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DIE
ANTIKE KUNSTPßOSA
VOM VI. JAHRHUNDERT V. CHR.
BIS IN DIE ZEIT DER RENAISSANCE
VON
EDUARD NORDEN
ERSTER BAND
LEIPZIG
DRÜCK UND VERLAG VON B. G. TEÜBNER
1898
ALLE RECHTE,
EINSCHLIESBLIOH DES ÜBEB8ETZUN08SECHTS, VOBBEHALTEN.
R NORDEN
DIE ANTIKE KUNSTPROSA
VOM VI. JAHRHUNDERT V. CHR.
BIS IN DIE ZEIT DER RENAISSANCE
Alh«tiae nobiOggima
GraecoTum urbs, quae
etincHs nationum lingui» trümit toUut
fiorea eloqitmtiae. „^ g g^,^ ^j^ gg
0. S. B n 717.
LEIPZIG 1898 S B. G. TEUBNER
S70.9
^ Vi 82.9
VOL. . I
FRANZ BUECHELER
ZUGEEIGNET
.-j t T ? b 5' «
Das vorliegende Werk reicht in seiner äuTseren Entstehung
zurück bis in den Sommer 1894. Damals veranlafste mich die
Interpretation des Minucius Felix in unserm philologischen Semi-
nar, den eigenartigen Stil dieses Schriftstellers genauer zu prüfen,
um ihn vor allen Dingen historisch zu begreifen. Dadurch kam
mein schon längere Zeit gehegter Plan, der Entwicklungsge-
schichte der antiken Eunstprosa nachzugehen, zur Reife. Ich
wurde dabei unaufhaltsam nach rückwärts und vorwärts geführt;
es dauerte geraume Zeit, bis ich in dem Labyrinth den leitenden
Faden fand, dann aber lichtete sich das scheinbare Chaos und
ich vermochte alles auf eine einfache Formel zu bringen. Das,
was ich aus den vorhandenen Denkmälern selbst herauslas, fand
ich auf meinem Wege allenthalben durch direkte Aussprüche
antiker Zeugen bestätigt, so dafs sich mir im Lauf der Zeit das
Gkuize zu einem festgefügten Gebäude ausgestaltete.
Dafs dieses Gebäude solche Dimensionen annehmen würde,
hatte ich nicht erwartet und selbst am wenigsten gewünscht.
Die Furcht vor dem i^dya ßvßXiov war bei der Freude des
Suchens und Findens das einzige störende Moment. Aber je
weiter ich kam, desto mehr begriff ich, dafs sich das Thema nur
auf breitestem Untergrunde behandeln lasse. Die Form der Dar-
stellung ist im ganzen Altertum mit dem Inhalt so eng ver-
wachsen gewesen, dafs die Kunstprosa recht eigentlich einen
wesentlichen Teil der Litteraturgeschichte ausmacht. Ich mufste
daher, wenn ich nicht bei ÄuJserlichkeiten stehen bleiben wollte,
öfters weit ausholen. Gelegentlich ist dabei der Rahmen zu grofs
för das Bild geworden, aber, wie ich hoffe, nur da, wo es sich
am Beantwortung einschneidender prinzipieller Vorfragen han-
delte, z. B. betr. der Stellung sowohl der altchristHchen als auch
der mittelalterlichen Litteratur zur antiken. Es kam hinzu, dafis
Vm Vorwort.
der Stoff gelegentlich Proben verlangte, um durch sie das theo-
retisch Ausgeführte zu bestätigen und zur lebendigen Anschau-
ung zu bringen.
Ich bin mir bewuTst, keine in allen Einzelheiten abgeschlos-
sene Geschichte der antiken Eunstprosa geschrieben zu haben.
Das ist meiner Überzeugung nach vorläufig überhaupt noch nicht
möglich; denn dazu fehlt uns eine Unzahl von Vorarbeiten, die
ein Einzelner gar nicht zu liefern vermag. Ich habe vielmehr
nur in grofsen Zügen den Gang des stetigen Fortlebens dar-
stellen wollen, den die antike Eunstprosa in einem Zeitraum
von 2000 Jahren genommen hat: litterar- und stilgeschichtliche
Zusammenhänge zu ermitteln, die Theorie der kunstvoll gewählten
Diktion im Geist der Antike selbst darzulegen, sind meine
hauptsächlichen Ziele gewesen. Dafs man die poetische Littera-
tur der Antike nicht begreift ohne ein genaues Verständnis der
Metrik, ist allgemein zugegeben; während wir daher in dieser
Disziplin oft zu tieferer Erkenntnis vorgedrungen sind als aus-
gezeichnete Metriker des Altertums selbst, sind wir auf sehr
vielen Gebieten des Prosarhythmus, einer der wesentlichsten
Eigentümlichkeiten der antiken Eunstprosa, noch nicht so weit
gekommen wie einzelne ganz untergeordnete antike Techno-
graphen. Und doch läfst sich hier vieles sicher beweisen, einiges
freilich nur fühlen. Auf antikes Fühlen rechne ich daher auch
bei meinen Lesern: wer nicht bedenkt, dafs ^Eunstprosa' im an-
tiken Sinn sich oft mit demjenigen deckt, was wir Modernen
als ^Manier' bezeichnen, imd dafs daher vieles, was dem modernen
Gefühl als schwülstig oder geziert erscheint, bei hervorragenden
Stilkritikem des Altertums als erhaben oder zierlich gegolten
hat, der versteht weder Thukydides und Tacitus, noch Isokrates
und Cicero. Freilich hat die Antike auch auf dem Gebiet der
kunstmälsigen prosaischen Darstellung ein Ideal der Schönheit
erreicht, das — frei von jeder Manier und, wie alle höchste
Eunst, sich mehr verhüllend als zur Schau stellend — in seiner
hoheitsvollen Unnahbarkeit auch auf uns Moderne so wirkt wie
die Poesie des Sophokles oder die Skulpturen des Parthenon;
aber während der Ästhetiker im Schauen dieses Ideals seinen
Schönheitssinn nährt und mit ihm abschliefst, will der Historiker
den Weg ermitteln, der zu ihm emporgeführt und den es im
Wandel der Zeiten genommen hat; der emporsteigende Weg ist
Vorwort. IX
beispiellos kurz, der absteigende beispiellos lang gewesen: der
Historiker, der im Gegensatz zu dem stolzen Ästhetiker ent-
sagnngSYoll sein muls, darf sich nicht scheuen, auch diesen
langen Weg zu durchmessen, mag er dabei auch finden, dafs
jenes objektive Schönheitsideal, das keine Yeränderungen duldet,
eben durch diese Veränderungen sich selbst mehr und mehr ent-
fremdet worden ist: wie er die stille Grolse der alten Kunst in
die maniera grande oder die posierende Zierlichkeit der jüngeren
übergehen sieht, so wird er neben der vornehmen Grazie Piatons
den affektierten Pomp Senecas, neben den Blitzen des Demo-
sthenes die Lichter des Isokrates und Cicero gelten lassen, so-
bald er in die Notwendigkeit dieser Entwicklung Einsicht ge-
wonnen hat.
Einzelne Epochen, die mir keine Veranlassung boten, eigne
und neue Resultate vorzulegen, habe ich kürzer oder ganz kur-
sorisch behandelt, z. B. die Epoche der attischen Beredsamkeit,
die uns in der vortrefflichen Behandlung von F. Blafs vertraut
ist (doch habe ich meine abweichenden Ansichten über die rhyth-
mische Kunst des Demosthenes im Anhang II kurz dargelegt);
eine gewisse daraus sich ergebende Ungleichmälsigkeit einzelner
Teile habe ich lieber dulden als durch Wiederholung von Be-
kanntem den Umfang des Buches noch vergrofsern wollen.
Dafis ich die moderne Litteratur überall aufs genaueste zu
benutzen versucht und jedesmal, wo ich sie benutzte, auch citiert
habe, bedarf keiner Versicherung; mir wird dabei auf einem so
weiten Gebiet manches entgangen sein, aber ich habe wenigstens
redlich gesucht und es mich nicht verdriefsen lassen, stets nach
dem ei)Q£tijg einer jeden wichtigen Thatsache zu forschen; dafs
ich dabei öfters als ich erwartet hatte, bis auf den Humanismus,
ja bis ins Mittelalter zurückgeführt worden bin, ist meinem
Werke selbst zugute gekommen: denn das Herumstöbern auf
jenen Gebieten, die vom Fufs des Philologen so selten betreten
werden, hat mich instand gesetzt, das Fortleben von Gedanken
und die Macht der Tradition bis zu einem Grade nachzuweisen,
der mich selbst in Erstaunen setzte. Zu meinem Bedauern ist
es mir nicht gelungen, mir eine Reihe französischer Abhand-
lungen aus früheren Jahrhunderten und aus der ersten Hälfte
dieses Jahrhunderts zu verschaffen: in den gröfsten deutschen
Bibliotheken existieren sie nicht und die französische National-
X Vorwort.
bibliothek darf nach einem Statut keine gedruckten Werke nach
auswärts verleihen; ich bedaure das umsomehr, als ich, wie der
Leser erkennen wird^ gerade durch die aulBerordentlich geist-
vollen Beobachtungen französischer Stilkritiker aller Jahrhun-
derte sehr gefördert worden bin.
Meine Arbeit ist im August 1896 abgeschlossen worden (bis
auf die beiden Anhänge, die erst im März 1897 fertig wurden).
Inzwischen habe ich natürlich in einigen Punkten umgelernt;
femer bin ich bei einzelnen, allerdings nur durchaus nebensäch-
lichen Dingen auf treffende Bemerkungen neuerer Gelehrter auf-
merksam geworden, die mir bisher entgangen waren; auch ist
inzwischen manches erschienen, was mir zu verwerten nicht mehr
möglich war, z. B. für den Stil der Logographen das neue Phere-
kydesfragment, für die Bemerkung über das Vorkommen von
lateinischen Buchstaben in griechischen Werken (S. 60, 2) die
interessante Notiz von E. Nestle in der Berl. phil. Wochenschr.
1897, 1469 f. Ich bemerke aber, dafs ich ^Nachträge und Be-
richtigungen' prinzipiell ausgeschlossen habe; nur in den späteren
Teilen des Werkes habe ich einiges mittlerweile Erschienene
in der Korrektur noch kurz erwähnen können; störende Druck-
fehler werden kaum stehen geblieben sein (die metrischen Zeichen
S. 136, Z.9 wird der Leser leicht selbst berichtigen); die Korrektur
der ersten Hälfte hat mit mir mein Schüler Dr. 0. Altenburg
gelesen, dessen S. 163, 1 erwähnte Dissertation über den Stil der
ältesten lateinischen Prosadenkmäler demnächst in dem neuesten
Band der Supplemente zu den Jahrb. f. Philol. erscheinen wird.
Ich habe das Werk nicht als Nachschlagebuch, sondern, so
groüs es auch ist, zum zusammenhängenden Lesen bestimmt.
Denn da es ein durchaus einheitliches Ganzes ist, so würde das
Einzelne in der Isolierung den wichtigsten Teil seines Gehalts
verlieren; wollte z. B. jemand das, was ich über Thukydides,
Piaton, Cicero, Seneca oder Tacitus vorbringe, ohne Zusammen-
hang mit den jedesmal vorangehenden theoretischen Unter-
suchungen lesen, so würde er die Stellung, die ich jenen in der
Entwicklung anweise, nicht begreifen, und so in jedem einzelnen
Fall. Durch fortlaufende allgemeine Inhaltsangaben am oberen
Bande und Stichworte am seitlichen Bande, durch Zusammenfas-
sungen der Besultate an besonders eingreifenden Abschnitten,
durch möglichste Absonderung der ausführenden Anmerkungen
Vorwort. XI
vom Text, und durch kursiven Druck der lateinischen Citate
hoffe ich die Lektüre so weit erleichtert zu haben, wie das bei
einem so weitschichtigen Stoff, der gelegentlich auch im Text
kompliziertere Erörterungen nötig machte, überhaupt möglich ist.
Dem Herrn Verleger, der sich nicht gescheut hat, bei dem
gegenwärtigen äuiserlichen Niedergang der optimae litterae ein
Werk von diesem Umfang zu übernehmen und mit seinem per-
sonlichen Interesse zu begleiten ^), schulde ich, wie so viele Fach-
genossen vor und mit mir, wärmsten Dank, wie einst die Re-
naissancephilologen dem Aldus Manutius.
Zu nicht geringerem Danke bin ich meinem Kollegen
A. Gercke verpflichtet. In fast täglichem Gedankenaustausch
hat er sich mir durch ngotgineiv zum Richtigen uud &7CorQdneiv
vom Falschen als Freund im Sinne seines Aristoteles, Ghrysippos
und Seneca bewiesen. Eine auf S. 492 mitgeteilte Bemerkung
G.'s habe ich wohl nicht ganz korrekt wiedergegeben: aus meinen
Untersuchungen über das sprachliche Verhältnis des Lukas zu
Matthäus und Markus folgt vielmehr, dafs groise Partieen des
Evangeliums dem Lukas bereits in der sprachlichen Fassung
des Matthäus und Markus vorgelegen haben.
DaJb die lateinische Litteratur das Produkt der griechischen
ist, dals die beiden Litteraturen zeitlich nach rückwärts und vor-
wärts unbegrenzt sind, daCs die antiken Autoren gefühlt werden
müssen, wenn sie begriffen sein wollen: das sind Ideen, durch
die wir in der Bonner Schule herangebildet worden sind, zu
einer Zeit, die mir als die gröfste meines Lebens immerdar ge-
weiht sein wird. Dieses Bewufstsein — um abzusehen von dem,
qtiod lotet arcana non enarrabile fibra — veranlafste mich dazu,
Buecheler um die Entgegennahme der Widmung dieses Werks
zu bitten. Es war ihm ab Gabe zum sechzigjährigen Geburts-
tag bestimmt: nun kommt es etwas später, aber Ehrfurcht, Dank
und Treue sind an keine Zeit gebunden. FriQdöxoL jtollä diddöxanf.
1) Die auf dem Titelblatt reproducierte bekannte Statue des redenden
Römers im Typus des 'Egnijg Xdyiog schien uns besonders geeignet, diesem
Buche als Schmuck beigegeben zu werden.
Greifswald, den 14. Januar 1898.
E. Norden.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Einleitung 1
Erstes Buch.
Das Altertum.
Erster Teil.
Von den Ani^iigeii bis znm angnsteischen Zeitalter.
Erster Abschnitt.
Die griecliische Knnstprosa.
Erstes Kapitel: Die Beffrundtmg der attischen Kunatprosa .... 15
A. Die gorgianischen Redefiguren 16
1. Die Antithese 16
2. Das Wortspiel 23
8. Antithese und Wortspiel vor Gorgias 25
B. Die poetische Prosa 80
C. Die rhythmische Prosa 41
Zweites Kapitel: Die Postulate der griechischen Kunstprosa. ... 50
Drittes Kapitel: Gorgias und seine Schule 63
Viertes Kapitel: Die klassische Zeit der attischen Prosa 79
Die Beziehungen der Geschichtsschreibung zur Rhetorik .... 81
Die Beziehungen der Geschichtsschreibung zur Poesie 91
Seite
1. Thukydides .... 96
2. Xenophon 101
3. Aeschines d. Sokra-
tiker 108
4. Piaton 104
5. Isokrates 113
6. Attische Redner 119
7. Theopompos u. Ephoros. . 121
8. Epikur 128
9. Der Aziochos 125
10. Aristoteles u. Theophrast . 125
Fünftes Kapitel: Die Entartung der griechischen Prosa, Demetrios
von Phaieron und die asianische Beredsamkeit 126
Polybios 162
Inhaltsyerzeidmis. XIIL
Zweiter Abschnitt.
Die rSmische Knnstprosa.
*^ Seite
Erstes Kapitel: Die nationale Prosa 166
Zweites Kapitel: Die Umgestaltung der nationalen Prosa durch den
Hellenismus (bis zu StOlas Tod 78 v. Chr.) 164
1. Die Redner 169
2. Die Historiker 176
3. Resultate 177
Drittes Kapitel: Das eiceronianische Zeitalter 181
A. Allgemeine Vorbemerkungen 181
B. Die einzelnen Schriftsteller 194
Seite 4. Caesar 209
1. Varro 194 | 6. Cicero 212
2. Sallost 200 I 6. Livius 234
3. Nepos 204 j 7. Resultate 237
Zweiter TeiL
Die Kaiserzeii
Einleitung 240
Erster Abschnitt.
Von Angnstus M8 Traian.
Erstes Kapitel: Die Theorie 261
A. Der Kampf des alten und des neuen Stils. Atticismus
und Asianismus 261
1. Die Alten und die Neuen im allgemeinen 262
2. Die Alten und die Neuen im Stil 266
3. Der alte Stil und der Atticismus 268
a. Der alte Stil der Atticisten in ciceronianischer Zeit . . 268
b. Der alte Stil der Atticisten in der ersten Kaiserzeit . . 260
4. Der neue Stil und der Asianismus 266
6. Die Vermittler zwischen den beiden Parteien 268
B. Der neue Stil 270
1. Das Allgemeine 278
2. Das Inhaltliche der Deklamationen 276
3. Die Form der Deklamationen 277
4. Resultate 299
Zweites Kapitel: Die Praxis 300
Seite ! 6. Valerius Maximus 303
1. Seneca d. 1 300 i 6. Curtius Rufus 304
2. Pompeius Trogus . 300 | 7. Pomponius Mela 306
8. VitruT 301 I 8. Seneca d. J 306
4. Velleius 302 1 9. Plinius d. Ä 314
XIV InhaltsYerzeichnis.
Seite
10. PUnius d. J S18
11. Tacitus 321
Zweiter Abschnitt.
Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
Einleitung 344
Die zweite Sophistik 361
Erste Abteilung.
Die Theorie
A. Der alte und der neue Stil 366
B. Der alte Stil und der Atticismus 367
1. Die Griechen 367
2. Die Lateiner 361
C. Der neue Stil und der Asianismus 367
1. Direkte Zeugnisse 367
2. Indirekte Zeugnisse 372
D. Der neue Stil und die alte Sophistik 379
E. Vermittlungsversuche zwischen dem alten und neuen
Stil 387
F. Resultate 891
Zweite Abteilung.
Die Praxis.
Erstes Kapitel: Die griechische Litteratur mit Ausschluß der christ-
lichen,
I. Der alte StiL
A. Die freien Archaisten 892
Seite 4. Cassius Dio 896
1. Plutarch 392 6. Dexippos 398
2. Lukian 394 6. Plotin 399
3. Arrian 394
B. Die strengen Archaisten 401
4. Synesios 406
6. Qaza 406
6. Byzanz 407
Seite
1. Aristides 401
2. Libanios 402
3. Themistios .... 404
II. Der neue Stil.
Allgemeines 407
A. Die Redner und Deklamatoren 410
Seite
1. Proben aus den Cita-
ten bei Philostratos 410
2. Ps.-Iosephos .... 416
3. Aristides 420
4. Die Rede des Favorinus . . 422
6. Himerios 428
InHaltsyerzeichnis. XY
Seite
B. Das Proömium des pseudozenophoDteischen Eyne-
getikos 431
C. Die erotischen Romane 434
D. Historiker 442
E. Inschriften 443
Zweites Kapitel: Die griechisch-christliche Litieratur.
I. Allgemeine Vorbemerkungen 461
1. Die prinzipiellen Gegensätze zwischen hellenischer und christ-
licher Litteratur 462
2. Der Eompromifs zwischen Hellenismus und Christentum. . 460
3. Prinzipielle Vorfragen 465
U. Die Litteratur des Urchristentums 479
1. Die Evangelien und die Apostelgeschichte 480
2. Die Briefe des Paulus 492
3. Die Briefe des Ignatius und Polykarp 510
in. Die Entwicklung der christlichen Prosa seit der Mitte
des U. Jahrhunderts 512
A. Die Theorie 512
1. Theorieen über die Sprache des Neuen Testaments .... 517
2. Theorieen über den Stil der christlichen Litteratur .... 529
B. Die Praxis 534
1. Die Praxis im allgemeinen 534
2. Die verschiedenen Gattungen der Predigt 537
3. Der Stil der griechischen Predigt im zweiten und dritten
Jahrhundert 545
4. Der Stil;.der Predigt im vierten Jahrhundert 550
a. Die allgemeinen Verhältnisse 550
b. Die Hauptvertreter der christlichen Eunstprosa im vierten
Jahrhundert 558
a. Die Streitschrift des Eunomios gegen Basileios . . . 558
ß. Gregor von Nazianz 562
/. Basileios und Joannes Chrysostomos 569
5. Die Ausläufer der griechischen Eunstprosa in Bjzanz . . . 572
Drittes Kapitel: Die laUeinische LitUr<xtur 578
L Der alte Stil
1. Allgemeine Vorbemerkungen 576
2. Die Vertreter des alten Stils (Juristen, Lactanz, Sulpicius
Sevems, Hilarius, Claudianus Mamertus, Salvian, Boethius) 581
n. Der neue Stil 586
A. Afrika 588
1. Das ,,afrikam8che Latein** 588
2. Die Sophistik im Stil der afrikanischen Profanautoren des
n. Jahrhunderts (Florus, Appuleius) 598
3. Die Sophistik im Stil der frühchristlichen afrikanischen
Autoren (Minucius, Tertoilian) . 605
XVI Inhaltsyerzeichnis.
Seit«
4. Der Stil der Predigt in Afrika (Cyprian, Augustin) .... 615
5. Der sophistische Stil der Spätzeit in Afrika 624
6. Volkstümliche Prosa in Afrika 626
B. Gallien 631
C. Die übrigen Provinzen (Symmachus, Amniianus Marcellinus,
Hieronymus, Ambrosius) 642
Schlufsresaltat 654
Zweites Buch.
Das lHQttelalter und der Humanismus.
Erster Abschnitt.
Die Antike im Hittelalter nnd im Hnmanismas.
Erste Abteilung.
Die Antike im Mittelalter«
Erstes Kapitel: Die Zeit des Übergangs vom Altertum zum Mittel-
alter (Cassiodor, Iren, Angelsachsen) 661
Zweites Kapitel: Die Stellung der Artes liberales im mittelalterlichen
Bildimgswesen 670
1. Die propädeutische Wertschätzung der Artes liberales von
der platonischen Zeit bis auf Augustin 670
2. Die propädeutische Wertschätzung der Artes liberales im
Mittelalter.
a. Die Theorie 680
b. Die Praxis 685
Drittes Kapitel: Die Äußeres im mittelalterlichen Bildungswesen.
Der Gegensatz von Auetores und Artes 688
Viertes Kapitel: Die klassicistischen Strömungen des Mittelalters.
Der Kampf der Auetores gegen die Artes.
I. Das neunte Jahrhundert.
1. Das Zeitalter Karls des Grofsen 693
2. Die humanistische Bewegung in Frankreich: Karl der Kahle
und Servatus Lupus 698
U. Das zehnte Jahrhundert: Gerbert 705
in. Das XI.— Xm. Jahrhundert 711
1. Der litterarische Streit der Klassicisten und Scholastiker, s.
XI. Xn. Die Schule von Chartres 712
2. Die Fortsetzung dieses Streites s. XUi: Artes und Auetores.
Die Schule von Orleans 724
Inhaltsyerzeichnis. XVH
Seit«
Zweite Abteilung.
Die Antike im Hiunaiiismas«
Erstes Kapitel: Petrarcas geschichüiche SteUtmg 732
Zweites Kapitel: Die ForUetstMg des mtttelditerlichen Kampfes der
Auetores gegen die Artes in der FrOhzeit des Humanismus . 743
Zweiter Abschnitt.
Der Stil der lateinischen Prosa im Mittelalter nnd im
Hnmanismns.
Erstes Kapitel: Der Stü der lateinischen Prosa im Mittelälter,
1. Der alte Stil 749
2. Der neue Stil 753
a. Die Mischung von Prosa und Vers 755
b. Die rhythmische Prosa 767
c. Die Beimprosa 760
Zweites Kapitel: Der Stil der lateinischen Prosa in der Zeit des Hu-
manismus.
L Die allgemeinen Verhältnisse 763
U. Das Humanistenlatein und seine Einwirkung auf die
modernen Sprachen.
A. Der Ciceronianismus und seine Gegner 773
B. Der Einflufs des Humanistenlateins auf den Prosa-
stil der modernen Sprachen im XYI. und XVU. Jh. . . 780
1. Der Klassicismus 781
2. Der Stil der Pointen (pr^cieuses) und des Schwulstes (gali-
matias) 783
3. Der Stil der formalen Antithese (Euphuismus).
a. John Lyly 786
b. Antonio Gueyara 788
c. Guevara und der spanische Humanismus 789
d. Der Ursprung des Antithesenstils im XYI. und XVÜ. Jh.
Isokrates und Cicero bei den Humanisten 795
Schlufs 807
Anhang I.
Über die Gtosohiohte des Reims.
I. Prinzipielle Fragestellung 810
TL Der Parallelismus als Urform der Poesie und der Beim in Formeln . 818
ni. Resultat und spezielle Fragestellung 824
IV. Der rhetorische Reim in der quantitierenden Poesie des Altertums . 829
y. Predigt und Hymnus. Das Eindringen des rhetorischen Reims in
die Hymnenpoesie 841
Horden, antik« Knnitpro««. b
XVin Inhaltsrerzeichnis .
S«it6
VI. Resultate 867
yn. Die mittelalterliche und humanistische Tradition über den rhe-
torischen Ursprung des Reims . 871
Vni. Rhetorik und Poesie 888
Anhang IL
Über die Gtoschiohte des rhythmischen Satzsohlusses.
I. Allgemeine Vorbemerkungen 909
n. Demosthenes 911
in. Die spätere griechische Prosa 917
IV. Die lateinische Prosa 923
V. Folgerungen fOr unsere Texte 952
VI. Terminologie des rhythmischen Satzschlusses 953
Einleitnng.
Die antike Litteratur unterscheidet sich in formaler Hinsicht Altertum
von den Litteraturen aller modernen Völker dadurch, dafs sie y^i^eu
einen unvergleichlich höheren Wert auf die Form der Darstellung
legt: eine antike Litteraturgeschichte also, welche die stilistische
Entwicklung auJser acht läfst, ist ebenso unwissenschafklich wie
eine Stilgeschichte, die nicht in steter Fühlung mit der litt^
rarischen Entwicklung bleibt. Werke, die bloJGs durch die Fülle
ihres Inhalts wertvoll waren, ohne eine künstlerische Vollendung
in der Form zu zeigen, rechnete das Altertum noch weniger als
wir zur eigentlichen Litteratur: sie blieben beschränkt auf den
kleinen Kreis der Fachgelehrten, so die pragmatischen Schriften
des Aristoteles. Aber solche Werke waren überhaupt selten,
denn im allgemeinen bestrebte sich auch ein Veij^reter der
exakten Wissenschaften, elegant zu schreiben, weil er nur so
hoffen durfte, weitere Kreise zu interessieren: selbst bei Werken
über Tierarzneikunde muüsten die Charitinnen des Stils es sich
gefallen lassen, Patendienste zu leisten. Wenn ein Autor einen
der kunstvollen Darstellung unüberwindliche Schwierigkeiten be-
reitenden Stoff der Öffentlichkeit übergab, so befahl ihm der
gute Ton, sich deswegen zu entschuldigen: so macht es Plinius
in der Vorrede zu seiner Naturgeschichte, so Quintilian in einer
Vorbemerkung zu seinem dritten Buch, in dem er die sterile
Statuslehre vorträgt. Bevor man ein Werk edierte, pflegte man
es — wenigstens in späterer Zeit — zur stilistischen Korrektur
Freunden vorzulesen oder zu übersenden. Im allgemeinen darf
man sagen, dafs es im Altertum dem Schriftsteller gröüsere Mühe
machte, kunstlos als kunstvoll zu schreiben; so stark war die
Macht der Tradition, der Erziehung und vor allem der Anlage.
Noriten, antike Knnstproaa. 1
2 Einleitung.
Deiin diese durchgreifende Verschiedenheit der stilistischen
Maximen in Theorie und Praxis ist tief begründet in der Charakter-
anlage der Völker. Den Hellenen war der Schönheitssinn ^ das
Gefühl für Harmonie und die Kraft zu plastischer Gestaltung
des Gefühlten in unerreichtem Mafse eigen. Kunst war ihr ganzes
Leben ^ und ihr Stempel hat alle Erzeugnisse des griechischen
Geistes geadelt. Durch Vermittlung der Römer wurde sie weiter-
gegeben an die Barbarenvölker^ und erst mit der ästhetischen
Civilisation des Orbis terrarum hatte der griechische Geist seine
Kulturmission erfüllt.
Aber nicht überall fand er einen gleich günstigen Boden,
in den er seine Keime senken konnte. Die nächsten Geistes-
verwandten der Hellenen waren die Römer: kraft ihres guten
Willens und ihrer Fähigkeit, sich anzupassen^ machten sie sich
— wenigstens bis zu einem gewissen Grade — den empfind-
samen Sinn der Griechen für reine, in sich selbst ruhende Schön-
j^eit der Form zu eigen, und da in ihnen fast noch mehr als in
jenen ein Hang zum Pathos und zum Grandiosen lebendig war,
so besafsen sie jene beiden Eigenschaften, aus deren Vereinigung
es sich erklärt, dafs die Kunst der Rede im Altertum eine wahre
Zaubermacht auf die Gemüter der Menschen ausübte. Diese ganz
nachzuempfinden und auf sich wirken zu lassen, vermag keins
der modernen Völker, am wenigsten das deutsche; denn wer
wollte leugnen, dafs das romanische Ohr noch jetzt empfindsamer
ist für den Wohllaut sowohl zierlicher als pathetischer Sprache?^)
1) Der Spanier Antonius Lullus (Balearis), De oratione 1. VIT (Basel
1558), führt in vollem Ernst aus (1. V c. 6 p. 404 ff.), dafs jede gute Rede
einem verhaltenen (besang ähnlich sein müsse und in seiner Nation that-
sächlich sei; daher bestehe seit den Zeiten des Chiron die Anschauung,
Studium musicae necessariuni esse oratori. — Nur unter den romanischen
Nationen war jener Wettkampf denkbar, der im 17. Jahrh. mit grofser Er-
bitterung zwischen Franzosen, Italienern und Spaniern um die Schönheit
der Sprachen gefährt wurde, cf. Bouhours, Les entretiens d*Ariste et d'Eu-
gene (1671) c. 2 mit der Erwiderung von Muratori, Della perfetta poesia
Italiana (1723) III c. 9 f., der bemerkt, dafs keine Sprache so wie die ita-
lienische die armonia und die maestä de' periodi bewahrt habe. — Nur von
einem Franzosen konnten folgende Worte geschrieben werden (Y. Ballu,
Observations sur les dl^ments musicaux de la langue fran9aise in: Phone-
tische Studien herausg. von Victor TI [Marburg 1889] 303): le caracUre pro-
pre ä chaque proposäion du langage irouve tOi{iours un analogue dmis Je
Einleitung. 3
Nur in Italien, wo das Volk noch heutzutage in wohlgebauten
Perioden spricht und den zierlichen Concetti wie den pathetischen
Ergüssen seiner Parlamentarier und Eanzelredner Beifall zollt,
wie einst der Populus senätusque Romanus dem Cicero und die
Mailander Gemeinde dem Ambrosius, konnte der Humanismus
geboren werden, nur in Frankreich (und anfangs auch in Spanien)
bald so begeisterte Aufiiahme finden, während er sich bei den
Germanen, die sich an die schillernde Formglätte und das rhe-
torische Pathos ungern und schwerföllig gewohnten, nur lang-
sam Bahn brach und, was gerade das Bezeichnende ist, in einer
seinem Ursprung entfremdeten Gestalt. Denn anfänglich war er
ja eine wesentlich formale Reaktion gegen die Barbarensprache
des Mittelalters gewesen, und demgemäfs berauschten sich die
romanischen Humanisten an dem wohlkadenzierten Rhythmus
caracUre des phrases Juirmoniques, ce qui permet une application facile de
Vidie musicale ä Vidie exprimee en mots. tPaffirme qu'un hon musicien
dcit pouvoir accompagner ä Vaide de son piano, par exemple, un oratewr
qui d^lame bien, et que le sens des periodes musicales aidera singuli^ement
ä comprendre le sens des phrases prononcees (at$ssi ne suis -je ntUlement
surpris, quaiid je lis que les Grecs d6clamaient en ce faisant accompagner par
des instruments, et que les orateurs romains avaient un musicien pres d'eux
pour maintenir et rappeler le ton); und dafs dies nicht blofse Theorie ist,
zeigt z. B. Zola, Genninal IV c. 4 p. 278 (von einem Volksredner): Un si-
lence profond se fit. II parle. Sa voix sortait p&nihle et rquque. . . Peu ä
peu, il Venflait et en tirait des effets paiMtiques. Les hras ouverts, accom-
pagnant les pModes d'un balancement d*epaules, il avait une iloquence qui
tenait du pröne, une fagon religieuse de laisser tomber la fin des phrases,
dont le ronflement monotone finissait par cofivaincre. Im Verlauf dieser
Untersuchongen wird uns eine grofse Anzahl von Zeugnissen für den aus-
gepiügten Formensinn der romanischen Völker begegnen; andere findet
man in dem inhaltreichen und geschmackvollen Büchlein von A. Philippi,
Die Kunst der Bede (Leipzig 1896) 35 ff. (Italiener) 59 ff. (Franzosen). Ich
will auch nicht unterlassen zu bemerken, dafs unter den neueren syste-
matischen Darstellungen der griechischen Rhetorik die Theorie du style in
A. Chaignets Buch La rhitorique et son histoire (Paris 1888) 413 ff., was
antikes Empfinden betrifft, ebenso viel höher steht als der entsprechende
Abschnitt in R. Volkmanns bekanntem Werk (Die Rhetorik der Griechen
und Römer' [Leipz. 1885] 393 ff.), wie die feinen rhetorischen Theorieen des
vorigen Jahrhunderts in Frankreich (z. B. Voltaires und anderer Encyklo-
pädisten) höher stehen als die hausbackenen, der X''Q^9 entbehrenden Stil-
theorieen eines Gottsched (1736), Jo. Andr. Fabriciua (1739), Gellort (17.51)
u. 8. w.
1*
4 Einleitung.
der ciceronianischen Perioden und der sülBen^ aber doch kraft-
vollen Melodie der vergilischen Verse: bei den germanischen
Yölkem fand dies formale Moment spät und nur unvollkommen
Wiederhall, aber dafQr erwarben sie -sich — entsprechend ihrer
auf das Innerliche gerichteten Naturanlage — das Verdienst,
mehr in den tiefen Gehalt der neu entdeckten Litteraturen einzu-
dringen, ihn durch die Reproduktionen ihrer gröfsten Dichter
von neuem zu beleben und der modernen Welt in seiner edlen
Reinheit wie in einem Spiegel zu zeigen,
prftche. Die Oriechen besa&en nun nicht blois den empfindlichen
Sinn fiir Schönheit der Rede, sondern die mit dem Oenius in
ewigem Bündnis stehende Natur hatte ihnen auch eine Sprache
geschenkt, die wie keine andere fähig war, die zartesten Re-
gungen des Oefühls in plastischen Formen zu verkörpern. Dais
sich der Charakter der Nationen in ihren Sprachen wieder-
spiegelt, ist eine von W. v. Humboldt begründete Erkenntnis, die
er niedergelegt hat in der seinem Werk über die Eawi-Sprache
vorausgeschickten ^Einleitimg über die Verschiedenheit des mensch-
lichen Sprachbaues und ihren Einflufs auf die geistige Entwicklung
des Menschengeschlechtes' (Berlin 1836). *Die Sprache', sagt er
(p. XVni), ^ist das Organ des inneren Seins, dies Sein selbst, wie
es nach und nach zur inneren Erkenntnis und zur Äufserung
gelangt. Sie schlägt daher alle feinste Fibern ihrer Wurzeln in
die uationelle Geisteskraft, und je angemessener diese auf sie
zurückwirkt, desto gesetzmäfsiger und reicher ist ihre Entwick-
lung.'^) Die Sprache des Volkes nun, für das die jtcudsia mit
der (wvöixtI zusammenfiel (Plat. Prot. 326 B. Symp. 187 D. Ges.
812 C flF.), war durchaus musikalischer Natur; ein bekannter Aus-
spruch V. Bülows: *Im Anfang war der Rhythmus' hat für das
griechische Volk, dessen Xöyog Musik war, eine besondere Be-
rechtigung.^) Der Accent des griechischen Wortes war ein
wesentlich musikalischer; je näher hierin ein Volk dem griechi-
1) Cf auch H. Wedewer, Über Buffons Ausspruch 'Le style est rhomme
in§me' oder über die Bedeutung des Stjls für das Charakteristische der
Völker, Progr. der Selektenschule Frankfurt a. M. 1860.
.2) Feine Bemerkungen darüber bei H. Blair (einem litterarischeu
Ästhetiker und Redner des XVin. Jahrh.), Lectures on rhetoric and helles-
lettres (Lond. 1783), 14. Vorlesung, in der er vom Bau der Rodesätze und
ihrer Harmonie handelt.
EinleituDg. 5
sehen steht ^ um so leichter wird es im stände sein, die ganze
Melodie eines griechischen Satzes in Vers oder Prosa aufzufassen,
und ich bin daher, so paradox es auch erscheinen mag, über-
zeugt, daljs in dem Chinesen dieses rein äufserliche Gefilhl stärker
geweckt wird als in allen modernen Eulturvölkem, und unter
diesen wieder starker in den Romanen und Serben, als in uns
(Germanen, bei denen das tonische Moment des Accents hinter
dem expiratorisch -energischen noch viel mehr zurücktritt als bei
den beiden zuletzt genannten; im Lateinischen scheint wenigstens
in der klassischen Zeit das tonische Moment neben dem andern
nicht ganz gefehlt zu haben, war aber keinesfalls so stark aus-
geprägt wie im Griechischen.
Wir haben aus dem Altertum selbst einige Zeugnisse für
die Sensibiliiät der Menschen jener Zeit gegenüber der Musik des
gesprochenen Wortes. Dionys von Halikamafs (de comp. verb. 11)
beruft sich für den musikalischen Charakter der Rede in Poesie
und Prosa sogar auf den &iiov6ov SxAov, der bei einem Fehler
des Zither- und Flötenspielers sofort zu lärmen anfange, und er
schliefst daraus, äg qn)6vKif^ tig iörlv andvxcyif fi(i&v olTuiötrig
XQog sifuXBidv xb xal sifQvd'fiiav. Ebenso (aus derselben Quelle
wie Dionys) Cicero de or. HI 196. Dafs dies nicht blofse Theorie
war, mögen zwei Stellen Augustins lehren. Er führt (de doctr.
Christ IV 26, 56) aus, dafs man sogar in der niederen Gattung
der Rede (genus submissum), deren Zweck Belehrung sei, nicht
jede suavUctö verbannen dürfe, denn: maadme qtuxndo adest ei
qtwddam decus tum appetitum sed quodammodo naturale et noti-
nuUa tum iactanticula sed quasi necessaria atque ut ita dicam
ipsis rdms extarta numerositas dausidarum, tantas acclama-
tiones excitat, ut vix inteUigatur esse submissa. Von sich
selbst berichtet er conf. V 13: studiose audidmm disputanteni
in populo (Arnbrosium)y tum rhetor, non intentione qua debui
sed quasi explorans eius facundiam, utrum conveniret fafnae suae
an maior mincrve proflueret quam praedicabaiur, et verhis eius
suspendebar intentus, rerum autem incuriosus et con-
temptor astabam et delectabar suavitate sermonis. Ahn-
lich erzahlt noch Michael Psellos, dafs er bei der Lektüre der
Beden des Gr^or von Nazianz oft so hingerissen werde von der
Diktion, da(s er gar nicht an den Sinn der Worte denke (Mich.
PselL or. ad Pothum ed. H. Coxe in: Catalogi codd. mss. bibl.
Q Einleitung.
Bodl. [Oxford 1853J p. 744). Eine vielleicht wenigen bekannte
Thatsache ist es, dafs man im Altertum laut zu lesen pflegte.
Über derartige Dinge, die in den Augen der Menschen, die sie
treiben, selbstverständlich sind, pflegt eine Tradition zu fehlen,
und so ist es denn in diesem Falle auch bezeichnend, dafs an
der einzigen Stelle, an welcher diese Sache erwähnt zu werden
scheint, von dem leisen Lesen eines Mannes als einer Abnormität
gesprochen wird, wodurch die Stelle^) freilich für uns um so
lehrreicher und beweisender ist. Augustin erzählt conf. VI 3,
er habe selten zu Ambrosius Zutritt erhalten: jener sei mit Ge-
schäften überhäuft gewesen, und die wenige Zeit, die ihm übrig
blieb, habe er sich mit Lektüre beschäftigt; er und seine Freunde
hätten ihn dann oft beobachtet, wie er seine Augen über die
Zeilen der Seite gleiten liefs: vox atUem et lingim quiescebant
Augustin ist das so unbegreiflich, dafs er nach Gründen für dieses
tacite legere sucht: entweder habe Ambrosius es gethan, um nicht von
den gerade Anwesenden — denn man konnte, ohne sich anzu-
melden, eintreten — über den Sinn einer dunkeln Stelle gefragt
zu werden, oder um seine empfindliche Stimme zu schonen.*)
Wenn wir ims diese Naturanlage der beiden antiken Völker
vergegenwärtigen, so begreifen wir, dafs die Rhetorik bei ihnen
1) Sie ist mir mitgeteilt von 0. Seeck. — Die Humanisten empfanden
derartiges instinktiv nach: cf Leonardus Brunus Aretinus (f 1444), De
studiis et litteris (ed. in: Consilia et methodi aureae studiorum optimc
instituendorum coli. Th. Crenius [Rotterd. 1692] 470 ff.) c. 3 contenta
interdum voce legere iuvabit: sunt enim non versu modo, verum etiam so-
luta in oratione numeri quidam et velut concentus a sensu dememi et cogniti
flexionesque et gradtts aliqtii, ut modo se demittat vox, modo attollat, colaque
et commata et periodi mira concinnitate inter se connexa, quae in optimo
quoque scriptore maxime adparent; ea ergo cum alte leget, manifestius
deprehendet repleri aures veluti harmonia qu<idam, quam et sentiens, postea
scribens, imitabitur.
2) Über die in Griechenland seit ältester Zeit verbreitete und von da
nach Rom gebrachte Sitte des Vorlesens nicht blofs von Gedichten, sondern
auch von Prosawerken cf. die reiche Stellensammlung bei Rohde, Der griech.
Roman (Leipz. 1876) 304, 1. Welchen Wert man auf gutes Vorlesen legte,
zeigen die bekannten Inschriften von Chios und Teos (CIGr n 2214. 3088)
mit ihren Prämien auf die Icvdyvfoaig, sowie die Duris-Vase Arch. Zeit. VI
(1874) Taf. I, cf. auch Plat. Ges. VII 810 E. Auch an den &v(xyvui(sxr^g des
ypa^fuxrtxöff ist zu erinnern: es kam darauf au, dafs er jedesmal das Ethos
der betreffenden Stelle zum Ausdruck brachte (üionys. Thr. ars 2).
Einleitung. 7
eine geradezu centrale Stellung in Leben und Unterricht^) ein-
nehmen mufste, dafs sie Reichtum^ Ehren, Konnexionen, Ruhm bei
Mit- und Nachwelt gab (Quint. Xu 11, 29), dafs sie von einigen
mit der Staatskunst identificiert wurde ^), dafs sie der Zauberstab
war, durch den der Redner sein Publikum bannen oder in Ekstase
versetzen konnte: wenn die Sophisten seit der platonischen Zeit
bis ins ausgehende Altertiun ihre Kunst im xtiXbIv^ ^iXyBiv taug
av^Qcijcovg^) sahen, und wenn man das fi&Xv^ das der Gott der
Rede dem Odysseus giebt, als die Zauberkraft der Rede deutete,
so liegt darin für antikes Empfinden nichts Unnatürliches. Die
Öffentlichkeit des Lebens, gegeben durch Klima und Verfassung,
begünstigte den Einfluls des gesprochenen Wortes auf die
Hassen/) Wir begreifen auch, dals die antike Beredsamkeit in
1) Cf. G. Boissier, L'instruction publique dans Tempire romain in:
Revue des deux mondes 1884 p. 341 jQP.
2) Cic. de inv. I 6 über die civilis ratio (Staatskunst): eius quaedam
magna et ampla pars est artificiosa eloquentia, quam rhetaricam vocant.
nam negue cum iis setitimus qui civilem sdentiam eloquetUia tum putant
indigere, et ab iis qui eam putant omnem rhetoris vi et artificio contineri,
wiagno opere dissentitnus. Jene ersteren waren die Philosophen (cf. be-
sonders Cic. de or. I 84Jff.), die letzteren die Rhetoren selbst: es war der
Standpunkt des Kallikles im platonischen Gorgias und dann wieder der-
jenige der späteren Sophisten (cf Pollux FV 16 (rj^ogiTirj, i] airti] xal itoXi-
ti%ri xal co(pvaxi%riy ib. JY]Toptx($?, 6 aiytbi xal 'jtoXiti%6g)\ gegen dieselbe
unverschämte Anmafsung der Rhetoren polemisiert ausführlich Philodem
in seiner Rhetorik. Der vermittelnde Standpunkt Ciccros (resp. seiner
Quelle) ist der der jüngeren Stoa.
8) Schon Thrasymachos bei Plat. Phaedr. 267 D; von Gorgias und den
älteren Sophisten überhaupt Philostr. ep. 73, 1 dietpoitmv ^iXfovtig iiingdg
ri %al luiiovg n6ltig tbv 'Ogtpimg xal Sapivgov tg^nov. Dann zu verfolgen
durch die ganze Litteratur, z. B. noch Themistios or. 29,347 b u. ö.;
cf. Boissonade in seiner Ausgabe des Zacharias von Mitylene (Paris 1836) 351 f.
4) F^n^on, Dialogues snr TEloquence (Paris 1718) 270 f. Iis avoient
plus de culture pour VHoquence que notre nation n'en peut avoir. Chez les
Grees Umt dipendoit du peuple, et le peuple depe^idoit de la parole. Dans
leur forme de gouvemement, la fortune, la riputaiUm, Vautorite dtoient atta-
dUes d la persuasicn de la muUitude. Le peuple etoit entraine par les rhe-
teure artificieux et vehemens. La parole itoit le grand ressort en paix et en
guerre. De la tfiennent tant de harangues, qui sont rapportees dans les histoires,
et qui nous sont presc^ue incroy alles, tant elles sont loin de noa mceurs
La parolfi n*a aucun pouvoir semblabe chez nous. Les assemblees n*y sont
que des ceremonies et des spectacles. Tl ne nous reste guH-es de monumens
g Einleitung.
ihrer ganzen Art von der modernen verschieden sein mulste.
Den Hellenen gestaltete sich alles, was sie fohlten, sagten und
bildeten, zu einem Kunstwerk. Nur liegt das Wesen der Kunst
nach antiker Auffassung nicht in genialischem Schaffen, sondern
iii der Unterordnung individuellen Wollens und Könnens unter
eine strenge Gesetzmäfsigkeit, aber „eben darin besteht das
Grofse in der Entwicklung der griechischen Kunst, dafs selbst
die strengsten Grundregeln nie zu willkürlichen Satzungen und
zur Unfreiheit führten, sondern vielmehr dazu dienten, innerhalb
des Gesetzes dem schaffenden Geiste des Künstlers eine um so
gröfsere Freiheit zu gewahren"^); in diesem Sinne war auch die
Beredsamkeit im Altertum die bewufste Kunst, während * Natur-
beredsamkeit' damals ein rein akademischer Begriff gewesen ist,
der nie aus der Theorie in die Praxis übertragen wurde.*) Dazu
d'une forte eloquence, ni de nos anciens Parletnens, ni de n08 J^tats Gene-
raux, ni de nos ÄssemhUea de Notables. Tout se decide efi secret dans le
cabinet des Princes, ou dcms quelque nSgociation particUliere etc.
1) Brunn im Rhein. Mus. V (1847) 346.
2) Die Frage, ob die Rhetorik eine Kunst sei oder nicht, war eine
der berühmtesten Streitfragen der hellenistischen Zeit. Jenes behaupteten
aufser den zünftigen Rhetoren die Stoiker, dieses die jüngeren Peripatetiker
und Akademiker. Die Akten dieses Streits liegen uns vor bei Cicero de or.
I 91 ff.; Philod. rhet. 1. II; Quint. 11 17, 6 ff. (besonders 11); Seit. Emp. adv.
rhet. 10 ff. (besonders 16). Alle Vertreter der zweiten Ansicht beriefen
sich darauf, dafs thatsächlich oft solche, die keine ausgebildeten Redner
gewesen wären, ihre Zwecke besser erreicht hätten. Es ist kürzlich von
L. Radermacher (Festschrift des klass.-phil. Vereins in Bonn zur Kölner
Philologenyers., Leipz. 1896 p. IX ff.) festgestellt worden, daÜB die genannten
Autoren in letzter Instanz zurückgehen auf den Peripatetiker Kjitolaos, der
diese Argumente gegen die Stoiker Torbrachte. Aber die unmittelbare
Quelle ist nicht die Schrift des Kritolaos, sondern die eines jungem
Akademikers gewesen, der die Argumente des Kritolaos wiederholte: das
zeigt besonders die genannte Stelle Ciceros, die Radermacher nicht kennt;
sie ist in diesem Zusammenhang schon angefahrt worden von C. Liers,
Rhetoren und Philosophen im Kampf um die Staatsweisheit (Progr. Waiden-
burg i. Schi. 1888) 9 f — Die allgemeine Stellung, die man zu dieser Frage
nahm, formuliert Hermogenes de ideis I 1 (p. 266 f. Sp.) so: ij fUftriaig %ocl
6 j^ijXos 6 nQÖg iTieivovg (sc. tohg &(fxaiovg) fuxcc fi^9 ifinsi^iag tfttXfjg %al
xivog &X6yov tgißfjg Yi96fuvog oim ^9 olpLai dv9ccixo %%}y%dvnv xo^ ö^^ov,
n&y ndw Ti« i%ji tp^öBmg sl' toijwavtlop yäg htog av aifxbp %al aipdXXoi
ft&Xlov tä xfjg tpvastog nlBovtxti^f^ara x^Q^9 '^^X^S xiwbg dloymg axxovxu
ngbg 3 xi aal xv%oi und das weiter Folgende. — Speziell für das Kunst-
mäfsige in der rhythmischen Komposition der Rede cf. noch Dionys de
Einleitung. 9
kommt noch ein weiterer Unterschied. Der heutige Prediger,
Adyokaty Parlamentarier will nur durch sachliche Gründe über-
zeugen, wie weit der Zuhörer dabei Vergnügen empfindet, ist ihm
entweder ganz gleichgültig oder nebensächlich; dagegen spekulierte
der antike Redner neben den sachlichen Argumenten auf die Leiden-
schaftlichkeit imd den Schönheitssinn seines Publikums; jener
kam er entgegen durch Erregung der Affekte — bekanntlich in
einem Grade, den heutzutage nur der Südländer nachempfinden
kann (cf. z. B. Quint. VI 1, 30 ff. 2, 3 ff.) — , diesem durch
kunstvoUe, oft an Raffinement grenzende Darstellung, denn der
antike Zuhörer yerkngte nicht bloJs im Theater, sondern auch
auf dem Forum deiectcUio^y^ in den verschiedenen Gattungen der
Rede war die Frage also nicht, ob, sondern wie viel ddectatio
zulässig sei (cf. z. B. Quint. VIU 3, 11 ff IX 3, 102. XII 10,
58 ff. Fronto p. 54 N.).
Die Rhetorik konnte bei der centralen Stellung, die sie im
antiken Denken und Handeln einnahm, nicht beschränkt bleiben
auf die eigentlich gesprochene Rede, sondern mit Notwendigkeit
erstreckte sie im Lauf der Zeit ihren Einfiufs auf alle Litteratur-
gattungen, auch die Poesie. Es kam schlielslich dahin, dafs
doquenüa gleichbedeutend war mit dem, was wir ^Litteratur'
nennen.*) An dem Übermafs dieses Einflusses ist allmählich
comp. Terb. 26, wo er heftig polemisiert gegen die, welche eine rhyth-
mische Komposition der Rede verboten: das seien Leute xfjg ftkif iy%v7iXiov
M€uSilag £irf»^oft, tb S' Ayogatoif xfjg (rjitoQinfjg fUgog 6dov xt %al tixvrig
X^^ig initfidi^orxBg und slmd'dxsg %Xivdj^Biv xä naQayyiliutxa tobv xex^oav.
1) Cf. Quint. m 6, 2. IV 2, 46; 121 f V 14, 29; 33 jff. X 7, 17. Dagegen
erwähnt er V pr. 1 f. Leute, welche nur im docere das Ziel der Beredsam-
keit sahen, während sie das movere und delectare für überflüssig oder schäd-
lich hielten. Bezeichnend Fronto ep. ad M. Caes. I 8 (vom J. 142) p. 21 N.:
bei einer glänzenden Stelle seiner Bede sei laut Beifall gerufen worden,
bei einer andern, wo er Hohes mit Niedrigem verglichen habe, pauculi ad-
tmirmurati sunt. quor8t4m Juh; rettUi? uti te, domine, ita conpares, uhi quid
in coetu hominum recitahis, ut scias auribus serviendum; plane non ubique
nee omni modo, aUamen nonnumquam et aliquando; so willfahre man dem
Volk auch bei den Tierhetzen, selbst wenn es die Ehrung und Freilassung
eines Verbrechers wegen seiner Tapferkeit fordre. ubique igitur populus
dominatur et praepollet. i^ur ut populo gratum erit, ita fades atque dices;
es komme nur darauf an, ein gewisses Mafs dabei zu beobachten, was er
dann im einzelnen ausführt.
2) Cf. G. Boissier im Journal des Savants 1887 p. 660. J. Burckhardt,
Die Zeit Gonstantins d. Gr. (2. Aufl. Leipz. 1880) 878 ff.
10 Einleitung.
Poesie und Prosa beider Völker inhaltlich zu Grunde gegangen.
Denn nur von der grofsen Zeit der Griechen gilt, was W. v. Hum-
boldt (L c. CCXXXI) als ihren am meisten charakteristischen Zug
preist^ 7;ihi^6 Scheu vor allem Übermäfsigen und Übertriebenen, die
Neigung, bei aller Regsamkeit und Freiheit der Einbildungs-
kraft, aller scheinbaren Ungebundenheit der Empfindung, dennoch
immer alles, was sich ihnen gestaltete, innerhalb der Grenzen
des Ebenmafses und des Zusammenklanges zu halten. Sie be-
safsen in höherem Grade, als irgend ein anderes Volk, Takt und
Geschmack.'^ Aber wie die bildende Kunst von ihrer erhabenen
Höhe langsam herabsank, wie an die Stelle ihrer stillen Gröfse
und Einfachheit grandioses Pathos oder Schnörkelei trat, so ver-
wilderte auch der Stil der Rede durch die Manier.
Ebenfalls nur auf die Blütezeit der griechischen Prosa läTst
sich das feine Wort des Verfassers der Schrift tcsqI üifovg (22, 1)
anwenden: t&ce i^ tdx''^ tiXeiog, iivlvü av gytiöig bIvui, dox$, ii
f ai qyuöig imxvxifig^ Ztav Xavd'dvovöav TCSQidxv ti(v tixpip/y
oder, wie Cicero (de or. IH 197) es ausdrückt, ars cum a natura
profecta sit, nisi natura moveat ac deledet, nihil sane egisse vi-
deatur: damit war es vorbei von dem Augenblick an, als die
Kunst Selbstzweck wurde, als sie prahlerisch sich zur Schau
stellte, als man von ihr nicht mehr sagen konnte: Varie che
tuüo fd, niente dice. Die Geschichte dieser Entwicklung wird
uns in einigen ihrer hauptsächlichen Phasen im Folgenden be-
schäftigen. Es ist^ wenn man so will, eine Geschichte des lang-
samen Niedergangs, der dem Niedergang der beiden Völker selbst
parallel geht: diejenigen, welche ein feines Gefühl, wie bei
Phidias uud Praxiteles, so bei Sophokles und Piaton, Vergil und
Cicero festhält, werden vielleicht mitleidig auf den blicken, der
sich nicht scheut, die antike Litteratur zu verfolgen, bis sie,
aus ihrer reinen Sphäre mehr und mehr heraustretend, im Nebel-
meer des Mittelalters versinkt, und werden ihn kaum begleiten
wollen auf einem Wege, der abwärts führt und der ihn zwingt,
mehr bei Fehlern als Vorzügen zu verweilen. Aber wie von
Helios gilt: dvöfisvog yäg ofiog i^hög iötiv hi^ so ist auch die
hellenische Formenschönheit nicht glanzlos zum Orkus hinab-
gegangen: wir begegnen grofsen Männern, die dem Verfall Ein-
halt zu thun sich mühen, andern, die verständnisvoll einen Kom-
promifs zwischen dem Ideal der alten Herrlichkeit und dem
Einleitung. 1 1
Realismus einer entarteten Gegenwart zu schliefsen versuchen;
wir sehen jene grolste Welthistorie, den Kampf des sinkenden
Heidentums mit der jugendlich sich erhebenden neuen Religion,
auch auf dem Schauplatz der Stilgeschichte sich abspielen , imd
wer das Mittelalter nicht als Auslaufer des Altertums gelten
lassen will^ der lasse es sich als Vorgänger der Renaissance ge-
fallen. Vor allem werden wir Moderne , speziell wir Deutsche,
uns hüten müssen, unsere ästhetischen Begriffe von Formen-
YoUendung im Stil der Prosa zu identifizieren mit denen des
Altertums: wir müssen versuchen, da, wo wir nicht mitempfinden
können, wenigstens nachzuempfinden.
Bevor ich zum einzelnen übergehe, habe ich noch kurz eine Tueone
Vorfrage zu berühren: welchen Einfluls hatte im Altertum die Tidnaiit&i
Individualität des Schriftstellers auf seinen Stil oder, mit andern
Worten, wie weit gilt auch für jene Zeit Buffons Ausspruch le
style est V komme mSme?^) Zwar hatte auch das Altertum ein
Sprichwort: olog 6 tQÖxog, toioirtog Tcal 6 Aöyog*), aber wir
dürfen nicht verkennen, dab der Satz in der Praxis nicht so
grolise Bedeutung hatte wie bei uns. Der Stil war damals eine
erlernte Kunst, deren Regeln im allgemeinen keiner seiner In-
dividualität zuliebe übertreten durfte, wie ja überhaupt das
Altertum in viel höherem Mafse als die moderne Zeit vom In-
dividuum die Unterordnung seiner Eigenart unter die Autorität
der von hervorragenden Kunstrichtern sanktionierten Tradition,
die Zurüekdrängung des Genialischen, verlangt hat. Daraus er-
giebt sich zweierlei. Erstens: die Individuen treten zurück hinter
allgemeinen Richtungen der Zeit, deren Repräsentanten sie sind.
Zweitens: ein und derselbe Schriftsteller konnte nebeneinander
in ganz verschiedenen Stilarten schreiben, indem er bald diese,
bald jene iSia verwendete, je nachdem sie ihm für das vor-
1) Das berfihmte Wort steht in seinem auch sonst durch viele feine
itili«tiaehe Bemerkungen ausgezeichneten Discours prononc^ a Tacadämie
fran^aiBe, gehalten am 26. Aug. 1753, jetzt am bequemsten zugänglich in:
Cbe£i-d*oenYre littäraires de BufPon par M. Flourens 1 (Paris 1864) 1 if.
(dort p. 9).
2) Mir sind folgende Stellen bekannt: Plat. Bep. III 400 D. Aristid.
or. 46, vol. n 138 Dind. (i^ nagoiiiia 17 Xiyovaa^ olog 6 tgonog, toio^tov slvai
xal TÖv Xoyov). Quintil. XI 1, 30 {nee sijie causa Graeci prodiderunt, nt
vpxU, qu^mque etiam dicere). Seneca begründet es im einzelnen ep. 114
and 115, cf 76, 4.
12 Einleitung.
liegende Werk zweckentsprechend schien. Wir Moderne haben
dnrch Verkennen dieser Thatsache vielfach geirrt i), aber die
Zeiten sind vorbei, wo man auf dies Argument hin dem Piaton
den Menexenos, dem Xenophon den Agesilaos, dem Tacitus den
Dialogus, dem Appuleius die Schrift De mundo und so vielen
Autoren so vieles aberkannte, oder wo man sich darüber
wunderte, dafs der Aristoteles der pragmatischen Schriften in
seinen Dialogen so dämonisch zu schreiben verstand. Selbst die
so beliebten Schlüsse von der Stilverschiedenheit zweier Werke
eines und desselben Autors auf eine verschiedene Abfassungs-
zeit, sind selten zwingend und oft durch Thatsachen anderer
Art zu widerlegen. Der Stil war im Altertum nicht der Mensch
selbst, sondern ein Gewand, das er nach Belieben wechseln
konnte. Wir werden Beispiele genug dafür finden.^
1) Richtig urteilte darüber schon Mabillon, De studiis monastiöis (Paris
1691), edit. Venetiis 1729 p. 198 ff., wo er schliefslich zu dem Resultat kommt:
non semper styli uniformitatem aut diversitatem argumenio twhis esse ineluc-
tahili ad iudicandum de legitinio cdicuius operis auctore, nisi condiciones re-
liquae ac coniedurae intersint
2) Daraus ist auch zu erklären, dafs wir oft über einen und denselben
Schriftsteller ganz verschiedene Stilurteile vernehmen. Z. B. wird an Pole-
mon seine Leidenschaftlichkeit, sein gotiog hervorgehoben (cf. die Stellen
bei W. Schmid, Der Atticismus I [Stuttgart 1887] 46), aber in den uns er-
haltenen Deklamationen ist davon nichts zu spüren, und auch die Deklama-
tion, die M. Aurel bei ihm hörte, mufs mehr in der Art der uns erhaltenen
gewesen sein, cf. ep. ad Front. II 5. Fronte selbst empfiehlt seinem Schüler
1 8 (p. 20 ff. N.), wenn er zum Volk rede, eine möglichst geschmückte Rede-
art (sogar compositionis strticturaeqm mollitiam^ aber die Probe einer an
M. Antoninus gerichteten Rede Frontos, aus der M. Aurel ep. I 6 p. 13 tf.
viel mitteilt, ist nichts weniger als geziert, vielmehr (aufser einigen etwas
gehobeneren Partieen) sicca, was Macrob. Sat. V 1 als den Stilcharakter
Frontos nennt. Wenn nun Claudianus Mam. in seinem Brief an den Rhetor
Sapaudus (Corp. Script, eccl. Vind. XI 203 ff.) die Reden Frontos pompati-
cae nennt, so bezieht sich das auf die epideiktischen Reden, für die Fronto
selbst III 16 p. 54 das pompaticum genus dicendi empfiehlt. — Cf. auch
0. Seeck, Gesch. d. Untergangs d. ant. Welt I (Berlin 1896) 427. — Über
Aristoteles sehr fein schon W. v. Humboldt 1. c. CCL f.
Erstes Buch.
Das Altertum.
Erster Teil.
Von den Anfangen bis znm angnsteischen
Zeitalter.
Erster Abschnitt.
Die griechische Knnstprosa.
Erstes Kapitel.
Die Begründung der attischen Konstprosa.
Als Begründer der kunstmäbigen Prosa galten dem Altertum ThrMy-
Thrasymachos von Chalcedon und Gorgias von Leontini. Die o^gu^.
neueren Untersuchungen haben das sichere Resultat ergeben, dafs
jener der ältere von beiden war.^) Thrasymachos hat zuerst
das für alle Folgezeit bindende Gesetz aufgestellt^ dafs die gute
Prosarede periodisiert, d. h. rhythmisch sein müsse. Darüber
werden wir bald genau zu handeln haben.
Gorgias wurde vom gesamten Altertum als sigstiig der oorgiM.
öxiiiutta angesehen, die nach ihm den Namen Fo^yCeta erhielten,
und die, wie wir im Verlauf dieser Untersuchungen sehen werden,
für die Litteraturen der meisten Kulturvölker eine geradezu sin-
gulare Bedeutung erlangen sollten. Die Notiz von Gorgias als
ihrem Erfinder begegnet uns zuerst bei Timaios (Diodor XII 53)
und ist von da an die einzige, unwidersprochene.^) Bei Diodor
1) Cf. Diels in: Hermes XXm (1888) 285: Thrasymachi secta Gorgiae
non immeriio prcieltisisse credüur et agmm hietificasse, in qw> paulo post Si-
cula seges incredibilem in modum puJlularit. E. Schwartz, De Thrasymacho
Chalcedonio (Ind. lect. Kostoch. 1892) 3 f.
2) Unwesentlich Philostr. yit. soph. I 13 über Polos: tlal 8' vT tpaai nal
TU noQtaa xal tä Scvtl^tra xal rä 6fioiotilevTC( lluiXov cu^ijxeWc nguitov,
16 I. Die griechische Kunstprosa bis Angustus.
heifst es: ^^Als er (Gorgias) nach Athen kam und vor dem Volk
auftrat, redete er zu den Athenern über das Bündnis und ver-
setzte sie durch das Fremdartige seiner Redeweise in staunende
Verwunderung, da sie von guter Naturanlage und Freunde der
Rede waren; denn er zuerst gebrauchte die besonderen und sich
durch ihre Kunst auszeichnenden Redefiguren, ivttö'sra und iöö-
x(oXa und lUXQLöa und biioiotdXsvta und einige andere derartige,
denen damals wegen des Fremdartigen ihrer Mache bereitwillige
Au&ahme zuteil wurde, die aber jetzt für kleinlich gelten und,
häufig und bis zum Überdrufs gesetzt, lächerlich erscheinen/'
Dafs die Stelle aus dem von Diodor nicht citierten Timaios
stammt^ ist längst erschlossen durch Dionys. y. Hai. de Ljs. 3:
„es ergrifiP auch die athenischen Redner die poetische und figür-
liche Redeweise, womit, wie Timaios sagt, Gorgias den Anfang
machte, als er auf einer athenischen Gesandtschaftsreise die Zu-
hörer in der Volksyersammlung in staunende Verwunderung
versetzte."
Wir haben uns nun längst gewöhnt, in solchen Dingen über
die antike gelehrte Tradition hinauszugehen: während diese meist
nur die Männer nennt, welche eine mehr oder weniger latente
Bewegung zu energischer Bethätigung brachten und sie durch
den Einflufs ihrer Persönlichkeit auf die Nachwelt fortpflanzten,
spüren wir eben jener Vorphase der cil^fuxra nach. Dabei wird
sich im vorliegenden Fall ergeben, dafs Thrasymachos und Gor-
gias so wenig die ^Erfinder' jener Kunstmittel der Rede waren,
wie etwa ihr Zeitgenosse Protagoras der 'Erfinder' der eristischen
Reden und der Agone, wozu ihn die antike Tradition macht
(Laert. Diog. JX 52. Suid. s. v.) Es handelt sich für uns also
darum, die drei wesentlichsten Charakteristika der Kunstprosa
auf ihre Ursprünge zu verfolgen: die gorgianischen Redefiguren,
die mit poetischen Worten ausgestattete Prosa, die rhythmische
Prosa.
A. Die gorgianiflohen Bedeflgaren.
1. Die Antithese.
Bmpedokieg Aristotcles hat in seiner öwayayij xbxv&v die Anfange der
oorgtag. Rhetorik aus Sicilien abgeleitet: Cicero Brut. 46 flf. ait Äfisto-
o^x dgd'&g Xiyovrsg' xfj yocQ roiäde &ylaTa rov l6yov TJäiXos shffrifitvjj xarf-
Gk>rgiani8che Redefiguren. 17
ieles, cum sublatis in SicUia tyratmis res privatae longo nUervallo
imäicüs repeterentur, tum jpnmum, guod esset acuta iüa gens, e con-
iroversia natam artem et praecepta Sicidos Coracem et Tisiam con-
seripsissCf nam antea neminem solitum via nee arte sed accurate
tarnen et descripte plerosque dicere. Nun wurde in Agrigent
Thrasydaios 472 vertriebeu^ in Syrakus Thrasybulos 466; an
diese beiden Fakta knüpfte er also die Anfange. Wie er bei
Cicero f&r Syrakus den Eorax und Tisias nennt^ so bei Laert.
Diog. YIII 57 (aus einem Dialog) fdr Agrigent den Empe-
dokles. Da nun nach einer Nachricht (Satyros bei Laert.
Vni 59) Gorgias zu einem * Schüler' des Empedokles gemacht
wird, so hat Diels in einer Abhandlung, in der er den schlagenden
Nachweis von der Beeinflussung des Oorgias durch Empedokles
in einer philosophischen Lehrmeinung erbrachte^), zugleich die
Vermutung aufgestellt, Gorgias möchte auch in der Rhetorik,
speziell in der Anwendung der Elangfiguren, von jenem ab-
hangig sein. Für letzteres ftlhrt er Verse des Empedokles an
wie die folgenden:
63 St. Soi^ äl ^hnjft&v ydveöi^y doti) d' iMÖUiifig
67 f. fiAAoT« fihf q>iXATfitL <SwBQ%6\ksv^ slg h^ Satavta ,
fiUor« d* cA dC% itiaöta g>OQBiifisva vstTUog i%^Bi
61 f. xox\ (ilv yäg h^ 17^(1}^ fidvov ilvai
ix nkaivmvj toti d* ai SUfpv nJJova i^ ivbg clvai.
Man, muls zugeben: in diesen Versen tritt die Antithese mit
gelegentlicher Parisose und Homoioteleuton so stark hervor,
dalis eine bewuSste Absicht gar nicht geleugnet werden kann,
und wenn BlaGs*) gegen Diels behauptet, diese Figuren traten
bei Empedokles nicht stärker heryor als bei Homer, so mochte
ich dagegen auf eine Arbeit^ hinweisen, in der diese tf^^fictira
aus Homer zusammengestellt sind: bei Empedokles Berechnung,
bei Homer natürlich keine Spur davon. Allein trotz des äulseren
Scheins glaube ich aus folgenden zwei Gründen nicht, dafs wir
in der Geschichte der Eunstprosa eine Linie zwischen Empedokles
und Gorgias ziehen dürfen. Erstens: wenn wirklich eine Anlehnung
1) '(Gorgias und Empedokles' in: Sitzongsber. d. Berl. Ak. 1884, 343 fif.,
cf. F. Dümmler, Akademika (Giefsen 1889) 36, 1.
2) Gesch. d. att. Bereds. I' (Leipz. 1887) 17, 2.
8) A. Nieschke, De Thucydide Antiphontis discipulo et Homeri imi-
iatore, Wiss. Beilage zum Progr. d. ßealprogymn. zu München 1886.
Norden, antike Knnitpro««. 2
18 I. Die griechische Kiinstprosa bis Augustus.
des Gorgias an Empedokles auch in der Rhetorik anzunehmen
ist, so fand sie nach einem Zeugnis des Aristoteles nicht auf sti-
listischem, sondern auf technisch-rhetorischem Grebiet statt. Denn
Aristoteles sagt (de soph. el. 183b 31), Tisias habe lutä toifg
TtQtotovg die Rhetorik begründet, wo unter den ^q&tol nach
jenen Stellen bei Cicero und Laertios sicher Korax und Empe-
dokles gemeint sind^); da nun die Leistungen des Eorax und
Tisias auf rein technischem Gebiet (nach antiker Terminologie
auf dem Gebiet der s^Qsöig^ nicht dem der Id^ig) lagen, so folgt
Hvakiit. dasselbe für Empedokles. Zweitens, und das ist das Wichtigere:
wir können diese Klangfiguren schon vor Empedokles nach-
weisen. Empedokles selbst zeigt uns den Weg. Denn wenn
wir uns die citierten Verse ansehen, so erkennen wir sofort, dafs
die antithetische Fügung der Gedanken sich ihm aus seiner
Lehre von den beiden sich entgegenstrebenden Prinzipien, dem
Nstxog und der Oildttig^ mit innerer Notwendigkeit ergab. Nun
aber ist ja diese Lehre nicht seine Erfindung: die berühmte
Stelle bei Piaton (Soph. 242 C flF.) giebt uns den direkten Beweis
für das, was wir freilich auch aus den Systemen selbst wissen
würden: Heraklit sei sein Vorgänger gewesen, nur habe Empe-
dokles dessen allzustraffe (öwtovariga) Lehre, nach welcher der
Streit ein fortwährender sei, dahin gemildert, dafs er abwechselnd
auf eine Periode des Streits eine solche der Liebe folgen lasse. ^)
Dem gewaltigen Ephesier, der seinen Weg einsam und im
Gegensatz zu aller Welt verfolgte, haben sich zum ersten Mal
die Antinomien des Seins und des Scheins geoffenbart, und ihm,
der da lehrte, dafs aus dem Verschiedenen die yollendete Har-
monie entstehe^ haben sich diese Gegensätze mit einer gewissen
logischen Konsequenz auch in der Sprache hypostasiert: man
höre nur folgende Sätze:
20 ccjttöfievov (lixQa Tcal oTtoößsvvvfievov fidtga.
21 Tcvgbg rgojcal jCQ(5tov d'dlaööa, d^aXdtSörig di rb fiiv 9^^i6v
yi]^ rö di ^(iiöv ngriöti^Q.
22 xvQog ivta^sißstac icdvxa xal nvQ anavrtov^ &6xeQ xQv6ov
XQi^fiata xal XQW^''^^^ XQVöög.
1) Cf. Spengol, Art. script. (Stuttg. 1828) 23, HS,
2) Cf. Zeller, Gesch. d. Philos. d. Gr. P (Uipz. 1892) 833 ff., cf. 667,3.
771, 2.
Gorgianische Redefiguren. 19
25 5g fivQ riyv yijg d'dvcctov 7(al iijQ gg rbv nvgbg ^dvarov
{fdmp {;§ rbv iigog ^dvarov, y^ rbv ßäatog.
39 tä ifVXQä d'dgetai^ ^SQfibv ilrv%sxai' iygbv alaivetca,
xaQtpakiiyif vori^Btac,
44 xö^Bnog Kivtav ^ihv TtatiJQ iöti icävtcov Sh ßaöUBvg^ tucI
toi>g (thf d'6<ybg idsil^e nrög dh iv^gditovgy toifg ^v dov-
lovg iftoitjös t(yi>g dh ikBv^SQOvg.
52 %iXafHfa ^dtog xad'aQ(otatov xal iiucgatatov^ (x^vöi fiiv
n6xi\kov xal öcan^gcov ivd^gAnoig dh Stforoi^ xal öXi^giov,
59 öwdifcucg ovXa xal ovxl oiXa, öviig>€Q6(ik£vov 8iag>£Q6-
(i€V(nfy öwääov Siädov ix itdvxfov ^v xal il^ ivbg ndvta*
61 TC9 iikv d'sß xaXä %dvxa xal dya^ä xal Slxaia^ &v%'Q(oxoi
dl & fiiv &dixa vit6LX7ig>a6iv & dl dixaca.
67 id'dvarot ^vrjftot^ ^vrixol id'dvatoi,^ iä^vteg tbv ixsCvfov
^dvatov, tbv d' ixsivayv ßiov tB^s&tBg.
68 irvxfjöL yäg d'dvarog Cöcdq ysviö^ai, üöatL dl ^dvatog
yijv ysviö^ai^ ix yi^g dl iidog yivetaij i^ iidatog dl ^^i}-
111 nokXol xaxoi, öXiyoi dl dyad'oi.
An diesen Stil des gleich bei seinem Erscheinen in ganz
Griechenland; gerade auch in Sicilien hochberühmten hera-
klitischen Werkes^ dessen Signatar die oft durch äufsere Elang-
mittel ftir das Ohr noch verschärfte Antithese ist, lehnte sich
Empedokles der Dichter und Gorgias der Prosaiker an.^) Aber, Eieat«n.
wird man sagen, steht damit nicht in Widerspruch, dafs das
Altertum die wesentlichen philosophischen Lehren des Gorgias
an den Eleaten Zenon anknüpfte? Vielmehr wird dadurch das
Gesagte nicht blofs bestätigt, sondern wir erkennen daraus
sogar, dafs auch den Gorgias eine innere Notwendigkeit auf
Heraklits Werk hinwies. Gorgias bewies seine drei Behauptungen
(nichts ist; wenn es ist, so ist es begrifflich nicht fafsbar; wenn
es begrifflich fafsbar ist, so ist es einem andern nicht mitteilbar)
1) Auch gedanklichen, in der äofseren Form nicht zum Ausdruck
kommenden Antithesen des Heraklit, wie 3 tpdxig aixolai ficc^vQhi nagi-
09t€ig icmtifccij 40 0%ldvri0i xal tfvyayn, nQ6csi0i xal änsiai^ 25 (j^
«^ rbv yfjg ^dwatov stellen sich berüchtigte Bonmots des Gorgias an
die Seite: aus dem Epitaphios der Anfang des grofscn Fragments: xi yaQ
itnifv totg avdqaai xovtoig &v det icvS^dai TiQoattvai; und der SchluTs:
i[9'dvatog iw &a(oiuixoig aSpLccai ^fi o{y imvxoav, sowie da» famose yvnfg
flfii^ifXOi xdq>oi {n. ^. 8, 2).
2*
20 !• ^^ griechische Kuustprosa bis Aug^tos.
mit Hülfe der zenonischen Dialektik, wie schon das Altertum
wufste (cf. Zeller 1. c. I* 1001 flf.); diese beruhte aber auf der
ivavrcoXoyCa (Plut. Per. 4), d. h. er setzte den Fall^ dab die
Behauptung des Gegners richtig sei, und bewies dann das
Gegenteil. Es ist klar^ dafs der Stil Zenons dadurch ganz anti-
thetisch werden mufste^ cf. z. B. die Stelle bei SimpL phys.
p. 140 D: sl nokld iöti, (sc. t& ivta\ ivdyxti ocixä (iiXQd t$ elvai
Tcal iisydXa, inxgä fMhf &6xb fAi) H^i^y iiJyBd'og, luydXa öl &6tB
6%BiQa elvai. Nun war aber Zenon nicht der Erfinder dieser
Art des Argumentierens, sondern er hat sie von Heraklit ge-
lernt Zwar stehen sich kaum zwei andere philosophische
Systeme des Altertums in ihren Einzelheiten so diametral
gegenüber wie das heraklitische und eleatische: nichts bleibt
sich immer gleich, sondern alles ist in ewiger Bewegung — das
Eine ist unveränderlich und unbeweglich. Aber Heraklit und
Parmenides berührten sich eng darin , dals beide die sinnliche
Wahrnehmung, der die meisten folgen, hinter der Vernunft-
erkenntnis durchaus zurücktreten liefsen. Zenon, dem Schüler
des Parmenides, konnte die Ähnlichkeit nicht verborgen bleiben,
und so hat er die antithetische Art des Argumentierens von
Heraklit übernommen, cf. Zeller 1. c. 735: „wenn Zeno die Vor-
stellungen der Menschen über die Dinge dialektisch zersetzt, um
seine Einheitslehre zu begründen, so vollzieht sich dieselbe Dia-
lektik bei Heraklit objektiv an den Dingen selbst, indem sich
die ursprüngliche Einheit durch die rastlose Umwandlung der
StofiPe aus der Vielheit ebenso unablässig wiederherstellt, wie sie
andererseits beständig in die Vielheit auseinandergeht^^
^ntitheie Auf diese Weise lernen wir den Gorgias auch als Prosaiker
7. jahrh. historisch verstehen und urteilen milder über die uns ofk pueril
erscheinenden Künste seines Stils, wenn wir bedenken, dafs sie
nur ein Niederschlag jener grofsen Umwälzungen sind, welche
die griechische Welt im fünften Jahrhundert auf geistigem Gebiet
erfuhr. Wie dämonisch erscheinen uns noch heute, wo wir nur
ihre traurig zerstückten Glieder haben, die Geistestitanen jener
Zeit, die in ihrem stürmischen Erkenntnisdrange gleich nach
dem Höchsten strebten und es wagten, die Gotter und ihren
heiligen Hypopheten Homer von den altehrwürdigen Thronen zu
stofsen. Das gemeinsame Band, welches sie alle umschliefst, ist
der Kampf gegen das traditionell Bestehende, und er findet
Gorgianische Redefiguren. 21
seinen sinnlichen Ausdruck in der antithetischen Sprache. Hera-
klity der Verächter der sophistischen Rhetorik ^), war in Wahrheit
ihr Vater.
Ich schlielse gleich eine kurze Bemerkung über ander- N»oh-
weiiige Nachahmungen des heraklitischen Stils an. Unter dem Hen^uto!
nnmittelbaren EinfluGs sowohl der Denkungsweise wie des S^^l» j^^"*^j^'
des Heraklit stehen nach den Nachweisen von J. Bemays^) und und
J. nberg^ mehrere jener latrosophisten, deren Werke in das
hippokratische Corpus aufgenommen sind. Es genügt, eine
kurze Stelle der Schrift nagl Sucirrig (476 L.) zu citieren: xdvta
t(t6tä xal (yi xainA. q>dog Zrivl 6x6tog ^Aid\i^ tpdog ^ACd'Q öxötog
Ztp^L q>onä xal iistaxLvsttai Tulva &ia xal rdöe xb16b näöav &Qriv^
Mäö€CP xAfftpf^ diaitQijöööiisva xetvd xa tä t&vöb xdSs xb xd xsivcov.
xal rä nhf ngi^ööorxfL odx otdaöiv, et d^ oi xqijööovöl doxdovöiv
itdivai. Tcal xä iiiv bgeovöLv ov yLvaöxovöiv, iXXd xfog ainolöv
xdvta yivBxai di' ivdyxrjv ^eiriv xal & ßoiikovxai, xal & fii) ßov-
lovxai W^oqiii S% naöiv äjc* iXXi^Xmv^ reo iid^ovi änb xov
luiovag xal xp \uCovi iaih xov [li^ovog. ai^axai xb fid^ov änb
roi) iki66ovog xal xb iXa<S6ov inb xov iid^ovog.*)
1) Philodem rhet. p. 861. 864 Sudh., cf. Gomperz in: Z. f. d. östr.
Gjnin. 1866, 698 f. und Rh. Mas. XXXTT (1877) 467 f. Diels in: Arch. f.
Gesch. d. PhüoB. m (1890) 464 f. ÄhnHch Demokrit fr. 109 N. (146 M).
2) Heraclitea, diss. Bonn 1848 » Ges. Abh. ed. üsener I 1 £f.
8) Stadia Pseudippocratea (dies. Leipz. 1888) 28 ff., cf. auch E. Maafs
in: Herrn. TXU (1887) 666 ff.
4) Was ich Ton Hippokrates selbst gelesen habe (es ist freilich nicht
Tiel), scheint mir zu beweisen, dafs er solche Affektation nicht kennt, denn
Sfttse wie tä Sh vdccta d-SQfuc xal atdcijia nivovaiVj in6 xs to^ riXiov 01}-
MOfUpa %al (mb xA9 ö^ißf^p inaviav6iuva (de aer. et aq. 16, vol. 11 61 L.)
oder T^ ^igi xQt^itevoi 0^ lafingm, &lXcc x^f^^^f^ ^^"^^ diegm (ib. 62 L.) sind
natfirlich ganz unabsichtlich. Aber wie verhält es sich mit dem berühmten
Atiftmg der Aphorismen (17468 L.) 6 ßiog ßgaxhg, ij dh tixvri fucxgi^' 6 dh
utuifbg 6f;hgy ^ dh nttifa ctpalfffii^ fi dh xgUtit 2^^^*^? ^^b hier keine Ab-
sicht Yorliegen soll, wird man Lobeck, De praeceptis quibusd. grammaticor.
enphonicis, in seinen Paralip. gramm. graec. I. 64 f. so wenig glauben
ktanen, wie dafs im folgenden Paragraphen (der nebenbei auch einen ganz
antithetischen Satz enthält) inißlineiv o(fy Sst xal 2^9^^ ^^^ mgriv xal
^fiUnlflp ntd 9^covs die starke Parechese zuföllig sei, zumal gerade diese
beiden Worte, wie Lobeck selbst bemerkt, in der (im Text zitierten) Stelle
der Schrift ««9I Sialrris zusammenstehen und der Verfasser des pseudo-
platonischen Hipparchos 226 C ausdrücklich sagt: tig ovv inicnifimv nsgl
9VT^ tftg diUtg, iv (Moltf ££ia t^vtw^f^ai xal mqtf %al x^Q^'t ^^^ ^^ ^^^
22 I- I^ie griechische Eunstprosa bis Augustus.
Mit dem Stil Heraklits berührt sich femer aufs engste der
des Demokrit, dessen Bruchstücke ja auch inhaltlich oft eine
frappante Ähnlichkeit mit denen des Heraklit zeigen.^) Wenn
man davon absieht, daCs an die Stelle der gedrängten Dunkelheit
Heraklits eine leichte, einschmeichelnde Klarheit getreten ist,
die im Verein mit der grofsartigen , für alle Folgezeit mals-
gebenden Bildersprache dem Demokrit den Ruhm eines der be-
deutendsten Prosaisten neben Piaton eingetragen hat^), so ist
im übrigen die Art, zu denken und das Gedachte in Worte zu
kleiden, unverkennbar heraklitisch: der Philosoph, der auch
seinerseits dem Zeitgedanken von dem Widerspruch des tradi-
tionellen Brauchs und der objektiven Wahrheit {v6(ip — ^£$)
Ausdruck gegeben hat, denkt und schreibt fast durchweg in
Antithesen: er stellt dem, was nicht ist oder nicht sein soll,
das gegenüber, was ist oder sein soll. Nur ein paar Beispiele
aus vielen für die Antithese mit den üblichen Klangmitteln.')
Fr. phys. 1 M. v6np yXvxv tulI v6(ig} nixQÖVj vö^p ^sqiiöVj
f/d/ifii ilfVXQ6v, vöfip XQOi'tj' itefj dl Stofuc xal X€v6v. Sacaq vofii-
istai (ihv slvai xal doiä^Btai rä alc^rd^ oix ictv dh xarä ikif^-
&€iav tavta' ikXä t& firofict iiövov xal xevöv.
ijlksts tdtv GOtp&v QrjfLatmv ifißdXtoikSv, &v ol Ss^iol mgl ticg dL%ae
%aXXiBno^vtai,. Also entweder — was das Wahrscheinlichere ist — sind
solche Stellen der Aphorismen nicht hippokratisch, oder von Hippokrates
gilt dasselbe wie von Herodot, über dessen Stellung zur sophistischen Kunst-
prosa ich weiter unten handeln werde. Wer sich den Unterschied des Stils
der alten und der hochmodernen medizinischen Litteratur recht deutlich
vergegenwärtigen wiU, der lese hintereinander den OQ%og (TV 628 ff. L.) mit
seiner ergreifenden Einfachheit und Grofsheit und den v6iiog (IV 638 ff. L.)
mit seinem durch allerlei abgebrauchte Kniffe und Bilder aufgeputzten, in
Geschwätz ausartenden sophistischen Raisonnement.
1) Wie schon lange erkannt ist; so: Dem. fr. 88 Nat. (77 Mull.) ^i^^p
fux2€<r^<xi ;|rale9röi' wörtlich » Her. fr. 105, Dem. 190 (140) noUol nolvfid'
d'€sg voop o^x Üxovci <~ Her. 16 noXvfmd'iri p6ov ix^iv oi didatfxci, Dem. 79
(36) das Wortspiel ^hv votp und iw6v wie Her. 91, Dem. 70 (66) lUiovsg
dge^isg ni^ovag ivSsiag noi^vai <>^ Her. 101 h6qoi yag fisiopsg fi^iovag polgag
Xayxdvovai. Anderes bei P. Natorp, Die Ethika des Demokritos (Marb. 1893)
67, 17. 114, 38.
2) Die Stellen sind oft gesammelt, cf. Bitter-Preller, bist. phil. Graec'
(Gotha 1888) § 146 Bb.
3) Einiges steDt Th. Birt bei Natorp 1. c. 184 zusammen, wo er viel
richtiger urteilt als Natorp selbst p. 85.
Gorgianische Redefiguren. 23
Fr. eih. 7 N. (2 M.) ägiötov äv^qmctp xov ßiov didyeiv i>g
MXsi9ta B^^fifid'ePTt xal iki%i,6xtt äviri^ivti,.
15 (5) o0r£ 6afia6i o^s %qTfi\ia6i,%f sidaiiioveovöiv äv^QO-
sroi, äXX* ögdvöiivfi xal noXv(pQo6'6fni.
2 (8) oigog yäg l^v^tpÖQmv xal H^v^öqcov t^Q^ig Tcal ixBQi^iri.
68 (26) TCBviti TCkoihog 6v6^ta iväeirig Tial xöqov' oike oiv
xloiiö&og 6 ivSimv o{k£ nivrig 6 |üii^ ivdifov.
71 (27) iinvxi^g 6 inl lurgioufi, xi^^uLOw svdvfuö^svogj
dvffvv%ijg 81 & inl noXkotöi dvödviuöiisvog.
61 (26) e'dyvAfiav 6 (lij kvTteöi^svog itp* ol6iv ovx i%Bi akkä
%aiQGiv ifp^ olöiv ix^i.
229 (32) ßiog ivsögraörog fiax^ 6dbg inaväöxsvtog.
46 (111) dixrjg xvdog yvAfirig ^agöog xal ä^afißCrj^ adixirjg
dh dBtfut iviig>0(f7ig tigfuc.
153 (201) qfQOvij6iog iQyov ^skXovöav adixitiv q)vXdl^a6d'aLj
ivttkYfflifig i^ ti^v yevoiiivriv (lii ai/Lvvaö^ai.
2. Das Wortspiel.
Aufli die bedenklichste aller gorgianischeu Redefiguren, die Wortspiele
ihm vor allem im ganzen Altertum den Vorwurf des * Puerilen' v. jSirh.
(juiQOKi&dcg) und ^Frostigen' (tfwxQiv) eintrugt), das mit dem
ifiouniXevtov eng zusammenhängende^) sog. Cöop, wie es von
Piaton (Symp. 185 C), oder die nagovo^aöia, wie sie von den
Späteren genannt wird, finden wir bei Heraklit ausgebildet; so,
um nur die stärksten Beispiele anzuführen^ fr. 66 rov ßiov oü-
yofur ßü)gj iqyov 8\ d'dvatog, 91 ivvöv i6xi nä6i rö q)Q0V6£iv'
ibv vÖG} Xiytyvxag l6xvQCt,B6^ai xQ^ ^^ ^w^ navtav. 101 ^6qoi
1) Cf. Quint. IX 8, 74 Gorgias in hoc (er spricht von der Paronomasie)
imwu>dieus. Zuletzt Sjnes. ep. 83 (an einen gewissen Xgvcris) nginrnv ictl
vo^ PfvCiA Xfficcif» totg tQonoigy sl dsl \U xi xal '^v%Qhv tlmlv aal Pogy^siov;
ep. 184 T^viptufi (dsl ydg xi aal iv tovxoig 'ftfvxgbv tlmtv %al FoQyCeiov)
tgvfp & pra SAga nagsaxsvdoccfisv.
2) Da0 'Wortspiel' wird von den alten Rhetoren in genauem Zu-
sammenhang mit dem SfiototiXsvtow behandelt, cf. Quint. IX 3, 71 it*. canii.
de fig. ▼. 109 ff. [Plut.] de yit. et poes. Hom. II 37. Die Zusammengehörig-
keit ist ja auch eine sehr enge: sobald der Gleichklang auf die Silbe vor
der Endung zurQckgreift, ist es kein reines dfLouniXsvxov mehr; cf. Quint.
IX 8, 80: nachdem er als Beispiel für das dfioioxiUvxov angeführt hat
eztinguendam — infringendam^ audacta — amentia, bringt er ein Beispiel
för 6fi. mit nagovofucüia: tnatritnonium — Patrimonium.
24 !• IMe griechische Eonstprosa bis Angustus.
yäf (litovsg (U^ovas ^oCqoq Xayxdvavöi, In der oben (S. 21) aus
Psendohippokrates angefahrten Stelle findet sich das starke Wort-
spiel 7t&6av BffiVj TC&cav x^QV^y anderes steht aus diesen Schriften
bei Ilberg 1. c. 26 f. (darunter so Starkes wie ^b^iuc x^f^^»
nkriCthUicLi 7CQ'q6^Bt6aC). Aus Demokrit stellt Ähnliches zu-
sammen Birt 1. c. 185. Nur einem oberflächlichen Beurteiler
kann das als Ausdruck der dem Griechen angeborenen Laune er-
scheinen, mit seiner, unendlicher Wandlungen fähigen Sprache
spielerisch zu scherzen^): den Philosophen, die in den Worten
die sichtbaren Abbilder unsichtbarer Wesenheiten sahen, war es
heiliger Ernst, wenn sie im Ringen nach Erkenntnis von den
Worten wie von geoffenbarten Wahrheiten ausgingen. That-
sächlich muls man daher Heraklit, ihn, der allein von allen die
Stimme des A&yog vernehmen zu können glaubte, den Vater
auch der Grammatik, d. L der Lehre vom geschriebenen Wort,
nennen: denn die exakten Untersuchungen der Sophisten, wie
des Protagoras und Prodikos, der sog. jüngeren Herakliteer,
sowie endlich der Stoiker sind notorisch durch ihn angeregt.
Auch für Empedokles, den Landsmann des Gorgia8,%nd für
Philolaos (cf. Boeckh, Philolaos p. 188) ist durch die bekannten
1) Über das 'Wortspiel' ist im Altertum yon den Bhetoren viel ge-
handelt worden (seit Aristot. Bhet. n 28. 1400 b 18). Von den Neneren
sammelte, um nur einige zu nennen, Beispiele überhaupt G. I. Vossius, Instit.
erat. (1606) L V c. 4 (p. 840 ff. der 8. Ausg.), Lobeck, De praeceptis qui-
busdam grammaticorum euphonicis in: Paralipom. gramm. Qraec. I (Leipz.
1887) 68 ff., speciell aus den Tragikern: Yalckenaer zu Eurip. Phoen. 635
(689 Valck.) und Lobeck zu Soph. Aias Index s. t. agnominatio; aus De-
mosthenes: Behdantz-Blafs, Bhet. Ind. zu Demosth. s. y. „Wortspiel*'; aus
christlichen Schriftstellern, die ja darin schwelgen (Mdvrig (ucviLg, Mtiag 6
ip€»tHv6s bez. 6 a%<nH96g und tausend dgl.): Boissonade in Not. et Extr.
des mss. de la bibl. du roi XI 2 (1827) 141, 2 (dort sehr richtig erkl&rt
par les opinions superstiHeuses des anciens, qui, preague tous fatdIisUa, atta-
choient aux noms propres une sarte d'influence swr les Svenemens, au moins
une Sorte de pr^sage et d'attgare); manche Wortspiele wurden geradezu
typisch, z. B. läfst sich die beschichte yon Aotf^s nal X^u6s über die Eyan-
gelien bis in die alexandrinische Liturgie (p. 18 a ed. Swainson) y erfolgen.
Für das Lateinische hat E. Wölfflin manches gesammelt: Das Wortspiel
im Lat., in: Sitzungsber. d. bajr. Ak. 1887 II 187 ff.; für die spätlateinischen
Autoren cf. besonders die indices zu den Ausgaben der Mon. Qerm. Eist.
(Sedulius, Sidonius, Gregor y. Tour, Venantius), femer Koffinane, G^esch. d.
Kirchenlai I (Bresl. 1879) 149 f. 162 ff.
Gorgianische Redefiguren. 25
SteUen Plai Gorg. 493 A ff. Phaed. 62 B Grat 400 B die Vor-
liebe flEbr das Wortspiel bezeugt, ebenso für den im Gewände der
Mythologie philosophierenden orphischen Dichter^) bei Piaton
Phaedr. 252 B.
3. Antithese und Wortspiel vor Gorgias.
Wir haben erkannt, in welchem Sinn es zu verstehen ist, orieohiMi
wenn das Altertum den Gorgias zum * Erfinder' der nach ihm JiJ^.
benannten Redefiguren machte. Er hat allgemeine Eigentüm-
lichkeiten der Zeit in bindende Form gebracht und sie spielerisch
im ÜbermaCs verwertet, indem er sie aus den gelehrten Disputen
der philosophischen Schriften an das Licht der Öffentlichkeit
stellte. Er wufste, dafs die Attiker in ihrer Freude an Witz
und Grazie diese sülsen Zierden der Rede sich nicht weniger
gern gefallen lassen würden als seine Landsleute, deren Esprit
berühmt war und deren Behagen an den Antithesen ihrer Redner
Epicharm so köstlich parodiert hat.^) Es kam hinzu, dals den
Griechen eine ausgesprochene Neigung zu antithetischer Gegenüber-
stellung der Gedanken angeboren war'), die gewissermalsen ein
1) Cf. Fr. Passow zu Musaeus p. 66. Welcker zu Philostr. imagg.
p. see Jacobs.
2) Für den Charakter der Sicilier cf. aofser der oben (8. 16 f.) ange-
fahrten Stelle des Aristoteles: Timokreon fr. in Bergks Poet. Ijr. m* 689:
Ik%9l6g nofkfpbg &91J9. Plat. Qorg. 498 A. %oi»^bg &nigt tomg 2k%sl6g rig rj
'Jtttltnig (cf. Böckh, Philolaos 188). Plant. Pen. 894 f. Siculi logt neben
ÄtUci logi. Varro sat. 416 DionyHus (tyrawnus), homo garruXua et (Mcer
(Ton diesem Dionysios fGlhrt einige Wortfacetien an Athen. Xu 98 D); viel
bei Cicero, z. B. Tusc. I 16 de or. II 217 pro Scaur. 24 und besonders oft
in den Verrinen: cf. Halm zu IV 96; Caelius or. bei Quint. VI 8, 86. —
Dab Epicharm mit seinen antithetischen Facetien hat parodieren wollen,
steht fest: Aristoteles (Bhet. m 9. 1410 b 8) spricht von seinen '^fv^ff^
iwrMcttt, und das fGlhrt dann Demetr. de eloc. 24 weiter aus, indem er
Yon Epichaims xtdiuifj yiXmfonoi.stVj c%Amxhv xahg (i^toQag spricht; daher
ist aoch fr. 28 (p. 268 Lor.r bei QeU. I 16, 16) als Parodie zu fassen, zu-
mal dies der Inhalt nahe legt: ait XiyBw %^* iacl dBiv6sj icHa aiyijir &dv-
MBVog (der Üysiir dnvig ist natürlich ein Bhetor).
8) Cf. Blafs L c. I' 66: „Nicht erst (Gorgias brauchte die Partikeln
piv'di zn erfinden.** Daher war es den alten Bhetoren leicht, in ihrer Be-
weiifthrang, dafs Homer der Vater der Rhetorik gewesen sei, aus ihm eine
Anzahl von Antithesen mit den üblichen Elangmitteln anzufahren, womit
schon Aristoteles vorausging (Rhet. in 9. 1410 a 81), dann unter Hadrian
Telephos ntgl x&v nctQ* 'OfirJQtp c%fntdxaiv ^r\xogi%Av a' ^' (Suid.), woraus
26 I- Die griechische Eunstprosa bis Augustus.
sichtbarer Ausdruck ihrer Freude an iy&veg und CvyTifiöBig^),
an präziser und harmonischer Formulierung des Gedankens ist')
in letzter Instanz yermutlich stammen sowohl die gelegentlichen Bemer-
kungen des Eustathios, z. B. zu A 404 f. als auch besonders die betreffende
lange Partie der pseudoplutarchischen Schrift niffl ro<^ ßiov xal tfjs iroii{-
asae ^OfirJQOv II 27 ff. (wo z. B. angeföhrt sind: xqti islvav naqiovta tpdstv,
i&iXovta ÖS nifLTtHv. aüdeöQ'sv ftkv &vi/jva<f9ai,^ ötlüav 6' ^odi%^ai. fi^'
vi^fibv nl9 &noQQtilfaiy q>iX6tr}ta S* iXiad'ai, für das Tolkstümliche Element
bezeichnend, weil es Gnomen sind wie der von Blafs zitierte HedodTers
Erg. 858 Sofg iksv irt^ idmuvj &9m%'Q S* a^ig idmnsv). — Wie spezifisch
griechisch diese Partikeln sind, kann man überall da hübsch beobachten,
wo Nichtgriechen oder Mischyölker in griechischer Sprache schreiben. Der
Nubier Silko (s. VI p. Chr.?) hat auf seiner 21 zeiligen Inschrift (Henn. X
[1876] 129 ff.) nur einmal tö ftkv HQ&tov &na^ (!) ohne folgendes di^ die
Slzeilige Inschrift des axumitanischen Königs Aizanas (s. IV p. Chr., CI
Gr. 5128) kennt es überhaupt nicht, wohl dagegen die von einem Kundigen
verfafste Inschrift eines unbekannten axumitanischen Königs (s. IL p. Chr.,
C I Gr. 5127 B). Auf der langen Inschrift Ton Rosette nur § 12. In den
Yon Römern yerfafsten Inschriften, selbst den stilisierten Briefen imd Senats-
beschlüssen, ist es unverhältnismäfsig selten. Ebenso in den Büchern des
NT, besonders den Eyangelien (cf. die Concordantiae omnium Yocum N. T.
ed. Bruder, Leipz. 1888). Sehr lehrreich ist auch der Vergleich der JSöqpta
SalofiAv und der Zotpia 'Iriaov; jene ist Ton Anfang an griechisch ge-
schrieben und graecam eloquentiam redolet (Hieronym. in der Vorrede zu
seiner Übersetzung), diese ist yon einem des Griechischen kaum mächtigen
Juden stümperhaft aus dem Hebräischen übersetzt: nun hat jene in ihren
neunzehn Kapiteln 26mal iiiv-di, diese in ihren ersten neunzehn ebenso
langen Kapiteln nur Imal (14, 18), und zwar in einer wohl aus einem be-
rühmten Homeryers entlehnten Stelle (II. Z 146 ff. cf. $ 464 ff.).
1) Cf. 0. Hense, D. Synkrisis i. d. ant. Litt., Prorektoratsrede Freib.
i. Br. 1898. Man erkennt den Zusanmienhang deutlich z. B. in der Lysias-
rede des platonischen Phaedrus, die in ihrer ovynQioiß des i^aarifs und
seines Widerparts fortlaufende Antithesenreihen aufweist (cf. auch Symp.
184 DE über dasselbe Thema); auch Demosthenes, der so selten yon dem
Kunstmittel der Wortantithese Gebrauch macht, hat sie reichlich in der
berühmten avy%Qiais zwischen sich und Aeschines de cor. 265; Cicero gerade
da, wo er caiisas contendit, z. B. in Cat. II 25, in Verr. IV 121. 123; ebenso
Rhetoren bei Sen. contr. VII 4, 5. IX 6, 14; christliche Autoren oft bei der
yergleichenden Beschreibimg der zwei Wege, z. B. Hieronym. ep. 148, 10
(I 1100 Vall.): vide, quanta inter hos vias separatio sU quantumque diserimen:
iUa ad mortem, haec tendit ad vitam; illa celebratur et teritwr a muUis, haec vix
invenitwr a paucis u. s. w., ganz ähnlich Ambros. in ps. I 25 (14, 988 Migne).
2) Cf. Aristot. Rhet. III 9. 1410 a 20 ijdsia dh iarlv ij Touxvtri Xi^ig
(die Antithese), Zti x&vavria yvmQmmtara xal nag* &XXr}Xa yk&lXov yvmifiiut.
Sehr gut zeigt das Rehdantz im Index rhet. seiner Demosthenesausg. (2. Aufl.
Gorgianische Redefiguren. 27
und uns am vollendetsten in der Strophe des Melos und des
Dramas^) sowie in dem Formenparallelismus der alten Kunst')
entgegentritt.
Dab nun wirklich der Attiker nicht zum ersten Mal aus iierodot.
dem Munde des Siciliers diese gerade damals so beliebten Bede-
kunststückchen zu hören bekam, dafär läfst sich ein schlagender
Beweis erbringen: freilich nicht aus der attischen Prosa, denn
sie beg^innt ja in ihrer kunstmäJsigen Form erst nach Gorgias'
Auftreten')^ sondern aus der ionischen Prosa und aus der rheto-
risehen Poesie. Herodot war, wie wir später noch genauer
adien werden, von dem neuen Geist der Sophistik wie jeder Ge-
bildete der damaligen Zeit ergriffen. Nachdem zuerst Diels im
Hermes XXII (1887) 424 darauf hingewiesen hatte, dafs die
Kunststücke der Sophistik sich auch in seinem Stil nachweisen
von Bla£s) s. ▼. Parataxis p. 124, cf. auch G. Gebauer, De hypotacticis et
paratacticis argumenti ex contrario formis (Zwickau 1877) 79; H. Blair,
Lectures on rhetoric and belles-lettres (1783), übers. Ton Schreiter £1 121,
mid besonders die Lobpreisungen der Antithese bei den Humanisten und
Franzosen des XYL Jahrb., z. B. bei Caussin, Eloquentiae sacrae et huma-
nae parallela (1619) 284.
1) Eine aus zwei längeren n&Xa bestehende Antithese des Demosthenos
Yergleicht Hermogenes de id. 326, 21 f. Sp. mit atgoq>i/j und &vTiatQoq)ri.
Der Vergleich geht auf Aristoteles zurück, der Rhet. m 8. 1409 a 26 die
periodische Rede (für ihn besonders die antithetische: 1409 b 33 ff.) diiolav
Toi£ vdfl^ iLQxaüap noirjft&v (der Dithyrambiker) &vti.<n:Q6q)oig nennt, cf.
Kaibel, Stil und Text der noUtsLa 'A^vaLmv des Aristoteles (Berlin
1898) 82 und A. Hug in seiner Ausg. des platonischen Symposion (2. Aufl.
Leipz. 1884) p. 68 zu 186 AB. Wie weit die Analogie geht, zeigt die be-
kannte Thatsache, dafs in Strophe und Antistrophe sowohl ganze Teile
identisch lauten, als auch, g^nz wie in den paraUelen mAXa der Prosaredo,
an den korrespondierenden Stellen der Parallelismus durch Tonmalerei ge-
hoben wird, z. B. Aesch. SuppL 40 K. vi)v 9' ininsnloitipa n^ 47 Svt'
iM$X§iait,d9a, lOA {kiX 8a ^Qeoii,iva<^ 113 relsa rBlonivmv,6i9in€Xd'i-
tm f^ 657 ininifaipitm etc., cf. G. Jacob, De aequali stropharum et anti-
strophanun conformatione (diss. Berlin 1866) 35.
2) Cf. Brunn in: Rh. Mus. V (1847) 322: „Das erste und einfachste
Gresets, welches ihrer (der ältesten Denkmäler) Komposition zu Grunde liegt,
ist ein strenger Parallelismus, ein durchgehendes Entsprechen der einzelnen
Glieder im Räume."
8) Was E. Maafs, Parerga Attica (Prooem. Greifswald 1889/90) X f aus
der peeudoxenophontischen Schrift yom Staat der Athener anführt, um da-
durch SU beweisen, dafs der Verfasser rhetorisch gebildet war, erscheint
mir nicht stichhaltig.
28 !• Die griechische Eimstprosa bis Aagustns.
lieÜBen, ist dieser Gesichtspunkt von P. Kleber, Die Rhetorik bei
Herodot (Progr. Lowenberg i. Schi. 1889) und De genere dicendi
Herodoteo quaest. sei. (ib. 1890), sowie von A. Nieschke, De
figurarum quae yocantur öxiiiutta Fo^yisicc apud Herodotom usu
(Progr. München 1891)^), weiter verfolgt worden. Dabei hat
sich ergeben, daCs Herodot die Antithese mit den üblichen EQang-
figuren als Eunstmittel des Stils gebraucht hat, und zwar in be-
wufster Absicht, denn er verwendet es nur in den Reden und
gehobeneren Partieen der Erzählung. Nur wenige Beispiele aus
vielen: I 210 ivtl fihv doiikcav iitoiriCag iXev^ifovg nd(f0ag
slvaiy I innl dh &Q%B6^ai hii &kkiov &q%sw iacdvtmv. lH 14 r^
li^lv ^vyatd(fa b^ioav netiaxmfUvr^v \ xal tbv natda ixl d'dvatov
6XBC%ovxa I oik« ivdßaöag | oiks iatifckavöag, 65 ehB 86lp
ixovffi aitiiv xxfi6&{uvoiy \ 86Xqi inaiQB^fi^vai ^ | bIxb xal öd'dvBi
tBp xatBQya6d(Uvoij \ 6^dvBV xatä tb naiftBfbv &va6ib6a6%ai.
72 bnoCmg &v 5 xb iXrid'iiöpLBvog ifevd'^g Bttj \ aal b ifBvdöfUVog
iXrj^g. TV 132 r^ ^ij Hgvid'Bg yBvöiuBvoi ivanxf^ö^B ig oifa-
vbv I tj fiiiBg yBvöfikBVot xatä T^g yf^g wxxad'&riftB \ ^ ßixQa%oi
yBvöfLBvoi ig tag Xiiivag igxridiieritB (ein tQixmXov wie auch
in 80. IV 114). Vn 11 noidBiv ^ na^Btv XQOxdBtai &y6v, Iva
ij taÖB TCavta im "EXXriCi ^ hulva xdvta inb niQ6ij6i yivti-
t€CL — I ^ tb dl &(fKa6^Bi6imv 67tovdiiv Koi,if^6a6^ai, tifMOQdBiv
ivoiitavj I tb dl ^riÖBfiiav &Qtiv i%Biv öatpgdvav. 5 tä yäf tb
ndXai fLBydXa ^i/, | tä noXXä ain&v öfitxQä ydyovB' | tä dh
isc iyLBv fyf HBydXa, \ ng&tBQOv fiv 6fiLX(fd. Y 6 tb ^v i6tC%^ai,
B'byBvhg xixQitai, \ tb di &6ti,xtov AyBwig. Viel starker tritt
das sophistische Element im Stil der rhetorischen Poesie vor
EaripidM. Gorgias hervor. Wir besitzen solche Reden in Versen von dem
Zögling der Sophisten Euripides. In der vier Jahre vor Beginn
der Wirksamkeit des Gorgias angeführten Medea liegt eine
Reihe der mit seinem Namen bezeichneten 6xiifMxta Xd^Bmg
bereits entwickelt vor. Darüber haben M. Lechner (De Euripide
rhetorum discipulo, Progr. .Ansbach 1874) und Th. Miller (Euri-
pides rhetoricus, Diss. Gottingen 1887 p. 20 f.) gehandelt Die
grofsen Reden der Medea und des lason (465 fiP. 522 ff.) sind
1) Letzterer sucht freilich, wie bei Thnkjdides, alle diese Figaren aus
der Poesie seit Homer zu erklären, aber er hat sich selbst durch die yon
ihm angeführten Beispiele widerleg^ cf. oben 8. 16, H.
Gorgianische Bedefiguren. 29
inhaltlich und formell mit höchster Kunst gearbeitet: werden sie
doch V. 546 ausdrücklich als eine &(i.ilXa X6y<ov bezeichnet. Vor
aUem herrscht nun in ihnen die Antithese mit Parisose vor,
dazu die anderen aus Gorgias' Deklamationen und der an ihn
anknüpfenden Prosa geläufigen Elangmittel. Ich hebe folgendes
hermos:
406 ffl TCQog dl xal %Bq)VKa^Bv
nuaUtup d\ Ttivtmv tixtoveg öotparatai^
473 ff. iyA %s yäf Xdl^a6a xov(p\i6^ii6o^ai
in)xi^ xaxibg 6s xal 6i> Xvni^6€L xX'öav.
ix xibv i\ nqAxfov Xfibtov fi^goftat Xdyeiv,
iömöa 6* hg Cöaölv 'EkXifpfiov Z6oi,^)
xwinhv 6wsi6dfifi6av *A(yy^ov 6xJupogy
nsiup^ivta taiiQmv 7cv(fjcv6mv inuixAtriv
502 f. vvv TCol TffixmiAai; n&tBQa nqhg fcaxqhg döfiovgj
Of^g öol TtQodoikfat xal icixQav itpixöiiip;;
506 ff. lx€i yä(f oGtag' totg ^iv otxof^BV tpiXocg
ix^ifä xad'i6tfi%\ ovg öd [i oix ixQ^v xax&g
dfäVj 6ol %d(fiv (pdQOvöa noXsfiiovg i%€a.
513 tplXmv i(fijiiogy 6i>v tdxvocg [lövri [lövoig
534 f. luCißo ys {kdvxoi tijg iii^g ömtijfüig
BÜXfiipag ^ dddmxagj i>g iyh ip(fd6<o.
548 f. dv tpia ÖBtia nffibxa ^Iv cotphg yeyägj
ixsita öAtpQmVy slta öol [idyog ipiXog.
Den Namen eines bestimmten Sophisten nennen zu wollen, nach
dessen Regeln Euripides Disposition und Diktion seiner Reden
gestaltet habe — man hat z. B. von Thrasymachos gesprochen — ,
halte ich für völlig illusorisch. Nur das können wir mit Sicher-
heit schlielsen, dals durch den Einflufs der in Athen sich auf-
haltenden Sophisten die attische Rede schon vor Gorgias durch
künstliche Mittel gehoben war.
1) Da schon im Altertum dieser Vers in der bekannten Art parodiert
wurde, lo scheinen einige heute anzunehmen, dafs der Dichter onaBsicht-
lieh diese ßiyfuxta gesetzt habe , was ja freilich recht arg wäre. Aber das
wideriegen schon die folgenden n und t. Es war ein rhetorisches Kunst-
mittel, das um noch öfters begegnen wird. Cf. Kaibel zu Soph. El. 103. 169.
30 I. I^ic griechische Eunstprosa bis Augustus.
B. Die poetisolLe Prosa.
proM and Gorglas hat nicht blols durch die Antithese und die mit ihr
verbundenen Klangmittel seinen Stil gehoben und typisch ge-
staltet, sondern noch durch ein Weiteres seinen Einflufs bei Zeit-
genossen und Nachwelt begründet. Er war der erste kunst-
mäfsige Prosaschriftsteller, der in voUbewufster Absicht den
poetischen Ausdruck in die Prosa hinübergeleitet hat, ein Vor-
gehen, dessen durchgreifende und weitgehende Eonsequenzen wir
später durch die Jahrhunderte werden zu verfolgen haben.
Die früheste und wichtigste Stelle über diesen Schritt des
Gorgias findet sich bei Aristoteles Rhet. III 1. 1404a 24: ixsl
(J' of Ttoirjtal Xdyovtsg av^d'ri äiä tiiv ki^iv idöxow 7t0(fi6a6d'at
ti^vds n^v dö^aVy diä rovto^) xonfitiTcij Ttgarri iyivBto olov
1^ FoQyCov' xal vvv Izl ot TtoXkol r&v inaidsvtav toi>g tocov-
tovg otovtai diaXdysö&aL 7cdkXi6ta, xoHrco d' oim lötiVy Sdl* higa
k&yov Tcal 7toni6£(og ki^ig iötiv: diese Verschiedenheit der Prosa
und Poesie erkenne man auch aus der Entwicklung der Tragödie,
denn um sie mehr der gewöhnlichen Prosarede anzunähern, habe
man den Jambus an die Stelle des Trochäus gesetzt und die un-
gewöhnlichen Worte beseitigt. Im folgenden führt Aristoteles
Belege für die poetische Diktion des Gorgias an, die von Spengel,
Art. Script. 69 f., zusammengestellt sind. Versuchen wir es nun
auch hier, dem Gorgias einen Platz in der Entwicklung an-
zuweisen.
Wenn wir gewohnt sind, Prosa und Poesie sich gegenüber-
zustellen, so dürfen wir nie vergessen, dafs diese Unterscheidung
durchaus sekundärer, keineswegs prinzipieller Natur ist. Wenn
wir die verschiedensten Völker, mögen sie auf einer hohen oder
niedrigen Kulturstufe stehen, in den primitivsten Äufserungen
ihrer gehobenen Redeweise beobachten, so erkennen wir, dafs
die von uns modern empfindenden Menschen gezogene Grenzlinie
zwischen Prosa und Poesie nicht vorhanden ist. Zauber- und
Bannformeln, die Sprache des Rechts und des Kultus sind überall
in Prosa konzipiert worden, aber nicht in der Prosa des gewöhn-
1) Dasselbe Argument klingt durch in den von Spengel im Kommentar
angeführten Worten dos Dionys. n. fufi>. p. 31 Us. Pogy^ccg tf^v noirttiniiv
§Qfii7lveiav nBti/jvsYiiSp flg Xoyovg TeolitiHOVi oifn &^idiv o^oiov tbp (i/jtoga
Xüti Idi&tatg tivai.
Poetische Prosa. 31
liehen Lebens, sondern in einer Prosa , die durch zweierlei
Momente der alltaglichen Sphäre entrückt ist: erstens ist ihr
Vortrag immer feierlich gemessen nnd wird dadurch rhythmisch
mid dem Gesang zwar nicht gleich, aber ähnlich (recitativisch),
zweitens ist sie meist ausgestattet mit bestimmten , allen
Menachen, den wilden wie den höchstzivilisierten, angeborenen
änlseren Elangmitteln zur Hebung der Rede und Unterstützung
des Gedächtnisses, vor allem durch Silbenzusammenklaiig am
Anfang oder Schluls bestimmt gestellter Worter (Allitteration
oder Beim). Diese Art von Prosa hat es gegeben, ehe eine
konstgemälse Poesie existierte^); denn es ist klar, dafs wir
ans den uns erhaltenen Litteraturdenkmälem, in denen die
Poesie meist zeitlich voransteht, keinen gegenteiligen Schlufs
ziehen dürfen: jene Prosa wird uns wegen der Gebiete, denen
sie angehört, nur selten überliefert. Wir werden im Verlauf
dieser Untersuchungen eine Anzahl von Beweisen für diese Be-
hauptung kennen lernen. Hier mufs es genügen, die Thatsache
als eine allgemeine, durch ihre Einfachheit von selbst sich
empfehlende Wahrheit hinzusteUen, von der zu wünschen wäre,
deSa sie mehr Berücksichtigung fände, als es heutzutage der
Fall zu sein scheint, wo z. B. uralte lateinische und umbrische
Gebetsformeln oder germanische Rechtssprüche von einigen für
* Poesie' gehalten und durch Gewaltmafsregeln in deren Normen
gezwängt werden.
Über das Verhältnis von Prosa und Poesie ist, wie im Antike
vorigen Jahrhundert^), so auch schon im Altertum gehandelt
ZeagnitM
1) Cf. darüber auch den wichtigen Essai de rylhmique comparie yon
iUonl de la Grasserie in : Le Mus^on X (1891) 301 ff.
8) Bichtig haben schon die französischen Theoretiker des vorigen
Jahrhunderts geurteilt, als über die Frage nach dem Verhältnis von Poesie
und Prosa viel gehandelt wurde. Während einige den Begriff 'poetische
Prosa' leugneten, verteidigten ihn andere mit Hinweis auf ihre praktische
Anwendung in F^^ons T^^maque. Die Annalen dieses Streites findet
man bei Gk>ujet, Biblioth^que fran9oi8e III (Paris 1741) c. 15 p. 851 ff.
Feine Bemerkungen darüber auch von Chateaubriand in der Vorrede zu
seinen in solcher Prosa geschriebenen Martyrs (1809) in: Oeuvres compl^tes
XVn 20 ff. In deutscher Sprache schrieb damals solche Prosa z. B. Gefsner
in seinen Idyllen aus Nachahmung des Longos (cf. H. Wölfflin, S. Gefsner
[Fraoenfeld 1889] 120) und Goethe in den gehobenen Partieen des 'Werther',
besonders in den aus Ossian üborsetzten Stücken (Macpbersou selbst ahmte
32 I- Die griechische Eonstprosa bis Aogustus.
worden. Wenn wir absehen von der uns in ihren Einzelheiten
verlorenen Erörterung des Aristoteles in einem seiner Dialoge
(cf. fr. 72 f. Rose)^ so giebt es darüber folgende drei Stellen:
Erstens: Plutarch de Pythiae orac 24 p. 406 C — F. In ältester
Zeit wurde, bei einer glückseligen Anlage der Menschen, alles
in das Gewand der Poesie gekleidet, die töxogCa und q>ilo6wpCay
jedes Tcd^oq und XQ&yfucj das eines feierlichen Ausdrucks be-
durfte. Aber mit dem Wandel des Lebens und der Anlagen der
Menschen wurde auch die Form des Ausdrucks eine andere: wie
nämlich die Not (x9^^) ^^^ Menschen zwang, die kostbare
Tracht mit einer einfacheren zu vertauschen und überhaupt an
die Stelle des Prunkenden und Zierlichen das Schlichte und Un-
gemachte treten zu lassen, so nahm auch die Rede teil an diesem
Umschwung (firra/SoAij): xardfiti ^v ixb t&v [lixQtov &67C6(f
dxfiiuitanf i) l^xogCa xal x& nB^^p (idkiöxa xov fivd'dadovg ixe-
xqI%^ x&ki^d'ig' (piXo60(pitt di xb 6a(phg xal dt8a6xahxbv &67Ca-
6aiidvri i^&XXov tj xb iTcsikilxxov dtä Xöyav ixoi^stxo xipf %'i/j(tri6iv.
Zweitens: die berühmte bei Strabon I p. 18 cbg d' bIucbIv^ 6
jceibg X6yoq^ 8 ya xaxs67Uva6(Uvog^ [UiMfuuc xov Ttoifjftixo^ iöxi.
n(fd)Xi6xa yä(f i) noirjftixii ocaxaöxsvij n€C(^kd'ev eig xb fii6ov xal
€idoxi(i,ri6€V' elxa ixsivfiv fti/iot;/i£i/ot, X'ööavxsg xb (Uxifov, xaXla
il gwXdl^avxeg xä noirixticdy öxwdyQcctffav ot Keifl KidyLOv xal
OsQexiidrj xal 'Exaxatov. elxa ot üöxbqov ifpavgovvxeg &sC tt x&v
xoiovxmv Big xb vijv sldog xaxi/^yayov hg &v ixb G^fovg xivög: so
sei auch die Komödie konstituiert aus der Tragödie, indem man
die Sprache der letzteren aus der Höhe herabgeführt habe zu
dem, was man jetzt prosaisch (koyosi^dig) nenne; auch die That-
Sache, dafs die Alten isidsiv für (pgct^stv gebrauchten, sei be-
weisend; endlich auch xb xs^bv Xsx^^^ai xbv 6vsv xoij {Utffov
köyov iyLtpaCvei xbv &Kb üifovg xivbg xaxaßdvxa xal dx'iiiuxtog slg
xoijda(pog. Drittens: Varro bei Isidor orig. I 36, 2: tarn apud
Crraecos quam apud Latinos lange antiquiorem curam fuisse carmi-
num quam prosae; omnia enim prius versibus condAantu/r^ prosae
den Stil der alten irischen Epen nach, die in solcher Prosa geschrieben sein
sollen). — Rein philosophisch hat dies Thema (fOr mich nicht überzeugend)
zn behandeln yersncht H. Steinthal in: Z. f. Völkerpsychologie VI (1869)
285 flf. — Die Dissertation von J. Wallenius, De poesi prorsa, Gryphiae 1799,
enthält nur allgemeines Raisonnement. Mehr den Inhalt als die Form be-
handelt J. Dunlop, The history of fiction (Edinburgh 1814 u. 5.).
