegen die Gesundheitsverhältnisse in Kamerun; 
besser sind sie in Togo und Deutsch-Neu-Guinea, am besten in Deutsch- 
Ostafrika. (Ref. ebenda, S. 659.) 

Ranke (München): „Ist in heißen Gegenden die Erzeugung 
eines für den Europäer günstigeren Klimas der Wohn- und 
Arbeitsräume notwendig und technisch möglich?“ Vortrag, ge¬ 
halten auf dem XIV. internationalen Kongreß für Hygiene und Demographie. 
(Menses Archiv, Bd. 11, S. 667 ff.) Es gibt zwei Gruppen von Schädlich¬ 
keiten, welche den Weißen bei längerem Aufenthalt in tropischen und sub¬ 
tropischen Gegenden bedrohen. Dies sind erstlich jene tierischen und pflanz¬ 
lichen Krankheitserreger, welche in der neuen Umgehung ihre Lebens- und 
und Infektionsmöglichkeiten finden. Die Ursachen der zweiten Gruppe sind 
durch die der Heimat gegenüber veränderten klimatischen Bedingungen der 


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Hygienische Topographie. 


Umgebung gegeben. Verleitet durch die großartigen Erfolge der bakterio¬ 
logischen Forschungsmethoden hat man bis vor kurzem die rein klimatischen 
Schädigungen gegenüber den bakteriologischen vernachlässigt. Letztere 
lassen sich kurz als Folgen einer mehr oder minder hochgradigen Behinde¬ 
rung der Wärmeabgabe des menschlichen Organismus an seine Umgebung 
präzisieren. Diese Behinderung braucht keineswegs einen hohen Grad zu 
erreichen, um bei längerer Dauer schon recht üble Folgen nach sich zu 
ziehen. Steigt die Klimawelle nur wenig über das Optimum, so setzt der 
Organismus zunächst die Hilfsmittel seiner aktiven Wärmeregulation in 
Tätigkeit: Die Haut wird mehr durchblutet, die Wärmeabgabe mittels 
Leitung und Strahlung hierdurch erhöht und die Schweißdrüsen entfalten 
eine lebhaftere Tätigkeit. Hierdurch kommt vermehrte Wasserabgabe zu¬ 
stande. Zur Beurteilung ihrer Wirkung für das Ertragen von Klimaten, 
welche das Optimum für längere Zeit merklich überschreiten, ist aber vor 
allem daran festzuhalten, daß diese physikalische Regulierung eine wesent¬ 
liche Anstrengung lebenswichtiger Organe, vor allem des Herzens und des 
Nervensystems, erfordert. Der Organismus zeigt aus diesem Grunde das 
Bestreben, jene physikalische Regulation möglichst lange zu vermeiden. Es 
ist dies eine Erscheinung von höchster Wichtigkeit für die Tropenphysiologie, 
ohne deren Kenntnis das Rätsel der Klimawirkung kaum gelöst zu werden 
vermag. 

Zweierlei Arten von Schädlichkeiten dürften in den Vordergrund treten: 
Erstlich können sich die Folgen einer übermäßigen Inanspruchnahme der 
bei der physikalischen Regulation, also der angestrengten aktiven Wärme¬ 
abgabe mitwirkenden Organe geltend machen, von welchen uns vor allem 
die häufigen Herzleiden in subtropischen Gebieten, in welchen der Europäer 
noch arbeitet, interessieren. In jene Kategorie gehören wohl auch die bei 
deutschen Soldaten während des Hereroaufstandes so häufig beobachteten 
Erschöpfungszustände und Störungen der Herztätigkeit, vor allem aber die 
tropische Schlaflosigkeit, welche sich in heißen Ländern einstellt, wo eine an¬ 
gestrengte physikalische Wärmeabgabe auch während der Nachtstunden not¬ 
wendig wird. Zweitens aber können sich die Folgen der instinktiven Ver¬ 
suche zeigen, welche der Organismus zu dem Zwecke unternimmt, die physi¬ 
kalische Regulation und die hiermit verbundenen Anstrengungen zu meiden. 
Sie bestehen in einer Herabsetzung erstlich der willkürlichen Arbeitsleistung, 
also vor allem der Muskelarbeit, und zweitens in einer instinktiven Herab¬ 
setzung der Nahrungsaufnahme. Bei längerer Dauer führt nun namentlich 
jene Einschränkung der Nahrungsaufnahme zu erheblichen Nachteilen für 
die Gesundheit, da sie nicht durch Verminderung des Nahrungsbedürfnissea 
bedingt wird. Es handelt sich also nicht etwa darum, daß in den heißen 
Klimaten das Leben durch einen geringeren Stoffverbrauch gefristet werden 
kann, sondern die Unmöglichkeit, die zu einem tätigen Leben erforderliche 
Wärme wieder an die Umgebung los zu werden, zwingt den Organismus zur 
Einstellung seiner wesentlichsten Lebensbedingungen und zur Unterernäh¬ 
rung. Freilich bleibt es für die Mehrzahl der Menschen ohne Bedeutung, 
ob sie während einiger Tage zu wenig genießen oder ein zu geringes Arbeite- 
quantum leisten. Bei längerer Dauer aber hat ein derartiger Zustand ernste 
Nachteile im Gefolge. Klimate aber, in welchen derartige Schädigungen den 


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Allgemeine Tropenpathologie. 71 

Weißen ununterbrochen treffen, finden wir namentlich an den tropischen 
Seeküsten genug. Dort sieht sich der Europäer genötigt, alle zwei bis drei 
Jahre einen Klimawechsel eintreten zu lassen, falls er nicht die Möglichkeit 
hat, sich in einem nahen hochgelegenen Kurorte zu erholen. Indessen gibt 
es eine Reihe von Tropenplätzen, in welchen sich die volle Arbeitskraft des 
Beamten und Kaufmanns unter Anwendung geeigneter technischer Hilfsmittel 
erhalten läßt. Wir müssen die Wärmeabgabe direkt erleichtern, nicht bloß 
die physikalische Regulation in weiterem Sinne ermöglichen. Dies geschieht 
einwandfrei nur mittels Trocknung und daneben, was übrigens nur im ge¬ 
ringeren Umfange erforderlich ist, mittels Abkühlung der Luft. Beide Auf¬ 
gaben können bei dem heutigen Stande der Kälteindustrie von jeder rationell 
konstruierten Kältemaschine einwandfrei gelöst werden. Die Trocknung er¬ 
folgt hierbei mittels Abkühlung der Luft bis zur Abgabe der gewünschten 
Feuchtigkeitsmenge und nachfolgender Wiedererwärmung, wodurch man eine 
relative Trockenheit beliebigen Grades bei jeder Temperaturstufe erzeugen 
kann. Ranke beschreibt seinen Apparat, bei welchem mittels einer der 
bekannten Ammoniak-Kühlmaschinen ein System von Röbren auf bestimmter 
Temperatur höhe erhalten wird. Die Ventilationsluft, an geeigneter Stelle 
von oben entnommen, wird durch ein Gebläse an jenen Röhren vorbeigeführt 
und kühlt sich hierbei auf gleiche Temperatur ab, welche wesentlich tiefer 
liegen muß als die später für die Wohnräume gewünschte. Die Luft gibt 
hierbei das Wasser ab, welches bei dieser Temperatur ausscheidet, um sich 
dann im Gegenstrom mit der einströmenden warmen Luft von neuem zu 
erwärmen. Das Ventilationsgebläse führt diese getrocknete Luft in die an 
der Decke der Wohnräume entlang laufenden Kanäle, aus welchen sie in die 
Zimmer tritt. Eine derartige Ventilationsanlage läßt sich leicht in einem 
der vorhandenen Tropenhospitäler, z. B. dem Nachtigallkrankenhaus in Togo, 
anbringen. 

Kusita (Tokio): „Über die Steigerung der Eigenwärme der in 
hoher Temperatur Arbeitenden.“ (Ebenda, S. 68 ff.) Daß die 
Körperwärme des Menschen steigt, je mehr er sich dem Äquator nähert, ist 
schon lange bekannt. Neuerdings versuchte Richet die Mittelwärme des 
menschlichen Körpers in verschiedenen Zonen zu ermitteln. Nach seiner 
Berechnung beträgt diejenige der Norweger 36,4° C, diejenige der Portu¬ 
giesen 37,2° C, die der Italiener 37,3° C. Vergleicht man die Körpertempera¬ 
tur der Portugiesen, Deutschen und Engländer, so zeigt sich, daß die des 
Portugiesen durchschnittlich 0,5° C höher ist als die des Engländers und des 
Deutschen, während die Temperatur des Schotten wieder 1°C weniger mißt 
als diejenige der beiden letztgenannten. Doch auch durch Muskelarbeit 
steigt die Eigenwärme des Menschen nicht unbeträchtlich. Nach den Experi¬ 
menten Davys beträgt die Wärme von 18 gesunden Individuen nach 
mäßiger Körperarbeit 37,25°C, während sie nach Ruhe 36,6° C mißt. Die 
Steigerung der tierischen Wärme bei hoher Temperatur oder durch erhöhte 
körperliche Tätigkeit kann bis zu einem gewissen Grade reguliert werden. 
Wirken indessen jene Faktoren, welche sie verursachten, zu heftig oder zu 
lange, so kann sich die Wärme derart steigern, daß der Tod durch Hitz- 
schlag eintritt. Dies passiert nicht selten bei Arbeitern, welche bei großer 


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72 


Hygienische Topographie. 


Hitze harte Arbeit verrichten müssen. Kusita beobachtete bei 28 Feuer* 
leuten und 6 im Maschinenraum eineB japanischen Kriegsschiffes beschäftigten 
Leuten auf der Fahrt in tropischen Gewässern die Körpertemperatur, die 
Pulsfrequenz und die Respiration. Unter den 28 Feuerleuten zeigte sich 
bei 2 eine Temperatur von 39 bis 39,1°, bei 17 eine solche von 38 bis 38,9°, 
bei 7 37,5 bis 37,9° und schließlich bei 2 37,2 bis 37,4°, während kein 
einziger der im Maschinenraum beschäftigten Mannschaft mehr als 37,6° 
maß. Es ist dann leicht zu verstehen, daß die Feuerleute, welche in der 
Gluthitze des Heiz- oder Kohlenraumes schwere Muskelarbeit leisten, höhere 
Körperwärme, Puls- und Atemfrequenz zeigen als die im Maschinenraum 
tätige Mannschaft, welche bei niedrigerer Temperatur ihre Muskeln weniger 
anzustrengen braucht. Die so hoch gesteigerte Eigenwärme der Feuerleute 
ging nach einstündiger Ruhe in Zimmertemperatur von 24 bis 29° auf 
37,5° C und nach zweistündiger Ruhepause sogar auf 37,2° C herab. Ver¬ 
fasser zieht aus seinen Beobachtungen folgende Schlüsse: Es ist zu erstreben, 
daß die Temperatur in derart überhitzten Räumen durch Verbesserung der 
Ventilation möglichst herabgesetzt wird. Auch erscheint es unumgänglich 
nötig, daß der in solchen Räumen tätigen Mannschaft nach jeder Arbeits¬ 
stunde mindestens zwei Stunden Ruhe gewährt werden. Kronecker. 


Infektionskrankheiten. 

A. Allgemeines. 

Bakteriologie (Methodik, allgemeine Biologie). 

Lehmann und Neumann: „Atlas und Grundriß der Bakterio¬ 
logie und Lehrbuch der speziellen bakteriologischen Diagnostik. 
Teil I und II. Lehmanns medizinische Handatlanten.“ (München, 
J. F. Lehmann, 1907. 4. Auflage. 730 S. Text und 70 Tafeln, Preis 18«/#.) 
Die vierte Auflage des bekannten Lehrbuchs von Lehmann und Neu¬ 
mann zeigt nur unwesentliche Neuerungen; besonders hervorgehoben 
zu werden verdient der Abschnitt über den heutigen Stand der Immunitäts¬ 
lehre. Jeder, der sich in diese etwas komplizierte Materie einarbeiten will, 
aber auch jeder Serologe wird bei dem Bestreben, sich über einzelne Gebiete 
seines Spezialfachs genauer zu orientieren, alles finden, was er sucht und 
braucht. Allerdings ist wohl zu berücksichtigen, daß der „Lehmann- 
Neumann“ sowohl in der allgemeinen als in der speziellen Bakteriologie 
sich auf streng „botanischen“ Grundsätzen aufbaut, die man in anderen 
renommierten Lehrbüchern weniger findet. So werden die Diphtherie- und 
Tuberkelbazillen zu der Gruppe der Aktinomyceten gezählt. 

Den Fortschritten der Protozoen-Forschung entsprechend ist das Kapitel 
über krankheitserregende Protozoen bedeutend erweitert worden. 

Über den „Atlas“ ist nur Günstiges zu sagen, wenn er an einigen 
Stellen auch weniger schematisch sein dürfte. 

K. Kisskalt und M. Hartmann: „Praktikum der Bakteriologie 
und Protozoologie.“ (Jena, G. Fischer, 1907. 174S., Preis 4,50 «#.) 


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Infektionskrankheiten. Allgemeines. 


73 


Es gibt zwar genügend Lehrbücher, Leitfäden, Kompendien usw., die in 
die Bakteriologie einführen, bei den meisten aber wird die Protozoologie 
nnr anhangsweise oder gar nicht behandelt. Für den Praktiker, der im 
Laboratorinm arbeitet, oder bei Abhaltung von bakteriologischen Kursen, die 
sich notgedrungen auch auf Arbeiten mit Protozoen ausdehnen müssen, ist es 
zweifellos eine Erleichterung, beide Gebiete in einem Buche so zusammen zu 
haben, daß er sie auch „praktisch“ verwerten kann. Man kann wohl von 
dem Kisskalt-Hartmannschen Praktikum sagen, daß es aus der Praxis für 
die Praxis geschrieben ist; vielleicht ist dem Buch zu sehr der Stempel des 
bakteriologischen Kursus aufgedrückt. Alles, was man während eines solchen 
Kursus braucht an Geräten, Nährböden, Instrumenten, ist in Verbindung mit 
der kurzen wissenschaftlichen Darstellung der einzelnen Themata klar und 
übersichtlich zusammengestellt. 

Zahlreiche Abbildungen erleichtern das Verständnis. 

S. v. Prowazek: „Taschenbuch der mikroskopischen Technik 
der Protistenuntersuchung.“ (Leipzig, Johann Ambrosius Barth, 1907. 
66 S., Preis 2 oft.) Was das bekannte bakteriologische Taschenbuch von Abel 
für die Bakteriologie bedeutet, dasselbe soll wohl auch das Taschenbuch der 
mikroskopischen Technik der Protistenuntersuchung für die Protozoologie 
leisten. Die Zeit bat begonnen, wo der Mediziner sich eingehender mit den 
Protozoen beschäftigen muß, da ja Protozoen in ätiologische Beziehungen zu 
Gesundheitsstörungen gebracht werden. Naturgemäß werden aber nicht nur die 
pathogenen Protozoen, sondern auch die saprophytischen, d. h. frei lebenden 
Protozoen in dem Taschenbuch berücksichtigt. Das Büchlein enthält eine große 
Zahl von Untersuchungs- und Färbemethoden, welche das Protozoenstudium 
ermöglichen und erleichtern. Es ist ein erwähnenswerter Vorzug, daß auch 
ausreichende Literaturangaben eingefügt sind, denn der eigentliche Zweck des 
Taschenbuches überhaupt ist doch nur der, einen Fingerzeig zu geben zum 
Einarbeiten auf dem jeweiligen Forschungsgebiet. Deshalb muß man auch 
in der Lage sein, Originalarbeiten nachlesen und Lehrbücher nachschlagen 
zu können. 

Ob der „Prowazek“ einen ähnlichen Siegeslauf nehmen wird, wie der 
„Abel“, muß die Zukunft zeigen. 

Menzer: „Das Erkältungsproblem.“ (Deutsche militärärztl. Zeitscbr. 
1907, Nr. 1.) Durch das Eindringen parasitärer Bakterien in die oberen Luft¬ 
wege entstehen bei vorhandener Konstitutionsschädigung die „Erkältungs¬ 
krankheiten.“ Kalte, windige Luft wirkt in stärkerem Grade wasser- 
entziehend auf die Respirationsschleimhäute, deren Blutgefäße sich kontrahieren; 
hierdurch wird die Blutzufuhr geringer, und es schwinden in den oberen 
Luftwegen die Schutzvorrichtungen gegen die eindringenden oder parasitären 
Bakterien oder sie vermindern sich in einem solchen Grade, daß der Boden 
für eine Bakterieninvasion geschaffen ist. Die durch das bakterielle Agens 
hervorgerufene Reaktion stellt sich als Schnupfen, Angina u. dgl. dar 
(Heilreaktion). 

Die Prophylaxe der Erkältungskrankheiten ist hiernach dadurch zu 
erreichen, daß man die Schleimhäute und die Haut derart durch Abhärtung 


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Infektionskrankheiten. 


übt, daß sie die Einwirkung der kalten, windigen Luft besser ertragen; all¬ 
gemeine hygienische Lebensweise muß neben obiger Prophylaxe einhergehen. 

H. Lüdke: „Über Bakterienbefunde im Blut." (Med. Klinik 1907, 
Nr. 25.) Verfasser bespricht zunächst die Methodik der bakteriologischen Blat¬ 
unt ersuchung, indem er besonders die praktischen Gesichtspunkte bei der 
Blutentnahme und bei der Blutaussaat hervorhebt. Er fordert dazu auf, 
die bakteriologischen Blutuntersuchungen häufiger, zumal in zweifelhaften 
Fällen auszuführen, da sie meist die Stellung einer exakten Diagnose er¬ 
möglichen. 

Die bakteriologische Blutuntersuchung durch den direkten Nachweis der 
spezifischen Erreger im Blutausstrichpräparat hat naturgemäß enge 
Grenzen, leistungsfähiger ist die Kulturmethode. Diese führt Verfasser 
folgendermaßen aus. Nach Desinfektion und Anlegung einer Gummibinde 
um den Oberarm entnimmt man aus einer Armvene 15 bis 20 ccm Blut, 
mischt es mit flüssigem, auf 45° abgekühltem Agar und gießt in Schalen aus. 
In zweifelhaften Fällen wird Wiederholung der Blutuntersuchung empfohlen. 
So fand Verfasser in 11 Fällen von echter Sepsis jedesmal Bakterien, 4 mal 
Staphylokokken, 6 mal Streptokokken und 1 mal eine Miscbinfektion. Durch 
entsprechende Versuche bestreitet — wohl auch mit Recht (Ref.) — Verfasser 
die auch nur vereinzelt ausgesprochene Behauptung, daß eine Vermehrung 
der Bakterien im Blut stattfindet; das Blut ist infolge der Einwirkung der 
bakteriziden Stoffe nur vorübergehend Träger der Infektionserreger. 

Bei Neuerkrankungen an akutem Gelenkrheumatismus fand Lüdke 
niemals Bazillen im Blut; erfolgreich war dagegen die Blutuntersuchung in . 
den meisten Fällen von Typhus; ebenso fand er bei hochgradiger Lungen¬ 
schwindsucht durch intraperitoneale Verimpfung von Blut auf Meerschweinchen 
in einigen Fällen Tuberkelbazillen im Blut — ohne daß es zu einer Miliar¬ 
tuberkulose gekommen wäre. (Es müssen aber die im Blut gefundenen Bakterien 
nicht immer spezifisch mit dem Krankheitsbild in Verbindung stehen. Ref.) 

G. Giemsa: „Beitrag zur Färbung der Spirochaete pallida 
(Schaudinn) in Ausstrichpräparaten.“ (Aus dem Institut f. Schiffs¬ 
und Tropenkrankheiten in Hamburg. Deutsche med. Wochenschr. 1907, 

S. 676.) Für die Sprechstundenpraxis empfiehlt Verfasser die von Preiss 
eingeführte Erhitzung der Farbflüssigkeit auf dem Objektträger bis zu 
schwacher Dampfbildung; dagegen ist die von Preiss angegebene Menge der 
Farbflüssigkeit auf 10 Tropfen Stammlösung in 10 ccm Aq. destill. zu er¬ 
mäßigen, beim Mischen das Schütteln zu unterlassen und nur gelinde umzu¬ 
schwenken und jede Spur von Säure usw. zu vermeiden. Man erhält nach 
3 Minuten vorzüglich gefärbte Spirochaetenpräparate. 

H. Kolaczek und E. Müller: „über ein einfaches Hilfsmittel 
zur Unterscheidung tuberkulöser und andersartiger Eiterungen." 
(Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 253.) Bringt man Eiter in kleinen 
Tröpfchen auf Loef flersches Blutserum und hält diesen Nährboden 24 Stunden 
lang bei 50 bis 58°, so bildet sich in den Fällen, wo die Eitererreger Kokken 
oder Colibazillen sind, eine deutliche Delle oder Mulde infolge von Verdauung 
und Verflüssigung des starren Nährbodens. Zu beachten ist, daß der Eiter 
kein Blut enthält, da dieses ein Antiferment in sich birgt, das dem proteo- 


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Allgemeines. Natürliche und erworbene Immunität. 


75 


lytischen Ferment des Eiters entgegenwirkt, wodurch die Dellenbildung 
ausbleiben kann. Diese Beobachtung ist nun insofern von praktischer 
differentialdiagnostischer Bedeutung, als Eiter aus rein tuberkulösen noch 
nicht behandelten Krankheitsherden dieses proteolytische Fermentations- 
Vermögen nicht besitzt und ohne Dellenbildung auf der Loef fl er platte ein¬ 
trocknet Liegt aber eine Verunreinigung mit Kokken oder Colibazillen vor 
oder ist der tuberkulöse Krankheitsherd medikamentös behandelt, so zeigt 
sich Dellenbildung. Zuerst ist diese Methode von Müller und Jochmann 
angewendet worden, welche den Sitz des Fermentes in die Leukocyten ver¬ 
legen. In einem späteren Nachtrag empfehlen die Verfasser eine praktische 
Vereinfachung der Methode, welche den Brutschrank von 55 bis 58° entbehrlich 
macht. Man füllt in ein kleines Porzellangefäß Millonsche Quecksilberlösung 
und bringt eine kleine Menge des Eiters in die Mitte. Bei tuberkulösem Eiter 
bildet sich ein festes Häutchen, und die Flüssigkeit bleibt ungefärbt, im 
anderen Falle zerfließt der Eiter, und die Flüssigkeit rötet sich. (Der Grund 
hierfür dürfte auch in der Ab- oder Anwesenheit von Leukocyten zu suchen sein.) 

A.Kürthi: „Die Differentialfärbemethoden der Tuberkulose¬ 
erreger.“ (Wien. klin. Wochenschr. 1907, S. 1532.) Zusammenstellung 
zahlreicher Färbemethoden und der mit ihnen gemachten Erfahrungen. 

R. Bassenge und M.Krause: „Zur Gewinnung von Schutzstoffen 
aus pathogenen Bakterien.“ (Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 1207.) 
Bassenge und Krause benutzten zur Herstellung von Extrakten aus 
Bakterien zellen (lebenden Typhusbazillen) an Stelle der physiologischen Koch¬ 
salzlösung destilliertes Wasser und konnten nachweisen, daß ihre Extrakte 
auf diese Weise höher konzentriert wurden, was für ihre biologischen 
Reaktionen von Bedeutung war. Sie nehmen an, daß das destillierte Wasser 
infolge des Unterschiedes seines osmotischen Druckes schneller durch die 
Bakterienmembran diffundiert, als die physiologische Kochsalzlösung. Noch 
bessere Resultate hatten die Verfasser mit dem Glycerin, das in Wasser löslich, 
chemisch indifferent ist und so die Lebenstätigkeit der Bakterien und ihre 
Toxine nicht schädigt. Mit Glycerin wurden Schüttelextrakte hergestellt-, sie 
benutzten als höchste eine 10 prozentige Glycerinlösung. Die auf die 
geschilderte Weise hergestellten Extrakte benutzten sie zu Immunisierungen, 
es zeigte sich aber, daß das Resultat des immunisatorischen Effekts bei den 
Wasserextrakten günstiger war als bei den Glycerinextrakten. 

Mucha: „Ein Beitrag zur Kenntnis der Bakterienflora der 
Mundhöhle.“ (Zeitschr. f. klin. Medizin, Bd. 62, S. 347.) Verfasser unter¬ 
suchte in einer großen Zahl von Fällen die einzelnen in der Mundhöhle 
vorhandenen Bakterien arten. Bei 26 Aginafällen fand er 24 mal einen Kokkus, 
der dem Streptokokkus in seinem färberischen und kulturellen Verhalten sehr 
ähnelt, in einigen Punkten aber von ihm abweicht. Er wurde auch in völlig 
gesunden Mundhöhlen, aber in viel geringerer Zahl vorgefunden. Über die 
Bedeutung dieser Kokkenart vermag Mucha noch keine Angaben zu machen. 

Natürliche und erworbene Immunität. 

Besredka: „Comment peut-on combattre l’anaphylaxie?“ 
(Annales de l’Institut Pasteur 1907, p. 950.) Die Versuche des Verfassers 


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Infektionskrankheiten. 


bezwecken eine Verminderung der Anaphylaxie. Die toxische Substanz im 
Blutserum kann vor allem durch die Anwendung höherer Temperaturen 
alteriert werden; so ist sie z. B. bei 100° völlig aufgehoben. Eine 4 bis 5mal 
wiederholte Erhitzung auf 60° kann die Giftigkeit des Serums 3 bis 5 mal 
herabsetzen. Interessant ist, daß sensibilisierte Meerschweinchen die giftige 
Serumdosis in der Äthernarkose ohne Störung vertrugen; Morphium und 
Opium Bind nicht in demselben Sinne wirksam. 

R. Grassberger und A. Schattenfroh: „I m munitfttsfragen.“ 
(Vortrag, auf dem XIV. Internationalen Kongreß für Hygiene und Demographie 
in Berlin 1907 gehalten. Wien. klin. Wochenschr. 1907, S. 1273.) Die Ver¬ 
fasser haben schon früher mit der Herstellung gut wirksamer antitoxischer 
Sera durch Einspritzung von Rauschbrandgiftlösungen experimentiert. Durch 
Fortsetzung ihrer Versuche wurde bewiesen, daß eine aktive oder passive 
Immunität gegen Rauschbrandtoxin nicht gegen die Infektion mit virulenten 
Rauschbrandbazillen schützt. Es gibt also Infektionen durch Bakterien, 
deren nachgewiesene Giftsekretion für den Krankheitsverlauf von keiner 
großen Bedeutung ist; vielmehr steht die Infektion, die vitale Tätigkeit der 
Bakterien im Vordergrund. 

Zangemeister: „Über die Aussichten der aktiven und passiven 
Immunisierung des Menschen gegen Streptokokken.“ (Monatsschr. 
f. Geburtshilfe und Gynäkologie, Bd. 26, Heft 2.) Die Immunisierung von 
Tieren mit Streptokokken war im Hinblick auf die Wirksamkeit des zu 
gewinnenden Serums nicht ohne Schwierigkeiten. Nach den Erfahrungen 
des Verfassers tritt eine verwertbare Immunität ein, wenn der Stamm für 
das Tier hoch virulent war und nach den Injektionen immer deutliche Reaktionen 
auftraten. Die Einverleibung abgetöteter Streptokokken ruft keine genügende 
Immunkörperbildung hervor. Eine besondere Schwierigkeit bei der Herstellung 
eines für den Menschen brauchbaren Streptokokkenserums besteht darin, 
daß die für den Menschen virulenten Stämme meist für Tiere so gut wie 
avirulent sind. 

S. Seva: „Über den Einfluß gewisser Gifte (Alkohol, Adrenalin, 
Nikotin) auf die Produktion gewisser Immunsubstanzen. (Med. 
Klinik 1907, Nr. 16.) Eine größere Anzahl von Kaninchen wurde mit den 
oben angeführten Giften subcutan behandelt; gleichzeitig erhielten sie in¬ 
travenös eine Injektion von einer 24 stündigen virulenten Typhusbouillonkultur. 
Um sich über das Eintreten bzw. die Höhe der Antikörperbildung Aufschluß 
zu verschaffen, benutzte Verfasser die Methode der Komplementbindung. 

Alkohol und Suprarenin hatten keine Einwirkung auf die Antikörper¬ 
bildung; dagegen war eine Verminderung der Immunkörperbildung bei den 
Nikotintieren zu erkennen. Kontrolliere stützten die Beurteilung der 
Ergebnisse. 

A. Wassermann: „Über neuere Immunisierungsverfahren.“ 
(Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 1936; Referat auf dem XIV. Inter¬ 
nationalen Kongreß f. Hygiene und Demographie, Berlin 1907.) Verfasser 
schildert den derzeitigen Stand der Ergebnisse auf dem Gebiete der Immunitäts¬ 
forschung. 


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Agglutination, Präzipitation. Proteolyse, Hämolyse, Toxine und anderes. 77 


Charles Richet: „De 1’Anaphylaxie en general et de 
l’Anaphylaxie par la mytilo-congestine en particulier.“ (Annales 
de lTnstitnt Pasteur 1907, p. 497.) Verfasser experimentierte mit dem aus 
Miesmuscheln herstellbaren Toxin, dem Mytilo-Congestin. Zur Gewinnung 
dieses Giftes werden gleiche Mengen Miesmuscheln mit gleichen Mengen 
Wasser gemischt. Fällung mit 95 proz. Alkohol dreimal wiederholen. Der 
Bodensatz wird gewaschen und getrocknet. Die Einspritzung einer wässerigen 
Lösung (0,3 proz.) in die Vene eines Hundes ruft einen anaphylaktischen 
Zustand hervor, da eine zweite Injektion nach einiger Zeit in geringerer 
Menge dieselben Erscheinungen hervorruft wie die erste. Beginn nach 
6 Tagen, Dauer 40 Tage. Verfasser nimmt an, daß die Anaphylaxie durch 
eine toxogene Substanz hervorgerufen ist, die, mit dem Mytilo-Congestin ver¬ 
mengt, ein sofort wirkendes Gift entwickelt. Die toxogene Substanz wird 
durch die erste Injektion gebildet. 

Agglutination. Präzipitation. 

E. Bürgi: „Über Agglutination und kolloidale Fällung.“ 
(Korrespondenzblatt f. Schweizer Ärzte 1907, S. 721.) Verfasser gibt zunächst 
eine Beschreibung der Kolloide überhaupt und ferner der Immunstoffe, die 
mit Wahrscheinlichkeit kolloidaler Natur sind. Besonderen Wert legt er dem 
Phänomen der Agglutination bei, die eine gewisse eigentümliche Überein¬ 
stimmung mit den Kolloiden aufweist. Er kam zu den Resultaten, daß sich 
die Normalsera ihrer Agglutinationsfähigkeit nach in eine Reihe gliedern 
lassen, die für sämtliche von ihm untersuchte Bakterienarten stets annähernd 
die gleiche blieb. Am stärksten agglutinierte das Rinderserum, geringer war 
das Agglutinationsvermögen beim Pferd, der Ziege, dem Hammel, Huhn, Hund, 
Kaninchen, Mensch und Meerschweinchen. Durch seine Untersuchungen 
wird der Verfasser an der Hand der eigenartigen Gesetzmäßigkeit der Normal¬ 
agglutination auf eine Übereinstimmung der Bakterienfällung mit der Aus¬ 
flockung kolloidaler Lösungen gewiesen. 

E-Friedberger: „Über das Verhalten der Präzipitate gegenüber 
Fäulnis.“ (Zentralbl. f. Bakt., Abt.1, Bd. 43, S. 490.) Verfasser hatte die 
Beobachtung gemacht, daß präzipitierende Seren mit ihrem zugehörigen 
Präzipitinogen äußerst selten der Fäulnis anheimfallen. Seine Versuche 
suchten den Grund hierfür zu erkennen. Im wesentlichen stellte er fest, daß 
diese Fäulnisresistenz nicht auf einem besonderen Verhalten der Bakterien 
beruht, sondern ihre Ursache in der eigentümlichen Beschaffenheit des Präzi- 
pitats hat. 


Proteolyse, Hämolyse, Toxine und anderes. 

J. Bauer: „Über die Spezifität der biologischen Eiweißdifferen¬ 
zierung.“ (Arb. a. d. kgl. Institut f. experiment. Therapie zu Frankfurt a. M. 
1907, Heft 3.) Neben der wohlrenommierten, von Uhlenhuth, Wassermann 
und Schütze angegebenen Präzipitinreaktion zur Differenzierung von Eiwei߬ 
substanzen spielt auch die Komplementablenkungsreaktion nach MoreBchi, 
Gengou u. a. eine Rolle. Der Verfasser prüfte hiernach Pferde-, Rinder-, 
Schweine- und Menschenserum mit den entsprechenden Antiseren nach den 


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Infektionskrankheiten. 


beiden oben angegebenen Verfahren. Nach seinen Erfahrungen ist die 
Komplementablenkung der Präzipitation wegen der größeren Spezifität über¬ 
legen; auch hält er die erstere Methode für empfindlicher und anschaulicher. 

Sachs und Bauer: „Über die Differenzierung des Eiweißes in 
Gemischen verschiedener Eiweißarten.“ (Arb. a. d. kgl. Institut f. 
experiment. Therapie 1907, Heft3.) Mittels der von Uhlenhuth-Wasser- 
monn-Schütze angegebenen Eiweißdifferenzierungsmethode durch Präzi¬ 
pitation gelingt der Eiweißnachweis nur in quantitativ begrenztem Sinne. 
Wie schon oben bemerkt, versuchten Verfasser die nach ihrer Ansicht leistungs¬ 
fähigere Komplementablenkungsmethode zum Vergleich heranzuziehen, indem 
sie eine größere Menge verschiedener Mischungen prüften. Ihre Versuche 
fielen in dem Sinne aus, daß die Ablenkung des Komplements noch in Fällen 
eintritt, wo die Präzipitationsmethode versagt. Sie empfehlen deshalb obige 
Art von biologischem Eiweißnachweis auch für die gerichtliche Praxis. 

H. Sachs und J. Bauer: „Über das Zusammenwirken mehrerer 
Amboceptoren bei der Hämolyse und ihre Beziehungen zu den 
Komplementen.“ (Arb. a. d. kgl. Institut f.• experiment. Therapie zu 
Frankfurt a. M. 1907, Heft 3.) Die in der Hauptsache gegen die Sensibilisierungs- 
theorie Bordets gerichteten Untersuchungen hatten folgendes Ergebnis: 

Entgegen der von Bordet und Gay vertretenen Anschauung wirkt bei 
der Hämolyse des Meerschweinchenblutes durch aktives Pferdeserum und 
inaktives Rinderserum nicht das Pferdeserum, sondern das Rinderserum 
als Amboceptor. Das Meerschweinchenblut absorbiert das Komplement des 
Pferdeserums durch Vermittelung eines Amboceptors, für den das Pferdekom¬ 
plement nicht dominant ist. Nachträgliches Zufügen von Rinderserum zu dem 
mit Pferdeserum vorbehandelten Meerschweinchen blut bedingt keine 
Hämolyse, die man nach Bordet und Gay erwarten müßte. Ebensowenig wird 
die hämolytische Komponente des Rinderserums dabei gebunden. Die von Bor¬ 
det und Gay aufgestellte Theorie, nach welcher ein Kolloid des Rinderserams 
als dritte Komponente bei der Cytotoxinwirkung von den mit Amboceptor und 
Komplement beladenen Blutzellen absorbiert wird und dieselben löst, ist also 
irrig, dagegen spricht für eine direkte Vereinigung des Rinderamboceptors 
mit dem Pferdekomplement der Umstand, daß die Hämolyse erheblich rascher 
erfolgt, wenn die beiden Sera vor dem Blutzusatz digeriert sind usw. 

Der von Bordet und Gay erhobene Befund, daß sich mit Amboceptor 
beladenes (präpariertes) Rinderblut in einem Gemisch von aktivem Pferde¬ 
serum und nichtaktivem Rinderserum, aber nicht im Pferdeserum allein löst, 
konnte bestätigt werden. Dagegen erwies sich ihre Deutung, nach welcher 
das Rinderserum die bereits mit Pferdeserum vorbehandelten Rinderblutzellen 
als „Kolloid“ löst und von ihnen gebunden wird, als irrig. Weitere Einzel¬ 
heiten sind im Orginal nachzulesen. 

0. Porges und E. Neubauer: „Über die Kolloidreaktionen 
wässeriger Lecithin- und Cholesterinsuspensionen.“ (Wien. klin. 
Wochenschr. 1907, S. 1285.) Verfasser suchten das Verhalten der Lecithin- 
und Cholesterinsuspensionen einer größeren Reihe von Fällungsmitteln gegen¬ 
über festzustellen. 


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Proteolyse, Hämolyse, Toxine und anderes. Desinfektion. 


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M. Krause: „Die Chemie des Schlangengiftes und Herstellung 
von Schlangengiftschutzserum.“ (Arch. f. Schiffs- und Tropenhyg., 
Bd. 12, S. 12.) Nach intravenöser Injektion des Schlangengiftes erreichte bei 
Kaninchen nach 6 Monaten die Immunität eine solche Höhe, daß 2 ccm Serum, 
gegen die dreifach tödliche Dosis subcutan einverleibt, sicher schützten. Durch 
abwechselnde Einspritzung verschiedenartiger Gifte erreichte der Verfasser 
ein polyvalentes Serum von zufriedenstellender Wirksamkeit. (Dem Labora¬ 
torium sversuch müßte die Anwendung in der Praxis folgen. Bef.) 

Leuchs: „Über die diagnostische Zuverlässigkeit und die 
Spezifität der KomplementbindungBmethode bei Typhus und Para¬ 
typhus. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, S. 68.) Verfasser unterzog die 
Komplementfixationsmethode einer wiederholten Prüfung bei Typhus und 
Paratyphus mit dem in Tabellen übersichtlich niedergelegten Resultat, daß 
obige Methode zuverlässig und auch empfindlich genug arbeitet. 

R. Dehne: „Die spezifische Löslichkeit und ihre Anwendung 
bei der forensischen Blutuntersuchung.“ (Münch, med. Wochenschr. 
1907, S. 357.) Unter spezifischer Löslichkeit versteht man die Erscheinung, 
daß spezifische Trübungen und Niederschläge im Überschuß des homologen 
unverdünnten Serums löslich sind. Die Anwendung dieser Probe bei positivem 
Ausfall der U h len hu th sehen Blutnachweismethode gibt in gerichtlichen 
Fällen dem biologischen Nachweis eine noch erhöhte Beweiskraft. Nach den Ver¬ 
suchen des Verfassers ist diese Löslichkeit streng spezifisch, so daß man auch 
hiermit die Frage beantworten kann, von welcher Tierart das Blut stammt. 

U. Friedemann: „Über ein komplexes Hämolysin der Bauch¬ 
speicheldrüse.“ (Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 15.) In dem mit 
Alkohol und Äther ausgezogenen Bauchspeicheldrüsenextrakt des Rindes sind 
Substanzen vorhanden, die Hammelblutkörperchen nicht lösen, die Lösung 
erfolgt aber noch Zusatz von Meerschweinchenblutserum als Komplement. 
Ebenso verhalten sich auch andere Blutkörperchen. Es handelt sich hiernach 
um ein autolytisches komplexes Hämolysin; dasselbe wird bei Erhitzungen 
auf 56° leicht zerstört. In einem frischen Bauchspeichelsaft eines Hundes 
fand sich ein Hämolysin, das auch durch Lecithin aktiviert werden konnte. 
Der Bauchspeicheldrüsenauszug war toxisch für weiße Mäuse (Lähmungs¬ 
erscheinungen, Blut aust ritte). 


Desin f ektion. 

F. Ballner: „Über die Desinfektion von Büchern, Drucksachen 
und dgL mittels feuchter heißer Luft (Wien, Franz Deuticke, 1907, 
Preis 1,50 t /ft.) Immer mehr drängt die praktische Hygiene darauf, auch 
solche Gegenstände einer zuverlässigen Desinfektion zu unterwerfen, die durch 
die bisher am meisten üblichen Desinfektionsverfahren nicht, ohne Schaden 
zu nehmen, desinfiziert werden konnten. Hier spielen besonders Bücher eine 
Rolle, die, wie Versuche bewiesen, gelegentlich mit Tuberkelbazillen, Diphtherie¬ 
erregern oder Eitererregern infiziert sein können. Ballner stellte fest, daß 
feuchte heiße Luft von 95° C zur Desinfektion ausreicht. Beträgt die relative 
Feuchtigkeit in einem doppelwandigen Desinfektionskasten 40 Proz., so beträgt 
die Desinfektionsdauer 4 Stunden, bei 60 Proz. relativer Feuchtigkeit 3 Stunden. 


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80 


Infektionskrankheiten. 


Wichtig ist für die ganze Beurteilung des Desinfektionsprozesaes, daß in das 
Innere der Bücher die Wärme nur ganz langsam eindringt. 

Findel: „Desinfektion von Büchern, militärischenAusrüstungs- 
gegenständen, Pelzen usw. mit heißer Luft.“ (Zeitschr. f Hygiene u. 
Infektionskr., Bd. 57, S. 83.) Verfasser wies nach, daß man schon bei 30 Proz. 
relativer Feuchtigkeit und einer heißen Luft von 75 bis 80° bei — aller¬ 
dings — mehrstündiger Einwirkung Bücher, Akten usf., kurz Gegenstände, die 
durch die Dampfdesinfektion ihr Ansehen verlieren würden, desinfizieren kann. 

Auf diese Weise konnten verschiedene Desinfektionsobjekte, welche mit 
den praktisch wohl bedeutungsvollsten Bakterien, den Tuberkelbazillen, 
infiziert waren, in 24 Stunden desinfiziert werden; handelte es sich um 
mehrere, festgeschlossene Bücher, so muß man die Desinfektionsdauer bis auf 
48 Stunden ausdehnen, da die Hitze durch Leitung nur äußerst langsam 
fortschreitet. Das Material, besonders Leder, wurde nicht beschädigt. 

M.Beck: „Zur Frage der Desinfektion von Eß- und Trink¬ 
geschirren.“ (Zentralbl. f. Bakt, Abt.I, Orig., Bd. 41.) Um die Desinfektion 
von Eß- und Trinkgeschirren in einer praktisch leicht durchführbaren Form 
vorzunehmen, suchte Verfasser an Stelle der mit einer Temperatur von 50° C 
angewandten Sodalösung eine bei gewöhnlicher Temperatur verwendbare 
Desinfektionsflüssigkeit ausfindig zu machen. Als bestes Desinfektionsmittel 
ergab sich der 60 prozentige Alkohol, der auch in der Form des „denaturierten 
Spiritus“ dieselbe günstige Wirkung ausübt. 

Dörr und Raubitschek: „Über ein neues Desinfektionsver¬ 
fahren mit Formalin auf kaltem Wege.“ (Wien. klin. Wochenschr. 
1907, S. 720.) Von Evans und Rüssel ist ein Verfahren angegeben, mit 
Formalin und übermangansaurem Kali und Wasser Formaldehyd zu entwickeln 
und für die Wohnungsdesinfektion nutzbar zu machen. Dieses in Amerika 
vielfach in Anwendung befindliche Verfahren hielten die Verfasser für 
verbesserungsbedürftig, da nach ihren Untersuchungen eine zu geringe Menge 
Formalin zur Verwendung kommt und sich auch nicht genügend Wasser- 
dampf entwickelt. Sie erhielten durchaus befriedigende Resultate, wenn sie 
pro 100 cbm 2 kg Kaliumpermanganat, 2 kg Formalin und 2 kg Wasser 
verwendeten. 

Klapp und Dönitz: „Über Chirosoter.“ (Deutsche med. Wochenschr. 
1907, S. 1366.) Da es kaum möglich ist, die Haut wirklich keimfrei zu macheu, 
suchen die Verfasser die in der Haut, d. h. in ihren Drüsen, Furchen usw. 
befindlichen Bakterien dadurch unschädlich zu machen, daß sie die Haut mit 
einer dünnen undurchlässigen Schicht umziehen. Zu diesem Zwecke lösten 
sie Wachs in Tetrachlorkohlenstoff — Chirosoter — und sprayten es auf 
die möglichst trockene Haut. Der dünne Überzug hindert das Gefühl nicht 
und läßt Blut, Wasser und dgl. schnell abfließen. So werden zwar die 
Bakterien an bzw. in der Haut „fixiert“, nicht aber abgetötet. 

Hühs: „Über desinfizierende Wandanstriche mit besonderer 
Berücksichtigung des Vitralins.“ (Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskr., 
Bd. 56, S. 329.) Für Krankenzimmer, Heilstätten, Tierställe usw. wäre ein 
an sich desinfizierender Wandanstrich zweifellos von Vorteil. Über derartige 


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Desinfektion. B. Spezielles. Tuberkulose. Allgemeines. 


81 


Farbenanstriche waren auch bereits von anderer Seite günstige Versuchs¬ 
resultate mitgeteilt. 

Verfasser prüfte eine alte und eine neue Porzellan-Emailfarbe, das Vitral- 
pef und Vitralin; letzteres zeigte sich an Stärke und an Dauer der Desinfektions- 
wirkung dem ersteren überlegen; auch ist es ziemlich widerstandsfähig. 
(Einer allgemeinen Einführung dürfte der Kostenpunkt vorläufig noch hindernd 
im Wege stehen. Ref.) 

Paul und Prall: „Die Wertbestimmung von Desinfektions¬ 
mitteln mit Staphylokokken, die hei der Temperatur der flüssigen 
Luft aufbewahrt wurden.“ (Arb. a. d. Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 26, 
Heft 2.) Für Desinfektionsversuche ist eine möglichst gleichmäßige Resistenz 
der bakteriologischen Proben von ausschlaggebender Bedeutung. Bei dem 
Sporen material ist die Haltbarkeit für längere Zeit zwar gewährleistet, jedoch 
ändert sich doch die Widerstandsfähigkeit. Viel labiler sind naturgemäß die 
vegetativen Bakterien. Um sie längere Zeit bei möglichst gleicher Resistenz 
zu erhalten, schlagen die Verfasser die Aufbewahrung bei der Temperatur 
der flüssigen Luft vor. W. Hoffmann. 


B. Spezielles. 

Tuberkulose. 

Allgemeines. 

Tuherkulosearbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamts’ 
Heft 6 und 7. Berlin, Julius Springer, 1907. 

L. Brauer, Beiträge zur Klinik der Tuberkulose, Bd. VII, Würz¬ 
burg, A. Stüber, 1907. 

Tuberkulosestudien, Beiheft zu Virchows Archiv 1907, Bd. 190. 

Zeitschrift für Tuberkulose, Bd. X, Heft 3 bis 6 und Bd. XL 
Leipzig, Johann Ambrosius Barth, 1907. 

Journal of the out door life, Amerikanische Zeitschrift. (Ref. in 
Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. X, Heft 5.) 

Weichselbaum (Wien) erstattete auf dem VI. Internationalen 
Tuberkulosekongreß, der vom 19. bis 21. September 1907 in Wien 
tagte, das einleitende Referat über die Infektionswege der menschlichen 
Tuberkulose und betonte dabei, daß seiner Ansicht nach die Fütterungs- 
bzw. Deglutitionstuberkulose beim Menschen besonders im Kindesalter viel 
häufiger vorkomme, als man gewöhnlich annehme. In der Diskussion sprachen 
u. a.: Flügge, Fraenkel, Orth, v. Schrötter, Sorge und Schloss¬ 
mann. Bei dem Thema „Anzeigepflicht der Tuberkulose“ wurde auf Antrag 
von Glasenapp (Berlin) folgende Resolution angenommen: Die Anzeige¬ 
pflicht ist für Todesfälle an Lungen- und Kehlkopftuberkulose und heim 
Wohnungswechsel von Tuberkulösen einzuführen. Es ist anzustreben, daß 
sie auch für Erkrankungen an Lungen- und Kehlkopftuberkulosefällen zur 
Durchführung gelangt. — Im übrigen kamen auf dem Kongreß zur Besprechung 
die Sterblichkeitsstatistik (Turban), die Kostenfrage der Volksheilstätten 
(Pannwitz), die kombinierte Behandlung der Tuberkulose (Kuthy), Armee- 

Vierteljahraichrift für Gesundheitspflege, 1908. Supplement. 6 


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82 


Infektionskrankheiten. 


Tuberkulose, Rotes Kreuz (Werner), die Verbreitung der Tuberkulose in 
Böhmen (Taussig), die Heilstätten in Spanien (Cbabas), u. a. m. (Ref. in 
Med. Reform 1907, Nr. 40 u. 41.) 

Auf dem 14. Internationalen Kongreß für Hygiene und Demo¬ 
graphie, der im September in Berlin stattfand, beschäftigte man sich in 
der Sektion I mit der Ätiologie der Tuberkulose. Es sprachen Arloing, 
Flügge, Ravenal, Ribbert und v. Schrötter. Ribbert ist der Ansicht, 
daß zwar bei Kindern die intestinale Infektion neben der aerogenen eine 
wichtige, wenn auch prozentual geringere Rolle spielt, daß aber bei 
Erwachsenen die weitaus überwiegende Eingangspforte der Bazillen die 
Lunge ist. In der Sektion V referierten Kirchner und Calmette über die 
Bekämpfung der Tuberkulose, wobei der erstere für die Anzeigepflicht bei 
Tuberkulose eintrat. Über Tuberkulose und Alkoholismus sprach in der 
Sektion VIII Triboulet; Kuhn empfahl Atemübungen in den Schulen und 
Ascher wies auf die hohe Tuberkulosesterblichkeit in Ruß- oder Rauch¬ 
gegenden hin. (Ref. in Med. Reform 1907, Nr. 40 bis 43.) 

Auf der 8. Internationalen Rote Kreuz-Konferenz in London 
(10. bis 15. Juni) machte Pannwitz folgenden Vorschlag, welcher ein¬ 
stimmig angenommen wurde: Das internationale Genfer Komitee verteilt die 
Zinsen des 100 000 Jft betragenden Augusta-Fonds jedes Jahr an drei oder 
vier oder mehr von den verschiedenen nationalen Komitees vorgeschlagene 
Delegierte als Reisekosten, um ein bestimmtes gewähltes Gebiet zum Zwecke 
des Studiums der dort vorhandenen Einrichtungen des Roten Kreuzes be¬ 
reisen zu lassen. Diese sollen dem Internationalen Komitee einen Bericht 
erstatten. Auf diese Weise werden bis zur nächsten Konferenz im Jahre 
1912 etwa zwölf wirklich sachverständige Delegierte der einzelnen Länder 
vorhanden sein. (Ref. in Med. Reform 1907, Nr. 27.) 

Der Volksheilstättenverein vom Roten Kreuz hielt am 29. Mai 
1907 unter dem Vorsitz des Kammerherrn v. d. Knesebeck seine General¬ 
versammlung ab. (Med. Reform 1907, Nr. 24.) 

Die XI. Generalversammlung des Deutschen Zentralkomitees zur 
Bekämpfung der Tuberkulose fand am 23. Mai 1907 in Berlin statt 
und erfreute sich ungewöhnlich starken Besuches. Den ersten Vortrag über 
die Tuberkulosebekämpfung auf dem Lande hielt Kehl (Düsseldorf), dessen 
Angaben von Pastor Arnold (Barmen) und Stark (Karlsruhe) ergänzt 
wurden. Über die bisherigen Leistungen der Heilstätten sprachen Bielefeldt 
und Rumpf. Von allen wurde der grosse Wert der Heilstätten hervor¬ 
gehoben. (Ref. in Med. Reform 1907, Nr. 22.) 

Die IV. Versammlung der Tuberkuloseärzte schloß sich im 
Berichtsjahre unmittelbar an die Generalversammlung des Zentralkomitees 
an. Es sprachen u. a. Schröder (Schömberg) über die Dauer der Heil¬ 
stättenkuren, Landgraff (Belzig) über Erfahrungen in Kinderheilstätten, 
Bandelier (Cottbus) über den Stand der spezifischen Behandlung der Tuber¬ 
kulose und Tja den (Bremen) über die bessere Ausnutzung des Nordsee¬ 
klimas für die Prophylaxe der Tuberkulose. (Ref. in Med. Reform 1907, 
Nr. 22.) 


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Tuberkulose. Allgemeines. 83 

Auf der 79. Versammlung deutscher Naturforscher und Arzte 
in Dresden im September 1907 berichtete Kuttner über Kehlkopftuber- 
kulose und Gravidität, Strubell über die Immunitätslehre und Opsono- 
therapie und Weicker über Tuberkulin. (Ref. in Med. Reform 1907, 
Nr. 39 bis 41.) 

Der 24. Kongreß für innere Medizin, der vom 15. bis 18. April 
1907 in Wiesbaden tagte, brachte folgende für die Tuberkulose wichtige 
Vorträge: Naegeli (Zürich), Häufigkeit der Tuberkulose; Staechelin 
(Göttingen), Energiehaushalt bei der Lungentuberkulose; Liebermeister 
(Köln), Verbreitung des Tuberkelbacillus in den Organen der Phthisiker und 
Kuhn (Berlin), Hyperämiebehandlung der Lungen mittels der Lungensaug¬ 
maske. (Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 18, Vereinsbeil.) 

Auf dem „Congrös Fran§. de med. IX., Paris 14.—16. X. 1907“ 
wurde die Frage, ob die Lungentuberkulose aerogen oder intestinal entsteht, 
lebhaft ventiliert. Beide Arten der Infektion sind möglich, über die vor¬ 
wiegende Bedeutung der einen oder der anderen Infektionsart sind die An¬ 
sichten noch geteilt. (Ref. in Bull. m6d. 21, 82.) 

Auf dem Kongreß der Französischen Gesellschaft für 
Chirurgie und für innere Medizin in Paris im Oktober 1907 wurde 
über das Thema verhandelt: „Krebs und Tuberkulose in ihren Beziehungen 
zur Arbeiterunfallversicherung“. (Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, 
Nr. 51, Vereinsbeilage.) 

Von ausführlichen Schriften über Tuberkulose seien hier genannt: 

G. Com et (Berlin und Reichenhall): „Die Tuberkulose.“ Zweite Aufl. 
Mit 15 Illustrationen, 1 Karte, 5 farbigen Tafeln. Wien, A. Holder, 1907, 
1441 S., 32 JC. Völlige Neu- bzw. Umarbeitung des ursprünglichen Werkes, 
welches an Umfang auf das Doppelte gewachsen ist und alle wichtigen neuen 
Arbeiten berücksichtigt. 

W. Stock (Freiburg i. B.): „Tuberkulose als Ätiologie der 
chronischen Entzündungen des Auges und sein erAdnexe,“ besonders 
der chronischen Uveitis. Leipzig, W. Engelmann, 1907. 103 S. mit 2 Tafeln. 

Nuesch (Flauril): „Zur Tuberkulosefrage mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Bekämpfung der Rindertuberkulose.“ Verlag 
L. Kirschner-Engler, St. Gallen. 124 S., brosch. 2,50 t#, populär geschriebene 
Abhandlung. 

0. Burwinkel: „Die Lungenschwindsucht, ihre Ursachen und 
Bekämpfung.“ „Der Arzt als Erzieher“, Heft II. Verlag der „Ärztlichen 
Rundschau“, München, 1907. 

Katzenstein (Wiesbaden): „Die Tuberkulose und ihre Be¬ 
ziehungen zur sozialen Frage.“ (Soz. Med. u. Hyg., Bd. II, Heft 5.) 

Die Zusammensetzung des Blutes hei Tuberkulösen berücksichtigen 
die folgenden Arbeiten: 

Mandl und Seelig (Prag): „Herz- und Blutbefunde bei Lungen¬ 
tuberkulose.“ (Prager med. Wochenschr. 1907, Nr. 41.) 

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84 


Infektionskrankheiten. 


Kjer-Petersen: „Die numerischen Verhältnisse der Leukocyten 
bei der Lungentuberkulose.“ (Brauers Beitr. zur Klinik der Tuberk. 
I. Suppl.-Bd.) 

Catoir sprach im Ärztlichen Verein in Danzig am 2. Mai 1907 über 
Tuberkulose, Tuberkulin, Leukocyten. Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 
1907, Nr. 40, Vereinsbeilage.) 

Von allgemeinerem Interesse sind ferner die folgenden Publikationen: 

Arthur Mayer (Freiburg): „Mineralstoffwechsel der Phthisiker.“ 
Phosphor, Kalk und Chlor werden retiniert. (Deutsches Arch. f. klin. Med., 
Bd. 90, Heft 3 u. 4.) 

Sorgo (Allaudt): „Mischinfektion bei Lungentuberkulose und 
über die ätiologische Bedeutung derselben, sowie der Darmtuber¬ 
kulose für die Amyloiddegeneration.“ (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 61, 
Heft 3 u. 4.) 

Citron (Berlin): „Tuberkuloseantikörper und das Wesen der 
Tuberkulinreaktion.“ (Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 36.) 

Mays, Alkohol und Lungentuberkulose. (Journ. of Amer. Assoc. 
1907, Nr. 5.) 

Critien: „Tuberkulose und Maltafieber. (Journ. of trop. med. 
1907, Nr. 11. Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 28.) 

Rumpf (Ebersteinburg): „Die Prognose der Lungentuberkulose.“ 
Die piöce de resistance für die Prognosenstellung wird immer die genaue 
physikalische Lungenuntersuchung bleiben. (Deutsche med. Wochenschr. 
1907, Nr. 9.) 

Vierhuff (Moskau): „Über radiographische Befunde beiLungen- 
spitzentuberkulose.“ (Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 16.) 

P.Brown: „Lungenschwindsucht und Röntgenstrahlen.“ (Boston 
Med. and Surg. Journ. 1907, Nr. 13.) 

Verbreitung. 

Friedrich und Jurking (Budapest): „Statistische Beitrüge zur 
Frage der Tuberkulose in Großstädten und bei den Arbeitern.“ 
Die Tuberkulosesterblichkeit ist am günstigsten in England (1358 pro 
1 Million Einwohner), es folgen Schottland, Norwegen, Belgien, Holland, 
Italien, Dänemark, Irland, Schweiz, Deutschland (2245), Schweden, Frank¬ 
reich (3023), Ungarn, Österreich und als ungünstigstes Land Rußland (3986). 
Die Tuberkulosemortalität hat abgenommen in Brüssel, London, Berlin, Wien, 
Kopenhagen, St. Petersburg, dagegen zugenommen in Paris, Budapest, Belfast, 
Philadelphia. (Soc. Med. u. Hygien., Bd. 2, Nr. 5 und 6. Ref. in Zeitschr. 
f. Tuberk. 1907, Bd. XI, Heft 4.) 

Über das Thema: „Invalidenversicherung und Tuberkulose“ 
bringt der Reichsanzeiger vom 5. März 1907 bemerkenswerte Mitteilungen: 
Seit dem Jahre 1897 ist die Zahl der behandelten tuberkulösen Männer auf 
mehr als das Siebenfache, diejenige der tuberkulösen Frauen auf mehr als 
das Zehnfache, die Zahl der behandelten nicht tuberkulösen Männer auf das 


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Tuberkulose. Verbreitung. 


85 


Dreifache, die der nichttuberkulöaen Frauen auf mehr als das Fünffache 
gestiegen. — Nicht weniger als 47,56 Proz. sind wegen Lungentuberkulose, 
52,44 Proz. wegen anderer Krankheiten behandelt worden, davon unter den 
Lungentuberkulösen 99,21 Proz., unter den sonstigen Kranken 75,45 Proz. 
ständig und 0,79 Proz. bzw. 24,55 Proz. nicht ständig. Der außerordentlich 
hohe Prozentsatz der behandelten Tuberkulösen läßt sich aus der überaus 
starken Belastung der Versicherungsanstalten mit tuberkulösen Invaliden¬ 
rentnern erklären. Das Reichsversicherungsamt hat für die Jahre 1895 bis 
1899 eine umfassende Statistik der Invaliditätsursachen ausgearbeitet, aus 
der hervorgeht, daß die Tuberkulose als Invaliditätsursache bei Männern die 
dritte, bei Frauen die zweite Stelle einnimmt. Von allen männlichen 
Arbeitern, die im Bergbau und Hüttenwesen, Industrie und Bauwesen be¬ 
schäftigt sind und bis zum Alter von 35 Jahren invalid werden, leiden mehr 
als die Hälfte an Tuberkulose, von den im Alter von 20 biB 24 Jahren 
invalid werdenden sogar annähernd zwei Drittel. Gleich ungünstig ist das 
Verhältnis bei weiblichen Rentenempfängern der gleichen Berufsklassen im 
Alter von 20 bis 24 Jahren, während in dem Alter von 25 bis 29 Jahren 
bei nahezu der Hälfte (47 Proz.) und in dem Alter von 30 bis 34 Jahren 
noch bei 37 Proz. aller invaliden Frauen dieser Berufsklassen die Invalidität 
auf Lungentuberkulose zurückzuführen ist. Wenn auch die Arbeiter der 
Land- und Forstwirtschaft infolge dieser Krankheit seltener invalid werden, 
so entfallen doch immer noch mehr als 37 Tuberkulöse auf 100 männliche 
Rentenempfänger der ländlichen Berufe im Alter von 20 bis 24 Jahren. 
Für die Versicherten in Handel und Verkehr stellt sich bei invaliden Männern 
im Alter von 20 bis 30 Jahren das Verhältnis so, daß mehr als die Hälfte 
aller Invaliditätsfälle auf Lungentuberkulose zurückzuführen ist, während 
mindestens der vierte Teil aller 20 bis 30 Jahre alten invaliden Frauen auB 
häuslichen Diensten tuberkulös ist. (VeröfTentl. d. Reichsversicherungsamts. 
Ref. in Reichsanzeiger 1907, 5. März.) 

Auch nach dem Verwaltungsbericht der „Landesversicherungs¬ 
anstalt Berlin“ für das Rechnungsjahr 1906 nehmen unter den Invaliditäts¬ 
ursachen bei den Männern die Lungenkrankheiten den ersten Platz ein: 
31 Proz. aller (darunter zwei Drittel Lungenschwindsucht), bei den jungen 
Männern im Alter von 20 bis 24 Jahren sogar 57 Proz. aller Invaliditäts¬ 
fälle. Bei den Frauen sind die Lungenkrankheiten nur mit 18,9 Proz. be¬ 
teiligt (davon 11.4 Lungenschwindsucht). Unter den Männern werden von 
Lungenschwindsucht am meisten betroffen die Metall- und Holzarbeiter, 
unter den Frauen die Näherinnen. (Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 
1907, Nr. 50.) 

Im Jahre 1905 starben in Berlin bei einer Einwohnerzahl von 2,4 Mill. 
an Tuberkulose der Lungen 4270, der Hirnhaut 446, des Unterleibs 112, 
anderer Organe 331. (Tabellen über die Bevölkerungsvorgänge Berlins usw. 
herausgeg. vom Statistischen Amt der Stadt Berlin. Berlin, Komm.-Verlag 
P. Stankiewitz, 1907. 138 S. Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, 

Nr. 35.) 

Nach den Berichten der Gewerbeinspektionen waren in einer Flachs¬ 
spinnerei und Bleiche im Regierungsbezirk Liegnitz 46 Proz. aller Arbeiter 


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86 


Infektionskrankheiten. 


erkrankt; 50 Proz. von ihnen waren lungenkrank. In den sieben Thomas¬ 
schlackenmühlen des Regierungsbezirks Trier sind bei 356 Arbeitern 104 Er¬ 
krankungen der Atmungsorgane aufgetreten. (Med. Reform 1907, Nr. 32.) 

Spiess: „Woran sterben die Menschen?“ In Deutschland stellt 
das süddeutsche Hochland den reichsten Herd der Tuberkulosesterbefälle 
dar (236,3 auf 100 000 lebende Einwohner), das Ostseeküstenland den ärmsten 
Herd (160,6); jedoch läuft die geographische Differenz in der Tuberkulose¬ 
sterblichkeit keineswegs parallel den Sterblichkeitsziffern der anderen Krank¬ 
heiten, sondern verhält sich zum Teil direkt umgekehrt. (Soz. Med. u. 
Hygiene, Bd. 2, Heft 1.) 

Ekstein (Oberhaid), Tuberkulose. Im Landdistrikt Oberhaid leiden 
70 Proz. aller Kranken an Tuberkulose. (Prager med.Wochenschr. 1907, Nr. 35.) 

Fischer: „Die Lungentuberkulose in der Armee.“ Von 
11487 Lungentuberkulosen hatten 3606 = 31,9 Proz. tuberkulöse An¬ 
gehörige; in der direkten Aszendenz bestand Tuberkulose in 26,2 Proz. der 
Fälle. 5599 = 49,8 Proz. hatten vor ihrer Einstellung tuberkuloseverdäch¬ 
tige Krankheiten überstanden, weitere 408 = 3,6 Proz. andere Krankheiten, 
die den allgemeinen Körperzustand beeinträchtigen. Die eigentlichen Front¬ 
truppen haben im Verhältnis zur allgemeinen Erkrankungsziffer einen geringen 
Zugang an Lungentuberkulose, umgekehrt alle Mannschaften, deren Dienst 
sich in geschlossenen Räumen abspielt (Bäcker, Ökonomiehandwerker, Land¬ 
wehr). Die verhältnismäßig wenigsten Erkrankungen betreffen die mit 
20 Jahren Eingestellten; nahezu doppelt so stark sind die mit 21 und 
22 Jahren Eingestellten, d. h. die ein- oder zweimal beim Ersatzgeschäft 
Zurückgestellten, beteiligt; mehr als die dreifache Erkrankungshäufigkeit ist 
für die vor dem 20. Lebensjahre und mehr als die zehnfache für die nach 
dem 23. Lebensjahre Eingestellten festzustellen. Die in großen Städten 
garnisonierenden Truppenteile zeigen einen grösseren Zugang als die in 
kleinen Städten. Eine direkte Übertragung der Lungentuberkulose durch 
Zusammenwohnen ist nur in einer verschwindenden Zahl von Einzelfällen 
als Ursache angenommen. Der Ausbruch der Krankheit scheint am häufigsten 
durch die gemeinschaftliche Einwirkung einer Reihe durch die militärischen 
Dienstverhältnisse bedingten Schädlichkeiten bei solchen Individuen zu er¬ 
folgen, welche den Keim der Erkrankung bereits von früheren Zeiten in sich 
tragen. Der Verlauf der Lungentuberkulose unserer Soldaten ist in der 
Mehrzahl der Fälle ein schneller: unter 1000 Zugängen kommen vom Tage 
der Krankmeldung an gerechnet 12 innerhalb eines Monats, 67 innerhalb 
dreier Monate, 320 innerhalb eines Jahres, 581 innerhalb zweier Jahre und 
745 innerhalb dreier Jahre zum tödlichen Ausgang. Die Versuche, die 
Wiederherstellung der Dienstfähigkeit bei lungenschwindsüchtigen Unter¬ 
offizieren und Mannschaften durch Kuren in Lungenheilstätten oder Bade¬ 
orten zu erreichen, waren nicht, oder nur in verschwindenden Ausnahme¬ 
fällen von Erfolg. Da dieser Gesichtspunkt allein aber für die Errichtung 
eigener Militärheilstätten in Betracht kommen kann, so muß nach den bis¬ 
herigen Erfahrungen die Zweckmäßigkeit derselben verneint werden. (Ver- 
öffentl. a. d.Geb. d. Mil.-Sanitätswesens, Heft 14. Ref. in Zeitschr. f. Tuberk. 
1907, Bd. XI, Heft 2.) 


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Tuberkulose. Verbreitung. 


87 


ln der Kaiserlich deutschen Marine starben in dem Zeitraum vom 
1. Oktober 1904 bis 30. September 1905 (ausschließlich der Expeditionskorps) 
112 Mann = 2,8 pro Mill. Die meisten Todesfälle waren — wie in früheren 
Jahren — durch Tuberkulose der Atmungsorgane verschuldet. (Sanitätsber. 
über die Kaiserlich deutsche Marine usw. Berlin, S. Mittler u. Sohn, 1907.) 

Portugal. Sarmento: „Tuberkulose in der portugiesischen 
Kriegsmarine. Morbidität 1,04 pro Mill. (Archivos de hyg. et pathol. 
exoticas, Bd. I, Heft 2. Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 18.) 

Italien. Sormani: „Die Tuberkulose i n der italienischen 
Armee“. Die Sterblichkeit, auf 10000 Mann der Kopfstärke berechnet, ist 
während der Jahre 1876 bis 1902 von 26 auf 5 zurückgegangen. Auch 
die Erkrankungen, bzw. die Anzahl der wegen Tuberkulose entlassenen 
Soldaten, hat sich von 68 auf 26 pro 10000 Mann der Kopfstärke ver¬ 
ringert. (Giorn. med. del Regio esercito, April 1907. Ref. in Zeitschr. f. 
Tuberk. 1908, Bd. XII, Heft 1.) 

England. „Der zehnjährige Report (1891 bis 1900) des 
Registrar Generals über den Gesundheitszustand in England“, 
der im Sommer 1907 erschienen ist, zeigt eine große Abnahme der Todes¬ 
fälle von Tuberkulose in allen ihren Formen bei beiden Geschlechtern und 
in allen Altersstufen. (Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 51, 
Londoner Brief.) 

R. Wilke weist darauf hin, daß unter den Messingarbeitern die Tuber¬ 
kulose besonders verbreitet ist. Nach Beobachtungen in England waren 
51 Proz. mehr Phthisiker unter den Messingarbeitern als unter den gewöhn¬ 
lichen Durchschnittsarbeitern, 24 Proz. mehr Erkrankungen der Atmungs¬ 
organe überhaupt zu verzeichnen. (Med. Reform 1907, Nr. 29.) 

In den englischen Gefängnissen ist nach dem Bericht von Herbert 
Smalley die Tuberkulose wenig verbreitet. Die durchschnittliche Sterblich¬ 
keit an Tuberkulose in den Jahren 1903 bis 1907 betrug 1,17 auf 
1000 Gefangene. (Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1908, Nr. 14.) 

Österreich. M. Sternberg: „Topographie der Tuberkulose in 
Wien.“ In den eigentlichen Fabriks- und Proletariergegenden (X. XI. u. XX. 
Bezirk) ist die Tuberkulosenmortalität am höchsten, im eleganten I. Bezirk 
am niedrigsten. (Wien. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 38.) 

In Ungarn starben an Tuberkulose: 


1892 bin 1895 . 48 928 durchschnittlich 

1896 bis 1900 . 61 433 

1901 . 61 484 zahlengemäß 

1902 . 64 364 , -f- 2 880. 

1903 . 65 724 „ -j- 1 360. 

1904 . 66 515 . -}- 1791. 

1905 . 76 545 „ -j-10 030. 


(Ref. in Med. Reform 1907', Nr. 12.). 

Haering und Zahor: „Tuberkulosestatistik.“ Im Jahre 1906 
wurden unter 1099 sezierten Leichen 635 = 57,7 Proz. tuberkulös befunden. 
In den Jahren 1882 bis 1906 (inkl.) unter 22169 Leichen 13225 = 59, 8 Proz. 


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88 


Infektion akrankheiten. 


Mit Veränderungen an den Zirknlationsorganen waren 1920 behaftet» (Casop. 
lek. cesk. 1907, Nr. 28. Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 33.) 

Schweiz. Bollag: „Die Verbreitung der Lungentuberkulose 
im Kanton Basellandschaft.“ 10 Proz. der Todesfälle waren in den 
Jahren 1876 bis 1905 der Tuberkulose zuzuschreiben in dem Kanton Basel¬ 
land, der sich also durch besonders hohe Lungentuberkulose-Mortalität aua- 
zeichnet. (Zeitschr. f. Schweiz. Statistik 1907. Ref. in Zeitschr. f. Tuberk. 
1907, Bd.X, Heft 2.) 

Skandinavien. Almquist: „Einige Ursachen der Abnahme der 
Schwindsuchtssterblichkeit in den schwedischen Städten“. In 15 
Städten hat die Schwindsuchtssterblichkeit seit längerer Zeit, in 16 Städten 
seit 1890 abgenommen, in 10 Städten ist sie größer geworden oder unver¬ 
ändert geblieben. Da die frühzeitige Abnahme sich in Städten mit urspüng- 
lich hoher Sterblichkeit findet, die Zunahme in Städten mit anfangs geringer 
Mortalität, so ist dies Verhältnis wohl aufzufassen als der Ausdruck einer 
Nivellierung durch Binnenwanderungen. In den 90 er Jahren findet sich eine 
besondere Abnahme, die wohl mit der Koch sehen Entdeckung des Jahres 
1882 zusammenhängt. (Hygien. Rundschau 1907, Nr. 2.) 

Weber: „Anzahl der Schwindsuchtspatienten in Jämtland und 
Västernorrland.“ Durch Rundfrage bei den Ärzten wurden im Jahre 1904 
gemeldet 313 Fälle 3 = 0,28 Proz. der Einwohnerzahl, und zwar 130 Männer 
und 183 Frauen, obwohl die Frauen an sich in der Minderzahl sind. Es 
erwiesen sich als geeignet für Asylpflege 103, für häusliche Behandlung 82, 
für Sanatoriumbehandlung 124. (Hygiea 1907, Nr. 5. Ref. in Deutsche med. 
Wochenschr. 1907, Nr. 28.) 

Holland. W. J. van Gorkom (Haag): „Die Tuberkulosebekämp¬ 
fung in den Niederlanden.“ Ihre Geschichte und bisherigen Erfolge. 

Auf je 10 000 der durchschnittlichen Bevölkerung berechnet, erlagen: 


im Jahre 

der Lungen¬ 
tuberkulose 

sämtlichen 

Formen 

der Tuberkulose 

1901 

13,73 

19,38 

1902 

13,25 

18,72 

1903 

13,21 

18,86 

1904 

12,94 

18,43 

1905 

13,58 

17,95 


Es starben: 


im Jahre 

überhaupt 

an Lungen¬ 
tuberkulose 

an sämtlichen 
Formen 

der Tuberkulose 

1901 

89 803 

7 171 

10 119 

1902 

86 248 

7 028 

9 928 

1903 

83 933 

7 117 

10 164 

1904 

87 091 

7 081 

10 008 

1905 

85 030 

7 536 

9 966 


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89 


Tuberkulose. Verbreitung. Ätiologie. 

Vergleicht man diese Zahlen der letzten Jahre mit denen früherer 
Jahrzehnte, so ergibt sich, daß in den Niederlanden während der letzten 
30 Jahre — soweit man den Statistiken Zutrauen schenken darf — die 
Abnahme der Tuberkulosesterblichkeit mit derjenigen der Gesamt Sterblich¬ 
keit nicht gleichen Schritt gehalten hat. (Zeitschr. f. Tuberk. 1907. Bd. X, 
Heft 5 u. 6.) 

Die folgenden Arbeiten behandeln die Verbreitung der Tuberkulose im 
Kindesalter: 

Hamburger: «Zur Kenntnis der Tuberkuloseinfektion im 
Kindesalter.“ In der Häufigkeit des Auftretens der Tuberkulose im 
Kindesalter fand Verfasser ein Ansteigen derselben (beim toten Material) 
von 4 Proz. im ersten Lebensvierteljahre auf 18 Proz. im zweiten und auf 
23 Proz. im dritten und vierten Vierteljahre. Vom ersten zum zweiten 
Lebensjahre steigt der Prozentsatz auf 40 Proz., im dritten und vierten 
Lebensjahre auf 60 Proz., um im Pubertätsalter seinen Höhepunkt mit 
70 Proz. zu erreichen. (Wiener klin. Wochenschr. 1907, Nr. 36.) 

Barbier, „Sur la frequence de la tuberculose chez les nourrissons de 
zöro ä deux ans etc.,“ konnte unter 42 Säuglingen, die er im Hospital 
Herold während zweier Monate behandelte, in 55 Proz. der Fälle Tuberkulose 
festatellen. (Soc. d’etud. scient. s. 1. tuberculose, 14 fevr. 1907. Bull. med. 
21, 15.) 

Nach dem Report of the Medical Officer of Health to the 
London Education Committee for 1907 fanden sich unter 1670 Schul¬ 
kindern 1231 (73,7 Proz.), die an Drüsenschwellungen litten; 740 zeigten 
vergrößerte Mandeln oder adenoide Wucherungen (44,3 Proz.); 497 litten 
an Anämie (29,7 Proz.); nur 8 (0,4 Proz.) zeigten ausgesprochene Lungen¬ 
tuberkulose, während bei weiteren 14 (0,8 Proz.) eine beginnende Phthise 
nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden konnte. Von einer Gefahr für 
die Mitschüler kann daher kaum die Rede Bein. 

Lecky und Horton: „Manifeste Tuberkulose an Schulkindern 
im Alter von 4 bis 15 Jahren.“ Unter 806 aus verschiedenen Schulen 
stammenden Kindern waren nur 3, bei denen sich Lungentuberkulose nach- 
weisen ließ. (Lancet, Nr. 4400.) 

Kilynack: „Tuberkulose bei Schulkindern.“ (Lancet, Nr. 4381.) 

Ätiologie. 

Das Berichtsjahr bat auf dem Gebiete der Ätiologie der Tuberkulose 
keine wesentlichen Fortschritte zu verzeichnen. Im allgemeinen neigt man 
immer mehr der Ansicht zu, daß sowohl die Infektion vom Darm aus wie 
die per inhalationem zu Recht besteht, wenn auch im Kindesalter der erst¬ 
genannte Modus häufiger zu sein scheint. In der Diagnostik der Tuberkulose 
sind besonders zwei Methoden, die cutane und die Ophthalmoreaktion, hervor¬ 
getreten, doch steht eine befriedigende Erklärung für beide Phänomene noch 
aus; auch sind die Mitteilungen über den Ausfall bei den Proben bisher 
noch so schwankend, zum Teil direkt widersprechend, daß ihre Bedeutung 
nicht überschätzt werden darf. 


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90 


Infektionskrankheiten. 


Die ätiologischen Fragen werden in folgende Gruppen gegliedert: 

I. Vererbung, Disposition, kongenitale Tuberkulose. II. Die Pforten der 
Infektion. III. Menschliche und Rindertuberkulose* und die Infektion durch 
Milch. IV. Bakteriologisches. V. Diagnostische Methoden. VI. Trauma und 
Tuberkulose. 

I. W.Weinberg (Stuttgart): „Beziehungen zwischen der Tuber¬ 
kulose und Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett.“ Unter 
343 Kindern von 339 Frauen, die innerhalb eines Jahres nach Geburt eines 
lebensfähigen Kindes an Tuberkulose starben, fanden sich 6,4 Proz. Tot¬ 
geburten gegen 3,5 Proz. im Durchschnitt. Von 321 lebend geborenen 
Kindern solcher Mütter starben 67,9 Proz. im ersten Lebensjahre, von den 
Kindern, deren Mütter innerhalb vier Wochen nach der Entbindung starben, 
sogar 78,8 Proz. (Brauers Beitr. z. Klin. d. Tuberk., Bd. 7, Heft 3.) 

v. Szaböky (Budapest), „Ererbte Disposition bei der Ätiologie 
der Tuberkulose“, fand, daß bei 318 tuberkulösen Kranken die erbliche 
Belastung 54,7 Proz. betrug. (Wiener klin. Rundsch. 1907, Nr. 20 und 21.) 

Die Beziehungen des knöchernen Thorax zu den Lungen und ihre 
Bedeutung für die Genese der tuberkulösen Lungonphthise kommen zur 
Besprechung u. a. in den Arbeiten von: 

Hart (Brauers Beitr. z. Klin. d. Tuberk. 1907, Bd. 7, Heft 4 und BerL 
klin. Wochenschr. 1907, Nr. 27), v. Hansemann, Rotschild und Lissauer. 
(Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 27.) 

Hamen und Schrumpf (Straßburg), „Übergang von Tuberkel¬ 
bazillen von der Mutter auf den Fötus“, berichten über die Organe 
eines fast ausgetragenen Kindes, welche trotz letaler Tuberkulose der 
Mutter und trotz vorhandener Tuberkelbazillen im mütterlichen Anteil der 
Placenta sich bei 16 Impfversuchen als nicht infiziert erwiesen. (Zentralbl. f. 
Bakteriol., Bd. 43, Heft 4.) 

W. Carl (Charlottenburg): „Tuberkulose der Placenta.“ Beschrei¬ 
bung einer tuberkulösen Placenta bei einer 25 jährigen Frau mit cavernöser 
Phthise. Der Fötus war 7 Monate alt. (Zieglers Beitr., Bd. 41.) 

Williams: „Durchgang der Tuberkuloseinfektion durch die 
Placenta.“ (Journ. of Amer. Assoc. 1907, Nr. 14.) 

II. Den Weg, den die Tuberkuloseinfektion im Körper nimmt, suchten 
eine Reihe von Autoren durch experimentelle Untersuchungen zu 
erforschen: 

Calmette, Guörin, VanBteenberghe, Breton, Grysez, Sonne- 
ville et Georges Petit: „Recherches experimentales sur la tuber- 
culose effectu^es k l’Institut Pasteur de Lille.“ (Paris, Masson et Cie., 
1907, II, 131 p.) 

Die Tuberkulose der Lungen ist nach Calmette stets als eine Folge 
intestinaler Infektion anzusehen. Versuche an Ziegen zeigten, daß mensch¬ 
liche Tuberkelbazillen für junge Ziegen nicht virulent sind, daß sie jedoch 
Ziegen nicht gegen die bovine Tuberkulose immunisieren. Die Tuberkel¬ 
bazillen von Vögeln waren gleichfalls unschädlich. Wie sich bei den Ver¬ 
suchen an Rindern herausstellto, geht die intestinale Infektion vor sich ohne 


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Tuberkulose. Ätiologie. 


91 


sichtbare Läsion des Verdauungstraktus. (Ref. in Zeitschr. f. Tuberk. 1907, 
Bd. XI, Heft 2; s. auch Annal. de l’Inst. Pasteur, Heft 8.) 

Liebermeister (Köln), „Über die Verbreitung der Tuberkel¬ 
bazillen in den Organen der Phthisiker“, konnte durch Implantierung 
von Organen, die keine für Tuberkulose charakteristische Veränderungen auf¬ 
wiesen, bei Meerschweinchen Tuberkulose erzeugen und in 5 Fällen von Phlebitis 
Tuberkulöser durch den Tierversuch den Nachweis der Bazillen mit Sicherheit er¬ 
bringen, ohne daß in den Venen Tuberkel zu Enden waren. (24. Kongr. f. innere 
Med. Wiesbaden, 15. bis 18. April 1907. Ref. in Zeitschr. f. Tuberk. 1907, 
Bd. XI, Heft 6.) 

Bachrach und Stein, „Über das Schicksal per clysma ver¬ 
abreichter Bakterienaufschwemmungen“, fanden Tuberkelbazillen, die 
sie Kaninchen im Clysma injiziert hatten, in keinem Falle jenseits der Ileocoe- 
calklappe, niemals im Magen, Oesophagus und Rachen vor. (Wien. klin. 
Wochenschr. 1907, Nr. 39.) 

Strassner (Halle): „Lungentuberkulose.“ Injiziert man Tuberkel¬ 
bazillen in den Magendarmkanal, so kommt es zu lymphogener Infektion der 
vom Darm abführenden Lymphwege und Lymphdrüsen, ohne daß die Darm¬ 
wand bleibende Veränderungen zeigt (München, med. Wochenschr. 1907, 
Nr. 36.) 

Bartel und Spiel er: „Experimentaluntersuchungen über natür¬ 
liche Infektionsgelegenheit mit Tuberkulose.“ Versuche an Meer¬ 
schweinchen, die 23 Tage in der Wohnung eines Phthisikers verweilten, der 
durch große Reinlichkeit die Infektionsgefahr verminderte. Nur eines der 
Tiere ging erst nach 6*/a Monaten ein an einer in der Wohnung acquirierten 
Spontantuberkulose. (Tuberkulose-Festschrift, Wien, September 1907. Ref. 
in Zeitschr. f. Tuberk. 1908, Bd. XII, Heft 2.) 

Hart (Schöneberg): „Zur Frage der Genese der tuberkulösen 
Lungenphthise.“ Auf Grund eigener an jungen Katzen angestellter Ver¬ 
suche kommt Hart zu der Ansicht, daß man die Lungenphthise Erwachsener 
noch immer vorwiegend für eine Inhalationskrankheit im weiteren Sinne 
halten muß; auch bei Kindern spricht vieles für diese Annahme, aber bei 
diesen ist noch in weitem Maße daneben die Tuberkulose als Schmutzkrank¬ 
heit aufzufassen mit lymphohämatogener Infektion der Lungen. Die bei 
Kindern häufiger, bei Erwachsenen selten vorkommende „Fütterungstuber¬ 
kulose“ betrachtet Verfasser als einen Infektionsmodus für sich. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 43.) 

Ascher: „Experimentaltuberkulose.“ Bei Inhalationsversuchen 
mit Rinderbazillen bei Kaninchen entstand vorwiegend eine Erkrankung der 
Langen und Broncbialdrüsen, obwohl durch das Verschlucken von Bakterien 
reichliche Gelegenheit zur Darminfektion vorhanden war. (Zentralbl. f. pathol. 
Anat., Bd. 18, Heft 4.) 

Kitamura (Berlin): „Bedeutung der Bronchiallymphdrüsen“, 
besonders für die tuberkulöse Infektion. Bronchialdrüsentuberkulose ent¬ 
steht meistens durch Inhalation oder auf hämatogenem Wege von tuber¬ 
kulösen Lymphbezirken aus, von denen das infektiöse Virus über die großen 


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92 


Infektionskrankheiten. 


Lymphst&mme dem Blute zugeführt wurde. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 58, 
Heft 2.) 

Rabinowitsch (Berlin): „Latente Tuberkelbazillen.“ In ver¬ 
kalkten Bronchialdrüsen können Tuberkelbazillen lange Zeit virulent bleiben. 
(Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 2.) 

Heller (Bern) und Wolkenstein (Wladiwostok): „Die Bedeutung 
der experimentellen Lungenanthrakose für die Frage nach der 
Entstehung der Lungentuberkulose.“ Nach den Versuchen dieser 
Verfasser fehlt für die intestinale Entstehung einer allgemeinen Lungen¬ 
anthrakose bisher jeder Beweis; die experimentelle Lungenanthrakose erlaubt 
nicht den geringsten Analogieschluß auf eine intestinale Entstehung der 
Lungenanthrakose und kann also als Stütze für die bisher unbewiesene 
Theorie von v. Behring über intestinale Entstehung der Lungentuberkulose 
beim Menschen keinesfalls verwendet werden. (Zeitschr. f. Tuberk. 1907, 
Bd. XI, Heft 3.) 

Findel (Berlin): „Inhalations- und Fütterungstuberkulose.“ 
Bei Inhalation von tuberkelbazillenhaltigem Material beträgt die sicher 
tödliche Dosis für erwachsene Meerschweinchen 62 Bazillen, für junge Tiere 
genügt vielleicht schon ein Bazillus. Dagegen gelang bei der Verfütterung 
die Infektion erst bei 10 mg Kultur, während mit 382000 Bazillen keine 
positiven Erfolge erzielt wurden. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 57, Heft 1.) 

Ziesche (Breslau), „Tröpfchen verstreuung und Infektionsgefahr 
beim Kehlkopfspiegeln Tuberkulöser“, hält die Gefahr für nicht sehr 
groß, da der Laryngologe sich angewöhnt hat, beim Husten des Patienten aus dem 
Bereiche des gefährdenden Zerstreuungskegels zu kommen. Es lassen sich zwei 
Arten von Tröpfchen unterscheiden: die kleinen „Bronchialtröpfchen“, welche 
häufig Tuberkelbazillen enthalten, aber nur selten Vorkommen, und die größeren 
„Mundtröpfchen“, die arm an Bazillen sind. (Arch. f. Laryng., Bd. 20; 
s. auch die Arbeit desselben Verfassers i. d. Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 57, 
Heft 1.) 

Saugmann, „Nochmals: Zur Frage der Bedeutung der 
Tröpfcheninfektion für die Verbreitung der Tuberkulose“, bleibt 
auch den Einwänden Flügges gegenüber bei seiner schon früher ge¬ 
machten Behauptung: Das Einatmen von tuberkelbazillenhaltigen Tröpfchen 
ist bei gesunden, erwachsenen Menschen ohne oder jedenfalls fast ohne Be¬ 
deutung für die Verbreitung der Tuberkulose. (Zeitschr. f. Tuberk. 1907, 
Bd. X, Heft 3.) 

Pfeiffer und Friedberger, Vergleichende Untersuchungen 
über die Bedeutung der Atmungsorgane und des Verdauungs- 
traktus für die Tuberkuloseinfektion (nach Versuchen an Meer¬ 
schweinchen).“ Von 29 Meerschweinchen, welche 50 Tage nach den mit einem 
Buchner-Sprayapparat angestellten Inhalationsversucben getötet wurden, 
wiesen 22 Lungentuberkulose auf; in 15 Fällen wurde generalisierte Tuberkulose 
festgestellt, aber in keinem einzigen Falle eine tuberkulöse Erkrankung der 
Mesenterialdrüsen und des Darmes konstatiert. Unter den 28 Kontrollieren, 
welche die Tuberkelbazillen per os erhalten hatten, wurde nur bei 4 Tieren 


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Tuberkulose. Ätiologie. 93 

Lungentuberkulose gefunden, in den übrigen 24 Fällen waren die Lungen und 
Bronchialdrüsen absolut frei von tuberkulösen Prozessen, obwohl die Tiere 
auch erst 50 Tage später getötet worden waren. (Deutsche med. Wochenschr. 
1907, Nr. 39.) 

Öhlecker: „Über die Verbreitungswege der Tuberkulose im 
Tierexperiment mit besonderer Berücksichtigung desWeges nach 
den Bronchialdrüsen.“ Hämatogen infizierte Organe machen ihre regio¬ 
nären Drüsen krank, wenn im Experiment Bazillen verwendet werden, die 
bei dem betreffenden Tiere überhaupt eine makroskopische Erkrankung der 
Drüsen hervorzubringen vermögen. Die Bronchialdrüsen sind nur die regio¬ 
nären Drüsen für die Bronchien und die Lungen, sie sind kein Zentralorgan 
aller Lymphwege des Körpers. Diejenige Stütze, welche die Verteidiger der 
Inhalations- bzw. Aspirationstheorie der Schwindsuchtsentstehung als die 
beste Grundlage für ihre Anschauungen anführen können, nämlich das Vor¬ 
kommen der isolierten Bronchialdrüsentuberkulose, ist in keiner Weise ins 
Wanken gebracht. (Tuberkulosearbeiten a. d. Kaiserl. Gesundheitsamt 1907, 
Heft 7.) 

Beitzke (Berlin), „Verlauf der Impftuberkulose beim Meer¬ 
schweinchen“, bestreitet, daß bei einer Impftuberkulose die Bronchial¬ 
drüsen nur von den Lymphwegen aus erkranken, die Infektion nimmt 
ihren Weg auch durch den Ductus thoracicus, Blutbahn, Lungen zu diesen 
Drüsen. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 2.) 

C. Fränkel (Halle), „Über die Wirkung der Tuberkelbazillen von 
der unverletzten Haut aus“, konnte bei Meerschweinchen das Eindringen 
der Bazillen durch die unversehrte Haut in die inneren Organe nachweisen. 
(Hygien. Rundschau 1907, Heft 15.) 

Courmout und Lesieur: „Ätiologie der tranacutanen Tuber¬ 
kulose.“ Ist der Tuberkelbazillus sehr virulent, so dringt er immer durch 
die Haut. (Med. Klinik 1907, Nr. 47.) 

Pawlowsky: „Die Infektion des Organismus mit Lungen¬ 
tuberkulose aus dem Unterhautzellgewebe, dem Blute und dem 
Darme.“ Versuche an Meerschweinchen. (Russk.Wratsch 1907, Nr. 14 
und 15.) 

Rabinowitsch (Berlin): „Tuberkuloseforschung.“ Eine Prä- 
dilektion der verschiedenen Tuberkuloseerreger für bestimmte Organe ist 
nach den Untersuchungen des Verfassers nicht mit Sicherheit nachweisbar. 
(Wien. med. Wochenschr. 1907, Nr. 38.) 

Petersson: „Werden Bücher, die von Lungen tuberkulösen be¬ 
nutzt werden, mit Tuberkelbazillen infiziert?“ Es kann eine Infek¬ 
tion stattfinden, doch ist die Gefahr keine große. (Zeitschr. f. klin. Med., 
Bd. 63, Heft 1 bis 4.) 

Neben den experimentellen Untersuchungen sind eine ganze Reihe von 
klinischen Untersuchungen und von Obduktionsbefunden geeignet, 
über die Pforten der Infektion Licht zu verbreiten: 

A. Weber und A. Baginsky: „Untersuchungen über das Vor¬ 
kommen von Tuberkelbazillen in Drüsen und Tonsillen von Kin- 


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94 


Infektionskrankheiten. 


dern, welche sich bei der Obduktion als frei von Tuberkulose 
erwiesen batten. Es wurden die Drüsen von 26 Kindern im Alter von 
3 Monaten bis 12 1 /« Jahren untersucht, bei denen sich bei der Obduktion 
keinerlei tuberkulöse Veränderungen nachweisen ließen. In einem einzigen 
von diesen 26 Fällen konnten Tuberkelbazillen in den Cervicaldrüsen nach¬ 
gewiesen werden, und zwar Bazillen des Typus bovinus. (Tuberkulose- 
arbeiten a. d. Kaiserl. Gesundheitsamt 1907, Heft 7.) 

Charles Leroux: „Rapports de l’adenopathie tracheobron- 
ohique avecla tuberculose pulmonaire chronique cbez les enf ante.“ 
Die primäre Drüsentuberkulose ist sehr häufig bei Kindern von 1 bis 
6 Jahren, beim älteren Kinde ist der Beginn der Erkrankung meist in der 
Lunge, sekundär können dann auch die Drüsen erkranken. Die Arbeit stützt 
sich auf 500 Krankengeschichten. (Bull. m6d. 21, 92.) 

Nasaroff: „Primäre Darmtuberkulose bei Kindern.“ Bei 
Kindern im Alter von 1 bis 15 Jahren kommt die primäre Darmtuberkulose 
in mehr als 12 Proz. der Fälle vor, die zur Obduktion kommen. (Russk. 
Wratsch 1907, Nr. 31. Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 38.) 

Hamburger (Wien): „Zur Kenntnis der Tuberkuloseinfektion 
im Kindesalter.“ Die isolierte Intestinaltuberkulose kommt fürdieKinder 
der Wiener Bevölkerung kaum in Betracht. (Wien. klin. Wochenschr. 1907, 
Nr. 36.) 

Ciechanowsky (Krakau): „Primäre Darmtuberkulose.“ Unter 
13203 in den Jahren 1895 bis 1907 im Krakauer Institut ausgeführten 
Autopsien entfallen auf die Fälle von sicherer und wahrscheinlicher primärer 
Darmtuberkulose 138 = 1,04 Proz. (Wien. klin.Wochenschr. 1907, N. 37.) 

Edens (Berlin), „Primäre und sekundäre Tuberkulose des 
Menschen“, hält die primäre Tuberkulose bei Kindern und Erwachsenen für 
eine Drüsenaffektion, die Lungenschwindsucht für eine sekundäre oder 
accidentelle Infektion. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 6 u, 7.) 

Scherer (Bromberg): „Gefährdung eines gesunden Ehegatten 
durch einen tuberkulösen.“ Tuberkulöse Frauen, auch solche mit 
latenter Tuberkulose sind durch die Eheschließung weit mehr gefährdet als 
tuberkulöse Männer. (Wien. med. Presse 1907, Nr. 38.) 

Unter den Eingangspforten der Tuberkulose sei hier noch besonders 
gedacht der Zähne, der Zungentonsille, des Nasen-Rachen-Ringes, 
des Kehlkopfes und des Harn- und Genitalapparates. 

Reinders, „Über das Entstehen der Tuberkulose in derLungen- 
spitze“, bespricht die Bedeutung kariöser Zähne für akute Steigerung 
chronischer Tuberkulose der Lungenspitzen. (Tijdschr. voor Geneesk. 1907, 
Nr. 8.) 

Zickgraf, „Die Zungentonsille als Eingangspforte des 
Tuberkelbazillus“, berichtet über noch nicht ganz abgeschlossene Unter¬ 
suchungen von 116 Kranken der Lungenheilstätte Oderburg. (Zeitschr. f. 
Tuberk. 1907, Bd. XI, Heft 3.) 

Freudenthal (Neuyork), „Die oberen Luftwege in ihren Be¬ 
ziehungen zur Lungentuberkulose“, weist auf die Bedeutung des Nasen- 


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Tuberkulose. Ätiologie. 95 

Rachen-Ringes und besonders der Zungentonsille hin. (Zeitschr. f. Tuberk. 
1907, Bd. X, Heft 4.) 

Aufrecht (Magdeburg), „Gegenwärtiger Stand der Lungen¬ 
schwindsuchtsfrage“, hält die Inhalationstheorie für unhaltbar und glaubt 
an die hämatogene Infektion. Die Infektion nimmt ihren Weg von den 
Lymphbahnen des Rachenringes aus und zum Teil auch von den Mesenterial¬ 
drüsen. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 27.) 

Paul Manasse (Straßburg): „PrimäreLarynxtuberkulöse.“ (Arch. 
f. Laryngol., Bd. 19, Heft 2.) 

Giani: „Aufsteigende Tuberkuloseinfektion des Harnappa¬ 
rate s.“ (Zentralbl. f. Bakt., Bd. 43, Heft 4.) 

v. Baumgarten (Tübingen): „Aszendierende Tuberkulose im 
weiblichen Genitaltrakt.“ (Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 3.) 

III. FürdieFrage: „Menschen- oder Rindertuberkulose?“ kommt 
zunächst in Betracht der im Berichtsjahr erschienene zweite Teil des 
II. Interim-Reports der Royal Commission on Tuberculosis; der¬ 
selbe enthält einen Bericht des Dr. A. Eastwood, in welchem vor allem 
die Einheit der pathologischen Prozesse betont wird, welche experimentell 
durch Impfungen mit den verschiedensten Varietäten der Bazillen vom 
Typus bovinus und Typus humanus zu erzielen sind. (Ref. in Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 23, Londoner Brief; s. über diesen Bericht auch 
die Arbeit von Eossei in der Deutschen med. Wochenschr. 1908, Nr. 5.) 

F. Oehlecker: „Untersuchungen über chirurgische Tuber¬ 
kulosen.“ Aus der sehr umfangreichen Arbeit seien hier nur die wichtig¬ 
sten Ergebnisse zitiert: Aus dem Material von 50 chirurgischen Tuberkulosen 
wurden 45 Kulturen des Typus humanus und 5 Kulturen des Typus bovinus 
gezüchtet. Unter 14 Halsdrüsentuberkulosen (12 Kinder und 2 Erwachsene) 
fanden sich vier Fälle des Typus bovinus. Bei 34 Fällen von Knochen- 
und Gelenktuberkulosen (26 Kinder und 8 Erwachsene) wurde nur ein 
Typus bovinus angetroffen. Aus einem tuberkulösen Ileocoecaltumor und 
einer Tuberculosis verrucosa digiti wurde je ein Typus humanus gezüchtet. 
Bei allen Fällen wurde eine genaue Nachforschung nach der Infektionsquelle 
angestellt. Bei 12 Erwachsenen und 2 Kindern war keine Anamnese zu 
erhalten. Bei den übrigen 36 Kindern wurde folgendes festgestellt: 13 mal 
konnte keine sichere Infektionsquelle nachgewiesen werden. 8 mal waren 
die Eltern, 5 mal Verwandte und 5 mal fremde Leute als Infektionsquellen 
für die Erkrankung der Kinder zu betrachten. In der Familie oder in der 
Umgebung der fünf Perlsuchtfälle ließ sich kein schwindsüchtiger Mensch 
ausfindig machen, der als Infektionsquelle hätte gelten können. Alle fünf 
Kinder hatten vor dem Auftreten der tuberkulösen Erkrankung mehr oder 
minder reichlich ungekochte Milch erhalten. Bei einem dieser Kinder ist 
es sicher nachgewiesen, daß es längere Zeit ungekochte Milch einer sehr 
schwer kranken, eutertuberkulösen Kuh erhalten hat. Die ersten Erschei¬ 
nungen der Tuberkulose traten bei den fünf Perlsuchtfällen mit 4y a , mit 
3y 2 , mit iy a Jahren und 2 mal mit l*/ 4 Jahr auf. Der klinische Verlauf 
der Fälle kann eher als ein gutartiger bezeichnet werden. Jedenfalls er- 


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96 


Infektionskrankheiten. 


gaben sich keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme einiger Autoren, daß 
auch für den Menschen die Perlsuchtbazillen virulenter seien als die Bazillen 
des Typus humanus, wie es bei vielen anderen Säugetieren der Fall ist 
(Tuberkulosearbeiten a. d. Kaiserl. Gesundheitsamt 1907, Bd. 6.) 

Weber und Taute: „Weitere Untersuchungen über Tuberkel¬ 
bazillen verschiedener Herkunft mit besonderer Berücksich¬ 
tigung der primären Darm- und Mesenterialdrüsentuberkulose.“ 
Es kann kein Zweifel sein, daß auch die Bazillen des Typus bovinus im¬ 
stande sind, eine fortschreitende, zum Tode führende Tuberkulose wenigstens 
im Kindesalter hervorzurufen. Es ist ferner aus den Untersuchungen zu 
folgern, daß die Infektion des Menschen mit den Bazillen des Typus bovinus 
vorzugsweise eine Erkrankung des Kindesalters ist, und daß sie hauptsächlich 
alsFütterungstuberkulose unter dem Bilde der primären Darm-und Mesenterial¬ 
drüsentuberkulose, sowie der Halsdrüsentuberkulose in die Erscheinung tritt 
ln diesen beiden Gruppen tuberkulöser Erkrankung im Kindesalter, nament¬ 
lich in der Gruppe der primären Darm- und Mesenterialdrüsentuberkulose 
spielen die Bazillen des Typus bovinus eine nicht zu unterschätzende Rolle. 
(Tuberkulosearbeiten a. d. Kaiserl. Gesundheitsamt 1907, Heft 6.) 

M. Beitzke: „Über die Infektion des Menschen mit Rinder¬ 
tuberkulose.“ Bei 25 tuberkulösen Kindesleichen fanden sich in zwei 
Fällen = 8 Proz. Bazillen vom Typus bovinus. Der eine dieser Fälle be¬ 
weist, daß auch eine Lungentuberkulose durch bovine Tuberkelbazillen her¬ 
vorgerufen werden kann. (Tuberkulosestudien, Beiheft zu Virchows Archiv 
1907, Bd. 190.) 

Eber (Leipzig) beschreibt zwei Fälle von erfolgreicher Übertragung 
tuberkulösen Materials von an Lungenphthise gestorbenen Menschen auf das 
Rind. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 10.) 

Weber (Berlin): „Erwiderung auf diesen Artikel.“ (Ebenda.) 

Bonome: „Differenzierung von Menschen- und Rindertuber¬ 
kulose durch Präzipitine.“ Das menschliche Serum Tuberkulöser wirkt 
präzipi tierend nur auf Menschen tuberkulöse, Rinderserum nur auf Rinder¬ 
tuberkulose. (Riform. med. 1907, Nr. 7 und Zentralbl. f. Bakt., Bd. 43, 
Heft 4.) 

Mit der Infektion durch rohe Kuhmilch beschäftigen sich be¬ 
sonders die folgenden Arbeiten: 

„Kindertuberkulose und Kuhmilch in England.“ Bei jungen 
Kindern in England ist die Zahl der Erkrankungen an Tuberkulose dieselbe 
geblieben, während sie sonst in England zurückgegangen ist. Die Ursache 
wird im Gebrauche infektiöser Kuhmilch gesucht. (Brit. med. Journ., Nr. 2413.) 

Shaw: „Übertragbarkeit der Rindertuberkulose.“ Eine Rund¬ 
frage bei etwa 70 Pädiatern, sowie die Bearbeitung eines größeren Autopsie- 
materials ergab wenig Anhalt dafür, daß Kuhmilch für die Übertragung der 
Tuberkulose eine wesentliche Rolle spielt. (Journ. of Amer. Assoc. 1907, 
Nr. 15.) 

Byers: „Tuberkulose in Irland.“ Als hauptsächlichste Ursache der 
hohen Tuberkulosemortalität in Irland ist die Verseuchung des Rindviehs 


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Tuberkulose. Ätiologie. 


97 


mit Tuberkulose (alimentäre Infektion im Säuglingsalter), sowie die unzu¬ 
reichende Isolierung und Versorgung der Schwindsüchtigen anzusehen. 
(Lancet, Nr. 4404.) 

Fibiger und Jensen: „Bedeutung der Milchinfektion für die 
Entstehung der primären Intestinaltuberkulose im Eindesalter.“ 
Da eine große Zahl der Fälle von primärer Darm tuberkulöse bei Kindern 
durch Infektion mit Rindertuberkelbazillen zu erklären ist, so muß der Genuß 
roher Kuhmilch in vielen Fällen als Ursache angesehen werden. (Berl. klin. 
Wochenschr. 1907, Nr. 4 u. 5.) 

Weber (Gießen): „Primäre Mundtuberkulose durch Infektion 
mit Perlsuchtbazillen.“ Die Veranlassung lag im Genuß roher Milch 
von einer perlsüchtigen Kuh. (Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 36.) 

IV. Weber: „Weitere Passageversuche mit Bazillen des Typus 
humanus.“ Es gelang dem Verfasser (in Fortsetzung früherer Versuche) 
nicht, die Infektionstüchtigkeit verschiedener Kulturen vom Typus humanus 
durch mehrfache Tierpassagen (Ziege, Schwein, Rind) zu erhöhen. Auch in 
bezug auf Wachstumseigenschaften blieb der Typus humanus vollständig 
erhalten. (Tuberkulosearbeiten a. d. Kaiserl. Gesundheitsamt 1907, Heft 6.) 

Petersson: „Ansteckungsgefahr durch die Lungentuberkulose 
in verschiedenen Krankheitsstadien.“ Das zweite Stadium liefert die 
meisten Bazillen, im Kavernenstadium nimmt die Virulenz der Bazillen 
gegenüber der der ersten Stadien eher ab. (Nordisk. med. Arkiv, Abt. II, 
Heft 1, Nr. 1. Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 31.) 

Löwen st ein, „Über die intracellulare Lagerung der Tuberkel¬ 
bazillen im Sputum und ihre prognostische Bedeutung“, fand die 
Bazillen innerhalb von Leukocyten 1. bei Fällen von ausgesprochen chroni¬ 
schem Verlaufe; 2. bei frischen Fällen, die eine günstige Prognose hatten; 
3. bei Fällen, welche durch längere Zeit spezifisch behandelt worden waren. 
(Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 43; s. auch zu diesem Thema die 
Arbeit desselben Verfassers in der Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskr., Bd. 55, 
Heft 3.) 

Bartel (Wien): „Perlsuchtbazillus.“ Auch der Tuberkelbazillus 
läßt sich in eine avirulente Modifikation überführen, durch deren Verimpfung 
eine gewisse Resistenz gegen virulente Bazillen erzeugt werden kann. (Wien, 
klin. Wochenschr. 1907, Nr. 6.) 

Spengler (Davos): „Neue Färbemethoden für Perlsucht- und 
Tuberkelbazillen und deren Differentialdiagnose.“ Beschreibung 
der Hüllenmethode (Farbschichtungsmethode), Pikrinmethode (Farbfixations- 
verfahren), Farbechtmethoden. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 9.) 

Dembinski (Warschau): „Über die Bakteriolyse der säurefesten 
Bazillen.“ Die Untersuchungen haben für den Bacillus tuberculoides 
Rabinowitsch ergeben, daß, während das Serum immunisierter Kaninchen 
eine bakteriolytische Substanz besitzt, die ihre Wirkung auch in vitro zeigt, 
das Serum normaler Kaninchen keine Bakteriolyse in vitro hervorruft und 
diese sich nur in der Bauchhöhle vollzieht. (Zeitschr. f. Tuberk. 1907, 
Bd. X, Heft 5.) 

Vierte ljahrsaohrift für Geiundheitepflege, 1908. Supplement. 7 


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98 


Infektionskrankheiten. 


Sorgo und Suess (Alland): „Versuche mit Tuberkelbazillen¬ 
stämmen menschlicher Herkunft an Schlangen und Blind¬ 
schleichen und über Mutation menschlicher Tuberkelbazillen.“ 
Es tritt gelegentlich eine Umwandlung der Eigenschaften des menschlichen 
Tuberkelbazillus innerhalb des Schlangenkörpers in solche des Kaltblüter¬ 
tuberkelbazillus ein, im allgemeinen müssen aber beide Bazillen als ver¬ 
schiedene, wohlcharakterisierte Arten aufgefaßt werden. (Zentralbl. f. Bakt., 
Bd. 43, Heft 4 bis 6.) 

Moriya, „Impftuberkulöse der Kaltblüter“, ist der Ansicht, daß 
sich menschliche Tuberkelbazillen durch Kaltblüterpassage nur sehr schwer 
in Kaltblütertuberkelbazillen umwandeln lassen. (Zentralbl. f. Bakt., Bd. 45.) 

C. Frankel, „Über das Wachstum des Tuberkelbazillus bei 
niederen Wärmegraden“, konnte auch bei Zimmertemperatur ein Wachs¬ 
tum der Bazillen nachweisen. (Hygien. Rundschau 1907, Nr. 18.) 

Le Baron, „Verbesserte Karbolfuchsinlösung für Tuberkel¬ 
bazillen“, empfiehlt gesättigte Fuchsinlösung in Methylalkohol (97 Proz.) 
unter Zusatz von 5 Proz. Karbolsäure. (Joum. of. Amer. Assoc. 1907, Nr. 25.) 

Much (Marburg): „Über die granuläre, nach Ziehl nicht färb¬ 
bare Form des Tuberkulosevirus.“ Diese Form ist virulent. (Beitr. 
z. Klinik d. Tuberk., Bd. VIII, Heft 1.) 

Michaelid&s (Marburg), „Über eine durch die Ziehlfärbung 
nicht darstellbare Form des Tuberkelbazillus“, fand öfters in mikro¬ 
skopischen Präparaten Tuberkelbazillen, welche durch die Gram sehe und 
die Löffler-Giemsasche Methode darstellbar waren, aber nicht durch die 
Ziehlsche Färbung. (Beitr. z. Klinik d. Tuberk., Bd. VIII, Heft 1.) 

Gioielli: „Neue Mittel zu beschleunigter Tuberkelbazillen¬ 
zucht und ein neuer flüssiger, glyzerinfreier Nährboden.“ Rasche 
Anreicherung erhält man auf gereinigter, gehärteter und in Scheiben ge¬ 
schnittener menschlicher Placenta. Als guter Nährboden erwies sich ferner 
gewöhnliche, mit sterilisiertem Vaselinöl bedeckte Nährbouillon. (II Policlinico, 
Bd. XIV, Heft 3. Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 37.) 

v. Szaböky (Graz), „Kulturelle Eigenschaften der Tuberkel¬ 
bazillen“, fand das beste Wachstum auf Lungen-, Sputumlungen-, Tbc- 
Lungen-Agar und bei ganz schwach saurer Reaktion des Nährbodens. 
(Zentralbl. f. Bakt., Bd. 43, Heft 7.) 

Peters (Magdeburg): „Auswurfsedimentierungsverfahren mit 
Wasserstoffsuperoxyd nach Sachs-Müke.“ Empfehlung dieses Ver¬ 
fahrens. (Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 9.) 

v. WeiBmayr: „Pleomorphie des Tuberkelbazillus.“ Beobachtung 
von verzweigten kernhaltigen Fäden im Sputumbilde. (Zeitschr. f. klin. 
Med., Bd. 62.) 

Beyer: „Untersuchung auf Tuberkelbazillen durch Zentri¬ 
fugieren.“ Als spezifisches Gewicht der Tuberkelbazillen ergab sich mit 
dem Pyknometer 1,23 (nach Entfettung mit Alkoholäther 1,32), mit dem 
Volumenometer 1,24. Das Zentrifugieren gab oft in Fällen positive Resultate, 


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Tuberkulose. Ätiologie. 99 

in denen die gewöhnliche Methode versagte. (Hospitalstid. 1907, Nr. 43. 
Ref. in Deutsche med. Wochenachr. 1907, Nr. 50.) 

Auclair und Paris: „Chemie des Tuberkelbazillus.“ Auch die 
künstlich entfetteten Bazillen sind noch säureresistent. (Arch. de med. 
exp6r., Bd. XIX, Heft 2. Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 22.) 

V. Aus der großen Zahl der Arbeiten über die von Calmette ange¬ 
gebene Ophthalmoreaktion und die nach v. Pirquet benannte Hautreaktion 
seien hier nur einige zitiert: 

Prouff: „Frühdiagnose durch die Ophthalmoreaktion.“ Emp¬ 
fehlung der Cal metteschen Methode. (Gaz. d. hopit. 1907, Nr. 89.) 

Franke (Hamburg): „Über Ophthalmoreaktion bei Tuberkulose“, 
teilt günstige Erfahrungen mit, die er mit der von Calmette angegebenen 
Reaktion erzielt hat. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 48.) 

Über günstige Erfahrungen berichten ferner: Köhler (Deutsche med. 
Wochenschr. 1907, Nr. 50), Schenk und Seiffert (Münch.med. Wochenschr. 
1907, Nr. 46), Mac Lennan, Webster und Kilpatrick (Brit. med. Journ., 
Nr. 2449) und Masenti (Riform. med. 1907, Nr. 46). 

Cohn (Berlin): „Ophthalmoreaktion auf Tuberkulin.“ Sehr 
schwer kranke Phthisiker zeigen in 50 Proz. der Fälle negative Reaktion, 
Typhuskranke, besonders in der Rekonvaleszenz, zeigen auffällig häufig posi¬ 
tive Reaktion. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 47.) 

Bing, „Neuere Tuberkulosereaktionen,“ erzielte mit der Methode 
von Calmette keine befriedigenden Resultate. (Hospitalstid. 1907, Nr. 45. 
Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 50.) 

Wiens und Günther (Breslau), „Ophthalmoreaktion“, halten die 
Einträufelung einer einprozentigen Turberkulinlösung für einen durchaus 
nicht harmlosen oder unbedeutenden Eingriff, der zu schweren und hart¬ 
näckigen Augen Veränderungen führen kann. (Münch, med. Wochenschr. 
1907, Nr. 52.) 

v. Pirquet: „Demonstration zur Tuberkulindiagnose durch 
Hautimpfung“, in der Berl. med. Gesellsch. am 15. Mai 1907. (Ref. in 
Deutsche tned. Wochenschr. 1907, Nr. 22, Vereinsbeilage.) 

v. Pirquet (Wien): „Cutane Tuberkulinreaktion.“ (Wien. med. 
Presse 1907, Nr. 48.) 

Levy (Budapest), „Differential-Tuberkulinreaktion“, hält die 
Pirquetsche Reaktion für sehr fein. (Orvosi Hetilap 1907, Nr, 46. Ref. in 
Deutsche, med. Wochenschr. 1907, Nr. 49.) 

Czerny sprach in der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur 
in Breslau am 11. Oktober 1907 über die Tuberkulinreaktion nach Pirquet 
und warnte vor zu weitgehenden Schlüssen. (Ref. in Deutsche med. Wochen¬ 
schrift 1907, Nr. 49, Vereinsbeilage.) 

Cannata: „Hauttuberkulinreaktion.“ Die Pirquetsche Reaktion 
fällt bei fehlender Tuberkulose gelegentlich positiv aus, versagt mitunter bei 
nachgewiesener Tuberkulose und ist somit diagnostisch nicht zu verwerten. 

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Infektionskrankheiten. 


(Gazz. d. oBpedali 1907, Nr. 138; Ref. in Deutsche med. Wochenscbr. 1908, 
Nr. 1.) 

Engel und Bauer (Düsseldorf): „v. Pirquetsche Tuberkulin¬ 
reaktion.“ Bei Säuglingen läßt ein positiver Ausfall der Reaktion keinen 
sicheren Schluß auf Tuberkulose zu. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 37.) 

Über die Theorie der Tuberkulinwirkung und die diagnostische 
Bedeutung des Tuberkulins äußerten sich u. a.: 

J. Morgenroth und Lydia Rabinowitsch: „Die Immunitätsreak¬ 
tionen tuberkulösen Gewebes und deren Zusammenhang mit der 
Theorie der Tuberkulinwirkung.“ Den Verfassern ist der Nachweis 
von Antikörpern gegen das Tuberkulin im Gewebe nicht gelungen. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 18.) 

Weil (Prag): „Erklärung der Tuberkulinreaktion durch Anti¬ 
tuberkulin im tuberkulösen Herd.“ Erwiderung auf die Arbeit von 
Wassermann und Bruck. (Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 6.) 

Wilhelm Roth-Schulz: „Diagnostischer Wert des alten Koch- 
schen Tuberkulins.“ (Brauers Beitr. z. Klinik d. Tuberk., Bd. 6, Heft 2.) 

Junker (Heidelberg): „TuberkulindiagnoBtik bei Lungentuber¬ 
kulose.“ (Ebenda, Bd. VI, Heft 4.) 

Ziegler: „Frühdiagnose der Lungentuberkulose mittels der 
Kochschen Tuberkulinprobe.“ (Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 27.) 

Röpke (Melsungen): „Über diagnostische Tuberkulindosen.“ 
(Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. 10, Heft 5.) 

Pankow (Freiburgi.B.): „Alttuberkulin Eooh als Diagnostikum 
in der Gynäkologie.“ (Zeitschr. f. Gynäk. 1907, Nr. 42.) 

Spitta: „Experimente über die Diagnose der Tuberkulose 
durch Tuberkulin.“ (Joum. of Pathol. and Bacteriol., Bd. VII, Heft 4. 
Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 12.) 

Mit der Bedeutung der Agglutination und derOpsonine beschäftigen 
sich die folgenden Arbeiten: 

JeBsen (Davos): „Agglutination bei Lungentuberkulose.“ Im 
Hochgebirge tritt ohne spezifische Therapie eine Steigerung der Agglutination 
ein, die auch bei Behandlung mit Tuberkulin nicht höher ist. (Brauers 
Beitr. z. Klinik d. Tuberk., Bd. 6, Heft 2.) 

Goggia: „Agglutination des Tuberkelbazillus.“ (Gazz. d. ospedali 
1907, Nr. 81. Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 46.) 

Jousset: „La mäthode »opsonique« de Wright (phagocytose).“ 
Les applications au diagnostic, au pronostic et au traitement de la tuberculose. 
Während ein Index von etwa 1 der Norm entspricht, bedeutet ein dauernd 
niedriger Index (0,3 bis 0,8) Tuberkulose, und zwar meist lokale Tuberkulose. 
Dauernd erhöhter Wert findet sich bei ausgeheilter Tuberkulose. (Soc. 
d’Etud. Scient. S. L. Tuberculose 2. Mai 1907. Ref. in Zeitschr. f. Tuberk. 
1907, Bd. XI, Heft 4.) 


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Tuberkulose. Ätiologie. 101 

Bunch: „Immunität und Opsonine.“ Unter dem Einfluß von Vac¬ 
cinen (Tuberkulin) beobachtet man eine Steigerung des opsonischen Index. 
(Lancet, Nr. 4360.) 

Beitzke (Berlin): „Neue Theorie in der Immunitätslehre.“ Be¬ 
sprechung der Wrightschen Opsonintheorie. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, 
Nr. 26.) 

Rotch und Cleaveland: „Opsonischer Index und Tuberkulin¬ 
probe bei der Behandlung und Diagnose beginnender Tuberkulose 
von Kindern.“ (Journ. of Amer. Assoc. 1907, Nr. 8). 

Squire: „Bedeutung der Opsonine für die spezifische Be¬ 
handlung der Tuberkulose.“ (Brit. med. Journ., Nr. 2424.) 

Bine und Lissner (Heidelberg): „Technik der Opsoninbestim¬ 
mung und ihre Anwendung bei Lungentuberkulose.“ (Münch, 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 51.) 

Turton und Appleton: „Opsonische Kraft des mütterlichen 
Serums und der Milch. (Brit. med. Journ., Nr. 2415.) 

Von neueren Untersuchungsmethoden sei hier noch der folgenden 
Arbeiten gedacht: 

Bloch, „Diagnose der Tuberkulose“, spritzte von verdächtigen 
Urinen 1 ccm Urinsediment Meerschweinchen subkutan unter die Bauchhaut, 
nachdem vorher die Leistendrüsen des Tieres manuell gequetscht waren, und 
fand nach 9 bis 10 Tagen in den geschwollenen Leistenlymphdrüsen reichlich 
Tuberkelbazillen. (Ges. d. Charit6ärzte zu Berlin, 27. Juni 1907 und Berl. 
klin. Wochenschr. 1907, Nr. 17.) 

Jovannovicz und Kapsammer (Wien), „Verwertbarkeit neuerer 
Methoden zur Diagnose der Tuberkulose im Tierversuch“, halten die 
Bloch sehe Methode für einen wesentlichen diagnostischen Fortschritt, aber 
die von Pirquetsche Hautreaktion und die Ophthalmoreaktion für nicht 
geeignet, eine vorhandene Tuberkulose beim Meerschweinchen festzustellen. 
(Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 45.) 

E. Müller (Breslau): „Das Millonsche Reagens“, ein weiteres Hilfs¬ 
mittel zur raschen Unterscheidung von tuberkulösen und andersartigen 
Eiterungen. (Zentralbl. f. inn. Med. 1907, Heft 12, s. auch die Arbeit von 
Kolaczek und Müller in der Deutsch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 7.) 

VI. Zu dem Thema: „Trauma und Tuberkulose“ äußerten sich u. a.: 
v. Krehl (Straßburg) und Brüh ns (Oberkauf ungen) (Med. Klinik 1907, 
Nr. 7 und 5), s. ferner die Verhandlungen über „La tuberculose et les 
accidents de travail“. (Assoc. frang. de Chirugie Paris, 7 k 12 Oot. 1907, 
XX. Congr. Ref. in Bull. möd. 21, 83.) 

Walter v. Stoutz (Leipzig) über: „Trauma und Lungentuber¬ 
kulose“, unter Berücksichtigung der Bestimmungen des Unfallversicherungs¬ 
gesetzes. (Inauguraldissertation. Leipzig 1907, 78 S.) 

Köhler (Werden a. d. Ruhr): „Lungentuberkulose in der Un¬ 
fallbegutachtung nach Unterleibstrauma mit psychischem Chok. 
(Ärztl. Sachverständigenztg. 1907, Nr. 10.) 


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102 


Infektionskrankheiten. 


Aronheim: „Beitrag zur Frage der primären tuberkulösen 
Pleuritis exsudativa träumatica.“ (Monatsschr. f. Unfallheilkunde und 
Invaliden wesen 1907, Nr. 1.) 

Port sprach am 18. Juli 1909 im Ärztlichen Verein in Nürnberg über 
Tuberkulose und Unfall. (Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 46, 
Vereinsbeilage.) 

Verhütung. 

Deutschland. Im Etat des Reichsamts des Innern sind zur Erforschung 
und Bekämpfung der Tuberkulose 120000 >M bewilligt worden. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 11.) 

Das Hamburger Medizinalkollegium erläßt Ratschläge zur Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose, die unentgeltlich im Medizinalamt in Empfang 
genommen werden: 

1. An der Tuberkulose sterben alljährlich mehr Menschen als an irgend 
einer anderen Krankheit. In Hamburg beträgt die Zahl ihrer jährlichen 
Opfer über 1200. Keine andere Krankheit zehrt wie diese an der Leistungs¬ 
fähigkeit und an dem Wohlstände des Volkes. 

2. Von der Krankheit werden am häufigsten die Lungen ergriffen. Es 
können aber auch die Drüsen, besonders am Halse, die Knochen, die Gelenke 
oder andere Organe des Körpers befallen werden. Auch an diese Formen 
der Erkrankung kann sich im weiteren Verlaufe Lungenschwindsucht an¬ 
schließen. 

3. Die Krankheit wird durch den Auswurf von Menschen, welche an 
Lungentuberkulose (Lungenschwindsucht) leiden, und durch die Milch 
tuberkulös erkrankter Kühe übertragen. Stets vergehen Monate, manchmal 
Jahre nach der Aufnahme deB Krankheitskeimes, bis die Folgen der Über¬ 
tragung offenkundig werden. 

4. Die Übertragung durch den Auswurf kann entweder direkt durch 
Anhusten geschehen, oder der Auswurf wirkt dadurch ansteckend, daß er, 
am Boden, an den Zimmerwänden, auf Taschentüchern, Kleidungsstücken 
oder Geräten eingetrocknet, verstäubt und dann von Gesunden eingeatmet 
wird. Man atme daher unter Schließung des Mundes möglichst nur durch 
die Nase; diese ist das natürliche Filter für Unreinlichkeiten und Schädlich¬ 
keiten. 

Besonders gefährdet sind Kinder, nicht nur weil die Empfänglichkeit 
für die Krankheit in diesem Lebensalter sehr groß ist, sondern auch weil 
Kinder, die viel am Boden spielen und gewohnt sind, ihre schmutzigen 
Hände und Spielsachen in den Mund zu stecken, leichter mit dem Auswurf 
in nahe Berührung kommen. Aber auch für Erwachsene ist das Anfassen 
beschmutzter Gegenstände und das nachherige Einbringen der Finger in den 
Mund (Fingerlecken beim Umblättern) gefährlich, ebenso z. B. die Benutzung 
unreiner fremder Trink- und Eßgeschirre. 

Erhöht ist die Empfänglichkeit in den Zeiten, wo der Körper aus irgend¬ 
welchen Gründen (z. B. Wochenbett, Krankheit) angegriffen ist, in der Ent¬ 
wickelungszeit und bei Kindern besonders während der Masern und des 
Keuchhustens. 


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Tuberkulose. Verhütung. 


103 


Auch durch kleine Wunden (näBsende Hautausschläge, Kratzwunden 
bei Ungeziefer, kranke Zähne) können die Krankheitskeime Eingang in den 
Körper Gesunder finden; daher müssen die Nägel, die Hände und die Zähne 
häufig und gründlich gereinigt werden. 

5. Um die Übertragung durch den Auswurf zu verhindern, ist es nötig, 
daß jeder, der an Husten leidet, beim Husten ein Tuch oder die Hand vor 
den Mund hält und seinen Auswurf nur in die für die Aufnahme desselben 
bestimmten Spuckflaschen, -näpfe oder -gläser entleert. 

Die gesunden Angehörigen von Brustkranken sollten darüber wachen, 
daß die vorstehende Vorschrift streng innegehalten wird. 

Jeder Schwindsüchtige, welcher die vorstehenden Ratschläge versäumt, 
gefährdet die Gesundheit seiner Mitmenschen, am meisten die Gesundheit 
seiner nächsten Angehörigen, welche mit ihm dieselben Räume bewohnen; 
erfüllt er sie aber genau, so ist er für seine Umgebung nicht gefährlich. 

6. Es empfiehlt sich, in allen Räumen, in denen viele Menschen ver¬ 
kehren, Spucknäpfe aufzstellen; in den Aufenthaltsräumen von Tuberkulösen 
müssen sie stets vorhanden sein. Zur Füllung der Spucknäpfe eignen sich 
in erster Linie feuchte Sägespäne, Holzwolle, Torfstreu und demnächst 
Wasser. Der Inhalt der Spucknäpfe soll oft gewechselt und womöglich im 
Herd oder Ofen verbrannt, aber nie zum Kehricht getan werden. Wit Wasser 
gefüllte Spucknäpfe sind in die Klosetts zu entleeren. 

7. Mit Auswurf von Schwindsüchtigen verunreinigte Kleider, Wäsche, 
Geschirre und andere Gegenstände müssen sorgfältig gereinigt, am besten 
ausgekocht oder desinfiziert werden. 

8. In Räumen, wo Schwindsüchtige verkehren, sorge man für strenge 
Reinlichkeit, reichliche Lüftung, möglichst viel Sonnenlicht; namentlich be¬ 
kämpfe man jeden Staub durch häufiges feuchtes Aufwiscben. Räume, in 
denen Schwindsüchtige lange gelebt haben oder gestorben sind, werden 
kostenlos desinfiziert nach Meldung im Medizinalamt, Stadthaus, Neuerwall, 
oder bei jeder Polizeiwache. 

Man beziehe eine Wohnung, in der unmittelbar vorher ein Schwind¬ 
süchtiger gewohnt hat, nicht, bevor sie desinfiziert ist. 

9. Schwindsüchtige sollen nicht mit Gesunden in einem Bett schlafen, 
sondern womöglich in besonderem Schlafraum. Kinder sind von den Kranken¬ 
zimmern Schwindsüchtiger tunlich ganz fernzuhalten. 

Wo Schwindsüchtige bei Herstellung oder Verkauf von Lebensmitteln 
oder Bekleidungsgegenständen beschäftigt sind, oder wo sie in Schulen, 
Bureaus, Werkstätten, Fabriken mit Gesunden regelmäßig Zusammenkommen, 
mache der Haushaltungs-, Schul-, Bureau- oder BetriebsvorBtand ihnen die 
Vorsichtsmaßregeln unter 5 zur besonderen Pflicht und halte auf strenge 
Reinlichkeit in jeder Beziehung. 

10. Schwindsüchtige Frauen dürfen Kinder nicht stillen und fremde 
Blinder nicht warten. 

11. Die Tuberkulose des Rindviehs (Perlsucht) ist eine auch in der 
Nähe Hamburgs außerordentlich verbreitete Krankheit, die oft schwierig zu 
erkennen ist. Die Keime der Krankheit können in die Milch perlsucht- 
kranker Tiere übergehen. Vor den Gefahren, die aus dem Genuß solcher 
Milch für Menschen entstehen, schützt Kochen. 


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Infektionskrankheiten. 


12. Außer den vorgenannten besonderen Schatzmaßregeln befleißige man 
sieb der größten Sauberkeit und Ordnung, sorge für gründliche Reinigung 
des ganzen Körpers und besonders des Mundes, meide Ausschweifungen 
jeder Art (besonders übermäßigen Alkoholgenuß), härte den Körper ab. 

13. Die Lungentuberkulose ist heilbar. Die Aussichten für die Wieder¬ 
herstellung Tuberkulöser sind um so günstiger, je früher sich die Kranken 
in ärztliche Behandlung begeben. (Veröffentl. d. Kaiser! Gesundheitsamtes 

1907, Heft 20.) 

Vorschriften der k.k. österreichischen Behörden zur Bekämpfung 
der Tuberkulose. (Wien und Leipzig, Alfred Holder, 1907.) Die Schrift 
enthält die Vorkehrungen der verschiedensten behördlichen Instanzen, all¬ 
gemeine Vorschriften zur Tuberkulosebekämpfung seitens des k. k. Minister¬ 
präsidenten, des Justiz-, Finanz-, Handels-, Eisenbahn-, Ackerbau- und 
Landesverteidigungsministeriums, der Landesbehörden und politischen Be¬ 
hörden I. Instanz, wie der Landesausschüsse, der Magistrate der Städte mit 
eigenem Statut, zahlreicher Gemeinden usw. (Ref. in Zeitschr. f. Tuberk. 

1908, Bd. XH, Heft 2.) 

Langensalza: Der Kreisausschuß beschloß, sämtliche bei dem Aus¬ 
hebungsgeschäft als tuberkulös-verdächtig ermittelte Gestellungspflichtige auf 
Kosten des Kreises einem Lungenheilverfahren zu unterziehen. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 41.) 

Bayern: Verfügungen der Staatseisenbahnverwaltung und der Post- 
und Telegraphenverwaltung betreffend die Bekämpfung der Tuberkulose. 
Die Verhütungsvorschriften beziehen sich auf die Aufklärung des Personals, 
Verbot des Ausspuckens, Reinhalten der Diensträume, Personenwagen usw., 
Verhütung der Übertragung der Krankheit durch Gegenstände gemeinsamen 
Gebrauchs, Desinfektion verseuchter bahneigener Wohnungen, Wohnungs¬ 
fürsorge, Schaffung von Laubengärten und allgemeine hygienische Maßnahmen. 
Ebenso umfangreich sind die Fürsorgemaßnahmen, welche für die Beamten 
getroffen sind, wie z. B. die Anzeigepflicht, die Unterbringung in Heil- und 
Erholungsstätten, gegebenenfalls Diensterleichterung, Familienfürsorge usw. 
(Veröffentl. d. Kaiser! Gesundheitsamtes 1907, Heft. 17.) 

Haynes: „Pflichten der Eisenbahn beim Transport tuber¬ 
kulöser Passagiere.“ (Journ. of. Amer. Asboc. 1907, Nr. 3.) 

Im Staate Texas wurde ein sogenanntes Anti-Schwindsucbtsgesetz er¬ 
lassen. Der Staat Texas besitzt nämlich gerade wie Colorado in einigen 
Gegenden ein Klima, das sich ausgezeichnet für Schwindsüchtige erwiesen 
hat. Daher ist der Staat bisher oft von Lungenkranken aufgesucht worden, 
die dort Besserung ihrer Leiden suchen. Um nun in Zukunft diese Kranken 
von Texas fernzuhalten, ist von der staatlichen Gesundbeitsbehörde eine 
strenge Quarantäne gegen alle mit Tuberkulose oder mit sonstigen an¬ 
steckenden Krankheiten im akuten Zustande behafteten Personen angeorduet 
worden. (National-Zeitung vom 1. August 1907.) 

Robert Koch-Stiftung. Unter dem Vorsitz des Staatsministers 
Dr. v. Studt hat sich ein Komitee gebildet, das einen Aufruf für die Be¬ 
gründung einer „Robert Koch - Stiftung zur Bekämpfung der Tuberkulose“ 


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Tuberkulose. Verhütung. 


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erläßt. Die Stiftung, die aus Anlaß des 25jährigen Gedenktages der 
Robert Eochsehen Entdeckung des Tuberkelbazillus errichtet und somit 
der Erinnerung an die grundlegende Beobachtung für die Erforschung der 
gesamten menschlichen Infektionskrankheiten gewidmet wird, stellt sich, ab¬ 
gesehen von der Ehrung des Forschers, die Aufgabe, wissenschaftliche Arbeiten 
und damit auch praktische Bestrebungen zur Bekämpfung der Tuberkulose 
aus ihren Mitteln zu unterstützen. Der Aufruf zu der Stiftung findet sich 
unter anderem in der Deutsch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 39, S. 1605. 

Ein „Deutscher Zentralverband zur Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose“ ist aus fünf Vereinen ehemaliger Patienten bekannter Heilanstalten 
gegründet worden. Vorsitzender ist Prof. Moeller (Berlin) und General¬ 
sekretär Dr. Weissbein (Berlin). (Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 19.) 

Der im März Ä07 unter dem Ehrenvorsitz des Fürsten v. Bülow be¬ 
gründete „Verein für Wohlfahrtsmarken“, der nach dem Beispiel 
anderer Länder Mittel zur Bekämpfung der Volkskrankheiten (der Säug¬ 
lingssterblichkeit, der Tuberkulose u. a.) aufbringen will, hat mit der Aus¬ 
gabe seiner ersten Marke begonnen. Die Geschäftsstelle befindet sich im 
Kultusministerium zu Berlin. (Ref. in Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. XI, 
Heft 4.) 

In Apolda ist ein „Verein zur Bekämpfung der Lungentuber¬ 
kulose“ gegründet worden; unter anderem ist die Errichtung einer Für- 
sorgeBtelle geplant. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 14.) 

In Neumünster beabsichtigt der Magistrat ein Tuberkuloseheim zur 
Unterbringung von unheilbaren Tuberkulösen sowie solcher Kranken, die 
zur Aufnahme in eine Heilstätte nicht geeignet sind, zu errichten. 

Bulgarien: „Der Stand der Tuberkulosebewegung“ wird be¬ 
sprochen von Bezensök (Sofia). (Tuberkulosis 1907, Nr. 6.) 

W. J. van Gorkom (Haag): „Die Tuberkulosebekämpfung in 
den Niederlanden 1906.“ Nach den Jahresberichten. (Zeitschr.f.Tuberk. 
1907, Bd. XI, Heft 6.) 

Derselbe: „Tuberkulosebekämpfung durch Reinlichkeit.“ 
(Amsterdam, F. van Rossen, 1907.) 

Derselbe: „Über Tuberkulosekrankenhäuser.“ (Amsterdam, 
F. van Rossen, 1907. 83 S.) 

Stiles, „Freibanksystem alsMittel zurBekämpfung derTuber- 
kulose“, spricht sich für Zulassung dieses Systems in den Vereinigten 
Staaten aus. (Journ. of Amer. Assoc. 1907, Nr. 18.) 

W. Collingridge, der Arzt des Public Healths Department der 
Corporation of London, hat einen Report über die Frage der Tuberkulose¬ 
gefahr durch die Milch heraasgegeben. Da er der Ansicht ist, daß in Eng¬ 
land etwa 2 Proz. der Milchkühe tuberkulös sind, verlangt er, daß die Kühe 
aller Farmer, welche Milch verkaufen, auf Tuberkulose untersucht werden 
sollen, oder daß wenigstens regelmäßige bakteriologische Untersuchungen 
der auf den Bahnhöfen ankommenden Milch vorgenommen werden und bei 
positivem Ergebnis der Gebrauch der betreffenden infizierten Milch für un- 


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Infektionskrankheiten. 


gesetzlich erklärt werden soll. (Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, 
Nr. 23, Londoner Brief.) 

Bernheim et Dieupart (Paris), „La declaration obligatoire de 
la tuberculose“, sprechen sich für die Anzeigepflicht bei Tuberkulose aus. 
(Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. X, Heft 3.) 

Scherer, „Die Gefährdung eines gesunden Ehegatten durch 
einen tuberkulösen“, strebt den Erlaß eines Gesetzes an, welches Personen 
mit aktiver Tuberkulose das Eingehen einer Ehe verbietet und das Heiraten 
Tuberkulöser ohne Gesundheitsattest mit schwerer Strafe bedroht. (Wiener 
med. Presse 1907, Nr. 38.) 

Philip (Edinburg) sprach am 21. März 1907 in der Gesellschaft für 
innere Medizin und Kinderheilkunde über „Organisation und Zusammen¬ 
wirken antituberkulöser Maßnahmen“ und betonte zum Schluß die 
Wichtigkeit der Arbeitskolonien, die in inniger Verbindung mit den Sana¬ 
torien stehen, wo die Arbeit für jeden genau abgemessen wird. Der Auf¬ 
enthalt in der Kolonie ist entweder ein vorübergehender, bis zur Rückkehr 
zur normalen Beschäftigung, oder ein lebenslänglicher. (Ref. in Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 37, Vereinsbeilage.) 

Garland und Lister (London) sprechen sich in entschiedener Weise 
dafür aus, daß die Fürsorge für die Lungenkranken der Arbeiterklassen vom 
Staate übernommen und nicht der „Cbarity“ überlassen wird. (Lancet, 

Nr. 4358.) 

Dohrn, „Die Tuberkulosebekämpfung auf dem Lande“, schlägt 
eine Zentrale vor, die in der Kreisstadt in den Händen des Kreisarztes liegt 
und in Zusammenhang steht mit: 1. dem nächst erreichbaren Medizinal¬ 
untersuchungsamte, dem der Auswurf zur Untersuchung zugeschickt wird: 
2. den Krankenhäusern, denen die bazillenhustenden Kranken zugeführt 
werden; 3. den die öffentliche Wohlfahrt pflegenden Anstalten und Ver¬ 
einen zur Unterstützung Kranker und Gefährdeter; 4. den Unterstationen, 
die mit einer Schwester besetzt sind. (Concordia, Zeitschr. d. Zentralstelle 
f. Volkswohlfahrt 1907, Nr. 11.) 

Samter (Charlottenburg), „Asyle, Heilstätten und Fürsorge¬ 
stellen für Tuberkulöse“, hält es für ausgeschlossen, daß alle gefähr¬ 
lichen Tuberkulösen in Asylen untergebracht werden können, befürwortet 
aber die Gründung von Krankenhäusern für die Schwindsüchtigen im letzten 
Stadium. (Med. Reform 1907, Nr. 35 u. 42.) 

Beschorner: „Die Stellung der Fürsorgestellen für Lungen¬ 
kranke im Kampfe gegen die Tuberkulose.“ (Münch, med. Wochenschr. 
1907, Nr. 38 39.) 

Pütter (Berlin): „Die Bekämpfung der Tuberkulose innerhalb 
der Stadt.“ Ein Beitrag zur Wohnungsfrage. Erfahrungen aus den 
Berliner Auskunfts- und FürsorgeBtellen für Lungenkranke. (Berlin, 
R. Schütz, 1907. 28. S. 0,60 JC.) 

„Die Auskunfts- und Fürsorgestellen für Lungenkranke“ in 
Berlin und Vororten (mit Ausnahme der eine selbständige Fürsorgestelle 


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Tuberkulose. Verhütung. 


107 


besitzenden Städte Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf) haben vom 
1. Oktober 1904 bis 1. Oktober 1906 folgende Arbeitsergebnisse: Es wurden 
25 285 Personen auf Lungentuberkulose untersucht, 13 334 Wohnungen 
Lungenkranker in bestmöglichen sanitären Zustand versetzt und ständig 
kontrolliert, 465 Betten geliefert, 3923 ofC\ Mietszuschüsse in Beträgen von 
5, 6, 7 bis 10 Jt aus unserer Kasse geleistet und 11805 <M für Unter¬ 
stützungen in dringenden Fällen verausgabt. (An letzteren beiden Summen 
ist die Armendirektion, die ihrerseits in vielen Fällen zu ausgiebiger Hilfe¬ 
leistung mit Erfolg veranlaßt wurde, nicht beteiligt.) 1168 erwachsene 
lungenkranke Personen, die von der Landesversicherungsanstalt als zu weit 
vorgeschritten abgewiesen und den Auskünfte- und Fürsorgestellen der Ver¬ 
einbarung gemäß zugesandt wurden, sind auf verschiedene Weise eingehen¬ 
den Beobachtungen bzw. der Weiterbehandlung durch ihre Ärzte oder in 
Krankenhäusern und Luftkurorten unterzogen und 534 als erheblich gebessert 
entlassen worden. 984 Kinder wurden in Kinderheilstätten, 1433 in Wald¬ 
erholungsstätten gebracht. 574 Personen mußte wegen sehr schwerer Er¬ 
krankung der Rat erteilt werden, sofort ein Krankenhaus aufzusuchen. 

In der städtischen Fürsorgestelle für Lungenkranke in Charlotten¬ 
burg sind vom 1. April 1906 bis zum 31. März 1907 im ganzen 1795 neue 
Fälle untersucht worden, 448 Männer, 654 Frauen, 693 Kinder. Von diesen 
Fällen wurden die meisten, nämlich 1046, durch Ärzte überwiesen, 83 durch 
die Armendirektion, 33 durch die Ortskrankenkassen, 24 durch die Landes¬ 
versicherungsanstalt, 160 durch andere Stellen und Private, 449 hatten sich 
«elbst gemeldet. (Zeitschr. f. Tuberk. 1908, Bd. XII, Heft 3.) 

Sie veking berichtet über die Tätigkeit der Fürsorgestellen in Hamburg. 
(Hamburger Ärzte-Korresp. 1907, 28. Juli.) 

Die städtische Fürsorgestelle für Lungenkranke zu Kiel hat für die 
Zeit vom 23. Oktober 1905 (Eröffnung) bis zum 31. März 1907 einen Tätig¬ 
keitsbericht erstattet, nach welchem im ganzen 983 Personen untersucht 
wurden; von diesen waren 362 tuberkulös. Die Fürsorgeschwester machte 
2292 Besuche. (Med. Reform 1907, Nr. 29.) 

Neue Fürsorgestellen sind errichtet in Lübeck (als Abteilung des 
Vaterländischen Frauenvereins), München, Nieder-Olm bei Mainz, Stuttgart, 
Würzburg, Zwickau. 

In Budapest errichtet der Sanatoriumverein für arme Lungenkranke 
eine Ordinationsanstalt, wo arme Kranke ärztlichen Rat, Medikamente und 
nötigenfalls auch Speisen erhalten. 

In Szombathely (KomitatVas) wurde das erste ungarische Dispensaire 
errichtet. (Budapester Brief der Deutschen med. Wochenschr. 1907, Nr. 11.) 

Holland. Über die Fürsorgestellen in den Niederlanden s. van Gor- 
kom. (ZeitBchr. f. Tuberk. 1907, Bd. X, Heft 5 u. 6.) 

Pratt berichtet über häusliche Behandlung armer Schwindsüchtiger. 
Etwa 25 Kranke, die aus irgend einem Grunde nicht in ein Sanatorium 
gehen können, unterstehen einem Arzte und einem Fürsorger („friendlyvisi- 
tor“). (Journ. of Amer. Assoc., No. 9.) 


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Infektionskrankheiten. 


Die Fürsorge für tuberkulöse und tuberkuloseverdächtige 
Kinder kommt in den folgenden Aufsätzen zu ihrem Recht: 

John McCaw, „On Tuberculosis in childhood and its relation 
to milk“, empfiehlt Anmeldung aller Geburten innerhalb 24 Stunden zur 
eventuellen Absonderung von tuberkulöser Umgebung usw., genaue Kontrolle 
der Milchverabfolgung, sowie des Milchviehs durch den Staat; ärztliche In¬ 
spektion der Schulkinder und Schuleinrichtungen; Wohnungsreforra und 
-hygiene; Anzeigepflicht der Tuberkulose. (Brit. med. Journ. 1907, Dec. 21.) 

Kelynack: „Fürsorge für tuberkulöse Kinder.“ (Brit. med. 
Journ., Nr. 2438.) 

„Ländliche Stationen für tuberkulosebedrohte Kinder“ und 
ihre Erfolge werden beschrieben in Bull. möd. 21, 75. (Ref. in Zeitschr. 
f. Tuberk. 1908, Bd. XII, Heft 3.) 

Wolff (Reiboldsgrün) berichtet über gute Erfahrungen, die mit dem 
Tuberkuloseunterricht in den Lehrerseminaren gemacht worden sind. (Zeitschr. 
f. Tuberk. 1907, Bd. X, Heft 5.) 

R. Guaita, Une question peu 6tudiee de l’hygiene prophylactique scolaire: 
„La tuberculose gangliopulmonaire dans les ecoles.“ Auch Kinder 
mit nachgewiesener Bronchialdrüsentuberkulose sollen aus der Schule ent¬ 
fernt werden. (La Revue intern, de la Tuberc. 11, 3. Ref. in Zeitschr. f. 
Tuberk. 1907, Bd. XI, Heft 3.) 

Berlin. Eine Adolf vom Rath-Stiftung zur Speisung Tuberkulöser 
und Tuberkuloseverdächtiger ist ins Leben getreten und übt ihre Tätigkeit 
im Anschluß an die Krankenküche und namentlich die Auskunfts- und Für¬ 
sorgestellen für Tuberkulöse aus. Es werden täglich unentgeltlich 125 Por¬ 
tionen mittels Speiseautomobils in die Wohnungen der Kranken gebracht. Um 
möglichst zahlreichen Tuberkulösen die Segnung der Stiftung zuteil werden 
zu lassen, ist die Bestimmung getroffen, daß jede Familie die Mahlseit 
durchschnittlich für die Dauer von sechs Wochen erhalten soll. Anträge 
um Bewilligung von Krankenkost sind an die Adolf vom Rath-Stiftung, 
Berlin C 2, Brüderstr. 10, zu richten. 

Zum Thema „Immunisierung“ seien hier die folgenden Arbeiten 
erwähnt und im übrigen auf den Abschnitt „Tiertuberkulose“ verwiesen: 

v. Behring (Marburg): „Tuberkulosebekämpfung.“ Bericht über 
die Erfahrungen mit Bovovaccin. (Therapie der Gegenwart 1907, Heft 4.) 

Eber (Leipzig) steht dem v. Behringschen Tuberkuloseschutzimpfungs¬ 
verfahren sehr skeptisch gegenüber und meint nach seinen Ergebnissen, daß 
es mit der v. Behringschen Tuberkuloseschutzimpfung nicht gelingen wird, 
die Ausbreitung der Tuberkulose in stark verseuchten Rinderbeständen wirk¬ 
sam zu bekämpfen. (Zentralbl. f. Bakteriol., I. Abt., Orig., Bd. 44, Heft 5 u. 6.) 

Johannes Orth und Lydia Rabinowitsch: „Zur Frage der 
Immunisierung gegen Tuberkulose.“ Eine Nachprüfung der. Fried¬ 
mann sehen Versuche, durch Behandlung mit Schildkrötentuberkelbazillen 
eine Immunisierung zu erreichen, führte zu absolut anderen Resultaten. 
Das Friedraannsche Verfahren ist imstande, einen zuverlässigen Immuni- 


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Tuberkulose. Verhütung. 109 

tätsschutz zu verleihen. (Tuberkulosestudien, Beiheft zu Virchows Archiv 
1907, Bd. 190.) 

Edwin Klebs, „Immunisation beiTuberkulose“,hält eine Immuni- 
sation durch Tuberculo-Socinum, einen aus entfetteten Tuberkelbazillen her¬ 
gestellten Immunkörper, für möglich. (Tuberkulosestudien, Beiheft zu Vir¬ 
chows Archiv 1907, Bd. 190.) 

Über Desinfektion bei Tuberkulose äußern sich unter anderen: 

Tomarkin: „Über die antibakterielle Wirkung einiger neuer 
Desinfektionsmittel“, speziell über ihre Einwirkung auf Tuberkelbazillen 
im tierischen Organismus. Es wurden geprüft: Dimethylpyrogallol, Pyro- 
gallolnatrium, Pyrogallolsulfatkalium, Pyrogallolsulfonatrium, Pyrogallol- 
sulfokalium, Pyrogallolamidoformiat, Pyrogallolcarbonat, Pyrogallolsalicylat, 
Thiocol, Styracol, Oresol, Guajacol. (Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. X, Heft 
3 und 4.) 

Behringwerk — Mitteilungen. Heft 2. Stuttgart und Leipzig, Deutsche 
Verlagsanstalt, 1907. 100 S. 3 Jtt. Es wird unter anderem das Sufonin 

besprochen, das als Desinfektionsmittel und speziell zur Abtötung der Perl- 
suchtbazillen in Kindermilch geeignet sein soll. (Ref. in Deutsche med. 
Wochenschr. 1907, Nr. 1.) 

Trautmann (Hamburg), „Wohnungsdesinfektion bei Tuberku¬ 
lose“, beschreibt die in Hamburg übliche Wohnungsdesinfektion, die im 
wesentlichen in Abreiben mit Karbol oder Kresolwasser und nachfolgender 
Formaldehydentwickelung besteht und in der Praxis, wie sich durch Kon- 
trolluntersuchungen herausgestellt hat, gute Erfolge ergeben hat. (Zeitschr. 
f. Tuberk. 1907, Bd. X, Heft 5.) 

Homann, „Staubgefahr als Ursache der Tuberkulose“, fordert 
für Öffentliche Lokale die Vakuumreinigung. (Journ. of Amer. Assoc. 1907, 
Nr. 12.) 

Trautmann (Hamburg), „Über Infektion von Büchern und 
Schriftwerken und ein aussichtsvolles Verfahren zu ihrer Des¬ 
infektion“, empfiehlt die Desinfektion mit unter Vakuum strömendem, ge¬ 
sättigtem, niedrig temperiertem Formaldehydwasserdampf. (Zeitschr. f. 
Tuberk. 1907, Bd. X, Heft 6.) 

Eine Flachsspinnerei und Bleiche im Regierungsbezirk Liegnitz, die 
eine besonders hohe Erkrankungsziffer an Tuberkulose aufwies, ist veranlaßt 
worden, Entstaubungen in der Karderie und den Hechelräumen einzuführen, 
und hat mit der Einrichtung bereits begonnen. (Aus den Berichten der 
Gewerbeinspektionen in Preußen. Ref. in Med. Reform 1907, Nr. 32.) 

Roussel: „Survivanoe des bacilles pathogönes dans le pain 
aprös cuisson.“ Tuberkelbazillen, die im Innern des Brotes mitgebacken 
waren, blieben virulent. Der Verfasser verlangt daher dringend die Ein¬ 
führung mechanischer Verfahren in der Teigbereitung. (Rev. de l’intend. 
Milit. II, 1907. Ref. in Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. XI, Heft 4.) 

Huhs (Heilstätte Stadtwald): „Experimentelle Beiträge zur Frage 
der Desinfektion von Eß- und Trinkgeschirr“, unter besonderer 


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Infektionskrankheiten. 


Berücksichtigung der von tuberkulösen Lungenkranken ausgehenden In¬ 
fektionsgefahr. Hubs empfiehlt, besonders für Lungenbeilanstalten, die 
allgemeine Einführung der Geschirrspülmaschine, bei der die Desinfektion 
des Geschirrs mit kochendem Wasser geschieht, da die anderen Methoden, 
auch die von v. Esmarch, nicht zuverlässig sind. (Zeitschr. f. Hygiene u. 
Infektionskr., Bd. 55, Heft 2.) 

Peters (Davos) beschreibt einen guten und zugleich billigen Sputum- 
Deeinfektionsapparat. (Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. XI, Heft 4.) 

Tobiesen berichtet über einen bequemen Sterilisator des tuberkulösen 
Auswurfs. (Ugeskr. for Lager 1907, Nr. 31. Ref. in Zeitschr. f. Tuberk. 
1908, Bd. XII, Heft 3.) 

Lissauer (Holsterhausen), „Versuche mit Thoms „Ptyophagon“, 
als Beitrag zur Sputumhygiene“, bezeichnet das Ptyophagon als unzu¬ 
reichend für Desinfektion, dagegen als zweckmäßig für Sputumauflösung und 
zur Erhöhung der Ausgießbarkeit. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 34.) 

Ein neuer, von einem geheilten Lungenkranken konstruierter Wand¬ 
spucknapf, der am Boden des Aufnahmegefäßes einen perforierten Steg 
zeigt und in einfacher Ausführung für etwa 7 Kronen zu haben ist, wird 
beschrieben in der Zeitschr. f. Tuberk. 1908, Bd. XII, Heft 3.) 

Knopf: „LeichenVerbrennung bei Tuberkulose und ähnlichen 
Infektionskrankheiten.“ Eine Umfrage bei Ärzten, Geistlichen usw. 
ergab im wesentlichen ein für die Verbrennung günstiges Resultat. (Journ. 
of Amer. Assoc. 1907, No. 4.) 

Zu dem Thema „Tuberkulose und Schwangerschaft“ siehe be¬ 
sonders die Arbeiten von Freudenthal und Kuttner in der Zeitschr. f. 
Tuberk. 1907, Bd. XI, Heft 5. 

Hei mann (Cbarlottenburg): „Das tuberkulöse Weib in der 
Schwangerschaft und der Arzt.“ Eine kritische Studie. (Med. Klin. 
1907, Nr. 19.) 

Schwartz: „Tuberkulose und Gravidität.“ (Med.Klin. 1907,Nr. 11.) 

Pradella: „Künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft 
wegen Tuberkulose.“ (Arch. f. Gynäk., Bd. 83, Heft 2.) 

P. J. de Bruine Ploos van Amstel, „Phthisis pulmonum und 
Abortus provocatus“, empfiehlt den Abortus besonders dringend für die 
initialen Fälle. (Brauers Beitr. z. Klin. d. Tuberk., Bd. 7, Heft 2.) 

Hermann und Hartl (Wien): „Schwangerschaft und Tuberku¬ 
lose.“ Beobachtungen an Meerschweinchen. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 56, 
Heft 2.) 

Heilbarkeit. 

Zusammenfassende Berichte über die Fortschritte auf dem Gebiete der 
Therapie der Tuberkulose geben unter anderen: Schröder (Schömberg) 
(Med. Klin. 1907, Nr. 28 u. 29), Schröder (Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. X, 
Heft 3) und Hilbert (Königsberg) (Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 50). 


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Tuberkulose. Heilbarkeit. 


111 


Mit der Behandlung der Kehlkopftuberkulose befassen sich speziell: 

Besold und Gidionsen: „Pathologie und Therapie der Kehl¬ 
kopftuberkulose.“ Mit Geleitwort von Moritz Schmidt. Berlin, 
G. Reimer, 1907. 

Ludwig Grünwald (München): „Die Therapie der Kehlkopf¬ 
tuberkulose“ mit besonderer Rücksicht auf den galvanokaustischen Tiefen¬ 
stich und äußere Eingriffe. München, J. F. Lehmann, 1907. 147 S. 5 oft. 

Jurasz (Heidelberg): „Die Behandlung der Larynxtuberkulose.“ 
(Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 27.) 

Unter den spezifischen Mitteln nehmen trotz mancher neuer Emp¬ 
fehlungen immer noch das Tuberkulin und seine Derivate die erste Stelle 
ein. Interessante Angaben über diesen Gegenstand brachte der Congres 
frang. de med. Paris, 14. bis 16. Oktober 1907. (Ref. in Bull. med. 21, 84.) 

Köhler (Werden a.d.Ruhr): „Tuberkulin und Organismus.“ Eine 
kritische und literarische Studie zur Wertung des Alttuberkulins in der 
Gegenwart nach biologischen und auf Grund der bisherigen Erfahrungen. 
Jena, Gustav Fischer. 100 S. 2,50 Jt. 

H. Lüdke (Würzburg): „Über die diagnostische und thera¬ 
peutische Verwertung des Alttuberkulins in der internen Praxis.“ 
("Würzburger Abhandl. a. d. Gesamtgeb. d. prakt. Med., Bd. VII, Heft 9. Würz¬ 
burg, A. Stüber, 1907. Sep.-Abdr. 25 S. 0,75 Jft.) 

Bauer (Wien): „Verhalten des Blutdrucks nach Tuberkulin¬ 
injektion.“ Das Alttuberkulin bewirkt keine wesentlichen Änderungen 
des Blutdrucks. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd. 62.) 

Karl von Ruck (Ascheville): „Erfahrungen mit Tuberkulin und 
mit anderen Produkten des Tuberkelbazillus in der Behandlung 
der Lungenschwindsucht.“ (Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. XI, Heft 6, 
und Med. Record, 7. September 1907.) 

Günstige Erfahrungen mit Tuberkulin teilen mit: 

Roemisch: „Dauererfolge m i t T u b e r k u 1 i n b e h a n d 1 u n g.“ 
(Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 3.) 

Hammer (Heidelberg), „Tuberkulinbehandlung der Lungen¬ 
tuberkulose“, teilt günstige Erfolge bei 50 ambulanten Kranken, darunter 
auch 10 teils vor, teils während der Behandlung gravid gewordenen Frauen 
mit. (Brauers Beiträge z. Klin. d. Tuberk., Bd. VII, Heft 2.) 

Ungünstig äußern sich unter anderen: 

Raw: „Human and bovine Tuberculosis with especial reference 
to treatment by special kinds of tuberculin.“ (Lancet, No.4357.) 

W. Meyer: „Behandlung der Lungenschwindsucht mit 
Tuberkulin Koch.“ (Med. Record 1907, No. 11.) 

Von Interesse ist die Arbeit von Lorenz: „Suggestive Tempe¬ 
ratursteigerungen bei Tuberkulösen.“ Von 90 noch nicht injizierten 
Patientinnen reagierten 17 mit Temperatursteigerungen von 0,4 bis 1,5°, 
von 200 mit Tuberkulin behandelten Patientinnen zeigten 39 Proz. sugge- 


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112 Infektionskrankheiten. 

stive Temperaturerscheinungen. (Brauers Beiträge z. Klin.d. Tuberk., Bd.V, 
Heft 2.) 

Neben der üblichen Art der Tuberkulinanwendung kommt die Dar¬ 
reichung per 08 , durch Suppositorien und per inhalationem 
mehr und mehr zur Geltung: 

Huhs (Melsungen): „Therapeutische Versuche mit stomachaler 
und inhalatorischer Darreichung von Alttuberkulin.“ Dosen 
von l / 20 bis 20 mg per os gegeben erzeugten weder Temperatursteigerung 
noch eine wesentliche lokale Änderung oder eine Änderung des Allgemein¬ 
zustandes. Bei der Inhalationsbehandlung mit dem gewöhnlichen Dampf¬ 
inhalationsapparat traten ziemlich plötzliche Reaktionen und einmal sogar 
Hämoptoe auf, so daß hierbei Vorsicht geboten erscheint. (Brauers Beiträge 
z. Klin. d. Tuberk., Bd. VII, Heft 1.) Siehe auch die Arbeit von Ruckmann: 
„Tuberkulin bei interner Applikation.“ (Med. Klinik 1907, Nr. 26.) 

Köhler (Holsterhausen), „Tuberkulin per os“, konnte eine deut¬ 
liche Einwirkung des per os gegebenen Alttuberkulins nicht feststellen. 
(Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. X, Heft 4.) 

Lissauer (Holsterhausen): „Tuberkulinsuppositorien.“ (Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 33.) 

Auch Gynäkologen und Ophthalmologen machen wie bisher 
häufig vom Tuberkulin zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken 
Gebrauch: 

R. Birnbaum (Göttingen): „Das Kochsche Tuberkulin in der 
Gynäkologie und Geburtshilfe.“ (Berlin, Julius Springer, 1907. 131 S. 
3 t AC. Siehe auch Zentralbl. f. Gynäk. 1907, Nr. 39.) 

Erdmann (Altona): „Erfolgreiche Behandlung von Tuberku¬ 
lose des Auges mit Tuberkulin.“ (Münch, med. Wochenschr. 1907, 
Nr. 14.) 

Bull: „Tuberkulin in der Augenheilkunde.“ (Journ. of Amer. 
Absoc. 1907, Nr. 5.) 

Über die Verwendung des Tuberkulins im Eindesalter berichten 
unter anderen: 

Engel (Düsseldorf): „Heilbarkeit der Tuberkulose und Ver¬ 
wendbarkeit des Tuberkulins im Eindesalter.“ Eine Heilung der 
Tuberkulose im Eindesalter ist möglich, jedoch nur unter der Voraussetzung, 
daß sie auf das Lymphgefäßsystem beschränkt geblieben ist. Inwieweit das 
Tuberkulin beim Einde zu Heilzwecken verwendet werden kann, muß erst 
festgestellt werden. (Brauers Beiträge z. Klin. d. Tuberk. 1907, Bd. VII, Heft 3, 
S. 215.) 

Raudnitz (Prag): „Erfahrungen mit Tuberkulin.“ Beschreibung 
der Art der Tuberkulinanwendung bei Kindern. (Prager med. Wochenschr. 
1907, Nr. 34.) 

Riviere: „Spezifische Behandlung der Kindertuberkulose.“ 
Durch die Bestimmung des opsonischen Index wird eine genaue Dosierung 
des Tuberkulins ermöglicht. (Brit. med. Journ., Nr. 2415.) 


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Tuberkulose. Heilbarkeit. 


113 


Über Tuberkulin berichten ferner: 

Holdbeim (Med. Klinik 1907, Nr. 60). 

Schröder (Brauers Beiträge z. Klin. d. Tuberk., Bd. VI, Heft 4). 

Meissen (Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. X, Heft 4). 

Pottenger (Journ. of Amer. Assoc. 1907, Nr. 19). 

WilkinBon (Brit. med. Journ., Nr. 2422). 

Breunsohn berichtet über gute Erfolge mit Perlsuchtvaccin. (Peters¬ 
burg. med. Wochenschr. 1907.) 

Krause (Hannover), „Über innerliche Anwendung von KochB 
Bazillenemulsion (Phtysoremid)“, gibt die Bazillenemulsion in Form 
keratinierter Gelatinekapseln in Begleitung eines öligen Vehikels. (Zeitschr. 
f. Tuberk. 1907, Bd. X, Heft 6.) 

H. W. Westerveld (Haarlem), „Über Tuberkulinbehandlung“, 
beschreibt fünf Fälle, die durch Denyssches Tuberkulin günstig beeinflußt 
wurden. (Med. Weekbl. 1907, Juni. Ref. in Zeitschr. f. Tuberk. 1908, Bd. XII, 
Heft 3 ) 

Mit Denys’ Tuberkulin erzielten ferner gute Resultate: A. de Groot 
(Sautpoort) und A. C. A. Hof fmann (Gonda). (Nederl. Tijdschr. v. Geneesk. 
1907, Heft 2. Ref. in Zeitschr. f. Tuberk. 1908, Bd. XII, Heft 3.) 

Über das Tuberkulin Beraneck fand auf dem Schweizerischen Ärzte¬ 
tag in Neuchätel (24. Mai 1907) eine längere Diskussion in Gegenwart von 
Beraneck statt, in der im allgemeinen das Mittel gerühmt wurde. (Ref. 
in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 26, Vereinsbeilage.) 

Klebs, „Über Entstehung und Behandlung der menschlichen 
Lungentuberkulose“, empfiehlt als kausale Behandlung die intestinale 
Zuführung von Tuberkulocidin und Selenin, welche schon im KindeB- 
alter zu beginnen hat. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 15.) Siehe 
auch die Diskussion zu dem gleichnamigen Vortrage von Klebs in der 
Sizung des Vereins f. inn. Med. am 4. März 1907. (Ref. in Deutsche med. 
Wochenschr. 1907, Nr. 15, Vereinsbeilage.) 

Reichhaltig ist die Literatur über das Antituberkuloseserum von 
Marmorek: 

Marmorek: „Tuberkelbazillus und Antituberkuloseserum.“ 
Vortrag, gehalten in der Berliner med. Gesellsch. 8. Mai 1907. (Berl. klin. 
Wochenschr. 1907, Nr. 20.) 

Elsaesser (Mannheim), „Über die Behandlung der Tuberkulose 
mit Marmorekserum und Neutuberkulin (Bazillenemulsion)“ nebst 
einigen Ausblicken in die Zukunft der Tuberkulosebekämpfung, gibt auf 
Grund von Heilversuchen an 25 Patienten mit Lungentuberkulose der Be¬ 
handlung mit Neutuberkulin den Vorzug. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, 
Nr. 51.) 

Bosanquet und French: „Spezifische Tuberkulosebehandlung 
und opsonischer Index.“ Behandlung mit Marmorekschem Serum ruft 
Steigerung des opsonischen Index hervor. (Brit. med. Journ., No. 2415.) 

Vierteljahreschrlft fOr öeaundheiUpflege, 1908. Supplement. g 


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114 


Infektionskrankheiten. 


Bock (Laibach): „Erfolglose Behandlung skrofulöser Augen¬ 
krankheiten mit Antituberkuloseserum Marmorek.“ (Wiener med. 
Wochenschr. 1907, Nr. 38.) 

Baer: „Heilerfolg und Giftwirkung bei Behandlung mit Mar- 
moreks Antituberkuloseserum.“ Beschreibung eines Falles. (Münch, 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 34.) 

Heymans und Daniels, „Behandlung der Tuberkulose mit 
Marmorekserum beobachteten bei rectaler Anwendung bei chirurgischer 
Tuberkulose gute Erfolge, während die Resultate bei Lungentuberkulose 
nicht sehr ermutigend waren. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 48 u. 49. 
Siehe auch die Arbeit derselben Verfasser in der NederL Tijdschr. v. Geneesk. 
1907, Heft 2, Nr. 13.) 

Scheuker, „Meine Beobachtungen in der Tuber ku loset her apie 
bei der Anwendung von Marmorekserum“, hält nach Erfahrungen an 
39 Patienten (per rectum) das Serum für das gegenwärtig beste Mittel bei 
Lungentuberkulose dritten Grades und für recht segensreich bei ersten und 
zweiten Stadien. (Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 43.) 

Pfeiffer und Trunk: „Über die Behandlung von Lungentuber¬ 
kulosen mit Marmoreks Antituberkuloseserum.“ Im Laufe eines 
Jahres wurden 27 Fälle von Lungentuberkulose mit Serum behandelt in der 
Weise, daß 20 Tage hindurch regelmäßig je 5 ccm rectal infundiert wurden. 
Die Ergebnisse waren bei den noch nicht zu vorgeschrittenen Fällen günstig. 
(Zeitschr. f. Tuberk. 1907, B<L XI, Heft 4.) 

Elsässer (Hannover), „Spezifische Behandlung der Tuberkulose 
durch passive Immunisierung“, tritt warm'für daB MarmorekBche 
Serum ein. (Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. XI, Heft 4.) 

Wohlberg, „Antituberkuloseserum Marmorek“, teilt günstige 
Erfahrungen mit. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 46.) 

Rubinstein, „Wirkung des Marmorekschen Antituberkulose¬ 
serums“, sah bei Lungentuberkulose keine günstigen Erfolge. (Russk. 
Wratsch 1907, Nr. 15. Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 25.) 

Roblot, „Sur le serum antituberculeuz“, hatte nur bei fieberlosen 
Fällen Erfolge. (La Revue intern, de la Tuberc. 11, I. Ref. in Zeitschr. f. 
Tuberk. 1907, Bd. XI, Heft 4.) 

Ch. Monod: „Sur le serum de Marmorek.“ (Acad. de Med„ 
15. Jan. 1907, Bull. Med. 21, 4.) 

Unter den neueren, noch wenig erprobten angeblich spezifischen Mitteln 
seien hier erwähnt die Filtrase, die Tulase und die Leberantitoxine: 

Haentjens, „Mittel gegen Tuberkulose“, hat mit gutem Erfolge 
die echten Tuberkulotoxine aus lebenden virulenten Tuberkelbazillenkulturen 
durch Dialyse gewonnen, als Filtrase F, f und FK bezeichnet, bei Tieren 
und beim Menschen angewendet. (Nederl. Tijdschr. v. Geneesk. 1907, Nr. 24, 
und Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. XI, Heft 4.) 

Collin (Berlin), „Erfahrungen mit den Behringschen Tuberku¬ 
losepräparaten bei der Behandlung tuberkulöser Augenerkran- 


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Tuberkulose. Heilbarkeit. 


115 


kungen“, empfiehlt die kombinierte Behandlung mitTul&se und Tulaselaktin. 
(Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 36.) 

Helbron (Berlin): „Tuberkulose des Auges.“ Beurteilung der 
Tuberkulin-, Tulase- und Serumbehandlung. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, 
Nr. 28.) 

Gärard und Lemoine (Lille): „Behandlung der Tuberkulose mit 
Paratoxin (Leberantitoxin).“ (Paris, VigotFröres, 1907. 64 S. 1,50 frcs.) 
Paratoxin ist ein aus Galle gewonnenes Mittel, das eine günstige Einwirkung 
auf den tuberkulösen Prozeß haben soll. Auch mit Cholestearin wurden 
Versuche angestellt. Ein abschließendes Urteil läßt sich zurzeit noch nicht 
geben. (Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1908, Nr. 3.) 

Hetol. Goldschmidt und Knobel (Reichenhall) berichten über 11 
mit Hetol behandelte, meist schwere Fälle, von denen 10 sehr günstig ver¬ 
laufen sind. (Brauers Beiträge z. Klin. d. Tuberk., Bd. VIII, Heft 2.) 

In der physikalischen Therapie der Tuberkulose steht die Strahlen¬ 
behandlung des Lupus immer noch an erster Stelle, für die nur ein paar 
Arbeiten hier zitiert seien: 

Van Allen: „Röntgenstrahlen bei der Behandlung des Lupus 
vulgaris.“ (Journ of Amer. Assoc. 1907, Nr. 5.) 

Tomkinson, „Lupusbehandlung“, hält die Röntgenbehandlung für 
besser als die Finsenbehandlung. (Brit. med. Journ., Nr. 2426.) 

Forchhammer, „Lichtbehandlung von Lupus in Nasen- und 
Mundhöhle“, berichtet über gute Erfolge. (Hospitalstid. 1907, Nr. 8. 
Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 12.) 

Axmann (Erfurt): „Lupusbehandlung mittels der Uviollampe.“ 
Beschreibung eines erfolgreich behandelten Falles. (Deutsche med. Wochenschr. 
1907, Nr. 30.) 

Auch der Wirkung der Sonnenstrahlen auf die allgemeine Tuberku¬ 
lose sei hier gedacht: 

Graff: „Sonnenstrahlen als Heil- und Vorbeugungsmittel 
gegen Tuberkulose.“ (Heidelberg 1907, Carl Winters Universitätsbuch¬ 
handlung. 34 S.) 

Liebe (Waldhof-Elgershausen): „Luft- und Sonnenbäder für 
Lungenkranke.“ (Zeitscbr. f. phys. u. diätet. Therapie, Bd.XI, Nr. 4.) 

Schatzky (Warschau) sprach auf dem II. internationalen Kongreß für 
physikalische Therapie in Rom (13. bis 16. Oktober 1907) über den kon¬ 
stanten Strom in der Behandlung der Tuberkulose. (Ref. in Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 46, Vereinsbeilage.) 

Mit der Stauungstherapie beschäftigen sich die folgenden Arbeiten: 

Deutschländer: „Hyperämiebehandlung der Knochen- und 
Gelenktuberkulose.“ (Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 15/16.) 

Baldassari: „Biersche Stauung bei Tuberkulose.“ Gute Er¬ 
folge bei chirurgischer Tuberkulose. (Riform med. 1907, Nr. 19.) 

Stolzenburg (Slawentzitz): „Kuhnsche Lungensaugmaske.“ 
(Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 16.) 

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116 


Infektionskrankheiten. 


Den Einfluß der Ernährung auf die Tuberkulose beleuchten 
unter anderem die Arbeiten: 

Lannelongue, Achard et Gaillard: „Influence des rägimes 
alimentaires sur la marche de la tuberculose experimentale.“ 
(Acad. des Sciences, 11. Nov. 1907. BulL med. 21, 88.) 

G. H. Krall: „The Administration of Proteids in Tuberculosis.“ 
(Med. Record, 21. September 1907.) 

Weigert (Breslau): „Einfluß der Ernährung auf die Tuberku¬ 
lose.“ (BerL klin. Wochenschr. 1907, Nr. 38.) 

Möller (Berlin): „ErnährungBkur Lungenkranker.“ (Therap. d. 
Gegenwart 1907, Heft 2.) 

Über d ie Verwendung von Pferdefleisch bei der Behandlung der 
Tuberkulose Bprach Bern heim auf dem Congres nationale de l’hippopb&gie 
am 30. Juni 1907. (Ref. in Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. XI, Heft 4.) 

Heilstätten. 

Je länger die Lungenheilstätten bestehen, desto heftiger entbrennt der 
Streit der Meinungen über die Erfolge derselben, namentlich auf sozialem 
Gebiete. Den Höhepunkt erreichte im Berichtsjahr dieser Kampf in einem 
Vortrag, den Grotjahn über die Krisis in der Lungenheilst&ttenbewegung 
in der Ges. f. soz. Med., Hygiene und Medizinalstatistik am 11. April 1907 
hielt, und der sich anschließenden Diskussion (Med. Reform 1907, Nr. 19, 
24, 25, 28). 

Nach der Ansicht von Grotjahn haben die Lungenheilstätten eine 
erhebliche Verminderung der Tuberkulose nicht zustandegebracht und werden 
dies auch in Zukunft schwerlich erreichen. Die rationellste Art der Tuber¬ 
kulosebekämpfung besteht in der Gründung von Heimstätten für vorge¬ 
schrittene Lungenkranke, in welchen diese nicht nur für die übrigen Menschen 
unschädlich gemacht werden, sondern auch nach dem Vorbild der Arbeiter¬ 
kolonien den ihnen verbliebenen Rest von Arbeitskraft nutzbringend ver¬ 
wenden. (Zeitschr. f. soziale Medizin 1907, Bd. IL) 

Über die Frage der Unterbringung von Lungenkranken berichtet ferner 
Bielefeldt: „Heilstätten oder Invalidenheime für Tuberkulöse?“ 
(Ebenda.) 

Kraus (Berlin), „Über die Bewertung der in den Volksheil¬ 
stätten erzielten Behandlungserfolge“, wendet sich gegen Cornet, der 
nach Ansicht des Verfassers die Erfolge der Heilstätten zu gering bewertet. 
(Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. X, Heft 5.) 

Croisant (Heidelberg), „Dauererfolge der Lungenheilstätte“, 
glaubt, daß weder ein Gewinn an Arbeitsfähigkeit noch an Lebensdauer 
durch die Kur für längere Zeit garantiert werden könne. (Münch, med. 
Wochenschr. 1907, Nr. 47). 

Rotschild (Soden) sprach in der 28. Versammlung der Baineologischen 
Gesellschaft in Berlin (7. bis 11. März 1907) über die Stellung der offenen 
Kurorte im Kampfe gegen die Tuberkulose und Fooke am 14. Januar 


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Tuberkulose. Heilstätten. 


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1907 im Verein der Ärzte Düsseldorfs über kassenärztliche Erfahrungen mit 
unseren Lungenheilstätten im Winter. (Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 
1907, Nr. 14 und 19.) 

In Darmstadt beabsichtigt die Landesversicherungsanstalt, tuberkulöse 
Kentenempfänger, die bisher für eine Heilstättenbehanlung ungeeignet waren, 
gegen Abtretung ihrer Rente in Sanatorien unterzubringen. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1907, Nr. 43.) 

Vom rechtlichen Standpunkt aus interessant ist eine Entscheidung des 
Bundesamtes für das Heimatwesen, desobersten Gerichtshofes in Armen¬ 
sachen. Danach ist es Pflicht der Armenbehörde, mittellosen Kranken die 
Kur in einer Lungenheilstätte zu gewähren. Diese Entscheidung wird den 
Bundesregierungen durch ein Rundschreiben des Reichskanzlers (Reichsamt 
des Innern) vom 10. Januar 1907 bekanntgegeben. (Veröffentl. d. Kaiser]. 
Gesundheitsamtes 1907, Heft 12.) 

Der Auswahl der Kranken und deren Beschäftigung in den Anstalten 
sind die folgenden Arbeiten gewidmet: 

Küss, Sanatorium Villemin (Angicourt): „Etüde statistique.“ (Monte- 
vrain 1907. 40. 53 p.) Die Volksheilstätten sind wichtig und berechtigt, aber 
nicht die entscheidende Hauptsache im Kampfe gegen die Tuberkulose. Der 
für eine Volksheilstätte geeignete („sanatoriable“) Lungenkranke muß folgende 
drei notwendige Merkmale bieten: 1. Die klinischen Zeichen der Neigung zu 
günstigem Verlauf, nicht zu ungünstigen Allgemeinzustand. 2. Mäßige Ver¬ 
änderungen in den Lungen, so daß die Wiedergewinnung der Berufsfähigkeit 
erreichbar erscheint. 3. Wirkliche Tuberkulose, die aber erst seit weniger 
als sechs Monaten hervorgetreten, also noch frisch ist. — Die gewöhnliche 
Dauer einer wirksamen Kur beträgt 1 bis 2 Jahre. (Ref. in Zeitschr. f. 
Tuberk. 1907, Bd. XI, Heft 4.) 

Tillmann (Volksheilstätte Osteras in Schweden), „Welche Fälle von 
Lungentuberkulose eignen sich für die Heilstättenbehandlung?“ 
empfiehlt die Einrichtung vor Voruntersuchungsstationen mit genügend langer 
Beobachtungszeit. (Zeitschr. f. d. ges. Therapie 1907, Heft 3.) 

van der Sman: „Sanatoriumbehandlung bei Tuberkulose.“ 
Kehlkopfkranke sollen nicht ausgeschlossen werden von der Sanatorium¬ 
behandlung. (Tijdschr. voor Geneesk. 1907, Nr. 19. Ref. in Deutsche med. 
Wochenschr. 1907, Nr. 22.) 

Scherer (Bromberg): „Auslese Lungenkranker für die Volks¬ 
heilstätten.“ (Med. Klinik 1907, Nr. 19 u. 22.) 

Wolff (Reiboldsgrün): „Über Krankenauswahl und Kurdauer in 
den Volksheilstätten.“ (Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. XI, Heft 3.) 

Leo Libermann schlägt für die Unterbringung der rekonvaleszenten 
Lungenkranken landwirtschaftliche Kolonien vor. (Budapester Brief i. d. 
Deutschen med. Wochenschr. 1907, Nr. 33.) 

B. H. Vos (Hellendoorn): „Arbeit als Hilfsmittel bei der Behand¬ 
lung der Lungentuberkulose.“ Die Dauer der täglichen Arbeit ist 
höchstens l l / 4 Stunde je morgens und abends, die Spaziergänge werden 
beibehalten. (Tuberkulosis 1907, Nr. 6.) 


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Infektionskrankheiten. 


Riy ers (Crossley-Sanatorium) spricht sich auf Grund der Erfahrungen 
von PriTatsanatorien gegen eine Beschäftigungstherapie in den Lungenheil¬ 
stätten aus. (Lancet, 6. IV. 1907.) 

Paterson: „Beschäftigung in Lungenheilstätten.“ (Lancet 
Nr. 4404.) 

Bandelier (Kottbus) beschreibt einen verbesserten sterilisierbaren 
Liegesack mit Schulterklappen und Pelerine für die Winterliegekur. (Zeitsch. 
f. Tuberk. 1907, Bd.X, Heft 5.) 

Euttner äußert sich über die Kosten der Heilstätten (Zeitschr. f. 
Tuberk. 1907, Bd.XI, Heft 6.) 

Den Einfluß des Klimas auf die Tuberkulose behandeln die folgenden 
Arbeiten: 

Kuhn, „Ist Südwestafrika zur Aufnahme Lungenkranker ge¬ 
eignet?“, bejaht diese Frage unter der Bedingung, daß vorher die Malaria 
ausgerottet wird. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 6.) 

Über die Frage der Ansiedelung leicht lungenkranker Arbeiter 
in Deutsch-Südwestafrika s. die Diskussion zu dem Vortrag von Katz 
(Verhandl. d. Ges. f. soziale Med., Hygiene u. Medizinalstatistik, Sitzung vom 
14. Februar 1907) und den Aufsatz von Wilke (Med. Reform 1907, Nr. 10.). 

H. Leyden: „Einiges über die Tuberkulose und ihre Bezie¬ 
hungen zum Seeverkehr.“ Im allgemeinen ist die Tuberkulose unter 
Seeleuten ziemlich verbreitet. Das deutsche Seewesen begegnet mit seinen 
Maßnahmen der Tuberkulosegefabr mit Erfolg. (Arch. f. Schiffs- u. 
Tropenhyg. 1907, Bd.XI; Ref. in Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd.XI, Heft 3.) 

Karl Diem: „Schwimmende Sanatorien.“ Eine klimatotherapeu¬ 
tische Studie. Unter technischer Mitarbeit von Ernst Kagerbauer. 
Leipzig und Wien, Deuticke, 1907. 

Ewart: „Tuberkulose und Seeklima.“ (Brit. med. Journ. Nr.2417.) 

Ladenze: „Seeklima und Tuberkulose.“ (Journ. de Bruxelles 
1907, Nr. 4.) 

Knopf: „Luft- und Sonnentherapie bei der Heimbehandlung 
der Tuberkulose.“ Entwickelung der Sanatorien in den Vereinigten 
Staaten. (Journ. of Amer. Assoc. 1907, Nr. 3.) 

Heim (Bonn): „Klimatische Behandlung der Tuberkulose in 
Ägypten.“ (Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 38.) 

Paquin: „Klima und Outdoor Life“ bei der Behandlung der Tuber¬ 
kulose. (Journ. of Amer. Assoc. 1907, Nr. 11.) 

Eine Konferenz der Heilstätten- und Fürsorgeärzte fand am 
21.Juni in ReiboldBgrün und eine Zusammenkunft der Chefärzte süd¬ 
deutscher Lungenheilanstalten vom 7. bis 9. September in Baden-Baden 
statt. (Med. Reform 1907, Nr. 43 u. 45.) 

Hofrat Dr. Wolf f (Reiboldsgrün) wurde zum Vorsitzenden des sächsischen 
Heilstättenvereins gewählt. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 36.) 

Über die zurzeit bestehenden Heilstätten einschließlich einiger im 
Bau befindlichen Sanatorien geben die folgenden Publikationen Aufschluß: 


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Tuberkulose. Heilstätten. 


119 


In Deutschland bestehen zurzeit nach dem Geschäftsbericht des 
Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose, erstattet vom 
Generalsekretär Dr. Nietn er, 87 Volksheilstätten mit 8422 und 35 Privat¬ 
heilstätten mit 2118 Betten, eine Anzahl, welche die Gesamtheit aller in ganz 
Europa bestehenden Volksheilstätten übertrifft. Im Bau sind 11 Volksheil- 
st&tten mit 800 Betten. Von Heilstätten für Kinder mit ausgesprochener 
Tuberkulose bestehen 17 Anstalten mit 650 Betten und für skrofulöse Kinder 
67 Anstalten mit 6092 Betten. Ferner existieren 117 Auskünfte- und Für¬ 
sorgestellen, 10 besondere Pflegeheime, 67 Walderholungsstätten und 
2 ländliche Kolonien. (Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 31.) 

Berlin. Im Jahre 1906/07 sind auf Kosten der Landesversicherungs¬ 
anstalt 4950 Personen in geschlossenen Anstalten verpflegt und behandelt 
worden, darunter 1492 Männer in den Lungenheilstätten in Beelitz und am 
Grabowsee, 756 lungenkranke Frauen in Vogelsang und in Beelitz. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 46.) 

Pach: „Die Lungenheilstättenbewegung in Ungarn.“ Zwei 
Heilstätten sind in Ungarn im Betrieb, eine in Budapest und eine im Lugoser 
Walde. (Med. Reform 1907, Nr. 52.) 

Schweden. Die im Jahre 1905 eingesetzte Tuberkulosekommission 
hat der Regierung ihren Bericht überreicht. Es sollen nach und nach 
4600 Sanatorien zu den Gesamtkosten von 10810000Kr. errichtet werden. 
Die Verpflegung der Tuberkulosekranken sollen die Kommunen übernehmen, 
die zu diesem Zwecke beim Staate dreiprozentige Anleihen aufnehmen können. 
Der Bericht schlägt vor, daß der Reichstag hierfür einen Anleihefonds von 
5405000 Kr. bewillige. 

Holland. Eine ausführliche Beschreibung der in den Niederlanden 
vorhandenen Heilstätten gibt van Gorkom (Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd.X, 
Heft 5 u. 6.). 

Berlin. Eine neue Tuberkuloseheilstätte ist in der Charite eröffnet 
worden. Sie umfaßt zwei Baracken mit 32 Betten, 19 für Männer und 13 
für Frauen. Behandelt werden nur Eiranke, deren Leiden sich mehr im 
Anfangsstadium befindet. Die neue Heilstätte wird von Stabsarzt Dr. Kuhn 
geleitet. 

Die von der Ortskrankenkasse für den Gewerbebetrieb der Kaufleute zu 
Berlin in Müllrose bei Frankfurt a. 0. errichtete Lungenheilstätte wurde 
am 20. Oktober eingeweiht. (Med. Reform 1907, Nr. 43.) 

In Beelitz ist der große Erweiterungsbau der Arbeiterheilstätte der 
Landesversicherungsanstalt Berlin fertiggestellt. Die Neubauten schaffen 
rund 600 neue Betten für Lungenkranke. Insgesamt beträgt die Bettenzahl 
der Arbeiterheilstätte nunmehr 1200. 

Der Schöneberger Verein zur Bekämpfung der Tuberkulose eröffnet 
eine Lungenheilstätte für Frauen; für Kinder soll eine besondere an der 
Nordsee errichtet werden. 

In Hohenlychen ist die Kinderheilstätte (Cäcilienheim) für knochen- 
und gelenkkranke Kinder am 15. September 1907 eingeweiht worden. 


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Infektionskrankheiten. 


In Strausberg i. N. ist die städtische Lungenheilstätte eröffnet. 

In Kottbus wird ein Genesungsheim fQr Lungenkranke errichtet. 

Allenstein. Die neue Lungenheilstätte für weibliche Personen im 
Allensteiner Stadtwalde ist am 30. Oktober 1907 ihrer Bestimmung übergeben 
worden. 

In Ealmbach ist die Lungenheilstätte Cbarlottenhöhe am 25. Mai ein¬ 
geweiht worden. (Deutsche med. Wochenschr. 1907.) 

Die in Graudenz vom Vaterländischen Frauenverein gegründete Station 
zur Behandlung von Lungenkranken hat sich so entwickelt, daß am 1. April 
1907 ein Lupusheim für zunächst 6 bis 10 Kranke eröffnet werden soll. 
(Med. Reform 1907, Nr. 11.) 

In Hannover ist das neue Tnberkuloseheim des Vereins für bedürftige 
Lungenkranke, genannt „Heidehaus“, eröffnet worden. Es enthält drei 
Pavillons für Männer (insgesamt 60 Betten), drei Pavillons für Frauen (ins¬ 
gesamt 42 Betten). Im Bau befindlich ist ein Pavillon für lungenkranke 
weibliche Fürsorgezöglinge (20 Betten). (Zeitschr. f. Tuberk. 1908, Bd. XII, 
Heft 1.) 

Der Sächsische Volksheilstättenverein wird im Herbst 1907 in 
seiner Heilstätte Carolagrün eine Abteilung für Kinder einrichten und 
plant die spätere Einrichtung einer größeren Heilstätte. (Med. Reform 1907, 
Nr. 27.) 

Dem Verein zur Bekämpfung der Tuberkulose in Heidelberg wurde 
die Summe von 3000 Jt geschenkt als Grundstock zur Ansammlung eines 
Kapitals, mit dessen Zinsen lungenleidenden Frauen und Mädchen vorerst 
Land- und Waldaufenthalt ermöglicht werden soll. (Med. Reform 1907, Nr. 25.) 

Die Lungenheilstätte Friedrich-Hilde- Genesungsheim bei Oberweiler, 
die von der Arbeiterpensionskasse der Badischen Staatseisenbahnen und Sa¬ 
linen errichtet worden ist und Raum für 81 Kranke hat, wurde Anfang 
Dezember dem Betriebe übergeben. (Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. XI, Heft 6.) 

Bei Bischofsgrün in Oberfranken fand 30. Oktober die Eröffnung 
einer durch private Wohltätigkeit geschaffenen Heilstätte für Lungenkranke 
statt. (Med. Reform 1907, Nr. 51.) 

In Sofia hat der Fürst Ferdinand zur Errichtung einer Lungenheil¬ 
stätte eine namhafte Summe gestiftet. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, 
Nr. 36.) 

Von Berichten und statistischen Erhebungen aus bereits be¬ 
kannten Anstalten seien hier die folgenden genannt: 

Nagel (Kottbus), Tausend Heilstättenfälle. Kombinierte Anstalt9- und 
Tuberkulinbehandlung in der Heilstätte Kottbus. Von der mit Tuberkulin 
(meistens Bazillenemulsion) Behandelten verloren 50 Proz., von den anderen 
20 Proz. die Tuberkelbazillen aus dem Auswurf. (Brauers Beitr. z. Klin. d. 
Tuberk., Bd. V, Heft 4.) 

Bowditsch, Serie von 160 zum Stillstand gebrachten („arrested“) 
Tuberkulosefällen aus dem Sharton- Sanatorium 1891 bis 1906. Von den 


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TiertuberkuloBe. 


121 


bis 1902 entlassenen Fällen sind am Leben lind scheinbar gesund 72,5 Proz., 
unbekannt 2,5 Proz., gestorben 25 Proz.; von den nach April 1902 entlassenen 
95 Proz., 3,7 Proz., 1,4 Proz., im ganzen 83 Proz., 3 Proz., 13 Proz. (Journ. 
of Amer. Assoc. 1907, Nr. 24.) 

Lee Barnes, „Lungentuberkulose,“ berichtet über 165 Fälle von 
Sanatoriumbehandlung. (Journ. of Amer. Assoc. 1907, Nr. 7.) 

Bardswell: „Erfolge der Heilstättenbehandlung der Tuber¬ 
kulose.“ Statistik über 277 Fälle im Verlaufe von 6 Jahren. (Lancet, 
Nr. 4364.) 

Scherer, II. Jahresbericht der Kronprinzessin Cäcilie-Heilstätte bei Brom¬ 
berg 1907, und 

VII. Jahresbericht des Posener Provinzialvereins zur Bekämpfung der 
Tuberkulose als Volkskrankheit. Posen 1907. 

VIII. Jahresbericht des Berlin-Brandenburger Heilstättenvereins für 
Lungenkranke s. Med. Reform 1907, Nr. 51. 

Curschmann: „VII. Jahresbericht der Heilstätte Friedrichs¬ 
heim über das Jahr 1906.“ (Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. XI, Heft6.) 

I. Jahresbericht von Dr. Rumpfs Sanatorium Ebersteinburg bei Baden- 
Baden. (Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd. XII, Heft 2.) 

Lang (Wien): „Mitteilungen aus der Wiener Heilstätte für 
Lupuskranke.“ 1. Folge. Wien, Joseph Safär, 1907. 102 S. 3 Jt. 

XV. Jahresbericht des Vereins Heilanstalt Alland für das Jahr 1906. 
Wien 1907. 

Nordländer: „Private Schwindsuchtssanatorienpflege.“ Bericht 
über das Sanatorium der Ljusne-Voxna-Gesellschaft. (Hygiea 1907, Nr. 2.) 

Morin, Bericht über die Sanatorien von Leysin vom l.Mai 1906 bis 
30. April 1907. (Therapeut. Monatsh. 1907, Nr. 12.) 

Tiertuberkulose. 

Schottelius: „Über Tuberkulose bei Kälbern.“ (Festschrift für 
v. Rindfleisch; herausgegeben von Max Borst. Leipzig, Engelmann, 1907. 

Ostertag (Berlin): „Die Milchwirtschaft und die Bekämpfung 
der Hindertuberkulose.“ Vortrag, gehalten in der Eröffnungssitzung 
des III. Internationalen milchwirtschaftl. Kongresses im Haag 1907. Berlin, 
R. Schoetz, 1907. 12 S. 0,80 

Die TuberkuloBo ist unter den Rindern sehr verbreitet; es waren von 
den im Jahre 1904 in Deutschland geschlachteten Ochsen 18,3 und von 
Kühen 25,3 Proz. mit Tuberkulose behaftet. Bei Tuberkulinprüfung sind 
diese Zahlen noch weit höher. Zur Bekämpfung der Rindertuberkulose sind 
zurzeit drei Verfahren in Anwendung: das nach Bang, das nach Ostertag 
und die von v. Behring begründete Schutzimpfung mit Bovovaccine. Die 
Impfung nach v. Behring verleiht nur kurze Zeit erhöhte Widerstandskraft 
und ist nicht imstande, allein die Riudertuberkulose in stark verseuchten 
Beständen zu tilgen. (Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1908, Nr. 17.) 

Hutyra (Budapest): „Zur Frage der Schutzimpfung von Rindern 
gegen Tuberkulose.“ Die im Laufe von 4 Jahren Beit der Anwendung 


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122 


Infektionskrankheiten. 


der von v. Behring zur Immunisierung von Rindern für die Praxis empfoh¬ 
lenen Schutzimpfung gewonnenen experimentellen Erfahrungen berechtigen 
wohl zu der Schlußfolgerung, daß: 

1. durch eine zweimalige intravenöse Einverleibung menschlicher Tuber¬ 
kelbazillen die Widerstandsfähigkeit der Rinder gegenüber einer späteren 
künstlichen Infektion unmittelbar in bedeutendem Maße erhöht wird, daß aber 

2. die künstliche erhöhte Resistenz von nicht langer Dauer ist, sondern 
bereits gegen das Ende des ersten Jahres nach der Schutzimpfung erheblich 
abnimmt und nach einem weiteren halben Jahr vollends erloschen sein kann. 

Da die einmalige subkutane Injektion humaner Tuberkelbazillen in ihrer 
Schutzwirkung der zweimaligen intravenösen Impfung gleichzustellen ist, 
dürften die obigen Folgerungen auch für diese Methode zutreffen. Daß eine 
einmalige intravenöse Schutzimpfung eine dauernde Immunität erzeugt, ist 
nicht erwiesen, theoretische Erwägungen sprechen im Gegenteil dafür, daß 
die Schutzwirkung dieser Impfmethode hinter der an erster Stelle erwähnten 
zurücksteht. (Zeitschr. f. Tiermed. 1907, Bd. XI und Zeitschr. f. Tuberk. 
1907, Bd. XI, Heft 2.) 

Weber und Titze: „Die Immunisierung der Rinder gegen Tuber¬ 
kulose." I. Mitteilung. 

Die Untersuchungen zerfallen in folgende Gruppen: 

I. Versuche, Rinder durch Vorbehandlung mit frisch gezüchteten leben¬ 
den Kulturen von Bazillen des Typus humanes zu immunisieren. H. Ver¬ 
suche mit Kaltblütertuberkelbazillen nnd anderen säurefesten Stäbchen. 
III. Versuche mit abgetöteten Tuberkelbazillen. IV. Versuche mit dem von 
Behring sehen Impfstoff, dem Bovovaccin. V. Versuche mit dem Koch- 
Schütz sehen Impfstoff, dem Tauruman. (Noch nicht beendet.) 

I. Die erhöhte Widerstandskraft, die man Rindern durch Vorbehandlung 
mit lebenden menschlichen Tuberkelbazillen verleihen kann, ist nur eine 
vorübergehende nnd dürfte in der Regel die Dauer von 2 Jahren nicht über¬ 
schreiten. 

II. Durch wiederholte intravenöse Impfung mit großen Mengen von 
Kaltblütertuberkelbazillen und säurefesten Grasbazillen kann man unter 
Umständen die Widerstandskraft eines Rindes gegen eine künstliche Infektion 
mit Perlsuchtbazillen in geringem Grade erhöhen. Das Verfahren ist jedoch 
ein so unsicheres und der Grad der, wenn überhaupt erzielten, erhöhten 
Widerstandskraft ein so geringer, daß es für die Anwendung in der Praxis 
nicht in Frage kommen dürfte. 

III. Die durch zwei- bzw. dreimalige Einspritzung abgetöteter Tuberkel¬ 
bazillen vorbehandelten Tiere erlangten zum größten Teil eine gewisse 
Widerstandskraft gegen Perlsuchtkultur; bei der Schlachtung jedoch, die 
durchschnittlich nach 4 Monaten vorgenommen wurde, fand sich bei allen 
eine allgemeine Tuberkulose. 

IV. Das Ergebnis der Prüfung der mit Bovovaccine vorbehandelten 
Rinder auf ihre Immunität gegen Tuberkulose kann nicht als befriedigend 
bezeichnet werden. Das von Behring für die Praxis empfohlene Immuni¬ 
sierungsverfahren verleiht den Rindern bei weitem nicht den Grad von 
Immunität, den man ihnen durch Vorbehandlung mit lebenden menschlichen 


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Tiertuberkulose. 


123 


Tuberkelbazillen verleiben kann. (Tuberkulosearbeiten &. d. Kaiserl. Gesund¬ 
heitsamt 1907, Heft 7.) 

Calmette und Guerin: „Impfung von Rindern gegen Tuberkulose 
durch Fütterung.“ Einmalige Infektion wird überstanden und verleiht 
sogar Immunität, mehrmalige Verfütterung führt dagegen zu schweren tuber¬ 
kulösen Veränderungen. (Annal. d. l’Inst. Pasteur 1907, Nr. 7. Ref. in 
Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 38.) 

Moussu et Monvoisin: „Sur les variations de composition 
chimique du lait chez les vaches tuberculeuses avec ou saus 
lesions mammaires.“ Die Milch tuberkulöser Kühe weist bestimmte Ver¬ 
änderungen ihres chemischen und physikalischen Verhaltens auf, die am 
meisten ausgesprochen sind bei den Tieren mit Eutertuberkulose. (Soc. de 
biol. 20. IV; Bull. med. 21, 60.) 

P. Löger: „Rapports qui existent entre la tuberculose de 
l’homme et celle des carnivores domestiqnes.“ In einer Familie 
wurden im Laufe weniger Jahre 3 Fälle von Tuberkulose mit gutartigem 
Verlauf und eine zum Tode führende Tuberkulose des Haushundes beobachtet. 
(Bull. m6d. 21. 73.) 

Haentjens, Relative Immunität der Hunde gegen Tuberkuloseinfektion. 
(Tijdschr. voor Geneesk. 1907, Nr. 7.) 

Kraus und Grosz (Wien), Experimentelle Hauttuberkulose bei Affen, 
konnten sowohl durch menschliche Tuberkulose- wie durch Perlsuchtbazillen 
bei Affen Hauterkrankungen hervorrufen, die bei Verwendung der erstge¬ 
nannten Bazillen mehr auf die Impfstellen beschränkt blieben, während die 
Perlsuchtbazillen Infiltrationen mit geschwürigem Zerfall und tödlichem Aus¬ 
gang erzeugten. (Wien. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 26.) 

Romanelli studierte die Veränderungen des Blutes bei Kaninchen 
und Meerschweinchen, die mit . lebenden Tuberkelbazillen in verschiedener 
Konzentration infiziert worden waren. (Gazz. d’Osp. 1907, Nr. 6. Ref. in 
Zeitschr. f. Tuberk. 1907, Bd.XI, Heft 3.) 

Titze: „Fütterungsversuche mit Hühnertuberkelbazillen an 
vier Schweinen und einem Fohlen.“ Trotz der Verfütterung ungeheurer 
Mengen von Hühnertuberkelbazillen ist es bei den vier Versuchsschweinen 
in keinem Falle gelungen, eine fortschreitende Tuberkulose zu erzeugen. Es 
entstanden lediglich Veränderungen geringen Umfangs in den Mesenterial- 
und PortaldrüBen ohne progressive Tendenz. Auch der Versuch am Fohlen 
hatte ein negatives Resultat. (Tuberkulosearbeiten a. d. Kaiserl. Gesundheits¬ 
amt, 1907, Heft 6.) 

0. Bang: „Säugetier-und Geflügeltuberkelbazillen.“ (Zentralbl. 
f. Bakteriol., Bd. 43, Heft 1.) 

Shattock, Seligmann, Dudgeon und Panton: „Menschen- und 
Vogeltuberkulose.“ Der Bazillus der Menschen- und Vogeltuberkulose 
ist nicht identisch, aber der Typus humanus ist bis zu einem gewissen Grade 
pathogen für Tauben, und der von Vögeln stammende Tuberkelbazillus ist 
schwach pathogen für Meerschweinchen. (Lancet, Nr. 4395.) 


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Infektionskrankheiten. 


Max Koch und Lydia Rabinowitsch: „Die Tuberkulose der 
Vögel und ihre Beziehungen zur Säugetiertuberkulose.“ Von 549 
innerhalb dreier Jahre sezierten Vögeln des Berliner Zoologischen Gartens 
waren 118 = 25 Proz. tuberkulös. Die Erkrankung ist im wesentlichen eine 
Fütterungstuberkulose. Bis auf drei Fälle, in denen Bazillen mit dem Charakter 
menschlicher Tuberkelbazillen gefunden wurden, handelte es sich bei den 
isolierten Kulturen um Vogeltuberkulosebazillen. (Tuberkulosestudien, Bei¬ 
heft zu Virchows Archiv 1907, Bd. 190.) 

Vincenzi: „Pseudotuberkulose bei Fröschen.“ Die Bazillen der 
Pseudotuberknlose können im Kaltblaterorganismus dieselben charakteri¬ 
stischen Veränderungen wie beim Warmblüter hervorrufen. (ZentralbL f. 
Bakt., Bd. 44, Heft 5.) W. Rosenstein. 


Typhus und Paratyphus. 

F.Loeffler hat die von ihm angegebenen Malachitgrünnährböden 
(siehe diesen Jahresber. f. 1906, S. 163/164) noch in mannigfacherWeise ver¬ 
bessert. An Stelle des vorher von ihm benutzten „Malachitgrün 120“, das 
mit Dextrin verunreinigt ist, verwendet er jetzt Malachitgrün cryst. 
ehern, rein (Höchst), dessen Vorzug in einer weit stärker entwickelungs¬ 
hemmenden Wirkung (etwa 7 mal) und erheblich stärkeren Färbekraft gegen¬ 
über dem früheren Präparat besteht. 

Auch das Substrat seines Nährbodens: den Bouillonnutroseagar, hat 
Loeffler durch Zusatz von Rindergalle verstärkt. Die Bereitung des 
modifizierten Löfflerschen Nährbodens gestaltet sich wie folgt: 5 Later 
Bouillon (1 Pfund Rind- oder Pferdefleisch mit 2 Liter Wasser übergossen) 
werden mit 150 g feinsten Stangenagars eine halbe Stunde gekocht (bei 
schlechter Löslichkeit des Agars füge man 35 ccm Normalsalzsäure hinzu, 
die dann nach erfolgter Auflösung durch die gleiche Menge von Normal¬ 
kalilauge wieder neutralisiert werden). Die Neutralisation des Nährbodens 
geschieht für den Lackmusneutralpunkt, und zwar mit Natriumkarbonat. Nach 
der Neutralisation wird das Ganze durch Zusatz von 25 ccm einer Normal¬ 
sodalösung schwach alkalisiert und nunmehr aufgekocht. Zu der kochend 
heißen Masse werden 500 ccm einer 10 proz. wässerigen N utroselösung hinzu¬ 
gefügt. Dann wird nochmals aufgekocht, die heiße Lösung in Halbliter¬ 
flaschen abgefüllt und an zwei aufeinanderfolgenden Tagen im D&mpftopf 
sterilisiert. Von dem sich bildenden Niederschlag wird der klare, darüber 
stehende Agar alsdann abgegossen. Vor dem Gebrauch erfolgt dann der 
Zusatz von 3 Proz. Rindergalle und 1,9 Proz. einer 0,2 proz. Malachitgrün 
cryst. ehern, rein-Lösung. 

Als Typhuslösung I bezeichnet Loeffler wegen der charakteristischen 
Veränderung durch Typhusbazillen seine bisherige „Grünlösung I“ (bekannt¬ 
lich aus Nutrose, Pepton, Milchzucker, Traubenzucker, Normalkalilauge und 
Malachitgrün zusammengesetzt). Typhusbazillen bringen sie im ganzen zur 
Erstarrung; darüber und daneben steht die grüne Flüssigkeit klar ab, wo¬ 
gegen B. coli und die Fleischvergifter die ebenfalls ausgefällte lind ge¬ 
ronnene Nutrose durch Gasentwickelung zerreißen und die Wände des Glases 
mit einem schmutzig grünen Belag bedecken. Die Typhuslösuug II (ohne 


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125 


Typhus und Paratypbus. 

Milchzucker und Alkali) ist trübe und grün. Typhusbazillen machen sie klar 
und blau und erzeugen einen körnigen blauen Bodensatz. Durch Para¬ 
typhusbazillen, B. coli und die Fleischvergifter wird grüner Schaum erzeugt. 

Die bisherige „Grünlösung 11“ heißt jetzt Paratyphuslösung, weil 
sie B. Para typhi (und die Fleischvergiftungsbazillen) in der Farbe verändert, 
indem das helle Grün in eine blaßgelbe Farbe umschlägt. Von Typhus¬ 
bazillen wird die Lösung nicht verändert, von B. coli vergärt. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1907, S. 1581.) 

G. Neumann hat den Typhusnachweis mit den von Loeffler sowie 
Lentz und Tietz angegebenen Malachitgrünnäbrböden nachgeprüft, mit 
nicht besonderem Erfolge. (Arcb. f. Hygiene, Bd. 60, S. 1.) 

F. Vial hat Untersuchungen angestellt über die Verwendbarkeit chemisch 
reiner Malachitgrünpräparate als Nährbodenzusatz bei der Untersuchung 
von Typhusstühlen. Bei Benutzung des Oxalats (nach Leuchs) keimten 
35 Proz. der ausgesäten Typhusbazillen zu typischen Kolonien aus. Ver¬ 
dünnungen von 1 : 40 000 (bei Loeffieragar) bzw. 1: 70 000 (bei Nowack- 
agar) erwiesen sich am zweckmäßigsten. Der betreffende Stuhl wird vor 
der Verarbeitung erst mit der fünf- bis zehnfachen Menge Wasser verdünnt 
und davon 0,2 bis 0,3 und 0,05 bis 0,1 ccm auf zwei Malachitgrünplatten 
ausgebreitet, daneben mit demselben Spatel auch Endo- und Drigalskiplatten 
bestrichen. Die Agglutinabilität ist angeblich gut erhalten. (Hygien. Rund¬ 
schau, S. 707.) 

C. Lubenau hat durch eine größere Zahl von Versuchen mit künst¬ 
lichen Typhusstühlen den Wert des Coffein Verfahrens von neuem dar¬ 
gelegt. Als Anreicberungsflüssigkeit benutzte er eine 3prom. Coffeinlösung, 
die er nach 13 Stunden erneuerte. Selbst bei einem Verhältnis von Typhus 
und Coli 1:500000 bis 1:100 000 gelang dann noch der Nachweis. Als 
Plattennachkultur diente ein Lackmusmolkenagar, der. mit Rindfleischwasser 
hergestellt, 2 bis 3 Proz. Agar, 3 Proz. Pepton, 1 Proz. Na.CI, 50 Proz. 
Lackmusmolke und 3 Prom. Coffein enthielt (Lösen im Salzbad, Neutralisieren 
auf Lackmus, Aufkochen, Filtrieren, Sterilisieren). Dieser Agar bewährte 
sich angeblich besser als der Drigalskische, der Endoagar oder die ver¬ 
schiedenen Malachitgrünagarsorten. 

Zum Schluß der Arbeit gibt Verfasser eine kurze, klare Zusammen¬ 
fassung seiner Methode. (Arch. f. Hygiene, Bd. 61, S. 232.) 

Lubenau gibt in einer weiteren Veröffentlichung eine genaue Vorschrift 
des von ihm etwas modifizierten Coffeinanreicherungsverfahrens zur 
Untersuchung von Typhusstühlen und -wässern. (Hygien. Rundschau 1907, 
S. 1023.) 

E. Lewy und W. Gaethgens haben es unternommen, mit einer 
Malachitgrünbouillou Typhusbazillen aus Bakteriengemischen zur Anreiche¬ 
rung zu bringen. Nach ihren Versuchen wird eine solche am meisten be¬ 
einträchtigt durch die schädigenden Stoffwechselprodukte der anderen Bakterien 
und die Wirkung bakterizider Kräfte des Stuhles, während das bloße Über¬ 
wuchern durch die Begleitbakterien leichter zu verhindern ist. (Arb. a. d. 
Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 25, S. 240.) 


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126 


Infektionskrankheiten. 


J. Leucha hat Untersuchungen angestellt über die elektive Züchtung 
des Typhusbazillus. Dazu benutzte er, aber ohne Erfolg, die verschiedensten 
Mittel, wie Hefe und Bakterienstoffwechselprodukte, oxydierende und redu¬ 
zierende Substanzen, Fluorsalze, Anilinfarbstoffe, sowie Kombinationen der 
letzteren mit glyzerinphosphorsauren Salzen. Nur mit dem glyzerinphoBphor- 
saurem Natrium in 50 proz. Lösung zeigte sich bei 10 Proz. Zusatz zum 
Nährboden eine Wachstumsförderung der Typhusbazillen. Im Bedarfsfälle 
kann es also als Ersatz für Galle oder Gallensalze bei Blutkulturen heran¬ 
gezogen werden. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 56, S. 462.) 

N. N. Paus veröffentlicht seine Versuche mit Nährböden, denen er ver¬ 
schiedene organische Säuren zugesetzt hatte, um das Wachstum von Typhus- 
und Colibazillen zu differenzieren. Er hat 25 verschiedene Säuren (von 
anorganischen Phosphor-, Salpeter- und Salzsäure, von organischen verschiedene 
Buttersäuren, Ameisen-, Milch-, Bernsteinsäure usw.) untersucht. Allen gegen¬ 
über war B. coli resistenter als der Typhusbazillus. (Zentralbl. f. Bakt., 
Abt. I, Orig., Bd. 45, S. 81.) 

Roosen-Runge hat die Verwendbarkeit des Natrium glycocholicum 
für Blutuntersuchungen bei Typhuskranken geprüft. Er empfiehlt einen 
1 proz. glykocholsauren Natriumagar an Stelle des Glyzerinagars. Die Typbus¬ 
kolonien sollen in längstens 16 Stunden auf dem glykocholsauren Natrium¬ 
agar so weit ausgewachsen sein, daß man sie abstechen kann, was beim 
Glyzerinagar erst nach etwa 30 Stunden der Fall ist. Ferner sollen die 
Kolonien zahlreicher und wegen der völligen Lackfarbe der Blutplatten auch 
bedeutend leichter zu erkennen sein. Als weiterer Vorteil wird die Gleich¬ 
mäßigkeit in der Konsistenz des Salzes und seine leichtere Beschaffbarkeit 
gegenüber Galle angeführt. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. I, Orig., Bd. 43, S. 520.) 

W.Pies macht Mitteilung über seine Untersuchungen über die Wachstums¬ 
geschwindigkeit der Typhusbazillen in Galle. Er verwendete dazu reine 
Rindergalle oder solche mit diversen Zusätzen, ferner frische Menschengalle 
oder solche mit Zusatz von serös eitriger Exsudatflüssigkeit. Es zeigte sich, 
daß man von einer Anreicherung der Typhusbazillen durch und in Galle 
nicht reden kann, da bei der Keimzahlbestimmung das B. coli bei Verwen¬ 
dung von Bakteriengemischen sich in der Wachstumsenergie dem Typhus¬ 
bazillus stets überlegen zeigte. (Arch. f. Hygiene, Bd. 62, S. 107.) 

Schüffner hat sich einen besonderen Gallenagar zur Züchtung von 
Typhusbazillen aus dem Blute hergestellt von folgender Zusammensetzung: 
Zu gleichen Teilen Bouillon und Rindergalle wird hinzugetan 1,5 Proz. 
Gelatine, 2 Proz. Agar und je 1 Proz. Nutrose, Dextrose und Pepton. Das 
Ganze wird bis zur leicht alkalischen Reaktion gebracht. Außer der gewöhn¬ 
lichen Form der Typhuskolonien finden sich hierauf angeblich nicht selten 
sogenannte „ausgelaufene“ Kolonien. (Münch, med. Wochenschr., S. 1722.) 

W. H. Buchholz stellte Versuche an über den Nachweis von Typhus¬ 
bazillen im Blute mit besonderer Berücksichtigung des Conradischen Galle¬ 
kulturverfahrens. Er benutzte dazu Blutgerinnsel, die er bei der Anstellung 
von Widalproben zurückbehielt und die er auf reine, sterile Rindergalle 
(nach Kays er) verarbeitete. Meist arbeitete er mit Mengen von 1 ccm Blut- 


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Typhus und Paratyphus. 


127 


gerinnsel, häufig auch noch mit kleineren Mengen. Nach 16* bis 20 ständiger 
Bebrütung der Röhrchen erfolgte die Aussaat auf Endo- oder Drigalskiplatte 
durch einfaches Aufgießen einiger Tropfen der Gallenblutmischung. Schon 
nach 6 Stunden waren dann — in positiven Fällen — die typischen Kolonien 
sichtbar. Von den 1 untersuchten 35 Typhus- und 26 Paratyphusfällen gelang 
der sichere Nachweis in 48,5 bzw. 15 Proz. der Untersuchungen. Besonders 
beachtenswert aber ist die Tatsache, daß in fast 60 Proz. der Fälle die 
Widalprobe negativ ausfiel, wogegen der Bazillennachweis im Blute 
gelang. (Inaug.-Diss., Leipzig 1906, bzw. Ref. in Hygien. Rundschau 1908, 
S. 140.) 

T. A. Venema berichtet über den Wert der Gallenblutkultur neben der 
G r u b e r - W i d a 1 sehen Reaktion für die Praxis bakteriologisch er U ntersuchun g s- 
ämter. Er hatte mit der Gallenblutkultur bei weitem nicht so viele positive 
Resultate wie mit dem Widal (vgL dagegen vorstehendes Referat!). Aber 
auch ihm gelang der Nachweis von Typhusbazillen in Fällen, wo der Widal 
negativ blieb. Venema ist geneigt, die wenig befriedigenden kulturellen 
Ergebnisse darauf zurückzuführen, daß die Menge des Blutkuchens in den 
zur Untersuchung eingesandten Kapillaren meist zu gering wäre. (Hygien. 
Rundschau 1907, S. 1399.) 

O.Kurpjuweit, ebenso W. Veit haben mit der Gallenanreicherung bei 
der Untersuchung von Blut auf Typhusbazillen sehr günstige Resultate er¬ 
zielt, sei es, daß sie das Blut direkt oder nach Fornet Blutgerinnsel von 
der Widal sehen Probe untersuchten. (Klin. Jahrb., Bd. 17, S. 259, bzw. 
Deutsche med. Wochenschr. 1907, 8. 1450.) 

E. Gildemeister hat ebenfalls die Gallenanreicherung zum Nachweis 
von Typhusbazillen im Blute benutzt. Bei 27 Fällen vermochte er bei ein¬ 
maliger Untersuchung 15 mal Typhusbazillen aus dem Blute nachzuweisen. 
Von diesen 15 hatten 9 einen negativen Ausfall der Widalschen Reaktion. 
Ferner zeigte sich, daß die Aussicht, Typhusbazillen aus dem Blut zu züchten, 
in den ersten Tagen besonders groß ist. Unter 16 Blutuntersuchungen aus 
den ersten 6 Beobachtungstagen waren 11 positiv, und von diesen 11 hatten 
nicht weniger als 7 einen negativen Ausfall der Widalschen Reaktion. 
(Hygien. Rundschau 1907, S. 397.) 

W. Fornet hat die Bakterizidie der Galle geprüft. Er stellte fest, daß 
frische Rindergalle auf die Entwickelung von Typhusbazillen hemmend wirkt. 
Galle wird ein guter Nährboden, sobald ihr bakterizider Einfluß irgendwie 
ausgescbaltet wird. Das gelingt durch Kochen nicht vollständig; weit besser 
merkwürdigerweise durch Zusatz von Salicylsäure, obschon diese allein eben¬ 
falls starke bakterizide Wirkung ausübt. Aber auch durch andere Momente 
kann der bakterizide Einfluß der Galle herabgemindert werden, beispielsweise 
infolge des mechanischen Schutzes für die Bazillen durch die Blutkörperchen 
des Gerinnsels oder durch das Freiwerden von Hämoglobin infolge der 
hämolytischen Kraft der Galle. (Arch. f. Hygiene, Bd. 60, S. 134.) 

R. Müller und H. Gräf besprechen den Wert der Blutuntersuchung 
für die Typhusdiagnose. Sie haben dazu den Blutkuchen mit Glasspateln 
auf Lackmusagar ausgestrichen und nach 12 bis 20 Stunden die Kolonien 


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128 


Infektionskrankheiten. 


mit Immunserum identifiziert, öfters gelang der Nachweis von Typhua- 
bazillen in Fällen, wo die Agglutinationsprüfung ein negatives oder zu ge¬ 
ringes Resultat gezeigt hatte, um darauf die Diagnose zu gründen. Es soll 
deshalb neben der Agglutination stets die Züchtung der Bazillen aus dem 
Blutgerinnsel versucht werden. Bei der Züchtung aus dem Blute gelingt die 
Diagnose schneller als bei der Untersuchung von Fäces und Urin. Züchtung 
und Agglutination ergaben in etwa 85 Proz. der Typhusblutproben die 
bakteriologische Diagnose. (ZentralbL f. Bakt., Bd. 43, S. 856.) 

H. Kayser hat mit der Gallenblutkultur die besten Erfolge im Typhus¬ 
beginn erzielt: in der ersten Woche waren positiv 94 Proz. der untersuchten 
Fälle, in der zweiten Woche 56.5 Proz., in der dritten 43 Proz. und in der 
fünften bis sechsten Woche 31,5 Proz. 

Ganz interessant ist die von Kayser einige Male beobachtete Spät¬ 
anreicherung, wobei der Nachweis auf Endoagar oft nach 48 bis 72 ständiger 
Anreicherungsdauer möglich war. 

Weiter warnt Verfasser vor der (von Meyerstein empfohlenen) mikrosko¬ 
pischen Feststellung der im Galleröhrchen ausgekeimten Mikroben, da außer 
Typhusbazillen gar nicht selten B. coli, B. pyocyaneus und andere Sapro- 
phyten sich darin entwickeln können, deren Differenzierung im mikroskopi¬ 
schen Bilde natürlich zu schweren Fehlschlüssen führen kann. (Münch, med. 
Wochenschr. 1907, S. 1078.). 

Blumenthal hat im Gallenblaseninhalt, den er bei Cholelithiasis- 
operationen steril auffing, in drei Viertel der Untersuchungen Bakterien der 
Coligruppe nachgewiesen. Bei genauer Prüfung zeigte sich allerdings, daß 
die meisten der gefundenen Bakterien mit dem eigentlichen B. coli des 
Darmes nicht direkt übereinstimmten. Für das typische B. coli konnte stets 
der Nachweis sekundärer Invasion in die Gallenblase erbracht werden. 
(Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 88, Heft 4 bis 8.) 

J. Förster äußert sich über die Beziehungen des Typhus und Para¬ 
typhus zu den Gallenwegen. Für das Eindringen der Typhusbazillen in die 
Leber und die Galle nimmt er den hämatogenen Weg an. Haben sieb die 
Erreger in der Gallenblase angesiedelt, so vermehren sie sich bald und führen 
zu Entzündungsprozessen in den Gallenwegen. Mit der Galle werden dann 
die Typhusbazillen in den Dünndarm ausgeschieden, und hier, meint Förster, 
findet nicht nur keine Vermehrung, sondern eher eine Vernichtung der Para¬ 
siten statt. Dagegen halten sie sich in der Gallenblase auch nach Ablauf 
der klinischen Prozesse, und zwar um so länger, wenn nooh ein Gallenstein¬ 
leiden besteht: aus dem Typhuskranken ist in diesem Falle der Typhus¬ 
bazillenträger geworden. Genau so wie die Gallensteinleiden in der Frauen¬ 
welt überwiegen, ebenso auch die Bazillenträger! (Münch, med. Wochenschr. 
1908, Nr. 1.) 

R. Stern hat versucht, die Galle antiseptisch zu machen, um ihre 
Infektion mit Bazillen der Typhus-Coligruppe zu verhüten bzw. zu bekämpfen. 
Er verwendet dazu Thymol, Aspirin, Menthol und salicylsaures Natron. Fast 
stets ließ sich nur eine ganz geringe entwickelungsbemmende Wirkung der 
Galle konstatieren, oder eine solche fehlte überhaupt völlig. 


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Typhus und Paratyphus. 


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Bessere Resultate wurden erzielt bei der Desinfektion des Urins mittels 
Urotropin, Neu-Urotropin oder Hippol. Bei Urotropin zeigte sich die Reaktion 
des Harns von Bedeutung: saurer Harn wirkte bakterizider als alkalischer, 
besonders stark alkalischer Urin. Bei Hippolgebrauch zeigte sich gerade 
das umgekehrte Bild. Verfasser empfiehlt auf Grund seiner Erfahrungen die 
Harndesinfektion als direktes Heilmittel gegen Typhusbazillenausscheidung. 
(Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 59, S. 129.) 

G. Neumann hat bei einem leichten Typhusfall Blaseneiterung mit 
vielen Typhusbazillen im Urin beobachtet. (Arb. a. d. Kaiserl. Gesundheits¬ 
amt, Bd. 25, S. 209.) 

H. Raubitschek hat sehr gute Resultate erzielt in der Typhusschnell¬ 
diagnose mit der Züchtung von Typhusbazillen aus dem mit steriler Spritze 
entnommenen Blute aus der Armvene. Raubitschek hat aus den mit Blut 
beschickten Bouillonröhrchen (bei 37° 24 Stunden) in 66 Proz. der Fälle, 
zum Teil schon im Beginn der Erkrankung, Typhusbazillen gezüchtet. (Wien, 
klin. Wochenschr. 1907, S. 130.) 

Rosenfeld berichtet über das Zusammentreffen von Typhus abdominalis 
und Entbindung, sowie über typhöses Fieber im Puerperium. (Zentralbl. f. 
Gynäkol. 1907, Nr. 17.) 

Fr. Meyer empfiehlt zur bakteriologischen Diagnose des Abdominal¬ 
typhus an erster Stelle die bakteriologische Blutuntersuchung nach Castell a ni 
oder Conradi, die schneller zum Resultat führt als die WidaIsche Probe 
und eindeutiger erscheint als die Fornetsche Präzipitinreaktion *). (Zeitschr. 
f. klin. Med., Bd. 63, Heft 5 und 6.) 

H. Lüdke bat bei 27 Typhusfällen nach der Schottmüllersehen 
Methode im ganzen 22mal Bazillen im Blute nachgewiesen. (Med. Klinik 
1907, Nr. 25 und 26.) 

J. J. van Loghem untersuchte 27 Patienten, die mit dem Verdachte 
auf Typhus Aufnahme fanden. In 9 Fällen ergab die Züchtung aus dem 
Blute ein positives Resultat (dreimal war dabei die Widalsche Reaktion 
negativ!). In 6 weiteren Fällen erwies sich die Blutzüchtung resultatlos, 
dagegen fiel der Widal positiv aus. Die letzten 12 Fälle stellten sich als 
nicht typhös heraus. Zur Züchtung wurde 1 bis l 1 / s cem Blutgerinnsel in 
Galle getan und nach Bebrütung etwas davon auf Endoagar verarbeitet. 
Dabei gelang der Nachweis nur in den beiden ersten Krankheitswochen. 
(NederL Tijdschr. v. Geneesk. 1907, I., Nr. 3, bzw. Ref. in Hygien. Rund¬ 
schau 1908.) 

H. Ben necke macht Mitteilung von einigen interessanten Beobachtungen 
klinischer und bakteriologischer Natur bei Abdominaltypbus, insbesondere 
bei Typhuskomplikationen. 

Bei einem an Phlebectasien leidenden Patienten fand er in dem erweichten 
Thrombus aus der OberBchenkelvene Typhusbazillen in Reinkultur. 

Bei einem anderen Typhuskranken (mittelschwerer Fall) traten in der 
Rekonvaleszenszeit Furunkel auf, in denen ebenfalls die Erreger in Rein- 

l ) Siehe diesen Jahresber. f. 1906, 8. 171. 

Vierteljahraachrüt fllr Geeundheitapflege, 1908. Supplement. 9 


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130 


Infektionskrankheiten. 


kultur nachgewiesen werden konnten. Wie auch andere Autoren vindiziert 
Ben necke dem Typhusbazillus auf Grund seiner Beobachtungen die Eigen¬ 
schaft, echte Eiterung hervorzurufen. (Arch. f. klin. Med., Bd. 92, Heft 1 
und 2.) 

G. Cagnetto und A. Zancan haben an neun Fällen von Typhus beim 
Menschen und an einer größeren Reihe von Tieren anatomische und experi¬ 
mentelle Untersuchungen angestellt über typhöse Nephritis, insbesondere die 
ätiologischen Beziehungen zwischen den Typhusbazilien und den nephriti- 
schen Prozessen. (Zieglers Beitr., Bd. 41.) 

W. Stühlern versucht die Frage nach den Wechselbeziehungen zwischen 
dem Grade der Bakteriämie und dem klinischen Bilde des Abdominaltyphus 
klarzulegen. 

Nach seinen Untersuchungen besteht folgender Zusammenhang zwischen 
dem Vorhandensein von Bakterien im Blute, dem Agglutinationswert des 
Serums und der Schwere der Erkrankung: 

Dauernde, Bcharf ausgeprägte Bakteriämie und schwerer Allgemein¬ 
zustand im Beginn der Krankheit sprechen für toxischen Typhus. Bei 
Rezidiven, wo Bakteriämie vorliegt, handelt es sich um schwere Erkrankung; 
bei leichten Rezidiven fehlt die Bakteriämie. An der Grenze zwischen dem 
toxischen und dem schweren Typhus steht wohl der sogenannte abortive 
Typhus; nach dem Grade der Bakteriämie kommt er dem toxischen 
Typhus nahe. 

Je höher der Agglutinationstiter des Serums steigt, um so unwahrschein¬ 
licher wird die Möglichkeit deß Bazillennachweises im Blute. Es gelang 
dieser: in der ersten Krankheitswoche in 95 Proz. der Typhusfälle, in der 
zweiten Woche in 60 Proz., in der dritten Woche in 16 und in der vierten 
Woche in 7 Proz. (Russky Wratsch, bzw. Ref. in Hygien. Rundschau 1908, 
S. 1275 und Zentralbl. f. Bakt., Abt. I, Orig., Bd. 44, S. 178.) 

P. P. Klemens und Ph. Mahler prüften an dem Serum von sieben 
stark gelbsüchtigen Kranken die Frage, ob etwa Gallenbestandteile auf die 
Stärke der Agglutinationswirkung des Serums gegen B. coli einen Einfluß 
auszuüben vermögen. Eine Infektion mit B. coli bzw. typhi abdom. war bei 
ihren Kranken ausgeschlossen. Als sie das Serum mit einer großen Reihe 
von Stämmen des B. coli prüften, fanden sie die Agglutinationsfähigkeit in 
fast der Hälfte der Fälle völlig aufgehoben, bei den übrigen nicht besonders 
auffallend stark ausgesprochen. Ganz ähnlich verhielt sich das Serum einiger 
nicht gelbsüchtiger Kranker. Es besitzt also das Serum Ikterischer keine 
höhere Agglutinationskraft auf B. coli als das Serum Nichtikterischer, wogegen 
bekanntlich Typhusbazillen durch Serum Gelbsüchtiger häufig in weit 
stärkerem Maße agglutiniert werden als durch das Serum von Kranken ohne 
Gelbsucht. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 58, S. 203.) 

J. Kentzler hat bei der Untersuchung von 30 Blutseris ikterischer 
Kranker in keinem Falle einen höheren Agglutinationstiter als 1:20 gegen¬ 
über Typhusbazillen finden können. Auch gegenüber anderen Vertretern 
der Coli-Typbusgruppe haben die Sera keine stärkere Agglutinationswirkung 
gezeigt. (Wien. klin. Wochenschr. 1907, S. 1350.) 


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Typhus und ParatyphuB. 131 

Steinberg bleibt gegenüber den Ausführungen von Abeles 1 ) dabei, 
daß bisweilen bei mit Proteus immunisierten Tieren eine Mitagglutination 
für Typhusbazillen sich findet, w&hrend letzterer jede Beziehung zwischen 
der agglutinogenen Substanz der Typhus- und Proteusbazillen leugnet. 
(Deutsch. Arcb. f. klin. Med., Bd. 88, Heft 4 bis 6.) 

W. Veit fand, daß in der ersten Krankheit8woche die Züchtung der 
Typhusbazillen aus dem Blute aussichtsvoller ist als die Agglutination, be¬ 
sonders bei schweren Fällen, wo sich das Prozentverhältnis gestaltet wie 
100:60 Proz. In der zweiten Woche ändert sich das Verhältnis zugunsten 
der Agglutination, wenigstens bei leichten und mittelsobweren Fällen. Ganz 
unsicher wird die Aussicht auf Erfolg für die Blutzüchtung in der dritten 
Woche und später. Unter 12 Paratyphusfällen, die meistens leichter ver¬ 
liefen, gelang die Züchtung aus dem Blute dreimal, aus dem Stuhl zweimal; 
hei den übrigen wurde die Diagnose nach dem Ausfall der Agglutination 
gestellt. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 1450.) 

H. v. Hoesslin berichtet über sichere Fälle von Typhus, wo das Aggluti- 
nationBphänomen ausblieb, und solche Fälle, die das genaue klinische Bild 
des Typhus boten, hei denen aber trotzdem der bakteriologische Befund 
negativ blieb. (Deutsch. Arch. f. klin. Med., Bd. 91.) 

Derselbe Verfasser fand an Typhuskranken sowohl wie im Tier¬ 
versuche, daß Agglutinine gesunde Nieren nicht zu passieren vermögen, daß 
aber bei Eiweißausscheidung auch Agglutinine — und zwar in ziemlich 
gleichem Verhältnis — ausgeschieden werden. Endlich zeigte sich, daß trotz 
des Verlustes an Agglutinin die Gesamtmenge desselben im Körper sich 
kaum ändert. (Münch, med. Wochenschr., S. 872.) 

W. Gaehtgens fand unter 842 positiven Widalproben nur 13mal 
solche, wo der Typhus verdacht hinterher hinfällig wurde. Damit ist von 
neuem dokumentiert, welch großen Wert die Reaktion für die Typhusdiagnose 
besitzt. (Arb. a. d. Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 26, S. 226.) 

Derselbe Verfasser empfiehlt die mit Typhusbazillenaufschwemmung 
versetzten Serumverdünnungen zu zentrifugieren, um dadurch eine Ab¬ 
kürzung der Beobachtungsdauer der Agglutination zu erzielen. Das in der 
Kuppe des Reagenzglases entstehende Bild ist dann sehr typisch: dunkles 
Zentrum, darum kreisförmig größere und kleinere Bakterienhaufen angeordnet. 
(Arb. a. d. Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 25, S. 218.) 

P. Schrumpf vermochte die günstigen Resultate der meisten Unter¬ 
sucher betreffs des Fickerseben Typhusdiagnostikums nicht zu bestätigen. 
Er hatte in 20 Proz. Fehlergebnisse. Auch das Paratyphus B-Diagnostikum 
versagte ihm in zwei ganz sicheren Fällen von Paratyphus völlig. . Zur Er¬ 
klärung dieser Tatsache meint Verfasser, daß vielleicht die zur Herstellung 
des Diagnostikums benutzten Kulturen nicht besonders agglutinabel waren. 
(Münch, med. Wochenschr. 1907, S. 2517.) 

KV. Ru ss hat Untersuchungen angestellt über das Schicksal des 
Bakterienpräzipitinogens im Organismus. Er vermochte die von Fornet be- 

*) Siehe diesen Jahresber. 1906, 8. 166. 

9* 


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Infektionskrankheiten. 


haupteten Pr&zipitinogene im „Infektionsserum“ nicht zu bestätigen. (Zentralbl. 
f. Bakt., Abt. I, Orig., Bd. 43, S. 377.) 

W. Fornet erklärt dazu, daß Russ mit ungeeignetem Untersuchungs¬ 
material gearbeitet hat. Die Präzipitinogenreaktion ist nicht mehr nach¬ 
weisbar, sowie die Wi dal sehe Probe positiv ist. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. I, 
Orig., Bd. 43, S. 843.) 

Gossner hat ein Verfahren erdacht, um die agglutinierende Wirkung 
des Blutes von Typhuskranken bzw. -verdächtigen im gefärbten Präparat 
zur Darstellung zu bringen. 

Er bringt dazu Tröpfchen der einzelnen Blutverdünnungen mit einer 
Stecknadel auf Objektträger, fixiert in der Flamme und färbt mit Methylen¬ 
blaulösung. Sieht man dann von dem zart blaßgrauen Grunde sich dunkle 
Fleckchen oder Pünktchen abheben, so ist die agglutinierende Wirkung deut¬ 
lich. Bei den nicht agglutinierten Aufschwemmungen sind dagegen alle 
Gesichtsfelder mit einzelnen Bazillen übersät. (Deutsche med. Wochenschr. 
1907, S. 1003.) 

A. Herz beobachtete eine Aufhebung der WidaIschen Reaktion bei 
einem Typhuskranken durch sekundäre Erysipelinfektion. Nach Ablauf des 
Erysipels trat der Widal (der vorher mit 1: 50 positiv gewesen war) wiederum 
auf. Die Ursachen für diese Erscheinung sind nicht geklärt. (Wien. klin. 
Wochenschr. 1907, S. 1281.) 

C. Jul. Rothberger veröffentlicht Studien über die Regeneration der 
Agglutinine nach Blutverlusten. Die Agglutininbildung erfährt durch den 
Blutverlust keine Steigerung. (Berl. klin. Wochenschr. 1906, S. 1243.) 

S. Perrone stellte fest, daß Typhusbakterien durch Gefrieren zwar die 
Fähigkeit einbüßen, bakterizide Stoffe zu bilden, aber ihre Agglutinabilität 
bewahren. Was die Virulenz anbetrifft, so erweisen sich solche Typhus¬ 
kulturen beträchtlich abgeschwacht. Nach einiger Zeit — etwa 12 Stunden 
— tritt die Virulenz wieder ein, wenn die Temperatur wieder auf die ge¬ 
wöhnliche Zimmertemperatur erhöht wird. (Zentralbl. f. Bakt, Bd. 43, Heft 4, 
S. 385.) 

O. PorgeB und A. Prantschoff kommen in ihren Betrachtungen über 
die Agglutinabilität der Bakterien, besonders des B. typhi, zu dem Schluß, 
daß die Agglutination eine kolloidale Fällungserscheinung sei. (Zentralbl. 
f. Bakt., Abt I., Bd. 41, S. 466.) 

L. Beco hat gefunden, daß Paratyphus im Verlauf eines Typhusfalles 
häufig höher agglutiniert wurde und umgekehrt Typhus bei Paratyphus¬ 
erkrankung. Es muß daher in der Praxis jedenfalls bei Verdacht auf Typhus 
das Serrim des Kranken sowohl einer Prüfung auf Typhusbazillen als auoh 
auf Paratyphusbazillen A und B unterzogen werden. Meist wird man damit 
auskommen, sonst bei etwaigem Zweifel noch die Blutkultur heranziehen. 
(La sem. med. 1907, p. 264.) 

A. Chantemesse hat mit der Ophthalmoreaktion für die Diagnose des 
Typhus gute Resultate erzielt und ihre Anwendung zur Frühdiagnose sehr 
empfohlen. 


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Typhus und Paratyphus. 


133 


Er träufelt einen Tropfen Typhustoxin (Gewinnung siehe im Original) 
auf das untere Augenlid. Bei Typhösen sollen dann nach zwei bis drei Stunden 
unter leichtem Hitzegefühl Rötung und zugleich etwas Tränen und Faser- 
stoffbildung hervortreten. Nach sechs bis zehn Stunden soll die Erscheinung 
ihre Höhe erreichen und stets einen oder zwei Tage, bisweilen auch länger 
andauern. Unangenehme Folgen hat Chantemesse nie beobachtet; der 
Ausfall der Reaktion soll stets eindeutig sein. (Deutsche med. Wochenschr. 
1907, S. 1572.) 

Kraus, Lusenberger und Russ haben die von Chantemesse an¬ 
gegebene Ophthalmoreaktion gelegentlich einer im Sommer 1907 in Kram 
aufgetretenen Typhusepidemie nachgeprüft, aber die guten Resultate von 
Chantemesse nicht bestätigen können. (Wien. klin. Wochenschr. 1907, 
S. 1385.) 

Moreschi bezweifelt den Wert des Wassermann sehen Komplement- 
ablenkungsverfahrens für die bakteriologische Diagnostik. (Berl. klin. 
Wochenschr. 1906, S. 1243.) 

Nach Wassermann liegt die Schuld an den Mißerfolgen von Moreschi 
an dessen bei den Nachuntersuchungen befolgten, von seiner eigenen ab¬ 
weichenden Methodik. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, S. 12.) 

Leuchs konnte ebenfalls im Gegensatz zu MoreBchi nachweisen, daß, bei 
genauer Befolgung der von Wassermann und Bruck angegebenen Methodik, 
das Komplementbindungsverfahren auch für Typhus und Paratyphus absolut 
zuverlässig, spezifisch und vielleicht empfindlicher als die bisher gebräuch¬ 
lichen Methoden arbeitet. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, S. 68.) 

R. Bassenge gibt eine genaue Beschreibung der Herstellung und Wirk¬ 
samkeit des „Schütteltoxins“ nach Brieger aus lebenden Typhusbazillen 
durch 248tündiges Schütteln mit destilliertem Wasser bei Zimmertemperatur. 
2 ccm von diesem Typhusschutzstoff entsprochen dem Gehalt einer 24 ständigen 
Agarkultur. Die Flüssigkeit ist sehr lange unverändert haltbar. Ihre Keim¬ 
freiheit läßt sich daran, daß sie völlig klar bleibt, leicht kontrollieren. Nach 
den Ausführungen des Verfassers ist das Schütteltoxiu ein sicheres, unge¬ 
fährliches, stets anzuwendendes und unveränderliches Typhusschutzmittel. 
(Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 915.) 

0. Bail und H. Rubritius haben festgestellt, daß Typhusbazillen in 
ihrer Form Verschiedenheiten zeigen, je nachdem sie in der Kultur oder im 
Tierkörper gezüchtet werden. Wenn der Unterschied auch nicht immer 
■ehr augenfällig ist, so sind die Formen im Tierkörper doch meist plumper 
und größer. Außerdem erlangen die Bazillen im Tierkörper eine erhöhte 
Widerstandsfähigkeit gegen agglutinierende und bakterizide Serumstoffe. 
(Zentralbl. f. Bakt., Bd. 43, S. 641.) 

H. Heck hat Untersuchungen angestellt über das Vorkommen und die 
Lebensdauer von Typhusbakterien in den Organen gegen Typhus aktiv 
immunisierter und nicht immunisierter Tiere. Er fand dabei, daß in der 
Milz und in den Nieren immunisierter Kaninchen Typhusbazillen noch nach 
70 Stunden nachzuweisen sind. Der Inhalt der Gallenblase erwies sich da¬ 
gegen stets steril. Bei Normaltieren wurden die Bazillen in der Milz am 


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Infektionskrankheiten. 


längsten — noch nach 10 bis 20 Tagen — yorgefunden. (Zeitschr. f. Hygiene, 
Bd. 51, S. 1.) 

G. Orsi hat den Einfluß des Sonnenlichts auf die Virulenz des Typhus¬ 
bazillus und des Choleravibrio studiert. Dabei zeigten Typhusbouillonkultnren, 
die mit besonntem Material angelegt waren, eine bleibende Steigerung der 
Virulenz. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. I, Orig., Bd. 43, S. 846.) 

Eichholz teilt seine Erfahrungen über den Typhusverlauf bei geimpften 
und nicht geimpften Mannschaften der Schutztruppe für Südwestafrika mit 
Nach der Zusammenstellung, die 68 Fälle umfaßt standen sich die Geimpften 
in jeder Beziehung besser als die Ungeimpften. Es starben von Geimpften 
0 Proz., von Nichtgeimpften 8,8 Proz. Schwere Komplikationen kamen zur 
Beobachtung bei Geimpften in 8,8, bei Nichtgeimpften dagegen in 22,6 Proz. 
Was die Beeinflussung der Fiebertemperatur durch die Schutzimpfung an¬ 
betrifft, so wurden Temperaturen über 40° C beobachtet bei Geimpften in 
48,3 Proz. und bei Nichtgeimpften in 79,2 Proz. der Fälle. (Münch, med. 
Wochenschr. 1907, S. 777.) 

Ph. Kuhns Feststellungen über die Ergebnisse der Typhusschutzimpfung 
in der Schutztruppe für Südwestafrika, gewonnen aus Zählkarten und Impf¬ 
listen über 7287 Mann, decken sich im großen und ganzen mit den vor¬ 
stehend angegebenen Resultaten. Verfasser zieht aus seinen Feststellungen 
folgende Nutzanwendungen: 

1. Solange in Südwestafrika noch eine besondere Gefahr der Erkrankung 
an Typhus besteht, ist es angezeigt, daß zu den Ersatztransporten der Schutz¬ 
truppe nur solche Mannschaften ausgewählt werden, welche sich zur Typhus¬ 
impfung verpflichten. 

2. Vor der Landung in Südwestafrika hat bei jedem einzelnen eine drei¬ 
malige Impfung stattzufinden. 

3. Da die negative Phase nach der dritten Schutzimpfung keine nennens¬ 
werte Rolle mehr spielt, kann die dritte Impfung auch auf der Ausreise vor¬ 
genommen werden. 

4. Die vorliegenden Ergebnisse spornen zu einem weiteren Ausbau der 
Typhusschutzimpfung durch die wissenschaftlichen Institute an, besonders 
hinsichtlich der Größe der Impfgaben. (Deutsche militärärztl. Zeitschr. 1907, 
Heft 8, S 312.) 

W. B. Leishmann, W. S. Harrison und E. J.H.Luxmoore berichten 
im Maiheft des Journal of the Royal Army medical corps 1907 über die 
Typhusschutzimpfung in der englisch-indisohen Armee. 

Die nach Wright-Harrisonscher Methode ausgeführte Inokulation 
hat nach übereinstimmendem Urteil günstige Resultate gezeitigt, sowohl be¬ 
züglich der Mortalität als auch bezüglich der Morbidität Stets wird außer 
der ersten Impfung noch eine zweite, etwa 10 bis 12 Tage später, für not¬ 
wendig erachtet. (Vgl. Ref. in Hygien. Rundschau 1908, S. 218.) 

Job etGrysez bezeichnen von den verschiedenen Typhusschutzimpfungs¬ 
methoden die Pfeiffer-Kollesche als die beste. Als einziger Übelstand 
mache sich bisweilen das Auftreten heftiger Allgemeinerscheinungen geltend. 
(Revue d’hyg., Vol. 28, p. 363.) 


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Typhus und Paratyphus. 


135 


G.Germonig hat unter Nachprüfung der von Erdmar.n und Winter¬ 
nitz erzielten Resultate über die Tryptophanreaktion besonders im Stuhl 
und in Bakterienkulturen gearbeitet. Von 73 Stühlen verschiedenster Art 
zeigten fast nur die vier Typhusstühle auf der Höhe der Erkrankung eine 
starke Tryptophanreaktion. (Wien. klin. Wochenschr. 1907, S. 284.) 

Meyer und B er gell ist es gelungen, aus Typhusbakterien lösliche 
Toxine zu extrahieren. Nach dem Passieren der Filterkerzen verschwinden 
merkwürdigerweise die gelösten Gifte und lassen sich auch später nie mehr 
nachweisen. (BerL klin. Wochenschr. 1907, S. 568.) 

Aronson schreibt ebenfalls, daß es ihm gelungen sei, echte Typhustoxine 
zu erhalten durch Filtration besonders angelegter Kulturen mit sehr starkem 
Oberflächenwachstum oder durch Fällung mit Äthylendiamin aus den Bazillen¬ 
leibern. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, S. 572.) 

Wolff-Eisner konstatiert demgegenüber, daß die vorgenannten Autoren 
nicht mit Toxinen, sondern mit richtigen Endotoxinen gearbeitet hätten. 
(Berl. klin. Wochenschr. 1907, S. 1216.) 

G. Kentzler und G. Kir&lyfi sprechen die Komplementfixation als 
eine spezifische Reaktion insoweit an, daß durch den positiven Ausfall des 
Versuches die Verwandtschaft zwischen Antigen und Antikörper bewiesen 
wird, dagegen ein negatives Ausfallen absolut nicht das Gegenteil besagt. 
(Mag. Orv. Archiv 1907, Nr. 6.) 

Sommers gibt ein neues Verfahren an zum Nachweis von Typhus¬ 
bazillen in Wasser und Milch. 

Es werden 300 ccm der zu untersuchenden Flüssigkeit abgefüllt, bei 
Wasser unter Hinzufügung konzentrierter steriler Bouillon. Dazu hinzu¬ 
gesetzt werden 4 ccm der sogenannten Parietti sehen Flüssigkeit, bestehend 
aus Carbolsäure 5,0, Salzsäure 4,0, Aqua destill. ad 100,0. Das Ganze kommt 
auf 24 bis 34 Stunden zur Bebrütung in den Brutschrank bei 40° unter 
anaeroben Verhältnissen. Danach werden 25 ccm der Vorkultur in den 
Starkeyschen Apparat übertragen. Unter Benutzung der Eigenschaft der 
Typhusbazillen, einer spezifisch größeren Eigenbeweglichkeit, werden daraus 
nach 24 bis 36 Stunden Reinkulturen von Typhusbazillen erhalten, Bofern 
natürlich solche sich im Ursprungsmaterial befunden haben. (Proceed. pathol. 
soc. Philadelphia, tom.IX, p. 217, bzw. Ref. in Virchow-Hirschs Jahreeber. 
1907, Bd. 1, S. 655.) 

M. Kaiser gelang es, in einem Brunnenwasser Typhuskeime nach der 
Methode Altschülers festzustellen. (Vierteljahrsschr. f. öffentl.Gesundheitspfl. 
1907, S. 265.) 

C. T. Jacobsen glaubte festgestellt zu haben, daß die Typhusbakterien 
nicht alle konform sind, sondern daß sich einzelne Varietäten derselben, und 
zwar durch gewisse Gärungsproben, unterscheiden lassen. Meist soll eine 
Hauptform vorherrschen, bei anderen Epidemien sollen aber deutlich variierende 
Individuen sich finden. Er versucht nun, die eine Art in die andere über¬ 
zuführen, was ihm aber nicht gelang. Seine weiteren Versuche zur Herbei¬ 
führung eines saprophytischen Wachstums näher anzuführen, erübrigt sich, 


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Infektionskrankheiten. 


da der Verfasser sie selbst als nicht ganz eindeutig ansieht. (Untersuchungen 
über den Typhusbazillus: Habilitationsschrift, Kopenhagen.) 

G. Koraen hat eingehende Studien zur Biologie des Erregers des Darm¬ 
typhus gemacht. Seine Ergebnisse sind folgende: 

1. Die Typhusbakterien und die untersuchten typhus&hnlichen Bakterien 
vermehren sich reichlich in sterilisiertem Düngerextrakt. Diese beiden Gruppen 
unterscheiden sich hinsichtlich des Typus ihrer bezüglichen Wachstumskurve 
im Düngerextrakt bei 25° sehr wesentlich voneinander. Die Typhusbakterien 
vermehren sich nach zwei Haupttypen. Typus 1 zeigt während der ersten 
Tage eine mäßige Vermehrung, nachher aber bleibt die Anzahl Individuen 
mehrere Wochen hindurch sich ungefähr gleich. Typus II zeigt eine fort¬ 
schreitende Steigerung der Anzahl Individuen während der ersten Woche. 
Die Vermehrung erreicht erst in der zweiten Woche oder etwas später ihren 
Höhepunkt. 

Die untersuchten typhusähnlichen Bakterien vermehren sich alle nach 
einem Typus, der von dem der Typhusbakterien höchst bedeutend abweicht 
Die Wachstumskurve der typhusähnlichen Bakterien zeigt schon in den 
ersten Tagen eine kolossale Vermehrung, und gleichzeitig erreicht diese Ver¬ 
mehrung auch ihren Höhepunkt. 

2. In den Düngerextraktkulturen bilden die Typhusbakterien nach ein 
paar Wochen kleinere bewegliche Wachstumsformen, die „sporenähnlichen 
Bildungen“ Almquists; bisweilen trifft man dieselben nach einer gewissen 
Zeit sogar in überwiegender Anzahl. In neue Extrakte übergeführt, gehen 
sie in die gewöhnlichen breiteren Stäbchen über. Die Bedeutung dieser 
kleineren Wachstumsformen ist ungewiß. Da sie nur in älteren Kulturen 
auftreten, ist es möglich, daß sie eine Anpassung der Typhusstäbchen an 
relativ ungünstige Nährverhältnisse bedeuten. 

3. In Düngerextrakt können die Typbusbakterien sich bisweilen mehr 
als ein Jahr am Leben erhalten. Während ebenso langer Zeit können sie 
auch in derartigem Extrakt ihre Virulenz beibehalten, wenngleich in sinkendem 
Grade. 

4. In sterilisiertem Dünger bei 14° gezüchtet, verlieren gewisse, sonst 
gut agglutinable Typhusstämme ihre Agglutinationsfähigkeit. Andere Typhus¬ 
stämme behalten dieselbe unter gleichen Verhältnissen bei. Die Inagglutina- 
bilität tritt erst nach etwa einer oder zwei Wochen Wachstum unter ge¬ 
nannten Verhältnissen auf. 

5. In Düngerbei 14° gezüchtet, erlangen gewisse Typhusstämme gleichfalls 
eine erhöhte Resistens gegenüber der bakteriziden Wirkung des Blutserums. 
Andere Typhusstämme haben unter denselben Verhältnissen diesen höheren 
biologischen Standpunkt nicht erworben. 

6. Die Möglichkeit eines spontanen Wachstums der Typhusbakterien 
außerhalb des menschlichen Körpers unter besonders günstigen Verhältnissen 
läßt sich auf dem gegenwärtigen Standpunkt der Wissenschaft nicht in Abrede 
stellen. (Akadem. AbhandL, Stockholm 1907.) 

Lentz stellt folgende Schlußsätze auf über die Bazillen der Typhusgruppe: 

1. Typhus und Paratyphus sind bakteriämische Krankheiten, bei welchen 
die Krankheitserreger durch die lymphatischen Apparate des Verdauungs- 


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Typhus und Paratyphus. 


137 


traktus aufgenommen werden und in diesen, den Mesenterialdrüsen, der 
Milz und dem Knochenmark sich vermehren. Von dort werden sie in die 
Blutbahn eingeschwemmt und gelangen von hier in erster Linie durch die 
Leber mit der Galle und durch die Nieren mit dem Urin in die Ausscheidungs¬ 
wege des Körpers. 

2. Im Darminhalt vermehren sich diese Krankheitserreger nicht, gehen 
hier vielmehr zugrunde. 

3. Typhus und Paratyphus sind sowohl ätiologisch wie auch klinisch und 
pathologisch-anatomisch voneinander wohl zu unterscheidende Krankheiten. 

4. Beide Krankheiten verlaufen unter den verschiedensten klinischen 
Bildern, so daß oft erst die bakteriologische Untersuchung die Diagnose 
sichern kann. 

5. Epidemiologisch wichtig sind bei beiden Krankheiten die leichten Er¬ 
krankungen, die Ausscheidung von Krankeitserregern durch klinisch Gesunde, 
die Ausscheidung durch den Urin, sowie die protrahierte Ausscheidung 
während der Rekonvaleszenz, die zur chronischen Ausscheidung führen kann; 
beim Paratyphus außerdem die Identität des Erregers mit dem B. typhi 
murium, Bac. suipestifer und Bac. enteritidis (Flügge-Kaensche). 

6. Bei den durch die Erreger der Fleischvergiftungen erzeugten Krank¬ 
heiten stehen im Vordergründe des Krankheitsbildes die Intoxikationserschei¬ 
nungen, welche durch die in den infizierten Speisen enthaltenen Toxine aus¬ 
gelöst werden. An die Intoxikation kann sich durch Übertritt der Bakterien 
in die Lymphapparate und die Blutbahn eine mehr oder weniger typhus¬ 
ähnliche bakteriämische Erkrankung anschließen. 

7. Der Sektionsbefund ist ähnlich dem beim Paratyphus. 

8. Epidemiologisch wichtig ist, daß der Typus Flügge-Kaensche 
der Enteritisbazillen mit den Bakterien der Hogcholeragruppe identisch ist, 
der Typus Gärtner mit rattenpathogenen Mikroorganismen, dem Rattin 
(Dunbar), sowie den Bazillen von Danysz und Issatschenko. (Schlu߬ 
sätze zum 14. internationalen Hygienekongreß Berlin VII, 2.) 

W. Gaethgens bespricht die Bedeutung des Vorkommens der Para¬ 
typhusbazillen (Typus B) in den Fäces von Gesunden, Paratyphuskranken 
und Typhusrekonvaleszenten. Er ist nach seinen Untersuchungen geneigt, 
den Paratyphusbazillen als Infektionserregern nicht die gleiche Bedeutung 
wie den Typhusbakterien zuzuerkennen. Sie treten entweder bei noch be¬ 
stehendem Typhus als Parasiten im Organismus (Mischinfektion) auf, oder 
sie spielen nur die Rolle harmloser Darmsaprophyten, oder aber sie infizieren 
den Organismus erst nach abgelaufener Typhusinfektiou. (Arb. a. d. Kaiserl. 
Gesundheitsamt, Bd. 25, S. 203.) 

H. Conradi teilt einen Fall mit gleichzeitigem Befund von Typhus- 
und Paratyphusbazillen mit. Ein achtjähriges Mädchen erkrankte an typhus¬ 
verdächtigen Erscheinungen. In seinen Entleerungen wurden Typhus- und 
Paratyphusbazillen nachgewiesen. Als Infektionsquelle wurde der Genuß 
von Eisstückchen angesehen, die aus einem SpringbrunnenbasBin stammten. 
In dem Eise und später auch in dem Schlamme konnten tatsächlich Typhus- 
und Paratyphusbakterien festgestellt werden. Die Infektion des Spring¬ 
brunnenwassers war durch den Zufluß eines Kanals erfolgt, an dessen Ufer 


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Infektionskrankheiten. 


mehrere Typhus- und Paratyphusfälle vorgekommen waren. (Klin. Jahrb. 
1907, Bd. 17, Heft 2.) 

G.Bucky hat Untersuchungen darüber angestellt, „unter welchen Ver¬ 
hältnissen und in welcher Häufigkeit Paratyphusbazillen bei subkutaner 
oder intraperitonealer Infektion in den Darm einwandern, daselbst sich ver¬ 
mehren und eine Entzündung desselben hervorrufen können“. Er arbeitete 
mit Paratyphusstämmen A und B. Nach dem Auftreten schwerer Krankheits¬ 
symptome wurden die Tiere getötet und an ihnen unter aseptischen Ma߬ 
nahmen die Sektion ausgeführt. Kulturen wurden aus dem Herzblut, aus 
Dünn- und Dickdarm angelegt. Es resultierte, daß nach Injektion von Para¬ 
typhusbazillen unter die Haut diese bereits im Verlaufe der nächsten 24 Stunden 
im Darm angetroffen werden. Starben die Tiere trotz Einverleibung großer 
Dosen nicht, so wurde von neuem injiziert. Wurden die Tiere dann bei 
schwerer Erkrankung getötet, so konnten die Paratyphusbakterien im Darm 
nachgewiesen werden. Es ergibt sich also daraus, daß die Mikroorganismen 
auf dem Blut- bzw. Lymphwege in den Darm gelangt sein müssen, da die 
Kulturen den Tieren subkutan einverleibt worden waren. (Inaug.-Diss. Leipzig 
1907, bzw. Ref. in Hyg. Rundschau 1908, S. 146.) 

E. Levy und W. Gaethgens beobachteten Typhusinfektion im Anschluß 
an Paratyphus A- und B-Erkrankung. Sie dringen deshalb auf eine getrennte 
Behandlung und Verpflegung von Typhus- und Paratyphuskranken. (Arb.a. 
d. Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 25, S. 250.) 

G. Silomon kommt bei seinen Studien „Über den Paratyphus“ zu 
folgenden Schlußfolgerungen: 

1. Es gibt generell verschiedene Erreger typhöser Erkrankungen. 

2. Ob das klinische Krankheitsbild der durch die verschiedenen Erreger 
verursachten Fälle stets einen Unterschied erkennen läßt, kann wohl erst 
nach genauen klinischen Beobachtungen an größerem Material entschieden 
werden. 

Die durch Paratyphusbazillen hervorgerufenen Fleischvergiftungen sind 
auch weiterhin getrennt zu behandeln. Der Name Paratyphus bleibt für die 
in epidemiologischer und klinischer Hinsicht typhusähnlichen Erkrankungen 
reserviert. 

3. Die Seuchenbekämpfung und die Behandlung ist für Typhus und 
Paratyphus im allgemeinen die nämliche. (Inaug.-DisB. Bonn 1906.) 

C. Stäubli erörtert den praktischen Wert der neueren diagnostischen 
Untersuchungsmittel beim Abdominaltyphus (Diazoreaktion, mikroskopische 
Blutuntersuchung, bakteriologische Untersuchung des Blutes durch Züchtung 
und Agglutinationsreaktionen) und kommt zu dem Schlüsse, daß als Erreger 
des klinischen Bildes Typhus abdominalis nicht nur der Typhusbazillus 
Eberth-Gaffky, sondern auch andere, ihm verwandte Mikroorganismen: 
die Paratyphusbazillen, zu betrachten sind. Letztere sollen außerdem eine 
große ätiologische Rolle spielen bei den Fleisch- und Wurstvergiftungen. 
(Korrespondenzbl. f. Schweiz. Ärzte 1907, S. 689.) 

Sp. Minelli prüfte die Agglutinierbarkeit der Fickerschen Para- 
typhusdiagnostika A und B und fand sie Tierimmunseris gegenüber als sehr 
brauchbar. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. I, Bd. 41, S. 583.) 


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Typhus und Paratyphus. 


139 


S. M. Poggenpohl fordert zur Sicherung der Diagnose Paratyphus die 
Züchtung der spezifischen Erreger aus dem Blute. (Zeitschr. f. Hygiene, 
Bd. 57, S. 273.) 

Infektion durch Nahrungsmittel. 

A. Fromme berichtet über eine Fleischvergiftung durch den Bazillus 
paratyphi B. Nach dem Genuß von gehacktem Fleisch erkrankten 32 Per¬ 
sonen. Der Nachweis der spezifischen Erreger gelang in einem Schweine¬ 
schinken, der einen abgekapselten Abszeß mit deutlichem Eiter zeigte, und 
in den Fäces einer erkrankten Person. (Zentralbl. f. Bakl., Bd. 43, S. 775.) 

Jakobson berichtet über eine Epidemie von Fleischvergiftung im Osten 
Berlins nach dem Genuß von Schabefleisch, in dem der B. paratyphi B nach¬ 
gewiesen werden konnte. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, S. 339.) 

E. Levy und W. Fornet beobachteten eine Hausepidemie, bei der im 
ganzen sieben Hausmitglieder unter den Erscheinungen einer Fleischvergif¬ 
tung erkrankten. Wahrscheinlich ist die Infektion durch eine Griesspeise 
erfolgt, die sämtliche Erkrankte zwei Tage vorher genossen hatten. In den 
Fäces der Kranken wurden Paratyphus B-Bazillen nachgewiesen. (Zentralbl. 
f. Bakt., Abt. I, Orig., Bd. 41, Heft 2.) 

K. H. Kutscher hatte im Herbst 1906 Gelegenheit, eine größere, durch 
Paratyphusbazillen B hervorgerufene Fleischvergiftungsepidemie zu beob¬ 
achten. Es erkrankten etwa 90 Personen in der Nähe des Zentralviehhofs 
in Berlin, und zwar sämtlich nach dem Genuß von Schabefleisch, das roh 
oder nur „angebraten“ konsumiert worden war. In zwei noch übrig ge¬ 
bliebenen, mehr oder weniger verdorbenen Fleischproben stellte Kutscher 
sowohl züchterisch als auch durch die spezifische Agglutination typische 
Paratyphusbazillen vom Typus B fest. Daß diese Bakterien die Erreger der 
Vergiftungen waren, ist dadurch bewiesen, daß sie in den meisten Stühlen 
und einige Male auch im Urin der Erkrankten, sowie in den Organen einer 
dabei verstorbenen Person gefunden werden konnten. Ferner agglutinierten 
die Patienten in der Regel bis zum Werte zwischen 1 : 200 und 1: 500. 

Das B. paratyphi B ist von Kutscher bisher elf mal als Erreger einer 
Fleischvergiftungsepidemie bestimmt worden. Von ihm ätiologisch zu trennen 
ist der B. enteritidis Gärtner. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 55, Heft 3, S. 331.) 

K. B. Kutscher hat im Mai 1907 in der Berliner militärärztlichen Ge¬ 
sellschaft über „Paratyphus und Nahrungsmittelvergiftungen“ gesprochen. 

Als prophylaktische Maßnahmen fordert er eine genaue Untersuchung 
jedes Schlachttieres vor und nach der Schlachtung durch einen tierärztlichen 
Sachverständigen, bakteriologische Untersuchung des Fleisches verdächtig 
erkrankter Tiere, besonders wenn Abszesse vorhanden sind, und endlich 
staatliche Aufsicht der Wurstfabrikation für die Truppenmenage. (Deutsche 
militärärztl. Zeitschr. 1907, Heft 11.) 

O. Goebel beschreibt eine Fleischvergiftungsepidemie in einem Dorfe 
Westflanderns, die erregt wurde durch den B. enteritidis Aertrijck. 244 Per¬ 
sonen in 46 Haushaltungen hatten von dem Fleisch eines jungen Pferdes 
gegessen. Eine Person starb, 7 erkrankten sehr schwer und 50 an leichteren 
Störungen. (Ann. d’hyg. 1907, p. 430.) 


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140 


Infektionskrankheiten. 


Netter et Ribadeau-Dumaa beobachteten eine kleine, durch den Ge¬ 
nuß eines Sülzgerichts hervorgerufene Epidemie. Aus den Stühlen und dem 
Urin von drei Kranken wurde der Paratyphusbazillus B gezüchtet. (La 
sem. m6d. 1907, p. 192.) 

B. Edenhuizen versucht den Zusammenhang zwischen Schlachttier¬ 
krankheiten und Fleischvergiftungen durch Bakterien der Typhus-Coligruppe 
zu ergründen. 

Auf Grund seiner Untersuchungen verlangt er für die Praxis als not¬ 
wendig die Einführung bakteriologischer Untersuchungsmethoden in die 
Fleischbeschau. (Inaug.-Diss. Göttingen 1907.) 

A. Netter hält daran fest, daß Personen, die Austern essen, welche mit 
Abfallstoffen verunreinigt sind, an Typhus erkranken können. Es handelt 
sich dabei meist um sohwere Fälle. Während andere Autoren der Meinung 
sind, daß die Gefahren nur beim Genuß nicht mehr ganz frischer Austern 
bestehen, berichtet Netter über eine Infektion, die das Gegenteil zu be¬ 
weisen scheint. 

Am 4. Dezember wurden in Cette 400 Austern gekauft, die am 5. und 
6. Dezember in Autun gegessen wurden. Von 31 Personen erkrankten 30, 
davon 11 an Typhus, von denen 4 starben. 6 Personen, die an den Mahl¬ 
zeiten teilgenommen hatten, ohne von den Austern zu essen, erkrankten 
nicht. Typhus herrschte zu jener Zeit in Autun nicht. (Compt. rend. de 
la soc. de biol. 1907, Vol. 62, Nr. 8.) 

Epidemiologisches. 

Friedei macht eine interessante Mitteilung, wonach von einer Bazillen¬ 
trägerin 24 Typhuserkrankungen ausgegangen sind. (Zeitschr. f. Medizinal¬ 
beamte 1907, S. 197.) 

E. Baumann zeigt in seiner Arbeit, wie die Ausbreitung des Typhus 
durch einen klinisch gesunden Bazillenträger, der angeblich nie typhus¬ 
ähnliche Krankheiten durchgemacht hatte, aber an Gallenkoliken litt, zustande 
kommen kann. 16 Fälle von Typhus innerhalb von 10 Monaten ließen sich 
auf ihn zurückfübren. (Arb. a. d. Kaiser!. Gesundheitsamt, Bd. 28, S. 371 
bis 382.) 

H. Kayser hält die bakteriologische Spätkontrolle abgelaufener Typhen 
noch nach Jahr und Tag für notwendig. Er hat unter seinen Untersuchten 
5 Proz. als Typhusträger eruiert. Dauerbazillenträger will Verfasser über¬ 
haupt nicht aus der bakteriologischen Kontrolle entlassen wissen. (Arb. a. d. 
Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 25, S. 223.) 

P. Frosch gibt in einer eingehenden Abhandlung die Grundlagen und 
ersten Erfahrungen in der modernen Typhusbekämpfung an. (Klin. Jahrb. 
1907, Bd. 17, Heft 2.) 

Derselbe Verfasser stellt folgende Schlußsätze über die „Moderne 
Typhusbekämpfung“ auf: 

I. Die gewöhnliche und andauernde Verbreitungsart des endemischen 
Abdominaltyphus ist die Kontaktinfektion. 


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Typhus und ParatyphuB. 


141 


2. Sie wird begünstigt durch leichte und ambulatorische Erkrankungs¬ 
formen, sowie durch die Existenz von Bazillenträgern und Dauerausscheidern. 

3. Sie wird ferner begünstigt durch überfüllte, unhygienische Wohnungen, 
unsaubere Gewohnheiten der Insassen und die verbreitete Unsitte des Zu- 
sammenschlafens mehrerer Personen in demselben Bette. 

4. Unter den Nahrungs- und Genußmitteln, die hauptsächlich für die 
Verbreitung des endemischen Typhus in Betracht kommen, ist in erster Linie 
die Milch des Kleinhandels zu nennen. 

5. Die Infektionen durch Trink- oder Gebrauchswasser sind für die Be¬ 
urteilung und die Bekämpfung des endemischen Typhus von sekundärer Be¬ 
deutung. 

6. Unter bestimmten örtlichen Verhältnissen (z. B. in Industriegebieten 
mit fluktuierender Arbeiterbevölkerung) bildet auch die häufige Ein- bzw. 
Verschleppung des Typhus einen beachtenswerten Faktor. 

7. Für die Einschränkung bzw. Ausrottung des endemischen Typhus 
ist es notwendig, alle mit Typhusbazillen behafteten Personen möglichst 
schnell aufzufinden und unschädlich zu machen. Gleichzeitig ist auch die 
gründliche Verbesserung aller gesundheitlichen Verhältnisse energisch zu 
betreiben. (Schlußsätze zum 14. Internationalen Hygienekongreß Berlin, 
Sekt. V, 8.) 

Schneider geht noch besonders eingehend in seinen Schlußsätzen auf 
die Desinfektionsmaßnahmen und auf die Dauerausscheider ein. 

Er verlangt Ausbildung und Anstellung einer genügenden Anzahl amt¬ 
licher Desinfektoren. Die Schlußdesinfektion soll stets von solchen ausgeführt 
werden. Empfohlen wird daneben die Anstellung von Oberdesinfektoren im 
Hauptamt. 

Alle Berufskrankenpfleger sowie das gesamte Pflegepersonal der Kranken¬ 
anstalten sollen in der Desinfektion ausgebildet werden und sie ebenso wie 
die amtlich bestellten Desinfektoren periodisch geprüft und kontrolliert werden. 

Ferner soll stets Vorsorge getroffen sein für die Bereitstellung bzw. den 
billigen Bezug von Desinfektionsmitteln, ebenso für die Beschaffung möglichst 
zahlreicher Dampfdesinfektionsapparate. Die Desinfektionskosten sollen aus 
öffentlichen Mitteln bestritten oder wenigstens durch Zuschüsse verringert 
werden. Die angeordneten Vorbeugungsmaßnahmen sollen erst nach Fest¬ 
stellung der bakteriologischen Genesung wieder fortfallen dürfen. 

Die Absonderung der Dauerausscheider darf nach der klinischen Ge¬ 
nesang aus wirtschaftlichen Gründen eine gewisse Maximalzeit nicht über¬ 
schreiten, die auf 10 Wochen, vom Beginn der Krankheit aus gerechnet, 
festzusetzen wäre. 

Die Bazillenträger sollen über die Gefahr, die sie für die Umgebung 
bilden, belehrt werden, zu größter Reinlichkeit ermahnt und zur regelmäßigen 
Desinfektion ihrer Abgänge und Wäsche, sowie zur periodischen Einsendung 
von Untersuchungsmaterial .erzogen und angehalten werden. 

Strengere KontrollmaßDahmen sollen Geltung haben, sobald als Bazillen¬ 
träger Personen in Frage kommen, die bei der Erzeugung bzw. dem Ver¬ 
triebe von Nahrungsmitteln tätig sind oder in Irrenanstalten, Gefängnissen usw. 
interniert sind. (Schlußsätze z. 14. Internat. Hygienekongreß Berlin.) 


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142 


Infektionskrankheiten. 


M. Kirchner liefert an der Hand eines umfangreichen, nach allen Rich¬ 
tungen hin durchgearbeiteten Materials den Nachweis, daß sowohl die Typhus¬ 
erkrankungen als auch die Todesfälle einen augenscheinlichen Rückgang er¬ 
fahren haben, und daß hierzu der planmäßig eingeleitete Kampf nach der 
Kochschen Methode wesentlich beigetragen hat. (Klin. Jahrb. 1907, Bd. 17, 
Heft 2.) 

J. Brummund teilt seine Erfahrungen bei einer größeren Typhus¬ 
epidemie mit. 

Im Jahre 1902 war im Dorfe M. mit 784 Einwohnern eine Typhus¬ 
epidemie explosionsartig ausgebrochen. 54 Personen erkrankten. Als 
Infektionsquelle wurde die Sammelmolkerei des Ortes eruiert. Von Juni bis 
November des Jahres 1905 erkrankten wiederum 59 Personen an Typhus, 
von denen 10 starben. Befallen waren ausschließlich Lieferanten der Molkerei, 
und wurde die Infektion der ersten 28 Fälle auf zurückgelieferte Mager¬ 
milch bezogen. Der Betrieb in der Molkerei war sehr unsauber, die Kannen 
schlecht gewaschen und die Sterilisierapparate waren öfters nicht in Be¬ 
nutzung, genommen, um Feuerung zu sparen. Auf welchem Wege die Typhus¬ 
keime in die Magermilch gelangt waren, konnte nicht festgestellt werden. 
Chronische Bazillenträger wurden nicht gefunden. (Zeitschr. f. Hygiene, 
Bd. 26, S. 425.) 

Wernicke macht eingehende Angaben über die Typhusepidemie in der 
Stadt Posen im Jahre 1905. 

Die Epidemie begann im Juni und erreichte Ende Juli ihren Höhepunkt. 
Befallen wurden im ganzen 411 Personen. Zunächst wurden die Infektionen 
auf Genuß des Leitungswassers zurfickgeführt, da in die Wasserleitung, die 
sonst nur mit Grundwasser gespeist wurde, am 1. Juli Warthewasser ein¬ 
gelassen war. Der Verlauf der Epidemie machte es aber bald zur Gewi߬ 
heit, daß keine Trinkwasserepidemie, sondern eine Verbreitung der Krank¬ 
heit durch infizierte Milch vorlag, wofür von vornherein verschiedene Anzeichen 
sprachen. Es war nämlich die Kindersterblichkeit in den Sommermonaten 
derart gestiegen, daß man eine krankmachende Beschaffenheit der Milch an¬ 
nehmen mußte. Ferner erkrankten viel mehr Frauen und Kinder als Männer, 
die ja auch relativ weniger zum Milchkonsum neigen. Besonders viel Dienst¬ 
mädchen waren unter den Erkrankten, wohl deshalb, weil sie oft die Milch 
in ungekochtem Zustande genießen. 

Die infizierte Milch stammte aus einer Sammelmolkerei, die einen großen 
Teil der Stadt Posen mit Milch versorgte. Vom Personal derselben waren 
8 Personen erkrankt, zwei wurden als Bazillenträger ermittelt. In 32 Straßen 
der Stadt bestanden 61 Filialen der Molkerei, und in 30 dieser Straßen trat 
Typhus auf. Die anderen Infektionen kamen danach offenbar durch Kontakt 
zustande. Es gelang auch, den Lieferanten zu ermitteln, der die Verseuchung 
der Sammelmolkerei mit Wahrscheinlichkeit herbeigeführt hatte. Es war 
dies ein Rittergut, auf dem mehrere Erkrankungen an Typhus vorgekommen 
waren. 

Verfasser glaubt auf Grund seiner Erfahrungen zu der Schlußfolgerung 
berechtigt zu sein, daß das Wasser in seiner Bedeutung für die Typhus- 
Übertragung meist ganz erheblich überschätzt, die Milch bisweilen nnter- 


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Typhus und Paratyphus. Cholera asiatica. 

schätzt sei. Eine scharfe Überwachung des Milchyerkehrs ist daher dringend 
geboten. (Klin. Jahrb. 1907, Bd. 17, Heft 2.) 

H. Kossel liefert einen interessanten Beitrag zur Frage der Verbreitung 
des Typhus durch Bazillenträger. Ein 54 jähriger Typhusdauerausscheider, 
der in einer Molkerei beschäftigt war, hatte eine Milchepidemie von 21 Fällen 
verursacht. Er wurde von der Beschäftigung im Kuhstall ausgeschaltet, 
und die Infektionen hörten auf. (Deutsch, med. Wochenschr. 1907, S. 1584.) 

W. Rimpau gibt genaue statistische Angaben über die Verbreitung des 
Typhus in der Provinz Brandenburg im Jahre 1904. (Klin. Jahrb. 1907, 
Bd. 17, Heft 2.) 

A.Nieter macht weitere Mitteilungen über das Vorkommen und die Be¬ 
deutung von Typhusbazillenträgern in Irrenanstalten (siehe diesen Jahresber. 

1906, S. 175). (Münch, med. Wochenschr. 1907, S. 1622.) 

Klein macht Angaben über Typhuserkrankungen bei der Rhein¬ 
schiffahrtsbevölkerung, die in der Erkrankungszifier derjenigen der Land¬ 
bevölkerung um das Zehnfache überlegen ist. Die häufigen Infektionen sind 
wohl meist auf den Genuß des rohen RheinwasBers zurückzuführen, der 
auch trotz aller Warnungen immer wieder stattfindet. (Klin. Jahrb. 1907, 
Bd. 17, Heft 2.) 

Kellermann beobachtete beim I. und II. Bataillon des Infanterie¬ 
regiments Nr. 75 eine Paratyphusepidemie, bei der 12 Mann, meist leicht, 
erkrankten. Sämtliche Kranke wurden dienstfähig entlassen. Die bakterio¬ 
logische Diagnose wurde im hygienischen Institut zu Bremen mittels der 
Widalsehen Reaktion gestellt, und als Krankheitserreger das B. paratyphi B 
gefunden. Bei den ganz leichten Fällen trat die positive Serumreaktion erst 
ein, wenn die Krankheit schon abgelaufen war. (Deutsche militärärztl. 
Zeitschr. 1907, S. 262.) 

W. Silberschmidt gibt genaue Angaben über Typhusentstehung und 
Typhusbekämpfung in der Schweiz. (Korrespondenzbl. f. Schweiz. Ärzte 

1907, Nr. 10, S. 298.) Karl Ernst Boehncke. 


Cholera asiatioa. 

Christian: „Die Überwinterung der Cholerabazillen.“ (Arch. 
f. Hyg., Bd. 60, S. 16.) Das Persistieren pathogener Mikroorganismen außer¬ 
halb des menschlichen Körpers ist von größter epidemiologischer Bedeutung. 
Meist nimmt man an, daß sie von den Saprophyten bald „überwuchert“ werden. 
Es liegen aber sowohl für den Choleravibrio (Wernicke), als auch für den 
Typhusbazillus (Hoff mann) Untersuchungen vor, die ein mehrmonatiges Über¬ 
leben im Wasser nachgewiesen haben. Christian wies nun nach, daß Cholera¬ 
erreger länger als 4 Monate im Eis bei weniger als 0° lebensfähig bleiben. 
Finden die Bazillen aber im Eis suspendierte Bestandteile, die einen Nähr¬ 
wert für sie darstellen, wie meist im Roheis, so kann ihre Widerstandsfähigkeit 
noch erhöht werden. Hiernach können Choleravibrionen während des Winters 
z. B. im Schlamm der Flüsse überwintern und im Frühjahr Erkrankungen 
verursachen. 


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144 


Infektionskrankheiten. 


Markl: „Beitrag zur Kenntnis und Differenzierung cholera¬ 
ähnlicher Vibrionen.“ (Zentralbl. f. Bakt., Abt. 1, Orig., Bd.42, S.380.) 
Die von Gottschlich aus Leichen nicht cholerakranker Mekkapilger 
gezüchteten „El Tor-Vibrionen“, die von manchen Forschern als echte Cholera¬ 
erreger gehalten wurden, von anderen nicht, sind zweifellos interessante 
Objekte, um neuere bakteriologisohe Differenzierungsmethoden auch auf sie 
anzuwenden. 

Verfasser benutzte zu diesem Zweck die Komplementfixationsmethode, 
indem er Aufschwemmungen der El Tor- und Choleravibrionen wechselseitig 
mit den verschiedenen Immunseren und mit Komplement usw. versetzte. Es 
ergab sich, daß Hämolyse eintrat, wenn die Aufschwemmung der El Tor¬ 
vibrionen mit Choleraserum versetzt wurde und umgekehrt. Der Rezeptoren- 
apparat dieser El Tor-Vibrionen ist hiernach von dem der Cboleraerreger 
verschieden, jene also mit diesen nicht identisch. (Siehe folgendes Referat,) 

Neufeld und Händel: „Beitrag zur Beurteilung der El Tor- 
Vibrionen.“ (Arb. a. d. Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 26, S. 536.) Die 
Verfasser prüften die eventuelle Identität der El Tor-Vibrionen mit echten 
Choleraerregern auf breitester Basis mittels Agglutination, Hämolysinbildung, 
Komplementablenkung und konnten im Gegensatz zu vorstehender Arbeit 
feststellen, daß kein Unterschied zwischen beiden Bakterienarten besteht. 

W. Hoffmann. 


Diphtherie. 

J. Günther: „Seltenere Formen der Diphtherie.“ (Zentralbl. f. 
Bakt., Abtlg. I, Orig., Bd. 43, S. 648.) Die Diphtherie des Darmes wird 
äußerst selten diagnostiziert, und noch seltener dürften bei einer Darm¬ 
sektion diphtherische Veränderungen an der Darmschleimhaut beobachtet 
werden. Der Verfasser berichtet über einen solchen Fall, wo nach Masern 
sich diphtherische Geschwüre im Rachen, in der Speiseröhre, sowie im unteren 
Ileum, in der Flexura sigmoidea und dem Rectum fanden. Die Diagnose 
wurde bakteriologisch sichergestellt. Ferner beobachtete er bei einer Baach¬ 
phlegmone neben Staphylokokken auch Diphtheriebazillen. 

Hasenknopf und Rothe: „Ein Beitrag zur Frage der Bazillen¬ 
träger bei Diphtherie.“ (Jahrb. f. Kinderheilkunde, Bd. 66, S.4.) Ein¬ 
gehendere Untersuchungen einer kleinen Diphtherieepidemie im Kadetten¬ 
haus zu Potsdam. 

Verfasser fordern mit Recht die Isolierung jedes Diphtheriebazillenträgers 
so lange, bis er von den Krankheitskeimen frei ist. Wichtig ist der Befand, 
daß nur bei Rekonvaleszenten, nicht aber bei Personen aus der Umgebung 
Diphtheriebazillen gefunden wurden (letzteres kommt aber vor, Ref.). 

Leiner: „Beiträge zur Kenntnis der anaeroben Bakterien des 
Menschen. VI. Über anaerobe Bakterien bei Diphtherie. (Zentralbl 
f. Bakt., Bd. 43, S. 7.) Verfasser suchte durch Anwendung anaerober Unter¬ 
such ungsmethoden (Ascitesagar in hoher Schicht usw.) bei der Diphtherie 
auch anaerobe Bakterien zu finden, die vielleicht gerade bei der septischen 
Form eine Rolle spielen könnten. Neben anderen stieß er auf ein spitzes 
Stäbchen, das dem Bacillus fusiformis nahe steht. Es fehlt aber noch 


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Diphtherie. Ruhr (Dysenterie). 


145 


manches, um diese anaerobe Bakterienart irgendwie ätiologisch mit der 
Diphtherie oder ihrer septischen Form in Verbindung zu bringen. 

Tjaden: „Die Diphtherie als Volksseuche und ihre Be¬ 
kämpfung.“ (Deutsches Archiv f. klin. Medizin, Bd. 89, S. 1 bis 7.) Ver¬ 
fasser geht den einzelnen Momenten, die bei der Ausbreitung der Diphtherie 
eine Rolle spielen, näher nach und bespricht dann besonders eingehend die 
Bekämpfungsmaßnahmen (Bazillenträger, Isolierung usw.). 

W. Hoffmann. 

Ruhr (Dysenterie). 

Kruse hat in den letzten vier Jahren eingehende Untersuchungen über 
die Ruhr angestellt. Amöbenruhr kommt in Deutschland wenig vor. Neben 
der echten Bazillenruhr unterscheidet Verf. eine Pseudoruhr. Er unter¬ 
scheidet unter etwa 50 untersuchten PseudodysenterieBtämmen verschiedene 
Typen und Spezialitäten, die allesamt aus Zuckerarten kein Gas bildeu: 

1. Pseudodysenterie A: ist der in Deutschland am meisten vertretene 
Typus. 

2. Pseudodysenterie B: (Stämme: Flexner; Fl. Manila; Amerika) bildet 
aus Malzzucker Säure, ist wahrscheinlich identisch mit dem von Hiss ge¬ 
fundenen Harris-Typus. 

3. Pseudodysenterie C. Ferner D: zweiter Haupttypus. 

4. Pseudodysenterie E: bringt Milch in 8 bis 14 Tagen zur Ge¬ 
rinnung usw. 

Die Pseudoruhr scheint meist in kleineren Epidemien und häufiger ver¬ 
einzelt aufzutreten. Ihr Krankheitsverlauf ist weniger scharf ausgesprochen 
und ihr Verlauf leichter, als bei der echten Ruhr. Bazillenträger kommen 
für beide Formen vor. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 292.) 

Kruse, Rittershaus, Kemp und Metz machen eingehende Mit¬ 
teilungen über ihre Studien an Dysenterie- und Pseudodysenteriebazillen. 
Das mikroskopische und kulturelle Verhalten, ebenso die Diagnose wird 
genau besprochen. Letztere soll bei der echten Ruhr leichter sein als bei 
der Pseudoruhr, schon wegen der Häufung und längeren Dauer der spezifi¬ 
schen Stuhlentleerungen. Als Nährboden werden Gelatine- oder Drigalski- 
platten empfohlen. Zur Differentialdiagnose dienen dann Mannitlackmusagar 
und Bouillon, ferner die Agglutinationsprobe. (Zeitschr. f. Hyg., Bd. 57, 

S. 417.) 

E. Wolde hat 15 aus der Provinzialirrenanstalt Merxhausen bei 
Cassel herrührende Stammkulturen, sowie vier weitere Pseudoruhrstämme 
morphologisch, kulturell und hinsichtlich ihrer Agglutinierbarkeit durch 
Ruhr- und Pseudoruhrserum untersucht und konnte feststellen, daß sich 
unter seinen Stämmen fast für jede der bisher beschriebenen Formen ein 
Typus oder eine sehr ähnliche Art findet, während andererseits seine Stämme 
unter sich Verwandtschaft besitzen. 

Wolde hat damit nachgewiesen, daß eine Pseudoruhr, welche der von 
Kruse für die Bonner Heilanstalt beschriebenen Ruhrform (Ruhr der Para¬ 
lytiker) ähnlich und sehr nahe verwandt ist, in Merxhausen vorkommt. 
(Inaug.-Diss. Marburg 1906.) 

Vierteljfthraiohrift für GeiundheiUpflege, 1908. Supplement. ]Q 


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146 


Infektionskrankheiten. 


v. Drigalski macht mehrere Bemerkungen zu der Arbeit von Kruse 
(Deutsche med. Wochenschr., Nr. 8 u. 9, 1907). Er habe zuerst die Identität 
des Kruseschen und Shigasehen Ruhrbazillus nachgewiesen; ferner habe 
er die ersten Differentialnährböden und die Mannitprobe angegeben und 
neben Jürgens als erster die Paradysenteriebazillen gefunden. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, S. 726.) 

Kemp hat bei einer kleinen Ruhrepidemie in Bonn Bazillen gefunden, 
die in ihren kulturellen Eigenschaften genau übereinstimmten mit den von 
Deycke-Pascha und Reschad-Bei in Konstantinopel gefundenen, sog. Para¬ 
dysenteriebazillen. Diese sollen sich durch Gasbildung in Traubenzucker¬ 
agar und durch Erzeugung eines hämorrhagischen Dickdarmkatarrhs bei 
Verfütterung auf Katzen wesentlich von Ruhr- und Pseudoruhrbazillen unter¬ 
scheiden. (Zeitschr. f. Hyg., Bd. 57, S. 479.) 

K. Le ine r berichtet ebenfalls über atypische Dysenteriefonnen, die 
Milch vergärten und Beziehungen zum Flexnertypus zeigten. (ZentralbL 
f. Bakt., Abt. I, Orig., Bd. 43, S. 783.) 

Hilgermann hat bei Geschwistern Pseudodysenterie D (Kruse) und 
2 andere Pseudodysenteriestämme gefunden. (Münch, med. Wochenschr. 
1907, S. 2284.) 

H. Viereck hat an 62 im Hamburger Tropenkrankenhaus beobachteten 
Fällen Studien gemacht über die in den Tropen erworbene Ruhr. Unter 
seinen Fällen fand Verf. 37 mal lebende Amöben, 13 mal amöbenverdächtige 
Gebilde, 12 mal blieb die Untersuchung negativ. Die meisten hatten sich in 
Asien (besonders Kalkutta), viele auch in Afrika infiziert. Sehr häufig 
betroffen sind Maschinisten und Heizer. Die Inkubation scheint sich auf 
4 Tage zu erstrecken. Die volle Entwickelung der Krankheit erfolgt 
während der zweiten Woche. (Beiheft z. Arch. f. Schiffs- u. Tropenhyg., 
Bd. 11.) 

M. H. Vincent hat die Beziehungen des Trinkwassers zur Entstehung 
von Ruhrepidemien geprüft. Während Amöbenruhr in großer Anzahl auf 
eine Infektion mit Trinkwasser zurückzuführen ist, scheint die bazilläre Dys¬ 
enterie seltener darauf zurückzuführen zu sein. 

Von seinen Untersuchungen interessiert namentlich die Tatsache, daß 
sich der Ruhrbazillus in der Kälte besser hält als in der Wärme. Beim Ge¬ 
frierenlassen in destilliertem, sterilem Wasser bleibt er zwei Monate lang 
lebensfähig. In stagnierenden Gewässern kalter Länder kann er demnach 
überwintern. Somit ist es auch erklärlich, daß die Ruhr in den kalten 
Gegenden, namentlich in Nordrußland, Schweden, Island, Grönland, eine weit 
verbreitete Krankheit ist. 

Nickel beschreibt die Ruhrepidemie des I. Armeekorps im Jahre 1906. 
Die Epidemie trat im August 1906 auf. Es erkrankten 105 Mann, von 
denen zwei starben. Die betroffenen Truppenteile hatten alle auf dem 
Truppenübungsplatz Arys gelegen. Die Infektionen stammten aus der Be¬ 
völkerung, unter der in den benachbarten Ortschaften mehrere Ruhrfälle fest¬ 
gestellt wurden. Durch den Verkehr, besonders mit Kindern, wurde die Ruhr 


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Ruhr (Dysenterie). Masern. 


147 


in das Lager eingeschleppt. Als Erreger der Krankheit wurden Ruhrbazillen 
nachgewiesen. (Deutsche mil.-ärztl. Zeitschr. 1907, Heft 8 u. 9.) 

v. Rosculet berichtet ausführlich über die Ergebnisse der Serum¬ 
behandlung an Ruhrkranken während der Epidemie in Rumänien im Jahre 
1905. Verwendet wurde das antitoxiBche Dysenterieserum von Kraus und 
Doerr (siehe nächstes Referat). Die Kranken erhielten davon je 20 ccm 
injiziert. Die Erfolge waren nach v. Rosculet sehr günstige. Von 147 
nicht mit Serum behandelten Personen starben elf, bei 47 Behandelten hin¬ 
gegen kamen alle durch. Das Serum soll auch präventive Schutzwirkung 
entfalten. (Wien. klin. Wochenschr. 1906, S. 1053.) 

B. Kraus und R. Doerr gewinnen ihr antitoxisches Serum von Ziegen 
und Pferden. Die Antitoxine sollen sich im Laufe der Immunisierung ändern, 
und zwar nach Menge und Beschaffenheit. Ihre Avidität zum Gift wird all¬ 
mählich gesteigert, d. h. die Reaktionsgeschwindigkeit vermehrt, was für Be¬ 
handlungszwecke wichtig ist. 

Während einer Epidemie in der Garnison Krakau ist das Serum mit 
gutem Erfolge angewendet. 

Die Verfasser empfehlen das Mittel in Zukunft auch als Prophylaktikum, 
vorausgesetzt, daß es sich um Shiga-Kruse-Ruhr und nicht um Flexner- 
Ruhr handelt. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 55, S. 1.) 

J. Skschivan und W. Stefansky hatten mit einem antitoxischen 
Dysenterieserum, das ersterer hergestellt hatte, gute Erfolge. (Berl. klin. 
Wochenschr., Jahrg. XLIV, S. 157.) 

Vaillard et Ch. Dopter berichten über außerordentlich günstige Er¬ 
folge bei der Behandlung der Dysenterie mit dem von ihnen hergestellten 
Pferdeimmunserum. 

Behandelt wurden 243 Fälle. 200 betrafen junge Leute und Sander. 
Davon waren 101 mittelschwere Fälle, 99 schwere bis äußerst schwere Fälle 
mit 13 Todesfällen. 43 Fälle betrafen Insassen von Irrenanstalten. Diese 
boten ebenfalls sehr schwere Erscheinungen dar. 

Die einzelnen Serumdosen, die verabfolgt wurden, richteten sich nach 
der Schwere des Falles. Bei mittelschweren Fällen wurden 20 bis 30, bei 
den sehr schweren Fällen bis 80 ccm injiziert. 

Die Sterblichkeit betrug 5, nach Ausschaltung der schon moribund ein¬ 
gelieferten Fälle 2 Proz. — ohne die Irrenkranken. Hier betrug die Mor¬ 
talität fast 14 Proz. (Annal. de l’inst. Pasteur 1907, p. 141). 

Pane und Lotti ist es gelungen, aus Ruhrbazillen durch Kochsalz¬ 
lösung bei 60° ein sehr wirksames Aggressin darzustellen. Dasselbe gelang 
ihnen angeblich auch bei anderen Bakterien. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. I, 
Orig., Bd.43, S.7/8.) Karl Ernst Boehncke. 

Masern. 

Giarrö und Carlini haben im Blute von Masernkranken einen hämo- 
philen Bazillus entdeckt. 

Schon früher hatte Giarre zusammen mit Picchi im Nasal-, Bronchial- 
nnd Conjunctivalsekret von Masernkranken hämophile Bazillen gesehen, die 
den Infiuenzastäbchen sehr ähnelten. 

10 * 


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148 


I nfektionakrankheiten. 


Giarr6 und Carlini berichten jetzt über ihre bakteriologischen Be¬ 
funde gelegentlich einer Erankenhausepidemie von 24 Fällen. In 21 yon 
den Krankheitsfällen fanden sie bei mikroskopischer Untersuchung im Blute 
feine Stäbchen, deren Züchtung aus dem Blute sehr schwierig war. Auch 
auf hämoglobinhaltigen Nährböden vermochten sie nur in vereinzelten Fällen 
die Bazillen zu einem spärlichen Wachstum zu bringen. Leichter gelingt 
angeblich die Züchtung des Bazillus aus dem Conjunctivalsekret. 

In fünf von den untersuchten Fällen fanden sich neben diesen Stäbchen 
noch Fränkelsche Pneumokokken. Bei mehreren Kindern, die vorher 
Masern gehabt hatten, zur Zeit der Untersuchung aber frei von Masern 
waren, fanden sich keine Stäbchen oder Kokken. (Arch. f. Kinderheilk., 
Bd. 46, Heft 3 bis 6.) 

S. A. Gavalas berichtet über eine Masernepidemie in der Garnison 
Athen mit 15 Proz. Mortalität. In den Schnitten von MaBernexanthem fand 
er zerstreute Mikrokokken, namentlich um die Drüsen und Haarbälge herum. 
Aus dem Blut des Exanthems erhielt er nach 6 bis 8 Tagen bei 37° wei߬ 
liche, durchsichtige Kolonien von demselben Mikrokokkus. Bei Kaninchen 
und Meerschweinchen entstand durch Aufstreiohen einer Kulturaufschwem- 
mung auf die Nasenschleimhaut und die Conjunctiva nach 6 bis 8 Tagen 
ein Katarrh. Verfasser glaubt, daß der gezüchtete MikrokokkuB vielleicht 
der spezifische Masernerreger ist. (Allgem. Wien. Mediz.-Zeitung 1906, Nr. 37.) 

G. Schuhmacher berichtet über einen schweren, unter dem Bilde der 
Diphtherie verlaufenen Fall von Streptokokken-Conjunctivitis nach Masern. 
(Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 32.) Karl Ernst Boehncke. 

Soharlaoh. 

G. Gabritschewsky konnte durch Einspritzung von Vaccinen, die aus 
Scharlachstreptokokken bereitet waren, scharlachähnliche Exantheme hervor- 
rufen. Die völlige Gleichheit dieser Ausschläge mit denen bei echtem, natür¬ 
lichem Scharlach sprechen zugunsten einer Anerkennung des Streptokokkus 
als spezifischen Scharlacherregers. Die Serumtherapie nach Moser und die 
Vaccinierung mit Streptokokken nach Gabritschewsky ist damit wissen¬ 
schaftlich begründet. 

Seine Schlußfolgerungen faßt Verfasser in folgende Sätze zusammen: 

1. Die Streptokokken sind imstande, bei septischen Infektionen schar¬ 
lachähnliche Erytheme und Exantheme zu erzeugen. 

2. Aus Scharlachstreptokokken zubereitete Vaccine können scharlach- 
ähnliche Erytheme und Exantheme hervorrufen. 

3. Die punktförmigen Erytheme und Exantheme bei Scharlach, Skar- 
latinoid und Streptokokkenvaccine können den Toxikodermien infektiöser 
Herkunft zugezählt und in pathogenetischer Hinsicht als identisch betrachtet 
werden. 

4. Die Tatsache, daß beim Menschen, unter dem Einfluß des Scharlach- 
streptokokkenvaccins, punktförmige Ausschläge mit sämtlichen anderen, dem 
Scharlach eigenen Symptomen auftreten, repräsentiert einen wesentlichen, 
entscheidenden Faktor zugunsten einer Anerkennung des Streptokokkus als 
spezifischen Scharlacherregers. 


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Scharlach. 


149 


5. Dieses Faktum liefert auch eine neue, wissenschaftliche Basis so¬ 
wohl für die von Moser eingeführte praktische Verwendung der Sero¬ 
therapie beim Scharlach, als auch für die von Gabritschewsky vor- 
geschlagene Streptokokkenvaccination nicht nur gegen die Komplikationen, 
sondern auch gegen den Grundprozeß heim Scharlach. (Berl. klin. Wochenschr. 
1907, S. 556.) 

Cumpston hat zahlreiche Scharlachfälle auf die Eigenschaften und das 
besondere Verhalten der bei ihnen gefundenen Streptokokken hin unter¬ 
sucht. In den meisten Fällen handelte es sich um den Streptococcus longus. 
(Journ. of hyg., Vol. 7, p. 599.) 

Derselbe Verfasser hat an mehr als 1000 Scharlachkranken Unter¬ 
suchungen darüber angestellt, wie oft sich Diphtheriebazillen bei ihnen finden 
ließen. Er fand sie nur in 10 Proz. der Fälle. Eine wirkliche, typische 
Diphtherie bekamen nur 5 Proz. der Patienten. (Journ. of hyg., Vol. 7, p. 593.) 

Saltykow beurteilt auf Grund der vorliegenden Literatur das Mo- 
sersche Serum zur Behandlung des Scharlachs mit Serum am besten. (Arch. 
f. Kinderheilk., Bd. 44, Heft 4 bis 6.) 

Egis und Langovoy berichten über ziemlich günstige Erfolge mit 
Mosers Serum bei schweren Scharlachfällen. Das Serum hat in der 
Hauptsache Antitozineigenschaften. Die Mortalität wurde von 47,4 auf 
16,1 Proz. herabgesetzt. Leider verursacht das Serum häufige, schwere Kom¬ 
plikationen, da große Mengen — 100 bis 200 ccm — injiziert werden müssen. 
Ein großer Übelstand liegt ferner darin, daß dieses Serum nicht einer zu¬ 
verlässigen Wertbestimmung, wie etwa das Diphtherieheilserum, unterzogen 
werden kann. (Jahrb. f. Kinderheilk., Bd. 66, Heft 5.) 

Moltschanoff teilt seine Beobachtungen über die Behandlung des 
Scharlachs mit Moser schein Serum mit. Seine Ergebnisse sind wenig er¬ 
mutigend. In der weitaus größten Mehrzahl wurde ein monovalentes Serum, 
einige Male auch ein polyvalentes Antistreptokokkenserum angewendet. 
(Jahrb. f. Kinderheilk., Bd. 66, Heft 5.) 

R. Tunnicliff schildert zunächst sehr eingehend und vollständig die 
Opsonin-Untersuchungsmethodik. 

Der Streptokokkus spielt beim Scharlach schon verhältnismäßig früh 
eine große Rolle. Ihm sind auch die Komplikationen des einfachen Krank¬ 
heitsbildes zuzuschreiben. Damit hängt auch die Gestaltung des „strepto- 
kokko-opsonischen Index u zusammen. Auf einen anfänglichen Fall folgt 
mit dem Verschwinden der Infektion auch eine erhebliche Steigerung dieser 
Eigenschaft des Blutes. (Journ. of inf. dis., Vol. 4, p. 304.) 

Banks fand, daß bei normal verlaufenden Scharlachfällen die opsonische 
Kraft des Blutes zu Anfang herabgesetzt ist, dann bei der Entfieberung bis 
über die Norm ansteigt, um darauf abermals abzusinken und endlich in der 
vierten oder fünften Woche wieder bis zum Durchschnitt oder über den¬ 
selben hinaus anzuwachsen. Bei schweren Erkrankungen pflegt die op¬ 
sonische Kraft dagegen erheblich abzufallen. (Journ. of path. and bact., 
Vol. 12, p. 113, bzw. Ref. Hyg. Rundsch. 1908, S. 1124.) 


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150 


Infektionskrankheiten. 


Aus P. Heibergs Zusammenstellung geht hervor, daß l j b der Schar¬ 
lachtodesfälle innerhalb der ersten 4 Tage, 1 / 8 innerhalb der ersten 6 Tage 
und Va innerhalb der ersten 10 Tage eintritt. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 58, 
S. 79.) Karl Ernst Boehncke. 


Pneumonie. 

Jürgens teilt seine klinischen Untersuchungen über Pneumonie, ins¬ 
besondere den Wert der Röntgenuntersuchung mit. (Zeitschr. f. klin. Med. 
1907, Bd. 63, S. 377.) 

L. Heim empfiehlt zur Kapselfärbung bei Pneumoniekokken azurhaltige 
Methylenblaulösung und Fixierung mit Osmiumtetroxyd nach Argutinsky, 
Kayser und Hamm oder mit Methylalkohol. Zur Züchtung der Pneumo¬ 
kokken eignet sich nach Heim sehr gut nachstehendes Substrat. Zu 7 ccm 
Nähragar wird etwa 1 ccm folgender Zusammensetzung gefügt: 10g käuf¬ 
liches Hämoglobin werden mit 90 ccm destillierten Wassers und 10 ccm un¬ 
gefähr lOproz. Kalilauge versetzt. Das Ganze wird dann in strömendem 
Dampf sterilisiert. 

Um Pneumokokken längere Zeit lebensfähig und gut virulent zu er¬ 
halten, wird die Antrocknung an Seidenfäden empfohlen. Heim gelang es 
unschwer, die Kokken auf diese Weise 6 Monate und darüber lebensfähig 
zu erhalten. Mit dieser Methode konnte er Typhus- und Diphtheriebazillen 
2 Jahre, den Micrococcus tetragenus sogar 4 Jahre lang keimfähig und 
virulent erhalten, während z. B. dieser Aufbewahrungsmodus völlig versagte 
für Meningo- und Gonokokken, sowie Vibrionen. (Deutsche med. Wochenschr. 
1907, S. 1587.) 

Wiens teilt mit, daß zum Nachweis der Pneumoniekokken im Blut sich 
leicht alkalisches lOproz. Peptonwasser mit 1 Proz. Dextrose sehr gut 
eignet. Zu 10 ccm dieser gerinnungshemmend wirkenden Nährlösung wird 
etwa 1 ccm Venenblut gegeben. Nach 20, 24, ev. 48 Stunden hat Aussaat 
auf Agarplatten zu geschehen. Das Verfahren soll bessere Resultate liefern, 
als das gewöhnliche Blutagarverfahren. (Münch, med. Wochenschr. 1907, 
S. 1572.) 

R. Levy fand bei seinen differentialdiagnostischen Studien über Pneumo¬ 
kokken und Streptokokken, daß das taurocholsaure Natrium in einer Kon¬ 
zentration von 2,5 Proz. bei allen durchsuchten Stämmen von Diplococcus 
lanceolatus und Streptococcus mucosus mikroskopisch eine vollkommene Bak- 
teriolyse bewirkt, daß dagegen alle anderen Streptokokken in keiner Weise 
davon beeinflußt werden. 

Für die Praxis empfiehlt Levy folgende Zusammensetzung seines Dia- 
gnostikums: Man vermischt gleiche Teile (je 0,5 ccm) einer 24 ständigen 
Bouillonkultur und einer 5 oder lOproz. Lösung von taurocholsaurem 
Natrium in Bouillon und als Kontrolle desgleichen Bouillonkultur und ge¬ 
wöhnliche Nährbouillon zu gleichen Teilen. Nach kurzem kräftigen Schütteln 
sieht man dann — meist sofort, seltener etwas später —, daß die mit gallen¬ 
saurem Natron versetzte Bouillon klar und aufgehellt erscheint. Ent¬ 
scheidend ist aber erst das mikroskopische Bild im hängenden Tropfen. Von 


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Pneumonie. 


151 


den VersuchBröhrchen mit Pneumokokkus oder Streptococcus mucosus ist im 
hängenden Tropfen nichts von Kokken zu sehen, während sie sich im Kon- 
trollröhrchen (ohne tanrocholsaures Natron) und ebenso in taurocholsauren 
Bouillonröhrchen mit (anderen) Streptokokken in reichlicher Anzahl finden. 
(Virch. Arch. f. pathol. Anat. 1907, Bd. 187, Heft 2.) 

M. Nicolle et Adil-Bei haben die Wirkung der Galle und der Gallen¬ 
salze anf Pneumokokken in vitro und in vivo geprüft. Sie fanden Auflösung 
der Pneumokokken in Rinder- und Kaninchengalle, sowie in Gallensalzen, 
eine Tatsache, die diagnostisch von großem Wert ist. (Annal. de l’inst. 
Pasteur 1907, p. 20.) 

M. Nicolle fand, daß der B. subtilis eine ausgesprochene bakterio- 
lytische Wirkung hat gegenüber dem Pneumokokkus. Ähnlich wie frische 
Kultur wirken auch Filtrate des B. subtilis. Die hämolytische Wirkung 
dieser Filtrate kann verglichen werden mit derjenigen der Galle. Nach 
diesem Verfahren hat Nicolle Immunisierung gegen Pneumokokkeninfektion 
versucht. (Annales de l’inst. Pasteur 1907, p. 713.) 

J. L. Berrys Studien über die Beständigkeit verschiedener Eigen¬ 
schaften des Pneumokokkus ergeben, daß fast alle diese sehr unbeständig 
sind, so namentlich auch die Fähigkeit zur Vergärung des Inulins. Daraus 
ergibt sich die Unbrauchbarkeit der sogenannten Inulinproben. Denn während 
die Pneumokokken das Vergärungsvermögen verlieren, bzw. überhaupt nicht 
zeigen, bleibt diese Eigenschaft anderen Mikroorganismen, z. B. den Strepto¬ 
kokken, dauernd eigen. (Journ. of inf. dis., Vol. 4, p. 93.) 

Buerger and Ryttenberg haben ebenfalls die speziellen Eigenschaften 
der Pneumokokken untersucht, dabei aber keine scharfe Trennung durch¬ 
geführt zwischen diesen und den Streptokokken. (Journ. of inf. dis., VoL 4, 
p. 609.) 

A. Wadsworth empfiehlt zur Beseitigung der Pneumokokken aus der 
Mundhöhle des Menschen Ausspülungen mit 30 proz. Alkohol. (Journ. of 
inf. dis., Vol. 3, p. 744.) 

R. Süpfle stellt fest, daß Streptokokkenotitiden häufiger sind als 
Pneumokokkenotitiden. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. I, Orig., Bd. 42, S. 304.) 

v. Ko6s berichtet über drei Fälle von Pneumokokken - Peritonitis im 
Kindesalter. Auf welchem Wege die Pneumokokken in die Bauchhöhle 
hineingelangen, ist strittig. Meist kommt die Krankheit bei Mädchen vor. 
(Arch. f. Kinderheilk., Bd. 46, Heft 3.) 

J. Heyrovsky züchtete virulente Stämme von Diplococcus pneumoniae 
und Streptococcus mucosus auf Glucosebouillon. Mit den Filtraten dieser 
Kulturen vermochte er bei Mäusen nach intraperitonealer oder subkutaner 
Injektion hämorrhagische Exantheme hervorzurufen. (Wien. klin. Wochenschr. 
1907, S. 248.) 

H. KWolf fand, daß die Menge der Opsonine in dem Blut pneumonie¬ 
kranker Menschen zunächst abnimmt, dann jedoch ansteigt und nur in den 
tödlich verlaufenden Fällen auf einer niedrigen Stufe bleibt. (Journ. of inf. 
dis., Vol. 3, p. 731.) Karl Ernst Boehncke. 


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152 


In f ektionskrankh eiten. 


Infiuensa. 

6. Ghedini konnte (entgegen den Angaben Pfeiffers) den Influenza- 
bazillns bei schweren Fällen Btets oder fast stets im Blute und im Milzsafte 
nachweisen. (Zentralbl f. Bakt., Abt.1, Orig., Bd. 43, S. 407.) 

W. Spät beobachtete einen Fall von Influenzabazillenpyämie. Es ge¬ 
lang ihm, noch intra vitam aus dem Venenblut des septischen Patienten In¬ 
fluenzabazillen zu isolieren. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, S. 1207.) 

D. J. Davis stellte durch zahlreiche Versuche fest, daß die bisher be¬ 
kannten Bakterien, welche nur auf Blutnährböden gedeihen, darunter die 
Influenzabazillen, Hämoglobin von allen möglichen Tieren zu benutzen ver¬ 
mögen, ungeachtet, ob es sich um Warm- oder Kaltblüter handelt. Dagegen 
sind sie nicht imstande, Hämocyanin, Ilämerythin und Ecbinochrom zu be¬ 
nutzen. Hämoglobin reicht schon in minimalsten Mengen aus (z. B. 1:180 000), 
um ihre Entwickelung in Gang zu bringen. (Journ.of inf. dis., Vol. 4, p. 73.) 

Laubenheimer fand, daß Influenzabazillen bei der Ätiologie einer 
Cholecystitis eine weit größere Rolle spielen, als man bisher annahm. Da¬ 
neben kommt natürlich B. coli commune in erster Linie als Erreger des 
Gallenblasenempyems in Betracht. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 58, S. 64.) 

F. Karewski berichtet über einen Fall von Lebereiterung nach In¬ 
fluenza unter Zitierung eines gleichen, von Körte beschriebenen Falles. 
(Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 756.) 

C. Klieneberger beschreibt drei Krankheitsfälle, bei denen hämo- 
globinophile Stäbchen im Hskrne sich fanden. Im ersten Fall war schon das 
Wachstum auf der Originalagarplatte ein äußerst spärliches, eine Weiter¬ 
züchtung gelang nicht. Im zweiten Falle wurden echte Influenzabazillen 
festgestellt. Im dritten Falle bandelte es sich um Pseudoinfluenzabazillen. 
In allen Fällen fanden sich neben dem geschilderten Befunde noch bekannte 
Krankheitserreger, wie Staphylo- und Streptokokken, so daß Klieneberger 
wohl recht hat mit seiner Ansicht, daß den Influenzastäbchen pathogene 
Wirkung in diesen Fällen nicht zuzuschreiben sei. (Deutsche med. Wochenschr. 
1907, S. 1736.) 

Saathoff verimpfte Influenzabazillen in mehreren Passagen zusammen 
mit Streptokokken auf Mäuse. Dadurch wurde ihre Virulenz so gesteigert, 
daß schließlich etwa 1 / a Öse einer Reinkultur genügte, um bei intraperi¬ 
tonealer Injektion das Tier nach 24 Stunden durch Septikämie zu töten. 
(Münch, med. Wochenschr. 1907, S. 2220.) 

F. Tedesko berichtet über 1479 Untersuchungen auf Influenzabazillen 
in den Jahren 1896 bis 1906. Ein genaues Literaturverzeichnis ist bei¬ 
gefügt. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. I, Orig., Bd. 43, S. 322.) 

R. Tunnicliff und D. J. Davis haben Untersuchungen darüber an¬ 
gestellt, ob sich bei den Influenzabazillen ein Zusammenhang zwischen der 
Aufnahme durch die Leukocyten und der Wirkung der Opsonine feststellen 
lasse. Nach ihren Ergebnissen ist das nicht oder wenigstens nicht in sicht¬ 
lichem Maße der Fall. (Joux-n. of inf. dis., Vol. 4, p. 66—72, bzw. Ref. 
Hyg. Rundsch. 1908, S. 833.) Karl Ernst Boehncke. 


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Keuchhusten. 


153 


Keuohhusten. 

L. Ekstein berichtet über eine schwere, mit Masern komplizierte 
Keuchhustenepidemie. (Prager med. Wochenschr., Jabrg. 32, S. 430.) 

J. Bordet und 0. Gengou machen Mitteilungen über die kulturellen 
Eigenschaften deB von ihnen entdeckten Erregers des Keuchhustens. Die 
Bazillen wachsen langsam in der ersten Kultur. In der Strichkultur wachsen 
sie als weißlicher, schmaler, ziemlich dicker Streifen. Sehr ähnlich ver¬ 
halten sie sich dem Pfeifferschen Influenzabazillus. Zur Unterscheidung 
beider sind Kulturen auf Blutagar ausschlaggebend. Hier lassen sich die 
dickeren, weißlichen, schmal bleibenden Strichkulturen unschwer unter¬ 
scheiden von den zarteren und sich ausbreitenden Influenzakolonien. Außer¬ 
dem neigen die Keuchhustenbazillen viel weniger zur Bildung von Involutions¬ 
formen als die Influenzastäbchen. Auch auf flüssigen Nährböden findet bei 
genügendem Luftzutritt gutes Wachstum der Keuchhustenerreger statt. Be¬ 
sonders gut geeignet ist Peptonbouillon mit 1 Proz. Glycerin, zu gleichen 
Teilen mit Pferdeserum (auf 57° erhitzt) gemengt. 

Behandelten die Autoren Pferde mit Keuchhustenkulturen vor, so ergab 
sich ein sehr stark agglutinierendes Serum. Mit Patientenserum ließen sich 
keine besonders übereinstimmenden Agglutinationsresultate erzielen. Das 
Serum von rekonvaleszenten Kindern hat in einer Anzahl von Versuchen 
eine deutliche, sensibilisierende Wirkung ergeben. 

Die Injektion von geringen Bakterienmengen genügt schon, um bei 
Meerschweineben Vergiftungserscheinungen und Tod innerhalb 2 bis 3 Tagen 
zu beobachten. Selbst Kulturen, die mit Toluol abgetötet oder erhitzt sind, 
wirken bei intraperitonealer Einverleibung letal. (Annal. de l’institut Pasteur 
1907, No. 9, p. 720.) 

Reyher hat bei Keucbhustenfällen sehr kleine Polbakterien feststellen 
können. Sie wachsen auf den gewöhnlichen Nährsubstraten sehr spärlich 
mit kaum sichtbaren Kolonien. Am besten ist das Wachstum auf Löffler- 
Serum. Doch ist ihre Lebensdauer auch hierauf nur eine kurze, meist nicht 
über 48 Stunden dauernd. 

Reyher macht gegenüber Bordet und Gengou Prioritätsansprüche 
geltend für die Entdeckung des Keuchhustenerregers. (Zentralbl. f. Bakt., 
Abt.I, Orig., Bd.44, S.493, bzw. Annal.de l’institut Pasteur 1907, Vol. 21, 
No. 9, p. 727.) 

J. Bordet et 0. Gengou halten die von ihnen beschriebenen Stäbchen 
nicht für identisch mit den Rey her sehen Bakterien und bemängeln die un¬ 
genügenden experimentellen Untersuchungen von Rey her. (Annal. de 
Pinstitut Pasteur 1907, No. 9, p. 727.) 

M. Neisser und L. H. Marks haben die früher von ersterem ge¬ 

machten Beobachtungen, daß in Berlin und Christiania unter Kindern von 
1 bis 3 Jahren mehr Mädchen als Knaben an Keuchhusten starben, allgemein 
bestätigt gefunden, da sie die gleichen Feststellungen machen konnten für 
die Schweiz, Paris, Budapest, England, Neuyork, Chicago, Japan und Sydney. 
(Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 59, S. 123.) Karl Ernst Boehncke. 


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164 


Infektionskrankheiten. 


Meningitis cerebrospinalis. 

K. Kutscher empfiehlt zur Züchtung von Meningokokken einen Pla- 
centa-Rinderserumagar von folgender Herstellung und Zusammensetzung: 
Eine möglichst frische, menschliche Placenta wird in kleine Stücke ge¬ 
schnitten und mit dem ausfließenden Gewebssaft gewogen. Dazu wird die 
doppelte Gewichtsmenge Wasser hinzugesetzt und nun ein 2 1 / a proz. Agar 
davon bereitet unter Zusatz von 2 Proz. Nutrose, 2 Proz. Pepton Chapoteat, 
1 Proz. Glucose und */ s Proz. Kochsalz. Die Reaktion soll schwach alkalisch 
sein. Nach Fertigstellung wird dieser Agar in 100 ccm-Kölbchen abgefüllt 
und sterilisiert. Vor dem Gebrauch kommt zu drei Teilen des Agars ein 
Teil steriles Rinderserum, das in Kölbchen von 50 ccm 4 Tage hintereinander 
je 1 Stunde bei 60° sterilisiert ist. (ZentralbL f. Bakt., Abt. I, Orig., Bd. 45, 
S. 286.) 

Bennecke schreibt, daß es ihm gelungen sei, zweifellose Meningo¬ 
kokken in den ersten Generationen auf ganz gewöhnlichem Nähragar zu 
züchten. (Münch, med. Wochenschr. 1907, S. 2179.) 

A. Ghon stellt fest, daß zurzeit die Forscher sich über die morphologi¬ 
schen und kulturellen Eigenschaften der Weichselbaumschen Meningo¬ 
kokken alle einig sind. Die Fähigkeit derselben, in Nährböden mit Glycose- 
und Maltosegehalt Säuerung hervorzubringen, hält Ghon für kein besonders 
wichtiges Merkmal, da sie unter den einzelnen Stämmen variiert. (Wien, 
klin. Wochen sehr. 1907, S. 1277.) 

Arkwright hat in der Cerebrospinalflüssigkeit außer Meningokokken 
auch andere, gramnegative Kokken gefunden. (Journ. of hygien., VoL 7, 
p. 193.) 

Derselbe Verfasser hat genaue Untersuchungen angestellt über den 
Micrococcus catarrhalis, der morphologisch und kulturell dem Meningokokkus 
sehr ähnlich ist. Doch wird er nur durch spezifisches Serum agglutiniert 
und läßt sich dadurch vom Meningokokkus unterscheiden. (Journ. of hyg., 
Vol.7, p. 145). 

L. Jehle berichtet gleichfalls über das Vorkommen des Meningokokkus 
und des Micrococcus catarrhalis in der Nase. (Wien. klin. Wochenschr. 
1907, S.8.) 

A. Baginsky veröffentlicht fünf Fälle von Meningitiden, die sich 
klinisch von der echten epidemischen Cerebrospinalmeningitis nicht abtrennen 
ließen. Da aber echte Meningokokken fehlten, dafür andere Eiterkokken 
(darunter der Micrococcus flavus) gefunden wurden, stellte er die Diagnose: 
Meningitis pseudoepidemica. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, S. 385.) 

v. Hibler teilt den bakteriologischen Befund bei drei Fällen von Cere¬ 
brospin almeningitis mit. Bei einem Fall fand er echte Meningokokken, in 
den beiden anderen aber gleichfalls gramnegative Kokken, die sich aber 
morphologisch wie kulturell von dem Micrococcus meningitidis unterscheiden 
ließen. (Wien. klin. Wochenschr. 1907, S. 361.) 

K. Hölker weist auf die für die Bekämpfung der Genickstarre sehr 
wichtige Tatsache hin, daß sich bei sporadischen Meningitisfällen Meningo- 


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Digiti: 



Meningitis cerebrospinalis. 


155 


kokken häufig sehr spät, bis zur fünften Woche bisweilen, finden lassen. 
(Berl. klin. Wochenschr. 1907, S. 1063.) 

L. Pick berichtet über einen Fall von Meningitis epidemica, bei dem 
bei der Obduktion ein Empyem der beiden Vesiculae seminales diagnostiziert 
wurde. Im Eiter fanden sich Meningokokken, die mikroskopisch und kul¬ 
turell, sowie durch Serumreaktionen identifiziert wurden. (Berl. klin. 
"Wochenschr. 1907.) 

Jacobitz hat bei einer kleinen Genickstarreepidemie den Meningo¬ 
kokkus mehrfach als Erreger von Krankheiten der Luftwege feststellen 
können. In vier Fällen trat zu der enstandenen croupösen bzw. Broncho¬ 
pneumonie noch Genickstarre hinzu. Bei den anderen Fällen von Bronchitis, 
cronpöser und Bronchopneumonie handelte es sich um eine Mischinfektion 
■von Meningokokken und Pneumokokken. Es konnten dabei aus dem Sputum 
oder aus den Organen durch Agglutination (1:200 bis 500) identifizierte 
Meningokokken gezüchtet werden. Der Micrococcus catarrhalis Pfeiffer 
wurde durch Krankenserum überhaupt nicht, durch Meningokokkenserum 
nur 1: 20 agglutiniert. 

Außer den Erkrankten wurde noch bei 110 Personen der Rachen¬ 
schleim untersucht. Bei 30 fanden sich verdächtige intracelluläre gram¬ 
negative Kokken. Bei einem von diesen Fällen ließ sich kulturell ein echter 
Meningokokkenstamm herauszüchten. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 56, S. 175.) 

Westenhoeffer legt großen Wert auf die epidemiologische Bedeutung 
von Rachenerkrankungen bei der epidemischen Genickstarre, besonders bei 
Erwachsenen, die die Keime durch Ausspeien verstreuen. Er beobachtete 
ferner einen bisher einzig dastehenden Fall von Meningitis epidemica nach 
Lumbalinjektion von Stovai'n. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, S. 1213.) 

R. Bochalli berichtet eingehend über das Vorkommen von Meningo¬ 
kokken im Nasen-Rachenraum Gesunder aus der Umgebung von Kranken. 

Von besonderem Interesse sind seine Untersuchungen darüber, ob 
Zigarren- oder Zigarettenrauch eine gewisse Bedeutung für das Vorkommen 
von Meningokokken hat. 43 Kokken träger waren sämtlich Raucher. Viele 
davon rauchten auch durch die Nase. Auch im Experiment angestellte Ver¬ 
suche darüber, ob ein Einblapen von Rauch auf die Meningokokkenkulturen 
schädigend wirkt, zeigten negatives Resultat. 

Sehr häufig wurde unter den Kokkenträgern ein von der Norm ab¬ 
weichender Rachenbefund erhoben. (Inaug.-Dissert. Breslau.) 

J. Eberle macht eingehende Mitteilungen über die Agglutination der 
Meningokokken. Er prüfte 18 Stämme. Sie verhielten sich in der Agglu- 
tinabilität gegenüber gleichem Serum ganz verschieden. Ebenso agglu- 
tinierten verschiedene Sera (Meningokokken-Pferdesera Berlin, Bern und 
Merck) ein und denselben Stamm ganz verschieden. Man kann die Stämme 
einteilen in leicht, mittelschwer und schwer agglutinable. Ferner prüfte 
er zwei Sera von Meningitiskranken. Sie zeigten keine starke aggluti¬ 
nierende Fähigkeit. Von zwei Patienten, die mit Meningokokkenserum vor¬ 
behandelt waren, zeigte das Serum bei der Prüfung Agglutination von 1:200 
bzw. 1:20. 


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156 


I nf ektionBkrank heiten. 


Auch nicht spezifische Meningokokkensera, z. B. Normalserum, Tetanus-, 
Diphtherie- und Streptokokken-Pferdeserum, zeigten agglutinierende Wirkung 
auf Meningokokken, aber die Agglutinationsgrenzen blieben weit zurück 
gegen die mit Meningokokkensernm. Der oberste Grenzwert der ersteren 
zeigte sich bei Verdünnung 1:100. 

Die Temperatur ist gleichfalls von Einfluß auf die Agglutination der 
Meningokokken. Bei Zimmertemperatur werden sie nicht so leicht agglutiniert; 
höhere Temperatur — 35 bis 37° und 56 bis 58° C — bewirken eine raschere 
und bessere Agglutination. Das Maximum der Agglutination tritt zumeist 
erst am zweiten Tage nach etwa 38 bis 42 Stunden auf, nur ausnahmsweise 
schon innerhalb 24 Stunden. 

Mit dem Meningokokkenserum kann man auch andere verwandte Kokken 
agglutinieren, z. B. Gonokokken (1:200) oder Diplococcus crassus (1:100). 

Der diagnostische Wert der Agglutination für Meningokokken wird 
daher zumeist nur ein relativer und kein ausschlaggebender wie bei Typhus, 
Cholera usw. sein. (Arch. f. Hygiene, Bd. 64, S. 171.) 

0. Brian glaubt, daß durch das von Gaehtgens für die Typhus¬ 
diagnose angegebene Verfahren die Agglutination der Meningokokken wesent¬ 
lich beschleunigt werden kann. Dazu werden die in den Serumverdünnungeu 
aufgeschwemmten Meningokokken 10 bis 15 Minuten lang zentrifugiert und 
dann die Gläschen von unten betrachtet. Bei positivem Ausfall der Reaktion 
ist dann ein flockiger Bodensatz ausgefallen, der auch heim Schütteln deut¬ 
liche Flockenform bewahrt. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. I, Orig., Bd. 43, S. 745.) 

D. J. Davis’ Untersuchungen über Meningokokken sind dadurch be¬ 
sonders interessant, daß darin Versuche über Verimpfung derselben auf 
Menschen geschildert werden. Abgetötete, eine halbe Stunde auf 65° er¬ 
hitzte Kokken wurden an zwei Patienten verspritzt, die bereits an Meningitis 
litten. Der Erfolg war kein erheblicher. Dann spritzte sich der Verfasser 
selbst Meningokokken ein, was ziemlich heftige Reaktionserscheinungen zur 
Folge hatte. Etwa 4 Tage lang stellte sich Fieber, schwere Abgeschlagen- 
heit usf. ein, und noch einen ganzen Monat lang konnte abends eine 
mäßige Steigerung der Temperatur festgestellt werden. (Journ. of inf. dis. 
Vol. 4, p. 558.) 

F. Ditthorn und W. Schulz haben bei ihren Untersuchungen über 
das Agglutinationspbänomen bei epidemischer Genickstarre gefunden, daß 
außer dem Agglutinationsverfahren mit Blutserum bei kritischer Handhabung 
auch die Agglutination mit Vesikatorinhalt in einer Reihe von Fällen brauch¬ 
bare Resultate zu liefern imstande ist (Hyg. Rundsch. 1907, S. 1335.) 

A. Wassermann berichtet über 102 Fälle, bei denen das Meningo¬ 
kokkenheilserum Anwendung fand. Zur Beurteilung der W irkung sind davon 
nur 57 Fälle geeignet Von diesen starben 27, d. h. 47 Proz. Bei den 
Kranken, die am ersten bzw. zweiten Krankheitstage mit dem Heilserum 
behandelt waren, stellte sich die Sterblichkeit auf 21 Proz. Von den in der 
ersten und zweiten Woche mit Serum behandelten Kranken starben 39 Proz. 
Bei Kranken, bei denen das Serum erst später gegeben wurde, betrug die 
Sterblichkeit 81 Proz. Je früher also die Serumbehandlung einsetzt, um so 


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Meningitis cerebrospinalis. 


157 


bessere Aussichten gibt sie. Unangenehme oder schädliche Folgen nach der 
Injektion sind auch nach Einverleibung größerer Dosen (einmal 130 ccm in 
7 Tagen) nicht beobachtet. Die Injektion geschieht subkutan oder intravenös 
oder in den Rückenmarkskanal. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 1585.) 

W. Schultz kommt beim Vergleiche von 23 mit dem Kolle-Wasser- 
mannsehen Heilserum behandelten GenickBtarrefällen mit 41 Fällen-, die 
ohne Serum behAndelt wurden, zu der Schlußfolgerung, daß zurzeit die 
epidemische Genickstarre mit diesem Mittel noch nicht genügend bekämpft 
werden könne. (BerL klin. Wochenschr. 1907, S. 1671.) 

A. Seringhaus kommt auf Grund seiner Erhebungen zu dem Schluß, 
daß die Versuche der Behandlung der Genickstarrefälle mit spezifischem 
Serum fortzusetzen seien. Von Wichtigkeit dabei ist, daß mit der Serum¬ 
behandlung frühzeitig begonnen wird, und daß die Injektionen (20ccm) 
täglich, ohne Zwischenpause, gemacht werden. Prophylaktisch soll auch 
gesunden Kokkenträgern, womöglich jeder gesunden Person aus der Um¬ 
gebung der Genickstarrekranken Serum injiziert werden. (Inaug.-Diss., 
Leipzig 1907.) 

K. Kutscher weist hinsichtlich der Übertragbarkeit den gesunden Keim¬ 
trägern die Hauptrolle zu. Der eigentliche Genickstarrekranke soll dagegen 
verhältnismäßig selten Veranlassung geben zu Neuinfektionen. Das Haupt¬ 
gewicht für die Verhütung und Bekämpfung der Krankheit ist deshalb auf 
Feststellung und Unschädlichmachung der gesunden Keimträger zu legen. 
Da im Nasen-Rachenraum fast stets noch gramnegative Diplokokken Vor¬ 
kommen, die im mikroskopischen Bilde Bich in nichts von echten Meningo¬ 
kokken unterscheiden, muß zur Entscheidung stets das Kulturverfahren mit 
herangezogen werden. Ujn Keimträger von den Meningokokken zu befreien, 
wird die Einbringung von Wasserstoffsuperoxyd mittels eines Sprays in den 
Nasen-Rachenraum empfohlen. (Med. Klinik 1907, Nr. 12.) 

Raozynski hat 14 Fälle von Meningitis mit Jochmannschem Serum 
behandelt, und zwar mit Injektionen von 10 bis 20 ccm in den Rüokenmarks- 
kanal. Die Resultate waren keine besonders günstigen. (Wien. klin. 
Wochenschr. 1907, S. 1641.) 

F. Ditthorn und E. Gildemeister haben 280 Untersuchungen von 
genickstarreverdächtigem Material ausgefübrt. Sie betonen die Schwierig¬ 
keit des Nachweises der Meningokokken aus dem Nasen-Rachenscbleim. Bei 
dem aus Krankenhäusern eingesandten Material gelang der Nachweis in 
26,9 Proz. der Fälle; bei den von auswärts eingesandten Proben war das 
Resultat noch ungünstiger. Mit der serodiagnostischen Untersuchung hatten 
sie in 12 von 15 Fällen Erfolg. (Klin. Jahrbuch 1907, Bd. 17, Heft 1.) 

Wollenweber hatte bei seinen Untersuchungen von genickstarre- 
verdächtigem Material ausgezeichnete Resultate. Aus einem Bezirk stam¬ 
mendes Material zeigte sich in 100 Proz. positiv. Wollenweber glaubt, 
seine Untersuchungserfolge der schnellen Verarbeitung der einzelnen Proben 
zu verdanken. Spinalflüssigkeit ist besser dazu geeignet als Nasenschleim. 
Für die Diagnose „Meningokokken“ erhebt Wollenweber folgende For¬ 
derungen : 


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158 


Infektionskrankheiten. 


1. Auf der Ascitesagarplatte müssen sich charakteristisch beschaffene 
Kolonien finden; 

2. die Kolonien müssen ans reinen gramnegativen, charakteristische 
Formen bietenden Diplokokken bestehen und 

3. bestimmte Agglutinationserscheinungen zeigen, und zwar: 

a) vollständige Agglutination mit Meningokokkenserum (Berlin, Institut 
für Infektionskrankheiten) bei einer Verdünnung von mindestens 1:200 
nach 24 Stunden im Brutschrank, 

b) keine Agglutination mit normalem Serum derselben Tierspezies bei Ver¬ 
dünnung von 1:100 nach 24 Stunden. (Klin. Jahrbuch 1907, Bd. 17, Heft 1.) 

R Lehmann bespricht in eingehender Weise die epidemische Genick¬ 
starre und ihre Bekämpfung vom Standpunkt der öffentlichen Gesundheits¬ 
pflege. (Deutsche Med.-Zeitung 1907, Nr. 36.) 

Der Bericht über das Vorkommen der übertragbaren Genick¬ 
starre in Preußen im Jahre 1905 gibt eine genaue Darstellung der An¬ 
zahl, der örtlichen und zeitlichen Verteilung der Kranken, ferner über das 
Geschlecht und Lebensalter der Kranken, sowie über den Ausgang der Er¬ 
krankungen, die Befunde der bakteriologischen Untersuchungen, sowie die 
Krankheitsübertragungen. (Ministerialbl. f. Medizinal- u. med. Unterrichts- 
Angelegenheiten 1907, Nr. 17, S. 334, bzw. Hygien. Rundsch. 1908, S. 426.) 

Kr oh ne beschreibt das Auftreten der übertragbaren Genickstarre im 
Regierungsbezirk Düsseldorf 1905/06 und ihre Bekämpfung. Die eigentliche 
Epidemie umfaßt 272 Erkrankungen mit 177 Todesfällen (65 Proz.). Vorher 
waren schon 23 Fälle zur Beobachtung gelangt. Zur Bekämpfung fordert 
Kr oh ne außer der völligen Isolierung der Kranken eine solche auch für die 
Bazillenträger. (Klin. Jahrbuch, Bd. 17, 1907, Heft 1.) 

E. Rapmund veröffentlicht eine eingehende Studie über „Die Meningitis 
cerebrospinalis epidemica im Großherzogtum Hessen mit besonderer Berück¬ 
sichtigung des Jahres 1905“. (Zeitschr. f. Medizinalbeamte 1907, S.539 
bis 563). 

Bahr leitet aus seinen Beobachtungen bei der Genickstarreepidemie im 
Stadtkreis Duisburg und im Kreise Ruhrort (Winter 1905 bis Sommer 1906) 
nachstehende Folgerungen her: 

1. Eine wirksame Bekämpfung der übertragbaren Genickstarre ist nur 
dann möglich, wenn zu den örtlichen Ermittelungen bakteriologische hinzu¬ 
kommen, um in den einzelnen befallenen Familien möglichst schnell die 
Bazillenträger zu ermitteln. 

2. Diese bakteriologische Untersuchung muß eine direkte und unmittel¬ 
bare sein, weil das empfindliche Untersuchungsmaterial durch den Transport 
leidet oder unbrauchbar wird, und weil es bei weiteren Entfernungen dem 
beamteten Arzt nicht gelingen wird, die als Bazillenträger verdächtigen 
Personen anzutreffen. (Fliegende Laboratorien, die mit dem Kreisarzt ge¬ 
meinschaftlich arbeiten, sind zu empfehlen.) 

3. Die bakteriologisch ermittelten Bazillenträger müssen der Behandlung 
unterzogen und jedenfalls von den Arbeitsstätten ferngehalten werden, wo 
sie mit anderen Arbeitern in engere Berührung kommen. 


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159 


Meningitis cerebrospinalis. Tetanus. 

4. Jede an Genickstarre erkrankte Person stellt eine neue Infektions¬ 
quelle dar und muß isoliert werden. Besonders wichtig ist die Isolierung 
mit Rücksicht auf den oft sehr langwierigen Verlauf der Krankheit. 

5. Die Desinfektion (fortlaufende und Schlußdesinfektion) ist nicht zu 
entbehren, weil durch sie die von Kranken ausgestreuten Keime unschädlich 
gemacht werden. (Klin. Jahrbuch 1907, Bd. 17, Heft 1). 

Kn aut h ist der Ansicht, daß epidemische Genickstarre nicht allein 
durch den Weichselba um sehen Meningokokkus, sondern auch durch 
Pneumokokken, Staphylo-, Streptokokken und Influenzabazillen erregt werden 
kann. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 8.) 

Kovarizek hat eine echte Meningitis cerebrospinalis epidemica mit 
Jochmannschem Serum behandelt. Am 4., 11. und 17. Krankheitstage 
wurden je 20 ccm Serum eingespritzt. Nach der zweiten und dritten In¬ 
jektion trat Tachykardie ein. (Deutsche Med.-Zeitung 1907, Nr. 65). 

L. Jehle empfiehlt auf Grund Beiner Beobachtungen über die Ahtötung 
von Meningokokhen durch Pyocyanase in vitro bei Genickstarrekranken und 
Bazillenträgern eine lokale Behandlung mit Pyocyanase mittels Einträufelns 
oder Spray. (Wien. klin. Wochenschr. 1907, S. 8.) 

Karl Ernst Boehncke. 


Tetanus. 

Th. Madsen: „Tetanusgift im Serum eines diphtherieimmuni¬ 
sierten Pferdes, fünf Tage vor dem Ausbruch von Tetanus.“ 
(Zentralbl. f. Bakt., Orig., Bd. 46, S. 276.) Ein zur Gewinnung von Diphtherie- 
serum immunisiertes Pferd erkrankte, ohne daß man eine Infektionsstelle 
hat erkennen können, an Tetanus, nachdem ihm fünf Tage vorher Blut zur 
Serumgewinnung abgezapft worden war. In dem Serum wurden 300 bis 
500 Diphtherieantitozineinheiten festgestellt; 10 ccm, einem Meerschweinchen 
subkutan injiziert, ließen das Tier an Tetanus erkranken und nach neun 
Tagen sterben. Auch das durch Chamberlandkerzen filtrierte Serum ließ 
bis zu einer Menge von 0,5 ccm Meerschweinchen an Tetanus erkranken. 
Durch Tetanusantitoxin konnte man das im Serum vorhandene Toxin binden. 

Es ergibt sich, daß in dem Blutserum des Pferdes bereits fünf Tage 
vor einer wahrnehmbaren titanischen Erkrankung Tetanusgift vorhanden 
war, und weiter die Forderung, jedes therapeutische PferdeBerum durch 
subkutane Injektion von 10 ccm bei einem Meerschweinchen auf Tetanus¬ 
toxin zu prüfen. 

A. Posselt: „Beiträge zur Tetanusantitoxinbehandlung 
(v. Behring) und zur Statistik des Starrkrampfs.“ (Zeitschr. f. Heil¬ 
kunde, Bd. 28, S. 12.) Obwohl die prophylaktische und therapeutische Teta¬ 
nusantitoxinbehandlung manchmal bzw. häufig im Stich läßt, so hält Ver¬ 
fasser es doch für falsch, ganz davon Abstand zu nehmen, da man doch 
nichts Besseres an seine Stelle setzen kann, zweifellos das Tetanusserum 
auch Gutes gestiftet hat. 

M. Rabinowitsch: „Experimentelle Untersuchungen über die 
Wirkung der Tetanusbazillen und ihrer Gifte vom Magendarm- 


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I nf ektionskrankhei ten. 


traktus aus. (Arch. f. Hygiene, Bd. 61, Heft 2, S. 103.) Es liegt in der 
Natur der Sache begründet, daß man mit ungekochten Speisen, z. B. Erd* 
beeren usw., Erde und mit dieser ev. auch Tetanuserreger in den Magen¬ 
darmkanal aufnehmen kann. Es sind zwar auf diesem Wege Tetanusinfek¬ 
tionen nach Ansicht des Referenten noch nicht zur Beobachtung gekommen. 
Der Verfasser konnte nun bei Kaninchen und Meerschweinchen durch Ein¬ 
verleibung von Tetanusbazillen und Tetanustoxin auch keine tetanischen 
Krankheitserscheinungen auslösen, dafür trat aber bei den Tieren ein Marasmus 
ein, an dem sie dann zugrunde gingen; hier und da wurden auch Lähmungen 
und cerebrale Erscheinungen beobachtet. Im Magen vernichtet die Salzsäure 
sowohl die Tetanusbazillen (die Sporen auch? Ref.), als auch die Gifte. 

W. Hoffmann. 


Fooken. 

Verbreitung, Therapie und Pathologie. 

Im Jahre 1905 Bind im Deutschen Reiche 212 Erkrankungen 
an Pocken zur amtlichen Kenntnis gelangt, davon 30 = 14,2 Proz. mit 
tödlichem Ausgange. Mehr als die Hälfte der Erkrankungen, nämlich 
113 = 53,3 Proz., betraf Ausländer (46 Italiener, 38 Russen, 7 Franzosen, 
5 Engländer, 4 Österreicher, 4 Luxemburger, 3 Belgier, 2 Norweger, 2 afri¬ 
kanische Neger, sowie je 1 Spanier und Mazedonier). Unter Hinzurechnung 
der bei jenen Ausländern festgestellten Erkrankungen sind auf eine 
Million Einwohner innerhalb Jahresfrist 3,5 (im Vorjahre 3,2) Personen 
an Pocken erkrankt. Nach Abzug der Ausländer sinkt diese Zahl auf 1,6 
(gegen 2,3 im Vorjahre). 

Von den 212 Pockenerkrankungen entfielen auf Elsaß - Lothringen 93 
(darunter 35 Italiener, 7 Franzosen, 4 Luxemburger, je 2 Österreicher und 
Belgier, 1 Engländer; im ganzen 51 Ausländer), auf Preußen 70 (darunter 
27 Russen, 8 Italiener, je 1 Österreicher und Belgier; im ganzen 37 Aus¬ 
länder), auf Mecklenburg-Schwerin 13 (einschließlich 4 Russen), auf Bayern 12 
(darunter 2 Ausländer), auf Bremen 10 (darunter 6 Ausländer), auf Mecklen- 
burg-Strelitz 4 (Russen), auf Hamburg 3 (je 1 Engländer, Mazedonier und 
afrikanischer Neger), ferner je 2 auf Baden und Schwarzburg-Sondershausen 
(alles Ausländer), je 1 auf Sachsen, Württemberg und Oldenburg (desgleichen 
alles Ausländer). In 14 Bundesstaaten (gegenüber 22 im Vorjahre) kamen 
Pocken überhaupt nicht zur Anzeige. 

Bezüglich der Herkunft der Pockenfälle läßt sich aus den amtlichen 
Unterlagen entnehmen, daß fast alle Erkrankungen auf Einschleppungen aus 
dem Auslände, besonders aus Rußland (im Jahre 1905 daselbst 49 352 Pocken¬ 
todesfälle!) und Frankreich (186 Pockentodesfälle im Jahre 1905) zurück¬ 
zuführen waren. 

Die Art und Weise der Einschleppungen geschah einmal durch 
den kleinen Grenzverkehr, worauf insgesamt 68 Pockenfälle zurückzubeziehen 
waren. Auf diese Weise entstand in den Kreisen Diedenhofen-Ost und 
-West, Metz (Stadt und Land) im Bezirk Lothringen eine Epidemie, wobei 
57 Personen erkrankten. Durch fremdländische Durchwanderer und Arbeiter, 
sowie deren Angehörige (insbesondere Russen und Italiener) wurden ina- 


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162 


Infektionskrankheiten. 


L. Voigt behandelt in seinem Artikel über Vaccineinfektion ebenfalls 
die unbeabsichtigte Übertragung des Kuhpockenimpfstoffs auf zum Ausschlag 
geneigte Haut. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 1196.) 

Stein hat drei Fälle sogenannter Vaccina generalisata bei Ekzem¬ 
kranken beobachtet. (Arch. f. Dermatol., Bd. 85, S. 145.) 

L. Voigt sucht zu präzisieren, was man als generalisierte Vaccine zu 
bezeichnen hat. Er verlangt, daß diese Bezeichnung nur für den auf häma¬ 
togenem Wege entstandenen allgemeinen Vaccineausschlag beschränkt bleibt. 
(Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 38.) 

C. Casagrandi ist es gelungen, ebenso wie die Vaccine, auch das 
Infektionsagens der Variola humana durch Berkefeld-, Chamberland- und 
Kitasatokerzen zu filtrieren. (Policlinico 1908, Bd. 11.) 

Mühlens und Hartmann haben die von Siegel beschriebenen Cytor- 
rhyctesformen im normalen Blute und in Gewebsbestandteilen nicht geimpfter 
Tiere gefunden. Eine Verwechslung mit Hämokonien, die Siegel behauptet, 
streiten die Verfasser auf das entschiedenste ab. (Münch, med. Wochenschr. 
1907, S. 223.) 

S. v. Prowazek veröffentlicht seine weiteren Studien über die Vaccine. 
Er sieht die Guarnerischen Körperchen als eine spezifische Reaktion des 
eingeführten Virus auf die Epithelzellen an. Die von Paschen (siehe diesen 
Jahresbericht 1906, S. 211) beschriebenen kleinsten Körperchen, sowie die 
Mühlens- und Hartmannschen Initialkörperchen könnten die Erreger der 
Vaccine sein. (Arb. a. d. Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 26, S. 59 bis 79.) 

Fr. Pröscher glaubt, daß die Pockenerrreger ein so starkes Licht¬ 
brechungsvermögen besitzen, daß wir sie mit den bisherigen Methoden nicht 
sichtbar machen können. Trotz Zentrifugierens von bakterienfreier Lymphe 
bis zu reinster Klarheit vermochte er noch mit ihr Pockenpusteln zu er¬ 
zeugen. Irgendwelche morphotische Elemente vermochte er in ihr nicht zu 
entdecken. Aus solcher Lymphe gelang es ihm nun, auf flüssigen wie auf 
festen Nährböden den Vaccineerreger zur Vermehrung zu bringen und bis 
zur vierten Überimpfung virulent zu halten. Tiere, die er mit solchen Rein¬ 
kulturen impfte, erkrankten mit typischer Pustelbildung. Er verwendete 
dazu Lymphe in Verdünnung von 1 :1000 Nährsubstrat. Auf festen Agar¬ 
nährböden blieb die Kultur unbegrenzt haltbar, auch nach Verlust der Viru¬ 
lenz. Sie bildete einen grauweißen, schmierigen Belag. Verimpft man 
Stückchen von diesem Belag auf Kälber, so erhält man gute Pustelbildung. 
Beim Verimpfen auf Kaninchencornea entsteht die deutliche Vaccinekeratitis. 
Mikroskopisch kann man dann in der Cornea die Guarnerischen Körper¬ 
chen nachweisen. Das Temperaturoptimum für die Züchtung soll 37° sein. 
(Zentralbl. f. Bakteriol., I. Abt., Orig.-Bd. 40, Heft 3.) 

E. Paschen hat bei Dunkelfeldbeleuchtung in Ausstrichen von dem 
Inhalt von Variolapusteln und von Kinderlymphe — beides stark mit Wasser 
verdünnt — ungeheure Mengen außerordentlich kleiner Körperchen von 
etwa 1 ' 2 ja Größe gefunden. (Münch, med. Wochenschr. 1907 und Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, S. 1974.) 


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Pocken. Verbreitung, Therapie und Pathologie. Impfstoff. 163 

Derselbe Verfasser ist in seinen Studien über den „Träger des 
Kontagiums der Variola nnd der Vaccine“ zu dem Schluß gekommen, 
daß die Bedeutung der Vaccinekörperchen zurzeit ganz ungeklärt scheinen 
muß. Während die als Guarnerische Körperchen bezeichneten Zell¬ 
veränderungen in der Kaninchencornea von vielen Autoren — besonders den 
amerikanischen — als Protozoen angesehen werden, halten andere sie für 
eine bestimmte Reaktion der Zellen, die ausgelöst wird durch den Erreger 
der Variola und Vaccine. (Arch. f. Kinderheilkunde, Bd. 47, S. 168.) 

Sakurane hat im Pustelsaft der Variola vera Spirochäten gefunden. 
(Sonderabdruck.) 

G. Volpino fand bei Dunkelfeldbeleuchtung kleinste, außerordentlich 
lebhaft bewegliche Körperchen, die, namentlich in Haufen, einen grünlichen 
Schein geben. Die Körperchen finden sich im Zellprotoplasma sowohl als 
in den Interzellularräumen. (Zentralbl. f. Bakteriol., Orig., Bd. 46, Heft 4, 
S. 322.) 

v. Pirquet veröffentlicht eine ausführliche „Klinische Studie über 
Vaccination und vaccinale Energie“. (Leipzig und Wien 1907, Franz 
Deuticke.) 

0. Heller und E. Tomarkin haben Untersuchungen darüber an- 
gestellt, ob die Methode der Komplementbindung beim Nachweis spezifischer 
Stoffe für die Vaccine brauchbar ist. Sie vermochten im Immunserum von 
Rindern, die mit Vaccine geimpft und intravenös immunisiert waren, gegen¬ 
über künstlichen Lympheagressinen keine spezifischen Stoffe nachzuweisen. 
(Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 795.) 

Jobling hat sich einen Auszug aus frischen, fein verriebenen Impf¬ 
pusteln hergestellt. Darauf ließ er Serum von geimpften und ungeimpften, 
normalen Kälbern einwirken. Als hämolytisches System wurden Hühner¬ 
blutkörperchen, sowie Kaninchen- und Hühnerserum verwendet. Bei den 
Versuchen ergab sich das Vorhandensein nur ganz geringer Mengen spezifi¬ 
scher Immunkörper. (Journ. of experim. med., Bd. 8, Nr. 6.) 

Impfstoff. 

Aus den Berichten über die Tätigkeit der im Deutschen Reiche 
errichteten staatlichen Anstalten zur Gewinnung von Tierlymphe 
während des Jahres 1906 ist folgendes zu erwähnen: 

Im Berichtsjahre bestanden 22 derartige Anstalten, und zwar in Königs¬ 
berg i. Pr., Berlin, Stettin, Oppeln, Halle a. S., Hannover, Kassel, Cöln, 
Minden, Dresden, Leipzig, Stuttgart, Cannstatt, Karlsruhe, Darmstadt, 
Schwerin, Weimar, Bernburg, Lübeck, Hamburg, Straßburg i. E., Metz, ln 
den Anstalten schwankt der durchschnittliche Erfolg an Rohimpfstoff zwischen 
6,9 (Hamburg) und 43,8 (Darmstadt). Der niedrigste Ertrag bei einem 
Tiere war 0 bzw. 0,64 g (Berlin bzw. München), der höchste 76,5 g (Darm¬ 
stadt). Die größte Quantität an Rohimpfstoff wurde produziert in Cöln mit 
1646,5 g, die kleinste Menge in Lübeck mit 74,7 g. Aus mehreren Impf¬ 
kreisen wird über lOOProz. Erfolge bei den Impfungen berichtet, und zwar 
nicht nur bei Wiederimpfungen, sondern sehr häufig auch bei Erstimpfungen 

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164 


Infektionskrankheiten. 


(Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt, Lübeck). In einigen Bezirken dagegen 
erwies sich die Wirksamkeit des Impfstoffs sehr herabgesetzt. So waren in 
Hannover die Erfolge im Berichtsjahr recht ungünstig. Die Impfstoffe von 
mehreren Kälbern zeigten einen Ausfall von über 50 Proz. Die Mißerfolge 
waren in erster Reihe auf die geringe Wirksamkeit der Lymphe zurück¬ 
zuführen. Krankheitszustände an Menschen nach der Impfung mit Tier¬ 
lymphe sind im ganzen nur vereinzelt zur Beobachtung gelangt. Bekannt 
geworden aus den gerichtlichen Untersuchungsakten gegen den betreffenden 
Impfarzt ist ein am 20. Tage nach der Impfung tödlich endender Fall von 
Vaccineausbruch auf ausgedehnten Stellen am Körper, namentlich am Kopf. 
Das Kind litt Beit dem vierten Lebensmonat an chronischen Ekzemen an den 
verschiedensten Stellen des Körpers. Von den etwa 20, mit dem ver¬ 
storbenen gleichzeitig geimpften ErBtimpflingen ist nicht die mindeste Ab¬ 
weichung im Verlauf der Schutzpocken bekannt geworden. 

Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen wurden in den einzelnen 
Anstalten an der Lymphe vorgenommen. In Königsberg gaben einige 
Pockenkranke Anlaß zu dem Versuch, Variolavaccine zu züchten. In Stettin 
wurden Versuche gemacht über die Einwirkung des Formaldehyds auf 
Kälberlymphe. Die Ergebnisse sprechen für eine deutliche Beeinträchtigung 
der Wirksamkeit der Lymphe durch die Formaldehydeinwirkung. In Halle a.S. 
wurde die Wirksamkeit der Stauungshyperämie auf die Entwickelung der 
Pocken erprobt. Aus den Versuchen geht folgendes hervor: 1. Eine Saug¬ 
wirkung von 1 Minute Dauer 24 Stunden nach der Impfung scheint keinen 
Einfluß auf die Entwickelung der Pocken zu haben. 2. Eine Saugwirkung 
von 5 Minuten Dauer nach zweimal 24 Stunden oder nach viermal 24 Stun¬ 
den beschleunigt die Eintrocknung etwas. 3. Nach dreimal 24 Stunden 
sind die der Saugwirkung unterworfenen Impfstellen gegenüber den Kontroll¬ 
stellen als Pocken schon deutlich erkennbar. — Eine Fortsetzung der Ver¬ 
suche für das kommende Jahr ist in Aussicht genommen. Weiter wurden 
Versuche angestellt, um die Frage der Vaccineimmunität, infolge von Ein¬ 
verleibung der Vaccine in das Unterhautzellgewebe, zu lösen. Aus diesen 
Versuchen ist zu entnehmen, daß die subkutane Einverleibung von Vaccine 
mit gleicher Sicherheit und in gleicher Stärke die Immunität herbeiführt 
wie die kutane Impfung; daß ferner diese Immunität zu der gleichen Zeit 
eintritt wie nach der kutanen Impfung, und endlich, daß sich der Eintritt 
dieser Immunität auch unabhängig von dem Auftreten einer entzündlichen 
Anschwellung im Unterhautzellgewebe innerhalb des Injektionsbezirks voll¬ 
zieht. In Dresden sind 40 Impfstoffe bakteriologisch untersucht worden; 
von den Kälberlymphen waren 24 nahezu keimfrei oder enthielten nur 
wenige Kokken, darunter zweimal Staphylococcus aureus; 13 enthielten 
viele Kokken, darunter neunmal Staphylococcus aureus. Eine Schweine¬ 
lymphe zeigte ziemlich viel Staphyloc. albus; zwei Kaninchenlymphen ent¬ 
hielten viel Keime, Staphyloc. aureus und albus. In Hamburg wurde Chloro¬ 
formlymphe (bezogen von der Lister Company in London) geprüft. Sie be¬ 
sitzt vor der Glyzerinlymphe absolut keine Vorzüge. Ferner wurden Unter¬ 
suchungen angestellt über die Beziehungen der Kuhpocken zu den Schaf¬ 
pocken. Es zeigte sich, daß der Schafpockenstoff — die Ovine — am Kalbe 
keine Pusteln liefert und das Kalb nicht krank macht, dem Tiere aber einige 


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Pocken. Impfstoff. Vacciuation. 


165 


Immunität hinterläßt gegen eine nach drei Wochen folgende Impfung mit 
Vaccine. (Medizinal-statistische Mitteilungen a. d. Eaiserl. Gesundheitsamt, 
Bd. 11, S.l.) 

Alan B. Green hat die Einwirkung verschiedenartiger Beleuchtung 
auf den aufbewahrten Kuhpockenimpfstoff geprüft. Es wurden Chloroform¬ 
lymphe und Glyzerinlymphe, die im Verhältnis von 1 Teil Rohstoff zu 
4 Teilen Zusatz hergestellt worden waren, in roten, gelben, grünen, blauen, 
violetten und waBserklaren Reagenzgläschen aufhewahrt und in ein nach 
Norden sehendes Fenster gestellt, eine siebente Portion wurde dunkel auf¬ 
hewahrt. Alle sieben wurden nach bestimmten Zeiten auf Kaninchen ver- 
impft und wirkten ziemlich gleichmäßig. Danach würde der Aufbewahrung 
des Impfstoffs im Dunkeln weniger Bedeutung zuzumessen sein, als bisher 
angenommen wurde. (The journ. of hyg. 1907, Bd. 7, S. 155, bzw. Ref. in 
Hygien. Rundschau 1908, S. 149.) 

A. H. Nijland berichtet über die Tätigkeit der Landesimpfanstalt zu 
Weltevreden auf Java im Jahre 1906. Zur Bereitung des Impfstoffs dienten 
406 Kälber im Jahre. Die Abimpfung geschieht am dritten oder vierten 
Tage. Kaninchen haben sich zur Aufkräftigung des Impfstoffs bewährt. 
(Geneesk. Tijdschr. voor Nederl. Indie, Bd. 47, Nr. 6.) 

Pr. Figueroa und Fr. Bernaldez berichten über die Gründe, weshalb 
in Mexiko humanisierte Lymphe Verwendung findet. (Mexico. Aguila vera, 
nach Ref. in Hygien. Rundschau 1908, S. 904.) 

B. Galli-Valerios Versuche an der Ratte mit Vaccine und Ovine 
sprechen für eine gegenseitige Immunisierung der Vaccine und Ovine. 
(Zentralbl. f. BakterioL, Orig., Bd. 46, S. 31.) 

D. Konew ist es gelungen, die Ovine durch pasBagere Subkutan¬ 
verimpfung auf Ziegen in eine ganz milde Form überzuführen. Schafherden 
konnten mit diesem Stoff schließlich gegen die Schafpocken geschützt werden. 
Konew nennt den Stoff „Caprine“. Sie verleiht dem Schaf einen etwa 
1 Jahr dauernden Impfschutz. Sie schützt also gegen die Ovine, wie die 
Vaccine gegen die Variola. (Zentralbl. f. Bakteriol., Ref., Bd. 40, S. 337.) 

S. Sereni hat Kuhpockenimpfstoff der Bestrahlung mit Radiumsalz 
unterzogen. Bei den damit vollzogenen Impfungen (nach einer Bestrahlung 
von 18 bis 164 Stunden) zeigten sich nur geringe Unterschiede gegenüber 
einer unbestrahlten Kontrollymphe. Die bestrahlte Lymphe lieferte nur 
etwas langsamer und reizlos reifende Pusteln. (Policlinico 1908, Bd. 15, 
nach Ref. in Hygien. Rundschau 1908, S. 1221.) 

Vaccination. 

Die Ergebnisse des Impfgeschäfts im Deutschen Reiche im Jahre 
1904 stellten sich folgendermaßen: Die Zahl der Erstimpflinge betrug 1858319 
(gegen 1901578 im Vorjahre), die Zahl der Wiederimpflinge 1318070 
(gegen 1323303 im Jahre 1903). Hiervon wurden aus gesetzlichen Grün¬ 
den von der Impfpflicht befreit 71317 Erstimpflinge und 6983 Wieder¬ 
impflinge, so daß insgesamt 3 098080 Kinder (gegen 3150824 im Vorjahre) 


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166 


Infektionskrankheiten. 


impfpflichtig waren. Zur Impfung gelangten davon 2 846 067. Vorschrifts¬ 
widrig haben eich der Vaccination entzogen 36250 (also fast 200 weniger 
als im Jahre 1903) Erstimpflinge und 5319 (96 weniger) Wiederimpflinge. 
Es wurden geimpft: 



Mit 

Menschenlymphe 

Mit 

Tierlymphe 

Mit Lymphe nicht 
näher bezeichneter Art 

Erstimpfpfliohtige. 

114 

1 578 714 

645 

Wiederimpflinge. ( 

1 1 

1 280 513 

246 

Zusammen 

115 

2 859 227 

891 

d. h. von je 100 Geimpften 

0,004 

99,965 

0,031 

Desgleichen im Vorjahre . . j 

— 

99,98 

0,02 


Von den Erstimpfpflichtigen haben der Impfpflicht genügt 1509484 
mit Erfolg geimpfte und 1160 zum dritten Male ohne Erfolg geimpfte. Von je 
100 Erstimpfpflichtigen wurden mit Erfolg geimpft 84,47 (gegen 85,10 im 
Vorjahre), von je 100 geimpften Erstimpflingen wurden mit Erfolg geimpft 
96,36 (gegen 97,10 im Vorjahre). Bei den 1 578 714 Erstimpfungen mit Tier¬ 
lymphe wurde Glyzerintierlymphe in der weitaus größten Mehrzahl (1543795), 
anders aufbewahrte Tierlymphe bei dem Rest von 34 919 Kindern verwendet. 
Von den Wiederimpflingen haben der Impfpflicht genügt 1 189 366 mit 
Erfolg und 7029 zum dritten Male ohne Erfolg Geimpfte, insgesamt 
1 196395 = 91,25 Proz. (im Jahre 1903 = 92,42 Proz). Von je 100 vor¬ 
genommenen Wiederimpfungen waren erfolgreich 92,97 (gegen 94,22 im 
V orjahre). 

Von einer Seite wird angeregt, daß auf den bei der Impfung verteilten 
„Verhaltungsvorschriften“ einige Sätze über Zweck und Bedeutung der 
Impfung Platz fänden. 

Bei der Ausführung der Impfung macht sich überall das größte Be¬ 
streben geltend, die Grundsätze der Asepsis voll zur Anwendung zu bringen. 
Von Impfinstrumenten wurde den — in vorzüglicher Qualität im Handel 
erhältlichen — Platiniridiumlanzetten der Vorzug gegeben. Beim Ausglühen 
dieser Lanzetten hat sich nun als Übelstand bemerkbar gemacht, daß die 
Spiritusflamme infolge starken Flackerns nicht ausschließlich auf die Spitze 
der Lanzette wirkt. Deshalb ist in der Königlich bayerischen Zentralimpf¬ 
anstalt die Spiritusflamme durch ein Benzingebläse ersetzt worden, das der 
Flamme eine stärkere Wirkung verleiht und das Ausglühen der Lanzette 
binnen weniger Sekunden ermöglicht, jedoch mit Rücksicht auf die explosible 
Natur des Brennstoffs eine gewisse Vorsicht erfordert. Andere Impfärzte 
schützen die Spiritusflamme durch eine kleine Schutzwand. Außer den Impf¬ 
lanzetten und Impfspateln waren noch Impfnadeln und Impffedern im Ge¬ 
brauch. Die Zahl und Anordnung der Impfschnitte ist vom Bundesrat fest¬ 
gesetzt: 4 seichte Schnitte von 1 cm Länge in 2,0 cm Zwischenraum. Trotz¬ 
dem sind vielfach Zahl und Anordnung abgeändert. Die Reinigung der 
Impfstelle geschah meist mit Seifenwasser oder Seifenspiritus; zur Desinfektion 
wurde Alkohol und Äther, in einem Falle Lysoform verwendet. Ein Schutz¬ 
verband der Impfstelle wurde nur in seltenen Fällen angewendet Ver¬ 
schiedentlich wurde eine auffallend schwache Wirkung der Lymphe, in zwei 


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Pocken. Vaccination. 


167 


Fällen eine sehr geringe Haltbarkeit der Lymphe beobachtet. Bemerkenswert 
ist, daß in Hessen den praktischen Ärzten auch za ihren Privatimpfungen 
die Lymphe der staatlichen Anstalt unentgeltlich zur VerfQgung gestellt 
wird. Ein Widerstand gegen das Impfgesetz kam in einzelnen Fällen vor. 
Meist handelte es sich um Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit. Eine größere 
Zahl befand sich unter den Naturheilschwärmern in Wörishofen (Regierungs¬ 
bezirk Schwaben), doch scheint auch hier der Widerstand im Vergleich zu 
den Vorjahren abzunehmen. 

Einige Todesfälle haben sich in zeitlichem Anschluß an die Impfung 
ereignet. Ein Grund zur Annahme eines Abhängigkeitsverhältnisses von 
der Impfung lag aber nirgends vor. 

Bemerkenswertere Erkrankungen, die ihren Ausgang von der Impfstelle 
nahmen, sind kaum zur Beobachtung gelangt. (Medizinal-statistische Mit¬ 
teilungen aus dem Haiserl. Gesundheitsamt, Bd. 11, S. 78.) 

L. Stumpf berichtet über die Ergebnisse der Schutzpockenimpfung in 
Bayern im Jahre 1906. Im ganzen sind geimpft worden im Berichtsjahr 
346 940 Personen, darunter 174 069 Erstimpflinge, 140435 Wiederimpflinge, 
32 436 Angehörige der Armee. Der Erfolg der Erstimpfungen belief sich 
auf 98,6 Proz., derjenige der Wiederimpfung auf 98,7 Proz. Zur Deckung 
des Bedarfs an Impfstoff sind in der Königlich bayerischen Zentralimpfanstalt 
90 Kälber eingestellt. Von diesen sind 61 mit Retrovaccine, die übrigen 
mit animaler Lymphe geimpft. Die ersteren lieferten durchschnittlich 9,6 g 
an Rohstoff, die letzteren dagegen nur 1,2 g. (Münch, med. Wochenschr. 

1907, S. 52.) 

Für Algier ist durch Erlaß des Präsidenten der französischen Republik 
die Kuhpockenimpfung im ersten und die Wiederimpfung im 11. und 
12. Lebensjahre eingeführt. Die Inokulation von Menschenpocken ist ver¬ 
boten. (Veröffentl. des Kaiserl. Gesundheitsamts 1907, S. 888.) 

Doce verlangt für die Vereinigten Staaten ein Gesetz, welches durch 
Impfung und Wiederimpfung den Impfschutz möglichst sichert. Zurzeit 
ist in 20 Bundesstaaten gar nicht, in den übrigen ganz verschieden, meist 
aber unzulänglich für einen ausreichenden Impfschutz Fürsorge getroffen. 
(The americ. Journ. of the med. Sciences 1907, Bd. 133, S. 218.) 

Kelsch schildert, wie im Jahre 1905 das im Jahre 1902 erlassene 
französische Impfgesetz, welches außer der in Deutschland vorgeschriebenen 
Impfung der kleinen Kinder und der Wiederimpfung der Zwölfjährigen auch 
noch die dritte Wiederimpfung aller 21 jährigen Franzosen fordert, noch 
keineswegs überall in Geltung steht. Besonders Frauen suchen sich der 
Wiederimpfung zu entziehen. (Paris 1905, nach Ref. in Hygien. Rundschau 

1908, S. 1218.) 

J. Kier berichtet über das Impfwesen in Dänemark und Grönland, wo 
das dänische Impfgesetz nicht gilt, im Jahre 1907. (Maanedsskr. f. Sund- 
hetspl. 1908.) 

Neidhart hat ein Gedenkblatt herausgegeben zur Jahrhundertfeier der 
Einführung der Schutzpockenimpfung in Hessen, die im August 1807 durch 
landesherrliche Verfügung geregelt wurde. (Darmstadt 1907.) 


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168 


Infektionskrankheiten. 


M. Neuberger schildert in einem Artikel die Einführung der Impfung 
in Wien. (Wien. klin. VVochenschr. 1907, S. 1901.) 

Wagner berichtet über die Handhabung der Desinfektionsmaßregeln 
in verschiedenen ostafrikanischen Häfen bei Pockengefahr. In den deutschen 
und drei portugiesischen Häfen, sowie im englischen Sansibar wenig Be¬ 
lästigung und zweckmäßige Maßnahmen. Dagegen in Mozambique: Des¬ 
infektion des ganzen Vorderschiffs mit Formochloral bei offenen Türen und 
Fenstern und teurer Bezahlung! (Münch, med. Wochenschr. 1907, S. 476.) 

A. Vogt sucht die Behauptung des Augenarztes Dimmer in Gm, 
daß die Pocken die Blindheit von 3 Proz. Insassen österreichischer und 
von 7 Proz. Insassen böhmischer Blindenanstalten veranlaßt hätten, in ein¬ 
seitiger und parteiischer Weise zu widerlegen. (Der Impfgegner 1907, 
Nr. 1 u. 2.) 

Derselbe Verfasser sucht den Unwert der lmpfungdarzutun durch eine 
Schilderung des früheren Impfwesens in Frankreich. (Der Impfgegner 1907.) 

W. Hübner bekennt sich in seiner Broschüre: „Entstehung und 
spezifische Heilung der Pockenkrankheit ohne Narben“ als heftiger Impf¬ 
gegner. (Berliner Verlagsanstalt.) 

H. Peck berichtet über weitere Versuche der Pockenbehandlung mit 
Rotlicht. Angeblich gute Resultate. (Public Health 1907, Bd. 19, Nr. 5.) 

A. Groth hat ein Instrumentarium für den Impfarzt zusammengestellt 
in einem Kasten mit Überzug aus Segelleinen, darin ein verbessertes Hage¬ 
mann sches Tourniquet für acht Messer und eine verbesserte Lampe für 
absoluten Alkohol nebst anderen nötigen Requisiten. Preis 130 (Münch, 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 27.) 

Br ege r hat auf dem Internationalen Hygienekongreß in Berlin im 
Jahre 1907 folgende Schlußsätze aufgestellt über die Verhaltungsmaßregeln 
bei Impflingen zur Verhütung weiterer Ansteckung: 

Die bei der Übertragung des Kuhpockenimpfstoffs von dem geimpften 
Arm auf andere Körperstellen des Impflings in Betracht kommenden Ge¬ 
sichtspunkte lassen sich in folgende Schlußsätze zusammenfassen: 

I. Die Übertragung des Kuhpockenimpfstoffs von dem geimpften Arm 
auf andere Körperstellen des Impflings kann erfolgen durch die Hände des 
Impflings oder seiner Pflegepersonen oder durch Kleidungsstücke, Bettwäsche, 
Schwämme, Abtrockentücher, Badewasser und andere Zwischenträger. 

2. Die Übertragung wird am häufigsten in der Form der versprengten 
Einzelpusteln beobachtet, die, falls sie nicht gerade am Auge ihren Sit« 
haben, als harmlose Impffolgen zu betrachten sind. 

3. Wird der Impfstoff auf Hautstellen, die wenn auch nur Spuren eine* 
Ekzems zeigen, übertragen, so kann es zu einer das Leben des Impflings 
bedrohenden Mischform des Ekzems mit der Vaccineerkrankung kommen. 
Daher sind in pockenfreien Zeiten ekzematöse Kinder so lange von der 
Impfung zurückzustellen, bis das Ekzem völlig geheilt ist. Auch die Reste 
abgelaufener Ekzeme des Kopfes, die durch eine rauhe, schr&ndige oder 
rissige Beschaffenheit der Haut zu erkennen sind, bilden eine Gegenanzeige 
für die Impfung. 


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Pocken. Vaccination. Lepra. 


169 


4. Bei sonstigen Hautkrankheiten ist über die Vornahme oder Ab¬ 
lehnung der Impfung von Fall zu Fall zu entscheiden, wobei die Lokalisation 
am Kopfe, nässende Beschaffenheit, starker Juckreiz, große Ausdehnung, 
ungenügende Reinlichkeit zuungunsten der Impfung ins Gewicht fallen. 

5. Um sich über den Gesundheitszustand des zu impfenden Kindes zu 
unterrichten, hat der Impfarzt die Angehörigen zu befragen und eine Be¬ 
sichtigung des Impflings vorzunehmen. 

6. Um eine Übertragung des Kuhpockenimpfstoffs zu vermeiden, sind 
der Impfling oder seine Pflegepersonen über nachstehende Punkte zu be¬ 
lehren: Auskunftspflicht gegenüber dem Impfarzte über abgelaufene oder 
noch vorhandene Krankheiten des zu impfenden Kindes, ansteckende Eigen¬ 
schaften des Inhalts der Impfpustel, Vermeiden der Berührung der Impf¬ 
stellen durch den Impfling selbst, die Pflegepersonen oder Gebrauchagegen- 
st&nde, Reinigung der Hände nach erfolgter Berührung der Impfpusteln und 
Vermeidung von nicht ärztlich angeordneten Heilanwendungen an denselben. 
(Schlußsätze z. XIV. Intern. Hygienekongreß Berlin, 1907.) 

Die Schlußsätze A. Groths über das gleiche Thema lauten: 

Die Übertragung von Kuhpockenimpfstoff von Impflingen, also von 
humanisierter Lymphe auf ungeimpfte oder nicht mehr oder nicht genügend 
gegen Vaccine geschützte Personen ist in der weit überwiegenden Mehrzahl 
der zur Beobachtung gelangenden Fälle eine wenn auch mit mehr oder 
weniger örtlichen Beschwerden verbundene, so dooh an sich durchaus harm¬ 
lose Erkrankung. Ernstere Komplikationen können jedoch dann entstehen, 
wenn sich die Vaccineeffloreszenzen am Auge befinden, oder wenn ein an Ekzem 
leidendes Kind infiziert wird. Im ersteren Falle kann dauernde Schädigung 
bis zum völligen Verlust des betroffenen Auges, im zweiten Falle schwere 
Erkrankung und selbst der letale Ausgang die Folge sein. Wenn derartige 
Komplikationen auch zu den größten Seltenheiten gehören, so erfordern sie 
doch Maßnahmen zu ihrer Verhütung. 

Die Möglichkeit einer Übertragung ist gegeben: 1. bei unmittelbarer 
Berührung mit der Impfstelle, 2. auf indirektem Wege durch Zwischenträger, 
auf welche virulentes Material aus den Impfpusteln übertragen wurde. 

Als Maßnahmen zur Verhütung kommen in Betracht: 1. die Unter¬ 
lassung der Vaccination, 2. die Anlegung eines abschließenden Verbandes 
und 3. die Hinübergabe von Verhaltungsvorschriften für die den Impfling 
pflegenden Personen. Karl Ernst Boehncke. 


Lepra. 

Loew: „Zur Lepra in Persien.“ (Deutsche med. Wochenschr. 1908.) 
Die Lepra tritt nur im Nordwesten Persiens auf, hauptsächlich in der Gegend 
der Städte Kaswin und Täbris, und soll sich seit vielen Jahrzehnten in 
ständiger Abnahme befinden. Man schätzt die Zahl der Leprösen in ganz 
Persien auf 100 bis 200. Die Krankheit gilt als exquisit erblich, wird aber 
nicht für übertragbar gehalten. Der Lepröse wird aus der menschlichen 
Gesellschaft ausgestoßen, weil er nach den Religionsbegriffen für unrein gilt. 
Als Wohnstätten werden ihm Lehmhütten außerhalb der Ortschaften an¬ 
gewiesen, er leht vom Betteln bei den vorüberziehenden Karawanen. Die 


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170 


Infektionskrankheiten. 


Regierung kümmert sich nicht um ihn. Neuerdings haben sich amerikanische 
Missionare der Unglücklichen angenommen. (Ref.: Lepra Bibliothec. intern, 
Vol. 8, Fubc. 1.) 

G. Houtum, „Über Lepra“, nimmt zur Feststellung der bakterio¬ 
logischen Diagnose nicht Nasensekret, sondern Lymphe aus einem blutleer ge¬ 
machten Infiltrat oder Knoten und färbt auf die gewöhnliche Art. (Ref. ebenda.) 

J. Brault, „Les lepreux in Algerie“, wendet sich gegen die über¬ 
triebenen Angaben über das Auftreten der Lepra in Algerien. Er schätzt 
die Gesamtzahl der Leprösen auf 60 bis 70, meist eingeschleppte Fälle. Der 
Nationalität nach stammen die meisten Kranken aus Spanien. (Ebenda, Fasc.2.) 

Verbreitung des Aussatzes in Deutschland. Nach den amt¬ 
lichen Feststellungen waren Ende 1907 im Deutschen Reiche 28 Aussatz- 
kranke vorhanden, davon 21 in Preußen und 7 in Hamburg. Außerdem 
gab es in Preußen noch 3 lepraverdächtige Personen. In Preußen waren zu 
Beginn deB Jahres 1907 im Lepraheim im Kreise Memel 16 Aussatzkranke 
(5 m., 11 w.) aus dem Vorjahre übernommen worden. Von diesen sind im 
Laufe des Jahres 2 (1 m., 1 w.) gestorben. Eine Frau, bei der krankhafte 
Erscheinungen nicht mehr Vorlagen, wurde in die Heimat entlassen (Kreis 
Memel), wo sie unter Aufsicht des Kreisarztes steht. Neu zugegangen sind 
1 männlicher Kranker (Kreis Heydekrug) und 1 weibliche Kranke (Kreis 
Memel). Am Ende des Jahres 1907 befanden sich somit 15 Lepröse in dem 
Lepraheim in Memel (5 m., 10 w.). Der im städtischen Krankenhause in 
Frankfurt a. M. seit dem Vorjahre befindliche leprakranke Rumänier wurde 
nach seiner Heimat abgeschoben. Ein anderer in Aachen festgestellter 
Leprakranker ging nach seiner Heimat Natal zurück. Von den 3 lepra- 
verdächtigen Personen befindet sich eine aus dem Kreise Heydekrug, deren 
Vater im Lepraheim in Memel ist, im Kreiskrankenhause in Memel. Die 
beiden anderen (Frauen) aus dem Kreise Memel sollen in das Lepraheim 
überführt werden, ln Hamburg hat sich von den aus dem Vorjahre über¬ 
nommenen 5 Kranken einer nach Kamerun begeben, ein anderer ist aus dem 
Krankenbause, unbekannt wohin, entwichen. Der Zugang im Jahre I90i 
betrug 9; davon haben 5 das Reichsgebiet alsbald verlassen. 2 Kranke 
hatten den Aussatz angeblich in Columbia, 3 in Brasilien und je 1 in Boliria 
und Java erworben, die beiden anderen, ein Seemann und ein Heizer, konnten 
den Ort der Ansteckung nicht angeben. In Mecklenburg-Schwerin ist der 
seit dem Jahre 1898 vorhandene Lepröse gestorben. Ein aus Amerika 
zurückgekehrter Mecklenburger hat, nachdem bei ihm Lepra festgestellt war, 
das Reichsgebiet sofort verlassen. (Ebenda, Fase. 2.) 

Jose Maria Ruiz: „La lepre en Colombie.“ Auch über die Häufig¬ 
keit der Lepra in Columbia lagen bisher falsche und übertriebene Angaben 
vor. Während frühere Autoren das Verhältnis der Leprösen zur Einwohner 
Schaft wie 1:13 bezifferten, hat,Ruiz festgestellt, daß dasselbe höchstens 
1: 1200 beträgt. Er stellte im ganzen 4152 Fälle von Lepra fest (Ebenda.) 

Eitner: „Nachweis von Antikörpern im Serum eines Lepra- 
kranken mittels Komplementablenkung.“ Aus der Dermatologischen 

Klinik der Universität Innsbruck. (Wiener klin. Wochenschr. 1906. 
Lepra Bibliothec. intern., Vol. 8, Fase. 2.) Pf- 


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Malaria. 


171 


Malaria. 

Rüge: „Einführung in das Studium der Malariakrankheiten 
mit besonderer Berücksichtigung der Technik.“ (Zweite Auflage. 
Mit lithographischen, 2 photographischen und zwei farbigen Tafeln, sowie 
124 Abbildungen, 3 Tafeln und 23 Fieberkurven im Text; 420 Seiten.) Im 
Jahre 1902 kam die erste Auflage des Rugeschen Werkes heraus. Die 
zweite 1907 erschienene stellt sich als eine völlige Neubearbeitung dar. 
Wenn auch die grundlegenden Untersuchungen, auf welchen unsere modernen 
Anschauungen über die Malaria beruhen, im Jahre 1901 schon im großen 
und ganzen abgeschlossen waren, so sind doch seitdem noch zahlreiche 
tüchtige Arbeiten über jenen Gegenstand veröffentlicht worden, welche in 
dem vorliegenden Werke eingehend Berücksichtigung finden. Wie schon in 
der ersten Auflage, legte Verf. ein Hauptgewicht auf die bildliche Darstellung, 
da sie leichter und schneller orientiert als die ausführlichste Beschreibung, 
und so konnte bei dem Entgegenkommen der Verlagsbuchhandlung die Zahl 
der Abbildungen beträchtlich vergrößert werden. 

Im ersten Kapitel gibt Rüge die Geschichte der Malaria und eine 
Darstellung der geographischen Verbreitung derselben. 

Das zweite Kapitel behandelt die Malariaparasiten des Menschen. Verf. 
beschreibt zunächst ihr Wesen und ihre Ätiologie, um sodann zu ihrer Ent¬ 
wickelung im Blute des Menschen überzugehen. Die Untersuchung der 
Parasiten im lebenden Blute sowie in gefärbten Trockenpräparaten wird 
eingehend abgehandelt; ferner werden die charakteristischen Eigenschaften 
der großen und kleinen Plasmodien sowie ihr Verhältnis zu den roten Blut¬ 
körperchen in allen Phasen der Entwickelung innerhalb der Erythrocyten in 
Wort und Bild erläutert. In gleichanschaulicher Weise beschreibt Verf. den 
Entwickelungsgang der menschlichen Malariaparasiten in der Anopheles¬ 
mücke, um am Schluß die Stellung der Plasmodien in zoologischer Hin¬ 
sicht zu erörtern. 

Im dritten Kapitel behandelt Rüge die Anophelesmücke in bezug auf 
ihre systematische Stellung, Verbreitung und Entwickelung, sowie ihre 
Morphologie, Anatomie und Biologie. Kurz werden dann noch die Feinde 
der Stechmücken in ihren verschiedenen Eutwickelungszuständen, die Unter¬ 
schiede zwischen Anopheles und Culex und die wichtigsten Arten der ersteren 
aufgeführt. 

Im vierten Kapitel verbreitet sich der Autor über die Epidemiologie der 
Malaria und begründet die Malariamoskitotheorie. 

Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit der Symptomatologie der Malaria¬ 
fieber. Rüge teilt dieselbe in zwei Hauptgruppen ein: Die durch die großen 
Parasiten hervorgerufenen Tertian- und Quartanfieber und das durch kleine 
Plasmodien verursachte Tropenfieber. Der einzelne Anfall, der Verlauf und 
Ansgang der recidivierenden Fieber, die chronische Malariainfektion, die 
Malariacachexie, die larvierte Malaria und das Schwarz Wasserfieber werden 
eingehend geschildert und durch Fieberkurven zur Anschauung gebracht. 

Sechstes Kapitel: Die pathologische Anatomie der Malaria konnte dem 
meist wenig charakteristischen Leichenbefunde entsprechend kurz gehalten 
werden. Im folgenden Abschnitt kommt Verf. auf die Pathogenese der 


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172 


Infektionskrankheiten. 


Krankheit. Golgis und Robert Kochs Verdienste um die Erforschung 
des Verlaufes der einzelnen Fieberarten finden gebührende Würdigung. Es 
wird dargetan, daß sowohl Tertiana als Quartana und Tropica von je einer 
besonderen Art von Plasmodien erzeugt werden, während die Quotidianfieber 
als doppelte Tertian- oder dreifache Quartanfieber aufzufassen sind. Verf. 
wendet sich dann gegen Laveran und seine Anhänger, welche noch heute 
an der Einheitlichkeit der Malariaparasiten festhalten. Diese Theorie hält 
Rüge für endgültig abgetan durch die Entdeckung Robert Kochs, daß 
das Überstehen einer Fieberart, z. B. einer Quartana, nicht gegen andere 
wie Tropica und Tertiana immun macht. Die verschiedene Schwere der 
Erkrankungen an Malaria und einzelne ihrer perniciösen Symptome, die 
Recidive, die Malariacachexie, die Immunität und das spontane Ausheilen 
von Malariafiebern sowie endlich die fötale Malaria werden am Schlüsse des 
Abschnittes abgehandelt. Es folgt die Besprechung der Diagnose und Diffe¬ 
rentialdiagnose. Einwandfrei vermag dieselbe nur durch das Mikroskop 
gestellt zu werden, wozu man am besten gefärbte Präparate verwendet. Doch 
können wir in einer großen Anzahl von Fällen auch schon klinisch die Dia¬ 
gnose auf Malaria mit ziemlicher Sicherheit begründen. 

Nach einem kurzen Blick auf die Prognose wendet sich Rüge der 
Therapie der Malaria zu. Er gibt zunächst historische Notizen über die 
Chinarinde und ihre Anwendung im 17. und 18. Jahrhundert; dann läßt er 
die moderne Cbininbehandlung folgen. Die Wirkungsweise des Chinins, seine 
Resorption und die Art seiner Anwendung werden dargelegt. Er geht dann 
noch kurz auf die Nebenwirkungen des Chinins ein, seine Ersatzmittel und 
die symptomatische Behandlung der Malaria, um mit der Therapie des 
Schwarzwasserfiebers dieses Kapitel abzuschließen. Der folgende Abschnitt 
beschäftigt sich mit der Prophylaxe. 

Nach einem geschichtlichen Rückblick wendet sich Verfasser der 
modernen Prophylaxe der Malaria zu. Er schildert die Versuche, welche 
bezweckten, die Anophelesmücke in ihren verschiedenen Entwickelungsphasen 
zu vernichten, die Maßregeln, die man traf, um den Menschen vor ihren 
Stichen zu schützen, und geht dann ausführlich auf die jetzt noch allgemein 
als wertvollstes Vorbeugungsmittel anerkannte Chininpropbylaxe ein. Die 
Vorschläge zur Ausrottung der Malaria, welche Koch macht, werden ge¬ 
würdigt und schließlich alle in Betracht kommenden prophylaktischen Ma߬ 
nahmen noch einmal zusammengestellt. 

Das zwölfte und letzte Kapitel beschäftigt sich ausführlich mit der 
Technik der Blutuntersuchungen und dem Präparieren der Stechmücken. 

Den Schluß bilden Erläuterungen der beigegebenen Tafeln und eine 
Übersicht aller seit 1880 erschienenen Arbeiten über Malaria. (Ref. in 
Menses Archiv, Bd. 11, S. 175 ff.) 

Tedeschi: „La ligue contre le Paludisme en Corse.“ (Ann. 
d’hygiene et de m6dec. colon. 1906, p. 416.) Das interessante Referat zeigt, 
wie umsichtig die Liga ihre Tätigkeit den lokalen Verhältnissen anpaßt 
Einige zu großen Hoffnungen berechtigende Erfolge beweisen, daß die kleinen 
sanitären Verbesserungen, welche der Initiative einzelner Menschen oder 
kleiner Interessengruppen ihren Ursprung verdanken, ebenso wichtig sind 


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Malaria. 


173 


als große Unternehmungen, wie Austrocknung der Sümpfe und Regulierung 
der Flußläufe. Derartige Arbeiten pflegen so kostspielig zu sein, daß sie 
nur der Staat auszuführen vermag, welcher denn auch nur zu oft noch vor 
den enormen Ausgaben zurückschreckt. (Ref. ebenda, S. 177.) 

Zupitza: „Über mechanischen Malariaschutz in den Tropen.“ 
(Menses Archiv, Bd. 11, S. 179 ff., 225 ff., 257 ff.) Der mechanische Malaria¬ 
schutz, d. h. die Sicherung sowohl der Wohnung als des Individuums gegen 
die Stechmüoken, welche durch ihren Stich die Malariainfektion von einem 
Menschen auf den anderen übertragen, bildet bekanntlich die wichtigste 
Maßregel der italienischen Malariakommission zur Befreiung des Landes von 
dieser furchtbaren Plage. In den malariaverseuchten Tropenländern hatte 
man diesem mechanischen Schutz gegen den Biß der Moskitos bisher ge¬ 
ringere Bedeutung eingeräumt. Man hielt denselben namentlich im Hin¬ 
blick auf die Eingeborenen, welche für derartige, viel guten Willen, Auf¬ 
merksamkeit und Gewissenhaftigkeit erfordernde Maßnahmen schwer zu 
gewinnen sind, für nur in beschränktem Maße durchführbar und begnügte 
sich im wesentlichen mit der Chininprophylaxe. 

Zupitza zeigt nun an der Hand ausführlicher Beschreibungen der von 
ihm selbst zum Schutze seiner eigenen Person namentlich in dem sehr 
malariagefährdeten Kamerun ergriffenen Maßregeln, daß es bei einiger Sorg¬ 
falt und namentlich Beschränkung auf das Wesentliche Behr wohl zu er¬ 
möglichen ist, auch in den gefährlichsten Sumpfgegenden des heißen Gürtels 
sich vor dem Biß der Stechmücken völlig zu schützen. Man muß eben nur 
sorgfältig darauf achten, vor allem diejenigen Körperteile zu bedecken, welche 
von den Moskitos bevorzugt werden, das sind die Fuß- und Handgelenke 
sowie der Nacken. Erstere lassen sich durch hoch hinauf reichende Schnür¬ 
schuhe, letztere durch lange Schleierhandschuhe sichern. Den Nacken schützt 
ein weiter, bequem sitzender Kragen. Verfasser gibt ferner eingehende, 
durch eine große Zahl in den Text gedruckter Abbildungen erläuterte Vor¬ 
schriften über die Anlage moskitosicherer Häuser, von Netzen zum Schutze 
der Wohn- und Arbeitsräume sowie der Schlafzimmer und Betten, vor allem 
aber der Zelte, welche bei Jagd- und Kriegszügen und wissenschaftlichen 
Expeditionen zur Verwendung gelangen. Denn bei diesen Unternehmungen 
ist erfahrungsgemäß die Infektionsgefahr am größten. Zupitza faßt die 
Ergebnisse seiner sehr eingehenden und fleißigen Arbeit in folgenden Sätzen 
zusammen: 

1. Ein wirksamer mechanischer Schutz gegen Malaria ist in den Tropen 
leicht durchführbar, und zwar unter den verschiedensten äußeren Um¬ 
ständen. 

2. Der mechanische Schutz ist mindestens ebenso wirksam wie die 
Chininprophylaxe, die vielfach mit stärkeren subjektiven Beschwerden ver¬ 
knüpft scheint. 

3. Der mechanische Malariaschutz ist für Gegenden mit perennierender 
Malariagefahr ganz besonders anzuraten. 

4. Er vermag zugleich gegen andere durch fliegende Insekten übertrag¬ 
bare Krankheiten zu schützen, wie gegen Gelbfieber, Schlafkrankheit und 
Filariakrankheiten. 


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Infektionskrankheiten. 


5. Er ist eine außerordentliche Annehmlichkeit in moskitoreichen 
Gegenden. 

6. Die Kosten für einen vollkommenen Schutz, unter Sicherung einer 
ganzen Wohnung, sind nicht besonders hoch. Sie werden vollauf eingebracht 
durch die Ersparnisse an Menschenmaterial, Arbeitsversäumnis und Behand¬ 
lungskosten. Dazu läßt sich der Wohnungsschutz durch wesentlich billigere 
Hilfsmittel ersetzen. 

7. Die Ausübung des mechanischen Malariaschutzes sollte allen in staat¬ 
lichen oder privaten Dienstverhältnissen nach malarischen Tropengegenden 
entsandten Europäern unter Zubilligung entsprechender Mittel ermöglicht 
werden. 

A. Eyssel: „Beiträge zur Biologie der Stechmücken.“ (Ebenda, 
S. 197 ff.) Der Autor stellte im Jahre 1906 und 1907 eine Reihe lehrreicher 
Beobachtungen und Versuche an den Larven und Puppen von Stechmücken, 
meist Culex-Arten, an, welche er in Wassertümpeln im Habichtswalde südlich 
von Kassel sammelte. Das Resultat dieser seiner Arbeiten faßt er wie folgt 
zusammen: 

Stechmückenlarven können in dem kühlen, sauerstoffreichen Wasser von 
Tümpeln und Teichen, auch wenn dieselben durch eine lückenlose Eisdecke 
von der atmosphärischen Luft hermetisch abgeschlossen sind, viele Tage lang 
mittels Atmung durch Haut, Kiemen und Darm ihr Leben fristen. Puppen, 
welche viel seltener und meist wohl nur im Spätherbst in jene Lage kommen, 
gehen wegen mangelnder Haut- und Darmatmung weit früher ein. Sie 
besitzen in ihren Ruderplatten Tracheenkiemen; diese sind indessen weit 
weniger leistungsfähig als die Analdrüsen der Larven. 

Werden Puppen und Larven durch indifferente, lediglich mechanisch 
wirkende Stoffe, wie Oliven- und Erdnußöle, an der physiologischen Atmung 
gehindert, so befinden sie sich unter ähnlichen Verhältnissen wie in einem 
zugefrorenen Tümpel. Sie überstehen dabei einen solchen Eingriff in ihre 
Lebensbedingungen viel besser und länger, als wenn der Luftabschluß durch 
ölartige Flüssigkeiten erzielt wird, welche giftige Beimengungen enthalten, wie 
Petroleum oder Saprol. Während aber bei nur mechanischem Luftabschluß die 
Puppen früher erliegen als die Larven, tritt bei Anwendung gifthaltiger Stoffe 
der gegenteilige Fall ein. Die Gründe für diese Tatsachen sind folgende: 

Die Haut- und Kiemenatmung der Puppen ist eine höchst mangelhafte, 
während sie andererseits durch eine doppelte, in ihrem äußeren Blatte 
lückenlose Chitinhülle gegen das Eindringen der im Wasser gelösten Gifte 
wirksam geschützt sind. 

Die Larven hingegen können durch Haut-, Kiemen- und Darmatmung 
dem Erstickungstode besser widerstehen, während sie dem durch wasser¬ 
lösliche differente Stoffe verursachten Vergiftungstode erheblich schneller 
zum Opfer fallen als die Puppen. Die gelösten Gifte gelangen eben bei den 
Larven durch den Mund, den After und die dünne Oberhaut viel schneller 
und leichter in die Säftemasse, als dies bei den durch die doppelte, undurch¬ 
brochene Chitindecke wohlgeschützten Puppen geschieht. 

Ziehen wir nun aus obigen Versuchen die praktischen Konsequenzen, 
so ist es klar, daß wir zur Vernichtung der Larven — denn auf diese kommt 


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Malaria. 


175 


es in erster Linie an — nicht indifferente, ölige Flüssigkeiten verwenden 
dürfen, sondern Gifte. Weit wirksamer als das zu diesem Behufe bisher 
meist gebrauchte Petroleum erweisen sich Saprollösungen, welche große 
Mengen wasserlöslicher Stoffe enthalten. Besteht doch das Saprol beinahe 
zur Hälfte aus einem Gemisch von Rohkreosolen. Es überzieht daher, wenn 
in dickerer Schicht angewandt, sofort den ganzen vom Wasser benetzten 
Larvenkörper, während die öle nur an jenen Partien Angriffspunkte finden, 
welche schon unter physiologischen Verhältnissen mit einer hauchdünnen, 
von einzelligen Drüsen abgesonderten Fettschicht überzogen sind. Es ist 
dies der Verschlußmechanismus des Afterrohres bei den Culiciden, und der 
Stigmenvorhof, die distalen Flächen der Fächerhaare und die vorderen 
Thorazecken bei den Anopheleslarven. 

G. Giern sa-Hamburg: „Die therapeutische Verwertbarkeit der 
freien Chininbase.“ [Vorläufige Mitteilung.] (Ebenda, S. 300 ff.) Seit 
langem bemüht man sich Chininsalze herzustellen, welche sich vor dem meist 
benutzten bitteren salzsauren Chinin durch möglichste Geschmacklosigkeit 
auszeichnen. Unter den Ersatzmitteln nahmen bisher das Euchinin (Chinin¬ 
kohlensäureäthylester) sowie das Chinintannat die erste Stelle ein. Während 
aber das erstere Präparat zu kostspielig ist, etwa 4 1 / a mal so teuer als das 
Chioin. mur., stellt sich Chinintannat zwar um die Hälfte billiger, besitzt 
dafür aber auch einen sehr viel geringeren Gehalt an Chinin, welcher 
zwischen 7,4 und 31,77 Proz. schwankt. Überdies ist das Chinin im Tannat 
schwer zu bestimmen und zeigt sich nicht selten mit anderen unwirksamen 
Alkaloiden der Chinarinde vermengt. 

Ein sehr brauchbarer Ersatz dieser beiden Chinasalze wurde nun vom 
Autor in einem naheliegenden Präparat, der freien Chinabase, gefunden, 
welche gleichfalls geschmacklos ist, ohne indessen die vorerwähnten Nach¬ 
teile des Euchinins und des Chinintannats zu zeigen. Die Resorption dieses 
grobpulvrigen Präparates erfolgt trotz seiner fast völligen Unlöslichkeit im 
Wasser auffallend schnell und vollkommen. Nimmt man 1 g der Base auf 
einmal ein, nachdem man kurz vorher Urin gelassen, so kann man schon 
etwa 10 Minuten nach der Medikation mittels Kaliumquecksilberjodid in 
schwach essigsaurer Lösung deutliche Chininspuren nachweisen. 

Dementsprechend sind auch die Heilerfolge, welche vom Hamburger 
Institut bei 24 Malariakranken erzielt wurden, den früher mit Chinin, mur. 
erreichten durchaus gleichwertig. Bei jenen Experimenten, die noch fort¬ 
gesetzt werden, verwandte man ausschließlich Chin. pur praec. pulv. (Merck- 
Darmstadt) von 0,2 g 4 mal täglich per os. Bei der Verabreichung wurde 
das Präparat auf die Zunge geschüttet und mit Wasser hinabgespült. Be¬ 
schwerden wurden nie empfunden. 0,2 g Chininbase entspricht 0,832 g 
Chinin, mur. Jene Gabe läßt sich natürlich bequem auf 1 g = 1,04 g Chinin, 
mur. steigern. Namentlich durch kalte oder lauwarme Milch wird der au 
sich schon wenig bittere Geschmack noch besser verdeckt, so daß das Prä¬ 
parat in dieser Form sogar von Hunden, welche sonst gegen Chininsalze eine 
große Abneigung zeigen, ohne Widerstreben genommen wird. 

Fischer-Berlin: „Betrachtungen über Chininprophylaxe bei 
Malaria.“ (Ebenda, S. 548 ff.) Verfasser hatte Gelegenheit, die Wirkung 


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Infektionskrankheiten. 


einer besonders streng und gewissenhaft durchgeführten Chininprophylaxe 
während der Regenperiode Dezember 1905 bis März 1906 auf der Station 
Namutoni in Deutsch-Südwestafrika zu beobachten. 

Jener Platz eignet sich ganz besonders hierfür, weil derselbe während 
der mehrere Monate dauernden Regenzeit so gut wie vollständig von der 
Außenwelt abgeschlossen war und aus diesem Grunde alle zur Beobachtung 
stehenden Individuen von Anfang bis Ende unter den gleichen Bedingungen 
standen. Namutoni liegt an der Ostecke der Etosapfanne, 18 1 /, 0 östlicher 
Breite und 17V S ° westlicher Länge, etwa 1100m ü. d. M. Es zählte stets 
unter die berüchtigtsten Malariaorte Deutsch-Südwestafrikas und bildet augen¬ 
blicklich unsere nördlichste Militärstation gegeu die Ovambos. Weiße Zivi¬ 
listen gibt es dort nicht. Die Eingeborenenbevölkerung besteht aus Busch¬ 
leuten. 

Die 44 dort stationierten Weißen unterzogen sich insgesamt der Pro¬ 
phylaxe. Mit den Chiningaben begann man Ende Dezember, als sich die 
ersten Anopheles zeigten. Es wurde zweimal wöchentlich, am Dienstag und 
Freitag, 1,0 g salzsaures Chinin gereicht; vom 23. April 1906 an sogar 
wegen des massenhaften Auftretens der Malaria jeden Dienstag, Donnerstag 
und Freitag. Man reichte es abends etwa 2V 2 Stunden nach der Haupt¬ 
mahlzeit, Va bis 1 Stunde vor dem Schlafengehen. Die Mahlzeiten waren 
an den Chinintagen nie so ausgiebig oder schwer verdaulich, daß noch 
2V a Stunden nach ihrer Einnahme die Verdauung des Chinins hätte Ein¬ 
buße erleiden können. Das Auftreten der Anopheles wurde zum ersten Mal« 
Ende Dezember 1905 beobachtet; sehr häufig waren sie dann von Januar 
bis März 1906. Ihre Zahl verminderte sich im Freien erheblich, als Mitte 
März die Nächte kühler wurden. Dafür zeigten sie sich um so mehr in den 
Zimmern, wo man sie morgens und abendB zu Hunderten an den Drahtgaze¬ 
fenstern und Türen erlegte. 

Von den 44 Weißen der Station erkrankten an Malaria, und zwar an 
Malaria tropika, 31. Je ein Recidiv bekamen in der Zeit bis Mitte Juni 
6 Leute, zwei Rückfälle 1 Mann. Von den 31 Erkrankten hatten schon in 
früheren Fieberperioden 5 an Malaria gelitten. 

Durch die energische, systematisch vorgenommene Chininprophylaxe 
wurde indessen erreicht, daß bei den Malariapatienten die Affektion stets 
sehr leicht verlief. Die Prophylaktiker reagierten im Erkrankungsfalle auf 
das Chinin erheblich günstiger als die Nichtprophylaktiker. Trotz der großen 
Zahl von Plasmodien, welche man im Blute fast sämtlicher in Namutoni 
stationierter Weißen nachwies, kam es nie zu SchwarzwasBerfieber, weil 
offenbar die Parasiten durch das Chinin an Virulenz und Vermehrungsfähig¬ 
keit bedeutend verloren hatten. Für die große Menge der Plasmodien bei 
den einzelnen Individuen ist eher die Häufigkeit der Infektion als ihre leb¬ 
hafte Vermehrung im Blute selbst anzuschuldigen. Auf die ganz erhebliche 
Abschwächung der Giftigkeit und Vermehrungsfähigkeit der Parasiten muß 
es auch zurückgeführt werden, daß es bei etwa 30 Proz. der Besatzung trotz 
Anwesenheit von Malariaparasiten im Blute nicht zum Ausbruch des Fiebers 
kam, und daß bei anderen, bei welchen die Zahl der Plasmodien im Blute 
sehr groß war, die Erkrankung doch leicht verlief und sich auffallend gut 
mit Chinin bekämpfen ließ. Ohne energische Prophylaxe wäre es sicher bei 


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Malaria. 


177 


einem großen Teile der Garnison infolge der ungemein häufigen Infektion 
zu schweren Erkrankungen gekommen. 

Lacroix: „Des injections de quinine.“ (Caducee 1906, Nr. 2, 
S. 24, 25.) Verfasser empfiehlt das einfach ameisensaure Chinin (formiate 
basique de quinine), welches er kurz „Quinoforme“ nennt, zur Injektions¬ 
behandlung bei Malaria. Das Präparat ist haltbar; in Wasser gelöst, rea¬ 
giert es neutral, sein Gehalt an Alkaloiden ist der höchste aller Chininsalze, 
nämlich 87,56 Proz. Seine Löslichkeit im Wasser übertrifft diejenige der 
anderen Präparate erheblich. Subkutane oder intramuskuläre Injektionen 
sind schmerzlos, werden schnell resorbiert und verursachen weder Verhär¬ 
tungen noch Entzündungen. Verfasser empfiehlt den Kollegen, das Präparat 
weiter nachzuprüfen und erklärt sich bereit, ihnen auf Wunsch ein Quantum 
zur Verfügung zu stellen. (Ref. in Menses Archiv, Bd. II, S. 95.) 

Claude: „Les eruptions cutanees de paludisme; consequence 
ä en tirer au point de vue des manifestations de cette affection.“ 
(Caducee 1906, Nr. 5, S. 61, 62.) Auch bei Malaria beobachtet man nicht 
selten Affektionen der Haut. Bi 11 et hat als einer der ersten ein febriles 
Erythem beschrieben und seine Beobachtungen sämtlich durch Blutunter¬ 
suchungen gestützt. Coste und andere Autoren haben weitere Formen von 
Dermatitiden demonstiert, welche als Begleiterscheinungen der Malaria auf¬ 
gefaßt werden müssen. Verfasser betont, daß Hautexantheme bei Malaria 
einen schweren und sogar sehr schweren Verlauf der Krankheit anzukündigen 
pflegen. Er schildert drei tödlich endende Fälle akuter Malaria, welche mit 
Erythem bzw. Herpes zoster kompliziert waren, und zwei Fälle chronischer 
Malaria mit urticariaähnlichen Eruptionen. Der Autor zieht aus seinen Beob¬ 
achtungen folgende Schlüsse: 

1. Jede Hautaffektion bei akuter Malaria scheint einen mehr oder minder 
schweren Rückfall anzukündigen. 

2. Sofort nach Auftreten von Herpesexanthemen bei Malaria müssen, 
um einen schweren Verlauf vorzubeugen, alle therapeutischen Hilfsmittel 
zur Anwendung kommen, obwohl leider nach seinen Erfahrungen von ihnen 
wenig Erfolg zu erwarten ist. (Ref. ebenda, S. 96.) 

Ronald Ross: „Malaria in Greece.“ (Lancet 1906, Nr. 4342.) Ross 
wurde auf Veranlassung einer in Griechenland interessierten Gesellschaft 
zwecks Malariabekämpfung an den Copaissee in Böotien gesandt. Er be¬ 
nutzte die Gelegenheit, sich über den Stand der Malariafrage auch im Innern 
von Griechenland zu informieren, wobei ihm griechische Gelehrte wie Carda- 
matis, Savas und andere unterstützten. Die Malaria ist in Griechenland 
noch sehr stark verbreitet. So kamen im Jahre 1905 nicht weniger als 
160048 Fälle zur Kenntnis der Behörden, von welchen 9016 — etwa 2,4 
pro Mille der Bevölkerung — tödlich endeten. Ross fand unter 367 Per¬ 
sonen, welche er in verschiedenen Teilen des Landes untersuchte, 120, also 
33,2 Proz. malariakrank. Von 200 untersuchten Kindern waren ebenfalls 
33,2 Proz. infiziert. Diese Ziffern sind indessen noch als Minimum anzu¬ 
sehen. Einzelne Gegenden zeigen einen weit höheren Prozentsatz, bis 
64,5 Proz., wobei noch nicht einmal während der eigentlichen Fieberzeit 
untersucht wurde. Viele Kinder litten an hochgradiger Anämie und beträcht- 

Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege, 1908. Supplement. io 


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Infektionskrankheiten. 


licher Milzanschwellung, wie Ross sie sonst nur bei Kal&r-Azar, welche in 
Griechenland nicht vorkommt, beobachtete. 

Alle Malariaformen werden beobachtet; am häufigsten Tertiana, nicht 
selten aber auch Perniciosa und Schwarzwasserfieber. 

Überträgerin der Malaria ist in erster Linie Anopheles maculipennis, 
seltener Anopheles bifurcatus und Pyretophorus superpictus. 

Behufs Bekämpfung der Malaria hat die unter Protektorat des Königs 
von Griechenland stehende Liga, welcher auch die „Liverpool School of tropical 
medicine“ ihre Hilfe angeboten hat, ihre Tätigkeit begonnen. In England hat 
sich ein Komitee gebildet, welches die Liga auch mit Geld unterstützt Nach 
Ansicht von Ross eignet sich zur Bekämpfung der Malaria in Griechenland 
am besten seine Methode zur Vernichtung der Mücken. (Ref. ebenda, S. 218.) 

Weydemann: Die Malaria im nördlichen Jeverlande." (Zen- 
tralbl. f. Bakt. 1906, Bd. 43, Heft 1.) Verfasser ist der Ansicht, daß die 
Malaria im Jeverdistrikt, einem Landstrich im Großherzogtum Oldenburg, 
westlich vom Jadebusen, endemisch herrscht. Infolge unzureichender Selbst¬ 
behandlung der Erkrankten seien stets Parasitenträger vorhanden, and der 
Ausbruch von Epidemien ist immer abhängig von der durch Witterungs¬ 
einflüsse bedingten Zunahme der Anophelesmücken. (Ref. ebenda, S. 378.) 

Anderson: „Splenic abscess in malerial fever.“ (Lancet 1906, 
Nr. 4339, S. 1139.) Verfasser berichtet über fünf Fälle von MilzabBzeß bei 
Malaria, welche zweimal intra vitam, dreimal bei der Sektion festgestellt 
wurden. (Ref. ebenda.) 

Bruas: „Ein Fall von intermittierender orthostatischer 
Albuminurie während des Malariaanfalles.“ (International medical 
Revue, Nr. 1, 1907.) 

Nach Seissier bezeichnet man als orthostatische Albuminarie eine 
solche, welche weder durch Diät noch durch körperliche oder geistige An¬ 
strengung, Ermüdung oder Gemütsbewegung beeinflußt wird, sondern für 
deren Auftreten der Übergang von der horizontalen in die vertikale Lage 
einzig und allein verantwortlich zu machen ist. Bruas sah ein derartiges 
Leiden bei einem Malariakranken, welcher früher Scharlach durchgemacht 
hatte. Er läßt die Frage offen, ob die Malaria die wirkliche Ursache der 
Affektion bildet oder ob sie eine früher schon vorhandene Albuminurie unter 
solchen Verhältnissen von neuem aufflackern läßt. (Ref. ebenda, S. 470.) 

Maragliano: „Radiotherapie et paludisme.“ Congrös pour 
l’avancement des Sciences. (Caducöe 1906, Nr. 17, S. 227) 

Verfasser behandelte drei Fälle von Malaria mit Ilöntgenstrahlen, zwei 
Quotidianae, eine Tertiana. Parasiten waren im Blute gefunden. Die Behandlung 
wurde stets nach kaum beendetem Fieberanfall vorgenommen und auf die 
Milz gerichtet. Die kräftig durchdringenden Strahlen (Nr. 7 und 8 des Radio¬ 
meters Benoit) wurden stets vorher durch vier oder fünf Diachlonblätter filtriert. 
Die Sitzung dauerte 20 Minuten mit sehr starker Irradiation mittels Müller- 
röhre. 

Filtration der Strahlen hält der Autor für dringend erforderlich bei 
Behandlung tiefgelegener Teile. Im dritten Falle hat er trotzdem leichte 
Dermatitis erhalten. 


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Malaria. 


179 


Bei den ersten beiden Patienten verschwanden nach Bestrahlung die 
Parasiten aus dem Blut Die Einwirkung auf die Fieberanfälle geschah 
strahlen artig, d. h. nach der ersten Sitzung trat nicht gleich Apyrexie ein, 
sondern lediglich eine Verzögerung des Fieberausbruchs und eine Herabsetzung 
des Temperaturmaximums. Auch kam es in allen drei Fällen zu beträchtlicher 
Verkleinerung der Mils. 

Verfasser will seinen Erfahrungen keinen absolut beweisenden Wert 
zugunsten der Radiotherapie beilegen. Denn bekanntlich vermag die Quotidiana 
auch spontan zu heilen, wenn der Patient in gute hygienische Verhältnisse 
kommt. Er betont indessen, daß Anfälle bei den von ihm behandelten drei 
Kranken früher zahlreich auftraten und stets viel länger dauerten, auch nur 
auf Chinin wichen. Ein Hauptwert sei auf die durch die Bestrahlung stufen¬ 
weise erfolgende Verminderung der Anfälle zu legen, welche den Sitzungen 
entsprach. (Ref. ebenda, S. 470, 471.) 

Economos: „Paludisme gongenital ou permabilite du placenta 
aux hematogenaises.“ (Soc. d’obstetrique de Paris, 28.Februar 1907.) 
Verfasser hat beobachtet, das Malariaparasiten durch die Placenta in den 
Fötus einzudringen vermögen. In sieben von ihm untersuchten Fällen von 
frischer Malariaerkrankung der Mutter fand diese Infektion statt. (Ref. ebenda, 
S. 503.) 

Albert Plehn hielt in der tropenhygienischen Sektion 30 der 79. Ver¬ 
sammlung deutscher Naturforscher und Ärzte, welche vom 16. bis 21. September 
1907 in .Dresden tagte, den ersten Vortrag über: „Malaria und Chinin.“ 
Er berichtete über Untersuchungen, welche er zusammen mit Grosser und 
Riva über die Art der Chininwirkung bei Malaria angestellt hatte. Nach 
Grossere Beobachtungen erfolgt die hauptsächlichste Chininausscheidung 
nach 6 bis 12 Stunden. */ 6 bis 4 / 6 des Chinins werden nicht ausgeschieden. 
Gestützt auf Tierexperimente, nimmt Plehn an, daß das eingeführte Chinin 
im Organismus und zwar in der Leber zerstört wird. Ob auch in anderen 
Organen, steht noch nicht fest. Die Wirkung des Chinins ist um so besser, 
je weniger davon in der Leber zerstört wird. Am meisten geschieht dies nach 
Einnahme per os, am wenigsten bei intramuskulärer Injektion. Daher ist 
letztere Art der Medikation am wirksamsten. 

Viereck behandelt sodann das Thema: „Die fieberhafte Anämie 
im Anschluß an Malaria.“ Gewöhnlich findet man bei Malariapatienten 
nur einen Blutbefund, welcher demjenigen bei Chlorose ähnelt. Zuweilen aber 
beobachtet man schwerere Zustände, welche unter den Symptomen einer Störung 
der Blutbildung ablaufen. Soweit die Störung nur die Erythrocyten betrifft 
und zum Kreisen von Megaloblasten in peripherem Blut führt, ergeben sich 
weitgehende Beziehungen zur perniciösen Anämie. Über einen derartigen Fall 
berichtet Viereck, ferner über einen zweiten, in dessen Blut sich noch 
unfertige Leucocyten fanden. 

Der Blutbefund war hier demjenigen bei myelogener Leukämie ähnlich. 
Der Krankheitsverlauf ist ein anderer als derjenige bei Leukämie oder Anämia 
perniciosa. 

Bei der Malariaanämie liegt keine organische Erkrankung des Knochen¬ 
marks vor, sondern nur eine vorübergehende Erschöpfung, eine funktionelle 

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Infektionskrankheiten. 


Läsion als Folge einer individuell zu starken Inanspruchnahme des Knochen¬ 
marks bei dem durch die Malaria bedingten erhöhten Blutkörperchenserf&lL 
(Ref. ebenda, S. 685.) 

Rein hold Rüge-Kiel: „Die Malariabekämpfung in den deutschen 
Kolonien und in der Kaiserlichen Marine seit dem Jahre 1901.“ 
Referat, auszugsweise erstattet auf dem XIV. internationalen Kongreß für 
Hygiene und Demiographie zu Berlin. 

Seit dem Jahre 1901 ist der Kampf gegen die Malaria in den deutschen 
Kolonien Deutsch - Ostafrika, Kamerun, Togo, Deutsch - Südwestafrika, 
Deutsch-Neuguinea und Bismarckarchipel nach vier verschiedenen Methoden 
geführt worden, nämlich: 

1. mittels Ausrottung der Malaria nach Robert Koch, 

2. mittels Chininprophylaxe, 

3. mittels mechanischer Prophylaxe, 

4. mittels Bekämpfung der Stechmücken nach dem Vorgänge von 
Ronald Ross. 

Punkt 1 betreffend, so war R. Koch bekanntlich bereits im Jahre 1899 
auf Grund seiner Untersuchungen in Grosseto in den Maremmen von Mittel¬ 
italien zu der Überzeugung gelangt, daß die Malaria genau so gut wie Pest 
oder Cholera bekämpft werden könne. Man müsse aber nicht nur die schweren, 
sondern vor allem die leichten Fälle, welche gewöhnlich üicht zur Kenntnis 
des Arztes kommen, sowie die Parasitenträger aufsuchen und durch Chinin 
unschädlich machen. Würden neben den Schwerkranken auch die leicht 
Infizierten sowie die Parasitenträger auf diese Weise geheilt, so wäre hierdurch 
das Bindeglied zwischen den sommerlichen Malariaepidemien ausgeschaltet 
Die Anophelesmücke könnte sich nicht mehr infizieren und die Malaria 
müßte erlöschen. Nach dieser Methode gelang es ihm gemeinsam mit Ollwig, 
das 8chwerverseuchte Stephansort auf Neuguinea von seiner Malaria zu 
befreien. Da indessen der so erzielte Erfolg nicht durch entsprechende 
Maßregeln festgehalten wurde, so ging er bald wieder verloren. 1901 begann 
Vagedes seine Arbeiten in Deutsch-Südwestafrika, und zwar in der im heißen 
Norden der Kolonie zwischen dem 15. bis 20. Grad südlicher Breite gelegenen 
Landschaft Franzfontein. Wegen der großen Ausdehnung des Gebietes 
konnten nur vier Ortschaften in Arbeit genommen werden, die aber auch 40 
bis 80 km von der Hauptstadt entfernt lagen. — Den Weg mußte man nachts 
zu Pferde zurücklegen. Obgleich Vagedes nur von einem Gefreiten zu Pferde 
und einem intelligenten Ansiedler unterstützt wurde, die mikroskopischen 
und arzneilichen Arbeiten aber allein ausführen mußte, glückte es ihm doch, 
im Laufe von neun Monaten die Malaria-Infektionen an zwei Orten von 29 Pro», 
auf 0 Proz., in einem dritten von 71 Proz. auf 7,5 Proz. und in Franzfontein 
selbst von 75 Proz. auf 9 Proz. hinabzudrücken. Bringt man die von außen 
eingeschleppten Fälle in Abzug, so ging die Zahl der Infizierten der zweiten 
Fiebersaison (1902) auf 3,7 Proz. zurück. Gereicht wurde erst jeden 9. und 
10., später jeden 7. und 8.Tag je 1 g Chinin. Vagedes und seine Frau 
nahmen jeden 8. und 9. Tag je 1 g ChiniD und blieben gesund. Was nun die 
übrigen Methoden der Malariabekämpfung betrifft, so kommt Rüge zu folgenden 
Schlußfolgerungen: 


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Malaria. 


181 


Das einfachste und unter allen Verhältnissen anwendbare Schutsmittel 
ist die Chininprophylaxe, doch muß je nach der Infektionsgefahr und der 
Chinintoleranz individualisiert werden. 

a) Chinin 1,0 ist während der Fieberzeit unter den bekannten Vorsichts¬ 
maßregeln an zwei aufeinanderfolgenden Tagen — 8. und 9. bis 5. und 
6. Tag, je nach der Infektionsgefahr — oder jeden 4. Tag zu nehmen. 

b) Das Chinin muß noch mindestens zwei Monate nach dem letzten Fieber¬ 
anfall in oben angegebener Weise gereicht werden. 

c) Die gründliche Ausheilung eines jeden Fieberanfalles ist nötig, ehe 
die Prophylaxe wieder aufgehoben wird. 

d) Da Chinin in Grammdosen bei vielen Leuten höchst unangenehme 
Erscheinungen hervorruft, so ist bei solchen das Chinin nach Noohtscher 
Methode zu geben. 

e) Die Chininprophylaxe kommt in den Kolonien, namentlich für den 
einzelnen Europäer, für militärische Verhältnisse — marschierende und im 
Felde stehende Truppen — sowie an Bord von Schiffen in Betracht. 

Sie hat bei der Marine und bei den Schutztruppen namentlich insofern 
recht gute Resultate gehabt, als nicht nur die Anzahl der Erkrankungen ganz 
erheblich abgenommen hat — besonders die Rückfälle —, sondern auch die 
trotz der Prophylaxe aufgetretenen Erkrankungen sehr viel leichter verlaufen 
und namentlich Schwarzwasserfieber nur vereinzelt vorgekommen sind. 

f) Zur Malariaprophylaxe gehört auch die Cbininisierung der eingeborenen 
Diener. (Ref. in Menses Archiv, Bd. 11, S. 705 ff.) 

Horoskicwicz, Stefan v., und Marx, Hugo: „Über die Wirkung 
des Chinins auf den Blutfarbstoff nebst Mitteilung einer ein fachen 
Methode zum Nachweis von Kohlenoxyd im Blut.“ (Berl. klin. Wochen¬ 
schrift 1906, Nr. 35.) Die Autoren berichten über Veränderungen, welche 
das Hämoglobin unter der Einwirkung des Chinins erleidet. Der rote Blut¬ 
farbstoff geht in einen braunen über; das Spektroskop zeigt im Blut bei Ein¬ 
wirkung von 15 bis 16 Proz. Lösungen von Chininum hydrochloricun^ statt der 
ursprünglichen Hämoglobinstreifen einen charakteristischen Streifen zwischen 
den Fraunhoferlinien C und D. Die Forscher beabsichtigen, die Natur 
des unter dem Einfluß des Chinins auf Blut entstehenden Körpers zum Gegen¬ 
stand weiterer Untersuchungen zu machen. Möglich, daß hierbei Aufschlüsse 
über die Wirkung des dem Körper zum Behufe der Heilung von Malaria 
einverleibten Chinins gefunden werden. (Ref. in Menses Archiv, Bd. 11, S. 722.) 

M. A. Jones: „Malaria. A neglectet factor in the history of 
Greece and Rome.“ (Cambridge 1907.) In einem von Ronald Ross 
verfaßten Vorwort betont der berühmte Epidemiologe die von den Historikern 
bisher zu wenig gewürdigte Bedeutung der Krankheiten für das Aufblühen 
und den Untergang der Völker. In dieser Beziehung steht nach Ansicht des 
Verfassers M. A. Jones Malaria an erster Stelle, und die Völker, für welche 
sie vor allen verhängnisvoll wurde, sind die Griechen und Römer. Der Autor 
nimmt, gestützt auf das Vorkommen der entsprechenden, von griechischen 
Schriftstellern gebrauchten Bezeichnungen, an, daß Griechenland etwa seit 
dem fünften Jahrhundert v. Chr. unter Malaria zu leiden hatte. Die Seuche 
wurde wahrscheinlich von Unterägypten her eingeschleppt, vielleicht nach 


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Infektionskrankheiten. 


dem unglücklichen Zuge der Athener i. J. 456 v. Chr. Von diesem Zeitpunkt 
an sehen wir die ersten Anzeichen des Niederganges des griechischen Volkes. 
In Italien scheint die Krankheit erst um 200 v. Chr. größere Verbreitung 
gefunden zu haben, und zwar auch innerhalb der Stadt Rom selbst, welche 
heute frei von Malaria ist, vielleicht weil das antike offene Atrium mit seinem 
„Implurium“ benannten Wasserbecken eine Brutstätte der Anopheles bildete. 

Während aber die Malaria dem Griechen seine Spannkraft und Wider¬ 
standsfähigkeit raubte, machte sie den ruhigen, an Selbstzucht gewohnten 
Römer gewalttätig und blutdürstig. Exzesse, ähnlich den heutzutage im 
„Tropenkoller“ begangenen Untaten, wurden alltäglich. Das Land verödete 
und in den Städten sammelten sich krankhaft erregte Menschenmassen. So 
wurde der Verfall des römischen Reiches durch die Malaria wenn auch nicht 
verschuldet, so doch zum mindesten begünstigt. (Ref. ebenda, S.755, 756.) 

Charles Kieffer: Malignant disease and Malaria. (Med. Record, 
27. April 1907.) Die vom Verfasser aufgestellte vergleichende Statistik der 
Erkrankungen und Fieberfälle an Malaria und malignen Tumoren, besonders 
Krebs, in den mehr als 20 000 Einwohner zählenden kubanischen Städten 
läßt den Autor zu folgenden Schlüssen gelangen: 

1. Es besteht kein wirklicher Antagonismus zwischen Malaria und bös¬ 
artigen Geschwülsten. 

2. Letztere werden durch hinzutretende Infektion von Malaria nicht 
beeinflußt. 

3. Die Eingeborenen tropischer Länder erfreuen sich einer relativen, 
aber großen Schwankungen unterliegenden Immunität gegenüber bösartigen 
Geschwülsten. 

4. Die Fortschritte der Kultur und die Einführung derLebensgewohnheiten 
der Weißen vermindern diese Immunität. (Ref. ebenda, S. 756.) 

W. Carnegie Brown: „Malaria in Madagaskar.“ (Journ. Trop. 
Med. Hyg., 15. Juni 1907.) 

Mose: Dasselbe. (Ebenda, 1. Juli 1907.) 

Brown ist der Ansicht, das Hochland von Madagaskar sei bis 1904 völlig 
frei von Malaria geblieben; M o s s dagegen will dies auf die Hauptstadt Antana¬ 
narivo beschränkt wissen. Dagegen sei ihre Umgebung durchseucht gewesen, 
und zwar wüteten an einem Platze drei Jahre lang schwere Fieber, worauf ein 
Nachlaß eintrat. Beide Autoren stimmen darin überein, daß der Wegebau die 
Verbreitung der Malaria förderte. Die bei dieser Arbeit am Sumpffieber er¬ 
krankten Eingeborenen kehrten in ihre Heimatdörfer zurück, welche meist von 
Reisfeldern umgeben sind, den Brutstätten massenhafter Anopheliden, und 
verbreiteten dort die Seuche. 1902 zählte man in den Krankenhäusern nur 
3,36 Proz. Malariapatienten, 1905 aber 31,5 Proz.—1906 gab es in Antananarivo, 
welches etwa 60 000 Bewohner hat, 4177 Todesfälle, davon nicht weniger als 
2311 an Malaria, im Monat Februar allein 334 Todesfälle gegen 264 Geburten. 
Im Juni 1906 beherbergte die Stadt 18000 Malariakranke, von welchen 500 
starben. Brown macht der französischen Kolonialverwaltung die schwersten 
Vorwürfe wegen Vernachlässigung der elementarsten Vorsichtsmaßregeln, 
welche trotz der Warnung Laverans und Blanchards bis »um Jahre 1906 
völlig unterblieben. (Ref. ebenda, S. 786, 787.) Kronecker. 


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Schwarzwasserfieber. 


183 


Sohwarzwasserfleber. 

Gurney-Mastermann: „Haemoglobinuric fever in Syria.“ (Brit. 
Med. Journ. 10. Februar 1906.) Schwarzwaaserfieber kommt in der Um¬ 
gebung von Jaffa und in Süd-Paläatina nicht aelten vor. Verf. beobachtete 
selbst einen achweren Fall bei einem Eingeborenen von Buchara, welcher 
sich seit neun Jahren in Jeruaalem auf hielt und viel an Malaria gelitten 
hatte. Der Fall endete am vierten Behandlungatage tödlich. Ehe die Natur 
der Krankheit erkannt worden war, hatte man Chinin gereicht, welche8 
Patient zum Glück erbrach. Später wurde ea weggelaaaen. Im Blute waren 
vereinzelte Malaria-Parasiten nachzuweiaen. (Ref. in Menses Archiv, BcL 11, 
S. 97.) 

Coste: „Considerations sur la fiövre hemoglobinurique dana 
la rögion d’Arzew en 1904.“ (Archiv de Med. et Pharmac. militaire, 
August 1906.) In der stark von Malaria verseuchten Gegend von Arzew 
in Algier beobachtete Verfasser mehrere Fälle von Schwarzwasserfieber. 
Symptome von seiten der Leber und der Gallenblase fehlten in der Regel. 
Die Mortalität betrug 44 Proz. Als prognostisch ungünstig nennt Coste 
ein kontinuierliches Fieber ohne Remissionen, sowie hohen Eiweißgehalt des 
Urins. Chinin kann bisweilen gute Dienste leisten, besonders wenn die 
Nieren durchgängig bleiben. Bei Schädigung des Nierenepithels wird es 
hingegen schlecht vertragen. Therapeutisch empfiehlt der Autor subkutane 
Injektionen von künstlichem Serum: 500 bis 1000g einer Lösung von 15 
pro Mille, ferner Coffeininjektionen, eisgekühlten Champagner, leichte Pur- 
gantien und Milchdiät. (Ref. Ebenda, S. 281, 282.) 

W. v. Brem: „Malerial hemoglobinuria.“ (Journ. of the Amer. 
Aasoc., 15. Dezember 1906.) Verfasser beobachtete in Nordamerika 14 Fälle 
von Schwarzwasserfieber, zu welchen Malaria vom aestivo-autumnalen Typus 
den Grund gelegt hatte. Chinin spielte ätiologisch keine Rolle. Zwei 
Patienten starben; bei vier Fällen beobachtete man ein eigenartiges post- 
hämoglobinurisches Fieber, welches durch Chinin nicht beeinflußt wurde. 
(Ref. Ebenda, S. 403.) 

Le Moal: „Considerations ätiologiques sur l’hämoglobinurie 
des paludeennes.“ (Ann. d’hygiene et de med. col. 1907, p. 258.) Ver¬ 
fasser, welcher früher ein Anhänger des auf Malaria zurückzuführenden 
Ursprungs des Schwarzwasserfiebers war, vertritt heute die Ansicht, daß 
dasselbe in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle durch die Behandlung 
verursacht wird, und zwar durch ein oder zwei unnütze Gaben von Chinin 
im Verlaufe einer Reihe von Fieberanfällen. Die Dosis mag absolut gering 
sein, jedenfalls ist sie meist höher als diejenigen, welche Patient im Verlauf 
von früheren Malariaanfällen gewöhnlich erhielt. 

Verfasser liefert interessante Notizen über die Resultate seiner Blut¬ 
untersuchungen und besonders über den Grad der Widerstandsfähigkeit des 
Hämoglobins der Kranken. (Ref. Ebenda, S. 527.) 

Angelo Celli: „Chinintannat in Fällen von idiosynkrasischer, 
selbst hämoglobinurischer Intoleranz gegen in Wasser lösliche 
Chininsalze.“ (Ebenda, S. 539ff.) Um gute Erfolge bei der Chinin¬ 
therapie zu erzielen, erscheint es dringend erforderlich, das Medikament in 


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184 


Infektionskrankheiten. 


der angenehmsten Form zu reichen. Eine solche bilden nun ohne Zweifel 
die von dem Autor eingeführten überzuckerten Tabletten. Aber Kinder 
unter drei Jahren und manche Erwachsene vermögen selbst diese nicht zu 
schlucken und können sie, wenn auch selten, nicht vertragen. Um diese 
Mißstände zu vermeiden, welche häufig dazu führen, daß die Infektionsherde 
bestehen bleiben, arbeitet Celli im Verein mit Martinotti und Casellini 
seit etwa drei Jahren daran, ein Chininpräparat herzustellen für alle die, 
welchen der bittere Geschmack zuwider ist, oder welche die Chinintabletten 
nicht verdauen können. Man entschied sich für das Chinintannat nach 
Regnauld in Form von Schokoladenpastillen. Dasselbe wurde derart 
modifiziert, daß es ein basisches, in Wasser nicht lösliches Chinintannat 
ohne jeden bitteren Beigeschmack darstellt, welches konstant 39,35 Pros. 
Chininbase enthält. Dieses Präparat wurde von Gaglio und Cervello auf 
seine Resorptionsfähigkeit geprüft. Man fand nun auf empirischem Wege, 
daß Chinintannat langsam, aber vollkommen mit Hilfe der Galle und des 
Pankreassaftes resorbiert wird. 

Ferner ergaben die klinischen Beobachtungen Cellis und seiner Schüler 
bei 736 behandelten Kindern nur 17 Mißerfolge. Unter 60 prophylaktisch 
behandelten Kindern erkrankten nur 9 an Malaria. 

Auch von anderer Seite kommen sehr günstige Urteile über die Chinin¬ 
tannat-Schokoladenpastillen. Allgemein wird gerühmt, daß ee so vortreff¬ 
lich vom Verdauungsapparat und vom Nervensystem vertragen wird. Her¬ 
vorzuheben ist auch, daß in keinem der 1426 auf diese Art behandelten 
Fälle je Hämoglobinurie eintrat! Idiosynkrasie gegen das Mittel mit Ent¬ 
zündung der Haut und Kollaps wurde nur ein einziges Mal bei einem Kinde 
beobachtet, welches aber nicht einmal Chinarindentee vertragen konnte. 

Da sich somit das Chinintannat als fast absolut frei von Neben¬ 
wirkungen bewährt hatte, beschloß Celli dasselbe auch in mit Hämo¬ 
globinurie komplizierten Fällen von Malaria zu versuchen. Bisher kennen 
wir freilich die Faktoren, welche die Auflösung des Blutes beim Schwarz- 
wasserfieber verschulden, nicht. Aber wir haben Grund zu der Annahme, 
daß der Mechanismus nicht erheblich von denjenigen abweicht, welche man 
durch Experimente in zahlreichen Fällen von Hämolyse ermittelt hat Einer¬ 
seits wirkt jede hämolytische Ursache, indem sie die Membran des Blut¬ 
körperchens, wahrscheinlich eine lipoide Substanz, verändert. Andererseits 
gibt es wieder Körper, welche die Wirksamkeit der Hämolysine zu hemmen 
imstande sind, wie Lecithin, Cholesterin, kolloidales Eisenoxydhydrat und 
selbst Calciumchlorid. 

Theoretisch erscheint es daher kaum zweifelhaft, daß das Tannin ähn¬ 
lich hemmende Eigenschaften besitzt, da es als gerbsaures Natrium und 
gerbsaures Albumin resorbiert wird und sich im Blute zum Teil in Gallus¬ 
säure umsetzt. Auf jeden Fall vermag es der aktiven Hämolyse, welche 
auch dem Chinin als Nebenwirkung zukommt, entgegen zu arbeiten. Celli 
beschreibt sodann ausführlich fünf Fälle von Schwarzwasserfieber nach 
Malaria, welche er mit Schokoladepastillen von Chinintannat behandelte. 
Alle fünf wurden geheilt bzw. sehr erheblich gebessert, ln dem letzten 
Falle erfolgte vier Monate nach Beseitigung des ersten Anfalles durch 6 g 
Chinintannat ein Rückfall, nachdem die Mutter des Patienten denselben von 


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Schw&rzwasserfi ober. 


186 


neuem in die Pontinischen Sümpfe mitgenommen hatte, wo er sich das erste 
Fieber geholt hatte. Ein Arzt injizierte dem Kranken 1 g Chininchloralhydrat, 
worauf wieder Hämoglobinurie eintrat, welcher Patient wenige Stunden 
später erlag. 

Dieser letzte Fall erscheint besonders wichtig wegen der Probe auf das 
Exempel. Denn als Chinintannat durch ein leicht lösliches Chininsalz er¬ 
setzt wurde, ging Patient schnell zugrunde. 

Celli richtet zum Schluß an alle in Malariagegenden praktizierenden 
Arzte die ernste Mahnung, in allen Fällen von Intoleranz gegen die in 
Wasser leicht löslichen Chininsalze auch in Fällen von Schwarzwasserfieber 
Chinintannat möglichst in Form von Schokoladepastillen zu versuchen. 

Kohlbrugge-Utrecht: „Chinintannat bei Malaria“. (Ebenda, 
S.648ff.) Verfasser hat bereits im Jahre 1899 in seinem „Febris biliosa 
haemoglobinurica und Chininintoxikationen in Niederländisch- 
Indien“ überschriebenen, ebenfalls in Menses Archiv erschienenen Artikel das 
Chinintannat warm empfohlen. Er führte damals aus, daß nur die mit an¬ 
organischen Säuren kombinierten Chininpräparate Intoxikationen hervor- 
rufen (gleichzeitige Chinin- und Säurevergiftung), daß aber das Chininum 
tannicum auch bei hochgradiger Idiosynkrasie und in großen, ja größten 
Dosen gereicht völlig unschädlich ist, zumal wenn man die nicht gewünschte 
adstringierende Nebenwirkung durch geeignete Diät, Massage usw. neutrali¬ 
siert. Verfasser pflegte seinen in dem von ihm geleiteten Sanatorium 
„Tosari“ im Tangergebirge untergebrachten Malariapatienten, wenn sie des 
Chinins nicht entraten konnten, Chinintannat manchmal bis 8g täglich in 
Oblaten zu reichen, ohne daß sie irgendwie davon belästigt wurden. Kohl- 
brugge kann daher den deutschen Kollegen, welche in Afrika so häufig 
Schwarzwasserfieber zur Behandlung bekommen, nur den dringenden Rat 
erteilen, den an jener Affektion erkrankten Patienten Chinintannat in großen 
Dosen zu reichen. Auch sollte man in Zukunft nicht mehr schlechtweg von 
Chininintoxikationen reden, sondern genau unterscheiden zwischen den In¬ 
toxikationen der verschiedenen Chinin salze, von welchen das gerbsaure das 
unschädlichste ist. 

Bernardo, F. Bruto de Costa: „Etodos sobre a Etiologia da 
Febre Biliosa Hemoglobinurica.“ (Archives de Hygiene e Physiologia 
Exoticas. Vol. I, Fase. 2, 1906.) In vorliegender Arbeit finden wir eine 
sehr ausführlich gehaltene Krankengeschichte von 20 durch den Verfasser 
behandelten Schwarzwasserfieberpatienten. Er konstatierte bei 17 Kranken 
Malariaparasiten im Blut und zieht aus seinen Beobachtungen folgende 
Schlüsse: 

1. Schwarzwasserfieber wird durch Malariaparasiten erzeugt. 

2. Die Parasiten werden schon kurz nach seinem Ausbruch sehr zahl¬ 
reich im Blut gefunden. 

3. Meist handelt 6 b sich um die ringförmigen Parasiten der Tropen¬ 
malaria, um nicht pigmentierte Formen. 

4. Chinin trägt keine Schuld am Auftreten des Schwarzwasserfiebers; 
dies Medikament hat vielmehr, in mäßigen Dosen gereicht, einen guten Ein¬ 
fluß auf den Verlauf der Krankheit. 


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Infektionskrankheiten. 


5. Die beste Therapie besteht in Darreichung von Chinin, Calomel, 
schwefelsaurem Natron und Diureticis. (Ref. ebenda, S. 568, 569.) 

Kianellis: Quelques reflexions sur le traitenent de la fievre 
bilieuse hemoglobinurique. (Revue de medecine. Paris 1906.) 

Derselbe: Contributions ä l’ötiologie de la fievre hemoglo- 
binurique-bilieuse des pays chauds. (Ebenda, S. 816.) 

Derselbe: Contributions ä l’urologie de la fievre hemoglo- 
binurique-bilieuse. (Ebenda 1907, S. 86.) Verfasser beobachtete 20 Fälle 
von Schwarzwasserfieber in Griechenland: Athen und Umgebung. Er ist 
Anhänger der Chininbehandlung mit einziger Ausnahme jener Fälle, in 
welchen der Anfall erwiesenermaßen durch Chinin ausgelöst wurde. 

Kianellis glaubt, daß die üble Beschaffenheit des Blutes, welche eines 
der wichtigsten ätiologischen Momente bildet, nicht einzig und allein durch 
Malaria bedingt ist. Auch Syphilis und rheumatische Diathese spielen 
hierbei eine Rolle, endlich aber auch die Erblichkeit. Unter den 22 von ihm 
behandelten Patienten befanden sich zwei Brüder, welche zu gleicher Zeit 
erkrankten. In anderen wieder litten Vater und Mutter zugleich mit ihren 
Kindern an Schwarzwasserfieber. (Ref. ebenda, S. 569.) 

William Hartigau: Euquinine. Its suggested use in Black- 
water Fever. (Journ. trop. med. 15. Januar 1907.) Der Autor empfiehlt 
Euchinin in Dosen von 0,15 bis 0,3 für die Kinderpraxis, vor allem aber für 
Schwarzwasserfieber. (Ref. ebenda, S. 569.) 

Vincent: „Pathogenie de lafievre bilieuse hemoglobinurique. 
Action antihömoly sante de chlorose de calcium.“ (Caducee 1906, 
No. 2, p. 21.) Verfasser erzielt seit einigen Jahren bemerkenswerte Erfolge 
in Verhütung und Behandlung deB Schwarzwasserfiebers durch Calcium- 
chlorür. 4 bis 6 g, in 100 bis 200g physiologischer Kochsalzlösung sub- 
cutan injiziert, sollen bei hierzu disponierten Individuen Anfälle verhüten 
oder kupieren. 

Vincent stellte gemeinsam mit Dopter fest, daß schon sehr kleine 
Dosen von Calciumchlorür: Lösungen von 1:5000, auch im Reagenzglase 
Blutkörperchen vor Zerstörung durch blutlösende Medikamente oder Sera 
schützen. (Ref. ebenda, S. 594.) 

Wern er-Hamburg sprach auf der 79. Versammlung deutscher Natur¬ 
forscher und Ärzte in Dresden (16. bis 21. September 1907) in Sektion 30: 
Tropenhygiene über das Thema: „Schwarzwasserfiebermittel mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der Therapie der Anurie.“ Der Sek¬ 
tionsbefund in sechs Fällen von tödlich verlaufenem Schwarzwasserfieber 
ergab folgende Resultate: 

1. Beim Schwarz Wasserfieber ist eine mehr oder minder hochgradige 
Erweiterung der Harnkanälchen die Regel. 

2. Degenerative Veränderungen im Epithel der Harnkanälchen gehören 
nicht unbedingt zum Bilde der Schwarzwasserniere; doch sind sie nicht 
selten (Werner sah sie in der Hälfte aller Fälle). 

3. Die blutstoffhaltigen Inhaltsmassen der Harnkanälchen nehmen in 
distaler Richtung an Dichte zu. In gleichem Maße werden die in den 


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Schwarzwasserfieber. 


187 


proximalen Teilen feinkörnigen Massen durch Gerinnungsmassen scholligen 
Charakters von intensiv gelbbrauner Farbe ersetzt. 

4. In den Fällen, in welchen die Schwarzwasserniere die Eisenreaktion 
gibt, ist diese fast nur auf die Rindenpartien beschränkt; und zwar ergeben 
die Inhaltsmassen der gewundenen Harnkanälchen die Reaktion am stärksten. 

5. Operative Behandlung der Schwarzwasserfieberanurie, nämlich De- 
kapsulation bzw. Nephrostomie, kommt in Betracht: a) wenn die durch 
Katheterisieren erwiesene Anurie nach 24 bis 48 Stunden noch besteht; b) wenn 
Kräftezustand und Puls den Eingriff gestatten. (Ref. ebenda, S. 687, 688.) 

Plehn: „Ursachen, Verhütung und Behandlung der hämo- 
globinurischen Fieber in heißen Ländern.“ (Med. Klinik 1906, Nr. 31 
bis 34.) Verfasser vertritt in den von ihm auf dem internationalen medizi¬ 
nischen Kongreß zu Lissabon gehaltenen ausführlichen Vortrag seinen größten¬ 
teils schon aus früheren Publikationen bekannten Standpunkt hinsichtlich des 
Schwarzwasserfiebers: Malaria ist unbedingt als Grundlage der tropischen 
Hämoglobinurie zu betrachten. Letztere fehlt an keinem Herde schwerer 
Malaria in heißen Ländern. Vor dem Anfall sind beinahe immer Parasiten 
im Blut nachzuweisen, während desselben nehmen sie ab ev. bis zu völligem 
Verschwinden. Es besteht eine doppelte Beziehung zwischen Malaria und 
Schwarzwasserfieber: einmal vermittelt erstere die Disposition zur akuten 
Hämatolyse, und zweitens spielt sie die Hauptrolle unter den Gelegenheits- 
Ursachen. Die Disposition besteht höchst wahrscheinlich in einer starken 
Herabsetzung der Widerstandsfähigkeit der roten Blutzellen. Dieselbe 
kommt wohl dadurch zustande, daß infolge der unausgesetzten Zerstörung 
der Blutkörperchen durch die Latenzformen der Malariaparasiten oder deren 
Stoffwechsel- bzw. Zerfallsprodukte die regenerativen Leistungen des blut¬ 
bildenden Knochenmarks fortgesetzt zu stark in Anspruch genommen 
werden, um den unter diesen Verhältnissen besonders hochgespannten Bedarf 
des Organismus mit vollwertigem Zellenmaterial decken zu können. Als 
Gelegenheitsursachen aber können den Zerfall auslösen: am häufigsten 
Malariaanfall und Chinin, auch Malariaanfall allein, auch Chinin allein, 
ferner Malaria in Verbindung mit anderen Drogen, Erkältung usw. 

Die beste Schwarzwasserfieberprophylaxe besteht in systematischer 
Chininprophylaxe und gründlicher Behandlung aller vorhandenen Malariafieber. 

Die Therapie des Schwarzwasserfiebers betreffend, so ist als Indicatio 
causalis lediglich maßgebend, ob die Malariaparasiten im Blut fortbestehen 
oder alsbald verschwinden. Überdauern die infizierten Blutkörperchen die 
Hämocytolyse und vermehrt sich gar die Zahl der Parasiten, während die 
klinischen Erscheinungen anhalten, so darf man mit energischen Chinin¬ 
gaben nicht zögern. — Nach Schluß des Anfalls muß die Beseitigung der 
Disposition durch rechtzeitige systematische Chininprophylaxe angestrebt 
werden. Der richtige Zeitpunkt für die erste Chiningabe ist gekommen, 
wenn die Reduktion der Blutkörperchenzahl bzw. des Hämoglobingehalts 
ihr Maximum erreicht hat. Das Chinin wird alsdann am besten intramus¬ 
kulär injiziert. 

Alkohol oder jede Erschütterung oder selbst Bewegung des Körpers ist 
von vornherein wegen Gefahr der Herbeiführung der Anurie unter allen 
Umständen zu meiden. (Ref. ebenda, S. 754, 755.) Kronecker. 


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188 


Infektionskrankheiten. 


Gelbfieber. 

Otto: „Über Gelbfieber in Afrika.“ (Vortrag, gehalten in der 
tropenhygieniscben Sektion der Versammlung deutscher Naturforscher und 
Ärste, Stuttgart 1906. Menses Archiv, Bd. 11, S. 147 fl.) Verfasser vertritt 
die Ansicht, daß die Westküste Afrikas erst später als Amerika mit Gelbfieber 
infiziert wurde, weil trotz weit älterer und regerer Handelsbeziehungen die 
ersten Nachrichten über das Auftreten der Seuche erst 1778 aus Afrika nach 
Europa gelangten. Unsere Kenntnisse über das Gelbfieber in Afrika sind 
dürftiger als unsere Erfahrungen über die in Amerika wütenden Gelbfieber¬ 
epidemien. Ersteres scheint bis jetzt bei weitem nicht die große Ausbreitung 
und Intensität erlangt zu haben, als es in Amerika der Fall ist. Ob vor 1884, 
dem Jahre der Besitzergreifung Togos durch Deutschland, dort Gelbfieber 
vorkam, ist nicht bekannt. Unwahrscheinlich erscheint es indessen nicht. 
Liegt doch in Togos unmittelbarer Nachbarschaft die englische Goldküsten¬ 
kolonie, welche die östliche Grenze jenes großen Gelbfieberherdes bildet, der 
von der Küste bis hoch hinauf in den Sudan zum oberen Senegal und Niger 
und nach Westen bis über die Elfenbeinküste hinaus reicht. 

Die ersten Verdachtsmomente über Auftreten der Seuche in Togo er¬ 
gaben sich aus einem Bericht des Regierungsarztes Wicke in Kleinpopo, 
heute „Anecho“ genannt, über eine in Selbe nahe dem Regierungssitz der 
Landschaft im Juni 1896 ausgebrochene Epidemie, welche bei 40 Kranken 
7 Opfer forderte. Näheres über ihren klinischen Verlauf oder die Sektions¬ 
befunde geht freilich aus dem Bericht des Regierungsarztes nicht hervor, 
indessen hat Wicke Ziemann gegenüber jene Fälle ausdrücklich als Gelb¬ 
fieber bezeichnet. Auch traf Verfasser in Paline einen Herrn, welcher 
1896 die Krankheit selbst überstand und eine Anzahl Kranker und Toter 
sah. Hauptsymptome der vier bis acht Tage dauernden Krankheit waren 
nach seiner Angabe: Fieber, schwarzes Erbrechen und Gelbsucht. Hämo¬ 
globinurie fehlte. Chinin hatte gar keinen Erfolg. Berücksichtigen wir 
ferner, daß auch aus anderen Plätzen der westafrikanischen Küste von Gelb¬ 
fiebererkrankungen berichtet wird, z. B von der Goldküste und aus Lagos, 
so scheint sich der Verdacht, daß hier tatsächlich Gelbfieber vorliegt, zur 
Gewißheit zu steigern. 

In den folgenden Jahren blieben die deutschen Kolonien vom Gelbfieber 
verschont. Erst im April 1906 kamen in Togo jene vier Fälle zur Beobachtung, 
welche vier Europäer, Angestellte der internationalen Bohrgesellschaft „Erke¬ 
lenz“, betrafen und sämtlich tödlich endeten. Über diese Epidemie wurde 
im 24. Jahrgang dieses Berichtes, S. 248 eingehend referiert. Nach Aus¬ 
räuchern der Häuser, Niederbrennen des Eingeborenenlagers, Vernichtung 
der Stegomyiae, mückensicherer Isolierung aller Individuen, welche sich in 
der Umgebung der Verstorbenen aufgehalten hatten, kamen weitere Er¬ 
krankungen nicht vor. Die Infektion jener vier Europäer ist wahrschein¬ 
lich an Ort und Stelle erfolgt. Für einen Transport der Keime dorthin 
durch Weiße besteht nicht der geringste Anhalt. Die Erreger sind höchst 
wahrscheinlich durch Eingeborene in die Häuser eingeschleppt worden. Hierbei 
könnte eine mit leichtem Gelbfieber behaftete Person als Infektionsquelle 
für die reichlich vorhandenen Stegomyiae gedient haben. Denn tatsächlich 
haben Eingeborene in den Kellern unter den Häusern der Europäer kampiert, 


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Di< 



Gelbfieber. 


189 


vielleicht sogar zeitweise in den Wohnungen derselben. Ferner wäre es 
denkbar, daß bereits infizierte Mücken mit den Lasten der Neger, welche, 
aus dem Innern, besonders aus der notorisch gelbfieberverseuchten Gold- 
küstenkolonie kommend, vorbei passierten und bei Tag und Nacht nahe dem 
Lager der Europäer rasteten, dort eingeschleppt seien. Endlich ist es mög¬ 
lich, daß die Eier oder Larven infizierter Mücken, aus denen sich nach 
neueren Untersuchungen infektionsf&hige Insekten entwickeln können, durch 
ganz besonderen Zufall in Europ&erh&user gelangt wären. Von diesen drei 
Möglichkeiten scheint dem Verfasser die erste, daß nämlich der Gelbfieber¬ 
keim durch einen gelbfieberkranken Eingeborenen eingescbleppt wurde, die 
plausibelste. Das Erkranken von vier Personen in zwei Häusern im Ver¬ 
lauf weniger Tage spricht für eine energische Infektion, welche sich besser 
durch direkte Übertragung des Krankheitskeimes von Mensch zu Mensch 
unter Vermittelung der Stegomyiae als durch Verschleppung von Insekten, 
Eiern oder Larven erklären läßt. Freilich kommt letzteres vor. Deshalb ver¬ 
bietet die französische Regierung den Transport von Früchten und unver¬ 
packtem Zucker aus gelbfieberverdächtigen Bezirken, da sich die Stegomyiae 
auf jenen Gegenständen gern aufhalten. Die Übertragung auf diesem Wege 
erfolgt indessen gewiß recht selten und dürfte sich auf wenige Exemplare 
beschränken. Eier und die in Wasser lebenden Larven können ohne Zweifel 
nur ausnahmsweise in Betracht kommen. Obendrein scheint es, als ob die 
auf hereditärem Wege infizierten Mücken mildere Erkrankungen verursachen 
.als die direkt infizierten. Jene vier Fälle aber nahmen den denkbar schwersten 
Verlauf. Die Konservierung des Gelbfiebergiftes durch die Eingeborenen 
können wir kaum noch bezweifeln; das Fortbestehen endemischer Herde in 
Afrika läßt sich im Hinblick auf die geringe Zahl der dort lebenden Weißen 
kaum anders erklären. Die bisher angenommene Immunität der Farbigen 
gegen Gelbfieber wird neuerdings von Marchand und Simon, zwei Mit¬ 
gliedern der französischen Gelbfieberkommission, entschieden in Abrede ge¬ 
stellt; sie nehmen an, daß das scheinbare Verschontbleiben der Eingeborenen 
nur so zu erklären sei, daß die Krankheit während des Kindesalters über¬ 
standen wurde, wo sie viel leichter verläuft als beim Erwachsenen. Höchstens 
verdient noch die Tatsache Erwähnung, daß die Stegomyia fasciata, wie 
übrigens alle Insekten, die weiße Haut bevorzugt. Weiterhin sprechen sich 
jene Autoren dahin aus, daß echte Rezidive beim Gelbfieber häufiger Vor¬ 
kommen, als man früher annahm. Wahrscheinlich sind sie dank ihres milden 
Verlaufs der Aufmerksamkeit der Patienten und der Ärzte gewöhnlich ent¬ 
gangen, was bei der Schwierigkeit der Diagnose wohl zu erklären ist. Unter 
solchen Verhältnissen scheint die Konservierung des Gelbfiebergiftes durch 
die Eingeborenen höchst wahrscheinlich. 

Die prophylaktischen Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Seuche 
sind überall die gleichen. Sie bestehen in mückensicherer Isolierung der 
Erkrankten, Ausräuchern der Häuser mit Schwefel, möglichst gründlicher 
Vertilgung der Stegomyiae, endlich 13 Tage währender Beobachtung aller 
der Personen, welche durch Verweilen am Orte der Erkrankungen, vor allem 
zur Nachtzeit, wo die Stegomyiae am liebsten stechen, der Infektionsgefahr 
ausgesetzt waren. Behufs energischer Durchführung dieser Maßnahmen 
muß an allen Küstenplätzen Schwefel in hinreichender Menge aufbewahrt 


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190 


Infektionskrankheiten. 


werden, ebenso Moskitonetzstoff, dessen Maschenweite 1,5 mm nicht über¬ 
steigt. Größere Gebäude, wie Hospitäler und Schulen, sollten von vornherein 
mückensicher angelegt werden. An der Mehrzahl der von dem Autor be¬ 
suchten Plätze Deutsch-Westafrikas sind diese Forderungen bereits erfüllt 
oder gehen ihrer Erfüllung entgegen. 

Unterschiede zwischen der afrikanischen Stegomyia, welche Otto an 
keinem der von ihm besuchten Küstenplätze vermißte, und ihrer brasilianischen 
Schwester vermochte Verfasser nicht zu entdecken, sowohl in bezug auf ihre 
Lebensgewohnheiten in der Freiheit als bei Laboratoriumsversuchen. Nur 
schien erstere etwas kleiner zu sein. Ob andere morphologische Differenzen 
bestehen, müssen die Zoologen entscheiden. Sehr zu beachten ist, daß diese 
Stechmücke sogar in schwer zugänglichen Wasseransammlungen häufig vor¬ 
kommt. So konnte sie Regierungsarzt Dr. Krüger selbst aus abgedichteten 
Brunnen herauspumpen, und Otto sah massenhaft Larven im Wasserbehälter 
eines Schleifsteines. Dagegen fand er sie nie im Brackwasser, z. B. in 
den Tümpeln am Rande der Lagunen. Sie starben, in solche überführt, 
innerhalb weniger Stunden ab, während Anopheleslarven in ihnen gut fort¬ 
kamen. Nur bei Verdünnung mit Süßwasser während der Regenzeit oder 
bei Kommunikation mit Grundwasser, so daß der Salzgehalt im Gemisch 
unter 1,5 sinkt, dürften sich jene Tümpel zu Brutstätten für die Stegomyia 
eignen können. 

Vor allem hat man zu verhindern, daß die Seuche nach Kamerun, welches 
bisher vom Gelbfieber völlig frei blieb, eingeschleppt wird. Bei der großen 
Entfernung von dem endemischen Herde, namentlich der französischen Gold¬ 
küste ist die Gefahr der Übertragung auf dem Landwege gering. W eit eher 
könnte sie auf dem Seewege erfolgen. Dabei ist eine scharfe Kontrolle der 
Schiffahrt, wie sie übrigens schon heute geübt wird, unerläßlich. Sind auf 
einem Schiffe verdächtige Erkrankungen vorgekommen, so muß unverzüglich 
die Vernichtung der Mücken durch Ausräuchern mit Schwefel vorgenommen 
werden. Kranke, ja alle Personen, deren Körpertemperatur über 37,6 be¬ 
trägt, sind als verdächtig anzusehen und mückensicher zu isolieren, bis man 
die Möglichkeit einer Gelbfieberinfektion unbedingt auszuschließen vermag. 
Diese Isolierung könnte sehr wohl auf der Viktoria, dem Haupthafen Kameruns, 
vorgelagerten Insel „Mondoleh“ geschehen, welche auch für Togo als Quaran¬ 
tänestation in Betracht kommt. Zur Beobachtung dürfte ein Zeitraum von 
sechs Tagen hinreichen. Da indessen die Inkubationszeit des Gelbfiebers 
nach neueren Forschungen 13 Tage betragen kann, so dürfte es sich 
empfehlen, für alle jene, welchen nach sechs Tagen der Verkehr mit dem 
Festlande gestattet wird, die französische Einrichtung des „Passeport sani- 
taire“ einzuführen. Solche Personen müssen zweimal täglich zur Fest¬ 
stellung ihrer Körpertemperatur den Arzt aufsuchen. Der Befund wird in 
einen ihnen ausgehändigten Paß eingetragen. 

Eine gänzliche Ausrottung der Stegomyia werden wir freilich in unseren 
afrikanischen Kolonien nicht erzielen. Wohl aber dürfte es sich ermöglichen 
lassen, durch konsequente Bekämpfung der Mücken, welche Verfasser für die 
wichtigste Prophylaxe für alle von Europäern bewohnten Plätze erklärt, die 
nach englischem Vorbilde ganz den Regierungsärzten zu übertragen wäre, 
die Zahl der so leicht auszurottenden Stegomyia derart zu verringern, d*ß 


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Gelbfieber. 


191 


sie keine praktische Bedeutung mehr haben. Die Vernichtung der Stechmücken 
bildet das A und das 0 der Gelbfieberbekämpfung. Mit der Möglichkeit der 
Einschleppung haben wir zu rechnen für Togo ganz besonders noch auf dem 
Landwege, welcher sich nicht vollständig absperren läßt- Fehlen aber an dem 
Ort der Einschleppung die das Virus übertragenden Insekten, so ist eine 
Weiterverbreitung ausgeschlossen. Die Vertilgung der Stechmücken soll nicht 
allein seitens der Regierung, sondern auch von dem einzelnen Ansiedler, 
welcher im Busch auf sich selbst angewiesen ist, energisch betrieben werden. 
Sie dürfte um so leichter gelingen, als keine kostspieligen und umständlichen 
Maßnahmen wie Zuschütten großer Tümpel oder Bedecken ausgedehnter 
Wasserflächen mit Petroleum notwendig sind, vielmehr lediglich eine gründ¬ 
liche Untersuchung der Wohnstätten und ihrer Umgebung, wo man die 
Larven leicht aufspüren und vernichten kann. Daneben sollte jeder in 
Westafrika lebende Weiße für persönlichen Schutz durch zweckmäßige 
Moskitonetze Sorge tragen, ganz besonders bei Reisen ins Innere, wo er zur 
Rast an infizierter Plätzen genötigt sein kann. 

Citronella-Öl gegen Mückenstiche und Gelbfieber. Die 
amerikanischen Fachblätter, welche über das Wiederauftreten des Gelbfiebers 
berichten, teilen mit, daß außer den üblichen Schutzmaßregeln gegen die 
Ansteckung auf der amerikanischen Kriegsflotte Einreibungen mit Citronella- 
Öl erfolgreich zur Anwendung kommen, um die Haut gegen den Stich der 
Stegomyia fasciata zu schützen. (Ref. ebenda, S. 243.) 

Thayer: „Study of a case of yellow fever.“ (Med. Rec. 12, I, 
1907.) Verfasser entdeckte in Schnitten aus den Organen eines am vierten 
Krankheitstage an Gelbfieber Verstorbenen innerhalb der roten Blutkörperchen 
amöbenähnliche Gebilde, welche er für den Fall, daß sich dieser Befund 
wiederholt, als Amöba febris flavae bezeichnen möchte. Die in üblicher 
Weise mit Hilfe von Alkohol, Xylol und Paraffin konservierten Schnitte 
waren mit folgender Mischung gefärbt worden: Ammoniakalische Kupfer¬ 
oxydlösung 10, Glycerin 10, gesättigte Gentianaviolettlösung 30. Die 
Größe jener Gebilde ist verschieden. Die kleinsten haben einen Durchmesser 
von 1 bis 2 ft, die größten füllen die rote Blutzelle bis auf einen schmalen 
Saum aus. Einige, besonders in der Prostata, den Nieren und den Darnj- 
wandnngen frei liegend angetroffene Amöben zeigten Pseudopodien. (Ref. 
ebenda, S. 280.) 

Antonio Ferrari: „A cerologia na febre amarilla.“ (BrasilMedico 
1907, Nr. 1 bis 5.) Ferrari liefert eine sehr detaillierte Beschreibung mehrerer 
Fälle von Gelbfieber, bei welchen er täglich bis zum 25. Krankheitstage den 
Urin qualitativ und quantitativ genau untersuchen ließ. Die beigegebenen 
Tabellen erstrecken sich auf die Menge, Farbe, Dichte, Gesamtacidität, Gehalt 
an Zucker, an Gallenfarbstoffen, Chloriden, Phosphaten, Harnsäure und Eiweiß. 

Aus den Ergebnissen seiner Arbeit zieht Verfasser eine Reihe von 
Schlußfolgerungen, betreffend das Verhalten der Nieren bei Gelbfieber, deren 
wichtigste lauten: 

1. Die Anwesenheit von Eiweiß in den ersten drei Tagen einer fieber¬ 
haften Erkrankung und die Abwesenheit der Diazoreaktion berechtigen zur 
Diagnose des Gelben Fiebers. 


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192 


Infektionskrankheiten. 


2. Die Menge des Albaniens hat auf die Prognose keinen Einfluß. 

3. Große Mengen von Uraten beim Beginn der zweiten Periode sind 
prognostisch günstig. 

4. Eine Cholurie ist in den meisten Fällen kaum eben spektroskopisch 
nachweisbar trotz sicherer Cholämie. 

5. Die Albnminurie steigt im zweiten Stadium und verschwindet schnell 
während der Rekonvaleszenz. 

6. Die beträchtliche Vermehrung der Harnsäure berechtigt zur Ver¬ 
wendung der Alkalien, namentlich des Natr. bic. (Ref. ebenda, S. 341, 342.) 

Gorgas: „Sanitary work on the isthmus of Panama during 
the last three years.“ (Med. Rec. 18. Mai 1907.) Die Landenge von 
Panama wurde im Laufe von vier Jahrhunderten auf den verschiedenen sie 
querenden Wegen durch den Strom der unakklimatisierten, weißen Reisenden 
immer aufs neue mit Malaria und Gelbfieber infiziert und deswegen schwerer 
verseucht als die benachbarten Tropenländer. Hierzu kamen Beit 1881 
noch die beim Kanalbau tätigen Arbeiter verschiedener Herkunft Ernste 
hygienische Arbeit setzte erst 1904 ein, wo die Kanalarbeiten aus den Händen 
der Franzosen in diejenigen der Nordamerikaner übergingen. Gorgas war 
einer der ersten bei diesem Werke, dessen glänzender Erfolg am besten durch 
die Tatsache illustriert wird, daß trotz der Anwesenheit von 10000 weißen, 
der Mehrzahl nach nichtimmuner Arbeiter innerhalb der letzten 15 Monat« 
keine Erkrankung an Gelbfieber beim Kanalbau zu verzeichnen war. Während 
zur Zeit der französischen Okkupation der Landenge das Gelbfieber beinahe 
jeden zweiten französischen Arbeiter hinwegraffte und noch eine weit höhere 
Zahl an Malaria erkrankte, bedingen jetzt alle Krankheiten zusammen nur 
23 Proz. Morbidität täglich. Im Jahre 1904 war der von den Vereinigten 
Staaten übernommene Landstreifen längs des Kanals dichter tropischer 
Dschungel, ein wahres Paradies für Anopheles, Culex und Stegomyia, für 
Weiße fast völlig unbewohnbar. Jetzt sind neben Gelbfieber und Malaria 
auch Ruhr und Pocken fast gänzlich verschwunden, und die in den nahen 
Hafenstädten von Peru lauernde Pest vermag hier keinen festen Fuß zu 
fassen. (Ref. ebenda, S. 657, 668.) 

Max Schüller: „Über Parasitenbefunde in Blutpräparaten 
eines Gelbfieberkranken.“ (BerL klin. Wochenschr. 1906, Nr. 7.) 
Schüller untersuchte zwei Ausstrichpräparate von dem Blut eines Gelb¬ 
fieberkranken, welche ihm aus Neuorleans zugesandt worden waren. Er 
beschreibt 0,3 bis 0,5 n breite und 0,76 |U lange, birnförmige oder länglich 
ovale, scharf begrenzte Gebilde mit minimalen Chromatinanschwellungen am 
oberen und unteren Ende, welche zu 10 und mehr in einem roten Blut¬ 
körperchen liegen. Verfasser glaubt, daß es sich um einen Parasiten aus 
der Protozoenklasse der Sporozoen handelt. Als besonders auffälligen Be¬ 
fund hebt er große blasse rote Blutzellen hervor, welche zerfließende Scheiben 
mit dünnen, unregelmäßig verzogenen Randsäumen darstellen. (Ref. ebenda, 
S. 724.) Kronecker. 

Beriberi. 

Max Glogner: Über den Sitz der Ursache der Beriberi. (Menses 
Archiv, Bd. 11, S. 1 ff.) Bei Erforschung der bisher noch dunklen Ursachen 


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Beriberi. 


193 


der Beriberi ist einem Symptom noch viel zu wenig Beachtung geschenkt 
worden, nämlich dem Hautödem und speziell dem Hautödem der unteren 
Extremitäten. Nach den Beobachtungen der Mehrzahl der Beriberiforscher 
wird dasselbe fast regelmäßig beobachtet und bildet vereint mit Schmerzen 
in der befallenen Extremität die erste Krankheitserscheinung. 

Im allgemeinen entstehen nach den heute geltenden Theorien die 
Hautödeme 

1. durch Stauung des venösen Blutes bei Herzerkrankungen; 

2. durch eine Ernährungsstörung der Gefäßendothelien bzw. bei Nieren¬ 
erkrankungen, Kachexien und Intoxikationen; 

3. zeigen sie sich bei gewissen nervösen Affektionen, wie Morbus Base- 
dowii, Hysterie, Neurasthenie, und werden mit einer funktionellen Erkrankung 
der Vasomotoren und trophischen Nerven in Zusammenhang gebracht. 

Mit Ausnahme der funktionellen Neurosen der Gefäßnerven, welche im 
Hinblick auf die organische Erkrankung der Muskeln und Nerven bei Beri¬ 
beri auszuschalten sind, können sehr wohl alle oben angeführten Ent¬ 
stehungsursachen des Hautödems in Betracht kommen. Bei der Häufigkeit 
der Herzerkraukungen, besonders während der späteren Stadien der Beriberi, 
dürfte ein kardiales Hautödem oft zu beobachten sein. Seltener hingegen 
wird sich hier jenes Hautödem einstellen, welches durch Nierenerkrankung 
oder Kachexie zustande kommt. Denn beide pflegen bei Beriberi nur ganz 
ausnahmsweise aufzutreten. Es bleibt daher für alle jene Fälle, in welchen 
das Herz intakt ist oder Nierenerkrankungen und Kachexie auszuschließen 
sind, d. h. bei der Mehrzahl derer, bei welchen das Hautödem zu den Initial¬ 
symptomen der Beriberi gehört, nur die naheliegende Erklärung übrig, daß 
dasselbe durch die Wirkung eines Giftes auf die Gefäßnerven der Haut aus- 
gelöst wird. 

Zunächst verdient die auffällige Lokalisation des Hautödems Beriberi- 
kranker Beachtung. Dieselbe findet sich fast ausnahmslos an den unteren 
Extremitäten, und zwar an der vorderen Fläche der Tibia an einer Stelle, 
welche, frei von Muskulatur, nur von der Haut bedeckt ist Unter 172 Fällen 
von Hautödem beobachtete Glogner 50mal dieses isolierte Prätibialödem. 
Weiter muß es auffallen, daß jenes Hautödem zu den allerersten Symptomen 
der Beriberi gehört Man trifft nicht selten Patienten, welche angeben, 
daß die Krankheit mit ödem der Füße oder der Schienbeine begonnen hat. 
In Atjeh, wo die Beriberikranken in den ersten Wochen, in einzelnen Fällen 
sogar innerhalb der ersten Tage zur Beobachtung gelangen, sah Glogner 
unter 170 Fällen nicht weniger als 116 mal jenes Anfangsödem. Neben ihm 
gehören Schmerzen in den Unterschenkeln zu den konstanten Initialsymptomen 
der Beriberi. Es liegt nahe, dieselben nach dem Vorgänge von Scheube, 
Bälz und anderen als neuritische aufzufassen. Doch gibt es nicht wenige 
Fälle, in denen Schmerzen vorhanden sind, eine Neuritis peripherica aber aus¬ 
geschlossen werden muß. Alles dieses spricht entschieden für das Vorhandensein 
eines entzündlichen Prozesses am Unterschenkel. Eine weitere Stütze erfährt 
jene Theorie durch die vom Verfasser festgestellte und in Virchows Archiv, 
Bd. 116 zum ersten Male beschriebene Erhöhung der Temperatur der Unter- 
schenkelhaut. Glogner untersuchte mittels eines Winternitz sehen Haut¬ 
thermometers bei 12 gesunden Eingeborenen und 10 Beriberikranken die 

Vierteljahrs achriit for Gesundheitspflege, 1908. Supplement. jg 


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194 


Infektionskrankheiten. 


Hautwärme an der Mitte der Vorderfläche beider Unterschenkel nnd Vorder¬ 
arme, am Nabel und in den Achselhöhlen. Das Resultat war, daß an den 
Unterschenkeln die Temperatur bei Gesunden zwischen 33 und 35° schwankte, 
an den Vorderarmen zwischen 33,9 und 36° und in den Achselhöhlen zwischen 
36,3 und 37,6°, während bei Beriberipatienten diese Ziffern sich folgender¬ 
maßen verhielten: Für die Unterschenkel 34,3 bis 36°, für die Vorderarme 
35,2 bis 36,2° und für die Achselhöhlen 36,8 bis 37,5°. Man siebt hieran», 
daß bei Beriberikranken die Grenze des Normalen um 1,6° überschritten 
wird. Daß es nicht die erhöhte Herzaktion ist, welche jene Steigerung zur 
Folge hat, etwa in dem Sinne, daß ein schnelleres Durchströmen der Extre¬ 
mität mit Blut eine Temperatursteigerung bewirkt, das beweist die Haut¬ 
wärme der Vorderarme, welche bei Erhöhung der Herztätigkeit ihre Tempe¬ 
ratur nicht wesentlich ändern. Wenn wir daher bei der Mehrzahl der 
Beriberikranken ödematöse Schwellungen mit auffallender Lokalisation an 
den Unterschenkeln beobachten, wenn wir ferner an gleicher Stelle schmerz¬ 
hafte Empfindungen und endlich auch erhöhte Hauttemperatur nachweisen, 
so haben wir die Hauptsymptome der Entzündung: Den Tumor, den Dolor 
und den Calor, welche uns berechtigen, eine echte Entzündung, einen akuten 
Prozeß innerhalb der Haut und zwischen den Muskeln der Unterschenkel 
anzunehmen, in welchen wir auch die Krankheitsursache zu vermuten be¬ 
rechtigt sind. Es steht außer Zweifel, daß es neben den bekannten Ver¬ 
änderungen der Nerven und Muskeln Beriberikranker an ihren Füßen und 
Unterschenkeln eine Reihe von Symptomen gibt, welche wir als Entzündungen 
auffasaen müssen und welche uns den Gedanken nahelegen, daß hier der 
eigentliche Sitz der Ursache der Beriberi zu suchen ist. Man hat ebeu 
leider beim Forschen nach der Ätiologie jener Seuche den Weg verlassen, 
welchen man bei anderen Krankheiten mit so ausgezeichnetem Erfolge ge¬ 
gangen ist, nämlich dort die Krankheitsursache zu suchen, wo die wichtigsten 
Krankheitserscheinungen zu finden sind. Zum Beispiel haben wir bei Typhus 
und Cholera nie versucht, die Krankheitsursache im Bronchialsekret nach¬ 
zuweisen, vielmehr dort, wo wir die wesentlichen Prozesse lokalisiert sehen, 
nämlich im Darm. So scheint es auch an der Zeit, die Ursache der Beri¬ 
beri endlich einmal dort zu suchen, wo die ersten und auffälligsten Symptome 
sich zeigen: an den Unterschenkeln. 

Es gibt eine Reihe epidemiologischer Faktoren, welche die Anschauung 
unterstützen, daß der bisher noch unbekannte Infektionsstoff der Beriben 
seine Eingangspforte an den Unterschenkeln hat. Zunächst ist das Vor¬ 
kommen der Krankheit in den heißen Ländern zu erwähnen. Dort, wo die 
Temperatur fast das ganze Jahr hindurch die gleiche Höhe zeigt, wütet die 
Beriberi vorwiegend zu einer ganz bestimmten Zeit des Jahres, nämlich 
während der Regenzeit. In den dem Äquator entfernter gelegenen Ländern, 
wie in Japan, zeigt sie sich gleichfalls vorwiegend während der Regenperiode. 
Denn während nach Scheubes Tabellen in Atjeh die weitaus größte Er- 
krankungsziffer während des November und Dezember zu konstatieren war, 
fiel dieselbe in Japan in den Juli und August. Dies sind für beide Länder 
die regenreichsten Monate. Es ist daher wahrscheinlich, daß die Regen¬ 
menge mit der Erkrankung an Beriberi in irgend einem ursächlichen Zu¬ 
sammenhänge steht. Wenn jener Infektionsträger, wie es den Anschein hat, 


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Beriberi. 


195 


im Boden oder im Wasser zu suchen ist, dann werden während der Regen¬ 
zeit die unteren Extremitäten mit ihm leichter in Berührung kommen. Dies 
sind aber Körperteile, welche gerade bei jenen Völkern unbekleidet getragen 
werden, unter welchen die Beriberi heimisch ist. Während der Regen¬ 
periode dürften bei denjenigen Menschenklassen, welche sich viel im Freien 
auf halten, die Füße und Unterschenkel der Verunreinigung weit mehr aus- 
gesetzt sein als andere Teile des Körpers. Man wäscht sie daher häufiger, 
und es ist wohl denkbar, daß bei dieser Wäsche der bisher uns noch un¬ 
bekannte Infektionsträger der Beriberi in die Haut eingerieben wird. Beim 
Waschen und Reiben dürfte das infizierende Material dort am leichtesten 
haften, wo eine harte Unterlage, wie an der vorderen Peripherie der Tibien, 
vorhanden ist. So erklärt sich Glogner die Entstehung des isolierten 
Prätibialödems, und so faßt er es auf als eines der allerersten Beriberi- 
symptome, welches die Eingangspforte des Virus markiert. 

Daß Parasiten in die unverletzte menschliche Haut einzudringen ver¬ 
mögen, lehren uns die Larven des Anchylostomum duodenale. Natürlich 
besteht auch die Möglichkeit, daß der Infektionsstoff durch kleine Wunden, 
wie sie ja bei nackt gehenden Menschen an den Beinen häufig Vorkommen, 
in den Organismus eindringt. 

Es gibt in Beriberiländern Menschenklassen, deren Tätigkeitsfeld fast 
ausschließlich im Freien liegt, das sind Soldaten, Arbeiter und in Nieder¬ 
ländischen dien vor allem die Gefangenen, unter denen Beriberi vorzugs¬ 
weise grassiert. Im Felde ist die Erkrankungsziffer meist höher als in der 
Kaserne; das lehren viele Statistiken. Bei kriegerischen Expeditionen kommt 
der Soldat eben beständig in Berührung mit schmutzigem Wasser. Er muß 
Gräben und Sümpfe durchwaten und hat daher reichlich Gelegenheit, die 
Haut der Unterextremitäten der Infektionsgefahr auszusetzen. Erfahrungs¬ 
gemäß erkrankt der eingeborene Soldat weit häufiger an Beriberi als der 
europäische, obwohl auch der letztere gegen sie keineswegs immun ist. Und 
doch bewohnen beide die gleichen Kasernen, haben den gleichen Dienst zu 
verrichten und nähren sich fast in gleicher Weise. Sie tragen die gleiche 
Kleidung, mit dem einzigen Unterschiede, daß die eingeborenen Soldaten 
barfuß gehen, die Europäer aber nicht. Bei Felddienstübungen und im Kriege 
werden dann die Hosen heraufgeschlagen, so daß auch ein großer Teil der 
Unterschenkel noch unbedeckt bleibt, und so geht es durch Gräben, durch 
sumpfiges Terrain, und die Gelegenheit zur Infektion der Füße und Waden 
ist gegeben. In noch höherem Grade kommt der Gefangene in Nieder- 
ländisch-Indien in die Gefahr der Infektion mit Beriberi-Virus. Dort arbeitet 
derselbe nicht wie in Europa zwischen Gefängnismauern. Seine Aufgabe 
besteht vielmehr darin, Straßen und Gräben zu reinigen und Erdarbeiten 
auszuführen. 

Wir sehen also, daß nicht allein gewisse Symptome, sondern auch eine 
ganze Reihe epidemiologischer Beobachtungen und Erfahrungen für die Ver¬ 
mutung sprechen, daß der Infektionskeim der Beriberi durch die Unter¬ 
schenkel in den Organismus dringt. Natürlich handelt es sich hierbei vor¬ 
läufig nur um Theorien. Erst exakt ausgefübrte Versuche werden dieselben 
zu beweisen imstande sein. Für derartige Arbeiten schlägt Glogner 
folgenden Weg vor: 

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Infektionskrankheiten. 


1. Untersuchung der ödematösen Flüssigkeit der Haut, besonders des 
Prätibialödems nach Aufsaugung mit einer Spritze auf Parasiten, eine Zentri¬ 
fugierung dieser Flüssigkeit ist empfehlenswert. Für diese Untersuchung sind 
nur frische Fälle auszuwählen. 

2. Mikroskopische Untersuchung des intramuskulären Ödems nach Auf¬ 
saugung mittels Spritze mit langer Nadel. 

3. Untersuchung der Haut der unteren Extremitäten von an schnell 
verlaufender Beriberi Verstorbenen auf Parasiten: Härten, Färben, Schneiden 
der Haut. 

4. Chemische Untersuchung der ödematösen Flüssigkeiten auf ihren 
Einweißgehalt nach Essbach. 

Aber alles, was wir nach dem heutigen Stande der Wissenschaft über 
die Art der Infektion mit Beriberi-Virus wissen oder vermuten dürfen, 
weist schon jetzt gebieterisch auf das Ergreifen prophylaktischer Maßregeln 
hin. Man sollte in Atjeh und auf anderen Kriegsschauplätzen den in¬ 
ländischen Soldaten mit Schuhen versehen. Man muß ferner verbieten, daß 
Wasch- und Badewasser aus offenstehenden Brunnen, Teichen oder Flüssen 
geschöpft wird, vielmehr nur aus geschlossenen, einwandfreien Tiefbrunnen. 
Ferner hat die Regierung dafür so sorgen, daß der Gefangene oder Kuli 
beim Verrichten von Erd- und Grahenarheiten mit einer Schutzvorrichtung 
für die Beine, vielleicht einer Lederhose oder einer die Haut schützenden 
Einreibung, Salbe oder Kollodiummischung versorgt wird und daß er gleich 
wie der vom Felddienst heimkehrende Soldat sich seine Unterschenkel be¬ 
sonders sorgsam mit Desinfizientien oder mit einwandfreiem Wasser und 
Seife reinigt. Mit einem Wort: Schutz der Unterschenkel gegen Schmutz 
und Verunreinigung von außen. Einwandfreies Wasch- und Badewasser! 

Daniels: „Observations in the Federated Malay States on 
beriberi.“ (Studies from Institute for medical Science, Federated Malay- 
States, Vol. 4, Part 1, London 1906.) Verfasser teilt in vorliegender Broschüre 
seine während der letzten 10 Jahre namentlich in den Gefängnissen und 
Minen der Vereinigten malaiischen Staaten und der Straits Settlements ge¬ 
wonnenen Erfahrungen über Beriberi mit. Auf Grund derselben gelangt 
er zu folgenden Schlüssen: Die Beriberi ist eine Infektionskrankheit In 
der Regel ist ein Zeitraum von weniger als drei Monaten zu ihrer Ent¬ 
wickelung erforderlich. Boden, Luft, Wasser, Nahrung, Verunreinigung mit 
Schmutzwässern und Fäkalmassen scheinen keine Rolle in ihrer Ätiologie 
zu spielen. Das Virus haftet, wie es scheint, für kurze Zeit an Räumen, 
Möbeln, Betten usw., welche Beriberipatienten benutzten. Die Tatsachen 
sprechen mehr für indirekte Übertragung der Krankheit als für direktes 
Contagium. Ob ein Zwischenwirt erforderlich ist, scheint noch nicht er¬ 
wiesen. Falls ein solcher in Frage kommt, dürften es Wanzen oder Läuse 
sein. Eingehende Untersuchungen in den frühesten Stadien der Krankheit 
sind erforderlich, besonders in Rücksicht auf das Vorkommen von Protozoen 
im Blut und Geweben. Prophylaktisch empfiehlt Verfasser persönliche Rein¬ 
lichkeit, Vertilgung des Ungeziefers, Isolierung der Kranken. In die Gefäng¬ 
nisse wird die Beriberi wahrscheinlich durch Patienten in frühen Stadien 
oder während der Inkubationszeit eingeschleppt und breitet sich von diesen 


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Beriberi. 


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direkt oder indirekt auf andere Gefangene auB. Wenn sie auch in den 
malaiischen Staaten jetzt minder häufig und weniger gefährlich auftritt als 
noch vor wenigen Jahren, bildet sie doch noch immer die hauptsächlichste 
Ursache der hohen Sterblichkeit bei den Chinesen, und zwar während ihrer 
gesündesten Lebensperiode. Jeder ernste Versuch, die Lebensbedingungen 
der Bevölkerung zu verbessern, ist bisher nie ohne guten Erfolg geblieben. 
(Ref. Menses Archiv, Bd. 11, S. 314.) 

Dansauer: „Über den Nachweis von Beriberi in Deutsch- 
Südwestafrika.“ (Aus dem bakteriologischen Laboratorium in Windhuk. 
Menses Archiv, Bd. 11, S. 315 ff.) Verfasser berichtet ausführlich über neun 
tödlich verlaufene Fälle von Beriberi, welche er in den ersten Monaten des 
JahreB 1906 in Okahandja, Deutsch-Südwestafrika, beobachtete. Sämtliche 
Patienten waren kriegsgefangene Hereros, welche Bich wahrscheinlich in 
der Hererosammelstelle „Ombaro“, 25 km nordöstlich von Omaruru, infiziert 
hatten. Der Genuß von minderwertigem Reis und sonstige unzureichende 
Nahrung, die während des Krieges ausgestandenen Strapazen, wie lange 
Fnßmärsche der aus dem Felde kommenden Gefangenen, enges Zusammen¬ 
leben an der Sammelstelle dürften als ätiologische Momente in Betracht 
kommen. Es handelte sich durchweg um die typische hydropisch-kardiale 
Form der Beriberi. 

Der Sektionsbefund, vor allem aber die in dem Eingeborenen-Lazarett 
zu Windhuk vorgenommene eingehende Untersuchung der peripheren Nerven, 
unter welchen vor allem Vagus und Peroneus das klassische Bild der 
peripheren Neuritis aufwiesen, bestätigte die schon intra vitam gestellte 
Diagnose. Eine Reihe lehrreicher in den Text gedruckter Mikrophoto¬ 
gramme der degenerierten Nervenstämme veranschaulichen auf das deut¬ 
lichste jene Veränderungen. 

Verfasser erörtert bei dieser Gelegenheit 'die wichtige Frage der Differen¬ 
tialdiagnose zwischen Skorbut und Beriberi. Nach den an dem großem 
Material des Windhuker Eingeborenenlazaretts gewonnenen Erfahrungen sehen 
wir bei dem Skorbut eine Reihe von Erscheinungen, welche den Kardinalsymp¬ 
tomen der Beriberi außerordentlich ähneln, während Zahnfleischblutungen 
nicht selten ganz fehlen. So entstehen hei Skorbutkranken Schmerzen und 
Schwellungen an den Beinen, besonders an den Unterschenkeln, und dem¬ 
entsprechend Gehstörungen durch subkutane, subfasciale und subperiostale 
Blutergüsse, welche häufig eine beträchtliche Ausdehnung erreichen. Bis¬ 
weilen sind die Kreuzbänder der Kniegelenke durchblutet oder es kommt 
zu subperiostalen Blutungen an dem unteren Ende des Femur. Mehrfach 
fand man Blutergüsse in die Scheide der Nervi peronei, welche neuritische 
Symptome vollkommen zu erklären vermögen; der Befund degenerierter 
Nervenfasern würde in solchen Fäden nichts für Beriberi beweisen. Die 
Herzdilatation und die Degeneration des Herzfleisches wird bei den Sek¬ 
tionen Eingeborener selten vermißt und kann meist durch überstandene 
Infektionskrankheiten, wie Typhus und Ruhr, erklärt werden. Dilatation 
des Herzens und Pulsbeschleunigung kommen übrigens auch ohne besondere 
Veranlassung als rein klimatische Symptome außerordentlich häufig zur Be¬ 
obachtung. 


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Infektionskrankheiten. 


N. Mine: „Die während des rassisch-japanischen Krieges im 
Reservehospital Hiroschima gemachten Erfahrungen.“ (Ebenda, 
S. 390ff.) Die Beriberi oder, wie sie die Japaner nennen: die Kak-k4 kam 
unter den japanischen Truppen sehr häufig vor. Die Mortalität war eins 
hohe, im Hospital Hiroschima allein betrug sie 821, von welchen 349 an 
Komplikationen starben, und zwar an Typhus abdominalis 83, an Dysenterie 
87, an Influenza 11, Magen- und Darmaffektionen 39, Schußwunden 37, 
Tuberkulose, Pneumonie und Pleuritis zusammen 45. Wir finden in der 
Arbeit eine kurzgefaßte, sehr übersichtliche und klare Zusammenstellung 
der gesamten Symptomatologie der Beriberi. Besondere Erwähnung ver¬ 
dient ein Symptom, welches der Autor mit „Herzstoßung“ bezeichnet. Es 
ist dies eine bedrohliche Erscheinung, welche man im Stadium Acnes der 
Krankheit beobachtet, besonders bei fieberhaften komplizierten Fällen. Sie 
tritt fast immer plötzlich auf als Folge von Überanstrengungen, heißen Bädern 
und Stimulantien wie Alcoholicis. Die „Herzstoßung“ wird begleitet von 
Hydrops mit Cyanose und Dyspnoe, aussetzendem Puls, Singultus, Erbrechen 
und Harnverhaltung. Die Patienten klagen dabei über brennenden Durst 
und heftige Atembeklemmung. 

Die Prognose angehend, so verläuft die leichte Form günstig. Dagegen 
nimmt die schwere gewöhnlich einen üblen Ausgang, besonders wenn akute 
fieberhafte Krankheiten hinzutreten. Komplizierte Beriberi endet ebenfalls 
meist tödlich. Oft wurde die Prognose dadurch getrübt, daß man sich 
der Transportmittel, wie Tragen, Eisenbahn oder Dampfboot, nicht bedienen 
konnte. 

Die Behandlung betreffend, so ist der wichtigste Faktor Ruhe. Als 
Nahrung reicht man im Lazarett Weisbrot oder eine Mischung von Reis 
und Gerste, ferner Suppen und Milch. Als Arznei hat sich folgende Ver¬ 
ordnung bewährt: 

Ep. 


Magnesiae sulfuricae. 30,0 

Acid. hydrochloric. dilut. 1,0 

Tinctur. gentian. 2,0 

Aq. de8tillat.ad 100,0 


M. D. 8. 3 mal tägl. 1 Eßlöffel. 

Verfasser machte auch Versuche mit Gaben sterilisierten Meerwassers 
und behauptet, gute Erfolge erzielt zu haben. Der Stuhl wurde leichter und 
häufiger, die Harnmenge stieg, und allmählich gingen auch die Lähmungen 
zurück. Dagegen blieben Digitalis und Strophantus ohne Wirkung auf die 
Störungen der Herztätigkeit bei Beriberi. 

Chronische Beriberi besserte sich schnell, nachdem man die Patienten 
in einen Kurort überführt hatte. 

Ingram: „Some epidemiologioal Aspects of a small Outbreak 
of Beriberi.“ (15. March 1907.) Unter den 81 Pionieren eines indischen 
Eingeborenen-Regiments, welche von Sekundarabad (Vorderindien) im Sep¬ 
tember 1905 nach Dithala, im Hinterland von Aden, auf 1600 m Höhe, 
etwa 70 engl. Meilen von der Küste gelegen, verlegt wurden, brach schon im 
Oktober des Jahres Beriberi aus. Bis November 1906 erkrankten 32 Mann, 
von welchen 3 starben. Die Leute waren sämtlich Reisesser, doch waren der 


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Beriberi. 


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Reis und die Zutaten gut; indessen fehlte es an animalischer Kost. In den 
Monaten, in welchen Fleisch ausgegeben werden konnte, kamen weniger Er* 
krankungen an Beriberi vor. Die Eingeborenen-Regimenter an der Etappen- 
atraße nach Aden litten nicht nnter der Krankheit; sie konnten sich Fleisch 
in hinreichender Menge verschaffen. Da aber gleichzeitig Fälle von Beri¬ 
beri unter einem englischen Regiment vorkamen, dessen Mannschaft reichlich 
Fleisch erhielt, so nimmt Verfasser an, daß beide Truppenteile bereits in 
Indien mit Beriberi infiziert wurden, da die 81 Pioniere einen derartigen 
Kranken in Sekundarabad zurückgelassen hatten, die englischen Truppen 
aber mehrere Beriberipatienten nach Aden mitbrachten. (Ref. ebenda, 
S. 570.) 

Hunter William: „The prevalence of Beriberi in Hongkong.“ 
(Journ. Trop. med. Hyg., 15. August 1907.) Im Tung-Woh-Hospital zu 
Hongkong ist eine ständige Zunahme der Beriberikranken zu konstatieren. 
1895 fanden 118 Patienten Aufnahme, 1904 hingegen 739! Im ganzen 
betrug ihre Zahl innerhalb 10 Jahren 3118. Das Verhältnis der Männer 
zu dem der Frauen war 14:1. Kranke im Alter von 1 bis 5 Jahren fehlen. 
Die Mehrzahl war zwischen 16 und 30 Jahr alt. Die meisten Zugänge 
fielen in die zweite Hälfte der Regenzeit: Juli bis September. Die atrophischen 
und hydropischen Formen sind etwa gleich stark vertreten. Akute, perniziöse 
Fälle kommen selten zur Beobachtung. Verfasser liefert eine kurze Be¬ 
schreibung der Symptome und des Verlaufes der Krankheit. Die Diagnose 
„Beriberi“ ist zu stellen, wenn Anästhesien über den Unterschenkeln, 
Ödeme über den Schienbeinen, Schmerz bei Druck auf die Wadenmuskeln, 
Verlust der Kniereflexe und Herzklopfen bestehen. Differentialdiagnostisch 
kommen in Frage: Alkohol- und Arsen-Neuritis, Bleivergiftung, Malaria¬ 
kachexie, Herzkrankheiten, Nierenaffektionen, Anchylostomiasis, Pellagra, 
Ergotismus, Satyrismus und Myelitis. Die Dauer der Krankheit beträgt 
40 bis 42 Tage. Die Mortalität in Hongkong stellt sich auf durchschnitt¬ 
lich 48,6 Proz., also sehr hoch. Allerdings wurden fast 25 Proz. aller Beri¬ 
beripatienten moribund eingeliefert bzw. starben innerhalb der ersten drei 
Tage (Scheube gibt für Japan eine Mortalität von 3,7 Proz. an, Balz 
sogar nur eine solche von 2,5 Proz.). Allerdings wird aus Niederländisch¬ 
indien von einer Mortalität von 60 bis 70 Proz. unter Chinesen, Javanern 
und Philippinern berichtet, bei den weißen Truppen aber betrug sie nur 2 bis 
6 Proz. Die Kulis stellten nahezu 60 Proz. der BeriberifäUe, die gut situierten 
Klassen erwiesen sich als fast völlig immun. Verfasser hält die Krankheit 
abweichend von anderen Autoren für nicht ansteckend, denn es kam nicht 
vor, daß im Hospital andere Patienten durch Beriberikranke infiziert wurden. 
Leute, welche einmal an Beriberi gelitten, haben Neigung, von neuem befallen 
zu werden. Es erkrankten durch Reinfektion von neuem 10 bis 12 Proz. 
aller Patienten, welche Beriberi überstanden hatten. Die Prophylaxe besteht 
in Schaffung gesundheitlich guter Einrichtungen und einwandfreier Ver¬ 
pflegung. Ist Beriberi ausgebrochen, so soll man Gebäude und Kleider 
gründlich desinfizieren. Als therapeutische Maßnahmen werden Elektrizität 
und Strychnin empfohlen. Am wirksamsten bleibt die Entfernung der Er¬ 
krankten aus dem Seuchenherd. (Ref. ebenda, S. 761.) Kronecker. 


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200 


Infektionskrankheiten. 


Fest. 

Byloff: „Über eine pestähnliche Erkrankung der Meer¬ 
schweinchen.“ (Zentralbl. f. Bakt., Abt. I, Bd. 41, S. 707.) Eine unter 
einem Meerschweinchenbestand ausgebrochene Epidemie, die mit starker 
Vergrößerung der Lymphdrüsen und Knötchenbildung in den inneren Organen 
einherging, ließ sich auf ein dem PestbazilluB ähnelndes Stäbchen zurück- 
führen. Der Verfasser schlägt den Namen B. pestis intestinalis caviae coli vor. 

Fürth: „Über künstliche und natürliche Pestinfektion von 
Fischen.“ (Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskr., Bd. 57, S.315.) Verfasser 
geht bei seinen Untersuchungen von der Möglichkeit aus, daß durch Über¬ 
bordwerfen von Pestratten Fische mit Pest infiziert werden können und so 
vielleicht die Pest weiter verbreiten. Diesbezügliche mit Goldfischen angestellte 
Versuche ergaben, daß sich zwar die Pestbazillen in den Fischen ziemlich 
lange (20 bis 37 Tage) halten und auch mit dem Kot ausgeschieden werden 
können, daß aber niemals eine pestähnliche Erkrankung eintrat. 

Da aber ein Persistieren der Pestbazillen in Fischen möglich ist, ist zu 
fordern, daß Pestratten nicht über Bord geworfen werden (was auch wohl 
kaum geschehen dürfte. Ref.). 

Markl: „Der Pestfall vom Lloyddampfer Callipso.“ (Wien. klin. 
Wochenschr. 1907, S. 186.) Verfasser untersuchte bakteriologisch den am 
10. November 1906 im Hafen zu Triest tödlich verlaufenen Pestfall. Er 
fordert, daß in den überseeischen Häfen Seemannskrankenhäuser, wie in 
Hamburg, gegründet werden. 

Tsukiyama: „Über Schutzimpfung gegen Pest auf Formosa." 
(Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskr., Bd. 58, S. 449.) Gegen die in Formosa seit 
vielen Jahren herrschende Pestepidemie wurde nach Kitasatos Vorschlag eine 
Schutzimpfung vorgenommen. Anfangs wurde zweimal mit einem Zwischen¬ 
raum von 5 bis 10 Tagen eingespritzt, später nur einmal, weil die starken 
Reaktionserscheinungen der ersten Impfung die zweite doch nicht mehr 
durchführbar erscheinen ließ. Die Erfolge, die mit Zahlen belegt werden, 
waren meist günstig. W. Hoffmann. 


Puerperalfieber. 

Zangemeister und Meissl ist es bei ihren diesbezüglichen Versuchen 
gelungen, die Zugehörigkeit der verwandten saprophytischen Lochialstämme 
zu den echten pyogenen Streptokokken mittels der Immunitätsreaktion zu 
beweisen. Es schützten nämlich die mit den ersteren erhaltenen Immunsera 
auch gegen letztere und umgekehrt. Danach scheinen wenigstens alle 
fakultativ anaeroben Streptokokken einer Art anzugehören. Es besteht 
daher erstens die Möglichkeit einer Infektion auch mit solchen Streptokokken, 
die augenblicklich saprophytisch vegetiert haben, und zweitens die Möglich¬ 
keit, gegen alle Streptokokkenstämme zu immunisieren. 

Nach den Verfassern müssen bei den Versuchen, eine praktisch wirk¬ 
same Streptokokkenimmunität bei Tieren zu erhalten, folgende Grundsätze 
genaue Beachtung finden: 

1. Nur lebende Streptokokken lösten eine in Betracht kommende 
Immunkörperbildung aus. 


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Puerperalfieber. 


201 


2. Die Streptokokken mußten eine gewisse Virulenz für das zu immuni¬ 
sierende Tier haben. 

3. Im Verlauf der immunisierenden Behandlung mußte das betreffende 
Tier schwer krank geworden sein und sich dann wieder erholt haben. (Zeit¬ 
schrift f. Geburtshilfe u. Gynäkol., Bd. 58, Heft 3.) 

Gk. Gönnet hat bei einer Aussaat von Vaginalschleim von 100 Frauen 
auf Schottmüller8chem Blutagar niemals pathogene Streptokokken ge¬ 
funden; in löProz. der Fälle zeigte sich Streptococcus gracilis. 

In derselben Weise bat Gönnet dann später diese 100 Frauen auch 
während ihres Wochenbettes am vierten oder fünften Tage geprüft und 
dabei die Lochialproben in der gleichen Art wie früher entnommen. Er 
fand diese in 90 der Fälle steril; in 6 konnte er Streptococcus gracilis und 
in 4 Fällen, in denen Puerperalfieber vorlag, Streptococcus pyogenes nach- 
weisen. (La sem. med. 1907, Nr. 18, S. 210.) 

Burkard macht Angaben über das Verhalten der neutrophilen Leuko- 
cyten im physiologischen und pathologischen Wochenbett und die Verände¬ 
rungen unter der Streptokokkenserumwirkung. 

1. Im normalen Wochenbett besteht Anisohyperleukocytose, d. h. Ver¬ 
mehrung der Leukocyten, besonders der einkernigen Neutrophilen. 

2. Bei nicht fieberhaften Erkrankungen im Wochenbett (Nephritis, 
Vitium cordis) keine Abweichung von der Norm. 

3. Bei septischen Prozessen wechselnde Leukocytenzahlen, bisweilen 
Hyperleukocytose, manchmal Hypoleukocytose. Bei Streptokokkeninfektionen 
sehr niedrige Leukocytenzahlen. 

4. Nach Injektion des Paltaufschen Streptokokkenserums bei Strepto¬ 
kokkeninfektionen zunächst vorübergehende Vermehrung der Leukocyten, 
danach weiterer Anstieg bzw. bisweilen Abfall der Leukocytenzahlen. Stets 
aber zur gleichen Zeit Schwund der alten weißen Blutkörperchen formen und 
Vermehrung der einkernigen Jugendformen. (Arch. f. Gynäkol., Bd. 80, S. 532.) 

Derselbe Verfasser hat bei 50 Infektionen (darunter 48 puerperalen 
Ursprungs) in 42 Fällen das Paltauf sehe Streptokokkenserum und acht¬ 
mal das Mosersche Scharlachserum angewendet. Burkard hat mit ersterem 
günstige Resultate erzielt: Von 29 reinen Streptokokkeninfektionen wurden . 
17 eklatant günstig durch das Serum beeinflußt, bei 4 war der Erfolg 
zweifelhaft. Die günstige Wirkung hängt ab von einer möglichst früh¬ 
zeitigen Gabe; bei lange dauernden Infektionen ist ein Nutzen davon nicht 
zu verzeichnen, es kann da sogar schädlich wirken. (Arch. f. Gynäkol., 
Bd. 79, Heft 3.) 

A. Falkner spricht sich auf Grund von Erfahrungen an 83 Puerperal¬ 
fällen günstig aus über die Behandlung mit Antistreptokokkenserum. Auch 
er betont möglichst frühzeitige Verabreichung. Üble Folgen machten sich 
auch nach großen Dosen (Einzelgaben bis zu 200 g, GeBamtgaben bis zu 
600 g) nicht bemerkbar. (Wien. klin. Wochenschr. 1907, S, 665.) 

0. v. Herff gibt Maßnahmen, um der immer zunehmenden Kindbett¬ 
fiebersterblichkeit zu steuern. (Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 21.) 

Earl Ernst Boehncke. 


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202 


Infektionskrankheiten. 


Geschlechtskrankheiten und Prostitution. 

Geschlechtskrankheiten. 

Blaschko äußert sich über die Häufigkeit des Trippers in Deutschland. 
Er wendet sich eingehend gegen die von Erb (siehe diesen Jahresber.f. 1906, 
S. 255) darüber gemachten Angaben. 

Blaschko hält die Erb sehe Publikation keineswegs für überflüssig. 
Die von ihm angegebenen Zahlen haben als Minimalzahlen einen relativen 
Wert. Denn nicht, wie Erb sagt, nur, sondern mindestens die Hälfte 
seiner männlichen Klienten hat eine Gonorrhöe durchgemacht. (Münch mei 
Wochenscbr. 1907, Nr. 6.) 

EL Voerner macht Ausführungen zu demselben Thema. (Münch med. 
Wochenschr. 1907, Heft 5.) 

v. Her ff schlägt vor, zur Verringerung der Zahl der Erkrankungen 
an Ophthalmoblennorrhoea gonorrhoica an Stelle des Arg. nitr. das Protargol 
oder besser noch das Sophol zu verwenden. (Hyg. Rundschau 1907, Heft 19.) 

De Josselin de Jong berichtet über einen Fall von Meningitis go¬ 
norrhoica. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. I, Orig., Bd. 55, S. 501.) 

N. A b e hat 5 ccm des gebräuchlichen 2 proz. Agars gemischt mit 1 bi« 
2 ccm unerhitzten Fleischwassers (1 Teil Fleisch; 3 Teile Wasser, 18 bis 
24 Stunden im Eisschrank), das ein Chamberlandfilter passiert hat. Damit 
erhielt er einen sehr guten Nährboden für Gonokokken, auf dem sie bei 37® 
in 18 Stunden makroskopische Kolonien bildeten. (Zentralbl. f. Bakt., Abt I. 
Orig., Bd. 44, S. 705.) 

A. Paldrock bespricht die verschiedenen zur Gonokokkenzücbtung 
verwendeten Nährböden, die Merkmale der Gonokokkenkolonien, die Färbe¬ 
technik und die Experimente an Mensch und Tier. 

Sodann berichtet er über eigene Versuche. Sehr gute Resultate brachte 
ihm ein Ascites-Agar. (Dorpat 1907.) 

A. Brnschettini und L. Ansaldo haben mit Erfolg Zns&tze von Blut 
und Eiweiß oder Blut und Eigelb oder einfach Eiweiß (1 T. zu 10 ccm 
Bouillon) zur Züchtung verwendet. Von festen Nährböden bewährte sich 
am besten Glyzerinagar mit Milch-, Sernm- oder Blutzusätzen. Auch auf 
Glyzerinkartoffeln ließen sich die Gonokokken züchten. (Zentralbl. f. Bakt, 
Abt. I, Orig., Bd. 44, S.512.) 

K. Thal er berichtet über eine tödlich verlaufene septische gonorrhoische 
Endocarditis bei einer sonst gesunden kräftigen Frau. Die Gonokokken 
wurden im Armvenenblut nachgewiesen und die Diagnose später durch den 
Sektionsbefund bestätigt. (Inaug.-Diss. Rostock.) 

Külbs schildert einen tödlich verlaufenen Fall von Endocarditis go¬ 
norrhoica. Auf den Klappenauflagerungen wurden Gonokokken in Rein¬ 
kultur nachgewiesen. (Wien. klin. Wochenschr. 1907, S.11.) 

R. Matzenauer hält den negativen Ausfall der Tripperfädenuuter- 
suchung auf Gonokokken nicht für beweisend, besonders wenn bei der mikro¬ 
skopischen Untersuchung reichliche Eiterkörperchen, polynucleäre Leuko- 


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Geschlechtskrankheiten. 


203 


cyten und fragmentierte Kerne sich finden. (Wien. klin. Rundschau 1907, 
Heft 5.) 

M. Funck züchtete zur Herstellung eines spezifischen Gonokokkenserums 
die Gonokokken auf folgendem Nährboden: Je 10 ccm Hydrocelenflüssigkeit 
werden in Röhrchen gefüllt und drei bis vier Wochen bei 56° belassen. 
Danach ist der Inhalt zur Hälfte verdunstet. Der Rest wird auf Glyzerin¬ 
agarplatten gestrichen, auf dem Gonokokken sich innerhalb zwei bis drei 
Tagen reichlich entwickeln. Die ausgewachsenen Kolonien werden mit einem 
Spatel abgekratzt, in physiologische Kochsalzlösung gebracht und mittels 
Formalin abgetötet. Flüssige Nährböden sind zur Kultur weniger geeignet, 
da die Gonokokken nicht in genügender Menge wachsen. 

Pferde wurden mit der Gonokokkenemulsion intravenös behandelt; sie 
reagierten mit starkem Fieber. Zur Immunisierung eines Pferdes braucht 
man etwa zwei Liter der Emulsion. (Journ. med. de Bruxelles 1907.) 

Holt macht Vorschläge, um Hausepidemien von gonorrhoischer Vulvo¬ 
vaginitis bei Kindern zu verhüten: Mikroskopische Untersuchung des Va- 
ginalsekrets, Isolierung infizierter Kinder und getrenntes Waschen ihrer 
Wäsche. (Jahrb. f. Kinderheilk., Bd. 64, Heft 6.) 

K. Preis teilt die Methoden und Erfahrungen mit, die den praktischen 
Arzt zum Nachweis der Spirochaeta pallida befähigen sollen. Seine Modi¬ 
fikation der Giemsafärbung besteht darin, daß diejenige kurze Zeit voll aus¬ 
genutzt wird, in welcher die Färbekraft der Giemsalösung die größte ist. 
(Bud. Orv. Ujsag, Nr. 39.) 

Ed. Arning und C. Klein haben in etwa einem halben Jahr 700 Fälle 
auf das Vorhandensein der Spirochaeta pallida untersucht. Von 140 sicheren 
Primäraffekten und 179 sicheren Papeln wurde nur zehnmal dieselbe nicht 
gefunden. Meist war in diesen Fällen schon eine desinfizierende Vorbehand¬ 
lung vorgenommen. Alle Neuaufgenommenen wurden einen Tag lang mit 
destilliertem Wasser oder physiologischer Kochsalzlösung verbunden, um den 
etwaigen Arzneieinfluß zu paralysieren. Auch bei der kongenitalen Syphilis 
ist ihr Befund sicher. Von 93 Erkrankungen, die klinisch das Bild des 
weichen Schankers darboten, wurden zwei durch das Auffinden der Spirochaeta 
pallida als syphilitisch erkannt. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 1482.) 

E. Eitner hat frisches luetisches Material bei Dunkelfeldbeleuchtung 
(mit dem Reichertschen Spiegelkondensor) untersucht. Kurz vor Gebrauch 
gekochte und filtrierte Kochsalzlösung wurde von ihm als beste Zusatz¬ 
flüssigkeit gefunden. 

Neben der eigentlichen Spirochaeta pallida wurden, namentlich bei ober¬ 
flächlichen Entnahmestellen, noch mannigfache andere Spirochätenarten beob¬ 
achtet. Die Pallida erscheint schlank, hat zahlreiche enge, steile, gleichmäßige 
Windungen, helle weiße Farbe und eine sanfte Bewegung, die in Rotation 
um die Längsachse, Achsenknickung und schwachem Vor- und Rückwärts- 
atoßen besteht. Bei Mundaffektionen ist auf die der Pallida sehr ähnliche 
Spirochaeta dentium zu achten; sie ist etwas kürzer als erstere. (Münch, 
med. Wochenschr. 1907, S. 770.) 

Beer hat mit der Zeissschen Dunkelfeldbeleuchtung gute Erfolge 
beim Spirochätennachweis gehabt. (Münch, med. Wochenschr. 1907, S. 1926.) 


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204 


Infektionskrankheiten. 


Mandelbaum ist die vitale Färbung der Spirochaeta pallida gelungen. 
Seine Methode ist folgende: Zu einem hängenden Tropfen von Reizserum 
wird eine Nadelspitze Methylenblau gefügt, mit dem Serum vermischt und 
danach eine Platinöse voll Vio -Normal-Natronlauge hinzugegeben. Die Syphilii- 
spirochäten sind dann zart blaßblau gefärbt und zeigen bisweilen kurze Zeit 
noch Beweglichkeit. Die Spirochaeta refringens erscheint gröber gefärbt. 
(Münch, med. Wochenschr. 1907, S. 2268.) 

G. Giern sa erklärt die zahlreichen Vorschläge zur Abänderung seines 
Färbe Verfahrens für entbehrlich und zum Teil sogar für unzweckmäßig. 

Seine Schnellfärbemethode besteht in folgendem: Man nimmt 10Tropfen 
Stammlösung und fügt sie zu 10 ccm säurefreiem Wasser. Die Mischung 
soll erfolgen in völlig reinen, säurefreien, graduierten Glaszylindern von 
mindenstens 3 cm Durchmesser. Schon während des Einträufelns der Farb¬ 
stofflösung soll das Gefäß mäßig umgeschwenkt, aber nicht geschüttelt 
werden. Die fertige Farblösung soll dann unverzüglich auf das Präparat 
gegossen werden. Altere, gut angetrocknete Ausstriche brauchen nicht be¬ 
sonders fixiert zu werden-, frische Ausstriche zieht man dreimal vorsichtig 
durch die Flamme. Der Objektträger mit der Farblösung wird sodann etwa 
5 cm über der mittelstarken Flamme bis zu schwacher Dampf bildung er¬ 
wärmt, hierauf 1 / 2 Minute beiseite gestellt. Die Farblösung wird abgegossen, 
neue herauf gebracht und die Prozedur noch dreimal wiederholt. Das dritte 
Mal soll aber die Farblösung eine Minute lang einwirken. Schließlich wird 
der Objektträger mit der Spritzflasche oder dem schwachen Strahl der Wasser¬ 
leitung abgewaschen. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 676.) 

J. Schereschewsky benutzt eine andere Methode. Er fixiert den mit 
Gewebssaft beschickten, gut entfetteten Objektträger über Osmiumdämpfen, 
zieht ihn dreimal durch die Flamme und legt ihn in eine Petrischale voll 
Giemsalösung 1,0 zu Aqu. dest 8,0 bis 10,0. Die Petrischale kommt 10 bis 
15 Minuten lang auf ein dampfendes Wasserbad. Zum Schluß gibt er noch 
frische Farbmischung zu, wäscht ab und untersucht in öl. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1907, S.462.) 

Derselbe Verfasser hat seine Methode später modifiziert. Der Objekt¬ 
träger wird dünn bestrichen, in der Osmiumröhre fixiert, dreimal durch die 
Flamme gezogen und auf die Fornetsche Färbebank gelegt. Dann wird 
die Giemsamischung (10 ccm 0,5proz. Glyzerinlösung mit 13 Tropfen alter 
Giemsalösung) heiß heraufgegossen. Das Präparat soll eosinrot sein; eventuell 
muß der Färbeakt zwei- bis dreimal wiederholt werden. Nachdem abgeepült 
ist, wird zwischen Fließpapier getrocknet. 

Zu beachten ist, daß in Fällung begriffene Giemsalösung unbrauchbar 
ist. (Zentralbl. f. Bakt., Abt I, Orig., Bd. 45.) 

G. Schmorl zeigt, daß die Färbung der Spirochaeta pallida auch in 
Schnittpräparaten nach der Giemsamethode gelingt. Nötig ist reichliches 
Vorhandensein von Spirochäten und Behandlung der Präparate mit Formalin. 
nicht mit Alkohol. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 876.) 

A. Dreyer ist es in drei Fällen gelungen, in Gewebsschnitten au» 
der Tiefe spitzer Kondylome die Spirochaeta refringens mit der Silberfärbung 
nach Bertarelli sichtbar zu machen (bisher nur im Gewebssaft spitwr 


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Geschlechtskrankheiten. 


205 


Feigwarzen gefunden). Er h&lt die Spirochaeta refringens für die spezifische 
und übertragbare Ursache der spitzen Kondylome. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift 1907, S. 720.) 

M. Stern veröffentlicht eine neue einfache Methode zum Nachweis der 
Spirochaeta pallida im Ausstrich mittels der Versilberung. 

Der gut lufttrockene, vorher mit spezifischem Serum beschickte Objekt¬ 
träger wird für einige Stunden in den Thermostaten bei 37° gelegt. Alsdann 
kommt er in ein Wasserglas mit lOproz. Arg. nitr.-Lösung. Hierin ver¬ 
bleibt er bei diffusem Tageslicht mehrere Stunden. Zeigt der Objektträger 
bräunliche Färbung und metallischen Glanz, so wird das Präparat aus der 
Arg. nitr.-Lösung herausgenommen und mit Wasser abgespült. Die Spiro¬ 
chäten sehen tiefschwarz aus, der Grund ist blaßbraun. (Berl. klin. Wochen¬ 
schrift, S. 400.) 

F. Schaudinns Nachlaß ist von M. Hartmann und L. v. Prowazek 
herausgegeben. 

Es handelt sich um die letzten Berichte des ausgezeichneten verstorbenen 
Forschers an das KaiserL Gesundheitsamt, insbesondere um Untersuchungen 
und Abbildungen über den Kern- und Bewegungsapparat der Spirochaeta 
plicatilis, der Spirochaeta buccalis und refringens, von Spirochäten aus ulce- 
rierten Carcinomen und insbesondere zahlreiche Mikrophotogramme der 
Spirochaeta pallida. 

Schaudinn hält auf Grund seiner Untersuchungen die Spirochaeta 
pallida für ein Protozoon und ist bezüglich der ätiologischen Stellung der¬ 
selben zur Syphilis der Ansicht, daß „bei keiner Protozoenkrankheit die 
Ätiologie sicherer fundiert ist als bei der Syphilis“. (Arb. a. d. Kaiserl. Ge¬ 
sundheitsamt, Bd. 26, S. 11.) 

P. Mühle ns hat mit Drüsensaft erfolgreiche Übertragungen der Spiro¬ 
chaeta pallida auf die Kaninchenhornhaut und von hier auf die Augenbraue 
eines Affen ausgeführt. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 1207.) 

E. Gierke ist es stets gelungen, bei sorgfältiger Untersuchung Spiro¬ 
chäten von Nervenfibrillen zu unterscheiden. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. I, 
Orig., Bd. 44.) 

H. Bab hat die Pallida im Auge von Neugeborenen mit kongenitaler 
Syphilis ziemlich in Reinkultur nachweisen können. Nie ist ihm dagegen der 
Nachweis gelungen bei Kindern, bei denen eine syphilitische Erkrankung 
mit Sicherheit ausgeschlossen werden konnte; ebensowenig in künstlich mace- 
rierten Organen nicht luetischer Föten. (Münch, med. Wochenschr., S. 315.) 

Derselbe Verfasser hat unter neun sicheren Luesfällen fünfmal die 
Spirochaeta pallida nachweisen können, trotzdem in keinem Falle eine Mace- 
ration der betreffenden Organe stattfand. (Münch, med. Wochenschr., S. 2265.) 

Th. Salings kritische Betrachtungen über die sogenannte Syphilis- 
spirochäte erfahren dadurch eine erhebliche Einschränkung. Nach seiner 
Erfahrung nämlich sollen Sublimatniederschläge, elastische Fasern, kon¬ 
trahierte Nervenfibrillen, die durch Präparation oder Maceration frei ge¬ 
worden sind, Anlaß zu Täuschungen geben. (Zentralbl. f. Bakt, Abt. I, 
Orig., Bd. 43, S. 70.) 


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206 


Infektionskrankheiten. 


Auch H. Friedenthal ist der Meinung, daß verschiedene Bestandteile 
im entzündeten Gewebe die Spirochaeta pallida Vortäuschen können. (BerL 
klin. Wochenschr. 1907, S. 99.) 

E. Hoffmann und W. Brüning ist die Übertragung der Syphilis auf 
Hunde gelungen. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 553.) 

E. Bertarelli kommt bei seinen Untersuchungen über „das Virus der 
Hornhautsyphilis des Kaninchens und die Empfänglichkeit der unteren Affen¬ 
arten und der Meerschweinchen für dasselbe“ zu folgenden Schlußsätzen: 

„Die Syphilis kann beim Kaninchen eine Hornhautinfektion hervor- 
rufen, welche in Übergangsreihen übertragbar ist. Bei dieser Reihenüber¬ 
tragung findet eine entschiedene Verstärkung des Virus statt, während sich 
der Befund zahlreicher Spirochäten konstant hält. 

Beim Kaninchen kann man außerdem später Nervenveränderungen beob¬ 
achten, welche vielleicht der syphilitischen Infektion zuzuschreiben sind. 

Mit dem Übergangsvirus kann man den Makako infizieren, bei welchem 
typische Haut- und Hornhauterscbeinungen entstehen. 

Am Ende zeigt sich das Virus auch für Meerschweinchen aktiv, 
welche man durch dasselbe mit Syphilis infizieren kann, und vielleicht sind 
auch manche andere Tiere (Schweine) für die Kaninchensyphilis empfäng¬ 
lich. (Zentralbl. f. Bakt. 1907, Bd. 43, S. 448.) 

Derselbe Verfasser will eine natürliche syphilitische Infektion bei 
einem Kaninchen beobachtet haben. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. I, Orig., Bd. 43, 
S. 167.) 

E. Gierke hat festgestellt, daß die Spirochäten in den verschiedensten 
Zellarten, so auch in den polynucleären Leukocyten, neben extracellulärer 
auch intracelluläre Lagerung zeigen. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. I, Orig., Bd. 44, 
S. 348.) 

C. Levaditi und J. Mc Intosh berichten, daß ihnen die Züchtung 
der Spirochaeta pallida gelungen sei. Zu diesem Zweck füllten sie kleine 
KollodiumBäckchen mit inaktiviertem Menschenserum, brachten Spirochäten 
hinein und verbrachten das Ganze in die Bauchhöhle von Affen oder 
Kaninchen. Bei dieser Züchtungsart, die in zahlreichen Passagen gelingen 
soll, werden die Spirochäten a virulent. (Annal. de l’inst. Pasteur, Vol. 21, 
p. 784.) 

P. Mühlen8 und Hartmann wenden sich gegen die Siegelschen 
Cytorrhyctesfunde, deren Protozoennatur (siehe diesen Jahresber. f. 1906, 
S. 259) sie stark anzweifeln. (Zentralbl. f. Bakt., Bd. 43, S. 153.) 

Siegel berichtet über seine mit verschiedenartigem Impfmaterial an 
sehr zahlreichen Affen angestellten Versuche. 

Die Spirochaeta pallida erkennt er als Syphiliserreger nicht an. (Zen¬ 
tralbl. f. Bakt., Abt. I, Orig., Bd. 43, S. 456.) 

P. Mühlens veröffentlicht sehr schöne Tafeln mit farbigen Abbildungen 
von 15 Spirochätenarten. 9 Abbildungen stellen die Spirochaeta. pallida dar. 
Die Erläuterungen geben kurz die Herkunft an und Notizen über die ein¬ 
zelnen Arten. (Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 57, S. 405.) 


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Geschlechtskrankheiten. 


207 


M. Martin hat die Angaben Castellanis über daa Vorkommen einer 
spezifischen Spirochäte — 1 der sogenannten Spirochaeta pertenues sive palli- 
dnla — in den Papeln bei Framboesia tropica bestätigen können. Die Silber¬ 
färbung nach Levaditi in Schnitten gelang nicht. Meyer glaubt, daß 
diese Spirochäte ätiologische Bedeutung für die Frambösie habe. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, S. 462.) 

A. Wellmann hat die Spirochaeta pertenues gleichzeitig mit Castellani 
entdeckt; er unterscheidet dünnere und dickere Formen. (Arch. f. Schiffs- 
u. Tropenhyg., Bd. 11, S. 545.) 

W. Schüffner hat bei der Untersuchung von Frambösiefällen in 81 Proz. 
Spirochäten gefunden. Einen deutlichen Unterschied zwischen der Spiro¬ 
chaeta pallida und pertenues vermochte er in Ausstrichpräparaten nicht nach¬ 
zuweisen. 

Schüffner hält die ätiologische Bedeutung der Spirochaeta pertenues 
für die Entstehung der Frambösie ebenso sicher, wie die der Spirochaeta 
pallida für die Syphilis. Beide Krankheiten zeigen sehr viel Gemeinsames. 
Die Frambösie ist ebenso wie die Lues eine konstitutionelle Krankheit. 
„Wollen wir sie richtig rangieren, so müssen wir sie als eine selbständige 
Eirankheit unmittelbar neben die Syphilis stellen, als eine zweite Syphilis, in 
demselben Verhältnis etwa wie die Malaria tertiana neben der Perniciosa.“ 
(Münch, med. Wochenschr. 1907, S. 1364.) 

L. Halberstädter hat nur bei einem Orang-Utan eine allgemeine 
Eruption von Frambösiepapeln beobachtet, nie dagegen bei niederen Affen. 
Bei diesen zeigten sich Affektionen nur an den Augenbrauen. (Arb. a. d. 
Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 26, S.48.) 

Landsteiner legt seine Ansicht über Immunität und Schutzimpfung 
bei menschlicher Syphilis in folgenden Schlußsätzen dar: 

Nach der Syphilisinfektion treten im erkrankten Organismus Verände¬ 
rungen ein, dahin führend, daß eine erneute Infektion nicht mehr die Ent¬ 
wickelung eines typischen Primäraffektes hervorruft. Diese Veränderungen 
beginnen während der Inkubationszeit; ihr erwähnter, gewöhnlich als Immu¬ 
nität gegen Syphilis bezeichneter Endeffekt wird öfters erst kurze Zeit nach 
dem Erscheinen des Primäraffekts erreicht. 

Die Widerstandsfähigkeit gegen neu eingebrachtes Virus ist keine abso¬ 
lute, vielmehr können beim Syphilitiker unter Umständen auch nach Ein¬ 
tritt der sogenannten Immunität durch neu eingebrachtes Virus Erschei¬ 
nungen bewirkt werden, die wohl auf ein Haften des Virus zu beziehen sind. 

Die spontanen Recidiverscheinungen und die bei Reinfektionen erhal¬ 
tenen Affekte sind der Ausdruck von individuell und mit dem Alter der 
Erkrankung variierenden Reaktionen des infizierten Organismus auf die In¬ 
fektionsträger und die von ihnen gebildeten Stoffe. Diese Auffassung gilt 
im besonderen für die tertiären Erscheinungen der Syphilis, von denen es 
nachgewiesen ist, daß sie durch lebendes Virus entstehen. Der Tertiär- 
Syphilitische reagiert wahrscheinlich auf gewöhnliches Virus mit tertiären 
Erscheinungen. Die Annahme von Änderungen des Virus als Substrat 
wechselnder Krankbeitsformen ist vorläufig noch nicht durch tatsächliche 
Gründe gestützt. 


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208 


Infektionskrankheiten. 


Für die Immunitätserscheinungen bei der Syphilis ist möglicherweise 
das Verhalten der Gewebe von nicht geringer Bedeutung. Der Nachweis 
von Syphilisantikörpern im Serum wurde bisher bei Tieren erbracht, denen 
man Syphilismaterial in beträchtlicher Menge injizierte. Die Auffindung 
spezifischer Stoffe gelingt durch den Nachweis ihrer mikrobiziden Wirkung 
oder, wie einige Autoren annehmen, auch mit Hilfe der beim Zusammen¬ 
treffen von Virus und dem Serum stattfindenden Hemmung hämolytischer 
Prozesse. Dieses Verfahren ist wahrscheinlich zur diagnostischen Blutunter- 
Buchung beim Menschen geeignet. Die angeführte auf der Beobachtung 
antihämolytischer Wirkungen beruhende Methode hat zur Feststellung pa¬ 
thologischer, noch näher zu erforschender Veränderungen des Liquor cerebro¬ 
spinalis bei progressiver Paralyse und Tabes dorsalis geführt. Die Versuche, 
ein als Vaccin verwendbares abgeschwächtes Virus herzustellen, haben noch 
kein eindeutiges Ergebnis. (Schlußsätze z. 14. internat Hygienekongreß, 
1907, Berlin, I. 4.) 

A. Wassermann, A. Neisser, C. Bruck und A. Schucht machen 
weitere Mitteilungen über den Nachweis spezifisch luetischer Substanzen 
durch Komplement Verankerung (siehe diesen Jahresber. f. 1906, S. 259.) Sie 
zweifeln nicht, daß ihre rein wissenschaftliche Entdeckung des Entstehens 
spezifischer Antikörper im Serum vorbehandelter Affen bald praktische Ver¬ 
wendbarkeit am Kranken erlangen wird. (ZeitBchr. f. Hygiene, Bd. 55, S. 451.) 

G. Meier hält die Wassermann sehe Reaktion für eine absolut zu¬ 
verlässige, für Syphilis spezifische Reaktion, die allerdings ihrer kompli¬ 
zierten Technik wegen besondere Übung erfordert. (Berl. klin. Wochenschr. 
1907, S. 1636.) 

M. Wassermann und G. Meier geben Anweisungen, in welcher Art 
die Feststellung von Syphilis durch die Komplementenbindung des Serums 
erfolgt, und betonen die hierbei nötigen Vorsichtsmaßregeln. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1907, S. 1287.) 

K. Landsteiner, R. Müller und 0. Pötzl heben die Bedeutung der 
Wassermannschen Reaktion für die Luesdiagnose hervor. 

In diagnostisch zunächst zweifelhaften Fällen, die nach dem Ausfall 
der Komplementbindungsreaktion als Lues erkannt wurden, wurde der 
luetische Charakter der Krankheit später stets bestätigt. Es hat sich aber 
gezeigt, daß die Wassermannsche Reaktion auch positiv ausfällt, wenn 
man das Luetikerserum statt mit luetischen Gewebseztrakten mit Extrakten 
anderer pathologischer Organe, ja selbst mit solchen bestimmter gesunder 
Organe von Tieren zusammenbringt. Z. B. binden alkoholische Extrakte 
von normalen Geweben, nach Mischung mit luetischem Serum, Komplement 
(Wien. klin. Wochenschr. 1907, S. 1565.) 

J. Citron berichtet, daß die Wassermannsche Reaktion durch Queck¬ 
silberverabreichung zum Schwinden gebracht wird. (Berl. klin. Wochenschr. 
1907, S. 1370.) 

L. Michaelis teilt einen neuen Reaktionsmodus mit, der vielleicht be¬ 
fähigt ist, den Komplementbindungsversuch zu ersetzen. Bringt man näm- 


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G esch lechtskran k heiten. 


209 


lieh hochwertiges syphilitisches Serum in bestimmten Mengen zusammen 
mit luetischem Leberextrakt, so entsteht ein spezifischer Niederschlag. Wie 
Michaelis auf Grund seiner quantitativen Versuche annimmt, ist im Leber¬ 
extrakt das Antigen, im Serum der Antikörper enthalten. (Berl. klin. 
Wochenschr. 1907, S. 1477.) 

D. Zabolotny und Maslakowetz haben eine Agglutination von Spiro¬ 
chäten mit dem Serum von Syphilitikern erzielt. Um reichliche Spirochäten 
zu erhalten, gingen sie so vor, daß sie mit dem Bier sehen Saugapparat 
die Oberfläche von harten Schankergeschwüren oder von Papeln absaugten. 
(Zentralbl. f. Bakt., Abt. I, Orig., Bd. 44, S. 532.) 

Fornet, J. Scheresc hewsky, Eisenzimmer und Rosenfeld be¬ 
richten über spezifische Niederschläge bei Lues, Tabes dorsalis und Paralyse. 

Im akuten Stadium der Syphilis soll im Serum des Kranken ein hoher 
Gehalt an Präzipitinogen vorhanden sein. Tabeskranke und Paralytiker 
enthalten in ihrem Blutserum sehr häufig Präzipitin. Während das erstere 
relativ schnell aus dem Körper verschwindet, kreist das Antigen länger im 
Körper. 

Bringt man nun Blutserum eines Syphilitischen mit positivem Spiro¬ 
chätennachweis zusammen mit dem Serum eines Tabikers oder Paralytikers, 
so entsteht in den meisten Fällen ein spezifisches Präzipitat. Am deutlichsten 
wird die Reaktion, wenn man klar zentrifugiertes Serum eines Luetikers 
vorsichtig über das tabische oder paralytische Serum schichtet. Es entsteht 
dann an der Berührungsstelle ein deutlicher „Ring“. Nie dagegen ist die 
Ringbildung zu beobachten bei Zusammentritt von zwei präzipitinogenhal- 
tigen oder zwei präzipitinhaltigen Serie oder bei Zusatz von normalem Serum 
zu spezifischem. Man kann die Sera sowohl unverdünnt als auch verdünnt — 
1:5 bzw. 1:10 physiologische Kochsalzlösung — anwenden. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, S. 1679.) 

W. Siebert berichtet über Fieber im Spätstadium der Syphilis; der 
Sitz des Herdes dürfte meist in der Leber zu suchen gewesen sein. (Arch. 
f. Schiffs- u. Tropenhyg., Bd. 11, Beiheft 4.) 

P. Uhlenhuth, E. Hoffmann und K. Roscher haben bei Affen mit 
der Atoxylbehandlung gute Erfolge erzielt. Bei zwei an Syphilis erkrankten 
Menschen wurde mit kleinen Gaben von Atoxyl kein Resultat erzielt. Größere 
Gaben wirkten günstig ein. Allerdings zeigten sich fast in der Hälfte der 
Fälle unangenehme Nebenwirkungen, wie Nierenreizung, Kolik und Durch¬ 
fall (Deutsche med. WochenBcbr. 1907, S. 873.) 

A. Neisser hat bei mit Syphilis infizierten Tieren ebenso wie mit Atoxyl, 
so auch mit Quecksilber und Jod völlige Heilung erreicht. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1907, S. 1774.) 

A. Neisser fand Atoxyl besonders wirksam bei Darreichung mitTrypan- 
rot zusammen. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 1521.) 

P. Uhlenhuth, E. Hoffmann und 0. Weidanz haben eine gute 
präventive Wirkung des Atoxyls bei experimenteller Affen- und Kaninchen- 
Syphilis beobachtet. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 1590.) 

Vierteljahrsachrift für Gesundheitspflege, 1908. Supplement. 

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210 


Infektionskrankheiten. 


G. Scherber fand einen unverkennbaren Einfluß der Atoxylbehandlung 
auf alle luetischen Exanthemformen. Jedoch soll die Kur länger dauern und 
häufigere Rezidive im Gefolge haben, als eine Quecksilber kur. Bemerkens¬ 
wert erscheint, daß von Scherber Sehstörungen oder andere Krankheits- 
erscheinungen, die etwa auf eine Vergiftung durch Atoxyl zu beziehen ge¬ 
wesen wären, bei keinem seiner (62) Patienten beobachtet wurden. (Wien, 
klin. Wochenschr. 1907, S. 1165.) 

E. Lesser bespricht in ausgezeichneter Weise „die Syphilisbehandlung 
im Lichte der neuen Forschungsresultate“. Betreffs der Atoxylbehandlung 
glaubt Lesser ein abschließendes Urteil noch nicht abgeben zu dürfen. 
(Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 1076.) 

E. Metschnikoff empfiehlt zur Prophylaxe der Syphilis seine 33proz. 
Calomelsalbe (Calomel 33 g, Lanolin 67 g, Vaselin 10 g). Er hat damit beim 
Affen und beim Menschen günstige Resultate erzielt. (Annal. de l’inst. Pasteur 
1907, p. 753.) 

Die Zu- und Abnahme der an Syphilis erkrankten Personen 
während des Vierteljahrhunderts von 1877 bis 1901. 

In dieser Zeit ist die Zahl der den allgemeinen Krankenhäusern in 
Deutschland (ohne Irrenanstalten, Lungenheilanstalten, Entbindungsanstalten) 
in Jahresfrist wegen konstitutioneller Syphilis zugegangenen Kranken von 
11 244 im Durchschnitt der Jahre 1877 bis 1879 auf 17 403 im Durchschnitt 
der Jahre 1898 bis 1901 gestiegen, und wenn man die jeweilige mittlere Be¬ 
völkerung des Reiches zum V ergleiche benutzt, sind damals etwa 250, neuer¬ 
dings etwa 313 auf je eine Million Bewohner des Reiches den allgemeinen 
Krankenhäusern wegen konstitutioneller Syphilis zugegangen. 


litten von je 1000 zngegangenen Kranken: 



an vencr. Krankheiten 

davon an Syphilis 

1877 — 1879 

68,55 

25,38 

1880 — 1882 

69,35 

22,04 

1883 — 1885 

57,07 

18,42 

1886— 1888 

45,77 

13,89 

1889 — 1891 

45,55 

14,40 

1892 — 1894 

48,39 

16,84 

1895 — 1897 

45,76 

15,72 

1898 — 1901 

41,21 

15,25 


(VeröffentL d. Kaiserl. Gesundheitsamtes 1908, S. 516.) 


Galewsky veröffentlicht interessante Daten „Über die Übertragung 
von Geschlechtskrankheiten beim Stillgeschäft“. 

Staatlich beaufsichtigt wird die Ammenvermittelung bisher nur in Ham¬ 
burg. Von den untersuchten Ammen wurden in den letzten Jahren 5,2Proz. 
wegen Syphilis und 12,3 Proz. wegen Gonorrhöe ausgemerzt. 

Galewsky hat zahlreiche Ammen in Dresden untersucht und wenn 
auch nicht so ungünstige Resultate, wie vorstehend angegeben, so doch noch 
eine relativ große Zahl infizierter Ammen gefunden. Besonders groß erscheint 


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G e sch lech tskrankheiten. 


211 


die Gefahr dadurch, daß eine syphilitische Infektion selten auf den Säug* 
ling beschränkt bleiben wird, sondern auch die übrigen Familienmitglieder 
befallen wird. Andererseits fordert Galewsky auch Schutz für die Ammen 
bezüglich einer Infektion gesunder Ammen durch syphilitische Säuglinge. 
(Zeitschr. f. Bekämpfung der Geschlechtskrankh., Bd. 5, Nr. 10.) 

Feistmantel berichtet über die Versuche zur Einschränkung der Ge¬ 
schlechtskrankheiten innerhalb der Garnison Budapest und faßt seine Er¬ 
fahrungen folgendermaßen zusammen: 

1. Bei richtiger Durchführung der Einschränkungsmaßregeln ließ sich 
die Zahl der jährlichen Zugänge an Geschlechtskrankheiten um etwa 1 / A bis 
Vs der sonst zu gewärtigenden Ziffer herabdrücken. 

2. Das verhütete Viertel bis Drittel betrifft der Mehrzahl nach Tripperfälle. 

Als bestes Desinfiziens zur Tripperprophylaxe empfiehlt Feistmantel 

eine 3 proz. Albarginlösung eventuell eine 5 proz. Protargollösung. Die 
Kosten der Desinfektion betrugen für 1000 Mann in einem Jahr rund 
26 Kronen. Die Desinfektion soll auf einem bestimmten Kasernenzimmer 
vorgenommen werden. 

Für Offiziere und Einjahrig-Freiwillige empfiehlt er die Virotuben oder 
den Amicus-Apparat von N. Blokusewski. 

Mit der Schankerprophylaxe einschließlich hartem Schanker vermochte 
er bemerkenswerte Resultate nicht zu erzielen. (Wien. med. WochenBcbr. 
1907, Nr. 37.) 

Risa Nuri Bei veröffentlicht eine ausführliche Studie über den hygie¬ 
nischen Nutzen der Beschneidung. (Volkmanns klin. Vortr. 1906, Nr. 123.) 

F. Nagelschmidt nimmt in seine Klinik in eine besondere Abteilung 
geschlechtskranke Gravide auf. Damit verfolgt er gleichzeitig den sozial¬ 
hygienischen Zweck, eventuell syphilitische Ammen für syphilitische Säug¬ 
linge bereit zu halten und nachzuweisen (vgl. auch Ref. S. 210, Galewsky). 
Eine gegenseitige Schädigung luetischer Ammen und luetischer Kinder hält 
Verfasser für ausgeschlossen. (Mediz. Klinik 1907, Nr. 7.) 

A. Buschke fordert mehr Fürsorge für geschlechtskranke Gravide. 
Es soll an jeder Gebäranstalt eine Spezialabteilung für venerische Schwangere 
eingerichtet werden. 

Gleichzeitig sollte den hereditär syphilitischen Neugeborenen mehr Schutz 
zugebilligt werden. Entweder eigene Säuglingsheime oder besondere Ab¬ 
teilungen an bestehenden Heimen möglichst mit Ammenernährung durch 
gleichfalls luetische Frauen. (Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 2 u. 3.) 

M. Möller glaubt an eine Übertragbarkeit der Syphilis während des 
LatenzstadiumB. Die Übertragung wird in solchen Fällen durch das Vor¬ 
handensein von kleinen Hautrissen gefördert, die auf der Basis irgendwelcher 
Entzündungsprozesse entstehen. Durch die aus diesen Gewebsläsionen heraus¬ 
tretenden Säfte wird der Krankheitsstoff übertragen. (Zeitschr. f. Bekämpfung 
der Geschlechtskrankh. 1907, Bd. 6, Nr. 2 bis 3.) 

Pfannenstiel behandelt in einem längeren Vortrag den Einfluß der 
Geschlechtskrankheiten auf die Fortpflanzungsfähigkeit des Weibes. (Zeitschr- 
f. Bekämpfung der Geschlechtskrankh. 1907, Heft 2.) 

14* 


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212 


Infektionskrankheiten. 


Dohrn hat in einem Zeitraum von vier Jahren 16158 Männer bei der 
Aufnahme als Gefangene auf das Vorhandensein einer Geschlechtskrankheit 
hin untersucht. 536 von den Untersuchten erwiesen sich als infiziert, be¬ 
sonders häufig waren es Kellner. (Zeitschr. f. Bekämpfung der Geschlechts¬ 
krankheiten 1907, Nr. 1.) 

Vorträge über sexuelle Hygiene sollen auf Anregung der Deutschen 
Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten an den Berliner 
und Charlottenburger Gymnasien für die zur Entlassung kommenden Abi¬ 
turienten gehalten werden. (Zeitschr. f. Med.-Beamte 1907, S. 646.) 

F. Winkler erklärt die Erkrankungsziffer des Eisenbahn personale an 
venerischen Krankheiten für so beträchtlich, daß eine systematische Bekämp¬ 
fung der Geschlechtskrankheiten im Bahnpersonal nötig ist. 

Als spezielle Maßnahmen werden empfohlen belehrende und auf klärende 
Vorträge gelegentlich der Samariterkurse, ärztliche Kontrolle des weiblichen 
Bedienungspersonals in den Übernachtungsräumen, Verbot der gemeinsamen 
Benutzung von Signalhörnern, Dienstpfeifen, Trinkgläsern und Kaffeeschalen. 
Jeder Angestellte soll für die Übernachtung in den Unterkunftsräumen seine 
eigene Bettwäsche mit sich führen. Auch die staatlich gelieferten Kissen 
und Pelze bedürfen einer regelmäßigen Desinfektion. (Zeitschr. f. Bekämpfung 
der Geschlechtskrankh. 1907, Bd. 6, Heft 5.) 

Prostitution. 

G. Vorberg gibt in einer Abhandlung „Freiheit oder gesundheitliche 
Überwachung der Gewerbsunzucht? “ zunächst eine Zusammenstellung des 
gegenwärtigen Standes der Überwachung der Prostitution in anderen Ländern. 

Besonders ausführlich werden die reglementarischen Verhältnisse in 
Frankreich besprochen; daran anschließend die Zustände in Italien, in der 
Schweiz, in England, Norwegen und Dänemark, wo durch das Gesetz vom 
30. März 1906 die Reglementierung der Prostitution abgeschafft ist. End¬ 
lich kommen Rußland und Griechenland. (München, Verlag der ärztlichen 
Rundschau.) 

Die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und Hand¬ 
habung der Sittenpolizei. Erlaß des Ministers des Innern und der 
geistL, Unterrichts- und Medizinalanlegenheiten vom 11. Dezember 1907. 

Die Behörden sind dadurch in der Lage, die gesundheitliche Über¬ 
wachung der Prostitution als vorwiegend ärztliche Einrichtung von den 
besonderen zur Aufrechterhaltung der Sittlichkeit erforderlichen Maßnahmen 
zu trennen, sie dadurch von manchen lästigen Nebenwirkungen zu befreien 
und doch gleichzeitig zum Besten der Volksgesundheit in weiterem Umfange 
zur Durchführung zu bringen. 

Personen, die erstmalig wegen des Verdachts der Prostitution polizeilich 
angehalten werden, brauchen sich nicht der polizeiärztlichen Untersuchung 
zu unterwerfen, sondern haben ein Gesundheitsattest beizubringen bzw. im 
Krankheitsfalle den Nachweis zu erbringen, daß sie bis zur Heilung in ärzt¬ 
licher Behandlung stehen. 

Die zwangsweise Behandlung erkrankter Personen in einem Krankeo- 
hause tritt ein, wenn sie — nach Stellung unter Sittenkoutrolle — sich der 


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Geschlechtskrankheiten. Prostitution. 


213 


regelmäßigen Vorstellung in den öffentlichen Sprechstunden entziehen, sowie 
wenn begründeter Verdacht besteht, daß sie noch vor bewirkter Heilung der 
Unzucht wieder nachgehen. 

Besonders in kleineren Städten kann den Prostituierten die frei gewählte 
ärztliche Behandlung gestattet werden. 

Der zweite Abschnitt des Erlasses bestimmt genau die Grenzen, in 
denen eine Verhängung von sittenpolizeilicher Aufsicht unumgänglich ist, und 
bezeichnet die Mitarbeit von Damen der Rettungsvereine als sehr erwünscht, 
um Gefallenen wieder die Rückkehr zum anständigen Lebenswandel zu er¬ 
möglichen. 

Im dritten Abschnitt wird die Handhabung sowohl der sanitätspolizei¬ 
lichen, wie der sittenpolizeilichen Aufsicht genau bestimmt. 

Endlich wird die Unterbringung geschlechtlich erkrankter Prostituierter 
in Krankenhäusern empfohlen durch Verständigung der Gemeinde- und 
Kassen Vorsteher, sowie der Kassenärzte. (Beil. z. Zeitschr. f. Med.-Beamte 
1908, Nr. 1.) 

Der Bericht des von der k. k. Gesellschaft der Ärzte gewählten 
Komitees zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten enthält zahl¬ 
reiche wertvolle Anregungen, zeigt aber andererseits auch, wie schwierig 
und spröde gerade dies Gebiet der öffentlichen Hygiene ist. (Wien. klin. 
Wochenschr. 1907, S. 1647.) 

J. F a b r y hält eine völlige Beseitigung der Reglementierung für ver¬ 
fehlt und sucht die Richtigkeit seiner Ansicht zu beweisen durch Darstellung 
der einschlägigen Verhältnisse in Dortmund. (Zeitschr. f. Bekämpfung der 
Geschlechtskrankh., Bd. 5, Nr. 9.) 

F. C. Valentine und T. M. Townsend weisen auf den Anteil hin, 
den die Kurpfuscherei an der unheilvollen Verbreitung der Geschlechts¬ 
krankheiten hat. Auch sehen sie die heimliche Prostitution für gefährlicher 
an als die öffentliche, deren Beschränkung auf bestimmte Stadtteile sie 
empfehlen. (Ohio Sanit. bull, for march 1906.) 

A. Ascarelli berichtet über anormale Fingerabdrücke bei Prostituierten. 
Er untersuchte 100 niedere Prostituierte und 200 Arbeiterinnen und Land¬ 
bewohnerinnen, meist verheiratete. Seine Hauptschlüsse, die er durch die 
Abdrücke der mit Druckerschwärze geschwärzten Fingerkuppen auf weißem 
Papier erhielt, sind folgende: 

1. Bei den Prostituierten finden sich viel häufiger die anormalen Formen 
der Fingerabdrücke als bei den normalen Frauen. 

2. Aus der Prüfung der Fingerabdrücke kann man bestätigen, daß die 
gewerbsmäßige Prostituierte anthropologisch der normalen Frau unterge¬ 
ordnet ist. (Arch. di Psichiatr. 27, Heft 6.) 

F. Block bespricht den vom Berliner Polizeipräsidium eingeschlagenen 
Modus der ärztlichen Aufsicht über unkontrollierte Prostituierte, der überall 
sympathisch begrüßt ist und anscheinend von gutem Erfolg ist. 

Um jungen Mädohen, die gefallen sind, die Rückkehr zum anständigen 
Leben nicht zu erschweren, wird von ihrer Inskribierung abgesehen. Dafür 


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214 


Infektionskrankheiten. 


erhalten Bie eine Liste von Ärzten, wo sie sich regelmäßig untersuchen lassen 
müssen. Solange die betreffende Person den Schein regelmäßig der Polizei 
einsendet, bleibt sie von weiteren polizeilichen Maßnahmen verschont. (Zeit¬ 
schrift f. Bekämpfung der Geschlechtskrankh. 1907, Heft 1.) 

G. Güth macht auf die Schwierigkeiten des vorbesprochenen neuen 
Systems (s. voriges Referat) aufmerksam, das nur unter gewissen Umständen 
und nicht auf alle Dirnen angewendet werden kann. Er empfiehlt ferner, 
ein Merkblatt für die Prostituierten herauszugeben, das eine Beschreibung 
der Geschlechtskrankheiten und Belehrungen über den Selbstschutz enthält. 
(Zeitschr. f. Bekämpfung der Geschlechtskrankh. 1907, Bd. 6, Nr. 3.) 

Fuld legt die schweren Folgen dar, welche die rigorose Handhabung 
des Ausweisungsrechtes an weiblichen Personen haben würde. Biese würden 
dadurch direkt der Prostitution in die Arme getrieben. (Zeitschr. f. Be¬ 
kämpfung der Geschlechtskrankh. 1907, Bd. 6, Nr. 5.) 

Hübner verbreitet sich über Prostituierte und ihre strafrechtliche Be¬ 
handlung. 60 Proz. der von ihm Beobachteten waren geisteskrank vor Be¬ 
ginn der Prostitution, 20 Proz. erkrankten psychisch während der Ausübung 
ihres Gewerbes und übten dieses noch weiter aus. Nur der Rest erkrankte 
erst später geistig. Die Straftaten waren sehr zahlreich, jedoch fast immar 
ziemlich harmlos. Er empfiehlt daher, nur das Fernbleiben von der ärzt¬ 
lichen Kontrolle zu bestrafen, sowie die polizeiliche Kontrolle durch eine rein 
ärztliche zu ersetzen. (Monatsschr. für Kriminalpsycbol. und Strafrechts¬ 
reform 3, Heft 11 u. 12.) 

Delorme macht Angaben über die Syphilis in der französischen Armee. 

Die Gesamthöhe der Morbidität an venerischen Krankheiten ist von 
60 Promille im Jahre 1880 auf 27,1 Promille im Jahre 1903 gefallen. Die 
Zahl der Syphilitischen beträgt 1,5 bis 2,0 Promille in der Armee, gegen 
6 Promille in der Bevölkerung. 

Nicht allein während der Dienstzeit sind die venerischen Erkrankungen 
unter den Soldaten seltener, sondern auch nach der Entlassung aus dem 
Militärdienst sind sie mehr geschützt. Verfasser weist daher mit Recht hin 
auf den hohen Wert der Belehrungen, Merkblätter und hygienischen Gesund¬ 
heitsbesichtigungen. (La sem. mdd. 1907, No. 17, p. 202.) 

F. Schmid bespricht in eingehenderWeise die Prostitutionsverhältnisse 
in der Schweiz. 

Nach einer geschichtlichen Einleitung mit einigen sehr interessanten 
Daten werden die tatsächlichen Verhältnisse der Prostitution in den ver¬ 
schiedenen Kantonen der Schweiz genau besprochen. Die Zahl der ein¬ 
geschriebenen Prostituierten ist von 264 im Jahre 1898 auf 179 im Jahre 
1905 gesunken, die Zahl der Bordelle schwankt sehr. Offiziell verboten, 
bestehen solche doch in vielen Städten, was der Polizei wohlbekannt ist. 
Daneben besteht, besonders in größeren Städten, die heimliche Prostitution. 
Über Morbiditäts- und Mortalitätsverhältnisse werden genaue statistische 
Angaben gemacht. Endlich werden die Maßnahmen zur Bekämpfung oder 
Einschränkung der Prostitution besprochen. Die einschlägige Literatur ist 
übersichtlich angegeben. (Handwörterbuch d. Schweiz. Volkswirtschaft usw., 
Bd. III, Bern 1907.) Karl Ernst Boehncke. 


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Geschwülste. 


215 


Geschwülste. 

y. Leyden: „Der Stand der Krebsforschung.“ Nach kurzer 
historischer Übersicht über die Entwickelung der Anschauungen über das 
Wesen des Krebses gibt er kurz seine Ansicht darüber, und insbesondere 
begründet er seine Auffassung über den parasitären Ursprung des Karzinoms 
und die Bedeutung der „Vogelaugen“. Dann schildert er die neuesten Er¬ 
gebnisse der experimentellen Krebsforschung und insbesondere die thera¬ 
peutischen Versuche nach Blumenthal und Bergell. (Med. Klin., Bd. 33.) 

Kelling: „Über den jetzigen allgemeinen Stand der Krebs¬ 
forschung.“ Eine kritische Besprechung, zugleich eine Antwort an meine 
Gegner. Er unterzieht die heutige Krebsforschung scharfer Kritik und er¬ 
klärt ihre Leitsätze für vielfach sehr anfechtbar. Er fordert die Gründung 
eines besonderen Instituts zur unparteiischen Erörterung der Krebsfrage. 
(Wiener med. Wochenschr., Bd. 57, S. 24 bis 29.) 

Dietrich, „Der heutige Stand der experimentellen Krebs¬ 
forschung“, bringt eine kurze Übersicht und Würdigung der einzelnen 
Anschauungen. Nach dem übereinstimmenden Urteil aller exakten Autoren 
haben die experimentellen Forschungen keinen Anhalt für die Existenz 
parasitärer Krebserreger geliefert. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 13.) 

Coenen: „Geschichtliche Entwickelung der Lehre vom Basal¬ 
zellenkrebs.“ (Wiener klin. Wochenschr., Nr. 20.) 

Andersen: „Verteilung des Krebses auf die Altersklassen.“ 
Die Häufigkeit des Krebses steigt mit dem Alter; dem voran geht eine 
praktisch genommene krebsfreie Periode von etwa 25 bis 30 Jahren. Keine 
andere Krankheitsgruppe, insbesondere keine Infektionskrankheit zeigt ein 
ähnliches Verhalten. Bemerkenswert ist, daß das Auftreten des Krebses mit 
dem Zeitpunkt der völligen Involution der Thymusdrüse zusammenfällt. 
(Norsk. Mag. f. Laegevid., Nr. 8.) 

Philipp: „Über Krebsbildung im Kindesalter.“ Das Resultat 
der umfangreichen Untersuchungen und Zusammenstellungen faßt der Ver¬ 
fasser selbst in folgende Sätze zusammen: 

1. Der Epithelkrebs kommt im Kindesalter zwar Bicher, aber außer¬ 
ordentlich selten vor. 

2. Seine Hauptfrequenz liegt für alle etwas häufiger befallenen Organe 
in der Zeit um die Pubertät herum. 

3. Die am häufigsten befallenen Organe sind der Darmkanal, Eierstöcke 
uud Haut. 

4. Im Gegensatz zum Krebs der Erwachsenen finden sich keine wesent¬ 
lichen Unterschiede in der Häufigkeit des Krebses bei beiden Geschlechtern, 
was auf dem fast vollkommenen Fehlen des Uterus- und Mammakrebses bei 
Mädchen beruht. 

5. Im allgemeinen sind die Erfahrungen über den Krebs im Kindesalter 
mehr zur Stütze der Reiztheorie und der Thierschschen Hypothese, als der 
Cohnheim sehen Theorie geeignet. (Zeitschr. f. Krebsforschung, Bd. 5, S. 326 ff.) 

Heron: „Krebsstatistik.“ Statistik über die Abhängigkeit der 
Karzinomfälle von Lebensalter, Kinderanzahl und sozialen Lebens Verhält¬ 
nissen. (Brit. med. Journ., Nr. 2411.) 


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216 


Infektionskrankheiten. 


Prinzing: „Das Gebiet hoher Krebesterblichkeit im südlichen 
Deutschland und in den angrenzenden Teilen Österreichs nnd 
der Schweiz.“ Die Verteilung des Karzinoms ist keine gleichmäßige; in 
Kreisen mit hoher Krebssterblichkeit finden sich Ortschaften mit vielen und 
mit wenigen Krebsfällen. Die hohe Krebssterblickeit ist konstant an die¬ 
selbe Örtlichkeit gebunden. Vor 25 Jahren waren schon dieselben Gebiete 
verseucht wie heute, in den letzten 10 Jahren traten dazu neue. 

Die Häufigkeit der Krebsfälle wird in diesem Gebiete nur durch den 
Krebs des Magens und der Speiseröhre bedingt. 

Er glaubt die Verschiedenheit der Krebshäufigkeit am einfachsten durch 
die Annahme eines Parasiten als Krebserreger zu erklären. (Zeitschr. f. 
Krebsforschung, Bd. 5, S. 1.) 

Meldorf: „Über das Vorkommen von Geschwülsten bei der 
Bevölkerung in Grönland.“ Er berichtet über etwa 18 Fälle von Krebs 
und krebsartigen Tumoren in den verschiedenen Organen Eingeborener, 
über einige Sarkomfälle und mehrere gutartige Tumoren und widerlegt die 
bisherige Annahme, daß Grönland krebsfrei sei. (Nord. med. Ark. Inn. Med., 
Bd. II, S. 3.) 

Oberndorfer: „Tumor und Trauma.“ Wenn auch das Trauma 
bei der Entstehung von Tumoren ohne Frage eine Rolle spielt, so wird man 
bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges doch fast nur mit 
Möglichkeiten, nur selten mit erweislichen Tatsachen rechnen können. (Ärztl. 
Sachverständigenztg., Nr. 2.) 

Orth, „Sarkom und Trauma“, berichtet über ein Hodensarkom nach 
Quetschung mit späterem Rezidiv im anderen Hoden und über ein Riesen¬ 
zellensarkom des Unterkiefers bei einem jungen Mädchen nach gewaltsamer 
Zahnextraktion. (Münch, med. Wochenschr., Nr. 44.) 

Rembold: „Sarkom infolge von Unfall.“ (Ärztl.Sachverständigen¬ 
zeitung, Nr. 12.) 

Westenhöf er: „Über das Wesen und die Natur der Geschwülste 
mit Berücksichtigung des Krebses.“ Er sagt: „Das Wesen einer 
echten Geschwulst besteht darin, daß ihre Zelle ihre Differenzierung und 
funktionelle Beziehung zum Organismus verloren und die Eigenschaften 
einer Urzelle dafür wiedererlangt habe. Ihre Zellen sind mithin gar keine 
menschlichen Zellen mehr.“ Er will die Versuche zum Beweis dieser Hypo¬ 
these fortsetzen. (Berliner klin. Wochenschr., Nr. 19.) 

v. Düngern und Werner: „Das Wesen der bösartigen Ge¬ 
schwülste.“ Sie besprechen alle für die Entstehung der bösartigen Ge¬ 
schwülste in Betracht kommenden Fragen. Normales Epithel kann man 
durch Reize zwar zur Wucherung bringen, doch nie ein dauerndes Wachs¬ 
tum erzielen, da die Zellen die ihnen in der Norm eigentümliche Eigenschaft, 
unbegrenztes Wachstum zu hemmen, immer wieder regenerieren. Tumor¬ 
zellen haben diese Fähigkeit nicht, und daher wachsen sie, dazu angeregt, 
dauernd fort. 

Langsam wachsende maligne Tumoren können durch äußere Reize, wie 
Wärme, zu schnellerem Wachstum gebracht werden, weil durch jenen Reiz 


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Geschwülste. 


217 


die Wachstumshemmungen rascher vernichtet werden. (Aus dem Institut 
für Krebsforschung in Heidelberg.) 

Blaud-Sutton: „Krebsprobleme.“ Untersuchung der verschiedenen 
malignen Tumoren, ihrer Entstehung, Histologie und Verbreitung. (Lancet, 
Nr. 4368.) 

Butlin,„Kreb8kontagiosität a , berichtet über mehrere Beobachtungen 
von Autoinokulation mit Krebs. (Lancet, Nr. 4379.) 

Ryall, „Krebsinfektion“, glaubt aus der Neigung des Krebses zu 
Rückfällen und Infektion der Operationswunde bei Krebsoperationen auf 
große Infektiosität des Krebses schließen zu müssen. (Lancet, Nr. 4393.) 

Welsh: „Infektiosität und Neubildungen.“ Der Beweis, daß 
Krebs eine Infektionskrankheit ist, ist zwar noch nicht erbracht, doch hält 
er es nicht für unmöglich, daß er durch Parasiten verursacht wird und 
direkt infektiös ist. Seiner Ansicht nach ist jede Neubildung bösartig, wenn 
auch der Grad ihrer Bösartigkeit verschieden ist, ähnlich wie bei bakteriellen 
Infektionen, die lokal und allgemein auftreten können. Die Entstehung von 
Neubildungen hält er abhängig von Veränderungen der Gewebsflüssigkeit 
und von Altersveränderungen der Gewebe. (Lancet, Nr. 4371.) 

Gleylord und Glowes: „Käfiginfektion als Quelle spontanen 
Krebses bei Tieren in engen Käfigen.“ Ein Käfig, in dem eine Ratte 
mit SchilddrÜBensarkom gelebt hatte, blieb */a Jahr unbenutzt. Als dann 
wieder Ratten in den Käfig kamen, bekam eine von vier ein Fibrosarkom 
des Bauches. Von drei Ratten, die danach wieder 1 Jahr in dem Käfig 
lebten, bekam eine ebenfalls ein Fibrosarkom des Bauches und eine ein 
Spindelzellensarkom der Thyreoidea. 

Bei einem Mäusehändler traten innerhalb von 3 Jahren in einem Käfig 
60 spontane Mäusetumoren (meist Mammakarzinome) auf, obwohl der_Stamm 
der Mäuse oft wechselte. (Journ. of Amer. Assoc., Nr. 41.) 

Loeb: „Endemisches Vorkommen und überimpfbarkeit des 
Karzinoms.“ Bei endemischen Mäusetumoren sprach nichts für direkte 
Infektion, dagegen schien manches, wie auch gewisse Bildungsanomalien bei 
einzelnen Tieren auf erbliche Übertragung der Disposition für Tumoren hin¬ 
zuweisen. Wo multiple Spontantumoren bei einzelnen Tieren vorkamen, 
waren die Lymphbahnen frei, so daß die Annahme von Metastasen unwahr¬ 
scheinlich ist. Neben mikroskopisch festgestellten Metastasen in den Lungen 
fand man hier auch einzelne Epithelwucherungen, die nicht als solche auf¬ 
gefaßt werden konnten. 

Tiere mit Spontantumoren zeigten sich für die Impfung der gleichen 
Tumorart empfänglicher als andere Tiere; die Tumoren wuchsen schneller. 
(Univeraity of Pennsylvan. medic. bullet., Vol. 20, Nr. 1 u. 2.) 

Hans Leyden: „Einige bemerkenswerte Daten der vom Zen¬ 
tralkomitee für Krebsforschung in Berlin veranstalteten Ergän- 
zungskrebssammelforschung für das Deutsche Reich.“ Hervor¬ 
zuheben sind 47 Fälle, wo die Ehegatten an Krebs erkrankt sind, darunter 
fünf Ehen, wo der Mann und seine zwei Frauen vom Krebs befallen waren. 
Über die Erkrankung von ganzen Familien an Krebs bis zu den Enkel- 


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Infektionskrankheiten. 


kindern herab wird dreimal berichtet; in einem weiteren Falle starben einer 
an Kehlkopfkrebs leidenden Frau vier Ehemänner an Krebs. 

Der höchste Prozentsatz der Krebsfälle liegt zwischen den fünfziger 
und sechziger Lebensjahren. (Zeitschr. f. Krebsforschung, Bd. 5.) 

Saul: „Untersuchungen zur Ätiologie der Tumoren.' 
Statistische und kasuistische Bemerkungen zur parasitären Ätiologie des 
Karzinoms. Er stellt Mitteilungen aus der Literatur zusammen, die für die 
Infektiosität des Karzinoms sprechen sollen; insbesondere hebt er die große 
Prozentzahl von Krebserkrankungen bei Leuten hervor, die in Gärtnereien 
und dem Land- und Forstbetriebe tätig sind. (Zentralbl. f. BakterioL, 
Bd. 44, S. 5.) 

v. Leyden und Berg eil: „Über Pathogenese und über den spezifi¬ 
schen Abbau der Krebsgeschwülste.“ Im Gegensatz zum gesunden 
Organismus fehlt es dem karzinomatösen an einer gewissen, wahrscheinlich 
spezifischen, fermenthydrolytiscben Kraft. Den Mangel oder die Verminde¬ 
rung dieses Stoffes halten sie für die Ursache des ungehinderten, seine Malig¬ 
nität darstellenden Wachstums des Tumors. (Aus dem Institut für Krebs¬ 
forschung in Berlin. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 23.) 

Bergell und Sticker: „Über Pathogenese und über den 
spezifischen Abbau der Krebsgeschwülste.“ Verfasser haben experi¬ 
mentell bei Hunden erzeugte Sarkomatose durch Einspritzungen von Leber¬ 
ferment beseitigt, und zwar unter Erscheinungen, wie sie bei Selbstheilung 
auftreten, und in einem Stadium, wo Selbstheilung erfahrungsgemäß aus¬ 
geschlossen war. (Aus dem Institut für Krebsforschung in Berlin. Deutsche 
med. Wochenschr., Nr. 38.) 

Kronthal: „Wachstumsenergie und Ätiologie der bösartigen 
Geschwülste.“ Nach Ansicht des Verfassers bestehen die bösartigen Ge¬ 
schwülste entweder aus epithelialen oder von Wanderzellen abzuleitenden 
Elementen unbestimmten Charakters. Das unbeschränkte Wachstum solcher 
Tumoren erklärt er Bich so, daß sich Zellen gleicher Art, aber von ver¬ 
schiedenen Individuen miteinander nach Art der Befruchtung vereinigt 
haben. (Virchows Archiv, Bd. 186, Heft 3.) 

C. S. Engel: „Rückschlag in die embryonale Blutbildung and 
Entstehung bösartiger Geschwülste.“ Er geht aus von der bekannten 
Tatsache, daß das Fettmark der Erwachsenen wieder in rotes Knochenmark 
sich umbilden und Normoblasten, unter Umständen aber auch Megaloblasten 
bilden, also eine Form annehmen kann, wie sie vor der Entwickelung des 
Knochenmarks die normale Blutzelle des Embryos darstellt. Die so ein- 
getretene Entdifferenzierung zieht eine schwere Schädigung in dem aus¬ 
gebildeten Körper nach sich. Ähnlich will er die Entstehung bösartiger 
Geschwülste erklären. Ein Teil der Zellarten erfährt einen Rückschlag ins 
embryonale Stadium und kann nun schrankenlos weiter wuchern, da die 
umgebenden Zellen differenziert sind, also keinen Widerstand leisten können, 
wie dies beim Embryo der Fall ist. Fußend auf dieser Hypothese hofft er 
durch Verwendung von menschlichen jungen Embryonen immunisatorisch 
oder therapeutisch einwirken zu können. (Berliner klin. Wochenschr.« 
Bd. 44, Nr. 40.) 


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Geschwülste. 


219 


Hofbauer: „Experimentelle Beiträge zur Karzinomfrage.“ 
Er kommt za der Annahme, daß sich im Karzinomgewebe ähnliche Vorgänge 
abspielen, wie bei der Placentabildung, die im wesentlichen durch eine 
spezifische Wachstumsenergie des Zottengewebes und eine dem Zottenepithel 
eigentümliche Fermentwirkung zustande kommt. Er fand auch im Krebs¬ 
gewebe Stoffe (Albumosen, Arginin, Lysin), die aus normalem Gewebe nicht 
darstellbar sind. Die Karzinomfermente spalten demnach reichlich Eiweißstoffe 
ab; die Anaplasie der Zelle äußert sich in dem geänderten Chemismus. Der 
Verfasser neigt zu der Ansicht, daß neue Enzyme nicht entstehen, sondern 
daß bereits vorhandene nur von den hemmenden Einflüssen befreit werden. 

Wird auf eine Weise (Trauma, Entzündung) das Gleichgewicht gestört, 
so vermag das Epithel in das fremde Gebiet einzudringen, wo es bessere 
Ernährungsbedingungen findet; dabei nimmt der Verfasser an, daß jeder 
Epithelzelle von vornherein die Befähigung zu ungebundenem Wachstum 
innewohnt. 

Unter diesen Voraussetzungen glaubt er therapeutische Erfolge erwarten 
zu können, wenn man mit Antitrypsin oder antitrypsinhaltigen Serie ein¬ 
spritzt, da die eiweißspaltenden Vorgänge im Karzinom nach dem Typus 
der tryptischen Verdauung verlaufen, oder wenn man aktiv mit Fermenten 
des Karzinomgewebes immunisiert. (Wiener klin. Wochenschr., Bd. 41.) 

Bashford, Murray und Bo wen: „Experimentelle Analyse des Kar¬ 
zinom Wachstums“. Enthält die Schlußfolgerungen aus 25000 Impfungen 
des Jensensehen Tumors an Mäusen. Bei der Impfung wurden alle Vor¬ 
sichtsmaßregeln beobachtet, um durch die Technik begründete Unregelmäßig¬ 
keiten in Menge und Geschwindigkeit des Tumorwacbstums nach Möglichkeit 
auszuschalten. Die trotzdem bestehenden Schwankungen der Wachstums¬ 
energie werden als natürliche Eigenschaften der Zellwucherung selbst an- 
gesprochen. Das Verhalten der Abkömmlinge von Tumoren, die in einer 
Gruppe überimpfter Tiere entstanden sind, wird genauer verfolgt. Dabei 
zeigte sich, daß jeder Stamm ein Maximum erreicht und dann zurückgeht 
und einem anderen Platz macht, der dann seinerseits bis zu seinem Maxi¬ 
mum ansteigt. Da, wo Tumoren anscheinend gleichmäßig und beständig 
wachsen, sind wohl zahlreichere Wachstumszentren anzunehmen, so daß die 
'Wachstumsschwankungen des einzelnen durch die anderen verdeckt werden. 
Darauf beruht es auch, daß bei Spontantumoren so selten spontane Resorption 
beobachtet wird, im Gegensatz zu Impftumoren, bei denen durch die Impfung 
immer nur eine kleine Zahl von Wachstumszentren übertragen wird. 
(Zeitschr. f. Krebsforschung, Bd. 5, Heft 3.) 

Loeb: „Über einige Probleme der experimentellen Tumor¬ 
forschung.“ Bei Übertragung von Sarkomen wie von Karzinomen bleibt 
ein Teil der überimpften Tumorzellen erhalten; von ihnen geht der neue 
Tumor aus. Metastasenbildung und spontane Verkleinerung transplantierter 
Tumoren sprechen nach den bisher bekannten Tatsachen nicht gegen, sondern 
für die Ähnlichkeit menschlicher und tierischer Tumoren. Die Kraft des 
Tumorwachstums kann unabhängig von den konstitutionellen Einflüssen 
des Wirtstieres durch chemische oder physikalische Einwirkungen geändert 
werden. Auffallend iBt, daß der Ausgangstumor stets langsamer wuchs als 


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Infektionskrankheiten. 


die ersten Generationen der von ihm übertragenen Tumoren. Tumoren der 
gleichen Generation hatten im wesentlichen gleiche Wachstumsgeschwindig¬ 
keit. Eine direkte Proportionalität zwischen Wachstumsenergie und der 
erfolgreichen Übertragung scheint nicht zu bestehen. Wie bei Übertragungen 
Karzinome allmählich in Sarkome übergehen, so dürfte auch heim Menschen 
mancher Mischtumor als in ähnlicher Weise entstanden aufzufassen und 
nicht auf embryonale Entwickelungsstörung zurückzuführen sein. Scharf 
zu scheiden ist das regenerative Wachstum der Gewebe von dem Tumoren¬ 
wachstum: erfolgreich transplantierte Tumorzellen behalten ihr tumorartiges 
Wachstum, transplantiertes regeneratives Epithel hat bei zahlreichen und 
mannigfachen Versuchen in keinem Falle den wesentlichen Charakter der 
normalen Zellen geändert. Stereotropische, vielleicht auch chemotropische 
Reize spielen beim regenerativen Epithelwachstum eine mitbestimmende 
Rolle, beim karzinomatösen hat ihr Vorhandensein nur sekundäre, jedenfalls 
nicht primäre, das tumorartige Wachstum bervorrufende Bedeutung; diese 
letztere muß in einer bestimmten Veränderung in gewissen Zellen selbst 
gesucht werden. (Zeitschr. f. Krebsforschung, Bd. 5, Heft 3.) 

Goldmann: „Wachstum maligner Neubildungen.“ Die Lympb- 
drüsen wirken als Filter oder lokale Verteidigungspunkte. Die Neubildung 
von Blutgefäßen ist ein Maßslab für die Widerstandsfähigkeit des Körpers; 
der Grad der Nekrose in einem Tumor ein Kriterium für dessen Virulenx. 
Die Blutgefäße sind als Verteidigungsmittel anzusehen. Langsam wachsende 
Karzinome rät er nicht zu operieren, weil sie ein Verteidigungsmittel des 
Organismus vorstellen, der nunmehr vom Rezidiv heimgesucht wird. (Lancet, 
Nr. 4392.) 

Handley: „Melanotische Geschwülste.“ Die Weiterverbreitung 
der melanotischen Karzinome erfolgt vorwiegend auf lymphatischem Wege, 
die der melanotischen Sarkome durch Embolie. (Lancet, Nr. 4362.) 

Monzardo, „Multipler Krebs“, zeigt an Krankengeschichten, daß 
bei multiplem Vorkommen von Krebs die Neubildungen eine voneinander 
verschiedene Struktur zeigen je nach dem Epithel ihrer Ursprungsstelle. 
(Riform. med., Nr. 13.) 

Robert Borrmann: „Metastasenbildung bei histologisch gut¬ 
artigen Geschwülsten.“ Bei einer 26 jährigen Frau rezidivierte ein sub¬ 
kutanes Hämangiom der Brustdrüse nach vier W'ocben und führte trotz 
mehrfacher weiterer Operationen nach drei Jahren zum Tode unter aus¬ 
gedehnten Metastasen in den Lungen. Primärgeschwulst und Metastasen 
boten dabei den typischen Bau des einfachen Angioms; nur an einzelnen 
Stellen war das die Gefäße umgebende Bindegewebe nach Art des intra¬ 
kanalikulären Wachstums der Fibroadenome in die Gefäße hineingewachsen: 
nirgends aber bestanden regelloses Wachstum von Bindegewebs- oder Gefä߬ 
zellen oder unreife oder unausgebildete Zellformen. (Zieglers Beitr., Bd. 40.) 

Flexner und Jobling: „Metastasen bildendes Sarkom der 
Ratte.“ Ein an der Samenblase der Ratte entstandener Tumor — gemischt- 
zeiliges Sarkom — ließ sich mühelos überpflanzen (subkutan, intramuskulär, 
intraperitoneal) und wuchs schnell an; es entstanden Metastasen in den ver- 


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Geschwülste. 


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scbiedensten Organen. Spontane Heilungen, die relative Immunität hinter¬ 
ließen, wurden beobachtet. (Zentralbl. f. pathol. Anatomie, Bd. 18, Heft 7.) 

Ehrlich und Apolant, „Spontane Mischtumoren der Maus“, 
berichten über zwei Fälle, wo nicht an Impftumoren, sondern bei Primär¬ 
geschwülsten Sarkomentwickelung des Krebses stattgefunden hat. Im ersten 
Falle konnte aus deu karzinomatösen Resten noch deutlich der epitheliale 
Charakter der Geschwulst festgestellt werden, im anderen war das Karzinom 
bis auf kleinste Reste vom Sarkom überwuchert. Sie glauben, daß man 
ähnlich wie bei den im Verlauf von Karzinomüberimpfungen entstehenden 
Sarkomen auch bei diesen Primärtumoren eine Umwandlung des Stroma 
durch chemische Reize annebmen müsse. (Berliner klin. Wochenschr., Nr. 44.) 

Sticker: „Erfolgreiche Übertragung eines Spindelzellen¬ 
sarkoms des Oberarme beim Hunde.“ Ihm glückte die Übertragung 
eines Spindelzellensarkoms von Hund zu Hund. Die Übertragungsversuche 
werden beschrieben: 

Bei zwei Hunden erfolgte die Implantation subkutan, bei zwei Hunden 
intraperitoneal. Bei den letzteren zeigten sich nach 42 bzw. 56 Tagen auf 
dem Peritoneum zahlreiche, grieskorngroße, blendend weiße, fibröse Knötchen. 
Bei der mikroskopischen Untersuchung wurden in ihnen aber keine Ge¬ 
schwulstzellen gefunden. Bei den ersteren beiden Hunden fanden sich nach 
42 Tagen mandelkerngroße Tumoren in der Unterbaut, die den Typus von 
Spontantumoren aufwiesen. (Münch, med. Wochenschr., Nr. 33.) 

Bashford, Murray und Haaland: „Ergebnisse der experimen¬ 
tellen Krebsforschung.“ Der Plattenepithelkrebs einer Maus wurde auf 
andere Mäuse verimpft. Das Wachstum des Tumors steigerte sich bei fort¬ 
gesetzten Transplantationen. Sowohl Tiere mit Spontanheilung, wie solche, 
bei denen sich trotz aller Versuche kein Tumor entwickelte, waren gegen 
die Impfung mit diesem Tumor immun, nicht aber, wenn andere Tumoren 
zur Impfung verwandt wurden. Auch mit Injektionen normaler Gewebsteile 
ließ sich Immunität gegen diesen Tumor erzielen. (Berliner klin. Wochen¬ 
schrift, Bd. 44, Nr. 38.) 

Bridre: „Recherches sur le cancer experimental des souris.“ 
Die Versuche wurden mit einem Adenokarzinom gemacht, das sich von Maus 
zu Maus übertragen ließ. Mäuse, bei denen wiederholte Impfungen mit 
kleinen Tumormengen nicht angingen, zeigten sich auch gegen eine spätere 
Impfung mit virulentem Tumormaterial unempfänglich. Diese Immunität 
der Mäuse gegen das experimentelle Karzinom war aber nicht spezifisch; sie 
war sowohl durch Injektionen von karzinomatösem wie von normalem Ge¬ 
webe, besonders der Milz jener Mäuse, zu erreichen. Allerdings war die 
Immunität bei ersterem Verfahren eine stärkere und mit geringerem Material 
zu erreichen; bei dem letzteren Verfahren entsprach die Immunität der in¬ 
jizierten Gewebsmenge. 

Die Dauer der Widerstandsfähigkeit kann fünf und mehr Monate betragen. 

Das Serum der immunen Tiere hatte weder deutlich schützende noch 
heilende Wirkung. (Annal. de l’Inst. Pasteur., Vol. XXI, p. 10.) 

Haaland: „Natürliche Geschwulstresistenz bei Mäusen.“ 
Seine Versuche beweisen, daß bei der experimentellen Krebsübertragung 


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Infektionskrankheiten. 


außer den Eigenschaften der übertragenen Zelle die Konstitution des ge¬ 
impften Tieres für den Impferfolg wesentlich ist. Die einzelnen Mäuserassen 
zeigen gegenüber den verschiedenen Tumoren ganz spezifische Eigenschaften, 
deren Ursache möglichenfalls auf die verschiedene Ernährung der Tiere 
zurückzuführen ist. (Berliner klin. Wochenschr., Nr. 23.) 

Apolant: „Über experimentell erzeugten Rückschlag von 
Mäusekarzinom in den histologischen Typus deB Adenoms.“ Bei 
einem schon in 50 Generationen auf Mäuse transplantierten Karzinom war 
histologisch stets der Typus des Carcinoma solidum festgeBtellt. Durch 
partielle Immunisierung mit Spontantumoren nach Ehrlich und durch 
Blutimmunisierungen nach Bashford erzielte Apolant bei drei bzw. vier 
Mäusen einen plötzlichen Umschlag deB malignen Karzinoms in die histo¬ 
logische Form eines gutartigen Adenoms. Er nimmt als Erklärung dafür 
an, daß durch die Immunisierung die Hemmungen gesteigert werden, die 
der Körper den Tumorzellen entgegensetzt, und daß dadurch „die fesselios 
wuchernden Karzinomzellen wieder in die geordnete Bahn des regulären 
Adenoms geleitet werden“. 

Er hält es danach nicht für richtig, eine trennende Scheidewand zwischen 
Adenom und Karzinom zu ziehen. (Münch, med. Wochenschr., Nr. 35.) 

Bruschettini und Barlocco: „Krebsgifte.“ Kaninchen, denen 
1 ccm Extrakt aus Krebsgeschwülsten das erstemal intravenös und dann in 
größeren Dosen intravenös, subkutan oder peritoneal injiziert war, blieben 
nicht nur am LebeD, sondern zeigten außer intensiver Mononukleose weder 
im Allgemeinbefinden noch in ihrer Temperatur die geringsten Verände¬ 
rungen; waren die Tiere außer mit Extrakt intravenös oder subkutan noch 
mit Krebsmaterial behandelt, das 24 Stunden im Organismus einer ver¬ 
wandten Tierspezies verweilt hatte, so trat statt der Mononukleose Poly- 
nukleose auf. (Zentralbl. f. Bakteriol., Bd. 43, Heft 7.) 

Ranzi: „Antigene Eigenschaften der Tumoren.“ Die durch 
Injektion von Tumormaterial im Tierkörper entstehenden Antikörper sind 
für daB Tumorgewebe nicht spezifisch. Die entstandenen Reaktionen sind 
auf menschliches Eiweiß zu beziehen. Eine hämolytische Wirkung der 
Tumorextrakte konnte gefunden werden. (Archiv f. klin. Chirurg., Bd. 84, 
Heft 1.) 

Bier: „Beeinflussung bösartiger Geschwülste durch Ein¬ 
spritzung von artfremdem Blut.“ Er berichtet kurz über das Resultat 
seiner bisherigen Versuche: Bei zwei Krebskranken hat er in die unmittelbare 
Umgebung des Tumors Schweineblut eingespritzt; bei dem einen wurde das 
Karzinomgewebe durch eine heftige, entzündliche Infiltration und Binde¬ 
gewebsneubildung erdrückt, bei dem anderen entstand eine ungeheure 
Nekrose der (ieschwulstmassen. Auch bei drei Fällen von Prostatahyper¬ 
trophie mit Harnverhaltung gewann er durch solche Einspritzungen gute 
Erfolge. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 29.) 

Skerrett, „Krebsproblem“, schlägt den Versuch vor, das Fort¬ 
schreiten des Krebses durch nuklei'n- und phosphorfreie Diät einzuschränken, 
da sein Fortschreiten von den Zellkernen bzw. ihrem Nuklein abhängt. 
(Brit. med. Journ., Nr. 2444.) Krueger. 


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Ansteckende Augenkrankheiten und Verwandtes. 

Ansteckende Augenkrankheiten und Verwandtes. 

Belsky beobachtete eine hysterische Patientin, welche, um ihre Men¬ 
struation herbeizuführen, 10 bis 12 g Chinin, sulfur. eingenommen hatte. 
12 Stunden später wachte sie nach langer Bewußtlosigkeit blind und taub 
auf. Wenn auch das Gehör wiederkam, das Sehvermögen war für immer 
sehr herabgesetzt. (Ref. in Nagels Jahresber. 1907, S. 394.) 

Woodruff beobachtete ebenso Sehnervenveränderungen und schlechtes 
Sehen bei einem Patienten, welcher in vier Tagen 196 g Chinin eingenommen 
hatte. (Ebenda.) 

Parker sah einen hierher gehörenden Fall bei einem Patienten, welcher 
in 12 Stunden 240 g Chinin, sulfur. mit dem Erfolg eingenommen hatte, daß 
sehr konzentrierte Gesichtfeldeinschränkung als Rückstand einer aufgetretenen 
Blindheit für immer bestand. (Arch. f. Augenheilk. LVI, S. 193.) 

Auch Methylalkohol bewirkt Blindheit, wie mehrere Fälle zeigen. 
Matrosen hatten teils reinen, teils verdünnten Methylalkohol schnapsgläser- 
weise getrunken. In dem einen Falle war nach fünf Monaten Amaurose 
und völlige Sehnervenatrophie zu erkennen, der andere Patient kam erst 
zwei Wochen nach der Vergiftung in Behandlung, sein Sehvermögen war 
auf V, 4 bis Fingerzählen in zwei Meter herabgesunken. (Ref. in Nagels 
Jahresber. 1907, S. 394.) 

Löwenthal berichtet von einer Methylalkoholvergiftung mit Ausgang 
in unheilbare Blindheit. Hier hatte von 10 Personen, welche Tee mit 
diesem Gift gemischt getrunken, allerdings nur einer die schweren Folgen 
zu tragen. (Ref. ebenda, S. 394.) 

Fehr konnte nachweisen, daß Atoxyl pathologische Veränderungen des 
Auges hervorrufen kann. Eine Pemphiguskranke erhielt in einem halben 
Jahre 20 bis 25g Atoxyl, eine andere an Lichen ruber Leidende in etwa 
einem halben Jahre 10 g einer 20prozentigen Lösung. Beide Male war 
weißliche Verfärbung der Pupillen, Verengerungen der Arterien und stark 
nasal eingeengtes Gesichtsfeld zu konstatieren. (Deutsch, med. Wochenschr. 
1907, S. 2032.) 

Wright beobachtete einen Heufieberkranken. Sobald derselbe während 
seines Krankseins Rauch durch die Nase blies, wurden die von diesem Rauch 
getroffenen Angehörigen conjunctivitiskrank. Waren sie dagegen nicht mit 
dem Vater zusammen oder letzterer gesund, so traten keinerlei Erschei¬ 
nungen auf. Wright sieht daher den Rauch als Überträger an. (Ref. in 
Nagels Jahresber. 1907, S. 569.) 

Vogt. Künstliche Anilinfarben beeinflussen je nach ihrer chemischen 
Konstitution verschieden. Nimmt man 5 bis 10 mg von sauren, verschiedenen 
neutralen oder ätzenden Farben, so verursachen sie kaum eine Bindehaut¬ 
entzündung, die basischen dagegen sehr; je stärker der Alkaligehalt, desto 
schädlicher sind die Farben. Durch Irrigation einer Öprozentigen Tannin- 
lösung kann man Neutralisation bewirken. Wasser, Kochsalzlösung oder 
Bor schadet mehr, als es nützt. (Arch. f. Augenheilk. 1907, S. 558, XV.) 


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Infektionskrankheiten. 


v. d. Hoeve hatte Gelegenheit, drei Fälle von Naphthalinvergiftung der 
Augen zu beobachten. Konzentrierte Einengung des Gesichtsfeldes, absolutes 
Skotom daselbst, chorioretinitische Veränderungen in der Maculagegend. In 
dem anderen Falle war — was bei Tieren mit Naphthalin Vergiftung längst 
bekannt — beginnende Katarakt. Vorsicht ist also geboten. (Ebenda, S. 259.) 

Zur Nedden beschäftigte sich mit den keimtötenden Eigenschaften 
der Tränen. Typhus- und Dysenteriebakterien werden nach ihm in der 
Tränenflüssigkeit nicht abgetötet; im Gegenteil, es trat starke Vermehrung 
ein. Ebenso oder ähnlich verhielten sich die Diplobazillen. Verfasser konnte 
auf Grund seiner Experimente feststellen, daß bakterizide Substanzen in der 
Tränenflüssigkeit weder unter normalen noch unter pathologischen Ver¬ 
hältnissen Vorkommen. Das Sekret einer normalen Bindehaut bleibt nicht 
bakterizid, umgekehrt ist es dagegen bei Sekret der katarrhalisch affizierten 
Conjunctiven. 

Cramer-KottbuB hat in einer sehr interessanten Arbeit seine Er¬ 
fahrungen über Entstehung des Glasbläserstars zusammengestellt. Nach 
ihm sind es die Hohlglasbläser, welche am meisten und am frühesten, fast 
stets auf dem linken Auge diese Erkrankung aufweisen. Auf Grund man¬ 
cherlei Beobachtung und Heranziehung von Arbeiten anderer Autoren stellt 
Verfasser fest, daß nur die ultravioletten Strahlen, vielleicht etwas durch 
die Hitze unterstützt, die Schuld an der Entstehung tragen. Nach ihm 
wäre die Anordnung von Wasserkästen, durch welche ein genügend weites 
Rohr führt, um die nötige Arbeit verrichten zu können, sehr geeignet 
Durch dem Wasser beigemischtes Fuchsin oder ähnliche Farbstoffe können 
dann die Wirkungen der schädlichen Strahlen, sowie auch die der Hitze 
vermieden werden. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk. 1907, S. 47.) 

Augstein-Bromberg hatte Gelegenheit, einen Arbeiter zu behandeln, 
welchem nach und nach im Laufe von acht Tagen beide Augen durch 
Hantieren mit künstlichem Dünger dermaßen entzündet wurden, daß nur 
auf dem einen Auge mit Hilfe einer Iridectomie eine Spur Sehvermögen 
verblieb. Der Patient hatte etwa 5 Zentner Thomasschlacke, Kainit und 
Superphosphat, wiederholt gegen den Wind streuend, auBgesät und mehr¬ 
mals von dem Mehl durch den Luftzug Stäubchen in die Augen bekommen. 
Nach und nach seien die Entzündungserscheinungen, vom ersten Tage an 
steigend, schlimmer geworden bis zu dem Endausgang des „Fingerzählens 
in zwei Meter“. Tierversuche ergaben, daß das Superphosphat den stark 
schädigenden Einfluß hat. In Bayern waren drei Fälle bekannt, ebenso 
die Ursache, so daß dort die beteiligten Kreise durch die Regierung auf die 
Gefahr aufmerksam gemacht wurden. Es wäre auch in Preußen zu empfehlen, 
auf größte Vorsicht beim Hantieren mit SuperphoBphat hinzuweisen. (Ebenda, 
S. 563.) 

Eckstein veröffentlichte seine Erfahrungen (Prag. med. Wochenschr., 
Nr. 48), welche er bei Tuberkulose der Augen machte. Als äußeres Zeichen 
soll, abgesehen von dem Glanz, welchen die betreffenden Augen haben, 
ein eigenartiges schmutzig weißes Sekret am inneren Augenwinkel vor¬ 
handen sein. 


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Ansteckende Augenkrankbeiten and Verwandtes. Epizootien. Allgemeines. 225 


Roow Smith beobachtete in Argentinien mehrmals spontane Linsen¬ 
luxation doppelteilig als erste Erscheinung der Lepra. (Ref. in Nagels 
Jahresber. 1907, S. 392.) 

Adam empfiehlt eine lOprozentige Blenolenicetsalbe als Mittel gegen 
Blennorrhoe der Erwachsenen, verbunden mit Abwischen des äußerlich sicht¬ 
baren Sekrets mit feuchten Wattetupfern. (Zentralbl. f. prakt. Augenheilk. 
1907,8.329.) 

German rät, die Erreger des Trachoms nicht am Auge allein, sondern 
außerhalb zu suchen. Er glaubt, daß dieselben in der gedüngten Erde vor¬ 
handen sind. Da, wo Trachom grassiert, sind es Landleute, Gärtner, Vieh¬ 
züchter, meist weiblichen Geschlechts. Letztere beschäftigen sich mehr mit 
Arbeit, welche die Hände mit dem Mist oder der durch denselben gedüngten 
Erde in Berührung bringt. Verfasser empfiehlt: Anhalten zur Sauberkeit 
durch richtig geleitete Volksschulen und unentgeltliche Hilfe dem an Trachom 
Erkrankten auch durch geschulte Laien. (Hef. in Nagels Jahresber. 1907, 
S. 583.) 

Hess beschäftigt sich sehr eingehend mit der Behandlung der Kurz¬ 
sichtigkeit. Die operative Therapie hat sich nicht als günstig erwiesen, der 
Verfasser tritt hingegen voll und ganz für die Vollkorrektion der Myopie 
ein; alle Versuche in dieser Hinsicht zeigen, daß bei vollständiger Korrektion 
die Myopie im allgemeinen langsamer fortschreitet als bei nicht vollständiger. 
Aufs nachdrücklichste muß immer wieder vom Staat und Gemeinde die An¬ 
stellung von Schulaugenärzten verlangt und darauf hingewirkt werden, daß 
in allen Schulen regelmäßig mindestens einmal jährlich die Kinder einer 
genauen Refraktionsbestimmung unterworfen werden. (Arch. f. Augenheilk. 
1907, S. 133.) Genth. 


Epizootien. 

Allgemeines. 

Der XXII. Jahrgang des im Kaiserlichen GesundheitBamte (Verlag von 
Julius Springer, Berlin) bearbeiteten Jahresberichts über die Verbreitung 
von Tierseuchen im Deutschen Reiche für das Jahr 1907 schließt sich seinen 
Vorgängern in Form und Inhalt unverändert an. Er enthält 1. eine Zu¬ 
sammenfassung der von den einzelnen Bundesregierungen zur Tierseuchen¬ 
statistik gelieferten Begleitberichte, 2. Tabellenwerk, 3. Gesetze und Ver¬ 
waltungsanordnungen auf dem Gebiete der Veterinärpolizei und verwandter 
Gebiete im In- und Auslande; schließlich sind kartographische Darstellun¬ 
gen beigefügt über die Häufigkeit der Fälle von Tollwut, Rotz, Maul- und 
Klauenseuche und Schafräude im Deutschen Reiche. 

Von den der Anzeigepflicht dauernd oder vorübergehend unterstellten 
Tierseuchen sind im Jahre 1907 amtlich ermittelt und in vierteljährlichen 
Nachweisungen gemeldet: Milzbrand, Rauschbrand, Tollwut, Rotz, Maul- und 
Klauenseuche, Lungenseuche, Schafpocken, Bläschenausschlag und Räude der 
Pferde und Schafe, ferner Rotlauf der Schweine, Schweineseuche (einschlie߬ 
lich Schweinepest), Geflügelcholera und Hühnerpest. Rinderpest und Be¬ 
schälseuche sind im Reichsgebiet nicht aufgetreten. Es erkrankten: an 

Vierteljahrssehrift für Gesundheitspflege, 1908. Supplement. k 


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Infektionskrankheiten. 


Milzbrand 127 Pferde, 5343 Rinder, 492 Schafe, 14 Ziegen, 265 Schweine 
und 1 Hund; an Rauschbrand 5 Pferde, 1762 Rinder, 61 Schafe, 2 Ziegen, 
1 Schwein; an Tollwut 16 Pferde, 65 Rinder, 7 Schafe, 1 Ziege, 14Schweine, 
700 Hunde, 3 Katzen; an Rotz 442 Pferde; an Lungenseuche 163 Rinder; 
an Bläschenausschlag 193 Pferde, 5653 Rinder; an Räude 690 Pferde; an 
Rotlauf 75 619 Schweine; an Schweineseuche (und -pest) 92 033 Schweine; 
an Geflügelcholera 53 538 und an Hühnerpest 12 555 Stück Geflügel. Außer¬ 
dem sind aus einigen Bundesstaaten Erkrankungsfälle gemeldet: von Wild- 
und Rinderseuche bei 1 Pferd, 22 Rindern, von Gehirn-Rückenmarkentzün¬ 
dung (Bornasche Krankheit) bei 1587 Pferden, von Gehirnentzündung bei 
235 Pferden, von Influenza bei 4664 Pferden, von Druse bei 4250 Pferden, 
von ansteckendem Scheidenkatarrh bei 451 Rindern. Die Zahl der an Maul¬ 
und Klauenseuche, Schafpocken und Räude der Schafe erkrankten Tiere ist 
nicht bekannt, deckt sich aber ungefähr mit der Stückzahl der betreffenden 
Tiere in den von diesen Seuchen neu betroffenen Gehöften. In den von 
Maul- und Klauenseuche neu betroffenen Gehöften waren insgesamt an 
kranken oder verdächtigen Tieren vorhanden: 23 991 Rinder, 16 875 Schweine, 
134 Ziegen, 13185 Schafe. Desgleichen in den von Schafpocken neu be¬ 
troffenen Gehöften 985 Schafe und in den von Räude neu betroffenen 
81257 Schafe. Auf Einschleppung des Ansteckungsstoffes aus dem Aus¬ 
lande sind verschiedene Ausbrüche zurückzuführen von Milzbrand, Tollwut, 
Rotz, Maul- und Klauenseuche, Schafpocken, Räude der Pferde und Schafe, 
Rotlauf der Schweine, Schweineseuche, Geflügelcholera und Hühnerpest 
Fälle von Seuchenübertragungen auf Menschen sind mitgeteilt bei Milz- 
brand, Rauschbrand, Maul- und Klauenseuche, Rotlauf der Schweine und 
Schweineseuche. 

Nevermann: Veröffentlichungen aus den Jahres-Veterinär- 
berichten der beamteten Tierärzte Preußens für das Jahr 1906. 
VII. Jahrgang, zusammengestellt im Aufträge des Vorsitzenden der technischen 
Deputation für das Veterinärwesen. Berlin, Verlagsbuchhandlung von Paul 
Parey, 1908. Der erste Teil behandelt die anzeigepflichtigen Tierseuchen, 
von denen die Rinderpest, die Beschälseuche und die Lungenseuche im Berichts¬ 
jahre nicht aufgetreten sind. Der Geldwert der an Seuchen gefallenen oder 
getöteten Tiere wird, soweit er sich überhaupt taxieren läßt, auf 7 272837 >.H 
berechnet. An dieser Summe sind die einzelnen Seuchen folgendermaßen 
beteiligt: Schweineseuche mit 3 281994 Jft , Rotlauf mit 2 501928 >.%, Milz¬ 
brand mit 903 413 <.'ft % Rauschbrand mit 332 996 oft, Rotz mit 266 475 <.V, 
Bornasche Krankheit mit 30855 i /ft, Tollwut mit 14 419 und Wild-und 
Rinderseuche mit 3757 oft. 

Der zweite Teil des siebenten Jahrganges der vorbezeichneten Ver¬ 
öffentlichungen ist im gleichen Verlage 1909 erschienen. Er enthält Mittei¬ 
lungen über Krankheiten, die nach dem Reichsviehseuchengesetz nicht an¬ 
gemeldet zu werden brauchen, und zwar Seuchen und Seuchen artig auftretende 
Krankheiten, Vergiftungen und allgemeine Ernährungsstörungen und spora¬ 
dische Krankheiten. Ferner ist darin behandelt die öffentliche Gesundheits¬ 
pflege (Fleischbeschau). Es folgen sechs Obergutachten der technischen 
Deputation für das Veterinärweseu, und zwar über 1. Vergiftung durch Koch- 


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Epizootien. Allgemeines. Rinderpest. 


227 


salz, 2. Starrkrampf, 3. Bruch des Kreuzbeines, 4. Verderben von Fleisch 
infolge Krankheit, 5. Dummkoller und Dämpfigkeit, 6. Schweineseuche. Den 
Schluß bildet eine Zusammenstellung der im Jahre 1906 in Preußen er¬ 
lassenen Verordnungen über VeterinärweBen, Fleischbeschau und diesen ver¬ 
wandte Gebiete, soweit sie am Schlüsse des Jahres noch in Kraft waren. 

Jahresbericht über die Leistungen auf dem Gebiete derVete- 
rinärmedizin. Herausgegeben von Eljenberger und Schütz. Redigiert 
von Ellenberger und 0. Zietzschmann. Der XXVII. Jahrgang (Jahr 
1907) dieses das Gesamtgebiet der Tiermedizin umfassenden Sammel¬ 
werkes ist im Verlage von A. Hirschwald, Berlin 1908, erschienen. 

Rinderpest. 

Nach Wooley tritt die auf den Philippinen herrschende Rinderpest in 
etwas anderer Form auf, als dies in Europa und Zentralafrika in den letzten 
Jahren beobachtet worden ist. Namentlich sind Hauteruptionen und Ulce- 
rationen selten, und die krankhaften Veränderungen beschränken sich oft 
nur auf den Labmagen, den Pylorus und den Anfangsteil des Dünndarmes. 
Häufig wird die Rinderpest durch gleichzeitig bestehende Erkrankung der 
Tiere an Trypanosomosen kompliziert. Infolge der genannten parasitären 
Erkrankungen des Blutes sind Simultanimpfungen nur mit Gefahr ausführbar. 
(Philippine Journ. of scienc., Vol. I, p. 577. Nach Ellenberger u. Schütz, 
Jahresbericht usw. 1907, S. 27.) 

Nesom berichtet dagegen über die Behandlung der Rinderpest auf 
den Philippinen, daß sich die Simultanimpfung als sehr wirksam erwiesen 
habe. Von 5780 geimpften Tieren starben nur 4 Proz. Allerdings traten 
an gewissen Örtlichkeiten infolge der Impfung Surra und Septikämie hinzu. 
(Derselbe Jahresbericht, S. 28.) 

Gorain berichtet über RinderpeBtschutzimpfungen im Kreise 
Achalkalaki des Gouvernements Tiflis nach der Kombinations¬ 
methode. Er hält dieses Impf verfahren für das rationellste Mittel zur 
Rinderpestbekämpfung. Es macht eine zweite Impfung von Blut rinderpest- 
kranker Tiere überflüssig. Die Reaktion der geimpften Tiere dauert drei 
Wochen. Die Sterblichkeitsziffer beläuft sich bei den Impfungen auf 2 Proz. 
Die ImpfdoBis beträgt 2 bis 3 ccm pro Pud Lebendgewicht der Rinder. 
(Messager de med. vet. soc. russe, No. 17 bis 18 u. 19. Nach Ellenberger 
und Schütz, Jahresbericht usw. 1907, S. 28.) 

Kirkor berichtet über Transfusion von Blut als Mittel zur Ver¬ 
minderung der Sterblichkeit bei Rinderpest. Er sah in vier Fällen 
Heilung eintreten bei Rindern, denen 2,5 Liter Blut von gesunden oder von 
immunisierten Tieren infundiert worden war. (Messager de med. vet. soc. 
russe, No. 19, S. 692. Nach Ellenberger und Schütz, Jahresbericht usw. 
1907, S. 27.) 

Stolnikoff: Zur Serotherapie der Rinderpest. Verfasser fand, 
daß das Rinderpestserum zwar keine Schutzkraft als Vorbeugungsmittel 
gegen die Seuche, wohl aber einen Heilwert bei angesteckten oder bereits 
erkrankten Rindern besitzt. (Ebenda, Nr. 22 u. 6, S. 851.) 

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228 


Infektionskrankheiten. 


Fedetzky beschreibt seine Beobachtungen bei Massenimpfungen 
gegen Rinderpest in Hailar. Nach seinen Erfahrungen ist nur ein 
kombiniertes Impf verfahren imstande, dauernde Immunität zu verleihen. 
Dabei betragen aber die Impfverluste 1 bis 2 Proz. Heilimpfungen bieten 
keine Aussicht auf Erfolg. Tragende Kühe verwerfen nicht selten nach der 
Impfung. (Ebenda, Nr. 5 u. 6, S. 123.) 

Milzbrand. 

Die Zahl der Milzbrandfälle ist im Deutschen Reiche gegenüber dem 
Vorjahr um 0,72 Proz. zurückgegangen. Im ganzen erkrankten 6181 Tiere 
gegen 6226 im Vorjahr an der Seuche. Verendet oder getötet sind sämt¬ 
liche als erkrankt gemeldeten Tiere außer 1 Pferd, 154 Rindern, 2 Schafen 
und 9 Schweinen. Der Verlust bei Milzbranderkrankungen stellt sich dem¬ 
nach auf 97,3 Proz. Die Seuche kam in allen Bundesstaaten vor mit Aus¬ 
nahme von Mecklenburg-Strelitz. Die größte räumliche Verbreitung hatte 
die Seuche in den Regierungsbezirken Schleswig, Posen, Breslau und Lieg¬ 
nitz. Hohe Erkrankungsziffern weisen auf: die Regierungsbezirke Schleswig 
(506), Posen (309), Düsseldorf (294), Merseburg (249). Nur je ein Er¬ 
krankungsfall innerhalb eines Gehöftes ist, soweit ersichtlich, in 87,3 Pro*, 
der betroffenen Gehöfte vorgekommen. Auf je 10 000 nach der Zählung 
vom 1. Dezember 1904 vorhandene Tiere sind im Berichtsjahre an Milzbrand 
erkrankt: 0,30 Pferde, 2,76 Rinder, 0,62 Schafe, 0,04 Ziegen, 0,11 Schweine. 
An Entschädigungen wurden gezahlt in Preußen, Bayern, Württemberg, 
Sachsen-Weimar, Braunschweig, Sachsen - Altenburg und Elsaß - Lothringen 
einschließlich der Rauschbrandfälle, in Sachsen, Baden, Sachsen - Meiningen, 
Anhalt, Waldeck, Reuß ä. L., Reuß j. L. und Lippe ohne die Rauschbrand¬ 
fälle für 110 Pferde, 5941 Rinder, 27 Schafe zusammen 1684451,10 JC. 
(Jahresber. über die Verbreitung von Tierseuchen im Deutschen Reiche 
1907, S. 5.) 

Eberle: Untersuchungen über Sporulation der Milzbrand¬ 
keime und ihre Bedeutung für die Nachprüfung der Milzbrand¬ 
diagnose. Gegenüber sonstigen Konservierungsmethoden von Milzbrand¬ 
blut für den bakteriologischen Nachweis der Milzbrandbazillen gebührt dem 
Straßburger Gipsstäbchenverfahren der Vorzug. Die Sporulation wird durch 
Sauerstoff, Wärme und Feuchtigkeit bedingt; die Tränkung der Substrate 
mit Bouillon hat keinen besonderen Wert An Stelle der Gipsstäbchen 
können auch Pappdeckelstreifen treten. (Inaug.-DiBsert Gießen 1907. Zeit¬ 
schrift f. Infektionskrankh. usw. d. Haustiere, Bd. 2, S. 224.) 

Preisz: Über das Wesen der Absohwächung des Milzbrand¬ 
bazillus. Der avirulente Milzbrandbazillus unterscheidet sich vom viru¬ 
lenten, dem er sonst sehr ähnlich sein kann, durch das Ausbleiben dm* 
Kapselbildung im Tierkörper und in anderen geeigneten Medien. Die Kapeel 
des Milzbrandbazillus spielt daher zweifellos bei der Infektion eine Rolle 
(Zentralbl. f. Bakt. usw., Bd. 44, S. 209.) 

Meloni stellte Versuche an über den Einfluß anderer Mikro¬ 
organismen auf die Vitalität des Milzbrandbazillus. Zu diesem 
Zweck säte er Miizbrandsporen und andere Mikroben zugleich in denselben 


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Epizootien. Milzbrand. 


229 


Nährboden, ließ sie darin verschieden lange Zeit (bis zu 387 Tagen) und 
prüfte die so gewachsenen Milzbrandbazillen durch Kultur und Impfversuch 
auf Lebensfähigkeit und Wirkung. 

Ferner wurden Milzbrandsporen erst in Nährböden gesät, nachdem diese 
bereits verschieden lange Zeit mit anderen Mikroben beschickt waren. 
Schließlich wurden Milzbrandsporen in alte Kulturböden anderer Mikroben 
gesät, nachdem sie durch Kochen sterilisiert worden waren. Bei der Unter¬ 
suchung der Milzbrandkeime ergab sich, daß sie in keinem Falle an Lebens¬ 
kraft und Wirksamkeit verloren hatten. (La clin. vet. sez. scientif. bimest., 
p. 208. Nach Ellenberger und Schütz, Jahresbericht usw. 1907, S. 28.) 

Lo Balbo: Einwirkung des Magensaftes der Carnivoren auf 
Milzbrand- und Tuberkelbazillen. Durch den Magensaft des Hundes 
wurden Milzbrandbazillen in zwei, durch den der Katze in l 1 ^ Stunden zer¬ 
stört. (Arch. scient. della R. soc. ed accad. vet. ital., p. 129. Nach Ellen¬ 
berger und Schütz, Jahresbericht usw. 1907, S. 30.) 

Levy und Beckmann behandeln die Frage, ob im Blutserum von 
mit Schweinepest- oder Milzbrandbazillen tödlich infizierten 
Kaninchen wirksame oder giftige Stoffwechselprodukte nachweis¬ 
bar sind und gelangen zu dem Ergebnis, daß die Milzbrandbazillen über¬ 
haupt keine ins Illut übergehenden Stoffwechselprodukte erzeugen. (Zen- 
tralbl. f. Bakt. usw., Abt. I, Orig., Bd. 43, S. 43.) 

Gr über und Futaki machen weitere Mitteilungen über die 
Resistenz gegen Milzbrand. Danach kommt der Kapselbildung der 
Milzbrandbazillen eine erhebliche Bedeutung hinsichtlich des Zustande¬ 
kommens der Milzbrandinfektion zu. Die mit Kapseln versehenen Milz¬ 
brandbazillen sind in der Blutbahn gegen die natürlichen Schutzkräfte des 
Körpers (Leukocyten und Antitoxine) besonders widerstandsfähig und imstande, 
eine Infektion zu verursachen. 70 gekapselte Milzbrandbazillen genügten 
bereits bei intravenöser Injektion zur tödlichen Infektion eines Kaninchens, 
während von ungekapselten mindestens 1500 erforderlich waren. (Deutsche 
Med. Wocbenschr. 1907, S. 1588.) 

Mazzini liefert experimentelle Beiträge zur Milzbranddia¬ 
gnose. Bezüglich der Entnahme des Materials am Kadaver ist er der Mei¬ 
nung, daß es möglichst bald nach dem Tode des Tieres und am besten aus 
einer peripheren Körpervene zu entnehmen sei. Für den Versand von Milz¬ 
brandmaterial hält der Verfasser die von Heim angegebene Methode für 
die beste. Danach werden Seidenfäden mit Milzbrandblut getränkt und in 
einem sterilen Reagenzglase, aut dessen Boden Chlorcalcium mit einem Watte¬ 
pfropf festgelegt ist, untergebracht. Der Verschluß des Reagenzglases ge¬ 
schieht durch Wattebausch und Gummikappe. Der kulturelle Nachweis 
des Milzbrandes gelingt mit Sicherheit, wenn die Entnahme des Materials 
innerhalb 24 Stunden nach dem Tode des Tieres erfolgt; später ist er min¬ 
destens zweifelhaft. In angefaultem Material gelang es häufig, dadurch 
Milzbrandkeime zur Entwickelung zu bringen, daß das Material eine halbe 
Stunde auf 60° erhitzt und dann in angesäuertem Zustande auf Agar ver¬ 
bracht wurde. (Arch. scientif. della R. soc. ed. accad. vet. ital., p. 97. Nach 
Ellenberger und Schütz, Jahresbericht usw. 1907, S. 30.) 


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Infektionskrankheiten. 


Olt: Die Diagnose des Milzbrandes und die Behandlung von 
Milzbrandkadavern. Zum Versand von Milzbrandblut empfiehlt sich 
dessen Auftragung auf ein Stück Kreide, das zuvor mit Wasser angefeuchtet 
ist. Zur Feststellung des Milzbrandes hält Olt die bakterioskopische Unter¬ 
suchung für ausreichend. (Vortrag, gehalten auf der GeneralverBammL d. 
Vereins kurhess. Tierärzte. Berl. Tier&rztL Wochenschr. 1907, S. 311.) 

Wyßmann machte Beobachtungen über Milzbrand beim Schwein. 
Es handelte sich um ein notgeschlachtetes und ein verendetes Tier. In beiden 
Fällen war die Milzschwellung gering und die bakteriologische Untersuchung 
von Blut und Milzausstrichen verlief negativ. Dagegen wurden bei dem 
geschlachteten Tiere Milzbrandbazillen, wenn auch in geringer Menge, in 
den KehlgangslymphdrÜBen und bei dem verendeten Schwein in Lunge, 
Nieren und in den Bronchialdrüsen, und zwar ebenfalls in spärlicher Menge 
nachgewiesen. (Schweizer Arch. f. Tierheilk., Bd. 49, S. 287.) 

Eichhorn berichtet ebenfalls über Milzbrand beim Schwein. In 
einem Gehöft erkrankten fünf Schweine an Milzbrand, die tags zuvor eine 
Einstreu von Stroh erhalten hatten, das von einem Milzbrandfalle her mit 
Blut besudelt war. Auch hier konnten in keinem der Fälle Milzbrandbazillen 
im Blute gefunden werden. Lediglich in den Halslymphdrüsen waren solche 
nachweisbar. (Bericht über das Veterinärwesen in Sachsen 1906.) 

Leeb konnte dagegen Milzbrand beim Schwein mit Milzschwellung 
feststellen und seine Diagnose durch den bakteriologischen Befund erhärten. 
(Berl. Tierärztl. Wochenschr. 1908, S. 176.) 

Zietschmann berichtet über Milzbrandinfektion bei Katzen, die 
Fleisch von einem Milzbrandkadaver gefressen batten. Mehrere Katzen 
gingen an der Seuche zugrunde. (Bericht über das Veterinärwesen in Sachsen 
190G.) 

Witt teilt Impferfahrungen in der Praxis mit. In einem Be¬ 
stände von 42 Rindern verendeten in kurzer Zeit acht Tiere an Milzbrand. 
Es wurde festgestellt, daß Rüben verfüttert worden waren, die man auf 
einem frisch in Kultur genommenen Stück Land, das früher als Verscharrungs- 
platz gedient hatte, gebaut hatte. Die Fütterung dieser Rüben wurde zu¬ 
nächst eingestellt und der noch vorhandene Rinderbestand wurde der Milz¬ 
brandschutzimpfung nach Pasteur unterworfen. Weitere Verluste kamen 
nun nicht mehr vor, auch dann nicht, als man die verdächtigen Rüben 
wieder an die Rinder verabreichte. (Berl. Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 227.) 

Askoli ist über den Wirkungsmechanismus des Milzbrand¬ 
serums der Meinung, daß als maßgebender Faktor lediglich eine anti- 
plastische Immunität in Betracht komme. Die Wirkungsweise des 
Milzbrandserums lasse sich nicht durch die für andere Sera berechtigten 
Theorien erklären; die Hypothese einer bakteriziden Wirkung sei aufzugeben. 
(Zentralbl. f. Bakt. usw., I. Abt., Orig., Bd. 46, S. 178.) 

Meloni beschreibt die Darstellung seines Milzbrandimpfstoffes 
so, daß zunächst durch Einwirkung von Kohlensäure Milzbrandkeime, die 
die Fähigkeit, Sporen zu bilden, verloren haben, zu beschaffen sind. Frische 
Kulturen solcher sporenloser Milzbrandbazillen werden 15 Stunden lang 


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Epizootien. Milzbrand. RauBchbrand. 


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einer Temperatur von 45° unterworfen. Durch weiteres Verweilen im Thermo¬ 
staten bei 42bi8 43° wird schließlich der erforderliche Grad der Abschwächung 
erreicht. (La clin. vet. sez. scientif. bimestr., p. 208. Nach Ellenberger 
und Schütz, Jahresbericht usw. 1907, S. 28.) 

Paul und Prall arbeiteten über die Wertbeatimmung von Des¬ 
infektionsmitteln mit Staphylokokken, die bei der Temperatur 
der flüssigen Luft aufbewahrt wurden. Dabei stellten sie unter 
anderem einen Vergleich an von Formaldehyd enthaltenden Präparaten mit 
Karbolsäure und Rohkresol bei Einwirkung der wässerigen Lösungen auf 
an Granaten angetrocknete Milzbrandsporen. Die Sporen eines wenig wider¬ 
standsfähigen Stammes wurden durch eine 3proz. Formaldehydlösung in 
90 Minuten vollständig keimunfähig gemacht, durch lOproz. Lösungen von 
Lysoform und Septoforma dagegen erst in 180 Minuten abgetötet. Das 
Septoforma wirkte im allgemeinen etwas stärker auf die Sporen ein als das 
Lysoform. Die Phenole erwiesen sich den Milzbrandsporen gegenüber als 
schwache Desinfektionsmittel; denn die 4,7 proz. Karbolsäurelösung und die 
2 proz. Rohkresollösung blieben in ihrer Wirkung weit hinter den Formaldehyd 
enthaltenden Präparaten zurück. Während der Formaldehyd, das Lysoform 
und das Septoforma den Phenolen gegenüber bei der Einwirkung auf Sta¬ 
phylokokken verhältnismäßig schlechte Desinfektionsmittel sind, übertreffen 
sie die Phenole bei der Einwirkung auf Milzbranderreger um ein Bedeutendes. 
Hieraus ergibt sich auch die Notwendigkeit, daß man bei der Prüfung und 
Wertbestimmung von Desinfektionsmitteln nicht einseitig worgehen darf, 
sondern daß man die Desinfektionsversuche mit verschiedenen Bakterien¬ 
arten, -formen und -Stämmen ausführen muß. (Arb. a. d. Kaiserl. Gesund¬ 
heitsamte, Bd. 26, 1907, S. 73.) 

Rauschbrand. 

Im Vergleich zum Vorjahr ist der Rauschbrand im Deutschen Reiche 
etwas zurückgegangen. Im ganzen erkrankten 1831 Tiere gegen 2026 im 
Vorjahre. Räumlich am stärksten verbreitet war die Seuche im Regierungs¬ 
bezirk Schleswig. Die höchsten Erkrankungsziffern weisen auf: die Regie¬ 
rungsbezirke Schleswig, Münster und Schwaben. Entschädigung wurde ge¬ 
zahlt in Sachsen, Baden, Hessen und Sachsen-Meiningen für 108 Rinder, 
61 Schafe und 2 Ziegen zusammen 28 538,64 Jft. In vielen Bundesstaaten 
sind die Entschädigungen für Rauschbrandfälle in den für Milzbrand gezahlten 
Entschädigungssummen enthalten (vgl. unter Milzbrand). (Jahresber. über 
die Verbreitung von Tierseuchen im Deutschen Reiche 1906, S. 17.) 

Schmidt berichtet über das Verhalten der Rauschbrandsporen 
bei der Erhitzung. Er ließ trockene und feuchte Hitze auf Rauschbrand- 
sporen einwirken und fand, daß die künstlich kultivierten Sporen gegen 
Hitze weniger widerstandsfähig sind als die aus natürlichen Rauschbrand¬ 
herden (Fleisch) stammenden. Die Wirkung der feuchten Hitze ist gegen¬ 
über der trockenen stärker und gleichmäßiger. (Inaug.-Dissert Straßburg 
1906, Ref. im Zentralbl. f. Bakt. usw., Bd. 40, S. 129.) 

Ostertag: Kommt Rausohbrand beim Pferde vor? Ostertag 
hält das Vorkommen von Rauschbrand beim Pferde nicht für erwiesen. 


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Infektionskrankheiten. 


Bisher ist es noch nicht gelangen, Pferde durch künstliche Übertragung der 
Seuchenerreger rauschbrandkrank zu machen. Die mit RauBchbr&ndmaterial 
geimpften Tiere bekamen nur örtliche, nach wenigen Tagen wieder ver¬ 
schwindende Anschwellungen. (Zeitschr. f. Infektionskrankh. usw. d. Haus¬ 
tiere, Bd. 3, S. 95.) 

Möhler behandelt in einer ausführlichen Arbeit den RauschbraDd, 
seine Erscheinungen, Ursache und Verbreitung. Zur Bekämpfung 
des RauschbrandeB kommen zunächst hygienische Maßnahmen in Betracht, 
und zwar unschädliche Beseitigung der Kadaver durch Feuer, Desinfektion 
der Weiden und Standplätze, Verbringen der Rinder von infizierten Weiden 
auf seuchenfreie. Die Desinfektion von Weiden ist schwierig. Sie kann 
erreicht werden durch Umarbeitung des Bodens und Drainage, ln Texas 
wird das sogenannte AuBbrennen der Weide zur Winterszeit angeblich mit 
Erfolg geübt. Als prophylaktische Methode der Rauschbrandbekämpfung 
hat die Rauschbrandimpfung nach den Methoden von Arloing, Cornevin 
und Thomas sehr gute Erfolge aufzuweisen. (U. S. Depart. of Agricult 
Bureau of Animal Industry, Circular 23, Washington 1907.) 

Scheibel berichtet über den Rauschbrand und seine Bekämpfung 
im Vogelsberg. Er weist nach, daß die im Vogelsberg unter den Schafen 
in größerem Umfange beobachteten Todesfälle nicht auf Bradsot, sondern 
auf Rauschbrand zurückzuführen sind. Auf Grund eigener Erfahrungen 
empfiehlt er, |n Rauschbranddistrikten die Schutzimpfung auch bei den ge¬ 
fährdeten Schafherden vorzunehmen. (Deutsche Tierärztl. Wochenschr. 1907, 

S. 61 u. 77.) 

Sauer behandelt die Frage: Können ohne veterinärpolizeiliche 
Bedenken die Häute rauschbrandkranker Tiere zu Gerbereizwecken 
verwendet werden? Die Versuche ergaben, daß Rauschbrandsporen in 
den Häuten größerer Tiere durch eine 10 tägige Lagerung in 1 proz. Subli¬ 
matlösung, öproz. Kreolin- oder Karbollösung oder in frisch zubereiteter 
Kalkmilch (in überschüssiger Menge) sicher bewirkt wird. Ob derartig be¬ 
handelte Häute noch zur Lederfabrikation verwendbar sind, bedarf der 
weiteren Prüfung. Durch Einträufeln von Rauschbrandvirus in die Lid¬ 
säcke konnte Sauer keine Immunität erzeugen. Der Rauschbrand kann 
durch Zwischenträger, namentlich durch Fliegen verschleppt werden. (Zeit¬ 
schrift f. Tiermedizin, Bd. 12, S. 34.) 

Vater erstattete ein Referat über Rauschbrand als Material für die 
Bearbeitung der Ausführungsvorschriften des Bundesrates zu dem neuen 
Viehseuchengesetz des Deutschen Reiches. (Deutsche Tierärztl. Wochenschr. 
1907, S. 144.) 

Tollwut. 

Die Zahl der Tollwutfälle hat im Deutschen Reiche gegenüber dem Vor¬ 
jahre um 135 = 19,8 Proz. zugenommen. Erkrankt, verendet oder getötet 
sind 816 Tiere (681 im Vorjahre), und zwar 700 (610) Hunde, 3 (5)Katzen, 
16 (9) Pferde, 65 (49) Rinder, 7 (5) Schafe, 1 (1) Ziege, 24 (2) Schweine. 
Die meisten wutkranken Hunde sind, wie in den Vorjahren, im Osten de« 


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Epizootien. Tollwut. 


233 


Reiches nachgewiesen. Durch über die Grenze gelaufene Hunde wurde die 
Tollwut aus Rußland, Österreich und Frankreich eingeschleppt. (JahreBber. 
über die Verbreitung von Tierseuchen im Deutschen Reiche 1907, S. 21.) 

BabeB stellte Untersuchungen an über die Negrischen Körperchen 
und ihre Beziehung zu dem Virus der Wutkrankheit. Er hält die 
nach Cajal-Giemsa schwarz oder blau gefärbten und ausschließlich im 
Innern der entarteten Nervenzelle liegenden feinsten Körperchen für die 
Parasiten der Wut. Die Negrischen Körperchen dagegen sollen einge¬ 
kapselte, im Zustande der Involution oder Transformation befindliche Formen 
des Parasiten darstellen. (Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrankh. 1907, Bd. 56, 
S. 435.) 

Baschieri: Sulla diagnosi rapida. Zur Herstellung guter Präpa¬ 
rate, die in kurzer Zeit durch Nachweis der Negrischen Körperchen die 
Tollwutdiagnose Bichern können, wird nachstehendes Verfahren empfohlen. 
Das Nervengewebe (Ammonshorn) wird durch Zerquetschen und Ausstreichen 
auf Deckgläsern ausgebreitet, mit absolutem Alkohol fixiert und dann mit 
Eosin und Methylenblau gefärbt und in Balsam eingebettet. (Bullettino 
delle scienze mediche, Anno 77, Serie VIII, Vol. VI. Ref. im Zentralbl. f. 
Bakt., I. Abt., Refer. 1907, Bd.40, S. 155.) 

Van Gieson beschreibt eine sichere und einfache Methode für 
Nervensystemstudien, namentlich zur Diagnose und Unter¬ 
suchung der Negrischen Körperchen. Quetschpräparate aus der 
grauen NervensubBtanz werden in Methylalkohol fixiert, mit Farblösung 
(Rosanilinviolett und Methylenblau) bedeckt und erhitzt. Die Negrischen 
Körperchen erscheinen dann rot, ihre Chromatinkörner blau. (Zentralbl. f. 
Bakt. usw., Orig., Bd. 43, S. 205.) 

Lentz liefert ferner einen Beitrag zur Färbung der Negrischen 
Körperchen. Er gibt zwei Färbemethoden an, die sich für Schnitte und 
Ausstriche eignen und infolge Kontrastfärbung und Beize die Innenstruktur 
der Körperchen besonders gut erkennen lassen. Mit dieser Färbung fand 
Lentz auch im Gehirn von an nervöser Staupe eingegangenen Hunden den 
Negrischen Körperchen ähnliche, aber doch von ihnen unterscheidbare Ge¬ 
bilde. (Zentralbl. f. Bakt., Orig., Bd. 43, S. 374.) 

Heller und Tornarkin gelangen hinsichtlich der Frage, ob die 
Methode der Komplementbindung beim Nachweis spezifischer 
Stoffe für Hundswut und Vaccine brauchbar ist, zu einem verneinen¬ 
den Standpunkt. (Deutsche Med. Wochenschr. 1907, S. 795.) 

Formi fand hinsichtlich der Virulenz des Speichels und der 
Speicheldrüsen wutkranker Tiere, daß im Gegensatz zu dem Speichel von 
Tieren, die an rasender Wut leiden, der Speichel solcher Tiere, die von der 
stillen Wut befallen werden, nur ausnahmsweise infektiös ist. (Zentralbl. 
f. Bakt. usw., I. Abt., Orig., Bd. 44, S. 26.) 

Lübke behandelt in einem Vortrage die PraxiBdiagnosen der Hunde¬ 
tollwut im Lichte der Veterinärpolizei. Von der Richtigkeit und 
Schnelligkeit der Diagnose hängt das Leben der Gebissenen und die erfolg¬ 
reiche Tilgung der Seuche ab. (Berl. Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 415.) 


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234 


Infektionskrankheiten. 


Formi kommt bei seinen Versuchen der Tollwutübertragung 
durch die Nasenschleimhaut zu dem Ergebnis, daß die Nasenschleim¬ 
haut für das Wutgift durchgängiger ist als alle anderen Schleimhäute. 
(Zentralbl. f. Bakt. usw., I. Abt., Orig., Bd. 43, S. 502.) 

Adamow beschreibt die pathologisch-anatomischen Verände¬ 
rungen des Herzmuskels, der Leber, der Nieren und des Pankreas 
bei der Tollwut zusammenfassend folgendermaßen: 

1. Sowohl das fixe als auch das Straßenwutvirus rufen in den erwähnten 
Organen die gleichen Veränderungen hervor. 

2. Der Herzmuskel ist stets von degenerativen Prozessen von gerin¬ 
gerer oder größerer Intensität ergriffen (albuminoide, fettige Degeneration, 
Zerfall und Fragmentation der Muskelfasern), zuweilen auch von entzünd¬ 
lichen Prozessen, die infolge unmittelbarer Reizung der Zellen des Meso- 
derma durch das im Blut zirkulierende Wutgift verursacht werden. 

3. Außer einer Stauungshyperämie zeigt die Leber nur schwach aus¬ 
geprägte Atrophie des Protoplasmas und des Kernes der Leberzellen, Ver¬ 
änderungen, die hauptsächlich von der Zirkulationsstörung, vielleicht auch 
von der Einwirkung des Wutgiftes abhängen. 

4. Die Nieren zeigen außer der Stauungshyperämie beständig bedeu¬ 
tende degenerative Veränderungen des Epithels der Harnkanälchen der 
Rindenschicht (trübe Schwellung, albuminöse und fettige Entartung und 
Zerfall). Entzündliche Veränderungen sind entweder nicht vorhanden, oder 
sie sind sehr schwach ausgeprägt. An den Malpighischen Knäueln ist eine 
Schwellung und Proliferation der Kerne bemerkbar. In der Bowmannschen 
Kapsel ist selten eine körnige, eiweißhaltige Masse in geringer Menge vor¬ 
handen. 

5. Das Pankreas weist mehr oder weniger ausgeprägte degenerative 
Veränderungen des Epithels auf (trübe Schwellung, albuminöse und fettige 
Entartung) nebst Nekrose einiger Zellen. In den Lange rh an eschen 
Inselchen sind keine degenerativen Veränderungen nachweisbar. Sehr selten 
gewahrt man eine Schwellung des Endothels und Perithels der Kapillaren 
und kleinen Venen. 

6. Die Veränderungen des Herzens, der Leber, der Nieren und des 
Pankreas lassen sich bis zum Erscheinen deutlicher Tollwutsymptome nach- 
weisen. 

7. Das Wutgift ist nicht nur ein Nerven-, sondern gleichzeitig auch 
ein Muskelgift. (Dies. St. Petersburg. Nach Ellenberger und Schütz, 
Jahresbericht usw. 1907, S. 39.) 

Selinoff prüfte die pathologisch-anatomischen Veränderungen 
der Nebennieren bei der Tollwut. Er verwendete für seine Versuche 
Hasen und Hunde und fand nur in wenigen Fällen Veränderungen in dem 
genannten Organ. Sie bestanden bei Hasen in einer Hyperplasie und albu- 
minösen Degeneration der Nebennieren. Bei Hunden waren neben Dilatation 
der Gefäße und einzelnen Hämorrhagien ungefähr dieselben Veränderungen 
wie bei Hasen erkennbar. (Russisches Biolog. Archiv, Nr. 1. Ref. nach 
Ellenberger und Schütz, Jahresber. usw. 1907, S. 34.) 


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Epizootien. Tollwut. 


235 


Nicolas beobachtete einige atypische Fälle der Wut, wobei sich 
die Krankheit bei lebenden Hunden in besonderen nervösen Störungen, 
namentlich in Kreisbewegungen äußerte. Da derartige Zwangsbewegungen 
im allgemeinen bei Tollwut nicht Vorkommen, war die Erkennung der Krank¬ 
heit in den vorliegenden Fällen verzögert. (Journ. de Lyon 1907, p. 198.) 

Nessl berichtet über neue Beobachtungen bei Wut der Rinder, 
die in neun Fällen dahin gingen, daß sich als erste Krankheitserscheinung 
bei den Tieren Erbrechen einstellte und daß die typischen paralytischen 
Zustände fehlten. (Tierärztl. Zentralbl. 1907, Nr. 22.) 

Remlinger berichtet Ober spontane Heilung der experimen¬ 
tellen Tollwut des Hundes und das Fortbestehen des Tollwut- 
■virus im Speichel der geheilten Tiere. An experimenteller, ebenso 
aber auch an klinischer Wut erkrankte Hunde können in seltenen Fällen 
genesen. Obwohl sie danach keine Erscheinungen der Tollwut mehr zeigen, 
bleibt ihr Speichel ansteckungsfähig, und die anscheinend gesunden Hunde 
können durch ihren Biß Menschen mit Tollwut anstecken. (Recueil d’Alfort 
1907. Ref. in der Berl. Tierärztl. Wochenscbr. 1907, S. 741.) 

Schüder liefert eine Arbeit über Tollwut, in der er zur Bekämpfung 
der Seuche nachstehende Leitsätze aufstellt. 1. Die Möglichkeit einer In¬ 
fektion muß bei Mensch und Tier auf das geringste erreichbare Maß herab¬ 
gemindert werden. 2. Der Ausbruch der Krankheit muß, nachdem eine Infektion 
stattgefunden hat, verhütet werden. Deshalb sind vor allem gesetzgeberische 
Maßnahmen notwendig, um eine Verminderung der Infektionsgefahr zu er¬ 
reichen; ferner muß je früher, desto besser die Schutzimpfung neben der 
Lokalbehandlung stattfinden. (Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung 1907, Nr. 14.) 

Lesieur: Neutralisation des Tollwutvirus durch die Galle 
bzw. ihre Salze. Das Virus der Tollwut kann in vitro durch Galle oder 
Gallensalze gesunder oder tollwutkranker Tiere innerhalb einiger Minuten 
neutralisiert werden. Das hierdurch unschädlich gemachte Virus besitzt 
jedoch keine Schutzwirkung gegenüber einer späteren Injektion von reinem 
Virus. (Revue v4t6rinaire 1907, p. 128. Ref. in der Deutschen Tierärztl. 
Wochenschr. 1907, S. 551.) 

Formi prüfte die Wirkung verschiedener chemischer Agenzien 
auf das Wutvirus und gelangt hinsichtlich der Wutgift abtötenden Kraft 
dieser Mittel zu nachstehender Reihenfolge: 1. Sublimat, 2. Silberlösungen 
(Takiol, Nitratum argentum, Ichthargan, Collargol, Largin, Argonin und 
Protargol), 3. Kupfersulfat, 4. Schwefel-, Salzsäure, 5. Anilinfarbstoffe (Lary- 
cith III, Malachitgrün, Methylenblau), 6. Jod usw. (Arch. f. Hygiene 1907, 
Bd. 63, S. 315.) 

Rickards beschreibt einige Neuigkeiten für das Laboratorium 
und erwähnt dabei einen von ihm konstruierten mit Zink ausgekleideten 
Kupferkasten, der sich zur Aufnahme des bei Tollwutsektionen erforder¬ 
lichen Instrumentariums und auch zur Beförderung von Tollwutmaterial 
eignet. (Boston Board of Health, Bacteriological Laboratory. Ref. im 
Zentralbl. f. Bakt. usw. I. Abt. Referate 1907, Bd. 40, S. 291.) 


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286 


Infektionskrankheiten. 


Rotz. 

Die Zahl der Rotzfälle bei Pferden hat im Deutschen Reiche gegenüber 
dem Vorjahr um 11,1 Proz. zugenommen, indem 442 Erkrankungen gegen 
398 im Jahre 1906 vorkamen. Die räumliche Verbreitung der Seuche ist 
dagegen etwas geringer geworden. Sie ging von 122 neu verseuchten Ge¬ 
meinden und 180 Gehöften auf 109 Gemeinden und 139 Gehöfte zurück. 
Verendet sind 17 Pferde (25 im Vorjahr), auf polizeiliche Anordnung getötet 
496 (470) und auf Veranlassung der Besitzer getötet 19 (41). Der Gesamt¬ 
verlust an Pferden beträgt mithin 586 Stück gegen 616 im Vorjahre. 
Räumlich am stärksten verbreitet war die Seuche in den Regierungsbezirken 
Posen, Breslau, Gumbinnen, Marienwerder sowie im Stadtkreise Berlin. Die 
höchsten Erkrankungsziffern sind gemeldet aus den Regierungsbezirken 
Posen, Breslau, Potsdam und dem Stadtkreise Berlin. Auf je 10000 Tiere 
des gesamten Pferdebestandes nach der Zählung vom 1. Dezember 1904 
kommen im Reiche 1,04 Erkrankungsfälle gegen 0,93 im Vorjahre. Rotz¬ 
einschleppungen haben statt gefunden mit Pferden, die aus Rußland, Däne¬ 
mark, den Niederlanden und aus Frankreich eingeführt waren. Von 
Rotzübertragung auf Menschen wird ein Fall aus dem Regierungsbezirk 
Königsberg mitgeteilt. Für auf polizeiliche Anordnung getötete und nach 
Anordnung der Tötung gefallene 567 Pferde sind im Berichtsjahre 
224150,26 Jft Entschädigungen bezahlt worden. (Jahresber. über die Ver¬ 
breitung von Tierseuchen im Deutschen Reiche 1907, S. 28.) 

Hutyra bat Untersuchungen über die Pathogenese der Rotz¬ 
krankheit angestellt und sucht insbesondere nachstehende Fragen zu be¬ 
antworten: Wo setzt im Gefolge der alimentären Infektion der primäre 
rotzige Prozeß ein? Kommt überhaupt primärer Lungenrotz vor? Sind die 
jungen Rotzknötchen beim Lungenrotz als „FleischWärzchenwie Nocard 
meint, aufzufassen oder als Produkt einer Pneumonia fibrinosa miliaris? 