Poetische Prosa. 33
autem studtum sero viguit primas apud Oraecos Pherecydcs Syrius
sohUa amtione scripsit^ apud Bamanos atäem Appius Caecus ad-
versus Tyrrhum solutam orationem primus exercuit tarn exhinc et
cderi prosae doquentia contenderunt,^) Offenbar geboren die beiden
letzten Stellen eng zusammen gegenüber der ersten: in dieser
wird die ganze Frage in eine prähistoriscbe Vergangenheit
zurückrerlegt, in jenen wird sie blofs für die vorliegende älteste
Litteratur, d. L das Epos und die Logographen angeworfen.
Sehen wir zunächst von dieser Verschiedenheit ab, so berühren
sich die Worte Strabons') darin mit denen Plutarchs, dafs in
beiden der Niedergang der Poesie zur Prosa mit dem Herab-
steigen vom Wagen verglichen wird.') Nun hat kürzlich
1) Diese Stelle war ffir die Anschauung des Mittelalters entscheidend.
Dante de vulgari eloquentia 1. n in., sagt, er wolle erst von der gebundenen
Bede handeln, da diese das Vorbild fEbr die Prosa, nicht umgekehrt, ge-
wesen sei, cf. E.Böhmer, Ober Dantes Schrift De vulg. el. (Halle 1867) 17.
8) D. h. Hipparchs, denn wenn man die Stelle im ganzen Zusammen-
hang (Ton p. 16 an) liest, so sieht man, dafs Hipparchs Schrift gegen Era-
toithenes tou Strabon ausgeschrieben wird.
8) Ober die Bezeichnung der Poesie als der 'hochfahrenden' Rede,
der gehobenen Prosa als der ' hochtrabenden ' Rede, der niederen Prosa als
des l6fog ml^6g habe ich einige Stellen gesammelt in Fleckeisens Jahrb.
Snppl. AYill (1891) 274 f. Ich trage hier folgendes nach, und zwar in
chronologischer Reihenfolge. Lukian de bist, conscr. 45 (die Historie
dürfSß bis zu einem gewissen Grade der Poesie gleichen), i^ Xd^ig dh Zfias
^^ y4ff ßfßtl*ita>y t& {ikp hloKXh xal x& iksyi^ei t&v Isyoiiivmv cwinaiifo-
|ft/n| %al ebg l«ri fuilutta öiioiovfLSvri j ^svl^owra Sh firid* ^Iq tbv luci^^bv iv-
^ovtffAtfa* nMvpog yicQ a^fj t6tt fidyiatog naQaTiivfjeai xal nctxspsxdilvai
ig t^ tl^g noiriftinijg xoQvßavta, mats luiXufta nBUftiov Tf\vi%a^a tm xo^Xiv^
ned ümipgoTrjtioVy ilSdtag mg lxnotvq)la tig xal iv X6yoig nd^og oi iktngbv
ylfwitai. &^ipo9 olv iq>' tnnov dxovfiivfj tdts t$ yp^fJ^V ^^ kgfLTivsiav
mH cviixaga^tlv^ ixofiimiv toii itpinnlovy &g iiii &xoXiinoi.to tfjg q)OQ&g.
Der«. Demosth. enc. 6 (der Verehrer des Demosthenes sagt zu dem des
Homer) dlfiiav cb^ ti^v noirj^tmiiv ^gyov riyfj lUvov, tohg 61 (ritogmavg X6yavg
wctcapifavitg (SrejirAg olo9 Inmifg nagcc nttohg iXavvav. Aristides or. 8
(▼o1. I p. 84 Dind.) xencc <pvai9 fi&XX6v iativ Stv^gAnm ns^A X6ym jr^^^dai,
m4n9Q yi %al ßadl^nv olfuct ii&XXov rj 6xov^po9 tpigBC^ai. or. 49 (vol. 11
p. 616) fpigi Sil xal higov %6a(iop ^nnov nardfuc^i (er meint den De-
mosthenes; der Ausdruck lehnt sich an Odyss. & 492 an), ib. p. 531 wendet
er auf die Redner die Verse an II. Z 509 ff. i^oi) 6h %dgri l^ci, d^upl 6h
Xaittti I Sfu»ur' &leaovtai' 8 6' dyXatfifpi nncot^^ \ (i(upä k yoihfa tpigei
l^ä rj^ia xal voi^bv tnnmv. Mit Anspielung auf dieselbe Stelle Her od es
Atticus bei Philostr. yit. soph. I 25, 7 yon Polemoii: %Qoalvfip (sc. IloXt-
Kord«ii, »ntik« Knnfiprota H
34 1* 1^6 griechische Eunstprosa bis Augustas.
R. Hirzel, Der Dialog H (Leipz. 1895) 208, die SteUe Plutarchs
mit höchster Wahrscheinlichkeit auf Dikaiarch's Kulturgeschichte
zurückgeftlhrt, f&r den ja auch die Parallele mit dem fiiog, sowie
die Ausdrücke [utafioXii und X9^^ vortrefflich passen. Wir
werden dadurch also für diese Untersuchungen in peripatetische
Kreise geführt, und daTs wir richtig geleitet sind, beweisen die
Worte StraboDS, die sich mit denen des Aristoteles über Grorgias
Utova) iv Totg t&v ^o^iaav xagLotg o^dhv ftstow tc9 *OfLrigino9 tnnav. ib.
Md^ov dh To4> aiftOKQdtOQog ngbg aiftbv (*H^^i2«r) Bl%6ptog *tl tfot dornt 6
noXi(tav;* ati^cag tohg 6ip&ccXyA>ifg 6 ^HQ^drig '^^nrcM' fA*9 H^j dntvx6dmv
&fnpl ntvnog o^ata ßäXXii^j MnnvifkBvog 9^ tb inlxQOtov %al tb i^xhg
t&v l^yiov. Eunapios yit. soph. p. 158 Boiss.: Prohairesios beginnt zn
reden mentQ innog tlg mdlav nXrid'sCg (diese und die vorhergehende Stelle
schon bei Cresollius, Theatr. rhet. III c. 17 p. 126 DE). Hirn er i ob or.
14, 17 slifi/jcstai^ dh taüta %a&' Zcav 3 te xaigbg nal tb toi X6yov fUtQOv
MlSmci' %aitoiyB ißovX6iiriv xa^dnti^ ti^ ^nnog äipBtog xa&rnUvov ntdlov
Xaß6iitvog toeoitov Sgaikstv iv totg X6yoig Zeov ilxbg AvS^bg tocovtov (pvmv
iLvanriov^ai tm yivsi tm t&v ^EXXi^vmv onMovta. Danach zu verstehen aach
ecl. 18, 86 (p. 236 f. Wemsd.) nqb Bl t&v SiUmv oLnavtav 6 t&v ifk&v nA-
Xmv iiccifxog n&Xog legbg nal &yi(fmxog^ otovg *HXlm 9"$^ Nicatoi nialovg «oh
Xi^ovoi' to^ov iym tbv n&Xov ^aXloig noa^ii/joag Mova&v nal tatg Xagltav
(iltQaig ZXov noii/jcag &vdSetov &cnfQ ti^vi 9b& ti^g iiiijg &yiXrig &naQx^9
tpiomv &vid^%a. Ähnlich Gregor Nyss. de infant. 46, 141 Migne.
Isidor. Peius, ep. IV 67 p. 449 B stellt den ns^bg X6yog der h.
Schrift dem iytfniXbg X6yog der Sophisten gegenüber. — Ennius bei Cic.
de sen. 14 ^sic ut fortis equus, spiUiis qui saepe supremo Vicit Olympia,
nunc aenio confectus quiesciV, equi fortis et victoris senectuH camparat 9w»m.
Vergil georg. H i. i. sed nos immenswn spatiia confecimus aequor Et iam
tempM equom fumantia solvere colla. Laus Pisonis y. 49 ff. ein durch-
geführter Vergleich des Redners mit einem Wagenlenker, seiner B«de mit
den Rossen. Quintilian IX 4, 118 (einige schreiben in kleinen abge^
zirkelten Sätzen) nonne ergo refirigeretur sie calor et impetus pereat, ut equo-
rum cwrsum delicoH minuHs passilms frangunt? cf. X 8, 10. Sidonins ep.
rV 8, 9 excrescit amplit%tdo proloquii angtistias reguläres . . . emicatgue ut
equi potentis animositas, cui frementi, si inter tesqua vel confragosa frenorum
lege teneatur, intellegis non tarn cursum deesse quam campum. Ders. ep. IX
16 , 8 Y. 87 f. (von seinen Hendecasyllaben) nimc per undenas equitare sue-
tus Sylldbas lusi celer. — Aus diesem Vergleich erklärt sich der Gebrauch
von phalerae fOr die gehobene Diktion, sehr oft seit Terent. Phorm. 600, be-
sonders bei den Schriftstellern des IV. und V. Jahrh. n. Chr., z. B. mit einer
Pointe in einem Brief des Sedatus, Bischofs yon Nimes (ed. Engelbrecht im
Corp. Script, eccl. lat. Vindob. XXI 449) an Ruricius: equum, quem per fra-
trem nostrum preshyterum transmisistis, accepi magnificis verborum vestn^rum
phaleris oneratum, gern auch im Mittelalter, z. B. Virgilius fcderatus Canti-
lena in S. Qallum (Mon. Germ. ed. Pertz II p. 33); die richtige Erklärung
Poetische Prosa. 30
(oben S. 30) darin genau berühren^ dafs das sidoxifistv der
poetischen Bede herTorgehoben und zum Beweis für die Priorität
der Poesie aof das Herabsteigen einer bestimmten Dichtungsart
Yom Hochpoetiscben zom Prosaischen hingewiesen wird. Mit
dem allgemeinen Resultat, daJG9 Untersuchungen über diesen
Gegenstand von Peripatetikem auf Grund von Anregungen ihres
Meisters ausgefOhrt wurden, können wir uns hier genügen
lassen, denn uns interessiert vielmehr die Frage, ob die von den
Theoretikern gegebene Lösung des Problems auch richtig ist:
denn da im Altertum einer Theorie zuliebe oft ganz konstruktiv
▼erfahren wurde, müssen wir das Resultat stets an den realen
Thatsachen nachprüfen. Dafs nun der Gedanke jenes Peri-
paietikers, der vermutungsweise als Dikaiarch bezeichnet wurde,
zwar ganz phantasievoll, aber weiter auch nichts ist, wird jeder
zugeben; nach meinen obigen Bemerkungen ist, wenn wir die
Frage nach dem Verhältnis von Prosa und Poesie in vorlittera-
rischer Zeit aufwerfen, das Gegenteil dessen, was der Peri-
ptttetiker behauptet, wahr: in seinem unhistorischen Bestreben,
die graue Vorzeit mit dem Schinmier alles höchsten Glücks zu
vergolden, hat er sich zu einer Konstruktion verleiten lassen, die
wie sein ganzes Phantasiegemälde vor der Forschung nicht be-
steben kann. Es handelt sich also nur darum, ob die Auf-
steUung jenes anderen Peripatetikers, die uns bei Strabon und
Varro vorliegt, richtig ist, d. h. ob die älteste bis zu einem ge-
wissen Grade kunstmäisige griechische Prosa, also die Logographie,
an die vorausgehende Poesie, also das Epos, angeknüpft hat.
Diese Frage ist nun im allgemeinen schon richtig be- Logo-
antwortet worden von E. Zamcke, Über die Entstehung der^^Kp^"
giebt schon Augustinus Dathus Senensis, Libellus de elegantia cum comment.
Af^^^^in"^ (s. a. [1608] 8. p.): Phdlere in plurM numero dictmtur amamenta,
qwmiam equi si generasi sunt in phaleris animum extoUunt et generosius in-
eedtmi. unde tractum est metaphorice, ut oratio quae omcUe et moüiter in-
etdai, phaierata dicatur. Femer erklärt sich daraus auch der Ausdruck
CMTSiM oratiams, über den vgl. Anhang IL Ich bemerke endlich, dafs, als
Yergil den berühmten Vers schrieb Aen. VIII 596 Quadrupedante putrern
samiu quatit ungula campum, er damit eine besondere Absicht yerband,
wie G.Amsel, De vi atque indole rhythmorum quid veteres iudicayerint in:
Biesl. Fhil. Abh. I (1887) 14 , 1 erkannte durch Vergleich mit Longin. pro-
legg. in Hephaest. euch. p. 84, 11 Westphal: *0 dh (vd'ii6g yiperat . . aal
Xü^ifi avXlaßfjg . . . xal innmv 6h nogeia (v&itbg ivo^ic9ri.
36 I. Die griechische Eunstprosa bis Augustos.
griechischen Litteratursprachen^ Leipz. 1890, wo er zu dem Schlafs
kommt, ,,dals die ältesten Erzeugnisse der ionischen historischen
Prosa einerseits unter dem weitgehendsten Einflub der Dichtung
auf Worte und Wendungen geschaffen worden, andererseits sogar
direkt aus ihr durch die yerbindende Brücke der Prosaauflösungen
herausgewachsen seien^'J) Für die Beurteilung im einzelnen
reichen ja die wenigen längeren Fragmente der Logographen vor
Herodot kaum aus; doch müssen wir Tersuchen^ wenigstens
einiges, was sich sicher feststellen läfst^ herauszuheben.*)
Das poetische Kolorit der alten Logographie hat, soweit
wir zu urteilen vermögen, weniger in den einzelnen Worten ge-
legen (insofern nicht der ionische Dialekt von selbst poetisch
wirkt) ^), als yielmehr in einer gewissen Naivität und behaglichen
Breite, die allerdings stark an das Epos erinnert. Der Eindruck
des Naiven wird vor allem durch den Satzbau hervorgerufen.
Zu den feinen Bemerkungen, an denen das dritte Buch der
1) So formnliert er selbst das Ergebnis in: 'Griech. Stadien Lipsins
zum 60. Gebnrtst. dargebr.' (Leipz. 1894) 120 ff. , wo er dasselbe Thema
nochmals behandelt hat. Was er dort über Dionys y. Hai. sagt, ist gewifs
richtig, aber die Stelle Cic. de or. 11 61 f. scheint mir verkehrt interpretiert
zu sein. Wenn Cicero (vermutlich nach Varro) sagt, die ältesten griechi-
schen EUstoriker Pherekydes, Akusilaos, Hellanikos hätten wie die ältesten
römischen sine uUis amamentis geschrieben, so meint Zamcke, dafs dies
Urteil dem des Strabon widerspreche, und sucht die Stelle durch eine ge-
waltsame, den Worten nicht entsprechende Interpretation anders zu deuten.
Aber viel richtiger hat er selbst in der ersten Abhandlung darüber ge-
urteilt, „dafs Ciceros Gewährsmann bei seinen Worten gar nicht an eine
Abhängigkeit yon der Poesie gedacht, sondern nur die Einfachheit des
Satzgefüges habe betonen wollen; diese Dinge schliefsen sich ja nicht aus.**
Das ist schon deshalb die einzig mögliche Interpretation, weil es keinem
griechischen Stilkritiker eingefallen ist, die Logographen zur Eunstprosa
zu rechnen, die ja eben erst mit Gk)rgias anhebt (X6yos natscyisvaeikipog bei
Strabon kann nur gemeint sein im Gegensatz zur gemeinen Bede des all-
täglichen Lebens). — Über die inhaltlichen Beziel^ungen der XayoYQ<tq>oi
(d. h. der Prosaschriftsteller) zum Epos sind jetzt besonders zu vergleichen
J. Stahl, Über d. Zusammenhang d. ältest. griech. Geschichtsschreibung mit
d. ep. Dichtung, in: Fleckeisens Jahrb. 1896, 869 ff. und 0. Seeck, Die
Entwickl. d. antiken Geschichtsschreib., in: Deutsche Bundschau 1896, 108 ff.
2) Ganz oberflächlich F. V. Fritzsche, De initiis prosae orationis apud
Graecos (Ind. lect. Bostoch. 1876/6) 8.
S) Cf. Hermog. de id. 362, 14 Sp. ii 'lag ovca iroiijrix^ q>^n icriv
Poetische Prosa. 37
aristotelischen Rhetorik so reich ist, gehört auch das berühmte,
eine allgemeine Wahrheit enthaltende Urteil über den Unter-
schied der aneinandergereihten und der gewundenen Diktion
{Uiß^ elQOiidvfi und Xdl^ig xccTeöTQaft^ivii)^): in jener, also der
parataktischen, hätten die <^»x^tot bis Herodot miteingeschlossen
gesprochen und geschrieben, erst mit der Erfindung der zweiten,
also -der periodisierten (U^ig xatsötQafi^dvij z=s f^ iv TtsQiödoig^
lat. conversio anAüus Cic. de or. III 186), beginne die eigentliche
Knnstprosa. Überall da, wo uns längere Fragmente jener alten
Autoren erhalten sind, beobachten wir die Richtigkeit des
aristotelischen Ausspruchs, so, um beliebig ein Beispiel heraus-
zugreifen: Hekataeus bei Athen. II 35 B (FHG I 341) '0(f€0^6i>s
6 ^svxaXüovog ^Msv eis Aixmklav inl ßaöilda. xal xvmv avrov
tf%iJiB%og hens. xal hg ixdXsvösv aitbv xatoQvx^r^cci. xal i^
aitov Ikpv RfotaXog xokvözAtpvkog. dih xal xhv airtov %alSa
9m wv ixdXsöe, to^ov d* Olveitg iyivsto xkvfiBig iato x&v
ilixiXmv ol yä(f xakai^ol '^EXkriveg otvag ixdXow tag iiutikovg.
Olvdag d' iyivsto AltnX6g. Für Pherekydes cf. Athen. XI 470 C
(FHG I 80), schol. Soph. Trach. 354 (ib.), schol. Apoll.
Rh. III 1185 (ib. 83), schol. Eur. Phoen. 53 (ib. 85), schol.
Od. A 289 (ib. 89) : die letztere Stelle besteht aus sechsundzwanzig
1) Dafs die l^£tg slffoiiivri überhaupt das wesentliche Kennzeichen
primitiTer Bede ist, weifs jeder ans der Sprache der Kinder und Natur-
TÖlker. Für letztere bringen die Folk-Lore-Studien zahlreiche Belege, z. B.
ein tfirkisches M&rchen aus der Gegend des Altai, dessen Anfang in der
Cbenetznng von W. Radioff, Die Sprachen d. türk. Stämme Süd-Sibiriens
I 1 (St. Petersb. 1866) 8 ff., so lautet: „Es war ein Kaufmann; der hatte
drei £Mtfine. Zu diesen drei Söhnen sagte der Kaufmann: Sehet zu im
Tnmue, was ihr fOr Weiber nehmen werdet. Die Söhne gingen. Der
iltetie Sohn kehrte zurück. Als er zurückkehrte, sprach er: Eines Kauf-
manns Tochter habe ich genommen. Der mittlere Sohn kehrte zurück. Als
er xurfickgekehrt, sprach er: Im Traume nahm ich die Tochter eines Be-
amten*' n. 8. w. Für das Lateinische vergleiche die Verse beim auctor ad
Herenninm I 9, 14:
Aihmis Megaram vespert advenit Simo:
ubi advenU Megaram, insidias fecit virgini:
insidias postquam fecit, vim in loco adtulit
(Ob aus dem Argumentum einer Komödie? Das ist der Ton, den wir
da gewöhnt sind, während mir aus den Stücken selbst nichts derart er-
innwlich ist. Dann vielleicht aus einem akrostichischen Argumentum:
dgvi^ivtfig und 6Qvi^o%6iuii sind Komödientitel).
38 I- I)ie griechische Eunstprosa bis Augustus.
kurzen Sätzen, von denen nicht weniger als siebzehn blofs mit
dd angereiht sind (darunter elf unmittelbar hinter einander), f&nf
mit icaiy je einer mit ydg^ dvj iTiHxa, — Aber nicht blofs in
dieser Art primitiven Satzbaus liegt das naive und daher
poetische Moment. Schon der Verfasser der Schrift IlBQi ihlfovg 27
hebt die naive Einfachheit der unmittelbar einsetzenden direkten
Rede hervor in folgender Stelle des Hekatäus (FH6 I 28): üTffvS
dh ravta dawä tcouöiisvos aircixa iniXsvB tiybg ^HQaxXeCdag i%i^
yövovg ixxfogiBW {yb yäg {)(itv dwatög al^ki i^yi/^yBiv, hg fi^ &v
ainoC re iacoXiaö^B Ti&iuk tgaöBts^ ig Rllov tivä d^fiot/ inoixBö^Cj
womit er sehr passend vergleicht II. O 346 ff.
"ExtmQ dl TqAbööiv iicixXsto {laxQbv äiiöccg
VTjvölv ixiööB^Böd'at^ iäv d' ivaga ßQorÖBVta*
Zv d' ttv iyhv iativBv^B vb&v Btigm^i voi^^a}^
(tötov ot ^ivatov liijvüfoiuci xrX.*) —
Mit dieser Naivität paart sich jene behagliche epische Breite,
die auch dem Stil Herodots solche yXvxikrig verleiht; z. B. in
dem folgenden Fragment des Pherekydes (beim schol. Find.
Pyth. IV 133; FHG I 87) lihvBv 6 RBkiag zm HoöBidAvi xal
XQoetTtB xäöi TCttQBtvai. ot d\ ^6av oi xb &Xkoi TCoXttai xal 6
IijöfoV itv%B d% iQotQBvcov iyyi>g tov ^jivwÖQov «ora/Dtot). &6(iV'
daXog dh dußaivB rbv xotafiöv, dtaßäg dh rbv ^ihv ÖBl^ibv ino-
ÖBltai, %6öa^ zbv d% iQi6tBQbv iiciXi/i^Bxai, xal iQ^Btai otkag ixl
SbIkvov. Idbv di 6 ÜBXCag 6vykßdXXBi xb iiavxiii^ov, xal xöxs iikv
fj^rixot^By xfi d' i^xBQaia (uxanB^i^ifoiii^BVog Ijqbxo 8 xv noi^oirjy bC
axndi x(^öd'Biti im6 xov x&v tcoXixAv ixod'avBtv. 6 dl ^iTJöan^,
TCB^ilfai, &v Big Alav aiycbv iiil xb xAag xb XQ^^^V^^^^^j ä^ovra
&v anb Ahf^XBio. xai^a d% rc3 ^Ii^öovi, "Hgri ig vöov ßdXXsij &g
iX^oi fj Mi^ÖBia xa ÜBXCa 7cax6v. Ähnlich beim schol. Od. X 320
(FUG I 90 und 97, wo z. B. ganz episch: xal aindi [Sri6Bt] 4
'Ad'fjvä naQa6xä6a TuXBiiBL r^i/ ^AQiddvriv iäv).
uerodot Während wir für die Beurteilung des Stils der ältesten
und dM ° .
Epoi. Logographen auf dürftige Fragmente angewiesen sind^ liegt uns
das Werk Herodots ganz vor. Wir würden dem Vater der
Geschichtsschreibung nicht gerecht werden, wollten wir ihn auf
eine Linie mit seinen Vorgängern stellen. Wenn Aristoteles 1. c
1) Von ähnlicher köstlicher Naivität ist auch die Stelle heim schol.
Plat. p. 33ö (FHG I 98).
PoetiiBche Prosa. 39
seinen Stil als Typus der Xil^ig eigoiidvri nennt, so hat er dabei
nur die eine Seite seines Stils im Auge^ die uns allen geläufig
ist aus Sätzen wie I 8: oitog dil iv 6 KavdavXris '^(fda^ri tfjg
iovrot) yuvaiMÖg' igaö^slg dl ivöiiiii ot ilvai ywatxa xokXbv
natfimv TcaXXüf tffv. &6zb d\ xavza vofiilavy ^v ydg oC t&v
aljj^wp6Qatv r^iyqg 6 daöxiiXov igsöxöiuvog iidkufzuj toiitp
t^ Fiiyfl xal tä öxovdaiiöxBQa r&v nqayiidxmv imsQBtid'iTo 6
Kavdtt^Xfig. In Wahrheit ist Herodot noch viel mehr als Heka-
taios ein Kind der neuen Zeit, und der Hauptreiz seiner Persön-
lichkeit sowohl wie seines Werkes nach Inhalt und Stil liegt ja
gerade in der wundervollen Mischung von altväterlicher Strenge
und modemer Subjektivität, von Naivität und Reflexion. Eine
nicht geringe Anzahl von ethischen, sozialen und politischen
Problemen, wie sie die damalige Welt bewegten, hat er, wie es
üblich war, in ivtiXoylai oder iy&vBg erörtert, nicht in der
Weise, dab er bestimmten Sophisten — man hat von Protagoras
und Hippias gesprochen — Einzelheiten entlehnte: aber es ist
derselbe Geist, aus dem heraus sie alle die gleichen Probleme
in ähnlicher Weise behandelten. Über den Stil des Herodot hat
daher zuerst Diels im Herm. XXII (1887) 424 ein wirklich be-
freiendes Wort gesprochen, durch das es auch in stilistischer
Hinsicht um Herodot als * naives Naturkind' geschehen ist: „Neben
der traditionellen Naivität der ionischen Xoyoxoiia vernimmt
man schon oft die scharfgespitzte Antithese und die Perioden-
zirkelei der gleichzeitigen Sophistik'', und in demselben Sinne
äolsert sich Eaibel, Stil und Text der ^A^rivaCayv nokixBCa des
Aristoteles (Berlin 1893) 66: „Er schreibt nicht, wie man sich
das gelegentlich vorgestellt hat, wie ein naives Naturkind, sein
Stil ist das Produkt mühevoller Kunstübung . . . Seine Haupt-
knnst besteht in der anmutigen und kunstlos scheinenden
Mischung der Stile: wie sollte er denn auch von den Einflüssen
sophistischer Stilkimst unberührt geblieben sein?^ (cf. auch
p. 77, 1).^) Die alten Kritiker freilich haben Herodot noch nicht
1) Cf. £. Maars im Hermes XXII (1887) 581 ff. F. Dümmler, Akademika
(Giefsen 1889) 247 ff. (beide Abhandlungen behalten ihren Wert, mag auch
die Namengebung der einzehien Sophisten problematisch sein). B. Schoell,
Die Anf&nge einer politischen Litterator bei d. Griechen (Festrede in der
Akademie zu München 1890) 11. IS. St. Schneider in: Eos (ed. Öwili6ski)
n (1895) 18 ff. (über die Beden des Mardonios und Artabanos; leider yer-
40 I- l^ie griechische Eunstprosa bis Augustus.
zu den von der Sophistik beeinflulsten Prosaikern gezählt, ihn
daher nicht zur eigentlichen Kunstprosa gerechnet^ insofern mit
Recht, als bei ihm jene stilistischen Finessen sogar im Vergleich
zu Thukydides durchaus zurücktreten und oft mit einer gewissen
liebenswürdigen Unbeholfenheit angewendet worden sind, worüber
ich schon oben (8. 28) gehandelt habe. Hier geht uns nur die
andere Seite seines Stils an, die nach rückwärts gewandt ist.
Wenn wir die in neuerer Zeit sorgfältig gesammelten^) Re-
miniscenzen der herodoteischen Sprache an die Sprache des Epos
überblicken, so müssen wir sagen, dafs sie erheblich starker sind
als bei den älteren Logographen, wobei aber nicht zu vergessen
ist, dafs die Beispiele wesentlich auf die Reden fallen, die,
wie uns ausdrücklich berichtet wird (Marcellin. vit. Thucyd. 38),
in solcher Ausführlichkeit zuerst bei ihm vorkamen. Wenn er
also von den Späteren gewöhnlich der Homer der Geschichts-
schreibung genannt wird (6fti}^txi6rarog heifst er Iligl ütlfovg 13,4),
stehe ich das Einzelne nicht wegen der czechischen Sprache). Ein Urteil
wie das von E. Meyer, Forsch, z. alt. Gesch. I (Halle 1892) 202: „Von Ein-
flüssen der Sophistik kann bei Herodot so wenig die Bede sein wie etwa
in der Beredsamkeit des Perikles'* ist nicht zu rechtfertigen. Wer weiCs
denn, wie der Freund des Anaxagoras gesprochen hat? Wenn aus Thuky-
dides ein SchluTs erlaubt ist, so spricht er eher gegen Meyer als für ihn.
Jeder Gebildete war damals mehr oder weniger von der Sophistik beein-
flufst, wie im XVIII. Jahrhundert vom Rationalismus. Natürlich gab es,
wie in allen Aufkl&rungsepochen, Schlagwörter: ein solches war das vom
Gegensatz der tpvütg zum y^fiOff, speziell das (seiner ursprünglichen Bedeu-
tung entfremdete) pindarische 96fiog 6 ndvxmv ^aeikivqi wenn also Eallikles
bei Plat. Gk)rg. 484 B imd Herodot m 38 dies gebrauchen (Dümmler L c),
so braucht deshalb letzterer keine geschriebene Quelle benutzt zu haben.
1) In Anlehnung an die Kommentare von P. Cassian Hofer, Über die
Verwandtschaft des herodotischen Stiles mit dem homerischen, Progr. Meran
1878. Von den dort p. 18 ff. gegebenen 'homerischen Reminiscenzen ' sind
die frappantesten (s&mtlich aus Reden) VI 11 «^ K 173 ff.; VH 28 o^c cb
fM>9 toi, &tQe%ioig xataXi^m «^ d 350 -|- K 413; VII 159 ^ xe iiiy' olpJiiBtsv
6 UeXonldrig 'Ayaitiiivoav <^ H 125 ^ %8 fiiy' oliim^SiS yi^tav innriXdta JTrjXet^;
V 106 ßacdsüf notov itp^iy^ao Unog «^ A 552; IE 82 oi yccQ äfieivov <^
A 217; m 14 inl yi/igaog oi}d^ (Satzschlufs) o^ St 487. Aber das Wenigste
läfst sich sagen: das sind meist Dinge, die sich nur fahlen lassen. — C?f.
übrigens: Hermogenes de ideis 421 Sp. r|| Xi^u notritixj nixffritai 6i6Xov
(das ausführliche Urteil, das Hermogenes über den Stil des Herodot giebt,
ist das beste der zahlreichen ähnlichen des Altertums).
Rhythmische Prosa. 41
80 beruht dieser Vergleich nichts wie so viele ähnliche im Alter-
tnniy auf geistreicher Kombination, sondern auf Wahrheit: man
kann auch von ihm sagen, er habe Homer so nachgeahmt, dals
er erkannt sein wollte.
Wie \m den Logographen, so bemerken wir auch in dem, ^^»"«»opJ»^
und Gpofl
was uns sonst von alter Prosa erhalten ist, ein stark poetisches
Kolorit Heraklits Werk nennt Piaton Soph. 242 D 'IdÖsg
AfoiXHu; Tieles ist bei ihm aus der Sprache des homerischen
Epos genommen, und die gewaltige Bildersprache (ich erinnere
nnr an die den Helios verfolgenden Erinnyen oder den mit
einem Sandhäoser bauenden Kinde verglichenen Atmv) mahnt an
die grandiosen Phantasieen orphischer Dichtung. Von Demo-
krit gilt das Gleiche (s. oben S. 22 £). In dem kurzen wortlichen
Fragment des Protagoras bei [Plut.] cons. ad Apoll. 33
p. 118 EF finden sich hochpoetische Worte: vtptivd'dag, sidirij
eüunftüij ahnlich in dem Mythus, den ihm Piaton Prot. 320 C ff.
in den Mund legt.
Ans dem Gesagten ergiebt sich, dafs Gorgias, wenn er seine i^oigeraof
Prosa der Poesie annäherte, nichts absolut Neues schuf, sondern
auch hier das abschlieJDsende Glied einer naturgemäisen Ent-
wicklnngsreihe bildet. Der Fehler, in den er aber auch hier
verfiel, war die Übertreibung: nicht die einfache Hoheit des
Epos, sondern den Enthusiasmus der dithyrambischen Diktion
und den pathetischen Kothurn der Tragödie führte er durch
überkflhne Wortkompositionen und Metaphern in die Prosa ein;
das war es, was das ganze Altertum, soweit es nicht auf seiner
Seite stand, tadelte^), soweit es in seinem Bann stand, ihm
nachmachte; da die letztere Partei die Oberhand gewann, so ist
Gorgias, der Begründer der antiken Kunstprosa, an ihrem Ruin
schuld geworden.
0. Die rhytbmisohe Prosa.
Es ist schon zu Anfang dieses Kapitels bemerkt worden, Thruj-
dab zuerst Thrasymachos das für die Folgezeit bindende Postulat
1) Dithyrambus: Dionjs. de Lys. 3. Tragödie: IleQl i^avg S, 2. Noch
Procop T. Gasa (s. VI) ep. 186 (an einen sich in Ägypten aufhaltenden
Sophisten Hieronymos): mg dh xal cotpusxma eoi tä ygafifiata' %al thv Fop-
7(00 t%ip09 id6^ow 6q&v ^siv yccQ tbv NbIXov itfnig i% yfjg xal nl(otj}v
90Ul9 T^y ndXat ßati^v.
42 I* l^ie griechische Kunstprosa bis Augastus.
einer periodisierten, d. h. rhythmischen Prosa aufgestellt hat;
denn periodisierte und rhythmische Bede sind nach antiker Vor-
stellung identisch^): iQid'fibv i%€i ij iv X€(fi6doig Xil^ig sagt
Aristoteles Bhet. IQ 9. 1409b 5, sind doch sogar die Ausdrflcke
für die prosaische Periode und ihre Teile der poetischen Termino-
logie entnommen.^ Das wichtige Zeugnis, das dem Thrasy-
1) Cf. Cic. or. 170 ff. de or. m 195 ff. Quint. IX 4, 22. Die ausfahr-
lichste Behandlung der Periode aus dem Altertum bei Hennog. de inT. IV
3 p. 288 ff. und de id. I 815 ff. Sp. (er hatte Vorg^üiger, die er p. 821/ 14
citiert); das grofse Spezialwerk des Lachares (s. V) nsgi xAXov %al %6(^uc'
TOff %al n8Qt69ov ist leider verloren, cf. Anon. in Bhet. Gr. VII 980 W und
Ps. Castoris ezcerpta rhetorica ed. Studemund in der Breslauer Festschrift
1888; die aus einer kleineren Schrift des Lachares (über denselben Gegen-
stand) von B. Graeven im Herrn. XXX (1895) 289 ff. veröffentlichten Bruch-
stücke sind dürftiger. — Von modernen Behandlungen der antiken Periodik,
die wirklich im Geist der Antike gehalten sind (Werke wie das N&gels-
bachsche gehen, ihrem Zweck entsprechend, vom deutschen Gefühl aus),
sind aus unserm Jahrhundert zu nennen die vortreffliche Arbeit von E. Bern-
hardt, Begriff u. Grundform der griech. Periode, Progr. Wiesbaden 1854;
Eaibel 1. c. 64 ff.; BlaTs Lei' 188. II* 160 ff.; 181; E. Belling, De Anti-
phontearum periodorum symmetria, Diss. Bresl. 1868; H. Schacht, De Xeno-
phontis studiis rhetoricis (Diss. Berlin 1890) 85 ff.; 44 ff.; 0. Guttmann, De
earum quae vocantur Caesarianae orationum Tullianarum genere dicendi
(Diss. Greifswald 1888) 47 ff. Ausgezeichnete , heute mit Unrecht der Ver-
gessenheit verfallene Werke sind darüber in den früheren Jahrhunderten
verfafst: Johannes Sturmius, De periodis, zuerst Strafsburg 1550, dann ed.
V. Erythraeus 1567; kürzer als Sturm, aber mit weniger Worten dasselbe
lehrend, J. Strebaeus, De verborum electione et collocatione (Bas. 1689) 1.
n c. 16; im wesentlichen nach Sturm: Jovita Bapicius Brixianus, De numero
oratorio libri V (Vened. 1554), darin 1. IV De periodü; G. J. Vossius, Inst
or. (Lugd. Bat. 1606) ]. IVc. 8; G. Linck, De oratione concinna, Diss. Altorf
1709. Einige andere Werke führt an: M. Car. Henr. Langius, Institutiones
stili Bomani, ed. 2 (Lubecae 1745) 194 f.
2) JIsQMogj %&lovy %6iiiuc cf. B. Westphal, Sjst. d. ant. Bhythmik
(Breslau 1865) 100 ff.; Bofsbach- Westphal, Theorie d. mus. Künste I* (Leipz.
1885) 187; W. Christ, Metr.« (Leipz. 1879) 119. 616; Blafs 1. c. II" 160 f;
F. V. Fritzsche, De numeris orationis solutae (Festschr. Bost. 1875) 7 f.;
M. Consbruch, De veterum nsgl «oiiffuxro; doctrina (Bresl. 1890) 42. Auch
nQooLfiiov sowie Bezeichnungen anderer Teile der epideiktischen Bede
stammen aus der poetischen Terminologie: Quint. IV 1, 2 f. IX 2, 85.
Augustin de rhet. 19 (Bhet. lat. min. I 149 H.), cf. Blafs 1. c. I 18 und be-
sonders 0. Immisch im Bh. Mus. XLVni (1898) 521 f. Umgekehrt schliefsen
sich sp&tere Metriker (auch Varro) in ihrer Terminologie an die Bhetorik
an: cf. Leo im Herm. XXIV (1889) 280 ff.
Rhythmische Prosa. 43
maehos die Erfindung zuschreibt, steht bei Suidas, der aus vor-
zflglicher Quelle berichtet: xg&tog jcsgiodov xal x&kov ocatideiis
tud rbv vihf xf^q ffitOQixflg xq6%ov el6riyif^6a%o. Wir finden das
bestätigt durch folgende vier Zeugnisse: Aristoteles Bhet. III 8.
1409 a 2 sagt, dab seit ihm der Päan am Anfang und Schlufs
berorzugt sei; Cicero nach Theophrast spricht an zwei Stellen
Ton den kleinen Sätzchen des Thrasymachos, deren Rhythmus so
auffällig sei, dals er an Verse erinnere (or. 39. 40)*, das interes-
santeste Zeugnis ist endlich das des Piaton, Phaedr. 267 CD:
man braucht seine Worte nur zu lesen, um sofort zu begreifen,
daüs die Bede ganz rhythmisch ist (ich werde das besonders
stark Rhythmische durch den Druck hervorheben und in xAXa
teilen): x&v ys f&^i/ | olxxQoyöav | ixl yflgag xal na-
piav I iXxofidvav Xöyav || xexgaxrjxdvai xdxvg fioi q>aCvBtai
%o rot; XaXxridoviov 6^dvog, dgyiöai, xs ai noXXoi>g afkcc
iMtvbg iviiQ ydyovev. Wir erkennen aus dieser Parodie, die
für uns denselben urkundlichen Wert hat wie die später zu be-
trachtenden Parodieen des Symposion, dals, wie zu erwarten, die
rhythmische Rede auch ausgezeichnet war durch hochpoetische
Worte und Wortverbindungen, daüs also gleich von Anfang an
die poetische 6iivd'söig dvoiuxtmv mit der poetischen ^xAo;^ 6vo-
fuitnv zusammengeht. Mit diesen Zeugnissen steht nur in
scheinbarem Widerspruch die einzige längere Probe von der
Diktion des Thrasymachos bei Dionys. de vi Dem. 3: die Sprache
ist einfach, und ein besonderes Streben nach Rhythmisierung ist
nicht zu erkennen. Aber dies Stück gehört einer für einen
anderen geschriebenen Gerichtsrede an, für die von Anfang an
natorgemäls ganz andere Gesetze mafsgebend waren als für die
Epideixis; bemerkenswert ist, dafs in dem Stück sich keine
gorgianische Figur findet: wie weit Thrasymachos in seiner
spateren Zeit das yoQyidisLV mitgemacht hat, wissen wir nicht ^);
es ist auch nicht von Belang, da Gorgias im ganzen Altertum
als Erfinder'' dieser Figuren gilt.
1) Aus Cic. or. 89 folgt es nicht mit Sicherheit, da hciec nicht auf das
omnittelbar Vorhergehende bezogen zu werden braucht. In dem bei Dionys
a. a. 0. überlieferten Stück einen Satz wie {tolg) xriv likv naQiWoiicav
inUffav &yetn^ij T^y d' imoiiaav 9i9i6ci als gorgianisch zu bezeichnen, wäre
gewifs ungerechtfertigt. Ebensowenig glaube ich, dafs F. V. Fritzsche, De
Dumeris orationis solutae (Festschrift Rostock 1876) 9 mit Recht folgende
44 I. Die griechische Kunstprosa bis Augastus.
loniBche Natürlich hat Thrasymachos die rhythmische Bede nicht
*** * erfunden'. Von diesem grolisen Stil virtuosen des fOnften Jahr-
hunderts gilt dasselbe 9 was Diels^) von dem des vierten sagt:
yjsokrates hat keine der Künste, welche f&r seinen und für den
gebildeten Stil des vierten Jahrhunderts charakteristisch, sind,
selbst ^erfunden'. So etwas wird überhaupt nicht er-
funden/' Die Bede der Griechen selbst war Musik, und es ist
a priori gar nicht zu bezweifeln , dafs, lange ehe man anfing,
seine Gedanken in kunstgemäfser Prosarede aufeuzeichnen, Sprecher
und Hörer den Bhythmus der Worte instinktiv gefühlt haben.
Dabei bin ich auch der Ansicht, dafs, wenn wir in den ältesten
uns fragmentarisch oder ganz erhaltenen Prosaschriftstellern den
Bhythmus der Bede in stärkster Weise ausgeprägt finden, wir
hier noch nicht annehmen dürfen, dafs eine Eunsttheorie auf die
Komposition von Einflufs gewesen ist, sondern dab vielmehr die
in Anlehnung an das Epos sich entwickehide Prosa wie in der
Wahl der Worte so in ihrem rhythmischen Fall von jenem ab-
hängig war. So sind in Hfiraklits Fragmenten hexametrische
^Satzschlüsse häufig genug: 3 q>dtig aitotöi iiaQtvgiei. xaQeöv-
tag ixBtvai. 21 xvqhg tgonal xq&xov ^dXaööa^ d'aXci66ijg di
tb fiiv fjfiiöv yfly rb dh iliii6v XQti^tiiQ. 37 ^tveg &v dia-
yvolBv. 126 (A tv ytvm^xmv ^€oi>g oiö' tlgmag, olttvig
b16i^ und wer fühlte nicht den gewaltigen Bhythmus besonders
gehobener Partieen wie 12 Uißvkka dh {laivoiidva ötöfian. iyi-
ka6xa xal i!KaXXAni6ra xal iiivgufta q)d'€yyo(iJvri %iXCayif driiov
H^ixvhrai xfi tpatv^ diä tbv ^sövj 44 xöXefAog xdvxanf [ihf xa-
xi/lQ i6xi xävxmv dh ßa6iXsvg, 9ud xovg iikv &€oi>g idsi^s t(ybg di
ivd'QAxovg^ xoi>g (ihv doiikovg ixoiijöe xoi>g dh iksv^dQOvg. Aus
Demokrit führt Birt L c. (oben S. 22, 3) 187 ff. einiges an (wenn
er auch in der rhythmischen Zergliederung des Einzelnen viel
zu weit geht); aus der pseudohippokratischen Schrifk negl qrvö&v
hat Ilberg 1. c. (oben S. 21, 3) 25 f. einige sehr bezeichnende Proben
Stelle aus der Rede des Thrasym. bei Platon, Rep. I 844 A als gorgianisch
bezeichnet: navtav öh (jtata futd^aei, iäv inl tijv tiXBondtriv &Si%lav Ifl^ff,
^ tbv lihv &dt%i/jcocvta B{>daifk09iiStat09 notel^ tobs Sh &di%rfiiv%ag mal iSi-
%^ai o^H IStv i^iXoptag &^luDtdxovg. [firr» Sh toiho rvffamfCg^ ^ o(> matä üfuUQbif
t&XHtQuc xal Xd&Q^ xal ßla &(paiQBttai> xal Uqcc xal Sffux xal ISia xal SruMCuc^
iXXcc ^IXi/jßdriv, Piaton karrikiert sonst nirgends in der Bepublik den Stil
des Thrasymachos.
1) In: Gott. gel. Anz. 1894, 293.
Rhythmische Prosa. 45
notiert, z. B. ganze jambische Trimeter wie 6Qf} ts detvd^ ^ly-
yJoßBt d* ifidicav und xal 6tay6vBg iacoximovöiv ijtb rcbv xm^La-
Tov, femer einen jambischen Trimeter, an den sich ein
trochaisches Kolon von gleicher Länge anschliefst: dUQxerai tb
MVBviuz dUi rot) ^Afuctogj \ üöte navXdv tiva ysvi^d'at tßbv %6-
vmvy auch Anapäste: ixb iikv nXsövmv xal in)XQOtiQ(ov löxvQÖ-
TBQov. Hexametrische Satzanfange und Satzschlüsse sind bei
keinem späteren Prosaiker so häufig wie bei Herodot; keiner
seiner Nachfolger würde z. B. geschrieben haben: oi yäg i&
^Qovdsiv (idya 6 d'sbg 6Xkov ^ ieavzöv (YII 10, 5) oder &g xal
ig röSs ainoC %b üv^qomoi xal ^ yH ain&v htAwy^oi xov Tcata-
6tQei;andvov xaXiovxai (YII 11).
Aber von hier ist noch ein weiter Weg zu den Rhythmen
der attischen Eunstprosa: denn die angeführten Beispiele zeigen
deutlich, daüs von einem Zusammenhang des Rhythmus mit einer
kunstvollen Gliederung der Periode hier noch keine Spur vor-
li^t. - Wo der Autor einen hohen Schwung nimmt, läfst er
metrischen Wortfall eintreten, ganz ohne Rücksicht auf den Bau
des Satzes. Das aber ist etwas, was die spätere Eunsttheorie
nicht gelobt, sondern getadelt hat. Finden wir nun nicht vor
Thrasjmachos Ansätze zu einer nach Eola gegliederten
rhythmischen Prosa?
Wir haben einige alte Inschriften aus dem fünften Jahr- in^chrifto
hundert, in denen der Wechsel des Rhythmus regelmäfsig mit
dem Beginn eines neuen Kolon eintritt. Ich meine die folgenden:
1) Eaibel ep. gr. 745
*Id(fa)v 6 ^BivoyJvtog
xal xol SvQaxdöioi
t&L ^l Ti6(fdv iacb Kiifiag.
„Dedicavit Hiero 61. 76, 3 (a, 473) Tyrrhenis apud Cunias de-
vietis. — 3. paroemiaeum adgnovit Boeckh, neque priores duo versus
timmerarum specie carere videntut^ (Kaibel).
2) Die Aufschrift der von Chares, dem Herrn von Teichiussa
bei Milet, dem Apollo dedizierten Statue (zuletzt in: Anc. greek
inscr. in the Brit. Mus. IV 1 n. 933):
Xd(frig siiil 6 KXdötog Te^xf^oii^Yig aQx6g.
"AyaXiia xovjAnöXXcovog.^)
1) Cf. die einzeilige Aufschrift cp. 485 (Theflpiae, s. Via.): Mpuu' M
46 I- I^i^ griechische Kunstprosa bis Augostus.
3) Schol. Eur. Hippol. 231 Jimv dl ngArog Aaxsdaifiöviog
%h hXvyMi&8\, (440) ivUtfiBv *Evhaig Xnno^^ &g IlokiyLWv
(Fr. 19 Prell.) töxoQst^ xal htiyQo^B xfi slxövt' Aimv AaxBdai-
ftövtog Innoiöi vtx&v 'Evdtaig ^Avtixksida naxi^Q. Dazu
bemerkt Th. Preger, Inscr. gr. meir. (Leipz. 1891) n. 128: ^n-
scriptioni epigratnma subesse iam PreUer stispicatus est ex forma
XnnoiöL Anapaestos esse vui^/ Wilamowitz, Eydathen p.79 A. A. \ In-
%oig vix&v ^Evitaig \ 'AvrtxXstda naxigog. Ego dubitanter restitui
hexametrum quem sequuntur tres anapciesti: Aimv AaxedM(i6vu)g
S^Bvhaig Inxotöiv ivCxmv | ^Avtixkslda natiQog}' Sollte es sich
nicht empfehlen, keine Änderungen aus metrischen Gründen vor-
zunehmen, sondern nur in drei Zeilen abzuteilen?
Aimv Aaxsdatiiöviog
%nnoi6i VLX&v ^Evira^
^AvxMikBCda xaxi^Q (xargög PreUer).^)
Auf dieselbe Stufe wie diese Inschriften mochte ich das be-
rühmte Gebet der Athener (bei M. Antonin. V 7) stellen, so ab-
geteilt in vier Zeilen:
^Töov iöov i tplXs Zev
ocatä xflg iQovQag
xvjg *Ad^vaÜDv
xal x(bv nsSCmv.
Sophron. Nuu haben wir aber ein sicheres Beispiel solcher nach Kola
gegliederten rhythmischen Kede aus dem fünften Jahrhundert: ich
meine die Mimen des Sophron. Nach endlosem Schwanken der
Ansichten steht heute fest^): 1) sie waren in Prosa geschrieben:
das bezeugt Suidas; 2) diese Prosa stand in der Mitte zwischen
reiner Prosa und reiner Poesie: das bezeugt Aristoteles (Poet. 1.
1447 b 10 und IIbqI %oirix&v bei Athen. XI 505 C); 3) genauer
war es eine Art von rhythmischer Prosa: das bezeugt das be-
rühmte, von Montfaucon (Bibl. Coisl. [Paris 1715] 120) ver-
öffentlichte Scholion zu Gregor von Nazianz, dessen Bedeutung
zuerst von Valckenaer zu Theokrit (1773) p. 200 erkannt worden
rd^mvi %&Qiato%QdtH y wozu Eaibel bemerkt: nescio an nutnerosa scriptori
oratio obversfxta sit.
1) Dreiteilig auch der Ruf des eleusinischen Hierophanten (Hipp. ref.
haer. V 28): U^hv frcxs | n^via noi^Qov \ B^ifioi B^tfi^.
2) Cf. L. Botxon, De Sophrone et Xenarcho mimographis (Progr. Lyck
1856) 26 tf.
Rhythmische Prosa. 47
ist Ich muiSs mit wenigen Worten den Sachverhalt wiederholen.
Das erste rhythmische Gedicht in griechischer Sprache ist der
A6fQq XQh^ naQ^dvov xa^atvat^xög des] Gregor von Nazianz,
ediert z. B. in: Anth. Graec. carm. Christ, ed. Christ (Leipzig
1871) 29. DaTs in den Handschriften dies Gedicht nicht bei den
metrischen Gedichten Gregors überliefert ist, sondern unter
seinen Reden, ist, wie wir später sehen werden (Anhang I), für
den Nachweis der Entwicklung der rhythmischen Poesie aus der
hochrhetorischen Prosa von grolser Wichtigkeit. Die einzelnen
Kola sind in einer Handschrift durch Punkte abgeteilt.^) Das
Gedicht besteht aus Langzeilen von 14 — 16 Silben, die in zwei
Halbzeilen von verschiedener Silbenzahl zerfallen; die vorletzte
Silbe der zweiten Halbzeile mufs betont sein, sonst besteht kein
Gesetz, doch pflegt jambischer Wortfall vorzuherrschen. Z. B.
xa^dviy vfifiqyri XQiötov ^^ döl^af^d öov tbv vviupCov' \ &al xa-
^tuQa öavtijv ^^ iv Xöyp xal 6oq>la^ | iva XaiinQa tp XaiiJtQp f^
^vii^öfig tbv aUbva' \ x(fsC66mv yä(f aikri noXk^ <^ tilg q>^a(ft^g
^vivyiccg u. s. w. Zu diesem Gedicht lautet nun ein Scholion :
iv taikm x^ X6ym tbv SvQaxoiiöiov ZkbipQOva fiiiuttat' oitog
yäQ HiAvog noi^rit&v ^v^fiotg xb xal xAkoi^g ixQi^öaro novtjttxfig
iBVuXoylag xataq>Qovii6ag, Das Gemeinsame also der Mimen
Sophrons und des Hymnus Gregors ist, dais beide in rhythmi-
scher, nach Kola gegliederter Prosa geschrieben sind (weiter
will das fiiiuttai nichts besagen). Das wird bestätigt durch alle
1) Wir werden sp&ter (Buch II) dafOr eine frappante Analogie aus
dem lateinischen Mittelalter finden (in den Komödien der Hrotsvitha).
Oberhaupt scheint im Altertum nicht blofs nach syntaktischen, sondern
auch nach rhetorischen Prinzipien interpungiert zu sein, cf. darüber
A. Oercke in: Fleckeisens Jahrb. Suppl. XXII (1896) 162 ff. Bei Hyper-
eides epitaph. 9 thp dii touc^ag %a(^BQlag — ä6%viog ^ofistvai tovg
M9Uxec£ nifotgt^ii^pov Asatc^irri — %al tohg x&i xoio^mi öxgatrjyän ngo-
^ipmy üvwaymirmäg ctp&g a^ohg nccQa6x6rfcig — &if' (yb Suc xi^v tijg Aqs-
x^g iM6d9iiiif ^vxslß . . . ifofttatsov sieht es so aus, als ob die nagay^atpoi
mehr rhetorischer Natur sind. Cf. auch SC de Orop. a. 73 a. Chr. ap.
Bnms, fontes* n. 40. Pap. Graec. ed. Leemanus n 77ff s. n p. Chr. Qe-
Dauer wird sich darfiber erst urteilen lassen, wenn wir eine Geschichte
der antiken Interpunktion besitzen, für die wir jetzt aus früher Zeit auf
Inschriften und Papyri (cf. Blafs in J. y. Müller Hdb. d. kl. Alt. I' 286 f.)
so reiches Material haben und für die auch in sp&ter Zeit die Quellen
sehr reichhaltig sind (z. B. in den meist noch unedierten Scholien zu des
Gregor von Kazianz Reden, cf. darüber Hermes XXVII [lb92J 622 ff.).
48 I- 1^6 griechisclie Kunstprosa bis Augustus.
längeren Fragmente Sophrons^ die uns Demetrius^) de eloc, nnd
Athenaios überliefern:
33 (Botz.) ai ya (Utv Tcöyxav HönsQ at x
i^ ivbg xsXev^uctog
xBxivavxi &nlv naöai'
TÖ dh TCQfjg ixiötag i^sx^L,
34 tde xaX&v xovQidmVy
tÖBy fpiXa^ d'äöat fuivj
&g i(f\}d'Qai X ivxX
xal IsiotQtx^&öaL.
39 tivsg 8i ivxC nojca^ q>iXa^
taCÖB xal (uccxQal xöyxaL;
I^akfivdg d-Tiv tovtoi ya,
yXvxvtSQOv xoyxvKiov,
X^QOiv yvvaix&v Xixvsvfia.
71 XQCykag fidv ys niovag^
xQiyöka S* 6%i6^ia.
19 x&v S\ x^^^^f^^^^
xal x&v i(fyvQ(Oiidt(ov*)
iydgyaiQSv & olxCa.
Sophron der Syrakusauer hat also in seinen volkstümliclien
Mimen eine sicher volkstümliche Art der Rede verwandt, selbst-
verständlich künstlerisch stilisiert (denn ein &tBxvov giebt es in
der antiken Litteratur nicht). Thrasymachos aus der megarischen
Kolonie Chalkedon hat ein dem ganzen griechischen Volk ge-
meinsames, vielleicht in seinem Stamm besonders ausgeprägtes
Gefühl in bindende Norm gefafst und als solche in die grie-
chische Eunstprosa eingeführt.
Seitdem war der in der ionischen Prosa herrschende Satz-
bau mit seiner Parataxe und seinen bei gelegentlichen Versuchen
1) Er hat sie, wie man deutlich sieht, selbst gelesen; es ist sehr be-
zeichnend, dafs das I. Jahrhundert n. Chr., welches die stark rhythmische
Schreibart so liebte, den Sophron wieder hervorzog. Die früheren Rhetoren
ignorieren ihn.
2) Dies ist das einzige Beispiel eines hfkoiotiXivtov in den Fragmenten,
und daher ist kaum mit Botzon (p. 30) nnd R. Hirzel, Der Dialog I (Leipz.
1 895) 23, 3, eine bewufste Anwendung anzunehmen (Fr. 64 hat Botzon ganz
willkürlich verbessert, und 110 ist ein Sprichwort).
Rhythmische Prosa. 49
za periodisieren sich gern einstellenden Anakoluthen zu Gunsten
der durch Hypotaxe kunstvoll gegliederten und in sich ge-
schlossenen Periode^) beseitigt , oder, wie man das auch aus-
drücken kann: das psychologisch-kunstlose Element des Satzbaus
war dem logisch- technischen gewichen. Man empfindet das be-
sonderSy wenn man irgend welche Stücke ionischer und ent-
wickelter attischer Prosa nacheinander liest. Z. B. sind in der
Schrift des Hippokrates tuqI Üqiov xtL die Sätze c. 3 fitig (ihv
nölig XQbg tä nvBii^xa xistai tä ^bq^uSt ta^a d* iöxai /MTa^^
xf^q t€ xeiiUQivfjg ivatolilg tov iiliov xal r&v dvöfUmv xibv %ei'
fLSQiv&v, xal wbxiu xaiüxa xä nvtv^ccxd iöxi ^^thvofuc, x&v dh
ixb xSnf &(fxxmv xvsvfiätayi/ öxijtff iv xaikfi xfj nöXei iötl xä
XB füeeta xolXd xxL und c. 6 ÖTCÖöat d* Avxixiovxav xovximv itQbg
xä Tcv&ii/Laxtt xä ifv%(fi . ., xal aixiyöi xai)xa xä nvB^fiaxa ha-
jjibQuk iöXiVj TOt> di vAxov xal x&v d-BQfUbv xvBVfuixa^v öxixfij
tii i%Bi xbqI xibv n6kiaiv xomiiov psychologisch ja höchst fein
wie alle i(f%ala lß^iq^)j aber die strenge Logik hätte Hypo-
taxe der einzelnen Satzteile yerlangt, ebenso die xi%vri wenigstens
nach der Ansicht der alten Kritiker, die als kunstmäbig nur
einen durch Periodisierung auch äulserlich harmonisch wirkenden
Sais gelten lie&en: wer freilich Freude an der psychologischen
und natürlichen Ausdrucksweise hat, der wird, wenn er eine
isokrateiache Periode, in der alles durchdacht, jedes Wort an
seinen Platz gestellt, jedes Anakoluth, jede ^Ellipse', jede Un-
ebenheit rermieden ist, in ihrer bewulsten Eunstmäfsigkeit wie
ein kostbares Mosaikwerk bewundert hat, sich immer wieder
gfin erfrischen an der lebensvollen Natürlichkeit der ionischen
Prosa, die in der Hand ihres gröfsten Meisters Herodot untor
1) (Soero de or. m 178 ff., vergleicht eine solche Periode mit der
YoUendimg des Weltalls, des menschlichen Körpers, eines
Tei^els (des Kapitols, sagt er, was gar nicht gut pafst: der griechische
Aalor, dem er hier, wie man sofort fOhlt, folgt — wohl sicher Theophrast:
cf. 184. m — wird den Purthenon genannt haben).
1) CtewinermaTsen das Ringen der Parataxe mit der Hypotaxe sieht
aaa am ebiem 8ats wie Hipp, progn. 1 iwtiSii Sl ol Sv^omnoi iato^Mjcnav'
9K9^ ei fkw srely ^ waXktai thr /i}Tp6fr ^b rl^g lex^og x^g va^av, ol Sl ual
fcBglisrfpfMi tta^ifHiui ittlfvrticav ol fi^y W^9^^ 1^^^^ U^avtig ol dl
iUjm nlimvm 1/^61909, vflv ^ xhw Itixffhw rf tix^ij w^ fnaetow po^^fuui
ip I K|09/0ft#Su* ' j9mptit oiv X9h ^^^ na^imv tär totovtii»w tag tfvßtag.
50 I- Die griechische Eunstprosa bis Aagustus.
der Hülle scheinbarer Kunstlosigkeit eine solche Fülle von x^Q^S
nnd ylvx'&trig birgt.
Zweites Kapitel.
Die Postnlate der griecliisclien Kunstprosa.
Die drei Die drei wesentlichsten Postulate, die von den Sophisten an
eine gute Prosa gestellt wurden, dais sie nämlich durch Bede-
figuren geschmückt, daüs sie der Poesie nahestehen, dafs sie
rhythmisch sein solle, gehen von der Grundvorstellung aus, dafs
eine oratorische Komposition einer musikalischen verwandt sein,
also wie diese auf die Sinne wirken müsse; wenn man z. B. ein
gorgianisches Homoioteleuton hört, so werden die Ohren dadurch
in derselben Weise angenehm berührt wie in der Musik durch
die Zusammenfassung bestimmt geordneter Töne, d. h. durch die
Harmonie; durch die Verbindung von Bhythmus und Harmonie
entstellt die Melodie in Musik und Bede. Diese Postulate sind
von allen Späteren in der Theorie angenommen und in der
Praxis durchgeführt worden. Nicht ob sie richtig und zu er-
füllen seien, hat man in der Folgezeit untersucht, sondern nur
inwieweit sie theoretisch berechtigt und praktisch durch-
zuführen seien. Diese Frage hat bis zum Ausgang des Alter-
tums im Mittelpunkt des litterarischen Interesses gestanden und
ist mit viel Zorn und Parteilichkeit diskutiert worden. Über
die theoretische Seite des Streits geben uns die rhetorischen
Schriften des Altertums, deren Zahl ja für moderne Begriffe un-
verständlich grols ist, über die praktische Seite die erhaltenen
Werke der Schriftsteller selbst reichen Aufschlufs. Ich be-
absichtige nicht, eine Geschichte der Stiltheorieen des Altertums
zu geben, sondern werde mehr versuchen, festzustellen, wie sich
uns die Theorie in die Praxis umgesetzt darstellt. Doch mufs
ich, damit wir einen sicheren Mafsstab zur Beurteilung des
Einzelnen erlangen, vorher in aller Kürze die wesentlichsten
Punkte auch der Theorie erörtern.
Figuren. 1. Unter den Bedefiguren^) dienten Antithese, Parisose
1) Eine brauchbare äufsere ZusammensteUung giebt G. Dzialas, Rhe-
torum antiquorum de figuris doctrina I (ö%i/ift>ata li^srng), Progr. des Maria-
Magdal. - Gymn. Breslaa 1869. Ders., Quaestiones Rutilianae, Diss. Bres-
lau 1860.
Bedefiguren. 51
mit Gleichklang wesentlicli dem ^^1$, iucundum (Aristot. rhet.
m 9. 1410a 20; Rat Lup. II 16; Quint. IX 3, 102). Daraus
ergab sich für ihre Yerwendong zweierlei: 1) sie waren weniger
passend f&r das ydvog dtxavtxdv und das yivog övfißovkBvtiTCÖv
als f&r das yivog iittdßiTttiTcöv; 2) sie durften nur mit Mab an-
gewendet werden. Es genüge ftlr diese im ganzen Altertum
(c£. noch Augustin de doctr. Christ. IV 25 , 55) herrschende
Anschauung Epikur-Philodem und Quintilian zu citieren:
Epicurea p. 113, 13 ff. üs. im ainov dh tov flxov xal t&v
MiQiödmv xal t&v na(fC6<ov, öfiOuiQxtan/ xal 6fu>tOT£A£tkan/ irvxa-
ymyoüiuvoi ei^g dij XQOöedöxriöav (die Schüler der Sophisten,
d. h. nach Epikurs Sprachgebrauch der Eunstredner), el totovtoi
&vffpivfi6aVi x&v iv ixKlt^öiaig xal dixa6xri(fCoig ei ixaXXdtxsiVj
od öwofAvteg Stt oid* &v '^eixovto^ sl iv ixxXijöiai xal di-
Ma0tii(fimi oOtmi kaXovvtog Ijxovov (danach ergänzt Sudhaus
auch Phüod. rhet II p. 33, 13 ff.). Cf. Philod. rhet IV
p. 162, 8 ff. Sudh. Xiym^uv di^ Sr^ t&v ftk/ ^r^tOQix&v 6oq>i6t&v
ot iiiytötoi^ totg 6iiOiOtßX€ikoig xal bfioioxtAtoig xal b^ioio-
xaxdifxxoig inQixiötata q>aivovtai nsnlavtifiivoL xal oidafi&g
oidl dvofuxtarv iv tfj itQoq>0(fät nokX'^v ififiiXeuxv nenotjTCÖteg.
Quintilian im Anfang der Untersuchung über xagiöa^
inouniievta u. s. w. IX 3, 74: magnae veteribus curae fuit, grcUiam
dkendi et paribus et conirarüs acquirere. Gorgias in hoc immo-
dieus; copioeus, aetate prima tUique, Isocraies fuit. delectatus est
his eHam M. TuUius, verum et modum adhüniit non ingratae,
»ist copia redundetf voluptati, et rem, cdioqui levem, senten-
Oarum pandere implevit. nam per se frigida et inanis af-
fectatio^ cum in acres incidit sensus, innata videtur esse,
non arcessiia. Am Schlufs § 100 ff.: Ego ülud . . . adiciam bre-
vifer, sieut oment orationem opportune posüae (figurae), ita ineptissi-
ma$ esse, cum immodice petantur. sunt qui neglecto rerum pondere et
viribus sententiarum, si vel inania verba in hos modos depravarunt,
summas se iudicent artifices, ideogue non desinant eas nectere; guas
sine substantia sectari tam est ridiculum quam quaerere habitum
gestumque sine corpore. (101) 8ed ne eae quidem, quae recte ßunt,
densandae sunt nimis .... (102) Sciendum vero in primis, quid
quisque in orando postulet locus, quid persona, quid iempus. maior
enim pars harum figurarum posita est in delectatione.
vbi vero atrociiate invidia miseratione pugnandum est, quis ferat
52 I- 1^6 griechische Eunstprosa bis Angastns.
contraposiUs et pariter cadekUbus et ccnsimiUbus irascentem flentem
gementem? cum in his rd>us cura verborum deroget affecHbus fidem
et iibicumque ars ostentcUur, veritas abesse videatur.
.Poetitohat 2. Über das Verhältnis der Prosa zur Poesie herrscht
durchaus die Anschauung, daüs die gehobene Prosa, besonders
also auch hier die der epideiktischen Bede, der Poesie ähnlich
. sein müsse, aber nicht gleich, denn in dem Übermaüs des
Poetischen^) liege der schwerste Fehler. Daf&r ein paar Zeug-
nisse der Hauptautoritäten.
Isokrates ne^l ivtMösag 46 f. von seinen Reden: o&g
Snavtsg Üv qnlösiav iiioiotiQOvg slvai totg lutä iiavtfiw9jg xal
^v^fidv TCBTCoiriiiivoig ^ rolg iv diTtaöxriQÜp XsyofJvoig. xtd yäQ
rg l^st xoifitixmtdQa ocal itOiXilmtiQa tag XQd^ig di^Aoi^t, xal
totg iv^(t^(iaöiv dyxmdeötdQOig xal xaivotiffoig %iffi6^ai (i}To{>-
6iVy ht dl tatg Slkavg Idiavg inupavsötdQaig xal nXeioöiv 8lov
tbv Xöyov dvovxovaiv. &v Rnavteg iatovovteg xaiQOvöiv aidlv
ijttov 4 t&v iv totg fiitQOvg nsxoififidvov.^)
Aristoteles hat in dem berühmten Kapitel 3 des dritten
Buchs der Bhetorik eindringende Untersuchungen darüber an-
gestellt, wie weit der Bedner sich in seiner li^ig der Poesie
nähern dürfe; das Besultat ist: dst ötoxd^Böd'ai tov lutQiov
(1406a 16); wer das nicht thut, wie Gt)rgias und Alkidamas,
verfallt in das iruxQÖv; dieses besteht für den Bedner in kühnen
Wortkompositionen, wie sie nur dem Dithyrambiker erlaubt sind
{jttaxöftovöog x6ka^ Gorgias), in veralteten Worten, die sich be-
sonders für den Epiker eignen (^ tijg g)'66£mg ixad^aXla Alki-
damas), in zu langen oder unpassenden oder häufigen Hinzu-
f&gungen und Umschreibungen {iyyffhv tdQ&ta Alkidamas, ögo-
1} Cf. Philostr. V. soph. I 9 von Gk>rgias: ^rspi^ßiiXeTO d\ %al noir^vuLU
6v6iiata (mhg %6c(mv xal C6ftp6triTog. Dagegen von Hippias I 11 l^^i^evf
de o(f% illmäig älXä negittebg %al %cctä (p6ciVy ig ÖXiya Ticctatpi^aif x&9 in
noi'r\ti.%f^ 6p6iucta^ und von Kritias I 16, 4 rijy Sh lÖiav ro<^ X6yov dof-
fkaxiag 6 Kgitlccg xal noXvyvSiuoif, cepLvoloyfjeal te liiaif^tatos^ (yb xi^v dUht-
QaftßiiSri eenwolaylav oitS^ xatatpe^ovötxv ig tä i% noiritMljg 6v6fuct€c^ &XX' in
t&v KVQUotdtmv cvyxstftirriv %al %uxä tpveiv ixovcav.
2) Scheinbar das Gegenteil sagt er Euag. SIT.: die Dichter seien gut
daran, da sie durch ihre Eunstmittel die Menschen bezaubern könnten; der
Redner dürfe keins dieser Mittel benutzen. Aber, schlau wie er ist, sagt
er das nur, um sich einen gröfseren Glorienschein zu verschaffen, da er es
trotz dieser Nachteile so ausgezeichnet mache: das steht zu lesen § 11.
Poesie und Rhythmik. 53
fMia Tg t^ i^vx^is ipf^f} för öfföim) und Big ti^v t&v *l6^iii(ov
xmnljyvQiv fOüc eig tä Ittd-^ia derselbe), Metaphern^) {ixnBl%i6iia
tibv vöfuov von der q>iXo€oipia Alkidamas).
Theophrast: Quint. X 1, 37 plurimum dicit oratori con-
ferre Theophrastus lectionem poäarum muUique eins iudicium se-
qmmimr, neque immerito. namque ab his in rebus spirüus et in
verhis sublimitas et in adfectibus motus omnis et in persanis
decor petUur.
3. Auch in betreff der Rhythmik der Bede ist seit
Thrasymachos in den mafsgebenden Kreisen nie die Frage auf-
geworfen, ob die Rede rhythmisch sein müsse, sondern nur in-
wieweit: in diesem Punkt gingen die Ansichten zu den ver-
schiedenen Zeiten und bei verschiedenen Individuen auseinander,
cL Hermogenes de ideis p. 272, 20 ff. Nur in der XQaxeta öw-
^4*99 ^^ 2ur Anwendung kommt, wo der Redner seinen Un-
willen in heftigen Ausdrücken kundgiebt^ empfiehlt Hermogenes
(p. 301, Iff.) absichtliche Zerstörung des Rhythmus; dagegen soll
in dem i4yog M&utXXaxiöiiivogy dessen Typus der isokrateische
ist, der Rhythmus so gesteigert werden, dab er fast zum fid-
t^ovj nur nicht ganz, wird, c£ ib. p. 340, 5 ff.^ Das Gesetz
lautet also: die Rede darf nie metrisch, mufs immer
rhythmisch sein:
Isocrates ari fr. 12 (Baiter-Sauppe): Zkmg d\ 6 k6yog fi^
l6yog l^tOj itiQbv ydQ' jitidh iniuxQog^ xaxaq>avhg ydQ^* &XX&
miuix^m xavxX ^v^fifH.
1) Cf. Demetr. de eloc. 78 n^Aza fikv ohv lutaipoQatg ^^^tfrfoy (näm-
lich im yirog pkiyalonQtMig) ^ ahrai yäg luiXuna «al i^dovriv cvfißiiXXortcu
t99s l6yoig Mid luyt^og^ /üt) (Uiftoi wvnpceSg, (ml toi SiMffaftßov &rtl l6yov
S) Beseichnend ist ja auch, dafs der antike Name für die rhythmi-
sierte Prosarede: Ui^s xorcflv^ofifUyi}, orcUio vincta (im Gegensatz zur X.
ti^öpdwfi^ o. soltito) von uns auf die Poesie übertragen ist: ^gebundene Rede'.
8) In der alten yorsophistischen Prosa mied man das nicht nur nicht,
•ondem, wie wir sahen, suchte es sogar. Sp&ter aber galt es bekanntlich
tfii das gröfste yitium, und daher hat man schon im Altertum eine förm-
liche razzia yeranstaltet auf solche Verse oder Yersteile, die einem Autor
ohne Wissen und Wollen unglücklicherweise entschlüpft waren. Mit Iso-
krates selbst hat der Peripatetiker Hieronymus den Anfang gemacht: die
Bosheit wird richtig beurteilt von Cicero or. 189 f. Dafs Livius die Anfangs-
worte der Vorrede fac^rusne operae preHum sim absichtlich hexametrisch
54 I- I^ie griechische Eunstprosa bis Augustus.
Aristoteles rhet. in 8. 1408b 30: fv^fünf ÖbZ i%Biv riv
TOthro Sh lötav iäv lii%Qi tov g.^)
The oph rast bei Cic. de or. III, 184: ego HUad adsenUor
TheophrastOf gut putat arationem, qaae quidem sit pölita atque facta
quodammodo, tum abriete sed remissias numerasam esse oportere.
e. q. s.*)
gestaltet habe, ist trotz Quintilian IX 4, 75 nicht wahrscheinlich. Die seit
der Hnmanistenzeit so oft wiederholte Behauptung, dafis Tacitos seine An-
nalen mit einem ganzen Hexameter beginne, ist kürzlich von Leo (Nachr.
d. Gott. Ges. d. Wiss. phil.-hist. El. 1896 p. 191, 1} hoffentlich endgültig
Zurückgewiesen worden. — Aus Anlafs dieser Anfänge der grOCsten Ge-
schichtswerke hat man dann, ebenfalls seit der Hnmanistenzeit, solchen
* Versen' nachgespürt, und hübsch ist wenigstens, was Vaugelas, Remarques
sur la langue fran9oise (1647) ed. Ohassang (1880) toI. E 140, sagt, nach-
dem er die AnHüige des Livius und Tacitus notiert hat: Boccace a aussi
commenei son Decameron par un vers ^Hitmana cosa i haver oompasnane* ^
et comme il faisoü de mauvais vers et que celuy-lä est (usez hon, on disait
de luy qu'il ne faisoü jamais des vers que lors qu'ü n'avait pas dessein d'en
faire. Eürzlich hat L. Badermacher im Rh. Mus. XLYII (1892) 669 ff. aus
einer Deklamation des Antisthenes Trimeter des Tragikers Theodektes ge-
winnen woUen: man lese, was über solche Versuche Cicero 1. c. geurteüt
hat. E. Peters, De Isocratis studio numerorum (Progr. Parchim 1883) 18 f.,
der die Cicerostelle kennt, fischt trotzdem aus Isokrates ^ Verse' heraus,
darunter drei 'Hexameter', die sämtlich metrisch falsch sind. Was soll
man femer davon sagen, wenn man die Behauptung hört, in Cic. de or.
111 20 ac mihi quidem veteres iUi maius quiddam animo complexi plus
muUo etiam vidisse videntur, quam quantum nostrorum ingenio-
rum acies intueri potest seien die hervorgehobenen Worte ein Hexa-
meter -f- Pentameter? als wenn Cicero nach complexi nicht pausiert und
als wenn er wie ein Dichter die auf -m auslautenden Silben mit folgendem
Vokal verbunden hätte. Ebenso lächerlich ist es, wenn als Hexameter an-
gefahrt wird Cic. pr. Arch. 1 in qua me non infitior mediocriter esse
versaium, als wenn nicht Cicero esse versatum (j. ^^ l j. J) verbunden hätte.
In ähnlicher Weise werden andere griechische und lateinische Schriftsteller
vergewaltigt.
1) Das kann man auch so ausdrücken: die Rede mufs ei^^t^fioff,
darf nicht f^vgv^fLos sein; das ivgv^fiov tadelte daher der Isokrateer Epho-
r08 negl Xi^Bmg bei Theon progjmn. p. 71, 25 Sp. Aus peripatetischer
Lehre wie gewöhnlich Demetr. de eloc. 118 rpvxQ^ 9h aal tb ftitga tt%^iwai
cws%fl^ %a9^ansQ tivig, xal fii} %lsnt6iifpu {ntb tfjg öwBxsiecg' no^tifux yccQ
aiuxiQOif ilfvxif6if.
2) Cf. über diese ganze Stelle M. Consbruch, De veterum nsgl aroii}-
(jMtog doctrina (Breslau 1890) 122 f.
Musik und Rhythmik. 55
Die Grfinde sind oft angegeben: der innere Grund ist das
mosikalische Element der Sprache selbst , der äaijsere das dem
Menschen angeborene Gef&hl für Rhythmus und Musik:
Dionys. de comp. yerb. 11: /iot;<y(xij xig fyf xal ii t&v
xoJUttx&v löymv hciöti^iiri^ rdl xoö^ diakkAtxovöa xf^g iv pdatg
xal ÖQydvoiSj o^l tp leoi^' xal yä(f iv taikjj xal fiilog i%iyv6iv
at Xiisig xal ^d^iibv xal lutaßok'^v xal nQÜcoVj &6xb xal hil
twitriQ 4 ^^ tiffTCStav i^kv xolg fiiXeöiv, Sysxai dh xotg fv^itotg,
itfxiißxai di xäg inBxaßoXdg, no^et '()' ikl xdvxmv xb oixstov, ^
di duicXXay^ xaxä xb liäXXov xal fpnov.
Longin. rhet. I p. 305 Sp.: noXkä yäQ xä xtiXovvxa xbv
ixQoaxijv 6viv xvjg dtavoiag xal xilg jegayfiaxixflg xaxaöxBvHg xal
x^g i^uc^g %i^av6xf[tog' xb yäff fiov^i^xlbv xal süxaxxov x^g iQfifi-
Piiiö€a}g ifupvxov Sxaöi xal xütg iyelaioig ioioig, oüxi ye xoli-
Xiwp xal Xoytxp xal xdl^emg al6^0iv elkritpöxt. el xoCvw xb
fnov6i9i6v XB xal ivaffpLdviov xal fv^fitxbv ^vftficrpdi/ xe xal |t;fi-
fi^ihg iiaQyioaio Tial dianoviiöaig sig xb ixQißiöxatov x&v ($hv
iup€UQ(bv ULiQivi xolg d% nQOödxxav^ iv xaiQA xal XQBÜf xal xal-
lovfj iutiuxQ&v xb diovj ^xat öot ni^avAxaxog 6 Xiyog xal ffi-
xoQiMmtccxog. Ib. dst yäQ dvo xoikovg notiiöaöd'av öxoTtovgj xijv
iiiXaHfiv xov XQayfiaxog xal xb /i£^' fidovvjg drilovV ov yäff iwxa-
ymyijöeig /i^ yotixsvav fiaxd xtvog xaQixog xal f^dovilg ftsxaßol^
xs nal noixikCa x&v ivofuitav, —
Der Vortrag einer solchen Rede in einer Sprache ^ die n. dm
musikalischer Natur war, ist begreiflicherweise ganz anderer Art kauioba.
gewesen, als wir das in unseren Sprachen nachzuempfinden ver- ^' ^' ^®
m5gen (s. oben S. 4 ff.). Dals die Stimme des leidenschaftlichen
Redners in der Mitte zwischen der gewöhnlichen Sprache und
dem Gesang stehe, galt im Altertum für selbstverständlich.
Dats der singende Klang der Stimme in gesprochener Rede ein
Zeichen störkeren Affekts sei, hat schon Aristozenos deutlich
ausgesprochen, cf. härm. 19: er erklärt den Unterschied
zwischen Sprechen und Singen daraus, dafs bei jenem die
Stimme stetig fortschreitet, bei diesem auf Tonhöhen stehen
bleibt, also in Intervallen fortschreitet; dtönsQ^ fdgt er hinzu,
iv x^ diaHyBöd-ai q>Bvyoii€v xb töxavav xiiv 9091^, Stv ^ij diä
xi^og xoxi Big xoiavxriv xlvq^iv ivayxaöd'&iiBV ik^Blv^
iv d% XQÜ [ukpdetv xo'övavxiov ;roiOt)fi£v, xb yäff üWBxkg (fBvyo-
fUVj xb d' iöxdvav x^v q>mviiv &g ^kiöxa dubxo^iBv. Daher wird
56 I* I^® griechische Eunstprosa bis Angastas.
der y ollendete Redner, si^t Cicero (or. 55 ff.), je nach den
Affekten, die er erregen will, den Ton seiner Stimme wählen:
volet et cantetUa voce atroeiter dicere et summissa Uniter et nuHmala
videri gravis et inflexa miserdbiUs. mira est enim gu/oedam natura
vocis, cuius quidem e tribus ornnino sonis, inflexo acuta graivi, tanta
Sit et tarn suavis varietas perfecta in cantibus. est autem etiam
in dicendo quidam cantus ohscurior. Über dieselbe Sache
spricht ausfOhrlicher Qnintilian I 10: nachdem er eine lange
Erörterung über die Bedeutung der Musik fOr die Erziehung
aus einem gelehrten griechischen Autor abgeschrieben hat (§§ 9
bis 22), führt er, ebenfalls nach einer griechischen Quelle, aus,
daijs fdr die Bede dasselbe gelte, was f£Lr die Instrumental- und
Vokalmusik: da das seit den ältesten Zeiten so gewesen sei,
wolle er das Sichere nicht durch eine ängstliche Verteidigung
zweifelhaft machen (§§ 22—33; cf. IX 4, 10; XI 3, 19. 22 S.
167 ff.; aus guter Quelle auch Auct. ad Her. III 11, 19 iL).
Das behielt zu allen Zeiten Gültigkeit; so, um nur noch zwei
Zeugnisse anzuführen:
Longin. rhet. I 312, 14 Sp.: olxxii6ikBvov d% dat luta^if
Xöyov XB xaX pdfjg xhv lixov xoiijöaöd'aL' oGte yäg ducXeyöfuvög
iiStiv (ivaxsi^si yä(f olxtog iiadeiVj Sd-sv iQxal fMvaucilg
XaQfMvii XB xal At^i;, xov q)^iyitaxog insysiQOiidvov XQÖg xi^v
[uxaßoXijv xflg Xiisa)g)j oüts pd^ ioiocBv^ äXlä xücxsi iiBxalif
xo^xaw.
Cassiodor. var. U 40 (an Boethius über den Wert der
Musik): fhaturalis rhythmus animatae voci cognoseUur attributus:
giii tunc melos pulchre custoditf si apte taceatj congruenter loquatur
et per accentus viam musicis pedibus cornposita voce gradiatur. m-
venta est guoque ad permovendos animos oratorum fortis ac suavis
oratio, ut criminosis irascantur iudices, misereantur errantibus: et
quicquid potest eloquens efficere, ad huit^ disciplinae tum est dubium
ghriam pertinere.
Mit der Theorie ging die Praxis Hand in HiEmd. Piaton
Menez. 235 E bis 236 A setzt als selbstverständlich yoraus,
dafs der Unterricht in der Rhetorik mit dem in der Musik
vereinigt werde. Demosthenes und Äschines haben sich gegen-
seitig das Raffinement vorgeworfen, mit dem sie durch
Biegungen der Stimme ihr Publikum zu gewinnen suchten:
Demosth. de cor. 259. 280. 291; Aesch. adv. Ctes. 70 f. Dafe
Musik. 57
flieh C. Gracchus, wenn er redete , durch einen versteckt hinter
ihm stehenden Sklaven auf einer Stimmpfeife (xovdQiov), wie sie
der fpAvaaxog brauchte, die jeweilig zu wählende Stimmhöhe
und Stimmlage {xiöio) angeben liefs (auf deren Bedeutung für
den Redner oft hingewiesen wird: Aristot. rhei III 1. l403b 26;
Chrysipp. bei Flui de Sto. rep. 28 u. a.), ist eine Thatsache,
die 80 gut wie nur eine bezeugt ist, und die nur moderne
ivtu6^6la ßtcQßagiipaivog bezweifeln kann.^) Wir werden bald
sehen, dab die von den grölsten Autoritäten geteilte Ansicht^
nach welcher die leidenschaftliche Rede in der Mitte zwischen
gewöhnlicher Sprache und Gesang stehen solle, f&r uns ein
wiehtige. Kriterium abgiebt zur Beurteilung einer Richtung, die
auch hier das Mab verlieb, indem sie die Rede dem Gesang
nicht mehr ähnlich, sondern ihm gleich sein lieb.
Den deutlichsten, auch f&r uns noch erkennbaren Ausdruck >. Butr«
fand das Musikalische der Rede in der Hiatvermeidung, die Iso-
krates als Gesetz formulierte und durch seine Autorität für Jahr-
hunderte sanktionierte; das musikalische Element der Yer-
meidimg der öiiyTCifiyüöig ^>ayvriivt(ov wird ausdrücklich hervor-
gehoben von Longin rhet. I 306, 8 ff. Sp. und Hermogenes de
id. p. 338, 29 ff; 340, 5 ff«)
Das Musikalische tritt aber auch in den einzelnen Buch- s. Bnoh
Stäben hervor, aus denen die Worte zusammengesetzt sind. Wer ' worto"
abo musikalisch schreiben wollte, mubte xä Xiyöiuva xalä
iw6§itmc anwenden (Theophrast bei Dem. de el. 173), d. h.
solche, die ihrer Bedeutung nach wohlanständig, ihrem Klang
nach aus * schönen' Buchstaben zusammengesetzt waren, wie
schon Likymnios lehrte (Plat Phaedr. 267 C; Aristot. rhet III 2.
1406 b 6). Mit einer fdr uns unverständlichen Sensibilität haben
die alten Schonredner besonders auf das letzte in Theorie und
Praxis geachtet: gestatteten sie doch sogar sprachliche Fehler
der Enphonie zuliebe (Cic. fragm. 43 p. 142 Baiter). Die Laut-
physiologie ist im Altertum nie eine selbständige Wissenschaft
geweaen, sondern eine Dienerin der Rhetorik: nur um fest-
1) Die Stellen werden gut besprochen von B. Büttner, Porcios Licinus
(Leips. ia98) SO ff. Cf. E. Seelmann, Die Aassprache des Latein (Heilbronn
1SS5) S7.
S) Cf. W. Schmid, Der Atticismus I (Tübingen 1887) 59, 28. Eaibel
L c. (oben S. 89) 9.
58 I- I^ie griechische Eunstprosa bis Augustus.
zustellen, welche Laute schön und daher in gewählter Prosa zu
brauchen, welche unschön und zu meiden seien, hat man Unter-
suchungen über die Natur der Laute und die Art ihrer Aus-
sprache angestellt, die neben vielem für uns Albernen doch auch
manche feinen Beobachtungen enthalten.^) Diese Untersuchungen
liegen uns vor besonders in der Schrift des Dionys tuqI öwd-i-
ösmg övondxmv 14 f., bei Lucilius IX (der litterarische Kreis
des Philhellenen Scipio war für diese Fragen sehr interessiert),
bei Cicero or. 153 ff. und in den Fragmenten aus Yarros Schrift
De sermone latino, deren Nachwirkung bis auf Dante De yulgari
eloquio 11 7 zu verfolgen ist Dafs sie auf die Zeit der An-
fönge der Eunstprosa zurückgehen, zeigen aufser dem platonischen
1) Für einzelnes cf. R. Volkmann L c. (oben S. 2, 1) 514 ff. — Cicero
or. 158 (aus irgend einer römischen Quelle, yermutlich Varro) meint, ans
aadUa maxiHa vexiUum pauxillus sei deshalb cUa mala vektm pauUus ge-
worden, weil die elegantia sermonis latini das z als eine vasta lütera yer-
schm&ht habe; das £ erklärt auch Dionys. de comp. verb. 14 als ein äxc^fi
ötoixBtov und Yarro de serm. lat. fr. 49 Wilm. erklärt crux trux ffir
asperae voces. Auf derselben Stufe steht, wenn Cicero or. 158. 162 die
Abschaffung der alten PiAposition af daraus erklärt, dafs f eine inauaivissima
littera sei (cf. Quint. XII 10, 29). Von Appius Claudius Caecus lautet die
bekannte Tradition bei Mart. Cap. KI 261 (nach Yarro): z idciroo Äppim
Claudius detestatur, quod denUs mortui dum exprimitur imitatur\ in den
riltselhafben Worten hat Mommsen (Böm. Forsch. I 304) morhii ändern
wollen, aber Buecheler (mündlich) weist darauf hin, dafs nur durch dies
Wort die detestoHo yerständlich wird (cf. Hör. epod. 5, S9). Ich glaube, die
Worte einigermafsen erklären zu können. Celsus de med. II 6 fShrt unter
den Zeichen des herannahenden Todes an: ubi is qui mewtis 8uae non est
neque id facere sanus solet, dentibua atridet; nun ist stridere cvQltHif,
Stridor cvQiyiUg, dieser aber galt bei den Lauten fOr besonders häßlich:
Dionys. 1. c. &xaQi Öh xal &ri6hs tb tf, xal U nlBOpdcsu, a<p6dQa XwesV
dTiQtAdovs yccQ xal dl^yov (i&XXov ^ loyin^g i(pdnt£c4^cu Sonst (pmHjg 6
cvQiyiL6g, und im folgenden verwirft er aus demselben Grund das (; ygL
auch Quint. XII 10, 29 (vom f) paene non humana whx vel omnino non voce
potius inter dentium discrimina efflanda est. Unser Gefühl ist in diesen
Dingen oft yom antiken y erschieden, cf. Lobeck zu Soph. Aias ' y. 61 p. 104 f.
und y. 726 p. 834 f., sowie besonders ders. De praeceptis quibusdam grammati-
corum euphonicis in: Paralipomena I (Leipz. 18S7) 3 ff. — Dagegen- sind die
lautphysiologischen Bemerkungen in den Fragmenten des Nigidius Fignlus
(p. 76 f Swoboda) ganz achtungswert^ und der lateinische Grammatiker der
Bepublik, der die bis auf den heutigen Tag üblichen Buchstabennamen er-
fand (cf. F. Marx, Studia Luciliana [diss. Bonn 1882] 8 ff.), mufs, wie mir
Th. Siebs bemerkt, phonetisch geschult gewesen sein.
Musik. 59
Eraiylofl die Titel der musischen Schriften des Demokrit
(Laert. IK 48) iteQl xalXo67itn/ig inimv^ UBifl Biq>mva)v jcal dvötpA-
vm¥ yQaftputtav nnd des Hippias (Hipp. maL 285 C) xsqI yQaii-
fdxmv iwd{umg wtl övXlaß&v. Aach in dem nach sophistischen
Lehrrai modernisierten Schulunterricht Athens im fünften Jahr-
hundert wurde auf richtige Aussprache grofses Gewicht gelegt,
cL Arifltoph. Wölk. 870 ff. und Buecheler im Rhein. Mus. XX
(1865) 302. Die Buchstaben^ die man für schönklingend oder
besonders wirkungsvoll hielt^ setzte man gern an die Anfänge
mehrerer aufeinanderfolgender Worte: wie nennen das mit einem
Eunstausdruck des 15. Jahrhunderts ^Allitteration'.^) Die alte
Eunstprosa hat von diesem übrigens schon Homer und den
alten Tragikern bekannten und an gewissen Stellen instinktiv
zur Anwendung gebrachten Eunstmittel starken Gebrauch ge-
maehty und es ist bezeichnend, dals gerade Demokrit und Hippias
Yoranstehen (während Gorgias hier mehr zurücktritt, da er die
Elangwirkung an das Ende der Worter zu legen liebte): aus
jenem führt Birt 1. c. (oben S. 22, 3) 185 an: fr. 148 Nai luyCöttiv
pLttdxei [kotfccv 6 ti(iäg il^iag tdiivmv 160 xxBivsiv XQ^ ^^ 9^-
1) Antike Aiudrücke sind «a^^^tfig, 9rap((fUHoy, 6itoionQ6fpoQOv; die
beiden letzten wurden von lateiniflchen Technikem übernommen, da eine
lateinische Bezeichnung nicht gepr> wurde (auct. ad Herenn. IV 12, 18
msita assidmtaa eiusdem littertie), cf. Volkmann 1. c. 514. Das Mittelalter
flbemahm die Bezeichnung paramoeony aher in barbarisierter Form parono-
Wioeon^ was sich auch in Hss. des Donat und Charisius findet, cf. D. Beich-
ling in seiner Ausgabe des Doctnnale von Alexander de Villa -Dei (Mon.
Genn. Paed. Xu 1898) zu y. 2447. Der Ausdruck (UlittertsUo ist, wie L. Buch-
hold, De paromoeoseos ap. vet. Born. poet. usu (diss. Leipz. 1888} 15, 3,
festgestellt hat, eine Erfindung des Joh. Jovian. Pontanus (1426—1508), und
iwwr in seinem Dialog Äetius (Opera, ed. Basileae s. a. [1556] toI. II p. 1872 ff.).
Er drang aber nicht gleich durch, noch Andr. Schottus, Cicero a calumniis
Tindicakis (Antrerp. 1618) c. 10 p. 148 (der Ausg. von Jo. Alb. Fabricius,
Hamb. 1780): IZk^x^^*^ ^' ^f^QVZ^C^ rhetarum filii Schema naminant &nb
To6 ««fi]xcfr. Budaeo * adfwminationem^ nobis ^ resuUaiticmem^ nommare
laüme Ueeat, tU in poeUa anÜquM^ praeserHm Marone, Javianus Pontanus
* äüiUeraiUmem* 8oUt%u est appellare. — Über Allitteration ist in unserm
Jahrhundert unendlich yiel geschrieben und yon den meisten ohne Kenntnis
ihrer Vorg&nger; ich könnte zu der Litieraturangabe in den ^Jahresber. üb.
d. Fortschr. d. klass. Alt.' LXXVU (1893) 884 f. sehr viele Nachträge machen.
Auf einzelnes werde ich gelegentlich zurückkommen müssen; für Homer und
die Tragiker verweise ich auf J. Mähly im N. Schweiz. Mus. IV (1864) 207 ff.
(anch Lobeck zu Soph. Aias* v. 866 p. 880 f.; Eaibel zu Soph. El. p. 108. 159).
60 I- 1^6 griechische Ennstprosa bis Augnstas.
(mivovta na(fä dCTcqv xavta n€(fl xavtögj xal tavta 6 noiimv
ei^fiirig xal dütfqg xal ^d(f6$og xal xtiiöiog iv navtX xötfiip |*^
gof/a (AotQav iu9'il^€i 165 TUpdwog xccM&g iatoinv u. ä. Den
Hippias läCst [Piaton] Hipp, mal 286 A sagen, er habe in
Sparta gehalten X6yov xayxdlag övyxsifuvov xal &3LXmg si dux-
xeiij^vov xal totg dpö^ucöi und das Xifdöxfifia dieses Xiyog sei
folgendes: ixeidii i} T(foia ijXa^ Idyn 6 Hyog^ Svv Nsimtölifiog
NiötoQa i(fOitOj xotd idti xaXä initfidsiinataj St &p tig i%v^
tfidBvöag viog hv sidoxifubtatog yivoixo' li^ctä taika ii^ kiyanß
iötlv 6 NiötfOQ xal imoxiJ&ifkwog ait^ nifucokXa xal xiyxaia.
Piaton hat dies Konstmittel im Menexenos parodistisch ver-
wendet, z. B. 238 A oi yäg y^ ywatxa [u^intitai xwjöei xal
yswiiöeij iliä ywij yijv 247 A &v ivsxa xal nqünov xal Htfra*
tov xal diä Ttavtbg näöav xdvtmg %ifo9vfUag xsvgäö^s i%Biv
249 G Ttäöav navtaiv TCaffä %dvta xhv xqövov hcifUleiav nowv^
nJvri 241 B xal nkifitat xal nloikp (cf. Th. Bemdt^ De ironia
Menezeni Platonici [diss. Münster 1881] 28). In dem Epi-
taphios des Lysias (?) steht § 36 xavtaxö^sv TCBQUUtvdpui xXi^-
d-og nolBiUiov. Aus Enripides, der das Mittel nicht mehr wie
die anderen Tragiker instinktiv und selten, sondern bewolst und
häufig anwendet, ist schon oben (8. 29) einiges angefahrt. In
der späteren Eunstprosa ist dies Mittel zur Hebung der Bede im
Vergleich zu anderen zurückgetreten.^)
Bei dieser Empfindlichkeit des Ohrs ist es begreiflich, dals
es im ganzen Altertum, ja im Mittelalter und in der Humanisten-
zeit für häCslich galt, durch eine ßdQßaQog y3i&06a mit ihren
harten Lauten das Ohr zu beleidigen und den sanften Flu& der
Rede zu stören.')
1) Massenhaft begegnet es erst wieder in der lateinischen Prosa angel-
sächsischer Schriftsteller, z. B. des Aldhelmus und Bonifatins, aber bei
ihnen ist es eine lokale, aus ihrer nationalen Sprache zu erklärende Eigen-
tümlichkeit.
2) Bei Plaut US Capt. 881 ff. schwört der Parasit Ergasüus bei ita-
lischen St&dten: yol ticv Kigav^ wal täv JlQuivietriify val ticw ^ovcivApcc^
vid tuif 'AXdtQiav^ worauf ihn Hegio fragt: quid tu per harbaricas %irln8 imraa?
Erg. quia enim asperae Sunt, iU tuam victwn autumabaa eaae. Das hatte
für den Griechen mehr Sinn als fOr den Bömer der plautinischen Zeit. —
Die Gnechen pflegten die Wörter der lateinischen Sprache (die sie fOr eine
Barbarensprache hielten, bis einige auf den schlauen Gedanken kamen, sie
für eine Abzweigung des aeolischen Dialektes zu erklären) der ihrigen
Musik. Ql
Wie der Rhythinas dem Ohr durch den Klang der Worte hlacü
nimfallig wird, so dem Auge durch die harmonische Bewegung
des Korpers. Man weiis, welchen Wert das Altertum darauf
gelegt hat: est enim actio quasi corporis quaedam doqttentia sagt
m^S^ichst sn assimilieren, am liebsten yermieden sie sie ganz, cf. Plntarch
de fort Born. 10, 822 F lägveato d' ohf {Zigfitog TvXXiog) T4fxn9 ^9^ ^
pk9 KoMWtmUtp x6 tljg IlQifuyBPslag Xiyoiiivrig, h »^»roy^ov Xig &v hq^kri-
9i4€§u' «ol x6 tilg '(hpenovivtis^ fjv ol {ikv nsiJ^wtov ol &h iuiXCxmv elvai
fl«fUtov«t. iUtllo9 dh xii(f. 'Pai^aXnäg idüag dvoftaeLag 'EHf^viCTl rag
99pdfb9tg Tto id(fv(idtüiv neig^oiMi xcctaQi^^i^cce^ai. Besonders die Atti-
dsten waren darin empfindlich: Lukian de hist. conscr. 21 von einem
Historiker seiner Zeit: ^h to« xo|u^9} 'Atti%6g Blvai %ai äno%e%cc»d^ai
tifw y » ^ » ig th inLQißiütatov 'fiilaeav a^og %cA tä 6p6fucta fistccKOiljeai
fit *Flmfudmß «ol fitrsyy^tt^a» Ig xb 'EkkrivMAv^ &g Kq6wiov it^w ücctovifvlvov
lifHw^ ^^^69X19 &h x^ ^^if^vxopccj Tixävtow dh xbv Tixucvbv %al &XXa noXXA
f^Loi&x$pa (doch gab sich Lnkian selbst den Schriftstellemamen Avntvog).
Apollonios Ton Tyana tadelte sogar den Gebrauch rOmischer Namen
bei den Hellenen (ep. 71. Philostr. ▼. Ap. IV 6). Es ist von höchstem Inter-
6Me, sa Terfolgen, wie trotz der Bemühungen der Atticisten lateinische
WMer ins Griechische eindringen, den griechischen Lautgesetzen sich mehr
oder weniger assimilierend, womit die fernere Untersuchung zusammenhängt,
weit die Kenntnis des Lateinischen bei den Griechen in den Terschie-
Zeiten ging (es herrschen darüber, wie ich sehe, bei vielen ganz
Vorstellungen); ich habe seit Jahren begonnen, das ungeheure
Material zu sammeln (aufser den Inschriften bieten besonders die Eirchen-
bistoriker viel, und natOrlich die Byzantiner); einiges findet man darüber
in: The apostoUc fathers Part n (ed. 2) ed. Lightfoot (London 1889) yoI. I
409 ff. n 362 und besonders bei Caspari, Quellen z. Gesch. d. Tau&ymbols
n. der Olaubensregel m (Christiania 1875) 267 ff. In der ganzen griechischen
Litterator, soweit ich sie kenne, ist mir nur eine Stelle begegnet, wo im
grieebifleben Text ein lateinisches Wort mit lateinischen Buchstaben ge-
schrieben ist: Didymos Alex, (f 396) de trinitate I 15 (39, 299 f. Migne),
wo er in Sachen des arianischen Streits in den Worten iw d^xH ^^ (®^-
Job. 1, 1) das ^w plusquamperfectisch verstehen will, um damit das arianische
4^ 8f« efo liw (sc. der Sohn) als absurd zu erweisen: i) yicQ U^ig if *iv'
kma^ip/t^atig i€xi9' *P»iuctcxl dh i) dacaifiiupaxag hu. 9^o Xi^tmif evy%sixai'
piUS<|U^a)peRf eCTUS * i^^n^e^^ai dh *nUov n xiXitog\ &axi 9^ änai-
ui pe q^fl f m ^i^x9^^^ 4 &vaifxog^ wozu der Herausgeber der Schrift
(Job. Aloys. Mingarelli, Bononiae 1769) eine gelehrte Bemerkung macht (die
lateiniBchen Buchstaben stehen so in einem Cod. Vatic. s. XI). Bei lustin
sp. I 23 und Eus. h. e. 11 13, 3 schreiben unwissende Editoren JESl ZAr-
KTSi gegen alle Hss. mit lateinischen Buchstaben. Das Edikt bei lust.
ip. I 68 las Eus. h. e. IV 8, 8 in seiner Hs. des lustin lateinisch. — Vollends
ein Granen erregten WOrter aus den eigentlichen Barbarensprachen (cf.
Strab. XIV 361 f.), daher pflegen sich besonders Geographen und Kultur-
62 I. Die griechische Eonstprosa bis Ang^stus.
Cicero or. 55; bekanntlich sind darüber seit Thraaymachos (Ar.
rhet. in 1. 1404a 13) und besonders Theophrast (cf. Diela^
Abb. d. Berl. Ak. 1886, 32 f.) die detailliertesten Vorschriften
gegeben, deren Einzelheiten besonders in Quintilians elftem Buch
historiker, sowie die christlichen Übersetzer aus dem Hebräischen bei ihren
Lesern zu entschuldigen: Plinius, n. h. praef. 18 sterüis materia, rerum
natura, hoc est vita, narratwr, et haec sardidissima sui parte, ut plurimarum
rerum aut rusticis voeabulis aut extemis, immo barbaris, eHam cum honoris
praefatione ponendis; cf. Mela praef. (auch Strabon äuTsert sich irgendwo
ähnlich, doch finde ich die Stelle nicht wieder). — Gregor Nyss. ep. 20
(46, 1080 Migne) n^bg 'AdiXtpiov axolaati%6v' i% t&v Ibq&v Oiavanätv (cfyt
fii^ iLdi%& %aX&v inixtoQitog xbv x6nov) xavxr^v cov riiv ini^oXiiv disxtxifaia,
didinelv di (prifii xbv i&qop^ Zxi ft/rfilv i%ei yXaqwgbv inmwvfdoy %a\ ^ xoue6xri
To4) xAnov x^Q*'S ^ cvvBfupaivexai x& raXaxi%m xo^fxto nQOC^fuxti^ iXk* dip-
^aXii&v iaxi XQBia xätv k(fii^vsv6vxav xfjv x'^Q''^- Hieronymus praef. chron.
(VUl 6 Vall.) klagt, dafs die barbara nomina bei Eusebios ihm die Über-
setzung erschweren; in ep. 20, IfP. läfst er sich (auf Bitten des Damasus)
in Detailerklärung des hebräischen Urtextes ein, den er in lateinischer Um-
schrift anfahrt und Buchstaben für Buchstaben analysiert, dann bricht er
§ 4 ab quoniam hae minutiae ei istiusmodi disputeUioms arcanum prqpter.
barbariem linguae parüer ac litterarum legenti molestiam tribuunt und weist
zum Schlufs (§ 6) noch einmal auf das Unangenehme solcher fremdsprach-
lichen Untersuchungen hin. Cassiodorius de inst. div. litt. 15 (70, 1127
AB Migne) schreibt seinen Mönchen eigens vor, keine Änderungen an den
hebräischen Eigen- und Ortsnamen beim Abschreiben vorzunehmen. — Ffir
das Mittelalter vgl. Namensänderungen, wie Winfrid-Bonifatius, Willibrord-
Clemens u. ä., und folgende bezeichnende Stellen: Adamnanus vita S. Co-
lumbae (verf. zwischen 692 u. 697) praef. (ed. W. Reeves in: The historians
of Scotland VI 1874 p. 106) beati nostri patroni . . vitam descripturus . . .
in primis eandem lecturas quosque admonere procuräbo, ut ... res magis
quam verba perpendant . . . et nee ob aliqua Scoticae, vüis videlicet linguae,
aut humana onomata aut gentium, obscu/ra locorumve vocabvXa, quae ut puto
inter aJias exterarum gentium diversas vilesctmt linguas, utilium . . . despi-
ciant rerum pronwntüxtionem. Otfrid (s. IX) im Prolog zu seinem Gedicht
p. 10 Piper: der trostlose Zustand, in dem sich die deutsche Sprache be-
finde, zwinge ihn öfters zu Soloecismen, die er nach Gattungen aufzählt;
horum supra scriptorum omnium vitiorum exempla de hoc libro theotisce po»
nerem, nisi inrisionem legentium devitarem. nam dum agrestis linguae tti-
cuUa verba inseruntur latinitatis planitiae, cachinnum legentibus prebent.
Servatus Lupus (s. IX) vita S. Wigberti praef. (119, 681 f. Migne): id
autem a periti benevolentia lectoris obtinuerim, ut sicubi latini sermonis lenitas
Jwminum locorumve nominibus Germanicae linguae vemciculis asperatur, mo-
dice ferat ac meminerit non carmen me scribere, ubi poetica licentia nonnum-
quam nomina muHlantur atque ad sonoritatem Bomani diriguntur eloquii vd
penitus immutantur^ sed historiavi, quae se obscurari colorum obliquitatibus
Gorgias. 63
mitgeteilt werden^); das meiste hat sich 'in Italien bis auf den
henügen Tag erhalten. Ein griechisches Zeugnis aus dem yierten
Jahrhundert n. Chr.: Libanios or. 63 (vol. m 376 Reiske):
iv fni^ ifwsviyxij tä 6%if^iiaxa totg k6yoiq^ &3cAXs6s ti[v si)tp(ovl€cv
K(fatovv%sg oi iuxi%ovxBg tov xivBlöd^ai xaX&g ^nrov süipQavocv'
scoülol dl xatä qxiaviKV Ismöiuvoi t^ icsqI tb 6%iriiiLatllß6^aL
nlsatfe^fa TtQb xSbv xQSittAvan^ itd^öav. Auch hier ist das
Obermab charakteristisch filr die später zu betrachtende Ent-
artung der Rede: wir werden sehen, dafs dieselben Leute, die
auf der Rednerbühne sangen, dort auch tanzten.
Drittes Kapitel.
Oorgias und seine Schule.
Es ist natürlich nicht meine Absicht^ auf alles einzelne ein-
nigehen. Leonhard Spengel hat in seinem bahnbrechenden Buch
{Svpayayil tB%v&v sive artium scriptores, Stuttgart. 1828), durch
das eine wissenschaftliche Geschichte der Rhetorik inauguriert,
ja fbr gewisse Gebiete gleich abgeschlossen wurde, alles Wesent-
liche gesagt, und einiges ist dann näher von Blass ausgeführt
ftnuU , GozbertuB (s. IX) de mirac. S. Galli (Mon. (^enn. ed. Pertz n 22)
m qmdem namina ecrum qui »cribendorum festes sunt vel fuerunt, propter sui
barbariem, ne Latini sermanis infidant honorem, praetermitHmus. Cf. auch
D. Compaietti, Yirgilio nel medio ayo p. 118, 1 der deutschen Übersetzung
TOB H. Dfitschke (Leipz. 1876). — Was für ein Grusehi die Humanisten vor
nationalen Namen hatten, ist bekannt; ich eitlere nur: Leonardus Bru-
•oa Aretinns, Dialogus de tribus vatibus Florentinis (verfafst 1401) (ed.
Wotke, Wien 18S9) 16 iOa barbaria, quae trans oceanum habitat, in illam
(9C. tUaleeÜettm) impetum feeU. atque genUs, dii boni, guorum etiam nomina
peHknrtMeo: Fcnrabrich, Buser, Occam aliigue eiusmodi, qui omnes mihi vi-
demimr a Badamantis cohorte traxisse cognomina. Der Humanist und bay-
rische ffiitoriker Aventinus (f 1688) treibt es zur Verzweiflung seiner
modemen Leser so weit, dafs man oft mühsam interpretieren mufs, was er
agentlich meint, so wenn er die Truhendinger ^Druidi' nennt u. dgl., cf.
'ATontins Leben' in: Joh. Turmairs genannt Aventinus Werke herausg. von
d. k. Ak. d. Wisi. zn München I (1880) XLIV. — Noch heute ist der Romane
gegen den Klang fremder Namen viel empfindlicher als der (}ermane und
gestaltet sie sich daher seinem Idiom gem&Ts um.
1) Cf. B. Yolkmann, 1. c. 576 ff.
64 I. Die griechische Eunstprosa bis Aogastns.
worden. Doch mufs ich dasjenige, wodurch der gorgianische
Stil für alle Folgezeit so verhängnisvoll geworden ist; etwas
genauer und von anderen Gesichtspunkten als jene behandeln.
zeibMkter 1. Wer uur ein paar Sätzchen des Gorgias^) nach einander
*^ liest, empfindet als das am meisten charakteristische Merkmal
die mafslose Zerhacktheit des Satzbaus: es sind lauter ganz
kleine x&ka oder nur xö^^iata, die den Vortragenden fortwährend
zwingen, mit der Stimme anzuhalten. Da nun der Rhythmus
durch Kola und Pausen entsteht*), so steigert sich das rhyth-
mische Gepräge mit der wachsenden Zahl dieser Kola und
Pausen. So sind die Sätze des Goi^as in einem weit über die
Grenzen des Zulässigen hinausgehenden Malse rhythmisch
Cicero or. 39 gebraucht von diesen Satzteilchen des Thrasy-
machos und Gorgias den Ausdruck: tninuta et versiculorum
similia, und sagt ib. 40, Isokrates habe, da ihm Thrasymachos
und Gorgias concisi minutis numeris erschienen wären, zuerst
die Bede verbreitert und die Sätze mit weicheren Rhythmen
ausgefüllt. An jedem Satz läfst sich diese Eigenart zeigen,
z. B. Hei. 2:
iym dl ßoiikofiai w ^ v/ _ ^ _
Xoytöfiöv XLva tä köyoi} doifg sjj.j.^j^^^^^
tilv fihv xuTi&g ixoiiovöav
xavöai tilg altüxg ||,
toifg dl [Ufupo^dvovg
xal äst^at t&Xrid'hg
xal 7cav6M xf^g i^d^iag
J. ^ 1. J. \J 1,
y. v/ _ \jsj _
y ~ - - _ v>
-t _ - _ K^KAJ^
1) Die mit seinem Namen überlieferte Helena halte ich mit den meisten
für echt. Wenn die ineptiae noch gröfser sind als die des Palamedes und
des Epitaphios, so ist eben zu bedenken, dafs die Helena am Schlafs aus-
drücklich als nalyviov bezeichnet wird, und dafs Aristoteles rhet. HI 7.
1408 b 20 von sehr kühnen Assonanzen (^i^fiijf^ xal fit^fifjf') und hoch-
poetischen Worten sagt, Gorgias habe sie gemacht fier' sl(faiv€lag.
2) Cf. aufser dem früher Angeführten Theophrast bei Gic. de or. III
186: numerus in conHntuUiane nullus est; distinctio et cieqtudium aut saepe
variorum intervdllorum percussio numerum conficit; quem in cadentibuB guttis^
guod intervaüis distinguuntur, notare possumus, in amni praecipiUmte non
possumus. Hermogenes de id. 269, 10 fP. tfjg d* al Xiis<og i%o6cfig itdvmg
rivä Tial aiftijg Idi&crjta ndXiv ccl axf/jf^rd xi iütl tiva %al x&Xa, <fvp^iciig
te xal Sivanavaeig, xal tb ig äfttpolv tovtoiv evviatdiisvov, 6 (v&iUg' i} ya^
staUung.
Oorgias. 65
Der rhythmische Eindrack wird dadurch verstärkt, daGs sehr ins
Ohr fallende Rhythmengeschlechter ans Ende des Satzes treten,
z. B. Hei. 6 tb iikv xQstööov '^stM^avj rö dh f^66ov S%B6^ai
11 8<Mm Sk Stfovg icsqI S6(ov xal hcsusav xal neiöovöi 8h ifcvdij
löyov xldöavtsg 12 ti^v dl diivafitv tijv aixi^v i%Bi.
Er erzielt diese Rhythmen sowie seine Wortklingeleien sehr wort-
oft nur durch starke Yerkehrung der natürlichen Wort-
folge. Für die Rhythmen cf. Hei. 15 bI y&Q igag (i ^aj J) \ ^
6 t€e€ta %ivxa n^ä^aq {j. ^ ^ w j. ^j ^ J) \ oi xaXex&g diatpsliis'
tai (^ VA/ _ VA/ - V _) I Tijv tilg Xsyo^dvrig ysyovivai \ ifiag-
xlag mlxCav (die beiden vierten Päone ksyo^ivfig ysyovivai
bilden einen vibrierenden Rhythmus, dann schliefst im Gegensatz
dasa das Gkinze gravitätisch u|zu^zv^:l) 17 f^dri di xtvag
IMvxBg q>oßsQä xal rot) icagövxog iv x& xaQÖvxi xQÖvm
^foviiftaxog iJ^iöxriöav (die beiden letzten Worte: u/va/^.-v/;
ingleich sollten xaQ&inog und nag&inL nahe zusammenstehen)
19 MAg Sv 6 ^66av sttj \ xovxov inmöAc^ai \ xal ifiiiva6&ai
dvvatög (die beiden ersten Eola: zva^^_^., zva^u^«, das
dritte: x v ^ - -t va/ u). Für die Wortklingeleien cf. Hei. 16 a:dxixa
yitQ iitav noldiua eAfiaxa xoldfiiov inl icoXsfiioig (mkiöfi xööfiov
lalxoO xal 6idiJQ(yü. Pal. 37 xoifg XQtbxovg x&v xqAxiov
''EHfivag EXliivav und viel dgl.
Wir müssen bei diesem Faktum kurz verweilen, so schwer
es uns Modernen auch föUt, mit unseren von ganz anderen
Prinzipien beherrschten Sprachen uns in das antike Idiom
hineinzufOhlen. Die feinsten Bemerkungen über die Verschieden-
heit der Wortstellung in den einzelnen Sprachen machte schon
im Jahre 1844 H. Weil, De Vordre des mots dans les langues
aneiennes compar^es aux langues modernes (2. Aufl. Paris 1869,
3. Aufl. ib. 1879): seiner Zeit vorgreifend betonte er das psycho-
logische Moment in den Menschen imd erklärte die freie Wort-
stellimg der antiken Sprachen^) im Gegensatz zu den modernen
«Nie #^9^ftfi^ t&9 ToO X6yov ftc^c&y xal tb M£ mog Avcatfnaiiad'ai tbv Xdyov
itUit pii Ml «out xb xoUv9s äXlot iti^ toi6vds elvai tbif (v^fUv.
1) Und zwar geht das Griechische als die viel psychologischere Sprache
bekanntlich noch erheblich weiter als das Lateinische. Diesen Unterschied
empfand ffieronymuSf als er sich an die Übersetzung der Chronik 'des Eu-
lebioe machte: die hyperhatomm anfradMS im Griechischen erschwerten ihm
das Oborsetzen (YIU 8 Vall).
Mord«A, »ntike Konitprota. 5
66 I' Die grieddache Kiiiis^HroBa bis Angaitaa.
daraus y daiis in jenen das Wort ein mehr unmittelbares Bild
der Gedanken sei^), während es in diesen dnrdi sjn^taktische
Gesetze ein mehr konventionelles Aassehen bekomme^ ohne dab
jedoch das syntaktische Moment ToUstandig das psjchologisehe
Terdrange (was in den von Weil herangesogen«[i Sprachen nnr
beim Türkischen der Fall zn sein scheint). Das ist gewils
richtig; nur wird dabei der Einflds des Rhythmus und der
sigxovCa ftlr die alten Sprachen zu gering angeschlagen (erst
ganz am Schlufs wird auf nur einer kleinen Seite angefügt tm
mot 9ur le nombre oratoire)\ er findet sich dabei in direktem
Gegensatz zur antiken Lehre, was nach seinem eigenen Dafür-
halten (p. 69; cf. 6 ff.) sehr kühn ist. Die Wahrheit liegt wohl
in der Mitte: das wichtigste Moment, das psychologische, dessm
Bedeutung den antiken Theoretikern verborgen blieb und ver-
borgen bleiben mulste, weil sie ja keine entgegengesetzten
Normen folgende Sprachen zum Vergleichen hatten, ist stark
modifiziert durch ein konventionelles Gesetz, aber nicht, wie bei
den neueren Sprachen, das der Syntax, sondern das des Wohl-
klangs. Der Ausdruck hxBgßax&if kommt zum ersten Mal Plat
Prot. 343 £ in der Erklärung des simonideischen Gedichts vor,
d. h. Begriff und Wort sind, wie das meiste derartiger Termino-
logie, schon von den alten Sophisten geprägt worden. Die
Rhetoren haben es als wichtiges Mittel des hohen ^ Stils
anerkannt, Dionys von Hai. hat diesem Thema eine ganze Schrift
gewidmet, vgl. femer z. B. Auct. ad Herenn. IV (V) 32, 44
tramgressio est^ quae verborum perturbcU ordinem perversiane anU
transiectione. perversüme sie: ^Hoc vobis deos immortaies arbiträr
dedisse vir tute pro vestra* (zur Erreichung der beliebtesten
Klausel, die uns später beschäftigen wird, i ^ i. x J), transiecticne
hoe modo: ^Instabilis in istum plurimum fortuna valuit*
1) Cf. Eaibel 1. c. (oben S. 89) 96 ,,Allgemeingiltige Gesetze fOr die
Wortfolge giebt es im Griechischen kaum : ein so ein&cher Säte wie ol d'
'Adrivatoi tohg Aa%idouiu^vlovg ivUriaav läTst eine sechs^Mhe Ordnung der
drei Begriffe zu, eine jede wird nnter dem Drucke des Gedankenganges die
einzig richtige sein kOnnen. Der Gedanke ordnet die Worte, nicht ein Sprach-
gesetz, und je klarer der Gedanke, desto klarer und einfeusher nicht nur
der Ausdruck, sondern auch die Wortstellung/^
2) Im laxvbg xagccxti/JQ soll der aatpiivBuc halber die t^an^ ta^ig tAv
dvoiidxmv heiTschen: Demetr. de eloc. 199.
Gk>rgia8. 67
(Klausel: x u u u y^ ebenfalls beliebt). ^Omnes invidiose eripuit
hme vivendi casus facultates* (Klausel: z u a. ^ . wie im ersten
Beispiel), huiiismodi iraiectio, quae rem non reddit obscuram,
mviUmm proderit ad continuationes (Periodisierung). Quintilian
Vm 6, 62 ff. Hyperbaton quogue^ id est verbi transgressionemj quo-
niam frequenter ratio compositionis et decor poscit, non immerito
inter virkdes habemus. fit enim frequentissime aspera et dura et
€ÜS€iuia et hians oratio, si ad necessitatem ordinis sui verba re-
diganimr et^ ut quodque oritur, ita proximis, etiamsi vinciri non
poltest, adligetur e. q. s., cf. IX 3, 91; 4, 26 ff. Danach ist in der
Praxis ver&hren worden^ und auch hier ist das Mals Kriterium
des Kunstvollen und des Yerkünstelten gewesen. Wie Isokrates,
der gröfste bewufste Künstler des Stils, es fast immer erreicht
bat, den Hiat zu vermeiden, ohne dafs er den Worten durch
Umistellung allzu grofse Oewalt anthat^), während weniger gute
Stilisten wie Polybios') und Tatian oder elende Skribenten wie
der Verfasser des Aristeasbriefes zur Erreichung desselben Zwecks
die Sprache mehr oder weniger vergewaltigten: so schreibt
Piaton, der gröfste instinktive Künstler des Stils, rhythmisch
ohne Zwang (obwohl auch er einer gut bezeugten Tradition zu-
folge gefeilt hat) und bis zu einem gewissen Grade auch Cicero,
dem die Kunst zur Natur geworden war, während bei einem
Gorgias und Hegesias, einem Coelius Antipater und Maecenas das
Raffinement sich in einer dem Rhythmus zuliebe verkünstelten
WortsteUung zeigt; diesen Yerirrungen werden wir später noch
im einzelnen nachzugehen haben.
Aufser dem Streben nach rhythmischer Diktion war auch
das Haschen nach Ungewöhnlichem besonders für spätere
Autoren ein Grund zur Abänderung der natürlichen Wortfolge;
so empfiehlt Longin Rhet. I 308, 24 Sp. die lUtäd'Eö^ t&v
liyoiUvmVy Stccv tijg öwTi&ovg x^Q^S ixxiötj xal xfi XBnatriiiivy
wiöfLOv xeQuhcty, d}g i&v Idyaiisv ^oidiv di* £AAo' ical ^tovtov
1) Von den Beispielen, die E. Peters, De Isocratis studio numerorum
(Progr. Psrchim 1888) 16 für die Verletzung der üblichen Wortfolge zu-
mnmengestellt hat, sind zutreffend nur 4, 80 t^ noist9 bI cf. 63 t&v sl
wovifiAwtmv^ 4, 62 tolf Stdinovii^voif icel t&v *£XXijjrioy, 9, 89 iAka nsgl a{>to^
8) Cf. F. Ellker, Quaestioues de elocutione Polybiana in: Leipz. Stud.