Aus der Arbeit ergibt sich folgendes: Die Rotzkrankheit läßt sich 
durch Verfüttern von Rotzvirus leicht erzeugen. Die intestinale Infektion 
mit geringen Virusmengen hat unmittelbar eine allgemeine Blutinfektion 
und im Anschluß daran eine Lokalisation des Prozesses auf die Lunge, als 
das hierzu besonders disponierte Organ, also primären Lungenrotz zur 
Folge. Das mit dem Lymphstrom in den Blutkreislauf der Lungen gelangte 
Virus regt hier zunächst eine kleinzellige Infiltration der Gefäßwände und 
des perivasculären Bindegewebes an, als deren Folge im peribronchialen 
Bindegewebe tuberkelähnliche, grau durchscheinende Granulationsknötchen, 
im alveolaren Lungengewebe aber Hepatisationsknötchen entstehen. Im 
späteren Verlaufe tritt der katarrhalisch-pneumonische Charakter des Pro¬ 
zesses immer mehr in den Vordergrund. Inhalation von mit Rotzbazillen 
geschwängerter Luft hat für gewöhnlich zunächst nur eine akute Erkran¬ 
kung der untersten Teile der Nasenhöhle zur Folge, wozu sich später auf 
metastatischem Wege eine Erkrankung der Lungen gesellen kann. Die 
natürliche Infektion erfolgt für gewöhnlich von den Verdauungswegen aus, 
während die Ansteckung von den Luftwegen aus kaum eine nennenswerte 
Rolle spielt. Der Nasenrotz pflegt sich, ebenso wie der Hautrotz, als sekun¬ 
därer Prozeß der Erkrankung innerer Organe, besonders der Lungen, an- 


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Epizootien. Rotz. 


237 


zuschließen. Allgemeine Erkrankung mit re- oder intermittierendem Fieber 
erregt unter Umständen, wo die Möglichkeit einer Rotzinfektion besteht, 
begründeten Verdacht auf Ansteckung, insbesondere wenn inzwischen auch 
temporärer, seröser NasenauBfluß mit leichter Schwellung der Kehlgangs- 
lyinphdrüsen beobachtet wird. (Zeitschr. f. Tiermedizin 1907, S. 1.) 

Summo machte intravenöse Injektionen von abgetöteten Rotz¬ 
bazillen bei Kaninchen und Meerschweinchen. Viele dieser Tiere, die nach 
starker Abmagerung zugrunde gingen, zeigten gelbweiße Knoten in der 
Leber, einzelne auch in der Milz. Eins der Tiere, das 3 ccm abgetötete 
Rotzkulturen und 16 Tage später noch 4 ccm davon erhalten hatte, wies 
zahlreiche tuberkelähnliche Knoten in der Leber und dicht am Magen zwei 
hypertrophische Lymphdrüsenknoten auf. Die mikroskopische Untersuchung 
ergab, daß die Knoten in der Milz und in den Lymphdrüsen nur Wuche¬ 
rungen des interstitiellen Bindegewebes waren. Die knotigen Verdickungen 
in der Leber erwiesen sich bei den Kaninchen als Psorospermien, während 
sie bei den Meerschweinchen aus degenerierten Leherzellen und neugebil¬ 
detem Bindegewebe bestanden. (Giorn. della R. Soc. ed Accad. Vet. It. 
1907, p. 519. Ref. in der Deutschen TierärztL Wochenschr. 1907, S. 496.) 

Choromansky berichtet über die Wirkung des MalleinB auf die 
Conjunctiva des Auges und weist nach, daß Pferde, die bei subkutaner 
Injektion von Mallein eine Reaktion zeigen, auch bei der Einträufelung 
des Malleins in den Konjunktivalsack mit eitriger Bindehautentzündung 
(Ophthalmoreaktion) antworten. Er hält die Augenreaktion für ein wich¬ 
tiges Ergänzungsmittel der diagnostischen Malleinprobe, glaubt aber, daß 
sie im allgemeinen für sich allein als einwandfrei nicht gelten könne. 
(Archiv für Veterinärwissenschaft 1907, S. 783.) 

Vallee berichtet über eine neue Art der experimentellen Dia¬ 
gnostik der Tuberkulose und des Rotzes. Er fand, daß sowohl das 
Kinträufeln von Mallein auf die skarifizierte Haut als auch in den Kon- 
junktivalsack für die Rotzdiagnose nicht verwertbar ist, weil die Hautreaktion 
auch bei nicht rotzigen Pferden vorkommt und die Ophthalmoreaktion beim 
Rotz nicht so charakteristisch ist, wie hei der Tuberkulose. (Bull, de la soc. 
centr. de med. v6t. 1907, p. 309.) 

Dietrich: Die Cuti- und Ophthalmoreaktion bei Rotz. Beide 
Reaktionsarten gaben bei 13 rotzkranken Pferden ein derart unsicheres 
Ergebnis, daß ihnen Verfasser jeden praktischen Wert zur Sicherung der 
Rotzdiagnose abspricht. (Archiv f. wissensch. u. prakt. Tierheilk., Bd. 34, 
S. 246.) Desgleichen bezeichnet auch Vall6e in seiner Arbeit: Sur la 
cutireaction et l’ophthalmoreaction dans la morve beide Reaktionen 
als für die Rotzdiagnose nicht verwertbar. (BulL de la soc. centr. de med. 
vet. 1907, p. 359.) 

Märtel berichtet über Application de la methode de von Pirquet 
au diagnostic de la morve chez l’homme et chez le cheval. Er 
fand das Ergebnis der kutanen Malleinprobe an seinem eigenen Körper 
(nach vor mehreren Jahren überstandener Rotzinfektion) bestätigt. Bei 


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Infektionskrankheiten. 


Pferden jedoch erwies es sich als unzuverlässig. (Bull, de la soc. centr. de 
m6d. vet. 1907, p. 381.) 

Podkopajew hält zur Diagnose des latenten Rotzes das atypische 
Fieber, insbesondere bei gleichzeitiger Anwendung der Malleinprobe und der 
Agglutinationsmethode, für ein wertvolles Erkennungsmittel. Bei Pferden 
die mit rotzkranken Tieren in Berührung waren, sind daher tägliche Tem¬ 
peraturaufnahmen während eines Monats erforderlich. (Messager de med. 
v6t. soc. russe, Nr. 18, p. 644. Nach Ellenberger und Schütz, Jahres¬ 
bericht usw. 1907, S. 44.) 

Levy, Blumenthal und Marxer versuchten die Immunisierung 
gegen die Rotzkrankheit mit Rotzkulturen, die durch Glyzerin- oder 
Harnstofflösungen abgetötet oder abgeschwächt waren. Es gelang, Meer¬ 
schweinchen und Pferde zu immunisieren. Die beim Pferde durch einmalige 
subkutane Injektion von 600 mg oder eine zweimalige von je 300 mg er¬ 
reichte Immunität erstreckte sich auf mindestens ein Jabr. Die mit Harn¬ 
stoff behandelten Bazillen sind leichter zu verwenden als die glyzerinisierten, 
da sie sich leichter eindampfen und zu einem Pulver verreiben lassen. 
(Zeitschr. f. Infektionskrankh. usw. d. Haustiere, Bd. 3, S. 294.) 

Spaßky schreibt über Schutzmittel bei der Untersuchung rotz- 
kranker Pferde. Die meisten der von verschiedenen Seiten zum Schutze 
des Untersuchenden gegen Rotzansteckung empfohlenen Vorrichtungen be¬ 
unruhigen entweder das zu untersuchende Pferd oder sie sind dem Unter¬ 
sucher hinderlich. Verfasser verwirft daher solche Schutzmittel und glaubt 
mit Brille und Reflektor auskommen zu können. Die Hauptgefahr der Rotz¬ 
übertragung bildet das Schnauben und Niesen rotzkranker Pferde. Zum 
Schutze hiergegen empfiehlt sich die vor vielen Jahren schon von Sswirenko 
angegebene Untersuchungsmetbode. Danach wird die Zunge des zu unter¬ 
suchenden Pferdes von einer Person ergriffen und stark nach vorn und zur 
Seite gezogen. Dieser einfache Handgriff verhindert, wie Verfasser bei zahl¬ 
reichen Untersuchungen beobachtet hat, in wirksamerWeise das Niesen und 
Prusten. (Archiv für Vet.-Wissensch., Heft 4, S. 324.) 

Maul- und Klauenseuche. 

Die Seuche war 1907 im Deutschen Reiche stärker verbreitet als im 
Vorjahre. Der räumlichen Verbreitung nach hat sie im Laufe des Jahres 
verhältnismäßig am meisten geherrscht in Preußen in den Regierungs¬ 
bezirken Königsberg, Gumbinnen, Allenstein, Marienwerder, in Bayern im 
Regierungsbezirk Schwaben, ferner im Königreich Württemberg und im 
Reichsland Elsaß-Lothringen. Im Berichtsjahre wurden im ganzen 1352 
Gehöfte von der Seuche neu betroffen mit einem gesamten Klauenviehbestand 
von 23 991 Rindern, 16875 Schafen, 134 Ziegen und 13185 Schweinen. 
Die Maul- und Klauenseuche ist in zahlreichen Fällen aus Rußland, ferner 
aus den Niederlanden, aus Belgien und der Schweiz eingeschleppt worden. 
Zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche durch Bildung von Sperr¬ 
gebieten und Beobachtungsgebieten sind in den meisten Bundesstaaten Ver¬ 
ordnungen erlassen worden, die sich in der Hauptsache an die für Preußen 


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Epizootien. Maul- und Klauenseuche. 


239 


erlassene allgemeine Verfügung vom 13. November 1906 anlehnen. In 
Württemberg sind für 21 Rinder 8449,00 <Jt Entschädigungen gezahlt 
worden. (Jahresber. über die Verbreitung von Tierseuchen im Deutschen 
Reiche 1907, S. 36.) 

Barabas versuchte eine Behandlung der Maul- und Klauen¬ 
seuche mit Argentum Crede. Das Ergebnis fiel negativ aus, indem das 
Mittel den Ausbruch der Maul- und Klauenseuche bei den damit angesteckten 
Tieren nicht verhinderte und auf den Verlauf der Krankheit keinerlei Ein¬ 
fluß ausübte. (Allot. Lapok 1907, p. 583. Nach Jahresbericht von Ellen- 
berger und Schütz 1907, S. 47.) 

Terni teilt Beobachtungen bei der Maul- und Klauenseuche 
mit, wonach das Überstehen dieser Krankheit bei Rindern eine Immunität 
auf die Dauer von zwei Monaten verleiht. Nach dieser Zeit sollen die er¬ 
krankt gewesenen Tiere von neuem erkranken können. Diese neue Affektion 
aoll heftiger verlaufen als die erste Erkrankung, was auf eine Steigerung 
der Virulenz des Krankheitsstoffes zurückzuführen wäre. Häufig will Terni 
beobachtet haben, daß in Ställen, in denen die Maul- und Klauenseuche 
herrschte, die Ratten verendeten und nimmt an, daß die Virulenz des An- 
ateckungsstoffes durch die Rattenpassage gesteigert werde. (La clin. v6t. 
aez. prat. settim. 1907. Ref. in der Deutschen Tierärztl. Wochenschr. 1907, 
S. 638.) 

Galbusera hält die künstliche Übertragung der Maul- und 
Klauenseuche nicht für ratsam. Er hat danach weder Abkürzung noch 
Milderung des Seuchenverlaufes noch eine länger dauernde Immunität beob¬ 
achtet. (II nuovo Ercolani 1907, p. 421.) 

Fiorentini schreibt über die Empfänglichkeit der Rinder für 
die Maul- und Klauenseuche und die Kampfmittel und deren 
Wert gegen die Seuche. Er hat beobachtet, daß Rinder kurz nach dem 
Überstellen der Seuche nochmals, und zwar heftiger als beim ersten Mal 
erkrankten. Die veterinärpolizeilichen Maßnahmen und die Ausbildung der 
Tierärzte in Italien seien mangelhaft. (Giorn. della R. soc. Ital. d’Igiene 
1907. Ref. in der Deutschen Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 440.) 

Leclainche spricht sich in einer Arbeit über die Maul- und Klauen¬ 
seuche dahin aus, daß eine Seucheninvasion nur durch einen zentralisierten 
und gut geleiteten Veterinärsanitätsdienst erfolgreich zu bekämpfen sei. 
Ein geschultes Personal müsse jederzeit auf die einzelnen Seuchenherde und 
gefährdeten Gegenden geworfen werden können. In England und in 
Amerika habe man mit diesem Verfahren gute Erfolge erzielt. (Rev. gen. 
de med. v6t., t. IX, p. 1.) 

Ka8per referiert über die Aussichten einer brauchbaren Schutz¬ 
impfung gegen die Maul- und Klauenseuche und hält die Frage einer 
allgemein zuverlässigen Methode noch nicht für gelöst. (Berl. Tierärztl. 
Wochenschr. 1907, S. 399.) 

Ory berichtet über Versuche der prophylaktischen Behandlung 
der Maul- und Klauenseuche durch Vaccination. Die Ähnlichkeit 


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Infektionskrankheiten. 


des Krankheitsbildes der Maul- und Klauenseuche und der Pocken führte zu 
der Idee, ob nicht eine Verwandtschaft zwischen beiden Krankheiten bestehe, 
und gab Anlaß, zu versuchen, ob nicht die eine Seuche durch die andere 
bekämpft werden könne. Er impfte Pferde mit Kuhpockenlymphe, entnahm 
aus den so entstandenen Pusteln der Pferdepocken Lymphe zur Verimpfung 
an Rinder und erzeugte bei diesen angeblich Immunität gegen Maul- und 
Klauenseuche. Der Forscher glaubt, daß die Kuhpocken nur eine leichtere 
Form der Maul- und Klauenseuche seien und ist der Ansicht, daß die Kuh¬ 
pocken durch Pferdepassage die Eigenschaft erlangen, Rinder gegen Maul¬ 
und Klauenseuche zu immunisieren. (Sem. vet. 1907. Ref. in der Berl. 
Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 555.) 

Seibert schreibt ebenfalls über Kuhpockenimpfung als Schutz¬ 
mittel gegen Maul- und Klauenseuche. Er hat beobachtet, daß eine 
Kuh, die als Kalb zur Gewinnung animalischer Pockenlymphe mit Vaccine 
geimpft war, hierdurch anscheinend Immunität gegen Maul- und Klauen¬ 
seuche erlangt hatte. Ein praktisch verwertbares Schutzimpfungsverfahren 
konnte Seibert zwar nicht ausfindig machen, glaubt aber, daß auf diesem 
Wege eine Schutzimpfung möglich wäre. (Wochenschr. f. Tierheilk. und 
Viehzucht 1907, S. 761.) 

Anker hat die Maul- und Klauenseucheimpfung nach Ory nach¬ 
geprüft und teilt mit, daß die Impfung mit animaler Vaccine, unmittelbar 
oder nach vorausgegangener Pferdepassage verimpft, keinerlei Schutzwirkung 
gegen Maul- und Klauenseuche der Rinder gehabt habe. (Berl. Tierärztl. 
Wochenschr. 1907, S. 882.) 

Siegmund stellte Versuche an, mit Aphthenseuche und Vaccine 
und gelangt zu dem Schluß, daß eine unmittelbare Übertragung der Maul¬ 
und Klauenseuche durch Kuhpockenlymphe, die Tieren entnommen wird, 
die gleichzeitig an Aphthenseuche erkrankt waren, wohl nicht stattfindet. 
(Schweizer Archiv f. Tierheilk. 1907, S. 189.) 

Kantorowicz berichtet über Pseudo-Maul- und Klauenseuche, 
die er in drei Fällen bei Rindern beobachtete. Das seuchenartige Exan¬ 
them beschränkte sich nicht nur auf die Maulhöhle, sondern ergriff auch die 
unteren Teile der Gliedmaßen und das Euter. Selbst Speichelfluß und das 
als typisch geltende Schmatzen der Tiere trat in die Erscheinung; dagegen 
war die Krankheit auf andere Wiederkäuer und auf Schweine nicht über¬ 
tragbar. (Zeitschr. f. Infektionskrankb. usw. d. Haustiere 1907, S. 550.) 

Auch Kern beobachtete eine der Maul- und Klauenseuche ähn¬ 
liche Erkrankung bei Rindern. Die Tiere zeigten mäßigen Speichel¬ 
fluß, rundliche oder längliche bis kronenstückgroße, scharf begrenzte, etwas 
hervorragende Flecke auf der Maulschleimhaut, insbesondere am zahnlosen 
Rande des Oberkiefers und auf der Innenfläche der Lippen. Allgemein¬ 
erkrankungen bestanden nicht. Die Krankheit war auf gesunde Tiere nicht 
übertragbar. (Allatorvosi lapok, p. 387.) 

Bertarelli: Übertragung der Maul- und Klauenseuche auf den 
Menschen und Wiederimpfung der menschlichen Krankheit auf 


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Epizootien. Maul- und Klauenseuche. Lungenseuche. Pocken. 


241 


Rinder. Die Krankheit war durch natürliche Ansteckung auf Menschen 
übertragen worden und hatte aphthöse Veränderungen an Zunge und Mund* 
Schleimhaut hervorgerufen. Mit menschlicher Aphthenlymphe wurde ein aus 
seuchefreiem Stalle stammendes Kalb am Ohr und an der Unterlippe ge¬ 
impft. Das Tier erkrankte fünf Tage danach an Maul- und Klauenseuche, 
wodurch jeder Zweifel über die Natur der beobachteten menschlichen aph¬ 
thösen Stomatitis beseitigt war. (Zentralbl. f. Bakt. I. Abt., Bd. 45, S. 628.) 

Borzoni hat Maul- und Klauenseuche beim Hund und beim 
Wildschwein gesehen. Die geschossenen Wildschweine hatten an den 
Klauen, der Rüsselscheibe und der Maulschleimhaut die charakteristischen 
Aphthen. Bei einem Hirtenhund, der eine seuchenkranke Herde bewachte, 
wurden ebenfalls die Erscheinungen der Maul- und Klauenseuche wahr¬ 
genommen. (11 nuovo Ercolani 1907, p. 292.) 

Lungenseuche. 

Die Seuche ist 1907 im Deutschen Reiche in sechs Gemeinden ausge¬ 
brochen, wobei 163 Rinder erkrankten. Es wurden betroffen die preußischen 
Regierungsbezirke Marienwerder und Bromberg sowie die sächsische Kreis¬ 
hauptmannschaft Leipzig. An Lungenseuche verendet sind 9 Rinder, auf 
polizeiliche Anordnung getötet wurden 401 und auf Veranlassung der Be¬ 
sitzer 10 Tiere. Die Einschleppung der Lungenseuche aus dem stark ver¬ 
seuchten russischen Grenzgebiet wird als wahrscheinlich bezeichnet. An 
Entschädigung sind für 124 Rinder 23 489,53 c /ft gezahlt worden. (Jahres¬ 
berichte über die Verbreitung von Tierseuchen im Deutschen Reiche 1907, 
S. 47.) 

Dorofeew berichtet über Resultate der Schutzimpfungen gegen 
Lungenseuche der Rinder im Kreise Omsk. Es gelangte reine Lungen¬ 
seuchekultur, die aus Paris bezogen war, zur Anwendung. Das Ergebnis 
war angeblich befriedigend, doch steht der allgemeinen Anwendung der 
Schutzimpfung die geringe Haltbarkeit und der hohe Preis der Kultur ent¬ 
gegen. (Messager de med. v6t soc. russe, p. 800. Ref. im Jahresbericht 
von Ellenberger und Schütz 1907, S. 49.) 

Makarewsky macht gleichfalls Angaben zur Frage über die 
Wirkung der Reinkulturen der Lungenseuche der Rinder aus 
dem Institut Pasteur. Bei einem Teil der in Sibirien geimpften Rinder 
ist danach Immunität gegen Lungenseuche eingetreten. 

Stahl hat ebenfalls beim russischen Steppenrind mit der Verimpfung von 
Reinkulturen der Peripneumonie gute Erfolge erzielt, indem das geimpfte 
Vieh während des Verlaufes von 11 Monaten gesund blieb. (Ebenda. Ref. 
im Jahresbericht von Ellenberger und Schütz 1907, S. 49.) 

Pocken. 

Die Schafpocken haben im Deutschen Reiche Anfang 1907 noch in 
einem Gehöft geherrscht. Dann brachen sie in 33 Gehöften von 18 Ge¬ 
meinden im preußischen Regierungsbezirk Allenstein neu aus. Von 985 in 
den neu verseuchten Gehöften vorhandenen Schafen sind 214 verendet. Am 

Vierteljabrsschrift für Gesundheitspflege, 1908. Supplement. jß 


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242 


In fektionekrankheiten. 


Jahresschluß waren noch 17 Gemeinden und 32 Gehöfte verseucht. (Jahres¬ 
bericht über die Verbreitung von Tierseuchen im Deutschen Reiche 1907, 
S. 48.) 

Wosianoff warnt in einer Arbeit über Schafpocken und die Ka¬ 
pri ne von Koneff vor der Anwendung dieses Impfstoffes, da sie nicht un¬ 
gefährlich sei und den Ausbruch der Seuche hervorrufen könne. (Messager 
de m6d. vet. soc. russe, p. 7. Ref. im Jahresbericht von Ellenberger und 
Schütz 1907, S. 49.) 

Beschälseuche und Bläschenausschlag. 

Über das Vorkommen der Beschälseuche im Deutschen Reiche war 1907 
nichts bekannt. Die Zahl der Erkrankungsfälle an Bläschenausschlag hat 
gegenüber dem Vorjahre abgenommen. Es waren erkrankt 193 Pferde 
(gegen 306 im Vorjahre) und 5653 Rinder (6308). (Jahresbericht über die 
Verbreitung von Tierseuchen im Deutschen Reiche 1907, S. 49.) 

Jakinow liefert einen Beitrag zur Frage der Behandlung der 
Beschälkrankheit. Nach Versuchen an Hunden und Pferden und auf 
Grund theoretischer Schlüsse glaubt der Forscher annehmen zu müssen, daß 
eine einzige Kur zur Heilung der Beschälkrankheit bei Pferden nicht aus¬ 
reiche, sondern daß mindestens zwei bis drei Kuren erforderlich seien. Da¬ 
bei verdiene eine kombinierte Behandlung mit Arsenpräparaten und Trypan- 
rot den Vorzug. (Arch. f. Vet.-Wissen sch., S. 413. Ref. im Jahresbericht 
von Ellenberger und Schütz 1907, S. 49.) 

Derselbe Autor berichtet auch über die Behandlung der Be¬ 
schälkrankheit der Pferde mit Atoxylin. Das Mittel kam in 15- bis 
20proz. Lösung subkutan zur Anwendung. Als Lösungsmittel diente eine 
25proz. Glyzerinlösung. Der Erfolg der Behandlung, die im allgemeinen 
von den Pferden gut ertragen wurde, machte sich schon nach wenigen Tagen 
bemerkbar, indem die Quaddeln verschwanden. Ein endgültiges Urteil über 
den therapeutischen Wert des Atoxylins bei der Beschälseuche der Pferde 
würde erst nach längerer Beobachtung der geheilten Pferde und auf Grund 
der Behandlung zahlreicher Patienten abgegeben werden können. (Journ. 
f. allgem. Veterinär - Medizin, S. 903. Ref. im Jahresbericht von Ellen ¬ 
berger und Schütz 1907, S. 49.) 

Räude. 

Die Pferderäude hat im Deutschen Reiche gegenüber dem Vorjahre 
etwas zugenommen. Es erkrankten 690 Pferde einschließlich zweier Maul¬ 
esel (655 im Vorjahre). Die stärkste räumliche Verbreitung hatte die Seuche 
in den Regierungsbezirken Gumbinnen (28 Gemeinden), Köslin (27), Pots¬ 
dam (25), Königsberg (25). Die meisten Erkrankungen kamen vor in den 
Regierungsbezirken Potsdam (85), Gumbinnen (78), Königsberg (67). Von 
je 10 000 vorhandenen Pferden erkrankten 1,6 an Räude. 

Die Schafräude hat im Deutschen Reiche gegenüber dem Vorjahre 
ebenfalls zugenommen. Sie herrschte in 18 Bnndesstaaten, 521 Gemeinden 
und 1547 Gehöften gegen 17 Staaten, 452 Gemeinden und 1128 Gehöften 


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Epizootien. Räude. Rotlauf der Schweine. 


243 


im Vorjahre. Die Stückzahl des gesamten Schafbestandes in den 1280 von 
der Räude neu betroffenen Gehöften betrug 81 257 gegen 53 955 in 740 Ge¬ 
höften im Vorjahre. Räumlich am stärksten verbreitet war die Schafräude 
in den Regierungsbezirken Kassel (75 Gemeinden), Erfurt (59), Hildesheim 
(52). Von je 10 000 im Deutschen Reiche vorhandenen Schafen entfallen 
102,76 auf von der Räude neu betroffene Gehöfte gegen 68,24 im Vorjahre. 
(Jahresbericht über die Verbreitung von Tierseuchen im Deutschen Reiche 
1907, S. 54.) 

Drouin empfiehlt zur Behandlung der Räude des Pferdes 
Waschungen mit einer Mischung von 450 Tin. Benzin, 150 Tin. Holzteer, 
150 Tin. Kadeöl, 150 Tin. Kaliseife und 100 Tin. Kreosot. (Revue gen. 1907. 
Ref. in der Deutschen Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 457.) 

Grün verwendet als Mittel gegen die Schafräude ein Gemisch von 
Terpentinöl, Äther, Petroleum und Olivenöl. Das Mittel soll ein Bade¬ 
verfahren überflüssig machen und nach zwei- bis dreimaliger Durchsuchung 
der Herde und Behandlung der noch räudekranken Tiere zur Heilung führen. 
(Wochenschr. f. Tierheilk. u. Viehzucht 1907, S. 306.) 

Rotlauf der Schweine. 

Die Seuche ist im Berichtsjahre wieder in allen Bundesstaaten des 
Deutschen Reiches aufgetreten, hat aber gegenüber dem Vorjahre etwas ab¬ 
genommen. Erkrankt sind 75 619 Schweine (gegen 76 723), verendet oder 
getötet 55 720 (56 367) = 73,7 Proz. der erkrankten Tiere. Auch 1907 
war die Seuche in den östlichen Regierungsbezirken Preußens räumlich am 
stärksten verbreitet. Hohe Erkrankungsziffern sind gemeldet aus den Re¬ 
gierungsbezirken Posen (6179), Bromberg (5120), Oppeln (3810), Allenstein 
(3803), Marienwerder (3786). Im Großherzogtum Hessen sind für 528 
wegen Rotlaufs auf polizeiliche Anordnung getötete Schweine 24 348,75 vtt 
gezahlt worden. (Jahresbericht über die Verbreitung von Tierseuchen im 
Deutschen Reiche 1907, S. 60.) 

Opalka liefert einen Beitrag zum Nachweis von Rotlaufbazillen 
in faulenden Organen und kommt zu nachstehenden Schlußsätzen: 
1. Rotlaufstäbchen sind in faulenden Organen färberisch lange Zeit nach¬ 
weisbar, ihre Virulenz nimmt jedoch mit der Zeit ab. 2. Neben der Agar¬ 
kultur bietet die Verimpfung fauligen Materials an Mäuse ein Hilfsmittel 
zur Feststellung der Rotlaufstäbchen. 3. Zur Verimpfung sind besonders 
Milz und Haut geeignet. (Zeitschr. f. Infektionskrankh. usw. d. Haustiere, 
Bd. 3., S. 349.) 

Pitt liefert Beiträge zum regelmäßigen Vorkommen der Rot¬ 
laufbazillen auf der Darmschleimhaut und in den Tonsillen ge¬ 
sunder Schweine. Er fand bei 66 Darmuntersuchungen 26mal, bei 
50 Tonsillenuntersuchungen 28mal virulente Rotlaufbazillen. Die Rotlauf¬ 
bazillen dürfen sonach als weit verbreitete Bewohner der Schleimhäute ge¬ 
sunder Schweine betrachtet werden. Hieraus ergibt sich der verschwindend 
geringe Wert der prophylaktischen Maßnahmen gegen Rotlauf. Die Schutz¬ 
impfung ist als das wertvollste Mittel der Rotlaufbekämpfung anzusehen. 
(Zentralbl. f. Bakt., Bd. 45, S. 33 u. 111.) 

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244 


Infektionskrankheiten. 


Schreiber und Neumann: Gehen Rotlaufbazillen durch das 
normale Euter geimpfter Rinder in die Milch über? Die Forscher 
injizierten einer jungen frischmelkenden Kuh im Laufe eines Monats stei¬ 
gende Mengen einer zweitägigen Rotlaufbouillonkultur intravenös. Da in 
dem Bodensätze der zentrifugierten Milch weder durch den Impfversuch 
noch durch Kulturverfahren Rotlaufbazillen nachgewiesen werden konnten, 
schließen sie, daß diese Bazillen das gesunde Kuheuter nicht passieren. 
(Zeitschr. f. Fleisch- u. Milchhygiene, Bd. 18, S. 57.) 

Grosso: La diagnosi batteriologica del mal rossino. Verfasser 
fand, daß durch die Fäulnis der Organe der bakteriologische Nachweis des 
Rotlaufs nicht beeinträchtigt wird. (II moderno zooiatro 1907. Ref. im 
ZentralbL f. Bakt., Bd. 40, S. 844.) 

Henning beschreibt eine Rotlaufinfektion bei sich selbst. Bei der 
Ausführung der Rotlaufimpfung infizierte er sich am Finger durch einen 
Stich mit der Impfnadel. Der Finger schwoll an, und es bildete sich ein 
Erythem am Arm. Nach Injektion von Rotlaufserum trat Heilung ein. 
(Berl. Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 112.) 

Prettner schreibt über die Resistenzerhöhung bei der Schutz¬ 
impfung gegen die Rotlaufseptikämie. Während nach dem natür¬ 
lichen Überstehen des Rotlaufs meist Immunität auf Lebenszeit eintritt, ist 
die Schutzwirkung nach der kombinierten Rotlaufimpfung zeitlich beschränkt- 
Aus Versuchen, die zur Erklärung dieser Tatsache angestellt wurden, ergab 
sich, daß der Grad und die Dauer der erlangten Resistenz von dem Ver¬ 
hältnis zwischen Serum- und Kulturmenge abhängt. Je weniger Serum ge¬ 
geben wird, eine um so bessere aktive Immunität entsteht. Die Wider¬ 
standsfähigkeit des Organismus wird um so höher, je mehr ihm selbst die 
Abwehr der Infektion überlassen bleibt. (Zeitschr. f. Infektionskrankh. usw. 
d. Haustiere, Bd. 2, S. 353.) 

Höhne bespricht die Gelegenheitsursachen der Rotlaufaus¬ 
brüche und gelangt zu nachstehenden Schlüssen: 1. Der Rotlauf kommt 
als Herdenkrankheit kaum mehr in Betracht; wo er in großen Beständen 
ausbricht, da verläuft er in der Form der Backsteinblattern. 2. Als spora¬ 
dische Krankheit sucht der Rotlauf Schweine auf, deren Widerstandskraft 
gebrochen ist. Als Einwirkungen, welche die Widerstandskraft brechen 
und die natürliche Seuchenfestigkeit herabmindern können, hat Verfasser 
folgende ermittelt: a) Verweichlichung infolge widernatürlicher Haltung, als 
da sind: Stallarrest, verhinderter Auslauf, vorenthaltener Weidegang, b) Un¬ 
günstige Stallhaltung: nasse, kalte, lichtarme Ställe, unbedeckte Fußböden 
und dadurch kalte Lagerstätten, c) Erkältungen, d) Schädliches Futter, 
e) Schwäche nach überstandenen Krankheiten (Seuchen). 

Wer den Rotlauf von seinen Schweinen fernhalten wolle, der beachte 
folgende Leitsätze: 1. Bei Zukauf von Magerschweinen bevorzuge er Tiere 
mit starker Behaarung; sie ist der Index dafür, wie weit bei der Zucht die 
Verfeinerung übertrieben ist. Stark behaarte und schwarze Schweine stehen 
im Ruf, nicht so anfällig für Rotlauf zu sein. 2. Wo Weidegang nicht 
üblich, gewähre man den Schweinen täglich Auslauf, unbekümmert um das 


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Epizootien. Rotlauf der Schweine. Schweineseuche (Schweinepest). 245 


Wetter; ist dieses nicht zusagend, so suchen die Ausläufer von selbst den 
schützenden Stall bald wieder auf. 3. Wo wirtschaftliche Verhältnisse den 
täglichen Auslauf nicht zulassen, da stelle man den Schweinen ein Gefäß 
mit grobkörnigem Kies in die Bucht, damit sie ihren Erdhunger stillen 
können. 4. Man trage dem Wärmebedürfnis der eingesperrten Schweine 
in erhöhtem Maße Rechnung dadurch, daß man für trockene, nicht unter 
15°C sinkende Stalluft sorgt; kalte Außenwände müssen durch äußere Um¬ 
kleidungen (Setzwände) geschützt werden; in keiner Bucht darf das Schweine¬ 
bett fehlen, sobald der Stall massiv erbaut ist. 5. Man schütze Schweine, 
die in Stallarrest leben, sorgfältig vor Erkältungen. 6. Man vermeide, käuf¬ 
liche Futtermittel, namentlich die leicht zu fälschende Roggenkleie, an Schweine 
zu verfüttern. (Berl. Tierirztl. Wochenschr. 1907, S. 735.) 

Schweineseuche (einschließlich Schweinepest). 

Die Seuche ist im Jahre 1907 zwar in allen Bundesstaaten des Reiches 
aufgetreten, hat aber gegenüber dem Vorjahr abgenommen. Es sind 
92 033 Schweine erkrankt (gegen 104 728), verendet oder getötet sind 
70 991 (77 830) = 77,1 Proz. der erkrankten Tiere. Räumlich am stärksten 
verbreitet war die Seuche in den Regierungsbezirken Breslau (1080 Ge¬ 
meinden), Liegnitz (763), Posen (515), Oppeln (503), Bromberg (409), 
Schleswig (402) und Potsdam (377). Die meisten Erkrankungsfälle sind 
gemeldet aus den Regierungsbezirken Breslau (10 208), Posen (6237), Pots¬ 
dam (6209), Königsberg (5930), Liegnitz (5334), Bromberg (4859), Oppeln 
(4307). (Jahresbericht über die Verbreitung von Tierseuchen im Deutschen 
Reiche 1907, S. 67.) 

Hutyra vertritt in einer Arbeit zur Ätiologie der Schweine¬ 
seuche und Schweinepest die Auffassung, daß im Anschluß an die primäre 
Pestinfektion sich sekundär nicht nur die für Schweinepest charakteristischen, 
sondern auch die die Schweineseuche kennzeichnenden anatomischen Ver¬ 
änderungen, zweifellos durch den Bacillus suipestifer oder suisepticus er¬ 
zeugt, entwickeln können. Es wird sonach nicht nur die anatomische 
Schweinepest, sondern auch die anatomische Schweineseuche, wie letztere 
in Pestbeständen teils mit der ersteren vergesellschaftet, teils ohne sie vor¬ 
zukommen pflegt, in letzter Instanz durch einen ultramikroskopischen Er¬ 
reger, und zwar, wie ausdrücklich zu betonen ist, durch das filtrierbare 
Pestvirus erzeugt. (Zeitschr. f. Infektionskrankh. usw. d. Haustiere 1907, 
S. 281.) 

Ostertag und Stadie konnten im Gegensatz zu Hutyra in weiteren 
Untersuchungen über die Ätiologie der Schweineseuche und 
Schweinepest und die Filtrierbarkeit des Virus beider Seuchen 
feststellen, daß die Schweineseuche durch Verimpfung filtrierten Schweine¬ 
seuchematerials auf gesunde Tiere nicht übertragen werden kann. Ebenso 
wie die amerikanische Hogcholera wird auch die deutsche Schweinepest 
durch ein filtrierbares, ultravisibles Virus bedingt. Der Bacillus suipestifer 
dringt erst sekundär in den Körper der pestkrank gewordenen Schweine ein. 

Auch in später wiederholt vorgenommenen Versuchen gelang es den 
beiden genannten Forschern nicht, die Schweineseuche durch Verimpfung 


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246 


Infektionskrankheiten. 


keimfreien Materials (Blutserum und Lungensaft schweineseuchekranker 
Schweine) auf gesunde Tiere zu übertragen. Sie wiesen ferner nach, daß 
auch das Virus der die Schweinepest komplizierenden Schweineseuche nicht 
filtrierbar ist; denn durch die intrapleurale Injektion filtrierten Lungenmate¬ 
rials wird keine Schweineseuche, sondern Schweinepest hervorgerufen. Da¬ 
gegen hat die intrapleurale, teilweise auch die subkutane Verimpfung von 
filtriertem, den Bacillus suiseptious enthaltendem Lungenmaterial eine Er¬ 
krankung an Schweineseuche zur Folge. (Zeitschr. f. Infektionskrankh. usw. 
d. Haustiere 1907, S. 113. — Desgl. S. 425.) 

Uhlenhuth berichtet über die Ätiologie und die Bekämpfung 
der deutschen Schweinepest und vertritt den Standpunkt, daß die 
deutsche Schweinepest, ebenso wie die amerikanische Hogcholera, durch ein 
filtrierbares vermehrungsfähiges Agens hervorgerufen werde. Der bisher zu 
Unrecht als der Erreger der Schweinepest angesehene Bacillus suipestifer 
spiele nur eine sekundäre Rolle. Er sei ein normaler Bewohner des ge¬ 
sunden Schweinedarms. Erst wenn das Gewebe durch das filtrierbare Virus 
geschädigt sei, könne der BacilluB suipestifer seine pathogene Wirkung ent¬ 
falten. Die Ausbreitung der Schweinepest finde durch eine Kontaktinfektion 
statt, und zwar hauptsächlich per os. Nach dem Überstehen der Schweine¬ 
pest tritt hochgradige Immunität ein. Die bisherigen Mißerfolge bei der 
Immunisierung finden darin ihre Erklärung, daß mau mit dem fälschlicher¬ 
weise als Erreger der Schweinepest angesehenen Bacillus suipestifer ge¬ 
arbeitet habe. Aus den Laboratoriums versuchen geht hervor, daß das 
Schwein ein zur Gewinnung eines wirksamen Schutzserums geeignetes Tier 
ist. Das jetzt gewonnene Serum verspricht, zusammen mit hygienischen 
Maßnahmen, eine gute Waffe zur Bekämpfung der Schweinepest zu werden. 
Ob damit auch die mit der Schweinepest kombinierte Mischinfektion be¬ 
kämpft werden könne, muß die Erfahrung lehren. (Berl. Tierärztl. Wochen¬ 
schrift 1907, S. 783.) 

Preisz hat zahlreiche Untersuchungen über Schweineseuche in 
fünf verschiedenen Beständen verschiedener Teile Ungarns vorgenommen 
und fand in allen Fällen Schweinepest und Schweineseuche zusammen vor. 
In 39 Fällen wurde der Bacillus suisepticus nachgewiesen, und zwar in 
Lungen, Bronchien, mehrere Male im Herzblut, in der Milz, in den mesente¬ 
rialen und anderen Lymphdrüsen. Durch den Nachweis des Bacillus suisep¬ 
ticus allein kann die Schweineseuche nicht festgestellt werden. Die Schweine¬ 
seuche kommt nur als Mischinfektion mit Schweinepest vor. In 13 Fällen 
konnte der Gripssche Bacillus pyogenes aber stets neben dem Bacillus 
suisepticus nachgewiesen werden. Der Bacillus pyogenes ist für die Ätio¬ 
logie der Schweineseuche belanglos. In 16 Fällen wurde in den Atmungs¬ 
organen, zuweilen auch in der Milz und im Herzblut, neben den vorbezeich- 
neten Bazillen noch der Bacillus viscosus als ein kurzes plumpes Stäbchen 
gefunden. 

Verfasser ist der Ansicht, daß die sogenannte chronische Sch weine seuche 
deutscher Forscher eine von der in Ungarn vorkommenden Schweineseuche 
verschiedene Krankheit sei. (Zeitschr. f. Tiermed. 1907, S. 161.) 


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Epizootien. Schweineseuche (Schweinepest). 


247 


Erdös und Koppänyi haben bezüglich derTenazität des Bacillus 
suisepticus und des Bacillus suipestifer gefunden, daß zwar beide 
gegenüber Desinfektionsmitteln nicht besonders widerstandsfähig sind, daß 
aber der Bacillus suipestifer sowohl der entwickelungshemmenden als auch 
der abtötenden Wirkung der Desinfektionsmittel gegenüber einen erheblich 
größeren Widerstand leistet alB der Bacillus suisepticus. (Zeitschr. f. Infek¬ 
tionskrankheiten usw. d. Haustiere, Bd. 3, S. 227.) 

MacFadyen berichtet über ein Toxin des Bacillus suisepticus, 
das er aus den Bakterienzellen virulenter Kulturen extrahieren konnte. Das 
Gift ist filtrierbar und wirkt auf Meerschweinchen, Kaninchen und Mäuse 
akut toxisch. Auch aus den Bazillen der Hogcholera konnten giftige Zell- 
säfte gewonnen werden. (Zentralbl. f. Bakt. usw., Originale, Bd. 43, S. 143.) 

Einem Bericht von Theiler über Schweinepest und Schweine¬ 
seuche ist zu entnehmen, daß die in Südafrika vorkommende Schweinepest 
pathologisch-anatomisch mit der von europäischen Forschern beschriebenen 
Schweinepest übereinstimmt. Aus dem Umstand, daß der Bacillus suipestifer 
bei der afrikanischen Schweinepest niemals nachzuweisen war, wird jedoch 
geschlossen, daß der Krankheit eine andere Ursache zugrunde liegen muß, 
d. h., daß der Bacillus suipestifer nicht deren Erreger ist. 

Was die Schweineseuche anlangt, so werden die charakteristischen 
Merkmale des Bacillus suisepticus und der durch ihn verursachten Krank¬ 
heit auch für Afrika bestätigt. Unter natürlichen Verhältnissen waren je¬ 
doch die Veränderungen der Schweineseucbe in der Regel zugleich mit denen 
der Schweinepest vorhanden. Es ergibt sich sonach für Südafrika der 
Schluß, daß Seuchengänge unter Schweinen, die nur durch den Bacillus 
suisepticus verursacht sind, nicht Vorkommen, sondern nur Komplikationen 
der Schweineseuche mit Schweinepest. (Nach Ref. in der Deutschen Tierärztl. 
Wochenschr. 1907, S. 583.) 

Lourens glaubt, auf Grund seiner Untersuchungen über die Fil¬ 
trierbarkeit der Schweinepestbazillen (Bacillus suipestifer) die Er¬ 
gebnisse der neueren Forschungen, wonach der Erreger der Schweinepest 
als ein filtrierbares Virus aufzufassen ist, darauf zurückführen zu können, 
daß die Schweinepestbazillen die gebräuchlichsten Filter zu passieren ver¬ 
mögen. Er fand, daß der Schweinepestbazillus unter bestimmten Umständen 
durch einen aus nicht verglastem Porzellan oder aus Infusorienerde ange¬ 
fertigten Filter hindurchgehen kann. Die Fähigkeit des Pestbazillus, ein 
Filter zu passieren, beruht auf seiner Eigenschaft der Körnerbildung, die 
als eine Stammeseigenschaft dieses Bazillus anzusehen ist. Auf die Filtration 
ist die Zusammensetzung der Flüssigkeit und die Größe der filtrierenden 
Teile, namentlich der Poren, von Einfluß. Er hält an der Auffassung fest, 
daß der Bacillus suipestifer die Ursache der Schweinepest ist. Von keinem 
Forscher sei überzeugend bewiesen worden, daß die Filtrate wirklich keine 
Pe8tbazillen enthalten hätten. Ferkel, die künstlich mit Kulturen des Bacillus 
suipestifer krank gemacht worden seien, hätten danach Immunität gegen die 
Schweinepest erworben. (Zentralbl. f. Bakt., Orig., Bd. 44, S. 420 ff.) 

Auch Glässer vertritt in einer Studie über die Ätiologie der 
deutschen Schweinepest die Auffassung, daß weder die Amerikaner für 


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Infektionskrankheiten. 


die Hogcholera noch die deutschen Forscher für die Schweinepest bewiesen 
hätten, daß die Ursache dieser Krankheit ein filtrierbares Virus sei. Als 
Ursache der Schweinepest in Deutschland sei allein der Bacillus suipestifer 
anzusprechen. (Deutsche Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 617.) 

Desgleichen bleibt Schreiber in einer Arbeit zur Ätiologie der 
Schweinepest auf dem Standpunkt, daß der Bacillus suipestifer als der 
Erreger der Schweinepest anzusehen ist. (Berl. TierärztL Wochenschr. 1907, 
S. 299.) 

Dagegen ergaben Versuche, die Dodjulin anstellte zum Nachweis 
des Erregers der Schweinepest mit Hilfe der Methode der Kom¬ 
plementbindung, daß die Krankheitserscheinungen bei der Schweinepest 
nicht durch Endotoxine des Bacillus suipestifer hervorgerufen sein können, 
sondern auf einen spezifischen, vom Bacillus suipestifer unabhängigen Er¬ 
reger zurückzuführen sind. (Zeitschr. f. Infektionskrankh. usw. d. Haust., 
Bd.3, S. 313.) 

Witt schreibt über Impferfahrungen in der Praxis. Hinsichtlich 
der Schweineseuche waren die mit dem Ostertag - Wassermannschen 
Serum erzielten Erfolge teilweise gut. Bei Kümmerern ergaben sich mit 
dem Impfstoff „Euman“ und darauf folgendem Serum nach Grips sehr gute 
Resultate. Witt ist der Meinung, daß der Gripssche Bazillus in dem durch 
Schweineseuche (Bacillus suisepticus von Schütz und Löffler) geschwächten 
Körper der Ferkel die bekannte Krankheitserscheinung der „Steifkrankheit“ 
hervorrufe. Er empfiehlt, bei Schweineseuche innerhalb der ersten sieben 
Lebenstage mit polyvalentem Serum zu beginnen und bei ungenügendem 
Erfolge mit „Euman“, wenn erforderlich, wiederholt nachzuimpfen. (Berl. 
Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 227.) 

Schaffner berichtet über Heilung und Prophylaxis der 
Schweinepest, Schweineseuche und Mischinfektion und empfiehlt 
zur Heilung und als Vorbeugungsmittel die innerliche Verabreichung von 
Formalin. (österr. Monatsschr. f. Tierheilk. 1907, S. 347.) 

Vonnahme berichtet über günstige Erfahrungen mit polyvalentem 
Kälberruhr- und Schweineseucheserum. Er impfte in Beständen, in 
denen zuvor 50 Proz. der Ferkel eingingen oder Kümmerer blieben, 300 Ferkel 
mit polyvalentem Schweineseucheserum und Bazillenextrakt. Bei keinem 
der geimpften Tiere konnten auch nur Spuren von Schweineseuche festge¬ 
stellt werden. (Deutsche Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 533.) 

Burow berichtet in vorläufiger Mitteilung über ein neues Präparat 
zur Bekämpfung der akuten und chronischen Schweineseuche. 
Es boII sich als Schutz- und Heilmittel in vielen, selbst ungünstigen Fällen 
bewährt haben. Das Präparat wird unter dem Namen „Suptol“ von der 
Chemischen Fabrik von E. Merck in Darmstadt in den Handel gebracht. 

Derselbe liefert einen Bericht über die weiteren Heilimpfungen 
gegen Schweineseuche mit Suptol nach Burow, in dem er mitteilt, daß 
sich von 50 Versuchsanstellern 43 günstig über die Wirkung des Präparates 
aussprechen. Er glaubt in dem „Suptol“ ein wirksames Mittel im Kampfe 


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Epizootien. Geflügelcholera und Hühnerpest. 


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gegen die Schweineseuche erblicken zu dürfen. (Berl. Tierärztl. Wochenschr. 
1907, S. 450. Desgl. S. 847.) 

Becher macht Mitteilung über das Ergebnis seiner Impfungen 
gegen Schweineseuche mit Suptol nach Burow. Danach soll das 
Snptol bei rechtzeitiger Anwendung in allen Formen der Schweineseuche, 
wenn nicht schon sehr erhebliche Entartungen in der Lunge und anderen 
Organen eingetreten sind, Heilung herbeiführen. (Berl. Tierärztl. Wochenschr. 
1907, S. 551.) 

Geflügelcholera und Hühnerpest. 

Die Geflügelcholera hat 1907 im Deutschen Reiche gegenüber dem 
Vorjahre wieder räumlich zugenommen. Es waren betroffen 429 Kreise usw. 
(gegen 388), 1090 Gemeinden (1164) und 2387 Gehöfte (2700). Verendet 
oder getötet sind 26 390 Hühner (30 022), 19 170 Gänse (32 811), 7306 Enten 
(10 517), 191 Tauben (460), 481 Stück anderes Geflügel (519), zusammen 
53 538 Stück Geflügel (74 329). Seucheneinschleppungen sind hauptsäch¬ 
lich erfolgt aus Rußland, ferner mehrfach aus Österreich-Ungarn und Italien. 

Die Hühnerpest hat gegen 1906 erheblich zugenomraen. Verendet 
oder getötet sind 12 348 Hühner aller Art, 179 Gänse und 28 Enten (gegen 
957 Hühner und 72 Gänse im Vorjahre). (Jahresbericht über die Ver¬ 
breitung von Tierseuchen im Deutschen Reiche 1907, S. 76 u. 81.) 

Ruß veröffentlicht Beobachtungen über das Virus der Hühner¬ 
pest, das ultravisibel und wahrscheinlich an die Blutkörperchen gebunden 
ist, durch Zentrifugieren aber teilweise ausgeschieden werden kann. (Münch. 
Med. Wochenschr. Nr. 3. Ref. in Berl. Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 108.) 

Schiffmann: Zur Histologie der Hühnerpest. In Gehirnschnitten 
von Gänsen, die an Hühnerpest verendet waren, wurden morphologisch streng 
präzisierte Körperchen gefunden, die der Forscher den Guarnerischen und 
Negrischen Körperchen auch hinsichtlich der diagnostischen Bedeutung 
anreihen zu können glaubt. (Zentralbl. f. Bakt. usw., I. Abt, Orig., Bd. 45, 
S. 393.) 

Depperich verlangt in seiner Arbeit „Beiträge zur Kenntnis der 
neuen Hühnerseuche (Hühnerpest)“ für die Diagnose der Hühnerpest 
ein positives Impfergebnis heim Huhn und negativen Ausfall der bakterio¬ 
logischen Prüfung sowie des ÜbertragungsVersuchs auf weiße Mäuse und 
ältere Tauben. (Fortschritte der Veterinärhygiene 1907, S. 244.) 

Kraus und Schiffmann: Studien über Immunisierung gegen 
das Virus der Hühnerpest, die aktive Immunisierung der Gans. 
Die Forscher haben festgestellt, daß es gelingt, das Rückenmark junger 
Gänse, die intramuskulär zu infizieren sind, mittels Austrocknung bei 22° 
derart abzuschwächen, daß es für Hühner nicht virulent ist. Im Gegensatz 
dazu gelingt es nicht, selbst 20 Tage lang getrocknetes Rückenmark von 
Hühnern und subdural infizierten älteren Gänsen in seiner Virulenz zu 
verändern. 

Die bei intramuskulärer Infektion unempfänglichen alten Gänse lassen 
sich subdural sicher mit Hühnermark infizieren. Im Zentralnervensystem 
dieser Gänse sind spezifische Hühnerpestkörperchen nachweisbar. 


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Infektionskrankheiten. 


Mit dem getrockneten Rückenmark der intramuskulär infizierten Gänse 
lassen sich Gänse gegen virulentes Mark intramuskulär infizierter junger 
Tiere schützen. 

Die von der Subdura aus infizierbaren Gänse, die intramuskulär un¬ 
empfänglich sind, lassen sich aktiv mit Rückenmark von der Subcutis aus 
gegen subdurale Infektion mit virulentem Hühnermark immunisieren. 
(Zentr&lbl. f. Bakt usw. 1907, Bd. 43, I. Abt., Orig., S. 825.) 

Kovacs: Zur Behandlung der Hühnercholera mit Galloserin. 
Mit dem von den Höchster Farbwerken hergeBtellten Serum „Galloserin“ 
gelang es, in zwei größeren stark verseuchten Hühnerbeständen die Seuche 
nach kurzer Zeit zum Stillstand zu bringen. (Allatorvosi Lapok 1907. Ref. 
in der Berl. Tierärztl. Wochenscbr. 1907, S. 567.) 

Rautmann berichtet über Prüfung des Kräuterextraktes von 
A. Backhaus-Hannover auf seine Wirksamkeit gegen Geflügel¬ 
cholera und Parallelversuche mit zwei Geflügelcholeraseris. Das 
Kräuterextrakt besitzt weder Schutz- noch Heilwert. Im Gegenteil erscheint 
dessen Verabreichung an Tauben nicht unbedenklich. Das Serum von Klett 
und Braun in Stuttgart, und noch mehr dasjenige von Gans in Frankfurt a. M„ 
hat jedoch gewisse Schutzkraft bewiesen. (Berl. Tierärztl. Wocbenschr. 1907, 
S. 552.) 

Gehirn- Rückenmarkentzündung (Bornasche Krankheit) 
und Gehirnentzündung der Pferde. 

Die Bornasche Krankheit der Pferde hat in der Provinz Sachsen 
und im Königreich Sachsen, d. h. dem Gebiet, in dem sie hauptsächlich vor¬ 
kommt und anzeigepflichtig ist, gegenüber dem Vorjahr erheblich zugenommen. 
Im ganzen sind 1380 Pferde (gegen 220 im Vorjahr) verendet oder wegen der 
Krankheit getötet worden. Davon entfallen 449 (55) auf die Provinz und 
931 (165) auf das Königreich Sachsen. Am meisten verseucht waren die 
Kreise Merseburg (119 Erkrankungsfälle), Weißenfels (82) sowie die Amts¬ 
hauptmannschaften Borna (313), Leipzig (232), Grimma (104), Chemnitz (93) 
und Zwickau (82). 

Die Gehirnentzündung der Pferde ist im Königreich Sachsen gegen¬ 
über dem Vorjahr etwas zurückgegangen, indem 146 Pferde verendet sind 
oder getötet wurden (gegen 162 im Vorjahre). (Jahreeber, über die Verbreitg. 
von Tierseuchen im Deutschen Reiche 1907, S. 83.) 

Grimm hat Untersuchungen über die bei der sogenannten 
„Kopfkrankbeit“ der Pferde gefundenen Bakterien angestellt. In 
der Ventrikelflüssigkeit der kranken Pferde wurden regelmäßig Streptokokken 
angetroffen, die mit den Ostertagschen Borna-Streptokokken im wesentlichen 
übereinstimmten. Im Hinblick auf die weitgehende klinische und bakterio¬ 
logische Übereinstimmung der beiden Krankheiten ist Grimm geneigt, die 
in Württemberg unter dem Namen „Kopfkrankheit“ bekannte Erkrankung der 
Pferde und die Bor na sehe Krankheit für identisch zu halten. (Inaug.-Diss. 
Gießen. Ref. im Jahresbericht von Ellenberger und Schütz 1907, S. 62.) 

Diem schreibt über die Behandlung der seuchenhaft auf¬ 
tretenden Gehirn- und Rückenmarkentzündung oder Schlafsucht 


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Epizootien. Influenza der Pferde. Ansteckender Scheidenkatarrh der Rinder. 251 

der Pferde und empfiehlt Sublimatein Spritzangen in die Jugularis neben 
Diät und Aufenthalt im Freien oder in kühlem, luftigem Stall. Außerdem 
wird Karlsbader Salz und Jodkali und bei Schwäcbezuständen Arseniklösung 
verabreicht. (Wochenschr. f. Tierheilk. u. Viehzucht 1907, S. 301.) 

Dorn hat bei der infektiösen Gehirn-Rückenmarkentzündung 
in einem Falle durch die von Diem empfohlenen intravenösen Sublimatein¬ 
spritzungen Heilung erzielen können. (Ebenda 1907, S. 741.) 

Influenza der Pferde. 

Die unter dem Namen Influenza zusammengefaßten Pferdekrankheiten 
(Brustseuche, Pferdestaupe) sind zwar nur in der Provinz Ostpreußen und 
im Königreich Sachsen anzeigepflichtig, doch sind Krankheitsfälle dieser Art 
auch aus sonstigen Teilen des Reiches mitgeteilt. So Bind unter den Pferden 
der Zivilbevölkerung an Influenza verendet in Preußen 746, in Bayern 6, 
im Königreich Sachsen 33, in Württemberg 7, Baden und Sachsen-Weimar 
je 14, Mecklenburg-Schwerin etwa 28 und in den übrigen Bundesstaaten 
zusammen, soweit bekannt geworden ist, 28 Pferde. (Jahresbericht über die 
Verbreitg. von Tierseuchen im Deutschen Reiche 1907, S. 86.) 

Walther teilt Beobachtungen mit aus der Praxis über den 
Gintritt der Brustseucheerreger in den Körper des Pferdes, denen 
zufolge die Nasen-Rachenöffnung als die Eintrittspforte des Krankheitserregers 
anzuseben ist. Daß es sich um Inhalationsinfektion handle, gehe daraus 
hervor, daß die ersten Krankheitserscheinungen in steifer Haltung von Kopf 
und Hals, schwachem Husten und Schmerzen in der Schlund- und Kehlkopf¬ 
gegend beständen. (Berl. Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 635.) 

Meyer berichtet in einem ausführlichen Artikel über die Komplika¬ 
tionen der Brustseuche. (Wochenschr. f. Tierheilk. und Viehzucht 1907, 
S. 920.) 

Fröhner beobachtete Amaurose nach Brustseuche. Die vollständige 
Grblindung des Pferdes konnte durch zweimonatige Behandlung mit Strychnin 
geheilt werden. 

Derselbe berichtet über Mauke alsKomplikation derBrustseuche. 
Er beobachtete bei einem Pferd nach dem Verschwinden der Brustseuchen¬ 
pneumonie einen exanthematischen vesikulären Hautausschlag an den Beuge¬ 
flächen der Beine. (Monatshefte f. prakt. Tierheilk. 1907, Bd. 18, S. 138. 
Ebenda, Bd. 19, S. 124.) 

Ludewig liefert einen zusammenfassenden Bericht über Brust¬ 
seuche in der Armee. Er behandelt eingehend Geschichte und Verbreitung 
der Brustseuche, Krankheitserscheinungen und Behandlungsarten sowie die 
bisherigen Ergebnisse der Brustseucheforschung. (Zeitschr. f. Veterinärkunde 
1907, S. 1 u. 49.) 

Ansteckender Scheidenkatarrh der Rinder. 

Der ansteckende Scheidenkatarrh der Rinder hat in Sachsen-Altenburg, 
dem einzigen Bundesstaat, in dem die Anzeigepflicht für diese Seuche ein¬ 
geführt ist, erheblich abgenommen. Im ganzen waren 170 Rinder (gegen 


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262 


I nf ek ti onskrankheiten. 


511 und 4795 in den Vorjahren) erkrankt. (Jahresbericht über die Verbreitg. 
von Tierseuchen im Deutschen Reiche 1907, S. 92.) 

Greve: Zur Diagnose des infektiösen Scheidenkatarrhs der 
Rinder. Rötung der Scheidenschleimhaut und starkes Hervortreten der 
Follikel sind von der Individualität, Haltung und Fütterung der Tiere ab¬ 
hängig. Jedenfalls kann von dem Vorhandensein dieser Erscheinungen allein 
auf das Vorliegen der Seuche nicht geschlossen werden. (Fortschr. der Vet.- 
Hygiene 1907, S. 193.) 

Braute schreibt über Colpitis granulosa als Sterilitätsursache. 
Bei 60 Kühen, die infolge des Scbeidenkatarrhs steril waren, konnte durch 
Spülung mit Soda- und Borsäurelösung sowie mit Ichtharganlösung Heilung 
herbeigeführt werden. (Sveusk Veterinärtidskrift, Bd. 12, S. 120. Ref. im 
Jahresbericht usw. von Ellenberger u. Schütz 1907, S. 63.) 

Wohlmuth macht in einer Arbeit über den ansteckenden Scheiden¬ 
katarrh beim Rind und seine Bedeutung für die Landwirtschaft 
bezüglich der Bekämpfung der Seuche folgende Angaben. Der ansteckende 
Scheidenkatarrh des Kindes ist selbst bei veralteten Zuständen heilbar, er¬ 
fordert aber eine Behandlung von mindestens zwei Monaten Dauer. Am 
besten hat sich die Bazillolbehandlung bewährt, die unter Anwendung von 
Kapseln einfach und billig durchführbar ist. Gleichzeitig sind Waschungen 
der äußeren Geschlechtsteile, der mit den letzteren in ständiger Berührung 
befindlichen Schweiffläche und der Schwanzquaste mit l 1 a prozentiger Ba- 
zillollÖ8ung auszuführen. Die Jaucherinne ist häufig zu desinfizieren, die 
Streu muß öfter erneuert werden. Nach Abheilung der Seuche hat gründliche 
Stalldesinfektion zu erfolgen. Bei Kühen, die nach überstandener Seuche 
trächtig geworden sind, soll die Bazillolbehandlung gegen den fünften Monat 
der Trächtigkeit wieder einsetzen. Bei Seucheugängen empfiehlt es sich, vor 
dem Deckakte die Geschlechtsteile der männlichen und weiblichen Rinder 
tierärztlich untersuchen zu lassen. (Nach Ref. in der Wochenschr. f. Tierhlk. 
u. Viehzucht 1907, S. 350.) 

Richter schreibt über ansteckenden Scheiden katarrh der Rin der 
auf Grund eingehender Untersuchungen in 12 verseuchten Ställen. Von 
283 seuchekranken Rindern sind bei 4- bis 6 wöchiger Behandlung mit Ba- 
zillolsalbe nur 28,6 Proz. geheilt worden, und selbst bei Ausdehnung der 
Behandlung bis auf 7 Monate konnten keine durchaus befriedigenden Heil¬ 
erfolge erzielt werden. Verfasser ist daher der Meinung, daß es bei der 
großen Mühe und den erheblichen Kosten, die den Besitzern aus einer so 
langen Behandlung erwachsen, zweckdienlich sei, Bich auf die Bekämpfung 
der üblen Begleiterscheinungen durch halbjährlich vorzunehmende Behandlung 
der verseuchten Bestände von etwa 6 wöchiger Dauer zu beschränken. (BerL 
Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 767.) 

Ritzer hat mit Bazillolsalbe und Desinfektion mit 1’/j prozentiger Ba- 
zillollösung angeblich gute Erfolge bei der Bekämpfung des infektiösen 
Scheidenkatarrhs erzielt. (Wochenschr. f. Tierheilk. u. Viehzucht Ref. 
in der österr. Monatsschr. f. Tierheilk. 1907, S. 211.) 


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Epizootien. Druse der Pferde. 


253 


Diem zieht bei der Behandlung des Scheidenkatarrhs Aus¬ 
spülungen mit */ a bis 1 prozentiger Formaldehydlösung der Salbentherapie 
vor. (Wochenschr. f. Tierheilk. u. Viehzucht 1907, S. 424.) 

Kreutzer bemerkt in kurzen Mitteilungen aus der Praxis, daß 
sich mit Brauhefe eine besonders günstige Wirkung auf den Verlauf des 
Katarrhs habe erzielen lassen. (Ebenda, S. 265.) 

Druse der Pferde. 

Im Jahre 1907 erkrankten in Ostpreußen, wo die Seuche der Anzeige¬ 
pflicht unterworfen ist, 4250 Pferde (gegen 6623 im Vorjahr) an Druse; 
311 (513) Pferde sind daran verendet. (Jahresbr. über die Verbreitg. von 
Tierseuchen im Deutschen Reiche 1907, S. 93.) 

Baruchello liefert einen Beitrag zum Studium der Ätiologie der 
D ruse. Neben dem DruseBtreptokokkus fand er sowohl im Drüseneiter als 
auch im Blute drusekranker Pferde fast regelmäßig Staphylokokken. Zur 
Aufsuchung des Staphylokokkus und Streptokokkus im Blut eignet sich die 
Kultur in einer Lösung von Natriumcitrat und Gelose. Sie ist leicht auszu- 
fähren und für die Diagnosestellung in zweifelhaften klinischen Fällen 
wichtig. Wie der Drusestreptokokkus nicht vom pyogenen Streptokokkus 
zu unterscheiden ist, so gilt dies auch für den gefundenen Staphylokokkus 
und den Staphylococcus pyogenes. Jeder der beiden Mikroben wächst im 
Filtrat des anderen; sie leben gern zusammen in der gleichen Kultur und 
bleiben noch nach mehreren Passagen in Kulturen und im Tierkörper ver¬ 
gesellschaftet. Gemischte Kulturen haben stärkere pathogene Eigenschaften 
als solche der einzelnen der beiden Mikroben. Sterile Filtrate des Staphylo¬ 
kokkus enthalten sehr wirksame toxische Stoffe. Reinkulturen des Strepto¬ 
kokkus erhalten durch Zufügung der Staphylokokkentoxine eine größere 
Virulenz. Das vielgestaltige klinische Bild der Druse hängt in vielen Fällen 
von der Vergesellschaftung des Streptokokkus mit einem Staphylokokkus ab; 
der erstere ist das Hauptagens, der zweite erleichtert das Vordringen im 
Körper durch seine toxischen Eigenschaften. Die große Variabilität der 
klinischen Formen der Druse, ihre Schwere und ihre vielfachen Komplikationen 
sind meist das Ergebnis der gemeinsamen Wirkung beider Mikroben. (Revue 
gen. de med. vet., t. IX, p. 433. Ref. im Jahresbericht ubw. von Ellenberger 
und Schütz 1907, S. 65.) 

Cerquetti berichtet über Anwendung deB Druseheilserums (Ba- 
ruchello) bei einem seit Wochen behandelten, an metastatischer Druse er¬ 
krankten Pferde, das danach in kurzer Zeit geheilt wurde. (La clin. vet. 
aez. prat. settim., p. 261. Ref. in der Deutschen Tierärztl. Wochenschr. 1907, 
8. 534.) 

Hoffmann beschreibt eingehend die operative Behandlung der 
Druse. (Österr. Monatsschr. f. Tierheilk. 1907, Nr. 8.) 

Pelka berichtet über einen Fall von Druse, bei dem es zu jauchiger 
Entzündung des KiefergelenkeB kam. (Zeitschr. f. Veterinärkunde 1907, 
S. 66.) 

Friis berichtet über günstige Erfahrungen mit Druseheilserum 
Jeß-Piorkowski in verschiedenen dänischen Regimentern. (Meddelelser 


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254 Haut- und Muskelpflege. 

om Haerens Heste 1907. Hef. in der Berl. Tierärztl. Wochenschr. 1907, 
S. 771.) 

Willerding empfiehlt ein neues Druaepräparat, das er an einigen 
Dutzend Pferden in der Praxis erprobt hat und von dem er überzeugt ist, 
daß es genügenden Schutz gegen die natürliche Ansteckung mit Druse ver¬ 
leiht. Das 8erumartige Präparat wird in der Apotheke in Mohrungen (Ost¬ 
preußen) hergestellt und nur an Tierärzte abgegeben. (Deutsche TierärztL 
Wochenschr. 1907, S. 727.) Wehrle. 


Dritter Abschnitt. 

Haut- und Muskelpflege. 

Pflege der Haut. 

Kromayer (Berlin): „Die Dauerheilung der Schweißhände 
durch Röntgen.“ (Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 50.) Verfasser hat 
drei schwere Fälle dieser Art mittels Röntgenbestrahlung zur Heilung zu 
bringen vermocht. Die Bestrahlungen wurden bis zur Erzielung einer 
Röntgendermatitis fortgesetzt, und leistete dem Verfasser bei der Dosierung 
der anzuwendenden Röntgenstrahlen eine von ihm angewendete physikalische 
Berechnungsmethode, über deren Einzelheiten das Original zu vergleichen 
ist, gute Dienste. (Ref. in Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 52, S. 2612.) 

G. Michel: „Hautpflege und Kosmetik.“ München 1907, Verlag 
von Gmelin. 34 Seiten. 

Zur Abhärtung gegen Erkrankungen der Respirationsorgane ist die 
bewegte Luft das kräftigste Hilfsmittel. Neben dem Lichtluftbad und 
Zimmerluftbad läßt sich das in hervorragender Weise erreichen durch das 
künstliche Lichtluftbad. Herz-Meran (Therap. Monatshefte I, 1907) 
empfiehlt das letztere angelegentlich auch bei Erkrankungen der oberen 
Luftwege, bei pleuritischen Exsudaten, auch bei Phthise. 

Zu Abhärtungszwecken verwendet Herz anfangs ein indifferentes Luft¬ 
strombad von 34° C, dann geht man zu kühleren Temperaturen über, jedoch 
nicht unter 20° C, und zum Schluß wiederum ein Luftstrombad von 30 bis 35°. 
Im Lichtluftbadkasten ist es leicht, alle Kontraste, die zu Erkältungen führen, 
hervorzurufen. (Ref. in Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 14, S. 701.) 

P. Trengowski: „Zur Frage der Luft und der sogenannten 
Wasser-Luft-Duschen.“ (Arch. f. Psychiatrie undNervenkrankh.. Bd. 42, 
Heft 2, 1907.) 

Verfasser hat in zahlreichen Versuchen an sich selbst die Wirkung des 
Luftstroms auf die menschliche Haut studiert und Versuche mit dem kalten, 
erwärmten, mit dem einfachen Luftstrom von der gewöhnlichen Temperatur 
und mit dem Luft-Wasserstrom (im Luftstrom Wasser fein zerstäubt) an- 
gestellt. Er ging von dem Gedanken aus, die günstige Wirkung der strömen¬ 
den Luft therapeutisch, zur Behandlung schwerer Neurastheniker aus¬ 
zunutzen. 


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Pflege der Haut. 


265 


Nach seinem Grundsatz, daß es sich bei jeder auf die Körperoberfläche 
der Neurastheniker angewandten Prozedur um die Erzeugung der Erweite¬ 
rung der Hautgefäße, von Rötung und Erwärmung, bandeln müsse, sind 
seine Versuche als positiv zu betrachten. Als die besten sind die Versuchs¬ 
resultate mit dem Luft-Wasserstrom zu bezeichnen- (Ref. in Münch, med. 
Wochenschr. 1907, Nr. 16, S. 800.) 

Julian Marcuse (Ebenhausen - München): „Geschichte des Luft¬ 
bades. (Zeitschr. f. physikal.-diätet. Therapie, Bd. XI, Heft 1.) 

Schneider (Köln-Ehrenfeld): „Licht-Luftbad, eine neue Aufgabe 
für Gemeinden.“ (Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspfl., Heft 9 und 10.) 

Zu den Pflichten der Gemeinden, die neben den übrigen Kulturaufgaben 
der Pflege des Körpers nicht in genügender Weise Rechnung getragen haben, 
gehört auch die Einrichtung von Licht-Luftbädern. Für diese, die sich am 
besten im Anschluß an Flußbadeanstalten herBtellen lassen, genügt ein gegen 
Winde geschützter Platz, durch eine 2 1 ,/ 2 m hohe Umzäunung gegen Ein- 
sichtigkeit gesichert, mit einer guten Grasnarbe, einer einfachen Halle, 
Duschen, Badewannen versehen und mit Turngeräten, Kegelbahn usw. aus¬ 
gestattet. Neben den sonstigen die Gesundheit und Seuchenfestigkeit stärken¬ 
den Wirkungen der Licht-Luftbäder wird als Erfolg eine Abneigung gegen 
den Genuß geistiger Getränke, durch den Anblick der nackten Körper ein 
veredelnder Einfluß auf den Schönheitssinn, eine Bekämpfung krankhafter 
Sinnlichkeit, in sozialer Beziehung eine Ausgleichung der Standesunterschiede 
gerühmt. (Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 31, S. 1272.) 

Grabley: „Die therapeutische Bedeutung der Luftbäder bei 
der Behandlun g der Neurasthenie, Chlorose und Anämie.“ (Klinisch¬ 
therapeutische Wochenschr. 1907, Nr. 41.) Verfasser betont den Nutzen der 
Anwendung der Luftbäder unter Beobachtung der üblichen Vorsichts¬ 
maßregeln. 

A. Lewandowski: „Technik und praktische Bedeutung des 
Luftbades.“ (Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung 1907, Nr. 11.) Lewandowski 
empfiehlt, täglich drei Luftbäder von nicht länger als 10 Minuten Dauer zu 
nehmen; im Winter im gut gelüfteten auf 17 bis 18°C erwärmten Zimmer, 
im Sommer im Freien unter Vermeidung der direkten Sonnenstrahlen. 
Während des Luftbades sind ruhige Muskelbewegungen zu machen. Bei 
der Wirkung kommt vor allem die Haut als Wärmeregulierer und als Organ 
der Ausscheidung und des Stoffwechsels in Betracht. Rheumatische, Blut¬ 
arme und Skrofulöse sollen nur bei höheren, Fettleibige bei niedrigeren 
Temperaturen baden. 

Marcuße: „Luft- und Sonnenbäder.“ (3. Heft der Sammlung: 
Physikalische Therapie in Einzeldarstellungen. Herausgeber Marcuse und 
Strasser, Stuttgart, Enke, 1907.) Das Buch enthält vorzügliche Hin¬ 
weise über Einrichtung von Luft- und Sonnenbädern an der Hand guter 
Bilder, sowie das Wesentlichste über die physiologischen Grundlagen und 
die Indikationsgebiete. 

James M. Anders: „Die Freiluftbehandlung akuter Krank¬ 
heiten der Atmungsorgane.“ (Journal of Balneology and Climatology, 
Mai 1907.) 


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256 


Haut- und Muskelpflege. 


Verfasser empfiehlt vor allem, die Pneumonie in frischer Luft zu be¬ 
handeln; wo es unmöglich ist, den Kranken im Freien zu halten, sollte 
wenigstens für häufige Durchlüftung des Zimmers gesorgt werden. Auch 
für Bronchitiker eignet sich die frische Luft besser, als das warme, schlecht 
ventilierte Krankenzimmer. (Ref. in Münch, med. Wochenschr. 1907, 
Nr. 37.) 

Bader. 

A. Laqueur (Berlin): „Neuere Anschauungen über die Wir¬ 
kungsweise der Hydrotherapie.“ (Berl.klin. Wochenschr. 1907, Nr.34.) 
Kurzdauernde heiße Bäder wirken günstig bei Erschöpfungszuständen, ferner 
zur Anregung der Herztätigkeit, zur Steigerung der Muskelleistung, zur 
Behandlung mancher Fälle von Bleichsucht. Hinsichtlich der indifferenten 
Temperaturen der Thermalquellen haben die neueren Forschungen bekannt¬ 
lich ergeben, daß ihre Wirkung zum Teil mit der Radiumeman&tion zu¬ 
sammenhängt. Indifferent warme Bäder steigern die Funktion der Nieren 
als Ausscheidungsorgan, besonders des Kochsalzes. Es ist unrichtig, bei 
allen Formen von Nierenentzündungen immer heiße Vollbäder zu geben, da 
die indifferent warmen Bäder zur Anregung der Nierentätigkeit oft zweck¬ 
mäßiger sind. 

Verfasser fand nach Kälteanwendung keine Verminderung der natür¬ 
lichen bakteriziden Eigenschaften des Blutserums. (Ref. in Münch, med. 
Wochenschr. 1907, Nr. 37, S. 1837.) 

In der Hauptversammlung der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder, 
die am 8. und 9. Mai 1907 in Dessau stattfand, kamen unter anderem 
folgende Gegenstände zur Verhandlung: Wilhelm Klebe: „Die Benutzung 
der Fabrikbäder durch die Arbeiter.“ Als Resümee seines Vortrages 
stellte er folgende Leitsätze auf: 1. Fabrikbäder mit den dazugehörigen 
Aus- und Ankleiderüumen sollen stets in tunlichster Nähe der einzelnen 
Arbeitsstätten liegen. 2. Die Bäder sind den neuesten Fortschritten 
der Badetechnik entsprechend zu errichten und mit hellster Belichtung 
zu versehen; auch ein gewisser Komfort darf dabei angewendet werden. 
3. Die Bäder sind stets sauber zu halten; bei größeren Anlagen muß ein 
Badewärter die Aufsicht führen. 4. Die Bäder selbst sind unentgeltlich 
zu verabfolgen: Seife und Wäsche sind, wenn nicht ebenfalls unent¬ 
geltlich zu liefern, möglichst billig zu berechnen. 5. Die Gelegenheit zum 
Baden ist im allgemeinen tunlichst zu erleichtern; kann eine Fabrik die 
Badebenutzung für ihren ganzen Betrieb oder für einzelne Teile desselben 
den Arbeitern während der Arbeitszeit gestatten, so sollte sie dies nicht 
allein tun, sondern die Badebenutzung zwangsweise einführen, eventuell 
durch Aufnahme einer bezüglichen Bestimmung in die Arbeitsordnung. 
Arnold (Dortmund) sprach über die Rentabilität von Volksbädern. Seine 
Rede gipfelte in folgenden Leitsätzen: Die Volksbadeanstalt ist mit Rück¬ 
sicht auf die Erzielung großer Rentabilität zunächst nur dem mit einiger 
Sicherheit erwarteten Besuch entsprechend, aber erweiterungsfähig anzu¬ 
legen, in der Mitte der Stadt zu errichten, mit vollkommenen technischen 
Einrichtungen zu versehen, möglichst mit einer in der Nähe befindlichen 
Dampfmaschinenanlage zu verbinden, damit die Abwässer zur Erwärmung 


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Bäder. 


257 


des Volksbades benutzt werden können. Wie die Diskussion ergab, ist 
diese letzte Forderung bereits praktisch durchgeführt. 

ln einer Sitzung des Internationalen Kongresses für Hygiene und Demo¬ 
graphie vom 23. bis 29.September 1907 sprachen: 

A. Herzberg und 0. Lassar (Berlin) über die Einrichtung von Volks¬ 
und Arbeiterbädern; sie befürworten namentlich die Einführung von Schwimm¬ 
unterricht in Naturbädern, in Teich, Fluß und See, und in Hallenschwimm¬ 
bädern. Die Krankenkassen und Landesversicherungsanstalten für Arbeiter 
bedürfen der gesetzlichen Erlaubnis und behördlichen Anregung, aus pro- 
phylaktischen und gesundheitlichen Gründen das Badewesen in Stadt und 
Land durch finanzielle Unterstützungen zu fördern. 

Neben Einrichtung von Volksbädern — namentlich Volksbrausebädern — 
sollte auch sonst Vorsorge für Waschgelegenheit geboten sein, z. B. in Bahn¬ 
höfen usw. (Ref. in Münchn. med. Wochenschr. 1907, S. 2353.) 

Deutsch (Kiew): „Die Duschevorrichtung als ein Problem der 
hydriatischen Technik.“ (Zeitschr. f. Diätet. u. physikal. Therapie, 
Bd. X, Heft 9.) 

Deutsch beschreibt einen Apparat, der eine leichte, rasche und genaue 
Regulierung sowohl des hydraulischen Druckes als der Temperatur gestattet. 
(Ref. in Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 42, S. 2101.) 

Steinsberg (Franzensbad) teilte auf dem Baineologenkongreß zu 
Berlin am 7. bis 10. März 1907 seine Erfahrungen über Behandlung der 
Bleichsucht mit heißen Moorbädern mit, die dadurch gute Erfolge erzielt, 
■weil die Bleichsucht meistenteils auf Erkrankungen der Eierstöcke zurück¬ 
zuführen ist, die durch Moorbäder günstig beeinflußt werden. Die Moor¬ 
bäder können durch andere hydrotherapeutische Maßnahmen wesentlich 
unterstützt werden. (Ref. in Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 15, 
S. 751.) 

Franz Groedel III (Bad Nauheim): „Versuche mit kohlensauren 
Gasbädern.“ Ein Beitrag zur Erklärung der physiologischen Wirkung 
der kohlensauren Wasserbäder. Vortrag, gehalten auf dem 28. Baineologen¬ 
kongreß 1907. 

Seine im Original nachzulesende Versuchsanordnung an drei herz- und 
gefäßgesunden Personen ist neu und ergab folgende Resultate: Im kohlen¬ 
sauren Gasbade wird Blutdruck und Respiration nicht beeinflußt, der Puls 
beträchtlich beschleunigt. Zugleich beweisen seine Versuche, entsprechend 
der Senator-Frankenhäuserschen Theorie, daß einer der wirksamsten 
Faktoren der kohlensauren Thermalbäder der thermische Kontrast ist. (Ref. 
in Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 18, S. 896.) 

W. A. A. van Binsbergen: „Sodabäder als Heilmittel.“ (Neder- 
land. Tijdschr. voor Geneeskunde I, Nr. 16.) Durch einen Pastor vor sechs 
Jahren auf die günstige Wirkung von Sodabädern bei Panaritium aufmerk¬ 
sam gemacht, hat Verfasser diese in zahlreichen Fällen, in denen bereits 
eine Eiteröffnung bestand, mit gutem Erfolge angewandt. Später erprobte 
er dieselben mit gleich guter Wirkung in etwa 300 Fällen von Knochentuber¬ 
kulose, meist tuberkulöser Osteomyelitis und Beingeschwür. Der betreffende 

Vierteljehrsschrift fflr Gesundheitspflege, 1908. Supplement. ] "J 


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258 


Haut- und Muskelpflege. 


Körperteil wird täglich zweimal, bei viel Eiterbildung viermal in einer ein¬ 
prozentigen Sodalösung von 35 bis 40° C eine Stunde lang gebadet, während 
das Wasser durch Zugießen stets auf der gleichen Temperatur gehalten wird. 
Es soll nur ganz reine englische Kristallsoda genommen werden. (Ref. in 
Münchn. med. Wochenschr. 1907, Nr. 41, S. 2054.) 

Erich Ebstein (Eisenach): „Sanatorium- und Bäderwesen.“ 
(Zeitschr. f. physikal. u. diätet Therapie, Bd. XI, Heft 2.) Beachtenswerte 
Vorschläge über Reformationen in den Kurorten nach der Seite der Heil¬ 
faktoren, sowie der sozialen Zustände hin. Nutzbarmachung sämtlicher 
physikalischer Heilmittel und -methoden auch für minderbemittelte Patienten. 
Namentlich sollten die Kurorte der großen Zahl von Halb- und Fast gesunden 
dieselben Heilfaktoren gewähren, die bisher im allgemeinen nur in Sanatorien 
zu finden sind. (Ref. in Deutsch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 20, S. 818.) 

Wilhelm Winternitz: „Die schottische Teilabreibung.“ Eine 
technische Neuerung. (Blätter f. klin. Hydrotherapie 1907.) 

Bisher wurden Teilabreibungen entweder mit kaltem oder kühlerem 
Wasser bzw. mit heißem Wasser gemacht. Winternitz empfiehlt, wo man 
schonend, aber doch wirksam verfahren will, schottische, d. h. wechBelwarme 
Teilabreibungen zu machen. Er beschreibt die sehr einfache Technik. Zwei 
Gefäße mit 40° bzw. 8 bis 10° C warmem Wasser, in jedem ein Laken, 
welches gut ausgerungen dem zu behandelnden Körperteil glatt aufgelegt 
wird, worauf leichtes Frottieren erfolgt. Zuerst mit dem heißen, dann mit 
dem kühleren Laken. Eb erfolgt eine starke Erweiterung der Hautgefäße, 
die ein angenehmes Wärmegefühl verursacht. 

H. Determann: „Umschläge, Einwickelungen und Ein¬ 
packungen.“ (Deutsch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 24.) Zur Anwendung 
der Hydrotherapie gehört keine mit vielen Einrichtungen versehene Anstalt. 
Auch mit den einfachsten Mitteln, die in jedem Haushalt zur Verfügung 
stehen, lassen sich, wie Determann nach weist, die wesentlichsten Wir¬ 
kungen der Wasserbehandlung erzielen. Der Aufsatz enthält recht wert¬ 
volle Angaben über Technik, Indikationen und Wirkungsweise der in Frage 
kommenden Prozeduren. 

Deutsches Bäderbuch. Leipzig, J. J. Weber, 1907. 

W. Winternitz (Wien): „Über Ozetbäder“ (brausende Sauerstoff¬ 
bäder). (Blätter f. klin. Hydrotherapie 1907, Nr. 1.) 

Eine besondere Form der Trichophytie als Folgeerscheinung des per¬ 
manenten Bades, wie es mit gutem Erfolge in der Psychiatrie angewendet 
wird, hat E. Jakobi in Freiburg in mehreren Fällen beobachtet Am wahr¬ 
scheinlichsten ist es, daß die Badetrichophytie hervorgerufen wird durch 
Keime, die normaliter im Badewasser Vorkommen und die erst auf der 
durch das permanente Bad in ganz außerordentlichem Grade mazerierten 
Epidermis, speziell derjenigen kachektischer Individuen, die zum Wachstum 
und zur Vermehrung nötigen Bedingungen finden und damit auch eine 
gewisse, sehr schwache Virulenz erlangen. Durch Austrocknen erlischt ihre 
ohnehin geringe Virulenz vollständig. (Arch. f. Dermatol, u. Syphilis 1907, 
Bd. 84.) (Ref. in Berl. klin. Wochenschr. Literaturauszüge, S. 48.) 


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Kleidung. 


259 


Kleidung. 

H. Jäger und Frau Anna Jäger: „Hygiene der Kleidung“. Mit 
94 Abbildungen, darunter 15 Tafeln auf Kunstdruckpapier. (Bibliothek der 
Gesundheitspflege, Bd. 19. Stuttgart, Ernst Heinrich Moritz.) 

Die Verfasser versuchen durch dies interessant und leicht verständlich 
geschriebene und in erster Linie für das nicht physiologisch geschulte Publi¬ 
kum bestimmte Büchlein die Hauptergebnisse der mühevollen Untersuchungen 
Rubners und seiner Schüler in populärer Form darzustellen. Ein überaus 
reichhaltiges Material ist hier in dem engen Raum von 200 Oktavseiten 
kurz und klar zusammengestellt und durch instruktive Abbildungen, stati¬ 
stische Zahlenbilder u. dgl. anschaulich gemacht, derart, daß die Lektüre 
des Buches auch dem praktischen Arzte, der sich mit diesem Gebiete bisher 
nicht besonders beschäftigt hat, manches gerade für die Praxis schätzens¬ 
werte Material übermitteln dürfte. Dies gilt besonders von dem Teil des 
Werkes, der, von Ffau Anna Jäger geschrieben, sich mit der Umgestaltung 
der Frauentracht nach gesundheitlichen Gesichtspunkten beschäftigt und 
das in der Tagespresse, in Modejournalen und wissenschaftlichen Artikeln 
zerstreute Material übersichtlich geordnet vorführt. Ein hygienischer Streif¬ 
zug durch die Kulturgeschichte der Kleidung, sowie eine Schilderung des 
bisherigen Verlaufs der Reformbewegung leitet diesen Teil in fesselnder 
Darstellung ein. Nach einem weiteren Kapitel, das sich mit der Wechsel¬ 
beziehung der Kleidung zum Kulturfortschritt beschäftigt, wird der Einfluß 
der Kleidung auf die Leistungsfähigkeit und die Gesundheit der Frau im 
Berufsleben im Lichte der Statistik geschildert. Es folgt eine Schilderung 
der verschiedenen männlichen und weiblichen Berufskleidungen, sowie eine 
kurze Plauderei über die Reform der Zuschneidekunst. Die hier aus¬ 
gesprochenen Gedanken kristallisieren sich um das beherzigenswerte Wort: 
„Maßnehmen müssen wir eigentlich vom Arzt lernen.“ Als Anhang wird 
eine tabellarische und graphische Übersicht über die hygienisch wichtigsten 
physikalischen Eigenschaften der Bekleidungsstoffe gegeben. (Ref. in Berl. 
klin. Wochenschr. 1907, Nr. 31, S. 1001.) 

K. B. Lehmann (Würzburg): „Vergleichende Untersuchungen 
über die hygienischen und technischen Eigenschaften glatter 
weißer Leinewand und Baumwollengewebe.“ (Arch. f. Hygiene, 
Bd. 60, Heft 3.) 

Die ausführlichen Untersuchungen erstreckten sich unter anderen auf 
die makroskopische und mikroskopische Struktur der Fasern, die chemischen 
Eigenschaften derselben, den Flächengehalt, Luftgehalt, Dicke, Starrheit 
und Glätte der appretierten Stoffe. Ferner auf Bleichung und Appretur, 
Adhäsionsversuche, Abnutzbarkeit, Zerreißfestigkeit, Luftdurchlässigkeit und 
Porengröße, Verhalten zur Wärme, Aufnahme von Gasen, Schmutz und 
Bakterien. Aus den zahlreichen, teils durch neu ersonnene Methoden er¬ 
zielten Resultaten seien folgende hervorgehoben: Leinengewebe sind starrer, 
weniger biegsam als gleichdicke Baumwollgewebe und behalten besser ihre 
Form und Ansehnlichkeit beim Tragen. Der Luftgehalt des Leinen beträgt 
44 Proz., während Baumwollengewebe 54 Proz. aufweist und dementsprechend 

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Haut- und Muskelpflege. 


auch um etwa 17 Proz. schwerer ist. Zur Steifmachung beider Gewebe 
wird eine Appretur zugesetzt, welche bei Leinenstoffen nur 1,2 bis 3 Proz., 
bei Baumwollstoffen 3,1 bis 12,9 Proz. beträgt. Sie ist nur mit großer 
Mühe und vielfachem Waschen vollständig zu entfernen. Die bekannte 
Eigenschaft des „Eingehens“ der Stoffe konnte in Zahlen bei Leinen zu 
6,9 Proz., bei Baumwolle zu 2,9 Proz. angegeben werden. Die Zerrei߬ 
festigkeit ist bei Leinen stärker als bei Baumwolle (100:60), für die Ab¬ 
nutzung stellt sich bei kürzerer Dauer das Verhältnis von Leinwand zu 
Baumwolle wie 100:129, bei längerer Dauer wie 100:213. Durch Be¬ 
nutzung werden beide Stoffe in annähernd gleicher Weise luftundurchlässig, 
ebenso ist die Wasserdampfaufnabme nicht merklich verschieden. Auch 
bei der Aufnahme von Ammoniakdampf ist kein wesentlicher Unterschied 
zu konstatieren. Die Glätte der Leinwand ist in oft gewaschenem Zustand 
rund 30 Proz. größer, als die der mehrfach gewaschenen Baumwollstoffe. 
Daher konnte auch das Anhaften von Staub und Schmutz an der Oberfläche 
von Leinen als viel geringer nachgewiesen werden, als bei Baumwolle. Die 
Leinenfaser hat also vor der Baumwolle gewisse Vorzüge, die sich in An¬ 
sehnlichkeit und Starrheit, Festigkeit und geringerer Abnutzbarkeit, Glätte 
und geringerer Aufnahmefähigkeit für Staub und Bakterien äußert. (Ref. in 
Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 13, S. 626.) 

Sambon (London): „Über Eleidung in den Tropen.“ (Journal of 
tropical Medicine, Bd. X, Heft 4, S. 67.) Verfasser betont, daß die meist 
gebrauchte weiße Eleidung wohl Hitze, aber nicht chemisch wirksame 
Strahlen vom Eörper fernhalte. Er wiederholt die schon des öfteren an- 
gestellten Versuche über die Durchlässigkeit der weißen und pigmentierten 
Haut — Verfasser nahm Inderhaut — für chemisch wirksame Strahlen, 
weist darauf hin, daß selbst die Farbigen, die im allgemeinen durch ihr 
Pigment geschützt seien, neben weißer Eleidung Rot, Gelb und Braun besonders 
für Eopf und Bauch bevorzugen und unbekleidete Eörperstellen mit roter 
Farbe oder rotem öl bestreichen. Er empfiehlt dann, um sowohl lang¬ 
wellige als auch kurzwellige Strahlen abzuhalten, einen Stoff aus weißen, 
roten und gelben Fäden gewebt, dessen Farbeneindruck dem Ehakd ähnelt. 
Ein solches von John Ellis hergestelltesGewebe, das außerdem noch wasser¬ 
dicht ist, nennt er Solaro. Die Übersetzung der lange bekannten Theorie 
in die Praxis ist erfreulich, leider fehlt jede Angabe und jedes Experiment 
über Herkunft, Wirkung und Art der verwendeten Fäden. (Ref. in Münch, 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 45, S. 2254.) 

Muskelpflege. 

Herz (Wien): „Heilgymnastik.“ Mit 38 Textabbildungen. Stutt¬ 
gart, F. Encke, 1907. 

Auf 71 Seiten gibt Verfasser einen Abriß der Heilgymnastik, der natür¬ 
lich nur den Wert einer orientierenden Skizze beansprucht. Im allgemeinen 
Teil sind physiologische Vorbemerkungen und die Beschreibung der heil¬ 
gymnastischen Bewegungen enthalten, sowie die Verordnungsweise und die 
Wirkungen der letzteren. Der spezielle Teil gibt einen kurzen Überblick 
über das Indikationsgebiet der Heilgymnastik. (Ref. in Deutsch, med. 
Wochenschr. 1907, Nr. 41, S. 1699.) 


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Muskelpflege. 261 

Erik Ekgren (Berlin): „Über den gegenwärtigen Stand der 
schwedischen Heilgymnastik.“ (Zeitschr. f. physik. unddiätet. Therapie. 
Bd. X, Heft 6.) Ekgren gibt einen Überblick über die Bedeutung der im 
Jahre 1813 und 1827 in Stockholm errichteten Staatsinstitute für Gymnastik 
und Orthopädie und ihre seitherige Entwickelung. Namentlich Männern 
wie Zander und Thure Brand verdanken wir bahnbrechende Errungen¬ 
schaften, die der schwedischen Heilgymnastik in der ganzen medizinischen 
"Welt Anhänger und Schüler zugeführt haben. (Ref. in Münch, med. 
Wochenschr. 1907, Nr. 2, S. 92.) 

Davy: „Wissenschaft und Volksgesundheit.“ (Lancet 1907, 
Nr. 4379.) Zur Verbesserung der Volksgesundheit und zur Verhütung der 
Degeneration ist eine Pflege von Spiel und Sport während der Schulzeit an¬ 
gebracht. (Ref. in Deutsche med. Wochenschr. 1907, Nr. 33, S. 1352.) 

Smitt (Dresden): „Mitteilungen aus dem Gebiete der Massage 
und der schwedischen Heilgymnastik.“ (Deutsche militärärztl. Zeitschr. 
1907, Heft 10.) 

Verfasser stellt als Ergebnis seiner Ausführungen am Schluß des Auf¬ 
satzes folgende Leitsätze auf: 

1. Die Massage und Gymnastik sind unter den physikalischen Heil¬ 
methoden Disziplinen von größter Bedeutung. 

2. Sie können bei einer großen Anzahl von Krankheiten aus fast allen 
Gebieten der Medizin Anwendung finden. 

3. Sie ermöglichen eine allgemeine Kräftigung des Organismus und 
bilden somit auch ein prophylaktisches Mittel gegen Erkrankungen. 

4. Der Wert dieser Disziplinen ist aber noch nicht genügend bekannt. 

5. Zum Nachteil für das Ansehen der genannten Heilmethoden und oft 
zum Nachteil für die Kranken ruhen zu einem großen Teil diese Heil¬ 
methoden heute noch in den Händen von Laien. 

6. Anzustreben ist, daß die Massage und Gymnastik immer mehr von 
den Ärzten selbst ausgeübt werden oder wenigstens unter ihrer Aufsicht 
von Personen, die, wie die schwedischen Gymnasten und Gymnastinnen, einen 
systematischen, gründlichen Unterricht in der Bewegungstherapie und deren 
Hilfswissenschaften genossen haben. 

G. Hasebrock: „Arteriosklerose und Gymnastik.“ (Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 21.) 

Schieffer: „Über Herzvergrößerung infolge Radfahrens.“ 
(Deutsches Arch. f. klin. Medizin, Bd. 89, Heft 5 u. 6.) Radfahrer haben in 
viel größerer Zahl und in viel höherem Maße Herzvergrößerungen als andere 
Personen, die im übrigen nach Alter, Geschlecht und funktioneller Leistungs¬ 
fähigkeit ihnen vergleichbar sind. Das Radfahren treibt, besonders nach 
längeren Jahren, die Herzvergrößerung weiter, als ein sogenannter schwerer 
Beruf, zumal es sich beim Radfahrerherzen um Hypertrophie und Dilatation 
handelt. 

Einem intensiven Radfahrsport kann also auch bei gesundem Herzen 
nicht das Wort geredet werden; bei nicht ganz intaktem Herzen ist noch 
größere Vorsicht nötig. (Ref. in Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 20, 
S. 998.) 


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262 


Haut- und Muskelpflege. Hygiene des Kindes. 

Gymnastische Praxis. (Monatsschr. f. Turnen, Leichtathletik und 
sonstige Leibesübung. Erster Jahrgang, Nr. 1, Januar 1907.) 

Karl Heinz: „Die Körperpflege in höherem Alter.“ (Bibliothek 
der Körperkultur, Nr. 3, mit 12 Abbildungen. Nr. 4.) — Hans Safow: 
„Die beste Gymnastik für Berufstätige.“ Wie man in der Familie 
Gymnastik treiben soll und kann. Mit Abbildungen und einer übungstafel. 
Berlin, Verlagsgesellschaft Corania, 1907. 

F. A. Schmidt (Bonn), Karl Möller, Turninspektor (Altona), Minna 
Radcziwill, Lehrerin (Hamburg): „Schönheit und Gymnastik.“ Bei¬ 
träge zur Ästhetik der Leibeserziehung. Leipzig und Berlin, B. G. Teubner, 
1907. Mit 40 Bildern. Enthält: Die natürlichen Grundlagen der Erziehung 
des Körpers zur Schönheit. Kunst und Leibesübung im erziehlichen Zu¬ 
sammenwirken. Reigen und Reigentanz. 

„Ratgeber zur Einführung der Volks- und Jugendspiele. 1 * 
Von weil. Turninspektor A. Hermann in Braunschweig. Sechste umge¬ 
arbeitete und erweiterte Auflage mit zahlreichen Abbildungen unter Mit¬ 
wirkung von A. Koch in Braunschweig und E. Kohlrausch in Hannover. 
Leipzig und Berlin, B. G. Teubner, 1907. Schmidt. 


Hygiene des Kindes. 

Albert Uffenheimer: „Säuglingselend und Säuglingsfürsorge.“ 
Vortrag, gehalten im Fortbildungsverein im Berolsheimerianum zu Fürth 
am 26. April 1907. Verfasser macht behufs Herabsetzung der Säuglings¬ 
sterblichkeit neben den bekannten und von allen Hygienikern betonten 
Forderungen folgenden Vorschlag: Es soll ein Säuglingsheim errichtet 
werden, welches als Vorbild für die Pflege und Ernährung des Säuglings 
und zugleich als Lehrinstitut für Ärzte, Hebammen und Pflegerinnen, junge 
Mütter und Mädchen aller Stände zu dienen hat. Mit dem Säuglingsheim 
ist ein Wöchnerinnenheim zu verbinden, welches in erster Linie dazu be¬ 
rufen ist, aus der Zahl der dort Entbundenen einen tüchtigen Stamm von 
Ammen heranzuzieben, welche gegebenenfalls auch nach außen hin abgegeben 
werden können. 

Das Institut hat der Gesamtheit zu dienen, und aus diesem Grunde 
muß jeder Säugling aufgenommen werden, welcher sozial gefährdet ist, sei 
es durch Erkrankung, sei es durch Mangel an Pflege. 

Als Mittelpunkt aller Bestrebungen, welche sich gegen die Säuglings¬ 
sterblichkeit richten, muß das Heim in erster Linie an dem Kostkinderwesen 
den Hebel ansetzen. Ferner soll mehr als bisher für die Rechte der unehe¬ 
lichen Kinder gesorgt werden. (Ref. im 18. Jahrgang der Hygienischen 
Rundschau 1908, S. 539.) 

Schlossmann: „Statistik und Säuglingsfürsorge.“ Münch, 

med. Wochenschr. 1907, S. 8. 

Verfasser hält für das wichtigste Erfordernis, auf welchem sich alle 
Maßregeln zur Verbesserung des Säuglingsschutzes aufbauen, eine Ver- 


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Hygiene des Kindes. 


263 


besserung des Unterrichts in der Kinderheilkunde. Diese Reform dürfte 
nichts weniger bedeuten, als die wahrhaft beste und billigste Fürsorge für 
Säuglinge. Zweitens verlangt er für erkrankte Säuglinge besondere An¬ 
stalten, in welchen ein aseptischer Betrieb gewährleistet und die Möglichkeit 
einer Ernährung mit Muttermilch geboten wird. 

Schlossmann macht darauf aufmerksam, daß die Spitze der Morta¬ 
litätskurve der Säuglinge während des Sommers an verschiedenen Orten des 
Deutschen Reiches erheblich variiert. Bespielsweise verläuft sie in München 
flach, zeigt hingegen in Düsseldorf einen besonders steilen Anstieg. Denn 
hier starben im August 3,4 mal soviel Säuglinge als im gesundesten Monat, 
in Dresden 2,8mal, in München dagegen nur 1,50mal soviel. Obwohl die 
gesamte Säuglingsmortalität in München wesentlich höher ist als in Düssel¬ 
dorf, so sterben doch absolut gerechnet an letzterem Platze im August bei¬ 
nahe ebenso viele Säuglinge als in dem doppelt bo großen und an sich 
erheblich weniger gesunden München. Daher müssen die Ärzte Düsseldorfs 
besonders darauf hinarbeiten, das Übermaß der Kindersterblichkeit im Juni, 
Juli und August einzuschränken. 

Eine merkwürdige Erscheinung, auf welche der Verfasser unser Augen¬ 
merk lenkt, ist die, daß Städte mit hohen Geburtszahlen, wie Duisburg, 
Essen, Dortmund und Bochum, eine mit nur 40 Promille der Einwohnerzahl 
weit unter dem Durchschnitt liegende Säuglingssterblichkeit haben. Andere 
Städte, wie Breslau und Halle, zeigen bei relativ hoher Mortalität eine nur 
mittlere Geburtenhäufigkeit, und in einer dritten Gruppe, wie Stuttgart, 
Frankfurt und Braunschweig, fallen beide Werte ungefähr zusammen. Zu 
berücksichtigen ist hierbei der Umstand, daß die vermehrte Zahl der außer¬ 
ehelichen Geburten die Kindersterblichkeit im ersten Lebensjahre erhöhen 
muß. Auffallen muß endlich der kolossale Unterschied in der Frequenz 
außerehelicher Geburten in verschiedenen Städten, welche für München 
25 Proz., für Duisburg nur 2,9 Proz. aller Geburten ausmacht. (Ref. ebenda, 
S. 240.) 

Paul Selter (Solingen): „Warum und wie sollen wir Säuglings¬ 
fürsorge treiben?“ Vortrag, gehalten in der Ortsgruppe Hilden des 
bayerischen Vereins für Gemeinwohl am 10. Mai 1907. Zentralbl. f. allgem. 
Gesundheitspfl. 1907, Bd. 26, S. 204. 

Der unermüdliche Rufer zum Kampf gegen die Säuglingssterblichkeit 
erinnert an den Ausspruch des amerikanischen Präsidenten Theodore 
Roseveit: „Rassenselbstmord ist die mangelhafte Beachtung und Er¬ 
haltung des Volksnachwuchses und der Volkskonstitution“, „Raubbau an 
Volkskraft und Volksvermögen“, wie ihn bis vor ein bis zwei Dezennien die 
französische Nation trieb. Annähernd 300000 deutsche Säuglinge starben 
im ersten Lebensjahre wieder fort. Jeder Säugling kostet: Geburt, Wochen¬ 
bett, Nahrung, Pflege, Arbeitsunfähigkeit der Mutter mindestens 100t/#, 
damit ist eine Summe von nicht weniger als 30 000 000 <M unwiederbringlich 
verloren. Auch in Deutschland ist die Geburtsziffer durch die Zahl der 
Lebendgeborenen auf 1000 Einwohner in ständigem Abnehmen. Von 40,7 
Geburten auf 1000 Einwohner in den Jahren 1871 bis 1880 sind wir auf 
36,5 in den Jahren 1890 bis 1900 gesunken. 


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Hygiene des Kindes. 


Es werden dann nach dem Vorgänge Frankreichs eine Reihe von Leit* 
Sätzen, enthaltend die Maßregeln für den Säuglingsschutz, empfohlen, welche 
nichts wesentlich Neues bringen. 

Nur Ernährung des Säuglings mit Muttermilch vermag eine definitive 
und dauernde Besserung der Lage zu schaffen. Unterstützung ärmerer 
stillender Mütter, Prämien nach Schluß der Stillzeit, Stillkrippen usw. sind 
dringend notwendig. Alle diese Aufgaben aber kosten Geld, viel Geld. Am 
besten wäre es, wenn die erforderlichen Summen mit Hilfe der Kranken- und 
Unfallversicherung aufgebracht würden. In Solingen z. B. gehören etwa 
90 Proz. aller Bewohner den unbemittelten Ständen an. Von den 1411 Ge¬ 
burten des Jahres 1905 kommen 1270 auf die unbemittelten Klassen. Eine 
eventuell zu begründende Säuglingskasse würde an Aufwendungen für Zu¬ 
führung von 1270 Säuglingen ä 100 </#, ferner für fortlaufende Kontrolle 
und Unterbringung der erkrankten Kinder in Heilanstalten in Summa etwa 
rund 147 000 erfordern. Um diese Summe zu erhalten, würden von 
jeder der 10418 steuerpflichtigen Personen jährlich 14 zu zahlen sein. 
Für die 8864 Haushaltungen würden die jährlichen Kosten noch nicht 
200 <M betragen, wovon die gesamte Ernährung und Pflege des Säuglings 
bestritten werden kann. (Ref. ebenda, S. 225, 226.) 

Cassel und Pick: „Die Säuglingsfürsorgestelle II der Stadt 
Berlin.“ Arch. f. Kinderheilk., Bd. 45, Heft 1 und 2. 

Es wird eingehend über die Organisation und die Tätigkeit der Anstalt 
in den ersten acht Monaten ihres Bestehens referiert. Dem dirigierenden 
Arzt stehen zur Seite: zwei besoldete Assistenten, ein VolontärasBistent und 
zwei besoldete Pflegeschwestern. Letztere haben nicht nur während der 
Sprechstunden zu helfen, sondern auch in den Wohnungen der Pfleglinge 
über die Bedürftigkeit Ermittelungen anzustellen (in den acht Monaten wurden 
zu diesem Zweck 1500 Besuche ausgeführt). Bedürftigen Müttern, welche 
ihre Kinder selbst stillen, wird eine Barunterstützung im Höchstbetrage von 
0,80 <JC täglich gewährt. 

Für die künstlich genährten Säuglinge liefert das Institut einwandfreie 
Milch. Die Fürsorgestelle zahlt 0,35 JC pro Liter. Den Frauen wird die¬ 
selbe Milch mit nur 0,25«^ berechnet. Ganz Arme erhalten die Milch un¬ 
entgeltlich. 

Die Zahl der in den ersten acht Monaten überwachten Säuglinge betrug 
1364. Von diesen wurden 730 durch Geldzuwendungen oder Milchabgabe 
unterstützt. Im ganzen beliefen sich die ausgezahlten Stillprämien auf 
3323,20 t 4t, die Aufwendungen für Lieferung der Kindermilch auf 7151,80 t#- 

Mit der Fürsorgestelle ist eine Milchküche verbunden. Hier werden 
für kranke Säuglinge, deren Mütter selbst nicht in der Lage dazu sind, die 
Nährgemische zubereitet. Die Ausgaben für die Milchküche beliefen eich 
auf 1600 t-#. Von den 104 durch die Milchküche mit Nahrung versorgten 
Kindern sind nachweislich 33 gestorben. (Ref. ebenda, S. 31, 32.) 

Gute Erfolge in der Säuglingsfürsorge. 

Wir haben im Deutschen Reiche Stadtverwaltungen, welche in allen 
Fragen der Fürsorge, die sie in die Hand nehmen, mustergültig arbeiten. 
Dies gilt in erster Linie von Frankfurt a. M. und Charlottenburg. Die 


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Hygiene des Kindes. 


265 


Charlottenburger Säuglingsfürsorge wurde am 15. Juni 1905 mit Eröffnung 
von vier Füraorgestellen planmäßig organisiert. Sie wird auf Kosten der 
Stadt durch den Vaterländischen Frauenverein und den Elisabeth-Frauen¬ 
verein unter Leitung spezialistisch ausgebildeter Ärzte, denen je eine in der 
Säuglingspflege wohlbewanderte Schwester zur Hand gebt, und eine Anzahl 
ehrenamtlich tätiger Damen ausgeführt. Während im ersten Jahre nach 
der Eröffnung nur 958 Kinder dem Institut zugeführt wurden, stieg ihre 
Zahl im Rechnungsjahre 1906 bereits auf 2007, und zwar 970 Brustkinder, 
312 Brust- und Flaschenkinder und 727 Flaschenkinder. Besonders er¬ 
freulich ist, daß die Zahl der Brustkinder von 19,52 Proz. im Jahre 1905 
auf 48,38 Proz. im Jahre 1906, also um 28,81 Proz. gestiegen ist; d. h. 
nahezu die Hälfte der die FürsorgesteUen aufsuchenden Kinder von den 
Müttern selbst gestillt werden, ein Erfolg, zu welchem neben der unaus¬ 
gesetzten Propaganda, bei welcher auch die städtischen Hebammen sich be¬ 
tätigten, die neu eingefQhrten Stillprämien wesentlich beitrugen. 

Für die künstliche Ernährung verwandte man hauptsächlich pasteurisierte 
Kindermilch. Von derselben wurden im Jahre 1906 an allen vier Fürsorge¬ 
fitellen insgesamt 138 625 Liter abgegeben, und zwar 41 278 Liter unent¬ 
geltlich und 97 347 Liter gegen Bezahlung von 0,18 oft pro Liter, während 
sie der Stadt 0,28 Jl pro Liter kostete. Für die Ernährung der chronisch 
Darmkranken, sowie in der Entwickelung zurückgebliebenen Säuglinge wurde 
auch andere, ev. mit Zutaten versetzte trinkfertige Milch verwendet, welche 
die Stadt in zwei am 20. Juni 1906 eröffneten Milchküchen unter ärztlicher 
Aufsicht herstellen und abgeben ließ. 

Als neuer Zweig der Fürsorgestellen trat mit Beginn des Jahres 1906 
die Gewährung von Beihilfen für schwangere und stillende Mütter hinzu. 
Für die Verteilung der Unterstützungen an Schwangere und ihre Kontrolle 
diente der Charlottenburger Hauspflegeverein als führender Faktor. Die 
Dauer der Unterstützung beträgt vier Wochen vor der Entbindung und zehn 
Tage nach derselben. Als höchster Satz wurden 6 oft pro Woche zugebilligt. 

Die Gesamtkosten, welche der Stadt Charlottenburg im Berichtsjahre 
durch die soeben skizzierte Fürsorge erwuchsen, beliefen sich einschließlich 
der Verwaltungskosten, Mieten, Ärzte- und Pflegerinnenhonorare auf 
62 633,50 oft, wozu noch als einmalige Ausgaben für Einrichtung der beiden 
Milchküchen 10 197 oft kamen, im ganzen also 72 850,50 oft. Für die weitere 
Pflege solcher Kinder, welche für längere Zeit stationärer Behandlung be¬ 
dürfen, wurde die Kinder-Erholungsanstalt „Westend“ des Vaterländischen 
Frauenvereins mit Überweisung von zehn Säuglingen benutzt. Der Erfolg 
war ausgezeichnet, so daß die Stadtverwaltung mit Hilfe eines besonderen 
Komitees Anfang November 1907 eine Säuglingsklinik eröffnete, welche 
allerdings zunächst nur 12 Betten enthält. (Ref. ebenda, S. 1187, 1188.) 

Esser: „Mütterberatungsstelle und Säuglingsmilchküche der 
Stadt Bonn.“ Münch, med. Wochenschr. 1907, S. 12. Esser beschreibt 
die nach dem Muster der französischen „Consultations de nourissons“ in 
Bonn seit kurzem bestehende Mütterberatungsstelle, welche zugleich mit der 
Neuregelung des Haltekinderwesens von der Stadtverwaltung geschaffen 
wurde. Alle Ziehkinder müssen in dieser Beratungsstelle bis zur Vollendung 


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Hygiene des Kindes. 


des zweiten Lebensjahres jeden zweiten Monat von ihren Ziehmüttern vor¬ 
gestellt werden. Ratschläge und Anleitung zur zweckmäßigen Pflege und 
Ernährung werden gleichfalls dort von der zur Kontrolle der Ziehkinder 
angestellten Pflegerin erteilt. 

Die Einrichtung der Säuglingsmilohküche ist analog derjenigen von 
Berlin und Charlottenburg. Es wird dort einwandfreie Milch in trink¬ 
fertigen Mischungen und Tagesportionen, den einzelnen Altersstufen der 
Säuglinge angepaßt, geliefert. Esser hält es für zweckmäßig, nur einige 
wenige feststehende MilchmiBchungen herzustellen, so daß man mit drei 
verschiedenen Sorten auszukommen vermag. (Ref. ebenda, S. 172.) 

Karl Oppenheimer: „Über die bisherigen Ergebnisse in den 
Münchener Beratungsstellen mit Vorschlägen zum weiteren Aus¬ 
bau dieser Einrichtungen.“ (Münch, med. Wochenschr. 1908, S. 178 
bis 180.) 

Die Einrichtung der Beratungsstellen in Verbindung mit den Still¬ 
prämien hat sich bewährt, bedarf aber des Ausbaues. Denn 26 Proz. der 
dem Institut vorgestellten Kinder wurden nur vier Wochen lang unter Auf¬ 
sicht gelassen, und nur der vierte Teil derselben blieb länger als vier Monate 
unter Beobachtung. Es wird deshalb empfohlen, der Magistrat möge jeder 
Frau, unabhängig vom Grade ihrer Bedürftigkeit, eine Gratifikation von 
5 dt in Aussicht stellen für den Fall, daß ihr Kind im Alter von sechs 
Monaten sich noch unter ärztlicher Kontrolle befindet. Geschieht das noch 
ein weiteres halbes Jahr, so solle sie die gleiche Summe noch einmal bean¬ 
spruchen dürfen. Die Bedürftigkeit der Eltern zu prüfen sei Sache des 
Magistrats. (Ref. ebenda, S. 1296, 1297.) 

Flesch und Schlossberger: „Die Verbreitung der natürlichen 
Säuglingsernährung in Budapest. Arch. f. Kinderheilk., Bd. 46, Heft 1 
und 2. 

Sehr gut steht es mit der Ernährung der Säuglinge in der Hauptstadt 
Ungarns. Beinahe 65 Proz. aller Kinder werden mindestens bis zum Schluß 
des sechsten Lebensmonats ausschließlich an der Brust ernährt. 6 Proz. 
erhalten sogar länger als ein Jahr lediglich Muttermilch. Künstliche Nah¬ 
rung empfangen von Geburt an nur 5 Proz. der Kinder. Die Säuglings¬ 
sterblichkeit Budapests betrug im Jahre 1906 14 Proz. Sie könnte nach 
Ansicht der Autoren noch niedriger sein, wenn die Kinder nicht neben der 
Frauenmilch vielfach unzweckmäßige Beikost erhielten, wie Brot, Wurst, 
Fleischkonserven und dergleichen. (Ref. ebenda, S. 858.) 

Sieveking: „Die Säuglingsmilchküchen der patriotischen 
Gesellschaft zu Hamburg.“ Zweiter Jahresbericht 1906. 

In Hamburg bestehen für die beiden Stadthälften zu beiden Seiten der 
Alster zwei auf eine Tagesgabe von je 10 000 Flaschen berechnete Säug- 
lingsmilchküchen, welche durch eine dritte kleinere auf eine Tagesgabe von 
2000 Flaschen berechnete Milchküche in Rotenbergsort ergänzt werden. 
Durch diese drei Küchen werden etwa 1900 Kinder voll oder teilweise mit 
Säuglingsmilch versorgt. 

In sechs von den zehn Hamburger Milchausgabestellen wird eine regel¬ 
mäßige wöchentliche Wiegestunde für Säuglinge unter ärztlicher Aufsicht 


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Hygiene des Kindes. 267 

abgehalten, deren Besuch in der kalten Jahreszeit nur gering, im Sommer 
aber stärker ist. 

Die Säuglingsmilchküchen sind ein gemeinnütziges Unternehmen. Sie 
haben die Aufgabe, in jenen Fällen, wo an Stelle der Brustnahrung leider 
die Kuhmilch treten muß, durch Verabreichung einwandfreier Milch den 
zahllosen Säuglingserkrankungen vorzubeugen. (Ref. ebenda, S. 539.) 

Pfaendler: „Über Wesen und Behandlung der Ernährungs¬ 
störungen im Säuglingsalter.“ Münch, med. Wochenschr. 1907, S. 1 ff. 

Verfasser scheidet die Krankheiten der Säuglinge in Ernährungs¬ 
störungen, welche durch quantitativ und qualitativ unzweckmäßige Nah¬ 
rung hervorgerufen werden, und Verdauungskrankheiten, welche auf bakte¬ 
rieller Infektion beruhen. Im Verlaufe der primären Ernährungsstörungen 
büßt das Kind seine natürliche Widerstandskraft gegen bakterielle Schäd¬ 
lichkeiten ein und erliegt dann der sekundären Infektion. Während bei 
Brustkindern Verdauungsstörungen eine nur geringe Rolle spielen, sind sie 
bei Flaschenkindern ungleich gefährlicher. Zwischen der natürlichen Nah¬ 
rung: der Muttermilch, und der künstlichen: der Kuhmilch, besteht eben 
der gewaltige Unterschied, daß es sich bei der letzteren um die Darreichung 
artfremder Milch handelt, welche minder Gutes leistet bzw. sogar Schaden 
stiften kann. Die hierdurch bedingte Dystrophie will Verfasser als Hetero- 
dystrophie oder einfach Heterotrophie bezeichnet wissen. (Ref. ebenda, 
S. 171.) 

Fromm: „Zur Prophylaxe der Infektionen bei den Wärte¬ 
rinnen der Kinderambulatorien.“ Münch, med. Wochenschr. 1907, S. 75. 

Zur möglichst sicheren Verhütung gegenseitiger Ansteckung hat Fromm 
in seiner Poliklinik folgende nachahmenswerte Einrichtung getroffen: Nahe 
der Eingangstür befindet sich ein geräumiges Zimmer, in welchem eine 
Reihe von Zellen hergerichtet sind. Diese Zellen bieten bequem Raum für 
ein bis zwei Kinder mit ihrer Begleitung. Nach vorläufiger ärztlicher Unter¬ 
suchung werden die kleinen Patienten in die betreffende für Masern und 
Diphtherie oder Keuchhusten bestimmte Zelle gewiesen. Für leichtere An¬ 
ginen und andere nicht sofort diagnostizierbare Krankheiten ist eine be¬ 
sondere Beobachtungszelle vorhanden. In der Behandlung der Patienten 
wird dann eine genaue Reihenfolge iunegehalten, und erst wenn die ab¬ 
gefertigte Partei das Ambulatorium verlassen hat, das Untersuchungsbett 
desinfiziert ist und die Ärztemäntel gewechselt sind, darf der nächstfolgende 
Patient das Ordinationszimmer betreten. Fromm hofft auf diese Weise zu 
verhüten, daß einer seiner kleinen Patienten durch ein anderes am gleichen 
Tage vorgestelltes Kind infiziert wird. (Ref. ebenda, S. 224.) 

Holitscher (Pirkenhammer): „Die Stillungsfähigkeit der Frauen 
und die Ergebnisse der v. Bungeschen Untersuchungen.“ Vor¬ 
trag, gehalten in der Sektion Karlsbad des Zentralvereins deutscher Ärzte 
in Böhmen am 6. März 1907. Prager med. Wochenschr. 1907, S. 337. 

An der Hand der Ergebnisse der Untersuchungen v. Bunges erörtert 
Verfasser die Frage, warum die Frauen nicht stillen. Er weist mit Nach¬ 
druck darauf hin, was Bunge unter „Stillungsfäbigkeit“ überhaupt ver¬ 
standen wissen will, nämlich die Fähigkeit der Frauen, ihre Kinder neun 


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Hygiene des Kindes. 


Monate ansreichend za nähren, d. h. so, daß neben der Muttermilch keine 
andere Nahrung erforderlich ist Im einzelnen sucht er sodann die Richtig¬ 
keit der v. Bungeschen Schlüsse zu erhärten, daß nämlich die Gründe für 
die Unfähigkeit zum Stillen in der Erblichkeit, in der Entartung — wie 
Zahncaries — und in dem Alkoholismus zu suchen sind. Er fordert die 
Ärzte auf, durch Einsendung möglichst vieler gewissenhaft ausgefüllter 
Fragebogen auf Grund eigener Erfahrungen zur Entscheidung dieser wich¬ 
tigen Frage beizutragen. (Ref. ebenda, S. 540.) 

Ernst Mow: „Endogene Infektion und Desinfektion des 
Säuglingsdarmes.“ Rapport II: Congres international des gouttes de lait 
protection de l’enfance du premier age. Bruxelles 12 au 16 Septembre 1907. 

Schon relativ geringfügige Veränderungen des Nährbodens können eine 
tiefgreifende Änderung im Chemismus der Darmbakterien herbeiführen. So 
wächst der „Gasphlegmonebazillus“, ein ständiger Bewohner des Säuglings¬ 
darmes, auf zuckerhaltigen Nährböden, ist unbeweglich und vergärt stürmisch 
die Kohlehydrate. Auf Eiweißnährboden überimpft versport er sehr schnell, 
nimmt lebhafte Eigenbewegung an und wird zum Fäulniserreger (Gr asb erger). 
Die Kulturfiltrate des gleichen Bazillus sind, wie Panini gezeigt hat, un¬ 
giftig, f&lls der Eiweißnährboden weniger als 1 Proz. Traubenzucker ent¬ 
hält. Wird dagegen der Zuckergehalt auf 2 Proz. erhöht, so entstehen 
saure Endprodukte von eminenter Giftigkeit. 

Eine lehrreiche Erscheinung von endogener Infektion liefert das Auf¬ 
treten von Soor bei Ernährungsstörungen. Der Soorpilz ist im Darm des 
Säuglings jederzeit zu finden, gelangt aber erst auf dem durch die Ernährungs¬ 
störung bedingten sauren Nährboden zur elektiven Entwickelung und reich¬ 
lichen Ausbreitung. 

Unsere Therapie muß daher bestrebt sein, im gegebenen Falle den 
Darminhalt derart zu verändern, daß er für die neu aufsprossende Vege¬ 
tation ungünstig wird, dagegen das Wachstum normaler Antagonisten för¬ 
dert. Die natürliche Ernährung liefert uns das schönste Beispiel einer 
endogenen Infektion, welche hier als ausgezeichnete Desinfektion wirkt Im 
Darm des mit Frauenmilch genährten Säuglings erscheint aber bald eine 
durchaus einheitliche Flora: der Bacillus bifidus. Dieser Pilz wird nicht 
per os mit der Nahrung eingeführt; er wird vielmehr aus dem Säuglings¬ 
darm, in welchem er jederzeit zu finden ist, auf dem dargebotenen Frauen¬ 
milchnährboden reingezüchtet. Neben jenem einseitig geförderten Wachstum 
ist eine ernstliche Konkurrenz von seiten anderer Bakterien geradezu aus¬ 
geschlossen. Hierin liegt der Grund, daß Brustkinder so selten an Er¬ 
nährungsstörungen per infectionem erkranken und daß die Muttermilch bei 
ektogenen wie endogenen Infektionen des Darmes von heilkräftiger Wirkung 
ist. (Ref. ebenda, S. 1053, 1054.) 

Friedrich Prinzing: „Die Entwickelung der Kindersterb¬ 
lichkeit in Stadt und Land.“ Zeitschr. f. soz. Med., Bd. 3, S. 99 bis 120. 

Nach Ansicht des Autors beruhen die üauptursacben der Verschieden¬ 
heit der Kindersterblichkeit zwischen Stadt und Land in der Art der Er¬ 
nährung. In Gegenden, wo lange gestillt wird, sind die Stadtkinder minder 
gut daran, da die Frauen der Arbeiter dort meist nicht in der Lage sind. 


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Hygiene des Kindes. Schulgesundheitspflege. Allgemeines. 


269 


den Säuglingen lange die Brust za geben. Hingegen bleiben bei allgemein 
geübter künstlicher Ernährung die Stadtkinder im Vorteil. Im allgemeinen 
ist der Rückgang der Mortalität der Säuglinge in den Städten weit größer 
als auf dem platten Lande, indem vor allem die Sterblichkeit an Sommer- 
Diarrhöen und anderen Darmaffektionen sich dort vermindert hat» Zu ver¬ 
danken ist das den in den letzten Jahren sehr verbesserten sanitären 
Hinrichtungen. Allerdings verdient auch das Sinken der Geburtsziffern 
Berücksichtigung. 

In vielen preußischen Regierungsbezirken, besonders Stralsund, Stettin, 
Münster, steht dem Sinken der Kindersterblichkeit in den Städten eine Zu¬ 
nahme auf dem Lande gegenüber. Als Ursache wird der Rückgang des 
Stillens auch auf dem Lande angenommen werden müssen, vielleicht kommt 
daneben ein umfassender Ersatz für Milch in Betracht. Infolge der erheb¬ 
lichen Verbesserungen, welche die künstliche Ernährung erfahren hat, gelingt 
es auch mit ihr, die Kinder gut über die heißesten Monate des Jahres hin¬ 
wegzubringen. Aber von diesen Fortschritten profitierten bisher lediglich 
die Städte. Es ist daher an der Zeit, daß künftig auch auf dem Lande, 
soweit die Mütter nicht stillen können, energische Anstrengungen zur Ein¬ 
führung dieser Verbesserungen gemacht werden. (Ref. ebenda, S. 1295.) 

Kronecker. 


Schulgesundheitspflege. 

Allgemeines. 

Im Jahre 1907 fand der zweite internationale Kongreß für 
Schulhygiene vom 5. bis 10. August in London statt. Es wurden 
11 Sektionen gebildet, nämlich: 

I. Physiologie und Psychologie der Lehrmethode. 

II. Ärztliche und hygienische Schulaufsicht. 

III. Hygiene des Lehrberufs. 

IV. Hygienische Unterweisung für Lehrer und Schüler. 

V. Körperliche Ausbildung und Förderung persönlicher Ge¬ 

sundheitspflege. 

VI. Hygienisches Verhalten außerhalb der Schule, Ferien¬ 

kolonien und Ferienschulen, Beziehungen zwischen 
Schule und Haus. 

VIL Infektionskrankheiten, Unwohlsein und andere den 
Schulbesuch beeinflussende Zustände. 

VIII. Sonderschulen für schwach begabte und abnorme Kinder. 

IX. Sondersohulen für blinde und taubstumme Kinder. 

X. Hygiene der Internate. 

XI. Schulbauten und deren Ausstattung. 

In den vier Hauptversammlungen wurden folgende Themata verhandelt: 
1. „Methoden der ersten und der folgenden Untersuchung von 
Schulkindern.“ Referenten: Mackenzie-Schottland, Kokall-Brünn, 
Mery-Paris. Es wurde hierbei an den Kongreß die Aufforderung gerichtet, 


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270 


Schulgesundheitspflege. 


ein einheitliches Schema für die Untersuchung der Schulkinder zu schaffen, 
damit vergleichbare Resultate erlangt werden. 

2. „Beleuchtung und Lüftung der Klassenzimmer.“ Referenten: 
Prausnitz-Graz, Webb-London, Dinet-Paris. 

3. „Schule und Tuberkulose.“ Referenten: Newsholme-Brighton, 
Courmont-Lyon, Schumburg-Straßburg i. E., Kirchner-Berlin. 

4. „Schulunterricht in Hinsicht auf die Dauer der Stunden, 
die Reihenfolge der Lehrgegenstände, die Jahreszeit.“ Refe¬ 
renten: Burnham-Worcester, Chabot-Lyon, Burgerstein-Wien. 

Die Zahl der abgehaltenen Versammlungen betrug 50, die Zahl der 
Referenten und Diskussionsredner 338. 1650 Personen schrieben sich in 

die Kongreßlisten ein. 

In einer kritischen Besprechung dieses Kongresses bemängelt Kraft- 
Zürich die Überfülle des Stoffes und der Vorträge, auch eine fehlerhafte 
organisatorische Arbeitsverteilung, wodurch eine ruhige Konzentrierung anf 
bestimmte Dinge und ein genaueres Eingehen auf die einzelnen Gebiete aus¬ 
geschlossen war. (Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., Nr. 11 u. 12.) 

Kurze Referate über die einzelnen Vertragsgegenstände finden sich 
außerdem in dem Hygienischen Zentralblatt 1908, S. 379 bis 391, von A.Profe. 

Der Deutsche Verein für Schulgesundheitspflege hielt seine 
achte Jahresversammlung in Karlsruhe am 21. bis 23. Mai ab unter 
Leitung des Prof. Griesbach-Mühlhausen. Es sprachen hier: 

Hueppe-Prag, Dörr-Frankfurt a. M. und Gruhn-Berlin über: „In¬ 
wieweit ist von pädagogischen, kulturellen, hygienischen und 
sozialen Gesichtspunkten aus eine einheitliche Gestaltung des 
höheren Schulwesens (Einheitsschule) möglich?“ 

Dornblüth-Frankfurt a. M. und Horn-Frankfurt a. M. über: „Das 
Abiturientenexamen in schulhygienischer und pädagogischer 
Beleuchtung.“ 

Dominicus-Straßburg i. E. und Schmidt-Bonn über: „Rechte und 
Pflichten der städtischen Schulverwaltung bezüglich des ge¬ 
samten Schulwesens, insbesondere im Hinblick auf Unterrichts¬ 
und schulhygienische Fragen.“ (Referate über diese Versammlung 
sind in der Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, Nr. 8 und 9, von Jordy- 
Bern und im Hygienischen Zentralblatt 1908, S. 60 bis 63, zu finden.) 

Auf dem XIV. internationalen Kongreß für Hygiene und Demo¬ 
graphie in Berlin vom 23. bis 29. September betraf die Sektion III die 
Hygiene des Kindesalters und der Schule. Von den das Gebiet der 
Schulgesundheitspflege berührenden Gegenständen kamen folgende zur Ver¬ 
handlung: 

„Erfahrungen über das System der Schulärzte.“ Referenten: 
Johannessen-Christiania, Stephani-Mannheim, Göppert-Kattowitz. 

„Die Frage der Überarbeitung in der Schule.“ Referenten: 
Czerny-Breslau, Matliieu-Paris. 

„Die zweckmäßigste Regelung der Ferienordnung.“ Referenten: 
Bur gerstein-Wien, E ulenburg-Berlin. 


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Allgemeines. 271 

„Fürsorge für Schwachsinnige.“ Referenten: Weygandt-Würz- 
burg, Fürstenheim-Berlin. 

„Die Unterweisung der Schuljugend in den Lehren der Ge¬ 
sundheitspflege.“ Referent: M. Cohn-Charlottenburg. 

„Zur Kenntnis der Ernährungsverhältnisse Berliner Ge¬ 
meindeschulkinder.“ Referent: L. Bernhard-Berlin. 

„La proportion des vices de refraction dans les äcoles du 
Mexique et la race indigöne.“ Referent: Uribe y Troncoso-Mexiko. 

In der Versammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie in 
Frankfurt a. M. vom 26. bis 28. April wurde außer anderem das Thema: 
„Idiotenfürsorge und Fürsorgeerziehung“ von Moses-Mannheim 
behandelt. 

Der dritte Kongreß der Deutschen Gesellschaft zur Bekämp¬ 
fung der Geschlechtskrankheiten in Mannheim am 24. und 25. Mai 
hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Frage der Jugenderziehung auf dem 
Gebiete des Geschlechtslebens eingehend zu erörtern. Die einzelnen Vor¬ 
tragsgegenstände waren: 

„Die Aufgaben der Gesellschaft auf dem Gebiete der Sexual¬ 
pädagogik.“ Referent: Blaschko-Berlin. 

„Über die sexuelle Aufklärung und die Aufgaben des Hauses.“ 
Referent: Frau Krukenberg-Kreuznach. 

„Die Aufgabe der Volksschule bei der sexuellen Erziehung.“ 
Referenten: Enderlin-Mannheim und Höller-Hamburg. 

„Die sexuelle Aufklärung in höheren Schulen.“ Referenten: 
Kemsies-Berlin und Schäfenacker-Mannheim. 

„Über die Frage der Jugendliteratur in ihrer Beziehung zur 
sexuellen Aufklärung.“ Referent: Köster-Hamburg. 

„Die sexuelle Belehrung der Abiturienten.“ Referenten: von 
den Steinen-Dü8seldorf und Fürstenheim-Berlin. 

„Die sexuelle Aufklärung für die schulentlassene Jugend.“ 
Referent: Beck er t-Schleswig. 

„Schulpädagogik im Lehrerseminar.“ Referent: Lacroix. 

„Über sexuelle Diätetik und Erziehung.“ Referenten: Eulen¬ 
burg-Berlin und Förster-Zürich. (Referat hierüber in der Zeitschrift für 
Schulgesundheitspflege, Nr. 7.) 

Auf der XXIV. Hauptversammlung des preußischen Medizinal¬ 
beamtenvereins in Cöln am 26. April referierte Kir st ein-Lippstadt über: 
„Die Mitwirkung des Kreisarztes auf schulärztlichem Gebiete.“ 

Auf der VI. schweizerischen Konferenz für das Idiotenwesen 
in Solothurn am 28. und 29. Juni sprach Kaufmann-Solothurn über: 
„Die gesetzliche Regelung der Erziehung und des Unterrichts 
bildungsfähiger anormaler Kinder während des schulpflichtigen 
Alters.“ 

Der VI. Verbandstag der Hilfsschulen Deutschlands in Char¬ 
lottenburg vom 3. bis 5. April wies folgende hier interessierende Tages¬ 
ordnung auf: 


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272 


Schulgesundbeitspflege. 


„Der Personalbogen in der Hilfsschule." Referent: Horrix- 
Düsseldorf. 

„Die schriftlichen Arbeiten in der Hilfsschule." Referent: 
F renzel-Stolp. 

„Die Fortbildungsschule für Schwachbeanlagte.“ Referent: 
Fuchs-Berlin. 

„Die geplante Neuorganisation der Charlottenburger Ge¬ 
meindeschulen mit Rücksicht auf die minderbegabten und minder¬ 
leistungsfähigen Kinder.“ Referent: San dt-Charlottenburg. 

Moritz Fürst-Hamburg und Ernst Pfeiffer-Hamburg: „Schul¬ 
hygienisches Taschenbuch.“ Hamburg und Leipzig, Leopold Voss, 
1907. Eine Reibe geeigneter Autoren (Hygieniker, Schulärzte, Schul¬ 
männer) hat für dieses Buch kurze Aufsätze geliefert, in denen der Schul¬ 
arzt über den Umfang seiner Tätigkeit sich leicht unterrichten kann. Es 
ist eigentlich kein Kapitel unberücksichtigt geblieben. Außer den eigent¬ 
lichen schulhygienischen Gegenständen, wie Schulhaus, Schulutensilien, 
Untersuchung der Schulkinder, Zahnpflege, Schulkrankheiten u. dgl., werden 
auch etwas ferner liegende, den Schularzt aber auch angehende Dinge, wie 
Kriminalität der Schulkinder, Fürsorgeerziehung, gewerbliche Kinderarbeit, 
Wohlfahrtseinrichtungen u. a. m., besprochen. 

Solbrig- Allenstein: „Schulhygienische Betrachtungen." Es 
werden die Ergebnisse der kreisärztlichen Schulbesichtigungen von 363 Schulen 
des Regierungsbezirks Arnsberg (28 in größeren Städten, 335 in ländlichen 
Kreisen) ausführlich besprochen und die Einzelheiten in zahlreichen Tabellen 
und Übersichten niedergelegt. Das Gesamtergebnis wird, obwohl nur in 
einer kleinen Zahl von Schulen keinerlei VerbesserungsVorschläge zu machen 
waren, als ein erfreuliches hingestellt. Die seit 1901 vorgeschriebenen kreis¬ 
ärztlichen Schulbesichtigungen haben sich zweifellos als äußerst nützlich 
erwiesen, und man wird für die Zukunft weiteren Segen davon zu erwarten 
haben. In einem Anhang wird der Entwarf eines erweiterten Fragebogens 
für diese Besichtigungen der Schulen angefügt. (Deutsche Vierteljahrsscbr. 
f. öffentl. Gesundheitspfl., Bd. 39, Heft 2.) 

T. F. Hanausek: „Lehrbuch der Somatologie und Hygiene für 
Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten.“ 5. verbesserte Auflage. 
Wien, F. Tempsky, und Leipzig, G. Freytag, 1907. Das Buch, in wissen¬ 
schaftlicher und doch leicht faßlicher Form abgefaßt, will die Lehrer zu 
Erziehern in der Hygiene machen. Als Einführung in die Hygiene wird 
eine Somatologie gegeben. In den eigentlichen hygienischen Kapiteln werden 
die Mikroben, die Ernährungslehre, die Arbeitsleistungen der Organe, Luft, 
Hautpflege, Boden, Wasser, Wohnung und Infektionskrankheiten besprochen. 
Das Buch wird bei einigen kleineren Mängeln als sehr wertvoll und zweck¬ 
entsprechend bezeichnet. (Nach Referat im Hygienischen Zentralblatt 1908, 
S. 350.) 

Königshöfer - Stuttgart, „Unterweisung und Erziehung der 
Schuljugend zur Gesundheitspflege", stellte folgende Thesen als Refe¬ 
rat auf dem Ärztetag in Münster auf: 


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Allgemeines. 273 

1. Die heran wachsende Jugend muß durch die Sohule mit den Regeln 
der Gesundheitspflege vertraut gemacht werden. Ein richtiges Verständnis 
der Gesundheitspflege ist Vorbedingung für zweckmäßige Anwendung der¬ 
selben; diese führt zur Hebung der Volksgesundheit, der Volkswohlfahrt 
und der Volkswehrkraft und mehrt dadurch den Volksreichtum. 

2. Bei Ausbildung aller Lehrkräfte für Volks- und höhere Schulen muß 
die Gesundheitspflege einen besonderen Unterrichtsgegenstand bilden. Zu 
diesem Unterricht sind in erster Linie die Ärzte berufen, welche durch ihre 
Ausbildung und durch ihren Beruf die Gewähr dafür bilden, daß dieser 
Unterricht ein zweckmäßiger ist. 

3. Bei jedem geeigneten Unterrichtsstoffe sind die Schüler auf die Ge¬ 
sundheitspflege hinzuweisen und zur dauernden Betätigung ihrer Regeln an¬ 
zuhalten. ln die Lehrbücher sämtlicher Schulen sind geeignete Kapitel über 
Gesundheitspflege aufzunehmen. 

4. Ein besonderer Unterricht über Gesundheitspflege ist hauptsächlich 
für ältere Schüler wünschenswert. An Schulen mit Fachlehrsystem ist der 
Unterricht in der Gesundheitspflege durch eigenen Fachlehrer, wo möglich 
durch einen Arzt zu erteilen. 

5. Behufs zweckmäßiger Durchführung der Unterweisung und Erziehung 
der Schuljugend ist die Mitwirkung der Ärzte in den Schulbehörden erforder¬ 
lich. (Ärztliches Vereinsblatt, Bd. 36, Nr. 616 b, nach Hygienisches Zentral¬ 
blatt 1908, S. 351.) 

Th.Benda-Berlin behandelte auf dem zweiten internationalen Kongreß 
für Schulhygiene: „ Die freiere Gestaltung der Oberklassen der 
höheren Schulen vom Standpunkt der Hygiene“, wobei er der Um¬ 
wandlung der drei oberen Klassen in eine Zwischenstufe zwischen Schule 
und Universität, um dadurch die geistige Überbürdung auf der Oberstufe 
zu beseitigen, das Wort redete. (Nach Referat im Hygienischen Zentralblatt 
1908, S. 380.) 

Leo Burgerstein-Wien: „Gesundheitsregeln für Schüler und 
Schülerinnen aller Lehranstalten.“ 12. Auflage. Leipzig, B.G.Teubner, 
1907. Diese beliebten und wohlbewährten Gesundheitsregeln enthalten in 
kurzen Sätzen oder Versen Belehrungen über die Tagesordnung, Kleidung, 
Ernährung. Zahnpflege, Atmung, Körperpflege, Hautpflege, Gesicht, Gehör, 
Körperhaltung und ansteckende Krankheiten. 

Leo Burgerstein-Wien: „Merkverse zur Gesundheitspflege mit 
erläuterndem Text.“ Für Schulräume und Kinderzimmer. 2. durch¬ 
gesehene Auflage. Wien, K. K. Schulbücherverlag, 1907. Die Verse, zum Teil 
schon von früher bekannt, handeln über: Allgemeines, Wohnung, Kleidung, 
Ernährung, Mundpflege, Hautpflege, Atmung, Körperhaltung bei der Arbeit, 
körperliche Übungen, Infektionsverhütung, ärztliche Hilfe. Damit die Verse 
einzeln an geeigneten Wandstellen im SchulhauB und Kinderzimmer an¬ 
gebracht werden können, sind sie auf einzelnen Blättern zu haben. Die 
Verbreitung der Sammlung ist zu wünschen. 

Alessandro Lustig-Florenz: „Le condicioni igieniche delle 
scuole elementari di alcune provincie del Regno d’Italia.“ (Inter¬ 
nationales Archiv für Schulhygiene, Nr. 3.) 

Vlerteljahrsschrift für Gesundheitspflege, 1908 . Supplement. jg 

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274 Schulgesundheitspflege. 

Martin Uartmann: „Welche schulhygienischen Fortschritte 
lassen sich ohne oder ohne nennenswerte Kosten verwirklichen?“ 
Hierzu werden folgende Forderungen aufgestellt: Obligatorischer Unterricht 
in der Schulhygiene für die Vorbildung der Kandidaten des höheren Schulamts, 
Revision der Schul- und Hausordnungen der Gymnasien und deren Ergänzung 
nach schulhygienischen Gesichtspunkten, Besprechung hygienischer Themata 
auf den Elternabenden, ausschließliche Benutzung der Pausen zu Erholungs¬ 
zwecken bei reichlicher Lüftung der Klassen während dieser Zeit, Rauch¬ 
verbot für das Lehrerzimmer, Verbot des Rauchens und Alkoholgenusses für 
die Schuljugend, Hinweis auf häufige Händereinigung der Kinder. (Gesunde 
Jugend, Bd. VI, Heft 7; nach Referat im Hygienischen Zentralblatt 1908, 
S. 166.) 

N. W. Sack sprach auf dem Pirogoffschen Kongreß über: „Die Rolle 
der Schule in der Bekämpfung der Morbidität und der Mortalität 
der Bevölkerung“, wobei er die Wichtigkeit eines systematischen Unter¬ 
richts in den Grundbegriffen der Hygiene für Schüler aller Schulen und einer 
besseren Honorierung der Schulärzte betonte. (Nach Hygienisches Zentral¬ 
blatt 1908, S. 205.) 

A. Th. Mal inin behandelte auf dem eben genannten Kongreß das 
Thema: „Der Schulunterricht in Hygiene als ein wichtiger Faktor 
zur Hebung der Gesundheit und längeren Lebensdauer der russi¬ 
schen Intelligenz.“ In den Mittelschulen soll der Unterricht in Hygiene 
durch Bekanntmachung mit den Grundbegriffen aus dem Gebiete der 
Anatomie, Physiologie, Bakteriologie und Chemie vorbereitet werden. (Nach 
Hygienisches Zentralblatt 1908, S. 205.) 

Wood-Neuyork, „Hygieneunterricht für Lehrer höherer 
Schulen“, betont die Notwendigkeit, daß der Lehrer über die Hygiene der 
Schule und des kindlichen Alters gründlich Bescheid wisse. 

Knudsen-Dänemark, „Die Vorbereitung der Lehrer für Ge¬ 
meindeschulen“, fordert von allen Lehrern, namentlich den Turnlehrern, 
Kenntnisse vom Bau, von der Tätigkeit des kindlichen Körpers und von den 
Forderungen der Hygiene. 

Courmers-Paris: „Der Hygieneunterricht in den Schulen und 
Gymnasien.“ 

Ed gar-Schottland: „Hygieneunterricht in höheren Schulen.“ 
ln Schottland ist künftig für alle Lehrer höherer Schulen theoretische und 
praktische Ausbildung in Hygiene obligatorisch. 

Fletcher-Dublin: „Notwendigkeit des Hygieneunterrichts für 
alle Knaben- und Mädchenschulen.“ 

de Pradel-Paris und Caton-Liverpool: „Über Hygieneunterricht 
in den Gemeindeschulen.“ 

Kenwood-London und Campbell-London: „Physiologie- und 
Ilygieneunterricht in Distriktsschulen.“ 

Helene Puttmann-Providence U.St.A.: „Der Hygieneunterricht.“ 

Hammar-Stockholm: „Schulhygiene in den Internaten Stock¬ 
holms.“ 


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Allgemeines. 


275 


Viel-Paris: „Hygiene der Ernährung, ein Unterrichtsgegen- 
stand für Lehrer und Schüler.“ (3. Internationaler Kongreß für Schul¬ 
hygiene, Ref. im Hygienischen Zentralblatt 1901, S. 384, und Zeitschr. für 
Schulgesundheitspflege, S. 761 ff.) 

Streiter: „Zur Reform des Schuljahres.“ Die Festlegung des 
Osterfestes auf einen bestimmten Kalendertag, etwa den ersten Sonntag im 
April, ist mit Rücksicht auf die Unzuträglichkeiten eines späten Ostertermins 
erwünscht. Die Sommerferien sollten nicht mitten in daB Sommerhalbjahr, 
sondern an das Ende des Semesters fallen; im übrigen aber ist die heißeste 
Zeit hierzu zu wählen; da diese in den verschiedenen Gegenden Deutschlands 
nicht gleichzeitig ist, so ist eine einheitliche Regelung der Ferienfrage für 
das ganze Reich nicht möglich. Das Schuljahr sollte nach den großen 
Ferien oder nach den Weihnachtsferien beginnen. (Gesunde Jugend, Bd. VI, 
Heft 6, nach Referat im Hygienischen Zentralblatt, Bd. III, S. 165.) 

Koenigsbeck-Saarbrücken, „Der schulhygienische Ferienkursus 
für Lehrer höherer Lehranstalten zu Göttingen“ (8. bis 13. Oktober 
1906), berichtet in ausführlicher Weise und höchst befriedigt über den 
ersten schulhygienischen Ferienkursus für Lehrer höherer Lehranstalten für 
die westlichen Provinzen der Monarchie, der in Göttingen unter Leitung 
des Prof. v. Esmarch abgehalten wurde und an dem 22 Herren teilnahmen. 
Die Vorlesungen betrafen: Hygiene der Luft, des Wassers, des Schulhauses 
(namentlich Lüftung, Belichtung, Subsellien), des Schreibunterrichts, des 
Körpers und des Unterrichts (Schularztfrage, Überbürdung), Einführung in 
die Bakteriologie, Schülerkrankheiten (namentlich Nerven- und Infektions¬ 
krankheiten) und wurden durch Experimente und Besuche in Anstalten be¬ 
lebt. (Zeitschr. f. Schulgesundheitspflege, Nr. 1 u. 2.) 

Leo Burgerstein und F. A.Eulenburg referierten über „die zweck¬ 
mäßigste Regelung der Ferienordnung“. Eulenburgs Schlu߬ 
folgerungen lauten: 

1. Vom schulhygienischen Standpunkte erscheint eine jährliche Gesamt¬ 
dauer der Ferien von 80 bis 90 Tagen, wie sie auch jetzt in den meisten 
deutschen Bundesstaaten und den Nachbarländern tatsächlich besteht, als 
ausreichend und den gesundheitlichen Bedürfnissen entsprechend. Ebenso 
muß an der Verteilung der Ferien auf die verschiedenen Jahreszeiten, wie 
sie gegenwärtig geübt wird, im Prinzip festgehalten werden. 

2. Im einzelnen sind bezüglich der Ferien Verteilung folgende Wünsche 
auszusprechen: 

a) Die ausgedehntesten Ferien müßten stets in die heißeste Zeit des 
Jahres, in Mitteleuropa also in die mit höchsten Durchschnittstemperaturen 
und höchsten absoluten Temperaturwerten versehenen Monate Juli und 
August fallen und sind über die an den meisten Orten bisher übliche Zeit¬ 
dauer von vier, allenfalls fünf, auf mindestens sechs Wochen zu verlängern. 

b) Diese Verlängerung kann, wie es schon bisher vielfach geschieht, 
durch Zusammenlegen der Sommerferien mit den kurzen Michaelisferien er¬ 
zielt werden. Allerdings ist dabei die notwendige Voraussetzung, daß, wie 
es ja auch aus pädagogischen Gründen lebhaft befürwortet wird, daB Ende 
des Schuljahres oder des Sommerhalbjahres mit dem Beginn der Sommer- 

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276 


Schulgesundheitspflege. 


ferien zusammenfällt, nicht aber an den Schluß eines auf die Sommerferien 
folgenden sechs- bis siebenwöchigen sogenannten zweiten Sommervierteljahres 
gelegt wird. 

c) Die Weihnächte-Neujahrsferien sollten im Interesse der Lehrer und 
Schüler auf ungefähr drei Wochen ausgedehnt werden. Oster- und Pfingst- 
ferien sollten je eine bis anderthalb Wochen betragen. 

3. Im übrigen braucht auf dem Gebiete der Ferienordnung und Ferien¬ 
verteilung keineswegs eine mechanische Gleichmacherei zu herrschen. Den 
regionären klimatischen und sonstigen Verschiedenheiten, den berechtigten 
örtlichen Wünschen und Lebensgewohnheiten ist vielmehr, wie es auch schon 
jetzt vielfach geschieht, nach Gebühr Rechnung zu tragen. Auf eine streng 
einheitliche Regelung des Ferienwesens für die Gesamtheit der höheren und 
niederen Schulen oder auch für eine dieser Schulgattungen allein ist daher 
grundsätzlich zu verzichten. (Zeitschr. f. Schulgesundheitspflege, S. 786.) 

Otto Karstadt: „Die Ferienkolonien in den verschiedenen 
Ländern.“ (Das Rote Kreuz, Nr. 14.) 

Über die Entsendung von Kindern in die Ferienkolonien ist 
aus verschiedenen Orten Erfreuliches zu berichten: 

Der Verein für Ferienkolonien in Charlottenburg sandte gegen 
1000 Kinder in Bäder. 

Der Verein Berliner Ferienkolonien hat 5000 Kinder hinaus¬ 
gesandt; dazu war eine Summe von 250000 oft erforderlich. 

In Königsberg wurden mit Hilfe freiwilliger Beiträge 220 Kinder in 
Ferienkolonien geschickt. 

Die Breslauer Ferienkolonien schickten 560 Kinder in 18 Kolonien. 

Der Verband Mainzer Frauen vereine hat dem Verein für Volks¬ 
hygiene 3000 Jt zur Förderung der Ferienwanderungen übergeben. 

Die Schrebervereine in Leipzig sorgen im weitesten Umfange für 
Jugendspiele, Kinderwanderungen und Baden. 

Der Berliner Magistrat hat von den Bleichröderschen Erben eine 
Stiftung von 200000 <Jt zum Zweck von Ferienreisen angenommen. 

Ferienspiele für gesunde Großstadtkinder sind in Berlin ein¬ 
gerichtet. Die Spiele fanden auf einer Wiese bei Blankenfelde und im 
Walde bei Buch statt. Täglich erfolgte die Ausfahrt der Kinder mit der 
Straßenbahn um 8*/ a Uhr, die Rückfahrt um 6 Uhr. Butterbrote müssen 
sich die Kinder mitbringen, draußen erhalten sie */a Liter Milch oder eine 
Suppe. 900 Kinder haben daran teilgenommen. Die Stadtverwaltung hat 
7000 oft mehr dafür in den Etat eingesetzt. (Nach Zeitschrift für Schul¬ 
gesundheitspflege, S. 44, 452, 501, 595, 604, 605, 694.) 

Kurt Boas: „Welche Resultate können wir von einem kon¬ 
sequent durchgeführten Antialkoholunterricht in Schulen er¬ 
warten?“ Ein solcher Unterricht ist nicht gering anzuscblagen, erfolgt 
am wirksamsten gelegentlich, wobei dann auf die Schädlichkeit der geistigen 
Getränke einzugehen ist, während die Demonstration an Tafeln nicht geeignet 
erscheint. (Gesunde Jugend, S. 244, nach Referat im Hygienischen Zentral¬ 
blatt, Bd. III, S. 170.) 


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Allgemeines. 


277 


Ponickau, „Probe einer Alkoholbelehrung in der Unter¬ 
sekunda eines Gymnasiums“, zeigt an einem Beispiel, wie sich der ge¬ 
legentliche Unterricht hierin zu gestalten hat. (Die Alkoholfrage, Bd. IV, 
nach Referat im Hygienischen Zentralblatt, Bd. III, S. 170.) 

Weygandt-Würzburg und Hartmann-Leipzig: „Die höhere Schule 
und die Alkoholfrage.“ 3. Aufl. (Berlin, Mäßigkeitsverlag, 1907.) In 
der nunmehrigen dritten, verbesserten Auflage wird das Thema vom medi¬ 
zinischen und pädagogischen Standpunkte besprochen. (Nach Referat im 
Hygienischen Zentralblatt, Bd. III, S. 170.) 

Kohlstock, „Antialkoholunterricht in der Volksschule“, emp¬ 
fiehlt als Leitfaden für diesen Unterricht die Ausführungen des Vorsitzenden 
des Vereins abstinenter Lehrer, Petersen. (Die Alkoholfrage, Bd. IV, 
Heft 1, nach Referat in der Ärztlichen Sachverständigenzeitung 1907, S. 303.) 

Mac Nicholl: „Alkohol und Unfähigkeit von Schulkindern.“ 
(Journ. of the American medical Association, No. Ö.) 

Ponickau-Leipzig tritt für alkoholfreie Spaziergänge ein. 
(Nach Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, S. 37.) 

M. Hellenius und A. Trygg-Hellenius 1 „Gegen den Alkohol.“ 
(Leipzig u. Berlin, B. G. Teubner, 1907.) Es sollen die höheren Unterrichts- 
stufen über die Natur und die schädlichen Wirkungen des Alkohols belehrt 
werden. Form und Inhalt der Schrift erscheinen dem Zweck durchaus an¬ 
gemessen. (Nach Referat in der Zeitschr. f. Schulgesundheitspflege, S. 520.) 

Die Königliche Regierung in Wiesbaden hat für die Schulausflüge 
angeordnet, daß der Genuß alkoholischer Getränke nicht zu gestatten ist. 
(Nach Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, S. 611.) 

Der Bezirksverein Stettin des Deutschen Vereins gegen Mi߬ 
brauch geistiger Getränke hat an die Schulleiter die dringende Bitte 
gerichtet: 1. auf Ausflügen den Genuß alkoholischer Getränke zu verbieten, 

2. rechtzeitige Vorsorge für alkoholfreie Getränke zu treffen. 

Die Württembergische Studienbehörde ordnete alkoholfreie 
Ausflüge an, ebenso die Königliche Regierung in Minden und der 
Schulvorstand der Volksschule in Gotha. (Nach Zeitschrift für Schul¬ 
gesundheitspflege, S. 793.) 

Keesebiter verlangt auf Grund ärztlicher Feststellungen über die 
schädliche Einwirkung des Rauchens auf die Körperentwickelung neben 
dem Rauchverbot eine Aufklärung der Jugend über die Schädigungen des 
Körpers durch das Rauchen. (Pädagogisches Wochenblatt, XIV. Jahrgang, 
Nr. 17, nach Referat in der Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, S. 502.) 

In Baarn in Holland wurde in den öffentlichen Elementarschulen fest- . 
gestellt, daß von 125 Knaben im Alter von 6 bis 12 Jahren 67, also mehr 
als 53 Proz. rauchten. (Nach Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, S. 502.) 

Henriette Herzfelder: „Die gemeinsame Erziehung der Ge¬ 
schlechter.“ (Leipzig, Dietrich, 1907. Sozialer Fortschritt, Heft 92/93.) 
Das Zustandekommen und der Stand der Koedukation in den verschiedenen 
europäischen Ländern und in den Vereinigten Staaten, in welch’ letzteren sie 


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278 


Schulgesundheitspflege. 

die allgemein herrschende Form in sämtlichen Elementar- und öffentlichen 
Mittelschulen ist, wird kurz geschildert. Die Bedenken gegen die Koedu¬ 
kation sind durch die Erfahrung widerlegt, ihr günstiger Einfluß namentlich 
in sittlicher Beziehung ist anerkannt. (Nach Referat im Hygienischen Zen¬ 
tralblatt, Bd. II, S. 465.) 

Fischer-Berlin sprach sich entschieden für die gemeinsame Er¬ 
ziehung beider Geschlechter aus; in einem gemeinsamen Unterbau 
von vier Klassen genießen Knaben und Mädchen vollkommen gleichen 
Unterricht; der dort einsetzende Handarbeitsunterricht für Mädchen soll für 
Knaben in einen Handfertigkeitsunterriebt umgewandelt werden. (Päda¬ 
gogische Reform, nach Zeitschrift für Sohulgesundheitspflege, S. 375.) 

In Dresden werden versuchsweise in den städtischen Gymnasien 
und der Dreikönigsschule von der Untertertia aufwärts auch Mädchen 
als Schülerinnen aulgenommen. (Pädagogisches Wochenblatt, nach Zeit¬ 
schrift für Schulgesundheitspflege, S. 204.) 

Die Stadt Brake in Oldenburg hat auf Beschluß des Schulvorstandes 
die höhere Bürgerschule in eine berechtigte Realschule für Knaben und 
Mädchen um gewandelt. (Soziale Praxis, Nr. 3.) 

In Bautzen werden auch Mädchen in das Gymnasium aufgenommen. 
(Kommunale Praxis, nach Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, S. 309.) 

Kirstein-Lippstadt sprach auf der XXIV. Hauptversammlung des 
Preußischen Medizinalbeamtenvereins in Cöln „über die Mitwirkung des 
Kreisarztes auf schulärztlichem Gebiete“ und stellte unter dem Bei¬ 
fall der Versammlung folgende Leitsätze auf: 

1. Der § 94 der Dienstanweisung für die Kreisärzte, der die gesund¬ 
heitliche Beaufsichtigung der Schulen durch den Kreisarzt regelt, hat sich 
hinsichtlich der gesundheitlichen Überwachung des Schulgebäudes, seiner 
Einrichtungen und deren Benutzung gut bewährt; dagegen hat er sich in 
bezug auf die Überwachung des Gesundheitszustandes der Schulkinder nicht 
als ausreichend erwiesen. 

2. Eine Überwachung des Gesundheitszustandes sämtlicher Schul¬ 
kinder ist aber im öffentlichen Interesse unbedingt geboten; sie hat sich 
ebenso wie die gesundheitliche Beaufsichtigung der Schulgebäude usw. auf 
alle Schulen ohne Unterschied zwischen Stadt und Land, sowie ohne Unter¬ 
schied zwischen höheren, mittleren oder Volksschulen zu erstrecken. 

3. Zur Durchführung dieser Forderung bedarf es einer Erweiterung 
des § 94 der kreisärztlichen Dienstanweisung nach der Richtung, daß 

a) dem Kreisarzt auch die gesundheitliche Überwachung der Schulkinder 
— der schulärztliche Dienst — innerhalb seines Amtsbezirks obliegt, soweit 
es seine übrigen Amtsgeschäfte und die örtlichen Verhältnisse gestatten, und 

b) ihm bei Anstellung besonderer Schulärzte die Leitung des schulärzt¬ 
lichen Dienstes zu übertragen ist, damit dessen Einheitlichkeit sicherge¬ 
stellt wird. 

4. Der Kreisarzt hat für diese erweiterte Tätigkeit auf dem Gebiete 
der Schulgesundheitspflege Anspruch auf eine entsprechende Entschädigung. 


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Allgemeines. 279 

A. Hartmann-Berlin, „Über die Organisation der schulärzt¬ 
lichen Tätigkeit“, wünscht, daß an der Spitze ein beamteter Arzt steht, 
während die eigentliche schulärztliche Tätigkeit durch praktizierende Ärzte 
ausgeübt wird. (Ärztliches Vereinsblatt, Nr. 607.) 

Samosch-Breslau, „Entgegnung auf yorigen Artikel“, verlangt 
die ganze Arbeitskraft eines besonder# geschulten und vorgebildeten Arztes. 

M. Fürst-Ham bürg, „Schulärzte und Eltern“, betont als besonders 
wichtig den persönlichen Verkehr der Eltern mit den Schulärzten, wie es 
durch Elternabende oder Zuziehung der Eltern zur ersten ärztlichen Unter¬ 
suchung der Schulanfänger geschieht. (Soziale Praxis, Nr. 32.) 

Samosch-Breslau: „Der Arzt als Lehrer der Hygiene in der 
Schule.“ (Sonderabdruck aus der Med. Klinik 1907, Nr. 31. Wien, Urban 
und Schwarzenberg.) Samo sch verlangt von dem als Lehrer der Gesund¬ 
heitspflege in der Schule wirkenden Arzt, ohne den naoh seiner Ansicht ein 
gedeihlicher Hygieneunterricht nicht denkbar ist, besondere Vorbildung, 
dann aber auch Anstellung seitens des Staates mit auskömmlichem Gehalt 
und Pensionsberechtigung. Die besondere Vorbildung muß 1. eine päda¬ 
gogische sein, 2. auf spezielle hygienische Kenntnisse auf dem Gebiete der 
Schulhygiene, 3. vielleicht auch auf eine psychologisch-psychiatrische Schulung 
gerichtet sein. (Nach Referat von Kraft in der Zeitschrift für Schulgesund¬ 
heitspflege, S. 619.) 

Leubuscher: „Schularzttätigkeit und Schulgesundheits¬ 
pflege.“ (Leipzig und Berlin, B. G. Teubner.) Es werden die Schularzt¬ 
verhältnisse im Herzogtum Sachsen-Meiningen besprochen, die insofern 
mustergültig sind, als in diesem Bundesstaate als dem einzigen in Deutsch¬ 
land sowohl für die höheren Schulen als auch für die städtischen und länd¬ 
lichen Gemeindeschulen staatliche Schulärzte angestellt sind. Trotz viel¬ 
facher Erfolge bleibt auch hier noch manches zu wünschen übrig, so werden 
die Ratschläge des Schularztes von den Eltern, namentlich auf dem Lande, 
vielfach nicht befolgt. Auffallend ist das häufige Vorkommen von Kurz¬ 
sichtigkeit in Orten mit lebhafter Hausindustrie (bis 25 Proz. kurzsichtige 
Kinder). Skoliose ist häufig und an einigen Orten mit gutem Erfolge durch 
orthopädischen Unterricht bekämpft. Sehr schlecht sieht es auf dem Lande 
mit der Zahnpflege der Kinder aus, indem 80 bis 85 Proz. schlechte Zähne 
haben. Geistig minderwertige Kinder wurden in einzelnen Bezirken bis 
über 12 Proz. festgestellt; die Ursache hierfür ist in Schnapsgenuß, sozialem 
Elend und Inzucht der Eltern, wie dies in manchen Gebirgsdörfern zu beob¬ 
achten ist, zu suchen. Der Alkoholgenuß der Kinder ist sehr verbreitet. 
Unterricht in der Gesundheitspflege für Schüler und Lehrer ist dringend er¬ 
forderlich. (Nach Referat in dem Hygienischen Zentralblatt 1908, S. 202.) 

Steudel: „Arzt und Schulbetrieb.“ (Leipzig,Teutoniaverlag, 1907.) 
Auf Grund von 49 Gutachten deutscher Ärzte, die vom Elternbund für 
Schulreform in Bremen gesammelt sipd, faßt Steudel seine Ansichten über 
Schulreform zusammen. Die wichtigsten Schlüsse daraus sind: Aufnahme 
der Schulkinder in die Schule nicht vor dem siebenten Lebensjahre, Beginn 
des Unterrichts um 9 Uhr, Sorge für neunstündigen Schlaf in minimo, Ab- 


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280 


Schulgesundheitspflege. 


Schaffung des Nachmittagsunterrichts för wissenschaftliche Fächer, Ab¬ 
schaffung der Extemporalien, Kürzung der einzelnen Unterrichtsstunden und 
der Gesamtzahl derselben, Beschränkung der Hausaufgaben auf zwei Stunden 
am Sonnabend, Erteilung von Unterricht, soweit möglich, im Freien, Ein¬ 
richtung eines Spielnachmittags, andere Einteilung der Ferien, deren Gesamt¬ 
dauer 13 Wochen betragen soll. (Nach Referat im Hygienischen Zentral¬ 
blatt 1908, S. 203.) 

Hugo Sternberg, „Schularzt im Hauptamt oder im Neben¬ 
amt“?, zeigt zunächst, daß der Plan, die Schulärzte im Hauptamt anzustellen, 
immer mehr Anhänger gewinnt. In Deutschland sind es Mannheim, Dort¬ 
mund, Halle, die den vollbesoldeten Schularzt anstellen, von außerdeutschen 
Staaten sind zu nennen Holland und die Schweiz, von Österreich die Städte 
Innsbruck, Brünn, Korneuburg. Über die Schulärzte im Nebenamt ist das 
Urteil in Sachsen ungünstig ausgefallen, denn von 41 Bezirksschulen haben 
sich nur fünf für den bestehenden Zustand ausgesprochen. Auch Cuntz- 
Wiesbaden hält den Übergang zum Schularzt im Hauptamt für notwendig. 
An der Hand des Mannheimer Schularztberichts begründet Sternberg seine 
Forderungen, die darin gipfeln, daß ein Schularzt im Hauptamt von tüchtiger 
scbulhygienischer Vorbildung und reicher ärztlicher Erfahrung erforderlich 
ist. (Münchener Neueste Nachrichten, nach Referat in Der Schularzt, S. 147.) 

Kopczynski-WarBchau: „Die ärztliche Auf sicht in den Elemen¬ 
tarschulen des Vereins »Polska Macierz Szkolna« (Königreich Polen).“ 
Nach dem vom hygienischen Ausschuß des angegebenen Vereins aus¬ 
gearbeiteten Reglement ist die ärztliche Aufsicht in diesen Schulen erschöpfend 
und sachgemäß geregelt, wie denn auch dem genannten Verein in Polen 
eine Reihe behördlicher Funktionen hinsichtlich der gesundheitlichen Über¬ 
wachung der Schulen übertragen zu sein scheint. (Zeitschrift für Schul¬ 
gesundheitspflege, Nr. 5.) 

Cuntz-Wiesbaden und Oebbecke-Breslau, „Einheitliche Organi¬ 
sation des schulärztlichen Dienstes mit besonderer Rücksicht auf 
die Dienstanweisung bzw. auf die Dienstformulare“, haben im Auf¬ 
träge einer auf dem internationalen Kongreß für Schulhygiene in Nürnberg 
im Jahre 1904 gebildeten Kommission Leitsätze über die einheitliche Organi¬ 
sation des schulärztlichen Dienstes ausgearbeitet, welche auf dem Kongreß 
des Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege in Karlsruhe im Jahre 1907 
genehmigt wurden. Diese Leitsätze mit Erläuterungen und Musterformularen 
sind sehr sorgfältig und sachverständig abgefaßt, lassen sich für alle Schulen, 
eventuell mit Einschränkung in dem einen oder anderen Punkt, verwerten 
und werden geeignet sein, die erwünschte Einheitlichkeit herbeizuführen. 
(Der Schularzt, Nr. 7.) 

0. Dornblüth-Frankfurt a. M.: „Zur Schularztfrage.“ Während 
für die Volksschulen die Schularztfrage in den meisten deutschen Staaten 
als gelöst betrachtet werden kann, da man die Nützlichkeit und Notwendig¬ 
keit hier allseitig erkannt hat, steht man bei den höheren Schulen eigentlich 
noch am Anfang. Die Einführung des Schularztes für die höheren Lehr¬ 
anstalten, sowohl für Knaben als für Mädchen, ist aber für die Erhaltung 
einer gesunden Schuljugend und der aus den Schulen ins Leben tretenden 


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Allgemeines. 


281 


jungen Menschen dringend erforderlich. Der Ein wand, daß der hygienisch 
gebildete Lehrer in der Gesundheitslehre erfolgreich unterrichten könne und 
den belehrenden Arzt überflüssig mache, ist damit zu widerlegen, daß nur 
letzterer den Unterricht in der Hygiene fruchtbar und durchgreifend gestalten 
könne, da er zugleich die krankhaften Zustände der einzelnen Schüler er¬ 
kenne und den Weg zu deren Beseitigung wisse. (Archiv für Volkswohlfahrt, 
Heft 1, nach Referat in der Zeitschrift für Medizinalbeamte 1908, S. 336.) 

Oebbecke-Breslau, „Besonderheiten der schulärztlichen 
Statistik und Technik", fordert einheitliche Diagnostik, einheitliche 
Untersuchungsmethoden, einheitliche Statistik und gibt aus seiner Erfahrung 
heraus eine Anzahl bewährter Muster und Formulare für diese Statistik. 
(Der Schularzt, Nr. 11). 

G. Pölchau-Charlottenburg: „Fürsorgestellen für die Schul¬ 
jugend, eine wünschenswerte Ergänzung der Schularzteinrich¬ 
tung.“ Da nach den allgemeinen Erfahrungen der Schulärzte die Mit¬ 
teilungen an die Eltern, worin diese aufgefordert werden, ihre Kinder in 
ärztliche Behandlung zu geben, vielfach trotz aller Bemühungen seitens der 
Schulärzte und Lehrer erfolglos sind — Übelstände, die vielfach in der In¬ 
differenz, wohl auch in der Abhaltung durch Berufspflichten begründet sind —, 
so wünscht Pölchau Gründung von Fürsorgestellen, welche „auf Ersuchen 
der Schule im Interesse der einer Hilfe bedürftigen Kinder die Vermittelung 
zwischen dem Elternhaus einerseits und den in Betracht kommenden, für 
das körperliche Wohl der Schuljugend arbeitenden Faktoren andererseits“ 
übernehmen. Diese Fürsorgestellen sind an die Schularztorganisation an¬ 
zugliedern und von Persönlichkeiten, die in sozialer Arbeit vorgebildet sind, 
zu leiten. (Der Schularzt, Nr. 5 u. 6.) 

Jörn eil-Schweden sprach auf dem zweiten internationalen Kongreß für 
Schulhygiene über „ärztliche Aufsicht in den höheren Schulen 
Schwedens“. Hier besteht die Einrichtung der Schulärzte bereits seit 
1868. Nach den neueren Instruktionen werden arme kranke Kinder unent¬ 
geltlich vom Schularzt, der ein staatlich angestellt er Schulbeamter mit Sitz 
und Stimme im Lehrerkollegium ist, behandelt. (Referat im Hygienischen 
Zentralblatt 1908, S. 382.) 

„Der Schalarzt“ enthält eine Reihe Auszüge aus schulärztlicheu 
Berichten, nämlich: 

„Schulärztlicher Bericht der Stadt Magdeburg 1904 bis 1905.“ 

„Bericht über die Tätigkeit der Schulärzte der Stadt Nürn¬ 
berg 1904 bis 1905.“ Hier sind in den schulärztlichen Dienst Volksschulen 
und höhere Schulen, Taubstummenschule und Handelsschule einbezogen. 
15 Schulärzte sind tätig. Auf einen Schularztbezirk entfallen durchschnitt¬ 
lich 2494 Kinder mit 51 Klassen, ln den Volksschulen wurden untersucht 
7866 Knaben und 7620 Mädchen; unter schulärztlicher Überwachung 
standen in den Volksschulen 299 Kinder, in der ersten Klasse der höheren 
Mädchensohule 11. 

„Bericht des Stadtbezirksarztes über Schulhygiene in Leipzig 
für 1905.“ Es wurden versuchsweise hygienische Vorträge der Schulärzte 


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282 Schulgesundheitspflege. 

vor versammeltem Elternpublikum gehalten, Ober die man sich befriedigt 
auBsprach. 

„Bericht des Stadtbezirksarztes in Chemnitz für 1905.“ Es 
wurden 817 Kinder = 16 Proz. unter ärztliche Überwachung gestellt; ein 
Schularzt richtete orthopädische Turnstunden, für Unbemittelte unentgelt¬ 
lich, ein. 

Kassel, Bericht für 1905 bis 1906. Von 8710 Kindern wurden 
3519 = 40 Proz. als krank bezeichnet. 

Berlin, Bericht für 1905 bis 1906. Die Überbürdungen der Kinder 
außerhalb der Schulzeit sind recht häufig, Ernährungs- und Wohnungs¬ 
verhältnisse vielfach unzureichend. 

Breslau, Bericht für 1905 bis 1906. Auch die höheren Schulen und 
städtischen Töchterschulen und Gymnasien sind dem schulärztlichen Dienst 
unterstellt. Aus dem Bericht über die Voruntersuchungen für die Stotter- 
und Stammlerkurse ist erwähnenswert, daß bei mehr als 50 Proz. der unter¬ 
suchten Kinder eine Vergrößerung der Mandeln festgestellt wurde; meißt 
fand sich dabei eine Anomalie des harten Gaumens. 

Kreis Worms, Bericht über die Volksschulen der Landgemeinden für 
1906 bis 1907. Auf Anregung der Kreisschulkommission hat der Schularzt 
für die Volksschulen der Landgemeinden außer den 140 Schulklassen noch 
die gesundheitliche Überwachung der 22 Kleinkinderschulen übernommen. 

Worms. Auf jeden der drei Schulärzte entfallen 2100 Kinder. Schon 
bei der Anmeldung der Kinder vor Beginn des Schuljahres wird ein Schul¬ 
arzt zugezogen, um schon hierbei die Ausmerzung unfähiger Kinder zu er¬ 
möglichen. Der schlechte Zustand der Zähne der Schulkinder — der Prozent¬ 
satz der an Zahnfäulnis leidenden beträgt in den oberen Klassen 85 bis 
90 Proz. — fordert die Errichtung einer Schulzahnklinik. 

Offenbach (Hessen), Bericht für 1906. Von 2277 neu eingeschulten 
Kindern waren 823 schlecht und 16 ganz schlecht ernährt (zusammen 
31 Proz.). Krankheiten der Zähne wurden bei 42 Proz., Erkrankungen des 
Mundes und Nasenrachenraums bei 7 Proz., Augenkrankheiten bei 3 Proz., 
Ohrenkrankheiten bei 5 Proz. festgestellt. 50 Kinder waren geistig zurück¬ 
geblieben und 8 schwachsinnig. 

Mannheim, Bericht für 1904 bis 1907. Das Mannheimer Schul¬ 
system mit der Anstellung des Schularztes im Hauptamt bewährt sich vor¬ 
trefflich. Eine wichtige Neuerung im Schulbetriebe war versuchsweise Zu¬ 
sammenlegung des ganzen Unterrichts auf den Vormittag. Der Versuch 
fand fast überall Beifall. Ferner kam ein geregelter Spielbetrieb an schul¬ 
freien Nachmittagen zur Durchführung. Beachtung verdient auch die 
ministerielle Entscheidung, daß Kopfungeziefer als ansteckende Krankheit 
zu betrachten und auf polizeilichem Wege zu bekämpfen ist. 

Darmstadt, Bericht für 1906 bis 1907. Blutarmut fand sich in 
13 Proz., Augenleiden in 7 Proz., Parasiten in 6 Proz., Mund-, Nasen-, Hals¬ 
krankheiten in 6 Proz., Rhachitis in 3 Proz., Ohrenerkrankungen in 2 Proz.. 
Wirbelsäulenerkrankungen in 2 Proz., Hauterkrankungen in 1,5 Proz., Herz¬ 
erkrankungen in 1 Proz., Sprachfehler in 1 Proz., Skrofulöse in 1 Proz. 


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Allgemeines. 


283 


Brünn, Bericht für 1906 bis 1907. 

Nürnberg, Bericht für 1905 bis 1906. (Der Schularzt, S. 10, 14, 23, 
48, 50, 53, 54, 64, 65, 118, 135, 166, 185, 189.) 

Oebbecke: „Sechster Jahresbericht über den schulärztlichen 
Überwachungsdienst an den Volksschulen zu Breslau für das 
Schuljahr 1906 bis 1907 nebst Bericht des Hilfsschulenarztes.“ 
Breslau. Es wurde eine neue Schularztstelle für die Knabenmittelschulen 
und das Johannis-Gymnasium und eine Stelle für eine Schulärztin bei den 
Mädchen mittelschulen geschaffen. Im ganzen sind nunmehr 27 Schularzt¬ 
bezirke vorhanden, überwachungsschüler waren 2210 unter 29 940 und 
Überwachungsschülerinnen 2748 unter 29132. Die Zahl der Schulinvaliden 
betrug 769 Knaben und 672 Mädchen. Mitteilungen an die Eltern er¬ 
folgten 2703, davon kamen mit Antwort des behandelnden Arztes zurück 994. 
Für Stammler wurden 28, für Stotterer 21 Kurse abgehalten. Die Zahl der 
Hilfsschulen stieg auf 10, die der Klassen von 27 auf 33. Die Gesamtzahl 
der Hilfsschulzöglinge betrug 741, d. h. sie stieg in drei Jahren um fast 
50 Proz. 

Neue Schulärzte wurden vielfach angestellt, so in München 
(19 mit je 1000 jft\ lleidenheim in Württemberg, Triebes in Reuß j.L., 
Mettmann, Kalk a. Rhein, Liegnitz (4), Wandsbeck, Itzehoe, Peine, 
Koblenz, Oberschönweide (3), Olbernhau, Diedenhofen (1500 Jtt 
Honorar), Olvenstedt bei Magdeburg (2 mit je 100 Jt), Allenstein 
(3 mit je 500 t /ft), Hamburg (10 Ärzte mit einem Jahresgehalt von 3600 Ji\ 
Thum in Sachsen, Ludwigshafen a. Rhein, Pirmasens, Metz (Stadtarzt 
übernimmt Schulaufsicht), Lichtenberg bei Berlin (4), Lübeck (10). 

Pankow stellte einen Spezialarzt für Augenkranke an, ebenso 
Darmstadt, Charlottenburg einen orthopädischen Schularzt, der 
zugleich orthopädische Turnkurse abhalten wird. Halle a. S. stellt neben 
dem Stadtarzt einen Schularzt mit 7500 Ji- Gehalt an, der den schulärzt¬ 
lichen Dienst an 2000 Kindern zu versehen hat. Breslau läßt den schul¬ 
ärztlichen Dienst auch an Knaben- und Mädchenmittelschulen ins Leben treten. 

Im Kreise Unterwesterwald hat der Landrat die Verfügung getroffen, 
daß sämtliche Schulkinder viermal im Jahre auf Kreiskosten von Ärzten 
untersucht und die kranken Kinder vollständig frei, wenn nötig, im Kranken¬ 
bause behandelt werden. 

Für die Landgemeinden des Kreises Gießen wurde ein Schularzt an¬ 
gestellt. 

Die Bürgermeisterversammlung des Kreises Oppenheim (Hessen) be¬ 
schloß Anstellung von Schulärzten für alle Schulen des Kreises. Die Aus¬ 
gaben sind für Kind und Jahr auf 0,35 1 M berechnet. 

In einer Reibe von sächsischen Schuldörfern haben die Gemeinde¬ 
verwaltungen den ortsansässigen Ärzten die hygienische Überwachung der 
Schalkinder und Schulräume übertragen. 

Von außerdeutschen Städten sind zu nennen: 

Innsbruck (zweimal im Jahre Untersuchung der Schulkinder, monat¬ 
liche Abhaltung einer Sprechstunde, wenigstens einmal im Monat Teilnahme 


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284 Schulgesundheitspflege. 

an den Beratungen des Lehrkörpers), Brünn, Uster im Kanton Zürich 
(400 Frcs.), Montigny. 

Die Gemeinde Rorschach (Schweiz) hat hygienische Schulkinderunter¬ 
suchungen eingeführt; bei der Untersuchung von 240 Kindern wiesen 
26 Proz. Knochengerüstabnormitäten und 54,5 Proz. ungenügenden Brust¬ 
umfang auf. 

In Japan sind zurzeit an 9580 Schulen 4941 Schulärzte beschäftigt, 
359 mehr als im letzten Jahr. Der Untersuchung unterworfen sind im 
ganzen 722 973 Schulbesucher. (Der Schularzt, S. 15, 36, 52, 70, 114, 123, 
124, 150, 180 und Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, S. 129.) 

Die Anstellung einer Schulärztin beantragte der Lehrerinnenverein 
in Schöneberg; dieselbe soll zugleich als Vertrauensärztin tätig sein. (Der 
Schularzt, S. 52.) 

Luzern hat eine Schulpoliklinik begründet; Behandlung erfolgt nur 
mit Erlaubnis der Eltern; Ausnahme sind Fälle von Zwangsreinigung und 
Notfälle. (Nach Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, S. 608.) 

In Straßburg wurden 250 schulentlassene Knaben durch den 
Stadtarzt untersucht; bei 110 war das Ergebnis genügend und kaum 
genügend, bei 15 direkt mangelhaft oder schlecht; bei 121 ziemlich bis gut. 
In 13 Fällen wurde Tuberkulose festgestellt. (Statistische Monatsberichte, 
nach Zeitschrift für Schulgesundheitspflege, S. 500.) 

Helene Simon: „Schule und Brot.“ Hamburg und Leipzig, Leopold 
V 088 , 1907. 1 t /ft. Es wird darin als eine pädagogische und nicht etwa 
armenpflegerische Notwendigkeit eine gesetzliche Einrichtung der Schul¬ 
speisung für Stadt und Land gefordert, an deren Kosten in erster Reihe der 
Staat zu beteiligen ist. Zu dem Zweck müsse jede Volksschule mit den 
erforderlichen Koch- und Speiseräumen versehen werden, die Speisung habe 
obligatorisch für unterernährte Kinder zu erfolgen und müsse bei Bedürftig¬ 
keit frei sein. (Nach Ref. in Zeitschr. f. Schulgesundheitspfleg, S. 314 und 
Zeitschr. f. Medizinal beamte, S. 249.) 

Über Schulspeisung ist wieder aus manchen Orten Erfreuliches zu 
berichten. 

In Charlottenburg erhielten im Winter 1906/07 700 Kinder warme 
Milch und Brot; die Kosten betrugen 5000 tM. 

Mühlhausen gibt Schulfrühstück an Bedürftige. 

Der Schulausschuß der Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt 
bewilligte 3000 jft zur Beschaffung von Frühstück. 

Hannover bewilligt alljährlich 15 000 für Frühstück an 968 arme 
Schulkinder. 

Oberhausen am Rhein gibt Frühstück. 

In Breslau sind nach dem Bericht des Stadtschulrats 119 387 Por¬ 
tionen warmes Frühstück für Volksschulkinder verteilt; die Ausgaben be¬ 
trugen 7163 oft. 


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Allgemeines. 


285 


In Oe de ran (Sachsen) hat eine kaufmännische Firma der Stadt jähr¬ 
lich 500 <Jt zur Verabreichung von Frühstück an bedürftige Schulkinder zur 
Verfügung gestellt. 

Stuttgart führte unentgeltliches Frühstück für 2000 bedürftige Volks¬ 
schüler ein; bei 235 Schultagen stellt sich die Ausgabe auf 35 250 

In Zürich erhält ein Teil der ärmeren Kinder in der Schule warme 
Milch und Brot. Außerdem finden Speisungen mit Suppe und Zulagen, 
Wurst und Käse statt. Die Zahl der Teilnehmer an diesen Speisungen be¬ 
trug 3308, die Ausgabe dafür 45 408 Frcs. Für Bekleidung armer Schul¬ 
kinder wurden ferner 5601 Frcs. ausgegeben. (Nach Zeitschr. f. Schul- 
gesundheitspfl., S. 192, 198, 209, 262, 372, 375, 440, 595, 608, 686.) 

Bienstock: „Die Waldschule in Mülhausen i. E.“ Die Stadt¬ 
verwaltung Mülhausen hat im Jahre 1906 nach dem Muster der ersten 
preußischen Waldschule in Charlottenburg in gesunder, hochgelegener, wal¬ 
diger Gegend eine Waldschule errichtet und mit 100 Kindern in vier Klassen 
eröffnet. Bei der Auswahl werden skrofulöse, tuberkulöse und mit Herz¬ 
leiden behaftete Kinder ausgeschlossen und nur schlecht genährte und schwer 
anämische Kinder ausgesucht. Die Waldschule war vom Mai bis November 
in Betrieb. Die meisteu Kinder blieben nur tagsüber, einige besonders 
schwächliche auch nachts in der Waldschule. Auf gute Ernährung, viel 
Aufenthalt in freier Luft, auch während des Unterrichts, welcher vier halbe 
Stunden dauerte, Singen im Freien, Baden, Spielen wurde der Hauptwert 
gelegt. Die Ergebnisse des ersten Betriebsjahres waren recht gute, sowohl 
vom ärztlichen Standpunkt als in pädagogischer Hinsicht. Die durchschnitt¬ 
liche Gewichtszunahme betrug für jedes Kind 2,3 kg, d. h. so viel, als das 
normale Kind in einem ganzen Jahre zunimmt. (Zeitschr. f. Schulgesund¬ 
heitspflege, Nr. 4.) 

B. Bendiz: „Über die Charlottenburger Waldschule.“ Diese 
1904 gegründete Waldschule, deren Arzt Bendiz ist, hat sich fortdauernd 
vergrößert, ihre Schülerzahl ist bereits von 95 auf 250 gestiegen. Auf¬ 
nahme finden nach vorheriger genauer Untersuchung schwächliche skrofu¬ 
löse, anämische und andere Kinder; solche mit offener Tuberkulose sind 
jedoch ausgeschlossen. Besonderer Wert wird auf körperliche Erholung, 
Bewegungen, Baden usw. gelegt, deshalb die eigentliche Schulzeit auf 2 bis 
2*/j Stunden täglich beschränkt. Die Erfolge sind in erzieherischer und 
medizinischer Hinsicht sehr gute. (Deutsche Vierteljabrsschr. f. öffentL Ge- 
sundheitBpfl., Heft 2.) 

Schaefer-München-Gladbach: „Die Waldschule der Stadt Mün¬ 
chen-Gladbach.“ Die Einrichtungen dieser Waldschule werden besprochen, 
ihre Erfolge sind vom gesundheitlichen Standpunkte recht erfreuliche ge¬ 
wesen. (Das Rote Kreuz, Nr. 14, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt 1908, 
S. 628.) 

Das erste Sloyd-Waldschulheim nach skandinavischem Muster 
ist in Wölfeisgrund (Kreis Habelachwerdt) errichtet. Diese Schule unter¬ 
richtet Mädchen neben der Hauswirtschaft auch im Kunathandwerk. (Nach 
Zeitschr. f. Schulgesundheitapfl., S. 503.) 


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286 Schulgesundheitspflege. 

In Gr.-Lichterfelde ist ein Kindererholuogsheim mit 30 Betten 
eröffnet, das als Ergänzung für die Walderholungsstätten gedaeht ist. 

Eine Walderholungsstätte für Kinder ist in Kassel eröffnet. Die 
Anstalt ist für 50 Kinder eingerichtet, für die eine Erholungsseit von 
30 Tagen als Norm angenommen wird. Die Kinder fahren täglich mit der 
Bahn hinaus und werden dort unter Aufsicht einer Lehrerin und zweier 
Kindergärtnerinnen beschäftigt und verpflegt. 

Der Wiesbadener Verein für Sömmerpflege armer Kinder hat 
in Niederseelbach ein Ferienheim eröffnet. 

In Elberfeld ist eine Waldschule für 100 Kinder eröffnet. 

Die Stadt Solingen plant die Errichtung von Walderholungs¬ 
stätten und Waldschulen. 

Berlin hat die Errichtung von Waldschulen für vorläufig 200 Schul¬ 
kinder beschlossen und 300 000 Jt dafür in den Etat gestellt. 

Liebe, Unterricht im Freien, schildert den Betrieb und die Erfolge 
der Waldschulen in Charlotten bürg und München-Gladbach mit großerWärme. 
(Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S.132, 258, 512, 514, 519, 610.) 

Leo Burgerstein-Wien, „Über das Regime in Ferienkolonien“, 
berichtet über die Kolonie des Wiener Vereins „Ferienhort für bedürftige 
Gymnasial- und Realschüler“ in Steg am Hallstätter See. Es wurden 
33 Kolonisten im Alter von 11 bis 17 Jahren nach vorheriger ärztlicher 
Untersuchung auf 43 Tage während der großen Ferien der Kolonie zu¬ 
geführt. Bei reichlichem, kräftigem Essen, unter Bevorzugung von Milch 
und Ausschluß der Alkoholika war der erzielte Erfolg ein recht günstiger, 
indem sämtliche Zöglinge an Gewicht Zunahmen und die durchschnittliche 
Gewichtszunahme für den einzelnen während der 43 Tage 2,57 kg betrug. 
(Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., Nr. 3.) 

O. Godtfring-Kiel, „Die Waldschule für schwach befähigte Kin¬ 
der“, tritt als Pädagoge dafür ein, daß die schwach befähigten, schwächlichen 
Kinder in besonderen Waldschulen unterrichtet werden. Aus hygienischen 
und pädagogischen Gründen sollen die Kinder auch nachts in den Wald¬ 
schulen bleiben. Bei dem Unterricht ist besonderer Wert auf Anschauungs¬ 
unterricht, Turnen, Hand- und Gartenarbeit zu legen, gute Ernährung, viel 
Aufenthalt in freier Luft sind unerläßlich. Eine sorgfältig ausgearbeitete 
Tageseinteilung für den Unterricht von älteren Knaben in einer solchen 
Waldschule fügt Godtfring bei. (Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., Nr. 4.) 

Th. Benda: „Sonderklassen für die Schwachbegabten auf den 
höheren Schulen.“ Die gesundheitlichen Bedenken, die dem gemeinsamen 
Unterricht der begabten mit den weniger begabten Schülern der höheren 
Lehranstalten entgegenstehen, werden zusammengefaßt und daran einige 
Bemerkungen über die Einrichtung von Sonderklassen geknüpft Verfasser 
wünscht Parallelklassen von Quarta bis Untersekunda, Verteilung des Pen¬ 
sums der Sonderklassen auf lVa bis 2 Jahr bei kleiner Schülerzahl und 
Verkürzung der täglichen Unterrichtszeit und besondere Vorbildung der in 
diesen Klassen wirkenden Lehrer. (Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., Nr. 6.) 


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Ausstattung der Schulzimmer mit Schulgeräten und Lehrmitteln. 287 


Julius Moses-Mannheim, „Die hygienische Ausgestaltung der 
Hilfsschule“, sucht die Hilfsschulfrage systematisch darzustellen. (Internat. 
Archiv für Schulhygiene, Bd. III, nach Hygien. Zentral bl., S. 467.) 

Henze-Hannover: „Das Hilfsschulwesen im Auslande.“ Die 
Schweiz und England zeichnen Bich besonders durch Ausbildung des Hilfs- 
schulwesens aus. (Zeitschr. für die Erforschung des jugendlichen Schwach¬ 
sinns, Bd.1, Heft 4, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 171.) 

Georg Büttner-Worms: „Fürsorgevereine für ehemalige Hilfs¬ 
schüler.“ Solche Vereine, bisher nur vereinzelt vorhanden, verfolgen den 
Zweck, im Anschluß an die Tätigkeit der Hilfsschule für die Schwachsinnigen 
zur Förderung ihrer leiblichen und geistigen Bedürfnisse zu sorgen. (Zeit¬ 
schrift für die Behandlung Schwachsinniger und Epileptischer, Nr. 4 und 5, 
nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 171.) 

Schlesinger-Straßburgi. E.: „Vorgeschichten und Befunde bei 
schwach begabten Schulkindern.“ Ein Beitrag zur Forschung nach den 
Ursachen der schwachen Begabung. Es werden nach den Untersuchungs- 
ergebnissen bei 138 Hilfsschülern alB Ursachen der schwachen Begabung an¬ 
gegeben: Degeneration in der Aszendenz (in den meisten Fällen), mangelhafter 
Schulbesuch, Verwahrlosung in der Häuslichkeit, neuro-psychopathische Be¬ 
lastung, Nervenkrankheiten und langwierige Erkrankungen im Säuglingsalter, 
seltener Sprechfehler, Taubheit, Traumen während der Gravidität oder der 
Geburt. Verfasser stellt im Anschluß an seine Beobachtungen neue For¬ 
derungen für den Ausbau des Hilfsscbulwesens auf, wobei er vor allem verlangt, 
daß der Hilfsschularzt auch behandelnder Arzt wird. (Archiv für Kinderheil¬ 
kunde, Bd. 46, Heft 1 u. 2, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 171.) 

A. Heilmann-Gera, „Die Fortbildungsschule für Schwach¬ 
begabte“, betont die Notwendigkeit der Hilfsfortbildungsschule, berichtet 
über die Organisationen der schon bestehenden derartigen Schulen und be¬ 
zeichnet als die beste Form die selbständige, in besonderen Räumen unter¬ 
gebrachte, unter fachmännischer Leitung stehende und ausschließlich von 
Schülern der Hilfsschule besuchte HilfsfortbildungBschule. Der Kursus soll 
drei Jahre dauern und sich an die Entlassung aus der Hilfsschule an¬ 
schließen. Die Unterrichtsfächer sollen sein Gesellschafts- und Gewerbekunde, 
Deutsch, Rechnen. (Zeitschrift für die Behandlung Schwachsinniger und 
Epileptischer, März 1907, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 172.) 

Curt Ehrig-Leipzig: „Die Fortbildungsschule der Hilfsschule 
für Schwachbefähigte in Leipzig.“ Als Leitsatz wird aufgestellt: Die 
aus der Hilfsschule entlassenen Zöglinge müssen einen gesonderten, ihren 
Kräften entsprechenden individuellen Fortbildungsunterricht erhalten. (Zeit¬ 
schrift für die Behandlung Schwachsinniger und Epileptischer, Nr. 67, nach 
Ref. im Hygien. Zentralblatt 1908, S. 627.) 

Ausstattung der Schulzimmer mit Schulgeräten und Lehrmitteln. 

Karl Siebold-Bethel bei Bielefeld: „Scharnier für sch wellenlose, 
umlegbare Schulbänke.“ D. R.-P. Nr. 178 032. Die neue Erfindung ge¬ 
stattet, nach Auslösung einer Sicherung eine einzelne Bank rasch auszulösen. 
(Nach Hygien. Zentralblatt, Bd. II, S. 466.) 


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288 


Schulgesundheitspflege. 


Walter Hyan-Berlin: „Gestell für Schulbänke, Zeichentische, 
Pulte und dergleichen.“ D. R.-P. Nr. 178 696. Diese Erfindung gestattet 
die Einstellung der Tisch- und Sitzplatte in verschiedenen Höhen- und Schräg¬ 
lagen, sowie ein Vor- und Zurückschieben. (Hygien. Zentralblatt, Bd. II, 

S. 571.) 

Stephani-Mannheim, „Über Körper messungen und einen neuen 
Körpermeßapparat“, stellte durch Untersuchungen an 6000 Schulkindern 
fest, daß drei Bankgrößen für eine Klasse nicht genügen, sondern daß vier 
bis sechs Banknummern erforderlich sind(?). Für eine genauere Körper¬ 
messung an Stelle der bisher üblichen Ermittelung der Körperlänge hat Ver¬ 
fasser einen besonderen Meßapparat konstruiert, bei dem in Sitzstellung die 
Längenmaße der Unter-, Oberschenkel usw. leicht abzulesen sind. (Gesunde 
Jugend, Bd. VI, Heft 6, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. HI, S. 167.) 

Derselbe, „Prophylaxe des Wachstums und Methode der Kör¬ 
permessung“, hält die bisherigen Messungen der Schulkinder für die 
speziellen Schulzwecke nicht für ausreichend und beschreibt seinen paten¬ 
tierten Körpermeßapparat, von dem eine Abbildung beigefügt ist, der von 
denVereinigten Schulmöbelfabriken in Stuttgart, sowie von den Werkstätten 
für Schuleinrichtung P. Jobs. Müller u. Co. in Charlottenburg geliefert wird. 
(Das Schulzimmer, Nr. 2.) 

H. Chr. Nussbaum-Hannover: „Die Lage der Schulbank zum 
Fenster.“ Bei der in Deutschland während eines Viertels des Jahres 
dürftigen Tagesbeleuchtung müssen alle Hilfsmittel angewendet werden, um 
die geringe Helle möglichst auszunutzen. Dazu gehört auch, daß der Arbeits¬ 
platz in die günstigste Lage zum Fenster gebracht wird. Ein Blatt Papier 
wird am besten belichtet, wenn die Oberkante um etwa 30° zum Horizont 
hochgerichtet wird bei einer leichten Wendung des Papiers nach dem 
Fenster zu. Deshalb sind die Tischplatten ziemlich stark geneigt herzustellen 
und müssen die Sitzreihen aus dem bisher üblichen rechten Winkel zur 
Fensterwand herausgerückt und ein wenig schief gerückt werden. Wie dies 
zu geschehen hat, ohne den Raum wesentlich zu beengen, wird an einer 
Skizze gezeigt. (Das Schulzimmer, Nr. 2.) 

Leo Berthenson: „Über sanitäre Kontrolle der Schulbücher 
in Rußland.“ Es werden in bezug auf die Schrift folgende Normen auf- 
gestellt: 

„1. Die Höhe der Schrift muß für Lernende unter 14 Jahren mindestens 
1,75 mm (Cicero), für solche über 14 Jahren nicht weniger als 1,5 mm (Kor¬ 
pus) betragen. 

2. Die Breite der Buchstaben sei nicht weniger als 1 mm. 

3. Die Grundstriche der Buchstaben dürfen nicht dünner als 0,25 mm sein. 

4. Der Zwischenraum zwischen den einzelnen Buchstaben sei nicht 
enger als 0,5 mm. 

5. Der Zwischenraum zwischen den Worten darf nicht kleiner als 
2 mm sein. 

6. Der Abstand der Zeilen muß mindens 3 mm betragen. 

7. Die Zahl der Buchstaben im Quadratcentimeter der bedruckten Seite 
darf 15 nicht übersteigen. 


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Die Schul8tubenlaft in ihrer hygienischen Bedeutung. 


289 


8. Die Länge der Zeilen darf für Lernende unter 14 Jahr 100 mm, für 
solche über 14 Jahr 110 mm nicht übersteigen. 

9. Kursivschrift ist nicht zulässig; dieselbe wird durch fette oder ge¬ 
sperrte Schrift ersetzt.“ (Internat. Archiv für Schulhygiene, Nr. 3, nach 
Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 164.) 

M. Desmoyers: „L’enseignement de l’ecriture.“ Bei der üblichen 
Schrägschrift, nämlich bei paralleler Lage des Heftes zum Tischrand, ist das 
Kind gezwungen, eine Drehung der Wirbelsäule vorzunehmen. Wird dagegen 
das Heft schräg, nach links geneigt, gelegt, so bleibt die Haltung bei Schräg¬ 
schrift eine vollkommen natürliche. Die Steilschrift hat wiederum den Nach¬ 
teil, daß dabei nach wenigen Buchstaben der rechte Arm seinen Platz ver¬ 
ändern muß und dadurch das Kind sich auf die linke Seite zu neigen bemüht 
ist, ferner, daß diese sich nicht so schnell und geläufig schreibt als die 
Schrägschrift und schneller zu einer Ermüdung der Muskeln führt, die sich 
leicht zu einem Schreibkrampf steigert. Daher sollte man überall zur Schräg¬ 
schrift, aber mit schräg liegendem Heft übergehen. (Revue d’hygiöne, S. 752, 
nach Ref. in Hygien. Rundschau 1908, S. 860.) 

Koenigsbeck-Saarbrücken: „Vorschlag zu einer Änderung des 
Schulranzens, die reichlichere Benutzung der Wasch- und Trink¬ 
gelegenheit in der Schule ermöglicht.“ Damit die Schüler in 
einwandfreier Weise sich die Hände in der Schule reinigen und ihren Durst 
löschen können, muß jeder Schüler sein eigenes Handtuch und seinen eigenen 
Trinkbecher im Ranzen mit zur Schule bringen. Eine einfache Vorrichtung 
ermöglicht dies: in einer zweiteiligen,unter dem Ranzen angebrachten Blechhülle 
kann Frühstück und Trinkbecher, in einer Innenseitentasche des Ranzens das 
Handtuch untergebracht werden. (Zeitschr. f. Schulgesundheitspflege, Nr. 6.) 

Die Schulstubenluft in ihrer hygienischen Bedeutung. 

R. Wolf-Tübingen, „Über indirekte Beleuchtung von Schul¬ 
räumen und Hörsälen“, betont die Gefahren, die dem Auge bei unzu¬ 
reichender Beleuchtung in Schule und Haus durch die Entstehung der Kurz¬ 
sichtigkeit drohen, und die Unannehmlichkeiten, die die direkte Beleuchtung 
in Hörsälen — wenn das Auge gezwungen ist, in die Flamme hineinzusehen — 
mit sich bringt. Sehr zweckmäßig ist das Gasglühlicht, wenn durch ein¬ 
fache Abzugskanäle für Beseitigung der erwärmten und mit Verbrennungs¬ 
produkten erfüllten Luft gesorgt wird. Die Auerbrenner werden am besten 
mit Milchglaskugeln umgeben und das Gasglühlicht in kombinierter direkter 
und indirekter Anwendung gewählt. Die rein indirekte Beleuchtung empfiehlt 
sich nur bei Bogenlampen, und zwar bei Verwendung doppelter Reflektoren. 
(Gesundheitsingenieur, Heft 4.) 

Prausnitz-Graz, „Über Lüftung und Beleuchtung“, stellte hin¬ 
sichtlich der Beleuchtung und Ventilation der Schulzimmer folgende Thesen auf: 

A. Beleuchtung. 

I. Für die Beleuchtung der Schulräume sind folgende Aufgaben zu 
erfüllen: 

1. Auf den einzelnen Plätzen muß die zur Leistung der Arbeit not¬ 
wendige Lichtmenge vorhanden sein, und zwar erfordern gewöhn- 

Yierteljahruschrift fttr Gesundheitspflege, 1908. Supplement. in 


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Schul gesundheitspflege. 

liehe Arbeiten eine Platzhelligkeit von mindestens 10 Meterkerzen, 
feinere Arbeiten eine solche von etwa 25 Meterkerzen. 

2. Die Lichtmenge ist in einer Weise zu beschaffen, daß Störungen 
durch Luftverunreinigung, Schattenbildung, strahlende Wärme, 
Blendung vermieden werden. 

II. Bei künstlicher Beleuchtung verwendet man: 

1. Besonders konstruierte Beleuchtungskörper. 

2. Indirekte Beleuchtung mit lichtundurchlässigen Metallschirmen, 
welche das Licht zunächst an Decke und Wände werfen. 

3. Halbdiffuse oder gemischtdiffuse Beleuchtung mit gleichmäßig ver¬ 
teilten, hoch aufgehangenen Beleuchtungskörpern, welche mit halb¬ 
durchsichtigen Milchglasglocken oder Schirmen bedeckt sind. 

4. Direktes Hochlicht: 

a) ist überflüssig, 

b) nur bei Bogenlampen nötig, 

c) nur bei elektrischen Glühlampen möglich. 

III. Die natürliche Beleuchtung wird am zweckmäßigsten als: 

1. Oberlicht eingerichtet. 

2. Bei Seitenlicht ist die Richtung der Fenster nach Norden die 
zweckmäßigste. 

a) Das Licht soll von der linken Seite einfallen. 

b) Breite Schulräume können auch Licht von der rechten Seite in 
geringer Menge erhalten. 

c) Fenster in der Katheder- oder Rückwand sind immer zu ver¬ 
urteilen. 

3. Die Bestimmung der Helligkeit der Schulzimmer bei Tageslicht 
verursacht große Schwierigkeiten, weil 

a) Momentanrae8sungen wegen des häufigen Wechsels der Hellig¬ 
keit des Himmels kein sicheres Resultat ergeben. Man ist 
deshalb angewiesen auf: 

b) Bestimmung der Größe des Neigungswinkels der lichtgebenden 
Himmelsfläche. Hierfür leistet die besten Dienste der W ebersche 
Raumwinkelmesser. Die Konstruktion eines allgemein anwend¬ 
baren, billigen Apparates wäre ein dringendes Bedürfnis. 

B. Für die Ventilation der Schulräume. 

I. Die Veränderung der Luft in Schulräumen geschieht durch: 

a) Staub. 

b) Chemische Produkte (Kohlensäure und Riechstoffe). 

c) Veränderung der thermischen Verhältnisse. 

Die Bedeutung von b) ist bisher überschätzt, von a) fast ganz ignoriert 

worden, während der Einfluß von c) von besonderer Wichtigkeit ist. 

II. Besonders aus ökonomischen Rücksichten muß dafür gesorgt werden, 
daß Staub, Verunreinigung mit Riechstoffen usw., eine Überhitzung 
und ein übermäßiger Wassergehalt der Luft möglichst verhütet werden. 
Dies muß geschehen durch: 

1. Vorkehrungen, welche das Hereinbringen, ferner das Auf wirbeln 
des hereingebrachten Staubes verhindern. 


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Beziehungen zwischen Gesundheitsstörungen der Schäler und dem Schulbesuch. 291 


2. Durch Baden der Kinder. 

3. Durch zweckmäßigen Betrieb der Heizung und richtige Anwendung 
der Zuglüftung. 

III. Die Einführung und der Betrieb guter künstlicher Ventilationsanlagen 
ist der hohen Kosten wegen in Schulräumen leider nur ausnahms¬ 
weise möglich. (Zweiter internationaler Kongreß für Schulhygiene, 
nach Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 775 ff.) 

Die Beziehungen zwischen Gesundheitsstörungen der Schüler 
und dem Schulbesuch. 

Adolf Thiele-Chemnitz: „Reinlichkeit und Schule.“ Wie das 
Schulhaus mit seinen sämtlichen Nebenräumen eine Musteranstalt für Rein¬ 
lichkeit sein soll, so muß auch das Schulkind vom Lehrer zur Reinlichkeit 
des Körpers, namentlich der Hände und Nägel, der Nase und der Zähne, 
angehalten werden. Des weiteren ist das Reinlichkeitsprinzip auf alle Gegen¬ 
stände, die das Schulkind benutzt, also Trinkbecher, Schulbücher, Schiefer¬ 
tafel usw., auszudehnen. Der Trieb zur Reinlichkeit bedeutet den wichtigsten 
Kulturfaktor, den die Schule ihren Zöglingen mit auf den Lebensweg geben 
kann. (Der Schularzt, Nr. 1 und 2.) 

* Daß das Reinigen der Schulzimmer durch Schulkinder 
unzulässig ist, wurde entgegen der Ansicht des vom Schulrat unterstützten 
Lehrers im Kanton Graubünden (Schweiz) vom Regierungsrat entschieden. 
(Nach Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 131.) 

Friedrich Lorentz-Berlin: „Wohnungsnot und Schulhygiene.“ 
Bei den so vielfach dürftigen, unsauberen und ungesunden Wohnräumen, in 
denen die Kinder aufwacbsen, hat die Schule durch Sorge für gesunde 
Schulräume, Erziehung der Kinder zur Reinlichkeit und Ästhetik, möglichst 
auch durch Bereitstellung von Räumen, in denen die zu Haus schlecht unter¬ 
gebrachten Kinder ihre Schularbeiten machen können, für die nationale 
Wohlfahrt und Kulturentwickelung beizutragen. (Das Schulzimmer, Heft 1.) 

Wolfgang Weichardt-Erlangen: „Ermüdungs- und Über¬ 
müdungsmaßmethoden. Mit besonderer Berücksichtigung der 
schulhygienischen Untersuchungen.“ Jede einzelne der für die 
Feststellung der Ermüdung üblichen Methoden — die ergographische, die 
ästhesiometrische, Prüfung der psychischen Leistungen — schließt Fehler¬ 
quellen in sich, namentlich, wenn es sich um Schulkinder handelt. Verfasser 
wendete deshalb bei ein und demselben Individuum drei verschiedene Unter¬ 
suchungsmethoden an und zog daraus seine Schlüsse. Dieses Verfahren 
mag vor Irrtümern eher bewahren, ist aber für Massenuntersuchungen zu 
umständlich und kaum geeignet. (Deutsche Vierteljahrsschr.'f. öffentl. Ge- 
sundheitspfl., Bd. 39, Heft 2, nach Ref. in der Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 
S. 461.) 

Schuyten-Antwerpen sprach auf dem zweiten internationalen Kongreß 
für Schulhygiene über einige Resultate seinerim Verlaufe von 
10 Jahren an Antwerpener Schulen gemachten Beobachtungen, 
im besonderen über ästhesiometrische Schwankungen, wobei er zu 

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Schulgesundheitspflege. 


folgenden Ergebnissen kam: Physische und psychische Depression bei Schul¬ 
kindern von 6 bis 6 1 /* Jahr, Zunahme der Ermüdung während des Schul¬ 
jahres ohne nennenswerte Wiederherstellung der Energie während der Ferien, 
intensive Anstrengung der Sinne der Schulkinder, ohne daß die Erfolge 
entsprechende wären, unvollständige Ausrüstung der Schulkinder für das 
Leben beim Abschluß des Schulunterrichts. Diese Erscheinungen können 
nicht spezifische für Antwerpen sein, da diese Stadt ausgezeichnet schul- 
hygienisch versorgt ist, sondern sind typisch für das in den zivilisierten 
Ländern übliche pädagogische System, das nicht genügend die hygienischen 
Kenntnisse und physiologischen und psychologischen Gesetze berücksichtigt. 
(Nach Ref. im Hygien. Zentralblatt 1908, S. 379.) 

Eduard Quir sf eld-Rumburg: „Ergebnisse von Ermüdungs¬ 
messungen an 64 Schulkindern.“ Die Schlußfolgerungen der mit großer 
Sorgfalt bei besonders verständigen Kindern ausgeführten Ermüdungs¬ 
messungen sind für den ärztlichen Schulhygieniker folgende: 

1. Der Unterricht ist strenge nach den Grundsätzen der Psychologie zu 
individualisieren. 

2. Für den Nachmittagsunterricht sind nur jene Fächer zu wählen, 
welche an die intellektuelle Tätigkeit die geringsten Anforderungen stellen. 

3. Die geistige Erziehung der Mädchen muß der diesen eigenen physio? 
logischen Tätigkeit ihres Organismus angepaßt werden. 

4. Die Aufeinanderfolge der Unterrichtsgegenstände hat so zu erfolgen, 
daß die im Kinde schlummernden Geisteskräfte zur normalen Entwickelung 
gelangen können. (Prager med. Wochenschr., S. 558, nach Ref. in der 
Hygien. Rundschau 1908, S. 859.) 

Silbernagel-Basel äußerte sich zur Frage der Überbürdung der 
Schüler und verlangt: Abschaffung der Examina, vermehrte Kontrolle über 
das zulässige Maß der Hausaufgaben, Verlegung des Unterrichts in den 
Volksschulen auf den Vormittag. (Nach Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., 

S. 47.) 

Czerny bespricht die geistige Überbürdung der Kinder. Schwer 
zu vereinen sind der gesundheitliche Schutz des Kindes und die fortschreitende 
Zunahme des Wissens, sowie die erhöhten Anforderungen der verschiedenen 
Berufsarten. Eltern, Lehrer und Arzt müssen zusammen daran arbeiten. 
Zunächst sei das Tempo des Unterrichts und die Zahl der Schulstunden bei 
den jüngsten Jahrgängen zu vermindern, dann werden später erhöhte An¬ 
forderungen ohne Schaden zu stellen sein. Für hochgradig neuropathische 
Kinder sind besondere Unterrichtskurse einzurichten. (Deutsche med. 
Wochenschr., nach Ref. in der Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 502.) 

Sirius, „Schüler im Hauptamt, Kinder im Nebenamt“, klagt, 
daß unsere Kinder durch die Anforderungen der Schule nur noch Schüler 
sein müssen. Auf Kosten der Gesundheit und des Lebensmutes wird oft das 
Reifezeugnis erzwungen. Die Eltern hätten darum stets Bedaoht zu nehmen 
auf genügenden Schlaf und genügende Ernährung der Kinder und unentwegt 
für einen drei- bis siebenstündigen Arbeitstag, je nach Alter und Kräften, 
zu kämpfen. (Weite Welt, nach Ref. in der Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., 
S. 680.) 


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Beziehungen zwischen Gesundheitsstörungen der Schüler und dem Schulbesuch. 293 

Frau Bergmann-Oes terberg-Kent, „Ausbildung von Lehre rinnen 
für körperliche Erziehung“, bezeichnet als körperliche Erziehung die 
Anwendung physikalischer und hygienischer Gesetze im Interesse der Ge¬ 
sundheit und hält für die besten Erziehungsmethoden die englischen Frei¬ 
luftspiele neben schwedischem Turnen. 

Greenfele-London, „Schwedische Gymnastik, ein Erziehungs¬ 
mittel“, befürwortet warm die schwedische Heilgymnastik. 

Nellie Palmer-Leith, „Pionierarbeit auf dem Gebiete der 
körperlichen Erziehung“, berichtet über die Reform der körperlichen 
Erziehung der Mädchen in den schottischen Schulen. Ein weiblicher Inspektor 
achtet auf gesundheitsgemäßes Verhalten während des Unterrichts, nament¬ 
lich in bezug auf Lüftung und Körperhaltung. 

Miss Rendel-Dunfermline: „Bericht über Fortbildungsunter¬ 
richt für Mädchen in Dunfermline.“ Es werden Kurse von sechs 
Monate Dauer für Mädchen im Alter von 14 Jahren abgehalten, in denen 
sie körperliche Erziehung neben hauswirtschaftlichem Unterricht genießen. 
So werden die Mädchen im Turnen, Schwimmen, Spielen, Gesundheitspflege, 
erster Hilfe u. a. unterrichtet. 

Dufe8tel-Paris: „Die Rolle des Schularztes in der körperlichen 
Erziehung der Kinder.“ Nur die gesunden Kinder sollten sich an dem 
Turnen beteiligen, für die kränklichen ist eine besondere körperliche Er¬ 
ziehung nötig. 

Wawerka-Wien: „Stand der körperlichen Erziehung der Schul¬ 
jugend in Wien.“ Es werden die besonderen Wiener Verhältnisse ge¬ 
schildert. Verschiedene Vereine befassen sich dort mit der Förderung der 
körperlichen Erziehung. Es wird betont, daß die staatlichen Organe selbst 
diese wie die geistige Ausbildung übernehmen müßten. (Dritter inter¬ 
nationaler Kongreß für Schulhygiene, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt 1908, 
S. 385 und Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 764.) 

In München ist versuchsweise der Beginn des Vormittagsunterrichts 
auf 7 Uhr verlegt worden, um den Nachmittagsunterricht in Wegfall kommen 
zu lassen. Nachdem die Neuordnung erst vielfach bekämpft war, stellte 
man nach zwei Wochen des Bestehens eine Umfrage bei den Eltern nach 
der Zweckmäßigkeit der Neuordnung an. Von 675 abgegebenen Stimmen 
sprachen 629 dafür und nur 46 dagegen. (Münchener Neueste Nachrichten, 
nach Ref. in der Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 596.) 

Schoedel-Chemnitz, „Zur Frage des ungeteilten Unterrichts an 
den Chemnitzer Volksschulen“, beleuchtet die Frage, ob die guten Er¬ 
fahrungen, die an höheren und Mittelschulen mit dem ungeteilten Unterricht 
zur Bekämpfung der Überbürdung der Schüler gemacht sind, ohne weiteres 
auch auf die Volksschulen zu übertragen sind. Die Nachteile hierbei würden 
folgende sein: 1. Bei fünfstündigem Vormittagsunterricht würde der Volks¬ 
schüler meist getrennt vom Vater sein Mittagessen verzehren müssen, was 
zum Schaden für das Kind sein würde. 2. Bei freien Nachmittagen sei zu 
befürchten, daß die Zahl der auf Arbeit gehenden Kinder zunehme. 3. Die 
übliche und nötige Reinigung, die dem Nachmittagsschulbesuch voranzugehen 


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Schulgesundheitspflege. 


pflegt, würde meist fortfallen. Einstweilen schlägt Verfasser vor, es im 
Winter beim geteilten Unterricht in den Volksschulen zu lassen, im Sommer 
dagegen möglichst Vormittagsunterricht und nachmittags obligatorische 
Spielstunden einzuführen. (Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., Nr. 7.) 

Steinhaus-Dortmund: „Die hygienische Bedeutung des fünf¬ 
stündigen Vormittagsunterrichts.“ Es werden als Gründe für die 
Einführung des fünfstündigen Vormittagsunterrichts angegeben: 1. Körper¬ 
liche Ermüdung und Unlust zu geistiger Arbeit treten nach dem Mittagessen 
ein, deshalb leidet der Nachmittagsunterricht an Verminderung physischer 
Leistungsfähigkeit und fehlt es an der nötigen psychischen Erholung über 
Mittag. 2. Diese rein physiologischen Tatsachen weiden durch die zahl¬ 
reichen Ermüdungsmessungen bewiesen. 3. Die Kränklichkeit der Kinder 
an den Schulen mit Nachmittagsunterricht ist nach statistischen Angaben 
größer als an den Schulen mit fünfstündigem Vormittagsunterricht. 4. Der 
Vormittagsunterricht ermöglicht allein eine sorgfältige Reinigung der Klassen¬ 
räume. 5. Der vom wissenschaftlichen Unterricht freie Nachmittag ist für 
die so förderlichen Spiele und Spaziergänge zu benutzen. 

Alle gegen diese Einrichtung vorgebrachten Einwände (Überanstrengung 
der Kinder bei fünfstündigem Unterricht, Ausartung der Jugend bei freien 
Nachmittagen, Beeinträchtigung des Familienlebens durch Behinderung der 
Kinder, an dem Mittagessen mit dem zur Arbeit gehenden Vater teilzunehmen) 
sind bei ernster Überlegung hinfällig. 

Für die praktische Durchführung des fünfstündigen Vormittagsunter¬ 
richts sind folgende Forderungen zu stellen: 

1. Die Dauer der einzelnen Unterrichtsstunden ist auf 45 Minuten zu 
kürzen. 

2. Zwischen je zwei Stunden sind Pausen einzuführen, deren Dauer mit 
der Zahl der Unterrichtsstunden steigt. 

3. Der gymnastische Unterricht ist nicht als Erholung anzusehen und 
aus dem wissenschaftlichen Stundenplan auBzumerzen. (Zeitschr. f. Schul¬ 
gesundheitspfl., Nr. 9 und 10.) 

Koenigsbeck-Saarbrücken, „Der Schulbeginn im Winter und die 
künstliche Beleuchtung“, betont die gesundheitlichen Gefahren der künst¬ 
lichen Beleuchtung in den Morgenstunden, wie sie bei dem üblichen Schul¬ 
beginn im Winter oftmals nötig wird, und tritt dafür ein, daß wenigstens 
im Westen unserer Monarchie, wo wegen der Differenz zwischen Orts- und 
mitteleuropäischer Zeit im Winter es um acht noch dunkel ist, der Schul¬ 
unterricht um 87a °der 9 im Winter beginne und daß eine Verkürzung der 
Unterrichtsstunden zur Erzielung des ungeteilten Vormittagsunterrichts ein¬ 
trete. (Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., Nr. 5.) 

Leo Burgerstein-Wien, „Über Beziehungen der Schule zum 
Zusammenhang körperlicher und geistiger Entwickelung“, baut 
seine Abhandlung auf die durch genaue Untersuchungen bewiesene Tatsache 
auf, daß „die psychische Leistungsfähigkeit bei den Kindern mit physisch 
kräftigerem Status über jener steht, welche die mit physisch schlechterem 
Status zeigen“. Die Schule hat demnach ein außerordentliches Interesse 
auch an der körperlichen gesunden Entwickelung der Kinder. 1 bis 2 Proz. 


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Beziehungen zwischen Gesundheitsstörungen der Schüler und dem Schulbesuch. 296 


der Kinder sind fOr die Aufnahme in der Volksschule überhaupt ungeeignet 
durch verschiedene Grade der Minderwertigkeit; für sie sind Hilfsklassen 
und Krüppelschulen zu errichten. Die außerdem vorhandene große Zahl 
der nicht gesunden unter den Lernanfängern verlangt bei dem Übergang 
zum Schalleben noch besondere Maßnahmen. In der Mittelschule ist die 
Arbeitsbelastung eine zu hohe, die Schlafdauer eine zu geringe, besonders 
in den Jahren, die der Pubertätsentwickelung vorangehen; es fehlt überall 
die Zeit für freiwillige selbständige Betätigung und für körperliche Erziehung. 
Ebenso sind die öffentlichen Einrichtungen zur Erziehung der Mädchen in 
dieser Hinsicht nicht einwandfrei Die materielle Schuleinrichtung ist viel¬ 
fach ungünstig, was Licht, Luft und Schulbänke betrifft. Ungünstig wirkt 
die übliche Tageseinteilung, die die Hauptmahlzeit in die Mitte des Tages 
verlegt, wo der Verdauungsarbeit durch sonstige Ruhe nicht genügend Rech¬ 
nung getragen werden kann (durch Nachmittagsunterricht). Verfasser ver¬ 
langt die Mitwirkung genügend vorgebildeter Ärzte, Unterricht in Hygiene, 
besondere Aufmerksamkeit für die prophylaktische Belehrung in bezug auf 
Rauchen, Alkoholgenuß und sexuelle Betätigung. 

Alle diese Aufgaben erfordern von der Verwaltung nicht bloß prin¬ 
zipielles Wohlwollen, sondern eine systematische Behandlung. (Separatabdruck 
aus „Saluti juventutis“. Leipzig und Wien, Franz Deuticke.) 

Schüller-Berlin: „Was und wie kann die Schule zur Gesund¬ 
heit der deutschen Jugend beitragen?“ Schulhygienische Bemerkungen 
eines alten Arztes und Professors. Schüller betont den Wert der täglichen 
Waschungen des ganzen Körpers, einer hygienischen Kleidung, der Lüftung 
der Schulzimmer, der körperlichen Übungen, der sexuellen Aufklärung und 
regt als etwas Neues die Aufstellung eines großen Inhalationsapparates in 
der Schule an, der zur Benutzung für hustende und erkältete Kinder dienen 
soll. Mit solchen Inhalationen könnten auch die noch nicht erkrankten 
Kinder prophylaktisch bei manchen Epidemien, wie Masern, Scharlach, Diph¬ 
therie, geschützt werden. (Das Schulzimmer, Nr. 2.) 

Saverio Santori-Rom: „Studio su alcuni indici dello sviluppo 
fisico e sui rapporti esistenti fra essi, l’agiatezza, l’intelligenza 
e la condotta. Ricerche eseguiti sugli alunni delle scuole elemen- 
tari del Comune di Roma negli anni scolastici 1903 — 1906.“ Die 
Zeit vom 13. bis 15. Lebensjahr ist für die Entwickelung der Schüler von 
besonderer Bedeutung und erfordert in erhöhtem Maße die Beachtung der 
Lehrer. (Internationales Archiv für Schulhygiene, Nr. 3, nach Ref. im Hygien. 
Zentralblatt 1908, S. 206.) 

H. Wickenhagen-Berlin-Wilmersdorf, „Ein freier Spielnach¬ 
mittag“, vertritt folgenden Standpunkt: „Der obligatorische Spielnachmittag 
ist vom erzieherischen Standpunkt aus verwerflich, vom praktischen und 
schultechnischen imdurchführbar, vom turnerischen und hygienischen wenig 
versprechend.“ Es werden deshalb freie Nachmittage gefordert (Monats¬ 
schrift für höhere Schulen, Heft 1, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt 1908, 
S. 629.) 

Alice Profö und Wychgram sprachen im Berliner Verein für Schul¬ 
gesundheitspflege: „Zur Hygiene der Mädchenerziehung, die erstere 


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296 Schulgesundheitspflege. 

über die Hygiene des Körpers“, letzterer über „Die geistige Hygiene 
der Mädchen“. 

Profe fordert, da bisher die gesundheitliche Erziehung der Mädchen 
gegenüber derjenigen der Knaben, namentlich in den Priyatschulen, in ‘denen 
die Mädchen besserer Stände zum größten Teil erzogen werden, sehr ver¬ 
nachlässigt worden ist, weniger Unterricht in den eigentlichen Unterrichts¬ 
fächern und mehr vernünftiges Turnen, Schwimmen, Ausflüge ins Freie und 
gesunde Kleidung für die Mädchen. 

Wychgram bemängelt beim Mädchenschulwesen die Vielheit der Stoffe 
des Unterrichts, die Prüfung in den Seminaren durch fremde Examinatoren, 
die Länge der täglichen Arbeitszeit für Hausaufgaben, die bestehende Ferien¬ 
ordnung, welche nicht genügend Rücksicht nimmt auf gründliche Erholung, 
namentlich für die Kinder der Großstädte. (Nach Ref. im Hygien. Zentral¬ 
blatt 1908, S. 630.) 

Moritz Fürst-Hamburg: „Eine neue Schule.“ Es handelt sich um 
einen neuen, interessanten Versuch bei der Gründung dieser in Hamburg 
geplanten höheren Knabenschule, die der einseitigen Verstandesbildung 
unserer höheren Schule entgegenarbeitend kräftigere Wurzeln fürs Leben 
schaffen soll, indem an einen verkürzten Schulunterricht sich Bad, Spiel, 
Handarbeiten in Garten und Werkstatt anknüpfen. Die Schule wird in 
einem Vorort erbaut, mit Spiel- und Tennisplätzen, einem Aquarium und 
Terrarium versehen sein und soll in neun Klassen 225 Schüler aufnehmen. 
Der Aufenthalt in diesem Schulheim iBt von 8 l /a bis 3*/ a Uhr gedacht. Das 
Schulgeld ist hoch bemessen (500 Jl p. a.), es können also nur die Söhne 
wohlhabender Eltern in Betracht kommen. (Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., 
Nr. 7.) 

In Leipzig werden 800 Knaben allsommerlich unentgeltlich im 
Schwimmen unterrichtet; nach dem Bade erhalten sie Frühstück. Mit 
den Mädchen soll auch der Versuch gemacht werden. 

Die Gemeinde Grunewald bei Berlin führte als erste der Gemeinden 
von Groß-Berlin unentgeltlichen Schwimmunterricht für Volks¬ 
schüler ein. 

Ha gen-Schmalkalden sprach auf der Hauptversammlung des Deutschen 
Vereins für ländliche Wohlfahrts- und Heimatpflege in Berlin: „Über die 
Einrichtung und den Betrieb von Schulbädern auf dem Dorfe“, 
wobei er das Schulbrausebad als die grundlegende Form des Dorfbades be¬ 
bezeichnete. 

Hopf-Dresden sprach in der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder in 
Dessau: „Über Schulbäder.“ Bei 26 Anfragen an die größten deutschen 
Städte wurde ermittelt, daß nur Zwickau eigentliche Schulbäder nicht be¬ 
sitzt. Die Beteiligung der Kinder an den Bädern ist groß, doch übersteigt 
die der Knaben diejenige der Mädchen. Hopf stellt die Forderung auf, daß 
bei allen Volksschulneubauten tunlichst Brausebäder eingerichtet werden. 
(Nach Zeitschr. f. Schulgesundheitspflg., S. 245, 379, 449, 600.) 

Alb. Flachs-Moinesti, „Die Atmungsgymnastik, ihre Bedeutung, 
ihre Technik und Methode“, hebt als Vorzüge der Atmungsgymnastik, 


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Beziehungen zwischen Gesundheitsstörungen der Schüler und dem Schulbesuch. 297 

deren Bedeutung von den Lehrern und Eltern längst nicht genügend ge¬ 
würdigt werde, folgende hervor: Abnahme der Erkrankung an Tuberkulose, 
Erziehung zur Atmung durch die Nase, wodurch Entzündungen der Atem¬ 
wege vermieden werden, Stärkung der Brust- und Rückenmuskeln, Kräftigung 
des Herzens und Regelung der Blutzirkulation. Als Grundbedingungen zur 
Ausführung der lungengymnastischen Übungen sind anzusehen: freie, reine 
Luft (ein freier Platz und nicht etwa das Schulzimmer ist zu benutzen!), 
Lockerung aller eng anliegenden Kleidungsstücke. Für die Ausführung der 
Übungen gibt Verfasser besondere Anweisungen, wobei er Wert darauf legt, 
daß nach bestimmten Kommandos die Arme bei gleichzeitigem tiefen Ein¬ 
atmen mit geschlossenem Munde langsam gehoben, alsdann unter vollständiger 
Ausatmung langsam gesenkt werden, daß kurze Marschübungen zwischen 
diesen Übungen stattfinden und die Gesamtdauer kaum 10 Minuten beträgt. 
Derartigen Übungen können alle Schulkinder ohne Schaden unterworfen 
werden. (Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., Nr. 2.) 

Alfred Levandowski-Berlin: „Über Gymnastik in der Schule 
unter besonderer Berücksichtigung der Atemgymnastik.“ Der 
jetzige Betrieb des Turnunterrichts bei uns ist nicht ausreichend und zweck¬ 
entsprechend, vielmehr ist eine mehr methodische Pflege von Atemübungen 
und Stärkungsübungen der Wirbelsäule nach dem schwedischen Muster ein¬ 
zuführen. Verfasser fordert deshalb: 1. Neubelebung unseres Turnunterrichts 
nach der Richtung des schwedischen Turnens hin, unter Berücksichtigung 
der Atemgymnastik; Kurse in der Atemgymnastik für das Lehrpersonal; 
Anpassung des Zivilturnens an das Militärturnen. Besondere Übungen in 
der Atemgymnastik für die Lungenkranken. 2. Einführung des Schlitt¬ 
schuhlaufens an Stelle des Turnens im Winter. 3. Frei- und Atemübungen 
je nach Bedürfnis, in der Unterrichtsstunde, während der Pausen, auf dem 
Schulhofe, auf Spaziergängen usw. 3. Hautpflege durch Wasser- und Luft¬ 
bäder. 5. Bevorzugung volkstümlicher Übungen, wie Laufen, Springen, 
Rudern. 6. Anlegung von Spielplätzen innerhalb der Städte mit Einrichtung 
von Spielnachmittagen. (Berl. klin. Wochenschr., Nr. 21, nach Ref. in der 
Zeitschr. f. Medizinalbeamte, S. 711.) 

C. H. Liedbeck: «Das schwedische Schulturnen.“ Marburg, N. 
G. Eiwert, 1907. Das ins Deutsche übertragene Buch, ein Leitfaden für 
den Schulunterricht, wird denen, die sich ein unbefangenes Urteil über das 
schwedische Schulturnen verschaffen wollen, warm empfohlen. Bei den allge¬ 
meinen Bemerkungen und Anleitungen wird ein Hauptgewicht auf Zuführung 
frischer Luft während der Gymnastik gelegt. Die einzelnen Übungen 
werden durch 290 Abbildungen und 3 Tafeln erklärt. (Nach Ref. im Hygien. 
Zentralblatt, S. 570.) 

Gust. Muskat-Berlin, „DieVerwertung der Schulpausen für die 
körperliche Entwickelung der Kinder“, legt Wert darauf, daß die 
Schüler in den größeren Pausen im Freien einige Minuten lang unter An¬ 
leitung der Lehrer regelmäßige Bewegungen ausführen, die vor allem auf 
Kräftigung der Rüokenmuskulatur und auf extensive Atmung gerichtet sein 
müssen. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 13, nach Ref. in der Zeitschr. f. 
Medizinalbeamte, S. 461.) 


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298 Schulgesundheitspflege. 

Hiestand, „Ein Vorschlag zur Kräftigung unserer Kinder zur 
Winterszeit“, tritt dafür ein, daß im Winter bei Einschränkung der Haus¬ 
aufgaben den Sohulkindern Gelegenheit zur Ausübung des Wintersports, 
besonders des Schlittenfahrens und Schlittschuhlaufens, gegeben werde, 
möglichst durch Umwandlung der Schulhöfe in Eisbahnen und Ersatz der 
Turnstunden in Hallen durch Eislauf. (Schweizer Blätter für Schulgesund¬ 
heitspflege, Nr. 1, nach Hygien. Zentralblatt, S. 569.) 

Martin Vogt-München: „Jugendspiele an den Mittelschulen.“ 
Verlag der Ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin), München 1907. Zur Be¬ 
kämpfung der sogenannten Schulkrankheiten dienen ganz besonders geregelte 
Leibesübungen, wie das deutsche Schulturnen und das Jugendspiel. Wesent¬ 
lich aber ist die Einordnung des Jugendspiels als Pflichtfach in den Lehr¬ 
plan. (Ref. in der Hygien. Rundschau 1908, S. 1047.) 

Rumland-Berlin, „Das neue Schülerbootshaus in Wannsee bei 
Berlin“, betont die wichtige Rolle, die unter den körperlichen Übungen der 
Ruder- und Segelsport einnimmt, welch letzterer hauptsächlich durch die 
Initiative des deutschen Kaisers unter den Schülern eine PflegBtätte gefunden 
hat. (Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., Nr. 7.) 

Carl Kassel-Posen: „Bemerkungen zur Schulgesundheits¬ 
pflege.“ Damit die Schule an den großen sozialen Aufgaben, wie Be¬ 
kämpfung der Tuberkulose, der Trunksucht u. a. m. mit Erfolg sich beteiligen 
könne, müßten die sozialen Verhältnisse der Lehrer und die allgemeinen 
Schulverhältnisse gebessert werden, damit zunächst ein persönliches Gefühl 
des Vertrauens und der Anhänglichkeit zwischen Lehrern und Schülern ent¬ 
stehen könne. Anschauungsunterricht im Freien und Sport sind die ge¬ 
eigneten Mittel, um die Gesundheitslehren zu verbreiten. (Zeitschr. f. Schul¬ 
gesundheitspfl., Nr. 11.) 

E. von Schenckendorff, „Zur Frage der körperlichen Er¬ 
tüchtigung der deutschen Jugend“, tritt mit Wärme dafür ein, daß für 
jedes Schulkind das ganze Jahr hindurch wöchentlich ein Nachmittag für 
Leibesübungen im Freien von der Schulbehörde aus eingeführt werde und 
dieser Nachmittag frei von häuslichen Schularbeiten bleibt. (Zentralbl. f. 
allgem. Gesundheitspfl., S. 115 ff.) 

Der Lübecker Verein für Schulgesundheitspflege hat ein¬ 
stimmig beschlossen, für die Einführung von Jugendspielen auch an 
Volksschulen Sorge tragen zu wollen. (Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., 
S. 456.) 

Gorochowa: „Über die Morbidität und Mortalität unter den 
Schülern.“ Pirogoffscher Kongreß 1907. Die russischen Verhältnisse in 
ihren ungeordneten Zuständen spiegeln sich in folgenden, dem unten an¬ 
gegebenen Referat entnommenen Sätzen wider: 

„1. Fehlen der freien Erziehung und Entwickelung nach Grundsätzen 
der Pädagogik bildet einen Faktor in der Morbidität der Schüler. 

2. Die Trägheit der Elternvereine in der Sache des Schutzes der Schule 
führte zur Bildung und Entwickelung von Schülervereinen. 

3. Die Schulreform ist mit der politischen Rechtlosigkeit nicht vereinbar, 
weil die Schule ein richtiger Spiegel des Lebens ist. 


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Beziehungen zwischen Gesundheitsstörungen der Schüler und dem Schulbesuch. 299 


4. Repressive Maßregeln gegen die Schüler wachsen mit der Reaktion 
zusammen. 

5. Das Fehlen einer richtigen psychophysischen Erziehung und eines ge¬ 
ordneten Unterrichts in Hygiene, zusammen mit der Abwesenheit der ärzt¬ 
lichen Aufsicht ist hauptsächlich an der Morbidität und Mortalität der 
Schüler schuld. 

6. Die Prüfungen, die nur zur physischen und geistigen Übermüdung 
der Schüler führen, können nicht als Maß ihrer Kenntnisse dienen und 
müßten abgeschafft werden. 

7. Die Verbreitung des Alkoholismus unter den Schülern hängt von der 
Erziehung in der Schule und der allgemeinen politischen Unordnung im 
Lande ab, wo ein Drittel des etwa zwei Milliarden betragenden Budgets auf 
der Trunksucht des Volkes basiert ist. 

8. Die Schule wird nur dann aufhören als Gefängnis zu dienen, wenn 
sie in die Hände der Gesellschaft übergehen wird, wenn erfahrene Erzieher, 
Ärzte, Eltern und soziale Organisationen die Verwaltung derselben über¬ 
nehmen werden.“ (Ref. im Hygien. Zeutralblatt, Bd. III, S. 164.) 

Hafter und Wüthrich: „Wie kann eine Besserung der ärzt¬ 
lichen Rekrutenuntersuchungen bzw. der Gesundheitsverhält- 
nisse der glarnerischen Jugend und des Volkes überhaupt erzielt 
werden?“ Jahrbuch der schweizerischen Gesellschaft für Schulgesundheits¬ 
pflege 1907, Bd. VIII, 1. Teil. Zürich, Zürchor und Furrer. 

Die Tatsache, daß die Untersuchung der Glarner Rekruten ein recht 
ungünstiges Ergebnis hatte, insofern namentlich Gehörkranke und Brust¬ 
kranke gefunden wurden, macht es erforderlich, daß schon für die schul¬ 
pflichtige Jugend besondere Maßnahmen ärztlicher und pädagogischer Art 
getroffen werden. Erstere sind folgende: 

„1. Die Verordnung betreffend Maßregeln gegen die Verbreitung an¬ 
steckender Krankheiten durch die Schule ist in dem Sinne zu revidieren, daß 

a) die Kleinkinderbewahranstalten der Verordnung unterstellt werden, 

b) die Anzeigepflicht auf Masern, Keuchhusten und Mumps aus¬ 
gedehnt und wenigstens zeitweiliger Ausschluß ermöglicht wird, 

c) erkrankte Kinder, die nicht in ärztliche Behandlung gelangten, 
und ihre Geschwister durch Verfügung der Schulbehörde vor 
ihrem Wiedereintritt in die Schule sich einer Untersuchung durch 
den Schularzt zu unterziehen haben, 

d) bei Infektionsgefahr für eine richtige Desinfektion der Schul- 
und Krankenzimmer gesorgt wird. 

2. Der Genuß von alkoholischen Getränken und Tabak durch die Jugend 
ist zu bekämpfen. 

3. Teils durch Belehrung, teils durch Einrichtung von Koch- und Haus¬ 
haltungskursen ist allgemein auf eine bessere Volksernährung hinzuwirken. 
Auch Schulsuppen, Ferienhorte und Ferienkolonien liegen in der Richtung 
dieser Forderung.“ 

Die vom pädagogischen Standpunkt zu ergreifenden Maßnahmen be¬ 
ziehen sich nach Hafter auf bessere Anpassung der Schulzeit an die ver¬ 
schiedenen Altersstufen, Pflege der Körperübungen im weitesten Sinne, 


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300 Schulgesundheitspflege. 

rationelle hygienische Überwachung der Schüler durch Schularzt und Lehrer. 
(Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 168 und 169.) 

G. W. Chlopin-St. Petersburg, „Über Selbstmord und Selbstmord¬ 
versuche unter den Schülern der russischen mittleren Lehr¬ 
anstalten“, hat das gesamte Material über Schülerselbstmorde in Rußland 
von 1880 bis 1904 durchgearbeitet. Vorgekommen sind in diesem Zeit¬ 
raum 337 Fälle von Selbstmord und 95 Fälle von Selbstmordversuchen. Die 
größte Zahl liefern die männlichen Mittelschulen, nämlich 234, die kleinste 
Zahl die Volksschulen, nämlich 2. Die Zahl der Selbstmorde ist, wie in 
allen Bevölkerungsschicbten und in anderen Staaten, im Zunehmen begriffen. 
Die meisten jugendlichen Selbstmörder stehen im Alter von 15 bis 16 Jahren. 
Unter den Ursachen für den Selbstmord stehen obenan die Nerven- und 
Geisteskrankheiten, es folgen dann die sogenannten Schulursachen, und 
zuletzt kommen Familienmotive. Auf Grund seiner Schlußfolgerungen hält 
Chlopin für durchaus nötig: eine Verbesserung der mediko-sanitären Auf¬ 
sicht über die lernende Jugend, Verbesserung der körperlichen Erziehung, 
Umgestaltung des Schulwesens in der Richtung, daß die kindlichen Fähig¬ 
keiten nicht unterdrückt, die Individualität des Schülers gewahrt, die Ge¬ 
sundheit der heranwachsenden Generation nicht geschädigt werde. Eine 
Organisation internationaler Art, um einheitlich die Selbstmorde unter den 
Zöglingen aller Lehranstalten zu registrieren, erscheint wünschenswert. 
(Zeitschr. f. Schulgesundbeitspfl., Nr. 9 und 10.) 

Eulenburg-Berlin sprach im Berliner Verein für Schulgesundheits¬ 
pflege über: „Schülerselbstmorde.“ Das amtliche Aktenmaterial, das 
ihm von den Schulbehörden zur Verfügung gestellt wurde, umfaßt 1152 Fälle 
aus den Jahren 1880 bis 1903. Im Alter unter 15 Jahren verübten Selbst¬ 
mord 653 männliche und 159 weibliche Schüler an niederen Schulen Preußens, 
61 männliche und 5 weibliche an höheren Schulen. An den höheren Lehr¬ 
anstalten sind Selbstmorde im Alter über 15 Jahr viermal häufiger als 
unter 15 Jahr. Als Ursachen werden im ganzen angegeben: Furcht vor 
Strafe in 336, Geisteskrankheit in 70, Liebe in 18 Fällen; recht häufig 
werden ganz unbedeutende Dinge, wie Ärger, Verweigerung von Vergnügungen 
und dergleichen als Selbstmordanlaß geltend gemacht. Die meisten Selbst¬ 
mörder waren erblich belastet (Geisteskrankheit, Trunksucht in der Aszen* 
denz), eine weitere recht umfangreiche Gruppe von Selbstmördern zeigt be¬ 
sondere Beziehungen zur Schule, nämlich einmal mangelhaft begabte Schüler, 
die ungenügende Schulleistungen aufwiesen, aber durch äußeren Zwang in 
der Schule festgehalten wurden (69 Fälle), fürs zweite hervorragend begabte 
Schüler, die aber durch Charakterfehler oder Exzesse geschlechtlicher oder 
alkoholischer Art von der Schule abgelenkt wurden (68 Fälle). Ziemlich 
häufig waren dann die Fälle, in denen eine verkehrte Lebenshaltung, imver¬ 
daute Lektüre u. dgl. verhängnisvoll ein wirkten. Im ganzen kommt Eulen¬ 
burg zu der Schlußfolgerung, daß dem HauBe die größere Schuld, der Schule 
die kleinere Schuld an den Selbstmordfällen beizumessen ist. (Nach Ref. 
von Benda in der Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 294.) 

Wilh. Hammer: „Die Prügelstrafe in ärztlicher Beleuchtung.“ 
Leipzig 1907. Leipziger Verlag. Es werden die Wirkungen der Prügel- 


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Schulkrankheiten. 


301 


strafe auf Körper- und Seelenleben der Gestraften besprochen, auch die 
Beziehungen zwischen Sexualität und körperlichen Züchtigungen gestreift. 
(Nach Ref. in der Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 519.) 

Auf die Gefahren der körperlichen Züchtigung macht ein Rund¬ 
schreiben der Schuldeputation der Stadt Berlin in ernster Weise auf¬ 
merksam. 

Ebenso wurde in einer Sitzung der Kreisschulpflege Zürich III mit 
aller Entschiedenheit gegen die körperliche Züchtigung gesprochen. (Nach 
Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 797 und 798.) 

Der Verein zum Schutze der Kinder vor Ausnutzung und Mi߬ 
handlung in Hamburg und Altona bringt alle Monat 15 bis 20 Fälle 
von brutaler Behandlung von Kindern durch rohe Eltern oder Verwandte zur 
Kenntnis der Behörden. (Nach Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 193.) 

Schulkrankheiten. 

Albert Uffenkeimer-München und Otto Stähelin-München: 
„Warum kommen die Kinder in der Schule nicht vorwärts?“ Der 
Arzt als Erzieher, Heft 28. Verlag der Ärztlichen Rundschau (Otto Ginelin), 
München 1907. 

Uffenkeimer spricht hierüber vom ärztlichen Standpunkt und führt 
die verschiedenen vorübergehenden und bleibenden, körperlichen und geistigen 
Anomalien auf, die bei den Schulkindern Vorkommen und von Einfluß für 
ihr Fortkommen in der Schule sind. Das größte Interesse beanspruchen die 
Debilen, welohe nur leichte Grade von Intelligenzdefekten zeigen. Als Ur¬ 
sache geistiger Störung kommt besonders die Pubertät in Betracht. Ver¬ 
fasser plädiert für Anstellung von Schulärzten mit psychologischen und 
psychiatrischen Kenntnissen, tritt für das Sonderklassensystem ein, verwirft 
aber Sonderschulen für hervorragend befähigte und für nervenkranke 
Kinder. 

8tähelin erörtert das Thema als Pädagoge; er bekämpft gleichfalls 
Sonderschulen für besonders Begabte und ebenso solche für Schwachbegabte 
und bespricht die Ursachen, die für das Nichtvorwärtskommen der Schüler 
in Betracht kommen; die Schuld liegt zum Teil an den Schülern selbst, zum 
Teil an der Schule mit ihren unhygienischen Einrichtungen, zum Teil an 
den Lehrern. (Ref. in der Hygienischen Rundschau 1908, S. 1041 ff.) 

Bohnstedt, „Der orthopädische Schulturnkursus in Schöne¬ 
berg“, machte als Schularzt die Erfahrung, daß in einzelnen Klassen sehr 
viele Schüler und Schülerinnen (bis ein Drittel) an Rückgratsverkrümmungen 
litten, und regte daraufhin die Einführung eines orthopädischen Schulturn¬ 
kursus an. Der Versuch wurde gemacht, und das Ergebnis war ein durch¬ 
aus günstiges. Den betreffenden Lehrern wurden genaue mündliche Er¬ 
klärungen und schriftliche Instruktionen erteilt. (Therapeutische Monats¬ 
hefte, Nr. 5, nach Referat im Hygienischen Zentralblatt, Bd. III, S. 205.) 

BL Zuelzer-Potsdam: „Das orthopädische Stuhlband. Eine 
einfache Vorrichtung zum Geradesitzen der Kinder.“ Im Gro߬ 
herzogtum Hessen ergaben statistische Erhebungen über das Vorkommen 


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302 


Schulgesundheitspflege. 


der Skoliose folgendes: im 9. Lebensjahre waren 17 Proz. Knaben, 20Proz. 
Mädchen, im 13. Lebensjahre 26 Proz. Knaben und 30 Proz. Mädchen skolio- 
tisch. In verschiedenen Städten ist darum orthopädisches Schulturnen ein¬ 
gerichtet. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 26, nach Zeitschrift für Schul¬ 
gesundheitspflege, S. 204.) 

Frank, „Orthopädische Behandlung skoliotischer Schulkinder 
in Mainz berichtet über die Behandlung der dem Institut für physikalische 
Heilmethoden überwiesenen, mit Skoliose behafteten Kinder der Volksschule. 
Das Ergebnis war ein zufriedenstellendes. Die Behandlung geschah durch 
Übungen an Apparaten, bei schwereren Fällen durch Redressement und An¬ 
wendung von Stützapparaten; in neuerer Zeit wurde auch die Klappscbe 
Kriechmethode in Anwendung gebracht. Durchschnittlich wurden täglich 
39 Kinder behandelt. In leichteren Fällen dauerte es bis zur Heilung nur 
einige Monate, während die schweren Fälle längerer Zeit, oft mehrerer Jahre 
bis zur wesentlichen Besserung bedürfen. (Ref. in der Zeitschrift für Schul¬ 
gesundheitspflege, S. 433 ff.) 

Theod. Wohrizek-Prag: „Sonderschulen für Skoliotische.“ „Die 
Vereinigung der Unterrichtszeit mit der dynamischen Behandlung unter 
Anschluß der gymnastischen und diätetischen Maßnahmen, kurz eine Sonder¬ 
schule für Skoliotische ist der einzig richtige Weg, welcher, wenn einer, zum 
Ziele führen müßte.“ Wenn man bedenkt, daß die Zahl der skoliotischen 
Schüler auf 25 Proz. und mehr geschätzt wird, unter denen 3 bis 5 Proz. 
schwere Skoliosen sich befinden, und daß z. B. auf die Stadt Wien fast 
30000 skoliotische und hiervon fast 1200 schwer verkrümmte Schulkinder 
entfallen, so leuchtet es ein, daß es dringend einer Abhilfe und vieler Arbeit 
und Mühe bedarf. Als Leiter von medikomechanischen Instituten hat Ver¬ 
fasser sich selbst mit der orthopädischen Behandlung der Skoliose befaßt 
und einen Skoliosenstuhl „Korrektor“ konstruiert, der ihm bereits seit 
mehreren Jahren gute Dienste geleistet hat. (Zeitschr. f. Schulgesundheits¬ 
pflege, Nr. 3.) 

Ernst Friedheim: „Hilfeleistung durch Eltern und Erzieher 
bei der Bekämpfung der Rückgratsverkrümmungen.“ Es wird die 
Methode des Selbstredressements beschrieben, wie sie an den Hamburgischen 
Staatskrankenanstalten geübt wird, damit Eltern und Erzieher aufgeklärt 
werden und zur Unterstützung des behandelnden Arztes beitragen können. 
(Jahrbuch der Hamburgischen Staatskrankenanstalten, Bd. IX, nach Referat 
in der Ärztlichen Sachverständigenzeitung 1908, S. 201.) 

Fritz Härtel-Bonn: „Die funktionelle Behandlung der seit¬ 
lichen Rückgratsverkrümmung (Skoliose).“ Auch diese Schrift, in 
populärer Darstellung gehalten, soll zur Aufklärung für Eltern und Lehrer 
dienen. Es wird hier die an der Universitätsklinik in Bonn übliche Be¬ 
handlung der Rückgratsverkrümmung nach der Methode von Klapp be¬ 
schrieben, welche durch Kriechübungen der Kinder in Vierfüßerstellung die 
Muskulatur des Rumpfes zu kräftigen sucht. Neben diesen Übungen 
kommen Übungen auf einer Bank zur Anwendung. Die Eltern erhalten 
gedruckte Vorschriften über die Behandlung der Kinder zu Hause, bestehend 


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Schulkrankheiten. 


303 


in guter Em äh rang, horizontaler Ruhelage nach den Turnstunden, reichlichem 
Schlaf, Benutzung Ton Liegestühlen, Vermeidung aller ermüdenden Tätigkeit, 
Verbot des Schulbesuches. In schweren Fällen muß die Behandlung über 
Jahre hinaus fortgesetzt werden. Da diese Art der Behandlung einfach, 
ohne besondere Hilfsmittel und mit wenig Hilfspersonal durchführbar ist, so 
ist sie „sozial möglich“, was von größtem Vorteil ist. (Gesunde Jugend, 
Bd. VI, Heft 4/5, nach Referat im Hygienischen Zentralblatt, Bd. III, S. 167.) 

Berger-Krefeld, „Die Vorbeugung der Myopie“, hat an einem 
nach Borkum auf sechs Wochen geschickten Schüler die Beobachtung ge¬ 
macht, daß dessen Sehschärfe von I / 2 auf 3 /s stieg, und schließt daraus, daß 
die im jugendlichen Alter einsetzende Myopie nicht irreparabel, sondern 
verbesserungsfähig ist, sofern geeignete prophylaktische Maßnahmen, wie in 
diesem Falle ein Seeaufenthalt, getroffen werden. (Münch, med. Wochen¬ 
schrift, Nr. 45, nach Referat in der Zeitschrift für Medizinalbeamte 1908, 
S. 296.) 

v. Heuss, „Zur Bekämpfung der Kurzsichtigkeit“, sieht in der 
schärferen Beaufsichtigung des Schulunterrichts in der Volksschule einen 
der Gründe dafür, daß die Kurzsichtigkeit in letzterer so viel seltener ist 
als in der höheren Schule. Zur Verhütung des Leidens kommen in Be¬ 
tracht: Turnspaziergänge und Spielnachmittage, Unterricht im Freien, Steno¬ 
graphie neben Steilschrift zur Schonung der Augen, Einschränkung der 
häuslichen Arbeiten. Ein in der Quedlinburger Realschule für Kinder mit 
schlechter Schreibhaltung eingeführter „Geradezwinger“ soll sich bewähren. 
(Gesunde Jugend, Bd. VI, Heft 7, nach Referat im Hygienischen Zentralblatt, 
Bd. UI, S. 167.) 

A. Siegrist-Bern: „Über die Notwendigkeit, die Augen der schul- 
pflich.tigen Kinder vor dem Schuleintritt untersuchen zu lassen, 
und über die Beziehungen des Astigmatismus zur Myopie.“ Im 
Aufträge der Regierung untersuchte Siegrist die Augen der in die erste 
Klasse der Primarschule Basels eintretenden Schulkinder und fand bei ihnen 
eine recht große Zahl mit ungenügender Sehschärfe, nämlich von 860 Schul¬ 
anfängern 251 = 29 Proz. mit einer ungenügenden Sehschärfe « 1). Als 
Ursachen hierfür kam Myopie nur selten (bei 2,3 Proz.) in Frage, häufiger 
handelte es sich um Maculae corneae (8,8Proz.), am häufigsten um Hyper- 
metropie (22,7 Proz.) und vor allem um Astigmatismus (50,5 Proz.). Da au 
alle Kinder in der Schule die gleichen Anforderungen gestellt werden, hält 
Verfasser es für „eine Forderung der Hygiene und Humanität, daß alle in 
die Schule eintretenden Kinder von Staat« wegen auf den Grad ihrer Seh¬ 
schärfe und auf die Ursachen einer eventuellen Sehverminderung untersucht 
werden“, und daß die nötigen Schritte getan werden, um die Kinder mit 
geschwächter Sehkraft spezialärztlich behandeln zu lassen. 

Bezüglich der Pathogenese der Myopie vermutet Verfasser, daß der 
Astigmatismus dabei eine wichtige Rolle spiele, weshalb man zur wirksamen 
Bekämpfung der Myopie mit einer Untersuchung der schulpflichtigen Kinder 
und einer Korrektur des pathologischen Astigmatismus beginnen müsse. 
(Korrespondenzblatt für Schweizer Ärzte, S. 425 ff., nach Referat in der 
Hygienischen Rundschau 1908, S. 1039.) 


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304 Schulgesundheitspflege. 

Thomson-Glasgow, „Das Sehvermögen der ärmeren Stadtschul- 
kinder“, fand unter 52 493 Glasgower Schulkindern 35 Proz. mit fehler¬ 
haftem Sehen behaftet; 14 Proz. von diesen wiesen nur funktionelle Fehler, 
zum Teil auf Unterernährung beruhend, auf. (Zweiter internationaler Kongreß 
für Schulhygiene, nach Ref. im Hygienischen Zentralblatt 1908, S. 383.) 

Stackler-Paris: „Untersuchungen des Gesichts und GehörB bei 
Gemeindeschulkindern.“ Von 753 Knaben und Mädchen im Alter von 
6 bis 15 Jahren hatten 13 Proz. geschwächtes Seh-, 36 Proz. geschwächtes 
Hörvermögen. (Zweiter internationaler Kongreß für Schulhygiene, nach Ref. 
im Hygien. Zentralbl. 1908, S. 383.) 

In Zürich wurden bei den Augenuntersuchungen der VI. Primar- 
klasse von 2508 Schülern 888 als anormal dem Augenarzt überwiesen. Zur 
Spezialuntersuchung erschienen 862, von denen sich als wirklich anormal 
68 Proz. erwiesen. (Nach Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl. S. 603.) Bei den 
Augen- und Ohrenuntersuchungen der I. Volksschulklasse in Zürich 
wurden von 3533 Schülern dem Augenarzt 1035, dem Ohrenarzt 283 zu¬ 
gewiesen. Zur spezialaugenärztlichen Untersuchung erschienen 961, von 
diesen erwiesen sich als anormal 697; zur spezialohrenärztlichen Untersuchung 
erschienen 242, von denen 237 als anormal bezeichnet wurden. (Zeitschr. 
f. Schulgesundheitspfl., S. 508.) 

H. Laser-Königsberg, „Über das Vorkommen von Schwerhörig¬ 
keit und deren Ursachen bei Schulkindern“, untersuchte das Hörver¬ 
mögen der Schüler von drei Schulen mittels des Politzer sehen Apparates 
und fand in 17 bis 19 Proz. der Fälle ein- oder doppelseitige Schwerhörig¬ 
keit. Als Ursache wurde in fast der Hälfte der Fälle Vergrößerung der 
Rachenmandel gefunden. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 5, nach Ref. im 
Hygien. Zentralbl., Bd. H, S. 465.) 

Ensch: „Untersuchung der Nasenatmuug und des Gehörs in 
der Schule.“ Separatabdruck aus der Sammlung zwangloser Abhandlungen 
aus dem Gebiete der Nasen-, Ohren-, Mund- und Halskrankheiten. Halle, 
C. Marhold, 1907. Als Leiter des Gesundheitsdienstes in Schftrbeck bei 
Brüssel hat Verfasser die Gemeindeverwaltung veranlaßt, Merkblätter an die 
Eltern der in die Schule eiDtretenden Kinder zu verteilen, in denen darauf 
hingewiesen wird, daß die Behinderung der Nasenatmung leicht zu Gehör¬ 
leiden führt und daß deshalb hierauf sehr zu achten sei. In der Schule 
werden dann alle Kinder auf Ohren- und Nasenleiden untersucht. Für die 
Behandlung solcher Erkrankungen schlägt Verfasser Spezialärzte vor. Sehr 
wichtig ist auch regelmäßige Untersuchung der noch nicht schulpflichtigen 
Kinder und Behandlung beim Besteben von Nasenleiden. (Nach Ref. im 
Hygien. Zentralbl., Bd. II, S. 725.) 

Aust-Nauen, „Schule und Infektionskrankheiten“, tritt nach¬ 
drücklich dafür ein, daß von der frühzeitigen Schulschließung als einer 
sanitätspolizeilichen Maßregel zur Verhütung der Weiterverbreitung von 
Infektionskrankheiten, namentlich von Diphtherie und Scharlach, häufiger 
Gebrauch gemacht werde, als es vielfach noch geschieht, und führt zum 
Beweise dafür, daß die Schule an der Verbreitung ansteckender Krankheiten 
einen großen Anteil hat, aus der eignen amtsärztlichen Tätigkeit vier 


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Schulkrankheiten. 


305 


Diphtherie- und ebensoviel Scharlachepidemien an. (Ärztl. Sachverständigen¬ 
zeitung, Nr. 3.) 

Fritz Kirstein-Lippstadt: „Grundzüge für die Mitwirkung des 
Lehrers bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten.“ (Berlin, 
Julius Springer, 1907. 1,40 >Jl.) In gemeinverständlicher Weise wird nach 
einer kurzen statistischen Übersicht über die Mortalitätsverhältnisse der für 
die Schule hauptsächlich in Betracht kommenden Infektionskrankheiten die 
Art und Weise der Infektion durch die Schulen und die Bekämpfung der 
Infektionskrankheiten in den Schulen geschildert. Die hauptsächlichsten 
Krankheiten werden hinsichtlich ihrer Symptome und der speziellen Schutz¬ 
maßregeln treffend und klar besprochen. 

R. Schultz-Berlin, „Schule und Infektionskrankheiten“, hat den 
Einfluß des Schulbesuches auf die Ausbreitung der Infektionskrankheiten 
namentlich an den Masern untersucht. Seine Erfahrungen alB Schularzt 
haben ihn erkennen lassen, daß mit großer Regelmäßigkeit und Häufigkeit 
in den Berliner Gemeindeschulen in den untersten Klassen eine Häufung von 
Masernfällen auftritt. Der Typus der Ausbreitung der Masern war ein ganz 
bestimmter, entsprechend der Inkubationszeit, mit einer Pause nach dem zu¬ 
erst aufgetretenen Fall und häufig mit einem Abbruch der Ausbreitung bei 
Eintritt der Ferien. Die Masernepidemien in der Schule sind von besonderer 
Bedeutung für die Erkrankung der Kinder im vorschulpflichtigen Alter, 
indem aus der Schule die Krankheit in die Familien verschleppt wird. Der 
Klassenschluß kommt als Maßnahme gegen die Verbreitung der Krankheit 
meist zu spät, selbst wenn er alsbald nach Auftreten des ersten Falles 
geschieht. Dagegen schien die Übertragung von Scharlach in der Schule 
eine recht geringe zu sein. (Jahrbuch für Kinderheilkunde, Heft 2, nach Ref. 
in der Ärztl. Sachverständigenztg. 1908, S. 200.) 

Niven-Manchester: „Diphtherie in Schulen.“ Wenn auch die 
Diphtherie nach den Erfahrungen Nivens nur ausnahmsweise durch die 
Schule übertragen wird, so sollten die Schulkinder, die diese Krankheit 
überstanden haben, erst dann wieder die Schule besuchen dürfen, wenn sie 
nach wiederholten bakteriologischen Untersuchungen alB frei von Diphtherie¬ 
bazillen gefunden werden. 

Davies und Thomas-Woolwich: „Die Kontrolle der Masern und 
die Resultate, die eine Untersuchung über den Nutzen früh¬ 
zeitigen Schulschlusses ergab.“ Wenn auch der Ablauf der Masernepide¬ 
mien durch Schulausschluß und andere Maßnahmen kaum beeinflußt wird, 
so hat doch die Schulbehörde, da die Schule als Sammelort empfänglicher, 
wenig widerstandsfähiger Individuen anzusehen ist, die Pflicht, prophy¬ 
laktische Maßnahmen in bestimmten Grenzen zu treffen. Sehr frühzeitiger 
Schulschluß, nämlich im katarrhalischen Stadium, noch vor dem Ausbruch 
des Exanthems, ist das einzige Mittel, die Verbreitung der Masern in Schulen 
zu verhindern; eine Schließung erst zu der Zeit, in der ein ausgesprochener 
Masernfall vorliegt, hat meist keinen Wert mehr. 

Butler-Willesden, „Der Einfluß des Schulbesuchs auf die Ver¬ 
breitung von Masern und Keuchhusten“, befürwortet Schulzwang erst 
vom siebenten Jahre an. 

Vierteljahrischrift für Gesundheitspflege, 1908. Supplement. 20 


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806 


Schulgesundheitspflege. 


Zahor-Prag: „Infektionskrankheiten in den Gemeindeschulen 
Prags.“ Während Typhus und Diphtherie bezüglich Morbidität und Mortalität 
seit 1886 eine Abnahme erfahren haben, ist die Lungentuberkulose, haupt¬ 
sächlich im Alter von 5 bis 10 Jahren, konstant im Zunehmen begriffen. Es 
sind deshalb Sanatorien und Waldschulen nötig. 

Squire-London und Frl. Gowday-London: „Tuberkulose in den 
Gemeindeschulen West-Londons.“ Unter 1670 Kindern aus zwei 
Elementarschulen wiesen 0,47 Proz. Zeichen tuberkulöser Erkrankung der 
Lungen auf und boten 0,83 Proz. zu Zweifeln Anlaß. 

Lecky-Brigthon, „Tuberkulose in den Schulen in Brigthon“, fand 
unter 809 von ihm untersuchten Kindern 3 mit Lungentuberkulose, 40 mit 
anderen Lungenkrankheiten, 13 mit tuberkulösen oder tuberkulös verdächtigen 
Drüsen, 169 mit vergrößerten Drüsen, 10 mit tuberkulösen Knochen- und 
Gelenkerkrankungen. (Dritter internationaler Kongreß für Schulhygiene, nach 
Ref. im Hygien. Zentralbl. 1908, S. 387, und Zeitschr. f. SchnlgesundheitspfL, 
S. 765 ff.) 

Viel größere Zahlen von Tuberkulösen wurden in Paris festgestellt. So 
ergab die Durchmusterung in einer Pariser Gemeindeschule, daß 10 Proz. der 
eintretenden Knaben, 17 Proz. der Mädchen tuberkulös waren. 

Ferner fand Grancher in Paris von 4226 Gemeindeschülern 15 Proz. 
tuberkulös. Er empfiehlt deswegen Unterbringung dieser Bänder in Land¬ 
schulen oder Einrichtung von „Freiluftschulen“. 

Auch in Langnan, Kanton Bern, war der Prozentsatz der tuberkulose¬ 
verdächtigen Kinder ein beträchtlicher, nämlich 11 Proz. unter 1800. Von 
diesen wurden mehrere in ein Lungen Sanatorium geschickt. (Zeitschr. f. Scbul- 
gesundheitspflege, S. 43, 193, 200.) 

Zyka, „Schulhygiene“, hält die Vorschläge der Ärzte zur Bekämpfung 
der Lungentuberkulose für zu einseitig und fordert neben der Behandlung 
der erkrankten Schulkinder folgende hygienischen Maßnahmen: Größte 
Reinlichkeit der Fußböden, Möglichkeit eines schnellen und gründlichen 
Reinigens der Schulräume, Einrichtung von Brausebädern und Wasch- 
gelegenheiten, Erziehung zur Reinlichkeit, Einrichtung technisch gut durch¬ 
geführter Lüftungsanlagen, Anstellung entsprechend ausgebildeter Schulärzte. 
(Gesundheits-Ingenieur, Nr. 45.) 

H. Berger-Remscheid, „Die Bekämpfung der Tuberkulose im 
schulpflichtigen Alter“, empfiehlt eine Untersuchung aller Schulkinder 
durch die Schulärzte auf etwaige Tuberkulose, wobei folgende Fragen zu 
beantworten sind: 

I. Bei wem ist in der Familie sonst Tuberkulose vorhanden gewesen? 

2. Krankheitserscheinungen des Kindes. 

3. Physikalischer Befund. 

4. Bakteriologischer Befund. 

Erst eine solche Feststellung über die Verbreitung der Tuberkulose im 
Kindesalter ebene die Wege, die Krankheit in geeigneter und erschöpfender 
Weise zu bekämpfen. (Das Schulzimmer, Nr. 1.) 

Oldright-London, „Das Schulzimmer, ein Faktor in der Ent¬ 
stehung der Tuberkulose“, führt an, daß die Statistik eine erschreckend 


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Schulkrankheiten. 


307 


große Tuberkulosesterblichkeit unter Lehrern und besonders Lehrerinnen 
nachgewiesen habe und daß in älteren Schulen mit überfüllten und schlecht ge* 
lüfteten Schulzimmern die Zahl der Todesfälle größer als in neueren, hygienisch 
gebauten und gehaltenen Schulen sei. 

Gourichon-Paris, „Über das seltene Vorkommen der Tuberku¬ 
lose im Lehrkörper der Gemeindeschulen der Stadt Paris und des 
Seinedepartements u , kommt zu einem ganz anderen, günstigeren Ergebnis. 
Die Tuberkulose bei den Lehrern sei im ganzen selten, sei keine Berufs¬ 
krankheit und werde meist außerhalb der Schule erworben. (Dritter inter¬ 
nationaler Kongreß für Schulhygiene, nach Referaten im Hygien. Zentralbl. 
1908, S. 387, und Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 768.) 

Newsholme-Brighton, Courmont-Lyon, Schumburg-Straßburg i. E., 
Kirchner-Berlin: „Schule und Tuberkulose.“ 

Newsholme berichtet, daß die Statistik lehre, daß die Tuberkulose als 
Todesursache im schulpflichtigen Alter eine verhältnismäßig geringe Rolle 
spiele, betont dann aber, daß trotzdem seitens der Schule ein besonderes 
Augenmerk auf die Tuberkulose zu richten sei, weil so vielfach latente Herde 
bei scheinbar gesunden Kindern Vorkommen und mit der Möglichkeit des 
Übergehens der latenten Form in die offene zu rechnen sei Es werden 
deshalb folgende Maßnahmen empfohlen: Untersuchung aller Kinder vor dem 
Schuleintritt, periodische Untersuchungen im Verlaufe des Schulbesuchs, 
systematische Erhebungen über die häuslichen Gesundheitsverbältnisse, Aus¬ 
schluß aller tuberkulöser Kinder, auch der mit geschlossener Tuberkulose 
behafteten, aus der Schule, Fürsorge für Kinder aus tuberkulösen Familien, 
periodische Untersuchungen der Lehrer, Reinhaltung der Schulen u. dgl. m. 

Kirchner führt aus, daß, während in Preußen in den letzten 25 Jahren 
die Tuberkulosesterblicbkeitsziffer zurückgegangen sei, das schulpflichtige 
Alter im Gegensatz zu dem höheren Lebensalter eine ganz erhebliche Zunahme 
der Sterblichkeit aufweist. Grundlage der Tuberkulosebekämpfung müsse 
die ärztliche Anzeigepflicbt werden. Die Einrichtung der Schulärzte, auch für 
die höheren Schulen, sei auszubauen. (Dritter internationaler Kongreß für 
Schulhygiene, nach Ref. in der Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 766 ff., und 
Hygien. Zentralbl. 1908, S. 391.) 

Für Preußen ist die Anweisung zur Verhütung der Verbreitung 
übertragbarer Krankheiten durch die Schulen (Ministerialerlaß vom 
9. Juli 1907) von besonderer Bedeutung, da sie einen wesentlichen Fortschritt 
gegenüber den bisherigen Vorschriften bedeutet. Es werden nicht nur 
Krankheiten, die früher nicht mit aufgeführt waren, wie Gelbfieber, Pest, 
Favus, Mumps, Windpocken und vor allem Tuberkulose, berücksichtigt, 
sondern auch einzelne prophylaktische Maßnahmen allgemeiner Art, wie Sorge 
für Reinhaltung der Schulgrundstücke in allen ihren Teilen, für einwandfreies 
Trinkwasser, Aufklärung der Kinder über die übertragbaren Krankheiten, 
Empfehlung der Schutzimpfung bei Diphtherie, angeführt. Der Ausschluß 
der kranken Lehrer und Schüler vom Schulbesuch ist ungeordnet bei 
Erkrankungen an Aussatz, Cholera, Diphtherie, Fleckfieber, Gelbfieber, 
Genickstarre, Pest, Pocken, Rückfallfieber, Ruhr, Scharlach, Typhus, außerdem 
bei Verdachtsfällen von Aussatz, Cholera, Fleckfieber, Gelbfieber, Pest, Pocken 

20 * 


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308 SchulgesundheitBpflege. 

Rotz, Rückfallfieber, Typhus, ferner bei Erkrankungen an Favus, Keuchhusten, 
Körnerkrankheit (solange Eiterabsonderung besteht), Krätze, Lungen* und 
Kehlkopftuberkulose (solange Tuberkelbazillen im Auswurf sind), Masern, 
Milzbrand, Mnmps, Röteln, Rotz, Tollwut, Windpocken. Der Ausschluß 
gesunder Lehrer und Schüler aus Behausungen, in denen ansteckende 
Krankheiten vorgekommen sind, ist vorgesohrieben bei Aussatz, Cholera, 
Diphtherie, Fleckfieber, Gelbfieber, Genickstarre, Pest, Pocken, Rückfallfieber, 
Ruhr, Scharlach, Typhus. 

Zollinger: „Über die pädagogische Behandlung des nervösen 
Zitterns (Tremor hystericus) der Schulkinder.“ In einer Baseler 
Mädchenvolksschule trat, als grade an der dortigen Töchterschule dieselbe 
Krankheit in erheblichem Umfange herrschte, eine Epidemie von Tremor 
hystericus auf. Es gelang durch rein pädagogische Behandlung, nämlich 
Vereinigung aller Kinder mit Zittererscheinungen in einer besonderen Klasse 
und sachgemäßen, schonenden Zuspruoh bei individueller Behandlung, die 
Krankheit in Monatsfrist zum Erlöschen zu bringen. Die auslösenden 
Momente für das Leiden waren meist Nachahmung, Schreck und Autosug¬ 
gestion, als prädisponierende Ursache wurde Blutarmut, neuropathiscbe Be¬ 
lastung und Überanstrengung durch häusliche Arbeiten angesehen. (Jahrbuch 
der schweizerischen Gesellschaft für Schulgesundheitspflege, Zürich 1907, 
Zürcher und Furrer. Nach Hygien. ZentralbL, Bd. II, S. 569.) 

Heinrioh Stadelmann-Dresden: „Die kindliche Nervosität, ihre 
Beziehungen zur Schule und ihre Bekämpfung.“ (Sonderabdruck aus 
der Medizinischen Klinik, Jahrg. 1907, Nr. 2. Urban und Schwarzenberg, 
Berlin.) Damit das reichliche Material, das die Schule an nervösen Erschei¬ 
nungen deB fcindesalters bietet, ärztlich-psychiatrisch und pädagogisch hin¬ 
reichend analysiert werden könne, um daraus brauchbare Methoden für 
psychiatrische Prophylaxe und Behandlung zu gewinnen, sind Vereinigungen, 
wie die Gesellschaft für pädagogisch-psychiatrische Forschung in Dresden, 
erwünscht, in denen Vertreter verschiedener Wissenschaften zu gemeinsamer 
Arbeit tätig sind. (Nach Ref. in der Zeitschr. f. SchulgesundheitspfL, S. 313.) 

Derselbe: „Das nervenkranke Kind in der Schule.“ Magdeburg 
1907, Faber. 

E. Schlesinger-Straßburg i. E.: „Schwach begabte Schulkinder. 
Vorgeschichte und ärztliche Befunde.“ Stuttgart 1907, Ferd. Enke. 
Es werden die Beobachtungen an 128 schwach begabten debilen Kindern 
ausführlich mitgeteilt. Die Ursache der Debilität war bei weitaus den meisten 
Fällen auf die verschiedensten Momente, ererbte und erworbene Faktoren, 
zurückzuführen. Eine der wesentlichsten Ursachen des Zurückbleibens der 
Intelligenz findet Schlesinger in dem mangelhaften Sohulbesuch, den 
schlechten häuslichen Verhältnissen und körperlichen Leiden (Nervenkrank¬ 
heiten, Tuberkulose, Sprachfehler usw.). Es wird gefordert, daß die Hilfs- 
schüler in erhöhtem Maße an den Wohltätigkeitseinrichtungen teilnehmen, 
und vor allem, daß die Schulärzte die einzelnen Fehler und Gebrechen der 
Kinder herausfinden und die Eltern auf die Notwendigkeit der Behandlung 
aufmerksam machen sollen. (Nach Referat in der Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 
S. 820.) 


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Schulkrankheiten. 


309 


Derselbe: „Vorgeschichten und Befunde bei schwach begabten 
Schulkindern. Beitrag zur Forschung nach den Ursachen der 
schwachen Begabung.“ (Archiv für Kinderheilkunde, Bd. 46, Heft 1/2 
und Internationales Archiv f. Schulhygiene, Nr. 3.) 

In Frankenhausen wurde unter den im dritten Schuljahre stehenden 
Kindern der Volksschule das epidemische Auftreten einer Nerven¬ 
krankheit beobachtet. Die ruhig dasitzenden Kinder wurden plötzlich von 
konvulsivischen Zuckungen befallen, von denen sie sich erst nach einiger 
Zeit erholten. Als gesundheitliche Maßnahme wurde die Schließung der 
Schule auf eine Zeit vorgenommen. (Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 297.) 

In Horb (Württemberg) brach in einer Volksschule die Zitterkrankheit 
aus. Die Fälle verliefen günstig. (Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 610.) 

Schütte veröffentlicht interessante Ausführungen über die Zitter¬ 
krankheit als eine neue Form hysterischer Zustände. Die Krankheit stellt 
ein akut auftretendes Symptomenbild bei sonst ganz gesunden Kindern dar 
und tritt in epidemischer Form auf. Sie ist eine ausgesprochene Schulkrank¬ 
heit. Voraus geht ihr eine gewisse nervöse Unruhe, an die sich dann bald das 
Zittern einer Hand und des Unterarmes, in* schweren Fällen beider Arme, 
anfallsweise anschließt. Verfasser verbreitet sich über die Ursache der Er¬ 
krankung; in Betracht kommen hierbei folgende Momente: körperliche und 
geistige Anstrengungen, Frühaufstehen, Gemütsaufregungen usw. Bei der 
Behandlung sind zunächst die Kinder ganz vom Schulbesuch auszuschließen, 
es ist ihnen möglichst viel Schonung und Bettruhe zu geben, späterhin treten 
an ihre Stelle gymnastische Übungen, Bäder und andere Kräftigungsmittel. 
(Münchener med. Wochenschr., Nr. 36, nach Ref. in der ZeitBchr. f. Schul¬ 
gesundheitspflege, S. 124.) 

Auch in Leipzig trat in einer Klasse diese Zitterkrankheit auf. 
(Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 795.) 

Graziani-Padua: „Der Einfluß der übermäßigen Geistesarbeit 
auf die Zahl, auf den Hämoglobingehalt und auf den Widerstand 
der roten Blutkörperchen.“ Nachdem von verschiedenen Forschern allerlei 
Alterationen der Körpergewebe bei Schülern und Studierenden infolge der 
geistigen Arbeit nachgewiesen worden sind, prüfteGraziani an 10Studenten 
und 12 Kindern aus Elementarklassen, ob eine übermäßige Gehirnbetätigung 
Alterationen an der Zahl, Zusammensetzung und Eigenschaften der roten 
Blutkörperchen hervorbringt. Seine Ergebnisse gipfeln darin, daß ebenso 
wie eine meist bemerkenswerte Abnahme des Körpergewichts infolge der von 
der Vorbereitung zum Examen ausgehenden Gehirnanstrengung zu finden ist, 
auch eine Verringerung des Hämoglobingehaltes des Blutes (bis zu 10 Proz.) 
durch übermäßige Gehirnarbeit herbeigeführt wird, dagegen eine Umände¬ 
rung in der Zahl der roten Blutkörperchen nicht wahrzunehmen ist, während 
wiederum der Widerstand der roten Blutkörperchen gewisse Veränderungen 
erfährt. (Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., Nr. 6.) 

M. Br es gen-Wiesbaden, „Nasenkrankheiten und behinderte 
Nasenatmung in ihren Beziehungen zur Schule“, macht zu wieder¬ 
holten Malen auf die Bedeutung des freien Atmens durch die Nase aufmerk - 


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310 


Schulgesundheitspflege. 


sam und fordert sachkundige Untersuchung aller Kinder, bei denen der 
Lehrer festgestellt hat, daß der Nasenluftweg für die Atmung nicht frei ist. 
(Pädagogische Warte, Nr. 3.) 

D. Sarason-Berlin: „Zum Problem der Sezualbelehrung. u Die 
drei wichtigen Fragen, um die es sich hierbei handelt, sind: 

1. Welcher Zeitpunkt ist für die Belehrung zu wählen? 

2. Wer nimmt die Belehrung am zweckmäßigsten vor? 

3. In welcher Art hat die Belehrung zu erfolgen? 

Die Antworten darauf müssen dahin lauten: 

1. Daß eine elementare, sich zwanglos an den naturgeschichtliohen 
Unterricht anschließende Aufklärung schon vom Beginn der Pubertätsentwicke¬ 
lung zu erfolgen hat, während die Aufklärung über den Geschlechtsverkehr 
und seine Gefahren erst nach der Entlassung aus der Sohule vorzunehmen ist; 

2. daß die erstere Art der Aufklärung durch den Lehrer, die zweite 
Art durch einen Arzt zu erfolgen hat; 

3. daß ein biologischer Schulunterricht einzuführen ist. (Zeitschr. L 
Schulgesundheitspfl., Nr. 12.) 

• 

Kemsies-Berlin, „Thesen zur Frage der sexuellen Aufklärung 
der Jugend“, stellte im Berliner Verein für Schulgesundheitspflege folgende 
Thesen auf: 

1. Während der Kinder- und Entwickelungsjahre soll durch das Vor- 
stellungs-, Gemüts- und Willensleben der Sexualtrieb idealisiert werden. 

2. Die gelegentliche sexuelle Aufklärung in Schule und Haus ist daher 
genau zu regeln. 

3. Die wichtigsten Entwickelungsvorgänge der Pflanzen und Tiere bis 
hinauf zu den Säugern sind in der höheren Lehranstalt in exakter Weise 
auf allen Stufen zu behandeln, Begattungsvorgänge indessen grundsätzlich 
auszuschließen. 

4. In den unteren Klassen sind Begriffe: männliches, weibliches Geschlecht, 
Eltern, Vaterschaft, Mutterschaft, Bestäubung, Befruchtung, Zeugung und 
Außenbefruchtung aus den Tatsachen, der Begriff der Innenbefruchtung 
durch Folgerung abzuleiten. 

5. Die tierischen Fortpflanzungsorgane werden nicht beschrieben, jedoch 
werden sexuellprophylaktische Weisungen in geeigneter Form und in geeigneten 
Momenten angebracht. 

6. In den Mittelklassen ist gleichzeitig auf die Gefahren sexueller Ver¬ 
fehlungen hinzuweisen. 

7. In den oberen Klassen werden die mikroskopischen Vorgänge der 
Zell- und Kernteilung, der Eibefruchtung und ihre Bedeutung für Vererbung, 
natürliche und künstliche Auslese ausführlich dargelegt. 

8. Für Abiturienten werden Belehrungen über Begattungsvorgänge bei 
den Säugetieren, über die Gefahren sexueller Verfehlungen und Ausschwei¬ 
fungen, Bowie über die intrauterine Entwickelung des Fötus empfohlen. (Hygien. 
Zentralbl., Bd. II, S. 568.) 

R. Flachs-Dresden, „Die geschlechtliche Aufklärung bei der 
Erziehung unserer Kinder“, wünscht eine solche Aufklärung, welche aber 


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Schalkrankheiten. 


311 


beionderen Takt und Vorsicht erfordert. (Das Sind, Bd. I, Nr. 8, nach Hygien. 
Zentral bl., Bd.111, S. 170.) 

A. Heidenhain: „Sexuelle Belehrung der aus der Volksschule 
entlassenen Mädchen.“ Leipzig 1907. Verlag von Joh. Ambr. Barth. Der 
hier veröffentlichte Vortrag wurde vor entlassenen Volksschülerinnen gehalten 
und durch zwei Abildungen über die weiblichen Geschlechtsorgane erläutert. 
(Ref. in der Hygien. Rundsohau 1908, S. 1049.) 

0. Dornblüth-Frankfurt, Die Aufklärung und hygienische Er¬ 
ziehung der Jugend“, sieht in einer reinen Aufklärung im Anschluß an den 
naturwissenschaftlichen Unterricht und in einer Stärkung der Sittlichkeit die 
besten Mittel zur Bekämpfung der geschlechtlichen Verderbnis. (Blätter für 
Volksgesundheitspflege, Nr. 5.) 

F. Droop: „Die sexuelle Aufklärung der Jugend.“ Neuwied 1907, 
L. Heuser Ww. Es wird eindringlich die Aufklärung durch das Elternhaus 
empfohlen. (Nach Ref. im Hygien. Zentralbl. 1908, S. 352.) 

L.Freytag-Gr.-Lichterfelde: „Die sexuelle Belehrungder Jugend.“ 
(Pädagogisches Archiv, Heft 4.) 

Rosenthal-Berlin sprach über die sexuelle Auf klärung der Jugend 
in einer Versammlung in Leipzig, wobei er empfiehlt, mit der Aufklärung 
schon im Kindesalter, bei Gelegenheit des naturwissenschaftlichen Unterrichts 
einzusetzen. Unabweisbar sei diese Forderung der Aufklärung für Fort¬ 
bildungsschulen, Gymnasien und Seminare. 

Lehr hielt für die Abiturienten der Darmstädter Lehranstalten einen 
Vortrag über sittliche und gesundheitliche Gefahren der Jugend. (Nach Zeitschr. 
f. Schulgesundheitspfl., S. 45 und 307.) 

Freud-Wien macht in einem offenen Brief treffende Bemerkungen zur 
sexuellen Aufklärung. Es soll das Geschlechtliche von Anfang an wie 
alles andere Wissenswerte behandelt werden. Die Schule darf also nicht diesen 
Fragen aus weichen, sondern hat die großen Fragen der Fortpflanzung beim 
Unterricht über die Tierwelt zu besprechen. Die Aufklärung über die Verhält¬ 
nisse des menschlichen Geschlechtslebens und die große soziale Bedeutung des¬ 
selben soll dann am Schluß des Volksschulunterrichts gegeben werden. Die 
Konfirmation erscheint dem Verfasser alB der geeignete Zeitpunkt, die sittlichen 
Verpflichtungen zu erörtern, die an die Ausübung des Geschlechtstriebes 
gebunden sind. (Soziale Medizin und Hygiene, Bd. II, Nr. 6, nach Zeitschr. f. 
Schulgesundheitspfl., S. 511.) 

K.Döller: „Die sexuelle Frage und die Schule.“ Leipzig, E.Nägeli, 
1907. Verfasser vertritt den Standpunkt, daß der Lehrer der Berufene sei, 
die sexuelle Aufklärung der Jugend zu geben, und empfiehlt, hierbei schritt¬ 
weise gelegentlich des naturwissenschaftlichen Unterrichts vorzugehen. Wie 
der hierzu erforderliche Lehrstoff in den Lehrplan einer achtstufigen Schule 
einzugliedern ist, wird an einem Entwurf gezeigt. (Nach Ref. im Hygien. 
Zentralbl., Bd. II, S. 724.) 

Albert Moll-Berlin: „Welche Stellung hat der Arztzur sexuellen 
Aufklärung der Kinder zu nehmen?“ Es werden die hygienischen, 


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312 Schulgesundheitspflege. 

ethischen, forensischen und sozialen Gründe, welche eine sexuelle Aufklärung 
der Kinder wünschenswert erscheinen lassen, angeführt. Wenn jedes Alter 
für die Aufklärung geeignet ist, sofern sie sich dem Begriffsvermögen des 
Kindes anpaßt, so bleibt die Hauptsache, daß sie nur durch eine Vertrauens¬ 
person erfolgt, die streng individualisiert; anderenfalls kann man nur Schaden 
anrichten. Deshalb erscheint die Aufklärung durch die Lehrer wegen der 
notwendig schablonenhaften Darbietung ungeeignet; am ehesten sind die 
Hausärzte oder die Schulärzte, soweit es sich um vorgeschrittenere Kinder 
und Warnung vor sexuellen Infektionskrankheiten handelt, dazu befähigt. 
Aber auch die Eltern, ein Freund des Hauses oder selbst ein älterer Bruder 
können unter Umständen die geeigneten Persönlichkeiten sein. (Med. Klinik, 
Nr. 16 und 17, nach Ref. in der ÄrztL Sachverständigenztg. 1908, S. 201.) 

von den S t e i n e n - Düsseldorf, „Sexuelle Aufklärung für 
Abiturienten“, gab auf dem Kongreß der Deutschen Gesellschaft zur 
Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten eine Skizze des Vortrages, wie er 
ihn gleichsam als erstes Kolleg den Abiturienten hält. Er findet in der Aula 
durch den Arzt in Gegenwart des Direktors und einiger Lehrer statt, da das 
hygienische Prinzip das maßgebende sein soll. (Nach Ref. im Hygien. Zentralbl., 
Bd. III, S. 62.) 

Becker-Schleswig, „Die sexuelle Aufklärung der schulent¬ 
lassenen Jugend und der Seminaristen“, referierte gleichfalls auf diesem 
Kongreß und fordert an Fachschulen Ausdehnung dieser Aufklärung zu einem 
allgemeinhygienischen Unterricht, an Fortbildungsschulen Vorträge von Ärzten 
über Sexualhygiene, an Mädchenschulen Aufklärung durch Lehrerinnen bereits 
in der Volksschule. (Nach Ref. im Hygien. Zentralbl., Bd. III, S. 62.) 

Eulenburg-Berlin, „Sexuelle Diätetik und Erziehung“, behandelte 
dieses Thema auf demselben Kongreß vom medizinischen Standpunkt, indem 
er empfahl, dem zu frühzeitigen Erwachen und der künstlichen Steigerung 
des Geschlechtstriebes durch Charakterbildung und Festigung des sittlichen 
Willens entgegen zu wirken und durch intensivere Körperkultur, Volks- und 
Jugendspiele, Koedukation usw. vorzubeugen. (Nach Ref. in der Zeitschr. f. 
Schulgesundheitspfl., S. 424.) 

A. Kraft -Zürich, „Einrichtung einer Sch ulzahnklinik in Zürich“, 
berichtet über das Vorhaben der Stadt Zürich, in Erkenntnis der Notwendig¬ 
keit einer zahnärztlichen Fürsorge für die Schulkinder eine Schulzahnklinik 
zu errichten, deren Benutzung allen Zöglingen der städtischen Schulen un¬ 
entgeltlich offen stehen soll. Die Behandlung in der Klinik soll sich auf 
Zahnextraktionen, Füllungen und Behandlung von Zahnkrankheiten über¬ 
haupt erstrecken. (Der Schularzt, Nr. 3 u. 4.) 

Stöcker: „Die Schulpoliklinik in Luzern.“ Da sich trotz gut 
funktionierenden schulärztlichen Systems herausstellte, daß viele Eltern dem 
Anraten des Schularztes, für entsprechende ärztliche Behandlung der Kinder 
Sorge zu tragen, nicht folgten, hat der Stadtrat in Luzern auf Anregung 
Stöckers beschlossen, eine Schulpoliklinik zu errichten, deren Benutzung 
den Eltern freigestellt werden soll, ohne daß sie jedoch an freier Arztwahl 
bei der Behandlung der erkrankten Kinder gehindert werden. Die Poliklinik 


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Schulkrankheiten. 


S13 


soll in eine allgemeine Poliklinik and in eine Schalzahnpoliklinik zerfallen. Die 
Behandlung in der Poliklinik soll nur eine ambulante sein und nicht durch 
den Schularzt vorgenommen werden. (Schweizer Blätter für SchulgeBundheits- 
pflege, Nr. 3, nach Ref. im Hygien. Zentralbl., Bd. II, S. 568.) 

Die Zahnpflege in der Schule maoht erfreuliche Fortschritte; 
Schulzahnkliniken sind errichtet in: 

Altona. Seit 7 Jähen haben die Zahnärzte einen Verein für Zahn* 
und Mundpflege gebildet, um Volksschülern und Schülerinnen unentgeltlich 
Zahnpflege zuteil werden zu lassen. Jetzt hat die Stadt die Einrichtung über¬ 
nommen und stellt einen Zahnarzt mit 2500 Gehalt an. 

Erfurt Zum Zweck der Einrichtung einer Schulzahnklinik fürVolks- 
Bchüler wurden 2500 Ji bewilligt und für den Betrieb im Jahre 1907 ein 
Betrag von 4600 oft verlangt. 

Freiburg i. Baden. Sämtliche schulpflichtige Kinder werden von dem 
an der Spitze der Klinik stehenden Zahnarzt untersucht; das Ergebnis wird 
den Eltern mitgeteilt, und letztere werden aufgefordert, die Kinder kostenlos 
jn der Zahnklinik behandeln zu lassen. 

Karlsruhe. Eine Klinik für Volksschüler ist in den Räumen des Rat¬ 
hauses erriohtet. 

Zürich. Völlige Unentgeltlichkeit für die Schüler der Volksschulen. 

Schulzahn&rzte sind in 24 deutschen Städten jetzt vorhanden. Neu 
angestellt wurden solche in: 

Malstatt-Burbaoh (2 Zahnärzte mit einem jährlichen Honorar von 
2500 dfC), Lennep, wo alle Volksschüler jährlich zweimal auf Kosten der 
Stadt untersucht werden, Bernhurg, wo neben der Untersuchung durch den 
Schulzahnarzt auch die gesamte Behandlung vorgenommen wird; hier plant 
man die Eltern zu einer jährlichen Beitragsleistung von 0,50 JC heranzuziehen. 
(Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 208, 307, 610, 612, 692, und Schularzt, 
S. 71, 117, 181.) 

Mallachow: „Zahnpflege und Schule.“ Ebbecke in Lissa, 1907. 
Es wird die Wichtigkeit und Notwendigkeit der Einrichtung von Schulzahn¬ 
kliniken nach dem Straßburger Muster dargelegt. (Nach Hygien. Zentralbl., 
Bd. H, S. 724.) 

Ernst Jessen-Straßburg i. E.: „Die praktische Lösung der Frage 
der Schulzahnkliniken.“ (Der Arzt als Erzieher, Nr. 3.) 

Derselbe: „Die zahnärztliche Behandlung der Volksschul¬ 
kinder.“ IV. Jahresbericht der städtischen Schulzahnklinik in Straßburg i. E. 
1905/06. (Internat. Arch. f. Schulhygiene, Nr. 3.) 

Herrenknecht-Freiburg regt in einem Vortrag die Zahnpflege der 
Schulkinder auf dem Lande an und empfiehlt fliegende Schulzahnkliniken 
für einen größeren Bezirk. (Soziale Praxis, Nr. 19, nach Ref. in der Zeitschr. 
f. Schulgesundheitspfl., S. 302.) 

Je b sen-Straßburg i. E., „Schulzahnpflege und Schule“, fordert 
systematische Durchführung der Zahnpflege in allen Schulen aller Länder. 
(Dritter internationaler Kongreß für Schulhygiene, nach Ref. im Hygienischen 
Zentralbl. 1908, S. 383.) 


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314 Schulgesundheitspflege. 

Griesbach und Jessen: „Leitsätze für die Zahnpflege.“ Da die 
Zahnkaries die verbreitetste Volkskrankheit ist, welche die Entwickelung des 
Kindes schädigt, die Schul- und Militärtauglichkeit beeinflußt und die Infektions¬ 
krankheiten begünstigt, so ist ihre Bekämpfung notwendig. Zu dem Zweck 
müssen die Volksschulkinder zahnärztlich, und zwar die unbemittelten aus 
öffentlichen Mitteln, behandelt werden. In großen Städten sind Schulzahn¬ 
ärzte im Hauptamt, in kleinen im Nebenamt anzustellen. In Landkreisen 
soll ein Schulzahnarzt für mehrere Kreise gemeinsam angestellt werden. Die 
systematische Behandlung der Volksschulkinder ist nur in der städtischen 
Schulzahnklinik möglich. (Internationales Archiv für Schulhygiene, Bd. VI, 
Heft2/3, nach Ref. im Hygien. Zentralbl. 1908, S. 629.) 

Jessen-Straßburgi.E.: „Die zahnärztlicheBehandlungderVolks- 
schulkinder.“ Berlin 1907. Warenhaus für zahnärztlichen und zahntech¬ 
nischen Bedarf. 

In mehreren kurzen Einzelabschnitten werden der heutige Stand der 
zahnhygienischen Frage, die zahnärztliche Behandlung der Volksschulkinder, 
Vorschläge zur Popularisierung der Zahnhygiene hei der Schuljugend, die 
praktische Lösung der Frage der Schulzahnkliniken, die Stellung der Schul¬ 
zahnärzte als städtische Beamte nachdrücklich und überzeugend für die 
Bedeutung der so wichtigen Frage behandelt. 

Die Stadtverordnetenversammlung in Berlin lehnte die Anstellung 
besonderer Schulzahnärzte ab. Die Vertreter der zahnärztlichen Vereine 
Groß-Berlins haben in Form von Anträgen ihre Wünsche für Errichtung von 
Schulzahnkliniken kundgegeben. An den weiteren Beratungen der Zahnärzte 
über diese Frage wünscht Kirohner vom Kultusministerium teilzunehmen. 
(Nach Schularzt, S. 120.) Einzelne Untersuchungen an Zähnen von Schul¬ 
kindern zeigen deutlich die Notwendigkeit einer Schulzahnpflege. 

In Grunewald bei Berlin wiesen nach dem Bericht des Schularztes 
von 733 Kindern 405, also mehr als 55Proz., mehr oder weniger schadhafte 
Zähne auf. 

In Ulm wurden 4711 Schulkinder mit 116474 Zähnen untersucht und 
davon 41870 Zähne als krank befunden. Unter den 4711 Schulkindern waren 
nur 68 = 1.4 Proz. mit ganz gesundem Gebiß, und nur 84 = l,8Proz. hatten 
sachgemäß gefüllte Zähne. (Nach Schularzt, S. 152, 181.) 

In Mannheim wurden zahnärztliche Untersuchungen derVolks- 
schulkinder vorgenommen, die außerordentlich ungünstige Resultate 
ergaben: Durchschnittlich etwa 97 Proz. sämtlicher Schüler hatten defekte 
oder kariöse Gebisse, nur 3 Proz. gesunde Gebisse, nicht ganz 1 Proz. der 
Untersuchten war im Besitz von gefüllten Zähnen. Die schwachen, krüppel¬ 
haften und ärmsten Kinder zeigten die größten Defekte. Da die Erfahrung 
gemacht wurde, daß die Eltern trotz der ihnen gewordenen Mitteilung über 
das Ergebnis der Zahnuntersuchung ihrer Kinder nur ganz vereinzelt für die 
Behandlung sorgten, so erscheint als notwendige Folge die Errichtung einer 
Schulzahnklinik mit unentgeltlicher, aber obligatorischer Behandlung. (Nach 
Zeitschr. f. Schulgesundheitspfl., S. 37.) 


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Schulbauten. 


315 


Wallis-London, „Untersuchung der Z&hne in einer Londoner 
Gemeindeschule“, fand unter 245 Kindern nur 4 mit der normalen Anzahl 
gesunder Zähne. (Dritter internationaler Kongreß für Schulhygiene, nach 
Ref. im Hygien. ZentralbL 1908, S. 383.) Solbrig. 

Schulbauten. 

Friedrich Bolte: „Das Schillergymnasium zu Köln-Ehren¬ 
feld.“ Als Bauplatz für die in künstlerischer Hinsicht bemerkenswerte 
Schule wurde ein Eckgrundstück gewählt. Die Baugruppe umfaßt das 
Klassengebäude, den Turnhallenbau, das Abortgebäude und das Direktor¬ 
wohnhaus. Das Klassengebäude enthält hei einer bebauten Fläche von 
1581 qm 22 Klassen, eine Kombinationsklasse, eine Aula, einen Zeichensaal, 
sowie die erforderlichen Dienst- und Nebenräume. Der Turnhallenbau hat 
eine bebaute Fläche von 330 qm, das Wohnhaus von 172 qm und daB 
Abortgebäude von 104,0 qm. Der Schulhof ist 2278 qm groß, von denen 
228 qm durch die Halle, welche das Hauptgebäude mit dem Turnhallen- 
und dem Abortbau verbindet, überdeckt sind. Die Gesamtbaukosten be¬ 
tragen 800000 jH. (Das Schulhaus, S. 379 bis 397.) 

Ricken und Miohael: „Die Mädchenschule an der Wiedigs- 
burg in Nordhausen.“ Die Bauanlage verdient insofern erwähnt zu 
werden, als sie getrennt voneinander 4 Klassen für eine katholische und 
16 Klassen für eine evangelische Abteilung enthält. Außerdem sind drei 
verfügbare Klassen, eine Kombinations-, eine Gesangs- und eine Klasse für 
Naturunterricht, ferner die erforderlichen Dienst- und Nebenräume vorhanden. 
Abweichend von den üblichen Schulanlagen ist die Aula im vierten Geschoß 
unter Verwendung eines Teiles des Dachgeschosses angeordnet. Die Turn¬ 
halle ist dem Hauptbau angegliedert, das Abortgebäude dagegen getrennt 
davon errichtet. Das Äußere ist in Backsteinarchitektur gehalten. Die 
Baukosten, die als gering zu bezeichnen sind, betragen im ganzen 305000 1 M, 
für das Quadratmeter bebauter Fläche 200 und das Kubikmeter umbauten 
Raumes 13,10 oft. (ZentralbL d. Bauverwaltung, S. 489.) 

Meyer und Köhler: „Die Gemeinde-Doppelschule in Grabow 
bei Stettin. Das Sohulhaus, das auf einem Eckgrundstück errichtet worden 
ist, enthält 16 Mädchen- und 16 Knabenklassen, eine gemeinschaftliche in 
der Mittelachse liegende Turnhalle und darüberliegend Zeichensaal und 
Konferenzzimmer. Durch diese Anordnung und durch die zweiseitige Be¬ 
bauung des Flurs ist eine bebaute Fläche von geringer Größe erzielt worden. 
Die Aborte sind jeweils in einem besonderen Flügel dem Hauptbau an¬ 
gegliedert und mit entlüftbaren Vorräumen versehen. Die Außenarchitektur 
ist einfach und zweckentsprechend, Gesimse und Fenstereinfassungen sind 
in Zementputz und die Flächen mit roten Handstrichbacksteinen ausgeführt. 
Die Gesamtbaukosten betragen 471 271 <M, das Kubikmeter umbauter Raum 
14,35 oft. (ZentralbL d. Bauverwaltung, S. 571.) 

Wilh. Bertsch (München): „Das Schulhaus an der Flurstraße 
in München.“ Unter den neueren Bauten in München zeichnet sich die 
an der Ecke der Flur- und Loignystraße erbaute Schule aus, die wegen ihrer 


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316 


Schulgesundheitsp liege. 


den modernen Anschauungen Rechnung tragenden Bauweise ein interessantes 
Beispiel neuer Architektur darstellt und in bezug auf praktische Entwicke- 
lung des Grundrisses, Berücksichtigung hygienischer, pädagogischer und 
technischer Forderungen als mustergültig bezeichnet werden muß. Die 
erzielte Wirkung ist lediglich durch geschickte Gruppierung der Baumassen 
und durch richtige Betonung der Gliederung des Bauorganismus unter Fort- 
lassung der üblichen Schmuckformen erreicht worden. (Das Schulhaus, 
S. 475 bis 488.) 

Köhler und Kranz (Charlottenburg): „Knaben- und Mädchen¬ 
schule in Waldenburg in Schlesien.“ Das Schulgebäude umfaßt in 
zwei rechtwinkelig aneinanderstoßenden Flügeln, von denen der eine die 
Knaben-, der andere die Mädchensohule aufnimmt, 34 Klassen, einen 246 qm 
großen Festsaal und alle sonstigen erforderlichen Räume. Für die Ent¬ 
wickelung der Gebäudemassen war die bevorzugte, landschaftlich schöne 
Lage des Bauplatzes bestimmend. Besondere Schwierigkeiten boten die be¬ 
trächtlichen Höhenunterschiede des Bauplatzes; dennoch wurde eine orga¬ 
nische und praktisch einwandfreie Lösung erzielt. Alle Gebäudeteile sind 
massiv hergestellt. Das Äußere ist mit naturroten Handstrichsteinen in 
Normalformat verblendet und durch Putzflächen belebt. Die Baukosten 
betragen 500 000 >Jt, auf 1 cbm umbauten Raumes berechnet 15,50t^. (Das 
Schulbaus, S. 14 bis 37.) 

Schweighart (Freising): „Das Schulhaus in Großweil im bayeri¬ 
schen Gebirge.“ Dem Erbauer ist es gelungen, unter Abweichung von 
der leider auf dem Lande weit verbreiteten Nachahmung städtischer Schul¬ 
hausbauten ein der örtlichen Bauweise sich anpassendes Schulhaus zu er¬ 
richten. Die Formen schließen sich dem Werdenfelser Baustil an, welcher 
sich als eine Abart der Unterinntaler Bauart längs des Verkehrsweges von 
Innsbruck durch den Scharnitzpaß nach Bayern ausgebildet hat Das Schul¬ 
haus enthält im Erdgeschoß eine KlaBse für 88 Kinder, einen Aufenthalts¬ 
raum und Aborte, sowie ein Gemeindezimmer. Im Obergeschoß befindet 
sich die Lehrerwohnung. Die Kosten betragen 26 000^, d. i. nicht ganz 
300 t 4t für jedes Kind. (Das Schulhaus, S. 107 bis 111.) 

Hans Wagner: „Das neue Luitpoldschulhaus in Schwabach.“ 
Der Ausführung dieses Schulhauses wurde der aus einem Wettbewerb hervor 
gegangene, mit dem zweiten Preise gekrönte Entwurf deB Architekten Otto 
Schwarz zugrunde gelegt Der Grundriß zeigt eine äußerst klare Lösung: 
einen Langflügel mit zwei Querflügeln mit an einen der letzteren angeglie¬ 
dertem Turnhallenanbau. Die Aborte liegen in einem parallel zum Lang¬ 
flügel angeordneten besonderen Gebäude. Dieses steht mit dem Hauptgebäude 
durch überdeckte Gänge in Verbindung. In drei Geschossen sind 21 Klassen, 
ein Zeichensaal, sowie Zimmer für den Schulrat, die Lehrer und Lehrerinnen 
und die Bibliothek untergebracht Das Äußere ist bei aller Schlichtheit 
würdig und vornehm und stellt ein den neuzeitlichen Architekturbestre¬ 
bungen entsprechendes gut gelungenes Schulhaus dar. Die Baukosten ein¬ 
schließlich Turnhalle belaufen sich auf 325000«^, d. i. 14 000 Jt pro Klassen¬ 
einheit und 16,20 jft pro Kubikmeter umbauten Raumes. (Das Schulhaus, 
S. 147 bis 157.) 


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Schulbauten. 


317 


Joh. Radke: „Die Luisenschule in Düsseldorf.“ Das Gebäude 
ist auf einem Eckgrundstück errichtet; es hat durch die wechselnde Geschoß- 
ansahl eine reizvolle Mannigfaltigkeit in der Klassengruppierung erhalten. 
Die Architektur entspricht dem Charakter eines Schulhauses und zeigt eine 
monumentale Einfachheit. Bei dem Grundriß ist das gemischte Korridor* 
•vstem angewendet; der Hauptflügel enthält die Lehrsäle, der Seitenflügel 
die Turnhalle und die Aula. Auffallend ist die Anlage der Aborte, die im 
Hauptflügel in jedem Geschoß vorgesehen und vom Podest der Treppe 
zugängig sind. Die Baukosten betragen einschließlich Direktorwohnhaus 
643 000 oft. (Das Schulhaus, S. 283 bis 290.) 

Fischer und Pantle: „Das Sammelschulhaus an der Heusteig¬ 
straße in Stuttgart.“ Auf einem für die architektonische Wirkung 
günstigen Bauplatz ist ein Schulgebäude errichtet, daB eine Bürgerschule, eine 
Mädchenschule und eine Elementarschule mit zusammen 34 Schulzimmern, 
Zeichen-, Physiksälen neben den sonstigen Nebenräumen enthält. Die Ver¬ 
einigung dieser drei Schulen in einem Gebäude hat zu einem Gesamtbild 
von äußerst wirkungsvoller Gruppierung der Massen geführt und eine überaus 
reizvolle Anlage entstehen lassen, bei der auf alles Prunkhafte verzichtet 
worden ist. Der Grundriß zeigt in seinem Mittelflügel einseitige Bebauung; 
an den beiden um ein Geschoß höher geführten Eckhauten sind die Korri¬ 
dore zu einer Halle, in der auch die Haupttreppe liegt, erweitert (Das 
Schulhaus, S. 224 bis 228.) 

Über Kleiderablagen in Schulen bringt „Das Schulhaus“ einen 
Artikel, in dem auf die nach Meinung des Verfassers noch bestehenden 
Übelstände dieser Einrichtungen hingewiesen wird und an der Hand von 
Beispielen Besserungsvorschläge gemacht werden. Das Aufhängen der Kleider 
in den Klassen sei ganz zu verwerfen; selbst in den Korridoren solle man 
sich nicht mit dem einfachen Aufhängen der Kleider begnügen, weil durch 
das fortwährende Anstreifen der Kinder an die Kleider Staub aufgewirbelt 
wird. Die Korridore seien, wenn auch nur während der Pausen, ebenfalls 
Aufenthaltsort für Schüler und Lehrer. Auch die mehrfach angewendeten 
Wandschränke Beien wegen ihrer schwierigen Reinigung nicht zu empfehlen. 
Das in der Pestalozzischule zu Luzern angewendete Verfahren, nach welchem 
die Kleidergestelle mit einer Drahtgitterumwehrung eingefaßt sind, habe 
den Nachteil der Beengung während des Aus- und Ankleidens. Die bisher 
beste Art der Unterbringung der Kleider sei die nischenartige Korridor¬ 
erweiterung. Beispiele hierfür zeigen die Schulen zu Nyon, Worms, Walden¬ 
burg und andere. (Das Schulhaus, S. 447 bis 460.) 

Arnold Meyer (Bremen) hat zum Zwecke der Beantwortung der Frage, 
ob durch Anwendung der staubbindenden Fußbodenöle in den 
Schulen die Staubaufwirbelung während des Unterrichts ver¬ 
mindert werde, Versuche angestellt. In zwei Schulen wurden je zwei 
Klassen mitDustless Oil und je zwei mit Westrumit gestrichen. Zur Prüfung 
wurde die KochBche Absitzmethode gewählt und mit Nährboden gefüllte 
Glasschalen in 1,20 m Höhe an den Wänden befestigt. Das Ergebnis der 
Versuche war folgendes: 


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S18 


Schulgeaundheitspflege. 


1. Eine staubbindende Wirkung der Fußbodenöle macht sieb nur 
während der Reinigung der Klassenzimmer geltend. 

2. Diese staubbindende Wirkung läßt allmählich nach, bis sie nach 
längstens acht Wochen erloschen ist 

Hieraus gebt hervor, daß die staubbindenden öle nicht als ausreichendes 
Mittel zur Bekämpfung der Staubaufwirbelung in Schulzimmern anzusehen 
sind. Ein solches würde gefunden sein, wenn es gelänge, Entstaubungsappa- 
rate mit Handbetrieb auch für Schulen anwendbar herzustellen und den 
Betrieb wirtschaftlich zu gestalten. (Gesundheits- Ingenieur, S. 843 und 
Yierteljahrsschr. f. öffentl. Gesundheitspfl., Bd. 39, Heft 3.) 

H. Suck (Friedriohshagen bei Berlin) bat über Stanbölung auf 
Schulhöfen verschiedene Versuche ausgeführt, die günstige Ergebnisse 
hatten. Bisher sind staubbindende Öle außer für Schulklassen nur bei einigen 
staubigen Straßen probeweise zur Anwendung gekommen; für Schulhöfe war 
eine Verwendung bisher noch nicht erfolgt, obwohl gerade bei ihnen die 
Bekämpfung des Staubes besonders wünschenswert ist. Bei einem Versuch 
auf dem 700 qm großen Schulhofe des ehemaligen Realgymnasiums zu Fried¬ 
richshagen wurde die Brauchbarkeit des staubbindenden Öles „Duralit“ zur 
Bekämpfung der Staubplage auf Schulhöfen festgestellt „Duralit“ wird 
mit einem gleichen Quantum Wasser vermischt und dann mit Gießkannen 
auf den Boden gebraust, der alsdann eine dunkle Färbung annimmt und 
eine gewisse Festigkeit erreicht. Die Verwendung des „Duralit“ für Schul¬ 
höfe sollte darum durch Erprobungen in größerem Umfange in die Wege 
geleitet werden. (Gesundheit, S. 178 bis 180.) 

Hygienisch einwandfreie Klosettanlagen für Schulen. In 
neuen Schulen finden sich häufig noch Klosettanlagen, welche in hygienischer 
Beziehung Mängel aufweisen. Die veralteten Klosettanlagen haben gewöhn¬ 
lich ein Sammelrohr mit nur einem doppelten Geruchverschluß. Die Spülung 
geschieht in vielen Fällen noch mittels eines periodisch wirkenden Spül¬ 
apparates. Hierbei bleiben Exkremente an dem Klosettbecken haften, 
trocknen fest und sind häufig nicht mehr wegzuschwemmen. Unästhetisch 
ist es auch, die Exkremente des Vorgängers zu sehen und die dadurch ent¬ 
stehenden üblen Gerüche einzuatmen. Zur Vermeidung solcher Übelstände 
wird daher heute vielfach ein System verwendet, bei dem die nötige Anzahl 
Klosetts aus Hartsteingut auf ein Sammelrohr mit Flanschenverbindung auf¬ 
montiert sind und jedes Becken durch einen Druckhebel vom Kinde selbst 
gespült wird. An diese einfache Manipulation gewöhnen sich die Kinder 
nach Anweisung sehr schnell, weil ihnen die Spülklosetts vom Hause her 
meistens bekannt sind. Die geschilderte Klosettanlage genügt allen An¬ 
sprüchen und kann für Schulen empfohlen werden. (Gesundheits-Ingenieur, 
S. 525 u. 526.) 

Gärtner (Jena) hat über die Ventilation von Schulsälen ein¬ 
gehende Versuche und Beobachtungen in der dortigen Westschule gemacht. 
Es wurden Personen in ein Zimmer mit verdorbener Luft gebracht, in der 
sie sioh unwohl fühlten, solange die Luft im Zimmer unbeweglich blieb. 
Das Unwohlsein verlor sich aber, nachdem die Luft durch Ventilationsein¬ 
richtungen (Flügelschraube mit elektrischem Antrieb) in Bewegung gesetzt, 


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Schulbauten. 


319 


ohne daß frische Luft zugeführt wurde. Die Anlage solcher Ventilations¬ 
vorrichtungen, die an der Decke des Schulzimmers anzubringen wären und 
die je nach Bedarf in Betrieb gesetzt werden, ist zu empfehlen. (Gesund¬ 
heits-Ingenieur, S. 496.) 

Kurt Wolf (Tübingen) hat über indirekte Beleuchtung von 
Schulräumen und Hörsälen einen Vortrag gehalten, in dem er auf die 
bestehenden Mängel bei künstlich beleuchteten Schulräumen hinweist. Er 
spricht sich im einzelnen aus über das Verhalten des Auges gegenüber einem 
Übermaß von Licht, über die Kurzsichtigkeit, die Notwendigkeit der gleich¬ 
mäßigen Lichtverteilung im Raume, über die verschiedenen Beleuchtungs¬ 
arten, über den Glanz der Lichtquellen, über das Anbringen der Beleuch¬ 
tungskörper und die direkte und indirekte Beleuchtung und kommt dann 
zu dem Schlußergebnis, daß bei Beleuchtung von Schul- und Hörsälen mit 
Auerlicht die kombinierte direkte und indirekte Beleuchtung zu empfehlen 
sei und daß nur bei Bogenlampen die rein indirekte Beleuchtung mit 
doppeltem Reflektor angebracht ist. (Gesundheit, S. 98 bis 108.) 

Ludwig Dietz (Charlottenburg) hat über die Regelung der Tem¬ 
peratur in den Schulräumen einen Artikel veröffentlicht, in dem er 
eingehend die bisher zu beobachten gewesenen Übelstände in der Beheizung 
der Klassenräume erörtert. Wohl nirgends wären bei den in Schulklassen 
vorgenommenen Messungen normale Temperaturen festgestellt worden. Ent¬ 
weder seien sie während des Unterrichts zu hoch oder kurz nach der Pause, 
nachdem gelüftet war, zu niedrig gewesen. Es habe immer an Apparaten 
gefehlt, die eine automatische Regelung der Temperatur herbeiführten, der 
Heizer habe größtenteils durch Rundgänge die Temperatur zu prüfen und 
die Heizkörper und Ventilationsvorrichtungen zu stellen, was stets eine 
unvollkommene Handhabung sei. Neuerdings sei von dem Amerikaner 
Johnson ein Temperaturregler erfunden, der mittels Druckluftröhren das 
An- und Abstellen der Heizkörper bewerkstelligt und so für eine möglichst 
gleichmäßige Temperatur Gewähr bietet. (Das Schulhaus, S. 527 bis 538.) 

Nußbaum (Hannover) äußert über die Lage der Schulbank zum 
Fenster folgende Ansichten: Die Tagesbeleuchtung lasse in Deutschland, 
namentlich in seinen nordwestlichen Teilen, während etwa eines Viertels des 
Jahres zu wünschen übrig. Es sei daher notwendig, alle Hilfsmittel zur 
möglichst vollkommenen Ausnutzung des Tageslichtes heranzuziehen. Ein 
solches Hilfsmittel bedeute die Schrägstellung der Bänke zum Fenster, weil 
dadurch das Gesicht des Schreibenden vom Licht abgewendet, jede Blendung 
des Auges vermieden und das Papier unter den gegebenen Verhältnissen 
die größte Helligkeit aufweist. Durch das Schrägstellen wird allerdings 
eine größere Klassenlänge und -tiefe erforderlich, was eine Erhöhung der 
Baukosten verursacht; ferner tritt eine gewisse Unübersichtlichkeit in der 
Platzordnung ein, die aber, wenn im übrigen der Geldpunkt bei Schulbauten 
keine Rolle spielt, der günstigen Platzbeleuchtung wegen in Kauf genommen 
werden könnte. (Das Schulhaus, S. 360 bis 362.) 

Bleivergiftung infolge des Genusses von Brunnenwasser. 
Die Königliche Regierung zu Hannover hat durch Versuche ermittelt, daß 
das Wasser im Schulbrunnen einiger Gemeinden infolge seines Bleigehaltes 


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320 


Schulgesundheitspflege. Gefängnishygiene. 


gesundheitsgefährlich war und Bleivergiftungen herbeigeführt hat. Der Blei¬ 
gehalt des Wassers rührt von den bei der Anlegung der Brunnen ver¬ 
wendeten Bleirohren her. Einen unbedingten Schutz gegen die Gesundheits¬ 
gefahren, die sich aus der Benutzung der Bleirohre ergeben, gewährt die 
Verwendung der sogenannten Mantelrohre, bei denen die Bleirohre mit einem 
Zinnbelag ausgekleidet und umgeben sind. Der Preis solcher Rohre bei innerer 
und äußerer Verzinnung stellt sich pro 100 kg 4 teurer als der gewöhn¬ 
licher Bleirohre. Die Verwendung dieser Mantelrohre ist zu empfehlen. (Das 
Schulhaus, S. 90.) Hopfner. 


Gefängnishygiene. 

Hoff mann, „Gefängnishygiene“, nach einem Vortrag, gehalten im 
Lehrkursus für GefängniBwesen in Berlin. Hoff mann bespricht zunächst 
die verschiedenen Haftarten. Er verurteilt die gemeinsame Haft, weil sie in 
der Regel einen ungünstigen Einfluß auf den sittlichen Zustand der Ge¬ 
fangenen ausübt. Auch gesundheitliche Mißstände machen sich bei der 
gemeinsamen Haft geltend, namentlich durch die Luftverschlechterung infolge 
des Zusammenlebens vieler Menschen in einem geschlossenen Raume, ferner 
durch die leichtere Übertragbarkeit von Krankheiten. Das SchweigBystem 
in der gemeinschaftlichen Haft kann nicht durcbgeführt werden und hat 
auch gesundheitlich nachteiligen Einfluß für die Gefangenen. Das nament¬ 
lich in England viel gebrauchte Klassifikationssystem ist ebenfalls schwierig 
durchzuführen und besitzt dieselben Nachteile wie die gewöhnliche gemein¬ 
schaftliche Haft. 

Das beste Strafsystem bildet die Einzelhaft, wenn sie mit der genügen¬ 
den Vorsicht und unter gehöriger Aufsicht durchgeführt wird. Ein ungün¬ 
stiger Einfluß für die Gesundheit, sowohl in körperlicher als auch in geistiger 
Hinsicht, ist von der Einzelhaft nicht zu befürchten. 

Von der Einzelhaft auszuschließen sind Leute, die bereits aufgeregt und 
psychisch verdächtig dem Gefängnis zugeführt werden. Ebenso körperlich 
Gebrechliche, die auf Handreichungen anderer angewiesen sind. Epileptiker 
können in Einzelhaft gebracht werden, wenn der Aufseher angewiesen wird, 
den Betreffenden besondere Aufmerksamkeit zu widmen, und wenn der Ge¬ 
fangene ein in der Innenseite gepolstertes Bett bekommt, in welchem er 
sicher liegt und sich durch Stoß oder dergleichen nicht verletzen kann. 

Frauen pflegen die Einzelhaft im allgemeinen schlechter zu vertragen 
als Männer. 

Bei Jugendlichen ist in der Einzelhaft ebenfalls besonders eingehende 
Überwachung und Beobachtung notwendig. 

Das progressive Haftsystem ist dadurch charakterisiert, daß der Ge¬ 
fangene von der strengen Einzelhaft in die gemeinsame Haft, von da in eine 
Zwischenanstalt und schließlich zur provisorischen Entlassung kommt. 

Die Deportation hat auch ihre Schattenseiten, namentlich in gesundheit¬ 
licher Beziehung. 

Beim Bau von Gefängnissen sind an die Bodenbeschaffenheit, an die 
Lage und an das Baumaterial alle die Anforderungen zu stellen, welche die 


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Gefängnishygiene. 


321 


Gesundheitspflege beim Bau aller öffentlichen Anstalten zu fordern berech¬ 
tigt ist. Die Gebäude müssen so liegen, daß von allen Seiten möglichst viel 
Luft und Licht in die Räume eindringen kann. Die Größe der Zellen ist 
auf 25 bis 28 cbm zu berechnen. Für Einzelzellen, die nur als Schlafraum 
benutzt werden, genügen 16 cbm. Die Größe des Fensters soll in einem 
richtigen Verhältnis zum Wohnraum stehen. Im allgemeinen genügt für 
eine Zelle ein Fenster von 1 qm, welches wenigstens zum Teil geöffnet werden 
kann, um frische Luft einzulassen. 

Für die Klosetts empfiehlt sich Wasserspülung, die sehr wohl bei Neu¬ 
anlagen angewendet werden kann und den Vorteil besitzt, daß die Luft der 
Zellen nicht durch üble Gerüche verschlechtert wird, was bei dem sogenannten 
Kübelsystem unvermeidlich ist. 

Für die Heizung empfiehlt sich Zentralheizung. Wo die Zellen duroh 
Öfen geheizt werden, muß sich die Feuerung auf dem Korridor befinden. 

Die Beleuchtung wäre am besten durch elektrisches Licht herzustellen, 
was jedoch wegen der erheblichen Kosten selten durchführbar ist. In zweiter 
Linie wäre Gasbeleuchtung, und wo auch diese nicht anzubringen ist, Pe¬ 
troleum zu empfehlen. 

Für die Beseitigung der Abfälle gilt die allgemeine Vorschrift, daß sie 
möglichst schnell aus dem Bereioh der Anstalt entfernt werden müssen. 

Für Lazarette gelten im allgemeinen dieselben Grundsätze, welche für 
Krankenhäuser maßgebend sind. Eine Tobzelle ist im Lazarett unentbehr¬ 
lich. ln großen Gefängnissen wird zweckmäßig noch eine Invalidenabteilung 
eingerichtet für Gefangene, die altersschwach, blind, gelähmt, verkrüppelt 
sind oder sonstige Gebrechen haben. Geisteskranke werden am besten in 
Strafanstalten untergebracht, welche eine besondere Abteilung für irre Ver¬ 
brecher besitzen. 

In keinem Gefängnis darf eine Badeeinrichtung fehlen. Die neu Ein¬ 
gelieferten nehmen ihr Bad am besten in Wannen, während für die sonstigen 
Reinigungsbäder Brausebäder einzurichten sind. 

Die Beköstigung der Gefangenen muß so eingerichtet sein, daß die er¬ 
forderlichen NahrungsBtoffe in verdaulicher und gut zubereiteter Weise ge¬ 
währt werden. Besonderes Gewicht ist auf eine mögliohBt reiche Abwechslung 
der Kost zu legen, sowie darauf, daß das Essen nicht stets in breiigem oder 
dünnflüssigem Zustande verabreicht wird, sondern daß der Gefangene genötigt 
ist, die Speisen zu kauen. 

Das Trinkwasser muß einwandfrei sein und in genügender Menge mehr¬ 
mals täglich frisch verabfolgt werden. 

Die Kleidung muß der Jahreszeit entsprechen. 

Die Bettstellen sind am besten von Eisen. Das Lager soll rein und so 
eingerichtet sein, daß der Körper während des Schlafes Ruhe und Erholung 
finden kann. Den Gefangenen ist täglich Gelegenheit zu geben, sich eine 
Zeitlang im Freien zu bewegen. 

Bei der Beschäftigung ist darauf zu halten, daß Arbeiten, die eine 
Gesundheitsscbädigung in sich schließen können, nicht ausgeführt werden. 
Die Arbeit soll ein strafendes, aber auch erziehliches Moment darstellen. In 
der Regel boII eine zehnstündige Arbeitszeit innegehalten werden. 11 Stunden 
sollen nicht überschritten werden. 

Viert* ljahrsschrift för Gesundheitspflege, 1908. Supplement. 21 


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322 


Gefängnishygiene. 


Die Disziplinarstrafen bestehen meistens in Kostentziehung oder Dunkel¬ 
arrest Vor der Vollziehung dieser Strafen soll der Arzt über den Gesund¬ 
heitszustand des Betreffenden gehört werden, damit eine Gesundheitsschädi- 
gung vermieden wird. 

Die Fortschritte in der gesundheitlichen Einrichtung und Überwachung 
der Gefängnisse hat dazu geführt, daß eigentliche Gefängniskrankheiten nicht 
mehr existieren. Infektionskrankheiten kommen sehr selten vor, ebenso 
Skorbut der früher in Gefängnissen häufig war. Die Krankheit, welche in 
den Gefängnissen noch am häufigsten vorkommt, ist die Tuberkulose, für 
deren Entstehung die schwächenden Einflüsse der Haft, die andere Art der 
Ernährung und auch die geistige Depression eine große Rolle spielen. Selbst¬ 
verständlich muß für eine ordnungsmäßige Desinfektion, namentlich des Aus¬ 
wurfes, Sorge getragen werden; ebenso sind die Gebrauchsgegenst&nde Tuber¬ 
kulöser, sowie die Zellen, in welchen sie gewohnt haben, zu desinfizieren. 
(Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medizin u. öffentL Sanitätswesen. Bd.XXXI, Heft 2.) 

Statistik über die Gefängnisse in der Justizverwaltung in 
Preußen für das Rechnungsjahr 1906. Die Beköstigung der Gefan¬ 
genen erfolgt entweder durch die Gefängnisverwaltung auf Staatskosten oder 
im Wege der Selbstbeköstigung auf Kosten des Gefangenen. Die im Wege 
der Selbstbeköstigung beschaffte Kost darf die Grenzen eines mäßigen Ge¬ 
nusses nicht übersteigen. Die Selbstbeköstigung wird den Untersuchungs¬ 
gefangenen, sowie den zu einfacher Haft Verurteilten und den Zivilhaft¬ 
gefangenen auf deren Verlangen gestattet. F'ür die zur Gefängnisstrafe 
Verurteilten ist sie nur zugelassen, wenn nach dem Gutachten des Gefängnis¬ 
arztes durch die Beibehaltung der regelmäßigen Gefängniskost eine Schädi¬ 
gung des Gesundheitszustandes deB Gefangenen herbeigeführt wird, und nach 
den Einrichtungen des Gefängnisses sich eine genügende andere Kost nicht 
beschaffen läßt. Bei anstrengender Arbeit erhalten die Gefangenen neben 
der gewöhnlichen Beköstigung eine Verpflegungszulage, deren Kosten aus 
dem Arbeitsverdienste vorweg entnommen werden. 

Die ärztliche Behandlung erfolgt auf Grund vertraglicher Vereinbarung. 
Bei der Annahme von Gefängnisärzten wird an erster Stelle der am Orte 
befindliche Medizinalbeamte berücksichtigt. Der Arzt hat gegen die ihm 
bewilligte Vergütung die Verpflichtung zu übernehmen, die erkrankten Unter- 
suchungs- und Strafgefangenen ärztlich und wundärztlich zu behandeln, die 
Gefängniseinriohtung im allgemeinen, sowie namentlich die Beköstigung der 
Gefangenen in Rücksicht auf die Gesundheitspflege zu beaufsichtigen, auf 
Erfordern des Gefängnisvorstehers den Gesundheitszustand der Gefangenen 
zu untersuchen und den Befund schriftlich anzuzeigen, sich in Fällen der 
Verhinderung durch einen qualifizierten Arzt auf seine Kosten vertreten 
zu lassen. 

Nach der täglichen Durchschnittszahl der Gefangenen erkrankten bei 
den Gefängnissen mit einer Belegungsfähigkeit 54 und mehr Gefangene von 
100 Gefangenen 0,66, nach der Gesamtzahl der im Laufe des Jahres unter¬ 
gebrachten Gefangenen 24,12. Von den erkrankten Gefangenen wurden 
97,62 Proz. in der Anstalt behandelt, 1,47 Proz. einer besonderen Kranken¬ 
anstalt überwiesen, 0,91 Proz. aus der Haft entlassen. 


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Gefängnishygiene. 


323 


Von den Krankheitsfällen entfielen 1,08 Proz. auf Tuberkulose, 4,21 Proz. 
auf akute Infektionskrankheiten, 2,73 Proz. auf Geschlechtskrankheiten, 
5,04 Proz. auf äußere Verletzungen. 

Von den Todesfällen entfielen 16,56 Proz. auf Tuberkulose, 7,36 Proz. 
auf akute Infektionskrankheiten, 30,06 Proz. auf Selbstmorde. 

Die Todesfälle umfaßten 0,06 Proz. der Gesamtzahl und 0,66 Proz. der 
Durchschnittszahl. 

Die Untersuchung8gefangenen werden von anderen Gefangenen geson¬ 
dert verwahrt. Auch bei der Strafvollstreckung wird auf die tunlichste Ab¬ 
sonderung der Gefangenen Bedacht genommen, soweit nicht der Zustand 
einzelner eine gemeinsame Verwahrung nötig macht. Wo die örtlichen Ver¬ 
hältnisse es gestatten, beginnt der Vollzog der Strafen mit Einzelhaft. Sie 
wird vorzugsweise angewendet, wenn die Strafe die Dauer von drei Monaten 
nicht ttbersteigt oder der Gefangene das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet 
hat, oder der Gefangene Zuchthaus-, Gefängnis- oder geschärfte Haftstrafen 
noch nicht verbüßt hat. 

Gefangene, welche das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 
werden nur mit Genehmigung des Oberstaatsanwalts länger als drei Monate 
in Einzelhaft gehalten. Im übrigen findet die Einzelhaft in dem gesetzlich 
bestimmten Zeiträume von drei Jahren ihre Begrenzung. Soll sie länger als 
drei Monate dauern, so ist der Arzt darüber zu hören, ob ihre Anwendung 
einem Bedenken unterliegt. Sie ist ausgeschlossen, wenn eine Gefahr für 
den körperlichen oder geistigen Zustand der Gefangenen zu befürchten ist. 

Statistik der zum Ressort des Königlich Preußischen Mini¬ 
steriums des Innern gehörenden Strafanstalten und Gefängnisse 
und der Korrigenden für das Rechnungsjahr 1906. Die Verwaltung 
des Gefängniswesens ist in Preußen zwischen dem Ministerium des Innern 
und dem Justizministerium geteilt. In der Verwaltung des Innern stehen 
32 Strafanstalten zur Aufnahme der zu Zuchthausstrafe Verurteilten, 
21 größere Gefängnisse zur Aufnahme von Gefängnishaft- und Untersuchungs¬ 
gefangenen. Die Tagesdurchschnittszahl der Gefangenen betrug 30 058. 
Nach den Vorschriften der Dienstordnung werden die einzelnen Anstalten 
vierteljährlich durch einen Kommissar der Aufsichtsbehörde besichtigt. Zu 
den Besichtigungen ist einmal im Jahre der Regierungs- und Medizinalrat 
zuzuziehen, um den Gesundheitszustand sowie die hygienischen Einrich¬ 
tungen zu prüfen. Der bauliche Zustand der Anstalten ist gut, alle den 
Haftzwecken dienenden Räume erhalten reichlich Luft und Licht, auf pein¬ 
liche Sauberkeit wird überall gehalten. Die Zellengefängnisse und größeren 
Zellenflügel sind mit Zentralheizung versehen, die meisten mit Warmwasser¬ 
heizung, einige mit Heißwasserheizung. Aus älteren Zeiten vorhandene Luft¬ 
heizungen sind als gesundheitsschädlich beseitigt. Die gemeinsamen Schlaf¬ 
räume werden in der Regel gar nicht oder nur bei ganz strenger Kälte 
geheizt. 

Die Versorgung der Anstalt mit einwandfreiem Trink- und Wirtschafts¬ 
wasser erfolgt aus eigenen Brunnen oder durch Anschluß an die örtliche 
Wasserleitung. Dreimal am Tage wird den Gefangenen frisches Trinkwasser 
verabreicht. 

21 * 


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324 Gefängnishygiene. 

Die Auswurfstoffe werden in den meisten Anstalten durch Abfuhr be¬ 
seitigt. 

Die Vorschrift der Grundsätze über die Hafträume, mindestens 22cbm 
für die Einzelzelle, 11 cbm für die Schlafzelle, 8 cbm für die gemeinsamen 
Arbeitsräume, 10 cbm für die gemeinsamen Schlafräume auf jeden Gefan¬ 
genen, sind in allen Anstalten durchgeführt. Das Gefängnis zu Saarbrücken, 
in dem dies wegen zeitlicher Überfüllung nicht immer geschehen konnte, ist 
am 1. Dezember 1907 außer Gebrauch gesetzt. 

Jede Anstalt hat einen Arzt zur Behandlung der Kranken und Über¬ 
wachung der hygienischen Einrichtung. Die Ärzte sind im Nebenamte an¬ 
gestellt. Vorzugsweise werden dazu Medizinalbeamte genommen. 

Die Ernährung der Gefangenen erfolgt nach der Torgeschriebenen Kost¬ 
ordnung. Sie gewährt den Gefangenen diejenigen Mengen an Eiweiß, Fett 
und Kohlenhydraten, welche nach dem Standpunkte der Wissenschaft zur 
Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit erforderlich sind. Auf ärzt¬ 
liche Anordnungen werden den Gefangenen, welche die gewöhnliche Kost 
nicht vertragen, und Kranken eine besondere Kost, denen, für welche sie nicht 
ausreicht, eine Zulage gewährt. Die Kosten der Verpflegung sind infolge 
der allgemeinen Steigerung der Lebensmittelpreise von 34,7 im Jahre 1905 
auf 37,9.$ im Jahre 1906 gestiegen. 

Der Dienst der Ärzte ist durch eine Dienstanweisung dahin geordnet, 
daß sie den Vorsteher in allen Fragen, die sich auf den Gesundheitszustand 
der Gefangenen und der Anstalt beziehen, sachverständig zu beraten, die 
Anstalt gesundheitspolizeilich zu überwachen und über die Verhängung 
schwerer Disziplinarstrafen sich gutachtlich zu äußern, auch während des 
Vollzugs derselben darauf zu achten haben, daß daraus den Gefangenen ein 
Schaden an ihrer Gesundheit nicht erwächst. Sämtliche Anstalten sind mit 
ausreichenden ärztliohen Instrumenten ausgestattet. Jede Anstalt hat eine 
Hausapotheke, die vom Arzt verwaltet wird, und einen Desinfektionsapparat 
für strömenden Wasserdampf. Zur Unterstützung des Arztes ist ein in der 
Krankenpflege ausgebildeter Aufseher angestellt Zahl der Erkrankungen: 

Strafanstalten. 

Männer Weiber 


Gesamtzahl der Gefangenen. 18 751 1725 

Täglicher Durchschnittsbestand. 11 724 1129 

Anzahl der erkrankten Gefangenen .... 5 884 607 

Von 100 Gefangenen erkrankten: 

nach der Gesamtzahl. 28,7 35,2 

nach dem Durchschnittsbestände. 45,9 51,1 

Von den erkrankten Gefangenen wurden behandelt: 

überhaupt im Lazarett. 3 318 433 

, , Revier. 2 066 174 

in Prozenten im Lazarett. 61,6 71,3 

, , im Revier. 38,4 28,6 

Von 100 Gefangenen überhaupt wurden behandelt: 

im Lazarett nach der Gesamtzahl. 17,7 25,4 

„ , nach dem Durchschnittsbestände 28,3 38,4 

im Revier nach der Gesamtzahl. 11,2 10,1 

* „ nach dem Durchschnittsbestände . 17,6 15,4 


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Gefängnishygiene. 


325 


Gefängnisse: Männer Weiber 

Gesamtzahl der Gefangenen. 61197 13012 

Täglicher Durchschnittsbestand. 7 903 948 

Anzahl der erkrankten Gefangenen. 3 082 463 

Von 100 Gefangenen erkrankten: 

nach der Gesamtzahl. 5,0 3,6 

nach dem Durchschnittsbestände. 38,9 48,8 

Von den erkrankten Gefangenen wurden behandelt: 

überhaupt im Lazaratt. 1 655 202 

„ B Revier. 1 427 261 

in Prozenten im Lazarett. 53,0 43,6 

, „ im Revier. 46,3 56,4 

Von 100 Gefangenen überhaupt wurden behandelt: 

im Lazarett nach der Gesamtzahl. 2,7 1,5 

, „ nach dem Durchschnittsbestände 20,9 21,3 

im Revier nach der Gesamtzahl. 2,3 2,0 

„ „ nach dem Durchschnittsbestände . 18,1 27,5 


An Infektionskrankheiten wurden behandelt: 






























826 


Gefangnishy giene. 


langt, auf deren Behandlung aber besonders Rücksicht genommen werden 
muß, ist bei der Strafanstalt Brandenburg zunächst für männliche Zucht- 
hausgefangene eine besondere Abteilung eingerichtet. Bis jetzt hat sich der 
Versuch bewährt. 


Die Zahl der Gestorbenen betrug: 

Strafanstalten 

Gesamtzahl in 
Prozenten 
Männer Weiber 
0,6 0,9 


Gefängnisse 

..._. „ t Gesamtzahl in 

überhaupt t. . 

r Prozenten 

Männer Weiber Männer Weiber 

43 8 0,07 0,06 


überhaupt 

Männer Weiber 
125 15 

Demnach ist die Sterblichkeitsziffer in den Strafanstalten und Gefäng¬ 
nissen, sowohl nach der Gesamtzahl als nach der Durchschnittszahl, geringer 
als in der freien Bevölkerung. 

Die wichtigsten Todesursachen: 

Strafanstalten Gefängnisse 



Oberhaupt 

Prozent aller 
Gestorbenen 

Oberhaupt 

Prozent aller 
Gestorbenen 


M. 

W. 

M. 

W. 

M. 

W. 

M. 

W. 

Tuberkulose. 

54 

2 

43,2 

13,3 

13 

— 

30,2 — 

Selbstmorde. 

6 

1 

4,8 

6,7 

11 

2 

25,6 

25,0 

Infektionskrankheiten . 

7 

2 

5,6 

13,3 

2 

— 

4,6 — 


Wie in der erwachsenen freien Bevölkerung steht unter den Todes¬ 
ursachen der Gefangenen die Tuberkulose obenan. Die Maßregeln gegen 
die Weiterverbreitung der Tuberkulose sind in den Strafanstalten und Ge¬ 
fängnissen so sorgfältig getroffen, wie man sie in der freien Bevölkerung 
kaum wieder finden wird. 

Die Zahl der Selbstmorde ist gegen das Vorjahr in den Strafanstalten 
um vier gestiegen, in den Gefängnissen um zwei gesunken. Im Durchschnitt 
stellt sich die Zahl der Selbstmorde in den Gefängnissen etwas höher als in 
der freien Bevölkerung. 

Epidemien sind in den Strafanstalten und Gefängnissen, außer Influenza¬ 
fällen in einigen Anstalten, die aber sämtlich einen guten Verlauf genommen 
haben, nicht vorgekommen. 

Aus den ärztlichen Berichten ist folgendes zu erwähnen: Die Erkran¬ 
kungsziffer in den Strafanstalten und Gefängnissen ist naturgemäß erheblich; 
doch ist dabei zu berücksichtigen, daß der Gefangene sich auch bei gering¬ 
fügigen Verletzungen und Erkrankungen, die in der Freiheit nicht zur 
Kenntnis des Arztes kommen, an den Arzt wenden muß. Außerdem bewirkt 
die Haft eine Konzentration des gesamten Denkens auf die eigene Persönlich¬ 
keit und dadurch hypochondrische Züge. Weitaus die meisten Erkrankungen 
sind harmlos oder doch nicht lebensgefährlich. 

Über die akuten ansteckenden Krankheiten enthielten die Berichte im 
wesentlichen dasselbe, wie in früheren Jahren. Typhus, Masern, Scharlach 
uud Diphtherie wurden in Einzelfällen eingeschleppt, aber nicht innerhalb 
der Anstalten weiter verbreitet. Die Influenza dagegen machte weder vor 
noch in den Anstaltsmauern Halt. Die meisten Anstalten haben ihre leich¬ 
teren oder schwereren Influenzaepidemien gehabt. 

Die zweite Infektionskrankheit, die sich bisher ans den Anstalten nicht 
hat verbannen lassen, ist die Rose. Sie scheint allerdings seltener zu werden 


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Gefängniihygiene. 


827 


und hat sich im allgemeinen auf Einzelfälle beschränkt. Nur in einer An¬ 
stalt kam es zu einer wirklichen Roseepidemie mit drei Todesfällen. 

Außer chronischen, aus der Freiheit mitgebr&ohten Herzkrankheiten 
wurden in den Anstalten nicht selten nervöse Herzleiden beobachtet, die 
wohl vielfach durch die mit der Haft zusammenhängenden seelischen Erre¬ 
gungen verursacht waren. 

Bei den Erkrankungen der Verdauungsorgane handelte es sich oft um 
die Unfähigkeit, Schwarzbrot dauernd zu vertragen, nicht selten auch um 
das sogenannte Abgegessensein, teils auch um sommerliche Magen-Darm¬ 
katarrhe. Die Gewichtskontrolle ist ein wichtiges Mittel, um festzustellen, 
in welchen Fällen den Gefangenen Kost Veränderungen bzw. Zulagen zu ge¬ 
währen sind. 

Sehr wesentlich ist der Hinweis mehrerer Berichte auf die Verdauungs¬ 
störungen infolge schlechter Gebisse. Die Anfertigung künstlicher Gebisse 
ist infolgedessen nicht selten geboten. Laut Ministerialerlaß ist dieselbe auf 
Staatskosten zulässig, wenn die Zähne so schlecht sind, daß eine erhebliche 
Gefahr für die Gesundheit besteht. 

Geschlechtskrankheiten kamen häufig vor, verliefen aber im allgemeinen 
günstig. 

Unter den Hautkrankheiten spielen die Finnenausschläge und Blut¬ 
schwären eine große Rolle, ln der Hauptsache dürfte das zahlreiche Vor¬ 
kommen dadurch bedingt sein, daß die Gefangenen frische Luft, direktes 
Tageslicht und körperliche Bewegung nicht in gleichem Maße genießen, wie 
die freie Bevölkerung. 

Schwere Verletzungen sind selten. Hier und da beginnt sich das Bestreben 
nach Erzielung einer Unfallrente in aufdringlicher Weise geltend zu machen. 

Deutlich lassen die Jahresberichte erkennen, daß die richtige Deutung 
geistiger Störung durch die Anstaltsärzte von Jahr zu Jahr vollständiger 
und sicherer erfolgt Naturgemäß nimmt die Zahl der Geisteskranken, die 
in den Berichten aufgezählt wird, zu. Die Diagnose Simulation ist verhält¬ 
nismäßig selten geworden. Ganz überraschend ist die Tatsache, daß in einer 
Irrenabteilung von 86 beobachteten Gefangenen 41 nicht geisteskrank ge¬ 
funden wurden. Mißlich ist es, daß die öffentlichen Irrenanstalten noch viel¬ 
fach Geisteskranke, die ihnen als strafvollzugsunfähig überwiesen worden 
sind, vorzeitig als ausreichend gebessert oder gar geheilt zurückschicken. 

Unter den allgemeinen gesundheitlichen Fürsorge- und Vorbeugungs¬ 
maßregeln nimmt ein besonderes Interesse die Erprobung der Kostordnung 
vom Jahre 1905 in Anspruch. Die meisten Anstaltsberichte äußern sich 
durchaus befriedigend darüber. 

Unzutreffend dürfte die Annahme eines Anstaltsarztes sein, daß Diät¬ 
verordnung außerhalb des Rahmens der Kostordnung, wie sie bei Zucker¬ 
krankheit, Nierenentzündung usw. unbedingt geboten sind, unzulässig wären. 
Der Arzt hat zweifellos das Recht, in solchen Fällen neben der zweiten oder 
dritten Diät, deren ungeeignete Bestandteile einfach weggelassen werden 
können, und den durch die Kostordnung gegebenen Zulagen auf Kosten des 
Arzneifonds noch weitere Zulagen beliebiger Art zu verordnen. 

An zweiter Stelle sind unter den Einrichtungen von allgemeiner sani¬ 
tärer Bedeutung die Landeskulturarbeiten außerhalb der Anstalten hervor- 


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328 


Gefängnishygiene. 


zuheben, die sich als Mittel zur körperlichen Kräftigung auch bei blutarmen 
und tuberkuloseverdächtigen Gefangenen ganz vorzüglich bewährt haben. 

Schwierigkeit macht bisweilen die Verhütung von Erkältungskrank¬ 
heiten, weil den Gefangenen Gelegenheit zu reichlicher und vielseitiger Be¬ 
wegung fehlt, und weil viele von ihnen blutarm sind. Die Beschwerden 
wegen ungenügender Heizvorrichtung, sowie das Verlangen nach ausgiebiger 
Gewährung von Unterjacken und wollenen Strümpfen in der 'Winterszeit und 
möglichste Ausschaltung des Arbeitens in asphaltierten Souterrainräumen 
verdienen daher entsprechende Beachtung. 

Drossbach: „Die Tuberkulose in den bayerischen Straf¬ 
anstalten 1863 bis 1902.“ Der Ausgangspunkt für die von Dross¬ 
bach gegebene Statistik ist das Haushaltungsjahr 1863/64. Damals be¬ 
standen an Strafanstalten: 

1. Die Zuchthäuser München, Kaisheim, Plassenburg, Würzburg (für 
Weiber) und Kaiserslautern (mit einer männlichen und weiblichen Abteilung). 

2. Die Gefangenanstalten Laufen, Wasserburg (für Weiber), Amberg, 
Sulzbach (für Weiber), Ebrach, St. Georgen, Lichtenau, Frankenthal (für 
Weiber) und Zweibrücken. 

3. Die Polizeianstalten, nunmehrigen Arbeitshäuser Rebdorf, St. Georgen 
(für Weiber) und Kaiserslautern mit einer männlichen und einer weiblichen 
Abteilung. 

Zu dem Bestände der oben aufgezählten Strafanstalten trat im Jahre 
1867 das Zellengefängnis Nürnberg hinzu, das erste größere Gefängnis in 
Bayern, welches eigens zum Zweck des Strafvollzuges gebaut worden ist 

Ein direkter Vergleich der Erkrankungs- und Todesfälle in den Straf¬ 
anstalten mit denen der freien Bevölkerung ist schwer anzustellen, weil aus 
den Generalberichten der Gefängnisse das Alter der an Tuberkulose gestor¬ 
benen Gefangenen nicht ersichtlich ist Es fehlt ferner in den Gefängnissen 
das kindliche Alter und die erste Jugend. Drossbach bekennt sich zu der 
Ansicht, daß die Infektion mit Tuberkelbazillen so ohne weiteres, sei es auf 
dem Wege der Atmung, des Blutes oder der Nahrungsaufnahme, in einem 
gesunden Körper nicht wirksam werden kann. Es muß vielmehr der Boden 
zur Aufnahme des Infektionsstoffes zuerst vorbereitet sein, oder es muß der 
Boden, der mit dem Infektionsstoff schon vorher einmal fertig geworden ist, 
neuerdings in einer Art verschlechtert worden sein, daß der in ihm ein¬ 
geschlossene und unschädlich gewordene Giftstoff wieder aufleben und ge¬ 
deihen kann. Er hält die Verbreitung der Tuberkulose in den Strafanstalten 
in der Mehrzahl der Fälle für ein Wiederaufleben einer geschlossenen Tuber¬ 
kulose. 

Bezüglich der Ergebnisse seiner Statistik, auf deren Zahlen hier nicht 
näher eingegangen werden soll, kommt er zu folgenden Schlüssen: 

1. Die allgemeine Sterblichkeit in den bayerischen Strafanstalten ist 
niedriger als die der freien Bevölkerung. 

2. Die Sterblichkeit an Tuberkulose hingegen ist in den bayerischen 
Strafanstalten um ein mehrfaches höher als in der freien Bevölkerung; sie 
ist höher als die tatsächlichen statistischen Ergebnisse, wonach 1 / 1 aller 
Sterbefälle auf die Tuberkulose trifft, und sie ist auch höher als die vorläufig 


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G ef ängniehygiene. 


329 


nur vermutungsweise angenommene Zahl des Reichsgesundheitsamtes, wonach 
jeder dritte im Alter von 15 bis 60 Jahren stehende tuberkulöse Mensch der 
Tuberkulose erliegt. 

3. Von den weiblichen Gefangenen sterben verhältnismäßig mehr, sowohl 
überhaupt als insbesondere an Tuberkulose. 

4. Die Schwere des Strafvollzuges, die sich stufenweise in den Arbeits¬ 
häusern, Gefangenanstalten und Zuchthäusern steigert, steht in geradem 
Verhältnis sowohl zur allgemeinen Sterblichkeit als auch zur Sterblichkeit 
an Tuberkulose. 

5. Die Sterblichkeit, sowohl die allgemeine als auch die an Tuberkulose, 
bewegt sich seit Jahren in den bayerischen Strafanstalten in einer absteigen¬ 
den Linie, während die gesundheitlichen Maßnahmen und Einrichtungen in 
dem humanen Geiste des gegenwärtigen Strafvollzuges sich in einer an¬ 
steigenden Linie bewegen. (Aus Blättern für Gefängniskunde, Bd. 41.) 

Dreising: „Gesundheitliche Einrichtungen und Zustände in 
den Arrestzellen kleiner Dörfer.“ Dreising schildert die Erfahrungen, 
welche der Kreisarzt bei Besichtigung der kleinsten Gefängnisse, nämlich 
der Arrestzellen kleiner Dörfer, zu machen Gelegenheit hat Meist ist die 
Arrestzelle ein Verschlag im Spritzenhause, oft in einem Fachwerkbau, mit 
ungetfinchten Wänden, schadhaftem Fußboden, einem minimalen Fensterchen 
und ohne Ofen. Spinneweben und Staub zeigen, daß niemand sich um diesen 
Ort bekümmert. Bisweilen fehlt überhaupt ein Fenster, ebenso fehlen häufig 
Waschgerät und Nachtgeschirr. Die Forderungen, welche Dreising an die 
Einrichtung der Zellen stellt, sind folgende: 

Die Größe ist so zu bemessen, daß die Zelle ungefähr 20 cbm Luftraum 
enthält Das Material der Wände ist so zu wählen, daß dasselbe zugleich 
Sicherheit gegen Ausbrechen und die Möglichkeit gewährt, die Wände gründ¬ 
lich zu reinigen und zu desinfizieren. 

Klinker in Zement mit weißem, leicht zu erneuerndem Kalkanstrich und 
ein fester ritzenloser Fußboden dürften diesen Forderungen genügen. Das 
vergitterte Fenster muß 1 qm groß sein, etwa 2 m über dem Fußboden liegen 
und in seiner oberen Hälfte zum öffnen eingerichtet sein. Die untere be¬ 
stehe aus geriffeltem Glas. Die Einrichtung der Tür soll die in Gefängnissen 
übliche sein; sie muß nach außen aufschlagen und ein kleines Guckloch ent¬ 
halten. In der Zelle ist eine eiserne Bettstelle mit Drahtmatratze wünschens¬ 
wert, doch dürfte eine hölzerne Pritsche mit frisch gestopftem Strohsack und 
einer bis zwei wollenen Decken genügen. Ferner müssen Schemel mit Wasch¬ 
gerät und Handtuch, ein Abtrittskübel mit gut schließendem Deckel und 
eine Wasserkanne vorhanden sein. Die Zelle muß auch einen Ofen ent¬ 
halten, der am zweckmäßigsten auf gemauertem Sockel steht, von außen 
heizbar und durch starkes, von außen umgelegtes Bandeisen gegen Zerstörung 
geschützt sein muß. 

Es wird ferner ein Vorraum gefordert, in dem sich der Wächter auf¬ 
halten soll. Die Kost des Inhaftierten soll nicht wesentlich von der ab¬ 
weichen , welche vom Ministerium des Innern für Polizeigefangene vor¬ 
geschrieben ist. Der Wasserkrug soll zweimal täglich frisch gefüllt werden. 
(Aus Zeitschr. f. Medizinalbearate, 20. Jahrg., Nr. 2.) 


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330 Gefängnishygiene. 

Nolte: „Die Unterbringung geisteskranker Verbrecher und 
wegen Geisteskrankheit Freigesprochener in den außerdeutschen 
Staaten.“ In Ungarn ist diese Frage nur teilweise gelöst. In Budapest 
besteht eiue Anstalt als Adnex des Budapester Landessammelgefängnisses, 
in welchem solche Verbrecher auf genommen werden, welche noch nicht ver¬ 
urteilt sind, deren Beobachtung auf ihren geistigen Zustand aber notwendig 
erscheint. Ferner werden alle während der Verbüßung der Straftat Erkrankten 
hier auf genommen und verbleiben hier entweder bis zur Heilung, oder sie 
werden nach Ablauf der Strafdauer als ungeheilt an eine staatliche Irren¬ 
anstalt abgegeben. 

In der Schweiz liegen die Verhältnisse sehr ungünstig. Die Frage ist 
in den verschiedenen Kantonen verschieden gelöst. In Schwyz gibt z. B. 
der Richter die wegen Geisteskrankheit Freigesprochenen den Angehörigen 
zurück mit der Verpflichtung, sie auf eigene Kosten einer Irrenanstalt zu 
übergeben. Wollen oder können die Angehörigen die Bezahlung nicht leisten, 
so wird der Kranke zu seinem und dem Schaden der Öffentlichkeit entlassen. 

ln Italien wurde 1884 die Errichtung von Spezialasylen beschlossen 
und solche in Montelupe, Apresa und Reggio eröffnet. Necke äußert sich 
über die in der Anstalt Montelupe gewonnenen Resultate sehr lobend; es 
kamen Raufereien, Revolten und Ausbrüche nicht vor. Demgegenüber sagt 
Saporito, vom Irrenhaus hat es nur den Namen, und der Name klingt iro¬ 
nisch gegenüber dem totalen Gefängnisregime. Sämtliche Anstalten nehmen 
nur Männer auf; über die Unterbringung der Frauen sind nirgends Angaben 
gemacht. 

In Belgien gelangen die verbrecherischen Irren in Adnexe der Irren¬ 
anstalten. Die irren Verbrecher verbleiben entweder in dem Gefängnislazarett 
oder sie gelangen in eine Irrenanstalt. Außerdem beBteht die Einrichtung, 
daß das Land in drei Distrikte geteilt ist, die von je einem Irrenarzt viertel¬ 
jährlich zwecks Untersuchung der Gefangenen auf ihren geistigen und gesund¬ 
heitlichen Zustand besucht werden. Diese Einrichtung hat sich gut bewährt. 

ln Frankreich wurden bereits 1856 in verschiedenen Irrenanstalten Ab¬ 
teilungen für geisteskranke Verbrecher und verbrecherische Irre eingerichtet. 
Diese Art der Unterbringung führte infolge der vielen Mißstände dazu, daß 
die Kranken einer zu strengen Disziplin unterworfen wurden. Daraufhin 
wurden 1876 bei zwei Strafanstalten Adnexe für geistig erkrankte Verbrecher 
eingerichtet, in denen die Kranken entweder bis zur Heilung oder bis zur 
Beendigung der Strafzeit blieben. Im Jahre 1888 wurde vom Senat ein 
Irren-Gesetzentwurf angenommen, nach welchem Spezialasyle gebaut werden 
sollten, doch ist dieser nicht zur Ausführung gelangt. 

In England wurde 1863 ein Spezialasyl in Broadmor eröffnet Neben 
diesem dienen zur Aufnahme verbrecherischer Geisteskranker noch die Abtei¬ 
lung für Geisteskranke in der Strafanstalt zu Millbank, ferner die Irren¬ 
stationen der Gefängnisse zu Parkhurst und Woking und daneben die Irren¬ 
anstalten. Die geisteskranken Verbrecher, bei denen Aussicht auf Heilung 
besteht, kommen nach Millbank, diejenigen, bei denen eine Heilung nicht 
zu erwarten ist, nach Parkhurst oder Woking. Die geheilten Verbrecher 
gelangen wieder in die Strafanstalt zurück. Über die Zweckmäßigkeit und 
die Erfolge dieser Einrichtung sind die Urteile verschieden. Während 


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331 


Gefängnishygiene. Fürsorge für Kranke. Krankenpflege. 

Necke glaubt, daß die erzielten Resultate die Errichtung solcher Anstalten 
durchaus rechtfertigen, sprechen sich andere Besucher, wie Blauer, Meger, 
Lenz und Baer, ungünstig über die Anstalten ans. 

ln den Vereinigten Staaten von Nordamerika bestehen in einzelnen 
Staaten große Anstalten, welche alle verbrecherischen Geisteskranken eines 
Staates oder eines Teiles desselben aufnehmen. Bas Matteawan state Hospital 
des Staates Newyork ist in seiner Einrichtung für die anderen mustergültig 
gewesen. Diejenigen irren Verbrecher, welche vor Verbüßung der Strafzeit 
geheilt werden, kommen in die Strafanstalten zurück. Diejenigen, welche 
zur Zeit des Verbrechens gesund waren, aber vor der Aburteilung erkrankten, 
gelangen nach der Heilung zur Aburteilung, im anderen Falle verbleiben sie 
so lange in der Anstalt, bis sie ungefährlich geworden sind. 

In Holland werden alle geistig erkrankten Sträflinge in der Irrenanstalt 
Meudernblick untergebracht. Während des Aufenthaltes in dieser Anstalt 
läuft die Strafzeit weiter. 

In Spanien ist ein Gesetzentwurf zur Errichtung von Spezialasylen ein¬ 
gebracht. 

In Schottland gelangen die irren Verbrecher in die Irrenabteilung des 
Gefängnisses zu Perth, in Norwegen in das neu errichtete Staatsirrenhaus in 
Trondhjem. 

In Petersburg befindet sich im städtischen Krankenhause eine Abteilung, 
in der nichtstrafvollzugsfähige Personen aufgenommen werden. 

Die in allen Ländern gemachten Erfahrungen müssen zu folgenden 
Forderungen führen: Die Strafanstalten werden in bestimmten zeitlichen 
Zwischenräumen von Psychiatern besucht. Die als geisteskrank verdächtigen 
oder sicher als krank erkannten Verbrecher werden in einen Adnex einer 
Strafanstalt abgeführt. Hier verbleiben sie so lange, bis sie entweder als 
geheilt in die Strafanstalt zurückgelangen, wobei die im Adnex zugebrachte 
Zeit in die Strafdauer eingerechnet wird, oder sie kommen nach Ablauf der 
Strafzeit ungeheilt in ein Spezialasyl. Ebendahin gelangen auch die ver¬ 
brecherischen Irren. Sobald eine Gemeingefährlichkeit dieser Insassen nicht 
mehr besteht, werden sie in öffentlichen Irrenanstalten untergebracht; um¬ 
gekehrt müssen diese Anstalten das Recht haben, die in besonders hohem 
Grade gemeingefährlich Geisteskranken an das Asyl abzugeben. (Aus Zeitschr. 
f. Medizinalbeamte 1907, Nr. 7.) PetschulL 


Fürsorge für Kranke. 

Krankenpflege. 

Verwaltungsbericht der Landesversicherungsanstalt Berlin 
für das Rechnungsjahr 1906. 166 Seiten. Insgesamt wurden im Jahre 
1906 4940 Personen in geschlossenen Anstalten auf Kosten der Landes¬ 
versicherung verpflegt. Der ärztlichen Abteilung wurden 27 306 Sachen 
überwiesen, beinahe 900 mehr als im Vorjahre. Die starke Zunahme ist in 
erster Linie auf die Nachuntersuchung von Rentenempfängern zurückzu¬ 
führen. 


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332 


Fürsorge für Kranke. 


In der Lungenheilstätte Beelitz wurden 1713 Personen bei einem Aufent¬ 
halt von durchschnittlich 60 Krankheitstagen behandelt. Unter 1443 aus 
derselben entlassenen Patienten befanden sich nach der Turban sehen Ein¬ 
teilung 84,82 Proz. im ersten, 12,68 Proz. im zweiten und 2,5 Pros, im 
dritten Stadium der Phthise. Ton den Kranken im ersten Stadium hatten 
2 Proz. Tuberkelbazillen im Sputum, im zweiten Stadium 67 Proz., im dritten 
Stadium 100 Proz. Bei 26,7 Proz. der Bazillenträger waren die Bazillen 
beim Austritt der Patienten nicht mehr nachzuweisen. Nur bei 21 der Be¬ 
handelten mußte man Gewichtsabnahmen konstatieren, gegen 32 im Jahre 
1905; bei der überwiegenden Mehrzahl wurden Zunahmen von 5 bis 6 kg, 
zuweilen Bogar von 10 bis 15 kg verzeichnet. Seit 1900 Bind im ganzen 
7230 an Tuberkulose behandelte Patienten aus Beelitz entlassen worden, 
hiervon 3743 als erwerbsfähig. Im Sanatorium Beelitz kamen im Jahre 
1906 insgesamt 2479 Patienten zur Behandlung. Die Mehrzahl bildeten 
Nervenkranke, ferner Gichtiker und chronische Rheumatiker. Aber auch 
die Zahl der Herz- und Magenkranken spielte eine große Rolle. Bei den 
Herzaffektionen handelte es sich, abgesehen von ausgesprochenen Klappen¬ 
fehlern, meist um Myocarditis, Hypertrophie Dilatation und Herzschwäche. 
Unter den Hypertrophien verdienen besonders solche Fälle Beachtung, bei 
welchen man eine eigentliche Ursache vermißt, während die KörperBchwäche 
der Patienten besonders in die Augen springt. Das Leiden ist hier nur 
durch das Mißverhältnis zwischen dem schwachen Körper und der dauernden, 
verhältnismäßig schweren Berufsarbeit, wie sie Schneider, Schuhmacher, 
Graveure und Feinmechaniker leisten müssen, zu erklären. 

ln der Heilstätte für gescblechtskranke Männer in Liehtenb erg wurden 
bei einem Bestände von 55 Patienten 489 neu aufgenommen. Die durch¬ 
schnittliche Aufenthaltsdauer betrug 35 Tage. 302 Patienten wurden als 
geheilt, 59 auf Wunsch gebessert entlassen. 432 waren ledig, 48 verheiratet. 
In 347 Fällen wurden Prostituierte als Ansteckungsquelle bezeichnet. Zum 
erstenmal erkrankt waren 153. 

Georg Meyer (Berlin): Bericht über den I. Internationalen 
Kongreß für das RettungBwesen zu Frankfurt a. M. vom 10. bis 
14. Juni 1908. Berlin 1908. Herausgegeben von der Kongreßleitung. 

Der stattliche Band enthält 65 Einzelvorträge auf 701 Druckseiten. 
Leider verbietet es der Raum, den Inhalt der größtenteils sehr interessanten 
Arbeiten hier zu referieren. Doch seien wenigstens die Überschriften der 
wichtigsten mit der Krankenpflege sich beschäftigenden Aufsätze genannt: 

Rambousek (Prag): „Rettungswesen, Unfälle und erste Hilfe 
im gewerblichen Betriebe und der Unterricht hierüber an ge¬ 
werblichen Lehranstalten.“ S. 36 ff. 

Gerhard Wörner (Leipzig): „Förderung des Rettungsdienstes 
durch die Versicherungsanstalten.“ S. 56 ff. 

W. Sahli (Bern): „Entwickelung und Stand des Samariter- 
vesenB in der Schweiz.“ S. 63 ff. 

Schwab (Berlin - Schöneberg): „Die erste ärztliche Hilfe, ihre 
Forderungen und ihre Begrenzung.“ S. 94ff. 

Paul Frank (Berlin): „DaB Rettungswesen in Großstädten.“ 


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Krankenpflege. 833 

Georg Elsner (Berlin): .„Rettung von Personen aus brennenden 
Gebäuden.“ Mit drei Figuren. 

Karl Briegleb (Worms): „Alkohol und Unfall.“ Referat, erstattet 
im Aufträge des Allgemeinen Deutschen Zentralverbandes gegen den Alko¬ 
holismus. 

Högler (Wien): „Die Unfälle in versicherungspflichtigen Be¬ 
trieben in Österreich.“ 

Mojulieff (Amsterdam): „Die »Maatschappij tot Redding van 
Drenkelingen« in Amsterdam und ihre Bedeutung für das Ret- 
tnngswesen.“ 

Tischer (Chemnitz): „Organisation des Rettungswesens in 
Industriezentren mit besonderer Berücksichtigung der Verhält¬ 
nisse in Chemnitz.“ 

v. Rothenhan: „Über Samariter- und Sanitätsfahrerwesen.“ 

Liebeschütz (Dessau): „Über die Frage der Entschädigung für 
freiwillig geleistete erste Hilfe.“ 

Jäger (Kaiserslautern): „Über Einrichtung ständiger Sanitäts¬ 
wachen in V erbindung mit amtlichen Desinfektionseinrichtungen.“ 

Randone (Rom): „Le Sauvetage et le secours d’urgence dans 
les dösastres des tremblements de terre et des eruptions vol- 
caniques.“ 

Hensgen (Siegen): „Die Beteiligung der Vereinsorganisation 
vom Roten Kreuz, speziell der Sanitätskolonnen am Rettungs¬ 
wesen im westfälischen Industriegebiete. 

Hoffmann (München): „Über den Rettungsdienst innerhalb 
des Bayerischen Landeshilfsvereins vom Roten Kreuz sowie über 
Haftpflicht- und Unfallversicherung.“ 

Hage mann (Herne): „Bergmännisches Rettungs wesen im Lichte 
der Bergpolizeiverordnungen verschiedener Staaten.“ 

S. Osborn (Datohet near Windsor): „Erste Hilfe in London.“ 

Eingehendere Würdigung verdienen jene Arbeiten, welche sich mit der 
Tätigkeit des Arztes bei dem Rettungsdienste beschäftigen. Hier wären zu 
nennen: 

Hormann (Leipzig): „Das Rettungswesen — eine Aufgabe der 
Ärzteschaft.“ 

Ohne das Verdienst Friedrich v. Esmarchs zu Bchmälern, welcher 
im Jahre 1882 die ersten Samariterkurse in Deutschland einrichtete, erscheint 
es doch dringend notwendig, dafür zu sorgen, daß die Laientätigkeit bei 
dem Rettungsdienst nicht über ein unbedingt erforderliches Maß hinaus¬ 
wuchert. Es müssen Kautelen geschaffen werden, unter welche vor allem 
die Bestimmung gehört, daß zum Erteilen von Samariterunterricht einzig 
der Arzt befähigt ist. Nur der Arzt vermag die Verantwortung dafür zu 
übernehmen, daß die von ihm herangebildeten Nothelfer die ihnen gezogenen 
Schranken einhalten und sich der Tragweite und der Grenzen des Samariter¬ 
werkes bewußt bleiben. 

Die zu weit getriebene Laienhilfe konnte erst dann angemessen ein¬ 
geschränkt werden, als die Ärzte selbst die Organisation des Rettungsdienstes 
in die Hand nahmen und so die volle Sicherheit boten, daß jeder Ver- 


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384 


Fürsorge für Kranke. 


unglückte in kürzester Zeit unter die Hände eines approbierten Arztes kam 
und daß diesem Arzte auch alle Mittel zur Verfügung standen, welche die 
moderne Wissenschaft zur Versorgung des Verunglückten und plötzlich Er¬ 
krankten verlangt. So schuf man die Rettungswachen, welche nur dann 
ihrem Zweck völlig genügen, wenn sie einen geregelten ärztlichen Dienst 
haben. Gewiß können für die große Masse der einfachen Wunden auch 
Laien zur Anlegung zweckentsprechender Notverbände angelernt werden. 
Aber nicht für diese Fälle wurden die Rettungswachen eingerichtet, sondern 
vielmehr für jene furchtbaren Verletzungen, wie sie vor allem die Maschinen 
der gewerblichen Anlagen, sowie die Fahr- und Transportgeräte auf den 
Straßen und die Arbeit auf den Bauten verursachen. Hier darf nicht erst 
Laienhilfe eingeschoben werden; hier muß der Arzt sofort neben dem Ver¬ 
letzten stehen. Nur er ist in der Lage, die Tragweite der Verwundung zu 
beurteilen; er allein ist imstande, alle Vorkehrungen zu treffen, welche oft 
genug bereits bei frischen Verletzungen die Chancen der späteren Erwerbs¬ 
fähigkeit berücksichtigen. Das Rettungswesen muß aber noch einen Schritt 
weiter gehen, es muß auch dem Transport des Verunglückten oder schwer 
Erkrankten von der Unfallstelle oder der Wohnung in das Krankenhaus 
mit umgreifen. Das Krankentransportwesen ist in großzügiger Weise 
unter Verwendung reichlicher Geldmittel zu organisieren. Es muß ferner, 
wenn Gefahr und Zeitverlust vermieden werden soll, in eine einzige Zentrale 
vereinigt werden, und endlich hat, wenn irgend möglich, der Arzt einen 
jeden derartigen Transport zu überwachen. 

Hör mann faßt seine Ausführungen zu folgenden beiden Leitsätzen 
zusammen: 

1. Es ist dahin zu streben, daß in allen Großstädten Rettungswachen 
errichtet, daß diese unter ärztliche Leitung gestellt und daß ein geregelter 
ärztlicher Wachtdienst für sie geschaffen wird. 

2. Das Krankentransportwesen jeder Großstadt ist so zu organisieren, 
daß die Krankenhäuser völlig von ihm entlastet werden, daß es in einer 
einzigen Zentrale vereinigt wird, die der am Orte tätigen Rettungsgesell¬ 
schaft anzugliedern ist, und daß jeder Krankentransport von einem Arzte 
geleitet wird. 

0. Salomon (Berlin): „Die Durchführung der Zusammenarbeit 
der für das öffentliche Rettungswesen der Großstädte wichtigsten 
Faktoren (Ärztestand, Krankenhäuser, Krankenbeförderung).“ 

In diesem Vortrage wird vor allem die Organisation und die Tätigkeit 
der von Ernst v. Bergmann im Jahre 1897 ins Leben gerufenen Berliner 
Rettungsgesellschaft erörtert. Ganz besonderen Wert legt man darauf, daß 
möglichst viele Ärzte zum Rettungsdienst hinzugezogen werden. Denn durch 
die Beteiligung einer möglichst großen Zahl von Ärzten am Rettungswerk 
wird die Fortbildung derselben in der ersten ärztlichen Hilfe gesichert. Die 
bei dem Rettungsdienst beteiligten Ärzte bilden andererseits eine sehr er¬ 
wünschte, stets bereite Hilfstruppe bei der Bekämpfung von Seuchen und 
Massenerkrankungen. 

In fast elfjähriger Tätigkeit hat sich das Prinzip der Beteiligung 
sämtlicher dienstbereiter Ärzte glänzend bewährt. Der Vortragende selbst 
kann es als Leiter der ersten Berliner Rettungswache bestätigen, daß die 


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Krankenpflege. 335 

Ärzte heute noch mit demselben Opfermut und gleicher Pflichttreue diesen 
Dienst versehen, wo sie auch noch ein angemessenes Honorar erhalten, wie 
in den neunziger Jahren, als es galt, zum erstenmal der Welt zu beweisen, 
daß es nicht bloße Theorie war, was Ernst v. Bergmann vom Rettungs¬ 
wesen verlangte. Dies hat denn auch den mächtigen Erfolg gezeitigt, daß 
die Kommune Berlin in weiser Fürsorge für ihre Mitbürger bei der Neu¬ 
regelung des Rettungswesens sich des gesamten Ärztestandes versichert hat. 

Die höchste Anerkennung aber, welche diese Schöpfung finden' konnte, 
war ihre Übernahme durch die städtischen Behörden im Jahre 1907. Nach¬ 
dem zehn Jahre lang die Zentrale im Langenbeckhause zu Berlin sämtliche 
Fäden des öffentlichen Rettungsdienstes in sich vereinigt hatte, ging sie 
ganz unverändert auf die Stadt über und wird im Rathause verwaltet. 
Hiermit ist die Grundlage für den Ausbau eines städtischen Rettungswesens 
ohne weiteres geschaffen; sagt doch Ernst v. Bergmann: „Jedes Werk 
der Rettung bleibt ein halbes oder ganz verlorenes, wenn es nicht den An¬ 
schluß an die Hospitäler sucht. Dazu ist zweierlei nötig: einmal das Be¬ 
stehen einer Zentrale für das Rettungswesen, einer dauernden Stelle für 
Auskunft und Verbindung zwischen den Einrichtungen für eine erste und 
dann für eine definitive Hilfe und die lebhafteste persönliche Beziehung 
zwischen den die erste Hilfe leistenden Ärzten und den Leitern der Hospi¬ 
täler.“ 

Zum Schluß stellt Salomon folgende beiden Thesen auf: 

1. In Großstädten ist für die Organisation des Rettungswesens, eines 
wichtigen Zweiges der öffentlichen Gesundheitspflege, ein Zusammenwirken 
der Krankenhäuser, der Ärzteschaft und der Einrichtungen für den Kranken¬ 
transport anzustreben. 

Diese drei Faktoren sind durch ein zentralisiertes, zweckentsprechendes 
Meldewesen zu vereinigen. 

2. Um diesen wichtigen Zweig der öffentlichen Gesundheitspflege in 
den Großstädten der unsicheren Basis privater Wohltätigkeit möglichst zu 
entziehen, ist die Übernahme bzw. ausreichende finanzielle Sicherstellung 
des Rettungswesens durch die Kommunen erforderlich. 

Aus dem Programm des I. Internationalen Kongresses für Rettungs¬ 
wesen, welcher vom 10. bis 14. Juni 1908 zu Frankfurt a. M. tagte, wäre 
noch die Art der Gruppierung sowie die Gegenstände, welche in den einzelnen 
Abteilungen verhandelt wurden, von Interesse. Es fanden statt: 

I. Gemeinschaftliche Gruppen Sitzungen. II. Abteilungssitzungen. — 
Abt 1: Erste ärztliche Hilfe bei Unglücksfällen. Abt. 2: Ausbildung von 
Nichtärzten in der Ersten Hilfe: Samariterunterricht (s. folgenden Abschnitt: 
Ausbildung des Pflegepersonals). Abt. 3: Rettungswesen in den Städten. 
Abt 4: Rettungswesen auf dem Lande, in Industriezentren und in kleineren 
kommunalen Verbänden. Abt. 5: Rettungswesen im Landverkehr (Eisen¬ 
bahn-, Automobilverkehr usw.). Abt 6: Rettungswesen auf See- und Küsten- 
gewässern. Abt 7: Rettungswesen in Bergwerken und verwandten Betrieben. 
Abt 8: Rettungswesen bei den Feuerwehren. Abt 9: Rettungswesen im 
Gebirge. Abt. 10: Rettungswesen im Sport. 

Georg Meyer (Berlin): „Die Entwickelung des Rettungswesens 
im Deutschen Reiche.“ Festschrift, dargeboten den Teilnehmern am 


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336 


Fürsorge für Kranke. 


I. Internationalen Kongreß für Rettungswesen in Frankfurt a. M., Pfingsten 
1908, vom Organisationskomitee des Kongresses. 

Die 108 Seiten umfassende Schrift bezweckt, wie Verfasser in seinem 
Vorworte ausführt, den Teilnehmern des Kongresses einen Überblick über 
die Entwickelung der Einrichtungen des Rettungswesens für erste Hilfe im 
Deutschen Reiche zu geben, um die Riesenfortschritte zu zeigen von dem, 
was früher war und jetzt ist. „Möge sie den innigen Zusammenhang zwi¬ 
schen allen Gebieten des Rettungswesens dartun, wo dasselbe auch in Er¬ 
scheinung tritt, als: RettungBwehr, Seuchenwehr, Feuerwehr, Grubenwehr, 
Wasserwehr. Möge die Schrift auch dazu dienen, Verbesserungen anzuregen 
sowohl in unserem eigenen Vaterlande, als in den übrigen Ländern, wo 
Vorkehrungen für die erste Hilfe vorhanden sind oder noch nicht in ge¬ 
nügender Weise bestehen. Nur durch Vergleich aller Einrichtungen an 
verschiedenen Stellen kann unter Berücksichtigung der örtlichen Eigentüm¬ 
lichkeiten und Verschiedenheiten Nützliches und Zweckentsprechendes ge¬ 
schaffen werden für die erste Hilfe bei Verunglückten und Leidenden." 

Im Text finden wir zunächst eine kurzgefaßte, aber durchaus erschöpfende 
Geschichte des Rettungswesens von den Hospizen der Johanniter an über 
die Pastoral- und Volksmedizin des Mittelalters und der Reformationszeit 
bis zu der Neubelebung des Rettungswesens in Deutschland durch Esmarchs 
Organisation der ersten Hilfe im Kriege, die Einführung und Organisation 
des Samariterunterrichts in unserem Vaterlande. 

Es folgt sodann eine lange Reihe von Aufsätzen, welche den Rettungs¬ 
dienst nach den Grundsätzen der modernen Wissenschaft und Technik be¬ 
handeln, geordnet nach genau dem gleichen Schema, wie es in dem Programm 
des Kongresses enthalten ist: „Erste ärztliche Hilf e“ usw. Allgemeineres 
Interesse auch für das gebildete Laienpublikum dürften jene Arbeiten be¬ 
sitzen, welche sich unter Abschnitt 9 mit dem „Rettungswesen im Gebirge“ 
beschäftigen. Wir finden hier abgehandelt: „Rettungswesen des Deutsch¬ 
österreichischen Alpenvereins“, „Meldewesen bei Unglücksfällen“, „Rettungs¬ 
stellen in den Schutzhütten“, „Gebirgsführer als Retter“, „Unfallverhütung 
im Gebirge“, „Untersuchungen der Wirkungen des Hochgebirges auf den 
Menschen“. Nicht weniger aktuell ist der Abschnitt: Rettungswesen und 
Sport. Hier gelangen zur Besprechung: „Unfälle bei der Luftschiffahrt“, 
„Hygiene des Sports“, „Unterricht von Mitgliedern der Sportvereine in der 
ersten Hilfe“, „Deutscher Radfahrer-Samariterverband“, „Unterstützung der 
Wasserwehren bei Hochwassern durch ausgebildete Mitglieder der Wasser¬ 
vereine“, „Hilfsgerätschaften für Unfälle beim Sport“, „Beförderung der 
beim Sport Verunglückten“. 

Der Ausstellungskatalog der mit dem Kongreß verbundenen Aus¬ 
stellung enthält neben der Aufzählung und Beschreibung aller Apparate, 
Instrumente und Gerätschaften, welche der ersten Hilfe bei Unfällen und 
dem Transport Erkrankter und Verletzter dienen, einen Auszug der dort 
ausgestellten statistisch - graphischen Tafeln über Arbeiterversicherung, 
Krankenversicherung, Unfallhäufigkeit bei den verschiedenen Geschlechtern 
nach ihrer Schwere und ihren Folgen usw. 

Der VI. Bericht des Deutschen Samariterbundes für die Zeit von 
1905 bis 1908 — Leipzig, enthält folgende Aufsätze: „Zur Erinnerung an 


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Krankenpflege. 


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Friedrich v. Esmarch“ (Tod am 8. Februar 1908). „Allgemeiner Bericht 
über die Tätigkeit des Deutschen Samariterbundes.“ „Der VII. Deutsche 
Samaritertag zu Kiel.“ „Die künftigen Aufgaben des Deutschen Samariter¬ 
bundeg und das moderne Rettungswesen.“ „Allgemeine Grundsätze über 
den Samariterunterricht.“ „Bericht über die Abgabe von Rettungswagen, 
Trägern und sonstigen Geräten für die erste Hilfe.“ „Der Deutsche Sama¬ 
riterbund und die Berufsgenossenschaft“ „Der I. Internationale Kongreß 
für Rettungswesen in Frankfurt a. M.“ 

Ohland (Hamburg): „Entwickelung und Organisation des 
Rettungswesens in Hamburg.“ Vortrag, gehalten im amtlichen Auf¬ 
träge auf dem I. Internationalen Kongreß für Rettungswesen in Frankfurt 
am Main 1908. Der Vortragende schildert zuerst die Anfänge des Rettungs¬ 
wesens. Die ersten diesbezüglichen Einrichtungen beschränkten sich auf 
Rettung aus Wassers-, vor allem Seenot Sie wurden von Gesellschaften 
betrieben, deren erste im Jahre 1767 in Amsterdam begründet wurde. Nach 
diesem Muster rief schon im folgenden Jahre die Patriotische Gesellschaft 
in Hamburg die „Anstalten für im Wasser verunglückte Menschen“ ins 
Leben, die später unter dem Namen „Rettungsanstalt der Patriotischen Ge¬ 
sellschaft“ bis Ende 1899 betrieben wurde. Mit dem 1. Januar 1900 aber 
übernahm sie die Hamburger Polizeibehörde, nachdem die übrigen das Ret¬ 
tungswesen betreffenden Anstalten schon früher in deren Verwaltung über¬ 
gegangen waren. Redner beschreibt dann die behördliche Organisation des 
Rettungswesens zu Hamburg, wie sie jetzt besteht, die Polizeiwachen und 
Unfallstationen, die Mitwirkung der Ärzteschaft am Rettungsdienst, die 
Organisation der ärztlichen Hilfe zur Nachtzeit, die Mitwirkung der Kranken¬ 
häuser, das Not- und Unfallkrankenhaus der Polizeibehörde und die Unfall¬ 
station im Hafen, die Nebenbehörde des Polizeikrankenhauses, den Rettungs¬ 
dienst in den öffentlichen Flußbadeanstalten, den Krankenhauskurdienst, 
Transportkolonne, Transportmittel, die Bespannung der Krankenwagen, 
Unterbringung von Transportkolonne und Transportmitteln, die Form der 
Wagen und die Einlagerungsvorrichtung der Tragen, die Tragen selbst, den 
Krankentransport zu Wasser auf dem Transportboot, die Räderbahren, die 
Art der Beförderung ansteckender Kranker, das Desinfektionswesen und 
endlich die Fürsorge für Kostkinder. 

Das Schwedische Komitee des I. Internationalen Kongresses für Rettungs¬ 
wesen hat eine Spezialsohrift herausgegeben: „Das Rettungswesen in 
Schweden“, eine kurze Übersicht. Das reichhaltige Material ist auf 14 Ka¬ 
pitel in folgender Art verteilt: „Ausbildung von Niohtärzten für die erste 
Hilfe bei plötzlichen Unglücksfällen“ (s. den Abschnitt: Ausbildung des 
Pflegepersonals), „Das Unfallentschädigungsgesetz“, „Die Arbeiterversiohe- 
rungsfonds“, „Die Arbeitergesetze“, „Der Verein für Arbeiterwohlfahrt“, 
„Der Nationalverein gegen die Tuberkulose“, „Krankentransport der schwe¬ 
dischen Eisenbahnen“, „Die Rettung Schiffbrüchiger“, „Unglücksfälle in 
schwedischen Bergwerken im Jahre 1906“, „Das Rettungswesen der schwedi¬ 
schen Steinkohlengruben“, „Das Rettungswesen der Stockholmer Feuerwehr“, 
„Rettungswesen und Sport“, „Über Puls- und Blutdruckuntersuchungen und 
das Auftreten von Eiweiß im Urin bei Fußläufern“. 

Vierteljahrsschrift för Geeundheitepflege, 1903. Supplement. 22 


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338 


Fürsorge für Kranke. 


Ausbildung des Pflegepersonals. 

Hannemann: „Der Unterricht in der Krankenernährung für 
Ärzte im Lette verein.“ Zeitschr. f. physikal. u. diätetische Therapie 
1907, S. 96. 

Für die Schülerinnen des Haushaltungsseminars im Letteverein wird 
von einem Arzt ein theoretischer Unterricht in der Kranken- und Kinder¬ 
ernährung erteilt, welcher mit den von der Vorsteherin des Instituts ge¬ 
leiteten Übungen Hand in Hand geht. Für die praktischen Kochkurse, 
welche den Ärzten gegeben werden, hat sich bisher eine Elinteilung nach 
folgenden Grundsätzen bewährt. Die Nahrung wird nach ihren wesentlichen 
chemischen Bestandteilen und nach Art ihrer Zubereitung eingeteilt, weil 
ihre Verdaulichkeit und Ausnutzung wesentlich auf jenen beiden Faktoren 
beruht. Außerdem werden Speisen, die in ihrer Wirkung auf einzelne Or¬ 
gane übereinstimmen oder sich zur Darreichung bei bestimmten Krankheiten 
eignen, gemeinsam besprochen. (Ref. im 18. Jahrg. der Hygien. Rundschau, 
S. 224 u. 225.) 

Ernst Joseph: „Samariterausbildung und freiwillige Kran¬ 
kenpflege.“ Bericht über den I. Internationalen Kongreß für das Rettungs¬ 
wesen, S. 195 ff. 

Der Samariter muß alles lernen, was sich auf die erste Hilfe bis zum 
Eintreffen des Arztes bezieht. Er muß z. B. das Anlegen eines Notverbandes 
bei Verwundeten, Stillung einer Blutung, die erste Hilfe bei Unfällen, wie 
Ertrinken, Ersticken, Erfrieren, Hitzschlag, bei Ohnmacht oder Bewußtlosig¬ 
keit, ausführen können; endlich soll er den Transport Verunglückter und 
Schwerkranker leiten. Alles das muß auch der für die Kriegskrankenpflege 
ausgebildete freiwillige Helfer oder die Helferin wissen. Diese haben aber noch 
mehr zu lernen: sie sollen sich Kenntnisse auf allen Gebieten der Kranken¬ 
pflege erwerben. Dazu gehören gewisse Vorkenntnisse über den Bau des 
menschlichen Körpers und seine Verrichtungen, ferner die Kenntnis der 
wichtigsten Krankheiten und deren Hilfe, Fertigkeiten im Krankenpflege¬ 
dienst, insbesondere in der Wartung der Patienten, der Ausführung ärzt¬ 
licher Verordnungen und der Assistenz bei Operationen. 

Der Samariter erhält seine Ausbildung in theoretischen Kursen, ver¬ 
bunden mit praktischen Übungen. Der freiwillige Helfer und die Helferin 
empfangen zunächst eine theoretische Ausbildung durch Vorträge und 
Übungen, dann müssen sie einen mindestens vier Wochen dauernden prakti¬ 
schen Kursus in einem Krankenhause nehmen und denselben alle zwei Jahre 
wiederholen, falls sie die Berechtigung behalten wollen, im Kriegsfälle als 
freiwillige Helfer oder Helferinnen zu dienen. Die Befähigung zur frei¬ 
willigen Hilfsschwester wird erst durch eine noch weit gründlichere Aus¬ 
bildung und vor allem erst durch eine mehrmonatige Tätigkeit als Schwester 
in einem Krankenhause erworben. 

Samariterausbildung empfangen Angestellte der Polizei, der Feuerwehr, 
der Eisenbahnen, Kleinbahnen, großer industrieller Unternehmungen usw. 
Sicherlich würde mancher, welcher einen Samariterkursus durchgemacht hat, 
gern sich praktisch im Krankenhaus und im Operationssaal weiterbilden, 
aber es fehlt ihm hierzu an Gelegenheit. Die Organisationen des Roten 


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Ausbildung des Pflegepersonals. 

Kreuzes, welche die freiwillige Krankenpflege in die Hand genommen haben, 
müssen den Versuch machen, alle die Personen, welche teilweise ausgebildet 
sind, durch Vervollkommnung ihrer Kenntnisse und Fertigkeiten für die frei¬ 
willige Kriegskrankenpflege, insbesondere als Helfer und Helferinnen tauglich 
zu machen. Das würde man am besten dadurch erreichen, daß die Organi¬ 
sationen des Roten Kreuzes allenthalben in enge Fühlung mit den Samariter¬ 
schulen der staatlichen, kommunalen, Verkehrs- und industriellen Ein¬ 
richtungen träten. Am besten wäre es, Bie leiten selbst den gesamten 
Samariterunterricht. Damit würde sich auf einfache Weise das freiwillige 
Krankenpflegepersonal ergänzen und so zahlreich machen lassen, daß es im 
Kriegsfälle den weitgehendsten Anforderungen genügt. Aber auch im Frieden 
wäre der Menschheit durch die gründliche praktische Ausbildung der Sama¬ 
riter genützt. Die Befürchtung, daß dem Kurpfuschertum auf diese Art 
neue Kräfte zugeführt werden, gilt längst nicht mehr als zu Recht bestehend. 

Charles Nyssen (Brüssel): „Description des cours institues en 
Tue de former des ambulanciers et de fournir l’instruction aux 
non-professionels pour les rendre aptes ä donner les premiers 
secours.“ 

Das Rote Kreuz in Belgien kann sowohl in Friedenszeiten (bei Kata¬ 
strophen usw.) als während eines Krieges in Tätigkeit treten. Zu diesem 
Bebufe bildet es in jeder Gemeinde des Landes, wo es eine Krankenanstalt 
gibt, Komitees, durch welche sich freiwillig meldende Personen beiderlei 
Geschlechts die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten in der ersten Hilfe 
erlernen können. Dies geschieht, indem die betreffenden Krankenhausärzte 
jede Woche einmal einen theoretischen und einen praktischen Kursus von 
je lV 9 Stunden Dauer abhalten. Nach einem vorbereitenden Kursus in Ana¬ 
tomie und Physiologie werden die Schüler in der Verwendung des Verband¬ 
zeuges praktisch unterwiesen, sodann über Asepsis, Antisepsis und Hygiene 
belehrt. Ebenso üben sie das Aufheben und Tragen Verwundeter und 
Schwerkranker. Der Unterricht dauert sieben Monate und schließt mit einer 
Prüfung ab. Der Prüfungsausschuß besteht aus drei Militärärzten, welche 
vom Kriegsministerium ernannt werden, und zwei Zivilärzten. Diejenigen, 
welche bestanden haben, erhalten das Diplom als „Krankenträger des Roten 
Kreuzes“, nebst einem Ausweis, welcher ihnen gestattet, überall zu wirken, 
wo Hilfe gebraucht wird. (Ebenda, S. 285 ff.) 

Siegmund Merkel (Nürnberg): „Über Ausbildung der frei¬ 
willigen Sanitätskolonnen in bezug auf den Rettungsdienst.“ 

Bayern ist das einzige Land, in welchem der Rettungsdienst ganz allein 
und ausschließlich in den Händen einer einzigen Korporation, und zwar der 
freiwilligen Sanitätskolonnen, liegt. Eb hat dies den großen Vorzug, daß die 
Organe, welche die Ausführung übernommen haben, völlig gleiche Ausbildung 
erhalten. Das System hat außerdem den Vorteil, daß die ausgebildeten 
Leute gleichmäßig an verschiedenen Plätzen zur Hilfeleistung herangezogen 
und wechselseitig verwertet werden können. 

Der Unterricht wird einmal wöchentlich eine Stunde lang erteilt, am 
besten Sonntag vormittags. Acht Tage darauf wird das Durchgenommene 
kurz wiederholt und hierbei möglichst viel abgefragt. Das Gesamtgebiet 

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Fürsorge für Kranke. 


zerlegt man in einzelne Gruppen von Vorträgen, von welchen jede Gruppe 
einen Gegenstand, z. B. Anatomie, erste Hilfe bei Unfällen, Heben und 
Lagern von Verletzten, Verbandlehre usw., umgreift. Ein Arzt übernimmt 
dann ein bis zwei Gruppen dieser Vorträge und wird nach acht bis zehn 
Wochen von einem anderen abgelöst. Es folgt sodann eine ausführliche 
Darlegung der in den einzelnen Gruppen abzuhandelnden Gegenstände, 
nämlich: Körperlehre, Nothilfe, Verbandsübungen, Tragbahrenübungen, Des- 
infektionslehre nebst ungefähren Angaben der auf die einzelnen Unterrichts¬ 
gegenstände zu verwendenden Zeit» Im ganzen dürften bei einem Unterricht 
von einer Stunde pro Woche etwa neun Monate erforderlich sein, um eine 
Sanitätskolonne zum Rettungsdienst brauchbar heranzubilden. (Ebenda, 
S. 303.) 

George Meyer (Berlin): „Die Entwickelung des Rettungs¬ 
wesens im Deutschen Reiche.“ Der Abschnitt „Samariterwesen“ 
enthält: 1. Samariterunterricht. 2. Personen, die Unterricht in der ersten 
Hilfe erhalten sollen. 3. Leitfäden für Samariterunterricht. 4. Lehr- und 
Verbandkästen. 5. Verbandpäckchen. 6. Ausrüstung der Samariter. 
(Ebenda, S. 49.) 

„Ausbildung von Nichtärzten für die erste Hilfe bei plötz¬ 
lichen Unglücksfällen“ aus „Das Rettungswesen in Schweden“ (s. oben) 
gibt eine genaue Beschreibung des Samariterwesens und des Samariterunter¬ 
richts in diesem Lande. Die Unterweisung in der ersten Hilfeleistung bei 
Unglücksfällen begann in Schweden im Jahre 1883, als das schwedische Rote 
Kreuz auf Anregung des Generalarztes Dr. Edholm einen Samariterverein 
mit der Aufgabe bildete, Laien in der ersten Hilfe bei Unglücksfällen und 
plötzlichen Erkrankungen vor dem Erscheinen des Arztes zu unterrichten. 
Die Sache fand in allen bedeutenderen Städten schnell Anklang, und schon 
im ersten Jahre nach Gründung des Vereins wurden 1500 Samariter aus¬ 
gebildet. Als Lehrer wirken meist Militärärzte, welche kurze, aus gemein¬ 
verständlichen Vorträgen und praktischen Übungen bestehende Kurse ab¬ 
halten. Diese sogenannten Samariterkurse befolgen seit 25 Jahren ungefähr 
den gleichen Plan, dessen Hauptzüge folgende sind: Jeder Kursus besteht 
aus fünf Lektionen, welche gewöhnlich zweimal wöchentlich in den Abend¬ 
stunden nach Schluß des Tagewerks erteilt werden. Jede Lektion dauert 
zwei Stunden, der ganze Kursus also zehn Stunden. Derselbe ist haupt¬ 
sächlich für solche Personen bestimmt, welche einem Berufe angehören, der 
von häufigen Unfällen bedroht erscheint. Doch werden auch andere zu¬ 
gelassen. Jeder Kursus kostet 4 Kronen. Das Hauptgewicht wird auf die 
praktische Ausbildung gelegt. An den Vortrag schließen sich Übungen, 
bei welchen alle Kursteilnehmer die Verbände anlegen und jene Handgriffe 
ausführen müssen, welche ihnen der Lehrer vorher zeigt. 

Der Unterricht zerfällt in folgende Abschnitte: 1. Lektion: Aufgabe 
und Verantwortlichkeit des Samariters, sowie Beschreibung der wichtigsten 
Organe des Menschen und ihrer Verrichtungen. 2. Lektion: Wunden, 
Blutungen, Verbandmittel und Anlegen von Wundverbänden. 3. Lektion: 
Quetschungen, Knochenbrüche, Gelenkverletzungen, Anlage von Stützver¬ 
bänden. 4. Lektion: Brand- und Frostwunden, Erstickung, Ertrinken, 


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Ausbildung des Pflegepersonals. Krankenhäuser. 341 

künstliche Atmung. 5. Lektion: Bewußtlosigkeit, Vergiftung, Kranken¬ 
transport. 

Beim Unterricht wird stets die Notwendigkeit betont, bei allen Unfällen 
so schnell wie möglich den Arzt zu holen, sowie auch die Pflicht, diese vor¬ 
läufige erste Hilfe unentgeltlich zu leisten. 

Krankenhäuser. 

Annales mädicales et bulletin de l’höpital d’enfance Hamidie. 
8 annee. Constantinople, Imprimerie Osmanie, 1907. 

Das im 24. Bande dieses Berichtes, S. 407, erwähnte türkische Kinder¬ 
hospital „Hamidie“ besteht aus 15 Pavillons mit 200 Betten, von welohen 
108 für Kinder, 40 für Frauen und 52 für Männer bestimmt sind. Seit 
der Begründung des Krankenhauses sind 12 575 Kranke dort behandelt 
worden, von denen 12 136 geheilt wurden und 324, d. h. etwa 3 Proz., starben. 
Die Poliklinik wies einen Besuch von insgesamt 109741 Kindern und Frauen 
auf, unter ersteren 16 722 Knaben und 18 914 Mädchen. Wegen Diphtherie 
kamen 369 zur Behandlung mit Serum, von denen 26 starben. 

Ein neu errichteter Frauenpavillon von 596 qm Fläche besteht aus 
zwei Teilen, einem eingeschossigen und einem solchen mit zwei Stockwerken. 
Er enthält 36 Betten, einen Operationssaal, zwei Baderäume usw. Ein Saal 
ist für Kreißende, ein anderer für Wöchnerinnen bestimmt. Neuerdings 
hat man damit begonnen, türkische Frauen, welche im Krankenhause 
untergebracht, beköstigt und gekleidet werden, an Stelle von Ausländerinnen 
zu Krankenwärterdiensten heranzubilden. Ihre Anleitung geschieht seitens 
der Ärzte rein praktisch. Der Versuch hat Erfolg gehabt, würde aber wohl 
noch bessere Früchte zeitigen, wenn die Frauen eine regelrechte Lehrzeit 
mit daran sich schließender Prüfung durchmachen würden. 

Das mit Abbildungen und Tabellen reich ausgestattete Werk ist größten¬ 
teils in türkischer Sprache geschrieben. Der französische Text, welchem ein 
statistischer Teil (49 Seiten) beigegeben ist, enthält auf 115 Seiten haupt¬ 
sächlich die Schilderung der Einrichtung und des Betriebes des Hospitals, 
sowie eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten. (Ref. im 18. Jahrgang der 
Hygien. Rundschau, S. 1356.) 

7 annual report of the New York State Hospital of the care 
of crippled and deformed children for the year ending September 
30, 1907. 46 pag. 

Seit Eröffnung des Krüppelheims im Dezember 1900 fanden 144 Kinder 
dort Aufnahme, von denen 98 zur Entlassung kamen, und zwar 32 als’ge¬ 
heilt, 57 als gebessert. Die mittlere Aufenthaltsdauer der entlassenen und 
noch in Behandlung stehenden Kinder betrug 1 Jahr, 5 Monate, 22 Tage. 

Im Berichtsjahre wurden insgesamt 68 Kinder behandelt; 10 von ihnen 
wurden geheilt, 9 wesentlich gebessert entlassen, 1 starb und hei 2 wurde 
die Behandlung abgebrochen. 39 oder etwa 58 Proz. litten an Gelenktuber¬ 
kulose, meist an Coxitis tuberculosa. In elf Fällen wurde operiert, davon 
neunmal mit gutem Heilerfolg. 

Von den am Schlüsse des Berichtsjahres in der Anstalt verbleibenden 
46 Kindern litten 19 an Coxitis, 7 an Pottscher Kyphose, je 5 an erworbenem 
Klumpfuß und an Kniegelenksaffektionen. (Ref. ebenda, S. 1356.) 


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342 


Fürsorge für Kranke. 


Jahresbericht über die allgemeine Poliklinik des Kantons 
Basel-Stadt im Jahre 1 906. 68 Seiten. Basel 1907. 

Im Jahre 1906 betrug die Gesamtzahl der Leistungen aller Ambulatorien 
108 509 gegen 87 343 im Jahre 1905, welche 27 214 Patienten (gegen 
25 37S Patienten im Vorjahre) erteilt worden. Davon kamen auf die All¬ 
gemeine Poliklinik 3569 männliche und 2142 weibliche, zusammen also 
5711 Kranke mit 15301 Konsultationen. Am häufigsten, nämlich 1436, 
waren sie im Mai. 918 Patienten waren Ausländer, 450 Schüler, 272 Hand¬ 
langer, 233 Schreiner, 213 Maurer, 455 Hausfrauen, 452 Schülerinnen, 
381 Fabrikarbeiterinnen. An Krankheiten kamen zur Behandlung: 867 
Affektionen der Respirationsorgane, 735 Krankheiten des Digestionstraktus, 
473 Affektionen der Nerven und Sinnesorgane, 497 Fälle von Hautleiden, 
491 Fälle von Tuberkulose, 2273 Verletzungen und chirurgische Leiden, 
darunter 1241 Zahnextraktionen. 

In den acht Bezirken der Allgemeinen Poliklinik wurden 47 754 Kon¬ 
sultationen erteilt und 24,329 Besuche im Hause der Patienten ausgeführt. 
Die Zahl der behandelten Kranken betrug 71 333. Auf Tuberkulose kamen 
760 Fälle, auf Scharlach 104, Masern 524, Diphtherie 110, Influenza 175, 
Keuchhusten 189, allgemeine Ernährungsstörungen und Vergiftungen 1426, 
Verletzungen und chirurgische Leiden 5013, Krankheiten der Respirations- 
organe 3175, der Verdauungsorgane 3097, Kreislaufsstörungen 891, Affek¬ 
tionen der Harn- und Geschlechtsorgane 1253, des Nervensystems und der 
Sinnesorgane 1133, der Haut 1457, der Knochen, Muskeln und Gelenke 969. 
(Ref. ebenda, S. 609.) 

Grotjahn: „Krankenhauswesen und Heilstättenbewegung im 
Lichte der sozialen Hygiene.“ 406 Seiten. Leipzig 1908. 

In der Entwickelung des Hospitalwesens, wie es seit Beginn der zweiten 
Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Deutschland einsetzte und seitdem un¬ 
aufhaltsam fortgeschritten ist, sehen wir zwei Richtungen vorherrschen: 
Erstlich das Bestreben, die an akuten heilbaren Krankheiten oder Unfall¬ 
verletzungen leidenden Individuen den Hospitälern zu überweisen, zweitens 
die Unterbringung der chronischem, unheilbarem Siechtum Verfallenen in 
Asylen. Dazwischen schiebt sich die Fürsorgebehandlung, welche bei allen 
denen in Frage kommt, bei denen erst eine längere Beobachtung festzustellen 
vermag, welcher Kategorie sie zu überweisen sind. Nachdem Verfasser im 
ersten Teile die Gründe für die immer mehr sich einbürgernde Anstalts¬ 
behandlung untersucht hat, bespricht er im zweiten, dem Hauptteil, die ein¬ 
zelnen Anstaltstypen mit Einschluß der Lepra- und Krüppelheime, der 
Blindenanstalten und Invalidenheime, um im letzten Abschnitt, welcher sich mit 
den Entwickelungstendenzen beschäftigt, Ausblicke in die Zukunft zu tun. 

Eine möglichst weitgehende Unterbringung der Patienten in Anstalten 
bei jeder ernsteren Erkrankung oder Verletzung liegt nicht allein im In¬ 
teresse der Kranken, sondern auch der Allgemeinheit. In Genesungsheimen, 
deren Errichtung auf jede Art zu fördern ist, sollten die Insassen im eigenen 
wie auch im Interesse der Ökonomie der Anstalt mit leichten Arbeiten be¬ 
schäftigt werden. Den Walderholungsstätten erkennt Grotjahn nur so 
weit, als sie für Kinder bestimmt sind, besondere Bedeutung zu. Gegenüber 


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Krankenhäuser. 


343 


den Lungenheilstätten verhält er sich im allgemeinen ablehnend. Sein Stand¬ 
punkt in dieser Frage findet seine Erklärung in der schroffen Scheidung 
zwischen Heil- und Heimstätten. Wenn man berücksichtigt, daß in den 
Lungenheilstätten nicht nur Kranke im ersten Beginn der Tuberkulose oder 
Verdächtige, sondern in weit größerer Zahl Patienten mit offener Tuberkulose 
Aufnahme finden, so erscheint es tatsächlich nicht gerechtfertigt, letztere 
von der Hospitalbehandlung auszuschließen. Bilden doch solche Patienten, 
welche sich frei bewegen und meist hygienisch schlecht oder gar nicht 'er¬ 
zogen sind, eine weit größere Gefahr für Verbreitung der Infektion als die 
weit vorgeschrittenen Fälle, besonders die an das Bett gefesselten Patienten. 

Von den übrigen sind es vor allem die Geisteskranken, deren Pflege, 
soweit sie nicht rechtzeitig Aufnahme in einer Anstalt finden oder zu früh 
entlassen werden, viel zu wünschen übrig läßt. Mit Recht betont Verfasser, 
daß öffentliche Anstalten die einzig würdige Form für die Versorgung 
psychisch Erkrankter bilden; gleichwohl befinden sich noch immer viele hun¬ 
dert Geisteskranke der Stadt Berlin in privaten Anstalten. Unzureichend 
ist auch die Fürsorge für erwachsene Blinde, Taubstumme und Krüppel, 
soweit Bie dem Kampfe um das Dasein nicht gewachsen erscheinen. Be¬ 
sonders zu tadeln ist der fast vollständige Mangel an Trinkerheilstätten. 
Der Verfasser hält es für höchst wichtig, daß die Insassen dieser Anstalten, 
soweit sie dazu imstande sind, Arbeit, und zwar ökonomisch wertvolle Arbeit 
leisten, wodurch der Betrieb des Hauses verbilligt würde. Auch wäre 
letzteres zu erreichen durch ZusammenfasBen einer Reihe von Anstalten in 
der Hand eines großen Verbandes. Für die Errichtung spezieller Unfall- 
krankenbäuser besteht kein Bedürfnis, während die Gründung von Invaliden¬ 
heimen oder zum mindesten Beschäftigungsanstalten für Unfallverletzte 
Empfehlung verdient. (Ref. ebenda, S. 1293 ff.) 

Rietschel: „Heizung und Lüftung in Krankenhäusern.“ 
(Deutsche med. Wochenschr. 1907, S. 1008 ff.) 

Die Frage der Heizung erscheint durch die örtliche Erwärmung mittels 
der Warmwasserheizung endgültig gelöst. Dieses System hat vor der Nieder¬ 
druckdampfheizung den Vorzug, daß hierbei die auf dem Heizkörper sich 
ablagernden Staubteilchen nicht verbrannt werden, daß die Regulierung der 
Wärme durch das Heizpersonal ohne Betreten der Krankenzimmer erfolgt 
und daß keine Geräusche in den Rohrleitungen entstehen. Die Gefahr des 
Einfrierens hält Rietschel für ausgeschlossen. 

Luftwechsel durch öffnen der Fenster und gleichzeitiges Heizen ist 
durchführbar, stellt sich aber bei Winterkälte sehr teuer im Betrieb, wirkt 
zu wenig gleichmäßig und ist ohne Zugluftbelästigung kaum möglich. Will 
man Zug vermeiden, so muß die zugeführte Luft außerhalb des Kranken¬ 
zimmers künstlich vorgewärmt werden. Rückläufige Bewegungen der Zug¬ 
luft, welche die Gefahr der Verschleppung von Krankheitskeimen in Bich 
bergen, lassen sich nur durch künstliche Lüftung mittels Ventilatoren mit 
Sicherheit ausschließen. Diese müssen dauernd Tag und Nacht in Betrieb 
bleiben und arbeiten bei modernem elektrischen Antrieb nicht nur unter 
allen Witterungsverhältnissen einwandfrei, sondern beanspruchen auch die 
denkbar geringste Bedienung. Rietschel fordert, daß schon im Bauplan 


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844 


Fürsorge für Kranke. 

das Kellergeschoß vor allen anderen der Lüftung nutzbar gemacht und mit 
weiten, hellen, begehbaren, leicht zu reinigenden Kanälen versehen wird, 
welche am Fuß einer jeden nach oben führenden Abzweigung einen Zusatz¬ 
heizkörper erhalten. 

Für den Abzug der verbrauchten Luft sind getrennt bis übar das Dach 
zu führende Kanäle der einzelnen Räume erforderlich. Unerläßlich erscheinen 
sie mindestens für die mit Infektionskranken belegten Zimmer sowie für 
Räume, in welchen Gerüche und Dünste entstehen. Gegen rückläufige 
Bewegung schützen auch hier nur künstliche Ventilatoren oder Vorrichtungen 
zur Erwärmung der verbrauchten Luft. 

Ob für neue, sehr umfangreiche Krankenhäuser mit 20 oder mehr ein¬ 
zelnen Gebäuden zentrale Fernwarmwasserheizungen statt des bisherigen 
Dampfbetriebes nach dem Vorgänge des Auslandes auch bei uns eingerichtet 
werden können, macht Verfasser von den besonderen Verhältnissen des Einsel¬ 
falles, namentlich aber davon abhängig, ob die Wärme des Maschinendampfes 
eines Elektrizitätswerkes zur Verfügung steht. (Ref. ebenda, S. 605.) 

Escherich: „Über Isolierung und Kontaktverhütung in 
Kinderhospitälern.“ Jahrb. f. Kinderheilkunde, Bd. 65. Ergänzungsheft 

Verfasser liefert eine ausführliche Beschreibung des Bauplanes des neuen 
Kinderkrankenhauses der Universität Wien. Das Bestreben, Hausinfektionen 
zu vermeiden, ist zum leitenden Prinzip erhoben, welchem alle anderen Rück¬ 
sichten sich unterordnen müssen. (Ref. ebenda, S. 908.) 

Rekon vales zenten heim e. 

Zondek (Berlin) gab in der Sitzung vom 18. Februar 1908 der Ge¬ 
sellschaft für soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik zu Berlin eine 
kurze Mitteilung über Walderholungsstätten. Nachdem die Errichtung 
einer Walderholungsstätte für 200 Kinder in Buch bei Berlin vom Magistrat 
abgelehnt worden war, da über ihre zweckmäßige Ausgestaltung sich unter 
den Stadtverordneten keine Einigung herbeiführen ließ, befürwortet Redner 
wenigstens die Errichtung einer Heimstätte an diesem Platze. Dieselbe 
wird besonders für Kinder, welche an Knochen- und Gelenktuberkulose 
leiden, von großem Nutzen sein, welche, wenn sie Tag und Nacht im Freien 
bleiben können, großen Vorteil von dem Aufenthalt haben. Da nach Lenn- 
hofs Berechnung lOProz. aller Schulkinder der Heilstättenbehandlung be¬ 
dürfen, so müssen außerdem die Tageserholungsstätten, die bedeutend 
geringere Unkosten machen, erheblich vermehrt und mit Bädern und ortho¬ 
pädischen Apparaten ausgestattet werden. 

In der Diskussion konstatiert Georg Levy auf Grund eigener Erfah¬ 
rungen die segensreichen Wirkungen der Freiluftbehandlung in den Wald- 
erholungsstätten bei 935 Säuglingen, welche an Rachitis, Bronchitis, Spasmus 
glottidis litten. Er befürwortet die Schaffung von Waldschulen oder Schul¬ 
sanatorien mit gemeinsamem Unterricht für Knaben und Mädchen, wo auch 
Bäder und orthopädische Behandlung verabreicht werden, besonders für solche 
Kinder, die, aus den Heilstätten entlassen, dem Infektionsherd des Hauses 
fern bleiben sollen. Rau giebt den Walderholungsstätten den Vorzug vor 
den Ferienkolonien, da bei ersteren die Reiseausrüstung und die Aufenthalts- 


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Rekonvaleszentenheime. Fürsorge für Irre und Nervenleidende. 345 

beschränkung fortfällt und für das gleiche Geld dreimal mehr Kinder ver¬ 
sorgt werden können. Lennhof will den Besuch der Ferienkolonien auf 
die gesunden Kinder beschränkt wissen, welche eine Erholung ebenso nötig 
brauchen als die Kinder der Wohlhabenden. Für die kranken Kinder muß 
anderweitig gesorgt werden. Es gibt deren so viele, daß für neue kost¬ 
spielige Experimente hier kein Platz ist. Er hat die Zahl der Kinder, 
welche einer Anstaltsbehandlung — abgesehen von eigentlicher Kranken- 
hausbehandlung — bedürfen, für ganz Deutschland auf rund 800 000 be¬ 
rechnet. Im Jahre 1908 sind aber nach Lohses Angaben nur rund 66 000 
inklusive der Ferienkolonisten ihrer teilhaftig geworden. Für die Mehrzahl 
der Kinder genügen Walderholungsstätten. Nur für Spezialfälle sind be¬ 
sondere Anstalten, wie Seehospize, Solbäder, Lungenheilstätten, erforderlich. 
Die Auslese für dieselben geschieht am zweckmäßigsten in den Wald¬ 
erholungsstätten. Von besonderem Werte erscheint überhaupt die Zentrali¬ 
sierung des Kinderfürsorgewesens, wie es Hugo Neumann vorgeschlagen 
hat. Rohardt berichtet über eine günstige Erfahrung aus der Säuglings- 
Walderholungsstätte Schönholz, wo die Kosten für jedes Kind pro Tag nur 
1,60 betragen und bei starker Belegung sogar nuf 1,30 ermäßigt 
werden können. Hugo Neumann bezeichnet als geeignet für Wald¬ 
erholungsstätten die unterernährten, skrofulösen Kinder, ja sogar solche 
mit Phthise. Nicht hinein gehören alle die, welche lediglich aus ungesunden 
häuslichen Verhältnissen entfernt werden müssen, ferner diejenigen, welche 
an Chlorose, Nervenaffektionen oder chirurgischen Krankheiten leiden. An 
der Kurve eines sieben Jahre lang unter Beobachtung stehenden kranken 
Kindes demonstrierte Neumann den großen Nutzen solcher Anstalten; 
während der Behandlung, gleichgültig ob Walderholungsheim, Seehospiz oder 
Solbad, stieg jedesmal das Gewicht, um später ein wenig zu sinken. In 
seinem Schlußwort bezeichnet es Zondek auch als Vorzug der Walderholungs- 
stätten, daß die Sorge für die Kinder den Eltern nicht ganz abgenommen 
wird. (Ref. im 45. Jahrg. der Berl. klin. Wochenschr., S. 477 u. S. 1115.) 

Kronecker. 


Fürsorge für Irre und Nervenleidende. 

Fürsorge für Irre. 

„Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte auf dem 
Gebiete der Neurologie und Psychiatrie.“ (11. Jahrg. Bericht über 
das Jahr 1907. Berlin 1908. Redigiert von L. Jacobsohn.) Ein sehr 
reichhaltiger Überblick über die einschlägige Literatur zur Fürsorge für 
Irre und Nervenleidende ist namentlich in zwei Kapiteln des Berichtes ent¬ 
halten, in demjenigen über gerichtliche Psychiatrie von Cr am er-Göttingen 
und demjenigen über Therapie der Geisteskrankheiten, Anstaltswesen, Wärter¬ 
frage usw. von B. Ascher-Berlin (letzteres 383 Nummern). 

Placzek: „IrrenStatistik und Irrenfürsorge.“ (Handbuch der 
ärztlichen Sachverständigentätigkeit, S. 543.) Placzek gibt eine große 
Reihe statistischer Tabellen, die aber den Verfasser zum Schluß selber dazu 


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346 


Fürsorge für Irre und Nervenleidende. 


führen, auszusprechen, daß eine durchgreifende Reform der gegenwärtigen 
Irrenstatistik notwendig ist. Er wünscht die Neueinsetzung einer inter¬ 
nationalen Kommission, die eine einheitliche, das gegenwärtige Zuwenig und 
Zuviel ausgleichende Zählkarte entwerfen, bestimmte Zähltermine festsetzen 
und ihre rechtzeitige Publizierung fordern müßte. Einige der aus den 
Tabellen erhaltenen Resultate seien hier mitgeteilt. Es findet sich im Laufe 
der Jahre ein fast gleichbleibendes Verhältnis des Anteils der männlichen 
und weiblichen Irren an der Gesamtzahl, nämlich unter 100 Irren 54 männ¬ 
liche und 46 weibliche. Der Bestand an Geisteskranken steigt im Verhält¬ 
nis zum Zugang Geisteskranker in die Irrenanstalten von Jahr zu Jahr. 
Bei beiden Geschlechtern tritt die gesteigerte Besserungsmöglichkeit zutage. 
Auffallend ist daB Überwiegen der jüdischen Bevölkerung unter den geistig 
Erkrankten. 

Der Aufsatz über Irrenfürsorge beschäftigt sich mit der Kolonisten- und 
Familien Verpflegung, den Aufnahmebedingungen in die Anstalten und die 
Entlassungen. Eine einheitliche Regelung des Irrenwesens in Deutschland 
ist von der Zukunft zu erwarten. (Referat von Ascher in Jacobsohns 
Jahresbericht.) 

Im irrenärztlichen Berufe bzw. in der Organisation des irren¬ 
ärztlichen Berufes haben im Berichtsjahre vielerorts Veränderungen 
prinzipieller Art statt gefunden, und diese Frage stand dauernd im Vorder¬ 
gründe des Interesses. Demgemäß finden sich im 9. Jahrgange der Psychia¬ 
trisch-neurologischen Wochenschrift eine sehr große Zahl von bezüglichen 
Vorschlägen, Artikeln und Berichten, auf die hier nur im allgemeinen hin¬ 
gewiesen werden kann. Ein Referat darüber wurde von der gewählten 
Kommission auf der Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie 
Berlin 1908 erstattet. 

Scholz: „Die HeilungsausBichten in der Irrenanstalt“ 
(Psycbiatrisch-neurol. Wochenschr., 9. Jahrg., S. 165.) 

Försterling polemisiert gegen den eben genannten Aufsatz von 
Scholz. (Ebenda, S. 197.) 

Alt sprach ebenfalls in sehr temperamentvoller Weise gegen Scholz 
auf der Jahresversammlung des Deutschen Vereins f. Psychiatrie im April 1908. 

Starlinger-Mauer-Öhling: „Zum Großbetriebe der Irren¬ 
anstalten.“ Starlinger greift in den Streit über die relativen Kosten 
großer und kleiner Irrenanstalten ein und bezieht sich namentlich auf die 
Arbeit von Delbrück in der Psychiatrisch-neurol. Wochenschr. 1906. 

Das Ergebnis der Betrachtungen scheint ihm etwa folgendes zu sein: 

Kleine Anstalten können und sollen durchweg kleinere Pavillons haben, 
und dort, wo sie sich ermöglichen lassen, sollen wir sie, als dem ärztlichen 
Ziele näher kommend, unbedingt vorziehen. Dagegen sollen wir den Gro߬ 
betrieb, wo er eben nicht anders möglich ist, nicht prinzipiell bekämpfen, 
sondern uns demselben anzupassen streben. In letzterem Falle brauchen 
wir auch die großen Pavillons nicht glattweg zu perborreszieren, wenigstens 
nicht für die Wachabteilungen. Für die offenen Abteilungen hingegen wären 
sie besser fallen zu lassen, nachdem sicher anzunehmen ist, daß die kleineren 


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Fürsorge für Irre. 


347 


nicht teurer zu stehen kommen als große. Zudem sind bei den offenen 
Abteilungen die zentralen Heizungsanlagen nicht nötig, auch brauchen diese 
kleineren Pavillons nicht erheblich auseinander zu rücken, was auch die 
bezüglichen Anlagen und Zuleitungen wieder erheblich mindern würde. 

Solche Berechnungen über Anstaltskosten wären nach verschiedenen 
Seiten hin fortzusetzen, nicht bloß allein was den Bau und die Anlage be¬ 
trifft, sondern namentlich auch, wie lieh der Betrieb gestaltet. 

Eine Frage z. B. ist noch ganz offen. Welche Reparaturen und Ab¬ 
nutzung werden sämtliche große Zentralanlagen, vorwiegend die zentralen 
Heizungen ergeben? Man sieht, die Feder allein tut’s nicht immer, es dürfte 
gut sein, dieselbe auch recht oft mit dem Rechenstift zu verbinden. 
(Psychiatrisch-neurol. Wochenschr., 9. Jahrg., 13, 1907.) 

Josef Starlinger, „Zum gegenwärtigen Stand der Pfleger¬ 
frage“, hat an 100 Anstalten und Kliniken des In- und Auslandes Frage¬ 
bogen versendet, welche alle wesentlichen Punkte des Gegenstandes umfassen. 
Auf die außerordentlich wichtige Zusammenstellung kann hier nur hin¬ 
gewiesen werden. (Ebenda, Nr. 33 bis 36, S. 294, 305, 313, 323, 334.) 

Wickel-Obrawalde bei Meseritz, „Einiges zur Pflegerfrage“, gibt 
in seinem Aufsatz einen Bericht über die in Nieder-Österreich geltenden 
Bestimmungen betreffend die methodische Ausbildung des Pflegepersonals 
wieder. Der Bericht gliedert sich in 1. Allgemeine Grundsätze für den 
Pflegerunterricht und die Pflegerprüfungen, 2. Spezielle Vorschriften über 
den Pflegerunterricht, 3. Pflegerprüfungen. (Ebenda, Nr. 16.) 

Die Pflegerfrage behandelt auch Starlinger in größter Ausführlich¬ 
keit. (Ebenda, Nr. 33 bis 37.) 

Deventer und Shuttlewort: „Das Pflegepersonal in den An¬ 
stalten, sein Unterricht, seine Rechte und Pflichten.“ (Sitzungs¬ 
bericht. Neurol. Zentralbl. 1907, S. 980.) 

Sioli-Frankfurt a. M.: „ Die Beobachtungsabteilung für Jugend¬ 
liche an der städtischen Irrenanstalt zu Frankfurt a. M.“ (Vortrag 
auf der Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie in Frank¬ 
furt a. M. und Gießen vom 26. bis 28. April 1907.) 

Matthies-Dalldorf: „Über Berl iner Familienpflege.“ Vortragen¬ 
der bespricht im wesentlichen die Verhältnisse und Einrichtungen, wie sie 
bei der von der Irrenanstalt Dalldorf durchgeführten Familienpflege vor¬ 
handen sind. Bezweckt wird mit der Familienpflege: 1. Solchen Kranken, 
bei denen früher oder später eine Rückführung in die Anstalt notwendig 
wird, wenigstens für vorübergehende Zeit die Wohltat der familiären Ver¬ 
pflegung zuteil werden zu lassen; 2. solchen Kranken, deren psychische Er¬ 
krankung abgelaufen ist, die aber dauernd gänzlich erwerbsunfähig und auf 
die Hilfe geistesgesunder Personen angewiesen sind und fachmännischer 
Aufsicht bedürfen, den Aufenthalt außerhalb der Anstalt zu ermöglichen; 
3. aber, und darin liegt ihre Hauptbedeutung, geeigneten Kranken den Über¬ 
gang zu selbständigem Erwerb zu erleichtern. Bei den Familienpfleglingen 
sind sämtliche Formen von Geistesstörungen vertreten. Die Familienpflege 
ist sowohl eine dauernde wie vorübergehende Verpflegungsform. Es wird 


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Fürsorge für Irre und Nervenleidende. 


dann näher auf die Technik der Dalldorf er Familienpflege eingegangen und 
zum Schluß hervorgehoben, daß die Familienpflege auch in Berlin wie aller¬ 
orts sich als eine segensreiche Einrichtung erwiesen hat. (III. Internationaler 
Kongreß für Irrenfürsorge in Wien vom 7. bis 11. Oktober 1908. Wien 1909.) 

Konrad Alt: „Weiterentwickeinng der familiären Verpflegung 
der Kranksinnigen in Deutschland seit 1902.“ (Halle a. S., Carl 
Marhold.) 

Schulze-Greifswald beschreibt eine neue Kontrolluhr: Ein einfaches 
Hilfsmittel gibt die Unterschrift. Diese Kontrolluhr, die sich in einem 
allseitig geschlossenen Kasten befindet, läßt unter einem schmalen Spalt ein 
Blatt Papier rotieren, daß immer nur für eine bestimmte Zeit dem Wach¬ 
habenden zugänglich ist. Das Blatt Papier bewegt sich entsprechend dem 
Stundenweiser und macht innerhalb 12 Stunden eine Umdrehung. Die 
Papierscheibe trägt an ihrer Peripherie Zahlen, die ohne weiteres jedeo 
Augenblick dem Pfleger die jeweilige Zeit angeben. Der die Uhr enthaltende 
Kasten kann in einem Tische auf der Wacbabteilung so befestigt werden, 
daß die für die Einschiebung der Unterschrift bestimmte Spalte bündig mit 
der Tischplatte liegt. Die Uhr, die vom Uhrmacher Hahlweg-Stettin, 
Paradeplatz 3, konstruiert ist, hat sich bisher trefflich bewährt. Ein Blick 
auf die Papierscheibe lehrt ohne weiteres, ob regelmäßig gewacht worden 
ist. Die Gefahr eines Betruges durch Nachahmung der Unterschrift erscheint 
mir nicht sehr groß; ich glaube, daß schon die Kleinheit des Schlitzes eine 
genaue Nachahmung der erforderten Unterschrift ungemein erschwert. 
Ebenso ist eine Vorkehrung getroffen, die den Pfleger verhindert, willkürlich 
das Blatt Papier zu bewegen und mit seiner Unterschrift zu versehen. 
Diese Kontrolluhr ist nicht teurer als die bisher üblichen, ihr Preis beträgt 
einschließlich 365 Blatt Papier 60 jft. (Klin. Jahrb. 1907, Bd. XVI.) 

Starlinger-Mauer-Öhling: „Beschäftigungstherapie bei Geistes¬ 
kranken.“ Der Aufsatz ist für spezielle Interessenten wichtig, da die von 
Starlinger geleitete Anstalt Mauer-Öhling diesen Zweig besonders pflegt. 

Unter Beschäftigung wird stets jede Art von Betätigung, sei sie bloß 
nützlich oder nur unterhaltend, als zweckentsprechend verstanden und des¬ 
halb nicht bloß jede Arbeit, sondern auch jedes Vergnügen verwertet und 
zur Anwendung gebracht, wenn nicht ein besonderes Bedenken dagegen 
obwaltet. Erwähnt sei, daß ein eigenes Atelier für Zeichnen, Malen, Laub¬ 
sägen und Formen in Mauer-Öhling besteht, das stets reichlichen Zuspruch 
findet; zwecklose Arbeiten sind streng verpönt. 

Eine ständige, sehr wesentliche Sorge der Arzte bildet die Auswahl der 
Kranken zu den Arbeiten, und nur wer selbst praktisch diese zu besorgen 
hat, weiß, welche Summe von Arbeit und Vorsicht der sorgsame Arbeits¬ 
therapeut in dieser Hinsicht zu leisten hat. Noch ist es aber nicht möglich, 
rein klinisch die Eignung jedes Kranken zur Beschäftigung festzustellen. 
Falsche Prognosen in dieser Beziehung sind oft unvermeidlich. Hier füllt 
die sogenannte klinische Arbeitsgruppe, deren Beschäftigung besonders aus¬ 
gewählt wild, eine Lücke aus. Drei Pflegepersonen sind derselben zugeteilt: 
eine zur Mitarbeit, eine zur Anleitung und eine dritte lediglich zur Aufsicht. 
Die Gruppe hat nur 12 Kranke. Hier werden nicht nur alle zweifelhaften 


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Fürsorge für Irre. 

Fälle vorerst erprobt, ehe sie anderen, freien Gruppen zugeteilt werden, 
sondern es werden auch von Zeit zu Zeit gar nicht explorierbare und ganz 
unzugängliche Kranke einfach dieser zugeteilt, um sie auf ihre Arbeitsfähig¬ 
keit zu erforschen, wenn nicht bestimmte körperliche oder psychische Gegen¬ 
gründe bestehen. 

Manche scheinbar unheilbare Verblödung und Apathie schwindet beim 
Anblick eines gewohnten Instruments oder einer beliebten Arbeit, und ein 
jahrelanger Korridorpatient wird wieder sozial und zugänglich. 

Auch Schwachsinnigenheime und Trinkerversorgungsanstalten können 
nur auf dem Prinzip der Beschäftigungstherapie aufgebaut werden. 

Auch zwischen Krankheitsform und Arbeitsqualifikation haben sich 
durch die Erfahrung gewisse Beziehungen ergeben. Bemerkenswert ist 
daraus, daß bei der Landwirtschaft besonders Melancholiker mit Vorteil zu 
verwenden sind. 

Oftmals werden Kranke, die in der Anstalt konsequent jede Behandlung 
abgelehnt haben, in der Familien pflege vom ersten Tage an dauernd fleißige 
Arbeiter. Pensionäre haben im allgemeinen keine besondere Neigung, An¬ 
staltsarbeiten zu verrichten. Und wenn schon der eine oder andere sich am 
Holzplatze oder im GewächshauBe oder in dem Kontor einfindet, Verläßlich¬ 
keit oder Ausdauer dabei ist selten zu erlangen. Viel lieber betreiben sie 
sportliche Tätigkeit oder dilettieren in irgend einer Kunst Eher ist noch 
eine gewisse Ausdauer bei den sogenannten Freiwilligen zu erzielen. 

Bezüglich der Vergnügen ist bemerkenswert, daß die vielfach beliebte 
Vereinigung von Kirche und Festsaallokalitäten als ungünstig bezeichnet 
werden muß, da gerade an Sonn- und Festtagen dieselben Räume beiden 
Zwecken zugleich in höherem Maße dienen sollen, was immer zu Kollisionen 
führen muß. Durch die Tätigkeit in der Anstalt verwachsen die Kranken 
direkt mit derselben, gewinnen eine Heimat und fühlen sich als Hausgenossen. 
Und hierdurch wird das Ansehen der Irrenanstalten außerordentlich ge¬ 
hoben, nicht bloß, weil der Kranke in der Anstalt weniger das Gefängnis 
und in dem Arzte eine Art Kerkermeister sieht, sondern weil auch das 
Publikum seine Scheu und Bein Vorurteil gegen die Irrenanstalten und gegen 
die Geisteskranken immer mehr ablegt, wenn es Scharen von Kranken auf 
dem Felde pflanzen oder in Gruppen friedlich mähen sieht usw. 

Mehr als alle literarischen Vorschläge über tiefsinnige Benennungen 
der Irrenanstalten wirken derartige Demonstrationen gegen das Vorurteil 
und den Begriff des Unheimlichen, das lange Anstalten und Irrenwesen um¬ 
gürtet hat. 

Die Beschäftigungstherapie ist heute schon in etwa 50 Proz. bei Geistes¬ 
kranken anzuwenden. 

Das größte Gift in einer Anstalt ist die Langeweile. Noch immer gibt 
es zu große Lücken im Anstaltsleben. Wir Ärzte haben den Geisteskranken 
wieder die Freiheit verschafft. Die freie Behandlung allein mit dem un¬ 
gezwungenen Aufenthalt im Pavillon oder dem Herumflanieren im Anstalts¬ 
gebiete überbrückt die Langeweile nicht. Man muß der Freiheit mehr In¬ 
halt geben. Schon wenn der Kranke der Bettbehandlung enthoben wird, 
darf er nicht im Tagraum nach freier Wahl herumlungern, sondern ist zu 
einer passenden Beschäftigung anzuleiten. Zu diesem Zweck hat Star- 


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Fürsorge für Irre und Nervenleidende. 


linger schon seinerzeit den Vorschlag gemacht, neben dem bisherigen Tage¬ 
raum in jedem Pavillon einen eigenen Arbeitsraum, den Starlinger damals 
Industrietagraum nannte, einzurichten. Alle arbeitswilligen, -fähigen und 
-bedürftigen Kranken gehören ebenso zusammen, wie im Wachsaal die bett¬ 
lägerigen, bettbedürftigen, um von den absolut negativen Elementen nicht 
abgelenkt und verdorben zu werden. Der Tagraum soll nur zur Erholung, 
Ruhe und als Speiseraum dienen. 

Dem Werkstättengebäude muß sich in einer modernen Anstalt in Zu¬ 
kunft eine ganz besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Lage, Größe, Zahl 
und Anordnung der Räume darin sind von wesentlicher Bedeutung. 
(Psychiatrisch-neurol. Wochenschr., 9. Jahrg., Nr. 7 u. 8, 1907.) 

Freiluftdauerbäder sind verschiedenenorts mit gutem Erfolge ein¬ 
geführt worden; namentlich in Dösen bei Leipzig. Hierüber berichtete kurz 
der Direktor Lehmann (ebenda, Nr. 17) und ausführlich Dehio (ebenda, 
Nr. 45) über denselben Gegenstand. Aus der Provinzialirrenanstalt Göttin gen 
berichtete Tintemann (ebenda, Nr. 20.) 

Nieter: „Über das Vorkommen und die Bedeutung von Typhus¬ 
bazillenträgern in Irrenanstalten.“ Zugleich ein Nachtrag zu der 
Mitteilung über bemerkenswerte Befunde bei Untersuchungen auf das Vor¬ 
handensein von Typhusbazillenträgern in einer Irrenanstalt. 

Die Mitteilung, zu der hier ein Nachtrag geliefert wird, ist von Nieter 
undLiefmann in der Münchener medizinischen Wochenschrift 1906, Nr. 33, 
veröffentlicht. 

Im Jahre 1906 hatten die Verfasser in der betreffenden mitteldeutschen 
Irrenanstalt schon elf Typhusbazillenausscheiderinnen entdeckt und hofften, 
daß neue Typhusfälle nicht mehr auftreten würden. Dennoch kamen Ende 
Dezember und Anfang Januar 1907 drei neue Erkrankungen bei Pflegerinnen 
vor, und zwar in einem Gebäude, das auch in früheren Jahren für ganz be¬ 
sonders typhusdurchseucht galt. 

Unter den 250 Insassinnen dieses Anstaltshauses hatten die beiden 
Autoren bei ihrer erstmaligen Untersuchung allein sieben als Typhusbazillen¬ 
trägerinnen aufgedeckt. Da aus den an Ort und Stelle gewonnenen Er¬ 
hebungen hervorging, daß weder eine Einschleppung vorlag, noch auch, daß 
an eine auf Wasser oder andere Nahrungsmittel zurückzuführende Infektion 
gedacht werden konnte, so mußte man auf noch eine Bazillenträgerin fahnden. 
In dem Saal, in welchem die drei erkrankten Pflegerinnen Dienst verrichtet 
hatten, fand sich noch eine seit einer Reihe von Jahren in der Anstalt unter¬ 
gebrachte Typhusbazillenträgerin, die, ohne jemals klinische Symptome für 
Typhus abgegeben zu haben oder sonBtwie als krank in Beobachtung ge¬ 
kommen zu sein, mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit 
die Ansteckung vermittelt hatte. In ihren Entleerungen fanden sich neben 
Typhusbazillen auch Paratyphusbazillen. 

Als nach einer Ruhepause von ungefähr vier bis fünf Monaten in einem 
anderen Gebäude wieder Typhus ausbrach, wurde daselbst auch wiederum 
eine Dauerausscheiderin, welche Typhus vor zwei Jahren überstanden hatte, 
gefunden. Die Zahl der in der Anstalt ermittelten Typhusbazillenträgerinnen 
betrug zur Zeit der Veröffentlichung der Nieterschen Arbeit 13, sämtlich 


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Fürsorge für Irre. 


351 


weiblichen Geschlechts. Von allen Forschern wird übereinstimmenderweise 
gerade ein starkes Überwiegen des weiblichen Geschlechts angegeben. 

Verfasser betont: „Unsere in so ausgedehnter Weise angestellten Unter¬ 
suchungen zeigen, daß wir durch die Suche nach Bazillenträgerinnen manchen 
dunklen Typhusfall an den Herd seiner Entstehung verfolgen konnten und 
damit die Handhabe zu wirksamen Bekämpfungsmaßregeln gewannen. 

In dieser Erkenntnis fordern sie aber unbedingt dazu auf, „noch mehr 
als bisher jedem einzelnen Typhusfall auf seine Entstehung hin nachzuspüren, 
und namentlich auch der Umgebung des Kranken, »den Gesunden«, größere 
Beachtung zuteil werden zu lassen“. 

Nieter stellt die einschlägige Literatur über Typhusbazillenträger — 
12 Nummern — am Schluß seiner Arbeit zusammen. (Münch, med. Wochen¬ 
schrift 1907, Nr. 33, S. 1622.) 

Dannemann: „Organisation eines im verflossenen Winter in 
Darmstadt gehaltenen Kursus für Polizeibeamte über psychia¬ 
trische Aufgaben bei der Heranbildung der Sicherheitspolizei.“ 
(Vereinsbeilage d. Deutsch, med. Wochenschr., S. 1157.) 

Derselbe über denselben Gegenstand. (Neurol. Zentralbl. 1907, S. 535.) 

Hegeier und Finckh: „Latente Geistesstörung bei Proze߬ 
beteiligten.“ (Juristisch-psychiatrische Grenzfragen, Bd. V, Heft 7 u. 8. 
Halle a. S., Carl Marhold.) 

„Niederösterreichische Landes-Heil- und Pflegeanstalten für 
GeisteB- und Nervenkranke »am Steinhof«, Wien XIII.“ Zur Er¬ 
öffnung dieser größten und am reichsten ausgestatteten Irrenanstalt des 
Kontinents und wahrscheinlich der ganzen Welt brachte die Psychiatrisch¬ 
neurologische Wochenschrift, 9. Jahrgang, Nr. 27/28, eine Festnummer, die 
sich mit der Vergangenheit und Gegenwart der wienerischen Irrenpflege be¬ 
schäftigt und die in den verschiedensten Richtungen sehr Interessantes bietet. 

Bericht der Commission Lunacy des Staates New York für die 
Zeit vom 1. Oktober 1904 bis 30. September 1905. 1184 S. (Psychiatr.- 

neuroL Wochenschr., 9. Jahrg., Nr. 18/19.) 

„Französisches Irrengesetz.“ In der Deputiertenkammer ist ein 
Irrengesetzentwurf angenommen worden, der von den Sachverständigen viel¬ 
fach bemängelt wird, weil ein Übermaß von Schutzmaßregeln, welche ge¬ 
troffen sind, um widerrechtliche Unterbringung zu verhüten, eine zu große 
Verzögerung und Erschwerung der Überführung in die Irrenanstalt bewirken. 

Victor Parant: „Lee garanties d’un traitement rapid dans la 
nouvelle proposition de loi sur les aliönös par la ohambre des 
deputes.“ (Annales m^dico-psychologiques 9. S. T. V., No. 3, p. 401.) 

Ebenfalls mit dem neuen französischen Irrengesetzentwurf beschäftigen 
sich Dubuisson (L’informateur des Alienistes et Neurologistes. Annee, 
No. 5, p. 158) und Regis (ebenda, No. 2, p. 38, und No. 4, p. 125.) 

Olof Kinberg: „Sur le döveloppeinent de Passistance familiale 
organisee en Suede.“ (L’Assistance, p. 266.) 


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S52 


Fürsorge für Irre und Nervenleidende. 

Gemeingefährliche Geisteskranke und ihre besondere 

F ürsorge. 

.Gustav Aschaffenburg: „Die Behandlung gemeingefähr¬ 
licher Geisteskranker und verbrecherischer Gewohnheits¬ 
trinker.“ (Berlin, Otto Liebmann.) 

Rai mann: „Über die Beh andlung der geistig minder¬ 
wertigen Verbrecher.“ Vortrag und Diskussion in der österreichischen 
kriminalistischen Vereinigung am 1., 15. und 22. Februar 1907. 

Die bisher gegen Verwahrlosung der Jugend ergriffenen Maßnahmen 
sind für die zwei Gruppen, die unterschieden werden müssen, nämlich für 
die äußerlich Verwahrlosten und die defekt Veranlagten, identisch. An den 
Aufnahmebestimmungen für die an zwei österreichischen Gefängnissen (Prag 
und Marburg) bestehenden Jugendabteilungen für Verbrecher zwischen 14 
und 24 Jahren setzt Ra im an n aus, daß sie nur nach rein juristischen 
Kriterien geregelt seien. In den sogenannten Besserungsanstalten (Auf¬ 
nahme bis zum 18. Jahr, oberste Detentionsgrenze: 20 Jahr) wird gleich¬ 
falls der psychopathologische, der ärztliche Standpunkt nicht berücksichtigt. 
Auch in Deutschland steht es bezüglich der Zwangserziehung nicht viel 
besser als in Österreich. Raimann plädiert für die Verschmelzung der 
Jugendabteilungen der Gefängnisse mit den Besserungsanstalten, welche den 
ärztlichen Forderungen entsprechend zu reformieren wären. Worin die 
Reformen zu bestehen hätten, setzte Raimann, auf englische und ameri¬ 
kanische Vorbilder verweisend, genau auseinander. Die Strafe in der bis¬ 
herigen Form sei bei den jugendlichen Minderwertigen nicht am Platze. 
Bezüglich der erwachsenen Minderwertigen betont Vortragender die große 
Gemeingefährlichkeit, welche die jetzt häufig geübte Milde, namentlich Frei¬ 
sprüche, sehr bedenklich erscheinen läßt. Unter Hinweis auf Koch, der 
schon 1881 besondere Anstalten für die gemeingefährlichen Minderwertigen 
gefordert hat, führt Vortragender aus, daß namentlich der Forderung der 
unbestimmten Detentionsdauer, im Gegensatz zur begrenzten Strafdauer, ent¬ 
sprochen werden müsse. Als nächste Forderung für die jetzigen Verhältnisse 
verlangt er mit v. Wagner die Errichtung von Kriminalasylen, Staatsirren¬ 
anstalten, in welche die hochgradigen Minderwertigen einzuweisen wären. 
Nach seiner Berechnung käme man mit einer ganz kleinen Anzahl von solchen 
Kriminalasylen aus. Die Einweisung der betreffenden Minderwertigen in diese 
Asyle sei durch eine engere Fassung des Begriffes der Zureohnungsfähig- 
keit erreichbar; während heute die Grenze für die Zurechnungsfähigkeit 
zwischen die Geisteskranken und die Minderwertigen falle, müßte sie dann 
zwischen den Minderwertigen und den Gesunden gezogen werden. 

Lobedank: „Rechtsschutz und Verbrecherbehandlung.“ (Grenz¬ 
fragen des Nerven- und Seelenlebens, herausgegeben von Loewenfeld, 
Nr. 46, 89 S. Wiesbaden, J. F. Bergmann.) 

Kroemer: „Zur Frage der Unterbringung geisteskranker 
Verbrecher.“ Beschreibung und Bewährung des „festen Hauses“ in 
Neustadt in Holstein. Das Haus ist für 40 Personen berechnet und hat 
etwa 180 000 JC gekostet. Besonderer Wert ist auf sorgfältige Konstruktion 
der Schlösser gelegt. 14 Wärter sind angestellt, von denen zwei, als die 


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Gemeingefährliche Geisteskranke und ihre besondere Fürsorge. 353 

am Tage schlafenden Nachtwachen und einer als Pförtner, abgehen. Die 
Erfahrungen Kroemers lehrten ihn, daß es am richtigsten ist, derartige 
Institute an Irrenanstalten und nicht an Strafanstalten anzugliedern. (All¬ 
gemeine Zeitschr. f. Psychiatrie, Bd. 64, Heft 6, S. 89.) 

v. Kunowski, „Die Unterbringung geisteskranker Ver¬ 
brecher als Verwaltungsfrage“, redet dem Bau von Spezialanstalten 
das Wort. Denn wenn dieser auch wohl kaum jemals von der Regierung 
ganz in eigene Verwaltung übernommen werden dürfte, so steht doch die 
Möglichkeit besonderer Dotationen für sie offen, die an die Erfüllung ge¬ 
wisser Bedingungen bezüglich Bau und Betrieb und an eine besondere staat¬ 
liche Aufsicht geknüpft werden könnten. Vielleicht gebe es noch gangbarere 
Wege. v. Kunowski würde die obige Lösung auch im ärztlichen Sinne 
für die erstrebenswerteste halten, schon weil sie der Verdünnung der Ge¬ 
fährlichen durch Mindergefährliche keine Schranken setzt. Doch dies sei, 
wie die Verhältnisse in Preußen einmal liegen, Nebensache: es dominiert 
das Verwaltungsproblem. (Psychiatr.-neurol. Wochenschr., 9. Jahrg., S. 193.) 

Derselbe: „Die Entlassung geisteskranker Rechtsbrecher aus 
Irrenanstalten.“ Kritische Betrachtungen über die gegenwärtig in 
Preußen geltenden einschlägigen Bestimmungen. 

Für die Anstaltsleiter kommt eine Ministerialverfügung in Betracht, 
nach welcher eine Kategorie von Geisteskranken nur dann aus den öffent¬ 
lichen Irrenanstalten entlassen werden darf, wenn der zuständigen Polizei¬ 
behörde die beabsichtigte Entlassung unter eingehender ärztlicher Motivie¬ 
rung mitgeteilt ist und eine Wartefrist von drei Wochen für eine Rück¬ 
äußerung innegehalten ist. Die von v. Kunowski mitgeteilten eigenen 
Erfahrungen zeigen, wie unvergleichlich seltener — nur fünfmal — diese 
Bestimmung seitens der Polizei in dem Aufnahmebezirk der Provinzialirren¬ 
anstalt Leubus gehandhabt wird als in dem großstädtischen Wirkungskreise 
des Referenten. In den fünf Fällen von v. Kunowski erhob die Polizei¬ 
behörde jedesmal Einspruch, viermal im Gegensatz zu dem ärztlichen Gut¬ 
achten. Wenn dann die Anstaltsleitung trotz des polizeilichen Einspruches 
an ihrer Ansicht festhielt, so verfügte der Landeshauptmann ohne weiteres 
die Entlassung. 

V. Kunowski plädiert für eigene Anstalten, in denen nicht nur die 
allergefährlichsten, sondern auch andere asoziale geisteskranke Rechtsbrecher 
untergebracht werden sollen. (Allgemeine Zeitschr. f. Psychiatrie, Bd. 64, 
Heft 1, S. 126.) 

Rixen: „Ist den wegen Geisteskrankheit aus Strafanstalten 
in Irrenanstalten überführten Gefangenen die Zeit ihres 
Aufenthalts in den Irrenanstalten auf die Strafzeit anzu¬ 
rechnen?“ Verfasser, der leitender Arzt an der Irrenabteilung an der 
Königlichen Strafanstalt zu Münster ist, bejaht diese Frage; die Entschei¬ 
dungen der Gerichte gehen weit auseinander. 

Die Rechtsauffassung ist eine völlig verschiedene; eine einheitliche, 
endgültige Regelung hinsichtlich der Berechnung der in Irrenanstalten ver¬ 
brachten Zeit ist im Interesse der Kranken und im Interesse eines geordneten 
Strafvollzuges unumgänglich notwendig. Wie es kommt, daß in dem einen 

VierteljfthrMchrift für Qeeundheitapflege, 1808. Supplement. 23 


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Fürsorge für Irre und Nervenleidende. 


Falle der Irrenanstaltsaufenthalt auf die Strafe in Anrechnung gebracht 
wird, in dem anderen nicht, das vermag der Gefangene nicht einzuaehen. 
Bei seinem besonders entwickelten Rechtsgefühl empfindet er es doppelt 
Bohmerzlich nnd als persönliche Kränkung, wenn ihm der Irrenanstalts¬ 
aufenthalt nicht angerechnet wird, während er anderen in Anrechnung ge¬ 
bracht wird. 

„Es ist kein »Humanitätsdusel«, sondern eine Forderung der Gerechtig¬ 
keit, Billigkeit und Menschlichkeit, daß den im Strafvollzug geistig Er¬ 
krankten der Aufenthalt in den Irrenanstalten auf die Strafzeit eingerechnet 
wird. Die Furcht vor Simulanten, die sich durch Vortäuschung geistiger 
Erkrankung dem Aufenthalt in der Strafanstalt entziehen und in Irren¬ 
anstalten ihre Strafzeit hinbringen würden, ist unbegründet. Die Simulation 
geistiger Störung ist ein so seltenes Vorkommnis, daß praktisch von ihr 
völlig abgesehen werden kann. Andererseits würde es bei Anrechnung des 
Irrenanstaltsaufenthalts ausgeschlossen sein, daß ein Mann 1899 wegen Ver¬ 
leitung zum Meineide drei Jahr Zuchthaus erhält und seitdem bis jetzt, 
1907, zwischen Strafanstalt und Irrenanstalt hin und her pendelt und das 
Strafende auch heute noch nicht abzuseben ist. Möge bald die Angelegen¬ 
heit dahin entschieden werden, daß in allen Fällen, in denen ein Verurteilter 
während der Strafvollstreckung geistig erkrankt, die Zeit seines Aufenthaltes 
in Irrenanstalten auf die Strafzeit angerechnet wird.“ (Psychiatr.-neurol. 
Wochenschr., 9. Jahrg., Nr. 26, 1907.) 

Gegen die Bedingungslosigkeit des Rixen sehen Standpunktes wendet 
sich Spliedt (ebenda, Nr. 30), indem er insbesondere fürchtet, daß Simu¬ 
lation und Übertreibung großgezogen wird. (Ebenda, Nr. 49 u. 50.) 

Geller, „Aus dem Bewahrungshause in Düren“, verwirft ent¬ 
schieden alle Zentralanstalten für Kriminelle. Sie würden Btets als Ver¬ 
brecherirrenanstalten, als Irrenanstalten zweiter Klasse, gelten. Im Falle 
der Genesung würde es fast unmöglich Bein, ihren Insassen zu einer sozialen 
Stellung zu verhelfen. Über geisteskranke Verbrecher herrschten sogar bei 
manchen Psychiatern die eigentümlichsten Anschauungen. Verbrecher 
fänden nach verbüßter Strafe schon leicht Arbeit, gewesene Geisteskranke 
schon schwerer, mit geisteskranken Verbrechern aber wolle niemand etwas 
zu tun haben. Woher außerdem die Arzte nehmen für diese Verbrecher¬ 
anstalten, wo schon die gewöhnlichen Anstalten über Ärztenot klagen? Nur 
vom wissenschaftlichen Standpunkte, der aber nicht allein ausschlaggebend 
sein dürfe, sei eine Zentralanstalt wünschenswert. Statt Zentralisierung sei 
Dezentralisierung zu fordern. Geller lobt die in der Provinz Brandenburg 
gefundene beste Lösung, indem dort jede Anstalt ihr festes Haus hat. 
(Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform, Bd. V, Heft 1, 
April 1908.) 

Albert Moll: „Inwieweit ist die Agitation zur Aufhebung des 
§ 175 berechtigt?“ (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 46, S. 1910.) 

Derselbe: „Über die sexuelle Entartung im Spiegel der Welt¬ 
literatur.“ (Zeitschr. f. pädagog. Psychol., 9. Jahrg., S. 340. Sitzungs¬ 
bericht.) 


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Fürsorge für Schwachsinnige und Idioten. 


355 


Fürsorge für Schwachsinnige und Idioten. 

Wilhelm Weygandt: „Über den Stand der Idiotenfürsorge in 
Deutschland.“ (Münch, med. Wochenschr., Nr. 3, S. 122.) 

Tuczek-Marburg berichtete über die Tätigkeit der Kommission für 
Idiotenforschung und Idiotenfürsorge (in der Jahresversammlung des Deut¬ 
schen Vereins für Psychiatrie zu Frankfurt a. M. und Gießen vom 26. bis 
28. April 1907). 

Am 3. August 1906 hatte die Kommission, bestehend aus Alt, Anton, 
Kluge, Möller, Tuczek und Weygandt, in Uchtspringe eine Sitzung 
abgehalten und war dabei zu folgenden Beschlüssen gelangt: 

Die vom Deutschen Verein für Psychiatrie eingesetzte Kommission steht 
auf dem vom Verein vertretenen Standpunkte, daß im Sinne des Gesetzes 
vom 11. Juli 1891 geeignete Anstalten für Schwachsinnige und Epileptiker 
nur ärztlich geleitete Anstalten sind. Die Kommission wird neben der 
* Schwachsinnigenforschung und -fürsorge auch die angemessene Mitwirkung 
der psychiatrischen Ärzte beim Hilfsschul- und Fürsorgeerziehungswesen 
zum Gegenstände ihrer Tätigkeit machen. Sie stellt Sich folgende Aufgaben: 

1. Regelmäßige Berichterstattung an den Verein über die wissenschaft¬ 
liche Erforschung des jugendlichen Schwachsinns und der Epilepsie — 
Ätiologie, Symptomatologie, pathologische Anatomie, Therapie, Prophylaxe, 
anthropologische, forensische und administrative Beziehungen — und über 
das Anstaltswesen. 

2. Aufklärungsdienst. 

a) Verfolgung der Zeitschriften, Tagespresse, Verwaltungsberichte; 

b) Teilnahme an Versammlungen und Konferenzen betreffend Schwack- 
Binnigenfürsorge, Hilfsschul- und Fürsorgeerziehungswesen; 

c) Besichtigung von Anstalten; 

d) Mitteilung einschlägiger privater Erfahrungen. 

Die Kommission wird mindestens einmal jährlich, rechtzeitig vor Fest¬ 
setzung des Zeitpunktes der nächsten Tagung des Vereins zusammentreten, 
um das gesammelte Material zu besprechen und die Themen und Referenten 
für die nächste Tagung des Vereins festzusetzen. 

Die Kommission beantragt, daß Ärzte, welche sich um eine Stellung an 
einer nicht ärztlich geleiteten Anstalt für Schwachsinnige und Epileptische 
bewerben, vor Abschluß des Anstellungsvertrages mit der Kommission sich 
in Verbindung setzen. Die Versammlung nahm den Antrag an. 

Kluge-Potsdam: „Die Mitwirkung des Psychiaters bei der Für¬ 
sorgeerziehung.“ Der Vortragende kam zu folgenden Leitsätzen: 

1. Unter den Fürsorgezöglingen befinden sich 45 bis ÖOProz., die in¬ 
folge von Entwickelungshemmungen, sowie durch Entbehrungen, Krank¬ 
heiten usw. in ihrer Verstandestätigkeit beeinträchtigt sind. 

2. Diese defekten und abnormen Fürsorgezöglinge sind möglichst früh¬ 
zeitig zu ermitteln und in allen zweifelhaften Fällen einer gründlichen 
psychiatrischen Beobachtung zu unterwerfen. 

3. Die Mitwirkung des psychiatrisch durchgebildeten Arztes ist not¬ 
wendig. 

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Fürsorge für Irre und Nervenleidende. 


4. Zur Durchführung einer spezielleren Behandlung empfiehlt sich eine 
Sonderung a) dem Alter nach in Kindliche und Halberwachsene, bei welch 
letzteren man in noch weit stärkerem Maße die männlichen von den weib¬ 
lichen trennen muß; b) dem Grade der Defekte und Abnormitäten nach; 
c) dem Grade der Lenkbarkeit und Erziehbarkeit nach. 

5. Demgemäß sind die Fälle schwereren Schwachsinns usw. den ärzt¬ 
lichen Idioten- und Irrenanstalten zuzuweisen. 

6. a) Die leichteren Grade von Schwachsinn, als psychopathisch minder¬ 
wertig bezeichneten Degenerierten sind in den pädagogisch geleiteten Er¬ 
ziehungsanstalten zu belassen, jedoch von den gesunden und normalen Zög¬ 
lingen zu trennen. Diesen Anstalten ist ein psychiatrisch geschulter Arzt 
zuzuteilen; b) die leichtesten Fälle dieser Art können auch in Anstalten 
gemeinsam untergebracht werden, vorausgesetzt, daß deren Vorsteher und 
Leiter ein ausreichendes Verständnis für die Behandlung besitzt und daß 
für eine regelmäßige Beaufsichtigung durch einen fachärztlich gebildeten 
Arzt Sorge getragen ist. 

7. Für solche defekten Fürsorgezöglinge, die durch ihre antisozialen 
und verbrecherischen Neigungen die erzieherische Tätigkeit an den Er¬ 
ziehungsanstalten als auch die nachgiebige Behandlung an den Kranken¬ 
anstalten stören, sind besondere Anstalten einzurichten. 

8. Ein Drittel der Zöglinge ist auf die Kranken- und Zwischenanstalten 
und ungefähr zwei Drittel auf die Erziehungsanstalten zu berechnen. 

9. Alle diese Anstalten müssen sich die Aufgabe stellen, die Fürsorge¬ 
zöglinge nach Möglichkeit wieder dem bürgerlichen Leben zuzuführen, am 
besten auf dem vermittelnden Wege der Familienpfiege. 

10. Um die Vorsteher und Leiter der Rettungshäuser, der Erziehungs¬ 
und Besserungsanstalten über das WeBen und die Behandlungsweise der 
defekten und abnormen Fürsorgezöglinge aufzuklären und auf dem laufen¬ 
den zu erhalten, erscheint es dringend erwünscht, in jeder Provinz eine 
Zentralstelle zu begründen und einem Psychiater zu übertragen, der den 
einzelnen AnstaltsVorständen mit Rat und Tat zur Hand geht. 

11. Die Mitwirkung des Psychiaters bei der Fürsorgeerziehung setzt 
also schon bei der Einleitung des Überweisungsverfahrens ein, sie begleitet 
den defekten und abnormen Fürsorgezögling in allen Phasen seiner Er¬ 
ziehung und Behandlung, und sie darf ihn auch in vielen Fällen nicht aus 
den Augen lassen nach Abschluß der Fürsorgeerziehung. (Bericht auf 
der Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie zu Frank¬ 
furt a. M. und Gießen vom 26. bis 28. April 1907.) 

Falkenberg-Herzberge: „Rettungshaus und Psychiatrie.* 
(Psychiatr.-neurol. Wochenschr., 9. Jahrg., Nr. 20, 1907.) 

Fürsorge für Alkoholisten. 

„Der Alkoholismus, seine Wirkungen und seine Bekämpfung.* 
(Zentralverband zur Bekämpfung des Alkoholismus. Aus „Natur und 
Geisteswelt“, Bd. 145. Leipzig, B. G. Teubner.) 


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Fürsorge für Alkoholisten. 


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„Bekämpfung der Trunksucht“, Veranstaltung eines wissenschaft¬ 
lichen Kursus zum Studium des Alkoholismus. (Ministerialblatt f. Med. u. 
med. Unterrichtsangelegenheiten, Nr. 5, S. 101.) 

Dasselbe, Erlaß vom 8. November 1907, betreffend Wandtafeln zur 
Alkoholfrage. (Ebenda, Nr. 21, S. 435.) 

Sioli: „Die Entwickelung der Trinkerfürsorge in Verbindung 
mit der städtischen Irrenanstalt zu Frankfurt a. M.“ Am 1. April 
1901 wurde die Hüttenmühle bei Köppern im Taunus von der Stadt Frank¬ 
furt erworben, der dortigen Anstalt als Filiale und landwirtschaftliche Kolonie 
überwiesen, und es wurde die Bewirtschaftung des Gutes durch geeignetes 
Personal und zunächst sieben, dann zwölf Kranke begonnen. 

„Das Gut liegt in einem der schönsten Teile des Taunusgebirges im 
Köppern er Tal, da, wo sich dasselbe aus einem engen Waldtal in ein breiteres 
Wiesental öffnet, eine Viertelstunde oberhalb deB Dorfes Köppern, das eine 
Stunde von Homburg, zwei Wagenstunden oder drei Viertelstunden Eisen- 
bahnfahi^ von Frankfurt entfernt ist. 

„Der Zweck der Filiale war zunächst der, rekonvaleszenten Kranken 
eine bei der Hauptanstalt durch die Nähe der Stadt immer mehr beschränkte 
Arheitsmöglichkeit mit Bewegung im Freien zu schaffen, weiterhin eine 
öffentliche Nervenheilanstalt dort zu erobern. 

„Da vorläufig nur die seitherigen Mühlengebäude in Benutzung genommen 
wurden und jegliche Möglichkeit einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit 
fehlte, so wurde davon abgesehen, eigentliche Geisteskranke in die Filiale 
zu legen. Es ergab sich daher von selbst der WunBch und die Gelegenheit, 
hier für die Alkoholisten eine durch Lage und Arbeitsgelegenheit bevorzugte 
Heilanstalt einzurichten. 

„Die Notwendigkeit hierzu wurde durch folgende Umstände bedingt: 

„Erstens begann seit 1900 der Alkoholismus eine wesentliche Rolle 
unter den Aufnahmen in die Hauptanstalt zu spielen. Im Jahre 1899/1900 
stieg die Zahl der aufgenommenen Alkoholisten zum erstenmal auf über 
100 und befand sich von da an bis 1905 in ununterbrochenem Wachstum, 
zuletzt bis auf 400 bis 500 Aufnahmen. 

„Es wäre verfehlt, die Ursache dieses auffallenden Vorganges in einer 
entsprechenden enormen Zunahme der Trunksucht in der Stadt Frankfurt 
zu suchen. Trunksucht ist jedenfalls hier, wie in jeder größeren Stadt, in 
den verschiedensten Bevölkerungskreisen vorhanden gewesen. Sie ist aber 
nicht derart ans Licht getreten, daß man die Einzelindividuen zählen und 
in ihrer Eigenheit ergründen konnte. 

„Dies war erst möglich, seitdem organisierte Rettungswachen in Frank¬ 
furt eingerichtet wurden und durch dieselben der gesamte Krankentransport 
in sachverständige Hände genommen wurde. Nun wurde seitens der staat¬ 
lichen und städtischen Behörden mit dem alten System gegenüber den schwer 
Betrunkenen und Bewußtlosen endlich und gänzlich gebrochen. Dieselben 
wurden früher durch die Polizei zur Polizeiwache gebracht und ihrem Schick¬ 
sal überlassen; seit dem Jahre 1900 aber werden sie durch die Rettungs¬ 
wachen in Behandlung genommen und, wenn sich der Fall als ein schwerer 
erweist, sofort zur Hauptanstalt für Irre und Epileptische gebracht, die 


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Fürsorge für Irre und Nervenleidende. 


' gegenüber der Rettungswache statuarisch als Aufnahmestation für alle Be¬ 
wußtlosen und irgendwie in ihrem geistigen Wesen veränderten Personen 
bestimmt worden ist. Nur auf diesem Wege ließ sich allmählich eine ärzt¬ 
liche Erkenntnis und die Möglichkeit des Eingreifens gegenüber den Alkoho- 
listen gewinnen. 

„Denn nun ergab sich bald zweitens, daß das ärztliche Handeln nicht 
damit abgeschlossen war, den bewußtlos gebrachten, bzw. den an schwerer 
Alkoholvergiftung leidenden Kranken zu reinigen, zu betten und sich er¬ 
nüchtern und erholen zu lassen; vielmehr drängte die häufige Wiederkehr 
zahlreicher gänzlich Heruntergekommener, zur Vagabondage, zur städtischen 
Straßenplage degenerierter Individuen, die durch dauernde Konflikte mit 
der Polizei und dem Publikum die Sicherheit gefährdeten, anderer, die den 
gänzlichen Ruin ihrer Familien und die Fortpflanzung des Säuferelends auf 
die Kinder verursachten, wieder anderer, die durch Gewalttätigkeiten und 
Bedrohung der Familienangehörigen sich gefährlich erwiesen, dazu, diese 
kranken Individuen in eine dauernde ärztliche Behandlung zu nehmen, deren 
Zweck körperliche Kräftigung, Heilung der schädlichen Folgen des. Alkohol¬ 
genusses und möglichste Entwöhnung von dem Alkoholgenuß sein müßte. 

„Noch immer ist die Meinung verbreitet, daß jeder Trunksüchtige sich 
durch eigene Schuld in diesen Zustand versetzt hat, daß die Trunksucht eine 
moralische Schlechtigkeit darstellt, von der sich jeder frei machen kann, 
wenn er nur den »guten Willen« hierzu hat. Die nähere Kenntnis der In¬ 
dividuen, die von diesem schrecklichen Leiden befallen sind, lehrt jedoch, 
daß bei dem allergrößten Teil derselben solche Umstände vorliegen, die 
darauf hinweisen, daß der Mensch sich bei seiner Hingabe an den Trunk in 
einer unfreien Lage befand. 

„Entweder ist die Konstitution von Haus aus durch erbliche Anlage zur 
Trunksucht geschwächt, oder es liegen periodische geistige Störungen zu¬ 
grunde, die einen Hang zum Trunk herbeiführen, oder es hat eine er¬ 
schöpfende Krankheit, »Not und Elend« und Schicksalsschläge die Wider¬ 
standskraft des Menschen gebrochen. In allen diesen Fällen ist aber dem 
Menschen mit guten Lehren allein nicht gedient. Die in unsere Behandlung 
kommenden Bevölkerungskreise, die meist in die tiefsten Schichten der Ge¬ 
legenheitsarbeiter gesunken sind, bedürfen zunächst einer längeren körper¬ 
lichen Kräftigung und einer Wiedergewöhnung an anhaltende Arbeit, ehe 
die obigen Mittel eingreifen können. Es versagten somit für diese Fälle die 
Heilungseinrichtungen der hiesigen Hauptanstalt, die ja mehr und mehr ein 
klinisches Institut für hauptsächlich bettlägerige schwere Kranke geworden 
ist. Dieser wachsenden Not kam nun die Erwerbung und Einrichtung der 
Filiale Köppern gerade zur rechten Zeit entgegen; ihre immer mehr zu¬ 
nehmende Frequenz hat seitdem erwiesen, wie notwendig eine solche 
Station ist.“ 

Die Bewegung in Köppern ist eine vollständig freie, durch keinerlei 
äußeren Zwang gebunden; ein solcher läßt sich bei der Lage des Landgutes 
am Walde, der freien Lage aller Gebäude und dem völlig offenen Charakter 
derselben, endlich der mannigfachen Arbeitsverteilung auf dem großen 
Terrain gar nicht durchführen. Die Versetzung der Kranken in diese Ver¬ 
hältnisse mußte daher eine vollkommen freiwillige sein, es wurden nur 


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Fürsorge für Alkoholisten. 


359 


solche Kranke dorthin versetzt, die freiwillig erklärten, sich in Köppern 
einige Wochen bis Monate aufhalten zu wollen und sich dort der vor- 
geschriebenen Ordnung des Hauses zu fügen. 

Oie Bedingungen, denen sich der Patient zu fügen hat, sind: 

1. Völlige Abstinenz von geistigen Getränken. 

2. Nichtverlassen des Anst&ltsgebieteB, außer mit besonderer Erlaubnis 

des Direktors. 

3. Unterschiedlose Beteiligung an allen notwendigen und dem einzelnen 

zugeteilten Arbeiten. 

Die Nichtinnehaltung einer dieser Vorschriften zieht sofortige Rück¬ 
versetzung und eventuell Entlassung nach sich. 

Das strenge Innehalten dieser Maßregel hat sich mehr und mehr als 
absolut notwendig erwiesen. In der ersten Zeit kam es öfters vor, daß 
Kranke um einen Sonntagsspaziergang baten, dann in einem benachbarten 
Dorfe einkehrten und sinnlos betranken zurückgeholt werden mußten. Mehr¬ 
mals ereigneten sich hierbei große Exzesse. Es ist darum die erste Auf¬ 
gabe der Trinkerheilanstalt die strengste Durchführung der Abstinenz, auch 
heim Personal, das sich ohne weiteres dieser Bedingung innerhalb des An¬ 
staltsterrains gefügt hat; ebenso die allgemeine Beteiligung an der Arbeit, 
die in ernster und ausgedehnter Weise durchgeführt wird. 

Ein Teil der Kranken ist in der Landwirtschaft tätig, ferner ist eine 
Anzahl von Kranken bei Viehfütterung und Pflege, andere sind bei Haus¬ 
arbeiten und als Handwerker beschäftigt. Die wesentlichste Arbeitsgelegen¬ 
heit bieten die großen Meliorationen, die noch auf Jahrzehnte hinaus sich 
erstrecken müssen. 

Ein Oberpfleger, der zugleich landwirtschaftlicher Verwalter ist, steht 
an der Spitze, ein Gärtner, zwei Pfleger, zu denen jetzt noch einer zugekommen 
ist, unterstützen ihn, außerdem ist vorhanden eine Wirtschafterin, die zu¬ 
gleich das Kochen besorgt, drei Küchen- und Waschmädchen, ein Schweizer, 
zwei Knechte. 

Alle Reparaturen an Stiefeln, Kleidern und Wäsche werden von ge¬ 
eigneten Kranken und Personal ausgeführt. 

Die Kost ist folgendermaßen aufgestellt: 

Erstes Frühstück: Kaffee mit Milch, zwei Brötchen. 

Zweites Frühstück: 90 g Wurst, oder 150g Käse, oder 40 g Butter 
und Brot nach Belieben. 

Mittagessen: Suppe, Fleisch (Ochsen- und Kalbfleisch 250g, Schweine¬ 
fleisch 200 g), Gemüse. 

4 Uhr: Kaffee mit Milch, ein Brötchen, Brot nach Bedarf. 

Abends: 100g Wurst, dazu geröstete Kartoffeln, oder drei Eier, dazu 
Kartoffelsalat, grüner Salat usw., ferner 7s Liter Milch. 

Brot für den ganzen Tag etwa 500 g. 

Die Arbeitszeit ist im Frühjahr, Sommer und Herbst vorm. 7 bis 12, 
nachm. 2 bis 6 Uhr; im Winter vorm. 8 bis 12, nachm. 2 bis 5 Uhr. 

Eine völlige, dauernde Heilung von Alkoholisten in dieser Behandlung 
mit harter Arbeit, einer guten und besonders kräftigen Kost und geregelter 
Lebensweise ist aber verschwindend selten. 


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360 


Fürsorge für Irre und Nervenleidende. 

Die meisten der Pfleglinge sind „Gelegenheitsarbeiter“, meist ohne 
Kassenangehörigkeit, ohne Arbeitspapiere und öfters selbst ohne Invaliden¬ 
karte, völlig widerstandsunfähig gegen die Trunkverführung und außer¬ 
stande, Geld zu etwas anderem als zum Trunk anzulegen. Sie verachten 
jede regelmäßige Lebensführung und sind außerstande, bei einer angenom¬ 
menen Arbeit dauernd zu bleiben. 

Dazu kommen die schwierigen äußeren Lebensverhältnisse solcher Leute. 

Man muß mit einer gewissen Besserung und namentlich der Wieder¬ 
erlangung der Arbeitsfähigkeit zufrieden sein. 

Unter diesen Umständen sind die Resultate der Heilanstalt Köppern 
immerhin erfreuliche. Es wurden im ganzen vom 1. April 1901 bis 31. März 
1906 aufgenommen: 154 an chronischer Alkoholvergiftung leidende Männer. 
Von diesen wurden entlassen als gebessert: 92 = 60Proz., ungeheilt 44 
= 28,4 Proz. Gestorben: 1 und im Bestände blieben: 18. Die Behandlungs¬ 
dauer war 3 bis 5 Monat. 

Jedenfalls kann man sagen, daß sich die Einrichtung der Trinker¬ 
heilanstalt in örtlich entfernter, ärztlich und verwaltungsmäßig enger Ver¬ 
bindung mit der Irrenanstalt durchaus bewährt hat. 

Das Wesentlichste würde für die Ergänzung der Anstalt eine Fürsorge 
für die Entlassenen sein. Ein abstinent gehaltenes Heimatshaus im Zentrum 
der Stadt mit billiger Eß- und Schlafgelegenheit und genügender Unter¬ 
haltungsmöglichkeit, um die Patienten anzuziehen und festzuhalten. — 
Sioli hofft, daß die Zukunft auch hierfür sorgen wird. (PBychiatr. - neuroL 
Wochenschr., 9. Jahrg., Nr. 4, 1907.) 

Lehmann: „Das Trinkerheim bei der Heilanstalt Dösen.“ 
(Ebenda, 8. Jahrg., Nr. 50, S. 460.) 

Moriz Sternberg: „Zwei österreichische Gesetzentwürfe be¬ 
treffend Bestimmungen zur Hintanhaltung der Trunksucht und 
Errichtung öffentlicher Trinkerheilanstalten.“ (Monatsschrift für 
Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform, 4. Jahrg., Heft 7, S. 134.) 

Ein radikales Gesetz gegen den Alkohol, das die Einfuhr, Her¬ 
stellung, Feilbaltung und Aufbewahrung alkoholhaltiger Waren absolut ver¬ 
bietet (mit alleiniger Ausnahme von Krankenhäusern, wissenschaftlichen An¬ 
stalten und Apotheken gegen Rezept) ist von den gesetzgeberischen Körper¬ 
schaften in Finnland angenommen und dürfte bei Erscheinen dieses 
Berichtes bereits Gesetz geworden sein. 

Fürsorge für Nervenleidende. 

G. Chr. Schwarz, „Sanatorium für Nervenleidende und die 
Arbeitstherapie“, ist die Arbeit eines Laien, der am eigenen Leibe Er¬ 
fahrungen im Gegenstände gesammelt hat und durch sein bekanntes, vor 
einigen Jahren erschienenes Buch ein Anrecht erworben hat, in diesen 
Dingen ernst genommen zu werden. 

Außer eigenen Erfahrungen gibt Verfasser wiederum einen kritischen 
Bericht über die vorhandenen, speziell der Arbeitstherapie gewidmeten In¬ 
stitute, über die er sich eigene Anschauung verschafft hat. 


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Fürsorge für Nervenleidende. Unfall-, Invalidität^- und Altersversicherung. 361 

Er selbst ist jetzt technischer Leiter des Sanatoriums von Woringer 
in Schirmeck L Eis. 

Populäre aufklärende Schriften: 

Hubert Schnitzer: „Moderne Behandlung der Geistes¬ 
kranken.“ Pädagogische Psychologie, Pathologie und Hygiene. Berlin, 
Hermann Walter, 1906. 24 S. 

R. Götze: „Über Nervenkranke und Nervenheilstät ten.“ 
Halle 1907. 

August Forel: „Die sexuelle Frage.“ (München 1905, Verlag 
von Reinhardt.) Auf dieses ausgezeichnete, ernste und warmherzige Buch, 
das beste seiner Art, muß, weil sein Inhalt sich mit unserem Gegenstände 
vielfach aufs engste berührt, nicht bloß weil der Verfasser der berühmte 
Psychiater ist, auch an dieser Stelle nachdrücklich hingewiesen werden. 

Bernhardt. 


Unfall-, Invalidität^- und Altersversicherung. 

Unfallversicherung. Zur Durchführung der Reichsgesetzlichen Unfall¬ 
versicherung bestanden im Jahre 1907 144 Berufsgenossenschaften (darunter 
66 gewerbliche und 48 land- und forstwirtschaftliche), 206 staatliche und 
329 Provinzial- und Kommunal-Ausführungsbehörden. Die 66 gewerblichen 
Berufsgenossenschaften umfaßten 349 Sektionen mit 673118 Betrieben und 
9 018367 durchschnittlich versicherten Personen oder 7 869471 Vollarbeitern 
Die 48 land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften umfaßten 
590 Sektionen mit 4710401 Betrieben und 11189 071 durchschnittlich ver¬ 
sicherten Personen. Von den Reichs-, Staats-, sowie Provinzial- und Kommunal¬ 
aufsichtsbehörden wurden 964 589 durchschnittlich versicherte Personen 
oder 730077 Vollarbeiter nachgewiesen. Im Dienste der 144 Berufsgenossen¬ 
schaften waren tätig 1151 Mitglieder der Genossenschaftsvorstände, 5941 Mit¬ 
glieder der Sektionsvorstände, 28066 Vertrauensmänner, 4133 Verwaltungs¬ 
beamte und 323 technische Aufsichtsbeamte. Von den 144 Berufsgenossen¬ 
schaften wurden verausgabt an Entschädigungen 136425688 t/#, Kosten der 
Fürsorge für Verletzte innerhalb der gesetzlichen Wartezeit 756 588 t#, 
Kosten der Unfalluntersuchungen und der Feststellung der Entschädigungen 
4834303 t#, Kosten des Rechtsganges 2075050t#, Kosten der Unfall¬ 
verhütung 1 607 894 1 #, laufenden Verwaltungskosten 13390561 t#, sonstigen 
Ausgaben 1294084 t# und Einlagen in den Reservefonds 19080244 t#, so 
daß die Gesamtausgaben 179464416t# betrugen, denen Einnahmen von 
179 842 690t# gegenüberstehen. Als Vermögensbestände der Berufsgenossen¬ 
schaften blieben Ende 1907 im Reservefonds 254154 335 t# als Betriebsfonds 
und sonstiges Vermögen 37 745698t# zusammen 291900033t#. Von den 
Reichs-, Staats-, Provinzial- und Kommunalaufsichtsbehörden wurden veraus¬ 
gabt an Entschädigungen 11 954066 t#, an Kosten der Fürsorge für Verletzte 
innerhalb der gesetzlichen Wartezeit 6325 t#, Kosten der Unfallunter- 
suchungen und Feststellung der Entschädigungen, des Recbtsganges und der 


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362 Unfall-, Invalidität*- und Altersversicherung. 

Unfallverhütung 744242 c /ft y an Verwaltungskosten 172708c At. Von den 
den Baugewerks-Berufsgenossenschaften, der Tiefbau- und Seeberufsgenossen- 
schaft angegliederten Versicherungsanstalten wurden verausgabt für Ent¬ 
schädigungen 1945 537 c /ft, Kosten der Fürsorge für Verletzte innerhalb der 
gesetzmäßigen Wartezeit 2304 <M y Kosten der Unfalluntersuchungen und Fest¬ 
stellung der Entschädigungen, des Rechtsganges und der Unfallverhütung 
115448c M, Verwaltungskosten 524333^, sonstige Ausgaben 1095c/Ä und 
Einlagen in den Reservefonds 5364 c Ai im ganzen 2 594083«^, denen als 
Einnahmen 3 380909 gegenüberstehen. Das Vermögen der 14 Versicherungs¬ 
anstalten belief sich am Ende des Jahres 1907 auf 13473294 Jt. Die 
Gesamtsumme der gezahlten Entschädigungen (Renten usw.) belief sich 1907 
auf 150325291 Ji y gegenüber 1915 366 Jt im Jahre 1886. Die Zahl 
der Unfälle, für die im Jahre 1907 zum erstenmal Entschädigungen gezahlt 
wurden, betrug für den Bereich der Berufsgenossenschaften 138043, der 
Ausführungsbehörden 5313, der Versicherungsanstalten 1347 im ganzen 
144 703, darunter mit tödlichem Ausgang 9815, mit dauernder völliger 
Erwerbsunfähigkeit 1356. Die Zahl der von tödlich verletzten Personen 
hinterlassenen Entschädigungsberechtigten, die im Jahre 1907 die erste 
Rente erhielten, betrug 20522, darunter Witwen (Witwer) 6631, Kinder 
und Enkel 13 520 und Verwandte aufsteigender Linie 371. Die Zahl 
sämtlicher 1907 zur Anmeldung gelangten Unfälle betrug bei den Be¬ 
rufsgenossenschaften 607199, bei den Ausführungsbehörden 52634, bei 
den Versicherungsanstalten 3068, im ganzen 662 901, gegen 645 683 im 
Vorjahre. 

Invaliditäts- und Altersversicherung. Im Jahre 1907 sind 
105 011 Invalidenrenten, 11 022 Krankenrenten, 10 285 Altersrenten, 
152390 Beitragserstattungen bei Heiratsfällen, 445 Beitragserstattungen bei 
Unfällen und 32 511 Beitragserstattungen bei Todesfällen festgesetzt worden. 
Die Einnahmen aus Beiträgen bei den 31 Versicherungsanstalten betrugen 
163457 590t/$ gegenüber 88886 917 t/Ä im Jahre 1891. Bei den 10 Kassen¬ 
einrichtungen betrugen die Einnahmen aus Beiträgen 15185 586^ gegenüber 
5085158 c At im Jahre 1891. Die Gesamteinnahmen bei allen Versicherungs¬ 
trägern betrugen 226171 349 Jt, die Ausgaben 140629331 <M y mithin Ver¬ 
mögenszuwachs 85 542 018 c At. Die für Invaliden- Kranken- und Altersrenten 
insgesamt ausgegebene Summe belief sich auf 147 593 319 c M y an Beitrags¬ 
erstattungen auf 8854636 c M y was einer Steigerung von 3,7 v. H. entspricht. 
Für das Heilverfahren sind im Jahre 1907 von den Versicherungsanstalten 
13 998 536 >JC y von den Kasseneinrichtungen 1 187 749 jft y zusammen 
15 186286 ausgegeben worden. Die Unterstützungen an Angehörige der 
in Heilbehandlung genommenen Versicherten haben bei den Versicherungs¬ 
anstalten 1124790c/#, bei den Kasseneinrichtungen 146675^, zusammen 
1 271 465 c /ft betragen. Von 20 Versicherungsträgern sind für Invalidenhaus¬ 
pflege 443983 c At verausgabt worden. (Amtliche Nachrichten des Reichs¬ 
versicherungsamtes, Jahrg. 25, Nr. 1. Berlin, Behrend u. Co., 1909.) Pf. 


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Allgemeines. 


363 


Gewerbehygiene. 

Allgemeines. 

Der XIV. Internationale Kongreß für Hygiene und Demo¬ 
graphie in Berlin, in der Zeit vom 23. bis 29. September 1907 tagend, 
brachte in der Sektion IV, Berufshygiene und Fürsorge für die 
arbeitenden Klassen, eine Fülle interessanter Vorträge und Diskussions- 
gegenstände auf dem Gebiete der Gewerbehygiene, auf die im einzelnen in 
den folgenden Spezialabschnitten näher eingegangen werden wird. Mit dem 
Kongreß war eine hygienische Ausstellung verbunden, welche ein lehrreiches 
Bild von den Erfindungen und Fortschritten der modernen Hygiene über¬ 
haupt und im besonderen auch auf dem Gebiete der Gewerbehygiene gab. 
Bemerkenswert ist die Gründung der permanenten internationalen 
Kommission für das Studium der Gewerbekrankheiten gelegentlich 
dieses Kongresses, einer Kommission, welche vor allem die Förderung des 
Studiums der Gewerbekrankheiten, die Herausgabe eines bibliographischen 
Bulletins in französischer Sprache, die Einrichtung einer Bibliothek mit dem 
Sitz in Mailand und die Organisation der internationalen und nationalen 
Kongresse für das Studium der Berufskrankheiten bezweckt. Als ständiger 
Sekretär fungiert L. Carozzi in Mailand. 

E. Roth-Potsdam: „Gewerbehygiene.“ 1907. Sammlung Göschen. 
In dieser kleinen übersichtlichen Abhandlung wird das Wichtigste aus dem 
Gebiete der allgemeinen Gewerhehygiene und namentlich der Verhütung der 
Gewerbekrankheiten und die spezielle Gewerbehygiene vollständig besprochen. 
(Nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. IV, S. 274.) 

A. Holitscher: „Gewerbliche Gesundheitslehre, gemein¬ 
verständlich dargestellt.“ (Bibliothek der gesamten Technik, Bd. XIV. 
Hannover, M. Jänecke, 1907.) Das für Gewerbetreibende und Arbeiter be¬ 
stimmte kleine Werk enthält in knapper und leicht verständlicher Form eine 
Darlegung der allgemeinen und für jede einzelne Industrie besonderen Ge¬ 
sundheitsschädigungen, außerdem die Schutzmaßregeln gegen diese Schädi¬ 
gungen und das Wichtigste aus den Arbeiterschutzgesetzen. Seine weite 
Verbreitung unter der Arbeiterschaft ist zu wünschen. (Nach Referat von 
Teleky im Hygien. Zentralblatt, Bd. II, S. 727.) 

E. J. Neisser, „Gewerbehygiene, Gewerbeaufsicht und ärzt¬ 
liche Mitarbeit“, betont, daß der Hauptzweck der Gewerbeaufsicht, die 
Arbeiter gegen Betriebsgefahren, unter denen die Betriebskrankheiten eine 
große Rolle spielen, zu schützen, nur dann erreicht werden könne, wenn 
auch Ärzte Mitglieder der Gewerbeinspektion seien. Während aber in 
anderen Ländern, wie England, Belgien, Schweiz, Ärzte und Techniker als 
gleichberechtigte Faktoren vertreten sind, ist das ärztliche Element in der 
deutschen Gewerbeinspektion so gut wie ausgeschaltet. Verfasser wünscht 
die Einsetzung eines gewerbebygieniscben Beirats beim ReicbBgesundheitsamt 
und die Errichtung eines gewerbehygienischen Laboratoriums in Verbindung 
mit einem Sonderkrankenhaus für Gewerbekrankheiten. (Medizin. Reform, 
Nr. 13 u. 14, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 210.) 


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364 Gewerbehygiene. 

Heinrich Pach-Magyarfalu, „Die ungarische Gewerbeinspek¬ 
tion“, spricht über die neue Organisation der ungarischen Gewerbeinspektion 
vom Jahre 1906, die zwar den ärztlichen Mängeln abgeholfen hat, die aber 
noch sehr reformbedürftig ist, namentlich deshalb, weil es den Gewerbe¬ 
aufsichtsbeamten noch an einer gewerbehygienischen Schulung fehlt, auch 
die mit der Fabrikinspektion betrauten Bezirksärzte kaum irgendwelche 
gewerbehygienischen Kenntnisse besitzen. Die Gewerbeinspektoren empfin¬ 
den diesen Übelstand selbst und wünschen Gelegenheit zur Ausbildung. 
(Med. Reform, Nr. 20, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. 1H, S. 211.) 

Adolf G ott st ei n - Charlottenburg: „Die soziale Hygiene, ihre 
Methoden, Aufgaben und Ziele.“ (Sonderabdruck aus der Zeitschrift 
für soziale Medizin. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1907.) In einem besonderen 
Abschnitt wird die Gewerbehygiene als Arbeitsgebiet der sozialen Hygiene 
behandelt, wobei die Wichtigkeit des Studiums der Gewerbekrankheiten 
betont und die Abtrennung der Gewerbehygiene als Unterrichtsgegenstand 
von der Gesamthygiene gefordert wird. (Nach Ref. in der Ärztlichen Sach- 
verständigenztg., S. 233.) 

Giuseppe Sanarelli-Bologna, „II problema medico-legale della 
responsabilitä per le malattie del lavoro“, hält zwar eine allgemeine 
gesetzliche Regelung über Arbeiterfürsorge und Versicherung in Italien nach 
dem Muster Deutschlands noch für unmöglich, da dort die notwendigen 
Vorarbeiten noch nicht geleistet sind, wünscht aber zunächst die Einbringung 
von zwei Gesetzentwürfen zum Heil der Arbeiter: des einen über die obli¬ 
gatorische Anzeige der Krankheiten der Arbeiter und über die Verhütung 
der Berufskrankheiten, des anderen über die Einführung einer Rechtsprechung 
in Versicherungs- und Entschädigungsangelegenheiten, an der Arbeitgeber, 
Arbeitnehmer und Ärzte sich beteiligen. (II Ramazzini, giornale italiano di 
medicina sociale 1907, Fase. I.) 

E. J. NeiBser-Berlin: „Internationale Übersicht über Gewerbe¬ 
hygiene.“ Nach den Berichten der Gewerbeinspektionen der Kulturländer. 
(Bibliothek für soziale Medizin usw., Nr. 1. Berlin, Verlag Gutenberg.) 
Aus den Berichten der Gewerbeaufsichtsbeamten des Jahres 1905, und zwar 
aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Großbritannien, Frankreich, Belgien, 
der Niederlande und denVereinigten Staaten hat Neisser alle Mitteilungen 
über Gewerbekrankheiten und hygienisch bedeutungsvolle Wohlfahrtseinrich- 
tungen geordnet und übersichtlich zuBammengestellt und damit eine wert¬ 
volle Fundgrube zum Studium für Gewerbehygieniker, Sozialpolitiker, Ge- 
werbeaufsichte- und Medizinalbeamte, Fabrikärzte, Techniker, auch für 
Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschaffen. (Nach Ref. in der Ärztl. Sach¬ 
verständigere tg., S. 493.) 

L. Teleky, „Gewerkschaft und Gewerbehygiene“, legt in kurzem 
dar, wie die Gewerkschaften zur Förderung des gewerblichen Gesundheits¬ 
schutzes beitragen können, nämlich durch Belehrung der Arbeiter über ihre 
und der Arbeitgeber Pflichten, enge Fühlung mit den Gewerbeinspektoren, 
zivilrechtliche Haftbarmachung fahrlässiger Unternehmer für eingetretene 
Gesundheitsächädigungen, Aufstellung gewerbehygienischer Forderungen bei 


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Allgemeines. 


365 


Lohnkämpfen und Tarifverhandlungen und Propaganda für Erlassung neuer 
Arbeiterschutzbestimmungen. (Der Kampf, I. Jahrg., Heft 2, nach Ref. im 
Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 651.) 

Steiner, „Die Mitwirkung der Arbeiter bei der Verhütung 
von Gewerbekrankheiten“, betont an der Hand der Berichte der Ge¬ 
werbeinspektoren, daß die Arbeiter sich auffallend passiv der Verhütung der 
Gewerbekrankheiten gegenüber verhalten und man deshalb nicht alle Schuld 
an dem Auftreten der Gewerbekrankheiten dem Unternehmer beimessen 
dürfe. (Zeitschr. f. Gewerbekrankheiten usw., Nr. 20, nach Ref. im Hygien. 
Zentralblatt, Bd. III, S. 651.) 

Bender-Düren, „Volkstümliche Vorträge über persönliche Ge¬ 
sundheitspflege der Arbeiter“, veranstaltete mit Wex solche Vorträge, 
die sich auf persönliche Gesundheitspflege der Arbeiter, das Arbeiterrecht, 
häusliche Gesundheitspflege und gewerbliche Gesundheitspflege bezogen. 
Alle Vorträge waren gut besucht. (Zeitschr. f. Gewerbehygiene usw., Nr. 5, 
nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. II, S. 571.) 

E. Roth-Potsdam, „Die ärztliche Mitwirkung auf dem Gebiete 
des Arbeiterschutzes“, begründet seine alten Forderungen von einer 
umfangreicheren Beteiligung des — entsprechend vorgebildeten — Arztes 
bei der Krankheitsverhütung in gewerblichen Betrieben. Der großen Mehr¬ 
zahl der Arbeiter fehlt es an dem erforderlichen Verständnis und Interesse; 
die Belehrungen in Form von Merkblättern und „Gesundheitsregeln“, wie 
solche Roth zusammengestellt bat zur Aushändigung an Kassenmitglieder, 
so nützlich sie sind, reichen nicht aus, deshalb muß der Arbeiter genau 
unterwiesen werden über die Gefahren, die dem Körper durch Eindringen 
von Staub, Dämpfen, Giften, Krankheitserregern usw. in seinem Betriebe 
drohen, und hierzu ist selbstverständlich der Arzt die geeignete Persönlich¬ 
keit. Vorbedingung aber ist eine gründliche Ausbildung der Fabrikärzte 
und der hygienischen Vertrauensärzte, wie sie Roth wünscht, in der Gewerbe¬ 
hygiene und in der Kenntnis der Gewerbekrankheiten. Zu dem Zweck sind 
besondere Lehrstühle für Gewerbehygiene und Gewerbekrankheiten an 
deutschen Hochschulen erforderlich. (Concordia, Nr. 18.) 

L. Lewin-Berlin: „Die Grundlagen für die medizinische und 
rechtliche Beurteilung des Zustandekommens und des Verlaufs 
von Vergiftungs- und Infektionskrankheiten im Betrieb.“ (Vor¬ 
trag, gehalten im Reichsversicherungsamt am 19. und 20. Februar 1907. 
Berlin, Carl Heymann, 1907.) Gifte sind chemische, nicht organisierte 
Stoffe oder chemische Stoffe abscheidende, organisierte Gebilde, die im Körper 
des Menschen Krankheit oder Tod veranlassen können. Es sind zu unter¬ 
scheiden: Entzündungs- oder Ätzgifte, Stoffwechselgifte, Nervengifte und 
Blutgifte. Die Vergiftungskrankheiten beanspruchen eine öffentlich-recht¬ 
liche Fürsorge. Die Festlegung einer dosis toxica für die verschiedenen 
Gifte stößt auf die größten Schwierigkeiten, da die persönliche Empfindlich¬ 
keit verschieden ist. Die Aufnahme der Gifte erfolgt für gewöhnlich nicht 
durch die normale Haut oder durch diese erst dann, wenn die Haut vorher 
in Entzündung versetzt oder ein längerer mechanischer Druck auf dieselbe 


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366 


Gewerbehygiene. 


ausgeübt ist. Leichter gelangen die Gifte von den Schleimhäuten und 
namentlich durch den Magen-Darmkanal in den Körper. Die gasförmigen 
Gifte finden ihren Weg fast stets durch die Lunge. 

Der menschliche Körper ist bestrebt, alle fremdartigen, in ihn gelangten 
Stoffe schnell abzustoßen, wozu vor allem die drüsigen Organe dienen. 

Bei der Besprechung der Beziehungen zwischen Berufskrankheit und 
Unfall will Lewin den Vergiftungen eine Ausnahmestellung gegenüber den 
übrigen, durch mechanische Schädigungen, durch hohe Hitzegrade, Staub¬ 
einwirkung usw. hervorgebrachten Berufskrankheiten einräumen und sich 
nicht mit der weitgehenden Auslegung des Begriffes des zeitlich begrenzten 
Moments des Betriebes, wie sie von dem Reichs versicherungsamt humaner¬ 
weise geübt wird, begnügen. (Nach Ref. in der ÄrztL Sachverständigenztg., 
S. 494.) 

„Überblick über die Erfolge der Unfallverhütung“ hieß ein 
Thema, das auf dem XIV. Internationalen Kongreß für Hygiene aus¬ 
führlich besprochen wurde, und zwar referierten: 

Hartmann-Berlin über die Erfolge in Deutschland, indem er die 
Ansicht vertrat, daß die Unfallverhütungsmaßnahmen zwar auf allen Gebieten 
der Industrie und auch in der Land- und Forstwirtschaft in befriedigender 
Weise entwickelt worden sind und die Unfallverhütungstechnik vollwertig 
in die Reihe der anderen Spezialgebiete der Technik eingetreten ist, daß es 
aber gelte, in der Verbesserung aller Unfallverhütungsmaßnahmen mit aller 
Energie weiter zu schreiten und die Überwachung der Betriebe immer inten¬ 
siver zu gestalten. Sehr wichtig für die Verbreitung der Kenntnis der 
Unfallgefahren und Unfallverhütung sind neben weitgehender Veröffent¬ 
lichung in Fach- und anderen Zeitschriften Vorträge und Instruktionskurse, 
wie sie in Deutschland jährlich mehrfach an technischen Hochschulen usw. 
abgehalten werden, und die Vorführung praktisch bewährter Sicherheits¬ 
einrichtungen auf Ausstellungen und Museen, wie sie als ständige Einrich¬ 
tung in Wien, Zürich, München, Charlottenburg getroffen sind. 

Mamy-Paris über die Erfolge in Frankreich, wo neben der 
staatlichen Beaufsichtigung die Privattätigkeit in Form freier associations 
industrielles zur Beaufsichtigung der Sicherheit der Arbeiter eintritt. Von 
den verschiedenen Vereinigungen werden zusammen 500000 Arbeiter über¬ 
wacht. Ein in Paris befindliches, 1905 begründetes Musenm (musee de 
prevention des accidents du travail et d’hygiäne industrielle) hat sich als ein 
wahrhaftes Bedürfnis herausgestellt. 

Pontiggia-Mailand über die Erfolge in Italien. Hier fing man 
erst seit 1894 an, in der Majorität der Großindustriellen sich mit diesen 
Fragen der Unfallverhütung ernstlich zu beschäftigen. Trotz der Kürze der 
Zeit ist dank dem Eifer des verdienten de Angeli und der von ihm 1904 
inB Leben gerufenen Association des Industriels manches zur Verbesserung 
bestehender Verhältnisse erreicht. Die genannte Association erstreckt sich 
auf 5205 industrielle Unternehmungen mit 500000 Arbeitern und hat vom 
Staate behördliche Funktionen zugewiesen bekommen. Wie in den letzten 
Jahren die Zahl der Unfälle in den einzelnen Betrieben sich vermindert hat, 
wird in Diagrammen dargestellt. 


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Allgemeines. 


367 


Bielefeldt-Lübeck sprach auf demselben Kongreß über „Hebung der 
Hygiene der arbeitenden Klasse durch die Invalidenversiche¬ 
rung“, indem er betonte, daß die Heilbehandlungsmaßnahmen der Invaliden¬ 
versicherung in befriedigendem Umfang Erhaltung oder Wiederherstellung 
der Erwerbsfähigkeit und Gesundheit des Arbeiters bewirken, die hierdurch 
frei werdenden Mittel zweckmäßig für die Hebung der Volksgesundheit ver¬ 
wendet werden und durch Vermittelung der Einrichtungen der Invaliden¬ 
versicherung (Heilanstalten, Lungenkrankenfürsorgestellen, Erholungsstätten 
und andere) hygienische Lebensregeln und Grundsätze weit in die Volks- 
kreise hinein getragen werden. 

Hauck: „Die Nachtarbeit der Jugendlichen in der öster¬ 
reichischen Industrie.“ (Schriften der österreichischen Gesellschaft für 
Arbeiterschutz, Heft XI. Wien, Deuticke, 1907.) Es werden zunächst die 
einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen wiedergegeben und auf Grund der 
Berichte der Gewerbeinspektoren die häufigen Übertretungen, nämlich Ver¬ 
wendung Jugendlicher zur Nachtarbeit im Kleingewerbe, besprochen. Für 
fabrikmäßige Betriebe fordert Hauck im allgemeinen ein Verbot der Nacht¬ 
arbeit von Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahre, für einzelne Betriebsarten 
werden auf Grund eigener Erfahrungen und genauer Beobachtungen be¬ 
stimmte Ausnahmen zugestanden. (Nach Referat im Hygien. Zentralblatt, 
Bd. III, S. 652.) 

Eisner-Berlin, Roth'-Potsdam, Treves-Turin, Imbert-Montpellier 
behandelten auf dem XIV. Internationalen Kongreß das Thema: „Die Er¬ 
müdung der Berufsarbeit.“ Aus den Schlußsätzen, soweit sie praktische 
Ziele im Auge haben, seien folgende hervorgehoben: 

„Da die Leistungsfähigkeit nicht bloß individuell eine verschiedene ist, 
sondern auch im Leben des einzelnen erheblichen Schwankungen und Ände¬ 
rungen unterworfen ist, muß in allen körperlich oder geistig anstrengenden 
Betrieben, mit Einschluß der großen kaufmännischen Betriebe, wie desgleichen 
in allen Anlagen, in denen die Arbeiter besonderen Betriebsgefahren aus¬ 
gesetzt sind, eine dauernde sachverständige Kontrolle nach der Richtung 
stattfinden, daß der Leistungsfähigkeit im Einzelfall in geeigneter Weise 
Rechnung getragen wird“ (Roth). 

In praktischer Hinsicht würde es äußerst erwünscht sein, daß alle Ver¬ 
waltungen nach dem Beispiel Belgiens, Hollands, Englands und anderer 
Staaten Bich baldigst an das Werk machten, neben der gesetzlichen tech¬ 
nischen Überwachung der Arbeit und Arbeitszeit eine regelmäßige ärztliche 
Überwachung einzuführen, welche die Aufgabe hat, sich mit allen auf die 
Prophylaxe der arbeitenden Klasse bezüglichen Fragen zu beschäftigen und 
die wissenschaftlichen Methoden zu studieren, die am besten geeignet sind, 
praktisch verwertet zu werden (Treves). 

Es ist zu wünschen, daß nach der von der Direction du travail in 
Frankreich ergriffenen Initiative Laboratorien speziell für das systematische 
Studium der gewerblichen Arbeit eingerichtet werden. Außerdem wäre es 
nur rationell, wenn den Ärzten und Physiologen ein Platz in jedem Conseil, 
in dem solche Maßnahmen bearbeitet werden, eingeräumt würde (Imbert). 


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368 


Gewerbehygiene. 


Deutsch: „Die Kinderarbeit und ihre Bekämpfung.“ (Zürich, 
Rascher u. Co.) Übersichtlich und erschöpfend wird dies Thema unter 
besonderer Berücksichtigung der deutschen und schweizerischen Verhält¬ 
nisse in folgenden sieben Abschnitten behandelt: Geschichte der Kinder¬ 
arbeit und die Entwickelung der Kinderschutzgesetzgebung, die geltenden 
Kinderschutzgesetze, der Umfang und die Art der Kinderarbeit und ihre 
Schäden, die volkswirtschaftliche Bedeutung der Kinderarbeit und die Be¬ 
kämpfung derselben. Die zur Verbesserung gemachten Vorschläge sind den 
schweizerischen Verhältnissen angepaßt, lassen sich aber auf andere Länder 
in ihren Grundzügen anwenden. (Nach Ref. in der Ärztl. Sachverständigen- 
zeitung, S. 493.) 

Für das Deutsche Reich ist die Abänderung der Gewerbe¬ 
ordnung im Gange, insofern bereits der Entwurf eines entsprechenden 
Gesetzes dem Bundesrat zugegangen ist. Es sind in diesem Entwurf Be¬ 
stimmungen über die Nachtruhe der gewerblichen Arbeiterinnen und Vor¬ 
schriften über die Herabsetzung der elfstündigen Höchstarbeitszeit der 
Fabrikarbeiterinnen auf eine zehnstündige Dauer, sowie Bestimmungen zur 
Regelung der Heimarbeit enthalten. 

W. Friedrich-Budapest, „Die Ursachen der Tuberkulose bei 
der industriellen Bevölkerung Budapests“, findet die Ursachen 
für die auffallend große Verbreitung der Tuberkulose hauptsächlich in den 
eigentümlichen sozialen Verhältnissen der industriellen Arbeiter, die von den 
Erwerbsverhältnissen, den ungünstigen allgemeinen hygienischen Lebens¬ 
bedingungen und dem mangelnden Reinlichkeitssinn abhängig sind. (Zeit¬ 
schrift f. Tuberkulose, Bd. X, Heft 2, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, 
Bd. II, S. 468.) 

Holtzmann-Karlsruhe: „Arbeitsmaterialien als Infektions¬ 
träger.“ Bekannt sind bisher eigentlich nur Übertragungen von Milzbrand 
bei Arbeitern, die mit Stoffen milzbrandkranker Tiere in Berührung kommen 
(in Gerbereien, Roßhaarspinnereien, Filzwarenfabriken, Pinsel-, Bürsten¬ 
fabriken u. dgl.), und von Pocken bei Arbeitern, die mit Federn und Lumpen 
zu tun haben. Rotz ist nur selten auf gewerbliche Arbeiter übertragen. 
Ob Cholera durch Lumpen übertragbar ist, erscheint zweifelhaft, ist aber nicht 
wahrscheinlich, da die Cholerabazillen bei Austrocknung schnell absterben. 
Über die Übertragung von Typhus, Scharlach, Diphtherie liegen derartige 
Beobachtungen nicht vor. 

Zur Verhütung solcher Infektionen kommen vor allem Desinfektions- 
maßnahmen in Betracht, jedoch stellen sich da manche technische Schwierig¬ 
keiten in den Weg. Eine Desinfektion der Lumpen durch strömenden 
Wasserdampf ist vom hygienischen Standpunkt dringend zu fordern. 
Arbeiter in Lumpensortieranstalten sollten alle 3 bis 5 Jahre wieder geimpft 
werden. (Concordia, Nr. 14.) 

Kurita, „Über die Steigerung der Eigenwärme der in hoher 
Temperatur Arbeitenden“, stellte Temperaturmessungen an 28 Feuer¬ 
leuten und 6 Mann im Maschinenraum in tropischen Gewässern an. Von 
den ersteren zeigten 2 eine Körperwärme von 39°, 17 eine solche von 38 
bis 39°, 7 eine solche von 37,5 bis 38° und 2 eine solche von 37,2 bis 37,4°; 


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Allgemeines. 


369 


von den letzteren batte keiner mehr als 37,6°. Die Erhöhung der Körper¬ 
wärme fing schon eine halbe Stunde nach Beginn der Arbeit an und erreichte 
in der letzten Stunde den höchsten Grad; nach ein bis zwei Stunden Ruhe 
bei 24 bis 29° fiel sie auf 37,5° und darunter. (Archiv für Schiffs- und 
Tropenhygiene, Bd. XI, S. 681, nach Hygien. Rundschau, Bd. XVUI, S. 1063.) 

Fr. Snoy: „Die Nervenschwäche der Feuerwehrleute nach 
Rauchvergiftnng.“ (Inaugural-Dissertation. Berlin, E. Ebering, 1907.) 
Es werden 20 Fälle nervöser Erkrankung nach Rauchvergiftung beschrieben, 
welche in der Nervenheilstätte Haus Schönow bei Zehlendorf beobachtet 
wurden. Das Leben der Feuerwehrleute mit seinen körperlichen und 
psychischen Alterationen macht den Körper für die Rauchvergiftung empfäng¬ 
licher. Bei letzterer spielen Kohlenoxyd, Kohlensäure und allerhand giftige 
gasförmige Produkte, die je nach der Nahrung des Feuers verschieden sind, 
eine Rolle. Die Symptome der Rauchvergiftung sind nach der Schwere der 
Vergiftung verschieden. Besonders die wiederholten Vergiftungen führen 
leicht zu Nervenerkrankungen, vor allem Neurasthenie mit vorherrschenden 
Herzbeschwerden. Auch psychische Veränderungen kommen nicht selten 
vor. Dienstuntauglichkeit ist die gewöhnliche Folge in allen diesen Fällen. 
Die Prognose ist bei Änderung des Berufes nicht ungünstig. (Nach Ref. in 
der Hygien. Rundschau, Bd. XVIII, S. 611.) 

C. Lubenau-Beelitz, „Experimentelle Staubinhalationserkran¬ 
kungen der Lungen“, stellte mit 28 verschiedenen Staubarten minerali¬ 
scher, metallischer und organischer Art vergleichende Versuche an und 
schließt aus seinen Versuchen: „Je feinkörniger der Staub, desto leichter 
wird er eingeatmet und desto leichter gelangt er ins interstitielle Gewebe. 
Viele organische Substanzen dagegen geben einen gröberen Staub, dessen 
spitze und scharfe Fragmente nicht ins Gewebe eindringen, sondern von den 
Bronchien aus ihre Wirkung entfalten. Mitunter entwickeln sich in beiden 
Fällen schon nach kurzer Inhalationsdauer schwere Lungenveränderungen 
auch chronischer Art. Die natürliche Staubreinigung der Lungen verläuft 
bei den einzelnen Staubarten sehr verschieden.“ (Arch. f. Hygiene, Bd. 63, 
Heft 4, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. IV, S. 275.) 

Bender-Düren, „Der Einfluß und die Beseitigung des Hadern- 
staubes“, führt auf Grund der von der Gewerbeinspektion Düren in älterer 
und neuerer Zeit angestellten Erhebungen den Nachweis, daß die Erkrankungs¬ 
häufigkeit bei den Hadernarbeitern viel häufiger als bei den übrigen in dem¬ 
selben Betriebe beschäftigten Arbeitern ist. Die in Betracht kommenden 
Schutzmaßnahmen sind: mechanische Reinigung der noch unsortierten Hadern 
in Klopfwölfen und Haderndreschern und die Staubabsaugung vom Sortier¬ 
tisch oder von den Reißmessern weg. (Zeitschr. f. Gewerbehygiene usw., 
Nr. 3 u. 4, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. II, S. 573.) 

0. Wille-München: „Welche Anforderungen in sanitätspolizei¬ 
licher Beziehung sind an den Fabrikbetrieb zu stellen bezüglich 
des Schutzes der Arbeiter gegen Rauch und Staub?“ Es werden 
folgende Forderungen aufgestellt: 1. Eingehende Vorschriften der Verhütung 
und Bekämpfung von Rauch und Staub. 2. Strenge Überwachung durch 

Viert* lj*hr«»ohrlft für Qeiundheitspflege, 1908. Supplement. 24 


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370 Gewerbehygiene. 

Gewerbeaufsichtsbeamte und beamtete Arzte. 3. Belehrung der Arbeiter. 
(Friedreichs Blätter f. gerichtl. Medizin, Bd. 58, Heft 3 bis 4, nach Ref. im 
Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 357.) 

Czimatis-Solingen, Jehle-Wien und Recknagel-München referierten 
auf dem XIV. Internationalen Kongreß für Hygiene über: „Neuere 
Erfahrungen, betreffend die Staub Verhütung im Gewerbe¬ 
betriebe.“ Die beiden ersten Referenten betonen die Gesundheitsschädlich¬ 
keit des im Gewerbebetriebe auftretenden Staubes und die Notwendigkeit, 
den Staub grundsätzlich am Orte der Entstehung aufzufangen und so abzu¬ 
führen, daß er nicht an anderen Stellen zu Belästigungen Anlaß gibt. Mit 
der Herstellung solcher Staubabsaugungsanlagen sind nur Sachverständige 
zu betrauen. Die Mittel der Raumventilation und der Verwendung von 
Respiratoren u. dgl. sind nur als Not- und Ergänzungseinrichtungen anzu¬ 
sehen. Ebenso bleiben auch bei rationellen Entstaubungsanlagen die der 
persönlichen Hygiene des Arbeiters dienenden Einrichtungen, wie Bereit¬ 
stellung von Schutzkleidern, Umkleide-, Wasch- und Badeeinrichtungen, voll¬ 
wertig. Aufklärung über die Bedeutung der Staubgefahr und der Mittel 
zu ihrer Beseitigung ist dringend erforderlich. In der Statistik, namentlich 
den Krankenkassenberichten, ist ein besonderer Wert auf die Schädigungen 
der Arbeiter durch den Staub und die Erfolge durch Einführung rationeller 
Staubverhütung zu legen. Recknagel bespricht die wissenschaftlichen 
Methoden zur Feststellung der Staubgefahr in den verschiedenen Betrieben 
und betont, daß es notwendig sei, Normen für eine einheitliche quantitative 
Staubgehaltsbestimmung der Luft festzusetzen. 

Borgmann-Düsseldorf referierte auf dem XIV. Internationalen 
Kongreß für Hygiene über „Hygienische Vorbildung des Ge¬ 
werbeinspektors“. In Deutschland, Österreich, Ungarn und der Schweiz 
werden fast ausschließlich technisch vorgebildete Personen mit Hochschul¬ 
bildung in den Gewerbeaufsichtsdienst übernommen; ähnlich ist es in den 
meisten übrigen europäischen Staaten; in England wird keine besondere 
technische Vorbildung verlangt und findet ärztliche Beihilfe in mehrfacher 
Hinsicht statt; in Holland ist ein Arzt im staatlichen Gewerbeaufsichtsdienst 
tätig; in Belgien werden medizinisch vorgebildete Gewerbeaufsichtsbeamte 
in erhöhter Zahl beschäftigt. Borgmann spricht sich als Gewerbeaufsichts¬ 
beamter dahin aus, daß zur erfolgreichen Bekämpfung der in den gewerb¬ 
lichen Betrieben auftretenden Gesundheitsschädigungen gründliche technische 
Kenntnisse unbedingte Voraussetzung sein müssen, daher die praktische 
Durchführung der gewerbehygienischen Aufgaben zweckmäßig dem aka¬ 
demisch-technisch vorgebildeten Gewerbeaufsichtsbeamten an vertraut wird. 
Die für viele hygienische Fragen nicht zu entbehrende Mitwirkung der Arzt« 
muß sich daher auf eine mehr beratende Tätigkeit beschränken. 

Gilbert-Brüssel als Mitberichterstatter zu diesem Thema bespricht 
die in Belgien, Frankreich, England und Holland bestehenden Einrichtungen 
bezüglich der Ausbildung der Gewerbeaufsichtsbeamten und kommt bei 
einem Vergleich zu folgenden Schlußfolgerungen: 

1. Die rationelle Organisation eines guten Gewerbeaufsichtsdienstes 
fordert das konstante Zusammenarbeiten von Ärzten und Technikern. 


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Allgemeines. 


371 


2. Die hygienische Aufgabe der Gewerbeinspektoren muß ihrer voran¬ 
gehenden Bildung angepaßt werden; die medizinischen Studien bereiten auf 
die Kenntnis der Hygiene und der Pathologie des Arbeiters vor, die exakten 
Wissenschaften dienen zur Einführung in das Studium des „Genie Banitaire“. 

3. Es ist wünschenswert, viel mehr Wichtigkeit auf die Lehre der 
Hygiene und des „Genie sanitaire“ in den oberen Schulen aller Kategorien 
za legen. 

J. J. Blakeslee: „Die Anstellung der englischen Gewerbe- 
inspektoren und ihre allgemeine und hygienische Vorbildung.“ 
Übersetzt von R. Wilke. Die Gewerbeinspektoren fangen als Inspektorats- 
anwärter an, avancieren zu Inspektoren und eventuell zu Oberinspektoren. 
Der ersten Prüfung, bei der der Aufsatz, genaue Berichterstattung, Arith¬ 
metik und Physik die Hauptrolle spielen, folgt nach einer zweijährigen 
Probedienstzeit eine zweite Prüfung über Gewerbegesetzgebung und Hygiene, 
von deren Ausfall die definitive Anstellung bei recht auskömmlichem Gehalt 
(6000 bis 15 000 jft) abhängt. 40 Hilfsinspektoren, aus dem Arbeiterstande 
hervorgegangen, stehen den Inspektoren zur Seite. Das weibliche Inspektions¬ 
personal besteht aus einer Oberinspektorin und Inspektorinnen. Die Vor¬ 
bildung der weiblichen Beamten ist ebenso gut, wenn nicht besser, als die 
der männlichen. (Med. Reform, Nr. 40, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, 
Bd. IV, S. 30.) 

E. Roth-Potsdam: „Die ärztliche Gewerbeaufsicht in Belgien.“ 
Auf Grund eigener Reisebeobachtungen und eines Berichts des Chefs der 
gewerblichen Aufsicht in Belgien, Gilbert, werden die belgischen Ein¬ 
richtungen, die bezüglich der ärztlichen Gewerbeaufsicht an erster Stelle 
stehen, geschildert. Die von Roth wiederholt geforderten Gegenstände sind: 
periodische Untersuchungen der Arbeiter durch unabhängige Ärzte, Ein¬ 
richtung besonderer Lehrstühle für Gewerbehygiene und Gewerbekrankheiten 
und Einrichtung von Instituten für experimentelle Gewerbehygiene. (Soziale 
Medizin und Hygiene, Bd. 2, Nr. 1, nach Ref. in Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 
S. 214.) 

V. Steiner, „Die Mängel der Gewerbeaufsicht“, nimmt die Ge¬ 
werbeinspektoren gegen die seitens des Bundes der Industriellen in Berlin 
vorgebrachten Beschwerden im großen und ganzen in Schutz, wenn er auch 
den Vorwurf der einseitigen Wahrnehmung der Interessen der Arbeiter 
„zutreffend“ fand. (Zeitschr. f. Gewerbehygiene usw., Nr. 12, nach Referat 
im Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 649.) 

Rambousek, „Vom System in der Gewerbehygiene“, entwirft, von 
der Notwendigkeit eines „Systems“ für die Gewerbehygiene überzeugt, ein 
Schema, in dem die einzelnen Zweige des „Wissens“, von denen man zur 
Gewerbehygiene gelangt, und die Hauptgruppen und Unterabteilungen der 
letzteren dargestellt werden. Es wird an diesem Schema bemängelt, daß 
gewisse Störungen von einer „disponierenden“ Wirkung der Arbeit abgeleitet 
werden, während diese offenbar direkte Wirkungen sind. (Zeitschr. f. 
Gewerbehygiene usw., Nr. 5 bis 7, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. HI, 
S. 649.) 

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372 


Gewerbehygiene. 


Hans Hammerl-Graz, „Die Aufgaben der technischen Wissen¬ 
schaften in der Hygiene“, gibt im allgemeinen einen Überblick über die 
Aufgaben der Hygiene und weist dann darauf hin, daß die Hilfe des Tech¬ 
nikers unentbehrlich ist, um die Forderungen des Hygienikers in die Tat 
umznsetzen. (Zeitschr. f. Gewerbehygiene usw., Nr. 4, nach Ref. im Hygien. 
Zentralblatt, Bd. II, S. 572.) 

Vorschriften zur Verhütung von Unfällen und zum Schutze 
der Gesundheit der Arbeiter bei der gewerblichen Ausführung 
von Hochbauten sind durch Verordnung des österreichischen 
Handelsministers vom 7. Februar 1907 erlassen und abgedruckt in der 
Zeitschrift für Gewerbehygiene usw., Nr. 4 u. o. 

Die Zeitschrift für Gewerbehygiene usw. enthält in dem Jahr¬ 
gang 1907 wieder eine große Reihe von Beschreibungen neuerer hygienischer 
Verbesserungen auf dem Gebiete der Staubbeseitigung in Fabrikbetrieben, 
Schutzvorrichtungen allerlei Art zur Verhütung von Unfällen u. dgL, von 
denen folgende kurz angegeben werden mögen: 

Luftbefeuchtungs- und Ventilationseinrichtungen fürTextil- 
fabriken von Gebr. Körting, A.-G.; 

Absaugung des Hadernstaubes in einer Papierfabrik; 

Körtings Dampfstrahlluftsauger zum Bewegen staubförmiger 
Materialien; 

Vorrichtung zum Abkühlen und zur staubfreien Gewinnung 
des Röstguts in Zinkblenderöstanstalten; 

Automatischer Verschluß für die Klappe am Tambourgehäuse 
der Karden; 

Schutzvorrichtung für Abrichthobelmaschinen; 

Verbesserungen von Schutzvorrichtungen an Kreissägen; 

Schutzvorkehrungen bei Sauggeneratorgasanlagen; 

Neue Anleitung zur ersten Hilfeleistung bei Unfällen im 
elektrischen Betriebe; 

Eine sehr zweckmäßige Einrichtung zur Verhütung von Un¬ 
fällen durch elektrischen Strom; 

Maßnahmen der Feuerwehr bei Bränden elektrischer Anlagen; 

Die Bekämpfung von Schadenfeuern in chemischen Fabriken; 

Zur Feuer- und Explosionsgefahr in Garagen; 

Verhütung von Kohlenstaubexplosionen durch Besprengen 
des Staubes und der Abbauorte mit Laugen; 

Lebensrettung in Bergwerken nach Explosionen u. a. 

Baumwollindustrie. 

Alfred Green wood- Blackburn: „Die Baum Wollindustrie in Black¬ 
burn.“ Die Baumwollindustrie in Blackburn ist von weltbekannter Be¬ 
deutung; die Zahl der hierin beschäftigten Arbeiter betrug im Jahre 1901 
über 38 000 Menschen, fast den dritten Teil der Bevölkerung, darunter 
24 000 Frauen. Schon früh ist den Ärzten das häufige Vorkommen von 
Lungenkrankheiten unter den Arbeitern aufgefallen. In den letzten Jahren 
sind mit Verbesserung der Lüftungs- und Beleuchtungseinrichtungen bessere 
Gesundheitsverhältnisse eingetreten. Auch hat eine bessere technische Aus- 


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BaumwoUinduatrie. Bergbau. 


378 


bildung der Arbeiter in eigenen Schulen nützlich gewirkt. So ist die Sterb¬ 
lichkeitsziffer unter den Arbeitern, namentlich für Tuberkulose unter den 
Webern, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zurückgegangen. 

Besonders interessant ist das Vorkommen einer gewerblichen Vergiftung 
in den letzten Jahren. Es erkrankten Arbeiter, die Weberschiffchen machten, 
an Kopfschmerz, Schläfrigkeit, Atembeklemmung, Ohnmachtsanfällen u. dgl., 
zwei solche Erkrankte starben. Es gelang einem Botaniker, die Krank¬ 
heit auf eine bestimmte Holzart (Yellow-grey box) zurückzuführen, die für 
die Verfertigung der Weberschiffchen eingeführt worden war, und zwar fand 
man im Sägestaub dieses Holzes ein Alkaloid, das sich als Herzgift erwies 
und die genannten Erscheinungen erzeugte. Diese so erklärte Krankheit 
wurde mit Erfolg dadurch bekämpft, daß der beim Sägen und Bearbeiten des 
Holzes sich entwickelnde Staub am Orte seiner Entstehung sofort auf¬ 
gefangen und abgeleitet wurde. (Public Health XIX, Nr. 4, nach Ref. in der 
Zeitschr. f. Medizinalbeamte, S. 335.) 

Schippel, „Entstaubungsanlage für Baumwollrauherei“, be¬ 
schreibt eine zweckmäßige, auch für den Fabrikanten ökonomisch vorteilhafte 
Anlage, die darin besteht, daß weite Trichter über den Rauhmaschinen münden, 
deren Rohrleitungen vor dem Ventilator ein Staubfilter besitzen; hierdurch 
wird ein Verlegen des Ventilators mit Staubwolle verhindert. (Zeitschr. f. 
Gewerbehygiene usw., Nr. 11, nach Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 654.) 

Bergbau. 

M. Vogel-Jena, „Über das Sinken der Arbeitsfähigkeit der 
Bergleute in Preußen“, bezeichnet als Ursachen für die auffällige Herab¬ 
setzung des Durchschnittsalters für Invalidität der Bergleute: 1. Das Arbeiten 
in größerer Tiefe, 2. die Herabsetzung der Anforderungen an die Aufzu¬ 
nehmenden bezüglich ihres Gesundheitszustandes, 3. ungenügende Schonung 
der Rekonvaleszenten, 4. Zunahme des Alkoholismus, 5. Steigerung der In¬ 
validenrente. (Ärztl. Vereinsblatt, Nr. 590, nach Ref. in dem Hygien. Zen¬ 
tralblatt, Bd. II, S. 467.) 

Toubelaine - Chaptelat: „Sicherheitsverschluß für Gruben¬ 
lampen mit einem unter Federdruck stehenden, durch Druckluft 
verschiebbaren Kolben.“ I). R.-P. Nr. 179015. (Mitteilung im Hygien. 
Zentralblatt, Bd. II, S. 576.) 

Johannes Felgentraeger-Berlin, „Über schlagende Wetter in 
Kohlengruben und den Schutz der Bergarbeiter gegen deren 
Gefahren durch sanitätspolizeiliche Maßnahmen“, gibt unter Be¬ 
rücksichtigung der neueren Literatur eine übersichtliche Darstellung der 
Entstehung der schlagenden Wetter, der dadurch bedingten Gefahren und 
der Maßnahmen zur Verhütung oder Einschränkung der entstehenden Un¬ 
glücksfälle. (Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medizin und öffentl. Sanitätswesen, 
Bd. XXXIV, Heft 1.) 

Die Ankylostoma-Frage wurde auf dem XIV. Internationalen 
Kongreß für Hygiene und Demographie behandelt von: 

Löbker-Bochum, welcher die Infektionswege, den Nachweis und die 
Behandlung der Ankylostomiasis erörterte; 


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374 


Gewerbehygiene. 


Bruns-Gelsenkirchen, welcher die Erfolge der planmäßigen Bekämpfung 
der Wurmkrankheit im Gebiete des rheinisch - westfälischen Kohlenreviers 
besprach und dabei angab, daß in 110 Schachtanlagen zusammen bei der 
ersten Untersuchung 14 716 Wurmbehaftete gefunden wurden, deren Zahl 
bei der jeweilig letzten Untersuchung auf 1252 oder um 91,5 Proz. zurückging; 

Conti-Cremona, welcher die sozialen Schädigungen der Krankheit 
(degenerative Wirkungen) betonte und eine äußerst strenge Überwachung 
zur Verhütung der Weiterverbreitung der Krankheit forderte; 

Malvoz-Lüttich, welcher über die Tätigkeit der „Dispensaires du 
mineur“ zur Bekämpfung der weitverbreiteten Wurmkrankheit im Kohlen¬ 
revier von Lüttich berichtete und dabei erwähnte, daß die Prozentzahl der 
Wurmträger von 16 Proz. innerhalb von zwei Jahren auf 4 Proz. fiel. 

Dieminger-Merklinde, „Über die Erfolge der Abtreibungskuren 
bei Ankylostomiasis“, berichtet über die außerordentlich günstigen Er¬ 
folge, die er bei 1054 Bergarbeitern einer Zeche im Jahre 1904 in seiner 
Wurmbaracke erzielte: Von den 1054 machten 231 ihre erste, alle übrigen 
eine wiederholte Kur durch. Die letztere bestand darin, daß am ersten 
Tage 10 g Extr. fil., danach ein Abführmittel gegeben wurde, am zweiten 
Tage Pause und am dritten Tage Kur wie am ersten war, die noch ein- bis 
zweimal wiederholt wurde, wenn bei den Nachuntersuchungen vom vierten 
bis sechsten Tage Ankylostomumeier gefunden wurden. Hiernach wurden 
1024 = 97 Proz, geheilt, 11 = 1 Proz. nach vier erfolglosen Abtreibungs¬ 
versuchen ungeheilt entlassen, während bei 19 = 2 Proz. die Kur frühzeitig 
abgebrochen wurde. 

Wenn diesen günstigen Erfolgen gegenüber aus anderen Berichten 
weitaus schlechtere Resultate sich ergeben, so liegen diese Mißerfolge zum 
Teil an der zu geringen Dosis des Extr. fil., zum Teil an der mangelnden 
Kontrolle, wie sie am sichersten nur in Krankenhäusern durchführbar iBt. 
(Klin. Jahrbuch, Bd. XVII, Heft 3.) 

E. Malvoz-Lüttich: „La Taenia nana en Belgique.“ Bei der 
Untersuchung des Stuhlganges von über 30000 Grubenarbeitern zwecks 
Bekämpfung der Wurmkrankheit wurden in 31 Fällen, und zwar meist bei 
jungen Leuten, die Eier von Taenia nana gefunden. Die Verabreichung 
einer Dosis von Extr. filicis mas. hatte die Austreibung von mindestens 
1000 Taenien zur Folge. (Compt. rend. Soc. bioh Paris, Bd. 62, Heft 12, 
nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 212.) 

A. W. Lueke, „Epithelioma bei Kohlenarbeitern“, vertritt die 
Ansicht, daß das bei Kohlenarbeitern vorkommende, hauptsächlich am 
Scrotum lokalisierte Epitheliom durch den Ruß, die Teer- und Paraffin¬ 
produkte oder die von den Arbeitern behandelte ölige Masse indirekt ver¬ 
ursacht wird, daß die Prognose eine gute ist und die Prophylaxe in größter 
Reinlichkeit zu bestehen hat. (Cleveland med. Journal, Mai 1907, nach Ref. 
im Hygienischen Zentralblatt, Bd. III, S. 632.) 

R. Laspeyres-Bonn sprach über: „Statistische Untersuchungen 
über die Gesundheitsverhältnisse der Bergleute, mit besonderer 
Berücksichtigung der in Steinkohlenbergwerken beschäftigten 
Arbeiter“, indem er an der Hand zahlreicher Tabellen nachweist, daß der 


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Bergbau. Bleivergiftung. 375 

Bergmann keineswegs die kurze Lebensdauer hat, die man bei dem schwierigen 
und gefahrvollen Berufe vielleicht erwarten könnte und die ihm auch tat¬ 
sächlich von der allgemeinen Meinung zugesprochen wird, daß aber anderer¬ 
seits die Sterblichkeitsziffern der Steinkohlenbergleute noch keineswegs voll¬ 
kommen günstige sind, um so weniger, als man berücksichtigen muß, daß 
im allgemeinen nur körperlich kräftige und widerstandsfähige Leute den 
schweren Bergmannsberuf ergreifen, und daß die Erwerbs- und Lebens¬ 
verhältnisse der Bergleute durchweg genügende, ja gute sind. Es gilt des¬ 
halb, die gesundheitlichen Schädigungen dieses Berufes noch intensiver zu 
bekämpfen. Erfreulich ist indessen die Tatsache, daß im ganzen eine stetige 
Abnahme der Sterblichkeit der Bergarbeiter zu verzeichnen ist, die der Ab¬ 
nahme der Sterblichkeit bei der Gesamtbevölkerung voraneilt. Laspeyres 
wünscht, um bessere Grundlagen für die Statistik zu gewinnen, daß die 
sämtlichen Knappschaftsvereine ihre Sterblichkeitsstatistiken getrennt nach 
Altersklassen und Arbeiterkategorien aufstellen. (Zentralblatt f. allgem. 
Gesundheitspflege, S. 52 ff.) 


Bleivergiftung. 

Das Arbeitsstatistische Amt des Handelsministeriums in 
Wien veranstaltete betreffs Bekämpfung der Bleigefahr in Österreich 
eine Besprechung unter Zuziehung von Vertretern der beteiligten Berufe, 
auch von Arbeitern aus Bleiweißbetrieben. Das Ergebnis war, daß an eine 
völlige Beseitigung der Bleifarben nicht zu denken sei, namentlich weil 
Mennige der einzige brauchbare Stoff alB Grundierung für Eisen zum Schutz 
gegen Rost sei, und daß Zinkfarben als Ersatz nur in bestimmten Fällen 
verwendet werden können. (Farbenzeitung, S. 572, nach Ref. im Hygien. 
Zentralblatt, Bd. II, S. 469.) 

Dasselbe Amt veranstaltete eine Enquete über die Ursachen und 
Bekämpfung der Bleivergiftung in Farbenfabriken, sowie im 
M aler-, Anstreicher- und Lackierergewerbe. Allgemein wurde 
die Notwendigkeit eines Verwendungsverbotes von Bleiweiß für Innen¬ 
anstriche anerkannt; von ärztlicher Seite wurde verlangt: pflichtmäßige Vor¬ 
untersuchung der Lehrlinge, regelmäßige ärztliche Untersuchung aller ge¬ 
fährdeten ArbeitsperBonen, Anzeigepflicht für Bleierkrankungen. (Zeitschr. 
f. Gewerbehygiene usw., Nr. 3, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. II, S. 575.) 

K. K-Arbeitsstatistisches Amt im Handelsministerium: 
„Bleivergiftungen in hüttenmännischen und gewerblichen 
Betrieben.“ V. Teil. (Bericht über Erhebungen in Farbenfabriken und in 
Betrieben mit Anstreicher-, Lackierer- und Malerarbeiten. Wien, A. Hölder, 
1907.) Dieser Bericht enthält ein reiches Tatsachenmaterial zu der vor¬ 
liegenden Frage auf Grund umfangreicher Erhebungen durch Arbeitgeber, 
Arbeitnehmer und hygienische Fachmänner. (Nach Ref. in der Ärztl. Sach- 
verständigenztg., S. 493.) 

Frey-Lublinitz, „Frühdiagnose der chronischen Bleivergif¬ 
tung“, kommt auf Grund seiner Untersuchungen an Zinkhüttenarbeitern in 
Übereinstimmung mit Grawitz u. a. zu dem Schluß, daß der mikro¬ 
skopische Blutbefand, das Auftreten von Körn che n zellen, als ein wertvolles 


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376 


Gewerbehygiene. 


Hilfsmittel für die frühzeitige Diagnose der chronischen Bleivergiftung und 
damit für deren Prophylaxe zu erachten ist. (Deutsche med. Wochenschr-, 
Nr. 6, nach Ref. in der Ärztl. Sachverständigenztg., S. 232.) 

A. Beythien-Dresden, „Die gesetzlichen Bestimmungen über 
den Handel mit gesundheitsschädlichen Farben und über die 
Verwendung derselben im Maler- und Anstreichergewerbe“, 
gibt eine Erläuterung zu den bezüglichen Reichsgesetzen, dazu eine Über¬ 
sicht über die verschiedenen giftigen Farben nach ihrer Handelsbezeichnung 
und erläutert die Vorschriften zur Verhütung der Bleierkrankungen. (Farben¬ 
zeitung, Bd. XII, S. 1184, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 355.) 

Betreffs der Bleierkrankungen der Feilenhauer erging ein Erlaß 
des preußischen Ministers für Handel und Gewerbe vom 11. April, 
in dem mit Rücksicht auf die geringe Anzahl derartiger vorgekommener 
Bleierkrankungen und den Umstand, daß die Bleivergiftungsgef&hr vor¬ 
wiegend von der Sauberkeit der Feilenhauer abhängig ist, Abstand ge¬ 
nommen wird von Bundesratsvorschriften zur Verhütung der Bleierkran¬ 
kungen der Feilenbauer, dafür aber aufmerksam gemacht wird auf das im 
Kaiserlichen Gesundheitsamt ausgearbeitete „Merkblatt für Feilenhauer“ 
(zu beziehen von der Verlagsbuchhandlung Julius Springer in Berlin), für 
dessen Verbreitung die unterstellten Behörden sorgen sollen. 

Paul Kersting, „Die Bekämpfung der Bleigefahr in Anlagen 
zur Herstellung oder Bearbeitung von Tonwaren“, bespricht die 
vom Reichsamt des Innern kürzlich herausgegebenen „Grundzüge für den 
Entwurf von Vorschriften, betreffend die Bekämpfung der Bleigefahr in An¬ 
lagen zur Herstellung oder Bearbeitung von Tonwaren“ und bemängelt 
daran, daß durch einseitige Anpassung der Vorschriften an bestimmte Zweige 
der keramischen Industrie andere Zweige unnötig geschädigt werden. Damit 
solche unhaltbaren Entwürfe vermieden werden, wünscht Kersting in Über¬ 
einstimmung mit Neisser eine Angliederung einer Kommission für Gewerbe¬ 
hygiene an das Reichsgesundheitsamt. (Med. Reform, Nr. 31, nach Ref. im 
Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 501.) 

P. Schmidt-Leipzig, „Über Bleivergiftungen und ihre Erken¬ 
nung“, prüfte in Tierversuchen die von Grawitz als Frühsymptom an¬ 
gegebene Veränderung des Blutes, nämlich Auftreten basophil gekörnter 
roter Blutkörperchen, nach und konnte bestätigen, daß diese Körner für 
Bleivergiftung charakteristisch sind, wenn auch große individuelle Ver¬ 
schiedenheiten gegen Bleigaben bestehen. Ferner wurden durch Unter¬ 
suchungen von sicheren Fällen von Bleivergiftungen bei Menschen und 
Vergleichen mit Personen, welche nicht mit Blei beschäftigt waren, Grenz¬ 
werte festgesetzt, die für die Diagnose der Bleivergiftung von praktischer 
Bedeutung sind; nämlich ein Befund von über 100 basophil gekörnten roten 
Blutkörperchen in der Million kann als Kennzeichen der Bleivergiftung 
dienen. (Arch. f. Hygiene, Bd. 63, Heft 1, nach Ref. in der Deutschen 
Medizinalzeitung, S. 1017.) 

E. Großmaun-Wien, „Über einige neue Quellen der gewerb¬ 
lichen Bleivergiftung in Wien“, beschreibt je einen Fall von Blei- 


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Bleivergiftung. 


877 


Vergiftung bei einem Edelsteinscbleifer, der Bleiplatten zum Schleifen und 
Polieren verwendete, bei einem Hutmacher infolge Imprägnierung der Filz- 
häte mit Bleistaub und bei einer Arbeiterin in einer Glasfabrik, die Glas- 
abfille, welche in mit Miniumstaub bedeckten Fächern gesammelt wurden, 
sortierte und reinigte. (Wiener klin. Wochenschrift, Nr. 45, nach Hygien. 
Zentralblatt, Bd. IV, S. 443.) 

„Die gewerbliche Bleivergiftung“ hieß ein Thema, welches auf dem 
XIV. Internationalen Kongreß für Hygiene gebührend von ver¬ 
schiedenen Seiten besprochen wurde. 

Wutzdorff-Berlin bespricht die im Deutschen Reiche erlassenen Vor¬ 
schriften und Maßnahmen zur Verhütung der Bleivergiftung, aus denen zu 
ersehen ist, daß diese Bekämpfung mit Eifer und Nachdruck betrieben wird. 
Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, daß zwar die Fälle von gewerblicher 
Bleivergiftung nach Zahl und Schwere gegen früher erheblich abgenommen 
haben, daß es aber von ausschlaggebender Bedeutung ist, wenn auch die 
Arbeiter selbst die behördlichen Maßnahmen durch peinlichste Erfüllung 
ihrer Pflichten hinsichtlich persönlicher Gesundheitspflege und Sauberkeit 
unterstützen. 

E. Mosny und Ch. Lanbry-Paris sprechen über die in Frankreich 
getroffenen und die noch zu treffenden Maßnahmen und stellen folgende 
Schlußsätze auf: 

1. Eine wirksame Prophylaxe der gewerblichen Bleivergiftung verlangt 
zunächst eine Kenntnis aller Fälle; diese ist nur möglich bei einer Borgsamen 
Statistik auf Grund obligatorischer Anzeige. 

2. Ala prophylaktische Maßnahmen kommen in Betracht: a) möglichst 
spezielle Verordnungen für alle Betriebe, in denen Blei und seine Zusammen¬ 
setzungen verarbeitet werden, aufgestellt durch Hygieniker und Techniker; 
b) gesetzliches Verbot der Benutzung von Blei zu Gebrauchsgegenständen, 
wenn dasselbe durch gleichwertige, aber ungefährliche Substanzen ersetzt 
werden kann. 

3. Die Wirksamkeit dieser Maßregeln ist abhängig von der Einführung 
eines Kontrolldienstes, welche von einem Techniker und einem Arzt aus¬ 
geübt wird. Die Organisation dieser Kontrolle umfaßt die Einrichtung eines 
Sanitätsregisters. Die Bleivergiftung ist als Betriebsunfall zu klassifizieren. 
(Abdruck dieses Vortrages in La Tribüne mödicale, Nr. 36.) 

L. Teleky-Wien bespricht die gewerbliche Bleivergiftung in Österreich 
auf Grund der Krankenkassenstatistik und die notwendigen oder in Vor¬ 
schlag gebrachten Maßnahmen, wie Bleiweißverbot, Mitwirkung der Kranken¬ 
kassen und Arbeiterorganisationen. 

Töth-Selmeczbänya stellt folgende Schlußsätze auf: 

1. Das Blei oder Bleiprodukt vergiftet nur dann den menschlichen 
Organismus, wenn es in den Magen gelangt. 

2. Bei der Beschäftigung mit Blei darf kein Blei oder Bleiprodukt 
weder in der Luft noch im Erdboden vorhanden sein. 

3. Bei einer solchartigen Beschäftigung muß das auf den Körper ge¬ 
ratene Blei nach Beendigung der Arbeit entfernt werden; wo während der 


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378 


Gewerbehygiene. 


Arbeit viel Blei in die Luft und so auch auf den Körper gerät (Bleiglätte- 
mahlen, Sieben, Sammeln von Bleiweiß usw.), muß die Arbeitszeit abgekürzt 
werden; der Arbeiter soll nur vier bis- sechs Stunden arbeiten, um nach 
der Arbeit seinen Körper und seine Hände vom Blei gründlich reinigen zu 
können. 

4. Der sich mit Blei beschäftigende Arbeiter hat vor dem Essen seine 
Hände, Lippen und den Mund jedesmal gründlich zu reinigen. 

5. Er darf seine Speisen und Getränke in keine mit Bleistaub oder 
Bleidämpfen geschwängerten Lokalitäten mitnehmen bzw. dort aufbewahren, 
wärmen, kochen oder braten; zur Aufbewahrung der Speisen, zum Kochen, 
Braten, Wärmen, wie auch zum Speisen müssen ganz reine und bleifreie 
Lokalitäten eingerichtet werden, und nur in solchen reinen Lokalitäten ist 
es dem Arbeiter erlaubt, Nahrung zu sich zu nehmen. 

6. Der Bleiarbeiter muß in möglichst guten hygienischen Verhältnissen 
leben. Zweckentsprechende Nahrung; gesunde Wohnung, gesunde Fabriken 
und Werkstätten, Abstinenz von spirituösen Getränken, eine gänzliche Ab¬ 
waschung des Körpers nach beendigter Arbeit und eine besondere Arbeits¬ 
kleidung ist ein unerläßliches Erfordernis. 

7. Die Luft und der Erdboden des Arbeitsraumes, der Hütte, der Fabrik 
ist ständig oder doch häufig zu untersuchen, ob sich hier kein Blei vorfindet. 

G. Meillere-Paris, „ Contribution apport^e ä l’ötude du 
Saturnisme par les recherches chimiques“, stellte Versuche mit 
allerhand Bleiprodukten und Gebrauchsgegenständen, zu deren Verfertigung 
Blei benutzt wird, an, nahm außerdem Analysen von Nahrungsmitteln und 
Wasser vor und studierte schließlich die Lokalisation des Bleies im Organis¬ 
mus und die Wege der Eliminierung dieses Giftes. Seine Schlußfolgerungen 
gehen dahin, daß die Experimente mit den klinischen Beobachtungen harmo¬ 
nieren, indem das Blei ein Gift darstellt, welches hauptsächlich das Nerven¬ 
system und das Blut in seinen hämatopoetischen Organen und Elementen 
schädigt. Es handelt sich bei der Bleivergiftung um eine biologische 
Mineralisation, bei der es zu einer frühzeitigen Senilität und verminderter 
Widerstandsfähigkeit kommt. Da ein unheilbarer Verfall des vergifteten 
Organismus eintritt, wenn nicht radikal für ein Auf hören der vergiftenden 
Ursache gesorgt wird, so folgt daraus, daß die Prophylaxe eine entscheidende 
Rolle spielt; ist es zur Vergiftung gekommen, so muß eine sorgfältige 
diätetische und medikamentöse Behandlung (Pflanzenkost, Sulfotherapie) 
den Eintritt des chronischen Saturnismus zu verhindern oder abzuschwächen 
suchen. (La Tribüne mädicale, No. 27.) 

G. Meillere und A. Pettit, „Ausscheidung des Bleies in ihren 
Beziehungen zum Zustande der Niere“, untersuchten die Frage, ob 
der Zustand der Niere einen Einfluß auf die Ausscheidung des Bleies durch 
Harn und Stuhl ausübe, und fanden, daß bei Tieren mit Nierenentzündung 
etwas mehr Blei ausgeschieden wurde als beim gesunden Tier, daß aber die 
Menge des ausgeschiedenen Bleies überhaupt nur sehr gering im Verhältnis 
zur injizierten Menge war. (Compt. rend. de la Soc. de biol., Nr. 29, nach 
Ref. in der Zeitschrift für Medizinalbeamte, S. 842). 


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379 


Bleichereien und Färbereien. Caissonarbeiter. 

Bleichereien und Färbereien. 

Hygiene in Bleichereien und Färbereien. Es werden die 
verschiedenen zur Anwendung kommenden Stoffe, die wegen ihrer reizenden 
Wirkung zu Erkrankungen der Haut an Armen und Händen führen können, 
und die nicht selten beim Färben geringerer Sorten von Garn vorkommen¬ 
den Bleivergiftungen infolge Anwendung von Bleichromat besprochen. 
(Zeitschr. f. Gewerbehygiene usw., Nr. 1, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, 
Bd. II, S. 575.) 

Willy Gotthilf-Kassel: „Über Onychoat rophie bei Färbern.“ 
Der Nagelschwund ist unter den Arbeitern in Färbereibetrieben eine häufige 
Gewerbekrankheit und ist hier vor allem auf lange dauernde Einwirkung von 
Chemikalien zurückzuführen. Nebenbei bemerkte Gotthilf in mehreren 
Fällen ausgeprägte Handschweiße, weshalb zu Beobachtungen nach dieser 
Richtung aufgefordert wird. (Münch, med. Wochenschr., Nr. 34, nach Ref. 
im Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 502.) 

Caissonarbeiter. 

A. Eropoeld, „Einige fragliche Momente in der Caissonkrank¬ 
heit“, hatte Gelegenheit, in Amsterdam über die Caissonkrankheit Er¬ 
fahrungen zu sammeln. Da auch ganz gesund befundene Personen wieder¬ 
holt caissonkrank wurden, so sollten wegen Prädisposition für die Krankheit 
solche Arbeiter nicht angenommen werden, welche entweder bei einem Über¬ 
druck unter 1,5 Atm. schon Krankheitserscheinungen beim Ausschleusen 
zeigen oder bei willkürlichem Überdruck wiederholt an Krankheitserschei¬ 
nungen bei der Dekompression leiden. Ferner muß die Dauer der Aus¬ 
schleusung mehr als zwei Minuten für 0,1 Atm. betragen, um der Morbidität 
gänzlich vorzubeugen. In einem Dutzend der Fälle wurde eine deutliche 
Verschlimmerung bei der Rekompression beobachtet. Der niedrigste Über¬ 
druck, bei dem in Amsterdam die Caissonkrankheit auftrat, war 0,9 Atm. 
Ein Einfluß der Bodenschichten wurde nicht wahrgenommen. (Neederl. 
Tijdschr. voor Geneesk., Bd. II, S. 1398, nach Ref. in der Hygien. Rundschau, 
Bd. XVIII, S. 1063.) 

Klienberger-Königsberg: „Über Luftdruckerkrankungen beim 
Bau der Grünen Brücke in Königsberg i. Pr.“ Die fraglichen Er¬ 
krankungen, seit der Erfindung der Caissonarbeiten im Jahre 1839 bekannt, 
von denen bisher etwa 144 Todesfälle beschrieben sind, sind zum kleineren 
Teil Ohraffektionen als Folge der Kompression, zum größeren Teil Dekom¬ 
pressionserkrankungen, durch akute Reizungs- und Lähmungserscheinungen 
(Parästhesien, Herz- und Lungenaffektionen, Lähmungen, Krämpfe, Psychosen 
und anderes mehr) charakterisiert. Zu diesen akuten Erkrankungsformen 
treten als Folge von Durchnässung und Erkältung der Caissonarbeiter beim 
Ein- und Ausschleusen chronische Gewerbekrankheiten (Katarrhe, Emphysem, 
Herzerkrankungen). 

Die Ursache der Dekompressionserkrankungen wird heute nicht mehr 
in Erschöpfung u. dgl. gesucht, sondern man nimmt an, daß alle diese Er¬ 
scheinungen Folge des zu raschen Freiwerdens der im Blut unter Druck 
resorbierten Gase sind. 


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380 


Gewerbehygiene. 


Beim Bau der Brücke wurden zwei Caissons .in über 20 m Tiefe fun¬ 
diert; dabei erkrankten 56 Arbeiter, und zwar 12 au indirekter Caisson- 
krankheit infolge Erkältung, nämlich an akuter Tracheobronchitis, 44 an 
eigentlicher Caissonkrankheit, davon 6 an Ohrerkrankungen und 38 an 
sicheren Dekompressionserscheinungen (34 leichterer Art, als Muskel- usw. 
Schmerzen. 4 schwerer Art mit Parese, Lähmungen u. dgl.). 

Die Therapie der Caisson kr an kheiten ist die Prophylaxe; als prophy¬ 
laktische Maßnahmen werden empfohlen: eine Minute Einscbleusungs- und 
zwei Minuten Ausschleusungszeit für je 0,1 Atmosphäre, Einberechnung der 
Schleusenzeit in die Arbeitszeit, Festsetzung einer maximalen Schleusenzeit 
von 10 Stunden, das Vorhandensein einer Rekompressionsschleuse zur 
sofortigen Einschleusung verunglückter Arbeiter und Vorschriften über die 
Haftpflicht der Betriebsleiter beim Vorkommen von Erkrankungen durch zu 
rasche Ein- und Ausschleusung. (Hygien. Rundschau, Nr. 8.) 

Langlois-Paris, Silberstein-Wien, v. Schroetter-Wien referierten 
auf dem XIV. Internationalen Kongreß für Hygiene über: „Die 
Berufskrankheit der CaissoDarbeiter.“ Die Referenten sind mit 
der Mehrzahl der Diskussionsredner darüber einig, daß die Dekompression 
dann als gefahrlos anzusehen ist, wenn der Druckabfall nicht schneller als 
zwei Minuten für Vio Atm., und zwar gleichmäßig, erfolgt. Mit Rücksicht 
auf die praktische Durchführbarkeit, besonders in Frankreich, wurde von 
den Referenten eine Herabsetzung auf P/a Minuten für 1 / 10 Atm. bei gleich¬ 
mäßigem Druckabfall und gleichzeitiger Anordnung einer Rekompressions- 
kammer und Kasernierung der Arbeiter verlangt. 

H. M. Vernon: „Die Löslichkeit der Luft in Fetten und deren 
Beziehung zur Caissonkrankheit.“ Die Gefährdung der fetthaltigen 
Gewebe (Unterhautbindegewebe, Rückenmark und periphere Nerven) bei 
Caissonarbeitern durch das Freiwerden von Gasblasen bei schnell eintreten¬ 
der Druckverminderung beruht darauf, daß das Fett mehr denn fünfmal 
so viel Stickstoff auflöst als ein gleiches Volumen Wasser oder Blutplasma. 
(Lancet, Bd. II, Nr. 10, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. IV, S. 32.) 

Chemische Industrie. 

F. Holtzmann-Karlsruhe: „Über Ätiologie und Prophylaxe der 
Chlorakne.“ Die Krankheit ist entweder eine idiopathische, durch direkte 
Reizung der Haut bedingte, oder eine symptomatische, infolge Ausscheidung 
schädlicher, in den Blutkreislauf aufgenommener Stoffe bewirkte Haut¬ 
erkrankung. Die erstere Annahme ist erklärlicher, weil zumeist die un¬ 
bedeckten Hautstellen ergriffen werden und Übertragungen durch unsaubere 
Hände sich nachweisen lassen. Rezidive werden auch nach Aufhören der 
schädlichen Einflüsse beobachtet. Als Schutzmaßregeln kommen in Betracht: 
Ausstattung der Arbeiter mit Unterkleidern, Strümpfen, hohen Schuhen und 
waschbaren Oberkleidern, dicht anschließende Kleider (an Hals und Knöcheln), 
Handschuhe, Mützen, Einreibung der freien Hautstellen mit einer dichten 
Vaselineschicbt, Baden und Umkleiden nach der Arbeit, gründliches Reinigen 
der Arbeitskleider, Verkürzung der Arbeitszeit (Deutsche Vierteljahrsschr. 
f. öffentl. Gesundheitspflege, Bd. XXXIX, Heft 2.) 


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Chemische Industrie. 


381 


Ludwig Seyberth-München, „Beitrag zur Kenntnis der Blasen- 
geschwülste bei Anilinarbeitern“, bespricht die Zeichen der akuten 
and chronischen Anilin Vergiftung und berichtet über fünf Fälle von Blasen¬ 
tumoren bei Arbeitern, welche schon jahrelang in Anilinräumen tätig waren. 
Die Geschwülste entstehen höchst wahrscheinlich durch den Reiz, den der 
anilinkörperführende Urin auf die Blasenwand ausübt. ln anatomisch¬ 
histologischer Hinsicht waren von den fünf Fällen drei als gutartige 
Tumoren, zwei als Carcinome zu deuten. (Münch, med. Wochenschr. Nr. 32« 
nach Ref. in der Zeitschr. f. Medizinalbeamte, S. 683.) 

G. M. Meyer, „Vorläufige Mitteilung über die Giftigkeit 
einiger Anilinfarbstoffe“, untersuchte eine Reihe der häufiger zum 
Färben von Nahrungsmitteln benutzten Anilinfarbstoffe, wie Curcumin, 
Tartrazin, Naphtolrot, Karmoisin B u. a., auf ihre Giftigkeit, indem er Ver¬ 
suche an Hunden und künstliche Verdauungsversuche in vitro anstellte. 
Bei den Tieren traten keine erheblichen Vergiftungserscheinungen auf, die 
Farbstoffe wurden zum größten Teil unverändert mit dem Kot ausgeschieden 
nnd gingen nicht in die Milch über. Die in vitro beobachtete Verhinderung 
der Peptolyse führt Meyer auf die mit den Farbstoffen verbundenen an¬ 
organischen Stoffe zurück. (Journ. Amer. Chem. Soc., Bd. 29, nach Ref. im 
Hygien. Zentralblatt, Bd. 111, S. 632.) 

Walter Maiden: „Some observations on the condition of the 
blood in men engaged in anilin dying and the manufacture of 
nitrobenzine and its compounds.“ Die bei Arbeitern in Anilin- oder 
Nitrobenzolbetrieben nicht selten beobachteten Vergiftungserscheinungen sind 
besonders auf eine Verwandlung des Oxyhämoglobins der roten Blutkörper¬ 
chen in Methämoglobin mit nachfolgender Auflösung derselben und Übergang 
von Hämogloblin in das Plasma zurückzuführen. Eine kurze Unterbrechung 
der gefährlichen Tätigkeit ist imstande, diese bedrohlichen Symptome zurück¬ 
gehen zu lassen. Einatmung von Sauerstoff beschleunigt den HeilungB- 
vorgang. (Journ. of hygiene, Bd. 7, nach Ref. in der Hygien. Rundschau, 
Bd. XVIII, S. 921.) 

L. Lewin, „Über eine akute Benzolvergiftung im Betriebe“, 
hatte für das Reichsversicherungsamt ein Obergutachten über den etwaigen 
ursächlichen Zusammenhang des Leidens eines Ingenieurs, der in einem 
Lagerkeller zu tun hatte, in dem vorher Benzol ausgeflossen war, mit etwaiger 
Benzoleinatmung zu erstatten. Die Krankheitserscheinungen hatten anfangs 
in rauschartigem Gefühl mit Übelkeit und Schwindel, später in wiederholten 
Anfällen von Schwindel, Atemnot und Herzbeklemmungen bestanden. Recht¬ 
lich ist der Fall noch dadurch bemerkenswert, daß, entgegen dem medizini¬ 
schen Urteil von drei Sachverständigen, das richterliche Urteil die verminderte 
Erwerbsfähigkeit des Betroffenen nicht auf die Benzolvergiftung zurück¬ 
führte. (Ärztl. Sachverständigenztg., Nr. 5.) 

Langlois und Desbonis: „L’action des vapeurs de benzol sur 
le sang.“ Die bei Arbeitern im Benzin betriebe beobachteten gewerblichen 
Anämien infolge der eingeatraeten Benzindämpfe wurden an Tierversuchen 
nachgeprüft, wobei sich ergab, daß die Wirkung zum Teil analog war. 


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382 Gewerbehygiene. 

(L’hygiene generale et appliciuee, Bd. III, Nr. 3, nach Ref. im Hygien. Zentral¬ 
blatt, Bd. II, S. 730.) 

L. Lewin: „Über eine akute tödliche Vergiftung durch Benzol¬ 
dämpfe.“ Es wurden bei der Sektion Blutaustritte am Eingang der Gefäße 
in die rechte Lunge, ebenso in der Mitte des Magens und an verschiedenen 
Stellen des Dünndarms gefunden. (Münch, med. Wochenschr., Nr. 48, nach 
Ref. in der Ärztl. Sachverständigenztg. 1908, S. 157.) 

Holtzmann-Karlsruhe, „Zwei eigenartige Vergiftungsfälle 
durch Benzol im Gewerbebetriebe“, berichtet über zwei Todesfälle 
durch Benzolvergiftung, die sich im Fabrikbetriebe ereigneten, und zwar zu 
einer Zeit, als eine Auflösung von Nitrozellulose in einem Gemenge von 
Aceton, Benzol und Methylalkohol verwendet wurde. Beide Fälle boten 
äußerlich vollständig das Bild der sogenannten Blutfleckenkrankheit (Morbus 
maculosu8 Werlhofii), die nur äußerst selten Personen über 20 Jahre befällt 
und sonst ganz isoliert auftritt. Im ersten Falle traten bei dem 48 jährigen 
Arbeiter, der bei der Herstellung der Lösung auf kaltem Wege beschäftigt 
war, zunächst kleine blutunterlaufene Stellen am Körper auf, dann kam es 
zu heftigen Blutungen aus Mund und Nase, die sich wiederholten, danach 
leichte Temperatursteigerung, Benommenheit und Tod nach etwa 20 Tagen 
seit Beginn der ersten Erscheinungen. Die Sektion ergab multiple Blutungen 
in der Haut, in der Schleimhaut des Verdauungstraktus, im Larynx, in der 
Luftröhre, dem Nierenbecken, den Harnleitern, der Harnblase, in Lunge und 
Gehirn. Der zweite Fall verlief analog, der Patient erkrankte 8 Tage nach 
dem ersten und starb 14 Tage danach. 

Daß das Benzol diese tödlichen Erkrankungen mit ihrem eigenartigen 
Symptomenkomplex verursachte, ist in hohem Maße wahrscheinlich. Die 
Seltenheit dieser Art von Benzolvergiftung findet vermutlich in der ver¬ 
schiedenen Disposition der Individuen ihre Erklärung. (Concordia, Nr. 24.) 

Unglücksfälle durch Benzin. Nach einer Statistik über einen Zeit¬ 
raum von 13 Monaten im Jahre 1905/06 ereigneten sich 198 Verletzungen 
und 21 Todesfälle durch Benzin, die meisten in chemischen Wäschereien 
und Färbereien, bei Lötarbeiten, bei Motorbetrieben und bei der Benzin¬ 
beleuchtung, seltener beim Handgebrauch von Benzin, in Drogerien und 
Apotheken; eine Verletzung und drei Todesfälle kamen in Abwässerkanälen vor. 
(Schweizer Werkmeisterztg., Bd. 13, nach Ref.im Hyg. Zentralbl., Bd. IH, S.355.) 

Die Zunahme von Benzinvergiftungen geht Hand in Hand mit 
der Zunahme des Benzinverbrauchs in der Technik. Als Symptome schwerer 
Vergiftung gelten: Lähmung, Bewußtlosigkeit, unregelmäßige Atmung, 
Muskelzittern, Herzschwäche. Am gefährlichsten ist das zu Automobil¬ 
zwecken gebrauchte Benzin, das niedrig siedende Kohlenwasserstoffe enthält. 
(Drogistenztg., Bd. 22, S. 263, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. HI, S. 355.) 

Die Zunahme der Benzinvergiftungen. Kurzer Bericht über einige 
Fälle von Benzinvergiftungen. (Zeitschr. f. Gewerbehygiene, Nr. 7, nach 
Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 684.) 

G. Grossmann-Berlin, „Über Unfälle in der chemischen In¬ 
dustrie und einige neuere Mittel zu ihrer Beseitigung“, fordert 


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Elektrizität. 


383 


sur Verringerung der Unfälle 1. zunehmende Bildung der Arbeiter, 2. Be¬ 
lehrung der Arbeiter durch die Betriebsbeamten. (Reformblatt für Arbeiter¬ 
versicherung, Bd. III, Nr. 16, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. HI, S. 631.) 

Elektrizität. 

Elektrische Unfälle wurden nach den Jahresberichten der Preußi¬ 
schen Regieruugs- und Gewerberäte und Bergbehörden im Jahre 1905, und 
zwar mit tödlichem Ausgang 17 und besonders schwere 4 gezählt; unter den 
Todesfällen waren einige, die auf niedrig gespannten Wechselstrom (110 bis 
220 Volt) zurückzuführen waren. (Zeitschr. f. Gewerbehygiene usw., Nr. 2, 
nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. II, S. 731.) 

Eine Statistik der Unfälle durch elektrischen Starkstrom in 
der Schweiz im Jahre 1906 zählt 34 Fälle von Personenverletzungen mit 
35 betroffenen Personen (darunter 19 Todesfälle) auf, von denen die Ver¬ 
letzungen durch hochgespannte Ströme 56 Proz., durch mittelgespannte 
(250 bis 1000 Volt) 15 Proz., durch niedriggespannte 29 Proz. betrugen. 
(Journ. f. Gasbeleuchtung u. Wasserversorgung, Bd. 50, Nr. 25, nach Hygien. 
Zentralblatt, Bd. IH, S. 345.) 

Zipp, „Unter welchen Umständen ist die Berührung einer 
elektrischen Anlage gefährlich?“, bespricht die Entstehungsweise der 
elektrischen Unfälle und die Mittel, sie zu verhüten. (Zeitschr. f. Gewerbe¬ 
hygiene usw., Nr. 4 bis 6, nach Hygien. Zentralblatt, Bd. HI, S. 657.) 

Jellineck-Wien, „Pathologie, Therapie und Prophylaxe der 
elektrischen Unfälle“, gibt auf Grund eingehenden Spezialstudiums und 
umfangreicher Beobachtungen einen überblick über die elektrischen Schädi¬ 
gungen. Für die Wirkung ist nicht allein die Stromspannung, sondern auch 
Stromrichtung, Einwirkungszeit, Widerstand, individuelle Beschaffenheit von 
Bedeutung. Die Krankheitssymptome sind örtliche und allgemeine, früh 
und spät auftretende. Diagnostisch ist die Feststellung des Todes am 
schwierigsten. Die Prognose ist für die Überlebenden relativ günstig, muß 
aber mit Rücksicht auf Spätsymptome vorsichtig gestellt werden. Thera¬ 
peutisch kommen vor allem Wiederbelebungsversuche, die lange fortzusetzen 
sind, in Betracht. Prophylaktisch ist ein Zusammenarbeiten von Technikern 
und Ärzten von Wichtigkeit. Hygienisch von Bedeutung ist die gemachte 
Feststellung, daß Stromanlagen auf Gas- und Wasserrohren störend ein¬ 
wirken können, so daß z. B. eine elektrolytische Zersetzung von Mennige an 
Rohrdichtungen stattfindet und so Bleivergiftungen Vorkommen. (Deutsche 
med. Wochenachr., Nr. 10 u. 11, nach Zeitschr. f. Medizinalbeamte, S. 426.) 

Derselbe und Kübler-DreBden sprachen auf dem XIV. Internatio¬ 
nalen Kongreß für Hygiene über: „Die Gefahren des elektrischen 
Betriebes und Hilfe bei Unglücksfällen durch Starkstrom“, wobei 
der Gleichstrom vom hygienischen Standpunkt als gefährlicher als der 
Wechselstrom bezeichnet, prophylaktisch neben der Durchführung der Sicher¬ 
heitsvorschriften eine Belehrung der Schuljugend und Aufklärung der breiten 
Volksmassen, therapeutisch die Bedeutung lange ausgedehnter Wieder¬ 
belebungsversuche Verunglückter betont wurde. 


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884 


Gewerbehygiene. 


Anleitung zur ersten Hilfeleistung bei Unfällen im elek¬ 
trischen Betriebe. (Aufgestellt unter Mitwirkung des Reichs-Gesund¬ 
heitsrats. Berlin, Julius Springer, 1907.) In dieser Anleitung wird 
namentlich auch die künstliche Atmung beschrieben und illustriert Der 
Anleitung sind einige kurze Erläuterungen von Passavant und Pohl 
beigefügt. 

Ein Erlaß des preußischen Ministers für Handel und Gewerbe 
vom 14. April 1907 befaßt sich mit den tragbaren elektrischen Hand¬ 
lampen, durch deren Benutzung bei Reinigung von Dampfkesseln und in 
Gießereien infolge mangelhafter Bauart Unglücks- und Todesfälle vor- 
gekommen sind. Es werden deshalb bestimmte Anforderungen bezüglich 
der Bauart dieser Lampen gestellt, die sich auf Isolierung der Griffe und 
äußeren Teile der Lampenfassungen u. dgl. und auf Schutz vor Zerbrechen 
an der Einfübrungsstelle der Leitung beziehen. 

Explosivindustrie. 

Elocke-Bochum: „Die Knallquecksilberfabrikation und ihre 
Gefahren.“ Die besonderen Gefahren für die in diesem Fabrikationszweige 
beschäftigten Arbeiter sind folgende: 1. Quecksilbervergiftung, 2. Intoxikation 
durch die bei der Einbringung der salpetersauren Quecksilberlösung in Alko¬ 
hol sich bildenden nitrosen Dämpfe, 3. Geschwürbildung an den Fingern 
beim Mischen des Knallquecksilbers, 4. Explosionsgefahr durch das trockene 
Präparat. (Soziale Medizin u. Hygiene, Bd. H, Nr. 2, nach Ref. im Hygien. 
Zentralblatt, Bd. H, S. 730.) 

Derselbe, „Explosionen und Brände in der Explosivindustrie 
und Maßregeln zu ihrer Verhütung“, macht im Anschluß an die beiden 
großen Brände der chemischen Fabrik in Griesheim und der Roburitfabrik 
in Witten Vorschläge zur Verhütung derartiger Brände, indem er empfiehlt, 
die Wände der Fabrik- und Lagerräume aus Schwemmsteinen zu errichten, 
da diese bei Explosionen in Staub verwandelt werden, die am meisten ge¬ 
fährdeten Räume mit automatischen Löschbrausen auszustatten und schlie߬ 
lich größere Mengen von Sprengstoffen in möglichst verschiedene Lager au 
verteilen. (Zeitschr. für das gesamte Schieß- und Sprengstoff wesen, S. 151, 
nach Kef. im Hygien. Zentralblatt, Bd. II, S. 730.) 

C. Jacobi und His: „Über Giftwirkung von Dynamitverbren¬ 
nungsgasen bei unvollkommener Explosion.“ Zwei Gutachten. 
Ein Bergarbeiter war durch Einatmen von „Dynamitqualm“, entstanden durch 
das Abbrennen von zwei Dynamitschüssen ohne Detonation, schwer kehl- 
kopf- und lungenleidend und dadurch arbeitsunfähig geworden. Jacobi ist 
der Ansicht, daß diese Dynamitdämpfe eine sehr heftige Reizwirkung auf 
die Atemwege ausüben, wodurch es im vorliegenden Falle zur Zerstörung 
der Stimmbänder kam. His meint, daß durch die Einatmung der giftigen 
salpetersauren Gase eine Bronchiolitis obliterans entstand, wodurch eine Ver¬ 
ödung zahlreicher feinster Luftwege und dadurch Dyspnoe und Lungen- 
erweiterung eintrat. (Zeitschr. für das gesamte Schieß- und Sprengstoff¬ 
wesen, Bd. U, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 356.) 


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Gerbereien. Giftige Gase. 


385 


Gerbereien. 

Nach einem Erlaß des preußischen Ministers für Handel und Ge¬ 
werbe vom 17. April 1907 wird zwar mit Rücksicht auf die nur vereinzelt 
vorgekommenen gesundheitsschädlichen Einwirkungen der Chromate in den 
Gerbereien von Bundesratsvorschriften über die Einrichtung und den Betrieb 
von Chrom ge rbereien abgesehen, jedoch auf das vom Kaiserlichen Gesund¬ 
heitsamt ausgearbeitete „Merkblatt für Arbeiter in Chromgerberei¬ 
betrieben“ (Hinweis auf die Ätzwirkungen der Chromsalze auf wunde Haut¬ 
stellen) aufmerksam gemacht und dessen möglichste Verbreitung angeordnet. 
Das Merkblatt ist von der Verlagsbuchhandlung Julius Springer (in Berlin 
zu beziehen. 

Giftige Gase. 

Ernst Ziemke-Kiel, „Über Vergiftung durch verdorbenen 
Weizen“, beschreibt einen eigenartigen, bisher wohl einzig in seiner Art 
dastehenden Fall einer tödlichen Vergiftung. Auf einem mit Weizen be¬ 
ladenen Schiff war ein junger Matrose — der einzige Mann auf dem Kahn 
außer dem Schiffer — nach kurzem Unwohlsein tot auf dem Boden seiner 
Schlafkabine gefunden. Die gerichtliche Leichenöffnung hatte ein im 
allgemeinen negatives Ergebnis, nur wurde frühzeitige Entwickelung der 
Leichenfäulnis und hochgradige Blutüberfüllung der inneren Organe fest¬ 
gestellt. Obwohl hiernach der Verdacht der Schuld eines dritten an dem Tode 
in Abrede gestellt wurde, fanden weitere Ermittelungen statt, und Ziemke 
hatte ein Gutachten zu erstatten. Es wurde nun festgestellt, daß der geladene 
Weizen naß und verdorben gewesen war und von ihm aus üble Dünste aus- 
geströmt waren, die bei mehreren Personen Unwohlsein hervorgerufen hatten, 
ln seinem Gutachten weist Ziemke auf Grund besonderer Versuche mit 
nassem Weizen nach, daß sich aus solchem feuchten, dicht verschlossenen 
Weizen Kohlensäure in großen Mengen bildet und zweifellos der Tod des 
Matrosen auf solche Kohlensäure Vergiftung zurückzuführen sei. (Ärztl. 
Sachverständigenztg., Nr. 20.) 

F.Tissot, Appareil trös sür permettant le s6jour et le travail 
longuement prolonges dans les atmosphöres irrespirables“, be¬ 
schreibt einen von ihm erfundenen Apparat, mit dem es möglich ist, fünf 
Stunden in irrespirabler Atmosphäre sich aufzuhalten, ohne daß der Träger 
des Apparats in der Verrichtung irgendwelcher Arbeit verhindert ist, da 
stets beide Hände frei sind. Der Vorratsbehälter enthält 300 Liter kom¬ 
primierten Sauerstoff, der Regenerator 1750g Kali in komprimierter Lösung 
zur Aufnahme der ausgeatmeten Kohlensäure. (Compt. rend., S. 1291, nach 
Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 357.) 

Ludwig Diem-Würzburg: „Experimentelle Untersuchungen 
über die Einatmung von Salpetersäuredämpfen.“ Inaug.-Dissert. 
Würzburg 1907. Inhalationen von Salpetersäure führen schließlich zum 
Erstickungstod infolge Verminderung der Sauerstoffzufuhr. Aus den Selbst¬ 
versuchen Diems geht hervor, daß die für den menschlichen Organismus 
noch erträgliche Dosis niedriger ist als bei Tieren, denn schon 0,03 mg in 
1 Liter Atmungsluft machte recht unangenehme katarrhalische Reizerschei* 

Vierteljahrsschrift fflr Gesundheitspflege, 1908. Supplement. 25 


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386 


Gewerbehygiene. 


nuDgen, und 0,2 mg in 1 Liter war schon für kürzeren Aufenthalt unerträg¬ 
lich. Eine Gewöhnung des Organismus an solche Atemluft ohne Nachteil 
für die Gesundheit ist mindestens zweifelhaft, deshalb ist ein Gehalt von 
0,03 mg in 1 Liter für Arbeitsräume, in denen Menschen schwer körperlich 
angestrengt sind, schon eine Überschreitung der zulässigen Grenze. In 
Fällen, in denen die sich hieraus ergebenden hygienischen Forderungen nicht 
erfüllt werden können, kommt nach Kunkels Vorschlag eventuell die 
sofortige Behandlung der Arbeiter mit einem Spray von gesättigter Lösung 
von Natron bicarbon. zur Neutralisation der eingeatmeten Säure oder die 
Respiration durch mit Sodalösung getränkte Schwämme in Betracht. Als 
beste Prophylaxe dient die sorgfältigste Dichtung aller Apparate und hin¬ 
reichende Lüftung der Arbeitsräume. (Nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, 
Bd. IV, S. 275.) 

Brat-Charlottenburg trug auf dem XIV. Internationalen Kongreß 
für Hygiene vor über: „Die Bedeutung der Therapie, speziell der 
Sauerstofftherapie in der Gewerbehygiene.“ Der Arzt wird in der 
praktischen Gewerbehygiene außer seiner Tätigkeit auf dem Gebiete der 
individuellen Prophylaxe auch die Aufgabe zu erfüllen haben, die Therapie 
der Gewerbekrankheiten auf wissenschaftlicher Grundlage auszubauen. Die 
Sauerstofftherapie gehört ganz besonders hierher. Sie wahllos anzuwenden, 
diskreditiert eine oft segensreiche Behandlungsmethode dadurch, daß uner¬ 
wartete Mißerfolge eintreten. An einigen Beispielen wird gezeigt, wann 
eine wirksame Sauerstofftherapie einsetzen kann. Dahin gehören Ver¬ 
giftungen mit nitrosen Dämpfen, Jod-, Fluorwasserstoff, Phosgen, Schwefel¬ 
wasserstoff, Blausäure. Die Sauerstoffinhalation erfolgt am besten durch 
einen Apparat, wie ihn Brat konstruiert hat und den er demonstriert. 

Glasschleifer. 

A. Lode und E. Scbwiedland: „Das böhmische Schleiferland. 
Eine sanitäts- und wirtBchaftspolitische Studie.“ (Sonderabdruck 
aus den Annalen des Gewerbeförderungsdienstes des k. k. Handelsministeriums. 
Wien, Manzsche Buchhandlung, 1907.) In Böhmen machen die Heimarbeiter 
ein Sechstel aller gewerblichen Arbeiter aus, nämlich 203000 gegenüber 
1 150000. Die Glashütten sind in Böhmen über verschiedene Bezirke ver¬ 
streut, die Herstellung ihrer Ergebnisse ist lokalisiert, die Scbleifereibetriebe 
sind in einer Zahl von 250 um die Städtchen Maida und Steinschönau 
gruppiert. Die verschiedenen Schleifzeuge (Grobschleifen auf eisernen 
Scheiben mit nassem Kiessand, Feinscbleifen auf ähnlichen nassen Stein¬ 
scheiben, Polieren auf Pappelholzscheiben) werden in der Heimindustrie 
durch Wasserkraft betrieben, zum kleineren Teil durch Treten. 

Die Gesundheitsgefährdungen der Schleifer sind in der Staubentwicke¬ 
lung, der Erkältungsgefahr, der körperlichen Anstrengung und der langen 
Arbeitsdauer begründet, dazu kommen ungünstige Wohnungs- und Ernäh¬ 
rungsverhältnisse und besonders Alkoholmißbrauch. Schon in jungen Jahren 
fallen die Schleifer wegen ihres mageren, anämischen Zustandes, ihres häufig 
phthisischen Habitus und des fast senilen Eindrucks auf. Atmungserkran¬ 
kungen und Krampfadern der Beine sind besonders häufig. Von 100 Neu¬ 
geborenen gingen 53 vor Vollendung des zweiten Lebensjahres zugrunde. 


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Glasschleifer. Heimarbeit. Hornverarbeitung. 


387 


Gesundheitlich besser sind die „Kugler“ gestellt. Während die Schleifer 
ein mittleres Alter von 43,8 Jahren erreichen, beträgt dies für die Kugler 
65 Jahre. 

An Tuberkulose starben 75,3 Proz. der männlichen Angehörigen der 
Glasschleiferei gegenüber nicht ganz 39 Proz. der weiblichen Angehörigen. 

Die von Putegnat als charakteristisch beschriebene Zahnfleischentzün¬ 
dung der Schleifer wurde von den Verfassern nicht beobachtet. 

Als Schutzmaßnahmen kommen in Betracht: gesetzliche Regelung der 
Heimindustrie und Hineinbeziehung derselben in die Arbeiterschutzgesetz¬ 
gebung, danach behördliche Prüfung jeder Werkstatt vor ihrer Benutzung 
auf ihre Zulässigkeit. (Nach Ref. in der Ärztl. Sachverständigenztg. 1908, 
S. 158.) 

Heimarbeit. 

E. Francke-Berlin, „Die gesetzliche Regelung der Heimarbeit 
in der ZigarreninduBtrie u , tritt dafür ein, daß bei tunlichster Schonung 
der jetzt vorhandenen Heimarbeiter und der berechtigten Unternehmer¬ 
interessen die gesamte Verarbeitung von Tabak zu Zigarren und Zigaretten 
aus der Heimarbeit verschwinden müsse, da nur so den Gesundheitsschädi¬ 
gungen dieser Hausindustrie für Arbeiter und Verbraucher zu begegnen ist. 
(Soziale Praxis, Nr. 31, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. HI, S. 211.) 

Wie können die gesundheitlichen Gefahren bei Heimarbeitern 
herabgesetzt werden? war ein Thema, das auf dem XIV. Internatio¬ 
nalen Kongreß für Hygiene und Demographie erschöpfend behandelt 
wurde von folgenden Referenten: Jungfer-Pankow, Trauthahn-Bielefeld, 
Cftcilie Dose-Dresden, Boulisset-Paris. Es herrschte darüber Einmütig¬ 
keit, daß die weitschichtige und vielgestaltige Heimarbeit durch ein einheit¬ 
liches Gesetz nicht zu regeln ist, daß in einem solchen Gesetz nur generelle 
Bestimmungen über die hygienischen Anforderungen an die Arbeitsräume, 
die Ausdehnung der Gewerbeaufsicht, den Registerzwang und ähnliche 
Aufnahme finden können und daß für die speziellen Betriebseinrichtungen 
in den verschiedensten Arten und Gegenden der Heimindustrie und die 
Dauer von Arbeitszeit und Pausen Einzelverordnungen am Platze sind. Im 
Interesse der Heimarbeiter selbst als auch der Konsumenten aber liegt es, 
wenn gewisse Hausindustrien verboten oder nur unter bestimmten Be¬ 
dingungen zugelassen werden. Eine Kontrolle durch die Arbeitgeber ist als 
Ergänzung der staatlichen Gesetzgebung erforderlich. Von allgemeinen 
Maßnahmen kommen in Betracht: Ausdehnung der Gewerbeaufsicht, des 
Kranken-, Invaliden- und Unfallversicherungsgesetzes auf die Heimarbeits¬ 
stätten und die Heimarbeiter. 

Hornverarbeitung. 

Franz Spaet-Fürth: „Die gesundheitliche Bedeutung der 
Hornplattenfabriken für die Anwohner.“ Die sich bei der Ver¬ 
arbeitung von Hörnern zu Horn platten einstellenden Mißstände können sein: 
Fäulnis der anhaftenden Weichteile, Zersetzungsvorgänge in dem zum Ein¬ 
weichen dienenden Wasser, Verunreinigung der Luft durch das Kochen und 

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Gewerbehygiene. 


die weitere Verarbeitung. Um solche Unzuträglichkeiten zu beseitigen, sind 
folgende Maßregeln erforderlich: sofortige Entfernung und Vernichtung der 
Weichteile, Kochen in geschlossenen Kesseln, Ableitung der Dämpfe, Lüftung 
der Arbeitsräume, entsprechende Behandlung der Abwässer. (Deutsche 
Vierteljahrsschr. f. öffentl. Gesundheitspflege, Bd. 39, Heft 2.) 

Kanalarbeiter. 

Der preußische Minister der öffentlichen Arbeiten erließ 
Grundsätze für die Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen bei den neuen, 
großen Kanalbauten, nachdem zu dem Zweck Erörterungen mit Vertretern 
gemeinnütziger Vereinigungen und Mitgliedern der Parlamente stattgefunden 
hatten. In dem Abschnitt „Arbeiterfürsorge“ sind Bestimmungen über Bau 
und Einrichtung von Baracken und Kantinen, über Mindestanforderungen 
an Privatquartiere, über Wärmehallen auf der Baustelle, Anstellung von 
Streckenärzten, Belehrungen über Alkoholmißbrauch und Sorge für alkohol¬ 
freie Getränke u. dgl. getroffen. (Concordia, Nr. 5.) 

Landwirtschaft. 

G. Pieraccini-Florenz: „La patologia dei laboratori del riso.“ 
Die Arbeiter auf den Reisfeldern sind einer spezifischen Schädigung nicht 
ausgesetzt; eine ganze Reihe von Gesundheitsstörungen teilen sie mit den 
Landarbeitern überhaupt; dahin gehören verschiedene Hautkrankheiten, 
Katarrhe, Lungenentzündung, Rheumatismus u. a. m. Besonders betont, 
aber verschieden beurteilt worden sind von jeher die Beziehungen zwischen 
der Arbeit auf den Reisfeldern und der Malaria. Die einen betrachten „die 
Malaria als treue Begleiterin des Reisfeldes“ und führen zum Beweise Bei¬ 
spiele aus italienischen Ländergebieten an, die anderen suchen ebenso über¬ 
zeugend zu beweisen, daß mit der Reiskultur die vorher so verheerend 
wirkende Malaria verschwand. Daß die Reiskultur mit ihren periodischen 
künstlichen Überschwemmungen der Felder die Malaria begünstigt, ist ein¬ 
leuchtend. Nicht alle Reisarbeiter sind in gleicher Weise der Infektion aus¬ 
gesetzt; am meisten gefährdet sind die mit Pflügen und die in den Ställen 
Beschäftigten, am wenigsten die Schnitter und die in der Tenne Arbeiten¬ 
den. Auch nimmt die Gefahr mit der Nähe der Wohnung der Arbeiter an 
den Reisfeldern zu; so erkrankten die auf dem Lande wohnenden zu 30 
bis 80 Proz., die in Städten wohnenden zu 3 bis 5 Proz. Da die Reisernte 
in den verschiedenen Gegenden je nach Klima zu verschiedenen Monaten 
stattfindet, auoh sonst Unterschiede in sozialer Beziehung zwischen Nord- 
und Süditalien bestehen, so ist die Malaria keineswegs gleichmäßig verbreitet. 

Die prophylaktischen Maßnahmen sind: gute Kleidung, Nahrung und 
Wohnung, Einschränkung der Arbeitszeit, Chinin und mechanische Schutz¬ 
maßregeln. (II Ramazzini 1907, Fase. H.) 

L. Lewin, „Tödliche Wundvergiftung durch das Streuen von 
Superphosphat und Thomasmehl“, erstattete für das Reichsversiche¬ 
rungsamt ein Obergutachten, wobei es sich darum handelte, festzustellen, ob 
ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Arbeit des Streuens von Kunst¬ 
dünger und einer in der Folgezeit aufgetretenen, tödlich verlaufenen Blut- 


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Landwirtschaft. Maugan. Messing. 


389 


Vergiftung, ausgehend von einem im Nacken befindlichen kleinen Geschwür, 
bestehe. Entgegen der strikt ablehnenden Ansicht des zuerst gehörten ärzt¬ 
lichen Gutachtens führt Lewin auf Grund der Erfahrungen im Gewerbe¬ 
betriebe über die Reiz Wirkungen des Superphosphats und des Thomasmehls 
und auf Grund eigener Versuche den wissenschaftlichen Nachweis, daß das 
tödliche Leiden auf die Einwirkung des Kunstdüngers zurückzuführen sei: 
begünstigt wurde die örtliche Reizwirkung durch das Fehlen der Oberhaut 
an einer kleinen Stelle im Nacken, dazu trat eine Erkrankung der Lungen, 
verursacht durch eingeatmeten Pulverstaub. (Ärztliche Sachverständigen ztg., 
Nr. 11.) 

Kunstdünger und Augenerkrankungen. Es werden kurze An¬ 
gaben über die Gesundheitsschädigungen, besonders der Augen, durch Kunst¬ 
düngerstaub gemacht. (Zeitschr. f. Gewerbehygiene usw., Nr. 18, nach 
üygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 653.) 

Oppenheim, „Milzbrand“, gibt eine kurze Übersicht über die Ent¬ 
stehung und Verschleppung des Milzbrandes in Landwirtschaft, Handel und 
Industrie nebst einigen Angaben über Verhütung. (Zeitschr. f. Gewerbe¬ 
hygiene usw., Nr. 9 bis 11, nach Hygien. Zentralblatt, Bd. HI, S. 653.) 

M an ga n. 

R. ▼. Jaksch, „Über Mangantozikosen und Manganopho^ ie “, 
kommt auf Grund eigener Beobachtungen zu folgenden Schlußfolgerungen: 

1. Im Manganbetriebe kommen eigenartige nervöse Erkrankungen vor, 
welche wohl bedingt werden durch Aufnahme von mit Manganoxydul ge¬ 
schwängertem Staub in die Lunge der Arbeiter; vielleicht spielen auch 
andere Schädlichkeiten mit. 

2. Es scheint jedoch im Manganbetriebe auch eine Neurose Vorkommen 
zu können, durch welche die Symptome der chronischen Mangantoxikose 
vorgetäuscht werden können und die man als Manganophobie bezeichnen kann. 
(Münch, med. Wochenschr., Nr. 20, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. 1H, 
S. 212.) 

Hauck-Tetschen sprach auf dem XIV. Internationalen Kongreß 
für Hygiene über „Manganismus“. An der Tatsache, daß der Braun¬ 
stein eine toxische Wirkung hat, kann nicht gezweifelt werden, nachdem 
Fälle eigentümlicher nervöser Erkrankungen bei Manganarbeitern festgestellt 
worden sind. Trotzdem treten noch immer Zweifler auf. Die Untersuchung 
von fünf derartigen Erkrankungsfällen bei Arbeitern, welche Manganoxyde 
enthaltende Substanzen in einem zugigen Raume auf heißen Eisenplatten zu 
trocknen hatten, führt den Verfasser zu der Annahme, daß das im Braun¬ 
stein wirksame Nervengift die sauerstoffarmen, nur fallweise — nicht in 
allen Braunsteinsorten — vorkommenden Manganoxyde sind. 

Messing. 

Robert Wilke-Berlin: „Der Gesundheitszustand unter den 
Messingarbeitern.“ An der Hand der Gewerbeinspektionsberichte aus 
verschiedenen Ländern kommt Wilke zu der Annahme, daß ernstere, 
spezifische Gefahren für die Messingarbeiter nicht Vorkommen. DaB Gieß- 


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390 Gewerbehygiene. 

fieber, das wahrscheinlich durch Einatmen von Zinkdämpfen beim Schmelzen 
entsteht, dauert selten länger als einen Tag und scheint ohne Nachwirkungen 
zu bleiben. Seine Verhütung geschieht durch reichliche Lüftung der Werk¬ 
stätte. Der bisweilen bei Messingarbeitern beobachtete grüne Saum an den 
Zähnen (nicht am Zahnfleisch), aus basischem Kupferkarbonat bestehend, 
verläuft ohne ausgesprochene Folgeerscheinungen und ist nur als ein ört¬ 
liches Zeichen der Einwirkung des Metallstaubes aufzufassen. (Medizinische 
Reform, Nr. 29, nach Ref. in der Ärztl. Sachverständigenztg., S. 493, und 
dem Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 355.) 

Otto Graeve-Iserlohn, „Beitrag zur Bedeutung des Gießfiebers 
in der Gewerbehygiene“, führt zwei Fälle von Gießfleber aus seiner 
ärztlichen Praxis an, die im Gegensatz zu der Ansicht, daß der einzelne 
Anfall an und für sich ungefährlich ist, dartun, daß auch der erste Gie߬ 
fieberanfall unter Umständen eine schwerere Erkrankung darstellt. Beide 
Male ereignete sich der Anfall — und zwar war es der erste Anfall, den 
jeder erlitt — nach dem Schmelzen von Zinkabfällen. In dem ersten Falle 
trat nach dem anfänglichen Schüttelfrost blutiger Stuhl mit heftigen Leib¬ 
schmerzen und deutliche Milzvergrößerung ein. Der zweite Fall endete 
tödlich; bei der Obduktion wurde Hirnödem als wahrscheinliche Todesursache 
festgestellt; auch hier war die Milz vergrößert. Wenn auch bisher solche 
sch\Ärere Störungen beim Gießfleber noch nicht beobachtet worden sind, so 
hält sich Graeve in diesen beiden Fällen mangels einer anderen Causa 
nocens für berechtigt, die Milzvergrößerung und Alteration der Blutgefäße 
als verursacht durch das Gießfleber anzusehen, fordert aber zugleioh zu 
weiteren Beobachtungen auf. (Yierteljahj sschr. f. gerichtl. Medizin und 
öffentliches Sanitätswesen, Bd. XXXHI, 2. Heft.) 

Klocke-Bochum, „Das Gießfieber“, bemerkt, daß das Gießfleber 
niemals bei „Rotguß“ und erst beim Erhitzen des Zinks auf sehr höbe 
Temperaturen, wie beim Messingguß, auftrete. (Soziale Medizin und Hygiene, 
Bd. II, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. III, S. 211.) 

Metallschleifereien. 

Ein Erlaß des preußischen Ministers für Handel und Gewerbe 
vom 17. April 1907 besagt, daß ein Bedürfnis nach reichsgesetzlichen Vor¬ 
schriften über die Einrichtung und den Betrieb von Metallschleifereien nicht 
vorliege, macht aber zugleich auf das im Kaiserlichen Gesundheitsamt aus¬ 
gearbeitete „Schleifer-Merkblatt“ (Hinweis auf die Gefährlichkeit des 
Staubes, der sich beim Arbeiten an trockenen Schmirgelsteinen und Schmirgel¬ 
scheiben bildet, für die AtmungBorgane) aufmerksam und ordnet dessen 
möglichste Verbreitung unter den in Frage kommenden Arbeitern an. Das 
Merkblatt ist von der Verlagsbuchhandlung Julius Springer in Berlin zu 
beziehen. 

Na hrungsmittel. 

Max Ellmann-Wien, „Beitrag zu den hygienischen Verhält¬ 
nissen in der Wiener Zuckerwarenindustrie“, bespricht eine Reihe 
weniger bekannter hygienischer Übelstände, die ihm bei mehrjährigen Er¬ 
fahrungen aufgestoßen sind. Dazu gehören: Auffallend hohe Zahl der in 


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Nahrungsmittel. Phosphor. 391 

dieser Industrie beschäftigten weiblichen Arbeitskräfte, unter denen sich 
erschreckend viele jugendliche Arbeiterinnen mit Anämie, Unterernährung, 
Skoliose, tuberkulösem Spitzenkatarrh befinden, häufige Unreinlichkeit und 
Behaftung der Arbeiterinnen mit Ekzemen des Kopfes und der Hände, ein 
Umstand, der schon aus ästhetischen Gründen diese Personen von dieser 
Arbeit ausschließen sollte, und höchst bedenkliche Zustände in der Heim¬ 
arbeit dieser Branche, nämlich dürftige, schmutzige Wohnungen, in denen 
im Arbeitsraum zugleich viele, zum Teil kranke Personen sich auf halten. 
(Concordia, Nr. 6.) 

Heinrich Pach-Magyarfalu, „Die Hygiene in der Zuckerfabri¬ 
kation“, führt die gesundheitsschädlichen Momente in der Gewinnung der 
Rohstoffe und deren Verarbeitung in der Zuckerfabrikation an und berührt 
auch die hygienisch wichtige Frage der Abwässer aus Zuckerfabriken. 
(Monatsschr. f. Gesundheitspflege, Nr. 4, nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, 
Bd. HI, S. 631.) 

•Phosphor. 

U.Bianchini-Florenz, „Uncaso di fosfonecrosi dei mascellari“, 
beschreibt einen Fall von isolierter Phosphornekrose des Oberkiefers mit 
vollständigem Zahnausfall bei im übrigen völlig normalem Körperbefund bei 
einem 29 jährigen Arbeiter einer Zündholzfabrik, der mit 9 (!) Jahren in die 
Fabrik eingetreten, nach 18 jähriger Beschäftigung darin (teils bei der Her¬ 
stellung der leeren Schachteln, teils beim Transport der mit Phosphor ge¬ 
tränkten Hölzer in die Trockenräume, teils beim Einpacken der fertigen 
Hölzchen) erkrankte. In der Folge entwickelte sich noch eine Eiterung in 
der Jochbeingegend mit zurückbleibender Fistel. Der Unterkiefer blieb 
intakt. (H Ramazzini 1907, Fase. IV.) 

L. Teleky-Wien: „Die PhosphornekroBe. Ihre Verbreitung in 
Österreich und deren Ursachen.“ (Schriften der österreichischen Ge¬ 
sellschaft für Arbeiterschutz. XII. Heft. Wien, Franz Deuticke, 1907.) 
Verfasser will mit seiner Arbeit den Anstoß zu einer schnelleren Durch¬ 
führung des Weißphosphorverbots in Österreich, wie ein solches bereits in 
anderen Ländern vorhanden ist, geben. Um die Häufigkeit der Phosphor¬ 
nekrose in Österreich festzustellen, hat Teleky hauptsächlich selbst an Ort 
und Stelle Untersuchungen angestellt. Er fand so aus eigener Anschauung 
48 Nekrosefälle in Großbetrieben und 112 in Mittel- und Kleinbetrieben und 
berechnet danach, daß im Jahrzehnt 1896 bis 1905 in Österreich zusammen 
350 bis 400 Nekrosefälle vorgekommen sind. Daß das Weißphosphorverbot 
sehr wohl durchführbar ist und die dagegen erhobenen Einwände nicht 
stichhaltig sind, führt Teleky in einem besonderen Abschnitt aus. (Nach 
Ref. von Both in der ÄrztL Sachverständigenztg., S. 493.) 

Th. Sommerfeld-Berlin, „Der Kampf gegen den Weißphosphor“, 
beschreibt das Krankheitsbild der Phosphornekrose, indem er dazu lehr¬ 
reiche Abbildungen gibt, die Entwickelung des in verschiedenen Landern 
gesetzlich durchgeführten Weißpbosphorverbots, an dessen Zustandekommen 
die Internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz ihr Verdienst 
hat, und die als Ersatz für den weißen Phosphor in Betracht kommenden 


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392 


Gewerbehygiene. 


nahezu ungiftigen Zündsalzgemische. (Techn. Rundschau, Nr. 2 u. 3, nach 
Ref. im Hygien. Zentralblatt, Bd. U, S. 468.) 

Ringkämpfer. 

A. Selig, „Der Einfluß schwerer Muskelarbeit auf Herz und 
Nieren bei Ringkämpfern“, untersuchte anläßlich der internationalen 
Ringkämpfe in Prag im Jahre 1906 den Einfluß der angestrengten Muskel¬ 
arbeit auf die Körperbeschaffenheit, indem er bei jedem einzelnen der 
Berufsringer vor und nach dem Kampf Herzgröße, Puls, Blutdruck, Atmungs¬ 
häufigkeit und Harnbefund feststellte. Die Untersuchungsergebnisse stimmen 
in der Hauptsache mit den Angaben der früheren Autoren überein, indem 
Steigerungen der Pulszahl (bis zu 187), Sinken des Blutdrucks, Verbreiterung 
der Herzdämpfung und sehr häufig Albuminurie beobachtet wurden. (Wien, 
klin. Wochenscbr., S. 133, nach Ref. in der Hygien. Rundschau, Bd. XVIII, 
S. 301.) 

Stickereiappre Wen. 

0. Roth: „Über die gesundheitsschädlichen Folgen der Arbeit 
in hochtemperierten Räumen, speziell in Stickereiappreturen.“ 
Wenn allgemein gültige Grenzwerte für Temperatur und Luftfeuchtigkeit 
auch nicht aufgestellt werden können, so sollten doch für gewöhnlich bei 
ruhiger Beschäftigung 20°C nicht überschritten werden; eine relative 
Feuchtigkeit von 40 bis 60 Proz. ist hierfür am zuträglichsten. Bei höheren 
Temperaturen, 24° und mehr, wirkt Trockenheit der Luft (etwa 30 Proz. 
Feuchtigkeit) wohltuend, während ein Feuchtigkeitsgehalt von etwa 60 Proz. 
dabei das Gefühl der Schwüle erzeugt. Selbst Temperaturen von 30° und 
mehr (bis 50°) können unter Umständen ohne ernstere Störungen ertragen 
werden, wenn nur die Luft nicht zu feucht ist und für Luftbewegung durch 
ausgiebige Ventilation gesorgt wird. 

Die Verhältnisse in den Rahmensälen der Stickereiappreturen sind der¬ 
art, daß die Temperatur gelegentlich über 40° steigt; wenn es hier trotzdem, 
meist nicht zu erheblichen Gesundheitsstörungen kommt, so liegt dies daran 
daß die Temperaturen nur kurze Zeit auf dem Maximum verharren und die 
Feuchtigkeitsgrade nur vorübergehend hoch sind. Vor allem aber müssen 
die Schutzvorrichtungen des menschlichen Körpers (Organe der Wärme¬ 
regulierung) normal funktionieren. Da nun trotz alledem für solche Betriebe 
eine gesteigerte Disposition zu Erkältungskrankheiten bestehen bleibt, muß 
gefordert werden, daß nur völlig gesunde Personen mit normaler Wärme¬ 
regulierung zugelassen, jugendliche Arbeiter unter 18 Jahren ausgeschlossen 
werden. (In Deutschland besteht ein entsprechendes Verbot für Arbeiterinnen 
und jugendliche Arbeiter.) (Korrespondenzbl. f. Schweizer Ärzte, 37. Jahr¬ 
gang, Beilage Nr. 17 u. 18, nach Ref. in der Hygien. Rundschau, Bd. XVIII, 
S. 921.) 

Zigarren. 

Die Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 17. Februar 1907 
bringt die vom Bundesrat erlassenen neuen Vorschriften über die Ein¬ 
richtung und den Betrieb der zur Anfertigung von Zigarren be¬ 
stimmten Anlagen, welche Vorschriften gegenüber den bisher gültigen 


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Zigarren. Zink. 


393 


eine wesentliche Verbesserung in hygienischer Beziehung bedeuten. So ist 
statt des bisherigen Luftraumes von 7 cbm für jede beschäftigte Person in 
den Arbeitsräumen ein solcher von 10 cbm vorgeschrieben, bei einer Höhe 
von 3 m. Im übrigen sind die Arbeitsräume täglich mindestens dreimal 
eine halbe Stunde lang durch vollständiges öffnen der Fenster zu lüften, 
zweimal im Jahre gründlich zu reinigen; der Staub von den Fußböden und 
Arbeitstischen ist täglich mindestens einmal durch Abwaschen oder feuchtes 
Abreiben zu entfernen; es ist für Aufstellung von wassergefüllten Spuck¬ 
näpfen, für ausreichende Wascheinrichtungen mit Handtüchern und Seife zu 
sorgen; in Anlagen, in welchen 10 oder mehr Arbeiter beschäftigt werden, 
sind getrennte Aborte und Aus- und Ankleideräume, sofern ein Wechseln 
der Kleider stattfindet, anzulegen. Den zuständigen Behörden ist außerdem 
Vorbehalten, besondere Bestimmungen über Lüftungseinrichtungen, Einrich¬ 
tung der Arbeitstische, Staubbeseitigung bei der Verwendung von Maschinen 
zu treffen. Der Arbeitgeber ist anzuhalten, für die Arbeiter verbindliche 
Bestimmungen darüber zu erlassen, daß die Arbeiter nicht auf den Boden 
spucken, die Zigarren nicht mit dem Munde bearbeiten und die Zigarren¬ 
messer nicht mit Speichel befeuohten. 

Zink. • 

Karl Rosenhaupt: „Die Nürnberg-Fürther Metallspielwaren- 
industrie in geschichtlicher und sozialpolitischer Beleuchtung.“ 
Dissertation. München 1907. Aus dem Abschnitt „Berufskrankheiten“ ist 
folgendes hervorzuheben. Anscheinend infolge der beim Löten der Zink- 
sachen und Reinigen entstehenden Salzsäuredünste kommen vielfach Lungen¬ 
krankbeiten, besonders Lungenschwindsucht, bei den mit dem Löten und 
Säubern von Spielwaren beschäftigten Arbeitern in Nürnberg vor. In Fürth 
sind es hauptsächlich die Metalldrücker, die an Lungenkrankheiten leiden. 
Auch beim „Beizen“ und „Gelbbrennen“ von Messinggegenständen (Ein¬ 
tauchen in eine aus Salpeter, Schwefelsäure, Kochsalz und Glanzruß zu¬ 
sammengesetzte Flüssigkeit) entstehen durch die sich entwickelnden Dämpfe 
Hustenreiz und Lungenkrankheiten. (Nach Ref. im Hygien. Zentralblatt, 
Bd. LU, S. 357.) 

Frey-Lublinitz: „Die Zinkgewinnung im oberschlesischen In¬ 
dustriebezirk und ihre Hygiene seit Erlaß der Bekanntmachung 
des BundeBrats betreffend die Einrichtung und den Betrieb der 
Zinkhütten vom 6. Februar 1900.“ Frey gibt auf Grund eigener Be¬ 
obachtungen im oberschlesischen Industriebezirk eine zusammenfassende, lehr¬ 
reiche, durch mehrere Tafeln und Textfiguren illustrierte Darstellung des 
Betriebes der Zinkhütten und ihrer Gefahren. Die Verhüttung der Zinkerze 
ist deshalb besonders gesundheitsgefährlich, weil die Erze fast stets Blei 
führen (die oberschlesischen bis zu 2 , / 2 Proz., die schwedische Zinkblende 
bis zu 9 Proz.). Die chronische Bleivergiftung bedeutet daher die größte 
Gefahr für bestimmte Kategorien von Zinkhüttenarbeitern, namentlich die 
„Spürer“, „Schmelzer“ und deren Gehilfen. Das „Gießfieber“ wird bei 
diesen Arbeitern im Gegensatz zu den Messinggießern nicht beobachtet. 
Weitere Schädigungen erwachsen durch Kohlenoxyd, Kohlen- und schweflige 


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394 


Gewerbehygiene. Schiffshygiene. 


S&ure, Rauch und Staub. Wie die einzelnen Prozeduren des Betriebes, die 
Vorbereitung der Erze, die Rösthütten, die Zinkofenhalle, das Sieben und 
Verpacken von Poussiere und Flugstaub, die Anlage der Aschehalden, vor 
sich gehen und welche besonderen Schädlichkeiten damit verknüpft sind, 
wird genauer erörtert. An Zahlenübersichten über die Erkrankungen der 
Arbeiter in den verschiedenen Zeitabschnitten, die seit dem Jahre 1902 ge¬ 
nauer vorliegen, wird die Häufigkeit der verschiedenen Erkrankungen gezeigt 
und dargetan, daß die Gesundheitsverhältnisse der oberschlesischen Zink- 
hüttenarbeiter seit Erlaß der oben genannten BundesratsbekanntmachuDg 
sich gebessert haben. Weitere Verbesserungen müssen erstrebt werden und 
lassen sich erzielen, namentlich dadurch, daß eine Anzeigepflicht für die 
Kassenärzte hinsichtlich der Bleierkrankungen eingeführt und die mikro¬ 
skopische Blutuntersuchung für die Frühdiagnose der Bleivergiftung heran¬ 
gezogen würde. (Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medizin und öffentl. Sanitäts- 
wesen, Bd. XXXHI.) Solbrig. 


Schiffshygiene. 

„Internationale Übereinkunft, betreffend Maßregeln gegen 
Pest, Cholera und Gelbfieber vom 3.Dezember 1903.“ Reichsgesetz¬ 
blatt Nr. 37 vom 1. September 1907. 

Bekanntmachung, betreffend Vorschriften über die gesundheitliche 
Behandlung der Seeschiffe in den deutschen Häfen nebst Desinfektions¬ 
anweisung. (Verordnung des Bundesrats vom 29. August 1907.) Reichsgesetz¬ 
blatt Nr. 40 vom 7. September 1907. 

Auf Grund des Gesetzes über die Bekämpfung gemeingefährlicher 
Krankheiten und mit Rücksicht auf die Bestimmungen der Internationalen 
Übereinkunft über Maßregeln gegen Pest, Cholera und Gelbfieber unterstellt 
der Bundesrat die einen deutschen Hafen anlaufenden Seeschiffe einer ge¬ 
sundheitspolizeilichen Überwachung, wobei die Eröffnung des Verkehrs mit 
dem Laude nicht behindert, das Anlandgehen der Reisenden nicht gestört 
und das Löschen und Laden nicht erschwert werden soll. Bei Verdacht, daß 
eine Einschleppung von Aussatz, Cholera, Fleckfieber, Pest oder Pocken zu 
befürchten ist, werden bestimmte Maßnahmen, zunächst ärztliohe Unter¬ 
suchung des Schiffes und seiner Insassen vor Zulassung zum freien Verkehr, 
vorgeschrieben. Die Verordnung regelt dann die zu treffenden Maßnahmen 
bis ins einzelne. Bei Cholera dürfen auch die Gesunden einer Absonderung 
oder Beobachtung unterstellt werden, jedoch nicht über fünf Tage. Bei Pest 
darf die Absonderung fünf Tage, die Beobachtung bis zum zehnten Tage 
nach Ankunft des Schiffes dauern. Bei Pest sollen möglichst die Ratten 
vernichtet werden. Bei Vorhandensein von Rattenpest muß das Schiff einer 
Behandlung zur Abtötung der noch an Bord lebenden Ratten unterworfen 
werden, bevor es am Lande festmachen darf. Diese Behandlung muß inner¬ 
halb 48 Stunden beendet sein. Bei Pocken darf eine Beobachtung bis zur 
Dauer von 14 Tagen, von der letzten AnBteckungsgelegenheit gerechnet, ein- 
treten. Eine Absonderung nur bei solchen Verdächtigen, die weder mit Erfolg 


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Schiffshygiene. 


395 


geimpft sind noch die Pocken Überstunden haben. Bei Fleckfieber darf eine 
Beobachtung bis zu 14 Tagen und bei solchen, die mit Kranken und Leichen 
in Berührung gekommen sind, eine Absonderung stattfinden. Bei Gelbfieber 
darf nur ausnahmsweise eine Absonderung der Nichtkranken stattfinden. Bei 
Aussatz erstrecken sich die Maßnahmen nur auf die Kranken. Die Des¬ 
infektionsanweisung gibt genaue Bestimmung, wann desinfiziert werden soll, 
welche Mittel zu verwenden sind und wie sie anzuwenden sind. Nach welcher 
Methode die Rattenvernichtung bei Pest vorgenommen werden soll, wird 
nicht vorgeschrieben. 

Wade: „Desinfection des navires par l’appareil Clayton.“ 

Verfasser kommt in seinen Untersuchungen zu folgenden Schlußsätzen: 

1. Ratten und Insekten werden in weniger als zwei Stunden abgetötet 
bei einem gleichmäßigen Gehalt des Raumes an */ 2 proz. schwefliger Säure. 
Diese Bedingung ist leicht zu erfüllen in Kammern, leeren Räumen und in 
den Zwischenräumen der Ladung. Um aber eine genügende Durchdringung 
der Ladung sicherzustellen, ist eine Konzentration von 3 Proz. und eine 
Einwirkungsdauer von 8 Stunden erforderlich. 

2. An frei liegenden Stellen werden die pathogenen Bakterien durch 
obiges Verfahren ebenfalls abgetötet, und es wird dabei auch bei einer gleichen 
Dauer der Einwirkung eine genügende Durchdringung der Ladung erreicht, 
um eine genügende Desinfektion aller inneren Teile der Ladung, an welchen 
Bich solche Bakterien befinden können, sicherzustellen. In Ausnahmefällen 
wird die Durchdringung erreicht durch eine Wiederholung der Ausräucherung 
ohne Öffnung der Luken. 

3. Gespinstfäden, Gewebe, Metalle und Mobiliar werden durch die 
schweflige Säure nicht angegriffen, können aber beschädigt werden durch die 
Schwefelsäure, die bei der Herstellung schwefliger Säure durch Verbrennung 
mit entsteht. Es genügt aber, eie mit einer passenden Umhüllung zu ver¬ 
sehen. Jute in Ballen wird auf keinen Fall angegriffen. Feuchte Nahrungs¬ 
mittel, Früchte, frische Gemüse, frisches Fleisch werden durch Behandlung 
mit schwefliger Säure ungenießbar. Getreide in Säcken kann zur Brot¬ 
bereitung nicht mehr benutzt werden. Wegen der Langsamkeit der Durch¬ 
dringung wird ungesacktes Getreide nicht ernstlich beschädigt. Praktisch 
erleiden Mais und Gerste keinen Schaden. 

4. Die schweflige Säure kann für diese Zwecke durch Verbrennen von 
Schwefel gewonnen oder aus Ballons mit verflüssigtem Gas genommen werden. 
Erstere Methode ist einfacher und billiger. (Revue d’hygifene, Februar 1907. 
Ref. in Arch. de med. navale, 1907, Bd. I, S. 314.) 

Heintzenberg: „Der Clayton-Apparat.“ Eine genaue Beschreibung 
(mit fünf Abbildungen) des Clayton-Apparates mit Ausführungen, die ihn zu 
Zwecken der Rattenvernichtung, der Desinfektion und des Feuerlöschens 
empfehlen. (Schiffbau 1907. Heft 22 und 23, S. 825.) 

„Desinfektions-, Rattenvertilgungs- und Feuerlöschfahrzeug 
für Dar-es-Salam“. 

Beschreibung der Einrichtung eines für die Regierung gelieferten 
Prahms, der mit Clayton-Apparat, Heizkessel zum Betrieb des Apparats und 
Feuerlöschpumpe ausgerüstet ist mit besonderer Hervorhebung der Vorzüge 


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396 Schiffshygiene. 

des Claytongases gegenüber dem Generatorgas. Ein Dampfdesinfektions- 
apparat zur gleichzeitigen Desinfektion von Utensilien, wie er auf dem 
Hamburger Staatsschiff „Desinfektor“ vorhanden ist, fehlt. Schiffbau 1906 07, 
Nr. 5, S. 159. 

Berthelemy et Varenne: „Manuel d’hygiene navale ä l’usage 
des capitaines, des officiers et des eleves de la Marine marchande.“ 
Paris, Challamel. 

Ein kurzes Handbuch für Schiffsführer und solche, die es werden wollen, 
in sechs Abteilungen. 

1. Allgemeine Schiffshygiene, Lüftung, Beseitiguug der Abfallstoffe, 
Trinkwasser. 

2. Hygiene der Besatzung: Rekrutierung, spezielle hygienische Vorsichts¬ 
maßregeln, körperliche Reinlichkeit, Alkobolismus, Tuberkulose, Geschlechts¬ 
krankheiten werden besprochen. 

3. Hygiene der Passagiere und der Fracht: Auswanderungen und an¬ 
steckende Krankheiten. Desinfektion von Schiff und Ladung. 

4. Unter dem Titel: „Maladies pestilentielles“ werden Pest, Gelbfieber 
und Cholera besprochen. 

5. Die elementaren Kenntnisse der Behandlung von Kranken und 
Verletzten. 

6. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Krankenfürsorge vom 
29. Dezember 1905 nebst Ausführungsbestimmungen vom 14. April 1906. 

Am Schluß sind die Erlasse und ministeriellen Dekrete betreffend die 
Hygiene der Handelsschiffe im Texte angeführt. 

Alfred Wolff-Eisner: „Über Schiffshygiene und schiffs¬ 
hygienische Verbesserungen.“ 

Bei dem modernen Schiffabrtsbetriebe gewinnt die Schiffshygiene eine 
immer größere Bedeutung. Trotzdem sind sowohl im Betriebe wie im Bau 
noch erhebliche hygienische Mißstände vorhanden, weil ein Zusammenwirken 
hygienisch geschulter Ärzte mit Schiffbauern und Reedern nicht Btattfindet. 
Die notwendigen Verbesserungen auf Passagierdampfern (nur von diesen 
spricht Verfasser) sind nur durch Änderung der Stellung der Schiffsärzte 
zu erreichen, die anfangen muß bei einer besseren Vorbildung und einer 
besseren Weiterbildung und anschließend daran einer besseren Dienststellung 
und Honorierung. Dann müßten die Einrichtungen an Bord verbessert werden. 
Die Apothekenausrüstung ist im allgemeinen gut, instrumentelle Ausrüstung 
und Einrichtung des Lazaretts bedürfen dringend der Verbesserung. (Mikroskop, 
kleines bakteriologisches Laboratorium, im Lazarett mehr Luftraum und ein 
aseptisches Operationszimmer, das zugleich als Sprechzimmer des Arztes dienen 
kann.) Röntgenapparat sei nicht erforderlich. Auch für Desinfektions¬ 
möglichkeit muß mehr gesorgt werden (Dampfdesinfektion). Die hygienischen 
Verhältnisse besonders des Zwischendeckes, vor allem das Mannschaftslogis 
bedürfen der Verbesserung, was im einzelnen ausgeführt wird. Zum Schluß 
werden Quarantänemaßregeln und Wasserversorgung erörtert. (Schiffbau 
1906/07, Heft 1, 2, 3 u. 4.) 


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Schiffshygiene 


397 


Balch: „Travaux de laboratoire a bord des navires.“ Balch 
schildert in kurzem die mikroskopischen, bakteriologischen und chemischen 
Untersuchungen, die sich an Bord mit den gegebenen Hilfsmitteln machen 
lassen, und beschreibt kurz ihre Methodik. (Arch. de med. nav. 1907, Bd. H, 
P-14.) 

Le Mehaute: „Le navire salubre“. Röle de l’officier de marine dans 
la pratique de l’hygiene a bord. Conferences d’hygiene navale. 

Eine Zusammenfassung yon Vorträgen, die Verfasser an Bord des Schiffes 
„Duguay-Trouiu“ dem Offizierkorps in den Jahren 1905 und 1906 gehalten hat. 
(Revue maritime 1907, p. 359.) 

Le Mehaute: „Hygiene du marin ä bord du »Duguay-Trouin«.“ 
1905 bis 1906. In der Indiensthaltungsperiode 1905 bis 1906 waren die 
gesundheitlichen Verhältnisse des genannten Kadetten-Schulschiffes gegenüber 
den beiden Vorjahren bedeutend günstiger, obgleich Reiseroute und allgemeine 
Verhältnisse der Indiensthaltung dem früheren Jahr gleich waren. Der 
Gesamtkrankenzugang betrug 354 (gegenüber 660 und 463 der beiden Vor¬ 
jahre). Die Gesamtbehandlungstage 2466 (gegenüber 4042 bzw. 5228). 
Obgleich das Kriegsschiff als solches einen in den wesentlichsten Dingen un- 
hygienischen Aufenthaltsort darstellt und daB Leben des Seemanns ein 
ständiger Hohn auf die Hygiene ist, gelingt es bei Sorgsamkeit doch, die 
Gesundheit wirksam zu schützen und einer Verbreitung ansteckender Krank¬ 
heiten entgegenzutreten. Verfasser geht dann bis in die Details der ganzen 
Schiffshygiene ein, so daß es zu weit führen würde, in einem Referat ihm 
überall zu folgen. Von Interesse ist besonders die Einrichtung der Wasser¬ 
ausgabestellen, so daß jeder mit einer eigenen Pipette sein Wasser trinkt, dann ein 
Bezug des Zementbelags der Tanks mit Paraffin, ferner eine Einrichtung, 
wo sich das Maschinenpersonal den äußeren Gehörgang regelmäßig ausspült, 
nachdem es zunächst unter ärztlicher Kontrolle von grober Verschmutzung 
gereinigt ist. Ausgabe von Zahnpulver an die Mannschaft, Absonderung 
sämtlicher Leute, welche an Husten leiden, von den Schlafräumen der anderen 
und die stetige Belehrung der Offiziere und Mannschaft durch den Schiffsarzt 
über die Mittel der Hygiene. (Arch. de med. nav. 1907, p 50.) 

Hyades: „La Conference de la croix rouge en 1907 dans ses 
rapports avec la marine.“ 

In der VIII. internationalen Versammlung des Roten Kreuzes zu London 
im Jahre 1907 sollte eine besondere Kommission bestimmte Vorschläge auf¬ 
stellen für die beste Organisation des Roten Kreuzes für die Hilfeleistung im 
Seekriege. Von der Kommission wurde auf Grund des Berichtes über die 
Rolle des Roten Kreuzes im Seekriege, den der englische Chirurg Makins 
der Kommission, und des Referates, das der Referent für die Plenarsitzungen, 
der französische Delegierte des Zentralkomitees Regnault, erstattet hatte, 
folgende Resolution angenommen: Die Konferenz spricht den Wunsch aus, 
es mögen in den verschiedenen Ländern in der für sie je nach ihrer besonderen 
Organisation passenden Form Verbindungen zwischen der Verwaltung der 
Marine und den Gesellschaften für Hilfeleistung angeknüpft werden, die es 
diesen ermöglichen, mit Nutzen ihren Beistand zu leisten und die notwendigen 
Mittel für ihr Liebeswerk zu erhalten. 


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398 


Schiffshygiene. 


Das eingehende Referat von Makins spricht sich zunächst über die 
Rolle des Hilfsschiffes überhaupt aus. Von seiner Tätigkeit als Rettungs¬ 
schiff bei brennenden und sinkenden Schiffen verspricht er sich nichts. 
Wenn ob sich von der Flotte trenne, setze es sich der Durchsuchung und der 
Gefahr aus, daß feindliche Torpedofahrzeuge usw. sich bei ihm mit Kohlen 
verproviantieren. Mehr verspricht er sich von ihnen als Hospitalschiffeu, 
welche die Kriegsschiffe auf dem Marsche von Kranken entlasten, den Ver¬ 
wundeten am Schlüsse einer Schlacht bessere Unterkünfte- und Verpflegungs¬ 
verhältnisse und bessere Operationsaussichten bieten, die zurückbleibenden 
Gesunden für den Fall einer Erneuerung des Gefechts von dem ungünstigen 
Einfluß der Anwesenheit der Verwundeten befreien und eine bessere Aus¬ 
nutzung des medizinischen Personals ermöglichen. Aber auch sie machen 
die Einrichtungen für Verwundetenpflege an Bord der Kriegsschiffe nicht 
überflüssig. 

Im weiteren wird die Stellung der Hospitalschiffe des Roten Kreuzes und 
die Organisation der Stellung und des inneren Dienstes (Nebeneinanderstellung 
des obersten Arztes und des Schiffsführers), Typ des Schiffes, allgemeine 
Verwaltung, Personal und zum Schluß die Frage, ob Einrichtungen zur Er¬ 
richtung von Landlazaretten mitgenommen werden sollen, besprochen. 

Der Plenar-Referent, der im übrigen die Ausführungen billigte, erhob 
Widerspruch gegen die Bedenken, die aus einer Durchsuchung und Weg¬ 
nahme von Kohlen usw. seitens feindlicher Torpedoboote gegen die Trennung 
von der eigenen Flotte entstanden, denn die Durchsuchung sei unbedenklich, 
und die Beraubung würde den Beschlüssen der Haager Konferenz widersprechen. 
(Arch. de med. nav. 1907, Bd. II, p. 162.) 

Gu6zenneck: „Notes complimentaires relatives au hamac.“ 

Detailbeschreibung der nach den Verfasser benannten, in der französischen 
Marine eingeführten Transporthängematte. Sie ist eine mit mehrfachen 
Ergänzungen (Gurten usw.) versehene gewöhnliche Mannschaftshängematte 
und kann unter Verwendung von zwei Tragestäben mit Querverbindungen 
in eine Trage mit straffem Boden (civiere) und mit riunenartigem Boden 
(gouttiöre) verwandelt werden. Eigenartig ist die Konstruktion des Hahnepot, 
der dem Vertikaltransport bei Verwendung als Hängematte dient. Für den 
Vertikaltransport bei Verwendung als Trage ist ein besonderer Apparat vor¬ 
gesehen (balancine). Die Trage hängt mit vier metallenen Ketten, die als 
Toppnanten dienen, an einem Ring. Nach unten vereinigen sich vier dünnere 
Ketten in einem Ring, der zum Anstecken des NiederholerB dient. (Arch. 
de m6d. navale 1907, p. 5.) 

Robert: „Lavabo ä p6dales construit ä bord.“ 

Beschreibung einer mit Bordmitteln hergestellten Wascheinrichtung, 
deren Zulauf mit den Füßen bedient wird. (Arch. de med. nav. 1907, 

p. 262.) 

M i r a n d a (übersetzt von Drago): „Les explosions modernes. 
Phenomönes d’empoisonnements par les gaz d’explosion. 

Die bei der Explosion entstehenden gasigen Produkte hängen in ihrer 
Zusammensetzung außer von der größeren oder geringeren Vollständigkeit 


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Schiffshygiene. 


399 


der Verbrennung von der Zusammensetzung des Pulvers ab. Das Schwarz¬ 
pulver, aufgebaut auf salpetersaurem Kali, Schwefel und Kohle, und die 
Pulver auf der Grundlage des chlorsauren Kalis und des Schwefelantimons 
haben für die Hygiene nach Art und Menge keine Bedeutung. Pulver auf 
der Grundlage des Knallquecksilbers wird auch nur in geringen Mengen 
gebraucht, bat aber schon zu Quecksilbervergiftungen geführt. Bei der 
schnellen Verbrennung des Nitroglyzerins entstehen ungiftige Verbrennungs- 
produkte, dagegen bei der einfachen Verbrennung dichte Dämpfe giftiger 
Körper (Salpetersäure, Glyzerinsäure, Oxalsäure). 

Von den Abkömmlingen der Kohlenhydrate (Nitrodextrine, Nitroglycose 
usw.) ist das wichtigste die Nitrocellulose, die bei der Explosion 20,82 Proz. 
Kohlenoxyd erzeugt. Gleichfalls Kohlenoxyd erzeugen die Nitroverbindungen 
der aromatischen Körper, Nitrobenzole, Phenole und Toluole, von denen 
besonders das Trinitrobenzol (Pikrinsäure) in Gebrauch ist. Endlich kommen 
noch Explosionsstoffe besonders zu Granatfüllungen zur Verwendung, deren 
Zusammensetzung weitere Verbindungen der Säuren des Stickstoffs mit 
Explosivkörpern darBtellt. Bei der Explosion all der Körper treten außer 
dem Kohlenoxydgas je nach der Vollständigkeit der Verbrennung mehr oder 
minder stark giftige Stoffe der Grundsubstanzen in verschiedener Menge 
auf. Nachdem Verfasser die einzelnen auftretenden Stoffe in ihrer Wirkung 
auf den menschlichen Organismus besprochen hat, kommt er zu folgenden 
Schlüssen: 

1. Die Frage der Ventilation an Bord während des Gefechts muß 
geprüft werden nach der Richtung, ob die Vermeidung der Einwirkung 
der Gase der eigenen Kanonen oder der Gase der Granatfüllungen der 
feindlichen Geschütze im Vordergrund steht. 

2. In den Türmen und Kasematten, in denen man das Durchschlagen 
feindlicher Explosionsgranaten nicht zu fürchten hat (?Ref.), genügt es, das 
Eindringen des Rauches in das Innere durch Apparate zu hindern, die den 
Rauch nicht durch den Bodenverschluß durchlassen oder an der Mündung 
absaugen. 

3. Für die ungeschützten Batterien müssen geschützte starke Ventilations- 
einriohtungen die erforderliche frische Luft zuführen. (Arch. de möd. nav. 
1907, Bd.1, p. 444.) 

Olivier: „Les Flottilles des Torpilleurs de Cochinchine en 1906.“ 

Infolge des russisch-japanischen Krieges waren die Torpedofahrzeuge 
in Saigon stark vermehrt worden. Der Gesundheitszustand der Besatzung 
war sehr schlecht. Bei einer Besatzungsstärke von 532 Europäern (einschl. 
35 Offiziere) kamen 1765 Krankheitsfälle mit 17000 Krankheitstagen, also 
pro Kopf der Besatzung 30 Krankheitstage, vor; heimgesandt wurden 136 
(257 Promille), es starben 16 (30 Promille). Grund: Außer den auf Torpedo¬ 
fahrzeugen an sich vorhandenen ungünstigen Verhältnissen, ungünstige 
Liegeplätze und sehr schlechte Unterkunft an Land (frühere KohlenBchuppen 
in sumpfigem Terrain). (Arch. de möd. nav. 1907, Bd. II, p. 93.) 

Liffran: „Hygiene navale ä bord de L’amiral Trehonant.“ 

Charuel: „Hygiene navale ä bord du „Montcalm“. Zwei kurze 
hygienische Schiffsberichte. (Arch. de med. nav. 1907, p. 305 u. 414.) 


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400 


Schiffshygiene. Eisenbahnhygiene. 

Vincent: „Epidemie de Paludisme sur la »Rance«.“ 

In der Zeit vom 2. März bis 12. Mai erkrankten auf dem an der Küste 
von Madagaskar befindlichen Vermessungsfahrzeug von einer Besatzung von 
136 Europäern 122 an Fieber, teilweise recht heftig. Die Epidemie wird vom 
Berichterstatter als Sumpffieber angesprochen, obgleich weder ihm noch drei 
anderen Ärzten der Nachweis von Blutparasiten gelang und unter den vielen 
vorhandenen Mücken nicht eine einzige Anopheles gefunden wurde. (Arch. 
de med. nav. 1907, p. 371.) 

Bonnefoy: „Epidemie de rubeole a bord du »Troude«.“ 

Beschreibung einer Epidemie an Bord in Cura^ao, bei der über 80 Proz. 
der Besatzung erkrankten. (Arch. de med nav. 1907, p. 299.) 

„Unfälle auf Unterseebooten." Unterseeboote haben in vier Jahren 
22 Unglücksfälle gehabt (7 Explosion, 8 Kollision, 1 Strandung). Verluste 
an Menschenleben hierbei in fünf Fällen im ganzen 7 Offiziere, 58 Mann. 
(Schiffbau 1906/07, Nr. 5, S. 173.) 

Patent Nr. 177 381. Aussteigeschacht für Unterseeboote. Ein aus 
teleskopartig verschiebbaren Rohrstücken bestehender Schacht, dessen Deckel 
im Innern des Bootes durch einen Riegel verschlossen gehalten wird. Der 
Deckel trägt eine Kontaktvorrichtung, die unter Wasser durch den Wasser¬ 
druck geöffnet bleibt, nach Aufwärtsbewegung beim Auftauchen des Schachtes 
durch Aufhören des Druckes funktioniert und eine Alarmglocke in Tätigkeit 
setzt, um den Zeitpunkt zum öffnen des Riegels zu erkennen. (Schiffbau 
1906/07, Nr. 7, S. 249.) 

Hermann Pauli: „Therapeutische Seereisen.“ Beschreibung der 
Technik solcher Reisen unter Berücksichtigung der Tatsache, daß es noch 
keine Schiffssanatorien gibt. Fahrten, die mehrere Zonen bezw. große 
Strecken durchlaufen, sind wegen des Klimaunterschiedes, sowie der nicht 
abwechselungsreichen Verpflegung ohne therapeutischen Wert. Da es sich also 
nur um die Fahrten der Luxusschiffe mit ihrem internationalen Treiben 
handelt, sind Kranke, die neben den maritimen Heilfaktoren der Ruhe be¬ 
dürfen, ungeeignet. (Zeitschr. für physikal. und diät. Therapie, Heft 7 u. 8; 
Ref. in Deutsche med. Wochenschrift 1907, S. 35.) 

Hermann Pauli: „Therapeutische Seereisen mit besonderer 
Berücksichtigung der Nordlandsfahrten der »Hapag«." 

Ergänzung des vorigen Artikels durch meteorologische, klimatolo- 
gische usw. Angaben. (Ref. in Deutsche med. Wochenschrift 1907, S. 2156 
aus derselben Zeitschr. Nr.9.) Peerenboom. 


Eisenbahnhygiene. 

J. W. Lissitzin: „Charakter und Häufigkeit der Augen¬ 
verletzungen bei Eisenbahnbeamten." 1. Das Verhältnis der Häufigkeit 
der Augenverletzungen zur Gesamtzahl sämtlicher Verletzungen der Eisen¬ 
bahnbeamten ist eine fast konstante Größe. 2. Ihrem Charakter nach lassen 


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Eisenbahnhygiene. 


401 


sich die Aagenverletznngen der Eisenbahnbeamten folgendermaßen einteilen: 
Fremdkörper der Hornhaat und Conjunctiva, Verletzungen und Kontusionen 
der Augen, oberflächliche Erosionen und Geschwüre der Hornhaut, ohemische 
und thermische Verbrennungen. 3. Die Einteilung der AugenTerletzungen 
nach den Dienstkategorien zeigt eine gewisse Gesetzmäßigkeit. Als Vor¬ 
beugungsmaßregeln gegen Augenverletzungen kommen Besserung der Arbeits- 
Verhältnisse und der Arbeitsvorrichtungen in den Werkstätten, Hebung des 
Kulturzustandes der Arbeiter, rechtzeitige und regelmäßige okulistische Hilfe 
und Gebrauch von Schutzbrillen in Betracht. (Ref. in ÄrztL Sachverständigen¬ 
zeitung 1908.) 

Bardet empfiehlt als Mittel gegen die Eisenbahnkrankheit, die dieselben 
Erscheinungen wie die Seekrankheit zeigt, das Validol neben einer Abstumpfung 
der Magensäure durch Kalk, Magnesiahydrat und salpetersaures Wismut. 
Weil bei der Eisenbahnkrankheit eine erhebliche Ausscheidung von Magen¬ 
säure eintrete, die er für die Ursache der Krankheitserscbeinungen hält, so sei 
die Abstumpfung derselben in erster Linie anzustreben. (Zeitschr. f. Eisen¬ 
bahnhygiene 1907, Heft 1.) Leipzig, Benno Konegen. 

Die Direktion der österreichischen Staatseisenbahngesellschaft hat am 
Wiener Bahnhofe zur Reinigung der Eisenbahnwagen eine Entstaubungsanlage 
(nach dem System Schnitzer und Spitzer „Purofak“) eingerichtet. Das 
Vakuum wird durch ein Dampfstrahlgebläse erzeugt, der angesogene Staub 
mischt sich mit dem kondensierten Dampfe beim Austritt aus dem Apparat 
und wird äls angeblich vollständig steriler Brei in einen Kessel oder einen 
Auspufftopf abgeblasen. Die Saugleitung ist längB eines Gleises verlegt und 
mit den entsprechenden Ansatzstutzen für die Saugapparate versehen, mit 
denen in gewöhnlicherWeise wie bei allen Entstaubungsapparaten das Innere 
der Wagenabteile gereinigt wird. (Ebenda, Heft 8.) 

von Britto-Wien und Stich-Nürnberg: „Die Verletzungen im 
Eisenbahnbetriebe und ihre Verhütung.“ (Referat und Korreferat bei 
dem XIV. Internationalen Kongreß für Hygiene und Demographie in Berlin.) 
v. Britto kommt auf Grund der zehnjährigen Unfallstatistik der berufs- 
genossenschaftlichen Unfallversicherungsanstalt der österreichischen Eisen¬ 
bahnen zu folgenden Schlüssen: l.Die Zahl der Unfallanzeigen ist absolut und 
relativ in einem steten und raschen Steigen begriffen (Folgen der wachsenden 
Kenntnis der Gesetzgebung und des daraus entspringenden Bestrebens um 
Erlangung einer Rente). 2. Die Zahl der in gleicher Zeit entschädigten Unfälle 
ist zwar ebenfalls gestiegen aber in weit geringerem Maße als die Zahl der 
Unfallanzeigen; im Vergleiche zu den gemeldeten Unfällen ist die Zahl der 
entschädigten bedeutend gesunken. 3. An der Steigerung der entschädigten 
Unfälle sind lediglich leichtere beteiligt. Die schweren mit völliger Erwerbs¬ 
unfähigkeit oder mit Tod ausgegangenen Unfälle zeigen absolut und relativ 
eine Verminderung. 4. Die durch den Eisenbahnbetrieb selbst verursachten 
Unfälle zeigen infolge des Anwachsens der leichteren und trotz erheblicher 
Abnahme der schweren Unfälle eine bedeutende Steigerung. Die außerhalb 
des fahrenden Betriebs erfolgten Unfälle sind in steter Abnahme begriffen. 
5. Das Hin- und Herschieben der Wagen (Rangieren) spielt als Unfallsge- 

Vierteljahrsschrift fttr Gesundheitspflege, 1908 . Supplement. 26 


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402 


Eisenbabnbygiene. Heilpersonal. 


legenheit eine Hauptrolle. 6. Bei den einzelnen Beamtengrnppen weist daa 
Fahrpersonal die ungünstigsten Verhältnisse auf, beim Strecken- und Stations¬ 
personal ergeben sich günstigere, beim Bureaupersonal die günstigsten Ver¬ 
hältnisse. 7. Zur Verhütung der Unfälle ist die Einstellung körperlich und 
geistig vollkommen gesunden Personals erste Forderung. 8. Bedienstete, die 
physisch den Dienstanforderungen nicht mehr entsprechen, sind rechtzeitig 
von verantwortungsvollen Dienstleistungen zurückzuziehen. 9. Die vorge¬ 
schriebenen Ruhepausen sind wirksam durchzuführen. Einwandfreie Unter¬ 
künfte- und Übernachtungsräume sind zu schaffen. Die Durchführung des 
Betriebes ist nur genügend vorgebildeten und geschulten Personen anzu¬ 
vertrauen. 11. Der Alkoholgenuß ist für die Zeit des Dienstes möglichst 
einzuschränken. Wiederholte Trunkenheit im Dienst ist mit Entlassung zu 
bestrafen. Stichs Schlußsätze lauten: Die deutschen Eisenbahnverwaltungen 
stehen im bezug auf im Eisenbahnbetrieb getötete oder verletzte Reisende an 
günstigster Stelle. 2. Eine vergleichbare Statistik der Verletzungen der Eisen¬ 
bahnbeamten und Arbeiter fehlt, doch scheinen auch hier die deutschen Betriebe 
günstig abzuschneiden. 3. Eine 25 jährige bayerische Statistik zeigt, daß der 
größte Teil der Unfälle hätte vermieden werden können. 4. Zur Erreichung 
dieses Zieles sind nötig: Technische Verbesserungen des Betriebes, hygienische 
Verbesserung der Wohnungsverhältnisse, der Dienstkleidung, der Ernährung 
während des Fahrens, Regelung der Dienst-, Ruhe- und Arbeitszeit. Ver¬ 
besserung der Übernachtungslokale, Ausbildung des Rettungswesens, absolutes 
Verbot des Alkoholgenusses und des Rauchens im Dienst. Belehrung des 
Dienstpersonales durch UnfallverhütungsVorschriften, Vorträge über Unfall¬ 
verhütung. (Ebenda, Heft 10.) Pf. 