UT (1880) 867 ff.
6»
68 !• I^e griechische Kanstprosa bis Aogastas.
tömg' xal ^iördga toCwv Ä^xrfrij*, und wenn z. B. Eunapios ▼.
soph. p. 15 Boiss. schreibt: sropft^ovrat 8\ %atä ti^v &Qav slg
tä rddaga tov Itovg^ so thut er das nur, weil ihm die fest-
stehende Verbindung Sqcc hovg zu gewöhnlich ist. Gewisser^
mafsen prototypisch fQr diese ganze Richtung könnte man die
Inschrift unter Gorgias' Statue in Olympia (Arch. Zeit XXXY
[1877] 43) nennen: XaQfiavtidov FoQyCag Asovttvog.^)
concetti. 2. Übertrieben und imnatürlich wie der Stil waren die Ge-
danken, die, häufig in die Form von yv&fuu gekleidet, wie ein
Raketenfeuer des Esprits aufsteigen, um sofort zu verpuffen.
Theophrast hat den Grund dieser und ähnlicher Yerirrungen
feinfühlig aufgedeckt: den Tugenden sind die Fehler benachbart^
und so kommt es, dafs Schriftsteller, die groüsiartig oder einfach
oder zwischen beiden reden wollen, schwülstig oder platt oder
kraftlos werden, während die wahre Kunst gerade darin besteht,
die Extreme zu vermeiden. Als man nun fELr jede dieser drei
möglichen guten Redearten unter den klassischen Autoren Muster
aufstellte, faXste man alle jene Yerirrungen imter dem Namen
der * üblen Nachahmung', xoMolriXCa^ zusammen. Gorgias ge-
hörte zur ersten Kategorie der xaxo^i^kCaj von der es bei dem
1) Bemerkt von Eaibel, Epigr. gr. p. 634. Hier sind vor allem
Spezialuntersuchmigeii bei einzelnen Schriftstellem nötig, wie sie Yahlen
(Prooeminm Berlin 1894^ p. 10 f.) bei Valerius Maximas angestellt hat,
wodurch er eine ganze Breihe von Stellen vor Änderungen geechütst
hat. Ich erinnere mich z. B., dafs der Verfasser ksqI ^ov$ in der Um-
stellung sehr weit geht; so schreibt er 9, 6 &vatQOitiiv dh ZXov %al 9iA<naciv
To4) %6c^ov Xaitpdvovtog (wo Jahn nach Ruhnkens Vorgang 9h (ßiy6lav
ändert); c. 10, 1 8 itiv yäif tf i%loyfl tbv äxQOcctiiv täv Xrift^dtaw, 8 dh
tfj «vnvdtaBi tätv inlelBynipwv «Qoadyetai (wo früher entweder tAv li]/»fMiS-
xav vor x6v &KifoceTifiv gestellt oder tbv d%Qoatiiv getilgt wurde). Einmal
haben sogar die alten Abschreiber Anstofs genommen: o. 10, S üvnsQ ol-
fuci, xal inl t&v xBifiAvmv tQ6itov 6 noiriti^g imXaftßdvH tAv »apoKoXov^o^-
xoHf xä xalendtTaxa: hier steht in der Hs. dnsif und xbv ist über x&9 (vor
XHii6v(ov) geschrieben worden; die Emendation Zvn§Q ist schon Ton Ma-
nutius gemacht. Für Demosthenes Tgl. Blafs 1. c. m 1* p. 141 ff. — Für
die Dichter fehlt aufser den paar Bemerkungen yon Naeke zu Valer. Cato
284 ff., Haupt, opusc. n 1S4 ff., Eaibel zu Soph. El. (cf. Register s. 'Wort-
stellung'), sowie der Dissertation von H. Boldt, De liberiore ling. graec.
et lat. colloc. yerb., Göttingen 1886, noch alles: und doch, welch ein Unter-
schied z. B. zwischen Vergil und spätem Epikern wie Valerius Flaecus!
Gorgiaa. 69
hier nach sehr guten Quellen berichtenden Auct. ad Herennium
heilst (lY 10, 15): gravi figurae (er meint das adQÖv oder [uya-
ioM^fsnig) quae laudanda est, propinqtM est ea quae fugienda: quae
rede videbüur appeUari, si swfflata nominäbitur. nam ita ut cor-
poris honam habüudinem tumor imüatur saepe^ item gravis oratio
saepe inperitis videtur ea quae turget et inflata est In hoc
genus plerique cum declinantur et ab eo quo profecti sunt aberrarunt,
specie gravitatis falluntur nee perspicere possunt ora-
tionis tumorem. Mit spezieller Anwendung auf Gorgias und
seine Nachfolger drückt das der Verfasser der Schrift vom Er-
habenen so aus: in der Absicht, neu, geistreich (xofiifoC^) und
1) Hier einiges, was ich mir ffir diesen und die gleich folgenden
Ausdrucke gesammelt habe (Emestis Lexic. technol. bietet fast nichts).
%9i^^69 sierlichy dann überhaupt geistreich (besser entsprechen französisch
pE^enx, englisch euphnes, die italienischen concetti) stammt aus der
alten Sophistenzeit, das sehen wir aus Aristophanea, Euripides, Piaton; bei
Aiifltoph. Nab. 6i9ff. verspricht Sokrates dem Strepsiades, er wolle ihm
beibringen t&a» non'tifbp iv avvovol^, indem er ihn in der Rhythmik (dem
iiübfyiX^ besonders des Hippias) unterrichte, cf. Ban. 967; Av. 197; fr.
ine. 106 (ü 1801 Mein.); Eurip. Suppl 426 ff. (Theseus' Antwort auf die Bede
des s4^vt) %oii/t^6g y' 6 %fiffvi %al naifiQydtrig X6y(ov. \ intl ^ Ayßbva nal av
%M^ ^jjmvlcmj \ &%av'' afkiXlav yäif c^ nQO^dTjnag Idymp^ Hipp. 986 iya 9'
hboi^^og §ig öxlav ia^vai layop; sehr oft braucht es Piaton, nie ohne deut-
bclie Ironie: die Stellen aus ihm und den Spätem bei Buhnken zu Tim.
s. T. nofi^bg X6yog (ed. 8 p. 88) und s. y. %€%6i»^§vtai. (p. 84). Lateinisch
hifllli das bellum: Sen. contr. I 4, 10 (pmnes aliquid belli dixerwU iüo loco)
Süd sonst sehr oft; Pers. 1, 86 crimina r(uis lAbrat m cmltiihe^is, doctas po-
wmsae figuitas Laudcthsr: ^heüum hoc*, hoc bellum? an, Bomule, eeves?
Martial n 7, 1; X 46, 1. — Für ifvx96v (frigidum Sen. 1. c.) genügt es,
sof Budaeus, Comm. ling. graec. (Parisiis 1548) 12 zu verweisen. — tb ol-
So%9 schon Aristoph. Ban. 940 yon Aeschylos; Plut. Cic. 26 olda^vxa ^i{-
fqa, Lat. tumidum-, Sen. contr. IX 2, 26 Uli qui tumenU, qui abwnda^Uia
Isftorcml, ib. 27. X praef. 9. suas. 1, 12 und 16. Gleichbedeutend ist suf-
flatus (Auct ad Her. L c, Varro bei GFell. VI 14, 5) und in flatus (Sen. suas.
1, It). — ^siQaxiäiSiq (seltner naiSoLQiAdHt 9iaQ6p) Polyb. XQ 261, 3
(Ton Timaios); Dionys ep. ad Pomp. 2 (p. 760 B.) luiXista toig Fo^uloig
iaud^mg «cd lUt^eaumiAg ivaßgvif stai (6 lUthrnw^ cf. ep. ad Amm. 11 17, de
Thw^d. 46 in., de Isoer. 12, 18 i. f., 14 i. f., de Isaeo 19 nennt er den (Gor-
gias natda^iMti; Philostr. v. soph. II 8 und 14. Proklos in Plat. Bep. in:
AnaL Sacr. ed. Pitra V 16; mit diesem Schlagwort bezeichneten einige den
StQ des platonischen Phaedrus, cf. die Zeugnisse bei A. Erische in: Gott.
Stadien 1847, 2. Abt. p. 982; Lncilius 168 L. 166 ff. Baehr. Es wird gern verbun-
den mit iatii^aiuieXUc: Lukian de bist, conscr. 60 (tii ilg %6ifov itfiSh &nnifo%almg
70 I« I^e griechische Eunstprosa bis Augrastns.
erhaben zu sein, verfielen sie in falsches Pathos: h^ov6i&v iav-
totg doiunhnsg oi ßaxxevovöiv aXXä nai^ovöiv (ß, 2); daher
lache man heute über gorgianische Bonmots wie Sigirig 6 t&v
IleQö&v Zevg und ywceg Ifiitvxoi tifpoL Er gebraucht daf&r die
Ausdrücke: schwülstig (tö oidovv), pueril (juiQaxi&dsg)^ frostig
{ifvxQ^v) und im allgemeinen affektiert (xaxöiqXov)] mit diesen
li/r^dh veaQ&g^ Greg. Nyss. adv. Eunom. I 262 B ^ridiig dh fi^yaXoQffr^ikOPStv (u
8uc tovttov oUad'to t&v Xoymf^ eb^ hnlq tiiv nifoco^cav S^afuv inl ii>€ctaloi£
nofatdtorta^ o^ ya^ AnBigonuUmg ilg l6ymv &iuXXa9 ^ (tnuitmv inIdBtiiv
avyxad'Blvai tm äv^QSnm n^f^ i^iganiSdri xivä tpilotiidav nQO<iyoiuti. cf. XII
968 A. Phot. bibl. cod. 66 vom Stil des Theophylaktos : vsavinii Axetgo-
xaXia. Besonders gern steht es zusammen mit änaii^ov (über dessen Be-
deutung ich in Fleckeisens Jhb. Suppl. XVIII [1891] 808, 1 und 861 f. ge-
sprochen habe; hinzuzufügen ist dort: Hermog. de id. p. 896, 12 ff., Quin-
tilian IX 3, 102, wo er bezeichnenderweise gerade beim 6iunatil9vt09 das
tempus zu wahren befiehlt): so in der ersten angeführten Stelle des Dionys;
Agatharchides bei Phot. bibl. cod. 260 p. 446 a 17 ff. Bekk. (von Hegesias);
Photius selbst cod. 102 (von einem Bischof Gelasios); in einer SaturaYarros
nsgü sinaiffLas lautet ein Fragm. (660 B): tu quidem ut taceas censeo^ quo-
niam tu quogue adhuc ctdulescentiaria (viaviivfi), was ich Bh. M. XLIX (1894)
688, 1 in diesen Zusammenhang einordnete, den ich jetzt bestätigt finde
durch Fronte bei Gell. XITT 29, 6. Lat. puerile: Auct. ad Her. Öfters, cf.
den Index der Ausg. von Marx; Sen. contr. I 7, 10. Vn 1, 21. IX 6, 12, cf.
suas. 2, 23. — na%6jiriXov (den allgemeinsten und jüngsten Begriff) finde
ich am besten definiert bei Diomedes GL I 461 E cacogelia est per affbeta-
tionem decoris corrupta sententia, cum eo ipso dedecoretur oratio quo iRam
voluit auctor omare, haec fit aut nimio cuUu aut nimio tumore. nimio
tumore: 'luppiter omnipotens, c<ieli qui sidera torques, Ore tuo dicenda loquor*.
(Dichter unbekannt.) nimio ctiUu: ^aureus cutis erat^ temo aureus, aurea
summae Curvatura rotae, radiorum argenteus ordo, Per iuga chrysoliihi posi-
taeque ex ordine gemniae (Ot. Met. II 107 fF.) ' ; andere Stellen bei F. Beheim-
Schwarzbach, Libellus nsifl k^ftriviUcs qui Demetrii nomine inscriptus est,
quo tempore compositus sit (Diss. Kiel 1890) 88, wo noch hinzuzufügen der
Titel einer Schrift des Caecilius xivt äuctpigsi 6 'Atti%^ tfjXog x&O *Actawoh
(Suid. s. Kou%lXiog) und der des Eallinikos jcbqI na%oifilCag (rito^nljg
(Suid. 8. %a%oiriUcc). Übrigens hat schon Joh. Sturm gut über das Wesen
dieses Begriffs gehandelt: Hermogenis Tarsensis rhetoris acutissimi de ra-
tione inyeniendi oratoria libri im, latinitate donati et scholis explicati atque
illustrati a Joanne Sturmio, Argentori 1670 s. p. (p. 26 ff. yon rückwärts). —
Dafs die im Text behandelte Scheidung der x^^axT^^e; Xiieag mit ihren
benachbarten Fehlem auf Theophrast zurückgeht und dafs nur zweifelhaft
ist, inwieweit dieser auch schon die Namen der fehlerhaften Stilarten ge-
prägt hat, weist H. Rabe, De Theophrasti libris nsgi Xiisag (Diss. Bonn
1890) 24 ff. überzeugend nach.
Gorgias. 71
Ausdrücken pflegten solche Verirrungen im ganzen Altertum be-
zeichnet zu werden, und sie können uns oft geradezu als Weg-
weiser tOi die Stilrichtung der Autoren nach Gorgias dienen.
Belege bietet jeder Satz in dem, was wir Ton Oorgias haben,
z. B. der Schlufs des Epitap^os: (uc(ftvQuc 81 tiy&tmv tQ67CauL
hnljpavxo tAv noksfUmv^ Jibg fikv iyälficcta ainibv 8\ iva^-
funay ovx änBiQOi o{hr£ ifi^'dtov "AQBog oGzb vofiiiuov i(fAt(DVy
o6ts ivojcXCüv iQidog oOts q)LXo7td)iov 6C(fiivrigy ösfivol fikv JtQbg
roi>g ^Boi>g tj5 dixaip Z6101, 8\ nqhg toi)g toxdag t{} d^eganeia^
dixavoL fihv XQbg toi)g iötovg t^ top siöeßetg dh nQbg toi^g tpi-
Xüvg Tg fclöXBi,. tOiyuQOvv airt&v i«od'av6vt<ov 6 n&&og w
6vpaxiO'av£v, &Xl* id'dvatog iv ieaiidtoig 66(ia6i gg oi iAvtfov.
Dieser Manu, der den Stil zum Spielzeug seiner maCslosen
Selbstgefölligkeit gemacht und dadurch entwürdigt und entwertet
hat, ist von Mit- imd Nachwelt viel gepriesen^) und viel ge-
scholten worden. Schliefslich ist mit dem Sinken des grie-
chischen Geistes und des schriftstellerischen Könnens seine Stil-
richtung durchgedrungen. Das Fortleben mehrerer seiner Bon-
motSy welche wir später Yon Jahrhundert zu Jahrhundert bis auf
Himerios verfolgen werden, wird uns ein wichtiges HQlfsmittel
f&r die Bestimmung der stilistischen Tendenzen der Spätzeit
abgeben.
Was wir über die mit Gorgias gleichaltrigen oder die von Hippi»
ihm abhängigen Sprachkünstler jener Zeit teils aus ihren Frag- ^^"^^^^
1) Fhilostr. ▼. soph. I 16 iyo^lalav iv BsttaXiqi func^al %al lul^avg
it6lng ig Fo^yUcv SqAöm tbv Asavttvov. — Einer seiner Verwandten,
Enmolpos, setzte unter die Statae des Gk)rgia8 in Oljmpia jene In-
schrift, die uns erhalten ist (876a Eaihel); sie ist, wie die Über-
schrift (s. oben S. 68, 1) ganz in gorgianischem Stil gehalten, der Paral-
lelismns tritt schon äufserlich durch die 2x4 Verse herror. Wenn
Eumolpos von sich sagt: "Zg §U6va n/ivif &vi9iri%iv \ dtaaäv, naidelag %al
^tXlag frffica und dies damit begründet: Fo^lav iauljoai ^xh^ &ifixflg
ig ityAvag \ a(tSe£g nm 4htqtAv nalUov' i^Qi tixrriv^ so imitiert er Stil und
Gedanken seines Verwandten, cf. das Ton Bemays (im Rh. Mus. VUI [1868]
432 f.) aus Clem. AI. ström. I 427 Sylb. hervorgezogene Fragment des Oor-
gias: xb &ySviciia diöc&v dri &ifit&v dettai, x6XiMfig %al tf(Hp(ag, x6liLrig
fikv xbv nCvSvvov (yjtoiistvai 60<pLag dl xb nliyiuc (corr. Diels im Herm. XXIII
[1888] 284; alvtyyM codd.) yf'dirai. xb yaQ xif^vyfux xaXcf yikv xbv povl6fLB'
9oy, «rt^ayol dh tbv Svvdfuvov, für dffvf fy E. Scheel, De Qorgiae disciplinae
▼estigüs (Diss. Rostock 1890) 12 f., für dufad Hei. 10 Palam. 2. 6. 19. Epi-
t^h. fr. init.
72 I- I^ie griechische Kunstprosa bis Augnstus.
menteii; teils aus den Parodieen Piatons wissen, bestätigt das
über Gorgias Gesagte. Ich hebe nur weniges hervor. Des
Hippias bombastischen Wortschwall hat Piaton Protag. 337 C
bis 338 A hübsch imitiert: es sind nicht wie bei Gorgias kleine
zerstückelte Sätzchen, sondern vie/grofse glanzvoll dahinroUende
Perioden, voll unerhörter Bilder.*) — Für Alkidamas, der, wie
der Sophist Antiphon *), weniger die Zierlichkeit als den Schwulst
des Gorgias nachgeahmt und gesteigert zu haben scheint, genügt
es, auf Vahlens Abhandlung zu verweisen (Der Rhetor Alkidamas
in: Sitzungsber. d. Wiener Ak. 1863 p. 491 ff.).
1) Bei [Platon] Hipp. mai. 282 A sagt er: slto^a (Uptoi fyioy« Toig
naXaiovg rs %al nQOtigovg ^fL&v nQ6tBQ6v ta %al i^&XXov iy%mfuA'
[hv 1] roifg v^v, B4>Xapovfk8vos ft^v (p9'6vov x&v l&vxtavy ipopov(H90s
dh filjviv t&v tBtsXsvtrj%6tmv. Das ist ganz gorgianisch, cf. F. Dfimm-
1er, Akademika (Giefsen 1889) 23.
2) Bei keinem dieser Sophisten können wir^ infolge der zahlreichen
Fragmente (die wir der Namensgleichheit des Sophisten mit dem Bedner
verdanken) die von Aristoteles so gerügte poetische Diktion genauer er-
kennen: er braucht 1. Worte, die sonst nur bei Dichtem (und dann wieder
in der späten dichterischen Prosa) vorkommen {n&cfLogy naliyiifnog^ necta-
MfMOff, X'önfiiucj dQvyv&a^ai), 2. übermäfsige Bilder (wie Fr. 1S8 Blass), oft
80 unnatürlich wie 181: tpQovtldmv Hdri ndvta nXia »al iioi%trai x6 vio-
ti/i6iov aniiftrifAa i% tfjg yv&ii/rig (er hat auch zuerst das später so beliebte
9sect(f i%6v (fxfjita Yom Biog, der personifiziert wie auf der Bühne auftritt:
Fr. 131), 3. gewöhnliche Worte in anderer Bedeutung (112 icvi^nla « i) x&v
itvdQ&v ^Xixia, 89 dBiioBig » iväBlag, 90 inaXXd^Big » cwaXlayog, 94 Bm-
axaeig Weltordnung «= diM%6cihri0ig^ 100 ä^tog »= nXoiaiog [wie Homer £{«-
Xog ^Xri «B noXviioXog'] u. s. w.), 4. unerhört viele Neuprägungen, z. B. 80
Mhltog aoE 6 füj^ey^ff 9B6iiavog^ 86 &imrog » ^((povog, 97 &BU9tS ^^ iOdU-
Tf]ff, 108 ^BaiSimatog » d'Bo^ Idiav l^iov, 122 &x9t4^aQxi^ u. s. w. Nun
gab es von einem Antiphon xi%vai (rixoQmal^ worin er nach Ghden expL
gloss. Hipp. XIX 66 K auch lehrte, iintog xä xaivä Mfutxa notffxiov (that-
sächlich werden aus diesen xixvai 7 Neubildungen citiert). Seit Spengel
schreibt man sie dem Redner zu; das ist unrichtig, denn 1. pafst das von
Ckden Hervorgehobene ebenso gut für den die Worte wie Münzen umprägen-
den Sophisten wie schlecht für den Bedner, der nur sehr wenige wirkliche
Neubildungen hat (Fr. 20 iiotifoXoyxfjcai » Anteil bekommen, 3S XQißoMfBV'
Ba^ai » Bänke schmieden), 2. sagt PoUux VI 148 &icaQour%B6ai yvA^y iv
xotg nsQl äXri^Blag 'Avxwpätv bUibv^ &naQaa%8vacxov dh iv xaig (rixoifinatg
xixvaig: das erste mufs man nun als Fr. 102 des Sophisten, das zweite als
Fr. 74 des Redners suchen und bei Polluz nimmt man eine Verwechslung
an! — Bemerkenswert sind auch die Wortverstellungen Fr. 181: xi(ud yicQ
%al a^Xa, dBXiaxa & 6 ^Bbg idwMv Av^Q^tnoig, y^ByaXmv n6vmv %al
l^Q^xav slg &vdy%ag %a^iax&eiv.
Zeitgenossen und Schüler des Gorgias. 73
Bei einem Punkt ^ der für meine weiteren Untersuchungen Poetiiohe
▼on Bedeutung ist und in den bisherigen Darstellungen nur ^^
Torübergehend gestreift wird, muCs ich etwas länger verweilen.
An den SehtQem des Gorgias und den zeitgenossischen, Ton
seiner Manier beeinflulSsten Schriftstellern beobachten wir mit
besonderer Deutlichkeit die völlige Vermischung von Prosa und
Poesie. Ich will gar nicht davon reden, daiÜB gewisse poetische
Ausdrücke bei allen wieder auftauchen (Pindar hatte gesagt
vöfiog 6 xivtaiv ßa6iXsi>g dvat&v ts xal i^avdxmvi darin
schwelgen mit geringen Variationen Hippias, Agathen, Alki-
damas; cl Vahlen 1. c 493 f.), noch davon, daCs, wie man aus
Piaton weifs, die Sophisten die ersten Ausleger* von Dichtem
waren: es kam so weit, dafs öo^uftiig imd noi^i^iig gar nicht
mehr unterschieden wurden. Alkidamas de soph. 2 von den
Sophisten, welche nur Bücher schrieben: xoki> dviuciAzsQov av
Mourftäg ^ 6oq>t6täs xgoöayoQsvsöd'ai,, 12 oC {Xöyoi) totg ivö-
fM6tv iacftßibg iisiifyaöfidvo^ xal fiäUov xoiii(uc6iv ^ Xöyoi^g ioi-
x&tsg (cf. auch [Isoer.] ad Demonic. 51). Auf einer rpasrcga an
des Isokrates Grab waren Büsten von jcoivftai und 6oq)i6tai
gestellt, auf Isokrates selbst wies eine Sirene hin: [Plut.] vit.
dec. or. 838 D. Am besten aber erkennen wir das Verhältnis an
der würdigen Trias Buenos, Likymnios, Agathen; sie waren
Sophisten und Dichter in einer Person: Euenos aus Paros Ele-
giker, Likymnios aus Chios Dithyrambiker, Agathen aus Athen
Tragiker. Von Euenos wissen wir, dafs er seine tixvri in Verse
brachte (was nicht viel heifsen wollte^ da man allgemach schon
80 abgeschmackt geworden war, die verzierte Sprache sogar in
diese trockenste aller Materien hineinzutragen: Plat. Gorg. 448 C;
Phaedr. 267 C; Aristot. Rhei IH 13. 1414b 17): es sind die
ersten versus memoriales gewesen (ßviifirig %iQiv\ Plat. Phaedr.
267 A).^) DaCs Likymnios der Dithyrambiker und Likymnios
der sophistische Rhetor eine und dieselbe Persönlichkeit waren,
hat zuerst Spengel 1. c. 91 f. erwiesen, dann hat die Verquickung
der Poesie und Rhetorik in diesem Mann, der seine Dithyramben
mit seinen Wortwitzeleien, seine Prosa mit seinen dithyrambi-
1) Yen den paar erhaltenen Versen der Elegieen sagt v. Wilamowitz,
Ariftoteles und Athen n (Berl. 1898) 404, 2: „Mancher der Verse dieses
Enenos ist nichts als sufiÜIig der Messung nach Hexameter bildende Prosa."
74 I- Die griechische Eunstprosa bis Augnstus.
sehen Worten verunstaltete, F. Schneidewin^) in den Gott gel.
Anzeigen 1845 Bd. 2 p. 1121—1132 ausgezeichnet gewürdigt.
Am genauesten kennen wir den Gorgiasschüler Agathon^ den
Prosaiker aus der Imitation Piatons im Symposion^ den Dichter
aus der Imitation des Aristophanes und den erhaltenen Frag-
menten. Die Imitation Piatons (Sjmp. 194 E bis 197 E) ist ein
imerreichtes Meisterstück einer nicht zu sehr karrikierenden
Parodie'); uns interessiert hier das starke poetische Kolorit
dieser Rede. Nicht nur treten die Rhythmen gelegentlich so
stark hervor wie 196 C: n&s yäQ ixhv '^am xäv ixtiQBtBtj
nicht nur kommen hochpoetische Ausdrücke wie ivsiUöritov
vor (195 A), nicht nur finden sich Verse oder Halbverse von
Dichtem in die Rede eingeflochten ; ohne dals sie als Citate
äufserlich irgendwie gekennzeichnet wären (196 C Pindar und
Sophokles; 196 E Euripides; 197 B ein unbekannter Dichter)');
sondern gegen den Schlufs, unmittelbar bevor er sich dem
Taumel gorgianischer Diktion überläfst^ sagt er (197 G): aütms
ifiol dox€ty & OatdQSj '^qmq XQ&tog ccizbg Stv xdXluftos xal
&Qi6rog [Uta tovto totg RXlotg &XX<ov tOLOvtav aüttog
sIvul: das ist schon eine Art von Hexameter, der beabsichtigt
ist, denn nun geht es weiter: hciQXBzm Si fioi ti xal i^(i€tQov
sinstv Sn oinög iötiv 6 noi&v
eigijvtiv fihv iv Avd'QAnoig, nsldysi äi yaXi^v^
vrivefiiav ivifimvj xoCxtiv ünvov t' ivl xi^iet.
Diese Verse (ganz in sophistischer Manier: v. 1 Antithese mit
Gleichklang, v. 2 vij^efiiav ivi^CDV imd die Synonyma xoCtrjy
^vov xb) sind nicht orphisch (wie Welcker zu Philostr. imag.
p. 266 ed. Jacobs meinte); sondern ; wie schon Hermog. de
id. 363 bemerkt; von Agathen selbst gemacht: der Affekt ist
auf seinem Höhepunkt angelangt, den nicht einmal die poetische
1) M. Schanz scheint diese fast vergessene Abhandlung nicht xu
kennen: denn sonst hätte er die ganz richtig überlieferte Stelle Plat. Phaedr.
367 C nicht mit eignen und fremden Konjekturen (und was fär welchen!)
überschüttet. (Nur ftovösla X6ymv deutet auch Schneidewin noch unrichtig:
' Tummelplätze der Beden ' ; es sind vielmehr 6v6iLata iiov6i%&s <rvyxff(fft«iw).
2) Weniger auffällige Parodieen in den Beden anderer Teilnehmer
am Symposion notiert A. Hug zu 182 E 184 D 185 A 186 C.
S) Cf. darüber die adn. crit. Useners in Jahns Ausgabe.
Sophisten und Dichter. 75
Prosa zu erreichen yermag: sie schlägt daher geradezu in
Poesie um.
Aber nicht bloljs wurde die rhetorische Prosa der Poesie sophi«u-
angenähert^ sondern — und das war das VerhängnisToUere —
auch umgekehrt wurde die Poesie^ speziell die Tragödie, von der
sophistischen Rhetorik aufs stärkste beeinflulBt. Wie hätte es
auch anders sein können bei der von den meisten und Einflufs-
reichsten geteilten Ansicht, dals der öo^iötiig ein jtoifrjtiig und
umgekehrt sei? Aristoteles sagt an einer berühmten Stelle der
Poetik (6. 1450a 38 ff.): die alten Tragiker sprachen wie die
alten Redner sachlich, indem sie ihre eigene Reflexion hinter der
Individualität (dem ^^og) der handelnden Personen zurücktreten
lielsen; dagegen die jetzigen Tragiker wie Redner sprechen rhe-
torisch, indem sie an die Stelle des ^^og der handelnden Per-
tonen ihre eigene verstandesmäGsige Reflexion, das dialektisch-
rhetorische Räsonnement setzen.^) Wir beobachten das ja am
deutlichsten bei Euripides, den aber Aristoteles, wenn er von
totg VW spricht, noch nicht mit eingeschlossen hat; bei seiner
Beurteilung haben die Neueren daher mit Vorliebe dies rhe-
thorische Moment hervorgekehrt.^ Auch im Altertum hat er
seit Aristophanes und Piaton wegen des Sophistischen in Inhalt
und Sprache viel Lob oder Tadel geemtet, je nachdem man das
Rhetorische in der Poesie billigte oder verwarf: die einen hatten
ihre helle Freude an den iy^^^^ onniXoyiaLj kaJUai seiner ngöö-
«MT«, sowie den äm^iöBig und dem damit zusammenhängenden
1) Ich habe mich in der Paraphrase der aristotelischen Stelle z. T.
wörtlich angeschlossen an die lichtvolle Auseinandersetzong Yahlens, Ari-
stotdes* Lelure von der Bangfolge der Teile der Tragödie (in: Symbola phil.
Bomi. in hon. Fr. Bitschelii [Leips. 1864—67] 176 f.). Für den Aosdrack
«oXnfft«^ (sachlich) cf. jetzt auch C. Brandstaetter, De notionnm noUxi%6g
et #o^H^Tifff osn rheterico (in: Leipz. Stad. XY 1898) 146. 159. Einige rich-
tige Bemerkungen über die Stelle machte übrigens schon Castelvetro, Poetica
d*Aiistotele vnlgarizzata e sposta (1570) ed. Bas. 1576 p. 147.
t) Schon D. Heinfios, De tragoediae constitutione (Logd. Bat. 1611)
MO f.: die vielen tententiae in der Tragödie seien fehlerhaft, daher h&tten
■ie aoch Aeschylos nnd Sophokles nicht gebraucht, sondern sie seien erst
an^kommen nach dem Eindringen der corrupta eloq%enJtia. Daher sei
Enrqptdes mmllbu in parvia, subtüis in sentenHis, creber in argwnentis^ rhetar
im f k e aho , ideoque ediseendus eloquentiae studiona. Vortrc^ch F. Jacobs
ia: Solzers Theorie der schönen Künste, Nachträge Bd. V (Leipz. 1796) 860 ff.
76 I- ^16 griediisolie Kunstprosa bis Aagastns.
Schmuck seiner XS^ig^ die anderen verhöhnten sie.^) Wir Mo-
dernen werden ihm aber, meine ich, hierin gerecht, erst wenn
wir ihn, soweit wir das noch vermögen, an denen messen, die
nach ihm kamen: bei ihm dient das rhetorische Pathos, ge-
steigert durch allerlei sophistische EunstmitteP), einem höheren
tdkogj der Individualisierung seiner Personen und der psycho-
logischen Motivierung der ttgäyficcraj also dem, was Aristoteles
l^d-og nennt, und gerade durch diese Vereinigung ist er auch
nach unserm Gefühl 4®r tQayixdnatog der Dichter, der eigenes
Leiden der Seele, eigenen grüblerischen Zweifel und eigenen
heiligen Glauben auf die von der Sage überlieferten Personen
413. Einige neuere Litieratnr bei Vahlen 1. c. adn. 49. Zuletzt die schon
oben (S. 28) angefüUirten Arbeiten von M. Lechner und Th. Miller mit einigen
Nachträgen bei £. Schwartz, De Thrasymacho Chalced. (prooem. Rostock
1892) 18 ff.
1) Hier die m. W. noch nicht voUständig gesammelten SteUen. Die
Kritik des Aristophanes (besonders in den Fröschen und Thesmophoria-
zusen; cf. auch Fr. 642 K.) wird gat beurteilt von Ed. Mfiller, G^sch. d.
Theorie d. Kunst bei d. Alten I (Bresl. 1834) 166 ff.; Piaton an mehreren
Stellen, besonders Bep. VIII 668 A (richtig beurteilt von Th. Heine, De ra-
tione quae Piatoni cum poetis Graecorom intercedit [Diss. Bresl. 1880] 44);
Anaximenes Bhet. c. 18 a. E. , cf. Cicero de inv. I 60, 94 und [Dionys.] ars
rhet. c. 8, 11; die gemeinsame Quelle (etwa s. m. a. Chr.) des Dionys. de
imit. p. 21 üs., des Quintilian X 1, 68, des Dio Chrys. XVIU 477 B. ; Aristides
or. 46 vol. n 179 f. Dind. (aas guter Quelle). Dazu die Bemerkungen der
Scholiasten, die man leicht nach dem Index der Ausgabe Yon Schwartz findet.
2) Das Einzelne findet man bei Lechner und Miller; einiges mufste
ich oben (S. 29) zu einem besondem Zweck anführen. Auf einen Punkt,
der wohl noch nicht hervorgehoben ist, machte ich hinweisen. Die älteste
der uns erhaltenen Tragödien, die Alkestis, ist noch y Oll ig frei Yon jenen
rhetorischen Kunstgriffen, yon denen die zweit<este, die Medea, wimmelt
(man vergleiche z. B. blofs die Wechselreden des Admetos und Pheres
614—706 mit denen des lasen und der Medea 446—687. Die dfMiatiUvt«
Alk. 782 ff. sind sicher anders zu beurteilen als die sophistischen der spä-
teren Stücke [Lechner p. 19] : jene stehen in der Rede des trunknen Hera-
kles und sollen das komische Pathos sowie die iMcla%£a der vorgetragenen
sardanapalischen Lebensauffassung heben); daraus folgt doch wohl, dafs
der Einflufs der sophistischen Theorieen auf Euripides erst zwischen 4S8
u. 431 fällt. Die Untersuchung müjjste für jedes der Stücke besonders ge-
führt werden, sowohl nach ihrem Inhalt (z. B. war natürlich der Palamedes
stark rhetorisch) als nach ihrer Chronologie (kommen z. B. auch in älteren
Stücken so starke Fälle vor wie etwa Orest. 688 f. X^\ $1 yoQ ibucg, ictiv
0^ aiyii X6yov \ n^tlaamv yivoit' &Vy §otip oi (fvyfjg l&yog?).
Sophisten und Dichter. 77
überträgt y der die Vorgänge uralter Vergangenheit in einer
leidenschaftlichen y von Problemen zerwühlten Gegenwart sich
spiegeln läfst, wie es einst schon der titanische Geist des
Aeschylos im Prometheas tastend unternommen hatte. Bei den
Nachfolgern des Euripides ist dagegen, wie wir dem Aristoteles
glauben dürfen (L c. und 1450 a 25), das ^d'og verloren ge-
gangen: das rhetorische Räsonnement und die sophistischen
Konststficke wurden Selbstzweck. Der Typus dieser entarteten
Tragödie war eben Agathon: derselbe Mann, der entsprechend
seiner eigenen pMlaxia die Kraft des tragischen (idlos brach
durch Einführung der chromatischen Tonart und der Flöten-
musik ^)y hat, wie man weiTs, auch die liiig des tragischen
Dialogs durch übermäfsigen Gebrauch der weichlich - schlaffen
Wortkünste entwürdigt: man höre nur
fr. 3 N.' xrffiag ixBVQdfUö^a fUKQtvQag xffwpilgj
fl xov nod'sivbv x^f^ Ttai^iyuffy fpQBvL
ixmwiAOv yovv ai&vg löxoiuv xldog^
Korigriteg elvai^ xovq^imv xaQiv tQix^g,
6 r/jrviy tvxtiv iötefis xal tiixv tixvqv.
8 nal f^'^v xä fidv ye ty tdxvji ttgäööeiv, tä dh
^^tv Avdyxy xal tvxxi nQO0yiyv£tai.
9 tax* iv xig elxbg ainb rovr' elvai liysij
ßgoTOtöi xoXXä xvyxdvsiv oix slxöxa,
11 xb fih/ TCOQBffyov igyov &g 3COiov(U^a^
xb d* ifyov i}g ndgsQyov ixxovoviu^a,
12 el filv fpQdöm xiXr^d'dgy oö^l tf' B'dq)(fav&'
il d* si>q>Qav& xi <f', ov%L xiXifi%\g g>Qd6(0.
14 ywij xoL öA^iaxog di iQyiav
i^x^g fpQ6vfi6iv ivxbg oix ägybv q>OQBt.
27 }^c6/&i} d^ xQBt666v iöxiv ^ ^cSfii} x^Q^*
30 ivx^fpQa6\utj eine gewaltsame Neubildung, von den
Grammatikern erklärt rö ivavxiov x^ sitpQoövvjj.
Dazu der Hohn, mit dem Aristophanes Thesm. 49 ff. den
iehönrednerischen, Worte drechselnden (cf. Plat. Phaedr. 234 E),
leimenden, giefsenden^ schmelzenden, umnennenden Dichter über-
1) Flut, qnaesi conv. HI 1, 1 p. 646 E, Zenob. prov. 1 2, cf. R. Volk
mann in seiner Au8f(abe von [Plut.] de miiR. (Leipz. 1856) 107.
78 I* 1^6 griechische Kunstprosa bis Augustas.
schüttet; unter den schönen yv&iiat, in denen er redet , steht
auch folgende 198 f.:
tag 6v^q>0Qäg yäg oixl totg texvdöfiaöiv
tpigeiv dCxaiov &kkä totg 7Ca&ijfuc6iv.
In den zweiten Thesmophoriazosen (fr. 326 K) kam der Vers vor:
xal xat ^Ayid'iov* ivti^stov i^vi^inivov
(m antüheton raatim Pers. 1, 85), und noch Aelian y. h. XIV 13
weifs zu berichten: xoXXotg xal noXldxig X(f^tai rotg ivti^itoig
6 ^Ayäd-mv iicd dd xtg olov inavoQ^O'iiUvog aircbv ißwiketo
xeQiaiQBtv aizä r&v ixBivov ÖQafidtioVj elxev* ^HXä 6^ ySj ysv^
vats^ XiXr^d'ag ösctvthv xhv *Ayd^a}va ix tov ^Ayi^Givog iapa-
vCifov^. oüfrog ix6iuL inl rovroi^ ixstvog xal ^bxo xiiv iavxov
XQaypdiav xavxa elvai.
Durch den Einflufs der Rhetorik ist die Tragödie zugrunde
gegangen, und nicht nur sie. Die Aufhebung der Schranken
zwischen Prosa und Poesie hatte zur Folge, dafs die letztere
nach und nach abstarb: an die Stelle des Epos trat die Geschichts-
schreibung, an die Stelle der gnomologischen Dichtung die pro-
saische Ttagaivsöig (Demokrits Ethika, die Rede des Hippias
nach [Plai] Hipp. mai. 286 A, Isocrates ad Nicoclem cf. dort
§ 43, Pseudoisocr. ad Demonicum), an die Stelle des poetischen
iyxAfuov die Lobrede (cf. Isoer. Euag. 8 fiP.), an die Stelle des
^Qflvog auf die im Kriege Gefallenen der Xöyog iTtLxdtpiog^)^ so-
wie später die {lova^dCay an die Stelle der Elegie das pointierte
Epigramm, an die Stelle des Dithyrambus die hohe Prosa über-
haupt.') Aber ein kleiner Ersatz trat ein: denn nach dem Ab-
sterben aller hohen Gattungen der Poesie wurde Platz filr die
niederen, die in der gemütlich heiteren, zwar stilisierten, aber
doch realistischen Darstellung des taglichen Lebens Grofses
leisteten. Dafs die Lyrik des Herzens nicht gleich ganz ver-
stummte, hat uns kürzlich ^Mädchens Klage' gelehrt^ ein Gedicht,
das y. Wilamowitz in einen litterarhistorischen Zusammenhang
1) Anklänge an den Hymnus des Simonides auf die Thermopylen-
kämpfer, eines der edelsten Stücke in griechischer Sprache, lassen sich
seit Gorgias nachweisen, cf. v. Wilamowitz bei Diels in: Abh. d. Berl. Ak.
1886 p. 36, 1. Noch bei Himerios finden sich Anklänge.
2) Cf. über letztere 0. Immisch im Rh. Mus. XLVIII (1893) 520 ff. —
Die religiöse Poesie hat freilich im Hymnus des Kleantbes eine ihrer
edelsten Früchte gezeitigt.
Sophisten and Dichter. 79
Ton groCster Weite eingeordnet hat^): aber das ist doch gerade
beieiclinendy dafs wir ein solches Eabinettstückchen dem Zn&n,
nicht der normalen Überliefemng verdanken, für die ein Produkt
Ton solcher Unmittelbarkeit, solchem ^d-og und Tcdd-og nicht exi-
stierte; denn was die Rhetorik noch übrig liefs, vernichtete völlig
die gelehrte Poesie. Erst der neuen Religion (z. T. auch dem
nenplatonischen ivd'oveuxeinög: Porph. v. Plot. 15) war es vorbe-
halten, aus der reichen Fülle ihres Inhalts eine neue, herrliche
Poesie zu erzeugen. Aber auch diese hat ihren Znsammenhanir
mit der RhetoS nicht verleugnen können, freüich der Rhetorik
nicht des Kopfes, sondern des Herzens: wir werden später^ sehen,
ein wie enges Band Poesie und Rhetorik mehr als tausend Jahre
zusammengehalten hat: das Fundament dieser Entwicklung haben
die alten Sophisten gelegt, diese ersten Lehrer Griechenlands
und damit der Welt.
cam«M.
Viertes Kapitel.
Die klassische Zeit der attischen Prosa.
Bei dem Plane dieses Werkes, welches in grofsen Zügen iHonyt to
nur die Entwicklungsphasen der antiken Kunstprosa darlegen
soll, kann es nicht meine Absicht sein, jeden einzelnen Prosa-
schriftsteller dieses Zeitraums zu charakterisieren; ich greife
rielmehr nur einige typische heraus, um ihre Beziehungen zu
der von den Sophisten begründeten Kunstprosa aufzuweisen.
Yen vornherein könnte es am empfehlenswertesten scheinen, sich
dabei an die umfangreichen Charakteristiken des Dionys von
Halicamass anzuschliefsen« Allein bei näherem Zusehen erweist
sich das als bedenklich. So verfehlt es im allgemeinen ist,
antike Urteile — zumal auf diesem Gebiet — dem modernen
Empfinden von uns Nachgeborenen unterzuordnen, so muft ich
doch bekennen, dafs mir der von vielen bewunderte Kritikus
Dionys ein äuüserst bornierter Kopf zu sein scheint.') Das
1) Nachr. d. K. Qes. d. Wiss. zu Geltungen 1896 p. 209 ff.
8) Anhang I.
8) Ich frene mich, in meiner Schätzung des Dionys übereinzustimmen
mit L Bknns, Die atticistischen Bestrebungen in der griech. Litt. (Kaiser-Ge-
burtfltagnede Kiel 1896) 12 ff.
80 I- 1^1^ griechische Kunstprosa bis Angustas.
Gute, ja Ausgezeidmete^ was er enthalt^ hat er aus den feinen
Erörterungen eines Theophrast und seiner Nachfolger: das
können wir ihm auf Schritt und Tritt mit mehr oder weniger
Sicherheit nachweisen durch Vergleiche teils mit früheren
Autoren ; aus denen er nicht geschöpft hat (besonders Cicero);
teils mit späteren Autoren, die nicht aus ihm geschöpft haben
(z. B. Demetrius, Hermogenes), wie er überhaupt erst spat (etwa
seit s. lY./V.); als die alten guten Werke in Vergessenheit geraten
waren, Bedeutung erlangt hat. Gemessen an seinen ungeföhren
Zeitgenossen, dem Cicero und jenem genialen Unbekannten, dem
der Verfasser nsgl vi^ovg sein Bestes verdankt (yermutlich
Caecilius, weil er diesen gelegentlich schilt), sinkt Dionys nur
noch tiefer. Es giebt nichts Thörichteres als die Vorstellung,
die sich dieser Mann Yon dem Schaffen der attischen Schrift-
steller macht, wie im Gegensatz zu den Lobrednem des Dionys
yon H. Liers, Die Theorie der Geschichtsschreibung des D. y. H.
(Progr. Waidenburg i. Schi. 1886) p. 10 f., vortrefflich ausgeführt
iat. Dionys macht die grofsen Männer zu ebensolchen Pedanten,
wie er, dieser 6%oXa6xix6g yom reinsten Wasser, selbst einer
ist. Er projiziert in unglaublicher Verkennung der thatsäch-
lichen Entwicklung die scholastische Theorie seiner Zeit auf die
lebendige Praxis der Vergangenheit.^) Wir werden gewils nicht
leugnen, dafs schon die ältesten attischen Prosaiker mit Bewulst-
sein sich gelegentlich an die rhetorische Technik angelehnt
haben, aber wenn es nach Dionys ginge, so müfsten wir glauben,
dafs Thukydides und Piaton ihr Leben lang dagesessen hätten,
Rhythmen an den Fingern abzählend, Worte abzirkelnd, Lehr-
bücher der r/jjrt/i} wälzend, wie raffinierte Sophisten erwägend,
durch welchen neuen und in welcher neuen Form yorgetragenen
Gedanken sie ihre Leser in Ixstlr^l^ig yersetzen könnten. Von
keinem sind unwürdigere Worte über den ^stog IIXAcmv^ den
wir als den gröüsten Künstler auch des Stils bewundem, ge-
sprochen worden als yon diesem Epigonen, der sogar yon seinem
oder yielmehr seiner Zeit Liebling Demosthenes nichts Höheres
1) Ganz frei yon diesem Fehler ist freilich kaum einer der späteren
Beurteiler; sie alle suchten oft Absicht, wo eine solche nicht y erliegt Z. B.
hält Hermog. de id. p. 386, 26 f. bei Thukydides Ym 16, 1 fOr beabsichtigt
Zatilav fdav (sc. vaar\ was aber nach dem Zusammenhang der Stelle wohl
ausgeschlossen ist.
Historiographie und Rhetorik. 81
zu sagen weifs, als dafs er sich aus allen das Beste zusammen-
gelesen nnd daraus ein neues Gewebe gemacht habe. Wie viel
yerstandiger urteilt Cicero ^ dessen Worte Liers sehr passend
heranzieht: de or. I 146 Ego hanc vim intdlego esse in praeceptis
imtnümSj non ut ea sectM oratores eloquentiae laudem sint adepH,
sed qu€ie siua sponte homines eloquentes facerent ea quosdam oh-
servasse ixtqkie id egisse; sie esse non eloquentiam ex artificio
sed artificium ex eloquentia natum. Wir werden uns also
hüten, uns durch die Nörgeleien oder perversen Lobsprüche eines
Dionys die Beize oder die richtige Beurteilung der grofsen
Schriftsteller yerderben zu lassen. Dafs wir ihn im einzelneu
trotzdem öfters werden nennen müssen , verdankt er nicht sich,
sondern seinen Quellen. —
Bevor ich zu Thukydides komme, bei dem sich die Be-
einflussung durch die Sophisten in eigenartigster Form zeigt,
muls ich zu charakterisieren versuchen, welche litterarische
Stellung das Altertum der Geschichtsschreibung angewiesen hat.
Folgende zwei Stellen lateinischer Schriftsteller, die aber
auf griechische Gewährsmänner zurückgehen, betonen die beiden
wesentlichen Punkte, nach denen ich den Stoff gliedern werde,
aufs kürzeste:
Cicero de leg. I 2, 5 Opus (historiae) unum hoc Ora-
torium maxime.
Quintilian X 1, 31 Historia est proxima poetis et quo
dam modo Carmen solutum.
A« Die Besiehimgen der G^sehlohtssohreibiing zur Rhetorik.
Die der unsrigen diametral entgegengesetzte Auffassung des Theoru d
Altertums kommt am deutlichsten in folgender Thatsache zum ^^'^^^^'
Ausdruck: der einzige antike Historiker, der mit aller Kraft dem
Einfluüs der Rhetorik auf die Geschichtsschreibung entgegen-
getreten ist und der daher von allen dem modernen Standpunkt
am luU^sten steht, Polybios, gehört nach dem Urteil des Dio-
nysios von Haliparnass, der hier wie oft die allgemeine Auf-
fassung formuliert, zu den ungenielsbaren Schriftstellern, die
man nicht zu Ende lesen kann (de comp. verb. 4), imd, was
auf dasselbe hinauskommt: Ephoros, der im Gegensatz zu seinem
Nebenbuhler Theopompos den EinfluTs der Rhetorik sehr zurück-
treten liefs und dessen tpQdöiq daher dem Polybios (XII 28, 10)
KordcD, abtikc Kanttprota. G
82 I- I^ie griechische Kunstprosa bis Augastns.
genehm ist, wird bei demselben Dionysios (auf Grand alterer
Quellen) von den für die ^i^rjöLg in Betracht kommenden
Autoren ausgeschlossen (Dionys. jcsqI fiifu^öBog p. 50 Us.).
Überhaupt zeigt uns die bittere Polemik gegen die rhe-
torisierenden Historiker, von der das ganze Werk des Polybios
durchzogen ist, aufs deutlichste, wie fest und allgemein das Vor-
urteil des Altertums war. Die Hauptstellen sind: die grofse
Polemik gegen Timaios in B. XII, gegen Zenon von Rhodos,
den Darsteller der Geschichte seiner Heimat, XYI 17, 9 f., gegen
den Alexanderschriftsteller Phylarchos II 56, gegen Philinos und
Fabius, die Schriftsteller des ersten punischen Krieges, 1 14. Wir
sehen aus dieser Polemik, dafs man die Geschichtsschreibung ganz
panegyrisch auffafste, d. h. sie sollte ein iyxdi^iov der Freunde,
ein iföyog der Feinde sein, wie Polybios besonders drastisch .
zeigt in der Charakteristik der vom karthagischen Standpunkt
geschriebenen Geschichte des Philinos und der yom römischen
des Fabius: nach jenem haben die Karthager alles q>QOviiimgj
xaX&g, ivÖQmd&g ausgeführt, nach diesem gerade auf die gegen-
teilige Art^); wo bleibt da, ruft Polybios aus, die iXi^d'^uc^ das
höchste Ziel der CatoQia? Zwar Timaios selbst habe, als er nach
dem Vorgang des Ephoros über den Unterschied der töxogla und
der imdsixxLTiol X6yoi sprach ^), jene mit den wirklichen Häusern,
diese mit den Phantasiebildern der Coulissenmaler verglichen
t) Cf. Lukian de hist. conscr. 14 (von einem ungenannten zeitgenössi-
schen Historiker) htl tiXet tov (pQOi(uov i>ntaxvstto duxQQi^driv nal ccupAf^
inl ftelj^ov fLhv aügeiv tä ijfLitSQa, tovg ßaQßaQOvg dh nccranoXeniicHv nal
a{>t6st ^S ^^ dvvritai %xX,
2) Cf. Polybios selbst von seiner enkomiastiscben Spezialschrift über
Philopoemen X 21: er habe darin lange verweilt bei der Jogenderziehung
des Philopoemen und der Entwicklung seiner Interessen, dagegen habe er
über die &%(»,'q nur %6(palauDdmg gehandelt; das müsse er jetzt umgekehrt
machen: mcnsQ yccQ i%stvos 6 tdnog^ ^aQ^mv iyauünucattiidg j dn^H thv
iiBq>alaimdTi xal fLSt' aij^i/jösmg tmv nQayfidtmv Anoloytafiov^ o^e»g 6
tfjs Uftogias, noivbg mr inaivov xal ilf^ov, iritst r6y &Xri^ xal tbv i^t'
&nodsi^sa>g %al tmv kndaroig naQsnonivmv övXXoyvafuäv. Wir können den
Unterschied schlagend beobachten in dem einen Fall, wo wir Yon einem
und demselben Schriftsteller sowohl das iyyLd>(nov wie die IctoqUc erhalten
haben: Xenophons Agesilaos und Hellenika. Erstere Schrift hat man ihm
früher eben wegen jener a^^rictg t&v ngayitarmv im Vergleich zu der Dar-
stellung der Hellenika abgesprochen; jetzt urteilen wir richtiger darüber,
cf. besonders E. Lippelt, Quaestiones biographicae (Diss. Bonn 1889) 18 ff.
Historiographie und Rhetorik. 83
(Polyb. Xn 28 y 8 ff.)^ aber das wolle nicht viel bedeuten, denn
er lobe freilich niemanden oder wenige, schimpfe aber aus
Prinsip auf alle oder fast alle. Und welcher Art sei die Dar-
stellung dieser Historiker? Da sitzen sie in ihrer Studierstube
und sammeki und sammehi und feilen und feilen; ohne eine
Ahnung yon Strategie und Topographie zu haben, schildern sie
glänzend und in einer auf die ixxXtil^ig ihrer Leser berechneten
pomphaft-theatralischen Weise Belagerungen und Aufstellung
Ton Schlachtreihen; besonders gern üben sie ihr Pathos im de-
taillierten Ausmalen yon Schauergeschichten, um das Mitleid der
Leser zu erregen; bei jeder Gelegenheit legen sie Beden ein,
ohne sich zu fragen, weder ob einer in jenem Fall habe reden
können noch was er wirklich gesagt habe noch was er habe
sagen müssen, sondern sie behandeln dieses allerdings durchaus
notwendige Ingredienz der Geschichtsschreibung ganz jungenhaft
und wie in der Schulstube (juiQaxiG)ä&g xal diargißLX&g
XII 25i, 3); kurz, an den XQiyfiata ist ihnen gar nichts ge-
legen, sondern sie werden yon ihnen mit einer geradezu mafs-
losen Leichtfertigkeit behandelt, dagegen kommt ihnen alles auf
die xat€c6xBv^ U^srng an, und obwohl ich, sagt er (XVI 18, 2),
keineswegs so thöricht bin, zu behaupten, daCs man auf sie keine
Sorgfalt yerwenden soll, so darf sie doch nicht zu einer {meg^
ßolil XBQaiBlag werden.
Es ist für die Beurteilung yon Einzelheiten wichtig, zu Tbeori« a
sehen, wie sich das spätere Altertum in dieser Frage ver- Au'rtum
halten hat; ich werde die mir bekannten Stellen^) möglichst
chronologisch vorlegen:« man wird sehen, wie die einzelnen
Autoren je nach ihrer Individualität teils der extremen, von
Polybios getadelten Richtung zuneigen, teils einen Kompromifs
achliefsen, wie aber keiner ganz die Ansicht des Polybios teilt.
Cicero Brut. 42: Concessum est rlictorihis emeniiri in hisforiis,
ut äliguid dicere possint argutius.
1) Ein paar der bekannteren schon bei 0. Riemann, fitudes sur la
laague et la grammaire de Tite-Live (Paris 1879) 16 ff. und L. Auffenberg,
De orationum Thuc. origine etc. (Progr. Crefeld 1879) 6, 8. Den Standpunkt
des Dionys y. H. hat H. Liers 1. c. so yortreffh'ch behandelt, dafs ich nichts hin-
nifttgen kann. Dagegen bietet nichts hierher (Gehöriges H. Ulrici, Charak-
teristik der antiken Historiographie (Berlin 1838), es sei denn in dem Ab-
schnitt Aber Theopomp und Ephoros p. 55 ff.
6*
84 I* 1^6 griechische Kunstprosa bis Angastos.
Cicero or. 66 (▼ermutlich nach Theophrast): Hute generi
(dem der sophistischen imdsC^sig) histaria finituma est, in qua et
narratur omate et regio saepe aut pugna descrüntur, interponuntur
etiam cantiones et }u>rtationes; sed in hi$ trada qua,edam et fluens
expetitufj nan haec contorta et acris oratio,
Cicero de leg. I 5 ATTICVS: Lest enim histaria litteris
nostris, ut et ipse inteUego et ex te persaepe audio, potes autem tu
profecto satis facere in ea, quippe cum sit opus, ut tibi quidem
videri solet, unum hoc Oratorium maxime (folgt ein Urteil über
die anderen römischen Historiker^ die aufser Sisenna das Ora-
torische yernachlässigten).
Quintilian X 2, 21: Id g^wque vitandum, in quo magna
pars errat, ne in oratione poetas nohis et historicos, in Ulis operibus
oratores aut declamatores imitandos putemus. sua cuviue proposiia
le/jCy suus decor est.
PI in ins ep. V 8, 9: Habet quidem oratio et historia multa
communiaj sed plura diversa in his ipsis quae communia videntur.
narrat üla, narrat haec, sed aliter: huic pleraque humilia et sordida
et ex medio petita, Uli omnia recondita splendida excelsa conveniunt:
hanc saepius ossa mtisculi nervi, illam tm'i quidam et quasi iubae
decent: haec vel maxime vi amaritudine instantia, üla tracfu et
suavitate atque etiam dulcedine placet. postremo alia verba, alius
sonuSf alia constructio. nam plurimum refert, ut TJiucydides aü,
xrfl^a sit an iyavLöfia: quorum alierum oratio, cdterum historia
est. ex his causis non adducor ut duo dissimilia et hoc ipso diversa
quod maxima confundam misceamque, ne tanta quasi coUuvione tur-
hatus ibi faciam quod hie debeo. ♦
Lukian de hist. conscr. 7: 'AfieXijöavtsg ol nokXol ain&v
rot) CötoQstv rä yayBvrnUvtt totg inaCvoig &q%6vx(ov xal örgoxri-
y&v ivdiaxQißovöi, roi>g fihv olxiiovg sig iitl^og inaiQOvrBg, xoi>g
noks^iovg d% niffa roi) futg^ov xaraQQintovtsg^ iyvoovvtsg Sg
ov 6tBV^ reo» iöd'^a Srngietai xal diaxBXBixi^ötaL fj CöxoQia Ttgbg
xb iyx6iiiov, &Xlu xi ^iBya xstxog iv ^eöco iöxlv ait&v xal xb
x&v iiovöix&v dl) roOro, dlg diä Ttaö&v iöti ngbg &kkrika^ Bt ya
rc9 fi^v iyxcofiid^ovri [uivov ivbg ilUbl^ bjcmöovv hcatviöai xal
BVifQavav xbv inaLvov^evov ^ Tial al ^Bv6aiiiv(p VTtdgxBi xvxbIv
xov xdXovgj bkCyov &v q>QovxC6auv' i] ö\ oi)x &v xi ^aviog
ifijtaöbv fi Cöxogia ovdi axagiatov avaöxoiro. In den eingelegten
Reden erlaubt er hohe Diktion: 58 ijv öi nors xal köyovg
Historiographie und Rhetorik. 85
igowra xiva dei^öj] aiödysLVj fudhöta ^ilv iotx&ca xp nQoöAn^
xa\ Tcaf XQdyiucxi olxeta ksydö^m, ineixa &g öatpiöxaxa xaX xavxa^
%liliv kpelxai 6ov x6xb tcoI ^xoqsvöul xal iitidst^aL r^v x&v
köyan/ dsw&cr{ta,
L. Yerus ad Frontonem II 3 p. 131 f. N.: ein höchst
lehrreicher Brief, in welchem der Imperator seinem Lehrer An-
weisungen giebty wie er seinen PartherfeldzDg beschreiben solle.
Er solle, heifst es zum Schluls, dafür sorgen, dafs klar zu Tage
trete, wie überlegen die Parther vor seiner Ankunft gewesen
seien, ut quantum nos egerimns appareat, in summa meae res gestae
tantae sunt quantae sunt scilicetj quoiqtwimodi sunt: tantae autem
videhmtur, quantas tu eas videri voles. — In einem Brief an
Antoninus Pius (II 6 p. 107 ff.) spricht Pronto über die ver-
schiedenen 0xijiiaxa Xdi^csg in der Rede und in der Geschichts-
schreibung.
Hermogenes de ideis p. 417, 28: Ildvxtog det xal xovg
i6xoQi(yyQdq>ovg iv xotg xav'qyvQiKotg xexdxd'aL^ &6nBQ olyLat xal
ilötvy hcel xal ^isyi^ovg xal fidov&v 6xo%d%ovxai xal x&v &ll(ov
olnav 6xedbv oacdvxmv.
Philostorgios h. ecci. I 1 bezeichnet die Schrift des Ps.
Josephos negl ainoxQdtoQog Xoyiöiioi> (sog. IV. Makkabäerbuch)
ÜB <y6% l&coQÜcv (laXXov r\ iyxA(ii0Vj was es thatsächlich ist.
Photios bibl. cod. 77 nennt das Geschichtswerk des Euna-
pios einen dia0VQfi6g der Christen und ein iyxAiiiov auf Julian.
Dem entspricht, wie das Stilurteil des Photios und die grofsen
ans erhaltenen Fragmente lehren, der pathetische hochrhetorische
Ton der Diktion, besonders eben da, wo er auf den von ihm yer-
götterten Julian zu sprechen kommt.
Die praktischen Folgen dieser Auffassung*) können wir seit p»xi«.
den Zeiten des Thukydides') beobachten: die Historiker waren
rhetorisch gebildet'), und umgekehrt die Rhetoren behandelten
1) Sie war noch im Mittelalter die herrschende; so nennt Gkiufredus
Malaterra (BenediktinermOnch s. Xlü) historia Sicala praef. (ap. Muratori,
Script rer. Ital. V 547) den Sallast: inter historiographos laudMlem rhetarem,
2) AIb den ersten Historiker, der xara t^v (ritoQtxiiv %i%vriv schrieb,
betrachtete das Altertum aber erst den Philistos: Suid. s. v.
8) Cf. besonders Kaibel im Hermes XX (1886) 512, der auf die drei
Zeitgenossen Dionys, Caecilius, Theodorus verweist, die alle Rhetoren, alle
Getcfaichtsschzeiber waren und sich alle theoretisch über die Prinzipien der
Historiographie ge&ulsert haben.
86 I- Die griechische Kimstprosa bis Augastus.
seit Isokrates gern historische Stoffe; dafs die letzteren dabei,
um Pointen zu gewinnen, nicht blols übertrieben oder tendenziös
entstellt; sondern notorisch gefälscht haben , sagt uns z. B.
Seneca contr. Vll 2, 8, und wir können das seit Isokrates (cf.
Blafs Leu' 49) noch massenhaft belegen.^) Das hatte dann
wieder seine Rückwirkung auf die zünftige Geschichtsschreibung,
deren Yeriitungen Lukian gegeifselt hat und die den heutigen
Forscher zur Verzweiflung bringen.
Boden. Eiuc wcitcrc unmittelbare Folge dieses Zusammenhangs war
die Sitte, in die Geschichtserzählung Reden einzulegen; ihr hat
sich auch Polybios nicht entzogen, im Gegenteil sagt er an einer
der Stellen, wo er sich theoretisch darüber äufsert: St 0xsdbv
KBfpikaia x&v itgil^sAv iöti xal övvdxsi tiiv ZXriv tötOQÜcv
(XII 25 a, 3), cf. F. La-Roche, Charakteristik des Polybius (Leipz.
1857) 63 ff.; H. Welzhofer in Fleckeisens Jahrb. CXXI (1880)
539 ff. Ich citiere für die Erklärung dieses feststehenden')
Brauchs des Altertums die trefienden Bemerkungen zweier mo-
dernen Gelehrten: L. Spengel, Über das Studium der Rhetorik
' bei den Alten (München 1842) 26 f.: ,,Es ist im Charakter eines
demokratischen Volkes, dafs es, wenn der Geschichtsschreiber
Ursache und Veranlassung bedeutender Ereignisse an-
zugeben') hat, diese, wie in der Wirklichkeit bei ihm zu ge-
schehen pflegt, in Form der Verhandlungen dramatisch auf-
geführt und die Zustände gleichsam in einem Bilde vergegen-
wärtigt wissen will. Ganz besonders mulsten die Athener, die
auf öffentliche Verhandlungen allen Wert legten, die Notwendig-
keit einer solchen dramatischen Darstellung in ihrer Geschichte
fühlen, und eine Erzählung, welche die wichtigsten Ereignisse
1) Cf. die Anm. Bursians zu Seneca suas. 2 them. : der Perser- und der
peloponnesische Krieg, sowie die demosthenische Zeit wurden zu einer Reihe
historischer Romane, deren jeder aus einer Serie von Pointen bestand.
2) Eine auffallende Stellung nahm (wie in vielem) Pompeius Trogus
ein: Justin XXXYIII 8, 11 quam (oratumem) obliquam Pompeius Trogus ex-
posuU, quoniam in Livio et in SallusHo reprehendit, quod conUones direeku
pro sua oratione operi suo inserendo historiae modum excesserint- Polybios
geht gern Yon der indirekten Rede in die direkte über: cf. Laroche 1. c. 65,
ebenso sein Nachahmer Appian.
8) Cf. darüber auch die treffenden Bemerkimgen von 0. Seeck, Die
Entwicklung der antiken Gleschichtsschreibung in: Deutsche Rundschau XXII
(1896) 265. L. Auffenberg 1. c. (S. 83, 1) 9 ff.
Historiographie und Rhetorik. 87
ihrer Zeit nicht aus der Volksversammlung heraus auch im
Geiste des Lesers lebendig wieder entstehen liefs, mufste wie
ihrer Gewohnheit so ihrem Gefühle des Passenden widerstreben'^
G. Nipperdej; Die antike Historiographie (in seinen Opuscula ed.
R. Schoell, Berlin 1877) 415 ff.: ;,Aus dieser plastischen Nach-
bildung der Ereignisse erklären sich die Reden in den Geschichts-
werken der Alten. Die Alten , deren ganzes Leben ein öffent-
liches war, bei denen an dem Leben des Staates die Gesamtheit
der Bürger unmittelbar als handelnde Personen Teil nahmen,
mausten sich, wenn sie eine Rolle im Staate spielen wollten, zum
Redner bilden , die einzige Möglichkeit, auf die Massen zu
wirken. So wurde denn auch jeder Anlafis ergriffen, Reden zu
halten^), and bei den Befähigten gestaltete sich jede Ansprache
Ton selbst künstlich. In einer plastischen Nachbildung der Er-
eignisse konnten also diese nicht fehlen Die Reden
in den Geschichtswerken der Alten haben, wenn man
ihren Totaleindruck auf den Leser betrachtet, nicht weniger
Wahrheit als unsere Charakteristiken der Verhältnisse
and Personen*), nur dafs jene Reden die erreichbare Wahrheit
zur plastischen Anschauung bringen/'
1) Anreden an die Soldaten {naQcenilBvöBig, nagaivhaig heifsen sie in
ansem ThukydidesBcholien) waren so üblich, dafs die Eriegsschrifbsteller
Tondirieben, zum Feldherm zu wählen einen Inccvbv liysiv^ cf. S. Dehner,
Hadiiani reliqniae I (Bonn 1883) 10.
2) Welcher moderne Historiker hätte sich eine Charakteristik des Peri-
Um und Alkibiades entgehen lassen? Thukydides liefs sie reden, und jedes
Wort atmet den Geist der M&nner und ihrer Zeit, cf. Auffenberg, l. c. 14 ff.,
T.WilamowitB, Antigonos 148. I. Bruns, Das literarische Idealportr&t (Berlin
1896) 24 ff. DaÜB Thukydides durch seine Reden charakterisieren wollte, wuTste
schon das Altertum: Markell. v. Th. 50 nennt ihn dsivbv ii^oyQaq>flcai. Ib. 61
^^ibp fUfii}ri^ %al &Qiata ducyffaqtsvg. Htpst yoüv naQ* ai)X& (pQdrrnuc IIsQiuXiovg
wak Klietnrog a6% old* Zzi 2^y itnoi ri;, 'Alxißiddov v66vriTaj GsfuotomXiovg
ndvta (!), Ntulov x^at^rita xrX. Xenophon hat in der Anabasis häufiger, in
den Hellenika nur einmal charakterisiert und da hält er es für nOtig, das nach-
Mglich einigermafsen zu motivieren (V 1, 4): derartiges gehörte eben nicht
in die Geschichtsschreibung, sondern in das Enkomion, cf. I. Bruns, De Xeno-
phonÜB Agesilai capite undecimo (üniyersitätsschrift Kiel 1896) 19. Von
den antiken Historikern haben Theopomp und Sallust wohl am meisten
charakterisiert (daher ist ersterer von Plutarch stark benutzt, cf. C. Bünger,
Theopompea [Diss. Strafsb. 1874] 17 f.); Tacitus, der grOfste Psychologe
onier den Historikern, ist doch sehr zurückhaltend: über Augustus und
seinen Liebling Gtermanicus giebt er die rumores poptdi wieder.
gg I. Die griechische Kunstprosa bis Augustus.
nrip der Dafs die Historiker die Beden, Urkunden, Briefe^) mit
keit.^ ihren eigenen Worten wiedergeben*), ist eine bekannte That-
sache, die man gern bestätigt sah, als die inschriftliche Bede
des Claudius de iure honorum GdUis dando zum Vorschein kam
und so die Kontrolle des Tacitus ermöglichte; vielleicht noch
belehrender war die Auffindung jenes Bruchstücks des Vertrages
zwischen Athen und Argos-Mantinea-Elis: Thukydides hat ihn
zwar wörtlich in sein fünftes Buch aufgenommen, aber dieses
Buch ist, wie zwei andere, in denen solche Aktenstücke stehen,
stilistisch von ihm nicht mehr überarbeitet worden.") Der
Grund für die Umformung liegt nicht blofs in der Unsicherheit
1) Der stilisierte Brief war ja nur eine Form der Bede. Leider fehlen
für diese im Altertum weitverzweigte, bis ins Mittelalter und in die Hnma-
nistenzeit heruntergehende Litteraturgattung (der Vorg^Lnger der päpstlichen
und kaiserlichen Eabinettssekretäre war kein anderer als Isokrates selbst,
cf. Ps.-Plut. vit. X or. 837 C Ps.-Speusipp. in ep. Socr. 30) zusammenhangende
Untersuchungen; das griechische Material liegt in Herchers bekannter Sanun-
lung und in den Ausgaben der Patristik vor; unter den kirchlichen Schrift-
stellern haben sehr viele aufser rein dogmatischen auch sophistische Briefe
geschrieben, manche nur solche der letztem Art, so aufser den bei Hercher
vereinigten Firmus, Bischof von Eaesarea in Eappadokien im Anfang
des y. Jh. (77, 1481 ff. Migne). Das Beste über die rein rhetorische Seite
der Epistolographie: Chr. Aug. Heumann, De anonymis et pseudonymis,
Jena 1711 (einen Teil davon kritisiert E. Bouvy, De S. Isidoro Pelusiota
[Nimes. 1884] 10 ff.), cf. v. Wilamowitz, Aristoteles und Athen 11 (Berlin 1898)
392, und Antigenes 161, 15. R. Hirzel, Der Dialog I (Leipz. 1896) 304.
2) Die sehr seltenen Ausnahmen sind dann meist so deutlich gekenn-
zeichnet wie bei Sallust Cat. 34, 3 liUeras Q. CaJtulus in senatu reeitavit,
qaas siH nomine CatHinae redditas dicebat; earum exetnplum infra ser^
twm est, ebenso 44, 6. Cf. Nipperdey zu Tac. ann. VI 6. Eine Inschrift bei
Xen. An. Y 3, 13. — Bezeichnenderweise hat gerade Polybios viele Urkunden
wörtlich wiedergegeben. Der hellenistische Jude Eupolemos (s. n. v. Chr.)
hat den Briefwechsel zwischen Salomo und den ägyptischen und den phOni-
kischen Einigen aus den Büchern der Chronik in seinen Stil umgegossen
(wie es später Josephos machte), cf. J. Freudenthal, Hellenist. Stud. n (BresL
1875) 106 f., der auch den Grund der Änderungen richtig angiebt.
3) V. Wilamowitz, Die Thukydideslegende in: Hermes XH (1877) 838, 1
hat zuerst auf diese höchst bezeichnende Thatsache hingewiesen, dafs Th.
„urkundliches Material in den ausgearbeiteten Teilen niemals im Wortlaut
mitteilt, sondern in seinen Stil umsetzt. . . . Prosaische Aktenstücke stehen
nur in IV, V und YHI.** Für Eusebios hat Seeck, Das nicänische Eonzil
in: Z. f. Eirch.-Gesch. XVH (1896) 58 nachgewiesen, dafs er die Urkunden
stets stilisiert (glücklicherweise hat er es in der rein gelehrten praep. evang.
anders gemacht).
Historiographie und Rhetorik. gg
der Überlieferung, den Thukydides I 42 für die Reden angiebt:
denn warum hat er Urkunden nicht wörtlich angeführt? Den
tieferen Grund hat Nipperdey 1. c. 418 f. entdeckt, dessen eigene
Worte ich wiedergebe: ,,Je mehr man sich den Eindrücken des
Sinnlichen hingiebt, um so mehr wird das Gefühl für die Form
angeregt. Je mehr man nun diese an den Ereignissen beachtet,
um so groÜBer wird auch das Bestreben sein, der Form, in
welcher man die Ereignisse darstellt, die möglichste Vollendung
zu geben. Deshalb stehen die Alten in der äuJüseren Form ihrer
Greschichtswerke unendlich viel höher als die Neueren. Das
Haupterfordernis nun einer Yollendeten Form ist die '
Einheit. Die Rede mulls einen gemeinsamen Charakter, einen
gleichmalsig gehaltenen Ton haben, es darf in ihr durchaus
nichts Fremdartiges sein. Die Alten haben also in der Staaten-
geschichie durchaus alle Wörter fremder Sprachen ausge-
schlossen^); sie haben aber auch alles ausgeschlossen, was zwar
in der Sprache, in der sie schrieben, aber von einer anderen
Person und darum in einem anderen Stil yerfafst war. Deswegen
haben sie vorhandene Reden oder Briefe anderer in solche
Greschichtswerke nicht aufgenommen, sondern, indem sie den
Inhalt beibehielten, den Ausdruck im Einklang mit dem ganzen
Werke umgestaltet,^ was er dann mit schlagenden Beispielen
Yon Briefen und Reden erläutert^, besonders bezeichnend Tac.
ann. XIII 63 in betreff der letzten Reden des Seneca: quae in
vidgus edita eius verbis invertere supersedeo, was er richtig fafst:
jyWas mit seinen eigenen Worten herausgegeben ist und ich daher
umzuwandeln (seinem Inhalt meine Form zu geben) unterlasse.''
Es ist dasselbe Prinzip der Einheitlichkeit, welches dem antiken
Schriftsteller verbot, Yerscitate ohne weiteres in seine Worte
einznflechten'), überhaupt ohne besonderen Zweck zu viele und
1) Cf. darüber oben 8. 60, 2.
tj Heute liefse rieh (auTser der Rede des Claudius, die Nipperdey
noch nicht kannte) etwa noch hinzufügen: Plutarch und Tacitus geben im
'Otho' sonst ganz znsammen, weichen aber völlig ab in der letzten An-
stäche Othos (Plut. c. 16. Tac. h. 11 47), cf. Mommsen, Herrn. IV (1870)
S16, 1. Hfttlen wir den beiden gemeinsamen Quellenschriftsteller, so würden
wir (das darf mit Bestimmtheit gesagt werden) eine dritte Fassung der
Rede haben. — Cf. auch den schon genannten Brief des L. Verus an Fronte
p. 181 f. N.
8) Im allgemeinen hat es fOi <po^i*6v gegolten, Yerscitate in kunst-
90 f- ^ic griechische Eunstprosa bis Augostus.
zu lange Stellen zu eitleren^) oder gar Anmerkungen zu machen^
eine Erfindung unserer stillosen Jahrhunderte.') Auch gilt dies
mäfsiger Prosa wörtlich zu geben: man pflegte die Verse yielmehr ganz
oder teilweise aufzulösen: das ist ein von Piaton (denn Protag. 839 A ff.
steht natürlich für sich) bis Himerios praktisch geübtes Verfahren (die
Verse bei den attischen Rednern, besonders bei Lykurg, sind doch wohl
nur für die Leseexemplare bestimmt gewesen; Chrysipp, der zahllose Verse
in seine Prosa einlegte, war auch sonst als schlechter Stilist yermfen): für
uns ist die Folge, dafs wir die disiecta membra poetarum oft gar nicht
mehr zusammensetzen können, wie z. B. die Lyrikercitate des Aristides und
Himerios. Gelegentlich kamen übrigens auch andere Momente hinzu, die
eine nicht wörtliche Wiedergabe der Verse empfahlen : cf. [Menander] nsgl
inidsixxix&v m 413, 23 ff. Sp. (in der selbstgemachten Probe eines löyog
naQa(i/v^tvii6g): ''9'av(idtto dh sl fiii intXi/jXv9'iv\ iiitlv^ & naq&wzB^ yovclj?)
ivvoBlVy & q>7iatv &QiCTog notjitiig E{>Qi.n£d7is ... * XQij yctQ
tbv (jihv) ipvvta d'iftiretv elg Zc' fyx^''^'' ^<<^^
tbv S* ai d'avdvta %al n6va}w nsnavp^ivov
Xalgovtag 8{fqniiu>iivtag i%nifi/nnv d6fuov.**
o(f di/fCBig 9h i^dnavtog roclaußeta diä tb slvai aittä üvvi/jd'ri totg nol-
Xotg %al fvthQ^a^ &lXä «agadAasig /idlXoy. Eine bemerkenswerte Stelle
über Verscitate in der Prosa: Hermogenes n. (ib9: dstv. 460 f. Sp. und be-
sonders n. 19. n 362 ff., wo er als wichtigste Forderung aufstellt, dafs die
in die Prosa eingeflochtenen Verse mit dieser ein IV bildeten.
1) Eine Geschichte des Citats im Altertum wäre dringend erwünscht.
Man erkennt die Praxis gut z. B. an Plutarch, der nicht gern wörtlich citiert
(cf. C. Bünger, Theopompea [Diss. Strafsb. 1873] 12 ff.), sondern, um mich
so auszudrücken, tä robv &lXmv avvvq>aiv€i tolg iavzo^ (nur mit einigen der
zahlreichen aus Krateros entnommenen Psephismen hat er eine Ausnahme
gemacht, für die wir ihm nicht dankbar genug sein können): der antike
Vergleich eines schriftstellerischen Ganzen mit einem Gewebe ist ja sehr
bezeichnend für diese ganze Vorstellung der Einheitlichkeit. Auch dialek-
tische Formen werden in Citaten nicht immer wiedergegeben: man ygl. z. B.
die Citate aus Herodot beim Verf. n. vtpovg mit unserm Herodottext. Freies
Citieren des N. T.: A. Resch, Agrapha in: Text. u. Unters. V 4 (1889) p. 14;
C. Schmidt, Gnoat. Sehr. ib. VIII (1892) 660. Wissenschaftliche Werke und
gelehrte Partieen innerhalb solcher stehen natürlich aufserhalb dieser Frage.
2) Cf. B. Keil, Die solonische Verfassung in Aristoteles* Verfassungs-
geschichte Athens (Berlin 1892) 179: „Die griechischen und römischen Au-
toren haben deshalb so häufig grössere und kleinere Abschweifungen vom
geraden Wege der Darstellung machen müssen, weil die Antike die un-
künstlerische Anmerkung modemer wissenschaftlicher Darstellung nicht
kennt. Auch die Renaissance und die ältere Barockzeit ist ohne Anmer-
kungen ausgekommen; erst dem jedes künstlerischen Empfindens baren
Zeitalter des greisenden Ludwig XIV. war es vorbehalten, diese Sicherheits-
ventile modernen stilistischen Unvermögens zu erfinden.*^ Cf. Kaibel 1. c.
16 ff. Unsere Sitte lehnt sich an die Noten der Scholiasten an, daher
Hi8tx)riographie und Poesie. 91
Prinzip nicht etwa blols fär die Geschichtsschreibung, sondern
f&r jedes litterarische Kunstwerk, und schon aus diesem Grunde
ihun alle die dem Piaton Unrecht, die glauben, dafs er den
protagoreischen Mythus und den lysianischen Erotikos xarä Xi^iv
wiedergegeben habe: auf einen solchen Gedanken konnte ein
antiker Leser der guten Zeit überhaupt nicht kommen.
B. Die Beiiehungen der G^esohiohtssohreibnng stur Poesie.
Genau genommen schliejjsien sich [öxoqüc, die Erforschung Theorie.
des Realen, und noi'qöigj die Schöpfung des Ideellen, aus; aber
insofern der hroQixög mit Hülfe seiner Phantasie die Lücken
der Tradition ausfüllt, ist er auch ein aroii^i;^. Da nun im
Altertum bei den meisten Geschichtsschreibern die Phantasie
eine gröCsere Rolle spielte als wir ihr heute einräumen, so er-
klären sich die nahen Beziehungen beider leicht. — Ich werde
auch hier wieder die mir bekannten Stellen möglichst chrono-
logisch aufführen.
stehen in Alteren Werken die Bemerkungen auch am Band. Übrigens hätte
man — bei aller Anerkennung der antiken Sitte vom ästhetischen Stand-
punkt — doch gewünscht, dafs einige Schriftsteller, die viel zu sagen hatten,
nnsem Brauch gekannt hätten, z. B. Aristoteles, bei dem wir jetzt oft doch
•ehr mühsam eine erg^üizende oder erklärende Notiz aus dem Text heraus-
schälen müssen, die er beim mündlichen Vortrag leicht als solche kenn-
seichnen konnte. Varro de ling. lat. schachtelt oft ganz chaotisch zusammen.
Aber auch Schriftstellern, die gut schreiben wollten, ist es nicht immer ge-
langen, uns über eine Nebenbemerkung ohne Störung hinwegzutäuschen,
z. B. gehurt die gelehrte, mit haud fuerit absurdum tradere eingeleitete anti-
quarische Notiz des Tacitus über den ältesten Namen des Mens Caelius
(um. IV 66) nach unserm GtofOhl entschieden in eine Anmerkung, wie auch
andere seiner staatsrechtlichen Exkurse (ganz ähnlich Cass. Dio Lm 16, 5
über den Namen des Palatin); Clemens Alex, ström. I c. 14 zählt dio
Weisen Griechenlands auf, bei Epimenides föllt ihm plötzlich der Vers des
[Paulus] Ton den Kretern ein, woraus er Veranlassung nimmt, alle an-
dern Stellen, an denen der Apostel Citate aus der hellenischen Litteratur
hat| zu nennen, und erst dann geht es in der Aufzählung der Weisen weiter.
Bei Herodot möchten wir dagegen seine liebenswürdige Art, bei Nennung
irgend eines Namens oder einer Sache gleich über diese mehr oder weniger
aosflDlurlich zu berichten (bei Ägypten ist es fast ein ganzes Buch) nicht
miaMB, denn bei ihm ist das eine dem Epos abgelernte primitive Eunst-
form, durch die er der Schöpfer der für die Geschichtsschreibung so folgen-
reicbra Einrichtung des Exkurses geworden ist, cf. 0. Seeck 1. c. (S. 86, 3) 254 f.
92 I- Die griechische Ennstprosa bis Augostas.
Quintilian X 1,31 (vermutlich nach Theophrast): Eisiaria
est proxima poetis et quodam modo Carmen solutum.
Polybios n 56, 11 fP. giebt eine lange Auseinandersetzung
(gegen Phylarchos) darüber, Sri xb tiXog CöroQÜcg xal tgayrndiag
oi tainöv.
Lukian de hist. conscr. 8: ^Ayvoslv ioixaöiv ot roiothrot ibg
noii]rixi}g [uhv xal notrifidtav &Xlav {)no6%i6aig Tcal xavövsg tiioi^
töxogCag 6% &kXor ixet fikv y&Q ixQat'^g ^ iXsv^SQCa xal röftog
elg rö dö^av rp xoii]t^' iv^eog yäQ xal xdtoxog ix M(w6&v
(folgen Beispiele). — *H tötOQia dl fjv tvva xoXaxeiav toutfitriv
nQOöXdßyj xl &XXo fj 7cs^i^ xig icoivixixii ylyvexav^ xr^g fiByaXoipah
vCag (ihv ixBivr^g iöxsgri^svfi , xijv Aotori^ 81 xsQotsiav yvfiviiv
x&v iiixQC3v xal d^' aixb ijtiöfiiioxiQav ixq>a£vov6av; xxX. cf. 22
Toifg 81 xal itoirj^tixolg övöiiaöiv iv [öxoQia xQOifLivovg noi) 8* äv
xig d^sirij xoi>g Xdyovxag jyiXiXt^^e ftiv fj f*i2X«*^5 ^^ '^^^og 81
nsöbv fiBydXag i8ovnri6B", xal icdXiv iv ixigm (ligst r^g xaXijg
töxogiag' ^^E8s66a ^h/ di) ovxfo xolg ZicXoig nsQUöfiaQayBtxo xal
Sxoßog fjv xal xövaßog anavxa ix^ri/a", xal „6 öXQaxtjybg ^/xep/iij-
Qi^BV CD xQÖTtc) (idXtöxa TCQOöaydyoi xgbg xb rar^jog". cf. 14
Musenanrufung und sonstige Nachahmung Homers.
Aristides or. 49 (vol. II 513 Dind.) nennt die Historiker
xoifg li^sxa^v x&v xoti^x&v xs xal ^tixöqcdv.
Demetrius de eloc. 215 von Ktesias: 6 ^oiijri^g oixogj
xotrixilv y&Q ainbv xaXoiri xig sMxcog.
Marcellinus vit. Thucyd. 41: ^ExöXfiriödv xivsg dfcoqyi/jva-
6^ai Zxi a'bxb xb €l8og xrig övyygaifnjg ovx iöxt ^rjxogvxijg iXXa
noi.fixixilg,
Himerios or. 14, 27: 'if xov 'AXixa^aöifog noiriöig,
Agathias erzählt in der Vorrede zu seinem Geschichtswerk
(p. 135 Dind.): in der Jugend habe er sich nur im Dichten ver-
sucht und als er später sich entschlossen habe, Geschichte zu
schreiben, habe ein Freund seinem Bedenken, ob er wohl daftlr
geeignet sei, ein Ende gemacht mit den Worten: Od xöqqw xb-
xd%^ai [öxoQiav notrixiTcflg , dXXä &(L(pio xavxa Blvai i8BXipä xal
bfAÖfpvXa xal fiövo) tömg xp yiixQp iXXi^Xcov imoxBXQiyiiva. &g 8ii
oiv otxo^Bv otxa8B oHörig xfjg (iBxaöxdöBfog ^aQQOVVxd xb livai
ixdXsvBv xal ö^ivat Jtawl i%B6^ai iQyov.
praxu. Wie das rhetorische Element in den Reden, so kommt das
poetische in den eingelegten Mythen und Exkursen aller Art,
Historiographie, Rhetorik und Poesie. 93
die dem Vergnügen und der Unterhaltung dienen sollen^ zum
Ausdruck. Ich verweise dafür auf Liere 1. c. (oben S. 80) 6 und
Livins IX 17, 1: Nihü minus quaesitum a pritwipio huius operis
videri patest, quam ut plus iusto ab rerum ordine dedinarem
varietatibusque distinguendo qpere et legentibus vdut deverticula
amoena et requiem animo meo quaererem; tamen tanti regis ac
ducis (des Alexander) mentio,quibus saepe tacitis cogitationihus volutavi
(mimumy eas evoccd in medium, ut quaerere libeat, quinam eventus
Romams rebus, si cum Älexandro foret hellatum, futnrus fuerit —
Aus der Vereinigung beider Momente, des rhetorischen und
poetischen, erklärt sich der pathetisch-dramatische Aufbau, den
man der Geschichtsdarstellung zu geben sich bemühte; so hatte
ein Alexanderhistoriker (vermutlich Eleitarchos^) die Thaten
Alexanders wie ein Squiuc fidya dargestellt, dessen i^ödiov der
durch Erfindungen aller Art tragisch erhöhte Tod des Helden
war (Plut. Alex. 75), und in unerreichter Vollendung läfet Tacitus
eine Reihe gewaltiger Tragödien mit bewufster künstlerischer Ge-
staltung auch in der Schürzung des Knotens und Spannung bis zur
xazaatQOipij an seinen Lesern vorüberziehen.^ Wenn man be-
denkt, daJGs die römische Tragödie der Republik und der Kaiser-
xeit durchaus rhetorischer Natur war, so wird man wohl sagen
dürfen, dais die eigenartige Gattung der fabula praetexta, in
der die fortia facta nationaler Helden zur Darstellung kamen,
ein Ausflufs dieser pathetisch-dramatischen Geschichtsschreibung
gewesen ist
Aus dem Gesagten erklärt sich die aufserordentliche Sorg-
hlt, mit der die Historiker des Altertums ihren Stoff stilistisch
gestalteten. Wenn man heute nicht ganz einig darüber ist, in-
wieweit der Geschichtsschreiber den Lesern ein künstlerisch ab-
gerundetes Ganzes bieten müsse'), so ist im Altertum diese
1) Das vermutet R. Geier in seiner Ausgabe der Alezandri bist, script.
(Leips. 1844) 169 auf Grand von Cic. Brat. 43, wo von EQeitarcbos berichtet
wird, er habe eine besondere Todesart für Themistokles erfanden: hanc enim
mortem rhetorice et tragice amare potuit.
t) Cf. Leo, Tacitus (Eaisergebortstagsrede Göttingen 1896) 18 ff.
8) Ein Urteil ans dem vorigen Jahrhundert: Breitinger, Dichtkunst
(Zürich 1740) 82 f. ,,Man kan nicht in Abrede sejn, dais der Historie-
Schreiber, ungeachtet er als ein aufrichtiger Zeuge dessen, was würcklich
geschehen ist, mehr durch die wundersame Abwechslung der Glücks- und
Ung^fickB-Fälle, als durch die entzückende Kraft und das poetische Wesen
94 I- Die griechische Eunstprosa bis Augostus.
Frage überhaupt nicht aufgeworfen worden: blolse Material-
sammlung (imofitn^iiara, commentarii) ohne äufseren Pnts legte
man dem Publikum entweder überhaupt nicht vor oder wenn
man es that, so hatte man Tadel oder zweifelhaftes Lob zu er-
warten; dagegen war es Brauch , die Materialien, felis man zu
ihrer künstlerischen Verarbeitung nicht selbst die Fähigkeit
hatte, geeigneten Männern zur Verfügung zu stellen, die nun
ihrerseits das notwendige Erfordernis erfüllten.^).
in den Beschreibungen zu belustigen suchet, dennoch erlaubet ist, zuweilen
den Pinsel des poetischen Mahlers zu gebrauchen, aber dieses nur insofern
er dadurch seiner Haupt-Absicht aufhelfen, und in seiner Erzehlnng ein
helleres Licht anzünden kan. Würde er diese geborgten Farben ohne
Maafse anbringen, so müTste die Wahrheit der Erzehlnng darunter Abbruch
leiden. Daher hat man an Q. Curtius nicht ohne Grund getadelt, dafs er
den Character und die Glaubwürdigkeit eines aufirichtigen Zeugen der Wahr-
heit durch den übermäfsigen Gebrauch des poetischen Zierraths yerl&uguet
habe/* — Werke wie die von y. Treitschke, Mommsen, Taine und Macaulay sind
auch im antiken Sinn Kunstwerke ersten Ranges, manche inhaltlich noch
so wertvolle historische Forschungen neuerer Zeit sind dagegen vom Stand-
punkt des Altertums blofse inoft/ifi^fuicta (s. die folgende Anmerkung).
1) Die ^oiivi/juata des Aratos waren geschrieben diä t&v initv%6ptmv
dvoiuittov (Flut. Ar. 8), dafCLr aber waren sie dtXrid'ivcc xal 6aq>ij (Polyb. I
40, 4). Lukian de bist, conscr. 16 &XXos 9i xig aijtdbv ^6pyvmka t&v yiyo-
v6tmv yvfi/iföp evvayaymv iv ygcctp^j noiiidfj neibv aal xaitaufitig^ olop jud
argatiiSaTrig &v tig tu xa^' rjftiQuv &7coyQaq>6iievog evvi^%Bv i) TfxtcMr ^
xaTTTjZ«^ xiq aviinsQivoat&v tfj ctgatiä. nXiiv &XXcc fi€XQtAtiQ^ yi 6 idtAtrig
ohtoi ^y, a^bg {ihv ocM'na Öf^Xos mv olog ^y, &XXa} 9i nvi xagii^tt mal
dvvriaofiivtp Ictoglav iiBta%6VQleae^ai ngonsnovrin^s. Dagegen verlangt er
48: nach Sammlung der Thatsachen fCQ&ra fikv 'bn6iivriiid xi cvvwpccipixm
aifx&v xal eätfia noislxoa ä'naXXhg frt xal &duiQ9'Qmxov' elxa inid'ilg xijv xd^ßw
inayixm xb adXXog xal ;|r^coyWra> xfj Xi^si xal axrifi^ti^Sita xal (v^^i^ixm.
Photios bibl. cod. 80 von Olympiodoros (s. Y) : aaqfijg fikv xriv tpffdmvj &xov6g
8h %al itiXsXvfiivog xal n^bg xriv fCBnocxT}fi4v7iv aaxsvrivByfiivog %vdaioX6y(a9,
&6te firTjd' &^iog sl^ avyyQUfprjv &vayQdq>iOd'tti 6 X6yog. h xal aitxbg üetßg
avvidmv oi Gvyygaq>i\v a^xm xai^a naxacatvocadilvoci , &XXä {fZijtr 6vyyQocq>fjg
i-KTtoQiad'ijvai diaßsßaiovxai' ovxmg &(iOQq>og xal ävHeog xal a{fx^ xo^ X6y9v
6 ;|ra^axr7)9 %ax6q>aLvsxo. — Ebenso die Lateiner. Bekannt sind die Urteile
des Hirtius (bell. Gall. VIII praef.) und des Cicero (Brut. 262) über Caesars
commentarii; wenn übrigens Cicero sagt: dum voluü alios habere parnUa,^
unde sumerent qui velUnt scribere historiam, ineptis grattim fort(U8e feeit, gut
völent illa calamistris innrere: sanos quideni homines a scribendo deterruit,
nihil est enim in historia pwra et illustri brevitate dtdciiM, so ist das (wie
manches in diesem ganzen Abschnitt über Caesar) nicht seine wahre Herzens-
meinuug, die sich vielmehr in jenem famosen Brief an Atticus (U 1, 1 f.) verxut.
Thukydides. 95
Daher brauchen wir es nicht fdr Übertreibung zu halten,
wenn Dionys y. Halicamass uns berichtet (Arch. IV 21), dafs
er 22 Jahre an seiner Geschichte gearbeitet habe, oder Cassius
Dio, dab er zehn Jahre zur Sammlung des Stoffs, zwölf zur
Ausarbeitung gebraucht habe (LXXV 23. LXXYI 2).
1. Über Thukydides will ich folgende zwei neueren Modemo
Urteile voranstellen:
L. Spengel, Über das Studium der Rhetorik bei den Alten
(München 1842) 27 f.: „Bei keinem Geschichtsschreiber des
Altertums tritt die Rhetorik erhabener imd in schonerer Gestalt
auf als bei Thukydides; man dari^ sagen, wie die bildende Kunst
sogleich in voller Kraft im Phidias, die dramatische im Aeschylus,
80 erscheine die rhetoriBche im Thukydides, zum Beweise, was
sie, richtig angewendet, vermöge, und damit alle späteren mifs-
lungenen Versuche nicht ihr, sondern der Unfähigkeit jener,
welche sie ausgeübt haben, zugeschrieben würden — Die
Darstellung (in den Reden) ist nicht in^der Sprache des Forums,
die sich in behaglicher Breite gefällt und verstäudlich zu jeder-
mann spricht, man sieht an ihnen das Studium, das Streben, mit
wenigem viel zu sagen; sie sind ganz aus der Kunst der alten
Sophistik geflossen und tragen ihre Abstammung überall sichtbar
zur Schau, sie wollen studieri^, nicht gelesen sein/'
M. Haupt, Herrn. III (1869) 150: Ad Thucydidis sermonein
nUdlegendufn non prodest caeca gravissimi scriptaris admiratio,
neque^ ut libere dicam quod sentio, anxia et operosa interpretum
quorundam sübtilHas numguatn noctiit mtUttttn autem prodest in-
formare animo imaginem hominis magno ingmio magnaque sapientia
praediH toiamque rerum gestarum perscribendarum rationem ad
artis severiiatem revocantiSy sed ea aetate, qua prosa Atticonim oratio
wmdum satis exculta, rJietorum autem praeceptis modo conformari
eoepia erat, üaque et abutitur oratoriis afiificiis novitate tum blan-
dientibus ei luctcUur quasi Qum sermone multaqtie committit quae ex-
eitsari posstmt, laudari autctn et tamquam perfectae artis exemplo
commendari netUiquam debcnt.
wo er über sein eignes ijtofivrnia spricht. Besonders auch lehrreich hierfür ist
der Brief des L. Yems an Fronto (p. ISl f. N.). Commentarii zur Heraus-
gabe bestimmt sind selten: Quiutil. X 7 30.
96 I- Die griechische Eunstprosa bis Augustus.
Anüke Dafs Thukydides unter dem unmittelbaren Einflufs der
sophistischen Prosa seiner Zeit geschrieben hat; wufste man im
Altertum genau, wie die vielen Zeugnisse für seine Anlehnung
an Gorgias und Prodikos beweisen.^) Nachdem darüber schon
Spengel (Art. scr. 53 f. 119) alles Wesentliche gesagt hatte, ist-
das Einzelne in einer grofsen Anzahl von Spezialuntersuchungen
dargelegt und von Blafs 1. c. I^ 203 ff. zusammengefalst worden')-
Ich wiederhole davon nichts, sondern hebe nur einiges Allgemeine
hervor. Den antiken Beurteilern war der Stil des Thukydides
ein Problem ; weil er, trotz der Anlehnung an die sophistische
Prosa im einzelnen, als Ganzes betrachtet doch isoliert dastand.
Dionys v. H. denkt sich nun in seinen Kritiken den Thukydides
als einen höchst eigensinnigen Schriftsteller, der, ergriffen von
der Sucht, Neues und Ungewöhnliches zu bieten, immer das
gerade Gegenteil von dem dachte und schrieb, was normale
Menschen gedacht und geschrieben hätten. Das ist die Vor-
stellung, die dieser Mann von Originalität hat. Aber darin hat
er doch recht: Thukydides hat, wie Diels (Gott. gel. Anz. 1894
p. 298) sagt, durchaus m>)dem sein wollen; das Moderne fiel aber
damals mit dem ungewöhnlichen zusammen. Nur müssen wir ver-
suchen, durch tieferes Eindringen eine würdigere Auffassung zu ge-
winnen, als es Dionys gelungen ist, der von psychologischen Er-
)M Neue, wägungen keine Ahnung hatte. Thukydides hat die Würde, das
(il^cDfia, seines Werkes auch darin zum Ausdruck bringen wollen,
dafs er nicht in der Sprache schrieb, wie sie in den für den Augda-
blick bestimmten &y{ovi6(U)cta zur Anwendung kam. Er wählte
daher, ähnlich wie die Tragiker, eine dem Leben fernstehende
Sprachform, die seine späteren Kritiker treffend die archaisierende
genannt haben. Aber damit ist nur eine Besonderheit bezeichnet:
1) Dafs nicht blofs fonnell, sondern auch inhaltlich der Einflufs der
Sophisten zu merken ist, hat K. Schoell in seiner hervorragenden Abhand-
lung: „Die Anfänge einer politischen Literatur bei den Griechen" (Fest-
rede in der Akademie, München 1890) 32 hervorgehoben: in ihrem Dialog
mit den Meliem tragen die Athener die sophistische Lehre vom Recht des
Starkeren vor (V 89).
2) Ein beachtenswerter Anklang an Qorgias im thukydideischen Epi-
taphios wird hervorgehoben von v. Wilamowitz im Hermes XI (1876) 294 f.
Einige gute Beobachtungen bei E. Scheel, De Gorgianae disciplinae vestigiis
(Diss. Rostock 1890) 35. 41. 52 ff.
Thukydides. 97
Thukydides hat sich nicht mit dem vorliegenden Sprachstoff be- Miichnnf
gnfigt, um ihm seine Gedanken anzupassen, sondern seine Ge- '*' ''"'
danken sind ihm die Hauptsache, und wo sich ihnen die Sprache
nicht f>, schafft er den ihnen konformen Ausdruck mit der
Rücksichtslosigkeit eines Autokrators. Die Berechtigung dazu
gab ihm die durch die Sophisten begründete Theorie von den
Neuschöpfungen der Wörter.^) Mit dieser souveränen Sprach-
bildnerei verbindet sich mm ein ganz heterogenes Element: ein
pedantisches Betonen des Sprachrichtigen, wie I 122, 4 ov yäQ
8ii X€q)evyit€g tavta ixl f^v xXsictovg dij ßX&^a6av xaxa-
fpQ6vri6iv 7u%(OifT/j[iuxxB^ ^ ix rot) noXXovg 6q>iXXeiv xh ivavtiov
Svofur itpfoöjivri (Utayvöiiaötat oder II 62 livai dl totg i%^fotg
bfk66B xal a^ivpaö^ai (lij tpQOviifiatt, ^6vov iXXä xal xccraq)QOVii'
lucti' ipQivriiia [ikv yäQ xccl imb ifucd'iag einvxovg xal dsiXdi xvvi
iyyiyvitaij xaxatpQ&injöig dl, bg &v xal yvfbiitj niöts^u t&v
httvxlanf %Qoi%uv: das ist, wie man schon im Altertum wufste,
der EinflnÜB des Sprachpedanten Prodikos. Infolge dieser
Kreuzung sophistischer Sprach theorieen ist Thukydides oft in
einem und demselben Kapitel der verwegenste Sprachneuerer
und der peinlichste Beobachter des Sprachrichtigen. Der Ein-
druck des ungleichartigen wird nun erhöht, wenn wir von den
emzelnen Worten auf die Sätze blicken. Aus jener für den
sprachlichen Ausdruck geltenden Parole erlaubter subjektiver
Freiheit zog er die Konsequenz, daCs auch das aus den Worten
tich ergebende Satzganze der individuellen Willkür des Schrift-
Btellers anheimgestellt sei. Keiner der Sophisten ist ihm hierin
vorangegangen, aber diese Konsequenz zu ziehen, dazu drängte
ihn die Richtung seines ernsten Geistes, der die Fesseln des
Schematismus sprengte, indem er an die Stelle des Verzierten
das scheinbar Kunstlose setzte: der Gedanke, unendlich weit,
überwuchert das Wort, das ihn kaum noch zu tragen vermag^);
1) Cf. Spengel, Art. script. 85. 86. 88. 92. Über sie hat sich schon
Arisiophanes in den JocitaXfjg lustig gemacht. Am weitesten ging darin
der Sophist Antiphon (S. oben S. 72, 2), der thatsächlich auf Thukydides ein-
gewirkt hat (cf. Hermog. de id. 414, 22 ff. 422, 17 ff.), und zwar, soweit wir
sehen, mehr als sein Freund, der Redner.
2) Cf. Cicero de or. n 56 ita creber est rerum frequenHa, ut verbarum
prope numerum sententiarum numero cansequatur, ita potro verbis est aptus
et presmiB, ut neseia», utrum res oratione an verba setUentiis iUustrentur.
Morden, antike Kunetprota. 7
98 I- I^i^ griechische Eunstprosa bis Augnstus.
die Alten haben das treffend so ausgesprochen^ dafs Thukydides
im Streben nach rd%og tilg örifiaöücg geworden sei {meQoxtmbg
tfjg &xoXovd'ütg (Theophr. bei Cic. or. 40; Dionys. de Lys. 3 und
sonst): diese Regellosigkeit^ dieses Aufheben des gleichma&igen
Ausdrucks ist beabsichtigt^ denn jede Änderung der sprachlichen
Form in inhaltlich parallelen Sätzen giebt dem Gedanken eine
Nuance, fügt ihm ein Neues hinzu. ^) Das Eigentümliche aber
ist, dafs wie beim Wortgebrauch so auch hier mit der Regel-
losigkeit sich eine, wie man erwarten sollte, divergierende Linie
kreuzt. Wäre der Stil des Thukydides im Bau der Sätze durch-
gängig disharmonisch, so würden wir in der absoluten Regel-
losigkeit die höchste subjektive Regel des Schriftstellers er-
kennen; aber in Wahrheit steht neben dem Schroffsten »und
Formlosesten, oft unvermittelt, das Glatteste und Yerkünsteltste,
nämlich alle jene Spielereien des Gorgias*): derselbe Schrift-
1) Die Thatsache ist ja jedem Leser des Thukydides bekannt, ich
meine Fälle wie I 2, 2 tijs yäg iiMoglag oix o^cris lybd* inifuyv^rtsg &dB&g
&llijlotg. y 9, 6 toü ^navUvai nXiov ^ rot) (uhomog (Über das substanti-
vierte Partizip s. unten Anm. 2) tijv diavouiv i%ovßiv. Y 14 ganz: ^vpißti
. ., mars noliiiov {ihv {iridlv Irt atpaad'at (iti^BtSQavgj n^bg dh tiiv sl^i/jwriv
{jLäXXov x^v yv&yi/riv bI%ov^ ol (ukv 'A^ißoloi nXriyimtg inl %^ JriXlm . . . %al
o^x ixovteg tiiv ilniSa tijg (Aiirig nunriv frt . . . ., xcel rohg ip(j^xov^
äfuc idsdiscccv .... iiBTBfiiXovto xb 3ti, %tX ' ol d' al Acc%B8cctji6vwi
nagä yvmfiriv fihv &noßaivoißtog atpiei xo^ noXifJLOv . . ., nBQUiB96px sg dh xfj
iv xfj vi^(f(p ^vfitpogä . . ., xal Xjj&CBvofuivrig xfjg %AQag, VI 24, 3 %al i^atg
ivinsifs xotg n&aiv öftoüog innXBüaai' xolg fi^v TCQBcßvxigoig oitg ^ xccxacxQB-
tl>oii4voig iq>* a ItcXbov Tj o{>9hv dkv aqiaXBZaap (tBydXriv 9vpa(iiv, xolg d* iw t{
^Xtx/a xf/g XB &novcr[g fc6d'<p öipsag xal d'BODQlag aal BÜXnidBg SvxBg em^-
<Fe<F^ai* 6 dh noX^g ZiiiXog %al cxQaxuhxr}g &QyvQiov oücbiv. Eine nach rich-
tigen Gresichtspunkten geordnete Sammlung solcher Anomalieen giebt E. Lange
in seiner kürzlich zu Schulzwecken erschienenen Auswahl aus Thuk. (Leipz.
1896) im Kommentar 173 ff., cf. auch E. Pannicke, De austera Thucydidis
compositione, quatenus ex copulatione dissimilium orationis partium per-
spici poBsit, Diss. Berlin 1867.
2) Eine in den neueren Sammlungen übersehene Einzelheit: I 110
roDroy Öh diu xb iiiyB^ög xb to{) iXovg oix idvpavxo kXBtv %al &fia (MJi%i-
ILiiixaxol bUsi x&v Alyvnxlmv ol flciot, was schon Hermogenes de iny. IV 7
p. 169 Sp. notiert hat. Über VUI 16, 1 Za\dav iilav (sc. va^p) kann man
zweifeln, s. oben S. 80, 1. Eine wichtige wörtliche Anlehnung an Qorgias:
E. Scheel 1. c. 35. — Eine der bemerkenswertesten rein sprachlichen Eigen-
tümlichkeiten des thukydideischen Stils, die auch schon dem Dionys y. H.
aufEel, ist die Substantivierung neutraler A^jectiva und Participia, z B.
Thukydides. ' 99
sieller, der sonst mit den Worten bis zur Dunkelheit spart, fägt
nicht selten wegen des äuTseren antithetischen Satzbaus ein für
den Gedanken überflüssiges Satzglied hinzu ^) und mafsregelt die
Sprache einem äußerlichen Schema zuliebe'); derselbe Schrift-
steiler, der in der Stellung der Worte nicht dem Rhythmus,
sondern dem Gedanken zuliebe das Kühnste wagt^, zirkelt ge-
legentlich in gorgianischer Manier parallele Sätzchen ab mit ge-
nauester Responsion der einzelnen Worte. ^) Wo ist die Lösung
II 59 tb 6ifyii6niP09 tfjg yvAfiris Y 66 tb iniiisXhg tov dgiiafiivov (schol.: ij
IsifUXcia t&p yivonivmp); nun finden sich ein paar Beispiele auch beim
Redner Antiphon, z. B. V 78 uQSiöoov xgii ylyveed'ai tb <biiitSQov dvvdfisvov
ipti %miei9 Ij tb t&v ix^i^&v povX6pLsvov &dl%mg iis &noXXvvcci, aber beider
Mutter war Gorgias, wie das Fragment des Epitaphios zeigt, wo sich in
dinem Satz folgende Neutra zusammenfinden, die alle auch bei Thukydides
nachweisbar sind: tb ixm%ig^ 9i%aiop, diov^ ^vfUfi^ov, &fpqov und, was be-
sonders bezeichnend, mit dem gorgianischen tb €pq6viii4>v tijs yvAiiris deckt
sieh bei Thukydides I 90 tb ^nontov tfjg ypiiiiirig und bei Antiphon 11 y 3
tb 9vim6iu90v tljg ypAiitig: beobachtet von M. Nietzki, De Thucydideae
elocationis proprietate quadam (Diss. Eönigsb. 1881) 37 ff. (später hat das
besonders Epikur geliebt).
1) Z. B. n 37 in. X9^P^^^ Y^Q noXitsla oö iriXo^üfj tobg t&v niXag p6'
fuwg, necgtidHyfiM 8h (t&XXav aiftol ÖPtsg rtvl ^ iiiiiovfiepoi itiifovg. YH
76, 8 ol tfibrteg %cctciX9in6iiivoi ti^avfuctLai ts mal &ad'ivetg noXif tAv tsd'psdt-
tmw XwtTioSftBQOi ffiap %a\ t&v knoXmXotmv MXi&tiQOi.
2) Z. B. Vn 67, 3 iv bXiytp yocQ noXXal (sc. vijeg) &ify6teQai {ihv ig
tb 9^9 Vi &v ßo6Xovtai iüovtat, (qtctai dh ig tb ßXdntsad'ai &q>' irv ^fiitv
u«i4f§€%96cL9taif wo ig nach (aatai statt des blofsen Infinitivs, der auch bei
Th. selbst sonst steht, sprachlich singulfix ist. I 70, 3 f. aid'ig Öh ol fikv
mtd «o^ dvvaiuv toXfMrital %al naffä yvAfuriv %ivdvvsvtal xal inl totg
Stivctg MXnidig' tb dh {ffUtsgav tfjg te dvvdiiemg ivÖsä ng&^ai tilg ts yv&-
|M|€ fifidh tolg ßißaioig niötsiiüai t&v ts dsiv&v firiÖinots oüsad'ai ScnoXv^-
tffftf^oi. Mcl ikijv %al &o%voi n^bg (ffUtg pLsXXritccg %al Scnodrifirital n^bg
ip9ri§Mtätavg^ wo die hervorgehobenen Worte kühne Neubildungen sind
snliebe von ro2fM]ra( und ivdTifiotdtovg.
8) Cf. Ph. Both, De Antiphontis et Thucydidis genere dicendi (Diss.
Maibuxg 1875) 42 ff.
4) Beispiele besonders bei J. Becker, De sophisticarum artium vestigiis
apad Th. (Diss. Berlin 1864) 27 ff. H. Steinberg, Beitr. z. Würdigung d. thuk.
Baden, Progr. des Wilh.-Gymn. Berlin 1870 prüft sehr gut das Ethos der
einseinen SteUen, in denen die Figuren zur Anwendung kommeo. — Gor-
gias und Prodikos vereinigt I 69, 6 xal firidslg 'bfi&v in' ^x^qu tb nXiov ^
oiri^t TOfUe^ tddt Xiysc^ai' altla fikv yag q>lXmv icvdg&v iativ äfucQtavov-
T«9, «4m|yo^/a Sh ix^Q&p &di%fiadvti»v,
7*
100 L Die griechische Eunstprosa bis Augastos.
idiTidnaii-des Rätsels, das ein solcher Stil aufgiebt?^) Ich denke , wir
rrftdition. sehen in diesem Stil mit fast plastischer Deutlichkeit den
Kampf des Individuellen mit dem Traditionellen, das Ringen
eines gewaltigen Geistes, der zwar in den Bahnen wandelte, die
ihm die eigene ernste Anlage und die Würde des Stoffes wies,
der aber gelegentlich auch die betretenen Pfade einschlug und
einschlagen mufste: denn jeder zahlt dem Geist der Zeit seinen
Tribut, aber die überragende Persönlichkeit giebt sich darin
kund, wie sie ihn reflektiert, und da mufs man sagen, dals die
Individualität des Thukydides auch als Stilisten eine ebenso be-
wundernswürdige ist wie die des Tacitus, des einzigen, der sich
ganz mit ihm messen konnte und, wie wir sehen werden, messen
wollte: auch er, der Verächter polierter Form vor der wuchttgen
Gedankenschwere, ringend gegen den verderbten Geschmack
seiner Zeit, aber auch er in gelegentlichen Künsteleien ihm seinen
Tribut zahlend; der Grieche für alle Folgezeit der Repräsentant
der 6B^v6tfigj der Romer von seinem Freund Plinius mit dem-
selben Worte geehrt; beide einsame, vornehm zurückhaltende
Naturen, die nie zu ihren Lesern herabsteigen; beide auch darin
wahrhaft grofse Schriftsteller, dafs sie nie alles sagen, sondern
stets eine unausgesprochene Gedankenwelt hinter ihren Worten
vor dem Geist des mitarbeitenden Lesers sich auftürmen lassen.
Gelesen wurde Thukydides daher nicht viel, wenigstens nicht
von dem grofsen Publikum, und nicht durch seinen Stil, der
selbst philologisch gebildeten Lesern des Altertums groCse
Schwierigkeiten bereitete und der ihnen in seiner Herbigkeit
und Originalität nicht sympathisch war, sondern durch die
1) Hin und wieder traf ich auf die Behauptung, Thukydides h&tte,
wenn sein Werk nicht ein Torso geblieben wäre, die Härten der Spradie
beseitigt und das Ganze mehr uniform gestaltet. So können nur diejenigen
urteilen, die sich nicht dem Fühlen jener Zeit und eines ihrer grOfsten
Vertreter anzupassen vermögen. Auch wer glaubt, den Thukydides wegen
seiner Verwendung der spielerischen Bedefiguren ^entschuldigen' ssu müssen
(F. Stein, De figurarum ap. Thuc. usu, Progr. des Fr.-Wilh.-G7mn. Cöln 1881),
wird ihm nicht gerecht. Im Tadel des Thukydides ist, gestützt auf die
albernen Bemerkungen des Dionys, am weitesten gegangen Beiske in der
Vorrede zu seiner 'Deutschen Cbers. der Beden aus dem Th.', Leipz. 1761:
die — wirklich unerhörte — Stelle („schlechte und einstige Streiche des
Th.". „Th. Vater der Witzlinge" u. dgl. m.) hat Steinberg 1. c. 4 mitgeteili
Xenophon. 101
würdige Behandlung des gewaltigen Stoffes ist seine stolze
Prophezeiimg von der Ewigkeit seines Werkes zur Wahrheit ge-
worden.
2. Mit Xenophons Namen haben wir uns gewöhnt, die Natur m
Vorstellung einfacher Grazie, also der spezifisch attischen Eigen-
schaft^ zu verbinden. Auch dem Altertum galt er als Typus
schlichter Natürlichkeit, und wer daher in der Eaiserzeit naiv
schreiben wollte, der nahm sich wie in ionischem Dialekt den
Herodot, so in attischem den Xenophon zum Muster: nur schade,
dab bei diesen Epigonen die Naivität gesucht ist und daher
entweder zur Sentimentalität oder zum höchsten Raffinement
wird, 80 dab sie entweder süTslich oder affektiert oder beides
erscheint. Nun hat es freilich im Altertum einsichtige Leute
gegeben, die konstatierten, dafs dies Naturkind Xenophon sich
gelegentlich doch gern putze, ja hin und wieder sogar mit recht
bedenklich schillernden Flittern; aber diese Urteile sind selten,
und im allgemeinen ist man voll des Lobes dieser attischen
Biene. Daher war auch für Blafs in der ersten Auflage des
zweiten Bandes seiner ^Geschichte der attischen Beredsamkeit'
(1872) Xenophon das schmucklos schreibende Naturkind. Dann
bewies aber H. Schacht in seiner vortrefflichen Dissertation
De Xenophontis studiis rhetoricis (Berlin 1890), dafs auch
Xenophon, wie ja nicht anders zu erwarten, im Bann der
sophistischen Eunstprosa seiner Zeit stehe. Daraufhin hat dann
Blab in der zweiten Auflage (1892) seine Ansicht etwas modi-
fiziert, aber er bleibt dabei (p. 479), Xenophon sei „kein Kunst-
redner, sondern ein Naturredner^^ Mir scheint das, so aus-
gedrückt^ mindestens nicht vom antiken Standpunkt richtig, denn
einen * Naturredner' im Gegensatz zu einem * Kunstredner' hat
das Altertum nicht anerkannt (s. o. S. 8, 2). Ich möchte es
lieber so ausdrücken: bei Xenophon ist die natürliche Schlicht-
heit sowohl des einzelnen Ausdrucks wie des Satzbaus stark und
absichtlich (beides leugnet Blafs) beeinflufst durch Anwendung
aller Mittel der zeitgenössischen Rhetorik, und nur darin unter-
scheidet er sich sehr zu seinem Vorteil von manchen gleich-
seitigen Schriftstellern, dals er mit seinem gesunden Gefühl für
das EinÜEUihe und Schlichte die Natur nicht durch die Kunst
verdrangt, sondern beide zu einem harmonischen Ganzen ver-
bunden hat. Er hat praktisch gezeigt, dafs die moderne Manier,
102 I- I^e griechische Eunstprosa bis Augostus.
mafsvoll gehandhabt; den Stil tbatsächlich zu heben ^) nnd zu
verschönern imstande war: darin ein echter Athener mit seinem
instinktiven Gefühl für das Malsvolle, die ipiXoxaXia auch im
Stil. Dafs das Rhetorische wirklich stark und absichtlich hervor-
sophitiik. tritt, mögen folgende Stellen der AaxedaifiöviDv xohtsia zeigen:
1, 5 aldetö&ai ^ihv elöuivta öq>&ilvaij aldetö^ai d' i^iAvta.
2, 2 &6Te noXX'^v ^ilv aid&j jcoXXiiv öl nsiO^m ixet övfknaQBtvai,
3, 1 navovöi ^Iv iatb xaiday(oy&v, 7ia'6ov6i 8% &nh didaöxdXav.
3y 2 xataiia^hv yäq xot^ xriXiTioi&toig {Uyusxov fih' q>Q6vfiiia
iliq>v6nBV0Vj fiMXiöta di CßQiv hiinoXdiov6aVj l6%vQ(ytAtag 8%
ixi^^iag r&v '^äov&v xagiötafiivag ^ trivtxavta xXsüftovg (ihv
Ttövovg avtoig inißaXSj %XBl6xriv d% &6%oXlav ifn^xccvi^öavo.
3, 5 ixstvcDV yovv fi(itov fihv &v qxovi^v ixoiiöaig ^ tßnf Xid'ivayVj
fixxov d' av ZfifLaxa iuxa6xQdtl;atg tj x&v %aXx&v, aidrmoveöxdQOvg
d* Rv ainovg '^yi^öato xal airt&v x&v iv xotg ^aXdiU)i.g naQ^ivtov.
4, 2 6q&v ovVj olg av ^Xusxa q>iXov6Lxia iyyivrixaij xoikayv xal
XOQOvg &l^taxQoaxoxdxovg yiyvofiivovg xal yvfiLvixoifg &y&vag
Al^io^saxindxovg. 5, 4 ötpdXXovöi fiiv öAfutxa^ 6(pdXXov6i dl
yvA^ag. 5, 6 &6x^ ixet ^i6xa filv {jßgiVj ijxiöxa 8h xaQOiviav^
i^xiöxa öi alöxQOVQyiav xal alöxQoXoyiav iyyiyvsö^ai. 5; 8 ot
fi^t/ öianovoviuvot süxQOoi X€ xal eüöagxoi xal BÜQOjöxoi bIöw,
ot d' ßnovot neqwöfifiivoi. xs xal alöxQol xal iöd'svstg ivagnti-
vovxat, 9, 3 xotg iikv Ayad-otg siöaifioviav^ xotg öi xccxotg xaxo-
8(DLiyL0vlav. 9, 5 xal fi^v iv böotg naqaxfOQrixiov ccvx^ xal iv
^oKOig xal xotg veaxiQOig imavaöxaxsov xal x&g fihv Xifoörixo^öag
xÖQag otxoi^ ^QBnxiov xal xatixaig xi\g &vav8Qiccg alxCav {>q>sxx60Vy
ywatxl 81 xsvijv iöxiav xsQtoxxiov xal S^ia xovxov ^ijfiiav
dnoxiöxeovy Xutagbv 81 oi> nXavKixiov, 0^8% ^nfiLrixiov xovg
&veyxXi^xovg ^ fj nXriyäg imb x&v &(Uiv6va}v Xrpcxiov.^) Da
mit vergleiche man, um den Unterschied deutlich zu fühlen,
die pseudozenophontische ^A^valmv noXiXBia^ jene noch nicht
von der sophistischen Kunstprosa beeinflufste oder sich ab-
sichtlich von ihr fernhaltende älteste attische Prosaschrift!')
1) Z. B. glaube ich dem Demetr. de eloc. 6, dafs in den Worten Anab.
IV 4, 3 ohtos dh (der Flufs Teleboas) ^v {usyccg fikp o^, nalbg Si die Klein-
heit der %&Xa die Kleinheit des Flusses malen soll.
2) Gleichklang beim adiectiviun verbale auch Gorg. Hei. 6 Pal. 19;
aus Isokrates 15 Stellen bei E. Scheel 1. c. (oben S. 71, 1) 29.
3) Cf Kaibel 1. c. (oben S. 39) 50, 1. Diels 1. c. (oben S. 44, 1) 298.
5, auch oben S. 27, 3.