Heilpersonal. 


Summarische Nachweisung 
des Heilpersonals im preußischen Staate nach seiner Verteilung 
in den einzelnen Provinzen im Jahre 1908. 


Provinz 

Bevölkerung 

Ärzte ] 

Zahnärzte 

Apotheken 

Ostpreußen. 

2 030 576 

688 

42 

170 

Westpreußen. 

| 1 641 746 

554 

38 

121 

Brandenburg (einschließlich Polizei- | 
bezirk Berlin).j 

5 958 084 

4 858 

558 

503 

Pommern.j 

1 684 326 

678 

58 

152 

Posen . 

1 986 637 

619 

54 

155 

Schlesien.1 

4 942 611 

1 928 

140 

384 

Sachsen. 1 

2 979 221 

1 328 

92 

297 

Schleswig-Holstein. 

1 504 248 I 

797 

70 

149 

Hannover. 

2 759 544 

1 432 

109 

347 

Westfalen.| 

3 618 090 

1 443 

107 

387 

Hessen-Nassau. 

2 070 052 

1 497 

137 

248 

Rheinprovinz. 

6 436 337 

3 140 

235 

612 

Hohenzollem. 

68 282 

25 


11 

Zusammen 

37 293 324 

18 987 

1640 

| 3536 


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Heilpersonal. Loft und Licht. Luft, Gase usw. 


403 


Summarische Nachweisung 
des Heilpersonals im Deutschen Reiche nach seiner Verteilung 
in den einzelnen Staaten im Jahre 1908. 


Staat 

Bevölkerung 1 
naeh der Volke- 1 

Zahlung am 

1. Dez. 1805. | 

Ärzte 

Zahnärzte 

Apotheken 

Preußen. 

37 293 324 

18 987 

1 640 

3 536 

Bayern . 

6 554 372 

3 405 

172 

664 

8achsen . 

4 504 077 

2 235 

184 

339 

Württemberg. 

2 169 480 

1 017 

47 

303 

Baden . 

1 725 470 

1235 

109 

233 

Hessen. 

1 210 639 

740 

49 

127 

Mecklenburg-Schwerin ....... 

596 883 

295 

30 

70 

Sachsen-Weimar-Eisenach. 

338 887 

239 

27 

45 

Mecklenburg-Strelitz . 

101 513 

44 

3 

14 

Oldenburg . 

399 183 

157 

10 

54 

Braunschweig . 

485 958 

254 

25 

56 

Sachsen-Meiningen . 

268 916 

101 

9 

29 

8achsen-Alten bürg. 

194 914 

76 

5 

16 

Sachsen-Koburg u. Gotha . 

225 232 

128 

11 

29 

Anhalt . 

328 007 

147 

20 

41 

8chwarzburg-Budolstadt. 

88 590 

43 

3 

18 

8chwarzburg-8ondershausen .... 

78 248 

33 

7 

13 

Waldeck u. Pyrmont. 

57 918 

39 

1 

10 

Reuß ä. L. 

68 396 

19 

1 

4 

Beuß j. L. 

131 469 

59 

5 

14 

Lippe . 

138 952 

59 

5 

16 

Schaumburg-Lippe . 

41 224 

17 

1 

7 

Lübeck. 

96 775 1 

67 

11 

12 

Bremen. 

203 465 

186 

24 

23 

Hamburg. 

874 878 

713 

112 

64 

Elsaß-Lothringen. 

1 1 719 470 

895 

56 

249 

Zusammen 

! 59 896 240 

31 190 

2 587 

5 986 


(Medizinalkalender für das Jahr 1909. Berlin, A. Hirschwald.) Pf. 


Vierter Abschnitt. 

Luft und Licht. 

a) Luft, Gase usw. 

Arno Eloess: „Die allgemeinen Sachen Luft und Wasser nach geltendem 
Rechte unter Berücksichtigung des Gemeingebrauches, der Rauchbekämpfung 
und Abwässerfrage. Ein Beitrag zum deutschen Privatrecht.“ (Halle a. S., 
W. Knapp, 1907. Preis 3,60 >Jt.) 

J. Riehl: „Über die Klagen zur Abwehr der Belästigungen durch Rauch, 
Gerüche, Geräusche, Erschütterungen und andere Imponderabilien.“ (Berlin, 
F. Vahlen, 1907. Preis 0,60 <Jt.) 

Erdmann hat feste Luft so hergestellt, daß er kohlensäurefreie flüssige 
Luft unter Vakuum (10 bis 20 mm Quecksilbersäule) brachte; die Flüssig¬ 
keit verwandelt sich alsbald in einen Kristallbrei, der Stickstoff auskristalli- 

26 * 


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404 


Luft und Licht. 


aiert. Die stickstoffhaltigen Kristalle können nun aus der breiförmigen Luft 
ausgeschieden werden, so daß auf diese Weise auch völlig reiner Stickstoff 
zu gewinnen ist. (Chemikerztg. 1907, Nr. 86.) 

Raoul Pictet: „Die Entwickelung der Theorien und der Verfahrungs- 
weisen bei der Herstellung der flüssigen Luft.“ (Weimar, C. Steinert, 1907. 
Preis 1,80 Jft.) 

Sir William Ramsay: „Die Gase der Atmosphäre und die Geschichte 
ihrer Entdeckung.“ 3. Auflage. Deutsch von Dr. Huth. (Halle a.S., W. Knapp. 
Preis 5 >Jt.) 

Coates konnte feststellen, daß es in dem Spektrum der leichtesten Be¬ 
standteile der.Luft keine nnbekannten Linien gibt; alle beobachteten lassen 
sich auf Helium, Neon und Wasserstoff zurückführen. Der aus der Luft 
abscheidbare Wasserstoff erwies sich in Menge weit geringer, als es von 
Gautier, Rayleigh und Dewar angegeben war. (Zeitschr. f. pbysikal. 
Chem. 1907, Nr. 58.) 

Gmelin-Kraut: „Handbuch der anorganischen Chemie.“ 7. Auflage, 
herausgegeben von C. Fried heim. L Bd. 1. Abteilung: Sauerstoff, Ozon, 
Wasserstoff, Edelgase, bearbeitet von W.Schlenk; Schwefel, bearbeitet von 
Linne und Ephraim; Selen, bearbeitet von Linne. (Heidelberg, Winters 
Universitätsbucbbandlung, 1907. Preis 35 t/ft.) 

Korschun hat die Sauerstoffbestimmungsmethoden von Ramsay und 
Müller mit der Winkler sehen verglichen und gibt letzterer den Vorzug. 
(Arch. f. Hygiene, Bd. 61, Heft 4.) 

Oliver beschreibt einen Sauerstoffapparat, mit dem die Rettungsarbeiten 
in giftiger und irrespirabler Atmosphäre vorgenommen werden können. (The 
Lancet 1907, Nr. 4347.) 

Gebhardt hat einen Apparat zur Bestimmung des Sauerstoffs in 
Feuerungsgasen, Gasanalysator, konstruiert, der von A. Primavesi in 
Magdeburg zu beziehen ist. (Chemikerztg. 1907, Nr. 22.) 

Die Deutsche „Oxyhydrio“-Gesellschaft in Eller bei Düsseldorf be¬ 
nutzt den Sauerstoff bei einem Sch neide verfahren von Metallplatten. Diese 
werden erst an einer Stelle durch ein Gemisch von Sauerstoff und Heizgas 
an der Scbneidestelle zum Schmelzen gebracht, dann das Heizgas abgestellt; 
der Sauerstoff durchbohrt infolge seiner oxydierenden Wirkung dann die 
Platte und räumt durch seinen Druck die Abfallteile so glatt weg, daß der 
Schnitt glatt ist wie ein Scherenschnitt. (Zeitschr. des Vereins deutscher 
Ingenieure vom 9. November 1907.) 

E. Wiss: „Das autogene Schweißen und autogene Schneiden mit Wasser¬ 
stoff und Sauerstoff.“ Vortrag. (Berlin, Julius Springer, 1907.) 

Albers - Scbönberg beschreibt den Wert von Sauerstoffeinblasungen 
in das Kniegelenk zwecks genauer Erkennung der Krankheit. (Von anderer 
Seite ist ein Todesfall infolge dieser Sauerstoffeinblasungen beschrieben 
worden.) (Deutsche med. Wochen sehr. 1907, Nr. 41. Vereinsbeilage.) 

Eva v. Bahr: „Die Absorption von Wärmequellen verschiedener Tempe¬ 
ratur durch Ozon.“ (Berlin, R. Friedländer u. Sohn, 1907. Preis 0,80 oft.) 


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Luft, Gase usw. 


405 


F. Fischer und Marx haben über die thermischen Bildungsbeziehungen 
zwischen Ozon, Stickstoff und Wasserstoffsuperoxyd Untersuchungen ver¬ 
anstaltet, deren Ergebnisse im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 17 mitgeteilt sind. 

Fischer und Massenez studierten die Bedingungen, unter denen die 
Darstellung des Ozons auf elektrolytischem Wege ohne Zerstörung des 
Elektrodenmaterials sich erreichen läßt, wobei gleichzeitig Sauerstoff mit 
hohem Ozongehalt entsteht. (Zeitschr. f. anorg. Chemie 1907, Nr. 52.) 

Bridge schreibt über Ozon, seine Natur, Herstellung und Verwendung. 
Ein Auszug dieser Arbeit findet sich im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 52. 

Warburg und Leithäuser haben versucht, Ozon durch stille elektrische 
Entladungen zu gewinnen. (Annalen der Physik 1907, Nr. 20.) 

Harries hat Versuche zur fraktionierten Destillation des verdichteten 
Ozons gemacht, und letzteres dabei als tiefblaue ölige Flüssigkeit erhalten. 
(Chemikerztg. 1907, Nr. 48.) 

Nach Untersuchungen von Lübbertz hat sich der Ozonentwickler 
Elwortby-Kölle in Stuttgart zur Luft Verbesserung dicht bewohnter Räume 
außerordentlich bewährt, ebenso im Zwischendeck von Auswandererdampfern. 
(Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 49.) 

Zum Ozonisieren der Luft sollen auch zwei kürzlich patentierte Apparate 
dienen, der von Sahlström „Ozonisator" genannte, und ein anderer, der 
Gesellschaft Ozonair Limited in London gehörige. (Gesundheits-Ingenieur 
1907, Nr. 49.) 

Zwischen Langbein und Graefe findet eine Auseinandersetzung statt 
über den Einfluß von wasserstoffhaltigem Sauerstoff bei der Heizwert¬ 
bestimmung. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 3.) 

Bone und Wheeler haben Untersuchungen über die Vereinigung von 
Wasserstoff und Sauerstoff bei Berührung mit erhitzten Flächen gemacht. Ein 
ausführliches Referat darüber ist abgedruckt im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 1. 

Die elektrischen Wasserzersetzer der Maschinenfabrik Oerlikon zur Ge¬ 
winnung von Wasserstoff und Sauerstoff Bind abgebildet und beschrieben in 
der Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 33. 

Doufour gibt Aufklärungen über die zwei verschiedenen Spektren- des 
Wasserstoffs. (Chem. Repertorium Nr. 1 d. Chemikerztg. 1907.) 

Frank empfiehlt die Herstellung von reinem Wasserstoff aus Wasser¬ 
gas, besonders zu Zwecken der Luftschiffabrt. (Chemikerztg. 1907, Nr. 76.) 

Ed. Donath und E. Frenzei: „Die technische Ausnutzung des atmo¬ 
sphärischen Stickstoffs.“ (Wien, Franz Deuticke, 1907. Preis 7 Jt.) 

Paul Ehrenberg: „Die Bewegung des Ammoniakstickstoffs in der 
Natur.“ (Berlin, Paul Parey, 1907. Preis 9 <M.) 

M. Bamberger: „Nutzbarmachung des Luftstickstoffs.“ (Wien, Brau¬ 
müller. Preis 1,40 ofC.) 

Ein Vortrag von Erlwein über Fixierung des Stickstoffs der Luft und 
Verwendung der gewonnenen Körper ist ausführlich referiert im Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 17. 


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406 


Luft und Licht. 


Rubner hat eine neue elementaranalytische Bestimmung des Stickstoffs 
im Wasser ausgearbeitet, um die Verunreinigung von Flüssen und Brunnen 
mit organischen Substanzen nachzuweisen. Der gesamte Stickstoff wird 
durch Erhitzen mit komprimierter Schwefelsäure und Kalinmsulfat in 
Ammoniak übergeführt, und dieses kolorimetrisch nach Frankland und 
Armstrong bestimmt. Die Methode weist die geringsten Spuren organischer 
Substanzen nach. (Arch. f. Hygiene, Bd. 62, Heft 1.) 

Moöcicki beschreibt die Gewinnung von Salpetersäure aus Luft bei 
deren Behandlung mittels elektrischer Flamme. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, 
Nr. 42 bis 44.) 

Ahrens hält das Verfahren von Birkeland und Eyde zur Stickstoff- 
gewinnung für die praktischste Lösung des Stickstoffproblems. (Elektrotechn. 
Zeitschr. 1907, Nr. 49.) 

R. Nowitzki: „Über die Fortschritte auf dem Gebiete der Gasanalyse, 
insbesondere über die quantitative Bestimmung geringer Mengen von Kohlen¬ 
oxyd.“ (Wien, Akademischer Verlag, 1907. Preis 0,50 off.) 

Levy und Pecoul haben eine sehr empfindliche Methode zur Be¬ 
stimmung von Kohlenoxyd in der Luft durch Jodsäure ausfindig gemacht. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 22.) 

Gautier und Clausmann haben durch neue Versuchsanordnungen 
die Schwierigkeiten, welche die Bestimmung von Kohlenoxyd in Gasgemischen 
macht, beseitigt. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 42.) 

Toth gibt einen Beitrag zur Kohlenoxydbestimmung im Tabakraucb. 
(Chemikerztg. 1907, Nr. 9.) 

In Seumes „Spaziergang nach Syrakus“ findet sich der erste Fall von 
Kohlenoxydvergiftung beschrieben. (Chem. Repertorium Nr. 78 d. Chemiker¬ 
zeitung 1907.) 

Lewin berichtet über eine Nachwirkung von im Gewerbetriebe ein¬ 
geatmetem Kohlenoxyd. (Berl klin. Wochenschr. 1907, Nr. 43.) 

Wach holz empfiehlt eine modifizierte Tanninprobe zum Nachweis von 
Kohlenoxyd im Blute. (Ärztl. Sachverständigenztg. 1907, Nr. 7.) 

Hoke-Prag („Über die Aufnahme des Kohlenoxyds durch das Nerven¬ 
system“) hat gefunden, daß die Gehirnsubstanz zwar in geringem Maße 
Kohlenoxyd binden kann, daß aber bei akuter tödlicher Vergiftung das Gas 
im Gehirn nicht nachzuweisen ist. Die Wirkung des Leuchtgases scheint 
allerdings eine andere zu sein, da es bei Leuchtgasvergiftung zur Aufnahme 
flüchtiger Substanzen ins Gehirn kommt. Welcher Art diese sind, muß erst 
noch festgestellt werden. (Arch. f. experimentelle Pathologie u. Pharmakologie, 
Bd. 56, Heft 5 u. 6.) 

Buchbinder erörtert die Vergiftung durch Leuchtgas und andere, 
Kohlenoxyd führende Gasarten, deren Verhütung und gerichtsärztliche Be¬ 
deutung. (Vierteljahrsschr. f. öffentl. Gesundheitspfl. 1907, Heft 4.) 

Bergbahn fand, daß Kohlensäure die Vermehrung der Bazillen nicht 
hindert; erst bei Druck über eine Atmosphäre wurden die meisten Bazillen 
abgetötet. In reiner Sauerstoffatmosphäre wurden alle Bazillen abgetötet, 


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Luft, Gase usw. 407 

Wasserstoff ist bei jedem Druck für Bazillen unschädlich. (Arch. f. Hygiene, 
Bd. 62, Heft 2.) 

L. Marchis: „Production et utilisation des gaz pauvres.“ (Paris, 
H. Dnnod u. E. Pinat, 1908. Preis 19 i /ft.) 

Gülich hat einen neuen Apparat zur Untersuchung armer Gase^duroh 
Absorption konstruiert. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 12.) 

Ein Vortrag von Gockel über die in der Atmosphäre enthaltene radio¬ 
aktive Materie ist abgedruckt in der Physikal. Zeitschr. 1907, Nr. 20. 

Nach Eve scheint die Ionisation der Atmosphäre über dem Atlantischen 
Ozean annähernd von derselben Größenanordnung zu sein, wie in Europa 
und Nordamerika. (Physikal. Zeitschr. 1907, Nr. 9.) 

Nach Mitteilung von Sir William Ramsay ist es wahrscheinlich, daß 
die Radiumemanation in die Heliumgruppe des periodischen Systems gehört. 
Kupfer soll durch die Emanation in Lithium umgewandelt werden. (Physikal. 
Zeitschr. 1907, Nr. 16.) 

Gameron und Ramsay beschreiben einige Eigenschaften der Radium¬ 
emanation. (Chemikerztg. 1907, Nr. 60.) 

Giesel hat das Auftreten einer neuen, bisher unbekannten Emanation, 
eines Zerfallsproduktes der Aktiniumemanation, und Bildung von Helium aus 
Aktinium beobachtet. (Chem. Repertorium Nr. 71 d. Chemikerztg. 1907.) 

Meyer berichtete auf der Hauptversammlung der Deutschen Bunseu- 
Gesellschaft in Hamburg über die Entwickelung von Helium aus radioaktiven 
Substanzen. Der Vortrag ist abgedruckt in der Chemikerztg. 1907, Nr. 41. 

Bertram W. Boltwood glaubt nachgewiesen zu haben, daß Helium 
nur durch Zerfall des Urans und seiner Produkte erzeugt wird. (Physikal. 
Zeitschr. 1907, Nr. 4.) 

Greinacher und Kernbaum haben ein gasförmiges Umwandlungs¬ 
produkt des Poloniums entdeckt, das mit Helium nicht identisch ist. (PhysikaL 
Zeitschr. 1907, Nr. 10.) 

F. Fischer gewinnt Argon durch Erhitzen einer Carbidlösung mit 
10 Proz. Chlorcalcium auf 800° im Vakuum und Zuströmen trockener, ge¬ 
reinigter Luft, wobei alles mit Ausnahme von Argon absorbiert wird. (Chem. 
Repertorium Nr. 41 d. Chemikerztg. 1907.) 

Laqueur berichtet über künstliche, radiumemanationshaltige Bäder 
und deren Erfolge. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 23.) 

Loewenthal hat die Wirkung der Radiumemanation auf den mensch¬ 
lichen Körper zu erforschen gesucht. J(Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 43.) 

M. D. Theodore W. Schäfdr: The contamination of the Air of Our 
Cities with Sulphur Dioxyd, the Cause of Respiratory Diseases. (Boston, 
D. C. Heath & Co., Boylston Street, 1907.) 

Im Gesundheits-Ingenieur 1906, Nr. 48 wird das Clayton-Verfahren zur 
Schiffsdesinfektion, das Schwefelgase verwendet, sehr empfohlen, wenngleich 
empfindliche Lebensmittel dadurch verdorben werden. 


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408 


Luft und Licht. 


Dennstedt und Hassler fanden im Schnee von Hamburger Haus¬ 
dächern, der dem Rauch ausgesetzt gewesen war, Schwefelsäure und Salpeter¬ 
säure; sie sind der Meinung, daß die schweflige Säure des Rauches sehr 
schnell in Schwefelsäure übergeführt wird, und daß die letztere für die 
Schäden, besonders in der Vegetation, verantwortlich ist. (Chemikerztg. 
1907, Nr. 43.) 

Harkins und Swaine konnten im Hüttenrauch Bestandteile von be¬ 
trächtlichem Handelswert und sehr schädliche Bestandteile nachweisen; in 
den Anlagen der Amalgamated Copper Co. in Anaconda (Montana) gingen 
täglich 2,318 t gasförmiger schwefliger Säure verloren. (Chem. Repertorium 
Nr. 66 d. Chemikerztg. 1907.) 

Nach Mitteilung von Algermissen verwittert der Kölner Dom sehr 
stark infolge des Schwefelsäuregehalts der Rauchgase. Indes ist das 
Imprägnierungsverfahren von Szerelmey geeignet, die Gebäude zu schützen, 
(österr. Wochenschr. f. d. offentl. Baudienst 1907, Nr. 39.) 

Lehnkering beobachtete eine Vergiftung durch Phosphorwasserstoff- 
gase auf einem Rheinschiff. Es starben zwei Kinder in einem Schlafraum 
über einem mit Ferrosilicium in Fässern beschickten Laderaum; das Ferro- 
silicium war auf elektrischem Wege gewonnen. Die Eisenlegierung war in 
undichten Holzfässern verpackt und vor dem Einladen durchgeregnet. Todes¬ 
ursache war Phosphorwasserstoffvergiftung, entstanden durch Zersetzung 
des als Verunreinigung vorhandenen Phosphorcalciums durch die Feuchtig¬ 
keit. Auf vier anderen Rbeinscbiffen mit gleicher Ladung waren schon 
mehrere unaufgeklärte Erkrankungen und Todesfälle vorgekommen. (Zeitschr. 
f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel 1906, Bd. 12, Heft 1 u. 2.) 

Das KesselBteinschutzmittel „Dermatin“ entwickelt heim Anstreichen 
der Kessel betäubende Dämpfe, so daß die mit Anstreichen beschäftigten 
Arbeiter Anfälle von Tobsucht und Ohnmacht bekommen. Es beruht das 
auf der Entwickelung von Tetrachlorkohlenstoff, der in seiner Wirkung dem 
Chloroform nahekommt. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 39.) 

Brat beschreibt die verschiedenen giftigen Gase, die in chemischen 
Fabriken eingeatmet werden, und empfiehlt neben Ventilationseinrichtungen 
Einatmen von Sauerstoff. (Chem. Repertorium Nr. 47 d. Chemikerztg. 1907.) 

In Cornwall, Devonshire, und im Westen Englands entweichen aus 
etwa 20 Werken, die Arsenik produzieren, schädliche Gase in die Atmosphäre, 
doch ist ihre Quantität unbedeutend. (Chem. Repertorium Nr. 59 d. Chemiker¬ 
zeitung 1907.) 

Tissot hat einen Respirationsapparat für Aufenthalt in giftiger Atmo¬ 
sphäre geschaffen, der im Chem. Repertorium Nr. 59 d. Chemikerztg. 1907 
kurz beschrieben ist. 

Gr ahn beschreibt einen Apparat, der das Atmen in mit irrespirablen 
Gasen gefüllten Räumen ermöglichen solL Der Apparat, Aerolith genannt, 
wird von der Hanseatischen Apparatehaugesellschaft, vormals L. v. Bremen 
u. Co., in Hamburg angefertigt und verwendet flüssige Luft, von der er 
etwa 5 kg enthält. (Glückauf 1907, Nr. 11.) 


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Luft, Gase usw. 


409 


Süess hat gleichfalls einen neuen Rettungsapparat konstruiert und 
zum Patent angemeldet; auch hier wird der Hauptsache nach flüssige Luft 
verwendet, (österr. Wochen sehr. f. d. öffentl. Baudienst 1907, Nr. 3.) 

Weiss teilt die Rettungsapparate in den Gruben in drei Gruppen: 
1. Solche mit komprimiertem Sauerstoff, 2. die mit flüssiger Luft, 3. die mit 
Superoxyden der Alkalien arbeitenden. Die mit Sauerstoff arbeitenden sind 
nicht empfehlenswert, da sie zu schwer sind, und der Sauerstoff zu schnell 
verbraucht wird, dagegen sind die anderen gut. (Österr. Wochenschr. f. d. 
öffentl Baudienst 1907, Nr. 3.) 

Klieneberger hat 56 F&lle von Luftdruckerkrankungen beim Bau 
einer Brücke in Königsberg L Pr. beobachtet; die Ein- und Ausschleusung 
war viel zu schnell erfolgt. (Hygien. Rundschau 1907, Nr. 8.) 

Langlois, v. Schrötter und Silberstein haben auf dem Inter¬ 
nationalen Kongreß für Hygiene und Demographie in Berlin Vorträge über 
die Kaissonkrankheit gehalten, die auszugsweise in der österr. Wochenschr. 
f. d. öffentl. Baudienst 1907, Nr. 48 mitgeteilt sind. 

Bestimmungen über das Arbeiten in komprimierter Luft und die Aus¬ 
wahl geeigneter Arbeiter, wie sie in Belgien erlassen sind, werden mitgeteilt 
in der österr. Wochenschr. f. d. öffentl. Baudienst 1907, Nr. 33. 

G. de Grahl schlägt zur Untersuchung der Heizgase bei ZentralheizungB- 
anlagen einen verbesserten Orsatapparat vor, für Temperaturmessungen ein 
Thermometer von Le Chatelier, Pyrometer von Wanner und ein Thermo¬ 
meter, bei dem das Quecksilber mit Hilfe von Stickstoffüllung unter einem 
Druck von 20 Atm. abgeschlossen ist. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 11.) 

Eberle und Zschimmer berechnen den Verlust durch Unverbranntes 
in den abziehenden Heizgasen auf mehr als 5 Proz. des Heizwertes der 
Kohlen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 3.) 

Stock und Nielsen veröffentlichen Mitteilungen über die gasanalytische 
Untersuchung hochprozentiger Gase. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 4.) 

J. K. Richard Penkert: „Die chemische Untersuchung der Wetter¬ 
gase.“ (Hannover, Dr. Max Jänecke, 1907. Preis 1,20 Jt.) 

Trobridge hat die in Kohlen und Kohlenstaub eingeschlossenen Gase 
untersucht; er fand Kohlensäure, Kohlenoxyd, Sauerstoff, Stickstoff und be¬ 
sonders Methan. Während des Liegens an der Luft wird Methan abgegeben 
und die Gase der Luft aufgenommon. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 25.) 

Straohe, Jahoda und Genzken haben einen neuen Apparat zur fort¬ 
laufenden automatischen Gasanalyse, den Autolysator, konstruiert. (Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 28.) 

Dr. H. Franzen: Gasanalytische Übungen. (Veit u. Co., Leipzig 1907.) 

Pley er beschreibt und empfiehlt den Apparat von Gräfe zur Heizwert¬ 
bestimmung von Gasen. (Journal f. GasbeL 1907, Nr. 46.) 

Pfeiffer gibt neuere Apparate für Gasanalyse an. (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 38.) 

Der Gasprüfer von der Uehling stellt den Gehalt an Essengase an 
Kohlensäure fest, und zeigt im Kesselraum für den Heizer den jeweiligen 


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410 


Luft und Licht. 


Betrag an; außerdem steuert er eine Schreibvorrichtung und kann mit einem 
Pyrometer verbunden werden. (Dinglers Polytechnisches Journal 1907, Nr. 1.) 

Das Coometer der Firma Michael Pal in London, ein Gasprüfapparat, 
bietet den Vorteil, daß man in einer Minute mehrere GasanalyBen ausführen 
kann. Es arbeitet, wie der Orsatapparat, mittels Kohlensäureabsorption, 
aber schneller. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 50.) 

Nach Stach lassen sich große Gasmengen mittels Differenzdruck messen. 
Ein entsprechender Apparat wird von Paul de Bruyn in Düsseldorf geliefert. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 46.) 

Haber hat mit Unterstützung der Firma Karl Zeiss in Jena einen Gas- 
retraktometer gebaut, durch den eine sehr genaue Gasanalyse ermöglicht ist 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 47.) 

Der Gasanalysator von Gebhardt ist abgebildet und beschrieben im 
Chem. Repertorium Nr. 22 d. Chemikerztg. 1907. 

Baerwald hat gefunden, daß Holzkohle bei niedriger Temperatur sehr 
große Mengen von Gasen zu absorbieren vermag, so daß eine praktische 
Verwertung dieser Erscheinung möglich sein dürfte. (Annalen d. Physik 
1907, Nr. 6.) 

Beasley hat ein registrierendes Gaskalorimeter konstruiert. (Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 36.) 

Ein Staubreiniger für Hochofengase wurde von der Northern Iron Co. 
in Port Henry (Nordamerika) nach einer Konstruktion von Bachmann ge¬ 
baut, und arbeitet seit zwei Jahren mit ausgezeichnetem Erfolg. (Zeitschr. 
f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 31.) 

F. Luhr bespricht die verschiedenen Reinigungsmethoden für Hochofen- 
und Koksofengase. Am verbreitetsten ist die Trockenreinigung, die so er¬ 
folgt, daß das Gas durch große schmiedeeiserne Kästen geleitet wird, in 
denen auf Holzhorden Raseneisenerz liegt. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und 
Maschinenbau 1907, Nr. 34.) 

Die Reinigung der Generator- und Hochofengase wird nach Stohr mit 
den gegenwärtig gebräuchlichen Methoden nicht mit der erforderlichen 
Gründlichkeit erzielt. Er empfiehlt ein Gefäß, in dem ölgetränkte Platten 
nahe übereinander so angeordnet sind, daß das Gas in hinreichend langem 
Wege zwischen den Platten vorbeiströmen muß, und dabei eine häufige 
Richtungsänderung erfährt. Die Strömungsgeschwindigkeit muß sehr gering 
sein. (Zeitschr. f. Heizung, Lüftung und Beleuchtung 1907, Nr. 7 und 8.) 

Über Verwendungsweisen von Hochofengas in Nordamerika finden sich 
Mitteilungen im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 9. 

Verschiedene Methoden der Rauchverbrennung und ihre Aufzeichnung 
durch besondere Apparate sind beschrieben in Dinglers Polytechnischem 
Journal 1907, Nr. 26. 

Bernhard Rund: „Die Gefahren der Rauchplage und die Mittel zu 
ihrer Abwehr.“ (Wien, M. Perles. Preis 1 tJC.) 

J. W. Graham: „The Destruction of Daylight. A study in the Smoke 
Problem.“ (London, G. Allan. Preis 2 sh. 6 d.) 


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Luft, Gase usw. 


411 


Ascher, Kobbert, Rollin, Hurdelbrink: „Bericht der Kommission 
zur Bekämpfung des Rauches in Königsberg i. Pr. u (Königsberg, W. Koch. 
Preis 1,50 <Jt.) 

W. Buddäus: „Die Lösung der Rauchfrage in München.“ (Dießen 
vor München, Jos. E. Huber.) Der Verfasser empfiehlt statt der stark 
schwefelhaltigen oberbayerischen Steinkohle Torfheizung, da große Torflager 
in der Nähe sind. 

Der englische Physiker Aitken hat einen Staubzähler konstruiert, mit 
dem es gelingt, die Intensität der Rauch- und Rußplage unserer Städte 
genau zu bestimmen. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 5.) 

Gemünd hat den Apparat versucht und empfiehlt ihn warm. (Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 12.) 

Rubner berechnet den Kohlen verbrauch pro Person und Jahr für 
Berlin = 1561 kg, Dresden = 1939 kg, London = 1436 kg, Chemnitz 
= 2290 kg, Hannover = 1079 kg, Magdeburg = 3723 kg, Köln = 3226 kg. 
Indes ist nicht der Kohlenverbrauch allein Ursache der Luftverschlechterung, 
sondern auch die absolute Größe der Rauchmassen. Eine qualmende Fläche 
von 310 qkm, wie London, ist das Grab für jeden frischen Luftzug, der in 
seinen Eigenschaften total verändert werden muß. (Arch. f. Hygiene, Bd. 57, 
Heft 4.) 

Ein Bericht der österreichischen Gesellschaft zur Bekämpfung der Rauch- 
und Staubkalamität wird erstattet im Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 40. 

Jacobi weist den Zusammenhang zwischen Lungenerkrankungen und 
Verunreinigung der Luft durch Rauch nach, und fordert gesetzliches Ein¬ 
schreiten. (Journ. of the Americ. Medic. Assoc. 1907, Nr. 10.) 

Ascher hat Luftuntersuchungen über die Rauchfrage in Manchester 
gemacht. (Vierteljahrsschr. f. öffentL Gesundheitspfl. 1907, Heft 4.) 

Ger lach hat einen Apparat zur qualitativen und quantitativen Er¬ 
mittelung der aus industriellen Etablissements entweichenden Rauch- und 
Abgase konstruiert, der im Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 27 kurz be¬ 
schrieben ist. 

Weitere Einrichtungen zur Bekämpfung der Rauch- und Staubplage 
werden angegeben im Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 34. 

Hart mann hielt in einer Sitzung der Deutschen Gesellschaft für öffent¬ 
liche Gesundheitspflege einen Vortrag über Verminderung der Rauch- und 
Rußplage; ein ausführliches Referat findet sich im Gesundheits-Ingenieur 1907, 
Nr. 33. ln der dem Vortrage folgenden Diskussion erwähnte Proskauer, 
daß er zur Messung von Rauch und Staub einen Apparat nach Art der 
Regenmesser konstruiert habe, der sich sehr bewährt. 

Der Magistrat der Stadt München bat zur Bekämpfung der Rauchplage 
eine Reihe von Vorschriften erlassen, die auszugsweise abgedruckt sind in 
der österr. Wochenschr. f. d. öffentl. Baudienst 1907, Nr. 25. 

Ein Vortrag von Etienne de Fodor über die Rauchplage und die 
Industrie ist abgedruckt in der Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinen¬ 
bau 1907, Nr. 9. 


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412 


Luft und Licht. 


Ost glaubt, daß die durch Zunahme der Industrie hervorgerufene Luft- 
yerschlechterung nur durch Dezentralisation der Industrie bekämpft werden 
kann. (Zeitschr. f. angew. Chemie 1907, Nr. 20.) 

Cohen sieht als Ursache der Luftverunreinigung den Kohlenrauch an; 
bei industriellen Feuerungen verläßt 1 / i bis 8 / 4 Proz. der Kohle, bei Haus¬ 
feuerungen mehr als 5 Proz. den Schornstein als Ruß. Das beste Mittel 
dagegen ist die Gasfeuerung und die amtliche Kontrolle der Feuerstellen. 
(Chem. Repertorium Nr. 93 d. Chemikerztg. 1907.) 

Auch Clayton sieht das beste Mittel gegen Rauch in der Gasheizung; 
sie muß aber noch billiger werden. (Chem. Repertorium Nr. 93 d. Chemiker¬ 
zeitung 1907.) 

Georg Adam: „Die Entnebelung von gewerblichen Betriebsräumen. 
Eine gewerbehygienische Studie.“ (Braunschweig, Friedr. Vieweg u. Sohn, 1907. 
Pl-eis 2 t/C) 

Otto Steffens: „Die Methoden und Instrumente der Feuchtigkeits¬ 
bestimmung.“ (Berlin W, Potsdamer Straße, F. u. M. Harrwitz. Preis 2 Jt.) 

van Niessen macht Vorschläge über mechanische Luftreinigung ge¬ 
schlossener Räume durch denkbar einfachste Maßnahmen: Entwickelung von 
Wasserdampf, der allen Staub zu Boden reißt, und flüssige Luft, deren 
Rauch, spezifisch schwerer als gewöhnliche Luft, nach unten sinkt. Letztere« 
Verfahren kühlt außerdem, wenn die flüssige Luft an der Decke angebracht 
ist, die Zimmertemperatur ab. (Zentralbl. f. Bakt., Bd. 39, S. 493.) 

Ein Feuchtigkeitsmesser für Luft und Dampf ist abgebildet und be¬ 
schrieben im Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 9. 

Reichenbach und Hey mann haben die Wirkung klimatischer Faktoren 
auf den menschlichen Körper studiert, besonders den Einfluß mehr oder 
weniger feuchter Luft. In den sehr feuchten Steinkohlengruben tritt Ganz- 
invalidität der Arbeiter neun Jahre früher ein als im übrigen Bergbau. 
(Zeitschr. f. Hygiene, Bd. 57, Heft 1.) 

Quincke schlägt für die Ventilation geschlossener Räume Durchwehung 
der Deckenluft vor durch zwei in 2,5 m Höhe einander gegenüber liegende 
Zimmeröffnungen. (Münch, med. Wocbenschr. 1907, Nr. 33.) 

Eine verbesserte Luftheizung, bei der die Luft die nötige Feuchtigkeit 
erhält, ist beschrieben im Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 38. 

Stoecker hat, um im Winter die Zimmerluft auf den richtigen Feuchtig¬ 
keitsgehalt zu bringen, einen Verdunstungsapparat „Psychrophor“ konstruiert 
(Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspfl. 1907, Nr. 9 u. 10.) 

Ein neues Instrument von Steffens zum Messen der Luftfeuchtigkeit 
wird angegeben in den Verhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins 
in Hamburg 1906. 

Kayser führt aus, daß die Luft in den Untergrundbahnen stündlich 
zweimal erneuert werden muß, am besten, wie in Amerika, durch eingebaute 
Ventilationskammern. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 5.) 

Die Luft der New Yorker Untergrundbahn enthält nach Sopers Fest¬ 
stellungen in einem Cubikmeter Luft 2,17 bis 7,18 mg Eisenstaub von der 


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Luft, Gase usw. 


413 


Abnutzung der Bremsklötze, Schienen und Rider. Die Menge des Staubes 
ist so groß, daß sie gesundheitsschädigend wirken kann. (Gesundheits- 
Ingenieur 1907, Nr. 5.) 

Kypke-Burchardi beschreibt mehrere Staubabsaugevorrichtungen, die 
alle auf dem System der Vakuumreinigung aufgebaut sind. (Hygien. Rund¬ 
schau, Bd. 17, Nr. 4.) 

Entstaubungspumpen mit elektrischem Antrieb werden von den Siemens- 
Schuckertwerken in Berlin gebaut. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 43.) 

Die Firma A. Borsig in Berlin hat eine Entstaubungsvorrichtung ge¬ 
baut, die mit Preßluft arbeitet; sie soll besser sein als die Saugevorrichtungen. 
(Dinglers Polytechnisches Journal 1907, Nr. 2.) 

Ebaugh ist der Ansicht, daß man die Schädlichkeit der staubförmigen 
Bestandteile des Hüttenrauches zu gering, und die der gasförmigen zu hoch 
schätzt. Seine Untersuchungen hat er in dem großen Kupferwerk am Salz¬ 
see (Utah) gemacht (Chem. Repertorium Nr. 66 d. Chemikerztg. 1907.) 

Krell sen. beschreibt die Lüftungsvorrichtungen im neuen Nürnberger 
Theater, desgleichen einige dort angebrachte Fernthermometer. (Gesundheits- 
Ingenieur 1907, Nr. 20 u. 21.) 

Yates erörtert ausführlich, mit Angabe von Plänen, die Ventilation des 
britischen Abgeordnetenhauses. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 26.) 

Nowotny äußert sich über die Notwendigkeit von Ventilationseinrich¬ 
tungen in Amtsgebäuden. (Österr. Wochenscbr. f. d. offentL Baudienst 
1907, Nr. 4.) 

Gärtner-Jena hat durch Versuche bewiesen, daß der Einfluß ver¬ 
dorbener Luft lediglich durch Ventilation, ohne Zuführung frischer Luft, 
beseitigt werden kann. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 30.) 

Nach Ekelöfs Untersuchungen ist die Polarluft sehr arm an Bakterien, 
doch nicht völlig frei; auch Schimmelpilze sind selten. (Zeitschr. f. Hygiene 
u. Infektionskr., Bd. 56, Heft 3.) 

Zur Bekämpfung des Straßenstaubes wird neuerdings in Frankreich 
Teer in kaltem Zustande auf die Straßen aufgetragen; die Dünnflüssigkeit wird 
durch Zusatz von Chemikalien erreicht. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 44.) 

Straßenteerungen zur Staubbeseitigung haben sich in Kanton Basel- 
Stadt bewährt. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 37.) 

In Düsseldorf sind nach Mitteilung von Welzel Westrumitsprengungen 
ohne Erfolg gewesen. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 30.) 

In Nummer 17, 1907, der österr. Wochenschr. f. d. öffentl. Baudienst findet 
sich ein Erlaß des österreichischen Ministeriums des Innern über die Vor¬ 
nahme von Versuchen mit Straßenteerungen. 

Zur Staubbeseitigung kann man auch einen Holzteer verwenden, der 
durch Erhitzen auf etwa 200° von den leichter siedenden Bestandteilen be¬ 
freit, und noch mit Kreosot oder Anthracenöl, Petroleumdestillaten oder ver¬ 
harzenden pflanzlichen Ölen getränkt ist. (Chemikerztg. 1907, Nr. 62.) 


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414 


Luft und Lioht. 


Layriz: „Die Staubplage und ihre Bekämpfung." (Im Selbstverläge 
der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des Straßenstaubes.) 

b) Licht, Beleuchtung im allgemeinen, Lichttherapie. 

0. Lummer: „Die Lehre von der strahlenden Energie (Optik).“ 
10. Auflage. (Braunschweig, Friedr. Vieweg u. Sohn, 1907. Preis 15 jfC.) 

BL v. Jüptner: „Die chemische Technologie der strahlenden und der 
elektrischen Energie.“ (Wien, Fr. Deuticke. Preis 7 <M.) 

Th. v. Grotthuss: „Abhandlungen über Licht und Elektrizität.“ Heraus¬ 
gegeben von R. Luther und A. v. Ottingen. (Leipzig, Engelmann. Preis3t/ÄL) 

William Crookes: „Strahlende Materie oder der vierte Aggregat- 
zustand.“ Deutsch von Heinrich Gretschel. 4. Auflage. (Leipzig, Qnandt 
u. Händel, 1907. Preis 1,50 < M.) 

F. Hopfner: „Untersuchung über die Bestrahlung der Erde durch die 
Sonne mit Berücksichtigung der Absorption der W T ärmestrahlen durch die 
atmosphärische Luft nach dem Lambertschen Gesetze.“ Erste Mitteilung. 
(Wien, Holder, 1907. Preis 1,80 vM.) 

J. Mooser: „Theoretische Eosmogonie des Sonnensystems.“ (St. Gallen, 
Fehrsche Buchhandlung, 1906. Preis 4 i /ft.) 

Johann Sahulka: „Erklärung der Gravitation, der Molekularkräfte, 
der Wärme, des Lichtes, der magnetischen und elektrischen Erscheinungen 
aus gemeinsamer Ursache auf rein mechanischem, atomistischem Wege.“ 
(Wien, Karl Fromme, 1907.) 

Ein Vortrag von Lorentz über die Struktur der Materie ist abgedruckt 
in der Physikal. Zeitschr. 1907, Nr. 16. 

Mit einem lichtelektriscben Rubidiumphotometer haben Elster und 
Geitel in Verbindung mit Harms die Intensität der Sonnenstrahlung während 
der Sonnenfinsternis am 30. August 1905 gemessen. (Journal f. Gashel. 
1907, Nr. 12 und Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 35.) 

Wulf hat ein neues Verfahren zur Bestimmung des Anfanges und 
Endes einer Sonnenfinsternis ermittelt, und auf dem Ebro-Observatorium zu 
Fortosa in Spanien am 30. August 1905 zum ersten Male erprobt. Das Ver¬ 
fahren ist beschrieben in der Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 48. 

Die minimale Tageshelligkeit in Prag beträgt nach Messungen von 
Ruzicka 2000 Meterkerzen. (Arch. f. Hygiene, Bd. 63, Heft 1.) 

Martin hat über den Einfluß der Tropensonne auf Bakterien folgendes 
festgestellt: 1. ln den tropischen Ländern herrscht eine gewisse Bakterien¬ 
armut hinsichtlich der pathogenen Keime. 2. Sie ist bedingt durch die 
bakterientötende Wirkung der Sonne. 3. Den Hauptfaktor der Sonnen¬ 
wirkung bildet anscheinend die Sonnenwärme, doch kommt auch dem Sonnen¬ 
licht erhebliche Bedeutung zu. 4. Eine Anzahl nichtpathogener Keime bleibt 
von der Sonne unberührt. 5. Die mechanische Reinigung durch das See¬ 
wasser der Brandung (an der Meeresküste) erzeugt Sterilität des Oberflächen¬ 
sandes im Bereiche der Brandung. (Aus dem Nachtigalkrankenhaus in Togo.) 
(Münch, med. Wochenschr. 1906, Nr. 51.) 


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Licht, Beleuchtung im allgemeinen, Lichttherapie. 


415 


Kt. Esmarch hat einen sehr praktischen kleinen Apparat zur Messung 
der Tageshelligkeiten konstruiert, der selbsttätig arbeitet, und jede Woche 
nur einmal aufgezogen zu werden braucht. Der Apparat ist von Fuess in 
Steglitz zu beziehen und kostet 100 <M. (Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskr., 
Bd. 58, Heft 1.) 

Ruzicka gibt ein neues Photometer an zur Messung des reflektierten 
Tageslichts. Dasselbe ist beschrieben im Arch. f. Hygiene, Bd. 63, Heft 1. 

Ein Schülerplatz kann nach Buzicka lediglich durch reflektiertes Licht 
ohne besondere Vorrichtungen in genügendem Maße belichtet werden. (Arch. 
L Hygiene, Bd. 63, Heft 1.) 

Monasch veröffentlicht eine Reihe von Beleuchtungsmessungen bei 
diffusem Tageslicht, die in Berlin ausgeführt sind. (Journ. f. Gasbel. 1907, Nr. 38.) 

Pudor hat für die Großstadt die Forderung aufgestellt, daß die Fenster 
der Wohnungen bedeutend vergrößert, und die Baumreihen in den Straßen 
entfernt werden müssen, um mehr Licht für die Wohnungen zu erhalten. 
Nussbaum findet die Forderungen viel zu weitgehend und begründet das. 
(Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 52.) 

Basquin hat in Chicago die Lichtstärke des Tageslichts bei verschiedenen 
Witterungen gemessen, und bei bezogenem Himmel die beste Lichtverteilung 
gefunden. (Chem. Repertorium Nr. 63 d. Chemikerztg. 1907.) 

Wood well fordert folgende Mindestmaße für Beleuchtung: Im Post¬ 
dienst sei eine Platzbeleuchtung von 2 bis 4 Fußkerzen erforderlich, für 
Beleuchtung eines Tisches gleichfalls 2 bis 4 Fußkerzen, für Flure, öffent¬ 
liche Plätze und Versammlungsräume 0,5 bis 1,5 Fußkerzen, für Verkaufs¬ 
läden 5 bis 10 Fußkerzen. Im Postamt von New York hat sich die Cooper- 
Hewitt-Quecksilberdampflampe und das Auergasglühlicht bewährt. (Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 5.) 

Rigobert Pos sek hat den Einfluß verschiedener Beleuchtungsstärken 
auf die Sehleistungsfähigkeit der Emmetropen und Myopen geprüft. Für 
den Emmetropen ist eine Helligkeit von 10 NK als eine gute, eine solche 
von 6 NE als Mindestforderung zu bezeichnen. Für den Myopen müssen 
dagegen als Mindestforderung 10 NK verlangt werden. (Arch. f. Hygiene, 
Bd. 60, Heft 2.) 

Stockhausen stellt für die Beleuchtung von Arbeitsplätzen und Arbeits- 
räumen folgende Forderungen auf: 

1. Alle Lichtquellen sind durch lichtzerstreuende Gläser derart abzu¬ 
blenden, daß leuchtende Teile, die eine größere Flächenhelligkeit als 0,75 HC 
für einen Quadratcentimeter besitzen, von dem Auge nicht mehr wahr¬ 
genommen werden können. 

2. Lampenzylinder oder -glocken müssen aus Glas hergestellt sein, das 
die ultravioletten Strahlen absorbiert. 

3. Die Glocken müssen so dicht und derart konstruiert sein, daß sie um 
die Lichtquellen eine geschlossene, gleichmäßig mattleuchtende Fläche bilden. 

4. Glühlampen mit klaren Birnen sind für die Beleuchtung von Arbeits¬ 
and Schulräumen zu verwerfen. 


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416 


Luft und Licht. 


5. Die indirekte Beleuchtung ist allen anderen vorzuziehen. 

(Wochenschr. f. Therapie und Hygiene des Auges 1907, Nr. 1 und Journal 
f. Gas bei. 1907, Nr. 47.) 

Schanz und Stockhausen haben ein Glas hergestellt, das die Augen 
vor der Einwirkung der ultravioletten Strahlen der künstlichen Lichtquellen 
schützt; durch die ultravioletten Strahlen wird besonders die Linse ge¬ 
schädigt. (Wochenschr. f. Therapie und Hygiene des Auges 1907, Nr. 1.) 

Auf dem Internationalen Kongreß für Hygiene und Demographie hielt 
Erismann einen Vortrag über moderne Beleuchtungsarten und ihre 
hygienische Bedeutung. Die Wahl einer indirekten Beleuchtung durch Gas 
oder Elektrizität richtet sich nach den gegebenen Verhältnissen. (Wochenschr. 
f. Therapie und Hygiene des Auges 1907, Nr. 10.) 

Voigt empfiehlt zum Schutze der Augen gegen die Einwirkung ultra¬ 
violetter Strahlen greller Lichtquellen ein neues, nahezu farbloses GlaB, ein 
Schwertflint von Schott u. Gen. in Jena. (Arch. f. Augenheilk., Bd. 59, Heft 1.) 

Davidson berichtet über einige Wirkungen des ultravioletten Lichtes. 
(Physikal. Zeitschr. 1907, Nr. 19.) 

Fritsch hat in Versuchen mit Lindemann Gläser konstruiert, die 
ultraviolettes Licht durchlassen; der wesentliche Bestandteil des Glases 
dabei ist Borsäureanhydrid. (Physikal. Zeitschr. 1907, Nr. 15.) 


Nach Angus ergibt ein Vergleich zwischen Gas und Elektrizität als 
Beleuchtungsmittel, daß man die gleichmäßigste, die Augen am meisten 
schonende Beleuchtung durch eine größere Zahl gut verteilter Lampen von 
mäßiger Lichtstärke, am besten Invertgasglühlampen mit niedrigem Konsum, 
erhält. (Chem. Repertorium Nr. 90 d. Chemikerztg. 1907.) 


Bell stellt für künstliche Beleuchtung vier Grundbedingungen auf: 
1. muß eine genügende Lichtmenge vorhanden sein, um bei der Arbeit gut 
sehen zu können; 2. muß das Licht ruhig sein; 3. muß die Lichtquelle am 
rechten Platz aufgestellt sein; 4. muß das Licht eine geeignete Farbe be¬ 
sitzen. Lichtquellen von hoher Leuchtkraft sollen nicht direkt im Gesichts¬ 
feld aufgestellt sein, um jede Blendung zu vermeiden. Weiß getünchte Wände 
tragen sehr zur Verbesserung der Beleuchtung bei. (Annalen d. Elektro¬ 
technik 1907, Heft 4.) 


Uppenborn hat in einem Saale der Münchener Gewerbeschule vor 
und nach der Tünchung der Wände Beleuchtungsmessungen angestellt; aus 
diesen ging hervor, daß durch verrußte Decken die erzielte tatsächliche Be¬ 
leuchtung leicht um ein Drittel verringert wird. Es ist deshalb stets für 
rechtzeitige Erneuerung der Tünchung zu sorgen. (Elektrotechn. Zeitschr. 
1907, Nr. 11.) 

Mackenzie gibt für die verschiedenen Beleuchtungsarten folgende 
Flächenhelligkeiten für 1 qm an: 


Mooresche Vakuumröhre. 0,2 NK 

Paraffinkerze.0,5 „ 

Quecksilberdampflampe. . 1,0 „ 
Gasglühlicht.5,0 „ 


Acetylengaslicht .... 15,0 NK 

Kohlefadenglühlampe . . 40,0 „ 
Metallfadenglühlampe. . 80,0 n 
Nernstlampe.150,0 „ 


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Licht, Beleuchtung im allgemeinen, Lichttherapie. 


417 


Er warnt vor za starker Beleuchtung, und führt die allgemein beob* 
achtete zunehmende Schwäche der Augen zum Teil auf die übertriebene 
künstliche Beleuchtung zurück. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 45.) 

Tabelle der Verbrennungsprodukte, der Wärmeabgabe und des Sauer¬ 
stoffverbrauchs von verschiedenen Beleuchtungsmitteln pro 1000 Kerzen in 
einer Stunde: 


Beleuchtungsmittel 

Stickstoff 

Kohlen¬ 

säure 

Wasser 

Sauerstoff 

Wärmeabgabe 
an die Zimmer¬ 
luft in Kalorien 

Stearinkerze. 

78,80 

13,20 

13,00 

19,70 

89 800 

Steinkohlengas, offen . . 

44,40 

4,82 

11,60 

11,10 

45 500 

Petroleum. 

82,00 

6,12 

7,20 

9,70 

44 184 

Ölgas, offen. 

24,00 

3,60 

5,80 

6,50 

29 117 

Wassergas, karburiert 

25,30 

0,86 

5,80 

6,70 

31 838 

Steinkohlengas (Auer) . 

10,40 

1,00 

2,70 

2,60 

10 500 

Acetylen. 

7,20 

2,00 

0,70 

1,80 

8 400 

Ölgas (Auer). 

5,04 

0,75 

1,20 

1,35 

6 121 

Wassergas (Auer) . . . 

3,10 

0,66 

0,85 

0,80 

4 250 


(Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 14.) 


Bloch gibt Anweisungen über die Verwertung von Beleuchtungs¬ 
messungen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 8.) 

Bloch: „Grundzüge der Beleuchtungstechnik.“ (Berlin, Julius Springer. 
Preis 4 <M.) 

Dow studierte die Fehler, welche bei der Lichtmessung Folge der ver¬ 
schiedenen Farben der miteinander verglichenen Lichtquellen sind. (Journal 
t Gasbel. 1907, Nr. 26.) 

Die photometrischen Prüfungen der Physikalisch-technischen Reichs¬ 
anstalt im Jahre 1906 werden mitgeteilt im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 32. 

Über die Bezeichnung der photometrischen Größen und Einheiten haben 
sich der Elektrotechnikerverein und der Verein der Gas- und Wasserfach¬ 
männer geeinigt; die Einheit der Lichtstärke ist die Kerze, sie wird durch 
die horizontale Lichtstärke der Hefnerlampe dargestellt. Für die photo¬ 
metrischen Größen sind einheitliche Bezeichnungen eingeführt. (Journal f. 
GasbeL 1907, Nr. 38.) 

Lauriol hat der internationalen Lichtmeßkommission ein Referat über 
die Photometrie verschiedenfarbigen Lichtes abgestattet, das im Journal f. 
Gasbel. 1907, Nr. 39 abgedruckt ist. 

Ein Bericht des National Physical Laboratory an die Institution of 
Gasengineers, verfaßt von Paterson, über photometrische Vergleiche der 
Lichteinheiten wird mitgeteilt im Journal f. GasbeL 1907, Nr. 48. 

Herzog und Feldmann machen Berechnungen über mittlere Licht- 
und Beleuchtungsstärken. (Elektroteohn. Zeitschr. 1907, Nr. 5.) 

Über den Wirkungsgrad der gebräuchlichsten Lichtquellen wurden im 
Laboratorium von Lux eine Reihe von Versuchen angestellt, deren Ergeb- 

Vierteljahrasohrift fttr Gesundheitspflege, 1908. 8upplement. 27 


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418 Luft und Licht. 

nisse man ausführlich findet in der Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinen¬ 
bau 1907, Nr. 49. 

Trothers Universalphotometer, fabriziert von der Firma Everett, 
Edgcombe u. Co. in London, wiegt mit allem Zubehör nur 5 kg, und entspricht 
allen Anforderungen an gute Photometer. Es ist tragbar und kann überall 
aufgestellt werden- (Zeitschr. f. Elektrotechnik u. Maschinenbau 1907, Nr. 27.) 

Das transportable Photometer von Elliot Brothers ist nach Art der 
Flimmerphotometer gebaut; man kann mit demselben jede erzielte Helligkeit 
wie auch die Kerzenstärke einer beliebigen Lichtquelle unter den verschieden¬ 
sten Verhältnissen leicht ermitteln. Die erreichte Genauigkeit geht bis zu 
5 Proz. (Annalen d. Elektrotechnik 1907, Heft 2.) 

Lambert bringt eine Methode zur Photometrierung von Lichtquellen 
großer Stärke in Vorschlag, die zwar nicht von sehr großer Genauigkeit ist, 
doch ohne die sonst umständlichen Anordnungen in einfacher Weise aus¬ 
geführt werden kann. (Annalen d. Elektrotechnik 1907, Heft 9.) 

Wild hat die Empfindlichkeit verschiedener Photometer untersucht. 
(Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 52.) 

Ulbricht gibt Vorschriften für die Anwendung des Kugelphotometers. 
(Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 32.) 

Ein neues, sehr empfindliches Selenphotometer fertigt die Elektro¬ 
mechanische Werkstätte in Mainz an. (Journ. f. Gasbel. 1907, Nr. 34.) 

Presser beschreibt ein neues Selenphotometer, das von der Firma 
H. Bumb in Berlin zu beziehen ist. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 22.) 

Das Selenphotometer besteht aus einer Selenzelle, die abwechselnd von 
der zu prüfenden Lichtquelle und einer Normallichtquelle bestrahlt wird; 
als Vergleichslampe zum Arbeiten in erleuchteten Räumen dient eine Osmium¬ 
lampe. (Dinglers Polytechnisches Journal 1907, Nr. 9.) 

Eine neue Selenzelle für LichtmesBungen wurde Hammer patentiert; 
bei jeder Lichtbestrahlung ändert sich der Widerstand der Selenzelle. 
(Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 48.) 

Nach v. Schrott eignet sich das Selen zu photometrischen Messungen 
nicht, da es im Laufe der Zeit zu sehr veränderlich ist. (Elektrotechn. 
Zeitschr. 1907, Nr. 13.) 

Monasch hält die gegenwärtigen internationalen Bezeichnungsweisen 
für Beleuchtungswerte für durchaus unzureichend und verwirrend, und schlägt 
als einheitliche Bezeichnung das Wort lux (statt Meterkerze) vor. (Journ. 
f. Gasbel. 1907, Nr. 51.) 

Vergleichs werte der gebräuchlichsten Lichteinheiten werden gegeben im 
Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 60. 

Die Verhandlungen der internationalen Lichtmeßkommission auf dem 
Kongreß in Zürich 1907 sind abgedruckt im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 32. 

Emil Liebenthal: „Praktische Photometrie.“ (Braunschweig, Friedr. 
Vieweg u. Sohn, 1907. Preis 20 oü.') 

Ein Vortrag Smithells über die Eigenschaften der Flamme ist ab¬ 
gedruckt im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 44. 


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Licht, Beleuchtung im allgemeinen, Lichttherapie. 


419 


Webber hat sich mit der Bestimmung Ton Flammentemperaturen und 
ihrer praktischen Bedeutung beschäftigt. (Chem. Repertorium Nr. 17 d. 
Cbemikerztg. 1907.) 

Chemische Flammenversuche von Stromann werden mitgeteilt im 
Chem. Repertorium Nr. 21 d. Chemikertg. 1907. 

Beckmann bedient sich zur Demonstration von Spektren der Metalle 
einer chemischen Zerstäubungsmethode mit Wasserstoff flamme; durch be¬ 
liebige Vergrößerung der Flamme lassen sich schöne Beleuchtungseffekte er¬ 
zielen. (Chemikerztg. 1907, Nr. 78.) 

Nach Auffassung von Fredenhagen läßt sich die Emissionsursache 
von Bunsenflammenspektreu nur durch Chemilumineszenz, nicht durch 
thermische Natur erklären. (PbysikaL Zeitschr. 1907, Nr. 12.) 

Watson Bain und Batton haben versucht, ein registrierendes Gas¬ 
kalorimeter nach dem Prinzip, die Temperatur der Flamme mit einem Thermo¬ 
element zu bestimmen, zu konstruieren. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 22.) 

Junkers beschreibt ein automatisches Gaskalorimeter. (Journal f. 
Gasbel. 1907, Nr. 23.) 

Benedict und Fletcher haben die Verbrennungsgeschwindigkeit und 
den in einer Kalorimeterbombe entwickelten Druck untersucht. (Journal f. 
Gasbel. 1907, Nr. 49.) 

Ra wies hat ein Kalorimeter für flüchtige, flüssige Heizstoffe, insbesondere 
für Petroleum, konstruiert durch Verbesserung eines Darlingschen Kalori¬ 
meters. (Chem. Repertorium Nr. 65 d. Chemikerztg. 1907.) 

Die Firma L. Bolle u. Co. in Berlin N, Ziegelstraße, stellt jetzt Pyro¬ 
meterröhren aus reinem, geschmolzenem Quarz her, die für Messung hoher 
Temperaturen sehr wertvoll sind. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 35.) 

Becker beschreibt das Le Chatelier-Pyrometer in seiner neuen Quarz¬ 
glasmontierung. (Journal f. GasbeL 1907, Nr. 39.) 

In den Annalen der Physik 1907, Nr. 1 wird eine Pyrometereichung ver¬ 
schiedener Pyrometer beschrieben; dabei wurde der Schmelzpunkt dqs Platins 
auf 1789° bestimmt. 

Ein neues Wanner-Pyrometer zum Messen der Temperaturen zwischen 
625 und 1000° C ist abgebildet und beschrieben im Journal f. Gasbeleuchtung 
1907, Nr. 44. 

Die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft hat für elektrische Schmelzöfen 
ein neues Pyrometer gebaut, das den höchsten Temperaturen widersteht. 
(Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 33.) 

Ein thermoelektrisches Pyrometer von Bristol ist angegeben in der 
Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 7. 

Samuel A. Tucker hat einen elektrischen Röhrenofen für Temperatur¬ 
messungen ’ bei dem er in 14 Minuten bis 2952° C messen konnte. 
(Chenv’ N'r. 59.) 

•ter mit direkten Ablesungen rührt von F6ry her. 
(C 1 . 60 d. Chemikerztg. 1907.) 

27 * 


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420 


Luft und Licht. 


Rohrbach beschreibt Drearleys Sentinelpyrometer in der Zeitschrift 
des Vereins deutscher Ingenieure 1907, Nr.7. 

Holborn und Valentin er haben Temperaturmessungen bis 1600° mit 
dem Stickstoffthermometer und dem Spektralphotometer vorgenommen. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 18.) 

Fernthermometer von Hilpert sind im Kriminalgericht Alt-Moabit bei 
Berlin und auf den Lokomotiven der Berliner Stadtbahn, hier zur Messung 
der Dampftemperaturen, in Benutzung. (Dinglers Polytechnisches Journal 
1907, Nr. 23.) 

Eine neue Ablesevorrichtung für Thermometer von Ludwig Zeller in 
Leipzig wird beschrieben in der Cbemikerztg. 1907, Nr. 10. 

Quarzglaswiderstandsthermometer von Heraeus in Hanau werden 
empfohlen im Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 42. 

Haagn hat mit diesem bis 900° zu gebrauchenden Thermometer einen 
Fernanzeiger, Registrierung und Signalisierung verbunden. (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 22.) 

Das elektrische Fernthermometer von G. A. Schnitze ist beschrieben 
in der Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 45. 

Der Temperator ist ein selbständiger Temperaturregler für Zimmer¬ 
heizkörper usw. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 8.) 

Hirschlaff hat mit einer gewöhnlichen Wetterlampe ein oder zwei 
Alarmthermometer so verbunden, daß entweder durch ungefährliche teilweise 
Entflammung oder durch Verlöschen einer Probeflamme ein Signal ausgelöst 
wird, das die Anwesenheit schädlicher Gase in Gruben anzeigt. (Chem. 
Repertorium Nr. 38 d. Chemikerztg. 1907.) 

Teclu gibt eine eingehende Beschreibung seiner Vorrichtung zur Be¬ 
stimmung der Explosionsgrenzen in Gasgemengen, die sich gut bewährt hat. 
(Journal f. prakt. Chemie 1907, Nr. 75.) 

Nolte beschreibt eine Medaille, die aus Anlaß der Einführung einer 
Straßenbeleuchtung in Leipzig im Jahre 1702 geprägt ist. (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 36.) 

Niemann und du Bois veröffentlichen Studien zur Geschichte des 
Beleuchtungswesens bis zum Ausgang des Altertums. (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 50.) 

W. Brüsch: „Die Beleuchtungsarten der Gegenwart.“ (Leipzig, B.G. 
Teubner, 1907. Preis 2,50 

Ein Vortrag von Steinmetz über Licht und Beleuchtung ist ausführlich 
referiert im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 21. 

Marussig unterzieht die verschiedenen Beleuchtungsarten einer ver¬ 
gleichenden Untersuchung hinsichtlich der Kosten, der Bedienung und anderer 
in Betracht kommender Umstände. Das Blaugas ist ebenso billig und besser 
als Petroleumbeleuchtung. (Österr. Wochenschr. f. d. offentl. Baudienst 1907, 
Nr. 15 und 16.) 

A. Dosch: „Die Brennstoffe, Feuerungen und Dampfkessel, ihre Wirt¬ 
schaftlichkeit und Kontrolle.“ (Hannover, Dr. Max Jänecke, 1907. Preis 8^.) 


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Licht, Beleuchtung im allgemeinen, Lichttherapie. 


421 


F. Colomerund C. Lordier: „Combustibles industriels. Houille, Petroie, 
Lignite, Tourbe, Bois, Charbon de bois, Agglomeres, Coke.“ 2. Edition. (Paris, 
Dnnod & Pinat.) 

Post: „Chemisch-technische Analyse.“ Handbuch der analytischen Unter- 
suchungsmethoden, herausgegeben von Prof. Dr. B. Neu mann. 5. Auflage. 
Bd. 1. Enthält: Leuchtgas, Calciumcarbid und Acetylen, Erdöle, Teeröle, 
Kerzen usw. (Braunschweig, Friedr. Vieweg & Sohn, 1907. Preis 7,50 <Jt.) 

Fischer (Göttingen), Fischer (Hannover), Kohlrausch, Schmitt: 
„Anlagen zur Versorgung der Gebäude mit Licht, Luft, Wärme und Wasser. 
Versorgung der Gebäude mit Sonnenlicht und Sonnenwärme. Künstliche 
Beleuchtung der Räume. Heizung und Lüftung der Räume.“ (Leipzig, Alfred 
Körner, 1908. Preis 24 Jt.) 

Himmel macht Berechnungen über zweckmäßigste Herstellung der 
Räumlichkeiten und Konstruktion von Lampen und Brennern für indirekte 
Beleuchtung. (Journal f. GasbeL 1907, Nr. 20.) 

Miliar hat über den Standpunkt der Lichtquellen in bezug auf ihre 
Lichtwirkung Untersuchung mit vierfach verschiedener Anbringung von 
Lampen gemacht und gefunden, daß bei nackten Lampen nur 5 bis 10 Proz. 
des gesamten Lichtes zur Erleuchtung der Fläche dienen. (Chem. Repertorium 
Nr. 34 d. Chemikerztg. 1907.) 


Grebel gibt folgende Zusammenstellung der Kosten der verschiedenen 
Beleuchtungsarten: 


Leuchtstoff 

Lampe oder 
Brenner 

Leucht¬ 

kraft 

Verbrauch pro 
HK-Stunde 

g 1_1 

Kosten pro 
HK-Stunde in 
Pfennigen 

Stearinkerze. 

Leuchter 

1,4 

83 

— 

3,555 

Öl. 

Lampe 

10,80 

16,20 

34 

37 

_ 

3,555 

1,408 


Scheibenbrenner 

43,20 

32 

— 

1,020 

Acetylen. 

Schnittbrenner 

37,80 

— 

6,5 

1,016 

Gaslicht.| 

8chmetterlingsbrenner 

10,80 

— 

1,30 

2,554 

Kreisbrenner 

G 1 ü h 1 i c h 

21,60 

t: 


1,00 

1,744 

Petroleum. 

Hochdruckbrenner 

540,0 

4,6 

— 

0,322 

Spiritus. 

Hauslampe 

54,0 

18,5 

— 

1,346 

Benzol. 


54,0 

7,4 


0,724 

Gaslicht.j 

1 

Glühlicht 

54,0 


13,9 

0,375 

Preßgasglühlicht 

Glühlicht: 

540,0 

— | 9,2 

Watt- 
verbrauch: 

0,202 


Metallfadenlampe 

54,0 

18,5 

— 

1,236 

Elektrisches Licht • • \ 

Kohlefadenlampe 

17,3 

32,4 

— 

2,186 

1 Quecksilberdampf- 
lampe 

(Chem. Repertorium Nr. 34 d. Chemik 

1 

' 324,0 11 5,1 

f II 

irztg. 1907.) 

— 

0,454 


Nach Uppenborn kommt für Straßenbeleuchtung das vertikale Licht 
weniger in Betracht. Die mit Bogenlampen beleuchteten Straßen sind deshalb 


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422 


Luft und Licht. 


bei sonst gleicher Helligkeit besser beleuchtet als die mit niedrigen Gas¬ 
laternen. (Chem. Repertorium Nr. 5 d. Chemikerztg. 1907.) 

Die Straßenbeleuchtung in Berlin umfaßte Ende des Jahres 1905 
folgendes: 31 082 (1- bis 5 flammige) Gasglühlichtbrenner C mit einem Stunden¬ 
verbrauch von 120 bis 140 Liter; 363 Juwelbrenner mit 80 bis 100 Liter 
Gasverbrauch; 33 Lucaslampen mit einem Gasverbrauch von 650 Liter pro 
Stunde; 648 Milleniumbrenner, Stundenverbrauch 450 bis 1200 Liter; 
64 Selasbrenner, 360 Liter Verbrauch pro Stunde; 642 Bogenlampen; 
16 Intensiv-Bogenlampen; 91 Glühlampen; 105 Nernstlampen; 36 Intensiv- 
Nernstlampen; 263 Petroleumlampen; 21 Spiritusglühlampen. (Gesundheits- 
Ingenieur 1907, Nr. 11.) 

Heizwert und spezifisches Gewicht verschiedener Brennstoffe: 


Brennstoff 

WE 

Spezifisches Gewicht 

Jüngere Steinkohle. 

6 500 

_ 

Ältere Steinkohle. 

7 500 

— 

Steinkohlenteer der Pariser OasanBtalt .... 

8 900 

1,004 

ßchieferöl . 

9 000 

— 

Amerikanisches Petroleum. 

9 700 

0,820 

Leichte Naphtha aus Pennsylvanien. 

9 960 

0,820 

Schwere , » „ . 

10 670 

0,816 

Leichte Naphtha aus Baku. 

11 460 

0,884 

Schwere „ „ „ . 

10 800 

0,938 

Naphta aus Balachany. 

11 700 

— 


(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 3.) 


Der Bericht der internationalen Lichtmeßkommission über vergleichende 
Messungen der Carcellampe, Hefnerlampe und Vernon-Harcourt-Lampe ist 
abgedruckt im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 38. 

Versuche von F. Laporte in Paris über das Verhältnis der Einheits¬ 
lampen von Carcel, Hefner und Vernon-Harcourt ergaben folgendes 
Wertverhältnis der drei Lampen zueinander: 

1 Carcel = 10,75 HK = 0,98 Vernon-Harcourt; 

1 HK = 0,093 Carcel = 0,0915 Vernon-Harcourt; 

1 Vernon-Harcourt = 1,02 Carcel = 10,95 HK. 

(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 41.) 

Krüss veröffentlicht Untersuchungen über die Hefnerlampe, speziell 
ihre Helligkeitskurve. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 52.) 

Dow hat die Fehlerquelle einer Harcourt-Zehnkerzenpentanlampe auf¬ 
gesucht und bestimmt. (Journal f. GasbeL 1907, Nr. 26.) 

Laden bürg hat die Temperatur der glühenden Kohlenstoffteilchen 
leuchtender Flammen untersucht und die Hitze der Hefnerkerze auf 1431°C, 
die der Acetylenflamme auf 1842° bestimmt. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 30.) 

C. Heim: Gas oder Elektrizität? Eine zeitgemäße Betrachtung zur 
Beleuchtungsfrage. (Hannover, Dr. Max Jänecke, 1907. Preis 0,90 <M.) 


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Licht, Beleuchtung im allgemeinen, Lichttherapie. 


423 


Eine vergleichende Zusammenstellung zwischen hängendem Gasglühlicht 
und elektrischen Metallfadenglühlampen geben Voss und Zinck. (Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 45.) 

In Bristol ergab eine Konkurrenz zwischen elektrischer Straßenbeleuch¬ 
tung und solcher mit Gasglüblicht, daß die elektrische Beleuchtung bedeutend 
überlegen war. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 16.) 

In Rußland ist die Häufigkeit der Petroleumbeleuchtung von 94 Proz. 
der gesamten Beleuchtnng im Jahre 1887 auf 50 Proz. im Jahre 1905 ge¬ 
fallen zugunsten der elektrischen und Gasglühlichtbeleuchtung. (Zeitschr. 
f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 23.) 

Um Druckknöpfe für Klingelleitungen im Dunkeln leichter auffindbar 
zu machen, stellt die Firma Franz Duschanek in Freiburg Leuchtringe 
aus Kartonpapier her, welche mit einer Leuchtmasse belegt sind. Das 
Leuchten im Dunkeln tritt infolge vorheriger Einwirkung des Tageslichts ein. 
(Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 35.) 

Die Lichttherapie erfreut sich einer immer mehr steigenden Häufig¬ 
keit in der Anwendung auf fast allen Gebieten der Heilkunde; demgemäß 
ist auch die Zahl der Veröffentlichungen eine ungewöhnlich große, doch sind 
wesentliche Fortschritte im Jahre 1907 nicht zu bemerken gewesen. 

Riegel hat den Wert der Sonnenstrahlen als Desinfektionsmittel für 
Trinkwasser geprüft. Im Sommer konnten Cholerabazillen im Wasser in 
5 Minuten, Ruhrbazillen in einer Stunde, Typhusbazillen in l 1 /* Stunden 
abgetötet werden, im Winter genügte das Verfahren aber gar nicht. (Arch. 
f. Hygiene, Bd. 61, Heft 3.) 

Widmer beschreibt einen Fall von Carcinom, der durch Sonnenlicht 
geheilt ist. (Münch, med. Wochen sehr. 1907, Nr. 13.) 

Lenkei empfiehlt Sonnenbäder, bei denen außer den Wärme- auoh die 
Lichtstrahlen wirksam sind. (Zeitschr. f. physikalische und diätetische Therapie, 
Bd. 11, Heft 1.) 

Lassar stellte in der Berliner Medizinischen Gesellschaft eine Reihe von 
Kranken vor, die durch Röntgen- oder Radium strahlen dauernd von Krebs 
geheilt waren. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 3.) 

Elfer hat 12 Fälle von Leukämie lange mit Röntgenstrahlen behandelt; 
es ist große Vorsicht bei der Bestrahlung nötig. (Orvosi Hetilap 1907, Nr. 38 
bis 40.) 

Ein Fall von Leukämie von Kienböck wird seit 5 Jahren in Zwischen¬ 
räumen mit Röntgenstrahlen behandelt; es ist zwar völlige Arbeitsfähigkeit 
eingetreten, doch muß zuweilen immer wieder bestrahlt werden. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 44, Vereinsbeilage.) 

Hertel hat 25 Fälle von Ulcus serpens corneae durch Lichtbestrahlung 
geheilt. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Bd. 45, II, Heft 2.) 

Ehrmann hat mit Erfolg Psoriasis mit Uviollicht behandelt. (Münch, 
med. Wochenschr. 1907, Nr. 24.) 

Am 1. April 1907 und an den folgenden Tagen fand in Berlin der 
3. Kongreß der Deutschen Röntgengesellschaft statt; ihre Verhandlungen 


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424 


Luft und Licht. 


sind in der Münch, med. Wochenschr. 1907, Nr. 14 und folgende Nummern ab¬ 
gedruckt. Es findet eine Anwendung der Röntgenstrahlen auf allen Gebieten 
der Medizin zur Diagnose und Therapie statt. 

Eine erschöpfende Zusammenstellung über die Ergebnisse und den 
gegenwärtigen Stand der Licbttherapie gibt G. J. Müller. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1907, Nr. 32 und 33.) 

c) Gaslicht. 

A.Schäfer: „Einrichtung und Betrieb eines Gaswerks.“ Ein Leitfaden 
für Betriebsleiter und Konstrukteure. 2. Auflage. (München und Berlin, 
R. Oldenhourg, 1907. Preis 15 t/ft.) 

Fr. Schäfer: „Das Gas im bürgerlichen Hauae.“ (München und Berlin, 
R. Oldenhourg, 1907. Preis 0,50 t/ft) 

„Verzeichnis der Gaswerke in Österreich-Ungarn und ihrer Leiter sowie 
technischer Beamten.“ Herausgegeben im Aufträge des Vereins der Gas- und 
Wasserfachmänner in Österreich-Ungarn. Bearbeitet von Direktor Burk¬ 
hardt. Vereinsjahr 1906/1907. (Verlegt vom Verein der Gas-und Wasser¬ 
fachmänner, Wien, Felherstr. 80. Preis 2 oft.) 

W. J. A. Butherfield: „Chemistry of Gas Manufacture.“ (London, Griffin, 
1907. Preis 7 sh. 5 d.) 

H. Koschmieder: „Die Erzeugung und Verwendung des Steinkohlen¬ 
gases.“ (Hannover, Dr. Max Jfinecke, 1907. Preis 3 oft.) 

Walter Hole: „The distribution of gaz.“ (London, John Allan & Co., 
1907. Preis 12 sh. 6 d.) 

Die Geschichte der Allgemeinen GasaktiengesellBchaft in Magdeburg, 
die ihr öOjähriges Jubiläum feierte, wird mitgeteilt im Journal f. Gashel. 
1907, Nr. 16. 

Die Berliner städtischen Gaswerke gaben im Jahre 1905 218 379 000 cbm 
Gas ab, 9 Proz. mehr als das Jahr zuvor. Der Verbrauch am Maximaltage, 
22. Dezember 1905, betrug 1015 400 cbm. Die Zahl der Münzgasmesser ist 
auf 27 415 gestiegen, die rund 10880000cbm Gas abgaben. Die Gesamt¬ 
länge des Rohrnetzes betrug 1119100 m. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr.l 1.) 

Neue Gasanstalten werden beschrieben: Görlitz von Velde (Journal f. 
Gasbel. 1907, Nr. 1), Nürnberg von Terhaerst (ebenda, Nr. 5), Hameln von 
Riege (ebenda, Nr. 9), Bruchsal von Simonsen (ebenda, Nr.21), Mannheim 
von Pichler (ebenda, Nr. 27). Bautzen von Behn (ebenda, Nr. 42), und 
Tokio von Mizuta (ebenda, Nr. 44). 

Leybold berichtet über die Versuchsgasanstalt in Karlsruhe. (Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 5.) 

Ein Studienplan für Gastechniker am Technikum in Köthen ist abge¬ 
druckt im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 51. 

Eine sehr interessante Beschreibung von Jones über die Wiederherstellung 
der Gasversorgung von San Francisco nach dem Erdbeben findet sich im 
Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 30. 


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Gaslicht. 


426 


Die G&aproduktion der vereinigten preußischen und hessischen Staats¬ 
bahnen im Rechnungsjahr 1905 war folgende: 


Art dei Gase« 

Zahl der Retorten 
(Entwickler) 

Erzeugte Gas- 
raenge 

Prozentsatz 

Steinkohlengas. 

187 

9 691 849 

47,81 

Fettgas. 

6 

23 105 

0,11 

Mischgas. 

207 

7 380 896 

36,41 

Wassergas. 

8 

3 007 600 

14,84 

Acetylengas. 

27 

30 923 

0,15 

Gasolingas. 

2 

16 908 

0,09 

Aerogengas. 

9 

47 039 

0,23 

Benoidgas. 

2 

73 404 

0,36 


(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 9.) 


Bei der Lnftballonwettfahrt in Tegel bei Berlin wurden sämtliche Ballons 
mit Leuchtgas aus dem großen Tegeler Gaswerk gefüllt; dies hat sich besser 
bewährt als WasserstoSfüllung. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 2.) 

"Winkert hält bei der bevorstehenden Entwickelung der Luftschiffahrt 
die Bestimmung der Gaswerke als Luftschiffstationen für sicher. (Journal 
f. GasbeL 1907, Nr. 35.) 

Schäfer beschreibt die großen Annehmlichkeiten, die Arbeitsersparnia, 
die erhöhte Sauberkeit und die vermehrte Behaglichkeit, die durch vielseitige 
Anwendung von Gas im Hause erzielt wird. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 6.) 

Schilling empfiehlt Gasheizung für Kirchen; sie wirkt am schnellsten 
und ist am billigsten. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 5.) 

Über die Gasheizung von Kirchen findet sich eine ausführliche Aus¬ 
einandersetzung im Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 13. 

Capitaine hat ein Gasschiff konstruiert, auf welchem eine Gasmaschine 
die Kohle direkt in Kraft um wandelt; das Schiff verkehrt auf dem Rhein als 
Schleppschiff. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 4.) 

Zur Gasbadeofen frage wird im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 2 ausdrücklich 
gewarnt, Badeöfen ohne Abzugsrohre aufzustellen. 

Rideal hat Gasöfen ohne Kaminanschluß untersucht, und hält sie für 
gefahrlos, doch wurde Beine Ansicht in der auf seinen Vortrag folgenden 
Diskussion scharf angegriffen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 11.) 

Brearley-Longwood hat die hygienische Wirkung von Gasheizöfen 
untersucht; kein mit dem Schornstein verbundener Gasofen ließ Kohlenoxyd 
in nachweisbarer Menge in die Zimmerluft eintreten, wohl aber solche, die 
nicht an einen Schornstein angeschlosseu waren, 0,35 bis 1,05 Teile Kohlen¬ 
oxyd in 100 000 Teilen Luft. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 47.) 

Eine Anleitung zur richtigen Konstruktion, Aufstellung und Handhabung 
von Gasheizapparaten wird gegeben im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 16. 

Körting (Berlin) spricht sehr für den Gasverbrauch für Heizzwecke; 
besonders empfiehlt er Gaskamine für Schlafzimmer. (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 35.) 


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426 


Luft und Licht. 


Yivian B. Lewes verlangt in einem Vortrag über die Verwendung des 
Leuchtgases vom hygienischen Standpunkte aus für jeden Gasofen Sohorn- 
steinanschluß. Gute Ventilation ist nötig, deshalb sind auch Kronleuchter 
besser als Tischlampen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 29.) 

Zollikofer hat in St. Gallen einen Einheitspreis für Gas eingeführt 
und gute Erfolge damit erzielt. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 18.) 

Strecker beschreibt die Mittel, welche man in Nordamerika zur Hebung 
des Gasverbrauchs anwendet (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 22.) 

Hoffmann berichtet über Maßnahmen zur Förderung des Gasverbrauchs 
und deren Erfolge im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 43. 

Kühn tritt für Übernahme aller Gasanstalten in städtische Verwaltung 
ein, da die schon in städtischem Besitz befindlichen einen hohen Reingewinn 
abwerfen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 48.) 

Eine Diskussion über die Rentabilität kleiner Gasanstalten findet sich 
im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 47. 

Nach Entscheidung des preußischen Ministeriums für Handel und Ge¬ 
werbe ist das Anbringen eines Blitzableiters an Gasbehältern nicht erforder¬ 
lich. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 21.) 

Pfeiffer veröffentlicht eine Korrektionstafel zur Heizwertbestimmung 
des Gases. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 4.) 

Lenoble hat eine neue Formel für die Berechnung des Heizwertes von 
Brennstoffen angegeben. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 30.) 

Fahrenheim spricht sich für die Verwendung von Koksofengas aus 
unter dauernder Kontrolle des Heizwertes. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 45.) 

Nach Bury steht die Vergasung im Koksofen in vielen Punkten der 
Vergasung in der Retorte nach, doch muß aus mancherlei Gründen die Koks¬ 
ofenvergasung beibehalten werden. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 46.) 

Ein Bericht der Kommission für Gründung von Gasmeister- bzw. In¬ 
stallateurschulen in Bayern wird von Ries abgestattet (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 5.) 

Die Unterrichtskommission des Vereins deutscher Gas- und WasBerfach- 
männer und die Kommission für die Lehr- und Versuchsgasanstalt veröffent¬ 
lichen ihre Jahresarbeit im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 27. 

Über den Gasmeisterkursus in Bremen und seine Erfolge äußert sich 
Leybold. (Journal f. GasbeL 1907, Nr. 37.) 

Das Technikum Altenburg hat eine Gasmeistersohule eingerichtet (Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 41.) 

Die Verhandlungen der Jahresversammlung von Gasfachmännern Mittel¬ 
englands sind abgedruckt im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 21, die der 47. Jahres¬ 
versammlung des Deutschen Vereins von Gas- und Wasserfachmännern in 
Mannheim im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 25. 

Etliche deutsche Gaswerke haben zwecks Einkauf eine wirtschaftliche 
Vereinigung gebildet, deren Erfolge im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 26 mitgeteilt 


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Gaslicht. 


427 


werden. Der gemeinsame Bezug von Kohlen hat sich als besonders vorteil¬ 
haft erwiesen. 

Oskar Stillich: „Steinkohlenindustrie. Nationalökonomische For¬ 
schungen auf dem Gebiete der großindustriellen Unternehmung.“ Bd. 2. 
(Leipzig, Jäh u. Schunke, 1906. Preis 8 >JC.) 

B. Schultz-Briesen: „Das Steinkohlenbecken in der belgischen Cam¬ 
pine und in Holländisch-Limburg.“ (Kattowitz, Gebr. Böhm, 1907. Preis 1 JC.) 

„Analyses of British Coals and Coke, and the Characteristics of the Chief 
Coal Seams worked in the British Isles.“ (London, Chichester Press, 1907. 
Preis 10 sh.) 

Heinrich Lemberg: „Die Steinkohlenzechen des niederrheinisch-west¬ 
fälischen Industriebezirks, des Aachener Bezirks und des Saargebiets, der 
Pfalz und von Elsaß-Lothringen, sowie der Braunkohlengruben des rheini¬ 
schen Braunkohlen gebiete.“ 12. Auflage. (Dortmund, Krüger. Preis 3^.) 

H. Potonie: „Die Entstehung der Steinkohle und verwandter Bil¬ 
dungen, einschließlich des Petroleums.“ 4. Auflage. (Berlin, Bornträger, 
1907. Preis 4 Jt.) 


Die Kohlenproduktion der Erde im Jahre 1905 betrug in Millionen Tonnen: 


Land 1 

1 Produktion 

Einfuhr 

Ausfuhr 

Vereinigte Staaten von Nordamerika . . . 

350,0 

1,6 

9,0 

England. 

236,0 

— 

67,0 

Deutschland . 

| 120,0 

10,5 

23,0 

Frankreich. 1 

35,0 

13,5 

2,1 

Belgien.! 

21,0 

4,2 

7,0 

Rußland. 

17,0 

4,0 

— 

Österreich-Ungarn. 

13,5 

7,2 

1,3 

Italien. 


6,3 

— 

Gesamtproduktion.. . . ] 

1 840,0 

— 

— 


(Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 2.) 


Die Kohlenproduktion im Deutschen Reiche betrug im Jahre 1906 nach 
den im Reichsamt des Innern zusammengestellten Nachrichten für Handel und 
Industrie 136 479 885 t Steinkohlen, 56 235189 t Braunkohlen, 20 260 572 t 
Koks und 1450085 t Briketts. (Dinglers Polytechnisches Journal 1907, Nr. 5.) 

Statistische Angaben über die Entwickelung des deutschen Steinkohlen- 
und Braunkohlenbergbaues in den letzten zehn Jahren finden sich im Journal 
f. GasbeL 1907, Nr. 7. 

Der Bericht des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats für das Jahr 
1906 ist abgedruckt im Journal f. Gaabel. 1907, Nr. 23. 

Simmersbach hielt einen Vortrag über die russische Steinkohlenindustrie 
und ihre wirtschaftliche Bedeutung. Ein erschöpfendes Referat findet sich 
im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 22. 

Eine Kohlen- und Koksstatistik aus England für das Jahr 1905 wird 
gegeben im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 10, eine solche für Österreich-Ungarn 
ebenda, Nr. 11. 


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428 


Luft und Licht. 


Der Kohlen bezirk Durham in England liefert den größten Teil der so¬ 
wohl in England wie im Ausland verbrauchten englischen Gaskohle. (Journal 
f. Gasbel. 1907, 6.) 

Die Durham-Gaskohle enthält 0,824 Proz. Schwefel. Die Vergasung 
und Ausbeute ist günstig, doch müssen die sehr schwefelhaltigen Abgase in 
das von den Öfen kommende Gas zurückgeführt werden. (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 41.) 

Short beschreibt die Vergasung der Durham-Kohle im Chem.Repertorium 
Nr. 65 d. Chemikerztg. 1907. 

Boyd Dawkins hat die in der Grafschaft Kent entdeckten großen 
Kohlenlager chemisch untersucht. Mehrere Analysen werden mitgeteilt im 
Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 27. 

Möllers empfiehlt die Verwendung englischer Gaskohlen in Gasanstalten; 
mehrere kleinere sollen sich zum Bezug einer großen Ladung zusammentun. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 29.) 

Gandon berichtet über das Vorkommen von Kohlen in der Türkei bei 
Heraklea in Anatolien. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 32.) 

Drake beschreibt den Kohlenbergban in China. (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 41.) 

Hart empfiehlt, bei Untersuchung von Steinkohlen auch das Jod- 
absorptionsvermögen zu bestimmen, da jede Kohle ihr besonderes Absorptions¬ 
vermögen hat. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 6.) 

Efros hat eine maßanalytische Bestimmung des Schwefels in Kohle und 
Koks ausgearbeitet. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 28.) 

Nach Donath sind Steinkohle und Braunkohle in Zusammensetzung 
und Ursprung völlig verschieden. Näher ausgeführt ist diese Ansicht in 
einem Vortrage, der in der österr. Wochenschr. f. d. öffentl. Baudienst 1907, 
Nr. 26 abgedruckt ist. 

Cox empfiehlt für die Analyse nicht verkokbarer Kohlen eine besondere 
Methode. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 47.) 

Be ment veröffentlicht die Analyse einiger amerikanischer Kohlen im 
Journal of the Americ. Soc. of Chem. Industr. 1907, Nr. 12. 

Nach Somermeyer sind für die Bestimmung von Feuchtigkeit in den 
Kohlen eine Reihe von Vorsichtsmaßregeln nötig, die im Chem. Repertorium 
Nr. 4 d. Chemikerztg. 1907 mitgeteilt werden. 

Thobridge hat die in Kohle eingeschlossenen Gase und einige Sorten 
Kohlenstaub untersucht. (Chem. Repertorium Nr. 11 d. Chemikerztg. 1907.) 

Blacher zeigt auf Grund einer Analysentabelle verschiedener Kohlen¬ 
sorten den Wert der Brennstoffuntersuchung. Aschen- und Wassergehalt 
erniedrigen den Brennwert. (Chem. Repertorium Nr. 20 d. Chemikerztg. 1907.) 

Gr out fand in allen Kohlensorten eine auffallende Gleichmäßigkeit im 
Gehalt an Wasserstoff. (Chem. Repertorium Nr. 86 d. Chemikerztg. 1907.) 

Eine Diskussion über Kohlenbrände findet sich im Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 41. 


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Gaslicht. 


429 


Nach Richter sind für Verwitterung und Selbstentzündung der Stein¬ 
kohlen folgende zwei Punkte maßgebend: 

1. Die Lebhaftigkeit, mit der der Luftsauerstoff von der Kohle bei ge¬ 
wöhnlicher Temperatur aufgenommen wird; 

2. alle die Umstände, die eine Aufspeicherung der Wärme im Innern 
des Kohlenlagers begünstigen. 

(Zeitschr. d. Vereins deutscher Ingenieure 1907, Nr. 19.) 

In England hat man zur Verhütung der Selbstentzündung der Stein¬ 
kohlen die Kohlen unterWasser auf bewahrt; sie waren besser als die an der 
Luft aufbewahrten. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 3.) 

Die Western Electric Co. in Chicago hat mit der Lagerung der Stein¬ 
kohlen unter Wasser sehr günstige Erfahrungen gemacht; die Kohlen er¬ 
leiden einen Verlust von höchstens 3 Proz., während beim Lagern an der 
Loft der Verlust 18 bis 24 Proz. beträgt. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 31.) 

Hart hat experimentell keinen Unterschied zwischen Kohle, die an Luft, 
und Kohle, die unter Wasser lagerte, feststellen können. (Chemikerztg. 
1907, Nr. 101.) 

Aus böhmischer Braunkohle wird vielfach Koks gewonnen, wobei man 
als Nebenprodukt große Mengen Gas erhält, die nutzbar gemacht werden. 
(Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 40.) 

Frank äußert sich über die Gewinnung und Verwertung von Torf zu 
Heizzwecken und zu direkter Kraftübertragung, und empfiehlt ein von Caro 
erfundenes patentiertes Verfahren, nassen, ungeformten Torf zu verarbeiten. 
(Zeitschr. f. Calciumcarbid-Fabrikation 1907, Nr. 9.) 

Das Verfahren von Martin Ziegler zur Gewinnung von Torfkoks ist 
an verschiedenen Stellen eingeführt und hat sich gut bewährt. (Gesundheits- 
Ingenieur 1907, Nr. 44.) 

Kaumazit-Koks derWesselner Koks- und Kaumazitwerke Dr. Auspitzer 
in Teplitz, aus böhmischen Braunkohlen gewonnen, hat hohen Heizwert und 
verbrennt völlig rauchlos. (Dinglers Polytechnisches Journal 1907, Nr. 11.) 

Ein in England fabrizierter neuer Brennstoff, Coalit, ist ein bei niederer 
Temperatur nicht ganz ausgegaster Steinkohlenkoks, der rauchlos brennen 
und leichter entzündbar sein soll als gewöhnlicher Koks. (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 43.) 

Pfeiffer erstattet Bericht über die Tätigkeit des Laboratoriums der 
Gas- und Wasserwerke in Magdeburg. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 22.) 

Die Tätigkeit des Laboratoriums der städtischen Gasanstalt in Königs¬ 
berg i. Pr. ist mitgeteilt im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 33. 

Körting berechnet genau die Selbstkosten der Gasanstalten. (Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 33.) 

Hennard vergleicht in einer sehr ausführlichen Studie die Kosten der 
elektrischen und der Gasbeleuchtung. Ein öOkerziges Gaslicht kostet halb 
so viel wie ein gleich starkes elektrisches, ein 300kerziges ebenso viel, ein 
lOOOkerziges ist doppelt so teuer wie ein gleich großes elektrisches Licht. 
(Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 33.) 


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430 


Luft und Licht. 


Blanc und Caton haben ein Verfahren zur Vermehrung der Gasausbeute 
erfunden. (Chem. Repertorium Nr. 13 d. Chemikerztg. 1907.) 

Bary konnte feststellen, daß das in der Kokerei gewonnene Gas nur zu 
einem Drittel für Liebt- und Kraftzwecke benutzbar war. (Chem. Repertorium 
Nr. 65 d. Chemikerztg. 1907.) 

Die Firma Beasley in Smetbwick (England) hat ein registrierendes 
Gaskalorimeter konstruiert, das im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 49 abgebildet 
und beschrieben ist. 

Carpenter und Helps haben einen Normalbrenner zur Prüfung des 
Londoner Gases untersucht. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 40.) 

Nach Lancelot W. Wild fällt der höchste Nutzeffekt bei einem Brenner 
nur selten mit der höchsten Leuchtkraft zusammen; der Gasdruck soll so 
reguliert werden, daß er in den Kellern aller Häuser gleich ist; den Ver¬ 
brauchern soll dann der für den Druck des Stockwerks geeignete Brenner 
vorgeschlagen werden. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 27.) 

Lux beschreibt und empfiehlt Maximal- und Minimaldruckmesser für 
Gasleitungen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 22.) 

Eine Vorrichtung zur Prüfung von Dichtigkeit in den Gasleitungen ist 
angegeben im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 37. 

Portlandzement zur Abdichtung der Muffen von Hauptgasröhren hat 
sich in verschiedenen Städten Nordamerikas sehr gut bewährt. (Gesundheits- 
Ingenieur 1907, Nr. 5.) 

Eine neue Gassammelröhre zur Probenahme und zum Transport hat 
die Firma Ströhleyn u. Co. in Düsseldorf konstruiert. (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 42.) 

Gille beschreibt die Entwickelung der Steinkohlengaserzeuger für den 
Hüttenbetrieb. (Dinglers Polytechnisches Journal 1907, Nr. 1 u. f.) 

Maye entfernt durch eine einfache Neukonstruktion leicht Graphit aus 
den Retorten. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 21.) 

Nach Eisele sind die Vorteile der vertikalen Retorte (Dessau) folgende: 
1. Eine Vergasung in vertikalen Retorten ist vorteilhafter als in horizontalen 
und schrägen. 2. Die Haltbarkeit der Retorten, die Betriebssicherheit und 
Arbeitserleichterung, die besseren Vergasungsresultate sind namentlich bei 
der Dessauer Retorte betriebsmäßig einwandfrei festgestellt. 3. Um den 
Stickstoff der Kohle io die wertvollere Form des Ammoniaks überzuführen, 
muß in die gasende Retorte Wasserdampf eingeführt werden, und das 
Maximum der Ammoniakausbeute verlangt bei steigender Vergasungstempe¬ 
ratur wachsende Wasserdampfmengen. 4. Ein großer Wasserdampfzusatz 
erhöht zwar die Gasausbeute, verringert aber den kalorischen Wert des er- 
erzeugten Gases, dessen Heizwert nicht unter 5000 Cal heruntergehen sollte, 
und verringert unter Umständen auch die Koksqualität. 5. Durch den 
nur zum Koksablöschen in der Retorte benötigten Wasserdampf wird die 
Koksqualität kaum beeinträchtigt. 6. Allem Anschein nach begünstigt die 
Vertikalretorte eine qualmfreie, kontinuierliche Vergasung. (Journal f. GasbeL 
1907, Nr. 1.) 


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Gaslicht. 


431 


Eisele empfiehlt auch den Vertikalofen von Rummens in Brüssel. 
(Journal f. GasbeL 1907, Nr. 23.) 

In Bournemouth ist der Woodall-Duckham-Vertikalofen mit kon¬ 
tinuierlicher Vergasung in Betrieb. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 27.) 

Die Ansicht mehrerer Untersucher über die Vertikalöfen, die sich sämt¬ 
lich in günstigem Sinne aussprechen, sind mitgeteilt im Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 31. 

In derselben Zeitschriftnummer findet sich eine ausführliche Besprechung 
der Münchener Kammeröfen. 

Beim Jahn sehen Ringgenerator sind mehrere miteinander zu einem 
Ring verbundene Kammern ununterbrochen im Betrieb; es können Gase von 
beliebiger Reinheit erzeugt werden. Auf dem Königl. Steinkohlenbergwerk 
von der Heydt in Saarbrücken ist seit April 1904 eine große Anlage mit 
fünf Ringen zu je vier Kammern ununterbrochen im Betrieb. (Journal f. 
Gasbel. 1907, Nr. 35.) 

Dieterich schildert die Transportanlagen für Gaswerke. (Journal f. 
Gasbel. 1907, Nr. 17 u. f.) 

Vieh off hat mit einem Klönne-Raumkühler zur Abkühlung des Gases 
guten Erfolg gehabt. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 17.) 

Haas hat eine neue selbsttätige Münzenzähl- und Teilmaschine (Gas- 
automat) konstruiert. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 22.) 

Eine Diskussion über die Gasautomatenfrage findet Bich im Journal f. 
Gasbel. 1907, Nr. 39. 

H o i n k i s s in Kattowitz hat einen Zeitzünder für Gastreppenhaus¬ 
beleuchtung gebaut, der tadellos arbeiten soll. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 46.) 

Der Bericht der Gasmesserkommission des Vereins deutscher Gas- und 
Wasserfachmänner findet sich im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 26. 

In derselben Zeitschriftnummer gibt die Lichtmeßkommission Rechen¬ 
schaft über ihre Tätigkeit im Jahre 1906. 

Walter beschreibt die Gasfernleitung Schneidemühl—Usch, 10 km Ent¬ 
fernung. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 13.) 

Nach Berechnungen von Birkholz liefern die Fernleitungen bei Gas¬ 
fernversorgungen mehr Gas, als bisher angenommen wurde. (Journal f. 
Gasbel. 1907, Nr. 19.) 

Fliegner veröffentlicht seine Untersuchungen über die Fernleitung 
Rorschach—St. Gallen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 28 u. f.) 

Zollikofer äußert sich über den Einfluß der Ferndruckleitungen auf 
Leuchtkraft und Heizwert des Leuchtgases. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 35.) 

Hase berichtet über Versuche an der Gasfernleitung Lübeck—Trave¬ 
münde. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 46 und 48.) 

Die Multiplex-Fernzündung muß nach Kern, um tadellos zu arbeiten, 
folgende Voraussetzungen erfüllen: 

1. Die Anlage muß durch Schwachstrommonteure ausgeführt werden, 
die sich einige Zeit in der Berliner Fabrik eingearbeitet haben. 


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432 


Luft und Licht. 


2. Jeder Apparat muß vor der Verwendung in einer kleinen Versuchs¬ 
station geprüft werden. 

3. Es müssen starke Batterien mit nassen Elementen (20 Amp.) in An¬ 
wendung kommen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 1.) 

Rossbach empfiehlt die Zimmerfernzündung Fix. (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 16.) 

Stephenson-Tipton beschreibt Zünd- und Löschvorrichtungen für 
Straßenlaternen; die Fernzündung hat sich sehr bewährt. (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 21.) 

Himmel hat mehrere Fernzünd- und Löschapparate für Straßenlaternen 
konstruiert. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 29.) 

Der Gasdruckfernzünder, System Schwarzkopf, ist abgebildet und be¬ 
schrieben im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 31. 

Kern hat für private und öffentliche Beleuchtung mit Invertgasglühlicht 
Fernzündung in verschiedenen Systemen eingeführt. (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 32.) 

Lentschat richtete eine Zentrale für automatische Laternenfernzündung 
ein. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 37.) 

Siemens berichtet über Fortschritte mit pneumatischer Fernzündung. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 40.) 

Eine Fernzündung mittels Gasdruckdifferenz ist beschrieben im Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 41. 

Himmel baut für Beleuchtung großer Plätze und Bahnhöfe Hochmast¬ 
gaslaternen zur Verwendung von Gas mit normalem Druck und von Preßgas. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 11.) 

Nach Brüning soll sich die nächtliche Straßenbeleuchtung auf die Be¬ 
rechnung der wirklichen Nachtzeit unter Berücksichtigung der Dämmerung 
stützen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 24.) 

Eine Sicherheitslampe für explosionsgefährliche Räume wird von Himmel 
auf den Markt gebracht. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 11.) 

En gl er beschreibt einen einfachen Versuch zur Demonstration der ge¬ 
mischten Kohlenstaub- und Gasexplosionen. (Chemikerztg. 1907, Nr. 28.) 

Sattler empfiehlt Blinklichtbeleuchtung mittels Gas als billige Licht¬ 
reklame. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 20.) 

Rosenkranz hat den Koksstaub der Gasfabrik zu Briketts verarbeiten 
lassen, was sich sehr bewährt hat. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 10.) 

Glover befürwortet eine bessere Ausnutzung der Nebenprodukte der 
Gaswerke. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 10.) 

Wahlert hat das neue Feldsche Verfahren der Gasreinigung und die 
Gewinnung reiner Nebenprodukte geprüft. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 35.) 

Rhodos hat mehrfach überschüssiges Gas aus Nebenprodukten-Koksöfen 
zur Beleuchtung und Krafterzeugung verwenden sehen; zur Beleuchtung 
wurde es mit Benzol angereichert. Auf diese Art lassen sich große Erspar¬ 
nisse erzielen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 41.) 


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Gaslicht. 


433 


W. Scheithauer: „Die Braunkohlenteerprodukte und das Olgas.“ 
Bibliothek der gesamten Wissenschaft, Bd. 16. (Leipzig, B. G. Teubner, 1907. 
Preis 2,60 <JC.) 

Niven beschreibt Teernebel im Leuohtgas und äußert sich über Gas¬ 
reinigung. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 40.) 

Ein Aufsatz von Clayton über die Bestimmung des Teernebels im Gas 
und seine Abscheidung ist abgedruckt im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 42. 

Mayer und Altmayer haben Untersuchungen angestellt über die Bil¬ 
dung von Ammoniak bei der trockenen Destillation der Steinkohle. (Journal 
f. GasbeL 1907, Nr. 2 und 3.) 

Für kleine Gasanstalten empfiehlt Thiel Maschinen zur Herstellung 
von verdiohtetem Ammoniakwasser; es wird dadurch den kleinen Gasanstalten 
ermöglicht, das Gaswasser zu verwerten. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 43.) 

Colman hat eine Reihe von Experimenten über die Entfernung des 
Naphthalins aus dem Gase angestellt. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 10.) 

Über Beseitigung von Naphthalin verstopf ungen in den Ein- und Aus- 
gangsröhren von Gasbehältern finden sich Mitteilungen im Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 18. 

Pannertz empfiehlt für Naphthalinentfernung einen Naphthalinwascher. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 25.) 

Ein Teer- und Naphthalinscheider von Everitt, Ilkley, ist abgebildet 
und beschrieben im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 44. 

Morton schlägt vor, zur technischen Bestimmung von Benzol im Leuoht¬ 
gas konzentrierte Schwefelsäure als Absorptionsflüssigkeit zu benutzen. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 24.) 

Linder hat eine neue Methode ausgearbeitet zur Bestimmung von 
Cyanverbindungen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 41.) 

In Amerika hat sich nach Angabe von Searle die Verteilung von Gas 
unter hohem Druck (Preßgaß) stetig weiter entwickelt. (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 29.) 

Die Einrichtungen der Firma Riedinger u. Blau zur Beleuchtung und 
Heizung mit Blaugas (flüssiges Leuchtgas) sind beschrieben in der Badischen 
Gewerbeztg. vom 11. Oktober 1907. 

H. Koschmieder: „Die technischen Gasarten mit Ausschluß des Stein¬ 
kohlengases und des Acetylens.“ (Hannover, Dr. Max Jänecke, 1907. Preis 
0,95 >JC.) Das kleine Werk enthält eine Beschreibung von Holzgas, Torfgas, 
Ölgas, Wassergas und Luftgas. 

Kayser veröffentlicht einen ausführlichen Aufsatz über das WassergaB. 
(Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 4.) 

Schäfer hält das Wassergas als Ersatz für Steinkohlengas für durch¬ 
aus ungeeignet und unwirtschaftlich. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 25.) 

Menzel empfiehlt Wassergas als Ergänzung von Steinkohlengas zur 
Städteversorgung. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 14.) 

Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege, 1908. Supplement. Oft 


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434 


Luft und Licht. 


Reitmayer beschreibt die verschiedenen Methoden, Wassergas zu 
parfümieren, damit undichte Stellen sofort bemerkt werden, und führt einen 
neuen, sicher wirkenden Parfümeur vor; als Riechmittel werden Kohlenwasser¬ 
stoffe benutzt, die sich beim Komprimieren von Ölgas ausscheiden. (Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 15.) 

In den Niederlanden hat sich das Wassergas sehr gut eingeführt, wie 
statistische Mitteilungen im Journal f. GasbeL 1907, Nr. 25 beweisen. 

Eine Methan-Wassergasanlage ist in Swindon in Betrieb. Das Gas 
hat folgende Zusammensetzung: Kohlensäure 2,8, schwere Kohlenwasser¬ 
stoffe 0,8, Sauerstoff 0,2, Kohlenoxyd 28,8, Methan 19,2, Wasserstoff 42,4 Pro*. 
Der Heizwert beträgt 3145 WE. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 26.) 

Strache beschreibt eine Erzeugung des Wassergases mit Hilfe des 
Dampfschlußmelders. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 39.) 

Keller hat durch eine einfache Abänderung hängendes Glühlicht auch 
für WassergaBbeleuchtung benutzbar gemacht. (Der Gastechniker 1907, Nr. 20.) 

Nach dem Patent Dellwigk-Fleischer kann Wassergas auch zum 
Schweißen benutzt werden; das Verfahren eignet sich besonders für Bleche, 
(österr. Wochenschr. f. d. öffentL Baudienst 1907, Nr. 51.) 

Thiem hielt einen Vortrag über Benoidgas, der in der Zeitschr. des 
Vereins deutscher Ingenieure 1907, Nr. 21 abgedruckt ist. 

Lichtheim äußert sich ausführlich über Luftgas. (Zeitschr. des Ver¬ 
eins deutscher Ingenieure 1907, Nr. 30.) 

Das Luftgas, besonders die Benoidgasapparate von Thiem u. Thöwe 
in Halle, werden für einzeln stehende Häuser und kleine Ortschaften empfohlen. 
(GesundheitB-Ingenieur 1907, Nr. 24.) 

Meyenberg hält die Einrichtung von Aerogengasanstalten in Orten 
unter 3000 Einwohnern für sehr aussichtsvoll. Er berechnet an Kosten pro 


Stunde und HK: 

Bei Steinkohlengasglühlicht rund .... 0,025 ^ 

„ Aerogengas. 0,040 „ 

„ Osmiumlampe. 0,046 bis 0,069 „ 

„ Acetylenglühlicht. 0,050 bis 0,075 „ 

„ Spiritusglühlicht. 0,070 „ 

„ offenem Acetylenbrenner.0,124 „ 

„ Kohlefadenglühlampe . . . 0,095 bis 0,188 ., 

(Dinglers Polytechnisches Journal 1907, Nr. 14 bis 18.) 


Caro hat das Verfahren von Mond zur Vergasung minderwertiger Kohle 
auf Torf angewendet; eine auf der Steinkohlenzeche Mont Cenis errichtete 
Versuchsanlage arbeitet zur Zufriedenheit. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 48.) 

Philipp J. Cohen-New York gewinnt durch ein neues Verfahren aus 
Torf ein Gas von folgender Zusammensetzung: 


Kohlenoxyd . . 

. 6,0 

Proz. 

Acetylen . . . 

. 31,1 Proz. 

Wasserstoff . . 

. 22,0 

n 

Kohlensäure . . 

• 3,1 „ 

Methan . . . 

. 33,5 

V 

Sauerstoff. . . 

• 0,6 B 

Stickstoff . . . 

. 3,7 

n 





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Gaslicht. Gasglühlicht. 


435 


Der Heizwert beträgt 8200 WE, die Leuchtkraft 60 HK. (Journal f. 
Gasbel. 1907, Nr. 40.) 

Man kann fortdauernd Leucht- und Heizgas hersteilen, wenn man ein 
Gemisch von Kohlenwasserstoffen (Petroleum) und überhitztem Wasserdampf 
in feinster Verteilung bei Hellrotglut über eine poröse, schwammige Kontakt¬ 
masse leitet, die im wesentlichen aus Eisenoxyduloxyd besteht. (Chemikerztg. 
1907, Nr. 73.) 

Keller beschreibt das Eindringen von Gas in ein nicht an die Leitung 
angeBchlossenes Haus durch Telephonkabel. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 6.) 

Der Bericht der Erdstromkommission des Vereins deutscher Gas- und 
Wasserfachmänner über Zerstörung von Gasröhren durch vagabundierende 
Ströme elektrischer Straßenbahnen wird veröffentlicht im Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 11. Im Anschluß daran werden eine Beihe von Leitsätzen aufgestellt. 

Leybold erörtert zwei Betriebsunfälle durch Gasvergiftung und Gas¬ 
explosion. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 44.) 

Im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 24 wirdeine Zusammenstellung aller Un¬ 
glücksfälle gegeben, die im Jahre 1906 durch Leuchtgas, Elektrizität, Petro¬ 
leum, Spiritus, Acetylen und andere Beleuchtungsarten vorgekommen sind. 

d) Gasglühlicht. 

Webber hat Untersuchungen über Flammentemperaturen an Glüh¬ 
brennern gemacht; das beste Mittel zur Erzeugung hoher Flammentempera¬ 
turen und damit großer Lichtintensität ist die Verbrennung eines hoch¬ 
explosiven Gasgemisches, das man durch Beimischung von möglichst viel 
Primärluft darstellt, wie beim Selaslicht. (Journal f. Gasbel 1907, Nr. 15.) 

H.W.Fischer: „Der Auerstrumpf.“ (Stuttgart, F. Enke, 1907. Preis 

1,20 JC.) 

Der Auerstrumpf brennt nach Versuchen von Killing in der Wasser- 
stoff-Chlorflamme mit außerordentlich blendendem, grünlichem Lioht. (Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 5.) 

Eine Zusammenstellung der verschiedenen Thorium- und Monazitlager¬ 
stätten und der Gesellschaften zu ihrer Ausbeutung findet sich im Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 37. 

Gg. Hofbauer: „Über das Vorkommen der seltenen Erden auf der 
Sonne.“ (Wien, F. Holder, 1907. Preis 1,30 JC.) 

Mingaye hat Monazitvorkommen in den Beachsanden des Richmond 
River (Neu-Südwales) konstatiert (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 46.) 

Über MonazitBand in Brasilien finden sich ausführliche Mitteilungen im 
Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 51. 

Orlow hat sein Verfahren, Monazitrückstände auf reine Cersalze zu 
verarbeiten, so abgeändert, daß fast alles Cer rein abgeschieden wird. 
(Chemikerztg. 1907, Nr. 44.) 

Foix kommt zu dem Schluß, daß man durch Verdünnung des lumines- 
zierenden Cers wie durch Verringerung der strahlenden Schicht in gleicher 

28 * 


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436 


Luft und Licht. 


Weise das Leuchtvermögen eines glühenden Auerstrumpfes vergrößern kann. 
Der Gehalt an Thoroxyd ist theoretisch nutzlos, es dient nur als Träger und 
Verdünnungsmittel des Ceroxyd. (Journal f. Gas bei. 1907, Nr. 41.) 

Marino gibt eine Methode an, aus Cerdioxyd direkt einige Cerosalze 
zu erhalten. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 41.) 

R. J. Meyer und Anschütz veröffentlichen einige Beobachtungen an 
Thorium-Cermi8chungen. (Berichte der Deutschen Chemischen Gesellschaft 
1907, Nr. 40.) 

Lewes schlägt vor, bei Gasheizöfen das hohe Strahlungsvermögen des 
Cer zu benutzen; eine in Cernitrat getauchte Glühkugel eines englischen 
Gaskamins strahlte 12 Proz. mehr Wärme ab als eine gewöhnliche Glüh¬ 
kugel. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 29.) 

Dunstan veröffentlicht einen Bericht über das Vorkommen thorium¬ 
haltiger Mineralien auf Ceylon. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 10.) 

van Rossum du Chattel beschreibt die Methoden der Photometrierung 
von Gasglühlicht in den Niederlanden, Helps die in England gebräuchlichen. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 40.) 

Bärenfänger hat eine einfache Vorrichtung konstruiert, um Deforma¬ 
tionen an Glühkörpern zu bestimmen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 44.) 

Der Glübstrumpfsparer soll den Glühkörper gegen Erschütterungen 
schützen; er besteht in der Hauptsache aus einer Spiralfeder mit Rückschlag¬ 
scheibe. Er wird geliefert von der Firma A. Heim bürg u. Co. in Kassel. 
(Zeitschr. f. Heizung, Lüftung und Beleuchtung 1907, Nr. 10.) 

Bruno beschreibt ein neues Verfahren zur Herstellung von Glühkörpern, 
bei denen Kupfercellulose als Oxydträger verwendet wird; die Glühkörper 
sind viel haltbarer als die bisherigen. (Journal f. GasbeL 1907, Nr. 14.) 

Der Cerofirmglühkörper hat sich nach den Erfahrungen von Kern als 
stoßsicher sehr gut bewährt. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 1.) 

Lendrich beschreibt Brenneraufsätze für Bunsen-und Teclubrenner, zur 
Erzielung von drei- bis fünfteiligen Flammen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 6.) 

Die Firma Gebrüder Jacob in Zwickau verfertigt Regulierschlitz¬ 
düsen, die auch für hängendes Gasglühlicht verwendbar sind. (Journal f. 
Gasbel. 1907, Nr. 49.) 


Über die Kosten von Gas- und Gasglühlicht findet sich im Gesundheits- 
Ingenieur 1907, Nr.5 folgende Zusammenstellung: 


Lumpe 

Leuchtkraft 

in HK 

Gasverbrauch 
pro Stunde in 
Litern 

Kosten 
pro Stunde 

4 

Schnittbrenner. 

15 

150 

1,84 

Argandbrenner . 

25 

120 

1,47 

Stehendes Gasglühlicht-Normal Auer. . 
Hängendes Gasglühlicht, Auer-Invert 

70 

120 

1,47 

(Graetzin-lmitation). 

90 

95 

1,16 

Graetzin-Invertbrenner, Modell 35 a . . 

120 

90 

1,10 

Dasselbe, kleineres Modell . 

80 

70 

0,86 


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Gasglühlicht. 


437 


Ahrena gibt unter Beifügung zahlreicher Abbildungen eine sehr aus¬ 
führliche Auseinandersetzung über die Entwickelung des hängenden Gas¬ 
glühlichts. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 8 u. f.) 

Friedrich Ahrens: „Das hängende Gasglühlicht, seine Entstehung, 
Anwendung und Wirkung.“ (München und Berlin, R. Oldenbourg, 1907. 
Preis 6 <Jt.) 

Derselbe Verfasser beschreibt Gasglühlichtlampen mit Invertbrennern 
für Eisenbahnwagen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 19.) 

In sämtlichen 801 Personenwagen der Wiener Stadtbahn ist das hängende 
Gasglühlicht, System Pintsch, eingeführt worden. Die neue Lampe hat 
26 bis 30 Kerzen Leuchtkraft. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 48.) 

Das hängende Gasglühlicht hat sich für Eisenbahnwagen so bewährt, 
und zwar das Fettgas viel besser als Mischgas, daß es bis zum Jahre 1909 
allgemein eingeführt werden solL Die Glühkörper halten durchschnittlich 
50 bis 60 Tage. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 4.) 

Nach Henderson betragen die Kosten für Gasglühlichtbeleuchtung für 
einen Eisenbahnwagen pro Jahr 206,5 Kronen, für elektrische Beleuchtung 
264,05 und für gewöhnliche Gasbeleuchtung 386,4 Kronen. (Zeitschr. f. 
Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 15.) 

Wedler empfiehlt hängendes Gasglühlicht für Eisenbahnbeleuchtung. 
(Journal f. GasbeL 1907, Nr. 52.) 

In Stuttgart werden Versuche mit Straßenbeleuchtung durch Invert- 
lampen gemacht, die über der Mitte der Straße an Drahtseilen angebracht 
sind. Die Ergebnisse sind sehr günstig. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 3.) 

Zinck stellt das hängende Gasglühlicht als ebenbürtig den Metallfaden¬ 
lampen hin. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 23.) 

Nach Untersuchungen und Messungen von Krüss ist es zweifellos, daß 
das hängende Gasglühlicht in vielen Fällen der Anwendung des aufrecht 
stehenden überlegen ist. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 37.) 

Nach Bunte sind die Verbrennungsvorgänge beim hängenden Gasglüh¬ 
licht außerordentlich günstig, viel günstiger als beim aufrechten Gasglühlicht. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 38.) 

Die Gasglühlichtbeleuchtung der französischen Ostbahn nach dem System 
Biard und Mau dere ist ausführlich beschrieben in Dinglers Polytechnischem 
Journal 1907, Nr. 4. 

Winkler empfiehlt zur Straßenbeleuchtung hängendes Gasglühlicht in 
Gruppenbrennern. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 40.) 

Hugo und Paul Krüss bedienen sich zur Untersuchung von hängendem 
Gasglühlicht neuer Photometrierstative. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 45.) 

Mehrere Fortschritte in der Herstellung des Graetzinlichtes werden mit¬ 
geteilt im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 28. 

Abraham beschreibt die Verbesserung und Neukonstruktion einer 
Lukaslampe durch Ein bauen einer Thermosäule. (Journal f. Gasbel. 1907, 
Nr. 16 und 34.) 


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438 


Luft und Licht. 


Schumann hat bei einer Preßgasglühlichtbeleuchtung einer größeren 
Schule in München eine Platzhelligkeit von 92 bis 131IK erreicht; besondere 
eine halbzerstreute Beleuchtung iet vorteilhaft (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 6.) 

König empfiehlt zur Beleuchtung von Retortenhftusern und Kohlen¬ 
schuppen Preßgasglühlicht; es hat sich in dieser Verwendung in Breslau sehr 
bewährt. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 16.) 

Das Gebäude der gewerblichen Fortbildungsschule in München wurde 
mit Milleniumlicht indirekt beleuchtet; die Kosten stellen sich auf 0,49 
pro Stunde für einen großen Saal. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 50.) 

e) Elektrisches Licht. 

J R. Rydberg: „Elektron, der erste Grundstoff.“ (Berlin, W. Junk, 
1907. Preis 1 jfl.) 

Hermann Fricke: „Was ist Elektrizität?“ Versuch einer an¬ 
schaulichen Beschreibung der elektrischen Kräfte. Wolfenbüttel, Heckner, 
1907.) 

v. Gaisberg: „Herstellung und Instandhaltung elektrischer Licht- und 
Kraftanlagen.“ Unter Mitwirkung von Dr. C. Michalke verfaßt. 3. Auflage. 
(Berlin, Julius Springer. Preis 2,40 iM.) 

H. Pohl: „Die Montage elektrischer Licht- und Kraftanlagen.“ 2. Auf¬ 
lage. (Hannover, Dr. Max Jänecke, 1907. Preis 2,40 «.4£.) 

Fritz Hoppe: „Wie stellt man Projekte, Kostenanschläge und Betriebs¬ 
kostenberechnungen für elektrische Licht- und Kraftanlagen auf?“ 4. Auf¬ 
lage. (Leipzig, Johann Ambrosius Barth, 1907.) 

F. Hoppe: „Vollständige Berechnung des Leitungsnetzes für die Licht- 
und Straßenanschlüsse, sowie für die Straßenbeleuchtung in einer Stadt von 
25 000 Einwohnern.“ Unter Mitwirkung von E. Ritter bearbeitet. (Karls¬ 
ruhe, F. Gutsch, 1907. Preis 8 >JC.) 

Paul Stern: „Taschenbuch für die Revision elektrischer Licht- und 
Kraftanlagen.“ (Hannover, Dr. Max Jänecke, 1907. Preis 3 >M.) 

Sydney F.Walker: A.Pocket, „Book of ElectricLighting and Heating.“ 
(London, Crosby Lockwood and Son, 1907. Preis 7 sh 6 d.) 

Berthold Monasch: „Elektrische Beleuchtung.“ (Hannover, Dr. Max 
Jänecke, 1907. Preis 6,20 «/#.) 

Josef Herzog tmd Clarence Feldmann: „Handbuch der elektri¬ 
schen Beleuchtung.“ 3. Auflage. (Berlin, Julius Springer, 1907. Preis 20 JC.) 

Eine Statistik der Elektrizitätswerke in Deutschland und England findet 
sich im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 38 und in der Zeitscbr. f. Elektrotechnik 
und Maschinenbau 1907, Nr. 15, eine solche von Spanien und der Schweis 
ebenda, Nr. 25. 

Eine genaue Aufzählung aller deutschen Elektrizitätswerke wird gemacht 
in der Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 16. 

Wertenson beschreibt das städtische Elektrizitätswerk Schweinfurt, 
das die Wasserkräfte des Main benutzt und Turbinenanlage besitzt. (Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 18.) 


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Elektrisches Licht. 439 

Das Elektrizitätswerk Innsbruck verwertet die Wasserkraft der Sill. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 32.) 

Seidener beschreibt die New Yorker Elektrizitätswerke in der Zeitsohr. 
f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 5. 

Wilkens schildert den Stand der Berliner Elektrizitätswerke zu Beginn 
des Jahres 1907. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 40 u. f.) 

In Lichtenberg bei Berlin haben die Siemens-Schuckertwerke unmittelbar 
neben der Gasanstalt ein Elektrizitätswerk errichtet, das als Kraftquelle Saug¬ 
gas aus der Kokerei des Gaswerks verwendet. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 30.) 

Pichler beschreibt das neue Elektrizitätswerk der Stadt Mannheim im 
Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 28. 

Uppenborn äußert sich Aber die Grundsätze zur Berechnung und 
Messung elektrischer Beleuchtung, wie sie in München maßgebend sind. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 7.) 

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika haben sich in den größeren 
Städten einzelne Geschäftsviertel zu gemeinsamer elektrischer Beleuchtung 
zusammengeschlossen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 7.) 

Durch Vergasung von Abwasserklärschlamm können nach Frank be¬ 
deutende Mengen elektrischer Kraft gewonnen werden. (Gesundheits-Ingenieur 
1907, Nr. 28.) 

Die Ingenieurlaboratorien der Universität Pennsylvania sind auf das 
Sorgfältigste elektrisch beleuchtet. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 18.) 

Forest erörtert das Problem, kleine elektrische Zentralen leistungsfähig 
zu erhalten. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 19.) 

Ein Vortrag von Steinmetz über Umwandlung elektrischer Energie 
in Licht ist ausführlich referiert im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 24. 

Lucke kommt zu dem Ergebnis, daß die durch Wasserkraft gewonnene 
Elektrizität die billigste ist, dann die mit Dampf, Gas und öl. (Electrical 
World 1907, Bd. 49, S. 421.) 

In Dänemark sind schon etwa 30 größere und kleinere Windelektrizitäts¬ 
werke in Betrieb. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 37 und Zeitschr. f. Elektro¬ 
technik und Maschinenbau 1907, Nr. 41.) 

Horsnaill bespricht die Verwertung der Windkraft zum Antrieb elek¬ 
trischer Maschinen für Hausbeleuchtung. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und 
Maschinenbau 1907, Nr. 23.) 

Anker beschreibt das Windkraftelektrizitätswerk Vallekilde in Däne¬ 
mark. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 37.) 

Lippmann veröffentlicht seine Erfahrungen über Monteurkurse für 
Installation von Hausanlagen an den vereinigten Königl. Maschinenbauschulen 
in Köln. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 49.) 

Woodwell hält es bei elektrischer Innenbeleuchtung für nötig, daß 
durch eine wohlerwogene Verteilung der Lichtquellen über den ganzen Raum 
eine gleichmäßige Helligkeit geschaffen wird. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 10.) 

Ben ton beschreibt die Lichtverteilung in der Umgebung einer Lampen¬ 
reihe. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 8.) 


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440 


Luft und Licht 


Norman schlägt auf Grund vergleichender elektrischer Beleuchtung 
eine kombinierte direkte und indirekte Beleuchtung als die geeignetste vor. 
Die Seitenbeleuchtung ist in engen Räumen vorteilhaft. (Zeitschr. f. Elektro¬ 
technik und Maschinenbau 1907, Nr. 22.) 

Nach BiggB und Eermode ist die Lieferung von elektrischer Be¬ 
leuchtung in Fabriken nicht rentabel, wenn unter 40 Stunden im Monat 
Beleuchtung nötig ist; die Errichtung eigener Beleuchtungszentralen in 
kleinen Fabriken ist gleichfalls zu kostspielig. (Zeitschr. f. Elektrotechnik 
und Maschinenbau 1907, Nr. 42.) 

Stark äußert sich über die Prinzipien in den neuen Verbesserungen der 
Ökonomie elektrischer Lichtquellen. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 43. 

Dettmar empfiehlt die Einrichtung von Müllverbrennungsanstalten zur 
Gewinnung von Elektrizität. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 26 bis 29.) 

Fleekel berichtet über den Stand der elektrischen Beleuchtung uud 
die Anwendung der elektrischen Energie in Rußland. (Elektrotechn. Zeitschr. 
1907, Nr. 18.) 

Im Kaufhaus des Westens in Berlin sind installiert: 5200 Kohlefaden- 
und Metallfadenglühlampen; 2700 Nernstlampen, Modell B; 423 Differential¬ 
bogenlampen; 73 Intensiv-Flammenbogenlampen (für Schaufenster), 22 Spar¬ 
bogenlampen (für Packräume); 6 Reinkohlenlampen; 99 indirekte Bogenlampen; 
12 photographische Bogenlampen. Die Verlegung der Leitungen erfolgte 
unter dem Fußboden in Stahlpanzerrohren. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und 
Maschinenbau 1907, Nr. 43.) 


R. M. Ellis gibt folgende Zusammenstellung über den gegenwärtigen 
Stand der Glühlampentechnik: 





i Mittelwerte 

Namen der Lampen 

K erzen - 
stärke | 

stärke ' 

1 pro Wntt 1 

Nutzbrenn- 1 
dauer 

in Stunden 1 

1 

Spannung und 
Kerzenstärke 1 

Kosten 

.4 

Gewöhnliche Kohle- ) 

fadenlampe. f 

' 4,0 1 

0,25 

1 

1000 

(110; 8,6, 3,2 1 
(220; 5,8 usw. j 

0,80 

Hochwirksame Kohle- 

1 




fadenlampe. 

8,0 

0,33 

500 

110; 16 

2,30 

Graphit. 

2,5 

0,40 I 

1000 1 

110; 16 

2,30 

Nernst. 

1.» 

0,53 

i 

Unbestimmt < 

f 110; 32 \ 

{ 220; 60 ) 

Ver¬ 
acht »dm 

Tantal. 

1,9 

0,53 1 

1000 

( 110; 16,32 j 
( 130; 20 j 

2,50 

Osmium. 

1,5 

0,67 

1000 

55; 24 

— 

( 

1,35 

0,75 

] 

( 110; 28 | 


Osram.' 


0,80 | 

J 1000 

| 110; 50 

3,35 

l; 

i 1,40 

0,72 

1 

| 120; 40 ) 


Zirkon-Wolfram . . . j 

i 1,4 | 

i 0,72 

1000 

( 110; 28 ) 

( 220; 32 j 

110; 28 

3—4 

Just-Wolfram . . . . 1 

1 

1,25 j 

0,80 

| 1000 j 

3,50 


(Annalen d. Elektrotechnik 1907, Heft 10.) 


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Elektrisches Licht. 


441 


Heinrich Weber: „Die Kohlenglühfäden für elektrische Glühlampen, 
ihre Herstellung, Prüfung und Berechnung.“ (Hannover, Dr. Max Jänecke, 
1907. Preis 5,60 JC.) 

J. Rodet: „Les lampes k incandescence electriques.“ (Paris, Gautier- 
Villars. Preis 6 frcs.) 

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika hat die Glühlichtbeleuchtung 
erheblich größere Fortschritte gemacht als die Bogenlichtbeleuchtung. Es 
waren vorhanden: 



1900 

1905 

Zunahme 

Glühlampen zu 16NK in Millionen . . . j| 

21,3 Proz. 1 

83,3 Proz. 

291,0 Proz. 

Bogenlampen, offen .r 

23 656 „ 

1 748 „ 

— 92,6 „ 

Bogenlampen, geschlossen.1 

134 531 „ 

193 404 „ 

+ 43,75 „ 


(Journ. f. Gasbel. 1907, Nr. 18.) 


J. T. Morris hat sehr sorgfältige Versuche an Kohlefaden-, Osmium- 
und Tantallampen gemacht, über die berichtet wird im Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 18. 

Messungen über Temperatur und selektive Strahlung von elektrischen 
Glühlampen, ausgeführt von Waidner und Burgess, ergaben folgendes: 


Lampe 

Spei. Wattverbrauch | 
Watt 

Spannung 

Volt 

Temperatur 

°C 

Kohlefadenlampe. 

4 

50 

1800 

„ . 

3,5 

118 

1850 

„ . 

3,1 1 

118 

1950 

Tantallampe. 

2,0 | 

110 

2000 

Wolframlampe. 

0,95 J 

100 

2300 


Danach haben Wolframlampen die günstigste Wirkung. (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 30.) 


Auch Gran hat dieselben Untersuchungen gemacht und ist zu fast den¬ 
selben Resultaten gekommen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 34 und Zeitschr. f. 
Elektrotechnik u. Maschinenbau 1907, Nr. 15.) 

Russner hat die Licht- und Wärmeenergie verschiedener Glühlampen 
gemessen. (Physikal. Zeitschr. 1907, Nr. 4.) 

Voege gibt hierzu einige kritische Bemerkungen. (Physikal. Zeitschr. 
1907, Nr. 9.) 

Über die technischen Bedingungen für die Lieferung von Glühlampen 
finden sich genauere Mitteilungen in der Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 42. 

Paterson hat im National Physical Laboratory in London gefunden, 
daß Kohlefadenglühlampen für längere Zeit sehr wenig konstante Lichtstärke 
aufweisen, und zwar zeigen die englischen Lampen noch größere Abweichungen 
als die amerikanischen. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 21.) 

Die Normalien für Kohlefadenglühlampen in England sind abgedruckt 
in der Zeitschr. f. Elektrotechnik u. Maschinenbau 1907, Nr. 10. 


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442 


Luft und Licht. 


Im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 20 wird über die Tätigkeit und Wirksam¬ 
keit der Schweizerischen Glühlampen-Einkaufsvereinigung berichtet; sie ver¬ 
folgt das Ziel, nur gute Lampen zu benutzen. Es werden 20 Proz. aller 
Lampen vor dem Gebrauch von der Materialprüfungsanstalt photometriert 
und geprüft. 

Hy de und Cady haben die Bestimmung der mittleren horizontalen 
Lichtstärke von Glühlampen mittels rotierender Lampe vorgenommen. (Jour¬ 
nal f. Gasbel. 1907, Nr. 21.) 

Morris berichtet über photometrische Untersuchungen an Kohlefaden¬ 
glühlampen, Osmium- und Tantallampen; die Versuche wurden mit einem 
Bunsensehen Fettfleckphotometer vorgenommen. Bei den Kohlefadenlampen 
ist die Kerzenstärke der 3. Potenz der verbrauchten Watt, bei der Tantal¬ 
lampe der 2,5. Potenz und bei der Osmiumlampe der 2,7. Potenz der Watt 
proportional. (Zeitschr. f. Elektrotechnik u. Maschinenbau 1907, Nr. 7.) 

Spinney hat 1000 neue Kohlefadenlampen von 32 verschiedenen ameri¬ 
kanischen Fabrikanten untersucht; sie zeigten große Unterschiede bezüglich 
der Lichtstärke, Kerzenstärke, von Wattverbraucb und Vakuum. (Zeitschr. 
f. Elektrotechnik u. Maschinenbau 1907, Nr. 8.) 

Mit zunehmender Temperatur des Glühkörpers der Glühlampen steigt 
der Prozentsatz an sichtbarer Strahlung und erreioht seinen maximalen 
Wirkungsgrad zwischen 4000° C und 5000° C, aber auch dann beträgt er 
nach Steinmetz nur 5 bis 10Proz., die anderen 90 Proz. sind ultraviolette, 
chemische oder aktinische Strahlen. Im leuchtenden Lichtbogen scheint das 
erste Beleuchtungsmittel gegeben zu sein, welches elektrische Energie direkt 
in Licht umwandelt ohne Wärme als Zwischenstufe. (Annalen d. Elektro¬ 
technik 1907, Heft 3.) 

Die Lichtstärke von Glühlampen soll nach Fleming nach der mittleren 
sphärischen Kerzenstärke bemessen werden. (Zeitschr. f. Elektrotechnik u. 
Maschinenbau 1907, Nr. 17.) 

Hy de und Brooks geben einen Apparat zur Bestimmung der Ökonomie 
von Glühlampen an. (Zeitschr. f. Elektrotechnik u. Maschinenbau 1907, Nr. 32.) 

Ein automatischer Schalter bei Glühlampenbeleuchtung von Zambeletto 
und Ballerini, durch welchen die Stromstärke bei Überschreitung des nor¬ 
malen Stromkonsums herabgesetzt wird, ist beschrieben in der Zeitschrift 
für Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 34. 

Die Prüfung der Glühlampen auf Wattverbrauch und Lichtstärke ist 
nach Corvet für die Elektrizitätswerke unerläßlich, da sie sich nur auf 
diese Weise vor schlechten Lampen und damit übermäßigem Stromverbrauch 
schützen können. (Zeitschr. f. Elektrotechnik u. Maschinenbau 1907, Nr. 34.) 

Laporte und Jonnat haben gefunden, daß auf die Lichtstärke von 
Glühlampen die Temperatur der Umgebung ohne Einfluß ist; die Tempe¬ 
raturerhöhung der Lampe um 100° würde die Temperatur des glühenden 
Fadens nur um 5° C erhöhen. (Zeitschr. f. Elektrotechnik u. Maschinenbau 
1907, Nr. 41.) 

Nach Untersuchungen von Uppenborn über die Bestimmung der 
mittleren Horizontallicbtstärke von Glühlampen sind die Winkelspiegel- 


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Digiti: 



Elektrisches Lieht. 


443 


methode des Verbandes Deutscher Elektrotechniker und die Winkelspiegel¬ 
methode von Siemens und Halske einander gleichwertig, und ergaben 
befriedigende Resultate, während die Rotationsmethode ungeeignet ist. 
(Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 7 und 8.) 

Ein neuer handlicher Glühlampenprüfer von Beez ist abgebildet und 
beschrieben in der Elektrotechnischen Zeitschrift 1907, Nr. 8. 

Ein neues praktisches Meßgerät zur Prüfung des Stromverbrauches von 
Glühlampen wird angegeben in der Elektrotechnischen Zeitschr. 1907, Nr. 49. 

Herrmann setzt auseinander, welche Bedeutung die richtige Beurteilung 
von Glühlampen für den Konsumenten besitzt. Zur Beseitigung von Mi߬ 
ständen in dieser Richtung hat er einen einfachen, leicht zu bedienenden 
Prüfapparat für Glühlampen konstruiert, mit dem jedermann umgehen kann. 
(Annalen d. Elektrotechnik 1907, Heft 4.) 

Whitney schlägt Stromzuführungen zu Glühlampen aus Kupfer oder 
Eisen vor, mit vollständiger Umgehung von Platin. (Zeitschr. f. Elektro¬ 
technik u. Maschinenbau 1907, Nr. 17.) 

Ein besonderes Verfahren, Kupferdrähte in Glasbirnen einzuschmelzen, hat 
Calvert erfunden. (Zeitschr. f. Elektrotechnik u. Maschinenbau 1907, Nr. 25.) 

Den gleichen Weg hat Bastian eingeschlagen. (Elektrotechn. Zeit¬ 
schrift 1907, Nr. 29.) 

Apt macht nähere Mitteilungen über den Emailledraht, einen Kupfer¬ 
draht mit besonderem Firnis. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 41.) 

Drexler tadelt, daß an Glühlampenfassungen und Steckkontakten sehr 
viel Fehler Vorkommen. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 
1907, Nr. 52.) 

Die Elektrotechnische Fabrik J. Carl in Jena fabriziert eine neue 
wasserdichte Glühlampenarmatur „Columbus“ für Straßenbeleuchtung, die 
das Anbringen von Glühlampen mitten über der Straße bedeutend erleichtert. 
(Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 14.) 

Perls gibt Erläuterungen zu den Normalien für Lampenfüße und 
Fassungen mit Edison-Mignon-Gewindekontakt. (Elektrotechn. Zeitschr. 
1907, Nr. 18.) 

Die Normalien für Installationsmaterial des Verbandes Deutscher Elektro¬ 
techniker sind abgedruckt in der Elektrotechnischen Zeitschrift 1907, Nr. 18. 

Die Fabrik Dr. Paul Meyer in Berlin hat eine federnde Lampenfassung 
konstruiert, um das Prüfen von Glühlampen zu erleichtern. (Elektrotech. 
Zeitschr. 1907, Nr. 46.) 

Hundhausen verwendet neuartige Meßlehren und Fräswerkzeuge zur 
Normalisierung von Edison-Stöpselsicherungen. (Elektrotechn. Zeitschr. 
1907, Nr. 47.) 

Berndt benutzt ein praktisches, seihst zeigendes Vakuum-Meßinstrument 
bei der Glühlampenfabrikation. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 47.) 

Tenacit ist ein von der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft auf den 
Markt gebrachtes Isoliermaterial von fast schwarzer Färbung, dessen Haupt- 


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Digiti. 



444 


Luft und Licht. 


bestandteile Asbest, Harz und alkalische Erden bilden. Es ist gegen klima¬ 
tische Einflüsse, Seewasser und Säuredämpfe unempfindlich. (Zeitscbr. f. 
Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 11.) 

Norton hat Isoliermaterial aus knrzen Asbestfasern hergestellt, das 60 
bis 70Proz. schwerer alB Eichenholz ist. Eine 38 mm starke Platte hält 
Spannungen bis 50 000 Volt aus, ohne durchgeschlagen zu werden. Das 
„Asbest-Wood“ genannte Präparat läßt sich wie Holz bearbeiten. (Zeitscbr. 
f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 28.) 

Nach Miliar sinkt die Lichtstärke bei mattierten Glühlampen nach 
240 Stunden auf 80 Proz. des Anfangswertes infolge Anhäufung von Staub 
und Schmutz an der Oberfläche, und dem sich anhäufenden Kohlennieder¬ 
schlag im Innern. (Electr. World 1907, Bd. 49.) 

Hy de erklärt das frühe Altern mattierter Glühlampen durch Absorptions¬ 
erscheinungen in dem sich im Innern der Lampe niederschlagenden Kohlen¬ 
häutchen. Mattierte Lampen haben eine um 5 Proz. höhere Absorption als 
gewöhnliche Glühlampen. (Elektrotechn. Zeitscbr. 1907, Nr. 23.) 

Sahulka hat mittels einer Brückenschaltung die Momentan werte der 
Liohtstärken von Wechselstromglühlampen gemessen. (Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 24.) 

König empfiehlt Parabolspiegel mit elektrischem Glühlicht als Leucht¬ 
feuer. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 3.) 

Parker und Clark haben eine neue Glühlampe, die Helion-Glühlampe, 
hergestellt. Der Faden besteht im wesentlichen aus Silicium auf einer Basis 
aus Kohle. Der Energieverbrauch beträgt 1 W pro NK, die Lebensdauer 
schwankte zwischen 500 und 1300 Stunden. Das Licht ist weiß. (Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 20.) 

Eine neue Koblefadenglühlampe, mit U-förmigem Faden, zur Ergänzung 
der Quecksilberdampflampen, ist beschrieben in den Annalen der Elektro¬ 
technik 1907, Heft 12. 

Noch eine Glühlampe, die „Film“-Glühlampe, haben Parker und Clark 
angefertigt für Räumlichkeiten, in denen heftige Lufterschütterungen Vor¬ 
kommen, wie Panzertürme. Die Lampe besteht aus einem Quarz- oder Glas¬ 
rohr, dessen Innenwand mit einer leitenden Schicht überzogen ist. Das Rohr 
braucht nicht evakuiert zu werden. Der Wattverbrauch beträgt 2,25 pro 
NK. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 12.) 

Nach Versuchen von Lauriol läßt sich der Vorschaltwiderstand der 
Nernstlampe zur Verminderung von Spannungskreisen in Lichtstromkreisen 
verwenden. (Journal für Gasbel. 1907, Nr. 45.) 

Foell beschreibt eine neue Type von Nernstlampen für 110 Volt Gleich¬ 
strom und hohe Kerzenstärke bei geringem Wattverbrauch. Sie kann für 
Innen- und Straßenbeleuchtung verwendet werden. (Zeitschr. f. Elektro¬ 
technik und Maschinenbau 1907, Nr. 43.) 

Salomongibt einen Überblick über die Entwickelung der Nernstlampe. 
(Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 14.) 

Versuche über die Absorption von Glocken der Nernstlampen haben 
ergeben, daß alle Glocken, besonders die aus klarem Glas, das Bestreben 


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Elektrisches Licht. 


445 


haben, die Lichtverteilung zu verbessern, Glocken aus Elarglas vergrößern 
den Lichtstrom im Vergleich zu den Lampen ohne Glocken. (Annalen der 
Elektrotechnik 1907, Heft 4.) 

Nernst und Stockem haben eine neue Nernstlampe konstruiert, die * 
keine Vorwärmung nötig hat, was durch Verwendung von Wolframaten des 
Thor und Zirkon ermöglicht wurde. (Annalen der Elektrotechnik 1907, Heft 8.) 

Der von der Heizspirale einer Nernstlampe verbrauchte Strom beträgt 
annähernd 60 Proz. des von dem Glühstäbchen selbst verzehrten. (Annalen 
der Elektrotechnik 1907, Heft 11.) 

Böhm berichtet über die elektrische Leitfähigkeit einiger Carbide und 
die Vorstufen der Metallfadenglühlampen. (Chemikerztg. 1907, Nr. 79 und 81.) 

Wikander hat durch eine Rundfrage bei Elektrizitätswerken festgestellt, 
daß die Metallfadenlampen sich bisher sehr gut bewährt haben, so daß all¬ 
mählich eine allgemeine Einführung einer Netzspannung von höchstens 
120 Volt in Aussicht steht. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 8.) 

Swinburne bespricht eingehend die Eigenschaften der Metalle, welche 
für Herstellung von Glühlampenfäden in Betracht kommen. (Zeitschr. f. 
Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 9.) 

Elingenberg erörtert die Zukunft der elektrischen Beleuchtung, vor 
allem mit Rücksicht auf die Einführung von Metallfadenlampen. (Elektro¬ 
technische Zeitschr. 1907, Nr. 33.) 

Untersuchungen an Metallfadenlampen von Morris, Stronde und Ellis 
werden mitgeteilt in der Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 
1907, Nr. 41. 

Nach Baumann ist die Einführung von Metallfadenlampen geeignet, 
die Höchstbelastung der Elektrizitätswerke stärker zu vermehren als den 
Absatz, so daß Vorkehrungen zur Verbesserung der Belastungskurven immer 
wichtiger werden. In der hellen Zeit muß daher der Tarif ermäßigt werden, 
um den Absatz von Eraftstrom zu vermehren. (Elektrotechn. Zeitschr. 
1907, Nr. 22.) 

Für Beleuchtung von Nebenstraßen eignen sich Metallfadenlampen sehr 
gut, sie haben selbst vor Gasglühlicht bedeutende Vorteile. (Annalen der 
Elektrotechnik 1907, Heft 11.) 

Die Tantallampe ergibt bei 1000 Brennstunden gegenüber der Eohle- 
fadenglühlampe eine Ersparnis von 9 bis 17 olL je nach Strompreisen. Sie 
kann in jeder Stellung brennen, ist gegen Erschütterungen nicht sehr empfind¬ 
lich und gibt ein schönes, weißes Licht. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr.ll.) 

M. von Pirani hat Messungen an verschieden dicken Tantaldrähten 
vorgenommen. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 41.) 

Schultze beschreibt Versuche an Tantalelektroden. (Annalen der 
Physik 1907, Nr. 7.) 

Walter hat Tantallampen für hohe Spannung gebaut. (Zeitschr. f. 
Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 52.) 

Für Tantal haben sich Siemens und Halske jüngst ein sinnreiches 
Schmelzverfabren patentieren lassen. (Annalen d. Elektrotechnik 1907, Heft 8.) 


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Luft und Licht. 


von Bolton hat reinea metallisches Niob hergestellt und in Glühlampen 
versucht, doch eignet ob sich nicht dazu, weil es in Vakuum stark verdampft 
und zu leicht schmilzt. (Zeitschr. f. Elektrochemie 1907, S. 145.) 

Bei Versuchen der Physikalisch - Technischen ReichsanBtalt mit Osram¬ 
lampen betrug die Abnahme der Lichtstärke nach 1000 Stunden im Mittel 
6,3 Proz. bei den 25 kerzigen und 3,6 Proz. bei den 32kerzigen. Die Brenn¬ 
stunde einer 25 kerzigen Lampe kostet einschließlich des Lampenersatzes bei 


Strompreisen von . . . 0,40 0,50 0,60 pro Kw.-Stunde 

Kohlefadenlampe . . . 3,27 4,07 4,87 S „ „ 

Tantallampe. 1,93 2,37 2,81 S „ „ 

Osmiumlampe. 1,70 2,08 2,45 Sn „ 

Osramlampe. 1,40 1,67 1,95 „ „ 


(Zeitschr. des Vereins Deutscher Ingenieure 1907, Nr. 4.) 

Die niedervoltigen Osramlampen werden für Spannungen von 1,2 bis 
25 Volt hergestellt und kommen hauptsächlich für solche Zwecke in Betracht, bei 
denen als Stromquelle Akkumulatoren oder Primärelemente verwendet werden. 
(Automobile, Motorboote usw.) (Annalen der Elektrotechnik 1907, Heft 6.) 

Sch oder gibt eine genaue Beschreibung der Osramlampe und ihrer 
Wirksamkeit in der Zeitschr. des Vereins Deutscher Ingenieure 1907, Nr. 1. 

Die Sirius Kolloidlampe von Kuzel hat bis 4000Stunden Lebensdauer. 
(Annalen der Elektrotechnik 1907, Heft 12.) 

Die Titanfadenglühlampe von Heany soll alle anderen Metallfadenlampen 
an Wirkung übertreffen. (Annalen der Elektrotechnik 1907, Heft 5.) 

Die Zirkon-Wolframlampe, von Dr. Zeruig in Berlin, wird zu 16 HK 
für 100 Volt und 32 HK für 200 Volt hergestellt Der Faden ist nicht 
brüchig, der Stromverbrauch beträgt etwa 1,2 Watt pro Kerze. (Annalen 
der Elektrotechnik 1907, Heft 5.) 

Die Zirkonlampen von Dr. Hollefreund in Berlin werden in fünf Typen 
hergestellt; sie haben einen Energieverbrauch von 1 Watt pro HK und eine 
Lebensdauer von 500 bis 1000 Stunden. Es empfiehlt sich, die Lampe in 
senkrechter Richtung zu brennen. (Annalen der Elektrotechnik 1907, Heft 5.) 

In Amerika findet die Wolframlampe große Verbreitung. (Electrical 
World, 1907, No. 49.) 

Sharp hält die Wolframlampe vorzugsweise für Straßenbeleuchtung 
in Reihenschaltung für geeignet. Ihr Hauptnachteil ist die mechanische 
Empfindlichkeit des Fadens, bedingt durch die Weichheit des Wolframs. 
(Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 4.) 

In Nordkarolina und Texas sollen sich große Lagerstätten von Zirkon¬ 
erde befinden. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 8.) 

Clerici hat Wolframlampen italienischer Bauart untersucht. Die 
60 Kerzen-Lampen für 100 Volt verbrauchen 60 Watt und haben eine 
mittlere Lebensdauer von 500 bis 700 Stunden. Die Temperatur des Fadens 
beträgt 2300° gegen 2000° der Tantallampe. (Zeitschr. f. Elektrotechnik 
und Maschinenbau 1907, Nr. 25.) 


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Elektrisches Licht. 


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Wohlauer berichtet über die Wirtschaftlichkeit der Wolframlampe. 
(Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 42.) 

Eine Straßenbeleuchtung mit Wolframlampen ergab nach Wilcox gleiche 
Betriebskosten wie Gasglühlicht. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinen¬ 
bau 1907, Nr. 48.) 

Die deutsche Gasglühlicht-Aktiengesellschaft bringt an Wolframlampen 
statt der Metallhalter Kohlenhalter an, wodurch der Lichteffekt bedeutend 
Terbessert wird. Osramlampen haben sich zu dieser Verbesserung als un¬ 
geeignet erwiesen infolge Bildung von Osmium-Kohlen Stoff verbindungen. 
(Annalen der Elektrotechnik 1907, Heft 10.) 

Um bei Zugbeleuchtungen SpannungBSchwankungen auszuscheiden, 
schlägt Taylor eine besondere Beleuchtungsdynamomaschine vor, die zugleich 
einen Scheinwerfer an der Lokomotive speisen kann. (Dinglers Polytechnisches 
Journal 1907, Nr. 20.) 

Die elektrische Zugbeleuchtung, System Vickers-Hall, ist beschrieben 
im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 8. 

Verschiedene Systeme der elektrischen Beleuchtung gibt es für Bahn¬ 
postwagen, die in der Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, 
Nr. 7, aufgezählt sind. 

Ein elektrisches Zugbeleuchtungssystem mit Bogenlampen ist bei der 
Chicago and North Western Railway in Betrieb, die Kosten sollen halb so 
groß sein wie bei Glühlampen. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinen¬ 
bau 1907, Nr. 15.) 

Der Stand der elektrischen Bahnhofs- und Eisenbahnwagenbeleuchtung 
in England ergibt Ende 1906: 14480 Bogenlampen, 197 313 Glühlampen; 
Ende 1905: 8715 Bogenlampen, 101773 Glühlampen. (Zeitschr. f. Elektro¬ 
technik und Maschinenbau 1907, Nr. 20.) 

Die elektrische Beleuchtungsanlage auf Bahnhof Neuss wurde mit eigener 
Sauggasanstalt versehen; das Kraftgas wird aus Gaskoks in Generatoren 
erzeugt. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 33.) 

Ein neues elektrisches Zugbeleuchtungssystem, konstruiert von Dalziel, 
beschreibt Gradenwitz in der Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinen¬ 
bau 1907, Nr. 28. 

Wray hat auf den Zügen der Western Railway in den Vereinigten 
Staaten von Nordamerika Versuche mit drei verschiedenen Systemen der 
elektrischen Zugbeleuchtung gemacht und empfiehlt Dampfturbinen und 
auswechselbare Batterien. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 
1907, Nr. 30.) 

Versuche mit verschiedenen elektrischen Wagenbeleuchtungsarten sind 
auf den ungarischen Eisenbahnen gemacht worden. (Zeitschr. f. Elektro¬ 
technik und Maschinenbau 1907, Nr. 32.) 

Die Felten und Guillaume-Lahmeyerwerke in Cöln haben eine 
neue Maschine „Osnos“ zur Zugbeleuchtung gebaut. (Elektrotechn. Zeitschr. 
1907, Nr. 38.) 

Bischof beschreibt verschiedene Elektrizitätswerke für Bahnhofsbeleuch¬ 
tung. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 46.) 


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Luft und Licht. 


Neuerdings werden elektrische Lampensignale für fahrende Eisenbahnzüge 
zur Sicherung der Strecke eingeführt. (Elektrotechn. Zeitscbr. 1907, Nr. 6.) 

Verschiedene Beleuchtungseinrichtungen der Gesellschaft für elektrische 
Zugbeleuchtung sind abgebildet und beschrieben in der Elektrotechn. Zeitschr. 
1907, Nr. 17. 

Ein Vortrag von Lucas über die elektrische Beleuchtung von Elisen¬ 
bahnwagen ist abgedruckt in der Zeitscbr. des Vereins Deutscher Ingenieure 
1907, Nr. 10. 

Brandt führt eine neue elektrische Notbeleuchtung für Theater und 
ähnliche Gebäude ein, die absolut sicher funktioniert. (Gesundheits-Ingenieur 
1907, Nr. 32.) 

Sohulthes bildet moderne, elektrisch beleuchtete Marinescheinwerfer 
ab. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 31.) 

Die fahrbare Feuerwehr-Scheinwerferanlage der American La France 
Fire Engine Co. in Ellmira (New York) speist zwei Scheinwerfer mit je 
8000 NK. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 38.) 

Davidson stellte Ermittelungen über die Kosten elektrischer Straßen¬ 
beleuchtung an. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 10.) 

Bei einer vergleichenden Straßenbeleuchtung mit Kohlenbogen- und 
Magnetitbogenlampen fand Hy den eine Überlegenheit der Kohlenbogenlampen. 
(Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 11.) 

Karl StockhauBen: „Der eingeschlossene Lichtbogen bei Gleich¬ 
strom. (Leipzig, Joh. Ambrosius Barth, 1907.) 

Puccianti hat elektrische und optische Untersuchungen über den 
Wechselstrombogen vorgenommen. (Physikalische Zeitschr. 1907, Nr. 14.) 

Simon veröffentlicht Untersuchungen von Malcolm über den Licht¬ 
bogen bei kleinen Stromstärken. (Physikalische Zeitschr. 1907, Nr. 14.) 

Brion erörtert die Bedeutung des Hochspannungslichtbogens für die 
elektrochemische Industrie. (Physikalische Zeitschr. 1907, Nr. 21.) 

Cady und Arnold haben den elektrischen Lichtbogen zwischen Metall¬ 
elektroden photographiert und untersucht. (Physikal. Zeitschr. 1907, Nr. 24.) 

Die gleichen Untersuchungen zwischen verschiedenen Metallelektroden 
hat Lad off vorgenommen. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 
1907, Nr. 12.) 

Ein Vortrag von Russ über die wissenschaftlichen und technischen 
Grundlagen der Luftverbrennung im elektrischen Flammenbogen ist ab¬ 
gedruckt in der Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 12. 

Steinmetz hat die Energie des Blitzes auf 10 000 KW ermittelt. 
(Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 38.) 

Morris beschreibt Untersuchungen am schwingenden Lichtbogen mittels 
des Oszillographen. (Zeitschr. f. Elektrotechnik u. Maschinenbau 1907, Nr. 40.) 

Simon gibt Berechnungen über die Theorie des selbsttönenden Licht¬ 
bogens. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 13.) 

In der Elektrotechnischen Zeitschrift 1907, Nr. 32 findet sich das Bild 
einer mikroskopischen Betrachtung von FunkenBtreoken. 


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Elektrisches Licht. 


449 


Heinke äußert sich Aber die Verwertung des Lichtbogen-Wechselstroms 
in der Meßtechnik. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 38.) 

Gallenkamp beschreibt einen einfachen Apparat zur Erzeugung von 
Bogen Spektren. (Chemikerzeitung 1907, Nr. 14.) 

In New York sind Versuche gemacht, Walzeisensäulen mit dem Licht¬ 
bogen durchzuschmelzen und so abzuschneiden; als Stromquelle dienten 
50 Volt Wechselstrom, die Arbeiter trugen Masken und Handsohuhe aus 
Asbest. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 2.) 

Küch und Retschinsky haben im Laboratorium von Heraeus in Hanau 
Untersuchungen über Belektive Absorption im Quecksilber-Lichtbogen vor¬ 
genommen. (Annalen der Physik 1907, Nr. 5.) 

Knipp bestimmte die Temperatur des Quecksilber - Lichtbogens durch 
Thermoelemente; sie beträgt bei der Anode 147°C, bei der Kathode 164°C, 
in einem Punkt zwischen beiden 178° C. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und 
Maschinenbau 1907, Nr. 34.) 

Walter fand durch Aufnahme mit einem Quarz-Spektrographen, daß das 
ultraviolette Ende des Spektrums eines elektrischen Hochspannungslichtbogens 
eine Reihe sehr charakteristischer Bänder zeigt, die Eder schon 1892 bei 
Verbrennung von Ammoniak beobachtet und als Ammoniakbänder beschrieben 
hat. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 2.) 

Polak spricht über den Quecksilber-Lichtbogen und seine technische 
Verwendung. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 24 u. f.) 

Eine Übersicht über die gegenwärtig gebauten Bogenlampen und ihr 
Verwendungsgebiet wird gegeben in der Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 8. 

Normalien für Bogenlampen werden aufgestellt in der Elektrotechn. 
Zeitschr. 1907, Nr. 13. 

Der gegenwärtige Stand der Bogenlampenindustrie wird erörtert in der 
Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 5. 

Bogenlampen eignen sich zu Leuchtturmlampen nicht, da ihre Strahlen 
den Nebel nicht durchdringen, dagegen wären Flammenbogenlampen, die 
reich an roten und gelben Strahlen sind, sehr geeignet. (Electr. Review 
1907, Bd. 50, S. 787.) 

Die Elektrizitätsgesellsohaft, vormals Kolben u. Co. in Prag bringt unter 
dem Namen Helia-Bogenlampe eiue neue Bogenlampe mit Luftabschluß in 
den Handel, die für Einzelschaltung bei 100 bis 150 Volt und für Strom¬ 
stärke von 3 bis 8 Amp. erzeugt wird. Die Brenndauer mit einem oberen 
Kohlenstift beträgt bei Gleichstrom 40 bis 50, bei Wechselstrom 20 bis 
30 Stunden. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 29.) 

Die Firma Ehr ich und Graetz baut eine Dauerbrandbogenlampe Siva, 
die das einzige System mit direkter Stromzuführung ist. Sie eignet sich für 
Gleichstrom sowohl wie für Wechselstrom. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, 
Nr. 32.) 

Die Kohinoor-Bogenlampe der Firma Körting nnd Mathiesen ist eine 
Bogenlampe, bei der die Sauerstoffzufuhr zum Lichtbogen beschränkt ist. 

Vierteljahrsschrift für Gesundheitspflege, 1608. Supplement. 29 


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450 


Luft und Licht. 


Die Lichtintensität und Ruhe des Lichtes wird durch dünne Kohlenstifte 
gesteigert und die Beschlagsbildung verringert. (Annalen der Elektrotechnik 
1907, Heft 5.) 

Sahulka hat die Momentanwerte der Lichtstärken von Wechselstrom¬ 
bogenlampen gemessen. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 
1907, Nr. 11.) 

Wedding hat Messungen an Dauerbrandbogenlampen, besonders für 
ausgedehnte Bahnhofsanlagen, vorgenommen. (Zeitschr. f. Elektrotechnik 
und Maschinenbau 1907, Nr. 15.) 

Lindsay Förster gibt für Bogenlampen, die an 220 Volt Gleichstrom 
angeschloBsen sind, folgende Durchschnittskosten pro Jahr an: Flammen¬ 
bogenlampen 129,4 Kronen, eingeschlossene Bogenlampe 98,1, Quecksilber¬ 
dampflampe 103,35. Fast so teuer, wie die Quecksilberdampflampe, kommt 
Preßgasbeleuchtung für eine Flamme von 350 NK. (Zeitschr. f. Elektrotechnik 
und Maschinenbau 1907, Nr. 13.) 

Richter und Haeser erörtern die Nachteile gekrümmter Kohlenstäbe 
bei der Bogenlampenbeleuchtung, und haben ein Instrument zur Messung 
ihrer Gradheit konstruiert. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 
1907, Nr. 18.) 

Ein Elektrizitätswerk, nur für die Speisung von Bogenlampenreihen, 
ist in Linchburg, Nordamerika, errichtet worden. (Zeitschr. f. Elektrotechnik 
und Maschinenbau 1907, Nr. 23.) 

Arnold und Cady haben über das Zischen von Bogenlampen mit 
Metallelektroden Versuche angeBtellt; die Erscheinung hängt mit den un¬ 
gleichen Abkühlungsverhältnissen bei Bögen mit verschiedenen Metallen als 
Elektroden zusammen. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, 
Nr. 26.) 

Mercanto hat bei Versuchen mit Drehstrombogenlampen mit 8 mm 
dicken Stangenkohlenstiften und 18 mm Lichtbogenlänge eine Lichtstärke 
bis zu 8000 Kerzen erreicht. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 
1907, Nr. 28.) 

Die Ne wäre Bogenlampe der Albany Engineering Co. in London ist 
eine Hitzdrahtbogenlampe; sie ist abgebildet und beschrieben in der 
Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 50. 

Osterburg führt Neuerungen an auf dem Gebiete der Bogenlampen- 
Aufhängungen. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 33 u. 34.) 

Barchewitz hielt einen Vortrag über Carbone-Bogenlampen, der in der 
Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 35, abgedruckt ist. 

Arendt beschreibt neue Fortschritte in der Konstruktion elektrischer 
Bogenlampen mit abgestützten Elektroden, besonders der Beck-Lampe. 
(Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 41.) 

Schon im Jahre 1887 hat Archereau durch verschiedene Zusätze zu 
Kohlestiften Flammenbogenlampen geschaffen. (Annalen der Elektrotechnik 
1907, Heft 11.) 


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Elektrisches Licht. 


451 


Die Britisch Thomson - Houston - Co. hat eine neue Flammenbogenlampe 
mit abwärts geneigten Kohlen gebaut. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 48.) 

Hatfield gibt die Beschreibung von Ausführungen neuerer Flammen¬ 
bogenlampen mit besonderer Berücksichtigung des Kohlennachschubes. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 24.) 

Eminger empfiehlt die Magnetitbogenlampe, die vor der Flammenbogen¬ 
lampe einige Vorzüge hat; sie eignet sich aber nur für Gleichstrom. (Dinglers 
Polytechnisches Journal 1907, Nr. 1 bis 2.) 

Nach Mitteilungen von K i n t e r sollen die Straßen von Harrisbury, 
PennsyIvanien, durch 800 Magnetitbogenlampen beleuchtet werden; die 
Helligkeit soll um ein Drittel größer sein als bei Bogenlampen. (Zeitschr. f. 
Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 16.) 

In Ashland, Ohio, wurde die Straßenbeleuchtung mit 90 Magnetitbogen¬ 
lampen eingeführt; mit Rücksicht auf Betriebskosten ist die Magnetitlampe 
allen Flammenbogenlampen als überlegen anzuseben. (Zeitschr. f. Elektro¬ 
technik und Maschinenbau 1907, Nr. 43.) 

Binge beschreibt die Anwendung der Magnetitbogenlampe für Reihen¬ 
schaltung in Verbindung mit Quecksilber- Gleichrichter. (Elektrotechnische 
Zeitschr. 1907, Nr. 25.) 

In Amerika finden die Magnetitbogenlampen vielfach Verwendung zur 
Straßenbeleuchtung, da für den Betrieb von 760 Lampen ein Mann als 
Bedienung genügt. (Annalen der Elektrotechnik 1907, Heft 9.) 

E. Kraus: „Die Quecksilberdampflampen. Die singende und sprechende 
Bogenlampe.“ (Wien, Braumüller, 1907. Preis 

Polack beschäftigt sich eingehend mit der Quecksilberdampflampe und 
dem Quecksilbergleichrichter. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 24, 26, 30.) 

Die Quecksilberdampflampen finden in Amerika trotz des grünlichen 
Lichtes für manche Zwecke große Verbreitung. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr.18.) 

Die Compagnie generale d’61ectricite in Paris beginnt damit, die 
Bastian sehe Quecksilberdampflampe in Frankreich einzuführen. Die roten 
Strahlen werden von einer mitangeschlossenen Glühlampe geliefert. Die 
Lebensdauer soll 3000 bis 5000 Stunden betragen. (Elektrotechn. Zeitschr. 
1907, Nr. 10.) 

Lilienfeld hat eine Tiefdruck - Quecksilberdampflampe für Starkstrom 
konstruiert. (Physikalische Zeitschr. 1907, Nr. 21.) 

Baur berichtet über Betriebsergebnisse von Quecksilberdampflampen 
in einem Konstruktionssaal; es hängen in ihm 14 Lampen zu 300 Kerzen, 
die Lichtstärke auf den Zeichentischen beträgt 9 bis 12 Fußkerzen. (Zeitschr. 
f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 2.) 

In Paris hat sich die Quecksilberdampflampe besonders als Effektlampe 
für hohe, hallenförmige Räume eingeführt. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und 
Maschinenbau 1907, Nr. 3.) 

Bodde schlägt eine selbsttätige Zündung für Quecksilberdampflampen 
vor, welche das Umkippen der Lampe überflüssig macht. (Chemisches 
Repertorium Nr. 20 der Chemikerzeitung 1907.) 

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Luft und Licht. 


Quecksilberdampflampen eignen sich sehr gut für feuchte, mit Dampf 
gefüllte Werkstättenräume, wo Bogenlampen nicht betriebssicher genug 
untergebracht werden können. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 
1907, Nr. 9.) 

Norden gibt Beleuchtungsberecbnungen für Quecksilberdampflampen der 
Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 31.) 

Arons beschreibt Amalgamlampen mit reichem Linienspektrum; ihre 
Herstellung wurde aber erst durch das Heraeus sehe Quarzglas ermöglicht. 
Küch hat dem Amalgam noch Zink und Cadmium zugesetzt. (Annalen der 
Physik 1907, Nr. 6.) 

Nach einer Mitteilung aus dem Laboratorium von Heraeus in Hanau 
lassen Versuche von Küch und Betschinsky darauf schließen, daß die 
Annahme einer Temperaturstrahlung im Quecksilberlichtbogen der Quarz¬ 
lampe wohl berechtigt ist. (Annalen der Physik 1907, Nr. 3.) 

Bussmann empfiehlt die Quarzlampe von Küch, die sich für hohe 
Spannungen eignet, geringen Energieverbrauch und lange Brenndauer hat. 
Das Licht ist gelblichweiß, im Gegensatz zum grünlichblauen der gewöhnlichen 
Quecksilberdampflampe. Die Brenndauer wird auf 1000 Stunden angegeben. 
(Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 38; Diskussion über 
diese Lampe in der Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 38.) 

L u x hat an der Küchschen Quarzlampe auszusetzen, daß von der gesamten 
Energie nur 1 / 8 als Strahlungsenergie gewonnen wird, weil ein großer Teil 
des Lichtes von den Wänden des Quarzrohres absorbiert wird. (Zeitschr. f. 
Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 48.) 

Kromayer empfiehlt die neue Quecksilberquarzlampe der Quarzlampen- 
gesellschaft Pankow-Berlin zu Lichtbestrahlungen. (Berl. klin. Wochenschr. 
1907, Nr. 3 bis 5.) 

Ein Vortrag von Pummer über elektrische Schmelzöfen ist ausführlich 
referiert in der österreichischen Wochenschr. für den öffentlichen Baudienst 
1907, Nr. 26. 

Cohn beschreibt Glüh- und Hftrteöfen mit elektrisch geheiztem Schmelz¬ 
bad. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 50.) 

Die Betriebsergebnisse eines Kjellin sehen elektrischen Ofens werden 
mitgeteilt in der Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 15. 

Ein 1200 KW-Heroult-Ofen ist nach Mitteilung von Phelps in Shasta, 
Kalifornien, in Betrieb. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, 
Nr. 41.) 

Neue elektrische Öfen im Hüttenwesen beschreibt Ritter von Mola 
(Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 47.) 

M i n e t äußert sich über W irkungs weise und Güte Verhältnis des elektrischen 
Ofens. (Chemisches Reportorium Nr. 20 der Chemikerzeitung 1907.) 

Engelhardt beschreibt elektrische Induktionsöfen nnd ihre Anwendung 
in der Eisen- und Stahlindustrie. (Elektrotechn. Zeitschr. 1907, Nr. 44. 
45, 46, 47.) 


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Elektrisches Licht. 


463 


Mac Farlane Moore macht neue Mitteilungen über seine Vakuum- 
lampe; das Licht soll für das Auge Behr vorteilhaft sein, Schattenwirknng 
und Wärmeentwickelnng fehlen, der Nutzeffekt ist groß und die Anlagekosten 
gering. (Zeitschr. f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 24.) 

Beleuchtungsversuche mit Mooreschen Vakuumlampen in einem New 
Yorker Vortragssaal ergaben Überlegenheit über Glühlampen. Eine nähere 
Berechnung und Vergleichung mit anderen elektrischen Beleuchtungsarten 
findet sich im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 48. 

Thatcher macht nähere Angaben über das Mooresche Vakuumlicht; die 
Anzahl Lux beträgt nach sorgfältigen Versuchen der New Yorker elektrischen 
Versuchsanstalten pro Energieeinheit 20 gegen 11,2 bei Nernstlampen, 3,6 bei 
Kohlefadenlampen. Ein Hauptvorzug ist der geringe Glanz, der das Auge 
schont. (Annalen der Elektrotechnik 1907, Heft 7.) 

Clif ford hat die Betriebsergebnisse der Mooreschen Lampe nachgeprüft, 
und kommt zu weniger günstigen Resultaten wie der Erfinder. (Zeitschr. f. 
Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 26.) 

Kipp setzt auseinander, unter welchen Umständen die Berührung einer 
elektrischen Anlage gefährlich iBt. (Chemikerztg. 1907, Nr. 15.) 

Das Sachsenwerk in Niedersedlitz bei Dresden hat für Grubenbeleuchtung 
eine Vereinigung von Transformator und Schaltkasten hergestellt, die in sehr 
gedrängter Form schlagwettersicher eingebaut sind. (Elektrotechn. Zeitschr. 
1907, Nr. 19.) 

Gustav Ryba: »Die elektrischen Signalvorrichtungen der Bergwerke.“ 
(Brüx, A. Kunz, 1907. Preis 5,50 t /ft.) 

Sicherheitsmaßregeln für Wechselstromanlagen zur Vermeidung von 
Unfällen sind beschrieben im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 23. 

von Fodor bespricht die verschiedenen Ursachen von tausend Kurz¬ 
schlüssen, die oft durch schlechte Lampenfassungen verursacht wurden. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 23.) 

Dazu macht Hartmann einige Bemerkungen in der Elektrotechn. Zeit¬ 
schrift 1907, Nr. 34. 

Eine Statistik der elektrischen Unfälle durch Starkstrom in der Schweiz 
im Jahre 1906 wird gegeben im Journal f. Gaßbel. 1907, Nr. 25. 

Max Reithoffer: „Über elektrische Unfälle und deren Verhütung.“ 
(Wien, Braumüller, 1907. Preis 0,70 >Jt.) 

Eine Anweisung über die erste Hilfeleistung bei Unfällen im elektrischen 
Betrieb findet sich im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 36, und in der Zeitschr. 
f. Elektrotechnik und Maschinenbau 1907, Nr. 34. 

Hallwachs hat gefunden, daß die lichtelektrische Ermüdung, d. h. die 
mit der Zeit abnehmende Empfindlichkeit frischer Oberflächen gegen die 
Entladung durch Bestrahlung auf Ozonentwickelung zurückzuführen ist. 
(Annalen der Physik 1907, Nr. 8.) 

Nach Brunn sind passend angebrachte Glasprismen geeignet, die 
Wirkung elektrischer Lampen bedeutend zu erhöhen. (Annalen der Elektro¬ 
technik 1907, Heft 1.) 


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454 


Luft und Licht 


Ein Zeitfernschalter und Druckknöpfe für elektrische Treppenhaus¬ 
beleuchtung sind abgebildet und beschrieben in der Elektrotechn. Zeitschr. 
1907, Nr. 38. 

Acetylenbeleuchtung. 

Scheel: „Das Acetylen.“ (Hannover, Dr. Max Jänecke, 1907. Preis 
1,40 Jt.) 

Hilliger, Betke und Nolte: „Das Acetylen und seine technische 
Verwendung.“ (Berlin, C. Hegmann, 1907. Preis 0,75 t /ft.) 

Die Carbidfabrikation Europas im Jahre 1905 betrug 114 214tons. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 12.) 

Eine größere Anlage zur Erzeugung von Calciumcarbid auf elektrischem 
Wege wird in Kalscheuren bei Köln errichtet. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 9.) 

Das Verfahren von Atkins, nach welchem die Sun-Gas-Company West- 
minster Acetylen auf trockenem Wege herstellt, besteht im wesentlichen 
darin, daß man Calciumcarbid mit einer trockenen, Sauerstoff und Wasser¬ 
stoff enthaltenden Substanz mischt, mit Ausschluß von Wasser. Die erforder¬ 
lichen Apparate sind sehr einfach, das Gas ist rein und liefert gleichmäßiges 
Licht. (Österreichische Wochenschrift für den öffentlichen Baudienst 
1907, Nr. 1.) 

Das Arbeitsprogramm deB Internationalen Komitees für Carbid und 
Acetylen wird mitgeteilt im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 50. 

Hinrichsen fand im Calciumcarbid wechselnde Mengen von Phosphor¬ 
verbindungen, die nach seiner Meinung für Entzündlichkeit und Giftigkeit 
des Acetylens von Bedeutung sind. (Chemisches Repertorium Nr. 75 der 
Chemikerzeitung 1907.) 

Baker empfiehlt als Transport für Acetylen seine Auflösung in Aceton 
und Fixierung in einer als Holzkohlenzement bekannten porösen Substanz. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 23.) 

Küchel beschreibt die Verflüssigung des Acetylens, dessen Aufnahme 
durch Aceton und das Verfahren zur Herstellung des Acetylens unter voll¬ 
ständiger Aufhebung der Explosionsgefahr, (österreichische Chemikerzeitung 
1907, Nr. 10.) 

Zum Reinigen des Acetylens von Phosphorwasserstoff empfiehlt sich eine 
Durchleitung durch konzentrierte Salzsäure oder Schwefelsäure, der Arsenik 
(As a O s ) beigemischt ist; der von der Säure aufgenommene Phosphorwasser¬ 
stoff geht mit dem Arsen dann eine unlösliche Verbindung ein, die sich als 
brauner Niederschlag abscheidet, (österreichische WochenBchr. für den öffent¬ 
lichen Baudienst 1907, Nr. 16.) 

Bei einer Acetylenexplosion in Herrnstadt, Schlesien, hat sich nach 
Untersuchung von Zunckel ergeben, daß schon ein Gehalt von 4bis5Proz. 
Acetylengas in der Luft ein explosives Gasgemenge ergibt (Gesundheits- 
Ingenieur 1907, Nr. 8.) 

Friedmann verlangt eine periodische Revision aller Acetylenanlagen. 
(Chemisches Repertorium Nr. 59 der Chemikerzeitung 1907.) 


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Acetylenbeleuchtung. 


455 


Die Normen des Deutschen Acetylenvereins über den Carbidhandel sind 
abgedruckt im Journal f. GasbeL 1907, Nr. 3. 

Vogel beschreibt Acetylenzentralen nach dem Senkgrubensystem (System 
Tiefbau). (Zeitschr. f. Calciumcarbid und Acetylen 1906, Nr. 50.) 

Nach Thorn sind die Kosten der Acetylenbeleuchtung viel geringer als 
die anderer Beleuchtungsarten, vor allem auch dadurch, daß Wände und 
Decken nicht verschmutzt werden. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 23.) 

Lorenz hat gefunden, daß, wenn man durch eine Acetylenflamme die 
Entladung eines Indoktors hindurchschickt, die Leuchtkraft bedeutend erhöht 
wird. (Physikalisohe Zeitschr. 1907, Nr. 1.) 

Über Fundort und Verwendung von Speckstein, der zu Acetylenbrennern 
benutzt wird, finden sich ausführliche Mitteilungen im Journal f. Gasbel. 
1907, Nr. 6. 

Bray hat einen Acetylenbrenner gebaut, bei dessen Kleinstellung die 
Flamme ausgebreitet wird; sie wird dadurch entleuchtet und setzt keinen 
Ruß ab. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 23.) 

Frankel stellt für Bemessung des nutzbaren Gasbehälterinhaltes bei 
automatischen Acetylenapparaten folgende drei Forderungen auf: 

1. Es muß das bei der jedesmaligen Gaserzeugung produzierte Gas¬ 
quantum einschließlich der Nachvergasung aufgenommen werden können. 

2. Es müssen die durch die stetige Vergasung (bedingt durch die Ein¬ 
wirkung des Wasserdampfes auf das aufgespeicherte Carbid) auftretenden 
Gasmengen aufgenommen werden können. 

3. Es muß überdies noch ein Reserveraum vorhanden sein. (Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 16.) 

Graf beschreibt einige Frostschutzmittel für Acetylenanlagen. (Gesund¬ 
heits-Ingenieur 1907, Nr. 46.) 

Die Firma Friemann und Wolf in Zwickau hat 3 Arten von Acetylen¬ 
lampen gebaut, welche die Ölgrubenlampen ersetzen sollen, und sich bei 
Versuchen gut bewährt haben, (österreichische Wochenschr. f. d. öffentlichen 
Baudienst 1907, Nr. 3.) 

Der Breslauer Mechaniker F. Hubert hat eine neue Acetylenlampe 
konstruiert, die als Hänge-, Wand- und transportable Tischlampe zu gebrauchen 
ist. Sie brennt ohne Docht und Zylinder, eine Explosion ist auch beim Um¬ 
werfen ausgeschlossen. Sie verbraucht bei 30 HK stündlich nur 50 g Carbid. 
(Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 11.) 

Das Wasserlioht von Schumacher-Kopp in Luzern ist ein Acetylen¬ 
licht mit einem metallenen Zylinder, das bei bloßer Berührung mit Wasser 
anfangt zu brennen. Es kann deshalb auf dem Meere an Rettungsringen 
usw. angewendet und mit einer eigens konstruierten Kanone einige tausend 
Meter weit geschleudert werden. (Cbemikerztg 1907, Nr. 66.) 

Hans Herzfeld-Halle hat neue Schweiß- und Lötvorrichtungen kon¬ 
struiert, bei denen Acetylensauerstoff zur Anwendung kommt. Die erreichte 
Temperatur beträgt 3600° C. (Gesundheits-Ingenieur 1907, Nr. 39.) 


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466 


Luft und Licht. 


Petroleum- und andere Beleuchtungsarten. 

C1 if f o r d Ri c h a r d s o n: „ The Petroleums of North America.“ A Comparison 
of the Character of those of the Older and Newer Fields. (Journal of the 
Franklin Institute. Philadelphia. August 1907.) 

Sir B. Redwood: „Petroleum and its Products.“ A practical treatise. 
2. edition. 2 vol. (London, Churchill, 1907. Preis 45 sh.) 

Die Petroleumprodnktion Nordamerikas in den Jahren 1904 bis 1905 
betrug 117 080 960, bzw. 134 717 580 Faß. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 9.) 

Nach Heintzenberg werden jährlich etwa 20 Millionen Tonnen Roh¬ 
petroleum geliefert, von denen 1 / i zu Heizzwecken benutzt wird. (Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 3.) 

Über die Petroleumindustrie in Galizien finden sich Angaben im Journal 
f. Gasbel. 1907, Nr. 7. 

Statistische Angaben über die russische Naphtaindustrie im Jahre 1905 
werden gemacht im Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 12. 

Die sehr reichen und ergiebigen Erdölquellen der Insel Tscheleken im 
Kaspischen Meere beschreibt Thiess. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 40.) 

Ahrens und Riemer haben das hannoversche Erdöl in Wietze von 
neuem untersucht. (Zeitschr. f. angew. Chemie 1907, Nr. 20.) 

Eine Analyse des elsässischen Petroleums gibt Graefe. (Chemisches 
Repertorium Nr. 30 der Chemikerztg. 1907.) 

Die Petroleumindustrie in Italien wird geschildert in der Chemikerztg. 
1907, Nr. 60. 

Kiesling bespricht die Erdölindustrie im Jahre 1906. (Chemikerztg. 
1907, Nr. 48.) 

Schütte empfiehlt die Einführung von Rohpetroleum nach Deutschland, 
damit die Raffinerie hier erfolgt. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 36.) 

Rakusin beschreibt die Gewinnung von Benzinen aus Rohpetroleum. 
(Chemikerztg. 1907, Nr. 1.) 

Nach Dehnst kann man das Auftreten des üblen Geruches in den 
Destillaten von Rohpetroleum vermeiden, wenn man das Rohöl mit Schwefel 
destilliert. (Chem. Repertorium Nr. 2 der Chemikerztg. 1907.) 

Charitschkow gibt eine Bestimmungsmethode des Schwefels in flüssigen 
Heizmitteln an. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 38.) 

Poni hat Untersuchungen über die Zusammensetzung des rumänischen 
Erdöls gemacht. (Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 42.) 

Die Untersuchung von 34 Petroleumproben im Dresdener städtischen 
Untersuchungsamt ergab eine mangelhafte Reinigung der amerikanischen 
Sorten. (Chem. Repertorium Nr. 30 der Chemikerztg. 1907.) 

Zaloziecki und Klarfeld veröffentlichen Beiträge über die optische 
Aktivität der Erdöle in Zusammenhang mit der Frage nach ihrem Ursprung. 
(Chemikerztg. 1907, Nr. 93 und 94.) 


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Petroleum und andere Beleuchtungsarten. 


457 


Marcu8Bon bespricht die optische Aktivität dea Erdöls, die er auf die 
Anwesenheit von Cholesterin-, kzw. Physosterin-Derivaten zurückführt. 
(Chemikerztg. 1907, Nr. 33.) 

Nach de Wilde hat die Theorie von der mineralischen Entstehung des 
Petroleums die größte Wahrscheinlichkeit. (Journal f. Gashel. 1907, Nr. 41.) 

Potonie führt dagegen die Entstehung der Steinkohle und verwandter 
Bildungen, einschließlich des Petroleums, auf Zersetzung von Pflanzen und 
tierischen Organismen zurück. (Journal f. Gashel. 1907, Nr. 42.) 

Nach Krämer ist das ergiebigste Material zur Erdölbildung das Algen¬ 
wachs (Montanwachs); als Entstehungsherd für den Rohstoff des Erdöls soll 
in erster Linie der Inhalt der Moore anzusehen sein. (Chemikerztg. 1907, Nr. 54.) 

Neuberg hat aus verschiedenen Eiweißstoffen ein optisch rechts drehendes 
Petroleum herstellen können; dies spricht für Entstehung des Erdöls aus 
verwesten Organismen. (Chemikerztg. 1907, Nr. 77.) 

Zwei Zerstäuber für Petroleum, um dieses für Heizzwecke zu verwerten, 
sind beschrieben in Dinglers Polytechnischem Journal 1907, Nr. 7. 

Langbein hat einen Petroleumkoks von Wietze auf seinen Heizwert 
geprüft und dabei die Methode von Bert hier für unzuverlässig befunden. 
(Journal f. Gasbel. 1907, Nr. 20.) 

Vergleichende Zusammenstellungen über mehrere Arten von Petroleum- 
koks werden gemacht in Dinglers Polytechnischem Journal 1907, Nr. 2. 

Bei der Destillation von Petroleum wird ein Koks von hohem Heizwert 
als Rückstand erzielt. (Chem. Repertorium Nr. 86 der Chemikerztg. 1907.) 

Mitteilungen über den 3. Internationalen Petroleumkongreß in Bukarest 
werden gemacht in der Chemikerztg. 1907, Nr. 88. 

Kuess ist es gelungen, aus Petroleum und anderen Mineralölen Kerzen 
herzustellen. (Chem. Repertorium 1907, Nr. 88 der Chemikerztg. 1907.) 

Bornemann beschreibt die Fortschritte auf dem Gebiete der Kerzen¬ 
fabrikation im Jahre 1906. (Chemikerztg. 1907, Nr. 53.) 

Das Alkoholhydrocarbongas von Pampe in Halle, ein Spirituslicht, ist 
direkt ohne Reinigung brennbar. Es entsteht durch Mischen von Spiritus 
mit Petroleum oder ähnlichen Kohlenwasserstoffen. Die Kosten betragen pro 
Cubikmeter Gas 0,20 JC. (Chem. Repertorium Nr. 23 der Chemikerztg. 1907.) 

Hamm. 


Wasser. 

Trinkwasser. 

Allgemeines. 

F. Renk bespricht die Bedingungen, die bei der „Gewinnung ein¬ 
wandfreier Proben“ für die hygienische Prüfung von Trinkwasser ein¬ 
gehalten werden müssen. Er erörtert die Fehlerquellen, die das Ergebnis 
der chemischen und bakteriologischen Untersuchung von Wasserproben be¬ 
einflussen und das Urteil auf falsche Wege lenken können, indem sie dem 


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458 


Wasser. 


Sachverständigen Wasserproben in die Hände spielen, die von der Beschaffen¬ 
heit des bei geeigneter Fassung zu gewinnenden Wassers mehr oder weniger 
weit abweichen. Verfasser betont ferner die Notwendigkeit einer persön¬ 
lichen Entnahme der Proben durch den Sachverständigen an Ort und Stelle. 
(Journal f. GasbeL u. Wasservers., Bd. 50, S. 997.) 

A. Schattenfroh: „Die Grundlagen der hygienischen Wasser¬ 
begutachtung." Bericht über den XIV. internationalen Kongreß für Hygiene, 
Bd. 1, S. 233. 

Mohr gelangt in einer Arbeit über die „Anlage und sanitäts- 
polizeiliohe Kontrolle von Brunnen" zu folgenden Schlußsätzen: Die 
Grundlage für die hygienische Beurteilung des Wassers liefert die Unter¬ 
suchung der örtlichen Verhältnisse; dann erst kommt die physikalische, die 
chemische und vor allem die bakteriologische Untersuchung in Betracht. 
Ein Brunnen muß so angelegt sein, daß er sein Wasser aus einem Vorrat 
schöpft, der keine Krankheitskeime enthalten kann, und daß nicht bei der 
Erschließung und Entnahme des Wassers solche nachträglich in dasselbe 
gelangen können. Keimfreies Wasser ist in gewachsenem, feinkörnigem 
Boden in einer Tiefe von 2 m abwärts als Grundwasser anzutreffen. Den 
Röhrenbrunnen gebührt vor den Kesselbrunnen der Vorzug, weil man aus 
ihnen mit größerer Sicherheit keimfreies Wasser entnehmen kann. Die 
Sanitätspolizei muß bei der Begutachtung einer Anlage eines Brunnens 
sowohl die Örtlichkeit, namentlich die Entfernung von menschlichen Woh¬ 
nungen, als auch die Konstruktion der Brunnen berücksichtigen. (Ärztl. 
Sachverständigenztg., Bd. 13, S. 183 u. 209.) 

Benda macht auf die hygienischen Gefahren aufmerksam, die in der 
„Benutzung gemeinsamer Trinkbecher“ in Schulen, Fabriken, auf 
Bahnhöfen usw. liegen. Ein bloßes Abspülen der Becher mit kaltem Wasser 
genügt nicht, eine Infektionsgefahr zu beseitigen, wie besondere Versuche 
an Trinkgefäßen diphtheriekranker Kinder ergaben. Verfasser schlägt zur 
Vermeidung jeglicher Gefahr vor, die öffentlichen Trinkwasserabläufe derart 
zu gestalten, daß das Wasser aus einer Anzahl Mundstücke von geringem 
Querschnitt in Form feiner Wasserstrahlen emporsteigt und alsdann in 
kleinem Bogen in ein Becken fällt. Der Trinkende bedarf dann überhaupt 
keines Trinkgefäßes, sondern er beugt den Kopf über den Wasserstrahl 
und fängt das Wasser direkt mit dem Munde auf. Ein Bespritzen hierbei 
soll nach Verfasser so gut wie ausgeschlossen sein. (Hygien. Rundschau, 
Bd. 17, S. 627.) 

Chemische Untersuchung. 

F. T. Shutt und H. W. Charlton fanden, daß die Mohrsche volu¬ 
metrische Methode der Chlorbestimmung (unter Verwendung von 
Kaliumchromat als Indikator) bei moorigen Wässern versagt, während Vol- 
hards Methode genaue Resultate liefert. Sie beschreiben eine geeignete 
Ausführungsform des letztgenannten Verfahrens. (Chemical News, Bd.94, 
S. 258.) 

M. Mayer und E. G. Kleiner unterzogen das Verfahren der Härte¬ 
bestimmung nach Wartha-Pfeifer (21. Jahresber., S. 479) und die 


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Trinkwasser. Chemische Untersuchung. 


459 


alte Clark sehe Methode der Titration mittels Seifenlösung einer kritischen 
Prüfung. Das Verfahren von Wartha-Pfeifer leidet nach den Verfassern 
bei der Bestimmung der Gesamthärte an der Löslichkeit des Calciumcarbo¬ 
nats, wodurch die Gesamthärte und damit auch die permanente Härte zu 
niedrig ansfallen; größere Abweichungen als 0,6 Härtegrade sind jedoch 
selten. Ist in einem Wasser Alkalibicarbonat enthalten, so wird die Be¬ 
stimmung der permanenten Härte illusorisch. Die Clark sehe Methode gibt 
bei einiger Übung annehmbare Werte; die Gesamthärte läßt sich ungefähr 
mit derselben Genauigkeit ermitteln, wie nach Wartha-Pfeifer. Nicht zu 
verkennen ist jedoch, daß sowohl einigermaßen erhebliche Mengen freier 
Kohlensäure wie auch geringere Magnesiagehalte störend wirken können; 
von einer Unbrauchbarkeit des Clarkschen Verfahrens kann aber keine 
Rede sein. (Journal f. Gasbel. u. Wasservers., Bd. 50, S. 321 u. 353.) 

P. W. Nawiasky und S. W. Korschun fanden bei einer Nachprüfung 
die Methode zur Härtebestimmung von Pfeifer (21. Jahresber., S.479) 
ebensowohl, wie auch die von Monhaupt (ebendas., S. 479) angegebene 
Modifikation derselben brauchbar. Die Fehler beider Methoden überschritten 
sowohl bei der Ermittelung der Gesamthärte, als auch bei der gesonderten 
Bestimmung des Kalkes und der Magnesia nur in vereinzelten Fällen zwei 
deutsche Härtegrade. (Arch. f. Hygiene, Bd. 61, S. 348.) 

W. T. Burgess beschreibt volumetrische Methoden zur Bestimmung 
von Kalk und Magnesia im Wasser. Er benutzt hierzu bekannte Reak¬ 
tionen. Zur Kalkbestimmung dient ihm die Fällung mit titrierter Oxalat¬ 
lösung und die Zurückmessung des Oxalsäureüberschusses. Behufs Bestim¬ 
mung der Magnesia fällt er sie aus dem genau neutralisierten Wasser 
mittels y 6 -Normalnatronlauge und titriert den Alkoliüberschuß zurück. 
(The Analyst, Bd. 32, S. 208.) 

F. E. Haie empfiehlt gleichfalls eine auf demselben Prinzip beruhende 
Methode der Kalkbestimmung. Außerdem führt er die Härtebestimmung 
mittels Seifenlösung aus. Der Magnesiagehalt ergibt sich aus der Differenz 
zwischen Gesamthärte und Kalkgehalt. (Journal of the American Chemical 
Society, Bd. 29, S. 1078.) 

G. B. Frankforter und L. Cohen schlagen eine volumetrische 
Bestimmung des Magnesiums im Wasser vor. Nach Fällung der 
Metalle der Eisengruppe und des Calciums in üblicher Weise wollen sie das 
Magnesium als Magnesiumammoniumarsenat ausfällen und den Niederschlag 
abfiltrieren und mit ammoniakhaltigem Wasser auswaschen. Dieser Nieder¬ 
schlag soll dann in verdünnter Schwefelsäure gelöst und dieser Lösung soll 
Kaliumjodid hinzugefügt weiden. Es scheidet sich eine dem Arsenat äqui¬ 
valente Jodmenge aus, die titrimetrisch mittels Natriumthiosulfat ermittelt 
wird. Es ist vorteilhaft, nicht Stärke als Indikator zu benutzen, sondern 
bis auf das Verschwinden der Gelbfärbung zu titrieren. (Journal of the 
American Chemical Society, Bd. 29, S. 1464.) 

L. Rosenthaler macht einen analogen Vorschlag. Nach ihm soll die 
Fällung des Magnesiums mittels einer gemessenen Menge titrierter Kalium- 
hydroarsenatlösung erfolgen und im Filtrat vom Niederschlag der Arsensäure- 


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460 


Wasser. 


überschaß jodometriscb zurückgemessen werden. (Zeitscbr. f. analyt. Chemie, 
Bd. 46, S. 714.) 

G. Klut empfiehlt zum qualitativen Nachweis von Eisen im Wasser 
die Benutzung eines Schaurobres von etwa 30 cm Länge und 2 bis 25 cm 
lichter Weite. Das Wasser wird in diesem Rohre mit etwa 1 ccm Natrium- 
sulfidlösung versetzt; eintretende Gelb- bis Braunfärbung zeigt den Eisen¬ 
gehalt an. (Gesundheit 1907, Nr. 19; Ref. in Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 
Bd. 20, S. 815.) 

H. Noll beschreibt eine Methode zur Manganbestimmung im Trink- 
wasBer. Das in üblicher Weise nach dem Gange der quantitativen Analyse 
mittels Brom ausgeschiedene Manganperoxyd wird mit Kaliumjodid und 
Salzsäure zusammengebracht und die ausgeschiedene, dem Mangan äqui¬ 
valente Jodmenge mittels V 100 n - Thiosulfatlösung titrimetrisch ermittelt 
Setzt man statt dessen das Manganperoxyd mit Oxalsäure um und mißt den 
Oxalsäureüberschuß zurück, so erhält man etwas zu niedrige Resultate. Die 
direkte Wägung des Peroxyds hingegen liefert zu hohe Ergebnisse. (Zeitschr. 
f. angew. Chemie, Bd. 20, S. 490.) 

R. Sp. Weston benutzt zur Manganbestimmung die Wismuttetroxyd¬ 
methode. Das Wasser wird mit Salpetersäure eingedampft, der Rückstand 
geglüht und in Salpetersäure gelöst. Der erhaltenen Lösung setzt man 
Natriumbismutat zu, wodurch alles Mangan in rotes Permanganat-Ion über¬ 
geführt wird, dessen Menge durch kolorimetrischen Vergleich festgestellt 
werden kann. (Chem. News, Bd. 97, S. 3; Journal of the American Chemical 
society, Bd. 29, S. 1074.) 

H. Lührig und W. Becker halten für quantitative Manganbestim- 
mungen im Trinkwasser die auf v. Knorres Verfahren begründete Methode 
(vgl. Beythien, Hempel und Kraft, 24. Jahresber., S. 525) für die beste. 
Zur qualitativen Prüfung eignet sich EL Marshalls Verfahren, welches 
darauf beruht, daß schwach saure, manganhaltige Flüssigkeiten, denen man 
eine Spur eines Silbersalzes hinzugefügt hat, heim Kochen mit Ammonium- 
persulfat infolge Bildung von Permanganaten eine Rosafärbung annebmen. 
(Pharmaz. Zentralhalle, Bd. 48, S. 137.) 

M. R. Moffatt und H. S. Spiro veröffentlichten eine neue kolori- 
metrische Methode der Bleibestimmung im Trinkwasser. Bleisalze 
liefern mit Hämatetnlösungen blaue Färbungen. Das gleiche tun auch Kupfer- 
und Zink Verbindungen. Da aber nach Meinung der Verfasser diese nur 
selten im Trinkwasser vorhanden sind, benutzen die Verfasser die Reaktion, 
die sehr empfindlich ist, zum Nachweis und der Bestimmung des Bleies. Sie 
versetzen 100 ccm des zu untersuchenden Wassers, sowie sehr dünne Blei¬ 
salzlösungen mit je 1 ccm 0,05 proz. Hämatei'nlösung und vergleichen die 
Farbenintensität in HehnerZylindern. Man soll noch 0,2 mg Blei in 1 Liter 
Wasser erkennen können. Die Hämatei’nlösung muß ganz frisch bereitet 
sein. (Chem.-Ztg., Bd. 31, S. 639.) 

G. Guldensteeden-Egeling bestimmt in folgender Weise Kupfer 
und Blei im Trink wasser. 4 Liter Wasser werden mit einer Lösung von 
Natriumphosphat und Natriumcarbonat sowie mit Caloiumchlorid versetzt. 


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Trinkwasser. Chemische Untersuchung. 461 

Nach 24stündigem Stehen hebert man die klare Flüssigkeit möglichst voll¬ 
ständig von dem Niederschlage ab, löst letzteren in möglichst wenig lOproz. 
Salzsäure und fällt dieBe Lösung mit Schwefelwasserstoff. Aus einem hier¬ 
bei entstehenden Niederschlag wird etwaiges Bleisulfid mittels warmer 
lOproz. Salzsäure herausgelöst; man verdünnt diese Lösung, macht Bie alka¬ 
lisch und bestimmt darin das Blei kolorimetrisch entweder mittels Schwefel¬ 
wasserstoff oder mittels Kaliumchromat. (Pharm. Weekbl. 1907, S. 338; 
Ref in Pharmaz. Zentralhalle, Bd. 48, S. 644.) 

A. Buisson gibt an, daß die Ammoniakreaktion nach Nessler 
nicht quantitativ verläuft, indem nicht alles Ammoniak in den mit Nesslers 
Reagens erhaltenen Niederschlag ein geht. Bei kolorimetrischen Bestim¬ 
mungen ist zu beachten, daß die Farbentiefe nicht nur vom Ammoniakgehalt 
abhängt, sondern auch je nach Temperatur, Verdünnung usw. der zu prüfen¬ 
den und der Vergleichslösung schwankt. (Journ. pharm, chim., Bd. 24, 
S. 289; Compt. rend. de l’academie des Sciences, Bd. 143, S.289; Ref. in 
Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 730.) 

A. Buisson gründet eine Methode der Ammoniakbestimmung im 
Wasser auf eine Reaktion mit Quecksilberchlorid. Man destilliert das Ammo¬ 
niak aus dem alkalisch gemachten Wasser ab und fängt das Destillat in 
Salzsäure auf. Zu diesem setzt man Quecksilbercbloridlösung und alsdann 
Natriumcarbonat hinzu. Alles Ammoniak fällt in Gestalt einer absolut un¬ 
löslichen, von weißem Präzipitat verschiedenen Verbindung aus, die man 
abfiltriert, auswäscht, bei 100°C trocknet und wiegt Das Gewicht des 
Niederschlages, multipliziert mit 0,03, gleicht der vorhandenen Ammoniak¬ 
menge. — Auf die gleiche Reaktion hatte bereits früher H. Gerresheim ein 
Verfahren zur Ammoniakbestimmung aufgebaut. (Compt. rend. de l’acadämie 
des Sciences, Bd. 144, S. 493.) 

A. Komarowsky beschrieb ein volumetrisches Verfahren zur Bestim¬ 
mung der Schwefelsäure im Wasser, welches von demjenigen von 
Bruhns (24. Jahresber., S. 525) nur insofern abweicht, als das Wasser mit 
Salzsäure und Baryumchromat nicht in der Kälte, sondern bei Siedetempe¬ 
ratur behandelt wird. Bei höheren Schwefelsäuregehalten soll man auf diese 
Weise richtigere Ergebnisse erhalten. (Chem.-Ztg., Bd. 31, S. 498.) 

A. di Donna macht erneut auf die Fehlerquelle aufmerksam, die sich 
bei der Permanganattitrierung in schwefelsaurer Lösung aus dem 
Chloridgehalt des Wassers ergibt (vgl. E. Ruppin, 18. Jahresber., S. 456). 
Er sucht dieselbe seinerseits zu vermeiden, indem er dem Wasser vor Vor¬ 
nahme der betreffenden Titrierung eine zur Fällung allen Chlors eben aus¬ 
reichende Menge Silbersulfat hinzugefügt. (Zeitschr. f. analyt. Chemie, 
Bd. 46, S. 516.) 

M. Rubner weist auf die Bedeutung der Stickstoffbestimmung für 
die Wasseruntersuchung hin. Gewöhnlich begnügt man sich mit der Er¬ 
mittelung von Ammoniak, salpetriger Säure und Salpetersäure, bestimmt 
also nur die Abbauprodukte der organischen Stickstoffverbindungen und 
läßt den unabgebauten Rest derselben, der noch im Wasser enthalten ist, 
unberücksichtigt. Gerade dieser Rest ist aber für die Wasserbegutachtung 


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462 


Wasser. 


sehr bedeutungsvoll, denn von ihm, als Bakteriennährstoff, hängt im wesent¬ 
lichen die Entwickelungsmöglichkeit von Bakterien im Wasser ab, und seine 
quantitative Bestimmung kann uns etwa dasselbe sagen, wie eine bakterio¬ 
logische Untersuchung. 

Anscheinend völlig klare Wasser enthalten, wie die optische Unter¬ 
suchung im einfallenden Lichtkegel lehrt, noch suspendierte Stoffe, und auch 
diese sind stickstoffhaltig. Für die Beurteilung eines Wassers sind also 
folgende Bestimmungen nötig: 

1. Gelöster Stickstoff: a) organisch gebundener; b) Ammoniak; c) sal¬ 
petrige Säure; d) Salpetersäure. 

2. Suspendierter Stickstoff. 

Die zweckmäßigste Methode der Stickstoffbestimmung ist dieKjeldahl- 
sche, die deshalb auch Verfasser heranzieht. Zur Bestimmung des orga¬ 
nischen Gesamtstickstoffs einschließlich des Ammoniakstickstoffs dampft 
Verfasser 20 Liter Wasser unter etwas Säurezusatz ein und unterwirft den 
Bflckstand der üblichen Arbeitsweise. Neben dieser Bestimmung des orga¬ 
nischen Stickstoffs im ganzen kann man alle suspendierten Stoffe (nebst 
kleinen Anteilen von gelösten Kotanteilen) aus dem Wasser durch Ausfällen 
von 20 Litern mit Ferriacetat in der Wärme gewinnen. Der Niederschlag 
läßt sich leicht sammeln und der Kjeld ahlbestimmung unterwerfen. Einige 
so ausgeführte Analysen ergaben: 



Leitung*- Spree¬ 
wasser wasser 

Filtriertes 

Kanalwasser 

1 Liter enthalt mg 

Trockenrückstand.1 

247 1 — 

920,0 

Organischen Kohlenstoff. i 

1 

00 

157,3 

Gesamtstickstoff. 

1 0,46 1 2,13 

65,33 

Suspendierten Stickstoff. 

0,03 | 0,56 

28,39 


Verf. hat sich bemüht, um die Methode zu vereinfachen und die Ver¬ 
wendung geringerer Wassermengen zu ermöglichen, das Kjeldahlsche Ver¬ 
fahren zu einem kolorimetrischen umzugestalten. Die nähere Durch¬ 
führung dieser Versuche übertrug er Korschun. (Arch. f. Hygiene, Bd.62, 
S. 83.) 

S. Korschun gestaltete auf Rubners Veranlassung die Stickstoff- 
beBtimmung im Wasser zu einem kolorimetrischen Verfahren um, 
indem er das durch den Aufschluß mit Schwefelsäure gebildete Ammoniak 
in üblicherweise mitNesslers Reagens kolorimetrisch in Hehn er Zylindern 
ermittelte. Die Grenzen, innerhalb deren diese letztere Ermittelung möglich 
ist, liegen zwischen 0,05 und 0,6 mg Ammoniak in 100 ccm. 

Für die Bestimmung des Gesamtstickstoffs werden 200 bis 1000 ccm 
Wasser nach Zusatz von 2 bis 3 ccm verdünnter Schwefelsäure auf 20 ccm 
eingedampft und dann mit 5 bis 8 ccm konzentrierter Schwefelsäure und 
etwa 1 g Kaliumsulfat im Kjeldahlkolben aufgeschlossen. Nach Beendigung 
des Aufschlusses bringt man den Inhalt des Kolbens in einen 250ccm-Meß- 
kolben, verdünnt mit Wasser, macht mit Natronlauge alkalisch, setzt einige 
Cubikcentimeter löproz. Sodalösung zu und füllt zur Marke auf. Von einem 


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Trinkwasser. Chemische Untersuchung. 


463 


etwaigen Niederschlag filtriert man ab und benutzt das Filtrat in der an¬ 
gegebenen Weise zur kolorimetrischen Prüfung. 

Zur Bestimmung des suspendierten Stickstoffs wird in 4 bis 5 Litern 
Wasser durch Kochen mit Ferrichlorid und Natriumacetat ein Niederschlag 
hervorgebracht. Diesen läßt man absitzen; man hebert die überstehende 
klare Flüssigkeit ab, zentrifugiert den zurückbleibenden Anteil und gießt 
von dem hierbei resultierenden Sediment die klare Flüssigkeit nochmals mög¬ 
lichst vollständig ab. Das Sediment wird dann auf einem Filter von be¬ 
kanntem Stickstoffgehalt gesammelt und samt diesem im Kjeldahlkolben 
aufgeschlossen. Die Aufschlußfiüssigkeit behandelt man in der zuvor be¬ 
schriebenen Weise. 

Folgende Analysen wurden nach diesen Methoden ausgeführt: 



.Organisch geb. 
j Stickstoff 

Ammoniak- 

Stickstoff 

Suspendierter 

Stickstoff 

Stickstoff 

insgesamt 


Milligramme : 

in 1 Liter 


Berliner Leitungswasser . . . 

0,45 


0,11 

0,56 

Charlottenburger Leitungswasser 

0,41 

— 

0,10 

0,51 

Berliner Brunnenwasser .... 

— 

0,95 

0,03 

0,98 

Spandauer Brunnenwasser . . . 

0,12 

5,60 

0,08 

5,80 

ßpreewasser (oberhalb Berlin) . 

0,68 

1,04 

0,40 

2,12 

Spreewasser von Charlottenburg 

0,65 

0,77 

0,44 

1,86 

Panke (niedriger Wasserstand) . 

0,61 

1,44 

0,47 

2,52 

Panke (Hochwasser). 

2,90 

6,42 

2,11 

11,43 


(Arch. f. Hygiene, Bd. 62, S. 92.) 


S. W. Korschun prüfte das Verfahren von W. Ramsay und J. Hornfray 
(Journal of the society of Chemical industry, Bd. 20, S. 1071), sowie die Tenax- 
methode von F. C. G. Müller zur Bestimmung des gelösten Sauerstoff es 
im Wasser. Beide Verfahren befriedigten nicht. Ersteres beruht auf einer 
kolorimetrischen Schätzung der Farben Veränderung, welche Kupferchlorür 
erleidet, wenn es durch den Sauerstoff zu Kupferchlorid oxydiert und durch 
Ammoniakzusatz in Kupferchlorid-Ammoniak umgewandelt wird; es scheitert 
an der Unmöglichkeit, chloridfreies Kupferchlorür für die Untersuchungen 
vorrätig halten zu können. Bei der Tenaxmethode werden die Gase des 
Wassers ausgekocht und in ihnen der Sauerstoff durch Absorptions-Gasanalyse 
ermittelt. Fehlerquellen sind hier einmal der Verbrauch eines Teiles des 
Sauerstoffes zur Oxydation der organischen Stoffe des Wassers und zum zweiten 
das Entweichen gelöster, sowohl freier als auch zu Bicarbonaten gebundener 
Kohlensäure. Beide Fehlerquellen lassen sich nicht gleichzeitig ausschließen. 
Verfasser bevorzugt deshalb das alte bewährte Verfahren der Sauerstoff- 
bestimmung von L. W. Winkler. Seine Untersuchungen lehrten ihn, daß 
die Bestimmung der Sauerstoffzehrung nach Spitta (18. Jahresbericht, S. 612) 
ein viel empfindlicherer Maßstab für die Verunreinigung eines Wassers durch 
organische Stoffe ist, als die Bestimmung des augenblicklichen Sauerstoff¬ 
gehaltes. (Arch. f. Hygiene, Bd. 61, S. 324.) 

W. Cronheim erörtert erneut die bereits von H. Noll (23. Jahresbericht, 
S. 461) behandelte Frage der Fehlerquellen von Winklers Methode der 


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464 


Wasser. 


Sauerstoffbestimmung im Wasser. Er zeigt, daß das ausgeschiedene Jod 
teilweise zur Oxydation der organischen Substanzen des Wassers verbraucht 
werden und somit der Titration entgehen kann. Man muß deshalb sofort 
nach dem Ansäuern das Jod titrieren. Bei carbonatreichen Wässern müssen 
größere Mengen der vorgeschriebenen Reagenzien zugesetzt werden, als bei 
carbonatarmen. Ein Vergleich der nach Winkler erhaltenen Ergebnisse 
mit solchen, die am selben Wasser mittels des Tenaxapparates erhalten 
wurden, zeigte, daß letzterer durchweg niedrigere Resultate liefert. (Zeitschr. 
f. angew. Chemie, Bd. 20, S. 1939.) 

H.Mehring führte zahlreiche Sauerstoffbestimmungen an Oder¬ 
wasser, Teichwasser und Niederschlagswasser in Breslau aus. Die 
Ergebnisse des Verfassers zeigen, gleich denen älterer Arbeiten, einen unleug¬ 
baren Einfluß der Witterungs verhältnisse auf den Sauerstoffgehalt der Gewässer. 
Am deutlichsten ist der Einfluß der Bestrahlung durch das Sonnenlicht; bei 
anhaltend klarem Wetter nimmt der Sauerstoffgehalt im Wasser zu, bei an¬ 
haltend trübem Wetter tritt Sauerstoffarmut ein. Die Temperatur der Luft 
übt hierbei keinen oder nur einen sehr geringen Einfluß aus, ebensowenig 
auch der Luftdruck. Auch durch die Jahreszeit und die entsprechend 
wechselnde Menge der im Wasser gedeihenden Pflanzen wird der Sauerstoff¬ 
gehalt nicht beeinflußt, ebensowenig wie durch den Wasserstand und den 
davon abhängigen Gehalt des Wassers an Mineralstoffen und etwaige durch 
Hochwasser mitgenommene organische Stoffe. (Die landwirtschaftlichen 
Versuchsstationen. Bd. 67, S. 465.) 

Bakteriologische Untersuchung. 

K. Eis sk alt konnte wiederholt beobachten, daß bei Reparaturen 
des Leitungsnetzes einer Wasserleitung eine Vermehrung der Keim¬ 
zahl im Wasser der Zapfstellen erst mehrere Tage später sich einstellte. 
Diese Verspätung der Keimzunahme ist nicht durch langsames Fließen des 
Wassers bedingt. Verfasser nimmt vielmehr an, daß sich die Keime zunächst 
an dem in die Leitung eingebrachten Material vermehrt haben und erst dann, 
als der Belag dicht war, so daß sie nicht mehr festhalten konnten, und als 
sie in ihrer Vitalität geschwächt waren, in das strömende Wasser übergingen. 
(Hygien. Rundschau, Bd.17, S. 1118.) 

M.H. Vincent benutzt zur Züchtung der anaeroben Bakterien des 
Wassers einen neutralen Nährboden aus 50 bis 75 g Gelatine, 5 g Glukose, 
5 g Glyzerin und 500 ccm Peptonbouillon. Nachdem der Nährboden mit dem 
zu untersuchenden Wasser versetzt ist, wird er in feine Glasröhrchen ein¬ 
gesaugt. Vor Gebrauch ist dem Nährmedium eine genügende Menge Indig- 
karmin zuzufügen, bei Prüfung auf Bakterien der Gattung Tyrothrix außer¬ 
dem 15 bis 20 Proz. abgerahmte Milch. — Fakultative Anaeroben bilden 
undurchsichtige, weiße oder graue, scharf kontnrierte Kolonien; die Kolonien 
der typischen Anaeroben sind hingegen nicht Bcharf begrenzt, leicht wolkig 
und flockig. Einige Anaeroben liefern kaum sichtbare Kolonien und sind 
nur infolge der schwachen Entfärbung der Gelatine zu erkennen. (Annales 
de 1’ Institut Pasteur, Bd. 21, S. 62; Referat in Zeitschr. f. wissenschaftL 
Mikroskopie, Bd. 24, S. 77.) 


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Trinkwasser. Bakteriologische Untersuchung. 


465 


E. Tirelli isolierte und züohtete unter Anwendung einer besonderen 
Technik aus Tri ok wassern verschiedene Arten von thermophilen Mikroben, 
und zwar 4 kugelförmige, 4 stäbchenförmige und 2 fadenförmige. Abgesehen 
von einem einzigen kugelförmigen Keim, der jenseit 55° kein Wachstum 
mehr aufweist und dessen Entwickelungsoptimum zwischen 38 und 50° 
schwankte, blieben alle übrigen Mikroorganismen bis zu einer Temperatur 
von 70° am Leben und bildeten, auf diesem Punkte angelangt, Kolonien, die 
ein graues oder gelblichgraues, feuchtes, glänzendes Aussehen hatten. Im 
allgemeinen schwankt ihr Entwickelungsoptimum zwischen 55 und 65°, doch 
wachsen sie auch bei niedrigeren Temperaturen noch ziemlich gut, bei 37° da¬ 
gegen wird ihr Wachstum schon sehr langsam. Alle diese Mikroorganismen 
sind Sporenbildner; bei Temperaturen unter 60° sowie bei alten Kulturen 
verschwinden zumeist die typischen vegetativen Formen, und an ihre Stelle 
treten fast ausschließlich die Sporenformen. (Riforma medica 1907, S. 265; 
Referat in Zentralbl. f. Bakteriologie, Abt. 2, Bd. 19, S. 328.) 

J.Bulir kommt zu dem Schluß, daß dem Nachweis des typischen 
Bacterium coli eine Bedeutung als Indikator fäkaler Verunreinigung des 
Wassers nicht abgesprochen werden darf. Wenn andere Autoren teilweise 
zu einem entgegengesetzten Resultat gelangt sind, so liegt das daran, daß 
nicht immer mit allen diagnostischen Behelfen versucht wurde, nachzuweisen, 
daß der gefundene, als Bact. coli bezeichnete Mikroorganismus sämtliche 
morphologischen und biologischen Eigenschaften des typischen Bact. coli 
aufweise, und ferner daran, daß die zur Isolierung benutzten Methoden 
von verschiedener Empfindlichkeit sind. In Beziehung auf den letztge¬ 
nannten Punkt darf auf eine Anreicherung nicht verzichtet werden; hierzu 
bewährte sich vor allem das Verfahren von C. Eijkman (Zentralblatt f. 
Bakteriologie. Abt. I, Bd. 37. Originale, S. 742; vgL auch 23. Jahresbericht, 
S. 446). Da jedoch nach Eijkman’s eigenen Angaben auch andere Mikroben 
als Bact. coli bei 46° C Gasbildung hervorrufen können, bedarf die Methode 
einer Ergänzung durch weitere diagnostische Merkmale. In dieser Beziehung 
kommen Säurebildung und, vor allem, die Entfärbung von Neutralrot (vgl. 
Rothberger, 16. Jahresbericht, S. 85) in Betracht. 

Letzteres Phänomen tritt nun bei den durch Eijkmans Vorschrift 
festgelegten Bedingungen nicht ein. Verfasser hat weiterhin festgestellt, daß 
das Bact. coli in keinem der üblichen flüssigen Nährböden das Neutralrot 
entfärbt, daß dies vielmehr einzig und allein in gewöhnlicher aus Fleisch 
bereiteter Bouillon eintritt, so daß diese nicht einmal durch eine aus Liebigs 
Fleischextrakt bereitete Bouillon erzetzt werden kann. Der Glukosegehalt 
der Eijkmanschen Bouillon stört die Reaktion gleichfalls, dagegen ist eine 
neutrale mannithaltige Bouillon brauchbar. Ihre Darstellung wird näher 
beschrieben. 2 Volumina des zu prüfenden Wassers werden mit 1 Volumen 
dieser Bouillon versetzt und dieser Mischung 2 Proz. einer sterilisierten 0,1 proz. 
wässerigen Lösung von Neutralrot hinzugefügt. Die Flüssigkeit wird in Gär¬ 
röhrchen von 15 bis 20 ccm Inhalt verteilt und im Thermostaten bei 46° gehalten. 
Ist Bact. coli im geprüften Wasser vorhanden, so findet man nach 12 bis 
24 Stunden den geschlossenen Arm des Gärröhrchens teilweise mit Gas gefüllt, 
die Flüssigkeit diffus getrübt und ihre früher rote Farbe in eine gelbe, grün 

Vierteljabuschrift fflr Gesundheitspflege, 1908 . Supplement. oq 


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466 


Wasser. 


fluoreszierende verwandelt. Die Flüssigkeit muß ferner zugesetzte schwach 
alkalische Lackmustinktur, deren Bereitungsweise näher vorgeschrieben ist, 
röten. Es ist vorteilhaft, stets 100 ccm Wasser zu verwenden. Enthält das¬ 
selbe kein Bact. coli, so bleibt die Flüssigkeit klar, rot gefärbt, neutral, und 
es bildet sich kein Gas. (Archiv f. Hygiene, Bd62, S. 1.) 

J. Thomann gewann auf Grund eigener Versuche den Eindruck, daß 
Eijkmans Verfahren zum Coli-Nachweis (23. Jahresbericht, S. 466) ein 
neues und sicheres Mittel zur Differentialdiagnose zwischen dem Bact. coli 
„stricto sensu“ in die Hand gibt, d. h. dem Warmblüter-Coli und dem Bact 
coli im weiteren Sinne, speziell dem Kaltblüter-Coli. (Hygienische Rundschau, 
Bd. 17, S. 857.) 

A. Nieter vermochte mittels Müllers Fällungsmethode mit Eisen- 
oxychlorid (23. Jahresbericht, S. 464) TyphuBbazillen im Wasser noch 
bei einer Einsaat von ] /6oooo Normalöse sicher nachzuweisen, während Fickers 
Fällungsmethode mit Ferrisulfat und Soda nur den Nachweis bis zu Vioooo 
Normalöse gestattete. Verfasser hat bei seinen Versuchen immer auch noch 
Ausstriche auf einer Malachitgrünagarplatte (vgl. Lentz und Tietz, 
23. Jahresbericht, S. 115) vorgenommen. Nach Abschwemmung dieser Platte 
hat er auf diese Weise in der weitaus größten Zahl der Versuche mehr 
Typhuskolonien wahrnehmen können; vielfach konnte er sogar auch dann, 
wenn der Nachweis der Typhusbazillen auf den Drigalski-Platten im Stich 
gelassen hatte, noch solche durch das Malaohitgrünagarverfahren auffinden. 
(Hygienische Rundschau, Bd. 16, S. 57.) 

F. Ditthorn und E. Gildemeister empfehlen ein neues Anreiche¬ 
rungsverfahren für den Nachweis von Typhusbazillen im Trink¬ 
wasser. Sie knüpfen an die durch Kayser und Conradi erfolgte Einführung 
der Gallenflüssigkeit als ausgezeichnetes AnreicherungBmittel zum Nachweis 
von Typhusbazillen im Blut an. Das Verfahren der Verfasser beruht darauf, 
ganz in derselben Werne wie Müller (23. Jahresbericht, S. 464) das Wasser 
mit Eisenoxychlorid zu fällen und durch ein steriles Filter zu filtrieren. 
Im Gegensatz zur bisherigen Methode, die nun sofort einen Teil (höchstens 
ein Achtel) deB Niederschlages zum Ausstrich auf Drigalski-Platten bringt, 
verarbeiten Verfasser den ganzen auf dem Filter befindlichen Niederschlag 
in der Weise, daß sie ihn in etwa 100 com sterile Rindergallenflüssigkeit 
bringen, was sich sehr leicht durch Aufgießen der Galle auf das Filter und 
Abkratzen der Filterwandungen mit einer sterilen Gummifahne und nach- 
heriges Durchstechen des Filters erreichen läßt. Der in der Gallen fl üssigkeit 
befindliche Niederschlag wird 24 Stunden zur Anreicherung in den Brutschrank 
bei 37° C gebracht und nach dieser Zeit 1 ccm Gallenflüssigkeit auf Platten 
verstrichen. Bei höheren Verdünnungen als ‘/ioooooo Öse empfiehlt es sich, 
die Anreicherung 48 bis 72 Stunden vor sich gehen zu lassen, bei längerer 
Anreicherung tritt Schädigung ein. 

Durch diese Kombination von Fällungs- und Anreicherungsverf&hren 
dürfte nach den Verfassern eine erhebliche Verfeinerung im Nachweis von 
Typhusbazillen in nicht zu keimhaltigen Wassern erreicht sein. Sowohl 
über die Anwendung der Methode bei stark keimhaltigen Wassern, wie auch 
über die Ausschaltung des Eisenoxychlorids als Fällungsmittel stellen die 


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Trinkwasser. Bakteriologische Untersuchung. 467 

Verfasser weitere Mitteilangen in Anssicht, denn der Eisenoxychloridnieder¬ 
schlag wirkt — wie ihre Versuche ergaben — entwickelungshemmend auf 
die Typhuskeime ein. Ein 48stündiger Aufenthalt der Typhuskeime im 
Niederschlag hatte zur Folge, daß trotz Gallenanreicherung nicht eine Typhus¬ 
kolonie gewachsen war. (Hygienische Rundschau, Bd. 16, S. 1376.) 

Staiger kommt bei einer Prüfung der Hoffmann-Fickerschen 
Anreicherungsmethode beim Nachweis von Typhusbazillen im 
Wasser (22. Jahresbericht, S. 497) zu folgenden Ergebnissen. Eine An¬ 
reicherung der Typhuskeime und eine Wachstumsheramung der anderen Arten 
ist nur bei Mengen von Typhusbazillen zu konstatieren, wie sie bei der 
praktischen Wasseruntersuchung niemals Vorkommen. Bei der sehr geringen 
Anzahl dagegen, wie sie im praktischen Fall im Wasser Bich finden, zeigt 
sich eine merkliche Anreicherung durch das Hoffmann-Ficker sehe V erfahren 
nicht. Dasselbe leistet also nicht mehr als die gewöhnlichen Untersuchungs¬ 
methoden auch. Im übrigen fand Verfasser die Dauer der Lebensfähigkeit 
der Typbusbazillen im Wasser zu 72 bis 93 Stunden. Der Nachweis derselben 
gelang ihm am besten und längsten auf dem Endoschen Nährboden. (Würtemb. 
medizin. Korrespondenzblatt 1906; Referat in Zentralbl. f. Bakteriologie, Abt. 1, 
Referate, Bd. 39, S. 400.) 

C. Lubenau brachte an dem Ficker-Hoffmannschen Koffe'in- 
anreicherungsverfahren zum Nachweis vom Typhusbazillen im 
Wasser einige Modifikationen an, welche einer die Entwickelung der Typhus¬ 
keime schädigenden Säurebildung in der Anreicherungsfiüssigkeit entgegen¬ 
arbeiten sollen. 60 ccm konzentrierter FickerBcher Bouillon (also mit 6 Proz. 
Pepton und 1,6 Proz. Kochsalz) werden mit Sodalösung neutralisiert, sodann 
auf 89 ccm mit destilliertem Wasser aufgefüllt und sterilisiert. Nach dem 
Erkalten wird 1 ccm Normalsodalösung zugesetzt, ferner 0,3 g Koffein und 
0,0007 g Kristallviolett. Diese Anreicherungsbouillon kommt in einen hohen 
Zylinder und wird mit 10 ccm des zu untersuchenden Wassers gut gemischt. 
Man bebrütet 13 Stunden bei 37°, setzt abermals 100 ccm alkalischer Bouillon 
(Ficker) und 6 Proz. Koffein zu und mischt gut. Abermals wird 13 Stunden 
bebrütet; alsdann folgt Aussaat auf Lackmusmolkenagar. Der Anreicherungs¬ 
flüssigkeit setzt man alsdann noch weitere 100 ccm alkalischer Bouillon und 
0,9 Proz. Koffein (und gegebenenfalls, d. h. bei Abblassen der Bouillon, 0,0014 
bis 0,0021 Proz. Kristallviolett) zu; bebrütet wieder 13 Stunden und sät 
abermals 3 Serien Lackmusmolken-Agarplatten aus. (Hygienische Rundschau, 
Bd. 17, S. 1023.) 

von Drigalski beschrieb ein Verfahren zur Züchtung von Typhus¬ 
bazillen aus Wasser und ihren Nachweis im Brunnenwasser. Ver¬ 
fasser zog in Betracht, daß bei ruhigem Stehen des Wassers die saprophytischen 
Keime sedimentieren müssen, während Typhusbazillen vermöge ihrer Eigen¬ 
beweglichkeit schwebend bleiben. Aber nicht nur die Eigenbeweglichkeit, 
sondern auch das Vehikel, das etwa Typhuskeime in das Wasser gebracht 
haben konnte, d. h. Stuhlpartikelchen, wird wegen seiner Schwimmfähigkeit 
die Oberfläche zu einer günstigen Fundstelle machen. Hiernach war zu 
erwarten, daß durch Auslese eine Trennung der Typhuskeime von anderen 
Keimen gelingen könne. Weiter wurde, anknüpfend an Finsens Versuchs- 

30* 

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468 


Wasser. 


ergebnisse, versucht, vermöge der Reiz Wirkung des Lichtes die eigen* 
beweglichen Bakterien zellen in das Reizungsfeld zu ziehen, an die einem 
zerstreuten Licht ausgesetzte Wasseroberfläche. Die Temperatur endlich war 
so zu wählen, daß etwa vorhandene Fäulniskeime (Proteus) nicht eine zu 
unerwünscht starke Vermehrung erfahren, also Zimmertemperatur. 

Aus diesen Erwägungen ergab sich folgende Arbeitsweise, ln nicht zu 
breiten, zylindrischen, 5 bis 10 Liter haltenden Kannen (etwa nach Art von 
Milchkannen) aus verzinntem Blech mit übergreifendem Deckel, welche vorher 
im Dampftopf sterilisiert sind, werden unter aseptischen Kautelen die Wasser¬ 
proben entnommen. Das Wasser bleibt in diesen Kannen nach Entfernung 
der Deckel in zerstreutem (nicht etwa Sonnen-!) Licht 1 bis 2 Tage im Zimmer 
bei 18 bis 20° C ruhig stehen. Dann entnimmt man mit steriler Pipette von der 
Oberfläche ein bis mehrere Cubikcentimeter und sät diese auf die Oberfläche 
je einer großen Agarplatte nach von Drigalski-Conradi aus. Mit einer 
größeren Zahl von Platten gelingt es so ganz gut, 100 ccm Wasser und mehr zur 
bakteriologischen Durchsicht zu bringen. Die Platten hält man bei 37° und 
unterwirft möglichst viele der „typhusverdächtigen“ Kolonien der orientieren¬ 
den Agglutinationsprobe mit hochwertigem Typbusserum auf dem Deckglase. 

Verfasser beschreibt kurz zwei Typhusepidemien, bei denen er nach 
diesem Verfahren den Nachweis von Typhusbazillen im Brunnenwasser zu 
erbringen vermochte. (Arb. a. d. Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. 24, S. 68.) 

Müller berichtet von einer Typhusepidemie in Altenfeld in Thüringen 
im Herbst 1905, bei der alle Erkrankungen auf den Genuß des Wassers eines 
und desselben Brunnens zurückzuführen waren. Auffällig war nur, daß ein 
anderer Brunnen, der — an der gleichen Rohrleitung oberhalb liegend — 
aus derselben Brunnenstube gespeist wurde wie der erwähnte, keinen Typhus 
veranlaßte. Nähere Nachforschungen ergaben dann, daß die Rohrleitung 
zwischen beiden Brunnen einen Defekt aufwies, durch welchen unreines, 
typhusbazillenhaltiges Oberflächenwasser angesaugt wurde und nun seinen 
Weg zu dem unteren Brunnen nahm. (Zeitschr. f. Medizinalbeamte, Bd. 19, 
S. 717.) 

M. Kaiser fand ganz analoge Verhältnisse bei einer Typhusepidemie 
in einem Knabenerziehungsheim vor. Er vermochte auch in dem Wasser 
des als Krankheitsursache erkannten Brunnens Typhusbazillen nacbzuweisen. 
Die hierzu benutzten Methoden waren das Anreicherungsverfahren nach 
Roth-Ficker-Hoffmann (22. Jahresbericht, S. 497) mit darauf folgender 
Fällung nach Ficker (23. Jahresbericht, S. 465) oder Altsch üler und endlich 
Kultur auf v. Drigalski-Platten und Endoschem Fuchsinagar. (Vierteljahrs¬ 
schrift f. öffentl. Gesundheitspfl., Bd. 39, S. 265.) 

Folgende Arbeiten über Trink Wasserepidemien von Typhus seien 
hier noch aufgezählt: 

Seige und Gundlach: „Die Typhusepidemie in W. im Herbst 
1903.“ (Arb. a. d. KaiserL Gesundheitsamt, Bd. 24, S. 77.) 

Matthes und Gundlach: „Eine Trinkwasserepidemie in R.“ 
(Ebenda, Bd. 24, S. 83.) 

Matthes und G. Neumann: „Eine Trinkwasserepidemie in S.“ 
(Ebenda, Bd. 24, S. 116.) 


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Trinkwasser. Bakteriologische Untersuchung. 


469 


M. Beck and W. Ohlmüller: „Typhusepidemie in Detmold im 
Herbst 19 04.“ (Ebenda, Bd. 24, S. 138.) 

Fehrs prüfte Emmerichs (22. Jahresbericht, S.491) Angaben über die 
Beeinflussung der Lebensdauer von Krankheitskeimen im Wasser 
durch Protozoen nach. Zu seinen Versuchen benutzte er sechs verschiedene 
W&sser, deren chemische Zusammensetzung auch angegeben ist. ln allen 
untersuchten Wässern konnten Flagellaten nachgewiesen werden, zum Teil 
allerdings erst, nachdem ihnen durch Einsaat einer kleinen Öse Typhusbazillen 
Gelegenheit zur Anreicherung gegeben war. ln solchen Wässern ließen sich 
Typhusbazillen bis zum 20., Choleravibrionen bis zum 10. Tage nachweisen, 
während sich im sterilisierten Wasser eingesäte Typhusbazillen bis zum 76., 
Choleravibrionen bis zum 52. Tage hielten (weiter wurden die Beobachtungen 
nicht fortgesetzt). Wurden dem sterilen Wasser Flagellaten künstlich zu¬ 
geführt, so gingen eingesäte Typhusbazillen und Cholera Vibrionen wieder 
erheblich rascher zugrunde. 

In Präparaten, welche Verfasser */t Stunde und länger nach Einsaat von 
Typhusbazillen bzw. Choleravibrionen in Wasser, welches reich an Flagellaten 
war, anfertigte und nach Giemsa färbte, konnte auch Verfasser, freilich nicht 
so massenhaft wie Emmerich, im Leibe der Flagellaten Einschlüsse nach¬ 
weisen, welche man als mehr oder weniger im Zerfall begriffene Bakterien 
ansprechen konnte. 

Nach dem Ergebnis seiner Versuche muß also Verfasser den Angaben 
Emmerichs über die Mitwirkung der in jedem natürlichen Wasser vorhandenen 
Protozoen beim Vernichtungskampfe gegen Krankheitskeime im Wasser zu¬ 
stimmen. Die Promptheit der Vernichtung ist aber selbst bei Einsaat 
wesentlich geringerer Mengen pathogener Keime, als sie Emmerich bei 
seinen Versuchen anwandte, keineswegs stets so groß, wie derselbe sie 
in den von ibm untersuchten Wasserproben auffand. Emmerich geht also 
entschieden zu weit, wenn er den Beweis für erbracht hält, daß die Verbreitung 
von Seuchen durch Wasser unmöglich sei. (Hygienische Rundschau, Bd. 16, 
S.113.) 

S.W. Korschun nimmt Stellung zu den Anschauungen R. Emmerichs 
(22. Jahresbericht, S. 491) über die Schicksale der Typhusbakterien im 
Wasser. Gleich 0. Huntemüller (Arch. f. Hygiene, Bd. 54, S. 89) und Fehrs 
(vorstehendes Referat) bestätigt er die Vernichtung der Typhusbakterien 
durch Flagellaten. Von den Flagellaten kamen im Münchener Leitungswasser 
einmal nur etwa 70. ein zweites Mal etwa 130 auf 1 Liter; im Isarwasser 
war ihre Zahl erheblich größer. Die Typhusbazillen verschwinden aus dem 
Wasser schneller, wenn sie in großer Menge eingetragen sind, als wenn sie 
— wie es den natürlichen Verhältnissen entspricht — in verhältnismäßig 
geringer Zahl dem Wasser hinzugefügt wurden. Das hängt offenbar damit 
zusammen, daß im letzteren Falle die Flagellaten sich viel langsamer ver¬ 
mehren. Die in WasBer verimpften Typhusbazillen bleiben trotz Anwesen¬ 
heit zahlreicher Flagellaten zum Teil 8 und 15 Tage und wahrscheinlich 
noch länger am Leben. In diesem wesentlichen Punkte unterscheiden sich 
des Verfassers Resultate von denen Emmerichs. (Arch. f. Hygiene, Bd. 61, 
S. 336.) 


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470 


Wasser. 


Sterilisation des Trink wassere. 

Baehr hat in einem Vortrage die Trinkwasserbeurteilung und 
Trinkwasserversorgung bei der Feldarmeezusammenfassendbehandelt. 
Für die Beurteilung des Trinkwassers kommt im Felde die chemische und 
die bakteriologische Untersuchung zweifellos erst in zweiter Linie in Betracht 
Über die wichtigste Frage, nämlich ob eine Infektionsgefahr vorhanden ist 
wird der geübte Sanitätsoffizier in fast allen Fällen auf Grund der örtlichen 
Besichtigung und der grobsinnlichen Prüfung ein zutreffendes Urteil abgeben 
können. 

Gutes Trinkwa88er findet man im Grundwasser, das durch Brunnen 
erschlossen ist Sind jedoch Truppen auf Oberflächenwasser angewiesen, so 
wird in den meisten Fällen eine Reinigung und Sterilisierung erforderlich 
werden. Diese kann geschehen durch Zusatz von Chemikalien, durch 
Filtration oder durch Siedehitze. Verfasser prüft nun diese Verfahrungsweisen 
einzeln auf ihre Brauchbarkeit im Felde und gibt insbesondere spezielle, 
durch Abbildungen illustrierte Beschreibungen von Siemens transportabler 
Ozonanlage, des kleinen und großen Armeefilters der Berkefeld- Filtergesell¬ 
schaft und endlich des fahrbaren Wassersterilisators von Rietschel und 
Heuneberg (vgl. Proskauer und Schüder, 21. Jahresbericht S.489). 

Ob die Möglichkeit in der Zukunft vorliegt, die Truppenteile mit einer 
hinreichenden Menge Trinkwasserbereiter zu versehen, darüber zu entscheiden 
bleibt Sache der Militärverwaltung. Die Aufgabe, für den Feldgebrauch 
geeignete fahr- und tragbare Trinkwasserbereiter zu schaffen, muß als gelöst 
bezeichnet werden. (Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskr., Bd. 56, S. 113.) 

E. J. Köhler beschreibt das Verfahren von Puech, nach welchem 
Oberflächenwasser durch Filtration, Lüftung und Durchlichtung 
gereinigt und in brauchbares Trinkwasser übergeführt werden soll. Es ist 
zurzeit auf einer Anlage in Suresnes in Betrieb, die eine Anzahl Pariser 
Vororte mit 160 000 Einwohnern versorgt und bis zu 35000 Cubikmeter 
täglich leistet. Es liegt ihm der Gedanke zugrunde, das Rohwasser unter 
Zuhilfenahme von Luft und Licht in einer Reihe von Grob- und Vorfiltern 
so weit zu reinigen, daß den Feinfiltern im wesentlichen nur die Aufgabe zu¬ 
fällt, die Entkeimung zu vervollständigen und die letzten Suspensionen aus 
dem Wasser zu entfernen. Zu dem Zweck sind die erwähnten Grob- und 
Vorfilter treppenförmig hintereinander angelegt, und durch Anordnung von 
Überläufen und Kaskaden, die zwischen den einzelnen Filtern eingeschaltet 
sind, ist dafür Sorge getragen, dem Wasser reichlich Gelegenheit zu geben, 
mit dem Sauerstoff der Luft in innige Berührung zu kommen, während 
gleichzeitig dem Liebte eine ausgiebige Einwirkung auf das Wasser ermöglicht 
ist. Der chemische und bakteriologische Effekt der Anlage soll nach den 
vorliegenden Analysen gut sein. (Journal f. Gasbel. u. Wasservers., Bd. 50, 
S. 282.) 

Der Bericht der Stadtverwaltung von Alexandria enthält 
Mitteilungen über die Verwendung der Je well-Filter im Großbetriebe. 
Das RohwaBser aus dem Farkhakanal erhält pro Cubikmeter einen Zusatz 
von 14,5 bis 24,5 g Aluminiumsulfat; unter Mitwirkung der Carbonate des 
Wassers entsteht ein Niederschlag von Aluminiumhydroxyd, der alle Schwebe- 


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Trinkwasser. Sterilisation des Trinkwassers. 


471 


Stoffe mit niederreißt. Das so geklärte Wasser wird einer Schnellfiltration 
unterworfen; in 24 Stunden gehen etwa 90 cbm Wasser durch 1 qm 
Filteroberfläche. Die Erfolge sind mit Beziehung auf Erhöhung der Durch¬ 
sichtigkeit des Wassers und Verminderung der Keimzahl Behr gut. (Viertel¬ 
jahrsschrift f. gerichtliche Medizin. Dritte Folge, Bd. 34, S. 404.) 

Eine ähnliche Anlage für 3000 bis 5000 Tagescubikmeter findet sich 
auch in Damiette. (Journal f. Gasbel. u. Wasservers., Bd. 50, S. 546.) 

Friedberger veröffentlichte Versuche über die Verwendung von 
Jewell-Filtern bei der Königsberger Wasserversorgung. Das 
Verfahren der langsamen Sandfiltration allein ist nicht geeignet, das 
Königsberger Rohwasser in ein zu allen Zeiten tadelloses Trinkwasser zu 
verwandeln, denn die durch Huminstoffe bedingte Gelbfärbung und der 
Eisengehalt werden nicht ausreichend entfernt, und zur Zeit der Schnee¬ 
schmelze verschlammen die Filter zu schnell. Eine installierte Versuchs¬ 
anlage mit amerikanischen Schnellfiltern der Jewell-Filter-Co. bestand aus 
3 Hauptteilen: 1. dem Sedimentierungsgefäß, in welchem das Fällungsmittel 
Alaun, durchschnittlich 30 g pro Cubikmeter, dem Rohwasser zugesetzt wird; 
2. dem Behälter für die Alaunlösung; 3. dem eigentlichen Filter. Die gelbliche 
Farbe und das Eisen wurden durch die Alaunklärung vollständig entfernt. 
Chemische Zusammensetzung und Geschmack des Wassers wurden durch 
den Alaunzusatz nicht störend beeinflußt. Dagegen war bei keimreichen 
Rohwässern die Keimreduktion nicht genügend. Verfasser empfiehlt daher 
das Verfahren der Schnellfiltration in Kombination mit der langsamen Sand¬ 
filtration (zur Vorfiltration) als besonders für die Königsberger Verhältnisse 
geeignet. (Ref. in Zeitschr. f. Medizinalbeamte, Bd.20, S. 327.) 

H. Schweikert empfiehlt auf Grund einiger Laboratoriumsversuche 
die Anwendung kolloidalen Eisenoxyds zur Reinigung von Trink¬ 
wasser. Das Eisenhydrosol wird nach Zusatz zum Wasser durch die gelösten 
Salze des letzteren ausgeflockt und vermindert hierbei durch Niederreißen 
in den entstehenden Niederschlag den Gehalt an gelösten organischen Stoffen. 
Auch die Keimzahl wird bei ausreichendem Zusatz des Fällungsmittels 
wesentlich vermindert. Der Mineralstoffgehalt des Wassers wird nur unerheblich 
vermehrt. Durch ein neues, billiges, dem Verfasser unter Nr. 173 778 
patentiertes Verfahren zur Darstellung des Eisenhydrosols glaubt Verfasser 
der skizzierten Methode der Wasserreinigung den Weg in die Praxis geebnet 
zu haben. Die Kosten des für 1 cbm Wasser erforderlichen Präparates 
sollen sich nach Verfasser auf 3,2 stellen; anschließende Erwägungen 
des Verfassers zur weiteren Herabsetzung dieser Kosten erscheinen dem 
Referenten praktisch aussichtslos. (Chemikerztg., Bd. 31, S. 16.) 

0. Wentzki beschreibt die Reinigung des Trinkwassers durch Natur- 
Steinfilter, System Lanz. Eine entsprechende Anlage für eine 24 stüudige 
Leistung von 3000 cbm ist seit 1902 in Homburg v. d. H. in Betrieb. 
Das zu filtrierende Wasser wird dort zunächst in eine Enteisenungsanlage 
geleitet und dann in ein rückspülbares Wellenfilter, System Lanz, wo es 
mehrere hintereinander geschaltete Sand-Kiesschichten passiert, die die groben 
Schwebestoffe (Eisenoxyd) zurückhalten. So vorgereinigt fließt das Wasser 
in 4 Kammern mit je 52 Stein filtern, die die eigentliche Filtration besorgen. 


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472 


Wasser. 


Das Filtermaterial ist ein fein poröser Naturstein. Die Anlage bedarf nur 
den dreizehnten Teil der Bodenfläche, den gewöhnliche Sandfilter für die 
gleiche Leistung erfordern würden. Sie ist imstande, dauernd ein absolut 
klares, wenn nicht keimfreies, so doch nahezu keimfreies Wasser zu liefern, 
auch dann, wenn der Keimgehalt des Rohwassers ein hoher ist. Die Reinigung 
der Steinfilter nach Verschmutzung, bzw. Verstopfung der Oberfläche erfolgt 
durch einfache Rückspülung. (Journal f. Gashel. u. Wasservers., Bd.49, S. 1013.) 

H. Wichmann beschreibt das „Gloriafilter“ Patent Breyer- 
Jurnitschek, bei welchem Ziegelmehl als Filtermaterial dient. Die Filter¬ 
elemente bestehen aus rechteckigen, ganz flachen Kammern, mit abgerundeten 
Kanten, aus Siebblech hergestellt und mit Filtertuch bespannt. Auf dieses 
ist grobes Ziegelmehl und dann — als eigentlich filtrierendes Material — 
feines Ziegelmehl aufgebracht. Je vier, zehn oder zwanzig solcher Elemente 
werden zu einer Batterie vereinigt. Aus mit geteilten Versuchsergebnissen 
geht hervor, daß der bakteriologische Reinigungseffekt und die Leistungs¬ 
fähigkeit des Filters auch bei Dauerbeanspruchung erheblich sind. (Journal 
f. Gasbel. u. Wasservers., Bd. 50, S. 792.) 

W. Wittneben prüfte ein neues Hausfilter, das von den Tonwerken 
in Z. fabriziert wird und sich als eine Filterkerze erweist, die dem Berkefeld- 
Filter ähnelt. Bei den Versuchen zeigte sich die Ergiebigkeit dieser neuen 
Z-Kerze durchweg größer als diejenige des Berkefeld-Filters; qualitativ 
waren die Leistungen jedoch sehr ungleichmäßig und standen bei einem 
erheblichen Teil der untersuchten Einzelkerzen in Beziehung auf die Filtration 
von Keimen hinter den Leistungen der Berkefeld-Filter zurück. (Hygien. 
Rundschau, Bd. 16, S.869; Bd. 17, S. 863.) 

P. P. Ssorotschinski stellte Versuche über die desinfizierende Wirkung 
des Brom8 auf Trinkwasser an. (18. Jahresbericht, S. 459.) Der Brom¬ 
überschuß wurde durch Zusatz von Natriumthiosulfat wieder weggenommen. 
Die behandelten Wasserproben wurden auf Agar untersucht. Es ergab sich, 
daß es auf die Art der mechanischen Zumischung des Broms zum Wasser 
ankommt und daß ein Zusatz von 0,08 g Brom zu 1 Liter Wasser erst binnen 
einer Stunde hinreichende Keimtötung hervorbringt. (Dissertation St. Peters¬ 
burg; Ref. in Chemikerztg., Bd. 31, Repert., S. 385.) 

Christian verglich die desinfizierende Wirkung des Wasserstoff¬ 
peroxyds und des Calciumperoxyds auf Trinkwasser. Die Keimzählungen 
ergaben, daß nach Zusatz von 10 ccm 3proz. Wasserstoffperoxydlösung auf 
1 Liter Wasser einerseits und 0,5 g 50proz. Calciumperoxyd auf 1 Liter 
andererseits in 4 bis 6 Stunden eine Sterilisierung des Spreewassers eintrat. 
Das nach der angegebenen Zeit im Wasser noch tdtrimetrisch nachweisbare 
Peroxyd entsprach im ersten Falle 0,08 g, im zweiten 0,008 g H s O s in 1 Liter. 
Wenn auf Grund dieser Versuchsergebnisse das Calciumperoxyd eine stärkere 
Wirkung auszuüben scheint als das Wasserstoffperoxyd, so ist das nicht 
etwa, wie E.Bonjean (Bulletin deB Sciences pharmacol., Bd. 6, S. 336) meint, 
auf die Bildung naszierenden Wasserstoffperoxyds aus dem Calcium peroxyd 
zurückzuführen. Nach Verfasser spielt vielmehr der aus dem Calcium peroxyd 
abgespaltene Ätzkalk die entscheidende Rolle. (Hygien. Rundschau, Bd. 16, 
S. 409.) 


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Trinkwaa8er. Sterilisation des Trinkwassers. 


473 


J. Novotny stellte Versuche über die Trinkwasserdesinfektion 
mit Wasserstoffperoxyd und mit Natriumperoxyd an. Der Verun- 
reinigungegrad des zu desinfizierenden Wassers ist von erheblichem Einfluß; 
zwischen der Keimzahl und der erforderlichen Menge des Peroxyds herrscht 
Proportionalität, was für die Praxis wichtig ist. Die keimtötende Wirkung 
des Natriumperoxyds im Verhältnis 1:100 ist deutlich, im Verhältnis 1:500 
ist sie nicht mehr unbedingt sicher. Bei den Versuchen mit Wasserstoff¬ 
peroxyd konnte bei ausreichender Konzentration gleichfalls starker Rückgang 
im Keimgehalt bemerkt werden; eine auffällige Spaltung des zugefügten 
Peroxyds in Wasser und Sauerstoff ließ sich titrimetrisch nicht dartun. 
Als Trinkwasserdesinfiziens ist nach Verfasser Natriumperoxyd, seiner 
Billigkeit und seiner leichten Aufbewahrung wegen, im Verhältnis 1:500 
allen anderen vorzuziehen. Da es dem Wasser einen laugenhaften Beigeschmack 
erteilt, ist das gebildete Alkali durch ZitronenBäurezusatz abzustumpfen; ein 
etwa vorhandener metallischer Nachgeschmack läßt sich noch durch kleine 
Zuckermengen ziemlich gut korrigieren. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. 2, Bd. 19, 
S. 184.) 

E. Paterno und M. Cingolani haben in wiederholten Versuchen gute 
Erfolge bei der Verwendung des Silberfluorids (Tachiol) bei der Wasser¬ 
sterilisation gesehen. In der Dosierung 1:500 000 machte es das Wasser 
völlig keimfrei. Die Versuche wurden mit Trinkwasser verschiedenen 
Ursprungs angestellt, das durch kleine Mengen Abwasser oder Coli-, Cholera-, 
Typhus- und Diphtherie-Kulturen verunreinigt war. Tachiol wirkte bei diesen 
Versuchen besser als Chlor, Brom und Ozon. — Die chemische Zusammen¬ 
setzung des WasserB wird nicht merklich geändert, es wird kaum trübe; nach 
eintägigem Stehen ist es jedenfalls vollkommen klar. Versuche an Hunden, 
denen mehrere Monate lang Wasser mit Vi.\ooo Silberfluorid gereicht wurde, 
ergaben, daß das Verfahren hygienisch unbedenklich ist. Auch Silbemitrat 
ergab bei Kulturversuchen eine starke sterilisierende Wirkung; bei Anwendung 
gleicher Mengen dieses Salzes ist jedoch der Effekt minder vollkommen als 
beim Fluorid. (Gazz. chim. ital. Bd. 37, S. 313; Ref. in Chemikerztg., Bd. 31, 
S. 489 u. Repert., S. 631.) 

G. de Rossi bespricht die sterilisierende Wirkung des Silber¬ 
fluorids (Tachiol) und Silbernitrats auf Trinkwasser. Diegenannten 
Salze töten in einer Konzentration von 1:500 000 in destilliertem Wasser binnen 
5 bis 30 Minuten die vegetativen Formen der meisten pathogenen Keime und 
in 6 Stunden die vegetativen Formen von Bac. suhtilis. Im natürlichen Wasser 
wird diese Wirkung durch die Gegenwart der kaum fehlenden Chloride und 
organischen Substanzen erheblich verzögert. Man kann dem entgegenarbeiten 
entweder durch Erhöhung der Konzentration auf 1: 50 000, oder durch Zusatz 
von Ammoniak bis zur Lösung des entstandenen Niederschlages. Im ersteren 
Falle wird das Wasser durch auftretende Trübung unangenehm verändert, 
im letzteren Falle leidet der Geschmack. Dennoch hält Verfasser das Verfahren 
in besonderen Fällen als Notbehelf für brauchbar; er zieht dann das Nitrat 
allen anderen Silbersalzen vor, weil es sich im Preise am niedrigsten stellt. 
(Rivista d’Igiene 1906, Nr. 2; Ref. in Zentralbl. f. Bakt., Abt. 1, Referate, 
Bd. 39, S. 801.) 


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474 


Wasser. 


G.C.Whipple beschreibt die in Ostende und in Middelkerke üblichen 
Verfahren der chemischen Trinkwassersterilisation. Die Wasser¬ 
versorgung Ostendes entnimmt ihr ziemlich trübes, hartes und salziges Roh- 
wasser einem kleinen Kanal, der vor verunreinigenden Zuflüssen nicht geschützt 
ist. Auf eine Fällung mit Alaun und eine mechanische Reinigung folgt noch 
eine chemische mittels Chlorperoxyd (CIO,). Das Mittel wird in der An¬ 
lage selbst aus Kaliumchlorat und Oxalsäure bereitet; das gebildete gasförmige 
Chlorperoxyd wird in Wasser aufgefangen und diese Lösung dem Abfluß von 
den mechanischen Filtern zugesetzt. Die bakteriologische Wirkung der Anlage 
soll bei einem Verbrauch von 18 mg der Chemikalien pro Liter Wasser gut 
sein; doch hat das Verfahren den Nachteil, daß es teuer ist, daß das Peroxyd 
bei höherer Temperatur explosiv ist, daß bedenkliche Chlorverbindungen 
ziemlich lange im Wasser Zurückbleiben und daß schließlich die Chloride des 
Wassers vermehrt werden. 

ln Middelkerke benutzt man als Fällungsmittel das sogenannte Ferro- 
chlor; nach Zusatz desselben filtriert man über mechanische Filter. Ferrochlor 
ist eine frisch bereitete Mischung von Eisenchloridlösung und Chlorkalklösung; 
hierbei entsteht Calciumchlorid, Eisonhydroxyd und freie unterchlorige Säure, 
von denen das zweite als Fällungsmittel, das letzte als Sterilisationsmittel 
wirkt. Bei einem Zusatz von 16 mg Eisenchlorid und 19 mg Chlorkalk pro 
Liter war die bakteriologische Wirkung sehr gut Auch in Paris sind erfolg¬ 
reiche Versuche mit dem Ferrochlor-Verfahren angestellt worden. Ein Nach¬ 
teil ist jedoch, daß möglicherweise unterchlorige Säure im Wasser zurück¬ 
bleibt. (Journal f. GasbeL u. Wasservers., Bd. 50, S. 165.) 

K.Thumm und A. Schiele berichten gleichfalls über die Ferrochlor- 
Reinigungsanlage in Middelkerke und äußern sich in der Hauptsache 
günstig über das Verfahren. (Mitteilungen der Kgl. Prüfungsanstalt für 
Wasserversorgung usw., Heft 8, S. 1.) 


Chemische Veränderungen d«B Trinkwassers. 

(Mangan, Enteisenung, Blei, Zink.) 

H. L ü h r i g legt in ausführlicher Arbeit die Ursachen der Ver¬ 
schlechterung des Breslauer Grundwassers dar, eines Phänomens, das 
ohne Beispiel in der bisherigen Geschichte der Trinkwasserversorgungen ist. 
Breslau besaß früher ein Wasserwerk, das das zur Versorgung der Stadt 
dienende Wasser der Oder entnahm und über Sand filtrierte. Nachdem 
Flügge im Jahre 1893 am linken Oderufer östlich der Stadt stromaufwärts 
eine alluviale Kiesschicht aufgefunden hatte, die ein zwar eisenhaltiges, aber 
qualitativ brauchbares Grundwasser zu liefern schien, trat man dem Gedanken 
einer Grundwasserversorgung an Stelle der bisherigen Flußwasserversorgung 
näher. Nach Vornahme weiterer Vorarbeiten durch Thiem erfolgtetatsächlich 
seitens der Stadt der Bau der neuen Wasserversorgungsanlage, und Anfang 
1905 konnte die fertige Anlage, welche auf eine Tagesmenge von 60000 cbm 
Wasser berechnet war, in Betrieb genommen werden. Die früheren Filter 
des Oderwasserwerkes blieben mit Ausnahme eines, das in einen Rein¬ 
wasserbehälter umgebaut war, bestehen. 


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Trinkwasser. Chemische Veränderungen des Trinkwassers. 475 

Die geologischenVerhältnisse des Grund wassergebietes sind folgende. 
Das Tertiär bildet im Odertal eine weit gespannte Synklinale von nicht genau 
ermittelter Mächtigkeit. Es besteht aus plastischen Tonen und Glimmersand, 
auch aus Braunkohlenschicbten im Liegenden. In seinen durchlässigen Sand- 
schichten fahrt es reichlich Wasser, das unter starkem artesischen Druck 
steht. Über dem Tertiär, soweit es nicht das Ausgehende (an den Rändern 
der Synklinalen Mulde) bildet, lagern tonreiche, feinkörnige Schliefsande, die 
größtenteils aus umgelagertem Tertiär bestehen. Sie zeigen häufig Wechsel¬ 
lagerung mit dem Geschiebemergel und vertreten diesen teilweise. Der Ge- 
schiebemergel selbst bildet zu beiden Seiten des Odertales die quartäre Fläche 
und senkt sich in der Oderniederung unregelmäßig bis auf 10 bis 14 m und 
mehr in die Tiefe hinab. Über ihm wird in der Oderniederung eine etwa 30 cm 
mächtige Auflagerung nordischer Geschiebe, die „Steinsohle“, angetroffen. Der 
nun folgende dem Alluvium ungehörige, feine Sand, Geschiebesandauflagerung 
des Geschiebemergels der quartären Hochfläche und Talsandauflagerung in 
der Talmulde, ist der eigentliche Träger des Grundwassers. Die erstere 
kommt bei ihrer durchweg nur geringen Mächtigkeit weniger in Frage als 
die letztere, über den Sanden liegt eine mehr oder weniger mächtige Schlick- 
und Aulehmschicht. 

Das Aufschlußgelände der Grundwasserversorgung erstreckt sich ober¬ 
halb der Stadt am linken Ufer der Ohle, die der Oder an ihrem linken Ufer fast 
parallel folgt. Die Betriebsanlage befindet sich in Schwentnig, woselbst das 
durch 3 Heberleitungen geförderte Grundwasser sich in 2 Sammelbrunnen 
(I und II) vereinigt. Die Heberleitung der Gruppe I ist in nördlicher Richtung 
gelegen und erhält ihr Wasser aus 26 angeschlossenen Rohrbrunnen. Die 
HOberleitungen der Gruppen II und III liegen in südöstlicher Richtung und 
entnehmen auf eine Gesamtlänge von etwa 6 km mittels 286 Rohrbrunnen, die 
in einer Entfernung von je 21 m angelegt sind, dem Untergründe das Wasser. 
Das Hauptsammelrohr der äußersten Gruppe III endigt auf Tscheschnitzer 
Gelände und hat daselbst noch eine Weite von 500 mm, so daß eine Verlängerung 
ohne weiteres möglich ist. 

Die Anordnung ist parallel dem angenommenen Grundwasserstrom 
gewählt; auch ist auf eine Mitwirkung der Flüsse bei der Lieferung der 
nötigen Wassermenge gerechnet worden. Bei voller Inanspruchnahme war 
eine tiefste Absenkung deB Grundwasserspiegels um 7,5 m vorgesehen. Aus 
dem Sammelbrunnen wird das Wasser durch Pumpwerk zum Wasserwerk 
am Weidendamm gefördert, dort passiert es eine Enteisenungsanlage, wird dann 
vom Eisenniederscblag durch Sandfilter befreit und gelangt von dort in den 
Rein Wasserbehälter, von dem es in das Hochreservoir gehoben wird. Von hier 
aus verteilt es sich in das Stadtrohrnetz. 

Das seit Beginn des Jahres 1905 in Benutzung genommene Grundwasser 
entsprach allen Anforderungen an gutes Trinkwasser. Es war ein mittel¬ 
weiches, relativ reines Wasser mit 183 bis 232 mg Gesamtrückstand und 6 
bis 7 Graden Gesamthärte, darunter 1 bis 3 deutsche Grade Carbonathärte. 
Unter den gelösten Stoffen überwogen Kalk (47 bis 59 mg) und Schwefel¬ 
säure (42 bis 60 mg in 1 Liter). Der Eisengehalt des Grundwassers betrug 
im Mittel ungefähr 12 mg in 1 Liter, mit Schwankungen von 6 bis 18 mg; 
er wurde durch die Enteisenungsanlage bis auf belanglose Spuren entfernt. 


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476 


Wasser. 


Aus den vorliegenden Analysen ist ein allmähliches Zunehmen der gelösten 
Stoffe in der Zeit von Anfang 1905 bis März 1906 zu konstatieren. 

Am 28. März 1906 trat eine plötzliche Veränderung des Leitungswassers 
ein (vgl. 24. Jahresbericht, S. 534), und zwar erfolgte dieselbe kurze Zeit nach 
der Überflutung des Aufschlußgeländes durch ausgeufertes Hochwasser der 
Oder. Der Geschmack veränderte sich, das Wasser wurde trübe und zum 
Teil braun gefärbt und verdarb die Wäsche beim Waschen durch Braunfärbung. 
Der Gehalt an gelösten Stoffen war fast bis auf das Dreifache gestiegen; am 
stärksten sind daran die schwefelsauren Salze beteiligt, zu denen sich als 
anscheinend neue Verbindung das Manganosulfat gesellt hat (bis 
4 5 mg in 1 Liter). Der Gehalt an Chloriden hat merkbare Veränderungen nicht 
erlitten; die Gesamthärte ist erheblich gewachsen (bis 19 Grad) und die 
Carbonathärte fast, bzw. völlig verschwunden; die alkalische Reaktion des 
Wassers ist in eine gegen Rosolsäure saure übergegangen. Die Oxydierbarkeit 
war gesteigert, deutliche Spuren von Ammoniak und Salpetersäure traten auf. 

Abgesehen von diesen Veränderungen ließ das Rohwasser beim Aus¬ 
bruch der Kalamität noch ein plötzliches und kolossales Ansteigen des 
Eisengehaltes erkennen, der bis über 100 mg hinausging. Aus den Einzel¬ 
beobachtungen ging hervor, daß die Kalamität weniger in der Gruppe I der 
oben erwähnten Einzelbrunnen, als vielmehr in Gruppe II und III zu suchen 
war. Gruppe III wurde deshalb von der Wasserversorgung abgesperrt und 
die Stadt Breslau bis auf weiteres mit einer Mischung von Grundwasser der 
Gruppen I und II mit filtriertem Oderwasser des früheren Wasserwerkes 
versorgt. 

Über die Ursachen des geschilderten Phänomens sind verschiedene 
Meinungen aufgestellt worden. Frech nimmt einen Eintritt tieferen Wassers 
aus dem Tertiär oder, später, aus altquartären Bodenschichten in das Alluvium 
an, während der Verfasser, und mit ihm Beyschlag, die Ursache der 
Kalamität einzig und allein in der Auslaugung sekundär gebildeter wasser¬ 
löslicher Salze aus dem Alluvium durch das Überflutungswasser erblicken. 
Daß in der Tat kein Wasserzutritt aus den liegenden Schichten die Veränderung 
bedingen konnte, geht aus den Analysen hervor, die Verfasser an erbohrten 
Wässern aus den bezeicbneten Schichten angestellt bat. Ihre Zusammen¬ 
setzung war nicht derart, daß durch sie die beobachteten Veränderungen in 
der Zusammensetzung des Grundwassers hätten hervorgerufen werden können. 
Auch der Umstand, daß auf die Veränderung der chemischen Zusammensetzung 
alsbald eine deutliche Erniedrigung der Temperatur des Grundwassers er¬ 
folgte, spricht gegen den Eintritt von Wasser von unten her, welches doch 
wärmer gewesen wäre, und für den Zutritt von kälterem Oberflächenwasser. 
Endlich lassen sich auch die zur kritischen Zeit im Wasserwerkbetrieb 
gemachten Wahrnehmungen nur unter der Voraussetzung eines Eindringens 
des Wassers von oben her erklären. Flügge hob all diesem gegenüber her¬ 
vor, daß einerseits das grundwasserführende Alluvium durch eine schwer 
durchlässige Schicht gegen das Überflutungswasser geschützt sei, und daß 
mit dem Eindringen des letzteren ein Anwachsen des Bakteriengehaltes sich 
hätte zeigen müssen, tatsächlich jedoch ausgeblieben sei. Verfasser stellt 
dem entgegen, und er belegt es durch Tatsachen, daß in Wahrheit die Deck¬ 
schicht des Alluviums keineswegs so undurchlässig ist, wie behauptet wurde, 


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Trinkwasser. Chemische Veränderungen des Trinkwassers. 477 

und daß andererseits die Keimfreiheit des veränderten Wassers durch seinen 
Gehalt an Ferrosulfat und vor allem an freier Schwefelsäure bedingt ist. 

Der Verfasser erklärt in überzeugender Weise alle Erscheinungen in 
folgender Weise. Das Hinein verlegen der letzten Brunnen der Gruppe III, 
sowie auch solcher der Gruppe II in ein Terrain, auf welchem sich Altwasserläufe 
und große Massen von organischen Schlickstoffen finden, ist für die Anlage 
verhängnisvoll geworden. Solange die Verwesungsprozesse dieser organischen 
Schlickmassen im Grund wasser, also bei Abschluß des Luft Sauerstoffes, vor sich 
gingen, mußten sich als Produkte dieser reduzierend wirkenden Prozesse 
erhebliche Mengen von Schwefelkies (FeS a ) bilden. Sobald das Wasserwerk 
in Betrieb gesetzt würde, begann eine langsame, aber stetige Absenkung des 
Grundwasserspiegels, wodurch die Schichten, in denen die Entstehung des 
Schwefelkies vor sich gegangen war, dem Einfluß des Luftsauerstoffes aus¬ 
gesetzt wurden. Hierbei mußte aber der Schwefelkies in Ferrosulfat und 
freie Schwefelsäure Übergehen: FeS a -f- 70 -f- H a 0 = FeS0 4 -f- H a S0 4 . 

Diese Oxydationsprodukte lagerten, an den Ort ihrer Entstehung gebannt, 
die Sandkörnchen als feine Häute umkleidend, ohne Unheil anrichten zu können. 
Nun kam die Überflutung des Geländes im März 1906; das Wasser drang 
durch die Trockenrisse in den Boden ein und löste die neugebildeten Stoffe 
auf. Auf dem weiteren Wege nach unten fanden diese Wässer nun in den 
Sanden Braunstein (MnO a ) vor; Verfasser gibt den mittleren Gehalt an 
diesem Bestandteil zu 0,10 bis 0,15 Proz. an. Braunstein ist aber in ferro¬ 
sulfat- und schwefelsäurehaltigem Wasser leicht löslich unter Bildung von 
Manganosulfat; das eindringende Überflutungswasser mußte sich also auch 
mit diesem Stoffe nunmehr beladen. So führte es dem Grundwasser Ferro¬ 
sulfat und Manganosulfat direkt zu, brachte durch seine freie Schwefel¬ 
säure die Carbonathärte zum Verschwinden und rief saure Reaktion hervor, 
kurznm produzierte alle die Veränderungen, die tatsächlich beobachtet wurden. 

Verfasser hat darauf hingewiesen, daß, vom Standpunkte dieser Erklärung 
aus jedes neue Hoohwasser eine Wiederholung des Spiels erwarten lassen 
müsse. Auch das hat sich durchaus bestätigt, wie Beobachtungen und Unter¬ 
suchungen lehren, die gelegentlich des Hochwassers vom 21. u. 22. September 
1906 angestellt wurden. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, 
Bd. 13, S. 441.) 

H. Lührig hat die vorstehend wiedergegebenen Auseinandersetzungen 
in einer zweiten Abhandlung noch weiter ergänzt. Insbesondere konnte er 
zeigen, daß das von oben eindringende Überflutungswasser sich nicht direkt 
mit dem noch vorhandenen Grundwasser mischt, sondern sich auf dasselbe 
auflagert. Die in ihm gelösten Stoffe aber sinken durch Diffusion in das 
Grundwasser hinab, so daß aus den Brunnen zunächst verändertes Grund¬ 
wasser und dann erst, nach Maßgabe der Absaugung dieses Grundwassers, 
das Oberflächenwasser gefördert wird. Weiter wird in dieser zweiten Arbeit 
experimentell der Beweis dafür erbracht, daß beim Lagern der humosen, 
lettigen Schlickproben an der Luft in der Tat die vom Verfasser vorausgesetzten 
Veränderungen — Bildung von Ferrosulfat und freier Schwefelsäure — vor 
sich gehen. 

Ist somit über die Ursachen der Katastrophe jeder Zweifel behoben, und 
weiß man hierdurch auch, welche Geländestrecken bei der eventuellen Ver- 


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478 


Wasser. 


größerung des Fassungsgebietes auszuschließen sind und wie tief eino 
Absenkung des Grundwasserstandes ohne Gefahr erfolgen kann, so bleibt 
doch vom praktischen Standpunkt noch die wichtigste Frage zu lösen: Er¬ 
höhung der Ergiebigkeit und Befreiung des Wassers von den schädigenden 
Stoffen. 

Die Hoffnung, in absehbarer Zeit durch den natürlichen Betrieb des 
Wasserwerkes die schädlichen löslichen Stoffe aus den Schlickmassen auslaugen 
zu können, hat keinerlei Aussicht auf Verwirklichung. Auf den ersten Blick 
erscheint es daher ratsam, die Entfernung der gefährlichen humösen Boden¬ 
schichten zu empfehlen; doch ist dieser Weg nicht gangbar, und man setzt 
sich mit einer solchen Maßregel obendrein der Gefahr aus, durch Entfernung 
wirksamer Filterschichten den Bakterien die Möglichkeit des Eindringens in 
die Tiefe zu gewähren. Auch eine starke Mergelung des Bodens vermag in 
absehbarer Zeit eine gänzliche Umwandlung der löslichen Mangan- und 
Eisensalze in unlösliche Stoffe nicht herbeizuführen, immerhin ist sie vielleicht 
insofern erfolgreich, als die Möglichkeit einer Bindung der freien Schwefel¬ 
säure gegeben ist. Nach wie vor muß daher das Augenmerk auf die quan¬ 
titative Ausscheidung des Eisens und des Mangans aus dem Wasser 
gerichtet werden. Bei dem Eisen erwächst insofern eine Schwierigkeit, als 
mit den bestehenden Enteisenungsanlagen eine vollständige Entfernung nicht 
immer erreicht werden kann, da dasselbe zu einem erheblichen Teile als 
Sulfat in beiderlei Oxydationsstufen vorhanden ist. Bei dem Mangan liegt 
die Schwierigkeit nicht so sehr in der quantitativen Entfernung desselben, 
als vielmehr in den durch die Fällungsmethoden bedingten Nebenreaktionen, 
die zu einer geschmacklichen Verschlechterung führen können. Zur Zeit der 
Abfassung der Abhandlung waren Versuche erfolgreich, bei denen das Mangan 
durch Zusatz von konzentriertem Kalkwasser gefällt und das so gereinigte 
Grundwasser durch Vermischung mit filtriertem Oderwasser von jeder 
Geschmacksbeeinträchtigung befreit wurde. 

Selbstverständlich aber müssen die Bestrebungen dahin gehen, die 
Entmanganungsanlage nicht als eine dauernde, sondern als eine vorüber¬ 
gehende Einrichtung in den Betrieb einzuschalten, ln letzter Linie hat man 
Bedacht darauf zu nehmen, solche Maßregeln zu ergreifen, welche nicht nur 
die Ergiebigkeit der Wassergewinnungsanlage zu steigern vermögen, sondern 
auch verhindern, daß wiederum eine zu erhebliche Absenkung des Grund¬ 
wasserspiegels eintritt. Alle Sachverständigen sind sich darüber einig, daß 
beides nur durch künstliche Zufuhr von Wasser auf oder in das Fassungs¬ 
gelände möglich ist, um den Wasserstand einerseits von der Entnahme, und 
andererseits von der Wassermenge der Flüsse, von den Niederschlagsmengen 
und von Überschwemmungen unabhängig zu machen. Gelingt es, den Grund¬ 
wasserstand dauernd wieder so hoch zu halten, wie er vor Inbetriebnahme 
des Wasserwerkes war, und kommen somit die humosen Schlickschichten 
wieder unter Reduktionsbedingungen, dann ist die Gewähr vorhanden, daß 
— unter Forterhaltung dieser Bedingungen — die Gewinnung eines einwand¬ 
freien Wassers in Zukunft wieder möglich sein wird. 

Verfasser schließt, wie schon die vorige, so auch diese Abhandlung mit 
dem Hinweis darauf, daß das Breslauer Vorkommnis die Bedeutung der Mit¬ 
arbeit des Chemikers in Wasserfragen, die man so gern hinter die des 


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Trink wasser. Chemische Veränderungen de» Trinkwassers. 479 

Bakteriologen zurflckstellt, recht deutlich ins Licht setze. (Zeitschr. f. Unters, 
d. Nahrungs* u. Genußmittel, Bd. 14, S. 40.) 

R.Woy bespricht gleichfalls die Breslauer Wasserkalamität und 
schließt sich in allen wesentlichen Punkten Lührigs Theorie an. Ferner 
wendet auch er sich gegen die Bevorzugung des Bakteriologen und gegen 
die Zurückstellung des Geologen und Chemikers in allen solchen Fragen und 
insbesondere in der vorliegenden. (Zeitschr. f. öffentl. Chemie, Bd. 13, S. 401.) 

H. Lübrig und A. Blasky erörtern in gesonderter Abhandlung noch¬ 
mals die Möglichkeit der Abscheidung des Mangansulfats aus dem 
Wasser der Breslauer Grund Wasserleitung. Es bestehen im ganzen fünf 
Klassen chemischer Reaktionen, die hierfür in Betracht kommen. 1. Aus¬ 
fällbarkeit als Peroxyd bzw. Peroxydhydrat durch Zusatz von Permanganat¬ 
lösungen. Man würde hierbei in Breslau täglich mehr als 250 kg Kalium¬ 
permanganat brauchen, so daß das Verfahren schon um des Kostenpunktes 
willen praktisch unbrauchbar erscheint. — 2. Die elektrolytische Ausscheidung 
des Mangans würde in Beziehung auf Anlage und laufende Kosten sich viel 
zu teuer stellen. — 3. Fällung der Mangansalze durch organische Stoffe 
(Humuskörper) gelingt nur beim Rohwasser, ehe es enteisent ist. Die 
Schwierigkeit liegt in der Beschaffung geeigneter und hygienisch einwandfreier 
Stoffe, die zu keiner Verschlechterung des Wassers führen dürfen. — 4. Filtration 
über künstliche Zeolithe nach Gans (vgl. das folgende Referat). Hierzu 
stellen die Verfasser besondere Versuche in Aussicht. — 5. Abscheidung des 
Mangans als Hydroxyd oder Carbonat durch entsprechende Fällungsmittel. 
Von diesen kommt praktisch nur Kalk in Form von Kalkmilch oder Kalk¬ 
wasser in Betracht, und es ergibt sich das bereits auf S. 478 mitgeteilte Ver¬ 
fahren. (Chemikerztg., Bd. 31, S. 255.) 

R. Gans bringt zur Befreiung des Trinkwassers von Mangan 
die Verwendung der nach seinem Verfahren dargestellten künstlichen 
Zeolithe in Vorschlag. Die in der Natur vorkommenden Zeolithe, das sind 
Mineralien aus der Gruppe der Silikate, haben die Eigenschaft, beim Einbringen 
in Salzlösungen ihre Basen in Gestalt von Alkalien und alkalischen Erden 
abzugeben und dafür die Basen der in Lösung befindlichen Salze aufzunehmen. 
Verfasser hat nun durch Zuaammenschmelzen von tonerdehaltigen Mineralien 
mit Soda und Quarz ein künstliches Natriumaluminatsilikat und aus ent¬ 
sprechenden anderen Mischungen Calciumaluminatsilikate erhalten, die gleich¬ 
falls diese Eigenschaft der Zeolithe teilen, sich aber besser als Filtermaterial 
eignen als diese. Die Calciumaluminatsilikate, die unter dem Namen „Per- 
mutit“ in den Handel gebracht werden, tauschen in genügend dicker Schicht 
selbst bei einer Filtrationsgeschwindigkeit von 300 bis 1000 mm pro Stunde 
ihre Basen gegen darüber filtriertes Wasser aus. 

Die Reinigung eines manganhaltigen Wassers, welches, wie das Breslauer 
Grundwasser, noch erhebliche Mengen von freier Schwefelsäure und Eisensalzen 
enthält, denkt sich Verfasser auf Grund seiner Untersuchungen folgendermaßen. 
Zuerst muß durch Rieselung eine vollständige Oxydation des Eisenoxyduls 
stattfinden. Gleichzeitig versetzt man das Wasser hierbei mit fein verteilten 
natürlichen Calciumcarbonaten (Kreide, Wiesenkalk, Mergel usw.), die dann 
ihrerseits gleich das Eisenoxyd ausfällen und durch hierbei stattfindende 


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480 


Wasser. 


Kohlensäureentwickelung den Geschmack des Wassers verbessern. Hieran 
schließt sich die Filtration des nunmehr neutralen, eisenfreien, aber noch 
manganhaltigen Wassers über Permutit. Es kam bei einer St&rke der 
Silikatschicht von etwa 15 cm und einer stündlichen Geschwindigkeit von 
etwa 1000 mm filtriert werden. Die Silikate nehmen das Mangan im Aus* 
tausch gegen Kalk auf; gibt man nach Gebrauch eine Calciumchloridlösung 
auf, so tauschen sie Mangan wieder gegen Kalk aus und werden so regeneriert. 
Die Unkosten für die erforderlichen Silikate schätzt Verfasser für 1 Cubikmeter 
Wasser auf 0,14 bis 0,28^. (Chemikerztg., Bd. 31, S. 355.) 

R-Gans hat dann die Benutzung der Permutite auch zur Lösung 
anderer Aufgaben der Wasserreinigung empfohlen. So kann Filtration über 
Calciumaluminatsilikat auch zur Enteisenung dienen, und zwar des un- 
gelüfteten Wassers, indem das Silikat das Eisen in Oxydulform aufzunehmen 
vermag. Das Verfahren bietet nach Verfasser hierdurch den Vorteil, daß das 
Wasser, ohne mit Luft und den darin enthaltenen Bakterienkeimen in 
Berührung gebracht zu sein, direkt vom Brunnen aus unter Luftabschluß auf 
das Calciumaluminatsilikatfilter geschickt werden kann. — Einem harten 
Wasser soll man seine volle Härte oder einen Teil derselben durch Filtration 
über Natriumaluminatsilikat nehmen können; zu gleicher Zeit werden auch 
Eisen, Mangan und Ammoniak dem Wasser entzogen. Weiter soll man einem 
Wasser, dessen Härte hauptsächlich durch Calciumsulfat bedingt ist, den 
Gipsgehalt entziehen können, indem man es nacheinander ein Strontium- und 
ein Calciumaluminatsilikatfilter passieren läßt. Endlich läßt sich vermittelst 
des Silberaluminatsilikats ein Meerwasser vollständig von Kochsalz und 
anderen Chloriden reinigen; praktisch ist dieses letzte Verfahren natürlich 
wegen des zu hohen Preises des Silbers nicht anwendbar. (Mitt. d. KönigL 
Prüfungsanstalt f. Wasservers., Heft 8, S. 103.) 

M. Weibull analysierte ein manganreiches Brunnenwasser von 
Björnstorp in Schweden. Dasselbe enthielt bis zu 17 mg Manganoxydul in 
1 Liter. Aus diesem Wasser setzte sich ein Schlamm ab, der neben Mangan- 
peroxyd auch noch Manganoxydul, Kalk und namentlich viel Kieselsäure 
enthielt. An der Bildung dieses Schlammes war Cbrenothrix manganifera 
beteiligt. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 403.) 

R. Hajek berichtet über erfolgreiche Ausscheidung der Mangan- 
verbindungen aus dem Tiefbrunnenwasser des Arader Wasserwerkes. 
Früher wurde das Wasser gelüftet und über Sandplattenfilter, System 
Fischer, Worms, filtriert. Zu jenen Zeiten waren Mangantrübungen im 
Leitungsnetz häufig. Sie sind vermieden, seitdem man dem gelüfteten und 
über Plattenfilter filtrierten Wasser Gelegenheit gibt, in einem Behälter 16 
bis 24 Stunden nachzuoxydieren, und es dann über Hochdruckfilter filtriert 
(Journal f. Gasbel. u. Wasservers., Bd. 50, S. 767.) 

L. Darapsky bespricht die Enteisenung von Grundwasser nach dem 
patentierten Verfahren von Desenies und Jacobi. (D. R. P. Nr. 180687 u. 
191 287.) Bei den üblichen Enteisenungsmethoden duroh Belüftung und 
nachfolgende Filtration über Sandfilter sollen Unregelmäßigkeiten Vorkommen 
können, derart, daß das Filtrat noch roichlich Eisen auf wies, das dann erst 
allmählich im Reinwasserbehälter zum Absatz gelangt. Das ist bei dem be- 


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Trinkwasser. Chemische Veränderungen des Trinkwassers. 


481 


sprochenen Verfahren ausgeschlossen. Dasselbe beruht im wesentlichen 
darauf, daß ein reichlich bemessener Luftstrom zugleich mit dem Wasser 
das Filter passiert, so daß das gelöste Eisen gleichzeitig oxydiert und als 
Ocker zurückgebalten wird. Die Anlage vereinfacht sich auf diese Weise nicht 
nur durch den Fortfall des Belüftungsapparates, sondern auch dadurch, daß 
das Filter nicht nur im Verhältnis der dargebotenen Oberfläche, sondern nach 
seinem Gesamtinhalt wirkt. Die Reinigung, bzw. Spülung des Filters geschieht 
einfach derart, daß man bei geschlossenem System die Richtung des Stromes 
umkehrt. Versuchsanlagen in Hamburg haben sich gut bewährt. Eine analoge, 
kleinere Apparatur läßt sich auch in die Saugleitung einer Handpumpe ein¬ 
bauen, so daß derselbe Schwengelhub, der das Rohwasser entnimmt, es auch 
durch die Enteisenungsvorrichtung schickt und enteisent zum Ausfluß bringt. 
(Journal f. Gasbel. u. Wasservers., Bd. 50, S. 1160.) 

von Drigalski bemerkt, mit Beziehung auf die Veröffentlichung von 
Schlegel (24. Jahresbericht, S. 533), daß Jahre hindurch fortgesetzte genaue 
Untersuchungen einer in Hannover ständig im Betrieb befindlichen geschlossenen 
Bockschen Enteisenungsanlage ergeben haben, daß keine Vermehrung 
der WaBserkeime in den Holzwollekörpern stattfindet, auch wenn diese 14 Tage 
lang ununterbrochen in Betrieb waren. (Chemikerztg., Bd. 31, S. 869.) 

H. Schlegel und E. Merkel entgegnen hierauf, daß ihre entsprechen¬ 
den Versuche, die das entgegengesetzte Resultat gezeitigt hatten, einwandfrei 
durchgeführt waren. Von wohlunterrichteter Seite ist ihnen im übrigen 
mitgeteilt worden, daß im Wasserwerke Hannover die Bockschen Filter 
schon nach zweitägiger Betriebsdauer sterilisiert werden. (Chemikerztg., 
Bd. 31, S. 928.) 

von Drigalski erwidert, daß die Anlage in Hannover nach zwei- bis 
dreiwöchigem Betriebe wegen Crenothrix-Ansammlung der Reinigung bedarf. 
Bakterienanreicherung zeigte sich innerhalb dieser Fristen nie. (Chemikerztg., 
Bd. 31, S. 991.) 

Mertens berichtet von Versuchen, die Zentrifuge bei der Enteise¬ 
nung zu verwenden. Durch Zentrifugieren wird das Rohwasser fein zerstäubt 
und in recht innige Berührung mit der Luft gebracht; dann wird es einem 
gewöhnlichen Sandfilter zugeführt. In dem angestellten Versuche sank der 
Eisengehalt von 12 mg auf 0,13 mg in 1 Liter. Verfasser glaubt, daß die 
Betriebskosten sich nicht höher gestalten werden, als wie sie für die üblichen 
Enteisenungsanlagen nötig sind, bei denen das Wasser auf Riesler gehoben 
werden muß. (Journal f. Gasbel. u. Wasservers., Bd.50, S. 789.) 

Mertens macht weitere Mitteilungen über das von Weise (24. Jahres¬ 
bericht, S. 534) beschriebene, vonWernicke und Mertens herrührende Ver¬ 
fahren der gegenseitigen Klärung von stark eisenhaltigem Wasser und dunkel¬ 
braun gefärbtem Tiefenwasser. Alle Laboratoriumsversuche waren sehr er¬ 
folgreich; bei Übertragung derselben in größerem Maßstab scheiterte Verfasser 
immer daran, daß keine brauchbare Filtration zu erzielen war, daß vielmehr 
kurze Zeit nach der Inbetriebnahme von dem Filter wieder braunes Wasser 
lief. Diese Schwierigkeit hofft Verfasser dadurch umgehen zu können, daß 
er das gemischte Wasser in richtig konstruierten BassinB sedimentieren läßt. 
Er plant eine diesbezügliche Anlage für Posen mit einer Leistung von 1000 

Vierteljahrticbriit für Gesundheitspflege, 1918. Supplement. qi 


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482 


Wasser. 


bis 2000 Stundencubikmetern. (Journal f. GasbeL u. Wasservers., Bd. 50, 
S. 787.) 

Wernioke und Weldert unternahmen die wissenschaftliche Auf¬ 
klärung der im vorstehenden Referat beschriebenen Erscheinungen. Nach 
den Verfassern ist die die Braunfärbung des Wassers bedingende organische 
Substanz in kolloidaler Lösung vorhanden, und zwar beträgt die Menge des 
im Wasser vorhandenen Kolloids etwa 60 mg pro Liter. Beim Zusammen* 
treffen mit dem eisenhaltigen Wasser, in dem nach Luftzuführung ein Teil 
des Eisens schon als kolloidales Eisenhydroxyd vorhanden ist, erfolgt dann 
die gegenseitige Ausflockung beider Hydrosole. Das braune Grundwasser 
hält sich jahrelang ohne Veränderung und reagiert dann immer noch auf 
geeignetes eisenhaltiges Grundwasser. (Mitt. a. d. Königl. Prüfungsanstalt f. 
Wasservers. usw., Heft 8; Ref. in Zeitschr. f. angew. Chemie, Bd.21, S. 903.) 

B. Fischer hat unabhängig von den vorgenannten Autoren die gegen¬ 
seitige Einwirkung mancher braunen und eisenhaltigen Grundwasser auf¬ 
einander beobachtet und ihre Heranziehung für die Praxis der Trinkwasser¬ 
gewinnung ins Auge gefaßt. (Hygien. Rundschau, Bd. 17, S. 1089.) 

Picht zählt mehrere Fälle von Bleivergiftungen durch Genuß 
bleihaltigen Brunnenwassers auf. In allen diesen Fällen war eine 
längere Saugleitung aus Bleirohr vorhanden; die Schädigungen traten erst 
dann auf, als die Leitung defekt geworden war und das Wasser infolge¬ 
dessen, sobald die Pumpe längere Zeit unbenutzt stand, ablief, so daß das 
Rohr alternierend mit Wasser und Luft gefüllt war. Zur Vermeidung der 
Bleigefahr empfiehlt Verfasser die ausschließliche Anwendung schmiedeeiserner 
Rohre zu Saugleitungen und die Beschränkung der Verwendung von Bleirohr 
für die Herstellung kurzer Anschlußstücke, für die es — wegen seiner 
Biegsamkeit — nur ungern entbehrt wird. (Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 
Bd. 19, S. 437.) 

F. Schwarz stellte fest, daß ein Brunnenwasser, das durch ein mehrere 
hundert Meter langes gußeisernes Saugrohr abgepumpt wurde, ans diesem 
Rohre Zink aufnahm. Der Zinkgehalt entsprach 32,4mg Zinkoxyd. Das 
Brunnenwasser enthielt neben freiem Sauerstoff relativ viel freies Kohlen¬ 
dioxyd und keine gebundene Kohlensäure. Diese Verhältnisse sind die gleichen, 
die Bleiaufnahme durch das Wasser veranlassen; sie werden wohl auch die 
Zinkaufnahme gefördert haben. Das Wasser war wegen seines Zinkgehaltes 
weder zum Trinken, noch zum Kochen brauchbar. Beim Trinken stellten sich 
Magenbeschwerden als Folgeerscheinung ein; beim Kochen wurde das Wasser 
milchig trübe, und das ausgeschiedene flockige Zinkoxyd lagerte sich auf den 
Speisen und an den Gefäßwandungen ab. Ferner wurde die Beobachtung 
gemacht, daß eingemachte gesalzene Schnittbohnen, in dem Wasser gekodht, 
sich lebhaft grün färbten. Verfasser konnte dartun, daß auch diese 
Erscheinung auf das im Wasser gelöste Zink zurückzuführen war. (Zeitschr. 
f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 482.) 

A. Brüning fügt diesen Ausführungen hinzu, daß auch kohlendioxyd¬ 
arme Wässer von verzinkten Eisenrohren das Zink infolge galvanischer Vor¬ 
gänge wegzulösen vermögen. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, 
Bd. 14, S. 755.) Grünhut 


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Trinkwaaser. Trinkwasserversorgung. 483 

Trinkwasserversorgung. 

Metzger bespricht die in den Kreisen der Berliner Hausbesitzer yiel 
angefochtene Polizeiverordnung, durch die das Rücksaugen von Schmutz¬ 
wasser in die Reinwasserleitung verhindert werden soll. Die Tatsache, daß 
die zentrale Wasserversorgung durch Verbindung mit Teilen der Entwässe¬ 
rungsanlage der Gefahr einer Verseuchung ausgesetzt ist, war zwar seit 
langer Zeit bekannt, man hat sich aber erst verhältnismäßig spät entschlossen, 
energische Verordnungen zu erlassen und Einrichtungen vorzuschreiben, die 
eine solche Verseuchung unmöglich machen. Verfasser zeigt an zahlreichen, 
der Praxis entnommenen Fällen, daß die Gelegenheit zum Eintritt unreiner 
Flüssigkeiten in das Wasserleitungsrohr sehr oft gegeben ist, und schildert 
die von der Berliner Polizeiverwaltung und in anderen Städten vorgeschriebenen 
Einrichtungen zur Verhütung. Die Gefahr liegt im allgemeinen darin, daß 
ein leer gelaufener Wasserleitungsstrang infolge des sich bildenden luft¬ 
verdünnten Raumes saugend auf seine Umgebung einwirkt und an den mit 
den Entwässerungsobjekten verbundenen Stellen, z. B. dem Klosetttrichter, 
Unrat ansaugen kann. Es ist anzustreben, die saugende Wirkung durch 
sogenannte Kohrunterbrecher unmöglich zu machen, oder derartige 
direkte Verbindungen am besten ganz zu unterlassen. Die Berliner Haus¬ 
besitzer, die durch die nachträglich geforderte Abänderung bestehender An¬ 
lage finanziell sehr geschädigt sind, haben sich unter dem Eindruck über¬ 
zeugend durchgeführter Experimente allmählich beruhigt. Die einmal in 
Fluß gekommene Frage wird aber so bald nicht zur Ruhe kommen, denn 
nach und nach werden sich auch die anderen Städte mit dieser Angelegen¬ 
heit beschäftigen und an eine Revision der bestehenden Anlagen denken 
müssen. (Techn. Gemeindebl., Jahrg. XI, Nr. 19 u. 20.) 

Einer neuen Vorrichtung zur chemischen, mechanischen und biologischen 
Reinigung von Wasser, im besonderen auch seiner Entchlorung, Zusatzpatent 
Nr. 177 605 zum D. R. P. Nr. 165 414, werden folgende Vorzüge nach¬ 
gerühmt : 

1. Es werden mehr als 50 Proz. der gelösten stickstoffhaltigen organi¬ 
schen Stoffe unschädlich gemacht. 

2. Es findet eine vollständige Enteisenung statt. 

3. Das Rohwasser wird gleichzeitig enthärtet. 

4 . Die Entchlorung des Wassers auf kaltem Wege läßt sich durch 
geringe Erweiterung des normalen Hauptfilters herbeiführen. 

5. Erbauungs- und Unterhaltungskosten sind sehr gering, dasselbe 
Filtermaterial kann zehn Monate lang benutzt werden. 

6. Die Baukosten betragen weniger als die Hälfte der normalen über¬ 
wölbten Sandfilter. 

7. Auf 1 qm Filterfläche können täglich 6,616 cbm Wasser gereinigt 
werden, das ist 2,756 mal mehr als die Leistung gewöhnlicher Sandfilter. 

8. Die Zerstörung der Wasserbakterien soll eine weitgehende sein, doch 
liegt hierüber nur ein Versuch vor. 

Die Richtigkeit der unter 1 bis 8 angegebenen Vorzüge bestätigt 
Dünkelberg-Wiesbaden auf Grund von Untersuchungen, die seit 1904 
in Böhmisch-Skalitz ausgeführt worden sind. Das Filter besteht aus 

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484 


Wasser. 


ei Dem zylindrischen, wasserdichten Mantel, der mehrere konzentrisch an¬ 
geordnete Filterschichten aus porösem Material einschließt. (Die bei¬ 
gefügten Abbildungen lassen die Konstruktion leider nicht klar genug er¬ 
kennen.) Die Entchlorung, das ist Ausscheidung der hauptsächlichen im 
Wasser gelösten Chlorverbindungen von Natrium, Calcium und Magnesium, 
auf die der Erfinder den größten Wert zu legen scheint, wird durch Ab¬ 
spaltung des Chlorgehaltes erreicht, die sich in der Koksschicht des Filters 
vollzieht, soweit das in der Koksasche fein zerteilte Silicium dazu hinreicht. 
Das frei werdende Chlor wird in statu nascendi durch Kieselgur und Kupfer¬ 
drähte gebunden, die in senkrechten, das Rohwasser aufnehmenden ge¬ 
schlitzten Rohren eingebracht bzw. aufgehängt werden. Der Patentanspruch 
lautet: „Vorrichtung zur chemischen, mechanischen und biologischen Reini¬ 
gung von Wasser gemäß Patent Nr. 165414, dadurch gekennzeichnet, daß 
innerhalb der Reihe von zwecks gleichmäßiger Verteilung und Vorfiltrierung 
des zu reinigenden Rohwassers mit feinen Öffnungen ausgestatteten Rohren 
eine zweite gegen die erste versetzte Reihe durchbrochener Rohre vorgesehen 
ist, die Kupfer- und erforderlichenfalls auch Bleidrähte, sowie Kieselgur 
enthalten.“ (Techn. Gemeindebl., Jahrg. IX, Nr. 20.) 

Peters, dem der Ausbau der Magdeburger Wasserwerke obliegt, hat 
sich zum Studium der Reinigung von Flußwasser mit einer städtischen 
Kommission nach Paris begeben, um die Methode der Vorfilterung nach 
System Puech in den Wasserwerken Ivry und Suresnes zu studieren. 
Das Puech-Verfahren zerfällt in drei Behandlungsarten. Das Rohwasser 
fließt nacheinander auf vier kaskadenartig angeordnete Grobfilter, unter 
reichlicher Zuführung von Luft und Licht, von hier gelangt es auf die Vor¬ 
filter, die aus grobem Sande geschichtet sind und mit erhöhter Filter¬ 
geschwindigkeit arbeiten. Der Abfluß aus den Vorfiltern ist schon nahezu 
rein, er gelangt ebenfalls über Kaskaden auf die Feinsandfilter, die infolge 
der intensiven Vorbehandlung des Wassers derart geschont werden, daß eine 
Reinigung nur ein-, höchstens zweimal im Jahre notwendig ist, während die 
Magdeburger Filter in der schlimmsten Zeit allmonatlich gereinigt werden 
müssen. Das Pariser Flußwasser soll nach dieser Behandlung alle Eigen¬ 
schaften eines guten Grundwassers erhalten und nahezu keimfrei sein. Die 
Filtergeschwindigkeit der Grobfilter beträgt in der ersten Stufe 320 m pro 
Tag und vermindert sich in den nachfolgenden Stufen auf 190, 104 und 
63 m; die Filter sind unbedeckt. Die Geschwindigkeit des Vorfilters beträgt 
19 m, die des eigentlichen Filters 3,1m. Mehrjährige analytische Unter¬ 
suchungen der Versuchsanlage haben sich im Betriebe der definitiven Anlage 
in Suresnes vollauf bestätigt. Das Rohwasser sah trübe aus, das Filtrat 
war klar. Die organischen Bestandteile verminderten sich von 3,1 mg auf 
2.2 mg im Liter; der gelöste Sauerstoff nahm von 5,6 mg auf 11 mg zu. Die 
Bakterienkolonien, nach 15 tägiger Entwickelung gezählt, verminderten sich 
von 56139 Keimen in 1 ccm auf 37 Keime. Es kann als ein Glück be¬ 
zeichnet werden, daß die Vervollkommnung der Filtrationstechnik die Ver¬ 
wendung von Flußwasser wieder in größerem Umfange möglich zu machen 
scheint, weil die vielen schlechten Erfahrungen, die in den letzten Jahren 
mit der Verwendung des Grundwassers, sei es durch Wassermangel, sei es 


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Trinkwasser. Trinkwasserversorgung. 


486 


durch schwer zu beseitigende schädliche Beimengungen, gemacht worden 
sind, diese Art der Wasserversorgung in manchen Fällen nicht unbedenklich 
erscheinen lassen. Die beschriebene Filtration kann allerdings unangenehme, 
den Genoß des Wassers beeinträchtigende chemische Bestandteile nicht aus 
dem Flußwasser beseitigen, noch diesem die in allen Jahreszeiten gleich¬ 
mäßige Temperatur des Grundwassers verleihen, immerhin handelt es sich 
hier am einen Fortschritt, der für viele Fälle von großer Bedeutung ist. 
(Techn. Gemeindebl., Jahrg. IX, Nr. 21.) 

Die Wasserversorgung der Stadt Breslau hatte durch das plötzliche 
Auftreten von Mangan unter unerwarteten Schwierigkeiten zu leiden. 
Unter dem Eindrücke der Choleraepidemie in Hamburg forderten die Hygie¬ 
niker, daß auch die Stadt Breslau von der bisherigen Flußwasserversor¬ 
gung abgehen oder erhebliche Erweiterungen der Filteranlagen vornehmen 
müsse. Unter Thiems Leitung wurden eingehende Vorarbeiten und Pump- 
versuche angestellt, die zu einem derartig befriedigenden Resultate führten, 
daß sich die Stadtgemeinde zur Grund Wasserversorgung entschloß. Die 
Stadt bewilligte 1900 4000000^; im Frühjahr 1905 konnte die neue An¬ 
lage dem Betrieb übergeben werden. Die Wasserfassung besteht aus drei 
Rohrbrunnengruppen, Gruppe I mit 26 Brunnen, Gruppe H mit 155 und 
Gruppe IU mit 132 Brunnen. Das Wasser der Gruppen I und IU floß in 
einen gemeinschaftlichen Sammelbrunnen, die Gruppe U hatte einen eigenen 
Sammelbrunnen. Die Rohrbrunnen stehen im Alluvium des Odertales und 
reichen bis zu der 10 bis 16 m unter Terrain stehenden Diluvialschicht. Die 
Anlage lieferte im Anfang ein vorzügliches Trinkwasser, das sich vorteilhaft 
von dem früheren Flußwasser unterschied. Der Eisengehalt des Wassers 
ließ sich durch die üblichen Rieseler und durch Filtration leicht vermindern. 
Allerdings fand eine starke Senkung des Grundwasserspiegels statt, so daß 
im Frühjahr 1906 die Saugrohre der Brunnen nur noch 50 cm in das Wasser 
eintauchten. Am 28. und 29. März überflutete das Hochwasser die Wasser¬ 
fassung, das Wasser drang in den Untergrund und verdrängte die Luft aus 
demselben, was sich an den Brunnen und der Heberleitung sofort bemerkbar 
machte. Während der Eisengehalt am 28. März im Sammelbrunnen I 
9,18mg und im Sammelbrunnen II 18,36mg im Liter betrug, stieg er am 

30. März bereits auf 98,94 bzw. 80,07 mg ; trotz dieser enormen Zunahme 
an Eisen arbeitete die Enteisenung noch zur Zufriedenheit, bis sich am 

31. März zum ersten Male Mangan, und zwar 50mg im Liter vorfand. 
Die Brunnen der Gruppe III zeigten sogar bis zu 600 mg. Unter diesen 
Umständen blieb nichts anderes übrig, als die alte Flußwasserversorgung 
wieder in Betrieb zu setzen, nur das Grundwasser der zweiten Brunnen¬ 
gruppe wurde beigemischt. Geh. Bergrat Beyschlag hat für das plötzliche 
Auftreten des Mangans in einem Bericht an die Breslauer Stadtverordneten¬ 
versammlung folgende Erklärung gegeben: Das Alluvium des Odertales ent¬ 
hält in seinen oberen Schichten reichliche Mengen von Eisen- und Mangan¬ 
erzen in schwer löslicher Form. Die humosen Stoffe des Bodens bilden 
infolge ihrer reduzierenden Substanzen Schwefeleisen, das bei Zutritt von 
Luft unter Abscheidung freier Schwefelsäure und Ferrosulfat oxydiert wird. 
Dieses Ferrosulfat löst das Manganoxyd der oberen Bodenschichten und ver- 


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486 


Wasser. 


wandelt es in Mangansulfat. Die Mangan- und Ferroaulfatlösungen sickern 
in den Untergrund und gelangen entweder direkt in das Grundwasser oder 
füllen die Poren des Sandes und Kieses aus. Durch die Einwirkung des 
Hochwassers wurden sie infolge der Durchspülung jedenfalls in großen 
Mengen dem Grundwasser zugeführt. Man hat es auch nicht, wie ursprüng¬ 
lich angenommen wurde, mit einem Grundwasserstrome, sondern mit einem 
Becken zu tun, das nur geringe seitliche Speisung erhält. Alle Mittel, das 
Mangan zu beseitigen, sind entweder fehlgeschlagen oder wegen der Kosten 
für den Großbetrieb nicht anwendbar; mit Rücksicht auf die bisher vergeb¬ 
lichen Versuche ist nunmehr eine Vergrößerung der vorhandenen Filter¬ 
flächen in Aussicht genommen, deren Kosten auf 750000 Jt geschätzt werden. 
(Techn. Gemeindebl., Jahrg. IX, Nr. 23.) 

Der Minister der Medizinalangelegenheiten hat im Einverständnis mit 
den Herren Ministern anderer Ressorts eine Anleitung für die Einrich¬ 
tung, den Betrieb und die Überwachung öffentlicher Wasser¬ 
versorgungsanlagen, soweit sie nicht ausschließlich technischen Zwecken 
dienen, erlassen. Der Wasserbedarf soll danach in großen und mittleren 
Städten mit durchschnittlich 100 Liter pro Kopf und Tag gerechnet werden, 
während für Landgemeinden 50 Liter und für ein Stück Großvieh 15 Liter 
als genügend angesehen werden. Auf den Bevölkerungszuwachs und den 
etwaigen besonderen Bedarf für gewerbliche Betriebe ist außerdem Rücksicht 
zu nehmen. 

Die Anleitungen zu Ergiebigkeitsmessungen sind sehr allgemein ge¬ 
halten; für die Organe der Aufsichtsbehörden, die mit der Prüfung neuer 
Entwürfe betraut sind, haben sie allerdings einen gewissen Wert, da sie 
wenigstens einigen Anhalt geben, in welcher Richtung sich derartige Mes¬ 
sungen zu bewegen haben. 

Von Bedeutung ist der Hinweis auf die Möglichkeit, Schutzbezirke zu 
bilden, durch die ein nachteiliger Eingriff in bestehende Wasserversorgungen 
verhütet werden soll. Die Anleitungen zur Auffindung ungehöriger Zuflüsse 
zum Quell- und Grundwasser enthalten viele praktische Winke, sie sind 
daher von besonderem Wert; es wird auch empfohlen, dem in neuerer Zeit 
wiederholt aufgetretenen Mangan besondere Beachtung zu schenken. Zur 
Verhütung etwaiger Bleivergiftungen ist das Wasser an Ort und Stelle auf 
freie Kohlensäure zu untersuchen, beim Vorhandensein derselben in weichem 
Wasser sind geschützte Bleirohre vorzuschreiben; eine einfache Methode zur 
Feststellung der Bleilöslichkeit wird mitgeteilt. Schließlich wird auf den 
Wert und die Bedeutung der bakteriologischen Untersuchung hingewiesen 
und die gutachtliche Tätigkeit der Königl. Prüfungsanstalt für Wasserversor- 
gung und AbwässerbeBeitigung in Erinnerung gebracht. Zur Aufrecht¬ 
erhaltung eines gesundheitlich einwandfreien Betriebes ist eine Kontrolle 
über den Gesundheitszustand des Betriebspersonals auszuüben. Von Be¬ 
deutung für eine hygienisch einwandfreie zentrale Wasserversorgung ist 
ferner die Kontrolle zur Verhütung einer Verunreinigung durch Verbin¬ 
dungen der zentralen Wasserleitung mit privaten, in der Regel nicht unter 
sachverständiger Aufsicht stehenden Leitungen. Solche Verbindungen sind 
durchaus nicht selten, da gewerbliche Betriebe meistens eigene Brunnen 


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Digiti: 



Trinkwasser. Trinkwasserversorgung. 


487 


benutzen, während die zentrale Wasserleitung als Reserve dient und daher 
mit der privaten Wasserleitung verbunden ist. 

R. Gaus, Vorsteher des Laboratoriums für Bodenkunde der Kgl. Geo¬ 
logischen Landesanstalt, batte schon in einer älteren Arbeit auf die Fähig¬ 
keit der Aluminatsilikate bzw. ihrer Basen hingewiesen, bei Berührung mit 
Salzlösungen in Lösung zu gehen und dafür die in der Salzlösung gebundenen 
Basen aufzunehmen. Nunmehr weist Gaus nach, daß der Austausch 
der Basen auch gegen Eisen und Mangan, überhaupt gegen idle Metalle 
möglich ist, sobald eine innige Vermischung des Wassers mit dem Aluminat- 
silikat stattfindet, eine Eigenschaft, die für die Entfernung von Eisen und 
Mangan aus Gebrauchs wässern noch von Bedeutung werden kann. Um die 
meist in schleimiger Beschaffenheit vorkommenden Silikate als Filter material 
geeignet zu machen, hat Gaus durch Schmelzen von Tonerdesilikaten 
und Alkalikarbonat unter Zusatz von Quarz ein poröses Aluminatsilikat von 
körniger Beschaffenheit hergestellt. Wird ein hartes Wasser durch diese 
Masse filtriert, dann verschwinden Kalk und Magnesia, wofür das Natron 
des Silikats in das Wasser übergeht. Durch Vermischen des filtrierten 
Wassers mit unfiltriertem läßt sich nachher jeder beliebige Härtegrad her- 
steilen. Das Filtermaterial nimmt auch das im Wasser in Oxydulform auf¬ 
tretende Eisen auf, wofür der Kalk oder das Natron des Silikats in Lösung 
geht. Beim Waschen mit Salzlösungen von Alkalien oder alkalischen Erden 
läßt er das Oxydul wieder in Lösung gehen. Der Verfasser empfiehlt, eiBen- 
oder manganhaltige Wässer behufs Entfernung dieser Metalle durch ein 
Calciumaluminatsilikatfilter zu sohicken. Die Enteisenung geht vor sich, 
ohne daß das WasBer mit der Luft, die stets Bakterienkeime enthält, in Be¬ 
rührung gebracht wird. (Mitt. aus d. KönigL Prüfungsakt, f. Wasservers. 
u. Abwässerbes., Heft 8, 1907.) 

K. Thumm und A. Schiele berichten über Sterilisierung und Fil¬ 
terung von Triukwasser durch Ferrochlor nach dem Verfahren 
Duyk, System Howatson. Die Verfasser besichtigten eine in Middel- 
kerke in Belgien ausgeführte Anlage, in der ein zu Genußzwecken nicht 
geeignetes Oberflächenwasser gereinigt und nutzbar gemacht wird. Das 
Rohwasser von Middelkerke wird mit einer Chlorkalkflüssigkeit und einer 
Eisenchloridlösung behandelt und dann auf die nach dem System Howat- 
son gebauten Schnellfilter geleitet. Durch den Zusatz der genannten Flüs¬ 
sigkeiten entstehen chlorige Säure, Eisenoxyd und Cblorcalcium. Das Eisen¬ 
oxyd reißt die gelösten und ungelösten Stoffe nieder, das Chlorcalcium wirkt 
gleichfalls fällend, die unterchlorige Säure zerfällt in Chlor und Sauerstoff, 
der letztere wirkt oxydierend, das Chlor tötet die Keime ab. Das Howat- 
bo n-Schnellfilter kann nach Art der amerikanischen Schnellfilter durch Rein¬ 
wasser gespült werden. Die Desinfektionswirkung wird auf chemischem 
Wege kontrolliert, und zwar durch den Nachweis freien Chlors, das im Rein¬ 
wasser stets in geringen Mengen noch vorhanden sein soll. 

Middelkerke ist ein weitläufig gebauter Fischerort, der im Sommer von 
etwa 12000 Badegästen besucht wird, infolgedessen ist der Wasserverbrauch 
sehr schwankend, er beträgt im Winter täglich 80 bis 100cbm und steigt 
im Sommer auf 400 cbm. Das Rohwasser wird einem Kanal entnommen, 


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488 


Wasser. 


es ist trübe, besitzt einen schlechten Geruch, sumpfigen Geschmack und ent¬ 
hält unter normalen Verhältnissen 5000 Keime, darunter ständig den Bacil¬ 
lus coli. Wässer ähnlicher Beschaffenheit sind in Belgien und Holland nicht 
selten die einzigen Quellen der zentralen Wasserversorgung, weil das Grund¬ 
wasser wegen seines Salzgehaltes und wegen der Beimischung mooriger Be¬ 
standteile meist ungeeignet ist. (Mitt aus d. Königl. Prüfungsanst. L 
Wasseivers. u. Abwässerbes., Heft 8, 1907.) 

Wernicke-Posen hat über gegenseitige Enteisenung und Entbräu- 
nung von eisenhaltigen und durch Huminstoffe braun gefärbten Grund- 
wässern interessante Untersuchungen angestellt, deren Ergebnisse von 
Weid ert im Aufträge der Königl. Prüfungsanstalt nacbgeprüft worden sind. 
Veranlassung zu diesen Versuchen war der Wunsch der Stadt Posen, er¬ 
giebige Grund wassergebiete für die Erweiterung der zentralen Wasser¬ 
versorgungsanlagen zu erschließen. In der Umgegend von Posen findet sich 
ein stark eisenhaltiges Grundwasser in 6 bis 10 m starken Lagern von 
reinem scharfen Sand. Unter dem Grundwasserträger steht in durchschnitt¬ 
lich 14 m Tiefe eine 80 bis 120 cm mächtige Tonschicht aus Flammenton 
und unter dieser eine zweite Wasserschicht, die zwar eisenfrei, aber bei voll¬ 
kommener Klarheit deutlich braun gefärbt ist und daher in dieser Beschaffen¬ 
heit für die Wasserversorgung nicht in Betracht kommt Die Entbräunung 
ist experimentell mit allen möglichen Mitteln versucht worden, bis Wernicke 
fand, daß bei einfacher Vermischung des oberflächlichen, stark eisenhaltigen 
Grundwassers mit dem Huminstoffe führenden braunen Tiefengrundwasser 
in verschiedenen Mengenverhältnissen eine Trübung eintrat, die bald unter 
Ausscheidung sichtbarer brauner Körnchen und Flocken vorüberging. Aus 
dem filtrierten Gemisch entsteht ein vollkommen klares, ungefärbtes Wasser, 
das als Trinkwasser vorzüglich geeignet ist. Der Vorgang fordert all¬ 
gemeineres Interesse, abgesehen von der Bedeutung, die das Verfahren für 
die Wasserversorgung der Stadt Posen haben kann. Bei der geschilderten 
Vermischung tritt eine Wechselfällung zweier Kolloide ein; es gibt kaum 
eine Methode, die in gleicher Weise schnell und hygienisch einwandfrei zur 
Entfärbung und gleichzeitigen Enteisenung führt. Die ausgeschiedenen 
Körner und Flocken können leicht und mit Sicherheit durch Schnellfilter 
zurückgehalten werden. Die Verfasser haben durch Auslaugung von Braun¬ 
kohle ein dem Posener Tiefengrundwasser ähnliches Wasser künstlich her¬ 
gestellt und dieses mit manganhaltigen Wässern gemischt; der Erfolg ent¬ 
sprach den Erwartungen, so daß das Verfahren eventuell auch noch bei der 
Reinigung manganhaltiger Grundwässer eine Rolle spielen kann. Wie wir 
hören, haben sich jedoch die Hoffnungen, die die Posener Wasserwerksver¬ 
waltung auf die Möglichkeit der Verwendung des Tiefengrundwassers gesetzt 
hat, bisher nicht ganz verwirklichen lassen. Die Untersuchungen von 
Weldert führten zu sehr interessanten Ergebnissen, die im einzelnen in 
der Originalschrift nachgelesen werden müssen. (Mitt aus d. Königl. 
Prüfungsanst. f. Wasservers. u. Abwässerbes., Heft 8, 1907.) 

Götze, Ed. Imbeaux, Allen Haren und Erlwein referierten auf 
dem XIV. internationalen Kongreß für Hygiene und Demographie Berlin, 
23. bis 29. September 1907, über die Beschaffung guten Trinkwassers. Der 


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Trinkwasser. Trinkwasserversorgung. 


489 


erste der genannten Redner weist auf die Tatsache hin, daß trotz der all¬ 
seitig anerkannten Überlegenheit des Grundwassers doch noch ein Viertel 
der Einwohner Deutschlands mit Oberflächenwasser versorgt werden müsse, 
weil es mitunter recht schwierig, ja geradezu unmöglich sei, Grundwasser in 
genügender Menge zu finden. Das Oberflächenwasser bedarf der Reinigung, 
wozu die langsame Sandfiltration ein gutes Mittel sei, sie allein reiche aber 
auch nicht aus, wenn das Wasser stark mit Bakterien verunreinigt sei, 
tonige fein geriebene Substanzen enthalte oder durch Huminsubstanzen 
gefärbt sei. Götze schildert dann an der Hand einiger Abbildungen 
eine nach seinen Vorschlägen ausgeführte Doppelsandfiltration mit Vor¬ 
klärung durch Schwefelsäure Tonerde. Der Vortragende hat im Gegensatz zu 
anderen Filtertechnikern die Beobachtung gemacht, daß durch zweimalige 
Filtration die dem Rohwasser zeitweilig anhaftenden feinsten Trübungen 
verhältnismäßig leicht beseitigt werden können; er schaltet die Nachfilter 
ein, sobald wegen einer voraussichtlichen Hochwasserschwellung oder durch 
andere Ursachen hervorgerufene Trübung des Wassers eingetreten oder zu 
erwarten ist. Die Doppelfiltration hat nach Ansicht des Redners den Vor¬ 
teil, nach Bedarf auf Einzelfälle beschränkt werden zu können; man hat es 
also vollständig in der Hand, das Filtrat von einem Filter oder von zwei 
oder mehreren zu verbessern, eine Anpassung an die jeweilig vorliegenden 
Bedürfnisse bis ins einzelne ist somit möglich, während die Vorklärung mit 
Fällmitteln stets auf das Ganze wirkt und gegenüber der kostenlosen Doppel¬ 
filtration nicht unerhebliche Ausgaben verursacht. Götze hält aber beide 
Methoden für wohlgeeignete Mittel, die Leistungsfähigkeit der langsamen 
Sandfiltration in kritischen Fällen weit über das zu heben, was wir ohne 
diese Hilfen von ihr erwarten können. Imbeaux berichtet über mecha¬ 
nische Filteranlagen in den Vereinigten Staaten, sowie über natürliche Fil¬ 
tration, Schnellfilter, Oxydationsfilter und dergleichen, dabei die bekanntesten, 
auch den Lesern dieses Jahresberichtes nicht neuen Anlagen einer kurzen 
Besprechung und Kritik unterziehend. Erl wein hatte sich in seinem 
Referate die Aufgabe gestellt, einen Überblick über die Entwickelung und 
den heutigen Stand der Ozonisierung deB Wassers für zentrale Trinkwasser¬ 
versorgung zu geben. Nach einer Besprechung der älteren Ozonwerke von 
Wiesbaden und Paderborn beschäftigt sich der Redner eingehend mit den 
Erfolgen und Versuchen der auswärtigen Ozonsysteme von Comte de Frise, 
Abraham und Marnier, Maruis Otto und VoBmaer. Das Ozon verfahren, 
das fast überall anfänglich viele Vorurteile zu bekämpfen hatte, hat sich in 
größeren Betrieben in bezug auf Sterilisations- und Betriebssicherheit voll¬ 
kommen bewährt, so daß es nunmehr sich auf dem Wege befindet, weiteren 
Boden zu gewinnen. Über dasselbe Thema referierten J. Courmont und 
L. Lacomme, die über die Erfolge der Ozonisierung in Frankreich gleich¬ 
falls günstig berichteten und die von Erl wein nur kurz gestreiften Metho¬ 
den französischer Erfinder eingehender beschrieben. 

Fraenkel und Graßberger teilen Erfahrungen über Talsperrenwasser 
mit, das in der Bewertung der verschiedenen Wasserbeschaffungsmethoden 
vor dem Oberflächenwasser und hinter dem einwandfreien Grundwasser 
rangiert. In Deutschland befinden sich zurzeit etwa 12 Talsperrenanlagen 
im Betriebe, hauptsächlich in Rheinland und Westfalen und neuerdings bei 


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490 


Wasser. Nahrungs- und Genußmittel. 


Chemnitz und in Nordhausen. Das Wasser der Talsperren ist dem 
Wasser aus Flüssen, Strömen usw. erheblich überlegen, jedoch kann die 
praktische Brauchbarkeit einer Talsperre in hygienischer Beziehung nur von 
Fall zu Fall entschieden werden. Bei den älteren Anlagen hat sich viele 
Jahre hindurch nach Inbetriebsetzung der Stauweiher, fast regelmäßig gegen 
Ende des Sommers eine mehr oder minder starke Trübung des Wassers 
eingestellt, die mit einer deutlichen Verschlechterung des Geschmackes ver¬ 
bunden war; wahrscheinlich ist diese unangenehme Erscheinung auf un¬ 
genügende Reinigung des Grundes von jeglichem Pflanzenwacbstum bei der 
ersten Anlage des Stauweihers zurückzuführen. Schon aus diesem Grunde 
hat man das Talsperrewasser vor seiner Verwendung vielfach einer künst¬ 
lichen Reiuigung unterzogen, und zwar entweder durch Sandfiltration oder 
durch Versickerung in Rieselwiesen. Der Vortragende faßte sein Urteil 
dahin zusammen, daß das in Stauweihern gesammelte Wasser dem gewöhn¬ 
lichen Oberflächenwasser schon wegen seiner gleichmäßigen Temperatur 
überlegen sei, auch stehe es hinsichtlich der Infektionsgefahr weitaus gün¬ 
stiger da, als das gewöhnliche Oberflächen wasser. Unter besonders günstigen 
Umständen, insbesondere bei genügeodem Schutz gegen den Einbruch patho¬ 
gener Keime kann das Wasser ohne weiteres zum Gebrauche zugelassen 
werden, im allgemeinen wird jedoch eine künstliche Reinigung schon mit 
Rücksicht auf etwaige dem Wasser anhaftende Trübungen und Beimen¬ 
gungen von größeren Tieren nicht zu umgehen sein. Der nächste Redner, 
Graßberger, teilt seine Erfahrungen über TalsperrewasBer in Österreich 
mit, die sich allerdings in diesem Lande im Vergleich mit Deutschland noch 
im Anfangs Stadium befinden, er betrachtet die heutige, auch von Fraenkel 
vertretene Anschauung der direkten Benutzung des Talsperrewassers mit 
Mißtrauen, weil die sanitäre Kontrolle bei größeren Niederschlagsgebieten 
praktisch schwer durchzuführen sei, was besonders in Österreich wegen des 
Fehlens eines Reichsseuchengesetzes und wegen der weitgehenden Auto¬ 
nomie der Gemeinden und aus anderen Gründen schwer ins Gewicht falle. 

Metzger. 


Nahrungs- und Genußmittel. 

Allgemeines. 

Gelegentlich des 14., zu Berlin abgehaltenen internationalen Kongresses 
für Hygiene wurde in Sektion II eine Reihe von Vorträgen über den Stand 
der Nahrungsmittelgesetzgebung in den einzelnen Ländern ge¬ 
halten. Es sprachen über die Verhältnisse in Frankreich A. Chassevant, 
in Österreich E. Ludwig, in Deutschland W. Kerp, und in den Vereinigten 
Staaten von Nordamerika H. W. Wiley. (Bericht über den 14. internatio¬ 
nalen Kongreß für Hygiene, Bd. 2, S. 251, 257, 264 und 278.) 

R. Abel besprach die Punkte, in Beziehung auf welche die deutsche 
Lebensmittelgesetzgebung einer Ausdehnung bedarf. Ein wesent¬ 
licher Mangel unserer einschlägigen Gesetzgebung liegt darin, daß für die 
Herstellung und den Handel mit Lebensmitteln im allgemeinen Gewerbe- 


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Allgemeines 


491 


freiheit herrscht. Demgegenüber erscheint in manchen Fällen, z. B. für den 
Milchhandel, die Einholung polizeilicher Erlaubnis für die Eröffnung des Be¬ 
triebes wünschenswert; ja, man könnte vom Milchhändler sogar die Beibrin¬ 
gung eines Befähigungsnachweises verlangen. Für andere Nahrungsmittel¬ 
betriebe wird zweckmäßig zumindest eine Anmeldung des Betriebes an die 
Behörde bei der Eröffnung zu verlangen sein. Beinahe noch notwendiger 
als die Konzessions- und Anzeigepflicht für bestimmte Betriebe ist die 
Schaffung der Möglichkeit für die Behörde, erwiesenermaßen unzuverlässigen 
Personen die Fortführung von Nahrungsmittelbetrieben zu untersagen. 

Als weitere Ergänzung unseres Nahrungsmittelgesetzes erscheint eine 
Bestimmung erforderlich, die das Verfertigen, Feilhalten und Verkaufen 
minderwertiger Lebensmittel den gleichen Vorschriften unterstellt, wie sie 
für nachgemachte, verfälschte und verdorbene gelten. Ein ferneres Bedürfnis 
ist die Erweiterung der Befugnisse des Bundesrates zum Erlaß von all¬ 
gemeinen Verordnungen auf dem Gebiete des Nahrungsmittelverkebrs. Zur 
Beratung des Bundesrates bei Vorbereitung solcher allgemeinen Anordnungen 
muß ihm ein sachverständiger Beirat aus Vertretern der verschiedenen in 
Betracht kommenden Wissenschaften und aus solchen der Industrie und des 
Handels an die Seite gestellt werden. 

Unbedingt notwendig ist eine Ausdehnung der den Polizeibehörden in 
§ 2 und § 3 des Nahrungsmittelgesetzes zugestandenen Aufsichtsbefugnisse 
gegenüber dem Nahrungsmittelverkehr. Nicbt angängig ist es allerdings, 
daß diese ausgedehnte Kontrolle niederen Polizeiorganen übertragen wird; 
es erwächst hier für den Nahrungsmittelohemiker eine neue und wichtige 
Aufgabe. Eine große Lücke besteht in unserer Nahrungsmittelgesetzgebung 
noch insofern, als sie gegen die Einfuhr gesetzwidriger Lebensmittel keinen 
genügenden Schutz gewährt. Bei der Ungleichmäßigkeit der Polizeiverord¬ 
nungen für den Nahrungsmittelverkehr, die oft selbst in nahe benachbarten 
Landesteilen sich bemerkbar macht, empfiehlt es sich, daß die Zentralbehörden 
durch Erlaß von Mustern für möglichst einheitliche Regelung sorgen, die 
natürlich Berücksichtigung besonderer örtlicher Verhältnisse nicht ausschließt. 

Als letzter Punkt in der Reihe von Bedürfnissen, die unsere deutsche 
Nahrungsmittelgesetzgebung zu erfüllen übrig läßt, ist die nicht ausreichende 
Rücksicht zu erwähnen, die im Nahrungsmittelverkehr den allgemeinen hygie¬ 
nischen Grundsätzen zuteil wird. Es gehört hierher z. B. die Tatsache, daß 
nicht immer Leute mit ekelhaften, zum Teil ansteckenden Krankheiten von 
der Herstellung und dem Vertriebe von Lebensmitteln ausgeschlossen werden, 
ganz besonders aber die immer wieder zu beobachtende große Unreinlichkeit 
im Nahrungsmittelverkehr. (Bericht über den 14. internationalen Kongreß 
für Hygiene, Bd. 2, S. 294; Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, 
Bd. 14, S.613.) 

J. König erörterte gleichfalls die Frage nach den Bedürfnissen der 
deutschen Nahrungsmittelgesetzgebung. Er fordert bestimmte, amt¬ 
lich gültige Begriffserklärungen für die einzelnen Nahrungs- und Genu߬ 
mittel und Gebrauchsgegenstände. Als weiteres Bedürfnis der Nahrungsmittel¬ 
gesetzgebung müssen einheitliche Vorschriften für die einzelnen Nahrungs¬ 
und Genußmittel bezüglich der Behandlung bzw. der Zusätze, besonders von 


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492 


Nahrungs- und Genußmittel. 


Konservierungsmitteln, der Art und Menge nach, genannt werden. Endlich 
ist es notwendig, daß Erlasse und Verordnungen, welche die Durchführung 
des Nahrungsmittelgesetzes und seiner Nachtragsgesetze betreffen, in den 
einzelnen Bundesstaaten bzw. Bezirken, wenigstens aber desselben Landes, 
einheitlich bzw. übereinstimmend sind. (Bericht über den 14. internatio¬ 
nalen Kongreß für Hygiene, Bd. 2, S. 306; Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- 
u. Genußmittel, Bd. 14, S. 621.) 

J. B. Andre bat gleichfalls auf dem internationalen Hygienekongreß 
die besonderen Bedürfnisse der Nahrungsmittelgesetzgebung zum Gegenstände 
eines Vortrages gemacht. (Bericht über den 14. internationalen Kongreß für 
Hygiene, Bd. 2, S. 323.) 

F. Hueppe stellt in einem Vortrag über die Bedürfnisse der Nah- 
rungsmittelgesetzgebung die Forderung einer ausgedehnten Kontrolle 
der Betriebe, in denen Nahrungsmittel hergestellt werden, durch hygienische 
Sachverständige auf. Ferner sollte das Gesetz strikte das gewerbsmäßige 
Herstellen, den Verkauf und das Feilhalten von Gegenständen verbieten, die 
zur Nachahmung oder Fälschung von Nahrungsmitteln bestimmt sind. Die 
Bezeichnung einer Ware soll dem Wesen derselben entsprechen, und Ab¬ 
weichungen von der normalen Beschaffenheit sind durch Deklaration kennt¬ 
lich zu machen. Alle zugelassenen Schönungs- und Appreturmittel dürfen 
niemals dazu dienen, minderwertiger oder bereits verdorbener Ware das 
Aussehen einer erstklassigen und normalen Ware zu verleiben. Die Auf¬ 
zählung verbotener Mittel darf nicht zu der Auffassung führen, daß deshalb 
die anderen erlaubt seien. (Bericht über den 14. internationalen Kongreß 
für Hygiene, Bd. 2, S. 294.) 

Eine sehr eingehende Polizeiverordnung über den Verkehr mit 
Nahrungs- und Genußmitteln ist für die Stadt Dessau unter dem 
1. Oktober 1906 erlassen worden. Dieselbe verdient besonderes Interesse 
sowohl wegen einer Reihe bemerkenswerter allgemeiner Bestimmungen, vor 
allem aber auch wegen der Ausführlichkeit der Bestimmungen, die für jedes 
einzelne Lebensmittel im besonderen angeordnet sind. (Zeitschr. f. öffentl. 
Chemie, Bd. 13, S. 55 u. 73.) 

In den Vereinigten Staaten von Nordamerika ist am 1. Jannar 
1907 ein Bundesgesetz über den Handel mit Nahrungsmitteln und Drogen, 
„pure food and drug act“, in Kraft getreten. Hierzu sind amtliche 
„Standards of purity for food products“ erlassen worden, welche sehr 
prägnante Begriffsbestimmungen aller einzelnen Lebensmittel enthalten. 
(Veröffentl. d. Kaiserl. Gesundheitsamtes 1906, S. 683; 1907, S. 209: Zeitschr. 
f. öffentl. Chemie, Bd. 13, S. 140 u. 165.) 

H. Rühle bespricht die Kennzeichnung (Deklaration) der Nah¬ 
rungs- und Genußmittel. Durch den Übergang der Herstellung von 
zahlreichen Nahrungs- und Genußmitteln aus dem Haushalt in den tech¬ 
nischen Großbetrieb haben sich eine Reihe abgeänderter Bereitungsweisen 
eingebürgert. Es werden neue, bisher noch nicht gekannte Erzeugnisse, 
sowie Surrogaterzeugnisse unter Verwendung billiger Rohstoffe hergestellt; 
ferner kommen billige Ersatzstoffe zur Verwendung. Hierzu gesellt sich die 


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Allgemeines. 493 

aasgedehnte Verwendung der Färbung, sowie der Konfektionierung zur Er¬ 
zielung besseren Aussehens der Ware, und der ausgedehnte Gebrauch von 
Konservierungsmitteln. Endlich haben sich im Laufe der Zeit gewisse 
Handelsgebräuche ausgebildet, die sich aber bei näherer Betrachtung zum 
Teil als Mißbräuche darstellen. Aus der Einbürgerung aller dieser Abwei¬ 
chungen von der normalen Herstellungsart folgt die Notwendigkeit einer 
weitgehenden Kennzeichnung der verschiedenen Erzeugnisse. Diese Kenn¬ 
zeichnung muß dem Käufer im Großhandel wie im Kleinhandel Aufschluß 
über die besondere Beschaffenheit eines Nahrungs- und Genußmittels geben 
und muß deshalb in solcher Art und Form erfolgen, daß die zu kennzeich¬ 
nende Besonderheit der Ware von jedem Käufer mit normalem Auffassungs¬ 
vermögen ohne jeden Zweifel ihrem Wesen nach begriffen werden kann. 

Im einzelnen gelangt der Verfasser nach eingehender Diskussion aller 
wichtigen Spezialfälle zu folgenden allgemeinen Leitsätzen: 1. Die Bezeich¬ 
nung einer Ware im Handel mit Nahrungs- und Genußmitteln muß ihrem 
inneren Wesen vollkommen entsprechen. — 2. Abweichungen von der nor¬ 
malen Beschaffenheit sind in jedem Falle anzugeben; besteht über den Be¬ 
griff der normalen Beschaffenheit keine Einigkeit, so muß die Bezeichnung 
um so umfassender und eingehender geschehen. — 3. Die Anwendung von 
Farbstoffen und Appreturmitteln jeder Art ist in jedem Falle zu kennzeichnen; 
eine Ausnahme ist allein für die Färbung von Margarine und von Bäckerei- 
und Zuckerbäckereiwaren anzuerkenDen, unter der Voraussetzung der Ver¬ 
wendung gesundheitsunschädlicher Farbstoffe. — 4. Die Anwendung von 
Konservierungsmitteln jeder Art ist in jedem Falle zu kennzeichnen, solange 
nicht ihre allgemein anerkannte Gesundbeitsschädlichkeit ihre Anwendung 
von selbst ausschließt, oder ein allgemeines Verbot der Anwendung aller 
oder einiger Konservierungsmittel besteht. Eine Ausnahme ist allein für die 
Verwendung von Kochsalz und Salpeter zuzulassen, sowie für den Gebrauch 
von schwefliger Säure in der Kellerwirtschaft. — 5. Handelsgebräuche können 
Anspruch auf Anerkennung nur im Rahipen von Rechtlichkeit im Handel 
und Gewerbe erheben. — 6. Die Ausführung der Kennzeichnung muß auch 
nach Form und Umfang der Kennzeichnungsmarke und der Größe des Auf¬ 
drucks deutlich in die Augen fallend sein und darf nicht nur zwischen den 
Herstellern und Zwischenhändlern, sondern muß vor allem zwischen diesen 
und den Käufern voll zur Geltung kommen. (Sammlung chemischer und 
chemisch-technischer Vorträge, Bd. 11, S. 223.) 

Über die Lebensmittelkontrolle in Preußen enthält die im Berichts¬ 
jahre erschienene amtliche Schrift „Das Gesundheitswesen des Preußischen 
Staates im Jahre 1905“ eingehende Angaben. Die Beaufsichtigung des 
Nahrungsmittelverkehrs wurde, ebenso wie die Entnahme der zur Unter¬ 
suchung bestimmten Proben, in der Regel von den unteren Polizeiorganen 
wahrgenommen; nur in den größeren Städten hatten diese teilweise eiue be¬ 
sondere Schulung für ihre Aufgaben erhalten. Den Vorteil der Probenahme 
durch Nahrungsmittelchemiker beleuchten Zahlenangaben aus dem Regierungs¬ 
bezirk Frankfurt a. 0. Hier waren in fünf Kreisen, in denen ein Nahrungs¬ 
mittelchemiker die ambulante Kontrolle ausübte, 26,6 Proz. der Proben zu 
beanstanden, in den übrigen Teilen des Bezirks, wo Polizeiorgane ohne be¬ 
sondere Sachkenntnis die Proben auswählten, nur 10 Proz. 


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494 


Nahrungs- und Genuß mitteL 


Die Kreisärzte nahmen wiederum die Ortsbesichtignngen wahr, um die 
verschiedenen Arten von NährungsmittelWerkstätten nnd -handlangen zu 
revidieren. Sie fanden dabei sehr häufig Gelegenheit, Mißstände, namentlich 
in Beziehung auf mangelnde Reinlichkeit, aufzudecken und abzustellen. 
Polizeiverordnungen zur Förderung der Reinlichkeit im Nahrungsmittel¬ 
verkehr ergingen mehrfach; sie enthalten Vorschriften über die Beschaffen¬ 
heit und Benutzung der Verkaufsräume, den Schatz der Waren gegen Ver¬ 
unreinigung durch Staub, durch Tiere und durch Betasten, die Abgabe der 
Ware in sauberen Umhüllungen usw. 

Aus der Kriminalstatistik für 1904 ist erwähnt, daß im Jahre 1904 in 
Preußen wegen 2213 Vergehen gegen die Nahrungsmittelgesetze Verurtei¬ 
lungen erfolgten. Die Zahl der öffentlichen Untersuchungsanstalten für 
Nahrungsmittel hat sich um vier vermehrt und betrug Ende des Jahres 1905 
45. Diese Stellen führten insgesamt, ohne Einrechnung der für die Auslands¬ 
fleischbeschau ausgeführten Arbeiten, die Untersuchung von 154 586 Proben 
aus; davon waren 96 061 Nahrungsmittel, Genußmittel und Gebrauchsgegen- 
stände. Öffentliche Untersuchungsanstalten fehlten noch in 12 Regierungs¬ 
bezirken. (Zeitschr. f. öffentl. Chemie, Bd. 13, S. 244, 267 u. 288.) 

Eine österreichische Ministerialverordnung vom 17. Juli 1906 regelt die 
Verwendung von Farben bei Erzeugung von Lebensmitteln und 
Gebrauchsgegenständen. Eine Reihe von Farbstoffen — mineralische 
wie auch organische — werden ausdrücklich als gesundheitsschädlich be¬ 
zeichnet und ihre Anwendung ist verboten. Unschädliche Farben, die zur 
Färbung von Lebensmitteln bestimmt sind, dürfen nur in Originalpackung 
der Fabrik, welche dieselben erzeugt, und unter der in der Fabrik ein¬ 
geführten Bezeichnung gewerbsmäßig verkauft und feilgehalten werden und 
müssen auf ihrer Umhüllung unter anderem die Bezeichnung „zur Färbung 
von Lebensmitteln“ und „unschädlich im Sinne der Ministerialverordnung 
vom 17. Juli 1906“ tragen. Das Färben von Lebensmitteln mit unschäd¬ 
lichen Farben ist im allgemeinen erlaubt, wenn die Färbung nicht zur Ver¬ 
deckung einer geringen Qualität vorgenommen wurde; es ist hingegen ver¬ 
boten, wenn die Färbung geeignet ist, das Verdorbensein oder die gesund¬ 
heitsschädliche Beschaffenheit deB Lebensmittels zu verbergen. Das Färben 
von Fleisch und Fleisch waren, sowie die gewerbsmäßige Verwendung gefärbter 
natürlicher Wursthüllen ist unbedingt verboten. Endlich folgt noch eine 
Bestimmung über gefärbte Gebrauchsgegenstände. (Zeitschr. f. öffentl. Chemie, 

Bd. 13, S. 16 u. 76.) 

H. W. Houghton prüfte den Einfluß einiger in der Nahrungsmittel¬ 
industrie angewandter Farbstoffe auf die peptische Verdauung durch 
Versuche in vitro mit künstlichem Magensaft. Je gleiche Mengen eines Ei¬ 
weißkörpers und gleiche Mengen künstlicher Magensaft wurden unter den¬ 
selben Bedingungen mit wechselnden Mengen Farbstoff zusammengebracht 
und der prozentische Anteil des verdauten Eiweißes ermittelt. Es ergab sich, 
daß die Verdaulichkeit verschiedener Eiweißarten durch die einzelnen Farb¬ 
stoffe abweichend beeinflußt wird und ferner, daß die Größe des Farbstoff¬ 
zusatzes von wesentlichem Einfluß ist. Die folgende Tabelle gibt einen Aus¬ 
zug aus des Verfassers Ergebnissen. 


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Allgemeines. 

Verdaulichkeit in Prozenten. 


495 


Fibrin 


Casein 


Eieralbumin 


Farbstoff 


Verhältnis von Farbstoff zu Eiweiß 



0 

1:100 

1:1600 

0 

1:100 

1:1600 

0 

1:100 

1:1600 

Orlean. 

96,2 

96,2 

96,2 

98,2 

66,3 

98,2 

54,0 

30,8 

47,3 

Safran. 

96,2 

85,9 

96,2 

98,2 

78,3 

97,8 

54,0 

15,0 

53,4 

Kurkuma. 

96,2 

61,2 

96,2 

98,2 

31,6 

87,2 

54,0 

1,9 

39,7 

Cochenille. 

96,2 

56,4 

96,2 

98,2 

71,8 

98,1 

54,0 

11,1 

42,4 

Bismarckbraun . . 

96,2 

48,6 

95,6 

98,2 

58,9 

98,2 

54,0 

10,6 

33,3 

Krozeinscharlach 1 B 

96,2 

0 

0 

98,2 

0 

70,0 

54,0 

0 

19,7 


lm Anschluß an diese Versuche wurde noch der Einfluß von Orlean- 
samen und von ölgelb auf die lipolytischen Enzyme geprüft. Hierbei zeigte 
•ich, daß das Fettspaltungsvermögen eines Leberauszuges gegenüber Butter- 
fett durch den Zusatz der genannten Farbstoffe in jeder untersuchten Kon¬ 
zentration (1: 500 bis 1 :10 000) um ein Geringes erhöht wurde, und zwar 
um so mehr, je größer die relative Farbstoffmenge war. (Journal of the 
American Chemical society, Bd. 29, S. 1351.) 

K. B. Lehmann konstruierte ein Instrument, welches er Dexometer 
= Biß) nennt, und welches gestattet, die Zähigkeit verschiedener 
Speisen gegenüber dem Vorgänge des Zerbeißens in absolutem Maße fest¬ 
zustellen. Es besteht aus zwei gegeneinander gerichteten Schneiden, deren 
obere, dem Oberkiefer gleich, feststeht, während die untere, dem Unterkiefer 
entsprechend, der oberen entgegen arbeitet. Das statische Moment dieser 
unteren Schneide, das zur Durchbeißung eines Bissens von bestimmten Dimen¬ 
sionen erforderlich ist, ist das Maß der Zähigkeit. Die Arbeit enthält dann 
noch zahlreiche Einzelbeobachtungen über die abweichende Zähigkeit ver¬ 
schiedener Fleischsorten, wie z. B. Lende und Hautmuskel und über 
die Veränderung der Zähigkeit durch Abhängen, Kälte, Kochen usw. An¬ 
geschlossen sind noch die Ergebnisse von Versuchen über die Änderung des 
Wassergehaltes, des Bindegewebegehaltes und des Volumens des Fleisches 
beim Kochen. (Arch. f. Hygiene, Bd. 63, S. 134.) 

K. B. Lehmann benutzte dasselbe Instrument zu Studien über die 
Zähigkeit vegetabilischer Nahrungsmittel und ihre Veränderung 
durch das Kochen. Vegetabilien sind roh wie gekocht fast durchweg zarter 
wie die eigentliche Fleischnahrung; die zartesten gekochten Tierorgane 
(Thymus) erreichten die gekochten Vegetabilien nicht ganz und übertreffen 
sie nur ganz ausnahmsweise (Hirn). Im allgemeinen empfinden wir Nahrungs¬ 
mittel als sehr weich, wenn am Dexometer zum Zerbeißen eines 1 cm dicken 
Bissens 100g ausreichen, als weich bis etwa 200 bis 400g, als fest, aber 
sehr leicht zerbeißbar bis 1000 g, als gut, aber mit etwas Anstrengung zer¬ 
beißbar, bis 2000 g. Etwa von 4000 g an stößt die einseitige Zerbeißbarkeit 
auf ernstliche Schwierigkeiten. (Arch. f. Hygiene, Bd. 63, S. 180.) 


K. Farnsteiner hat die Ermittelung des AlkalinitätBwertes der 
Asche, insbesondere von Lebensmitteln, auf eine neue Grundlage gestellt 


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496 


Nahrungs- und Genußmittel. 


und ein Verfahren ausgearbeitet, bei welchem die störenden Einwirkungen 
der in den Aschen enthaltenen Phosphate ausgeschaltet werden. Die Arbeit 
enthält eine Anzahl vollständiger Aschenanalysen und beschäftigt sich des 
weiteren noch speziell mit dem Nachweis eines Zusatzes von Kaliumkarbonat 
zum „holländischen“ Kakao, sowie von Entsäuerungsmitteln zum Bier. (Zeit¬ 
schrift f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 13, S. 305.) 

Ernährungslehre. 

J. Förster macht zur Frage des kleinsten Eiweißbedarfes folgende 
Ausführungen. Neben Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten bedarf der Mensch 
zum Aufbau und zur Erhaltung seiner Organe noch in ausreichender Menge 
andere Stoffe, wie z. B. Aschenbestandteile. In den Nahrungsmitteln befinden 
sich diese teilweise in Verbindung mit eiweißartigen Substanzen, oder sie 
stehen wenigstens in Beziehungen zu dem Eiweiß. Es ist daher zu befürchten, 
daß bei niedriger Eiweißzufuhr die Ernährung auch durch Mangel an Aschen¬ 
bestandteilen leidet. Bei der Zersetzung des Eiweißes im Körper werden 
gewisse unentbehrliche Stoffe, Verdauungsfermente, Stoffe der „inneren Sekre¬ 
tion“, Schutzstoffe usw., die Abkömmlinge des Eiweißes sind, gebildet Für 
einzelne davon ist nachgewiesen, für die anderen ist es wahrscheinlich, daß 
die Produktion im Verhältnisse zu dem Eiweißzerfall im Körper steht Es 
ist daher zu erwarten, daß bei niedrigem Eiweißumsätze leicht Störungen im 
Wohlbefinden und Erkrankungen infolge Mangels an den genannten Stoffen 
eintreten. Solange die Verhältnisse nach diesen beiden Richtungen hin nicht 
mehr als jetzt aufgeklärt sind, ist es für die Zwecke der praktischen Ernäh¬ 
rung ratsam, einen kräftigen Eiweißumsatz zu unterhalten und sich nicht 
auf das physiologische Mindestmaß zu beschränken, mit dem in einem gege¬ 
benen Falle das sogenannte Stickstoffgleichgewicht erhalten werden kann. 
(Bericht über den 14. internationalen Kongreß für Hygiene, Bd. 2, S. 331.) 

R. Tigerstedt stellt gelegentlich der Besprechung des kleinsten Ei¬ 
weißbedarfes alle vorliegenden Erfahrungen zusammen. Es ergibt sich, 
daß der minimale Stickstoffumsatz des menschlichen Körpers mit den äußeren 
Bedingungen etwas wechselt; im einzelnen ergeben sich folgende Werte: 



Stickstoffumsatx 

im Urin 

g 

entsprechend 

Eiweiß 

g 

Hunger. 

5—8 

31—50 

Spezifischer Stickstoff-Hunger. 

3—7 

18—44 

Geringe Stickstoff- f bei kürzerer Beobachtungsdauer 

3—9 

19—56 

menge in der Kost l bei längerer Beobachtungsdauer 

6—10 

38—63 

Vegetarier. 

4—8 

25—50 

Frei gewählte Arbeiterkost. 

9—12 

56—76 


Hierzu kommt in allen Fällen noch der Kotstickstoff, der pro Tag im 
allgemeinen, wenn die Kost nicht aus schwer verdaulichen, gröberen pflanz¬ 
lichen Nahrungsmitteln besteht, etwa 1 bis 2 g beträgt. Aus der Tabelle 
folgt, daß es, selbst wenn wir von individuellen Schwankungen ganz absehen, 
nicht möglich ist, das Eiweißmiuimum in einer einzigen Zahl anzugeben, 


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Ernährungslehre. 


497 


daß es vielmehr je nach den sonstigen Ernährungsbedingungen schwankt. 
Doch ergeben die Resultate, wie es scheint, ganz bestimmt, daß der erwach¬ 
sene Mensch völlig leistungsfähig bei einer Kost bleiben kann, die bei ge¬ 
nügendem Kaloriengehalt nur 75 g Eiweiß brutto enthält. Daraus folgt aber 
nicht, daß es bei der Feststellung eines Kostmaßes angezeigt wäre, die Ei¬ 
weißzufuhr — gegenüber der von Voit postulierten Menge von 118g — 
diesen Erfahrungen gemäß zu vermindern. Dem widerspricht vor allem, 
daß die frei gewählte Kost bei einigermaßen gut situierten Individuen in 
Europa und Amerika im allgemeinen ebensoviel und öfters noch mehr Ei¬ 
weiß enthält, als dem Voit sehen Kostmaß entspricht. 

Andererseits aber kann man die Frage stellen, ob es überhaupt not¬ 
wendig ist, eine bestimmte Zahl für den täglichen Eiweißbedarf aufzustellen. 
Man kann vielmehr im allgemeinen sagen, daß die Kost, wenn sie die 
sonstigen berechtigten Anforderungen an Quantität und Qualität erfüllt, auch 
immer Eiweiß in genügender Menge enthalten wird. (Bericht über den 
14. internationalen Kongreß für Hygiene, Bd. 2, 8. 337.) 

W. Völtz lieferte, als einen Beitrag zur Frage der Verwertung der 
stickstoffhaltigen Extraktivstoffe, Untersuchungen über die Ausnutzung 

V 

des Betains beim Hammel. Dem Betain kommt die Formel (OH).N(CH 3 ) s 
. (CHj.COOH) zu. Des Verfassers Versuche erstrecken sich über sechs 
Perioden, in deren einem Teil der Versucbshammel nur mit Heu gefüttert 
wurde, während er in den anderen Perioden Betain zugelegt erhielt. Die 
Tagesmittel der Einzelperioden sind in folgender Tabelle angegeben: 


Periode 

Stickstoff- 

Einnahme 

Stickstoff- 

Ausgabe 

7 Stickstoff- > 

S Ausnutzung 

N 

C 

03 

1 

«M 

55 

g 

& 

8 

JS 

m 

o 

9 

N 

«9 

* 

• 

C3 

g 

Kalorienwert 

der Einnahme 

der Ausgabe 

a o 

£ 35 

5 2 

K 

S :S 
u 3 

a > 

g 

B 

u 

ot 

X 

a 

g 

■»» 

o 

Ä 

a 

g 

H 

fl 

fl 

U 

(« 

B 

Kal. 

o 

bd 

Kal. 

I. 

14,01 

0 

6,99 

6,92 

50,6 

+ 0,10 

-41,2 

8098 


135,3 

1490 

11. 

13,86 

1,50 

8,46 

6,42 

58,2 

-j- 0,48 

+ 53,8 

3077,7 

80,7 

176,0 

1568,2 

III. 

11,18 

0 

6,23 

5,47 

51,1 

— 0,48 

— 

— 

— 

— 

— 

IV. 

12,50 

0 

6,08 

5,92 

52,7 

+ 0,50 

+ 35,0 

3505 

— 

169,6 

1321 

V. 

12,48 

1,50 

8,11 

6,46 

53,8 

— 0,59 

+ 64,0 

3509 

80,7 

208,4 

1228 

VI. 

12,40 

0 

7,20 

6,61 

46,7 

— 1,41 

— 71,0 

— 

— 

— 

— 


Eine Betrachtung, die lediglich diese Durchschnittsziffern ins Auge faßt, 
scheint teilweise zugunsten einer Verwertbarkeit des Betains durch den 
Organismus zu sprechen. Bei einer näheren Diskussion der Resultate der 
einzelnen Versuchstage kommt Verfasser jedoch zu dem entgegengesetzten 
Schlüsse. Hiernach kann durch Betainzufuhr beim Pflanzenfresser eine 
Stickstoffretention nicht herbeigeführt werden und das Betain verhält sich 
in Beziehung auf den Stickstoff Umsatz und -ansatz als ein indifferenter Körper. 
Das gleiche Ergebnis hatte Verfasser früher an Karnivoren erzielt. Nur in 
einem Punkte bestehen für die beiden Tierklassen Unterschiede, insofern 
nämlich, als nur etwa die Hälfte der Kalorien des Betains im Harne der 

Vierte ljahriBchrift für Gesundheitspflege, 1908. 8applement. qo 


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498 


Nahrungs- und Genußmittel. 


Pflanzenfresser abgespalten wird. Dieser Befund spricht dafür, daß eine 
stickstofffreie Gruppe des Betains im Stoffwechsel der Herbivoren abgespalten 
wird und jedenfalls nicht in den Harn gelangt. (Pflügers Archiv für die 
gesamte Physiologie, Bd. 116, S. 307.) 

M. Müller kommt bei Versuchen über die Wirkung des Asparagins 
auf den Stickstoffumsatz nnd -ansatz zu dem Ergebnis, daß die speziellen 
Bedingungen, unter denen die Amide der Nahrung beigegeben werden, von 
großem Einfluß auf das Ergebnis sind. Für das Asparagin ergab sich z. B., 
daß es, in Zelloidin gebettet, einem Produktionsfutter beigegeben, den 
Stickstoffansatz, gegenüber dem frei dargereichten Asparagin, fast zu ver¬ 
doppeln vermag. Gleiche Mengen Stickstoff in Form von Blutalbumin oder 
in Form von in Zelloidin gebettetem Asparagin wirken fast gleich günstig 
auf den Stickstoffansatz, wenn die im Asparaginfutter gegenüber dem Albumin¬ 
futter fehlenden Kalorien durch entsprechende Kohlenhydratmengen ersetzt 
sind. Dennoch ist eine absolute physiologische Gleichstellung des Asparagins 
mit Eiweiß nicht angängig, da die Prüfung der Nachwirkungen beachtens¬ 
werte Verschiedenheiten zugunsten des Albumins dargetan bat. (Pflügers 
Archiv für die gesamte Physiologie, Bd. 117, S. 497.) 

B. Schöndorff bearbeitete die Frage des Einflusses verschiedener 
Ernährungsarten auf das Verhältnis des Harnstoff-Stickstoffs 
zum Gesamtstickstoff im Urin. Die betreffenden Versuche wurden an 
zwei Hunden angestellt. Es ergab sich, daß mit steigendem Eiweißgehalt der 
Nahrung der Harnstoff-Stickstoff bis zu einem Maximalwert von 98 Proz. des 
Gesamt-Urinstickstoffes zunehmen kann, und beim Hungern bis zu einem 
Minimalwert von 75 Proz. sinken kann. Bei ausschließlicher Kohlenhydrat¬ 
oder Fettfütterung nimmt der Harnstoff-Stickstoff einen mittleren Wert von 
85 bis 86 Proz. an. (Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie, Bd. 117, 
S. 257.) 

E. Pflüger findet bei Versuchen über den Einfluß einseitiger Ernährung 
oder Nahrungsmangels auf den Glykogengebalt des tierischen Körpers, 
daß die Leber bei vollkommener Entziehung der Nahrung bis zum Hunger¬ 
tode fortfährt, Glykogen zu bilden. Wird der Leber als Nahrung in über¬ 
schüssiger Menge entweder nur Fett oder nur Eiweiß zugeführt, so hört die 
Glykogenbildung auf oder wird auf ein Minimum herabgedrückt. Wird aber 
der Leber als Nahrung in überschüssiger Menge ausschließlich Traubenzucker 
zugeführt, so nimmt — wie bereits bekannt — die Glykogenbildung in außer¬ 
ordentlich starkem Maße zu. (Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie, 
Bd. 119, S. 117.) 

M. Müller verdanken wir experimentelle Studien über den Einfluß 
der Ernährung auf die Zusammensetzung des Fleisches. Verfasser 
fütterte Hunde erst sechs Wochen lang mit Reis, Schweineschmalz und etwas 
Liebigs Fleischextrakt. Dann wurde eine Hinterextremität oben aus dem 
Hüftgelenk ausgelöst, und das Fleisch schnell von Haut und Knochen ge¬ 
trennt, gewogen und untersucht. Nach Verheilung der Wunde wurden die 
Tiere mit Pferdefleisch kräftig ernährt und alsdann getötet, worauf die zweite 
Hinterextremität aus dem Hüftgelenk gelöst und analysiert wurde. Nach 
diesem Plan gelang es, einen Versuch vollständig durchzuführen, während 


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Ernährungslehre. 


499 


bei einem zweiten Versuch der Hnnd kurz nach der Reisperiode einging. 
Die Zusammensetzung des von sichtbaren Fettteilchen befreiten Fleisches 
gibt folgende Tabelle: 


Trockensubstanz. 

Wasser. 

8tickstofl. 

Fett. 

Glykogen . 

Asche. 

Stickstoff \ in der fett-, glykogen- und 
Kohlenstoff / »schefreten Trockeniubaten» 

Hieraus geht hervor, daß der Kohlenstoffgebalt der eigentlichen Fleisch- 
substanz deutlich durch die Fütterung beeinflußt worden ist, während der 
Stickstoffgehalt ungefähr konstant blieb. Dieses Ergebnis bestätigt die Hypo¬ 
these von einer besonderen „Mastsubstanz“, die ein engeres Verhältnis von 
Kohlenstoff zu Stickstoff hat als Eiweiß. Man muß schließen, daß das ver¬ 
fütterte Eiweiß beim Fleischversucb zum Teil abgebaut wurde, und daß dabei 
eine kohlenstoffärmere Substanz in den Zellen zur Ablagerung kam. Ver¬ 
fasser erörtert schließlich noch einige Konsequenzen, die sich aus seinen 
Resultaten für die Bilanzberechnung von Stoffwechselversuchen ergeben. 
(Pflügers Archiv für Physiologie, Bd. 116, S. 207.) 

L. Jacob wandte sich der bereits vereinzelt bearbeiteten Aufgabe zu, 
zu untersuchen, wie der Ernährungsvorgang bei Darreichung eines 
Gemisches reiner Nährstoffe an Stelle von Nahrungsmitteln verläuft. 
Er stellte zunächst Fütterungsversuche an Tauben an, die mit Pastillen aus 
einer Mischung von Casein, Stärke, Zucker, Fett und Milchasche gefüttert 
wurden. Bei einem Teil der Versuche wurde das Casein durch Fleischpulver, 
die Milchasche durch ein künstliches Salzgemisch ersetzt, in einer Reihe 
wurde auch Zellulose hinzugefügt. Die Versuche endeten alle in nahezu 
gleicherweise; die Tauben ertrugen das Futter eine mehr oder minder lange 
Reihe von Tagen; in einem Falle 42 Tage lang. Jedoch war es in allen 
Fällen unmöglich, den Tieren täglich die ganze Menge ihres Bedarfs zuzu¬ 
führen, so daß eine Gewichtsabnahme nicht verhindert werden konnte. In 
der Regel trat etwa am zehnten Tage Erbrechen ein. Ein besseres Ertragen 
der reinen Nahrungsstoffe durch langsame Gewöhnung war nicht zu erreichen. 
Eine Diskussion aller Beobachtung lehrt jedoch, daß die Ursache des Mi߬ 
lingens einer andauernden Fütterung nicht in der chemischen Zusammen¬ 
setzung deB Futters, auch nicht im psyohischen Moment der zwangsweisen 
Zuführung des Futters und endlich auch nicht im Mangel an Genußmitteln 
liegt. Vielmehr muß die Schuld der physikalischen Beschaffenheit des Futters 
beigemesBen werden. Die Nährstofftabletten werden nämlich im Kropf auf¬ 
geweicht und bilden dort, im Gegensatz zum Körnerfutter (der natürlichen 

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500 


Nahrungs- und Genußmittel. 


Nahrung) eine kompakte, breiartige, klebrige Masse, die nicht portionsweise 
dem Vormagen und Muskelmagen zugeführt wird, sondern sich im Kropf 
staut, Erbrechen und schließlich schwere Störungen bewirkt. 

Verfasser hat deshalb die weiteren Versuche an Ratten angestellt und 
drei Tieren ein Futter gereicht, dessen quantitative Zusammensetzung mehr¬ 
mals gewechselt wurde und das aus reinem Casein, Rohrzucker bzw. Stärke, 
Schweineschmalz, Zellulose und Salzen zusammengesetzt war. Die Tiere 
erhielten soviel, als sie fressen wollten; ihre Freßlust war gering, sie erlitten 
Gewichtsabnahme, nur ein Tier konnte intermediär sechs Wochen lang nahezu 
konstant erhalten werden. Die Tiere lebten 43, bzw. 73, bzw. 125 Tage, 
dann gingen sie ohne vorherige Krankheitssymptome ein. Die Sektion 
ergab beträchtliche Abmagerung bis zum völligen Schwinden des sub¬ 
kutanen Fettes. 

Verfasser glaubt aus diesen Ergebnissen „schließen zu dürfen, daß die 
Erhaltung von Tieren mit reinen Nahrungsstoffen auch auf die Dauer mög¬ 
lich ist“. (Zeitschr. f. Biologie, Bd. 48, S. 19.) 

R. Staehelin stellte Untersuchungen an über die vegetarische Diät 
mit besonderer Berücksichtigung des Nervensystems, der Blut¬ 
zirkulation und der Diurese. Die Untersuchungen über den Stoffwechsel 
bestätigten zunächst Bekanntes. Es war Erhaltung des Stickstoffgleichgewichtes 
möglich, dagegen war die Ausnutzung des Nahrungsstickstoffes erheblich 
herabgesetzt, von 92 bis 96 Proz. bei fleischhaltiger Kost, auf 54 bis 84 Proz. 
bei vegetarischer. Die Stickstoffsubstanz des Reis ergab eine schlechtere 
Verwertung im Organismus als diejenige der Kartoffeln. Die Trockensubstanz 
des Kotes enthält bei einzelnen Individuen bei verschiedenartiger Ernährung 
den gleichen Prozentsatz Stickstoff; die verschiedene Größe der Stickstoff¬ 
ausscheidung wird dann nur durch Änderung der Kotmenge bedingt. 

Elin Einfluß der vegetarischen Diät auf die Körpertemperatur ließ sich 
nicht nachweisen. Die Gasentwickelung im Darmkanal, gemessen durch die 
Auftreibung des Leibes, ist bei einzelnen Individuen unter vegetarischer 
Ernährung lebhafter, bei anderen geringer als bei Fleischkost. Eine Wir¬ 
kung der vegetarischen Diät auf die Muskelleistung ließ sich durch Ergo- 
graphversuche nicht nachweisen. 

Die Pulsfrequenz war in zwei Fällen vier Stunden nach einer kopiöeen 
vegetarischen Mahlzeit höher als nach fleischreicher. Von den anderen unter¬ 
suchten Personen zeigte keine einen derartigen Elinfluß der Pflanzenkost. 
Die Leistungsfähigkeit des Herzens, gemessen an der Reaktion des Pulses 
auf Arbeit, wird bei verschiedenen Personen nicht in gleichem Sinne durch 
die vegetarische Diät beeinflußt. Bei einem Neurastheniker mit vasomoto¬ 
rischen Störungen zeigte sich bei laktovegetarischer Ernährung ein günstiger, 
bei einem Herzkranken ein schädlicher Einfluß. Elin Unterschied im Ver¬ 
halten des Blutdruckes, der mittels des Apparates von Riva-Rocci gemessen 
wurde, läßt sich bei vegetarischer und bei Fleischdiät nur in einem Fall von 
dreizehn zur Untersuchung gelangten dartun; in diesem zeigte sich bei 
Pflanzenkost eine Erniedrigung. Über Eünflüsse auf die Viskosität des Blutes 
ließen sich sichere Resultate noch nicht erlangen; sie scheint bisweilen bei 
vegetarischer Kost kleiner zu sein als bei Fleischnahrung. 


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Ernährungslehre. 


501 


Dem Verfasser war bei seinen Selbstversuchen aufgefallen, daß er wäh¬ 
rend der vegetarischen Periode fast keinen Durst empfand, während er in 
der Fleischperiode immer das Bedürfnis nach dem Trinken großer Wasser¬ 
mengen fühlte. Dementsprechend war auch die Urinmenge entsprechend 
geringer. Bei speziellerem Studium dieser Verhältnisse zeigte sich, daß 
Fleischgenuß stets eine deutliche Steigerung der Wasserausscheidung im 
Harn hervorbringt. Die gleiche Wirkung hatte die entsprechende Menge 
von Fleischextraktivstoffen, während reines Fleischeiweiß ohne Effekt blieb, 
ln gleicher Weise wie Rindfleisch wirken auch Fische und Hühnereier. Die 
vermehrte Wasserausfuhr bei Fleischdiät führt Verfasser auf einen Wasser¬ 
verlust des Organismus zurück. Dies wird bestätigt dadurch, daß an den 
anf die Fleischnahrung folgenden Tagen die Urinausscheidung ganz auf¬ 
fallend heruntergebt; der Körper gleicht also den Wasserverlust durch Reten¬ 
tion wieder aus. Mit dem Wasser wird auch Kochsalz aus dem Organismus 
ausgeschwemmt. Als Maß der Nierenleistung bei den verschiedenen Diät¬ 
formen zieht Verfasser die von Strauß angegebene „Valenzzahl“ — das 
Produkt aus Menge und Gefrierpunkterniedrigung des Harns — heran. Es 
ergibt sich hierbei, daß die rein vegetarische Diät nicht nur der Fleischkost, 
sondern auch der Milchkost in Beziehung auf Nierenschonung überlegen ist, 
(Zeitschrift für Biologie, Bd. 49, S. 199.) 

W. Ebstein kommt in einer Studie über die vegetarische Diät als 
Volksernährung und alB Heilmittel zu folgenden Schlüssen. Die reine 
oder fast reine Pflanzenkost kommt als zweckdienliche Volksernährung bei 
nns nicht in Betracht. Die Völker, welche sich, freilich auch keineswegs 
ausschließlich, vegetarisch ernähren, tun dies von Jugend auf; sie gewöhnen 
und erziehen sich zu einer solchen Nährweise. In gleicher Weise müßte 
auch bei uns behufs eventueller Erzielung gleicher Zwecke vorgegangen 
werden. Gegenwärtig bedeutet bei uns eine solche Diät, infolge der Un¬ 
möglichkeit, den Darm mit soviel Pflanzennahrung zu belasten und sie 
genügend auszunutzen, die Erzeugung einer Inanitiön, welche für Gesunde, 
insbesondere aber für Kranke, unheilvoll ist. (Deutsche med. Wocbenschr., 
Bd. 33, S. 144.) 

E. Heilner lieferte Beiträge zur Physiologie der Wasserwirkung im 
Organismus. Durch Respirationsversuche an je zwei hungernden Hunden 
und zwei hungernden Kaninchen konnte er einwandfrei zeigen, daß durch 
die Darreichung von Wasser der Gesamtenergieumsatz erhöht wird. Hierbei 
ergab sich, daß diese Erhöhung nicht ausschließlich durch erhöhten Eiwei߬ 
zerfall bedingt ist, sondern daß auch eine nicht unbeträchtliche Erhöhung 
der Fettzersetzung eingetreten war. 

Mit Rücksicht darauf, daß die Versuche am hungernden Tiere an- 
gestellt sind, Btellt Verfasser noch folgende Überlegungen an. DaB hungernde 
Tier besitzt unter normalen Bedingungen und Temperaturverhältnissen ein 
außerordentlich geringes Wasserbedürfnis, da ihm Wasser in genügender 
Menge in den zerfallenen Organen und durch die Oxydation von Eiweiß und 
Fett zur Verfügung steht. Es ist also physiologisch unnötig, einem normal 
hungernden Tiere reichlich Wasser mittels Schlundsonde zu injizieren und 
es ist mithin das unter solchen Bedingungen eingeführte Wasser — seine 


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Nahrungs- und Genußmittel. 


Menge betrug bei den Hunden je 2 Liter, bei den Kaninchen je 150 ccm in 
24 Stunden — im wahren Sinne des Wortes abundant. 

Nun wissen wir von den eigentlichen, ohemische Spannkräfte zuführenden 
Nahrungsstoffen, daß sie bei Abundanz die Stoffzersetzung bzw. Wärme¬ 
bildung im Organismus steigern. Es fragt sich, ob dies nicht auch für den 
ersetzenden Nahrungsstoff Geltung hat, der doch Wasser in hohem Maße ist, 
d. h., ob die stoffwechselerhöhende Wirkung dem Wasser an sich oder ob sie 
ihm nur dann zukommt, wenn es abundant ist. Verfasser hat zur Entschei¬ 
dung dieser Frage weitere Versuche angestellt, bei denen er der reichlich 
zngeführten Wassermenge den Charakter der Abundanz nahm, indem er ent¬ 
weder das Wasser als Lösungsmittel für einen Nahrungsstoff benutzte, oder 
indem er das hungernde Tier einer hohen Außentemperatur aussetzte, so daß 
der Körper einen dadurch entstehenden Wasserverlust zu decken hatte, ln 
allen diesen Versuchen blieb der steigende Einfluß des Wassers auf die Fett¬ 
zersetzung und auf die Stickstoffausfuhr aus. 

Nach allem diesen übt das Wasser, wenn es in abundanter Menge zu¬ 
geführt wird, eine spezifisch-dynamische Wirkung im steigernden Sinne auf 
den Stoffumsatz im Körper aus. Während aber Abundanz von Eiweiß, 
Kohlenhydraten und Fett in erster Linie die Zersetzung des betreffenden 
abundanten Nahrungstoffes steigert, wird durch das abundant zugeführte 
Wasser beim hungernden Tier in erster Linie nicht das Wasser selbst, son¬ 
dern Eiweiß und Fett und, solange noch ReBervekohlenhydrate da sind, auch 
diese in erhöhter Menge zersetzt. (Zeitschr. f. Biologie, Bd. 49, S. 373.) 


Chemie der Nährstoffe. 


Fr. N. Schulz. Allgemeine Chemie der Eiweißstoffe. Samtn- 
uug chemischer und chemisch-technischer Vorträge, Bd. 11, S. 273. 

E. Fischer hielt auf der Hauptversammlung des Vereins deutscher 
Chemiker einen Vortrag über Proteine und Polypeptide. Bisher sind 
durch Hydrolyse aus den natürlichen Eiweißstoffen folgende Aminosäuren 
erhalten worden: 


Glykokoll 

Alanin 

Valin 

Leuzin 

Isoleuzin 


Phenylalanin 

Serin 

Tyrosin 

Asparaginsäure 

Glutaminsäure 


Prolin 

Oxyprolin 

Ornithin 

Lysin 

Arginin 


Histidin 

Tryptophan 

Diaminotrioxy- 

dodekansäure 

Cystin 


Diese Aminosäuren sind zum allergrößten Teil der Synthese bereits zu¬ 
gänglich, auch in der optisch-aktiven Form, die in den Proteinen ausschlie߬ 
lich vorkommt. Der künstliche Aufbau der Proteine selbst scheint also im 
wesentlichen auf die Aufgabe hinauszulaufen, diese Aminosäuren in richtiger 
Auswahl und Reihenfolge durch Abspaltung von Wasser miteinander zu ver¬ 
knüpfen. Der Verfasser schildert näher die von ihm durcbgeführte Synthese 
eines Polypeptides C 4S H S0 O l9 N 18 , das durch Zusammenfügen von 18Amino¬ 
säuremolekülen erhalten wurde, und zwar von 15 Molekülen Glykokoll und 
3 Molekülen optisch-aktivem 1-Leuzin. 

Daß man diese und ähnliche Synthesen jemals zur praktischen Her¬ 
stellung von Nahrungsmitteln verwenden kann, wird kein Sachverständiger 
glauben. Man muß deshalb den Nutzen, den die Eiweißsynthese abwerfen 


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603 


Chemie der Nährstoffe. Diätetische Präparate. 

boü, auf wissenschaftlichem und zwar vorzugsweise auf biologischem Gebiete 
auchen. (Zeitschr. f. angew. Chemie, Bd. 20, S. 913.) 

J. Seemann behandelte Gelatine mit naszierender salpetriger 
Säure und unterwarf daB Ein Wirkungsprodukt der Hydrolyse. Er unter¬ 
nahm diese Versuche in der Hoffnung, so einen Einblick in die Konstitution 
der Eiweißkörper zu erhalten, da anzunehmen war, daß nur diejenigen Amido- 
gruppen durch Hydroxyl ersetzt werden, die nicht zur Peptidkuppelung der 
einzelnen Aminos&urefragmente des Eiweißmoleküls erforderlich sind. Unter 
den Produkten der folgenden Hydrolyse waren also sowohl Oxysäuren als 
auch Aminosäuren feu erwarten. — Bei seinem Versuch vermochte Verfasser 
unter den Produkten der Hydrolyse des desamidierten Leimes hingegen nur 
Blausäure, etwas feinen Schwefel, Oxalsäure und Essigsäure sicher zu identi¬ 
fizieren; außerdem sprach die Uffelmannsche Reaktion für die Gegenwart 
von Milchsäure. (Zeitschr. f. Biologie, Bd. 49, S. 494.) 

J. König und P. Hörmann gelangen in einer Arbeit über die Tren¬ 
nung der Kohlenhydrate durch Reinhefen zu folgenden Ergebnissen. 
Von den Dextrinen Btehen sich in ihrem Verhalten gegen Hefen die Säure- und 
Malzdextrine einerseits und das Honigdextrin andererseits gegenüber. Das 
letztere wird selbst von Weinhefen leicht assimiliert, von Bierhefen kräftig 
vergoren. Zu Trennungen verschiedener Zuckerarten voneinander eignen sich 
Hefen nur insoweit, als durch ihre Anwendung immer nur eine Zuckerart, 
die von der verwendeten Hefe nicht angegriffen wird, bestimmt werden kann; 
die Bestimmung des vergorenen Zuckers aus der gebildeten Kohlensäure 
durch Gewichtsverlust liefert nicht immer genaue Ergebnisse. Die Trennung 
der Dextrine von Zuckerarten unter Anwendung von Hefen hat dagegen den 
Vorteil, daß man dabei der wirklich vorhandenen Menge näher kommt, als 
bei dem Alkoholfällungsverfahren; sie hat jedoch den Nachteil, daß ihre Aus¬ 
führung einer weit längeren Zeit bedarf. Die Reinhefen verdienen vorwiegend 
Verwendung bei der Trennung der Glukose von Maltose, da hierfür ein 
anderes sicheres Verfahren noch nicht bekannt ist; sie sind daher unent¬ 
behrlich beispielsweise bei der Untersuchung von Stärkesirup und Stärke¬ 
zucker. Für die Bestimmung der Glukose und Fruktose neben Saccharose 
und Maltose, sowie für die vollständige Analyse des Stärkezuckers und -sirups 
eignen sich die Hefen Torula pulcberrima, Saccharomyces Marxianus und die 
untergärige Hefe aus Danziger Jopenbier am besten. (Zeitschr. f. Unters, 
d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 13, S. 113.) 

Diätetische Präparate. 

K. Micko hat im Anschluß an seine vorhergehende Arbeit (24. Jahres¬ 
bericht, S. 554) nunmehr die durch Zinksulfat aussalzbaren Stoffe des 
Fleischextraktes der Hydrolyse unterworfen und die Produkte dieser 
Hydrolyse nach E. Fischers Estermethode (19. Jahresbericht, S. 459) von¬ 
einander getrennt und identifiziert. Der Verfasser ging von 1823 g Fleisch¬ 
extrakt aus, aus denen er 279 g Albumosen durch Aussalzen mit Zinksulfat 
gewann. Auf je 100 g dieser wasser- und aschefreien Albumosen wurden 
durch Hydrolyse folgende Aminosäuren in den angegebenen Mengen erhalten: 


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604 


Nahrungs- und Genußmittel. 


Glykokoll.9,70 g 

Alanin.2,23 „ 

Aminovaleriansäurp.0,85 „ 

Bazemisches a -Prolin.0,56 „ 

Aktives «-Prolin.1,24 , 

Leuzin.2,11 „ 


Isoleuzin.0,22 g 

Asparaginsäure.1,93 , 

Glutaminsäure.1,86 , 

Glutaminsäureanhydrid .... 1,08 . 
Phenylalanin.0,51 . 


Das Vorwalten des Glykokolls unter den Spaltungsprodukten legt den 
Gedanken an die Gegenwart von Leim oder leimartigen Substanzen in den 
ausgesalzenen Eiweißkörpern nahe; doch lehrt eine nähere Betrachtung, daß 
das quantitative Verhältnis der einzelnen Aminosäuren von dem bei der Spal¬ 
tung von Gelatine aufgefundenen im einzelnen wesentliche Abweichungen 
aufweist. Auch sonst ließ sich unveränderter Leim im Fleischextrakte nicht 
nachweisen. Andererseits ist es nicht ausgeschlossen, daß bei der Bereitung 
des Fleischextraktes kleinere Mengen Leim in Lösung gehen können, die 
sich im fertigen Produkte konzentrieren. Die Ursache, warum es dennoch 
nicht gelingt, im FleiBchextrakte gelatinierenden Leim aufzufinden, ist auf 
die Wirkung der Säuren des Extraktes, bzw. der Milchsäure, zurQckzuführen, 
welche den Leim verändert und ihn in Azidglutin oder Gelatosen überfahrt 
Die Fraktionierung des mit Zinksulfat aussalzbaren Anteiles des Fleisch¬ 
extraktes lehrte, daß dieser Anteil aus einem Gemenge verschiedener Eiwei߬ 
körper besteht, unter denen sich ein nukleinartiger Körper findet, die aber 
überwiegend den allgemeinen Charakter der Albumosen zeigen. Ein Teil 
dieser Albumosen steht in seinem Verhalten gegen Reagenzien dem veränder¬ 
ten Leime, dem Azidglutin oder den Gelatosen sehr nahe. Der größte Teil 
der Albumosen weist aber abweichende Eigenschaften auf und es ist nicht 
anzunehmen, daß derselbe von Leim abstammt 

Vergleicht man die in der vorliegenden Arbeit gewonnenen Ergebnisse 
mit denen der oben erwähnten älteren Untersuchung, so ergibt sich, daß 
auch der nicht aussalzbare Teil des Fleischextraktes bei der Analyse Mono¬ 
aminosäuren liefert, unter denen der Menge nach die Glutaminsäure vor¬ 
herrscht Es sind somit auch in diesem Teile des Fleischextraktes Eiwei߬ 
körper oder diesen nahestehende Substanzen zu vermuten. (Zeitschr. f. Unters, 
d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 253 u. 756.) 


H. S. Grindley und H. S. Woods bestimmten im Fleischextrakt 
den Gehalt an Kreatin und Kreatinin nach der kolorimetrischen Methode 
mittels Pikrinsäure, die Folin für die Zwecke der Harnanalyse angegeben 
hat. Sie fanden den Kreatiningehalt schwankend von 0,83 bis 5,27 Proz, 
den Kreatingehalt von 0,55 bis 4,79 Proz. Die Summe beider Basen schwankte 
von 1,38 bis 6,56 Proz. und betrug bei den untersuchten elf Proben im Mittel 
4,94 Proz. (Chemical News, Bd. 95, S. 145.) 

D. Ackermann und F. Kutscher untersuchten Krabbenextrakt. 
Die meisten der unter den Namen Krebsextrakt, Krebsbutter, Krabbenextrakt 
im Handel erscheinenden Präparate erwiesen sich nicht als Produkte, die 
nach Art von Liebigs Fleischextrakt aus Krustaaeen hergestellt waren; sie 
bestanden vielmehr der Hauptsache nach aus Fett und aus wenig wasser¬ 
löslichen Extraktivstoffen. Das Fett enthielt einen roten, in Äther löslichen 
Farbstoff, den man ihm durch Wasser nicht entziehen konnte und war wahr- 


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Diätetische Präparate. Fleischbeschau. Allgemeines. 505 

scheinlich vorher benutzt worden, um gekochten leeren Krebspanzern den 
roten Farbstoff zu nehmen. 

Nach einigem Sueben konnten die Verfasser aber doch eine Handels¬ 
marke von „Krabbenextrakt“ ausfindig machen, die ausgezeichnet nach 
Krebsen roch und Bchmeckte. frei von Fett war und aus wasserlöslichen 
Extraktstoffen bestand. Das Produkt war angeblich eine eingedickte Fleisch¬ 
brühe aus frischem Krabbenfleisch; die nähere Untersuchung lieferte dem¬ 
gegenüber sehr merkwürdige Ergebnisse. Von Aminosäuren ließen sich aus 
dem Extrakt Tyrosin, Leuzin, Arginin und Lysin in reichlicher Menge dar¬ 
stellen. Hingegen fehlte das im Muskelextrakt aller höheren Tiere bis hinab 
su den Fischen auftretende, so charakteristische Kreatin und Kreatinin voll¬ 
kommen. Von Alloxurbasen war nur eine einzige, das Hypoxanthin, nach- 
snweisen; von sonstigen Basen war in erster Linie das Betain vorhanden. 
Daneben wurden gefunden: Methylpyridilammoniumhydroxyd, die von den 
Verfassern früher (24. Jahresbericht, S. 556) entdeckte Base Neosin, sowie 
zwei neue Basen Crangitin (C ls H, 0 N a O 4 ) und Crangonin (C 13 H 2fl N 2 O s ). 
Von Säuren war nur para-Milchsäure aufzufinden, dagegen fehlte die Bern¬ 
steinsäure vollkommen. 

Das im „Krabbenextrakt“ reichlich vorkommende Betain ist häufig in 
Pflanzenextrakten gefunden worden. Dagegen hat es nur noch Brieger in 
tierischen Extrakten, nämlich im wässerigen Auszug der Miesmuschel nach- 
weisen können. Auch das Vorkommen von Methylpyridilammoniumhydroxyd 
ist überraschend, weil sich die tierischen Extrakte, im Gegensätze zu den 
pflanzlichen, bisher als frei von Pyridinderivaten erwiesen haben. Die Ver¬ 
fasser enthalten sich zunächst noch, auf die naheliegenden Spekulationen 
einzugehen, die eine Erklärung dieser auffälligen Ergebnisse geben können. 
(Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 13, S. 180, 610 u. 613 ; 
Bd. 14, S. 687.) 

A. Wiebold bespricht die Herstellung der Hefenextrakte, auf 
deren wirtschaftliche Bedeutung er hinweist, indem er anführt, daß jährlich 
170 000 Tons Brauereibefe weggeworfen werden. Die Darstellungsverfahren 
bestehen entweder in einer einfachen Extraktion ohne Zuhilfenahme von 
Hefe- oder anderen Enzymen, oder in der Benutzung proteolytischer Hefe¬ 
enzyme oder fremder Enzyme zur Aufschließung des Hefeplasmas, oder in 
der Verwendung chemischer Agenzien, oder in der Kombination aller dieser 
Methoden. Versuche des Verfassers ergaben, daß die Selbstverdauung der 
Hefe das beste und schnellste Mittel ist, um Hefenextrakt von angenehmem 
Geruch und Geschmack bei guter Ausbeute darzustellen. Alle Zusätze bei 
der Bereitung hingegen vermindern entweder die Ausbeute oder sie ver¬ 
schlechtern das Mengenverhältnis der einzelnen Stickstoffverbindungen. 
(Archiv der Pharmazie, Bd. 245, S. 291.) Grünhut. 

Fleischbeschau. 

Allgemeines. 

Märtel will nach einem Berichte, den er an die Pariser Akademie der 
Wissenschaften erstattete, den Röntgen-Apparat im Dienste der 
Fleischbeschau verwenden. Die tuberkulösen Veränderungen bei Schlecht¬ 


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606 


Nahrungs- und Genußmittel. 


tieren zeichnen sich dadurch aus, daß sie in der Regel Niederschläge von 
Kalksalzen enthalten. Da diese für Röntgenstrahlen verhältnismäßig un¬ 
durchlässig sind, so ist die Möglichkeit gegeben, tuberkulöse Veränderungen 
mit Hilfe der Durchstrahlung zu ermitteln. (Ref. in der Deutschen Tierärztl. 
Wochenschr. 1907, S. 425.) 

Oestern beschreibt die Merkmale der Erkennung ungeborener 
Tiere. Im Gegensatz zu Tieren, die gelebt haben, sind beim ungeborenen 
Tiere die Nabelgefäße offen, sie klaffen und enthalten flüssiges Blut. Das 
eirunde Loch, die fötale Öffnung in der Scheidewand beider Herzvorkammern, 
und der Botallische Gang, der fötale Verbindungsast zwischen Lungenarterie 
und Aorta sind heim ungeborenen Tiere noch vorhanden. Die Lunge sieht 
dunkelrot aus, knistert nicht und sinkt in Wasser unter. Magen und Darm 
sind leer oder enthalten nur zähen Schleim und das sogenannte Darmpech. 
Die Klauen sind kegelförmig zugespitzt, das Sohlenhorn vorgewölbt, weich, 
rein und fransig zerschlissen. Die Haare des Felles sind feucht und von 
Fruchtwasser verklebt. Das Fett ist sulzig, wässerig, die Muskulatur schlaff, 
das Bindegewebe sulzig. Das Knochenmark der großen Röhrenknochen ist 
bei ungeborenen Tieren rot. Alle inneren Organe sind bei ungeborenen 
Tieren blutreich. Die Umgebung der Halsschnittwunde eines ungeborenen, 
zum Schein geschlachteten Tieres weist keine Blutunterlaufungen auf, die 
sonst bei keiner Schlachtung fehlen. (Deutsche Fleischbeschauerztg., 4. Jahrg. 
1907, S.5.) 

Ausführung der Fleischbeschau. 

Larisch: Zur Verwendung des „Saprol für Fleischdena¬ 
turierung“ der chemischen Fabrik Flörsheim zur Denaturierung 
von Konfiskaten. „Saprol für Fleischdenaturierung“ ist eine mit Farb¬ 
stoffzusatz versehene Auflösung von Rohkresol in einem hochsiedenden ÖL 
Die violette Farbe und der starke Teergeruch der Flüssigkeit erwiesen sich 
an damit behandeltem Fleisch sehr haltbar. Sie waren nach 14 tägiger 
Aufbewahrung solchen Fleisches im Kühlraum nicht merklich schwächer 
geworden und ließen sich weder durch Abwaschen noch durch 10-bis 12 ständiges 
Einlegen in die aus angesäuertem und alkalisch gemachtem Wasser bestehende 
Waschflüssigkeit, noch durch 3 ständiges Kochen des Fleisches beseitigen. 

Als denaturierender Bestandteil des Mittels kommen hauptsächlich die 
Kresole in Betracht. Der Gehalt an solchen ist jedoch bei „Saprol zur Fleisch¬ 
denaturierung“ ungleich. Die chemische Fabrik Flörsheim hat deshalb unter 
der Bezeichnung „Denaturol“ ein mindestens 45 Prozent Kresole enthaltendes 
Saprol für Fleischdenaturierung in den Handel gebracht. Larisch prüfte 
auch dieses Mittel und fand, daß es dem Fleisch einen noch stärkeren Teer¬ 
geruch beibringt als das gewöhnliche „Saprol z. Fl. D.“ Beide Präparate 
sind als Denaturierungsmittel im Sinne der Bundesratsbestimmungen zum 
Fleischbeschaugesetz zu erachten. (Zeitschr. f. Fleisch- u. Milcbbyg., 17. Bd. 
1907, S. 265.) 

Zinsser hielt in einer Versammlung des veterinärmedizinischen Provin¬ 
zialvereins von Oberhessen einen Vortrag über die Beurteilung tuberku¬ 
löser Tiere nach den jetzt bestehenden Ausführungsbestimmungen 
zum Fleischbeschaugesetz. Er hielt eine Klarstellung der wichtigsten 


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Fleischbeschau. Ausführung der Fleischbeschau. 


507 


Punkte hauptsächlich aus dem Grunde für wünschenswert, damit vor Gericht 
eine einheitliche Begutachtung ermöglicht würde. Die Versammlung nahm 
folgende Grundsätze an. 1. Frische Blutinfektion gilt als nachgewiesen bei 
dem Vorhandensein kleiner, hirsekorngroßer, durchscheinender tuberkulöser 
Knötchen. 2. Bei tuberkulöser Erkrankung der Mittelfelldrüse wird das 
Herz freigegeben. 3. Bei tuberkulöser Erkrankung der Gekrösedrüsen sind das 
Gekröse und der Darm als „untauglich“ zu behandeln. 4. Bei ausgedehnter 
Erkrankung der Pleura ist der ganze Brustkorb zu vernichten. 5. Bei aus¬ 
gedehnter tuberkulöser Erkrankung des Peritoneums sind dieses und die 
Bauchmuskeln zu vernichten. 6. Bei tuberkulöser Erkrankung eines Knochens 
ist immer der Knochen mit der ganzen Umgebung für „untauglich“ zu er¬ 
klären, sofern nicht besondere Gründe vorliegen, die die Beurteilung des 
ganzen Objektes beeinflussen. 7. Bei tuberkulöser Erkrankung der Rachen- 
und Kehlgangsdrüsen ist der Kehl- und Schlundkopf mit der nächsten Um¬ 
gebung zu entfernen. 8. Die nichttierärztlicben Fleischbeschauer sind ver¬ 
pflichtet, bei Beanstandungen wegen Tuberkulose die Fleischlymphdrüsen 
anzuschneiden. 9. Der Verdachtsfall zur Anschneidung der Achsel- und 
Kniekehldrüsen ist gegeben, wenn durch die sonstige Untersuchung eine 
Generalisation festgestellt ist. (Deutsche Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 196.) 

Marschner: Über die Beurteilung des Fleisches von Tieren, 
die tuberkulöse Erkrankungen einzelner Fleischdrüsen oder 
Knochen aufweiBen. Findet sich bei dem in der Längsrichtung zerteilten 
Tierkörper ein tuberkulöser Herd in einem Wirbelkörper, so hält Marschner 
über die im Fleischbeschaugesetz gemeinhin erlassene Vorschrift hinausgehend, 
eine genaue Untersuchung der übrigen Wirbel und der Röhrenknochen durch 
Zerlegen in kleinere Teile vor der Freigabe des Fleisches als vollwertiges 
Genußmittel für notwendig. 

Er hat eine große Zahl tuberkulös befundener Tiere nach seiner Methode 
weiter untersucht und beschreibt 1. solche, in denen bei der regulären 
Untersuchung nur ein Knochenherd gefunden wurde und 2. solche, in denen 
bei der regulären Untersuchung nur tuberkulös veränderte Fleischlymph¬ 
drüsen aufgefunden wurden und zieht folgenden Schluß: 

Beim Auffinden auch nur eines Herdes in den längsgespaltenen Wirbeln 
eines tuberkulösen Tieres ist selbst bei ganz geringgradiger Organtuberkulose 
eine Weiteruntersuchung in der Form nötig, daß man alle Röhrenknochen 
zerteilt und die Wirbel nach dem Vorbild der vorgeschriebenen Untersuchung 
der Fleischlymphdrüsen in kleinere Teile zerlegt. Finden sich hierbei keine 
weiteren Veränderungen, so darf nach Entfernung des erkrankten Wirbel- 
körpers mit seinen Adnexen die Freigabe des übrigen Fleisches erfolgen. 

Es erscheint bedenklich, beim Auffinden tuberkulös veränderter Fleisch¬ 
lymphdrüsen diejenigen Fleischviertel, in denen die Fleischlymphdrüsen 
gesund sind, ohne weiteres als tauglich ohne Einschränkung freizugeben, ehe 
man nicht durch genaue Untersuchung festgestellt hat, daß Wirbel- und 
Röhrenknochen, die in jenen Fleischvierteln sich befinden, frei von tuberkulösen 
Veränderungen sind. (Zeitschr. f. Fleisch-u. Milchhyg., 17. Jahrg. 1907, S. 338.) 

Haffner beantwortet die Frage, ob zur Feststellung der Knochen¬ 
tuberkulose bei geschlachteten Tieren eine weitergehende als die 


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508 


Nahrungs- und Genußmittel. 


vorgeschriebene Untersuchung erforderlich ist, in bejahendem Sinne. 
Zum mindesten hält er es für notwendig, daß die genaue Untersuchung der 
Knochen bei allen wegen erheblicher Tuberkulose beanstandeten Tieren und 
bei allen Schweinen mit Wirbeltuberkulose amtlich vorgeschrieben wird. Sein 
Vorschlag geht dahin, die Untersuchung bei Knochentuberkulose strenger, die 
Beurteilung dagegen milder zu gestalten. (Zeitschr. f. Fleisch- und Milchhyg., 
18.Jahrg. 1907, S.7.) 

Schreiber macht Mitteilungen über spezifische Hautröte beim 
Schwein. Die Rotfärbung der Haut wird bei den verfeinerten weißen 
Schweinerassen mit unpigmentierter, fast haarloser Haut sehr häufig beobachtet 
und hängt damit zusammen, daß die Blutzirkulation in den Hautgefäßen 
herabgesetzt wird, je mehr sich die Unterhautfettschicht infolge der Mästung 
entwickelt. Rotf&rbungen der Haut werden hervorgeruien 1. durch äußere, 
mechanische Einwirkungen verschiedenster Art, 2. durch thermische Einflüsse 
(Verbrennungen, Hitzschlag, Sonnenbrand, Kälte), 3. durch toxische oder 
bazilläre Schädlichkeiten, Insektenstiche, Buchweizenfütterung, 4. als Begleit¬ 
erscheinung bei gewissen parasitären und Infektionskrankheiten, namentlich 
den verschiedenen Formen des Rotlaufs, ferner bei Schweineseuche, Schweine¬ 
pest, Milzbrand, Halsbräune und einigen Krankheiten der Lungen und des 
Darmes. (Rundschau auf dem Gebiete der gesamten Fleischbeschau usw. 
Jahrg. 1907, S.49.) 

Grundmann: Die Untersuchung der Rinder auf Finnen. Grund¬ 
mann bemängelt, daß bei der Fleischbeschau häufig die Prüfung der Kau¬ 
muskeln vernachlässigt werde und gibt die wesentlichsten Punkte an, die bei 
einer sachgemäßen und zuverlässigen Untersuchung der Kaumuskeln zu berück¬ 
sichtigen sind. Vor allem müssen die Schnitte durch die genannten Muskeln 
parallel mit dem Unterkiefer verlaufen und ergiebig sein. (Deutsche Fleisch- 
beschauerztg., 4. Jahrg. 1907, S. 1.) 

Stroh teilt weitere Finnenfunde bei Saugkälbern mit. Von Ende 
April 1905 bis Juli 1907 sind am Schlachthofe zu Augsburg in 18 Fällen 
Finnen bei Kälbern gefunden worden bei einer jährlichen Schlachtziffer von 
22- bis 23 000 Kälbern. Der Sitz der Finnen war mit einer Ausnahme jeweils 
das Herz. Die Bedeutung der Kaumuskeln für die Ermittelung der Finnen- 
krankheit bei Saugkälbern erscheint danach gering. Aus den seit über 3 Jahren 
gesammelten Erfahrungen geht hervor, daß es sich nicht um gelegentliche 
Raritäten handelt, sondern daß 0,04 Proz. der untersuchten Kälber regel¬ 
mäßig als mit Finnen behaftet anzunehmen sind. (Zeitschr. f. Fleisch- und 
Milchhyg., 18. Jahrg. 1907, S. 78.) 

Ergebnisse der Fleischbeschau. 

Edelmann behandelt in dem von ihm erstatteten Bericht über die 
Schlachtvieh- und Fleischbeschau 1. Zahl und Verteilung der Beschauer 
und der Freibänke; 2. Zahl der geschlachteten und der untersuchten Tiere; 
3. Ergebnisse der Schlachtvieh- und Fleischbeschau, und zwar Beanstandungen 
und Beschlagnahmen, Statistik der bei der Fleischbeschau beobachteten 
Krankheiten, Beschau des vom Ausland eingeführten Fleisches, und 4. Ver- 


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Fleischbeschau. Ergebnisse der Fleischbeschau. Trichinenschau usw. 609 


mischtes. (Bericht über das Veterinärwesen im Königreich Sachsen für das 
Jahr 1907, 25. Jahrg., Dresden 1908.) 

Menzel bringt eine vergleichende Statistik der Ergebnisse der 
Fleischbeschau bei in- und ausländischem Vieh in einem Grenz¬ 
schlachthof. Die Fleischbeschau im städtischen Schlachthofe zu Königs¬ 
hütte (0.-S.) ergab, daß die Rinderfinne bei den inländischen Rindern 2- bis 
3 mal häufiger war, als bei den aus Österreich-Ungarn eingeführten. Bei 
Schweinen, die aus Rußland eingefUhrt waren, ist die Schweinefinne an¬ 
nähernd 40 mal so häufig festgestellt worden als bei inländischen. Auch die 
Trichinen waren bei russischen Schweinen häufiger. Die Häufigkeit der 
Tuberkulose unter den russischen Schweinen überstieg diejenige bei Inlands- 
schweinen um 1 Prozent. (Zeitscbr. f. Fleisch- und Milchhyg., 18. Jahrg. 
1907, S. 3.) 

Trichinenschau. 

Tempel: Zehn Jahre Trichinenschau bei Hunden am Schlaoht- 
▼ iehhofe zu Chemnitz, ln den Jahren 1897 bis 1906 erwiesen sich von 
3768 geschlachteten Hunden 26 Stück = 0,690 Proz. trichinös, während in 
derselben Zeit von 540 389 Schweinen 95 Stück := 0,018 Proz. mit Trichinen 
behaftet gefunden wurden. Die Muskeltrichine kommt sonach beim Hund 
38 mal häufiger vor als beim Schwein. Hieraus erhellt die Berechtigung 
nachstehender schon wiederholt gestellter Forderung. Aus dem hohen 
Prozentsatz der trichinös befundenen Hunde ergibt sich für die zuständigen 
Behörden die dringende Notwendigkeit, bei allen Hunden, die als Nahrungs¬ 
mittel für Menschen geschlachtet werden, die Untersuchung auf Trichinen 
anzuordnen. (Deutsche Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 343.) 

Sandig teilt zur Lebensfähigkeit der Trichine eine von Babes in 
Bukarest gemachte Beobachtung mit, wonach in der Muskulatur einer 
menschlichen Leiche lebensfähige, durch Verfütterung auf Versuchstiere über¬ 
tragbare Trichinen gefunden wurden, die angeblich von einer 20 Jahre zu¬ 
vor erfolgten Trichineninfektion herrührten. (Rundschau auf dem Gebiete 
der gesamten Fleischbeschau usw., Jahrg. 1907, S. 21.) 

Schlachthöfe und deren Betrieb. 

Edelmann teilt mit, daß neue öffentliche Schlachthäuser im 
Deutschen Reich 1907 eröffnet worden sind in Weiden, Reichenhall, Alsfeld, 
Fulda, Langenschwalbach, Crone a. Br., Schiltigheim, Glatz und Krotoschin. 
(Jahresbericht über die Leistungen auf dem Gebiete der Veterinärmedizin, 
27. Jahrg. 1907, S. 353.) 

Goslar: Die thermische Konfiskatverarbeitungsanlage auf 
dem Schlachthofe zu Aachen. System „Hönnicke“ (D. R.-P. angem.) 
Goslar beschreibt die Anlage, die weitere Einrichtung und den als Dampf - 
destruktor für Konfiskate bezeichneten und abgebildeten Apparat sowie die 
Verarbeitung des Materials. Die Kadaver von Kälbern, Schafen und Schweinen 
können unzerteilt verarbeitet werden, diejenigen von größeren Tieren erst 
nach Zerteilung. Die Sterilisierung geschieht durch Dampf von etwa 5 Atm. 
Spannung. Nach Ablassung des Fettes wird das übrige Material samt Leim- 


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510 


Nahrungs- und Genußmittel. 

wasser durch andauerndes 3 ständiges Rotieren in einen gleichmißigen Brei 
umgewandelt, der ohne weiteres an Tiere verfüttert werden könnte. Um die 
Masse vor Zersetzung zu bewahren und daraus ein haltbares und leicht 
verdauliches Futtermittel herzustellen, wird Kleie hinzugesetzt, gleichmäßig 
mit dem Brei verrührt und das Ganze dann zur Trocknung eingedampft 
Die normale Füllung von 500 kg Kadavermaterial liefert neben der jeweiligen 
Fettmenge 9 Ztr. fertiges Futter und erfordert einen Zeitaufwand von 12 bis 
14 Stunden. In dem fertigen Produkt ist ein mittlerer Gehalt von 27 Proz. 
Eiweiß, 9 Proz. Fett und 37 Proz. Kohlehydrate nachgewiesen worden nebst 
mineralischen Bestandteilen. Die Betriebskosten sollen aus dem gewonnenen 
Fett reichlich gedeckt werden. Geruchsbelästigung wird bei einer guten 
Montierung als ausgeschlossen bezeichnet. (Zeitschr. f. Fleisch- und Milch¬ 
hygiene, 17. Jahrg. 1907, S. 128.) 

Hönnicke bespricht an der Hand von Abbildungen technische 
Neuerungen, und zwar 1. einen fahrbaren Sammelkasten zur Auf¬ 
bewahrung der Konfiskate und Schlachtabfälle und 2. ein Signalthermometer, 
eigenes Modell. (Zeitschr. f. Fleisch- und Milchhyg., 17. Jahrg. 1907, S. 184.) 

Matschke bespricht unter Beigabe instruktiver Abbildungen neue 
Schlachthausgebrauchsgegenstände und sonstige Neuerungen im 
Schlachthause zu Cochem, und zwar 1. Blutkanne mit Rührwerk, 2. 
Stempelstange zur Abstempelung hochhängender Stücke, 3. Dungstätte mit 
Trockenrost und Sammelschacht, 4. Entlüftung des Kühlhauses, 5. Nutzbar¬ 
machung des Dampfes zur Wasservorwärmung, 6. Vorbereitung und Nieder¬ 
legen des Großviehs zum Schächten, Niederlege-Apparate und Kopfhalter. 
(Zeitschr. f. Fleisch- und Milchhyg., 17. Jahrg. 1907, S. 272.) 

Reitz: Ein kombinierter Sterilisier-, Brut- und Eisscbrank 
(D. R.G.-M. angem.) Für mykologische Untersuchungen ist es von besonderem 
Wert, daß der Brutschrank sterilisiert werden kann. Bei dem von Reitz 
besprochenen Apparat (mit Abbildung) erfolgt die Dampf Sterilisierung der 
im Einsatzgefäß enthaltenen Gegenstände (Schalen, Gläser usw.) in 20 bis 
30 Minuten. Die durch eine besonders präparierte Linoleummasse geschaffene 
Isolierung macht die Wärmeregulierung des Apparates sehr leicht. Sie er¬ 
möglicht auch seine Verwendung als Eisschrank und gestattet eine rationelle 
Ausnützung der Kältemischung. Zur bakteriologischen Milchuntersuchung 
sowie zur Anstellung der Harngärprobe bei quantitativer Bestimmung des 
Zuckers wird der Apparat besonders empfohlen. (Zeitschr. f. Fleisch- und 
Milchhyg., 17. Jahrg. 1907, S.315.) 

Thiede hat Untersuchungen über die bakteriologische Wirkung 
der Röhrenluftkühlapparate auf dem städtischen Schlachthofe zu 
Bonn angestellt und gelangte zu nachstehenden Ergebnissen: 1. Die reinigende 
Wirkung der Kühlhausluft ist in modernen, sachgemäß bedienten Trocken¬ 
luftkühlern mit hintereinander geschalteten Kammern eine unbedingt zu¬ 
verlässige und ganz bedeutend höbe. 2. Diese energische Bakterienreinigung 
der Luft durch den Trockenkühler ermöglicht, daß der Frischluftkanal 
während des Betriebes — ohne Nachteile für die bakterienreinigende Wirkung 
des Apparates — geöffnet bleiben kann. Der Einbau eines Filters aus Watte 
in den Frischluftkanal empfiehlt sich, wenn die umgebende Außenluft sehr 


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Fleischbeschau. Schlachthöfe und deren Betrieb. Fleischuntersuchung. 511 


verschmutzt ist. 3. Schließlich sei erwähnt, daß jenes bereits von Musmacher 
betonte völlige Niederschlagen der in der angesaugten Kfihlhausluft enthaltenen 
riechbaren Gase von sachkundigen Tierärzten und Ingenieuren bestätigt 
wurde. Jener spezifische, leicht unangenehme Fleischgeruch konnte nur im 
Saugkanal beobachtet werden. (Zeitschr. für die gesamte Kälte-Industrie, 
13. Jahrg. 1906, Dezemberbeft.) 

Lemmens beschreibt einen neuen Betäubungsapparat für 
Schlachttiere, der seit 1902 im Schlachthofe zu Maastricht und seit 1907 
auch in den meisten anderen holländischen Schlachthöfen zum Betäuben der 
Schweine gebraucht wird. Dieser von Lemmens verbesserte Apparat „Per- 
cuteur“ besteht aus einer Stange mit Stahlspitze, die durch eine starke Feder 
von 270 kg Kraft in das Gehirn geschossen und durch eine zweite Feder wieder 
zurückgetrieben wird. Stange und Federn liegen in einem Stahlrohr mit 
Gewehrlauf. Die Anwendung ist angeblich wenig ermüdend, so daß z. B. 
ein einziger Gehilfe an einem Vormittage bequem 150 Schweine damit töten 
kann. (Zeitschr. f. Fleisch- u. Milchhyg., 18. Jahrg. 1907, S. 60.) 

W ehrle. 


Fleisch. 

Fleischuntersuchung. 

Weidanz berichtet über die Anwendung des biologischen Ver¬ 
fahrens zum Nachweis von Pferdefleisch. Er hat unter Leitung von 
Uhlenhuth umfangreiche Untersuchungen an frischem, gepökeltem, ge¬ 
räuchertem und faulendem Fleische vorgenommen, die die praktische Ver¬ 
wertbarkeit des biologischen Verfahrens für die Fleischbeschau erwiesen. 
Es folgt die Beschreibung des Verfahrens und die Beurteilung des Befundes. 
Aus den Darlegungen geht hervor, daß die biologische Methode, bei der 
Fleischbeschau angewandt, eine wertvolle Ergänzung der bisher vorge¬ 
schriebenen chemisch-physikalischen Untersuchungsmethoden zum Nachweis 
von Pferdefleisch bilden würde, zum Teil sie sogar ersetzen könnte. (Zeitschr. 
f. Fleisch- und Milchhyg., 18. Jahrg. 1907, S. 73.) 

M. Müller veröffentlicht Studien über die Zusammensetzung des 
Fleisches bei verschiedener Ernährung. Er prüfte experimentell, 
ob die Fleischsubstanz in ihrer elementaren Zusammensetzung Schwankungen 
unterliegt und fand das Vorhandensein einer besonderen stickstoffhaltigen 
Mastsubstanz, die in ihrer elementaren Zusammensetzung wesentlich von der 
des Muskeleiweißes abweicht und ein sehr enges Verhältnis von N:C besitzt. 

Frisches, mastreifes Fleisch, von dem die sichtbaren Fetteilchen ab¬ 
präpariert sind, ist verhältnismäßig kohlenstoffreich und wasserarm, während 
der N-Gehalt wenig erhöht sein kann. Der Kohlenstoffreichtum ist aber nur 
die Folge der Fetteinlagerung in die Zellen, weil sich der Kohlenstoffgehalt 
des eigentlichen n Fleischrestes u um mehrere Prozent vermindert. 

Mastreifes Fleisch wird in seiner Qualität wesentlich bedingt durch die 
Einlagerung obiger Mastsubstanz mit engem Verhältnis von N: C. Die Fett¬ 
einlagerung und Trockensubstanzvermehrung sind also nicht, wie wohl meist 
angenommen wird, der einzige Unterschied zwischen unreifem und für die 
Schlachtung reifem Fleische. 


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612 


N&hrungs- und Genußmittel. 


Bei Aufstellung von Stoffwechselgleichungen können nicht unerhebliche 
Fehler entstehen, wenn wir annehmen, daß der N in Form von Muskeleiweiß 
zur Ablagerung kommt, und wir der Berechnung der N- und C-Bilanz ein¬ 
fach die elementare Zusammensetzung des Eiweißes zugrunde legen. 

Vorliegende Resultate dürften ferner die oft beobachteten hohen N- 
Retentioneu bei eiweißreicher Nahrung der Erklärung näher bringen. Der N 
wird mit verhältnismäßig wenig C verbunden in den Zellen abgelagert. Es 
findet also eine Qualitätsänderung des „Fleischrestes“ statt. 

Vielleicht deutet die besondere Zusammensetzung der Mastsubstanz 
darauf hin, daß die bei reichlicher Eiweißfütterung stets beobachtete Erhöhung 
der C0 2 - Ausscheidung zum Teil daraus zu erklären wäre, daß sich vom Ei¬ 
weißmolekül eine stickstoffreiche, aber kohlenstoffarme Verbindung abspaltet 
und in den Zellen ablagert, während der Rest des Eiweißmoleküls — wenn 
man von der Frage der Fettbildung absieht — entfernt werden muß. (Archiv 
f. d. gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere, 116. Bd. 1907, S. 207.) 

Schmutzer veröffentlicht Aufzeichnungen über Gewichtsverluste bei 
Verwertung bedingt tauglichen Fleisches, wie sie sich bei primitiven, 
auf dem Lande üblichen Zubereitungsarten, wie Pökeln, Kochen von Fleisch 
und Ausschmelzen von Fett in offenen Kesseln ergeben. Fünf tabellarische 
Übersichten lassen erkennen, daß der Gewichtsverlust bei gekochtem Rind¬ 
fleisch in der Regel zwischen 30 und 40 Prozent, bei Schweinefleisch zwischen 
15 und 25 Proz., bei ausgeschmolzenem Schweinefett zwischen 5 und 20 Pro*, 
und bei gepökeltem Rindfleisch zwischen 8 und 12 Proz. liegt. (Zeitschr. f. 
Fleisch- und Milchhyg., Bd.17 1907, S. 235.) 

Gröning bemängelt in einer Arbeit über getrocknete Därme, daß 
nach den Ausführungsbestimmungen D. § 14 (2) zum Fleischbeschaugesetz 
nur gewisse intra vitam entstandene Veränderungen Grund zur Beanstandung 
oder Zurückweisung der Därme von der Einfuhr geben. Postmortale Ver¬ 
änderungen werden bei getrockneten Därmen häufig verursacht durch Insekten, 
die sich in den Packstücken ein nisten und erhebliche Zerstörungen und Be¬ 
schmutzungen anrichten können, wie z. B. durch den Speckkäfer (Dermestes 
lardarius). Ferner kommen auf Rinderblasen, die längere Zeit feucht ge¬ 
lagert haben, Schimmelrasen und vereinzelt auf älteren Blasen kleine Milben 
(Glycephagen) vor. Gröning schlägt vor, daß, soweit nicht eine Zurückweisung 
der Därme wegen ausgedehnter postmortaler Veränderungen erfolgen solle, 
die oberflächlich und geringgradig veränderten und unerheblich beschmutzten 
Teile in unschädlicher Weise entfernt werden könnten. (Zeitschr. f. Fleisch- 
und Milchhyg., 17. Bd. 1907, S. 126.) Wehrle. 

Miloh. 

Milchgewinnung. 

E. Arends weist darauf hin, daß die Ernährung, Haltung und 
Züchtung des Milchviehs nicht nur vom landwirtschaftlichen, sondern 
auch vom hygienischen Standpunkte von höchster Bedeutung ist. Wenn der 
Arzt soviel Fachkenntnisse von der Milchgewinnuug besitzt, daß er er- 
forderlichenfalles imstande ist, den Betrieb des betreffenden Produzenten 


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Milch. Milchgewinnung. 


513 


selbst beurteilen und kontrollieren zu können, dann wird er nie in die Gefahr 
kommen, eine gesundheitschädliche Milch zu empfehlen. Als einen Beitrag 
zur Verbreitung derartiger Kenntnisse gibt Verfasser eine detaillierte Schilde¬ 
rung aller milchwirtschaftlicben Einrichtungen und Verhältnisse Ostfrieslands. 
(Deutsche Vierteljahrsschrift f. öffentl. Gesundheitspflege, Bd. 38, S. 734.) 

0. Kellner berichtet über die auf Veranlassung des deutschen Land¬ 
wirtschaftsrates von 10 landwirtschaftlichen Versuchsstationen ausgeführten 
Untersuchungen über die Wirkung des Nahrungsfettes auf die Milch¬ 
produktion der Kühe. Die Versuche wurden so angestellt, daß ein Teil 
der verdaulichen Kohlenhydrate im Futter durch eine gleichwertige Menge 
verdauliches Fett ersetzt wurde. Sowohl im Hinblick auf die unter den 
Verhältnissen der Fettfütterung ermolkene Milch- und Fettmenge, als auch 
mit Beziehung auf die Beschaffenheit des Milchfettes machte sich die In¬ 
dividualität der einzelnen Kühe in ausgesprochenstem Maße geltend. Zwar 
nahm nach dem Übergange zu der fettreicheren Ration bei der großen 
Mehrzahl der Kühe die Milch- und Fettmenge ab, hei den einzelnen Tieren 
traten aber alle nur denkbaren Veränderungen auf: Verminderung der Milch¬ 
menge bei vermindertem Fettertrage, Gleichbleiben der Milch und des Fettes, 
Zunahme beider, Abnahme der Milch bei gleichbleibendem Fettertrage, 
Gleichbleiben der Milch bei Vermehrung oder Verminderung der Fettmenge, 
sowie Steigerung der Milchmenge bei gleichzeitig unverändertem oder ab¬ 
nehmendem Fettertrage, ln ebenso verschiedener Richtung änderte sich im 
Vergleich zur Milchmenge der prozentische Fettgehalt. — Darin stimmen 
alle Versuche in ihrem Durchschnittsergebnisse überein, daß durch die Ver¬ 
mehrung des Fettes im Futter deB Milchviehes ein wirtschaftlicher Vorteil 
nicht zu erzielen ist. 

Unter dem Einfluß der Beigabe des Reismehlfettes zum Futter änderten 
sich die Eigenschaften des Milchfettes — Hühls Jodzahl, Reichert- 
Meißls Zahl, die Verseifungszahl und die Refraktometerzahl — derart, daß 
auf einen Übergang von Teilen des Reismehlfettes in das Milchfett geschlossen 
werden muß. In mehreren Fällen war dieser Einfluß so stark, daß für das 
Milchfett Zahlen erhalten wurden, welche die für dasselbe meist aufgestellten 
Grenzwerte über- bzw. unterschritten. Diesen Beobachtungen entsprechend 
änderte sich bei der Fettfütterung auch die Konsistenz, die Farbe und der 
Geschmack der Butter. (Bericht des deutschen Landwirtschaftsrates an das 
Reichsamt des Innern, Berlin 1907; Ref. in Chemikerzeitung, Bd. 31, Report., 
S. 297.) 

W. von Knieriem und A. Buschmann sind bei vergleichenden 
Fütterungsversuchen an Milchkühen mit Kokoskuchen, Trockentrebern, 
Weizenkleie, Leinkuchen und Rapskuchen gleichfalls zu dem Resultat gelangt, 
daß die einzelnen Tiere in äußerst verschiedenartiger Weise sowohl bezüglich 
des Milchertrages als auch des Fettgehaltes der Milch auf die verschiedenen 
Futtermittel reagieren. Im allgemeinen kann angenommen werden, daß durch 
die Fütterung ein Einfluß auf die Höhe des prozentischen Fettgehaltes der 
Milch ausgeübt werden kann, ohne daß indessen ein eiweiß- und fettreiches 
Futter notwendig eine fettreiche Milch erzeugen muß. Die Prüfung deB 
Butterfettes durch die Jod- und Verseifungszahl zeigte, daß das Nahrungsfett 

Viertelj»hr*»chrift für Gesundheitspflege, 1908. Supplement. gg 


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614 


Nahrunga- und Genußmittel. 

einen Einfluß auf die Zusammensetzung des Butterfettes besitzt. (Land¬ 
wirtschaftliche Jahrbücher, Bd. 36, S. 185 u. 241; Ref. in Zeitschr. f. Unters, 
d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 359.) 

C. Beger prüfte die Frage, ob ein Unterschied in der Einwirkung 
des Nabrungsfettes auf die Milchproduktion besteht, je nachdem es 
als Emulsion oder als Substanz gereicht wird. Er verfütterte an Ziegen 
vergleichsweise Vollmilch (also emulgiertes Fett) und Magermilch plus ge¬ 
schmolzenes Butterfett. Die Vollmilch wirkte besser auf die Milchsekretion 
als das Fett in Substanz; doch liegt die günstige Wirkung nur in bescheidenen 
Grenzen. 

Um weiter einen Anhalt zu gewinnen, wie Milch bzw. Magermilch an 
und für sich auf die Milchbildung wirke, stellte Verfasser noch eine andere 
Ration zum Vergleich her, bestehend aus Rohrzucker, Troponabfall und 
Butterfett. Dieses Mischfutter wirkte besser als Magermilch und vielleicht 
auch als Vollmilch; worauf dies beruht, ist vorläufig noch nicht zu entscheiden- 
(Die landwirtschaftlichen Versuchsstationen, Bd. 67, S. 1.) 

W. Ca8pari und H. Winternitz beweisen in einer Polemik gegen 
Gogitidse, daß die früher von ihnen benutzte Methode der Jodfettver- 
fütterung zum Nachweis des Überganges von Nahrungsfett in die 
Milch brauchbar ist Der Einwand, daß das verfütterte Jod des Jodfettes 
im Organismus abgespalten und dann erst an das Milchfett oder Körperfett 
angelagert worden sein könne, erweist sich als unberechtigt Auch findet 
man bei Verfütterung von Jodchlorfett beide Halogene, das Jod und das 
Chlor, im Milchfett (Zeitschr. f. Biologie, Bd. 49, 8. 558.) 

A. Morgen, C. Beger und F. Westhauser stellten an 10 Schafen und 
einer Ziege Versuche über den Einfluß des verfütterten Proteins auf 
die Milchproduktion an. Eine Erhöhung des Proteins im Futter bewirkte 
eine Steigerung des Ertrages an Milch und Milchbestandteilen. Insbesondere 
bewirkte sie eine Erniedrigung des prozentischen Fettgehaltes der Milch¬ 
trockensubstanz, mit der eine Zunahme im Gehalt an stickstoffhaltigen Stoffen 
und fast immer auch an Milchzucker parallel ging. Auch der prozentische 
Fettgehalt der Milch und ebenso der prozentische Trockensubstanzgehalt der 
Milch wurden erniedrigt; doch ist es zweifelhaft, ob und wie weit hierbei das 
Protein beteiligt ist, da diese Werte hauptsächlich durch den Wasserkonsum be¬ 
einflußt worden sind. Zieht man den Fettgehalt der Futterrationen in Betracht, 
so scheint die ertragsteigernde Wirkung des Proteins am sichersten bei einer 
normalen Fettration hervorzutreten; die Verminderung des Fettgehaltes der 
Milcbtrockensubstanz durch den hohen Proteingehalt scheint sich mehr bei 
den fettarmen Rationen geltend gemacht zu haben. Fettreiche Rationen 
haben meistens etwas höhere Erträge an Milch und Milchbestandteilen 
geliefert, doch sind die Unterschiede nur beim Milchfett erheblicher, bei den 
anderen Bestandteilen nur gering. 

Die fettreichen Rationen haben die bekannte günstige Wirkung des 
Fettes auf die Qualität der Milch durch Steigerung des prozentischen Fett¬ 
gehaltes sowohl der Milch, als auch der Milcbtrockensubstanz, zum Teil auch 
des prozentischen Gehaltes der Milch an Trockensubstanz, wiederum gezeigt. 
Auf die Beschaffenheit des Milchfettes war das Proteün, wie in früheren 


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Milch. Allgemeine Milchhygiene. 

Versuchen der Verfasser (24. Jahresbericht, S. 578), auch diesmal ohne jede 
Wirkung, dagegen übte der Fettgehalt der Rationen wiederum einen sehr 
deutlichen Einfluß auf die Beschaffenheit des Milchfettes aus. 

Rationen mit gleichem Stärkewert lieferten nur dann gleiche Erträge, 
wenn in ihnen die zur höchstmöglichen Produktion erforderlichen Protein- 
und Fettmengen vorhanden waren. Unterhalb dieser Grenze war der Betrag 
um so höher, je höher der Gehalt des Futters an diesen Nährstoffen war. 
Diese Nährstoffe nehmen also bei der Milchproduktion den Kohlenhydraten 
gegenüber eine Ausnahmestellung ein. (Die landwirtschaftlichen Versuchs* 
Stationen, Bd. 66, S. 63.) 

G.Fingerling berichtet über Untersuchungen über den Einfluß einer 
Beigabe von Reizstoffen zur Nahrung auf die Milchsekretion. Die 
Versuche wurden an zwei Ziegen angestellt. Das mit dem ätherischen öl 
des Fenchelsamens gewürzte Mischfutter hat einen günstigen Einfluß auf 
die Sekretionstätigkeit der Milchdrüse insofern ausgeübt, als beim Verabfolgen 
dieser gewürzten Nahrung mehr Milch und eine gehaltreichere Milch abge¬ 
sondert wurde, wie bei dem faden Mischfutter. Das reizstoffreiche Futter 
übte auch einen spezifischen Einfluß auf den Fettgehalt der abgesonderten 
Milch aus. Eine ähnliche günstige Wirkung, wie die Würzung des Futters 
mit Fenchelaroma, hatte auch die Beigabe von Kochsalz zu der faden Nah¬ 
rung im Gefolge. (Die landwirtschaftlichen Versuchsstationen, Bd. 67, S. 253.) 

Allgemeine Milchhygiene. 

Das Kaiserliche Gesundheitsamt in Berlin hat im Berichtsjahre 
ein „Milchmerkblatt“ bearbeitet und im Verlage von Jul.Springer her¬ 
ausgegeben. 

Poetter erstattete auf der Augsburger Versammlung des Deutschen 
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege ein Referat über die Milchver- 
sorgnng der Städte, aus dem ich folgendes hervorhebe: Die Milch kann als 
gesundheitlich einwandfreies Nahrungsmittel nur dann gelten, wenn sie frei von 
schädlichen Stoffen ist. Sie muß insbesondere von gesunden Tieren stammen, 
in sauberer, möglichst aseptischer Weise gewonnen, aufbewahrt und zubereitet 
werden, mit kranken Personen nicht in Berührung kommen und ohne schäd¬ 
liche Beimengungen oder Zersetzungen zum Genüsse gelangen. Gegenwärtig 
sind diese Voraussetzungen nur selten erfüllt und sie Bind mit einer er¬ 
heblichen Preiserhöhung der Milch verknüpft; einwandfreie Milch ist daher 
zurzeit ein Luxusartikel für die bemittelte Bevölkerung. Demgegenüber ist 
zu erstreben, daß alle in Verkehr kommende Milch einwandfrei sei. 

Dieses Ziel kann ohne wesentliche Erhöhung des Milchpreises erreicht 
werden, weil alle hierzu nötigen Maßregeln gleichzeitig dazu dienen, die 
Gesundheit und Ergiebigkeit des Milchviehes, also die Wirtschaftlichkeit des 
Betriebes zu erhöhen. Zur Erreichung dieses Zieles ist der Erlaß reichs¬ 
gesetzlicher Bestimmungen über die Produktions- und Verkehrsverhältnisse 
der Milch erforderlich. Die reichsgesetzlichen Bestimmungen hätten gleich¬ 
zeitig die Tuberkulosetilgung zu umfassen. Andererseits haben die Städte 
den Verkehr mit Milch ortsgesetzlich zu regeln und hierbei nicht so sehr wie 
früher ihr Augenmerk auf Fettgehalt, spezifisches Gewicht usw. als vielmehr 

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516 


Nahrungs- und Genußmittel. 

auf die Ermittelung der sauberen, unzersetzten und unschädlichen Beschaffenheit 
der Milch zu richten. Am zweckmäßigsten wäre hierzu die Einrichtung von 
„Milchhöfen“ oder „Milchzentralen“ (entsprechend den der Zentrali¬ 
sation des Fleischverkehrs dienenden Schlachthöfen), welche im Besitze und 
Betriebe der Stadt sind. Der jetzt übliche Kleinhandel mit Milch ist als 
unhygienisch zu bezeichnen. Mit der Milchzentrale sind Säuglingsmilchküchen 
zu verbinden. 

Der allgemeine Genuß guter Milch kann in vorteilhafter und gesund¬ 
heitlich wünschenswerter Weise durch Errichtung von Milchhäuschen, Milch¬ 
automaten U8W. gehoben werden. (Deutsche Vierteljahrsschrift f. öffentliche 
Gesundheitspflege, Bd. 39, S. 32.) 

Brugger, der auf der gleichen Versammlung das Korreferat erstattete, 
kam teilweise zu anderen Ergebnissen. Nach ihm sind die Forderungen, welche 
für die Gewinnung einer reinen und guten Milch gestellt werden, mit solchen 
Kosten verknüpft, daß sie — entgegen Po etter — eine Erhöhung des Milch¬ 
preises zur Folge haben müssen. Aus diesem Grunde ist der Erlaß eines 
Reichsgesetzes, durch welches jene Forderungen festgelegt werden, zurzeit 
nicht zu empfehlen. Es ist vielmehr der Boden für eine spätere gesetzliche 
Regelung ganz allgemein durch Verwaltungavorschriften für größere Bezirke 
(Provinzen, Regierungsbezirke) vorzubereiten, die sich den örtlichen Be¬ 
dürfnissen und vor allem den Fortschritten von Wissenschaft und Technik 
anpassen lassen. Ortsgesetzliche Ergänzungen, besonders für den Milchhandel, 
sind außerdem notwendig. Vor allem aber muß auf Produzenten und Konsu¬ 
menten erzieherisch eingewirkt werden, um das Verständnis für den Wert 
einer gesunden, reinlich gewonnenen und bis zum Verbrauch gut erhaltenen 
Milch zu fördern. 

Eine ganz wesentliche Förderung der auf Verbesserung der Milch ge¬ 
richteten Bestrebungen ist zu erhoffen, wenn die Staats-, Gemeinde- und 
andere Behörden dazu übergehen, den Milchbedarf der ihnen unterstellten 
Anstalten nicht schlechthin an den Mindestfordernden, sondern unter Ge¬ 
währung eines angemessenen Preises an vertrauenswerte Personen zu ver¬ 
geben. Für die Errichtung städtischer Milchhöfe und Säuglingsmilchküchen 
tritt auch Brugger ein. Da die Anfuhr der Milch nach den Städten zura 
großen Teil mit der Eisenbahn erfolgt, muß gefordert werden, daß während 
der warmen Jahreszeit sowohl auf den Stationen wie in den Güterwagen 
Gelegenheit zur kühlen, sauberen Aufbewahrung der Milch gegeben wird. 
(Deutsche Vierteljahrsschrift f. offentl. Gesundheitspflege, Bd. 39, S. 45.) 

J. Weber legte der Jahresversammlung des Schweizerischen Vereins 
analytischer Chemiker eine ausführliche Ausarbeitung über rationelle und 
reinliche Milchgewinnung vor. Ein erster Abschnitt betrifft Fütterung 
und tierärztliche Kontrolle der Milchkühe, ein zweiter die Reinhaltung der 
Kühe und Reinlichkeit der Milchgewinnung. Besprochen werden hier die 
Ventilation und Beleuchtung des Stalles, die Reinhaltung der Milchkühe, 
der Melk-, Sammel- und Transportgefäße. Gefäße aus Kupfer, Messing oder 
Eisen sind nur in gut verzinntem Zustande zulässig; Gefäße aus Blei, Zink 
und galvanisiertem Eisen sind auszuschließen, ebenso solche hölzerne, die 
nicht leicht gereinigt werden können. Zur Aufbewahrung und zum Transport 


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Milch. Allgemeine Milchhygie'ne. 517 

dienende Gefäße müssen mit staubsch&tzendem Deckel versehen sein. Un¬ 
mittelbar vor dem Melken soll alles vermieden werden, was Staub verursacht. 
Personen, die mit ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten behaftet 
sind, dürfen nicht in der Milchwirtschaft beschäftigt werden. Das Melk¬ 
personal soll vor dem Melken Hände und Vorderarme unter Anwendung von 
Seife sauber waschen, das Oberkleid ist auszuzieben und das Melken soll mit 
entblößtem Vorderarm ausgeführt werden. Der Euter ist vor dem Melken 
gründlich zu reinigen; der Kuhschweif soll während des Melkens festgehalten 
werden. Die ersten Milchstrahlen aus den Zitzen sollen nicht in das Melk¬ 
geschirr gemolken werden. Die Milch jeder einzelnen Kuh ist unmittelbar 
nach dem Melken aus dem Stall zu entfernen. Die Milch soll noch kuhwarm 
filtriert und dann möglichst rasch und tief abgekühlt werden. 

Ein dritter Abschnitt bespricht die regelmäßige Kontrolle aller in der 
Milchwirtschaft benutzten Gefäße und die Prüfung der Milch auf Schmutz¬ 
gehalt. Hierzu wird Filtration über Wattescheiben empfohlen. (Chem.-Ztg., 
Bd.31, S.1026.) 

W. Hempel hielt auf der Dresdener Naturforscherversammlung einen 
Vortrag über die Behandlung der Milch. In Deutschland werden jährlich 
19 Milliarden Liter Kuhmilch produziert, deren Verkaufswert auf 2 Milliarden 
Mark veranschlagt werden kann. Verfasser ist schon vor Jahren (1894) 
dafür eingetreten, als Säuglingsmilch die Milch von gesunden Tieren in mög¬ 
lichster Reinheit zu gewinnen und sie in rohem Zustande zu verbrauchen* 
Untersuchungen, die er seitdem mit W. Hesse gemeinsam angestellt hat, 
bestätigten weitgehend die hemmenden Eigenschaften der rohen Milch auf 
Cholera- und Typhusbazillen. Weitere Versuche lehrten, daß Kochen, ja 
selbst Erhitzen auf 60° C die bakteriziden Eigenschaften der Milch voll¬ 
ständig zerstört. Auch verliert die Milch durch Zusatz von Wasserstoff¬ 
peroxyd entschieden an ihrer bakteriziden Kraft, während nach Zusatz von 
Formaldehyd die Milch die bakterientötende Kraft behält. Abkühlung der 
Milch auf —20°, —79°, ja auch auf — 170° C beeinflußt die bakteriziden 
Eigenschaften in keiner Weise. 

Nach Verfasser dürfte sonach rohe Tiermilch, die von gesunden Tieren 
mit peinlichster Sauberkeit gewonnen ist, ein besseres Nahrungsmittel sein als 
erhitzte. Für die Säuglingsernährung entsteht die Frage, von was für Tieren 
man zweckmäßig die Milch gewinnen soll. Eselin- und Ziegenmilch sind 
wohl nicht in ausreichender Menge zu beschaffen, man bleibt demnach auf 
Kuhmilch angewiesen. Früher bevorzugte man die Kuhrassen, welche die 
fettreichste Milch liefern; neuere Untersuchungen von Allen Gilbert er¬ 
gaben jedoch, daß die minder fettreiche Milch der holsteinisch-friesischen 
Rasse die leichtest verdauliche ist. 

Die Milch wird zweckmäßig auf dem Lande gewonnen und nach der 
Stadt versendet. Verfasser schildert, wie das in den Vereinigten Staaten mit 
bestem Erfolge auf große Entfernungen geschieht, indem man die Milch¬ 
kannen in gewöhnlichen Güterwagen einfach zwischen Eisstücke bettet. Ein 
solches Verfahren ist in Deutschland nach den Transportbestimmungen der 
Eisenbahnen unzulässig. Verfasser hat Versuche mit stark gekühlter und 
mit gefrorener Milch gemacht und hat gefunden, daß reine Milch bei mehreren 


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518 


Nahrungs- und Genußmittel. 

Graden Kälte aufbewahrt sich etwa 4 Wochen gut erhält, nach längerer Zeit 
aber beim Auftauen koaguliert. 

Endlich streift Verfasser die bereits früher (24. Jahresbericht, S. 607) 
von ihcö geschilderte Gewinnung einwandfreier Kindermilch auf Rittergut 
Ohorn. (Verhaudl. der 79. Versamml. der Gesellsch. deutscher Naturforscher 
u. Ärzte, Bd. 1, S. 112.) 

Oehmke beschreibt dieMustermilchanstalt Hofstede Oud-Bussern 
in Holland. Auf einem Landgut von 350 ha steht ein Meiereihof mit vier 
Ställen für 144 Kühe. Die Ställe sind äußerst sauber gehalten, der Fußboden 
im Mittelgang mit glatten Kacheln belegt; die Futtertröge sind aus Stein, 
die Decke ist glatt, die Wände sind bis etwa zur halben Höhe aus glasierten 
Kacheln hergestellt. Hinter jeder Kuhreihe ist eine tiefe Rinne, aus der die 
Fäkalien sofort nach Entleerung aus dem Stall entfernt werden. Die Kühe 
werden bei Ankauf der Tuberkulinprobe unterworfen, und die Probe wird 
alljährlich am gesamten Viehbestände erneut vorgenommen. Wird irgend eine 
krankhafte Veränderung an einer Kuh bemerkt, so kommt sie in den Kranken¬ 
stall; die tierärztliche Kontrolle ist sehr streng. 

Der Futterbereitungsraum ist hell, weit und sauber; das Tränkwasser 
untersteht ständiger bakteriologischer Kontrolle. Das Stallpersonal wird vor 
der Einstellung durch den Anstaltsarzt untersucht und wird aus der Anstalts¬ 
küche verpflegt. 

Die gemolkene Milch wird sofort aus dem Stall entfernt, im Milchempfangs¬ 
lokal durch ein Filter gegossen, schnellstens nach dem Molkereigebäude 
geschafft und mittels fahrstuhlähnlicher Vorrichtung in das hochgelegene 
Reservoir gegossen. Diese Vorrichtung arbeitet maschinell ohne Zuhilfenahme 
von Menschenhand. Aus dem Reservoir kommt die Milch in einen Kühler, 
wird auf -f- 3° C gekühlt und schnell in Flaschen gefüllt. 15 Minuten nach 
dem Melken ist die Milch versandfähig. Ihr Fettgehalt beträgt 3 bis 3,5 Proz., 
ihr Preis ist 20 Cts (= 0,34 ufC) für ein Liter. Sie ist sehr gut haltbar und 
verträgt auch einen längeren Bahntransport. (Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 
Bd. 19, S. 757.) 

H.Grosse-Bohle weist mit Recht darauf hin, daß die öffentliche 
Nahrungsmittelkontrolle der Milch gegenüber bisher einseitig das Ziel verfolgte, 
Verfälschungen aufzudecken und zu verhüten. So wichtig diese Aufgabe ist 
und so sehr ihre Erfüllung nicht nur im polizeilichen, sondern auch im 
gesundheitlichen Interesse liegt, so wäre es doch ein Fehler, wenn man ihr 
nicht in Zukunft die hygienische Überwachung des Verkehrs mit 
Milch an die Seite stellen wollte. Diese muß sich erstrecken: 1. regelmäßig 
auf die Prüfung der Sauberkeit, 2. regelmäßig auf die Bestimmung des 
Zersetzungsgrades, 3. in gewissen Fällen auf den Nachweis ungekochter Milch, 
4. recht häufig auf die Ermittelung von Konservierungsmitteln. 

Mit Beziehung auf die Sauberkeit hält Verfasser es für durchaus 
berechtigt, jede Milch, die im Ger berschen Schmutzfänger innerhalb 
24 Stunden aus 0,5 Liter mehr als 0,05 ccm Milchscbmutz ausscheidet, oder 
die im Liter mehr als 5 mg in Wasser, Alkohol und Äther unlöslichen Sohmots 
enthält, als verdorben im Sinne des Nahrungsmittelgesetzes zu bezeichnen. 
Bei Beurteilung dieser Verhältnisse darf man nicht außer aoht lassen, daß 


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Milch. Allgemeine Milchhygiene. 


519 


der größte Teil des Kuhkotea sich in der Milch löst und unsichtbar wird, 
daß also die für den Schmutzgehalt der Milch gefundenen Zahlen wenigstens 
zu verzehnfachen sind, wenn man die Menge des in die Milch gelangten 
frischen Kuhkotes erfahren will. 

Für die Bestimmung der Frische bzw. des Zersetzungsgrades 
der Milch eignet sich besser als die titrimetrische Ermittlung der Azidität 
die sogenannte Alkoholprobe. Verfasser führt dieselbe mit 50grädigem 
Alkohol aus, der — was unbedingt erforderlich ist — sorgfältig neutralisiert 
sein muß. Milch, die mit dem doppelten Volumen neutralen Alkohols von 
50 Maßprozent sofort gerinnt, ist als verdorben im Sinne des Nahrungsmittel- 
gesetzes zu bezeichnen. Kindermilch, sowie Vorzugsmilch überhaupt, darf 
auch mit dem doppelten Volumen 70 grädigen Alkohols noch nicht gerinnen. 

Am Schluß seiner Arbeit bespricht Verfasser noch die Storchsche Re¬ 
aktion (16. Jahresbericht, S. 396; 21. Jahresbericht, S. 535) zur Erkennung 
ungekochter Milch und den Nachweis des Formaldehyds in der Miloh. 
(Zeitsohr. f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 78.) 

B. Proskauer, E. Seligmann und Fr. Croner stellten im Aufträge 
des Kultusministeriums eingehende Untersuchungen über die Beschaffenheit 
der in Berlin eingeführten dänischen Milch an. Im Winter wird 
dänische Milch nach Berlin aus Holby, Aarhus und Horsens eingeführt. Die 
Milch aus Holby kommt in 20 bis 30 Liter fassenden Blechkannen mit dichtem 
Verschluß an, die aus Aarhus und Horsens kam anfangs gleichfalls in Kannen, 
später in Tankwagen, deren Tanks je etwa 6000 Liter fassen. Die Unter¬ 
suchungen zerfielen in zwei Teile, in Ermittelungen vom allgemein hygienischen 
Standpunkte und in bakteriologische Ermittelungen. 

In ersterer Beziehung ergab sich, daß die schnellste Transportdauer der 
Kannenmilch 11 bis 18 Stunden betrug, daß aber auch l»/ a Tage von der 
Absendung bis zur Verteilung an die Abnehmer vergingen. Noch länger, 
bis zu 3 Tagen, war die in Tanks verladene Milch unterwegs. Die Art der 
Verteilung an die Abnehmer konnte bei der in Kannen verpackten Milch als 
hygienisch einwandfrei angesehen werden, dagegen läßt der Modus der Ver¬ 
teilung der Milch aus den Tanks in dieser Beziehung noch sehr viel zu 
wünschen übrig. 

Die bakteriologischen Untersuchungen erstreckten sich auf die Fest¬ 
stellung der Keimzahl, und auf den Nachweis von Tuberkelbazillen durch 
den Tierversuch. Sie wurden ergänzt durch Feststellung der chemischen 
Zusammensetzung und der biologischen Eigenschaften, ln letztgenannter 
Hinsicht wurden vor allem auch die von Seligmann (24. Jahresbericht, 
8.590) ausgearbeiteten Untersuchungsmethoden benutzt. Vergleichend wurden 
auch Proben von Berliner Marktmilch und Kindermilch untersucht. 

Die chemische Beschaffenheit der dänischen Milch erwies sich derjenigen 
der Berliner Handelsmilch in mancher Beziehung überlegen. Man ist vom 
chemischen Standpunkte zu dem Urteil berechtigt, daß es sich hier um eine 
gute Vollmilch handelt. Der Schmutzgehalt war bei der dänischen Milch, 
insbesondere der aus Tanks, etwas höher als bei der Berliner; bei den 
dänischen Proben schwankte er zwischen 0 und 5, bei Berliner Milch zwischen 
0 und 2 der Stutze rechen Skala. 


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520 


Nahrungs- und Genußmittel. 


Der Keimgehalt für 1 ccm Milch betrug bei der dänischen Milch durch¬ 
schnittlich 2 140 000, mit Schwankungen von 380 000 bis unzählbar, bei der 
Berliner Milch durchschnittlich 567 000. Von letzterer enthielt die unter 
tierärztlicher Kontrolle stehende Milch 454 000 Keime (mit Schwankungen 
zwischen 14000 und 1 200000), die aus Handlungen stammende durchschnitt¬ 
lich 680000 (mit Schwankungen zwischen 43 000 bis unzählbar). Von der 
aus dem Berliner Handel bezogenen Milch ließen sich in denjenigen fünf 
Proben, welche aus den unter tierärztlicher Kontrolle stehenden Molkereien 
herstammten, Tuberkelbazillen nicht auffinden. Dagegen waren fünf von 
neun Proben, die aus Berliner Verkaufsläden stammten, tuberkelbazillenhaltig; 
es würde das 55,5 Proz. dieser Proben entsprechen. Bei dänischer Milch 
erwiesen sich von 13 untersuchten Proben fünf (= 38,5 Proz.) als mit Tuberkel¬ 
bazillen infiziert. 

Die dänische Milch zeigte durchschnittlich gleiche Zahlenwerte für die 
reduzierende Kraft gegenüber Methylenblau, wie die Berliner Milcb. Da die 
erstere fast durchweg erhitzt gewesen war, und erhitzte Milch eine viel 
schwächere Reduktionskraft besitzt als rohe (nicht erhitzte) Milch, so müßte 
die dänische Milch eigentlich geringere Reduktionswerte geben, als sie 
wirklich erhalten wurden. Da ihre Reduktionswirkimg tatsächlich ebenso 
hoch war, wie diejenige der unerhitzten Berliner Milch, läßt sich schließen, 
daß seit der Erhitzung der dänischen Milch bis zu ihrer Ankunft in Berlin 
ein längerer Zeitraum lag, der zu einer Fortentwickelung der nicht ab¬ 
getöteten Keime beitrug. — Die katalysierende, d. h. Wasserstoffperoxyd 
zersetzende, Kraft der dänischen Milch war viel schwächer, als die der Berliner 
Milch. Dies kann einmal durch die vorhergehende Erhitzung, dann aber auch 
durch die starke Vermehrung von anderen Keimen (besonders Milchsäure¬ 
bildnern) bedingt sein. 

Die erwähnten Methoden Seligmanns ließen erkennen, daß die aus 
Horsens und Holby kommende Milch durchweg erhitzt gewesen ist. Diese 
Erhitzung kann aber nicht jedesmal gleich hoch gewesen sein, denn der 
Ausfall der Prüfungen läßt auf Schwankungen in den angewandten Tempe¬ 
raturen von 72 bis über 85° schließen. Für die Milch aus Aarhus war eine 
stattgehabte Erhitzung nicht nachweisbar. Die für den Nachweis der Er¬ 
hitzung angewandten Untersuchungsmethoden ergeben in ihrer Gesamtheit 
zugleich ein Bild von dem „Frischezustand“ der Milch. Danach müssen 
die meisten Proben dänischer Kannenmilch nach ihrer Erhitzung und even¬ 
tuellen Kühlung Bedingungen ausgesetzt gewesen sein, die ihre Frische schäd¬ 
lich beeinflußt haben. Im Verhältnis dazu war die Tankmilch in zwei oder 
drei Proben als „frischer“ zu bezeichnen gewesen, trotzdem sie nachweislich 
längere Zeit unterwegs gewesen war. Der Grad der Säuerung der dänischen 
Milch war nach ihrer Ankunft ein ebenso niedriger, wie bei der frischen 
Berliner Milch; doch schritt die Säuerung bei der ersteren schneller vorwärts 
und führte meist schon am dritten Tage zur Gerinnung, die andererseits 
bei den Berliner Proben am dritten oder vierten Tage, bisweilen noch später, 
eintrat. Die Alkoholprobe (zur Prüfung der „Gerinnungsneigung“) fiel bei 
dänischer Milch einmal schon kurz nach der Entnahme positiv aus (Tank¬ 
wagenmilch), sonst stets am zweiten Tage. Die Berliner Milch gab nie am 
ersten Tage, sondern entweder am zweiten oder dritten Tage positive Resultate. 


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Milch. Allgemeine Milchhygiene. 521 

Entsprechend den Befunden der Alkoholprobe' fielen diejenigen der Koch¬ 
probe aus. 

Zusammenfassend kommen die Verfasser zu dem Ergebnis, daß die 
dänische Milch in einem Zustande in Berlin eintrifft, der ihre Verwendung 
als Nahrungsmittel, auch vom hygienischen Standpunkte aus, als zulässig 
erscheinen läßt. Zur Ernährung von Säuglingen ist sie hingegen nicht 
geeignet. Wenn in Zukunft dafür Sorge getragen wird, daß der Transport 
der dänischen Milch so schnell als möglich erfolgt, daß dabei die Milch, 
namentlich in der warmen Jahreszeit, ausreichend und sachgemäß gekühlt 
wird, daß die Gefäße, in denen die Beförderung stattfindet, sofort nach ihrer 
Entleerung gründlich gereinigt werden und daß schließlich bei ihrer Ver¬ 
teilung die größte Sauberkeit angewandt wird, dann wird man in der 
dänischen Milch ein einwandfreies Nahrungsmittel besitzen, das in keiner 
Beziehung der Berliner Milch nachsteht. 

Vorstehende Untersuchungen bezogen sich auf die dänische Wintermilch; 
im Anschluß daran ausgeführte Prüfungen der dänischen Sommermilch führten 
zu einem übereinstimmenden Ergebnis. (Zeitscbr. f. Hygiene u. Infektionskr., 
Bd.57, S. 173.) 

W. Vaubel bespricht die Milchkontrolle in Darmstadt. Dort be¬ 
steht eine sogenannte Vorprüfung durch Polizeiorgane, die sich vorwiegend 
auf Ermittelung des spezifischen Gewichtes erstreckt. Nur hierbei verdächtig 
befundene Proben gelangen an das chemische Untersuchungsamt. Verfasser 
zeigt, daß hierbei wahrscheinlich ein sehr großer Teil der Handelsmilch, die 
in Beziehung auf ihren Fettgehalt der Mindestforderung von 3 Proz. nicht 
entspricht, unentdeckt durchschlüpft. (Zeitschr. f. öffentl. Chemie, Bd. 13, 
S. 425.) 

G. Kircher berichtet über die polizeiliche Milchkontrolle in 
Solingen. Eine dort im Jahre 1901 erlassene neue Polizeiverordnung be¬ 
stimmt, daß als Vollmilch nur eine nachdem Abmelken in keiner Weise verän¬ 
derte Milch mit einem spezifischen Gewicht von mindestens 1,028 und einem 
Mindestfettgehalt von 2,7 Proz. gelten soll. Magermilch ist von Rahm zum 
größten Teile befreite, sonst unveränderte Milch von einem spezifischen 
Gewichte von mindestens 1,033. Prinzipiell neu sind folgende Bestimmungen: 
Mehr wie 10 mg Milchschmutz pro Liter enthaltende Milch darf nicht ver¬ 
kauft werden. Die Milchverkäufer sind verpflichtet, den Polizeibeamten 
zwecks Untersuchung der Milch, Revision der Wagen und ihres Inhaltes, der 
Milchgefäße usw. an bestimmte Kontrollstellen zu folgen. 

Die Kontrolle an diesen Stellen erstreckt sieb auf die Ermittelung des Milch¬ 
schmutzes durch den Augenschein und die Bestimmung des spezifischen 
Gewichtes. Hierbei verdächtig erscheinende Proben werden zur weiteren 
chemischen Untersuchung zurückbehalten, eventuell wird sofort eine Fett¬ 
bestimmung nach Gerber vorgenommen. Der einzelne Händler kann derart 
in 5 bis 7 Minuten abgefertigt werden; 0,6 Proz. aller im Jahresverlauf nach 
Solingen eingebrachten einzelnen Milchkannen werden untersucht und die 
Untersuchungskosten stellen sich pro Probe auf 5-$. — Referent braucht 
wohl nicht besonders darauf hinzuweisen, daß das geschilderte Kontroll- 
verfahren wegen der ganz einseitigen Bevorzugung des spezifischen Ge- 


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Nahrungs- und Genußmitt«!. 


wichtes praktisch nichts Erhebliches leisten kann. (ZentralbL f. allgem. Ge- 
sundheitspfL, Bd. 25, S. 140.) 

S. C. Prescott beaufsichtigte die Milcbgewinnnng in etwa 200Bauern¬ 
höfen 18 Monate lang. Durch zweckmäßige Anleitung, durch Hinweis auf 
die Vorteile der Reinlichkeit und der Kühlung und durch Verteilung eines 
gemeinverständlichen Merkblattes gelang es, die Anzahl der Milchproben mit 
hohen Keimzahlen sehr stark herabzusetzen. Immerhin haben auch jetzt 
noch etwa 50 Pros, aller Proben mehr als 50000 Keime in 1 ccm. (ZentralbL 
f. Bakteriologie, Abt. 1, Referate, Bd. 40, S. 359.) 

F. Reiß und Chr.Busche untersuchten regelmäßig die Kuhmilch des 
Friedrichsfelder Magerviehhofs (Berlin). Sie fanden, daß abgesehen 
von der Gefahr einer Krankheitsübertragung, die mit dem Genuß von auf 
Schlacht- und Viehhöfen gewonnener Milch in nicht erhitztem Zustande ver¬ 
knüpft ist, Milch derartiger Herkunft auch infolge der schwankenden Zu¬ 
sammensetzung als unzuverlässig angesehen werden muß. Die Strapazen der 
Reise, das Aus- und Einladen des Viehes beeinflussen den Gehalt der Milch 
ungünstig. (Zeitschr. f. Fleisch- u. Milchhygiene, Bd. 17, S. 181.) 

F. Prölss teilt einen Fall mit, bei dem die Lieferung ungekühlter, 
stark verschmutzter Milch in ungenügend gereinigten Kannen seitens 
eines Produzenten an eine Molkerei Veranlassung zu gerichtlichem Einschreiten 
auf Grund des Nahrungsmittelgesetzes vom 14. Mai 1879 gab. Es gelang 
Verurteilung zu 30 ^ Geldstrafe nach §12 und 14 des genannten Gesetzes 
herbeizuführen. (Zeitschr. f. Medizinalbeamte, Bd. 20, S. 614.) 

F. Reiß hat die Beobachtung gemacht, daß die Verkaufsmilch zuweilen 
durch Holz- und Zinnteilchen verunreinigt ist. Diese Verunreinigungen 
rühren von den Einsätzen her, die manchmal in den viereckigen Kannen der 
Milchverkaufswagen behufs Verhinderung des Aufrahmens angebracht sind 
und die aus durchlochten eisenverzinnten Trichtern mit Pappelholzschwimmern 
bestehen. Die Verunreinigung durch Holzsplitter läßt sich unmittelbar grob¬ 
sinnlich nachweisen, diejenige durch Zinnteilchen zeigt sich zunächst in Form 
graublauer Felder auf der Oberfläche der Milch. Diese graublauen Substanzen 
werden, behufs näherer Untersuchung, behutsam abgeschöpft, auf einem 
kleinen Filter mittels Alkohols und Äthers entfettet und entwässert, zusammen 
mit dem Filterchen in ein Reagenzglas gebracht, mit 25 proz. Salzsäure heiß 
gelöst, und schließlich wird mittels wenig Goldchlorid die empfindliche Re¬ 
aktion auf Cassiussehen Goldpurpur ausgeführt. (Zeitschr. f. Unters, d. 
Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 580.) 

Zusammensetzung und Analyse der Milch. 

\V. Fleischmann und H. Warmbold lieferten Beiträge zur Kenntnis 
der näheren Zusammensetzung des Fett ob der Kuhmilch. Die Stearin¬ 
säure scheint stets nur in verhältnismäßig kleinen, die Myristinsäure dagegen 
oft in ansehnlichen Mengen vorhanden zu sein. Aus den mitgeteilten Eie¬ 
rn entaranalysen geht hervor, daß das Milchfett ärmer an Kohlenstoff und 
reicher an Sauerstoff ist als der Rindstalg. (Zeitschr. f. Biologie, Bd. 50, 
S. 375; Ref. in Chemikerztg., Bd. 31, Repert. S. 566.) 


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Milch. Zusammensetzung und Analyse der Milch. 523 

H. Sprinkmeyer und A. Fürsten berg analysierten eine Anzahl Proben 
Ton Ziegenmilch. Die Zusammensetzung derselben kommt der Kuhmilch 
sehr nahe; im allgemeinen ist jedoch die Ziegenmilch fettreicher als die 
Kuhmilch. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 388.) 

H. Weigmann referierte gelegentlich der JahresTersammlung der freien 
Vereinigung Deutscher Nahrungsmittelchemiker über Vorschläge zur Ab¬ 
änderung des Abschnittes Milch und Molkereinebenerzeugnisse 
der „Vereinbarungen". Nach einer kurzen Charakterisierung der normalen 
und der infolge von Eutererkrankungen oder von Bakterienwirkung ver¬ 
änderten Milch folgen Vorschläge über die Probenahme und über die anzu¬ 
wendenden Untersuchungsmetboden. 

Die Beurteilung, ob eine Verfälschung der Milch vorliegt oder nicht, 
stützt sich zunächst auf das Ergebnis der chemischen Untersuchung. Dabei 
ist vor allem wichtig, zu wissen, ob die Milch das Gemelke einer einzelnen 
Kuh darstellt oder Mischmilch von mehreren Kühen ist, und ob sie Tages¬ 
milch oder Milch von nur einer Melkzeit ist. Die Beurteilung wird dann 
namentlich in Beziehung auf den Fettgehalt eine verschiedene sein müssen. 

Es ist deshalb auch nicht angängig, die Milch lediglich nach gewissen 
Grenzzahlen zu beurteilen. Diese sollen nur ein allgemeiner Anhaltspunkt 
sein, ob möglicherweise eine Verfälschung vorliegt oder nicht, ln zweifel¬ 
haften Fällen wird meist die Stallprobe und die Nachforschung nach den 
die Milchgewinnung begleitenden Umständen Aufschluß geben, es muß jedoch 
mit Beziehung auf erstere darauf bingewiesen werden, daß auch unter ge¬ 
wöhnlichen Verhältnissen Schwankungen in der Zusammensetzung der Milch 
in mäßigem Grade Vorkommen können. 

Eine Wässerung der Milch wird hauptsächlich an der Veränderung 
des spezifischen Gewichtes, der Trockenmasse und der fettfreien Trockenmasse, 
wie auch des Aschengehaltes erkannt. Die fettfreie Trockenmasse ungewässerter 
Milch hält sich im allgemeinen über 8 Proz. — Eine Entrahmung, wie ein 
Magermilchzusatz macht sich durch Erhöhung des spezifischen Gewichtes 
und Verminderung des prozentischen Fettgehaltes, wie des Fettgehaltes der 
Trockenmasse und durch Erhöhung des spezifischen Gewichtes der Trocken¬ 
masse bemerkbar. 

Unter frischer Milch ist nur solche zu verstehen, deren Säuregehalt 
ungefähr 20 Grad Thörner oder 8 Grade Soxhlet-Henkel (auf 100 ccm 
Milch berechnet) nicht übersteigt. Milch, welche einer Behandlung durch 
Erhitzen unterworfen gewesen ist, sollte unter einer entsprechenden Be¬ 
zeichnung in den Verkehr gebracht werden. Die Milch kranker Tiere und 
Biestmilch, sowie fehlerhafte Milch sind vom Verkauf ausgeschlossen. — 
Rahm soll mindestens 10 Proz. Fett enthalten; eine Verdickung mit Zucker¬ 
kalk ist als Verfälschung zu erachten. Für den Fettgehalt der Magermilch 
Grenzen zu setzen, ist nicht zulässig. 

Über den Vorschlag des Referenten, bei Buttermilch einen Wasserzu¬ 
satz bis zu 25 Proz. unter der Voraussetzung der deutlichen Deklaration zu 
dulden, erhob sich eine ziemlich lebhafte Diskussion. (Zeitschr. f. Unters, 4. 
Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 65.) 


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Nahrungs- und Genußmittel. 


E. Baier und P. Neu mann beschreiben die von ihnen ausgebildeten, 
ursprünglich von Wollny berührenden, von ihm selbst aber nicht veröffent¬ 
lichten Methoden zur refraktometrischen Analyse von Milch und 
Rahm. Behufs Fettbestimmung wird die Milch erst mit bestimmten Mengen 
Eisessig und wassergesättigtem Äther durchgeschüttelt, dann mit sogenannter 
Kupferkalilauge — einer Lösung von Ätzkali und Kupferkarbonat in Glycerin- 
wasser — versetzt und zentrifugiert. Der Brechungsexponent, den die so 
gewonnene ätherische Fettlösung im Milchfettrefraktometer zeigt, läßt einen 
direkten Schluß auf den Fettgehalt der Milch zu. Will man Rahm nach 
dieser Methode untersuchen, so verdünnt man ihn zuvor mit der 9 fachen 
Menge Magermilch von bekanntem Fettgehalt. 

Die unter der Ätherfettlösung im Zentrifugierröhrchen sich findende 
blaue Flüssigkeit kann gleichfalls refraktometrisch geprüft werden, und er¬ 
laubt in gleicher Weise, wie die Untersuchung des Milchserums, einen Schluß 
auf etwaige Wässerung. Nach den Erfahrungen der Verfasser sind Milch¬ 
proben, deren blaue Lösung im Milchrefraktometer einen Refraktionswert 
unter 20 zeigt, als der Wässerung verdächtig zu bezeichnen. Will man lieber 
das Milchserum untersuchen, so empfiehlt sich, zur Gewinnung desselben 
eine zitronensaure Lösung von Asaprol (ß -Naphtol- a- sulfosaures Calcium) 
als Ausfällungsmittel des Caseins zubenutzen. Sinkt die „Asaprol-Refrakto- 
meterzahl“ des nach der näher mitgeteilten Vorschrift bereiteten Serums 
unter 8,0, so besteht Verdacht der Wässerung. 

Endlich läßt sich noch aus der Refraktometerzahl des durch Zusatz 
von Calciumchloridlösung zur Milch und durch darauf folgendes Erhitzen 
gewonnenen Serums ein Schluß auf den Milchzuckergehalt der Milch ziehen. 

Das refraktometrische Verfahren ist allerdings wegen seiner umfang¬ 
reichen und kostspieligen Apparatur und wegen der erforderlichen subtilen 
Behandlung des Refraktometers kein geeignetes Verfahren für Laien und für 
die allgemeine Molkereipraxis, eignet sich dagegen ausgezeichnet für die 
Nahrungsmittelkontrolle. Wenn ein Nahrungsmittelchemiker und ein Laborant 
zusammen arbeiten, bewältigt man mit Leichtigkeit an einem Vormittage 
160 bis 200 Proben, bei denen der Fettgehalt und die Verdächtigkeitsproben 
auf Wässerung ausgeführt werden. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. 
Genußmittel, Bd. 13, S. 369.) 

E. Ackermann veröffentlicht ein sehr zweckmäßiges Verfahren zur 
Vorbereitung von Milchproben für die refraktometrische Unter¬ 
suchung des Serums (vgl. Utz, 24. Jahresbericht, S. 582). Man bringt 
in ein Reagenzrohr 30 ccm der zu untersuchenden Milch und 0,25 ccra 
Calciumchloridlösung vom spezifischen Gewicht 1,1375. Die Mischung wird 
gut durchgeschüttelt, das Reagenzrohr mit einem 22 cm langen Rückflußrohr 
versehen und alsdann 15 Minuten im siedenden Wasserbade erhitzt. Dann 
kühlt man durch Einstellen in kaltes Wasser auf 17,5° ab und kann darauf 
das klare, zur refraktometrischen Untersuchung fertige Serum von dem 
Koagulum abgießen. Eine Filtration ist nicht erforderlich. Behufs Vor¬ 
nahme von SerienanalyBen lassen sich in geeigneten Wasserbadeinsätzen bis 
zu 24 Proben auf einmal erhitzen. 

Für normale unverfälschte Milch erhielt Verfasser sehr konstante Zahlen, 
die nur zwischen 38,5 und 40,5 Graden des Zeisssehen Eintauchrefrakto- 


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Milch. Zusammensetzung und Analyse der Milch. 


525 


Dieters schwankten. Ein Teil des gewonnenen Serums kann noch zur An¬ 
stellung der Prüfung auf Salpetersäure dienen. (Zeitschr. f. U ntersuchung d. 
Nahrunga- u. Genußmittel, Bd. 13, S. 186.) 

N. Schoorl und F. Con weisen nachdrücklich auf den Wert der Be¬ 
stimmung des spezifischen Gewichtes des Milchserums für die Be¬ 
urteilung der Kuhmilch hin. Von Bedeutung ist hierbei die Art der Gewinnung 
des Serums. Die von Reinsch und Lührig an erster Stelle hierzu 
empfohlene spontane Gerinnung der Milch im Brutschrank hat den grund¬ 
sätzlichen Fehler, daß damit eine nicht kontrollierbare Änderung im Gehalt 
an den nichtfetten Milchbestandteilen hervorgerufen wird. Aber auch gegen¬ 
über der theoretisch viel einwandfreieren Koagulation durch Erhitzen mit 
20proz. Essigsäure, deren spezifisches Gewicht der mittleren Dichte des 
Milchserums gleicht, ist — namentlich von Bialon — der Einwand erhoben 
worden, daß die Ergebnisse wenig konstant seien. Die Verfasser zeigen 
nun, daß das nur zutrifft, wenn man beim Erhitzen die Temperatur von 85° 
überschreitet, weil dann das Laktalbumin teilweise mit ausgefällt wird. Sie 
Bchlagen deshalb folgende Ausführungsweise vor. 100 ccm Milch werden 
mit 2 ccm 20proz. Essigsäure gemischt und zwei bis fönf Minuten lang im 
Wasserbade auf 70 bis 75 u erwärmt. Darauf wird mit kaltem Wasser ge¬ 
kühlt, und von dem durch Filtration vom Koagulum getrennten Serum das 
spezifische Gewicht bei 15° bestimmt. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. 
Genußmittel, Bd. 14, S. 637.) 

K. Teichert erörtert den Wert des spezifischen Gewichtes der 
Milchtrockensubstanzfür die Feststellung von Milchfälschungen. 
Die genannte Größe läßt sich, nach einer von Fleischmann angegebenen 
Formel, aus den Ergebnissen der quantitativen Analyse der Milchprobe be¬ 
rechnen und sie schwankt bei reiner Vollmilch etwa zwischen 1,29 und 1,38. 
Im allgemeinen ist die Ansicht verbreitet, daß bei Überschreitung von 1,40 
Entrahmung oder Zusatz entrahmter Milch vorliegt. Dies trifft auch nach 
des Verfassers Beobachtungen zu; andererseits lehren sie aber, wie irrig die 
Ansicht ist, man könnte mit Hilfe dieses Merkmales jede Fettentziehung 
oder jeden Magermilchzusatz erkennen. Fettreiche Vollmilch verträgt viel¬ 
mehr Magermilchzusätze von 30 Proz. und mehr, oder Rahmentzug von 25 
bis 30 Proz., ohne daß sich diese Manipulation in einer Überschreitung der 
angegebenen Grenzzahl kenntlich macht. (Die landwirtschaftl. Versuchs¬ 
stationen, Bd. 67, S. 407). 

C. Revis empfiehlt zur Bestimmung der Trockensubstanz 2,5g 
Milch in einer flachen Schale mit 1 ccm Aceton 12 Minuten auf dem Wasser¬ 
bade zu erhitzen. Der erhaltene blasige Rückstand ist dann nur noch 
zwei Minuten im Wassertrockenschranke zu trocknen. (The Analyst, Bd. 32, 
S. 284; Ref. in Chem.-Ztg., Bd. 31, Repert. S. 554.) 

H. Timpe. Eine neue Methode der aräometrischen FettbeStimmung. 
(Chem.-Ztg., Bd.31, S. 1107.) 

F. M. Berberich und A. Burr. Über die verschiedenen Methoden 
der Fettbestimmung im Rahm. (Chem.-Ztg., Bd. 31, S. 813 u. 823.) 


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626 


Nahrungs- and Genußmittel. 


S. Hals und 0. B. Klykken stellten vergleichende Untersuchungen 
über die Methoden der Fettbestimmung in kondensierter Milch an. 
Herangezogen wurden die Verfahren von Gottlieb, Adams, Gerber und 
W. Schmid. Bei sämtlichen Analysen wurde eine Verdünnung von einem 
Gewichtsteil kondensierter Milch mit zwei Gewichtsteilen Wasser vorgenommen. 
Gottliebs Methode läßt sich für kondensierte Milch ohne Schwierigkeit 
durchführen. Das Verfahren von Adams liefert immer niedrigere Resultate, 
als das von Gottlieb, doch ist für gezuckerte kondensierte Milch die Über¬ 
einstimmung noch genügend. Für ungezuckerte Milch ist der Fehler bereits 
größer; für gezuckerte abgerahmte Milch ist die Adamssche Methode un¬ 
brauchbar. Gerbers Verfahren lieferte für nicht abgerahmte Milch eine 
sehr gute Übereinstimmung mit dem Gottliebschen; für abgerahmte konden¬ 
sierte Milch gab es hingegen unbrauchbare Zahlen. Die Methode von 
W. Schmid endlich gibt für ungezuckerte kondensierte Milch Werte, die 
sich mit den nach Gottlieb ermittelten fast vollständig decken; in ge¬ 
zuckerter Milch fallen die Ergebnisse zu hoch aus. (Zeitschr. f. Unters, d. 
Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 13, S. 338.) 

R. Lezö empfiehlt einen kleinen Kunstgriff für die Fettbestimmung 
in Zentrifugenmagermilch, die bei der Ausführung nach den üblichen 
Methoden wegen der geringen Mengen, die zu bestimmen sind, oft Schwierig¬ 
keiten bereitet. Verfasser versetzt die Milch mit einer natronhaltigen Am- 
moniakfiüssigkeit und läßt sie dann eine kleine Rahmzentrifuge passieren; 
der gebildete Rahm enthält alles Fett und kann seinerseits in gewöhnlicher 
Weise analysiert werden. (Compt. rend., Bd. 145, S. 817.) 

A. Bernstein konstruierte einen Apparat zur kolorimetrischen 
Fettbestimmung in der Zentrifugeumagermilch. Bei demselben 
wird die Lichtdurchlässigkeit der zu untersuchenden, zuvor mit starker 
Essigsäure versetzten Magermilch mit derjenigen einer geeigneten Norm&l- 
flüssigkeit verglichen. (Chem.-Ztg., Bd. 31, S. 727.) 

W. A. Anderson beschreibt folgende Methode zum Nachweis von 
Rohrzucker in Milch und Rahm. 15 ccm Milch, 0,1 g Resorcin und 
1 ccm konzentrierte Salzsäure werden gemischt und zum Sieden erhitzt Bei 
Gegenwart von Rohrzucker tritt eine zarte Rotf&rbung auf. Die Probe, die 
auf der bekannten Seliwanoff sehen Reaktion beruht, soll noch 0,2 Proz. 
Rohrzucker erkennen lassen. (The Analyst, Bd. 32, S. 87; Ref. in Chem.-Ztg., 
Bd. 31, Report. S. 191.) 

C. Revis und G. A. Payne geben ein Verfahren zur Salicylsäure- 
bestimmung in Milch und Rahm an. Sie fällen aus dem Untersuchungs- 
objekt nach einem komplizierten Verfahren, das in der Hauptsache auf der 
Anwendung von Alkohol bei neutraler Reaktion und von Kaliumquecksilber¬ 
jodid bei saurer Reaktion beruht, die Eiweißkörper und das Fett aus. Das 
so gewonnene Serum wird mit Äther ausgeschüttelt und die derart isolierte 
Salicylsäure kolorimetrisch mit Hilfe der Violettfärbung mit Eisenalaun er¬ 
mittelt. (The Analyst, Bd. 32, S. 286.) 

W. Friese gibt, im Anschluß an eine Übersicht der Verfahren zum 
direkten Nachweis von Formaldebyd in der Milch, die Beschreibung 


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Milch. Zusammensetzung und Analyse der Milch. Sterilisation, Pasteurisieren. 627 


zweier neuer Methoden. Bei der ersten dient als Reagens Salzsäure vom 
spezifischen Gewicht 1,19, der auf je 300 ccm ein Tropfen 25 proz. Salpeter¬ 
säure oder ein ganz kleiner Kristall von Kaliumnitrat zugeffigt ist Schüttelt 
man 5 ccm Milch mit 100 ccm dieser Säure, so entsteht bei Gegenwart von 
Formaldehyd sofort eine prachtvolle Violettfärbung. Mit Hilfe dieser Reak¬ 
tion lassen sich noch Mengen Formaldehyd nachweisen, die dem von Behring 
empfohlenen Zusatze von 0,02 Promille entsprechen. 

Bei dem zweiten Verfahren schüttelt man & ccm Milch mit 10 ccm Salz¬ 
säure vom spezifischen Gewicht 1,19, in der man vorher 0,1 bis 0,2 g Phloro- 
glucin gelöst hat, kräftig durch und setzt vier Tropfen einer 1 proz. Lösung 
von Vanillin in 90grädigem Alkohol zu. Bei nochmaligem Schütteln erhält 
man eine schön rote Färbung, die nach zweistündigem Stehen in tief Dunkel¬ 
violettblau umschlägt. Enthält die Milch jedoch Spuren Formaldehyd, so 
entsteht zunächst auch Rotfärbung, dieselbe schlägt jedoch höchstens in Rot¬ 
violett, bei mehr Formaldehyd sogar in Kirschrot um. (Verhandl. der 
79. Vers. d. Ges. deutsch. Naturforscher u. Ärzte, Bd. 2, II, S. 526.) 

R. Corradi stellt gleichfalls eine Reihe von Methoden zum Nachweis 
des Formaldehyds in der Milch zusammen. Milch, die einen Zusatz von 
0,02 Promille erfahren hatte, koagulierte im Sommer bei einer Temperatur 
von 25 bis 29° binnen 22 bis 70 Stunden. (Boll. chim. farmac., Bd. 45, 
S. 737; Ref. in Chem.-Ztg., Bd. 31, Repert. S. 43.) 

F. W. Richardson beschreibt folgendes Verfahren zur kolori- 
metrischen Bestimmung des Formaldehyds in der Milch: 5ccm 
der zu prüfenden Milch versetzt man allmählich unter beständigem Um¬ 
rühren mit 4 ccm starker, Ferrisulfat enthaltender Schwefelsäure. Bei 
Gegenwart von Formaldehyd tritt Violettfärbung ein, eine Reaktion, die 
Hehner entdeckt hat. Man verdünnt nun, zum Zwecke des kolorimetrischen 
Vergleiches, so lange mit 50 proz. Schwefelsäure, bis Farbenübereinstimmung 
mit einer Typlösung von bekanntem Formaldehydgehalt herrscht, die der 
gleichen Behandlung unterworfen war. Die Typlösung muß außer Form¬ 
aldehyd noch einen Eiweißkörper enthalten, am besten eine Albumose aus 
Hühnereiweiß, über deren Darstellung der Verfasser noch Angaben macht. 
(Journ. of the soc. of chemical industry, Bd. 26, S. 3.) 

0. Rosenheim studierte den Chemismus der Hehnerschen Reak¬ 
tion auf Formaldehyd in der Milch. Dieselbe beruht auf dem Zusammen¬ 
wirken des Formaldehyds mit der als Reagens zugesetzten konzentrierten 
Schwefelsäure, einem Oxydationsmittel (gewöhnlich benutzt man ein Ferri- 
salz) und den Proteinen der Milch. Der Verfasser zeigt, daß die Reaktion 
an die Tryptophangruppe im Proteinmolekül gebunden ist. Gleich dem 
Tryptophan geben auch Indol, Skatol und andere heterozyklische Verbindungen 
ähnliche Farbenreaktionen mit Formaldehyd. (The Analyst, Bd. 32, S. 108; 
Ref. in Chem.-Ztg., Bd. 31, Repert. S. 374.) 

Sterilisation, Pasteurisieren. 

V. Grimm fand, daß Bakterien in der Milch stärker abnehmen, wenn 
man die Milch bei 62° unter vermindertem Druck zum Sieden bringt, als 
wenn man sie unter gewöhnlichem Druck drei Stunden auf die gleiche Tem- 


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Nahrungs- und Genußmittel. 


peratur erwärmt. Das dreistündige Kochen der Milch unter Niederdruck 
bei 52° kann das Budde-Verfahren nicht ersetzen, denn es sterben zwar 
Dysenterie-, Diphtherie- und Cholerabazillen ab, der Typhusbazillus und der 
Milchsäurebazillus bleiben jedoch lebend. (Inaug.-Diss. Berlin 1906; Ref. in 
Zentralbl. f. Bakteriologie, Abt. 1, Ref., Bd. 40, S. 97.) 

Hering beschreibt ein neues Verfahren zur Sterilisation der 
Milch. Bei demselben wird die Milch durch einen geeigneten Apparat 
unter einem Druck Ton nur , / 4 Atmosphäre durch Wasserdampf zerstäubt 
und so bei einer Temperatur sterilisiert, bei welcher Eiweiß nicht koaguliert 
und die Fermente nicht abgetötet werden. Der Apparat ist so konstruiert, 
daß bei geöffnetem Ventil die Temperatur konstant 75°, bei geschlossenem 
80° beträgt. Durch die Zerstäubung werden Partikelchen von 1 bis 2 p 
Durchmesser erhalten; die so erzielte Homogenisierung soll bewirken, daß 
die Milch nicht abrahmt und leicht verdaulich und assimilierbar ist Gleich¬ 
zeitig wird durch den Wasserdampf die für die Verwendung als Säuglings¬ 
nahrung notwendige Verdünnung erzielt, deren Grad durch den Apparat re¬ 
gulierbar ist. (Chem.-Ztg., Bd. 31, S. 1284.) 

H. Huss untersuchte auf Blechdosen gefüllte sterilisierte Milch, 
von welcher ein Teil der Dosen Neigung zum Umschlagen zeigte. In den¬ 
jenigen Dosen, die beim Schütteln einen hellen Klang hören ließen, wurde 
beim öffnen eine in physikalischer Beziehung unveränderte Milch gefunden. 
Die Dosen aber, die beim Schütteln einen dumpfen Klang gaben, enthielten 
zersetzte Milch. Die unveränderten Milchproben erwiesen sich als voll¬ 
kommen steril; alle geronnenen Proben hingegen enthielten ein und dasselbe 
Bakterium in Reinkultur. Da dasselbe Milch in kurzer Zeit zum Gerinnen 
bringt und außerdem gegen Hitze relativ sehr resistente Sporen bildet, eo 
muß es als die Ursache der Michgerinnung angesehen werden. 

Die Sporangien dieser neuen Art besitzen Keulenform. Verfasser gibt 
ihr deshalb den Namen Plectridium novum. Es ist ein bewegliche®, 
peritrich begeißeltes Stäbchen. Die Sporen keimen polar. Es gedeiht gleich 
gut bei aerober wie anaerober Züchtung; das Teraperaturoptimum für das 
Wachstum liegt bei 37°. Kohlenhydrate werden zu Säuren vergoren; Gase 
werden dabei nicht gebildet; Gelatine wird durch die Tätigkeit proteolytischer 
Enzyme verflüssigt. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. 2, Bd. 19, S. 256 u. 420.) 

Wolf hat bei Verwendung der von Speck und von Prausnitz an¬ 
gegebenen Kühlkisten (vgl. M. Kaiser, 24. Jahresbericht, S. 583) zur 
Frischhaltung der Milch gute Erfolge erzielt Das Wassergefäß wurde abends 
und morgens frisch gefüllt, die Kiste stand in der nach Südwesten gelegenen 
Speisekammer. Die Temperatur in der Kiste stieg auch an heißen Tagen 
nicht über 19°. Die Kisten dürften siel» gerade für kleine Familien in 
der Stadt eignen, für die ein Eisschrank zu teuer ist, die aber einer Ein¬ 
richtung zum Kühlhalten der Milch um so mehr bedürfen, weil sie meist in 
überfüllten schlecht ventilierten Wohnungen, womöglich Dachwohnungen 
leben, in denen die Temperatur im Sommer noch höher ist als die Außen¬ 
temperatur. Nach Verfasser sollte armen Familien neben der Milch auch 
eine derartige Kühlkiste von der Verwaltung der Milchküche, und zwar leih- 


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Sterilisation. Pasteurisieren. 529 

weise, überlassen werden. (Gesundheit 1907, Nr. 16; Ref. in Deutsche Med.- 
Zeitung, Bd. 28, S. 896.) 

Die wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen in 
Preußen erstattete ein Gutachten über die Zulässigkeit eines Zusatzes 
von Formaldehyd zur Handelsmilch. Es ist weder durch Versuche 
an menschlichen Säuglingen noch auch durch die bisher veröffentlichten Ver¬ 
suche v. Behrings an Tieren dargetan, daß die Formaldehydmilch in Be¬ 
ziehung auf ihre Verdaulichkeit und Ausnutzbarkeit einer in gewöhnlicher 
Weise reinlich gewonnenen Kuhmilch überlegen ist. Die Versuche, die in 
der Universitätsklinik für Kinderkrankheiten an menschlichen Säuglingen 
angestellt wurden, führten zu dem weiteren Ergebnis, daß, wenn auch nicht 
sicher erwiesen, es doch auch nicht sicher auszuschließen ist, daß ein auch 
nur in dem Verhältnis 1:25000 erfolgender Zusatz von Formaldehyd zur 
Säuglingsmilch bei wochen- und monatelangem Genuß eine Schädigung des 
Nierenepithels beim jungen Kinde herbeizuführen vermag. 

Die Freigabe eines Formaldehydzusatzes zur Handelsmilch würde mit 
Sicherheit dazu führen, daß zersetzte, die Gesundheit schädigende Milch 
unter der Maske frischer Milch an das Publikum verkauft, und von diesem, 
insbesondere von Säuglingen, konsumiert würde. Selbst der DeklarationB- 
zwang würde dagegen nichts helfen, da das Publikum erfahrungsgemäß der¬ 
artige Deklarationen nicht zu beachten pflegt. Eine Kontrolle aller Kuhställe, 
Molkereien, Milchläden usw., die Tag für Tag ausgeübt werden müßte, würde 
sich der Kosten wegen verbieten. Aus allen diesen Gründen muß der Zusatz 
von Formaldehyd zur Handelsmilch schlechthin als unzulässig bezeichnet 
werden. (Vierteljahrsschr. f. gerichtl. Medizin. Dritte Folge. Bd. 34, S. 112.) 

F. Hueppe veröffentlicht, als Referent, ein Gutachten des k. k. 
österreichischen obersten Sanitätsrates über die Verwendung von 
Formaldehyd zur Konservierung von Nahrungsmitteln. Die genannte Be¬ 
hörde hat sich bereits 1899 sehr entschieden gegen die Zulassung von Form¬ 
aldehyd ausgesprochen und neuere Erfahrungen geben keine Veranlassung, 
diesen Standpunkt zu verlassen. Die medizinische Verwendbarkeit des 
Formaldehyds ergibt, daß es sich um ein differentes Mittel handelt, das, in 
die Hand des Laien gegeben, unberechenbare schädliche Folgen haben kann. 
Es gibt nur einen Fall, in dem Formaldehyd in großen Verdünnungen un¬ 
schädlich zu sein scheint, das ist als Zusatz zu einer unter besonderen Kau- 
telen gewonnenen oder fast keimfreien Milch. Verfasser stellt sich hierzu 
durchaus auf den Standpunkt der Versuche v. Behrings. Gerade das 
exzeptionelle dieses Falles der an sich keimfreien Milch und die infolge¬ 
dessen sehr geringen Mengen Formaldehyd lehren einwandfrei, daß die relativ 
großen Mengen, die für die Konservierung von Nahrungsmitteln in Betracht 
kommen müßten, auch in Zukuuft zu verbieten sind. Erschwerend kommt 
für diese Fälle noch in Betracht, daß dabei auch eine Konservierung von 
solchen Substanzen möglich ist, die bereits in Zersetzung begriffen sind. 
(Österreichisches Sanitätswesen 1907, Nr. 12; Ref. in Zeitschr. f. Medizinal¬ 
beamte, Bd. 20, S. 384.) 

Hewlett kommt bei einer Prüfung von Buddes Verfahren der Milch¬ 
präservierung (vgl. Rousseau, 24. Jahresbericht, S. 588) zu einem sehr 

Vierteljahnschrift für Gesundheitspflege. 190*. Supplement. 34 


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Nahrungs- und Genußmittel. 


günstigen Resultat. Alle Mikroorganismen ohne Sporenbildnng, wie Tuberkel-, 
Diphtherie-, Typhus-, Paratyphus-, Ruhr-, Cholera-Bazillen, Bact. coli, Bact. 
acidi lactici, Microc. pyogenes aureus werden vernichtet. Die sporenbildenden 
Mikroorganismen, wie Bac. anthracis, Penicillium glaucum, Bac. subtilis, Bac. 
mycoides werden nicht vernichtet, wohl aber an Zahl vermindert Die vege¬ 
tativen Formen werden vernichtet, die Sporen jedoch nicht. Wenn auch die 
Erhitzung allein in den meisten Fällen genügt, um die nicht sporenbildenden 
Organismen zu vernichten, so ist dies doch nicht immer der Fall. Typhus¬ 
bazillen, Microc. pyogenes aureus und Bac. acidi lactici können die Erhitzung 
überstehen, wenn kein Wasserstoffperoxyd zugesetzt ist Die nach Budde 
behandelte Milch ist von gewöhnlicher Milch in Beziehung auf Geschmack, 
Geruch, Aussehen und Rahmbildung nicht zu unterscheiden. Die behandelte 
Milch hält sich bei heißem Wetter 8 bis 10 Tage lang, bei kaltem Wetter 
noch länger völlig unverändert. In der auf gewöhnlichem Wege ohne Vor¬ 
sichtsmaßregeln gewonnenen Milch werden die Mikroorganismen durch das 
Budde-Verfahren um mehr als 99,9 Proz. reduziert. Bei richtiger Aus¬ 
führung des Verfahrens wird alles zugesetzte Wasserstoffperoxyd zersetzt 
(The Lancet, Nr. 4300; Ref. in Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspflege, Bd. 26, 
S. 97-) 

A. M. Bergmann und C. Hultmann fanden, daß tuberkelbazillen¬ 
haltige Milch einer an Eutertuberkulose leidenden Kuh durch Buddieieren 
(24. Jahresbericht, S. 588) nicht sterilisiert werden konnte. Geimpfte Meer¬ 
schweinchen gingen an Tuberkulose ein. (Milchwirtschaft!. Zentralblatt, 
Bd. 2, S. 498; Ref. in Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, 
S. 703.) 

Ein Anonymus teilt mit, daß das unter dem Namen „Riegels Milch¬ 
ozon“ angebotene Konservierungsmittel für Molkereien als wirksamen Be¬ 
standteil Wasserstoffperoxyd oder ein diesem nahestehendes Peroxyd enthält. 
(Pharmaz. Zentralhalle, Bd. 48, S. 687.) 

H. D. Richmond und E. H. Miller besprechen die Mittel, die zur 
Verhütung des Sauerwerdens der Milch empfohlen worden sind. Ge¬ 
nannt werden Salicylsäure, Benzoesäure, Phtalsäure, 0-Naphtol, /3-naphtol- 
sulfosaures Calcium und Natrium (Asaprol, Abrastol), Resorcin, Phloroglucin. 
Natrium fl uorid, Natriumsulfit, Borate. Wirksam sind einzig Borate, Benzo¬ 
ate, Salicylate und vielleicht noch ß-Naphtol, abgesehen von Formalin und 
Wasserstoffperoxyd, die nicht untersucht wurden. Weiter zählen die Ver¬ 
fasser die Methoden zum Nachweis und zur quantitativen Bestimmung 
solcher Zusätze auf. (The Analyst, Bd. 32, S. 144; Ref. in Chem.-Ztg., Bd. 31, 
Repert. S. 391.) 

Enzyme. 

P. G. Heinemann arbeitete über die bakteriziden Eigenschaften 
frischer Kuhmilch. Er stellte fest, daß die rohe Milch in der Tat Stoffe 
enthält, die für einige Bakterienarten bis zu gewissem Grade, für andere 
schwach bakterizid wirken, für noch andere Arten nur eine Verlangsamung 
der Entwickelung hervorrufen. Die bakterizide Wirkung der Kuhmilch hält 
bei Zimmertemperatur mehr als fünf, aber weniger eIb sieben Stunden an; 


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Milch. Enzyme. 


531 


sie wird zerstört, wenn man die Milch 30 Minuten auf 56° oder bis zum 
Siedepunkt erhitzt. Die bakterizide Kraft der Milch schwankt individuell, 
sie ist geringer als diejenige des Blutserums. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. 1, 
Ref„ Bd. 40, S. 356.) 

O. Jensen verdanken wir Untersuchungen über den Ursprung der 
Enzyme der Kuhmilch. Dieselben sind teilweise Dativ, teilweise die Pro¬ 
dukte von Bakterien. Die Peroxydase rührt ausschließlich vom Muttertiere 
und wahrscheinlich in der Hauptsache vom Futter her. Frische Kuhmilch 
gab dem Verfasser immer eine kräftige Peroxydasereaktion, während die ge¬ 
wöhnlichen Milchbakterien selbst im Laufe einer Woche nicht im Stande 
waren, nennenswerte Mengen von Peroxydasen zu entwickeln. Die Katalase 
der Milch rührt hingegen größtenteils von Mikroorganismen her, nur ein 
geringer Teil derselben (Katalase der frischen Milch) stammt aus den Leuko- 
cyten des Muttertieres. Da die katalytische Wirkung der Handelsmilch sehr 
verschieden sein kann, kann man nicht, wie es z. B. durch Budde (24. Jahres¬ 
bericht, S. 588) geschieht, eine bestimmte Menge Wasserstoffperoxyd ein für 
allemal als genügend zur Sterilisation der Milch vorschreiben. Die Reduk¬ 
tase und die Hydrogenase der Milch rühren ausschließlich von Mikroorga¬ 
nismen her; sie scheinen identisch zu sein. Die Aldebydkatalase (die 
Reduktase der frischen Milch) hält Verfasser, im Gegensätze zu Seligmann, 
nicht für identisch mit der Reduktase; sie rührt ausschließlich von den Fett¬ 
kügelchen der Milch her. (Overs, over Vidensk. Selsk. Forhandl., Bd. 5, S. 295 ; 
Ref. in Chem.-Ztg., Bd. 31, Repert. S. 70.) 

P. Waentig hat in einer umfassenden Arbeit die Peroxydasereak- 
tionen der Kuhmilch mit besonderer Berücksichtigung ihrer Verwendung 
zum Nachweise stattgehabter Erhitzung der Milch behandelt. Vor¬ 
wiegend beschäftigt er sich mit den Reaktionen von Arnold mittels Guajak- 
tinktur und von Dupouy-Storch mittels Guajaktinktur und Wasserstoff¬ 
peroxyd. Er kommt zu dem Ergebnis, daß beide Reaktionen denselben 
Reaktionsmechanismus zeigen. Sie beruhen auf der Beschleunigung (Kata¬ 
lyse) eines Oxydationsvorganges zwischen einem Chromogen und einem Per¬ 
oxyd durch eine der „frischen Milch“ zukommende Eigenschaft. Träger 
dieser beschleunigenden Eigenschaft ist ein im Serum gelöster und aus diesem 
in völlig trockenem Zustande gewinnbarer Stoff, dessen Funktion von der 
Lebenstätigkeit der Bakterienflora der Milch unabhängig ist. 

Als praktische Folgerung aus des Verfassers Untersuchungen ergibt sich, 
daß die Guajakreaktion immer unter Verwendung von Wasserstoffperoxyd 
angestellt werden sollte. Doch ist, um die größte Empfindlichkeit der Reak¬ 
tion zu erhalten, mit dem Zusatz von Wasserstoffperoxyd außerordentlich 
vorsichtig umzugehen. Bestimmtere Angaben lassen sich nicht machen, da 
die optimale Menge von der Peroxydasemenge einerseits und von dem Zu¬ 
stande der Guajaktinktur andererseits abhängt. Dies ist besonders für die 
Untersuchung von Mischungen pasteurisierter und roher Milch beachtens¬ 
wert, in denen der Gehalt an Peroxydase sehr gering ist. 

Der negative Ausfall der unter den notwendigen Vorsichtsmaßregeln 
angestellten Reaktion bedeutet aber stets die Zerstörung eines integrierenden 
Bestandteiles der Kuhmilch: der Peroxydase. Diese Zerstörung kann jedoch 

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Nahrungs- und GenußmitteL 

nicht nur durch reine Temperaturwirkung, sondern auch durch die Ver¬ 
wendung geringer Wasserstoffperoxydmengen bei Temperaturen hervor¬ 
gerufen werden, die. einerseits weit unter der für eine Pasteurisierung ge¬ 
forderten Temperatur (65°), andererseits weit unter der Vernichtungstemperatur 
der Peroxydase durch reine Wärmewirkung liegt. Da die Wasserstoffperoxyd- 
mengen alsbald aus der Milch verschwinden, so kann durch den negativen 
Ausfall der Peroxydasereaktion bei so behandelter Milch Erhitzung auf 75 
bis 80° vorgetäuscht werden. In solchen Fällen können die Schardingersche 
Reaktion (unter Verlängerung der Beobachtungszeit) und die Rubnersche 
Reaktion, die durch die besprochene Behandlung wenig oder nicht beeinflußt 
werden, orientierende Dienste leisten. 

Bei Einwirkung größerer Wasserstoffperoxyd mengen in der Kälte sowohl 
als in der Wärme (Buddisieren, v. Behrings Perhydraseverfahren) wird 
auch die Schardingersche Reaktion unbrauchbar, und man wird bei posi¬ 
tivem Ausfall der Rubner sehen Reaktion an der Schwächung oder Vernich¬ 
tung der Katalasefunktion derartige Behandlung erkennen. 

Der referierten Arbeit ist als Anhang eine sehr bemerkenswerte über¬ 
sieht des Inhaltes der Literatur betreffend die Veränderungen der Kuh¬ 
milch beim Erhitzen beigegeben, deren Inhalt sich leider nicht auszugsweise 
an dieser Stelle wiedergeben läßt, so daß nachdrücklichBt auf das Original 
verwiesen sei. (Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. 26, S. 464.) 

Pathogene Organismen. 

A. Reitz schildert den Kampf gegen die Rindertuberkulose in 
Dänemark und Schweden. Durch Gesetz vom 5.Februar 1904 wird in 
Dänemark die Erwärmung von Magermilch und Buttermilch auf 80° ge¬ 
fordert; auch muß Rahm, der zur Fabrikation von Ausfuhrbutter verwendet 
wird, ebenso hoch erhitzt worden sein. Milch und Buttermilch dürfen nur 
eingeführt werden, wenn festgestellt ist, daß sie bis mindestens 80° erwärmt 
gewesen ist. Die zur Verwendung gelangenden Pasteurisierapparate 
sind eine von Nielsen und Petersen herrührende Umgestaltung einer ur¬ 
sprünglich von Fjord angegebenen Konstruktion. Der Apparat wird bis 
zu einer Leistungsfähigkeit von 10000 kg Milch pro Stunde gebaut; er ver¬ 
hindert das Anbrennen der Milch und wirkt gleichzeitig als Schaumdämpfer. 
Eine weitere, noch wichtigere Bekämpfungsmethode der Tuberkulose sind 
die Tuberkulinimpfungen, mit deren Hilfe in Dänemark, wie auch in Schweden 
die kranken Tiere ausgemerzt werden. (Zeitschr. f. Fleisch- u. Milchhygiene 
1906, Nr. 5; Ref. in Zentralbl. f. Bakt., Abt. 1, Ref., Bd. 39, S. 695.) 

G. Moussu prüfte, ob die Milch lediglich auf Tuberkulin rea¬ 
gierender Kühe infektiös ist. Er stellte zu diesem Zwecke Fütterungs¬ 
versuche an fünf Kälbern an, die sofort nach der Geburt isoliert und eine 
Woche später mittels Tuberkulin mit negativem Ergebnis geprüft waren. 
Als Milchkühe dienten vier Kühe, die je zweimal deutlich reagiert hatten, 
aber keine sichtbaren klinischen Merkmale aufwiesen. Die Kälber waren 
nur während des Saugaktes mit den Milchkühen zusammen. Zwei derselben 
zeigten nach zwei- bis dreimonatlicher Fütterung eine positive Tuberkulin¬ 
reaktion. Nach der später vorgenommenen Schlachtung gelang es bei einem 


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Milch. Pathogene Organismen. 


533 


derselben nicht, bei der Autopsie sichtbare tuberkulöse Veränderungen auf- 
sufinden; das andere zeigte nur geringe Veränderungen. Mit Material der 
MtBenterialdrüsen des ersten Tieres geimpfte Meerschweinchen wurden tuber¬ 
kulös. Diese Fütterungs versuche ergaben demnach, daß gesunde Kälber nach 
einigen Monaten mit Tuberkulose infiziert werden können, wenn sie mit an¬ 
scheinend normaler Milch von lediglich auf Tuberkulin reagierenden Kühen 
ernährt werden. Die vier Milchkühe wiesen bei der Schlachtung nur geringe 
tuberkulöse Veränderungen auf; an den Eutern und Euterlymphdrüsen war 
keine Spur von Tuberkulose aufzufinden. (Arch. f. wissenschaftl. u. prakt. 
Tierheilkunde, Bd.32; Ref. in ZentralbL f. Bakt, Abt. 1, Ref., Bd. 39, S. 40.) 

G. Kühn hat in einer Versuchsreihe Milch, die virulente Tuberkel¬ 
bazillen enthielt, mit 0,5 Proz. Borsäure versetzt. Dieser Zusatz schützte 
die Milch 15 Tage vor Gerinnung, schwächte jedoch die Virulenz der Tuberkel¬ 
bazillen nicht nachweislich ab, wie der Tierversuch an Meerschweinchen 
ergab. Der Verfasser empfiehlt demzufolge, einen Zusatz von 0,5 Proz. Bor¬ 
säure zur Konservierung vonVersandproben, die auf Tuberkel¬ 
bazillen untersucht werden sollen. (Zeitschr. f. Infektionskrankheiten usw. 
der Haustiere, Bd.2, S. 58; Ref. in Zentralbl. f. Bakt., Abt. 1, Ref., Bd.39, 
S. 672.) 

Moussu und Monvoisin zeigten, daß die Milch tuberkulöser Kühe 
eine abweichende chemische Zusammensetzung aufweist. Während 
bei gewöhnlicher Euterentzündung die Azidität infolge der Milchzucker- 
zersetzung durch Mikroben zunimmt, verringert sich bei tuberkulösen Tieren 
die Azidität der Milch von 1,4 bis 2,0 g Milchsäure pro Liter auf 0,8 bei 
klinisch scheinbar gesunden, auf 0,24 bis 0,12 g bei Tieren mit vorgeschrittenen 
Euterprozessen. Infolge Zunahme der Eiweißkörper in der pathologisch 
veränderten Milch steigt der Gesamtstickstoff von 0,58 Proz. auf 0,7 bis 
1,1 Proz.; das Fett hingegen vermindert sich, von 35 bis 45 g in der Norm, 
auf 1,5 g in ein Liter. Die Euterzelle vermag Traubenzucker nicht mehr in 
Milchzucker überzuführen; die Milchzuckermenge in der tuberkulösen Milch 
kann auf Null sinken. Der Natriumchloridgehalt steigt; in der normalen 
Milch finden sich im Liter 7 g Asche mit 19,2 Proz. Natriumchlorid; bei einer 
tuberkulösen Kuh fanden die Verfasser 9,5 g Mineralstoffe mit einem Na¬ 
triumchloridgehalt von 51,1 Proz. Nach allem diesem erfährt die Milch bei 
tuberkulösen Tieren eine Verringerung ihres Nährwertes selbst dann, wenn 
das Euter noch keine pathologischen Prozesse auf weist. (Compt. rend. de 
la soci6te de biologie, Bd. 63, Nr. 26; Ref. in Zeitschr. f. Medizinalbeamte, 
Bd. 20, S. 812.) 

Kuthy beschreibt ein neues tuberkelbazillenähnliches Stäbchen auB der 
Gruppe der sogenannten säurefesten Bazillen, den Milchbazillus Möller, 
den dieser ans pasteurisierter Milch isolierte. Färberisch verhält sich der 
Milchbazillus genau so, wie der Tuberkelbazillus, morphologisch ähnelt er 
ihm sehr. Bei intraperitonealer Verimpfung reichlichen Materials an Meer¬ 
schweinchen, weiße Mäuse und Frösche zeigt sich Bildung von Pseudotuber¬ 
keln, die einen mehr exsudativen Charakter mit Neigung zu Abszeßbildung 
besitzen. (Zeitschr. f. Tuberkulose, Bd. 7, Heft 4; Ref. in Zentralbl. f. Bakt., 
Abt 1, Ref., Bd. 39, S. 754.) 


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Nahrungs- und Genuß mittel. 


H. Kayser beleuchtet die Beziehungen zwischen Typhus und dem 
Genuß roher Milch. Bei 260 Typhusfallen der Stadt Straßburg wahrend 
1904 und der ersten 10 Monate 1905 konnte bei 60 Fallen (23 Proz.) ein 
Zusammenhang mit dem Genüsse roher Milch festgestellt werden. Nimmt 
aber Verf. die Zahlen des Jahres 1905, so wurde unter 126 Typhusermitte¬ 
lungen 51 mal mit großer Wahrscheinlichkeit die Infektion durch den Genuß 
roher Milch festgestellt, also bei 40 Proz. Bei zwei kleinen Typhusepidemien, 
die sich auf Milch zurückführen ließen, vermochte Verfasser Typhus¬ 
bazillenträger im milchliefernden Hause aufzuBpüren. Diese Funde 
bilden einen Beitrag zur Beantwortung der Frage, welche Infektionsgefahren 
von den Bazillenträgern ausgehen können. Alle diese Erfahrungen beweisen 
wiederum die Notwendigkeit einer gesetzlich geregelten hygienisch-sanitären 
Kontrolle des Milch verkehre an der Stelle der Produktion wie des Verkaufes. 
Ferner empfehlen sich, trotz der bisherigen geringen Erfolge, regelmäßig 
wiederholte ausführliche Warnungen vor dem Trinken roher Milch. (Arbeiten 
aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. 24, S. 173.) 

H. Kossel erörtert einen interessanten Fall der Typhusübertragung 
durch Milch. Auf die Milch des Gutes B. waren zweifellos Typhus¬ 
erkrankungen in größerer Zahl in den Städten 0. und F. zurückzuführen; 
in F. waren auch in früheren Jahren wiederholt Typhusfälle vorgekommen, 
die seitens der Gesundheitsbehörde mit dem Genuß von Milch aus B. in Ver¬ 
bindung gebracht wurden. Eine Ortsbesichtigung in B. ergab, daß Infektion 
der Milch durch das in der Milchwirtschaft benutzte Wasser so gut wie aus¬ 
geschlossen war. Die Aufmerksamkeit wurde nunmehr auf die bei der 
Milchgewinnung und -Verarbeitung auf dem Gutshof beschäftigten Personen 
gerichtet. Eine Untersuchung von Kotproben derselben lehrte, daß unter 
ihnen ein sogenannter Dauerbazillenträger war. Die Annahme, daß dieser 
die von ihm ermolkene Milch gelegentlich infiziert hat, erscheint bei dem 
Mangel an Sauberkeit unter der ländlichen Bevölkerung berechtigt. Die 
fernere Beschäftigung des Mannes im Kuhstall wurde untersagt. Die mit¬ 
geteilten Beobachtungen lehren, daß bei der gesundheitlichen Überwachung 
der Gewinnung, Verarbeitung und des Verkaufes der Milch nicht allein auf 
die Ausstattung der Räume, die Beschaffenheit der Gefäße, die Wasser¬ 
versorgung ubw. geachtet werden muß, sondern daß alle auf die Sauberkeit 
gerichteten Maßnahmen illusorisch werden können, wenn unter dem Personal 
sich ein Typhusbazillenträger befindet. (Deutsche med. Wochenschr., Bd. 33, 
S. 1584.) 

H. Berger macht Mitteilung über eine Typhus-Epidemie in Crefeld 
im Juni 1907, die auf eine Infektion durch Milch zurückzuführen war. 
Sie ging von dem an Typhus erkrankten Bauern T. in dem Dorfe T. aus, 
der teils direkt an Crefelder Familien, teils an das Milchgeschäft F. in 
Crefeld Milch lieferte. Von den 55 gemeldeten Erkrankungen lassen sich 
25 auf F. und 18 auf T. zurückführen. Von drei weiteren Kranken stellte 
sich heraus, daß deren Milchhändler P. Kannen mit dem Milchgeschäft F. 
ausgetauBcht hatte. 

Die Wahrnehmungen, die Verfasser im übrigen bei dieser Typhus¬ 
epidemie machen konnte, führen ihn dazu, zu empfehlen, daß in Geschäften, 


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Milch. Pathogene Organismen. 


535 


die mit Nahrungsmitteln zu tun haben, zur Bedienung des Geschäfts nur 
dann Hausgenossen des Erkrankten zugelaBsen werden, wenn ihr Stuhlgang 
bei dreimaliger Untersuchung in 14 Tagen bazillenfrei gefunden wurde. 
Speziell für den Milchhandel stellt Verfasser noch folgende Forderungen auf: 
Konzentrierung (etwa in Form Ton Milchzentralen landwiitschaftlicher Ge¬ 
nossenschaften) und Konzessionspflicht desselben, Verbot der Mischung der 
Milch verschiedener Produzenten, sowie des Austausches der Milchgefälle; 
Bezeichnung der Milchgefäße; Buchführung über den Bezug der Milch; 
zweckmäßige Behandlung der Milch. (Zeitschr. f. Medizinalbeamte, Bd. 20, 
S. 605.) 

D. H. Bergey fand mit Beziehung auf die Milchsäurebakterien 
in der Milch, daß Proben sogenannter Vorzugsmilch hauptsächlich Staphylo¬ 
kokken und Streptokokken enthielten. Andere Typen von Milchsäurebakterien 
wurden in Vorzugsmilch nur in einzelnen Ausnahmefällen gefunden. Dem¬ 
gegenüber fanden sich in der gewöhnlichen Marktmilch in der Regel stäbchen¬ 
förmige Bakterien, und zwar gehörten darunter einige zum Typus des Bact. 
acidi lactici Hueppe. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. 1, Ref., Bd. 40, S. 360.) 

P. G. Heinemann gelangte bei Untersuchungen über die Bedeutung 
der Streptokokken für die Säuerung der Milch zu folgenden Ergeb¬ 
nissen. Der Bac. acidi lactici existiert als Bakterienart sui generis überhaupt 
nicht. Die Bakterien, welche gewöhnlich die Milchsäuregärung in der Milch 
hervorrufen, sind B. aerogenes var. lacticus und Streptococcus lacticus. Die 
Möglichkeit der Beteiligung von Bact. coli und anderen Bakterien ist dabei 
nicht auszuschließen. Strept. lacticus stimmt morphologisch, kulturell und 
durch seine koagulierenden Eigenschaften mit pathogenen, fäkalischen und 
Schleußenwasser- Streptokokken überein. Man findet ihn jederzeit in Kuh¬ 
fäkalien, auf der Haut von Kühen und in der Milch. Das Sauerwerden der 
Milch wird durch Zusammenwirken von beiden Gruppen der Milcbsäure- 
bakterien hervorgerufen und kann durch die in der Milch stets vorhandenen 
peptonisierenden Bakterien beschleunigt werden. (Journ. inf. disease, Bd. 3, 
S. 173; Ref. in Zentralbl. f. Bakt., Abt. 1, Ref., Bd. 39, S. 758.) 

P.G.Heinemann untersuchte die Pathogenität der Milchstrepto¬ 
kokken. Neuere Untersuchungen haben ergeben, daß diese Streptokokken 
mit dem Str. lacticus Kruse (Bac. lactis acidi Leich mann) identisch sind. 
Verfassers Versuche zeigen, daß der Str. lacticus zwar im allgemeinen unter 
normalen Bedingungen in der Milch harmlos ist, aber durch wiederholte 
Tierpassagen durch Kaninchen pathogen werden kann und mit jeder erneuten 
Passage an Virulenz zunimmt. Dann erzeugt der Str. lacticus dieselben 
Veränderungen wie Str. pyogenes. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. 1, Ref., Bd. 40, 
S. 288.) 

W. G. Sa vage untersuchte sowohl Milch einzelner Kühe als auch 
Mischmilch auf Streptokokken und Leukocyten. ln 40 vom Verfasser 
selbst entnommenen und sofort untersuchten Proben wurden Streptokokken 
6mal in 0,1 ccm, 17mal in l,0ccm und 22mal in 10,0ccm gefunden, 18mal 
fehlten sie in 11 ccm. In 10 Proben von sofort untersuchter Mischmilch 
waren sie 8mal in 0,1, lOmal in 1,0 ccm aufzufinden; in 17 Proben Markt¬ 
milch wurden sie 15 mal in 0,1, stets in 1,0 ccm nachgewiesen. Sie scheinen 


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Nabrungs- und Genußmittel. 


schon im Euter vorhanden zu sein. Leukocyten wurden in der Milch stets 
gefunden, von 35 bis 4380 in 1 ccm bei den einzeln untersuchten Kühen, 
von 21 bis 1980 in der Mischmilch. Beziehungen zwischen ihrer Zahl und 
derjenigen der Streptokokken konnten nicht aufgefunden werden. Die zu¬ 
erst gemolkene Milch ist am reichsten an Leukocyten. (Journ. of Hygiene, 
Bd. 6, S. 123; Ref. in Zentralbl. f. Bakt., Abt. 1, Ref., Bd. 40, S. 89.) 

R. Schuppius bespricht die von Trommsdorff (24. Jahresbericht, 
S. 594) angegebene Milchleukocytenprobe. Das Sediment in den Zentri¬ 
fugierröhrchen besteht nach Verfasser nicht ausschließlich aus Leukocyten, 
sondern enthält vor allem namhafte Mengen Fettkügelchen, ferner Kuhkot- 
bröckchen, Kuhhaare, Baumwollfasern aus den Milch-Seibtüchern und endlich 
Bakterien der verschiedensten Arten in großer Zahl. Die im Sediment ent¬ 
haltenen Leukocyten stammen im übrigen nicht von einer Eiterung her, da 
sie zum größten Teil solche mit eosinophilen Granulationen sind. Weiter 
zeigten Versuche mit Mischungen von Milch mit bekannten Eitermengen, 
daß aus der Menge der Leukocyten im Sediment sioh kein Schluß auf die 
Höhe des Eitergehaltes ziehen läßt, da der Leukocytengehalt verschiedener 
Eiterarten verschieden ist. Endlich ergab eine Nachprüfung der auf 
Trommsdorffs Veranlassung in den Handel gebrachten graduierten Zentri¬ 
fugierröhrchen, daß deren Graduierung ungenau war. (Arch. f. Hygiene, 
Bd.62, S. 137.) 

R. Tromrasdorff antwortet hierauf, daß in der Tat versehentlich 
seitens der mit der Ausführung seines Apparates betrauten Firma vereinzelte 
falsch graduierte Röhrchen vertrieben worden sind. Die übrigen Einwände 
von Schuppius spielen nur eine Rolle bei der Untersuchung von wenig 
Sediment gebender Milch; bei Milch von erkrankten Kühen treten im Sedi¬ 
ment Fettkügelchen und Milchschmutz wesentlich gegen die polynukleären 
Leukocyten zurück. Und wenn schließlich auch dann die Menge des Sedi¬ 
ments nicht im wissenschaftlichen Sinne der vorhandenen Eitermenge gleich 
zu setzen ist, so ist dies dennoch praktisch gerechtfertigt. Der Verfasser 
hält daran fest, daß seine Probe zur raschen und leichten Auffindung euter- 
kranker Kühe geeignet ist. (Arch. f. Hygiene, Bd. 63, S. 122a.) 

Säuerung der Milch. 

E. Büchner und J. Meisenheimer veröffentlichen eine Arbeit über 
Milchsäuregärung. Nachdem bei den Untersuchungen über die alkoho¬ 
lische Gärung durch Sproßhefe zwei neue Methoden znm Nachweis von 
Enzymen in Mikroorganismen ausgearbeitet waren, einerseits die Herstellung 
von Preßsaft, andererseits die Bereitung eines sterilen, aber gärwirksamen 
Dauerpräparates durch Töten der Lebewesen mittels Aceton, versuchten die 
Verfasser, ob sich ein Enzym der Milchsäuregärung mittels dieser Verfahren 
auffinden lassen könne. 

Dies gelang auch in der Tat in zwei ausführlichen Versuchen mit Aceton- 
Dauerpräparaten, die aus Reinkulturen von BacilluB Delbrücki hergestellt 
waren. Je 10 g der Dauerbakterien lieferten bei diesen Versuchen aus Rohr¬ 
zucker 2,1 bzw. 1,25 g Zinklaktat, was 1,26 bzw. 0,75 g Milchsäure entspricht. 
Durch die Versuche ist einwandfrei erwiesen, daß auch die Milchaäure- 


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Milch. Säuerung der Milch. 


537 


b&kterien, speziell Bacillus Delbrücki, die Spaltung des Zuckers zu Milch¬ 
säure mit Hilfe eines von der Lebenstätigkeit der Mikroorganismen abtrenn¬ 
baren Enzymes bewerkstelligen, welches als Milchsäurebakterienzymase 
bezeichnet werden kann. 

Außer dem zu diesen Versuchen dienenden Aceton-Dauerpräparat haben 
die Verfasser auch in einer Reihe von Fällen aus den gleichen Organismen 
Preßsaft dargestellt. In keinem Falle gelang es aber mit Hilfe des letzteren 
aus Zucker Milchsäure zu erhalten, was keinesfalls an zufälligen Versuchs¬ 
fehlern gelegen haben kann. Die Verfasser haben daher versucht, der Ursache 
der Unwirksamkeit des Preßsaftes weiter nachzuforschen und dabei die über¬ 
raschende Tatsache festgestellt, daß der Preßrückstand nach Einträgen in 
Aceton unverminderte Gärwirksamkeit bzw. Milchsäurebildung zeigte. Das 
wirksame Agens war also weder in den Preßsaft übergegangen, noch durch 
die Zerreibung oder die Acetonbehandlung merklich geschädigt worden, 
letzteres ein schlagender Beweis gegen die Auffassung der Milchsäuregärung 
als direkte Folge der Lebensvorgänge in den Organismen. (Liebigs Ann. d. 
Chem., Bd. 349, S. 125.) 

G. Eoestler verdanken wir umfassende Experimentalarbeiten über den 
Einfluß des Luftsauerstoffs auf die Gärtätigkeit typischer 
Milchsäurebakterien. Dieser Einfluß äußert sich in verschiedener Weise, 
je nach der Art der beteiligten Bakterien. Der Typus der kurzstäbchen¬ 
förmigen Milchsäurebakterien, in des Verfassers Versuchen repräsentiert durch 
Bact. Güntheri Lehm, et Neum., besitzt sehr geringe Empfindlichkeit 
gegen freien Sauerstoff, so daß der in flacher Kulturschicht erreichte Säure¬ 
grad demjenigen nur wenig nachsteht, der in hoher Schicht erreicht wird. Der 
Typus der langstäbchenförmigen Milchsäurebakterien (Typus des Bac. acidi- 
ficanslongissimusLeichm.), vertreten durch Bacillus casei e von Freuden¬ 
reich, zeigt hingegen eine sehr starke Empfindlichkeit gegen freien Sauer¬ 
stoff. Reichlicher Sauerstoffzutritt, z. B. bei Kultur in flacher Flüssigkeits- 
schicht, läßt überhaupt keine nennenswerte Gärung aufkommen, obwohl 
unter diesen Verhältnissen eine beträchtliche, wenn auch anscheinend krank¬ 
hafte vegetative Entwickelung des Spaltpilzes vor sich geht. Spärlicher 
Sauerstoffzutritt, wie er z. B. in 10 cm hoher Flüssigkeitsschicht sich geltend 
machen kann, ist sozusagen einflußlos, indem der hierbei erreichte Säuregrad 
mit jenem identisch ist, der sich unter im übrigen gleichen Verhältnissen bei 
künstlich geschaffener Anaerobiose ergibt. Ein Maximum der Säureproduk¬ 
tion und Auftreten der schönsten und typischsten Zellformen und -verbände 
werden aber bei mittlerem Sauerstoffzutritt erreicht, z. B. in den Versuchen 
des Verfassers bei einer Schichthöhe der Kulturflüssigkeit von etwa 40 mm. 

Der in einer Kultur des Bac. casei £, unter ganz bestimmten Verhält¬ 
nissen in Beziehung auf den Sauerstoffzutritt, erreichbare Säuregrad ist im 
übrigen von der Temperatur und dem Gehalt des Nährbodens an assimilier¬ 
baren Stiokstoffverbindungen abhängig. Je höher der Gehalt an letzteren 
und je günstiger die Temperatur, um so besser wird der Organismus dem 
schädigenden Einfluß des Sauerstoffs widerstehen. Zur Erreichung der 
höchsten Säuregrade in den Kulturen von Bac. casei £ ist die dauernde Ein¬ 
wirkung eines in bestimmter Weise eingeschränkten Sauerstoffzutrittes nicht 


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Nahrungs- und Genußmittel. 


notwendig. Der gärungsfördernde Effekt kann auch durch teilweises Lüften 
der Kultur mit Hilfe des Schütteins oder durch abwechselndes Aufstellen 
einer und derselben Kultur in flacher und hoher Schicht erzielt werden. Auf 
beiden Wegen werden Säuremengen produziert, die den bei dauernder An- 
aerobiose erzielten beträchtlich überlegen sind. Wesentliche Bedingung für 
das Gelingen dieser Versuche ist, daß die Lüftung nicht zu lange andauert, 
bzw. nicht zu kräftig wirkt, da sonst die Kultur von der erlittenen Schädigung 
auch bei nachfolgenden anaeroben Verhältnissen sich nicht mehr erholen 
kann. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. 2, Bd. 19, S. 40, 128, 236, 394.) 

Y. Sato stellte Untersuchungen über die Schleimbildung in Milch 
an. Er fand als Veranlasser derselben einen Diplococcus auf, den er Diplo- 
coccub viscosus nannte. Diese Kokken gedeihen nicht nur in Milch, 
Milchpeptongelatine oder anderen Molkenflüssigkeiten, sondern auch in 
Bouillon, Bierwürze usw. Sie wachsen nur auf neutralen oder schwach 
alkalischen Nährböden; selbst ganz schwache Säure verhindert ihre Ent¬ 
wickelung. Das Temperaturoptimum der Schleimbildung liegt zwischen 20 
und 25°, das Minimum bei 6° und das Maximum bei 37°. Doch bleibt der 
Kokkus auch bei 0° und bei 37° mehrere Tage lebensfähig, nur vermag er 
bei diesen Temperaturen nicht mehr zu wachsen. Die Kokken sind streng 
aerob, sie bilden kein Gas; die veränderten Nährlösungen zeigeu keine Reak¬ 
tion von Indol, Ammoniak und Sulfid. Ohne Kohlenhydrate können die 
Kokken gut wachsen und die Nährlösungen schleimig machen; aber die 
Anwesenheit der Kohlenhydrate fördert die Schleimbildung. Fett ist ohne 
Einfluß auf die Schleimbildung, Stickstoffverbindungen sind dagegen für die¬ 
selbe unentbehrlich, und zwar sind organische weit besser geeignet als an¬ 
organische. Mineralstoffe sind für das Wachstum der Kokken nicht absolut 
notwendig, doch können diese sich ohne dieselben nicht so stark entwickeln, 
daß die Nährlösungen schleimig werden. Die Ursache der Schleimbildung 
durch den Diplococcus viscosus ist weder in einer Umwandlung des Zuckers 
oder der Eiweißkörper zu sehen, noch auch in einer Quellung der Zell¬ 
membran, sondern man muß sie in der ungeheuren Anhäufung der Indivi¬ 
duen der schleimigen Organismen in dem geeigneten Nährsubstrat erblicken. 
(Zentralbl. f. Bakt., 2. Abt., Bd. 19, S. 27.) 

Sauermilchpräparate. 

(Yoghurt, Mazun.) 

F. Fuhrmann stellte Untersuchungen über Yoghurt an. Dies ist 
eine in Bulgarien und in der Türkei weit verbreitete Sauermilch, die durch 
Einimpfen eines besonderen Fermentes namens „Maya“ in kurz abge¬ 
kochte und wieder abgekühlte Milch hergestellt wird. Verfasser untersuchte 
eine Maya, die seitens eines Pariser Laboratoriums in den Handel gebracht 
wird. Mikroskopisch fanden sich in dieser Maya in großer Anzahl kugelige 
Bakterien, die aber nicht den Eindruck echter Kokken hervorrufen, sondern 
sehr kurze und an den Enden abgerundete Stäbchen darstellen; sie sind in 
ausgesprochenen Kettenverbänden angeordnet. Daneben gewahrt man noch 
in weitaus geringerer Zahl schlankere, ebenfalls zu Ketten vereinigte Stäb¬ 
chenbakterien und in sehr geringer Menge Hefezellen. Durch das Plntten- 


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Milch. Sauermilchpräparate. 


539 


verfahren mit Molken-Agar und Fleischwasserpepton-Agar konnte Verfasser 
dreierlei Mikroorganismen rein züchten. Von diesen konnten die schlankeren 
Stäbchen weder die Milch nennenswert säuern, noch eine Gerinnung derselben 
hervorrufen. Dann fand sich noch eine sporenbildende Saccharoraycesart, 
die gleichfalls keine Säuerung und nur eine nebenhergehende Alkoholbildung 
hervorrief, die bei dem Yoghurt keine wesentliche Rolle spielt Die Formen 
der dritten Art waren in weitaus größter Menge zugegen und gehören zur 
großen Gruppe der Milchsäure bildenden Streptobazillen. Sie rufen in erster 
und einziger Linie jene Veränderungen in der gekochten Milch hervor, die 
dem Yoghurt eigentümlich sind, nämlich die schwache Milchsäuregärung und 
die Bildung eines eigenartig angenehmen Riech- und Geschmackstoffes. 

Der Verfasser stellte mit Hilfe von Maya sowohl aus Milch, die auf die 
Hälfte ihres Volumens eingekocht war, als auch aus im strömenden Dampf 
sterilisierter Milch Yoghurt her. Außerdem untersuchte er auch das Produkt 
der Einwirkung der mit Streptobazillen-Reinkultur geimpften sterilisierten 
Milch. Die Zusammensetzung der letztgenannten Produkte war: 


1 

1 Sterilisierte 

Kuhmilch 

1 

Proz. 

Mit 

Streptobazillen 

hergestellter 

Yoghurt 

Proz. 

Mit 

Maya 

hergestellter 

Yoghurt 

Proz. 

Kasein und Albumin. 

3,73 

3,69 

3,34 

Fett. 

3,13 

3,12 

3,09 

Milchzucker. 

4,83 

4,22 

3,82 

Nichtflüchtige Säuren, als Milchsäure . 

0,094 

0,558 

0,620 

Flüchtige Säuren, als Essigsäure . . . 

0 

0,017 

0,026 

Fettfreie Trockensubstanz. 

9,67 

9,69 

10,14 

Alkohol . 

0 

0 

0,089 

Aldehyd . | 

0 1 

1 

0 

Spuren 


Verfasser ist der Meinuug, daß die Maya durch die Streptobazillen- 
Reinkultur ersetzt werden könne und daß ein mit Hilfe der letzteren dar¬ 
gestelltes Produkt den Vorzug einer einheitlicheren Beschaffenheit bieten 
würde. Gleichfalls im Interesse der Einheitlichkeit der Zusammensetzung 
legt der Verfasser den Gedanken nahe, bei der Herstellung nicht von frischer 
Kuhmilch, sondern von Trockenmilch auszugehen. Nahezu sterile Trocken¬ 
milchpulver, wie z. B. das unter dem Namen „Gallak“ im Handel befindliche 
Präparat, brauchten nur mit abgekochtem Wasser in sterilisierten Gefäßen 
angerührt und dann geimpft zu werden. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- 
u. Genußmittel, Bd. 13, S. 598.) 

M. Guerbet fand in der als Yoghurt bezeichneten Sauermilch eine 
ähnliche Mikrobenflora, wie E. Rist und J. Khoury im ägyptischen 
„Leben“ (Annales de lTnstitut Pasteur, Bd. 16, S.66), nämlich Strepto¬ 
bacillus Lebenis, Bac. Lebenis, Diplococcus Lebenis, Saccharomyces und 
Mycoderma Lebenis. Von fünf analysierten Yoghurtproben wiesen zwei alle 
fünf Mikroben auf, eine enthielt nur Diplokokken und Streptobazillen, eine 
nur Saccharomyces und Bacillus Lebenis und die letzte endlich nur Strepto¬ 
bazillen. Die Analysen ergaben folgende Schwankungen: 


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640 


Nahrungs- und Genußmittel. 



Prozent 

Milchsäure. 

0,34 bis 0,56 

Flüchtige Säure. 

0,011 „ 0,021 

Alkohol. 

0,012 , 0,023 

Aldehyd. 

8pur 


Aue den Untersuchungen des Verfassers ergibt sich, daß der im Yog¬ 
hurt vorhandene Alkohol bazillären Ursprungs ist und daß die Streptobazillen 
genügen, um Miloh in Yoghurt zu vergären. (Compt. rend. de la societe de 
biologie, Bd. 60, S. 495; Ref. in Zentralbl. f. Bakt., Abt. 2, Bd. 19, S. 336.) 

G. Bertrand und G. Weisweiller stellten im Institut Pasteur 
ausführliche Untersuchungen über die Einwirkung des zur Yoghurt- 
Bereitung dienenden bulgarischen Ferments auf die Milch dar. Die 
Milch wurde durch halbstündiges Erhitzen auf 110° sterilisiert und danach 
mit dem Ferment geimpft; die Änderung ihrer Zusammensetzung infolge der 
Gärung läßt folgende Tabelle erkennen. 


Alter 

der 

Kultur 

Kasein 

Löslicher 

Stickstoff 

Asche 

Fett 

Abnahme des 
Zuckers 
(berechnet als 
Hexosen) 

Zunahme an 
Säure 

(berechnet als 
Milchsäure) 

Tage 

Proz. 

Proz. 

Proz. 

Proz. 

Proz. 

Pro*. 

0 

3,11 

0,056 

0,055 

0,51 

_ 

_ 

1 

2,96 

0,083 

0,014 

0,53 

0,50 

0,41 

2 

2,90 

0,099 

0,029 

0,51 

1,42 

1,27 

3 

2,88 

; 0,091 

0,017 

0,52 

1,85 

1,65 

5 

2,85 

0,099 

0,011 

0,49 

2,17, 

2,02 

12 

2,84 

0,101 

0,006 

0,52 

2,21 

2,22 

30 

2,75 

0,103 

0,009 

0,50 

2,35 

2,29 


Das bulgarische Ferment führt hiernach eine kleine Menge Kasein in 
lösliche Stickstoffverbindungen über. Die Einwirkung auf das Fett ist offen¬ 
bar sehr gering; der wesentlichste Vorgang hingegen ist die Überführung 
des Milchzuckers in Milchsäure. Im einzelnen ergaben die Studien der Ver¬ 
fasser, daß hierbei zunächst der Milchzucker durch eine Laktase in Glukose 
und Galaktose hydrolytisch gespalten wird, und daß alsdann diese Zucker¬ 
arten zu einem Gemisch von 1- und d-Milchsäure vergären, in welchem die 
letztere vorherrscht. Neben der Milchsäure, deren Menge leicht 2,5 Pros, 
erreicht, findet man etwas Bernsteinsäure (etwa 0,05 Proz.), ungefähr ebenso¬ 
viel Essigsäure und endlich höchst wahrscheinlich sehr kleine Mengen 
Ameisensäure. Unter den flüchtigen Substanzen der entstandenen vergorenen 
Flüssigkeiten konnten weder Alkohol, noch Aceton, noch Acetylmethylkarbinol 
gefunden werden. 

Die Verfasser schreiben, die von ihnen verwendete Milch könne nach 
der angeführten Analyse „als unverfälscht angesehen werden“. Damit stehen 
die in der Tabelle mitgeteilten Zahlen über den Fettgehalt nicht im Einklang. 
(Liebigs Ann. d. Chem., Bd. 351, S 486.) 


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Milch. Sauermilchpräparate. 641 

C. Strzyzowski knüpft an die Äußerungen Metsohnikoffs und 
anderer an, die in dem Genuß von Yoghurt ein Mittel erblicken, das 
menschliche Leben zu verlängern, weil es die schädlichen Wirkungen der Darm¬ 
bakterien paralysieren und den Organismus vor Autointoxikation schützen 
8olL Verfasser hebt demgegenüber hervor, daß Yoghurt in den Balkan¬ 
staaten überall nur als N ä h r mittel gilt. Als Prophylaktikum oder Heilmittel 
bat er dasselbe in Bulgarien niemals verwertet gesehen. Ebensowenig ist 
ihm bekannt, daß dort die Leute infolge des Gebrauches dieser Sauermilch 
sich einer überaus guten Gesundheit erfreuen und — wie die Tageszeitungen 
mit Beziehung auf die vorliegende Frage berichten — ein besonders hohes 
Alter erreichen. 

Im experimentellen Teile seiner Arbeit führt Verfasser aus, daß die im 
Handel befindlichen Mayafermente gegenüber dem echten bulgarischen 
Yoghurtferment minderwertig sind und im allgemeinen weder ein Produkt 
von den äußeren Eigenschaften des echten Yoghurt, noch auch von der hohen 
Azidität desselben hervorzurufen geeignet sind. (Therap. Monatsh., Bd. 21, 
S. 529.) 

H. Weigmann, Th. Gruber und H. Huss untersuchten die Mikro¬ 
organismen des armenischen Mazun, einer sauren Milch mit aroma¬ 
tischem Geschmack. Sie fanden darin zwei spezifische Organismen, peritrich 
begeißelte sporenbildende Stäbchen, die doppelt bis vielfach so lang als breit 
sind und die sie Bacillus Mazun nannten, sowie das bereits von Düggeli 
angegebene unbegeißelte, unbewegliche Bacterium Mazun. Daneben fand 
sich noch eine Hefe, die auf Grund der Form ihrer Zellen und der Sporen¬ 
bildung, sowie ihres sonstigen Verhaltens sich als Saccharomyces Pastorianus 
erwies. In sterilisierter Magermilch veranlaßte diese Hefe Vergärung des 
Milchzuckers unter Gasbildung; auch erzeugte sie ein angenehmes frucht¬ 
esterartiges Aroma. Dieses blieb auch dann bestehen, wenn die Hefe mit 
gewöhnlichen Milchsäurebakterien und den übrigen in den Mazunproben 
Vorgefundenen Organismen zusammen geimpft wurde. Geschah das letztere 
in größerem Maßstahe, so erhielt man ein sehr angenehm säuerlich schmecken¬ 
des Getränk, das man aber vor der Gerinnung der Milch genießen mußte, 
denn nach eintretender Gerinnung war der Geschmack so sauer, daß sich 
selbst kleine Mengen nicht genießen ließen. 

Dieser stark saure Geschmack wird von dem erwähnten Bacterium 
Mazun hervorgerufen, welches als ein wesentlicher, speziell dem Mazun 
eigentümlicher und für dieses charakteristischer Bestandteil angesehen 
werden muß. Als ein weiterer nicht minder charakteristischer stetiger Be¬ 
standteil des Mazun muß aber auch Bacillus Mazun gelten. Dieser, die Milch 
peptonisierende und ihr namentlich beim Älterwerden einen käseartigen Ge¬ 
schmack verleihende Organismus scheint, wenn auch weniger hei dem frischen 
Mazun, so doch bei den Than und Tschorathan, also bei dem aus Mazun 
gewonnenen Quark und Käse, eine geschmackbildende Rolle zu spielen. 
Neben all den genannten Mikroorganismen sind übrigens auch die sich außer¬ 
dem im Mazun findenden gewöhnlichen MilchBäurebakterien (Bact. Güntheri 
oder Streptococcus lacticus), sowie auch Oidium lactis nicht ganz ohne merk¬ 
lichen Einfluß. 


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542 


Nahrungs- und Genußmittel. 


Es ist schon mehrfach der Vorschlag gemacht worden, die mittels „Kehr¬ 
pilzen“ oder „Mazunhefe“ angesäuerte Milch als Säurewecker für die Be¬ 
reitung einer aromatischen Butter zu verwenden. In dieser Richtung 
angestellte Versuche der Verfasser ergaben jedoob, daß die charakteristischen 
Mikroorganismen des Mazun für die Ansäuerung von Rahm behufs Butter¬ 
bereitung technisch unbrauchbar sind. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. 2, Bd. 19, 
S. 70.) Grünhut. 

Säuglingsernährung. 

H. Finkeistein stellte in einer zuBammenfassenden Arbeit die An¬ 
schauungen dar, zu denen er über die mit den Ernährungsstörungen zu¬ 
sammenhängenden Erkrankungen der Säuglinge gelangt ist. Er faßt die 
betreffenden Erscheinungen als Unterformen eines klinisch wöhldefinierten 
Krankheitsbildes auf, das sich als „alimentäre Intoxikation“ darstellt. 
Die spezifischen Kennzeichen der Intoxikation, deren Berücksichtigung eine 
scharfe Abgrenzung gegen ähnliche Zustände ermöglicht, sind die folgenden: 
1. Bewußtseinsstörung; 2. eigenartige Veränderung des Atemtypus, und zwar 
„große“, vertiefte, pausenlose, etwas beschleunigte Atmung; 3. alimentäre 
Glykosurie, und zwar Ausscheidung von Milchzucker und Galaktose; 4 . Fieber; 
5. Kollaps; 6. Durchfälle; 7. Albuminurie und Zylindrurie; 8. Gewichtssturz; 
9. Leukocytose. 

Die Intoxikation kann in mannigfaltiger Gestalt erscheinen. Die Be¬ 
wußtseinsstörung kann alle Stufen von eben wahrnehmbarer Somnolenz bis 
zum tiefen Koma oder bis zur wilden Erregung durchlaufen, das Fieber 
zwischen subfebrilen und hohen Werten wechseln oder in Untertemperatur 
Umschlägen. Die Störung der Darmfunktionen steigert sich keineswegs 
immer bis zu den stürmischen Erscheinungen deB Brechdurchfalls, oft genug 
fehlt sie so gut wie ganz. Entsprechend verhält sich Wasserverlust und 
Gewichtsabfall. Die Verminderung des Blutdruckes bietet alle Stadien bis 
zum schweren Kollaps, und ähnlich wechselt Eiweiß- und Zylindergehalt 
des Urin 8. 

Die Verbreitung von Zuständen, die sich mit Hilfe der scharfen sympto- 
matologischen Abgrenzung als Vertreter der Intoxikation zu erkennen geben, 
ist außerordentlich groß. Vor allem finden sich Beispiele typischer Ent¬ 
wickelung in großer Zahl im Verlaufe der akuten Ernährungsstörungen und 
Gastroenteritiden; aber auch im Rahmen der chronischen Ernährungsstörungen 
und der „Atrophie“ behauptet die Intoxikation ihre Bedeutung. Die nächsten 
Verwandten des Krankheitsbildes müssen in den großen Stoffwechsel¬ 
katastrophen der Urämie, der Cholämie und vor allem des Koma diabeticum 
gesucht werden. 

Stets stehen die Intoxikation sowie ihre Prodrome in Beziehung zu einer 
willkürlichen und fehlerhaften Erhöhung der Nahrungsmenge, und mit Aus¬ 
nahme der allerschwersten Fälle läßt sie Bich zur Heilung führen durch 
völlige Nahrungsentziehung unter Darreichung indifferenter Flüssigkeiten 
(Wasser, physiologische Kochsalzlösung, ungezuckerter Tee). Was nun die 
einzelnen Bestandteile der Kindernahrung anbelangt, so kann beinahe jeder 
derselben, wenn er über ein bestimmtes Maß hinaus gereicht wird, Intoxikations¬ 
erscheinungen hervorrufen. Das gilt für Zucker jeder Art, für Kindermehle, 


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543 


Säuglingsernährung. 

die lösliche Kohlenhydrate enthalten, für Fett. Von großer praktischer 
Bedeutung ist es, daß die Folgen der Fettdarreichung auch dann zu ge¬ 
wärtigen sind, wenn dem kranken Kinde Frauenmilch verabreicht wird. 
Intoxizierte Kinder, die sich an der Brust nicht erholen, können oft in 
kurzer Zeit entgiftet werden, wenn man nach Einschaltung eines Hunger¬ 
tages die Ernährung mit kleinsten, nur sehr vorsichtig gesteigerten Mengen 
wieder aufnimmt. Auch die Magermilch ist in ihrer Beziehung zur Intoxikation 
kein ganz gleichgültiger Stoff; von ihren Bestandteilen scheint daB Kasein 
ohne jeden Nachteil zu sein, während die Molke nicht ganz indifferent ist. 

Die Intoxikation besitzt geradezu die Eigenschaft einer gesetzmäßigen 
Reaktion auf Veränderungen der Kost nach Art und Menge, sie ist alimentären 
Ursprungs. Es kommt zu ihr in dem Augenblicke, wo dem in bestimmter 
Weise schon erkrankten Kinde größere Mengen von Gesamtnahrung oder 
von einzelnen Nahruugsbestandteilen verabreicht werden, als wie der in 
seiner Toleranz geschädigte Organismus zurzeit in normaler Weise ver¬ 
arbeiten kann. 

Bei der Frage nach der Art der die Intoxikation bedingenden Gifte, ob 
Bakteriengifte oder Stoffwechselgifte, kommt Verfasser zu dem Ergebnis, 
daß von dem, was die Klinik lehrt, nichts für, wohl aber nahezu alles gegen 
eine Beteiligung von Bakteriengiften spricht. Hingegen spricht alles dafür, 
den Symptomenkomplex der Intoxikation als Ausdruck einer alimentären 
Vergiftung infolge abnormer Schicksale der Nahrung im inter¬ 
mediären Stoffwechsel anzusehen. Oie nähere Bestimmung der Art 
der Stoffwechselgifte ist allerdings zurzeit noch unmöglich, auch besteht 
zunächst noch keinerlei Berechtigung, diejenigen Nahrungsbestandteile, deren 
Beigabe den Vergiftungszustand erzeugt, ohne weiteres auch als Mutter¬ 
substanz der tatsächlich wirkenden Gifte anzusehen. (Jahrbuch f. Kinder¬ 
heilkunde, Bd. 65, S. 1 u. 263; Bd. 66, S. 1.) 

F. Hamburger lieferte eine zusammenfassende Arbeit über die Frage 
der direkten Eiweißresorption bei der Säuglingsernährung Als 
Ergebnis der bisherigen, vorwiegend nach der Präzipitinmethode angestellteu 
Untersuchungen kann gelten, daß beim erwachsenen Menschen vom Darm 
aus Serumeiweiß bestimmt nicht, Eiklar und Milcheiweiß wahrscheinlich 
nicht resorbiert wird. Anders lautet das Resultat für Neugeborene. Eine 
Diskussion der vorliegenden Tierversuche und eine erfolgreiche Wiederholung 
des berühmten Ehrlichschen Versuches (bei welchem Mäuse, die von Mäusen 
gesäugt wurden, die gegen Rizin immunisiert waren, vermehrte Widerstands¬ 
fähigkeit gegen Rizin erwarben) lehrten, daß bei Säugetieren im allgemeinen 
ein Teil des Muttermilcheiweißes von den Neugeborenen resorbiert wird. 
Frageu wir, welche Eiweißkörper das sind, so lehrt uns die Antitoxinmethode, 
daß das Globulin der Milch resorbiert wird. Ganz ähnlich dürfte sich das 
Albumin verhalten, während wir für das Kasein mit Wahrscheinlichkeit den 
Schluß ziehen dürfen, daß es nicht resorbiert wird. Wenn man auch die 
Menge des resorbierten Eiweißes bisher noch nicht bestimmt hat, so kann 
man doch jedenfalls sagen, daß es sich nur um geringe Bruchteile der ein¬ 
geführten Eiweißmenge handelt (vgl. L. Langstein, 24. Jahresber., S. 603). 
Über die Dauer dieser Eiweißresorption lehrte ein Versuch des Verfassers 


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544 


Nahrungs- und Genußmittel. 


an Ziegen, daß sie sich bis in die vierte Woche nach der Geburt erstrecken 
kann. Wie lange beim Menschen diese Resorptionsmöglichkeit dauert, läßt 
sich auf Grund des bisher geförderten Materials noch nicht beurteilen. 

Wenn wir nach vorstehendem die Frage der Eiweißresorption bei der 
natürlichen Ernährung der Hauptsache nach beantworten können, so Behen 
wir weit weniger klar bei der künstlichen Ernährung, insbesondere bei 
der Ernährung mit Kuhmilch. Freilich können wir die Frage beantworten, 
wie sich neugeborene Tiere bei der Fütterung mit artfremdem Blutserum 
oder von Eiereiweiß verhalten, aber wie es mit der Eiweißresorption bei Er¬ 
nährung mit Kuhmilcheiweiß steht, das können wir vorderhand auch nicht 
mit annähernder Sicherheit beurteilen. Nur so viel kann man sagen, daß, 
wenn es beim Kuhmilcheiweiß überhaupt zur Resorption kommt, daß 
dann jedenfalls nur kleinste Mengen davon betroffen werden. Dennoch 
glaubt Verfasser, daß in diesem Falle nicht ausgeschlossen sei, daß selbst 
die Anwesenheit geringer Mengen artfremden Eiweißes eine gewisse Schädigung 
für den Säugling bedeuten kann. (Jahrb. f. Kinderheilkunde, Bd. 65, Er¬ 
gänzungsheft, S. 15.) 

L. Moll stellte Versuche über das Verhalten des jugendlichen 
Organismus gegen artfremdes Eiweiß an. Er hat die Versuche an 
Kaninchen ausgeführt, da sich dieses Tier gegen artfremdes Eiweiß am 
empfindlichsten erwies; injiziert wurden reine Eiweißlösungen, meistens 
Nutrose- oder Serumglobulinlösungen. Das Ergebnis war, daß der junge 
Organismus auf das artfremde Eiweiß zwar mit denselben Mitteln reagiert, 
wie der erwachsene Organismus, aber in weit schwächerer Weise, da er 
dasselbe als eine geringere Schädlichkeit empfindet. Je jünger das Tier, 
um so kleiner war die Gegenreaktion, um so größer seine Widerstandskraft 

Bei einer weiteren Versuchsreihe trat auch in Beziehung auf die Bildung 
von Antikörpern im Serum ein durchgreifender Unterschied zwischen jungem 
und erwachsenem Organismus zutage, der in einer natürlichen größeren 
Resistenz des ersteren seinen Grund hat. Das junge Tier reagiert schwächer, 
weil es von der gleichen Giftdosis weniger geschädigt wird, weil es nicht nötig 
hat und nicht gezwungen ist, gegen dieselbe mit den gleich starken Abwehr¬ 
maßregeln zu antworten. (Verhandl. d. 24. Versammlung d. Gesellschaft f. 
Kinderheilkunde, S. 59.) 

Langer fand, daß sich durch Injektion von Kuhkolostrum in Kaninchen 
ein viel präzipitinreicheres Serum gewinnen läßt, als durch Injektion von 
Kuhmilch. Mit Hilfe dieses hochwertigen Kolostrum-Antiserums gelang es 
ihm, den Übergang von Kuhmilcheiweiß in das Blut des neu¬ 
geborenen Menschen und Tieres nachzuweisen. Der zu diesem Zwecke 
verwendete Wurf einer Hündin ergab in variierter VerBuchsanordnung ebenso 
ein positives Ergebnis, wie auch ein mit Kuhkolostrum von Geburt an er¬ 
nährtes Kind, das an einer inoperablen Spina bifida litt und innerhalb 8 Tagen 
an dieser Affektion zugrunde ging. Ebenso konnte der Beweis für die 
Resorption arteigenen Eiweißes erbracht werden; bei allen untersuchten 
Kälbern präzipitierte das Blutserum bereits 6 bis 8 Stunden nach der 
ersten Nahrungsaufnahme auf Zusatz von Kolostrumantiserum. (Verhandl. 
d. 24. Versammlung d. Gesellschaft f. Kiuderheilkunde, S. 70.) 


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Säuglingsernährung. 


646 


Moro und M. Engelhard lieferten experimentelle Beiträge zur 
Frage der künstlichen Säuglingsernährang. In einer ersten Versuchs¬ 
reihe wurden wenige Tage alte Kaninchen und Meerschweinchen mit 
Kuhmilch ernährt Es ergab sich, daß die Kuhmilch, gleichgültig ob roh 
oder sterilisiert, auf die jungen Tiere einen deletären Einfluß ausübte. Da 
der Gedanke nahe lag, daß die beobachteten schweren Ernährungsstörungen 
bei den Kaninchen auf die geringere Konzentration der Kuhmilch gegenüber 
der dreimal kalorienreicheren Kaninchenmilch zurückzuführen seien, wurden 
die Versuche nochmals mit „konzentrierter", d. h. durch Sahne-Nutrose und 
Salzzusatz angereicherter Kuhmilch wiederholt Auch hier trat die tödlich 
verlaufende „Kuhmilchkrankheit“ ein. 

Diese Krankheit trägt zweifellos den Charakter einer „alimentären 
Intoxikation" (vgl. S. 542) an sich. Für ihr Zustandekommen muß nach 
Verfasser zweifellos den Darmbakterien eine wesentliche Rolle zugeschrieben 
werden, aber als einziges ursächliches Moment kommen sie nicht in Betracht 
Dafür spricht, daß bei mäßigem allaitement mixte mit der arteigenen Milch 
die Tiere auf Kuhmilch nicht merklich reagierten. 

Eine weitere Versuchsreihe lehrte, daß junge Meerschweinchen bei rein 
vegetabilischer Aufzucht viel leichter am Leben erhalten werden können, 
wenn sie zuvor auch nur einige oder sogar nur einen Tag Brusternährung 
erhalten hatten. In ihrer Übertragung auf die Verhältnisse beim Menschen 
illustrieren diese Versuche die Berechtigung der Lehre, die einer, obgleich 
nur auf die ersten Lebenswochen beschränkten natürlichen Ernährung 
einen großen Einfluß auf das Schicksal und auf das weitere Gedeihen der 
Säuglinge zuschreibt. (Verhandl. d. 24. VersammL d. Gesellschaft f. Kinder¬ 
heilkunde, S. 74.) 

G. B. Allaria veröffentlichte Untersuchungen über das Verhalten 
von Lösungen im Säuglingsmagen, die einen bemerkenswerten Beitrag 
zur Frage nach der Bedeutung der osmotischen Konzentration der Säuglings¬ 
nahrung für die Ernährung bilden. Als Hauptergebnis ist festzustellen, 
daß beim Säugling nur sehr langsam — viel langsamer als beim Erwachsenen 
— ein Ausgleich eines osmotischen Spannungsunterschiedes zwischen Magen¬ 
inhalt und Körperflüssigkeiten erfolgt, daß also das Phänomen der Gastro- 
isotonie bei ihm praktisch bedeutunglos ist. Der Mageninhalt geht sonach 
beim Säugling in den Darm über, ohne zuvor wesentliche Veränderungen 
in der osmotischen Konzentration erfahren zu haben. 

Während die natürliche Nahrung des Kindes im ersten Lebensjahre, 
die Milch, eine dem Blute gleiche osmotische Konzentration besitzt, sind 
zahlreiche öder vielmehr nahezu alle Kindernährmittel anisotonisch (vgl. 
H. Stoeltzner, 24. Jahresber., S. 610), die meistgebrauohten davon hyper¬ 
tonisch. Der Darminhalt des künstlich genährten Säuglings ist also in der 
Regel gleichfalls hypertonisch uod — infolge des physiologischen Bestrebens, 
isotonisch zu werden — bedingt er eine starke Wasserwanderung nach dem 
Darm. Diese Erscheinung bringt Verfasser in kausale Beziehung zu den 
chronischen Säuglingsdiarrhöen. In dieselbe Ordnung von Tatsachen gehört 
auch die heilsame Wirkung der (hypotonischen) Wasserdiät bei der akuten 
Gastroenteritis der Säuglinge. (Jahrb. f. Kinderheilkunde, Bd. 66, S. 259.) 

Vierteljahrs schritt fttr Gesundheitspflege, IVOS. Supplement. oe 


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546 


Nahrungs- und Genußmittel. 


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suchskindern eine posi¬ 



tive Kalkbilanz, auch bei 



den Kindern S. und M., 



die Symptome von mani¬ 



fester Rachitis boten. 



In Behr deutlichem Kon¬ 



trast stehen hierzu die 



beiden Vollmilchver¬ 



suche, die eine beträcht¬ 


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liche negative Kalk¬ 


3 

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bilanz aufweisen, der 

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eine bei positiver, der 


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anderer bei negativer 




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Säugling9ernährung. 547 

Stickstoffbilanz. Die übrigen Versuche ergeben, daß auch eine kohlenhydrat¬ 
reiche Nahrung eine negative Kalkbilanz fördert, aber — wie es scheint 
— in geringerem Maße als eine fettreiche Nahrung. Die Resultate des 
Verfassers stehen im Einklang mit der unveröffentlichten Wahrnehmung 
A. Czernys, der bei einer großen Reihe von Kindern schwere Rachitis bei 
Vollmilchernährung beobachtet bat. Die Versuche zeigen ferner, daß Stick¬ 
stoff- und Kalkbilanz bei künstlich genährten Säuglingen keine Über¬ 
einstimmung zeigen. (Jahrb. f. Kinderheilkunde, Bd. 66, S. 69.) 

W. Birk hat an diese Versuche Rothbergs solche über den Magnesia- 
Stoffwechsel des Säuglings angeschlossen, indem er in den gleichen 
Versuchsperioden, in denen jener den Kalkstoffwechsel untersuchte, die 
auf den Magnesiastoffwechsel bezüglichen Arbeiten ausführte. Die folgende 
Tabelle schließt sich daher ergänzend an die zu dem vorangehenden Referat 
gehörige an; sie bezieht sich, wie jene, auf den Tagesdurchschnitt. 


Art der Nahrung 


( 

j Einfuhr . . 

g 

Magermilch < 

Ausnutzung . 

Proz. 

1 

Ansatz . . . 

g 

• 

Einfuhr . . 

g 

Vollmilch l 

Ausnutzung . 

Proz. 

1 

Ansatz . . . 

g 

V* Vollmilch 4" j 

ü Einfuhr . . 

g 

Kohlenhydrate 1 
(gemälzte Mehl- j 

Ausnutzung . 

Proz. 

suppe) 1 

Ansatz . . . 

g 


j Einfuhr . . 

g 

*/, Vollmilch 1 
-4- Milchzucker | 

i' Ausnutzung . 

Proz. 

1 

Ansatz . . . 

g 

Magermilch i 

1 Einfuhr . . 

g 

-4- Kohlenhydrate J 
(Mehl u. Milch-1 

Ausnutzung . 

Proz. 

zucker) 1 

Ansatz - • • 

li 

g 


Magnesia 

Kind (i. 

Kind S. 

Kind M. 

| Kind H. 

1 Kind B. 

0,1074 

0,0979 

0,1276 

0,1329 

_ 

23 

22 

26 

14 

— 

0,0660 

0,0491 

0,0808 

0,0358 

— 

0,1014 

0 

-0,0644 | 

0,0915 

A 

— 

— 

— 

u 

-0,0388 


— 

— 

0,1308 

0,1124 l 

0,1304 

— 

— 

11 

0 

35 

— 

— 

0,0006 

-0,0155 

0,0705 | 

— 

— 

— ' 

— 


i 

0,0986 

32 

0,0854 

— 

— 

— 

— 

0,0724 ; 
0 

-0,0682 , 

— 

— 

— 

— 


— 

— 

— 


Die beste Retention der Magnesia findet sich bei Magermilch, fügt man 
zu dieser Nahrung das Fett hinzu (Vollmilch), so verschlechtert sich die 
Retention wesentlich, und es kommt zur negativen Bilanz. Verschlechternd 
wirkt auch der Zusatz von Kohlenhydraten. (Jahrb. f. Kinderheilkunde, 
Bd. 66, S. 300.) 


M. Soldin stellte Untersuchungen über die Darmfäulnis im Säug¬ 
lingsalter bei verschiedenartiger Ernährung an. Als Maß- 
stab der Darmfäulnis diente die Bestimmung der für dieselbe charakte¬ 
ristischen Harnbestandteile. Bei gesunden Ammenkindern finden sich 
relativ hohe Werte für die Gesamtschwefelsäure; bei künstlicfi ge¬ 
nährten Kindern finden sich die höchsten Werte für die Gesamtschwefel¬ 
säure-Ausscheidung bei der Ernährung mit Buttermilch, während bei 
Malzsuppen-Ernährung, entsprechend dem geringen Proteingehalt der Kost, 
auch geringere Mengen Gesamtschwefelsäure ausgeschieden wurden. Die 

35* 


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548 


Nahrungs- und Genußmittel. 

niedrigsten Werte für Äthersohwefels&ure fanden sich bei den Brust¬ 
kindern; die höchsten Werte ergaben sich bei Malzsuppen-Ernährung, sie 
werden niedriger bei Ernährung mit Kuhmilch und am niedrigsten bei 
Ernährung mit Buttermilch. Völlig entsprechend den Ätherschwefelsäuren 
verhalten sich auch die Phenole; beiderlei Bestandteile erscheinen ja auch 
größtenteils miteinander gepaart im Urin. Indikan war bei sämtlichen 
Kindern nur in Spuren vorhanden. — Die Menge der flüchtigen organi¬ 
schen Säuren war bei sämtlichen künstlich ernährten Kindern höher als 
bei den Brustkindern, sie war am höchsten bei Buttermilch-, niedriger bei 
Kuhmilch-, am niedrigsten bei Malzsuppen-Ernährung, aber auch bei dieser 
immer noch höher, als bei Darreichung von Frauenmilch. (Jahrb. f. Kinder¬ 
heilkunde, Bd. 65, S. 292.) 

G. Dietrich hat in einem sehr ausführlichen, insbesondere auch mit 
reichlichem statistischen Material über Säuglingssterblichkeit ausgestatteten 
Referat über die Säuglingsfürsorge auch die Ernährungsfrage berück¬ 
sichtigt. Hier sei die folgende Tabelle über die bei den Volkszählungen 
1885 bis 1905 in Berlin festgestellten Ernährungsarten der Kinder im 
ersten Lebensjahr wiedergegeben. Die Zahlen bedeuten Prozente aller ge¬ 
zählten Kinder im ersten Lebensjahr. 


Ernährungsart 

1885 

1890 

1895 

1900 

1905 


allein. 

! 55,22 

50,70 

43,14 

31,37 

31,21 

Muttermilch 

mit Tiermilch (event. 
auch sonst. Nahrung) 

3,94 

1,57 

1,78 

3,55 | 

3,65 


j mit anderer Nahrung . 

0,17 

0,15 

0,73 

1,40 

0,55 


allein. 

2,65 

2,24 

1,44 

0,68 

0,56 

Ammenmilch 

i mit Tiermilch (event. 
auch sonst. Nahrung) 

0,08 

0,03 

0,05 

0,02 

0,04 


mit anderer Nahrung . 

0,02 

0,01 

0,01 

0,01 

0,01 

Brustmilch (Mutter- 1 
u. Ammenmilch zus.) j 


57,87 

52,94 

44,58 

32,05 

31,77 

1 mit anderer Nahrung . 

4,21 

1,76 

2,57 

4,98 

4,25 

| überhaupt . 

62,08 

54,70 

47,15 

37,03 

36,02 

( 

, allein. 

33,92 

42,28 

45,34 

49,69 

55,82 

Tiermilch < 

mit anderer Nahrung 
|| außer Brustmilch . 

0,82 ' 

0,77 

5,87 

5,85 

j 4,90 

Andere Ernährungsart 

. 

1,73 

2,23 j 

1,46 1 

3,87 

i 2,95 

Ernährungsart unbekannt. 

1,45 | 

o.os: 

0,20 

3,75 

0,32 


(Bericht über den 14. internationalen Kongreß für Hygiene, Bd. 2, S. 393.) 


Der Reichshaushaltsetat des Berichtjahres enthält einen namhaften 
Beitrag zu den Unterhaltungskosten einer Anstalt zur Bekämpfung der 
Säuglingssterblichkeit. Die Anstalt soll den Umfang und die Ursachen 
der Säuglingssterblichkeit wissenschaftlich erforschen und Unterlagen für die 
zu ergreifenden Abwehrmaßregeln beschaffen. Außer einer Schule für 
Säuglingspflegerinnen sind vorgesehen: Unterkunftsräume für Schwangere, 
Entbindungs- und Wöchnerinnen-Abteilung, Mutterheim, Säuglingsheim, eine 
Abteilung für kranke Säuglinge, eine Fürsorgestelle zur Beratung von 


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Säuglingsernährung. 


549 


Müttern und Pflegemüttern, von Schwangeren und Wöchnerinnen, in ge¬ 
eigneten Fällen auch zur Gewährung von Unterstützungen in Form von 
Stillprämien und zur Verabreichung einwandfreier Kindermilch. Ferner 
sind in Aussicht genommen: chemische und bakteriologische Laboratorien, 
eine Stallung für Milchvieh, sowie Räume zur tadellosen Gewinnung, Keim¬ 
freimachung, Abkühlung und Aufbewahrung der Milch. Wissenschaftliche 
Veröffentlichungen, Auskunftserteilung, Abhaltung öffentlicher Vorträge und 
Veranstaltung von Kursen gehören gleichfalls in das Arbeitsprogramm der 
Anstalt, die als Zentralstelle für ganz Deutschland gedacht ist. Einen Bau¬ 
grund in der Größe von 1,5 ha und im Werte von 400 000 1 4t hat die Stadt 
Charlottenburg geschenkt; die Kosten für den Bau sind auf 1 Million, fQr 
die innere Einrichtung auf 200 000 «/# geschätzt, die jährlichen Betriebs¬ 
kosten sind auf 100 000 t /IC veranschlagt. (Deutsche Medizinalzeitung, 
Bd. 28, S. 1007.) 

Kriege und Seutemann bearbeiteten die Ernährungsverhältnisse 
und Sterblichkeit der Säuglinge in Barmen. Die Sterblichkeit im 
ersten Lebensjahre betrug in Prozenten der Lebendgeborenen in den Jahren 
1875 bis 1905 in Barmen im Mittel 16,1 Proz. und schwankte zwischen 
12,9 und 22,9 Proz. Die Zahl der unehelichen Geburten ist sehr klein, sie 
beträgt durchschnittlich nur 3,4 Proz. Barmen steht somit in Beziehung 
auf Säuglingssterblichkeit unter den deutschen Städten neben Osnabrück 
am günstigsten da. 

Eine Erhebung über die Ernährungsverhältnisse geschah mittels Rück¬ 
fragen durch die Hebammen für das Säuglingskontingent eines ganzen Jahres. 
Hierbei ergab sich, daß von 100 in Barmen lebenden Säuglingen 63 ganz 
und 15 teilweise an der Brust ernährt werden, zusammeu 78 Proz. In den 
ersten Wochen nach der Geburt erbalten etwa 95 Proz. der Säuglinge Brust¬ 
nahrung, und am Schlüsse des ersten Lebensjahres sind noch 61 Proz. ganz 
oder teilweise an der Brust. Selbst in Einkommenstufen über 3000 
nährten noch 45 Proz. der Mütter ihre Kinder selbst, gegenüber 81 Proz. 
in der Klasse mit niedrigstem Einkommen. 

Von den 922 Müttern, die am Zähltage ihre Kinder nicht selbst stillten, 
waren nur 48 (= 5,2 Proz.) durch „berufliche Gründe“ verhindert. 558 Mütter 
(= 60,5 Proz.) haben „Fehlen oder Versiegen der Milch ohne erkennbaren 
Grund“ als Hindernis angegeben. Nur 51 Mütter (= 6,5 Proz.) wurden 
ermittelt, die nicht stillen wollten, und unter ihnen befinden sich 41, die 
ihre Kinder erst entwöhnten, als sie über 20 Wochen alt waren. Krankheit 
der Mutter ist der Grund in 24 Proz. der Fälle; aber unter ihnen überwiegend 
Schwäche und Blutarmut, d. h. Fälle, in denen das Selbststillen meist 
geradezu nützlich für die Mutter ist. 

Die Sterblichkeit der künstlich ernährten Kinder ist auch in Barmen 
viel größer als die der Brustkinder. Die Sterblichkeit der Flaschenkinder 
bis zum 9. Lebensmonat beträgt mindestens das Fünffache der Sterblichkeit 
der Brustkinder, und in den ersten Lebensmonaten ist das Verhältnis noch 
ungünstiger. Das Plus der Sterblichkeit in den Sommermonaten wird nur 
durch die künstlich ernährten Säuglinge getragen; von reinen Brustkindern 
sterben in den Sommermonaten nicht mehr als zu jeder anderen Jahreszeit. 


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550 


Nahrungs- und Genußmittel. 


Verfasser fragen, was geschehen könne, um die Säuglingssterblichkeit 
in Barmen noch weiter zurückzudrängen. Eine wesentliche Zunahme der 
Brusternährung wird sich nnr allmählich erreichen lassen. Zur Versorgung 
der ermittelten 910 Flaschenkinder und der 637 Säuglinge, die nur teilweise 
die Mutterbrust erhielten, wären täglich 900 Liter zu beschaffen. Ver¬ 
fasser empfehlen, allmählich anzufangen und etwa mit der Errichtung eines 
Musterstalles mit 20 bis 25 Kühen, ausreichend zur Versorgung von 
300 Säuglingen, zu beginnen. Außerdem wäre die Anstellung einer be¬ 
soldeten Pflegerin zur Überwachung der unehelichen und Haltekinder er¬ 
forderlich. Diese Einrichtungen müßten sich an das demnächst zu errichtende 
Säuglingsheim anlehnen, mit dem außerdem eine Mütterberatungsstelle zu 
verbinden ist. (Zentralbl. f. allgemeine Gesund hei tspfl., Bd. 25, S. 6.) 

A. Groth und M. Hahn bemängeln die in der vorstehend referierten 
Arbeit benutzte statistische Methode, insbesondere halten sie es für be¬ 
denklich, Hebammen zu derartigen Erhebungen zu verwenden. (ZentralbL 
f. allgemeine Gesundheitspfl., Bd. 25, S. 234.) 

C. Boehm gibt eine kurze Statistik über Säuglingssterblichkeit 
und Säuglingsernäbrung in Bromberg. Sie erstreckt sich auf das 
Jahr 1905 und stützt sich in Beziehung auf die Feststellung des Ernährungs- 
regimes auf die Hebammentagebücher. Da jedoch die Beobachtung der 
Hebammen sich auf den Zeitraum von höchstens 2 Wochen nach der Geburt, 
ausdehnt, so bezieht sich die Statistik lediglich auf den Initialzustand. Das 
Berichtsjahr 1905 umfaßte 1447 Lebendgeburten. In 8 Fällen fehlt eine 
Angabe über die Art der Ernährung; im übrigen erhielten: 


Brustnahrung.1320 

Allaitement mixte. 5 

Zuerst Brust, dann Flasche. 4 

Flasche. 110 


Von den ehelichen Kindern waren nur 5 Proz. Flaschenkinder, von den 
unehelichen 28,8 Proz. — Die Höhe der Säuglingssterblichkeit betrug im 
betreffenden Jahre in Bromberg 31,9 Proz. (Zentralbl. f. allgemeine Ge¬ 
sundheitspfl., Bd. 25, S. 417.) 

Esser erörtert, anknüpfend an einen Aufsatz von Selter (23. Jahresber., 
S. 494) die Bekämpfung der Säuglingsterblichkeit und die Tätig¬ 
keit der Hebammen. Daß die Hebammen nicht in ausreichender Weise 
die Wöchnerinnen über die Not wendigkeit des Stillens aufklären, liegt einmal 
au unserem heutigen Hebammenmaterial und dann an seiner Ausbildung. 
Es kann nur Wandel geschaffen werden, wenn bei der Aufnahme der 
Schülerinnen in die Hebammenlehranstalten höhere Anforderungen gestellt 
werden und wenn eine längere Ausbildungszeit verlangt wird. Vor allen 
Dingen gilt es, den Hebammenschülerinnen den großen Vorteil einer natür¬ 
lichen Ernährung, deren Technik sie auf das genaueste und sorgfältigste 
beherrschen müssen, an wenigstens 2 bis 3 Monate beobachteten Säuglingen 
vor Augen zu führen und sie besonders mit der Überwindung der Schwierig¬ 
keiten vertraut zu machen, die eventuell bei der Einleitung oder Fortsetzung 
eines Stillgescbäftes auftreten. 


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Säuglingsernährung. 


551 


Solange diese Zukunftswünsche noch nicht erfüllt sind, empfehlen 
sich Belehrungen in Vorträgen und Heranziehung der Hebammen zu prak¬ 
tischen Kursen in der Säuglingspflege. Für sehr empfehlenswert hält es Ver¬ 
fasser, denjenigen Hebammen eine besondere Belohnung zukommen zu lassen, 
die nachweislich bei einer Reihe der von ihnen entbundenen Frauen eine gewisse 
Zeit, etwa 4 Monate lang, das Selbststillen durchgesetzt haben. (Zentralbl. 
f. allgemeine Gesundheitspfl., Bd. 26, S. 109.) 

P. Selter hielt einen Vortrag: Warum und wie sollen wir 
Säuglingsfürsorge treiben? Er beginnt mit dem Hinweis auf den 
Verlust an Nationalvermögen, den die überwiegende Säuglingssterblichkeit 
bedeutet und den er für Deutschland auf 3 Millionen Mark jährlich ver¬ 
anschlagt. Zwei Dinge sind es, die in auschlaggebender Weise die Säuglings¬ 
sterblichkeit beeinflussen: die soziale Lage der Erzeuger und die Ernährung 
der Säuglinge. Alle vorgeschlagenen Maßregeln zum Säuglingsschutz müssen 
also bei den sozial niedrigen Ständen in erhöhtem Maße angewendet werden. 
Diese Maßregeln sind: 1. Belehrung und Beratung über Bedeutung der Mutter¬ 
milch durch Ämter, Ärzte, Private und Beratungtstellen. — 2. Die Ermöglichung 
der natürlichen Ernährung durch Unterstützung mit Nahrungsmitteln. — 3. Die 
Gewährung von Stillprämien an solche Frauen, die ihr Kind */«, Vs» s /« Jahr 
stillen. — 4. Gewerblicher Schutz für Fabrikarbeiterinnen oder sonst auf 
Erwerb ausgehende Frauen durch Unterstützung von seiten der Kranken¬ 
kassen bzw. öffentlichen Ämter, und zwar während der letzten Schwanger¬ 
schaftsmonate und der ersten zwei Monate nach der Geburt. — 5. Ein¬ 
richtung von Heimstätten für ledige und schutzbedürftige Mütter auch 
während der Schwangerschaft und für einige Monate nachher. — 6. Be¬ 
ratungsstellen (Fürsorgestellen) zur ständigen Kontrolle der Säuglinge un¬ 
bemittelter Eltern, deren Einkommen hinter 2000 oft zurückbleibt. — 7. Im 
Anschluß an diese Beratungsstellen die Möglichkeit zur Lieferung von 
zubereiteter Milchnahrung nach ärztlicher Verordnung. — 8. Errichtung 
bzw. Subvention von Säuglingsheilstätten zur Unterbringung kranker und 
schwächlicher Kinder minderbemittelter Stände. 

Die Kosten für all diese Einrichtungen sind durch die Allgemeinheit 
aufzubringen. Der Verfasser gibt folgendes Beispiel: Die Stadt Solingen 
bat bei 49 018 Einwohnern 10 418 Einkommensteuerpflichtige, davon 8864 
mit einem Einkommen unter 2100 t.4(. Verteilt man, was de facto unrichtig 
ist — die Geburtsziffer nach diesem Verhältnis —, so kommen von den 
1411 Geburten des Jahres etwa 1270 auf die unbemittelten Stände. Die 
volle Fürsorge nach dem entwickelten Programm glaubt Verfasser mit 
147 000 tM jährlich für diese 1270 Säuglinge bestreiten zu können; zur 
Aufbringung dieses Betrages wäre eine durchschnittliche Belastung eines 
jeden Steuerpflichtigen um 14 ^ erforderlich. (Zentralbl. f. allgemeine 
Gesundheitspfl., Bd. 26, S. 204.) 

H. Brüning schrieb über moderne Säuglingsfürsorge. Ein Drittel 
aller Todesfälle in Deutschland betrifft das Säuglingsalter, und 20 Proz. 
sämtlicher lebend geborener Kinder — jährlich 400 000 bis 420 000 — gehen 
zugrunde, bevor sie das erste Lebensjahr vollendet haben. Bedingt werden 
diese erschreckenden Verhältnisse durch die vielfach unzweckmäßige Er- 


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552 


Nahrung8- und Genußmittel. 


nährung, namentlich durch die Ausbreitung der könstlichen Ernährung, für 
welche der Unbemittelte statt geeigneter n Kindermilch u die gänzlich un¬ 
geeignete gewöhnliche Marktmilch heranzuziehen genötigt ist. Hierzu 
kommen Unkenntnis und Unerfabrenheit in den einfachsten Fragen, welche 
die Ernährung und Pflege des Säuglings angehen, insbesondere Mangel an 
Kenntnis der richtigen Nahrungsmengen. Am meisten gefährdet sind solche 
Säuglinge, die in fremder Pflege untergebracht werden müssen. 

Unter den Abhilfemaßregeln ist zunächst "Wiedereinführung der Er¬ 
nährung an der Mutterbrust zu nennen. Diese wird durch belehrende Ein¬ 
wirkung auf die Mütter an besonderen Säuglingsfürsorgestellen gefördert, 
ferner durch Gewährung von Stillprämien und — für arbeitende Mütter — 
durch Einrichtung von Stillzimmern und Fabrikkrippen an der Arbeits¬ 
stätte. Neben diesen Bestrebungen muß aber auch eine Reform der künst¬ 
lichen Ernährung einhergehen, wie sie durch Einrichtung von Säuglings- 
milchküchen geschieht, die neben der Abgabe trinkfertiger Einzelportionen 
auch eine ärztliche Kontrolle der Kinder gewähren. Neben diesen dienen 
der erforderlichen Belehrung des Publikums über alle Ernährungs- und 
Pflegefragen noch die erwähnten Säuglingsfürsorgestellen, Vorträge, populäre 
Schriften, Merkblätter und Ausstellungen. Weiter muß auch für eine ge¬ 
eignete Ausbildung der Studierenden der Medizin durch Errichtung von 
Säuglingsstationen an den Universitätskliniken, oder durch Errichtung be¬ 
sonderer Säuglingsheime oder Säuglingskrankenhäuser gesorgt werden. 
Endlich gehören zur modernen Säuglingsfürsorge noch die Errichtung von 
Krippen, ferner von Asylen für Waisensäuglinge (Finkeistein in Berlin), 
und endlich die Überwachung des Ziehkinderwesens (Leipziger System nach 
Taube). 

Alle diese Maßnahmen betreffen den gesunden Säugling; für den 
kranken sind Säuglingsheime, insbesondere auch im Walde gelegene 
(Schloßmann) erforderlich. Schließlich erfordert die Säuglingsfürsorge 
auch noch eine Fürsorge für die Mütter durch Wöchnerinnen- und Mutter¬ 
heime. (Zeitschr. f. Krankenpfl., Bd. 29, S. 144 u. 174.) 

L. Schwartze und Rohardt beschreiben die Walderholungstätte 
für Mütter und Säuglinge des Vaterländischen Frauenvereins Pankow- 
Niederschönhausen-Schönholz. (Zeitschr. f. Krankenpfl., Bd. 29, S. 161.) 

R. Kindt gelangt in einer Arbeit über Säuglingssterblichkeit und 
Säuglingsfürsorge zu dem Ergebnis, daß die Rückkehr zur natürlichen 
Ernährung der einzige aussichtsvolle Weg zur Bekämpfung der Säuglings¬ 
sterblichkeit ist. Da nun aber die künstliche Ernährung nicht völlig aus¬ 
geschaltet werden kann, so muß für die Beschaffung billiger und einwand¬ 
freier Säuglingsmilch gesorgt werden. — Als Anhang seiner Arbeit druckt 
Verfasser das Merkblatt des Vaterländischen Frauenvereins: „Ratschläge 
zur Ernährung und Pflege des Kindes im ersten Lebensjahre“, sowie die 
Vorschriften der deutschen Schlacht- und Viehhof-Zeitung für die Gewinnung 
und Behandlung der Milch bis zur Abgabe an die Konsumenten ab. (Deutsche 
Vierteljahrsschr. f. öffentl. Gesundheitspfl., Bd. 39, S. 456.) 

P. Selter und F. Siegert stellten als Merkblatt des niederrheinischeD 
Vereins für öffentliche Gesundheitspflege die Hauptregeln für die Ernährung 


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Säuglingsernährung. 


553 


und Pflege des Kindes im ersten Lebensjahre zusammen. (ZentralbL f. 
allgemeine Gesundheitspfl., Bd. 25, S. 1 u. 41.) 

F. Siegert veröffentlicht einen Vortrag über die Aufgaben der Ge¬ 
meinden im Kampfe gegen die Säuglingssterblichkeit mit 
besonderer Berücksichtigung der Versorgung der Städte mit 
Säuglingsmilch. Trotz aller Fortschritte auf dem Gebiete der Hygiene, 
der öffentlichen Wohlfahrtspflege, der Kinderheilkunde, der Herstellung 
tadelloser Nährpräparate ubw. sind wir nicht dazu gelangt, die Säuglings¬ 
sterblichkeit in Deutschland herabzusetzen. Besserung können hier lediglich 
kommunale Einrichtungen zum Schutze der werdenden Mutter und der 
Säuglinge bringen. Hierzu gehören Mutterhäuser, Hauspflege durch 
gelernte Wochenpflegerinnen, Mutterschulen, d. h. obligatorische Foit- 
bildungsschulen für Mädchen vom Austritt aus der Schule bis zum zwanzigsten 
Lebensjahre, und Stillprämien für unbemittelte Mütter und vor allem 
Beratungsstellen in Verbindung mit der Säuglingsmilchabgabe. 
Wichtig für letztere ist die Feststellung der Anforderungen an eine 
gute SäuglingBmilch durch ein genaues Regulativ. Für letzteres 
kommen folgende Gesichtspunkte in Betracht: 

Fettgehalt, Schmutzgehaltsmaximum, Säuregehalt, höchste Temperatur 
bei der Lieferung müssen genau bestimmt und kontrolliert werden. Nur 
gesunde Kühe, die den verlangten Fettgehalt gewährleisten — Simmentaler 
Höhenvieh, Braunvieh —, die jährlich einmal mit Tuberkulin geprüft, 
vierteljährlich tierärztlich revidiert werden, nicht unter 4, nicht über 
10 Jahre alt sind, müssen, getrennt von Kühen zur Produktion gewöhnlicher 
Marktmilch, in Ställen mit vorgeschriebener Einrichtung unter Ausschluß 
verbotener Futtermittel gehalten werden und durch eine unauslöschliche 
Marke gekennzeichnet sein. Bewegung im Freien ist unerläßlich, Weidegang, 
wenn irgend möglich, zu verlangen. Alle Erkrankungen, selbst Durchfall, 
bedingen sorgfältige Ausschaltung der Tiere bis zur Heilung. Gebrauchtes 
Stroh und Abfallstoffe sind alB Streu verboten. Besondere Reinlichkeits¬ 
vorschriften gelten beim Melken für Melker und Kühe. Das Wartepersonal 
muß frei von ansteckenden Krankheiten, wie von Hautkrankheiten sein, 
ebenso die Zwischenhändler und Transporteure. Für die Gewinnung, die 
Milcbgefäße, den Transport gelten genaue Bestimmungen, besonders auch 
für alle Gewinnungs- und Verkaufslokale. Der Verkauf von „Sätfglings- 
milch“ darf nur mit polizeilichem Erlaubnisschein erfolgen, ebenso die 
Bezeichnung eines Lokales als „Milchkuranetalt“ und der Vertrieb von Milch 
in Einzelportionen. Säuglingsmilch darf nur in durchsichtigen, luftdicht 
verschlossenen Flaschen vertrieben werden. 

Die Arbeit schließt mit einer Schätzung der Kosten kommunaler 
Säuglingsmilchküchen und einer Aufzählung der Orte, in denen solche ein¬ 
gerichtet sind. (Zentralbl. f. allgemeine Gesundheitspfl., Bd. 25, S. 49.) 

J. Trumpp lieferte eine Arbeit von nahezu 14 Druckbogen über die 
Milchküchen und Beratungsstellen im Dienste der Säuglings¬ 
fürsorge. Das an der Hand von Fragebogen von den deutschen und zahl¬ 
reichen außerdeutsohen Säuglingsfürsorgestellen erhobene Material wird in 
extenso mitgeteilt, und es bedarf keines weiteren Hinweises, welch wichtige 


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554 


Nahrungs- und Genußmittel. 


Fundgrube hierdurch für den Forscher auf diesem Gebiete aufgeschlossen 
worden ist. Die kritische Besprechung aller wesentlichen Punkte führt den 
Verfasser zu den folgenden Schlußsätzen: 

Unter den gegenwärtigen Verhältnissen sind ärztlich geleitete 
Beratungsstellen und Milchküchen, zumal eine Vereinigung beider, eine 
unentbehrliche Einrichtung der öffentlichen Säuglingsfürsorge. Ihr üaupt- 
wert liegt in ihrem erzieherischen Einfluß. Ihre Leistungen sind jeweils 
abhängig von dem Verständnis des ortsansässigen Publikums im allgemeinen 
und von der Vorbildung und Intelligenz der Frequentanten im besonderen. 
Ihre geringe Zahl und ihr kleiner Wirkungskreis läßt nicht erwarten, daß 
sie die allgemeine Säuglingsterblichkeit nennenswert herabsetzen können. 
Man wird sich im Kampfe gegen die Säuglingssterblichkeit künftig nicht 
mehr damit begnügen dürfen, die üblen Folgen von Mißständen zu mildern, 
sondern wird sich der mühsamen Arbeit unterziehen müssen, das Übel an 
der Wurzel zu fassen und vor allem das Volk durch methodischen Schul¬ 
unterricht in Hygiene, speziell auch in Kinder- und Säuglingshygiene, all¬ 
mählich zum verständigen Mitarbeiter heranzubilden. Um den der Säuglings¬ 
fürsorge dienenden Anstalten die richtige Stellung dem Volke gegenüber 
zu sichern, müssen sie den Charakter sozialer Wohlfahrtseinrichtungen und 
nicht etwa von Wohltätigkeitsanstalten tragen. Alle derartigen Anstalten 
sind mit Rücksicht auf ihre vornehmste Bedeutung als Volkserziehungs¬ 
institute unter ärztliche Leitung zu stellen. Die Ärztearbeit im Dienste der 
Säuglingsfürsorge ist nicht umsonst zu leisten. Es ist anzustreben, daß die 
Fürsorgestellen zu Bezirkszentralen ausgebaut werden, die alle Zwecke der 
Säuglingsfürsorge umfassen. (Verbandl. d. 24. Versamml. d. Gesellschaft f. 
Kinderheilkunde, S. 151.) 

B. Salge hat dasselbe Material, das Tr um pp (vgl. das vorhergehende 
Referat) vorlag, nach der Richtung hin einer Bearbeitung unterzogen, daß 
er den praktischen Betrieb der Säuglingsfürsorgestellen und 
Säuglingsmilchküchen zusammenfassend darstellte. Die Ergebnisse ver¬ 
dienen im Original gelesen zu werden, auszugsweise lassen sie sich kaum 
wiedergeben. (Verb. d. 24. Versamml. d. Gesellschaft f. Kinderheilk., S. 366.) 

Wesener spricht sich gegen die Einrichtung einer zentralisierten 
Säuglingsberatungsstelle aus, mit der nur eine neue Poliklinik geschaffen 
wird. Die Aachener Ärzteschaft vertritt deshalb den Standpunkt, daß es sich 
empfiehlt, daß die behandelnden Ärzte auch die Beratung und Kontrolle 
ausüben; das wären also für die Armen die Armenärzte. Diese müßten 
dann die Verpflichtung übernehmen, die Säuglinge, die Milch erhalten sollen, 
in der Sprechstunde zu untersuchen, sie fortlaufend durch Wägungen usw. 
zu kontrollieren und danach die Verordnung der verschiedenen Säuglings¬ 
milcharten einzurichten. Um das durchzuführen, wird Milch nur gegen 
Beschjinigung des behandelnden Arztes verabfolgt, die alle acht Tage 
zu erneuern ist. Um dann weiter festzustellen, ob die betreffenden Kinder 
die Milch richtig erhalten und zu Hause zweckmäßig verpflegt werden, 
hat die Stadt Aachen als Kontrollbeamtin eine Pflegerin angestellt, die zuvor 
auf der Säuglingsabteilung des städtischen Krankenhauses ausgebildet 
worden ist. (Zentralbl. f. öffentl. Gesundheitspfl., Bd. 25, S. 69.) 


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Säuglingsernährung. 


555 


Kühnau beschreibt die Kindermilchanstalt in Cöln a. Rh., die mit 
dem dortigen städtischen Schlachthof verbunden ist. Die Tagesration trink¬ 
fertiger Nahrung wird zu 0,25 oft- abgegeben; nur Personen mit einem 
Jahreseinkommen unter 2000 oft erhalten Milch. Die Anstalt ist für eine 
tägliche Abgabe von 1000 Litern Milch eingerichtet und kostete 25 000 oft. 
Die Jahreseinnahmen betrugen 83 000 oft y die Ausgaben 103 000 oft, so daß 
also ein städtischer Jahreszuschuß von 20 000 oft erforderlich war. (Zeitschr. 
f. Fleisch- und Milchhygiene, Bd. 16, Heft 4; Ref. in Zeitschr. f. Medizinal¬ 
beamte, Bd. 19, S. 426.) 

Brugger gibt gleichfalls eine Beschreibung der Cölner Säuglings¬ 
milchanstalt, der größten in Deutschland. Sie gibt 1000 bis 1200 Tages¬ 
portionen ab. Die ganze Anstalt ist Wohlfahrtseinrichtung; ihre Benutzung 
zieht nicht die nachteiligen Folgen der Benutzung der Armenpflege nach 
sich. Die Säuglingsmilch wird nur an Personen von nicht mehr als 2000 
Jahreseinkommen abgegeben. Der Verkaufspreis einer Tagesportion von 
6 bis 7 Fläschchen beträgt 0,22 1 4t bei 0,26 bis 0,28 oft Selbstkosten. Die 
Armenverwaltung bezieht ihren Bedarf an Säuglingsmilch von der städtischen 
Anstalt gegen Zahlung der Selbstkosten. (Zentralbl. f. allgemeine Gesund- 
heitspfl., Bd. 25, S. 63.) 

Kl ix gibt eine nähere Beschreibung der städtischen Säuglings¬ 
milchküche in Posen. Die Anlage ist für eine tägliche Verarbeitung von 
500 Litern Milch eingerichtet; die Anlagekosten betrugen 25 000 oft ; die 
Stadt leistet zu den Betriebskosten einen Jahreszuschuß von 5000 ult. 
Minderbemittelte zahlen für die Tagesration trinkfertiger Nahrung 0,15 bis 
0,25 oft , Wohlhabende 0,20 bis 0,40 oft. Die Stadt selbst bezahlt an die 
Milchlieferanten 0,20 oft pro Liter Milch. —Von einer etwaigen Verbindung 
mit einer ärztlichen Beratungsstelle erwähnt Verfasser nichts. 

Die Abhandlung enthält auch eine Statistik der Säuglingssterblichkeit 
in Posen für die Jahre 1885 bis 1906. Dieselbe schwankt von 18,6 bis 
31,2 Proz Erschreckend hoch ist die Säuglingssterblichkeit unter den un¬ 
ehelich Geborenen; sie betrug im Durchschnitt der letzten 10 Jahre 47,4 Proz. 
(Zeitschr. f. Medizinal-Beamte, Bd. 20, S. 13.) 

0. Hagemann hält in der Frage der Säuglingsernährung die städtische 
Milchküche, d. h. die zentralisierte kommunale Zubereitungsanstalt, für 
minder wichtig als den kommunalen Milchstall. Die Einrichtung eines 
solchen vermag allein die Beschaffung einer einwandfreien Milch zu ge¬ 
währleisten. (Zentralbl. f. allgemeine Gesundheitspfl., Bd. 25, S. 66.) 

Michaelis bearbeitete in einer Leipziger Dissertation die Kinder¬ 
sterblichkeit im allgemeinen und die Gründe deB Nichtstilleus, geprüft 
an der Berliner Arbeiterbevölkerung. Die Hauptursache der hohen Kinder¬ 
sterblichkeit ist in der sozialen Lage der betreffenden Bevölkerungsschichten 
zu sehen. Die Gründe des Nichtstillens studierte Verfasser an einem 
Material von 500 Kindern (487 eheliche, 13 uneheliche). Von diesen 
wurden gestillt: 


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656 


Nahrungs- und Genußmittel. 


1 Woche lang.47 Kinder 

2 Wochen lang. 7 , 

3 . . 7 , 

♦ - . 13 » 

6 n , 16 , 

2 Monate „ 2 „ 

3 „ „ 33 , 

4 . . 16 * 

3 „ * 17 , 

6 n . 9 . 

7 » . 12 . 

8 „ „ . 2 

9 „ und länger.141 „ 

Ala Gründe für das Unterlassen oder vorzeitige Aussetzen des Stillens 
wurden angegeben: 

Soziale Momente. 87 mal (22) 

Milchmangel.102 mal 

Krankheit.101 mal (43) 


Die in Klammern beigefügten Zahlen bezeichnen die Zahl der Fälle, in 
denen Bich bei Nachprüfung durch den Verfasser der angegebene Grund als 
wirklich stichhaltig erwies. (Ref. in Zentralbl. f. allgemeine Gesundheitspß., 
Bd. 26, S. 503.) 


D. Finkler beantwortet die Frage, wie man die Mütter zum 
Stillen bringt, mit der Forderung einer ausgiebigen Ernährung der 
Mutter, und zwar während der Schwangerschaft und während der Still¬ 
zeit. Die Erfahrungen der Agrikulturchemiker lehren, daß eine protein- 
reiche Kost bei den Haussäugetieren günstig auf Menge und Qualität 
der Milch einwirkt, und eine Reihe von Untersuchungen auf dem Gebiete 
der menschlichen Physiologie hat zu analogen Ergebnissen geführt. Eine 
Mutter muß nun während der Schwangerschaft 600 g Eiweiß «um Körper¬ 
ansatz des Embryos liefern; ferner bedarf der Säugling zum Aufbau des 
Körpers von der Geburt bis zum Schluß des ersten Lebensjahres 1000 g 
Eiweiß, zu deren Deckung — da er etwa s / s des ihm gelieferten Eiweißes 
verbrennt — eine Zufuhr von 3500 g erforderlich ist. Soll also die stillende 
Mutter an ihrem eigenen Körpergewicht nichts einbüßen, so muß sie von 
Beginn der Schwangerschaft bis zum Abschluß des ersten Jahres des 
Säuglings 4100 g Eiweißsubstanz in ihrer Nahrung mehr einnehmen, d. h. 
6,5 g täglich. Nun wissen wir, daß durch Vermehrung des Eiweiß in der 
Nahrung auch der Umsatz im Körper sofort gesteigert wird. Will man 
also der Mutter 6,5 g Eiweiß täglich wirklich zugute kommen lassen, so 
genügt nicht dieser Zusatz, sondern er wird noch um diejenige Menge ver¬ 
mehrt werden müssen, welche die Mutter in stärkerem Umsätze mehr 
verbrennt. 

„Nach dieser Überlegung muß es unbedingt von großem Vorteil sein, 
wenn man die Mutter mit konzentrierten Eiweißsubstanzen versiebt“ Die 
guten Erfolge, die Ramm und Möller, sowie Pletzer (17. Jahresber., 
S. 465) in dieser Beziehung bei Anwendung von Tropon gefunden hatten, 
veranlaßten den Verfasser zu einem Versuche mit Malztropon. Bei einer 
Stillenden ließ sich durch Zulage von täglich 30 g Malztropon (mit 43,7 Proz. 
Eiweiß) zu ihrer Kost einwandfrei eine Steigerung der produzierten Milch- 


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Säuglingsernährung. 


557 


menge, sowie der Gewichtszunahme des Säuglings dartun. Eine Enquete, 
die Verfasser mit Hilfe von Hebammen und Ärzten augestellt hat, führt ihn 
zu demselben Ergebnis, daß Troponzufuhr die Milchsekretion verbessert, 
und daß in Fällen, wo sie nachließ, Zugabe von Malztropon Hilfe brachte. 
Die Gewichtszunahme der Kinder bei Verabreichung von Malztropon an die 
Mütter wurde im Durchschnitt von 36 Beobachtungen zu 38,8 g täglich ge¬ 
funden; dies ist eine außerordentlich hohe Zahl. (Zentralbl. f. allgemeine 
GesundheitspfL, Bd. 26, S. 425.) 

Baron macht Mitteilung über eine Denkschrift des Dresdener ärzt¬ 
lichen Bezirksvereins über die praktische Durchführbarkeit der natür¬ 
lichen Säuglingsernährung. Das Stillgeschäft wird häufig nur deshalb 
ohne Grund unterlassen, weil die Hebammen, mangels eigenen Verständnisses, 
die Wöchnerinnen zu wenig auf den Wert des Stillens aufmerksam machen. 
Es ist deshalb zu verlangen: 1. eine gründlichere Ausbildung der Hebammen 
in der Säuglingspflege, besonders der Ernährung; 2. öfter wiederkebrende 
Repetitionskurse und 3. genaue Listenführung über seitens der Hebammen 
besorgte Kinder und gegebenenfalls Angabe der Gründe, warum Stillen 
unterlassen wurde. — Ferner wird der Wortlaut eines kurzen Merkblattes 
über Säuglingsernährung mitgeteilt, das durch die Standesämter an die an- 
meldenden Hebammen zur Weitergabe an die Wöchnerinnen verteilt werden 
solL (Deutsche med. Wochenschr., Bd. 33, S. 1198.) 

A. Weber fordert in einem Referat über die Herstellung tadelloser 
Kindermilch, daß eine sicher von Krankheitskeimen und von Tuberkel¬ 
bazillen freie Kuhmilch zu mäßigem Preise in den Handel kommt, also eine 
Milch, die unter Umständen auch im rohen Zustande ohne Gefährdung der 
menschlichen Gesundheit getrunken werden kann. Ist diese Garantie nicht 
gegeben, so muß man sich mit einer reinlich gewonnenen frischen Milch 
begnügen. Diese ist sofort von ihrer Gewinnung bis zu ihrer Ankunft im 
Hause des Konsumenten genügend tief (10° C'und darunter) zu kühlen und 
dann in sachgemäßer Weise einer Erhitzung zu unterziehen, die ausreicht, 
auch die Tuberkelbazillen abzutöten. Die Milch soll frisch und noch nicht 
erhitzt in den Handel kommen. 

Die Forderung des Freiseins der Kindermilch von Tuberkelbazillen 
wird zweifellos eine Anzahl von Kindern vor Erkrankung an Tuberkulose 
schützen, aber Verfasser glaubt nicht, daß sie ausreichen wird, um in 
Gestalt eines Rückganges der Tuberkulosesterblichkeit im Kindesalter zum 
Ausdruck zu kommen. Und ebenso wird die Herstellung einer einwand¬ 
freien Kindermilch im allgemeinen die hohe Säuglingssterblichkeit zwar 
herabdrücken, nicht aber sie beseitigen können. (Bericht Über den 14. inter¬ 
nationalen Kongreß für Hygiene, Bd. 2, S. 487.) 

Ch. Porcher und E. Nicolas zählen als Gesichtspunkte, die für die 
Herstellung einwandfreier Kindermilch in Betracht kommen, die 
folgenden auf: Vernünftige Auswahl der Milchkühe, tadelloser Gesundheits¬ 
zustand derselben und Aufstellung in luftigen und reinlichen Ställen. 
Passende Ernährung der Kühe unter Ausschluß jeglicher Substanz, die der 
Milch schädliche Eigenschaften mitteilen kann. Sorgfältige Behandlung, 


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558 


Nahrungs- und Genußmittel. 


die — wenn sie auch nicht gestattet, eine aseptische, keimfreie Milch zu 
gewinnen — so doch eine solche liefert, die von allen schädlichen Keimen 
frei ist und nicht die geringste Störung bei dem Kinde hervorrufen kann, 
welches sie genießt. Milch, welche den Kindern roh gereicht werden soll, 
muß, soweit irgend möglich, in der nächsten Nachbarschaft des Ortes 
produziert werden, an dem sie verwendet wird. Ist dieses aus irgend 
einem wirtschaftlichen oder anderen Grunde nicht möglich, so muß der nach 
den aufgezählten Regeln gewonnenen Milch durch geeignete Behandlung 
eine gute Haltbarkeit bis zum Verkauf gesichert werden. (Bericht über den 
14. internationalen Kongreß für Hygiene, S. 496.) 

H. Finkeistein erörtert die Frage nach der Bedeutung der rohen 
Milch für die Säuglingsernährung. Er stellt die Tatsachen zusammen, 
die über die Bekömmlichkeit der rohen und gekochten Milch und deren 
Unterschiede bekannt geworden sind. StoffwechBelversucbe am Säugling 
ergaben, soweit unsere jetzige Kenntnis reicht, keine Überlegenheit, sondern 
höchstens eine Gleichwertigkeit, wahrscheinlich (wenigstens mit Beziehung 
auf Eisen) sogar eine Minderwertigkeit der rohen Milch. Bei Fütterungs- 
Versuchen an Tieren fand man freilich, daß die rohe Milch des Mutter¬ 
tieres der Muttermilch in gekochtem Zustande weit überlegen ist. Dieses 
Ergebnis ist jedoch auf die Frage der künstlichen Ernährung des Säuglings 
nicht zu exemplifizieren, denn hier handelt es sich doch darum, ob art¬ 
fremde gekochte Milch etwa ungünstiger wirkt als rohe. Mit Beziehung 
hierauf hat sich aber im Tierversuch herausgestellt, daß Ferkel, Hund, 
Kaninchen, Meerschweinchen, Ziege besser gedeihen, wenn sie mit gekochter 
als wenn sie mit roher artfremder Milch aufgezogen werden. 

Den Behauptungen, daß die Sterilisation der Milch zu Anämie und 
Rachitis disponiere und daß sie eine Schädigung für das allgemeine Ge¬ 
deihen des Kindes mit sich bringe, ist von zuständiger Seite widersprochen 
worden, und der Nachweis für eine größere Eignung der rohen Milch ist 
niemals erbracht worden. Bei eigenen vergleichenden Ernährungsversuchen 
des Verfassers mit roher und gekochter Kuhmilch war ein sicherer Unter¬ 
schied zwischen den Erfolgen mit Rohmilchernährung und denen mit 
sterilisierter Milch nicht zu finden. Weder der Fortschritt der Gesunden 
noch die Heilung der Kranken wurde durch sie sichtlich gefördert. 

Von allen Vorwürfen gegen die Sterilisation verbleibt somit nur das 
Vorkommen des Morbus Barlow. Man darf aber vorläufig nur sagen, daß 
der Ausbruch der Barlowschen Krankheit nur bei Ernährung mit gekochter 
Milch vorkommt, nicht aber, daß die Ernährung mit gekochter Milch seine 
alleinige Ursache ist. 

Ein Fortschritt der Säuglingsernährung ist nach Verfasser von der 
Verallgemeinerung der Rohmilchernährung kaum zu erwarten. Der Arzt 
hat an den Bestrebungen, die Milch so zu verbessern, daß sie roh genossen 
werden darf, gewiß dasjenige Interesse, das er hygienischen Besserungs- 
bestrebungen auf dem Gebiete der Kindermilchversorgung überhaupt ent¬ 
gegenbringt. Eine Annäherung an die Lösung des Problems der künstlichen 
Säuglingsernährung aber kann er davon nicht erwarten. (Therapeutische 
Monatshefte, Bd. 21, S. 508.) 


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Säuglingser näh rang. 


559 


F. Hueppe wendet sich in einer längeren Arbeit gegen die Bevor¬ 
zugung der rohen Kuhmilch vor der gekochten bei der künstlichen 
Ernährung. Er hält dieselbe für ein künstlich durch vorschnelle Ver¬ 
allgemeinerung von Laboratoriumsversuchen groß gezogenes Vorurteil. Wenn 
Kuhmilch von richtig ernährten Tieren in einwandfrei reinlicher Weise ge¬ 
wonnen, richtig kurz erwärmt oder sterilisiert und in trinkfertigen Einzel¬ 
portionen abgegeben und richtig aufgehoben wird, bo ist sie „zweifellos“ der 
beste künstliche Ersatz für die Frauenmilch. Im übrigen führt die Arbeit 
aus, daß es eine Unmöglichkeit sei, die Kindersterblichkeit, soweit sie sich 
in den typischen funktionellen Sommerdiarrhöen der Säuglingsperiode 
äußert, nur durch Verbesserung oder Änderung in der Ernährung bekämpfen 
zu wollen. In diesem Kampf spielt auch die Frage der Bekleidung und 
der Wohnungsreform eine wesentliche Rolle. Auch wirkt erheblich der 
Umstand als Ursache der Sommerdiarrhöen mit, daß man die Kinder un¬ 
vernünftigerweise Durst leiden läßt. Bei der Ernährung an der Brust 
hingegen stillt die Mutter im Sommer selbst ihren Durst und ändert damit 
die Nahrung für das Kind instinktiv so, daß auch dessen Durst mit¬ 
gestillt wird. 

Man hat der künstlichen Ernährung mit gekochter Kuhmilch Fehler 
zugeschrieben, die ganz wo anders liegen, und hat übersehen, daß einwandfrei 
sterilisierte oder ad hoc abgekochte Kuhmilch bis jetzt in der künstlichen 
Ernährung noch eine ganz untergeordnete Rolle spielt gegenüber der 
zweifelhaften, den hygienischen Anforderungen nicht entsprechenden Markt¬ 
milch und den vielen anderen, oft recht bedenklichen Surrogaten. (Deutsche 
med. Wochenschr., Bd. 33, S. 1597.) 

0. Brückler hat als einen Beitrag zur Frage der Überlegenheit der 
rohen oder der gekochten Milch zwei Ziegenfütterungsversuche mit 
roher und gekochter Kuhmilch angestellt. Von einem Ziegen¬ 
zwillingspaar wurde Nr. I mit roher, Nr. II mit gekochter Milch gefüttert, 
von einem zweiten Zwillingspaar erhielt Nr. III rohe, Nr. IV gekochte Milch. 
Die jungen Ziegen wurden unmittelbar nach dem Wurf, ehe sie andere 
Nahrung erhalten hatten, dem Versuch zugeführt. Die Versuche erstreckten 
sich über 4 Wochen; die benutzte Milch war keine Mischmilch, sondern 
stammte von einer einzelnen Kuh. Die folgende Tabelle enthält die Er¬ 
gebnisse, die bis zum Gewichtsverdoppelungstage erhalten wurden: 


Art der Fütterung: 


Rohe 

l 

Milch 

Gekochte Milch 

Nummer des Tieres: 


: i 

i Hl ; 

i 11 

IV 

Anfangsgewicht . . . 

i 

• • g 

2825 

2420 

2350 

2255 

Gewichtsverdoppelungstag. 


20 

22 

19 

24 

Mittlere tägliche Gewichtszunahme . . . 

• • g 

147 

119 

125 i 

96 

Durchschnittsgewicht. 

• • g 

4262 

3696 

3596 

3328 

Mittlere tägliche Nahrungsmenge . . . . 

ccm | 

1323 

1171 

1165 

915 

Kalorienwert der mittleren Tagesration . 


853 

755 

| 751 

591 

Energiequotient (nach Heubner) . . . . 


198 

204 | 

209 

179 

Nährquotient (nach Cramer). 

...! 

9,0 

9,8 

9,3 

9,5 

Zuwachsquotient (nach Feer). 


19,0 ; 

20,3 | 

22,9 

22,7 


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560 


Nahrungs- und Genußmittel. 


Der Zuwachsquotient, als wesentlicher zahlenmäßiger Ausdruck der 
Versuchsergebnisse, scheint zugunsten der Fütterung mit gekochter Milch 
zu sprechen. Diesem Resultat widersprechen aber die Beobachtungen über 
das Allgemeinbefinden der Tiere, sowie die Aufzeichnungen über die Körper- 
gewichtBzunahwe, zieht man diese in Betracht, so geht die Superiorität der 
gekochten Milch verloren. Dieses Gesamtergebnis steht im Widerspruch 
mit demjenigen der bisherigen Arbeiten, insbesondere demjenigen von 
Brüning. Verfasser glaubt die Keimarmut der von ihm verwendeten Milch 
— sie enthielt 12 Stunden nach dem Melken nur 10 000 bis 18000 Keime 
pro Kubikzentimenter — als ausschlaggebend für sein abweichendes Resultat 
ansehen zu dürfen. Ist aber eine gewisse Superioritiftt schon bei relativ 
keimarmer Milch zu konstatieren, so müßte dieselbe noch augenscheinlicher 
bei keimfreier bzw. aseptisch gewonnener Rohmilch sein. (Jahrb. d. Kinder¬ 
heilkunde, Bd. 66, S. 373.) 

L. F. Meyer handelt zusammenhängend über die künstliche Er¬ 
nährung. Zur Frage, ob mit roher oder mit gekochter Milch ernährt 
werden soll, entscheidet sich Verfasser dahin, daß die Erfolge einer Er¬ 
nährung mit gekochter Milch zum mindesten der der rohen Milch nicht 
nachstehen. Es gibt nur eine ganz beschränkte Anzahl von Krankbeits- 
foruien, bei denen in der Tat eine Mehrleistung der rohen Milch manifest 
ist, für die Allgemeinheit aber müssen wir eine Ernährung mit sterilisierter 
oder kurz (5 Minuten) aufgekochter Kuhmilch empfehlen. 

Schon lange hat man in der Praxis die Notwendigkeit erkannt, die 
Kuhmilch zu verdünnen; der hiermit verknüpften Herabsetzung des Brenn¬ 
wertes begegneten Biedert und Backhaus durch Zulage von Fett. Ver¬ 
fasser rät hingegen von der Verwendung fettreicher Mischungen ab und 
empfiehlt als Mastmittel Zuckerzusatz. Gewöhnlich wird hierzu Rohrzucker 
verwendet, doch muß man sich vor einem Zuviel hüten, da leicht durch ihn 
Durchfälle und Ernährungsstörungen erzeugt werden. Ungefährlicher ist 
jedenfalls Milcbzuckerzusatz, ganz besonders geeignet für kranke Kinder ist 
der Malzzucker. Ein schon in gesunden Tagen empfehlenswertes Präparat 
ist Soxhlets Nährzucker. 

Nach einiger Zeit muß den Milch-Wasser-Zuckermischungen ein zweites 
Kohlenhydrat zugelegt werden, für junge Säuglinge in Gestalt von Schleim, 
für ältere in Gestalt von Mehlsuppe. 

Die Kindermehle sind praktisch als Zusatz zur Milch bequem anzu¬ 
wenden, doch leisten sie nicht mehr, als jede gewöhnliche Mehlabkochung. 
Zu rügen ist, daß in den Reklameprospekten der Kindermehle nicht selten 
zu häufige Mahlzeiten und zu hohe Dosierungen empfohlen werden. Die 
Frage nach der Nahrungsmenge, die gegeben werden soll, läßt sich über¬ 
haupt nicht schematisch lösen, die beste Antwort auf sie gibt die Beobachtung 
des Kindes. (Therapeutische Monatshefte, Bd. 21, S. 281.) 

H. Brüning verdankt man eine mit Abbildungen versehene Dar¬ 
stellung der Geschichte der Kindertrinkflasche. Aus derselben geht 
hervor, daß die künstliche Ernährung der Säuglinge doch viel früher be¬ 
kannt gewesen sein dürfte, als bisher angenommen wurde, und daß die 
ersten Trinkflaschen nicht von Zinn, sondern von Holz gewesen sind, falls 


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Säuglingsernährung. 


561 


wir nicht geneigt sind, auch das „Saughorn“ als Trinkflasche zu bezeichnen, 
das im 13. Jahrhundert zuerst erwähnt wird. Weiter ergibt sich, wie un¬ 
bequem, ja direkt unhygienisch die Methodik der Flaschenfiltterung bis vor 
wenigen Jahrzehnten gewesen ist. (Verhandl. d. 24. Versamml. d. Gesellschaft 
f. Kinderheilkunde, S. 147.) 

Sobotta gelangte bei einer statistischen Untersuchung über Tuber¬ 
kulose und Säuglingsernährung zu folgenden Ergebnissen. Die 
Statistik erstreckte sich über 176, unter sich vergleichbare Falle. Mit 
kuhmilchfreier Nahrung wurden hiervon im ersten Lebensjahre 80 Kinder 
ernährt; von ihnen wurden später 14 (— 17,5 Proz.) tuberkulös. Mit Kuh¬ 
milch wurden ganz oder teilweise 96 Säuglinge ernährt; von diesen wurden 
später 36 (= 37,5 Proz.) tuberkulös. (Zeitschr. f. Tuberkulose, Bd. 6, 
Heft 4; Ref. in Zentralbl. f. Bakteriologie, Abt. 1, Referate, Bd. 39, S. 17.) 

Bernheim-Karrer hat die Erfahrung gemacht, daß homogenisierte 
Milch (vgl. P. Buttenberg, 21. Jahresber., S. 541) bei Darreichung an 
Säuglinge zu Bar low scher Krankheit führen kann. Die fabrikmäßig 
sterilisierte Milch einer bestimmten Bezugsquelle hatte niemals zu Klagen in 
dieser Hinsicht Anlaß gegeben, bis auf einmal eine derartige Häufung von 
Barlow-Erkrankungen nach Ernährung mit dieser Milch auftrat, die eine 
Zufälligkeit ausschloß. Es stellte sich heraus, daß die die Milch liefernde 
Gesellschaft seit etwa Jahresfrist ihre Milch nur noch in homogenisiertem 
Zustande in den Handel gebracht hatte. FütterungsVerhältnisse der Milch¬ 
kühe und Sterilisation der Milch waren unverändert geblieben; so blieb nur 
der Einfluß der Homogenisierung auf das Milchfett als schädigende Ursache 
übrig. Wie alle Milchsorten, die zu infantilem Skorbut führen, scheint 
auch die homogenisierte Milch erst nach monatelanger Darreichung die 
Krankheitserscheinungen auszulösen. (Korrespondenzblatt für Schweizer 
Ärzte 1907, Nr. 19; Referat in Deutsche Medizinalzeitung, Bd. 28, S. 974.) 

A. Hüssy berichtet über Versuche zur Verwendung Just-Hatmaker- 
scher Trockenmilch (24. Jahresber., S. 594). Das aus Vollmilch her- 
gestellte Präparat ist für Säuglinge, die eine Ernährungsstörung durch¬ 
gemacht haben und an deren Folgen noch leiden, kein vollwertiger Ersatz 
für einwandfreie frische Kuhmilch. Eine größere Anzahl von an Er¬ 
nährungsstörungen leidenden Säuglingen ist durch Ernährung mit Trocken¬ 
milch vor dem Auftreten erneuter akuter Ernährungsstörung geschützt 
worden. Bei einigen wenigen Säuglingen sind indes zweifellos direkte 
Schädigungen durch Ernährung mit dieser Konserve hervorgerufen worden, 
die man durch Verwendung einer fettärmeren Milch teilweise vielleicht hätte 
vermeiden können. (Archiv f. Kinderheilkunde, Bd. 46, S. 63; Ref. in Jahrb. 
f. Kinderheilkunde, Bi. 66, S. 616.) 

R. Emmerich nahm ein englisches Patent (Nr. 29425 vom 24. De¬ 
zember 1906) auf ein Verfahren zur Verbesserung sterilisierter 
Milch. Zu sorgfältig sterilisierter Milch werden Oxydase, Katalase, Lab¬ 
ferment, ein proteolytisches Ferment und ein bakteriolytisches Enzym hin¬ 
zugefügt. Die erforderliche Enzymlösung gewinnt man durch Kultur von 
Bacillus pyocyaneus in einer Nährlösung von bestimmter Zusammensetzung. 
Nach dreiwöchiger Kultur wird die Flüssigkeit durch Filtration keim- 

Vierteljahrascbrift für Gesundheitspflege, 1918. Supplement. afi 


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562 


Nahrungs- und Genußmittel. 


frei gemacht, teilweise neutralisiert, unter vermindertem Druck auf Vio ihres 
Volumens konzentriert und durch Ausfrieren von einem Teil der Nährsalze 
befreit. Man fügt ihr dann Oxydase aus Roggenmehl hinzu, sowie ein© 
Lösung, die Katalase, Trypsin usw. enthält, die aus frisch gekeimtem Malz 
dargestellt wird. (Journal of the society of Chemical industry, Bd. 26, 
S. 985.) 

H. Koeppe lieferte die Fortsetzung seiner vorjährigen Arbeit (24. Jahres¬ 
bericht, S. 608) über das Buttermilchdauerpräparat „flüssige holländische 
Säuglingsnahrung“. Diesmal beschäftigt er sich hauptsächlich mit 
der näheren Untersuchung der chemischen Beschaffenheit des Produktes. 
Die Azidität von 10 ccm des gut umgeschüttelten Präparates entspricht nur 
— unter Anwendung von Phenolphtalein als Indikator — Werten zwischen 

6.6 und 8,8 ccm */,„-normal-Lauge; sie ändert sich beim Aufbewahren des 
Präparates kaum wesentlich. Läßt man die Säuglingsnahrung sedimentieren 
und titriert die überstehende Molke, so verbraucht man 4,7 bis 6,6 ccm 
1 / 1 o - normal - Lauge. Die Differenz gegenüber der Gesamtazidität beträgt 

1.6 bis 2,6 ccm, sie ist auf das Kasein zurückzuführen, und zwar verbraucht 
nach des Verfassers näheren Bestellungen 1 g von dem Kasein der holländischen 
Säuglingsnahrung etwa 10 ccm Vio-normal-Lauge. Daraus folgert Verfasser 
einen wesentlichen Unterschied der holländischen Säuglingsnahrung gegen¬ 
über der süßen Kuhmilch, da in der letzteren das Kasein nicht mit saurer 
Reaktion auftritt, sondern als Calciumverbindung zugegen ist. 

Mit Beziehung auf die Azidität der Molke der Säuglingsnahrung sucht 
Verfasser darzutun, daß Milchsäure nicht im freien Zustande, sondern zu 
Salzen verbunden zugegen ist. Nach Ansicht des Referenten dürften die 
betreffenden Auseinandersetzungen bei einer Nachprüfung vom Standpunkt 
der physikalischen Chemie sich nicht als stichhaltig erweisen. 

Als Ergebnis von 25 Magenausheberungen an 6 mit holländischer 
Säuglingsnahrung genährten Säuglingen findet Verfasser, daß der Säuglings¬ 
magen bei der betreffenden Ernährung 2Va bis 3 Stunden nach der Nahrungs¬ 
aufnahme noch nicht leer ist, ja noch nach 4 Stunden kleine Mengen 
Speisebrei enthalten kann. Die Azidität des Mageninhaltes erfährt während 
des Aufenthaltes im Magen eine ständige Zunahme, so daß die Säure der 
Nahrung noch vermehrt wird. (Jahrb. f. Kinderheilkunde, Bd. 66, S. 45.) 

G. Tugendreich bespricht zusammenfasBend die Verwendung der 
Buttermilch als Säuglingsnahrung. Ira allgemeinen bedient man sich 
einer Buttermilch aus gesäuertem Rahm, die etwa 2,6 Proz. Eiweiß, 0,6 Proz. 
Fett und 3 Proz. Milchzucker enthält. Ihr Säuregrad, ermittelt nach 
Soxhlet-Henkel, beträgt 18 bis 19. Sie wird 2 bis 4 Minuten abgekocbt, 
unter Zusatz von 15 g Weizenmehl und 30 bis 40 g Rohrzucker pro Liter. 
Für die trinkfertige Nahrung gibt Verfasser folgende Zusammensetzung an: 
3,4 Proz. Eiweiß, 0,5 Proz. Fett, 4,2 Proz. Milchzucker, 5,9 Proz. Rohr¬ 
zucker und 0,3 Proz. Stärke; der Energiewert ist = 612 Kalorien pro Liter. 

Über die Ursachen der besonderen Erfolge, die mit Buttermilch erzielt 
werden, läßt sich nichts Sicheres sagen. Buttermilch ist bisher viel weniger 
an gesunde, als an kranke Säuglinge gereicht worden. Sie ist zunächst an¬ 
gezeigt bei allen Zuständen, die eine Beschränkung der Fettzufuhr erfordern. 


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Säuglingsernährung. 


563 


also sowohl bei der Fettdiarrhöe, wie etwa bei lange dauerndem Ikterus, wenn 
acholische Stöhle abgesetzt werden. Ferner bewährt sie sich bei jenen 
Hauterkrankungen, die man mit zu fettreicher Kost in Verbindung zu 
setzen pflegt (Milchschorf, Prurigo, Ekzem der Hautfalten). Das Alter der 
Säuglinge spielt keine Rolle; man hat sie vom ersten Lebenstage ab gegeben 
und andererseits sie auch jenseits des ersten Lebensjahres gereicht. Man 
hat wiederholt behauptet, daß sich eine längere Darreichung dadurch ver¬ 
biete, daß nach einer 4 bis 8 wöchigen Buttermilchperiode die Gewichts¬ 
zunahme aufhöre und hartnäckige Obstipation oder (seltener) Diarrhöe auf¬ 
trete. Dies ist för viele Falle richtig, während andererseits Fälle angeführt 
werden können, in denen 7 Monate lang mit Erfolg ausschließlich Butter¬ 
milch gegeben wurde. Man gebe also im allgemeinen die Buttermilch 
so lange, als das Kind dabei gedeiht. 

Die Beschaffung einwandfreier Buttermilch stößt manchmal auf Schwierig¬ 
keiten. Man hat deshalb empfohlen, sie mit Hilfe einer kleinen Haushalt- 
buttermaschine selbst zu bereiten. Andere raten, an ihrer Stelle saure 
Vollmilch oder gesäuerte Magermilch zu benutzen. Endlich werden als 
Ersatzmittel auch fabrikmäßig hergestellte Buttermilchkonserven (Bu-Co, 
Holländische Säuglingsnahrung, Laktoserve) genannt. (Berliner Klinik, 
18. Jahrg., Heft 219.) 

A. Feuchtwanger, Indikationen der Verwendung von Holländischer 
Säuglingsnahrung. (Deutsche med. Wochenschr., Bd. 33, S. 208.) 

B. E. Myers und G. F. Still empfehlen statt der üblichen, mit Lab¬ 
ferment bereiteten Molke eine durch Sherryzusatz koagulierte 
Milch zur Säuglingsernährung. 300 g kochende Milch werden mit 70 g 
Sherry versetzt, abermals zum Aufkochen erhitzt, dann 3 Minuten abseits 
des Feuers stehen gelassen und durchgeseiht. Die resultierenden „Sherry- 
molken“ enthalten: 

Laktalbumin.0,45 Proz. 

Fett.0,95 „ 

Zucker.5 „ 

Alkohol.2,3 

Die Verfasser haben von der Nahrung gute Erfolge gesehen, wo nur 
kleine Nahrungsmengen ertragen wurden und ein Stimulans angezeigt er¬ 
scheint. In der Regel soll die Einzelportion 50 bis 70 g nicht überschreiten. 
(The Lancet 1907, Bd. 1, S. 78; Ref. in Jahrb. f. Kinderheilk., Bd. 65, S. 362.) 

F. Philips stellte Versuche darüber an, ob dextrinierte Mehle 
von Kindern in den ersten Lebenswochen besser ausgenutzt werden, als 
nichtdextrinierte. Zu den Versuchen diente ein Nahrungsgemisch von Milch 
und Mehlsuppe; zur Bereitung der letzteren wurde in der einen Periode 
Weizenmehl, in der anderen Theinhardts Kindermehl benutzt. Die Fett¬ 
resorption war in beiden Perioden gleich groß, die Stickstoffresorption da¬ 
gegen ist bei Ernährung mit dextriniertem Mehl schlechter als bei Zufuhr 
unveränderten Weizenmehles. Die im Kot ausgeschiedenen Kohlenhydrat¬ 
mengen sind sehr klein, eine sehr geringe Differenz besteht zugunsten des 
dextrinierten Mehles. Die Körpergewichtskurve verläuft bei der Ernährung 
mit dextriniertem Weizenmehl besser als bei Weizenmehl. Bei allen Kindern 

36* 


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664 


Nahruugs- und Genußmittel. 


zeigte sich eine offenkundige Schädigung des Gesamtorganismus, ein „Mehl¬ 
nährschaden“. (Monatsschr. f. Kinderheilkunde, Bd. 6, S. 26; Ref. in Jahrb. 
f. Kinderheilkunde, Bd. 66, S. 488.) 

Eier. 

K. Kaas fand in kristallisiertem Hühnereiweiß aus frischen Eiern 
Phosphor auf, dessen Menge je nach der Darstellungsart von 0,89 bis 
3,07 Proz. wechselte. Im rohen, nur getrockneten Hühnereiereiweiß fand 
derselbe Verfasser 0 bis 0,35 Proz. Phosphor. (Monatshefte für Chemie, 
Bd. 27, S. 403.) 

N. A. Barbieri konnte im Eigelb Tristearin, Triolein, Cholesterin 
und eine stickstoffhaltige Substanz von folgender Zusammensetzung: C = 64,8; 
H = 11,3; N = 3,66; P = 1,35; S = 0,40; 0 = 18,5 nachweisen. Er 
nennt diese Substanz Ovin; sie ähnelt sehr dem Cerebrin Gobleys. (Compt. 
rend. de l’academie des Sciences, Bd. 145, S. 133.) 

de Loverdo berichtet über die Konservierung von Eiern in 
Kühlkammern. Die geeignete Temperatur ist —1°C; bei —3°C tritt 
Gefrieren der Eier ein. Der günstigste relative Feuchtigkeitsgrad ist 
78 Proz.; bei 90 Proz. werden die Eier bereits schlecht. Durch 6- bis 
7 monatiges Aufbewahren im Kühlraum werden weder Geschmack noch 
Aussehen der Eier verändert (Chemiker-Zeitung, Bd. 31, S. 100.) 

Fr. Prall kommt in einer ausführlichen Abhandlung über Eier¬ 
konservierung zu folgenden Ergebnissen. - Frische, sauber gehaltene Eier 
halten sich frei aufgestellt in kühlen, aber frostfreien nicht zu feuchten 
Räumen mit guter Ventilation viele Monate lang ebensogut brauchbar wie 
in Packungsmaterial (Häcksel, Sand) eingebettete Eier. Besonders günstig 
sind die Verhältnisse für die trockene Aufbewahrung vou Eiern bei der 
Kaltlagerung in modernen Kühlhäusern, in denen die Eier auf etwa 0° ab¬ 
gekühlt gehalten und mit frischer Luft von etwa 80 Proz. relativer Feuchtig¬ 
keit umspült werden. Von den Verfahren, bei denen die Eier in Flüssig¬ 
keiten konserviert werden, ist das Einlegen in eine 10 proz. Wasserglaslösung 
am meisten zu empfehlen. (Zeitschr. f. Untersuchung der Nahrungs- und 
Genußmittel, Bd. 14, S. 445.) 

C. E. C. Landsperg benutzt als Eierkonservierungsmittel einen 
dicken Brei von 2 bis 5 Teilen Kasein und 1 bis 14 Teilen Wasser, dem 2 
bis 7 Teile Ammoniak und einige Tropfen Salizylsäurelösung, Kalium- 
permaganatlÖBung, Formalin oder ein anderes Desinfektionsmittel zugesetzt 
sind. Die dickflüssige Masse soll vor dem Gebrauch verdünnt werden, die 
Eier werden eingelegt und erscheinen nach dem Trocknen mit einem luft¬ 
dichten Häutchen überzogen. Dieses wird vor dem Gebrauch der Eier mit 
3 bis 8 proz. Ammoniakflüssigkeit entfernt, und zwar so vollständig, daß es 
nicht möglich ist, diese Art der Konservierung zu erkennen. (Chemiker- 
Zeitung, Bd. 31, Repert., S. 445.) 

Butter und Margarine. 

H. Huss teilt die Ergebnisse morphologisch-physiologischer Studien an 
zwei aromabildenden Bakterien mit. Das eine, Bacillus esterificans 
Maaßen, gewann er aus einer sogenannten „staffigen“ Butter, aus Labora- 


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Butter und Margarine. 


566 


toriumsluft und aus der Luft einer Stallung, das andere, Pseudomonaa 
Trifolii nov. spec., isolierte er aus Kleeheu. Bacillus esterificans, in Milch 
kultiviert, verleiht derselben einen sehr angenehmen Ananasgeruch. Der 
Versuch, diese Mikrobe zur Aromatisierung bei der Butterbereitung aus 
pasteurisiertem Rahm, der an sich eine aromaarme Butter liefert, zu ver¬ 
wenden, gab ein negatives Resultat Pseudomonas Trifolii eignet sich 
gleichfalls nicht hierzu, Bchon deshalb, weil es der Milch einen bitteren Ge¬ 
schmack verleiht. Verf. bezeichnet es sogar als wahrscheinlich, daß der 
bittere, ölige Geschmack der Butter, die von Kühen stammte, zu deren 
Fütterung das Pseudomonas liefernde Kleeheu gedient hatte, auf diesen 
Mikroorganismus zurückzuführen war. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. 2, Bd. 19, 
S. 50 und 149.) 

H. Huss fand bei der bakteriologischen Untersuchung einer sogenannten 
„bakterienfreien“ Butyratorbutter, die, nebenbei bemerkt, verhältnismäßig 
reich an Mikroorganismen war, ein Bacterium auf, dessen Gelatinplatten- 
kulturen ein kräftiges Erdbeeraroma zeigten. Er nannte die — neue — 
Form Pseudomonas fragaroidea und beschrieb ausführlich die morpho¬ 
logischen und physiologischen Merkmale. Die prägnantesten Unterschiede 
gegenüber den bisher schon bekannten „Erdbeerbakterien“, die sämtlich der 
Gattung Pseudomonas angehören, läßt folgende Tabelle erkennen. 

Pseudomonas Pseudomonas Pseudomonas Pseudomonas 
!j Fragi j Fragariae I Fragariaell fragaroidea 
K ich holz Gruber Gruber n. sp. Huss 

_______ « -n - -« — 

Morphologie.I Polar begeißelte Stäbe 

Wachstum bei 37®.j' — J -f- — 

Bakteriofluoreszin-Bildung . . ; — -{- — 

Produktion proteolyt. Enzyme — — -f- 

Milcbkultur. keine Verän- keine Verände- Gerinnung; 

derung; stark rung; schwach stark saure 
alkalische alkalische Reaktion. 

Reaktion. [ Reaktion. 

(Zentralbl. f. Bakt., Abt. 2., Bd. 19, S. 661.) 

G. Kapeller teilt mit, daß eine als „Buttergeschmack und -aroma“ 
vertriebene milchige Flüssigkeit aus einer 5 prozentigen Sesamöl-Emulsion 
bestand, die mit Cumarin aromatisiert und durch einen Teerfarbstoff gelb 
gefärbt war. Das Präparat soll anscheinend als Butterersatz im Bäckerei¬ 
gewerbe Verwendung finden; nach der Gebrauchsanweisung sind für 1kg 
Teig etwa 10 g der Flüssigkeit zu nehmen. (Pharmaz. Zentralhalle, 
Bd. 48, S. 819.) 

F. Schaffer machte Mitteilungen über die Unterscheidung von 
BOgenannter Vorbruchbutter und von Rahmbutter. Die Vorbruch¬ 
oder Molkenbutter wird aus Molken, also nach Entfernung des Kaseins, ge¬ 
wonnen; ihr Geschmack ist oft eigenartig (Kochgeschmack), aber die all¬ 
gemein verbreitete Ansicht, daß ihr Gehalt an Nichtfett größer sei als der¬ 
jenige der Rahmbutter, ist falsch. Auch im Verhältnis des Kaseins zum 
Albumin ergibt sich kein Unterschied. Dagegen gelingt nach Verfasser die 


en. 

+ 

+ 

+ 

Gerinnung; 

amphotere 

Reaktion. 


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566 


Nahrungs- and Genaßmittel. 

Unterscheidung beider Butterarten mit Hilfe einiger Enzymreaktionen. 
Wird — wie das für manche Bereitungsarten üblich ist — die Molke für 
die Herstellung der Vorbruchbutter bis etwa 80°C erhitzt, dann gibt der 
bei niedriger Temperatur (höchstens 45° C) hergestellte Schmelzrückstand 
der Batter nach dem Storchschen Verfahren (16. Jahresber., S. 396) mit 
Wasserstoffperoxyd und p-Phenylendiamin keine Blaufärbung im Gegensatz zu 
dem Schmelzrückstand reiner Rahmbutter. Ist jedoch die Vorbruchbutter 
ohne Erhitzen der Molke (also z. B. aus aufgerahmter oder zentrifugierter 
Molke) bereitet, dann versagt dieses Unterscheidungsmerkmal, and an seine 
Stelle tritt die Reduktaseprobe. Hierzu werden etwa 10 ccm des bei höchstens 
45°C hergestellten Schmelzrückstandes mit 10 Tropfen von Schardingers 
Formalin-Methyleublau-Reagens (22. Jahresber., S. 556) geschüttelt und bei 
40 bis 45° C beobachtet. Die Zentrifugenvorbruchbutter, ebenso wie ge¬ 
wöhnliche unter Erhitzen bereitete Vorbruchbutter, bewirkt selbst nach 
mehreren Stunden keine Entfärbung, verhält sich also wie gekochte Milch; 
Rahmbutter dagegen zerstört die Farbe, wie frische Milch, gewöhnlich schon 
nach 3 bis 5 Minuten. Hierdurch war ein Mittel gegeben, um die sämt¬ 
lichen Arten von Molkenbutter in kurzer Zeit von Rahmbutter zu unter¬ 
scheiden. (Sanit. - demograph. Wochenbulletin der Schweiz 1907.) 

L. W. Radcliffe und W. H. Maddocks berichten über einen Butter- 
klumpen von etwa 9 kg, der im Torf etwa 1,2 m unter der Oberfläche ge¬ 
funden wurde und der wahrscheinlich mehrere hundert Jahre alt war. Die 
Butter war in eine weiche, krümelige, käsige Substanz übergegangen, die 
Außenschicht war wachsartig; zahlreiche, durch die Masse verteilte Kub- 
haare lehrten, daß in der Tat Butter vorlag. Die Resultate der näheren 
Untersuchung sind deshalb interessant, weil sie lehren, welch weitgehenden 
Veränderungen Butter im Verlaufe so langer Zeiten schließlich unterliegen 
kann. Es wurde gefunden: 


Erstarrungspunkt. 45,5° C 

Schmelzpunkt. 46,5—49,5* C 

In Äther löslicher Anteil (Fett). 0,98 Proz. 

In Äther unlöslich (Kasein). 1,97 . 

Spezifisches Gewicht . 0,8390 

15,5 

Refraktometerzahl bei 50° C. 23,5 

Säurezahl .201,9 

Verseifungszahl. 324,1 

Acetylzahl. 2,2 

Reichert-Meissls Zahl. 1,2 

Hehners Zahl. 98,5 

Jodzahl. 10 


(Journal of the society of Chemical industry, Bd. 26, S. 3.) 

M. Siegfeld fand, daß im Butterfett Stearinsäure entweder gar 
nicht oder nur in ganz untergeordneter Menge vorkommt, daß hingegen die 
Myristinsäure einer der Hauptbestandteile ist Von den untersuchten 
Proben enthielt 1 g Butterfett mindestens 0,23 bis 0,31 g Myristinsäure. 
(Milchwirtschaftl. Zentralbl. 1907, S. 288; Ref. in Chemikerztg., Bd. 31, 
Repert., S. 410.) 


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Butter und Margarine. 


567 


6. E. Patrick fahrt die Bestimmung des Wassers in der Butter 
derart aus, daß er die zu untersuchende Probe in einem Erlenmeyerkolben 
ao lange unter lebhafter Bewegung über freier Flamme erhitzt, als noch 
Schaumbildung zu beobachten ist. (Journ. of the American Chemical society, 
Bd. 28, S. 1611.) 

H. D. Richmond bespricht die Temperaturkorrektur für die Ab¬ 
lesungen am Butterrefraktometer. Dieselbe ist nicht, wie man viel¬ 
fach annimmt, eine lineare Funktion der Temperatur, d. h. sie beträgt nicht 
für je 1°C einen bestimmten Betrag von Skalenteilen des Butterrefrakto¬ 
meters. Dagegen ändert sich der Brechungsexponent, im Gegensatz zur 
Refraktometerzahl, annähernd proportional der Temperatur, und zwar für 
je 1°C um etwa 0,000 38, so daß man zweckmäßig die Umrechnung auf 
Normaltemperatur nicht an der bei einer beliebigen Beobachtungstemperatur 
abgelesenen Refraktometerzahl, sondern an dem ihr entsprechenden Werte 
für den Brechungsexponenten vornimmt, und zwar unter Benutzung der 
oben genannten Größe. (The Analyst, Bd. 32, S. 44.) 

P. Vieth bespricht zusammenfassend die teils von ihm selbst gemachten, 
teile von anderen in der Literatur niedergelegten Beobachtungen über das 
Vorkommen von Butter mit niedriger Reichert-Meisslscher Zahl 
bei landesüblicher Viehhaltung. Er bekämpft im Anschluß hieran eine von 
ihm behauptete Tendenz mancher Nahrungsmittelchemiker, jede Butter mit 
einer unter 25 sinkenden Reichert-Meissl-Zahl als eine abnorme oder 
aber bedingt oder bedingungslos direkt als eine verfälschte zu bezeichnen. 
(Chemikerztg., Bd. 31, S. 1215 u. 1230.) 

H. Ball hebt den auffallend niedrigen Stand der Reichert-Meissl- 
achen Zahl hervor, den die irische Butter im Winter erreicht, und der 
von Ende November bis Mitte Januar unter 24 bleibt. Dies hängt damit 
zusammen, daß um diese Zeit fast ausschließlich Milch von Kühen gewonnen 
wird, die am Ende ihrer Laktationsperiode stehen. Sowie Milch von frisch 
milchenden Kühen hinzukommt, beginnt die Reichert-Meisslsche Zahl 
wieder zu steigen. Als Hauptgrund für diese abnorme Erscheinung führt 
Verfasser den Umstand an, daß in Irland bei weitem die meisten Kühe 
innerhalb 6 Wochen (Ende März bis Mitte Mai) und nicht in gleichmäßiger 
Verteilung über das ganze Jahr kalben. Wo letzteres der Fall ist, wie in 
England, hat man solche normwidrige Butter nicht beobachtet. (The Analyst, 
Bd. 32, S. 202; Ref. in Chemikerztg., Bd. 31, Repert., S. 391.) 

A. Goske weist darauf hin, daß man bei Bestimmung der Polenske- 
Zahl im Butterfett mit Asbest bekleidete Drahtnetze als Unterlage unter 
dem Destillationskolben nicht verwenden darf, weil sonst, infolge Über¬ 
hitzung der Kolbenwände, zu hohe Werte resultieren würden. Nach Ver¬ 
fasser arbeitet man am besten unter völliger Weglassung des Drahtnetzes 
und benutzt eine kleine Flamme zum Erhitzen. (Zeitschr. f. Untersuchung 
d. Nahrungs- und Genußmittel, Bd. 13, S. 491.) 

Die staatliche Butterkontrollstation zu Deventer kontrollierte 
im Jahre 1906 117 Produzenten und Händler der holländischen Provinzen 


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568 


Nahrungs- und Genußraittel. 


Overijssel und Gelderland. In insgesamt 2795 untersuchten Proben wurden 
Werte erhalten, die in folgender Tabelle niedergelegt sind. 




Reiehert-Meissl- Refraktometerzahl 
Zahl bei 40° C 

Mittlerer Wasser¬ 
gehalt. 

Maxi- 
1 m um 

Mittel 

Mini- Maxi- Mj , 
muni nmxn 

Mini¬ 

mum 

Gesalzene 

Butter 

UDge«aI/.ene 

Butter 

1. Jan. — 

15. Jan. . . 

. i 30,2 

26,9 

23,0 46,1 44,3 

42,3 

14,3 

15,5 

15. Jan. — 

29. Jan. . . 

30,9 

27,5 

23,3 46,0 44,1 

42,4 

14,3 

14,9 

29. Jan. — 

12. Febr. 

30,3 

27,8 

23,7 I 45,1 44,0 

42,3 

14,3 

15,0 

12. Febr.— 

26. Febr. 

30,9 

oo 

to 

25,3 45,6 | 44,0 

42,4 

14,3 

15,3 

26. Febr. — 

12 . März . . 

• 31,0 

28,6 

24,1 45,9 1 44,0 

42,5 

14,0 

15,2 

12. März — 

26. März . . 

31,2 

28,9 

25,5 45,6 43,9 

42,1 

14,2 

16,1 

26. März — 

9. April 

32,0 

29,4 

26,0 45,5 43,8 

42,2 

14,1 

15,2 

9. April — 

23. April 

31,2 

29,2 

25,7 45,9 44,1 

42,4 

13,9 

15,5 

23. April — 

7. Mai . . 

31,7 

29,2 

26.3 | 45,7 44,0 

42,3 

14,0 

15,1 

7. Mai — 

21. Mai . . 

32,3 

29,3 

25,9 45,4 44,3 

42,8 

14,3 

15,4 

21. Mai — 

4. Juni . . 

30,8 

29,0 

26,6 ! 45,4 44,5 

43,8 

14,3 

15,6 

4. Juni — 

18. Juni . . 

31,9 

29,2 

26,7 j 45,6 44,6 

44,0 

14,5 

15,7 

18. Juni — 

2. Juli . . 

. 30,8 

28,8 

25,9 45,7 44,7 

43,8 

14,5 

16,2 

2. Juli — 

16. Juli . . 

. 30,0 

28,3 

25,3 45,7 44,6 

43,6 

14,2 

15,6 

16. Juli — 

30. Juli . . 

29,5 

27,6 

25,1 | 46,1 44,7 

44,1 

14,1 

15,9 

30. Juli — 

13. Aug. . . 

. 28,7 

26,9 

24,5 | 46,0 45,0 

44,2 

14,4 

. 15,8 

13. Aug. — 

27. Aug. . . 

. 29,2 

26,7 

24,4 | 46,4 45,3 

44,3 

14,6 

16,2 

27. Aug. — 

10. Sept. . . 

. 28,4 

26,5 

23,7 1 46,7 i 45,4 

44,4 

14,2 

16,2 

10. 8ept. — 

24. Sept. . . 

28,3 

26,2 

23,7 46,5 45,4 

44,5 

14,8 

16,1 

24. Sept. — 

8. Okt. . . 

29,1 

26,8 

23,7 1 46,4 45,0 

43,8 

14,5 

16,1 

8. Okt. — 

22. Okt. . . 

. 29,0 

26,3 

23,7 46,3 44,8 

43,2 

14,6 

16,0 

22. Okt. — 

5. Nov. . . 

28,6 

26,1 

23,5 46,0 44,7 

43,1 

14,5 

16,0 

5. Nov. — 

19. Nov. . . 

29,4 

26,9 

23,3 45,7 44,1 

42,7 

14,3 

15,2 

19. Nov. — 

3. Dez. . . 

29,4 

27.6 

23,7 I 45,5 1 43,5 

42,4 

18,8 

15,8 

8. Dez. — 

17. Dez. . . 

29,5 

27,6 

23,6 jl 45,5 43,5 

42,0 

13,7 

15,2 

17. Dez. — 

31. Dez. . . 

29,4 

26,9 

24,2 45,5 43,7 

42,5 

13,8 

15,7 

(Bericht der chemischer 

Untersuchungen der ButterkontrollstatioD 


Gelderlaud-Overijssel zu Deventer betr. das Dienstjahr 1906. Zwolle 1907.) 

II. Kühn bewies in einer ausführlichen Versuchsreihe, daß bei Be¬ 
stimmung der Polenske-Zahl bei Destillation über einem weitmaschigen 
Eisendrahtnetz ira Folenskescheu Apparat höher, im Wasserdampfstrom 
sonst nicht flüchtige Säuren mit übergehen, welche die Polenske-Zahl er¬ 
hüben. Dies geschieht namentlich gegen Ende der Destillation, also dann, 
wenn durch Anreicherung des Glycerins die Siedetemperatur zu steigen 
anfängt, mithin der Wasserdampf in den überhitzten Zustand übergeht. 
Beim Destillieren über einem Kupferdrahtnetz und merkwürdigerweise auch 
über freier Flamme tritt eine solche Überhitzung nicht ein. Die auffällige 
Wirkung des Eisendrahtnetzos beruht wahrscheinlich auf der größeren 
Wärmekapazität und dem geringeren Wärmeleitungsvermögen, welche das 
Eisen dem Kupfer gegenüber besitzt. (Zeitschr. f. Untersuchung d. Nahrungs¬ 
und Genußmittel, Bd. 14, S. 741.) 

M. Siegfeld stellt Erfahrungen zusammen, welche beweisen, daß die 
Polenske-Zahl (22. Jahresber., S. 566) der reinen Butter in ihrem Ver- 


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569 


Butter und Margarine. 

hältnis zur Reichert-Meissl-Zahl innerhalb yiel erheblicherer Grenzen 
schwankt, als Polenske ursprünglich angenommen hatte. Namentlich finden 
sich nach seinen eigenen Untersuchungen erhebliche Überschreitungen bei 
Fütterung der Milchkühe mit Kokoskuchen (vgl. auch Lührig, 24. Jahres¬ 
bericht, S. 613) und mit Rüben blättern. Diese Verhältnisse sind nicht bei 
besonderen Fütterungsversuchen festgestellt worden, sondern durch Ent¬ 
nahme von Proben aus normalen landwirtschaftlichen Betrieben. Verfasser 
bat das gesamte, zurzeit vorliegende Material von 354 Analysen zusammen¬ 
gestellt und teilt in folgender Tabelle die Grenzwerte mit, innerhalb deren 
sich die Polenske-Zahl für jede Einheit der Reichert-MeisBl-Zahl bewegt. 


Reichert- j 

Zugehörige F 

o 1 e n s k e - Zahl 

Reichert- 

Zugehörige Polenske-Zahl 

Meissl- 

Höchstwert 

Grenzwerte 

Meissl- 

Höchstwert 

Grenzwerte 

Zahl. ! 

nach i 

nach 

Zahl 

nach 

nach 


Polenske 

Siegleid 


| Polenske 

Siegfeld 

20—21 1 

1,9 

1,95—2,20 

28—29 

3,0 

1,20—4,10 

21—22 

2,0 

1,70—2,80 

29—30 

3,5 

1,35-4,85 

22—23 

2,1 

1,75—2,80 

30—31 ! 