Xenophon. Aeschines. ] 03
Für das Übrige sehe man die Nachweise Schachts ^)y denen ich
nur noch ein schon im Altertum notiertes Kunststück hinzu-
fSige: Hell. VII 1, 41 Ilsiöiav oiv rbv ^A(fyelov ctQattiyovvTa
iv t^'jiQysi. Tcei^Si TtQoxaxaXaßstv tb "Ovaiov,^)
3. Von Aeschines dem Sokratiker^ der sonst für schlicht aorgia-
galt (cf. Hermog. de id. 356, 22; 419, 28 flf.; R. Hirzel, Der "'"''••
Dialog I 132 f.), sagt Philostratos ep. 73, 3 xal AlöiCv^g ö" 6
iaio xov JSaniQdtovg . . . adx &xvBi yoQyui^etv iv x^ tcsqI xrls
BoQytiUag X6ym. qyr^öl ydg xov &d6' ^^^agyrikia MiXviöCa \ iX-
^w6a eig QsxxaXlav \ ^wriv ^Avxi6%p SexxaXS \ ßaöiXsvovxt
Mivx€9v SsxxaX&v*^ : das erste und zweite Eolon haben je aclit
Silben, das dritte neun, das vierte zehn. ^) Dieser Dialog gehört
freilich nicht zu den sieben von Panaetius als echt anerkannten,
aber stilistisch wäre nichts dagegen einzuwenden; denn die
Worte stammen offenbar aus dem Anfang des Ganzen oder
wenigstens eines gröfseren Abschnitts, und das yogyiä^siv eines
f&r itpeXi^g geltenden Schriftstellers im Proömium seines Werks
1) Ct. auch L. Radermacher im Rh. Mos. LI (1896) 608 ff. Einige
gnie sprachliche Beobachtungen besonders über kunstvolle Wortstellung
auch bei C. P. Schulze, Quaest. gramm. ad X. pertinentes, Beilage zum Pro-
gramm des Fr. - Werd. - G^ymn. zu Berlin 1888. H. Sauppe hat in seiner
Xenophon-Ausgabe Bd. V (Leipz. 1866) 290 im ganzen 816 poetische Worte
(cf. Dem. de el. 80. 89. Hermog. de id. 419, 21) bei Xenophon gezählt (cf.
Blab 477). Für den Agesilaos, in welchem entsprechend dem Zweck des
Enkomion (so nennt ihn Theon, prog. p. 68, 27 Sp.) das Rhetorische beson-
ders stark hervortritt (vor allem in cap. 11), cf E. Lippelt, Quaestiones bio-
graphicae (Diss. Bonn 1889) 18 ff. I. Bruns, De Xenophontis Agesilai capite
ondecimo, ÜniTersit&tsschrift Kiel 1895.
2) Fflr die naifi/j%ri9ig citiert von Hermogenes de iny. IV 7 p. 169. Lo-
beck, De praeceptis quibusdam grammaticorum euphonicis (in: Paralip.
gramm. graec. I) 55 dürfte die Absicht Xenophons wohl nicht mit Recht in
Frage stellen (s. oben S. 21, 4). — Bemerkenswert ist übrigens, was Vahlen,
D. Bhetor Alkidamas 1. c. (oben S. 72) 491 f. hervorhebt: Xenophon hat
sweimal 9ifynv in übertragener Bedeutung (Mem. IQ 8, 7 ^ysiv 9h tag
i^vfitg t&9 Inniwv xal i^oi^y^sip ngbg tohg noXtfUovgj Eyrop. I 6, 41 ?)y tAv
ü9Q€ctimfSb9 ei [ihv tcc oAfuita i^oxrifiiva ^, ei Sh al tffvxal tsd'riyfiivai)^ was
Aristoteles Rhet. m 8. 1406 a 10 als ein ipvxQ6v des AUddamas anfahrt.
3) Cf. Mich. Psellos de S. Gregorii theologi charactere bei A. Brinck-
maan^ Quaestionum de dialogis Piatoni falso addictis specimen (Diss. Bonn
1891) 6, 1 Toe £at%Qcefi%o^ AUs%ivov %r]v imieXfj ow^ifririP tätp liieatv,
doch braucht das natürlich nicht auf solche Sätze wie den angeführten zu
gehen. Bei Laert Diog. U 68 heifst es geradezu yon ihm: yMUcta (ufuttai
r^gyiar tb^ Aeowtlpov.
104 I- I^i® griechische Eimstprosa bis Augustus.
(wo ja nach feststehender Regel gröfserer Schmuck erlaubt war)
würde nicht unerhört sein^ denn BlaTs (I 89) hat selbst bei
Archytas aus dem Proömium einer mathematischen Schrift
folgendes notiert (Stob. Flor. XLIII 135): tb fikv &v fut^lv
TiaQ &XX<p xal &Xl6xQiov' xh 6^ i%sv(fkv 8C aiktwrov xal ttiov.
i^BVQkv d\ fii) ^axiovta^ &noQOv xccl öxdviov iiaxiovxa d% etbro^ov
jtaUitttx&s 4. Bei Piatons Stil müssen wir zwischen den Partieen
^^ u^lv. * unterscheiden, die den Gesprächston wiedergeben, und denen, die
sich in fortlaufender Rede bewegen. Über die ersteren war
schon das Altertum des Lobes voll. Hermippos und Caecilius
hoben an ihnen hervor xh AxQtßig xal Tcad-aQdvy xb iacdgixxov
xal sÜQvd'^ov (schol. Aesch. de fals. leg. in.); bei Dionys ep. ad
Pomp. 2, 7 heifst es sehr fein (daher ist es nicht von ihm), die
Hauptstarke Piatons als Schriftsteller zeige sich, Sxav xiiv itfxvijv
xal ixQtßH xal doxovöav fuhv änolrixov elvatj xateöxsv^
aö^iivriv dl i(io(iiixaj xal &q)sX€t xaxaöxsvfj didXsxxov
£l6q>iQji^ nach Quintilian IX 4, 77 ist er diligentissimus com-
positioniSj und dergleichen Urteile liefsen sich noch viel an-
führen. Hierin empfinden wir ganz wie das Altertum: ,,Platon,
sagt y. Wilamowitz (Aristoteles imd Athen II 392), hat sowohl
in der Theorie wie in der Praxis gezeigt, dafs selbst das Ge-
spräch als Eunstform neben der älteren Ansprache gleich oder
hoher berechtigt stünde.'^ Anders ist es mit jenen nicht im
Gesprächston gehaltenen Partieen. Dieselben Männer, die in
ihrer Bewunderung so weit gingen, dafs sie (mit einem allerdings
etwas abgegriffenen Bonmot) von ihm sagten, el xal xaffä d-eotg
didXaxxög iöxvv^ y xb x&v iv^QAxcav xdxQflxai yivog^ oint aXXmq
6 ßaötXeifg &v aix&v diaXiysxai ^sbg ij i}g 6 ÜXdxanf (Dionys.
de Dem. 23 cf. Plut. Cic. 24), haben ihn hier mit den schärfsten
Ausdrücken getadelt, und der Bannerträger dieser Nörgler, Dio-
nysius, versteigt sich in demselben Kapitel zu der Albernheit,
über die wir uns ärgern würden, wenn wir sie nicht verlachten:
wenn Piaton sich an zusammenhängende Rede mache, so sei
man versucht, ihm zuzurufen wie Zeus der Aphrodite: oG roi,
xixvov i^övy diSoxai noXsu^iffia igya' iXXä 6i y C^SQÖevxa fLSxig-
XBO SQya ydfioio. Woher diese Urteile, die von Männern wie
Caecilius, Longinus x^ xQvxixanAxm^ Plutarch gefallt worden
sind, und wie haben wir uns zu ihnen zu stellen?
Piaton. 105
Plaion, der in sich eine Welt von Ideen trug und das Be- Dichtan.
dürfiiifl und die Kraft beflafs, sie sich und anderen zu gestalten, Natoreu.
war ein xoivftijg, der grolsten einer, die an die ^roti^rtxal d^Qai
geklopft haben. Aristoteles hat den platonischen Dialogen eine
Mittelstellung zwischen Prosa und Poesie angewiesen, denn nicht
das Metrum sei das Kriterium, sondern die iiiiiriöi^g. DaCs dies
Urteil richtig ist, fählt jeder von uns: das Symposion ist das
Drama, der deötsf og X&yog des Sokrates im Phaedrus das lyrische
Gedicht, der SchluTs der Bepublik die Fabel, der Timaeus das
theogonische Oedicht, der Anfang des Phaedrus das Idyll in
Prosa. Für uns bedarf es daher keiner Entschuldigung, dals
dem enthusiastischen himmelanstrebenden Gedankenflug folgend
die Sprache Piatons nicht immer ein xa^bg Xöyog bleibt, sondern
eoetus Yolgares et udam spemit humum fugiente pinna.^) Aber
im Altertum war man dagegen empfindlich; jene Tadler hätten
z. B. lieber gewollt, dals Piaton den Phaedrus, in dem er sich
wie ein unreifer Junge gebärde^, nicht oder nicht so geschrieben
hatte. Genauer betraf ihr Tadel zwei Punkte: übermäfsigen Ge-
brauch gorgianischer Figuren und dithyrambische Redeweise.
Der erste Tadel beruht auf völligem Mifsverstehen der Tendenz
gewisser Stellen, der zweite teilweise ebenfalls hierauf, teilweise
auf einer verzeihlichen Reaktion gegen die dithyrambische
1) Cf. auch Lnkian bis acc. 88 (der aber parodiert). Schön sagt der
englische Dichter Shelley, A defense of poetry ed. A. Cook (Boston 1891)
9: The dMncUon hetwem poets and prose voriters is a vulgär error . . .
FkUo was eeeevUiaUy a poet: ihe truth and splendor of Ms imagery, and
Ae mdody of Ms Umguage are the most intense (hat it is pomhle to con-
eehe. He r^eeted Ihe harmony of the epic, dranuxiic and lyrical forme, he-
ctmee he eought to iindle a Juirmony in thaughts diveeted of ehape and acHon,
amd he forbore to in/oent cmy regulär plan of rhythtn which ujould includei
under determinate forme, Ihe varied pauses of his style. Ähnlich Philipp
Sidney, An apologie for poetrie (London 1595) in Arbers Engl, reprints
n. 4 p. 21.
S) Nur aus dem iu$Qec%i&SBg (s. oben S. 69, 1), das sie im Inhalt und
Stil zu bemerken glaubten, schlössen' die alten Kritiker, dafs der Phaedrus
der erste Dialog Piatons sei (cf. die Zeugnisse bei A. Erische, Über Piatons
FliaedniB in: (lOttinger Studien 1847, 2. Abt. p. 982). Für uns ist das
'Jugendliche', d. h. das JugendMsche und GeniaUsche, dieses Dialogs nur
ein Beweis fOr etwas an sich Selbstrerständlicbes: dafs ein Piaton, eben auf
der ^icfH{ seines Lebens angelangt, noch die Phantasie und Gestaltungs-
krall einet Jünglings besals.
106 I. Die griechische Konsiprosa bis Aagastus.
Diktion einer (später von uns zu behandelnden) Prosa^ an deren
Entstehung und Entwicklung aber Piaton ganz unschuldig ge-
wesen ist. Ich kanUy zur Feststellung des Thatsächlichen, nicht
umhin y den Angeklagten und die Ankläger sich gegenüber-
zustellen.
Jx^t/iata a) ^Gorgianische' Bedefiguren bei Piaton habe ich mir
iitidttxtatu. ^^ folgenden Stellen notiert (wobei ich von vornherein von den
Parodieen des Symposion^ die auch im Altertum als solche auf-
gefftfst sind, absehe):
1. Im X6yo$ ixitdq)iog des Menexenos durchgängig.
2. Im lysianischen X6yog ifonixög des Phaedrus durch-
gängig.
3. Phaed. 102 G ovtmg &Qa 6 Si^yLlag ixmwfuav i%Bi 6iu-
XQÖg XB xal lüiyag bIvm, iv (liöa !bv &(ig>ind(fmvj rot)
lilv tp iiLsyi^si inugiiBiv xiflf öiiixQ&trjta h»i%iov^ tjSI S\
xh fiayßd'og xilg öiuxQÖxrixog naffixayif iyxBQi%ov. %al äfui
fisididöagj "EoiTca, iq>riy xal livyyQaq)ix&g iQetVj ikJC wv
ixei yd xov &g Xiyto.
4. Bep. VI 498 D oi yäg ntbnoxB eldov (sc. ot xoXkoi) yi-
vöfuvov xb vvv Xeyöiuvov^), iXXä xoXi> fiäXXav xoucvx^
axra ^ij(i4na Hisnixt^dsg aXXi^Xoig &iioia}iidva iXX^ ov»
iatb xov cdxoiuctov^ &önBQ vvv^ ^viatBöivxa' StvÖQa d\
iQsxil^ %aQi0(O{kivov xal &iioimiidvov ikd%Qi xov dwccxov
xsXdmg Ifyp xs xal Xöym^ dvvaöxaiiovxa dv %6Xbi dxdQtf
xoucvxy^ oi xAxoxs i(DQaxaöi.v oüxs Sva o^xb nXalovg,
5. Euthyd. 304 E (Eriton erzählt , daCs ihm jemand philo-
sophische Disputationen als unnütz bezeichnet habe) xi
ovv dq>aivovx6 6oi (nämlich ol diaXayöiiLSVoi^); Ti dh BXlOj
^ d' 8^9 4 oldnsQ äel &v xig x&v xoi^ovxtov ixoiiöai Xri-
QOiivxcDv xal x€qI oidevbg i^Cayv äva^av öTCOvöi^v xoi-
ovfidvmv; oinaöl yaQ nmg xal shce xotg 6v6fUL6i. Wer
gemeint ist, steht nicht fest: er wird 30ö C als dnvbg
xal dsivabg Xiyovg öwxi^eig bezeichnet.
6. Symp. 185 C Ilav^aviov dh TCdcvöafidvov, dtddöxovöi yig
(IE t6a Xdyeiv oinmöl ol 6oq>oi^ Itpri tcxX,
7. Gorg. 467 B & Xpöxi n&Xe, iva öl xqoöbücg) xfxxä öd.
8. Gorg. 497 A, wo Sokrates auf die Worte des Kallikles
1) Mit yi96fii90£ und Uyofuvos spielen Gorg. Hei. 3 und Ibocx. HeL IS.
Flaton. 107
oix old' Ott cc 6oq>ite^j & SAxQateg antwortet: ol6^\
iXXä iatsU^Hj & KaXXütXsig.
9. Rep. VI 495 E dotutg ohv xi duapBQSiv ainovg (die nach
der Philosophie strebenden Banausen) iästv i^yiigiov
xtflöafiivov xalxdmg q>aXax(fov xal öfuxQoi}, vamötl i^kv
ix ds0fi&v Xelviiivovj iv ßaXctviia) dh kBXov^ivoVy ve-
ovQybv liuttiov ixiyinog, &g w(iq>Cov naQSöxsvaöiiivov^
diä xsviav xal iQtifUav rot) ÖBönötov r^ ^vyaxiffa (uX-
Xovtog yaiutv]
10. Lach. 188 B ii^ol fih/ oiv oifdlv Stif^eg ovä' av äfidlg
'bxb ZkoxQdtovg ßaöavif^Bö^ai.
11. Wortspiele mit Eigennamen, wie Symp. 198 B das Spiel
mit FoQyiag und FoQyA. Apol. 25 C & MiXt^xB . .,
öwpibg iacoq>aivBig xi^v öavxov äfiiXBucVj Zxi ovdiv 6oi
lUBjUXrixBv tcbqI irv ifih BiödyBig cf. 26 B. Rep. X 614 B
oi lUvxoi 601 *AXxivov yB iatöXoyov ipö, iXX^ iXxiiiOv
ivÖQÖgj nnd vieles dergleichen, was gesammelt ist von
M. Schanz in seiner erklärenden Ausgabe des Euthyphron
(Leipz. 1887) zu 3 A p. 22, von A. Hug zum Symp. 174 B^
von Ast zum Phaedrus (Leipz. 1829) 244 A.
b) Poetische Diktion, worunter ich hier nicht das ^^t^atä
Poetische im allgemeinen, sondern speziell hochpoetische Worte ^' " '
mit eingeflochtenen (nicht blofs citierten) poetischen Remi-
nifloenzen verstehe. Wenn wir auch hier von der Agathonrede
absehen, so kommen, soviel ich weils, nur zwei Stellen wesent-
lich (denn von Einzelheiten sehe ich ab) in Betracht: der xqö-
XMfog Xiyog des Sokrates im Phaedrus 237 A bis 241 E und die
Bede der Diotima im Symposion 208 C £P.
Ich lasse nun die mir bekannten Stellen folgen, an denen Antike
Piatons Diktion wegen der genannten zwei Punkte angeklagt wird. ^ "*'
Dionys. ep. ad Pomp. 2, 8 xaixä (die gorgianische poeti-
sierende Redeweise) yäg ol xb xar' aixov yBvöfiBvoi^ navxBg
isuxiiU^iVj Av xä ivö^ucxa (Antisthenes? Isokrates?) ovdlv ÖBt
fu XdynVj xal aibxbg iavx^ (rovro yäg xb XaitXföxccvov)' yö^Bxo
yoQ xilg idCag iatBiQOxaXiag xal Svcfut £&bx^ ain^ xb ^ didvQuiißov^
(Pbaedr. 238 D cf. 241 E)* b vih; &v idiöf^rjv iyh XdyBiv iXtif^hg
8t^. xoihco dl xad-Blv ioixBVj i}g iyb vo(Ulm^ x(faq)Blg i^iv iv xotg
I!mxif€etixoig diaXiyoig l6%voxAxoig oi6i xal ixQtßBöxdroigj oi
fülvug i* iv a'bxotg iXXä X'^g Fo^yiov xal Sovxvöiöov xaxaöxBv^g
108 I- Die griechische Eunsiprosa bis Aagastus.
igaö^tig' &6x* oidlv ll^(o rov slxötog 1(uXIbv xeiöeö^ai öndöag
xiva xal rä)v &fia(ftfjndrcav &(ia totg iya^otg^ iv ixovöiv ol x(bv
ivÖQ&v iiulvayv xaQcactf^QBg. Einige andere Stellen dieser Art
mit bestimmter Beziehung auf den Phaedrus sind öfters ge-
sammelt , cf. Stallbaum in der Praefatio seiner Ausgabe (Gotha
1857) CXXX f., üsener im Rh. Mus. XXXV (1880) 134, 2.
ib. 2, 4 £P. schliefst eine lange Tadelrede gegen den Schwang
der platonischen Diktion: iiäXtöta totg roQyuioig ixaifmg xal
fiBLQaxKod&g ivaßQvverai^* xal ^xoXvg 6 r£Xi0tiig iötiv iv totg
toioikotg nag* aina'j i}g xal drujLi^tQiog 6 9alfiQBi>g slqfpU
xov xal &Xkov övxvoi' <yA yäf ifibg 6 (ivd'og.
ders. de Dinarch. 8 erwähnt Nachahmer Piatons, die sich nur
seine ivöfAara didvfafißAdti xal q>o(ftixd zu eigen machten.
Auct. xbqI ijtifovg 4, 6 und 32, 7 f. (an der letzteren Stelle
ist Caecilius citiert) notiert einige kühne Metaphern und tadelt
die schwülstig - bacchantische Diktion mit Anführung von drei
Beispielen aus den Gesetzen.
Demetr. de eloc. 78 £P. warnt vor übermäfsigem Gebrauch
von Metaphern, ijtii tot didnigafifiov ivxl köyov yffd^foiisvy wofür
80 Piaton genannt wird.
Longinos rhet. epit. I 324, 16 Sp. wirft ihm vor %bv not-
rUtixAxBQOv dyxov tilg ^^&ls itaXixtov.
Plutarch bei Isidor. Peius, ep. II 42 (vol. 78, 484 Migne)
nXovtdQx? So^^t tb 6a<plg xal Xetov yvijöiov slvai ^Atti9u6ii6v,
oOro ydg, qyqöiv^ ildkriöav oC ^tOQeg. FoQyiag dh 6 Asovttvog
ng&xog tijv vööov xavtriv Big tovg noXixixobg Xöyovg Bl6i/ffayB^
tb iflffiXbv xal txmixbv i6ita6d{kBvog Tcal t^ öaqyqvBÜc Xvfirivd-
liBvog. ilifato dd, q>ri6Cv^ ii v66og aOtfi xal rot) ^avfiaötoO IlXä-
ta^vog.
Kolotes der Epikureer bei Proklos zu Plat. Rep. X 614 B
in Anal. Sacr. ed. Pitra V p. 16 (p. 60, 32 flf. ed. Schoell.) Tot)
dl KaXmtov tlrvxQBvofidvov Ttatä r^v Xd^iv tivtag Tcal inixaXoi>tnog
r^ BlößoX^ rot) äifiyi^(i4nog &g fiB^faxiAÖBi diä tä ^AXxCvov xal
iXxiiiov xaqdXXriXa xBlyLBva 6v6fiaxa^ xaX&g fiiv xal 6 TloQipiifiog
aitbv inBQQdxi6Bv &g &yBv6tov Xoyoygafpixflg xal 6o<pi6tucfjg
XdQ^tog xal fioiiöfig^ (bfiov äh ivBLÖiöag avx^ xal Zxi KtoXm-
tdgiov aiftbv 6 diddöxaXog ixdXBi ^afiä xal oix igd'ibg ^xovbv
{moxoQiio(iivov rot) ^EmxovQOv tbv KaXdnriv') oi (lijv iXXä xi-
xstvo ^fitdovy 8r( totg '^d^^xotg 7cXd6\ka6i luiXiöta äßt xoifitixiig
Piaton. 109
xifütogy ixsl xal xoXXfjg yLSxi%ov6i tf^g touivtrig iäiccgj JtQog dl
%olrfiw aidoiuiuat tä toiavta^ iuili6ta tucI t&v tov xäkkovg 0XV'
fidtav i6tlv iKsivri öucxoQiig.
Philostr. ep. 73 nXdttov xal ig tag Idiag x&v 6oq>i6x&v Xaxai
%al o^B tp FoQyia Tta^lri^i xh iavxov yoQyid^iv, TCoXXd xb xaxä
xijip *I%%Cqv xal üfonayÖQOv '^x^ q>d'dyyBxai,
Es liegt nuiiy meine ich, auf der ELand, wie wir diese Prafüng
Nörgeleien za beurteilen haben: sie sind entstanden aus einem zengniH«
Verkennen der Absicht Piatons. Nehmen wir zunächst die
gorgianischen Figuren. Der löyog ixixAq>iog im Menexenos
ist als ein in scherzhafter Konkurrenz mit Gorgias geschriebenes
Enkomion^)^ der lysianische löyog iganixög im Phaedrus als eine
deutlich gekennzeichnete Parodie auszuschlielsen, so wenig wie
jemand Piaton einen Gorgianer wegen der Agathonrede des
Symposion genannt hat. Die übrigen oben von mir angefahrten
Stellen braucht man nur genau zu lesen, um zu sehen , dafs an
den meisten der Schriftsteller auf das Scherzende selbst hinweist^)
und dais an den anderen nicht ohne Absicht dieser Schmuck der
Bede angelegt ist (wie hübsch doch Nr. 9 die Schilderung des
ßipavöogy^ die Wortspiele dienen entweder als naiyviov oder zur
dtiv6xfig. DaCs wir so die Absicht Piatons richtig beurteilen,
kann auch folgende Nachahmung des pseudoplatonischen Hip-
parchoB 225 beweisen: xig oiv istiöti^fMOV xbqI q>vt&v xijg
iifagj iv imoUi R^uc fpvxB%>^vai xal &Qa xal x^QV'y ^^^ ^^
nal ifiiiBlg x&v 6oq)&v ^fnidxmv ifißdXmfiBVj iv ot öb^ioI
%bq\ x&g dixag xaXXiBnovvxai.
Es bleibt der mit besonderer Heftigkeit erhobene Vorwurf
gegen die poetische, speziell dithyrambische Diktion.
Er richtet sich, wie die erste der angeführten Stellen des Dionys
beweist, besonders gegen die erste Rede des Sokrates im Phae-
drus. Nun gehört es zu dem vielen Unbegreiflichen, an dem die
antike Kritik so reich ist, dafs man — trotz der ausdrückliebsten
und handgreiflichsten Indicien — die Ironie dieser Rede ver-
kennen konnte. Nur einer hat diese Tendenz nicht verkannt
1) Cf. besonders die mich im wesentlichen überzeugende Kombination
F. Dflmmlers, Akademika (Giefsen 1889) 18 ff.
%) No. 4 wird von C. Reinhardt, De Isocratis aemulis (Diss. Bonn 1873)
t9 auf Isokrales bezogen; ganz zweifelhaft bleibt trotz aller Kombinationen,
w«r no. 6 gemeint sei.
110 In Die griechische Eunsiprosa bis Auguatus.
und dieser eine ist uns mehr wert als die anderen zusammen:
Aristoteles Rhet. III 7. 1408b 11 ff. spricht über die hoch-
poetische Diktion der Prosa: sie sei in zwei Fällen erlaubt,
erstens wenn der Enthusiasmus des Redners und seiner Hörer
auf den Höhepunkt gekommen sei, zweitens: (ist* slQmvBiag^
&6XSQ Fogyiag htoCei^ xal tä iv tp OaidQO), Wir haben also
diese Rede des Phaedrus nicht zu verwerten zur Beurteilung des
platonischen Stils, sondern des sophistischen, von Piaton
imitierten: in diesem Sinn verstanden ist sie f&r uns wichtig,
weil wir in ihr wieder jene vollständige Mischung von Prosa
und Poesie^) finden, wie in der Rede des Agathon, die wir oben
(S. 74) hierfür verwertet haben. Man sehe nur gleich den An-
fang (237 A), wo ich das Metrische hervorhebe: SyBte di^j &
MovtSai^ shs ÖL tpdiig slöog XCysiai, shs diä yivog iu>v6ixi>v tb
Aiyvmv ra'ixieiv i0%BX* ijtavvfiiav^)^ \ l^v(i fiOL Xdßsö^s rot;
ftvdov, Sv (16 ivayKu^Bi ö ßiktiöxog oinoßl kiyBiv^ Iva 6 hatQog
ainov xal jtQÖtSQOv dox&v roi$ra> 6oq>bg slvai \ , vvv ixi
(laXkov döl^y, cf. im folgenden 237 C BlSivai. ÖBt xbqI oi &v
y fj ßovki^, fj xavtbg &(iaQtdvBiv ivAyxri. 241 C i^g oütB
&v^Qd)xoi.g oütB ^Botg tfj ikrj^B^a ri^inhzBQOv oüts ioxiv oixB
7Cox\ iöxai, Schliefslich geht, ganz wie im Symposion, die
Rede in einen vollständigen Hexameter über (241 D), was So-
krates selbst hervorhebt: oix ^tf^ov, Sri tldri ixri ^iyyofuti^
iXk' ovxixi. dtd^(fd(ißovg; (wie bisher, cf. 238 D xä vvv y&Q
oixixi. jcÖQQO) did'VQd(iß(Dv tp^iyyo(LaC). — Aufser dieser Rede
im Phaedrus kommt nur noch in Betracht ein Teil der Rede
der Diotima im Symposion von 208 C an: auch hier sind ganze
Verse und Teile von Versen unmittelbar in die prosaische Rede
eingeflochten, wie iv^v^iti^Blg hg ÖBLV&g didxBivxai iffoni xov
6vo(La6xo\ yBviö^ai, xal xkiog ig xbv isl %(f6vov id'dvaxov
xaxad'iö^ai, oder: insl oübi. 6v, itpri, "j^Xxi^öxiv {neig *Ad(ii^ov
aicod'avBtv &Vj ^ ^AxiXXia UaxQÖxXp ijtaxo^avBtv, ij iXQoaxo^avBtv
xbv ifiixBQOv KöSqov {mi(f xfjg ßaöi^XBiag x&v naCdarv^ /ii) oloiU-
vovg i^dvaxov (ivT^firiv &QBxfjg nigt, iavx&v iöBö&ai^ tjv vvv
1) Cf. auch R. Volquardsen, Piatons Phaedros (Kiel 1862) 9 fF.
2) Man bemerke das Fehlen des Artikels; cf. Protag. 341 E xo^o yi-
gag im Vers des Simon ides, aber tovto tb y^gag 844 C in der Paraphrase
des Sokrates.
Piaton. 111
fuutg ix^nsv; xoXXov ys det^ Sfpri^ &Xk\ oI^mi^ {mkQ &QBxf^g
i^avAxov xttl touxvtfig öö^rig sixXeoiig ndvteg ndvxa Tto^ovöi
XL B. w. Überhaupt ist der Ton sehr gehoben, wie z. B. in der
letzten Stelle aus ixod'avstv, ixoacod'ccvstv, icgoano^avstv und
aus Tcivxeg ndvxa 7Coigv6i hervorgeht und wie gleich durch die
kühne Wortstellung beim Beginn der Rede: Bi tö^i^ ixsl xal
x&v iv^QAnmv si i^iksig sig xijv q>iXoxi^iav ßXiifai^
^avudißig &v xxL angezeigt wird. Alles Einzelne geben hier
die Kommentare von G. F. Rettig (Halle 1876) 291 ff. und von
A. Hug. Liegt nun auch hier Ironie vor? Das läfst sich nicht
behaupten. Aber wie wird diese Rede der Diotima von Piaton
eingeführt? Kai iyh iaiov6ag xbv kiyov i^av^UKöd xb xal sItcov,
EiaVj ^v d^ iydfj & 6oq>mxdxfi di^oxi^ia, xama hg dXrid'&g oikoog
i%H; fcal tj, ööieBf oC xdXeoL 6oq>i6xalj Ei töd'i., ifpri^ & £6-
XQoxig' ixBl xal xStv iv^gAnmv bI i^ilBig Big xijv q)i.Xoxifiiav ßXd-
im$j ^aviidtoig &v xtX. Also auch hier wird der Übergang in jene
andere, nämlich die sophistische Stilart deutlich gekennzeichnet.
Ich fasse zusammen. Die Fraire: wie stellt sich Piaton zur Piatom
ITntiat
sophistischen Eunstprosa seiner Zeit (dem l^:vyyQa(pix&g XdyBiv,
wie er es Phaedon 102 C nennt, s. o. S. 106), ist, meine ich, so
zu beantworten. Erstens: ihre puerilen Auswüchse sind ihm
antipathisch, er greift zu ihnen nur, wo es ihm darauf ankommt,
entweder offen zu parodieren (Agathonrede, Lysiasrede) oder am
geeigneten Orte seinen vielen Gegnern zu zeigen, dafs, wenn er
nnr wollte, er es ebenso gut oder besser könne als sie (Mene-
xenos), oder endlich zu scherzen. Zweitens: der hochpoetischen
Diktion der sophistischen Prosa steht er nicht so ablehnend
gegenüber: sie war seinem Naturell gemäls. Aber sie wird von
ihm doch nur ganz oder halb spielerisch, und nur bei ver-
hältnismalsig niederen Stoffen, verwendet: der nQÖxBfog Xöyog
des Sokrates im Phaedrus ist in ihr geschrieben, aber im öbv-
tifog Xiyog tritt sie ganz zurück^), und doch ist dieser der
1) leb verstehe nicht, wie B. Hirzel, Der Dialog I 388 behaupten kann,
dalB die beiden Vene im (fs^SQog Xoyog des Sokrates 262 B von Piaton
■elbtt gemacht seien. „Die Schilderung des Eros gipfelt in zwei Hexametern,
die zwar auf Homer zurückgeführt werden, als deren wahrer Verfasser aber
anter dieser (welcher denn?) durchsichtigen Ironie sich der Bedner selbst
lo ericennen giebt/* Sind denn aber die &n6^tta inri tAv 'OfkriQidap die
homerischen Gedichte? Ist denn nicht langst erkannt, dafs diese Verse von
112 I. Die griechische Eunstprosa bis Aügustus.
denkbar grofsartigste Prosahymnus: das wird nicht durch
äufserliche Mittel, wie Verse oder poetische Worte erreicht,
sondern der lyrische Schwung der Gedanken rafift alles mit sich
in die Sphäre, wo das Geschlecht der Götter und das selige
Schauen ist. Ebenso im Symposion: Diotima redet öofpi^tuUbg
nur solange sie bei den noch nicht höchsten iQonixd verweilt
(208 G bis 209 E), aber bei den rüea xal inwtxixi (210 A ff.)
schlägt sie einen anderen Ton an: der Hymnus auf die Idee des
Schönen verschmäht niedere Mittel äufserlicher Axt So ver-
einigen sich die Kulminationspunkte des Phaedrus und des Sym-
posion und zeigen uns, worin die höchste Kunst Piatons als
Schriftsteller beschlossen ist.^)
Es giebt keinen Schriftsteller des Altertums, der über eine
so reiche Skala von Tönen verfügt hat wie Piaton, keinen, der
überall so in der Seele seines Lesers den Wiederhall zu wecken
verstanden hat, gleich grols, mag er in seinem sonnigen Wesen
über die kleine Erdenwelt und die vielen kleinen seine grolken
Kreise störenden Geschöpfe gutmütig scherzen, oder mag er im
Jenseits bei den öai^ovsg der Höhe und Tiefe weilen, oder mag
er noch höher fliegen in das Reich des Überhimmlischen, wo
die Sprache ringen mufs, sich mit dem Gedanken zu vereinigen.
Er ist auch einer der wenigen Prosaschriftsteller des Altertums
gewesen, die ein grofses Ganze gut zu komponieren verstanden
haben, wie es vor allem das Symposion zeigt (der Phaedrus ist
darin verfehlt): dafs er es konnte, verdankte er seiner poetischen
Natur. Nur ein Redner war er nicht: dazu war er zu sehr
Dichter, zu sehr Idealist und daher zu sehr ix^ccifiov itAvtu xä
ÖT^fiööttt. Er ist unter den Prosaikern wie Homer unter den
Dichtem derjenige Schriftsteller gewesen, der mehr als alle
anderen die Richtung der Gedanken und die Form kunstvoller
Darstellung für Jahrtausende bestimmt hat. Wer zählt die
Piaton einem orphischen (Gedicht entnommen sind? Cf. Passow zu Mu-
saeus p. 66 , Welcker zu Philostr. imagg. p. 266 Jacobs (ygl. auch Aristoph.
Vög. 696 ff.)-
1) Als Qreis hat wie Goethe auch Piaton anders geschrieben (worin
sich gerade die Individualität ihres Stils zeigt). Der Verf. negl d^ov^, ein
begeisterter Verehrer Piatons als Schriftstellers, führt, wie bemerkt, 4, 6;
32, 7 f. drei Stellen der Gesetze (V 741 C; VI 773 C; 778 D) an, in denen
er und andere (tptxül 32, 7) manieriert -schwülstige Diktion fanden, worin
man ihnen yöllig beistimmen mufs.
IsokraieB. 113
Stellen, an denen direkt oder indirekt von Heiden und Christen
die Worte citiert werden, die er im Ton eines Hierophanten ge-
sprochen hat: tbv [ihv oiv itoirit^ ocal itatiffa tovds tov Xöyov
i^QBtv %B Igyav xal eigövra sig Jtdvtag ädiivatov Xdyeiv
(Tim. 28 C)? Die Worte der Lachesis aitia ikofLivov, ^sbg
ivattiog (Rep. X 617 £) wurden maisgebend in der christlichen
Lehre vom Ursprung der Sünde. Das litterarische Gebet der
Christen wurde geformt nach den eine Welt von Schönheit und
Frömmigkeit umfassenden Schluüsworten des Phaedrus (cf. Aeneas
Gaz., Theophr. L f.; Zacharias Mytil. de op. mundi i. f.). Wollte
man alle Stellen, an denen die Platane, der Quell, die Cikaden,
die in der Sommerhitze schlafende Natur vorkommen , aus-
schreiben, so erhielte man ein Buch, grölser als der ganze
Phaedrus. Und doch wäre ein Werk, in dem der unermefsliche
Einfluls der platonischen Schriften auf die ästhetische, sittliche
und religiöse Läuterung aller folgenden Geschlechter zur Dar-
stellung gelangte, die würdigste Spende, mit der wir diesem
daiptiov f&r seine Epiphanie danken könnten.
5. Der Vollender der griechischen Eunstprosa war Iso- laokrat«
krates. Ich mufs bei ihm kurz verweilen, nicht in der Absicht, ucher
viel Neues über ihn zu sagen, sondern das Allgemeine zusammen- ^-^
su&ssen und einige für die weitere Entwicklung der griechischen
Prosa wesentliche Punkte hervorzuheben. Es wird uns schwer,
dem Lsokrates als Menschen und Stilisten gerecht zu werden
und einen Standpunkt einzunehmen, von dem aus wir die
grenzenlose Einwirkung dieses Mannes auf die Nachwelt er-
messen können. Urteilen wir nach unserer modernen Empfindung
80 sehen wir einen Menschen vor uns, dessen Eitelkeit und
Selbstgefälligkeit ihresgleichen suchen, der, wo er kann, von
seiner eigenen Herrlichkeit redet, was um so peinlicher wirkt;
weil er das Selbstlob gern in affektierte Bescheidenheit ein-
kleidet: wenn er z. B. im Proömium des Panegyricus sagt, er
werde etwas noch nie Dagewesenes leisten, und am Schlufs, er
sei doch hinter der Sache zurückgeblieben und daher hätten
andere Sophisten eine würdige Aufgabe, das Fehlende zu er-
ganzen, so weiüs, wer ihn kennt; dafs dies nichts anderes heifsen
will als: „versucht nur einmal, mehr und besser hierüber zu
reden als ich, ihr werdet sehen, daCs das ganz unmöglich ist^.
Sein Stil erscheint uns als ein Bild absoluter Leidenschafts-
NordtB, aaükt KnntiprosA. S
lotthenet.
114 I. Die griechische Eunstprosa bis Aügnstus.
loaigkeit; marmorglatty aber auch marmorkalt. Wie ein ruhiger
FluTs gleitet er auf ebenem Terrain breit daliin: es giebt
keine Berge zu durchbrechen, sondern sanfte Hügelketten be-
gleiten ihn während der ganzen Dauer seines Laufes auf beiden
Seiten. Dieser Strom hat auch nirgends Untiefen; manchmal
wird er zwar recht seicht, hat aber immerhin noch Wasser
genug, nicht ganz zu versanden. Ohne Bild gesprochen: dieser
Mann hat geglaubt, dals in einer von Leidenschaften durch-
wühlten Zeit die Athener durch schön gedrechselte Phrasen zum
Handeln veranlaist werden könnten; er hat den von vornherein
aussichtslosen Versuch gemacht, die panegyrische Bede, seine
eigentliche Domäne, fQr die Praxis, in der ihm, dem 6%oXa6tix6q^
jede Erfahrung abging, zu verwerten. Er fordert uns Moderne
i^d De-' daher unwillkürlich zum Vergleich mit Demosthenes auf. Wenn
wir das eben gebrauchte (übrigens antike) Bild festhalten: De-
mosthenes ^ nokbg ^£r', wie ein reifsender Strom widerstandslos
alles mit sich fortraffend. Isokrates kann es nicht über sich ge-
winnen, eine schöne Periode wegzulassen, auch wenn sie für den
Gedanken nebensächlich ist: dem Demosthenes steht der Lihalt
über allem, und ihm konform ist der Stil, jede Periode ein
plastisches Abbild der Gewalt des Gedankens. Isokrates hütet
sich, ein unfeines Wort zu brauchen — von seinem Leiden im
Alter spricht er in einer wohlabgezirkelten Periode (Panath. 266 f.),
nennt es aber nicht, weil das Wort ein iacQBnig sei (also etwa
die ötQayyovQ^aj an der auch Epikur starb, oder eine ähnliche
g>OQtixii ki^tg) — , Demosthenes scheut sich nicht, das Eond beim
rechten Namen zu nennen. Der Stil des Isokrates hat, wie
Hermogenes (de id. 412, 15) treffend sagt, etwas Seniles und
Lehrhaftes {nQsößvttxbv xal diduöTcaliKÖv) , an dem des De*
mosthenes pries man jugendliches tdxos ui^d eine durch die
Wucht der Thatsachen packende energische deivötrig. Kurz: bei
Isokrates merkt man überall die Kunst, bei Demosthenes ist es
eine Xccv^ävovöa xixvri^ die tutto fä, niente dies.
So etwa würden wir vom modernen Standpunkt urteilen;
aber vom antiken wäre das unerlaubt und falsch. Was den
Menschen Isokrates betrifft, so findet sein selbstgefölliges Wesen
darin Entschuldigung, dafs einmal das Altertum gegen Selbstlob
nicht so empfindlich war wie unsere Zeit und dafs femer der
Konkurrenzneid in den damaligen Schulen sehr grols und daher
Isokrates. 1 15
die ünart^ seine eigene Ware anzupreisen^), allgemein verbreitet
war. Was dann zweitens jenen stilistischen Vergleich mit De-
mosthenes betrifiFt, der sich nns nnwillkürlich aufdrängt ^ so
dürfen wir dabei nicht vergessen, dafs wir Heterogenes mit ein-
ander vergleichen: das Altertum wuüste, dafs die epideiktische
und praktische Beredsamkeit wie in ihren Zielen so in ihren
Mitteln völlig auseinandergehen. Das hat auch Blafs bei seiner
Prüfung vernichtender modemer Urteile über Isokrates richtig
hervorgehoben. Nur in einigen Reden des Isokrates, in denen
er, wie bemerkt, die nur in sich selbst Berechtigung findende
iMÜsi^ in den Dienst des pulsierenden praktischen Lebens zu
stellen versuchte, hat jener Stil wirklich etwas Verletzendes.
Das, was ihn dem modernen Leser bei längerer Lektüre so lang-
weilig macht, seine Leidenschaftslosigkeit und Glätte, hat im
Altertum das höchste Entzücken hervorgerufen: Isokrates war
imd blieb der gröfste bewufste Künstler des Stils.
Die ELauptkennzeichen seiner Rede hat er selbst 13, 16 so i«okr»ui
susammengefafst: totg ivdvfiiliiccöv itQ€it6vt(og SXov tbv Xöyov ohAraktai
tttzttxouilhu xa\ totg iv6[uc6iv Bifii^fKog nal iiovöix&g eliCBtv
(cf. 4, 9), also passende Gedanken in passender Form. In den
Gedanken vermeidet er alles Auffällige, besonders alles, was den
Anstand (tö ngiicov) verletzen konnte; eins ergiebt sich aus dem
andern, und dadurch hat er erreicht, dafs die Mehrzahl seiner
Schriften gut disponiert ist, was, wie schon bemerkt (oben
8.112), im Altertum ziemlich selten ist.^) Die Worte sind sowohl
im einzelnen fein und wohlklingend (s. darüber oben S. 57 £P.) als
auch in ihrer Zusammenstellung im Satz (womit die Meidung
des Hiatus zusammenhängt^ s. o. S. 57): in der dadurch erreichten
harmonischen Periodisierung wurde er zum Vollender einer
Kunst, zu der bisber nur Anfänge vorlagen. Gut ist das aus-
gesprochen von E. Havet in seiner an feinen Bemerkungen über
Charakter und Stil des Isokrates reichen Einleitung seiner Aus-
gabe der Antidosis (Le discours d'Isocrate sur lui-mSme, Paris
1) *0 60<piatiis tvy%dvBL &v iiinoQ6g tig ^ nditriXog t&v icytoylyMV &fp'
^ i ^X^ tififpnat Plat. Prot. 813 C, cf. Soph. 223 D; 224 E; 231 D.
8) Diels in: Gott. gel. Anz. 1894 p. 806 f. hat das durch einige Be-
merkoiigen festgestellt, die von weittragender Bedeutung auch für die sog.
bOhfire Ezitik sein dürften (z. B. wird man daraufhin auch die Eranzrede
des Demosthenea in Bezug auf ihre Disposition richtig beurteilen).
8*
116 I. I>ie griechische Eunsiprosa bis AngUBtus.
1862) LXXIV: Comme Isocrate a passS taus les oratewrs dans
Vdoquence d^apparat, il est aussi U premier par le nomhre, et c' est
toujours ä lui qu'on en rapporte Vhonneur. Sa phrcme rassembUe
dans la plus heureuse harmonie la magnificence du metre poSiique
et le mouvement libre et naturel du discours. On pourrait lui ap-
pliquer les eapressions celebres de Montaigne sur la ^^sentence
pressie aux pieds nombreux de la poesie*\ Teile periode d' Isocrate
se faisait applaudir comme de beaux vers, et se gravait de meme
dans les memoires. Es ist dies ein Gegenstand, bei dem ich knrz
verweilen mufs; er lälst sich in die Frage zusammenfassen: wie
verhält sich der Stil des Isokrates zu dem der sophistischen
Eunstprosa?
isokratM Isokrates ist (etwa um 410) in ein personliches Schüler-
Oorgias Verhältnis zu dem damals in Thessalien sich aufhaltenden
Gorgias getreten: das wissen wir durch Aristoteles bei Qnin-
til. ni 1, 13; Cic. or. 176 cf. Dionys. de Isoer. 1. Auf seinem
Grabe im Eynosarges stand auf einer rgdiee^a neben seiner Büste
die des Gorgias (Ps. Plut. vit. dec. or. X 838 D). Er hat den
Zusammenhang auch selbst nie verleugnet. In der ^Helena' ri-
valisiert er mit dem gleichnamigen ncciyviov des Gorgias , im
Panegyricus mit dessen Olympicus; das wird uns ausdrQcklich
bezeugt (cf. Spengel, Art. scr. 65 f.), und die direkten An-
spielungen liegen noch für uns deutlich zu Tage (cf. Vahlen, Der
Rhet. Alkidamas 1. c. 618 f.; E. Scheel 1. c. 38 S.y) Sein
ycaQayysXfiay das er Paneg. 8 ausspricht: of Xöyoi voiavti]v i%ov6i
t^v q>'6aLv fitfd' olöv z slvai nsgl r&v ai&Töv noXXaxßfg H^ti-
yi^öaöd^at, xal x& xb iisyäka tansivä noi^6ai xal totg ntXQOtg
fidys^og icaQid'atvai^, xal xa xb nakaiä xaiv&g duX^Btv xal tcbqI
x&v vBioötl yByBvrifiivav &QxaC(og duX^etv wird mit denselben
Worten von Piaton Phaedr. 267 A dem Teisias und Gorgias zu-
geschriebeu. So ist es begreiflich, wenn das allgemeine urteil
des Altertums über Isokrates als Stilisten dieses war: er war
der Vollender der von Thrasymachos und Gorgias zur
Hebung und künstlerischen Ausgestaltung der Prosa
^erfundeuen' Eunstmittel. So formulierte es Theophrast,
1) Cf. noch Gorg. Hei. 3 naxffbg xoü filv ytvoftivov d£o4>, Xtyofiivov 9h
^vriTOÜ f^ Isokr. Hei. 18 Orics^g 6 igy6ii9vog (ihv Alyiag, Yiv6(Uvog d* in
IloaeiSavos.
Isokrates. 117
dem~es^ direkt und indirekt naclispreclien Dionys. de Isaeo 19;
Cicero or. 40; 174 flf.; Quintil. IX 3, 74. Das Wesentliche, in
dem Isokrates entweder mit den Sophisten zusammenging oder
sich von ihnen schied, läfst sich so zuäammenfassen« 1) Er behielt
bei den Schmuck der Antithese sowie der mit ihr yerbundenen
Elangmittel und erst im Alter behauptet er an den beiden be-
kannten Stellen (Phil. 27; Panath. 1 £P.), davon keinen so reichen
Gebrauch mehr machen zu wollen. Er ist aber in Anwendung
der Elangmittel nicht so weit gegangen wie Gorgias (Philostr.
Y. soph. I 17, 1 noQiöa xai ivtCd-sta xal ö^iotiXexrta oifx ^igiav
%Qdnog iXX* 6{)Qfiiidvoig £i Xin^^f^^'^^S^ ^f* besonders Cic. or. 176);
eigentliche Paronomasieen (wie fw/ijfii^v— yiffw^v Pan. 186 Phil. 134,
^lufig — yv6(iiig Pan. 45 wie bei Gorgias) sind selten und (nach
Aristoteles Rhet. III 7. 1408 b 15) nur an gehobenen Stellen
verwendet; die Reden, in denen die gorgianischen Figuren ent-
weder im Übermais hervortreten oder durch Vergewaltigung der
Sprache erzielt werden, sind aus anderen Gründen teils notorisch
anecht (xQbg ^ti^övixov), teils sehr verdachtig (Trapeziticus)^):
sie stammen aus denselben Kreisen wie der lysianische (?) Epi-
taphios, d. h. ihre Verfasser stehen in der Mitte zwischen
Gh>rgia8 und Isokrates und zeigen daher so recht deutlich, wie
weit die vollendete, von Puerilitäten freie Kunst des echten Iso-
krates über^ Gorgias hinausgekommen ist. 2) Über das Ver-
hältnis der*prosaisohen Rede zum Gedicht bestimmte Isokrates
folgendes. Zwar soll es die Prosa in jeder Beziehung mit der
Poesie aufnehmen, — hierin stimmt er seinen Vorgängern
bei — '), aber — behauptet er im Gegensatz zu diesen — sie
darf keins von den spezifischen Mitteln der letzteren anwenden:
ohne Metram, ohne kühne Metaphern, ohne neugebildete oder
allzu dichterische Wörter, ohne ungewöhnliche Wortstellung will
de den Zahörer bezaubern, und daher ist es viel schwerer, gute
Prosa als gute Poesie zu schreiben (9, 8 ff.; 15, 45 ff.). 3) Wenn
nun also die Prosa nicht metrisch sein darf, so mufs
sie rhythmisch sein; dies ist das höchste Gesetz guter Prosa.
Da nun Rhythmus durch Gliederung entsteht, so kommt alles
1) Cf. E. Dremp, De Isocratis orationibus iudicialibua, in: Fleckeisens
Jbb. SnppL XXII (1896) 868 f.
S) Cf. B Keü, Anal. Isoer. (Leipz. 1886) 2 f.
11g I. Die griechische Kunstprosa bis Augustus.
auf richtige Periodisierung an. Vor allem dürfen die x&JIm nicht
80 klein sein wie die des Thrasymachos und Gorgias, denn
dadurch wird der Rhythmus zu stark fühlbar und das Ganze
macht den Eindruck einer Reihe kleiner Verse: man mufs also
die Perioden ausdehnen und an die Stelle der zerhackten Satzchen
grofsC; volle, in rhythmischem Flufs rollende Sätze treten lassen.
Dies ist die wesentlichste Neuerung des Isokrates, für die ich
daher die Hauptstelle anführe: Theophrast bei Cicero or. 39 f.
(er hat von den ävti^iöngy itaQiöA^eigj bfioiotikevra gesprochen) :
haec iradasse Thrcisymachum Caichedonium primum et Leantinum
ferunt Gorgiam, Theodorum inde Byeantium fnüUosque aUos, quas
loyodai.däXovg appeUai in Phaedro (226 E) Socrates; quorum satis
arguta mtdta, sed nt modo primumque nascmUa^ minuta et versv-
culorum similia quaedam nimiumque depicta . . . Harum aetati
sttccessit Isocrates . . . Cum concisus ei Thrasymachus minutis
numeris videretur et GorgiaSy qui tamen primi traduntur arte
qiiadam verba vinxisse . . ., primus instituit dilatare verbis et
moUioribus numeris explere senteniias, cf. 175 f. Belege
für die Richtigkeit dieser Beobachtung bietet jeder einzelne Satz
des Gorgias verglichen mit fast jedem einzelnen des Isokrates.^)
Als Typus mag folgende Periode dienen (Phil. 41), die nach
dem Urteil strenger Eunstrichter das Rhythmische nur durch
gewisse für den Gedanken überflüssige Flickworter» (9rapiurili}9C&-
luata) erreichte, cf. Dionys. de Demosth. 17 f. (ich schlieüsie diese
na(fanXfi(fAiMcta in Klammern ein):
tig y&Q SlXod'sv insX^av
{xal lui^Ttm 6vvdiBtp^aQ{kivog fnatv
ikX^ i^altpvrig iniötäg totg ytyvo^ivoig)
oix &v (jtaiveöd'at xal naQatpQOvetv '^i^äg vofitöBnVj
oF (pUotifiovfud'a fihv ixl totg t&v nQoy6vmv igyoig
(xal tiiv JcöXiv ix t&v t6tB TCQax^ivtmv
iyxfDiiiä^Biv i^ioviisv),
oidlv dh t&v ait&v ixeivoig itQdttoußVj
(ikkä nuv tovvavtiov.)
Dagegen ist bei ihm Ausnahme, was bei Gorgias Regel ist^ z. B.
Paneg. 45 ^ii fiövov tdxovg xal ^cbfirig,
ilkä xal X6y(ov xal yvAyLr\g
1) Cf. K Peters, De Isocratis studio numerorum, Progr. Parohim 1SS3.
Blafs, De numeris Isocrateis, Festschr. S[iel 1891.
Isokrates. Die attischen Redner. 119
Paneg. 76 otM' ixihxvov (ihv <bg läimvj
'ijfiiXovv d' &g iXXot(fi<DVy
aX ixi^dovro filv &g olxaCtoVj
iMBt%ovxo S*&6%BQ xQ^i t&v iif^dhv nQOöfixövtov:
Areop. 70 oix dXtyaQxi&v
oidh nXsovBii&v,
&Xlä dixaiag xal xoöfiiag
ixidvfiovvra noXitaCag,
Isokrates hat im Leben viel zu kämpfen gehabt, um seinen isokntei
Eonkurrenten den Rang abzulaufen, es ist ihm schliefslich ge- N«ehweii
lungen: sein Haus^ sagt Cicero nach einem griechischen Autor
(Brut 32; or. 40) , officina habita doquentiae est, und aus seiner
Schule tamquam ex equo Traiano meri principes extenmt (de
or. n 94); er machte tilg ^^^vaian/ xöJiemg ilxöva t^v iavtoi>
^xoXijv xatä tag iatoixiag t&v Xöycov (Dionys. de Isoer. 1). Er
blieb der Meister des geputzten (xBxaXXaxiöfiivog Hermog. de
id. 331, 27; 332, 18; 412, 8) und geschminkten (xofifionrtxrf^
id. 331, 26, cf. Cic. ep. ad Att. 11 1, 1) Xöyog. Freilich steht
den Bewunderern und Nachahmern eine grolse Zahl strenger
Klassicisten gegenüber, die sich über den Perioden abzirkelnden
und Worte leimenden Schulpedanten lustig machten, der ebenso
▼iele Olympiaden dazu brauche, eine Rede zu verfassen, wie
grofise Feldherren, Völker zu unterwerfen oder wie Perikles,
Propyläen und Parthenon zu bauen; ihre Urteile werden uns
weiterhin öfters begegnen.
6. Bei den übrigen grofsen Schriftstellern dieser Epoche stouung
werde ich kürzer verweilen, da sie auf der von mir zu ver- «ttiBohen
folgenden Linie der antiken Eunstprosa, die mit Thrasymachos ^°*'
und Gorgias beginnt und über Isokrates weitergeht, entweder k«°s^
überhaupt nicht stehen oder sie nur ganz gelegentlich betreten«
Zu ihnen gehören vor allen die attischen Redner. Aristo-
teles hat diese Redner noch so gut wie völlig ignoriert, weil
sie mit ihren praktischen Tendenzen nicht zur eigentlichen
kunstmalsigen Prosa gehörten; erst Theophrast ergänzte die
grundlegenden Forschungen seines Lehrers darin, daCs er ihnen
einen Platz in der Geschichte der Xi^ig anwies, was dann spätere
Kritiker weiter ausführten imd einer etwa bis zur Mitte des
ersten vorchristlichen Jahrhimderts öfters wechselnden, dann für
tlle Folgezeit sanktionierten Geschmacksrichtung anpaisten.
120 I- ^^^ griechische Eonstprosa bis Augnstas.
Das Material dieser Untersuchungen liegt in den Kritiken des
Dionys v. Hai. in einer Fülle und Feinheit vor, daCs es von Blafs
in seiner Geschichte der attischen Beredsamkeit mit Recht aus-
giebige Verwertung gefunden hat. Es ist; um nur ganz weniges. Ab*
meine Zwecke in Betracht Kommendes anzuführen, bekannt, daCs
auch Antiphon und LysiaS; dieser besonders in den epideiktischen
Reden, unter jenem EinflulÜB stehen, nicht so sehr in dem
poetischen Kolorit der Diktion als in der Ausschmückung der
Diktion durch Figuren, unter denen die Antithese mit den
üblichen Klaugmitteln voransteht: das hat man schon im Alter-
tum konstatiert (z. B. Theophr. bei Dionys. de Lys. 14), und
die Neueren sind dem im einzelnen nachgegangen.^) Lysias
erinnert also, wie in seiner ganzen Art, so auch hierin an
Xenophon. Von Demosthenes, der erst nach und nach 6 ^t^oq
geworden ist, hat man schou im Altertum gewuist, dals auch
er, der sich ja stets genau vorbereitete und die gehaltene Rede
erst nach sorgfältigem Feilen herausgab, von den Mitteln der
künstlerischen Rede ausgedehnten Gebrauch gemacht habe; die
strengen Richter haben seine gelegentlich stark hervortretenden
Antithesen^ (oft mit ihrem üblichen Schmuck) getadelt: schon
1) Für Lysias cf. auTser Blafs noch E. Haenisch in seiner Aasgabe
des Amatorius (Leipz. 1827) 56. 62 f. H. Frohberger in seiner Ausgabe aas-
gewählter Beden des L. I (2. Aufl. von G. Grebauer, Leipz. 1880) p. 12 adn. 79.
E. Scheel 1. c. (oben S. 96, 2) 48 ff. Grelegentlich tritt bei Lysias das Gorgia-
niBche sehr stark hervor, z. B. in den Fragmenten einer von Theophrast
als echt bezeugen, yon Späteren dem Lysias nur deshalb abgesprochenen
Rede, weil man diesen Redner gern von solchen Auswüchsen befreien wollte,
bei Dionys 1. c: *EXXi^vmv nXalm äfidxrixov %al &vavfid%rjtov ÖXi^gov. —
Inixat fihv a{)tol t&v ^b&v na^l^ovtsgj nQo96tag Sh t&v Sffnuov iia&s iato-
tpaLpovtsg^ AvaiiaXovvtBg ts avyyivsucv siiiiveucv, Dafs die Athetese des
späteren Altertums ungerechtfertigt ist, geht schon aus der Persiflage Pia-
tons im Phaedrus hervor, cf. auch Diels in: Abh. d. Berl. Ak. 1886 p. 29, 1.
2) Z. B. or. 8, 88 ixQfjv ydig, m &w9Qsg 'Ad^ivaloi^ toitvamiov ^ iHbw
&navxag xovg noXix^o^vovg
iv iihv talg inTdrialccig ng^ovg %al tpiXav^Qibnovg ^iL&g i^l^Biv bIvcci'
ngog yaQ i>fi^g airto^g %al tovg avft^fidxovg iw tavtaig ictl xä 9Uata'
iv 9h xalg nagacmtvcclg to4) noXifiov (poßsQoiyg %al x^^^^^ohg htUiii%v4tvtu'
nifbg yap xo^g ix^QO^g %ccl xo^g &vxin<iXovg i%Btv6g iö^' 6 &ydtp,
wo, wie Rehdan tz bemerkt, der Parallelismus der Glieder so weit geht,
dafs xo4jg ivxindXovg zu ix^'QOvg hinzugefügt wurde, um dem xohg cviikfui%ovg
hinter ^fi^g aixoi&g das Gleichgewicht zu halten. Femer Tor allem die be-
Die attischen Redner. Isokrateer. 121
Aeschines de fiEds. leg. 4 und der Komiker Timokles bei
Aihen. VI 224 B, cf. besonders auch die Kritiker bei Plutarch,
Demosth. 9—11. Aber verständige Männer haben darüber das
Sichtige znsammengefafst in die zwei Sätze: 1) er wendet diesen
Zierat mit Maus an imd pflegt allzn grolise Gleichheit durch
den Wechsel des Ausdrucks absichtlich zu zerstören; 2) er ver-
wendet ihn nicht wie Isokrates und Genossen als Selbstzweck^
sondern er ist ihm Mittel zum Zweck der deivötrig, cf. besonders
die verständige Beurteilung des Hermogenes de id. p. 332 ff. (zu
Hermog. p. 333, 3 auch die Bemerkungen Syrians p. 64, 4 Rabe).
Auch die Neueren haben das so aufgefafst, cf. aufser Blafs
(ES 1 p. 137 ff.) den ausgezeichneten rhetorischen Index der
Ausgabe von Behdantz s. v. Paratazis, 6fu>iotiXsvtov ^ Wort-
spiel.^) Daus seine Rede in grofsen, natürlich sich ergebenden und
nie zur Spielerei werdenden Rhythmen sich ergiefst, fühlt jeder,
der weifis, dals man gehobene griechische Prosa nicht blofs nach
den zufällig auf den Silben stehenden Accenten zu lesen hat,
was kein Grieche that. Blaus (III 2 p. 359 ff.) hat einiges
Spezielle nachgewiesen. Das meiste läüst sich zwar nur fühlen^
aber wer fühlt auch nicht, dafs der gerade wegen seines
Rhythmus schon im Altertum hochberühmte Anfang der Kranz-
rede so zu lesen ist: xq&vov ^iv^ \ &^&v8(feg ^A^valoi, (^l ou ^
2 -), I xolg ^£otg eCxoftai (j. ^ i. j, ^ i) \ ica6i xal leäöaig (^ u ^
X .)? Auf Demosthenes palst, was K Justi einmal schön aus-
spricht (Winckelmann 11 2 p. 4): ,,Die mächtigste Beredsamkeit
ist die, welche eigene Leidenschaft in ihre Worte hineinwirft
und doch die Leidenschaft mit kalter Berechnung als Mittel
verwaltet.^
7. Zu den Isokrateem^ gehören vor allen die unmittelbaren Tbeopom
Schüler des Meisters, Theopompos und Ephoros. Jener, an- Ephoiw
rthmte ^^yngie^s zwischen sich und Aeschines in der Eranzrede 266 und
die tfvy^^itfiff zwischen den wahren und falschen Gesandten in der Bede
«f^ xijs naifanQiaßslag 229 f. (auf letztere c^yigicig mufs sich die im Text
dtierte Stelle des Aeschines beziehen, cf. auch § 174 der Gesandtschafbsrede).
1) Das Beispiel der naQi/jxriüig, das aus Demosthenes Ton Max. Planudes
7 480 Walz angefahrt wird: Snvbv ya^, d to^s iUHVy iStv lÜlaxny, o^ d-
Mfoff U^fMiro» iUi/jcm ist nicht demosthenisch.
2) Oi 'IC9%Qdt9un, ol &n' 'lüongdtovg u. ä., cf. H. Liers 1. c. (oben
8. SO) 7 (aulier den dort angeführten Stellen noch n. ^. 21).
122 I- ^^ griechische Eunstprosa bis Augustns.
fanglich selbst ein gefeierter epideiktischer Redner, ist f&r die
Nachwelt über tausend Jahre lang (noch Photios las ihn) der
Typus des rhetorisierenden Historikers geblieben: das Stilurteil
der alexandrinischen Zeit lesen wir bei Dio Chrys. XYIII 479 B.
fritoQLXöv rt n€Ql xiiv änayyBkCav t&v X6ymv ixsi «^ Quint. X 1,74
oratori magis similis^) Innerlich berührte dieser leidenschaftliche
Mann sich nicht wie sein Kollege Ephoros mit seinem leiden-
schaftslosen Lehrer, sondern vielmehr mit Demosthenes, über
den er schöne Worte gesagt hat (bei Flut. Dem. 18)^ die um
so mehr gelten bei einem Mann, der mehr zu tadeln gewohnt
war. Daher ist das iid'og seiner Rede vielmehr demosthenisch
als isokrateisch; was hätte man dem Isokrates zahlen müssen,
dafs er Worte wie kdötavQogy tginogvoi^ ivdgöieoQvoi oder auch
nur ivayxofpayilöai tä nQdyfiaxa (cf. xbqI {^. 31, 1) über die
Lippen gebracht hätte? Dagegen die tdxvri des Stils erinnert
mehr an Gorgias- Isokrates. Als Beispiel für diese eigenartige
Mischung demosthenischen Ethos und isokrateischer Technik
ma^ die berühmte Charakteristik Philipps (fr. 249) dienen, über
welche antike Kritiker fein geurteilt haben, dafs wegen des
affektierten Stils die den Gedanken innewohnende dsivöxrig in
ihr Gegenteil, die tIfVXQÖtrigj umschlage (Demetr. de eloc. 27; 75;
247): tovg ^h/ xoöfiiovg tä ^O'ij xal toi^g t&v ISCayv ixinsloty-
ftsvovg inBdoxi(ß,aiSy t(ybg dl noXvteletg xal iSnrcag iv xiißoig xccl
nötoig ixaiv&v hifia. totyagovv oi iiövov airtiybg romt>r' i^si^v
naQ€67C€va^€Vy iXXä xal trjg &XXrig iÖMÜJcg xal ßdelvQiag id'Xritäg
hcoiriiJe. xC y&Q t&v al6%Q&v ^ Sbiv&v ainotg oi scgoöi^^ 1j xl
t&v xaX&v xal önovdaicav oinc &7triv^); oix oC fikv |t;poi$fi€VOi
xal Xsaiv6(iBvoi dutikow ßvÖQeg üvteg^ ot d' iXXi^loig ixöXfUov
inaviötaö^ai xAyavag {x^vöi'y xal iceQii^yovto iikv 8iio xal tQstg
ixaiQOVfiivovg ^ aixol 81 xäg avxäg ixBlvoig x(y^^^^ Btigoiq na-
Qßtxov Sd'sv äixaCag &v tig aitoig oix halQovg iXX* itatgag
{miXaßsVj oidl ötQaxiaxag aXXä ;|rafiatrt^ag XQOöijyÖQewfsv.
1) Cf. M. Caesar ad Front, ep. n 6 p. 81 N. htme audio apud Oraecoi
disertissimum tiatum esse.
2) Es scheint noch nicht ausgesprochen zu sein, dafs dies eine deat-
liche Beminiscenz an eine der berühmtesten Stellen des Gorgias ist: der
Anfang des grofsen Fragments aus dem Epitaphios laut-et: tl ydcp icnfjw totg
&vdQoc€i To^roig &v dil &vdQdct naifilvai; tl Sl %al ngoafjv &p o^ dtt
Theopompos. Epikuros. 123
it»difOfp&ifOi yäg xifv tpv6i,v tivtsg ivd(f6xo(fvoi tbv XQdxov ^öav.
xgbg dh xaikoig ivtl (ihv tov vi^fpeiv tb lud^Siv iiyoacmv^ &vtl
d\ xov xoöftüog ^fjv igTcd^siv xal g>ovB'6eiv ili^tow Tcal rb (ikv
iXffisveiv 9cal ratg biiokoyiaig iiifidveiv oinc olxetov ain&v ivö-
fuiovj tb d' ixioQXstv xal fpBvanliaiv iv tp ösiivotdtoi {maldfi^
ßavovL xal t&v (ihv {maQ%6vxmv '/jfiiXoWj t&v dh &7t6vrayi/ hu-
tvfLOw. Auf Einzelheiten brauche ich auch hier nicht ein-
logehen, da zuletzt von Eadbel (1. c. 46; 105 £) über die Be-
nehungen des Ephoros und Theopompos unter einander und zu
ihrem Lehrer Isokrates aUes Wichtige gesagt worden ist.^)
8. Kurz will ich noch bei einem Manne verweilen^ den hier
zu finden mancher sich wundem dürfte. Epikurs Schriften
waren im ganzen Altertum bekannt wegen ihres ungekünstelten
Stilsy der^ fem von rhetorischem Putz, die Sprache des täglichen
Lebens wiederspiegelte; die Freunde nannten seine Schreibweise
die gewohnliche; volkstümliche, während seine Gegner sie nicht
blols als die ungebildete bezeichneten^ sondern mit den aller-
gemeinsten Schimpfworten belegten. Die interessanten zahl-
reichen Zeugnisse hat üsener^ Epicurea p. 88 ff. zusammen-
gestellt. Thatsächlich nimmt das wenige einigermafsen Zu-
sammenhängende, was wir besonders von seinem Briefwechsel
mit Mutter, Freundinnen und Freunden auf Stein und Papyrus
besitasen, eine fast singulare Stellung in der antiken Stil-
geschichte ein: ich wülste wenigstens nicht zu sagen, wo wir
sonst in guter griechischer Prosa etwas hätten (abgesehen von
einigem aus der frühchristlichen Litteratur, wie der Jidaxif)
Ton jener wundervollen Natürlichkeit, die so ganz der Ausdruck
eines zart und warm empfindenden Herzens ist; so, um beliebig
etwas herauszugreifen, fr. 176 (aus den Herculanensischen
Sollen): iupeiy^ud'a slg Aiyi^axov iyiaivovtsg iyh xal Hvd'oxXflg
xal ^^fMQXog xal Kti^iJvxxogy xal ixst xatsiXi^fpaiiav i)yi,alvovtag
BBfkUttav xal xoi)g kovjcoi)g tpUovg. ei dh xotetg xal 6i> sl iyi-
1) Stern hat in den Gonuneni in hon. Stndemundi (Straasb. 1S89) 158 £F.
& gorgianiflchen cxff^yMxa ans Diodor zusammengestellt, um zu beweisen,
dab die betr. Partieen aus Theopomp abgeschrieben seien. Möglich, dafs
eiiiiget sutreffend ist, aber es fehlt doch jedes Kriterium der Sicherheit.
Etwas TOrsichtiger, aber doch auch ohne über mehr oder weniger Proble-
Batisehes hinauszukommen, benutzt das sprachliche Moment bei der Ana-
lyse Ten Flntaiohs Biographieen C. Bünger, Theopompea, Diss. Strassb. 1889.
124 !• ^^ griechische Eunstprosa bis Augustos.
aivsig otal fi f^^fifti} <^ot;, xal xcbtav xal MdtQOVi ndvta lutthnv
&6nBQ xal i^QOöd'sv. ii yäg t6^i^ ii ahla^ Sri xal iyh xal of
Aot^ol ledvtsg 6e fiiya g>tXoi>fi£Vj Stv xovzovg nat^ xdvtcu Auch
in den Werken, die für das gröfsere Publikum bestimmt waren,
liefs er sich gehen: ich kenne kein ästhetisches Stilorteil,
welches schlagender den Unterschied des antiken und modernen
Geschmacks bezeichnete, als folgendes bei Laert Diog« X 13:
xiXQTixai, (6 *E7iixovQog) d} kS^Bi xvgia xcerä t&v HQayudtaVj ffv
ZxL ldi,(oxatri iöxCv^ ^Jlgiöxotpävtig 6 yQa(i(iaxLxbg alxiäxai. (6ag>^
d* ^v ovxmg üg xal iv xa Ilegl ftixoQixflg i^tot (iridlv &lXo 1\
öaqy/^vBt^av äitaitetv). um so auffallender kann es scheinen, dalB
aus einem Schriftsteller, der in bewufstem Gegensatz zu der
konventionellen stilisierten Sprache schreibt^), einige Sätze an-
geführt werden, die ganz rhythmisch gebaut sind: wir werden
daraus nicht folgern, dafs er hier rhetorisch hat schreiben
wollen, sondern vielmehr dies als eine erwünschte Bestätigung
der Thatsache ansehen, dals das Gefühl f&r eityvd'fiia dem
Griechen angeboren war. Die Hauptstelle über die gelegentliche
rhythmische Schreibart Epikurs findet sich bei Theon pro-
gymn. p. 71 Sp. iinfiskrixiov (dem rhetorischen Lehrer) ds xaL
xfig ötn/d^iösmg x&v övoiiäxmv^ ndvxa di^ddöxovxa i^ &v diMtps^
^ovxat xh Ttax&g öwxi^ivai^ xal fuiliiJxa dl tifv lniistQOv xal
ivQvd^liov Xi^iVj ä)g xä leokXä x&v ^Hyriöiov xov fifüOQog xal tibv
*Aöiav&v xakovfiivmv frixÖQmVj Tcai xiva x&v ^Emxo'ÖQOv^ old xov
xal itgbg *Jdon£via ygatpei, (fr. 131 Us.)* & ndvxa xi(iä xivi^-
ULaxa I xsQnvä voiiiöag ix viov xal x&v XBQupBQOndvav
d' &g ixBivov (fifiBtg d' oiSinm xal vvv aix& sigiöTtoiiBv iv totg
övyygdynutöiv aixov) (fr. 105 Us.) liyB dij (jlol Uol'öaivB f
övvajCBQi^Bv fiBydlrj xagä yivrjxai. Aus den dürftigen
1) Daraus ist es auch zu erklären, dafs sich yielleicht bei keinem
griechischen Schriftsteller auf so kleinem Raum eine solche Fdlle Ton &ra|
iBydfisva nachweisen iSXst, wie bei Epikur: die Kunstsprache seit Isokrates
hatte zwar die Neubildung von Worten yerpönt, aber die Volkssprache
schuf aus unversiegbarem Born solche Worte: z. B. sind die yielen Neu-
bildungen auf -fux bei Epikur (wie ilniüiuc Unac^ui &vaxQa&yaCfia li/j%fifui)
unmittelbare Schöpfungen der Volkssprache, für die jenes Suffix noch pro-
duktive; Kraft hatte, denn das beweist der Interpolator (bezw. Bedaotor)
der Apostelgeschichte, bei dem sie sehr zahlreich sind (aber der sehr ge-
bildete Lukas hat kein einziges 1), cf. auch Paulus ep. ad Eom. 6, 16.
Epikuros. Ausläufer. 125
Resten seiner Briefe könnte man versncht sein, noch folgendes
anzuführen: fr. 99 bei Philodem «. siöeß, p. 125 Gomp. k&v
%6l[€]ii[og ^^], Sbivov oim &(vy dits^av ^b&v Btka[mv Zvtfov]^
um so mehr als Philodem unmittelbar eine andere Stelle mit
demselben Schluls anführt: Tta^agäv t[i^ ^toipi] dir^xivav xa[l
dt£\^Biv 6vv airl&i] MätQovi d^Bl&v Bt]XB(ov üvtmv (sakral?).
Fr. 116 iyh d* ig)* ^f^doväg öwBXBtg naQa7cak& xal oinc iic* iQBxäg
XBväg xal luetaiag xal xagaxAdBi^ ixovöag x&v xagx&v tag
H%lda$ (wo man den letzten vier Worten nur die reguläre
Stellung zu geben braucht, um zu empfinden, dafs dadurch eine
weniger rhythmische A^g^ entsteht) 204 yByöva^uv Sina^^ dlg
d\ oix löti ysvdö^ai' dBt 81 xhv al&va (iijxdt* bIvui, (so:
yitpdt ist überliefert). Man merkt an allen diesen Stellen den
höheren Schwung, den die Rede nimmt: als sein sinnfälliger
Trager stellt sich der Rhythmus ein.
9. Das letztere gilt auch von der kunstvollen, aber nach ner
unserem Geschmack zu überladenen Beschreibung des Elysiums ^ ^
im Axiochos (371 C), dessen Verfasser etwa ein Zeitgenosse
Epikurs war: iv^a &q>^opoi fulv &Qai icayxaQUov yovrjg ßgvov^i^
%fiyui 8% idciffov xa^aQ&v ^eovöij navxotot dl XBi^i&vBg &v^b6i
MoutiXotg iap&gdfia/ot , ducxQtßal dh (pilo66q)a)v xal d'iaxQa noirj-
tAv, xal xvxXioL x^9^^ ^^^ [lovöixä ixovöfiaxaj övfinööid xs
t^lulU xal BiXaxivai, ainoxog^yrixoi^ xal ixif^^axog &Xvnla xal
ifiBta diaixa' oÜxb yäg ;|^ct|L(a ötpodgbv oüxs d'dXxog iyyiyvBxai,
ilX edxQatog i'^g ;|r€rrat äxalatg fiXiov ixxtötv ivaxiQvdfiBVog.
10. Endlich habe ich noch eine Frage zu beantworten: wie Axi^ouif
Terhielten sich die gröfsten litterarischen Kritiker dieser Zeit, Tbeophrai
Aristoteles und Theophrast, zu der zeitgenössischen, d. h. der
isokrateischen Eunstprosa? Lehrer und Schüler sind einig in
der Verwerfung der poetischen Diktion des Gorgias: xal vvv
hij sagt jener ärgerlich (Rhet. III 1. 1404 a 26), oC noXXol x&v
buLidiiixmv xoi>g xoiovxovg (die poetisch in der Prosa Redenden)
ofof^tfi ducXdyBö^ai xaXXufxa. Anderes aus ihm und Theophrast
ist im Yorhergehenden oft angeführt worden. Daher findet sich
auch in der ^A^xivalarv noXixBia kein archaisches oder poetisches
Wort (cf. Kaibel 1. c. 38 f.; 47 f.; 63) und für die Dialoge, deren
Formenpracht und Reichtum an furchtbar packenden Bildern uns
noch entgegenleuchtet, dürfte dasselbe gelten, was oben über den
ToUendeten Stil Piatons gesagt ist In der Wertschätzung der
126 I- IHe griechische Eonstprosa bis Aogastos.
Antithese gehen beide etwas auseinander: Aristoteles erklärt sie
für fideta (III 9. 1410 a 20)^), während sich Theophrast sehr ab-
lehnend verhält (cf. Dionys. de Lys. 14)*); diese Abweichung
des sonst stets in den FnlBstapfen seines Lehrers wandelnden
Schülers fallt auf, aber es ist sehr wahrscheinlich^ dafs der alte
Aristoteles anders geurteilt hat: wenigstens hat er in der *A0^
va{(ov scohxsia diesen Schmuck gänzlich verschmäht und dab
dieses Werk stilistisch ein beabsichtigtes Gegenstück zu der
damals unter Isokrates' Einflufs stehenden Geschichtsschreibung
hat sein sollen, hat Eaibel (1. c. 106 ff.) zwingend bewiesen.
Fünftes Kapitel.
Die Entartung der griechischen Prosa. Demetrios von Fhaleron
und die asianische Beredsamkeit.
^"!^d"^* Bis hierher hatten wir eine reichliche Überlieferung sowohl
Heuenis- der Praxis wie der Theorie. Nach 300 hört sie für Jahr-
hunderte fast ganz auf: für die Praxis sind wij^ auf wenige
Fragmente angewiesen , denen aber glücklicherweise eine grolse
Inschrift sich ergänzend an die Seite stellt, und für die Theorie
müssen wir uns mühsam aus Andeutungen besonders des Cicero
und Dionys unterrichten. Es ist eine Periode des Niedergangs,
die zusammengeht mit dem Verlöschen attischen Wesens und
der Trübung reinhellenischer Eigenart überhaupt: was das
gp-iechische Sprachgebiet an umfang gewann, verlor es an Inhalt,
denn der kosmopolitische Gedanke ist so ungriechisch wie nur
möiglich. Und doch ist gerade diese Periode für die Folgezeit
von grolser Wichtigkeit geworden: sie liefert uns den Schlüssel
zum eingehenden Verständnis nicht nur der litterarischen Be-
wegungen in der griechischen Prosa der Eaiserzeit, sondern auch
der Entwicklung der römischen Prosa, die ja erst in die Er-
scheinung trat, als die grofsen Attiker längst der Vergangenheit
1) Auch Anazimenes 26—28 verwirft diese und ähnliche Figuren nicht
Die gedachte Vorrede und der gefälschte Schlufs wimmehi von ihnen : der
Verfasser glaubte offenbar, dafs sie zum schönen Stil gehörten.
2) Etwas anders Diels, Üher das dritte Buch der aristotelischen Rhe-
torik (Ahh. d. Berl. Ak. 1886) 29.
DemetrioB von Phaleron. 127
angehörten und die Graecnli sich in der Stadt breit machten.
Es kommt mir nun vor allem darauf aU; einerseits den Zu-
sammenhang dieser Entartung mit der alten sophistischen
Eunstprosa darzulegen , andererseits die Hauptcharakteristika
dieser Entartung festzustellen , aus denen sich die weitere Ent-
wicklung ableiten läfst; beides lag der Absicht fem, die Blafs
in seinem Buche: ^^Die griechische Beredsamkeit in dem Zeit-
raum von Alexander bis auf Augustus'* (Berlin 1865) verfolgte.
Den tieferen Grund für den Niedergang der attischen Be- Bemetrio
redsamkeit hat ein unbekannter griechischer Rhetor, dessen phiuieron
Urteil wir bei Cicero (Brut. 37) lesen, darauf zurückgeftihrt,
dals sie bei dem Mangel grofser nationalgriechischer Stoffe sich
von der Öffentlichkeit in die Schulstube zurückzog; als Re-
präsentanten dieser Richtung hat er Demetrius von Phaleron
genannt Das wichtige, für die ganze weitere Entwicklung der
Beredsamkeit entscheidende Faktum berichtet auch Quintilian
(nicht aus Cicero) U 4, 41 fictas ad imiUxHonem fori consiliorunh
qite materias apud Chraecos dicere circa Demetrium PhaHereum in-
sHMum fere constat. Dieser Mann, weichlich von Charakter und
Lebensart wie seine Zeit^), hat an die Stelle der kraftvollen und
herben Rede des Demosthenes, den er tadelte (Flui Dem. 11),
die entnervte und süJSse treten lassen.^) Cicero de or. II 95
gHorum (der grofsen attischen Redner) quamdiu mansit imitatio,
tamdiu genus iUud dicendi studiumque vixü; posteaquam exstindis
kk amnis earum memoria sensim obscurata est et evanuit, dlia
quaedam dicendi molliora ac remissiora genera viguerunt
imk Demochares, quem aiunt sororis filium fuisse Demostheni; tum
Phalereus iUe Demetrius omnium istarum mea sententia poli-
foimii^ aliique horum simües extiterunt. Brutus 36 ff. nach einer
Charakteristik der groüsen attischen Redner: haec enim aetas ef-
fudä hanc capiam ety tä qpinio mea fert, sucus iUe et sanguis in-
eofruptus Msque ad hanc aetatem oratonim fuit, in qua naturalis
tndy non fxusatus nitor. Phalereus enim successit eis senibus adu-
JaeenSj eruditissimus iUe quidem horum omnium, sed non tarn armis
1) Cf. Chr. G. Heyne, De genio saeculi Ptolemaeorom in: Op. acad.
I90C
8) Cf. Diels 1.0. (oben 8.126,2)88, der Ton den 'parfUmierien' Beden
te 'graziösen und gebildeten, aber kraft- und saftlosen Beredsamkeit' des
Donetrios spricht Plutarch 1. c. z&hlt ihn za den xa^Uvri^.
128 I- I^e griechische Kunstprosa bis Augastas.
institutus qtiam palaesira, üaque delectdbat magis Athenienses
quam inflammabat. processerat enim in solem ei pulverem, non ut
e mäitari taberncumlo sed ut e Theophrasti docHssumi hominis
umbraculis. hie primus inflexit orationem et eam möllern
teneramque reddidity et suavis, sieut fuitj videri maluit
quam gravis, sed suavitate ea, qua perfunderet ammoSy non qua
perfringeret, tantum ut memoriam coficinnitatis suae, non^ quemad-
modum de Pericle scripsit Eupolis^ cum delectatione aculeos etiam
relinqtieret in animis eorum, a quibus esset audittis, cf. 285; de
off. I ly 3. Näher charakterisiert er diese Art der Bede
or. 92 ff.: sie gehört dem ^liöav yivog an, dem zukommen alle
omamenta dicendi, alle lumina verborum et sententtarum^ denn es
ist ein florens orationis, pidum et expolitum genus. Nichts anderes
bedeutet Quintil. X 1, 33 versicolor illa, qua Demetrius Phalereus
dicebatur uti, vestis non bene ad forensem pulverem facit, griechisch
gesprochen: ^rjfn^tQi^og 6 Oaktiqaiyg äv^ivä XBQiißalB xi(v kiiiVj
was Eratosthenes von Bion mit Bezug auf die Philosophie
gesagt hat (Strab. I 15), d. h. also: wie Bion die Philosophie,
so hat Demetrius die Beredsamkeit in ein blumenreiches, bunt-
gesticktes Hetärengewand gekleidet, orationem fucatis et mere-
triciis vestibus insignivit, wie Tacitus (dial. 26) von den Rednern
seiner Zeit sagt.^) Den litterarhistorischen Zusammenhang dieses
yivog giebt nun Cicero 1. c. 96 klar an: hoc totum (genus dicendi)
e sophistarum fontibus defluxit in forum, und wirklich stimmt
die Charakteristik, die er vorher (37 ff.) von der Bedeweise des
Thrasy machos, Gorgias, Isokrates gegeben hat, mit der des De-
metrius.
An den wirklich gehaltenen Beden des Demetrius können
wir das bei dem Mangel an Fragmenten nicht mehr nachweisen,
wohl aber an einer seiner scholastischen Deklamationen, aus der
uns ein längeres Fragment bei Stobaeus erhalten ist Um es
in diesen Zusammenhang richtig einreihen zu können, schicke
1) Die Deutung der Strabonstelle ist bekannt, cf. zuletzt 0. Hense,
Teletis reliquiae (Freiburg 1889) p. XGV. Für den Vergleich mit Hetären
cf. CresoUiuB, Theatr. rhet. in 21 p. 174 (wo noch hinzuzufügen Greg. Njss.
contr. Eunom. I 25S BC); dcvG'tvol x^Töye; als Zeichen der tQvtpij aach Timon
bei Athen. Xu 628 D. Die Quintilianstelle wird, wie ich sehe, richtig be-
urteilt von F. Susemihl, Gesch. d. gr. Litt, in d. Alexandiinerzeit I (Leips.
1891) 142, 713.
Demetrios iron Phaleron. Die Diatribe. ]29
ich eine kurze Bemerkimg über dieses litterarische yivog Toraos.
Die ScImldeklamatioDy dunrpt/Jij, hat sich in der Weise aus dem
Dialog entwickelt, daCs der sie vortragende Deklamator an die
Stelle der beiden im Dialog sprechenden Personen sich selbst
und eine fingierte Person setzte, mit der er nun die Xiyyofuxxia
aosficht: die Diatribe ist also nichts anderes als ein in die Form
der Deklamation umgewandelter Dialog.^) Daraus erklärt sich
1) DaÜB die Diatribe nur eine Nebenform des Dialogs ist, l&Tst sich
schon ans einigen Stellen der platonischen Dialoge zeigen, wo Sokrates die
gewöhnliche Art der Dialektik yerl&Tst und, ganz wie es in der Diatribe
geschieht, einen fingierten Oegner einfährt und mit ihm disputiert. Cf.
Protag. 862 £ ff. C&i dii (Ut' ifuH) intxelifrieov ml^Hv %ov9 &94^QAxovg %al
diddaiMv Z iiftiv Tot^o t6 nd^og, Z tpaatv imb t&9 iidav&v iittäcG'ai ....
"Itmg yicQ Sy ZcyöjrroMr im&v Zti oim dg^&g XiystBy & &v^Qcimot, &XXa ^i^-
^ftf^s, if^vitg* Stv iiii&g' A nQanay6Qtt ts %al £dni(fcet8g u. s. w. TL&Uv xotr-
9VF, §1 hfoivto i^pAg' xl oIp tpcets ta^o tlvai, 3 i^f^clff i^txm elvai tätv i\do-
9äf9 iUfOfkap^ ttnoin' ^tv fya>y« ngbg ainovg ^dr &%ovstB Si/j' nuffaadpke^a
j^LQ ^fUv iyS t9 «ol nQanayÖQdcg tpQdüai. &XXo ti yc^p, & &vd'Qmnoi^f tpocth
n. 8. w. 9atBv &v, airnLO^v iffoliu^' av a'btohg iyA ts %al ah ndUv u. s. w.
Aber noch mehr: auch die in der Diatribe so beliebte Einführung personi-
fixierter Dinge als redend kennen schon Piaton und der Sophist Antiphon;
denn was anders ist die berflhmte Unterredung des Sokrates mit den N6itoi
im Kziton 60 A ff.? (cf. auch Phaedon 87 A); Antiphon fr. 131 BlaTs*. Ja,
sogar die spezifische Art der Einkleidung solcher Personifikationen haben
schon Piaton und Antisthenes: Prot. 361 A %ai yMi do%il iniLänf i) &(fti l(o-
Sog %^ t6fmw &aM§Q &v&Qantog nccvqyoifitv ti xol nataysläVj %al il tpaviiv
Idßo^^ 9ln§t9 (St9 9r» &toMoi> y' icti, A ZSxQateg tt xal IIffmtay6Qa u. s. w.
Antifthenes bei Laert. D. VI 9 %Qbg xb %ai^is%rnuttCiiy9 ainb t^ nldetfi
fMi^tfbuofr, ^bImS fiOA, tprieiv^ tl (paviiv Xdßoi. 6 xaliiSg, ixl xlvi &y ofe»
«^HTv^iJyoi; o. B. w. Daraus folgt also, dafs die charakteristischen Formen
der Diatribe schon bei den Sokratikem und Sophisten vorgebildet waren.
Man Teigleiche noch die Erz&hlung des Prodikos bei Xenopk Mem. n 1,
tl iE. mit dem weiter unten im Text citierten Diatribenfragment des De-
metrioi. Kur eine spezifische Eigentfimlichkeit der Diatribe können wir
ent in ihrer sp&teren Form nachweisen: die bekannte Einführung des fin-
gleiten Gegners mit t^rfil {mqmt)^ dessen Geschichte sich wie die andern
Charakteristika der Diatribe bis in die christliche Predigt verfolgen l&fst
(et Kauck, M^ gr.-r. IV [1880] 663, 61 ; A. Jahn in Fleckeisens Jhb. XLIX
[1847] 42S; Greg. Naz. or. XXXTT 10; Greg. Nyss. contr. Eunom. 1. XII 986 A;
fladreisens Jhb. Snppl. XVm [1891] 846. Der grolse Zusammenhang ist
nsni von t. ^Hlamowitz in: Philol. Unters. IV [1881] 292 ff. erkannt wer-
te): aber gerade dies zeigt den Zusammenhang mit den angefahrten pla-
tonsehen Stellen, deqn was ist es anders als eine Verkürzung von i^ixo
fe 4f^t ^^^ ali^uü (und ähnlichen Formen der occupatio, über die cf.
V*r4*B, maftik* KunttpioM. 9
130 I- I^ie griechische Eunstprosa bis Augpstas.
die erste Eigentümlichkeit ihres Stils: die saloppe Diktion und
die Auflösung der Periode in kleine Sätze. Da femer die Dia-
tribe moralisierend ist und in sittenrichterlichem Ton gegen die
Thorheiten der Menschen losföhrt^ teils sie tadelnd^ teils sie ins
Lächerliche ziehend , so schlägt sie oft einen pathetischen Ton
an, der bald an die Komödie, bald an die Tragödie erinnert.
Daraus erklärt sich die zweite Eigentümlichkeit dieses Stils:
seine Neigung zum theatralischen Pathos. Die Diatribe ist
daher, alles zusammengenommen, Moralphilosophie im Mantel
der Rhetorik, den ihr zuerst Bion angezogen hatte: die langen
Tiraden über die Fortuna, gegen die luxuria u. s. w., wie wir
sie in der Eaiserzeit bis zum Überdrufs bei den Deklamatoren,
Geschichtsschreibern, Moralphilosophen, Dichtem lesen, haben
ihre Wurzel in dieser Zeit. Der Hauptvertreter der iuczQißij
ist, wie in der Kaiserzeit Epiktet, so in der uns beschäftigenden
Epoche^) wenigstens für uns Teles, ein ganz unbedeutender
Skribent, der von keinem Autor genannt wird und uns nur da-
durch teilweise erbalten ist, dafs ein gewisser Theodoros Aus-
züge aus ihm machte, die Stobaeus überliefert. Man kennt die
genannten Charakteristika dieses Stils; hier nur ein beliebiges
Beispiel (p. 3 f. Hense): dib xal el kafioi^ tpriölv 6 BicoVy 901^
rä nQiyyLaxa^ hv tgönov xal fnistg^ aal d'6vaixo dvTeaioXoystöd'cUj
oinc &v BÜTtoi^y (priöivj äönsQ olxitrig Ttgbg xiigiov i(p* CsQbv xa^-
iiSag dtTcaioXoystrar xC iioi ^xy; (m^ tC 601 xixXofpa; oi näv
tb TCQOötattönevov iab 6ov not&; oi f^v ixotpogäv B^räxtatg
60t (pdQO)] xal fj JlsvCa &v Btiiot ngbg tbv iyxakovvza' xi fioi
fidxy; (lil TcaXov xivog dt' i^ih öxsQiöxy; fti^ 6m(pQo6vvrig; fiij d^
xatoö'&i/tig; fii^ ivdQsiag] u. s. w. Wir können diesen Stil nun
aber schon erheblich früher nachweisen, und zwar bei keinem
anderen als eben Demetrios von Phaleron^): man höre nur den
Anfang des von Stobaeus flor. YIII 20 citierten Stückes: ainhut
yäg sl xm nokefiovvxt xal naQaxexayfidvo) leaQaöxatav Ij xb
^AvdgCa xal fj deiUa^ nöeov av otse^s diatpÖQOvg siitstv Jiiyovg;
M. Seyffert, scholae lat. 11^ 70), die sich in der gesprochenen Diatribe von
selbst ergab? Und wer weifs, ob nicht schon so Diogenes 6 Kvmv die
Menschen andonnerte?
1) Und zwar, wie A. Gercke zu beweisen verspricht, an ihrem Ende.
2) Dafs die Form der Diatribe auch von Ghrysipp angewandt ist, hat
üirzel aus Fronte p. 146 f. 1. c. 371, 1 evident bewiesen.
Die Diatribe. Der Asianismus. 131
Slq* o/iti 4i fihf ^AvdQia (livBiv xaleiioi ouxl f^v xd^iv diatpvXdt-
IL s. w. Diese Form des Ausdrucks ist die für die Deklamation
typische geblieben und daher, wie wir sehen werden, in den
Khetorenschulen der Kaiserzeit mit dem Asianismus, dem sie in
Bezug auf den Stil innerlich verwandt ist, zusammengeflossen:
diesen Zusammenhang hat Rohde in seinem berühmten Aufsatz
(Die asiauische Rhetorik und die zweite Sophistik) im Rhein.
Mus. XLI (1886) 179, 1 schon geahnt, cf. auch Blaus L c.
(S. 127) ff. Wir werden darauf noch zurückkommen.
Es bedurfte nur eines Schrittes weiter auf der Bahn, dieAiUnitmt
Demetrius von Phaleron, seinem Charakter und der Zeitlage
entsprechend, betreten hatte, um die Beredsamkeit ihrer Würde
zu entkleiden. Demetrius selbst that diesen Schritt nicht: er
war trotz seiner SchlafiF^ieit und Weichlichkeit doch ein Attiker
und ein Schüler des Theophrast; Cicero selbst, dem ja die zier-
liche Diktion durchaus nicht unsympathisch war, sagt da, wo
er in eigener Person redet: mihi quidem ex illius arationilms redo-
lere ipsae Äihenae videniur (Brut. 285), was Quintilian (X 1, 80)
so wiederholt: uUimus est fere ex Ätticis qui dici possit orator.
Die eigentliche Korruption entstand nicht auf attischem Boden:
war es einst ein lonier aus Sicilien gewesen, der die Natur
durch die Manier verdrängt hatte, so waren es jetzt lonier aus
Asien, die auf dieser Bahn weiterschritten. Für ein paar Jahr-
hunderte beherrschten sie den Geschmack, woraus wir schlielBen,
dab sie brachten, was das entartete Griechenyolk brauchte.
Und nicht blofs in stilistischer Hinsicht waren sie Vertreter der
Degeneration. Sie haben die strengen Gesetze der rhetorischen
tiXPfl Temachlassigt und an die Stelle der bisherigen Regel-
mäbigkeit regellose Willkür gesetzt; sie haben femer die Kunst
der Bede auch losgelöst von dem Boden, auf dem sie in der
groben Vergangenheit erwachsen war, von der iyxiixhog xair-
diücj Yor allem auch von der (piko6(HpCa, Sie sind daher die
ixtUdevto^ unter den Rednern, ihr Gewerbe ist die Rtsxvog und
die iipild€og>og ^ijroptxij, gegen welche dann im zweiten Jahr-
hundert Y. Chr. Hermagoras und im ersten die speziell so
genannten Atticisten wie Caecilius und Dionys Front machten,
indem sie Yon dem Redner wieder ernstes Studium der Theorie
und allgemeine wissenschaftliche sowie philosophische Bildung
9*
132 I- Die griechische Eunstprosa bis Angustus.
forderten.^) Doch interessiert uns hier wesentlich nur das
Stilistische.
Ghwakter Es ist Selbstverständlich, daCs der Name *Asianer' den Ver-
tretern dieser Richtung erst gegeben wurde, als die auf die alt-
attischen Muster zurückgreifende Reaktion sich Bahn brach.
Damals erhielt der ^jätJiavbg xaQccxti^Q seinen Namen Yon der
Herkunft seiner ersten und hauptsächlichsten Vertreter; aber er
hat auch (das werden wir doch nicht leugnen dürfen) eine
innerliche Berechtigung. Die Beredsamkeit ist der unmittel-
barste Ausdruck des Nationalcharakters: wir haben gesehen, dafis
Aristoteles das Spielerische der sicilischen Diktion aus der geist-
reich-mutwilligen Eigenart der Sikelioten ableitete; in der
attischen Beredsamkeit fand man das MaGsvoUe und Graziöse
der Attiker gewissermafsen hypostasiert; so ist auch die
asianische Beredsamkeit ein Produkt des Landes thatsächlich
gewesen und als solches aufgefafst. Weichlichkeit imd hohles
Pathos sind die Charaktereigenschaften wie der hellenistischen
Asiaten so ihrer Beredsamkeit. Bis in die Zeit des Ammianus
Marcellinus (XVI 17, 6; XVII 9, 3) lassen sich Zeugnisse bei-
bringen für die levitas Asiaticorum, Asien war das Land der
orgiastischen Kulte und der aus ihnen erwachsenen leidenschaft-
lichen Musik, welche die Sinne der Hörer durch dithyrambische
Weisen in Taumel versetzte oder durch weichliche und klagende
Tonarten entnervte. Auf geistigem Gebiet ging der Osten seinen
eigenen Weg teils, wie in früheren Zeiten, ganz neuemd, teils
dem Vorhandenen den Stempel seiner Eigenart aufprägend. Ion
von Chios kultivierte vielleicht zuerst Prosa und Poesie neben-
einander; ein Reisebuch ferner, wie er es in Prosa schrieb, war
und blieb lange ein litterarisches Unikum , und wie leichtfertig-
graziös ist die ALuekdote, die er darin von Sophokles zu erzählen
weiGs. Timotheos aus Milet, der Hauptrepräsentant des neueren
Dithyrambus mit seinen tuxkaöfkiva ^aikri^ wagte zu sagen: Odx
iBiSio xä nakai,i^ Katvä y&Q fuika XQsiööG)' Niog 6 Zei>g ßaö^
ksvsLj Tb nakav d' iiv Kgövog &qx(ov' ^AxCxm Moi>öa naXaia
(Athen. IH 122 D), und das strenge Sparta widersetzte sich
1) Cf. Dionys. de or. ant. 1 iLtp6iff}(Z09 &vaL6na dforpix^ «al äpdymyo^
Blafs 1. c. 88 und besonders Eaibel im Hermes XX (1886) 609 f.
Asianer und ABianismus. 133
seinen Neuenmgen. Hilarodie und Magodie; neue Litteratur-
g^ttnngen %aQä t^v tQaypdüxv und naQä xi^v xca^pdiav^
stammten aus lonien und in ersterer zeichnete sich ein Musiker
8imo8 aus Magnesia aus, dessen verderbliche Neuerungen mit
denen seines Landsmanns Hegesias zusammengestellt werden
(Strab. Xiy 648). Menippos, der Begründer einer neuen, min-
destens von ihm eigenartig gestalteten Litteraturgattung, war
aus Gadara in Cölesyrien: ihm sind unter den Griechen nur zwei
Männer gefolgt^ die ebenfalls Syrer waren: Meleager von Gadara
und Lukian aus Samosata. *H xalil MCkfjftog gab der lasciven,
nach ihr benannten Litteraturgattung das Leben. Aus Gadara
stammte der Rhetor Theodoros, der (im Altertum etwas Be-
sonderes) die individuelle Freiheit in seiner Kunst höher zu
stellen wagte als die starren Regeln der Tradition. So blieb
denn auch die praktische Beredsamkeit nicht zurück: ut semel
(sagt Cücero Brut. 51) e Piraeo doquentia evecta est, omnes pera-
graoä insulas atque ita peregrincUa tota Asia est, ut se extemis ob-
hnerel moribus omnemque ülam salubrüatem Atticae dictionis et
quasi sanüatem perderet ac loqui paene dedisceret. Quintilian weifs
auch den richtigen Grund anzugeben (XII 10, 17): quod Ättici
UmaU et emunäi nihü inane omI redundans ferebant, Äsiana gens
tumidior atque iactantior vaniore etiam dicendi gloria in-
flata est; cf. YIII prae£ 17 Äsianis iudicium in doquendo ac
imodus defuit. Ammianus Marcellinus (XXX 4) sagt in einem
höchst merkwürdigen Exkurs über die Verderbnis der Bered-
samkeit bei den orientaleSj in den eoae partes, daCs hier an die
Stelle der attischen doquentia eine inanis quaedam fluentia
loquendi getreten sei (§ 10). Der Verfasser der Prolegomena
ra Aristides nennt das asianische yivog der Rede xsvivy xoi^tpovy
sfi^ig (Aristides ed. Dindorf lU 742).
Um nun tiefer iu das Wesen dieser Beredsamkeit ein- zwei
mdringen und die Fäden, durch die sie mit einer Richtung der Ver- stu*rt«i
gangenheit verknüpft ist, klarzulegen, kommt es vor allen Dingen
darauf an, die zwei asianischen Stilarten, die von Cicero scharf
geschieden werden, nach Möglichkeit auseinanderzuhalten. Wir
werden sehen, dafs den beiden Seiten des asiatischen National-
eharakters diese beiden Stilarten genau entsprechen: die Weich-
lichkeit und Üppigkeit giebt sich kund in dem Sinnlichen, ich
Ii5ehte sagen Wollüstigen des einen Stils, dessen Charakte-
134 I- I^d grieohiBche Ennstprosa bis Augrutus.
ristisches zierliche Sätzchen und schlaffe Rhythmen sind; die
Eitelkeit, die Neigung zum Aufgeblasenen spiegelt sich in dem
Pomphaften des anderen Stils. Die Worte Ciceros (Brut. 325)
lauten: genera Asiatkae dictionis duo sunt: unum sententiosum et
argutum, sententiis nan tarn crebris et severis quam caneinnis et
venustis .... Aliud autem genus est nan tarn sententiis frequen-
tatum quam verbis volucre atque incitatum^ quali est nunc Asia tota,
nee flumine solum orationis, sed etiam exomato et facto genere ver-
borum . .; in eis (seinen Vertretern) erat admirabüis oraiianis
cursuSy omata sententiarum concinnitas non erai. Die Scheidung
der beiden Stilarten ^) hat sich nicht gleich anfangs vollzogen,
sondern die Keime, die später zur Differenzierung führten, sind
noch vereinigt, aber so, dafs die erstere mehr hervortritt, bei
dem Manne, der allgemein als der igxriyixiqq des Asianismus
galt: Hegesias aus Magnesia am Sipylos.
I. Die Seine Blütezeit fällt nicht allzu lange nach Alexanders Tod,
stiurt. denn von diesem Zeitpunkt datiert Dionys. de orat. ant. 1 iL den
^*K®'^*'' Beginn der asianischen Beredsamkeit. Von diesem Mann hat
Cicero (or. 226) das bittere Wort gesprochen: wer ihn kenne,
wisse was albern sei, und fQr Dionys (de comp. verb. 4) ist er
der * Hohepriester des Blödsinns'; nicht höflichere Ausdrücke ge-
brauchen die andern, die ihn erwähnen, als den ^Erfinder' des
perversen Geschmacks in Bede und geschichtlicher Darstellung:
denn auch in dieser brachte er seine Manier zum Ausdruck.
Nur wegen seiner Verkehrtheiten wird er daher von Aga-
tharchides, Philodem, Strabon, Dionys, dem Verfasser nsgl ü^jovg
genannt und citiert. Die wesentlichen Kennzeichen seiner Manier
sind folgende:
1) Er beseitigte den in vollen und langen Perioden dahin-
fliefsenden Satzbau des Isokrates und Demosthenes und setzte
dafür an die Stelle kurze, zerhackte Sätzchen, die den Eindruck
machten, als hüpfe die Bede: numerosam comprehensionem perverse
1) 8ie ist nicht etwa von Cicero erfunden (er stfltzt sich ja auch in
der Theorie der Rhetorik stets auf griechische Vorgänger): das l&fst sich
aus Diomedes I 451 E. beweisen, der wie Cicero die mit dem Asianismiifl,
wie man sagen darf, zusammenfallende %a%otriXia in zwei Gattungen ein-
teilt: nimius ctdtus und nimius ^umor (die Stelle s. oben S. 69,1). Die Quelle
des Diomedes hat natürlich mit Cicero direkt nichts zu thun, sondern beide
gehen in letzter Instanz auf eine gemeinsame griechische ürqueUe snrück.
Der Asianismus. Hegesias. 135
fugiens Hegesias saUat incidens particulas Cic. or. 226. ^) Beispiele
giebt jedes längere Fragment, z. B. 7 Müll. bQ& xiiv ixQÖ-
xoliv I xal tb nsQLxtflg XQiaCvriQ ixBl%i, öfiftstov \ 6q& ti}v 'EXbv-
ötva I xal t&v CsQ&v yiyova ^vöTtig. || ixetvo AecoxÖQiovj | rovro
SfflBUyif. I ov dvvafiai. driX&öai, \ xad^^ h/ Sxaöxov.^) y Diese Auf-
lösung der Periode sollte, wie wir späterhin sehen werden,
ein fär die Stilgeschichte bedeutsames Faktum werden.
2) Diese Sätzchen waren so gebaut, dals jedes einzelne
einen stark rhythmischen Wortfall hatte, der nun durch seine
Häufigkeit aufs stärkste ins Ohr fiel: Theon. prog. p. 71 Sp.
ixifisXfixeov xfjg öwd^döemg x&v dvo^rav^ ndvxa diddöxovxa i^
iv 8iag>siii(}vxai, xb xax&g 6wxi%ivaiy xal luikiöxa dh xiiv {^fis-
XQOv xaL ivfvd'^ov A^ti/, itg xä nolXä x&v *Hyri6Cov xov ^-
xoifog xal x&v ^AöiavSxv xakov^Uvonv ^rixÖQmv, Diese Rhythmen
waren von lasciyer oder schlaffer Art: Dionys. de Demosth. 43
(yon Jahn zu Cic. or. 230 richtig auf die Asianer bezogen)
^v^fLol {moifxijfucxi^xol xal ^JAvixoi xal äcaxl6(uvoi,j und be-
sonders beliebt war die Klausel mit dem Ditrochäus ^u 2.^
(Cic. or. 212), dem weichlichen, mit dem lonicus a maiore eng
Terbnndenen Rhythmus, sowie eine Form, die uns später noch
Tiel beschäftigen wird: i.sji. ±0, um Rhythmen zu erreichen,
scheuten sie sich nicht vor Flickwörtern: Cic. or. 231 "apud
AsiaHeas numero servientes inculcata reperias quaedam verba quasi
eomplementa numerorum; dazu kamen zu demselben Zweck Wort-
nmstellungen unerhörter Art. Diese rhythmische Rede, vor-
getragen mit modulierender Stimme, war kein verhaltener Gesang
mehr, der, wie wir sahen (o. S. 57), erlaubt war, sondern artete in
förmliches Singen aus: Cic. or. 27 inclinata ululantiquevoce more Asi-
atico canere. ') — Beispiele solcher Rhythmen bietet jedes Fragment ;
1) Dab ich diesen Aosdruck so richtig erklärt habe, kann z. B. Quin-
tilian IX 8, 42 zeigen: etiam monosylkiba, si plura sunt, male continuahuntur,
qtna neeesse eH composüio mtiltis daustUis cancisa subsultet.
2) Cf auch Cic. ad Att. Xu 6, 1 de Caelio vide, quaeso, ne quae lacuna
tU in aiwro. ego isla non novi; sed certe in colluho est detrimenti satis. huc
(mmm si aeeedit — sed quid loquor? tu videbis. habes Hegesiae genus,
gnotf Varro laudat.
8) Besonders geschah das im Epilogus (cf. Cic. or. 67), wo es darauf
inkam (R.yolkmann, Rhetorik' 262 ff.), Mitleid zu erregen; aus einem
solchen Epilog stammt das von Rutilius Lupus I 7 übersetzte Fragment
des Hegesias mit seinem dreimaligen miseremini. Für die canquestio
X36 I- 1^0 griechische Kunstprosa bis Angustus.
SO citiert Dionys. de comp. verb. 4 für das *Hyfi6iaxbv tfzi}fux
folgende drei Satze mit zum Teil unerhörter Wortstellung:
1) ii iya^ijg io(ftilg j. ^ ^ jl kj ^ ^
&ya^&i[v &yo(Uv &XXr[v. \j \j jl \j \j kj jl ±
2) inh Mayvi^öiag eliil kj kj jl jl yj j. jl ^j
rfjg f/LByAXrig E^nvXB'ig. j. \j \j j. \j \j ±
3) od y^ff luxgäv sig Orißaimv ßdmQ yjj.^±^±^j.\jL
imvösv 6 ^^övvöog. ± ^ ^ v^v/u j. \j
ildi)g ikkv ydg iötij -|x g ^ ^ u
nout dl lutiveö^ai^. .|z vy A. ^ u
Femer z. B. das längere fr. 2:
Gi^ßag xatMTiA^ag^ _ | / vy ^ -^ _
üg &v bI 6 Zsitg i ^ ^ j. -
ix tilg xat* oigavbv ^sgidog _-tu»»^^vyuu
ixßdkoL f^v öiki^vriv. ^ u ^ t \j m ^
xhv yä(f ^Atoi/ 'bxoXBiicoiiai xatg ^u_v^u|uv^^^x|^u —
^A^vaig.
dtio yäg a{nai xöXsvg s^ ^ v/ x j. yj ^.
tfjg ^EXXddog Ijöav iilfsig, ^ i u yj\j. ^ —
dib xal X€(fl tflg itigag iym- v/vy^uujiv/u / \j\x
vi(b vvv,
b fi^v yäg slg aiftöv 6<pd'aX^bg kj±^±^±^± kj\±
fl BfißaCmv
ixxixomai, nöXig. ± ^ i. jl ^ x
Das schon citierte fr.
bg(b f^v ixgdxoXiv u|x . v^ vy u v^
xal tb xagmilg xgialvrig -Oi^y|/u
ix€t^i 6ri(i€tov.
bg& xiiv *EXBv6tvaj
xal r&v Csg&v yiyova (ivtftrig. . x v^ u .|
iTUtvo ABioxögvav'
toiho 9ri6etov.
u . .
\j\j. Kj X j. \j
U J.\l <J L l u
\\J \J \J J. .
\j J. \j \j ^ \j yj \j
J. yj L l \J
empfiehlt auch der auct. ad Herenn. III 14, 25 (aus guter Quelle): in can"
guesHone utemur voce depressa, incUnato sono, crebris intervaUis (wodurch
das Singen verursacht wird, e. oben S. 66 f.), hnffia apoHis, magnis commu»
iationtbus.
Der AjBianismus. Hegesias. 137
oi diivaiuci di}AAtfat . o <j . :. ^ . oder
J. \j \J iL «
xa9* hf ixaötov ^ c» u . «j
3) Nicht bloüs die Komposition im ganzen war ^ krank '^
sondern anch die Ansdmcksweise im einzelnen erhob das Un-
gewöhnliche zur Regel: unsinnige Metaphern mit völliger Kata-
chrese der natürlichen Bedeutung der Worte, z. B. i^ iXxlg öwi-
ifaiuv sig tb roAfiav. — toi>g &XXovg dgy^ ngööqfatog iniii-
MQiKto. — aC ywalxBg fuxif^i^ri6av Big MaxedovCav^ xi^v n6Xiv
t^i^a^ai tiva zqAxov u. dgl. m. Dazu kommen abgeschmackte
Umschreibungen statt des präzisen einfachen Ausdrucks (wie in
dem angef&hrten Fragm.: i^ xar' oigccvbv ^uglg für oi&pavd^);
das fiel schon im Altertum auf und Santra bei Quint. XII 10,16
gab eine naive Erklärung: quod paülatim sermone graeco in
proxitnas Asiae civitates influente nondum satis periti loquendi for
eundiam cancupierint ideoque ea guae proprie signari poterant cir-
cuiiu coeperint enuniiare ac deinde in eo perseverarini; wir werden
bald eine richtigere Erklärung finden. Endlich Wortwitzeleien
besonders gern mit antithetischem Sinn, z. B. läfst er die Olyn-
thier sagen, als Philipp ihre Stadt zerstört hat: tivo^ia xatekd-
ßofiw nöXiv %axaXi7i6vxsgj und ähnlich sagt er über das von
Alexander zerstörte Theben: thv yäg (Liyiöra qxovi^öavta tö-
%ov &g>mvov ii 6viiLq>0Qä nsxoiijTUj von Olynth: ix iivQidvdQOv
MÖlamg ^SfjA^ov, hciötgafpelg d* oiiUx^ bIöov^ von beiden
Stiuiten: %l dal Xiynv X)kvvd-iovg xal BrißaCovg^ ola xaxä 7c6ksig
ino^avövtsg xsxöv^aaij von einer der beiden: aC dl xöXeig
«t nkt^^tov ixXaiov xi^v nökiv ÖQ&öat ti^v tcqözsqov ovöav
^i}xix* oiöaVf von Theben: ösivbv xi^v %&(fav &6xoqov slvcu
tifp xai>g 6xa(fxoi}g xexoi^öav^), womit Agatharchides folgende
Thorheiten eines andern (sonst ganz unbekannten) Asianers
Hermesianax zusammenhält, der in einer Lobrede auf Athene
sagte: ix y&Q xf^g xov ^ibg yeysvtutdvri xsg> aliig Blxöxmg i%Bi,
1) Cf. auch das von BatiliuB Lupus II 2 übersetzte Fragment des He-
geiias: divena studia adolescentium animum cutverteramtis, tatnetsi fratres
tnmt, uno atque eodem sanguine arti. äUer in stadio latidia versäbatur et
^f^diutria tnrtuHs viam glorioiam sed lahoriosam 8equeb<xtf*r; <ilter in
Mfenda pemnia occupaius et habendi cupiditate depravatus summaa
^Mictf fiMiiiiam virtutem exietimabat. hie nimirwn magia eraJt laboriosus,
9^ hborem condendi non utendi causa suscipiebat
138 I- ^io griechieche Kunstprosa bis Aogustas.
tilg eidai^iioviag tb x6(pdkai.ov^ und folgende zwei Sätze: tig
8* &v Svvairo noif^6ai rifv Kii(fov dööiv &xv(fov; tönog dl xätg
ydvoit &v ßßarog ßdtov TCSQVTUiyiivov;
Der zier. Aus den angeführten Thatsachen müssen wir den Schlolls
und die ziehen: der Asianismns knüpft wieder an die alte so-
^^^J^^^^'^^^^phistische Kunstprosa an. Wenn wir früher fanden, dab in
jener charakteristisch waren die kleinen, abgezirkelten , stark
rhythmischen Sätze, so finden wir dasselbe hier: in den oben
unter 2) angeführten Beispielen entsprechen sich die Sätzchen
mit gleichem oder ähnlichem Rhythmus genau oder fast genau
an Silbenzahl, vgl. dafür noch fr. 2:
ßaöLhxy ^aviif nQ06nxaC6a6a n6Xi^ (13 Silben)
tQaymdiag iXBSLVOti(fa yiyovsv (13 Silben);
daher spricht Cicero (Brut. 287) von der concinnüctö, die He-
gesias freilich durch puerile Mittel erreiche. Die gern in anti-
thetischer Form auftretenden Wortwitzeleien, die hochpoetischen
Wörter, die verwegenen Metaphern: alles fanden wir firüher bei
Gorgias und Genossen; wenn Santra (1. c.) die periphrastische
Diktion der Ajsianer aus ihrer Unfähigkeit zu sprechen ableitete,
so urteilen wir richtiger, wenn wir bedenken, dafs Aristoteles
(Rhet. in 3. 1406a 10 ff.) dasselbe an Alkidamas tadelt: sagte
Hegesias ij xat' oifQavbv ^SQig für oi^avög, so Alkidamas nach
Aristoteles nicht Big "löd^iiia, sondern sig r^v t&v ^lö^fUtov %av-
ifyvQw, nicht vöiiovg^ sondern zoi^g x&v xdlemv ßatf^Xetg vofU'
fiovg, nicht äQÖfimj sondern d(fOiia(a rg ti^g tirvxfig 6qii^ u. s. w.
Ffeilich Hegesias selbst bildete sich ein, wenigstens im Satzban,
d. h. der Auflosung der demosthenischen Periode, dem Gharisios,
einem attischen Rhetor zur Zeit Menanders, ähnlich zu sein, der
seinerseits sich an Lysias anschlofs: ein Urteil, welches Cicero
(Brut. 286 or. 226) mit Hohn zurückweist.^)
Es läfst sich nun auch durch Vergleichxmg gewisser Stellen
Ciceros nachweisen, dals die Ähnlichkeit dieses asianischen Stils
mit dem der sophistischen Eimstprosa auch dem Altertum nicht
verborgen blieb. Cicero (Brut. 325 f.) hebt als Charakte-
ristisches dieses ersten asianischen ydvog hervor sententiosum
1) Wenn sich Gharisios und Hegesias den Lysias so vorgestellt haben,
wie derjenige, der am diese Zeit auf Lysias' Namen den Epitaphios ge-
fälscht hat, 80 kann man das Urteil schon eher gelten lassen.
Der AflianismuB and die sophistische Konstprosa. 139
et argutumf senimtiis item tarn gravibtis et severis quam con-
einnis et venustis; von der epideiktischen Eunstprosa der
Sophisten sagt er (or. 38) dtxtur etiam venia concinnitati sen-
tentiarum et arguti certique et circumscripti verborum
ambitus eonceduntur; jene Asianer nennt er (or. 230) tnaxtiine
nmnero servientes und sie hätten das oft durch Flickwörter er-
reicht: von den Sophisten sagt er (I. c); in deutlicher Absicht
messen sie die Worte ab^ so dals eins dem andern entspricht,
denn in der Rhythmisierung der Rede gehen sie sehr weit; das
fivog des Hegesias nennt er (Brut. 287) minutumi denselben
Ausdruck braucht er (or. 39) von dem yivog des Gorgias und
der andern alten Sophisten-, er sagt (Brut. 326) , die asianische
Beredsamkeit passe mehr für Jünglinge als Männer: Isokrates
(Panath. in., PhiL 27) hatte im Alter dasselbe mit Bezug auf
jene in der Schule der Sophisten gelernten Kunststücke gesagt
und Cicero (or. 38; 176) führt diese beiden Stellen ausdrücklich
in diesem Zusammenhang an; nach Cicero (Brut. 325) ist Ti-
maios Anhänger jenes ersten yivog *Aöiccv6v; von demselben Ti-
maios sagt Dionys (de Diu. 8), er habe den Isokrates nach-
ahmen wollen und sei dadurch frostig geworden; Hegesias, der
ganz gewohnlich öotpiöti^g genannt wird (durchgängig bei Aga-
tharchides und Dionys)^), wird mit Alkidamas zusammengestellt
Ton Philodem (Rhet. 180, 24 Sudh.), weil beide nicht blofs die
Metaphern, sondern alle Kunstmittel der zünftigen Kunstbered-
samkeit anwandten; von dem Verfasser n6(fl firifovg (3, 2) wird
Hegesias und seinesgleichen mit Gorgias zusammengestellt, indem
als das Gemeinsame hervorgehoben wird 7CoXXaxoi> yä(f iv^ov-
6Utv icctnotg doxoi^vteg oi ßa%x6iiov6iv iXXä Tcai^ovöiv] wie jener
war sie also der schlimmsten stilistischen Verirrung, der xaxo-
trilia^ unterworfen, und daher werden von ihnen wie von Gorgias
sowohl dieser allgemeine Ausdruck als die speziellen Be-
leichnungen iruxQÖVj nstQaxt&ÖBg gebraucht, wofür die Belege
schon oben (S. 69, 1) angeführt sind.
1) In den oben (8. 61) aus Philodem angeführten Worten Epikura über
die Wortkünste der cofpiazal (d. h. nach Epikurs und Philodems Sprach-
gebrauch: Kunstredner) ist nach C. Brandstaetter , De notionum noXixiyL69
ei «o^i^nfg nsn rhetorico (Leipz. Stud. XY 189) 236 Hegesias mitrerstanden:
Tielleicht ist das richtig.
140 I- I^io grieohiflche Eunstprosa bis Augostas.
IL Die Die zweite asianische Stilart charakterisiert Cicero 1. c. so:
%9ti9oh9 cdiud genus est non tarn sententiis frequentatum quam verbis vo-
aIu'* !ucr6 atque incitatumj qmli est nunc Asia tota^ nee ßumine
3ohot T. solum orationis sed etiam exornato et facto genere verborum;
ge*^^* in quo fuit Äeschylus Gnidius et meus aequalis Müesh^ AßsMnes.
in eis erat admirabilis orationis cursus^ omata sentenüarum
concinnitas non erat. Für diese Stilart gab es aus früher Zeit
kein Beispiel^ bis im Jahre 1890 das gewaltige, aus dem Lmem
Asiens selbst stammende Denkmal bekannt wurde , welches.
Regen,* Schnee, Stürmen und der unendlichen Reihe der Jahre
auf dem Nemrud-Dagh trotzend, der Ewigkeit bestimmt war,
wie sein Schöpfer ihm prophezeit hatte. Wohl jeder dieser
Dinge Kundige hat gleich bei der ersten Lektüre die Riesen-
inschrift des Königs Antiochos von Kommagene aus dem ersten
Jahrh. v. Chr., deren Text wir der Kühnheit und Kunst Humanns
und Puchsteins (Reisen in Kleinasien und Nordsyrien, Berlin
1890) verdanken, in den richtigen stilgeschichtlichen Zusammen-
hang gerückt.^) Die Inschrift ist einzig gut erhalten und liest
sich wie ein fortlaufender Schriftsteilertext. Da sie yielleicht
nicht jedem gleich zur Hand ist und man sie doch anzusehen
hat als das bedeutendste Denkmal griechischer Prosa ''einer Zeit^
aus der sonst so gut wie nichts erhalten ist, und da man sie
gelesen haben mufs, um Ciceros Stil zu yerstehen, so mag sie
hier ganz Platz finden. Es wäre ein Leichtes gewesen, die
langen Perioden rhythmisch zu zerlegen, aber was sollte ich
dem Leser dieser Untersuchungen, bei dem ich Gefühl für diese
Dinge voraussetzen darf, vorgreifen? Nur bei drei Abschnitten
(2 — 4) habe ich angedeutet, wie nach meiner Überzeugung die
Lischrift gelesen werden mufs: andere werden vielleicht noch
stärker zerlegen wollen. Ich bemerke nur noch, dals die weitaus
beliebteste Klausel, deren Geschichte ich später^) bis tief ins
Mittelalter verfolgen werde, ^ u ^ ^ «j, 49 mal vorkommt*),
darunter 19 mal mit Auflösung der zweiten Länge des Gre-
1) Von H. Diels und A. Brinckmann weifs ich es durch mündliche
Mitteilung.
2) Vgl. Anhang ü.
3) § 14 ist Saifio€iv tovtoig statt dalfMCi, Tovroi^ sicher absichtlich,
denn sonst (2; 6; 11) ist v vor Konsonant nicht gesetzt.
Der Asianismus. Antiochos Ton Eommagene. 141
tieos: j, yj ^ ^j jl ^ (esse videcUur)] von den 49 Fällen kommen 14
auf den Schlnfs des ganzen Satzes.^) Die zweitbeliebteste
Klausel, die in ihrer Geschichte ^ wie ich zeigen werde , der
ersten parallel geht^ ^ u ^ ^ w ^, zähle ich 20 mal, darunter 3 mal
mit Auflösung der zweiten Länge des ersten Oreticus: ^ v> <^ ^
^ v/ !k;: § 11; 12 (bis) und zwar an letzterer Stelle sehr stark so:
n&p tb ytaQcctvyxdvov j. <j ^ sj ^ u 6
xk'^d'os incxmQiov j. \j ^ kj j, ^ ^
xal xa(f€nidri(iov ^ u ^ ^ ^ v^,
2 mal mit Auflösung der ersten Länge des zweiten Greticus : ^ _ ^ o ^
Kj 1. (% 12] 16); von den 20 Fällen kommen 5 auf den SchluTs des
ganzen Satzes. Auch der Ditrochäus findet sich häufig und
zwar gerade an sehr wirkungsvollen Stellen (z. B. § 9 rö (ihv
yäg SöMv Saiav xovq>ov iqyovy ri^g di &6sßBiag 6m6^oßaQ€t$
ivdyxai) und am SchluJts von längeren Abschnitten (§ 11; 12;
13; 14; 15; 17).
1. Ba6iXsi>g (li^yccg ^AvxCo%og Bahg ^Lxa^og [^Exi(p]av[iig]
OiXoQAfLaiog xal 9i,ki[lX]riv 6 ix ßaöiXimg Mi^Qa8dx(yv KaXU-
vbfov xal ßa6iXi66ijg jiccodlix'\rig Ssäg Q>UadiXg)Ov rflg ix ßaöi-
iUiD[g] *jivti6xov *Exi(pccvovg 0iXoiii^o(fog KaXXivixov i^tl xa^m-
öiaindvmv ßd6s<ov iöiiXotg yifdiiyLaöiv iQycc x^9^''^^S üiccg eig
XlfAvov iviyQccifev alAvi,ov.
2. 'jE^di Tcivtmv iya^&v oi ^övov xtf^6iv ßsßaLOtdtriv &XXä
Mal icM6kav6iv iidC^xr^v iv^Qmxoig ivö^i^öa xi^v svödßsvav^
tifr o^ifv ts XQÜfiv xal dwäfisog eiftvxovg xal XQ'^^^^S fiaxa-
(fiötllg atxlav l6xov^ naQ^ Zkov xs xbv ßCov &(p^v anaöi ßaöi-
Xiia$ iit^ig xal q>'iXaxa lei^öxoxaxijv xal xiQtIfiv ifUiitixov fiyo'ö-
liivog I xiiv b6i6xrixa^ öl & xal xivdiivovg (uydXovg TcaQadöicog
dU^fvyov xal xffäl^Bmv dvösXxiaxmv Biiirixivog insxQdxriöa xal
ßlov xoXvsxoOg (ucxaQiöxAg i7cXfi(fA^riv.
3. *Eyh xccxQmucv [<i]pz^v r^]ap[«^]«|j']ß'*^ ßaöiXsiav [fi]iv
i|io[r]g ^xi^xoov ^(fövoig xoLviiv d's&v oatdvxcov siöeßsiai
yvAfLfig ififlg diaixav inidaiiaj iio(fq>ilg p}v ixövag navxolai,
xijyri^j JMfO'' S TcaXaibg X6yog IIbqö&v xb xal^'EXXiivov —
ifftoO yivovg B'bxv%s6x&xri ^C^a — naQadidmxB, xoöiii^öagj
fh}6taiQ d\ xal xavtiyiiQBötVj hg &(fx^^^S '^^ vö^iog xal xoivbv
1) Es kommt yielleicht hinzu die Form Ouua. zg (§ 9 i^aephg &fl
142 I- I^ie griechische Eunstprosa bis Augastns.
&v^Q6n(ov i^og' hl d\ i(iii dixaia q)(fovtlg XQOöelrivQS t^iiäg
img)av&g ysgaQcig.
4. *E7cel dh Cegod'eöiov tovds xgriTcetda iTtög^i^rov X9^'
vov Xviiaig \ oigaviov &y%i6xa &q6v(ov xataöti^öaöd'ai
7t(fo^svo7}d'i]Vy iv &L fiaxagiörbv &xqi [y]iiQcog 'ÖTcägiav \ ö&fia
^OQq>rlg ifiijg Tcgbg ovgavlovg ^ibg '^QO^dödov d'QÖvovg
&€0(pLkfl ilwxilv 7CQ0XB^ii;av aig xov &71biqov al&va xotfiijöB-
xar . x6tB Sij xal xövde %&(»oi/ [ßgbv ocaavxav xoivbv Avadal^ai
d'B&v iv^QÖviöfia TCQOsiXäyLijv, SncDg fii^ fiövov iii&v Ttgoyövav
ovTog bv bgäg i^p^t(o)g Xöyog i^uctg imiiskscaLg ijcdQXV xa^i-
dgviiavog, äXkä xal dainövov inifpav&v d'stog xvnog iv &yüoi
lötpcoc xad'OöKo&slg ^i]Sh x6vöe xbv xönov 6Qg)avbv i^iflg s^ös^
ßBlag ixfl iidgxvQa.
5. ^lÖTtSQ d}g bgag ^vog xs '^go^idödov xal 'AxöXltovog
MC^QOv ^Hkiov 'Egfiov xal ^Agxdyvov 'HgaxXiovg ^'Agsmg ifi^g xs
Tcaxgldog navTg6(pov Kofiiiayrivfig d'songsic^ xaiha iyäk[iaxa xad'ir-
igvödfir^Vy aic6 xs ki^elag fiLäg öaCyLOöiv iicr^x6oig ö'övd'govov %a-
gaxxrjga fiogq>ilg ififjg öwaved'Yixa xal xvxt^g viag iikixi&xiv ig-
xaCav &£&v fisyaX&v xLfiiiv iitoitiödyLijVj iiifirjiia öCxaiov qn)kd66(OV
d^avdxov (pgovxidog, rj nokkdxig i^ol xagaöxdxig img)ccvilg slg
ßoijd'siav &yG)V(ov ßaöikix&v svfisviig icogaxo.
6. XAgav xs Cxavi^v xal xgoöödovg i^ aircfig dxsvvi^xovg sig
^6l&v nokvriksiav djtivsifiaj ^sgansCav xs iviyksmxov 'tioL
Csgstg ixiks^ag öiyv ngsjtovaaig iad'flöi UsgöLTi&i ydvsc xaxitfXfi^Oj
Tcööi^ov xs xal kixovgyiav Tcaöav i^icog xvx'^g ififig xal daiii^vanf
imegox^jg dvad"rioca.
7. Ilsgl dh Isgovgyi&v didimv dtdxa^iv ngiicov6av ixoitiöd-
(iriVj 57t(og övv alg igxatog xal xoLvbg vö^og ha^sv dvöCaig xal
viag sogxäg stg xs %sS>v ösßaö^ibv xal i^sxigag x^iiäg Satantag oC
xar' ifjkiiv ßaövksiav inixsk&ew, 6d)^axog ^ily yäg ifiov ysvi^kiov
A{)8vaCov axxaidaxdtriv, diadTifiaxog dl AAiov daxdxtjv dipugaöa
fiaydkcov daifiövoiv inifpavaCaig^ alxivag ifiol xad'rjyafiivag aizvxovg
dgx^ig xal ßaöikaiai ndorii, xoiv&v iya^&v alxCai, xaxiöxtjöav.
8. Xdgiv xa ^\6i&v'\ nki/^^ovg xal fuyid'ovg aimxCag d'6o
7cgo6xa^a)6i(o6a iniagagj axaxigav xovxov ivcavöiov aogxiiv. ßaö^
kaCag S% nkf^^og alg övvayayäg xal navriyvgaig otal dvöücg tcnkag
diakiov xaxä xfhfiag xal xökaig xotg ayyiöxa xa^kivaeiv hg tjgiiolav
ixdöxoig xaxd yaixvCav ivaogxd^aiv &gi0a. xov S% koi%ov xQ^ov
xaiä fifiva fiiav 6f((Din;fU)v xatg aigrinavaig — {fnlg [ihv yavi^aiog
Der AsianismuB. AntiochoB Ton Kommagene. 143
xittiv — isl d^ä t&v U^itov yagaigsöd'aL aagijyyeiXa.
9. ^laiiovilg dl tovtav svsxsvj i\v ifi (pQOvifioig ivögäöi
s^ißlg itl ti^QstVj oi fL&i/ov eig zvfiiiv iifietigav ilXä xal ^laxa-
QMftäg iXjtCdag Idlag ixdötov tv%rig iyh Tta^oötmöag iv 6t7lX[a]ig
iöiiXoig ixdga^a yvA^tii, d'S&v Csgbv vöfiov^ bv ^iyng äv^gAiKov
yevdaig iativxonf^ ovg otv %g6vog ä^stgog Big SiaSo%iiv %d>gag
xttitrig IdiaL ßCov (loCgai xata0tij6rii, trigetv &6vXov^ sidörag, ig
lalßx^ vdfLSöLg ßaöLXiTt&v dai,fi6v(ov ti^ficogbg öfioiag i^aXlag xa
*aX üßgamg iöißacav dt(6x£(, xa^aöLmitivoav ta '^gAoav &Taiiiaöd'alg
vöi^og ivaLkaxiyog ixai, nowdg, xh (ihv yäg Sölov axav xovq>ov
i(fyoVf Xfjg di iöaßaiag dxLöd'oßagatg avdyxaL. v6(iov dh xovxov
ifmvi^ (tiv H^i^yyaLkav ifii^j vovg dl ^a&v ixvg(06ev.
NöfLog.
10. 'lagaifg Söxig im' ifiov xa&iöxaxai d'a&v iigdxov xa x(y&c<ov^
€^ %agl xogvfpiiv TavgaCmv aixivmv tegod'aöüov öA^ucxog iiiov
xa^aiögvödfitiv^ Zöxig xa av iöxdgcDi %(»dt/(Dt xdl^iv Xdßy xavxriv^
ixatvog ^Xat)d'aQmiiivog &XXrig %galag indötig &vayM68i6xog ingo-
^öiöxög xa Cagod'aölmi xovxcDt ngoöxagxagaixco xgovoov^avog
^BlfoxaCag xa xal xööfiov ngdnovxog lag&v dyaXfidxiov.
11. ^Ev dl yava&Xioig fii^dgaigj ctg i^ni^vovg iviav6Covg xa
\H>Qftäg'\ ^a&v xa xiiiov xatä xäv hog dal öiaxdxa%a^ x66(iov
IlagöLxflg d6^ij;xoi d[v]ccXa(ißdvG)v, bv xal [x\dgi^ i(iil xal ndxgiog
vdfiog '^luxdfov ydvovg ain&L nagU^rixa^ 6xa(paviy6t(o ndvxag xotg
Xgvöotg 6xaq>dvovg^ ovg dyh xad'tdgoöa daifi6va)v aiöaßdöi xtiiatgj
Mgoöödovg xa Xafißdv€9V dnb xa)fi&v^ &v dyh xad^möimöa qyvöamg
4^g(oi7ä\g %dgi6tv lagalg^ ixi^vöaig d(pavdatg Xißavmxov xal dgm-
^uttmv iv ßmyLolg xoiixoig xocaie^o) dvölag xa xoXvxaXavg alg xifiäg
^aAv XB xal fmaxdgag d^img istixaXaixco.
12. [Tg]axdfiag [ilv [agäg 7tgaitov6rig ^oivrjg y«ft^S]aM/, xga-
tilgag dl imoXriviovg d^övov xgdiiaxog xXi^g&v dax^fuvög xa
öi>v ^agaxalai «av xh 7iagaxvy%avov nX^i^og inixAgiov xal
jtoQSxidfifLOv xoivij[v &Jc6Xav6iv aogxf^g naga%dxm 6%)vay(oyatg
ox^iMVy aifxbg ft^ i}g Id'og. Cagoövvrig rtfi^t ydgag iiaigov^Lavogj
xotg dl XoMotg %dgiv ifiiiv alg iXavd'dgav ffdovifv diavdiuovj
Smmg Sxa^xog iv tagalg fj^dgaig dvaXXinf^i xogijyiav Xa^ßdvmv
ioviUHpdvxrixov IxTJ x^v aogx'^v aixoxovfLavog Stcov ngoaigatxai.
tolg ts ixMAfLaöiV olg iyh xa^aUgcoöa diaxovaiö^coöav, amg &v
iv UfAi. xdxmi öwödov xotvflg liaxaXaiißdvmöiv.
144 I. I^ie griechische Konstprosa bis Augnstiu.
13. Uöov XB xkfil&oq elg rothro xa^Biigm^a iMvöin&Vj xal
560V av ii6t€(f0v Tuxd'oöio^, vtoC te xo'&cmv xal dvyatdQsg Ix-
yovot TB aix&v anavtsg didaöxöiisvov tag aiväg ti%vag iacaQBv-
6%k'qtoi fihv r&v äkXav &jcavx<ov &q>Bl6^m6oiv^ tatg dl dta-
tBxay^ivaig v% iyiov övvödocg ivtavd'a nQ06%a(ycBQBCxm6av iaCQQ-
q>a6C6tmg xb xäg XBixovQyiag j ig)^ Söov &v ßo'ölrixm xqövov ^
övvodog^ TCOVBiö^möav. li'qd'Bvl dh Sölov löxa fiijxB ßa6iXBt fi/^s
SvvdötBv fLi^xB UqbI fjn^xB &Q%ovxL^ xovxovg iBQodo'öXovgj o&g iyi)
^Botg XB xal xtp,atg ifuctg xaxä daifiöviov ßoiiXijöiv ividijxaj
firiöh fti)v xatdag ixyövovg xb ixBivav^ OL[xi\vBg &v iv &%avxi
Xq6v(oi xoiho yivog diadixavxav, fiifre ainöi^ xaxaSovXAöaö^aL
^ijxB Big BtBQOv &naXXoxQi&6ai tqötcoi, (iridBvl (ii^xb xaxAöai xiva
xovxmv ^ TtBQLöndöaL XB^xovgyiag xavxrig^ iXX* ijCL^BXBiö^möccv
^Iv aiz&v iBQBlg^ ina^vvixfo6av d\ ßaöLXBtg xb xal &QxovxBg
Idc&xai XB 7td[v]xBg' o\lg^ &7C0XBL6Bxai 7ca(fä ^b&v xal infAtav xdfig
BiöBßBiag.
14. 'Ofioiag öh iitidh xAfiag^ ctg iyh xa^BUgmtfa dal(io6iv
xovxoig, (LfiÖBvl Söiov löxa fii^xB il^iSidöaöd'ai fiijxB iiaXXoxQi&öai
fiijxB fuxadiaxdl^ai fii^xB ßXdtl;ai xaxä i^r^diva xqöjcov ocA^iag ixBivccg
4 ngö^odovy rjv iyh xxf^yLa dai^idvav &6vXov dvi^xa^ Ü6aiixtag
d\ fir^dl &XXriv nagBVQBöiv Big üßgcv tj xajCBivaövv ^ xaxdXv6iv
&v iq>G)0lG)xa dv6i&v xal övvödcov iniiirixcctniöaöd'ai (M^dsvl xaxä
xiiif^g fi^Bxigag dxCvSvvov iöra,
15. "06rig d' &v Stard^BGig xaiki^g dvvaiuv tBg&v ^ xifLipf
iigmixT^v, rjv d^dvaxog xgiöig ixvgmöBVy xaxaXvBiv ^ ßXdxxaiv 1j
öOfpl^B^d^at ÖLxaiov vovv ijcißdXrirai, xoykcot daiiiöviov ögyil xal
d'B&v andvxmv ain&i xal yivBi nghg &na6av xifUogCav ivBl-
Xaxog iöxa,
16. TvTtov Sh BiöBßBcag, rjv d'Botg xal ngoydvoig Bl6g>dQSiv
SöirOVy iyh TtaLölv ixyövotg xb ifiotg iiKpavfji. xal di* ixigayv 9K>A-
X&v xal di^ xovxcov ixxd&Bcxa, voiil^m xb aixoi>g xaXln^ ^6-
dBiy^ia liifiT^öaö^ai yivovg a^^ovxag &bI övyyBVBtg xifiäg b^oimg
t' ifiLol noXXä ngoö^i^öBiv iv d^xfi^t XQ^^'^ Idüov Big xöö^unf
olxBtov* olg xavxa jtgdaöovöLV iyh ytaxgaiovg Snavxag ^6oi>g ix
üsgöidog xal MaxBxCSog yf^g Kofiiucyrjvfig xs iöxlag BXXsmg alg
TCäöav jrecpii; £{;;|rofuxt Sia^ivBiv.
17. T9<yTtff XB &v ßaaiXBig fl öwd^xr^g iv (uxxgAi {^(fvio^
xavxriv dgx'h'^ nagaXdßj^j vö^iov xovxov xal xi^iäg fifiBxigag öta-
tpvXdööav xal Ttagä x^g ifir^g B'öx'^S IXBmg öaCykovag xal d'Boi>g
Der Asianismus. Antiochas Ton Kommagene. - 145
xivtag ixirm' xaQavöfLai dl yvAiAtii xaxä daifiövoov Ttfi^g ouxl
imglg iiiutd(f€tg igäg Tcccgä d's&v ix&(fä navxa.
Welche andere Bezeichnung giebt es für dieses Prunkstück
rhetorischen Könnens als: Dithyrambus in Prosa? Der Rhetor,
der ihn f&r Antiochos verfafste^ wufste, dafs dieser König; der
mit Göttern wie mit seinesgleichen verkehrte, nicht wie ein ge-
wöhnlicher Sterblicher zur Nachwelt reden dürfe: und man mulfi
sagen y dals er erreicht hat; was er erstrebte. Eine gewisse
eigene Art von Qrandiositat, die ihren Ausdruck in dem leiden-
schaftlich gehobenen Stil findet; läfst sich dem Gunzen doch
nicht absprechen. Im einzelnen wimmelt alles von hoch-
poetischen und neugebildeten Worten (cf. besonders die Fluch-
androhung 9), der Hiatus ist mit einer weit über Isokrates
hinausgehenden Strenge gemieden^), die Wortstellung dem
Rhythmus zuliebe oft von grofser Freiheit^; die Gespreiztheit,
der Schwulst^ und die Zierlichkeit^) des Ausdrucks ist uns
1) Aufser bei den Namen (5 MI^qov 'HUov ^E^fuH; xal 'Afftdyvov *HQa-
uUovg^ 7 AifSvalov htnaidtKcitriv) und im Titel (1 6 in^ was aber auch oitx
gelesen werden kann) ist er nur nach %aL zugelassen (5; 7; 9; 10; 13 bis).
Also moTs 14 itr^Stvl Zci.ov mit Synalöphe gelesen werden (cf. Allen in Pa-
pers of the American school IV [1888] 153. 157), ebenso wie ich 14 die
starke Interpunktion zwischen &vi^%a aaa^tmg beseitigt habe.
2) Z. B. 1 sls xq6vov &viyQaipBv alaviov 9 &vBildtovg ix^'' ^oi-
vag 9 tpmvii f^^^ ifijyyfiXfiy ifiifj 10 td^iv ^dß^ xavxriv^ 8 iftotg
ixfl%6ov ^Q6voigf 3 moiviiv d'e&v andvvmv 8{)asßslai yvdiiirig ififjg Siai-
tav ifciSsi^a^ 4 x^Q^^ IsQbv andptcov %oivbv dvaStl^ai ^eöbv iv&Q6-
vio^a ar^of tXafii]y, 3 l%6vag .... nocfii^aag durch 15 Worte getrennt
wegen der Klausel nagaSiSmne xoafiijaag. Aus Cicero ist derartiges
jedem geläufig, ebenso die langen rollenden Perioden (z. B. 4) sowie das
dreimalige (2; 4; 9) oi (i^vov — &lXcc %aL
3) Z. B. 4 a&fuc {lOQfpijg ifi^fjg 10 tp^ascog iiQomxfjg xf'Q'^^^ IsQalg 15 ^^-
nauMf 9(Hhr inißdlritcu. Das sind solche überflüssigen Umschreibungen, wie
sie Ariitoteles (s. o. S. 138) an Alkidamas rügt (s. o. S. 72) und jene Manier
der Afliaten, Ton denen Santra (s. o. S. 137) sagt: ea quae proprie signari
poterarU circuitu coeperunt enttntiare, jene inanis fluentia loguendi, wie sie
Ammian (s. o. S. 133) nennt.
4) Z. B. 2 oi itövov %ttjaiv ßBßaiotdtriv dXXcc %al &n6Xavöiv iiSiatriv^
ib. »al dwd(U€9g s{>tvxoiig xal XQ^^^^9 lUcnaQtctfjg , ib. xal tpvXana nioto-
xdxfiv %ai xiqf^iv &(kl(iritov, ib. %al %tv9vvovg fiLeydXovg naffccSö^mg Stitpvyo^f
wal 9r^(ti09 ävailnlötmv siffirixdvag ins%Qdtriaa %al ßlov noXvstoiig ftaxa-
^urrA^ itfXrigA&riv. 5 tvxrig viag iiXniiAtig d^^^^ ^^ Nepos Att. 7, 3 vetere
instituio vitae effugü nava perictUa.
Horden, antike Konitproia. 10
146 I- I^ie griechische Eunstprosa bis Augusius.
meist unerträglich, wie man besonders empfindet, wenn man
versucht, die Worte ins Deutsche zu übersetzen (im Stil der
ciceronianischen Marcelliana würde es sich viel natürlicher
machen), z. B. § 3. „Ich erklärte nach Übernahme der väter-
lichen Herrschaft das meinen Thronen unterthänige Reich in der
Frömmigkeit meines Herzens für den gemeinsamen Wohnsitz
aller Götter, teils indem ich Statuen mit mannigfaltiger Kunst,
so, wie es alte Tradition der Perser und Hellenen (meines Ge-
schlechts glückseligste Wurzel) überliefert hat, schmücken liels,
teils durch Opfer und Festversammlungen, so, wie es uranfang-
liche Satzung will und gemeinsame Sitte der Menschen; femer
aber hat mein gerechter Gedanke hinzuerfanden herrlich pran-
gende Ehren.'' ^)
1) In demselben Stil ist die kurze Inschrift, die Mithradates (KaXU-
vt%og)^ der Vater des Antiochos I, im Anfang des 1. Jh. t. Chr. seiner Mutter,
Schwester und Nichte setzte „in den Vorhöhen des Tauros, kaum eine Tage-
reise von Samosata** (Puchstein 1. c. 217), ediert yon Humann -Puchstein
p. 225: TÖ fikv Ugod'ieiov 'lauiSog töSs, fjw paaiXsi}g (lifag MtS'QaSatrig (Lri-
tiga olaav Idiav, iifsl totg [£]XXo»[ff] cbff nalbv 4i^va[y«]a[r]oi[ff] n&öiv 4x6-
aiiriaiv^ tBlBvtaCag tavtrig tifiijg ii^Uaaiv. [''dg^&tjri if[h 'A]vt[i]oxlg iv ttbtäe
xerr[ai], Sito^ir^Qla ßaciXi<og &Sel(pi/j, %alXlaxri ywai%&v, ^g ßQux^g fft^r i
ßlog^ fiMngal Sh inl t&i [ucnQ&t [T]tfial xQÖvmi. 'Afup6T{fQa]i Sh Sg ÖQäig
a^ds iq>eaT&ai xal iura to^ttav ^^onrpt^i} natg, 'AvtioxiSog ^vydtriQ 'Anla'
P]lov tau lut' &XX[i^lmv *al tfjg ßaciXtmg riiifjg imofirriiut. — Bei dieser
(Gelegenheit ein paar Worte über den Stil der Inschriften dieser Epoche.
Soviel ich sehe, halten sie sich, auch die der kleinasiatischen Städte, im
dritten und zweiten Jahrh. t. Chr. noch frei von rhetorisierender Manier
(cf. z. B. Antiochia Lebas -Waddington 2713 a CIGr 4474), die in sie erst
eindringt im ersten Jahrh. y. Chr.; aus dieser Zeit cf. z. B. Bhodus (Inscr.
Graec. ins. mar. Aeg. fasc. 1 n. 149) tairca Uyovtsg taiftcc (pgopoihmBg ijlO'Ofuv
tccv &pJxQrit09 ddbv ilg 'AtSav. 'AQXutva^ Kvdla Nievgiog Tud Eiwxlg Mti-
tQod^QOv ZagSiava XQ^^^^ x^^^^ &fupitsQOi. Halikarnass (Ancient
Qreek inscr. in the Brit. Mus. IV 1 n. 894), wo es von Augnstus heifet:
hcBl 1^ alSviog xal Mdvatog toii narcbg tpvcig xh (tiytcxov äya^bv ni^hg
{mBQpaXXo{>cag €{>SifyBelag &vd'QA%oig ixccglaccto^ Kaiaa^a thv Zeßacrbv iveih-
%ttlUrri tbp t& %a&' iliUtg i^öaLfkOvi ß^tp naxiqa ii^v zfig kavx(i% naxqidog
e-iäg 'P^fiT]ff, Jla dh noctifmov xal eatfjQa tov noivoii t&9 iivd'^SMmp yipovg^
04^ 1^ nQ6vota tag ndmmv ei^^ <^ ^3rli}^<ra ^i^ov iXkä %al i^e^^y
e^YjyevotMTi p^v yotg yfj xal ^dlccrxa^ x^Ici^ Sh äv^o^ciw BiyvofUai hfkovoia
T£ xal iifitriQlif, &xfii/i ti xal tpo^ic navtdg icxiv &ya^o9, ilxlifmw piv X9n'
et&v ngbg tb (UXXov^ ci^vfilag S^ slg xb na^bv t&v inf^g^nmv imtnlr^pd-
vm9 (hier bricht der Zusammenhang ab). Aber hier ist der Ton, wenn
auch ein sehr gehobener, so doch durchaus würdiger, ein deutlicher Aus-
Der Asianismus. Inschriften. 147
Auch von dieser zweiten asianischen Stilart fähren deut- Der bom
liehe Fäden zur alten sophistischen Eunstprosa zurück. Ichsuianddl
denke mir das selbstverständlich nicht so, als ob diese Redner !?^**^*"*'*
irgend einen bestimmten alten Sophisten sich zur iiiiifj^ig er-
koren hätten^ so wenig ich das bei Hegesias annehme: was liegt
an Namen, wo es darauf ankommt, Ideen und Richtungen in
ihrem halb bewufsten, halb unbewufsten Fortleben zu verfolgen.
Diese Asianer, welche ihr Naturell zu leidenschaftlichem Pathos
und einer gewissen grandiosen Phantastik hindrängte, haben die
Waffe gebraucht, die ihnen ein Gorgias, Hippias, Alkidamas ge-
schmiedet hatten: bacchantische dithyrambenähnliche Prosa ^)
mit der Parole, daTs das höchste Gesetz in der Willkür liege.
Wer mit diesem Monument des Antiochos die turbulente Rede
des Hippias bei Piaton (Prot. 336 f.) vergleicht, die zum Schlufs
in dithyrambischen Schwulst übergeht, oder den unerträglichen
Schwulst (ubertas nennt ihn — für ihn selbst recht bezeichnend
— Cicero Tusc. I 116) in den Fragmenten des Alkidamas bei
Aristoteles (Rhet. lU 3, cf. Yahlen L c. 607 ff), der weüs, dafs
sie alle zusammen von emem Geiste erfüllt sind.
Auf die einzelnen Vertreter des Unsinns einzugehen, wäre Amiiufe
des
druck dessen, was die Welt empfand und was der Kaiser selbst von sich ' ""^
in Yomehmer Bube einst der Welt verkünden wollte. — . Das Ehrendekret
der Priester von Theben in Ägypten aus der Zeit der Eleopatra (zwischen
46 u. 87 V. Chr. CIGr 4717) in affektiert schwülstiger Sprache, z. B. 4>n6
90i%lXmv mgictdaemv xatstp^aQfiivriv r^v n6Xiv i&altpev. — inmaleadiitvog
tbp %al x^s cviinaifaatdvta a^ra> fiiyt4nov ^•sbv xal sityBv&s fi6vog ^oaräg
tb ßdffog ndXiv mentQ Xaiuegög &atiiQ xal daifuov &ya&6g iniXafi'ips. tbv
yoQ iavtoü ßLov 6loc%S(f&g &vi^8to totg XQilcd'at ßovXofiivoig, i[nupavicTaTcc
dl ißarf^ö$9] totg %aTOi%ovci tbv mgl Si/ißag, xal diad'Q^^ag %al aaaag
xdvtag ahv yvvai|l «al xi%voig %a\xa d^vafiiv o>g i£ &vTi]ndlmv xHfiwvca9
9lg i'hdivahg Ufiivag rjy ayev. — AuTserdem etwa noch: Mallos in Eilikien
(Leba«-W. 1486). Earyanda in Earien (ib. 499). — Unter den Inschriften
Ton Pergamon könnte für eine rhythmische Klausel höchstens in Betracht
kommen die Weihinschrift anläfslich eines Sieges über die Galater n. 166,
wo Fr&nkel Zeile 2 [c^|afi€v]o^ laq)VQm9 glaubhaft ergänzt hat. — Maro-
neia BulL corr. hell. V 89, 2. — Das Ehrendekret aus Assos (s. ni/II v.
Chr.) ist mäfsig stilisiert (Papers of the Amer. school I p. 13).
1) Über die Beziehimgen der asianischen Beredsamkeit zum Dithy-
rambus einige richtige Bemerkungen von 0. Immisch im Rh. Mus. XLVill
(1898) 620 ff. (aber die Änderung von sictUorum in dühyrambarum bei Cicero
or. 280 ist sa gewaltsam, richtig jedoch die Widerlegung der Konjektur
0. Jahns versieuhrum; für Sicülorum vgl. S. 25, 2; 148, 3).
10*
148 I- I^ie griechische Kimstprosa bis AnguBias.
zwecklos: die Notizen sind zuletzt von F. Sosemihl, Griech.
Litteraturgesch. in der Alexandrinerzeit II (Leipz. 1892) c. 35^
mit bekannter Zuverlässigkeit zusammengestellt.^) Es mag ge-
nügen zu sagen ; dafs etwa von 300 v. Chr. an die Manier in
Rede und Geschichtsschreibung grassierte: unter den Vertretern
der letzteren waren von ihr ergriffen nicht nur die speziell so
genannten Alexanderhistoriker'), sondern auch der Sicilier Ti-
maeus^). Die griechische Sprache war in Gefahr, zu einem
1) Asianem jener Zeit gehören Tielleicht an die Beispiele in dem Ab-
schnitt nsQl xaxofYJAoy des Demetrios de eloc. 186 ff. Daninter ist eins
durch seinen ionischen Rhythmus sehr bemerkenswert (§ 188): f hxtStyt-
xaig \ inscv(fiis nitvg a^gaig (y^ _ _ uuu ). — R. ELirzel, Der Dia-
log I (Leipz. 1896) 380 ff. glaubt, dafs die menippeische Eompositionsart
mit dem Asianismus zusammenhänge. Der Grund ist die Mischung von
Prosa und Vers. Wo aber findet sich die bei den Asianem, deren Prinzip
eben war, die Prosa in den Vers und den Vers in die Prosa ganz auf-
gehen zu lassen? Man kann diese Hypothese schlagend auch dadurch
widerlegen, dafs Lukian, der geschworene Feind der Asianer seiner Zeit
(wie Hirzel selbst n 830 bemerkt), ein Nachahmer Menipps war.
2) Cf. im allgemeinen R. Greier in seiner Fragmentsammlung der Script,
bist. AI. M. (Leipz. 1844) 154 ff. 224 ff.; C. Müller in seinen Script, rer. Alex. M.
fragm. (Paris 1846) 76 ff. Für Elitarch jetzt noch Philodem. Rhet. I 180,
24 Sudh. und 0. Immisch im Rhein. Mus. XLVIII (1893) 517.
3) Cic. Brut. 325 nach Charakteristik des ersten genus Asianum : qualis
in historia Timaetis; ntgl wpovg 4, 1 wird er erw&hnt neben Qorgias, He-
gesias etc. Am deutlichsten zeigt sich der Zusammenhang darin, dafs das
berüchtigte Bonmot über den Brand des Artemistempels in Ephesos yon
Cicero (der natürlich seine helle Freude daran hatte) de or. U 69 dem Ti-
maeus, von Plutarch Alex. 3 dem Hegesias zugeschrieben wird: wer die
Priorit&t hat, wissen wir nicht, da wir die Zeit des Hegesias nicht genau
genug kennen (cf. Ruhnken zu Rut. Lup. I § 7). Die Fragmente des Timaeus
zeigen uns seine Art noch deutlich genug; z. B. sind sprachlich ebenso
pointiert wie sachlich falsch die Worte, in die er seine Behauptung ein-
kleidet, Euripides sei an demselben Tage gestorben, an dem der ältere
Dionys geboren sei: &fta vi^g Tvir^g rbv fufiijr^r i^ayownig täv T^oytiUhr
wa^&v na) rbv dyArter^v htfufayovcris (fr. 119). Pathetisch - theatrahsch
fr. 132: Plut Timol. 36 t&v d\ TtnoUawtog igyütv oMiw ictiv i ^ij
t6 ro<^ £ofponX4ovg^ Ag <pyj<ri Tifurio;, ixuptüvetv lkp£«^- » ^foi, xlg &Qa
KvxQig 1) rig "ifugog roOdf «rrn^^aro; Über die vielen und langen, den
Verhältnissen und Personen durchaus unangemessenen Reden, die Timaeus
in sein Geschichtswerk einlegte, hat Polybios in der berühmten Kritik des
Mannes den Stab gebrochen (cf. besonders c. 25 a, 3—25 b, 4; 85 i, 2— 26 b, 4;
s. auch oben S. 82 f.) : er vergleicht sie durchgängig mit Aufsätzen von Schal-
jungen {^{^xo^icug rdbr fut^cnu^tv rdbr i9 tatg Siar^tßidg^: in den Ton ihm
Die atticifltische Reaktion. 149
bloDsen &9vQfut leichtfertiger Witzeleien zu werden, ihre casHUiS
za yerlieren: das kann z. B. zeigen die in diesem Zusammen-
hang gar nicht uninteressante Erzählxmg Plutarchs reg. et imp.
apophth. 182 E ^tOQog ixo-öcov (sc. 6 'Avtiyovog) Xiyovtog^ Stt
%^ovoß6Xog ii ßga yBvoyL^vri X^noßotavBlv inodjös t^v xcigav^
*oi xcniöji ftoi, Blnevy &g üxXp %(»c6fi€vo^'; womit man zusammen-
halten mag die Ungeheuerlichkeiten des Alexarchos, des Bruders
des Eassandros, bei Athenaeus III 98 E.
Bald nach 200 v. Chr. ist dann jene Reaktion eingetreten, unpnme
die man als die atticistische bezeichnet. Sie war im Gegensatz Atticiima
ZQ der modernen asianischen Richtung eine archaistisch-klassi-
cistische, also eine durchaus gelehrte, begründet auf der fi/fti^tftg,
die fortan ein litterarisches Schlagwort wird. Die Frage, von
wo jene atticistische Reaktion ausgegangen sei, ist in den letzten
Jahrzehnten aufs lebhafteste erörtert worden, aber sichere Re-
sultate sind nicht erzielt, da uns die Tradition im Stich läfst.
Ich finde übrigens, dals auf den Namen * Alexandria' oder *Per-
gamon' wenig ankommt, sobald wir nur einmal erkannt haben,
dats auch diese rhetorische Reaktion eine notwendige Folge der
klassicistischen Richtung gewesen ist, die infolge der Be-
strebungen der grofsen Gelehrten an den Höfen der Diadochen
sich auf alle Gebiete der Litteratur erstreckt hat. Dafs man in
Alexandria, wo man fQr die altattischen Dichter ein so pietat-
ToUes Interesse hatte, an den altattischen Rednern achtungslos
Torübergegangen sein sollte, ist undenkbar: hatte man dort we-
niger Sinn fQr Rhetorik, nun, so las man die Redner als Schrift-
steUer, und dals man sie als solche gewürdigt hat, steht ja
durch Ruhnkens und üseners Nachweis fest; man las doch auch
Piaton dort, ohne zu philosophieren. Aber freilich, die Auf-
stellung eines Kanons von attischen Rednern zur rhetorischen
fUftffiig überliefs man den zünftigen Rhetoren: dies ist etwas
Sekundäres und darf nicht mit der Frage nach dem Ursprung
der atticistischen Reaktion zusammengeworfen werden. Dafs
wir diese weder für Alexandria noch für Pergamon monopoli-
mitgeteüten Proben (Hermokrates veranstaltet eine mit allerlei Dichter-
dtaten aufgeputzte ö^yngioig ilififivrig xal noliiiov zu Gunsten der ersteren,
als ob das jemand seiner HOrer bezweifelte; Timoleon unterrichtet seine
Soldaten unmittelbar Tor Beginn der Schlacht über die Bedeutung eines
Sprichworts) muls man ihm beistimmen.
150 ^' ^^ griechische Eunstprosa bis Augustas.
sieren dürfen^ sondern sie aus dem Geist, der beide Centren be-
seelte, zu erklären haben ; kann ja auch die Thatsache zeigen,
dafs von den beiden frühesten Schriftstellern ^ die um rund 200
gegen die asianische Rhetorik Front gemacht haben, der eine,
Agatharchides, am Hof der Ptolemäer, der andere, Neanthes, am
Hof der Attaliden lebte. Das Wahrscheinlichste also ist, dafs,
wie auf anderen Gebieten, Alexandria auch hier vorangegangen,
Pergamon, welches durch die besonders nahen Beziehungen zu
Athen gerade für die attischen Redner besonderes Interesse
haben mufste, gern gefolgt ist: war es umgekehrt, so kommt
darauf, wie gesagt, meiner Meinung nach nicht sehr viel an.^)
Seitdem in der Mitte des 1. Jh. v. Chr. diese Reaktion,
durch welche an die Stelle der individuellen Willkür Gesetz-
mäfsigkeit, an die Stelle zügelloser Leidenschaft attisches Mafs,
an die Stelle der änaiSevaia die (pvk660(fOi ^tiroQtxnj trat, we-
1) Wenn feststände, dafs es erlaubt sei, in solchen Fragen von der
bildenden Kunst auf die redende zu schliefsen (was die Alten in allge-
meinen Fragen bekanntlich gern thaten, cf. auch Biehl, Eulturstudien [Stuttg.
1869 u. ö.] XVI f.), so würde man gern die klassicistiseh-reaktionäre Strö-
mung in Alezandria, die modern -fortschrittliche in Pergamon lokalisieren.
Die alezandrinische Kunst nimmt als eine archaisierende in Anspruch Fr.
Hauser, Die neuattischen Reliefs (Stuttg. 1889) 186 £P.: wie weit das richtig
ist, vermag ich freilich nicht zu beurteilen. Auf der andern Seite urteilt
(was ich nachfühlen kann) A. Reifferscheid in seiner Eaiser-G^eburtstagsrede
im Breslauer Index scholarum 1881/82 p. 7 über die pergamenische Giganto-
machie: „Die Composition der Gigantomachie zeigt uns . . . zuweilen ans
Handwerk streifende Virtuosität der Technik, declamatorisches Pathos, das
uns die Art der asianischen Bedeübungen ins Gedächtnis ruft. — Es
spricht aus ihr kein rein griechischer Geist: allerdings giebt das griechische
Element den Grundton an, daneben aber macht sich eine Phantastik gel-
tend, wie sie nur dem Orient eigen ist.** — Von dem Weihgeschenk, das
Attalos der Akropolis Ton Athen stiftete, sagt er 1. c. 6: „Auffällig sind
die Berührungspunkte zwischen diesen Statuen und dem gehackten, kleine
Sätzchen und gebrochene Rhythmen liebenden Stil, den in der unmittelbar
Torhergehenden Generation das Haupt der älteren asianischen Schule, He-
gesias der Magnesier, in die Beredsamkeit eingeführt hatte." Dies zweite
scheint mir etwas gesucht. — Vgl. auch Th. Schreiber, Die Barockelemente
der hellenistischen Kunst (in: Verh. d. 41. Philologen-Vers, zu München 1891}
73 ff. : er charakterisiert die Kunst jener Zeit als eine teils bis zur Schnür-
kelei gezierte, teils als „Bewegung und Leidenschaft, ein Komponieren im
grofsen Stil, eine maniera grande, ein Zug zum Grandiosen**, wie sie am
blendendsten entgegentritt am pergamenischen Altarfries.
Asianismus und Atticismus. 151
nigstens in der Schätzung gelehrter Kreise den Sieg erfochten
hatte, galt * Asianismus', d. L die * betrunkene' * wahnsinnige'
* kranke' * pöbelhafte' * hetärenartige' Beredsamkeit (alle diese
und eine Reihe ähnlicher Ausdrücke brauchen die Gegner) ftLr
das schlimmste litterarische Schimpfwort (wohl daher liefs sich
Theodoros von Gadara lieber ^Rhodier' nennen: Quint. III 1, 17),
und selbst seine notorischen Vertreter haben, im Glauben, dafs
gerade sie das Spezifikum echt attischen Wesens besäJüsen, jene
Bezeichnung mit Entrüstung abgewiesen, was uds, die wir das
Fortleben dieser Geschmacksrichtung zu verfolgen haben, die
Untersuchung sehr erschwert.
Fragen wir nach der Berechtigung jener Angriffe, so haben i>er »i^
wir folgende Antwort zu geben. Nur vom Standpunkt der Tut s^
reaktionären Partei sind sie berechtigt, aber dieser föllt nicht
zusammen mit dem höchsten Gesetz litterarischer Entwicklung,
dem Gesetz stetigen Fortschritts; ob dieser ein Fortschritt zum
Besseren oder Schlechteren ist, darauf kommt für die objektive
Litteraturgeschichte zunächst gar nichts an, erst die subjektive
ästhetische Betrachtungsweise, die sich der historischen stets
unterordnen soll, hat darüber ein Urteil abzugeben. Fassen wir
das Verhältnis so, dann müssen wir sagen: die ^asianische'
Beredsamkeit hatte als die moderne innere Berechtigung, die
*atticistische' als die archaisierende hatte sie nicht; die eine
brachte mit ihrem Realismus das, was die anders gewordene
Welt brauchte, der Idealismus der anderen war nicht mehr zeit-
gemäls: denn die griechische Litteratur hatte sich zwar gerade
durch ihren Idealismus in beispiellos kurzer Zeit zur denkbar
höchsten Vollendung emporgeschwungen, aber dann war die Er-
schöpfung eingetreten und der fortdauernde Idealismus ver-
tauschte den vorwärtseilenden, schöpferischen Charakter mit
einem nach rückwärts gewandten quiescierenden: au die Stelle
des Zweifeins und Suchens, der Freude zu finden und d^ Mutes
zu irren, trat die bisher unbekannte greisenhafte Macht des
Autoritätenglaubens, der mit seiner Parole der (ii(iri6ig t&v
i4f%almv und der Ächtung des vBmxBQlf^w den Frühling aus dem
hellenischen Geistesleben herausnahm. ^J Für uns hat der Segen
1) Man erkennt die Macht dieses Autorit&tsglaubenB drastiflch aus
folgender Thataache. Der puerile Verfasser der Schrift an Herennius dis-
152 I- 1^0 griechische Eunstprosa bis Aug^uBtus.
dieser Entwicklung ja darin gelegen, dafs uns so viel von der
klassischen Litteratur erhalten worden ist, aber bei objektiver
Betrachtung werden wir doch sagen müssen, dals das alexan-
drinische Zeitalter für die griechische Litteratur dasselbe be-
deutet wie das hadrianische ftlr die römische, eine Parallele, die,
wie wir sehen werden, für die litterarhistorische Einreihung des
römischen Archaismus von Bedeutung ist. Diese allgemeine
Auffassung findet ihre Bestätigung in den Thatsachen: denn wer
glaubt, dafs der Asianismus durch die atticistische Reaktion ge-
tötet sei, macht nicht bloCg einen aprioristischen Fehler — denn
rein gelehrte Strömungen können eine aus innerer Entwicklung
sich ergebende Geschmacksrichtung nie reformieren — , sondern
befindet sich auch, wie wir sehen werden, in direktem Wider-
spruch mit überlieferten Zeugnissen. Wir werden nun später-
hin den Jahrhunderte lang dauernden Kampf dieser
beiden Richtungen zu verfolgen haben, und zwar
wollen wir dabei den Asianismus als den ^neuen Stil',
den Atticismus als den ^alten Stil' bezeichnen: die
innere Berechtigung für diese Bezeichnung bieten die soeben
dargelegten Erwägungen, die äufsere eine Reihe von Zeugnissen
aus dem Altertum selbst, von denen hier vorläufig nur eins an-
gefELhrt werden soll: Dionys von Halikarnass stellt in der Vor-
rede zu seinem Werk über die zehn Redner den Atticismus und
Asianismus sich scharf gegenüber und bezeichnet durchgehends
jenen als &Q%alaj diesen als via ^'qxoQixij.
süi der Bevor ich dies Kapitel schliefse, habe ich noch kurz eine
Frage zu erörtern, die sich an den Stil des Polybios knüpft,
des einzigen griechischen Prosaikers, der uns aus dieser Epoche
in gröfserem umfang erhalten ist. Wir haben schon oben
(S. 82 f) gesehen, dafs ihm die rhetorisierenden Historiker wie
Timaeus, Zenon von Rhodos, Phylarch Greuel waren; trägt sein
kutieri mit unerhörter Breite in der Einleitung seines yierten Baches die
Frage, oh es erlauht sei, für die elocutio eigne Masterheispiele sn bilden,
statt sie aas den 'Alten ^ sa nehmen; anter den Gründen, die dagegen an*
geAihrt werden, nennt er die auctoritas antiquorumy welche hominum
shufia €ul imiiandum alacriora rfddit {§ 2). Die ganze ErOrterong scheint
einer griechischen Quelle etwa aus der Zeit des Hermagoras zu entstammen.
Polybios und die Inschriften. 153
/-i 'm i J
Stil also die Signatur der atticistischen Reaktion, deren Zeit-
genösse er war? Dafs davon nicht die Rede ist, kann aDein die
Thatsache zeigen, dafs lür einen so erklärten Atticisten wie
Dionys von Halikamass Polybios seinerseits ein Greuel war.
Nun hat man ja in unserem jahrhunderi, als die grofsen In-
schriften und Papyri zu Tage kamen oder zum ersten Mal
wissenschaftlich bearbeitet wurden^ erkannt, dafs man zum Yer-
siSndnis der polyDiiEmj8chen''Diktion iBfcn an diese Urkunden zu
wenden hat^), und dadurch ist für das Verständnis der Sprache
dieses Schriftstellers viel gewonnen worden: wir wissen, dafs es '^,
die Sprache der litterarischen xoti/ij ist^ in der er schreibt. Was \
nim von der Sprache im einzelnen (Wortgebrauch, Grammatik, ^
Syntax) gilt, das ^t, wie mir scheint, auch vom Stil, wenn man
ihn als uanze8''1)etrachtet. AJs sein Charakteristisches möchte
ich bezeichnen das Fehlen sowohl rhetorischer Schnörkel als (
ai\ch jedes Schematismus, wodurch er im Gegensatz einerseits \
zu dem hohen pompösen Stil der Modernen, andererseits zu dem
imitierenden Stil der Yerganffenheit steht; positiv gesprochen:
es ist die in schriftstellerische Sphäre gehobene Sprache der
Kanzleien« ÄufserlicH fallen am meisten äui die mangelhaft
gegliederten, gröisen Sätze mit ihren. vielen und schweren Ana-
koluthen: Isokrates inilsäüit seiiien Schülern und Polybios sind
stilistische Antipoden. Wohin Polybios als Stilist gehört,
empfindet jeder,' der z. B. das sog. Monumentum Adulitanum aus
der Zeit des Ptolemaeus Euergetes I (247—222) OIGr 5127,
oder die Briefe des Attalos II (f 138) an den Priester Attis von
Pessinus (ed. Domaszewski in Arch. ep. Mitt. aus Östr. VIII
[1884] 95 ff.), und überhaupt die uns aus den Kanzleien von
Alexandria und Pergamon erhaltenen Schriftstücke liest; dazu
steUen sich dann andere grofse Inschriften und litterariscbe
Schriftstücke dieser Zeit: das Ehrendekret von Olbia (s. III
V. Chr.) CIGr II 2058, die Inschrift von Sestos (c. 125 v. Chr.)
Herm. YII (1873) 113 ff., deren rein sprachliche Analogie zu
Polybios von W. Jerusalem in Wien. Stud. I (1879) 32 ff. unter-
sacht ist, die Inschrift über die Skythenkriege des Mithri-
dates VI Eupator (c. 100 v. Chr.) Inscr. ant. orae sepi pont.
1) Das hat meines Wissens zuerst betont A. Peyron, Pap. graec. regii
TaorinensiB mns. Aegyptii I (Taurini 1826) 21.
I."
154 I- Die griechische Eunstprosa bis Augustos.
Eoz. ed. Latyschev I n. 185; der Kommentar des Apollonios
von Eitiam (s. I v. Chr.) zu Hippokrates nsgl 6Q&Qmvy ed.
H. Schöne Leipz. 1896 (cf. besonders die den drei Büchern
vorausgehenden, an Eonig Ptolemaeus gerichteten Einleitungen),
griechische Briefe romischer Beamten der Republik (P. Viereck,
Sermo Graecus etc. [Göttingen 1888] 75 ff.), bis zu einem ge-
wissen Grade auch der Brief des sogenannten Aristaios. Aus
* ihnen allen klingt mir in ihrer bequemen, aber nicht auf-
dringlichen AusfÜhrlicl^eit, ihrer stilisierten aber nicht ver-
künstelten SprsSche, ^der Ton entgegen, den wir an Polybios ge-
wöhnt sind. Dadurch ist das Werk^ <les Polyhios auch f&r die
Geschichte der griechischen Stilarten von so singulärer Wichtig-
keit, dals es in einem Stil geschrieben ist, den wir nachher ver-
gebens wieder suchen^): der Atticismus hat in seiner Reaktion
wie den Asianismus so die xoivi^ geächtet; mit seinem Kampf
gegen die xoti/i{ hatte er in einer Zeit, die alles Gewöhnliche
\/ y -^
1) Auch sein Fortsetzer Posidonius schrieb ganz anders. Darüber
das bekannte Zeugnis Strabons ILI 147 UocBidSviog dh %b nlffiog tAv in-
tttXXmv (in Spanien) inaiv&v %al tijv &QStiiv oi% isnixitai tfjg cvpij&ovs
QTitOQslag, &Xla cvvsvd'ovci^ tatg {>n6QßoXaiSf was er dann durch
Citate aus der betreffenden Partie des Posidonius beweist, z. B. %a^6lov
d* ctv eins (qnieiv) ld6v Tt; to^s tönovs d^ieavQO^g ilvai (p^ceag &Bvdovg tj
rafUBtop ijysfiovlas' &virdBintov ' o{> yäg nXovcla {l&vov &XXa %aX im&nXov%iig
f^v (qyriclv) ^ X^Qcc^ xal nag' insCvoig mg &Xf\^dlig xbv hnojfi6viov t^nov o(>%
6 "AiSfig &XX* 6 nXo^tav %atoMSl. Dafs der Stil des Posidonius poetisch-
rhetorisch war, ohne in die Abgeschmacktheiten des Timaeus zu verfallen,
wissen wir nicht blofs aus dieser Stelle. Denn Strabon, der ihn nicht
weniger geplündert hat als Diodor den Timaeus und Ephoros, hat dafür
gesorgt, dafs wir ihn auch an den natürlich weitaus zahlreicheren Stellen
deutlich erkennen, wo er nicht citiert wird : wo Strabons trockner philister-
hafter Ton einen hohem Schwung nimmt, hat er Posidonius ausgeschrieben.
Das hat an einem Beispiel gezeigt R. Zimmermann im Herm. XXUl (1888)
103 ff. (Strab. I 63, wo der herrliche Vergleich des flutenden und ebbenden
Meeres mit einem aus- und einatmenden Lebewesen steht); ich kann es
noch für einen grohen Abschnitt des Werkes durch Vergleich mit Varro,
der seinerseits dem Posidonius folgt, nachweisen, will das aber hier, wo es
mich zu weit führen würde, unterlassen. Das meiste wird jeder stilistisch
geschulte Leser bei der Lektüre Strabons sofort instinktiv fühlen. — Plu-
tarch, der den Posidonius auch stark benutzt, war ihm kongenialer, er hat
daher seinen Stil mit dem des Posidonius leichter zu verschmelzen gewufat.
— Übrigens hat auch Cicero (ad Att. n 1) den Posidonius als rhetorisieren-
den Historiker zu schätzen verstanden.
Poljbios und die Inschriften. 155
Terdammte, leichten Erfolge wahrend sich der ^Asianismus' nicht
so mcbi ans dem Felde schlagen liefs. Bevor wir aber darauf
naher eingehen, müssen wir unsere Blicke lenken auf riiv ndvxmv
%i^ütxov6av ^PAiLfiVj XQog iaxrc^v ivayTcd^ovöav tag SXag xöXetg
ixoßX&tsiVj der Dionys v. Hai. (de orat. ant. 3) insofern mit ge-
wissem Becht den (zeitweisen) Sieg des Atticismus zuschreibt,
als man dort, wie von I. Bruns, Die atticistischen Bestrebungen
in der griech. Literatur (Festrede Kiel 1896) 9 sehr richtig be-
merkt wird, die griechische Sprache erlernen mulste und sich
daher mit besonderem Eifer auf die Imitation der alten attischen
Klassiker warf.
ItoUker.
Zweiter Abschnitt.
Die rSmische Kunstprosa bis Augastiis.
Erstes Kapitel.
Die nationale Prosa.
BhTth- Die römischen Litterarhistoriker haben die lateinische Littera-
Prosft der tur crst Yon dem Augenblick an beginnen lassen, als sie in die
Sphäre der griechischen trat. Was vorausging, erregte dem ver-
feinerten Sinn Schaudern und man fühlte sich nicht gern an die
einstige Barbarei erinnert: auch die reaktionärsten Stil-Archaisten
hüteten sich wohl an das zu rühren, was jenseits Livius An-
dronicus und Cato lag. Was uns nicht die Steine erhalten
haben, verdanken wir der gelehrten Forschung von Grammatikern
und Antiquaren. Nichts davon gehört zur kunstmälsigen Prosa,
welche Latium wie alle artes von Hellas erhielt; aber um das
Werden dieser zu verstehen, dürfen wir nicht unterlassen, einen
flüchtigen Blick auch auf jene Reste vorlitterarischer Prosa zu
werfen, die wie verfallene Ruinen emporragen. Sie betreffen die
zwei Seiten menschlichen Empfindens, die überhaupt in den An-
fangen der Völker die herrschenden sind: die Regelung des Ver-
hältnisses vom Menschen zu den höheren Mächten und vom
Menschen zum Menschen, d. h. Gebete und Gesetze, denn auch
das Gebet des primitiven Menschen ist nichts weniger als ein
lyrischer ErguUs, sondern ein Eontrakt mit der Gt)ttheit: gieb
und nimm.
Das berühmte Gebet, welches vom pater familias bei der
Sühnung von Hof und Grundstück durch ein Suovetaurilienopfer
gesprochen wurde, lautet nach Cato de agr. 141 (in einer gleich
zu rechtfertigenden Abteilung und der Übersetzung des mittleren
Teils in teilweisem Anschluls an R. Westphal):
Die Komposition der itaÜBchen Gebete. 157
Mars pater te precor quaesoque tUi sies volens propitkis mihi
domo famüiaeque meae quoius rei ergo agrutn ierram fundumque
meum suovetaurüibus drcunuxgi iussi,
1 tUi tu morbos \ visos invisosque „auf dafs du Seuchtuni; | sicht-
bares unsichtbares;
2 viduertatem \ vastüudinemque dafs du Verwaisung , | daüs du
Verwüstung,
3 ealamüaies \ intemperiasque schadvolles Unheil, | Wetter und
Winde
Aprohibessis defendas \ averrun- fernhaltest, abwehrst, | weg von
cesque; uns treibest;
5 ut fruges frumenta \ vineta vir- dafis du des Feldes Frucht, { Wein-
gvitaque stock und Weiden
^grandiredueneque \ evenire siris, wachsen und gut | uns gedeihen
lassest,
7 pastares pecuaque \ salva ser- Hirten und Herden | heil uns er-
vassis haltest,
8 duisque duonam stüutem \ vale- gutes Heil gebest, | kraftvolles
tudinemque Wohlsein
9mihidomo \ fafniliaequenostrae mir, meinem Hause, | unserm
Gesinde."
harumce rerum ergo, fundi terrae agrique mei lustrandi lustrique
faciendi ergo, sie uH dixi, tnacte hisce suovetaurüibus lactentibus
immclandis esto, macte hisce suovetaurüibus lactentibus esto.
Ohne weiteres empfindet man die rhythmische Gestaltung
des mittleren Teils, des eigentlichen Gebets: ausdrücklich darauf
hingewiesen hat wohl zuerst R. Westphal in seiner Griech. Metrik
(2. Aufl. Leipz. 1868) 37 flf., cf. Fr. Allen in Kuhns Zeitschr. XXIV
(1879) 584 S. In Einzelheiten weiche ich aber ganz von beiden
ab. Zunächst ist klar die Zweiteilung der einzelnen Zeilen, die
oft durch Allitteration bezeichnet ist (1; 5; 7), dann besonders
der Rhythmus der zweiten Zeilenhälfte: genau der strengsten
Form des Satumiers entsprechen 1; 2; 6; 7, mit Unterdrückung
der ersten Senkung 4, mit Auflösung der ersten Hebung 9, mit
Unterdrückung der ersten Senkung und Auflösung der zweiten 3.
Es bleiben noch 5; 8, die das Gemeinsame haben, dais sie beide
mit Auftakt beginnen, der sich, wenn auch selten, so doch in
lieberen Beispielen der Satumier findet, cf Buecheler im Rhein«
158 n. Die römische Euilstprosa bis Augusttis.
Mus. XXXTII (1878) 274 f.; die Halbzeile 5 hat Interesse noch
dadurch; dafs sie am SchluTs um eine Silbe länger ist als die
gewohnliche Form: que ist offenbar hinzugefügt, weil auch die
vier vorhergehenden Halbzeilen damit endigen; solche um eine
Silbe längere Saturnier sind ebenfalls, wenn auch selten, so doch
sicher bezeugt, cf. Buecheler 1. c. XXXV (1880) 495 f. — Ganz
anders verhalten sich nun aber die ersten Yershälften: nur drei
von ihnen lassen sich saturnisch messen: 4; 5; 8; Westphal und
Allen wollen auch die anderen fünf Zeilenhälften, ja sogar den
prosaischen Anfang und Schlulis des ganzen Gebets in satumisches
Yersmafs (d. L was sie darunter verstehen) zwängen, müssen
aber zu den stärksten Licenzen greifen, darunter besonders
Längungen durch den Accent: diese sind aber doch (ganz ab-
gesehen von der Frage nach ihrer prinzipiellen Berechtigung')
schon dadurch ausgeschlossen, dafs sie in den zweiten Zeilen-
hälften nicht nur nicht vorkommen, sondern Zeile 9 sogar ver-
mieden sind, wo nostrae an die Stelle von meae im ersten pro-
saischen Absatz getreten ist. Bei der Strenge der zweiten
Hälften kann ich daher auch nicht zugeben, dais wir es mit
^ rohen Saturniem' zu thun haben, sondern bin der Ansicht, dafs
wir den mittleren Teil des Gebets seiner Form nach zu be-
zeichnen haben als rhythmische Prosa mit dem Prinzip der
Zweiteilung der Zeile und der satumischen Messung der zweiten
Hälfte; dafs nur diese zweite Hälfte metrisch ist, erklärt sich
einfach daraus, dafs in ihr, d. h. dem Schlufs der jedesmaligen
Gedankenreihe, der Rhythmus kräftiger ins Ohr fallen mu&te
als am Anfang, wo er daher nur ein paar Mal angewendet ist
Etwas genau Entsprechendes scheint es sonst im Lateinischen
nicht zu geben, obwohl ich bemerken will, dais bei dieser An-
nahme vielleicht auch Licht fallt auf die Form der Dvenos-In-
schrift, die nach Buechelers sicherem Nachweis (Rhein. Mus. XXXVI
[1881] 244 f.) in einigen Zeilen satumische Messung zeigt,
während diese in den anderen Zeilen nur durch Zulassung
1) Ich erwähne bei dieser Gelegenheit, dafs die Frage zuletzt vortreff-
lich behandelt ist von U. Ronca, Metrica e ritmica latina nel medio evo
(Rom 1890) 48 ff. : vor allem wird hier nachgewiesen, dafs die Behauptung,
man habe den Saturnier im Altertum fOr rhythmisch und nicht für quanti-
tierend gehalten, auf falscher Interpretation der in Betracht kommenden
Stellen beruht.
Die Komposition der italischen Gebete. 159
starker Licenzen ermöglicht wird. Aber, um das Unsichere bei-
seite zu lassen^): dafs der Begriff * rhythmische Prosa' für das
älteste Latein wirklich angenommen werden darf, scheint mir
aus ein paar Proben feierlich gehobener Prosa herrorzugehen,
die, ohne satumischen Rhythmus zu haben , doch nach dem
soeben festgestellten Prinzip der Zweiteilung gegliedert ist und
so durch die Gegenüberstellung unwillkürlich rhythmischen Fall
amiimmt. Macrobius führt sat. Y 20, 18 aus einem liber vetus-
tissimorum carminum^ qui ante omnia quae a Latinis scripta sunt
campositus ferdatur folgende Worte an^ in denen ein Vater seinem
Sohn Vorschriften über Ackerbau giebt:
htbemod polverid \ vemod lutod
grandia fara \ casmile metes.^
Was sind diese Worte, an denen einige, um sie in ein Metrum
zu pressen, wahrhaft frevelhafte Änderungen vorgenommen haben,
anders als feierliche, deutlich gegliederte und daher rhythmisch
wirkende Prosa? Verhält es sich nicht ebenso mit einem prae-
eq^tum Marcii vatis, das Isidor or. VI 8, 12 überliefert:
postremus dicas, \ primus taceas — ?
Wenn ich mit solchen Zeilen wirkliche Satumier zusammenhalte,
die ebenfalls deutlich ihre Gliederung zeigen, z. B. das incanta-
mentum bei Festus 123:
vdtus navum vinum bibo, \ veteri novo morbo medeor^
wo beide Hälften noch viersilbig sind, so drängt sich mir die
Überzeugung auf, dafs der satumische Vers nichts anderes ist
als die metrische Ausgestaltung der seit uralter Zeit in feier-
licher Bede angewandten rhythmischen Zweiteilung der Zeile:
daraus würde sich mir auch erklären, dafs in dem Gebet bei
Cato beide Formen gewissermaisen ineinander geschoben sind,
daraus auch das Nebeneinander beider Formen in dem umbrischen
Devotionsgebet, welches sie nach vollbrachtem Lustrationsopfer
scbweigend beten (tab. Ig. VI B 58 f.):
1 totam Tarsinateniy \ trifo Tarsinateniy
2 Ihiscom Naharcom \ labuscom nome,
3 totar Tarsinater^ \ trifor Tarsinater,
1) Doch bemerke ich, dafs auch die Augnralformel bei Varr. de 1. 1.
Yn s nur in ihrem mittleren Teil metrisch ist.
2) Damit die Worte nicht zu modern aussehen, hahe ich sie in alter-
tiSmlicher Lautienmg gegeben.
150 n. Die römische Eunstprosa bis Augustus.
4 Tuscer Naharcer \ labuscer nomner
5 nerf sihüu anhihitu^
6 iovie hostatu anhastatu
7 tursitu tremitUy
8 hondu holiu,
9 nindu nq^Uu^
10 sonitu savitUf
11 preplotatu previlatu.
Diese Worte hat Westphal 1. c. 37 sämtlich als accentuierende
Satumier messen wollen^ was schon dadurch ausgeschlossen wird,
dais wir bei den Umbrem sicher quantitierende Satumier haben,
die Buecheler, ümbrica (Bonn 1883) 148 nachwies*); aber auch
ohne diese schon zu kennen, hätte Westphal seine Hypothese
deshalb nicht aufstellen dürfen, weil in diesem Gebet selbst Z. 1
bis 4 ja sicher quantitierende Satumier sind, und wer wird
glauben, dafs die übrigen accentuierend seien? Also: dieses
Gebet geht von vier regulären Satumiem, die zu einer Formel
erstarrt waren (cf. VI B 53 f.), über zu dem feierlichen Fluch:
dieser besteht aus mehreren Reihen von je zwei durch AUitte-
ration aneinander gebundenen Begriffen, die, da sie unter sich
von gleicher Silbenzahl sind^), rhythmisch fallen.
Hält man dies alles zusammen, so wird man vielleicht
geneigt sein mit mir anzunehmen, dais es auch bei den Italikem
eine Zeit gegeben hat, in der zwischen Prosa und Poesie nicht
der Schnitt gemacht wurde, den die spätere Entwicklung mit
sich brachte, sondern in der hohe feierliche Prosa sich den
Formen der Poesie näherte oder ganz in sie umschlug; empfohlen
wird jedenfalls diese Auffassung nicht nur durch die früher
(S. 30 ff.) angestellten allgemeinen Erwägungen, sondern auch
durch ein in sehr hohes Alter zurückgehendes Wort, in dem die
innige Verknüpfung der beiden Ajrten menschlicher Bede ge-
wissermafsen hypostasiert ist. Man weifs, eine wie lebhafte
1) £8 kommt vielleicht noch hinzu VI AI, die Weisimg für den Augur,
er solle das Augurium anstellen
parfa curnake dersva, \ peiqu peica merstu,
Torausgesetzt, dafs in cumaie das a lang ist wie in Isqu%i.
2) Nepitu ist, da die Buechelersche Zusammenstellung mit Nep-tuma
evident ist, nepitu gesprochen worden (cf. auch E. Huschke, Die iguv. Ta-
feln [Leipz. 1859] 253), also rhythmisch = nindu.
Die Komposition der italischen Gebete. 161
Kontroverse in den fün&iger Jahren unseres Jahrhunderts über
die Bedeutung von Carmen geführt worden ist: jetzt steht fest,
dafs ^Gedicht' eine späte Beschränkung des ursprünglich viel
weiteren Begriffs war: Carmen ist jeder laut hergesagte feierliche
Spruch, gleichgültig oh in der äuTseren Form von Prosa oder
Vers: Zauberspruch*), Gebet, Eidesformel, Bündnisvertrag und
dgl. m.*). Diese Ausdehnung der Begriffssphäre würde unerklär-
lich sein, wenn die in ein Carmen gefalsten Worte ge wohnliche
Prosa gewesen und als solche vorgetragen wären; vielmehr
werden wir uns von der Recitation solcher Gebete, wie wir sie
im alten Latium und in Umbrien finden, die beste Vorstellung
machen, wenn wir etwa den feierlich gehaltenen, sangreichen
Vortrag- des katholischen Meispriesters oder des hebräischen Vor-
beters vergleichen, oder wenn wir uns in die Zeiten hineindenken,
ab die germanischen Rechtssprüche in feierlich gehobener,
rhythmisch fallender Prosa vorgelesen wurden.*) Auf solchen
Grebieten pflegen sich sonst getrennte Eulturkreise zu berühren.
1) Wie lange diese Bedeutung lebendig blieb, zeigen die berühmten
Worte des Ambrosius über seine Hymnen (serm. c. Auzent. 34 aus dem
J. 886) hymfiorum quoque meorum carminibus deceptum populum ferunt
(die Arianer). plane nee hoc äbnuo. grande Carmen istud est, quo nihü po-
teniius. Dafs J. Eayser, Beitr. z. Gesch. u. Erkl. d. alt. Eirchenhjmnen
{%. Aufl. Paderborn 1S81) 129 hier Carmen richtig als ^Zauberspruch' fafst,
zeigen die durch den Druck herrorgehobenen Worte. Eine Analogie aus
dem Finnischen bei D. Comparetti, Der Ealewala (Halle 1892) 24.
8) Cf. H. DOntzer in: Z. f. d. Gymnasialw. XI (1867) 1 ff.
8) Den Hinweis hierauf verdanke ich Th. Siebs. Da die Sache wirk-
lich aufklärend auch für das Altitalische sein dürfte, will ich hier kurz
das Wesentliche darüber mitteilen. B. Eögel hatte in seiner Gesch. d.
deutsch. Litt. I 1 (Strafsb. 1894) behauptet, dafs die alten germanischen
fieehtsquellen in Allitterationsversen abgefafst und als solche vorgetragen
worden seien. Gegen diese innerlich unberechtigte Hypothese wendet sich
Siebs in: Z. f. deutsche Phil. 1896 p. 406 ff., indem er schlagend nachweist,
dab wir es vielmehr mit einer gehobenen Prosa zu thun haben, in der die
einzelnen Kola nach dem Sprechtakt rhythmisch gestaltet und die meist
doppelt gepaarten (oft tautologischen) Wörter jedes Kolons gern durch die
Allitteration zusammengebunden sind. Er führt hierfür Beispiele aus alt-
friesischen, bis ins XL Jh. zurückgehenden Bechtsquellen an, z. B. „ende
ick dr^gha hemmen ur | ende stände hemmen | toe gr^e ende grönd, |
den &yndoem mit der byslttingha | toe äwigha dägghum. | Ende ick ner
myn ndykommen, | ner n^mmen fan mynerweghena | deer nimmer meer
b^th I nän spr^eck oen toe habben | in da riuchte ner büta riuchte . . . . |
toe satten, toe seilen, | toe brüken, toe bfjsghien** u. s.w. (d.h. „und
Vordeo, antÜM Kanstprof*. 11
162 n. Die römische Kunstprosa bis Angustas.
luufohe Auf den Stil der ältesten, von griechiscliem Einflofs noch
unberührten; eigentlichen Prosa habe ich hier nicht einzugehen,
obwohl es mich reizen würde, eine noch gar nicht in Angriff
genommene Arbeit fertig zu stellen, nämlich durch Kombination
der ältesten lateinischen Monumente mit den iguvinischen
Tafeln und dem Stadtgesetz von Bautia ein Bild italischer Prosa
ich übertrage ihnen | und gestehe ihnen zu | Grünland und Grund, | das
Eigentum mit dem Besitzrecht, | auf ewige Tage. | Weder ich noch meine
Nachkommen, | und Niemand von meiner Seite, | wollen da ninunermebr, |
niemals Anspruch erheben, | im Rechte noch auTserhalb Bechtens ... | zu
versetzen zu verkaufen, | zu brauchen zu betreiben**), die ich hier lieber
ersetzen will durch einige Übersetzungen, die J. Grimm in seinen Deutschen
Rechtsaltertümem ' (Qött. 1881) 88 ff. fdr einen andern Zweck angefahrt hat
Eine altnordische Formel, die gesprochen wurde, wenn sich die Erben des
Ermordeten nach erlegter Bufse mit dem Mörder aussöhnten, lautet nach
der Übersetzung Grimms : „Sie soUen teilen miteinander || Messer und Braten
(Jcnif ok hiöt heifst es in der dänischen Übersetzung, die Grimm der seinigen
zu Grunde legt)|, und alle Dinge wie Freunde und nicht wie Feinde ||; wer
das bricht I, soll landflüchtig und vertrieben sein, || soweit Menschen land-
flüchtig sein können, | soweit Christenleute in die Kirche gehen | und
Heidenleute in ihren Tempeln opfern; || Feuer brennt | und Erde grünt; |l
Kind nach der Mutter schreit, | und Mutter Kind gebiert; Q Holz Feuer
nährt, I Schiff schreitet; || Schild blinket, | Sonne den Schnee schmelzt; || Feder
fliegt, I Fohre wächst; || Habicht fliegt den langen Frühlingstag, | und der
Wind stehet unter beiden seinen Flügeln, || Himmel sich wölbt, | Welt ge-
baut ist; II Winde brausen, [ Wasser zur See strömt, | und die Männer Korn
säen. II Ihm sollen versagt sein j Kirchen und Gotteshäuser, | guter Leute
Gemeinschaft und jederlei Wohnung, | die Hölle ausgenommen. || Aber die
Sühne soll bestehen | fSr ihn und seine Erben, || gebome und ungebome, |
erzeugte und unerzeugte, | genannte und ungenannte, || solange die Erde ist, |
und Menschen leben. || Und wo beide Theile sich treffen, || zu Wasser oder
Land, | zu Schiff oder auf E[lippe, j zu Meer oder auf Pferde Bücken, 1 sollen
sie theilen mit einander || Buder und Schöpfe, j Grund oder Diele, | wo es
Not thut, I und freundlich untereinander sein || wie Vater gegen Sohn | und
Sohn gegen Vater | in allen Angelegenheiten." Oder eine Bannformel aus
dem Bheingau: „Der Bichter spricht mit hoher Stimme: Ich neme dir
heutzutage | dein lantrecht u. all dein ere, | um den todschlag, den du hast
getan j uf des reiches straßen j u. teile darum || deinen leib den lantleuten, |
dein lehen dem heren, | dein erbe den es gebühret, | dein elich weib zu
einer wißenÜichen witwen, | deine kinder zu wißenÜichen waisen, | und
setze dich || aus gerichte in ungericht, j aus gnade in Ungnade, j aus laat*
fried in unfried, || also das niemand an dir frevelt.*' Ebenso in Segens*
formeln, z. B. dem kürzlich von A. Schönbach, Eine Auslese altdeutscher
Segensformeln, in: Analecta Graeciensia (Graz 1893) 80 publizierten Bienen-
Formlose Prosa. 163
za entwerfen.^) Aach hier wQrden wir deutliche Entwicklung
erkennen: denn welch ein Schritt ist es von den kurzen, ohne
jede Spar von Hypotaxe gebildeten Sätzen der zwölf Tafeln
(z. B. VIII 12 $i nox furtum faxsity si im occisit, iure caesus esto:
die kunstvollste Periode der erhaltenen Fragmente) bis zu den
Monstra von Perioden in den späteren Gesetzen. Hier wie dort
herrscht eine Art von Formenlosigkeit^ die man unwillkürlich
mit den kyklopischen Mauern vergleicht; hinter dem Gedanken
tritt jede Sorgfalt um die Form völlig zurück^, aber dabei
welche Kraft und Natürlichkeit^ welcher Ernst und Würde^ welche
sanctitas, kurz welches echt italische Wesen. Wer wird nicht
feierlich gestimmt, wenn er die Formulare für die Lustration des
Stadtberges von Iguvium oder die alten Evocations- imd De-
votionsformeln (bei Macrob. sak III 9) liest? Man denke sich
den Brief der Konsuln vom J. 186 v. Chr. in Oiceros Stil um
und frage sich, ob Konsuln, die in seinem Stil geschrieben
hätten, noch berechtigt gewesen wären, mit solcher Indignation
von fremdländischen Kulten zu reden.
Mgen: „Item, daz chain pein oder imbt hin flieg noch verderben, schreib
anff ein plej: In nomine patris et fil\i et spiritus sancti und leg es nnder
das peickar [d. h. Bienenstock] und sprich also: 'Ich peswer ench pey dem
allmachtigen got, das ir in chainen wald | noch in chain veld nicht kompt
mid chain flucht von hin habt noch tAt. || Sand Abraham der pehab euch,
Sand Jacob der pring euch wieder zu, | Sand Abraham der volg euch, | Sand
Josephen der hab euch zesamen. || Ich peswer euch pey unsser frawen Maria,
der ewigen magt, | Ich peswer euch pey Sand Josephen, | das ir von diser
stat nicht komt | wan zu rechtem flug an ewr stat. || Ich peswer euch pey
per Patrem, per Filiom, per Spiritom sanctum, | das ir chainen urlab von
hin habt | ze fliegen zu chainen menschen. ' || — Analoges aus dem la-
teinischen Mittelalter wird später vorkommen und im Anhang I werde ich
über den Parallelismus als Grundform aller gehobenen Rede genauer zu
handeln haben: die dort angeführten lateinischen incantamenta mag man
ihrer Form wegen schon hier vergleichen.
1) Mein Schüler 0. Altenburg ist gegenwärtig mit der Behandlung
dieses Themas besch&fdgt.
t) Daher die vielen constructiones ad sensum, cf. Buecheler zur lex
Otca tab. Baut. 2, 9 f. in Fontes iur. Rom. ed. Bruns* p. 50. W. Weifs-
brodty Observ. in SC. de Bacch. part I [unica] (Braunsberg 1879) 6 f. zu
Zeile 9 und 18.
U
164 ir. Die römische Eunstprosa bis Angnstus.
Zweites Kapitel.
Die Umgestaltung der nationalen Prosa dnrcli den Hellenismus
(bis zu Sullas Tod 78 v. Clir.).
c«to. An der Spitze dieser Epoche*) steht der alte Cato, wie
unter den Dichtem Naevius, so er unter den Prosaikern die
originellste Erscheinung der älteren lateinischen Litteratur-
geschichtO; für die Späteren der Repräsentant der yiri magni
antiqui« Er gehörte der Zeit an^ in welcher die Frage nach der
Stellungnahme der lateinischen Litteratur zur griechischen mit
grofster Erbitterung von förmlichen factiones diskutiert wurde.
Nichts zeigt so sehr die innere Notwendigkeit des Sieges des
Hellenismus; als dafs derselbe Mann^ der seinem Sohne in be-
absichtigtem Prophetenton vom Griechenvolk verkündet hatte:
quandoque isla gens suas litteras ddbitj omnia cornimpet (Plin« n.
h. XXIX 14); der seine auf Q. Ennius gesetzten Hoffnungen so
bitter enttäuscht sah, der die graeca factio mit so bitterem Spott
verfolgte, dafs dieser Mann dem Zuge der Zeit zuerst unbewuTst^
in seinem Alter bewufst und gern sich hingab. Zwar wollte er
nicht wie jene Graecomanen, die den Spott und die Verachtung
aller Patrioten herausforderten ^ ein Aufgehen des römischen
Wesens in das griechische^ aber den vermittelnden Bestrebungen
des ScipionenkreiseS; dessen Mitglieder alles vermieden, was den
hochangesehenen und beliebten Mann verletzen konnte ; gelang
eS; auch ihn zu überzeugen, dafs eine Veredlung des römischen
Wesens durch die hellenische Kultur nicht mit einer Vernichtung
des ersteren identisch sei. So hat er, um nur eins anzuführen^
in seinem Alter alles, was sich die Griechen über griechische
Elemente in der frühsten Bevölkerung Roms ausgedacht hatten,
auf Treu und Glauben angenommen (cf. Orig. fr. 19 Pet.).
Seine Sprache war der Ausdruck seiner Persönlichkeit:
orationi vita admodum congruens (Cic. de rep. II 1), und daher
gehört das, was wir von ihm haben, zum Originellsten der
lateinischen Litteratur. Uns geht hier nur das Stilistische an,
wobei wir die verschiedeneu Werke scheiden müssen. Der Stil
1) J. Manso, Über das rhetorische Gepräge der röm. Litteratur, Gjmn.-
Progr. Breslau 1818, enthält nur allgemeines Baisonnement.
Der Stil der catonischen Werke. 165
der Schrift de agri cultura ist ganz roh: natürlich, denn das
Bach 80II dem praktischen Gebrauch des Bauern dienen und zu
ihm redet er im Ton, der dem rusticus, wenn er an den Markir
tagen in die Stadt kam, aus den Gesetzen entgegenklang: alle
Erscheinungen, die wir in der Gesetzessprache antreffen, finden
sich hier wieder, vor allem auch der Mangel künstlicher
Periodisierung« Darin liegt für uns der Hauptreiz dieser Schrift;
welch ein Kontrast zu Varros Büchern: der schreibt doch wahr-
lich auch nicht elegant, aber immerhin fQr homines urbani. Viel
entwickelter ist der Stil des Geschichtswerks, kurz, derb, kraft-
voll: fr. 93 (von den Spaniern diesseits des Ebro): sed in his
regionibtis ferrareaej argenti fodinae pulcherrimaey mans ex säle
mero magnus: quantum demas, tantum adcrescit. venttis cercius
cwn hguare buccam impletf armatum hominem plaustrum oneratum
perceUit; während er fr. 86 den Maharbal zu Hannibal nach der
Schlacht bei Oannae sagen läfst: mitte mecum Bomam equitatum:
diequinti in CapHolio tibi cena cocta erit, ändert das Livius
(XXn 51, 2): die qtdnto in Capitolio epuhberis. Um über ein-
zelnes zu urteilen, reichen die wörtlichen Fragmente nicht aus.
Dagegen haben wir von den Reden, alles zusammengenommen,
an umfang ungefähr so viel wie eine Rede Ciceros. Die Reden
waren es, die seinen Namen in lebendigstem Andenken erhielten.
Er selbst hielt sie für wert, der Nachwelt überliefert zu werden,
an seinem Lebensabend sammelte er sie und gab sie heraus:
daran erkennt man deutlich den griechischen Einflufs. Man
kann sich keine drastischere Diktion denken als die catonische;
jedesmal trifft er den Nagel auf den Kopf; er ist nicht zimper-
lich in der Wahl der Worte (z. B. XVIII 1), aber er sagt meist
mit einem Wort mehr als Cicero mit einem Satz: er erzählte
selbst, die Athener hätten sich über die Kürze und Schärfe
seiner Diktion gewundert, denn w'as er mit wenigen Worten
gesagt hatte, dazu wären für den Dolmetscher lange Umschweife
Ddtig gewesen: den Hellenen kämen eben die Worte von den
Lippen, den Römern aus dem Herzen (Plut. Gat. 12). Wie
verhält sich nun sein Stil zu dem der griechischen Redner? Er
leigt, wenn ich richtig empfinde, ein eigenartiges Schwanken:
bald schreibt er in kurzen, aneinander gereihten Sätzen, bald in
dem ungehobelten Stil der Gesetzessprache, bald baut er
Perioden, in denen der Einflufs griechischer Rhetorik un-
166 n. Die römische Eunstprosa bis Augastns.
verkeimbar ist und gelegentlich mit einer gewissen naiven Anf-
dringlichkeit sich breit macht. Ein Beispiel für die Xi^ig itgo-
(idvri XXXVII 3: Jwmines defodertint in terram dimidiatos ignemque
circumposuenint, ita interfecerunt (wofür Cicero geschrieben hätte:
homines in terram defossos igni circumposito interfecerunt) ^ cf.
Vin 1 ; IX 1 ; XLVII. Mit welchen Angen mag Cicero Perioden
wie die folgenden gelesen haben: or. XXI: nam periniurium siet,
cum mihi ob eos mores guos prius häbui honos detur^ uhi daim est,
tum uti eos mutem atque alii modi siem (wo man den Satzbau
der Gesetzessprache in dem eingeschachtelten übi datus est und
der Wiederau&ahme durch tum ubi eos deutlich merkt); LI:
atque ego a maiorihus memoria sie accepi, sigtiis quid dUer ab
altero peterent, si amho pares essent^ sive honi sive mäli esscnt,
quod duo res gessissent, uti tesies non interessent^ Uli unde petitur^
ei potius credendum esse (was nichts ist als das Gesetz in in-
direkter Rede); LII: audite sultis milites^ siquis vestrum beUo
super fuerit, siquis non invenerit pecuniam, egebit (wo die beiden
mit si aneinandergereihten Sätze ein genaues Analogen haben an
dem eben angeführten Gesetz und der oben S. 163 citierten lex
der XII tab.). Dagegen ist z. B. folgendes eine Periode , die
Cicero nur ganz leicht geändert haben würde (in der Rede für
die Rhodier): si honorem non aequum est haben ob eam rem, quod
bene facere voluisse quis dicit neque fecit tamen: Ehodiensibus ob-
eritj quod non male fecerunt sed quia voluisse dicuntur facere? So
konnte nur schreiben^ wer das so aulserordentlich beliebte iv9^
li^rilia des sog. argumentum ex contrario aus den griechischen Rednern
gelernt hatte. ^) Ahnlich ist die wirklich glänzend geschriebene
indignatio in or. IX, von der Gellius X 3, 17 nicht mit Unrecht
sagt; dafs Cato hier dem Cicero gleichkomme. Eigentümlich
ist bei Cato die Häufung synonymer Wörter: I 1: scio ego atque
iam pridem cognovi atque intellezi atque arbiträr rem ptMicam
curare indusiria summum periculum esse; I 27: censores qui poslhac
fient formiduhsius atque segnius atqxie timidius pro r. p. nitentur.
VIII 1: tuum nefarium facinus peiore facinore operire poslulas,
succidias humanas facis, tantam trucidationem facis, dccem funera
faciSj decem capita libera interficis, decem hominibus vitam eripis,
1) Cf. G. Gebauer, De hypotacticis et paratocticis argumenti ex con-
trario formis, Zwickau 1877. M. Seyffert, schol. lat. I' (Leipi. 1878) IMC
Der Stil der catonischen Werke. 167
mdida causa iniudicatis incondemnatis, cf. X 2; XI 1. Orig. V 1
(aas der oratio pro Rhodiensibus): scio solere plerisqtte hotninSrns
rebus secundis atque prolixis atque prosperis animum excellere atque
superbiam atque ferociam augescere atque crescere. TV er sich an
die Vorliebe der attischen Redner, besonders des Demosthenes
erinnert y eme und dieselbe Sache durch zwei oder mehrere
Worter auszudrücken, und bedenkt, dals die Rhetoren darin ein
Mittel zur dsivöxrig fanden, welches besonders angebracht sei
onerandi tel exprobrandi criminis causa (Gell. XIII 25, 9): der
weifs, dafs der alte Romer dieses beliebte Mittel mit Bewufst-
sein angewandt hat, aber so roh und plump, dafs er uns, die
wir wissen, mit welcher Eleganz es Cicero benutzte, ein Lächeln
ablockt; nicht anders hat übrigens schon Gellius 1. c. den Zu-
sammenhang aufgefafst. ^) Wenn Cato XI 4 sagt: alitid est pro-
perarCj aiiud festinare. qui unum qnicquid mature transigit, is pro-
perat; qui mtdta simul incipü neque perficit, is festinat^ so ist das
die Figur des ögi^fiög (definitio), die zurQckgeht auf die ög^ö-
xfig ivo^dtmv des Prodikos (cf. die Parodie Piatons Prot. 337 AB)
und sich in der Litteratur von Thukydides (s. oben S. 97) an ver-
folgen läfst; der Verfasser der Rhetorik an Herennius giebt
dafür mehrere Beispiele (IV 25, 36), so: non est ista diligentia
sä avaritia^ ideo quod diligentia est accurata canservatio suorum,
avariüa iniuriosa adpetitio alienorum. Mit Bewufstsein hat er
auch die ^AUitteration' (s. oben S. 59, 1) angewandt XL 1: num*
1) Für Demosthenes cf Dionys de Dem. 6S. Theon prog. S4, 5 Sp. und die
erU&renden Ausgaben ; Blafs 1. c. III 1 ' p. 97 ff. Aus der spätem Litteratur reiche
StellenBammlnng yon Boissonade zu Eunapios p. 163 ff. Über die Vorliebe för
lolche H&ufimgen in der griechischen Sprache überhaupt cf. Lobeck, Para-
lip. gramm. graec. I 60 mit Anm. 28 und zu Soph. Aias V. 146 (p. 186 ff.).
Für Cicero cf. GkUius 1. c. 9 ff., ihn selbst de part. orat. 20 ifdustris est or<Uio,
H et verba gravitate deleeta ponuntur et trdkUa et <id nomen adiuncta et
dupUcaUi^ et idem significantia und als Beispiel etwa noch pro Plane. 2
mMc auUm vtster, iudices^ conspectus et cansessus iste reficit et recreat men-
fem meam, cum intueor et cantemplor unumquemque vestrum; cf auch B. Volk-
mann, Die Rhetorik d. Griech. u. Böm. (Leipz. 1886) 472 f. Vieles, was die
heutige Vulgärerklärung als Sv Siä Svotv bezeichnet, ist vielmehr yon
diesem Gesichtspunkt aus zu erklären, cf. G. Hatz, Zur Hendiadys in Ci-
oeroe Reden, Progr. Schweinfurt 1886. J. Straub, De tropis et figuris De-
motthenis et Ciceronis (Diss. Würzburg 1888) 122 ff. Ph. Spitta, De Tadti
in componendis enuntiatis ratione (Diss. GOttiugen 1866) 49 ff.
168 n. Die römische Eunstprosa bis Angustas.
quam tacet quem morbus tenet loquendi tamquam vetemosum U-
bendi atque dormiendi. quod si non conveniatiSj cum convocari
iubety ita cupidus orationis conducat qui auscültet. itaque auditis
non auscultatis tamquam pharmacopolam. Oato hat auch von den
Griechen gelernt, dafs der Rede an sehr gehobenen Stellen, be-
sonders in ixg)Qä<fB^g, poetisches Kolorit zukomme: I 8: deinde,
postquam Massiliam praeterimus, inde omnem classem ventus auster
lenis fertj mare velis ßorere videres; dasselbe Bild hat
Lucrez V 1442, der es um so sicherer aus Ennius nahm, als
uns durch Servius zur Aen. VII 804 bezeugt wird, dafs dieser
florere oft in übertragener Bedeutung gebrauchte: daraus folgt
also, dafs es Cato aus Ennius hat. Ebenso: ine. 17: dum se in-
tempesta nox praecipitat; das ist sicher dichterisch (trotz
H. Jordan im Rh. Mus. XIV [1859] 262), und da es auch
Yergil Aen. II 9 hat, so entnahmen es beide aus Ennius. Man
sieht also, dafs Cato, wie er in seinem ganzen Wesen zwischen
Ablehnung und Aneignung des Hellenismus schwankte, so auch
in seinem Stil halb ein Eind der alten Zeit, halb von dem neuen
Geist beeinflufst war, dem zu siegen bestimmt war.^)
Daher urteilten auch die Späteren, an Kraft seien die Reden
Catos unübertroffen, in der Form noch ziemlich roh: Cicero de
or. I 171: eloquentia tanta fuü quantam illa tempora atque itta
aetas in hac civitate ferre maximam potuit und or. 152 nennt er
seine Reden horridulas; Gellius XIII 25, 12: doquentiae latinae
tunc primum ezorientis lumina quaedam sublustria und besonders
VI 3, 53: ea omnia distinctius numerosiusque fortassean dici po-
tuerinty fortius atque vividius potuisse dici non videntur (c£ I 23).
Die Thatsache allein, dafs man mit ihm die lateinische Bered-
1) Auf eine inhaltliche Entlehnung aus dem Griechischen möchte ich
noch hinweisen. Plutarch Cat. 2 sagt, Cato habe iv totg iMOfptiypMui %al
xatg yvmfioXoylaig vieles aus dem Griechischen übersetzt (cf. H. Jordan 1. c.
261 ff.); das läfst sich in einem Fall noch zeigen. V 1 cogitat€ cum animia
vestris, siquid vos per laborem recte feceritis, labar iUe a vobis cito recedet,
hene factum a vobis dum vivitis non abscedet. sed siqua per vduptatem ne-
quiter feceritis, voluptas cito abibit, nequiter factum iUud apud vos semper
manebiti diese Worte fahrt Gellius XVI 1 an, indem er mit ihnen eine
Sentenz des Musonius vergleicht: «Sfy rt n^dl^g "nalhv (letä «^ov, 6 iikw
n69og oUxBtai xb dh naXbv fiipH' &v ti non/jaffg alaxQbv iistcc ^Sovfjg, tb pkv
i^Sv oUxBxai xb öh aiaxQov fitvsi. Wir werden daraus folgern, dafs beide
den Gedanken aus alter griechischer Lebensweisheit übernommen haben.
Cato. Die Anf&nge der BeredBamkeit. 169
samkeit beginnen liefs, zeigt , dafs man ftlUte und wuTste, er
habe sieb, wenn ancb in geringem Mafse, an griechischer r^;|rn}
gebildet.
Ich werde jetzt in grofsen Zügen den wachsenden EinfiuTs
des Hellenismus auf den Stil der Rede und der Geschichts-
schreibung bis auf den Beginn der ciceronianiscben Zeit unter
AnfUirung geeigneter Beispiele aufzeigen.
1. Die Redner.*)
Die verschiedenen Etappen giebt Tacitus dial. 18 kurz so DieManiei
an: Catoni seni comparatus C. Gracchus plenior et ulerior; sie
Graceho polüior et amatior Crassus; sie utroque distinctior et ur-
haniar et aÜior Cicero, womit im ganzen der Abrifs der Ge-
schichte der romischen Beredsamkeit in Giceros Brutus überein-
stimmt. Nur die Aristokraten huldigten der hellenisierenden
Tendenz: Marius stand ihr noch viel schroffer gegenüber als
Cato. Wenn wir finden werden, dafs nicht der groDse Fluls der
demosthenischen Perioden^ sondern die abgezirkelte Schnorkelei
der sophistisch-isokrateischen Diktion bei den Romern nach-
geahmt wurde, so müssen wir bedenken, dafs die romische Prosa
zu einer Zeit in den Bannkreis der griechischen trat, als diese,
wie wir oben gesehen haben, unter dem Einfluls der Asianer
▼on Demosthenes zu Isokrates und den Sophisten zurückkehrte.
So gut also die Römer in der Poesie und Grammatik sich an
das anschlössen, was gleichzeitig in Alexandria und Pergamon
Mode war, so lernten sie die Verfeinerung ihrer Prosa zunächst
▼on den damaligen Modeschriftstellern. Wie sehr damals die
manierierte Prosa auch in Rom herrschte, zeigen zwei Fragmente
des Lucilius. Im ersten (993 L.; 56 B.), welches Cicero an
mehreren Stellen seiner rhetorischen Werke citiert, um zu
zeigen, dafs man zwar groJGse, aber nicht kleinliche Sorgfalt auf
die Struktur der Satze verwenden müsse, wird der verschnörkelte
Stil des ganz zum Griechen gewordenen Albucius verspottet:
1) Cf. auch A. Tartara, I precursori di Cicerone. Considerazioni sullo
Bfolgimento dell' eloquenza presse i Romani, in: Annali delle nniversitä
Toteane XVm (Pisa 1888) 291—628. Diese auf breiter Basis ruhende, in
Deutschland wenig bekannte Abhandlung ist ein sehr wertyoUer Beitrag
rar römischen latteratorgeschichte der Bepublik.
170 n. Die römiBche Eunstprosa bis Augustus.
quam lepide lexeis compostae ut tesserulae omnes
arte pavimenio atque emblemate vermiculato.
Im zweiten (152 ff. L.; 145 B.), das Gellius XVIII 8 eben des-
wegen citierty schreib b er scherzhaft an einen Freund^ der, wie
er selbst, ein Gegner dieser Künstelei ist:
quo me habeam pactOy tarn etsi non quaeris, doabOf
quando in eo numero mansti, quo in tnaxima nunc est
pars hominum,
ut periisse velis quem visere nolueris, ctim
debueris. hoc * nolueris* et *debueris* te
si minus ddedctt, quod &xb%vov et Eisocratium est
kriQ&Ssöqtie simul totum ac 6v(i(isiQaxi&8sg^
non operam perdo.
I. Die Die Beden des jüngeren Africanus, des Hanptes der ge-
0. 100t. Chr. mäfsigt hellenistischen Partei, zeigen, obwohl sie Qointilian Xu
10, 10 noch zu den horridiores zählt, in der Kunst des Stils
einen erheblichen Fortschritt gegenüber Gatö. Ein Satz bei
Gellius Vn 12 lautet: nam qui quotidie unguentatus adversum
speculum ometur, cuius supercilia radantur^ qui barba volsa femir
nibusque subvolsis ambulet, qui in conviviis adulescenitdus cum
amatore cum chiridota tunica interior accubtierit, qui non modo
vinosus sed virosus quoque sit: eumne quisquam dubitet quin idem
fecerit quod cinaedi facere soUnt? (kunstvolle Periodisierung,
Wortspiel, '^^oxoUa rot) xivaidov). Zwei Fragmente werden
von Isidor. or. II 21, 4 für die Figur der Klimax angeführt:
ex innocentia nascitur digniias, ex dignitate honor^ ex Jumore Im-
perium, ex imperio libertas, — vi atque ingratis coactus cum iUo
sponsionem feci, facta sponsione ad iudicem adduxij adductum primo
coetu damnavi, damnatum ex voluntate dimisi (wo man auch beide
Male das xBvgayiioXov beachte).
Nichts ist uns erhalten von M. Aemilius Lepidus Porcina
(cos. 137), von dem Cicero (Brut. 95 f.) sagt, bei ihm habe sich
zuerst jene levitas (Aftrfriyg) Graecorum und Periodisierung (ver-
borum comprehensio), kurz ein artifex stihis gezeigt. Ebenso
wenig ist etwas erhalten von C. Papirius Carbo (cos. 120): er
war nach dem Urteil eines Zeitgenossen bei Cicero 1. c. 105 ein
orator canorus et volubilis, valde dulcis et perfacetuSj der auch,
bevor er aufgetreten sei, Übungen angestellt und sich Notizen
gemacht habe.
Die Anfänge der Beredsamkeit. 171
Der nach dem einstimmigen Urteil der Nachwelt be-
deutendste Redner dieser Epoche war C. Gracchus: es will viel
sagen, wenn ihn Cicero 1. c. 126 noch seiner Zeit dringend zum
Studium empfiehlt. Sein Lehrer war der Rhetor Menelaos aus
Marathus in Phönicien, also ein Asiate wie Diophanes von Myti-
lene, der Lehrer seines Bruders. Dem leidenschaftlichen Tem-
perament (flagrantissimum ingenixitn Yal. Max. YIII 10, 1) dieses
genialen Menschen mufste die aufgeregte asianische Beredsamkeit
ein willkommenes Mittel sein, seinen Gedanken den entsprechenden
Ausdruck zu leihen; wir hören von seiner Aufsehen erregenden
Aktion: er ging erregt auf der Tribüne hin und her, schlug sich
den Schenkel, rifs sich an seiner Toga (Oic de or. III 214;
Plut. Ti. GraccL 2), alles Einzelheiten, die er den griechischen
Rednern jener Zeit abgelernt hatte ^); auf die sicher verbürgte
Nachricht Ton dem Flötenspieler, der ihm während der Rede
Stimmhöhe imd Stimmstarke angab, ist schon oben (S. 57) hin-
gewiesen.^ Berühmt war wegen ihres Pathos eine Stelle, die
Cicero de or. III 214 und andere citieren: quo me miser con-
feram, qtto vertam? in Capitoliumne? at fratris sanguine redundat.
an damum? matremne ut miseram hmentantem videam et ab-
ieetam? Wem weht daraus nicht der Geist der catilinarischen
Reden entgegen?') Unter den Fragmenten ist eins, welches
durch seine geradezu raffinierte Ausdrucksweise die Verwunderung
l) Cf. besonders die ausgezeichnete Sammlung des CresoUins in seinen
Vaeationes automnales, Paris 1620.
8) Ich begreife nicht, dals ' man noch immer an der Deutung dieser
gaas ein&chen Stelle zweifelt (cf. M. Hertz, Berl. phil. Wochenschr. XUl
[1S98] 1461 f.). Ich will fOr den hinter Gracchus aufgestellten servus doch
eine Parallele anführen, die vielleicht überzeugt: Seneca contr. IV praef. 8
berichtet yon dem leidenschaftlichen Haterius: regt ah ipso non poierat;
oliogHi Uberium hahehat euipareret] sie ib{U, quomodo ÜU aut coneitav^ai
eum aiU refrenaverat iubebat eum üle transire, cum dHquem locum diu
dixerat: transtbat; insistere iuhebat eidetn loco: permanebat; iiibehat epHogum
Heere: dieebat. in sua potesUxte hahehat ingenium, in aliena modum. Cf auch
Cic. de leg. I 2, 6 Dionys. ep. ad Pomp. 4. Auct. ntgl ^ovg 8 (und dann
0. Immisch im Rh. Mus. XLVHI [1893] 512 ff.).
8) Tartara 1. c. (oben S. 169, 1) 468 adn. hat beobachtet, dafs diese
SieUe nachgeahmt wird yon Cicero in der peroratio der Rede für Murena
88 t: quo ee mieer vertet? domumne? ut . . . videat? an ad matretn, quae
. . . eonepieiat? tbü igitur in exilium miser? quo? ad orientisne partis . . .?
ot AoM magnum doiofem etc.
172 n. Die rOmische Eimstprosa bis Angiutas.
schon des Gellias XI 13 erregte: quae vos cupide per hosee atmos
appetistis atque voluistis, ea si temere repudiaritis, abesse non potest
quin aut olim cupide appetisse ant nunc cupide repudiasse dicamini,
wozu Gellias bemerkt^ diese Worte seien aus dem Anfang einer
(im J. 123 gehaltenen) Rede und zwar: collocata accuratius
modulatiusque quam veterum oratorum consuetudo fert: abgesehen
von der scharfen Gegenüberstellung der Begriffe und der ener-
gischen Klausel mit den zwei Eretikem mufs man sich die i6o-
xmUa vergegenwärtigen: der Vordersatz hat 32 SilbeUi der
Nachsatz 31 und innerhalb des letzteren die mit aut-cuU sich
gegenübergestellten xöiiiiaxa je 10 Silben: das hätten Gorgias
und Isokrates nicht besser machen können. Ähnlich ist unter
den Fragmenten seiner Reden nur noch das von Isidor. or. II 21
überlieferte: pueritia tua adulescentiae tuae inhonestamentum fuäf
adulescentia settectuti dedecoramentumj senectus rei puhlicae flct-
gitium, eine Klimax, wie wir sie schon beim jüngeren Scipio
fanden, nur hier in der Form des tgixmXov und gehoben durch
das sehr starke ifioiordlsvrov. — Von C. Pannius (cos. 122),
dem Gegner des C. Gracchus, 4iahen wir zwei Fragmente, in
denen das rhythmische Element stark hervortritt. Das erste
wird von Cicero de or. III 183 eigens wegen des kretischen
Rhythmus citiert, es stammt aus dem Anfang einer Rede: si
Quirites minas illius (zu^ ^ujl z^^) und ist, wie E. Marx
(in den Prolegomena seiner Ausgabe des auct. ad Herenn. [Leipz.
1894] 99) bemerkt, eine offenbare Imitation des berühmten Ein-
gangs der Kranzrede: tot$ ^sotg süxo^ai n&öi xal ndöatg. In
den beiden Sätzen des zweiten Fragments (aus der Rede gegen
Gracchus, bei lul. Vict. 402 Halm) herrscht der Ditrochäus: si
LoHnis civitatem dederitis, credo, existimatiSy vos ita ut nunc
constitisse% in contione hdbituros locum, aut ludis et festis diebus
interfuturos? nonne illos omnia occupafuros putatis? — Q. Lu-
tatius Oatulus (cos. 102): non antiquo ülo morCy sed hoc nostro
eruditus (Cic. 1. c. 132), der, wie R. Büttner (Porcius Licinus
1) Dies Wort ist viel geändert worden, z. B. consuestis Spengel, eon-
stitistis Mommsen, aber es ist in die Satzkonstmktion des acc. c. inf. hin-
eingezogen: derartige 'psychologische' Syntax kann ich viel in der alten
Sprache nachweisen. Es heilst also, wie Mommsen (in: Ber. üb. d. Yerh.
d. Sachs. Ges. d. Wiss. 1864 p. 167) übersetzt: „Ihr meint alSo auch dann,
so wie ihr jetzt vor mir steht, in der Versammlung Platz finden zu kennen?**
Die Anfange der Beredsamkeit. 173
und der litterarische Ereis des Q. Lutatius Catulus [Leipzig
1893] 132 ff.) nachgewiesen hat, die philhellenischen Be-
strebangen des Scipionenkreiscs mit Bewofstsein fortsetzte , der
elegante Übersetzer zierlicher griechischer Epigramme^ der Ver-
fasser der Geschichte seines Konsulats in xenophontischem Stil;
wurde als Redner vor allem wegen seiner gewählten , auf sorg-
faltigen lautphysiologischen Erwägungen beruhenden Aussprache
der Buchstaben gerühmt (Büttner 160 ff.): wir haben gesehen
(8. 55 ff.), als ein wie wichtiger Bestandteil einer guten Rede dies
den Griechen galt. — Von Q. Caecilius Metellus Numi-
dicus (cos. 109) hat Gellius VI 11; XII 9 zwei Fragmente über-
liefert, welche in Verwendung des Rhythmus und der Wort-
figuren die Beeinflussung durch griechische Rhetorik aufs
deutlichste zeigen. Das erste stammt aus der im J. 107 ge-
haltenen Rede gegen Cn. Manlius tr. pl, der vor allen seine
Bückberufung aus Numidien zu Gunsten des Marius durchgesetzt
hatte: nunc quod ad iUum pertinet, Quirites, (^ v^ _ -), quoniam
se ampliorem ptitat esse, si se mihi inimictim dictitaverit, quem ego
mihi neque amicum recipio neque inimicum respicio, in eum ego
non 8um plura dicturus (^ w i j. J). nam eum indignissimum
arbiträr eui a viris honis benedicatur (x va^ x ^ J), tum ne id(h
neum guidem cui a probis maledicatur (^ ^ i. j. J). Das
zweite Fragment (aus der im J. 107 gehaltenen oratio de
triumpho) ist ganz auf Antithesen basiert: qua in re quanto uni-
versi me unum antestatis (ii u _ J), tanto vdbis quam mihi ma-
iorem iniuriam atque contumeiiam facit^ Quirites (x u . .), et
quanto jprobi iniuriam facüius accipiunt quam altert tradunt
(x u X j. J), tanto nie vobis quam mihi peiorem honorem habuit:
nam me iniuriam ferre, vos facere vult, Quirites (^ ^ . J), ut hie
eonquesHOy istie vituperatio relinquatur (^ u x -t u).*) — Von
G. Papirius Carbo (tr. pl. 90 oder 89) überliefert und ana-
lysiert Cicero or. 213 f. folgende ganz ^asianische' Periode:
Marce Druse (^ u - J), \ patrem appeUo (je 5 Silben),
tu dicere solebas (a ^ ^j j, J) \ sacram esse rempubli-
cam (x u 1 j Kj ^) (7:8);
1) Bemerkenswert ist aach die yon Geliius XV 14 angefahrte und als
OrftcitmoB erkannte Ansdmcksweise socios pecunias maximas exactos esse
{iU9U^dioct6 fit iiQyvQiop),
174 U. Die römische Ennsiprosa bis Aogastas.
quicumqm eam violavissent (z ou i ^ -); | ^ amnibus
esse ei poenas persolutas (z v^ _ «).
patris dictum sapiens \ temeritas fili (7:6)
comprobavit (^ u _ J).
n. Antonios AIs die beiden bedeutendsten Redner der vorciceronianischen
crMiQi. Zeit galten allgemein M. Antonius und L. Licinius Grassus,
die uns Cicero mit solcher Anschauliclikeit geschildert hat.
Jener legte kein grofses Gewicht auf die Schönheit der Worte^
ohne darum nachlassig zu sein; Orassus dagegen war nach allem,
was wir aus Cicero wissen, ein Anhänger der ^asianischen'
Rhetorik. Er liebte es, nicht in langen Perioden, sondern kurzen
Satzgliedern zu sprechen, cf. Cicero Brut 162 or. 223 und be-
sonders de or. in 190, wo Crassus selbst sagt: negue semper
utendiim est perpetuiiate et quasi conversione verharum, sed saepe
carpenda membris minutioribus oratio est^ quae tarnen
ipsa membra sunt nnmeris vincienda. Das läTst sich an den
meisten der von Cicero aus Crassus' Reden wortlich mitgeteilten
Fragmente zeigen; cf. Cic. or. 222 f.:
missos faciant patronos: ipsi prodeant (von Cicero
selbst als Senar notiert)
cur clandestinis consiliis \ nos oppugnant (j. )?
cur deperfugis nostris \ cqpias comparat is contra nos (z )?
Vor allen aber ist charakteristisch folgende Ton Cicero (de
or. n 225 f.) angefahrte und aufs höchste bewunderte Stelle:
Brüte quid sedes (^ s^ _ v^ .)?
quid ülam anum patri nuntiare vis tuo (x u _ u x u .)?
quid Ulis omnibus, qtiorum imagines duci vides{j. u . . z v/ .)?
quid maioribus tuis (jl ^ ^ yj j. yj J)7
quid L. Bruto, qui hunc populum donrinatu regio lihe-
ravit (x w _ J)?
quid te agere; cui rei, eui gloriae, cui virtuti studere (^ u . u)?
patrimonione augendo (jl u x z .)?
at id non est nobilitatis {j. yj kj x J).
sed fac esse (z u _ J):
nihil superest^ libidines iolum dissipaverunt (z ^ ^ z _)
an iuri civili (z » ^ z »)?
est paternum (zu. J).
sed dicet te, ctim aedes venderes, ne in rutis quidem et eaesis
solium tibi paternum recepisse (x v^ a. z u)
Die Anfänge der Beredsamkeit. 175
an rei militari (zw. .)?
qui numquam castra videris (x . . w ^ u .)?
an eloquentiae (z ^ . u _)?
quae neque est in te et, quidquid est vocis ac linguae (^ ^ i ^ .),
omne in istum turpissimum calumniae quaestum contulisti
tu lucem aspicere^audes (ü u ^ ^ .)?
tu hos intueri (x ^ « -)?
tu in faro^ tu in urbe, tu in civium esse conspectu {j, yj ^ j. _)?
tu iUam mortuam, tu inuigines ipsas non perhorrescis
(2. \j 1, J. v/)?
gpnibus non modo imitandis sed ne collocandis quidem tibi locum
ullum reliquisti (x v ^ ^ -).
Endlich noch ein Wort über das umfangreichste und wich- m« bii«
tigste Sprachdenkmal der sullanischen Zeit; die Rhetorik an HemmliDu
HerennioS; der erst kürzlich durch die Ausgabe von E. Marx
(Leipz. 1894) der gebührende Platz in der Geschichte der latei-
nischen Litteratur angewiesen worden ist. Der Verfasser schreibt
da, wo er dem Vortrag seines Lehrers etwas Eignes hinzuf>,
wie ein Schuljunge^ indem er seine kümmerlichen Gedanken mit
allen Füttern der Rhetorik behängt. Marx hat dafür in den
Prolegomena 86 ff.; 167 ff. viele Beispiele gegeben, von denen
ich hier nur wenige, um die Art zu bezeichnen , anführe:
IV 19| 26: iUud tardius et rarius venit, hoc crebrius et cderius
pervenit in 11, 20: quoniam altera natura pari tur, altera eura
eomparatur IV 25, 35: ut neque pluribus v^bis opor^i^sa dici
videatur neque breuius potuisse dici putetur. Seine Perioden
gestaltet er fast durchweg mit rhythmischer Klausel, cf. Marx
p. 100 £, doch will ich dafür hier keine Belege anführen, sondern
sie mir aufsparen bis zu dem Abschnitt, in dem ich die Ge-
schichte dieser Klausel von Thrasymachos bis ins Mittelalter im
Zusammenhang darstellen werde (Anhang 11).
2. Die Historiker.
Cicero hat an den beiden Stellen, wo er in kurzen Zögen 7. ni«
eine Geschichte des Stils der lateinischen Historiographie giebt •^^*"*^^^'
(de or. II 52 ff.; de leg. I 6 f.), zwei Gruppen geschieden. Die
erste wird gebildet durch die alten Aimalisten, das sind die
exHes auclores, denen es nur darauf ankommt, dafs sie, nicht
176 n. Die rOmische Eunsiprosa bis AugtutuB.
wie sie die Thatsachen erzählen. Wir erkennen das, da wir
von ihm die längsten wörtlichen Fragmente haben, am deut-
lichsten an Q. Claudius Quadrigarius, der am Ende dieser
und noch am Anfang der nächsten Epoche schrieb. Für seinen
meist ganz kunstlosen Stil schwärmten die ArchaisteU; z. B.
fr. 81 (bei Gell. XV 1): cum SüUa conaius esset tempore magno ^
eduxil copias, ut Archelai turrim unam quam iUe interposuit ligneam
accenderet. venitj accessü, ligna subdidit, std>movU Graecos^ ignem
admoviU satis stmt diu conaU, numquam quiverunt ineendere: üa
Archelaus omnem materiam ohleverat alumine. quod Suüa atque
müites miräbantur, et postquam non succendit^ reduxit copias. Man
/ male sich auS; wie das Livius erzählt hätte. ^)
II. Dl« Eine neue Wendung brachte der erste Vertreter der zweiten
mtfti«« Gruppe L. Caelius Antipater: freilich fehle ihm (sagt Cicero)
MtaSinmg! ^^^^ ^^® ^^^'^^ f *^®^ ®^ hahe doch den Versuch gemacht^
wenigstens mit der Axt seinem Werk eine erträgliche Form zu
geben, und so gehöre er denn schon zu den exomatares rerum,
während die übrigen blofse narratores rerum gewesen seien. Er
war in jeder Hinsicht eine epochemachende Persönlichkeit, und
es ist bezeichnend, dafs kein geborener Romer den Bruch mit
der Vergangenheit vollzog. Er hat als erster in lateinischer
Sprache einen Spezialstoff behandelt und zwar mit der bewulsten
Absicht eleganter d. h. rhetorischer Darstellung: so ist er auoh^
wie CS scheint, der erste gewesen, der in reichem Mause fingierte
Reden aufnahm und lächerliche rhetorische Übertreibungen nicht
scheute (fr. 39 Pet., vermutlich aus Silenos). Über seinen Stil
lassen uns die wenigen wortlichen und immer nur ganz kurzen
Fragmente nicht urteilen; aber eme Thatsache wissen wir, und
diese lehrt uns gerade genug, um dem Mann seine Stellung in
der Geschichte des Stils anzuweisen. Cicero or. 229 £ warnt
vor einer gekünstelten, durch traiectio erzielten Wortstellung^ um
dadurch die Rede rhythmisch zu gestalten, und mokiert sich
1^ Von dem Stil des C. Licinios Macer ^tr. pl. 73, f 66) urteilt
Cicero d« leg. I 7: cmim.< loqmmtas hab€i aliquid aryutiamm, nte id tarnen
tx ilki trmiita GriHW^ntm ct>jH<i. «w< rx libranoiis latimif, d. h. er war ein
Anhfta^^r der Uitini rhitti^rtf^ daher auch seine toq Cicero gleich hinterher
g^rügtif it^pmkHtia. die Cra^us in seinem Edikt gegen die laHmi rMam
vbei Ciw de or. 111 M^ brandmarkte, Beteichnendenreise war anch llaeer,
wie die andern Anhänger dieeer Richtung, ei» eifriger Paiteiginger der Pleb%
Die Anfänge der Geschichtsschreibung. 177
über die Naivität des Coelius, der in der Einleitung seines Werks
dem L. Aelins Stilo; dem es gewidmet war, versicherte, er würde
sich dieses Mittels nur notgedrungen bedienen. ,,0 der naive
Mann/' ruft Cicero aus, „der uns nichts verheimlicht, aber gegen
sein Versprechen doch so häufigen und so schlechten Gebrauch
von diesem Mittel macht!'' Durch die glänzende Entdeckung
von E. Marx, Studia Luciliana (Diss. Bonn. 1882) 96 S. wird uns
ermöglicht, diese Worte Oiceros zu prüfen: der auct. ad Herenn.
warnt lY 18 vor der traiectio verborum: quo in vitio est Gadius
assiduas, ut haec est: Un priore libro häs res ad te scriptas
Lud misimus Äeli\ wo man statt Caelius früher gegen die
Handschriften Lucilius las. Er wagt also die für die damalige
Zeit in Prosa unerhörte Losreifsung der beiden Bestandteile des
Namens, wodurch er einen (nach Ennius' Muster) regulären^
Hexameter erhält. Wir wissen, dafs er damit zwar gegen den
Kanon des Isokrates und Aristoteles sündigte, aber der liifLStgog
li^ der Asianer huldigte: charakteristisch ist, dafs er Lehrer
und Freund des Grassus war (Oic. Brut. 102; de or. II 54),
dessen Standpunkt wir soeben kennen lernten.^) — Den L. Cor-
nelius Sisenna, dessen Todesjahr schon jenseits dieser Epoche
liegt (f 67), stellt Cicero de leg. I 6 mit Elitarch zusammen:
m historia puerile guiddam consectatur, ut unum Clitarchum neque
praeterea quemquam de Graecis legisse videcttur. In den erhaltenen
Fragmenten ist manches recht schwülstig oder geziert: 104:
SHbUo mare persubhorrescere caecosque fluctus in $e pervolvere leniter
oecqfü 123: utrumne divi cuUu erga se mortalium laetiscant an
mpema agentes humana neglegant Ein Fragment (45) beginnt
ganz episch: tum subito tacuit Dafs er ein Anhänger der Asianer
war^ zeigt aufser seiner Zusammenstellung mit Elitarch und
seiner Übersetzung der Milesiaca vor allem seine berüchtigte
Sucht, ungewöhnliche oder neugebildete Worte zu gebrauchen,
worüber ich im nächsten Abschnitt zusammenhängend handeln
werde.
Wir haben erkannt, wie der Hellenismus, unaufhaltsam fort- B«auiut<
schreitend, den Stil der lateinischen Prosa immer stärker um-
gestaltete. Freilich war man noch weit entfernt, das agreste
t) Gekünstelte WortsteUuBg auch fr. 44: ipse regis eminus equo ferit
pedui advorsum (/ u 2. z J), congenuclat percussus, deiecii dominum.
Horden, antik« Kunttprota. *" \^
178 n. Die römische Eonstprosa bis Aagastns.
Latium mit der ars der Griechen zu einem harmonisclien Gbinzen
zu verbinden: überall zeigten sich noch die vestigia ruriSf die
sich von dem gelegentlichen Raffinement nur um so deutlicher
abhoben. Als Ganzes müssen daher diese Werke einen empfind-
lich unharmonischen Eindruck gemacht haben, ähnlich wie die
uns auf Inschriften dieser Zeit erhaltenen Gedichte.^) Die Zeit
war noch nicht reif für die Meister der Sprache , die an die
Stelle des gestaltlosen Gemenges eine enge Verbindung setzen
sollten. So kommt es, dafs z. B. C. Gracchus, der, wie wir
sahen, gelegentlich an den Schwung ciceronianischer Diktion
hinanreichte, an Stellen, wo das Pathos durch den Gegenstand
dringend erfordert wurde, eine ganz matte Sprache zeigte, wie
bei Gellius X 3 sehr fein ausgeführt wird, und dafs derselbe
Mann neben jenen Perioden von überkünstelter Feinheit auch so
schlechte bauen konnte wie etwa die beim Schol. Bob. Gic
p. 365 Or.: si vellem apud vos verba facere et a vobis postulartj
cum genere summo ortus essem et cum fratrem prqpter vos ami-
sissem nee quisquam de P. Africafii et Tiberi Gracchi famüia nisi
ego et puer restaretmis, ut pcUeremini hoc tempore me quiescere, ne a
sHrpe genus nostrum interiret et uH oZigtia prcpago generis nosiri
religua esset: hatid scio an lubentibus a vobis impeirassem. So
kommt es andererseits, dafs jener Quadrigarius, den wir oben
haben stammeln hören, gelegentlich (in Beden und Schilderui^^en)
einen höheren Ton anschlug, cf. fr. 88: crudditer illCj no$ miserl-
cordücr; avariter ille, nos largiter 89: sed idcirco me fecisse, quod
utrum ueglegenÜa partim fnagistratum an avaritia an calamitate
populi J?. evcfiisse dicam uescio (^ u « - -t u .) und besonders
in der Schlachtenschilderung, fr. 78: equae hinnibundae inter se
1) Wie passen z. B. die facetiae der Sprache so gar nicht zu dem
ehrwürdigen satumischen Yersmafs des letzten in diesem Metrum verfafsten
Scipionenologium CIL I S4 = 9 Buech. (Dafs schon die Inschrift des fiUos
Barboti grioehischon Einflofs zeige wegen duonoro optumo cf. lutnaoav
fAcexd^rarf Aeschyl., aya^dtw ngdvictog Xenopb. u. dgl. wird von £. WOlfFlin
in: Sitzungsbor. d. Münch. Ak. 1892 p. Slä unrichtig behauptet, denn ans
Liv. XXIX 14, 8, den W. selbst citiert, folgt, dals diese Bezeichnung der
Scipionen durchaus Tolkstümlich war). Wenn es Ton der Claudia heilst
(CIL I 1007 »5ä Buech."^: ilomum »rtorit. lanam fecit, so klingt das feier-
lich und echt italisch, aber schlecht dazu pafst die arge Witzelei heie est
$tpHlcntm Min jm/ctmw ^mknu femihat und die spitzfindige Antitheoe gnatas
«/mos cmic^. honthc aJtfmm \ tu ittra hnqmä, alium smb terra locat.
Mischung des rohen und kunstvollen Stils. Wortstellung. 179
spargentes terram calcibus (ganz trochäisch), was Peter
(Historicomm rom. reliquiae I prolegg. CCCIII) wegen der
poetischen Worte und des rhythmischen Wortfalls so seltsam
zu sein schien, dais er, weil Nonios citiert Claudius annälibus
l XVI, dies Fragment lieber einem andern Claudius zuschreiben
wollte: aber wir haben oben (S. 177, 1) gesehen, dafs ihm Caelius
Antipater in der rhetorischen Schilderung gerade eines Reiter-
treffens Torangegangen war.^)
AuCserlich ist, um dies hier hinzuzufügen, wohl am be- Wort-
merkenswertesten, dafs durch die Übertragung der rhythmischen. J * ^**
Gesetze der griechischen Eunstprosa auf die lateinische die pri-
mitiTe Wortstellung der lateinischen Sprache aufs stärkste be-
einflofst worden ist, wie wir besonders deutlich z. B. bei Anti-
pater sahen. Die Thatsache selbst ist so einleuchtend, dals sie
nicht bewiesen zu werden braucht (der einzige, der meines
Wissens mit ein paar Worten darauf hingedeutet hat, ist
W. Schmid, Der Atticismus II [Stuttg. 1889] 283 f.), aber für
die Erkenntnis des Einzelnen fehlt uns noch alles, da es keine
Untersuchungen giebt über die Norm der Wortstellung sowohl
in den Denkmälern der noch nicht vom Griechischen beeinflulsteu
lateinischen Sprache (samt den italischen Dialekten) als auch in
den Werken, welche wegen des niederen in ihnen behandelten
Stoffes die rhetorische Wortstellung ausschlielsen. Jeder weifs
z. 6.y dafs Cicero und alle späteren Eunstschriftsteller Substantiv
und Attribut gern durch Zwischenstellung anderer Worter
trennen; das scheint der alten Sprache fremd zu seinT in den
Fragmenten der XII tab. stehen Substantiv und Adjektiv immer
zusammen bis auf eine Stelle, die sinnlos überliefert ist^); das-
selbe gilt wohl für alle alten Gesetze: wenn im SC de Bacch.