— 

1,70—4,40 

23—24 

2,2 

1,30—2,73 

31—32 

— 

1,60—5,30 

24—25 

2,3 

1,40—2,65 

32—33 | 

— 

2,00—5,10 

25—26 

2,4 

1,50—3,10 

33—34 

i _ 

4,35-5,15 

26—27 

2,5 

l 1,85—2,98 

34—35 

— 

2,15—3,20 

27—28 

2,7 

1,30—2,75 

35 — 36 

— 

4,60 


Die Polen ske-Zahlen schwanken demnach in recht weiten Grenzen, 
und man würde recht erhebliche Mengen Kokosfett zusetzen können, um 
die niedrigsten Werte auf die höchsten zu erhöhen. Kann sonach die 
Methode Polenskes kleine Zusätze nicht mit Sicherheit nachweisen, ge¬ 
schweige denn sie quantitativ bestimmen, so bleibt sie doch ein wertvolles 
Hilfsmittel bei der Butteruntersuchung, wenn sie richtig augewendet wird. 
Man ist allerdings kaum in der Lage, außer vielleicht bei groben Ver¬ 
fälschungen, eine Beanstandung darauf allein zu gründen, und wird selbst 
bei hohen Polen ske-Zahlen guttun, den Beweis für das Vorhandensein von 
Pflanzenfett durch die Phytosterinacetatprobe zu erbringen. Daß man aber 
durch eine hohe Polenske-Zahl auf eine möglicherweise vorliegende Ver¬ 
fälschung aufmerksam wird, ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil. 
(Chemikerztg., Bd. 31, S.511.) 

A. W. Thorp modifizierte Polenskes Methode der Butterunter¬ 
suchung (22. Jahresber., S. 566). Nach Bestimmung der Reichert-Meissl- 
schen Zahl fügt Verfasser zu dem Destillationsrückstand 110 ccm Wasser 
hinzu und destilliert nochmals 110 ccm ab. Die in beiden Destillaten ent¬ 
haltenen unlöslichen Fettsäuren werden, genau wie es Polenske für das 
sonst übliche einmalige Destillat vorschreibt, in Alkohol gelöst, und die ver¬ 
einigten alkoholischen Lösungen mit Vio"normaler Natronlauge titriert. 
Man gebraucht für 5 g Butterfett hierbei nicht mehr als 8,4 ccm, für 5 g 
Kokosfett 34,0 ccm. (The Analyst, Bd. 31, S. 173.) 

W. Arnold lieferte äußerst wichtige Beiträge zum Ausbau der 
Chemie der Speisefette. Nach zwei Richtungen hin wird die Methodik 


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570 


NahrungB- und Genaßmittel. 

der Fettanalyse wesentlich erweitert. Einmal wird der Bestimmung der 
Polenske-Zahl des Fettes die Ermittelung des Molekulargewichtes der bei 
Polenskes Verfahren erhaltenen Fettsäuren hinzugefügt und außerdem 
die Bestimmung der Polenske-Zahl nicht nur in 5 g Fett, Bondern auch 
noch in einer wesentlich kleineren Fettmenge ausgeführt. Zum zweiten 
trennt der Verfasser die zu untersuchenden Fette in einen alkohollöslichen 
und einen alkoholunlöslichen Anteil, die beide, ebenso wie das ursprüngliche 
Fett, einer vollständigen Analyse zu unterwerfen sind. In der Arbeit wird 
ausführlich gezeigt, wie mittels dieser erweiterten Methodik sehr kleine 
Mengen von Kokosfett oder von Butterfett in Speisefetten nachgewiesen und 
wie namentlich auch Kokosfett und Butterfett in Mischungen, die beide ent¬ 
halten, erkannt werden können. (Zeitschr. f. Untersuchung der Nahrungs¬ 
und Genußmittel, Bd. 14, S. 147.) 

L. Robin gibt ein Verfahren zum Nachweis von Kokosfett und 
Oleomargarin im Butterfett an. Dasselbe beruht auf Ermittelung der 
Menge der in 56,5grädigem Alkohol löslichen Fettsäuren und des Verhält¬ 
nisses der in Wasser unlöslichen dieser Fettsäuren zu den in Wasser lös¬ 
lichen. Zwischen den drei genannten Fettarten bestehen in Beziehung auf 
die Größe dieser Werte recht erhebliche Unterschiede, wie folgende Tabelle 
zeigt: 



Alkohol- 

Davon in Wasser 

Verhältnis der 
wasserunlösliche* 


Fettsäuren 

I unlöslich 

löslich 

tu den wasser¬ 
löslichen 

t, .. . „ \ Maximum . . 

Butterfett< . 1 

' 14,83 

8,31 | 

6,66 

1,27 

1 Minimum . . 

11,67 

5,51 

5,92 ! 

0,83 

Oleomagarin. 1 

2,67 

2,56 

0,11 

28,27 

Kokosfett. 1 

46,69 

44,71 

1,98 | 

i 

22,59 


Die Zahlen dieser Tabelle bedeuten die zur Neutralisation der be¬ 
treffenden Säuren erforderlichen Kubikzentimeter Vio -Normallauge, bezogen 
auf 1 g Fett. (Compt rend. de l’academie des Sciences, Bd 143, S. 512.) 


E. Hinks beschreibt ein Verfahren zum Nachweis von Kakaobutter 
in Kuhbutter. Dasselbe beruht auf einer fraktionierten Kristallisation 
des Fettes aus Äther und aus Alkohol. (The Analyst, Bd. 32, S. 160.) 

K. Svoboda fand die von Wijsraan und Reijst (24. Jahresber., S.614) 
angegebene Silberzahlmethode bei einer sorgfältigen Nachprüfung un¬ 
brauchbar. Bei 57 von 80 untersuchten, zweifellos echten Butterproben war 
die zweite Silberzahl höher — und zwar teilweise recht bedeutend höher — 
als die erste Silberzahl. Das von Wijsman und Reijst angenommene Ver¬ 
hältnis zwischen den beiden Silberzahlen traf also bei des Verfassers Material 
in noch nicht einem Drittel aller Fälle ein. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- 
u. Genußmittel, Bd. 13, S. 15.) 

F. von Morgenstern und W. Wolbring sind auf Grund von Analysen 
der Butter zweier Kühe, deren eine Erdnußkuchen, deren andere Kokoskuchen 
neban Ilaferstroh, Heu und Kartoffeln als Futter erhielt, zu dem gleichen 


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571 


Butter und Margarine. 

Urteil über die Silberzahlmethode gelangt. (Zeitschr. f. Unters, d. 
Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 13, S. 184.) 

R. K. Dons hat nach einem Verfahren, welches der Silberzahlmethode 
prinzipiell recht nahe steht, von ihm so genannte „Caprylsäurezahlen“ 
am Butterfett bestimmt und glaubt in ihnen ein Hilfsmittel zum Nachweis von 
Kokosfett in Butter gewonnen zu haben. Fütterung der Kühe mit Kokos¬ 
kuchen beeinflußt die Caprylsäurezahlen nicht. Die absoluten Abweichungen 
der Caprylsäurezahlen der verfälschten Butter von denjenigen der unver¬ 
fälschten sind jedoch nur gering. (Zeitschr. f. Unters, <L Nahrungs- und Ge¬ 
nußmittel, Bd. 14, S. 333.) 

R. K. Dons wendet sich gegen Ausführungen von Ludwig und Haupt 
(24. Jahresber., S. 615), welche die Refraktion der nichtflüchtigen Fett- 
säuren zur Beurteilung der Butter heranziehen wollten. Er zeigt, daß die 
Voraussetzung nicht zutrifft, von der die genannten Autoren ausgingen, daß 
nämlich die Refraktion der nichtflüchtigen Fettsäuren durchaus nicht in 
engeren Grenzen schwankt, als diejenige des gesamten Butterfettes. Viel¬ 
mehr besteht zwischen beiden Größen in allen Fällen eine nahezu konstante 
Differenz, die etwa 10 bis 12 Refraktometergraden bei 40° C entspricht. 
(Zeitschr. f. Unters, d. Nabrungs- u. Genußmittel, Bd. 13, S. 257.) 

W. Ludwig entgegnet hierauf, daß er bei erneuter Untersuchung von 
111 Butterproben die Refraktion des Butterfettes bei 40° C zwischen 40,0 
und 43,6, die Refraktion der nichtflüchtigen Säuren zwischen 28,9 und 31,7, 
also tatsächlich innerhalb engerer Grenzen, schwankend fand. (Zeitschr. f. 
Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 208.) 

H. Sprinkmeyer und A. Fürstenberg kamen hingegen zu einem 
Ergebnis, das mit demjenigen von Dons übereinstimmt; sie messen deshalb 
dem Verfahren von Ludwig und Haupt bei raffinierten Verfälschungen 
keine Bedeutung für den Nachweis des Kokosfettes zu. Grobe Verfälschungen 
Aber lassen sich auch ohnehin nachweisen. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- 
u. Genußmittel, Bd. 14, S. 213.) 

Th. Sudendorf meint gleichfalls, daß die Beweiskraft der Refraktion 
der nichtflüchtigen Fettsäuren von Ludwig und Haupt überschätzt worden 
ist. Ihr Wert liegt, genau wie derjenige der Refraktion des Fettes selbst, 
Auf dem Gebiete der vorläufigen Orientierung, und sie läßt nur das erkennen, 
was man bereits aus der direkten Refraktion des Butterfettes zu entnehmen 
vermag. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- und Genußmittel, Bd. 14, S. 216.) 

W. Ludwig und H. Haupt weisen auf folgenden Unterschied zwischen 
den nichtflüchtigen Fettsäuren des Butterfettes und Kokosfettes 
hin. Erstere sind reich an Ölsäure, letztere sollen diese gar nicht enthalten, 
dagegen zeichnen sie sich durch einen außergewöhnlich hohen Gehalt an 
Laurinsäure aus. Auf dieser abweichenden Zusammensetzung beruht die 
große Verschiedenheit der Refraktometerzahl der nichtflüchtigen Fettsäuren 
des Butterfettes und des Kokosfettes. — Im Zusammenhänge hiermit be¬ 
schreiben die Verfasser eine Reaktion gegen eine anilinhaltige alkoholische 
Lösung von Furfuramid. Alle gesättigten Fettsäuren färben dieses Reagens 
unter Bildung von Furfuranilid rot, die ungesättigte Ölsäure bringt diesen 


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572 


Nahrungs- und Genußmittel. 


Farben Umschlag nicht hervor, und sie hindert auch die gesättigten Fett¬ 
säuren daran, wenn sie ihnen in erheblicher Menge beigemischt ist. (Zeitechr. 
f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 13, S. 605.) 

R. Cohn beschrieb eine neue Methode zum Nachweis von Kokosfett 
in Butter. Sie beruht auf der Löslichkeit der Seifen gewisser im Kokosfett 
enthaltener und für dasselbe charakteristischer Fettsäuren der Capron-, 
Capryl- und Caprinsäure, in Kochsalzlösung. Das zu untersuchende Butter¬ 
fett wird verseift und die Seife aus der Lösung durch Zusatz konzentrierter 
Kochsalzlösung ausgesalzen. Entsteht im Filtrat von den ausgeschiedenen 
Seifen auf Zusatz von Salzsäure eine Trübung, so sind noch Seifen von 
Capron-, Capryl- und Caprinsäure zugegen; das Fett enthielt mithin Kokos¬ 
fett. Die strenge Innehaltung der genau vorgeschriebenen Dosierung der 
einzelnen erforderlichen Reagenzien ist unbedingt erforderlich. Unter etwas 
abgeänderten Bedingungen eignet sich das Verfahren auch zum Nachweis 
von Palmfetten in Kakaobutter, Rindstalg, Schweineschmalz nsw. 
(Zeitschr. f. öffentl. Chemie, Bd. 13, S. 308; Chemikerzeitung, Bd.31, S. 855.) 

E. Ave-Lallemant hat eine neue Konstante, den „Barytwert“, für 
die Untersuchung und Begutachtung der Butter empfohlen. Verseift man 
ein Fett, bringt die neutralisierte erhaltene Seife in wässerige Lösung und 
setzt Baryumchloridlösung zu, so scheidet sich ein Teil der Fettsäuren als 
unlösliche Barytseife aus, ein anderer Teil bleibt als lösliche Seife in Lösung. 
Die den ersteren entsprechende Barytmenge, ausgedrückt in Milligrammen 
für lg Fett, bezeichnet Verfasser als „unlöslichen Barytwert“, die den 
letzteren entsprechende als „löslichen Barytwert“; die Summe beider ist der 
Gesamtbarytwert. 

Verfasser fand, daß ein weder ranzig noch talgig verändertes Butterfett 
einen unlöslichen Barytwert von 247 bis 251 gibt. Infolge besonderer 
Fütterrungsverhältnisse kann dieser Wert auf 253 bis 254 steigen. Der 
lösliche Barytwert liegt beim Butterfett zwischen 50 und 65. Die Differenz 
zwischen dem unlöslichen und dem löslichen Wert ist bei unverfälschtem 
Butterfett stets kleiner als 200. Butterfett mit einem unlöslichen Barytwert 
von über 254 oder einem löslichen Barytwert von unter 50 ist stets hoch¬ 
gradig verdächtig. Ein Butterfett, bei dem die Differenz beider Werte 201 
wesentlich überschreitet, ist als verfälscht anzusprechen. Kokosfettzusatx 
verrät sich durch starke Erhöhung des unlöslichen Barytwertes, welcher 
auf je lOProz. Zusatz um ungefähr 4,5 bis 5 mg ansteigt. Auch kombinierte 
Fälschungen mit Kokosfett und Talg oder ähnlichen Mischungen können 
schon bei Zusätzen von 10 bis 15 Proz. meistens mit Sicherheit erkannt 
werden. Stark ranziges Butterfett, sowie Butterschmalz, welches eiuer starken 
Erhitzung ausgesetzt war, schließen eine Beurteilung nach dem angegebenen 
Verfahren aus. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, 
S. 317.) 

M. Fritzsche fand bei einer Nachprüfung dieses Verfahrens die 
Angaben Ave-Lallemants im allgemeinen bestätigt, wenngleich er an 
seinem Material — vorwiegend holländische Butter — eine größere Latitude 
der Grenzwerte beobachtete, als der genannte Autor. Verfasser glaubt, daß 
das Verfahren in manchen bisher zweifelhaft bleibenden Fällen bei gleich- 


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Butter und Margarine. 


573 


zeitiger Berücksichtigung der übrigen Analysenwerte — Reichert-Meissls 
Zahl, Refraktion u. a. — Klarheit bringen kann. In zwei Fällen von ab¬ 
normer, aber völlig reiner holländischer Butter versagte allerdings die Methode 
vollständig. (Zeitscbr. f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 329.) 

J. Hanus fand ein neues Unterscheidungsmerkmal zwischen 
Butterfett und Kokosfett auf. Dasselbe beruht auf der sogenannten 
Alkoholyse der Fette, d. h. auf der Erscheinung, daß Fette, wenn sie in 
alkoholischer Lösung mit einer zur Verseifung unzureichenden Menge Alkali 
zu8ammengebracbt werden, unter Glycerinabspaltung in Fettsäureäthylester 
übergeführt werden. Diese Äthylester zeigen nun insofern ein verschiedenes 
Verhalten, als bei einer fraktionierten Destillation derselben bei Butterfett 
die erste Fraktion mehr Lauge zur Verseifung erfordert als die folgende, 
während beim Kokosfett gerade das Umgekehrte der Fall ist. Verfasser 
hofft, auf Grund dieser Beobachtung zu einem Verfahren gelangen zu können, 
das den Nachweis von 5 Proz. Kokosfett in der Butter gestattet. Auch glaubt 
er, die Methode auf den Nachweis von Palmfetten in Schweineschmalz, 
Margarine usw. anwenden zu können. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. 
Genußmittel, Bd. 13, S. 18.) 

H. Lührig und A. Hepner veröffentlichen ausführliche Mitteilungen 
über die analytischen Konstanten des Butterfettes, das aus der Misch¬ 
milch von 99 Kühen gewonnen wurde, die eine starke Rübenblattfütterung 
erhielten. Die Versuche erstreckten sich auf 18 Proben von ebensoviel Einzel¬ 
tagen. 

Die Reichert-MeissIsche Zahl weist während der Rübenblattfütterung 
nur geringe Schwankungen auf, die Verseifungszahl steigt bis zu 233, die 
Verseifungszahl der nichtflüchtigen Fettsäuren bis zu 227; dementsprechend 
fallen die Molekulargewichte der letztgenannten Fettsäuren. Auch die 
Polenske-Zahl steigt, die Jodzahl sinkt, und die Refraktion zeigt negative 
Differenzen bis zu — 4,2. In mehrfacher Beziehung wird also durch Rüben¬ 
blattfütterung das Butterfett derart verändert, daß man geneigt sein könnte, 
aus seinen analytischen Konstanten auf eine Verfälschung mit Kokosfett zu 
schließen. 

Mit Beziehung auf die Donssche Capryl9äurezahl sind die Verfasser 
bei ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis gelangt, daß sie weitestgehende 
Nachprüfung verdient; auch über die Zerlegung der Polenskeschen 
Fettsäuren nach Arnold urteilen sie günstig. Dagegen befanden sie die 
von Ave-Lallemant für die Barytzahl aufgestellten Grenzwerte als un¬ 
zutreffend. 

Von den 18 untersuchten Butterfetten bereiteten die Verfasser eine 
Mischprobe und vermischten 80 Teile derselben mit 15 Teilen Schweine¬ 
fett und 5 Teilen Kokosfett. Eine sehr umfassende Untersuchung dieser 
20 Proz. Fremdfette enthaltenden Probe unter Heranziehung auch zahlreicher 
von den neu empfohlenen Methoden ergab „Werte, an denen die Kunst des 
Chemikers zurzeit scheitert“. Keine der Zahlen läßt sich in der Weise 
heranziehen, daß man sie als sicheren Beweis für die stattgehabte Ver¬ 
fälschung verwerten könnte. (Pharmazeutische Zentralhalle, Bd. 48, S. 1049 
u. 1067.) 


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574 


Nahrungs- und Genußmittel. 


M. Siegfeld wies in umfassenden Versuchsreihen nach, daß die Ver- 
fütterung von Rabenblättern und Röbenköpfen an die Kahe die 
Zusammensetzung des Butterfettes weitgehend beeinflußt. Es zeigt 
sich, daß die Reichert-Meisslsche Zahl bei Rflbenblattfütterung durchgängig 
hoch ist. Ganz unverhältnismäßig stärker wird die Polenske-Zahl erhöht. 
Unmittelbar nach Beginn der Rübenblattfatterung findet eine sprunghafte 
Steigerung statt, während der ganzen Dauer bleibt sie auf dieser bisher noch 
nicht beobachteten Höhe und sinkt nach dem Aufhören ebenso schnell wieder 
auf ihren früheren Stand. Die Jodzahl ist in sämtlichen Rabenblatt-Butterfetten 
sehr niedrig, sie sinkt unmittelbar nach Beginn der Rübenblattfatterung 
ebenso sprungweise wie die Polenske-Zahl steigt. Auch das Molekular¬ 
gewicht der nichtflüchtigen Fettsäuren ist während der Dauer der Rüben- 
blattfütterung außerordentlich niedrig. 

Diese Befunde sind von Bedeutung für die Beurteilung der Butter. Der 
Rübenbau erstreckt sich über einen großen Teil Deutschlands, und die Ver- 
fütterung frischer Blätter und Köpfe dauert von Ende September bis in den 
Dezember hinein. Um diese Zeit kann man also nicht bloß aus einzelnen 
Gehöften, sondern aus großen Molkereien Butter erhalten, die ausschließlich 
aus der Milch von mit Rübenblättern gefütterten Kühen gewonnen ist. 
(Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 13, S. 513.) 

C. Amberger konnte auf Grund eigener Fütterungsversuche an zwei 
Kühen — mittelfränkisches Fleckvieh — feststellen, daß durch eine Fütte¬ 
rung mit Runkelrüben die Zusammensetzung des Butterfettes 
wesentlich beeinflußt wird. Die Verseifungszahl ist relativ hoch, ebenso die 
Polenske-Zahl, die Juckenacksche Differenzzahl (22. Jahresber., S. 567) 
nimmt negative Werte bis zu — 9 an, kurz das ganze Analysenbild verändert 
sich in der Richtung, wie es mit Kokosfett verfälschte Butter zu zeigen pflegt. 
In der Tat ist auch analog zusammengesetzte Butter, die aus Wirtschaften 
mit Rübenfütterung stammte, bei der Nahrungsmittelkontrolle als verdächtig 
bezeichnet worden. Der Verfasser konnte zeigen, daß die angegebene Ver¬ 
änderung der Beschaffenheit des Butterfettes auf den Zuckergehalt des 
Futters zurückzuführen ist. 

Verfasser hat noch eine weitere Reihe von Fütterungsversuchen vor- 
genommeu, und zwar mit proteinreicher Nahrung in Form von Malz¬ 
keimen. Das Analysenbild der Butter war ein ähnliches, wie es sonst bei 
Gemengen von Butterfett mit Talg bzw. Margarine erhalten wird. (Zeitschr. 
f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 13, S. 614.) 

T. R. Hodgson kommt bei einer Prüfung des Wertes der ver¬ 
schiedenen ButterunterBuchungsverfahren zu Ergebnissen, die teil¬ 
weise von dem allgemeinen Urteil der Fachkreise abweichen. Die Bestimmung 
der Verseifungszahl erklärt er für wertlos; die Reichert-Meisslsche und 
die Polenske-Zahl vermögen nur die Gegenwart größerer Mengen Kokosfett 
erkennen zu lassen. Die Bestimmung der Silberzahl nach Wijsman und 
Reijst (24 Jahresber., S. 614) hält Verfasser für das beste qualitative Er¬ 
kennungsmerkmal; sie soll nach ihm schon Zusätze von 5 Proz. Kokosfett 
anzeigen. Thorps Methode (vgl. S. 569) gibt ein ausgezeichnetes be¬ 
stätigendes Merkmal für die mit Hilfe anderer Verfahren bereits gewonnene 


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Butter und Margariue. 


675 


Beurteilung einer Butterprobe; da« gleiche gilt von dem Phytosterinnachweis. 
Quantitative Schlüsse auf die Menge zugesetzten Kokosfettes soll man 
nach dem Verfasser auf die Ermittelung der Jodzahl gründen können. 
Referent möchte dieser letzten Angabe ausdrücklich widersprechen mit dem 
Hinweis darauf, daß bei reinem unverfälschten Butterfett Schwankungen der 
Jodzahl von 26 bis 38 beobachtet worden sind. (Chemical News, Bd. 95, 
S. 121.) 

H. Sprinkmeyer und A. Fürstenberg fanden bei der Untersuchung 
von 10 Proben Ziegenbutter, daß sich dieselbe in mehrfacher Beziehung 
von der Kuhbutter unterscheidet. Ihre Reichert-Meiasl-Zahl ist oft sehr 
niedrig (unter 24), die Differenzzahl nach Juckenack und Pasternack 
(22. Jahresber., S. 567) erreicht verhältnismäßig erhebliche negative Werte 
(bis — 13,0), und die Polenske-Zahl ist sehr hoch, sie überschreitet meistens 6. 
Die analysierten Ziegenbutterproben waren aus der Milch einzelner Ziegen 
bereitet, die am Beginn der Laktationsperiode standen. (Zeitschr. f. Unters, 
d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 390.) 

P. Buttenberg hat in 148 Margarineproben, die aus 17 verschiedenen 
Fabriken stammten, Bestimmungen des Wassergehaltes vorgenommen. 
Derselbe schwankte zwischen 8,8 und 20,0 Proz., 43 Proben enthielten mehr 
als 16 Proz. Wasser. Überall lag gesalzene Margarine vor. Im allgemeinen 
zeigte sich, daß bestimmte Fabriken häufig wasserreiche Ware in den Handel 
bringen, wärend andere regelmäßig ein Produkt von niedrigem Wassergehalt 
herstellen. Es dürfte daher sehr wohl für alle durchführbar sein, den Wasser¬ 
gehalt gleichmäßig niedrig zu halten. 

Der Wert der Margarine als Nahrungsmittel wird durch einen hohen 
Wassergehalt unnötig herabgesetzt, und man kann mit Recht an die Margarine 
in dieser Beziehung dieselben Anforderungen stellen, wie an Butter. Die 
bisherigen gesetzlichen Bestimmungen reichen zur Durchführung dieser An¬ 
schauung in der praktischen Nahrungsmittelkontrolle nicht aus, und es er¬ 
scheint daher wünschenswert, die Geltung des Bundesratsbeschlusses vom 
1. März 1902 — demzufolge gesalzene Butter nicht mehr als 16 Proz. Wasser 
enthalten darf — auf Margarine auszudehnen. (Zeitschr. f. Unters, d. 
Nahrungs- und Genußmittel, Bd. 13, S. 542.) 

A. Reinsch untersuchte 81 Margarineproben verschiedener Herkunft 
auf ihren Wassergehalt. Derselbe überstieg bei 20 Proben den Wert von 
16 Proz. (Bericht des Chemischen Untersuchungsamtes der Stadt Altona 
für das Jahr 1907, S. 19.) 

E. Bern elma ns konnte nach weisen, daß durch Zusatz von Benzoesäure 
die Reichert-Meisslsche Zahl eines Fettes merklich erhöht werden kann. 
Dieses Eregebnis ist unter Umständen von praktischer Bedeutung, weil Benzoe¬ 
säure als Konservierungsmittel für Margarine gebraucht wird. Salicylsäure 
erhöht gleichfalls die Reichert-Meisslsche Zahl, aber nicht in demselben 
Maße, wie Benzoesäure. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, 
Bd. 13, S. 492.) 

A. Lauffs und J. Huismann konnten nachweisen, daß in ranzigen 
Fetten die Baudouinsche Reaktion trotz Gegenwart von Sesamöl 


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676 


Nahrung»- und Genußmittel. 


entweder ganz negativ ausfiel oder doch nur sehr schwache, innerhalb kurzer 
Zeit (10 bis 15 Minuten) vollständig verschwindende Färbungen zeigte. Die 
Verfasser nehmen an, daß die durch den Ranziditätsvorgang gebildeten 
Körper von aldehyd- und ketonartiger Natur an Stelle des Furfurols treten 
und sich statt dessen mit dem reaktionsfähigen Bestandteil des Sesamöles, 
dem sogenannten Sesamin, kondensieren. Weiter fanden sie jedoch, daß diese 
störende Wirkung auf die Reaktion durch einen Zusatz von Baumwollsamenöl 
zur Reaktionsmischung aufgehoben wird. Dies verdichtet sich für die Praxis 
zu der Forderung, man solle zur Prüfung von Butter, Margarine und anderen 
Fetten oder Fettgemischen auf Sesamöl nach Baudouin nie ohne weiteres 
die reinen, ausgeschmolzenen Fette, sondern stets Mischungen derselben mit 
etwa gleichen Mengen Baumwollsamenöl verwenden. (Chemikerzeitung, Bd. 31, 
S. 1023.) 


Andere Speisefette und Öle. 

A. Börner gibt in einer Arbeit über den Gehalt des Rinds- und 
Hammeltalges an Tristearin zunächst wichtige Aufklärungen über den 
sogenannten doppelten Schmelzpunkt der Fette und kommt im übrigen 
zu folgenden Resultaten: Entgegen den Untersuchungsergebnissen von 
Hansen (21. Jahresbericht, S. 548), sowie von Kreis und Hafner (22. Jahres¬ 
bericht, S. 570), die in Rinds- und Hammeltalg als unlösliches Glycerid 
ein Palmitodistearin fanden, ergaben des Verfassers Untersuchungen, daß 
sowohl im Rinds- wie im Hammeltalg Tristearin vorhanden ist und in reinem 
Zustande durch Kristallisation daraus zu gewinnen ist. Seine Menge ist je¬ 
doch viel kleiner, als man früher angenommen hatte; sie betrug in dem 
untersuchten Rindstalg nur etwa 1,5 Proz. und in dem Hammeltalg etwa 
3 Proz.; in einem Rindspreßtalg des Handels wurden 4 bis 5 Proz. Tristearin 
gefunden. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 90.) 

A. Leys hat durch Kristallisation der festen Fette aus mercuriacetat- 
haltigem Eisessig Glyceride erhalten, die für jede Fettart einen bestimmten 
scharfen Schmelzpunkt zeigen sollen. Der Verfasser will hierauf ein Ver¬ 
fahren zum Nach weis der Beimengungen solcher Fette zum Schwein e- 
schmalz gründen. Jedes Schweineschmalz, das nach der angegebenen 
Arbeitsweise ein Glycerid von niedrigerem Schmelzpunkt als 60° liefert, ent¬ 
hält ein fremdes festes Fett Die Beimischung fetter öle zum Schmalz soll 
ohne Einfluß auf das angegebene Merkmal bleiben. (Compt. rend., Bd. 145, 
S. 199.) 

Ed. Polenske beschreibt ein auf neuer Grundlage beruhendes Ver¬ 
fahren zum Nachweis einiger tierischer Fette in Gemischen mit 
anderen tierischen Fetten. Während Pflanzenfette in Gemischen mit 
tierischen Fetten oftmals durch Spezialreaktionen, allgemein aber durch die 
Phytosterinacetatprobe nachgewiesen werden können, ist der Nachweis de» 
Fettes einer Tiergattung in Mischung mit anderen tierischen Fetten zurzeit 
noch mit Schwierigkeiten verknüpft. Diese in der chemischen Untersuchung 
der Fette bestehende Lücke wird in der Praxis vielseitig ausgenutzt, um 
wertvolle Tierfette mit solchen von geringerem Werte zu fälschen. 


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577 


Andere Si>eiBefette und öle. 

Das neue Verfahren gestattet, den in Rede stehenden Nachweis bis zu 
einem gewissen Grade zu erbringen. Ihm liegt die bisher unbekannte Beob¬ 
achtung zugrunde, daß die Temperaturdifferenz zwischen dem Schmelz- und 
Erstarrungspunkte bei den Fetten verschiedener Tierarten nicht gleich groß 
ist, aber für das Fett einer Tierart eine ziemlich konstante Größe besitzt. 
Diese Temperaturdifferenz bezeichnet Verfasser als „Differenzzahl“; für 
ihre Festlegung müssen natürlich Schmelzpunkt und Erstarrungspunkt ein¬ 
heitlich definiert und nach einheitlichem Verfahren bestimmt werden. Genau 
ausgearbeitete Vorschläge hierzu enthält die Arbeit. Unter Befolgung der¬ 
selben findet man für die einzelnen tierischen Fette folgende Werte für die 


Differenzzahl: 

Bindstalg.12,8 bis 14,7* C. Gänseschmalz.14 bis 16,2° C. 

Schweineschmalz .... 19 bis 21* C. Butterfett.11,8 bis 14,3* C. 


Das Schweineschmalz hat hiernach die höchste Differenzzahl, und es 
läßt sich auf Grund dieser Eigenschaft ein Schluß auf seine Gegenwart in 
einem der anderen tierischen Fette ziehen, wenn dessen Differenzzahl den 
erfahrungsgemäß an reinem Material yorkommenden Höchstwert überschreitet. 
Der Nachweis wird um so unsicherer, je weiter die Grenzwerte bei dem un¬ 
verfälschten Fett auseinanderliegen; das führte zu dem Vorschläge des Ver¬ 
fassers, Butterfett vor der Untersuchung mindestens 25 Proz. Rindstalg oder 
Premier jus zuzusetzen und dadurch seine natürlichen Grenzwerte einzuengen. 

Außer dem Schweineschmalz ist dem Verfasser nur noch ein Fett, die 
Sheabutter aus dem Samen von Bassia Parkii, bekannt geworden, die eine 
gleich hohe Differenzzahl von 20 zeigt. Ob dieses Pflanzenfett schon zur 
Fälschung von Butter verwendet worden ist, darüber liegen noch keine 
sicheren Angaben vor. (Arb. a. d. Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. 26, S. 444.) 

Ed. Polenske macht Mitteilungen über den Wassergehalt im 
Schweineschmalz. Das als Speisefett feilgehaltene Schweineschmalz ent¬ 
hält nicht selten eine Beimischung von Wasser, die in vereinzelten Fällen 
2 Proz. erreicht, meist aber unter 1 Proz. liegt. Schmalz, dessen Wassergehalt 
0,45 Proz. nicht überschreitet, wird beim allmählichen Erhitzen über seinen 
Schmelzpunkt hinaus bis 95°C völlig klar. Beim Abkühlen trübt es sich 
dann durch ausgeschiedene kleinste Wassertröpfchen, und die Trübungs- 
temperatnr ist abhängig von dem Wassergehalt; entsprechend Schwankungen 
desselben von 0,15 bis 0,45 Proz. schwankt sie von 40,5 bis 95,5° C. Verfasser 
hat auf Grund dieser Beobachtungen ein Verfahren ausgearbeitet, nach 
welchem der Wassergehalt aus der Trübungstemperatur quantitativ ermittelt 
werden kann. Es dürfte sich empfehlen, Schweineschmalz wegen seines 
Wassergehaltes dann zu beanstanden, wenn seine konstante Trübungstempe- 
ratur über 75° C liegt, d. h. wenp es mehr als 0,3 Proz. Wasser enthält. 
(Arb. a. d. Kaiserl. Gesundsheitsamte, Bd. 25, S. 505.) 

W. McPherson und W. A. Ruth besprechen die Verwendung von 
Maisöl zur Verfälschung von Schweineschmalz. Zusätze bis zur Höhe 
von 10 Proz. lassen sich äußerlich nicht erkennen, auch ließ sich Backware, 
die mit solchen Mischungen hergestellt war, nicht von der mit reinem Schmalz 
bereiteten unterscheiden. Zum Nachweis der angegebenen Verfälschung ist 
die Bestimmung der Jodzahl und der Refraktometerzahl kaum geeignet. 

Vierteljahnschrift für Gesundheitspflege, 1908 . Supplement. 37 


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578 


Nahrungs- und Genußmittel. 

Dagegen ließ sich eine Zumischung von 2 Proz. Maisöl zum Schmalz mit 
Hilfe der Phytosterinacetatprobe (22. Jahresbericht, S. 567) mit Sicherheit 
erweisen. Nur darf man nicht vergessen, daß diese Prüfungsweise nur die 
Gegenwart von Pflanzenöl im allgemeinen anzeigt und keine Spezialreaktion 
auf Maisöl ist. (Journ. of the American Chemical society, Bd. 29, S. 921.) 

0. Sachs kommt auf die Frage zurück, ob gelb gefärbtes Kokos- 
nußfett den Bestimmungen des deutschen Margarinegesetzes vom 15. Juni 
1897 entspricht. (VergL P. Behrend, 24. Jahresbericht, S. 618.) Er ver¬ 
neint dies für harte, gelb gefärbte Kokosbutter und ebenso für gelbe Kokos¬ 
butter, die durch mechanische Knetung weich und geschmeidig gemacht ist- 
Dagegen unterliegt mit Pflanzenölen vermischtes und dadurch streichbar 
gemachtes Kokosfett, ebenso wie emulgierte Naturbutterimitation den Be¬ 
stimmungen des Gesetzes. (Chemische Revue über die Fettindustrie, Bd. 14, 
S. 159, Ref. in Chemikerztg., Bd. 31, Report., S. 391.) 

G. Fendler hält demgegenüber daran fest, daß gelb gefärbtes Kokos¬ 
fett, in welcher Form es auch in den Handel komme, ob hart, streichbar oder 
emulgiert, mit anderen Fetten gemischt oder nicht, Margarine im Sinne des 
Gesetzes sei. (Chemische Revue über die Fett- und Harzindustrie, Bd. 14, 
S. 243; Ref. in Chemikerztg., Bd. 31, Repert., S. 554.) 

Ein Anonymus teilt mit, daß das unter dem Namen Sanella in den 
Handel gebrachte Speisefett als Hauptbestandteil Kokosfett (etwa 70 Proz.) 
enthält. Daneben war Sesamöl, sowie ein gelber Farbstoff nachzuweisen. 
Milch ist nicht zugesetzt; der wässerige Anteil enthält einen Bodensatz, der 
unter dem Mikroskop als dünnwandiges parenchymatisches Gewebe mit Fett¬ 
tröpfchen und feinkörniger Proteinsubstanz (süße Mandeln?) erscheint. 
(Pharmazeutische Zentralhalle, Bd. 48, S. 6 und 23.) 

E. Ru pp nimmt den schon früher von anderer Seite gemachten Vor¬ 
schlag wieder auf, die Halphensche Probe auf Baumwollsamenöl im 
geschlossenen Reaktionsgefäß auszuführen. Statt eines zngeschmolzenen 
Rohres benutzt er hierbei eine gewöhnliche Glasstöpselflasche, deren Stopfen 
mit Pergamentpapier Überbunden oder einfach durch einen sogenannten 
Champagnerknoten verschnürt ist. Verfasser zeigt, daß bei einer derartigen 
Versuchsanordnung die Empfindlichkeit der Reaktion weit höher ist, als bei 
dem Erhitzen im Reagierzylinder mit Steigrohr, wie es die Ausführungs¬ 
bestimmungen zum deutschen Fleischbeschaugesetze vorschreiben. (Zeitschr. 
f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 13, S. 74.) 

Käse. 

0. Jensen veröffentlicht Bemerkungen über Lab und Labbereitung. 
Aus Versuchsergebnissen früherer Forscher läßt sich der Schluß ziehen, daß 
im Lab ein vom Pepsin verschiedenes proteolytisches Enzym vorkommt, für 
das Verfasser den Namen Kasease vorschlägt. Es ist anzunehmen, daß die 
Bildung löslicher Eiweißstoffe in Käsesorten, in denen die Vermehrung der 
verflüssigenden Kokken durch schnell einsetzende Säuerung oder durch sehr 
hohe Temperaturen auf der Presse gehemmt wird, hauptsächlich der Kasease 
zuzuschreiben ist. 


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Käse. 


579 


Infolge des Reichtums der Tiermagen an verschiedenen Enzymen ist es 
nicht gleichgültig, wie man das Lab für die Käsebereitung darstellt, und man 
erhält aus Kälbermagen je nach Art des Extraktionsmittels Lablösungen, in 
denen das Mischungsverhältnis der Enzyme verschieden ist. Deshalb unter¬ 
scheiden sich auch Naturlab und Kunstlab in ihrer Wirkung. Das Ideal 
bleibt die Verwendung von Kunstlab von genau bekannter Stärke und von 
Reinkulturen, deren Menge jeden Tag dem Säüregrade der Milch anzupassen 
ist. Verfasser unternahm Versuche zur Bereitung eines geeigneten Kunst- 
lahs für die Herstellung des Emmentaler Käses; am wirksamsten erwies sich 
bisher ein aus Labmagen mittels verdünnter Milchsäure hergestelltes Extrakt. 
(Landw. Jahrbuch d. Schweiz 1907, Heft 2; Ref. in Zentralbl. f. Bakt., Abt. 2, 
Bd. 19, S. 592.) 

F. W. J.Boekhout und J. J. Ott de Vries gingen bei Versuchen über 
die Käsereifung von dem Gedanken aus, den Einfluß verflüssigender 
Bakterienarten zu studieren, da die Käsereifung in der Hauptsache in Ab¬ 
änderungen der Parakaseine bestehen muß. Zur Prüfung in dieser Hinsicht 
diente ein verflüssigender, aus Käse isolierter Diplococcus, der in Symbiose 
mit Reinkulturen von Milchsäurefermenten und stäbchenförmigen fakultativen 
Milchsäurefermenten angewendet wurde. Es ergab sich, daß die Diplokokken 
nichts mit der Käsereifung zu tun hatten. Weitere Versuche erstreckten 
sich auf die Frage, ob der Käse ein Enzym enthält, welches die Gelatine 
verflüssigt. Auch diese Versuche zeitigten ein negatives Ergebnis. (Zentralbl. 
f. Bakt., Abt. 2, Bd. 19, S. 526.) 

0.Laxa weist darauf hin, daß einige ältere Arbeiten bereits zu dem 
Ergebnis führten, daß die Gegenwart der Laktose die Peptonisierung 
des Eiweißes bei der Käsereifung zu fördern scheint. Verfasser 
stellte eigene Versuche an reinem Kasein hei Gegenwart von Laktose und 
von Milchsäure mit Reinkulturen oder Mischkulturen mehrerer Mikroorga¬ 
nismen an. Es wurden verwendet die Milchsäurehakterien der Art Bacillus 
lactis acidi: Bacillus a (Freudenreich), Streptococcus Nr. 1 aus Backstein¬ 
käse gezüchtet; Gelatine peptonisierende Bakterien: Bacillus Nr. 1 und Nr. 2 
aus Backsteinkäse gezüchtet, ferner Oidium lactis. Im allgemeinen unter¬ 
stützt die Laktose bei einigen Organismen die Peptonisation von Kasein, 
während die Milchsäure in bestimmter Menge auf den Peptonisierungsprozeß 
hemmend einwirkt. Die peptonisierenden Bakterien sind gegen Milchsäure 
sehr empfindlich, während die Schimmelpilze die Milchsäure leichter ver¬ 
tragen, da sie dieselbe zerlegen. Aus den Versuchen geht weiter hervor, daß 
bei der Zersetzung von Kasein flüchtige Säuren gebildet werden. (Milch- 
wirtsch. Zentralbl. 1907, Nr. 5; Ref. in Zentralbl. f. Bakt., Abt. 2, Bd. 19, 
S. 593.) 

L. L. van Slyke und A. W. Bosworth untersuchten die chemischen 
Umsetzungen bei der Reife des Cheddarkäses. Zu fünf verschiedenen 
Malen stellten die Verfasser Cheddarkäse in üblicher Weise her und ließen 
denselben bei 15,5° C reifen. Das unlösliche Proteid des frischen Käsebruches 
(Calcium - Parakasein) verändert sich rasch in ein in 5 prozentiger Koch¬ 
salzlösung bei 55° C lösliches Globulin. Nach 9 bis 10 Stunden ist diese 
Umwandlung bereits beendigt. Dann tritt, zunächst schnell und im weiteren 

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680 


Nahrungs- und Genußmittel. 


Verlauf allmählich fortschreitend, eine Rückverwandlung des in Kochsalz¬ 
lösung löslichen Proteids in ein darin unlösliches ein. Nach Beendigung auch 
dieses Vorganges scheinen wasserlösliche Proteide sich nur in sehr unbe¬ 
deutender Menge einzustellen. 

Die Calcium Verbindungen und die Phosphate des Käses, die anfangs 
unlöslich sind, werden löslich, und zwar die Phosphate vollständig, das Calcium 
bis zu 80 Proz. seiner Menge. Dieses Löslichwerden steht in Beziehung zur 
Entstehung von Milchsäure und deren Einwirkung auf die Salze des Käses. 
Die unlöslich bleibenden 20 Proz. des Calciums finden sich in dem gebildeten 
Globulin. Die Azidität des wässerigen Auszuges aus normalem Cheddarkäse 
ist hauptsächlich auf Calciumdihydrophospbat und nicht auf freie Milchsäure 
zurückzuführen. (New York Agricultural Experiment Station, Geneva. 
Technical Bulletin Nr. 4. April 1907.) 

A. W.Bosworth veröffentlichte chemische Studien über Camembert - 
käse. Die Vorgänge bei der Reifung sind, soweit sie durch Bakterien ver¬ 
anlaßt werden, durchaus analog den beim Cheddarkäse (vgL das vorher¬ 
gehende Referat) festgestellten. Hierzu kommt aber noch die Einwirkung 
von Schimmelpilzen, die eine sehr wichtige, wenn nicht die wichtigste Rolle 
bei der Camembertreifung spielen. Diese Schimmelpilze beginnen am zehnten 
oder zwölften Tage ihrer Entwickelung ein proteolytisches Enzym abzu¬ 
scheiden, welches die zuvor durch Bakterienwirkung unlöslich gewordenen 
Proteide in wasserlösliche Verbindungen überführt. Die folgende Tabelle 
läßt die Verteilung des Stickstoffs auf seine verschiedenen Verbindungsformen 
im reifen Camembert erkennen: 


Herkunft des Käses. 

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Amerika. 

3,39 3,11 

91,7 

66,2 

22,5 

11,3 

Deutschland. 

— — 

— 

60,4 

32,7 

6,9 

Frankreich. 

3,13 2,79 | 

94,9 

49,8 

30,0 

20,2 

Vom Verfasser hergestellt 

2,52 2,25 

89,3 

35,1 

44,9 

20,0 

Desgleichen. 

— — 

— 

52,1 

33,1 

14,8 


(New York Agricultural Experiment Station, Geneva. Technical Bulletin 

Nr. 5. June 1907.) 


F. W. J. Boekhout und J. J. Ott de Vries versuchten die Ursache des 
Käsefehlers, den man auf holländisch „kort“ (kurz) nennt, zn ergründen. 
Der genannte Fehler dokumentiert sich in einer harten, kreidigen und bröck¬ 
ligen Beschaffenheit der Käsemasse. Die Verfasser gehen von folgenden 
Betrachtungen aus. Die Vergärung der Laktose zu Milchsäure erfährt Still¬ 
stand, sobald eine gewisse Azidität erreicht ist; nimmt man jedoch die ge¬ 
bildete Säure durch Zusatz des neutralisierend wirkenden Calciumcarbonats 
weg, so vermag die Gäruug bis zu Ende, d. h. bis zur Umwandlung des 
gesamten Milchzuckers fortzuschreiten. Ebenso wie Calciumcarbonat wirkt 
auch das in der Milch enthaltene normale Calciumorthophosphat (Ca g P0 4 ) 


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Käse. 


581 


neutralisierend; es geht dabei in Calciumdihydrophosphat (CaH 4 P 2 0 8 ) über. 
Doch ist sein Vorkommen in der Milch quantitativ derart hinter dem Laktose¬ 
gehalt zurücktretend, daß eine vollständige Vergärung der Laktose, bzw. eine 
Bindung erheblicher Milchsäuremengen unmöglich ist. 

Anders ist dies jedoch beim sorgfältig bearbeiteten Käsebruch. Hier 
wird die Laktose mit der Molke größtenteils entfernt, während das un¬ 
lösliche normale Calciumpbosphat zurückbleibt und relativ angereichert wird. 
Infolgedessen kann die beim Reifungsprozeß entstehende Milchsäure zu einem 
großen Teil gebunden werden. Dies ist, wie die Verfasser zeigen, tatsächlich 
auch im normalen Holländer Käse der Fall. Bleibt aber infolge einer un¬ 
genügenden Ausarbeitung des frischen Bruches ein Übermaß von Molke in 
ihm zurück, so ist auch ein relativer Überschuß an Laktose die Folge, der 
wieder zu einem Übermaß an freier Milchsäure bei der Reifung und damit 
zu dem Käsefehler „kort“ führt. 

Es versteht sich, daß die sogenannten „Molkenfleckchen“ gleichfalls ihre 
Entstehung stelleuweisen Molkenanhäufungen im Käse verdanken; an diesen 
Stellen wird ein Zustand geschaffen, ganz ähnlich dem im ungenügend be¬ 
arbeiteten Käse. 

Außer durch ungenügende Bearbeitung kann der Fehler „kort“ aber 
auch noch durch andere Ursachen entstehen. Er zeigt sich nämlich auch in 
allen den Fällen, wo von Milchsäurefermenten Gebrauch gemacht wurde, die 
schnell Säure bilden, während er ausblieb, wenn langsam Säure bildende 
Milchsäurefermente benutzt wurden. Unter schnell Säure bildenden sind der¬ 
artige Fermente zu verstehen, deren Kolonien, abgeimpft von Molkengelatine, 
30 ccm sterilisierte Milch bei 22° C in höchstens zwei Tagen zum Gerinnen 
bringen. (Zentralbl. f. ßakt, Abt. 2, Bd. 19, S. 690 u. 750.) 

H. Hubs beschrieb die durch einen Micrococcus hervorgerufene 
Gelbbraunfärbung von Hartkäse. Die bin und wieder sowohl bei Hart- 
wie bei Weichkäsen auftretenden Fehler, die sich in einer abnormen Färbung 
verschiedener Partien der Käsemasse äußern, sind meist inykologischen Ur¬ 
sprungs. Wird der Käsebruch schon vor dem Formen mit pigmentbildenden 
Pilzen infiziert, so tritt der Fehler als kleinere oder größere Flecke mitten 
im Käse auf. Wenn dagegen der Infektionsherd sich außerhalb des Käses 
befindet, kommt eine zuerst auf die Rindenpartien beschränkte Fehlfärbung 
zustande, der dann später bei längerem Lagern auch die mehr zentral ge¬ 
legenen Partien des Käsee anheimfallen können. Im vorliegenden Falle 
handelte es sich um einen Hartkäse aus einer sächsischen Molkerei, der eine 
auf die Peripherie beschränkte, rötlichbraune oder gelbbraune, dicht unter 
der Rinde fast mahagonibraune Färbung aufwies. Als Ursache derselben 
konnte Verfasser eine neue Micrococcusart nachweisen, die er morphologisch 
und kulturell genau beschreibt und wegen der Eigenschaft, in Reinkultur 
auf den verschiedensten Substraten einen lebhaft chromgelben Farbstoff 
zu erzeugen, Micrococcus chromoflavus nennt. Denselben Micro¬ 
coccus fand Verfasser auch im Holz der Borden des Käsekellers auf, auf 
welchen die Käse gelagert hatten. (Zentralbl. f. Bakt., Abt. 2, Bd. 19, S. 518.) 

A.Trillat und Sauton beschreiben folgende Methode zur Bestimmung 
der nativen Eiweißkörper im Käse, welche dieselben neben den durch 


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582 


Nahrungs- und GenußmitteL 


den Reifeprozeß peptonisierten Eiweißsubstanzen und unabhängig von diesen 
zu ermitteln gestattet. Man zerreibt etwa 2 g Käse unter 60 ccm warmes 
Wasser, erhitzt zum Kochen, fügt 0,5 ccm Formalin hinzu, kocht abermals 
auf und fällt schließlich das native Kasein durch Zusatz von 5 Tropfen Essig¬ 
säure. Der entstehende Niederschlag wird auf einem gewogenen Filter ge¬ 
sammelt, durch Extraktion mit Aceton entfettet, bei 75 bis 80° getrocknet 
und gewogen. — Die Verfasser haben mittels ihrer Methode den Rückgang 
des nativen Kaseins im Roquefortkäse bei fortschreitender Reifung verfolgt 
und hierbei folgende Resultate erhalten: 

Kaseingehalt. 


Frischer Käsebruch . . . 

. . . 19,48 Proz. 

Nach 8 Tagen. 

. . . 18,12 „ 

Naoh 15 „. 

. . . 11,65 , 

Nach 80 ,. 

. . . 8,00 , 

Nach 60. 

• • • 7,10 , 


(Compt. rend. de l’acadeinie des scienes, Bd. 143, S. 61.) 

A. Trillat und Sauton fanden merkliche Mengen Aldehyd im Käse 
auf. Sie bestimmten denselben, indem sie 200 g Käse mit 200 ccm Wasser 
und 20 ccm 1 / 10 -normaler Schwefelsäure der Destillation unterwarfen und 
die Färbung des Destillates mit fuchsinschwefliger Säure mit der Färbung, 
die bekannte Aldebydlösung mit dem genannten Reagens gab, kolorimetrisch 
verglichen. Sie erhielten hierbei, bezogen auf je 1 kg Käse: 


Frischer Käsebruch. 

0 

Gervais. 

. 0 

Brie. 

12 mg 

Gorgonzola . . . 

.29 mg 

Holländer . 

8pur 

Septmoncel . . . 


Camembert. 

Spur 

Monthrison . . . 

.17 mg 

Roquefort . 

27 mg 

Port-Salut . . . 


Gruyere . 

Spur 

Fourme d’Ambert 


Die Verfasser glauben, 

daß der unter dem Namen 

„Bitterwerden“ 

bekannte Käsefehler auf einen Übergang des nachgewiesenen Aldehyds in 


Aldehydharz zurückzuführen sei. (Compt. rend. de l’aoadömie des Sciences, 
Bd. 144, S. 333.) 

P. Buttenberg und F. Guth sind auf Grund einer größeren Anzahl 
von Analysen zu dem Ergebnis gelangt, daß die Camembertkäse des 
Handels zumeist fette und vollfette Käse sind. Doch trifft man auch halb¬ 
fette und Magerkäse als Camembert an. Dies sollte jedoch nur unter aus¬ 
reichender Kenntlichmachung der minderwertigen Beschaffenheit zulässig 
sein. — Die Arbeit enthält beachtenswerte Hinweise auf die Einteilung der 
Käse in Rahmkäse, vollfette, fette, halbfette und Magerkäse auf Grund des 
Fettgehaltes der Trockensubstanz. (Zeitschr. f. Unters, d. Nachrungs- u. 
Genußmittel, Bd. 14, S. 677.) 

Mehl, Teig- und Baokwaren. 

R. W. Thatcher unterwarf eine große Zahl Weizenmehlproben einer 
vergleichenden Untersuchung, um festzustellen, durch welche Verfahren sich 
der Wert des Mehles für Backzwecke am besten feststellen läßt Die 
Prüfungen erstreckten sich auf die Bestimmung der Gesamtstickstoffsubstanz 
des Klebers und des Gliadins (Pflanzenleims), ferner wurden eine Anzahl 
sogenannter Teigproben, sowie praktische Backproben angestellt Bei den 


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Mehl, Teig- and Backwaren. 


583 


Teigproben wurde die Wasseraufnahmefähigkeit des Hehles be der Teig¬ 
bereitung, die Geschwindigkeit des Aufgehens und die Steighöhe eines mit 
Hefe bereiteten Teiges ermittelt. Die praktischen Backversuche erstreckten 
sich auf die Feststellung des Gewichtes und des Volumens der aus gleichen 
Hehlmengen unter gleichen Bedingungen erbackenen Brote. 

Als Resultat ergab sich die Unentbehrlichkeit der Backprobe für die 
praktische Beurteilung des Mebles; ohne dieselbe läßt sich ein sicheres Urteil 
nicht aussprechen. Die Teigproben erwiesen sich in keiner Weise nützlich 
und sollten in Zukunft verlassen werden. (Journal of the American Chemical 
aociety, Bd. 29, S. 910.) 

W. Bremer hat die Frage geprüft, ob der Gehalt des Weizenmehles 
an wasserlöslichen Stickstoffverbindungen Einfluß auf seinen 
Backwert hat. Der Gedanke, daß dem so sein könne, lag deshalb nabe, 
weil die Hefe, um einen gut gelockerten Teig zu hinterlassen, zweifellos 
wasserlösliche Stickstoffverbindungen braucht und sie demnach im Teig vor¬ 
finden muß. Aus den angestellten Versuchen, die sich auf 24 verschiedene 
Hehlproben erstreckten, ließ sich jedoch ein solcher Einfluß nioht erkennen. 
Dagegen glaubt Verfasser, daß der Kleber für die Bewertung des Mehles 
in erster Linie in Betracht zu ziehen sein wird. Unter Berücksichtigung 
von Menge und Struktur des Klebers wird es möglich sein, wertvolle Anhalts¬ 
punkte über den Backwert des Mehles zu erlangen. (Zeitschr. f. Unters, d. 
Nahrungs- und Genußmittel, Bd. 13, S. 69.) 

W. Bremer weist darauf hin, das bei Mehlanalysen der Kleber in 
der Regel als nasser Kleber gewogen wird und daß die viel rationellere Er¬ 
mittelung des trockenen Klebers nur deshalb unterlassen wird, weil ein ge¬ 
eignetes analytisches Verfahren hierfür fehlt. Verfasser hat nunmehr ein 
solches beschrieben, bei welchem der nasse Kleber zunächst durch Ausbreiten 
auf Schieferplatten vorgetrocknet, dann auf einen siebartig durchlöcherten 
Porzellanzylinder aufgerollt und so im Luftbade bei 105 bis 110°C fertig 
getrocknet wird. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- und Genußmittel, Bd. 14, 
S. 682; Chemikerztg., Bd. 31, S. 1098.) 

C. J. Lintner beschreibt ein polarimetrisches Verfahren zur 
Stärkebestimmung in Zerealien. Bei demselben wird die Stärke mit 
Salzsäure in Lösung gebracht, die Lösung mit Phosphorwolframsäure geklärt 
und alsdann polarisiert Die Resultate werden mit Hilfe des Wertes 202° 
für das mittlere spezifische Drehungsvermögen der Stärke berechnet (Zeitschr. 
f. Unters, d. Nabrungs- und Genußmittel, Bd. 14, S. 205.) 

E. Fleurent gibt an, daß in der Technik zum Bleichen des Mehles 
nur höhere Stickstoffoxyde benutzt werden, wie sie beispielsweise im elek¬ 
trischen Lichtbogen entstehen und vorwiegend Stickstoffdioxyd (N0 S ) ent¬ 
halten; die auf die Verwendung des Ozons begründeten Verfahren sind da¬ 
gegen wertlos. Durch den genannten Bleichprozeß wird hauptsächlich das 
im nativen Zustande gelbliche Fett des Mehles entfärbt. Man kann den 
Gebrauch der Stickstoffoxyde nachweisen, indem man das aus 50 g Mehl 
extrahierte Fett in Amylalkohol löst und mit 1 proz. alkoholischer Kalilauge 
versetzt; bei normalem Mehl bleibt die gelbe Farbe der Lösung unverändert, 


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584 


Nahrungs- und Genußmittel. 


bei gebleichtem wird sie orangerot. (Compt. rend. de l’academie des Sciences, 
Bd. 142, S. 180; Bulletin de la soc. chimique de Paris [3. ser.], Bd. 35, S. 381.) 

R. H. Shaw will die Stickstoffoxyde im gebleichten Mehl nach- 
weisen, indem er das letztere mit Alkohol auskocht und den Eindampfungs¬ 
rückstand dieses Auszuges mit Diphenylamin auf Salpetersäure prüft (Journ. 
of the American Chemical society, Bd. 28, S. 687.) 

F. J. Alway und R. A. Gortner erhielten weder nach dem Verfahren 
von Fleurent, noch nach demjenigen von Shaw befriedigende Resultate. 
Sie gründen ihrerseits den Nachweis der Bleichung auf denjenigen von 
Nitriten im Mehl. Diesen führen sie an einem wässerigen Auszuge des 
Mehles mit Hilfe des Reagens Ton Griess-IlosYay (Sulfanilsäure und 
a-Naphtylamin in essigsaurer Lösung). Bei Ausführung der Prüfung ist 
besonders darauf zu achten, daß Laboratoriumsluft, Reagenzien und Filtrier¬ 
papier Spuren salpetriger Säure enthalten können; diese Fehlerquelle ist 
sorgfältigst auszuschließen. Das Verfahren läßt sich auch zu einem kolori- 
metrischen quantitativen ausgestalten. Im Durchschnitt fand Verfasser nach 
demselben in gebleichten Mehlen 6,3 mg in 1 kg. — Ungebleichte Mehle 
geben sicher keine Reaktion auf Nitrite; auch dann nicht, wenn sie neben 
gebleichten auf bewahrt wurden. (Journal of the American chemical society, 
Bd. 29, S. 1503.) 

J. T. Willard hat sich desselben Prüfungsverfabrens mit Erfolg be¬ 
dient. Der Verfasser gibt an, daß etwa zwei Drittel allen in den Vereinigten 
Staaten von Nordamerika hergestellten Mehles nach dem erwähnten elek¬ 
trischen Verfahren gebleicht werden. (Bulletin of the Kansas State Board 
of Health, Bd. 2, S. 158.) 

E. Bertarelli gibt an, daß Mehl zuweilen durch den Zusatz fein 
gemahlener Steinnußabfälle verfälscht wird. Die Verfälschung kann mikro¬ 
skopisch nachgewiesen werden, namentlich das mit 3 proz. Sodalösung vor¬ 
behandelte Mehl läßt bei 120 bis 170 facher Vergrößerung die charakteri¬ 
stischen EndoBpermzellen der Steinnuß deutlich erkennen. Zum chemischen 
Nachweis verwendet man die Phloroglucinreaktion; die Steinnußfragmente 
färben sich beim vorsichtigen Erwärmen mit Phloroglucin-Salzsäure orange, 
im Gegensatz zu Holzteilchen, die hierbei eine typische amarantrote Färbung 
aunehmen. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- und Genußmittel, Bd. 13, 
S. 484.) 

E. Carlinfanti und G. Salvatori arbeiteten ein Verfahren zum Nach¬ 
weis des Maismehles in Getreidemehl und Brot aus. Die mikro¬ 
skopische Prüfung ist unter Umständen schon bei Mehl schwierig, bei Brot 
jedoch unter allen Umständen unausführbar. Die Methode der Verfasser 
gründet sich auf die Gegenwart eines in Isoamylalkohol löslichen Eiwei߬ 
körpers im Mais, den bereits E. Donard und H. Labbe (Compt. rend., Bd. 135, 
S. 744; Bd. 137, S. 264) aufgefunden und Maisin genannt hatten. Das zu 
untersuchende Objekt (Mehl oder Brot) wird, wenn erforderlich, nach vor¬ 
herigem Trocknen äußerst fein gemahlen, dann bei 105 bis 110°C bis zur 
Gewichtskonstanz getrocknet und hierauf durch Extraktion mit Benzol ent¬ 
fettet. Das 80 vorbereitete Material wird hierauf mit reinem Isoamylalkohol 


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585 


Mehl, Teig- und Backwaren. 

vom Siedepunkt 131° (Isobutylkarbinol) extrahiert und in dem gewonnenen 
Extrakt der Stickstoff nach Kjeldahl bestimmt. 

Reine Getreidemeble ergeben auf diese Art einen Stickstoffgehalt von 
0,046 bis 0,097 Proz. des getrockneten Mehlea, Maiemehle einen solchen von 
0,35 bis 0,75 Proz.; Mischungen zeigen die entsprechenden Zwischenwerte. 
Beim Verbacken der reinen Mehle oder der Mischmehle resultieren Brote, 
die — auf die angegebene Weise untersucht — dieselben Gehalte isoamyl¬ 
alkohollöslichen Stickstoffes ergaben, wie die verwendeten Mehle. Das Ver¬ 
fahren eignet sich hiernach sowohl zur Prüfung von Mehl, wie auch von 
Brot. (Archivio di Farmacologia sperimentale, Bd. 6, Heft 8 u. 9.) 

I. Rözsenyi bespricht den Nachweis eines Zusatzes von Kartoffeln 
zum Weizenbrot. Mikroskopisch läßt sich derselbe wegen der starken 
Veränderung der pflanzlichen Gewebe durch den Backprozeß nicht führen. 
Für den chemischen Nachweis war die Tatsache heranzuziehen, daß die 
Weizenmehlasche gegen Phenolpbtalein neutral, die Kartoffelwalzmeblasche 
hingegen stark alkalisch reagiert. Die Alkalinität der letzteren entspricht, 
auf 100 g Kartoffeltrocken Substanz berechnet, etwa 30 ccm Normalsäure. 
Bei der Verwertung dieses Merkmales ergab sich zunächst, daß die Alkalini- 
täten der Brotasche durch den Kochsalzgehalt des Brotes erheblich beein¬ 
flußt werden; weiter zeigte sich jedoch, daß dieser schädliche Einfluß durch 
Zusatz von Magnesia beim Veraschen aufgehoben werden kann. Man mischt 
das fein gepulverte Brot innig mit einer gewogenen Menge Magnesia, verascht, 
bestimmt die Aschenalkalinit&t und zieht von ihr den der angewandten 
Magnesia entsprechenden Betrag ab. Von der verbleibenden Differenz ent¬ 
sprechen je 3,0 ccm ‘■io -Normalsfture je 1 g Kartoffeltrockensubstanz in der 
eingewogenen Brotmenge. An Stelle der Magnesia läßt sich auch eine ab¬ 
pipettierte Menge einer Magnesiumacetatlösung von bekanntem Gehalt ver¬ 
wenden. — Backpulverzusätze zum Brotteig würden die Anwendbarkeit des 
Verfahrens in Frage stellen, doch kommen solche bei der Brotbereitung kaum 
vor. (Chemikerztg., Bd. 31, S. 559.) 

Ch. W. Volney bespricht die Anwendung des Baumwollsamen- 
mehles als Nahrungsmittel, insbesondere als Brotmehl. Nach Ent¬ 
fernung der Haare der Samenschale (der eigentlichen Baumwolle) preßt man 
aus den Samen noch das Baumwollsaatöl. Die zurückbleibenden Preßkuchen 
dienen als Viehfutter, sollen aber nicht immer unbedingt unschädlich sein. 
Verfasser deutet nun an, daß es gelingt, den Preßrückständen durch ge¬ 
eignete Extraktionsmittel nicht nur den Rest des Öles, sondern auch alle 
etwaigen schädlichen Stoffe zu entziehen. Man soll so zu einem über 60 Proz. 
Eiweiß enthaltenden Mehl gelangen können, das, für sich allein oder mit 
Weizenmehl vermischt, ein schmackhaftes Brot liefert und ein wertvolles 
menschliches Nahrungsmittel bildet. Die heutige Baumwollproduktion würde 
die jährliche Gewinnung von 15 Millionen Doppelzentner eines solchen Mehles 
gestatten. (Deutsch-amerikanische Apothekerztg., Bd. 28, S. 1.) 

P. Tullio faßt die Ergebnisse seiner Studien über die Ernährung 
des italienischen Bauern mit Polenta in folgende Sätze zusammen. 
Die übermäßige Menge Polenta, die einen großen Teil der Ernährung des 
italienischen Bauern auBmacht, hindert, abgesehen davon, daß sie von dem 


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586 


Nahrungs- und GenußmitteL 


Verdauungstraktus wenig assimiliert wird, auch die gute Assimilation des 
übrigen Teiles der Nahrung. Es wird dadurch ein beträchtlicher Verlust an 
Salzen für den Darm herbeigeführt. Die fortgesetzte Ernährung mit Mais 
stört die Verdauungsbedingungen dermaßen, daß nur ein dauernder Ersatz 
der Polenta durch Brot die Assimilierungsbedingungen und den Zustand des 
Individuums merklich umändern kann. Die so verbesserten Verdauungs¬ 
zustände gewährleisten auch nach der Rückkehr zur Ernährung mit Mais 
günstige Ernährungsbedingungen. (II Ramazzini 1907, Heft 5; Ref. in Zeitschr. 
f. Medizinalbeamte, Bd. 20, S. 636.) 

A. Beythien und P. Atenstädt haben, veranlaßt durch die Arbeit 
von Jäckle (22. Jahresbericht, S. 573), Untersuchungen über die Ver¬ 
änderung von Eierteigwaren bei längerer Aufbewahrung angestellt. 
Es zeigte sich, daß fabrikmäßig hergestellte Eiernudeln bei längerer Auf¬ 
bewahrung in Papierbeuteln auch im unzerkleinerten Zustande einen wesent¬ 
lichen Rückgang an Lecithin phosphorsäure erfahren können. Je höher der 
ursprüngliche Gehalt Lecithinphosphorsäure ist, um so größer ist auch der 
Rückgang seinem absoluten Betrage nach; bei Nudeln, deren Gehalt 60mg 
in 100 g Trockensubstanz nicht überschreitet, hält er sich — auch bei 
1 , / 2 jähriger Aufbewahrung— nur innerhalb der analytischen Fehlergrenzen. 
Einen erheblich stärkeren Rückgang gepulvert aufbewahrter Nudeln gegen¬ 
über den unzerkleinerten konnten die Verfasser an ihrem Material nicht 
wahrnehmen. Der Gesamtphosphorsäuregehalt der Nudeln änderte sich nicht 
wesentlich; der Rückgang der Lecithinphosphorsäure beruht daher wohl auf 
einem Zerfall des Lecithins in alkoholunlösliche Komponenten, nicht aber 
auf einem Entweichen flüchtiger Zersetzungsprodukte. — Der Ätherextrakt 
(Fett) der Nudeln blieb trotz dieser Vorgänge unverändert, die Jodzahl des 
Fettes ging — im Gegensatz zu Jäckles Untersuchungen — zurück. 

Verfasser meinen, daß man auf Grund dieser Ergebnisse sich der Er¬ 
kenntnis nicht verschließen könne, daß aus der Lecithinphospborsäure allein 
nicht immer ein sicherer Schluß auf den Eigehalt von Teigwaren gesogen 
werden kann. Man wird daher unter allen Umständen die Bestimmung des 
Fettgehaltes mit heranziehen müssen und letzterem, bei widerstreitenden 
Ergebnissen, sogar die ausschlaggebende Bedeutung zuerkennen. Für die 
Praxis scheinen diese Feststellungen weniger verhängnisvoll zu werden, denn 
gerade diejenigen Erzeugnisse, denen die amtliche Nahrungsmittelkontrolle 
ihre hauptsächlichste Aufmerksamkeit widmet, haben eine verhältnismäßig 
hohe Beständigkeit gezeigt. Es sind dies die Waren, die dem von der freien 
Vereinigung deutscher Nahrungsmittelchemiker festgesetzten Mindestgehalt 
von 45 mg Lecithinphosphorsäure entsprechen. Sie erleiden keinen nennens¬ 
werten Kückgang, der zu falscher Begutachtung führen könnte, für sie behält 
Juckenacks vortreffliches Verfahren (18. Jahresber., S. 551; 19. Jahresber., 
S. 513) Gültigkeit. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- und Genußmittel, 
Bd. 13, S. 681.) 

W. Plücker stellte Untersuchungen über Eiermilchnudeln an, d. h. 
über Nudeln, die aus Vollmilch, Eiern und Weizengries hergestellt sein sollen. 
Neben der Ermittelung des Gehaltes an Lecithinphosphorsäure und an Fett 
hat die Nahrungsmittelkontrolle in der Heranziehung der Jodzahl und der 


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Mehl, Teig- und Backwaren. 


587 


Reichert-Meissl-Zahl des Nudelfettes Mittel in der Hand, zu prüfen, ob 
die Ware wirklich in der angegebenen Weise hergestellt ist. (Zeitschr. f. 
Unters, d. Nabrungs- und Genußmittel, Bd. 14, S. 748.) 

K. Fischer und 0. Gruenert haben Nachforschungen über die Ver¬ 
wendung von Seife bei der Zwiebackbereitung (24. Jahresber., S. 620) 
angestellt und gefunden, daß dieselbe in Holland nicht selten zu sein scheint. 
Diesseits der Grenze, im Bezirk der Verfasser (Bentheim) gaben die Bäcker 
an, nur sogenannte Zwiebacksüßpräparate zu gebrauchen. Es gelang, 
16 verschiedene derartige Präparate zu erhalten; sie werden unter allen 
möglichen Phantasienamen, wie Cremin, Creme, Honigsüß, Zwiebacksüß ver¬ 
trieben. Von den meisten Präparaten soll etwa 1 kg auf 20 bis 25 Liter 
Milch verwendet werden. 

Eines der Extrakte bestand lediglich aus unreinem Stärkesirup, der 
künstlich gelb gefärbt war, ein anderes, Diamalt genanntes, war ein Malz¬ 
präparat. Die übrigen untersuchten Präparate waren Gemische, die in der 
Hauptsache aus Stärkesirup, Fett und Alkalikarbonat hergestellt waren. 
Zwei Präparate enthielten neben Alkalikarbonat Weinsäure bzw. weinsaure 
Salze. Als Alkalikarbonat kam sowohl Pottasche wie auch Soda vor; als 
Fett war nur in einigen Fällen Schmalz allein benutzt, in der Mehrzahl der 
Fälle waren pflanzliche und tierische Fette zugesetzt. Der Gehalt an Fett 
schwankte meistens zwischen 20 und 30 Proz. Mehrere Präparate waren 
mit Teerfarbstoffen gefärbt In 9 der untersuchten Präparate konnte Seife 
nachgewiesen werden, ihre Menge betrug 0,15 bis 2,24 Proz. Aus diesen 
ermittelten Mengen kann jedoch nicht mit Sicherheit ermittelt werden, wie¬ 
viel Seife ursprünglich dem Präparat zugefügt war, denn beim Aufbewahren 
findet eine allmähliche Spaltung in Fettsäure und Alkali statt 

Nach den Verfassern bat der Zusatz von Seife zu Backwerk den Zweck, 
das Gebäck lockerer zu machen und eine bessere Bindung des Fettes und 
des Sirups zu bewirken. Die seifehaltigen Präparate verfolgen demnach 
den Zweck, möglichst an Eiern, die sonst das Binden des Fettes mit dem 
Teig bewirken, zu sparen und dem Backwerk den Schein einer besseren Be¬ 
schaffenheit zu verleihen. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- und Genu߬ 
mittel, Bd. 13, S. 692.) 

F. Schwarz und L. Hartwig versuchten ein Verfahren zum Nach¬ 
weis von Seife in Zwieback auszuarbeiten. Sie fanden, daß geringe 
Mengen noch unzersetzter Seife sich dem Zwieback am besten durch abso¬ 
luten Alkohol entziehen und in diesem Auszug durch alkalische Reaktion, 
Schaumbildung und Fällbarkeit durch Calciumchlorid und Baryumchlorid 
nachweisen lassen. Die Seifenmengen jedoch, welche bei der Herstellung 
von Zwieback in Betracht kommen, werden beim Gär- oder Backprozeß in 
Alkali und freie Fettsäuren gespalten und sind im fertigen Zwieback als 
Seife nicht mehr nachweisbar. Hierdurch tritt gegenüber seifenfreiem Zwie¬ 
back eine Erhöhung der Aschenalkalinität und der in Alkohol-Äther löslichen 
freien Säuren ein. Erstere kann allerdings durch Verwendung von Zwieback¬ 
extrakt, welches Pottasche enthält, letztere durch Butter mit hohem Säure¬ 
grad beeinflußt werden. 


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588 


Nahrungs- und Genußmittel. 


Die Verfasser untersuchten ein „Zwiebackextrakt“ und fanden dieses 
bestehend aus Zucker, Kapillärsirup, Schmalz, einem gelben Farbstoff und 
etwas Kaliumkarbonat. Bei der Herstellung von Zwiebäcken werden lOProz. 
dieses Extraktes dem aus Mehl und Milch bereiteten Teig zugesetzt. (Zeitschr. 
f. Unters, d. Nahrungs- und Genußmittel, Bd. 13, S. 593.) 

Vagedes erkannte Paratyphusbazillen als Ursache einer Ver¬ 
giftung durch Mehlspeise. Die Speise war aus Gries, Zwieback, Äpfeln, 
Milch, Zucker, Vanillepulver und drei Enteneiern bereitet worden. Alle, die 
von ihr genossen hatten, erkrankten an Durchfall und Fieber; ein Knabe 
starb. Bei der Sektion des Knaben fanden sich außer einer ausgesprochenen 
Anschwellung der Pey er sehen Haufen keine besonderen Veränderungen. 
Weder in den Darmentleerungen noch in den Leichenteilen konnte durch 
chemische Untersuchung ein Gift nachgewiesen werden. Bei der bakte¬ 
riologischen Untersuchung der Darmentleerungen und Leichenteile konnten 
aus denselben Bazillen fast in Reinkultur isoliert werden, die zur Gruppe 
der Paratyphusbazillen zu rechnen sind. Agglutinationsversuche mit dem 
Blutserum der Erkrankten auf die gefundenen Bakterien Seien positiv aus, 
wodurch der Beweis erbracht war, daß diese die Ursache der Erkrankung 
waren. Reste der Griesspeise lagen zur bakteriologischen Prüfung nicht 
mehr vor. Verfasser hält es für möglich, daß die Enteneier die primären 
Träger der Krankheitserreger waren; die Milch glaubt er ausschließen zu 
können, da bei den übrigen Kunden des Milchhändlers keinerlei Gesundheits¬ 
störungen ermittelt werden konnten. (Klinisches Jahrbuch, Bd. 14, Heft 5; 
Ref. in Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspfl., Bd. 25, S. 171.) 

C. Th. Curschmann berichtet über eine Massenvergiftung nach 
Genuß eines Puddings zu König im Odenwald im Jahre 1905. Der 
Pudding war aus Milch, Eiern, Zucker, Gelatine und Vanille hergestellt 
worden; dazu war eine Himbeersaftsauce genossen worden. Alle 22 Per¬ 
sonen, die von der Speise gegessen hatten, sind unter schweren Brechdurch¬ 
fällen mit hohem Fieber erkrankt; bei einer Frau trat letaler Ausgang ein. 
Aus dem Rest des Puddings sowie aus dem Stuhl der Erkrankten ließen 
sich, und zwar besonders leicht durch Vermittelung des Drigalski-Conradi- 
schen Typhusagars, kleine bewegliche Stäbchen isolieren, die zur Gruppe 
des Bac. enteritidis Gärtner gehören und für Mäuse pathogen waren. 
Sie sind zweifellos die Ursache der Vergiftungserscheinungen und konnten 
auch aus der Leber der verstorbenen Frau gezüchtet werden. 

Fragt man sich, welcher der zur Bereitung des Puddings verwendeten 
Bestandteile der Träger des InfektionsstoffeB gewesen sein könne, so kommt 
als verdächtig vor allem die Milch in Betracht. Wenn diese Vermutung 
richtig war, so konnten die Krankheitserreger vom Vieh aus entweder (bei 
schwerer allgemeiner Krankheit) direkt durch die Milchdrüse in die Milch 
übergehen, oder aber indirekt infolge Verunreinigung der Milch durch Kuh¬ 
kot, mochten dabei die betreffenden Bakterien als Krankheitsträger aufgetreten 
sein und eine Enteritis bewirkt haben oder eventuell auch saprophytisch im 
Darminhalt wuchern. Auf alle Fälle also versprach die Untersuchung des 
Kuhmistes einen weit sichereren Erfolg als eine eventuelle Untersuchung der 
betreffenden Milch. In dieser Richtung angestellte Untersuchungen ergaben 


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Gemüse und Obst. Pilze. 


689 


nun zwar das Vorhandensein von Bazillen, die nach Form, Gestalt und Be¬ 
weglichkeit und verschiedenen biologischen Eigenschaften nicht von den 
Krankheitserregern zu unterscheiden waren, aber bei der Verfütterung an 
Mäuse keinerlei Pathogenität aufwiesen. Auch sonst ergaben sich keinerlei 
Anhaltspunkte, daß ein bestimmter Bestandteil des Puddings der Träger des 
Infektionsstoffes gewesen wäre; speziell die Vanille, auf die zunächst von 
anderer Seite der Verdacht gefallen war, hatte die betreffenden Bakterien 
nicht beherbergt. 

Da sich demnach nicht feststellen ließ, daß die Bakterien bereits von 
vornherein an einem der Bestandteile hafteten, so blieb nur mehr die An¬ 
nahme, daß sie in der Zwischenzeit zwischen dem Kochen und dem Verbrauch 
— Aufbewahrung im Keller bis zum folgenden Tage — auf unbekannte Art 
in die Speise hineingeraten sind. Der Verfasser berichtet in derselben Ab¬ 
handlung über einen völlig analogen Fall einer Fleischvergiftung in Alsfeld 
in Hessen. (Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskr., Bd. 65, S. 295.) 

Gemüse und Obst. Filze. 

Ressel untersuchte 72 Obst- und Gemüseproben auf fäkale Ver¬ 
unreinigungen und konnte 41 mal Bacterium coli auffinden. 25 der ge- 
geprüften 72Proben entstammten „besseren“ Geschäften, unter ihnen enthielten 
12 (= 48Proz.) Bact. coli; die übrigen 47 Proben waren kleineren Läden, 
Kellergeschäften und Straßenverkaufstellen entnommen, in ihnen fand sich 
Bact. coli 29 mal (= 61 Proz.). Die Verschmutzung des Obstes und der 
Gemüse erfolgt oft erst in den Verkaufsräumen selbst, z. B. durch unreine 
Behälter oder durch häufiges Anfassen und Betasten der ausgelegten Ware 
seitens des Publikums und der Verkäufer. (Inaug.-Diss. Berlin 1907; Ref. 
in ZentralbL f. allgem Gesundheitspfl., Bd. 26, S. 514.) 

S. Cappellani empfahl zur Sterilisierung von Gemüsen Waschung 
derselben in frischem Zustande mit verdünnter Taohiol- (Silberfluorid-) Lö¬ 
sung und, eventuell, darauf folgendes Kochen in sterilem Wasser. (Ann&li 
d’Igiene speriment. 1905, Heft 3; Ref. in Zentralbl. f. Bakt., Abt. 1, Referate, 
Bd. 39, S. 226.) 

J.M.Albahary gibt folgende Analyse der Tomate: 


Wasser.93,5 Proz. 

Stickstoffsubstanz.0,95 , 

(mit 0,028 Proz. organischem Schwefel) 

Stickstofffreie Substanz. 0,50 Proz. 

Fett.0,20 „ 

Kohlenhydrate .3,60 , 

Unlösliche Stoffe 

organische. 1,69 , 

anorganische.0,11 , 

Gesamtasche.0,74 „ 


(mit 0,12 Proz. Calcinmphosphat) 

Die Gesamtmenge der löslichen sauer reagierenden Bestandteile entspricht 
0,49 Proz. Äpfelsäure. Weitere Angaben über die einzelnen in der Tomate 
sich findenden organischen Säuren enthalten innere Widersprüche. (Compt. 
rend. de l’academie des Sciences, Bd. 145, S. 131.) 


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590 


Nahrungs- und Genußmittel. 


W. Busse teilt, anknüpfend an Arr&gons Abhandlung (24. Jahres¬ 
bericht, S. 623), mit, daß die giftige Mondbohne (Phaseolus lunatns) in 
der Tat bei richtiger Zubereitung völlig entgiftet und in den Tropen allent¬ 
halben reichlich ohne Schaden gegessen wird. Wenn also in Europa nach 
ihrem Genuß wiederholt Vergiftungserscheinungen beobachtet worden sind, 
so l&ßt sich das entweder auf eine mangelhafte Zubereitung zurückführen, 
oder aber durch den Genuß nachträglich verdorbenen Bohnengemüses erklären. 

Die Gesamteinfuhr an trockenen Speisebohnen betrug im Jahre 1906 
in Deutschland 346700 Doppelzentner, davon fallen 18660 Doppelzentner 
auf Britisch-Indien. Wieviel von dieser letzteren Menge auf die Mondbohne 
fällt, ist aus der Statistik nicht ersichtlich. Verfasser ist dafür, die Einfuhr 
der Mondbohne generell zu untersagen, eventuell die Einfuhr von Bohnen 
aus Indien überhaupt zu unterbinden. An dessen Stelle könnte Deutsch- 
Ostafrika, wo unsere gewöhnliche Gartenbohne (Phaseolus vulgaris) bereits 
angebaut wird, den Ausfall decken. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. 
Genußmittel, Bd. 1S S. 737.) 

W. Lange fand den Blausäuregehalt an einer Probe Mondbohnen 
(Phaseolus lunatus) zu 0,15 Proz. Die untersuchte Probe setzte sich aus 
Bohnen von verschiedener Farbe zusammen; die gesonderte Analyse der nach 
der Farbe ausgelesenen Bohnen gab Blausäurewerte von 0,12 bis 0,24 Proz. 
(Arb. a. d. Kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 25, S. 478.) 

C. Brebeck bespricht die Kupferung der Gemüsekonserven und 
stellt die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen der meisten Länder zu¬ 
sammen. Von 28 untersuchten Proben Gemüsekonserven (Erbsen, Bohnen 
und Gurken) fand Verfasser 24 kupferhaltig; sie enthielten 26 bis 214 mg 
Kupfer in 1 kg. Das Großherzoglich Badische Ministerium des Innern hat 
durch Erlaß vom 31. Dezember 1906 bestimmt, daß eine Beanstandung von 
Gemüsekonserven seitens der Polizeibehörden unterbleiben kann, wenn der 
Gehalt an metallischem Kupfer in 1 kg Konserven nicht mehr als 30 mg be¬ 
trägt. Verfasser teilt schließlich noch ein von ihm ausgearbeitetes Verfahren 
der quantitativen Kupferbestimmung in Konserven mit. (Zeitschr. f. Unters, 
d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 13, S. 548.) 

H. Fincke beschrieb und analysierte einen vegetabilischen Käse, den 
Daua-Daua-Käse, den die Eingeborenen des Sudan aus den Samen vonParkia 
africana, einer Mimosacee, her stellen und als Würze zu ihren Speisen, sowie als 
Ersatz für Fleisch benutzen. Der Daua-Daua-Käse hat eine gewisse Ähnlich¬ 
keit mit dem aus Sojabohnen bereiteten Natto-Käse der Japaner, ist jedoch 
von einem anderen afrikanischen Pflanzenkäse, dem Pembe der Kameruner, 
verschieden. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 511.) 

A. R. Chiappella lenkt die Aufmerksamkeit auf einen wenig be¬ 
kannten eßbaren Pilz, den Boletus Bellini Inzenga, der in italienischen 
Fichtenwäldern vorkommt und vom Volke dort Pinarolo genannt wird. 
Seine chemische Zusammensetzung kommt der der übrigen Boletusarten völlig 
gleich, nur der Steinpilz (Boletus edulis) ist reicher an Stickstoffsubstanz. 
Obwohl dem Steinpilz in Beziehung auf Aroma weit nachstehend, verdient 
Boletus Bellini bekannter zu werden. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- u. 
Genußmittel, Bd. 13, S. 384.) 


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Honig. Fruchtsäfte nnd Marmeladen. Alkoholfreie Getränke. 591 

Honig. Fruohtsäfte und Marmeladen. Alkoholfreie Getränke. 

P. Lehmann and H. Stadlin ger unterzogen die von Haenle angegebene 
polarimetrische Methode der Honiguntersuchung einer kritischen 
Nachprüfung, die zu dem Ergebnis führte, daß die von Haenle aufgestellten 
Formeln zur Berechnung des Stärkesirup- und des Rohrzuckergeh altes ver¬ 
fälschter Honige unzutreffend sind. Insbesondere zeigen dieVerff. auch, daß 
eine einwandfreie polarimetrische Rohrzuckerbestimmung im Honig nur auf 
dem Wege der Clergetschen Inversionsmethode möglich ist. (Zeitschr. f. 
Untersuchung d. Nabrungs- und Genußmittel, Bd. 13, S. 397.) 

J. Fiehe erwidert hierauf, daß Haenles Formeln nicht die Aufgabe 
lösen wollten, genau den Prozentsatz der Verfälschung anzugeben, und daß 
sie zur annähernden Ermittelung der üblichen Fälschungen doch aus¬ 
reichende Dienste leisten könnten. (Ebendas., Bd. 14, S. 299.) 

P. Lehmann und H. Stadlinger halten dieser Erwiderung gegen¬ 
über an ihrem Standpunkt fest. (Ebendas., Bd. 14, S. 643.) 

F. Utz stellte Untersuchungen über die Leysche Reaktion zur 
Unterscheidung zwischen Naturhonig und Kunsthonig an. Bei 
dieser Reaktion erhitzt man die wässerige Lösung des Honigs mit einer 
ammoniakalischen Silberlösung. Naturhonige werden hierbei dunkef, doch 
zeigt die Flüssigkeit beim Um schütteln einen braungrünlichen bzw. gelb¬ 
grünlichen Schein, etwa wie Liquor ferri sesquichlorati. Dem Verf. erwies 
sich diese Probe als ein wertvolles Hilfsmittel, denn es gelingt mittels der¬ 
selben, in den meisten Fällen Kunsthonig von Naturhonig zu unterscheiden. 
Ein ausschlaggebender Wert kommt ihr jedoch nicht zu, da sie auch bei 
bestimmt reinem Naturhonig ausbleiben kann. In Gemischen von Natur¬ 
honig mit Kunsthonig kann die Gegenwart des letzteren erst bei einem 
Gehalte von etwa 25 bis 30 Proz. erkannt werden. Durch Erhitzen des 
Honigs auf offenem Feuer wird die Reaktion stark beeinträchtigt, während 
sie bei einem auf dem Wasserbad erhitzten Honig nicht versagt. (Zeitschr. 
für angewandte Chemie, Bd. 20, S. 993.) 

F. Schwarz und 0. Weber veröffentlichten als Beitrag zur Kenntnis 
der 1906er Himbeersäfte die Untersuchungsergebnisse einer größeren 
Anzahl selbst bereiteter Säfte und Sirupe. Der Durchschnittswert für zucker¬ 
freies Extrakt betrug in den Säften 3,88 g für 100 g Rohsaft; zuckerfreie 
Extrakte unter 3,0 g wurden nicht gefunden. Die Asche hielt sich in fast 
allen Fällen unter 0,5 Proz.; die Alkalinität lag meist zwischen 5 und 6 ccm 
Normalsäure für 100 ccm Rohsaft. Der Phosphorsäuregehalt der Rohsäfte 
ist schwankend; er liefert deshalb kein Hilfsmittel zum Nachweis einer 
etwaigen Wässerung. Dagegen bestätigten die Ergebnisse der Verff. die 
Brauchbarkeit der von Ludwig (24. Jahresber., S. 628) eingeführten Ver¬ 
hältniszahl zwischen zuckerfreiem Extrakt und Aschenalkalinität. Dieselbe 
schwankte bei den untersuchten 20 Säften zwischen 0,62 und 0,82 und lag 
im Mittel bei 0,69. (Zeitschr. für Untersuchung d. Nahrungs- und Genu߬ 
mittel, Bd. 13, S. 345.) 


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692 Nahrungs- und Genußmittel. 

R. Krzizan setzte seine vorjährigen Untersuchungen (24. Jahresber., 
S. 630) über die Veränderungen von Himbeerrohsäften beim Lagern 
fort. Diesesmal wurden die Säfte bei 80° C sterilisiert und die Flaschen 
mit paraffinierten Korken einwandfrei verschlossen. Auf Grund der Ver¬ 
suche kann gesagt werden, daß es möglich ist, Rohsäfte nach vollendeter 
Gärung ohne Zusatz eines Konservierungsmittels monatelang aufzubewahren, 
ohne daß eine nennenswerte Änderung in der Zusammensetzung eintritt. 
Die Bildung von Essigsäure schritt unter den angegebenen Versuchs- 
bedingungen nur sehr langsam vor, sie erfolgte größtenteils auf Kosten 
einer Spaltung der Zitronensäure, zum kleinen Teile auch auf Kosten einer 
Oxydation des Alkohols. Ferner wurde bei den Versuchen festgestellt, daß 
Himbeerrohsäfte beim Lagern ihre rote Farbe einbüßen können, ohne daß 
das Aroma merklich abnimmt und umgekehrt. (Zeitschr. f. öffentliche Chemie 
Bd. 13, S. 181.) 

H. Kunz-Krause konnte nach weisen, daß die Trübung, die manche 
Himbeersirupe trotz sorgfältigster Bereitung und spiegelklarer Abfüllung 
beim Aufbewahren zuweilen erleiden, auf mikrokristallinische Ausscheidungen 
von Ellagsäure (C 14 H fl 0 8 ) zurückzuführen ist. (Verhandl. d. Gesellschaft 
deutscher Naturforscher und Ärzte, 79. Versammlung, Bd. 2, I, S. 168.) 

H. Lührig, P. Bohrisch und A. Hepner analysierten schlesische 
Himbeer-, Heidelbeer- und Johannisbeerrohsäfte für die Frucht- 
saftstatistik 1907. Sie begleiten die Mitteilung ihrer zahlreichen Analysen 
mit einigen allgemeinen Bemerkungen. Ihre Erfahrungen führten sie zu 
dem Schlüsse, daß es für den Fabrikanten, der große Posten Beeren preßt, 
unmöglich ist, ohne Konservierungsmittel auszukommen. Über die Wahl 
eines solchen Konservierungsmittels ist bis jetzt noch keine Einigkeit erzielt 
worden. Ferner sprechen die Verff. aus, daß das aus der Praxis gewonnene 
Analysenmaterial eine sicherere Gewähr für die gerechte Beurteilung reell 
fabrizierter Fruchtsäfte bietet, als das aus kleinen Posten Beeren im Labo¬ 
ratorium gewonnene. Die auf dem Markte zu letzterem Zwecke aufgekauften 
Beeren haben zur Zeit des Ankaufs regelmäßig schon eine Veränderung 
erfahren. 

Die analytischen Durchschnittszahlen der untersuchten Säfte weisen in 
den wichtigsten Punkten, wie Mineralstoffe und Alkalinität, gegenüber den 
vorjährigen keine wesentlichen Unterschiede auf. Zwei Himbeersäfte gaben 
auffallend niedrige Werte; sie stammten von Gartenbeeren, die, wie bekannt, 
sehr dünnen Saft zu liefern vermögen. (Pharmazeutische Zentralhalle, 
Bd. 48, S. 841.) 

W. Plahl fand bei der Analyse einiger Heidelbeersäfte folgende 
Grenzwerte: 


Alkohol. 0—1,89 Proz. 

Extrakt. 3,94—9,51 , 

Asche. 0,247—0,313 „ 

Gesamtsäure. 15,52—19,64ccm Norm.-Lauge f. 100g 


Flüchtige Säure, her. als Essigsäure . . . 0,015—0,176 Proz. 

Gesamtalkaliuität der Asche. 3,05—3,41 ccm Norm.-Lauge für 100 g 

Wasserlösliche Alkalinität der Asche . . 2,24—2,50 B , » . 


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Honig. Fruchtsäfte und Marmeladen. Alkoholfreie Getränke. 593 

Außerdem fand Verf. folgende charakteristische Farbenreaktion 
für Heidelbeersaft auf. Fällt man den Saft mit Bleiessig, filtriert ihn nach 
einigem Stehen, entbleit das Filtrat mittels Natriumsulfat, filtriert wieder 
ab und erhitzt dieses erneute Filtrat mit Salzsäure und Alkohol auf dem 
Wasserbade, so tritt nach einiger Zeit eine Blaufärbung ein. Dieselbe 
Reaktion geben auch die Säfte anderer Beeren aus der Familie Vaccinium, 
so die Preißelbeere und die Moosbeere. (Zeitschr. für Untersuchung der 
Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 13, S. 1.) 

W. Ludwig analysierte eine Anzahl selbstbereiteter Marmeladen. 
Zur Erkennung fremder Stoffe in den Marmeladen — insbesondere zum 
Nachweis von Himbeerkernen, Himbeerrückständen und Apfelmark — liefern 
die Bestimmung der in Wasser unlöslichen Stoffe, die Alkalinität der Asche, 
die Säure, das Verhältnis der wasserlöslichen Asche und dasjenige der wasser¬ 
löslichen Aschenalkalinität zur Gesamtasche und Gesamtaschenalkalinität 
wertvolle Anhaltspunkte. (Zeitschr. für Untersuchung der Nahrunge- und 
Genußmittel, Bd. 13, S. 5.) 

E. Baier und P. Neumann analysierten eine Anzahl sicher echter 
Himbeermarmeladen. Die Arbeit soll Material liefern, um gegebenenfalls 
die Frage beantworten zu können, ob eine Marmelade unter Verwendung 
billigerer Obstsorten an Stelle der feineren und teureren Himbeeren her¬ 
gestellt ist. ln der Tat ergaben sich analytische Kennzeichen für die 
Reinheit von Himbeermarmelade. Die Menge des Wasserunlöslichen steht 
in einer ziemlich konstanten Beziehung zu der des Wasserlöslichen, d. h. 
dem zuckerfreien Extrakt; dieses Verhältnis schwankt bei reinen Himbeer¬ 
marmeladen zwischen 1 :0,43 und 1:1,14. Außerdem ist auch das Ver¬ 
hältnis der Aschenalkalinität zum Wasserunlöslichen, sowie die Summe der 
vorigen und dieser Verhältniszahl relativ wenig schwankend. Die Grenz¬ 
werte sind 1 :1,34 bis 1,86 bzw. für die Summe 2,05 bis 2,61. Die mikro¬ 
skopische Prüfung ist stets als Ergänzung der chemischen Analyse mit 
heranzuziehen. (Zeitschr. f. Untersuchung der Nahrungs- und Genußmittel, 
Bd. 13, S. 675.) 

0. Lobeck fand bei der Analyse von Himbeerrohsäften und 
Himbeermarmeladen die Anschauung Kobers (24. Jabresber., S. 630) 
bestätigt, daß der Gehalt an wasserunlöslichen Substanzen ganz außer¬ 
ordentlich mit der Herkunft und Beschaffenheit der verarbeiteten Frucht 
wechselt, und daß dadurch die Aufstellung einer Grenzzahl behufs Er¬ 
kennung eines Tresterzusatzes sehr erschwert wird. Der Zusatz von Apfel- 
substanz zur Himbeermarmelade beeinflußt den Gehalt an unlöslichen Be¬ 
standteilen verschiedenartig; bei Verwendung von Apfelmark wird er erhöht, 
bei Verwendung von Apfelsaft erniedrigt. Es ist selbstverständlich, daß 
man bei Schlüssen, die auf den Gehalt an wasserunlöslichen Substanzen auf¬ 
gebaut werden sollen, stets auch das Verhältnis von Fruchtsubstanz zu 
Zucker berücksichtigen muß. (Zeitschrift für öffentliche Chemie, Bd. 13, 
S. 84.) 

R. Krzizan untersuchte das fette Öl der Himbeerkerne. Es läßt 
sich in einer Ausbeute von 14,6 Proz. aus den Kernen isolieren und ist ein 
stark trocknendes öl. Seine Verseifungszahl beträgt 192, seine Jodzahl 175, 

Vlerteljahrsichnft für Gesundheitspflege, 1908. Supplement. 3g 


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594 


Nahrungs- und Genußmittel. 


die Reichert-Meißlsehe Zahl 0, der Phytosteringehalt 0,7 Proz. Die 
flüssigen Fettsäuren bestehen der Hauptsache nach aus Linol- und Linolen¬ 
säure, erstere Säure überwiegt jedoch ganz bedeutend. In untergeordnetem 
Maße sind dann noch Ölsäure und Isolinolensäure vorhanden. (Zeitschr. f. 
öffentl. Chemie, Bd. 13, S. 263.) 

A. Beythien schlägt der freien Vereinigung deutscher Nahrungsmittel¬ 
chemiker folgende Leitsätze betreffend alkoholfreie Getränke vor: 
1. Alkoholfreie Getränke, deren Name darauf hindeutet, daß sie Malz ent¬ 
halten, wie alkoholfreies Bier, Malzgetränk, Malzol u. a., sind Erzeugnisse, 
die im wesentlichen aus Wasser, Hopfen und Malz eventuell unter teil weisem 
Ersatz des letzteren durch Zucker hergestellt werden und mit Kohlensäure 
imprägniert sind. Mindestens die Hälfte des Extraktes soll dem Malz ent¬ 
stammen. Zusatz von Stärkesirup, Färb- und Aromastoffen, mit Ausnahme 
des Hopfenöls, sind unzulässig. — 2. „Alkoholfreie Weine“ sind Er¬ 
zeugnisse, die durch Sterilisation von Traubenmost oder durch Entgelten 
von Wein und nachträglichen Zusatz von Zucker hergestellt und eventuell 
mit Kohlensäure imprägniert werden. — 3. Alkoholfreie Getränke, deren 
Name darauf hinweist, daß sie aus natürlichen Fruchtsäften bestehen, 
z. B. Heidelbeermost, Apfelsaft usw., dürfen nur den ihrer Bezeichnung ent¬ 
sprechenden eventuell geklärten und mit Kohlensäure gesättigten Preßsaft 
frischer Früchte enthalten. Eine Beimischung von Wasser und Zucker 
darf nur insoweit erfolgen, als dadurch eine erhebliche Vermehrung nicht 
verursacht wird. Zusätze von organischen Säuren, Färb- und Aromastoffen 
sowie Dörrobstauszügen sind ohne Deklaration unzulässig. — 4. Kohlen¬ 
säurehaltige Getränke von der Art der Brauselimonaden mit dem Namen 
einer bestimmten Fruchtart, z. B. Himbeerbrauselimonade, Apfelblümchen, 
sind. Mischungen von Fruchtsäften mit Zucker und kohlensäurehaltigem 
Wasser. Ihre Bezeichnung muß den zu ihrer Herstellung benutzten Frucht¬ 
säften entsprechen, und letztere müssen den an echte Fruchtsäfte zu 
stellenden Anforderungen genügen. — 5. Alkoholfreie Getränke, die neben 
oder ohne Zusatz von natürlichem Fruchtsaft, Zucker und kohlensaurem Wasser 
noch organische Säuren oder Farbstoffe oder natürliche Aromastoffe ent¬ 
halten, dürfen nur unter deutlicher Deklaration dieser Bestandteile in den 
Verkehr gebracht werden. Ihre Bezeichnung darf nicht geeignet sein, die 
Erwartung eines ausschließlichen Fruchtsaftgetränkes zu erregen. — 6. Die 
Verwendung künstlicher Fruchtäther und saponinhaltiger Schaummittel ist 
für alle alkoholfreien Getränke unzulässig. — 7. Als „alkoholfrei“ bezeichnete 
Getränke dürfen in 100 ccm nicht mehr als 0,42 g, entsprechend 0,5 Ma߬ 
prozent, Alkohol enthalten. (Zeitschr. f. Untersuchung der Nahrungs- u. 
Genußmittel, Bd. 14, S. 26.) 

L. G r ü n h u t ergänzte den ersten der vorstehenden Sätze durch 
folgende Fassung: Alkoholfreie Biere sollen nicht nur im wesentlichen aus 
Wasser, Hopfen und Malz hergestellt werden, sondern, sofern sie durch 
Entgeisten von Bier bereitet sind, auch im Extraktgehalt normalem Bier 
gleichen, sofern sie aber pasteurisierte Würzen sind, im Extraktgehalte dem 
Stammwürzenextrakt normalen Bieres entsprechen. (Zeitschr. f. Unter¬ 
suchung der Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 33.) 


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Geistige Getränke. Alkoholgärung. Wein. 


695 


Geistige Getränke. 

Alkoholgärung. 

A. Wohl erörtert eine schon früher von ihm angedeutete Vorstellung 
über den chemischen Vorgang bei der Alkoholgärung näher. Das 
Glukosemolekül würde hiernach unter Wasserabspaltung, über eine Enolform 
weg, in eine Verbindung von der Formel CHO .CO. CH S .CH(OH). CH(OH) 
.CH a (OH) übergehen, die ihrerseits in Methylglyoxal und Glycerinaldehyd 
gespalten wird. Letzterer geht durch Wasserabspaltung gleichfalls in 
Methylglyoxal über. Dieses liefert seinerseits durch Wiederaufnahme von 
Wasser Milchsäure, die alsdann in Äthylalkohol und Kohlendioxyd zerfällt. 
Zugunsten dieser Anschauung spricht, daß eine Reihe analog verlaufender 
chemischer Reaktionen sicher bekannt ist, sowie daß Methylglyoxal als 
Spaltungsprodukt des Traubenzuckers und Milchsäure als Nebenprodukt der 
alkoholischen Gärung nachgewiesen werden konnte. Dagegen scheint zu 
sprechen, daß die supponierten Zwischenprodukte: Glycerinaldehyd, Methyl¬ 
glyoxal, Milchsäure, nicht durch Hefe zu Alkohol und Kohlendioxyd ver¬ 
goren werden können. Der Verf. vermag indes zu zeigen, daß diese Tat¬ 
sache nicht unbedingt seine Hypothese umstoßen muß, daß vielmehr der 
naszierende Zustand, in dem sie eventuell bei der Gärung auftreten, eine 
andere Reaktionsfähigkeit von ihnen erwarten läßt, als die ihnen sonst zu¬ 
kommende. (Zeitschr. für angewandte Chemie, Bd. 20, S. 1169.) 

W. Löb stellte eine andere Theorie der alkoholischen Gärung 
auf. Nach ihm wird das Zuckermolekül vollständig entpolymerisiert und in 
eine Kohlenstoff-Wasserstoff Verbindung zurückgeführt, wie sie etwa der 
Formaldehyd in alkalischer Flüssigkeit im Augenblick seiner Polymerisation 
zu Zucker besitzt, d. h. in ungemein reaktionsfähige Reste gespalten, die je 
nach dem Energiebedürf nie des Organismus synthetisch miteinander in ver¬ 
schiedenen Richtungen reagieren können. Daß Alkohol und Kohlendioxyd 
mit Leichtigkeit aus Kohlenoxyd und Wasserstoff im reaktionsfähigen Zu¬ 
stande sich bilden, gebt aus der tatsächlich durchgeführten Reaktionsfolge 
hervor: 

CO + 3H, = CH, -f H t O 
CH, + CO = CH,.CHO 
CO + H,0 = CO, -f H, 

C H a . C H 0 +H t = CH, .CH, .OH. 

Insgesamt entsprechen diese Umsetzungen der Formel 

6(CO + H,) = 2CH 3 .CH, .OH -f 2CO„ 
d. h. dem durch die alkoholische Gärung veranlaßten Zuckerzerfall. (Chem.- 
Zeitung, Bd. 31, S. 540.) 

Wein. 

C. von der Heide stellte fest, mit welcher Genauigkeit die ana¬ 
lytischen Ergebnisse von Weinuntersuchungen sich zahlenmäßig dar¬ 
stellen lassen. Für das spezifische Gewicht lassen sich 4, für die Mineral¬ 
stoffe 3, für alle übrigen Bestandteile 2 Dezimalen mit ausreichender Sicher¬ 
heit noch angeben. (Bericht der KgL Lehranstalt für Wein-, Obst- und 
Gartenbau zu Geisenheim 1907, S. 219.) 

38* 


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596 


Nahrungs- und GenußmitteL 


Die deutsche Kommission für die amtliche Weinatatistik 
beschloß, die Ergebnisse von Aschenanalysen nach einem einheitlichen 
Schema darzustellen und sie, nicht wie vielfach bisher auf Säuren und Basen, 
sondern auf Säurereste und Metalle zu beziehen. (Arbeiten aus dem KaiserL 
Gesundheitsamte, Bd. 27, S. 8.) 

C. von der Heide fand, daß bei der Alkoholbestimmung im Wein 
die mitübergehende flüchtige Säure große Fehler bedingt. Da insbesondere 
auch für die Zurückhaltung kleiner Mengen flüchtiger Säure gesorgt werden 
muß, so genügt es nicht, den Wein vor der Destillation zu neutralisieren, 
sondern man muß denselben sogar schwach alkalisch machen. (Bericht der 
KgL Lehranstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau zu Geisenheim 1907, 
S. 230.) 

F. Zetzsche weist auf die bekannten Mängel der üblichen Methode 
der Glycerinbestimmung in Wein und Bier hin und versucht das 
schon früher von Diez angegebene Verfahren der Abscheidung des Glycerins 
als unlösliche Benzoylverbindung zweckmäßig auszugestalten. Die Arbeiten 
sind zunächst so weit geführt, daß die Bedingungen festgestellt wurden, unter 
denen man aus einer gegebenen Menge Glycerin nahezu reines Tribenzoat 
in nahezu quantitativer Ausbeute erhalten kann. Bei einer Anwendung der 
Ergebnisse dieser Vorversuche auf die Wein- und Bieranalyse muß vor allem 
der Gegenwart von Zucker Rechnung getragen werden, da die Zuckerarten, 
wie bekannt, unlösliche Benzoylverbindungen liefern. Der Verfasser stellt 
eine Fortsetzung seiner Untersuchungen in Aussicht. (Pharmazeutische 
Zentralhalle, Bd. 48, S. 797, 820 u. 847.) 

Ch. Billon beschreibt eine Modifikation der amtlichen deutschen 
Methode zur Glycerinbestimmung im Wein. Er zieht den unter Kalk¬ 
zusatz hergestellten Eindampfungsrückstand des Weines erst mit Alkohol 
und danach mit Essigätber aus. Die vereinigten Auszüge werden filtriert; 
dieses Filtrat hinterläßt beim Verdampfen angeblich reines Glycerin. (Revue 
internat. des falsific., Bd. 19, S. 57; Ref. in Pharmazeutische Zentralhalle, 
Bd. 48 , S. 197.) 

0. Krug macht darauf aufmerksam, daß die äußere Beschaffenheit 
des bei der Weinanalyse zur Wägung gebrachten Weinextraktes als 
Kennzeichen für die Beurteilung des Weines herangezogen werden kann. 
Das Extrakt des Naturweines und des reell gezuckerten Weines besteht aus 
einer tief dunkel gefärbten, fast plastischen Substanz, die einen schönen 
politurartigen Glanz besitzt und in der zahlreiche Bläschen wahrgenommen 
werden können. Ganz im Gegensatz zu diesen „normal“ aussehenden Ex¬ 
trakten liefern die Nachweine (Trester- und Hefen weine) und die berüchtigten 
analysenfesten Produkte ein Extrakt, das fast durchweg eine mehr körnige, 
fast kristallinische Beschaffenheit zeigt. Meist sind diese Extrakte sehr 
trocken oder ganz schmierig. Mit Obstwein, insbesondere dem viel ge¬ 
brauchten Birnenwein gefälschte Weine geben ein ziemlich normal aus¬ 
sehendes Extrakt. (Zeitschr. f. Untersuchung d. Nahrungs- u. Genußmittel, 
Bd. 14, S. 117.) 

G. Jörgensen beschreibt ein Verfahren zur Bestimmung von Wein¬ 
säure, Bernsteinsäure, Zitronensäure nebeneinander in Nahrungs- 


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Geistige Getränke. Wein. 


597 


mittein und teilt eine Anzahl mit seiner Hille ausgeführter Analysen von 
Weinen und Fruchtsäften mit. (Zeitschr. f. Untersuchung d. Nahrungs- u. 
Genußmittel, Bd. 13, S. 241.) 

J. von Ferentzy. Bestimmung der Weinsäure neben Äpfelsäure 
und Bernsteins&ure. (Chemiker-Zeitung, Bd. 31, S. 1118.) 

0. Krug stellte Untersuchungen über den N atro n geh alt der Trauben¬ 
weine an, hauptsächlich mit Rücksicht darauf, daß natronhaltige Chemi¬ 
kalien, wie Seignettesalz, Natriumphosphat usw., zur Wein Verfälschung be¬ 
nutzt werden. 46 Analysen lehrten, daß der Natrongehalt der Naturweine 
zwischen 0,1 und 4,5 mg in 100 ccm Wein schwankt; auch Chilisalpeter¬ 
düngung der Reben bedingt keine Erhöhung über diese Grenzen. Ein Wein 
ist demnach dann zu beanstanden, wenn bei einem normalen Chlorgehalt der 
für Natron ermittelte Wert 10 mg in 100 ccm Wein übersteigt. (Zeitschr. 
f. Untersuchung d. Nahrungs- und Genußmittel, Bd. 13, S. 544.) 

C. Arturo führt den Nachweis von Fuchsin in Wein, Likör oder 
Fruchtsirup, indem er entweder mit Kaliumjodidlösung versetzt und mit 
Paraldehyd ausschüttelt, oder indem er mit einer gesättigten Lösung von 
Salicylsäure in Chloroform ausschüttelt. Bei beiden Reaktionen färbt sich 
das Ausschüttelungsmittel bei Gegenwart von Fuchsin rot. (Bollett. Chim. 
Farm. 1907, S. 535; Ref. in Pharmazeutische Zentralhalle, Bd. 48, S. 903.) 

Die deutsche Kommission veröffentlichte in ausführlichster Weise auf 
182 Druckseiten die Ergebnisse der amtlichen Wein Statistik für das 
Berichtsjahr 1905/6. (Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte, 
B<L 27, S. 1.) 

Der schweizerische Verein analytischer Chemiker publizierte den siebenten 
Jahrgang der schweizerischen Weinstatistik, enthaltend die Analysen 
der Moste und Weine des Jahres 1906. (Landwirtschaftliches Jahrbuch der 
Schweiz 1907.) 

J. Mayer teilt 93 Analysen französischer Weißweine mit, die ihm 
unter der Bezeichnung „naturrein“ zugingen. Es sind Weine jener Quali¬ 
täten, wie sie zur Deckung des deutschen Konsums in Jahren mit quantitativ 
geringer Ernte bei uns eingeführt werden. (Zeitschr. für öffentliche Chemie, 
Bd. 13, S. 229.) 

K. Ennenbach stellt gegenüber den Anschauungen von Baragiola 
(24. Jahresber., S. 638) fest, daß die Frage, ob Naturweine, die bezüglich 
ihrer Extraktreste nahe an der gesetzlichen Grenze liegen, einer Ver¬ 
besserung zugänglich sind, entschieden zu bejahen ist. Was ferner die Zu¬ 
sammensetzung des Weines au verschiedenen Stellen ein und desselben 
Fasses anbelangt, so ist dieselbe überall gleich, sofern der Wein völlig ver¬ 
goren ist. (Zeitschr. f. Untersuchung der Nahrungs- und Genußmittel, Bd. 14, 
S. 406.) 

K. Votruba nahm Untersuchungen über das Entsäuern der Weine 
mittels Calciumkarbonats vor. Es tritt stets der theoretisch zu er¬ 
wartende Säurerückgang ein, der der zugesetzten Calciumkarbonatmenge 
entspricht, aber derselbe vollzieht sich nicht ausschließlich auf Kosten einer 


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598 


Nahrungs* und GenußmitteL 


Ausfällung der Weinsäure, sondern teilweise auch auf Kosten einer Neutrali¬ 
sation von Äpfelsäure und Milchsäure, d. h. der Räckgang an Weinsäure ist 
geringer als derjenige an Gesamtazidität. Immerhin ist er doch noch so 
groß, daß man nicht mehr als 0,2 Proz. Gesamtazidität durch Entsäuern 
abstumpfen sollte, weil bei weitergehender Entsäuerung der Wein durch 
Ausscheidung eines normalen Bestandteiles seine normale Beschaffenheit ver¬ 
lieren würde. 

Findet man bei der chemischen Untersuchung eines Weines einen Wein- 
steingehalt von nur 0,05 bis 0,09 g in 100 ccm neben normalem Alkohol¬ 
gehalt, so kann man wohl mit Recht annehmen, daß der Wein entsäuert ist, 
denn ein 10,5 prozentiger Alkohol vermag selbst bei 0°C noch 0,14 g Wein¬ 
stein in 100 ccm zu lösen. Der Äpfelsäuregehalt und Milchsäuregehalt des 
Weines bedingen sogar eine noch größere Löslichkeit des Weinsteines, als 
Bie dem Alkoholgehalt allein entsprechen würde. (Die Weinlaube 1907, 
Nr. 52.) 

C. von der Heide stellte Versuche über die Bekämpfung tierischer 
Schädlinge auf Reben mit Arsenverbindungen an. Zur Verwendung 
gelangte Bordeauxbrühe mit Zusätzen von arseniger Säure oder Schweinfurter 
Grün oder Bleiarsenat oder Kupferarsenat, ferner Mischungen von Gips oder 
Schwefel oder Kalk mit Arsenverbindungen. In vorliegender Arbeit hat 
der Verfasser die so behandelten Trauben, den von ihnen geernteten Most 
und den daraus erhaltenen Jungwein auf Arsen untersucht. Im Maximum 
fanden sich in 100 g Trauben 0,3 mg, in 100 ccm Most 0,05 mg Arsen, im 
Jungwein minimale Spuren. Doch soll mit diesen Resultaten das Bespritzen 
der Reben mit Arsenverbindungen noch nicht als unbedenklich hingestellt 
werden. (Bericht der Kgl. Lehranstalt für Wein-, Obst- und Gartenbau zu 
Geisenheim 1907, S. 176.) 

C. von der Heide sah sich veranlaßt, deutsche Naturweine auf ihren 
Arsengehalt zu untersuchen. Dies geschah durch Aufschließen von 200 
bis 300 ccm Wein mittels konzentrierter Schwefelsäure nach Kjeldahls 
Verfahren und quantitativer Arsenbestimmung in der Aufschlußflüssigkeit 
nach Polenskes Modifikation der Marshschen Methode. Von 38 unter¬ 
suchten Proben deutscher Weine ließ sich in 24 Arsen nach weisen. Die 
gefundenen Arsenmengen sind allerdings sehr gering; sie erreichen höchstens 
0,05 mg in 100 ccm Wein. Daß solche minimalen Mengen gesundheits¬ 
schädlich wirken können, scheint ausgeschlossen. Ob es Zufall oder charak¬ 
teristische Eigenschaft ist, daß sich in guten und sehr guten Weinen Arsen 
verhältnismäßig häufiger findet, als in kleinen und billigen Tischweinen, 
vermag Verf. nicht zu entscheiden. Auch die Frage, in welcher Weise das 
Arsen in den Wein gelangt, insbesondere, ob es von der Rebe aus dem Boden 
aufgenommen wird, ist noch unentschieden, jedenfalls aber kann es nicht 
allein aus dem zum Einbrennen benutzten Schwefel stammen. (Ebendas., 
S. 180.) 

C. von der Heide untersuchte auch die in der Kellerwirtschaft be¬ 
nutzten Schwefelschnitteauf Arsen. Im allgemeinen sind gelbe 
Schwefelschnitte praktisch arsenfrei, je dunkler die Proben sind, um so 
höher ist im allgemeinen ihr Arsengehalt; doch überstieg er nur in 


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Geistige Getränke. Wein. 


599 


einem Falle 0,6 mg in 100 g Schwefel und erreichte auch in diesem nur 
2,0 mg in 100 g. Aber selbst bei Benutzung dieses arsenreichsten Schwefels 
zum Einbrennen könnten nicht mehr als 0,0003 mg Arsen in 100 ccm Wein 
gelangen. (Ebendas, S. 186.) 

C. von der Heide gelangte in ausführlicher Untersuchung von Mosten 
und Weinen, die von peronosporakranken Reben stammen, zu 
folgenden Ergebnissen. Die Zusammensetzung der Peronosporamoste von 
der Mosel im Jahre 1905 war im großen und ganzen normal; das Most- 
gewicht war sogar durchschnittlich höher, als in manchen unreifen Jahr¬ 
gängen, der Säuregehalt war vielleicht etwas höher, als nach dem Most¬ 
gewicht zu erwarten war. Die Vergärung der Moste verlief vollständig 
normal. Die Peronosporaweine hatten keine abnorme Zusammensetzung; 
der Säureabbau vollzog sich in ihnen ebenfalls in normaler Weise. Als 
wichtigstes Ergebnis für die Praxis ließ sich feststellen, daß die Peronospora- 
erkrankung des Rebstockes an dem Weine geschmacklich nicht erkannt 
werden konnte. Der sogenannte „Peronosporageschmack“ der Praktiker 
muß auf andere Ursachen, wie fehlerhafte Vergärung oder unrichtige Keller¬ 
behandlung, zurückgeführt werden. (Bericht der Kgl. Lehranstalt für Wein- 
Obst- und Gartenbau zu Geisenheim 1907, S. 191.) 

P. Maze und P. Pacottet beschreiben einen Sarcina-ähnlichen Mikro¬ 
organismus, Coccus anomalus, den sie häufig in den Weinen der Cham¬ 
pagne aufgefunden haben. Sie halten ihn für die Ursache der bei diesen 
Weinen häufigen Krankheit des Blauwerdens. Dieselbe besteht in einer 
opalisierenden Trübung und ist mit einer Geschmacksverschlechterung nicht 
verbunden. Analysen einiger solcher Weine werden mitgeteilt. (Compt 
rend. de l’academie des Sciences, Bd. 145, S. 141.) 

0. Lobeck hat 26 Wermutweine verschiedener Abstammung ana¬ 
lysiert. Aus den Analysen geht hervor, daß in keinem einzigen Falle die 
Herstellung durch Ausziehen von Drogen mittels Wein erfolgt ist. Vielmehr 
werden entweder zu dem fertigen Naturwein die Tinkturen der betreffenden 
Drogen gegeben oder die zerkleinerten Drogen werden mit Spiritus oder 
Kognak mazeriert, abgepreßt, filtriert, und dieser Auszug wird dem Weine 
zugesetzt. Die Analysen lehren weiter, daß zu diesen Manipulationen nur 
zum kleineren Teil Süßweine, zum größeren aber trockene Weine benutzt 
werden. Ein als „Medizinal-Wermut“ bezeichneter Wein sollte jedenfalls 
aus einem Weine hergestellt sein, der den Anforderungen an Medizinalweine 
entspricht. Mit Teerfarbstoffen gefärbte Produkte sind zu beanstanden. 

Grenzzahlen für die Beurteilung der Wermutweine lassen sich hiernach 
nicht aufstellen; man kann auf Grund der Analyse nur die Frage be¬ 
antworten, ob die Grundlage ein Naturwein ist oder nicht, ferner ob die 
Spritung, der Zuckerzusatz und die erfolgte Verdünnung durch die zu¬ 
gesetzten Drogenauszüge erheblich sind oder nicht. Das italienische Wein¬ 
gesetz vom 11. Juli 1904 bestimmt, daß Wermutwein aus Wein hergestellt 
sein muß und daß ein Zusatz von Bitter- und aromatischen Stoffen, Zucker 
und Äthylalkohol erlaubt sei. (Zeitschr. für öffentliche Chemie, Bd. 13, 
S. 184.) 


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600 


Nahrungs- und Genußmittel. 
Bier. 


C. Bergsten bespricht die Bestimmung der Rohmaltose im Bier. 
Er führt dieselbe titrimetrisch nach Fehling-Soxhlet aus, indem er aus 
einer Bürette so viel entkohlensäuertes Bier zu 50 ccm kochender Fehling- 
scher Lösung zufließen läßt, daß gerade alles Kupfer aus derselben als 
Kupferoxydul abgeschieden wird. Der Verf. teilt eine Tabelle mit, aus 
welcher man entnehmen kann, von welcher Biermenge man hierbei am 
zweckmäßigsten ausgeht, wenn man den Extraktgehalt des Bieres kennt. 
(Zeitschr. für angewandte Chemie, Bd. 20, S. 1413.) 

A. G. Woodman und H. P. Talbot stellten fest, daß die Gegenwart 
sehr kleiner Mengen von Fluoriden in Bier eher die Regel, denn die Aus¬ 
nahme ist. In der Regel stammt das Fluor aus dem Malz, in einzelnen 
Fällen auch weiter aus dem Brauzuoker (die Arbeit bezieht sich auf 
amerikanische Verhältnisse) und aus dem Brauwasser, namentlich wenn 
letzteres durch Gipszusatz künstlich hart gemacht — „burtonisiert“ — 
worden ist. Wahrscheinlich wird Fluor aus dem Boden direkt von der 
Gerste aufgenommen. Nach des Verfs. Erfahrungen überschreitet dieser 
„natürliche“ Fluorgehalt des Bieres kaum jemals die Grenze von 10 mg in 
1 Liter und bleibt in der Mehrzahl aller Fälle hinter 0,2 mg in 1 Liter 
zurück. (Journal of the American Chemical society, Bd. 29, S. 1362.) 

F. Fuhrmann gibt die sorgfältige morphologische und kulturelle Be¬ 
schreibung von zwei Bazillen arten, Bacillus flavus und Bacillus cere- 
visiae, die er aus zwei Flaschenbieren zu isolieren vermochte. In beiden 
Fällen war das Bier von normalem Alkoholgehalt und zeigte weder Trübung 
noch nennenswerten Bodensatz. Beide Bierproben waren hefearm und frei 
bzw. fast frei von Schimmelpilzen. Die Keimzählung ergab bei der ersten 
Probe 96, bei der zweiten 619 Keime in 1 ccm Bier. Bacillus cerevisiae 
nähert sich in vielen biologischen und morphologischen Merkmalen der großen 
Gruppe „Bacillus coli“, unterscheidet sich aber in anderen, wichtigen doch 
deutlich von ihr. Eine fast gleiche Bakterienart, die von Bacillus cerevisiae 
kaum unterschieden werden kann, vermochte Verf. aus Grazer Wasserleitungs¬ 
wasser rein zu züchten. Dies sagt nach Verf. nur aus, daß Bacillus cere- 
visiae keine für Bier typische Bakterienart ist, sondern ein Wasserbakterium, 
das gelegentlich der Flaschenreinigung auch in das Bier gelangt. (Bakterio¬ 
logisches Zentralblatt, Abt. 2, Bd. 19, S. 117 und 221.) 

F. Schönfeld stellte als Ursache der Schleimkrankheit des 
Berliner Weißbieres einen Pediococcus viscosus fest. Ausschließlich 
dieser Mikroorganismus verursacht unter gleichzeitiger teilweiser Unter¬ 
drückung des Wachstums der Milchsäurebakterien der Weißbierhefe das 
Langwerden der Biere. Nicht alle im schleimigen Weißbier enthaltenen 
Pediokokken vermögen, isoliert, Schleimbildung hervorzurufen; die schleim- 
bildenden tun dies innerhalb sehr verschiedener Zeit, d. h. sie besitzen bei 
verschiedener Herkunft sehr verschiedene Wachstumsgeschwindigkeit Die 
Fähigkeit, Schleim zu bilden, ist an die Art des Nährsubstrats gebunden. 
Die keinen Schleim bildenden Pediokokken zeigen nnter sich große Unter¬ 
schiede im Grade der Säurebildung sowie im Geruch und Geschmack des mit 


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Geistige Getränke. Bier. Branntwein. 


601 


ihnen geimpften Bieres. Die Schleim bildenden Pediokokken erzeugen nahezu 
den gleichen Säuregrad. 

Das Langwerden des Weißbieres tritt niemals im Betriebe der Brauereien, 
sondern immer nur bei den Wirten auf. Verf. nimmt als Ursache hierfür 
die häufig bei den Wirten vorgenommene Verdünnung des Bieres mit Wasser 
an, durch welche die notwendige Konzentration der als Schutzstoffe wirkenden 
Bestandteile des Weißbieres (Alkohol, Milchsäure, Kohlensäure und Hopfen¬ 
harz) verschwindet. (Jahrbuch des Vereins der Versuchs- und Lehranstalt 
für Brauerei in Berlin, Bd. 9, S. 415; Ref. in Zentralblatt für Bakteriologie, 
Abt. 2, Bd. 19, S. 322.) 


A. Röhrig führte eine Anzahl Analysen des Leipziger Spezialgetränkes 
Gose, eines obergärigen, in der Flasche auf der Hefe liegenden Bieres, aus. 
Dieselben ergaben: 


Nr. 

» ’S 

I- 2 

O. V 

CC o 

Alkohol 

Extrakt 

ft) 

| 

s 

Freie Säuren, 
berechnet als 
Milchsäure 

ft» 

M 

V 

< 

Kochsalz 

Extraktgehalt 

der 

Stammwürze 

tt 

bfi 

a 

5*8 

Sf 

ft) 

> 



Proz. 

Proz. 

Proz. 

Proz. 

Proz. 

Proz. 

Proz. 

Proz. 

1 

1,0102 

2,62 

3,82 

0,68 

0,256 

— 

— 

9,06 

54,8 

2 

1,0071 

2,50 

2,81 

0,25 

0,830 

— 

— 

7,81 

67,0 

3 

1,0091 

2,25 

3,32 

0,43 

0,28 

— 

— 

7,82 

57,6 

4 

1,0070 

2,90 

2,81 

0,55 

0,38 

— 

— 

8,61 

67,4 

5 

1,0090 

1,95 

3,07 

0,56 

0,172 

— 

— 

6,97 

56,0 

6 

1,0122 

3,30 

4,65 

0,86 

0,54 

0,37 

0,19 

11,50 

59,6 

7 

1,0083 

2,72 

3,49 

0,51 

0,61 

0,315 

0,15 

8,93 

60,9 

8 

1,0098 

2,39 

3,67 

0,61 

0,36 

0,227 

0,09 

8,45 

56,6 

9 

1,0079 

2,71 

3,20 

0,45 

0,39 

0,474 

0,36 

8,62 

62,9 


(Bericht über die Tätigkeit der Chemischen Untersuchungsanstalt der Stadt 
Leipzig im Jahre 1907, S. 47.) 


Branntwein. 

Ph. Schidrowitz und F. Kaye stellten vergleichende Untersuchungen 
über einige Methoden zur Bestimmung der höheren Alkohole (des 
Fuselöls) in Spirituosen an. Zunächst studierten die Verff. das Ver¬ 
fahren von Alien-Marquardt. Nach diesem wird der Branntwein destiU 
liert, das Destillat mit Tetrachlorkohlenstoff ausgeschüttelt und die Tetra¬ 
chlorkohlenstofflösung, welche die höheren Alkohole nunmehr enthält, mit 
Chromsäuremischung oxydiert. Die als Oxydationsprodukte der Alkohole 
resultierenden höheren Fettsäuren werden abdestilliert und azidimetrisch 
ermittelt. Diese Methode ergab den Verff. durchaus befriedigende Resultate, 
sofern — was in der Praxis meistens zutrifft — der Gehalt des Branntweins 
an höheren Alkoholen 0,15 Proz. nicht überschreitet. 

Minder befriedigt eine viel gebrauchte kolorimetrische Methode, bei 
welcher der Branntwein mit starker Schwefelsäure erhitzt und die ent¬ 
stehende Rotfärbung mit derjenigen verglichen wird, die eine bekannte 
Menge Isobutylalkohol bei gleicher Behandlungsweise zeigt. Dieses Ver- 


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602 


Nahrangs- und Genußmittel. 


fahren hat den prinzipiellen Mangel, daß gleiche Mengen Yerschiedener höherer 
Alkohole sehr verschieden starke Rotfärbung zeigen und daß auch andere 
Bestandteile des Branntweins, außer den höheren Alkoholen, rote Farben¬ 
reaktionen mit Schwefelsäure geben. Praktisch kommt außerdem wesentlich 
in Betracht, daß je nach der speziellen AusfQhrungsweise der Untersuchung 
recht abweichende Resultate erhalten werden. (The Analyst, Bd. 31, S. 181.) 

H. Kreis ist es gelungen, das Verfahren der Fuselölbestimmung 
von Komarowsky (21. Jahresber., S. 558) derart zu verbessern, daß es 
auch für Trinkbranntweine brauchbar erscheint. Die Arbeit enthält ferner 
Bemerkungen über die Furfurolbestimmung sowie über die Fuselölbestimmung 
nach ltöse in Branntweinen. (Chemikerztg., Bd. 31, S. 999.) 

A. Röhrig hat die eigentümliche Beobachtung gemacht, daß Edel- 
branntweine (Kognak, Arrak) in den Lagerfässern sich teilweise ent¬ 
mischen. Aus ungeöffneten, aber gelagerten Originalfässern gezogene Proben 
ließen erkennen, daß der Edelbranntwein in den unteren Partien des Fasses 
einen niedrigeren, in den oberen Partien einen höheren Alkoholgehalt zeigte, 
als dem Durchschnitt entsprach. Diese Differenzen erreichten im Maximum 
einen Betrag von 6 Maßproz. Alkohol. (Bericht über die Tätigkeit der 
Chemischen Untersuchungsanstalt der Stadt Leipzig im Jahre 1907, S. 42.) 

E. Kayser und A. Demoion haben aus einer Charente-Hefe eine Rein¬ 
hefe isoliert, die in Charente-Mosten bei der Vergärung relativ große Mengen 
Von Aldehyden und höheren Alkoholen produziert. Die Verff. bringen diese 
Wahrnehmung in Beziehung zur Kognakbereitung. (Compt. rend. de 
l’academie des Sciences, Bd. 145, S. 205.) 

F. Schardinger stellte Versuche über die Verwendung von 
Bacillus macerans zur Bereitung von Zwetschengeist (Slivovitz) 
an. Sterilisierte Zwetschenmaischen wurden in der Tat vergoren: hierbei 
ging nicht nur der Gehalt an Rohrzucker, Invertzucker und Pentosanen 
erheblich zurück, sondern es wurden auch wesentliche Anteile der Rohfaser 
vergoren. Doch zeigte sich, daß die Alkoholausbeute kleiner war, als bei 
der üblichen Slivovitzbereitung; auch war der Geschmack des erhaltenen 
Produktes unbefriedigend. Das Gärungsprodukt enthielt auf 4 Teile Alkohol 
etwa 1 Teil Aceton. (Zentralblatt für Bakteriologie, Abt. 2, Bd. 19, S. 161.) 

* Alkoholfrage. 

B. Laquer gibt eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten Literatur 
— der periodischen und der Buchwerke — zur Alkoholfrage sowie einen 
Hinweis auf die Hauptorganisationen der Antialkoholbewegung und auf neuere 
Ziele derselben. (Archiv f. Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 23, S. 844.) 

E. Fl ade. Zur Alkoholfrage. Sammelreferat. (Hygienische Rundschau, 
Bd. 17, S. 1038.) 

Der Alkoholismus, seine Wirkungen und seine Bekämpfung. Heraus¬ 
gegeben vom Zentralverband zur Bekämpfung des Alkoholismus. 3 Bandeben. 
Leipzig 1907. B. G. Teubner. Bd. I, 124 S., H, 128 S., III, 109 S. (Aus 
der Sammlung: Aus Natur und Geisteswelt.) 


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Geistige Getränke. Alkoholfrage. 


603 


M. Gruber und EI Kraepelin. Wandtafeln zur Alkoholfrage. München 
1907. J. F. Lehmann. 10 Tafeln mit Erläuterungen. 

A. Cluß. Bier und Wein als berechtigte Nahrungs- und Genußmittel. 
Wien 1907. C. FriedL 16 S. 

V. Horsley u. M. D. Sturge. Alkohol and the human body. London 
1907. Macmillan u. Co. 370 S. 

F. Crämer. Die Einwirkung der Genußmittel auf den menschlichen 
Organismus, speziell auf die Verdauungsorgane. I. Tabak, Kaffee und Tee. 
II. Alkohol. München 1907. J. F. Lehmann. 190 S. 

J. Pringsheim hat die Beziehungen des Alkohols zum Eiwei߬ 
stoffwechsel durch einen SelbstTersuch erneut experimentell geprüft Der 
Versuch hatte den Typus eines sogenannten Zulageversuches, d. h. zu einer 
Normalkost wurde in einer besonderen Versuchsperiode noch Alkohol zugelegt 
An 4 Tagen einer Vorperiode genoß Verf. täglich 285 g Fleisch, 50 g Wurst, 
180g Zwieback, 20 g Kakao, 40 g Zucker und 210 g Butter. Diese Kost 
enthielt 16,93 g Stickstoff, 197,7 g Fett und 200,0 g Kohlenhydrate; ihr 
Energiewert betrug 3095 Kalorien. In einer folgenden Periode, welche 
wiederum 4 Tage umfaßte, nahm Verf. zu derselben Kost Alkohol hinzu, 
und zwar an den ersten beiden Tagen je 60 g, am dritten 90 g und am 
vierten Tage 120 g. An einem folgenden Versuchstage wurden die 120 g 
Alkohol durch die isodynamische Menge von 211 g Zucker ersetzt. 

Die nachstehende Tabelle zeigt den Verlauf des Stoffwechselversuches: 


SO 

s 

10 

Zulage rur Normal¬ 
kost von 16,93 g 
Stickstoff, 197,7 g Fett 
und 200 g Kohlen¬ 
hydraten 

Kalorien¬ 
wert der 
Gesamt¬ 
einnahmen 

Körper¬ 

ge¬ 

wicht 

kg 

Stickstoffausgabe 

Stick- 

•toff- 

bilanz 

g 

Stickstoff- 

aua- 

nutzung 

Proz. 

3 

e 

> 

im Harn 

g 

im Kot 

g 

1. 

— 

3095 

67,6 

15,27 

2,33 

— 0,67 

86,2 

2. 

_ 

3095 

67,5 

13,71 

2,33 

+ 0,89 

86,2 

3. 

— 

3095 

67,5 

13,67 

2,17 

+ 1.09 

87,2 

4. 

— 

3095 

67,3 

13,73 

2,17 

+ 1,03 

87,2 

5. 

60 g Alkohol 

3527 

67,3 

12,91 

1,97 

+ 2,05 

88,4 

6. 

60 g Alkohol 

3527 

67,4 

12,85 

1,97 

+ 2,11 

88,4 

7. 

90 g Alkohol 

3743 

67,5 

12,37 

2,10 

+ 2,46 

87,6 

8. 

120 g Alkohol 

3959 

67,6 

11,98 

1,94 

+ 3,01 

88,5 

9. 

211 g Zucker 

3959 

67,6 

12,10 

2,11 

+ 2,72 

87,5 


Der Alkohol hat sich also auch in diesem Versuch als ein deutlicher 
Eiweißsparer erwiesen. Vergleicht man aber den Kalorien wert des ge¬ 
sparten Eiweißes mit dem Kalorienwert des zugelegten Alkohols, so ergibt 
sich, daß nur etwa 6 Proz. des letzteren ausgenutzt worden sind. 

Verf. fragt nun, was aus dem übrigen Alkohol geworden ist. Entweder 
ist er als solcher oder in Form einer Verbindung zur Anlagerung gekommen 
oder er ist verbrannt, und seine Kalorien haben Fette oder Kohlenhydrate 
vor der Verbrennung bewahrt oder er ist unverbrannt, entweder als solcher 
oder in Esterform ausgeschieden worden. Für einen Teil mag wohl das 
letztere gelten, wie qualitative Prüfungen des Urins lehren. Weitere Ver- 


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604 


Xahrungs- und Genußmittel. 


suche des Verfs. über den Schwefelstoffwechsel lassen es nicht als unmöglich 
erscheinen, daß dieser veresterte Alkohol als Äthylschwefelsäure den Körper 
verließ; jedenfalls kann es sich aber nur um sehr geringe Mengen handeln. 

Endlich hat der Verf. an den Urinen seines Stoffwechselversuches auch 
Harnsäurebestimmungen ausgefQhrt. Die mittlere tägliche Harnsäureaus- 
Scheidung betrug in der Vorperiode 0,680 g, in der Alkoholperiode 0,721g. 
Die Zunahme ist zwar gering, liegt aber außerhalb der Grenzen der Ver¬ 
suchsfehler. Wenn wir diesen Befund als einen Ausdruck des erhöhten 
Zerfalls der nucleinhaltigen Eiweißstoffe auffassen, bewirkt durch die 
giftigen Eigenschaften des Alkohols, so würden wir in der Eiweißersparung, 
die uns die Stickstoffbilanz zeigt, das Resultat zweier einander entgegen¬ 
arbeitender Vorgänge erblicken müssen. Die Sparkraft des Alkohols würde 
sich nur auf die nucleinfreien Eiweißkörper erstrecken, die nucleiubaltigen 
hingegen würden in erhöhtem Maße zerstört. (Zeitschr. für diätetische und 
physikalische Therapie, Bd. 10, S. 274.) 

Taav stellte Versuche über den Einfluß kleiner regelmäßiger 
Alkoholgaben auf den tierischen Organismus au. Meerschweinchen 
und Kaninchen erhielten 8 Monate hindurch mit dem Tränkwasser täglich 
je 0,1 ccm Alkohol pro Kilogramm Tier; eine gleich große Anzahl Kontroll- 
tiere erhielt entsprechende Mengen reines Wasser. Die Alkoholtiere besaßen 
gegenüber Autointoxikation oder Intoxikation mit Diphtherietoxin deutlich 
um ein geringes verminderte Widerstandsfähigkeit. Auch wirkten die 
Alkoholgaben auf die hämolytische Fähigkeit des Kaninchenblutes deutlich 
nachteilig; ebenso war das bakterizide Vermögen des Blutes ein wenig 
herabgesetzt. In der Hydroxylionenkonzentration des Blutes konnte keine 
Veränderung festgestellt werden. Auf die Nachkommenschaft ergab sich 
ein deutlicher Einfluß, insofern als sowohl bei Meerschweinchen als auch 
bei Kaninchen die Zahl der lebensfähigen Jungen bei den Wassertieren 
prozentiech höher war, als die der totgeborenen und alsbald eingegangenen. 
Ferner war die Gewichtszunahme der Jungen der Wassertiere größer, als 
diejenige der mit Alkohol behandelten Tiere (Korresp. des Vereins abstinenter 
Ärzte, August 1907; Ref. in Deutsche Medizinalzeitung, Bd. 28, S. 996.) 

K. W. F. Boas bespricht die Bekämpfung des Alkohols in den 
breitesten Volksschichten. Verf. fordert eine gelegentliche Belehrung 
der Schulkinder und daneben als praktische Maßnahme die Schulspeisung, 
die auf Kosten der Stadt zu erfolgen hätte und für die er eine Speisekarte 
entwirft. Allein mit der Belehrung und Bewahrung der Schulkinder ist es 
nicht getan; außerdem ist auch Aufklärung im Heere, bei der Arbeiterklasse 
und bei den übrigen, sogenannten „gebildeten“ Ständen erforderlich. Die 
Aufklärung im Heere geschieht für die Mannschaften in der Instruktions¬ 
stunde durch einen abstinenten Vorgesetzten; eine Einschränkung der Liebes- 
mahle im Offizierkorps ist daneben dringend zu wünschen. Die Belehrung 
der Arbeiterklassen geschieht durch Aufnahme geeigneter populärer Schriften 
in die Volksbibliotheken und durch bei jeder passenden Gelegenheit an¬ 
zubringende passende Hinweise der Kassenärzte. Für die Bekämpfung in 
den höheren Schichten verspricht sich Verf. etwas von den sogenannten 
„Elternabenden“, d. h. von Veranstaltungen, bei denen Eltern und Schüler 


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Geistige Getränke. Alkoholfrage. 


605 


der Oberklassen gemeinsam geeignete Vorträge anhören. (Zeitschr. für 
Krankenpflege, Bd. 29, S. 68.) 

von Strauß und Torney weist darauf hin, daß die höheren Stände 
der bürgerlichen Gesellschaft im Kampfe gegen den Alkoholismus durch 
Einschränkung der eigenen Trinksitten mitwirken müssen. Der Alkohol sei 
aus dem alltäglichen Leben verbannt und nur für die Geselligkeit reserviert; 
der Wirtshausbesuch erfolge nicht regelmäßig und werde nach Möglichkeit 
eingeschränkt. (Monatablätter für öffentl. Gesundheitspflege 1907, Nr. 9; 
Referat in Deutsche Medizinalzeitung, Bd. 28, S. 1066.) 

E. S t r u v e. Der Verbrauch alkoholischer Getränke in den Haupt¬ 
kulturländern. Berlin 1907, Paul Parey. 32 S. (alkoholfreundlich!). 

Kraepelin, Vocke und Lichten berg. Der Alkoholismus in München. 
München 1907. J. F. Lehmann, 31 S. 

B. Laquer. Über den Alkoholismus im Orient, insbesondere in Ägypten. 
(Deutsche medizinische Wochenschrift, Bd. 33, S. 812.) 

F. Weigl führt aus, daß die Aufklärungsarbeit über die Bewahrung 
der Jugend vor den Genußgiften vorwiegend folgende Gesichtspunkte 
berücksichtigen müsse. Die Antialkoholbeweguug ist zur Antigenußgift¬ 
bewegung auszubauen, da auch Koffein und Nikotin, namentlich bei der 
Jugend, erwiesenermaßen schwere physische und psychische Störungen 
hervorrufen. Zur Aufklärung des Volkes über die Giftwirkung von Alkohol 
und Koffein muß die Bekanntmachung mit den besten Ersatzstoffen — für 
Alkohol Fruchtlimonaden, für Bohnenkaffee Malzkaffee — treten. Angesichts 
der Bedeutung dieser Aufklärung für die Volksgesundheit und für das soziale 
Leben hat der Staat die Pflicht, sich an der Aufklärungsarbeit zu beteiligen. 
Er kann sie am besten vermitteln lassen: a) bei der standesamtlichen An¬ 
meldung der Neugeborenen durch ein Merkblatt oder sonstige Belehrung; 
b) in der Schule durch unterrichtliche Maßnahmen für die Kinder und durch 
belehrendes Material für die Eltern; c) in der Militärdienstzeit durch Be¬ 
lehrung mittels Flugschriften, Vorträge und durch praktische Gewöhnung. 
Die Aufklärungsarbeit soll durch das öffentliche Vortrags wesen, durch Vereine 
und durch die Presse unterstützt werden. (Deutsche Vierteljahrsschrift für 
öffentliche Gesundheitspflege, Bd. 39, S. 821.) 

von Frankenberg hat Ermittelungen über den Alkoholgenuß der 
Schulkinder angestellt, die sich auf Erhebungen in 400 Bürgerschulklassen 
in Braunschweig an einem Material von 20000 Schülern beziehen. Fast 
genau der vierte Teil aller Schulkinder trinkt beim Mittagsessen oder Abend¬ 
essen Alkohol, und etwa der zehnte Teil aller Kinder ist an den täglichen 
Genuß von alkoholischen Getränken gewöhnt. (Zeitschr. f. Schulgesundheits¬ 
pflege 1906, Nr. 10; Ref. in Zeitschr. für Medizinalbeamte, Bd. 20, S. 212.) 

L. Lang. Die kindliche Psyche und der Genuß geistiger Getränke. 
Abhandlung für Lehrer und gebildete Eltern. (Wien 1907, Josef Safär, 80 S.) 

B. Laquer führt die hohe Ziffer, mit der die Bierbrauer in der 
Krankheits- und Unfallstatistik vertreten sind, auf den starken 
Alkoholgenuß, insbesondere auf die übliche Gewährung des Haustrunkes 
durch die Brauereien zurück. Die tägliche Naturalleistung, also der Haus- 


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606 


Nahrungs- und Genußmittel. 


trunk, beträgt in der Regel für den gelernten Brauer 7 Liter, für den un¬ 
gelernten 5 Liter. Als 10 große Brauereien Frankfurts den Haustrunk ab¬ 
lösten, sank die Unfallziffer von 18,3 Proz. auf 12,7 Proz. der Arbeiterzabl. 
(Zeitschr. für soziale Medizin, Bd. 1, S. 221.) 

H. Hoppe. Die Gefahren des Biergenusses. (Schriftstelle des Alkohol- 
gegnerbundes, 2. Aufl., 16 S.) 


Essig. 

E. Büchner und R. Gaunt gelang es, durch Behandeln von Essig¬ 
säurebakterien , die aus Bieressig stammten und in ungehopfter Bierwürze 
kultiviert waren, mit Aceton ein steriles Dauerpräparat zu gewinnen, das 
Äthylalkohol unter Mitwirkung des atmosphärischen Sauerstoffs zu oxydieren 
vermochte. Damit ist bewiesen, daß die Essigbakterien ihre oxydierende 
Wirkung der Gegenwart eines Enzyms, einer Oxydase, verdanken. Die 
Verfasser schlagen vor, dieselbe als Alkoholoxydase zu bezeichnen. Die 
Aceton -Daueressigbakterien vermögen auch Propylalkohol zu Propionsäure 
zu oxydieren. Dauerpräparate aus Essigbakterien, die auf gehopfter Bier¬ 
würze gezüchtet waren, zeigten keinerlei Oxydasewirkung. 

Schließlich haben die Verfasser auch jenes Verfahren, das zuerst tum 
Nachweis von Zymase in Hefe führte, nämlich die Herstellung von Preßsaft, 
auf die Essigbakterien übertragen; die erhaltenen Preßsäfte zeigten aber 
bei Luftgegenwart keine oxydierende Wirkung auf Alkohol. Demnach 
dürfte die Alkoholoxydase der Essigbakterien entweder schon bei der Her¬ 
stellung des Saftes zerstört worden oder als schwer löslich nicht in den Pre߬ 
saft übergegangen sein. (Liebigs Ann. d. Chemie, Bd.349, S. 140.) 

F. Rothenbach und W. Hoffman n prüften, ob die Gegenwart von 
Eisenoxydulsulfat oder Manganoxydulsulfat die Oxydationswir¬ 
kung der Essigsäurebakterien begünstigt, wie dies Büchner und 
Gaunt vermutet hatten. Die Ausbeute bzw. das Säurequantum der mit 
Ferro- oder Manganosalz behandelten Maischen erwies sich durchschnittlich 
keineswegs höher, als die Säureproduktion bei Parallelversuchen ohne die 
beiden Metallsalze. Dieses Ergebnis änderte sich auch nicht, wenn die zu 
den Versuchen benutzte Reinkultur von B. ascendens einer Vorakklimati¬ 
sierung an sehr geringe Eisenmengen unterworfen wurde. (Die deutsche 
Essigindustrie, Bd. 11, S. 125; Autoref. in Zentralbl. f. Bakt. Abt. 2, Bd. 19, 
S. 586.) 

H. Lührig veröffentlichte eine Untersuchung über die quantitative 
Zusammensetzung des Weinessigs im Vergleich mit derjenigen der 
Maische bzw. des Weines, woraus er bereitet ist. In erster Linie war — 
im Anschluß an frühere Arbeiten von W. F resenius und von A. Jon scher — 
die Frage zu entscheiden, ob der Glyceringehalt des Essigs einen qualitativen 
oder quantitativen Schluß auf die Verwendung von Wein bei der Herstellung 
zuläßt. Versuche von Schnellessigbildnern im Großbetriebe ergaben, 
daß das Glycerin des Weines zwar unverändert durch die Essiggärung hiu- 
durchgehen kann, daß aber doch auch Glycerin Verluste eintreteu können 
und daß aus diesem Grunde aus einem zu geringen Glyceringehalt keines- 


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Essig. 


607 


wegs auf die Verwendung einer zu geringen Menge Wein geschlossen wer¬ 
den darf. Es ergab sich aber auch ferner, daß keiner der als Kriterien 
dienenden Bestandteile des Weinei (Extrakt, Milchsäure, Mineralstofle, 
Aschenalkalinität) regelmäßig unverändert aus der Essiggärung hervorgeht. 
Eine sichere und einwandfreie Beurteilung, ob ein als Weinessig bezeichnetes 
Produkt aus mindestens 20 Raumteilen Wein hergestellt ist, ist somit zur¬ 
zeit nicht möglich. 

Ein weiterer, nach dem Orleansverfahren angestellter Versuch ergab, 
daß die Konzentration des Essigs gegenüber dem Wein erheblich — auf 
mehr als das Dreifache zunimmt. Demgegenüber sind jedoch größere und 
voneinander völlig verschiedene Verluste an Glycerin, Mineralstoßen, Aschen¬ 
alkalinität und. Phosphorsäure zu verzeichnen. 

Beim Aufbewahren von fertigem alkoholfreiem Weinessig ließen sich, 
abgesehen von einer ganz geringen Konzentration infolge von Verdunstung, 
Veränderungen in der Zusammensetzung nicht nachweisen. — Die Arbeit 
enthält noch Versuche über die Fehlergrenze der Glycerinbestimmung im 
Weinessig; ihr absoluter Betrag kann 0,04 g in 100 ccm Essig erreichen. 
(Pharmaz. Zentralhalle, Bd. 48, S. 863.) 

W. L. Dubois behandelt den Nachweis von Karamel im Essig 
mittels Walkerde. Eb ist von verschiedenen Seiten angegeben worden, 
daß man die Gegenwart von Karamel im Essig daran erkennen kann, daß 
er durch Behandeln mit Walkerde aufgehellt oder entfärbt wird. Quanti¬ 
tative kolorimetrische Untersuchungen des Verfassers lehren, daß die Me¬ 
thode höchst unsicher ist; verschiedene Essige werden durch die gleiche 
Walkerde, und der gleiche Essig durch verschiedene Sorten Walkerde in 
weitest abweichendem Grade verändert, und unter Umständen werden reine 
Essige weitgehend aufgehellt. Das Verfahren kann höchstens als Vorprüfung 
dienen; bleibt die Farbe des Essigs völlig unverändert, so ist er wahr¬ 
scheinlich rein; tritt völlige Entfärbung ein, so liegt die Wahrscheinlichkeit 
eines Karamelzusatzes vor. Für alle Zwischenstufen muß man sich hin¬ 
gegen jeden Urteils enthalten. (Journal of the American Chemical society, 
Bd. 29, S. 75.) 

W. Fresenius stellt fest— nachdem Rothenbach auf einen Gehalt 
der Essigessenz an schwefliger Säure hingewiesen batte — daß dieser 
Gehalt höchstens 0,9 bis 4,0 mg in 1 Liter beträgt, so daß der aus der 
Essenz bereitete Essig im Höchstfälle 0,25 mg enthalten kann. Dazu kommt 
noch, daß die Essigessenz stets Aldehyde enthält, so daß die schweflige 
Säure zum allergrößten Teil in Form einer komplexen Verbindung, also in 
einer minder gesundheitsgefährlichen Form, zugegen sein muß. (Zeitschr. 
f. Unters, d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 14, S. 199.) 

Romeik führt einen neuen Fall von Vergiftung durch Essigessenz 
auf. Die Essenz war in einem Materialwarengeschäft in einer Schnaps¬ 
flasche abgegeben worden. Ein zweijähriger Knabe trank in einem un¬ 
bewachten Augenblicke davon; er starb an den Folgen. Die Essigessenz 
enthielt 80 Proz. Essigsäure. (Zeitschrift für Medizinalbeamte, Bd. 20, 
S. 505.) 


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608 


Nahrungs- und Genußmittel. 


Kaffee, Kakao, Schokolade. 

K. Wimmer teilt mit, daß jetzt koffeinfreier Kaffee im Großen 
fabrikmäßig hergestellt wird. Versuche haben ergeben, daß man den 
ganzen Kaffeebohnen das Koffein dann durch Extraktionsmittel entziehen 
kann, wenn die rohen Bohnen vorher einem Aufschließprozeß unterworfen 
werden, d. h. einer Behandlung, durch welche die Zellen zugänglich und die 
Koffeinsalze zerlegt werden. Werden dann die so vorbehandelten Bohnen 
mit Koffeinlösungsmitteln, wie Äther, Benzol, Chloroform usw., extrahiert, so 
gelingt es, ihnen das Koffein bis aufSpuren zu entziehen, wobei auffallender¬ 
weise außer Koffein nur Zehntelprozente einer braunen, wachsartigen Masse 
gelöst werden. Alle jene anderen Bestandteile, wie Kaffeegerbsäure, 
Zucker usw., die beim Rösten das Aufblähen, den Geschmack und das Aroma 
bedingen, bleiben dem Kaffee erhalten. 

Die Durchführung des Verfahrens geschieht im Großen in einer in 
Bremen erbauten Fabrik folgendermaßen. Der Rohkaffee gelangt zunächst 
in Reinigungsmaschinen, wo er von den anhaftenden Häutchen und Ver¬ 
unreinigungen befreit wird. Hierauf fällt er in die Aufschließgefäße und von 
hier in eine tiefer gelegene Diffusionsbatterie von sechs Extrakteuren von 
je 2000 Litern Inhalt. In diesen Gefäßen kommt der Kaffee mit den flüch¬ 
tigen Lösungsmitteln in Berührung, die die Gefäße langsam durchströmen 
und das Koffein aufnehmen. Die Dauer der Einwirkung ist von der Kaffee¬ 
sorte abhängig sowie von Umständen, die für jeden Fall neu festgelegt 
werden müssen. Aus den Extrakteuren wird der Kaffee hierauf in rotierende 
Trommeln befördert, in denen er einer Nachbehandlung unterworfen wird: 
nach dieser Prozedur wird er in großen Trockenapparaten von der auf¬ 
genommenen Feuchtigkeit befreit, läuft dann nochmals durch Reinigung*- 
maschinen und gelangt von diesen in die Rösterei. 

Dem Kaffee wird durch diese Behandlung das Koffein bis auf etwa 0,1 
bis 0,2 Proz. entzogen. Von den im koffeinfreien Kaffee noch enthaltenen 
kleinen Mengen Koffein werden bei Herstellung des Kaffeegetränkes in üblicher 
Weise nicht ganz 70 Proz. gelöst. Eine Tasse Kaffee, von 125ccm, her- 
gestellt aus 5 g koffeinfreiem Kaffee, enthält daher nur etwa 0,005 g, eine 
Menge, der eine schädliche Wirkung nicht mehr zugesprochen werden kann. 
Die Genußeigenschaften des Kaffees hingegen sind unverändert erhalten. 
(Zeitschr. f. öffentl. Chemie, Bd. 13, S. 436.) 

E. Harnack bespricht die Ergebnisse einer Enquete über die Schäd¬ 
lichkeit des Kaffees, die W. Röttger angestellt und in Buchform ver¬ 
öffentlicht hat. Der Kaffee erscheint nach Röttger schwer belastet Doch 
muß man erwägen, daß bei solchen Rundfragen immer nur die leichter zu 
beantwortende Frage nach der Schädlichkeit, nicht die viel schwerer za 
beantwortende nach dem Nutzen des Genußmittels aufgeworfen wird und 
daß sich schon deshalb ein einseitiges Bild ergibt. Einseitig ist das Ergebnis 
auch insofern, als die Frage nach der Temperatur der koffeinhaltigen Ge¬ 
tränke ganz außer acht geblieben ist. Das Thema: kalter Kaffee oder Tee 
ist aber ein ganz besonderes für sich, ln pharmakologischer Hinsicht hat 
das durch die Umfrage zusammengebrachte Material nichts Neues ergeben. 


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Kaffee, Kakao, Schokolade. 


609 


weder in betreff des Details der Koffeinwirkungen, noch in Beziehung auf 
die Frage, ob das Koffein der einzige wirksame, bzw. giftige Bestandteil sei. 
In toxikologischer Beziehung wurde festgestellt, daß akute Vergiftungen 
durch Kaffee usw. bei gesunden Individuen sehr selten lebensgefährlich sind, 
schlimmer können chronische sein. Jedenfalls kommen tödliche akute Koffein¬ 
vergiftungen ungleich seltener vor, als entsprechend endende akute Alkohol¬ 
vergiftungen. In diätetisch - klinischer Beziehung lautet das Fazit: Tee ist 
relativ weniger schädlich als Kaffee; von letzterem schadet selbst mäßiger 
Genuß den Kindern, Blutarmen, Nervösen und Herzleidenden sowie auch 
der ärmeren Bevölkerung, weil er bei dieser durch übertriebenen Konsum 
leicht eine Unterernährung begünstigt. Daß der Kaffee, im Gegensatz zum 
Alkohol, kein Sparmittel für den Stoffumsatz ist, weil er kein Brennmaterial 
ist, braucht kaum erst hervorgehoben zu werden. (Deutsche med. Wochenschr., 
Bd. 33, S. 26.) 

F. Loeb hat die in der Literatur sich findenden Angaben über die 
physiologischen Wirkungen des Kaffees übersichtlich zusammen¬ 
gestellt. Von wichtigen Arbeiten dürften nur wenige unberücksichtigt 
geblieben sein; manche der vom Autor herangezogenen hätte freilich eine 
etwas kritischere Behandlung erfordert. Als wesentliches Resultat der Zu¬ 
sammenstellung ergibt sich eine starke Betonung der Schädlichkeit des 
Kaffeegenusses, die hauptsächlich auf das Koffein zurückgeführt wird. Zum 
Schluß tritt der Verfasser für den Malzkaffee ein, vor allem unter Be¬ 
rufung auf die Arbeit von Koljago (24. Jahresber., S. 645). Referent möchte 
hierzu darauf hin weisen, daß kaum eine Arbeit auf diesem ganzen Gebiete 
weniger einer wissenschaftlichen Kritik standzuhalten vermag, als diese 
Koljagosche. (Zeitschr. f. pbys. u. diätetische Therapie, Bd. 10, S. 597.) 

Weißmann berichtet von schweren VergiftungBerscheinungen 
infolge einmaligen unmäßigen Kaffeegenusses. Eine gesunde, 
39 Jahre alte Frau trank morgens 10 Uhr eine Tasse Kaffee, von drei 
(kleinen) Handvoll Kaffeebohnen bereitet Die sehr schweren Symptome — 
Unruhe, Atemnot, Übelkeit, verstärkte Herzstöße, kleiner werdender Puls, 
kühle Extremitäteu — setzten vier Stunden später ein. Die Behandlung 
bestand in Ätherinjektion. (Zeitschr. f. Bahnärzte, Bd. 1 , S. 13; Ref. in 
Deutsche Medizinalzeitung, Bd. 28, S. 248.) 

F. Kutscher und A. Lohmann wiesen im normalen menschlichen 
Harn Pyridinmethylchlorid nach. Sie erhielten aus 10 Liter Männer¬ 
harn 0,17 g, aus 100 Liter Frauenharn 2,6 g des Golddoppelsalzes der ge¬ 
nannten Verbindung. Das Auftreten derselben bringen sie in Beziehung 
zum Tabaks- und Kaffeegenuß. Denn einerseits wissen wir, daß Tabak¬ 
rauch und der wässerige Auszug von gebranntem Kaffee Pyridin enthalten, 
und andererseits hat His bereits 1887 gezeigt, daß der tierische Organismus 
Pyridin nicht zu verbrennen vermag, sondern in Gestalt der Metbylpyridyl- 
ammoniumbase im Harn abscheidet. (Zeitschr. f. Unters, d. Nabrungs- u. 
Genußmittel, Bd. 13, S. 177.) 

V. Gerlach stellte einen StoffwechselverBUch an, um festzustellen, 
ob Kakao die Ausnutzung von Stickstoffsubstanz und Fett der Nahrung 
beeinflußt. Die Resultate sind in nachfolgender Tabelle enthalten. 

Vierteljahrs Schrift für Gesundheitspflege, 1008. Supplement. 39 


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610 


Nahrungs- und Genußmittel. 


Periode 

1 ^ 

«' 

3 

X 

o 

> 

M e n g e 

des mit der täglichen 
Nahrung gereichten 

Kakaos 

o Tägliche ! Tägliche Aus- tx 

Hinnahme gäbe M £ 5 

U3 L J 5 Lsiä 

u 

B 

' 3 

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O. 1 

1 Proz. g 

Stickstoff 

j ss 

- != CA 2 

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t£ 3 

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£ 

8 1 K 

o 

U6 

E 

8 

.§ | | ll der 

S s ‘ Gesamt- 

Cl " 1 , nahrung 

8 | 8 ) Proz. 



Vorperiode (ohne 






I. 

1— 6 

Kakao) . . . . i 

— 21,01 

86,50 18,53 

2,16 

4,41 -f0,32 89,7 

1 94,8 

II. 

7 — 12 

25 g Kakao . . . 

114,14 20,67 

86,66 18,47 

2,63 

3,55 4-0,57 87,9 

95,9 

III. 1 

13—18 

Zwischenperiode 








(ohne Kakao) . 

— 20,66 j 

89,63 1 18,30) 

2,01 

3,78 14-0,35: 90,3 

95,8 

IV. 

19—24 

25 g Kakao . . . j 

14,14 20,32 

92,20 17,20 

2,23 

2,89 |-{ - 0,89i ( 89,1 

96,9 

V. 

25—30) 

Nachperiode (ohne 








Kakao) .... 

— 20,89 

86,57 18,17 

2,03; 

2,42 -|-0,69 90,3 j 

97,2 


Entgegen R. 0. Neumann (24. Jahresber., S. 648) führen den Verfasser 
seine Ergebnisse zu dem Schluß, daß die Differenz in der Stickstoffausnutzung 
unbeträchtlich sei, daß hingegen das Fett der Normalnahrung bei Einnahme 
yon Kakao besser ausgenutzt wurde als in den yorangehenden kakaofreien 
Normalperioden. Der zu den Versuchen benutzte Kakao war Reichardts 
Monarch. (Berl. klin. Wochenschr. 1907, Nr. 17.) 


V. Ger lach hat dieser Versuchsreihe eine weitere angereiht, bei der 
Kakao yon verschieden hohem Fettgehalt zum Vergleich gelangte. Die 
einzelnen Daten gibt folgende Tabelle: 


Periode 

o 
b C 
* 

Js 

9 

«0 

u 

4» 

> 

Menge 

des mit der täglichen 
Nahrung gereichten 

Kakaos 

Fett¬ 

gehalt 

des 

Kakaos 

Proz. 

Tägliche Ein¬ 
nahme 

Tägliche 

Ausgabe 

Stlcktoff- 

ausnutzung 

bA 

B 

. 9 

M 

X 9 
bk S 

9 

a 

M 

o 

i= 

41 

o 

8 

bk 

S 

a 

t - 
3 o 

J“ 

M 

8 

*» Fett im Kot 

der Gesamt¬ 
nahrung 

Proz. 



Vorperiode (ohne 








I. 

1— 6 

Kakao) .... 

— 

21,31 

104,77 

1,93 

5,98 

91,0 

94,3 

n. 

7—12 

25 g Kakao . . . 

22,85 

21,09 

102,24 

2,31 

3,50 

89,0 

96,6 

m. 

13—18 

Zwischen periode 










(ohne Kakao) . 

— 

20,72 

103,99 

1,97 

4,18 

90,5 

96,0 

IV. 

19—24 

25 g Kakao . . . 

13,2 

20,61 

103,53 

2,46 

3,26 

88,1 

96,9 

V. 

25—30 

Nachperiode (ohne 










Kakao) .... 

— 

20,92 

109,09 

1,77 

4,15 

91,5 

96,2 


Verfasser zieht den Schluß, daß die Stickstoffausnutzung bei fettarmem 
und fettreichem Kakao praktisch identisch ist. Die Ausnutzung des Nah- 
rungsfettes ist in den Kakaoperioden um ein geringes, unwesentliches höher 


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Kaffee, Kakao, Schokolade. 


611 


als in den Normalperiodei). Entgegen Neumann hält hiernach Verfasser 
die Festsetzung eines Mindestfettgehaltes für Kakao vom physiologischen 
Gesichtspunkt nicht für gerechtfertigt. (Zeitschr. f. öffentL Chemie, Bd. 13, 
S. 284.) 

F. Tschaplowitz gelangt auf Grund einer, wie dem Referenten scheint, 
nicht einwandfreien Diskussion von Neumanns Stoffwechselversuchen 
an Kakao (24. Jahresber., S. 648) zu dem Ergebnis, daß bei diesen Ver¬ 
suchen das Kakaofett nur eine geringe Ausnutzung erfahren hat, der Stick¬ 
stoff des Kakaos jedoch völlig unausgenutzt geblieben ist. Dies veranlaßt 
den Verfasser zu der weiteren Annahme, daß erneute Untersuchungen 
Neumanns Ergebnisse nicht bestätigen würden, und er schließt hieraus, 
daß die Bewertung des Kakaos als Nahrungsmittel nicht auf die Arbeit des 
genannten Autors, sondern auf die Kalorienwerte und die Ausnutzungs¬ 
ziffern der früheren Autoren gegründet werden müsse. Eine zahlenmäßige 
Beurteilung des Kakaos als Genußmittel ist zurzeit überhaupt unmöglich. 
(Zeitschr. f. angew. Chemie, Bd. 20, S. 829.) 

L. Pincussohn lieferte Beiträge zur Kakaofrage. Eine Wieder¬ 
holung früherer Versuche (24. Jahresber., S. 645) bestätigte, daß beim Hund, 
dem Kakao gereicht wird, die Werte für die Menge und Azidität des Magen¬ 
saftes fallen, je höher der Fettgehalt des Kakaos ist. Das Fett wirkt also 
sekretionBhindernd. Die Verdaulichkeit im physiologischen Sinne hat zwar 
hiermit direkt nichts zu tun, doch ist sie davon indirekt abhängig. 

Über die absolute Ausnutzung der Nährstoffe im Kakao stellte Ver¬ 
fasser Stoffwechselversuche am Hunde und am Menschen an, von denen er 
jedoch nur die abschließenden Zahlen veröffentlicht, so daß eine kritische 
Würdigung seiner Ergebnisse, die von denjenigen R. 0. Neumanns ab¬ 
weichen, erschwert wird. Nur so viel wird mitgeteilt, daß bei den Versuchen 



Fett- 

*us- 

nutzung 

Proz. 

Eiweißausnutzung 

in Proz. 

Versuchs¬ 
person 1 

Versuchs¬ 
person 11 

Variuch»- 

pers.nioht 

angegeben 

bei Normalnahrung . 

»7,7 


— 

— 

mit Adlerkakao. 

95,5 

— 

— 

— 

mit Aribakakao, fettreich. 

96,8 

— 

— 

— 

mit Aribakakao, fettarm. 

97,8 

— 

— 

— 

bei Normalnabrung. 

98,5 

98,0 

86,3 

— 

mit Kakao, fettreich (Dreimänner) .... 

97,9 

90,9 

63,8 

— 

mit Kakao, fettarm (Monarch). 

98,2 

90,0 

84,5 

— 

bei Normalnahrung. 

98,9 

— 

— 

93,0 

mit fettreichem Kakao von 5 Proz. K t 00 8 . 

— 

— 

— 

92,2 

mit fettarmem Kakao von 5 Proz. KjCOg . 

94,0 

— 

— 

79,3 

mit fettarmem Kakao von 2 Proz. K ( CO, . 

— 1 

— 

— 

85,9 

mit fettarmem Kakao ohne KjCOg . . . . 

— 

— 

— 

73,5 

bei Normalnahrung.> 

— 

— 

— 

91,6 

mit Pfennigkakao, fettarm (feines Korn) . . j 

— 

— 

— 

92,8 

mit Aribakakao, 14 Proz. (gröberes Korn) . 1 

— 

— 

— 

83,0 


39* 


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612 


Nahrungs- und Genußmittel. 

am Menschen die tägliohen Kakaodosen 35 g betrugen, „nicht imaginäre 
Mengen von 100 g und gar noch mehr“ 1 ). 

Übereinstimmend mit früheren Untersuchungen wurde gefunden, daß die 
Menge des Kotes nach Genuß von Kakao regelmäßig steigt; fettarmer und 
fettreicher Kakao zeigen in dieser Beziehung keine wesentlichen Unterschiede. 
Eine Wirkung auf die Menge des Kotes scheint dagegen das Verfahren der 
Aufschließung zu haben, mit zunehmendem Gehalt an beim Rösten zu- 
gesetztem Kaliumkarbonat steigt die Trockenkotmenge erheblich. Von Aus¬ 
nutzungsziffern am Menschen sind lediglich die vorstehenden Werte mitgeteilt. 

Am Hunde ergaben sich ganz ähnliche Resultate. Der Verfasser schließt 
aus seinen Versuchen, daß die Fettausnutzung durch Darreichung von Kakao, 
fettarm oder fettreich, kaum beeinflußt wird. Weiter heißt es: „Im all¬ 
gemeinen wird auch daB Eiweiß des Kakaos (von einzelnen Ausnahmen natür¬ 
lich abgesehen) ziemlich gut ausgenutzt; der fettarme hat einen kleinen 
Vorsprung vor dem fettreichen.“ Auf Grund seiner Versuchsresultate und 
aus der Erwägung heraus, daß Kakao in erster Linie ein Genußmittel ist, 
spricht sich Verfasser gegen den Vorschlag aus, eine Mindestgrenze für den 
Fettgehalt des Kakaos festzusetzen. (ZentralbL f. innere Medizin 1907, Nr. 7.) 

F. Streitberger fand bei vergleichenden Rohfas erb estiromun gen 
in ein und derselben Probe Kakao folgende Werte: 


nach König.11,35 Proz. 

nach der Weender Methode. 7,02 „ 

nach Matthes und Müller. 6,81 „ 

nach Ludwig. 5,65 „ 

(Apotheker-Zeitung 1907, Nr. 31.) 


H. Matthes teilt ein ihm erstattetes Gutachten von Fr. N. Schulz 
über Neumanns Kakao-Stoffwechselversuohe mit. Schulz meint, 
Neumann habe zwar keinen Widerwillen gegen die Form und die Massen 
des Kakaos, die er zu sich nahm, empfunden, aber trotzdem war sein „Über¬ 
windungsvermögen“ stark in Anspruch genommen. „Wenn der Untersucher 
daher gegen die eine Kakaosorte voreingenommen war — und das war an¬ 
scheinend Neu mann gegen den fettarmen Kakao—, so sind dadurch ganz 
sicher individuell für den fettarmen Kakao ungünstigere Versuchsbedin¬ 
gungen geschaffen.“ Ferner beanstandet Schulz die monatelang fort¬ 
gesetzte, außerordentlich eintönige Ernährungsweise in Neumanns Ver¬ 
suchen sowie den Umstand, daß Neumann viel höhere Dosen genommen 
hat, als sie in praxi in Betracht kommen 9 ). Endlich wendet er ein, daß 
gleiche Gewichtsmengen fettarmer und fettreicher Kakao physiologisch nicht 
miteinander vergleichbar sind; nach Schulz’ Meinung hätte Neumann 
gleiche Mengen fettfreier Kakao-Trockensubstanz vergleichen und die Fett¬ 
differenz durch Zulage anderer Nahrungsfette ausgleichen müssen. (Med. 
Klinik 1907, Nr. 4.) 


*) Diese Bemerkung richtet sich gegen Neumann, und ihr gegenüber muß 
energisch darauf hingewiesen werden, daß von 14 Kakaoversuchsreihen Neu- 
manns 9 mit Tagesdosen von 35 g ausgeführt wurden (vgl. 24. Jahresbpr., 8.649), 
und daß die Ergebnisse dieser Reihen zu den gleichen Schlüssen führen, wie die 
Versuchsreihen mit 100 g Kakao und mehr. L. Grünhut. 

*) Vgl. hierzu die Anmerkung zu dem vorhergehenden Referat von Pincussohn. 


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/GoogI< 







Kaffee, Kakao, Schokolade. 


613 


G. K-Bergman analysierte eine Anzahl, meist in Finnland eingekaufter 
Kakaosorten mit folgendem Ergebnis: 


Bezeichnung 

ln der ursprüngl. 
Substanz 

In der Trocken¬ 
substanz 

In der fett¬ 
freien 
Trocken¬ 
substanz 

Wasser 

Proz. 

Asche 

Proz. 

Stickstoti 

Proz. 

Fett 

Proz. 

Stärke 

Proz. 

Ph. Suchart, Neufchätel. 

5,93 

6,85 

3,20 

86,33 

18,97 

Boom k Co., Wormerveer. 

6,09 

8,53 

3,58 

27,09 

18,87 

A. Driessen, Rotterdam. 

7,63 

6,02 

3,28 

31,66 

19,48 

Droste k Co., Haarlem ..'.... 

4,28 

9,04 

3,35 

29,21 

20,78 

▼ an Honten k Zoon, Weesp . . . 

3,92 

8,26 

3,51 

30,91 

18,90 

De Erve H. de Jong, Wormerveer . 
A. J. ten Hope, Rotterdam („Vik- 

7,31 

8,15 

3,26 

33,10 

18,33 

toria*). 

4,85 

9,14 

3,16 

26,25 

18,77 

P. W. Oaedke, Hamburg. 

Hewel k Veithen, Köln („Nährsalz- 

6,36 

5,27 

3,55 

32,11 

18,36 

Kakao'). 

Th. Reichardt, Wandsbeck 

4,72 

4,82 

3,34 

33,47 

19,40 

(„Monarch*). 

6,58 

8,58 

4,30- 

15,36 

22,27 

,Standard*, Dänemark. 

7,02 

5,34 

3,72 

30,74 

21,43 

Motala, Schweden („Carobano“) . . . 

5,08 

7,10 

8,42 

32,67 

22,61 

K. Fazer, Helsingfors. 

3,66 

4,62 

3,58 

32,20 

21,22 

Blomqvist k Co., Helsingfors . . . 

5,77 

4,79 

3,47 

30,59 

22,01 


Die Arbeit enthält eine Übersicht über die Ergebnisse der Kontroverse 
betreffend den Fettgehalt des Kakaos. (Teknikern [finnisch] 1907.) 


H. Matthes und 0. Rohdich bemerken wiederholt, daß J. Königs 
Verfahren der Rohfaserbestimmung bei Kakao erheblich zu hohe Werte 
gibt, falls man nicht die früher von Matthes und Müller vorgeschlagene 
Modifikation anwendet. Auch W. Ludwigs Methode (24. Jahresber.,S.651) 
gibt nach den Verfassern zu niedrige Resultate; Filtrierpapier erlitt bei der 
Analyse nach diesem Verfahren einen Verlust von 44,6 Proz.; nach den 
anderen Untersuchungsweisen dagegen nur 12 bis 14 Proz. (Pharmaz. 
Zentralhalle, Bd. 47, S. 1025.) 

W. Ludwig fand, entgegen den vorstehenden Angaben, nach seiner 
Methode bei Filtrierpapier gleichfalls nur einen Verlust von 16,5 Proz. Auch 
weist er darauf hin, daß Matthes und Rohdich selbst bei Kakaopräparaten 
nur unwesentliche Abweichungen zwischen den Werten nach seiner und nach 
ihrer Methode erhielten. (Pharmaz. Zentralhalle, Bd. 48, S. 21.) 

H. Matthes wendet sich gegen diesen Einwand Ludwigs. Zur Er¬ 
mittelung des Schalengehaltes im Kakao ist die Rohfaserbestimmung nicht 
brauchbar, mehr Erfolg verspricht die Ermittelung der löslichen Kieselsäure 
(vgl. 24. Jahresber., S. 648). (Pharmaz. Zentralhalle, Bd. 48, S. 65.) 

H. Matthes und F. Müller halten gegenüber einer Entgegnung von 
J. König (24. Jahresber., S.651) daran fest, daß man nach Königs Ver¬ 
fahren der Rohfaserbestimmung beim Kakao wesentlich zu hohe Werte 


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614 


Nahrungs- und Genußmittel. 


erhält, wenn man nicht nach der von ihnen angegebenen Modifikation arbeitet. 
(Zeit8chr. f. öffentl. Chemie, Bd. 13, S. 1.) 

A. Reinsch fand bei der Fettbestimmung im Kakao, daß das 
Gottlieb-Rösesche Verfahren in der Abänderung von Hanus (24. Jahres¬ 
bericht, S. 651) meistens sehr brauchbare Resultate liefert. Bei einer Probe 
gab es jedoch mehr als 10 Proz. weniger als die zum Vergleich heran¬ 
gezogene Extraktionsmethode. Es zeigte sich, daß das Fett dieses Kakaos 
stark zersetzt war; es bestand zum größten Teil aus freien Fettsäuren, die 
bei der Behandlung nach Hanus durch das verwendete Ammoniak in 
Ammonsalze übergeführt wurden und nunmehr sich nicht mehr in dem 
Äther-Petroläthergemisch lösten. Auf Grund dieser Erfahrung rät Verfasser 
von der Anwendung der Hanus sehen Methode ab und empfiehlt statt deren 
die von A. Kirschner (24. Jahresber., S. 652) vorgeschlagene Fettbestim¬ 
mung nach Gottlieb, bei welcher Ammoniak nicht verwendet wird. (Bericht 
des Chemischen Untersuchungsamtes der Stadt Altona für das Jahr 1907, S. 32.) 

F. Utz gibt an, daß die von Soltsien (15. Jahresber., S. 215) beschrie¬ 
bene Zinnchlorürreaktion auoh bei solchen Fetten und ölen einen 
positiven Ausfall gibt, die mit Perubalsam behandelt sind, daß also in sol¬ 
chen Fällen die Anwesenheit von Sesamöl vorgetäuscht wird. Auch das 
aus Schokoladen, die unter Perubalsamzusatz hergestellt sind, extrahierte 
Fett täuscht, der Soltsien sehen Reaktion gegenüber, die Anwesenheit von 
Sesamöl vor. (Chem. Revue für die Fett- u. Harzindustrie, Bd. 14, S. 183; 
Ref. in Chemikerztg., Bd. 31, Repertorium, S. 445.) 

P. Soltsien bespricht die Farbenreaktion von Benzoe und Gewürzen 
mit Salzsäure, Furfurolsalzsäure oder Zinnchlorür. Die positiven Reaktionen 
traten bereits in der Kälte ein und sind in der Wärme beständig, während 
die Sesamöl-Zinnchlorürreaktion erst bei 70 bis 80° C erfolgt. (Chem. Revue 
für die Fett- u. Harzindustrie, Bd. 14, S. 242; Ref. in Chemikerztg., Bd. 31, 
Repertorium, S. 554.) 

E. Gerber erhielt bei Untersuchung von Schokoladen an dem 
extrahierten Fette zuweilen deutliche positive Baudouinsche Reaktion, 
ohne daß die Schokolade Sesamölzusatz erhalten hatte. Es zeigte sich, daß 
sowohl Benzoeharz als auch Vanillin und andere Gewürze in Mischung 
mit Kakaofett sowohl Baudouinsche als auch Soltsiensche Reaktionen 
bedingen. Benzoetinktur dient andererseits zum Bestreichen gewisser Schoko¬ 
ladenwaren, während zum Würzen der Schokolade vorwiegend Vanille oder 
Vanillin dienen, daneben aber auch Mischungen verwendet werden, die außer¬ 
dem noch Perubalsam, Zimt, Nelken und Pomeranzenschalen enthalten. 
(Zeitschr. f. Unters, der Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 13, S. 65.) 

F. Bordas und Touplain beschreiben ein Verfahren zum Nachweis 
von Kakaokeimen. Kakaoschalen, Erdnußkuchen, Kartoffelmehl, 
Ocker im Kakao. Die Verfasser bedienen sich einer Reihe von Mischungen 
von Tetrachlorkohlenstoff mit Benzol, die im spezifischen Gewicht von 1,34 
bis 1,60 steigen. Das entfettete Pulver der zu untersuchenden Probe wird 
in diesen Flüssigkeiten suspendiert und zentrifugiert, wobei sich die ver- 


Diqil 


Goog[< 



Kaffee, Kakao, Schokolade. Gewürze. 


615 


fälschenden Beimischungen nach dem spezifischen Gewicht separieren sollen. 
(Compt. rend. de l’acadömie des Sciences, Bd. 142, S. 639.) 

A. Röhrig stellte Ermittelungen über die Art und den Umfang der 
Verwendung von Alkohol zu Fabrikaten der Schokoladen- und 
Konfitttren-Industrie an. Die Ergebnisse sind in folgender Tabelle 
niedergelegt: 

j '! Für 10 Pfennige 



Alkohol¬ 

gehalt 

Pro». 

Preis 
für 1 kg 

Ji 

erhält man 

Ware 

g 

Alkohol 

g 

Bumbohnen. 

10,2 

4,80 

21 

2,14 

Kognakbohnen . 

10,8 

5,00 

20 

2,16 

Kognakbohnen aus Essenz. 

8,5 

4,00 

25 

2,10 

, „ echtem Kognak .... 

10,2 

6,00 

15 

1,53 

Arrakwürfel aus echtem Arrak. 

7,2 

3,20 

30 

2,16 

Arrakfondant „ , „ . 

2,35 

2,80 

85 

0,82 

Likörhimbeeren. 

2,35 

2,00 

50 

1,20 

Zuckererdbeeren. 

1,85 

1,60 

60 

1,10 

Hooks. 

1,05 

1,60 

60 

1,63 

Drops (Erfrischungsbonbons). 

1,80 

2,00 

50 

1,90 


Wir haben somit mit der Tatsache zu rechnen, daß nicht nur die mit 
Spirituosen, sondern auch alle unter Verwendung von Essenzen hergestellten 
Fabrikate, selbst die gewöhnlichen Erfrischungsbonbons, die in allen „alkohol¬ 
freien“ Geschäften, in Reformhäusern usw. angeboten werden, Alkohol ent¬ 
halten. Diese Ergebnisse erfordern, mit Rücksicht auf den reichlichen Ge¬ 
nuß solcher Waren durch Kinder, besondere Aufmerksamkeit. (Bericht über 
die Tätigkeit der Chemischen Untersuohungsanstalt der Stadt Leipzig im 
Jahre 1907, S. 50.) 


Gewürze. 

M. Rheinboldt teilt die Ergebnisse experimenteller Untersuchungen 
über den Einfluß der Maggischen Suppenwürze auf die Magensaft- 
■ ekretion mit. Die erste Versuchsreihe wurde an einem erwachsenen 
Mädchen angestellt, das eine Magen- und eine Oesophagusfistel trug. Es 
boten sich somit für die Versuchsanordnung zwei Möglichkeiten, einmal 
Scheinfütterung mit Maggibouillon und Prüfung des gelieferten Magen¬ 
saftes, das andere Mal vorübergehende Einführung von Maggibouillon in 
den nüchternen Magen mit nachfolgender Scheinfütterung eines Frühstückes. 
In beiden Versuchsanordnungen ergab sich als Folge der Darreichung von 
„Maggibouillon“ (d. h. Maggiwürze in zwanzigfacher Verdünnung) Ver¬ 
mehrung der Magensaftmenge und Erhöhung der Azidität. Dieses am 
Menschen gewonnene Ergebnis wurde noch durch einen Versuch am Hunde 
bestätigt. Dem Versuchshunde wurde ein sogenannter „kleiner Magen“ 
nach Pawlowscher Methode angelegt, d. h. ein durch Operation vom Magen 
völlig abgetrenntes Stück der Magenwand zu einem Blindsack mit einer 


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616 


Nahrungs- und Genußmittel. 

Fistelöffnung nach außen gestaltet. Dieser „kleine Magen“ nimmt an der 
Verdauung der Ingesta keinen Teil. (Zeitschr. f. diätetische u. physika¬ 
lische Therapie, Bd. 10, S. 35.) 

F. Härtel zieht für die Untersuchung und Beurteilung von 
gemahlenem schwarzen Pfeffer vorwiegend den von ihm so genannten 
„Glukosewert“ heran, d. h. die Menge Glukose, welche dem vorhandenen 
Stärkegehalt entspricht und — nach Aufschließung und Inversion mittels 
Diastase, bzw. Salzsäure — durch Kochen mit Fehlings Lösung bestimmt 
wird. Der Glukosewert normaler schwarzer Pfeffer beträgt durchschnitt¬ 
lich 36 bis 40Proz., bei den schlechtesten sinkt er bis 31 Proz., für abgesiebte 
Schalen ergibt sich hingegen 2,1 Proz., für Abfälle der Weißpfefferfabrikation 
(24. Jahresber., S. 652) 8 bis 23,7 Proz., im Mittel 14 Proz. Hiernach er¬ 
scheint die Forderung berechtigt, alle gemahlenen schwarzen Pfeffer, deren 
Glukosewert unter 30 herabgeht, zu beanstanden. 

Zu bemerken ist hierzu, daß eine Erniedrigung des Glnkosewertes 
unter die Norm nicht nur durch Verfälschung durch Schalenzusatz, sondern 
auch durch reichliches Vermahlen von tauben Körnern bedingt sein kann; in 
diesem Falle ist aber eine Beanstandung ebenso gerechtfertigt, wie in jenem. 

Mit Beziehung auf die Rohfaser fand Verfasser bei normalem schwarzen 
Pfeffer Gehalte von 11 bis 16 Proz. und hält demnach 17 Proz. für den 
zulässigen oberen Grenzwert. Für Pfeffersorten, die sich in ihrem Roh¬ 
fasergehalt diesem Grenzwert nähern, zieht Verfasser die Beurteilung auf 
Grund des Glukosewertes vor. 

Erhebungen des Verfassers ergaben, daß sowohl Kleinhändler wie 
Publikum unter gemahlenem schwarzen Pfeffer ein Produkt verstehen, welches 
durch Mahlen von vollwertigen ganzen Körnern schwarzen Pfeffere her¬ 
gestellt ist Der Zusatz von Pfefferschalen war den meisten Detaillisten 
überhaupt nicht bekannt und wurde bei Bekanntgabe von keiner Seite ge¬ 
billigt, vielmehr als unzulässige Beimischung bezeichnet. Die Auffassung 
des Handels widerspricht ferner auch der Tendenz der Gewürzmüller, welche 
schalenhaltigen Pfeffer als 11a Qualität einführen wollen. Demgegenüber 
verstehen die Kleinhändler unter verschiedenen Qualitäten nur Provenienz¬ 
unterschiede, derart, daß z. B. Qualität I aus bestem Singapore oder Tellichery, 
Qualität II aus Aleppi oder Lampong usw. gemahlen werden. 

Die Arbeit enthielt schließlich noch eine Anzahl von Rezepten, nach 
denen im Großhandel tatsächlich gemahlene Gewürze hergestellt werden. 
Danach werden dem gemahlenen Pfeffer neben Pfefferabfällen unter Um¬ 
ständen bis zu 50 Proz. Schalen beigemischt; daneben zeigt sich noch eine 
erhebliche Verwendung von Ölkuchen und Gewürzsurrogaten in der Gewürz¬ 
müllerei. (Zeitschr. f. Untersuchung d. Nahrungs- u. Genußmittel, Bd. 13, 
S.665; Bd. 14, S.342.) 

F. Härtel und R. Will stellten weitere Untersuchungen an Pfeffer 
an, insbesondere auch in der Absicht, Hebebrands (21. Jahresber., S. 561) 
Vorschlag nachzuprüfen, demzufolge die Beurteilung des Pfeffere sich haupt¬ 
sächlich auf den Gehalt an ätherischem öl und Piperin stützen sollte. 
Bei den Analysen fanden die Verfasser folgende Grenzwerte: 


b y Google 


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Gewürze. 


617 


Schwarzer Pfeffer j Pfefferschalen l! 
einschließlich I ausschließlich (Abfall »on Taube 

, :: 7 7 Weißpfeffer- : Körner 

der Proben mit mehr •1*1.,./. 1 

! 15 Proz. tauben Körnern | »bnkatioii) Ij 


Asche .... 'I 0,80— 3,64 i 4,08— 9,32 4,08— 5,901 6,67— 8,30 7,39— 8,30 

Sand. \ 0,10— 0,15 ; 0,10— 2,98 0,10— 1,85 0,03— 0,05 0,70— 1,40 

Glnkosewert . ,51,3—58,5 >18,2 —42,7 ,30,6 —42,7 15,3 —19,5 4,4 — 5,55 
Bohfaser . . . 1 4,51— 6,67 'j 13,04—21,91 13,04—16,30 24,34—26,88 80,44—32,60 

Harz. 0,18— 0,36 0,26— 1,04 0,26— 1,04 1,19— 1,28 0,94— 0,96 

Ätherisches Öl j 1,39— 2,42 j 1,94— 3,85 1,94— 8,62 0,80— 1,03 1,68— 2,14 

Piperin . . . . j 6,56— 7,64 1 6,02— 9,78 6,02— 8,81 3,64— 4,75 4,32— 6,68 


Zur Bestimmung des ätherischen Öls ist das Verfahren von C. Mann, 
zur Bestimmung des Piperins dasjenige von Gunning-Arnold aus dem 
Stickstoffgehalt des Ätherextraktes zu empfehlen. Für die Beurteilung 
von gemahlenem Pfeffer im allgemeinen können alle in die obige Tabelle 
aufgenommenen analytischen Bestimmungen neben der mikroskopischen 
Untersuchung herangezogen werden. Zum Nachweise von Pfefferschalen 
geben jedoch die Ermittelungen von Wasser, Asche, Harz, ätherischem öl 
und Piperin keine Anhaltspunkte -, hierzu dienen — wie die Verfasser wiederum 
betonen — Glukosewert und Rohfaser. Gleich den Pfefferschalen sind 
taube Körner als eine Verfälschung des Pfeifers zu erachten. Die für 
Pfeffer in den „Vereinbarungen“ angegebene Höchstzahl für Mineralstoffe 
von 7 Proz. ist zu hoch; eine Herabsetzung mindestens auf 6,5 Proz. ist 
wünschenswert. (Zeitschr. f. Untersuchung d. Nahrungs- und Genußmittel, 
Bd. 14, S. 567.) 

H. Fincke prüfte, ob sich vielleicht der Nachweis von Pf effersohalen 
im Pfeffer, bzw. von Kakaoschalen im Kakao mit Hilfe der analytischen 
Zerlegung der Rohfaser in ihre Komplexbestandteile Reinzellulose, Lignin und 
Cutin führen ließe. Es ergaben sich keine Verschiedenheiten, die einen 
wesentlich besseren Anhaltspunkt zur Unterscheidung geben könnten als 
der Gehalt an Gesamtrohfaser allein. (Zeitschr. f. Untersuchung d. Nahrungs¬ 
und Genußmittel, Bd. 13, S. 265.) 

A. Nestler lag eine Probe gepulverter Paprika zur Untersuchung vor, 
der nicht im geringsten den charakteristischen scharfen Geschmack aufwies 
und demnach frei von Capsaicin zu sein schien. Eine qualitative Prüfung 
bestätigte die letztere Vermutung indessen nicht; das vorliegende Muster 
war daher nur capsaicinarm. Am meisten schien die Meinung berechtigt, 
daß hier eine mit Alkohol extrahierte Ware vorlag; doch sprach anderer¬ 
seits hiergegen, daß die Farbe des Paprikas normal und die Farbe eines 
aus ihm bereiteten Alkoholauszuges gleichfalls normal war. Weitere Ver¬ 
suche des Verfassers schwächten jedoch das Gewicht dieser Gegengründe 
ab; es gelang durch einmaliges Auswaschen von Paprika auf dem Filter 
mit Alkohol, ihm seinen Geschmack zu nehmen, ohne ihn im übrigen merklich 
zn verändern. Verfasser glaubt deshalb auch, daß die ihm vorliegende 
Handelsprobe der Rückstand einer derart — etwa behufs Gewinnung von 
Branntweinschärfen (19. Jahresber., S. 523) — extrahierten Ware war. 


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Weißer 

Pfeffer 









618 


Nahrung8- und Genußmittel. 

Ein solcher Paprika ist zweifellos als ein verfälschter zu bezeichnen, doch 
gelingt der Nachweis der Verfälschung weder auf chemischem noch auf 
mikroskopischem Wege. (Zeitschr. f. Untersuchung d. Nahrungs* u. Ge¬ 
nußmittel, Bd. 13, S. 739.) 

R. Krzizan unterwarf eine Anzahl Paprikaproben der oberflächlichen 
Alkoholextraktion, um sie im Sinne der vorstehend referierten Abhandlung 
ihres Geschmackes zu berauben. Die vergleichende chemische Analyse der 
so behandelten und der ursprünglichen Muster ergab keine wesentlichen 
Unterschiede, insbesondere war der Gehalt an Alkoholextrakt durch die Be¬ 
handlung nicht herabgesetzt worden, konnte also auch nicht als Merkmal 
der Verfälschung dienen. Nur der Wassergehalt scheint etwas niedriger 
zu werden. (Zeitschr. f. öffentl. Chemie, Bd. 13, S. 161.) 

R. Windisch bestimmte den Aschengehalt von reinem Paprika. 
Er fand in 20 einwandfreien, aus Fruchtschale, Samen und Samenträgern 
gemahlenen Mustern fast durchweg 7 bis 8 Proz., zum Teil bis 9,5 Pros. 
Asche, also meistens Werte, die die Maximalgrenze der deutschen Verein¬ 
barungen merklich überschritten. (Vgl. auch Gregor, 18. Jahresber., 
S. 564.) Der Sandgehalt dieser Proben ergab sich zu 0,1 bis 0,3 Proz. Die 
Kelche und Stengel der Paprikafrüchte, welche vor dem Vermahlen von den 
Samen und dem Fruchtfleisch getrennt wurden, dienten ebenfalls zur Be¬ 
stimmung des Aschengehaltes. Derselbe schwankte zwischen 10,7 und 
14,1 Proz.; der Sandgehalt war 0,2 bis 0,5 Proz. (Zeitschr. f. Untersuchung 
der Nahrungs- n. Genußmittel, Bd. 13, S.389.) 

L. Rosenthaler teilt mit, daß der Saigonzimt, eine nach Saigon, dem 
wichtigsten Hafen Cochinchinas benannte Zimtsorte, wachsende Bedeutung 
erlangt und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika neuerdings offizinell 
ist. Die Rinde ist von unschönem Aussehen, aber sehr feinem Geruch und 
Geschmack; ihre histologischen Merkmale werden näher beschrieben. Der 
Aschengehalt betrug 2,9 Proz., der Gehalt an ätherischem öl 2,1 Proz. Der 
Gesamtexport von Zimt aus dem Hinterlande von Saigon betrug im Jahre 
1904 295 062 kg. (Pharmazeut. Zentralhalle, Bd. 48, S. 34.) 

R. Reich lieferte eine ausführliche Arbeit über Ingwer und extra¬ 
hierten Ingwer. Unter Ingwer schlechthin versteht man die ungeschälten 
und geschälten Rhizome von Zingiber officinale. Die wichtigsten Handels¬ 
sorten sind der Jamaika-, Cochin-, Bengal-, Japan- und Afrikaingwer; die 
erstgenannte, im Aroma feinste Sorte, wird zurzeit in Deutschland nicht 
gehandelt. Ingwerpulver wird sowohl aus geschältem als auch aus un¬ 
geschältem Ingwer hergestellt; die im Kleinhandel erhältlichen Pulver sind 
vielfach ein Gemisch verschiedener Sorten. Der gemahlene Ingwer ist nicht 
selten mit extrahiertem Ingwer verfälscht. Während in England hierzu 
die mit Wasser extrahierten Rückstände der Ginger-ale-Fabrikation dienen, 
kommen in Deutschland für denselben Zweck die mit Alkohol ausgesogenen 
Rückstände von der Bereitung von Tinkturen, Essenzen und Likören in Be¬ 
tracht.- Beim Vermahlen enthält der Ingwer zuweilen einen Zusatz von 
fettem Öl, z. B. Mohnöl, um dem Stauben des feinen Gewftrzpulvers ent¬ 
gegenzuwirken. 


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Gewürze. Konservierungsmittel und Konservierungsmethoden. 619 

Zur Prüfung und Beurteilung von Ingwerpulver sind als Untersuchungs- 
methoden anzuwenden die Bestimmung des flüchtigen und nichtflüchtigen 
Ätherextraktes, des Alkoholextraktes, des Alkoholextraktes nach der Äther¬ 
extraktion, des Petroläther- und Methylalkoholextraktes, der Gesamtasche, 
des Sandes, der in Wasser löslichen und unlöslichen sandfreien Mineral¬ 
bestandteile. Mit Hilfe dieser Bestimmungen kann man die einzelnen un¬ 
verfälschten Handelssorten voneinander unterscheiden und ferner den Zu¬ 
satz von extrahiertem Ingwer und fettem öl zu Ingwerpulvern innerhalb 
gewisser Grenzen erkennen. 

Sämtliche untersuchten Cochin-, Japan- und Afrikaingwer besaßen 
einen Aschengehalt unter 8 Proz. und einen Sandgehalt unter 3Proz.; da¬ 
gegen ist Bengalingwer regelmäßig sehr reich an Mineralstoffen und Sand 
und überschreitet die in den „Vereinbarungen“ aufgestellten Höchstwerte 
ganz bedeutend. Cochin- und Japaningwer kommen in gekalktem Zustande 
im Handel vor, und zwar waren die untersuchten Cochiningwer gegipst und 
die Japaningwer mit kohlensaurem Kalk überzogen. (Zeitschr. f. Unter¬ 
suchung d. Nahrungs- und Genußmittel, Bd. 14, S. 549.) 

R. Kayser gibt an, daß ein vielbenutztes kolorimetrisches Ver¬ 
fahren zur Wertbestimmung des Safrans, beruhend auf dem Vergleich 
der Farbe des Safranauszuges mit der Farbe einer Kaliumchromatlösung, 
unzutreffende Resultate liefert. (Zeitschr. f. öffentl. Chemie, Bd. 13, S. 423.) 

A. Röhrig untersuchte Speisesalz. Sowohl die „Schärfe“ des Salzes 
als die Zerfließlichkeit desselben an feuchter Luft ist einem Gehalte an 
Magnesiumsalzen zuzuschreiben. Verfasser ermittelte für das in Leipzig im 
Handel befindliche Kochsalz Magnesiumcbloridgehalte von 0,79 bis 1,33 Proz. 
Schon seit langem sucht die Industrie Mittel und Wege, dem Übelstand 
des Feuchtwerdens zu begegnen; das Problem ist neuerdings gelöst durch 
Zusatz von Stoffen, die mit den löslichen Magnesiumsalzen in Wechsel¬ 
wirkung treten, was ein Trockenbleiben des Salzes zur Folge hat. Ein der¬ 
artiges Präparat ist das „Cerebossalz“, in welchem Verfasser einmal 
€ Proz. kristallisiertes Natriumphosphat, ein andermal 0,54 Proz. wasserfreies 
Natriumkarbonat auffand. (Bericht über die Tätigkeit der Chemischen 
Untersuchungsanstalt der Stadt Leipzig im Jahre 1907, S. 33.) 

Konservierungsmittel und Konservierungsmethoden. 

M. Gruber, K. B. Lehmann und Th. Paul legten dem 14. inter¬ 
nationalen Hygienekongreß Schlußsätze über dis Verwendung von Kon¬ 
servierungsmitteln für Nahrungs- und Genußmittel vor, aus denen 
ich folgenden Auszug gebe: Insbesondere aus der Anwendung chemischer 
Konservierungsmittel erwachsen Gesundheitsgefahren mannigfacher Art. Das 
zugesetzte Mittel kann für den menschlichen Körper unmittelbar schädlich 
sein, es kann den Nährwert des Lebensmittels vermindern, auch kann 
sein Zusatz eine weniger sorgfältige und reinliche Gewinnung und Auf¬ 
bewahrung des Lebensmittels gestatten, ln manchen Fällen wird der Zusatz 
eines Konservierungsmittels nicht die Gefahr beseitigen, welche zersetzte 
Lebensmittel bieten, sondern nur die Warnungszeichen vor dieser Gefahr, 
welche die ohne seinen Zusatz ein tretende Veränderung der äußeren Be- 


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620 


Nahrungs- und Genußmittel. 


schaffenheit des nicht mehr frischen Lebenmittels bieten würde. Diese Wirkang 
ist besonders dann geffthrlich, wenn das Konservierungsmittel selbst keine 
sinnfälligen Eigenschaften besitzt, an denen der Käufer oder Verzehrer er* 
kennen könnte, daß er es mit einem konservierten Lebensmittel zu tun habe. 

Aus allen diesen Gründen müssen der Verwendung chemischer Kon¬ 
servierungsmittel enge Schranken gezogen werden. Besondere Strenge ist 
bei jenen Hauptnahrungslnitteln berechtigt, die, wie Fleisch und Fleischwaren, 
Milch und Speisefette, in großen Mengen und regelmäßig verzehrt werden. 
Der Gesundheitsschutz der Bevölkerung muß durch besondere Gesetze oder 
Verordnungen geschaffen werden, welche die bedenklichen Zusätze verbieten. 
Nur solche Stoffe dürfen Nahrungs- und Genußmitteln zum Zwecke der Kon¬ 
servierung zugesetzt werden, von denen durch Tierexperiment und Erfahrung 
am Menschen erwiesen ist, daß sie in den für die Konservierung erforder¬ 
lichen Mengen bei lange fortgesetztem Gebrauche keine schädlichen 
Wirkungen auf den menschlichen Körper auszuüben imstande sind. Im 
allgemeinen empfiehlt es sich nicht, für solche Konservierungsmittel, die 
für den menschlichen Körper nicht völlig harmlos sind, Maximaldosen 
festzusetzen. Vielmehr dürfen sie nur dann zu Lebensmitteln zagesetzt 
werden, wenn sie vor dem Genuß wieder vollständig entfernt werden können 
und wenn das Lebensmittel selbst durch das ganze Verfahren nicht in 
schädlicher Weise verändert wird. Zur Konservierung von Fleisch und 
Milch dürfen alle jene Konservierungsmittel grundsätzlich nicht angewendet 
werden, die imstande sind, diese Nahrungsmittel in scheinbar unveränderter 
natürlicher Frische zu erhalten oder den bereits verloren gegangenen An¬ 
schein dieser Frische wieder zu erteilen, ohne daß sie die vorhandenen 
Mikroben wirklich abtöten. In allen Fällen, auch dann, wenn für den 
menschlichen Körper harmlose Konservierungsmittel zur Anwendung ge¬ 
kommen sind, ist die Deklarierung der Konservierung vorzuschreiben, 
sofern dieses nicht ohne weiteres aus der Beschaffenheit des Lebensmittels 
(z. B. Rauchfleisch, Pökelfleisch, in EsBig oder Zucker eingelegte Früchte 1 
erkennbar ist. 

Über die einzelnen Mittel werden folgende Auffassungen vertreten. 
Die Verwendung von Alkali- und Erdalkali-Hydroxyden und -Karbonaten, 
Borsäure und Borax, Fluoriden, Formaldehyd, Hexamethylentretramin ist 
unbedingt zu verbieten. Für die Ameisensäure erscheint es zweifelhaft, ob 
ihre Verwendung zur Konservierung hygienisch zulässig ist; jedenfalls ist 
sie nicht so harmlos wie die Essigsäure. Die akute Schädlichkeit der Salicyl- 
säure ist gering, doch stößt ihre häufige Verwendung auf toxikologische 
Bedenken. Die Benzoesäure ist an antibakterieller Kraft der Salicylsäure 
entschieden überlegen, während ihre Giftigkeit offenbar geringer ist; eingehende 
Versuche mit Benzoesäure scheinen nach den verschiedensten Richtungen 
dringend notwendig. Die Verwendung von Alkohol zur Konservierung von 
Früchten und Fruchtsäften ist hygienisch nur dann unbedenklich, wenn er 
vor dem Gebrauch wieder abgedunstet wird. W'asserstoffperoxyd kann für 
die Milchkonservierung dann in Betracht kommen, wenn es gelingt, dasselbe 
in unschädlicher Weise wieder zu entfernen. 

Die Sulfite sind als Fleiscbkonservierungsmittel aus hygienischen 
Gründen absolut zu verbieten. Dagegen ist die schweflige Säure in Dörr- 


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Konservierungsmittel und Konservierungsmethoden. 621 

obst, Dörrgemüsen und Gemüse viel milder zu beurteilen. In Bier und ins¬ 
besondere in Wein sind kleine Mengen schwefliger Säure zu dulden; Grenz¬ 
zahlen hierfür sind schwer vorzuschlagen, ehe Versuche am Menschen über 
die chronische Zufuhr kleiner Mengen vorliegen. — Salpeter ist selbst in den 
höchsten praktisch verwertbaren Dosen kein antibakterielles Konservierungs¬ 
mittel des Fleisches; toxikologische Bedenken gegen die geringen, bei kunst¬ 
gerechter Arbeit ins Fleisch gelangenden Salpetermengen erscheinen zurzeit 
unnötig. Auch gegen eine verständige Verwendung des Kochsalzes bestehen 
keine Bedenken. 

Zucker gehört zu den hygienisch unbedenklichen Konservierungsmitteln. 
Saccharin wird wohl kaum jemals um seiner minimalen Konservierungs- 
Wirkung willen zugesetzt, sondern immer nnr in der Absicht, den Geschmack 
und Verkaufswert billig zu heben. (Bericht über den 14. internationalen 
Kongreß für Hygiene, Bd. 2, S. 282.) 

Der Bund deutscher Nahrungsmittelfabrikanten und - Händler 
bezeichnet als geeignete Konservierungsmittel Kochsalz, Salpeter, 
Zocker, schweflige Säure, Borax, Salicylaäure, Benzoesäure, Ameisensäure, 
Formaldehyd, Hexamenthylentetramin, Paraformaldehyd, essigsaure Tonerde. 
Der Zusatz von Konservierungsmitteln ist zu kennzeichnen, ausgenommen 
Kochsalz, Zucker, Essig, Salpeter. Folgende Werte werden als zulässig an¬ 
zusehende Höchstgehalte angegeben: schweflige Säure 0,125 Proz., Salioyl- 
säure 0,05 Proz., Ameisensäure 0,25 Proz., Benzoesäure 0,05 Proz. Diese 
Prozentzahlen verstehen sich als Gehalt der zum Genüsse bestimmten Teile 
der Dauerwaren. Die bisher seitens des Bundes als zulässig angesehenen 
Mengen Borsäure (0,5 Proz.) und Borax (0,77 Proz.) werden nunmehr als 
zu niedrig bemessen bezeichnet. (Chemikerztg., Bd. 31, S. 1283.) 

A. Kickton hat die Wirkung von Konservierungsmitteln auf 
Hackfleisch studiert. Salicylsäure und Benzoesäure erteilen dem Hack¬ 
fleisch bereits nach */s Stunde ein unansehnliches stark graues Ansehen; 
Benzoesäure in Mengen von 1 Proz. konserviert dabei bis zum vierten Tage, 
Salicylsäure wirkte minder gut erhaltend. Borsäure läßt gleichfalls erst am 
vierten Tage die beginnende Zersetzung erkennen, zerstört aber ebenfalls 
die rote Farbe schon am ersten Tage. Alaun wirkte ebenfalls nicht erhaltend 
auf die Fleischfarbe ein und hielt die Ziersetzung, in Mengen von 0,5 bis 
1 Proz. angewandt, nur noch während des zweiten Tages zurück. Salpeter 
und Kochsalz wirkten zwar bei Verwendung von 1 bis 2 Proz. bis zum 
dritten Tage und länger konservierend, erhielten jedoch auch nur mäßig gut 
die rote Farbe des Hackfleisches. Ein Zusatz von 0,1 bis 1 Proz. Natrium¬ 
sulfat erhielt und verstärkte die rote Farbe des Fleisches; am dritten Tage 
hatten die mit diesem Salz gemischten Proben sämtlich schon einen schwach 
fauligen Geruch. Borax und Natriumkarbonat verstärkten gleichfalls die 
rote Farbe des Fleisches; letzteres Salz hielt die Zersetzung nicht merklich, 
•ersteres hingegen hielt sie bis zum dritten Tage auf. Wie Natriumkarbonat 
wirkte auch Natriumbikarbonat. Zusätze von 0,1 bis 1 Proz. Natriumbenzoat, 
Natriumsalicylat, Natriumacetat, Aluminiumacetat, Natriumphosphat erhielten 
und verstärkten die rote Farbe des Fleisches nicht unerheblich. Die die 
Zersetzung aufhaltende Wirkung des Natriumphosphates hielt nur am 


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622 


Nahrunga- und Genußmittel. 


nächsten Tage noch an; die übrigen genannten Salze waren länger wirksam, 
doch war — gleich dem Verhalten der entsprechenden freien Säuren — das 
Natrium salicylat dem Benzoat etwas unterlegen. Die stärkste rötende 
Wirkung übte das schwefligsaure Natron aus, seine konservierende Wirkung 
hielt erst bei Verwendung von 1 Proz. bis zum dritten Tage an. 

Weitere Versuche ergaben, daß eben im Zustande beginnender Zer¬ 
setzung befindliches Fleisch durch den Zusatz der üblichen Hacksalze in 
bezug auf das Aussehen und den Geruch wieder aufgefrischt werden kann. 
Endlich teilt Verfasser mit, daß das Natriumphosphat des Handels zuweilen 
fluorhaltig ist und daß in diesem Falle seine Anwendung als Konservierungs¬ 
mittel unter das Fleischbesohaugesetz fallen würde. (Zeitschr. f. Unter¬ 
suchung der Nahrunga- und Genußmittel, Bd. 13, S. 534.) 

H. W. Wiley gelangt mit Beziehung auf die Salicylsäure auf Grund 
von Versuchen an 12 Menschen zu folgenden Schlüssen. Sie wirkt, mit der 
Nahrung genossen, im Anfänge anscheinend als ein Reizmittel, durch das 
die Resorption gefördert wird. Bald aber verliert sie ihr Anreizungsver¬ 
mögen und wirkt hemmend, indem die Körpergewebe schneller zersetzt als 
aufgebaut werden. Sie stört die Verdauungsvorgänge und erzeugt in den 
meisten Fällen Zustände, die nicht normal sind. Sie verringert das Körper¬ 
gewicht und verursacht Unbehagen, das, wenn es auch unerheblich ist, ent¬ 
schieden auf eine Schädigung hindeutet, ln einzelnen Fällen nähern sich 
diese Symptome einem Krankheitsbild. Die Salicylsäure bürdet den Aus¬ 
scheidungsorganen, insbesondere den Nieren, dann eine vermehrte Arbeits¬ 
last auf, die diese nicht leisten können und die unmöglich zu einem guten 
Ende führen kann, wenngleich beim Genuß von sehr geringen Salicylsäure- 
mengen die Organe vielleicht jahrelang funktionsfähig bleiben mögen, ehe sie 
schließlich erlahmen. Der Zusatz von Salicylsäure und Salicylaten zu 
Nahrungsmitteln ist demnach zu verwerfen. (Chemikerztg., Bd. 31, S. 301.) 

Fr. Croner und E. Seligmann besprechen die Ameisensäure ent¬ 
haltenden Konservierungsmittel (22. Jahresber., S. 580 und 583; 24. Jahres¬ 
bericht, S. 662), die hauptsächlich zur Konservierung roher Fruchtsäfte und 
als alkoholfreie Getränke dienender Obstsäfte empfohlen werden. Sie teilen 
zunächst die Ergebnisse der Versuche von B. Proskauer mit, der an 
Preßhefeaufschwemmungen, die Hefe, Schimmelpilze und Milchsäure bildende 
Bakterien enthielten, die entwickelungshemmende Konzentration der Ameisen¬ 
säure zu 0,15 Proz. festBtellte. Dieses Ergebnis steht mit den früheren 
Feststellungen von Hoffmann, Otto und Tolmacz, Seifert, Lebbin im 
Einklang. 

Toxikologische Tierversuche am Kaninchen und am Hund wurden 
durch Einverleibung von Ameisensäurelösungen in den Magen oder in die 
Blutbahn ausgeführt. Schon einmalige Gabe bestimmter Dosen Ameisen¬ 
säure rief bei Hund und Kaninchen vorübergehende Methämoglobinbildung 
hervor. Die dauernde Darreichung sehr geringer Dosen übt allem Anschein 
nach eine kumulative Wirkung aus und führt gleichzeitig zur Methämo¬ 
globinbildung. Beim Kaninchen sind die hierzu nötigen Dosen sehr gering, 
für Tiere von etwa 1kg Körpergewicht genügt eine 11 bis 14 tägige Dar¬ 
reichung von täglich 0,5 ccm einer 0,2 prozentigen Lösung. Beim Hunde 


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623 


Konservierungsmittel und Konservierungsmethoden. 

ist die Dosis absolut nnd relativ (zum Körpergewicht) etwas höher; wie sie 
•ich heim Meeschen stellen würde, läßt Bich auf Grund des von den Ver¬ 
fassern gewonnenen Materials nicht ohne weiteres erschließen. 

Die Ameisensäure ist aber nicht nur ein Blutgift, sondern in stärkerer 
Konzentration auch ein Ätzmittel; in 10prozentiger Lösung ätzt sie sowohl 
heim Kaninchen als auch beim Hund die Magenwand an. (Zeitschr. f. 
Hygiene und Infektionskrankheiten, Bd. 56, S. 387.) 

W. Kerpgiht eine zusammenfassende Darstellung über die schweflige 
Säure in Nahrungsmitteln. (Chemikerztg., Bd. 81, S. 1059.) 

W. Kerp und E. Baur sind in Fortsetzung früherer Versuche über 
die komplexen schwefligen Säuren (24. Jahres her., S. 656) zu folgenden 
Ergebnissen gelangt. Die freie formaldehyd- und acetaldehydschweflige 
Säure erwiesen sich als starke Säuren, etwa von der Stärke der Salzsäure. 
Wahrscheinlich sind auch die übrigen komplexen schwefligen Säuren sämt¬ 
lich starke Säuren. Der schließlich erreichbare Komplexzerfall der gebundenen 
schwefligen Säuren ist in saurer Lösung größer als in neutraler, dagegen 
erleidet die Geschwindigkeit, mit der sich das Zerfallgleichgewicht in 
saurer Lösung einstellt, bei allen untersuchten komplexen schwefligen Säuren 
eine wesentliche Verzögerung (vgl. auch Devarda, 24. JahreBber., S. 626). 
Diese Antikatalyse durch Wasserstoffion ist auch von physiologischer Be¬ 
deutung. Durch Zusatz von Acetaldehyd zu den wässerigen Lösungen des 
acetaldehydschwefligsauren Natriums wird der Komplexzerfall — entsprechend 
dem Massenwirkungsgesetz — zurückgedrängt, und zwar hei äquimoleku¬ 
laren Mengen von Aldehyd und Salz in höherem Maße, als sich in äqui¬ 
molekularen sauren Lösungen das Gleichgewicht zugunsten des Zerfalls 
verschiebt. 

Bei 37,5° nimmt die Komplexspaltung des acetaldehydschwefligsauren 
Natriums wie der acetaldehydsohwefligen Säure in wässeriger Lösung er¬ 
heblich zu; die Komplexzerfallkonstante ist hei 37,5° fünfmal größer als hei 
25°. Aus Analogiegründen ist anzunehmen, daß auch die übrigen komplexen 
schwefligen Säuren hei höherer Temperatur in wässeriger Lösung eine ent¬ 
sprechende weitergehende Spaltung erleiden. 

Neu dargestellt wurden das chloralschwefligsaure und das arabinose- 
Bchwefligsaure Natrium. Da die 1-Arabinose fast ausschließlich denunver- 
gärharen Zucker des Weines darstellt, so hat die arabinoseschweflige Säure 
ein praktisches Interesse. 

Für die pharmakologische und physiologische Beurteilung der komplexen 
schwefligen Säuren ist ihr Verhalten in wässeriger Lösung hei Gegenwart 
von überschüssigem Aldehyd und von Säure, sowie hei 37,5° von grund¬ 
legender Bedeutung. (Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte, 
Bd. 26, S. 231.) 

W. Kerp und E. Baur stellten mit Beziehung auf die glukose- 
schweflige Säure fest, daß bei Anlagerung von Natriumbisulfit an Glukose 
zwei optisch aktive stereoisomere Komplexe entstehen, die nicht Spiegelbilder 
voneinander sind. Auch die glukoseschweflige Säure gehört zu den starken 
Säuren. Auf den Komplexzerfall des Glukosebisulfitions übt die Glukose 
einen anomalen, von der Verdünnung abhängigen Einfluß aus, der vielleicht 


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624 


Nahrunga- und Genußmittel. 


auf die Erscheinungen der Aussalzung zurückzu führen ist. Der Komplexzerfall 
des Glukosebisulfitions wird durch Glukose sowie durch Bisulfition herabgesetzt. 
In saurer Lösung ist der Komplexzerfall nach erreichtem Gleichgewicht nicht 
wesentlich höher als in neutraler; die Erhöhung der Temperatur auf 37,5° 
bewirkt gleichfalls nur eine unbetr&chtliche Zunahme der Spaltung. 

Die Verzögerung, welche die Reaktion des Komplexzerfalls wie der 
Komplexbildung in saurer Lösung, d. h. durch Wasserstoffion, erleidet, ist 
bei der glukoseschwefligen Säure außerordentlich groß und daher für ihre 
pharmakologische Beurteilung von besonderer Wichtigkeit. In wässeriger 
Lösung wird glukoseschweflige Säure durch Acetaldehyd quantitativ in acet¬ 
aldehydschweflige Säure und Glukose übergeführt. Bei gleichzeitiger An¬ 
wesenheit von Acetaldehyd und Glukose wirkt die schweflige Säure zunächst 
auf den Aldehyd ein und erst nach dessen völliger Umwandlung auf die 
Glukose. Dies ist von Bedeutung für die Beurteilung der komplexen 
schwefligen Säuren des Weines. (Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesund¬ 
heitsamte, Bd. 26, S. 269.) 

A. Gutmann arbeitete ein neues Verfahren zum Nachweis von unter¬ 
schwefligsauren Salzen in Nahrungsmitteln, namentlich in Fleisch 
und Fett, aus. Dasselbe beruht auf der Bildung von Rhodankalium bei 
Einwirkung von Cyankalium auf unterschwefligsaure Salze und auf der 
charakteristischen Eisenreaktion des Rhodankaliums. (Zeitschr. f. Unter¬ 
suchung der Nahrungs- und Genußmittel, Bd. 13, S. 261; Zeitschr. f. ana¬ 
lytische Chemie, Bd. 46, S. 485.) 

C. H. Cribb und F. W. F. Arnaud geben ein Verfahren zur an¬ 
nähernden Bestimmung der Borsäure, namentlich in Nahrungsmitteln, 
an. Sie fanden, daß Papier, welches mit weinsäurehaltiger Curcumatinktur 
getränkt ist, empfindlichere Borsäurereaktion gibt als gewöhnliches Cur¬ 
cumapapier. Das zu untersuchende Nahrungsmittel, z. B. Milch oder Butter, 
wird, mit etwas Alkali versetzt, eingeäschert, und die mit Salzsäure an¬ 
gesäuerte Lösung der Asche wird so lange mit 2 prozentiger Salzsäure ver¬ 
dünnt, bis die Borsäurereaktion auf dem genannten Reagenzpapier eben 
ausbleibt. Bestimmt man in einem Parallelversuch, wie weit man die Ver¬ 
dünnung der Aschenlösung einer mit bekannten Borsäuremengen versetzten 
Probe, die von Haus aus borsäurefrei war, treiben kann, damit auch hier 
die Reaktion ausbleibt, so gewinnt man den Maßstab für den Borsäure¬ 
gehalt des zu untersuchenden Objektes. (The Analyst, Bd.31, S. 147.) 

W. Dosquet bespricht die Fabrikation der Fleischkonserven. 
Nachdem sich die Konservierung durch chemische Mittel nicht bewährt hat, 
bleibt nur noch das Appertsche Verfahren übrig, für das sich aber unter 
den bisherigen Arbeitsbedingungen herausgestellt hat, daß sichere Sterili¬ 
sation nur durch Erhitzen unter Überdruck (vgl. Bi sch off und Wintgen. 
18. Jahresber., S.566) erzielt wird. Unter dem Überdrucke aber leidet die 
innere Beschaffenheit der Ware, insbesondere ihr Geschmack, in bedenk¬ 
licher Weise. Verfasser bezeichnet deshalb als einziges Mittel, um haltbare 
und zugleich im Geschmack vollwertige und der Gesundheit zuträgliche Kon¬ 
serven zu erzielen, die Abkehrung von den desinfizierenden Methoden und 
den Übergang von der Antisepsis zur Asepsis. 


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Konservierungsmittel und Konservierungsmetboden. Gebrauchsgegenstände. 625 

Das aseptische Verfahren besteht darin: 1. die Keimfreiheit des za 
konservierenden Nahrungsmittels vor der Einfüllung in die Büchsen zu er¬ 
reichen; 2. die leeren Konservenbüchsen, bevor sie gefüllt werden, keimfrei 
zu machen; 3. dafür Sorge zu tragen, daß das einmal keimfrei gemachte 
Nahrungsmittel durch die zur Füllung in die Büchsen nötigen Manipulationen 
nicht mit Keimen verunreinigt wird; 4. die endgültige Schließung der Büchsen 
derart zu betreiben, daß an den Inhalt der Büchsen neue Keime nicht heran¬ 
treten können. 

Verfasser schildert näher, wie er sich die Durchführung dieses Pro¬ 
gramms denkt. Schon die Schlachtung muß eine möglichst aseptische sein; 
dann genügt die in allen Küchen übliche Kochung des Fleisches bis zum 
Garwerden zur vollständigen Vernichtung der an seiner Oberfläche haftenden 
Keime. Im Innern aber ist das Fleisch gesunder Tiere keimfrei. Das gar 
gekochte Fleisch wird dann in keimfreien Räumen auf keimfreien Tischen 
durch Leute in sterilisierten Gewändern mit sterilisierten Gummihandschuhen 
an den Händen in die sterilen Büchsen verpackt, die dann zugefalzt und 
nochmals 1 4 bis 1 , Stunde bei 100° gekocht werden. Zur Erleichterung 
der aseptischen Kochraethode ist Verfasser noch weiter gegangen und hat für 
die Herstellung von Konserven aus Rindfleisch, Hammelfleisch, Schweine¬ 
fleisch, Großwild eine Maschine konstruiert, die das gekochte und hierdurch 
keimfreie Fleisch sofort aus dem Kochtopf nimmt, selbsttätig in kleine 
Stücken schneidet und automatisch in die Büchsen stopft. 

Endlich empfiehlt Verfasser als Fabrikationsraum eine völlig abge¬ 
schlossene Kammer, die einmal gründlich sterilisiert wird und ihren Luft¬ 
wechsel ausschließlich durch Luft erhält, die durch Watte filtriert ist. 
(Deutsche Vierteljahrsschr. f. öffentl. GesundheitspfL, Bd. 39, S. 785.) 

M. Schottelius gelangt in einem Aufsatze über giftige Konserven 
zu folgenden Schlußsätzen. Die giftige Zersetzung von Büchsenkonserven 
wird durch Bakterien hervorgerufen (Botulismus, Paratyphus). Die durch 
Sinneswabrnehmung als verdorben erkennbaren Konserven sind unbedingt 
von der Benutzung auszuschließen und nicht etwa durch Aufkochen oder 
Zusatz starker Gewürze genießbar zu machen. Frische Nahrungsmittel sind 
besser als konservierte; der Gebrauch von Konserven ist daher auf das not¬ 
wendigste Maß einzuschränken. Die Benutzung deutscher Konserven bildet 
auf Grund der rationellen Herstellung derselben am meisten Gewähr gegen¬ 
über gesundheitlichen Schädigungen. Eine Kontrolle über das Alter der 
Konserven ist im Interesse des Publikums wünschenswert. (Blätter f. Volks¬ 
gesundheitspflege 1907, Heft 1; Ref. in Zeitscbr. f. Medizinalbeamte, Bd. 20, 
S.217.) 

Gebrauchsgegenstände. 

Ein preußischer Ministerialrunderlaß vom 5. April 1907 betrifft 
die Verwendung antimonhaltigen Gummis in der Nahrungsmittel¬ 
industrie. Die Benutzung desselben ist nach § 2, Absatz 1 des Reichsgesetzes 
vom 5. Juli 1887 (Farbengesetz) zu Umhüllungen und Schutzbedeckungen 
von Nahrungsmitteln unzulässig. Als derartige Schutzbedeckungen kommen 
bei Flaschenverschlüssen die antimonhaltigen Kautschukringe und -scheiben 
in Betracht. Nach neueren Versuchen kann aber eine derartige Verwendung 

Vierteljahrssohrift (tlr Gesundheitspflege, 1908. Supplement. 4 Q 


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626 


Nahrungs- und Genußmittel. 

des schwefelantimonhaltigen Gummis als unbedenklich angesehen werden, so 
daß einer Aufhebung des gesetzlich bestehenden Verbotes an sich nichts im 
Wege stehen würde. Es liegt aber nicht in der Absicht, lediglich für den 
einen Verbrauchsgegeustand eine Änderung des Gesetzes herbeizuführen; um 
jedoch Beanstandungen zu vermeiden, sollen die öffentlichen Untersuchungs¬ 
stellen angewiesen werden, von einer Kontrolle der mehrfach genannten 
Kautschukringe und -scheiben auf ihren Antimongehalt Abstand zu nehmen. 
(Rechtsprechung und Medizinalgesetzgebung. Beilage zur Zeitschr. f. Medi¬ 
zinalbeamte 1907, S. 65.) 

Der Präsident des Kaiserlichen Gesundheitsamtes bat unterm 
25. Mai 1907 ein Gutachten erstattet, betreffend die Untersuchung von 
emailliertem Eß-, Trink- und Kochgeschirr. Die Untersuchung soll 
so geschehen, daß in dem betreffenden Gefäß vierprozentiger Essig 2 Stunde 
lang gekocht und alsdann auf Blei geprüft wird. Bei kleinen Gegenständen, 
Löffeln, Sieben usw., wird nun häufig so verfahren, daß man sie in kochenden 
Essig legt, und manche Chemiker sind dazu übergegangen, die Prüfung all¬ 
gemein derart auszuführen, so daß auch die Außenseite dem Angriff des 
kochenden Essigs ausgesetzt wird. Vom gesundheitlichen Standpunkte aus 
ist eine geringe Bleiabgabe der Außenseite emaillierter Gefäße, soweit sie 
beim bestimmungsgemäßen oder vorauszusehenden Gebrauche mit den Speisen 
oder Getränken nicht in Berührung kommt, kaum als bedenklich anzusehen. 
Danach dürfte die erwähnte Art, die Prüfung des Emails auf Bleiabgabe 
auch auf die Außenseite von Töpfen, TasBen, Bechern u. dgl. auszudehnen, 
wenn sie auch dem Wortlaut des Gesetzes nicht widerspricht, doch über die 
berechtigten gesundheitlichen Anforderungen hinausgehen. (Vierteljahrsschr. 
f. gerichtliche Medizin, 3. Folge, Bd. 34, S. 439.) 

Der Reichskanzler hat durch Rundschreiben vom 25. Dezember 1906 
zur Durchführung des Gesetzes betreffend Phosphorzündwaren vom 
10. Mai 1903 eine Anweisung zur chemischen Untersuchung von Zündwaren 
auf einen Gehalt an weißem oder gelbem Phosphor raitgeteilt (Zeitschr. f. 
angew. Chemie, Bd. 20, S. 523; Chemikerztg., Bd. 31, S. 243; Zeitschr. f. öffentl. 
Chemie, Bd. 13, S. 90.) 

L. Wolter. Nachweis von Phosphorsesquioxyd in Zündmassen. 
(Chemikerztg., Bd. 31, S. 640.) 

B. Schlegel nimmt zu der Frage der bleihaltigen Abziehbilder 
(24. Jahresber., S. 664) Stellung. Der Stand der Abziehbilderfabrikation ist 
gegenwärtig folgender: Als gelbe Farbe wird ausschließlich technisches 
Chromgelb, als grüne Farbe ein Gemenge von Chromgelb und Berlinerblau 
verwendet. Die Deckung mit ßleiweiß ist aufgegeben worden; sie wird durch 
eine solche mit Lithopone ersetzt. Bei der Herstellung der Lithoponedeckung 
scheinen aber noch nicht alle Schwierigkeiten überwunden zu sein, denn es 
kommen jetzt bedeutend mehr ungedeckte Bilder in den Verkehr als sonst. 
Bei diesen nach dem Dreifarbendruck hergestellten Bildern bildet Gelb eine 
Grundfarbe. Dieselbe muß kräftig gehalten sein, und deshalb sind alle Ab¬ 
ziehbilder mehr oder minder stark bleihaltig. Da die Abziehbilder nur auf 
lithographischem Wege unter Verwendung von Ölfarben hergestellt werden 
können, so ist die Benutzung von Chromgelb für sich oder in Verbindung 


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Gebrauchsgegenstände. Bauhygiene. Kanalisation. 


627 


mit Bleisulfat (technisches Chromgelb) nach § 4, Absatz 2 des Gesetzes vom 
5. Juli 1887 (Farbengesetz) erlaubt. Aus diesem Grunde genügt es nicht, 
bei der Untersuchung der Abziehbilder nur festzustellen, daß dieselben Blei 
enthalten, sondern es muß auch nachgewiesen werden, in welcher Verbindungs¬ 
form das Blei vorhanden ist. Diese schwierige Aufgabe wird dadurch er¬ 
leichtert, daß außer Chromgelb nur noch Bleiweiß, und zwar als Deckfarbe, 
in Betracht kommt. Eine Bleiweißdeckung kann man aber sehr leicht dadurch 
erkennen, daß man mit einer ungefähr lOproz. Natriumsulfidlösung einen 
Strich über die ganze Bildfläche macht. Ist Bleiweiß vorhanden, so färbt 
sich die betreffende Stelle sofort braun bis schwarz, während sich Chromgelb 
nur allmählich bräunt. Dieses Prüfungsverfahren eignet sich auch für die 
Vornahme einer ambulanten Kontrolle. Verfasser hat hierbei im ganzen 
noch in 14 Fällen mit Bleiweiß gedeckte Abziehbilder angetroffen. (Bericht 
über die Tätigkeit der städtischen Untersuchungsanstalt f. Nahrungs- und 
Genußmittel in Nürnberg im Jahre 1907, S. 48.) 

H. Matthes prüft die bleihaltigen Abziehbilder darauf, ob das Blei 
in einer Form vorhanden ist, die durch die gewöhnlichen Lösungsmittel an¬ 
gegriffen wurde. War dies der Fall, so konnte man annehmen, daß dieses 
Blei bei der längeren Einwirkung des Magensaftes — falls etwas von der 
Bleiverbindung durch Ablecken der Farbe in den Mund und weiter in den 
Magen der damit spielenden Kinder gelangt sein sollte — ebenfalls in Lö¬ 
sung gehen konnte. Verfasser kocht deshalb die Abziehbilder mit 4 proz. 
Essigsäure aus und bestimmt in der filtrierten Lösung etwaiges Blei quanti¬ 
tativ. ln den Fällen, in welchen die ärztlichen Sachverständigen die so er¬ 
mittelten Bleimengen für gesundheitsschädlich erklärten, wurden die Verkäufer 
der Abziehbilder bestraft. Die Beanstandung erfolgte in diesen Fällen nicht 
auf Grund des Farbengeaetzes, sondern auf Grund von § 12 und 14 des 
Nahrungsmittelgesetzes vom 14. Mai 1879, indem die lösliche Bleiverhindungen 
enthaltenden Abziehbilder als gesundheitsschädliche Spielwaren im Sinne des 
§ 1 des genannten Gesetzes angesehen wurden. (Bericht über die Tätigkeit 
des Nahrungsmitteluntersuchungsamtes der Universität Jena im Jahre 1906, 
S. 33.) Grünhut. 


Fünfter Abschnitt. 

Bauhygiene. 

Kanalisation. 

Der XIV. internationale Kongreß für Hygiene und Demographie, 
Berlin, 23. bis 29. September 1907, hat auch auf dem Gebiete der Bauhygiene 
eine derartige Fülle von Vorträgen und neuen Anregungen gebracht, daß 
es den Rahmen und die Aufgabe dieses Jahresberichtes weit überschreiten 
würde, wollten wir über alles und jedes ein auch nur einigermaßen aus¬ 
führliches Referat bringen, füllen doch die Berichte über sämtliche Vor¬ 
träge und die anschließende Diskussion nicht weniger als vier starke Bände 
von zusammen 3830 Seiten. Für die Bauhygiene kommen speziell die Ver- 

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628 


Bauhygiene. 


handlungen der Sektion Via und VIb in Betracht. Auf dem Gebiete 
der Hygiene der Ortschaften und der Gewässer eröffnete Schmidtmann den 
Reigen mit einem interessanten und das gesamte Gebiet erschöpfenden 
Vortrag über die Erfolge der mechanischen, chemischen und biologischen 
Abwässerklärung. Es ist wohl augenblicklich niemand mehr als Schmidt- 
mann berufen, über den heutigen Stand der Abwasserreinigung ein Urteil 
zu fällen, kommen doch in seinem Ressort alle die guten und schlechten 
Erfahrungen, alle Sorgen, Wünsche und Schmerzen der Städte zusammen, 
drängen sich doch alle Erfinder danach, eine günstige Kritik, eine wohl¬ 
wollende Förderung oder einen guten Rat Schmidtmanns oder der seiner 
Leitung unterstellten Königlichen Prüfungsanstalt zu erlangen. So gab 
denn auch der Bericht in der Tat ein umfassendes Bild, vielleicht zu um¬ 
fassend für die Hast und die Unruhe eines internationalen Kongresses. DeB 
Vortragenden Schuld ist es nicht, wenn hinter jedem von den Erfindern 
lebhaft angepriesenen Verfahren immer wieder ein Fragezeichen gemacht 
werden muß, und wenn außer der Bodenberieselung von keinem Verfahren 
gesagt werden kann, daß es absolut gut und für alle Fälle brauchbar sei. Es 
gehört die große persönliche Liebenswürdigkeit des Redners dazu, um jeder 
Methode eine gute Seite abzugewinnen, den brauchbaren Erfindergedanken 
zu betonen, und Weizen vom Streu zu sondern. Liegt doch in den Neue¬ 
rungen , die uns das letzte Jahrzehnt auf dem Gebiet der Abwässerklärung 
gebracht hat, eine unendliche Geistesarbeit, die aber nur zu einem geringen 
Bruchteil für die Praxis wirklich Brauchbares lieferte, und doch ist all 
diese Arbeit nicht vergeblich gewesen; denn das eine ist doch erreicht, daß 
allmählich eine gewisse Klarheit über das Maß der Anforderungen zutage 
tritt, man weiß zwar noch nicht, wie eine einwandfreie künstliche Klärung 
zu erlangen ist, aber man weiß, welche Fehler zu vermeiden siud. In dem 
Vortrage Schmidtmanns tritt dies klar zutage, und insofern ist sein 
Bericht ein wertvolles Dokument, aus dem Fachleute und die an diesen 
Fragen stark interessierten Städte manche Lehre ziehen und Anregungen 
schöpfen können. Hofer und Günther folgten mit einem Bericht über die 
bisherigen Erfahrungen über Trennsysteme. Günther hatte sich in der Haupt¬ 
sache auf eine Zusammenstellung statistischer Angaben beschränkt, ohne für 
sein Thema wesentlich neue Gesichtspunkte zu finden, es liegt dies auch auf der 
Hand, denn die meist viel umstrittene Frage, ob Misch- oder Trennsystem ist 
heute längst entschieden und kaum dazu angetan, neuen Stoff für eine hygie¬ 
nische Beurteilung zu liefern. Das zur Verfügung stehende Material ist ohne 
Verschulden des Vortragenden auch lückenhaft und zu Vergleichen wenig 
geeignet, immerhin wird der Vortrag in ähnlichem Sinne, wie der Schmidt¬ 
manns, dort, wo es noch nötig sein sollte, aufklärend wirken. Hofer 
behandelte dasselbe Thema vom technischen Standpunkte, sich dabei an die 
allgemein anerkannten und bewährten Grundsätze haltend unter teilweiser 
Erörterung von Fragen, die eigentlich zu allgemein bekannt sind, um auf 
einem internationalen Kongreß von Hygienikern noch einer Erörterung wert 
zu sein. Der bekannte Befürworter des Trennsystems, H. Alfred Roechling, 
London, konnte sich nach diesen beiden Vorträgen darauf beschränken, mit 
kurzen und treffenden Worten den heutigen Stand dahin zu präzisieren, 
daß beide Systeme vollberechtigt nebeneinanderstehen und bei objektiver 


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Kanalisation. 


629 


Würdigung und Abwägung der Geldfrage, sowohl das Misch- als auch das 
Trennsystem als gleich brauchbare Entwässerungssysteme in Frage kommen. 
Metzger hatte die undankbare Aufgabe übernommen, über Verwertung und 
Beseitigung des Klärschlammes zu sprechen, ein Thema, das den schwierigsten 
Teil der Abwisserfrage umfaßt. Befinden sich, wie oben ausgeführt, die 
Reinigungsmethoden vielfach noch im Zustande der unfertigen Entwickelung, 
so trifft dieses Urteil in erhöhtem Maße auf die Schlammbeseitigung zu, bei 
der mit fast vollständig ungelösten Problemen zu operieren ist. Dem Vor¬ 
tragenden blieb daher auch nichts anderes übrig, als auf die Vorzüge der 
Rieselung hinzuweisen, als dem einzigen Reinigungsverfahren, bei dem von 
einer eigentlichen Schlammkalamität nicht mehr gesprochen werden könne; als 
der Weisheit letzter Schluß bleibt somit nur das Verfahren, bei dem kein lästiger 
Schlamm gewonnen wird, und das ist vorläufig das Rieselverfahren. Die Aus¬ 
führungen Metzgers wurden durch interessante Mitteilungen Richard 
Haaks bestätigt und ergänzt. Es liegt eine gewisse Tragikomik in der Tat¬ 
sache, daß mit wachsender Erkenntnis von der Unzulänglichkeit künstlicher 
Reinigungsmethoden unsere Ansprüche an die Reinheit der Flüsse wachsen. 
Über die Beeinträchtigung der Flüsse durch die Einleitung geklärter Abwässer 
sprachen Hofer, Kisskalt und Bor das. Ihre Ausführungen gipfeln in 
den Sätzen, daß bei chronischer Wasserverunreinigung die durch dauernde 
Ableitung giftiger Stoffe in minimalen Mengen verursacht wird, die Tier- 
und Pflanzenwelt im Flusse erkrankt, verkümmert und verödet; handelt es 
sich dagegen um massenhafte Zufuhr organischer Substanzen, wie die Abfälle 
von Städten, Zucker-, Stärkefabriken, Gerbereien, Brauereien,Brennereien uaw., 
durch die Fäulniserscheinungen hervorgerufen werden, so tritt eine typische 
Auslese unter den Organismen ein. Die Selbstreinigung der Flüsse wurde 
von den Vortragenden anerkannt, sie ist aber nicht auf Mineralisierungs¬ 
prozesse zurückzuführen, sondern in der Hauptsache eine Transmutation 
toter organischer Substanz in lebende Organismen. In bezug auf die Ver¬ 
unreinigung des Vorfluters verhalten sich die Methoden zur Reinigung 
städtischer Abwässer verschieden, auch hier zeigt es sich wieder, daß das 
Rieselverfabren allen künstlichen Methoden überlegen ist; ist die Reinigung 
doch so intensiv, daß manche Rieselfelder die fäulnisfähigen Substanzen so 
energisch beseitigen, daß nicht einmal die Nitrate Zurückbleiben. Von allen 
Methoden leistet naturgemäß die mechanische Reinigung am wenigsten, da 
sie gewissermaßen nur als Vorbereitung für die Verdünnung im Vorfluter 
angesehen werden kann, welche in diesem Falle die eigentliche Reinigung 
übernimmt. Kisskalt erscheint es fraglich, ob wir in Deutschland über¬ 
haupt Flüsse haben, deren Wasserreichtum so groß ist, daß die Einleitung 
des nur durch Sedimentierung gereinigten Abwassers großer Städte spurlos 
vorübergeht, denn selbst der Rhein zeigt unterhalb Cöln mit feinen Unter¬ 
suchungsmethoden noch gewisse nachweisbare Veränderungen. Unter allen 
Umständen muß aber an dem Minimum einer 20 fachen Verdünnung fest¬ 
gehalten werden. 

Neben den erwähnten Referaten und der anschließenden Diskussion 
wurden noch in besonderen „Vorträgen“ Fragen der Bauhygiene behandelt. 
Sehr interessant waren unter diesen die Mitteilungen von Favre, über 
die Schlammzersetzung in der Faulkammer. Die Frage über die Zweck- 


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630 


Bauhygiene. 


mäßigkeit der Faulkammer ist bis heute noch nicht entschieden, neben 
warmen Verteidigern finden sich entschiedene Gegner. Nach einer Kritik 
der Versuche Dziergowskis und seiner abfälligen Beurteilung des Faul¬ 
verfahrens nimmt der Vortragende einen mehr objektiven Standpunkt ein und 
untersucht, welche Gegenstände in der Faulkammer zersetzungsfähig sind. 
Aus seinen Versuchen folgt, daß eine große Anzahl fester Stoffe tatsächlich 
tiefgreifende Veränderungen in der Faulkammer erfährt, sie zerfallen, lösen 
sich auf und zersetzen sich unter dem Einfluß der Fäulnis. Unter allen 
Körpern zersetzen sich Eiweißstoffe, Kollagene und Kohlehydrate am stärksten 
und raschesten, während Zellulose und Keratine zwar auch zerfallen, aber dazu 
einer sehr viel längeren Zeit bedürfen. Die Versuche ergaben ferner die bis 
dahin wenig beachtete Tatsache, daß die Zersetzung im stillstehenden Faul- 
wasser sehr erschwert wird, vermutlich weil in diesem sich die Fäulnis¬ 
erreger im Überfluß anhäufen. Im fließenden Leitungswasser findet zwar 
auch eine allmähliche Zersetzung statt, aber auch nur in geringem Maße, 
weil die Fäulniserreger und mit ihnen auch die Fermente herausgeschwemmt 
werden. Diese Beobachtung lehrt, daß sogenannte tote Winkel innerhalb 
einer Faulkammer zu vermeiden sind, und daß eine zu große Durchflu߬ 
geschwindigkeit eine Verminderung der Fäulniserreger zur Folge hat. Nach 
Ansicht des Vortragenden darf die Wirkung der Faulkammer weder negiert 
noch überschätzt werden. Die richtige Konstruktion der Kammern und die 
in ihnen herrschende Temperatur sind von großem Einfluß, mehrtägiger Auf¬ 
enthalt des Wassers ist wegen der Stagnation, die die Lebenstätigkeit der 
Mikroben abschwächt, zu vermeiden. Um die Wirkungsweise einer Faul¬ 
kammeranlage in einfacher Weise kontrollieren zu können, empfiehlt der 
Vortragende Hühnereiweiß oder Stücke von gekochten Rüben in Draht¬ 
behältern in den Faulraum zu versenken und die Gewichtsabnahme dieser 
Stoffe in bestimmten Zeitintervallen festzustelleu. Metzger. 

Abwasserbeseitigung und Flußverunreinigung. 

Dunbars Leitfaden für die Abwasserreinigungsfrage behandelt in zwei 
Kapiteln die Entwickelung der Frage der Flußverunreinigung und die Ver¬ 
suche der Abhilfe durch gesetzliche und behördliche Maßnahmen. In vier 
weiteren Kapiteln werden die Entwickelungsgeschichte der Abwasserreinigungs¬ 
verfahren, die früheren Auffassungen über Aufgaben und Leistungen derselben, 
Charakter der Abwasser und die jetzigen Aufgaben der Abwasserreinigung 
auseinandergesetzt. In dem folgenden siebenten Kapitel werden die Methoden 
zur Ausscheidung ungelöster Stoffe beschrieben, dem die Absitz-, Faul- und 
Fällverfahren angeschlossen sind. Das achte Kapitel, die Methoden zur Be¬ 
seitigung der Fäulnisfähigkeit, nimmt den größten Raum — etwa die Hälfte 
des ganzen Buches — ein. Gemäß der Entwickelung dieser Verfahren sind 
außer den eigenen Erfahrungen D u n b a r s hauptsächlich amerikanische und 
englische Anlagen, Anschauungen und Erfahrungen wieder gegeben. In drei 
folgenden Kapiteln werden noch Abwasserdesinfektion, Prüfung und Be¬ 
urteilung von Abwasserreinigungsanlagen und Leistungen und Kosten der ver¬ 
schiedenen Abwasserreinigungsverfahren kurz behandelt. Die Reinigung 
gewerblicher Abwasser und die höchst wichtige Frage, inwieweit die Einleitung 
häuslicher Abwasser zur Verbreitung von ansteckenden und übertragbaren 


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Abwasserbeseitigung und Flußverunreinigung. 


631 


Krankheiten beitragen können, sind in diesem Leitfaden nicht berücksichtigt 
worden. Dun bar bezeichnet das künstliche biologische Verfahren, da es die 
Abwasser tatsächlich reinigt, nicht nur klärt, den besten chemischen gegen¬ 
über als überlegen, dem Rieselverfahren, der Bodenberieselung und Filtration 
gegenüber als mindestens gleichwertig, diesen dann noch überlegen, wenn 
für angemessene Desinfektionsmaßregeln gesorgt würde; letzteren sei es aber 
hauptsächlich deswegen überlegen, weil es überall angewandt werden könne. 
(R. Oldenbourg, München und Berlin, 1907.) 

G. J. Fowler und Percy Gaunt berichten über Versuche, die über die 
Bedingungen, unter denen die im Abwasser enthaltenen SchmutzstofTe in 
biologischen Körpern oxydiert werden, Aufschluß geben sollen. Eine große 
Anzahl von Versuchen ist bereits angestellt worden, die sich mit dem Wesen 
der Nitrifikation befassen, in denen aber auf die Wirkung großer Oberflächen 
nicht weiter eingegangen ist. Bevor jedoch hierüber quantitative Versuche 
gemacht werden können, ist es nötig, die Vorgänge kennen zu lernen, die ein- 
treten, wenn nitrifizierbare Substanzen mit Flächen in Berührung gebracht 
werden unter Ausschluß biologischer Tätigkeit. Die einfachsten nitrifizier- 
baren Substanzen, die im Abwasser enthalten sind und die in erster Linie 
zur Nitrifikation verwandt werden, sind die Ammoniumsalze, die bei der 
Zersetzung des Harns entstehen. Daher wurden die Versuche mit Lösungen 
angestellt, die etwa 0,2 Proz. Ammoniak enthielten. Dieselben wurden mit 
verschiedenen Materialien in Berührung gebracht, die in ihrem chemischen 
und physikalischen Charakter den bei dem Aufbau biologischer Körper ver¬ 
wendeten Stoffen entsprechen. Die Vorversuche hatten folgendes Ergebnis: 
Eine bedeutende Adsorption von Ammoniak findet statt. Die Menge der 
adsorbierten Stoffe geht auch bei Verlängerung der Kontaktdauer über einen 
gewissen Prozentsatz nicht hinaus. Nach Ablassen der Ammoniaklösung 
läßt sich mit reinem Wasser das adsorbierte Ammoniak größtenteils aus dem 
Material wieder herauswascben. Die Adsörption findet nur aus der Lösung 
statt, die unmittelbar mit dem Material in Berührung ist; die über dem 
Material befindliche Flüssigkeit wird nicht beeinflußt. Weitere Versuche be¬ 
schäftigten sich mit der Frage, ob die Adsorption bei dem Nitrifikationsprozeß 
eine Rolle spielt. Die ersten Versuche schienen dafür zu sprechen, daß die 
Adsorption den Beginn der Nitrifikation beschleunige. Aus weiteren konnte 
aber ein Zusammenhang zwischen Adsorption und Nitrifikation nicht mehr 
nachgewiesen werden. (Journ. of the Society of Chemical Industry, 15. Juli 
1907. Nach Ref. in Techn. Gemeindeblatt 1907, S. 294.) 

G. Taylor berichtet über Versuche über die Verteilung des Abwassers 
über Tropfkörper. Eine der größten Schwierigkeiten, die sich bei der Ver¬ 
wendung von biologischen Tropfkörpern aus grobem Material bieten, besteht 
darin, eine gleichmäßige Verteilung des Abwassers über die gesamte Körper¬ 
oberfläche zu erzielen. Daß von der Verteilung in hohem Grade der befriedi¬ 
gende qualitative und quantitative Effekt der Körper abhängig ist, geht sowohl 
aus vielen Versuchen als auch aus rein theoretischen Überlegungen hervor, 
daß mit Hinsicht auf das grobkörnige Material, die Schnelligkeit des Wasser¬ 
durchflusses und die sehr geringe seitliche Abweichung des Wassers von 


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632 


Banhygiene. 

der Vertikalen beim Durchflösse durch den Körper nur derjenige Teil des 
Körpers als wirksam betrachtet werden kann, der mit Abwasser besprengt 
wird. Im praktischen Betriebe haben zwei Arten von Verteilern Anwendung 
gefunden, nämlich erstens die beweglichen und zweitens die feststehenden. 
Die beiden Haupttypen der beweglichen Verteiler sind: a) rotierende, 
b) wandernde. Die rotierenden Verteiler haben zwei oder auch mehrere 
Arme und werden entweder durch eigene Kraft oder auch durch besondere 
Motoren angetrieben und bewegen sich um ein Zentrum über kreisrunde 
Körper. Dabei verteilen sie das Abwasser entweder durch Löcher oder 
Düsen, die sich in den die Arme des Verteilers bildenden Röhren befinden, 
oder an Stelle des geschlossenen Rohres tritt eine Rinne, über deren Kante 
das Abwasser in dünner Schicht herübertritt. Solche Vorrichtungen sind 
in mannigfacher Ausführung mit verschiedenem Erfolge besonders in Eng¬ 
land angewendet worden. Nicht in allen Fällen konnte durch diese eine 
gleichmäßige Verteilung des Abwassers erreicht werden. Außerdem machte 
die Reinhaltung der kleinen Locher und Düsen an den Armen der Ver¬ 
teiler recht viel Arbeit. Wanderverteiler werden gewöhnlich durch besondere 
Motoren betrieben. Sie laufen entweder auf rechteckigen Körpern ab¬ 
wechselnd vorwärts und rückwärts oder auf runden Körpern um den 
Mittelpunkt. Anordnungen dieser Art haben sich in England gut bewährt; 
doch dürften die Kosten für den Betrieb und den Unterhalt solcher Vorrich¬ 
tungen nicht unerheblich sein. Was die feststehenden Verteiler an betrifft, 
so lassen sich folgende Unterabteilungen unterscheiden: a) Rinnen, die auf 
dem Körpermaterial aufliegen und entweder überlaufen oder das Abwasser 
durch Löcher oder Kerben austreten lassen. Der Betrieb ist mitunter sto߬ 
weise, mitunter kontinuierlich. Infolge von sehr starkem Algenwachstum 
haben sich derartige Anlagen nicht immer bewährt, b) Streudüsen, die das 
Abwasser auf die Körperoberfläche zersprengen. Sie sind über die ganze 
Fläche in regelmäßigen Abständen verteilt. Das Abwasser wird ihnen zu¬ 
geführt durch Zuleitungen, die entweder im Körpermaterial eingebettet 
liegen oder demselben aufliegen. Überall, wo die Winterkälte gewöhnlich 
lange dauert, wird die Anwendung beweglicher Verteiler infolge der Eis¬ 
bildung auf Schwierigkeiten stoßen und so die im Verhältnis zu fest¬ 
stehenden Verteilungseinrichtungen an sich schon höheren Betriebs- und 
Unterhaltungskosten noch steigern. Im Anschlüsse an diese allgemeinen 
Ausführungen werden Versuche mit einer eigenen Besprengungsvorrichtung 
beschrieben. Eine völlig gleichmäßige Verteilung des Abwassers über die 
Körperoberfläche wurde bei konstantem Drucke bei keinem Versuche erzielt. 
Eine wirklich gleichmäßige Besprengung läßt sich nur dann erreichen, wenn 
die am stärksten beanspruchte Zone wandert, und zwar in der Weise, daß 
sie von der Mitte anfangend sich nach außen und danach wieder rückwärts 
bewegt. Diese Bewegung kann nur durch Druckänderungen im Zentralrohr 
erreicht werden. Eine weitere Schwierigkeit der Verwendung der fest¬ 
stehenden Düsen ist, daß sie nur eine Kreisfläche zu besprengen vermögen, 
während bei der bei großen Körpern üblichen Anordnung der Düsen in 
regelmäßigen Abständen voneinander die von jeder Düse za bestreichende 
Fläche quadratisch ist. (Engineering Record, 5. Jan. 1907. Nach Referat 
in Techn. Geraeindeblatt 1907, S. 46.) 


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Abwasserbeseitigong und Flußverunreinigung. 


633 


H. T. Scottle berichtet der Königl. Kommission für Abwasserbeseitigung 
in England die Ergebnisse der Untersuchung, die an acht typischen Riesel¬ 
feldern erlangt wurden. Die Ergebnisse der bakteriologischen Unter¬ 
suchungen werden in einem Referate des Techn. Gemeindeblattes (Jahrgang 
1907, S. 63) folgendermaßen zusammengefaßt : 

I. Die Behandlung des Abwassers auf Land beeinflußt den biologischen 
Charakter des Abwassers nicht so stark, daß ohne Bedenken die Abflüsse 
von Rieselfeldern in Wasserläufe eingeleitet werden können, die später zur 
Wasserversorgung herangezogen werden. 2. Die Bakterienflora auf Riesel¬ 
feldern ähnelt mehr oder weniger derjenigen des Abwassers, in höherem oder 
geringerem Grade untermischt mit Bodenbakterien. 3. Was die Yernichtung 
der mit dem Abwasser auf die Felder gebrachten Bakterien anbetrifft, bo 
scheint dieselbe dann vor sich zu gehen, wenn die Rieselung des Landes 
unterbrochen ist. 4. Die in den Abflüssen der Landbehandlung enthaltene 
Bakterienflora ist die für Abwasser, nicht für den Boden charakteristische. 
5. Die durchschnittliche prozentuale Abnahme sowohl der Gesamtbakterien- 
zahl als auch die von Bac. coli und Bac. enteritidis sporogenes durch die 
Landbehandlung ist überraschend. 6. Die besten Abflüsse aus der Land¬ 
behandlung zeigen sehr hohe Reinigungseffekte und befriedigen vollständig 
alle Ansprüche, die an Wasser gestellt werden, die in Flüsse eingeleitet 
werden, die nicht zu Zwecken der Wasserversorgung dienen sollen. 7. In 
biologischer Beziehung befriedigten mit einer Ausnahme die Abflüsse der 
untersuchten Anlagen. 8. Vom bakteriologischen Standpunkte aus be¬ 
trachtet ist die Reinigung des Abwassers durch Land, sofern es nur einiger¬ 
maßen zu diesem Zweck geeignet und der Betrieb in zweckmäßiger Weise 
geordnet ist, einer Behandlung in künstlichen Filtern vorzuziehen. 9. In 
einigen Fällen wurde das Grundwasser in der Nähe von Rieselfeldanlagen 
untersucht. Die Ergebnisse waren befriedigend. Der Umfang der Unter¬ 
suchungen war aber nicht ausgedehnt genug, um ein endgültiges Urteil 
darüber fällen zu können, ob das Wasser für Zwecke der Wasserversorgung 
brauchbar wäre oder nicht. 10. Das aus den Notauslässen austretende 
Wasser scheint in bezug auf Verunreinigung des Vorfluters ebenso gefähr¬ 
lich wie das unverdünnte Rohabwasser. 11. Straßenwaschwasser (beim 
Trennsystem) dürfte vom bakteriologischen Standpunkt aus betrachtet als 
ein sehr stark verschmutztes Wasser anzusehen sein. — Zweifellos sind mit 
dem Betrieb einer Rieselfeldanlage viele Schwierigkeiten verknüpft. Dafür 
lassen sich aber auch beim Vorhandensein geeigneten Bodens und mäßiger 
Belastung, einen zweckentsprechenden Betrieb vorausgesetzt, sehr gute Ab¬ 
flüsse erzielen. — In bezug auf die landwirtschaftliche Ausnutzung der 
Rieselfelder ist Scottle der Ansicht, daß im allgemeinen Überschüsse aus 
dem Betriebe nicht zu erwarten sind. Aber immerhin ist die Tatsache, daß 
in fruchtbaren Jahren einige Rieselfelder noch Betriebsüberschüsse erzielen, 
etwas, was sehr für die landwirtschaftliche Ausnutzung der Rieselfelder 
spricht. (Surveyer 1906, S. 448 ff.) 

Schoenfelder stellt am Schlüsse einer Übersicht über den heutigen 
Stand der Ausbildung mechanischer Klärvorrichtungen und Schlamm¬ 
verbrennungsanlagen in Deutschland folgende Grundsätze auf: L a) Städte, 


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634 


Bauhygiene. 


die an großen Strömen liegen, scheinen auszukommen, wenn sie mit Hilfe 
von Rechen oder ähnlichen Konstruktionen die gröbsten Verunreinigungen 
aus ihren Abwassern zuröckhalten. b) Siebe, welcher Art sie auch sein 
mögen, werden in bezug auf den Kläreffekt wegen der Schwierigkeit der 
mechanischen Entfernung des Schmutzes von ihnen hinter den Rechen 
zurückstehen und damit einen Aufwand darstellen, der nicht im richtigen 
Verhältnis zum Nutzeffekt steht. II. Für Städte, die an einem weniger 
aufnahmefähigen Vorfluter gelegen sind, können diese einfachen Reinigungs¬ 
methoden nicht in Betracht kommen. Sie müssen zur Ausfällung des 
Schlammes mit Hilfe seines Eigengewichtes übergehen. Von den beiden 
Methoden des Ausfällens a) in Klärbrunnen, b) in Klärbecken verdient die 
letztere wiederum den Vorzug. Die Klärbecken dürfen nur eine lang¬ 
gestreckte rinnenartige Grundrißform haben. Grundrißformen, die sich dem 
Quadrate nähern, sind fehlerhaft, weil in ihnen große Flächen gar nicht 
oder nur zum Teil und dann noch in unberechenbarer Weise bei der Klärung 
des Abwassers mitwirken. Im wesentlichen tritt auch in quadratischen 
Becken nur eine mittlere Rinne bei der mechanischen Klärung in Wirkung. 
Für die Konstruktion von Klärbecken oder Klärrinnen können heute 
nach den Cölner und Elberfelder Versuchen bestimmte einwandfreie Normen 
gegeben werden: a) Der Querschnitt wird aus konstruktiven Gründen 
am besten ein Rechteck bilden, kann aber auch Dreiecksform erhalten. 
Ein Vergleich der Kläreffekte ist nur möglich bei gleiohem Flächeninhalt 
der Beckenquerschnitte und gleicher Zeitdauer des Wasserdurchflusses, 
also bei gleicher Länge der Becken, b) Der Beckeneinlauf muß bis zur 
Sohle hinunterreichen. c) Der Ablauf wird als Überlauf konstruiert, 
d) Die Sohle der Klärbecken muß in Trichter aufgelöst werden, deren 
Fassungsinhalt vom Einlauf zum Ablauf abnimmt. Wird das ganze Becken 
nach Wahl eines dreieckigen Querschnitts als fortlaufender Schlammtrichter 
ausgebildet, so müssen die dicht hinter dem Einlauf liegenden Schlitze in 
der Sohle für starken Schlammausfall entsprechend breit hergestellt werden. 
Die Zahl der Schlammtrichter bei rechteckigem Beckenquerschnitt richtet 
sich nach den örtlichen Verhältnissen. Die Auflösung des Beckens in 
einzelne Schlammtrichter ermöglicht allein, den fettreichen Schlamm getrennt 
vom fettarmen aufzufangen. Die Anzahl der Klärbecken sollte so bemessen 
werden, daß entsprechend dem wechselnden Zulauf von Abwasser eine 
wechselnde Zahl von Becken eingeschaltet werden kann, damit die Wasser- 
geschwindigkeit in den Becken immer annähernd die gleiche ist. Der in 
solchen Becken ausgefällte Schlamm ist stets wasserreich; er wird immer noch 
etwa 86 Proz. Wasser mit sich führen. Je häufiger man ihn aus dem Becken 
herausnimmt, um so wasserreicher wird er sein, aber um so weniger an¬ 
gefault auch das abfließende geklärte Wasser. Von dem mitgeführten 
Wasser muß der Schlamm bis zu einem gewissen Grade befreit werden, er 
muß drainiert werden. Die Drainierung des Schlammes ist möglich: Erstens 
durch Lufttrocknung, a) nach vorhergegangener Ausfaulung in offenen oder 
überdeckten Teichen, b) nach Ausfaulung in gemauerten Schlammbehältern: 
zweitens auf künstlichem Wege durch Zentrifugierung. — Durch Pressen 
in Filterpressen den Schlamm von seinem Wassergehalte zu befreien, er¬ 
scheint zu kostspielig und hygienisch auch zu wenig einwandfrei wegen der 


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Abwasserbeseitigung und Flußverunreinigung. 


635 


unvermeidlichen häufigen Berührung der Menschen mit dem Klärschlamme 
beim Auseinandernehmen der Pressen. Nachdem der Schlamm entwässert 
ist, wird er in den meisten Fällen, nämlich überall da, wo er nicht durch 
chemische Zusätze und Fällmittel bereits in eine unschädliche Form über¬ 
geführt worden ist, durch Anwendung weiterer Mittel in eine solche um¬ 
gewandelt werden müssen. Diese Überführung ist wahrscheinlich am besten 
möglich auf dem Wege der Verbrennung. Dieselbe wird sich einfach und 
weniger kostspielig gestalten bei gleichzeitiger Verbrennung mit Hausmüll. 
Inwieweit sie auch ohne Vermengung mit solchem möglich sein wird, muß 
die Erfahrung lehren. Von den Kosten, die bei der Arbeit der Scblamm- 
drainierung und der Unschädlichmachung desselben aufzuwenden sind, werden 
die Gesamtkosten der Abwasserbeseitigung wesentlich mit abbängen. (Techn. 
Gemeindeblatt 1907, S. 189.) 

Middeldorfweist darauf hin, daß die nach Schönfelders Prinzipien ge¬ 
baute Elberfelder Kläranlage merklich teurer ist als die der Emschergenossen- 
schaft. Die Kosten der ersteren betragen 3,4 vH ’, die der letzteren 1,6 
bis 3 «M auf den Kopf der Bevölkerung. Die teureren waren die kleineren, 
die großen die billigeren. (Techn. Gemeindeblatt 1907, S. 225.) 

Earle B. Phelps und T. Carpenter besprechen die Desinfektion ge¬ 
reinigter Abwasser auf Grund amerikanischer Verhältnisse. Die Schlu߬ 
folgerungen sind etwa folgende: Die Entfernung der Bakterien aus dem 
Abwasser ist gewöhnlich nicht die Aufgabe der Abwasserreinigungsanlage. 
Die neuen rasch arbeitenden Reinigungsmethoden vernichten nicht mit 
Sicherheit alle pathogenen Bakterien. Wenn Interessen der Schaltier- 
fischerei im größeren Umfange in Frage kommen, wird es früher oder später 
nötig werden, die angrenzenden Gewässer vor Verschmutzung zu sichern 
und pathogene Keime daraus fernzuhalten. Dies kann erreicht werden durch 
Nachschaltung entweder von Sandfiltern nach der Reinigungsanlage oder 
durch Verwendung eines chemischen Desinfektionsmittels. Unter den in 
Frage kommenden Mitteln scheint Chlor entweder als Chlorkalk oder in 
gasförmigem Zustande verwendet die besten Effekte zu liefern. Ein Zusatz 
von wirksamem Chlor im Verhältnis von 5:1000000 vermindert die Zahl 
der Bakterien im Abflüsse eines mit Bostoner Abwasser beschickten Tropf¬ 
körpers um 99,96 Proz. bei einer Einwirkungsdauer von zwei Stunden. Die 
Kosten für eine derartige Behandlung beliefen sich auf 0,11 1 M- pro 1000 cbm 
Wasser. Der Gebrauch von gasförmigem Chlor, das in der Abwasserreini¬ 
gungsanlage selbst auf elektrolytischem Wege hergestellt wurde, würde bei 
gewissen Anlagen die Kosten wesentlich verringern. Unter Zugrundelegung 
der oben angegebenen Mischungsverhältnisse würden die Kosten etwa 0,09 
pro 1000 cbm Wasser betragen. Dieses Verfahren wurde Bich für gewisse 
Anlagen billiger stellen als die Sandfiltration. Unter den anderen Des¬ 
infektionsmitteln soheint Kupfersulfat für diese Zwecke am meisten zu ver¬ 
sprechen. (Engineering Record, Vol. 55, No. 3, 19. Januar 1907. Nach Ref. 
in Techn. Gemeindeblatt 1907, S. 278.) 

A. Lübbert bespricht die bei der biologischen Abwasserreinigung wirk¬ 
samen Faktoren: 1. die Absorption, 2. chemische Bindung, 3. Sauerstoff, 


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636 Bauhygiene. 

4. Enzyme, 5. Mikroorganismen. (Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskrank¬ 
heiten 1908, Bd. 59, S. 241.) 

Müller beschreibt in einem Vortrage die Kanalisation and biologische 
Abwasserreinigungsanlage des Kanalisationsverbandes der Gemeinden Wilmers¬ 
dorf, Schmargendorf, Zehlendorf und Teltow. Der Vortrag bespricht aus¬ 
schließlich die technische Seite der Anlage und bringt nur einige finanzielle 
Ergänzungen dazu. (Hygien. Rundschau 1908, S. 797.) 

Die größte biologische Kläranlage in Deutschland ist die der Stadt¬ 
gemeinde Wilmersdorf bei Berlin, der die Abwasser der Gemeinden Zehlen¬ 
dorf, Teltow und Schmargendorf angeschlossen sind. Bei Feststellung der 
erforderlichen Leistungsfähigkeit der Kläranlage ist für die in Betracht 
kommenden vier Gemeinden nach völliger Bebauung eine Einwohnerzahl 
von zusammen 631000 Seelen angenommen. Der erste Ausbau ist jedoch 
nur für 200 000 Seelen berechnet, so daß die zu reinigende Schmutzwasser- 
menge bei einem Wasserverbrauch von 108 Liter für den Tag und Kopf 
sich auf 21 600 cbm stellt. Nach den Genehmigungsbedingungen mußten 
die Vorreinigungsanlagen ein Fassungsvermögen von 50Proz., die Nach¬ 
reinigungsanlage ein solches von 25 Proz. und die biologischen Reinigungs¬ 
körper von 200 Proz. obiger Menge enthalten. Die Abwasser treten aus 
der Druckrohrleitung zunächst in einen Verteilungsbrunnen, der für die 
Gesamtanlage dienen soll und daher in deren Mitte angeordnet ist. Nach 
jeder Seite desselben zweigen je zwei durch Absperrschieber verschließbare 
Kanäle ab, die das Wasser den in zwei Reihen nebeneinander angeordneten 
offenen Vorreinigungsbecken zuführen, in denen sich nach Möglichkeit 
die Sink- und Schwebestoffe absetzen sollen. Vorläufig ist nur die nach 
Süden gelegene Gruppe von sechs Becken ausgebaut, die bei 3,15 m Wasser- 
tiefe je 1800 cbm Wasser fassen. Die Becken sind mit Schlammrinne und 
Pumpensumpf ausgestattet, durch Beton gedichtet und durch Überfälle so 
miteinander verbunden, daß das Wasser nacheinander alle Becken durch¬ 
laufen kann, aber auch die Becken einzeln zwecks Reinigung ausgeschaltet 
werden können. Während dieser Zeit kann durch Aufstauung des Wassers 
in den einzelnen Becken der vorschriftsmäßige Gesamtinhalt von 10 800 cbm 
gehalten werden. Aus den Vorreinigungsbecken tritt das von den gröberen 
Sinkstoffen befreite Abwasser in eine Sammelkammer, von wo aus es mit 
Druckröhren den einzelnen biologischen Körpern intermittierend zugeführt 
wird. Diese Zuführung wird automatisch durch den W T asserstand in den 
Kammern selbst geregelt. Die biologischen Körper sind Tropfkörper, denen 
das Abwasser mittels Sprinkler zugeführt wird. Sie haben kreisrunde Form, 
20 m mittleren Durchmesser und 2,5 m Höhe und sind aus großstückigem 
Schmelzkoks aufgebaut. Die größten Stücke bilden die Sohle und den 
Mantel, die kleineren den geschütteten Kern, der durch acht radiale, durch¬ 
lochte Tonrohrstränge entlüftet wird. Zunächst sind 56 Körper von je 
758 cbm Inhalt ausgeführt, die auf einer allseitig abfallenden und von 
Rinnen umgebenen Betonplatte ruhen, auf der aus Ziegelflachschichten zur 
besseren Abführung des Wassers Drainkanäle hergestellt sind. Das Wasser 
wird den Tropfkörpern durch ein in der Mitte angeordnetes, 200 mm weites 
Standrohr zugeführt, das oben ein doppelwandiges Gefäß und den Lager- 


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Abwasserbeseitigung und Flußverunreinigung. 637 

stahl für den Drehzapfen des Sprinklers trägt. Dieser taucht mit seiner 
Haube in den mit Quecksilber gefüllten Schlitz obengenannten Gefäßes ein, 
so daß hierdurch eine Abdichtung erzielt wird. An der Haube sind in 
radialer Richtung vier wagerechte Röhren von 100 mm Durchmesser be¬ 
festigt, die einseitig durchlocht sind, so daß das aus den 10 mm weiten 
Öffnungen austretende Wasser durch den Rückstoß den Sprinkler in Drehung 
versetzt. Diese Durchlochungen sind nach der Peripherie zu immer dichter 
angeordnet, so daß entsprechend dem größeren Umfange der konzentrischen 
Kreise am Rande mehr Wasser austritt als im Zentrum, um eine möglichst 
gleichmäßige Beschickung der Körper zu sichern. Die Sprinkler sind noch 
mit Führungen versehen, die bei Winddruck ein Schiefstellen verhindern, 
und die Zuleitung mit Einrichtungen, die ein Einfrieren deB Wassers in den 
Pausen der Zuführung verhüten. Das durch den Tropfkörper durchgelaufenö 
Wasser wird noch einer weiteren Reinigung unterworfen; zunächst gelangt 
es durch den Sammelkanal zu den Absitzbecken, deren zurzeit ebenfalls 
sechs von je 910 cbm Inhalt bei 3,20 m Wassertiefe angelegt sind; sie sind 
ebenfalls mit Schlammsammlern und Entschlammungsanlagen ausgerüstet. 
Von hier kann das Wasser entweder unmittelbar in den Teltowkanal geführt 
oder noch über Charley-Filter geleitet werden, die durch Sandfiltration eine 
weitere Reinigung und Verminderung der Keimzahl bewirken sollen. Die 
nutzbare Fläche der zunächst angelegten vier Filterbecken beträgt 28 000 qm, 
es entfallen also auf je 1 qm täglich 0,75 cbm Wasser. Das gereinigte 
Wasser wird durch eine 3,3 km lange Leitung von 1,15 m Querschnitt den 
Becken zugeführt, die es nach dem Unterwasser des Teltowkanals an der 
Kl. Machnower Schleuse abgibt. Eine spätere Einleitung in das Oberwasser 
behufs Benutzung des geklärten Wassers für die Schleuse ist aber ohne 
weiteres möglich. Der aus den Vor- und Nachreinigungsbecken entnommene 
Schlamm wird durch eine besondere Leitung den Schlammbecken zugeführt, 
von denen 13 mit 1 Morgen Fläche vorgesehen sind. Bei 1,3 m mittlerer 
Tiefe können darin 30 000 cbm Schlamm abgesetzt werden. Wie weit dieser 
zu landwirtschaftlichen und anderen Zwecken Verwendung finden wird, läßt 
sich jetzt noch nicht übersehen. Die Baukosten der Kläranlage, einschlie߬ 
lich der gleich für den Gesamtausbau angelegten Druckrohrleitung und Ab¬ 
flußleitung sowie des Grunderwerbs betragen etwa 6,6 Millionen Mark. Auch 
die Hochbauten mit 95 000 jft und eine Telephonleitung mit 25 000 sind 
schon für den Vollausbau berechnet, so daß für die eigentliche Kläranlage, 
deren jetziger Umfang für etwa 10 Jahre ausreichen würde, 2,02 Millionen 
Mark verbleiben. Die reinen Betriebskosten sind auf 16 000 Jft für das 
Jahr veranschlagt, d. h. 0,20 vit für den Kopf der jetzt angeschlossenen Be¬ 
völkerung. (Deutsche Bauzeitung, Nr. 95, vom 25. November 1907. Nach 
Ref. in Techn. Gemeindeblatt 1907, S. 289.) 

Helbing berichtet über die Kläranlage in Recklinghausen, die als Ver¬ 
suchsanlage für die in dem Emschergebiete zu errichtenden Kläranlagen 
dient. Die Abwasser werden in dem sogenannten Emscherbrunnen gereinigt. 
In diesen wird der Schlamm durch Sedimentierung ausgefällt und fault in 
der Anlage selbst ohne Schaden für den dauernden Betrieb völlig aus und 
kann ohne Betriebsstörung aus derselben entfernt werden. Der ausgehobeno 


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638 


Bauhygiene. 


Schlamm wird auf den Transportplätzen bereits in 8 bis 14 Tagen stichfest 
und damit transportfähig. Da im Emschergebiete der Schlamm weit trans¬ 
portiert werden muß, um verwandt werden zu können, so betragen die 
Kosten für das Klärverfahren jährlich 0,20 bis 0,40 Jft für den Kopf der 
angeschlossenen Bevölkerung. (Arch. f. Hygiene, Bd. 68, Heft 2. Nach Ref. 
in Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspflege 1908, S. 531.) 

W. Cron glaubt, durch Versuche bewiesen zu haben, daß auch sauer¬ 
stoffbedürftige Fische (Forellen) einen Zusatz von Abwasser (z. B. 1 Proz.) 
gut aushalten, während weniger Sauerstoff bedürftige Fische, wie Karpfen, 
selbst den Zusatz größerer Abwassermengen, bis zu 10 Proz., anstandslos 
veitragen. In bestimmten Fällen also mag eine Reinigung durch Fisch¬ 
teiche, besonders wenn es sich nicht um zu große Mengen handelt, den vor¬ 
handenen Verfahren gleichberechtigt zur Seite treten. Die gute Rentabilität 
der Fischteiche wird dabei sicher angenehm empfunden werden. (Gesundheits- 
Ingenieur 1908, Nr. 8. Nach Ref. in Zeitschr. f. Medizinalbeamte 1908, S. 385.) 

Die Stadt Reading in Pennsylvanien steht vor der Aufgabe, ihr 
Kanalsystem und die bisherige Abwasserreinigungsanlage zu vergrößern. 
Bevor sie an die Bearbeitung eines geeigneten Verfahrens heranging, hat sie 
die Frage nach dem Verbleib der industriellen Abwasser geprüft. Die bisherige 
Lage ist folgende: Die Stadt Reading ist nach dem Trennsystem entwässert. 
Ein Teil der Fabrikabwasser gelangt in die Kanäle. Weitaus die Haupt¬ 
menge dieser Abwasser gelangt in den Fluß oder in einen Eianal, der dem¬ 
selben entlang läuft. Infolgedessen ist der Fluß sowohl innerhalb wie 
außerhalb der Stadt äußerst stark verschmutzt. Die Feststellungen ergaben, 
daß die Menge der Fabrikabwasser in den meisten Fabriken so gering ist. 
daß eine schädliche Beeinflussung der Kanäle, Pumpen usw. nicht zu be¬ 
fürchten ist. In den Fällen, wo es sich um größere Mengen Abwasser 
handelt, ist vor allem darauf zu achten, daß der Abfluß des Wassers nicht 
stoßweise geschieht, sondern in möglichst gleichmäßigem Strome. Grobe 
Schwimmstoffe, wie Fasern und Filz von den Hutfabriken, müssen vor der 
Einleitung in die Kanäle entfernt werden; ebenso sind die groben Sinkstoff© 
fernzuhalten. In bezug auf die Beseitigung der Abwasser werden dieselben 
in drei Klassen geteilt: I. Die Abwasser von 69 Fabriken, wie Gießereien, 
Kesselschmieden, Maschinenfabriken, Webereien, Ziegeleien, Glashütten und 
ähnlichen, können direkt in den Fluß eingeleitet werden, ohne daß eine Ver¬ 
schmutzung desselben zu befürchten ist; nur muß das von den Maschinen 
ablaufende Öl in geeigneten Abscheidern, die von Zeit zu Zeit entleert werden, 
abgefangen werden. II. Nur die Gasfabriken liefern ein Abwasser, das am 
Orte des Entstehens noch vor dem Eintritt in den Kanal gereinigt werden muß. 
IH. Die Abwasser von 62 Fabriken können in die Kanäle geleitet werden. 
Damit würde das städtische Abwasser mit etwa 10 Proz. industriellen Ab¬ 
wassern gemischt Bein. Größere Abwassermengen fallen eigentlich nur in 
fünf Fabriken an, nämlich je einer Filzfabrik, Gerberei und Färberei sowie 
zwei Papiermühlen. Sofern der Ablauf dieser Abwasser in gleichmäßiger 
Weise über den ganzen Tag verteilt erfolgt und die Abwasser von den 
Schwimm- und Sinkstoffen befreit werden, können dieselben in die Kanäle 
aufgenommen werden, ohne daß man befürchten müsse, daß der nachfolgende 


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639 


Abwasserbeseitigung und Flußverunreinigung. 

Betrieb der Reinigungsanlage dadurch gestört wird. — Die neu zu errichtende 
Abwasserkläranlage ist eine biologische und soll bestehen aus einem Trommel¬ 
sieb, Faulräumen, Tropfkörpern und Absitzbecken. (Engineering Record 
1907, 25. Mai und 5. Okt Nach Ref. in Techn. Gemeindeblatt 1907, S. 182 
u. 323.) 

Die Stadt Leipzig klärt ihre Abwasser mechanisch-chemisch mittels 
Eisenoxyd in Eisensulfatlösung. Im Jahre 1905 wurde das ganze Verbrauchs¬ 
wasser von 5 554 000 Köpfen = 78061 cbm pro Tag dieser Behandlung 
unterworfen. Verbraucht wurden 7 844387 kg Eisensulfat mit 1380990 kg 
Eisenoxyd oder 55 g pro 1 cbm Abwasser. An Schlamm wurden im Jahre 
1906 113250 cbm erzeugt. Die Unterhaltung der Kläranlage erforderte 
einen Aufwand von 439435 Jt, das ist 1,75 § pro zugeführten und ge¬ 
reinigten Cubikmeter Abwasser oder 79,1 $ pro Kopf der angeschlossenen 
Bevölkerung. Dieser große Aufwand hat aber auch ein im allgemeinen sehr 
befriedigendes Resultat ergeben. Jedoch lassen geringe Unannehmlich¬ 
keiten, wie die nahe Lage der Kläranlage an belebten und beliebten Spazier¬ 
gängen, eine Verlegung der Kläranlage und eine Betriebsänderung ratsam 
erscheinen. Es wurden demnach Versuche mit Tropfkörpern angestellt. 
Der Betrieb derselben hat ein günstiges Resultat ergeben, und hat die Stadt 
Leipzig darauf eine größere Versuchsanlage gebaut. (Techn. Gemeindeblatt 

1907, S. 338.) 

Metzger und Haack referieren auf dem 14. intern. Kongreß für 
Hygiene und Demographie zu Berlin über Verwertung und Beseitigung des 
Klärschlammes aus Reinigungsanlagen städtischer Abwasser. Metzger 
stellte folgende Leitsätze auf: 1. Die Schlammrückstände aller bekannten 
Reinigungsmethoden sind niemals so wertvoll, um etwa derjenigen Reinigungs¬ 
art den Vorzug zu geben, bei der die größte Schlammenge gewonnen wird. 
Es gilt dies vorläufig auch für die Fälle, in denen mit einer Verwertung 
des Schlammes durch Fettgewinnung oder durch Vergasung gerechnet wird. 

2. Die Entschlammung der Abwasser ist. um die Erzeugung unnötig großer 
Schlammengen zu vermeiden, nur so weit zu treiben, als es die Beschaffenheit 
der Vorflut oder die auf die Entschlammung folgende Reinigungsart bedingen. 

3. Das Rieselverfahren ist hinsichtlich der Schlammverwertung und Beseiti¬ 
gung allen anderen Reinigungsmethoden überlegen. Das Maß der Ent¬ 
schlammung richtet sich bei der Berieselung nach der Wassermenge, die pro 
Hektar unterzubringen ist; je kleiner diese ist, um so geringer darf die 
Entschlammung sein. 4. Die einfachste und mit geringster Belästigung 
verbundene Methode der Schlammbeseitigung ist die Unterbringung des 
dünnflüssigen Schlammes auf genügend großen Ländereien. Der Schlamm- 
berieselung sollte daher mehr, als es bisher geschehen ist, der Vorzug ge¬ 
geben werden, und zwar auch dann, wenn das Schlammwasser durch 
maschinelle Anlagen nach entfernt gelegenen Ländereien befördert werden 
muß. 5. Die Aufsammlung des Schlammes in der Umgebung der Klär¬ 
anlage ist, sofern diese in der Nähe der Stadt liegt, zu vermeiden, da Be¬ 
lästigung durch Geruch, massenhafte Ansammlung von Fliegen und anderen 
Insekten und durch die spätere Abfuhr nicht zu vermeiden ist. Auch wird 
der Wert des Schlammes durch die hohen Unkosten der Abfuhr auf ein 


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640 Bauhygiene. 

Minimum reduziert, wenn nicht ganz aufgehoben. 6. Die Verwertung und 
Beseitigung des Schlammes ist von so großer Bedeutung, daß eine Kläranlage 
nicht eher zur Ausführung kommen soll, bis nicht alle die spätere Behand¬ 
lung des Schlammes betreffenden Fragen endgültig und unter Vermeidung 
der bekannten Übelstände im Prinzip entschieden sind. Haack stellte 
folgende Grundsätze auf: 1. Der Schlamm wird vor allen Dingen als Dünger 
verwendet. 2. Eine Fettgewiunung ist praktisch möglich und kann unter 
Umständen nötig werden, wenn z. B. eine schnelle Beseitigung des Klär¬ 
schlammes erwünscht ist. Die Rückstände gewinnen durch Entfernung des 
Fettes größere Verwendbarkeit als Dungmittel. 3. Rückstände des Kohle- 
breiverfahreus können verbrannt oder vergast werden. 4. Rentabilität kann 
zurzeit noch bei keinem Verfahren gewährleistet werden. (Gesundheits-Ing. 
1908, Nr. 4. Nach Ref. in Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspflege 1908, S. 255.) 

0. Galvagno und A. Calderini bestimmten die Lebensdauer und 
Virulenz des Typhusbazillus in Gruben, Tonnen und im Boden. Die größte 
Lebensdauer betrug 30 Tage in der Abortgrube, 25 Tage in der Tonne, die 
geringste 15 Tage in beiden. In dem nach 10tägigem Aufenthalt in der 
Grube und in der Tonne auf den Erdboden gebrachten Material betrug die 
höchste Lebensdauer der Bazillen 20 Tage an der Oberfläche und 40 Tage 
in der Tiefe. Außerdem wurde ein fast konstanter, aber nicht vollständiger 
Virulenzverlust gefunden; in einem einzigen Falle war der Befund schon 
bei der ersten Untersuchung negativ. Diese Zählebigkeit des Typhusbazillus 
in den Abortgruben und Tonnen ist von höchster sanitärer Bedeutung: 
denn einerseits können die Garten- und Feldfrüchte den Typhus verbreiten, 
indem auf solchen mit Latrineninhalt gedüngten Ländereien die Gefahr vor¬ 
handen ist, daß die Bazillen an den Außenflächen von Pflansen haften, 
andererseits kommen als weitere Infektionsmöglichkeiten hinzu die Fliegen, 
Luftstaub, der an dem Schuhzeug usw. haftende infizierte Bodenschmutz. 
(Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskr. 1908, Bd. 61, S. 185.) 

Fürbringer und W. Stietzel stellten Versuche über die Lebensdauer 
von Cholera- und Typhusbazillen in Spülgruben an. Unter aeroben Ver¬ 
hältnissen waren Cholerabazillen noch nach 106 Tagen, Typhusbazillen noch 
nach 85 Tagen nachweisbar, unter anaeroben Verhältnissen wurden 
Cholerabazillen nach 13, Typhusbazillen nach 53 Tagen nicht mehr nach- 
gewiesen. (Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskr., Bd. 61, 1908, S. 282.) 

Rothermundt hat über das Verhalten der Bakterien an der Oberfläche 
fließender Gewässer folgendes festgestellt: Je geringer die Stromgeschwindig¬ 
keit, um so größer der Bakterienreichtum der Oberfläche; die Oberfläche ist 
gewöhnlich reicher an Bakterien als die Tiefe, infolge des Sauerstoffbedürf¬ 
nisses der Bakterien. Im Gegensatz zu der Zahl der Bakterien in der Tiefe 
ist die an der Oberfläche eine schwankende, entsprechend der Intensität des 
Lichtes, mittags ist sie am niedrigsten, nachts am höchsten. Der Einfluß 
des Lichtes besteht nicht in einer Bakterizidie, sondern beruht auf einem 
negativen Heliotropismus sowie Photophobie der Bakterien. (Arch. f. Hygiene 
1908, 2. Nach Zentralbl. f. allgem. Gesundheitspfl. 1908, S. 357.) 

A. Elliot Kimberley sucht die Frage zu beantworten, ob durch die 
Anlage von Abwasserreinigungsanlagen es gelungen ist, Flüsse und sonstige 


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Abwasserbeseitigung und Flußverunreinigung. 


641 


Gewisser vor Verunreinigung zu schützen, und wenn nicht, woher es kommt, 
daß die Reinigungsanlagen dies nicht erreicht haben. Er beschränkt sich 
darauf, die Beantwortung dieser Frage für den Staat Ohio zu geben. In 
diesem sind im ganzen 37 im Betriebe befindliche Anlagen vorhanden; im 
Bau begriffen sind sieben, und außerdem liegen Projekte in stets wachsender 
Menge vor. Das Versagen von einem Teile der im Betriebe befindlichen 
Anlagen ist nach Eimberleys Ansicht in vielen Fällen auf das Fehlen der 
nötigen Aufsicht zurückzuführen sowie auf das völlige Außerachtlassen der 
solchen Anlagen zugrunde liegenden Prinzipien und schließlich mitunter 
auch auf eine fehlerhafte Konstruktion. Der Erfolg aller Systeme der Ab¬ 
wasserreinigung ist aber abhängig von der Art des Betriebes. (The Surveyor, 
Bd. 32, Nr. 815, Suppl. S. 11. Nach Ref. in Tecbn. Gemeindeblatt, 1907, 
S.218.) 

Zur Beurteilung der Frage der Isar Verunreinigung durch die Aufnahme 
der Abwasser der Stadt München werden seit dem Jahre 1894 chemische 
und bakteriologische Untersuchungen und Flußbereisungen vorgenommen. 
Die in den Jahren 1900 bis 1906 gefundenen Zahlen ergaben folgende 
Mittelwerte: 


ij 1900 ! 

1901 | 

1902 ! 

1903 

1904 | 

1905 i 

1906 


Abdampfrückstand Milligramm pro Liter bei 105* getrocknet: 


Oberhalb München . 

. . |! 221,5 

226,0 

212,7 

208,8 

207,7 

210,2 

213,8 

Preising. 

. . 235,0 

236,0 

238,0 

225,4 

222,7 

227,6 

231,8 

Landshut. 

. . j] 234,2 

245,7 

241,1 

239,0 

232,2 

239,6 

242,6 


Sauerstoff verbrauch in Milligramm pro Liter: 


Oberhalb München . . . ! 

1,35 

1,88 

1,80 

1,74 

1,45 

1,70 

1,84 

Freising.1 

1,89 

2,66 

2,35 

2,41 

2,14 

2,58 

3,02 

Landshut. j 

1,83 

1,58 

1,79 

— 

1,64 

1,77 

1*85 


Chlor in Milligramm pro Liter: 


Oberhalb München . . . 

0,69 

0,78 

0,80 

0,88 

0,91 

0,93 

1,40 

Freising. 

2,25 

2,78 

2,33 

2,50 

2,79 

2,60 

2,99 

Landshut . 

1,68 

2,00 

1,94 

2,05 

1,78 

1,55 

1,91 


Salpetersäure in Milligramm pro Liter; 


Oberhalb München . . . 

1,27 

2,58 

1,42 

1,81 

1,29 

1,36 

0,93 

Freising. 

3,39 

4,75 

2,56 

3,31 

2,49 

2,56 

2,41 

Landshut . 

3,54 

3,48 

2,71 

3,01 

2,85 

3,06 

3,48 


Bakterien in lccm: 


Oberhalb München . . 

. i 2633 

4982 

! 1730 

797 

1444 

1018 

1500 

Freising. 

. , 8977 

9873 

j 11515 

11671 

19 202 

18670 

7475 

Landshut . 

. " 5200 | 

2150 

4 680 

3 880 ' 

3 500 

5000 

4850 


Der Verwaltungsbericht bezeichnet diese Ergebnisse als günstig. (Nach 
Ref. in Gesundheits-Ingenieur 1907, S. 767.) 


Hammerschmidt bespricht die Abwasserverhältnisse der Stadt Gnesen 
und die Zustände der Seen, in welche diese Abwasser hineingelangen, vor 
und nach dem Bau der Kläranlage. Die Kläranlage besteht aus einer 
Rechenanlage, Faulkammern und Tropfkörpern. Aus den Resultaten der 

Vierteljshraschrift für Gesundheitspflege, 190S. Supplement. 


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642 


Bauhygiene. 


chemischen, bakteriologischen und biologischen Untersuchungen des Wassers 
in den Seen vor und nach dem Bau der Kläranlage ist eine wesentliche 
Besserung nicht erkennbar. Es kann zurzeit noch nicht entschieden werden, 
ob dieses wenig günstige Resultat darauf zurückzuführen ist, daß in den 
einen See außer den städtischen geklärten Abwassern auch noch ungeklärte 
oder mangelhaft geklärte Abwasser einer Zuckerfabrik und einer Lohgerberei 
hineingelangen oder daß die Tropfkörper zur Zeit der Untersuchung noch 
nicht genügend eingearbeitet waren. (Zeitschr. f. Hygiene u. Infektionskr. 
1907, Bd. 57, S. 355.) 

Georg C. Whipple berichtet über die Verschmutzung des Hafens von 
Neuyork. In den Hafen von Neuyork gelangen täglich etwa 1,9 bis 2,3 
Millionen Cubikmeter Abwasser. Dazu kommen noch zu Zeiten von Regen 
die Straßenabwasser. In den Hafen münden der Hudson und fünf kleinere 
Wasserläufe. In den eigentlichen Hafen von Neuyork, die sogenannte Upper- 
Bay, entwässern etwa 5 Millionen Menschen. Das Abwasser gelangt an 
etwa 350 verschiedenen Stellen in den Hafen. Daß die Einleitung der Ab¬ 
wasser in den Neuyorker Hafen an manchen Stellen Schädigungen lokaler 
Art hervorruft, kann nicht geleugnet werden. Die Menge der festen Stoffe, 
die dem Hafen pro Tag durch das Abwasser zugeführt wird, beträgt 
schätzungsweise etwa 2000 tons, wovon etwa 800tons organische fäulnis¬ 
fähige Substanz sind. Von der Gesamtmenge der Stoffe sind mindestens 
700tons in Suspension vorhanden, von welcher Menge etwa 40 Proz. der 
Fäulnis anheimfallen können. Wenn der Hafen ein stehendes Gewässer 
wäre, so würden die Zustände in demselben schon lange unerträglich ge¬ 
worden sein. Nun ist aber der Wechsel des Wassers in dem Hafen infolge 
des durch denselben fließenden Hudson sowie durch die Gezeiten zwar ein 
sehr lebhafter, aber je nach Lage, Art und Beschaffenheit der Küsten ein 
sehr verschiedener. In hygienischer Beziehung bietet die jetzt geübte Ab¬ 
wasserbeseitigung von Neuyork vor allem nach zwei Richtungen hin Be¬ 
denken. In erster Linie gefährlich erscheint das Baden in dem durch 
Abwasser verunreinigten Gewässer. Öffentliche Badehäuser befinden sich 
jetzt überall am Rande des Nord- und Ostufers, manche sogar an Stellen, 
die hygienisch bedenklich sind. Eine andere, vom sanitären Standpunkt 
aus sehr wichtige Tatsache ist die, daß Muscheln, die in durch das Neuyorker 
Abwasser verseuchten Gewässern gefischt sind, jetzt vielfach ohne weiteres 
verkauft werden. Whipple steht auf dem Standpunkt, daß hier eine 
strenge behördliche Beaufsichtigung des Verkaufs Platz zu greifen habe. 
Die hauptsächlichsten Schäden, die infolge der zti großen Menge des ein¬ 
geleiteten Abwassers an einigen Punkten der Küste entstehen, sind: Ver¬ 
färbungen des Wassers, üble Gerüche und Ablagerung faulenden Schlammes. 
Dazu kommt dann noch, daß stellenweise das Aussehen des Wassers durch 
auf der Oberfläche schwimmende Materie sehr schmutzig und widerlich ist 
Ein großer Teil dieser Schwimmstoffe stammt sicherlich von den Schiffen 
und Werften, aber ein guter Teil entstammt doch den Kanälen der Stadt 
Die üblen Gerüche werden zum Teil durch faulendes Abwasser bedingt zum 
Teil rühren sie aus industriellen Betrieben her, unter denen besonders un¬ 
angenehm die aus Gasfabriken sind. Die Ablagerungen von Schlamm ans 


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Abwasserbeseitigung und Flußverunreiuigung. 


643 


dem Abwasser bringen viele Unannehmlichkeiten mit sich, besonders dann, 
wenn die Mündnngen am Anfänge und nicht am Kopfe einer Mole liegen. 
— Die jetzt bestehenden Zustände können gebessert werden durch Ver¬ 
legung der Mündungen der Kanäle an die Molenköpfe, durch Tieferlegen 
der Kanalmündungen unter Niederwasser, durch Einleiten des abfließenden 
Abwassers in die Hauptströmungen des Hafens und durch Einbau von 
Rechen in die Kanäle, die die Menge der groben Schwimmstoffe und damit 
die Ablagerung von Schlamm an den Ufern verhindern würden. — Bei der 
Verschlammung des Neuyorker Hafens sind noch die durch das Flußwasser 
und Abwasser mitgeführten Sinkstoffe in Betracht zu ziehen. Das Abwasser 
bringt etwa 1000 tons pro Tag hinein; der Hudson dagegen führt täglich 
10000 tons Sand und Ton ein. Nach Whipples Ansicht ist die Beimischung 
von 10 Proz. Abwasserschlamm zu diesen Mengen vom hygienischen Stand¬ 
punkt nicht bedenklich. (Engineering Record Nr. 21, 25. Mai 1907. Nach 
Ref. in Techn. Gemeindeblatt 1907, S. 153.) 

Ohlmüller, C. Frankel, Gaffky, Keller und Hofer geben ein Gut¬ 
achten über den Einfluß der Ableitung von Abwassern aus Chlorkalium¬ 
fabriken auf die Wasserläufe Schunter, Oker und Aller ab. Die bisher 
bestehenden Chlorkaliumfabriken durften nach ihren Konzessionen täglich 
5500 dz Carnallit, die künftigen werden im ganzen täglich 11 500 dz Car- 
nallit verarbeiten. Da jetzt schon häufige Klagen über Schädigung des 
FlußwasserB kommen, so werden aus der gewaltigen Steigerung der ver¬ 
arbeiteten Carnallitmenge und der daraus naturgemäß erwachsenden Zu¬ 
nahme der Abwassermengen weitere Schädigungen befürchtet. Aus den 
Schlußsätzen seien folgende hier wiedergegeben: Die Verunreinigung der 
Schunter durch die Abwasser aus den Chlorkaliumfabriken Bienrode und 
Asse ist hochgradig und steigt zeitweilig sehr stark an. Die Menge der 
Endlaugenbestandteile in dem Wasser der Schunter ist größer als diejenige, 
welche sich durch Berechnung aus den gegenwärtig gemäß der behördlichen 
Konzessionen zur Ableitung in die Schunter zugelassenen Abwassermengen 
ergibt, offenbar, weil in den beiden Fabriken größere Salzmengen, als behörd¬ 
lich für den Tag gestattet ist, verarbeitet werden. Die Oker wird stark 
belastet; jedoch ist die Verunreinigung infolge der größeren Wasserführung 
geringer als bei der Schunter, immerhin aber noch als erheblich zu bezeichnen. 
An der Aller konnten nur geringe Verunreinigungen festgestellt werden, da 
zur Zeit der Untersuchungen nur Sylvinit verarbeitet wurde. Nach Ein¬ 
mündung der Oker enthält die Aller die Abwasser sämtlicher Chlorkalium¬ 
fabriken. Entsprechend der Zunahme der Wasserführung durch Zutritt 
von Nebenflüssen und Grundwasser ist die Verunreinigung als mäßig anzu¬ 
sehen. Durch die Vermehrung der Chlorkaliumfabriken wird die Verun¬ 
reinigung zunehmen. Als oberste Grenze der zulässigen Verunreinigung könnte 
äußersten Falles festgesetzt werden, daß durch Zuführung der Abwasser aus 
Chlorkaliumfabriken die Härte des Flußwassers um nicht mehr als 30 bis 35 
deutsche Härtegrade und der Chlorgehalt um nicht mehr als 350 bis 400 mg 
im Liter gesteigert werden darf. Es dürften demnach höchstens betragen 
in der Schunter .... die Härte 50—55°, der Chlorgehalt 400—450 mg 

, „ Oker. B „ 40—45°, , „ 400—450 , 

r „ Aller (bis Minden) „ „ 40—45°, , „ 400—450 „ 

41* 


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644 Bauhygiene. 

Eine Beeinflussung des Grundwassers durch das Flußwasser ist nach 
dem Ergebnis der bisherigen Untersuchungen kaum zu erwarten. Ob die 
Vermehrung der Abwassermengen auf die Beschaffenheit des Bodens und 
auf den Pflanzenwuchs des anliegenden Geländes bei länger dauernder Elin* 
Wirkung nachteilig sein wird, kann nicht als endgültig festgestellt angesehen 
werden. Eine Schädigung des Fischlebens ist, sofern die oben angegebenen 
Grenzen eingehalten werden, nach dem derzeitigen Stande der Wissenschaft 
nicht zu erwarten. Um eine Überschreitung der zugelassenen Abwasser¬ 
mengen zu verhindern, sind besondere Vorschriften zu erlassen und deren 
Ausführung zu kontrollieren. (Arb. a. d. Eaiserl. Gesundheitsamt 1907, 
Bd. 25, S. 259.) Frank-Wiesbaden. 

Straßenbauwesen. 

Schottelius und Guglieminetti referierten auf dem XIV. inter¬ 
nationalen Kongreß für Hygiene und Demographie über Straßenhygiene. 

In erster Linie stand bei beiden Rednern die Erörterung über die Ge¬ 
fahren des lästigen Staubes und seiner Bekämpfung. Schottelius ist der 
Ansicht, daß der gesunde menschliche Körper eine ganze Reihe natürlicher 
Hilfsmittel besitzt, durch die der Mensch wohl gefestigt erscheint, der Staub¬ 
plage in ihren mannigfachen Formen standzuhalten, die Bedeutung des 
Staubes als Krankheitsursache werde auch vielfach überschätzt, trotzdem 
bilde die Bekämpfung der Staubplage eine der Hauptaufgaben der öffent¬ 
lichen Gesundheitspflege zur Vermeidung wirtschaftlicher Verluste, zur Ver¬ 
hütung von Unreinlichkeit und zum Schutze der Schwachen. Der Straßen- 
staub setzt sich aus anorganischen, mineralischen Bestandteilen, aus der 
Abnutzung des Straßenmaterials herrührend und den weit gefährlicheren 
organischen Stoffen zusammen; unter den letzteren sind es wieder die 
Bakterien, denen im allgemeinen eine besondere Gefährlichkeit beige¬ 
messen wird. Die Mehrzahl der im Straßenstaub nachzuweisenden Bakterien 
gehören zu den harmlosen Arten, niemals ist Cholera oder Pest durch 
Straßenstaub verschleppt worden; anders verhalten sich die Tuberkel¬ 
bazillen, die durch den Fettgehalt ihrer Umhüllung vor dem Ein¬ 
trocknen oder Absterben im trockenen Straßenstaub besser geschützt sind; 
aber selbst diese erfahren im Sonnenlicht eine Schädigung ihrer Lebenskraft. 
Im Spätherbst und im Frühjahr, mit ihrer relativ höchsten Luftfeuchtigkeit 
und niederer Temperatur werden Krankheitskeime durch Mund und Nase 
eingeatmet, in dieser Jahreszeit treten daher auch Hals- und Lungen¬ 
entzündungen in erhöhtem Maße auf, deshalb ist in dieser Jahreszeit die 
Beseitigung des Straßenstaubes besonders wichtig. Vorbedingung zur Ver¬ 
minderung jeder Staubplage ist die technisch richtige Anlegung neuer 
Straßen. Nächst der Anlegung der Straßen ist die Reinigung zu ordnen, 
und zwar sollte unter allen Umständen die Gemeindeverwaltung stets die 
Straßenreinigung in die Hand nehmen. Ein ideales Mittel zur Entstaubung 
der Straßen sieht der Redner in Vakuumapparaten, wie sie zur Reinigung 
von Innenräumen bereits mit gutem Erfolge benutzt werdeu. Im Prinzip 
zieht Redner solche Mittel vor, welche durch Übergießung der Straßen uiit 
wasserlöslichen ölen eine definitive Bindung des Staubes herbeiführen 
oder durch Teerung gleichzeitig staubverhindernd und staubbindend wirken. 


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Straßenbauwesen. Wohnungshygiene. Arbeiterwohnungen. 


645 


Durch die Bekämpfung des Staubes auf den Straßen wird auch der Staub 
im Innern der Wohnungen vermindert, es ist nicht zu bezweifeln, daß die 
pathogenen Bakterien des menschlichen Auswurfs oft genug an den Sohlen 
der Schuhe in die Häuser geschleppt werden, daher ist auch auf die Rein¬ 
haltung der Gehwege zu achten. Also Qberall Bedrohung durch den Straßen¬ 
staub der mit allen Mitteln der Wissenschaft und Technik zu bekämpfen ist. 

Goerz äußerte sich zum Thema „Straßenhygiene“ auf dem inter¬ 
nationalen Kongreß für Demographie und Hygiene in längerer Ausführung, 
indem er die Erfahrungen der rheinischen Provinzialverwaltung mitteilt; 
diese hat allein 40km Straßen ein- bis zweimal geteert, über das Ergebnis 
dieser ausgedehnten Versuche ist bisher wenig in die Öffentlichkeit ge¬ 
drungen, weil die Verwaltung den sehr richtigen Standpunkt einnimmt, 
zunächst einmal abzuwarten, ob die im Anfang erzielten Erfolge auch für 
die Dauer als solche anzusehen sind. Die rheinischen Basaltstraßendecken 
haben eine durchschnittliche Lebensdauer von 7 bis 8 Jahren. Von den in 
den Jahren 1903 bis 1906 begonnenen Teerungen kann demnach erst 1910 
bis 1914 festgestellt werden, ob eine längere Lebensdauer Tatsache geworden 
ist, und erst wieder einige Jahre später kann überhaupt ein unanfechtbares 
Urteil darüber zustande kommen, ob die erzielte Ersparnis den Mehrkosten 
der Teerung das Gleichgewicht hält, bzw. diese übersteigt. Die Staubfrage 
ist nach Ansicht des Vortragenden erBt zu einer brennenden geworden, 
nachdem die Automobile so gewaltig zugenommen haben. Die schnellfahrenden 
Automobile saugen das Bindematerial zwischen dem Steinschlag und schließlich 
diesen selbst heraus, dadurch entstehen Löcher in den Straßen, die durch eisen- 
beschlagene Pferdehufe und durch die Wagenräder schnell vergrößert werden. 

Die besten Ergebnisse mit der Teerung wurden auf sonnigen und hoch¬ 
gelegenen Straßen erzielt. Feucht liegende Straßen sind zum Teeren unge¬ 
eignet. Die Teerung ist 6 bis 10 Wochen nach Herstellung einer neuen 
Steinschlagdecke vorzunehmen, denn die Straßendecke soll einerseits bereits 
ausreichend festgefahren aber doch noch locker genug sein, um den Teer 
in sich aufnehmen zu können. Während der Teerung muß die Straße ganz 
trocken und möglichst warm sein, Teerungen im Frühjahr und Herbst mi߬ 
raten wegen der meist kühlen Nächte sehr leicht. Die Kosten der Teerungeu 
betrugen in der Rheinprovinz durchschnittlich 13 1 / 2 t) pro Quadratmeter. 
Die zweite Teerung wird zweckmäßig 1 Jahr nach der ersten vorgenommeu, 
bei gutgelungener Ausführung bekommt die Strecke das Ansehen einer 
Asphaltstraße und wird gern vom Publikum befahren. Der Vortragende 
sieht es schon jetzt für erwiesen an, daß die Teerdecken die Unterhaltung 
an sich verbilligen, es bleibt nur abzuwarten, wie hoch sich die Ersparnisse 
in der Gegenüberstellung zu den Kosten der Teerungen stellen. Metzger. 

W ohnungshy giene. 

Arbeiterwohnungen. 

Die Wohnungsinspektion hat eine größere Ausdehnung angenommen. 
Eine eingehende, die dritte, Veröffentlichung der Entwickelung der Wohnungs¬ 
fürsorge im Königreich Bayern, auf Grund des Erlasses vom 10. II. 1901 
behandelt die Jahre 1905 und 1906. Es wird zunächst hervorgehoben, 


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G46 


Bauhygiene. 


daß die Entwickelung im allgemeinen eine günstige war, namentlich im 
Hinblick auf die Organisation und Handhabung der Wohnungsaufsicht, 
sowie Förderung des Kleinwobnungsbaues. Die baupolizeiliche Wobnungs- 
fürsorge erstrebte vorwiegend eine weiträumige Bebauungsweise und traf 
Abwehrmaßregeln gegen das Überhandnehmen der Mietkasernen. In diesem 
Sinne sind eine Reihe ortspolizeilicher Vorschriften erlassen, ln Augsburg 
z. B. dürfen neue Gebäude nur zwei Stockwerke und eine Dachwohnung ent¬ 
halten unter völligem Ausschluß von Kellerwohnungen. In Nürnberg dürfen 
Häuser 20 m nicht übersteigen (in engen Straßen weniger), und die Fenster- 
flachen müssen mindestens Vio der Bodenfiäche des Raumes betragen. Da¬ 
neben sind, namentlich auch in München, Erleichterungen (Nachlaß der 
Pflasterkosten u. a.) für hygienisch gute Wohnhäuser vorgesehen; dasselbe 
gilt auch für andere Städte, besonders den gemeinnützigen Bauvereinen 
gegenüber. Bezüglich der Wohnungspolizei und Wohnungsaufsicht bestehen 
jetzt in fast allen Regierungsbezirken besondere Wohnungskommissionen; 
in 29 Städten sind 33 Wohnungsinspektoren vorhanden. Über den Wert 
der Wohnungskommissionen sind die Meinungen geteilt; ihre Arbeiten waren 
oft ungenügend, zum Teil wegen herrschenden Vorurteils, zum Teil, weil sie 
sich namentlich in kleineren Orten von allen möglichen, selbst persönlichen 
Rücksichten leiten ließen. Trotzdem sind die Erfolge der Wohnungsaufsicht 
recht bemerkenswert. Die Mißstände wurden meist gütlich abgestellt, in 
einer nicht unerheblichen Zahl mußte aber wegen der Armut der Bevölkerung 
von der Abstellung abgesehen oder die Forderungen gemildert werden. Sehr 
erheblich ist das Schlafgängerwesen gebessert worden. In der Wohnuuge- 
fürsorge haben vornehmlich die Arbeitgeber und vielfach das werktätige 
Eingreifen derGemeinden sehr Erfreuliches geleistet Selbst Arbeiterwohnungen 
hergestellt haben München, Zwiesel, Passau, Landau i. Pf., Neuenbuch, 
Marktheidenfeld, Aub und Giebelstadt, Ochsenfurt, Schweinfurt, Neu-Ulm 
und Lindau. Die Zahl der Bauvereine ist auf 35 gestiegen. Auch die 
staatlichen Behörden sind mit der Errichtung von Wohnungen für Angestellte 
vorgegangen. 

Auf Grund dieser Erfahrungen, namentlich der ungünstigen mit den 
ehrenamtlichen Wohnungskommissionen hat das Staatsministerium durch 
einen Erlaß vom 12. September 1907 einen weiteren Ausbau zur Regelung 
des Wohnungswesens beschlossen. Es sollen, um einen Überblick über den 
Stand der Wohnungsbesichtigung in den einzelnen Gemeinden zu ermög¬ 
lichen, die Befunde in besondere Bogen nach einem vom Ministerium vor- 
geschriebenen Formular eingezeichnet und die Ergebnisse zu einem Woh¬ 
nungsverzeichnis zusammengestellt werden, welches sowohl die besichtigten 
als auch die zu besichtigenden Wohnungen enthält. Es ist ferner die Ver¬ 
mietung von Wohnungen mit drei oder weniger Räumen anzeigepflichtig zu 
machen, und ebenso derjenigen Wohnungen, bei denen durch Untervermietung 
nicht mehr als 3 Räume zur Verfügung stehen. Diese Wohnungen sind b 
Zukunft längstens alle zwei Jahre einmal zu besichtigen. Eis sollen zu den 
Besichtigungen auch Ärzte und eventuell Vertreter der Arbeiterschaft, der 
Krankenkassen und der Armenpflege hinzugezogen werden. 

Es ist schließlich die bayerische Landeskulturrentenanstalt mit der Ge¬ 
währung von Darlehen an Gemeinden für gemeinnützige Bautätigkeit betraut. 


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Wohnungshygiene. Arbeiterwohnungen. 


647 


Die der landesherrlichen Verordnung entsprechend ausgelührte Beauf¬ 
sichtigung der Wohnungen in Fürth ergab, daß auf ein Grundstück durch¬ 
schnittlich 24,85 Bewohner entfallen (im Maximum über 100); auf jedes 
Wohngebäude fallen im Durchnitt nur 4,27 Wohnungen. 20 Proz. der 
Wohnungen liegen in Hinterhäusern. Der Polizeiverordnung, daß jedem 
Haus mindestens ein Abort, jeder Familienwohnung eine besondere Abort¬ 
abteilung und für höchstens 15 Personen ein Abort zur Verfügung stehen 
müsse, war in einer großen Zahl von Fällen nicht entsprochen. 5,8 Proz. 
der Wohnungen standen leer; 17,5 Proz. aller Wohnungen lagen in Man¬ 
sarden. Dem vorgeschriebenen Luftkubus von 10 ccm pro Person in Schlaf¬ 
räumen entsprachen 26,8 Proz. nicht. 20 ccm Luftraum in den Wohnungen 
fanden sich nicht in 10,4 Proz. der untersuchten. Das Schlafgängerwesen 
ist sehr ausgebildet, so daß in Vierzimmerwohnungen 18,2 Proz. der Be¬ 
wohner Schlafgänger waren. Hier, wie in allen anderen Industriestädten, 
wäre die Gründung von Ledigenheimen angezeigt wegen der Überhand- 
nahme des Schlafgängerwesens. Sehr bemerkenswert ist, daß übrigens die 
Eigentümerwohnungen sich durchaus nicht in sanitär besserem Zustande 
befinden als die Mietwohnungen. Es ist in Fürth angeordnet worden, daß 
Todesfälle an Tuberkulose der Wohnungsinspektion angezeigt werden. 
Es werden daraufhin die Wohnungen untersucht und alle erforderlichen 
Anordnungen getroffen. Eine weitere Ausdehnung dieser Maßregel auch in 
anderen Städten wäre sehr erwünscht, allein schon deswegen, um das ge¬ 
wonnene wertvolle Material zur Beurteilung der Frage des Einflusses der 
Wohnung auf die Tuberkulose benutzen zu können. 

In Würzburg wurden 534 Anwesen vom Wohnungsinspektor besichtigt. 
Von den im ganzen erhobenen 1203 Beanstandungen wurden nur 703 be¬ 
seitigt. 

Eine ständige Wohnungskommission, an deren Spitze ein Wohnungs¬ 
inspektor stehen soll, ist in Nürnberg eingerichtet worden. 

Eine neue gesetzliche Regelung fand die Wohnungsaufsicht im Herzog¬ 
tum Gotha. Am 3. April 1907 ist dort ein Gesetz über die Wohnungsaufsicht 
zur Verabschiedung gelangt, nach welchem Wohnungsordnungen auf dem 
Wege der Polizeiverordnung erlassen werden können. Es sollen hiernach 
Wohnungskommissionen errichtet werden, in welche auch ehrenamtlich 
tätige Personen, tunlichst auch Sachverständige (Ärzte und Bausachverständige) 
aufzunehmen sind. 

Für Hamburg ist unter dem 8. Februar 1907 ein Wohnungspflegegesetz 
erlassen worden, das die gesundheitsmäßige Beschaffenheit aller Wohnungen 
regelt, wobei Gasthöfe und Herbergen, soweit es sich um Räume zur Unter¬ 
bringung vorübergehend Anwesender handelt, ausgenommen sind. Die 
Handhabung der Wohnungspflege Bteht der Behörde für Wohnungspflege 
zu, die aus ehrenamtlichen und zwei Mitgliedern des Senates und den 
ebenfalls ehrenamtlichen Kreisvorstehern besteht Zu ihren Verhandlungen 
ist der Medizinalrat und der Inspektor für Wohnungspflege regelmäig hin¬ 
zuzuziehen. Auch in den Sitzungen der Kreisversammlung ist ein ärzt¬ 
licher Beamter des Medizinalkollegiums und der Wohnungsinspektor zu 
hören. In dem Gesetze sind eine Reihe hygienischer Mindestforderungen 
niedergelegt. So werden für ein Kind 7,5, für einen Erwachsenen 15 cbm 


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648 


Bauhygiene. 


Luftraum gefordert, in Schlafräumen 5 bzw. 10 cbm, für mindestens ^Per¬ 
sonen oder 2 Familien muß 1 Abort, eine gemeinsame WaaBer zapf stelle für 
höchstens 10 Haushaltungen vorhanden sein u. a. m. 

Die Wohnungsinspektion wird in Breslau von einem Unterausschuß der 
Gesundheitskommission mit einem Magistratsmitglied an der Spitze und dem 
besoldeten Wohnungsaufseher ausgeübt. In dem ersten Berichtsjahre wurden 
4763 Wohnungen besichtigt und in 390 derselben 1657 Mißstände fest¬ 
gestellt. 1036 Mißstände wurden beseitigt. Recht bezeichnend ist, daß von 
46 Klagen der Mieter über mißständige Wohnungen 45 (!) als unbegründet 
zurückgewiesen werden mußten. 