Z. 11 steht: ti^ve pecuniam quisquam eorum comoinem habuise
1) Cf. auch fr. 8 (Gell. XVn 2, 13) von Manliue Torquatus: er sei so
reich mit Tugenden ausgestattet gewesen, iU facüe inteUegeretur magnum
viaHeum (Jkp^iov) ex ae atque in se ad rem publicam evertendam habere
10 (Gell. IX 13, 17) Hispanico (sc. gladio) pectua hausit: da Vergil Aen. X
814 tagt gladio latus haurit apertum, so folgern wir mit gleichem Recht
wie oben (S. 168) bei Cato, dafs der Ausdruck aus Ennius stammt.
2) I 4 Schoell (hei Gell. XYI 10, 5) adsiduo vindex adsiduus esto;
proletario iam civi quis volei vindex esto (übrigens fehlen tarn ctrt in
cmigen Hss.).
12*
IgO n. Die römische Eunstprosa bis Angushis.
velety 80 heilst das nicht ^^keiner von ihnen wird gemeinsames
Geld za besitzen haben^^, sondern ;,Geld wird keiner Ton ihnen
gemeinsam zu besitzen haben''; d. h. ^^mit einem andern in der
gemeinsamen Easse'^, also comoinem gehört prädikativisch zu
habuisej wie in dem oben (S. 166) aus Cato citierten Satz
homines defoderunt in terram dimidiatos das letzte Wort prädika-
tivisch zu defoderunt gehört: ;,sie gruben Menschen halb in die
Erde^'^): wäre communis pecunia damals schon ein fester Begriff
gewesen, wie er es später wurde, so hätte die Trennung sicher
nicht stattgefunden. Dagegen wagte der Redner L. Grassus in
der vorhin (S. 174) angefahrten langen Periode zu sagen quid
patri nuntiare vis tuOj wodurch er trochäischen Rhythmus er-
zielte, und Sisenna fr. 42: omnia quae diximt4S loca statim
potitus (Ditrochaeus) 45: propriam capere non potuerat quietem
(Ditrochaeus) 83: fasces sarmentorum incensos supra vtiUum
frequentes (Ditrochaeus, doch ist hier frequentes mehr prädika-
tivisch). ^ Ebenso scheint die bei Cicero so beliebte Zwischen-
stellung eines zu zwei Begriffen gehörigen Yerbum der alten
Sprache fremd zu sein; im SC de Bacch. Z. 10 — 12 inter-
pungieren einige so: magister neque vir neque mulier quisquam
eset. neve pecuniam quisquam eorum comoinem häbuise vdet
neve magistratum, neve pro magistratud neque virum neque mu-
Herum quiquam fecise velety indem sie quiquam fassen „in irgend
einer Weise'' (cf. aliqui, quipiam): sie wurden dazu veranlaüsi^
weil sie ein quiquam «» quisquam nicht anerkennen wollten, aber
die alte Sprache schied die Indefinitiva nicht genau, cf. R. Schoell
zu den XII tab. p. 75 f. (Cato de agr. 145): daher ist das Komma
1) Falsch interpretiert W. Weifsbrodt 1. c. (oben S. 163, 2) 26, indem er
eorum zu comoinem zieht >» pectmiam qu€ie eorum communis 9it; dafs aber
eorum neben quisquam stehen kann, zeigt Z. 4 n«t quis eorum BtteamU
hdbuise vekt
2) Cato hat an zwei Stellen scheinbar mehr als ein Wort Einsehen
Substantiv und Attribut gestellt: or. IV operam rei ptiblicae fortem atque
strenuam perhihet, Yü 6 mons ex sale mero magnus, doch sind in beiden
Fällen die dazwischengestellten Worte mehr oder weniger eng zusammen-
gehörige Begriffe. Cf. A. Reckzej, Üb. gramm. u. rhet. SteU. d. A<y. bei
den Annalisten, Cato und Sallust, Wiss. Beil. z. Progr. d. Loisenstädt. Gymn.
zu Berlin 1888 (der aber nirgends tiefer eindringt). Wir brauchen zur
sicheren Beurteilung eine vollständige Materialsammlung aus dem Sprach-
schatz bis Cicero.
Wortstellung. Beseitigung des rohen Stils. 181
nach magistratum zu tilgen und nach veUt zu setzen, wodurch
die aufiällige Stellung schwindet.^)
Drittes Kapitel.
Das ciceronianische Zeitalter.
A« Allgemeine Vorbemerkungen.
Der E^lassicismns der römischen Litteratur ist das Produkt Bi<>0«i^ti<
ihrer innigen Verbindung mit der hellenischen. Wenn wir die urbaniui
Litteratur dieses Zeitraums als Ganzes betrachten, so erkennen
1) Die Dialekte haben manches Eigenartige, z. B. wechselt auf der
oskischen tab. Bant. Z. 3 d<U maimas cameis senateis tanginud (= de maxi-
mae partis senatus sententia) mit Z. 7 dcU senateis tanginud maimas cameis
(was dem Lateinischen ganz fremd ist), cf. Eirchhoff in den Umbr. Sprach-
denkm. 11 888; cf. de maiaris partis tutorum sententia ed. perpet. V 3 LeneL
Auf derselben Inschrift wechselt merkwürdig die Wortstellung in einer Formel
(wie schon Eirchhoff, Das Stadtrecht von Bantia [Berlin 1863] 6 aufßel): Z. 17
kme svaepis herest meddis moltaum, licitud Z. 12 u. 26 svaepis ionc meddis
wuiUawn herest, lidtud. Merkwürdig auch ib. Z. 28 pr. svae praefuctis pod
post exac Bansae fast wOrtlich «= praetor si praefectus ve posthac Bantiae
erit, cf. Kirchhoff 1. c. 42, Buecheler in Bruns Fontes iur. Rom.* 49. Das
RelatiTum braucht weder im Osk. noch im ümbr. beim Substantiv zu stehen:
tab. Bant. Z.Spis pocapit post exac comono hafiest meddix (= ^t quan-
doque post hac comüia habehit magistratiis)^ tab. Iguv. VI A 26 persei ocre
Fisie pir orto est (»» qui in arce Fisia ignis orttis est). Auf der grOfseren
oskischen Deyotionstafel (Inscr. Ital. infer. dialect. ed. Zvetaieff n. 129) steht
Z. 6 tvai nep, avt svai Hium idik fifikus pust eis; da fifikus den Buch-
staben nach s> fiaceris^ dem Sinn nach == decreveris zu sein scheint, so
mfilste das durch Verstümmelung der Zeile am Schlufs ausgefallene Wort
dn InfinitiT sein: Buecheler, der so erklärt (Rh. M. XXXIU [1878] 27 ff.),
b< deshalb für wahrscheinlich, dafs tiium nicht =» te sondern «» tu und
der zu ergänzende Infinitiv ein passivischer sei, also: st nee, aut si tu id
decreveris postea (^fieri\ da bei der Annahme von tiium =■ te und folglich
Ton einem aktiven Infinitiv si nee, aut si te id decreveris postea (^facerey
sich eine Wortstellung ergebe, die kunstmäfsiger Prosa angemessener sei
all schlichter Volkssprache. S. Bugge, Altital. Studien (Christiania 1878)
9% £ wendet dagegen ein, dafs auf der bantinischen Inschrift, deren Wort-
tteUung sehr schlicht sei, doch das Subjekt und das Prädikatsnomen eines
Accus, c. Inf. durch das regierende Verbum vom Infinitiv getrennt sei: Z. 10
pod valaemon tovticom tadait ezum; aber das ist doch kein analoges
BeiipieL — Eigentümlich ist die Diskrepanz in der Stellung des Zahlworts
im Alt- und Neuumbrischen: auf der alten Tafel I ist die Reihenfolge tref
^f (fifß wüuf) ebenso konsequent wie auf den jungem VI VII die umge-
kehrte Reihenfolge, cf. Aufrecht-Eirchhoff II 126 f.
182 n. Die römische Eunstprosa bis Augustus.
wir^ dafs das Hauptbestreben auf möglichste Eleganz der
Sprache und des Stils ging. In der Poesie holte man sich seine
Vorbilder statt aus Unteritalien und dem griechischen Mutter-
land jetzt aus Alexandria: die Folge war^ dafs die Poesie inhalt-
lich gelehrt, in ihrer Form aufs äufserste gefeilt wurde; bei
den Hexametern des Ennius, die einst für vollendet gegolten
hatten, überlief diese Dichter schon ein Schauer ähnlich dem-
jenigen, den einst Ennius bei den satumischen Versen empfand.
Natürlich wurde so, was in den römischen Poeten überhaupt
von Anlage steckte, durch die Technik unterdrückt; das Dichten
wurde eine Arbeit: qui solus legit et facti poetas sagten sie von
ihrem Oberhaupt Valerius Cato, als wenn noutv noirixdg nicht
absurd wäre; an Lukrez ist eben das Grofse und fast Einzige, dals
er sein gewaltiges ingenium durch die ars zwar regelte (wie es
alle echten Dichter thun), aber nicht yerkümmem liefs.^) In
1) Über die Interpretation der famosen Worte Ciceros ad Q. fr. 11 9, 3
Lxicreti poemata ut scrihis ita simt: mtiltis luminibus ingenii, tnüUae tarnen
artis scheint nocli immer keine allgemeine Verständigung erzielt zu sein:
L. Schwabe in Teuffels Gesch. d. röm. Litt. ^ (Leipz. 1890) § 203, 2 nnd R.
Reitzenstein, Drei Yermut. z. Gesch. d. röm. Litt. (Marburg 1894) 52 ff. irren
durchaus (dafs multa ars „viele technischen Partieen" bedeuten könne, be-
streite ich letzterem pflRzipiell). Aus Horaz weifs man doch, dafs es eine
alte Streitfrage war, wie sich beim Dichter fpvatg und tixvri verhalten
müfsten: ingenium misera quia fortunatius arte Credit (Bemocntus) u. s. w.,
und: natura fieret laudahüe Carmen an arte Quaesitum est, das sind die
Gedanken, die sich durch einen grofsen Teil des Briefes hindurchziehen,
und natürlich entscheidet sich Horaz wie sein Gewährsmann und überhaupt
alle Kritiker des Altertums: ego nee Studium sine divite vena Nee rüde quid
prosit Video ingenium (409 f). Also sagt Cicero: bei Lukrez ist es das
Grofse, dafs die Lichter seines Genies so zahlreich sind und er dabei doch
sich in den Grenzen strenger Eunstübung hält, tpvois ^nid &ox7iatg verbindet
(dafs Cicero die ingetiia der Dichter liebte und zu schätzen wofste, steht
übrigens nicht blofs bei Plin. ep. IQ 15, 1, sondern er sagt es selbst or. pro
Sest. 123, cf. Vahlen in: Monatsber. d. Berl. Ak. 1877, 480. Die novi poetae,
bei denen nur ars vorhanden war, waren ihm unsympathisch, cf. 0. Har-
necker im Philol. XLI [1882] 465 ff.). Dafs dies wahr ist, weifs jeder z. B.
aus dem dämonischen und dabei so kunstvoll gegliederten Prooemium. Mit
Hinblick auf wen Cicero das gesagt haben kann, zeigt Ovid trist. H 424:
Ennius ingenio maximus, arte rudis. Für die Form des Ausdrucks bei
Cicero mag man vergleichen (obwohl es mir gar keines Vergleichs zu be-
dürfen scheint) das Urteil des Seneca (contr. praef. I 17) über Porcios Latro:
memoria d natura qnidem felix, plurimum tarnen arte adiuta.
Die Eunstsprache der Poesie und Prosa. 183
fonneller Hinsicht worden an die Prosa die gleichen An-
forderungen gestellt. Man säuberte sie von den vestigia ruris^
das Stadtrömische wurde als die Norm hingestellt: latinitas, de-
finierte Varro (fr. 41 Wilm.), est incarrupte loquendi observatio
secundum Ronianam linguam^): daher kam in dieser Zeit das
Wort urbani4S^B,\x{ (Quint. VlII 3, 34 f.), das sich schon im
Altertum leichter empfinden als definieren liefs: man mafs es an
seinem Gegenteil, dem rusticum, cf. Quint. VI 3, 17: urbanitas,
qua sigmficari video praeferentem in verbis et sono et asu proprium
quendam gustum urbis et sumptam ex canversatione doctorum
tacitam eruditionem, denique cui contraria 8it rusticitas. Der Begriff
selbst reicht schon in die vorige Epoche hinauf: in der Zeit, als
die Italiker die römische Giyität erhielten, hatte der Nichtrömer
Accius es wagen dürfen und zeitweise durchsetzen können, das
römische Alphabet durch einige von den Italikem entlehnte Be-
sonderheiten zu reformieren, aber die Reaktion des national-
römischen Bewulstseins hatte sofort eingesetzt in der ablehnenden
Haltung des Scipionenkreises. In unserer Epoche erreichte die
Empfindlichkeit ihren Höhepunkt; der Stadtrömer blickte mit
ebenso souveräner Verachtung auf die Provinzialen, wie heut-
zutage der Pariser, oder, wie Cicero (de or. III 42 f.) sagt: der
ungebildetste Römer ist in dem Spezifikum der Urbanität dem
gelehrtesten Provinzialen ebenso überlegen wie der ungebildetste
Athener dem gelehrtesten Mann aus einer Stadt Eleinasiens.
Wir beobachten diese Reaktion am Sprachschatz: wie in der
vorigen Epoche Terenz, der Günstling der litterarisch fein-
f&hligen Aristokraten, die derben Ausdrücke des Plautus ver-
mieden hatte, so gingen in dieser Epoche all die herrlichen
Kraftwörter unter, die uns nicht nur in den Atellanen, sondern
auch bei Gato begegnen: weder aus dem Munde noch aus dem
stilus eines Gaesar und Gicero kamen Worte wie lurchinäbunduSy
tuburchinabundus , die Gato gebraucht hatte. -— Bezog sich der
engere Gegensatz zum urbanum^ das rusticum, nur auf die
italische Bauemsprache (speziell die des rus Latium), so der
weitere, das peregrinum, auf die auswärtigen Dialekte: Gic.
L c. 44: guare cum sit guaedam certa vox Bomani generis urbisque
propria, in qua nihil offendi, nUiil displicere, nihil animadverti
1) Cf. K. Sittl in: Arch. f. lat. Lexicographie VI (1889) 659.
184 U. Die rOnuBche Eimstprosa bis AngastoB.
possit, nihü sonore out olere peregrinumj hanc sejuamur, negue
solum rusHcam asperitatem sed etiam peregrinam insolentiam fugere
discamus; zu solchen verba peregrina gehorten anliser denen der
Barbarensprachen (besonders des Gallischen und Spanischen)
auch die des Griechischen (cf. Quint. I 1^ 12; 4, 14; XI 3, 30):
letztere wurden zwar (wie bei uns die franzdfsischen) in der
Konversationssprache seit Plautus' und Lucilius' Zeiten weiter-
gebraucht, wie Yarros Satiren und Giceros Briefe an Atticus
zeigen, aber von der yomehmen Sprache wurden sie verbannt:
Lucrez gebraucht nie atatnus und klagt zweimal über die egestas
patrii sermonis, die ihn bei Bearbeitung dieses Stoffs hindere
oder ihn zwinge^ ein griechisches Wort beizubehalten (I 136 ff.;
830 f.). Man weiis^ wie Cicero sich quälte , die griechischen
Worte wiederzugeben^); seine Theorie spricht er aus de off. 1 111:
ne ut qnidam graeca verba incülcantes iure optimo rideamur^ und
Tusc. I 16: scis me graece loqui in latino sermone non plus soUre
quam in graeco latine. Die Scheu der strengen Puristen der früh-
augusteischen Zeit, besonders des Messala (den Seneca contr.
n 4, 8 latini Sermonis observatorem diligentissimum nennt),
kennen wir aus Horaz sat. I 10, 20 ff. Die Folge dieser Scheu
vor griechischen Worten, wo man die Begriffe doch nicht ent-
behren konnte, war ein Zuwachs an neuen Worten^), die, anfangs
meist zögernd mit ut iia dicam, si verbo uti licet xl dgl. ein-
geführt, sich allmählich einbürgerten (wie affectus), aber natür-
lich nicht annähernd die Verarmung der Schriftsprache durch
Tilgung der verba rustica ausglichen.
üMioffie Diese Verarmung der Schriftsprache wurde noch yergrolsert
tuoumai: ^^^^^ ^^ Auathem, welches von den stimmfdhrenden Männern
"'n^m' *^^ ^^® Neuprägung von Worten*) überhaupt gesetzt wurde: ich
dangen, meine die SprachmaGsregelungen dieser Zeit durch die ^Ana-
Theori*. logie'. Ich Ycrwcile dabei kurz, weil ich glaube nachweisen zu
1) Cf. Ubertus Folieta, De ling. lai usu et praestantia (1674) ed. Mos-
heim (Hamburg 1728) 187 f.
ä) Zwei Hauptstellen, an denen sich Cicero darfiber äuÜBert, bei Hieron.
comm. in Pauli ep. ad Qalat. i^c. 1 v. 12), vol. VII 1 p. 387 ValL und bei
Sidonius carm. 14 praef. 4 (« fr. 16 p. 145 Baster). Cf. auch die Auft&h-
lung der Ton ihm übersetzten Kunstausdrficke bei Flut. Cic. 40.
3) Seneca spielt Cicero gegenüber einen Trumpf aus, indem er ihm
solche Torh< i^bei Qellius XII S, 7). Cf. Cic. de or. m 154. er. 68. de part.
or. 72.
Die Ennsisprache der Prosa. 185
können, dafs sie in engster Beziehung zu den atticistischen Be-
strebungen dieser Epoche stehen, über die ich nachher zu reden
habe.^) Wir haben gesehen^ dafs schon die alten Sophisten sich
in dem Haschen nach ungewöhnlichen, neugebildeten Worten
nicht genug thun konnten, dals einer von ihnen, Antiphon, eine
förmliche tixvrj für die Neuprägung der Worte erfand, dafs diese
Manier von Aristophanes schon in seinem ältesten Stück verspottet
wurde (S. 72, 2. 97, 1); wir sahen femer, dafs zwar Aristoteles
diese Neuerungssucht der Sophisten brandmarkte, dafs sie aber
bei den Asianem und in der hellenistischen Prosa überhaupt
alle Schranken durchbrach (S. 149). Wenn wir objektiv ur-
teilen, so müssen wir eingestehen, dafs die moderne Richtung
wie auf stilistischem so auch auf rein sprachlichem Gebiet die
innerlich berechtigte war: die griechische Sprache mit ihrer un-
endlichen Bildungsföhigkeit ermöglichte und forderte die fort-
währende Neuprägung von Worten; was kümmerte sich das
frisch pulsierende Leben um die Schranken, innerhalb derer sich
ein Lysias oder Demosthenes gehalten hatten? Hatte doch
selbst dieser sich nicht gescheut, einige Schmähworte neu zu
bilden (ilafißsioq>dyog , yQaii(iatox'6q>(ov) , die sogar von den
späteren strengen Kritikern ausnahmsweise, eben weil sie von
Demosthenes gepr^ waren, in Gnaden angenommen wurden
(Hermog. de id. p. 303, 4 flf., cf. Demetr. de eloc 275). Aber
dann kam die Gegenströmung: die Rückkehr zu den attischen
Mustern, die Parole der (liiiriötg t&v &QxaÜDv hatte zur Folge,
dals alle von der öwi^d-Bi^a geprägten Worte verpönt, die
Sprache des Lebens zu Gunsten einer archaisierenden Kunst-
sprache eingeschränkt wurde. ^) Dafs nun die analogetischen
Sprachreformen der auf die Sammlung und Erklärung eben dieser
alten Litteratur ausgehenden alexandrinischen Gelehrten ein
1) Der Zusammenhang ist übrigens schon angedeutet von Mommsen,
Rom. Gesch. m ^ 67S.
2) Den Reichtum der noch immer so bildungsfähigen Sprache kennt
man ans Polybios, der Septuaginta, dem Aristaiosbrief, den Inschriften
jener Zeit. Interessant ist in dieser Hinsicht eine etwa dem I. Jh. v. Chr.
angehörende Inschrift von Branchidae (Anc. greek inscr. in the Brit. Mus.
IV 1 n. 925): mehrere der hier wie bei Polybios vorkommenden Worte werden,
wie der Herausgeber G. Hirschfeld bemerkt, in den atticistischen Lexika
gertgt.
186 n. Die römische Ennstprosa bis AngustuB.
Symptom dieser ganzen reaktionären Zeitstimmxmg waren ^ ist
eine von selbst sich darbietende Vermutung; fest steht jedenfalls^
dafs die Lehre von der Analogie in Rom praktische Anwendung
fand fdr die Regelung des Wortgebrauchs in der Kunstsprache.
Das beweisen folgende Thatsachen. Der Kreis des Sdpio und
sein litterarischer Hauptvertreter Lucilius waren Anhänger der
analogetischen Richtung: Scipio sprach pertisumj weil man eon-
cisum, iniquum sage (Fest. 273; Gic. or. 159) und Lucilius hat
seine Flexionsregeln auf analogetischer Grundlage aufgebaut (wie
aus Quint. I 6, 8 f. hervorgeht und sich durch Vergleich des
IX. Buchs seiner Satiren mit dem Abrifs der Analogie bei Cic
or. 158 ff. näher zeigen lassen mufs)^): derselbe Mann ist es nun
auch gewesen, der gegen die ungeheuerlichen, die Sprache ver-
gewaltigenden Neubildungen in den Wortkompositionen der zeit-
1) Mir scheint aber bemerkenswert, dafs Lncilins keineswegs einen
rigorosen Standpunkt vertrat, sondern dieselbe Vermittlung zwischen ratio
und consuetudo anstrebte wie Aristarch (Varro de 1. 1. IX 1) und sp&ter
Varro: während Scipio pertisum befahl, mokierte sich Lucilius leise über
Leute, die so sprachen (842 L.), und er hatte offenbar dabei die consuetndo
im Auge, welche in den (noch deutlich als solche gefühlten, cf. z. B. Ter.
Hoc. 58) Kompositionen mit per- die Yokalabstufong in der folgenden
Silbe nicht eintreten liefs {persalms, persapiens, perfacHis neben insulsus, m-
sipiens difficilis, cf. W. Lindsaj, The latin language [Oxford 1894] 196; 198;
587); er wird also ebensowenig das yon Scipio der consuetudo zum Trotz
befohlene reder guisse (Fest. 273) gebilligt haben, wie er ja auch betre£&
der Assimilation zwischen ctdbihere und abhxbere, adcurrere und accurrere
freie Wahl liefs (380 cd L.). Wir brauchen dringend eine neue Behandlung
des IX. Buches des Lucilius auf Grund solcher Betrachtungen. Überhaupt
mufs eine Geschichte der Analogie und Anomalie, wofQr wir so massen-
haftes Material haben, noch erst geschrieben werden. H. Steinthal, Gksch.
d. Sprachwiss. bei den Griech. u. Rom. * (Berlin 1891) 127 ff. halte ich fSr
yerfehlt, da er die Hauptstelle des Charisius I 117 mit ihren Angaben über
die %av6vsg des Aristophanes und Aristarch für verdächtig erklärt, was
sich schon durch die Grammatik des Dionysios Thrax und die speziellen
Angaben Varros de 1.1.1X43; 91 widerlegt. Wie weit liefs femer Aristarch
die avvijd'iuc gelten? Zu allgemein darüber A. Ludwich, Aristarch. Text-
krit. II (Leipz. 1884) 108 ff. Die Sprache des Terenz mufs unter diesem
Gesichtspunkt untersucht werden : ihre grofse Uniformität im Vergleich mit
der plautinischen in lautlicher, formeller und syntaktischer Beziehung be-
ruht sicher auf der Theorie des Litteraturkreises, in dem er lebte: Caesar
wufste wohl, weshalb er ihn als puri sermonis auctorem pries (Sueton, Tit.
Terent. p. 34 Reiff.). — Es ist übrigens zwar höchst merkwürdig, dafs auf
der lex lulia municipalis quamtus tamtus (beide oft) senUmtiam (4mal)
Die Eimstsprache der Prosa. Ig7
genossischen Tragiker Front gemacht hat (cf. Hör. sat. I 10, 53
und das. Porphyrie; 1. XXVI fr. 462 S. Baehr, besonders
fr. 548 L. 468 B.; 620 L. 472 B.; 561 L. 475 B.j 616 L.
480 B.; 565 L. 481 B.).*) Wie empfindlich man wurde, zeigt
die bekannte Notiz Varros (de 1. 1. VI 59), novissimtis in der
Bedeutung extremas hätten Aelius Stilo und senes aliquot als ein
mmium novum verbum getadelt^): man verlangte eben überall
damdum (1) damdam (1) faciumdei (1) tuemdus (6) gegenüber nur drei-
maligem n (locandutn, referundum, tuendam) geschrieben wird, dafs das
aber mit einer Theorie Caesars zusammenhänge (Lindsaj 1. c. 66), widerlegt
sich aus Bnms, Fontes* 87, 13; 110, 6.
1) Die sorgßlltigen Erörterungen von Fr. Stolz, Die lat. Nominal-
komposition in formiJer Hinsicht (Innsbruck 1877) und Fr. Skutsch, De
nominum latinorum compositione quaestiones selectae (Diss. Bonn 1888)
scheinen mir nach solchen und nach historischen Gesichtspunkten der Er-
weiterung bedürftig zu sein. Die älteste Sprache war offenbar Verhältnis-
m&fsig biegsam: in ihr wurden Wörter wie suovetaurüia, strufertarius, albo-
gakrus, hosticapas gebildet. Dann verlor sie diese Biegsamkeit für lange
Zeit Dann kamen die Dichter, welche griechische Werke nachbildeten und
dabei sehr frei mit der Sprache schalteten: Plautus und vor aUem die
Tragiker. Oegen letztere polemisierte Lucilius vom analogetischen Stand-
punkt aus; vieUeicht hat Accius darauf geantwortet (Rh. Mus. XLIX [1894]
688). Terenz ist bezeichnenderweise auch hier ganz zurückhaltend. Noch
▼eiter gingen die Neoteriker, besonders Laberius und Laevius, bei letzterem
wurde wie der Inhalt so die Sprache zum reinen naiyviov. Zu derselben
Zeit schnürten dann wiederum vom Standpunkt der Analogie aus Caesar
und Cicero die Sprache ein: über die Theorie der neugebildeten Wort-
kompositionen äuTsert sich Cicero z. B. de or. m 154; 167 und in der
PraxiB umschreibt er lieber, als dafs er an der Klippe einer Neuprägung
scheiterte (cf. G. Landgraf zur Bosciana [Erlang. 1884] p. 163). Aber die
Sprache ging ihre eignen Wege: die Schriftsteller über die griechischen
f^ya», wie Architektur, Medizin, Botanik, konnten solche Neubildungen
gar nicht vermeiden; vor allem kam dann das Christentum, welches auch
in der Sprache mit offen zugestandener (Augpistin serm. 299, 6. Hieronjm.
in ep. ad Galat. 1. I c. 1) Freiheit schaltete. Daher das massenhafte Auf-
treten unerhörter Neubildungen in der Eaiserzeit; sie wurden befördert
durch das Schwinden des SprachbewuTstseins.
2) Cf. Charisius 207 ^novimme^ Tiro in Pandede nan rede aü dici
adieeitque quod sua coeperit aettUe id adverbium. uhi Flavius Caper de La-
UmUMie *mirar, inguit, id diocisse Tironem, cum Valerius Äntias libro II
^'maUr cum naviasime (ugrotasset, inguit, novisse fertur*^ (folgt ein zweites
Citat auf Antias). Der Tadel des Caper ist ungerecht, da der im J. 4 v. Chr.
alt Hundertjähriger gestorbene Tiro sich gut gerade auf Antias beziehen
konnte. — Über den Gebrauch des Worts in dieser Epoche cf. H. Hellmuth,
Üb. d. Spr. d. Epistolographen C. Sulpicius Galba und L. Cornelius Baibus
188 U. Die rCmisclie Eunstprosa bis AagastoB.
die auctaritas et vetusUis und fragte wie die Atticisten der
späteren Zeit stets xov xettat] Besonders klar ist der Zu-
sammenhang dieser Bestrebungen mit denen der Atticisten in
der ciceronianischen Zeit: Cic. or. 25: Curia et Phtygia et Mysia,
quod minume politae minumeque elegantes sunt^ asciverunt aptum
suis auribus opimwn quoddam et tamquam adipatae dietianis genus^
quod eorum vieinij non ita lato interiecto mari, Bhodii numquam
pröbaverunty Äihenienses vero fundittis repudiaveruwt: quorum semper
fuit prudens sincerumque iudicium, nihü ut possent nisi ineorruptum
atidire et elegans. eorum religioni cum serviret oratoTj nullum
verlum insolens, nullum odiosum ponere audebat Daher
sagt er (Brut. 274) von Galidius, dem notorischen Atticisten, bei
ihm finde sich kein verbum durum aut insolens out humile out
longius ductum. Die Spitze dieser Entwicklungsreihe wird ge-
bildet durch das berühmte Wort Caesars, des Anhängers der
Atticisten^ in seiner Schrift de analogia: habe semper in memoria
et in pectore, ut tamquam scopulum sie fugias inauditum atque
insolens verbum; von hier aus können wir eine gerade Linie
nach Alexandria ziehen: denn Caesars Lehrer in der Orammatik
war M. Antonius Gnipho, der aus Alexandria nach Bom ge-
kommen war (Suet. de gr. 7)^ und von ihm gab es ein auf
den strengsten Regeln der Analogie begründetes Werk de ser-
mone latino, aus dem Quint. I 6^ 23 eine bezeichnende Notiz er-
halten hat. Im Gegensatz zu dieser Richtung (cf. Cic Brut. 260 £)
war Cornelius Sisenna, der Nachahmer des Elitarch und Über-
setzer der Milesiaca^ berüchtigt wegen seines kühnen Schaltens
mit der Sprache: Sisenna, sagt Cic. Brut. 259 £^ quasi emendator
sermonis t^tati cum esse vellet, ne a C. Busio quidem deterreri
potuit, quo minus inusitatis verbis uteretur e. q. s., was wir in
seinen eben deswegen citierten Fragmenten noch deutlich be-
obachten können. Ein anderer Neuerer dieser Art war D. La-
berius: über seine Sprachmeisterei handelt ein bekanntes Kapitel'
des Gellius XVI 7 (cf. XIX 13, 3). — Wir werden später sehen,
wie in der Kaiserzeit sich genau dieselben Verhältnisse wieder-
(Progr. Würzb. 1888) 21 f. E. Gebhard, De D. lunii Bruti genere die. (Dias.
Jena 1891) 47 ff. L. Bergmüller, Üb. cL Lat. d. Briefe d. Plancos (Erlang. 1897)
40 f.: danach hat es Cicero nur or. pr. Rose. com. 30, je einmal SaUmt,
Nepos, Hiriius (Caesar nur in dem technischen novissitnum agmer^^ oft die
Epistolographen bei Cicero.
Die Eunsisprache der Prosa. 189
holt haben: Lukian schleuderte vom atticistischen Standpunkt
den Bannstrahl gegen die Wortneuerungen der Asianer seiner
Zeit. Hier will ich nur noch ein nicht weit jenseits unserer
Epoche liegendes Zeugnis anführen^ aus dem ebenfalls klar hervor-
geht, dab die Frage , ob und wie weit in der Sprache Neu-
bildungen erlaubt seien , in engstem Zusammenhang mit der
analogistisch-anomalistischen Kontroverse behandelt wurde. Horaz
hat in einem langen Abschnitt seiner ars poetica (46 — 72) diese
Frage erörtert; er kommt zu dem Resultat, dafs die Sprache als
ein lebendiges Wesen (als solches fausten sie schon die Hera-
kliteer auf) fortwährenden Wandlungen unterworfen sei und
dals man daher die Neuprägung von Worten nicht durch starre
Segeln einschränken dürfe:
martalia facta peributUf
nedum sermonum stet honos et gratia vivax.
muUa renascentur guae tarn cecidere cadentque
qwxe nunc sunt in Tumore vocabüla, si volet usus^
quem penes arlitrium est et ius et norma loquendi.
Das sind die bekannten Schlagwörter der Anomalisten: nicht
die auetoritas, nicht die vetustasy sondern der usus (öwiid^suc) ist
die narma (xavdni). Liest man die ganze Episode bei Horaz, so
f&hlt man, dafs sie durchaus auf griechischer Basis ruht; Neo-
ptolemos aus Parion in der Troas stand naturgemäüs in dieser
Frage auf Seiten der pergamenischen Schule.
Wir betrachten nun kurz die praktischen Konsequenzen ii. nie
dieser Theorieen. Wenn wir alles zusammennehmen, so werden ^'•*^*
wir sagen müssen: in der Zeit, in der die lateinische
Schriftsprache ihre höchste stilistische Formenvoll-
endung erreicht hat, ist sie in ihrem Wortschatz am
ärmsten gewesen. Aus dem überfliefsenden Reichtum der
alten Sprache, deren Kenntnis stetig sank^), wurde eine be-
1) uns w&re es heutzutage ein Leichtes, irgend ein Gesetz der caesa-
rianiflchen oder augusteischen Zeit in die Sprache etwa des zweiten puni-
schen Krieges umzuschreiben: die Römer jener Zeit sowie der nachfolgen-
den Jahrhunderte konnten es nicht, ohne Fehler zu machen. Ich habe für
dieses Sinken des altertümlichen Sprachbewufstseins im Rh. Mus. XLUL
(1894) 202 f. aus Cicero, Sallust und Livius einige Belege gegeben; hier ein
paar Kachtrftge. Der alte Ortsadyerbien- Ablativ in advorsua ea (SC do
Bacao. 24, cf. adversus hoc im Plebiscit bei Fest 246) wurde später nicht mehr
190 n. Die römische Eunstprosa bis Augustus.
schränkte Anzahl von Worten ausgelesen , deren Beden tongs-
sphäre sich dafQr erweiterte^ z. B. kennt die Epistola coss. de
Bacanalibus für geheime Verbindungen folgende Worte: can-
iurare convovere canspondere compromitterey wovon nur das erste
übrig blieb ^). Wir können das allmähliche Schwinden der früheren
Wortfiille noch deutlich beobachten durch Vergleich der Schriften
des jungen Cicero mit denen des alten; dafür hat vieles nützlich
gesammelt Ph. Thielmann^ De sermonis proprietatibus quae le-
guntur apud Gomificium et in primis Giceronis libris (Diss.
Stra&burg 1879), woraus ich einiges anführe. Viele Komposita
schwinden, z. B. hat Cicero absumo nur in der Rede pro Quinctio
und in einer aus Sophokles übersetzten Stelle, es fehlt bei
Caesar und Nepos; antistarej in alter Zeit sehr beliebt^ schwindet
zu Gunsten von praestare] transfugere hat Cicero nur in der ge-
nannten Bede, dann tritt dafür perfugere an die Stelle. In der
Schrift de inventione kennt er noch extranus extraneus, später
beschränkt er sich auf extemus. Die vielen Adjektiva auf 'bilis
sterben aus: im Anfang hat Cicero noch comparabüis conduci-
hilis ignorabilis. Man kann sagen: das, was Cicero im Gegen-
satz zu andern entweder ganz meidet oder nur in seinen früheren
Schriften und den Briefen hat, ist vulgär oder von den Autoritäten,
yerstanden, sondern als Neutrum plnr. gefafst, z. B. Wilmanns 464 si quis
adversus ea qfnae) $(upra) sfcripta) sunt fuerint etc., ebenso ib. 316, 28 und
auf der lex met. Vipasc. CIL n 6181 Z. 29 8% adversus fhoc quid fecerit,
Cf. WeiTsbrodt, Observ. in SC de Baccli. p. I (Braunsberg 1879) 16. —
Wenn Livius IE 12 schreibt iüberem macte vir tute esse, si pro mea patria
isla virtus staret, so weifs er nicht mehr, dafs macte ein an den Imperativ
gebundener Vokativ ist. Cf. Conington, Appendix zu Verg. Aen. IX (voL
n 221 ff.). — Die alte Bedeutung von privatus (der einzelne Angeklagte
gegenüber der richtenden Volks versamml nng) ist fOr Livius u. a. schon in
Vergessenheit geraten, wie L. Lange, Die osk. Inschr. d. tab. Bantina (Oöt-
tingen 1863) 60; 62 schön darlegt. — Vergil längt in der Caesur nach
Ennius* Vorbild manche Silben, geht aber darin zu weit, indem er im
Gegensatz zu Ennius oft ursprüngliche Kürzen, wie supSr, ebür, als L&ngen
behandelt, cf. NetÜeship in Coningtons Vergilausgabe III 466 ff. — Die
pseudosallustischen Werke zeigen zu starke Archaismen, ebenso wie die
Inschrift der Columna rostrata (deren Vf. nebenbei grobe Fehler begeht)
und einige Prologe sowie die meisten akrostichischen Argumente der plan-
tinischen Stücke.
1) In dieser Epoche scheint hinzuzukommen consentire (z. B. Cic. Phil.
n 17), was aber doch wohl alt ist wegen der dei consentes.
Die Eonstspraclie der Prosa. 191
entweder allen oder einzelnen, aus irgend einem Grunde ver-
urteilty 80 dedita opera, nequiqtiam, repentinOy satius est, nihüo
seäus.^) — Auch mit der wuchernden Fülle der Flexions-
formen ist es zu Ende: sie werden geregelt und eme wird
kanonisiert; z. 6. bleibt nach Lucrez von necesstis necessum ne-
eessis necesse nur letzteres übrig; willkürliche Analogiebildungen
wie nueerum regerum, wie magistreis fadeis (für magistri fadiy)
werden ausgemerzt; das Schwanken zwischen aktiver und de-
ponentialer Form wird meist zu Gunsten der letzteren auf-
gehoben , ein Prozeüsy den man schon von Plautus bis Terenz
beobachten kann (nur in jener frühesten Bede hat Cicero noch
comfiexus passivisch und Itidificare). — Ebenso wird die Syntax
normiert, z. B. wird die Freiheit in der Konstruktion der
Verben uti etc. zu Gunsten des Ablativs aufgehoben und die
Schulregel, dals bei ponere etc. in c. Abi. konstruiert wird,
ist erst ein Produkt der ciceronianischen Zeit (was darüber in
imseren Grammatiken und der sog. historischen Syntax gelehrt
wird, ist völlig ungenügend); mit Boheiten wie hi contemnentes
eum assutyere ei nemo voluit (Galpurnius Piso fr. 27 Pei), copias
in oecupatas futurum, sole occaso, muUis interitis (alles aus Quadri-
garius) ist es nun ein für alle Mal vorbei; vorbei aber ist es
1) Wenn er in seinen späten Schriften ein ungewöhnliches Wort hat,
80 hat das immer einen Grund, z. B. gebraucht er Phil. II 101 ein sicher aus
alter Poesie stammendes Wort grandifer (notiert von Hart. Cap. Y 611): der
Ton der Stelle ist feierlich: hae arcUiones in popidi Ramani pcOrimanio
gnmdifer<Me et fructuosae ferebantur.
2) Ich halte sie für Bildungen nach der pronominalen Deklination:
wie von i-s eei-s, von qui-s que-s, so zunächst von hie hi-s-ce, dann von
oathu oeuH-s, vir virei-s etc., daher nebeneinander bei Plaut. Mil. 874 hisce
oeuUi, CIL I 566; 666 heisce magistreis (während die gerade in den Flezions-
fonnen sehr sorgfältige epistula coss. de Bacanal. scheidet: eeis und ques,
aber vire%). Doch das mag unsicher sein: dafs wir diese Formen aber
(anfiser dem einen plautinischen Beispiel 1. c.) auf Inschriften nur aus dem
ktsten Viertel des 2. Jahrh. v. QShx. nachweisen können, erkläre ich mir so :
wir wissen, dafs damals der auf -X auslautende Genitiv sing, der 0-Stämme
iifolge unreiner Aussprache des i auf -ei auslautete und dadurch mit dem
Nom. plur. auf -ei zusammenfiel. Dafs man damals das Bedürfnis zur
Scheidung empfand, zeigt die — wie stets — mit der historischen Ent-
wicklung übereinstimmende Lehre des Lucilius: huitis pueri, plures puerei;
joie Formen auf -s sind meiner Meinung nach nur als ein anderer Differen-
nenmgsversuch ebenderselben Zeit aufzufassen.
192 n. Die römisclie Eunstprosa bis Aogastas.
auch mit jener den modernen Sprachforscher so erhebenden
Jugendfrische der nicht an Regeki gebundenen Sprache , wof&r
ich ein paar Beispiele geben will. Die alte^ noch nicht an feste
Kegeln gebundene Sprache liebt die sog. canstrudianes ad senaumj
d. h. der Gedanke erhält das Übergewicht über die Form, das
psychologische Prinzip über das logische; z. B. steht im SC de
Bacchanalibus zweimal (Z. 9 und 18): keiner sollte das und das
thun dürfen, wenn er nicht den praetor urbanus angegangen
hätte ; isque de senatuos sententiad, dum ne minus senatoribus C
adesent quam ea res cosoleretur, iousisent; hier an beiden Stellen
iousiset zu schreiben, wie meist geschieht, ist doch recht bedenk-
lich; dafs wir thatsächlich in der alten Sprache die freie. Beweg-
lichkeit des Numerus anzuerkennen haben, zeigen z. B. folgende
Stellen: das oskische Gesetz von Bantia Z. 9 f.: tavto deivcUuni
tanginom deicanSy siom dat eissasc idic tangineis deicum, pod va-
laemam tavticom tadait emm d. h. populus iurati sententiam
dkanty se de eis id sententiae dicere^ quod Optimum pubücum cenr
seat esse, wozu Buecheler (in Fontes iur. Rom. ani ed. Bruns^
p. 50) Verwandtes aus lateinischen Gesetzen anführt; ferner:
Cato or. bei Gell. XIV 2 (p. 62 Jord.) siquis quid alter ab aiterc
peterent (aus einem Gesetz) und ib.: si ^^sionem fecissent OtUim
cum lurio; Quadrigarius fr. 85 Pet.: sagiüarius cum funditan
utrimque summo studio spargunt fortissime; das haben dann
archaisierende Schriftsteller nachgeahmt: Sallust Cat. 43) 1: Lm-
tvius cum ceteris constituerant, lug. 38, 6: cohors una Ligurum
cum dudbus turmis transiere, lug. 101, 5: Bacchus cum peditibm
Ramanorum aciem invadunt^), Vergil Aen. X 238: iam loca iussc
ienent forti permixtus Etrusco \ Areas eques (wo tenent der Medi-
ceus und vermutlich die Veronenser Fragmente, tenet der Pala-
tinus und Romanus bieten); die familiäre und volkstümliche
Sprache hat sich derartiges nie nehmen lassen: Beispiele dafüi
hat W. Weifsbrodt, Spec. gramm. (Coblenz 1869) 6 f. aus Ciceroa
Briefen und Inschriften der Eaiserzeit zusammengestellt. Nach
grammatischer Terminologie werden wir diese Erscheinung zu
bezeichnen haben als ^Attraktion des Numerus': es ist bekannt,
1) Von einer Nachahmung des Thukydides kann natürlich trotz Thuk.
m 109 Jrjfioa^irrig fistä t&v avQoctriy&v cnivSovxai nicht die B^e Bein,
wie J. Bobolski, Sali, quo iure Thucjd. secatus esse existimetur (Difis. Halle
1881) 6 will.
Die Kunstsprache der Prosa. 193
. daÜB gerade die sog. Attraktion ein Charakteristikum psycho-
logischer Diktion ist^)^ daher spielt sie auch in einer so sinn-
lichen Sprache wie der griechischen eine so bedeutende Bolle,
und während die starre Gesetzmäfsigkeit der geregelten
lateinischen Sprache sie beschränkt hat, lassen sich ihre Spuren
sowohl in der Zeit vor der Regelung als dann wieder in der
Zeit der Verwilderung allenthalben verfolgen: wie ungefüge, aber
doch auch wie lebensvoll ist z. B. in demselben SC Z. 20 der
Satz: Sacra ne guisquam fedse veletj neve inter ibei virei plous
duobuSy mulieribus plous tribus arfuise velent, oder eine Modus-
attraktion wie niemorari potestur, die in der alten Sprache so
häufig ist und dann spät wieder auftaucht: z. 6. schreibt im
Anfang des VI. Jh. n. Chr. Anthimus de observ. cib. p. 9, 3 Rose:
rationem diversorum ciborum quemadmodum uti debeantur, denn
so geben die Handschriften und man darf das nicht ändern: uti
hat der Mann passivisch gefühlt.^) — Dagegen dringen nun
griechische Konstruktionen in grofserer Anzahl ein. In einer
historischen Syntax der lateinischen Sprache würde zunächst
aufgeräumt werden müssen mit dem aus der Zeit der lateinischen
Nationalgrammatik sich herschreibendeu Unfug, in der alten
Sprache auf Gräcismen Jagd zu machen, z. B. wird bei Plautus
nur sehr wenig der Prüfung standhalten.^) Dann wird nach-
zuweisen sein, wie mit dem wachsenden Hellenismus, also seit
der Ära der Scipionen und ihren Hauptvertretem Terenz und
Lucilius, griechische Konstruktionen in die Sprache mehr und
mehr eindringen: den Höhepunkt dieser ersten Epoche bildet
unter den Prosaikern Sallust (von dessen Excessen lange nicht
alles bestehen blieb, da Caesar und Cicero viel zurückhaltender
waren), unter den Dichtem die Augusteer, speziell Horaz, während
der Kreis des Messala mehr auf den purus sermo achtete. Die
zweite Epoche wird dann durch das Zeitalter Hadrians und der
1) Cf. H. Steinthal, Assimilatioii und Attraction, psychologisch be-
leuchtet, in: Zeitschr. f. Völkerpsychologie I (1860) 93 ff.
2) Auf ein fast durchgängig verkanntes Beispiel der Attraktion in
einem Fragment des C. Fannius (cos. 122) ist oben (S. 172, 1) hingewiesen.
3) Cf. die treffenden Bemerkungen Haupts bei Chr. Beiger, M. Haupt
als akad. Lehrer (Berl. 1879) 282 ff. und J. Schauer, Die sog. syntaktischen
Gräcismen bei den aug. Dichtem, Diss. München, Amberg 1884; speziell för
Plaotos F. Leo, Plaut. Forsch. (Berlin 1895) 92 ff.
Korden, antike Kanitprot«. 13
194 n. Die rOmische Eunstprosa bis Aogustus.
Antonine mit seiner völligen Fusion von Hellenischem und
Römischem gebildet werden (Appuleius); die dritte durch die
Einbürgerung des Christentums (TertulliaU; Itala).
Mit diesen Bestrebungen nach Reinheit und Formenschonheit
der Sprache ging nun zusammen die Tendenz nach möglichster
Vollendung des Stils nach griechischen Mustern: nicht ob eine
HifMri6tg der griechischen Autoren stattzufinden habe^ wurde mehr
bezweifelt, sondern nur in der Wahl der griechischen Muster
schwankte man* Cicero und Caesar trafen am meisten den Ge-
schmack des gebildeten Publikums, sie wurden die von Mit- und
Nachwelt gepriesenen Ideale. Nicht alle aber schrieben in ihrer
Art: Nepos nicht, weil er es nicht konnte, Varro nicht, weil er
es weder konnte noch wollte, auch Sallust ging teils aus anders-
artiger Naturanlage, teils aus persönlicher Abneigung gegen
Cicero seine eigenen Wege. Ich werde versuchen, einiges für
meinen Zweck Notwendige hervorzuheben.
B. Die einBolnen Schriftsteller.
Ich stelle die drei voran, die entweder abseits vom Elassi-
cismus stehen oder ihm nur in bedingtem Sinn angehören,
itaiiioher 1. Varro. Ihn hat Mit- und Nachwelt zu den Wunder-
männem an Gelehrsamkeit gezählt und, obwohl kein finderisches
Genie sondern Eompilator in groüsem Stil und nicht genetisch
sondern konstruktiv verfahrend imd daher der Vater unsäglicher
Irrtümer imd eines für unsere Tradition verhängnisvollen Schema-
tisierens, hat er doch welthistorische Bedeutung erlangt als
der Vermittler griechischer Wissenschaft für den Occident:
Augustin, der den Theologen Varro widerlegte, und, auf ihm
fuJÜBend, Hrabanus Maurus haben dafür gesorgt, daJs sein wissen-
schaftliches Lehrgebäude in allen prinzipiellen Dingen dem
Mittelalter überliefert wurde; die Humanisten haben es, nachdem
es sich selbst unähnlich geworden war, zertrümmert, aher aus
seinen Trümmern ein neues Gebäude errichtet, in dem wir noch
heute, uns selbst meist unbewuüst, wirtschaften. Darüber werde
ich in einem andern Abschnitt Genaueres mitzuteilen haben;
hier, wo es sich für ims nur um den Stilisten Varro handelt,
müssen wir feststellen: Mit- und Nachwelt, die ihn als Gelehrten
anstaunte, hat über ihn als Stilisten geschwiegen oder ahgeurteilt
M. Varro y sagt Augustin de civ. dei VI 2, tametsi minus est
Varro. 195
swwis doquiOj docbrina tarnen atque sententiis ita refertus est, ut in
omni eruditione . . . shidiomm rerum tantum iste doceat quantum
studiosum verborum Cicero ddectat. denique et ipse TuUitiS huic
iale tesHmonium perhibet, ut in Itbris academids dicat eam quae
ün versatur disputationem se habuisse cum M. Varrone, ^^homine^'
inquit ^^omnium facile (icutissimo et sine uUa dubitatione doctis-
»mo". non ait ^^eloquentissimo^^ vel ^^facundissimo^\ quoniam re
Vera in hoc facüUate multum impar est Wenn ihn Remmius
Palaemon, dessen Grammatik yXatpvQAiucta waren wie die des
Lokillos, ein * Schwein' nannte (Suet. de gr. 23), so dürfte er
damit den Stilisten haben bezeichnen wollen. Yarros Ideale
ruhten in der Vergangenheit^ bei den viri magni nostri maiores,
wie er sie nennt (r. r. 11 in.); die avi et atavi sind seine Lieb-
linge: ctfifi aiium ac caqpe eorum verba olerent, tarnen optume ani-
moH erant (sat. 63); ihre Sprache liebt er mehr als er sich
selbst bewnlst ist (de 1. 1. Y 9): medioxime, sagt er sat. 320^ ut
qucndam patres nostri loqtiAantur und: sementivis feriis in aedem
TeUuris veneram rogatus ab aeditumo, ut dicere didicimus a patribus
nostrisj ut corrigimur a recentibus urbanis, ab aedituo (r. r. I 2, 1);
kurz er war so ein richtiger difficilis querulus laudator temporis
aeti Se puero castigaior censorque minorum; das hat er selbst
empfanden: in einer Satire, die er als Sechzigjähriger schrieb,
dichtete er, dafs man ihn als &x^og &QovQrig in den Tiber ge-
worfen habe: „du käust deine Antiquitäten wieder'', sagten ihm
die Leute auf seine Moralpredigt. So hat er auch als Stilist
an den Fortschritten der neuen Schule unter Ciceros Führung
keinen Anteil genommen: mit welchen Augen mag der die ihm
gewidmeten Bücher de lingua latioa angesehen haben. Man
wird wohl sagen dürfen, dafs dies gröfste Werk über diö latei-
nische Sprache in dem schlechtesten lateinischen Stil geschrieben
ist^ den irgend ein Prosawerk zeigt; im ganzen genommen kann
man überhaupt kaum von einem Stil sprechen: es sind roh auf-
einander getürmte Steinblocke, die von yielen modernen Kritikern,
weil sie keinen klaren Einblick in die Arbeitsweise und den Stil
Yarros haben, noch immer viel zu viel ineinandergefügt und
poliert werden« Erheblich besser sind begreiflicherweise die
Bücher über den Landbau geschrieben, in denen er viel Mühe
auf die Form verwandt hat: aber auch in ihnen wird man ver-
geblich nach der Kunst ciceronianischer Periodisierung suchen,
196 n. Die römische Eunstprosa bis Angustus.
während man sich häufig an die Sprache des Gesetzesstils
erinnert fühlt. ^) Wo in Ciceros philosophischen Schriften (die
Reden wäre unbillig zu vergleichen) findet sich ein Satz wie
dieser (I 2, 9): nam <7. Licinium Stolonem et Cn. Tremdium
Scrofam video venire: unum, aiius maiores de modo agri legem
tulerunt — nam Stolonis üla lex quae vetcU plus D iugera habere
civem B. — , ei qui propter diligentiam culturae Stohnum con-
firmavit cognomen, qnod nulltis in eius fundo reperiri poterat stolOj
quod effodiebat circum arbores e radidbus, quae nascerentur e solo,
quos stolones appellantf
Hisohimg Diesen Thatsachen gegenüber klingt es nun scheinbar ^ekTV^-
liefen lüixd dox, dafs derselbe Varro nach Cicero (ad Att. XII 6, 1) Hegesiae
^*^^^^f^^^ genus laudäbaty was wir innerhalb der ganz oder fragmentarisch
erhaltenen Werke thatsächlich noch beobachten können. Um
das zu verstehen, werden wir vor allem bedenken müssen, dafe
die gravitätisöhe, querköpfige^ rechthaberische Art nur eme Seite
seines Wesens ist, und dafs sich mit ihr eine unbezwingliche
Neigung zu derbem Humor paart, der in allerlei Spielereien mit
der Sprache zum Vorschein kommt. Was Cicero (de rep. II 1)
von dem alten Cato sagt, in ihm sei gravitate mixius lepos, das
gilt wie von so vielen altitalischen Bauemnaturen so auch von
Cato's Widerspiel Varro^ einem Sohne des sabinischen Berglandes.
Durch diese Mischung erhält sein Wesen wie sein Stil für uns
etwas Barockes. Was giebt es Liebenswürdigeres als den Anfang
der res rusticae mit seiner Mischung von Unbeholfenheit und
spielerischem Witz: si otium essem consecutus, Fundania, com-
modius tibi haec scriberem, quae nunc, ut potero, exponam cogitans
esse properandum, quod, ut dicitur, si est homo buUa, eo magis
senex. ' annus enim octogesimus admonet me ut sardnas conligamm,
antequam proficiscar e vita. quare, quoniam emisti fundum, quem
bene colendo fructuosum cum facere velis meque ut id mihi habeam
curare roges, experiar u. s. w. So kommt es^ dafs bei einem
1) Ich meine damit vor allem Perioden nach dem Schema des Ge-
setzes der XII tabb. si nox furtum faxit, si im occisit, iure caesus esto^ e. B.
de r. r. I 23, S fdbalia, si ad siliquas non ita pervenit, ut faham legere ex-
pediat, si ager macrior est, pro stercore inarare solent (ganz wie die oben
S. 166 ans Cato angeführte Periode); ähnliche Parataxen mit cum U 4, 20;
7, 9, cf. G. Heidrich, Varroniana II (Progr. Melk 1891) 16 f ; 19 f. und meine
Ausführungen im Rhein. Mus. XLIX (1894) 647 ff.
99
Varro. 197
Manne, dessen Blick rückwärts gewandt war und der die Misere
des nunc so gern in liebevollem Gedenken des ttmc vergafs, doch
die modernste und verkünsteltste aller Stilarten mit der altertüm-
lichsten und einfachsten ' eine äufserliche, höchst disharmonisch
wirkende Verbindung eingehen konnte. Wer ihn gelesen hat^
wird dies empfunden haben, und ich fürchte fast, durch An-
führung von ein paar Einzelheiten dem Gesamteindruck zu
schaden. De lingua latina Y 4 f.: ita fieri oportere apparet^
quod recto C(isu quom dicimtis ^Unpos^% obscurius est esse a potentia
quam cum dicimus *Unpotem^\ et eo obscurius fit, si dicas ^^pos
quam "twpos", videtur enim ^^pos^' significare potius ^^pontem
quam'^^potentem'\ vetustas pauca non depravat, multa tollit quem
puerum vidisti formonsum, hunc vides deforme^n in senecta (Silben-
zahl 10 : 10). tertium saeculum non videt cum hominem, quem vidit
primum. quare üla quae tarn maioribus nostris ademit öblivio^ fugi-
tiva secuta sedulitas Muti et Bruti retraliere nequit. non, si non
potuero indagqre, eo ero tardior, sed velocior ideo, si quiero.
VI 95 f.: Äöc ipsum ^^inlicium^^ scriptum inveni in M. lunii com-
ineniariiSf quod tarnen ibi idem est quod illicit et illexit, quod I
cum E et C ctim G magnam habet communitatem. sed quoniam in
hoc de paucis rebus verba feci plura, de pluribus rebus verba faciam
pauca. V 9: quodsi summum gradum non attigero, tarnen secundum
praeteribOy quod non solum ad Aristophanis lucernam sed etiam ad
Cleanfhis luctibravi. volui praeterire eos qui poetarum modo verba
ut sint ficta expediunt. non enim vidd>atur consentaneum quaerere
me in eo verbo quod finxisset Ennitis causam y neglegere quod ante
rex LoHnus finxissety cum poeticis multis verbis magis delecter quam
utar, antiquis magis utar quam delecter (die letzten beiden Worte
wird, wer Varro kennt, als öx^ii^atog p^v ivexa naqanXriQfoyLatvxAy
fA)i\v d\ öfiijucivovta bezeichnen). Die Bücher rerum rusti-
carum wimmeln ja von solchen Faceticn. Man denke an die
derbhumoristischen Spielereien mit den Eigennamen, aber auch
mit andern Worten, die nach unserm Gefühl oft einem leidlichen
Kalauer ähnlich sehen (wie I 2, 27: die sodeSy inquit Fundanius:
nam mdlo de meis pedibus audire, quam quem ad modum pedes
betaceos seri oporfeat), öfters einem sehr schlechten (wie I 7, 7:
idem ostendity quod in locis fcris plura ferunty in iis quae sunt
euUa meliarä): in diesen Wortwitzen kreuzt sich die Lust zu
scherzen, mit der zu etymologisieren. Dazu kommen dann allerlei
198 II- ^^6 römische Eunstprosa bis Aug^ustuB.
raffinierte Sätze, wie I 2^ 19: itaqtie propterea institutum diversa de
causa ut ex caprino genere ad alii dei aram hostia adduceretur, ad
alii non sacrificardury cum ab eodem odio alter videre nöUety alter
etiam videre pereuntem vellet. Wenn ich solche Sätze mitten
zwischen ganz ungehobelten lese, so fühle ich mich stets ver-
anlafsty ihm das Sprichwort zuzurufen ^ das er selbst in den
Satiren in ähnlichem Zusammenhang (er handelte xsqI toi) ixaC-
Qcog iv rö kiyetv iieiQaxis'öeö^aL cf. fr. 550) gebrauchte: toixl rg
q>axfi iivQov. Aus den Fragmenten lie&e sich manches Ahnliche
anführen (z. B. utüe utamur potius quam ah rege abutamur bei
Priscian GL. 11 381, 11), ich gehe aber nur auf die Satiren
noch kurz ein, weil in ihnen diese Verhältnisse besonderd klar
sind. Die Satirenfragmente geben uns in ihrer verwirrenden
Buntheit des Inhalts ein überraschendes Bild auch von dem viel-
seitigen stilistischen Können Yarros. In den Versen sind fast
alle damals bekannten Metra, von den einfachsten bis zu den
kompliziertesten zur Anwendung gekommen, auch hier ein buntes
Gemisch von Altem und Jungem, Groteskem und Zierlichem,
tragisch Ernstem und komisch Spielerischem. Die prosaischen
Stücke sind von grölster Unmittelbarkeit, Frische, Realistik, die
das Derbste unverblümt zu sagen nicht scheut: so wollte es der
xvvixbg tQÖTtog. Auch hier finden wir manche Sätze von ganz
archaischer, echt varronischer Struktur, z. B. 364: non tndisti
simülacrum leonis ad Idam eo loco, ubi quondam subito eum cum
vidissent quadrupedem gaUi tympanis adeo fecerunt mansuem^ ut
tractarent manibus? 439: quod in eius dei templa calceaU intro
eunt, nam in oppido quae est aedes Äpollinis et quae ibi ad Her-
culiSy ut intro eat, nemo se excalceatur. Aber es überwiegen die
zierlichen, mit allen Mitteln der Technik (besonders Wortspielen,
die zum yeXotov des xvvtxbg t(f67Cog gehörten) aufgeputzten
Sätze, z. B. 44: quod non solum innuibae fiunt communis, sed etiam
veteres repuerascunt et multi pueri pueUascunt 64: socius es hostibus,
Jwstis sociiSy bellum ita geris ut bella omnia domum auferas 80:
denique si vestimenta ei opus sunt quae fers, cur conscindis? si
non opus sunt, cur fers? 241: neque in bona segete nuüum est
^icum nequam neque in mala non aliquod bonum 264: lex neqtie
innocenti propter simultatem obstringiUat neque nocenti prqpter ami-
citiam ignoscit 296: sin autem delectationis causa venamini, quanto
satius est salvis cruribus in circo spectare quam his desccbinatis in
Vaarro. I99
säffa eursare? * Wie nett weifs er auszudrücken; daTs beim Gast-
mahl vier Dinge zusammenkommen müssen ^ um es in allen
Punkten vollendet zu machen: si beUi homunctili canledi sunt, $i
dedus locus, si tempiis lectum, si apparatus non negledus (335);
and wie hübsch vom Nachtisch: beUaria ea maxime sunt meUita
quae metlüa non sunt, xifiinaötv enim cum nirIfBv societas infida
(341). Am reizendsten aber sind zwei Sätze, welche ixq>(fd6sig
hübscher Mädchen enthalten; hier hat er alle Mittel aufgeboten,
um die Sinnlichkeit zum Ausdruck zu bringen: 375: ante (mris
modo ex suMibus parvtdi itUorti demitt^nlur sex cincinni, ocüli
sigopaekdi nigeUis pupulis quam hüaritatem significantes animi,
ridus parvissimus ut refrenato risu roseo: seit Scaliger ist vielfach
versucht, durch gewaltsame Änderungen dies in Verse zu bringen,
aber die Satire handelt xsqI iyxfoyilfov und nachdem er an einer
andern Stelle derselben eine solche lxq>Qa6ig in gleichfalls ent-
zückenden Versen gegeben hat, von denen noch sechs erhalten
sind (fr. 370 — 372), versucht er es an jener Stelle in Prosa,
freilich einer Prosa, die wenn irgend eine als * poetische' be-
zeichnet werden mufs: wer sich an die Fotis des Appuleius
(Met. n 8 f.) oder die zahllosen xuQ^ivoi der griechischen
Romane erinnert^ weifs, dafs dies der Stil war, mit dem Arisüdes
und Sisenna den Kitzel ihrer Leser erregt haben. ^) Das zweite
Fragment (432) dieser Art ist von jener sinnlichen Zartheit, die
wir aus griechischen Epigrammen (z. B. Anth. Pal. IX 567)
kennen: Chrysosandälos locat sibi (nämlich bei Prometheus) amt-
adam de lade et cera Tarentina quam apes Müesiae coegerint ex
Omnibus floribus libanteSy sine osse et nervis, sine pelle sine pUis,
puram putam proceram, candidam teneram formosam. Wer erkennt
darin den alten Romer vom Schlage Catos wieder? Aber so steht der
Mann vor uns mit seiner Doppelnatur: wie als Theologe erfüllt von
frommer Begeisterung für die altehrwürdige italische Gotterwelt,
in deren Wesen er oft mit verständnisvollem Nachfühlen ein-
dringt, und doch zugleich der Mode entsprechend Rationalist im
Sinne der alles verwässernden modernen Aufklärung, so als
StiliBt reaktionär und doch zugleich in die vorwärts führenden
Fnbstapfen der Jüngsten tretend; daher hat er — eine seltsame
Ironie der Tyche, oder richtiger ein Fluch aller Halbheit — den
1) Cf. E. Marx in: Berl. philol. Wochenschr. 1892, 118.
200 n. Die römische Eunstprosa bis Augastiis.
groüsen christlichen Theologen zugleich mit dem Material auch
die Waffen gegeben es zu widerlegen, und als Stilist entlockt
er mit seinen dem alten Untergrund aufgesetzten Schnörkeln
dem Leser nur gutmütiges Lächeln, nie Bewimderung, die man
nur dem Einheitlichen, dem in sich Geschlossenen und Harmo-
nischen zollt,
jiuit und 2. Sallust war wie Varro ein Sohn des Sabinerlands.
Aber sie trennte ihr verschiedener politischer Standpunkt: jener
der. erbittertste Gegner des Pompeius, dieser sein wärmster An-
hänger; daher hat Varro nach dem Tode des andern die chro-
nique scandaleuse über ihn zu bereichem für gut befunden
(logist. fr. bei Gell. XVII 18). Aber in emem Pimkt berührten
sie sich doch: auch Sallust war ein Verehrer Catos. Wie mit
Varro, so war er aus demselben Grunde mit Cicero, Varros
Freund, zerfallen.^) Von dem Stil Ciceros unterscheidet sich der
des Sallust in seiner Art ebenso stark wie der des Varro. JBo-
mani generis disertissimum nannte er den Cato unmittelbar im
Anfang der Historien; man mufs nachfühlen, was darin liegt:
für die andern war damals Cicero der disertissimus Bomuli ne-
potum. Man male sich den Gegensatz weiter aus: hätte Cicero
— zu seinem Unglück — den Plan ausgeführt, Geschichte zu
schreiben (cf. z. B. Plut. Cic. 41), so hätte er es im Stil des
Theopomp und Timaeus gethan, denn an ihnen hat er sein Ver-
gnügen (ep. ad Att. H 1; de deor. nat. II 69), und man darf es
1) Sallust hatte yon Pompeius höhnisch gesagt: seine Schmeichler
redeten ihm ein, er sei dem Alexander ähnlich, und er glaube das wirk-
lich (Hist. III 7 D.). Cicero hat zu diesen Schmeichlern gehört: denn wenn
er von Pompeius sagt (in Catil. in 26) fine8 imperii non terrcte aed caeli
regionihua tcrminavit, oder (ib. IV 21) cuius res gestae atque virttUes isdem
quibus 8ol%8 cursus regionibus ac terminis continentur (cf. pro Sest. 67), so
hat er ein in den Rhetorenschulen mit Beziehung auf Alexander aufge-
brachtes Bonmot auf Pompeius übertragen, wie aus Senecas erster Suasorie
folgt, denn hier wird dasselbe mit fast genau denselben Worten von Alexander
ausgesagt. (So ist das Verhältnis aufzufassen: anders C. Morawski, De
rhetoribus latinis obserrationes , in: Abh. der Krakauer Akad. 1892 p. 381,
der meint, dafs die Rhetoren bei Sencca die ciceronianische Wendung auf
Alexander übertragen hätten. Aber was kümmerten sich diese Rhetoren
um Cicero und noch dazu um so gelegentliche Äufserungen; und dafs ein
Grieche das Diktum aufgebracht hat, wird bewiesen durch eine yon Mo-
rawski selbst p. 388, 1 angeführte Stelle Lukians dial. mort. 12, 4, wo
Alexander von sich sagt: 'Slynavbv Sqov inoiriacifiriv tijg äQxi}g).
Varro. Sallust. 201
80 wenig f&r seine Herzensmeinung halten, wenn er Caesars
commentariiy denen aller ornatas fehle, in den Himmel hebt
(Brat 262), wie wenn er, entsprechend der konventionellen
Theorie, den Thukydides preist (or. 30 flF.; Brut. 287): Sallust
dagegen hat sich, wie schon das Altertum wufste, Thukydides
zum Vorbild genommen und einzelnes wortlich übersetzt (Livius
bei Senec. contr. IX 1, 13 f.). Diese Wahl ist für Sallust ebenso
bezeichnend wie jene andere für Cicero. Wenn sich in einer
Zeit, in der die Frage nach der (liiiriatg lebhafter als irgend
eine andere litterarische behandelt wurde, jemand einem Vorbild
anschlolB, so that er es mit Überlegung: wirklich hören wir,
dalB es damals einigen beliebte, in der Geschichtsschreibung dem
Thukydides zu folgen (Dionys. de Din. 8; de Thuc. 52). Für Sallust
war es aber nicht, wie für manche Griechen vielleicht schon
damals, sicher später, ein spielerischer Einfall, wenn er gerade
dem Thukydides folgte, sondern durch eigene Anlage des Geistes
wurde er auf ihn hingewiesen. Dem Leichtsinn der Jugend
hatte tiefer Ernst und nachdenkliche Lebensanschauung Platz
gemacht; eine solche Natur konnte sich unter den griechischen
Historikern nur zu Thukydides hingezogen fühlen, und unter
den Römern mufste er sympathisch berührt werden von der
sitteniichterlichen Strenge Catos. Wie diesen beiden kam es
ihm darauf an, in wenig Worten viele Gedanken zu bergen: von
jenem Bomani generis disertissimtis sagte er: multa paucis absolvU
(Hist. in.). So erreichte er durch prägnante Kürze dasselbe
tdxog xflg ötniaöüjcgj das die Alten an Thukydides rühmten,
während Cicero als Historiker jene Geschwätzigkeit gezeigt
haben würde, die man an Timaeus tadelte.^) So wurde er femer
der scriptor seriae et severae orationis, wie ihn Varro 1. c. nennt;
er bildet mit Thukydides und Tacitos die Trias der ösyLvoC^ daher
auch die vielen Gnomen, die in ihrer Prägnanz dem Fronto so
sehr als das Urbild der Vortrefflichkeit erscheinen, dafs er eine
Gnome nicht besser loben kann als mit den Worten: ut poni in
Ubro Sallmtii possit (p. 48 N.). Er legte gröfstes Gewicht auf
die Form, aber nicht zur Abzirkelung schöner Perioden wie
Cicero und Livius — er hat im Gegenteil absichtlich das
1) Gnt stellt Appuleius apol. 95 der opulentia Ciceros die parsimonia
de« SalloBt gegenüber.
202 II- IWe römische Kunstprosa bis Augustus.
Rhythmische der Diktion gemieden^) •— ^ sondern um sein Stil-
ideal, die bretdias, zu erreichen wie Thukydides und Tacitus;
Quiutilian (X 3, 8) berichtet die peinliche Sorgfalt des Sallust
im Feilen seiner Werke auf Grund irgend einer Tradition (ae-
cepimus), die aber vermutlich auf einem blofsen Rückschluijs aus
seinem Stil selbst beruht^ denn darin hat Quintilian gewils
recht, wenn er hinzufügt: et sane manifestus est etiam ex apere
ipso Idbor: er wollte, so gut wie Thukydides, mit dieser
prägnanten Kürze etwas Neues geben^ und wenn er das Fremd-
artige durch das archaische Kolorit im Gegensatz zu Cicero und
seinem Gönner Caesar^) noch verstärkte; so haben wir das nicht
blofs aus seiner Vorliebe für Cato^ sondern auch aus einer
Theorie zu erklären: man wuTste, daüsi Thukydides auch durch
Anwendung der yXcoöötifiatiX'^ xal iairiQ%ai,(oyLivvi Xd^ig (Dionys.
de Thuc. 52 u. ö.) seinen Stil erhaben und ernst gemacht habe^
und dafs altertümliche Worte diesen Effekt haben^ giebt auch
Cicero, der sie sonst so wenig wie Caesar (cf. Gellius I 10)
liebt, gemäüsi einer Theorie zu (de or. III 153), cf. Quini Vm
3, 24: prop'iis (verbis) dignitatem dat antiquüas. namque et
sanctiarem et magis admirabüem faciunt orationem.^) umgekehrt
hat kein Schriftsteller der guten Zeit in der Syntax so viel ge-
neuert wie Sallust, keiner dem Griechischen einen so weiten
Spielraum auf die Neuprägung von Konstruktionen verstattet;
da nun auch Thukydides mehr als jeder andere griechische
Schriftsteller an der Sprache geneuert hatte und als Haupt-
vertreter der g>Qd6ig ^ivti xal '/iXXotcoiiivTj allgemein galt, so
dürfte SaUust die Berechtigung auch zu seinen Neuerungen aus
seinem Vorbild abgeleitet haben.
Aiiait nnd Dafs einem Mann so ernster Geistesrichtung der Flitterkram
vulgärer rhetorischer Effektmittel zuwider war, versteht sich von
1) Das ergiebt sich anch ans Seneca ep. 114, 17 SaUusUo viffente am-
putatae senUntiae et verha ante exspectatutn caäentia . . . fixere pro
cultu; 80 bezeichnet er selbst § 16 und 100, 7 die den Rhythmus vernach-
lässigende Komposition.
2) Den stilistischen Gegensatz zu diesem erkennt man besonders deat-
lieh an der Rede, die er ihn im Catilina halten läfst, cf. Fr. Schnorr
T. Carolsfeld^ Über die Reden u. Briefe bei Sali. (Diss. München, Leipzig
1886) 84 S.
8) Poetische Worte hat er dagegen gemieden; falsch darüber L. Con-
stans, De sermone Sallustiano (Paris 1880) 266.
SaUufit. • 203
selbst^); das einzige Eunstmittel^ welches er^ allerdings überaus
häufig, verwendet, ist^ wie schon dem Pronto (p. 106) auffiel, die
Antithese*): nie aber hat er sie zum Spiel, sondern stets zur
^harfpointierten Darstellung benutzt, besonders gern in Cha-
rakterzeichnungen wie Cat. 5, 4: alieni adpetens^ sui profustis;
satis eloquentiae, sapientiae parum 7, 6: laudia avidi, pecuniae
liberales erant (wo im ersten und letzten Beispiel der eine Ge-
nitiv nur dem präzisen Ausdruck zuliebe gewagt ist), sowie in
den Reden, wo das beste Beispiel die 6iiyxQi6ig ist, die Marius
zwischen sich und der Nobilität anstellt: lug. 85. Dabei ist
aber der abgezirkelte Satzparallelismus, der sich bei gezierten
Autoren so gern einstellt, recht selten, wie Cat. 51, 12 (in der
Rede Caesars): qui demissi in öbscuro vitam häbenty si qtiid ira-
1) Über die von Cicero abweichende Art der sallastischen Periodi-
sienmg fehlen noch Untersuchungen (vor allem auch, ob sich nicht die
drei Werke wie sprachlich [darauf hat zuerst hingewiesen £. Wölfflin im
Philologus XXV 1867 p. 95; 102 u. ö.] so auch stilistisch imterscheiden).
Einiges bei E. Meyer, Die Wort- und Satzstellung bei Sali., Progr. des
Pädagogiums zu Magdeburg 1880, der dabei aber gerade auf die rhetorische
Wortatellung nicht eingeht. Mir scheint z. B. folgendes bezeichnend: im
Gegensatz zu Cicero trennt Sallust keine grammatisch zusammengehörigen
Begri£Ee aus rhetorischem Grund (auch nicht in den Beden): 1. Das Verb,
subst. wird sehr selten und dann ohne rhetorische Absicht von seinem
Verbum getrennt, wie lug. 17, 7 interpretatum nobis est. 2. Das Adjek-
ÜTum wird selten Tom Substantiyum getrennt, und fast nie durch mehr
als ein Wort, wie lug. 85, 45 honum habete animutn (Bede des Marina),
or. Macri 10 ^i scdestum imposuerat servitium, hist. 10 D. sub Jumesto pa-
trum aut plebei nomine 55 neque praesidiis uti soluerat composiUs u. dgl. ganz
Gewöhnliches. Cf. auch A. Beckzey 1. c. (oben S. 180, 2) 31. 8. Ebenso wird
der zu einem Substantiv gehörige Genitiv von diesem selten getrennt imd
nie 80 weit wie lug. 65, 8 hortatur, ut contufneliarum imperaUtri cum suo
auxilio poenas petat, wo die Lesart unsicher ist. 4. Von andersartigem
notierte ich mir nur lug. 22, 8 quo plura hene atque strenue fecisset, eo
animum suwn iniuriam minus tolerare (wo eo aber fast adyerbialisch ist).
— Bhythmischen Satzschlufs ignoriert Sallust, und zwar, wie es scheint,
aus Prinzip: z. B. h&tte Cicero den Satz Cat. 51, 12 (in der Bede Caesars)
qui demissi in ohscuro vitam JMbent, si quid ircunMulia ddiquere, pauei seiunt;
qui magno imperio praediti in excelso aetaiem agunt, eorum facta cuncti mor-
tdUs novere sicher geschlossen: cuncti novere mortales (j. u l j. _), und
umgekehrt h&tte er nie die Bede des Bocchus (lug. 110, 8) rhythmisch falsch
schliessen lassen hatMl repulsus abibis {j. <j \^ ^ J),
8) Cf. E. Elebs in: Festschr. f. L. Friedländer (Leipz. 1895) 227, wo er
nachweist, dals Hegesippus sie dem Sallust abgelernt hat.
204 n. Die römische Eonsiprosa bis Augostas.
cundia deliquere, pauci sciunt; qui magno imperio praediti in ex-
celso aetatem agunt, eorum facta cuncÜ martales novere^)] dagegen
z. B. Cat. 33, 1: plerique patriae sed omnes fama atque fartunis
expertes sumus 25^ 2: litteris Oraecis et Latinis doda, psaUere
saltare elegantius quam necesse est probae^ multa alia quae in-
strumenta lusuriae sunt (also mit dreimaligem Wechsel) 17, 6:
incerta pro certis, beüiim quam pacem malebant lug. 86, 3: alii
inopia bonorum, alii per ambitionem consulis 88, 4: qtuxe post-
quam glariosa modo neque belli patrandi cognovü 89, 8: cibus
Ulis advorsus famem atque sitim^ non lubidini neque Itixuriae erat:
diese absichtliche Zerstörung der Eonzinnität, die so ganz un-
ciceronianisch ist, hat er, wie wir wissen (s. oben S. 98, 1), dem
Thukydides abgelernt, und dem Sallust bildet sie dann wieder
Tacitus nach: auch hier gehen die drei Schriftsteller, denen der
Gedanke, der ja durch den Wechsel des Ausdrucks stets etwas
nuanciert wird, höher steht als die schönen Worte, bezeichnender-
weise zusammen,
üiast bei Ein Werk in dieser Sprache und in diesem Stil muliste auf
weit. die für Cicero schwärmenden litterarischen Kreise abstolsend
wirken. Livius, der Verehrer ciceronianischer Fülle, versetzt
diesem — wie ihm schien — affektierten Streber nach brevitas
einen bösartigen Hieb (bei Seneca contr. IX 1, 13); Seneca dem
Vater, für den Cicero der Höhepunkt der Beredsamkeit ist, ge-
nügen Sallusts Reden nicht (contr. III praef. 8); Quintilian
warnt vor der SaUustiana brevitas und seinem abruptum sennonis
genus (IV 2, 45 cf. IX 3, 12; X 2, 17) ; wegen seiner archaischen
Worte sind sie alle über den priscorum Gatonis verborum ineru-
ditissimum furem hergefallen. Kurz, das Resultat, zu dem die
Gegner kamen, war: homo vita scriptisque monstrosus (Lenaeus
bei Suet. de gr. 15), aber für Martial (XIV 191) ist primus
Romana Grispus in historia und für seinen Geistesverwandten
Tacitus (ann. HI 30) rerum Bomanarum florentissimus audor.
ihaitund 3. Ncpos, dicscm ^iiivii(ov\ wie ihn Atticus in einem Brief
■einei »n Ciccro mit leiser Ironie nannte (Cic. ad Att. XVI 5, 5),
Werke». ßj^^jQ Mann, der, während er sich im Dunstkreis der Gröfsten
seiner Zeit bewegte, selbst nirgends das Niveau auch nur der
1) Diese und andere Beispiele bei J. Robolski 1. c. und Eonr. Meyer
1. 0. (oben S. 203, 1).
Salluet. Nepos. 205
Mittelmälisigkeit erreichte, haben seine Schulexercitien den Ruhm
gebracht, seit dem 17. Jahrh. der am meisten bekannte latei-
nische Schriftsteller zu sein, obwohl sein Sprachgebrauch ganz
noklasaisch ist. In unserm Jahrhundert ist es statt der früheren
Überschätzung^) Mode geworden, ihn als Historiker und Stilisten
zu schelten, aber das ist ungerecht: denn auf den Namen eines
EKstorikers hat er selbst keinen Anspruch erhoben und als
Stilist hat er das zu leisten sich bemüht, was der puerile
Stoff erheischte. Was Nepos gewollt hat, ist von E. Lippelt,
Qnaestiones biographicae (Diss. Bonn 1889) ins richtige Licht
gerückt worden; ich muJs seine wesentlichsten Argumente in
aller Kürze wiederholen, weil nur von diesem Gesichtspunkt aus
auch der Stil des Mannes verständlich wird. Li den Rhetoren-
schulen lernten die Knaben nach Suet. de rhet 1, Graecorum
scripta converiere ac viros inlustres laudare vel vituperare.
Rhetorische laudationes von Feldherren zählt Cicero auf de
or. n 341: Crraeci magis legendi et deledationis aut hominis cuiiis-
dam amandi quam tUüitatis forensis causa laudationes scripti-
taverunt; quomm sunt libri quibus Themistocles Aristides Agesilaus
Epaminondas Phüippus Alexander aliiqiie laudantur. Wir haben
das iyxAiiiov Xenophons auf Agesilaos und erkennen durch Ver-
gleich mit den Hellenika, dafs für das Enkomion ganz andere
Gesetze bestehen als für die tötoqCa: dort tffsvdog zu Gunsten
des Gelobten auf Kosten seiner Feinde, hier im allgemeinen
Hi^d'suc. Nepos hat keine Geschichte, sondern ßioL schreiben
wollen: im Anfang des Pelopidas sagt er ausdrücklich, der Stoff
sei hier so reich, dafs er nur die Hauptsachen auswählen wolle,
ne non vitam eius enarrare sed historiam videar scribere;
eine * Geschichte' in würdiger Sprache erwartete er von Cicero
und nach dessen Tod sei Rom um diese Hoffnung betrogen
(fr. 26 Halm). Als Quelle hat Nepos benutzt die massenhafte
Litteratur Ttegl ivdö^aw ivögänf, in der es Gesetz war, nur weils
oder schwarz zu malen; die Quellen dieser Schriftsteller waren
selbst wieder stark rhetorisierende Historiker wie Theopomp
und Timaeus, die daher von Nepos öfters citiert werden, gewifs
1) Z. B. sagt ein Mann wie D. Morbof, der doch sonst ganz verständig
in diesen Dingen urteilt, von Nepos: quo nil venustius Eamatius scribere
poUst eoAamus (De Patavinitate Liviana [1684] c. 12 in: Dissert. ac. et epistol.
[Hamb. 1699] 668).
Bhetorlk.
206 H- I^i^ römisclie Eunstprosa bis Augastus.
ohne daCs er sie je benutzt hätte. Wir erkennen das rhetorische
Element bei Nepos vor allem an folgenden zwei handgreiflichen
Thatsachen: 1) Er berichtet manche Einzelheiten^ von denen wir
nachweisen können^ dafs sie in den griechischen Rhetorenschnlen
behandelt worden sind, so z. B. in der yita Eimons: dafs er sehr
arm war, dafs er für seinen insolventen Vater Miltiades im Ge-
fängnis sals; daüsi er seine Schwester Elpinike heiratete. 2) Da
er den Betreffenden jedesmal als einzig in seiner Art hinstellt,
kommt es gelegentlich vor, dafs er in zwei Yiten genau das
Gegenteil erzählt, z. B. wird in der vita des Timotheos 1, 3
dieser gerühmt, dafs er nicht, wie Agesilaos, vom Perser Geld
genommen habe, während in der vita des Agesilaos 7, 2 dieser
gepriesen wird, dafs er sich vom Perser habe beschenken lassen
puezUe und dadurch das Vaterland gerettet habe. — Diesem rhetorischen
Inhalt hat er nun auch die Sprache konform zu machen yersuchi
Dafs es ihm nicht besser gelang, liegt an seinem mäfsigen
schriftstellerischen Können und seiner ungenügenden rhetorischen
Vorbildung: wie es aber zu gehen pflegt, verraten sich solche Leute
am leichtesten, weil sie das Wenige, was sie von dem eleganten
Modestil gelernt haben, in übertriebener Weise zur Schau
tragen. Dals er die Absicht hatte, rhetorisch zu schreiben, ist
erwiesen nach Vorgang schon von C. Nipperdey (in den Prolegg.
zu seiner gröfseren Ausg. [Berlin 1849] XXXIV f.) z. B. von
B. Lupus, D. Sprachgebr. des C. N. (Berlin 1876) 195 ff. Er
pflegt aber nur da seine Zuflucht zur Rhetorik zu nehmen, wo
er glaubt, einen höheren Ton anschlagen zu müssen, besonders
in den Charakteristiken, wo es seit Theopomp Mode war. Da
er in den andern Partieen oft mit unerhörter Nachlässigkeit
schreibt, ohne sich die geringste Mühe zu geben — ich erinnere
nur an die vielen Wiederholungen desselben Worts kurz hinter-
einander, cf. Nipperdey zu XIV 5, 6, und an die oratio des At-
ticus 21, 5 f., die in ganz vulgärem Gesprächston gehalten ist, —
so bekommt das Ganze, ähnlich wie bei seinem grofsen Freunde
und Gönner Varro, den Anblick von etwas durchaus Unharmo-
nischem. Das Rhetorische zeigt sich besonders in folgenden
vier Punkten: 1) Die Antithese, sowohl die der Gedanken wie
die der Form, beherrscht die Darstellung: jedes Kapitel bietet
Beispiele, man lese z. B. Attic. 6; in der Ausgabe von H« Ebe-
ling (Berl.-Leipz. 1871) sind über 150 Beispiele zusammen-
Nepos. 207
gestellt y und das sind noch lange nicht alle (cf. auch Lupus
L c. 200). Man muls ein paar Kapitel Caesar oder Liyius neben
Nepos lesen, um zu sehen, daCs es kein Zufall ist, und ein paar
Kapitel Sallust, um zu sehen, dafs bei Nepos Ziererei ist, was
bei Sallust innere Notwendigkeit. Gelegentlich macht er es so
thöricht wie Att 7, 3: vetere instUtUo vitae effugit nova peri-
adOj wo er durch nova eine ganz ungehörige Pointe erzielt, ebenso
wie Antiochos von Kommagene § 5 (oben S. 145, 4). Mit der
Antithese verbindet sich oft der Gleicbklang am Ende, z. B.
XVni 13, 1: sie Eumenes anmrum quinque et quadraginta, cum
ab €mno vicesimo . . . sq^tem annos Philippo apparuisset, tredecim
apud Alezandrum eundem locum obtinuisset, in his unum equitum
alae praefuisseiy post autem Älexandri Magni mortem imperator
exereUus duxisset summosque duces partim repulisset partim itUer-
feeisset, capius non Antigoni virtute sed Macedonum periurio talem
hibuü exitum vitae. II 6, 1: Piraeus . . moenibus drcumdatus, ut
ipsam uriem dignitate aequiperaret, utüitate superaret XIY6, 6:
eoaeH sunt cum eis pugnare ad quos transierant, ab iisque stare
quos rdiquerant Ati 15, 1: eius comitas non sine severitate
erat neque gravitas sine fadlitate. Einmal hat er auch dieser
Spielerei zuliebe ein neues Wort gebildet: I 8, A: sed in Mit-
tiade erat cum summa humanitas tum mira communitas (cf.
Nipperdey z. d. St.). Die Folge der Vorliebe für die Antithese
ist^ dafs die Sätze meist aus kurzen Teilchen bestehen, die nur
durch adversative oder kopulative Partikeln in den Fugen ge-
hatten werden; grölsere Sätze sind fast immer entweder roh
(langer Vordersatz, kleiner Nachsatz) oder gehen ihm infolge
der Einschiebung von Parenthesen elendiglich in die Brüche.
Wir beobachten also schon hier den Prozefs der Auflösung
der Periode, worüber wir bei den Autoren der Kaiserzeit ein-
gehender werden handeln müssen. 2) Die ^Allitteration'^)
wird in abgeschmackter Häufigkeit angewandt, oft auch da, wo
es sich um gewöhnliche Dinge handelt, z. B. II 10, 4: iUum ait
Magnesiae morho mortuum neque negat fuisse famam venenum
sua Spante sumpsisse VII 5, 5: tanta commutatio rerum facta
estf ut Laoedaemonii qui paulo ante victores viguerant perterriti
paeem peterent XXIII 11, 7: pedestribus copiis pari prudentia
1) Cf. besonders B. Pretzsch, Zar Stilistik des C. N., Progr. Spandau 1890.
208 II* Die römische Eunstprosa bis Angustos.
peptdit adversarios Att. 2, 6: modus mensurae medimnus
Äthenis appellatur. Oft bleibt sie nicht auf den Anfeings-
buchstaben beschränkt, sondern greift weiter, so dafs ein * Wort-
spiel' entsteht (die Alten haben beides nicht geschieden, s. o.
S. 23, 2), z. B. y 1; 2: häbehat (Cimon) in matritnonio sororem
germanam stiam non magis amore quam more IX 3, 3: necesse
est, $i in conspectum veneris, venerari te regem XVIII 2, 2:
data sive potius dicta XVIII 8, 4: se parem non esse paratis
adversariis (ganz ähnlich Yelleius II 39, 3: parendi confessionem
extorserat parens) XX 1, 3: parere legibus quam imperare
patriae satius duxit Att. 3, 2: actorem auctoremque und be-
sonders stark XV 9, 4: satis vixi, invietus enim morior: aber
gerade das letztere hat er aus der Rhetorenschule, denn dieselbe
Spielerei finde ich wieder bei Cicero Phil. XIV in den auch
sonst höchst gewagten Schlulsworten der ganzen Bede, sowie in
den von Seneca aufbewahrten Deklamationen: exe. contr. V 1
(p. 243, 17 Müll.): Cn. Pompeius in Pharsalia victus ade vixit
cf. suas. 2, 16 (p. 542, 2 und 10), 3) Er beobachtet den rhyth-
mischen Satzschlufs, vgl. in den oben (unter 1) angeführten
Sätzen: exitum vitae (^ w a. -t «), utilitate superaret {j. yj ^ yj
^ ^ «= esse videatur), facilitate (v^ vy ^ ^ ^: Ditrochaeus). Das
ganze dritte Kapitel des Epaminondas, welches die Charakteristik
enthält, . zeigt die Beobachtung dieses Gesetzes: adeo veritatis
diligenSf ut ne ioco quidem mentiretur. idem continens^ demens
patiensque admirandum in modum, non solum populi sed etiam
amicarum ferens iniurias, in primis commissa Celans, quod interdum
non minus prodest quam diserte dicere, Studiosus audiendi: ex hoc
enim fadUime disci arhitrabatur. itaque cum in circulum venisset,
in quo aut de re publica disputaretur aut de philosophia sermo
haberetur^ numquam inde prius discessit, quam ad finem sermo
esset adductus. paupertatem adeo facile perpessus est, ut de re
publica nihil praeter gloriam ceperit {^ yj i. j. yj ^). amicarum in
se tuende caruit facultatibus, fide ad alios sublevandos saepe
sie usus est, ut iudicari possit omnia ei cum amicis fuisse com-
munia u. s. w. Im folgenden Kapitel, wo er zur Erzählung
übergeht, hört das auf: man, sieht also, dafs man (auch in der
Interpunktion) bei ihm darauf zu achten hat Natürlich merkt
man bei ihm den Zwang oft recht deutlich an der Wortstellung:
in den angeführten Sätzen stellt er deshalb esset adductus, fuisse
Nepos. Cäsar. 209
eomfmmia wie Att. 7^ 2: sunt secuti, und die Trennung von ami-
earum — faciütatibus ist ziemlich stark. Oft verstellt er aber
die Worte auch nur, weil er überhaupt salopp schreibt, z. B.
Xin 3, 1: Aihenienses nndique premi sunt coeptiy Att. 16, 2: ut
ne frater guidem ei Quinius carior fueriL Das miiüste alles noch
genauer untersucht werden. 4) Fortwährend werden Gemein-
plätze eingestreut, die stets ebenso bieder wie banal sind.
4. Caesar. Er hatte dieselben Lehrer wie Cicero: in der Thtorie.
Grammatik den Analogisten M. Antonius Onipho (Suet. de
gr. 7), in der Rhetorik den zwischen Asianismus und Atticismus
vermittelnden Molon (Plut. Caes. 3). Den Ruhm, als Schrift-
steller mit Cicero zu konkurrieren, wies er mit feiner Urbanität
zurück: sein Leben sei das eines Soldaten, den Cicero aber
apostrophierte er: omnium tnumplwrum lauream adeptus es ma-
iarem, quanto plus est ingenii Bomani terminos in tantum pro-
mavisse quam imperii (Plin. n. h. VII 117; Plut. 1. c), ein Kom-
pliment^ das er nicht ohne leise Ironie dem eitlen Manne machte
f&r den Vers cedant arma togae, concedat laurea linguae.^) Hätten
wir seine Reden, so könnten wir ihn unmittelbar mit Cicero
yergleichen. Wie wir ihn kennen, dürfen wir wohl vermuten,
dab ihm die überschwengliche Art Ciceros unsympathisch ge-
wesen ist: er stand, wie aus Tac. dial. 21 deutlich hervorgeht^
der extremen Partei der Atticisten viel näher als der Manier
Ciceros.') Wie mag er das wohl angehört haben, was ihm
dieser in der Marcelliana sagte: ich denke, etwa so wie Trajan
den Panegyricus des Plinius anhörte. Dafs er freilich, wo es
darauf ankam, die Waffen auch der zierlichen Rhetorik zu führen
wuÜBte, zeigen uns ein paar Notizen aus dem Anticato.'J Ganz
1) Cf. auch Cassius an Cicero ep. fam. Xu 18, 1.
2) Mit Calyns korrespondierte er (Suet. div. Inl. 73. Caes. ed. Nipper-
dey p. 77B); jener adoptierte die orthographische Neuerung Caesars optimus
etc., cf. W. Brambach, Neugestalt, d. lat. Orthogr. (Leipz. 1868) 108; 111.
8) In dieser (Gegenschrift gegen Cicero hatte er alle Arten sophistischer
Argomente Yorgebracht (Cic. Top. 94) ; man erkennt das noch etwas am Stil
in den zwei Citaten: Plin. ep. III 12, 2 quem (Catonem) C. Caesar ita re-
prd^ettdU, ut laudet. describit enitn eos quibus ohvius fuerat cum caput ebrii
retexissent, erubuisse; deinde adicit ^putares non ab Ulis Catonem, sed
iUo$ a Catone deprehen808\ Plut. Cat. min. 62 (Cato nahm nach dem
Tode des Hortensius seine von diesem zur Erbin eingesetzte Gattin Marcia
wieder zu sich ins Haus, woraufhin ihm Caesar tpiXonXovxlav %al ftiC^ccQ-
VordtB, tm,tün KanttproM. 14
210 n. Die römische Kunstprosa bis Angastof.
Praxi!, anders die commentarii; sie^ vor allem der über den gallischen
Krieg, dieser „militärische Rapport des demokratischen Generals
an das Yolk^' (Mommsen, R. G. III 615), zeigen das Tendenziöse
auch im Stil: während Fompeius, der selbst ahunde disertus
rerum stiaruin narrcUar war (Quint. XI 1, 36 cf. Tac. diaL 37),
seine Erfolge im mithridatischen Krieg durch Theophanes von
Mytilene in der üblichen schwülstigen Weise hatte verherrlichen
lassen und während (nach Suet. de rhet. 27) L. Voltacilius Pi-
tholaus, Pompeius' Lehrer in der Rhetorik, dessen Thaten offenbar
rhetorisch feierte (etwa in der Art des ciceronianischen £n-
komions), schrieb Caesar kühl imd sachlich, wodurch schon in
dem damaligen Leser das Gefühl erweckt sein wird, dafs er es
nicht für nötig hielt, angesichts solcher für sich sprechender Er-
folge sich seiner Thaten in einem prahlerisch-rhetorischen Stil
zu rühmen. Aber gerade deswegen glauben wir noch heute aus
ihnen den sermo imperatorius entgegentönen zu hören, den das
Altertum an seinen Reden bewunderte (Fronto 123; 202). Mit
den allereinfachsten Mitteln weifs er die gröfsten Effekte zu er-
zielen, z. 6. wie unübertrefflich wird de bdlo civ. I 6 die un-
ruhige Hast der Italien verlassenden Pompejaner in ganz kleinen
asjndetischen Sätzen gemalt. Von den Mitteln der Rhetorik
verwendet er nur die natürlichsten: kraftvolle Asyndeta (z. B.
de b. c. I 3; 3; 6, 8; 15, 2; 34, 4 £) und die Anaphora^), da-
gegen sind Antithesen sehr spärlich und nie gesucht. Wohl
vereinzelt steht eine sehr kunstvolle Periode in der ganz be-
sonders lebhaften, fast pathetischen Schilderung des Yemichtungs-
kampfes gegen die Nervier, bei der er seine vornehme Kühle
ausnahmsweise ablegt und dadurch dieselbe Wirkung erzielt wie
Tacitus, wenn er gelegentlich (z. B. bei Arminius' Tod) warm
wird: hostes etiam in extrema spe sältUis tantam virhitem prae-
stUeruntf ut cum primi eorum cecidissent, proximi iacentibas in-
viav inl t^ ycififp vorwarf) tl yccQ fedsi nccQaxmQStv 8s6iJk8vov yv9ai*6g
tb y^vcctov *OQtricL<p xal viav l^xQriaBv^ tva nXovaiav &noXdßfi;
1) Cf. E. Lorenz, Über Anaphora und Chiasmus in Caesars b. G., Progr.
Creuzburg 1875. Von den Beden ist mit bewofster Kunst (aber nicht in
Äufserlichkeiten) abgefafst nur die des Critognatus b. G. Vn 77, cf. Ph.
Fabia, De orationibus quae sunt in commentariis Caesaris de b. G. (Paris
1889) 86 ff.
Caesar und seine Fortsetzer. 211
sisterent cUgue ex eorum corporibus ptignarentj his deiectis et coa-
cervatis cadaveribuSy qui Si4peressent ut ex tumulo tda in nostros
conkerent et pila intercepta remitterent: ut non nequiquam tantae
viriutis homines iudicari deberet ausos esse transire latissimum
flumen, ascendere altissimas ripas, subire iniquissimum
locutitf quae facilia ex difficillimis animi magnitudo redegerat (cf.
etwa noch de b. c. HI 69, 4).
Von den anonymen Fortsetzungen Caesars will ich nur eine, Paniuu
das bellum Hispaniense, erwähnen/weil es für die hier an-
gestellten Untersuchungen nicht ohne Interesse ist. Es ist ohne
Frage eins der kümmerlichsten Machwerke der Litteratur aus
guter Zeit^)y obwohl man ihm noch zu viel Ehre anthut, es
überhaupt zur Litteratur zu rechnen: denn es ist gewifs kein
Zufall, dafs wir seinen Verfasser so wenig kennen wie die der
andern Fortsetzer der caesarianischen commentarii aufser dem
bedeutend hoher stehenden Hirtius: der in der bessern Gesell-
schaft herrschende Grundsatz des Odi profanum volgus hat
diesen Skribenten^ die Verewigung des Namens versagt. Aber
nichts ist bezeichnender, als wenn jener brave miles, der den
spanischen Krieg beschreibt, sich aufs hohe Pferd setzt und,
gerade im Stande, richtig zu deklinieren und zu konjugieren
und sein hene muÜi, bene ntagnus zahllose Male anzubringen, nun
einen rhetorischen Stil affektieren will: das thut er regelmäfsig
bei der Beschreibung eines irgendwie bedeutenderen Gefechts
und bei den zwei Reden, die er sich nicht versagt hat, in
direkter Form zu verbrechen. Bei den Schlachtberichten hat er
zweimal Ennius citiert: 23, 3: hie tum, ut ait Ennius, nostri
eessere parumper 31, 7: hie, ut ait Ennius, pes pede premitur etc.,
was einem so vorkommt, als wenn ein Wachtmeister in seinem
1) „Joseph Scaliger fand das Latein im bell. Hispan. sehr schön und
interessant**: diesen Satz finde ich, ohne ihn nachprüfen zu können, bei
S. Schmid, Unters, üb. die Frage d. Echth. der Rede pro Marcello (Diss.
Zürich 1888) 20. Scaliger hatte, wie Lipsius, Freude an Pointen; das wird
ihn zu dem wunderlichen Urteil veranlafst haben.
2) Man könnte auf sie anwenden, was Lukian de hist. conscr. 16 von
einem Historiker seiner Zeit sagt: &iiog di tig a^Ay ^6iivrifia x&v ytyo-
w6^mv yviMfhv avpa^ayrnv iv yQ(xq)fl %oiiidi nsibv %al ^c^f^i^^i^^ff» olov %al
n^cetUnrig &9 ttg roc %a^' ijuiffav &vayQaq>6fUBvog 6vvidji%ev i) tintiov i)
%aMril6g t(^ ttvunBQivoat&v xfj argana.
14*
212 n. Die römische Konstprosa bis Angastiu.
Bericht sagen würde: ,,Daraaf wurde das Signal zum Auftitzen
gegeben^ wie Schiller sagt: wohlauf Kameraden, aufis Pferd, aufs
Pferd/' Einmal (25, 4) gar: hic^ ut fertur AchtlUs Memnonisque
congressuSf Q. Pompeins Niger, eques Bofnantis Itälicensis, ex aeie
nostra ad congrediendum progressus est, xoiml tf} qxxx^ fLiigov.
Und nun höre man, was er von rhetorischen Stilfinessen kennt:
6, 5: quae res cum ad maiorem contentionem venisset, ab utrisque
comminus pugna iniqua, dum cupidius locum Student tenere, propter
pontem coangustabantur, fluminis ripas adpropinquanks coangu-
statt praecipitabantur. hie alternis non solum morti
mortem exaggerabant, sed tumulos tumulis exaequabant
17, 1: postero die TüUius legaius cum Catone Lusitano venu et
apud Caesarem verba fecit: „uiinam quidem dii immortales fedssmt,
%ft tuus potius miles quam Cn. Pompei factus essem et hanc virtutis
constantiam in tua vidoria, non in illius calamitate praestarem
Propter patriae luctuosam pemiciem dedimur hostium numero, qui
neque in illius prospera ade primam fortunam, neque in adversa
secundam obtinuimus victoriam, 42, 5 (Rede Caesars): aptid vos
beneficia pro maleficiis, maleficia pro beneficiis habentur. ita neque
in otio concordiam neque in bello virtutem üllo tempore relinere
potuistis In quo vos victores existimabatis? an me deleto
non animadvertebatis habere Ugiones populum Romanum, quae non
solum vöbis obsistere, sed etiam caelum diniere possent, q>£i>. Also
überall Antithesen, die er sonst durchaus nicht kennt (non
solum — sed etiam kommt nur an diesen beiden Stellen vor).
Einmal hat er in lebhafter Rede auch ein tQixmXov: 13, 6: ibi
cum in oppidum revertissent^ relato responso, clamore sublato, omni
genere telorum emisso pugnare pro muro toto coeperunt, einmal ein
sehr abgeschmacktes Wortspiel 29, 4: huc accedebat, ut locus Uta
planitie aequitatem omaret diei solisque serenitate, ut mirificum
et optandum tempus prope ab diis immortalibus illud tributum esset
ad proelium committendum, wo ja auch die andern Worte seine
Bemühung zeigen, pathetisch zu werden.^)
riniipitue 5. Ciccro. Wenn ich behaupte, dafs ffir eine gerechte
gan^ftr Würdigung der Bedeutung Ciceros als Redners und Stilisten
OiOtTO.
1) J. Degenhart, De auctoris belli Hisp. elocntioiie et fide historica (Diss.
Würzb. 1877) spricht Yon dem hierher Gehörigen nur über Wortstellung
(p. 84), Chiasmus (p. 86), poetische Worte (p. 40).
Caesars Fortsetzer. Cicero. 213
heutzutage noch so gut wie alles fehlt^ so weifs ich, dafs darin
mehrere Männer, deren urteil mir massgebend ist, mir bei-
stimmen. Seine Gröfse erscheint uns so zweifellos^ dals wir es
nicht f&r notig erachten, uns nach den Gründen im einzelnen zu
fragen. Er selbst hat, obwohl er wufste, dafs cum amnis arro-
ganüa adiosa est tum iUa ingenii atque eloquentiae mülto molestis-
sima (diy. in Caec. 36), an nicht wenig Stellen mit nicht mifs-
zuverstehender Deutlichkeit sich für den grofsten Schriftsteller
in lateinischer Sprache erklärt; von seinen Zeitgenossen ist er
gepriesen worden als der ^ Konig in den Gerichten', und nur
wenige unter ihnen haben in tendenziöser Weise ihn zu ver-
kleinern gewagt; die Nachwelt hat ihn vollends in den Himmel
erhoben und ihm seine Unsterblichkeit richtig prophezeit (Asin.
PoUio bei Sen. suas. 6, 24; Velleius 11 66), seine Gegner sind
fär GeUius XVII 1 prodigiosi et vecordes und er vergleicht sie
mit den monstra haminum qui de dis impias fcdsasque opiniones
prohderunt; Bomani nominis tittdum nennt ihn Cremutius Cordus
bei Seneca suas. 6, 19, Ingenium quod sölum populus B. par im-
perio suo häbuit Seneca selbst contr. 1 praef. 1 1 ; er war 6 ^ijtmQ
wie bei den Griechen Demosthenes, für Quintilian ist er die in-
kamierte Beredsamkeit: X 1, 112: apud posteros id consecutus est^
fä Cicero tarn non hominis nomen sed eloquentiae habecAur. So ist
es geblieben sogar im Mittelalter, als man seine Beden kaum
mehr las und einen Stil schrieb, den der Gefeierte selbst nicht
mehr verstanden hätte. Dann berauschten sich an ihm die Hu-
madisten und gerieten beim blofsen Hören seines Namens in
einen Taumel der Begeistenmg: das ist die Zeit gewesen, in der
nach mehr als tausend Jahren der Mann zum ersten Mal wieder
mit den Augen gelesen und den Ohren gehört wurde, wie er es
verdiente und wie er es erwartete. Wer von uns Modernen, der
jene Zeiten kennt, würde behaupten, dafs wir den Redner Cicero
heute auch nur annähernd so verstehen wie die Männer, die ihn
stolz zu den Ihrigen zählten und ihr Leben nicht achteten, wo
es galt, eine neue Bede aus den Kellern der Barbaren auf-
erstehen zu lassen? Wir haben grofse Fortschritte in der Er-
klänmg des Einzelnen gemacht und dürfen kühn behaupten,
dab erst unser Jahrhundert den Gedankeninhalt vieler Beden
in juristischer und historischer Hinsicht erschlossen hat; wir
haben auch eine Menge von den Gesetzen ciceronianischer
214 n. Die römische Kunstprosa bis Augustus.
Diktion besser erkannt als z. B. Lorenzo Yalla. Aber jene
Männer haben es verstanden , Cicero so zu hören, wie einst
Augustin den Ambrosius: verbis eim suspendebar intentuSf verum
autem incuriosus et contemptar astabam et ddectabar suavitate ser-
monis (s. oben S. 5). Ich bekenne daher , dalB ich f&r Cicero
das Meiste lernte, seit ich anfing, ihn durch Vermittlung der
Humanisten zu betrachten, und mein Ziel ist, ihn nicht blols zu
yerstehen, sondern auch zu fühlen: denn nur von demjenigen,
dem Cicero in dieser Weise gefallt, gilt, glaube ich, der Satz,
mit dem Quintilian seinen unübertrefflichen Panegyricus auf
seinen Heros schliefst (X 1, 112): ille se profecisse sciat, cui
Cicero valde placebü. Es würde bei dem Fehlen fast aller Vor-
arbeiten jahrelanges Studium dazu gehören, ein Werk zu
schreiben, dessen unsere Wissenschaft, wie ich meine, dringend
bedarf: aber schon jetzt weifs ich, um was es sich dabei handeln
mufs. 1) Es mufs geprüft werden, wie weit bei ihm die von
ihm selbst dargelegte Theorie mit der Praxis zusammengeht
Speziell die Kunst der Periodisierung mufs nach den Grund-
sätzen erörtert werden, wie sie das Altertum und vor allem
Cicero selbst in seinen rhetorischen Werken aufgestellt hat:
hierfür haben die Gelehrten der Renaissance manches richtig und
fein vorgearbeitet (s. o. S. 42, 1); besonders auf das stark hervor-
tretende rhythmische Element wird dabei zu achten sein, denn
wer eine ciceronianische Periode in moderner Art blofs ^nach
dem Sinn' liest, kann sicher sein, dafs er nie zum Verständnis
der höchsten Kunst dieses Redners gelangen wird; natürlich
wird bei dieser Untersuchung die Wortstellung genau zu prüfen
sein, denn wenn ich richtig fühle, wagt er darin in den späteren
Reden mehr als in den früheren.^) 2) Es müssen die grie-
1) Findet sich z. B. früher etwas wie in Catil. IV 14 otnnia et provisa
et parata et cansHtuta su/fU cum mea summa cura atque diligentia tum etiam
multo maiore popidi Bomani ad summum imperium retinendum et ad eom-
mwnes fortunas conservandas voluntate, ib. 16 qui tum tantum, quantum
audet et quantum potest, conferat ad communem saJutem voluntatis. pr. Arch. 18
quantum ceteris ad suas res obeundas, quantum ad festos dies ludorum cele-
brandos, quantum ad alias voluptates et ad ipsam requiem animi et corporis
conceditur temporum, Phil, m 30 qui cum exercitu Bomam sit ad interi-
tum nostrum et ad dispersionem urbis venire conatus (an allen vier Stellen
erreicht er dadurch seine Lieblingsklauseln j. kj i. j. sj und u, \j ^ jl \j ^)7
Cicero. 215
ellischen Bedner heraDgezogen werden: denn ihnen verdankt er
das Beste^ wie er selbst überall eingesteht nnd wie auch seine
begeistertsten Bewunderer in alter und neuerer^) Zeit zugegeben
haben. 3) Es muISs in gröfserem umfang, als es bisher ge-
schehen ist, der Versuch gemacht werben, die Entwicklung der
Kunst Ciceros, die, wie wir sehen werden, von ihm selbst be-
zeugt und auch von späteren Eritikem (M. Aper in Tac. dial. 22)
anerkannt worden ist, chronologisch zu verfolgen: es ist das Ver-
dienst 6. Landgraf 's, hiermit wenigstens den Anfang gemacht
zu haben in seiner Dissertation De Ciceronis elocutione in ora-
tionibus pro P. Quinctio et pro Sex. Boscio Amerino conspicua
(Würzbuig 1878). 4) Hierbei würde aber vor allem ein Fehler
zu vermeiden sein, der den Wert auch der nützlichsten Arbeiten
dieser Art um ein beträchtliches schmälert: man darf nicht
blofs chronologisch verfahren, sondern mufs innerhalb des
chronologischen Rahmens a) die Reden im ganzen scheiden nach
den drei genera dicendi, — denn keinem der Theorie Kundigen
braucht gesagt zu werden, dafs er anders für Baibus, anders für
Pompeius, anders gegen Antonius reden mufste — , b) die einzelnen
Reden nach ihren Teilen — denn was würde es uns z. B. nützen,
wenn wir wüüsten, dafs die und jene Redefigur in einer Rede 50mal
vorkäme und uns nicht gesagt würde, dafs davon 20 Fälle auf das
Proomium, 20 auf die Peroratio, nur 10 auf die dazwischen-
liegenden Teile kommen? — , c) das ^^og jedes einzelnen der in
Betracht kommenden Sätze prüfen, denn man kann sich darauf
verlassen, dals bei Cicero eine starke rednerische Ausschmückung
1) Cf. das Urteil Aschams in seinem Brief an Sturm v. J. 1668 (in der
Ansg. von Aschams Werken v. Giles n n. 99 p. 181) hälmit üle quidem Bo-
wui€ OracckoSj Crassos, Antonios, rarimma cid imitcmdum exempla: sed
exemjpia dUa ipse alicu gwierit, Proprietatem Bomanae lingtMe simuH cum
laete Bomae, pwrissima aetate, ex ipso Latinitatis laetissimo flore hausit lUe
tarnen sermonem iUum Lixtinum suum divinum, superioribus non cognitum,
poeteris tarn admirabilem, aliunde sumpsit; et alio modo quam Latino usu,
quam Latina institutione, et auxit et aluit lUe enim sermo non in Italia
natus est, sed e Graecorum disdplina in Itdliam traductus. Nee satis habuit
Cicero, ut ling%ta eius proprietate domestica casta esset et omata, nisi mens
eüam Graecorum eruditione prudens efficeretur et docta. ünde evenit^ ut
sola Ciceronis oratio inter religuos omnes Eomanos, qui Uli aetate aut superiores
amt aequales aut suppares fuere, non colore solum vemaculo pure tincta, sed
raro et transmarino quodam plene imbtUa tam admirabiliter resplendesceret.
216 U. Die römische Kunstprosa bis Aagustus.
eines Satzes — wenigstens in den Beden, die ihn anf der Höbe
seines Könnens zeigen — nie einem banalen Gedanken gilt, dsfs
sich vielmehr auch darin seine Kunst zeigt, wenn er im Gegen-
satz zu so vielen Schriftstellern der nächsten und zu eilen
Schriftstellern der späten Jahrhunderte Licht und Schattet in
so meisterhafter Weise zu verteilen weifs, dals das Ganze —
um einen antiken, dem Cicero selbst sehr geläufigen (z. B. ad
Att. II 1, 1) Vergleich zu gebrauchen — sich zu einem farben-
prächtigen Gemälde gestaltet. 5) Wir brauchen eine Geschichte
des Studiums Giceros von seinen Lebzeiten bis zu seiner Auf-
erstehung. An der Hand der indirekten Überlieferung muij sich
zeigen lassen, dafs auch bei seinen Reden im Lauf der ersten
fiinf Jahrhunderte eine Auswahl der besten stattgefunden hat.
Über die Stellung des Mittelalters zu Cicero werde ich versuchen,
in einem späteren Abschnitt wenigstens einiges Bemerkenswerte
hervorzuheben.
cicOTo all Auf einzelnes würde ich bei dem Plane dieser ünter-
Bedner. suchungcu uicht einzugehen haben, selbst wenn ich es schon
vermöchte. Nur einiges wenige, was ich nicht glaube umgehen
zu dürfen, will ich hervorheben: keine allgemein gehaltene
^Ehrenrettung', wie sie lange üblich waren, soll es sein, sondern
nur ein auf thatsächlichem Material fuTsender Versuch , den
Mann als Redner und Stilisten — beides fallt zusammen — aus
seiner Zeit heraus zu verstehen. Wenn wir einem Schriftsteller
und vor allen einem Redner gerecht werden wollen, so müssen
wir zunächst fragen, was er beabsichtigt hat, dann, ob er das,
was er beabsichtigte, erreicht hat, und erst in letzter Instanz,
ob die Absicht und ihre Durchführung von unserm Standpunkt
zu billigen ist. Dafs er als antiker Redner nicht bloCs sachlich
persuadere, sondern auch — und in viel höherem Mals als jeder
moderne Redner — pathetisch movere und ästhetisch ddectare
mufste, ist in der Einleitung mit Beweisstellen, die teilweise
seinen eigenen Schriften entnommen sind, hervorgehoben worden:
daher sind xd^og (dsiirötrig^ tftpodQÖtrig] dolor nennt er es selbst
de or. HI 96 u. ö.) und xdQtg (tb TtQixov) die beiden EbrUpt-
merkmale seiner Diktion (Plut. Cic. 3; 13; 24; 25). Hierdurch
hat er oft mehr als durch die Kraft der Argumente eine halb
verlorene Sache zu einer gewonnenen, eine schlechte Sache zu
einer guten gemacht: summus tractandorum animorum artifex
Cicero. 217
QaintiL XI 1, 85; Milo glaubte, dals, wenn Cicero die Bede so
gdialten hätte, wie er sie nachher aufschrieb, seine Freisprechung
erfolgt wäre (Cass. Dio XL 54). Durch diesen Glanz seiner
Diktion gefiel er dem Volk: Quintil. YIII 3, 3 (der omatu8 sei
für die Bede notig): an in causa C. Comdi Cicero cansecutus
esset docendo iudicem tantum et ulüiter deimitn ac latine per^picueque
dieendo, ut poptdus Ramanus admirationem siuMn non acdamatione
iantmn sed etiam platASu canfUeretur? Für die philippischen Beden
bezeugt dasselbe Livius bei Seneca suas. 6, 17. £r hat also er-
reicht, was er beabsichtigte, denn er wollte, wie er selbst sagt
(bei Quint. VIII 6, 20), dem Volk * imponieren*, und Bewunderung
zu erregen war sein Ziel: eloquenHam quae admirationem non habet,
nuUam iudico schreibt er an seinen prinzipiellen Gegner Brutus
bei Quint. Ym 3, 6, und im Brutus 290 sagt er sehr bezeichnend
(was so ziemlich noch f&r das heutige Italien gilt): völo hoc
cratori coniingal, tä, cum auditum sit eum esse dicturum, locus in
subseUiis occupetur, compleaiur tribunal, gratiosi scribae sint in dando
ä cedendo loco, corona multiplex, iudex erectus; cum surgat is qui
dktfurus sit, significetur a corona silentium, deinde cr^ae assen-
siones, multae admirationes; risus cum velit, cum velit flettis: ut
qui haee procul videat, etiamsi quid agatur nesciat, at placere tamen
ä in scaena esse Boscium inteUegat; cf. Tusc. 11 1, 3: orationes
muUitudinis iudicio probar i volAamuSj popularis est enim iUa fa-
cultas et effectus doquentiae est audientium adpröbatio^); daher, sagt
er (ib. 185), ist das Volk der höchste Kritiker des Bedners, und
dessen Urteil haben sich die docti homines von jeher an-
geschlossen: itaque numquam de bono oratore aut non bono doctis
kaminüms cum populo dissensio fuit. Dürfen wir ihn deswegen
tadeln, dafs er seine Begabung in dieser Weise zur Erreichung
seines Zwecks benutzt hat? Wir mülsten es, wenn er je zum
Geschmack des Pöbels herabgestiegen wäre: aber jeder wird zu-
geben, dals er ihn nicht blofs in der Theorie (ep. ad fieim. YII 32)
Teraehtet hat. Die einzig gerechte Beurteilung läfst ihm hierin
Qnintilian XII 10, 52 zu teil werden: si mihi des consüium iudicum
sapienUum, perquam muUa recidam ex orationibus non Ciceronis
modo sed etiam eius qui est strktior müUo, Demosthenis. neque
1) Cf. auch ep. ad Att. I 14, 3 f., wo er noch offner ist als in den für
weitere Kreise bestimmten Schrifben.
218 n. Die römische Eunstprosa bis Augustus.
enim adfecttis omnino movendi erunt nee aures ddectatume mutcm-
dae . . .; proprie et significanter rem indicarey probatitmes coUigere
satis est cum vero iudex detur aut populus aut ex populo laturigue
sententiam indocti saepius atque interim rusHci, omnia quae ad ob-
tinendum quod intendimus prodesse credemus adhibenda sunt etc.;
war doch sogar Calvus, als er den Vatinius gegen Cicero an-
klagte, seinem Prinzip untreu geworden, indem er hoclipatlietisch
gesprochen hatte: eine oratio auribus iudicum accommodata nennt
sie Tacitus dial. 21; 34; 39 a. E. cf. Senec. contr. Vü 4, 6.
ingebUoher Wegen dieser Neigung sowohl zum Grandiosen als zum
Zierlichen ist dem Cicero in dem litterarischen Streit der Parteien,
der bald nach 55 v. Chr. begann und seinen Höhepunkt schon
etwa im J. 50 erreichte, der schwere Vorwurf gemacht worden,
er gehöre der asianischen Richtung an, d. h. nichts anderes als:
ihm fehle das iudicium, er sei &vai<fd^tog in stilistischen Dingen.
Dieser Vorwurf ist bis auf unsere Zeit wiederholt worden, be-
sonders häufig und heftig im 16./17. Jahrhundert, als gegen den
Ciceronianismus der Frührenaissance die Reaktion der Anti*
ciceronianer sich erhob, et z. B. Turnebus, Adversaria (1580)
1. XXVin c 22, Cresollius, Vacationes autumnales (1620) 564 f.,
Cellarius, De scriptoribus solutae orationis scholarum usui
publico commendandis (1706) in: Cellarii dissertationes aca-
demicae ed. Walch (Lips. 1712) 705, Fen^lon, Dialogues sur
Feloquence II 91 fif. (ed. Paris 1728), sogar Anhänger Ciceros
wagten nicht zu widersprechen wie A. Schottus, Cicero a ca-
lumniis vindicatus (1613; ed. lo. Alb. Fabricius im Anhang zu:
M. Tullii Ciceronis filii vita Simone Vallamberto auctore, Ham-
burg 1730) c. 11 p. 158 und im Anhang dieser Schrift (Pro
Ciceronianis) p. 170; Petrus Ramus, Ciceronianus (1556) p. 91 ff.
u. ö. Oegen diesen Vorwurf hat ihn damals am ausfQhrlichsten
in denkbar erregtestem Ton verteidigt der Jesuit lulius Nigro-
iiius in drei im J. 1583 gehaltenen Reden De imitatione Cice-
ronis (n. XVI — XVm seiner gesammelten Reden, ed. Moguntiae
1610), gemäfsigter Caussin, Eloquentiae sacrae et profanae
parallela (1619) 1. II c. 14. Da sich jedoch diese Manner nur
in allgemeinen Expektorationen ergehen^), so muls ich kurz die
wichtigeren Urteile des Altertums anführen und prüfen.
1) Das gilt auch yon J. Figl, Cic. qnaienus ad ÄBiaaum dicendi genui
Cicero. 219
Das eine dieser Urteile ist enthalten in polemischen Polemik
Änfserongen zeitgenössischer Gegner Ciceros, das andere in Attidttes
seiner bekannten Selbstkritik. Über das erstere würden wir
mehr wissen, wenn wir den Briefwechsel des Calvus und Brutus
mit Cicero besälsen, den Quintilian und Tacitus noch lasen*
Tacitos sagt diaL 18: satis constat ne Ciceroni quidem öbtrectatores
irfuissej guibus inflatus et tumens nee satis pressus sed supra
modum exsultans et superfluens et parum Ätticus videretur,
kgistis titique et Ccdvi et Bruti ad Ciceronem missas epistulas^ ex
quibus facäe est deprehendere Calvum quidem Ciceroni visum ex-
sanguem et aridumj Brutum autem otiosum et diiunctum, rurstAsque
Ciceronem a Calvo quidem male audiisse tamquam solutum et
enervem, a Bruto autem, ut ipsius verhis utar, tamquam fractum
atque elumbem. Quintilian hat diesen Briefwechsel an mehreren
Stellen berücksichtigt, denn wenn er von ^Zeitgenossen Ciceros
als seinen Tadlem' spricht; so meint er natürlich jene beiden,
die er einmal (XII 1, 22) ausdrücklich nennt (aus einem Brief
des Cicero an Brutus citiert er eine Stelle VIII 3, 6). Wir
sehen daraus, daCs sie zweierlei an ihm auszusetzen hatten: das
zu stark hervortretende rhythmische Element seiner Diktion
(K 4, 1; 4, 53 ff.; 64 cf. 146; XII 1, 22; 10, 12)*) — speziell
weichUche, ja weibische Rhythmen, womit verbunden sei eine zu
häufige Anwendung von Redefiguren (speziell repetitiones, d. h.
bcavatpoQaCj cf. auct. ad Her. IV 19; Cic. de or. III 206) — und
Schwulst: XII 10, 12 f.: quem (Ciceronem) suorum homines tem-
forum incessere audebant ut tumidiorem et Asianum et re-
dundantem praecipue vero presserunt eum qui videri
Attieorum imitatores cancupierant. haec manus quasi quibusdam
saeris initiata ut alienigenam et parum supersiitiosum devinctumque
üUs legÜMS insequebatur, unde nunc quoque aridi et exsuci et ex-
sangues. Wir brauchen uns mit der Widerlegung dieses Urteils
nicht aufzuhalten: es geht von Männern aus, welche die Beredsam-
keit nach einem scholastischen Prinzip mafsregeln und die ange-
borene Kraft des Redners in Fesseln legen wollten. Cicero selbst hat
accenerit, Progr. Görz 1870. H. Lantoine, De Cic. contra oratores Atticos
disputante, Thes. Paris 1874.
1) BratoB yermied (wie alle Atticisten) absichtlich rhythmische Rede:
Qoint. IK 4, 76; aus derselben Stelle wird bei Teuffei -Schwabe, Gesch. d.
r0m. Litt * .$ 810, 2 Tersehentlich das Gegenteil geschlossen.
220 n. Die römische Kunstprosa bis Aagustns.
ihnen öfifentlich geantwortet im Brutus^ orator und der Vorrede
zu seiner Übersetzung der demosthenischen Eranzrede^); Galvus
war; als diese Schriften erschienen^ eben gestorben und Brutus,
den Cicero za sich herüberzuziehen hoffte, verhielt sich ablehnend
(ad Att. XIV 20, 3). Für den Gegensatz der beiden ist wohl
am bezeichnendsten das Urteil, welches Cicero in einem Brief
an Atticus (XV Ib, 2) über die von Brutus am 17. März 44 auf
dem Kapitol gehaltene Rede fällt: Brutus nosier misit ad me ora-
tionem suam habitam in contione CapitoUna petivitque a tne, %d
eam sine ambitione corrigerem^ ante quam ederet. est autem oratio
scripta elegantissime sententiiSy verhis ut nihü possit ultra: ego
tarnen, si illam causam hdbuissem, scripsissem ardentius, imi-
^s6ig vides quae sit et persona dicentis, itaque eam corrigere non
potui: quo enim in genere Brutus noster esse volt et quod iudicium
habet de optimo genere dicendi, id ita consecutus est in ea oratione^
ut elegantius esse nihil possit. sed ego secutus aliud sum, sive hoc
rede sive non rede, tu tarnen velim orationem legas, nisi forte iam
legisti, certioremque me fadas, quid iudices ipse: quamquam vereor
ne cognomine tuo lapsus hyperatticus sis in iudicando; sed si re-
cordabere ^ijfioö^ivovg fulmina, tum intdleges posse et ittixdnata
et gravissime dici.^) Dafs Cicero im Recht war, kann für einen
objektiven Beurteiler gar keinem Zweifel unterliegen. Granz ab-
gesehen davon, dafs jene, von ängstlicher Scheu vor dem Zuviel
befangen, die Begriffssphäre des ^Attischen' zu eng begrenzten
— wer diese ^Attiker' auf Kosten Ciceros rühmt, mufs
1) Dafs diese Schriften seinen Standpunkt rechtfertigen sollten, hat
zuerst 0. Jahn in den Vorreden seiner erklärenden Ausgaben hervorgehoben;
dann ist es yortrefflich ausgeführt von Franz Müller, Brutus eine Selbst-
Verteidigung des Cicero, Progr. Colberg 1874, einiges auch bei Hamecker
in Fleckeisens Jahrb. CXXV (1882) 601 ff. (wertlos ist E. Weber, Quibos
de causis Cic. post libros de or. editos etiam Brutum scripserit, Progr.
Leisnig 18^0).
2) Merkwürdig ist, dafs er trotzdem in seinen dem Brutus gewidmeten
Tusculanen folgendes zu schreiben wagt (11 1, 8): reperiehantwr non mdU
qui nihil laudarent (an seinen Beden) nisi quod st imitari posse confideretU
guemque sperandi sibi, eundem bene dicendi finem proponerent, et cum obrue^
rentur copia sententiarum atque verborum, ieiunitatem et famem se maUe quam
überteuern et copiam dicerent^ unde erat exoritnn genus Ättioorum, iis ipsit
qui id sequi se profUebantur ignotum: qui iam conticuerunt paene ab ip$o
foro inrisi.
Cicero. 221
bedenken^ dafs sie den Demosthenes verpönten; dem
Cicero wie einem Ideal nachstrebte — : der ganze Streit
Ciceros mit der Gegenpartei war^ um es kurz zu sagen^ ein
Streit des Praktikers mit den Theoretikern; letztere setzten^ wie
er sagt (Brut. 283), dem Volk eine Kost vor, die es nur wider-
willig hinunter würgte, und die Folge war, dals man, wenn sie
redeten, sich langweilte und bald nach Haus ging (ib. 288): ,yich
dagegen, führt Cicero in einer langen Episode (183—200) aus,
kümmere mich um das Urteil der docti und inteUegentes nur, in-
soweit es die Stimme des Volks, dessen Kritik eine viel feinere
ist, als man gemeinhin glaubt (de or. III 195 ff.), wiedergiebt,
denn die existimatio bei diesem ist mir das Höchste/'^)
Von grolserer Bedeutung als das Urteil dieser prinzipiellen s«ibitkria
Gegner ist die Selbstkritik Ciceros im Brutus 301 — 328: ich *'*"*'
verweile bei ihr etwas ausführlicher, weil ich glaube, auf sie
gestützt einiges feststellen zu können, was zum Verständnis der
Entwicklung der ciceronianischen Bedekunst dient. In dieser
Selbstkritik mifst er sich, wie man weils, an Hortensius, der
damals seit vier Jahren tot war. Sie rivalisierten in den
gröftten Prozessen, bis ihm Cicero den Rang ablief. Hortensius
hatte ein überaus leidenschaftliches Temperament (cf. auch Cic
div. in Caec. 46): entsprechend dieser Naturanlage schlofs er
sich an die asianische Rhetorik an und zwar verband er die
beiden Arten dieser Rhetorik mit einander: Pathos und Zierlich-
keit; auch seine Stimme war wie die der Asianer canoraj und
er kleidete sich, wie einst die Sophisten, mit übertriebener Sorg-
falt (Macrob. sat. IH 13). Anfangs war sein Erfolg gewaltig,
später nahm er ab, was Cicero daraus erklärt, dafs man sich von
einem jungen Menschen jene Leidenschaftlichkeit und Geziertheit
gefallen liels, nicht mehr von einem Greise, bei dem man
auctoritas zu sehen wünschte. Dieser Mann beherrschte schon
die Gerichte, als der acht Jahre jüngere Cicero im J. 81 zum
ersten Mal auftrat: er gedenkt daher in der damals gehaltenen
Bede des gefeierten Mannes mit der gröfsten Hochachtung. Im
folgenden Jahre hielt er die Rede, die ihn wegen seines person-
liehen Mutes als Anwalt, wegen der kunstvollen Diktion als
1) Of. auch sein Urteil über Calvus ep. ad fam. XV 21, 4 muUat erani
d rtconäüae UUerae, vis non erat.
222 n. Die römiBche Eunstprosa bis Augnstos.
Redaer berühmt gemacht hat. Diese beiden Beden umfassen die
erste Periode seiner Beredsamkeit. Die zweite beginnt nach der
griechischen Reise, die die Jahre 79 — 77 umfaTste. Er selbst
hat in der erwähnten Selbstkritik (313 ff.) diese beiden Perioden
scharf von einander geschieden: nachdem er geschildert hat^ wie
er auf dieser Reise bei den berühmtesten asianischen Rednern
in die Schule ging und sich dann nach Rhodos zu Molon begab,
fahrt er fort (314): is (Molo) dedit qperam, ut nimis redun-
dantis nos et superfluentis iavenüi quadam dicendi impunitate
et licentia reprimeret et quasi extra ripas diffluentis coerceret,
ita recepi me hiennio post non modo exercitatior sed prcpe mutatus:
nam et contentio nimia vocia resederat et quasi deferverat oratio.
Als er 77 nach Rom zurückkehrte, gab es zwei Redner, die
beiden bedeutendsten, die ihn zur Nachahmung hätten reizen
können: C. Aurelius Cotta (geb. 124), der Typus des nüchternen
verstandesmäTsigen Redners, und Hortensius; es konnte keine
Frage sein, auf wen seine Wahl fallen mufste: dem Hortensius,
den er schon Tor der Reise bewundert hatte, fühlte er sich durch
seine eigene Naturanlage wahlverwandt; auch sah er, dafs dieser
gröüsere Erfolge aufzuweisen hatte; dazu kam die theoretische
Überzeugung: acrem oratorem et incensum et agentem et canorum
coficursus hominum forique strq^itus desiderat (L c 317). Dann
schildert er, wie er bis 69, dem Eonsulatsjahr des Hortensius,
mit diesem zusammen um den Ruhm des gröfsten Redners ge-
wetteifert, wie er dann infolge der Erschlaffung seines Rivalen
bis zu seinem Konsulat das Forum allein beherrscht, wie sich
dann Hortensius aufgerafft, aber nicht mehr solche Wirkung wie
früher ausgeübt habe.
Cictro Wir können diesen ÄuTserungen Ciceros über sich selbst
rhetoret uoch ctwas hinzufügen. Im J. 55 schrieb er das Werk de oratore,
welches wir, wie ich glaube, aufzufassen haben als eine auf
grolser Grundlage aufgebaute Streitschrift gegen die UUini rhe-
tores, in deren Geschichte und Tendenzen wir erst durch Marx'
oben (S. 175) genannte Ausführungen klare Einsicht bekommen
haben. Die Gründe, die mich zu dieser Auffassung bestimmen,
sind folgende. Erstens die Hauptperson des Gesprächs und die
Zeit, in der es Cicero stattfinden läfst: der Träger des Ghmzen
ist L. Licinius Crassus, der als Censor im J. 92 das bekannte
Edikt gegen jene Leute erlassen hatte: in das Jahr 91 verlegt
latini.
Cicero. 223
Cicero das Gespräch und läfst den Grassus selbst eingehend über
jenes Edikt und die Gründe, die ihn dazu bewogen hatten,
sprechen (III 93 f.). Zweitens die Zeit der Abfassung der Bücher
de oratore. Im J. 56, also ein Jahr vorher, fand ein Prozefs
statt^ in dem L. Plotius Gallus, das Haupt der lateinischen Bhe-
ioren, fQr L. Sempronius Atratinus eine Rede gegen Ciceros
Freund M. Caelius Rufus yerfafst hatte, der sich seinerseits in
seiner Verteidigungsrede durch einen Hieb auf Plotius rächte
(Suet. de rhet. 2; Marx 1. c. 141). Drittens die ganze Tendenz
der ciceronianischen Schrift. Die lateinischen Rhetoren ver-
langten vom Redner blofse Routine, die er sich, wie sie glaubten,
erwerbe durch Beobachtung rein formaler Regeln; auf diesem
Standpunkt steht ' der Verfasser der Schrift an Herennius: im
Gegensatz dazu verlangt Grassus, d. h. Gicero, vom Redner eine
universale wissenschaftliche Ausbildung (vor dem Spezialismus
in der Wissenschaft wird III 132 ff. dringend gewarnt), in
welcher jener Formalismus zwar nicht ganz überflüssig sei, aber
doch nur den untersten Rang einnehme (I 137 — 147).^) Man
lese nun folgende Stellen, um die Polemik deutlich zu erkennen:
I 19: guamobrem mirari desinamus, quae catisa sit doquetUium
paueüatis, cum ex eis rebus universis eloquentia constet^ in quibus
singulis dabarare permagnum est, hortemurque potius liberos nostros
ceterasg[ue, quorum gloria nobis et dignitas cara est, ut animo rei
magnüudineni campleäantur neque eis aut praeceptis aut ma-
gistris (das scheint ihr offizieller Titel gewesen zu sein: cf. III
93 f.) aut exercitationibus^ quibus utuntur omnes, sed aliis
quihusdam se id quod expetunt consequi posse confidant
n 10 (in der Einleitung, wo Gicero in eigner Person spricht,
was der Stelle erhöhte Bedeutung verleiht): iiec vero te, carissime
firater cUque optime, rhetoricis nunc quibusdam libris, qtu>s tu
agrestiores |Mito (gerade das ^Bäurische' der lateinischen Rhe-
toren verhöhnten ihre urbanen Gegner: Suet. 1. c. Varro sat 257;
Marx L c. 141; 148), insequor iU erudiam, sed sive iudicio . . .
ske . . • pudere a dicendo et timidikUe ingenua quadam re-
fugisH . . ., non tarnen arbiträr tibi hos libros in eo fore
1) Man sehe, wie kurz und widerwillig von Cicero das abgethan wird,
jene voigaris docirina^ wie sie uns in dem Werk an Herennius vorliegt,
aosmachte (m 209 ff.)-
224 n. Die römische Eunstprosa bis Augustos.
genere^ quod merito propier eorumi qui de dicendi ratione
(so bezeichnet auch der Verf. ad Herennium seine Schrift IV
12, 17, cf. Marx 75) disputarunt, ieiunitatem bonarum
artium possit illudi. III 54: guare istos omnes me auäore
(Crassus redet) deridete aiqiie contemnite, qui se horum qui nunc
ita appellantur rhetorum praeceptis omnem oratarum vim
complexos esse arbitranturj neque adhuc quam personam teneant out
quid profiteantur intellegere potuerunt. ^) Endlich der Grundgedanke
der ganzen Untersuchung: die universale Bildung des in Crassus'
und Ciceros Sinn vollkommenen Redners muTs auf den Funda-
menten ruhen, welche die groDsen Griechen in Theorie und
Praxis gelegt hatten: im Gegensatz dazu wollten jene lateinischen
Bhetoren in ungeheurer Selbstüberschätzung ^on den Griechen,
denen sie doch alles verdankten, nichts wissen, wie man be-
sonders aus den puerilen Ausfallen des Autors ad Herennium
weifs (z. B. I 1,1: üla quae Graeci scriptores inanis arroganiiae
causa sibi assumpserunt, reliquimus) und wie von Marx im ein-
zelnen gezeigt ist.^) So ist dieses vornehmste, selbständigste
und gediegenste Werk Ciceros') eine Tendenzschrift im besten
Sinne des Worts gewesen (so gut wie der orator und der
Brutus, nur nach einer andern Front gerichtet), als solche von
den Zeitgenossen natürlich noch viel lebhafter empfunden als
1) Cf. femer noch lU 70 isti scriptores artis. 75 ^t arUs rhetorieas
exponunt perridiciili. 81 clamatores odiosi ac molesti. 92 quod iradunt isH
gut profitentur se dicendi magistros, 121 non est paucorum libeUarum hoc
mtinus, ut ei qui scripserunt de dicendi ratione arbitrantur. 122 de oratoris
arte paucis praecipiunt libeUis eosque rhetorieas inscrxbwü (wie Cicero selbst
sein rhetorisches Erstlingswerk, die fälschlich sog. Bücher de inyentione
betitelte, cf. W. Hällingk in: Comm. in hon. Studemundi [StraTsb. 1889] 837 £).
125 ne ille (der allseitig Gebildete) haud sane, quemadmodum veirba stntai
et illuminet, a magistris istis requiret. 136 eloguentiam quam in cJatnore et
in verborum cursu positam putant 188 hunc non declamator aliqui ad
clepsydram lairare docuercU. 142 malim e^idem indisertam prudentiam quam
stultitiam loquacem.
2) Darauf bezieht sich auch, wie ich glaube i Verg. catal. 7, 1 f. «fe
hinc, inanes, ite^ rhetorum ampuüae, | inflata rore non Ächaico verba,
8) Das dritte Buch ist in seiner Komposition dem platonischen Phae-
drus nachgemacht: 143 beendet Crassus seine Rede, die ihn tief in die
Philosophie geführt hat, dann folgt der zweite, technologische Teil, zu dem
Crassus sich nur ungern versteht, endlich der Schluls, das vaücinium auf
Hortensius.
Cicero. 225
uns das heute möglich ist; zugleich war es eine Sühne fQr jene
rhetorische ErsÜingsschrift, die er einst — ganz im Bann seiner
spatem Gegner — verfällst hatte und deren er sich jetzt selbst
schämte (I 5; Quint. UI 6, 60).
Ans dem Bildungsgang des Redners Cicero geht klar hervor; Entwiok-
dab er der asianischen Richtung in stilistischer Hinsicht keines- Konit.
wegs prinzipiell ablehnend gegenüberstand: seine ersten Reden
▼erüaliste er unter dem Einfluis des erklärten Asianers Hortensius,
dann ging er eigens nach Asien, um diese Art von Rhetorik an
der Quelle zu studieren; er nennt seine dortigen Lehrer alle mit
Achtung^), einen mit Hochachtung; er f&hlte sich, nach Rom
zurückgekehrt y wieder als Geistesverwandten des Hortensius,
wenngleich, wie er sagt, der mälsigende Einflufs der rhodischen
Schule das Überschäumende seiner Diktion gebändigt hatte.
Wir können das noch an den erhaltenen Reden erkennen. Es
ist^ wie bemerkt; das Verdienst 6. Landgrafs, im ersten Teil der
genannten Dissertation (7 — 13) in Kürze auf einige wesentliche
Stilverschiedenheiten der beiden frühesten Reden von den
späteren hingewiesen und dadurch den Grund gelegt zu haben,
auf dem weiter gebaut werden mufs. Die redundantia invenilis,
die Cicero 1. c. an den Reden vor seiner Studienreise tadelt, erkennt
er z. B. in so abgeschmackten Sätzen wie pro Quinct. 10: quum
M tantisque difficultoHbus adfectus atque adflictus in ttiam
fidem veritatem misericordiam Quindius confugerit^ quum
adlmc ei profter vitn adversariorum non ius par, non agendi
patestas eadem, non magistratus aequus reperiri potuerit, quum
et sumnuxm per iniuriam omnia inimica atque infesta fuerint,
ie, (X Aquüi vosque qui in consilio (xdestis, orat atque obsecrat,
ut muUis iniuriis iactatam atque agitatam aequitatem in hoc
(andern loco consistere et confirmari patiamini Das Über-
schwengliche dieser Jugendreden besteht aber nicht blofs in
solchen äulserlichen Einzelheiten: die ganze grofse xaQadii^yriöcg
1) Nach AufE&hliing seiner Lehrer in Asien fährt er fort 316: hi tum
in Ana rhetorwm principes numerfibantur. quibus non contentus Bho^
dum veni, was von Müller 1. c. (oben S. 220, 1) 6 falsch gedeutet wird „durch
diese nicht befriedigt'S Es heifst natürlich: „an diesen liefs ich es mir
noch nicht genug sein", wie zum Überflufs lehren kann die in Erinnerung
an dieie Stelle geschriebene Skizze des Bildungsgangs Ciceros bei Tac.
diaL 80.
Vord«ii, MililM KonttproM. 15
226 n. Die römische Kunstprosa bis Augustiu.
de parricidio in der Rosciana 62 — 73 ^ von einer alle Grenzen
überschreitenden Malslosigkeit des Tons und einem Schwulst^
von dem man oft nicht weifs, ob man über ihn lächeki oder
sich über ihn ärgern soll: davon mag z. B. der bekannte Ab-
schnitt über die Strafe der Vatermörder 71 f. eine Vorstellung
geben: o Singular em sapientiam, itidices: nonne videntur hunc ho-
minem ex rerum natura st^sMisse et eripuisse, cui repente cadum
solem aqmm terramque ademerint, ut, qui eum necasset, unde ipse
natus esset, careret eis rdms omnibus, ex quibtts otnnia nata esse
dicuntur? noluerunt feris corpus öbicere, ne bestiis quoque, quae
tantum scelus attigissent, immanioribus uteremur; non sie nudos in
flumen deicere, ne, cum delaü essent in mare, ipsum polluerent, quo
cetera quae violata sunt eapiari putantur; denique nihü tarn vile
neque tarn volgare est cuius pariem uUam reliquerint (72) etenim
quid est tarn commune quam Spiritus vivis, terra mortuis, mare
fluäuantibus, litus eiectis? ita vivunt, dum possunt, ut ducere am-
mam de caelo non queant; ita moriuntur, ut eorum ossa terra non
tangat; ita iactantur fluctibus, ut numquam adluantur; ita postremo
eiciuntur, ut ne ad saxa quidem mortui conquiescant Über diese
Stelle des Sechsundzwanzigj ährigen hat später der Sechzigjährige
geurteilt (or. 107): quantis iUa damoribus adulescentuli diximus,
quae nequaquam satis defervuisse post aliquanto sentire
coepimus ... (er citiert § 72): sunt enim omnia sicut adulesceiUis
non tam re ei maiuritate quam spe et exspectatione laudatL Es
Heise sich noch viel mehr derartiges aus diesen beiden Gerichts-
reden anführen, was der ältere Cicero nicht einmal in den epir
deiktischen Reden gewagt hätte^ aber ich übergehe das und ver-
weile nur bei einem Punkt; der mir ganz besonders geeignet zu
sein scheint, die mit den Jahren gewachsene Selbstzucht des
grofsen Redners zu beobachten.
Wir haben oben (S. 134; 138 f.) aus Cicero selbst erfahren, dafs
die charakteristische Eigentümlichkeit der einen asianischen Stil-
art in zierlich gebauten concinnen Sätzchen bestand, die Cicero
selbst in Zusammenhang mit den ivxi^iöei^^ iööxalaj 6fi0UH
xiXsina der alten sophistischen Eunstprosa setzt. Jeder weils,
daüs diese lumina in keiner seiner Reden ganz fehlen und dafs
er auch in der Theorie mit unverhohlenem Behagen von ihnen
zu sprechen pflegt (cf. besonders or. 135; 164 f.; 223 f.); dafa
die concinnitas das am meisten Charakteristische der ciceronia-
Cicero. 227
nisch^i^) Diktion ist; lernt man schon auf der Schule, und
dals die Falle , wo er diesem Prinzip zuliebe zu einem un-
gewöhnlicheren Ausdruck, einer selteneren Konstruktion, ja zu
Flickwörtern (was er selbst in der Theorie verurteilt or. 230)
greift , yiel häufiger sind als die, wo er die äufsere Form dem
regulären Ausdruck hintansetzt, könnte ich an einer grofsen
Zahl von Beispielen zeigen.^ Aber darauf ist noch nicht hin-
gewiesen worden, dafs er in seinen ersten Beden von diesem
Redeschmuck einen ungehörigen Gebrauch macht, während er
ihn später erheblich temperiert hat. Unter den ersten Reden
verstehe ich auch die f&r den Schauspieler Roscius: sie ist un-
mittelbar nach der Rückkehr Ciceros 77 oder 76 gehalten, cf.
neuerdings Landgraf 1. c. 47. Diese Rede ist auch sonst
stilistisch höchst merkwürdig: es giebt wohl keine, die stärker
zu dem Bilde kontrastiert, das man sich von Ciceros Stil macht:
kleine zerhackte, man möchte sagen zerfetzte Sätze meist in
Frageform jagen sich förmlich, während Ansätze zu längeren
Perioden sich so gut wie gar nicht finden, und, wo sie sich
finden^ fast ohne Ausnahme der Manier unterworfen sind, von
der ich sprechen will: in dieser Rede ist von der fast völligen
Verwandlung, die er in Molons Schule durchgemacht haben will,
noch gar nichts zu merken, sie ist vielmehr noch ganz in der
Manier der Asianer geschrieben, nur viel weniger sorgfältig als
die beiden ersten.') Wie das zu erklären ist, weifs ich nicht;
88 macht fast den Eindruck, als ob er keine Zeit gehabt hätte,
sich genügend vorzubereiten oder bei der Edition zu feilen. In
den ersten 50 Paragraphen der Rede pro Sex. Roscio ^) sind nun
• «>
1) Von G. Antonius, dem Sohn des grofsen Redners, cos. 63, führt
Qnintil. IX 8, 94 folgendes raffinierte tgUalov an: sed neque accusatorem
tum wietuo guod aum innocens, neque compeHtarem vereor quod sum Antonius,
neque eanauUm spero quod est Cicero.
2) Cf. einiges im Qreifswalder Prooemium Ostern 1897. — Ein paar
Beispiele fttr Verletzung der Goncinnität bei E. Eühnast, Die Hauptpunkte der
Hvian. Synt.' (Berlin 1872) p. 828 adn. 193. J. Madvig zu Cic. de fin.'
(Haimiae 1876) 810.
8) Landgraf 1. c. fahrt einiges an für die Fülle des Ausdrucks. Affek-
tiert ist § 48 mentitus est Cluviua? ipsa mihi Veritas manum inicit et paulisper
emm$iere et eommorari cogit, cf Varr. sat. 141.
4) Die für P. Quinctius führe ich im Text nicht an, weil sie — ge-
m&b ihrem sterileren Stoff — überhaupt sparsamer mit den Mitteln der
15*
228 n. Die römische EonstproBa bis Augnstiu.
jene Figuren. 20 mal angewendet (darunter 14 im Proomium von
14 Paragraphen); und zwar in der aufdringlichsten Form (oft
noch mit allerlei anderen facetiae, besonders Wortspielen aus-
gestattet); z. B. § 4 f.: a me autem ei cantenderunt, qtä apud me
et amicitia et beneficiis et dignitate plurimum possunt^ quarum ego
nee henevoUntiam erga me ignarare nee atictoritatem aspemari nee
voluntatem neglegere debeam. his de caims ego huic causae pcttranus
exstiti, non eUcttis unus qui maximo ingenio sed rdictus ex omnOms
qui minima periaüo possem dicere, negp4e uU satis firmo praesidio
defensus Sex. Beseite, verum uti ne amnino desertus esset. 9: his
de rebtis tantis tamque atrocibus neque satis me commode dicere
neque satis graviter conqueri neque satis libere vociferari passe tn-
tellego; nam cammaditati ingenium, gravitati aetas, libertati tempara
sunt impedimento. 13 (Schlufs des Proomiums) vier lange parallele
Sätze, die wieder bestehen aus je zwei unter sich parallelen
x&la. 32: patrem meum cum proscriptus non esset iuguiastis, oe-
cisum in proscriptorum numerum retttdistis; me domo mea per vim
expulistiSy Patrimonium meum possidetis (in diesem SixaXav mit
je 2 xrffifAara haben xdfi/ur 1 und 2 je 15, 3 und 4 je
11 Silben I). — In der Rede f&r den Schauspieler Roscius finden
sich in 50 Paragraphen (das Proomium fehlt in der Über-
lieferung) gar 57 dieser Figuren, meist mit derselben Aufdring-
lichkeit; z. B. § 2: scripsisset ille, si non iussu huius expensum
tulisset? nan scripsisset hie, quad sibi expensum ferri iussüset
(17 -\- 16 Silben)? nam quem ad madum turpe est scribere quod
nan dd)eatur, sie improhum est non referre quod debeas; aeque enim
tabulae condemnantur eius qui verum nan rettulit et eius qui falsum
perscripsit. 7: quid est quad neglegenter scrÜKimus adversaria?
quid est quod diligenter conficiamus tabulas? qua de causa? quia
Rhetorik wirtschaflet. Doch finden sich im Proomium Ton 10 Paragraphen
6 Fälle, in der Per oratio von 9 Paragraphen 12 Fälle, darunter so starke
wie § 95 miserum est deturhari fortunis Omnibus, tniserius iniuria; aeerlmm
est ab dliquo circumveniri, cicerhius a propinquo und so noch fOnf weitere
Glieder, im ganzen also sieben, die ich aber unter den 12 F&Uen nur als
einen einzigen gerechnet habe. Unter den übrigen auch Elangmittel wie
94 sin et poterit KaevitM id, quod Übet, et ei libebit id, quod non licet,
quid agendum est? qui deus appellandus est? cuius hominis fides impUh
randa est? 98 ab ipso repudiatus, ab amicis eius non sMevatus, ab
omni magistratu agitatus. Solche tglntoXa zähle ich natfirlich nur als
einen Fall.
Cicero. 229
haec sunt menstrua, ülae sunt aetemae; haec delentiir statim^ iUae
servantur sancte; haec parvi tetnporis memoriam, ülae perpeiuae
existtnuUianis fidem et religionem amplectuntur; haec sunt disiecta,
iüae sunt in ordinem confectae.^) 23: labarem quaestus recepitt
quaestum lahoris reiecit; populo Romano adhuc servire non destUit,
sibi servire tarn pridem destitit (cf. besonders noch § 55). — Mit
diesen Zahlen vergleiche man nun die der zeitlich folgenden
Reden: pro M. Tullio (gehalten 72/71) hat in 50 Paragraphen
nur 10 Beispiele (davon 2 im Proömium von 2 Paragraphen),
darunter am stärksten das, mit dem das Proömium schlieDst:
mihi autem difficüe est satis copiose de eo dicere, quod nee atrocius
verbis demonstrari potest quam re ipsa est neque apertius oraMone
mea fieri quam ipsorum confessione factum est; daneben freilich
auch noch eine jener subtilen scholastischen Wortdistinktionen,
wie wir sie oben (S. 175) in den Musterbeispielen des auctor
ad Herennium kennen gelernt haben und wie sie sich in der
Rede für Sex. Roscius sehr häu6g finden, § 5: verum et tum id
fed qtiod oportuit et nunc faciam quod necesse est (in den späteren
Reden ist es, denke ich, damit ganz vorbei). — Aber, wird man
sagen, diese Rede pro M. Tullio gehört zu den sterilsten (wozu
sie Tac. dial. 20 ausdrücklich rechnet) und aus ihr lälst sich
daher nicht beweisen, dafs Cicero diese dem Schmuck der
Diktion dienenden Figuren im Laufe der Zeit absichtlich ein-
geschränkt hat. Dieser Einwurf wird am schlagendsten widerlegt
durch die Thatsache, dafs in der im J. 70 gehaltenen vierten
verrinischen Rede, d. h. also in derjenigen, welche die Glanz-
stücke der Kunst in der iKq)Qa6ig enthält, das Verhältnis sich
nicht anders stellt als in der Rede für Tullius: in den ersten
50 Paragraphen finden sich nur 9 Beispiele, darunter keins von
jener empfindlichen Härte der früheren^; das Gleiche gilt von
1) Solche %6fmafa sind in der angegebenen Zahl von 57 Beispielen
BOT fElr 1 Beispiel ges&hlt!
2) Höchstens könnte man anfahren 20: hi te homines auctoritate 8ua
iübievent,, qui te neque debent adiuvare 8% posaint neque possunt si
9elint Diese stärkste Form der Antithese {&vri(iBtaßoXi/i ^ commutatio cf.
aact ad Her. IV 28, 89 Quint. IX 3, 85; das Monstrebeispiel ist esse oportet
ut vivM, non vivere ut edaa) geht direkt auf Grorgias zurück: Palam. 5 o^s
yicQ ß<nfXri^tl£ idwdii/riv civ o^ts dvvdfievog ißovXi^&riv igyots ifcixiiQitv xo-
MvfOfff. Cicero fand daran viel Freude (Beispiele aus den Beden Quintil.
230 n* ^i^ römische Eunstprosa bis Augustus.
den 4 Beispielen der §§ 51—100; unter den 10 Beispielen der
letzten 50 Paragraphen (101 — 151) ist das herrorragendste die
von Cicero selbst (or. 167) als Muster eines &vxl&sxov im Stil
des Gorgias citierte Parallelisierung des M. Marcellus und Yerres
§ 115: conferte hanc pacem cum illo hello, huius praetoris adventum
cum Ulms imperatoris victaria, huius cohartem impuram cum ülius
cxercitu invictOy huius libidines cum illit/^ continentia: ab iUo gtct
cepit conditas, ab hoc qui constitutas accepit captas dicetis Syracusas
(cf. auch § 121): welche Kraft liegt darin trotz des Raffinements,
und wie schwächlich nehmen sich dagegen aus die durch ihre
Häufigkeit und besonders den Kontrast zwischen Inhalt und
Form verletzenden Figuren jener frühen Reden. Das Gleiche
gilt von den späteren Reden, z. B. hat die Miloniana in 105 Para-
graphen nur 12 Beispiele, darunter im Proömium (§ 10) wohl
das berühmteste von allen, das er selbst ebenfalls mit Genug-
thuung citiert (or. 165): est igitur haec, iudices, non scripta sed
nata lex, quam non didicimus accepimus legimus, verum ex naiura
ipsa arripuimus hatisimus expressimus, ad quam non docti sed facti,
non instUuti sed imhuii sumus. Wenn in der angeführten Stelle
der Verrinen der angestellte Vergleich von selbst seinen Nieder-
schlag in antithetischer Sprache fand, so ist hier der reichliche
Schmuck sowohl durch das Pathos auf dem Kulminationspunkt
des Proomiums als durch die yv6firi bedingt.^) Wenn in den
34 Paragraphen der Marcelliana sich 16 Beispiele finden, so darf
1. c, 0. Guttmann, De earuin quae vocantur Caesarianae orationmn TuUia-
narmn genere dicendi pDiss. Greifswald 1883] 34 f.): Brut. 287 oraHones ^ptas
interposuit (Thucydides), eas ego laudare sdleo; imitari neque possim si
velim nee tielim fortasse si possim. Ähnlich ist Brut. 145, wo er über
den Redner Crassus und den Juristen Scaevola folgendes urteil referiert:
eloquentium iuris peritissumus Crassus, iuris peritorum eloquen-
tissumus Scaevola; ihm gefällt diese Redewendung so, dafs er 148
folgendermafsen darauf zurückkommt: nam, ut patdo ante dixi, consulto-
rum alterum disertissumum, disertorum alterum consultissumum
fuisse, sie in reliquis rebus ita dissimües erant inter sese, statuere ui tarnen
non posses, utrius te malles similiorem: Crassus erat elegantium parcissu-
mus, Scaevola parcorum elegantissumus; Crassus in summa comi-
täte hahebat etiam severitatis satis, Scaevolae multa in severitaie
non deerat tarnen comitas. licet omnia hoc modo, sed vereor ne fingt
videantur haec, ut dican ur a me quodam modo: res tamen sie se habet.
1) Ahnlich der glänzende Schlufs eines längeren Abschnitts in der
Sestiana § 35.
Cicero. 231
man nicht glauben; dafs durch diese yerhältnismäfsig grolae
Anzahl die Richtigkeit des von mir verfolgten Prinzips in Frage
gestellt wird: denn diese Rede ist ein Xöyog iitideixtixög und
einem solchen kommt nach feststehendem, von Cicero selbst oft
genug in der Theorie ausgesprochenem Gesetz dieser Schmuck
in erheblich höherem Mafs zu als einer Rede niederer Grattang. ^)
Ich habe — um zusammenzufassen — , ausgehend von jenem Sollend
dem Cicero in alter und neuer Zeit gemachten Vorwurf, er stehe
der asianischen Manier näher als es sich gehöre, an einem be-
stimmten Beispiel nachgewiesen, dafs er zwar in seiner Jugend
sich der herrschenden Mode so wenig entzog wie die meisten
andern^ dafs er aber mit fortschreitendem Alter sich weise Be-
schrankung auferlegte. In jenen ersten Reden merkt man noch
häufig den in Schul traditionen steckenden An^ger, dann ent-
wickelt er sich in aufsteigender Linie zu dem souveränen Künstler,
der eine der höchsten Anforderungen aller Kunst, Licht und
Schatten richtig zu verteilen und gerade die grellen, auf die
Gefählsnerven besonders stark wirkenden Farben nur sparsam
1) Auch die philippischen Beden, von denen neuerdings (cf. 0. Gatt-
mann 1. c. 8 £f.) behauptet ist, dafs Cicero in ihnen wieder in seine Jugend-
sünden zurückgefallen sei (als ob der Verfasser der vierzehnten Antoniana
dem der Bosciana noch gliche, und als ob nicht das Urteil eines Livius
[bei Senec. suas. 6, 17] und Juvenal 10, 128 höher stände; wenn sich, was
wenigstens in einzelnen dieser Beden thatsächlich der Fall ist, einige Bede-
jSgnren [z. B. die Paronomasie] wieder häufiger finden als in den früheren,
so mufs man doch bedenken, dafs diese Beden von allen die am meisten
pathetischen sind und sein mufsten), durchbrechen nicht das Prinzip: ge-
prüft habe ich die erste sowie die zweite und vierzehnte (die beiden glän-
zendsten): in den 194 Paragraphen dieser Beden finden sich nur 16 Bei-
spiele, d. h. ebensoyiel wie z. B. in den 15 ersten Paragraphen der Bede
für den Schauspieler Boscius! Wenn sich in einem Paragraphen (80) der
dritten Philippica nicht weniger als 82 Eoigunktive des Perfekts, alle auf
•erü endigend, am Schlufs der %6fiiuicTa hintereinander finden, so mufs man
die Stelle lesen, um zu sehen, dafs hier keine Antithese vorliegt, sondern
dafs die einander förmlich jagenden Formen in hervorragender Weise der
StLpm6ig dienen ähnlich wie Vn 16. Übrigens findet man eine Anzahl von
Beispielen für die von mir behandelte Figrur (aufser bei Quintilian IX 8,
76 ff.) bei: Strebaeus, De verb. elect. et coUoc. (Basel 1689) 203 f ; 218 f.
Sturm, De amissa dicendi ratione (Argentor. 1548) f. 49 a und vielen andern
Autoren jener Zeit (am meisten Freude hatten sie an dem ersten Satz der
Bede für Gaecina, den sie als Muster der Periode aufstellten); neuerdings
Straub 1. c. 140 £f. Aber was nützen blofse Zusammenstellungen?
232 n. Die römische Kunstprosa bis Angasias.
aDzuwenden, mit vollendeter Meisterschaft erftiUt und dadurch
in die Praxis umsetzt, was er in einer von besonderer Feinheit
des Urteils zeugenden Stelle seiner Schrift de oratore (HI 96 ff.)
theoretisch gelehrt hat. Er hat femer sein Naturell , welches
ihn einerseits zum Pathos und einer gewissen Überfälle, anderer-
seits zu affektierter Spielerei^) drängte, gebändigt, nicht freilich^
1) Ihm gefiel die uhertas des AUddamas: Tnsc. I 48, 116. Die copia et
überlas sententiarum et verborum ist sein Ideal. Selbst Qnintilian , der ihn
anbetet, urteilt an zwei Stellen (VI 3, 5. XII 1, 20), es könne bei ihm eher
etwas hinweg- als hinzugenommen werden. — An Pointen hat er stets
seine helle Freude, z. B. sagt er in Yerr. m 47: campus Leontinua, euius
ante Specks Jmec erat ut, cum obsitum vidisses, annonae carttatem non vererere,
sie erat deformis atque horridus^ ut in uberrima Siciliae parte Siciliam
quaereremus; diese Form der Pointe hat er aus einem griechischen Autor,
denn sie findet sich wieder bei Schriftstellern der Eaiserzeit, die in der
Bhetorenschule grofs geworden sind: Sen. ep. 91, 2 von dem yerbrannten
Lyon: Lugdutnum, quod ostendebatur in Gallia, quaeritur und Florus 1 11, 16:
ita ruinas ipsas urbium diruit, ut hodie Samnium in ipso Samnio requiraiur
(die drei Stellen zusammen bei Bouhours, La maniäre de bien penser dans
les ouvrages d'esprit [Paris 1687] 100). Bezeichnend ist sein Urteil über
Timaeus (den er überhaupt gern citiert, auch Verr. IV 117 cf. de rep. lU 43)
de nat. deor. II 69: concinne, ut multa, Timaeus, wofür als Beleg jenes fa-
mose Diktum (s. o. S. 148, 3) folgt, um dessen Erfindung sich Hegesias und Ti-
maeus stritten imd das Ton Plutarch (Alex. 3) als Gipfel des Abgeschmackten
gebrandmarkt wird (vergeblich sucht Muratori, Della perfetta poesia Italiana
[Venezia 1748] 300 ff. das innere Behagen, welches Cicero an dem Bonmot
empfindet, wegzuinterpretieren). Von demselben Timaeus sagt er de er. n
58 longe eruditissimus et rerum copia et sententiarum varietate abundanHssi-
mus et ipsa compositione verborum non impolitus magnatn elo-
quentiam ad scribendum attuJit, cf. auch Brut. 326: wie anders ur-
teilte z. B. der Verf. tcsqI vipovgl Zu seinem griechisch geschriebenen
vn6fivrifia über sein Konsulat hat er alle Farbenkasten des Isokrates und
dessen Schüler gebraucht: ein Glück für ihn, dafs es nicht erhalten ist,
denn schon das, was er darüber an Atticus schreibt (11 1), kompromittiert
ihn. In der Cluentiana (gehalten im J. 66) wagt er (freilich in der ftuTserst
erregten Peroratio) etwas, das an die gefährlichsten Kunststücke der spa-
teren Deklamatoren erinnert: die Mutter des Cluentius nennt er § 199 uxor
generi, noverca fili, filiae pellex. Die starken Pointen der Marcelliana
(wie deren ganze den Asianem viel näher als den Attikem stehende Manier)
waren für F. A. Wolf einer der Gründe, aus denen er die Rede zum Sehen
athetierte: wenn zuletzt wieder Siegfr. Schmid, Unters, üb. d. Echtheit der
Rede pro Marcello (Diss. Zürich 1888) 46 ff.; 106 ff. aus der überm&rsigen
Verwendung der . rhetorischen Kunstmittel die Unechtheit dieser Bede ge-
folgert hat, so kennt er nicht die Vorschriften für den Stil der epideiktischen
Cicero. 233
indem er sich starre Fesseln anlegte, die jede freie Be-
wegung hemmten ; nicht indem er sich dem lebenslosen^
scholastischen Atticismus in die Arme warf^ sondern indem
er die genialen Kühnheiten seines feurigen Temperaments
durch die strenge Formenschönheit, die er vor allen an De-
mosthenes studierte, und durch die universale hellenische Bil-
dung yeredeltC; und alles zu einem harmonischen Ganzen ver-
band: gerade durch diese Selbstzucht, die seinen Hang zum
Grandiosen und Pompösen, zum Zierlichen und Gewählten zwar
einschränkte, aber nicht verkümmern liefs^), ist er der Redner
in lateinischer Sprache geworden, der besser als die andern ge-
bracht hat nicht blols was seine eigne Zeit suchte {nee uUa re
magis aratares aetatis eiusdem praecurrü quam iudkio Tac. dial. 22),
sondern auch was bei den strengen Eunstrichtem der folgenden
Generationen Begeisterung hervorrief, und was die Probe auf
die Ewigkeit so gewifs bestehen wird, als der nachempfindende
Beden (richtig hat, wenigstens über diese Bede, schon gearteilt 0. Gutt-
mann L c. 68 £f.). Die letzte Bede, die Cicero gehalten hat, schliefst mit
einer effektvollen Pointe, die um so empfindlicher wirkt, weil sie einen
sehr langen, g^anz im Knrialstil gehaltenen Antrag abschliefst: \dique, guae
praemia senattis tniliHbus ante constituitj ea solvantur eorum qui hoc hello
pro patria occiderunt parentibus liberü coniugibus frcUribus, eisque tribtuintur
quae militibus ipsis irtbui oporteret, si vivi vicissent qui morte vicerunt
(cf. über dies Wortspiel oben S. 208). Ähnliches wird sich aus allen
Beden anfOhren lassen, um ganz zu schweigen von den Witzen, in denen
sich der ridictdus eonsul so gern erging and deren sich der Stadtklatsch
bemächtigte, was ihm schliefslich selbst so fatal wurde. — Dürfen wir
aber einen Mann tadeln, der das Schlechtere liebte, aber ihm nur selten
folgte? Der Franzose Caassin hat in seinen Eloqaentiae sacrae et profanae
parällela (1619) in einem Kapitel de acttta styli brevitate sentenHisque ab-
rtipiis et suspiciosia (1. 11 c. 14) yielmehr das Mafshalten Ciceros in solchen
Pointen bewandert and über eine bekannte Stelle der Marcelliana (§ 12)
fein bemerkt (p. 74): guod alius in conclitsione post vibratam forte ex eius-
modf aeuminibus periodum haud timide dixisset apud Caesarem: Uu ipsam
victoriam, Caesar, vicisti' , iUe verecimde sie insintmns: ^vereor ut
hoc quod dicam perinde intellegi possit auditum atque ipse cogi-
tans sentioi ipsam victoriam vicisse videris, cum ea quae illa
erat adepta victis remisisti.*
1) Etwas zu viel l&fst er wohl den Atticas sagen de leg. I 4, 11 : to
ipse mwtasti et Mud dicendi instituisti genus, ut, quem<idmodum Boscius in
seneetuie nwmeros in eantu cecinerat ipsasque tardiores fecerat tibias, sie tu
a eontentiontbuSf quibus summis uti solebas, cottidie relaxes aliquid , ut tarn
oratio tua non muUum a phHosophorum lenitate absit; cf. aach Brat. 8.
234 n. Die römische Eunstprosa bis Augustus.
Sinn ftir grolsartige Formenschönlieit der Sprache nie aas-
sterben wird.
Theorie. 6. Livius. Er gehört seiner ganzen Richtung entsprechend
noch zu den republikanischen Autoren. Er, der Sohn einer
Stadt^ die als Hort der alten severitas und pudicUia galt (Plin.
ep. I 14, 6. Mart. XI 16) und die in den Kämpfen, welche zur
Gründung der Monarchie führten, auf Seiten der republikanischen
Partei stand (Cic. Phil. XU 10), lebte mit allen seinen Gedanken ^
und Sympathieen in der guten alten Zeit, in die er sich ver- '
tiefte, um sich, wie er in der Vorrede sagt, abzuwenden a can-
spectu malonim quae nostra tot per annos vidit aetas. DaCs
Augustus, dem sein politischer Standpunkt wohl bekannt war
(Tac. ann. IV 34), ihm trotzdem gewogen blieb, ist ganz ver-
standlich: dem Wiederhersteller der durch die Bürgerkriege ver-
nichteten republikanischen Institutionen, für den er gelten wollte,
mufste ein Werk wie das des Livius nicht weniger willkommen
sein als das des Vergil; Livius nennt ihn einmal (IV 20, 7) tem-
phrtim omnium conditorem ac resiitutorem: das bezeichnet deut-
lich das Verhältnis, als solchen hat ihn auch Horaz gefeiert.
Es ist begreiflich, dafs ein Mann von dieser politischen Über-
zeugung auch als Schriftsteller nicht die Mode der jüngsten
Generation, wie wir sie im nächsten Abschnitt kennen lernen
werden, mitmachte, sondern in einem seiner selbst und des von
ihm behandelten Stoffes würdigen Stil schrieb. Man kann die
von ihm vertretene Richtung kurz so charakterisieren: er war
ein ebenso erklärter Gegner Sallusts wie Anhänger Ciceros. In
der ersten Eaiserzeit kannte man noch seine Urteile über beide:
dem Sallust machte er zum Vorwurf affektierte, bis zur Dunkel-
heit gesteigerte Kürze, in der er den Thukydides noch habe
übertrumpfen wollen (Sen. contr. IX 1, 13 f.), und entsprechend
dieser Abneigung gegen Sallust erzählte er in dem an seinen
Sohn über die rhetorische Ausbildung geschriebenen Brief: fuisse
praeceptorem aliquemy qui discipülos öbscurare quae dkerent iuberet,
Graeco verbo utens ötcöxiöov (Quint. VIII 2, 18); auch war er ein
Feind derer, qui verba antiqua et sordida consectantur et orcitionis
obscuritatem severitatem piäant (Sen. contr. IX 2, 26). Auf der an-
dern Seite schrieb er seinem Sohn, legendos Detnasfhenen (Uque
Ciceronemy tum ita ut qnisque esset Demostheni et Oceroni simiUi'
mu$ (Quint. X 1, 39); vor allen bewunderte er die philippischen
Lmos. 235
Reden (Sen. suas. 6, 17) und nachdem er Ciceros Tod in würdigen,
Yon der Manier der zeitgenossischen Rhetoren wohlthuend sich
abhebenden Worten erzählt hat, schliefst er seine Charakteristik,
in der er die grofsen Fehler Ciceros als Menschen nicht yer-
heimlicht: si quis tarnen virhUibus vitia pensarit^ vir magnus ac
memorabilis fuit et in cuius laudes exsequendas Cicerone
laudatore opus fuerit (bei Sen. suas. 6, 22 cf. 17). Ent- Pwxit.
sprechend dieser Abneigung und Vorliebe sind die hervor-
stechendsten Merkmale seines Stils nach dem bekannten Urteil
Quintilians (X 1, 32; 101) clarissimus candor und lactea
uberias;^) dazu kommt in den ersten Dekaden der Hauch einer
nicht affektierten, sondern durch den Stoff unmittelbar gegebenen
Altertümlichkeit, in den er mit ebensolcher Meisterschaft und
Liebenswürdigkeit das Ganze eingehüllt hat wie Yergil seine
Aeneis, sowie ein leises poetisches Kolorit, das er nach dem
oben (S. 91 ff.; 168) über die Beziehungen der Geschichtsschreibung
zur Dichtung Gesagten zweifellos nicht ohne Bewuistsein teils
aus seinen Quellen herübergenommen, teils ihnen selbst hinzu-
gefügt hat.*) Wenn man seine Verehrung Ciceros erwägt, so
wird man wohl sagen dürfen, dafs er die theoretischen Vor-
schriften, die dieser für den historischen Stil gab, mit Bewulüst-
sein praktisch zur Anwendung gebracht hat: thatsächlich passen
ja auf Livius wie auf keinen andern die Charakteristika des
historischen Stils wie sie Cicero (de or. II 54 u. 64. or. 66) be- ,
schreibt: ein tractus oraMonis Unis et aequahiliSy Beschreibungen
von Gegenden und Kämpfen, eingefügte Reden, in denen aber
verlangt werde eine oratio tracta qttaedam et fluenSj non hacc con-
1) Letsteres umschreibt Hieronymus ep. 68, 1 (I 271 Vall.) Livius lacieo
eloquentiae fönte fnanans.
8) Auf einzelnes Dichterische hat schon Joh. Jov. Pontanus (1426—
1608), Actius dialog^ in: Opera (ed. Basileae s. a. [1656] 11 1895 ff.) hin-
gewiesen, cf. auch 0. Riemann, iStudes sur la lang^ue et la grammaire de
T. Lire (Paris 1879) 13, 2; 17, 8. E. Wölfflin im Philol. XXVI (1867) 180, 11
und besonders S. Stacey im Archiv f. lat. Lezicogr. X (1896) 17 ff., wo aus
der Übereinstimmung yon layluB mit Lucrez und Vergil selbstverständlich
richtig geschlossen wird, dafs die Quelle aller Ennius ist (z. B. ^ec tibi
dieta dedit, tn viam faciimt, cf. fU via vi u. dgl.). Dagegen verstöfst der
Versuch von W. Deecke in Berl. phil. Wochenschr. XIII (1893) 886 f., die
Verse des Ennius zu restituieren, gegen das oben (S. 54) behandelte Ge-
setz des Aristoteles.
236 U. Die römische Kunetprosa bis Angostas.
tarta et acris,^) Jeder kennt an ihm die behagliche, nicht selten
zur naxQoloyCa werdende Breite, er gebraucht einen Satz, wo
Sallust und Tacitus mit ein paar Worten auskommen; wenn
man aber an die zerhackten Sätzchen denkt, in denen die Bhe-
toren bei Seneca und nicht viel später Yelleius schreiben, so
darf man wohl sagen, dafs das beständige Periodisieren des
Livius als eine Folge sowohl der bewuTsten Anlehnung an Cicero
wie der bewuTsten Abneigung gegen die moderne Manier au&u-
fassen ist. Seine Periodisierung ist freilich im Gegensatz zur
ciceromanischen, die er sich zum Muster nimmt, oft schwerfallig
geworden, besonders durch das Bestreben, viele wichtige Einzel-
heiten in einem langen Satz zusammenzufassen (worüber Madvig
eine meisterhafte Abhandlung geschrieben hat in den EL philol.
Schriften 356 ff.), überall empfindet man, dafs die ciceronianischen
Perioden gehört, die livianischen gelesen sein wollen^: Kaiser
Claudius spricht in seiner Bede de iure honorum QaUis dando wie
ein Buch in Perioden, die nicht ciceronianisch, sondern livianisch
sind: daran ermifst man den Unterschied und giebt dem Kaiser
recht, wenn er sich — originell wie immer — von den ver-
sammelten Vätern wegen seiner Weitschweifigkeit zur Sache
rufen läfst (Z. 20 ff.). Von den äufsem Effektmitteln der Rhe-
torik hat Livius auch in den Reden sparsam und nur da^ wo
sie am Platz waren, Gebrauch gemacht: man muis sich an die
gleichzeitigen, die Grenze des Unsinns meist erreichenden und
oft sie überschreitenden Proben bei Seneca erinnern, um das zu
1) Cf. C. Nipperdey, Die antike Historiographie in: Opuscola ed. Schoell
419. P. Petzke, Dicendi genus Tacitinum quatenus differat a Liviano (Dist.
Eönigsb. 1888) 16 f. Biemann 1. c. 17.
2) Cf. G. L. Walch, Emendationes Livianae, Berl. 1816. E. Wesener,
De periodorum Liyiananun proprietatibus (Progr. Fulda 1860) 16 ff. G. Qneck,
Die Darstellung des Liyius, Progr. Sondershausen 1863 (wertlos ist: W. Eiiebel,
D. Periodenbau bei Cic. und Liv., Diss. Rostock 1873). Madvig 1. c. 868:
,^er reiche und abwechselnde Periodenbau Ciceros trägt im ganzen das
Gepräge, auf dem Grunde der veredelten mündlichen Rede, des parlamen-
tarischen und Gerichtsvortrags erwachsen zu sein und ist von besonders
schwerfälligen und steifen Kombinationen frei. Livius ist dagegen nicht
nur der Repräsentant der völlig ausgeprägten Schriftsprache, sondern seine
Schriftsprache zeigt sich in ihrem methodischen, berechneten Fortschreiten
zum Schwerfälligen, ja wird durch ihre Kunst bisweilen im Verhältnis des
Baues der Periode zum Gedanken inkorrekt und unnatürlich.*'
Liyius 237
würdigen. ^) Schön nnd treffend wie immer hat Petrarca gearteilt
(rer. mem. I 2): quo studio putandus est arsisse T, Livius Patavinus,
q%u> omnem Bomanam historiam a. u. c. ad Caesarem Äugustum cm-
tum quadraginta dtuibus voluminibus scripsü, opus ipsa mcie mirch
nie stupendumque praesertim, quia in eo nihil raptim et tumuUuario
ut aiunt stilo, sed tanta maiestate sententiarum tantaque verborum
modesHa complevü omnia, ut ab arte doquentiae non mülhim abesse
videaniur. ^
Wenn wir diese ganze Epoche überblicken, so werden wir BMuiut«.
als ihr Resultat hinstellen müssen die völlige Durchdringung der
römischen Eunstprosa durch den Hellenismus: kann man doch
seinen Einfluis aufs deutlichste sogar in der formalen Gestaltung
1) Über das rhetorisclie Moment in der Erzählung und den Beden hat
besonders gehandelt H. Taine, Essai sur T.-Liye' (Paris 1860) 289 ff., doch
beurteilt er ihn viel zu streng, indem er ihn statt an den antiken Histori-
kern an dem modernen Begriff der geschichtlichen Darstellung miTst; so
tadelt er (281 f.) mehrere Antithesen, wie in 50, 10 haec Virginio vociferanti
»tteelamalHxt multittulo, nee ülius dölori nee suae libertati se defuturos, IV
88, 6 suis flammis delete Fidenas^ quas vestris beneficiis placare non potuistis.
XXm 9, 10 ego quidem quam patriae debeo pietatem, exsolvam patri. Eine
helle fausseti soll z. B. sein XXI 10, 11 hunc iuvefiem (Hannibalem) tamquatn
furiam facemque huius belli odi ac detestor: das ist yielmehr der Ton, den
man aus Ciceros Philippicae kennt (man nimmt an, dafs XXI 18, 12 eine
wörtliche Beminiscenz an Phil. II 119 sei); ebensowenig yermag ich seinem
Urteil über III 11, 7; Y 27, 6 ff. beizustimmen. Hübsch ist dagegen, wie
er das rhetorische Element in der Darstellung des Livius mifst durch den
Vergleich der Schilderung des Alpenübergangs Hannibals bei Livius und
Polybios nnd des Kampfes zwischen Manlius und dem Gallier bei Livius
(VII 10) und Quadrigarius (bei Gell. IX 18). — Von den Redefiguren ist
hftufig nur die natürlichste und wirksamste, die Anapher, cf. Petzke 1. o.
49 ff. Als ausnahmsweise starkes Beispiel des Parallelismus habe ich mir
notiert XXII 89, 80 (Rede des Q. Fabius Maximus) : sine iimidum pro cauto^
tardum pro considertUo, inbellem pro perito belli vocent. malo te sapiens
hostis metuat quam stuUi cives laudent. omnia audentem contemnet Hannibal,
mdhä temere agentem metuet. Cf. im allgemeinen E. Eühnast 1. c. (oben
8. 227, 2) 808 ff.
2) Ähnlich Georgius Trapezuntius (1896 — 1486), Rhetoric. liber V
(Baal. 1622) f. 172 r. Urteile von Gelehrten des 17. Jahrh. bei D. Morhof
L c. (oben S. 206, 1) 607 ff. Über die von Asinius Pollio gerügte Patavinitas
worden in früheren Jahrhunderten grofse Abhandlungen geschrieben, vor
allem die genannte des Polyhistors Morhof. Wir wissen gar nichts darüber,
238 n. Die römische EonstproBa bis Augustos.
des taglichen Briefstils beobachten,^) Wie Varro die ganze
Fülle griechischer Erudition nach Born hinübergeleitet und —
freilich in verhängnisvollster Weise — zur Erforschung der nar
tionalen Sprache und Sitte verwendet hat, so ist durch Cicero
begreifen aber, dafs ein Mann, dem Cicero so unsympathisch war und der
offenbar zur Partei der extremen Atticisten gehörte, an der livianischen
ubertas keinen Gefallen finden konnte (cf. Morhof 604 f.); syntaktische Ab-
normitäten, auf die Madvig 1. c. hingewiesen hat, sowie manche lexikalische
Besonderheiten, die wir nur bei ihm finden, mögen ihm im speziellen Ver-
anlassung gegeben haben, den Mangel an urhanikis (denn das ist doch das
wesentliche) zu rügen, was der schlimmste litterarische Vorwurf in jener
Zeit war. Jedenfalls bedurfbe es, um das an Livius zu erkennen, jenes hyper-
sensiblen iivKtf/iQj an den Pollio mit grofser Impertinenz einen nach dem
andern aufhängte.
1) Die bekannte Formel zu anfang der lateinischen Briefe findet sich
im Griechischen wohl zuerst bei Epikur, fr. 176 üs. &qfsfyiiB9a slg AdpiAffa'
%ov {>yialvomBg iya> xal IIv^oyLXfjg xal '^EgfiMQxog %ccl Kttjcutnogy %al i%it
%ccteiXiliq>cc(iBv 4>yucivortag Osfiiatav xal tovg Xomovg q>iXavg. ei ihnoidtg
%ccl ah bI iiyialvBig xal ^ fidfifiri öov. Für Born wurde die Formel
vermittelt durch die Diadochenreiche, speziell Ägypten, wo wir sie auf den
Papyri jetzt massenhaft nachweisen können (an den umgekehrten Weg kann
jetzt niemand mehr glauben). Eine eigentümliche Anwendung wird davon
gemacht in dem Dekret von Priene an Köm'g Lysimachos zwischen 287 —
281 V. Chr. (Anc. greek inscr. of the Brit. Mus. in n. 401): dBd6x9'ai x&
^i^iup kXio9'ai nQB6p[svtäg i% n£\vtmv t&(i noXix&v &v9Qag dinta o7ti9Bg
&(pi^6fi[Bvoi] ngbg cci)tbv t6 tB "ipt^tpiCfia iaiod&aovoi xal <rvi^i2tf[^]i{<roiriraf
x& ßccaiXBt Zti aitrög te iQQontai, xal ^ d^pcciiig xal tä Xomä
fCQdüüBt %atcc yv6(i>riv, worauf dann Lysimachos mit denselben Worten
erwidert, die Gesandten hätten sich ihres Auftrags entledig^ (n. 402).
"löxvB xal iylatPB schliefst noch der Brief, den Palladios an Laosos
schreibt: vol. 84, 1001/2 Migne. Auch das Tempus haben die Lateiner Ton
den Griechen, cf. den Brief des Attalos n von Pergamon (f 188) an den
Priester ron Pessinus (ed. v. Domaszewski in: Arch. epigr. MitteiL aus Oestr.
Vni p. 98): "AttaXog "Attidi. IbqbI laCi^BW. bI iggacai, bI &v ixoi^ n&ya dh
'bylccivov, Mriv6daQog, hv &nBatdX%Bigy f/jv tB naqd tfov inuftoX^v
&nida)%iii, fioi u. s. w.; Beispiele aus offiziellen römischen Briefen in grie-
chischer Sprache aus republikanischer Zeit bei Viereck, Sermo Graecus etc.
(Gott. 1888) 66; auch Paulus an die Eorinthier I 6, 11; 9, 16 u. 0.; act. ap.
18, 24 £f.; 23, 80; Bamab. ep. c. 1; ep. Abgari ap. Euseb. h. e. I 13, 8; mart.
Petr. et Paul. c. 21 (act. ap. apocr. I 138, 2 Lips.); act. Philippi p. 18 Tisch.;
Herm. Trismeg. poem. 14, 1 (p. 129, 1 Parthey); pap. mag. ed. Wessely in:
Denkschr. d. Wien. Ak. XXXVI (1888) p. 48 v. 169. — Ich kenne über diese
Dinge so wenig etwas Zusammenhängendes, wie über den litterarischen
Brief (interessantes Detail z. B. bei Symmachus ep. 11 86 ; IV 30 p. 109, 7
Seeck. 82 p. 118, 6. Prokopios y. Gaza ep. 116).
Hellenisierung der römischen Prosa. 239
der grofise Verschmelzimgsprozers auch auf formalem Gebiet voll-
zogen worden: während wir am Schlafs der voraufgehenden
Epoche nur ein von keinem tieferen Verständnis echt hellenischer
Formenschönheit zeugendes Gemenge konstatieren konnten, ist
jetzt eine unlösliche Verbindung an die Stelle getreten. Die
Hinüberleitung der grofsen attischen Muster in die lateinische
Beredsamkeit und in die Litteratursprache überhaupt , die Ver«
edlung des italischen robur duich das zarte aus der Fremde im-
portierte Reis war die grofse That jenes Jahrhunderts. Segens-
reich wurde sie auch für die griechische Litteratur, denn die
Bewunderung y die der alten attischen Herrlichkeit von der
Herrin des Erdkreises gezollt wurde, gab den klassicistischen
Bestrebungen, die von den Griechen selbst ausgingen, einen
mächtigen Impuls und einen kräftigen Rückhalt: in diesem
Sinne ist es richtig, wenn Dionys y. Halikamass (de or. ant. 3)
der xdvzmv XQaxoiiöji *Pdi(iij^ XQbg iavti^v ivayxa^oiiöjj tag Skag
xöliis iaioßXixHv den Sieg des Atticismus zuschreibt.
Zweiter Teil.
Die Eaiserzeit.
Einleitung.
Wenn wir uns die Frage vorlegen; wodurch wir berechtigt
sind, die Litteratur der Eaiserzeit von derjenigen der vorher-
gehenden Jahrhunderte abzusondem, so können wir, obwohl
wir nns nie darüber täuschen dürfen, dafs eine Einteilung der
Litteraturgeschichte wie jeder Entwicklung in Epochen etwas
durchaus Sekundäres ist und von den Epigonen meist nur aus
äufseren Rücksichten vorgenommen wird, in diesem Fall mit
einer gewissen Berechtigung die Antwort geben: bisher stand
die Litteratur mitten im Leben des Einzelnen und der Gesamt-
heit, von jetzt an geht sie neben ihm her (ich sehe vorläufig
ganz von der christlichen Litteratur ab). Für die griechische
Litteratur gilt das eigentlich schon etwa von dem Zeitpunkt an,
als sich Demetrios zum Herrscher von Athen machte und es
nicht blofs in der Theorie mit der alten attischen Herrlichkeit
zu Ende war. Für die lateinische Litteratur gilt es seit Augustusf,
aber erst seit der zweiten Hälfte seiner Regierung. Denn die
Generation, die, im Freistaat geboren und aufgewachsen, der
faktischen Neuordnung der Dinge entweder ablehnend gegenüber-
stand oder sie nur gezwungen und in bewuTster Selbsttäuschung
mit der Vergangenheit identifizierte, war von Augustus mit
äufserster Schonung behandelt worden; erst als sie einer neuen,
in der Unterwerfung grofs gewordenen Generation Platz gemacht
hatte, zog der alternde Herrscher die Zügel straffer an. Aber,
klug wie er war, liefs er es nur wenige, die sich gar zu störrisch
gebärdeten, fühlen: die grofse Masse dukedine oHi peüexU^ wie
Tacitus (ann. I 2 cf. Agr. 3) von ihm sagt und wie es die Zeit-
tar Tom
Leben.
Allgemeine Verhältnisse. 241
genossen in Büchern und auf Steinen preisen. Dieses otium Abwendong
kam der Litteratur zugute, wenigstens was ihre Expansion be- *' ***"'
triflft. Einst hatten sich Varro und Cicero in trüber Resignation
auf ihre Villen zurückgezogen und in litterarischer Beschäftigung
Vergessenheit der sie umgebenden Miseren gesucht: das ist die
Stimmung, die uns aus den Einleitungen Ciceros zum Brutus
und zum dritten Buch de oratore sowie aus den Fragmenten der
Tarronischen Satire Serranus entgegentönt. Fortan brauchte
man nicht mehr aufs Land zu gehen, um procul negotiis litte-
rarischer Mulse zu leben: die Wafien ruhten und des Krieges
Stürme schwiegen, Hermes und die Musen konnten, vom Kaiser
und seinen Grolsen gehegt, ihren Einzug in die Stadt halten.
Und nicht mehr aus Resignation, im Gefühl, etwas Besseres
dafür zu opfern, pflegte man die Wissenschaft: sie wurde jetzt
Selbstzweck, was sie in den Freistaaten, sowohl dem griechischen
als dem romischen, nie gewesen war. Dem Cicero hatten es
einst sogar seine Gönner zum Vorwurf gemacht, dafs er, ein
Mann Yon solchen Verdiensten um den Staat, seine Kraft mit
der Unterweisung junger Leute zur Rhetorik und mit der Ab-
fassung Ton gelehrten, aber dem praktischen Leben fernstehenden
Schriften vergeude (or. 140 fl^.): fortan wurden solche Vorwürfe
nicht mehr laut, im Gegenteil, die litterarische Beschäftigung
adelte und gab — wenigstens in der späteren Kaiserzeit — An-
recht auf Beförderung im Staatsdienst. Die Verhältnisse hatten
sich also gerade umgekehrt. Einst klagte man, dafs es einem
in den politischen Wirren nicht ermöglicht sei, dem Staat seine
Diehste weiter zu widmen und sah mit mitleidsvoller Verachtung
auf die FQaixol %al 6%ola6ti%oCj die — vaterlandslos, wie sie
waren — nichts Besseres zu thuu hatten, als litterarischcr Mulse
zu leben: dem Fronto dagegen ist sein Konsulat zur Last, und
er sucht es sich je eher desto lieber vom Hals zu schaffen, wenn
es nur nach den leidigen Gesetzen anginge (33 N.); ähnliches
berichtet für das III. Jahrhundert von einem Senator Rogatianus
Porphyrios im Leben Plotins 7. Wie sehr das die Empfindung
der Gesamtheit war, zeigt uns mit empfindlicher Deutlichkeit
folgende Thatsachc. Im J. 209 hatte Dezippos mit grofsem
persönlichen Mut und strategischem Genie seine Vaterstadt Athen
vor den germanischen Horden gerettet; diesem Manne setzten
seine Kinder eine uns erhaltene metrische Ekreniuschrift (CIA
NordtOi antike Konttprosa. 16
242 Die Kaiserzeit. Einleitung.
III 716), in der er nur als ^cdq ocal 6vyy(fag>6vg gepriesen wird,
während seiner Heldenthat, Ton der er selbst sich sixlsCav
ieifivfjötov versprach (Hist. Graec. min. I 188 Dind.), mit
keinem Worte gedacht wird. Das erschien dem modernen Em-
pfinden so unerhört, dab man daraus schlofs, diese Inschrift sei
vor dem J. 269 gesetzt worden. Da sich nun aber durch eine
solche Annahme ganz unlösbare chronologische Aporieen ergeben
würden, urteilte schon Niebuhr (im Corp. Script, hist. Bjz. I
p. XVI) richtig: concedendum est laevam hominum in honoribus
aestimandis mentem .... librorum fantam extulisse, res fortUer
gestas silentio transmisisse: rem, propter eins aevi pravitatem, plane
non incredibilem. Aber sechshundert Jahre früher war dem
Dichter und Marathonkämpfer Aeschylos aufs Grab ein Stein
gesetzt, der nur tbv Maga^&vi XQoxivdweiiöccvta feierte: so
änderten sich mit den Zeiten die Menschen.
Aber die Litteratur hat sich die Freistatt, die ihr in der
ganzen Eaiserzeit (mit vorübergehenden Ausnahmen) gewährt
wurde, teuer genug erkauft. Denn was sie an Expansion ge-
wann — es ist vielleicht zu keiner Zeit quantitativ mehr ge-
schrieben worden — , das verlor sie an Gehalt. Die Frische,
die sie bisher durch den unmittelbaren Eontakt mit dem pul-
sierenden Leben und den politischen Verhältnissen bewahrt hatte,
ging ein für alle Mal verloren. Die Satire des Lucilius war
eine flammend persönliche gewesen, Varro hatte es gewagt, die
Triumvim Caesar, Pompeius und Crassus zu kritisieren, Lenaeus,
den Caesarianer Sallust zu zerfleischen, und Catull hatte wie
seiner Liebe so seinem Hafs in leidenschaftlichen Worten Aus-
druck gegeben: wie zahm ist dagegen die gelehrte litterarische
Satire des Horaz, wie allgemein sittenrichterlich und gegen Ende
wie senil die des luvenal.^) Man vergegenwärtige sich femer
den Kontrast innerhalb der Litteraturgattung, die von allen die
persönlichste ist, der des Briefwechsels. Cicero und Plinins sind
die beiden uns am genauesten bekannten Persönlichkeiten des
Altertums, beide reden — zu ihrem Schaden — von nichts
lieber, als von sich selbst. Ciceros Briefwechsel ist eine der
wichtigsten historischen Quellen einer maCsIos bewegten Zeit:
1) Claudian, der geborene Grieche, macht bezeichnenderweise eine
Ausnahme, wie unter den späteren Historikern Ammian.
Allgemeine Verhältnisse. 243
was lernen wir aus Plinius' Briefen (mit den paar bekannten
Ausnahmen) anderes als das beschauliclie Stillleben der höchsten
Kreise? Marcus, der spätere Kaiser, weifs als Caesar seinem
Lehrer nichts zu schreiben und um den Platz doch nicht leer
zu lassen, plaudert er über das Wetter, was ihm schliefslich
selbst albern vorkommt (Fronto 60 ff. N.). Was hätte uns Sym-
machos alles mitteilen können, wenn ihn und seine Freunde
Wettrennen und die Farbe von Pferden nicht mehr interessiert
hätten als die hohe Politik? Auch die hohen Gattungen der
Litteratur gingen ihren Weg ohne Zusammenhang mit dem
Fühlen der Zeit. Vergil freilich verstand es so meisterhaft, den
Herrscher mit dem römischen Volk und dieses mit jenem zu
identifizieren, dafs er beide für sich gewann, und wuliste trotz
der tendenziösen Absicht so sehr die allgemein nationalen
Gefühlssaiten anzuschlagen, dafis er der populärste römische
Dichter für alle Zeiten blieb; aber im allgemeinen stand die
Litteratur abseits vom Leben: denselben Dichter, der in dem
offiziellen Festgedicht die Ewigkeit der Stadt prophezeit hatte,
ignoriert der Soldat Yelleius und die Wände Pompejis zeigen
keinen Vers von ihm; Seneca (cons. ad Pol. 8, 27) bezeichnet
die aesopische Fabel als ein intenipiatum romanis ingeniis optts:
der Sklave Phaedrus existiert für den Aristokraten nicht ^); wie
eine Ajrt von Phänomen zog Epiktet die Augen auf sich, dafs
toio^ög TiQ &vilQ dovXag dnb fuctQbg itix^fj^): aber gerade er,
den die Späteren sich gern als Christ dachten, zeigt vordeutend
in die Zukunft: die neue Religion sollte dereinst bestimmt sein,
die Kluft zwischen Volk und Gebildeten auch in der Litteratur
SU überbrücken.
Aber bei dem vielen Schatten fehlt auch das Licht nicht. indM.
Die Litteratur der Kaiserzeit ist, als Ganzes betrachtet, indivi-
dueller und daher, wenn ich so sagen darf, nach unserm Gefühl
modemer als die der Vergangenheit. Das war durch die Ver-
hältnisse gegeben. Die Augen aller waren jetzt auf einen ge-
1) Diese von Baecheler (mündlich) gegebene Erklärung ist zweifellos
richtiger als die vulgäre: Seneca habe damals in der Verbannung gelebt
und daher die Fabeln des Ph. noch nicht gekannt.
2) Inschrift aus Pisidien, Papers of the American school of class. stud.
at Athens m (1885) n. 438, für Epiktet ein ebenso wiinderyolles Dokument
wie die Felseninschrift von Oinoanda für Epikur.
16*
244 Die Eaiserzeit. Einleitung.
richtet, von dessen Individualität das Wohl oder das Wehe der
Gesamtheit abhing; in seiner Umgebung befanden sich die
Grofsen des Reichs^ die wiederum durch ihre Persönlichkeit den
Herrscher im Guten oder im Schlechten beeinflulüsten. Ober-
haupt mufsten sich jetzt die Charaktere mit bestimmterer, indi-
viduellerer Prägung ausbilden: denn hatte der Freistaat das Auf-
gehen des Einzelnen in das Fühlen der Gesamtheit verlangt^ so
löste sich in der Monarchie, als das Fühlen der Gesamtheit als
solches aufhörte, das Individuum als ein in sich geschlossenes,
gerade durch seine Eigenart existenzberechtigtes Sonderwesen
von der Masse ab, ganz wie es einst in Hellas seit dem Beginn
der makedonischen Zeit der Fall gewesen war. Ein solches
Zurückdrängen der eignen Persönlichkeit, wie wir es bei Thu-
kydides und Piaton finden, ist für Tacitus und Seneca nicht
mehr denkbar. Die Folge war, daCs die Litteraten anfingen, auf
das Individuelle auch der von ihnen geschilderten Persönlich-
keiten mehr Rücksicht zu nehmen, als das früher der Fall ge-
wesen war, man denke nur an Plutarchs Biographieen, die zwar
alles eher als Geschichte sind, aber auch keinen Anspruch darauf
machen. Durch diese neue Richtung der Geister erstarkte die Gabe
der psychologischen Analyse, die Kunst des Charakterisierens.
Sallust, der Repräsentant der Übergangszeit, ist der erste, der
tief in das Seelenleben des Individuums hineingeschaut bat. Es
folgen die grofsen Historiker des ersten Jahrhunderts der Eaiser-
zeit, vor deren Augen in unablässiger Folge ungeheure Frevler
und gewaltige Tugendhelden, heuchlerische und liebenswürdig
offene Naturen vorbeizogen, die sie zusammenfafsten zu packen-
den Seelendramen, in denen das düstere, pathologische Moment
mit einer Art von nervöser Hyperästhesie oft auch da einseitig
hervorgekehrt wurde, wo es nicht oder nicht in solchem um-
fang vorhanden war: jener Schriftsteller, dem Tacitus und Dio
(cf. besonders LYII 1) folgen, hat zwar den Charakter des Ti-
berius verzeichnet, aber was er dadurch als Historiker fehlte,
hat er als Dichter wieder gut gemacht, denn die Verzeichnung
ist eine grandiose und wahrhaft poetische, gegen die man eine
objektive und nüchterne Darstellung um so weniger gern ein-
tauschen möchte, als uns die Thatsachen selbst ja überliefert
werden, nur eben in jener düstem Umkleidung, die gerade dieser
Partie des taciteischen Werkes etwas so Dämonisches verleiht.
Allgemeine Verhältnisse. 245
Zuletzt hat es dann noch Ammian verstanden, Charakteristiken
von packender Lebendigkeit zu geben: der Charakteristik des
Constantius, die offenbar derjenigen des taciteischen Tiberius
nachgebildet ist, folgt man mit atemloser Spannung. Von
den Heiden haben die Christen in einer mafslos bewegten
Zeit die Kunst, Bösewichter zu konstruieren und sie als solche
za schildern, gelernt: Marcion und Arius werden als Kinder der
Holle in grellsten Farben gemalt, das Edle und Grolse, das sie
dachten und thaten, wird verschwiegen oder verzerrt. Die Waffen
dazu lernte man schmieden in den Rhetorenschulen, die in der
Kaiserzeit in noch höherem Grade als früher das allgemeine
Fühlen widerspiegelten und sich in dessen Dienste stellten.
Denn es ist begreiflich, dafs auf die Kunst der Beredsam- Niedergan
keit, die sich im Freistaat entwickelt hatte und in ihm mit liehen bo
allen Fasern wurzelte, der Wandel der Verhaltnisse den stärksten '«^*»°»^«*
und sichtbarsten EinfluJGs ausübte. Wir haben über ihren ra-
piden Niedergang eine ganze Anzahl von Urteilen aus der ersten
Kaiserzeit, aus denen wir sehen, dafs man eifrig nach dem Grund
dieser Erscheinung forschte. Anfangs fand man ihn in einer
durch die allgemeine Erfahrung bestätigten litterarhistorischen
Maxime: fatij sagt Seneca (contr. I praef. 7) maligna perpeluaque
in rebus omnibus lex est, ut ad swnmum perducta rursus ad in-
fimum, velocii4S quidem quam ascenderant, relahanUir, und so sei
es nach dem gesegneten ciceronianischen Zeitalter, in dem alle
groÜBen Genies vereinigt waren, mit rasender Eile bergab ge-
gangen. Dasselbe Motiv bringt Velleius I 16 f. vor und sucht
es als maßgebend für die ganze griechische und lateinische
Litteraturgeschichte zu erweisen. Da diese glänzende Ausein-
andersetzung gewifs nicht seinem eignen Kopfe entstammt, so
müssen wir annehmen, dafs es eine weitverbreitete litterar-
historische Maxime des Altertums war,4eren Ursprung mir ver-
borgen ist.^) Sie findet sich schon bei Cicero, mit spezieller
Anwendung auf die uns beschäftigende Frage: Tusc. II 5 ora-
tarum laus ita ducta ab humili venitad summum, ut tarn, quod
natura fert in omnibus fere rebus, senescat brevique tempore ad
nihilum Ventura videatur. Neben diesem Grund wird ein anderer
angeführt: der allgemeine Niedergang der Zeiten, vor allem die
1) Cf. auch R. Uirzel, Der Dialog II (Lei^z, 1805) 51, 2.
246 ^^^ Kaiserzeit. Einleitung.
fortschreitende Sittenverderbnis habe auch die Kunst der Bered-
samkeit in den Verfall hineingezogen^ so Seneca contr. 1. c. und
besonders eingehend der Sohn in ep. 114, womit sich xbqI ^(wg
44, 6 ff. nahe berührt; fQr den Niedergang der übrigen Künste
bringt Petron 88 dasselbe Argument vor. Aber aufser diesen
beiden allgemeinen Erklärungsversuchen finden wir einen dritteui
durch den der unmittelbare Grund dieser Erscheinung richtig
festgestellt wird. Wer erinnerte sich nicht gern an den glänzen-
den Schlufs des taciteischen Dialogs (c. 36 ff.) ? Die groiÜBen
Tumulte der Republik, besonders der ausgehenden, waren der
Stoff, an dem sich die Beredsamkeit entzündete, um dann in
hellen Flammen emporzuschlagen. Diese Zeiten der Verwirrung
und Zügellosigkeit boten bei dem Mangel emes Leiters dem
Redner Gelegenheit, das irrende Volk für sich zu gewinnen,
grofsen Einflufs bei den Spitzen des Staates, Gewicht beim Senat,
Berühmtheit bei der Plebs zu erlangen. Und abgesehen von
diesem Lohn, der dem Redner winkte, lag auch ein Zwang Tor,
kraft dessen er selbst unfreiwillig auftreten mulste; und es ge-
nügte nicht im Senat kurz seine Stimme zu geben, sondern man
sollte durch Geist und Beredsamkeit seine Ansicht vertreten,
geschweige denn dafs es erlaubt gewesen wäre, abwesend oder
durch Stimmtäfelchen Zeugnis abzulegen. „Dazu kam der Glanz
der Angeklagten und die Gröfse der Prozesse, denn es macht
einen grofsen unterschied, ob man über Diebstahl, die Prozels-
formel, das prätorische Interdikt zu reden hat, oder über Be-
stechung der Komitien, Plünderung der Bundesgenossen, Nieder-
metzlung der Bürger. Sicher zwar ist, dafs dies alles besser
nicht vorkommt und sicher sind diejenigen politischen Verhält-
nisse die wünschenswertesten, unter denen uns nichts dergleichen
widerfährt: aber ebenso sicher ist, dafis dies, als es vorkam, der
Beredsamkeit einen gewaltigen Stoff lieferte. Denn es wachst
mit der Gröfse der Dinge die Kraft des Geistes, und keiner ver-
mag eine Rede zu Ansehen und Glanz zu erheben, der keinen
entsprechenden Prozels findet. Nicht, meine ich, machen De-
mosthenes zum glänzenden Redner die Vormundschaftsprozesse,
noch Cicero die Verteidigimg des Quinctius oder Archias: Cati-
lina, Milo, Verres und Antonius haben ihn mit diesem Ruhm
umkleidet."^) Nur die herrliche, begeisternde Ausführung des
1) Dasselbe Motiv klingt auch ann. IV 82 an.
Allgemeine Verhältnisse. 247
Einselnen ist hier eignes Gut des Tacitus^): das Argument selbst
findet sich auch bei dem Verf. nsgl üijfovg 44 und dort wird der
Grundsatz, cb^ ^ drjiioxgaria r&v (isydXcov iyad'^ rtdijvd^, ^
liövji 6%Bdhv xal öwT^xfiaöav oC xegl Xöyovg dsivol ocal övvand^
^avov als ixetvo tb d'QvXoiifiBvov bezeichnet. Thatsächlich
hatte ja schon Aristoteles die Entstehung der sicilischen Rhe-
torik Yon dem Sturz der Tyrannen an datiert, und Cicero, der
dies berichtet (Brut. 46), sagt in dem unmittelbar vorhergehen-
den Satz, also sehr wahrscheinlich auch noch aus Aristoteles,
jedenfalls in dessen Sinn: in impeditis ac regum dominatione de-
vinctis nasci cupidiUtö dicendi non solst.^) Was war es schliefs-
lieh anderes, wenn man, wie wir sahen (S. 126 ff.), den Verfall
der griechischen Beredsamkeit allgemein an die Zeit des Deme-
trios Yon Phaleron anknüpfte? Die Argumentation desjenigen
Schriftstellers, auf den die Ausführungen des Verf. Ttßgl ii^ovg
und des Tacitus zurückgehen, trifft offenbar den Kern der Sache.
Das lehrt uns nicht blofs das Altertum, in dem die philippischen
Reden des Demosthenes und Cicero die Höhepunkte der Bered-
samkeit bezeichnen, sondern auch die Geschichte der modernen
Staaten, vor allem Englands und Frankreichs, wo die politische
Rede durch die grofsen Revolutionen und die daran sich an-
schliefisenden Yerfassungskämpfe geboren wurde. ^) Sehen wir
1) Er macht auch keinen Anspruch auf Neuheit: c. 28 in. — Auch
jene hübsche, uns durch ihre Romantik so anmutende Stelle über die Dichter,
die sich in die lauschige Stille der Haine zurückziehen (c. 9 i. f. 12), womit
man passend verglichen hat Plinius ep. IX 10 (an Tacitus), 2 poemata quies-
cunt, quae tu inter netnara et lucoa commodissime perfid putas, ist nicht
specifisch taciteisch: cf Qnintilian X S, 22.
2) Cf. de or. I 30 haec una res (die Beredsamkeit) in omni lihero
populo fMLximeque in paaxtis tranquülisque civitatibus prciecipue semper
floruit semperque daminata est. Abweichend von der Argumentation des
Verf. n, v^ovg und des Tacitus sind darin die pacatae tranquillaequc
civiUxtes, wie ebenfalls im Brutus auf die citierten Worte folgt: pacis est
eomes otique sacia et iam bene canstitutae civitatis quasi älumna (xid7iv6g
aact. TT. &^. 1. c.) quaedam eloquentia. Das hat also jener Schriftsteller
(selbstverständlich ein Grieche), der dies Argument zuerst auf die Eaiser-
zeit anwandte, entsprechend abgeändert. Übrigens geht aus der obigen
Aaseinandersetzung wohl deutlich hervor, dafs alle diese Argumente in
Quintilians Spezialschrift de causis corruptae eloquentiae vereinigt waren.
3) Das ist im einzelnen sehr schön gezeigt worden von A. Philippi 1. c.
(oben S. 2,1) 84 f.; 88 ff.
redsam«
keit.
248 1^6 Eaieerzeit. Einleitung.
nicht noch heute in unserm eignen Staate^ dals die Demokraten
an oratorischer Begabung den Rednern der Ordnungsparteien
im allgemeinen überlegen sind?
jiüt« der Die praktische Folge dieser Verhältnisse war, dals die Be-
"^:Be: redsamkeit sich vom Forum und aus der Kurie, wo sie so gut
wie nichts mehr zu thun hatte ^j, zurückzog in den Hörsaal: die
eloqiientia wurde zur declamatio. Es ist ein bezeichnendes Zu-
sammentreffen, daTs uns von eben jenem Demetrios von Phaleron,
von dem an man den Niedergang der griechischen Beredsamkeit
datierte, berichtet wird, er habe sie vom Markte in den Hörsaal
yerpflanzt und zu seiner Zeit sei es aufgekommen, über fingierte
gerichtliche und beratende Stoffe zu reden (S. 127 f.): das Gleiche
findet seine Anwendung auf die römische Beredsamkeit der Eaiser-
zeii Denn wenn es auch, wie wir besonders aus der Rhetorik
an Herennius ersehen, in den Kreisen der latini rhetores schon
längst Sitte gewesen war, solche imo^iöst^ zu behandeln^, so
hatten doch die mafsgebenden Männer mit vornehmer Verach-
tung auf diese ^ Bauern tölpel' und * Rabulisten' herabgesehen.*)
Am deutlichsten zeigt sich der Wandel der Dinge in der ver-
änderten sozialen Stellung der Deklamatoren: während zu Giceros
Zeit ihre Thätigkeit fUr eine des freien römischen Bürgers nicht
würdige galt und daher den Graeculi oder libertini überlassen
wurde^), begreift im Anfang der Kaiserzeit Seneca der Vater
nicht mehr, dafs es eine Zeit habe geben können, wo diese ptd-
cherrima disciplina verachtet wurde und wo die perverse Sitte
1) Klingt es nicht wie tragische Ironie, wenn Quintilian sich in seinem
Idealgemälde eines Redners zn der Bemerkung versteigt: dieser werde sich
nicht nur in kleinen Prozessen hervorthun, sed tnaiorihus operibus dariua
elucebit, cum regenda senaiits consilia et popularis error ad meliora dticendus?
2) Den unmittelbaren Zusammenhang der latini rhetores mit den De-
klamatoren der Eaiserzeit bezeugt ausdrücklich Tacitus dial. 85.
3) Cicero hat auch 'deklamiert' (Brut. 310. ep. ad fam. VII 38; XVI
21, 5 ad Q. fr. m 3, 4. Suet. de rhet. 121 Reiff. u. a), aber jene Dekla-
mationen waren anderer Art (Sen. contr. I praef. 11 f.), besonders, wie er
selbst sagt (or. 46 f.), die von den {mo^icBig ganz yerschiedenen ^4€it^
(allgemeine Themata), die ja schon Aristoteles eing^fOhrt hatte. Übrigens
spricht er von diesen seinen Übungen stets mit Geringschätzung, sie gelten
ihm als etwas ganz Nebensächliches.
4) Cf. Th. Fromment, ün orateur r^publicain sous Auguste, Cassius
Seyerus (in: Annales de la facult^ des lettres de Bordeaux I 1879) 188.
Allgemeine Verhältnisse. 249
bestanden habe, ut turpe esset docere quod honestum esset discere
(contr.II praef. 5). War doch sogar Augustus selbst geduldig genug,
sich diesen Unsinn anzuhören (Sen. contr. II 4, 12 f.; 5, 20; IV
prae£ 7; exe. VI 8 i. f.; X 5, 21; suas. 3, 7): zeigte sich doch auch
wahrlich kaum irgendwo anders das otium, das er der Welt geschenkt
hatte, deutlicher als in der Zurückgezogenheit des Hörsaals. Denn
die Abwendung vom praktischen Leben war eine völlige: forensis
und scholasticus wurden Gegensätze (Asin. PoU. bei Sen. contr.
II 3, 13); einer der tüchtigsten Deklamatoren, Porcius Latro,
soll, als er auf dem Forum für einen Verwandten einen Prozefs
f&hrte, so verwirrt geworden sein, daTs er seine Rede mit einem
Solocismus begann und bitten mufste, die Verhandlung in einem
Saale fortzusetzen (Sen. contr. VIII praef. 3, und aus ihm, wie
oft, Qnint. X 3, 17 f.). Viele übertrugen nach Quint. VI 1, 42 f.
ihre YTorte aus der Deklamatorenschule, wo sie sich den Gegner
in beliebiger Situation denken durften, auf das Forum, wo sie
in lächerlichen Kontrast zu den realen Verhältnissen gerieten:
tendit ad genua vestra supplices manus, haeret in complexu liberorum
miser sagten sie, ohne dafs etwas von dem wirklich vor sich
ging; ein junger Mann apostrophierte den Cassius Severus: „was
schaust du mich mit finsterer Miene an, Severus?'^ worauf dieser:
„wahrlich, das that ich nicht, aber da du es nun mal so ge-
schrieben hast, meinetwegen: da sieh hier'' und er blickte ihn so
wild er konnte an (Quint. 1. c). Daher versteht man es, wenn
derselbe Cassius Severus, ein verhältnismäfsig vernünftiger Mann
dieser Zeit (Tac. dial. 26), sagte: „Was ist in der Schulberedsamkeit
nicht überflüssig, da sie selbst überflüssig ist? Spreche ich auf
dem Forum, so thue ich doch etwas; deklamiere ich aber, so
kommt es mir so vor, als ob ich im Traum mich um etwas ab-
mühe. Es ist etwas ganz anderes zu kämpfen als Lufthiebe zu
schlagen'' (Sen. contr. III praef. 12). Dem alten Seneca selbst,
einer der originellsten Erscheinungen in der späteren lateinischen
Litteratur, wurde sein Werk zum Schlufs so zuwider, dafs er in
der Vorrede zum letzten Buch der Kontroversen (X 1) an seine
Sohne schreibt: „Lange genug habt ihr mich gequält: fragt,
wenn ihr noch was wollt und lafst mich dann von diesen jugend-
lichen Studien zu meinem Greisenalter zurückkehren. Ich will
es euch nur gestehen: ich habe jetzt genug von der Sache. Zu-
erst habe ich mich gern daran gemacht, in der Zuversicht, mir
250 l^ie Eaiserzeit. Einleitung.
dadurch den besten Teil meines Lebens zurückzufülirein: jetzt
schäme ich mich nachgerade, als ob ich eine nicht ernste Sache
betreibe. So ist es mit den Stadien der Scholastiker: rührt
man sie obenhin an, machen sie Spafs; betastet man sie derb
und rückt sie nahe heran, langweilen sie/'^) Aber was half
es, dafs verständige Männer aus den beteiligten Kreisen selbst
ihre warnende Stimme erhoben, was half es, dals in der ganzen
Kaiserzeit die Philosophen gegen das äulsere Scheingepränge
und die innere Hohlheit der Rhetorik eiferten^): die Strömung
1) Ähnliche Urteile anderer und des Seneca selbst: contr. IV praef.
2 i. f. Vn praef. 4. IX praef. 1 ff.
2) Liers, Rhetoren und Philosophen im Kampfe um die Staatsweisheit,
Programm Waidenburg i. Schi. 1888 hat die yersprochene Fortsetsung (Ton
Dionys v. Hai. an) leider nicht gegeben. Der Streit ist seit den Zeiten
des Gorgias, Piaton und Isokrates nicht zur Ruhe gekommen. Cicero ist
erbost über die Philosophen, die in die Domäne der Rhetorik Eingriffe
machten: ihm ist der Rhetor der wahre Philosoph (de or. m 59ff.; 108 ff.;
122 f.; 129), daher war es fdr ihn keine iiitdßaeig ilg &XXo yiwag^ wenn er
über Philosophie schrieb. In der Eaiserzeit, als die Sophistik wieder die
gefährliche Rivalin der Philosophie wurde, tobte der Streit mit erneuter
Heftigkeit; wie früher, behaupteten die Rhetoren, die seit Demetrios Ton
Phaleron und Bion gelernt hatten, ihre tdnoi nsgl tvxris^ tgwpfjs u. s. w.
(Sen. ep. 100,10) mit gehöriger Verve auszufilhren, und die darin das Wesen
der Philosophie beschlossen sahen, mit unerhörter Impertinenz, dafs sie im
Besitz der wahren Philosophie und also Philosophen neben ihnen über-
flüssig seien: das spricht nach sogar ein solcher Biedermann und ein solcher
ävriQ &q)iX6ao<pog wie Quintilian (I prooem. 9 ff. cf. X 1, 36): man merkt an
dem erregten Ton, den man sonst gar nicht an ihm gewohnt ist, dafs es
sich um eine praktische Lebensfrage handelte: q>9-ovist ysltovi yslrmv. Bei
Tacitus (dial. 5) äufsert sich der Moderedner Aper verächtlich Über den
Stoiker Helvidius Priscus, während Messala, der Vertreter der diQx'^^h he-
zeichnenderweise die Philosophie sehr hoch stellt und in ihrer Vernach-
lässigung einen Grund für den Niedergang der Beredsamkeit findet (c. 81 f.).
Am unglücklichsten ist Fronto über die Konkurrenz, die ihm sogar seinen
kaiserlichen Zögling abspenstig machte; wie kläglich hört sich an, was er
diesem darüber schreibt : er komme ihm so vor wie einer, der beim Schwim-
men lieber einem Frosch als einem Delphin ähnlich sein wolle, gebe es
doch in der Philosophie kein prooemium cum cura excolendum, nulla ntMr-
ratio breviter et dilucide et callide collocata, nihil exaggerandum u. s.w. (146;
150; 154 N.; cf. die alberne Bemerkung in einem griechischen Brief an
einen Freund 174: nuidslav Xiym xiiv x&v ^fit6Qmv' aZtti Y^9 domt fioi
ävd'QamivTi tig slvai' xobv (ptXoöStpav 9'sla tig ^axon^ cf. 183; 184); aber er
hatte bei der edlen, nach hohen Idealen strebenden Natur des Herrschers
auf die Dauer kein Glück : schon der fänfundzwanzigjährig^ Caesar schreibt
AllgBmeine Verhältnisse. 251
der Zeit war kräftiger als sie und hat das grölste Terrain der
Litterataren beider Volker überflutet.
Erster Abschnitt.
Von Angastiis bis Traian.
Erstes Kapitel.
Die Theorie.
A« Der Kampf des alten und des neuen Stils. Attioismua
und Asianiamus.
Um den Leser von vornherein über meine Ziele zu orien-
tieren, will ich in greisen Zügen die wesentlichen Resultate der
nachfolgenden Untersuchungen vorwegnehmen.
Die zwei uns schon lange bekannten Stilrichtungen (s. oben
S. 149 ff.) lassen sich sowohl in der griechischen wie in der la-
teinischen Prosa auch in der Eaiserzeit deutlich unterscheiden:
die klassicistische, die ihrer Tendenz nach archaisie-
rend ist (of &Qxcctoi)^ und die moderne (of vsmtBQoi.).
ihm begeistert über die Bücher des Ariston und er zürnt sich, quod viginti
quinqm natus annos nihildum bonarum opinwnum et puriorum rationum
animo hauserit (75 f.), und als Kaiser registriert er unter dem, was er von
seinem Lehrer Bosticus gelernt habe: tb &noöxijvai ^ro^txQ; (dg ^avr. I 7).
Von gleich unversöhnlichem Hafs gegen alle Philosophen, soweit sie nicht
seines eignen Schlages sind, d. h. aotpiötal im Sinn der von Piaton be-
kftmpften (sie finden auch vor Frontos Aug^n Gnade: p. 176), ist Aristides,
cf. H. Banmgart, Aelius Aristides (Leipz. 1874) 24 ff. Der Bhetor Appian
legt in sein Geschichtswerk eine Invektive gegen die Philosophen ein
(Mithr. 28, hierfür citiert von Eaibel im Herm. XX [1885] 501). Die
Philosophen haben es dann den Bhetoren heimgezahlt: Epiktet (über den
Fronto 115 eine unwürdige Bemerkung macht) schleudert gegen sie eine
Invektive (diss. in 23, cf. E. Hatch, Griechentum und Christentum, deutsch
von E. Preuschen [Freiburg 1892] 73 f.), ebenso Maximus Tyrius (diss. in 21),
ond am erbittertsten sind die von der Sophistik zur Philosophie überge-
tretenen Dio und Lukian. Späterhin vollzog sich dann ein Ausgleich, z. B.
ist Eunapios dem Plotin und Porphyrios so sehr gewogen wie sich selbst
und seinesgleichen. Cf. besonders noch Rohde, D. gpdech. Roman 320 ff.
252 Von AugastuB bis Traian.
1. Die Ideale der ersteren sind bei den Griechen die Attiker.
Unter den Rednern gewinnt bei ihnen Demosthenes (und f&r den
panegyrischen Stil mehr Piaton als Isokrates) das Übergewicht,
entschieden unter den Antoninen (Aristides, Hermogenes), bei
den Lateinern Cicero (Quintilian). Auch die Historiker kopieren
die alten Muster, teils Xenophon (Typus des ig>BXig), teils Hero-
dot (ykvxv), teils Thukydides (öBfivöv), sogar Hekataios wird
von solchen, die ganz natürlich, ohne jede iTtifiiXsta und KÖö^iog
schreiben wollen, hervorgezogen (Hermog. de id. p. 423 f. Sp.).
Die lateinischen Historiker schwanken zwischen Livius (iacun-
(Utas d candor, entsprechend Herodot: Quint. X 1, 101) und Sal-
lust (obscuritas et hrevitaSy entsprechend Thukydides: Quint. 1. c).
Diese klassicistische Richtung wird von einigen ins Extreme
fortgesetzt: das sind die Hyperatticisten, denen bei den Lateinern
Fronto mit seiner Schule entspricht. 2. Auf der andern Seite
stehen die Modernen, die ihre eignen Wege gehen: sie sind alle
beeinflufst von der neuen Rhetorik und unterscheiden sich nur
graduell in dem Mafs, welches sie ihr einräumen: die Extremen
stellen sich dar als Fortsetzer der alten sophistischen Eunst-
prosa mit allen ihren Auswüchsen und des aus dieser erwach-
senen Asianismus; die GemaXsigten schreiben zwar in dem mo-
dernen Stil, hüten sich aber vor seiner Entartung, einige suchen
sogar eine Art von Eompromifs zwischen dem alten und dem
neuen Stil zu schliefsen (zu letzteren gehören die besseren Ver-
treter der sog. zweiten Sophistik).
Liitera- 1* ^^^ Altcu uud die Neuen im allgemeinen.
Isohe Strö-
inngen in Ich betrachte zunächst die Anfänge des Antagonismus von
HkUnJii. Reaktion und Fortschritt in der lateinischen Litteratur, weil
für sie hier die Überlieferung sowohl der Theorie als der Praxis
eine reichere ist. Wenn ein Volk eine gewisse Hohe der Kul-
tur erreicht hat, stellt sich erfahrungsgemäfs eine Reaktion ein,
deren Vertreter meist mit einer Art von romantisch-sentimen-
taler Schwärmerei in der guten alten Zeit das Heil der Welt
beschlossen sehen. Diesem allgemeinen Erfahrungssatze, dessen
Wahrheit schon in den homerischen und hesiodischen Gedichten
verbrieft ist (ein Vitium malignüatis hutnan<ic nennt es M. Aper
bei Tacitus dial. 18), hat 0. Seeck in einem der geistvollen Es-
Reaktion und FoHschritt. 253
says Beiner 'ZeitpliraBeii'(Berlin 1892) Ausdruck gegeben. Auf die la-
teinische Litteraturgeschichte hat ihn in einigen mehr allgemein ge-
haltenen Grundzügen M. Hertz in seinem bekannten Vortrag ^Renais-
sance undBococo in der romischen Litteratur' (Berlin 1865) und mit
spezieller Beziehung auf die Poesie F. LeO; Plautinische Studien
(Berlin 1895) 22 ff. angewandt.^) Letzterer hat hervorgehoben,
dals die archaistische Reaktion, der wir in der letzten Hälfte
des ersten Torchristlichen Jahrhunderts begegnen'), in einer
Schwärmerei wurzelt^ welche die Menschen ihre Blicke aus der
trQben, von Ungeheuern Parteiungen und oft kleinlichen Sonder-
interessen zerrissenen Gegenwart zurückwenden liels auf die Ver-
gangenheit, in der man mit unwillkürlicher Idealisierung alles
Reine und Erhabene beschlossen sah. Ihr Repräsentant ist der
Alte aus den Bergen des Sabinerlands, für Horaz vielleicht der
Typus jenes difficäis, querulus, laudator temporis acti Se pueroj
castigatoT censorque minorum. Er sah ein neues Dichtergeschlecht
aufwachsen, für welches in der feinen, polierten Form das Wesen
der Dichtkunst enthalten war und dessen iQir^yixriq die Verse
des Lucilius dem verfeinerten Geschmack durch Korrekturen
genielsbar machte.') In dem Jahr, als er, ein Mann, der sich
selbst überlebt bat, starb, nahm der neue Herrscher den Namen
an, der beweisen sollte, dals er mehr als ein Mensch sei und
eine neue bessere Ära herbeiführe. Freilich war er zu klug,
um es auszusprechen, was er fühlte und wollte: er trat auf als
Wiederhersteller des Alten, welches er in Wahrheit zertrümmerte,
aber dadurch umgab er sein geweihtes Haupt mit dem Schimmer
der Romantik, und er — alles eher denn ein Gefühlsmensch —
1) K. Sittl giebt in den Comment. Woelfflinianae (Leipz. 1S91) 403 ff.
('Archaismas') ein paar zusammengeraffte, zusammenhangslose Notizen mit
•ckweren MifsYerständnissen (z. B. wird p. 404 Lektüre des alten Cato aus
Persius 8, 44 gefolgert, wo es sich um eine Deklamation üher den mori-
iwnts Cato handelt, u. dgl. m.). Besseres gab schon Cresollius, Vacationes
antomnales (Paris 1620) 576 ff.
8) Schon c. 100 Jahre vorher sagt der Dichter des Prologs zur Casina
(t. 7 f.) antiqua enim opera et verba quam vobis placent, \ aequomst placere
ante alias v et er es fabulas. Das ist, wie seit Ritschi feststeht, die Reaktion
gegen die modern yerfeinemde Komödie des Terenz.
8) [Horaz] sat. I 10 in. Ähnlich wird wohl zu verstehen sein das
Untemehmffli eines gewissen Snrdinus, der in der augusteischen Zeit Grae-
eas fabulas eleganter in sermonem latinum vertit (Sen. suas. 7, 12).
254 Von AugustuB bis Traian.
wuHste, wie gut ihm der in den Augen der Menschen stand.
Aus dieser Anschauung heraus hat Yergil gedichtet und in un-
nachahmlicher Weise hat er den Ton zu treffen gewuCst: über
dem Ganzen ist ein leiser Hauch der Romantik ausgebreitet,
dessen Wehen man fühlt auch in der ganz modernen, aber doch
gelegentlich leise archaisierenden Sprache (über die vortrefflich
urteilt Quintilian VIII 3, 24 f.). Was er fühlte, sagten andere
Dichter jener Zeit gelehrter, aber über Liyius' Werk liegt der-
selbe Schimmer wie über dem des Dichters. Das Grolse, was
die beiden brachten, war, dafs sie die Vergangenheit mit dem
Gewand umkleideten, das der neuen Ära angemessen war: dadurch
verdrängte der eine den Ennius, der andere das Chaos delr Hi-
storiker vor ihm. Horaz wurde, weil er, wie Leo bemerkt, von
allen der am wenigsten romantische war, der eigentliche Pro-
phet der neuen Ära. Vor allem in der Praxis. Er machte den
Lucilius neu, nicht indem er ihn im einzelnen korrigierte, wie
es einige versuchten, sondern indem er in seinem Geiste etwas
Neues schuf, das die vornehmen Ohren nicht mehr verletzte; er
schenkte der Stadt die äolische Poesie, ein Meister im An-
empfinden und besonders ein Virtuos in der Form. Und dann
in der Theorie. In der berühmten Epistel, die an Gewicht da-
durch gewann, dals sie an den Kaiser selbst gerichtet war, warf
er den Fehdehandschuh allen deixen hin, welche die Litteratnr
mit Livius Andronicus beginnen und ein Jahrhundert vor der
Gegenwart endigen lielsen: selten hat sich wohl jemand, in seiner
Zeit stehend, doch so klar als Eind einer neuen Ära geschaut
und erfafst wie Horaz in diesem Brief. ^) Die Mitwelt gab ihm
recht: das Eind der neuen Zeit machte das heilige Festgedicht
zum Geburtstag der Stadt in denkbar modernster Form, und
Vergil wurde — ein grofses Ereignis — in den Unterricht der
Schule eingeführt. Auch die Nachwelt hat ihm ein halbes Jahr-
hundert lang fast einstimmig recht gegeben: die moderne Rich-
tung erreichte in Poesie und Prosa ihren Höhepunkt in der
neronischen Zeit mit deren Repräsentanten Seneca, wie schon
1) Cf. J. Manso, Über Horazens Beurteilung d. alt Dichter (Oyinii.>
Progr. Breslau 1817) 7. — Dafs die Polemik sich wesentlich gegen Yarro
richtet, halte ich für höchst wahrscheinlich: cf. Bergk, De rel. com. Att.
ant. (Leipz. 1838) 146. Ritschi, op. III 431.
Romantik und Fortschritt. 255
J. Steup, De Probis grammaticis (Jena 1871) 62 ff. ausgeführt hat.
Aber in eben dieser Zeit erfolgte, wie es zu gehen pflegt^ wenn
eine Bewegung ins Extreme geht^ der Rückschlag: es setzte die
reaktionäre Thätigkeit des Probas ein, deren Bedeutung für die
Überlieferungsgeschichte der lateinischen Litteratur erst von Leo
L c ins rechte Licht gerückt ist. Auch Probus darf man jedoch
nicht isoliert betrachten, denn Zeugnisse besonders in Senecas
Briefen, die wir gleich näher kennen lernen werden, beweisen,
dafs auch in der nachaugusteischen Zeit die archaisierende Gegen-
strömung keineswegs ganz zum Stillstand gekommen war.^) Aber
stiLrker zu fluten begann sie erst wieder seit der Zeit Yespasians,
wo, wie K. Nipperdey (EinL zur Ausg. von Tac. ann. ^ p. XXXVI)
fein bemerkt, die Reaktion in der Sitte mit derjenigen in der
Litteratur zusammenfiel, und gelangte zur Herrschaft unter
Hadrian.')
Ich werde nun diese Skizze etwas genauer ausführen für
das Gebiet der Rhetorik, die uns hier um so mehr angeht, als
ihre Geschichte in dieser Zeit durchaus mit der Gestaltung der
kunstmälsigen Prosa zusammenföllt.
1) Für die Zeit des Tiberius cf Tac. ann. U 83 cum eenaeretwr (dem
gestorbenen Oermanicos) clipeu8 auro et magnitudine insignis inter auctores
eloquentiae, adseveravit Tiberius solitum parernque ceteris dicaturum: neque
emm doquentiam fortuna discemi, et saus inliMtre, si veter es inter acrip-
tores habereiur. Tiberius, der in litterarischen Dingen auch sonst einen
eigenartigen Geschmack zeigte, wurde yon Augustns wegen seiner Sucht
nach exoUtae et recanditae voces Terspottet (Suet. Aug. 86), und daher ist
es Tielleicht Absicht, wenn Tac. ann. IV 38 ihn duint sagen iSXst. — Unter
dandiuB hat ein Grammatiker zwar mit vielen Versehen, aber doch mit
anerkennenswerter Kenntnis in Einzelheiten die Inschrift för die Basis der
Colnmna rostrata verfafst.
9) Dafs die archaisierende Richtung in der bildenden Kunst yiel früher
aufkam als in der römischen Kaiserzeit, hat Fr. Hauser, Die neuattischen
Reliefs (Stuttgart 1889) bewiesen (cf. besonders p. 158 ff.). Vielleicht ist
aber doch wenigstens eine Steigerung anzuerkennen, cf. Quint. XII 10, 3
primi, qmrum quidem apera non vetust€Ui8 modo gratia visenda sint, clari
pietores fuisse dicuwtwr Polygnotus atqtie ÄgUwphon, quorum nimplex color
tarn mU studiosoa adhuc habet, ut illa prope mdia ac vehU futurae mox
artis primordia maximis qui post cos extiterunt auctorihits praeferant, pro-
prio guodam intellegetidi , ut mea opinio est, amhitu.
256 Von AxigusiuB bis Traian.
2. Die Alten und die Neuen im Stil.
Antike In der ersten Kaiserzeit gab es zwei Parteien | die sich
.engniso. g^j^^^^ ^^^ einander sonderten. Die eine befahl eine einfache,
naturgemäljse^ ja absichtlich saloppe Diktion^ die andere eine
geschmückte^ durch alle Mittel des Raffinements gehobene; jene
sah ihr Ziel in der Nachahmung sowohl der ältesten lateinischen
Schriftsteller als der sich auch ihrerseits an die letzteren an-
lehnenden ^Atticisten' wie Calvus^ diese wollte von Nachahmung
überhaupt nichts wissen^ geschweige denn von einer Nachahmung
jeuer ältesten Autoren und der Atticisten. Am präcisesten treten
die beiden Anschauungen hervor in mehrfachen Formulierungen
bei Quintilian: sie stelle ich daher voran, obwohl sie längst nicht
die zeitlich frühesten sind. Quint. II 5, 21 f. duo genera tnaxime
cavmda pueris puto: uniim, nc quis eos antiquitatis mmitts ad-
mirator in Graccliorum Catonisque et aliorum similium Icctione
durcscere velü, fient enim horridi et iciuni: nam neqtie vim
eorum adhuc intellectu consequentur et elocutione quae tum sine
dubio erat optima sed nostris teniporibus aliena est contetiH^ quod
est Pessimum, similes sibi magnis viris mdebuntur, alterum, quod
huic diversum est, ne recentis huius lasciviae flosculis capti
voluptate prava deleniantur. VIII 5, 32 f. (einige sprechen nur
in gewagten Sentenzen) huic quibusdam contrarium Studium, qui
fugiunt ac reformidant omnem hanc in dicendo voluptatem, nihil
probantes nisi planum et humile et sine conatu. ita, dum
timent ne aliquando cadant, semper iacent . . . . ^est (sagen diese
ängstlichen Leute) quoddam genus, quo vtteres non utebanlur*.
ad quam usque nos vocatis vetustatem? nam si illam extremam,
multa Demosthenes, quae ante eum nemo, quo modo potest probate
Ciceronem, qui nihil putet ex Catone Gracchisque mutandum?
IX 4, 3 ff. neque igno^o quosdam esse, qui curam omnem com-
positionis excludant atque ülum horridum sermonem, ut forte
fluxerity modo magis naturalem, modo etiam magis virilem esse
contendant . . . (das sei verwerflich), neque, si parvi pedes vim
detrahunt rebus, ut sotadeorum et galliamborum, et quorundam in
oratione simili paene licentia lascivientium, compositionis
est ittdicandum, X 1, 43 quidam solos veter es legendos putant
neque in ullis aliis esse naturalem eloqucntiam et robur viris dig-
num arbitrantur, alios recens hacc lascivia deliciaeque et omnia
Die Parteien. 257
ad voluptatem maltitudinis imperitae composita delectant XII 10^
40 ff. quidam ntdlam esse naturalem putant eloqaentiam , nisi
quae sü coHdiano sermoni simillima . . ., quidquid huc sit adiectumy
id esse adfectationis et ambitiosae in loquendo iactantiae, remotum
a verikde fMumque ipsorum gratia verhorum, quibus solum natura
sit officium attribuium servire sensibus (was dann ausgeführt wird)
. . . denique antiquissimum quemque maxime secundum na-
turam dixisse contendunt (was Quint. widerlegt; das Kriterium
sei yielmehr: quo quisque plus efficit dicendo, hoc magis secundum
naturam doquentiae dicit). quapropter ne Ulis quidem nimium re-
pugno, qui dandum putant nonnihil etiam temporibus atque
auribus nitidius aliquid atque adfectius postulantibus. itaque non
solum ad priores Catone Gracchisque, sed ne ad hos quidem
ypsos oratorem adligandum puto. — Man weifs^ dafs sich um den-
selben Streitpunkt im taciteischen Dialogus der Disput zwischen
Aper und Messalla dreht, ich brauche keine Belege zu geben.
Ein aemuius veterum erscheint bei Plinius ep. I 16, 3. Aus
der neronischen Zeit ist die Hauptstelle Seneca ep. 114, 13 ff.
Nachdem er zunächst über den Gebrauch einzelner Worte ge-
sprochen hat, die einige aus dem Zeitalter des Appius, Gracchus,
Cato holten, während andere nur glänzende und poetische wählten,
andere sich überhaupt nicht darum kümmerten, geht er zur Kom-
position über: ad compositionem transeamus: quot genera tibi in
hac däbOy quibus peccetur? quidam praefractam et asperam pro-
banty disturbant de industria, si quid pladdius effluxit, nolunt sine
8ald)ra esse iuncturam, virilem putant et fortem qui aurem inae-
qualitate percutiat. quorundam non est compositio, modulatio
est: adeo blanditur et molliter lahitur. Um dieselbe Zeit hat
Persias in der ersten Satire den perversen Geschmack seiner
Zeit gegeifselt (V. 63 ff.): die männliche Kraft der alten Tragiker
sei verschwunden, nur das gefalle jetzt den Nachkommen des
Romulus, was durch schlaffe Sinnlichkeit in Rhythmus und Aus-
druck lumbum intret^ sowohl in Versen wie in der Prosa, wo
man dem Advokaten Beifall zolle, wenn er singe und glatte
Antithesen setze: an Bomule (ruft der Dichter aus) ceves?^)
1) Von der epideiktischen Redeweise des Calpurnius Piso (f 65) sagt
der Verf. der lans Pisonis^ V. 62 ff. : Dulda seu mavis liquidoque fluenüa
eunu Verba nee incluso sed aperto pingere flore, IncHta Nestorei cedit tibi
§raHa meüia und von seinen in Neapel gehaltenen griechischen Reden
Morden, Antik« Kojutprota. 17
258 Von Augustus bis Traian.
Lassen sich nun diese beiden nicht nur bis zur traianischen
Zeit bestehenden^ sondern , wie wir sehen werden ^ die ganze
Kaiserzeit in beiden Sprachen herrschenden Strömungen auf ihre
Quellen zurückverfolgen? können wir ihre historischen Zusammen-
hänge erkennen? Wenn ich behaupte, dafs die Archaisten
und Naturredner der Kaiserzeit Anhänger and
Nachfolger der Atticisten, die Modernen und Kunst-
redner solche der Asianer gewesen sind^ so glaube ich^
dafs schon von vornherein diese Behauptung einen Anspruch
auf die höchste innerliche Wahrscheinlichkeit hat. Denn wir
haben schon oben (8. 149 ff.) gesehen^ dafs die asianische Rhetorik
von vornherein die moderne, die atticistische mit ihrer Reaktion
die archaisierende Richtung repräsentiert. Es lä&t sich jener Zu-
sammenhang nun aber auch zu voller Evidenz erheben.
3. Der alte Stil und der Atticismus.
Es läfst sich beweisen, dafs die Partei der Alten eine Fort-
setzung der Atticisten der ciceronianischen Zeit war. Dieser
Zusammenhang wird um so begreiflicher sein, wenn zunächst in
Ergänzung des oben (S. 184 ff.; 219 fi*.) Ausgeführten hier bewiesen
wird, dafs diese lateinischen Atticisten der Republik ihrerseits die
alten lateinischen Autoren sich zur ninri6ig in der Komposition
erkoren hatten wie die griechischen Atticisten die ihres Volks.
a. Der alte Stil der Atticisten in ciceronianischer Zeit.
Das wichtigste Zeugnis stammt aus der ciceronianischen
Tch»ismiu Zeit selbst. Cic. Brut. 63: Catonis orationes non minus muUae
and
ttioiimai. fere sunt quam Aüici Lysiae . . ., et quodam modo est non-
L^buL' ^f<^^^ i^ ^is etiam inter ipsos similitudo, acutisunt, degtmtes
faceti breves, sed ille Graecus ab omni Umde fdiciar. Dafs er hier
eine bestimmte Ansicht im Auge hat, wird in den Kommentaren
zu dieser Stelle mit Recht geschlossen aus Plut. Gai maL 7: ai»
oläa tC nenövd'aöLv oC t^ Av6Cov Xöyß) (idktöta ipdftsvoi
7tQ06€0ixsvaL tbv Kdrovog, Aber wie? wird man erstaunt
V. 98 ff. QiMlis, 10 superi, qualis nitor oris amoenis Vocibus: hinc solido ful-
göre micantia verha Implevere locos, hinc exomata fiffuris ÄdvoUxt excusso
velox sententia tomo. Er sprach also gelegentlich zwar sehr zierlich, aber, nach
dem, was wir sonst von ihm wissen (Tac. ann. XY 48), offenbar mitlfab.
ArchaismuB und Atticismus. 259
fragen: giebt denn Cicero diese von seinen Gegnern behauptete
Gleichsetzung zu? Man merkt wohl schon an dem Tone, dafs
er eine fremde Ansicht referiert, die er selbst nicht recht
billigt; er hat aber^ wie auch 0. Jahn z. d. St. bemerkt^ dafür
gesorgt^ dafs kein Zweifel über seine Meinung bestehen bleibe,
denn gegen Schlufs des Ganzen^ wo er den von ihm gegebenen
Abrüjs der Geschichte der lateinischen Beredsamkeit durch
Atticus kritisieren lälst^ legt er diesem die Worte in den Mund
(293): equidem in quibusdam risum mx tenebam: cum Attico
Lysiae Catonem nostrum comparahaSy magnum tneherctde ho-
minem vd potitis summum et singularem virum — nemo dicet
secus — , sed oratorem? sed etiam Lysiae simüem? quo nihil potest
esse picüus. beUa ironia^ si iocaremur; sin asseveramus, vide ne
religio nobis tarn adhibenda sit, qitam si testimonium diceremus
e. q. 8. Dem Zeugnis aus der ciceronianischen Zeit schliefsen
sich an folgende drei auch recht bezeichnende: Quintilian XII
lOy 39: non Scipio Laelius Cato in eloquendo velut Attici Ro-
manorum fuerunt? Tacitus dial. 18 (Aper von den antiqui):
sunt horridi et impoliti et rüdes et informes et quos utinam nulla
parte imitiUus esset Calvus vester aut Caelius aut ipse Cicero
(den letzteren fügt er hinzu^ weil auch dieser ihm noch nicht
modern genug ist), und besonders ib. 22 in., wo Aper sagt: ad
Ciceronem venio, cui eadem pugna cum aeqtuüibus fuit quae mihi
vobiscutn est. Uli enim antiquos mirabantur, ipse s^wrum tem-
porum eloquentiam anteponebat. Aus der letzten Stelle kann
man meiner Meinung nach etwas über die Tendenz des Brutus
lernen: durch die hier gegebene Geschichte der römischen Bered-
samkeit wollte Cicero der überschätzenden Verehrung entgegen-
treten, welche die Alten bei den Atticisten seiner Zeit genossen;
er verwirft sie keineswegs, aber stellt sie auf den ihnen ge-
hörenden Platz in der Entwicklung: auch hier vertritt er also
durch den Nachweis der stetigen Vervollkommnung das histo-
rische Prinzip, seine Gegner mit ihrer reaktionären Tendenz das
unhistorische. ^)
1) Auch der Redner, Jurist und Historiker Q. Aelius Tubero, der
Oegner Ciceros im Prozef« des Ligarius, hat der Partei der Alten angehört,
cf. Pompon. Dig. I 2, 2, 46 sermone antiquo usus affectavit scribere et ideo
parum libri eius grati hahentwr.