Die Wohnungsverhältnisse der Stadtarmen in der Stadt Posen wurden 
von den Armenpflegern gelegentlich ihrer Besuche bei den Alumnen geprüft. 
Es ergab sich zunächst eine zunehmende Ausbreitung der Mietkaserne und 
dementsprechend eine höhere Inanspruchnahme der oberen Stockwerke als 
früher. Es wurden 1900 noch 20 Proz. der Wohnungen höher als im 2. Stock 
gefunden, jetzt dagegen 24 Proz., und zwar 18 Proz. im 3. Stock (1900 
13 Proz.) und 6 Proz. im 4. Stock (1900 4 Proz.). Auf eine Wohnung ent¬ 
fielen durchschnittlich 4,8 und auf einen Raum 2,2 Personen. Auch die 
Behausungsziffer mit 49 Personen ist sehr hoch und wird nur von einigen 
Großstädten übertroffen (Berlin 77, Schöneberg 72, Rixdorf 69, Charlotten¬ 
burg 60, Breslau 53). Bezüglich der Wohnungsgröße wiesen auf: 

1 Wohnraum 40 Proz. der bewohnten Wohnungen 

2 Wohnräume 29 

» * 15 

4 „ 8 

5 „ 4 

6 . 2 

7 „ 1 

8 u. mehr n 1 

Nur 32 Proz. der Wohnungen verfügten über einen eigenen Abort; 
meist ist für 3 Familien ein Abort vorhanden, und in 6 der kontrollierten 
827 Wohnungen nur für 14, in 2 sogar nur für 17 Familien ein Abort. 
Dem Luftkubus nach ist der Mietpreis in den kleinsten Wohnungen am 
höchsten. (Zeitschr. f. Wohnungswesen 1907/08, S. 38.) 

ln Hannover besteht eine Wohnungsinspektion seit Ende 1905. 
Während des ersten Jahres wurden 255 Hausgrundstücke mit 1418 Wohnungen 
und 5248 Bewohnern untersucht. Werden die 26 nur Geschäftszwecken 
dienenden Hausgrundstücke abgerechnet, so fanden sich auf 1 Haus 6,1 Woh¬ 
nungen, 22,4 Bewohner, 2,4 Aborte (auf 1 Abort 9,1 Personen); auf jede 
Wohnung entfallen 3,7 Bewohner und 3,92 bewohnte Zimmer. Von den 
229 Grundstücken gaben 36 keinen Anlaß zu Beanstandungen, in 30 Fällen 
bedurften Häuser einer durchgreifenden baulichen Abänderung, in 33 Fällen 
mußten die Wohnungen geräumt werden. 

In Straßburg i. E. wurde ein Wohnungsnachweis eingeriohtet, der 
mit der Wohnungsaufsicht das Wohnungsamt bildet. Erhoben wird für 
den Nachweis 1 Proz. der Jahresmiete, wobei Wohnungen unter 5 Zimmern 
frei sind. Trotz des Widerstandes des Hauseigentümervereins waren die 
Erfolge im ersten Betriebsjahre zufriedenstellend. Besichtigt wurdeD 1906 
vom Wohnungsamt 12390 Wohnungen in 2588 Anwesen und 1741 Wob- 



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Wohnungshygiene. Arbeiterwohnungen. 649 

nungen mit 3954 Mißständen beanstandet; die Mißstände wurden sämtlich 
abgestellt. 

Das Wohnungsamt in Stuttgart, welches neben der Wohnungsinspektion 
den öffentlichen Wohnungsnachweis betreibt, hatte im ganzen 460 An¬ 
gelegenheiten zu erledigen, bei denen die gefundenen Mißstände meist 
gütlich erledigt wurden. Die große Anzahl von Anzeigen durch Private 
(70) beweist, daß die Bevölkerung allmählich Vertrauen zu der Einrichtung 
gefaßt hat und im Wohnungsamte die Stelle sieht, bei der man Schutz vor 
gesundheitsschädlichem Wohnen finden kann. 

Ein bedauerliches Zeichen für den Wunsch, Wohnungsenqueten zu er¬ 
schweren, hat der Preußische Landesverband der Grundbesitzer mit einem 
Gesuch beim Magistrat Berlin gegeben, dahin zu wirken, daß Kassenmittel 
zu Wohnungserhebungen nicht mehr verwendet werden dürfen. Der Magistrat 
hat das Gesuch abgelehnt unter Betonung, daß dem Verbände eine Legiti¬ 
mation, in der Angelegenheit Beschwerde zu führen, nicht zustehe. 

Eine neue Baupolizeiordnung ist für den Stadtkreis Düsseldorf erlassen, 
welche drei Bauformen unterscheidet und in einer allerdings etwas kom¬ 
plizierten Art die Fortschritte des Städtebaues und der Hygiene weitgehend 
berücksichtigt; besonders anerkennenswert ist es, daß die wichtigen wirt¬ 
schaftlichen Interessen, wie sie sich aus der Entwickelung ergeben haben, 
hierbei nicht vernachlässigt werden. Die Wohnungszählung in Düsseldorf 
ergab, daß 87,11 Proz. aller Wohnungen in Vorderhäusern gelegen ist. Die 
Besetzung der Grundstücke ist nicht ungünstig, da nur 24 unter 12653 Grund¬ 
stücken mehr als 20 W obnungen besitzen, und 72 zwischen 16 und 20 Woh¬ 
nungen. Auf ein Gebäude entfallen im Durchschnitt 4,29 Wohnungen und 
auf einen Haushalt 4,5 Personen. Die Zahl der leer stehenden Wohnungen 
betrug 8,7 Proz. Sehr verbesserungsbedürftig sind die Abortanlagen; nur 
44,16 Proz. der Wohnungen hatten eigene Aborte, und in 10 Fällen war 
nur für 11 bis 15 Haushaltungen 1 Abort vorhanden. 

In Magdeburg ergab eine im November 1907 vorgenommene Zählung, 
daß im ganzen nur 1,8 Proz. (1906 1,7 Proz.) aller Wohnungen leer stehen. 
Eine geringe Zunahme iBt lediglich bei den Kleinwohnungen festzustellen, 
während die Wohnungen mit mehr als zwei heizbaren Zimmern einen ent¬ 
schiedenen Rückgang aufweisen. Die Bautätigkeit war im allgemeinen ge¬ 
ring, wenngleich von den Baugenossenschaften allein 175 Wohnungen her- 
gestellt wurden. 

Die Zahl der leerstehenden Wohnnngen wurde in Elberfeld auf 
6,8 Proz. ermittelt. Nach der Anzahl der Zimmer entfielen in Prozenten 
auf die Wohnungen von 

1—2 3—4 5—6 7—8 9 u. mehr Zimmern 

38,34 43,48 12,8 2,94 2,44 Proz. 

Sehr auffallend ist, daß der Mietwert eines Raumes, der durchschnittlich 
85 JC beträgt, bei den kleinen Wohnungen geringer iBt als bei den großen. 
Es kostet 1 Raum in Wohnungen mit: 

1 2 3 * 5 6 7 8 9 10 u. mehr Zimmern 

75 78 79 82 89 92 95 103 111 135 M, 

Die Zahl der leer stehenden Wohnungen hat sich in Kiel seit 3 Jahren 
ständig vermehrt. Es wurden bei der letzten Zählung Ende 1907 


Di! 


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650 


Bauhygiene. 


3,69 Proz. festgestellt; Wohnungen mit 1 bis 2 Zimmern einschließlich Küche 
waren leer 4,02 Proz., Wohnungen mit 3 bis 4 Zimmern 3,1 Proz., Wohnungen 
mit 5 bis 6 Zimmern 5,12 Proz., Wohnungen mehr als 6 Zimmer 8,45 Proz. 

Aus den Mitteilungen des Kgl. statistischen Landesamtes ergibt sich, 
daß die Wohndichtigkeit in Württemberg während der letzten fünf Jahre 
etwas abgenommen bat, es kamen auf 1 Raum im Königreich 1,27 (1,30), 
in Stuttgart 1,0 (1,03), im Landesrest 1,3 (1,32). Küchenlose Wohnungen 
sind nur in verschwindender Zahl vorhanden. Zurückgegangen ist das 
Einfamilienhaus gegenüber den Mietwohnungen, was hauptsächlich auf die 
Wohnverhältnisse in Stuttgart zurückzuführen ist, wo 1 s aller Mietwohnungen 
des Landes gezählt wurden; im Landesrest waren 70,8 Proz. Eigentümer¬ 
wohnungen. 

Eine Wohnungszählung in Karlsruhe ergab, daß die dreistöckigen 
Häuser mit 37,4 Proz. voranstehen. Die Mietwohnungen haben in den letzten 
5 Jahren um 22,9 Proz., die Eigentümerwohnungen nur 4,6 Proz. zuge¬ 
nommen; es wohnten drei Viertel aller Bewohner in Stockwerkswohnungen, 
13,3 Proz. in Hinterhäusern und etwa ebensoviel in Mansarden; auf Hinter¬ 
und Seitenbauten entfallen im ganzen 15,8 Proz. der Bewohner, was eine Ver¬ 
schlechterung gegen früher bedeutet, jedoch haben die stark belegten 
Wohnungen an Zahl abgenommen. Von den überfüllten Wohnungen waren 
79,2 Proz. nur von Familienangehörigen bewohnt. 

In Mannheim ist das Wohnungsangebot noch immerein sehr geringes 
und gegen das Vorjahr nicht verändert. Es waren leer: 


1900 

1,4 Proz. 

1903 

6,61 Proz. 

1906 1,07 Proz. 

1901 

5,12 , 

1904 

4,24 „ 

| 1907 1,07 „ 

1902 

6,76 , 

1905 

2,71 „ 



Der Größe nach waren vorhanden: 

1 2 3 4 5 6 7 8 u. mehr Zimmer 

22,9 23,4 27,3 13,2 6,5 0,3 0,3 0,1 PrdZ. 

Die Mietpreise sind im allgemeinen in die Höhe gegangen; die Vier¬ 
zimmerwohnungen zeigen jedoch einen Rückgang, was wohl auf die Neu¬ 
ordnung betreffend Aftervermietung und Schlafstellenwesen zurückzuführen ist. 

Nach den Mitteilungen des statistischen Amtes in Leipzig standen 
1907 leer 1,5 Proz. aller vorhandenen Wohnungen, in den vorhergehenden 
Jahren 2,64 Proz.. 3,97 Proz. und 4,20 Proz., so daß ein stetiger, sehr er¬ 
heblicher Rückgang zu konstatieren ist. 

In München betrug nach den Zählungen des statistischen Amtes im 
Juni 1907 die Zahl der leer stehenden Wohnungen nur noch 2,5 Proz. Der 
Rückgang ist am stärksten bei den kleinen Wohnungen (bis zu 3 Zimmern) 
— 2,2 Proz. leer —, dagegen ist bei den größeren Wohnungen (6 und mehr 
Zimmern) sogar eine nicht unerhebliche Zunahme zu verzeichnen — 4,0 Proz. 
waren leer. 

Die Zählung in Fürth ergab recht ungünstige Verhältnisse. Es 


standen leer: 

Wohnungen von 2 Zimmern .... 0,66 Proz. 
„ „ 3 „ .... 0,5 

- * 4 „ .... 1 

„ „ 5 „ .... 1,4 , 

n „6 » .... 2 

„ „7 „ u. im>hr . 2,7 „ 


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651 


Wohnungshygiene. Arbeiterwohnungen. 

Id Dresden hat sich die Zahl der leer stehenden Wohnungen wesentlich 
vermindert; am stärksten ist der Rückgang in der Altstadt, obwohl hier 
noch 6 Proz. freie Wohnungen gezählt wurden, in den älteren Vororten 
7 Proz., in den neueren Vororten 4 Proz. 

Der Bauverein zu Hamburg konstatierte einen Nachlaß der Nach¬ 
frage nach kleinen Wohnungen, der wohl auf die günstige Wirkung des 
Gesetzes, betreffend die Förderung des Baues kleiner Wohnungen vom 21. Mai 
1902 zurückzuführen ist. Es ist deshalb von der Errichtung weiterer 
Etagenhäuser in den Vororten Abstand genommen. 

Die gemeinnützigen Vereine und Baugenossenschaften haben auch 1907 
eine rege und ersprießliche Tätigkeit entfaltet. Von 11 Baugenossenschaften 
(mit 21803 Mitgliedern), welche die Lösung der Wohnungsfrage in Angriff 
genommen haben, sind 4 537 089 t/# an Geschäftsguthaben und 2 264 005 t/# 
an Spargeldern eingezahlt worden. Die von ihnen erbauten 304 Erwerbs¬ 
häuser und 3987 Mietwohnungen repräsentieren einen Gesamtwert von 
42 724474 Jt. 

Der Düsseldorfer Spar- und Bauverein hat eine Anzahl neuer 
Häuser in Angriff genommen mit 2- und 3-Zimmer-Wohnungen, bei denen 
besonderer Wert auch auf die Fassade gelegt wurde, um auch äußerlich 
die Ästhetik des Straßenbildes zu erhöhen. Jede Wohnung ist von den 
anderen vollkommen getrennt, nur Eingang, Treppe und Waschküche sind 
gemeinsam. Neben einem großen, mit Wandschränken usw. versehenen Vor¬ 
platze findet sich eine geräumige Wohnküche; vor dieser ist ein 3 bis 4 qm 
großer Raum als Spülküche abgegrenzt, in welcher sich außer dem Spülstein 
noch ein emailliertes Becken für kleine Wäsche, Kinderbad usw. befindet. 
Die Höhe der Miete beträgt 9,4 olt pro Zimmer und Monat. Die erste 
Hypothek hat die Landesversicherungsanstalt gegeben, den Rest bis zu 
90 Proz. das Reich, unter der Bedingung, daß eine bestimmte Anzahl von 
Wohnungen für Reichsunterbeamte zur Verfügung gestellt werde. Der Bau 
von Gartenhäusern wurde als zu teuer aufgegeben, da die Bauordnung hier 
das Vermieten von Mansardenwohnungen verbietet. Eine Dividende von 
4 Proz. konnte verteilt werden. 

Die größte deutsche Baugenossenschaft, der Berliner Beamten-Wohnungs- 
Verein, mit einer Mitgliederzahl von 10 411 hat einen Gesamtgrundbesitz 
von 340 000 qm, worauf 1776 Wohnungen errichtet waren, von denen nur 
acht am Jahresschlüsse leer standen. Es konnten 4 Proz. Dividende ge¬ 
währt werden. 

Von der regen Tätigkeit des Berliner Spar- und Bauvereins legt 
der Umstand Zeugnis ab, daß im Berichtsjahre bereits das erste Tausend 
Wohnungen erreicht wurde, und daß während des Jahres über 1 Million 
Mark an Bauhandwerker und Lieferanten zur Auszahlung kam. Entsprechend 
den bisher bereits gepflegten genossenschaftlichen Bestrebungen hat der 
Vorstand beschlossen, für jede Baugruppe einen Kindergarten einzurichten 
und zu betreiben. 

Der Vaterländische Bauverein Berlin hat im Berichtsjahre 
105 Wohnungen neu, im ganzen jetzt 322 Wohnungen hergestellt, darunter 
38 Einzelzimmer für allein stehende Frauen und Mädchen und ein Hospiz 


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662 


Bauhygiene. 


für ledige Männer mit 28 Zimmern und 40 Betten. Ein Kinderhort nimmt 
die Kinder der Vereinsmitglieder von 3 bis 7 Uhr unentgeltlich auf. 

Oie Städte Barmen und Krefeld haben durch größere Ankäufe von 
Land in der Umgebung begonnen, eine an anderen Orten bewährte Boden¬ 
politik zu treiben. In Krefeld ist ferner beschlossen worden, Häuser mit 
kleinen Wohnungen mit städtischen Geldern zu beleihen. 

Auch Mülhausen i. E. hat auf städtischem Grundbesitz 20 Arbeiter- 
häuser errichtet mit insgesamt 60 Wohnungen von 2 bis 4 Zimmern. 

In Nürnberg ist eine Baugesellschaft für kleine Wohnungen gegründet 
worden mit einem Kapital von 600 000«/#, welches zur Herstellung von 
zunächst 300 kleinen Wohnungen verwendet werden soll. Eine Höchst¬ 
verzinsung von 4 bis 5 Proz. ist festgesetzt worden. Auch der Konsumverein 
will den Kleinwohnungsbau auf genossenschaftlicher Basis in die Hand nehmen. 

Eine erfreuliche Weiterentwickelung zeigten der Karlsruher Mieter¬ 
und Bauverein. 

Die gemeinnützige Baugesellschaft in Leipzig, welche sich in 
10 Jahren auf die Erhaltung ihrer Gebäudeanlage beschränkte, will nun¬ 
mehr weitere Wohnungen errichten, hierbei aber die alte Bauweise der frei 
stehenden Einzelhäuser verlassen und 2 bis 3 Häuser aneinanderbauen, um 
eine leichtere Heizbarkeit der Kleinwohnungen zu erzielen. 

Der rührige Dresdner Spar-und Bauverein hat bis jetzt 427Wohnungen 
fertiggestellt. 

Der Wohnungsnachweis fQr Arbeiter und kleine Angestellte in 
Köln, dem die Stadtgemeinde 3000«/# Zuschuß gewährt, hat eine reiche 
Tätigkeit entfaltet. Die Mietpreise waren durchschnittlich pro Monat: 

1 Raum 9,2 Mark I 3 Räume 26,6 Mark 

2 Räume 17,6 „ | 4 „ 37,9 „ 

Auch in Barmen hat der Wohnungsnachweis während des Berichts¬ 
jahres einen weiteren Aufschwung genommen; die Zahl der Nachfragen hat 
sich in zwei Jahren mehr als verdoppelt. Die Mietpreise pro Raum waren 
steigend mit der Anzahl der Zimmer. 

Das vor etwa 2 Jahren in Ulm unter dem Namen Marthaheim errichtete 
Ledigenheim für Mädchen hat wenig Beifall gefunden, da im ersten Jahre 
bis höchstens 6 Bewohnerinnen dasselbe auf suchten. Man hat sich demnach 
zu einer Milderung der Hausordnung und Ermäßigung des Mietpreises pro 
Bett und Woche um 0,30«-# entschlossen, so daß dieselben sich jetzt zwischen 
0,80 und 1,60 «-# bewegen. Die Frequenz ist hierdurch auf 25 gestiegen. 
Mit Recht wird jedoch darauf hingewiesen, daß derartige Mädchenheime 
den Insassinnen weitere Anregungen (Vorlese-, Musikabende, Näh-, Koch¬ 
kurse, kleine Festlichkeiten, Tanzereien u. a.) bieten, im ganzen also einen 
mehr familiären Charakter tragen müssen, wenn sie auf Zuspruch rechnen 
wollen. 

Das Witwerheim in Frankfurt a. M. war im Berichtsjahr von 23 Leuten 
mit 76 Kindern in Anspruch genommen. Auch diese Institution muß sich erst 
allmählich einbürgern. 

Ein Heim für Telephonistinnen ist in Hamburg entstanden. Es enthält 
33 Zimmer mit 37 Betten sowie eine Reihe größerer gemeinschaftlicher Räume. 
Der Pensionspreis einschließlich Wohnung beträgt 50 bis 58 «/# monatlich. 


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653 


W ohnungshygiene. Arbeiterwohnungen. 

Das Erbbauwesen machte auch im Berichtsjahre weitere Fortschritte. 

Der Magistrat der Stadt Königsberg i. Pr. hat ein 1043 qm großes 
Gelände in Erbpacht vergeben. Auch in Posen ist das große Terrain des 
Festungsgeländes zu Erbbauzwecken bestimmt; der auf gemeinnütziger 
Grundlage gebildeten Kreditvereinigung wird vom Staat ein Darlehen von 

1 Million Mark gewährt, wofür aber wohl viel mehr politische als Wohlfahrts- 
rücksichten bestimmend waren. 

Die Stadtgemeinde Mannheim hat mit dem dortigen Spar- und Bau¬ 
verein einen Erbbauvertrag auf 90 Jahre geschlossen, in dem die besondere 
Bestimmung aufgenommen ist, daß Aftervermietung und Aufnahme von 
Schlafgängern nicht stattfinden darf. Die Stadt erhebt eine jährliche Boden¬ 
pacht in der Höhe des 3 1 2 -Proz.-Zinses von des Boden wert es und des 4-Proz.- 
Zinses der auf den Erbbaublock entfallenden Straßenkostenbeiträge. Nach 
Ablauf der Erbbaupachtzeit übernimmt die Stadt die von allen Rechten 
Dritter freien Gebäude zu 1 / i des Wertes oder verlangt Entfernung der Bauten 
binnen 6 Monaten auf Kosten der Erbbauberechtigten. 

Die Behörden nehmen hinsichtlich der Gewährung von Geld für gemein¬ 
nützige Bauzwecke einen mehr und mehr wohlwollenden Standpunkt ein. 
Das württembergische Finanzministerium hat Bedingungen für die Ge¬ 
währung von staatlichen Darlehen an Baugenossenschaften aufgestellt. Die 
Unterstützung soll auf solche Baugenossenschaften beschränkt werden, denen 
untere oder mittlere Staatsbeamte oder Arbeiter in Staatsbetrieben in 
größerer Zahl angehören und in denen sie zusammen die Mehrheit bilden. 
Unter entsprechenden Garantien können Darlehen bis zu 80 Proz. des Wertes 
des Hauses einschließlich des Grund und Bodens oder bis zu 100 Proz. des 
Banwertes allein gewährt werden. Der Zinsfuß soll 3 1 /* Proz. nicht über¬ 
steigen. (Zeitschr. f. Wohnungswesen 1907/08, S. 56.) 

ln den Staatshaushaltsplan des Großherzogtums Oldenburg sind 

2 Millionen tM, znr Gewährung von Darlehen für den Bau von Arbeiter- 
wohnongen in Erbpacht eingestellt worden. 

Nach den Zusammenstellungen des Reichsversicherungsamtes haben 
die 31 Landesversicherungsanstalten in Verbindung mit den zugelassenen 
Kasseneinrichtungen 172 627 651 ^ für den Bau von Arbeiterwohnungen 
aufgewendet, von denen 27 364 680 «z# außerhalb der Mündelsicherheit an¬ 
gelegt sind. Am höchsten beteiligt sind Rheinprovinz (28*/ a Millionen), Hannover 
(23 Millionen), Königreich Sachsen (13 ] /i Millionen), Baden (13 Millionen), 
Westfalen (12 1 / a Millionen), Württemberg (10 Millionen), Hessen-Nassau 
(8*/ 2 Millionen), Schleswig-Holstein (7*/ a Millionen), Hansestädte (5 Millionen), 
Berlin (4V a Millionen). Im Jahre 1907 stieg die Summe um 22,1 Millionen^. 

Durch das Großherzoglich Hessische Gesetz die Wertzuwachssteuer 
betreffend ist zum ersten Male der Versuch gemacht worden, für ein ganzes 
Land einheitliche Grundsätze aufzustellen. Die Regelung im einzelnen ist 
den Gemeinden überlassen, von einer zwangsweisen Einführung jedoch ab¬ 
gesehen worden und leider eine Bestimmung nicht aufgenommen, nach welcher 
ein Teil der durch die Wertzuwachssteuer den Gemeinden zufließenden Ein¬ 
nahmen für Wohnungsreform und soziale Bodenpolitik Verwendung finden muß. 

Eine Wertzuwachssteuer ist beschlossen in Saarbrücken und Duis¬ 
burg. In letzterer Stadt bleibt ein Zuwachs bis 10 Proz. steuerfrei. 


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654 


Bauhygiene. 


In Breslau wird außer der Umsatzsteuer von 2 Proz. eine Wertzuwacbs- 
steuer erhoben, wenn der Gewinn aus dem Verkauf mehr als 10 Proz. beträgt, 
und zwar 


6 Proz. 

bei 

einer 

Wertsteigerung bis 

20 Proz. 

8 

„ 

„ 

„ 

„ 

„ 

30 


10 

, 

, 

„ 

„ 

„ 

40 


12 

„ 

„ 

„ 

„ 

n 

50 

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14 

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60 

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16 

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70 

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18 

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80 


20 

„ 

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90 

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22 

„ * 



„ 


100 

n 

25 

, 

„ 

» 

„ 

über 

100 

n 


Auf » 's vermindert sich der Betrag, wenn seit dem Erwerb bei bebauten 
Grundstücken 5 bis 10 Jahre, bei unbebauten 10 bis 20 Jahre, und auf 1 s , 
wenn mehr als 10 bzw. mehr als 20 Jahre verflossen sind. 

Eine Einführung der Wertzuwachssteuer hat auch in Freiberg i. S. 
stattgefunden; es werden dort erhoben: 

5 Proz. der Wertsteigerung, wenn diese 10 bis 20 Proz. beträgt, 

6 . . • - 20 „ 30 , 

8 , „ , „ 30 „ 40 „ , 

Um je 2 Proz. steigert sich dieselbe bis zu 20 Proz., für je 10 Proz. 
Erhöhung des Erwerbswertes bis 100 Proz., dann vermindert sich der Satz, da 
höchstens 25 Proz. bei 120 Proz., 30 Proz. bei 140 Proz. Wertsteigerung und 
so fort bis höchstens 50 Proz. Steuer erhoben werden sollen. Diese Beträge 
werden nur voll erhoben, wenn der Besitz weniger als 5 Jahre betrug, sie 
vermindern sich auf 2 g bei höchstens 10 jährigem Besitz und auf Vj, wenn 
mehr als 10 Jahre seit dem letzten Besitzwechsel verflossen sind. 

In Berlin ist die Wertzuwachssteuer nach langen Verhandlungen doch 
noch abgelehnt worden, obwohl sie im Prinzip bereits von der Stadtverordneten¬ 
versammlung angenommen war. Die ursprüngliche Magistratsvorlage war 
durch den zur Vorberatung näherer Bestimmungen beauftragten Ausschuß 
derart modifiziert worden, daß im Plenum für diese verwässerte Vorlage eine 
Majorität nicht zu bekommen war. 

Vielfach sind Wettbewerbungen zu ' den Prämiierungen von sohön aus¬ 
geführten Arbeiterhäusern (Freiburg i. B., Schlebusch a. Rh., Hamburg, Fried¬ 
berg, Stendal, Nürnberg) ergangen, die zu recht erfreulichen Resultaten geführt 
und die Frage des zweckmäßigen, gesundheitlich einwandfreien und doch 
billigen Bauens wesentlich gefördert haben. Hierher gehört auch ein Wett¬ 
bewerb für Harzhäuser auf Grund eines Ausschreibens von Harzbarg, welches 
zunächst zwar für andere Zwecke bestimmt, doch eine erhebliche Zahl von 
behaglichen und zweckmäßig durchgebildeten Eigenheimen geliefert hat, deren 
Baukosten 7500 J(, nicht übersteigen. (Kleine Landhäuser für Bad Harzburg 
von Baurat Professor A. Neumeister). 

Einen Wettbewerb zur Erlangung von Entwürfen für kleine Wohnhäuser 
hat Bremen ausgeschrieben, um die Frage zu lösen, ob es nicht möglich sei, 
im Umfang und Rahmen des Einfamilienhauses mehrere Familien derart in 
einwandfreier Weise unterzubringen, daß an gemeinsamer Treppe im Erd- 
und im Obergeschoß je eine vollständige Wohnung geschaffen wird. (Zeitacbr. 
f. Wohnungswesen 1907, Nr. 14.) 


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Wohuungshygiene. Arbeiter Wohnungen. 


655 


Den örtlichen Bedürfnissen gerecht wird ein Ausechreiben des Heimat- 
bandes Mecklenburg zur Erlangung von Entwürfen für kleinbäuerliche Ge¬ 
höfte. Das Ergebnis war ein sehr gutes. 

Ein neuer Typ eines Vierfamilienhauses ist dadurch entstanden, daß auf 
ein gewöhnliches Doppelhaus mit zwei Eingängen ein zweites voll ausgebautes 
Stockwerk aufgesetzt wurde; zu diesem letzteren wurden besondere Eingänge 
geschaffen und auch von dem unteren Stockwerk eine Treppe bis zu den 
Mansarden heraufgeführt. Es entstehen so vier völlig voneinander ab¬ 
geschlossene Wohnungen. Der Bau wird hierdurch allerdings verteuert und 
kann nur dort in Frage kommen, wo auf eine hohe Rentabilität Rücksicht 
nicht genommen zu werden braucht. 

Erhebliche Fortschritte hat die Wohuungshygiene und die gemeinnützige 
Bautätigkeit im Auslande gemacht. 

In Frankreich ist 1906 ein neues Wohnungsgesetz in Kraft getreten, 
auf Grund dessen Komitees von 9 bis 12 Personen für billige Wohnungen 
und soziale Fürsorge in allen Departements eingesetzt werden müssen. Diese 
Komitees können Erhebungen vornehmen, Ordnungs- und Reinlichkeitspreise 
erteilen, Geldprämien bewilligen und überhaupt Mittel anwenden, die geeignet 
sind, die Unternehmungslust im Bau und in der Verbesserung billiger 
Wohnungen zu fördern. Die besonders zu gewährenden Vorteile bleiben wie 
im früheren Gesetz, namentlich die Befreiung von der Grund-, Tür- und 
Fenstersteuer, Steuerfreiheit der Arbeitergärten, Stempelfreiheit und ähnliches. 
(Zeitschr. f. Wohnungswesen 1907, Heft 23.) 

Im Großherzogtum Luxemburg wurde mit dem Gesetz vom 29. Mai 
1906 betreffend die Erbauung billiger Wohnungen die luxemburgische Spar¬ 
kasse ermächtigt, einen Teil ihrer verfügbaren Mittel als Darlehen zu verwenden 
an Kommandit- und Aktiengesellschaften, an Gemeinden, sowie an einzelne 
Personen unter besonderen Bedingungen, wenn das Darlehen zum Ankauf 
oder der Erbauung billiger Wohnungen dient. 

Der Jahresbericht der Londoner Rowton-Haus-Gesellschaft ergibt 
daß sie über 6 Schlafhäuser mit 5168 Betten verfügt. Der Geschäftsbetrieb 
war ein sehr günstiger, so daß trotz der Auszahlung einer Dividende von 
5 Proz. noch ein sehr erheblicher Überschuß verblieb. 

Die Kaiser-Franz-Joseph-Jubiläumsstiftung mit einem Kapital 
von 2 390 000 Kr. hat beschlossen, ein zweites Männerheim in Wien zu er¬ 
richten, da das bereits bestehende außerordentlich gut gearbeitet hat. In dem¬ 
selben wurden 3590 Männern 162 000 Nachtlager gewährt; die Unterkunfts¬ 
nehmer waren vorwiegend gewerbliche Arbeiter. Da die gemeinnützigen Ein¬ 
richtungen, wie Dampfwäscherei, Badeanlagen, Kinderspielplätze, Bibliotheken 
usw., sehr stark in Anspruch genommen waren, sollen diese Institutionen durch 
solche für Kinderfürsorge, wie Krippen, Kindergärten, Horte, Haushaltungs-, 
Koch-, Nähschulen usw., ergänzt und hierzu ein besonderes Wohlfahrtshaus 
errichtet werden. Besonders bemerkenswert ist die große Seßhaftigkeit der 
Einwohner. Es waren im Durchschnitt 51,33 Proz. der vermietbaren Abteile 
belegt; die meisten wareu gewerbliche Arbeiter im Alter zwischen 21 und 
35 Jahren. 

Die von der Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt für Niederösterreich 
errichtete Arbeiterwohnhausanlage in Wien umfaßt jetzt nach ihrer Vollendung 


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656 Bauhygiene. 

12 Häuser mit 201 Wohnungen, in denen 920 Personen Unterkunft gefunden 
haben. EingeechloBBen ist bereits das Ledigenheim mit 20 Zimmern, deren 
Wochenpreis 3 Kr. beträgt. Jenseits der Straße des Häuserblocks liegt eine 
Gartenkolonie, deren Parzellen Ton rund 36 qm Größe für einen Jahreszins 
von rund 4 Kr. an Arbeiter abgegeben werden. Das in der Gesamtanlage 
investierte Kapital von 785 897 Kr. verzinst sich mit rund 4 Proz. 

Ein mustergültiger Wohnungsnachweis für Wohnungen bis zum Preise 
von 500 Kr. ist in Graz eingerichtet, wo der Beamte nicht nur die gemeldeten 
Wohnungen bereit stellt, sondern selbst auf die Suche geht und so das 
Wohnungsangebot vervollständigt. Das Anmeldeblatt für Wohnungen enthält 
eine Planskizze mit Berechnung des Mietpreises pro Cubikmeter und Quadrat¬ 
meter. 

Der Große Stadtrat in Zürich hat 2 486 000 Fr. zum Bau von Arbeiter¬ 
häusern in eigener Regie bewilligt, entgegen einem, früheren Beschlüsse, da 
eine erhebliche Wohnungsnot in steigendem Maße sich eingestellt hatte; es 
betrugen die leer stehenden Wohnungen: 1896 4,6, 19005,4, 1902 4,5, 1903 3, 
1904 1, 1905 0,3 Proz. Es sollen drei Baublöcke mit 25 Gebäuden und 
225 Wohnungen errichtet werden. Die Gebäude sind Doppelwohnhäuser, 
bestehend aus Erdgeschoß, drei Stockwerken und zur Hälfte ausgebautem Dach¬ 
stock; es wurden 2- bis 4-Zimmer-Wohnungen eingerichtet, wobei sich der 
Mietpreis pro Raum 123,70 Fr. stellt. Die Verzinsung und Amortisation des 
Kapitals ist mit 4 s / 4 Proz. angesetzt. Die Verwaltung der Häuser geschieht 
bei absoluter Unverkäuflichkeit durch die städtische Liegenschafts Verwaltung. 
Als Mieter kommen in erster Linie städtische Arbeiter, Angestellte and Beamte 
in Betracht, wobei Aftermiete grundsätzlich ausgeschlossen ist. 

Die Stadtgemeinde in Zürich hat ferner zur Errichtung von drei Doppel¬ 
häusern mit Dienstwohnungen für ständige Angestellte einen Kredit von 
232 000 Fr. zur Verfügung gestellt, desgleichen der Stadtrat der Stadt 
Winterthur 172000 Fr. 

Vom Großen Rate des Kantons Basel-Stadt ist ein Wohnungsgesetz 
am 18. April 1907 erlassen. Inhaltlich namentlich bezüglich der zu stellenden 
Mindestforderungen sind die bekannten hygienischen Gesichtspunkte gewahrt. 
Die Wohnungsaufsicht soll ausgeübt werden durch Organe des Sanitäts¬ 
departements (Physikus und Sanitätskommissäre). 

Einen gewaltigen Anlauf zur Besserung der Wohnungsverhältnisse hat 
die Stadt Mailand genommen. Obwohl die ersten Anfänge genossenschaftlicher 
Bautätigkeit, unterstützt von der Gemeinde, bereits vor 50 Jahren begannen, 
sind die Wohnungsverhältnisse trotz des außerordentlichen wirtschaftlichen 
Aufschwunges in den letzten Jahrzehnten doch noch recht betrübende. Weit 
über 75 Proz. der Einwohner leben in Wohnungen von weniger als 3 Zimmern, 
zum Teil in sehr schlechten Häusern. In einigen gibt es Aborte für 40 bis 
50 Personen; von rund 69 000 Familien hatten nur 9750 Abortbenutzung 
für sich allein. Von 36 000 Einzimmerwohnungen hatten 28 000 nur ein 
einziges Fenster u. a. Nachdem 1903 die Gemeinden ermächtigt worden 
waren, den gemeinnützigen Wohnungsbau durch Erlaß von Steuern und Ab¬ 
gaben zu erleichtern, wurden bereits 1903 4 Millionen und jetzt abermals 
10 000 000 Lire bewilligt zum Bau kleinerer Wohnungen in der unmittelbaren 
Umgebung der Stadt. Koenig. 


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Abdeckereiwesen. Leichenbestattung. Leichenverbrennung. 657 

Abdeokereiwesen. 

Stödter beschreibt in einem Vorträge: Fahrbarer Verbrennungs- 
apparat zur Verbrennung von unzerteilten und zerteilten Tier¬ 
kadavern, einen auf der Abdeckerei in Hamburg mit dem „Mandel-Bäro- 
schen Apparat“ gemachten Versuch. Ein 500 kg schwerer Pferdekadaver 
wurde unzerteilt verhältnismäßig leicht in den Apparat gebracht und in 
5 1 /, Stunden bei einem Verbrauch von 210 kg Föhrenholz vollkommen ein¬ 
geäschert. Bei der Verbrennung entstand auffallend wenig Rauch, irgend¬ 
welche Geruchsbelästigung machte sich nicht bemerkbar. Stödter ist über¬ 
zeugt, daß dieser Apparat zur Verbesserung des Abdeckerei Wesens in ländlichen 
Distrikten beitragen kann. (Berl. Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 517.) 

Zernecke und Fortenbacher berichten über die unschädliche 
Beseitigung der Seuchenkadaver und der Konfiskate der Fleisch¬ 
beschau in den Städten und auf dem Lande und machen nachstehende 
Vorschläge. 1. Für größere Städte mit 40 000 Einwohnern und darüber 
empfiehlt sich die Anschaffung solcher Apparate, die neben Vernichtung der 
Ansteckungsstoffe eine technische Verwertung der in dem Fleisch enthaltenen 
Nutzstoffe gestatten. 2. Für kleinere Städte und solche Ortschaften, in denen 
häufig Konfiskate zu vernichten sind, genügen Verbrennungsöfen, z. B. nach 
Kori, die eine billige und sichere Vernichtung, allerdings ohne Ausnutzung, 
ermöglichen. 3. Für das Land, insbesondere für Gegenden, in denen Milzbrand 
und Rauschbrand häufig sind, empfiehlt sich die Anschaffung fahrbarer 
Kadaververnichtungsapparate, z. B. System Boni-Nyirbator in Ungarn. (Vor¬ 
tragsreferat in der Berl. Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 810.) 

Schmidt hielt einen Vortrag über die Mängel der Abdeckereien 
und besprach dabei solche, die im System der Kadaverbeseitigung selbst 
liegen und solche, die durch ungeeignete Anlage und Ausführung an sich 
geeigneter Anstalten hervorgerufen werden. Er hält eine Reform der Ab¬ 
deckereien mit dem Ziele der thermischen Kadaververnichtung oder Verwertung 
für notwendig. Diese Angelegenheit könne nur auf dem Wege der Gesetz¬ 
gebung geregelt werden. (Deutsche Tierärztl. Wochenschr. 1907, S. 335.) 

Bianchedi: Beseitigung gefallener Tiere und verworfener 
Nahrungsmittel durch ÄtznatTon. Das von Mosselmann und Verbert 
zuerst angegebene Verfahren der Kadaverbeseitigung durch Ätznatron ver¬ 
dient nach Bianchedi infolge seiner Zuverlässigkeit, bequemen und billigen 
Anlage und Durchführung des Betriebes gegenüber jeder anderen Methode 
den Vorzug. Bezüglich der Rentabilität berechnet er einen Gewinn von 
33,20 Jft aus je 100 kg Kadavermasse. (La clin. vet. sez. prat. settim, p. 405. 
Ref. im Jahresbericht über die Leistungen auf dem Gebiete der Veterinär¬ 
medizin 1907,8.323.) Wehrle. 

Leiohenbestattung. Leiohenverbrennung. 

G. Po pp-Frankfurt a. M.: „Der Arsengehalt der Frankfurter 
Friedhofsanlage.“ Popp fand in dem feinen Lehm der Frankfurter Fried¬ 
hofsanlage 0,0125 Proz. Arsen. Da das Arsen in dem Bodenwasser nur sehr 
wenig löslich ist, wohl aber durch faulende Flüssigkeiten sowie durch 
Schimmelpilze gelöst wird, so kommt Popp zu dem Schlüsse, daß ein sicherer 

Vierteljahmohrilt für tieaundheiUpflege, 1908. Supplement. 42 


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658 


Leichenbestattung. Leiohen Verbrennung. 


Nachweis von Arsen bei einer zum Zweck gerichtlicher Ermittelungen aus¬ 
gegrabenen Leiche nicht mehr zu erbringen ist, wenn nach der Zerstörung 
des Sarges diese arsenhaltige Erde mit den faulenden oder verwesenden 
Leichenteilen in Berührung gekommen ist. (Zeitschr. f. Unters, d. Nahrungs- 
u. Genußmittel, BtLXIV. Ref. in Die Flamme, Nr. 382.) 

In den deutschen Krematorien haben im Jahre 1908 4050 Ein&scherungen 
gegen 2977 im Vorjahre stattgefunden. Es bedeutet dies eine Zunahme von 
36 vom Hundert. Von den Verstorbenen gehörten 2557 dem männlichen 
und 1493 dem weiblichen Geschlecht an. Der Religion nach waren evangelisch 
3236, katholisch 299, altkatholisch 35, mosaisch 153, freireligiös 72, dissiden- 
tisch 49, anderen Bekenntnisses 9 und ohne Angabe des Bekenntnisses 197. 
In welcher Weise die Zahl der Verbrennungsöfen und der Verbrennungen 
zugenommen hat, ergibt sich aus nachstehenden Angaben: 1899 5 Öfen mit 
511 Verbrennungen, 1900 5 und 639, 1901 6 und 692, 1902 7 und 861, 
1903 8 und 1074, 1904 9 und 1381, 1905 10 und 1768, 1906 13 und 2057, 

1907 15 und 2977, 1908 16 und 4050. Seit dem Jahre 1878 (Eröffnung 
des Krematoriums in Gotha) haben in Deutschland 19121 Leichen¬ 
verbrennungen stattgefunden. (Die Flamme, Nr. 404.) 

Die Gesellschaft für die Verbreitung der Leichenverbrennung in Paris 
hat einen Wettbewerb zur Konstruktion eineB elektrischen Leicbenver- 
brennungsofens erlassen und Preise von 1500 bzw. zweimal 750 Fr. aus¬ 
gesetzt. (Die Flamme, Nr. 386.) 

In Bergen in Norwegen haben die städtischen Behörden beschlossen, die 
Leichen Verbrennung von Einwohnern der Stadt künftighin auf ihre Kosten 
zu übernehmen. (Die Flamme 1908.) 

Die Städte Leipzig, Dresden, Zittau, Dessau, Pößneck und Gera haben 
die Erbauung von Krematorien beschlossen. Im Fürstentum Reuß j. L. ist die 
fakultative Feuerbestattung für zulässig erklärt worden. (Ebenda.) 

In der bekannten Ver waltu ngsstreitsache, betreffend die Ingebrauchnahme 
des in Hagen i. W. erbauten Krematoriums, dessen Benutzung die Ortspolizei¬ 
behörde untersagt hatte, hat das Oberverwaltungsgericht unter dem 15. Mat 

1908 entschieden, daß das Verbot der Ortspolizeibehörde zu Recht ergangen 
sei. Der Wortlaut des Urteils ist in Die Flamme, Nr. 392, abgedruckt. (Die 
Flamme, Nr. 392.) 

In Ägypten hat das Ministerium die Feuerbestattung für zulässig er¬ 
klärt. (Die Flamme, Nr. 394.) 

In Lausanne ist die Errichtung eines Krematoriums beschlossen worden. 
(Ebenda, Nr. 398.) 

Das Krematorium in Bern wurde im Oktober 1908 dem Betriebe über¬ 
geben. (Ebenda, Nr. 400.) 

In folgenden deutschen Bundesstaaten ist die fakultative Feuerbestattung 
zulässig: Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Sachsen-Weimar, Sachsen- 
Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen, Anhalt und Gera; ferner in den freien 
Städten Hamburg, Bremen und Lübeck; in Preußen, dem größten Bundes¬ 
staate des Deutschen Reiches, noch immer nicht. Pf. 


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Autorenregister. 


Ab«, N. 202. 

Abel, R. 490. 

Abraham 437. 

Ackermann, D. 604. 
Ackermann, E. 624. 

Adam 225. 

Adam, G. 412. 

Adamow 234. 

Adil-Bei 151. 

Ahrena 406, 456. 

Ahrena, Fr. 437. 

Aitken 411. 

Albahary, J. M. 589. 
Albera 404. 

Albrecht, H. 17. 
Algermissen 408. 

Allaria, G. B. 545. 

Allen, ran 115. 

Almquiat 88. 

Alt 355. 

Alt, K. 846, 348. 

Altmayer 433. 

Alway, F. J. 584. 
Amberger, C. 574. 

Anders, J. M. 255. 
Andersen 215. 

Anderson 178. 

Anderson, W. A. 526. 
Andr6, J. B. 492. 

Angus 416. 

Anker 240, 439. 

Ansaldo, L. 202. 

Anschütz 436. 

Anton 355. 

Apolant 221, 222. 

Appleton 101. 

Apt 443. 

Archereau 450. 

Arends, E. 512. 

Arendt 450. 

Arkwright 154. 

Arloing 82. 

Arnaud, F. W. F. 624. 
Arning, Ed. 203. 

Arnold 82, 256, 448, 450. 
Arnold, W. 569. 

Aronheim 102. 

Arons 452. 


Aronson 135. 

Arturo, C. 597. 
Ascarelli, A. 213. 
Aschaffenburg, G. 352. 
Ascher 82, 91, 411. 
Ascher, B. 345. 

Askoli 230. 

Atenstädt, P. 586. 
Auclair 99. 

Aufrecht 95. 

Angstein 224. 

Aust 304. 

Ar^-Lallemant, E. 572. 
Axmann 115. 

Bai, H. 205. 

Babes 233. 

Bachrach 91. 

Baehr 470. 

Baer 114. 

Baerwald 410. 
Baginsky, A. 93, 154. 
Bahr 158. 
ahr, Eva ▼. 404. 
aier, E. 524, 593. 
Bail, 0. 133. 

Bain, W. 419. 

Baker 454. 

Balbo 229. 

Balch 397. 

Baldassari 115. 

Ball, H. 567. 

Ballerini 442. 

Ballner, F. 79. 
Bamberger, M. 405. 
Bandelier 82, 118. 
Bang, O. 123. 

Barabas 239. 

Barbier 89. 

Barbiert, N. A. 564. 
Barchewitz 450. 

Bardet 401. 

Bardswell 121. 
B&renfänger 436. 
Barlocco 222. 

Barnes, Lee 121. 

Baron 557. 

Baron, le 98. 


Bartel 91, 97. 
Baruchello 253. 
Baschieri 233. 

Bashford 219, 221. 
Basquin 415. 

Bassenge, R. 75, 133. 
Bastian 443. 

Batton 419. 

Bauer 100, 111. 

Bauer, J. 77, 78. 
Baumann 446. 
Baumann, E. 140. 
Baumgarten, r. 95. 
Baur 451. 

Baur, E. 623. 

Beasley 410, 430. 
Becher 249, 312, 419. 
Beck, M. 80, 469. 
Becker, W. 460. 
Beckert 271. 

Beckmann 229, 419. 
Beco, L. 132. 

Beer 203, 443. 

Beger, C. 514. 

Behn 424. 

Behring, v. 108. 
Beitzke 93, 101. 
Beitzke, M. 96. 

Bell 416. 

Belsky 223. 
Bemelmans, E. 575. 
Bement 428. 

Benda 458. 

Benda, Th. 273, 286. 
Bender 364, 365. 
Bendiz, B. 285. 
Benedict 419. 

Bennecke 154. 
Bennecke, H. 129. 
Benton 439. 

Berberich, F. M. 525. 
Bergell 135, 218. 
Bergengrün, P. 13. 
Berger 303. 

Berger, H. 306, 534. 
Bergey, D. H. 535. 
Berghahn 406. 
Bergman, G. K. 613. 

42* 


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660 


Autorenregister. 


Bergmann, A. M. 530. 
Bergmann • Oesterberg, Frau 
293. 

Bergaten, C. 600. 

Bernaldez, Fr. 165. 

Bernardo 185. 

Berndt 443. 

Bernhard, L. 271. 

Bernheim 106, 116. 
Bernheim-Karrer 561. 
Bernstein, A. 526. 

Berrys, J. L. 151. 

Bertarelli, E. 206, 240, 584. 
Berthelemy 396. 

Berthenson, L. 288. 

Bertrand, G. 540. 

Bertsch, Wilh. 315. 
Beschorner 106. 

Besold 111. 

Besredka 75. 

Betke 454. 

Beyer 98. 

Bevthien, A. 376, 586, 594. 
Biahchedi 657. 

Bianchini, U. 391. 

Bielefeldt 82, 116, 367. 

Bier 222. 

Biggs 440. 

Billon, Ch. 596. 

Bine 101. 

Bing 99. 

Binge 451. 

Binsbergen, W. A. A. van 
257. 

Birk, W. 547. 

Birkholz 431. 

Birnbaum 112. 

Bischof 447. 

Blacher 428. 

Blakeslee, J. J. 371. 

Blanc 430. 

Blaschko 202, 271. 

Blasius, O. 10. 

Blasky, A. 479. 

Blaud-Sutton 217. 

Bloch 101, 417. 

Block, F. 213. 

Blumenthal 128, 238. 

Boas, K. 276. 

Boas, K. W. F. 604. 
Bochalli, K. 155. 

Bock 114. 

Bodde 451. 

Boehm, C. 550. 

Boekhout, F. W. J. 579, 580. 
Böhm 445. 

Bohnstedt 301. 

Bohrisch, P. 592. 

Bois, du 420. 

Bollag 88. 

Bolle & Co. 419. 

Bolte, Fr. 315. 

Bolton, v. 446. 

Boltwood, B. W. 407. 
Bömer, A. 576. 

Bone 405. 


Bonnefoy 400. 

Bonome 96. 

Bordas 629. 

Bordas, F. 614. 

Bordet, J. 153. 

Borgmann 370. 

Bornemann 457. 

Borrmann, R. 220. 

Borzoni 241. 

Bosanquet 113. 

Bosworth, A. W. 579, 580. 
Boulisset 387. 

Bowditsch 120. 

Bowen 219. 

Brandt 448. 

Brat 386, 408. 

Brauer, L. 81. 

Brault, J. 170. 

Braute 252. 

Bray 455. 

Brearley 425. 

Brebeck, C. 590. 

Breger 168. 

Brem, W. v. 183. 

Bremer, W. 583. 

Bresgen, M. 13, 309. 

Breton 90. 

Breunsohn 113. 

Bnan, O. 156. 

Bridge 405. 

Bridr6 221. 

Brieger 66. 

Brieger, L. 51. 

Briegleb, K. 333. 

Brion 448. 

Bristol 419. 

Britto, v. 401. 

Brooks 442. 

Brown 47. 

Brown, P. 84. 

Brown, W. Carnegie 182. 
Bruas 178. 

Bruck, C. 208. 

Brückler, O. 559. 

Brugger 516, 555. 

Bruhns 101. 

Bruine Ploos van Amstel, P. 

J. de 110. 

Brummund, J. 142. 

Brüning 432. 

Brüning, A. 482. 

Brüning, H. 551, 560. 
Brüning, W. 206. 

Brunn 453. 

Bruno 436. 

Bruns 374. 

Bruns, Hugo 11. 

Brüsch, W. 420. 
Bruschettini, A. 202, 222. 
Buchbinder 406. 

Buchholz, W. H. 126. 
Büchner, E. 536, 606. 
Buckv, G. 138. 

Buddäus, W. 411. 

Buerger 151. 

Buisson, A. 461. 


Bulir, J. 465. 

Bull 112. 

Bunch 101. 

Bunte 437. 

Burgerstein 270. 
Burgerstein, L. 273,275, 286, 
294. 

Burgess 441. 

Burgess, W. T. 459. 

Bürgi, E. 77. 

Burkard 201. 

Burkhardt 424. 

Burkhardt, A. 12. 

Burnham 270. 

Burow 248. 

Burr, A. 525. 

Burwinkel, O. 83. 

Bury 426. 

Busche, Chr. 522 
Buschke, A. 211. 
Buschmann, A. 513. 

Busse, W. 590. 

Bussmann. 452. 

Butler 305. 

Butlin 217. 

Buttenberg. P. 575, 582. 
Buttertield, W. J. A. 424. 
Büttner, G. 287. 

Bvers 96. 

Byloff 200. 

Cady 442, 448, 450. 
Cagnetto, G. 130. 

Caiderini, A. 640. 

Calmette 82, 90, 123. 
Calvert 443. 

Cameron 407. 

Caonata 99. 

Capitaine 425. 

Capellani, S. 589. 

Carl, J. 443. 

Carl, W. 90. 

Carlinfanti, E. 584. 

Carlini 147. 

Caro 434. 

Carpenter 430. 

Carpenter, T. 635. 
Casagrandi, C. 162. 

Caspari, W. 514. 

Cassel 264. 

Castellani, A. 51. 

Catoir 84. 

Caton 430. 

Caw, J. Mc 108. 

Celli, Angelo 183. 

Cerquetti 253. 

Chabas 82. 

Chabot 270. 

Chantemesse, A. 132. 
Charitschkow 456. 

Charles, V. 68, 69. 
Charlton, H. W. 458. 
Charuell 399. 

Chassevant, A. 490. 

Chattel, du 436. 

Chedini, G. 152. 


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Autorenregister. 


661 


Chiappella, A. R. 590. 
Chlopin, G. W. 300. 
Choromansky 237. 
Christian 143, 472. 
Ciechanowsky 94. 
Cingolani, M. 473. 

Citroo 84. 

Citron, J. 208. 

Clark 444. 

Claude 177. 

Clausen 17. 

Clauamann 406. 
Claus-Schilling 17. 
Clayton 412, 433. 
Cleaveland 101. 

Clerici 446. 

Clifford 453. 

Clowea 217. 

Clafl, A. 603. 

Coates 404. 

Coenen 215. 

Cohen 412. 

Cohen, L. 459. 

Cohen, Ph. J. 434. 

Cohn 99, 452. 

Cohn, M. 271. 

Cohn, R. 572. 

Collin 114. 

Collingridge, W. 105. 
Colman 483. 

Colomer, F. 421. 

Con, F. 525. 

Conradi, H. 137. 

Conti 874. 

Cornet, G. 83. 

Corradi, R. 527. 

Corvet 442. 

Costa, F. Brnto de 185. 
Coate 183. 

Cöiter 161. 

Counners 274. 

Courmont 93, 270. 
Courmont, J. 489. 

Cox 428. 

Cramer 224, 845. 

Cr&mer, F. 603. 

Crawford 45. 

Cribb, C. H. 624. 

Critien 84. 

Croiaant 116. 

Cron, W. 638. 

Croner, Fr. 519, 622. 
Cronheim, W. 463. 
Crookea, W. 414. 

Cullum, Mac 50. 
Cumpston 149. 

Cuntz 280. 

Curachmann 121. 
Curachmann, C. Th. 588. 
Cxerny 99, 270, 292. 
Cxerny, A. 547. 

Czimatia 370. 

Dalziel 447. 

Daniels 114, 196. 
Danneroann 851. 


Danaauer 197. 

Darapsky, L. 480. 

Davidson 416, 448. 

Davies 305. 

Davis, D. J. 152, 156. 

Davy 261. 

Dawkins, Boyd 428. 

Deherme 57. 

Dehne, R. 79. 

Dehnst 456. 

Delonne 214. 

Dembinski 97. 

Demoion, A. 602. 

Dannatedt 408. 

Depperirh 249. 

Desbonis 381. 

Desmoyers, M, 289. 
Determann, H. 258. 

Dettmar 440. 

Deutsch 257, 368. 
Deutschl&nder 115. 

Deventer 347. 

Diem 250, 253. 

Diem, K. 118. 

Diem, L. 385. 

Dieminger 374. 

Diering 54. 

Diesing 48. 

Dietrich 215, 237, 431. 
Dietrich, G. 548. 

Dietx, L. 319. 

Dieupart 106. 

Dinet 270. 

Ditthorn, F. 156, 157, 466. 
Doce 167. 

Dodjulin 248. 

Doerr, R. 147. 

Dohrn 106, 212. 

Döller, K. 311. 

Dominicu* 270. 

Donath 428. 

Donath, E. 405. 

Dönitz 80. 

Donna, A. di 461. 

Dons, R. K. 571. 

Dopter, Ch. 147. 

Dorn 251. 

Dornberger, E. 18. 

Dornblüth 270. 

Dornblüth, 0. 280, 311. 
Dorofeew 241. 

Dörr 80, 270. 

Dosch, A. 420. 

Dose, Cäcilie 387. 

Dosquet, W. 624. 

Doufour 405. 

Dow 417, 422. 

Drago 398. 

Drake 428. 

Dreising 329. 

Drewitz 161. 

Drexler 443. 

Dreyer, A. 204. 

Drigalski, v. 146, 467, 481. 
Droop, F. 311. 

Drossbach 328. 


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Drouin 243. 

Duboia, W. L. 607. 
Dubuiason 351. 
Dudgeon 123. 

Dufestel 293. 

Dunbar 630. 

Düngern, v. 216. 
Dünkelberg 483. 
Dunstan 436. 
Duschanek, Fr. 423. 

Eastwood, A. 95. 
Ebaugh 413. 

Eber 96, 108. 

Eberle 228, 409. 
Eberle, J. 155. 
Ebstein, E. 258. 
Ebstein, W. 501. 
Eckstein 224. 
Eckstein, L. 153. 
Economos 179. 
Edelmann 508, 509. 
Edenhuizen, B. 140. 
Edens 94. 

Edgar 274. 

Efros 428. 

Egis 149. 

Ehrenberg, P. 405. 
Ehrich u. Graetz 449. 
Ehrig, C. 287. 

Ehrlich 221. 

Ehrmann 423. 
Eichholz 134. 
Eichhorn 230. 

Eiaele 430, 431. 
Eisenzimmer 209. 
Eisner 367. 

Eitner 170. 

Eitner, E. 203. 

Ekelöf 413. 

Ekgren, E. 261. 
Ekstein 86. 

Elfer 423. 

Ellenberger 227. 

Ellis 445. 

Ellis, R. M. 440. 
Elliot Brothers 418. 
Ellmann, M. 390. 
Elsaesser 113, 114. 
Eisner, G. 333. 

Elster 414. 

Eminger 451. 
Emmerich, R. 561. 
Ende, P. am 18. 
Enderlin 271. 

Engel 100, 112. 
Engel, C. S. 218. 
Engelhard, M. 545. 
Engelhardt 452. 
Engler 432. 
Ennenbach, K. 597. 
Ensch 304. 

Ephraim 404. 
Erdmann 112, 403. 
Erdös 247. 

Erismann 416. 


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662 


Autorenregister. 


Erlwein 405, 488. 

Escherich 344. 

Esmarch, E. v. 415. 

Esier 265, 550. 

Eulenburg 270, 271 , 300, 
312. 

Eulenburg, F. A. 275. 

Eve 407. 

Everitt 433. 

Ewart 118. 

Eyssel, A. 174. 

Fabry, J. 213. 

Fadyen, Mac 247. 
Fahrenheim 426. 

Fales, L. 68. 

Falkenberg 356. 

Falkner, A. 201. 

Farnateiner, K. 495. 

Favre 629. 

Fedetzky 228. 

Fehr 223. 

Fehr« 469. 

Feistmantel 211. 

Feldmann 417. 

Feldmann, CI. 438. 
Felgentraeger, J. 373. 

Felten u. Guillaume - Lah- 
meyerwerke 447. 

Fendler, G. 578. 

Ferentzy, J. v. 597. 

Ferrari, A. 191. 

F6ry 419. 

Feuchtwanger, A. 562. 
Fibiger 97. 

Fiehe, J. 591. 

Figueroa, Pr. 165. 

Fincke, H. 590, 617. 

Finckh 351. 

Findel 80, 92. 

Finger 17. 

Fingerling, G. 515. 
Finkelstein, H. 542, 558. 
Finkler, D. 556. 

Fiorentini 239. 

Fischer 86, 175, 278, 317, 
405, 421. 

Fischer, B. 482. 

Fischer, E. 502. 

Fischer, F. 405, 407. 

Fischer, H. W. 435. 

Fischer, K. 587. 

Flachs, A. 296. 

Flachs, R. 310. 

Flade, E. 602. 

Flecket 440. 

Fleischmann, W. 522. 
Fleming 442. 

Flesch 266. 

Fletcher 274, 419. 

Fleurent, E. 588. 

Flexner 220. 

Fliegner 431. 

Flügge 82, 476. 

Focke 116. 

Fodor, E. de 411, 453. 


Foell 444. 

Foix 435. 

Forchhammer 115. 

Forel, A. 361. 

Forest 439. 

Formi 233, 234, 235. 

Fornet, W. 127, 132, 139, 
209. 

Förster 271. 

Förster, J. 128, 496. 

Förster, L. 450. 

Försterling 346. 

Fortenbacher 657. 

Fowler, G. J. 631. 

Francke, E. 387. 

Frank 302, 405, 429, 489. 
Frank, P. 332. 

Franke 99. 

Frankel 455, 489. 

Fränkel, C. 93, 98, 643. 
Frankenberg, v. 605. 
Frankforter, G. B. 459. 
Franxel 272. 

Franzen, H. 409. 

Frech 476. 

Fredenhagen 419. 

French 113. 

Frenze), K. 405. 

Fresenius, W. 607. 

Freud 311. 

Freudenthal 94, 110. 

Frey 875, 393. 

Freytag, L. 811. 

Fröhner 251. 

Fromm 267. 

Fromme, A. 139. 

Frosch, P. 12, 140. 

Fricke, H. 438. 

Friedberger 92, 471. 
Friedberger, E. 77. 

Friedei 140. 

Friedemann, U. 79. 
Friedentha), H. 206. 
Friedheim, E. 302. 

Friedmann 454. 

Friedrich 84. 

Friedrich, W. 368. 

Friemann u. Wolf 455. 
Friese, W. 526. 

Friis 253. 

Fritsch 416. 

Fritzsche, M. 572. 

Fuchs 272. 

Fuhrmann, F. 538, 600. 

Fuld 214. 

Funck, M. 203. 

Fürbringer 640. 

Fürst, M. 272, 279, 296. 
Fürstenberg, A. 523,571,575. 
Fürstenheim 271. 

Fürth 200. 

Futaki 229. 

Gabritschewsky, G. 148. 
Gaethgens, W. 125, 131,137, 
138. 


Gaffky 11, 12, 15, 643. 
Gaisberg, v. 438. 

Galbusera 239. 

Galewsky 210. 

Gallenkamp 449. 
Galli'Valerio, B. 165. 
Galvagno, 0. 640. 

Gandon 428. 

Gans, R. 479, 480. 

Garland 106. 

Gärtner 818, 413. 

Gaunt, Percy 631. 

Gaunt, R. 606. 

Gaus, R. 487. 

Gautier 406. 

Garalas, S. A. 148. 

Gebhardt 404, 410. 

Geitel 414. 

Geller 354. 

Gemünd 411. 

Gengou, 0. 153. 

Genzken 409. 

G6rard 115. 

Gerber, E. 614. 

Gerlach 411. 

Ger lach, V. 609, 610. 
German 225. 

Germonig, G. 135. 

Ghon, A. 154. 

Giani 95. 

GiarrG 147. 

Gidionsen 111. 

Giemsa, G. 74, 175, 204. 
Gierke, E. 205, 206. 

Giesel 407. 

Gieson, van 233. 

Gilbert 370. 

Gilbert, Allen 517. 
Gildemeister, E. 127, 157, 
466. 

Gille 430. 

Gioielli 98. 

Glässer 247. 

Gleylord 217. 

Glogner, M. 192. 

Glover 432. 

Gockel 407. 

Godtfring, 0. 286. 

Goebel, 0. 139. 

Goerz 645. 

Goggia 100. 

Goldmann 220. 

Goldschmidt 115. 

Gönnet, Gk. 201. 

Göppert, 270. 

Gorain 227. 

Gorgas 192. 

Gorkom, W. J. van 88, 105, 
107. 

Gorochowa 298. 

Gortner, R. A. 584. 

Goske, A. 567. 

Goslar 509. 

Gossner 132. 

Gotthilf, W. 379. 

Gottstein, A. 364. 


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Autorenregiater. 


663 


Götze 488. 

Götze, R. 361. 

Gourichon 307. 

Gowday, Fräulein 306. 
Grabley 255. 

Gradenwitz 447. 

Graefe 405, 456. 

Graeve, 0. 890. 

Graf 455. 

Grtf 127. 

Graff 115. 

Graham, J. W. 410. 

Grahl, G. de 409. 

Grahn 408. 

Graig 53. 

Gran 441. 

Grancher 306. 

Grafiberger 489. 

Graaeberger, R. 76. 

Graziani 309. 

Grebel 421. 

Green, A. B. 165. 

Greenfele 293. 

Greenwood, A. 372. 
Greinacher 407. 

Grere 252. 

Griesbach 314. 

Grimm 250. 

Grimm, V. 527. 

Grindley, H. S. 504. 

Groedel, Fr. 257. 

Gröning 512. 

Groot, A. de 113. 
Grosse-Bohle, H. 518. 
Großmann, E. 376. 
Grossmann, G. 382. 

Grosso 244. 

Grosz 123. 

Groth, A. 14, 168, 169, 550. 
Grotjahn 116, 342. 

Grotthus, Th. v. 414. 

Grout 428. 

Gräber 229. 

Grober, M. 603, 619. 
Grober, Th. 541. 

Gruhn 270. 

Grün 243. 

Grundmann 508. 

Grünhut, L. 594. 

Grünwald, L. 111. 

Grysez 90, 134. 

Guaita, R. 108. 

Goerbet, M. 539. 

Gu6rin 90, 123. 

Gu£zennek 398. 

Guglieminetti 644. 
Guldensteeden - Egeling, G. 
460. 

Gülich 407. 

Gundlach 468. 

Günther 99, 628. 

Günther, J. 144. 
Gurney-Masterroann 183. 
Güth, F. 582. 

Güth, G. 214. 

Gutmann, A. 624. 


| Haack 639. 

I Haagn 420. 

Haak, R. 629. 

Haaland 221. 

Haas 431. 

Haber 410. 

Haentjens 114, 123. 

Haeser 450. 

Haffner 507. 

Hafter 299. 

Hagemann 333. 

Hagemann, O. 555. 

Hagen 296. 

Hahn, M. 550. 

I Hajek, R. 480. 
i Halberstädter, L. 207. 

Haie, F. E. 459. 

Hallwachs 453. 

Hals, S. 526. 

Hamburger 89, 94. 
Hamburger, F. 543. 

Hamen 90. 

Hammer 111, 274. 

Hammer, W. 300. 

Hammerl, H. 372. 
Haromerschmidt 641. 
Hanausek, T. F. 272. 
Hanauer, W. 14, 18. 

Händel 144. 

Handley 220. 
i Hannemann 338. 

Hansemann, v. 90. 

Hanui, J. 573. 

Haren, Allen 488. 

Harkins 408. 
i Harms 414. 

Harnack, E. 608. 

Harries 405. 

Harrison, W. S. 134. 

Hart 90, 91, 428, 429. 
Härtel, Fr. 302, 616. 
Hartigau, W. 186. 

Hartl 110. 

Hartmann 162, 206, 366, 411, 
453. 

Hartmann, A. 279. 
Hartmann, M. 72, 205, 274. 
Hartwig, L. 587. 

Hase 431. 

Hasebock, G. 261. 
Hasenknopf 144. 

Hassler 408. 

Hatfield 451. 

Hauck 367, 389. 

Haupt, H. 571. 

Haynes 104. 

Heany 446. 

Heck, H. 133. 

Hechelheim, B. 47. 

Heering 87. 

Hegeier 351. 

Heiberg, P. 150. 

Heide, C. t. d. 595, 596, 
598, 599. 

Heidenhain, A. 311. 
Heilmann, A. 287. 


I Heilner, E. 501. 

| Heim 118. 

! Heim, C. 422. 

' Heim, L. 150. 

Heimann 110. 

Heinemann, P. G. 530, 535. 
Heinke 449. 

Heintzenberg 395, 456. 
Heinz, K. 262. 

Helbing 637. 

Helbron 115. 

Hellenius, M. 277. 

Heller 92, 233. 

Heller, 0. 163. 

Helps 430. 

Hempel, W. 517. 

Henderson 437. 

Hennard 429. 

Hennedy 45, 46, 47. 

Hennig 51. 

Henning 244. 

Hensgen 333. 

Henze 287. 

Hepner, A. 573, 592. 
Heraeus 420. 

Herff, O. v. 201, 202. 
Herford 11. 

Hering 528. 

Hermann 110. 

Hernaudey 48. 

Heron 215. 

Herrenknecht 313. 

Herrmann 443. 

Hertel 423. 

Herz 260. 

Herz, A. 132. 

Herzberg, A. 257. 

Herzfeld, H. 455. 

Herzfelder, Henriette 277. 
Herzog 417. 

Herzog, J. 438. 

Hess 225. 

Hesse, W. 517. 

Heuss, v. 303. 

Hewlett 529. 

Heymann 412. 

Heymans 114. 

Heyrorsky, J. 151. 

Hibler, v. 154. 

Hiestand 298. 

Hilbert 110. 

Hilgermann 12, 146. 
Hilgerroann, R. 15. 

Hilliger 454. 

Hilpert 420. 

Himmel 421, 432. 

Hinks, E. 570. 

Hinrichsen 454. 

Hirschlaff 420. 

His 884. 

Hodgson, T. R. 574. 

, Hoesslin, H. v. 131. 

I Hoeve, v. d. 224. 
i Hofbauer 219. 

Hofbauer, Gg. 435. 

| Hofer 628, 629," 643. 


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664 


Autorenregister. 


Hoffmann 253, 320, 333, 426. 
Hoffmann, A. C. A. 113. 
Hoffmann, E. 206, 209. 
Hoffmann, W. 606. 

Högler 333. 

Hohty Joseph 11. 

Höhne 244. 

Hoinkies 431. 

Hoke 406. 

Holborn 420. 

Holdheim 113. 

Hole, W. 424. 

Holitacher 267. 

Holitacher, A. 363. 

Hölker, K. 154. 

Hollefreund 446. 

Holler 271. 

Holt 203. 

Holtzmann 368, 382. 
Holtzmann, F. 380. 

Homann 109. 

Hönnicke 510. 

Hopf 296. 

Hopfner, F. 414. 

Hoppe, Fr. 438. 

Hoppe, H. 606. 

Hermann 333. 

Hörroann, P. 503. 

Horn 270. 

Horoakiewicz 181. 

Horrix 272. 

Horrock« 45, 46. 

Horsley, V. 603. 

Horsnaill 439. 

Horton 89. 

Houghton, H. W. 494. 
Houtum, G. 170. 

Hubert, F. 455. 

Hübner 214. 

Hübner, W. 168. 

Hueppe 270. 

Hueppe, F. 492, 529, 550. 
Hubs 109, 112. 

Hühs 80. 

Huizmann, J. 575. 

Hultmann, C. 530. 
Hundhausen 443. 
Huntemüller, 0. 469. 
Hunziker 64. 

Hurdelbrink 411. 

Hus», H. 528, 541, 564, 585, 
581. 

Hüssy, A. 561. 

Hutyra 121, 236, 245. 
Hyades 397. 

Hyan, W. 288. 

Hyde 442, 444. 
llyden 448. 

lmbeaux, E. 488. 

Imbert 367. 

Ingram 198. 

Intosh, J. Mc 206. 

Jacob, Gebrd. 436. 

Jacob, L. 499. 


Jacobi 411. 

Jacob), C. 384. 

Jacob), E. 258. 

Jacobitz 155. 

Jacobsen, C. T. 135. 
Jacobsohn, L. 345. 
Jacobson 139. 

Jäger 333. 

Jäger, Anna 259. 

Jäger, H. 259. 

Jahoda 409. 

Jakinow 242. 

Jaksch, R. v. 389. 

Jehle, 370. 

Jehle, L. 154, 159. 
Jellineck 383. 

Jensen 97. 

Jensen, 0. 531, 578. 
Jessen 100. 

Jessen, E. 313, 314. 

Job 134. 

Jobling 163, 220. 
Johannessen 270. 

Jones 424. 

Jones, M. A. 181. 

Jong, de, de Josselin 202. 
Jonnat 442. 

Jörgensen, G. 596. 

Jörneil 281. 

Joseph, E. 338. 

Jousset 100. 

Jovannoricz 101. 

Jungfer 387. 

Junker 100. 

Junkers 419. 

Jurasz 111. 

Jürgens 150. 

Jurking 84. 

Jüptner, v. 414. 

Kaas, K. 564. 

Kafemann, R. 18. 

Kaiser, M. 135, 468. 
Kantorowicz 240. 

Kapeller, G. 565. 
Kapsammer 101. 

Karewski, F. 152. 
Karstädt, 0. 276. 

Kasper 239. 

Kassel, Carl 298. 

Katz 118. 

Katzenstein 83. 

Kaufmann 271. 

Kaye, F. 601. 
j Knyser 412, 433. 

I Kayser, E. 602. 

I Kayser, H. 128, 140, 534. 
Kayser, R. 619. 

Keesebiter 277. 

I Kehl 82. 

I Keller 434, 435, 643. 
Kellermann 143. 

Kelling 215. 

Kellner, O. 513. 

Kelsch 167. 

Kelynack 108. 


Kemp 145, 146. 

Kemsies 271, 310. 

Kentzler, G. 135. 

Kentzler, J. 130. 

Kenwood 274. 

Kermode 440. 

Kermorgant 49. 

Kern 240, 431, 432, 436. 
Kernbaum 407. 

Kerp, W. 490, 623. 
Kersting, P. 376. 

Kianellis 186. 

Kickton, A. 621. 

Kieffer, Ch. 182. 

Kier, J. 167. 

Killing 435. 

Kilpatrick 99. 

Kilynack 89. 

Kimberley, A. E. 640. 
Kinberg, 0. 351. 

Kindt, R. 552. 

Kinter 451. 

Kipp 453. 

Kirilyfi, G. 135. 

Kircher, G. 521. 

Kircher, M. 12. 

Kirchner 82, 270. 307, 314. 
Kirchner, M. 11, 142. 

Kirkor 227. 

Kirstein 278. 

Kirstein, Fr. 305. 

Kisskalt 629. 

Kisskalt, K. 72, 464. 
Kiesling 456. 

Kitamura 91. 

Kjer-Petersan 84. 

Klapp 80. 

Klarfeld 456. 

Klebe 256. 

Kleb» 113. 

Kleb», E. 109. 

Klein 143. 

Klein, C. 203. 

Kleiner, E. G. 458. 

Klemens, P. P. 130. 
Klienberger 379. 
Klieneberger 409. 
Klieneberger, C. 152. 
Klingenberg 445. 

Klix 555. 

Klocke 384, 390. 

Kloess, A. 403. 

Kluge 355. 

Klut, G. 460. 

| Klykken, 0. B. 526. 

Knauth 159. 

Knieriem, W. v. 513. 

Knipp 449. 

I Knobel 115. 

: Knopf 110, 118. 

] Knudsen 274. 

I Kobl ert 411. 

Koch, A. 262. 

Koch, M. 124. 

Koenigsbetk 275, 289, 294. 
Koeppe, H. 562. 


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Koestler, G. 537. 

Kohlbrugge 185. 

Köhler 99, 101, 111, 112, 
315, 316. 

Köhler, E. J. 470. 
Kohlrausch 421. 

Kohlransch, E. 262. 
Kohlstock 277. 

Kokall 269. 

Kolaczek, H. 74. 

Kolben u. Co., Torrn. 449. 
Komarowsky, A. 461. 

König 438, 444. 

König, J. 491, 503. 
Königshöfer 272. 

Konrich 12. 

Koos, v. 151. 

Kopczynski 280. 

Kopp&nyi 247. 

Kormen, G. 136. 

Körting 425, 429. 

Körting u. Mathiesen 449. 
Korschun, S. W. 404 , 459, 
462, 463, 469. 
Koschmieder, H. 424, 433. 
Kossel, H. 143, 534. 

Köster 271. 

Kovacs 250. 

Kovarizek 159. 

Kraepelin 605. 

Kraeplin, E. 603. 

Kraft 270. 

Kraft, A. 312. 

Krall, G. H. 116. 

Kr&mer 457. 

Kranz 316. 

Kraus 116, 123, 133, 249. 
Kraus, B. 147. 

Kraus, E. 451. 

Krause 113. 

Krause, M. 51, 75, 79. 
Krause, r. 66. 

Krehl, v. 101. 

Kreis, H. 602. 

Krell sen. 413. 

Kreutzer 253. 

Kriege 549. 

Kroemer 352. 

Krohne 158. 

Kromayer 254, 452. 

Kronthal 218. 

Kropoeld, A. 379. 

Krug, 0. 596, 597. 
Krukenberg, Frau 271. 

Kruse 145. 

Kruse, W. 12. 

Krüss 422, 437. 

Krüss, H. 437. 

Krüss, P. 437. 

Krzizan, R. 592, 593, 618. 
Kubier 383. 

Küch 449, 452. 

Küchel 454. 

Kuess 457. 

Kuhn 82, 83, 118. 

Kühn 426. 


Aatorenregister. 

Kühn, B. 568. 

Kühn, G. 533. 

Kühnau 555. 

Kuhns. Ph. 134. 

Külbs 202. 

Külz 57, 161. 

Kunowski, v. 353. 
Kunz-Krause 592. 

Kurita 368. 

Kurpjuweit, 0. 127. 

Kürthi, A. 75. 

Kusita 71. 

Küss 117. 

Kuthy 81, 533. 

Kutscher, F. 504, 609. 
Kutscher, K. H. 139, 154, 
157. 

Kuttner 83, 110, 118. 

Kuzel 446. 

Kypke-Burchardi 413. 

Lacoinme, L. 489. 

Lacroix 177, 271. 

Ladenburg 422. 

Ladenze 118. 

Ladotf 448. 

Lambert 418. 

Lanbry, Ch. 377. 

Lameraux 64. 

Landgraff 82. 

Landsperg, C. E. C. 564. 

1 Landsteiner 207, 208. 

Lang 121. 

Lang, L. 605. 

Langbein 405, 457. 

Lange, W. 590. 

Langer 544. 

Langlois 380, 381, 409. 
Langovoy 149. 

Lannelongue 116. 

Laporte 442. 

Laporte, F. 422. 

Laquer, B. 602, 605. 
Laqueur 407. 

Laqueur, A. 256. 

Larisch 506. 

Laser, H. 304. 

Laspeyres, R. 374. 

Lassar 423. 

Lassar, 0. 257. 

Laubenheimer 152. 
Lauder-Brunton 63. 

Lauffs, A. 575. 

Lauriol 417, 444. 

Laxa, 0. 579. 

Layriz 414. 

Lecky 89, 306. 

Leciainthe 239. 

Leeb 230. 

Leger, P. 123. 

Lehmann 72, 360. 

Lehmann, K. B. 259, 495, 
619. 

Lehmann, P. 591. 

Lehmann, R. 158. 

Lehnkering 408. 


Digitized by 


666 

Lehr 311. 

Leiner 144. 

Leiner, K. 146. 

Leishmann 50. 

Leishmann, W. B. 134. 
Leith&user 405. 

Lemberg, H. 427. 

Lemmens 511. 

Lendrich 436. 

Lenkei 423. 

Lennan, Mac 99. 

Lennhof 345. 

Lenoble 426. 

Lentschat 432. 

Lentz 15, 136, 233. 

Leroux, Ch. 94. 

Lesieur 93, 235. 

Lesser, E. 210. 

Leubuscher 279. 

Leuchs 11, 79, 133. 

Leuchs, J. 126. 

Leraditi, C. 206. 

L6vy 99, 22 9, 238, 406. 
Lery, E. 11, 138, 139. 

Levy, Georg 344. 

Levy, R. 150. 

Leybold 424, 426, 435. 
Leyden, E. r. 17, 215, 218. 
Leyden, H. 17, 118, 217. 
Leymann 15. 

Leys, A. 576. 

Lewandowski, A. 255, 297. 
Lewes 436. 

Lewes, Vivian B. 426. 

Lewin 406. 

Lewin, L. 365, 381, 382, 
388. 

Lewy, E. 125. 

Lez6, R. 526. 

Libermann, L. 117. 
Lichtenberg 605. 

Lichtheim 434. 

Liebe 115, 286. 

Liebenthal 418. 

Liebermeister 88, 91. 
Liebeschütz 333. 

Liedbeck, C. H. 297. 

Litfran 399. 

Lilienfeld 451. 

Lindemann 416. 

Linder 433. 

Lingelsheim, v. 11. 

Linne 404. 

Lintner, C. J. 583. 

Lippmann 439. 

Lissauer 90, 110, 112. 
Lissitzin, J. \V. 400. 

Lissner 101. 

Lister 106. 

Lob, W. 595. 

Lobeck, 0. 593, 599. 
Lobedank 352. 

Löbker 373. 

Lode, A. 386. 

Loeb 217, 219. 

Loeb, F. 609. 


Google 



666 

Loew 169. 

Löffler 17. 

Löffler, F. 11, 124. 

Loghem, J. J. van 129. 
Lohmann, A. 609. 

Lohse 345. 

Lordier, C. 421. 

Lorentz 414. 

Lorentz, Fr. 291. 

Lorenz 111, 455. 

Lotti 147. 

Lourens 247. 

Loverdo, de 564. 

Löwenstein 97. 

Löwenthal 223, 407. 

Lübbert, A. 635. 

Lübbertz 405. 

Lubenau 125. 

Lnbenau, C. 369, 467. 

Liiblce 233. 

Lucas 448. 

Lucke 439. 

Lüdke, H. 74, 111, 129. 
Ludewig 251. 

Ludwig, E. 490. 

Ludwig, W. 571, 593, 613. 
Lueke, A. W. 374. 

Lühe, M. 50. 

Luhr, F. 410. 

Lührig, H. 460, 474, 477, 
479, 573, 592, 606. 
Lummer, 0. 414. 
Lusenberger 133. 

Lustig, A. 273. 

Lux 417, 430, 452. 
Luxmoore, E. J. H. 134. 


Mackenzie 269, 416. 
Maddocks, W. H. 566. 
Madsen, Th. 159. 
Mahler, Ph. 130. 
Makarewsky 241. 
Makins 398. 

Maiden, W. 381. 
Malinin, A. Th. 274. 
Mallachow 313. 

Malvoz 374. 

Mamy 366. 

Manasse, P. 95. 
Maodelbaum 204. 
Mandl 83. 

Maragliano 178. 
Marchis, L. 407. 
Marcuse, J. 255. 
Marcusson 457. 

Marino 436. 

Mark! 144, 200. 

Marks, L. H. 153. 
Marraorek 113. 
Marschner 507. 

Märtel 237, 505. 
Martin 414. 

Martin, M. 57, 207. 
MaruKsii: 420. 

Marx 17, 405. 


Autorenregister. 

Marx, H. 181. 

Marxer 238. 

Masenti 99. 

Maslakowetz 209. 

Massenez 405. 

Mathieu 270. 

Matschke 510. 

Matthes 468. 

Matthes, H. 612, 613, 627. 
Matthies 847. 

Matzenauer, R. 202. 

Maye 430. 

Mayer 433. 

Mayer, A. 84. 

Mayer, J. 597. 

Mayer, M. 458. 

Maya 84. 

Maz6, P. 599. 

Mazzini 229. 

M6haut4, le 397. 

Mehring, H. 464. 

Meier, G. 208. 

Meillere, G. 378. 
Meisenheimer, J. 536. 
Meissen 113. 

Meissl 200. 

Meldorf 216. 

Meloui 228, 230. 

Mense 50. 

Menzel 433, 509. 

Menzer 73. 

Mercanto 450. 

Merkel, E. 481. 

Merkel, S. 839. 

Mertens 481. 

M6ry 269. 

Metschnikoff 541. 
Metschnikoff, E. 210. 

Metz 145. 

Metzger 47, 483, 629, 689. 
Meyenberg 484. 

Meyer 135, 251, 315, 407. 
Meyer, Arnold 317. 

Meyer, Fr. 129. 

Meyer, Georg 14, 17, 882, 
335, 340. 

Meyer, G. M. 381. 

Meyer, L. F. 560. 

Meyer, P. 443. 

Meyer, R. J. 436. 

Meyer, W. 111. 

Michael 315. 

Michaelides 98. 

Michaelis 555. 

Michaelis, L. 208. 

Michel, G. 254. 

Michelson 48. 

Micko, K. 503. 

Middeldorf 635. 

Miliar 421, 444. 

Miller, E. H. 530. 

Mine, N. 198. 

Minelli, Sp. 138. 

Minet 452. 

Mingaye 435. 

Miranda 398. 


I Mizuta 424. 

Moal, le 183. 
j Moffat, M. R. 460. 

Möhler 232. 

I Mohr 458. 
i Mojulieff 333. 

| Moll, A. 311, 354. 

Moll, L. 544. 

Möller 116, 355. 

Möller, Karl 262. 
Möller, M. 211, 498. 
Möllers 428. 

Molo, v. 452. 
Moltachanoff 149. 
Monasch 415, 418. 
Monasch, B. 438. 
Monod, Ch. 114. 
Monvoisin 123, 533. 
Monzardo 220. 

Moore, Mac F. 453. 
Mooser, J. 414. 

Moreschi 133. 

Morgen, A. 514. 
Morgenroth, J. 100. 
Morgenstern, F. v. 570. 
Moriya 98. 

Morin 121. 

Moro 545. 

Morris 442, 445, 448. 
Morris, J. T. 441. 
Morton 433. 

Moicicki 406. 

Moses 271. 

Moses, J. 287. 

Mosny, E. 877. 

Moss 182. 

Moussu 123. 

Moussu, G. 532, 533. 
Mow, E. 268. 

Much 98. 

Mucha 75. 

Mühlens 162. 

Mühlens, P. 205, 206. 
Müller 13, 468, 636. 
Müller, E. 74, 101. 
Müller, F. 613. 

Müller, G. J. 424. 

1 Müller, M. 511. 
j Müller, R. 127, 208. 

! Muralt, v. 58. 
j Murray 219, 221. 
Muskat, Gust. 297. 
Myers, B. E. 562. 

Naegeli 83. 

Nagel 120. 

Nagelschmidt, F. 211. 
Nasaroff 94. 

Nawiasky, P. W. 459. 
Nedden, zur 224. 

! Neidhart 167. 
j Neisser, A. 208, 209. 

I Neisser, E. J. 363, 364. 

Neisser, M. 17, 153. 
j Nernst 445. 

| Nesora 227. 


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Auto renregister. 


667 


Nessl 235. 

Nestler, A. 017. 

Netter, A. 140. 

Neubauer, E. 78. 

Neuberg 457. 

Neuberger, M. 168. 

Neufeld 144. 

Neumann 72, 244. 

Neumann, P. 125, 129, 468. 
Neumann, H. 345. 

Neumann, P. 524, 593. 
Neumann, R. 0. 610. 
Nevermann 226. 

Newsholme 270, 307. 

Nicolas 285. 

Nicolas, E. 557. 

Nicholl, M. 277. 

Nickel 146. 

Nicolle, M. 151. 

Niederstadt 13. 

Nielsen 409. 

Niemann 420. 

Nleseen, van 412. 

Nieter, A. 143, 466. 

Nietner 18, 119, 350. 
Nijland, A. H. 165. 

Niven 305, 433. 

Noll, H. 460. 

Nolte 330, 420, 454. 

Norden 452. 

Nordländer 121. 

Norman 440. 

Norton 444. 

Novotny, J. 473. 

Nowitzki, R. 406. 

Nowotny 413. 

Nuesch 83. 

Nuri Bei, Risa 211. 
NuQbaum 319, 415. 
Nussbaum, H. Chr. 288. 
Nyssen, Cb. 339. 

Oberndorfer 216. 

Oebbecke 15, 281, 288. 
Oehlecker, F. 95. 

Oehmke 518. 

Oestern 506. 

Ohland 337. 

Ohlandt 14. 
öhlecker 98. 

Ohimüller 648. 

Ohlmüller, W. 409. 

Oldright 306. 

Olivier 899, 404. 

Olt 230. 

Opalka 243. 

Oppenheim 389. 
Oppenheimer, K. 266. 

Orlow 435. 

Orsi, G. 134. 

Orth 216. 

Orth, J. 108. 

Ory 239. 

Osborn, S. 383. 

Ost 412. 

Osterburg 450. 


Ostermann 12. 

Ostertag 121, 231, 245. 

I Otto 188. 

Pach 119. 

Pach, H. 364, 391. 

; Pacottet, P. 599. 
i Paldrock, A. 202. 

! Palmer, Nellie 298. 

| Pampe 457. 

, Pane 147. 

■ Pankow 100. 

Pannertz 433. 

Pannwitz 81, 82. 

Pantle 317. 

Panton 123. 

Paquin 118. 

Parant, V. 351. 

Paris 99. 

Parker 228, 444. 

Paschen, E. 162, 163. 
Passavant 384. 

Paterno, E. 473. 

Paterson 118, 417, 441. 
Patrick, G. F. 567. 

Paul 81, 231. 

Paul, Th. 619. 

Pauli, H. 400. 

Paus, N. N. 126. 

Pawlowsky 93. 

Pawolleck 161. 

Payne, G. A. 526. 

Peck, H. 168. 

P6coul 406. 

Pelka 253. 

Penkert, J. K. R. 409. 

Perls 443. 

Perrone, S. 132. 

Peters 98, 110, 484. 
Petersson 93, 97. 

Petit, Georges 90. 

Pettit, A. 378. 

Pfaendler 267. 

Pfannenstiel 211. 

Pfeiffer 92, 114, 409, 426, 
429. 

Pfeiffer, E. 272. 

Pfeiffer, R. 11. 

Pflüger, E. 498. 

Phelps 452. 

Phelps, E. B. 635. 

Pherson, W. Mc 577. 

Philip 106. 

Philipp 215. 

Philips, F. 562. 

Pichler 424, 439. 

Picht 482. 

Pick 264. 

Pick, L. 155. 

Pictet, R. 404. 

Pieraccini, G. 388. 

Pies, W. 126. 

Pilf 161. 

Pincussohn, L. 610. 

Pirani, M. v. 445. 

Pirquet, v. 99, 103. 


Pitt 243. 

Plahl, W. 592. 

Placzek 345. 

Plehu 59, 187. 

Plebn, A. 53, 54, 179. 
Pleyer 409. 

Plötz, A. 63. 

Plücker, W. 586. 

Pocket, A. 438. 

Podkopajew 238. 

Poetter 515. 

Poggenpohl, S. M. 139. 

Pohl 384. 

Pohl, H. 438. 

Polak 449, 451. 

Pölchau, G. 281. 

Polenske, Ed. 576, 577. 

Poni 456. 

Ponickau 277. 

Pontiggia 366 
Popp, G. 657. 

Porcher, Ch. 557. 

Porges, O. 78, 132. 

Port 102. 

Possek, R. 415. 

Posselt, A. 159. 

Post 421. 

Potonil 457. 

Potoni4, H. 427. 

Pottenger 113. 

Pötzl, O. 208. 

Pradel, de 274. 

Pradella 110. 

Prall 81, 281. 

Prall, Fr. 564. 

Prantschoff, A. 132. 
Prausnitz 270, 289. 

Pratt 107. 

Preis, K. 203. 

Preisz 228, 246. 

Prengowski, P. 254. 

Prescolt, S. C. 522. 

Presser 418. 

Prettner 244. 

Pringtheim, J. 603. 

Prinzing 216. 

Prinzing, Fr. 268. 

Proft, Alice 270, 295, 296. 
Prölss, F. 522. 

Pröscher, Fr. 162. 

Proskauer 411. 

Proskauer, B. 519. 

Prouff 99. 

Prowazek, L. v. 205. 
Prowazek, S. v. 73, 162. 
Puccianti 448. 

Pudor 415. 

Pummer 452. 

Pütter 106. 

Puttmann, Helene 274. 

Quincke 412. 

Quirsfeld 292. 

Rabinowitsch 92, 93. 
Rabinowitsch, Lydia 100,108, 
124. 


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666 


Autorenregister. 


Rabinowitsch, M. 159. 
Raczynski 157. 

Radcliffe, L. W. 566. 
Radcziwil], Minna 262. 
Radke, J. 317. 

Raimann 352. 

Rakuiin 456. 

Rambousek 332, 371. 
Ramsay, William 404, 407. 
Randone 333. 

Ranke 69. 

Rand 222. 

Rapmnnd, E. 158. 

Ran 344. 

Raubitichek 80. 
Raubitichek, H. 129. 
Raudnitz 112. 

Rautmann 250. 

Ravenal 82. 

Raw 111. 

Rawlei 419. 

Recknagel 370. 

Redwood, B. 456. 

R£gis 351. 

Regnaud 56. 

Reich, R. 618. 

Reichenbach 412. 

Reinden 94. 

Reinach, A. 15, 575, 614. 
Reiß, F. 522. 

Reithofer, M. 453. 
Reitmayer 434. 

Reitz 510. 

Reitz, A. 532. 

Rlktsa, A. 17. 

Rembold 216. 

Remlinger 235. 

Rendel, Miss 293. 

Renk, F. 457. 

Ressel 589. 

Retschinsky 449, 452. 

Revis, C. 525, 526. 

Reyker 153. 

Rheinboldt, M. 615. 

Rho, Ph. 51. 

Rhodes 432. 
Ribadeau-Dumas 140. 
Ribbert 82. 

Richards 235. 

Richardton, CI. 456. 
Richardson, F. W. 527. 
Richmond, H. D. 530, 567. 
Richet, Ch. 77. 

Richter 252, 429, 450. 
Ricken 315. 

Rideal 425. 

Riege 424. 

Riegel 423. 

Rieger 12. 

Riehl, J. 403. 

Riemer 456. 

Ries 426. 

Rietschel 343. 

Rimpau, W. 143. 

Rita Nuri Bei 211. 
Rittershaus 145. 


Ritzer 252. 

Rivers 118. 

Riviera 112. 

Rixen 353. 

Robin, L. 570. 

Robert 398. 

Roblot 114. 

Rodet, J. 441. 

Roechling, H. A. 628. 
Roemisch 111. 

Rogen 65. 

Rohardt 345, 552. 

Rohdich, O. 613. 

Rohrbach 420. 

Röhrig, A. 601, 602, 615, 
619. 

Rollin 411. 

Romanelli 123. 

Romeik 607. 

Roosen-Runge 126. 

Röpke 100. 

Roscher, K. 209. 

Roscnlet, v. 147. 

Rosenfeld 129, 209. 
Rosenhaupt, K. 393. 
Rosenheim, O. 527. 
Rosenkranz 432. 

Rosenthal 311. 

Rosenthaler, L. 459, 618. 
Rösle 69. 

Ross, Ronald 177. 

Rossbach 432. 

Rossi, O. de 473. 

Rossum da Chattel, van 436. 
Rotch 101. 

Roth, E. 15, 17, 363, 365, 
367, 371. 

Roth, O. 392. 

Roth-Schulz, W. 100. 
Rothberg, O. 546. 
Rothberger, C. Jul. 132. 
Rothe 144. 

Rothenbach, F. 606. 
Rothenhan, v. 333. 
Rothermundt 640. 

Rotschild 90, 116. 

Röttger, W. 608. 

Roussel 109. 

Rözs6nyi 585. 

Rubner 406, 411. 

Rubner, M. 461. 

Rubinstein 114. 

Rubritius, H. 133. 

Ruck, K. v. 111. 

Rüge 171. 

Rüge, R. 50, 180. 

Ruiz, J. M. 170. 

Rühle, H. 492. 

Rumland 298. 

Rumpf 82, 84. 

Rund, B. 410. 

Rupp, EL 578. 

Rust 133, 249, 448. 

Ross, K. V. 131. 

Russner 441. 

Ruth, A. W. 577. 


Ruzicka 414, 415. 

Ryall 217. 

Ryba, O. 453. 

Rydberg, J. R. 43». 
Ryttenberg 151. 

Saathoff 152. 

Sachs 78. 

Sachs, H. 17. 

Sachs, O. 578. 

Sachs-Müke 12. 

Sack, N. W. 274. 

Safow, Hans 262. 

Sahli, W. 332. 

Sahlström 405. 

Sahulka 444, 450. 

Sahulka, J. 414. 

Sakurane 163. 

Salge, B. 554. 

Saling, Th. 205. 

Salomon 444. 

Salomon, 0. 334. 

Saltykow 149. 

Salvatori, G. 584. 

Sambon 260. 

Samosch 279. 

Samter 106. 

Sanarelli, Giuseppe 364. 
Sander 51. 

Sandig 509. 

Sandt 272. 

Santori, 8. 295. 

Sarason, D. 310. 

Sarmento 87. 

Sato, Y. 538. 

Sattler 432. 

Ssubon, L. 55. 

Sauer 232. 

Saugmann 92. 

Saul 218. 

Sauton 581, 582. 

Savage, W. G. 535. 
Schäfenacker 271. 

Schäfer 285, 425, 433. 
Schäfer, A. 424. 

Schäfer, Theodore, W. 407. 
Schaffer, F. 565. 

Schaffner 248. 

Schanz 416. 

Schardinger, F. 602. 
Schattenfroh, A. 76, 458. 
Schatzky 115. 

Schaudinn, F. 205. 

Scheel 454. 

Scheibet 232. 

Scheithauer, W. 433. 
Schenckendorff, v. 298. 
Schenk 99. 

Scberber, G. 210. 

Scherer 94, 106, 117, 121. 
Schereschewsky, J. 204, 209. 
Scheuker 114. 

Schidrowitz, Ph. 601. 
Schieffer 261. 

Schiele, A. 474, 487. 
Schiffmann 249. 


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Autorenregister. 


669 


Schippel 373. 

Schilling 50, 425. 

Schlegel, H. 481, «26. 
Schlenk, W. 404. 
Schlesinger 287. 

Schlesinger, E. 308. 
Schlossberger 266. 
Schlossmann 262. 

Bchmid, F. 214. 

Schmidt 231, 270, 421, 657 
Schmidt, K. 18. 

Schmidt, F. A. 262. 
Schmidt, M. 111. 

Schmidt, P. 376. 
Schmidtmann 628. 

Schmorl, G. 204. 

Schmutzer 512. 

Schneider 141, 255. 
Schnitzer, H. 361. 

Schoder 446. 

Schoedel 293. 

Schoenfelder 633. 

Scholz 17, 346. 

Schöndorff, B. 498. 
Schönfeld, F. 600. 

Schoorl, N. 525. 

Schottelius 121, 644. 
Schottelius, M. 625. 
Schreiber 244, 248, 508. 
Schreiber, K. 14, 18. 
Schröder 82, 110, 113. 
Schrott, v. 418. 

Schrötter, v. 82, 409. 
Schrumpf 90. 

Schrumpf, P. 131. 

Schucht, A. 208. 

Schilder 235. 

Schüffner 126. 

Schüffner, W. 207. 
Schuhmacher, G. 148. 
Schüller 295. 

Schüller, M. 192. 

Schulthes 448. 

Schulz, Fr. N. 502. 

Schulz, W. 156. 

Schulze 348. 

Schultz, B. 427. 

Schultz, R. 305. 

Schultz, W. 157. 

Schnitze 445. 

Schultze, G. A. 420. 
Schultz-Schultzenstein 12. 
Schumann 488. 

Schumburg 270. 

Schuppins, R. 536. 

Schütte 309, 456. 

Schuyten 291. 

Schwab 332. 

Schwarz, F. 482, 587, 591. 
Schwarz, G. Chr. 360. 
Schwartz 110. 

Schwartze, L. 552. 
Schweighart 316. 
Schweikert, H. 471. 
Schwiedland, E. 386. 
Schwiening, Heinrich 10. 


! Scottle, H. T. 633. 

Searle 433. 

Seelig 83. 

Seemann, J. 503. 

Seibert 240. 

Seidener 439. 

Seiffert 99. 

1 Seige 468. 

1 Seine 257. 
i Selig, A. 392. 

Seligmann 123. 
j Seligmann, E. 519, 622. 

! Selinoff 284. 

I Selter 10. 

Selter, P. 263, 551, 552. 
Sereni, S. 165. 
i Seringhaus, A. 157. 

Seume 406. 

Seutemann 549. 

Seva, S. 76. 

Seyberth, L. 381. 

Sharp 446. 

Shattock 123. 

Shaw 47, 96. 

Shaw, R. H. 584. 

Short 428. 

Shutt, F. T. 458. 
Shuttlewort 847. 

Siebert, W. 209. 

Siebold, K. 287. 

Siegel 206. 

Siegert, F. 552, 553. 
Siegfeld, M. 566, 568, 574. 
Siegmund 240. 

Siegriat, A. 303. 

Siemens 432. 

Siemens u. Halske 445. 
Sieveking 107, 266. 
Silbernagel 292. 
i Silberschmidt, W. 143. 
.Silberstein 409. 

Silomon, G. 138. 
Simmersbach 427. 

Simon 448. 

Simon, Helene 284. 

Simonsen 424. 

Sioli 17, 347, 357. 

Sirius 292. 

Skerrett 222. 

Skschivan, J. 147. 

Slyke, L. L. van 579. 

Sman, van der 117. 

Smith, Roow 225. 

Smitheil 418. 

Smith 261. 

Snoy, Fr. 369. 

Sprinkmeyer, H. 571, 575. 
Sobotta 561. 

Solbrig 272. 

Solbrig, O. 11, 13. 

Soldin, M. 547. 

Soltsien, P. 614. 

Somermeyer 428. 
Sommerfeld, Th. 391. 
Sommers 135. 

Sonneville 90. 


Soper 412. 

Sorgo 84, 98. 

Sormani 87. 

Spaet, Fr. 387. 

Spaflky 238. 

Spät, W. 152. 

Spengler 97. 

Spieler 91. , 

Spiess 86. 

Spinney 442. 

Spiro, H. S. 460. 

Spitta 100. 

Sprinkmeyer, H. 523. 

Squire 101, 306. 
Ssorotschinski, P. P. 472. 
Stach 410. 

Stackler 304. 

Stadelmann, H. 308. 

Stadie 245. 

Stadlinger, H. 591. 
Staechelin 83. 

Staehelin, R. 500. 

Stähelin 301. 

Suhl 241. 

Staiger 467. 

Stark 82, 440. 

SUrlinger 346, 347, 348. 
Stäubli, C. 138. 

Stefan, v. 181. 

Stefansky, W. 147. 

Steffens 412. 

Steffens, O. 412. 

Stein 91, 162. 

Steinberg 131. 

Steinen, von den 271, 312. 
Steiner 365. 

Steiner, V. 17, 371. 
Steinhaus 294. 

Steinmetz 420, 439, 442, 
448. 

Steinsberg 257. 

Stephani 270, 288. 
Stephenson 432. 

Stern, M. 205. 

Stern, P. 438. 

Stern, R. 128. 

Sternberg, H. 280. 

Sternberg, M. 87, 360. 
Steudel 279. 

Stich 401. 

Sticker 218, 221. 

Stietzel, W. 640. 

Stiles 105. 

Still, Q. F. 562. 

Stillich, 0. 427. 

Stitt 62. 

Stock 409. 

Stock, W. 83. 

Stockem 445. 

Stöcker 312. 

Stockhausen 415, 416. 
Stockhausen, K. 448. 

Stödter 657. 

Stoecker 412. 

Stolnikoff 227. 

Stolzenburg 115. 


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670 

Stoutz, W. T. 101. 

Strache 409, 434. 
Strassner 91. 

Strauß, v. u. Torney 605. 
Strecker 426. 

Streitberger, F. 612. 
Streiter 275. 

Stroh 508. 

Ströhleyn u. Co.' 430. 
Stromann 419. 

Stronde 445. 

Strubeil 83. 

Struve, E. 605. 
Strzyzowaki 541. 

Stühlern, W. 130. 

Stumpf, L. 167. 

Sturge, M. D. 603. 

Suck, H. 318. 

Sudendorf, Th. 571. 

Suesa 98, 409. 

Summo 237. 

Süpfle, R. 151. 

Svoboda, H. 570. 

Swaine 408. 

Swinburne 445. 

Szaböky, v. 90, 98. 

Taav 604. 

Talbot, H. T. 600. 

Taussig 82. 

Taute 96. 

Taylor 447. 

Taylor, G. 631. 

Teclu 420. 

Tedeachi 172. 

Tedeako, F. 152. 

Teichert, K. 525. 

Teleky, L. 364, 377, 391. 
Tempel 509. 

Terhaerat 424. 

Terni 239. 

Thaler, K. 202. 

Thatcher 453. 

Thatcher, R. W. 582. 
Thayer 191. 

Theiler 247. 

Thiede 510. 

Thiel 433. 

Thiele, A. 291. 

Thiem 434. 

Thiem u. Tböwe 434. 
Thieaing 17. 

Thiesa 456. 

Thobridge 428. 

Thomann, J. 466. 

Thomaa 305. 

Thomaon 304. 

Thorn 455. 

Thorp, A. W. 569. 
Thumm, K. 474, 487. 
Tigerstedt, R. 496. 
Tillmann 117. 

Timpe, H. 525. 

Tirelli, E. 465. 

Tiacher 333. 

Tiaaot 408. 


Autorenregister. 

Tiaaot, F. 385. 

Tjaden 82, 122, 123, 145. 
Tobieaen 110. 

Tomarkin 109, 233. 
Tomarkin, E. 163. 
Tomkinaon 115. 

Töpfer, H. 12. 

T6th 377, 406. 

Touplain 614. 

Toubelaine 373. 

Townsend, T. M. 213. 
Trauthahn 387. 

Trautmann 11, 109. 

Trevea 367. 

Triboulet 82. 

Trillat, A. 581, 582. 
Trobridge 409. 
.Trommadorf, R. 536. 
Troncoao, U. y 271. 
Trother 418. 

Trunk 114. 

Trumpp, J. 553. 
Trygg-Heleniua, A. 277. 
Tachaplowitz, F. 610. 
Taukiyama 200. 

Tucker, S. A. 419. 

Tuczek 355. 

Tugendreir.h 562. 

Tnllio, P. 585. 

TunniclifT, R. 149, 152. 
Turban 81. 

Turton 101. 


Ufienheimer, A. 262, 301. 
Uhlenhut 17, 246. 

Uhlenhut, P. 209. 

Ulbricht 418. 

Uppenborn 416, 421, 439, 
442. 

Utz, F. 591, 614. 


Tagedea 588. 

Vaillard 147. 

Valentine, F. C. 213. 
Valentiner 420. 

ValUe 237. 
Vanateenberghe 90. 
Varenne 396. 

Vater 232. 

Vaubel, W. 521. 

Veit, W. 131. 

Velde 424. 

Venema, T. A. 127. 
Vernon, H. M. 380. 

Vial, F. 125. 

Vlehoff 431. 

Viel 275. 

Viereck 179. 

Viereck, H. 146. 

Vierhuff 84. 

Vieth, P. 567. 

Vincent 186, 400. 
Vincent, M. H. 146, 464. 
Vincenzi 124. 

Vocke 605. 


Voege 441. 

Voerner, H. 202. 

Vogel 455. 

Vogel, M. 373. 

Vogt 223. 

Vogt, A. 168. 

Vogt, M. 298. 

Voigt 416. 

Voigt, L. 162. 

Volney, Ch. W. 585. 
Volpino, G. 163. 

Völtz, W. 497. 

Vonnahme 248. 

Vorberg, G. 212. 

Vos, B. H. 117. 

Voaa 423. 

Votruba, K. 597. 

Vriea, J. J. Ott de 579, 580. 

Wachholz 406. 

Wade 394. 

Wadaworth, A. 151. 
Waentig, P. 531. 

Wagner 168. 

Wagner, H. 316. 

Wählen 482. 

Waidner 441. 

Walker, S. F. 438. 

Wallia 315. 

Walter 431, 445, 449. 
Walther 251. 

Warburg 405. 

Warmbold, H. 522. 
Wasaermann 11, 17, 133. 
Wassermann, A. 76, 156, 208. 
Waasermann, M. 208. 
Wawerka 293. 

Webb 270. 

Webber 419, 435. 

Weber 88, 96, 97, 122. 
Weber, A. 93, 557. 

Weber, H. 441. 

Weber, J. 516. 

Weber, O. 591. 

Webster 99. 

Wedding 450. 

Wedler 437. 

Weibull, M. 480. 

Weichardt, W. 291. 
Weichselbaum 81. 

Welcher 83. 

Weidanz 511. 

Weidanz, O. 209. 

Weigert 116. 

Weigmann, H. 523, 541. 
Weil 100. 

Weinberg, J. W. 90. 
Weiemayr, v. 98. 

Weiaa 409. 

Weißmann 609. 

Weiaweiller, G. 540. 

Weldert 482, 488. 
Wellmann, A. 207. 

Welsh 217. 

Wentzki, O. 471. 

Werner 82, 186, 216. 


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Aotorenregister. 


671 


Wernicke 14, 142, 482, 488. 
Werteneon 438. 

Weeener 554. 

Weetenhoeffer 155. 
Weetenhoeffer, M. 11. 
Weetenhöfer 216. 

WeatervelJ, H. W. 113. 
Weethaueer, F. 514. 

Weaton, R. Sp. 460. 
Weygandt 271, 277, 355. 
Weydemana 178. 

Wheeler 405. 

Whipple, G. C. 474, 642. 
Whitney 443. 

Wicbmann, H. 472. 

Wickel 347. 

Wickenhagen, H. 295. 
Widmer 428. 

Wiebold, A. 505. 

Wien* 99, 150. 

Wikander 445. 

Wilcox 447. 

Wild 418. 

Wild, L. W. 430. 

Wilde, de 457. 

Wiley, H. W. 490, 622. 
Wilke, R. 87, 389. 

Wilkens 439. 

Wilkinaon 113. 

Will, R. 616. 

Willard, J. T. 584. 

Wille, 0. 369. 

Willerding 254. 

William, Hunter 199. 
Williame 90. 

Wimmer, K. 608. 


Windiach, R. 618. 
Winkert 425. 

Winkler 437. 

Winkler, F. 212. 
Winternitx, H. 514. 
Winternitz, W. 258. 
Wiaa, E. 404. 

Witt 230, 248. 
Witneben, W. 472. 
Wohl, A. 595. 
Wohlauer 447. 
Wohlberg 114. 
Wohlmuth 252. 
Wohrizek, Th. 302. 
Wolbring, W. 570. 
Wolde, E. 145. 

Wolf 528. 

Wolf, H. E. 151. 

Wolf, Kurt 319. 

Wolf, R. 289. 

Wolff 108, 117, 118. 
Wolff-Eiener 135, 396. 
Wolkenatein 92. 
Wollenweber 157. 
Wolter, L. 626. 

Wood 274. 

Woodmao, A. G. 600. 
Woodruff 223. 
Woodwell 415, 439. 
Wood», H. S. 504. 
Wooley 227. 

Wörner, G. 332. 
Woaianoff 242. 

Woy, R. 479. 

Wray 447. 

Wright 223. 


Wulf 414. 

Wüthrich 299. 
Wutzdorff 377. 
Wychgram 296. 
Wyßmann 230. 

Yates 413. 

Zabolotny, D. 209. 
Zahor 87, 306. 
Zaloziecki 456. 
Zambeletto 442. 
Zancan, A. 130. 
Zangemeiater 76, 200. 
Zeller, L. 420. 
Zernecke 657. 

Zernig 446. 

Zetzsche, F. 596. 
Zickgraf 94. 

Ziegler 100. 

Ziemann 50, 58. 
Ziemke, E. 385. 
Zieache 92. 

Zietachmann 227, 230. 
Zinck 423, 437. 
Zinaaer 506. 

Zipp 383. 

Zollikofer 426, 431. 
Zollinger 308. 

Zondek 344. 

Zachimmer 409. 
Zuelzer, K. 301. 
Zunckel 454. 

Zupitza 173. 

Zyka 306. 


y Google 


Dii 



Sachregister. 


Abdeckereien, Mängel ders. 657. 

Abiturienten, sexuelle Belehrung 271, 312. 
Abiturientenexamen und Schulhygiene 270. 
Absinth, Bitter und ähnliche Getränke, Ver¬ 
kehr mit dens. (Frankreich) 8. 

— und seine Gefahren 64. 

—, Verkehr mit dems. (Belgien) 8. 
Abstinente Naturvölker 58. 

Abwasser, aus Chlorkaliumfabriken, Einfluß 
auf Schunter, Oker und Aller 643. 

—, biologische Reinigungsanlagen 636. 

—, Einfluß auf das Fischleben 638. 

—, Elberfelder Kläranlage 635. 

—, geklärte, Einfluß auf die Flüsse 629. 
—, gereinigte, Desinfektion ders. 635. 

—, Kläranlage in Recklinghausen 637. 

—, Klärung 628. 

—, Klärvorrichtungen und Schlammverbren¬ 
nungsanlagen 633. 

— Münchens, Isarrerunreinigung durch dies. 
641. 

—, Oxydation der Schmutzstofle 631. 

—, Reinigung in Leipzig 639. 

—, Reinigungsfrage 630. 

—, Schlammzersetzung in der Faulkammer 
629. 

—, Trennsysteme 628. 

—, Verteilung über Tropfkörper 681. 

—, Verwertung und Beseitigung des Klär¬ 
schlamms 629, 639. 

— wirksame Faktoren der biologischen Rei¬ 
nigung 635. 

—, Wirkung der Reinigungsanlagen 640. 
—, — — Rieselfelder 633. 
Abwasserbeseitigung (Württemberg) 6. 
Abwasserklärschlamm, Vergasung dess. 489. 
Abwasserreinigungsanlage der Stadt Reading 
638. 

Abwasserverhältnisse der Stadt Gnesen 641. 
Abziehbilder, bleihaltige 626, 627. 

Acetylen 454. 

—, Darstellung auf trockenem Wege 454. 
—, Reinigung von PhospborwasserstofT 454. 
—, Transport 454. 

—, Unglücksfalle 435. 

—. Wasserlicht Schumacher-Kopp 455. 
Acetylenanlagen, Frostschutzmittel 455. 

—, periodische Revision 454. 
Acetylenapparate, Bemessung des Gasbehälter¬ 
inhalts 455. 


Acetylenbeleuchtung, Kosten ders. 455. 
Acetylenbrenner 455. 

—, Speckstein für dies. 455. 
Acetylenexplosion 454. 

Acetylenflnmme, Erhöhung der Leuchtkraft 
455. 

—, Temperatur 422. 

Acetylenlampen, neue 455. 
AcetylensauerstoflP-Scliweißvorrichtung 455. 
Acetylenzentralen 455. 

Aerogengasanstalten 434. 

Aerolith 408. 

Agglutination bei Lungentuberkulose 100. 

— und kolloidale Fällung 77. 

Agglutinine, Ausscheidung im Harn 131. 

—, Regeneration nach Blutverlusten 132. 
Aggressin, wirksames aus Ruhrbazillen 147. 
Aktinium, Umwandlung in Helium 407. 
Albargin als Tripperprophylaktikum 211. 
Aldehyd, Vorkommen im Käse 582. 

Alkohol, Bekämpfung 604, 605. 

—, Beziehungen zum Eiweißstoffwechsel 603. 
—, Einfluß auf den tierischen Organismus 
604. 

—, Gesetz in Finnland 360. 

— und Rassenhygiene 63. 

— und Unfähigkeit von Schulkindern 277. 

— und Unfall 333. 

—, Verwendung in der Schokoladen- und 
Konfltürenindustrie 615. 
Alkoholbelehrung in Schulen 276, 277. 
Alkoholfrage 602, 603. 

— und Schule 277. 

Alkoholfreie Biere 594. 

— Getränke, Leitsätze 594. 

— Weine 594. 

Alkoholgärung, chemischer Vorgang 595. 
Alkoholgenuß auf Schulausflügen 277. 

— der Schulkinder 605. 

Alkoholgesetz, Änderung (Schweiz) 8. 
Alkobolhydrocarbongas von Pampe 457. 
Alkoholische Gärung, Theorie ders. 595. 

— Getränke, Verbrauch in den Hauptkultur- 
ländern 605. 

Alkoholismus s. a. Trunksucht. 

— in den Kolonien 57. 

— in München 605. 

— im Orient 605. 

— und Tuberkulose 82, 84. 

—, Wirkung und Bekämpfung 356, 602. 


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Sachregister. 


673 


Alkoholmißbrauch, Erlaß betr.die Bekämpfung 
(Deutsche« Reich) 3. 

Altersversicherung im Deutschen Reiche 362. 
Amalgamlampen 452. 

Amaurose und Brustseuche 251. 

Ameisensäure enthaltende Konservierungs¬ 
mittel 622. 

Ammen, Geschlechtskrankheiten bei dens. 
210. 

—, syphilitische 211. 

Ammoniak, Bestimmung im Wasser 461. 

—, Entstehung bei der trockenen Destillation 
der Steinkohlen 433. 

—, Nesalersche Reaktion 461. 
Ammoniakstickstoff, Bewegung in der Natur 
405. 

Anämie, fieberhafte nach Malaria 179. 

—, therapeutische Bedeutung der Luftbäder 
255. 

Anaphylaxie, Verminderung 75. 

Anilin, Vergittungserscheinungen 381. 
Anilinarbeiter, Blasengeschwülste der«. 381. 
Anilinfarben, Einwirkung auf das Auge 223. 
Anilinfarbstoffe, Giftigkeit ders. 381. 
Ankylostomafrage 373. 

Ankylostomiasis s. a. Wurmkrankheit. I 

—, Erfolge der Abtreibungskuren 374. 
Anstreichergewerbe, Bleivergiftung 375. 

—, Verwendung der gesundheitsschädlichen 
Karben 376. 

Antialkoholbewegung 602. 
Antituberkuloseserum Marmorek 113. 

-, Heilerfolg und Giftwirkung 114. 

Aphthenseuche und Vaccine 240. 

Arbeit und Lungentuberkulose 117. 

Arbeiten in hochtemperierten Räumen, ge¬ 
sundheitsschädliche Folgen 392. 

Arbeiter an Hochbauten, Unfallverhütung und 
Gesundheitsschutz 372. 

—, Benutzung der Fabrikbäder 256. 

—, Ernährung in den Tropen 56. 

—, Impfung und Wiederimpfung (Deutsches 
Reich) 3. 

—, jugendliche, Beschäftigung in Räumen 
mit Motoren (Deutsches Reich) 3. 

—, —,-der Tabakindustrie (Preußen) 4. 

—, persönliche Gesundheitspflege 365. 

—, Schutz gegen Rauch und Staub 369. 

—, Steigerung der Eigenwärme 71, 368. 
Arbeiterbäder, Einrichtung 257. 
Arbeiterfürsorge in Italien 364. 
Arbeiterhäuser, Wettbewerbungen 654. 

— in Zürich 656. 

Arbeiterinnen, Beschäftigung in Bergwerken 
(Deutsches Reich) 3. 

—,-der Tabakindustrie (Preußen) 4. 

Arbeiterschutz, ärztliche Mitwirkung 365. 

—, internationaler 3, 7. 

Arbeiterstatistik 10. 

Arbeiterversicherung in Italien 364. 
Arbeiterwohlfnhrtseinrichtungen, Zeitschrift 
16. 

Arbeiterwohnungen 652. 

—, Aufwand für dies. 653. 
Arbeiterwohnhausanlage in Wien 655. 
Arbeitsmaterialien als Infektionsträger 368. 
Vierteljahrasohriit für Gesundheitspflege, 1908. 


Arbeitsplätze, Beleuchtung 415. 
Arbeitsräume, Beleuchtung 415. 

— in den Tropen 69. 

Arbeitstherapie für Nervenleidende 360. 
Argon, Darstellung 407. 

Armee, Lungentuberkulose in ders. 86. 
Arrak, Entmischung in den Lagerfässern 602. 
Arrestzellen der Dörfer, Einrichtungen und 
Zustände ders. 329. 

Arsen, Vorkommen in Friedhofserde 657. 

—,-Naturweinen 598. 

Arsenikfabriken, schädliche Gase ders. 408. 
Arteriosklerose und Gymnastik 261. 

Arzt und Schulbetrieb 279. 

—, Stellung zur sexuellen Aufklärung 311. 
Ärzte, Ausbildung von Kolonialärzten 69. 

— als Lehrer der Hygiene 279. 

— — Mitglieder der Gewerbeinspektion 
363. 

—, Unterricht in der Krankenernährung 
für dies. 338. 

Ärztliche Gewerbeaufsicht in Belgien 371. 

— Hilfe, erste 332. 

— Mitwirkung beim Arbeiterschutz 365. 

— Sachverständigenzeitung 16. 

Asbest-Wood 444. 

Asparagin, Wirkung auf den Stickstoffumsatz 
498. 

Astigmatismus und Myopie 303. 

Atmosphäre, Gase ders. 404. 

—, Ionisation 407. 

—, radioaktive Materie ders. 407. 
Atmungsapparat für Arbeiten in irrespirablen 
Atmosphären 385. 

Atmungsapparate zu Rettungszwecken im 
Bergwerksbetriebe (Frankreich) 8. 
Atmungsgymnastik 296, 297. 

Atmungsorgane, Freiluftbehandlung akuter 
Krankheiten 255. 

Atoxyl, Veränderungen des Auges durch 
dass. 223. 

—, Wirkung bei Syphilis 209, 210. 
Atoxylin, Anwendung bei der Beschälkrank¬ 
heit 242. 

Auerstrumpf 435. 

— in der Wasserstoff-Chlorflamme 435. 

—, Vergrößerung des Leuchtvermögens 435. 

Auge, Veränderung durch Atoxyl 223. 
Augen, Einfluß verschiedener Beleuchtungs¬ 
mittel 416. 

—, Einwirkung von Anilinfarben 223. 

—, Naphthalinvergiftung 224. 

—, Schutz gegen ultraviolette Strahlen 
416. 

Augenerkrankung durch Superphosphat 224. 
Augenerkrankungen, Behandlung mit Beh- 
ringschen Tuberkulosepräparaten 114. 
—, Tuberkulose als Ätiologie 83. 

— und Kunstdünger 389. 

Augenheilanstalt für Arme in Wiesbaden 

15, 16. 

Augenheilkunde, Anwendung des Tuberkulins 

112 . 

Augenkrankheiten, skrofulöse, Behandlung mit 
Marmorekserum 114. 

Augentuberkulose 224. 

Supplement. 43 


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674 


Sachregister. 


Augenuntersuchung schulpflichtiger Kinder 
303. 

Augenverletzungen bei Eisenbahnbeamten 
400. 

Aussatz (Kanada) 9. 

—, Bekämpfung (Deutsches Reich) 3. 

Austern, Typhus durch dies. 140. 

Auswurf s. a. Sputum. 

—, Sedimentierungsverfahren 98. 

Autan, Desinfektion mit dems. 10. 

Autolysator 409. 

Bacillol, Heilerfolge beim ansteckenden 
Scheidenkatarrh der Rinder 252. 

Bacillus cerevisiae aus Flaschenbier 600. 

— euteritidis Aertrijck, Fleischvergiftung 
durch dens. 139. 

— esteriflcans Maaßen 564. 

— flavus aus Flaschenbier 600. 

— macerans bei der Bereitung von Zwet- 
schengeist 602. 

— suipestifer als Erreger der Schweinepest 
248. 

-, Filtrierbarkeit 245, 247. 

-, Tenazität 247. 

— suisepticus, Tenazität 247. 

Bäckereien, Abstellung der Mißstände (Preußen) 

4. 

—, Betrieb (Bayern und Sachsen) 5, 
(Baden) 6. 

—, Einrichtung u. Betrieb (Sachsen-Alten¬ 
burg, Schwarzburg-Sondershausen) 6. 

Bacterium coli, Agglutinationswirkung des 
Serums Ikterischer 130. 

— —, Bedeutung als Indikator fäkaler 
Verunreinigung von Wasser 465. 

— —, Nachweis im Wasser 465, 466. 

-, Vorkommen auf Obst und Gemüse 

589. 

Bäder, radiumemanationshaltige, Erfolge mit 
dens. 407. 

ßäderbuch, deutsches 258. 

Badetrichophytie 258. 

Bahnhofsbeleuchtung, Elektrizitätswerke für 
dies. 447. 

Bakterien, Agglutinabilität 132. 

—, anaerobe bei Diphtherie 144. 

—, — des Wassers, Züchtung 464. 

—, Einfluß der Tropensonne 414. 

—, Lebensdauer im Wasser 469. 

—, pathogene, Einfluß der Tropensonne 
57. 

—, —, Gewinnung von Schutzstoffen 75. 

—, Verhalten in Gewässern 640. 

Bakterienbefunde im Blute 74. 

Bakterienflora der Mundhöhle 75. 

Bakterienpräzipitinogen, Schicksal im Orga¬ 
nismus 131, 132. 

Bakteriologie, Atlas und Grundriß 72. 

—, Praktikum 72. 

Bauarbeiter, Schutzvorschriften (Reuß j. L.) 7. 

Bauchspeicheldrüse, komplexes Hämolysin 
ders. 79. 

Baugenossenschaft, Berliner Beamten-Woh¬ 
nungsverein 651. 

Baugenossenschaften, Tätigkeit ders. 651. 


Banhygiene, Vorträge auf dem Hygiene¬ 
kongreß in Berlin 627. 
Baumwollengewebe, glatte, weiße, Eigen¬ 
schaften 259. 

Baumwollensamenmehl als Nahrungsmittel 
585. 

Baumwollindustrie in Blackburn 372. 
Baumwollrauherei, Entstaubungsanlagen 373. 
Bauverein, vaterländischer in Berlin 651. 
Bazillen, Abtötung durch Gase 406. 

— der Typhusgruppe 136. 

—, säurefeste, Bakteriolyse 97. 
Bazillenemulsion Koch, innerliche Anwendung 
113. 

Bazillenträger bei Diphtherie 144. 

— bei Typhus 140, 141, 148. 

Bazillus, hämophiler im Blute von Masern- 

kranken 147. 

Bekleidungsstoff für die Tropen 55. 
Beleuchtung der Schulräume 289. 

—, Einfluß auf die Sehleistung 415. 

—, — verrußter Decken 416. 

—, elektrische 438. 

—, — Berechnung in München 439. 

—, — in Rußland 440. 

—, indirekte 421. 

—, künstliche 416. 

—, Mindestmaße 415. 

— von Arbeitsplätzen und -räumen 415. 
Beleuchtungsarten der Gegenwart 420. 

—, Kosten, Bedienung u. dgl. 420. 

— und deren hygienische Bedeutung 416. 
—, verschiedene, Flächenhelligkeiten 416. 
—, —, Kosten 421. 

Beleuchtungsmessungen in diffusem Tages¬ 
licht 415. 

—, Verwertung 417. 

Beleuchtungsmittel, Einfluß auf die Augen 

416. 

—, Verbrennungsprodukte, Wärmeabgabe 
und Sauerstoffverbrauch 417. 
Beleuchtungsstärke, mittlere, Berechnungen 

417. 

Beleuchtungstechnik, Grundzüge 417. 
Beleuchtungswerte, internationale Bezeich¬ 
nungsweise 418. 

Beleuchtungswesen, Geschichte 420. 
Benoidgas 434. 

Benoidgasapparate 434. 

Benzin, Gewinnung aus Rohpetroleum 456. 
—, Unglücksfälle durch dass. 382. 
Benzinvergiftungen, Zunahme 382. 

Benzoe, Farbenreaktion 614. 

Benzol, Bestimmung im Leuchtgas 433. 
Benzolvergiftung, akute 381, 382. 
Bergarbeiter, Gesundheitsverhältnisee 374. 

—, Schutz gegen schlagende Wetter 373. 
Bergleute, Arbeitsfähigkeit 373. 

Bergwerke, elektrische Signal Vorrichtung 453. 
—, Lebensrettung nach Ezplosionen 372. 
Beriberi im japanischen Heere 198. 

— in den malaiischen Staaten 196. 

— in einem indischen Regiment 198. 

—, Nachweis in Deutsch-Südwestafrika 
197. 

—, Sitz der Ursache 192. 


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Sachregister. 


675 


Beriberi, Zunahme in Hongkong 199. 
Bernsteinsäure, Bestimmung neben Weinsäure 
und Zitronensäure 596. 

Berufsarbeit, Ermüdung 367. 
Berufskrankheit und Unfall 366. 
Beschäftigungstherapie bei Geisteskranken 
348. 

Beschälkrankheit, Behandlung 242. 
Beschneidong, hygienischer Nutzen 211. 
Betain, Ausnutzung beim Hammel 497. 
Betriebe, gefährliche (Belgien) 8. 
Betriebsräume, gewerbliche, Entnebelung 
412. 

Bevölkerungsbewegung auf Kuba 29. 

— im Deutschen Reiche 18, 21. 

— in den größeren Städten Belgiens 28. 

-der Schweiz 28. 

— -— Englands 28. 

-—-Frankreichs 28. 

— ■— —-Österreichs 28. 

— -Niederlanden 28. 

— — — Städten Rumäniens 28. 

— -Städten Spaniens 29. 

— in deutschen Bundesstaaten 22, 23. 

Bier, als Nahrungs- und Genußmittel 603. 

— Berliner Weißbier. Pediococcus viscosus 
als Ursache der Schleimkrankheit 600. 

—, Bestimmung der Rohmaltose 600. 

—, Glycerinbestimmung 596. 

—, Vorkommen von Bacillus tiavus und 

Bacillus cererisiae 600. 

—, — — Fluoriden 600. 

—, Zusammensetzung der Leipziger Gose 
601. 

Bierbrauer, Ursache der Krankheiten und 
Unglücksfälle 605. 

Bierdruckapparate, transportable (Österreich) 
7. 

Biere, alkoholfreie 594. 

Bierflaschen, mißbräuchliche Verwendung 
(Reg. -Bez. Unterfranken) 5, (Olden¬ 
burg) 6. 

Biergenuß, Gefahren desselben 606. 
Blasengeschwülste der Anilinarbeiter 381. 
Blattern, Übertragung durch Impflinge auf 
die Mutter 161. 

Blei, Ausscheidung aus dem Körper 378. 

—, Bestimmung im Trinkwasser 460. 
Bleibergwerke, Beschäftigung von Arbei¬ 
terinnen (Deutsches Reich) 3. 
Bleichereien, Hygiene in dens. 379. 
Bleichsucht, Behandlung mit heißen Moor¬ 
bädern 257. 

Bleierkrankungen der Feilenhauer 4, 376. 
Bleigefahr, Bekämpfung in Österreich 375. 
—, — — der Tonwarenindustrie 376. 

—,-— Industrie 15. 

Bleimerkblatt (Österreich) 7. 

Bleivergiftung, chronische, Frühdiagnose 
375. 

— durch Brunnenwasser 5, 319, 482. 

—, Erkennung 376. 

—, gewerbliche in Österreich 377. 

—, —, neue Ursache 376. 

—, Maßnahmen zur Verhütung 377. 

—, Ursache und Bekämpfung 375. 


Bleivergiftung, Ursache und Wirkung 378. 
Blennorrhoe, Blenolenicetsalbe als Heilmittel 
225. 

Blenolenicetsalbe gegen Blennorrhoe 225. 
Blinde in Frankreich 42. 

-Österreich 42. 

Blindheit, Entstehungsursache 42. 

— durch Methylalkohol 223. 

Blitz, Energie desa. 448. 

Blut, Bakterienbefunde 74. 

—, forensische Untersuchung 79. 

—, Nachweis von Kohlenoxyd 181, 406. 
—,-Tvphusbazillen mit der Gallen¬ 

kultur 126, 127, 128. 

—, Unterscheidung von Menschen- und 
Tierblut 17. 

—, Veränderungen durch Tuberkulose¬ 
bazillen 123. 

—, Zusammensetzung bei Tuberkulösen 83. 
Bogenlampe, Carbone-B. 450. 

—, Drehstrom-B., Lichtstärke 450. 

— Helia 449. 

— Kohinoor 449. 

—, Magnetit-B. 451. 

— Newarc 450. 

—, singende und sprechende 451. 

—, Siva 449. 

—, Wechselstrom-B., Lichtstärke 450. 
Bogenlampen, Aufhängen ders. 450. 

—, Dauerbrand-B. für Bahnhofsanlagen 450. 
—, Durchschnittskosten 450. 

—, Flammen-B. 450, 451. 

— mit abgestützten Elektroden 450. 

—, Nachteile gekrümmter Kohlenstäbe 450. 
—, Normalien 449. 

—, Verwendungsgebiet 449. 

—, Zischen ders. 450. 

Bogenspektren, Erzeugung 449. 

Boletus Bellini lnzenga 590. 

Bor na sehe Krankheit identisch mit der 
Kopfkrankheit der Pferde 250. 

-, Verbreitung im Königreich Sachsen 

250. 

Borsäure, Bestimmung in Nahrungsmitteln 
624. 

Braunkohle, Darstellung von Koks aus ders. 
429. 

—, Zusammensetzung 428. 
Braunkohlenbergbau, deutscher, Entwickelung 
427. 

Braunkohlenteerprodukte 433. 
Brauselimonaden 594. 

Brenneraufsätze 436. 

Brennmaterialien 421. 

Brennstoffe 420. • 

—, Berechnung des Heizwertes 426. 

—, Heizwert 422. 

Brennstoffuntervichung, Wert ders. 428. 
Briketts aus dem Koksstaub der Gasanstalten 
432. 

Bronchiallymphdrüsen, Bedeutung für tuber¬ 
kulöse Infektion 91. 

Brot als Krankennahrung 62. 

—, Nachweis von Maismehl 584. 

Brotmehl, Baumwollensamenmehl als solches 
585. 

43 * 


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676 


Sachregister. 


Brückenbau, Vorkommen ron Luftdruck¬ 
erkrankungen 379. 

Brunnen, Anlage und sanititspolizeiliche 
Kontrolle 458. 

Brunnenordnuug (Reg.-Bez. Schleswig) 5. 

Brustaeuche, Amaurose nach ders. 251. 

— in der Armee 251. 

—, Komplikationen 251. 

—, Mauke als Komplikation 251. 

Brusteeucheerreger, Eintritt in den Körper 
des Pferdes 251. 

Bachdruckereien, Einrichtung und Betrieb 
(Deutsches Reich) 3. 

Bücherdesinfektion 79, 80, 109. 

Bücher, Übertragung der Lungentuberkulose 
durch dies. 93. 

Butter, aromabildende Bakterien 564. 

—, bakterienfreie „Butyratorbutter“ 565. 

—, Barytwert 572. 

—, Beeinflussung der Reichert-Meißl- 
schen Zahl durch Benzoesäure 575. 

—, — durch Rübenblätterfütterung 574. 

—,-Runkelrübenfütterung 574. 

—, bei Rübenblätterfütterung 573. 

—, Bestimmung der Pole ns k eschen Zahl 
567, 568. 

—, — des Wassergehaltes 567. 

—, Caprylsäurezahlen 571. 

—, Fehlen der Stearinsäure 566. 

—, irische, niedrige Reichert-Meißlsche 
Zahl ders. 567. 

—, Kontrolle in Holland 567. 

— mit niedriger Reichert-Meißlscher 
Zahl, Vorkommen 567. 

—, Modifikation der Polenske-Methode 569. 

—, Nachweis ron Kakaobutter 570. 

—,-Kokosfett 571, 572. 

—,-— und Oleomargarin 570. 

—, Refraktion der nichtflüchtigen Fett¬ 
säuren 571. 

—, Schwankungen der Polenske-Zahl 568. 

—, Unbrauchbarkeit der „Silberzahl“ 570. 

— und Kokosfett, Unterscheidungsmerkmal 
573. 

—, Vorbruch- und Rahm-B. 565. 

—, Vorkommen von Myristinsäure 566. 

—, Wert der Untersuchungsverfahren 574. 

—, Zusammensetzung einer alten B. 566. 

Buttergeschmack und Butteraroma 565. 

Butterhandel, Unterdrückung des Betruges 
(Frankreich) 8. 

Butterin, Einfuhrverbot (Kanada) 9. 

Buttermilch als Säuglingsnahrung 562. 

Buttermilchdauerpräparat 562. 

ButterrefraktometA, Temperaturkorrektur 
für die Ablesung 567. 

Caissonarbeiter, Berufskrankheit 380. 

Caissonkrankheit, Beziehung de* Fettgewebes 
des Menschen zu ders. 380. 

—, fragliche Momente 379. 

Calclumcarbid, neue Fabrik zur Herstellung 
von C. 454. 

—, Vorkommen von Phosphorverbindungen 
454. 


Calciumperozyd, Wirkung auf Trinkwasser 
472. 

Camembertkäse, Reifung 580. 

Caprine 165. 

Carbidfabrikation in Europa 1905 454. 

Carbidhandel, Normen 455. 

Carbone-Bogenlampen 450. 

Cerebossalz 619. 

Cerebrospinalflüssigkeit, Vorkommen von 
Kokken 154. 

Ceroflrm-Glühkörper 436. 

Cerosalze, Darstellung 436. 

Cersalze, Gewinnung aus Monazitrückständen 
435. 

Cheddarkäse, Reifung 579. 

Chemische Fabriken, Bekämpfung von Feuer 
372. 

Chinin, Anwendung der freien Base bei 
Malaria 175. 

—, Einfluß auf das Sehvermögen 223. 

— und Malaria 179. 

—, Wirkung auf den Blutfarbstoff 181. 

Chininprophylaxe bei Malaria 175. 

Chinintannat bei Malaria 185. 

Chininl annat-Schokoladenpastillen 184. 

Chinintherapie mittels Chinintannat 183. 

Chininum formicicum, Anwendung bei Mala¬ 
ria 177. 

— sulfuricum, Wirkung einer großen Gabe 
223. 

Chirosoter 80. 

Chlorakne, Ätiologie und Prophylaxe 380. 

Chlorose, therapeutische Bedeutung der Luft¬ 
bäder 255. 

Cholecystitis, Bedeutung der Influenzabazillen 
152. 

Cholera, Bekämpfung (Deutsches Reich) 3. 

—, — an der deutsch - russischen Grenze 
(Preußen) 4. 

—, internationale Maßregeln 394. 

—, Verhütung der Einschleppung (Belgien, 
Niederlande) 8. 

Choleraähnliche Vibrionen, Differenzierung 
144. 

Cholerabazillen, Lebensdauer in Spülgriben 
640. 

—, Überwinterung ders. 143. 

Choleravibrio, Einfluß des Sonnenlichtes 134. 

Cbolesterinsuspensionen, Kolloidreaktionen 78. 

Chromgerbereibetriebe, Merkblatt 385. 

Chromgerbereien, Erkrankungen in den*. 
(Preußen) 4. 

Citronellaöl, Anwendung bei Mückenstichen 
und Gelbfieber 191. 

Claytonapparat 395. 

Coalit 429. 

Coccus anomalus 599. 

Colibakterien, Vorkommen in der Galle 128. 

Coli - und Typhusbazillen, Differenzierung 
des Wachstums 126. 

Colpitis granulöse als Sterilitätsursache 252. 

Conjunctivitis, Verbreitung durch einen Heu¬ 
fieberkranken 223. 

Coometer 410. 

Croup, Sterblichkeit 30. 

Culexarten, Biologie 174. 


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Sachregister. 


677 


Cyanverbindungen, Bestimmung 433. 

Cytorrhyctesformen im Blute nicht geimpfter 
Tiere 162. 

Dampfkessel, Wirtschaftlichkeit und Kon¬ 
trolle 420. 

Dampfstrahlsauger, Körtings 372. 

Därme, getrocknete, Veränderungen 512. 

Darmtuberkulose, Bedeutung für die Amyloid¬ 
degeneration 84. 

—, primäre 94. 

Daua-Daua-Käse 590. 

Dengue und Influenza in den Tropen, Diffe¬ 
rentialdiagnose 62. 

Dermatin 408. 

Desinfektion von Büchern 109. 

-Eß- und Trinkgeschirren 80, 109. 

— mittels heißer Luft 79, 80. 

—, Wesen, Bedeutung und Ausführung 11. 

Desinfektionsanweisung für Seeschiffe (Deut¬ 
sches Reich) 4. 

Desinfektionsapparat für Dar-es-Salam 395. 

Desinfektionsmittel, Wertbestimmung 81,231. 

—, Wirkung 109. 

Desinfektionsverfahren mit Autan 10. 

—, neues, mit Formalin 80. 

Desinfektionswesen (Reg.-Bez. Trier) 5. 

Dezometer zur Bestimmung der Zähigkeit 
der Speisen 495. 

Diagnostik, bakteriologische 72. 

Diät, vegetarische, Einfluß auf den Körper 
500. 

—, —, als Volksernährung und als Heil¬ 
mittel 501. 

Diphtherie als Volksseuche 145. 

—, anaerobe Bakterien bei ders. 144. 

—, Bazillenträger 144. 

—, Beförderung von Leichen (Preußen) 4, 
(Bayern) 5, (Württemberg) 6, (Ham¬ 
burg) 7. 

— in Schulen 305. 

—, seltenere Formen 144. 

—, Sterblichkeit 30. 

—, Verbreitung durch Bazillenträger 11. 

Diphtheriebazillen, Vorkommen bei Scharlach 
149. 

Diphtherieheilserum, Vorkommen von Teta¬ 
nusgift 159. 

Diplococcus pneumouiae, virulente Stämme 
151. 

— riscosus 538. 

Drogenhandel, Gesetz in den Vereinigten 
Staaten 492. 

Drucksachen, Desinfektion mittels heißer 
Luft 79, 80. 

Druse, jauchige Entzündung des Kiefergelenks 
253. 

— der Pferde, Ätiologie 253. 

— — —, operative Behandlung 253. 

— -, Verbreitung im Deutschen Reiche 

253. 

—, neues Schutzmittel 254. 

Druseheilserum, Heilerfolg 253. 

— Jeß-Piorkowski, günstige Erfolge 
mit dems. 253. 

Drüsen, Vorkommen von Tuberkelbazillen 93. 


Duschevorrichtung 257. 
Dynamitverbrennungsgase bei unvollkom¬ 
mener Explosion, Giftwirkung 384. 
Dysenterie s. a. Ruhr. 

—, Impftherapie 53. 

Dysenteriebazillen 145, 140. 

—, atypische 146. 

Dysenterieserum 147. 

Eheverbot für Tuberkulöse 106. 

Eier, Konservierung 564. 

Eiermilchnudeln, Untersuchung 586. 
Eiernudeln, Veränderung bei der Aufbewah¬ 
rung 586. 

Eierteigwaren, Veränderung bei der Auf¬ 
bewahrung 586. 

Eigelb, Bestandteile 564. 

Einheitsschule 270. 

Eisen, Nachweis im Wasser 460. 
Eisenbahnen, Transport von Leichen (Deut¬ 
sches Reich) 3. 

Eisenbahnbeamte, Augenverletzungen ders. 

400. 

Eisenbahnbetrieb, Verhütung von Verletzungen 

401. 

Eisenbahnhygiene, Zeitschrift 17. 
Eisenbahnkrankheit, Mittel gegen dies. 401. 
Eisenbahnwagen, elektrische Beleuchtung 447, 

448. 

—, Entstaubungsanlage 401. 

—, Gasglühlichtlampen 437. 

Eisenbahnzüge, elektrische Lampensignale 448. 
Eiterungen, Differentialdiagnose 101. 

—, tuberkulöse und andersartige, Unter¬ 
scheidung 74. 

Eiweiß, Differenzierung in Gemischen 78. 
Eiweißbedarf, kleinster 496. 
Eiweißdifferenxierung, Spezifität 77. 
Elektrisch beleuchtete Marinescheinwerfer 
448 

Elektrische Anlage, Gefahr der Berührung 
453. 

-, Gefährlichkeit der Berührung 383. 

-, Herstellung und Instandhaltung 438. 

— —, Maßnahmen der Feuerwehr beim 
Brande ders. 372. 

-, Sicherheitsmaßregeln 453. 

— —, Unfallverhütung 372. 

-, Ursache der Kurzschlüsse 453. 

— Bahnhofsbeleuchtung 447. 

— Beleuchtung 488. 

— —, Berechnung in München 439. 

-, direkte und indirekte 440. 

-in Eisenbahnwagen, Vorrichtungen 

448. 

-in Fabriken 440. 

— — in Rußland 440. 

-, Kosten 429. 

-, Zukunft ders. 445. 

— Beleuchtungsanlage des Kaufhauses des 
Westens in Berlin 440. 

— Betriebe, erste Hilfeleistung bei Unfällen 
384. 

-, Unglücksfälle durch Starkstrom 383. 

— Funkenstrecke, mikroskopische Betrach¬ 
tung 448. 


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678 


Sachregister. 


Elektrische Glühlampen, Licht und Wärme¬ 
energie 441. 

— Grubenbeleuchtung 453. 

— Handlampen, tragbare 384. 

— Innenbeleuchtung, Verteilung der Licht¬ 
quellen 439. 

— Kohlefaden-, Tantal- und Wolframlampe, 
Vergleiche 441. 

— Lampen, Erhöhung der Wirkung durch 
Prismen 453. 

— Licht- und Kraftanlagen, Projekte 438. 

— —-, Revision 438. 

— Lichtquellen, Verbesserungen 440. 

— Notbeleuchtung für Theater 448. 

— Öfen, neue 452. 

— Röhrenöfen 419. 

— Schmelzöfen 452. 

— Signalvorrichtung für Bergwerke 453. 

— Straßenbeleuchtung, Kosten ders. 448. 

— Treppenbeleuchtung 454. 

— Unfälle 383. 

-, erste Hilfeleistung 453. 

-, Pathologie, Therapie und Prophylaxe 

383. 

— — durch 8tarkstrom 453. 

-und Verhütung 453. 

— Vakuumlampe Moore 453. 

— Zentralen, kleine, Leistungsfähigkeit 439. 

— Zugbeleuchtung 447. 

Elektrischer Flammenbogen, Luftverbrennung 
in dems. 448. 

— Lichtbogen, schwingender 448. 

— — zwischen Metallelektroden 448. 

— Ofen, H4ro ult scher 452. 

— —, Kjellinscher, Betriebsergebnisse 
452. 

Elektrizität, Erklärung 414. 

—, Gewinnung durch Müll Verbrennung 440. 

— oder Gas 422. 

— 1 und Licht 414. 

—, Wesen ders. 438. 

Elektrizitäts-Unglücksfälle 455. 
Elektrizitätswerk in Lichtenberg bei Berlin 
439. 

— zu Mannheim 439. 

Elektrizitätswerke für Bahnhofsbeleuchtung 

447. 

—, Belastung durch die Metallfadenlampe 
445. 

—, Berliner 439. 

— für Bogenlampenreihen 450. 

—, Statistik 438, 439. 

—, Wind-E. 439. 

Elektrochemische Industrie, Bedeutung des 
Hochspannungslichtbogens 448. 

Elektron 438. 

El Tor-Vibrionen, Beurteilung 144. 
Endocarditis gonorrhoica 202. 
Entstaubungspumpen 413. 

Epithelioma bei Kohlenarbeitern 374. 
Erdbauwesen 653. 

Erde, Bestrahlung durch die Sonne 414. 
Erden, seltene, Vorkommen auf der Erde 
435. 

Erdnußkuchen, Nachweis in Kakao 614. 
Erdöl s. a. Petroleum. 


Erdöl, Entstehung 457. 

—, hannoversches, Zusammensetzung 456. 
—, rumänisches, Zusammensetzung 456. 
Erdöle, optische Aktivität und Ursprung 456. 
—, Ursache der optischen Aktivität 457. 
Erdölindustrie im Jahre 1906 456. 
Erdölquellen auf Tscheleken 456. 
Erkältungskrankheiten, Prophylaxe 73. 
Erkältungsproblem 73. 

Ermüdung der Berufsarbeit 367. 

—, Ergebnisse der Messungen 292. 

—, Meßmethoden 291. 

Ernährung, Hygiene ders. 275. 
Ernährungsstörungen im Säuglingsalter 267. 
Ernährungsverhältnisse bei Berliner Ge¬ 
meindeschulkindern 271. 
Ernährungsvorgang bei Darreichung von 
Nährstoffen 499. 

Eßgeschirre, Desinfektion 80, 109. 

—, emaillierte, Untersuchung 626. 

Essig, Nachweis von Karamel 607. 

—, Zusammensetzung von W’einessig 606. 
Essigessenz, Gehalt an schwefliger Säure 607. 
—, Vergiftung durch dies. 607. 
Essigsäurebakterien, steriles Dauerpräparat 
aus dens. 606. 

—, Begünstigung durch Eisenoxydulsulfat 
oder Manganoxydulsulfat 606. 

Eston, bakterizide Eigenschaften 10. 
Euchinin, Anwendung bei Schwarz Wasserfieber 
186. 

Expeditionsführer, ärztliche Ratschläge für 
dies. 53. 

Explosionen, Verhütung 384. 
Explosionsmittel, Giftigkeit der Verbrennungs- 
gase 398. 

Fabrikbäder, Benutzung durch die Arbeiter 
256. 

Fäces, Tryptophanreaktion 135. 

—, Vorkommen von Paratyphusbazillen 137. 
Faktoristen, ärztliche Ratschläge für dies. 53. 
Farben, gesundheitsschädliche 376. 

—, giftige, Handel mit dens. (Reg.-Bez. 
Minden) 5. 

—, Verwendung für Lebensmitteln (Böhmen) 
7. 

Färber, Onychoatrophie bei dens. 379. 
Färbereien, Hygiene in dens. 379. 

Farbstoffe, Einfluß auf die peptische Ver¬ 
dauung 494. 

Feilenhauer, Bleierkrankungen ders. 4, 376. 
Ferienkolonien 276, 286. 

Ferienordnung, Regelung 270, 275. 
Ferienspiele in Berlin 276. 
Ferienwanderungen 276. 

Fernthermometer 413, 420. 

—, elektrische 420. 

Ferrochlorverfahren zur Reinigung vonTrink- 
wasaer 474, 487. 

Fette, ranzige, Baudouiusche Reaktion 575. 
Fettsäuren, Reaktion mit Furfuramid 571. 
Feuchtigkeit, Wirkung auf den menschlichen 
Körper 412. 

Feuchtigkeitsmesser 412. 

Feuerbestattung in Ägypten 658. 


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Sachregister. 679 


Feuerbestattung, Zulässigkeit in deutschen 
Bundesstaateu 658. 

Feuerlöschfahrzeug für Dar-es-Salam 395. 

Feuerungen, Wirtschaftlichkeit und Kontrolle 

♦ 20 . 

Feuerwehr-Scheinwerferanlage, fahrbare 448. 

Film-Glühlampe 444. 

Filtrase, Mittel gegen Tuberkulose 114. 

Finnen, Untersuchung der Rinder auf F. 508. 

Finnenbefonde bei Saugkälbern 508. 

Fische, Einfluß von Abwassern 638. 

Flamme, Bestimmung der Temperatur 419. 

—, B unsen-FL, Emissionsursache 419. 

—, Eigenschaften 418. 

Flammen, Temperatur ders. 422, 435. 

Flammenrersuche, chemische 419. 

Fleckfieber, Bekämpfung (Deutsches Reich) 3. 

Fleisch, bedingt taugliches, Gewichtsverlust 
bei der Verwertung 512. 

—, Denaturierung mittels Ssprol 506. 

—, Einfluß der Ernährung auf die Zu¬ 
sammensetzung 498. 

— tuberkulöser Tiere, Beurteilung 507. 

—, Wirkung der Konservierungsmittel auf 

Hackfleisch 621. 

—, Zusammensetzung bei verschiedener Er¬ 
nährung 511. 

Fleischbeschau, Anwendung des Röntgen¬ 
apparates 505. 

—, Ergebnisse in einem GTenzschlachthof 
509. 

— in Sachsen 508. 

Fleischextrakt, Gehalt au Kreatin und Krea¬ 
tinin 504. 

—, mit Zinksulfat aussalzbare Stoffe dess. 
503. 

Fleischkonserven, Fabrikation 624. 

Fleischvergiftung, durch Sülze 140. 

— Epidemie in Berlin O. 139. 

—, Hausepidemie 139. 

Fleischvergiftungen durch Bacillus paratyphi 
B. 139. 

— und Sclilachttierkrankheiten, Zusammen¬ 
hang 140. 

Fleischvergiftungsepidemie durch Bacillus en- 
teritidis Aertrijck 139. 

Fleischwaren, borsäurehaltige, Einfuhrverbot 
(Argentinien) 10. 

Fluor, Vorkommen im Bier 600. 

Flußverunreinigung 630. 

Formaldehyd als Konservierungsmittel von 
Nahrungsmitteln 529. 

—, Nachweis in der Milch 526, 527. 

—, Zusatz zur Handelsmilch 629. 

Formalin-Desinfektionsverfahren, neues 80. 

Fortbildungsschule für Schwachbegabte 272, 
287. 

Fortbildungsunterricht für Mädchen 293. 

Formeston, bakterizide Eigenschaften 10. 

Framboesia tropica, Vorkommen einer Spiro¬ 
chätenart 207. 

Framboesiepapeln bei einem Orang-Utan 
207. 

Frauen, Nachtarbeit ders. 3. 

Friedhofserde, Arsengehalt 657. 

Frösche, Pseudotuberkulose ders. 124. 


Fruchtsirup, Nachweis von Fuchsin 597. 
FuchsiD, Nachweis in Wein, Likör und Frucht¬ 
sirup 597. 

Furfuramld, Reagens auf Fettsäuren 571. 
Fürsorge für die arbeitenden Klassen 363. 

-Phthisiker 12. 

-Schwachsinnige 271. 

— — Tuberkulöse 105, 106. 
Fürsorgeerziehung, Mitwirkung des Psychi¬ 
aters 355. 

Fürsorgestellen für Lungenkranke 106, 107. 

-die Schuljugend 281. 

Fuselöle, Bestimmung Id Spirituosen 601, 
602. 

Fußbodenöle, staubbindende, Wirksamkeit 
317. 

tialle, Bakterizidie auf Typhusbazillen 127. 
—, Verhütung der Infektion mit Bazillen 
der Typhusgruppe 128. 

—, Vorkommen von Colibakterien 128. 
Gallenblutkultur bei Typhus 126, 127, 128. 
Galloserin, Anwendung bei der Hühnercholera 
250. 

Garagen, Feuer- und Explosionsgefahr 372. 
Gärung, alkoholische, chemischer Vorgang 
bei ders. 595. 

—, — Theorie ders. 595. 

Gas s. a. Leuchtgas. 

— als Luflballonfüllung 425. 

—, Annehmlichkeiten bei der Anwendung 
von G. 425. 

— aus Kokereien, Verwertbarkeit 430. 

— aus Nebenproduktenkoksöfen 432. 

— aus Torf 434. 

—, Eindringen in ein Haus durch Telephon¬ 
kabel 435. 

—, Entfernung des Naphthalins 433. 

—, — der Teernebel 433. 

—, Fernleitungen 431. 

—, Fernzündung mittels Ga<druckdifferenz 
432. 

—, flüssiges 433. 

—, Heizwertbestimmung 426. 

—, Herstellung aus Petroleum 435. 

—, Hochmastgaslaternen 432. 

— im bürgerlichen Hause 424. 

—, Klönne-Raumkühler 431. 

—, Lichtmessungen 481. 

—, Multiplex-Fernzündung 4SI. 

—, Normalbrenner zur Prüfung 430. 

— oder Elektrizität 422. 

—, pneumatische Fernzündung 432. 

—■, Reinigung und Nebenprodukte 432. 

—, Teernebel und Reinigung 433. 

—, Verteilung 424. 

—, — als Preßgas 433. 

—, Zimmerfernzündung 432. 
Gasaktiengesellschaft in Magdeburg 424. 
Gasanalysator von Gebhardt 410. 
Gasanalyse, automatische 409. ' 

—, Fortschritte 406. 

—, neuer Apparat 409 
Gasanalytische Übungen 409. 

Gasanstalt, Versuchs-G. in Karlsruhe 424. 
Gasanstalten, neue 424. 


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680 


Sachregister. 


Gasanstalten, Rentabilität 426. 

—, Selbstkosten 429. 

—, Tätigkeit der Laboratorien 429. 
Gasarten, technische 433. 

Gasausbeute, Vermehrung 430. 

Gasautomaten 431. 

Gasbadeöfen 425. 

Gasbäder, kohlensaure 257. 

Gasbehälter, Anbringung von Blitzableitern 
426. 

—, Naphthalinverstopfungen 433. 
Gasbeleuchtung, Kosten 429. 

Gasbereitung, Chemie ders. 424. 
Gasblinklichtbeleuchtung als Reklame 432. 
Gasdruckfernzünder 432. 

Gase, Absorption durch Holzkohle bei nie* 
driger Temperatur 410. 

—, arme, Produktion und Verwendbarkeit 
407. 

—, —, Untersuchung 407. 

— der Atmosphäre 404. 

—, giftige 408. 

—, Heizwertbestimmung 409. 

—, hochprozentige, Untersuchung 409. 

—, in Kohlen eingeschlossene, Untersuchung 
409. 

—, schädliche, der Arsenikfabriken 408. 

—, Untersuchung von Wettergasen 409. 
Gasexplosion als Betriebsunfall 435. 
Gasfachmänner Mittelenglands, Verhandlungen 
der Jahresversammlung 426. 
Gasgemenge, Bestimmung der Explosions- 
grenzen 420. 

Gasglühlicht, hängendes, Entwickelung 437. 
—, —, den Metallfadenlampen ebenbürtig 
437. 

—, —, Photometrierstativ 437. 

—, —, Verbrennungsvorgänge 437. 

—, Invert-G., Fernzündung 432. 

—, Invertlampen als Straßenbeleuchtung 
437. 

—, Kosten 436. 

—, Photometrierung 436. 

—, Preß*G., Verwendung 438. 

—, Regulierschlitzdüsen 436. 

— und Metallfadenglühlampe 423. 

—, Vergrößerung des Leuchtvermögens 435. 
Gasglühlichtlampen für Eisenbahnwagen 437. 
Gasheizapparate, Konstruktion, Aufstellung 
und Handhabung 425. 

Gasheizöfen, hygienische Wirkung 425. 

—, Verwertung des Strahlungsvermögens 
von Cer 436. 

Gasheizung für Kirchen 425. 

— als Mittel gegen Rauchplage 412. 
Gaskalorimeter, automatisches 419. 

—, registrierendes 410, 419, 430. 
Gaskamiue für Schlafzimmer 425. 
Gaskammeröfen, Münchener 431. 

Gaskohle, englische 428. 

Gasleitungen, Druckmesser 430. 

—, Prüfung der Dichtigkeit 430. 

Gaslicht, Kosten 436. 

Gasmeisterkursus in Bremen 426. 
Gasmeisterschule in Altenburg 426. 
Gasmeisterschulen in Bayern 426. 


Gasmesser 431. 

Gasofen, Schornsteinanschluß 426. 
Gasproduktion der preußischen Staatsbahnen 

425. 

Gasprüfapparat Coometer 410. 

Gasprüfer von der Uehling 409. 
Gasrefraktometer 410. 

Gasretorte, Vorteile der vertikalen 430, 
431. 

Gasretorten, Entfernung des Graphits 430. 
Gasröhren, Dichtung der Muffen durch Zement 
430. 

—, Zerstörung durch vagabondierende Ströme 
435. 

Gassammelrohre, neue 430. 

Gasschleppschiff 425. 

Gastechniker, Studienplan 424. 
Gastreppenhausbeleuchtung, Zeitzünder 431. 
Gasverbrauch, Hebung 426. 

Gasvergiftung als Betriebsunfall 435. 
Gasversorgung in San Francisco, Wiederher¬ 
stellung 424. 

Gaswerke, als Luftschiffstationen 425. 

— Ausnutzung der Nebenprodukte 432. 

— Berlins 424. 

—, deutsche, wirtschaftliche Vereinigung 

426. 

—, Einrichtung und Betrieb 424. 

— in Österreich-Ungarn 424. 

—, Transportanlagen 431. 

Gebrauchsgegenstände, Verwendung von Farben 
bei deren Herstellung 494. 

Geburten, uneheliche, im Deutschen Reiche 
20. 

Geburtenüberschuß in verschiedenen Landern 

21 . 

Geburtsverhältnisse im Deutschen Reiche 
18, 19. 

Gefangene, Anrechnung der in den Irren¬ 
anstalten verbrachten Zeit 353. 

—, Ernährung in den Tropen 56. 

—, Vorkommen von Geschlechtskrankheiten 

212 . 

GefÜngnishygiene 320. 

Gefängnisse, englische, Verbreitung der Tuber¬ 
kulose 87. 

— in Preußen, Statistik 1906 322, 323. 
Geflügelcholera, Schutz- und Heilmittel 250. 

—, Verbreitung im Deutschen Reiche 249. 
Gehirnentzündung der Pferde, Behandlung 
250. 

-in Sachsen 250. 

Gehirnrückeumarkentzündung bei Pferden, 
Heilerfolg mit Sublimat 251. 

Gehöfte, kleinbäuerliche, Entwürfe 655. 
Geistesarbeit, übermäßige, Einfluß auf die 
Blutbeschaffenheit 309. 

Geisteskranke, Berliner Familienpflege 347. 
—, Beschäftigungstherapie 348. 

—, Familienpflege in Schweden 351. 

—, gemeingefährliche, Behandlung 352. 

— in Österreich 43, 44. 

—, moderne Behandlung 361. 

— Verbrecher, Unterbringung 330. 
Geisteskrankheiten bei verschiedenen Völkern 

17. 


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Sachregister. 


681 


Geistesstörung, latente, bei Prozeßbeteiligten 
851. 

Gelatine, Produkte der Hydrolyse 503. 
Gelbfieber am Panamakanal 192. 

—, Anwendung von Citronellaöl 191. 

—, Beförderung von Leichen (Preußen) 4, 
(Bayern) 5, (Hamburg) 7. 

—, Beschaffenheit dea Harnes 191. 

—, Erreger desa. 191. 

— in Afrika 188. 

—, internationale Maßregeln 394. 

—, Parasitenbefunde im Blute 192. 
Gelenktuberkulose, Hyperämiebehandlung 115. 
Gemüse, Sterilisierung 589. 

—, Vorkommen von Bacterium coli 589. 
Gemüsekonserven, Kupferung ders. 590. 
Generatorgas, Reinigung 410. 

Genickstarre a. a. Meningitis. 

—, Agglutinationsphänomen 156. 

—, bakteriologischer Nachweis 157. 

—, Bekämpfung 154, 158. 

—, Epidemie in Altona 11. 

—, — im Reg.-Bez. Düsseidort 158. 

—, epidemiologische Bedeutung der Rachen* 
erkrankungen 155. 

—, Erreger ders. 159. 

—, Feststellung der Rachenerkrankung 11. 
—, Keimträgerfrage 11. 

—, Serumtherapie 11. 

—, Sterblichkeit 36. 

—, Übertragbarkeit 157. 

—, Verbreitung durch Bazillenträger 11. 
—, Verfahren beim Auftreten ders. (Kanton 
Aargau) 8. 

—, Vorkommen im Großherz. Hessen 158. 
—, — in Preußen 1905 158. 

—, Wirkung des Heilserums 156, 157, 
159. 

—, — von Meningokokkenheilserum 11. 
Genußgifte, Bewahrung der Jugend vor G. 
605. 

Genußmittel, Einwirkung auf die Verdauung 
603. 

— in gefärbtem Papier, Einfuhrverbot 
(Österreich) 7. 

-den Tropen 62. 

—, Versorgungen (Vereinigte Staaten Nord¬ 
amerika) 9. 

Geruchsbelästigung, Abwehr 403. 
Geschlechtskrankheiten, bei Gefangenen 212. 

— Bekämpfung 212, 213. 

—, — beim Bahupersonal 212. 

—, Belehrung von Fachschülern (Preuße») 4. 
—, Einfluß auf die Fortpflanzungsfäbigkeit 
211. 

—, — der Kurpfuscherei 213. 

—, Einschränkung in Budapest 210. 

—, Übertragung beim Stillen 210. 
Geschwülste, bösartige, Beeinflussung durch 
Bluteinspritsungen 222. 

—, —, Entstehung 218. 

—, —, Wachstumsenergie und Ätiologie 
218. 

—, Wesen und Natur 216. 

Gesundheit der Arbeiter, Schutz bei Hoch¬ 
bauten 372. 


Gesundheit, öffentliche, Schutz ders. (Frank¬ 
reich) 8. 

—, Zeitschrift 16. 

Gesundheitskommissionen, Tätigkeit ders. 
(Preußen) 4. 

Gesundheitslehre, gewerbliche 363. 
Gesundheitspflege, allgemeine, Zentralblatt 
16. 

—, Erziehung der Schuljugend zur G. 272. 
—, Merkverse 273. 

—, persönliche, der Arbeiter 365. 

— und Schularzttätigkeit 279. 

—, Unterweisung der Schuljugend in G. 
271. 

Gesundheitsverhältnisse der Bergarbeiter 374. 

— in deutschen Kolonien 69. 

— in Gibraltar 48. 

— und Sterblichkeit in Frankfurt a. M. 18. 
Gesundheitswesen, öffentliches (Großbritan¬ 
nien) 8. 

i — in Preußen 1905 16. 

Getränke, alkoholfreie, Leitsätze 594. 

—, alkoholische, und kindliche Psyche 605. 
—, —, Verbrauch in den Hauptkultur¬ 
ländern 605. 

Gewerbeaufsicht, ärztliche, in Belgien 371. 

— und ärztliche Mitarbeit 363. 

—, Mängel 371. 

Gewerbeaufsichtsbeamten, Ausbildung 370. 
Gewerbebetriebe, Sonntagsruhe (Frankreich) 8. 

—, Staubverhütung 370. 

Gewerbehygiene 15, 17, 363. 

—, Bedeutung des Gießflebers 390. 

—, Bedeutung der Sauerstofftherapie 386. 
—, internationale Übersicht 364. 

—, System 371. 

— und Gewerkschaft 364. 

—, Zeitschrift 16. 

Gewerbeinspektion, ungarische 364. 
Gewerbeinspektoren, englische, Anstellung 
und Vorbildung 371. 

—, hygienische Vorbildung 370. 
Gewerbekrankheiten, Kommission für das 
Studium ders. 363. 

—, Verhütung 365. 

Gewerbeordnung im Deutschen Reiche, Ab¬ 
änderung 868. 

Gewerbliche Gesundheitslehre 362. 
Gewerkschaft und Gewerbehygiene 364. 
Gewohnheitstrinker, verbrecherische, Be¬ 
handlung 352. 

Gewürze, Farbenreaktion 614. 

Gießfleber, Bedeutung in der Gewerbehygiene 
390. 

Gift, Einfluß auf die Produzierung von Im¬ 
munsubstanzen 76. 

Gifte, Einfuhr und Verkauf (Somaliland) 9. 
Glasbläserstar, Entstehung 224. 

Glasschleifer in Böhmen 386. 

Glühkörper, Bestimmung von Deformationen 
436. 

—, Cerofivm-G. 436. 

—, Herstellung mittels Kupfercellulose 436. 
Glühlampe, Film-Gl. 444. 

—, Helion-Gl. 444. 

—, neue Kohlefaden-Gl. 444. 


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Sachregister. 


682 

Glühlampen, Apparat zur Messung der Öko¬ 
nomie 442. 

—, Bestimmung der Lichtstärke 442. 

—, Brauchbarkeit der Metallfadenlampen 
445. 

—, Einfluß der umgebenden Temperatur 
442. 

—, Einkaufsvereinigung, Schweizerische 442. 
—, Einschmelzen von Kupferdrähten 443. 
—, elektrische 441. 

—, —, Kohlefäden für dies. 441. 

—, —, Wärmeenergie 441. 

—, federnde Fassung 443. 

—, Fehler an den Fassungen 443. 

—, handlicher Prüfer 443. 

—, Kohlefaden-Gl., amerikanische, Güte 
ders. 442. 

—, —, Inkonstanz der Lichtstärke 441. 

—, —, Normalien 441. 

—, Lieferungsbedingungen 441. 

—, Material zur Stromzuführung 443. 

—, mattierte, Sinken der Lichtstärke 444. 
—, Meßgerät zur Prüfung des Stromver¬ 
brauches 443. 

—, Messung der Lichtstärke 442. 

—, Prüfung auf Wattverbrauch und Licht¬ 
stärke 442. 

—, richtige Beurteilung 443. 

—, Vakuummeßinstrument 443. 

—, Wechselstrom-Gl., Lichtstärke 444. 

—, Zunahme der sichtbaren Strahlung mit 
der Temperatur 442. 
Glühlampenarmatur „Columbus“ 443. 
Glühlampenbeleuchtung, automatische Schal¬ 
ter 442. 

Glühlampenfäden, Eigenschaften der brauch¬ 
baren Metalle 445. 

Glühlampentechnik, Stand der». 440. 
Glühlicht, Flammentemperatur 435. 
Glühlichtbeleuchtung, elektrische in Nord¬ 
amerika 441. 

Glüh- und Härteöfen 452. 

Glühstrumpfsparer 436. 

Glukoseschweflige Säure 623. 

Glycerin, Bestimmung in Wein und Bier 
596. 

Glykogengehalt des Körpers, Einfluß der Er¬ 
nährung 498. 

Gonokokken, Nachweis 202. 

—, Nährböden für dies. 202. 

—, Züchtung 203. 

Gonokokkenserum, Herstellung 203. 

Gose, Leipziger, Zusammensetzung 601. 
Graetxinlicht, Verbesserung 437. 

Granulöse im Reg.-Bez. Allenstein 13. 
Graphit, Entfernung aus den Retorten 430. 
Gravitation, Erklärung 414. 
Grubenbeleuchtung, elektrische 453. 
Grubenlampen, Sicherheitsverschluß 378. 
Gummi, antimonhaltiges, Verwendung in der 
Nahrungsmittelindustrie 625. 

Gymnasien, Aufnahme von Mädchen 278. 

—, Hygieneunterricht 274. 

Gymnastik als Erziehungsmittel 293. 

— für Berufstätige 262. 

— in der Schule 297. 


Gymnastik und Arteriosklerose 261. 

— — Schönheit 262. 

Gymnastische Praxis 262. 

Hadernstaub, Einfluß und Beseitigung 369. 

Hafen New Yorks, Verschmutzung 642. 

Hafenquarantäne (Japan) 9. 

Haltekinderwesen (Prov. Brandenburg) 5. 

Hämangiom der Brustdrüse 220. 

Hammeltalg, Gehalt an Tristearin 576. 

Hämolyse, Zusammenwirken mehrerer Am¬ 
bozeptoren 78. 

Hämolysin, komplexes, der Bauchspeichel¬ 
drüse 79. 

Handbuch der anorganischen Chemie 404 

— der Tropenkrankheiten 50. 

—, hygienisches, für Schiffsfübrer 396. 

Harcourt - Zehnkerzenpentanlampe, Fehler¬ 
quelle 422. 

Harn, Verhältnis des Harnstoffs und Gesamt¬ 
stickstoffs 498. 

—, Vorkommen von Pyridinmethylchlorid 
609. 

Härte- und Glühöfen 452. 

Häute rausch brandkranker Tiere, Verwendung 
232. 

Hautpflege und Kosmetik 254. 

Hauttuberkulose bei Affen 123. 

Hefenextrakte, Herstellung 505. 

Hefnerkerze, Temperatur 422. 

Hefnerlampe, Helligkeitskurve 422. 

Heidelbeerrohsäfte, schlesische, Zusammen¬ 
setzung 592. 

Heidelbeersäfle, Zusammensetzung 592. 

Heilgymnastik 260. 

—, schwedische 261. 

— und Massage 261. 

Heilpersonal im Deutschen Reiche 403. 

— in Preußen 402. 

Heil- und Pflegeanstalten „am Steinhof“ in 
Wien 351. 

Heilstätten, Beschäftigung der Kranken 117. 

—, Erfolge 116. 

— für Tuberkulöse 116 f. 

—, Kosten 118. 

— oder Invalidenheime für Tuberkulöse 116. . 

—, Unterbringung bedürftiger Lungen¬ 
kranker 3, 5. 

Heilstättenbewegung und Kranken ha uswesen 
342. 

Heilstättenkuren, Dauer 82. 

Heim für Telephonistinnen 652. 

Heimarbeit in der Zigarrenindustrie, Regelung 
387. 

Heimarbeiter, Verminderung der gesetzlichen 
Gefahren 387. 

Heizgas, Herstellung aus Petroleum 435. 

Heizgase, Verlust an Heizwert durch dies. 
409. 

Heizmittel, flüssige, Bestimmung des Schwefels 
456. 

Heizung 421. 

Heizongsanlagen, Untersuchung der Heizgase 
409. 

Heizwertbestimmung, Einfluß von wasserstoff- 
haltigem Sauerstoff 405. 


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Sachregister. 


683 


Heizwertbestimmung von Gazen 409. 
Heliabogenlampe 449. 

Helium, Bildung aas Aktiniam 407. 

—, Entstehung aas Uran 407. 

—, Entwickelung ans radioaktiven Sub¬ 
stanzen 407. 

Helligkeit in Großstädten 415. 

H6roult-Ofen 452. 

Herzvergrößerung infolge Radfahrens 261. 
Heilbehandlung bei Tuberkulose 115. 

Hilfe, erste 14. 

—, —, Entschädigung 333. 

—, —, in London 338. 

Hilfeleistung bei elektrischen Unfällen 453. 

— im Seekriege 397. 

Hilfsschule, hygienische Ausgestaltung 287. 
—, Personalbogen 272. 

—, schriftliche Arbeiten 272. 

Hilfsscbüler, Fürsorgeverein für ehemalige H. 
287. 

Hilfsschulwesen 15. 

— im Auslande 287. 

Himbeerkernöl 593. 

Himbeermarmeladen, Gehalt an wasserunlös¬ 
lichen Substanzen 593. 

—, Nachweis billiger Obstsorten 593. 
Himbeerrohsäfte, Gehalt an wasserunlöslichen 
Substanzen 593. 

—, schlesische, Zusammensetzung 592. 

—, Veränderungen beim Lagern 592. 
Himbeersäfte, 1906er, Zusammensetzung 591. 
Himbeersirupe, Ursache der Trübung 592. 
Hobelmaschinen, Schutzvorrichtung 372. 
Hochofengase, Staubreiniger 410. 

—, Verwendungsweisen 410. 

Holzkohle, Absorption von Gasen bei niedriger 
Temperatur 410. 

Honig, chemische Untersuchung (Frank¬ 
reich) 8. 

—, Leysche Reaktion 591. 

—, polarimetrische Untersuchungsmethode 
591. 

Hornplattenfabriken, gesundheitliche Bedeu¬ 
tung für die Anwohner 387. 

Hörsäle, indirekte Beleuchtung 289, 319. 
Hospital „Hamidi6* 341. 

Hühnercholera, Behandlung mit Galloserin 
250. 

Hühnereiweiß, Phosphorgehalt 564. 
Hühnerpest, Diagnose 249. 

—, Histologie 249. 

—, Immunisierung 249. 

—, Verbreitung im Deutschen Reiche 249. 
—, Virus dere. 249. 

Hühnertuberkelbazillen, Fütternngsvorsuche 
123. 

Hunde, Notwendigkeit der Trichinenschau 
509. 

—, relative Immunität gegen Tuberkulose 
123. 

—, Vorkommen von Tuberkulose 123. 
Hüttenrauch, Bestandteile 408. 

—, Schädlichkeit 413. 

Hydrotherapie, einfache Hilfsmittel 258. 

—, Wirkungsweise 256. 

Hygiene an Bord des „Duguay-Trouin* 397. 


Hygiene, Aufgaben der technischen Wissen¬ 
schaften 372. 

— auf Schiffen 897. 

— der arbeitenden Klasse, Hebung 367. 

— der Ernährung 275. 

— der Kleidung 259. 

— der Mädchenerziehung 295, 296. 

— der Sprechstimme 18. 

— des Kiodesalters und der Schule 270. 

— des Körpers 296. 

— des Trinkens in den Tropen 57. 

—, Gewerbe-H. 17. 

—, Handbuch 17. 

— in Bleichereien und Färbereien 379. 

— in der Zuckerwarenindustrie 390, 391. 

— in Gefängnissen 320. 

— in Gibraltar 48. 

-Kongreß 18, 82. 

—, ländliche 17. 

—, Lehrbuch 272. 

—, sexuelle 212. 

—, soziale 364. 

Hygieneunterricht durch Ärzte 279. 

— für Lehrer 274. 

— in Schulen und Gymnasien 274. 

Idiotenanstnlt in Idstein, Jahresbericht 16. 

— in Scheuern 15. 

Idiotenforschung und -fürsorge 355. 
Idiotenfürsorge 271. 

— in Deutschland 355. 

Idiotenschulwesen 15. 

Immunisierung gegen Streptokokken 76. 

-Tuberkulose 108, 109. 

Immunisierungsverfahren, neue 76. 
Immunität und Opsonine 101. 

— bei Syphilis 207. 

Immunitätsfragen 76. 

Immunitätslehre 83, 101. 

Immunsubstanzen, Produzierung 76. 
Impfarzt, Instrumentarium für dens. 168. 
Impfbeschädigungen 38. 

Impfgeschäft im Deutschen Reich, Ergeb¬ 
nisse 1904 165. 

Impfgesetz (Großbritannien) 8. 

—, französisches 167. 

Impflinge, Verhaltungsmaßregeln 168. 
Impfpusteln, spezifische Immunkörper im 
Auszuge ders. 163. 

Impftherapie bei verschiedenen Krankheiten 51. 
Impfung in den Kolonien 58. 

—, s. a. Schutzpockenimpfung. 

Impfwesen in Dänemark und Grönland 167. 

— in Preußen 37. 

Industrie, Dezentralisierung 412. 

—, Nachtarbeit der Krauen 3. 

—, — jugendlicher 367. 
Infektionskrankheiten und Gewerbe 365. 

—, Sterblichkeit in Preußen 40. 

— und Schule 304, 305, 306. 

—, Verhütung der Einschleppung in Straf¬ 
anstalten (Österreich) 7. 
Infektionsträger, Arbeitsmaterialien als solche 
368. 

Influenza, Auftreten, Bewegung und Stand 
(Hessen) 6. 


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684 


Sachregister. 


Influenza der Pferde a. Brustseuche. 

— — —, Verbreitung im Deutschen Reiche 
251. 

—, Lebereiterung nach ders. 152. 

—, Sterblichkeit 35. 

— und Dengue in den Tropen, Differential' 
diagnose 62. 

Influenzabazillen, Bedeutung für Cholecystitis 
152. 

—, Blutnährböden für dies. 152. 

—, Untersuchungen 152. 

—, Verimpfung 152. 
Influenzabazillenpyämie 152. 

Influenzabazillus, Nachweis 152. 
Influenzastäbchen 152. 

Ingwer und extrahierter Ingwer 618. 
Installateurschulen in Bayern 426. 
Installationsmaterial, Normalien 443. 
Installationsmonteurkurse. 439. 
Invalidenversicherung und Hygiene 367. 

— — Tuberkulose 84. 

Invaliditätsursachen 85. 

Invaliditätsversicherung im Deutschen Reiche 
362. 

Irrenanstalten, Beobachtungsabteilung für 
Jugendliche 347. 

—, Berliner Familienpflege 347. 

—, Entlassung geisteskranker Verbrecher 
353. 

—, Freiluftdauerbäder 348. 

—, Großbetrieb 346. 

—, Heilungsaussichten 346. 

— in Frankreich 45. 

— in Norwegen 44. 

— in Österreich 43. 

— in Ungarn 44. 

—, Stand der Pflegerfrage 347. 

—, Vorkommen und Bedeutung von Typbus¬ 
bazillenträgem 350. 

Irrenärztlicher Beruf, Organisation 346. 
Irrengesetz, französisches 351. 

Irrenstatistik und Irrenfürsorge 345. 
lsarverunreinigung durch die Abwasser Mün¬ 
chens 641. 

Isoliermaterial Asbest-Wood 444. 

— Tenacit 443. 

Jewellfilter 470, 471. 

Johannisbeerrohsäfte, schlesische, Zusammen¬ 
setzung 592. 

Jugend, Besserung des Gesundheitszustandes 
299. 

—, sexuelle Aufklärung 310, 311. 
Jugendliche, Nachtarbeit in der Industrie 
367. 

Jugendliteratur und sexuelle Aufklärung 
271. 

Jugendspiele für Volksschulen 298. 

—, Ratgeber 262. 

Kadaver, Beseitigung durch Ätznatron 657. 
—, fahrbarer Verbrennungsapparat 657. 

—, unschädliche Vernichtung 657. 

Kaffee, coffeinfreier 608. 

—, physiologische Wirkung 609. 

—, Schädlichkeit 608. 


Kaffee, Vergiftungserscheinungen durch ein¬ 
maligen Genuß 609. 

Kaissonkrankheit 409. 

Kakao, Einfluß des Fettgehaltes auf die Ver¬ 
dauung 610, 611. 

—, — auf den Stoffwechsel 609, 610, 611. 
—, Fettbestimmung 614. 

—, Nachweis von Kakaokeimen, -schalen usw. 
614. 

—,-Kakaoschalen 613, 617. 

—, Rohfaserbestimmung 612, 613. 
Kakaobutter, Nachweis in der Butter 570. 
Kakaokeime, Nachweis in Kakao 614. 
Kakaoschalen, Nachweis in Kakao 613, 614, 
617. 

Kakaosorten Finnlands, Zusammensetzung 
613. 

Kalar-Azar, Prophylaxe und Therapie 65. 
Kälber, Finnenbefunde bei Saugkälbern 508. 
Kälberruhrserum, polyvalentes 248. 
Kaliumpermanganat, Anwendung gegen 
Schlangenbisse 54. 

Kalk, volumetrische Bestimmung im Wasser 
459. 

Kalorimeter für Petroleum 419. 
Kalorimeterbombe, Verbrennungsgeschwindig- 
keit und Druck 419. 

Kamerun, Medizinalbericht 1904/05 55. 
Kanalarbeiter, Wohlfahrtseinrichtungen 388. 
Kaprine 242. 

Karden, Verschluß am Tambourgehäuse 372. 
Karolinen, Medizinalbericht 1904/05 55. 
Kartoffelmehl, Nachweis in Kakao 614. 
Kartoffeln, Nachweis in Weizenbrot 585. 
Karzinom s. a. Krebs. 

—, endemisches Vorkommen und Über¬ 
impf barkeit 217. 

—, Heilung durch Sonnenlicht 423. 

—, Rückschlag in Adenom 222. 
Karzinome, melanotiscbe, Weiterverbreitung 
220 . 

KarzinomfYage, experimentelle Beiträge 219. 
Karzinomwachslum, experimentelle Analyse 
219. 

Käse, Aldehydgehalt 582. 

—, Bestimmung der nativen Eiweißkörper 
581. 

—, Camembert-K., Reifung dess. 580. 

—, Cbeddar-K., Reifung dess. 579. 

—, Gelbbraunfärbung durch einen Micro- 
coccus 581. 

—, Peptonisierung des Eiweißes 579. 

—, Reifung 579. 

—, Ursache des „Bitterwerdens“ 582. 

—, vegetabilischer 590. 

Kasease 578. 

Käsefehler 580. 

Kaumazit-Koks 429. 

Kautschukringe, schwefelantimonhaltige 
(Mecklenburg-Schwerin) 6. 
Kehlkopftuberkulose, Pathologie und Therapie 
111 . 

— und Gravidität 83. 

Kerzenfabrikation, Fortschritte 457. 
Kesselsteinschutzmittel Dermatin 408. 
Keuchhusten und Schule 305. 


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Sachregister. 


686 


Keuchhusten, Sterblichkeit 31. 

—, — bei Mädchen und Knaben 153. 

—, Vorkommen kleiner Polbakterien 153. 

Keuchhustenepidemie, mit Masern kompli* 
zierte 153. 

Keuchhustenerreger, kulturelle Eigenschaften 
153. 

Kindbettfieber, Maßnahmen gegen die Sterb¬ 
lichkeit 201. 

—, Sterblichkeit 32. 

Kinder, anormale, Erziehung und Unterricht 
271. 

— im ersten Jahre, Schutz ders. (Luxem¬ 
burg) 9. 

—, tuberkulöse, Fürsorge 108. 

Kinderambulatorien, Prophylaxe der Infek¬ 
tionen 267. 

Kinderarbeit und ihre Bekämpfung 368. 

Kinderheilanstalt Victoriastift in Kreuznach 
15. 

Kinderheilstätten, Erfahrungen in dens. 82. 

Kinderhospital „Hamidi6* 341. 

Kinderhospitäler, Isolierung und Kontakt- 
verhütung 344. 

Kindermilch, Herstellung tadelloser 557. 

Kindersterblichkeit, Entwickelung in Stadt 
und Land 268. 

Kindertrinkflasche 560. 

Kindertuberkulose und Kuhmilch 96. 

—, spezifische Behandlung 112. 

Kindesalter, Hygiene 270. 

Klärschlamm, Verwertung und Beseitigung 
629. 

Kleiderablagen in Schulen 317. 

Kleidung, Hygiene ders. 259. 

— in den Tropen 260. 

Klosettanlagen für Schulen 318. 

Knallquecksilber, Gefahren der Fabrikation 

384. 

Kniegelenk, Sauerstoffeinblasungen 404. 

Knochentuberkulose, Hyperämiebehandlung 
115. 

Kochgeschirre, emaillierte, Untersuchung 
626. 

Kochsalz, Magnesiumchloridgehalt 619. 

Koedukation 277, 278. 

Kognak, Entmischung in den Lagerfässern 
602. 

—, Ursache des Gehaltes an Aldehyden und 
höheren Alkoholen 602. 

Kohinoorbogenlampe 449. 

Kohlefadenglühlampen , amerikanische, Güte 
ders. 442. 

—, Normalien 441. 

Kohlefadenlampe 441, 442. 

Kohleglübfäden für elektrische Glühlampen 
441. 

Kohlen, amerikanische, Zusammensetzung 
428. 

—, Bestimmung der Feuchtigkeit 428. 

—, eingeschlossene Gase 428. 

—, Gleichmäßigkeit des WasserstofTgehaltes 
428. 

, maßanalytische Bestimmung des Schwe¬ 
fels 428. 

—, nicht verkokbare, Analyse 428. 


Kohlen, Untersuchung der eingeschlossenen 
Gase 409. 

Kohlenarbeiter, Vorkommen von Epithelioma 
374. 

Kohlenbergbau in China 428. 

Kohlenbrände 428. 

Kohlengruben, schlagende Wetter 373. 

Kohlenhydrate, Trennung durch Reinhefen 503. 

Kohlenoxyd, Aufnahme durch das Nerven¬ 
system 406. 

—, Bestimmung in Gasgemischen 406. 

—,-der Luft 406. 

—, — im Tabakrauch 406. 

—eingeatmetes, Nachwirkung 406. 

—, Nachweis im Blute 181, 406. 

Kohlenoxydvergiftung, erster Fall 406. 

Kohlenproduktion der Erde 1905 427. 

— im Deutschen Reiche 1906 427. 

Kohlensäuregehalt der Essengase 409. 

Kohlenstatistik aus England 427. 

Kohlenstaub, Untersuchung dess. 428. 

Kohlenstaub- und Gasexplosionen, Demon¬ 
stration 432. 

Kohlenstaubexplosionen, Verhütung 372. 

Kohlensyndikat, rheinisch - westfälisches, Be¬ 
richt für 1906 427. 

Kohlenverbrauch in Großstädten 411. 

Kokerei, Verwertbarkeit des Gases 430. 

Kokosfett, gelbgefärbtes 578. 

—, Nachweis in der Butter 570, 571, 572. 

Koks, britischer 427. 

—, Darstellung aus Braunkohle 429. 

—, Kaumazit-K. 429. 

—, maßanalytische Bestimmung des Schwe¬ 
fels 428. 

—, nicht ganz ausgegaster 429. 

—, Torf-K., Gewinnung 429. 

Koksofengase, Staubreiniger 410. 

—, Verwendung 426. 

Koksofenvergasung 426. 

Koksstatistik aus England 427. 

Koksstaub von Gasanstalten, Brikettierung 
432. 

Kolonialbeamte, ärztliche Ratschläge für dies. 
53. 

Kolonien, Alkoholismus 57. 

—, deutsche, Gesundheitsverhältnisse 69. 

—, —, Tier- und Pflanzengifte 66. 

—, Schutzpockenimpfung 58. 

Konditoreien, Einrichtung und Betrieb 
(Bayern, Sachsen) 5, (Baden, Sachsen- 
Altenburg, Schwarzburg-Sondershausen) 
6 . 

Konfitüren, chemische Untersuchung (Frank¬ 
reich) 8. 

Konfitürenindustrie, Verwendung von Alkohol 
615. 

Kongreß für Hygiene, XIV. internationaler 
15, 18, 82. 

-, Ausstellung 17. 

—, Tuberkulose-K. 81. 

Konserven, giftige 625. 

—, Kupferung ders. 590. 

—, verdorbene, Gefahren und Verhütung des 
Genusses ders. (Mecklenburg-Schwerin, 
Oldenburg, Sachsen-Meiningen) 6. 


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Sachregister. 


686 

Konservenbüchsen, mit Blei gelötete, Ver¬ 
wendung (Rumänien) 9. 

Konservierungsmittel, Ameisensäure enthal¬ 
tende 622. 

—, geeignete 621. 

—, Verwendung bei Nahrungs* und Genu߬ 
mitteln 619. 

—, Wirkung auf Hackfleisch 621. 

Kontrolluhr, neue 348. 

Kopfkrankheit der Pferde, identisch mit der 
Bor naschen Krankheit 250. 

Körpermeßapparat 288. 

Körpermessungen 288. 

Körperpflege in höherem Alter 262. 

Körperwärme in verschiedenen Gegenden 71. 

Kostgängerwesen (Basel) 8. 

Krabbenextrakt, Zusammensetzung 504. 

Krankenanstalten in Preußen 18. 

Krankenbeförderung 14. 

Krankenernährung, Unterricht für Arzte 338. 

Krankenfürsorge für in den Staatsbetrieben 
beschäftigte Personen (Preußen) 4. 

Krankenhäuser, Heizung und Lüftung 343. 

Krankenhausstatistik in Preußen 41. 

Krankenhausverein Biebrich 15. 

Krankenhauswesen und Heilstättenbewegung 
342. 

Krankennahrung, Brot als solche 62. 

Krankenpflege, freiwillige und Samariteraus¬ 
bildung 338. 

Krankenversicherung und Säuglingsfiirsorge 
14. 

Krankenversorgung im Krankenhause zu 
Höchst 15. 

Krankheiten, ansteckende, Bekämpfung (West- 
australien) 10. 

—, —, Belehrung (Preußen) 4. 

—, —, in den französischen Kolonien 1904 
49. 

—, —, Übertragung ln den Schulen 
(Preußen) 4. 

—, —, Verhütung der Verbreitung (Steier¬ 
mark) 7, (Rumänien) 9. 

—, gemeingefährliche, Bekämpfung (Deut¬ 
sches Reich) 3, (Bayern) 5, (Braun¬ 
schweig) 6. 

—, —, Desinfektionsanweisung (Deutsches 
Reich) 3. 

—, Impftherapie 51. 

—, tropische, Verhütung und Behandlung 
54. * 

—, übertragbare, Auftreten ders. (Sachsen) 5. 

—, —, Bekämpfung 4, 805. 

—, —, Erkrankte u. Gestorbene (Preußen) 4. 

—, —, Verbreitung durch Bazillenträger 11. 

—, —, Verhütung in den Häfen (Frank¬ 
reich) 8, (Algier) 9. 

—, —, Verhütung der Verbreitung durch 
die Schulen 307. 

—, venerische, Bekämpfung (Dänemark) 9. 

Krankheitsfälle auf Schiffen, Anzeigepflicht 
(Ungarn) 8. 

Kranksinnige, familiäre Verpflegung 348. 

Krebs s. a. Karzinom. 

—, Basalzellenkrebs 215. 

—, Beziehungen zur Unfallversicherung 83. 


Krebs bei Ehegatten 217. 

—, experimenteller, bei Mäusen 221. 

—, Heilung durch Röntgen- oder Radium¬ 
strahlen 423. 

—, Infektiosität 217. 

—Käfiginfektion 217. 

—, Kontagiosität 217. 

—, multipler 220. 

—, Statistik 215. 

—, Verhütung des Fortschreitens 222. 

—, Verteilung auf die Altersklassen 215. 
—, Vorkommen in Grönland 216. 

—, Wesen und Natur 216. 

Krebsbildung im Kindesalter 215. 
Krebsforschung, experimentelle, Ergebnisse 
221 . 

—, Stand ders. 215. 

Krebsgeschwülste, Pathogenese und spezi¬ 
fischer Abbau 218. 

Krebsgifte 222. 

Krebsprobleme 217. 

Krebssterblichkeit in Süddeutschland 216. 
Kreisärzte, Mitwirkung auf schulärztlichem 
Gebiet 271, 278. 

Kreissägen, Schutzvorrichtung 372. 
Krematorien, deutsche, Zahl deT Einäsche¬ 
rungen 1908 658. 

—, Neuerrichtungen 658. 

Kretins in Österreich 43. 
Kriegssanitätsordnung (Deutsches Reich) 3. 
Kriegsschiffe, französische, Gesundheitszustand 
in den Tropen 899. 

Krüppelhafte Kinder (Bayern) 5. 
Krüppelheim des Staates New York 341. 
Kunstdünger und Augenerkrankungen 389. 
Kupfer, Bestimmung im Trinkwasser 460. 
Kurzschlüsse, Ursache 453. 

Kurzsichtigkeit, Behandlung 225. 

—, Bekämpfung 303. 

Kuhpockenimpfstoff s. a. Lymphe. 

—, Übertragung 169. 

Lab und Labbereitung 578. 
Lackierergewerbe, Bleivergiftung 375. 
Lampen, Amalgam-L. 452. 

Landesbauordnung (Baden) 6. 
Landesgesundbeitsrat (Baden) 6. 
Landesversicherungsanstalt Berlin, Jahres¬ 
bericht 331. 

Larynztuberkulose, Behandlung 111. 

—, primäre 95. 

Lebensmittel, Alkalität der Asche 495. 

—, Verwendung von Farben bei deren Her¬ 
stellung 7, 494. 

Lebensmittelgesetzgebung, deutsche, Aus¬ 
dehnung 490, 491, 492. 
Lebensmittelkontrolle in Preußen 493. 
Lecithinsuspensionen, Kolloidreaktionen 78. 
Ledigenheim für Mädchen in Ulm 652. 
Lehrer, Hygieneunterricht 274. 

—, Mitwirkung bei der Bekämpfung über¬ 
tragbarer Krankheiten 305. 

—, schulhygienischer Fortbildungskursus 
275. 

—, Vorkommen von Tuberkulose 306, 307. 
Lehrerinnen, Ausbildung 293. 


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Sachregister. 687 


Leichen, Beförderung auf Eisenbahnen (Deut¬ 
sches Reich) 3-, (Baden, Württemberg) 6. 
—,-dem Seewege (Deutsche Kolo¬ 

nien) 4, (Baden) 6, (Scbwarzburg-Son- 
dershausen) 7. 

—, gerichtliche Untersuchung (Sachsen, 
Württemberg) 5, (Mecklenburg-Schwerin, 
Sachsen-Weimar, Schwarzburg-Sonders¬ 
hausen) 6, (Lippe, Elsaß-Lothringen) 7. 
Leichenschau und Beerdigung (Bayern) 5. 

—, obligatorische, Durchführung (Preußen) 4. 
Leichenverbrennung bei Tuberkulose 110. 

— in Bergen 658. 

Leichenverbrennuugsofen, elektrischer 658. 
Leinewand, glatte, weiße, Eigenschaften 259. 
Leitungsnetz für Licht- und Straßenanschlüssc, 
Kosten 458. 

Lepra 16. 

—, bakteriologische Diagnose 170. 

—, Häufigkeit in Columbia 170. 

— in Persien 169. 

—, Linsenluxation als erste Erscheinung 
225. 

—, Station auf der Insel Molakai 39. 

— tuberosa der oberen Luftwege 13. 

—, Verbreitung in Deutschland 170. 

—, Vorkommen im Deutschen Reiche 38. 
—, — in Deutsch-Ostafrika 38 

—,-Norwegen 38. 

—, — auf den Philippinen 39. 
Leprakranke, Nachweis von Antikörpern im 
Serum 170. 

Leuchtfeuer, Parabolspiegel mit elektrischem 
Glühlicht als L. 444. 

Leuchtgas s. a. Gas. 

—, Bestimmung von Benzol 433. 

—, flüssiges 433. 

—, Herstellung aus Petroleum 435. 

—, Unglückställe 435. 

Leuchtgasvergiftung 406. 

Leuchtringe für elektrische Druckknöpfe 423. 
Leukämie, Behandlung mit Röntgenstrahlen 
423. 

Leukocyten und Tuberkulose 84. 

Licht, Eiuheitslaropen 422. 

—, Erklärung 414. 

—, Helligkeitskurve der Hefnerlampe 422. 
—, ultraviolettes, Wirkungen der«. 416. 

— und Elektrizität 414. 

—, Umwandlung elektrischer Energie in L. 
439. 

Lichtbogen, eingeschlossener bei Gleichstrom 
448. 

—, elektrischer, Anwendung zum Zer¬ 
schneiden von Eisen 449. 

—, Quecksiiber-L., selektive Absorption in 
dems. 449. 

—, schwingender 448. 

—, selbsttönender, Theorie 448. 

—, Untersuchungen 448. 

—, Wechselstrom, Verwertung in der Me߬ 
technik 449. 

Lichteinheiten, photometrische Vergleiche 
417. 

—, Vergleichswerte 418. 

Lichtelektrische Ermüdung 453. 


Licht-Luftbad für Gemeinden 255. 
Lichtmessungen, Fehlerquellen 417. 
Lichtquellen, gebräuchliche, Wirkungsgrad 
417. 

—, große Stärke, Photometrierung 418. 

—, künstliche, Schutz gegen ultraviolette 
Strahlen 416. 

— und Lichtwirkung 421. 

Lichtstärke, Einheit 417. 

Lichtstärken, mittlere, Berechnungen 417. 
Lichttherapie 423. 

—, Ergebnisse und gegenwärtiger Stand 
424. 

Lichtversorgung 421. 

Lichtverteilung in der Umgebung einer 
Larapenreihe 439. 

Likör, Nachweis von Fuchsin 597. 

Limonade, chemische Untersuchung (Frank¬ 
reich) 8. 

Lucaslampe, Neukonstruktion 437. 

Lues spezifische Niederschläge 209. 

Luft, Bestandteile ders. 404. 

—, Bestimmung des Kohlenoxyds 406. 

—, feste, Herstellung 403. 

—, flüssige, Theorie der Herstellung 404. 

— in Untergrundbahnen, Erneuerung 412. 

— — —, Staubgehalt 412. 

—, Löslichkeit in Fetten 380. 

—, Ozonisierung ders. 405. 

—, Polar-L., Baktrriengehalt 413. 

—, verdorbene, Beseitigung 413. 

—, Verunreinigung durch Ruß 412. 
Luftbad, Geschichte dess. 255. 

Luftbäder, Technik und Bedeutung 255. 

—, therapeutische Bedeutung 255. 
Luftballons, Füllung mit Leuchtgas 425. 
Luftbefeuchtungs- und Ventilationseinrich¬ 
tungen für Textilfabriken 372. 
Luftdruckerkrankungen 379, 409. 

Luftduschen 254. 

Luftfeuchtigkeit, Messung 412. 

Luftheizung, verbesserte 412. 

Luftgas 434. 

Luftrecht 403. 

Luftreinigung, mechanische 412. 
Luftschifl’stationen, Gaswerke als solche 425. 
Luft- und Sonnenbäder 255. 

Lüftung 421. 

— der Schulräume 290. 
Lüftungsvorrichtung im Theater 413. 
Luftuntersuchungen in Manchester 411. 
Luftverbrennung im elektrischen Flammen¬ 
bogen 448. 

Luftversorgung 421. 

Lungen, Hyperämiebehandlung 83. 

—, Staubinhalationserkrankungen 369. 
Lungenanthrakose, Bedeutung für die Lungen¬ 
tuberkulose 92. 

Lungenerkrankungen bei Arbeitern 85. 

— und Rauchplage, Zusammenhang 411. 
Lungenheilstätten, Erfolge im Winter 116. 

— in den Niederlanden 119. 
Lungenheilstättenbewegung in Ungarn 119. 
Lungenheilstättenkur für Arme 117. 
Lungenkranke, Ansiedelung in Südwest-Afrika 

118. 


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688 


Sachregister. 


Lungenkranke, Auskunftastellen 106. i 

—, bedürftige, Unterbringung in Heilstätten 
3, 5. 

—, Beschäftigungstherapie 117, 118. 

—, Einfluß des Klimas 118. 

—, Ernährungskur 116. 

—, Fürsorge 106. 

—, Luft* und Sonnenbäder 115. 
Luugenkrankheiten als Invaliditätsursachen 
85. 

Lungenphthise, Oenese 90, 91. 

—, Übertragung auf Rinder 96. 
Lungensaugmaske 83, 115. 
Lungenschwindsucht, Behandlung mit Tuber* 
kulin 111. 

—, hämatogene Infektion 95. 

— und Röntgenstrahlen 84. 

—, Ursachen und Bekämpfung 83. 
Lungenseuche im Deutschen Reiche 241. 

— der Rinder, Schutzimpfung 241. 

—, Wirkung der Reinkulturen 241. 

Lungenspitzentuberkulose, radiographische Be¬ 
funde 84. 

Lungentuberkulose s. a. Phthise und Schwind* 
sucht. 

—, Agglutination 100. 

—, Ansteckungsgefahr 97. 

—, Arbeit als Hilfsmittel bei der Behand¬ 
lung 117. 

— und Alkohol 84. 

Lungentuberkulose, Behandlung mit Mar- 
morekserum 114. 

Lungentuberkulose, Bekämpfung 104, 105. 

—, — in der Schule 306. 

—, Energiehaushalt 83. 

—, Entstehung 83. 

—, — und Behandlung 113. 

—, Heilstättenbehandlung 117. 

—, Herz- und Blutbefunde 83. 

— in der deutschen Armee 86. 

—, Infektion des Organismus 93. 

—, Mischinfektion 84. 

—, Prognose 84. 

—, Sanatoriumbehandlung 121. 

—, Sterblichkeit 33. 

—, Tuberkulindiagnose 100. 

—, Übertragung durch Bücher 93. 

— und Leukocyten 84. 

— und obere Luftwege, Beziehungen 94. 

—, Verbreitung in Basel 88. 

Lupus, Lichtbehandlung 115. 

Lymphe, Bestrahlung mit Radiumsalz 165. 

—, Einwirkung des Lichtes 165. 

—, Gewinnung 163, 165. 

—, — in den Tropen 48. 

—, humanisierte 165. 

Mädchen, Hygiene ders. 296. 

—, sexuelle Belehrung 311. 
Mädchenerziehung, Hygiene ders. 295. 
Mädchenschule in Nordhausen 315. 
Mädchenschulwesen 296. 

Magensaftsekretion, Einfluß der Maggischen 
Suppenwürze 615. 

Magnesia, volumetrische Bestimmung in 
Wasser 459. 


I Magnetismus, Erklärung 414. 
Magnetitbogenlampe 451. 

— für Reihenschaltung 451. 
Magnetitbogenlampen für Straßenbeleuchtung 

451. 

Maismehl, Nachweis im Mehl und Brot 584. 
Malachitnährböden für den Typhusnachweis 
124, 125. 

Malaria, Affektionen der Haut 177. 

—, Albuminurie bei M. 178. 

— am Panamakanal 192. 

— an Bord der „Rance* 400. 

—, Behandlung mit Chininum purum 175. 

—, —-tannicum 185. 

—,-Quinoform 177. 

—, — — Röntgenstrahlen 178. 

—, Bekämpfung auf Corsika 172. 

—, — in deutschen Kolonien 180. 

—, Chininprophylaxe 175. 

—, fieberhafte Anämie 179. 

— in Griechenland 177. 

— im Jeverlande 178. 

— in Madagaskar 182. 

—, mechanischer Schutz in den Tropen 178. 
—, Milzabszeß 178. 

— und Chinin 179. 

— und maligne Tumoren 182. 

—, Verbreitung in Griechenland und Italien 
181. 

Malariakrankheiten, Einführung in das 
Studium 171. 

Malariaparasiten, Übertragung auf den Fötus 
179. 

Malergewerbe, Bleivergiftung 375. 

—, Verwendung gesundheitsschädlicher Kar¬ 
ben 376. 

Maligne Neubildungen, Wachstum ders. 220. 
Mallein, Wirkung auf die Conjunctiva 237. 
Maltafieber 45. 

—, Infektion 46. 

— und Tuberkulose 84. 

—, Weiterverbreitung durch den Urin 47. 
Mangan, Bestimmung im Wasser 460. 
Mangansulfat, Abscheidung aus Wasser 479, 
480. 

Mangantoxikosen und Manganophobie 389. 
Manganvergiftung bei Arbeitern 389. 
Männerheim, zweites, in Wien 655. 
Margarine, Herstellung (Frankreich) 8. 

—, Wassergehalt 575. 

—, Zubereitung und Verkauf (Dänemark) 9. 
Mariannen, Medizinalbericht 1904/05 55. 
Marine, Todesursachen 87. 
Marinescheinwerfer, elektrisch beleuchtete 
448. 

Marmeladen, Erkennung fremder Stoffe 593. 
Marschallinseln, Medizinalbericht 1904/05 55. 
Masern, bakteriologische Untersuchungen 148. 
—, Bekämpfung in Pillkallen 4. 

—, hämophiler Bazillus im Blute 147. 

—, Sterblichkeit 29. 

—, Streptokokken-Conjunctivitis 148. 

— und Schule 305. 

Massage und Heilgymnastik 261. 

Materie, strahlende 414. 

—, Struktur ders. 414. 


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Sachregister. 


689 


Hauke als Komplikation der Brustseuche 251. 
Maul- und Klauenseuche, ähnliche Krankheit 
240. 

-, Behandlung, prophylaktische 239. 

-, — mit Unguent. Crede 239. 

— -beim Hund und Wildschwein 241. 

-, Bekämpfung 239. 

-, brauchbare Schutzimpfung 239. 

-, Dauer der Immunität 239. 

-— — —, Empfänglichkeit der Rinder 239. 

-, Impfung nach Ory 240. 

-, Kuhpockenimpfung als Schutz¬ 
mittel 240. 

-—, Pseudo-M. 240. 

-—, Übertragbarkeit 239, 240. 

-, Verbreitung im Deutschen Reiche 

238. 

-, Wert der Bekämpfungsmittel 239. 

Mäuse, Qeschwulstresistenz 221. 
Mäusekarzinom, Rückschlag in Adenom 222. 
Maya 538. 

Mazun, armenischer, Mikroorganismen dess. 
541. 

Medizinalbericht über die deutschen Kolonien 
1904/05 55. 

Medizinal- und Gesundheitswesen in Preußen 
18. 

Medizinaluntersuchungsamt in Koblenz, Jahres¬ 
bericht 15. 

Mehl, Backwert 582. 

—, Bestimmung des Klebers 583. 

—, Bestimmung der Stärke 583. 

—, Bleichen dess. 583. 

—, gebleichtes, Nachweis von Stickozyden 
584. 

—, Nachweis der Bleichung 584. 

—, Nachweis von Maismehl 584. 

—, Verfälschung mit gemahlenen Steinnu߬ 
abfällen 584. 

Mehle, deztrinierte als Kindernahrung 563. 
Mehlspeisenvergiftung, Paratyphusbazillen als 
Ursache 588. 

Meningitis cerebrospinalis s. a. Genickstarre. 
-, Wirkung des Heilserums 156, 157. 

— gonorrhoica 202. 

— pseudoepidemica 154. 

Meningokokken, Abtötung durch Pyocyanase 

159. 

—, Agglutination 155, 156. 

—, Eigenschaften 154. 

—, Einfluß des Zigarettenrauches 155. 

— in den Yesicul. seminal. 155. 

—, Schwierigkeit des Nachweises 157. 

—, Verimpfung 156. 

—, Vorkommen bei Gesunden 155. 

—, — im Rachenraum 11. 

—, Züchtung 154. 

Meningokokkenheilserum, Wirkung 11, 156, 
157. 

Meningokokkus als Krankheitserreger 155. 
Messingarbeiter, Gesundheitszustand 389. 

—, Häufigkeit der Tuberkulose 87. 
Metallfadenlampen, Belastung der Elektri¬ 
zitätswerke durch dies. 445. 

—, Brauchbarkeit 445. 

—, Untersuchungen 445. 

Vierteljahrssohrift für Gesundheitspflege, 1908. 


Metallfadenlampen zur Straßenbeleuchtung 
445. 

Metalllegierungen mit über 10 Proz. Blei, 
Einfuhrverbot (Serbien) 9. 
Metallschleifereien, Erkrankungen in dens. 
(Preußen) 4. 

—, Merkblatt für dies. 390. 

Metallspektren, Demonstration 419. 
Metallspielwarenindustrie, Berufskrankheiten 
393. 

Methan-Wassergaaanlage 434. 

Methylalkohol, Einwirkung auf das Sehver¬ 
mögen 223. 

Micrococcus catarrhalis, Eigenschaften 154. 

— melitensis, Vorkommen bei Maltafieber 47. 
Mikroorganismen des armenischen Mazuns 

541. 

Milch, Abnahme des Bakteriengehaltes 527. 
—, Abtötung von Tuberkelbazillen 530. 

—, aräometrische Fettbestimmung 525. 

—, Bedeutung der rohen M. für die Säug¬ 
lingsernährung 558. 

—, Behandlung ders. 517. 

—, Bestimmung von Salicylsäure 526. 

—, — der Trockensubstanz 525. 

—, Bevorzugung der rohen M. 559. 

—, dänische, in Berlin eingefiihrte, Be¬ 
schaffenheit 518. 

— des Friedrichsfelder Magerviehhofs 522. 
—, Fettbestimmung in Zentrifugenmager- 

milch 526. 

—, frische, bakterizide Eigenschaften 530. 
—, Frischhaltung in Kühlkisten 528. 

—, Gewinnung reiner und guter M. 516. 
—, Herstellung tadelloser Kindermilch 557. 
—, homogenisierte, als Ursache der Barlo w- 
schen Krankheit 561. 

—, Infektiosität 532. 

—, Just-Hatmakersche Trocken-M. 561. 
—, Keimgehalt 522. 

—, Kinder-M.-Anstalt in Cöln 555. 

—, kondensierte, Fettbestimmung 526. 

—, Konservierung 533. 

—, Leukocytenprobe 536. 

—, Mustermilchanstalt Hofstede Oud-Bussom 
518. 

—, Nachweis von Formaldehyd 526, 527. 

—,-Rohrzucker 526. 

—,-Typhusbazillen 135. 

—, Peroxydasereaktion 531. 

—, Präservierung nach Budde 529. 

—, rationelle und reinliche Gewinnung 516. 
—, rohe, und Typhus, Beziehungen 584. 
—, Schleimbildung 538. 

—, Sherrvmolken zur Säuglingsernährung 
563. 

—, spezifisches Gewicht des Serums 525. 
—, sterilisierte auf Blechdosen gefüllte 528. 
—, —, Verbesserung 561. 

—, Tuberkulose-Infektionsgefahr 105. 

— tuberkulöser Kühe, Veränderungen 123. 

— — —, Zusammensetzung 533. 

—, Übergang von Nahrungsfett in dies. 
514. 

—, —-Rotlaufbazillen in dies. 244. 

—, Übertragung von Typhus durch dies. 534. 
Supplement. 44 


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690 


Sachregister. 


Milch, Überwachung des Verkehrt mit der«. 
518. 

— und Rindertuberkulose 96. 

—, Ursprung der Enzyme 531. 

—, Verhütung des Sauerwerdens 530. 

—, Verkehr mit ders. (Victoria) 10. 

—, Verunreinigung durch Holz- oder Zinn¬ 
teilchen 522. 

—, Vorbereitung zur refraktometrischen 
Untersuchung des Serums 524. 

—, Vorkommen von Leukocyten 535. 

—, — — Staphylokokken und Strepto¬ 
kokken 535. 

—, Vorschläge zur Abänderung der „Ver¬ 
einbarungen“ 523. 

—, Wert der Feststellung des spezifischen 
Gewichtes der Milchtrockensubstanz 525. 
—, Wirkung des bulgarischen Fermentes 
540. 

—, Zusammensetzung des Fettes 522. 

—, Zusatz Ton Formaldehyd 529. 
Milchbazillus Möller 533. 

Milcheiweiß, Übergang in das Blut 544. 
Milchflaschen, mißbräuchliche Verwendung 
(Reg.-Bez Unterfranken) 5, (Oldenburg) 6. 
Milchhäuser (Niederösterreich) 7. 
Milchhygiene, Geschichte ders. 14. 
Milchkontrolle in Darmstadt 521. 

— — Solingen 521. 

Milchköchen 553. 

Milchkühe, vergleichende Fütterungsversuche 
513. 

Milchmerkblatt 515. 

Milchozon, Riegels 530. 

Milchprodnktion, Einfluß des Nahrnngsfettes 
513, 514. 

—, — des verfütterten Proteins 514. 

—, — von Reizstoffen 515. 
Milchsammelstellen (Niederösterreich) 7. 
Milchsäurebakterien, Einfluß des Luftsauer- 
stoffs 537. 

— der Milch 535. 

Milchsäuerung, Bedeutung der Streptokokken 
535. 

Milchsänregärung 536. 

Milchstall, kommunaler 555. 
Milchsterilisation, neues Verfahren 528. 
Milchstreptokokken, Pathogenität 535. 
Milchversorgung der Städte 515. 

Milchvieh, Ernährung, Haltung und Züchtung 
512. 

Milleniumlicht 438. 

Milzbrand, Bedeutung der Sporul&tion für 
die Diagnose 228. 

— beim Schwein 230. 

—, Diagnose 230. 

—, Entstebnng und Verschleppung 389. 

—, Impferfahrungen 230. 

—, Resistenz gegen M. 229. 

—, Sterblichkeit 39. 

Milzbrandbazillen, Einfluß anderer Mikro¬ 
organismen 228. 

—, Einwirkung von Magensaft 229. 

—, Stoffwechselprodukte 229. 

—, Wesen der Abschwärhung 228. 
Milzbrandblut, Versendung 230. 


Milzbranddiagnose, experimentelle Beiträge 
229. 

Milzbrandfälle im Deutschen Reiche 228. 

Milzbrandimpfstoff, Darstellung 230. 

Milzbrandinfektion bei Katzen 230. 

Milzbrandkadaver, Beseitigung 230. 

Milzbrandkeime, Sporulation 228. 

Milzbrandserum, Wirkungsmechanismus 230. 

Mineralwässer, Herstellung und Verkauf 
(Reg.-Bez. Danzig) 4, (Reg.-Bez. Min¬ 
den) 5. 

Mineralwasserflaschen, mißbräuchliche Ver¬ 
wendung (Reg.-Bez. Unterfranken) 5, 
(Oldenburg) 6. 

Mittelmeerfieber 45. 

—, Infektion 46. 

—, Vorkommen von Micrococcus melitensis 
47. 

Molekularkräfte, Erklärung 414. 

Molkereierzeugnisse, Verkehr mit dens. (Vic¬ 
toria) 10. 

Molkereinebenerzeugnisse, Vorschläge zur Ab¬ 
änderung der „Vereinbarungen“ 523. 

Monazitlagerstätten 485. 

Monazitrückstände, Verarbeitung auf Cersalze 
435. 

Mondbohne, Blausäuregehalt 590. 

—, Giftigkeit ders. 590. 

Moorbäder, Einfluß auf die Bleichsucht 257. 

Most von peronosporakranken Reben 599. 

Mückenstiche, Anwendung von Citronella©l 
191. 

Müllverbrennungsanatalten, Gewinnung von 
Elektrizität 440. 

Mundhöhle, Bakterienflora 75. 

Mütter, Stillnngsfäbigkeit 267. 

Mütterberatungsstelle in Bonn 265. 

— in München 266. 

Myopie und Astigmatismus 303. 

—, Korrektion ders. 225. 

—, Vorbeugung 303. 

Myristinsäure, Vorkommen in der Butter 
566. 

Nachtarbeit der Frauen in der Industrie 
(Österreich-Ungarn) 7. 

Nährstoffe, chemisch reine, Einfluß auf die 
Ernährung 499. 

Nahrungsmittel, Bestimmung der Borsäure 

624. 

—, Einfuhr (Trinidad und Tobago) 9. 

—, Gehalt an schwefliger Säure 623. 

—, gesundheitsschädigende, Einfubrmaß- 
regeln (Großbritannien) 8. 

—, Grundlagen für die Reinheit (Vereinigte 
Staaten von Nordamerika) 9. 

— in den Tropen 62. 

—, Konservierung mit Formaldehyd 529. 

—, Nachweis von unterschwefligsauren 
Salzen 624. 

— und Genußmittel, Deklaration 492. 

—■, Untersuchung in den Medizinalonter- 
suchungsämtem (Preußen) 4. 

—, vegetabilische, Zähigkeit ders. 495. 

—, Verfügungen (Vereinigte Staaten von 
Nordamerika) 9. 


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Sachregister. 


691 


Nahrung*- undOenuOmiUel, Polizei Verordnung 
in De«»au 492. 

-, Untersuchung 18. 

— — —, Verwendung von Konservierungs¬ 
mitteln 619. 

Nahrungsmittelgesetzgebung , deutsche, Be¬ 
dürfnisse 490, 491, 492. 

— in den Vereinigten Staaten 9, 492. 
-verschiedenen Ländern 490. 

Naphtha, Heizwert 422. 

Naphthaindustrie, russische 456. 

Naphthalin, Entfernung aus dem Gase 433. 
Naphthalinvergiftung der Augen 224. 
Naphthalinverstopfungen bei Gasbehälter 438. 
Naphthalinwascher 433. 

Nasenbluten und Schule 13. 
Nasenkrankheiten und Schule 309. 
Naturvölker, abstinente 58. 

Nebennieren, Veränderungen bei Tollwut 284. 
Nephritis, typhöse 130. 

Nernstlampe, Absorption der Glocken 444. 
—, neue Type 444. 

— ohne Vorwärmung 445. 

—, Stromverbrauch der Heizspirale 445. 

—, Überblick 444. 

Nervenheilanstalten und Nervenkranke 361. 
Nervenkranke und Nervenheilanstalten 361. 
Nervenkrankheit, epidemische, bei Schul¬ 
kindern 309. 

Nervenleidende, Sanatorium und Arbeits¬ 
therapie 360. 

Nervenschwäche der Feuerwehrleute nach 
Rauchvergiftung 369. 

Nervensystem, Einfluß körperlicher Anstren¬ 
gungen 47. 

Nervosität, kindliche 308. 

Neuguinea, Medizinalbericht 1904/05 55. 
Neurasthenie, therapeutische Bedeutung der 
Luftbäder 255. 

—, tropische 68. 

Neurologie, Jahresbericht 345. 
Newarc-Bogenlampe 450. 

Nieren, Einfluß körperlicher Anstrengungen 

47. 

Niob, Verhalten in Glühlampen 446. 
Nitrobenzol, Vergiflungserscheinungen 381. 

Obst, Vorkommen von Bacterium coli 589. 
Ocker, Nachweis in Kakao 614. 

Öfen, elektrische 452. 

Öl, fettes, der Himbeerkerne 593. 

Ölgas 433. 

Oleomargarin, Einfuhrverbot (Kanada) 9. 

—, Nachweis in der Butter 570. 
Onychoatrophie bei deu Färbern 379. 
Ophthalmoblennorrhoea gonorrhoica, An¬ 
wendung von Protargol und Sophol 202. 
Ophthalmoreaktion bei Hotz 237. 

— —- Tuberkulose 99. 

-Typhus 132, 133. 

Opium, Einfuhr (Transvaalkolonie) 9. 

—, Einfuhrverbot (Marshallinseln) 4. 
Opsoninbestimmung, Technik ders. 101. 
Opsonine, Bedeutung für die Tuberkulose 
101 . 

— und Immunität 101. 


Opsonintheorie von Wright 100, 101. 
Opsonotherapie 83. 

Optik 414. 

Osnos 447. 

Osramlampen, Abnahme der Lichtstärke 

446. 

—, Wirksamkeit 446. 

Ostafrika, Medizinalbericht 1904/05 55. 
Ovine und Vaccine, gegenseitige Immuni¬ 
sierung 165. 

Ozetbäder 258. 

Ozon, Absorption von Wärmequellen 404. 
—, elektrolytische Darstellung 405. 

—, fraktionierte Destillation 405. 

—, thermische Bildungsbeziehungen 405. 
Ozonentwickler zur Luftverbesserung 405. 
Ozonisierung der Luft 405. 

Paprika, Aschengehalt 618. 

—, extrahierter 617, 618. 

Paralyse, spezifische Niederschläge 209. 
Paratyphusdiagnose, Sicherung 139. 
Paratyphus, Komplementbindungsmethode 79. 

— und Nahrungsmittelvergiftungen 139. 
Paratyphusstudien 138. 

Paratyphusbazillen als Ursache einer Mehl¬ 
speisenvergiftung 588. 

—, Einwanderung in den Darm 138. 

—, Fleischvergiftungen durch dies. 139. 

—, Vorkommen in den Faeces 137. 
Paratyphusdiagnostika, Fickersche, Brauch¬ 
barkeit 138. 

Paratyphusepidemie im 75. Infanterieregiment 
143. 

— in einem Krankenhaus 12. 

Pediococcus viscosus als Ursache der Schleim¬ 
krankheit von Weißbier 600. 

Pellagra in England 47. 

Pelze, Desinfektion mittels heißer Luft 80. 
Peritonitis, Pneumokokken-P. 151. 
Perlsuchtbazillen 97. 

—, neue Färbemethoden 97. 
Perlsuchtvaccin, Erfolge mit dems. 113. 
Permutit, Reinigung von Wasser durch dass. 
480. 

Pest, Bekämpfung (Deutsches Reich) 3, (West¬ 
australien) 10. 

—, Infektion von Fischen 200. 

—, internationale Maßregeln 394. 

—, Schutzimpfung auf Formosa 200. 

—, Verbreitung durch Bazillenträger 12. 

—, Verhütung der Einschleppung (Bel¬ 
gien) 8. 

Pestähnliche Erkrankung der Meerschweinchen 

200 . 

Pestfall auf dem Dampfer Callipso 200. 
Petroleum s. a. Erdöl. 

—, Darstellung aus Eiweißstoflen 457. 

— de» Handels, Beschaffenheit 456. 

—, Einführung von Roh-P. nach Deutsch¬ 
land 456. 

—, elsässisches, Zusammensetzung 456. 

—, Entstehung 427, 457. 

—, Heizwert 422. 

—, nordamerikanisches 456. 

—, Produktion 456. 

44* 


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692 


Sachregister. 


Petroleumzerstäuber 457. 
Petroleumbeleuchtung in Rußland 423. 
Petroleumdestillate, Vermeidung des tiblen 
Geruches 456. 

Petroleumindustrie in Galizien 450. 

— in Italien 456. 

Petroleum kalorimeter 419. 

Petroleumkoks, verschiedene Arten 457. 

— von Wietze, Heizwert 457. 
Petroleumkongreß, 3. internationaler 457. 
Petroleumprodukte 456. 
Petroleumunglücksfälle 435. 

Pfeffer, Nachweis von Pfefferschalen 617. 

—, schwarzer, Gehalt an ätherischem Öl und 
Piperin 616. 

—, —, Untersuchung und Beurteilung 610. 
Pfeilgifte 66. 

Pferde, Behandlung der Gehirn- und Rücken¬ 
markentzündung 250. 

—,-Schlafsucht 250. 

Pferdefleisch, biologischer Nachweis 511. 

—, Verwendung bei Tuberkulose 110. 
Pferderäude, Behandlung 243. 

—, Verbreitung im Deutschen Reiche 242. 
Pflanzengifte in den deutschen Kolonien 66. 
Pflanzer, ärztliche Ratschläge für dies. 53. 
Pflegekinderwesen (Basel) 8. 

Pflegerfrage für Irrenanstalten 347. 
Phosphor, Kampf gegen die Verwendung von 
weißem Ph. 391. 

Phosphornekrose des Oberkiefers 391. 

—, Verbreitung in Österreich und Ursache 
391. 

Phosphorsesquioxyd, Nachweis in Zündmassen 
620. 

Phosphorwasserstoffvergiftung 408. 
Phosphorzündwaren, Einfuhrverbot (Luxem¬ 
burg) 9. 

—, Prüfung auf freien Phosphor 620. 
Photometer für reflektiertes Tageslicht 415. 

— für Tageshelligkeit 415. 

—, Kugel-Ph., Anwendung 418. 

—, Selen-Ph. 418. 

—, transportable 418. 

—, Universal-Ph. 418. 

—, verschiedene, Empfindlichkeit 418. 
Photometrie, praktische 418. 

— verschiedenfarbigen Lichtes 417. 
Photometrierstation für hängendes Gasglüh¬ 
licht 437. 

Photometrierung von Lichtquellen großer 
Stärke 418. 

Photometrische Einheiten 417. 

— Prüfungen 417. 

Phthise s. Lungentuberkulose und Schwind¬ 
sucht. 

Phthisiker, Fürsorge 12. 

—, Mineralstoffwechsel 84. 

Phtysoremid, innerliche Anwendung 113. 
Physiologieunterricht 274. 

Pilgervorschriften (Türkei) 9. 

Pilz, eßbarer 590. 

Pinarola 590. 

Placenta, Tuberkulose ders. 90. 

Pleuritis exsudativa traumatica, primäre, 
tuberkulöse 102. 


Pneumokokken, bakteriologische Wirkung von 
B. subtilis 151. 

—, Eigenschaften 151. 

—, Einwirkung der Galle und Gallensalze 
151. 

—, Entfernung aus der Mundhöhle 151. 
—, Kapselfärbung 150. 

—, Nachweis im Blute 150. 

-Peritonitis 151. 

— und Streptokokken, Differentialdiagnose 
150. 

Pneumonie, Abnahme der Opsonine 151. 

—, klinische Untersuchungen 150. 

Pocken, Bekämpfung (Deutsches Reich) 3, 
(Sachsen-Meiningen, Anhalt) 6. 

—, Desinfektionsmaßregeln bei P.- Gefahr 
168. 

—, Einschleppung aus Rußland 12. 

—, Entstehung und Heilung 168. 

—, Epidemie ohne Todesfälle 161. 

—, Erkrankungen im Deutschen Reiche 1904 
100. 

—, Maßnahmen gegen die Übertragung 
(Sachsen-Weimar) 6. 

—, Sterblichkeit 87. 

—, Übertragung (Preußen) 4. 

—, — auf Arbeiter (Mecklenburg-Schwerin) 0. 
—, Verbreitung in Kamerun 161. 

—, Vorkommen in Metz 101. 
PockenerTeger, Lichtbrechungsvermögen 162. 
Pockenimpfstoff, Einwirkung des Lichtes 165. 
—, Übertragung 162, 169. 

Polarluft, geringer Bakteriengehalt 413. 
Polenta als Nahrungsmittel 585. 

Poliklinik, Basel-Stadt, Jahresbericht 342. 
Polixeibeamte, Kursus über psychiatrische 
Aufgaben 351. 

Polonium, gasförmiges Um Wandlungsprodukt 
407. 

Präzipitate, Verhalten gegenüber Fänlnis 77. 
Prostituierte, Form der Fingerabdrücke 
213. 

—, Merkblatt für dies. 214. 

—, strafrechtliche Behandlung 214. 

—, unkontrollierte, ärztliche Aufsicht 213. 
Prostitution 18. 

— in der Schweiz 214. 

—, Reglementierung 213. 

—, Überwachung 212. 

Protargol, Anwendung bei Blennorrhoe 202. 
Proteine und Polypeptide 502. 
Protistenuntersuchung, Technik 73. 
Protozoologie, Praktikum 72. 

Prügelstrafe in ärztlicher Beleuchtung 800. 
Pseudodysenteriebaiillen 145, 146. 
Pseudomonas fragaroidea 565. 

— Trifolii nov. spec. 565. 

Pseudoruhr in Merxhausen 145. 

Psoriasis, Heilung durch Uviollicht 423. 
Psychiater, Mitwirkung bei der Fürsorge¬ 
erziehung 355. 

Psychiatrie, Jahresbericht 345. 

— und Rettungshaus 356. 

Psychrophor 412. 

Ptyophagou 110. 

Pudding, Massenvergiftung durch dens. 588 


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Sachregister. 


693 


Puerperalfieber, Verhalten der neutrophilen 
Leukocyten 201. 

Pulte, Gestelle für dies. 288. 

Purofak 401. 

Pyridinmethylchlorid, Vorkommen im Harn 
609. 

Pyrometer, Brearleys Sentinel-P. 420. 

—, Eichung 419. 

— für elektrische Schmelzöfen 419. 

— in Quarzglasmontierung 419. 

— mit direkter Ablesung 419. 

—, thermoelektrisches 419. 

—, Wanner-P., neues 419. 

Pyrometerröhren aus Quarz 419. 

Quarantänevorschriften (Kanada) 9, (West* 
australien) 10. 

Quarzglaswiderstandsthermometer 420. 
Quarzlampen 452. 

Quecksilberdampflampe, Bastiansche 451. 
—, Tiefdruck-Q. 451. 
Quecksilberdampflampen 451. 

—, Anwendung in feuchten Arbeitsräumen 
452. 

—, Beleuchtungsberechnung 452. 

—, Betriebsergebnisse 451. 

—, selbsttätige Zündung 451. 
Quecksilbergleichrichter 451. 
Quecksilberlichtbogen 449. 

—, selektive Absorption in dems.. 449. 

—, Temperatur 449. 

—, Temperaturstrahlung 452. 
Quecksilberquarzlampen 452. 

Quinoforme, Anwendung bei Malaria 177. 

Bachenerkrankungen, epidemiologische Be¬ 
deutung 155. 

Rachenraum, Vorkommen und Nachweis von 
Meningokokken 11. 

Radfahren, Herzvergrößerung durch dass. 
261. 

Radiumemanation 407. 

—, Wirkung auf den Körper 407. 
Radiumstrahlen, Heilung von Krebs durch 
dies. 423. 

Rahm, Bestimmung von Salicylsäure 526. 

—, Methoden der Fettbestimmung 525. 

—, Nachweis von Rohrzucker 526. 
Rassenhygiene und Alkohol 63. 

Ratten, Vernichtung ders. (Dänemark) 9. 
Rattenvertilgungsapparat für Dar - es - Salam 
395. 

Rauch, Abwehr 403. 

—, Schutz gegen dens. 369. 
Rauchbekämpfung in Königsberg 411. 
Rauchfrage in München 411. 

Rauchgase, Meßapparat 411. 

—, Schwefelsäuregehalt 408. 
Raochkalsmität, Bekämpfung 411. 
Rauchplage, Bekämpfung 411, 412. 

—, Bestimmung durch den Staubzähler 411. 
—, Gefahren und Abwehr 410. 

— und Lungenerkrankungen, Zusammenhang 
411. 

Rauchschädigungen, Schwefelsäure als Ursache 
408. 


Rauchverbot 277. 

Raucbverbrennung 410. 

Rauchvergiftung, Nervenschwäche durch dies. 
369. 

Räude der Pferde, Behandlung 243. 
Rauschbrand, Bekämpfung 232. 

—, Vorkommen im Deutschen Reiche 231. 
—, — beim Pferde 231. 
Rauschirandinfektion, Verhütung durch 
Rauschbrandtoxin 76. 

Rauschbrandsporen, Verhalten bei der Er¬ 
hitzung 231. 

Realschule für Knaben und Mädchen 278. 
Rebenschädlinge, Bekämpfung mit Arsen¬ 
verbindungen 598. 

Rechtsschutz und Verbrecherbehandlung 352. 
Reis, Vorschriften betreffend den Anbau 
(Italien) 8. 

Reisarbeiter, Erkrankungen ders. 388. 
Respirationsapparat 408. 

Rettung aus brennenden Häusern 333. 
Rettungsapparate 409. 

Rettungsdienst in Bayern 333. 

—, Förderung durch Versicherungsanstalten 
332. 

Rettungsgerätschaften, Abgabe 337. 
Rettungsgesellschaft, Samariterverein in Leip¬ 
zig 14. 

Rettungshaus und Psychiatrie 356. 
Rettungswesen, bergmännisches 333. 

—, Beteiligung der Sanitätskolonnen 333. 
—, eine Aufgabe der Ärzteschaft 333. 

—, Entwickelung im Deutschen Reiche 335, 
340. 

— im Verkehr 14. 

— in Amsterdam 333. 

— in Berlin 14. 

— in gewerblichen Betrieben 332. 

— in Großstädten 332. 

— in Hamburg 14, 337. 

— in Schweden 337. 

—, internationaler Kongreß 332. 

—, modernes 337. 

—-, Organisation 333. 

—, Zusammenarbeit der wichtigsten Fak¬ 
toren 334. 

Rinder, Fütterungstuberkulose 123. 

—, Immunisierung gegen Tuberkulose 122. 
—, Schutzimpfung gegen Tuberkulose 121, 
122, 123. 

—, Untersuchung auf Finnen 508. 
Rinderpest auf den Philippinen 227. 

—, Beobachtungen bei Massenimpfungen 
228. 

—, Schutzimpfung 227. 

—, Serotherapie 227. 

—, Verminderung der Sterblichkeit 227. 
Rindertuberkulose, Bekämpfung 83, 121, 532. 
Rindstalg, Gehalt an Tristearin 576. 
Ringkämpfer, Einfluß der Muskelarbeit auf 
Herz und Nieren 392. 

Röhrenofen, elektrischer 419. 
Röntgenapparat, Anwendung bei der Fleisch¬ 
beschau 505. 

Röntgenstrahlen, Anwendung 424. 

—, — bei Leukämie 423. 


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694 


Sachregister. 


Röntgenstrahlen, Anwendung bei Lupus 115. 
—,-Malaria 178. 

— Heilung von Krebs durch dies. 428. 

— und Lungenschwindsucht 84. 

Rotes Kreuz in Belgien 339. 
Rote-Kreuz-Konferenz 82. 

Rotlauf, Ausbruch und Verlauf 244. 

— der Schweine, Verbreitung im Deutschen 
Reiche 243. 

— -Infektion 244. 

—, Nachweis 244. 

—, Verhütung 244. 

Rotlaufbazillen, Nachweis in faulenden Or¬ 
ganen 243. 

—, Übergang in die Milch 244. 

—, Vorkommen auf der Darmschleimhaut 
und in den Tonsillen 243. 
Rotlaufseptikämie, Schutzimpfung 244. 

Rotz, Cutireaktion 237. 

-Immunisierung 238. 

—, latenter, Diagnose 238. 

—, neue experimentelle Diagnose 237. 

—, Ophthalmoreaktion 237. 

—, Schutzmittel bei der Untersuchung 238. 
Rotzbazillen, abgetötete, intravenöse Injek¬ 
tionen mit dens. 237. 

Rotzfälle bei Pferden im Deutschen Reiche 
236. 

Rotzkrankheit, Pathogenese 236. 
Rowton-Haus-Gesellschaft in London 655. 
Rubidiurophotometer 414. 
Rückenmarkentzündung der Pferde, Behand¬ 
lung 250. 

Rückgratsverkrümmungen, Bekämpfung 302. 
Ruhr s. a. Dysenterie. 

—, Bazillenruhr und Pseudoruhr 145. 

—, Ergebnisse der Serumbehandlung 147. 
—, in den Tropen erworbene 146. 

—, Verbreitung durch Bazillenträger 12. 
Ruhrbazillen, wirksames Aggressin 147. 
Ruhrepidemie des I. Armeekorps 146. 

— in Bonn, besondere Bazillen 146. 

—, Trinkwasser als Ursache 146. 

Ruhrerreger 145. 

Ruhrserum 147. 

Rullplage, Bestimmung durch den Staub¬ 
zähler 411. 

Saccharin, Einfuhr (Australischer Bund) 10. 
Safran, kolorimetrische Wertbestimmung 619. ! 
Salicylsäure, Bestimmung in Milch und Rahm 
526. 

—, Einfluß auf den menschlichen Körper 
622. 

Salpetersäure, Gewinnung aus Luft 406. 
Salpetersäuredämpfe, Wirkung bei der Ein¬ 
atmung 385. 

Samariterausbildung und freiwillige Kranken¬ 
pflege 338. 

Samariterbund, VI. Bericht 14. 

—, Deutscher und Berufsgenossenschaft 
337. 

—, —, künftige Aufgaben 337. 

—, —, Tätigkeit 337. 

Samariterunterricht, Grundsätze 337. 

— in Schweden 340. 


Samariter- and Sanitätsfahrerwesen 333. 
Samariterweseu in Schweden 340. 

— in der Schweiz 832. 

Samoa, Medizinalbericht 1904/05 55. 
Sanatorien in den Tropen 59. 

—, schwimmende 118. 

— von Leysin 121. 

Sanatorium- und Bäderwesen 258. 
Sanatorium für Nervenleidende 360. 

—, Lienkard-S.-Wagiri 56. 

Sanella, Zusammensetzung 578. 
Sanitätsdienst in Gemeinden, Organisierung 
(Galizien) 7. 

Sanititskolonnen, freiwillige, Ausbildung 339. 
Sanitätswachen, Einrichtung 333. 

Saprol, für Fleischdenaturierung 506. 
Sarkom infolge von Unfall 216. 

—, Metastasen bildendes 220. 

—, Spindelzellen-S., Übertragung 221. 

— und Trauma 216. 

Sauerstoff, Bestimmung im Wasser 463. 

—, Bestimmungsmethoden 404. 

— und Wasserstoff, Vereinigung ders. 405. 
Sauerstoffapparat 404. 

Sauerstoff bäder, brausende 258. 
Sauerstoffeinblasungen in das Kniegelenk 404. 
Sauerstoffschneideverfahren bei Metallplatten 
404. 

Sauerstofftherapie, Bedeutung in der Ge¬ 
werbehygiene 386. 

Sauggeneratorgasanlage, Schutzvorkehrnngen 
372. 

Säuglinge, alimentäre Intoxikation 542. 

—, Darmfäulnis 547. 

—, Einfluß der NahruDg auf den Kalk¬ 
umsatz 546. 

—, Ernährungsverhältnisse und Sterblichkeit 
in Barmen 549. 

—, —-— Bromberg 550. 

—, Geschichte der Trinkflasche 560. 

—. Gründe des Nichtstillens 555. 

—, künstliche Ernährung 560. 

—, Magnesiastoffwechsel 546. 

—, Merkblatt über Ernährung und Pflege 
552. 

—, Mortalitätskurve 268. 

—, Rückkehr zur natürlichen Ernährung 
552. 

—, Stillung 556. 

—, Walderholungsstätten für dies. 552. 
Säuglingsalter, Ernährungsstörungen 267. 
Säuglingsdarm, endogene Infektion und Des¬ 
infektion 268 

Säuglingselend und -Fürsorge 262. 
Säuglingsernährung, Bedeutung der rohea 
Milch 558. 

—, direkte Eiweißresorption 543. 

—, Kuhmilchkrankheit 545. 

— mit Sherrymolken 563. 

—, natürliche, in Budapest 266. 

—, —, Durchführbarkeit 557. 

— und Tuberkulose 561. 

—, Verhalten der Lösungen im Säuglings 
magen 545. 

—, — des Organismus gegen artfremdes 
Eiweiß 544. 


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Sachregister. 


696 


Säuglingsfuraorge 6, 263, 548, 551. 

—, Beratungsstellen 553. 

—, Erfolge 264. 

— and Statistik 262. 
SäogUngsfanorgeftelle II in Berlin 264. 
Säaglingsfursorgestellen, Betrieb den. 554. 
Siuglingskrankheiten, tödliche 27. 
Säaglingtmilch, Versorgung der Städte mit 

der*. 553. 

Säaglingsmilchanstalt in Cöln 555. 
SSoglingsmilchküche in Bonn 265. 

-Hamborg 266. 

-Hosen 555. 

S&aglingsmilcbkücben, Betrieb ders. 554. 
Säuglingsnahrung, Buttermilch als solche 
562. 

—, flüssige, holländische 562. 

—, holländische, Verwendung ders. 563. 
Säuglingssterblichkeit, Anstalt zur Be¬ 
kämpfung ders. 548. 

—, Aufgaben der Gemeinden im Kampf 
gegen die S. 553. 

—, Bekämpfung 263, 550. 

— im Deutschen Reiche 22, 24, 27. 

— in den deutschen Bundesstaaten 24. 

— -— Großstädten 25. 

-Großstädten 25. 

— — Stadt und Land 26, 268. 

-verschiedenen Staaten 27, 28. 

Schafpocken, Impfschutz gegen die». 165. 

— und Kaprine 242. 

—, Vorkommen im Deutschen Reiche 241. 
Schafräude, Behandlung 243. 

—, Verbreitung im Deutschen Reiche 242. 
Scharlach, Beförderung von Leichen (Preußen) 
4, (Bayern) 5, (Württemberg) 6, (Ham¬ 
burg) 7. 

—, Eintritt des Todes 150. 

—, Opsoninuntersuchungsmethodik 149. 

—, opsonische Kraft des Blutes 149. 

—, Serumbehandlung 149. 

—, Sterblichkeit 29. 

—, Vorkommen von Diphtheriebazillen 149. 
Scharlacherreger 148. 

Scharlachserum, Mosersches 149, 201. 
Scharlachstreptokokken 148. 

Scheidenkatarrh, ansteckender der Rinder, 
als Sterilitätsursache 252. 

—, —-, Behandlung 252, 253. 

—, — — —, Bekämpfung 252. 

—,-, Diagnose 252. 

—, — — —, Erfolge mit Bacillol 252. 

—, — — —, Verbreitung im Deutschen 
Reiche 251. 

Scheinwerfer, fahrbarer 448. 

Schieferöl, Heizwert 422. 

Schüfe, Hilfsmittel für bakteriologische usw. 
Untersuchungen 397. 

—, Transporthängematte 398. 

—, Wascheinrichtung 398. 
Schifisdesinfektion, Claytonverfahren 407. 
Schifisführer, hygienisches Handbuch 396. 
Schifisbygiene, Verbesserungen 396, 397. 
Schiffsräume, Desinfektion durch den Clayton- 
apparat 395. 

Schillergymnasium zu Cöln-Ehrenfeld 315. 


Schlachthäuser, Einrichtung und Beauf¬ 
sichtigung (Queensland) 10. 

—, neue öffentliche 509. 
Schlachthausgebrauchsgegenstände, Neuerun¬ 
gen 510. 

Schlachthof zu Aachen, Konfiskatverarbel- 
tungsanlage 509. 

—, bakteriologische Wirkung der Röhren- 
iuftküblapparate 510. 

Schlachttiere, Feststellung der Knochen¬ 
tuberkulose 507. 

—, neuer Betäubungsapparat 511. 

—, tuberkulöse, Beurteilung 506. 
Schlachttierkrankheiten und Fleischvergif- 
tungeu, Zusammenhang 140. 
Schlachtviehbeschau in Sachsen 508. 
Schlafgängerwesen (Basel) 8. 

Schlafsucht der Pferde, Behandlung 250. 
Schlangenbißvergiftuugen, Behandlung mit 
Kaliumpermanganat 54. 

Schlangengift 67. 

—, Chemie ders. 79. 

—, Gegenmittel 51. 

Schlangeugiftserum, Herstellung 79. 
Schmelzöfen, elektrische 452. 

Schokoladen, Baudouinsche Reaktion des 
extrahierten Fettes 614. 

-Industrie, Verwendung von Alkohol 615. 

—, Vortäuschung eines Sesamölgehaltes 614. 
Schönheit und Gymnastik 262. 

Schottische Teilabreibungen 258. 
Schreibunterricht 289. 

Schriftgießereien, Einrichtung und Betrieb 
(Deutsches Reich) 3. 

Schularzt im Haupt- oder Nebenamt 280. 

—, Rolle dess. in der körperlichen Erziehung 
293. 

Schulärzte. Anstellungen 283, 284. 

—, Erfahrungen mit dens. 270. 

— in Wiesbaden, Tätigkeit 13. 

— und Eltern 279. 

Schularztfrage 280. 

Schulärztin, Anstellung 284. 

Schulärztliche Berichte 281, 282, 283. 

— Statistik 281. 

— Tätigkeit, Organisation 278, 279, 280. 
Schularzttätigkeit und Gesundheitspflege 279. 
Schulausflüge, Verbot des Alkoholgenusses 

277. 

Schulbäder 296. 

— auf dem Dorfe 296. 

Schulbank, Lage zum Fenster 288, 319. 
Schulbänke, Gestell für dies. 288. 

—, Scharnier für umlegbare Sch. 287. 
Schulbetrieb und Arzt 279. 

Schulbücher, sanitäre Kontrolle 288. 

Schule, Beginn im Winter 294. 

—, Bekämpfung der Lungentuberkulose 306. 
—, Beleuchtung und Lüftung der Klassen¬ 
zimmer 270. 

—, Gesundheitsforderung durch dies. 295. 
—, Gymnastik in ders. 297. 

—, Hygiene 270. 

—, hygienische Bedeutung des Vormittags¬ 
unterrichts 294. 

—, künstliche Beleuchtung 294. 


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696 


Sachregister. 


Schale, neue 296. 

—, Preßgasglühlichtbeleuchtung 438. 

—, Regelung der Ferienordnung 270. 

—, Schreibunterricht 289. 

—, Überbürdung 270. 

—, Übertragung der Diphtherie in dens. 
305. 

— und Alkoholfrage 277. 

-Brot 284. 

-Entwickelung, Beziehungen 294. 

-Infektionskrankheiten 304, 305, 306. 

— — Keuchhusten 305. 

— — Masern 305. 

— — Nasenbluten 13. 

-Nasenkrankheiten 309. 

-Reinlichkeit 291. 

-Tuberkulose 270, 306, 307. 

—, ungeteilter Unterricht 293. 

—, Vorkommen einer Zitterkrankheit 309. 
—, Vormittagsunterricht 293. 

—, Zahnpflege 313. 

Schulen, ärztlicher Überwachungsdienst 15. 
—, Erfolge des Antialkoholunterrichts 276. 
—, Gemeinde-Sch. zu Charlottenburg, Neu¬ 
organisation 272. 

—, höhere, ärztliche Aufsicht 281. 

—, —, freiere Gestaltung der Oberklassen 
273. 

—, Hygieneunterricht 274. 

—, Kleiderablagen 317. 

—, Klosettanlagen 318. 

—, Regelung der Ferienordnung 275. 

—, sexuelle Aufklärung 271. 

—, Spielnachmittage 295. 

—, Staubbekämpfung mit staubbindenden 
Ölen 317. 

—, Übertragung ansteckender Krankheiten 
(Preußen) 4. 

—, Verhütung der Verbreitung übertrag¬ 
barer Krankheiten 307. 

—, Wald-Sch. 285, 286. 

Schüler, Entwickelung ders. 295. 

—, Gesundheitsregeln 273. 

—, Morbidität und Mortalität 298. 

—(Selbstmorde und Selbstmordversuche 300. 
—, Sexualbelehrung 310, 311. 
Schülerbootshaus in Wannsee 298. 
Schülerinnen auf Gymnasien 278. 

—, Gesundheitsregeln 273. 
Schulgesundheitspflege 16, 298. 
Schulfrühstück 284, 285. 

Schulhaus in Grabow, Doppelschule >315. 

-Großweil 316. 

-München 315. 

-Schwabach 316. 

-Stuttgart 317. 

— — Waldenburg 316. 

—, Luisenschule in Düsseldorf 317. 
Schulhöfe, Staubölung 318. 

Schulhygiene 273, 274. 

—, Fortschritte 274. 

—, internationaler Kongreß 269. 

— in Leipzig 281. 

— und Wohnungsnot 291. 
Schulhygienische Betrachtungen 272. 
Schulhygienisches Taschenbuch 272. 


Schuljahr, Reform 275. 

Schuljugend, Erziehung zur Gesundheitspflege 
272. 

—, Fürsorgestellen 281. 

— in Wien, körperliche Erziehung 293. 

—, Unterweisung in der Gesundheitspflege 

271. 

Schulkinder, Alkoholgenuß ders. 277, 605. 
—, ärmere, Sehvermögen 304. 

—, ärztliche Untersuchungen 283, 284. 

—,-in der Schweiz 45. 

—, ästhesiometrische Schwankungen 291. 
—, Augenuntersuchungen 303, 304. 

—, Ausnutzung und Mißhandlung 301. 

—, Ausübung des Wintersports 298. 

—, Behandlung des nervösen Zitterns 308. 
—, epidemische Nervenkrankheit 309. 

—, körperliche Züchtigung 300, 301. 

—, Leibesübungen für dies. 298. 

—, Methoden der Untersuchung 269. 

—, Nasenatmung und Gehör 304. 

—, nervenkranke 308. 

—, Schwachbegabte 286, 287, 308, 309. 
—, skoliotische, orthopädische Behandlung 
302. 

—, Überbürdung 292. 

—, — außerhalb der Schulzeit 282. 

—, Untersuchung des Gesichts und Gehörs 
304. 

—, Ursache mangelhafter Fortschritte 301. 
—, Vorkommen von Drüsenanschwellungen 
89. 

—, — — Schwerhörigkeit 304. 

—,-Tuberkulose 89. 

—, zahnärztliche Behandlung 313, 314. 

—, Zahnpflege 313. 

Schulkrankheiten, Bekämpfung 298. 
Schulpädagogik im Lehrerseminar 271. 
Schulpausen, Verwertung 297. 
Schulpoliklinik 284, 312. 

Schulranzen, Änderung 289. 

Schalräume, indirekte Beleuchtung 289, 319. 

—, Temperaturregelung 319. 

Schulsäle, Ventilation 318. 

Schulspeisung 284, 285. 

Schalspezialärzte 283. 

Schulturnen, schwedisches 297. 
Schulturnkursus, orthopädischer 301. 
Schulunterricht, Dauer und Lehrgegenstände 
270. 

Schulverwaltung, Rechte und Pflichten 270. 
Schulwesen, einheitliche Gestaltung 270. 
Schulzahnärzte 313. 

Schulzahnklinik 312, 313. 

Schulzimmer 16. 

—, Lüftung und Beleuchtung 289. 

—, Reinigen durch Schulkinder 291. 
Schutzimpfung bei Syphilis 207. 

— gegen Pest auf Formosa 200. 
Schutzpockenimpfung, angebl. Unwert den. 

168. 

—, Einführung in Wien 168. 

— im Deutschen Reiche 1904 165. 

— in Algier 9, 167. 

-Bayern, Ergebnisse 1906 167. 

— — den Kolonien 58. 


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Sachregister. 


697 


Schutxpockenimpfung- in den Vereinigten 
Staaten 167. 

—, Instrumentarium 168. 

—, Jahrhundertfeier in Hessen 167. 
Schutzstoffe, Gewinnung aus pathogenen 
Bakterien 75. 

Schwachbegabte, Fortbildungsschule für dies. 
272, 287. 

—, Sonderklassen auf höheren Schulen 286. 
Schwachsinnige, Fürsorge 271. 

Schwangere, geschlechtskranke 211. 
Schwangerschaft und Tuberkulose 110. 

—, Unterbrechung wegen Tuberkulose 110. 
Schwarzwasserfieber, Anwendung von Euchl- 
nin 186. 

—, Ätiologie 188. 

—, Behandlung mit Chlorcalcium 186. 

—, Chinin als Ursache 183. 

—, Chininbehandlung 186. 

— in Algier 183. 

-Nordamerika 183. 

-Syrien 183. 

—, Malariaparasiten als Ursache 185. 

—, Ursachen, Verhütung u. Behandlung 187. 
Schwarzwasserfiebermittel und Therapie der 
Anurie 186. 

Schwefel, Bestimmung in flüssigen Heiz¬ 
mitteln 456. 

Schwefeldioxyd, Verwendung zur Schiffs¬ 
desinfektion 407. 

Schwefelsäure, Bestimmung im Wasser 461. 
—, Entstehung aus Schwefeldioxyd des 
Rauches 408. 

Schwefelschnitte, Arsengehalt 598. 
Schweflige Säure in Nahrungsmitteln 623. 
Schweflige Säuren, komplexe 623. 

Schweine, spezifische Hautröte 508. 
Schweinepest, Ätiologie 245, 246, 247, 248. 
—, Bekämpfung 246. 

—, Erreger ders. 248. 

—, Heilung und Prophylaxe 248. 

—, Nachweis des Erregers 248. 

—, Vorkommen mit Schweineseuche 246. 
Schweinerotlauf, Verbreitung im Deutschen 
Reiche 243. 

Schweineschmalz, Haiphensehe Probe 578. 
—, Maisöl als Verfälschungsmittel 577. 

—, Nachweis anderer Fette 576. 

—, Wassergehalt 576. 

Schweineseuche, Ätiologie 245. 

—, Filtrierbarkeit des Virus 245, 247. 

—, Heilerfolg mit Suptol 248, 249. 

—, Heilung und Prophylaxe 248. 

—, Impferfahrungen 248. 

—, neues Schutz- und Heilmittel 248. 

—, Verbreitung im Deutschen Reiche 245. 
—, Vorkommen mit Schweinepest 246. 
Schweineseucheserum, polyvalentes 248. 
Schweißen, autogenes 404. 

8chweißhände, Dauerheilung durch Röntgen 
254. 

Schwimmunterricht, unentgeltlicher 296. 
Schwindsucht s. a. Lungentuberkulose. 
Schwindsüchtige, häusliche Behandlung 107. 
Schwindsuchtspatienten in Jämtland und 
Västernorrland 88. 


Schwindsuchtssanatorienpflege, private 121. 
Schwindsuchtasterblichkeit, Abnahme in 
Schweden 88. 

Seeklima und Tuberkulose 118. 

Seekrieg, Hilfeleistung 397. 

Seereisen, therapeutische 400. 

Seeschiffe, gesundheitliche Behandlung und 
Desinfektionsan Weisung (Deutsches Reich) 
3, (Preußen) 4. 

Sehleistung, Einfluß der Beleuchtung 415. 
Sehvermögen,Verminderung durch Chinin 223. 
Seife, Nachweis in Zwieback 587. 
Selenphotometer 418. 

Selenzelle, neue, für Lichtmessungen 418. 
Sera, präzipitierende, Fäulnis ders. 77. 

Serumbehandlung bei Ruhr 147. 

-Scharlach 149. 

Sexualbelehrung der Schüler 310, 311. 
Sexualpädagogik 271. 

Sexuelle Aufklärung für die schulentlassene 
Jugend 271. 

— Belehrung der Abiturienten 271. 

— Diätetik und Erziehung 271, 312. 

— Entartung 354. 

— Frage 361. 

Sherrymolken 563. 

Sicherheitslampe für explosionsgefährliche 
Räume 432. 

Silberfluorid, Wirkung auf Trinkwasser 473. 
Siriuskolloidlampe, Lebensdauer 446. 

Sirup, chemische Untersuchung (Frankreich) 8. 
Sittenpolizei, Handhabung 212. 

Siva, Dauerbrandbogenlampe 449. 

Skoliose, funktionelle Behandlung 302. 
Skoliosenschulen 13. 

Skoliotische Schulkinder, Sonderschulen 302. 
Sodabäder als Heilmittel 257. 

Solaro als Tropenkleidung 260. 

Somatologie, Lehrbuch 272. 

Sonne, Bestrahlung der Erde durch dies. 414. 
Sonnenbäder 423. 

Sonnenfinsternis , Bestimmung des Anfanges 
und des Endes 414. 

Sonnenlicht, Einfluß auf Typhusbazillen und 
Choleravibrionen 134. 

Sonnenstrahlen als Desinfektionsmittel für 
Wasser 423. 

—, Wirkung bei Tuberkulose 115. 
Sonnenstrahlung, Messung der Intensität 414. 
Sonnensystem, theoretische Kosmogenie 414. 
Sonntagsruhe in den Gewerbebetrieben 
(Frankreich) 8. 

Sophol, Anwendung bei Blennorrhoe 202. 
Spar- und Bauverein in Berlin 651. 

-— Düsseldorf 651. 

Speckstein für Acetylenbrenner 455. 

Speichel wutkranker Tiere, Virulenz 233. 
Speicheldrüsen wutkranker Tiere, Virulenz 
233. 

Speisefette, Chemie ders. 569. 

Speisen, Bestimmung der Zähigkeit 495. 
Speisereste, Einsendung an Untersuchungs¬ 
ämter (Österreich) 7. 

Speisesalz, Gehalt an Chlormagnesium 619. 
Spektrum des Lichtbogens, charakteristische 
Bänder 449. 


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Sachregister. 


698 

Spirituosen, Bestimmung der Faselöle 601, 
602. 

—, Einfuhr (Australischer Band) 10. 

—, Verbot des Zusatzes fremder Stoffe 
(Kapkolonie) 9. 

Spiritus, denaturierter, Verwendung zu Trink¬ 
branntweinen (Preußen) 4. 

-Unglücksfälle 435. 

Spirochaeta-Arten, Kern - und Bewegungs¬ 
apparat 205. 

— dentium 203. 

— pallida, Färbung 74. 

— —, Giemsafärbung 203, 204. 

-, vitale Färbung 204. 

-, Nachweis 203, 204, 205. 

-, — im Auge Neugeborener 205. 

-ein Protozoon 205. 

— — kein Syphiliserreger 206. 

— —, Täuschungen beim Nachweis 205, 
206. 

— —, Übertragung 205. 

— —, Züchtung 206. 

— pertenuis, Entdeckung 207. 

— — sive pallidula, Vorkommen bei Fram- 
boesia tropica 207. 

— refringens, Nachweis 204. 

Spirochäten, Agglutination 209. 

—, Unterscheidung von Nervenfibrillen 205. 
—, Vorkommen in Zellarten 206. 
Spirochätenarten, Abbildungen 206. 
Spucknapf, Wand-Sp. 110. 

Sputum s. a. Auswurf. 

—, Desinfektionsapparat 110. 

—, Lagerung der Tuberkelbazillen 97. 
Sputum hvgiene 110. 

Star der Glasbläser, Entstehung 224. 

Stärke, Bestimmung in Cerealien 583. 
Starrkrampf, Statistik 159. 

Statistik, medizinische, in Hamburg 10. 

— und Säuglingsfürsorge 262. 

Staub, Beseitigung durch Holzteer 413. 

—, Schutz gegen dens. 369. 
Staubabsaugevorricbtungen 413. 
Staubbekämpfung auf Schulhöfen 318. 
Staubgefahr und Tuberkulose 109. 
Staubinhalationserkrankungen der Lungen 
369. 

Staubkalamität, Bekämpfung 411. 

Staubplage, Bekämpfung 411, 414. 
Staubreiniger für Hochofengase 410. 
Staubverhütung im Gewerbebetriebe 370. 
Staubzähler 411. 

Stechmücken, Biologie 174. 

Steinkohlen, britische 427. 

—, Entstehung 427, 457. 

—, Heizwert 422. 

—, Lagerung unter Wasser 429. 

—, Verhütung der Selbstentzündung 429. 
—, Verwitterung und Selbstentzündung 
429. 

—, Vorkommen in der Türkei 428. 

—, Zusammensetzung 428. 
Steinkohlenbecken in der belgischen Campine 
und Holländisch-Limburg 427. 
Steinkohlenbergbau, deutscher, Entwickelung 
427. 


Steinkohlenbergwerke,. Beschäftigung von 
Arbeiterinnen (Deutsches Reich) 8. 
Steinkohlengas, Erzeugung und Verwendung 

424. 

Steinkohlengaserzeuger für Hüttenbetrieb 
430. 

Steinkohlenindustrie 427. 

Steinkohlenteer, Heizwert 422. 
Steinkohlenzechen 427. 

Sterblichkeit an Croup 30. 

-Diphtherie 80. 

-Genickstarre 36. 

— — Influenza 35. 

— — Keuchhusten 31. 

-Kindbettfieber 32. 

— — Lungentuberkulose 38. 

-Masern 29. 

-Milzbrand 39.. 

— — Pocken 37. 

— — Scharlach 29. 

-übertragbaren Tierkrankheiten 39. 

— und Gesundheitsverbältnisse in Frank¬ 
furt a. M. 18. 

— — Unterleibstyphus 30. 
Sterblichkeitsverhältnisse im Deutschen Reiche 

18, 20. 

— in deutschen Großstädten 22. 

- Preußen 22. 

Sterilisation der Milch, neues Verfahren 528. 
Sterilisier-, Brut-und Eisschrank, kombinierter 
I 510. 

Stickereiappreturen, gesundheitsschädliche 
Folgen 392. 

Stickozyde, Nachweis im gebleichten Mehle 
584. 

Stickstoff, Bestimmung im Wasser 406.461, 
I 462. 

i —, Nutzbarmachung 405, 406. 

| —, Reindarstellung 404. 

—, technische Ausnutzung 405. 
i Stickstoffhaltige Eztraktivstoffe, Verwertung 
497. 

| Stickstoffumsatz bei der Verdauung 497, 498. 
‘ Stillprämien in München 266. 

1 Stillungsfähigkeit der Frauen 267. 

| Strafanstalten in Bayern, Vorkommen von 
1 Tuberkulose 328. 

-Preußen, Statistik 1906 322, 323. 

—, Verhütung von Infektionskrankheiten 
(Österreich) 7. 

Strahlen, ultraviolette, Schutz gegen dies. 
416. 

i Straßen und Plätze, Bebauung (Reußj. L.) 7. 
j Straßenbeleuchtung 421. 
i — durch Metallfadenlampen 445. 

— — Wolframlampen 446, 447. 

—, elektrische 423. 

—, —, Kosten ders. 448. 

I — in Berlin 422. 

— mit Invertlampen 437. 

— — Kohlenbogenlampen 448. 

— — Magnetitbogenlampen 451. 

—, nächtliche 432. 

Straßenhygiene 644. 

Straßenlaternen, Zünd- und Löschvorrichtungen 
432. 


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Sachregister. 


699 


8traßenataub, Bekämpfung 413. 

—, Gefahren und Bekämpfung 644. 
StraJknteerungen 413, 645. 
Streichholzindustrie, Verbot der Verwendung 
von Phosphor (Deutsches Reich) 3. 
Streptococcus longus 149. 

— mucosus, virulente Stämme 151. 
Streptokokken im Vsginalschleim 201. 

-Conjunctivitis nach Masern 148. 

—'Immunisierung 76. 

-Immunität 200. 

— und Pneumokokken, Ditferentialdiagnose 
150. 

Streptokokkenotitiden, Häufigkeit 151. 
Streptokokkenserum, Wirkung 201. 
Stuhlband, orthopädisches 301. 

Subeston, bakterizide Eigenschaften 10. 
8üdwestafrika, Medizinal bericht 1904/05 55. 
Sufonin 109. 

Superpbospbat, Augenerkrankung durch dass. 
224. 

—, tödliche Wund Vergiftung 388. 
Suppenwürze, Maggische, Einfluß auf die 
Magensaftsekretion 615. 

Suptol 248. 

—, Heilerfolge bei Schweineseuche mit S. 
248, 249. 

Süßstoffe, künstliche (Australischer Bund) 
10. 

Syphilis, Behandlung 210. 

—, Bedeutung der Wassermannschen 
Reaktion für die Diagnose 208. 

—, Calomeisalbe als Prophylaktikum 210. 
—, Fieber im Spätstadium 209. 

—, Heilung 209. 

—, Hornhautinfektion beim Kaninchen 206. 

— in der französischen Armee 214. 

—, Nachweis spezifischer Substanzen 208. 
—, natürliche Infektion beim Kaninchen 
206. 

—, neuer Reaktionsmodus 208. 

—, Schutzimpfung und Immunität 207. 

—, Übertragbarkeit während des Latenz¬ 
stadiums 211. 

—, Übertragung auf Hunde 206. 

—, — — Kaninchen und Affen 205, 206. 
—, Wassermannsche Reaktion 208. 

—, Wirkung des Atozyls 209, 210. 
Syphiliserkrankungen, Statistik 210. 
Syphiliserreger, Spirochaeta pallida ist kein S. 
206. 

Tabakindustrie, Beschäftigung von Arbei¬ 
terinnen und jugendlichen Arbeitern 
(Preußen) 4. 

Tabakrauch, Bestimmung von Kohlenoxyd 
406. 

Tabakrauchen, schädlicher Einfluß auf die 
Köiperentwickelung 277. 

Tabes dorsalis, spezifische Niederschläge 209. 
Tachiol, Wirkung auf Trinkwasser 473. 
Tageshelligkeit, Messungsapparat 415. 

—, minimale in Prag 414. 

Tageslicht, Lichtstärke in Chicago 415. 
Tantal, Schmelzverfahren 445. 

Tantaldrähte, elektrische Messungen 445. 


Tantalelektroden 445. 

Tantallampe 441, 442. 

— für hohe Spannung 445. 

—, Vorteile ders. 445. 

Taubstumme in Frankreich 42. 

-Österreich 43. 

Taubstummenanstalten (Sachsen) 5. 

Teer als Staubbekämpfungsmittel 413. 
Telephonistinnen, Heim fnr dies, in Hamburg 
652. 

Temperatur 420. 

Temperaturmessungen bis 1600° 420. 
Tenacit 443. 

Tetanus, Antitozinbehandlung 159. 
Tetanusbazillen, Wirkung vom Magendarm- 
traktus 159. 

Tetanusgiit im Diphtherieheilserum 159. 
Tetanusheilserum, Heilerfolge 38. 

Theater, elektrische Notbeleuchtung 448. 

—, Lüftungsvorrichtung 413. 

Thermometer, elektrische Fern-Th. 420. 

—, Fern-Th. 413, 420. 

—, neue Ablesevorrichtung 420. 

—, (juarzglaswiderstands-Th. 420. 
Thiosulfate, Nachweis in Nahrungsmitteln 
624. 

Thomasmehl, tödliche Wundvergiftung 388. 
Thorium-Cermischungen 436. 

—, Lagerstätten 435. 

—, Vorkommen auf Ceylon 436. 

Tiere, ungeborene, Erkennung 506. 

Tiergifte in den deutschen Kolonien 66. 
Tierkrankheiten , übertragbare, Sterblichkeit 
an solchen 39. 

Tierlymphe, Gewinnung 163. 

Tierseuchen, Anzeigepflicht 225. 

—, Verbreitung 225. 

Titanfadenglühlampe 446. 

Todesfälle an Infektionskrankheiten in Preußen 
40. 

Todesursachen im Deutschen Reiche 86. 

— in der Marine 87. 

Togo, Medizinalbericht 1904/05 55. 

Tollwut s. a. Wut. 

— des Hundes, spontane Heilung 235. 

—, Leitsätze für die Bekämpfung 235. 

—, pathologisch-anatomische Veränderungen 
234. 

—, Prazisdiagnosen 233. 

—, schnelle Diagnose 283. 

—, Sterblichkeit 40. 

—, Übertragung durch die Nasenschleimhaut 

234. 

—, Veränderungen der Nebennieren 234. 
—, Verletzungen von Menschen 39. 
Tollwutfälle im Deutschen Reiche 232. 
Tollwutmaterial, Beförderungskosten 235. 
Tollwutvirus im Speichel geheilter Tiere 

235. 

—, Neutralisation durch die Galle 235. 
Tomaten, Zusammensetzung 589. 

Tonsillen der Schweine, Vorkommen von 
Rotlaufbazillen 243. 

—, Vorkommen von Tuberkelbazillen 93. 
Tonwarenindustrie, Bekämpfung der Blei¬ 
gefahr 376. 


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700 Sachregister. 


Torf, Gewinnuug und Verwertung 429. 
Torfgas 434. 

Torfkoks, Gewinnung 429. 

Torfvergasung 434. 

Totenschauordnung für Wien 7. 

Totgeburten im Deutschen Reiche 19. 
Trachom, Entstehung und Entwickelung 17. 
—, Ursache 225. 

Tränen, keimtötende Eigenschaften 224. 
Transporthängematte für Schiffe 398. 

Trauma und Sarkom 218. 

-Tuberkulose 101. 

— — Tumor 216. 

Tremor hystericus der Schulkinder, Behand¬ 
lung 308. 

Trichine, Lebensfähigkeit 509. 
Trichinenschau bei Hunden 509. 

Trichophytie durch Bäder 258. 

Trinkbecher, gemeinsame, hygienische Ge¬ 
fahren 458. 

Trinkbranntwein, Untersuchung auf Denatu¬ 
rierungsmittel (Sachsen) 5. 

—, Verwendung Ton denaturiertem Spiritus 
(Preußen) 4. 

Trinkerfürsorge, Entwickelung in Frankfurt 
a. M. 357. 

Trinkerheilanstalten, öffentliche, in Österreich 
380. 

Trinkerheim, Dösen 360. 

Trinkgeschirre, Desinfektion 80, 109. 

—, emaillierte, Untersuchung 626. 
Trinkwasser s. a. Wasser. 

—, Befreiung von Mangan 479. 

—, Beschaffung 488. 

—, Bestimmung Ton Blei 460. 

—,-Kupfer 460. 

—, Beurteilung und -Versorgung bei der 
Feldarmee 470. 

—, chemische Sterilisation 474. 

—, Gewinnung einwandfreier Proben 457. 
—, neues Hausfilter 472. 

—, Reinigung durch Natursteinrtlter System 
Lanz 471. 

—, — mit kolloidalem Eisenoxyd 471. 

—, — nach dem Ferrochlorverfahren 474, 
487. 

—, — und Sterilisierung 470. 

—, Sterilisierung durch Brom 472. 

—, — mit Calciumperoxyd 472. 

—, — — Natriumperoxyd 473. 

—,-Silbernitrat 473. 

—, — — Tachiol 473. 

—,-Wasserstoffsuperoxyd 472, 473. 

—, Typhusepidemien durch dass. 468. 

—, Untersuchung an der Entnahmestelle 
14. 

—, Vorkommen von thermopbilen Mikroben 
465. 

—, Ziegelmehl als Filtermaterial 472. 
Tripper, Albargin als Prophylaktikum 211. 

—, Häufigkeit in Deutschland 202. 
Tropenbekleidungsstoff 55. 

—, Hygiene des Trinkens 57. 

—, Nahrungs- und Genußmittel 62. 

— -Neurasthenie 68. 

—, Sanatorien 59. 


Tropen, Verbesserung der Wohnungs- und 
Arbeitsräume 69. 

Tropenhygiene für die deutschen Kolonien 
53. 

Tropenkrankheiten, Handbuch 50. 

—, Lehrstuhl 51. 

Tropenmedizinische Gesellschsften 65. 
Tropensonne, Einfluß auf Bakterien 57,414. 
Tropon, Einfluß auf die Milchbildung 556. 
Trunksucht s. a. Alkoholismus. 

—, Bekämpfung 4, 357. 

Trunksucbtsgesetz, österreichisches 380. 
Tryptophanreaktion des Stuhles 135. 
Tuberkelbazillen und Antituberkuloseserum 
113. 

—, Chemie ders. 99. 

—, Einfluß auf das Blut von Kaninchen 
123. 

—, Einwirkung von Magensaft 229. 

—, Färbmethode 97, 98. 

—, Fütterungsversuche 123. 

—, kulturelle Eigenschaften 98. 

—, Lagerung im Sputum 97. 

—, latente 92. 

—, Mutation 98. 

—, Nachweis durch Zentrifugieren 98. 

—, Passageversuche 97. 

—, Übergang von der Mutter auf den Fötus 

90. 

—, Verbleiben der im Clysma injizierten 

91. 

—, Verbreitung in den Organen der Phthi¬ 
siker 83, 91. 

— verschiedener Herkunft 96. 

—, Virulenz im Brot 109. 

—, Vorkommen in Drüsen und Tonsillen 
93. 

—*, Wachstum 98. 

—, Wirkung von der unverletzten Haut 
aus 93. 

—, Zungentonsille als Eingangspforte 94. 
Tuberkelbazillenzucht, beschleunigte 98- 
Tuberkulin 88, 84. 

— als Tuberkuloseheilmittel 111. 

—, Anwendung in der Gynäkologie 112. 

—, — im Kindesalter 112. 

— Böraneck 113. 

—, Dauererfolge 111. 

—, Erfahrungen mit dems. 111, 113. 

— Koch, diagnostischer Wert 100. 

—, stomachale und inhalatorische Dar¬ 
reichung 112. 

-Suppositorien 112. 

— und Organismus 111. 

—, Verhaltung des Blutdruckes nach der 
T.-Injektion 111. 

—, Wirkung 100. 

Tuberkulinbehandlung 113. 
Tuberkulindiagnose durch Hautimpfung 99. 
Tuberkulinreaktion, cutane 99. 

—, Differential-T. 99. 

—, Wesen ders. 84. 

Tuberkulöse, Eisenbahntransport 104. 

—, Infektionsgefahr beim Kehlkopfspiegeln 

92. 

— Kinder, Fürsorge 108. 


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Sachregister. 


701 


Tuberkulöse, Speisung der*. 108. 

—, sterilisierbarer Liegessck 118. 

—, suggestive Temperatursteigerung 111. 
—, Zusammensetzung des Blutes 83. 
Tuberkulose s. a. Lungentuberkulose und 
Schwindsucht. 

— als Ätiologie von Augenerkrankungen 
83. 


-Volkskrankheit, Bekämpfung 121. 

—, Antischirindsuchtsgesetz in Texas 104. 
Anzeigepflicht 81, 106. 

•-Arbeiten 81. 

Armee-T. 81. 

ascendierende im Genitaltrakt 95. 
Ätiologie 82, 89. 

Bedeutung der Milchinfektion 97. 
Behandlung mit Hetol 115. 

—, klimatische, in Ägypten 118. 

—, kombinierte 81. 

— mit dem konstanten Strom 115. 

— — Marmorekserum und Neutuber¬ 
kulin 113, 114. 

— — Paratozin 115. 

—, spezifische 82. 

—, — und opsonischer Index 113. 
bei Arbeitern 84, 368. 

— Hunden 123. 

— Kälbern 121. 

— Kindern 94, 108. 

— Schulkindern 89. 

, Bekämpfung 5, 12, 82, 102, 103, 104, 
105, 108. 

— in den Niederlanden 88. 

— innerhalb der Stadt 106. 
Beziehungen zur Unfallversicherung 83. 
Bi ersehe Stauung 115. 
chirurgische 95. 

Dauer der Heilstättenkuren 82. 
der Augen 224. 

— —, Behandlung 112, 115. 

— Bronchiallymphdrüsen 91. 

— Gelenke, Hyperämiebehandlung 115. 
— Kinder und Kuhmilch 96. 

— Knochen, Hyperämiebehandlung 115. 
— Lungen durch intestinale Infektion 
90. 

— Placenta 90. 

— Rinder, Bekämpfung in Dänemark 
532. 

— Vögel, Beziehungen zur Säugetier- 
T. 124. 


— des Kehlkopfs und Gravidität 83. 

—, Diagnose 101, 237. 

—, Eheverbot 106. 

—, Einfluß der Ernährung 116. 

—, Entstehung in den Lungenspitzen 94. 
—, ererbte Disposition 90. 

—, Erfolge der Heilstättenbehandlung 121. 
—, Experimental-T. 91. 

—, Freibanksystem 105. 

—, Fürsorge 106. 

—, Fütterungs-T. 92. 

—, Gefährdung gesunder Ehegatten 94. 

—, Häufigkeit 12, 83. 

—, Heilmittel 111. 

—, Heilstätten für dies. 116 u.f. 


Tuberkulose, Immunisierung 108, 109. 

—, — bei Rindern 122. 

—, Impf-T. der Kaltblütler 98. 

— in den bayerischen Strafanstalten 328. 

— — der italienischen Armee 87. 

— — — portugiesischen Marine 87. 

—, Infektion, Bedeutung der Atmungs¬ 
und Verdauungsorgane 92. 

—, — im Kindesalter 89, 94. 

—,-Körper 90. 

—, — durch die Placenta 90. 

—, — mit der Rinder-T. 96. 

—, Infektionsgefahr durch Milch 105. 

—, Infektionsweg 81. 

— in Großstädten 84. 

—, Inhalations-T. 92. 

— in Irland 96. 

— — Oberhaid 86. 

—, Klinik 81. 

—, kombinierte Anstalts- und Tuberkulin¬ 
behandlung 120. 

-Kongreß 81. 

—, Luft- und Sonnentherapie 118. 

—, Menschen- und Rinder-T., Differenzierung 
95, 96. 

—, — und Vogel-T. 123. 

—, natürliche Infektionsgelegenheit 91. 

—, neuere Reaktionen 99. 

—, Ophthalmoreaktion 99. 

—, primäre Darm-T. bei Kindern 94. 

—, — Mund-T. 97. 

—, — und sekundäre 94. 

—, Prophylaxe 82. 

—, Pseudo-T. bei Fröschen 124. 

-Sanatorien in Schweden 119. 

—, Sanatorium behandlung 117. 

—, Schutzimpfung 108. 

—, Staubgefahr 109. 

—, Sterblichkeit 81. 

—, — im Deutschen Reiche 86. 

—, — in Berlin 1905 85. 

—,-Ungarn 87. 

-Statistik 87. 

-Studien 81. 

—, Therapie 110. 

—, Todesfälle in England 87. 

—, Topographie in Wien 87. 

—, transcutane, Ätiologie 93. 

—, Tröpfcheninfektion 92. 

—, Tuberkulin und Leukocyten 84. 

—, Übertragbarkeit der Rinder-T. 96. 

— und Alkoholismus 82, 84. 

-Geburt, Beziehungen 90. 

— — Invalidenversicherung 84. 

— — Maltafieber 84. 

-Säuglingsernährung 561. 

— — Seeklima 118. 

-Schule 270, 306, 307. 

-Schwangerschaft, Beziehungen 90, 

110. 

— — soziale Frage 83. 

— — Trauma 101. 

-Unfall 102. 

—, Unterbrechung der Schwangerschaft 
110. 

-Unterricht 108. 


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702 


Sachregister. 


Tuberkulose und Wochenbett, Beziehungen 
90. 

—, Verbreitung in Böhmen 82. 

—, Verbreitung in den englischen Gefäng¬ 
nissen 87. 

—, — unter den Messingarbeitern 87. 

—, Verbreitung»wege 98. 

—, Verhütung (Hamburg) 7. 

—, Verlauf der Impf-T. beim Meerschwein- 
chen 98. 

—, Verwendung von Pferdefleisch bei T. 
116. 

—, Vorkommen bei Lehrern 306, 807. 

—, — — Säuglingen 89. 

—, Wohnungsdesinfektion 109. 

—, Wirkung der Sonnenstrahlen 115. 

-Zeitschrift 81. 

—, zum Stillstand gebrachte 120. 
Tuberkuloseantikörper 84. 

Tuberkuloseerreger, Differentialfärbemethode 
75. 

—, Prädilektion 93. 

Tuberkulosefrage und Bekämpfung der Rinder¬ 
tuberkulose 83. 

Tuberkuloseheim 105. 

Tuberkuloseintektion des Harnapparates 95. 
Tuberkulosekrankenhäuser 105. 
Tuberkulosemittel Filtrase 114. 
Tuberkulosepräparate, Behringsche bei 
Augenerkrankungen 114. 
Tuberkuloseserum Marmorek 113, 114. 
Tuberkuloseschutzimpfung bei Rindern 121, 
. 122, 123. 

Tuberkulöses Gewebe, Iromunitätsreaktion 
100. 

Tuberkulosesterblichkeit 307. 

Tumor, experimentelle Forschung 219. 

— und Trauma 216. 

Tumoren, antigene Eigenschaften 222. 

—, Ätiologie 218. 

—, spontane Misch-T. 221. 

Typhus, Absonderung der Dauerausscheider 
141. 

—, agglutinierende Wirkung des Blutes 
182. 

—, Aufhebung der Widalschen Reaktion 
durch Erisrpelinfektion 132. 

—, Ausbleiben des Agglutinationsphänomens 
131. 

—, bakteriologische Spätkontrolle 140. 

—, Desinfektionsmaßnahmen 141. 

—, Diagnose 129. 

— durch Austern 140. 

—, Entstehung und Bekämpfung in der 
Schweiz 143. 

—, Epidemie in Posen 1905 142. 

—, — durch eine Sammelmolkerei 142. 

—, Gruber-, Widalsche Reaktion 12. 

—, Infektion durch eine Bazillenträgerin 
140. 

—, Komplementbindungsmethode 79. 

—, Komplikationen 129. 

— mit Hlaseneiterung 129. 

—, moderne Bekämpfung 140, 141. 

—, Nachweis von Bazillen im Blute 129. 

—, — durch Blutzüchtung 129. 


Typhus, Nachweis mittels des CofTeinver- 
fahren» 125. 

—, — mit Malachitnährböden 124, 125. 

—, Ophthalmoreaktion 132, 133. 

—, Prüfung des Serums 132. 

—, Rückgang 142. 

—, Schnelldiagnose 129. 

—, Trinkwasserepidemien 468. 

—, typhöse Nephritis 130. 

—, Übertragung durch Flaschenbier und 
Bierflaschen 12. 

—,-Milch 534. 

— und Bakteriämie 130. 

— — Paratyphus, Beziehungen zu den 
Gallenwegen 128. 

— — rohe Milch, Beziehungen 534. 

— — Wasserversorgung 12. 

—, Verbreitung durch Bazillenträger 12, 
140, 143. 

—, Wert der Blutuntersuchung für die 
Diagnose 127. 

—, — — diagnostischen Untenuchungs- 
mittel 138. 

—, — des Wassermann sehen Kom- 
plementablenkungsverfahrens 132. 

—, — der Widalprobe 181. 

—, Zusammentreffen mit der Entbindung 
129. 

Typhusbazillen, Agglutinabilität 132. 

—, Anreicherung im Wasser 466, 467. 

—, Anreicherung»verfahren für den Nach¬ 
weis 125. 

—, Bakterizidie der Galle 127. 

—, Biologie 136. 

—, Einfluß des Sonnenlichts 134. 

—, Einwirkung des Gefrierens 132. 

—, elektive Züchtung 126. 

—, Lebensdauer in tierischen Organen 
133. 

—, Löfflerscher Malachitgrünnährboden 
124. 

—, Mitagglutination 131. 

—, Nachweis im Blute 126. 

—,-Wasser 466, 467. 

—, — in Wasser und Milch 135. 

—, Schütteltoxin aus den». 133. 

— und Colibazillen, Differenzierung de» 
Wachstums 126. 

-Paratyphus-B. 136. 

-, gleichzeitiges Vorkommen 137. 

—, Verschiedenheiten 133. 

—, Virulenz 640. 

—, Wachstumsgeschwindigkeit in Galle 126. 
—, Wert der Gallenblutkultur 126, 127. 

—, Züchtung aus dem Blute 131. 

—, — auf Gallenagar 126. 
Typhusbazillenaufschwemmung,Zentrifugieren 

der». 131. 

Typhusbazillenträger in Irrenanstalten 350. 
Typhusbakterien, Lebensdauer im Wasser 
469. 

—, lösliche Toxine aus den». 135. 

—, Varietäten der». 135. 
Typhusdiagnostikum, Fickersche», Fehl¬ 
ergebnisse 131. 

Typhusepidemie in Altenfeld 468. 


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Sachregister. 


703 


Typhusepidemie in Detmold 469. j 

Typhuserkrankungen bei der Rheinschiffahrts- ; 
bevölkerung 143. 

Typhnsinfektion im Anschluß an Paratyphus* 
erkrankung 138. 

Typhusschutximpfung in der englischen 
Armee 134. 

-Süd weitafrika 134. 

—, Pfeiffer-Kollesche Methode 134. 
Typhustoxine, echte, Darstellung 135. 

Überbürdung der Schulkinder 292. 
Übermüdung, Meßmethoden 291. 

Ulcus serpens corneae, Heilung durch Licht* 
bestrahlung 423. 

Ultraviolettes Licht, Wirkungen desg. 416. 
Unfall und Berufskrankheit 366. 

Unfälle auf Unterseeboten 400. 

— durch elektrischen Strom, Verhütung I 

372. ! 

—, elektrische 383, 453. ! 

—, —, Pathologie, Therapie und Prophylaxe 
383. 

— im elektrischen Betriebe, erste Hilfe i 
372, 384. 

— in der chemischen Industrie 382. 

— — versicherungsptiichtigen Betrieben 

333. 

Unfallverhütung bei Hochbauten 372. 

—, Erfolge, 366. 

—, Handbuch 17. 

—, Zeitschrift 16. 

Unfallversicherung, Beziehungen von Krebs 
und Tuberkulose 83. 

— im Deutschen Reiche 361. 

Unglücksfälle durch Beleuchtungsarten 435. 

— durch Benzin 382. 

Unguentum Cred6, Wirkung bei Maul* und 
Klauenseuche 239. 

Unsittlichkeit, öffentliche, Bekämpfung (Däne¬ 
mark) 9. 

Untergrundbahnen, Lufterneuerung 412. 

—, Staubgehalt der Luft 412. 
Unterleibstyphus, Sterblichkeit 30. 
Unterschwefligsaure Salze, Nachweis in 
Nahrungsmitteln 624. 

Unterseeboote, Aussteigeschacht 400. 

—, Unfälle 400. 

Untersuchungsamt Altona, Jahresbericht 1907 
15. 

Uran, Entstehung von Helium aus dems. 407. 
Uviollicht, Anwendung hei Psoriasis 423. 

Taccina generalisata bei Ekzemkranken 162. 
Vaccination, klinische Studie 168. 

Vaccine, Nachweis spezifischer Stoffe 163. 

-Studien 162. 

—, Träger des Kontagiums 163. 

— und Ovine, gegenseitige Immunisierung 
165. 

Vaccineinfektion 162. 

Vaginalschleim , Prüfung auf Streptokokken 
201. 

Vakuumlampe Moore 453. 

Variola humana, Infektionsagens 162. 

—, Träger des Kontagiums 163. 


Variola vera, Vorkommen von Spirochäten 
im Pustelsatt 163. 

Variolavaccine, Züchtung und Verwertung 
14. 

Vegetarische Diät als Volksernährung und 
als Heilmittel 501. 

-, Einfluß auf den Körper 500. 

Venerische Ansteckung, Bekämpfung (Däne¬ 
mark) 9. 

Ventilation der Schulräume 290. 

— geschlossener Räume 412. 

— öffentlicher Gebäude 418. 
Ventilationseinrichtungen für Textilfabriken 

372. 

Verbrecher, geisteskranke, Entlassung aus 
Irrenanstalten 358. 

—, —, Unterbringung 330, 352, 368. 

—, —, Zentralanstalten für dies. 354. 

—, geistig minderwertige, Behandlung 352. 
Verbrecherbehandlung und Rechtsschutz 852. 
Verdauung, Einfluß der Farbstoffe 494. 
Verdunstungsapparat Psychrophor 412. 
Vergiftung durch Leuchtgas 406. 

— — Phosphorwasserstoff 408. 

— — verdorbenen Weizen 385. 
Vergiftungserscheinungen in Anilinbetrieben 

381. 

Vergiftungskrankheiten im Betrieb 365. 
Verletzungen im Eisenbahnbetriebe, Verhütung 
401. 

Veterinärberichte 1906 226. 
Veterinärmedizin, Jahresbericht 227. 
Viktoriahaus für Krankenpflege 15, 16. 
Vitralin 80. 

Volksbäder, Einrihctung 257. 

—, Rentabilität 256. 

Volksgesundheit, Verbesserung durch Sport 
und Spiel 261. 

Volksheilstitte Loslau 16. 

Volksheilstätten, Auswahl der Kranken 117. 
—, Kostenfrage 81. 

Volksheilstättenverein vom Roten Kreuz 82. 
Volksschule und sexuelle Erziehung 271. 
Volksspiele, Ratgeber 262. 

Vulvovaginitis, gonorrhoische, Verhütung 
203. 

Walderholungsstätten 286, 344. 

— für Mütter und Säuglinge 562. 
Waldschulen 285, 286. 

Wandanstriche, desinfizierende 80. 

Wärme, Erklärung 414. 

Wärmeversorgung 421. 

Wascheinrichtung auf Schiffen 398. 

Wasser s. a. Trinkwasser. 

—, Abscheidung des Mangansulfats 479. 

—, Anlage und sanitätspolizeiliche Kon¬ 
trolle 458. 

—, Anreicherung von Typhusbazillen 466, 
467. 

—, Ausscheidung von Manganverbindungen 
480. 

—, Bacterium coli als Indikator für Ver¬ 
unreinigung durch Fäkalien 465. 

—, Bedeutung der Stickstoffbestimmung 
461. 


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704 


Sachregister. 


Wasser, Bestimmung von Ammoniak 461. 
—, — der Härte 458, 459. 

—, — von Mangan 460. 

—, — des Permanganatverbrauchs 461. 

—, — — gelösten Sauerstoffs 463. 

—, — der Schwefelsäure 461. 

—, — des Stickstofls 406, 462. 

—, bleihaltiges, Bleivergiftung durch dass. 
482. 

—, brauchbares, Beschaffung (Preußen) 4. 
—, chemische, mechanische und biologische 
Reinigung 483. 

—, Colinachweis 465, 466. 

—, Desinfektion durch Sonnenstrahlen 423. 
—, Enteisenung 480, 481. 

—, — und Entbräunung 14, 481, 482, 
488. 

—, Entfernung von Eisen und Mangan 487. 
—, Erfahrungen über Talsperrenwasser 489. 
—, Gewinnung einwandfreier Proben für 
die hygienische Untersuchung 457. 

—, Keimgehalt von Leitungswasser 464. 

—, Lebensdauer der Krankheitskeime 469. 

-Luftduschen 254. 

—, Nachweis von Eisen 460. 

—,-Typhusbasillen 135, 466, 467. 

—, Reinigung durch Jewellfilter 470, 471. 

—,-Permutit 479. 

—, Sauerstoffgehalt 464. 

—, Untersuchung an der Entnahmestelle 
14. 

—, Ursachen der Verschlechterung des 
Breslauer Leitungswassers 474. 

—, volumetrische Chlorbestimroung 458. 

—, — Bestimmung von Kalk und Magnesia 
459. 

—, Vorkommen von tliermophilen Mikroben 
465. 

—, zinkhaltiges 482. 

—, Züchtung anaerober Bakterien 464. 
Wasserbegutachtung, hygienische, Grundlagen 
458. 

Wassergas 433. 

— als Ersatz für Steinkohlengas 433. 

—, Anwendung beim Schweißen 434. 

—, Erzeugung 484. 

— in den Niederlanden 434. 

—, Parfümierung dess. 434. 

Wassergasbeleuchtung, hängendes Glühlicht 
434. 

Wassergesetz (Bayern) 5. 

Wasserkalamität in Breslau 474 u. f. 
Wasserleitung, Rücktritt unreiner Flüssig¬ 
keiten (Keg.-Bez. Minden) 5. 
Wasserleitungen, Schutz ders. (Reußj. L.) 7. 
—, Verhütung des Rücksaugens von Schmutz¬ 
wasser 483. 

Wasserlicht von Schumacher-Kopp 455. 
Wasserrecht 403. 

Wasserstoff, Darstellung aus Wassergas 405. 
—, Spektren ders. 405. 

— und Sauerstoff, Vereinigung ders. 405. 
Wasserstoffsuperoxyd, thermische Bildungs¬ 
beziehungen 405. 

—, Wirkung auf Trinkwasser 472, 473. 
Wasserversorgung 421. 


Wasserversorgung im Reg.-Bez. Stade 17. 

— in Breslau 485. 

— und Typhus 12. 

Wasserversorgungsanlagen, Einrichtung und 
Betrieb 486. 

—, öffentliche (Bayern, Sachsen) 5, (Sachsen- 
Altenburg, Anhalt) 6, (Schwarzburg- 
Sondershausen) 7. 

Wasserwerke zu Magdeburg, Ausbau ders. 
484. 

Wasserwirkung im Organismus, Physiologie 
501. 

Wasserzersetzer 405. 

Wechselstrombogen, Untersuchungen 448. 
Wein, Alkoholbestimmung 596. 

—, als Nahrungs- und Genußmittel 603. 
—, amtliche Statistik 1905/06 597. 

—, Arsengehalt 598. 

—, Beschaffenheit des „Weinextraktes“ 

596. 

—, chemische Untersuchung (Frankreich) 8. 
—, Entsäuerung mittels Calciumcarbonat 

597. 

—, Ergebnisse der Aschenanalysen 596. 

—, französische Weiß-W., Zusammensetzung 
597. 

—, Genauigkeit der Untersuchungsergebnisse 

595. 

—, Glycerinbestimmung 596. 

—, Nachweis von Fuchsin 597. 

—, Natrongehalt 597. 

—, schweizerische Statistik 1906 597. 

—, Ursache des Blauwerdens 599. 

—, Verbot des Zusatzes fremder Stoffe 
(Kapkolonie) 9. 

—, Verkehr mit den». (Österreich) 7. 

—, Wässerung und Zuckerung (Frank¬ 
reich) 8. 

' —, Zusammensetzung von Wermutwein 599. 
Weine, alkoholfreie 594. 

— von peronosporakranken Reben 599. 
Weinmaische, Verkehr mit ders. (Öster¬ 
reich) 7. 

Weinmost, Verkehr mit dems. (Österreich) 7. 
Weinsäure, Bestimmung neben Apfelsäure 
597. 

—,-Bernsteinsäure und Zitronensäure 

596. 

Weizen, verdorbener, Vergiftung durch dens. 
385. 

Weizenbrot, Nachweis von Kartoffeln 585. 
Weizenmehl, Backwert 583. 

Wermutweine, Zusammensetzung 599. 
Wertzuwachssteuer 653, 654. 

Westrumit als Staubbekämpfungsmittel 413. 
Wettergase, Untersuchung 409. 

Wetterlampe mit Alarmthermometer 420. 
Wetterregeln, praktische 48. 
Windelektrizitätswerke 439. 

Witwerheim in Frankfurt a. M. 652. 
Wöchnerinnen und Säuglinge, Fürsorge 
(Hessen) 6. 

Wohndichtigkeit in Württemberg 650. 
Wohnungen, billige, Bau ders. (Frankreich) 8. 
—, —, Beleihung 655. 

—, leerstehende 649, 650, 651. 


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Sachregister. 


705 


Wohnungen, Nachfrage nach kleinen W. in 
Hamburg 651. 

—, Vierfamilienhaus 655. 

Wohnungsamt in Stuttgart 649. 
Wohnungsangebot in Mannheim 650. 
Wohnungsdesinfektion bei Tuberkulose 109. 
Wohnungsfürsorge in Bayern 645. 
Wohnungsgesetz im Kanton Basel-Stadt 8, 656. 

— in Frankreich 655. 

Wohnungsinspektion 645, 647, 648. 
Wohnungsnachweis für Arbeiter 652. 

— in Straßburg 648. 

Wohnungsnot und Schulhygiene 291. 
Wohnungspflege (Hamburg) 7. 
Wohnungspflegegesetz 647. 

Wohnungsr&ume in den Tropen 69. 
Wohnungsverhältnisse in Mailand, Verbesse¬ 
rung 656. 

— der Stadtarmen in Posen 648. 

—, Verbesserung (Preußen) 4. 

Wohnungszählung in Karlsruhe 650. 
Wolframlampe 441, 442. 

—, Brauchbarkeit für Straßenbeleuchtung 
446, 447. 

Wolframlampen italienischer Bauart 446. 

—, Kohlenhalter 447. 

—, Verbreitung in Amerika 446. 

—, Wirtschaftlichkeit 447. 
Wundstarrkrampf in Preußen 38. 
Wurmkrankheit s. a. Ankylostomiasis. 

—, Bekämpfung 374. 

Wut s. a. Tollwut. 

—, atypische Fälle 235. 

— der Rinder, neue Beobachtungen 235. 
—, Nachweis spezifischer Stoffe 233. 

Wutkranke Tiere, Virulenz des Speichels und 
der Speicheldrüsen 233. 

Wutkrankheit, Negrische Körperchen 233. 
Wutschutzabteilung in Berlin, Tätigkeit 15. 

-Breslau, Tätigkeit 12. 

Wutrirus, Wirkung chemischer Agenzien 235. 

Yoghurt 538, 539. 

—, Wirkung 541. 

—, — des bulgarischen Fermentes 540. 

Zahnpflege, Leitsätze 314. 

— in der Schule 313. 


Zeichentische, Gestell für dies. 288. 

Zeitschrift für Gewerbehygiene 16. 

— — Medizinalbeamte 16. 

— — Schulgesundheitspflege 16. 

— — Tuberkulose 81. 

Zentralblatt für allgemeine Gesundheitspflege 
16. 

Ziegenbutter, Zusammensetzung 575. 

Ziegenmilch, Zusammensetzung 523. 

Zigarren, Anfertigungsräume (Deutsches 
Reich) 3, (Württemberg) 6. 

—, Einrichtung der Anfertigungsräume 392. 

Zigarrenindustrie, Regelung der Heimarbeit 
387. 

Zimmerheizkörper, selbständiger Temperatur¬ 
regler 420. 

Zimt, Salgon-Z. Beschaffenheit 618. 

Zink, Übergang dess. in Trinkwasser 482. 

Zinkbergwerke, Beschäftigung von Arbei¬ 
terinnen (Deutsches Reich) 3. 

Zinkblenderöstanstalten, staubfreie Gewinnung 
des Röstgutes 372. 

Zinkgewinnung, oberschlesische 393. 

Zinkhütten, Einrichtung und Betrieb 393. 

Zirkonerde, Vorkommen 446. 

Zirkonlampen 446. 

Zirkonwolframlampe 446. 

Zitronensäure, Bestimmung neben Weinsäure 
und Bernsteinsäure 596. 

Zitterkrankheit in einer Volksschule 309. 

Zucker, chemische Untersuchung (Frank¬ 
reich) 8. 

Zuckerfabrikation, Hygiene 391. 

Zuckerwarenindustrie in Wien, hygienische 
Verhältnisse 390. 

Zugbeleuchtung, elektrische 447. 

—, —, Einrichtungen 448. 

—, neue Maschinen für dies. 447. 

Zündwaren, Prüfung auf freien Phosphor 
626. 

Zungentonsille als Eingangspforte für den 
Tuberkelbazillus 94. 

Zwetschengeist, Verwendung von Bacillus 
macerans bei der Bereitung dess. 602. 

Zwieback, Nachweis von Seife 587. 

Zwiebackbereitung, Verwendung von Seife 
587. 

Zwiebackextrakt 588. 


"Vierteljahr? schrift für Gesundheitspflege, 1908. Supplement. 


45 


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Inhalt des zweiten Heftes. 

Seit« 

Geschichte der preußischen Medizinalverwaltuug. Von M. Pistor.225 

Zur Wohnungsfrage. Von Sanitätsrat Dr. Landsberger (Charlottenburg) . 251 
Über die Rauch- und Rußfrage insbesondere vom gesundheitlichen Standpunkte 
und eine Methode des Rußnachweises in der Luft. (Mit 8 Abbildungen 

im Text.) Von Dr. H. Liefmann.282 

Das religiöse Fasten in hygienischer und sozialpolitischer Beziehung. Von 

Dr. Arnold Flinker, k. k. Bezirksarzt in Wiznitz a. Cz.345 

Alkohol und Herz. Eine kritische Studie von Dr. Wern. H. Becker (staats- 

ärztl. geprüfter Arzt), Dassel a. Solling.351 

Arbeiterwohnungen in England. (Mit 6 Abbildungen im Text.) Von Dr. 

Julian Marcuse . ..360 

Beobachtungen auf dem 3. Allgemeinen milchwirtschaftlichen Kongreß im 

Haag. Von Dr. F. Pr öl ss.369 

Entgegnung vom Stabsapotheker Droste in Hannover.375 

Gegenäußerung. (M. P.).379 

Vereine und Versammlungen: 

Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. Vorläufige Mitteilung . 880 
Kritiken und Besprechungen: 

Dunbar, Prof. Dr.: Leitfaden für die Abwasserreinigungsfrage. (Lands¬ 
berger, Charlottenburg).'.381 

Kirchner (vortrag. Rat im preuß. Kultusministerium): Die gesetzlichen 
Grundlagen der Seuchenbekämpfung. (Landsberger, Charlotten¬ 
burg) .382 

Goldschmidt: Die Tierwelt des Mikroskops (die Urtiere); — Wieler: 
Kaffee, Tee, Kakao und die übrigen narkotischen Getränke; — Der 

Alkoholismus. (Landsberger, Charlottenburg).382 

Kori, H.: Die Korischen eisernen Öfen. (R. Abel, Berlin).388 

Lehmann, K. B., und Neumann, R. 0.: Atlas und Grundriß der Bak¬ 
teriologie und Lehrbuch der speziellen bakteriologischen Diagnostik. 

(R. Abel, Berlin). 384 

König, J., und Juckenack, A.: Die Anstalten zur technischen Unter¬ 
suchung von Nahrungs- und Genußmitteln, sowie Gebrauchsgegen¬ 
ständen. (R. Abel, Berlin).384 

Lang, L.: Die kindliche Psyche und d**r Genuß geistiger Getränke. 

(R. Abel, Berlin).385 

Deutsch, JuliU8: Die Kinderarbeit und ihre Bekämpfung. (E. R.) . . 386 
Bleivergiftungen in hüttenmännischen und gewerbl. Betrieben. Ursachen 

und Bekämpfung. (E. R.).387 

Götze, Rudolf: Über Nervenkranke und Nervenheilstätten. (E. R.) . 387 
Julius Marcuse: Im Kampf um die Gesundheit. (Kisskalt, Berlin). 388 
Entwässerung und Reinigung der Gebäude. (Kisskalt, Berlin) .... 388 
Dr. Robert Behla, Geh. Medizinalrat: Der tatsächliche Krebserreger, 

sein Zyklus und seine Dauersporen. (S. Merkel, Nürnberg) . . . 389 
Henry v. Winkler, Stadtchemiker in Reval, und Frau Irmgard 
v. Winkler, geb. Roser: Merkblätter für die erste Ernährung des 

Kindes. (S. Merkel, Nürnberg).390 

Dunbar: Zur Frage der Stellung der Bakterien, Hefen und Schimmel¬ 
pilze im System. (Gärtner).390 

Neu erschienene Schriften über öffentliche Gesundheitspflege (117. Ver¬ 
zeichnis) .392 

Ankündigung.400 
































Deutsche Vierteljahrsschrift 


für 


öffentliche Gesundheitspflege 


Organ 


des 


„Deutschen Vereins fiir öffentliche Gesundheitspflege“ 



Oberbürgermeister Dr. F. Adickes (Frankfurt a. Main), Oberbürger¬ 
meister Dr. med. hon. P. Fuss (Kiel), Geh. Medizinalrat Professor 
Dr. G. Gaffky, Direktor d. Institutes für Infektionskrankheiten (Berlin), 
Hofrat Professor Dr. Max Gruber (München), Dr. Sigmund Merkel 
(Nürnberg), Geh. Ober - Medizinalrat a. D. Dr. M. Pistor (Berlin), 
Dr. Pröbsting (Köln), Regierungs- und Geh. Medizinalrat Dr. Roth 
(Potsdam), Ober- und Geh. Baurat Dr. J. Stübben (Berlin), 
Regiemugs- und Geh. Medizinalrat Dr. R. Wekmer (Berlin) 


Redigiert 


von 


Moritz Pistor und Sigmund Merkel 


Berlin 


Nürnberg 


Vierzigster Band 


Zweites Heft 


Braunschweig 

Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn 

1908 



i 






Inhalt des dritten Heftes. 


a«it» 


Beiträge zur Kenntnis der großstädtischen Luftverunreinigung und des Gro߬ 
stadtklimas auf Grund von Untersuchungen mittels des Aitkenschen 
Staubzählers. Von Dr. med. Willi. Gemünd (Aachen), Dozent für 

Hygiene an der technischen Hochschule.401 

Hygienische Rückblicke aus England. Von R. Wehmer (Berlin).430 

Die Entwickelung der Säuglingsfürsorge und deren Stand Ende 1907. Von 

Dr. Nesemann, Regierungs- und Medizinalrat in Berlin.460 

Uber das Schlafburschenunwesen und über Ledigenheime vom Standpunkte 
der öffentlichen Gesundheitspflege. Von Dr. med. Arthur Wandel 

(Kiel).483 

Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. Von M. Pistor.500 

Berichtigungen .556 

Kritiken und Besprechungen: 

Salomon: Die städtische Abwässerbeseitigung in Deutschland. (Kisskalt, 

Berlin).666 


Prof. Dr. A. Möller: Hausschwamm-Forschungen. (Kisskalt, Berlin). 566 
Dr. Greinacher, Privatdozent an der Universität Zürich: Über die 

Klassifizierung der neueren Strahlen. (Landsberger, Charlottenburg) 567 
Dr. Theodor Altschul, k. k. Sanitätsrat: Lehrbuch der Körper- und 

Gesundheitslehre (Somatologie und Hygiene). (A. Hartmann, Berlin) 558 
Prof. II. Chr. Nuss bäum: Die Hygiene des Wohnungswesens. (J. St.) 559 
R. Müller: Die Bekämpfung der Bleigefahr in Bleihütten. (E. R.) . . 559 
Dr. med. A. Baur: Atlas der Volks- und Schulhygiene. (Altschul, 


Prag).560 

Prof. Dr. A. Tobeitz in Graz: Differentialdiagnose der Anfangsstadien 

der akuten Exantheme. (Dr. R. Boltz, Hamburg).561 

Vereine und Versammlungen: 

Deutscher Verein für öffentl. Gesundheitspflege. (Diesjährige Versammlung) 562 

Neu erschienene Schriften über öffentliche Gesundheitspflege. (118. Ver¬ 
zeichnis) .664 


T>AJA«»«« für di 0 „Vierteljahrsschrift für öffentliche 
-Dt31 ll Gesundheitspflege“ nimmt Herr Geh. Obermedi- 

zinalrat Dr. M. Pistor, Berlin W. 15, Pariserstraße 3, und Herr 
Dr. Sigmund Merkel, Nürnberg, Sulzbacherstraße 3, franko an. 
Wird eine Illustrierung durch Figuren erforderlich, so sind die 
betreffenden Vorlagen auf besonderen Blättern dem Manuskript 
beizufügen. 

Das Honorar für Originalbeiträge beträgt Jt 50.—, 
für Referate Jt 40. — . pro Druckbogen. 

Von Origiualbeiträgen erhalten die Herren Mitarbeiter je 
fünfzig Sonderabdrficke gratis, die sofort nach Beendigung 
deB Drucks der betreffenden Abhandlung seitens der Verlags¬ 
handlung geliefert werden. 

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4 —_____' _ • — 


















Deutsche Vierteljahrsschrift 


für 


öffentliche Gesundheitspflege 


Organ 


dei 


„Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege“ 



Oberbürgermeister Dr. F. Adickes (Frankfurt a. Main), Oberbürger¬ 
meister Dr. med. hon. P. Fass (Kiel), Geh. Medizinalrat Professor 
Dr. G. Gaffky, Direktor d. Institutes für Infektionskrankheiten (Berliu), 
Hofrat Professor Dr. Max Gruber (München), Dr. Sigmund Merkel 
(Nürnberg), Geh. Ober - Medizinalrat a. D. Dr. M. Pistor (Berlin), 
Dr. Pröbsting (Köln), Iiegierungs- und Geh. Medizinalrat Dr. Roth 
(Potsdam), Ober- und Geh. Baurat Dr. J. Stübben (Berlin), 
Regierungs- und Geh. Medizinalrat Dr. R. Wehm er (Berlin) 


Redigiert 


von 


Moritz Pistor und Sigmund Merkel 


Berlin 


Nürnberg 


Vierzigster Band 


Viertes Heft 


(Erste Hülfte) 


Braunschweig 

Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn 

1908 




Inhalt des vierten Heftes. (Erste Hälfte.) 


Mt« 

Die Anstalten und die Tätigkeit des Vereins zur Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose in Nürnberg im Jahre 1907. (Mit 8 Abbildungen im Text.) Von 

Dr. A. Frankenburger.577 

Ober Turnen und Bewegungsspiele in den höheren und niederen Schulen 
vom Standpunkte der öffentlichen Gesundheitspflege. Von Dr. med. Paul 
Kayser, Magdeburg (Oberarzt beim Sauitätsamt TV. Armeekorps) . . . 595 
Ober Selbstreinigung der Flüsse. Von Dr. med. Friedr. Hettersdorf . . 615 
Ober die Mitwirkung des Badearztes bei der Bekämpfung ansteckender Krank¬ 
heiten und über den Bau und die Einrichtung von Isolieranstalten für 
Infektionskrankheiten in den Kurorten. (Mit 3 Abbildungen im Text.) 

Von Dr. Enno Arends.637 

Geschichte der Sterblichkeit und der öffentlichen Gesundheitspflege in Frank¬ 
furt a. M. Von Dr. med. W. Hanauer. (Fortsetzung).651 

Über käufliche Apothekenprivilegien und deren Ablösung sowie über die 

Pensionierung der Apotheker. Von E. Axel Holmström.679 

Kritiken and Besprechungen: 

Dr. Fr. Schoofs: Traito d’Hygieue pratique. (Dr. R. Boltz-Hamburg) 704 
Prof. Dr.Hermann Fehling, ordentl. Prof, der Geburtshilfe und Gynäko¬ 
logie: Wundinfektion und Wundbehandlung im Wandel der Zeiten 

und Anschauungen. (M. P.).706 

W. Weichardt: Jahresbericht über die Ergebnisse der Immunitäts¬ 
forschung. (K. Altmann).706 

Ferd. Hueppe: Was soll der Arzt über die Gefahren der Infektions¬ 
krankheiten in den Samariterkursen lehren? (Kisskalt-Berlin) . . 707 
Else Hueppe: Krankenpflege bei den Infektionskrankheiten. (Kiss¬ 
kalt-Berlin) .706 

Dr. med. Alf red Grotjahn (Berlin): Krankenhausweseu und Heilstätten¬ 
bewegung im Lichte der sozialen Hygiene. (S. Merkel-Nürnberg) 708 
Dr.JosephRambousek: Über die Verhütung der Bleigefahr. (S. M e r k el - 

Nürnberg).710 

Dr. med. A. Grotjahn und Dr. pbil. F. Kriegei: Jahresbericht über 

soziale Hygiene. (S. Merkel-Nürnberg).710 

Oberstabsarzt Prof. Dr. Dieudonne: Immunität, Schutzimpfung und 

Serumtherapie. (S. Merkel-Nürnberg).711 

Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele. (S. Merkel-Nürnberg) .... 711 

Desinfektion. (S. Merkel-Nürnberg).711 

Geh. Medizinalrat Dr. J. Bornträger: Diätvorschriften für Gesunde und 

Kranke jeder Art. (S. Merkel-Nürnberg).712 


—-Verlag- von Aug. Hirschwald in Berlin. —-- 

Handbuch der gerichtlichen Medizin. 

Herausgegeben von 

Geh. Ober-Med.-Rat Prof. Dr. A. Schmidtmann, 
unter Mitwirkung von Prof. Dr. A. Haberda, Prof. Dr. Kockel, Prof. Dr. Wach¬ 
holz, Prof. Dr. Puppe, Prof. I)r. Zienike, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Ungar und 
Geh. Med.-Kat Prof. Dr. 8 lern erlin g. 

Neunte Auflage des Cnsper-Liman’schon Handbuches. 

Droi B&nde. gr. 8. Mit Toxtüguren. 1005 — 1907. Preis 66 Mark. 

(i. B<L Mit 40 Textfig. 1006. 2t M — II. Bd. Mil 68 Texte«, n. Uegitter. 1*07. 16 JC - 

UL Bd. 1906. 16 Jt) 






























WAR - . 

Deutsche Vierteljahrsschrift 


für 


öffentliche Gesundheitspflege 


Organ 


„Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege“ 


Heransgegeben von 


Oberbürgermeister Dr. F. Adickes (Frankfurt a. Main), Oberbürger¬ 
meister Dr. med. hon. P. Fass (Kiel), Geh. Medizinalrat Professor 
Dr. G. Gaffky, Direktor d. Institutes für Infektionskrankheiten (Berlin), 
Hofrat Professor I)r. Max Grub er (München), Bezirksarzt Dr. Sigmund 
Merkel (Nürnberg), Geh. Ober-Medizinalrat a. D. Dr. M. Pistor 
(Berlin), Professor Dr. Pröbsting (Köln), Regierungs- und Geh. Medi¬ 
zinalrat Dr. Roth (Potsdam), Ober- und Geh. Baurat Dr. J. Stübben 
(Berlin), Regierungs- und Geh. Medizinalrat Dr. R. Wehm er (Berlin) 


Redigiert 


von 


Moritz Pistor und Sigmund Merkel 


Berlin 


Nürnberg 


Vierzigster Band 


Viertes Heft 


(Zweite Hälfte) 


Braun schweig 

Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn 


1908 





Inhalt des vierten Heftes. (Zweite Hälfte.) 


Seil* 


Welche Mittel hat der Staat, um dem Uherhandnehmen des Genusses alkoho¬ 
lischer Getränke vorzubeugen? Von Dr. med. W. Fißcher.713 

Die V. Versammlung der Tuberkuloseärzte. Von Ritter-Edmundsthal . . 746 

Geschichte der preußischen Medizinalverwaltung. Zweiter Teil. (Fortsetzung.) 

Von M. Pistor. 74i> 

Kritiken und Besprechungen: 

Dr. med. Julian Marcuse: Körperpflege durch Wasser, Luft und Sport. 

(S. Merkel-Nürnberg).811 

Dr. M. Hindhede: Eine Reform unserer Ernährung. (S. Merkel- 

Nürnberg).811 

Leo Rurgerstein: Zur Schulbankfrage. (Altsohul-Prag).812 

Dr. de Keating-Hart: Die Behandlung des Krebses mittels Fulguration. 

(Port-Nürnberg).813 

Neu erschienene Schriften über öffentliche Gesundheitspflege. (119. Ver¬ 
zeichnis) .816 

Gesamtiibersicht des XXXIX. und XL. Bandes.826 


o*a für die » Viertel J alirsschri ft fü r öffentliche 
£>“111 dg“ Gesundheitspflege“ nimmt Herr Geh. Obermedi¬ 
zinalrat Dr. M. Pistor, Berlin W. 15, Pariserstraße 3, und Herr 
Dr. Sigmund Merkel, Nürnberg, Sulzbaeherstraße 3, franko an. 
Wird eine Illustrierung durch Figuren erforderlich, so sind die 
betreff enden Vorlagen auf besonderen Blättern dem Manuskript 
beizufügen. 

Das Honorar für Originalbeiträge beträgt 50.—, 

für Referate Jft 40.—. pro Druckbogen. 

Von Originalbeiträgen erhalten die Herren Mitarbeiter je 
fünfzig Sonderabdrücke gratis, die sofort nach Beendigung 
des Drucks der betreffenden Abhandlung seitens der Verlags¬ 
handlung geliefert werden. 


Die Ernährungshygiene fordert ein 

Getränk, welches absolut frei ist von allen schädlichen Reizstoffen. 
Kathreiners Malzkaffee verbindet kräftigen, aromatischen Ge¬ 
schmack mit vollständiger Indifferenz. Pettenkofer sagt von ihm: 
„Kathreiners Malzkaffce überragt durch seine appetitliche Außen¬ 
seite und seine für jeden Käufer sofort erkennbare Reinheit alle 
anderen Kaffee-Ersatzmittel wesentlich.“ 

Den Herren Ärzten stellt die Firma Kathreiners Malzkaffee- 
Fabriken, München, auf Wunsch Versuchsproben und Literatur 
kostenlos zur Verfügung. 


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JUL 22 


Deutsche Vierteljahrsschrift 

für 

öffentliche Gesundheitspflege 

Organ 

des 

„Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege“ 

Herausgegoben von 

Oberbürgermeister Dr. F. Adickes (Frankfurt a. Main), Oberbürger¬ 
meister Dr. med. hon. P. Fass (Kiel), Geh. Ober-Medizinalrat Pro¬ 
fessor Dr. G. Gaffky, Direktor des Institutes für Infektionskrankheiten 
(Berlin), Ober-Modizinalrat Hofrat Professor Dr. Max Gruber (München), 
Bezirksarzt Dr. Sigmund Merkel (Nürnberg), Geh. Ober-Medizinal¬ 
rat a. D. Dr. M. Pistor (Berlin), Professor Dr. Pröbsting (Köln), 
Regierungs- und Geh. Medizinalrat Dr. Koth (Potsdam), Ober- und 
Geh. Baurat Dr. J. Stftbben (Berlin), Regierungs- u. Geh. Medizinalrat 
Dr. R. Wehraer (Berlin) 

Redigiert 

von 

Moritz Pistor und Sigmund Merkel 

Berlin Nürnberg 


Vierzigster Band 


Supplement 

Jahresbericht über die Fortschritte und Leistungen auf dem Gebiete der 
Hygiene, begründet von weil. Professor J. Uffelmann 

Fünfundzwanzigstor Jahrgang Bericht über 1907 

hersasgegeben von 

Dr. A. Pfeiffer 


Brauiisch weig 

Druck und Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn 

1909 





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