17*
260 Von Augustus bis TFaian.
■
b. Der alte Stil der Atticisten in der ersten
Kaiserzeit.
ersten Ich lasse nun die Zeugnisse — zunächst nur bis in die Zeit
Traians — folgen^, aus denen hervorgeht, dafs die Partei der
Altertümler dieser Periode mit derjenigen der Atti-
cisten identisch ist. Erstens das durch seine Schwierigkeit
berufene, erst von Buecheler (Rhein. Mus. XXXVJII [1883]
507 f.) lesbar gemachte und erklärte vergilische Catalepton
2 auf Annius Gimber, den auch Augustus in . einer nachher
zu behandelnden Stelle (Suet. Aug. 86) unter die Altertümler
rechnet:
Corinthiorum amator iste verborunif
iste iste rhetor^ iamque quatenus totus
ThucydideSf tyranmis Atticae fd>ris.
Dafs die verba Corinthia bedeuten verha propter vetustcUem aeru-
ginosa^), ist längst erkannt, vor allem aus Quint. VllI 3, 28 f.,
der die Worte in diesem Zusammenhang citiert. — Zweitens
Aper in Tacitus dialog. 23 von denen, qui se antiquos orch
tores vocant: vdbis utiqt4e versantur ante octdos Uli, qui Lucilium
pro Horatio et Lucretium pro Vergilio legunt, quibtis eloquentia
Aufidi Bassi aut Servilii Noniani ex comparatione Sisennae aut
Varronis sordet, qui rhetorum nostrorum commentarios fastidiunty
Calvi mirantur. quos more prisco apud iudicem fabulantes non
auditores sequuntur, non populus audit, vix denique lüigator per-
petitur: adeo maesti et inculti illam ipsam quam iactant Sanitätern
(das aus Cicero bekannte Schlagwort der Atticisten) non firtni-
tate sed ieiunio consequuntur, und entsprechend lobt Messalla, der
Vertreter der Alten, in seiner Erwiderung (c. 25) die attischen
Redner und neben Cicero die Atticisten Calvus, Pollio,
Caesar, Caelius, Brutus. — Drittens Plinius ep. I 20 (an
Tacitus): frequetis mihi disputatio est cum quodam dodo homine et
peritOf cui nihil aeque in causis agendis xd brevitas placet . . . iUe
mecum auctoritatibus agit ac mihi ex Graecis orationes Lysiae
ostentat, ex nostris Gracchorum Catonisque, quorum sane
1) Cf. z. B. Seneca de brav, vitae 12, 2 illHm tu oUosum voccuf qui
Corinthia, paucorum furore pretiosa, concinnat et tnaiorem dierum pariem
in aeruginosis lamellis consumit?
Archaismus und Atticismus. 261
plurifnae sunt drcumcisae et hreves; hierzu kommt ep. VIT 12: er
hat einem Freund von der Partei der Vorsichtigen auf dessen
Bitten eine Schrift zur Korrektur geschickt; natürlich werde
jener (sagt er halb ärgerlich, halb scherzend) sie durch seine
* Verbesserungen' vielmehr Werderben', ifistg yctQ oC sH^rikot
optima ijmeque detrahitis; er habe daher gleich jenes ^Bessere',
in Wahrheit- * Schlechtere', über den Zeilen hinzugeschriebeD,
nam cum suspicarer futurum ut tibi tumidius videretur, guoniam
est sonantius et datitis, non (dienum existimavi, ne te torquereSy
addere statim pressius quiddam et exilius vel potius humüius et
peius,, vestro tarnen iudicio rectius; cur enim noh usquequaque
tenuitatem vestram insequar et exagitem? (alles Ausdrücke, mit
denen schon Cicero die Schreibart ^der Atticisten seinei: Zeit
belegt und die sie selbst von sich brauchten; besonders bezeich-
nend ist ot si^rikoi, das Gegenteil der asianischen xaxtf^i^Aot). —
Viertens einige Stellen bei Quintilian: XTT 10 , 15 praecipue vero
presserunt cum (den Cicero) qui videri Atticorum imitatores
concupierant. haec manus quiisi quibusdam sacris initiata ut
aUenigenam et parum superstitiosum devinctumque Ulis legibus
insequebatur, unde nunc quoque aridi et exsuci et exsangues.
hi sunt enim, qui suae imhecillitati sanitatis appellationem quae
est maxime contraria obtendant: qui quia clariorem vim eloquentiae
vebit solem ferre non possunt, unibra magni nominis dditescunt, cf.
X 1, 44; 2, 17.
Wir sehen also, dafs die eine der beiden Parteien, welche
sich dem Fortschritt entgegenstemmte, mit deutlichem Bewufst-
sein sich als Nachfolgerin der Atticisten gefühlt hat; ihre Parole
ist, wie die jener: Vermeidung alles dessen, was zuviel scheinen
kann, lieber trocken, nüchtern, hart, dürftig, als das Gegenteil,
dies ist die fechte Nachahmung', jenes die ^schlechte', dies die
* Gesundheit', jenes die * Verderbnis'. Ein Vertreter dieser ex-
tremen Partei war Asinius Pollio, jener groCse Nörgler, dem po^wo-
es keiner recht machte, der es aber selbst auch keinem recht
machte, und über den urteilsfähige Männer, die zwischen den
beiden Richtungen vermitteln wollten, Seneca der Vater, Quin-
tilian und Tacitus den Stab gebrochen haben, keiner erbitterter
als der erste, den sein meist abfälliges urteil über Cicero
ärgerte: „lest, schreibt er seinen Söhnen, des Pollio Historien
nnd ihr werdet dem Cicero Genugthuung verschafifen'^ (suas.
262 Von Augustus bis Traian.
6, 25). Bei Tacitus (dial. 21) erscheint er unter den Atti-
cisten als durus et sicctiSy als ein Mann qui videtur inter Me-
nenios et Äppios stiiduisse, der den Accius und Pacnyius
nicht nur in seinen Tragödien, sondern auch in seinen Reden
zum Ausdruck brachte; bei Quintilian (X 2, 17) heifst es: tristes
dc ieiuni Pollionem aefnulantur. Der jüngere Seneca fügt etwas
hinzu, was mir sehr charakteristisch für den Standpunkt des
Pollio und seiner Clique erscheint und was ich kurz berühre,
weil es in der sich nur auf grammatische Einzelheiten er-
streckenden Beurteilung, die ihm vor nicht langer Zeit anlalslich
der bekannten Hypothese zuteil wurde ^), gar nicht berücksichtigt
worden ist. Bei Seneca ep. 100, 7 wird an Pollio getadelt seine
salehrosa et exüiens et ubi minime exspectes relictura campositiOj
d. h. wie der Zusammenhang bei Seneca zeigt und wie auch
ohnehin verständlich ist: er schrieb geflissentlich salopp, un-
rhythmisch, indem er sich nicht scheute, die Worte absicht-
lich zu verstellen nur der Zerstörung des Rhythmus zuliebe, wie
es Quintilian IX 4, 76 für ihn und Brutus (s. o. S. 291, 1) und
wie es Tacitus (dial. 21) verallgemeinernd für alle Atticisten
bezeugt.*) Wir können das nun — und mir scheint das wichtig
zur Beurteilung nicht blofs des Pollio — noch nachweisen an
den bei Seneca suas. 6, 24 aus den Historien des Pollio mit-
geteilten Worten, in denen er mit bittersülser Miene, weil es
der Stoff so wollte, Cicero preist: darunter sind Sätze mit einer
Wortstellung, die dem Gepriesenen Grauen erregt hätte: huius
ergo viri tot tantisque operihus mansuris in omne aevum praedicare
de ingenio atque industria supervacuum est. — iam felicissima con-
sulatus ei sors petendi et gerendi (magna munera deum) cansHio
industriaqtie (was ist daran nicht alles durch Konjekturen und
1) Arch. f. lat. Lex. VI (1S89) 93. C. Asini Polionis de bello Africo
commentarius ed. Wölfflin-Miodofiski (Leipz. 1889) praef. p. XXTV.
2) Daher sagt Quintilian IX 4, 81 von Domitius Afer (cos. 89), dem
Anhänger der v et er es (Xl, 118): solebat Afer Domitius traicere in dausulas
verbatantum asperandae compositionis gratia, et maxime in prooemiis,
ut pro Cloatilla: * gratias agam continuo^ (fär continuo grdtids agam
j. Kj j. Kj 6) et pro Laelia: 'eis tUrisque apud te iudicem periclitahtr Ladia^
(för eis utrisque apud te iudicem Laelia periclitatur x kj 2 J). adeo rt-
fugit teneram delicatamque modulandi voluptcUem, ut currefUibus per te nu-
meris quod eos inhiberet obiceret.
Der Asianismug. 263
Umstellangen geändert worden!). — inde stmt invidiae tempestates
coortae graves in eum (auch hieran ist korrigiert). So etwa
müssen wir uns also auch die Reden des Brutus und Calvus
stilisiert denken.^)
4. Der neue Stil und der Asianismus.
Ebenso sicher, wie sich zeigen liefs, dafs die archaisierende Neoteru
Richtung an die Atticisten anknüpfte, ist das andere, dafs^^,;;;,,^;
durch die Partei der Modernen die ^asianische' Rhe-
torik repräsentiert wird. Das Hauptzeugnis dafür, welches
gerade durch die Gegenüberstellung der beiden Parteien be-
sonders lehrreich ist, verdanken wir einer AuCserung des Octa-
▼ian, welche sich in dem Bericht Suetons über die stilistischen
Tendenzen des Kaisers findet. Ich mufs die wesentlichsten
Sätze des betreffenden Kapitels (86) hersetzen. Genus eloquendi
secuius est degans et te^nperatnmy vitatis sententiarum ineptiis
atque concinnitate et reconditorum verhorum, ut ipse dicit,
faetoribus, praecipuamque curam duxit, sensum animi qtiam aper-
tissime exprimere .... Cacozelos^) et antiquarios, ut diverso
genere vitiosos, pari fastidio sprevitj exagitabatque non-
numquamy in primis Maecenatem suumy cuius ^myrobrechis*, ut ait,
^cincinnos' usque quaque persequitur et imitando per iocum irridet
sed nee Tiberio parcit et exoletas interdum et reconditas voces
aucupanti. M. quidem Antonium ut insanum increpat^ quasi ea
scribentem quae mirentur potius homines quam inteüegant; deinde
htdens malum et incofistans in eligendo genere dicendi ingenium
1) Übrigens sprach Pollio nach Seneca contr. IV praef. 4 in den De-
klamationen floridius als in den wirklich gehaltenen Reden. Aus letzteren
(nnr diese werden von den Grammatikern citiert) vgl. das von Priscian
wegen des passivischen consolari angefahrte Fragment aed cum ob ea quae
speraveram doleham, consoldbar ob ea quae timui, wo freilich die Antithese
recht pointiert, der Rhythmus aber zerstört ist: durch Stellung von conso-
laJbar an den Schlufs hätte er eine dispondeische Clausel erzielt.
2) Die gewöhnliche Bezeichnung für die Asianer, cf. die Stellensamm-
long oben S. 69, 1, wozu ich hier noch hinzufüge eine recht bezeichnende.
Sneton-Donat vit. Verg. p. 66 Reiff. M. Vipsanius a Maecenate eum (Ver-
güium) suppositum appellabat novae cacozeliae repertorem, non tumidae (d.i.
des Asianismus) nee exilia (d. i. des extremen Atticismus), sed ex com^
munibus verbia atque ideo latentis (ein sonderbares Urteil).
264 Von Augustus bis Traian.
eius addit haec: ^tugue duhitaSj Cimberne Annius an Veranius
Flaccus imitandi sint tibi, ita ut verbis quae Orispus SaUtisHt4S ex-
cerpsit ex originihus Catonis lUaris, an potius Äsiaticorum ora-
torum inanis sententiis verborum volubilitas in nostrum
sermonem transferenda?' Dafs Antonius Anhänger der asianisclien
Rhetorik war, sagt ausdrücklich Plutarch Ant. 2: ixQijto äh ra
xakoviisvG) iilv 'yäöiavp S^Ao) t&v k6y(ov Avd'of/vtL (idXiöta
xar' iicetvov tbv ;i^(>rfi/oi/, B%ovxi 8\ nokkijy öiiotöti^ta TtQbg xbv
ßCov ainov xoiiTcmdri Tcal tpQvayiuixCav ivta Tcal xevov yavQi-
d(iarog xal (ptkotiii^ag ii/aiidkov iisötöv,^) — Ein weiteres
direktes Zeugnis dafür, dafs im Altertum der Zusammenhang
des modernen, in den Rhetorenschulen, wie wir sahen, herrschen-
den Stils mit dem Asianismus bekannt war, bietet der Anfang
der uns erhaltenen Partie des Petron: num cUio genere furiarum
declamatores inquietantur^), qui declamant: ^haec vulnera pro liber-
täte publica excepi, hunc oculum pro vöbis impendi: date mihi ducem
qui nie ducat ad liberos meos, nam sxiccisi poplites membra non
sustinent'?^) haec ipsa tolerabilia essent, si ad eloquentiam ituris
viam facerent nunc et rerum tumore et sententiarum vanissimo
strepitu Jioc tantum proficiunt^ ut cum in forum venerint, putent
se in alium orbem terrarum delatos, et ideo ego adulescentulos
existimo in scholis stultissimos fieriy quia nihil ex his quae in usu
habemus aut audiunt aut vident, sed piratas cum catenis in lücre
stantes (folgen andere derartige ^iösig) . . ., sed mellitos ver-
borum globulos et omnia dicta factaque quasi papavere
et sesamo sparsa (wie anders war es in den Zeiten der grofsen
1) Cicero stichelt in den philippischen Reden gern auf die dicaciUu
des Antonius, besonders auch auf seinen Unterricht bei dem latinus rhetor
Sex. Clodius. Ganz bezeichnend ist II 42 vide autem, quid intersü inter ie
et avum tuum: iJle sensim dicebat quod causae prodesset, tu cursim dicis
aliena. Das bezieht sich wohl auf die verborum volubilit<i8. — „Zu viel
Ehre war es wohl, wenn man ihn deshalb (wegen seines falschen Pathos
und sonstiger Fehler) einen Anhänger der asianischen Redeweise nannte*'
Teuffel-Schwabe * § 209, 8. Eine Ehre?
2) Cf. Varro, Eumenides fr. 148 ff. B., wo die Scene offenbar eine ganz
ähnliche war. Wenn er fr. 144 von der sophistice aperantologia spricht, so
wird er wohl eben die Asianer meinen, deren Diktion damit passend be-
zeichnet wird (so Lukian dial. mort. 10, 10 von den Moderhetoren seiner Zeit).
3) Man beachte den rhythmischen Schlufs l ^ i. f ^^ i und das ducem
— ducat.
Der Asianismns. 265
Tragiker, Lyriker, des Piaton und des Demosthenes) . . . grandis
et Hi üa dioam padiea oratio non est maculosa nee turgida^ sed
naturali pulchriiudine exsurgit nuper ventosa istaec et enormis
loquacitas ex Äsia commigravit animosque iuvenum ad magna
surgentes veluti pestilenti quodam sidere afflavit^ semelque corrupta
regtda eloquentia stetit et öbmutuit. ad summam, quis postea
Thucydidis, quis Hyperidis ad famam processü? ac ne Carmen
quidem sani cöloris enituit e. q. s. — Dazu kommt ein für eine
spezielle Eigentümlichkeit des neuen Stils von Quintilian (XI
3, 58) angeführtes Zeugnis: Cicero illos ex Lycia et Caria
rhetores paene cantare in epüogis dixit (or.57), nos etiam cantandi
severiorem paulo modum excessimus.
Dies sind innerhalb der uns vorläufig beschäftigenden Epoche Fortieb«
die einzigen Stellen, in denen der Zusammenhang zwischen der Atianismii
asianischen Beredsamkeit und dem modernen Stil der ersten
Eaiserzeit ausdrücklich bezeugt wird: wir werden sie bald (siehe
unter B) durch spezielle Nachweise in allen Einzelheiten be-
stätigt finden. Aber, wird man nun fragen, hatte nicht am
Ausgang der romischen Republik Dionys von Halikarnass das
vaticinium gegeben, die moderne asianische Beredsamkeit, die
sich wie eine Räuberin auf die alte attische geworfen habe und
auf dem besten Wege gewesen sei jene zu verdrängen — sie,
die Metze, die Matrone; sie, die ungebildete, die philosophische;
sie, die rasende, die vernünftige — , sie kehre jetzt wieder in
die asiatischen Höhlen, aus denen sie hervorgekrochen sei,
zurück, friste nur noch in einigen Städten Asiens ein kümmer-
liches Dasein, und es sei zu erwarten, dafs in kurzer Zeit jede
Spur von ihr von der Erde vertilgt sein werde, denn die Welt-
beherrscherin Roma und ihre grofsen Regenten lenkten die
Blicke aller auf sich und zwängen alle, sich nach ihr zu richten
(de or. ant. 1 flF.)? Gewifs, so prophezeite er; aber er war ein
falscher Prophet, er glaubte, was er wünschte, und täuschte sich
— kurzsichtig und urteilslos wie er überhaupt ist, sobald er in
eigener Person redet — über die realen Verhältnisse. Die
moderne Beredsamkeit hatte eine viel zu grofse innere Be-
rechtigung, war mit viel zu grofser geschichtlicher Notwendig-
keit aus dem Leben beider Nationen herausgewachsen, als dafs
sie durch die Reflexion von feinen Ästhetikern wie Caecilius*)
1) Er schrieb nach Snidas: tivt ductpigit 6 'Atxi%bg tfilog rot) *Aaiavoii
266 Von Augastos bis Traian.
oder blöden Stubengelehrten wie Dionysius hätte beseitigt werden
können. Wenn wir ehrlich sein wollen, so müssen wir auch
hier wieder wie früher (oben S. 151 f.) sagen, dafs der moderne
Stil trotz aller Auswüchse der einzig berechtigte war: nur er
war der wesenhafte Ausdruck der modernen Menschen, die nicht
mehr schreiben und reden konnten wie Piaton und Demosthenes,
weil sie nicht mehr dachten wie sie; die Zeiten hatten sich ge-
ändert und mit ihnen die Menschen: diese ewige Wahrheit
wurde ja auch immer und immer wieder von den einsichts-
vollsten Vertretern der modernen Richtung betont. Und wahr-
lich, nur das Lebendige hat Existenzberechtigung: was hat denn
jener kleine, sich selbst so grofs dünkende Prophet fertig ge-
bracht? Er hat die alten Klassiker, die er auf den Schild
heben wollte, in so erbärmlicher Weise verstanden, dafs er nicht
wert war, mit diesen Geistern, die er nicht begriflF, Umgang zu
pflegen; er hat ein Geschichtswerk geschrieben, von dem man
trefiPend gesagt hat, dafs es wenig mumienhaftere und leblosere
Bücher gebe als dieses.^)
Wir erkennen ja nun auch thatsächlich, dafs es mit den
Asianem keineswegs so zu Ende ging, wie Dionys glaubte. Bu-
tilius Lupus hat in seine Übersetzung des Gorgias unbeanstandet
Beispiele aus Hegesias und anderen asianischen Rednern auf-
genommen. Durch Strabon^) und besonders den älteren Seneca
lernen wir eine ganze Reihe asianischer Redner kennen'): Hy-
breas, Grandaos (Asiani declaniatores contr. I 2, 23), Adaios
{rhetor ex Äsianis nan proiecti nominis ib. IX 1,12), Eraton
(yenuötissimus homo et professus Äsianus ib. X 5, 21, von dem
er amüsante auf den asianischen Standpunkt des Mannes bezüg-
liche Geschichtchen erzählt), Arellius Fuscus (ib. IX 6, 16), der
besonders verhängnisvoll wurde, weil er die asianische Manier
und 2 Bücher xara ^gvy&v. Dafs das letztere Werk gegen die Aaianer
gerichtet war, äufsert zweifelnd C. Müller in: Fragm. Hist. Graec. m 831,
68 ist ganz sicher, cf. Dionys. de or. ant. 1 ?) ^x riptop ßagd^oav tf^ 'Aüiag
1) I. Bruns, Die atticist. Bestrebungen in d. griech. Litt. (Kiel 1896) 18.
2) Die bei Strabon genannten Redner stellt zusammen £. Stemplinger,
Str. litterarhist. Notizen (Diss. München 1894) 82 ff.
3) Cf. W. Baumm, De rhet. graec. ap. Senecam, Progr. Ereuzbux^g 1886.
Wer aber mögen die novi declamatores sein, die Seneca an folgenden Stellen
nennt: p. 63, 10 Müll. 64, 3. 88, 11. 90, 16. 169, 4. 288, 20 (Eo^j.). 810, 5?
Der Asianismiis. 267
in lateinischer Sprache repräsentierte und viel bewundert wurde
(Lehrer z. B. des Ovid und des Papirius Fabianus^ an den sich
seinerseits wieder Seneca der Sohn anschlofs; Freund des Mae-
cenas, dessen Diktion von dem jüngeren Seneca ep. 114 mit fast
denselben Ausdrücken gerügt wird wie die des Arellius von dem
älteren Seneca suas. 2, 10; 23); und wer vermag zu sagen, wie
viele dieser Rhetoren au&erdem noch aus Asien waren (Seneca
giebt nur ganz gelegentlich die Heimat oder die Stilrichtung
der Rhetoren an)? Man kann sicher behaupten , dafs an den
massenhaften Stellen, wo Seneca etwas als furiostim, insanum,
puerüe etc., besonders aber als corruptunij d. h. dtstp^aQfisvov^)
bezeichnet, der betreffende Rhetor entweder aus Asien war oder
jedenfalls der asianischen Richtung angehorte. Dasselbe gilt
von den Rhetoren, die in der Schrift jcsqI ütffovg bekämpft
werden, denn dafs in dieser die Fragen nicht etwa rein aka-
demisch erörtert werden, sondern dafs, ganz wie etwa 100 Jahre
vorher bei Cicero, einer herrschenden Geschmacksrichtung ent-
gegengetreten werden soll, hat noch wohl keiner ihrer Leser be-
zweifelt, es geht ja auch klar hervor (abgesehen von dem
Schluis) aus c. 5, wo nach Aufzählung der einzelnen Fehler
(Schwulst, Puerilität, falsches Pathos, frostige Wortspiele u. dgl.,
kurz alles, was die asianische Manier kennzeichnete) fortgefahren
wird: &xccvxa (livtoi. x& oikag ßösiiva dtä fiiccv iyLtpvstai, totg
Xöyotg altlavy diä tb jccqI tag vo^löstg Tiaivöönovdov^ negl 8 dij
fuxJUöta xoQvßavri&6iv ol vvi/.*) Von den bei Philostratos er-
wähnten Sophisten gehorten dieser Epoche noch an Niketes aus
Smyma, Isaios der Assyrier, Skopelianos aus Klazomenae, aber
1) Ich citiere die SteUen för corruptum (nach Seiten und Zeilen der
Mfillerschen Ausgabe): 66, 12. 121, 18. 181, 7. 210, 11. 220, 11. 286, 19.
811, 2. 891, 8. 412, 12; 14. 489, 21. 491, 9; 14; 19. 602, 9. 603, 13. 606, 16.
627, 18. 628, 8; 18. 680, 20; 22 (hier der Gegensatz sanum). Es ist (im
Oegenaatz zu aanuin^ woför ich die griechische Bezeichnung nicht kenne)
daa alte Schlagwort zur Bezeichnung des Asianismus (schon Cic. or. 26.
de opt. gen. or. 8 f.); für das griechische cf. auch Strabon XIV 648 von
Hegesias: ^^{e fuUieta tov 'Jatavov Xfyofiivov ti^Xov nagatpd'hlQag tb
na^iotag i^og r6 'Atti%6v.
2) Theon prog. n 71, 10 Sp. ol 'Aaiapol %aXovii^voi, (i^tOQBg bezieht
sich freilich auf die Vergangenheit, aber es ist doch bemerkenswert, dafn
er sie erw&hnt. Er mufs ein ungefährer Zeitgenosse des Verf. ntgl wpovg
gewesen sein, cf. 0. Hoppichler, De Theone Hermogene Aphthonioque (Diss.
Wflrsb.lbS4) 27 ff. A. Brinkmann, Quaest. de dial. Plat. (Diss. Bonn.l891),Thes.VI.
268 ^on Angustns bis Traian.
wirkend in Smyrna; besonders der erste und dritte waren echte
Asianer, wie ich im nächsten Abschnitt zeigen werde.
5. Die Vermittler zwischen den beiden Parteien.
Zwischen den Parteien der Alten und Neuen^ also der
^Atticisten' und ^Asianer', stand vermittelnd eine dritte, der alle
urteilsfähigen Männer dieser Epoche angehörten. Sie begriffen,
dafs die neue Zeit auch im Stil neu sein mufste, aber sie wufsten
das Mafs zu bewahren, was immer das schwerste ist. Voran
iugustuB. stand Augustus selbst, der die neue Zeit inaugurierte: er ver-
spottete, wie wir sahen (8. 263 f.), die extremen Archaisten und
Neoteriker in gleicher Weise, er selbst wollte, wie Sueton 1. c.
sagt, sensum animi quam apertissime exprinxerey seine Beredsam-
keit war prompta ac profluens qxiaeque deceret prindpem (Tac.
ann. XIII 3): so spricht er denn auch — hoheitsvoll, unnahbar,
kühl — zur Nachwelt in dem Monument, welches die XQdl^eig
des gottgewordenen Menschen enthält, der nicht in den Orkus
hinabgegangen war, proinde ac famul infumus esset, sondern der,
im Olymp gelagert neben Herakles und den anderen gott-
gewordenen Wohlthätern der Menschen, nachdem er den Erd-
kreis unterworfen und allen Ruhe und Frieden geschenkt hatte,
jetzt mit purpurner Lippe Nektar schlürfte, wie es sein Priester
Horaz in der Entzückung geschaut: nur diese Auffassung des
Denkmals, die v. Wilaraowitz (Hermes XXI [1886] 623 ff., cf.
Mommsen in Sybels Hist. Zeitschr. 1887, 395) aufgestellt hat,
ist die richtige, weil nur sie (aber sie auch ganz) dem Empfinden
der damaligen Zeit entspricht. Auch die Konige der Diadochen-
reiche hatten sich so verewigt, aber während 'Avr^oxog Seög,
der kleine Herrscher von Kommagene, des äufsersten Pompes
der Bildwerke und der Sprache bedurfte, um sich seinen Unter-
thanen als Gott zu erweisen, verschmäht der Herrscher über die
Welt jedes Wort, das nicht zur Sache gehört; seine Sprache ist
wirklich, wie ein griechischer Schriftsteller^) von der lateinischen
Sprache der Gesetze überhaupt sagt, 6v6xri^cctito^dvrj rg il^ovöia
tt] ßa6LXixri und verliert daher in der griechischen Übersetzung
viel von ihrer gravitas.*) — Als dann seit der vespasianischen
1) Greg. Thaumat. paneg. in Orig. 1 (vol. 10, 1063 Migne).
2) Ein griechischer Brief des Augustus an die Knidier (bei Viereck,
Eompromifsversnche zwischen den Parteien. 269
Epoche der Streit mit erneuter Heftigkeit entbrannte^ war auch
Quintilian, der erbitterte Gegner der extremen Neoteriker^ zu ver- Quintiiia
ständig, als dafs er die Excesse der archaisierenden Richtung billigen, ächaie.
das Vernünftige des neuen Stils nicht hätte anerkennen sollen.
AUes, was jenseits der ciceronianischen Epoche lag, hatte für ihn
blols historische, keine praktische Bedeutung, wie man besonders
deutlich aus der Au&ählung der litterarischen Gröfsen im zehnten
Buch sieht (z. B. begriff er nicht, dafs es Leute gebe, die den
Lucilius dem Horaz vorzögen: X 1, 93 f.); daher waren ihm die-
jenigen unsympathisch, die mit Berufung auf die Alten jede
Sorgfalt in der Diktion absichtlich vermieden (z. B. I 10, 29;
IX 4, 3 ff.), und noch mehr die, welche durch Anwendung ab-
gestorbener Ausdrücke gelehrt erscheinen wollten (VIII 2, 12).^)
Auf der anderen Seite erkannte er bereitwillig an, dals man der
neuen Zeit gewisse Konzessionen zu machen hätte (z. B. IV
2, 122; VIII 5, 32 ff.); in seiner Beurteilung mafsvoller zeit-
genössischer Schriftsteller ist er daher durchaus gerecht (X
1, 118 ff!.); wenn er freilich (sagt er IX 4, 142) zwischen der
modernen Überkultur und der archaischen Rohheit zu wählen
habe, dann sei ihm letztere doch lieber. So nahm er auch
theoretisch Giceros Standpunkt ein, indem er wie jener zwischen
den extremen Parteien zu vermitteln suchte.*) — Von Pli-
Senno Graecus etc. n. IX) ist sehr elegant geschrieben, z. B. am-
(pifaxt6iiB90i Z. 19, und hiatlos (ivitg^ai itvaaxsSdaavta ist kein Hiat),
cf. auch E. Wölfflin in: Sitzongsber. d. bayr. Ak. 1896 p. 161 ff. — Ein
würdiges Dokument dieser Zeit ist auch die landatio der Turia
(CIL VI 1627) von Q. Lncretins Vespillo (cos. 19 v. Chr.). Es giebt nicht
viel ans dem Altertom, was trotz seiner Stilisierung durch seine Unmittel-
barkeit so packt, und dazu diese Vereinigung von Zartheit des Empfindens
mit römischer gravitas, die wir in dem ergreifenden Proömium Quintilians
SU seinem 6. Buch vermissen. Dafs die Bede an Velleius erinnere, wird
Mommsen (cf. Abh. d. Berl. Akad. 1868 p. 465) nicht aufrecht gehalten
haben. Wie viel mehr damals ein vornehmer Mann konnte als ein ge-
wöhnlicher, sieht man aus dem Vergleich dieser Lobrede mit der des
MurdiuB.
1) Die andern Stellen, wo er die Manier der extremen Archaisten ta-
delt, Bind: Vm 8, 24 ff. (dies ist die Hauptstelle). II 6, 21; 28. VIII prooem.
81. X 1, 48. XI 1, 49. Xn 10, 42; 46. (Zu IV 1, 58 cf. Cic. de or. III 150.
168. 170. 201. or. 80. 201. de part. or. 17. 72).
2) Wer sich Quintilian als einseitigen Ciceronianer denkt, macht
sich ein verkehrtes Bild von ihm. — Gelegentlich putzt er auch seine
270 Von Augostus bis Traian.
nius d. J. und Tacitus werden wir später sehen, dafs auch sie
in der Theorie die Ansicht Qnintilians teilten , in der Praxis
freilich jeder auf seine Weise mehr der Partei der Modernen
zuneigten, jener, indem er gelegentlich nicht vor ihren Aus-
wüchsen zurückscheute, dieser, indem er mit höchster Kunst ihr
Gutes und Berechtigtes sich aneignete und selbstschopferisch
gestaltete.
B. Der neue StiL
über- Wir haben eine reiche Überlieferung über die charakte-
ristischen Eigentümlichkeiten dieses neuen Stils: die Urteile des
älteren Seneca besonders in den Vorreden , aber auch überall
verstreut in den einzelnen Büchern; das Werk Quintilians, aus
dem überall die Polemik gegen die Modernen durchblickt und
das man überhaupt als Tendenzschrifb im Sinn der reaktionären
eignen Worte etwas auf, z. 6. IV 6, 21 (wenn man zu verteidigen hat eine
causa parutn verecunda sed quae iure tuta sit und der Richter vor allem
den Nachweis der probitas und modestia verlangt, so muCs man ihn wäh-
rend des Nachweises des ius durch allerlei Mittel gefügig zu machen
suchen) sie utraque res invicem iuvabit eritque iudex circa ius nostrum spe
modestiae aüentior, circa modestiam iuris probatione proclivior. V 18, 3
schliefst er eine lange Reflexion über die gröfsere Schwierigkeit der defensio
im Vergleich zur accttsatio mit einer Sentenz, die er ganz wie Seneca ein-
leitet: ut, quod sentio, semel finiatn: tanto est accusare quam defendere^ quatUo
facere quam sanare vulnera facilius. IX 4, 18 dehita actionihus retpiraUo
et cludendi incohandique sententias ratio. Xu 10, 54 (gut agieren und gat
schreiben sei identisch) aut eos (Oiceronem et Demosthenen) praestantissimoi
oratores alia re quam scriptis cognoscimus? melius egerunt igitur an peius?
nam si peius, sie potius oportuit dici, ut scripserunt, si melius, sie potius
oportuit scribi, ut dixerunt. (Ähnliches aus den Institutionen bei C. Ritter,
Die quint. Declam. [Freib. 1881] 191). — Er vertrat darin ganz den Stand-
punkt seines Vorbildes Domitius Afer, des unter Caligula und Claudius
blühenden Prozefsredners (von dem er X 1, 118 sagt: quem in numero ve-
terum habere non timeas): dieser, der das grave et lenHtm actianis genut
liebte (Quint. bei Plin. ep. II 14, 10) und daher einen seine Leidenschaft-
lichkeit auch äufserlich zu sehr zeigenden Redner tadelte (Quint. VI 8, 54),
war zwar so sehr Feind der zierlichen rhythmischen Diktion, dafs er die
Worte absichtlich anders stellte (IX 4, 31, s. oben S. 262 f.), aber gebrauchte
doch folgendes laoTimXov (IX 3,79): amisso nuper infelicis Auli si {auleis eodA.^
meine Verbesserung ist wohl sicher; er nennt so den Sohn seines Klienten)
non praesidio inter pericula tarnen solacio inter adversa.
Der neue Stil. 271
Partei würdigen mnfs; der Dialog des Tacitos, in dem freilich
die spezielle Polemik des Messall a gegen den neuen Stil in der
groCsen Lücke untergegangen ist; endlich gelegentliche Aufse-
rongen in Briefen Senecas des^ Sohnes , des Plinius und in
andern Schriften. Wenn man alle bei diesen Autoren sich
findenden Notizen zusammennimmt, kann man den Verlust der
Spezialschrift Quintilians einigermafsen verschmerzen.^)
Natürlich waren die Griechen auch hier tonangebend: ^^dieses Griechen
Volk, sagtLehrs (Pop. Aufs.* [Leipz.1875] 365), welches gewöhnt war, Bömer.
alles, was es betrieb, künstlerisch zu gestalten, hat auch seine
Geschwätzigkeit zur Kunst gemacht^^; der alte Seneca, der ein
stark ausgeprägtes Nationalgefühl hatte, ist auf sie nicht gut zu
reden: eine halbe Anerkennung wie suas. 1, 16: ex Graecis de-
damatoribus nvili mdius haec suasoria processit quam Glyconi, sed
tum minus multa magnifice dixit quam carrupte ist eine Seltenheit;
die Regel sind Ausdrücke wie Glyconis valde levis et graeca sen-
tenÜa est (contr. I 6, 12) oder Damas corruptissime (dixit), Craton
furiasissime (X 5, 21), non minus shdte Aemüianus quidam graecus
rhetoTy quod genus stultorum amabüissimum est ex arido fatuus
(ib. 25) XL dgL Die Lateiner nahmen mit ihnen den Wettkampf auf:
Spj/ridion honesta dixisse Bomanos fecit, multo enim vehementius
insanU quam nostri phrenetici . . ; sed nolo Romanos in ulla re
vinci: restituet aciem Murredius qui dixit etc. (X 5, 27 f. cf. X
4, 22). Seneca hat, wie man weilüs, eine Anzahl von Proben
griechischer Deklamatoren beigegeben, um, wie er selbst sagt
(X 4, 23)y zu zeigen, primum quam facilis e graeca eloquentia in
laUnam transiius sit et qiiam omne, quod bene dici potest, commune
Omnibus gentibus sity deinde ut ingenia ingeniis conferatis et cogi-
tetis Uriinam linguam facultatis non minus habere, licentiae minus.
Wir sehen aus diesen Proben, dafs die Lateiner vieles wörtlich
oder fast wörtlich übersetzten (cf. VE 1, 4 p. 275, 17 Müll. =
1) Die Rekonstruktion mufs aber auf viel breiterer Basis vorgenommen
werden als es bei A. Reuter, De Quintiliani libro qui fuit de causis corrup-
tae eloquentiae, Diss. Breslau 1887 geschehen ist, das wird die folgende
Erörterung zeigen. Wertlos ist £. Bonnell, De mutata sub primis Caesaribus
eloquentiae Romanae condicione, Progr. des Gymn. z. grauen Kloster, Berlin
1886. Auch aus H. Buschmann, Charakteristik d. griech. Rhetoren bei Seneca,
Progr. Parchim 1878 und W. Baumm, De rhetoribus graecis a Seneca adhibitis,
Progr. Kreuzburg 1886 habe ich nichts lernen können.
272 Von Aogustus bis Traian.
1, 26 p. 287, 17; VH 1, 25 p. 286, 19; X 4, 18—21; X 5, 26);
sie thaten das ganz offen: memini Ft^cum, cum haec Adaei sen-
tentia obiceretur, non infitiari transtülisse se eam in latinum; et
aiebat non commendationis id se aut furti, sed exercitaHonis causa
facere, do, inquit, operam, ut cum optimis sentenHis certem^ nee
illas corripere conor sed vincere (IX 1, 13 cf. IX 6, 16). Das war
ja auch nicht zu verwundem, da diese Deklamatoren die grie-
chische Sprache so beherrschten, dafs sie an einem Tage in
beiden Sprachen deklamieren konnten, worüber Seneca (IX
3, 13 f.) einige Bonmots der damaligen Gesellschaft berichtet
Auf der andern Seite kam es, wenn auch seltner, vor, dafs die
griechischen Deklamatoren, die damals, soweit sie in der Stadt
lebten, der lateinischen Sprache meist mächtig waren (wie man
aus manchen Stellen Senecas ersieht, z. B. deklamierten die
Griechen Gestius und Argentarius nur lateinisch: IX 3, 13),
Stoffe und Sentenzen ihrer lateinischen Kollegen übernahmen,
cf. IX 2, 29. Kurz, es war ein Geben und Nehmen und die
beiden Kulturvölker überboten sich darin, die Raketen ihres
Genies und Witzes leuchten zu lassen; hatte früher eine Helden-
that auf dem Schlachtfeld Ehre und Ruhm verliehen, so jetzt
eine solche in der Arena des Auditoriums; von hier drang die
Kunde der grofsen That in die Provinzen: stolz sagt Aper, der
Anhänger dieser modernen Beredsamkeit, bei Tac. diaL 20: tu-
venes in ipsa studiorum incude positiy qui profectus sui causa ara-
tores sectantur, non solum audire sed etiam referre domum aliquid
inlustre et dignum memoria volunt; traduntque in vicem ac saepe
in cohnias ac provincias suas scribunt, sive sensus aliquis arguta
et brevi sententia effulsity sive locus exquisite et poetico cultu enihiity
während Messalla, der Lobredner der alten Schule, klagt (c 28):
qtme mala prinmm in urbe nata, mox per ItcUiam fusa, iam in
provincias manant; diese Männer meinen hier Spanien und be-
sonders Gallien; ein halbes Jahrhundert später trat Afrika,
welches schon damals eine nuiricula causidicorum war, führend
auf den Plan, doch den Nachweis dieser Zusammenhänge spare
ich mir für später auf; hier kommt es mir darauf an, einige
wesentliche Charakteristika dieser Deklamationen hervorzuheben.
Jeder, der eine oder die andere der von Seneca im Excerpt
mitgeteilten Deklamationen liest, hat die Empfindung, d&b sein
normales Denken für Augenblicke stillstehen muls, damit er sich
Der nene Stil. 273
nur einigermafsen in dieser Welt des Schwulstes , der Manier,
der Phrase^ knrz der Yerkehrung alles Natürlichen zurechtfinden
könne; nur gezwungen wird er sich daher der Mühe unterziehen,
die einseinen Symptome der Korruption festzustellen , aber er
mufs es, weil das volle Verständnis der meisten Schriftsteller
der Eaiserzeit sich nur so ihm erschlielst.
1. Das Allgemeine.
Bei Seneca (contr. IX praef. 1) charakterisiert ein einiger- weien der
ma&en verständiger Bhetor jener Zeit, Yotienus Montanu», sein uon™^
Handwerk so: gut dedamationefn parat, scribit non tU vincat sed
ut plaeeai. omnia itaque lenocinia conquirü; argumentationeSj quia
möUstae sunt et minimum habent floriSy relinquit: sentenUiSj explica-
Hanibus audientis delenire contentus est. cupit enim se approbare,
non causam. Darin ist das Wesentliche ausgesprochen: die Kunst
der Deklamatoren ist eine prahlerische, sie will sich zeigen und
scheut sich nicht, sich als geputzte Hetäre zu prostituieren, um
nur gesehen zu werden; das ist es, was auch Quintilian öfters
hervorhebt an den ambitiosi institores eloqxientiae (XI 1, 50), denen
es nur auf die iadatio und ostentatio ankommt (IV 2, 122; 3, 1);
perire artem putamus, nisi apparecU, cum desifuU ars esse, si ap-
paret (IV 2, 127), daher bemühten sich die Alten, ihre Bered-
samkeit zu verbergen (IV 1, 9); aber wie anders war es jetzt
geworden: Augustus hatte einen Advokaten in Tarraco gelobt
mit den Worten: numguam audivi patrem familiär disertiorem,
aber als dieser sich in Rom produzierte, hatte er keinen Erfolg:
man pries ihn als Familienvater, liefs ihn aber als Redner nicht
gelten, denn partem esse eloquentiae putabat doquentiam abscondere
(Sen. contr. X praef. 14). War es doch dahin gekommen, dafs
sogar in wirklichen Prozessen sehr ernster Art die Richter
es übel nahmen, wenn man ihnen die schwere Kost sachlicher
Argumentation vorsetzte: die sterilen Teile der Rede mufsten,
wie es in den Deklamatorenschulen üblich war, ausgelassen oder
auf das Notwendigste eingeschränkt und ersetzt werden durch
glänzend ausgeführte Schilderungen und überhaupt solche Stellen,
die das Ohr kitzelten {titülare Sen. contr. I 1, 25) und dem
Amüsement dienten; wer liefse sich, sagt Aper bei Tacitus
dial. 20, heutzutage noch die sterilen juristischen Deduktionen
gefallen, die Cicero in seinen vor den reciperatores gehaltenen
Horden, antiko KnnitproML 18
274 Von Aogostiu bis Traian.
Reden vorbrachte? praecurrü hoc tempore iudex dteentem^ et nisi
aut cursu argumentorum aut cohre sententiartim aut nüore et cuUu
descriptionum invUatus et eorrtqftus est, aversatur dicentem; dasselbe
bezeugen Seneca (contr. IX praef. 1 f.) und Quintilian (lY 1, 57;
2, 122; 3, 1 f.; 12, 23; VII 1, 41 «.; XII 8, 2 f.; 9, 2 «.; 9, 8);
wenn dann auch das Resultat oft war, dals bei dem Mangel
sachlicher Argumente der Klient nicht durchkam, nun, so hatte
man doch den Ruhm, geistvoll gesprochen und die Richter
unterhalten zu haben, cf. Quint. Y 8, 1 pars altera prdbationum
(nämlich aufser den Zeugenaussagen), quae est tota in arte constatque
rebus ad faciendam fidem adpositis, plerumque aut omnino negleffitur
aut hrevissime attingitur ab iis, qui argumenta vdut horrida et
confragosa vitantes amoenioribus hcis desident, negue aliter quam ü
qui traduntur a poetis gustu cuiusdam apud Lotophagos graminis
et Sirenum cantu deleniti voluptatem saluti praetuiissey dum laudis
falsam imaginem persecuntur, ipsa propter quam dicüur victoria
cedunt, cf. XI 1, 49 ff. — Die Hauptsache für diese Redner war
der clamor und plausus der Zuhörer, ihm opferten sie alles, auch
ihre Würde, und das lebhafte Temperament des Südlanders, der,
wie man noch heute beobachten kann, das Bedürfiiis hat, seinen
Empfindungen äuTseren Ausdruck zu geben, kam ihnen hierin
bereitwilligst entgegen. Auch die Reden Ciceros^) müssen wir
uns von lebhaften Akklamationen der Richter, des Senats, des
Yolks noch ganz anders unterbrochen denken als es in unserem
Parlament Sitte ist, während die Sitzungen der französischen
und italienischen Kammern schon eine bessere Analogie geben.
In der Theorie verlangt er vom vollendeten Redner, dals, wenn
er sich erhebe, significetur a Corona süentium, deinde crebrae as-
sensiones, multae admirationes (Brut. 84), und in der Praxis hat er es
sich wenigstens in den philippischen Reden, wo ihm daran liegen
muTste, sich im Einvernehmen mit den anderen zu zeigen, nicht
versagt, sogar bei der Publikation der Reden die Stellen auf-
zunehmen, in denen er sich für den ihm gezollten Beifall be-
dankte: besonders die vierte Rede ist reich an solchen Stellen,
z. B. gleich im Anfang hatte er einen Satz geschlossen nam esi
1) Auch die von L. Licinins Crassus im J. 92 gehaltene Bede gegen
Cn. Domitius wnrde von lauten BeifaUsäufseningen unterbrochen (Gio.
Brut. 164).
Der neue Stil. 275
hosHs a senaiu nondum verbo appdlatus, sed re iam iudicatus An-
Umius; darauf begeisterter Beifall, denn er föhrt fort: nunc vero
muUo 8um erecHar^ quod vos quoque illum hostem esse tanto con-
sensu tantoque clamore apprcbavisHs. Gleich nachher: C. Caesar,
qui rem publicum libertaiemque vestram suo studio consäio patri"
manio denigue hUatus est et tutatur, maximis senatus laudibus
omaius est (Beifall), laude, laudo vos, Quirites, quod graüssimis
animis prosequimini nomen darissimi adtdescentis, und so 5; 7
(zweimal); 8, cf. XIY 6; 16. In den Bhetorenschulen wurde
die Sitte zur Unsitte: jede gelungene Sentenz wurde beklatscht
und mit Beifallsrufen aufgenommen (cf. Sen. contr. VII 2, 9;
IX praef. 2 f. u. o. Quint. IV 1, 76 f.; 2, 36 ff; VII 1, 41; XII
8, 2 f.; 9, 8; 10, 73 ff.). So ist es im ganzen Altertum ge-
blieben^), und wir werden später sehen, dafs in der altchrist-
lichen Kirche die Praxis keine andere geworden ist, weil die
Menschen keine anderen geworden waren.
2. Das Inhaltliche der Deklamationen.
Ich brauche darauf nicht naher einzugehen, da alle in Be- verhuttt
tracht kommenden Einzelheiten besonders von Rohde (D. griech. ^a Fon
Roman 288 ff.) mit solcher Meisterschaft dargestellt und zu
einem grofsen Bilde zusammengefafst sind, dafs ich nichts hinzu-
mf&gen habe. Nur auf einen Punkt mag hier noch hingewiesen
werden: das ungeheure Mifsverhältnis zwischen Inhalt und Form,
1) Einige Belege bei Rohde, D. griech. Roman (Leipz. 1879) 311 und
in den dort genannten Schriften (auch W. Schmid, D. Atticismus I [Stuttg.
1887] 42, 16). Vgl. noch: Fronte ep. ad M. Caes. 1 8 p. 21 N. und eine hübsche
Stelle des Libanios (die Sievers, Leben des L. p. 27, wo er über die Sitte
handelt, nicht anführt): or. 24 vol. II p. 80 R. dettai yocQ hiaCwov (sc. 6
€atpi9v^\ tLoX To4Hroy lif%Bxui diä tdiv loymv ola6f^8wog. %(f(vBi 61 a{fxm ti^v
^lUgaw BtrB A^bIwodw shi xslQmv i) ßorj^ fisiiav iihv olaa i%slvOj ßgaivtsifa
81 TO^o. &XQStog dh t6t8 o^dsigj o4> cxaihg, oi> XBigotixrrig, o^ ctgatiStTig, oif%
MXririigj oi naidayioyhg, o^x ol tcc ßißlia totg vioig in' &fuov fpegawig, &XXä n&g
6 ev9Mfpi^m9 itio^v ^OQvßov %al o^og loyotg iniiiovQla. (Für das Theater
cf. die ganze 41. Rede vol. II p. 379 ff., die sich gegen den Unfug bezahlter
p9Sk9fig richtet, die ihren Feinden durch Stillschweigen schaden). Themist.
26 p. 816 bc; Prohairesios verbat sich bei einer in Athen gehaltenen Eon-
knrrenzrede ausnahmsweise den %Q6rog: eine Zeit lang hielten die Zuhörer
et auiy dann gerieten sie in Ekstase: Eunap. v. soph. p. 84 Boiss.
18^
276 ^on AngOBtus bis Traian.
was mir eine bezeichnende Eigentümlichkeit dieser Entartung
zu sein scheint. Nur ein paar Beispiele von vielen. Zwei Brüder
hassen sich in einer elenden Streitsache: sie werden mit Atreus
und Thyestes verglichen (Sen. contr. I 1, 21; 23). Jemand hat
ausgesetzte Kinder aufgenommen und verstümmelt, damit sie ihm
durch Betteln Geld einbringen: das veranlaGst mehrere De-
klamatoren, auf die Gründung Roms durch den ausgesetzten
Romulus hinzuweisen und einer von ihnen sagt: ergo si Ulis
temporibus iste camifex apparuisset, conditorem suum Borna non
haheret (X 4, 5 cf. 9). Jemand hat die Tochter eines Piraten ge-
heiratet: um zu beweisen, dafs quidam ignohiles nati fecere posteris
genuSj müssen Marius, Pompeius, Servius, ja die *casa Romuli'
herhalten (I 6, 3 f.; die letztere wird auch U 1, 5 in ab-
geschmackter Weise hineingezogen). Überhaupt werden histo-
rische Beispiele in mafslosester Weise verwendet, wofür die
meisten Themata Belege bieten. Absurd ist auch, dafs keiner
so leicht einen wenn auch noch so geringfügigen Anlafs vorbei-
gehen liefis, ohne eine lange Tirade über die Launen der For-
tuna einzufügen: es ist der locus de forhmae varietate^ wie ihn Se-
neca contr. I 8, 16 und suas. 1, 9 nennt (cf. 11 1, 1; exe V 1;
exe. VI 6; exe. VIII 4; suas. 2, 3). Überhaupt überwuchern
solche ethischen Reflexionen die eigentliche Sache, z. B. contr. II
1, 10 S.: es handelt sich um das Thema: „Ein Reicher abdicierte
drei Söhne; er wünscht den einzigen Sohn eines Armen zu
adoptieren; der Arme erklärt sich bereit, das zu bewilligen, um
diesem Sohn, den er liebt, Reichtümer zu verschafiTen; den Sohn,
der sich weigert, abdiciert er;^' das benützt Papirius Fabianus,
der philosophische Deklamator, von dem der jüngere Seneca so
viel gelernt hat, zu endlosen Tiraden gegen den Reichtum, die
er dem Sohn des Armen in den Mund legt: kämpfende Heere
werden malerisch geschildert u. dgl.; aber damit nicht genug:
nun folgt eine noch längere Tirade gegen den perversen Ge-
schmack und die Übersättigung (fastidium) der Reichen: un-
sinnig hohe Häuser, die durch ihren Zusammenbruch Brände
verursachen (die nun wieder malerisch geschildert werden), und
in den Häusern Imitationen von Bergen, Wäldern, Meeren,
Flössen (was Gelegenheit giebt zu einer iocq>Qa6i$ der Schön-
heiten der wahren Natur). Wozu nun, fragen wir, diese ganze
lange zweite Tirade? Das wird in einem kurzen Sätschen
Der neue Stil. 277
zam ScUoGs angeleimt: et miraris, si fasHdio rerum naturae
laboranUbus tarn ne liberi quidem nisi alieni placent?
3. Die Form der Deklamationen.
Der Ton war immer ein leidenschaftlicher. Gefordert wurde oeniu
ein gentis dicendi non remisswn cml languidum sed ardens et con- ^^®"^'
citatutn, wie Seneca selbst zugesteht (contr. III praef. 7); die
eaidi dedamatcreSj die vom iv^ov6iaöii6g^) fortgerissen sprachen,
gefielen (snas. 3, 6), während Cicero diesen Leuten nicht ^warm'
genug, zu * nüchtern' und * trocken', zu sehr ^Palsgänger' war
(Tac. dial. 20; Quint. XII 10, 13; Sen. ep. 40, 11); vigor, im-
peius, tarrens waren die Schlagwörter (Sen. contr. IV praef. 7 ff.;
X praef. 5; Quint. m 8, 58 ff.; Vin 2, 17; IX 2, 41 f.). Hin-
gerissen Yon ihrem furor sahen sie alles leibhaftig vor Augen:
Stare ante octdos Fortuna videbatur et dicere talia e. q. s. sagt
AreUius Fuscus (Sen. I 1, 16); sie wird überhaupt oft apo-
strophiert: graves, Fortuna ^ vires tuas ib. 17 cf. VII 1, 4; 6;
ein anderer schaut in seiner Phantasie die Ahnenbilder (IX 1, 8),
ein anderer Tempel und Gesetze (IX 4, 22); angerufen werden
die GrStter, der Staat, die Griechen vor Troja, Decius, Cicero
(Vn 1, 25; n 5, 4; X 6, 2; X 2, 3; X 3, 3). Wer die stärkste
Imaginationskraft hatte, wurde am meisten bewundert: einen
Vater, der seinem Sohn wegen einer Frevelthat erst auf der
Richtstatte verzeiht, lä&t Triarius cum scholasticorum summa
fragore sagen (II 3, 19): at tu, quisquis es camifex, cum strictam
sustuleris securem^ antequam ferias, patrem re^ice, ein Diktum,
welches Asinius PoUio yerhohnte. Hieraus erklärt sich auch die
beliebte lebhafte Einführung des Gegners durch ein qyri^l, inquU
oder auch ohne dieses unmittelbar mit seinen eigenen Worten;
man nannte diese Form contradictio (Sen. suas. 2, 17 u. 18), sie
giebt, wie man z. 6. aus Epiktet (cf. auch Lukian abdic. 21
a. E.) weils, der Rede einen ungestüm leidenschaftlichen Cha-
rakter; wir sahen schon oben (S. 129, 1), dafs die declamatio dies
mit der diatQi.ßii seit den Zeiten Bions gemeinsam hat.
1) Cf. Chr. Jac. Gntennaim, Diatribe de enthusiasmo veterom bo-
pbiitaram atqne oratormn, Jena 1720; H. Baamgart, Aelius Aristides
(Leip^ 1874) 46 l
278 ^^^ Augustas bis Traian.
^axoCt}Ua, Welcher Art war nun im einzelnen der Flitterstaat, in den
sich die prostituierte Kunst kleidete, welcher Art die Mittel,
durch die sie die Menschen anlockte? Quintilian hat an einigen
Stellen die einzelnen Schäden der kranken Beredsamkeit zu-
sammengefaßt: YIII 3, 56 ff. xaxö^riXov id est mala affectatio per
omne dicendi genus peccat: nam et tumida et pusilla et prae-
dulcia et abundantia et arcessita et exsultantia sub idem
nomen cadunt, denique cacoeelon vocatur, guidquid est ultra vürttUemj
quotiens ingenium iudicio caret et specie boni faüUu/r^ omnium in
eloquentia vitiortitn pessimum: nam cetera parum vitantur^ hoc pe-
titur, est autem totum in elocutione: nam rerum vitia sunt stuUum
commune contrarium supervacuum, corrupta oratio in verbis
maxime inpropriis, redundantibus, comprehensione ob-
scura, compositione fr acta ^ vocum similium aut am-
biguarum puerili captatione consistit: dicitur aliter, quam se
natura habet et quam oportet et quam sat est. X 2, 16: qui non
introspectis penitus virtutibus ad primum se vdut aspectum oraticms
aptarunt ety cum iis felicissime cessit imitatio, verbis atque numeris
sunt non multum differentes, vim dicendi atque inventionis non ad-
secuntur sed plerumque declinant in peius et proxima virtutibus
vitia comprehendunt fiuntque pro grandibus tumidi^ for-
tibus temer ariij laetis corrupti, compositis exsultantes.
XII 10, 73: vitiosum et corruptum dicendi genus aut verborum
licentia exsultat aut puerilibus sententiolis lascivit aut
immodico tumore turgescit atd inanibus locis bacchatur
aut casuris si leviter excutiantur flosculis nitet aut prae-
cipitia pro sublimibus habet aut specie libertatis insanit
79 f.: sed et copia habet modum, sine quo nihü nee laudäbUe nee
salutare est, et nitor üle cultum virilem et inventio iudicium. sie
erunt magna non nimia^ sublimia non abrupta, fortia non
temeraria . . . ., laeta non luxuriosa, iucunda non disso-
lutay grandia non tumida. Man sieht, dafs die einzelnen
Fehler sich aus einem Grundfehler erklären: man wollte zwar
das Gute, hielt aber aus Mangel an ästhetischem Urteil
das Schlechte für gut, oder, wie Horaz (a. p. 25 ff.) es aus-
drückt (man sieht daraus, dafs die ganze Argumentation in viel
frühere Zeit zurückgeht): decipimur specie recti: brevis esse laboro,
Obscurus fio; sectantem levia nervi Deficiunt animique; professus
grandia turget, Serpit humi tutus nimium timiduaque procdlae
Der neue Sidl. 279
(dies ist auch der Standpunkt des Verfassers tcsqI ü^fovg, cf. be-
sonders c. 3 — 5). Wie der Ursprung der einzelnen Fehler ein
gemeinsamer ist, so auch ihre Folge: die Überschreitung des
Maises und die dadurch bedingte Yerkehrung der Natur^);
nobis sordet omne quod natura dictavit sagt Quintilian YIII pro-
oem. 26 y etwas in natürlicher Weise auszudrücken, galt für
ordinär, alles wollte sein <Txf|/ifl( haben (Sen. contr. I^iraef. 23 £ ;
Quint IV 2, 36 ff; Vm pr. 24; VUI 2, 17), daher vergleicht
Quintilian (II 5, 10 ff.) den Geschmack an diesen Beden mit
dem an Terwachsenen oder in irgend einer Art monströsen
Körpern; wenn man sich an die Vorliebe für Zwerge und allerlei
sonstige MüSsgestalten erinnert, die zu jener Zeit in den höchsten
Qesellschaftskreisen fashionable war, so mufs man sagen, dafs
der Vergleich sehr passend gewählt ist (cf. auch Sen. contr. X
praef. 10); hatte doch Orid selbst, eins der famosen Grenies auch
in deiL Cirkeln der Deklamatoren, als man ihm einige seiner die
Ghren^ des Normalen überschreitenden Facetien yorhielt, ge-
antwortet: interim decentiorem fadem esse, in qua aliguis naevos
esset (Sen. contr. 11 2, 12). Die mannhaft starke Bede fand
keinen Wiederhall bei dem entarteten Geschlecht: man * kastrierte'
sie: Quint. V 12, 17 ff.: decUmuxUones olitn tarn ab illa vera ima-
gme arandi recesserunt aique ad solam campasüae voluptatem nervis
earenty non aUo medius fidius vitio dicenUum, quam quo manci-
piorum negoUatcres farmae puerarum virüüate excisa Unocinan-
hur sed mihi nattiram intuenti nemo non vir spadone
fomuysior erit nee tam aversa umquam vid(i>üur ab qpere suo pro-
videnHoy ut dibüitas inter optima inventa sit, nee id ferro ^pedosum
fieri puiaho quod si nascerelur, monstrum erat . . . quapropter eUh
queniiamf licet hone — ut sentio enim, dicam — lUndinosam re-
supina voluptate auditoria prdbent, ntdlam esse exisUmabo, quae ne
1) Cf. F^älon, Lettre k Tacad. Fran9. sur T^oquence (angeh&ngt der
Ausg. seiner Dialogues sur T^loquenoe Paris 1718) p. 802 f.: Le gaiU com"
wienfoit ä se gdter ä Borne peu de tema apris celui d'AugusU. J%iA)enal a
MOMii de dilieaUsse qu'Horace; Seneque Je tragice et Lucain ont une enflure
(^oquatUe . . . Les rafinemena d^eaprit avaient pr^vdlu . . . On ne croyait
poM, qu^il fAt permis de parier d'une fOiQon simple et naturelle. Le monde
ÜoUf pour la parole, dans Vüat oü il seroit pour les hahits, st personne
n^oeoU paroUre vHu d'une belle äoffe, sans la charger de la plus Spaisse
kroderie. 8uiva$U cette mode, ü ne faUoit point parier, ü faUoU diclamer.
280 Von Aagastas bis Traian.
minimum quidem in se indicium masctüi et incorruptif ne dicam
gravis et sancti viri ostentet (cf. I 8, 9; II 5, 9; VIII prooem. 18 AT.
u. ö.). Während die Gegenpartei Rückkehr zur Natur predigte,
die mit der Ennst zusammenfalle (Quint. YIII 3, 71; 86), war
das Schlagwort der Modernen * Genieß welches sich nicht an
Regeln kehrt, sondern sich selbst Regeln schafft (Sen. contr. II
2, 12; X ptaef. 9 f.; suas. 7, 12. Quint. II 5, 10 ff: ; VIII pro-
oem. 25; VIII 2, 21; 5, 22; XII 9, 8; Plin. ep. IX 26, 7); man
wuTste, dafs dem Genie vieles verziehen würde — illtid semper
factum est: nullum sine venia placuit ingenium. da mihi^ quem-
cumque vis, magni nominis virum: dicam, quid Uli aetas sua igno-
veritj quid in ülo sciens dissimulaverit (Sen. ep. 114, 12) — , und
handelte im Bewufstsein dieser Thatsache: *man kannte und
liebte seine Fehler* (Sen. contr. II 2, 12 von Ovid; IX 6, 11.
Quint. X 1, 129 f. von dem jüngeren Seneca).
Am glänzendsten hat zu allen Zeiten der Funke des Genies
ntensen- gesprüht in kurzcu, schlagenden, überraschenden, pikanten iWnten :
inu>niui. daher ist in einem Zeitalter, welches charakteristischerweise auch
im poetischen Epigramm das Vollendetste leistete, die poin-
tierte Sentenz, wie man sagen kann, geradezu das Cha-
rakteristikum dieser Eloquenz und damit des gröfsten
Teils der Litteratur der Kaiserzeit geworden; sie galt
für die höchste Vollendung der Rede (Quint. I 8, 8); einer
Sentenz zuliebe sprach man über gar nicht lur Sache gehörige
Dinge, während doch die wahre Sentenz aus den Dingen ent-
springen mufs (id. II 4, 31); ihr zuliebe stellte man sich den
Gegner als einen dummen Jungen vor (V 13, 42); wenn sie nur
hervorleuchtete, konnten die umliegenden Teile der Rede schmutzig
und niedrig sein (II 12, 7); kurz: nan mtdtas plerique sententias
dicunt, scd omnia (aniquam sententias (VIII 5, 31), die sich dann
natürlich gegenseitig verdunkeln (XII 10, 46 ff.). Diejenigen, die
etwas sparsamer damit umgingen, pflegten solche lumina mit
Vorliebe an den SchluTs eines Satzes oder einer Exposition zu
setzen (VIII 5, 2: lumina praecipueqm in clausula posHa sentetUias
vocami4S; 5, 13: vocattir aliquid et clausula: quae si est quod com-
clusionetn dicimus, et recta et quibuschim in partibus neoessaria
est . ,, scd nunc aliud volunt, ut omnis locus, omnis sensus in fine
sennonis feriat aurepn): wer darauf achtet, kann dies Bestreben
schon bei Cicero ganz deutlich beobachten (man vergleiche nur
Der neue StiL 281
den ScUoIjs der 14. philippischen Rede), bei den Schriftstellern
der Eaiserzeit (Tacitns nicht ausgenommen) ist es zur Manier
geworden.^) Die vitia der Sentenzen fafst der jüngere Seneca,
der, wie wir sehen werden, ganz im Bann dieser modernen Be-
redsamkeit stand, ohne es selbst zu wissen, in dem f&r die Ge-
schichte der Stilarten so wichtigen Brief 114 in die Worte zu-
sammen (§ 16): nan tantum in genere sententiarutn viHum est, si
out pusillae sunt et puerües aut imfrdbae et plus ausae quam pu-
dore sdlvo Ucet, sed si floridae sunt et nimis dukes, si in vanum
exeunt et sine effectu nihil ampUus quam sonant; zwei dieser Cha-
rakteristika finden wir immer wiederholt: von einer im Sinne
der Deklamatoren gelungenen Sentenz wird verlangt, dafs sie
dulcis sei, d. h. auf das Ohr und die Sinne einen angenehmen
prickelnden Reiz ausübe (Sen. contr. I 4, 7; II 1, 24 ff.; 6, 8;
suas. 7, 12. Quillt. II 5, 21 ff.), und vor allem, dals sie mehr als
das Normale wage, auf gefahrlicher Spitze jäh am Abhang stehe,
was für sublime galt; das sind die sententiae grandes, quarum
optima quaeque a periculo petitur (Quint. II 11, 3, cf. X 1, 121),
die sententiae praecipites, abruptae, pendenies (Sen. contr. X
praef. 15. Sen. ep. 114, 11. Quint. VII 1, 41; XII 10, 73; 80),
Yon denen verständige Zuhörer wie der alte Seneca oft nicht
wu&ten, ob man sie bewundem oder über sie lachen sollte
(Sen. contr. I 7, 18); denn, so urteilt jener, vom Erhabenen zum
Lächerlichen sei nur ein Schritt (Sen. suas. 1, 16; 2, 10): aber
eine gewisse Verwegenheit sei erforderlich, denn es sei nichts
Greises, wenn derjenige keinen Fehltritt mache, der nichts wage,
so wenig es ein Verdienst der HäCslichen sei, wenn sie scham-
haft blieben (contr. 11 1, 24). Man sieht, dafs auch ein so
braver Mann wie der alte Seneca das Grandiose, Genialische als
durchaus berechtigt anerkennt und nur das Überschreiten der
1) Sehr bezeichnend Fronte p. 212 N. ut novissimos in epigram-
maus versus habere oportet dliquid luminis, senterUia clatfi dliqiM vel fibula
ierminanda est^ und vor allem Hieronymns ep. 62, 4 (I 1 p. 268 Vall.)
ne a me quaeras pusillas declamaUones, sententiarum floscuios^ verborum leno-
cima et per fines capitulorum singulorum acuta qwjudam breviterque concluaa,
qitae plaueus ei clamores excitent audientium. Sidonins entschuldigt sich,
dafs er in einer vor einem zusammengewürfelten Volkshaofen gehaltenen
Bede nicht habe anwenden können scintiUas controversalium clausularum
(ep. yn 9); er lobt (ep. IX 7) ftümen in clausuUs.
282 Von Augastus bis Traian.
Grenze brandmarkt; schon bedenklicher klingt die Formolienmg,
die dieser Ansicht der Sohn leiht (1. c. 11): sunt gut nan usgue
ad vitiufn accedant, necesse est enim hoc facere aliquid grande
temptanti; aber nirgends tritt diese Auffassung, welche für die
meisten Autoren aus der Theorie in die Praxis fibertragen
wurde, mit solcher Schärfe hervor wie in einem dadurch sehr
interessanten Brief des Plinius IX 26. Ein Freimd hatte ihm
in seinen Schriften angestrichen als tumida, was er selbst för
stiblimia, als improba, was er selbst ffir audentia, als nimia, was
er selbst für plena hielt. Um ihn zu widerlegen , knüpft er an
ein Bonmot an, welches er über einen Redner ausgesprochen
hatte, der zwar rectus et santis (also ein Atticist), aber parum
grandis et omatus sei: nihil peccat^ nisi quod nihil peecat
Darauf schildert er sein Ideal vom Redner: dd)et oratar erigi at-
toUiy interdum etiam effervescere efferri, ac saepe accedere ad
praeceps. nam plerumque altis et excdsis adiacent äbrupta^ tuiius
per plana sed humilius et dqfressius iter; frequehtiar currentHms
quam reptantibus lapsus, sed his non labentibus nuUa, iUis non
nuUa laus etiamsi lahantur. nam ut quasdam artes ita eioquentiam
nihil magis quam ancipitia commendant; so entfesselt der Seil-
tänzer, der in jedem Augenblick fallen kann, einen Beifallssturm^
und ungerühmt läuft der Steuermann nach ruhiger Fahrt in den
Hafen ein, aber wenn sausen die Seile, sich krümmt der Mast^
die Steuer stöhnen^ dann ist er berühmt und zunächst den
Göttern des Meeres: sunt enim maxime mirabüia quae maxime
insperatay maxime pericutbsa uique Oraeci magis eajmmunt nafd-
ßoXa; darauf folgen, als wenn er tcsqI Cinyog schriebe, Beispiele
aus Homer, Demosthenes, Aeschines, aus denen hervorgehen soll,
dafs sie in ihrem Wagemut oft bis an die Grenze des Erlaubten
herangegangen seien ^); diesen Gröfsen yergifst er dann natürlich
nicht, zum Schlufs sich selbst anzureihen: was er da eben über den
1) Aus Cicero, sagt er (§ 8)^ fahre er keine Beispiele an, denn bei ihm
bezweifle es keiner. Der wahre Grund ist wohl, dafs er die griechischen
Beispiele aus einem Autor negl ^ovg bequem abschreiben konnte, denn
wer ihn kennt, weifs, dafs er sich nicht aus Demosthenes 12 Beispiele seihst
zusammengesucht hat. Thatsächlich findet sich die homerische Stelle sowie
eine der demosthenischen in demselben Sinn verwendet in der ans erhal-
tenen Schrift nspl vipovg (die, wie man annehmen darf, nur eine Ton vielen
war) 9, 6. 82, 2.
Der neue Stil. 283
Staim auf dem Meer geschrieben habe^ das werde der Freund
sicherlich auch mit einem ößeXbg nsQUötiy^dvog versehen^ aber
das solle er ruhig thun: „wenn wir mündlich darüber sprechen,
wirst entweder du mich furchtsam, oder ich dich tollkühn
machen/' — Ein besonderes Raffinement verwandte man femer Ktmo.
darauf diese Pointen in möglichst schlagender Form zu geben:
so sehr man sich in Schilderungen und dergleichen amonen
tAxoi die Zügel schieüsen liefs, so straff zog man sie hier an,
denn die Sentenz muüs vibrans et concitata sein (Quint. XII 9, 2) ;
als etwas Abweichendes hebt Seneca (ep. 100,5) an einem hervor
sen^is non coactos in sententiam sed latius dictos. ^Eürze' ist
daher hier das Losungswort: den Thukydides lobten sie wegen
seiner Kürze, den Sallust noch mehr, weil er sie gesteigert habe
(Sen. contr. IX 1, 13); ein griechischer Deklamator brachte es
fertig, eine yvAfiri in zwei Worte zusammenzufassen (id. 1 1, 25);
explicationes plus sensuum quam verborum habentes (Sen. contr. III
praef. 7), äbruptae sententiae et sttspiciosae, in guibus plus in-
tdlegendum esset quam audiendum (Sen. ep. 114, 1) waren das
Ziel, dem sie nachstrebten, aber natürlich hielten sie auch darin
nicht Hals, daher die Klagen der Kritiker: saepe minus quam
audienti saus est doquitur sagt Seneca (contr. II praef. 2) von
Fabianus (über den der Sohn, der es ja ebenso macht, ep. 100, 5
anders urteilt); Quintilian sagt tadelnd pUraque significare melius
puiamus quam dicere (YIII pr. 24); cf. Vm 2, 19 ff.: brevitatem
aemulati necessaria quaque orationi subirahunt verba et, velut saHs
Sit seire tjisos quid dicere veUnt, quantum ad alias pertineat nihüi
pulant . . . pervasitque iam muUos ista persuasiOf ut id iam demum
deganter atque eocqtiisite dictum putent, quod interpretandum sit.
aed auditaribus etiam nannuUis grata sunt haec, quae cum in-
tdlexerunt, acumine suo dekctantur et gaudenty non quasi audierint
sed quasi invenerint (ähnlich IX 2, 78 f.; 94). YIII 5, 12: est et
quod appellatur a novis ^noema\ qua voce omnis intellectus
aeeipi potest, sed hoc nomine donarunt ea quae non dicunt
verum intellegi volunt. Sehr hübsch erkennt man dies
Streben nach pointierter Kürze in einem urteil Ovids, das Se-
neca (contr. VII 1, 27) berichtet: in Yarros Argonautica kamen
folgende Yerse vor:
desierant latrare canes urbesque sUebant;
omnia noctis erant placida composta quiete.
284 Von Augustus bis Traian.
Ovid meinte von diesen Versen , potuisse fieri lange meliares, si
secundi versus ultima pars abscideretur et sie desineret:
omnia noctis erant.
Ganz ähnlich meinte (nach Sen. suas. 2, 19 f.) Messalla, Yergil
habe in folgenden Versen (Aen. XI 288 fif.):
quidquid ad adversae cessatum est moenia Troiae,
Hectoris Äeneaeque manu victoria Qraium
haesit et in decimum vestigia rettuUt annum
mit haesit aufhören müssen; das merkte sich ein poetisierender
Rhetor dieser Zeit und dichtete folgende Verse:
ite agite, o Danaij magnum paeana canentes,
ite triumphantes: belli mora concidit Hector
und die letzten Worte erhielten , wie Seneca bemerkt , grofse
Celebritäty was wir noch bei Dichtem der ersten Eaiserzeit be-
obachten können.^). — Aus diesem Streben nach pointierter
Kürze erklärt es sich, dafs die Extensität der Worte zu ihrer
Intensität im umgekehrten Verhältnis steht: ihr Inhalt erweitert
sich bei abnehmendem Umfang. Sätze wie die des Sallust omnia
in virtutem trahebantar (lug. 92, 2), omnium partium decus in
mercedem corruptum erat (bist. I 13) weisen, wie man sofort
fühlt, Yordeutend auf Seneca und Tacitus hin.
Dafs in diesem Raketenfeuer genialer Bonmots manche
Leuchtkugeln aufstiegen, die den Feuerwerkern alle Ehre machten,
ist begreiflich genug. Wir empfinden bei der Beurteilung einer
gro&en Anzahl dieser Sentenzen, wie wahr es ist, dab die
höchsten Tugenden den schlimmsten Fehlem benachbart sind;
soll man es z. B. genial oder albern^) nennen, wenn einer, der
für die Beerdigung eines Selbstmörders plädiert, ausruft: „Curtius,
du hattest das Begräbnis verloren, wenn du es nicht im Tode
gefunden hättest^' (exe. contr. VIII 4), oder der Spartaner, als
die Krieger der übrigen Staaten abgezogen sind: „jetzt freut es
mich, dafs sie geflohen sind: sie haben mir die Thermopylen
1) Cf. C. Morawski, De rhetoribus latinis observationes (in: Abh. der
Krakauer Akad. Ser. n T. I 1892) 377.
2) Als insanae^ stultae, ineptae u. s. w. bezeichnet Seneca aelbst folgende
Sentenzen: p. 49, ISMfiU. 54, 2. 65, 4. 69, 17. 82, 1. 220, 10. 272, 8. 286, 19.
309, 13 ff. 381, 17. 48y, 20. 491, 9; 12; 19. 502, 8; 10. 508, 16. 504, 6; 7.
505, 14. 527, 13. 529, 2; 3. 530, 19. 543, 7. 549, 16. Nach unsenn Oefahl
hätte er die zehnfache Zahl so nennen müssen.
Der neue Stil. 285
^1% gemacht'^ (suas. 2, 8)? Wenn man an das in. den Rhetoren-
schulen und der davon abhängigen Litteratur so beliebte Bild
denkt * Marios sitzt auf Karthagos Trümmern, sie blicken sich
an und trösten sich gegenseitig ', so wird man das ohne Be-
denken f&r eine in ihrer Art grandiose Gonception erklären.
Hier ist aber das subjektive Gefühl des Einzelnen ausschlag-
gebend und man wird vielleicht zu einer gewissen Milde in der
Beurteilung geneigt sein, wenn man bedenkt, dafs so viele herr-
liche Blüten bei dem Philosophen Seneca und bei Tacitus doch
eben nur durch diese Manier gezeitigt sind.
Neben der yvdnirj war es vor allem die ixtp^aöi^gj in der Besohrei
diese Rhetoren einen Tummelplatz für ihr Genie fanden. Schon ^^^^^
bei Schriftstellern des vierten Jahrhunderts, wie Philistos und
Theopompos, finden wir eine Neigung dazu, die naQixßaöig über
den Hain bei Henna und den Raub der Proserpina in Ciceros
vierter Verrine war schon im Altertum hochberühmt ^), aber
erst in der frühen Kaiserzeit wurde sie als eigene Gattung aus-
geprägt und findet sich seitdem bekanntlich regelmäfsig in den
Progynmasmen.*) Von der in ihr verlangten Diktion sagt
Theon prog. c. 11 p. 119, 30 Sp. 6vveio(ioi.oikfd'ai. xq"^ totg {mo-
xBi^liivoig tijv inayyeXiav, ß6te si (iiv siav^ig %i sttj tb öriXoii-
fuvovj siav^ii xal xifv g>Qd6vv slvccr el dl aixMQ^^ 4 ^oßsQbv
Ij ixotov dii notSj fii}d^ tag iQ^rivsiag iaeadeiv ti^g (piiöscjg
a^Av, cf. Proklos ehrest, gramm. ecl. bei Phot. bibl. cod. 239
p. 318 b 26 vom nXdö^ (Stil) iv^ri(f6v: &(fii6tei, twcoyQaq>laig
atol XBifLAvmv ^ iX6&v i7cq)Qd6söiv, Das haben die Schrift-
steller wacker befolgt: wie sie alle Süfsigkeit der Diktion walten
lielsen, wo es galt, den Sonnenaufgang und Sonnenuntergang,
Meeresstille und glückliche Fahrt, einen Hain, ein schönes Haus,
besonders eine Villa (Tempel, Kirche) oder Gemälde, eine Stadt,
1) Cf. auch die iyupgaaig der Natur in hOchst gewählter Sprache de
deor. nat. 11 98 S. (nachgeahmt von Minucius Felix und Ambrosius im
Hexaemeron). Für die ampUficatio empfiehlt er part. or. 66 aulestia divina,
ea quarum obscurae causae, in terris mtmdoque admirahUia quae mint —
Über die impodasig cf. besonders Rohde 1. c. 335, der ihren Ursprung mit
Recht in der deskriptiyen Poesie (besonders der Alexandriner) sieht, mit
welcher die Rhetoren wetteifern wollten.
2) Cf.W. Schmid, D. Atticism. U (Stnttg. 1889) 268, 11 und im Rhein.
MuB. XLIX (1894) 159.
286 Von AngustuB bis Tr&ian.
ein niedliches Mädchen, ein stattliches Tier n. dgl. zu beschreiben,
so haben sie andererseits bei Beschreibung von schaurigen Hohlen,
dem Ocean und seinen Schrecknissen (der über ihm lagernden
Nacht, den Ungeheuern der Tiefe), Sturm und Schiffbruch,
Foltern, Totschlag u. dgl. Tone aufgesetzt, die einem wirklich
durch Mark und Bein gehen, uns wird später derartiges öfters
begegnen; hier fähre ich nur an die Aufserungen und Proben
bei Seneca contr. II praef. 1; 3; II 1, 13; VII 1, 4; 10; 26 (hier
ein griechisches Beispiel); 27; exe. VIII 6 p« 867, 17 ff. MülL;
suas. 1, 1; 15; Sen. ep. 122, 11 ff.; apocol. in. Quint. IE 4, 3;
IV 3, 12; IX 2, 44; Plin. ep. II 5, 5; Lukian de hist.
conscr. 19 f.; 57. An mehreren dieser Stellen wird aus-
drücklich gesagt, dafs man in solchen hupQi66ig ganz poetisch
sprechen dürfe: so erklärt es sich, dais wir dieselben Stoffe bis
zum Überdrufs bei den rhetorisierenden Dichtem der S[ai8erzeit
wiederfinden, was wenigstens für eins dieser Themata von C. Lied-
loff. De tempestaüs etc. descriptionibus (Diss. Leipz. 1884) nach-
gewiesen ist.
>o8tie und In der Diktion mied man sordida et cotidiana vocabuia, was
keine Kleinigkeit war, da ja gerade %i6Bi,q aus dem Alltagsleben
die häufigsten waren und das lupanar eine nicht geringe Rolle
spielte: einer sagte absichtlich, um nicht als scholasticus zu
gelten, acetumf püleium^ Umtema, spangia (Sen. contr. VIE praef. 3,
cf. I 2, 21; IV praef. 9; IX 2, 25; X 1, 13). Man suchte mög-
lichst gewählt und glänzend zu sein, cuiUus und splendor waren
hier die Schlagworter; politura nennt es Seneca der Sohn
ep. 100, 5, und bei Tacitus (dial. 20; 22) sagt Aper, die Bede
solle nicht gleichen rohgebauten Tempeln und Häusern, die nur
Schutz gegen Unwetter gewähren, sondern den neuen Marmor-
tempeln und Prachtbauten. Natürlich ging man auch hier über
das Erlaubte hinaus (Sen. contr. II praef. 1; lY praef. 10; X
praef. 5; Quint. III 8, 58; VIII pr. 18 ff; 3, 6; XH 10, 46;
73 ff.; Tac. dial. 20; 22). In den Worten herrschte Ausgelassen-
heit (lascivia ist der Ausdruck, mit dem dies yitium alle Kritiker
brandmarken: Sen. contr. II praef. 1; II 6, 8; Sen. ep. 114, 2;
Quint. n 5, 22; X 1, 43; 56; XII 10,73): Hyperbehi (Quint. VHI
6, 73 ff.), Metaphern (Sen. contr. VII 3, 8; Sen. ep. 114, 10), Ver-
gleiche, die aber offc ganz falsch waren (Quint. VIII 3, 76); be-
sonders werden auch poetische Worte und poetisches Eo-
Der neue Stil. 287
lorit überhaupt^) von den Eritikern gertigt (Sen. ep. 114^ 13.
Quint n 4, 3; Vni pr. 25. X 2, 21. Plin. ep. IX 26, 8): wir
erkennen das noch deutlich an mitgeteilten Proben, z. B. sagte
einer: nax erat cancubiüy et omniüj iudicea, canentia sub sideribus
muta ercmt, was schon die Zeitgenossen als Imitation berühmter
yergilischer Verse (VIII 26 f.) erkannten (Sen. contr. VII 1, 27);
sie traten in offen eingestandene Konkurrenz mit Vergil: man
sehe, wie einer der extravagantesten dieser Deklamatoren, Arellius
Foscos aus Asien, den Wechsel der Witterungsverhaltnisse nach
Vergils Vorgang beschreibt (bei Sen. suas. 3, 1; 5); ein grie-
chischer Deklamator ruft den Poseidon an: &^ur(f1i^(ov diönoxa
fiv&AVy xifv ivHuyv xkriQio6a(uvs ßaöUeiav (Sen. contr. VII 1, 25)
und ein anderer beschrieb den Schild des Polyphem in so ge-
wagten Ausdrücken (id. suas. 1, 12), dafis man früher geglaubt
hat, sie stammten aus dem Dithyrambus des Philoxenos. Die An-
näherung der Poesie an die Prosa war in jenen Ejreisen und der
ganzen von ihnen abhängigen Litteratur so weit fortgeschritten,
dafs sie sich überall berührten, bei manchen völlig in einander
aufgingen; die poetische Ausdrucksweise wurde im Lauf der
Eaiserzeit mehr und mehr entwertet, man empfand sie nicht
mehr als solche; daher ging die Poesie zugrunde und wurde
durch eine in poetischen Farben schillernde Prosa ersetzt. Nur
in dem Mab der Verwendung des Poetischen unterscheiden sich
sowohl einzelne 'Schriftsteller von einander als auch ein und
derselbe in seinen verschiedenen Werken, z.B. geht Florus etwas
weiter als VeUeius, viel weiter als Tacitus, aber Appuleius wieder
viel weiter als Florus, und Appuleius selbst erlaubt sich in den
Florida mehr als in den Metamorphosen, in diesen mehr als in
der Apologie und den philosophischen Schriften, unter denen aber
ihrerseits die Schrift über die Gottheit des Sokrates als De-
klamation wiederum poetischer ist als die rein dogmatische über
die Lehre Piatons.
Natürlich spielten bei diesem Schmuck und Glanz der Rede Figorea.
die Figuren eine Hauptrolle, und zwar, wie Quintilian (IX
3, 3 C) sagt, nicht die gewohnlichen, denn sie seien schon zu
1) Poetische, z. T. neogebildete Wörter der griechischen Asianer bei
Seneca sammelt W. Schmid, Der Atticismus I 44, 18. Cf. im allgemeinen
L. Friedlftnder, Sitiengesch. d. röm. Kaiserz. Wl^ (Leipz. 1881) 860.
288 Von Ancpistog bis Traian.
abgegriffen und würden als solche gar nicht mehr empfunden,
sondern: secretae (figurae) et extra vulgarem usutn positae ideoque
magis notabiles ut novitate aurem excitant ita cqpia saHant et se
non obvias fuisse dicenti, sed canquisitas et ex omnibus latebris ex-
tractas congestasque declarant Seneca erzählt eine hübsche Ge-
schichte davon (contr. YII praef. 7): einer hatte im Gentumviral-
prozefs ein hübsches (fx^t"^ gesagt^ worauf ihn sein Gegner fest-
nagelt; jener: Schema dixi und: ista ratume Schemata de rerum
natura tolluntur, dieser: töüanturj poterimus sine Ulis vivere; die
Centumvim entscheiden auf Grund des <fx^C^) worauf jener, tief
beleidigt, sich ein für alle Mal vom Forum zurückzieht. Von
Antithese dcü Wortfigurcu War, wie nicht anders zu erwarten, die Anti-
paraueus- thcse am beliebtesten: sie machte am meisten Furore: excqpta
"*"■* est sententia (Sen. contr. VII 6, 19 a. E.; suas. 5, 6), was sich
durch Persius 1, 85 ff. hübsch illustrieren läfst:
^fur es' ait Pedio. Pedius quid? crimina rasis
librat in antithetis, doclas posuisse figuras
Jaudatur: ^bellum hoc^^). hoc bellum? an, Bomule^ ceves?
Die Zahl der Beispiele für diese Figur bei Seneca wird 100
weit übersteigen; von den Arten mögen folgende beliebig heraus-
gegriffene Proben eine Vorstellung geben. Antithese mit iöö-
x(oXov und gelegentlichem iiuoLotHsvrov z. B. xdJiai [ih/ ix-
^ixoiq xivdwog fjv tb ^Ltp^vai^ vvv d\ xo tQag>fjvat (contr. X
4, 21), ei nvgl xal öidi/JQO} ^ayQafpovvtat^ tlvv rvQowoiivttu;
(X 5, 23), hoc unum sciOj ncc fieri quod non potest nee portenttim
esse quod potest (I 3, 4), lege damnata est: haheHs itsdudum. de-
ieda est: habetis exemplum (ib. 6), pater rogabat ut occiderem^
mater ut viveret; pater ne nocens inpunita esset, maier ut ego in-
nocens essem; pater recitabat legem de adülteriis, mater de parri-
cidiis (I 4, 9), merito abdicasti an immerito? si immerito abdicasti,
odi patrem tot eicientem innocentes: si merito, odi domum tot for
cientem nocentes (II 1, 4), perit äliqua ctim viro, perit aliqua pro
viro; illas tainen omnis aetas honorabit, omne celebrabit ingenium^
(n 2, 11 von Ovid), alam qui propter debüitatem alitur^ non alam
qui propter alimenta dä)ilitatur (exe. III 1), alter quos roget non
1) Cf. über diese Akklamation C. Morawski 1. c. 876 f
2) Durch die Umstellung celebrabit ingenium wird zwar das di^ouni-
Xavtov verwischt, aber dafür die Klausel aux üu k^ erreicht.
Der neue Stil. 289
videty alter guibus roget non habet (VTI 4, 9)^); etwas anderer
Art: refulsit inter privata pocula ptiblicae securis acies (IX 2, 24,
wo Seneca selbst die Thorheit notiert, privata pocula wegen
puhlicae securis zu sagen). Ohne Parallelismus (Gedanken-
antithese): VII 4, 9 redet ein Vater seine Sohne, von denen
der eine beim Tyrannenmord die Augen, der andere in der
Schlacht die Hände verloren hatte, an: exsurgite nunCy viva ca-
davera; exe. VIII 6: einer kommt, der Gefahr eines SchiflF-
bruchs mit Not entronnen, ans Land, wo ihn sein Feind er-
wartet, das drückt er so aus: adhuc tarnen bene, itidices, navi-
gamus; naufraginm maius restat in litore.^) Am liebsten tritt
der Parallelismus in der Form des t(fixa)Xov (und tstQd-
xaXov) auf^, z. B. contr. I 3, 2: damnata est quia incesta eratj
deiecta est quia damnata erat, repetenda est quia et incesta et dam-
nata et deiecta est II 2, 4: vir, dum nimis amat uxorem, paene
causa periculi fuit; uxor, dum nimis amat virum, paene causa
luchis fuit; pater, dum nimis amat ßiam, abdicat 11 3, 5: hoc si
reo diciSj non curo; si iudici, videbo; si dementi, non inteUego
exe Yl 4: sie egit ut deprehenderetur, sie deprehensus est ut exoror
retur, sie bunt ut viveret, IX 3, 14: ergo ego tollere potui, edueare
potui, tacere non potui? IX 6, 18: invenit^ quomodo damnata ac-
cusaret, moriens occideret, torta torqueret suas. 7, 8: videlieet Cicero
audiat Lepidum, Cicero audiat Antonium, nemo Ciceronem. An
zwei Stellen spricht Seneca ausdrücklich über die Sucht, un-
bekümmert um den Sinn diese Figur nur um ihrer selbst willen
zu verwenden: contr. 11 4, 12: hanc controversiam cum declamaret
Maximus (Fabius M. f 14 n. Chr.), dixit tricolum tale qualia
1) Der parallele Satzbau war Veranlassung , dafs in unsem Hand-
schriften eine grofse Zahl von Stellen lückenhaft ist, z. 6. ist sicher rich-
tig ergänzt 11 1, 15 si omnes mcUi sunt, quid isto patre (miserius? si omnes
boni sunt, quid isto patre} furentius? cf. II 2, 4 u. ö. Seneca selbst liebt
die Figur auch, cf. contr. IV praef 1 (p. 224, 9 Müll.). IX 4, 21 (p. 413, 6).
2) Aus dieser Antithesensucht erklärt sich die Vorliebe der Deklama-
toren ftir die gern in antithetischer Form auftretenden Sentenzen des Pu-
blilius Syrus; darüber giebt eine interessante Ausführung Sen. contr. VII
8, 8, wo aus Syrus angeführt wird: tarn dest avaro quod habet quam quod
non habet y desunt luxuriae muüa, avaritiae omnia, o vita tnisero longa fe-
lici brevis. Cf. die Sentenzen bei Seneca ep. 108 und W. Meyer, Über die
Sprachsammlung des Publ. Syrus (Leipz. 1877) 37 f.
8) Cf. meine Untersuchung im Greifswalder Progr. 1897 p. 41f; 49.
Horden, antike Knnitprota. 19
290 Von Augastos bis Traian.
sunt quae hasüicam infedant.^) dicebat (udem a park (pairis):
^omnes aliquid ad vos inbeeiUi aUer aUerius onera detulimus: ae-
cusatur pater in ültimis annis, nepos in primis ^adoptatur, in
mediis abdicatur}^) filitisJ' YIII 2, 27: dixä Murredius ülud
tetracolon ^senndxU forum cubiculo, praetor meretrici, carcer can-
viviOf dies nocti* novissitna pars sine sensu dicta est, td impUretur
numerus, quem enim sensum habet: ^serviebat dies nocH*? hanc
ideo sententiam rettuli, quia et in tricolis et in omnibus huiuf
generis sententiis curamus ut numerus constet, non curamus an
sensus. ')
Bthythmni. Ein Wesentliches Charakteristikum dieses Stils war der
Rhythmus. Ich muTs darauf etwas näher eingehen, weil dies
Moment besonders wichtig ist, um diesen Stil in seiner histo-
rischen Entstehung und Fortentwicklung zu begreifen. Wir
wissen (s. o. S. 53 ff.), dafs seit den Zeiten des Isokrates kein
unter der Theorie stehender Schriftsteller seine Diktion on-
rhythmisch gestaltet und kein Stilkritiker eine solche Diktion
für ezistenzberechtigt gehalten hat; wir wissen aber ebenfalls
(s. o. S. 135 ff.), daCs schon früh in gewissen Ejreisen die Xd^ig
BÜQv^fiog zur Xdl^tg ivQv%^oq wurde, vor der die angesehensten
Kritiker vergeblich warnten. Bei den Deklamatoren der Eaiser-
zeit wiederholen sich die Verhältnisse aufs genaueste und auch
hier suchen die angesehensten Männer vergebens dem Verfall
des Geschmacks Einhalt zu gebieten. Das IX. Buch Quintilians
ist speziell der Lehre vom Rhythmus gewidmet und daher ganz
durchzogen von einer Polemik gegen. die Ezcesse seiner Zeit in
dieser Richtung; er tadelt vor allem die Vergewaltigung der
Wortstellung dem Rhythmus zuliebe, und zwar eines ganz
1) Insectant codd., corr. 0. Jahn. Die in Müllers Ausgabe aufgenom-
mene Änderung von £. Thomas haaüicani sectantur ist yiel unwahrschein-
licher. Für die hcisilica cf. San. contr. IX praef. 8 a. £.
2) Diese Worte ergänzt Müller, andere ähnlich; der Sinn steht fest
8) Auch Wortspiele fehlen nicht, obwohl sie durchaus nicht häufig
sind: Sen. contr. IL 1^ S2 sie de me dives meruit, ut iUi et dare fiUum para-
tu8 sim et commodare, X 1, 10 mülier quem virum paire relieto secuta fuerat,
patre viso conaecuta est, suas. 7, 11 dixit (der Name ist ausgefallen) «e»-
tenttam cacozeliae genere humültmo et sardidissimo , quod detraetu (»ut adiee-
tiane eyllabcie facit sensum: 'pro facinus indignum: peribit ergo quod Cicero
scripsit, manebiU quod Antonius proscripsit?* exe. V 1 Cn. Pompeius in Phar-
salia victus acte vixit (cf. oben S. 208).
Der neue Stil. 291
weichlichen und weibischen Rhythmus, der auf das Ohr keinen
andern Eindruck mache, als das ESingeln von Schellen und
Glockchen ^): IX 4, 28 (es sei erlaubt, mit Mafia die Worte des
Rhythmus wegen umzustellen): quaedam vero transgressiones et
Umgae sunt nimis . . . et Interim etiam compositione vitiosae, quae
in hoc ipsum petuntur^ ut exultent atque lasciviant 4, 6: neqtie si
parvi pedes vim detrahunt rebus, ut sotadeorum et galliam-
horum et quarundam in oratione simüi paene licentia lascivientium,
campositionis est iudicandum ib. 66: mediis quoque non ea modo
cura süf ut inter se cohaereant, sed ne pigra, ne longa sint, ne,
quod nunc maxime Vitium est, hrevium contextu resultent ac
sonum reddant paene puerilium crepitaculorum 112 f.: totus
vero hie locus (sc. de numero oratorio) non ideo tractatur a nobis,
ut oratio quae ferri debet ac fluere dimeUendis pedibus ac perpen-
dendis syüabis consenescat, nam id cum miseri tum in minimis oc-
eupati est, neque enim qui se totum in hac cura consumpserit, po-
tiaribus vacabit, si quidem relicto rerum pondere ac nitore contempto
Hesserulas, ut ait LuciliuSj struet et vermiculate inter se
lexis committet! nonne ergo refrigeretur sie calor et impetus
pereat, ut equorum cursum delicati minutis pedibus frangunt?
142: in Universum, si sit necesse, duram potius atque asperam com-
posüionem malim esse quam effeminatam et enervem, quaHs
apud muUos et cotidie magis lascivissimis syntonorum modis
saltantes.^ Schon die beiden Seneca haben gelegentlich auf
dies Vitium hingewiesen: an AreUius Fuscus aus Asien tadelt
der altere eine composiiio verborum mollior und eine fracta com-
positio (contr. praef. II 1; suas. 2, 23); der jüngere tadelt
ep. 100, 5: verba huius saeculi more contra naturam suam
1) Tinnüli nennt diese Deklamatoren Qoint. 11 3, 9 ; Unnitus GcUlümia
Tac. dial. 26.
2) Was das heifst, ist zu ersehen aus folgender Note des Salmasius
zu (Flay. Vop.) vit. Carini c. 19 (in der Ausgabe Lugd. Bat. 1671 vol. n
p. 840) scabeUa, quod sine tUla tont variatiofie tenore quodam cantinuo et
aequali ad pedem feriebantur, inde etiam syntona sunt appellata, avwtovov
enim Graed non tantum, quidquid vehemens est rigidum et incit<Uum, dicunt,
$ed etiatn quod unius toni eiusdemque tenoris est. Hesychius avvtx^g inter
aUa interpretatur : avvtovov atpodgbv laxvgbv avvexh$ ^inc avvtova iXxHv
apud Euripidem 'aequali nisu trahere\ apud eundem avvtova quae in tono
eomenHunt et eiusdem toni sunt: in Aulide Uys xal ariiiatv', iva %a\ yXmcctj
a^vtava totg aolg ygdiifiaaiv aid&.
19*
292 Von Angastos bis Traian.
posita et inversa, beweist das ep. 114^4 ff. an einigen ans
Maecenas angeführten Proben, die wir gleich genauer zu be-
, trachten haben^ und sagt im allgemeinen ep. 115, 2: oratio cuUus
animi est: si circumtonsa est et fucata et manu facta^ ostendit ülum
guoque non esse sincerum et habere aliquid fractü non est oma-
mentum vmte concinnitas. — Beispiele lieisen sich (um mich
zunächst auf die erste Eaiserzeit zu beschränken) genng an-
führen, doch kann man hier das meiste nur fühlen; so sah Se-
neca (contr. IX 2, 24) eine mollis compositio in folgenden Worten
eines gewissen Florus:
inter temülentas ^ j, j,\yj j. j.
ebriorum reliquias j, ^ ^ ^ s^ ^ ^
humanum everritur caput .^vy_|-tu_ucr;
die ersten beiden Worte malen mit ihrem baccheischen, d. h.
nach römischer Auffassung ionischen Rhythmus die Trunkenheit,
wie bei Plaut. Pseud. 1246 ff, es folgen Reihen, die beide
trochäisch {fiaXaKArsgov Dionys. de comp. 19) auslauten. Von fol-
genden Worten eines Griechen (Sen. contr. VII 1, 25) gilt, was Quin-
tilian 1. c. (66) sagt: „durch die Zusammenfügung von Kürzen
hüpfen sie und geben einen Schall wie die Klappern der Einder"":
Ilööstäov^ äfAStgiJTODv ddöxota ßvd'&v w ^ v> | va^ z ^ | ^ vaa^ .
ri)i/ ivahov xXtiQtoadusvs ßaöiXsiav _ Ouu^ | _ j, uuu \\ju j. j.
&vdytxaL ücatQoxt6vo$' o^ v^ z | ^^ u 6
fietä naxiQa dixaöov va^ v^ v^ vu (dochm.),
und wie weichlich sind folgende Rhythmen (ib. 26):
69cdg>og iQtifiov &v66tov rtJ^i^S« ^a>u j.\^ju j. j,\kj j,
vavaybg &nb kifidvayi/ äv^yov, j. jl kj^ v^va^ _ v> ^ u.
Arellius Fuscus sagt in einer ixfpQaöig (bei Sen. suas. 3, 1): ne-
gatis imbrihtAS exurunt (sc. siderd) solumj et miseri cremata
agricolae legunt semina: man stelle sich die letzten fünf
Worte nur so um, dafs sie regulär gestellt werden, um sofort
zu fühlen, dafs der raffinierte Rhythmus (/va/ x^j .w | saa> ^v^i ^w 6)
verloren geht. Berüchtigt war bekanntlich wegen seines Stils
Maecenas: man fand in den bis zur Entnervung schlaffen
Rhythmen und den bis zur Rücksichtslosigkeit verwegenen
Worten und Konstruktionen seines Stils ein Abbild des Mannes
selbst, wie besonders der jüngere Seneca ausgeführt hat
(ep. 19, 9; 114, 4 ff.); er und Quintilian IX 4, 28 haben uns
Der neue Stil. 293
einige Monstrebeispiele dieses Stils des Maecenas aufbewahrt, in
denen das rhythmische Gepr^e so deutlich ist, daCs sogar Sca-
liger und Lipsius sich abmühten, durch Änderungen einige in
Verse zu bringen, obwohl sie ausdrücklich als Prosa citiert
werden.^) Quintilian führt die folgenden Sätze an, aus denen
man die dem Rhythmus zuliebe gewählte kühne Wortver-
schränkung ersehen solle:
söle et aürörä \ rubent plurima^
inter sacra \ mavit aqua \ fraxinos^)
ne exequias quidem unus inter miserrimös viderem meäs.^)
Bei Seneca stehen folgende Beispiele für verba impröbe stmcta,
neglegenter äbiecta, contra consuetudinem omnium posita:
dmne stlvisque \ ripa comantibus || vide ut alveum \ lintribus
arent || versoque vado \ remittunt hortos — ^)
feminae cincinno^ crispat \ et labris colümbätür \ iimpltque
süspirdns
1) Ich habe im folgenden versucht, das besonders ins Ohr Fallende
absuteilen und durch den Druck herrorzuheben. Mit Accenten habe ich
versehen nur die Formen j. u i, j. \j ^ und i ^ i. j. o. Über einzelnes werden
andere nach subjektivem Empfinden anders urteilen. — Fr. Härder, Über
die FragniL des Maecenas (Wiss. Beil. zum Progr. des Luisenst&dt. Gymn.
zu Berlin 1889), müTste ganz neu gemacht werden: in der Erklärung begeht
er die schwersten Mifsverständnisse und von der Art dieser Prosa hat er
gar keine Vorstellung.
2) Das zweite x<$fifia dochmisch.
8) Die Erkl&rung ist zweifelhaft. Vielleicht ist nur gemeint, dafs er
statt aqua fraxinos movit die Worte so umgestellt hat, dafs sie in drei
%6muxra zerfallen, deren beide ersten je 4 Silben und gleichen rhythmischen
Fall haben.
4) Zum Inhalt der sonderbaren Worte: Claudius sieht bei Sen. apoc. 12
sein Begräbnis: Clauditis ut vidit funus suum, inteUexit se mortuum esse.
Wegen des burlesken Gedankens etwa aus dem Prometheus.
6) Das zweite %&Xov schliefst mit dem y^ixQov y^CovQov^ welches Lnkian
in der Tragodopodagra und Plautus im Pseudolus da braucht, wo er den
betrunkenen Sklaven auf die Bühne bringt V. 1299; 1301. (Seneca
nennt die Diktion des Maecenas die eines ehrius homo.) Daran schliefst
iidi ein ionicus a maiore mit Anaklomenos.
6) ciwno die Hss., woraus andere auch cirro machen; auf keinen Fall
darf man eificinnos (cirro 8) schreiben: in dem an labris angeglichenen Ab-
lativ liegt eben eine Verwegenheit.
294 Von AugastuB bis Traian.
ut cervice lassa fanantur \ nemoris tyranni^)
inremediäbUts fäctio: \ rimantur epulis \J) lagonäque tem-
ptänt domds \ et spe mortem exigunt^)
genium feste \ vix sud festem
tenuisve ceret filä \ 6t crepäcem moläm*) \ focum mater aut
tixor tnvestiÜ7it
ipsa enim altüudo \ ättonät sümmä,^)
ngartiger Was ist null begreiflicher^ als dais eine so komponierte
^ Bede beim Vortrag in formlichen Gesang ausartete? Ich moTs
für meine weitere Untersuchung die Zeugnisse hierfür yoU-
ständig vorlegen, werde aber vorläufig nur diejenigen anführen,
die nicht jenseits der Zeit des taciteischen Dialogus liegen. Die
Hauptstellen sind folgende: Seneca suas. 2, 10: recolo nihü
fuisse me iuvene tam notum quam hos explicationes Fusci, qttas
nemo nostrum non alius alia inclinatione vocis vdut stia quisqtte
modulatione cantabat (cf. contr. 11 1, 25 f., wo in dem an-
geführten Beispiel ein förmlicher Refrain auftritt, der be-
zeichnenderweise mit einem ionicus a maiore auslautet). Au ct.
xsqI ti^ovg 41^: [iixQOTtocovv d* aidiv ofitag iv totg infn^kotg
&S ^vd'fibg xexXaöitivog Uyov xal ösöoßtiiiivog ^ olov dij xvQgi-
Xioi xal XQO%atoi xal dtxÖQSioi^ xHbov Big ÖQXfl^tixbv öwBxxi-
nxovxBg. Bi^i)g yäg xävta tpaivetai tä ocazdQv^fia xofi^ä xal
fitxQoxa(^ Tcal äna^iöxata di& xi^g biiosidsücg im^oXa^ovra' xal
hl xovroov xb ;|^£^p6tfT0i/ 8r^, &67tBQ xä pddQia xoi>g &XQOccTäg ixb
xov xgdyfLarog &tpiXxBi xal itp" ainä ßid^sxaiy oCxmg xal xä jcatBQ^
1) Dem Inhalt entsprechend (denn natürlich sind die nemoris tyranni
die GälU cf. Catnll 63. Ovid de a. a. m 712. Prob, zu Verg. georg. n 84)
galliambischer Rhythmus (3 ßanx^toi bezw. fioXoacoi -\- Anaklomenos von
der Form ^uiu--\ cf seine Verse bei Baehrens, fragm. poet. Rom. p. 389.
2) Cf. Anm. 6. S. 293.
3) Das letzte %6iiiu3c trochäisch.
4) Eine unerhörte Verwendung des sog. Accus, graecus. inveaHwU
%ccTaxQriatt%&g.
5) Von Sen. ep. 19, 9 als ehrius sermo bezeichnet und als atUmita
habet summa erklärt. — Zu den oben citierten Fragmenten konunen fBr
den Rhythmus noch: Serv. z. Aen. VlII 310 die Klausel iuventae redüeit
bona und Priscian I 536 pexisti \ captllum | ncUürae \ munirtbtu \ gratum
(oder: müneribüs gratum).
6) Schon Ton F. Leo im Herm. XXIV (1889) 285, 8 richtig auf die
Asianer bezogen.
Der neue Stil. 295
qv^iu6fdva t&v Xsyondvmv aif rö tot; löyov xd^og ivdidoDöt
rotg ixaöovöt^ rö di rot) ^v^^v, &g ivCots ngoBiditag xäq ötpBL-
loiidpag xataXi^l^Big ainoi^g imoxQoiistv rotg kiyovöi, xal ffd-d-
viymag hg iv xoq^ xivi n(fOoatodid6vai xijv ßi6iv. Per-
sius 1, 88 flf.; Seneca ep. 114, 1; 15; Quintilian XI 3, 57 flf.:
quodcumque ex his Vitium magis tulerim quam, quo nunc maxime
laboratur in causis omnüms sckolisque, cantandi, quod inutilius
sit an foedius nescio, quid enim minus oratori convenit quam mo-
dulatio scaenica et nonnumquam ebriorum aut comisantium li-
centiae similis? .... nam Cicero illos ex Lycia et Caria rhetores
paene cantare in epilogis dixit (or. 57), nos etiam cantandi se-
veriarem paulo modum excessimus. quisquamne, non dico de homi-
cidio sacrUegio parricidio, sed de cälculis certe atque rationibus,
quisquam denique, ut semel finiam, in Ute cantat? quod si omnino
recy^endum esty nihil causae est cur non illam vocis modu-
lationem fidibus ac tibiis^ immo mehercule, quod est huic
deformitati propiuSj cymbalis adiuvemus; cf. IV 2, 36 fiP,;
XI 1, 56; Plinius ep. II 14, 12 f.: pudet referre, quae quam
fracta pronuntiatione dicantur, quibus quam teneris damoribus ex-
dpiantur. plausus iantum ac potius sola cymbala et tympana
Ulis canticis desunt Tacitus dial. 26: quod vix auditu fas esse
debeai, laudis et ghriae et ingenii loco plerique iactant cantari
saltarique commentarios suos. Wenn man dazu noch nimmt,
dafs diese Reden mit der lebhaftesten und lascivesten Gesti-
kulation, welche die strengen Kritiker mit ausgelassenen Tänzen
vergleichen, vorgetragen wurden (Quint. XI 3,71; 120; 126;
183. Tac. 1. c. nach den angeführten Worten: unde oritur illa
foeda et praepostera scd tamen frequens quibusdam exclamaiio, ut
oratares nostri tenere dicere, histriones diserte saltare dicantur), so
hat man ein ziemlich deutliches Bild von der Art des Vortrags
dieser Deklamationen.
Das Streben nach stark ausgeprägter Rhythmisierung einer- Auriöioo
seits und nach möglichster Zusammendrängung des Gedankens in Periode.
kurze Sätzchen hat nun zur Folge gehabt, dafs den Schrift-
stellern, die im Bann dieser Stilprinzipien standen, die Kunst
des Periodisierens abhanden kam. Man war gewohnt, nach
jeder Sentenz eine Pause zu machen, während welcher die Zu-
hörer das Bedürfnis, ihren Beifall kund zu geben, befriedigen
konnten: Sen. contr. IX praef. 2, cf. Pliu. ep. II 14, 10 ff.; wie
296 ^on Augustus bis Traian.
nötig es war, unter diesen Umständen in kleinen Sätzchen zu
sprechen, kann man, um ein Zeugnis späterer Zeit anzafcLhren
(was bei der Kontinuität dieser Entwicklung erlaubt ist), aus
der Klage des Libanios (or. I 179 R.) ersehen: wenn Piaton und
Demosthenes vorgelesen wurden, lärmten die Zuhörer bei ein-
zelnen Teilen der langen Sätze so, daCs man das dazwischen
Liegende gar nicht zu hören bekam. Was also war begreiflicher,
als dafs man es lieber so machte wie Prohairesios, der Zeit-
genosse des Libanios, der, wie Eunapios y. soph. p. 83 Boiss.
berichtet, &Q%Bxai, (ihv kiysiv ^vSriv xatä tbv XQÖtov iva-
xavmv ixatftijv xegioSov? Für die vorliegende Epoche wird
dasselbe bezeugt: Quint. YIU 5, 27: fadt densüas sentenüarum
concisam quoque orationem: subsistit enim omnis sententia ideoque
post eam utique aliud est initium. unde soluta fere oratio et e
singulis non membris sed frustis collata structura caret^
cum itta rotunda et wndique circumcisa insistere invicem negueanU
%6qX v^ovq 42: hy ye (lijv vil^ovs iisiouxbv xal ^ &yav ti^g
ipQdöstog 6vyxo7tii^)' xriQot yäQ tb (idysd'og, Stav slg kCav 6x}vd-
ytjxac ßQccxv' äxaviö^o dh vvv fii) xä oi deövtag 6w£6tQa[iiidvay
&kk^ S6a &vrM(fvg ^ix(fä xal xataxsxeQ^tiöiidva' 6vyxo7til liiv
yäg xoXovsc tbv vovVj öwtoyiCa d' ixav&vvsL. Der Einfluls dieses
Stilprinzips auf die Litteratur der Kaiserzeit tritt ja, um das
gleich hier zu bemerken, handgreiflich zu Tage. Aus der Zeit
des älteren Seneca will ich je ein griechisches und lateinisches
Beispiel anführen. Dorion liefs einen Vater etwa so sprechen
(bei Sen. contr. I 8, 16)^): tig ijtiSviiiay xixvov^ rnucyiiiva nutv^
fl(iayiiidva q>aystv; q)oßoviiaCj ftij xov ycaQaral^Lg^ fiij xov Xtiiög,
litj nov xddTj tf' €kjj. ipoßovinav xsqI trjg (j6flg ttJ;fijs>. oItcoi
ndv£. rt, tdxvov, g>Qvd66y; Von Argentarius sagt Seneca contr.
IX 2, 22 (Flamininus läfst auf Bitten seiner Geliebten einen
Verurteilten beim Gastmahl hinrichten): Argentarius in quae so-
lebat Schemata minuta tractoHonem violentissime infregit: ^age lege:
sciSj inquity quid dicat? interdiu age^ in foro age. stupet lidor.
idem dicit quod meretnx sua: hoc numquam se vidisse\ Der Ver-
1) Cf. dtaxsxoftfiit^ (pgdatg Ael. Harpocr. ars rhet. ap. anonym. Speng.
I 459, 29.
2) Einzelne Worte sind unsicher, wie bekanntlich in den meisten der
griechischen Citate bei diesem Autor. Ich gebe den Text der Müllerschen
Ausgabe.
Der neue Stil. 297
fasser der Leichenrede auf Murdia (CIL VI 10230) weifs zierlich
zu sagen: constüit ergo in hoc sibi ipsa, ut, a parmtibus dignis
viris data^ matrimonia obsequio probitate retineret, ntipta meriteis
grtUior fieret, fide carior haberetur, iudicio omatior rdinqueretur,
posi deeessum consensti civium laudaretur, quam discriptio partium
habeat gratum fidumque animum in viros, aequalüatem in liberos,
tustitiam in veritate, aber an der langen Periode am Schlulis des
Ganzen scheitert er zweimal in kläglichster Weise. ^) Yelleius
kann keine langen, kunstvoll gegliederten Perioden bauen (nur
die isokolisch gebauten gelingen ihm wie dem Verfasser der lau-
datio der Murdia, z. B. B. n in.): wo er es versucht, gehen sie
ihm in die Brüche (z. B. 11 18, 1). In dem kurzen Edikt des
Claudius de civitate Anaunorum (CIL Y 5050) ist eine Periode
(7 ff.) verfehlt {isque wird nicht in is zu ändern sein). Seneca
der Jüngere schreibt in minutissimis sententiis, die vor den
Augen des an ciceronianische Perioden gewöhnten Quintilian
keine Gnade finden (X 1, 130), wie bezeichnenderweise um-
gekehrt Seneca an den gleichmä&ig fliefsenden Perioden Ciceros
keinen Gefallen hat (ep. 114, 16). Bei dem altem Plinius sind
gutgegliederte Perioden (wie YII 186: L. Domitius . • apud
Massüiam vidt^Sf Corfini capitis ab eodem Caesare, veneno capto
propter iaedium vitae, postquam biberat, omni ope ut viveret adnisus
est) Seltenheiten; im allgemeinen gilt, dals bei ihm da, wo er
zu periodisieren versucht, wahre Satzungetüme entstehen, die
man nur mit Mühe entwirrt.^) Über Tacitus werden wir später
genauer zu handeln haben. Das SC de sumptibus ludorum gla-
diatorum minuendis vom J. 176/7 (CIL II 6278) zeigt an drei
Stellen (48 ff.; 54 f.; 62 f.) völligen Mangel an Gefühl für Periodi-
sierung. Unter den Griechen weils selbst Dio Chrysostomos nicht
geschickt zu periodisieren: man lese z. B. den Ei>ßotx6g, in dem
ihm die Imitation der kdl^tg elQondvr^ des Jägers sehr hübsch
gelungen ist, während die langen Perioden des zweiten Teils
meist unbeholfen sind. Favorin weifs in seiner unter den
dionischen stehenden korinthischen Rede die kleinen Sätze zier-
lich zu bauen, aber lange Perioden milslingen ihm (§ 20 ff.; 25).
1) Cf. A. Eudorff in: Abh. d. Berl. Ak. 1868 p. 250.
«) Cf. Job. Müller, D. Stil d. alt. Plin. (Innsbr. 1883) 24 ff. ; man lese
z. B. Vn 843. XXVI 14. XXXVI 117.
298 Von Augastus bis Traian.
In dem langen, aus der Zeit des Commodus stammenden Pro-
ömium des pseudoxenophontischen Eynegetikos findet sich nor
am Schluls eine ganz einfache kleine Periode, sonst lauter kleine
Satzteile.^). In erhöhtem Malse crilt das für die jenseits unserer
Epoche liegenden christlichen Redner wie Gregor von Narianz
und Proklos Yon Eonstantinopel, worüber später genauerea')
Schwulst Wenn wir alles überblicken, so begreifen wir, mit welchem
Ziererei. Rccht die strcugeu Eunstrichter diesen Stil mit dem Namen des
^kranken', des ^korrupten' gebrandmarkt haben, denn dies ist
seine feststehende Bezeichnung.'). Die Xdl^ig di£g>9oQvtaj cor-
rupta ist identisch mit der Xil^ig xaxtfgijAog, so hat sie daher
Quintilian an der oben (S. 278) ausgeschriebenen Stelle (Vm
3, 56 S.) genannt und charakterisiert. Nach der besten uns er-
haltenen Definition (s. o. S. 69, 1) besteht das Wesen der xa-
xo^rikÜK in zweierlei Fehlem, Schwulst und Ziererei: Diomedes
GL I 451 E.: cacoeelia est per affectationem decoris carrupta sei^
tentia, cum eo ipso dedecoretur oratio, quo iUam voluit audar
Omare, haec fit aut nimio cultu aut nimio tumore. Ebenso
sagt Quintilian (XII 10, 73) corruptum dicendi genus . • aut pu-
erilibus sententiolis lascivit aut imtnodico tumore tur-
gescit. Für den affektierten Schmuck der Diktion imd die wohl-
abgezirkelten Sätzchen ist oben genug angeführt; nicht weniger
häufig wird der tumor gerügt: das Wort (bezw. das Adjektivum)
findet sich bei den Autoren, denen wir im wesentlichen gefolgt
sind, an folgenden Stellen: Seneca contr. IX 2, 27; X 1, 14;
suas. 1, 12 (dort auch inflattim); 16. Seneca ep. 114, 1. Quin-
tilian II 3, 9; VIII 3, 56; X 2, 16; XH 10, 73; 80. Plinius
ep. IX 26, 5; einige Proben eines gewissen Rhetors Musa giebt
der ältere Seneca contr. X praef. 9, sie mögen hier, um die Art
zu veranschaulichen , angeführt werden: von Feuerspritzen sagte
er caelo repluunt, von Sprengungen odorati imbres, von einem
1) Cf. L. Radennacher im Rhein. Mus. LU (1897) 27.
2) Über die frühere Zeit s. oben S. 64; 134 f. und A. Brinkmann, De
dial. Plat. (Dias. Bonn 1891) 14, 4.
8) Bei Seneca d. Ä. kommt das Wort an folgenden Stellen vor (ich
citicre nach Seiten und Zeilen der Müllerschen Ausgabe): 66, 12. 121, 18.
181, 7. 210, 11. 220, 11. 286, 19. 311, 2. 391, 8. 421, 12; 14. 489, «1. -491,
9; 14; 19. 502, 9. 508, 13. 505, 15. 627, 13. 528, 3; 13. 630, 20; 22 (an
letzter Stelle der Gegensatz sanutn).
Der neue Stil. 299
woUgepflegten Park caelatae silvaey von einem Gemälde nemora
surgentioj tind von plötzlichen Todesfallen horte ihn Seneca fol-
gendes Ungeheuerliche (z.T. auf Gorgias Zurückgehende) sagen:
qtUdqiad avium volitai, quidquid piscium natatj quidquid ferarum
discurritj noshris sepditur ventribtts. qtuiere nunc^ cur sttbito mori-
amur: mortSms vivimus. Wenn Plinius in dem oben (S. 282 f.)
angefahrten Brief (IX 26) schreibt: nequaqtiam par guhematoris
est virtus, cum placido et cum turbato mari vehüur: tunc admirante
nuUo inlaudatus ingloriosus subit partum, at cum stridunt funes,
curvatur arbor, gubernacula gemunt^ tunc ille elarus et
dt 8 maris proximus und zum Schluls mit einem a£Fektierten
Scherz sagt, er fürchte, sein Freund würde ihm diesen Satz als
schwülstig anstreichen, er halte das aber für erhaben, so können
wir nur dem Freunde recht geben.
4. Resultate. Litterar-
hittorlioh
Die genaue Prüfung der Einzelheiten des neuen Stils hat ergeben, zuiunm«
dab die oben (unter 4 S. 263 ff.) aufgeführten antiken Zeugnisse,
nach denen er als Fortsetzung des Asianismus seit dem lY. Jh.
Y. Chr. galt, zu Recht bestehen. Hier wie dort fanden wir de-
klamatorisches Pathos, pointierte Sentenzen, zerhackten Satzbau,
TdUige Rhythmisierung (und zwar in den weichlichsten Rhythmen-
geschlechtem), singende Vortragsweise, Aufgehen der Prosa in
die Poesie, dieselbe Abwendung yom Natürlichen, dieselbe * Er-
krankung'; wir fanden, dafs die beiden Kardinalfehler des alten
Asianismus, die Cicero hervorhebt, Ziererei und Schwulst, von
den Stilkritikem der augusteischen und traianischen Epoche auf
den Stil der zeitgenossischen Deklamatoren übertragen wurden.
Da nun früher (8. 138 f.; 147) der Nachweis erbracht worden ist,
dafs der Asianismus der alten Zeit sowohl in seiner allgemeinen
Erscheinung als Schuldeklamation als auch in allen seinen Einzel-
heiten eine natargemälse Weiterentwicklung der sophistischen
Eunstprosa der platonischen Zeit war, so gelangen wir zum
Resultat, dafs wir in der Entwicklungsgeschichte der
antiken Eunstprosa eine direkte Verbindungslinie zwi-
schen dem V. Jh. v. Chr. und dem II. Jh. n. Chr. ziehen
dürfen. Bevor ich nun aber die in gerader Richtung noch
Jahrhunderte lang weiter gehenden Yerrängerimgen dieser Linie
300 ^on Augustus bis Traian.
verfolge, will ich zunacbst an einigen uns erhaltenen lateinischen
Autoren der vorliegenden Epoche zu zeigen versuchen , wie uns
die Theorie in der Praxis entgegentritt.
Zweites Kapitel.
Die Praxis.*)
Senecad. Ä. 1. Scucca der Ältere, der so för Cicero schwärmt^ dab
er einmal sagt, nach ihm hätten die ingenia aufgehört (contr. X
praef. 7), ist in seinem eigenen Stil, den wir aus den Vorreden
erkennen, doch ein Kind seiner Zeit: sein Stil ist ähnlicher dem-
jenigen der von ihm citierten und so offc gerügten Autoren als
dem Ciceros, er liebt Pointen und verfällt gelegentlich (z. B. X
praef. 6) in pathetische Deklamation.
Trogug. 2. PompeiusTrogus scheint mir von Fr. Aug. Wolf viel zu
ungünstig beurteilt zu werden, wenn er von ihm schreibt (in der
Praef atio zu seiner Ausgabe der Marcelliana [Berlin 1802] XXXII):
prosam orationem et historiam simili labe (nämlich durch die Rhe-
torik wie Ovid die Poesie) inquinavit Tragus Pompeius, pendens mar
xitne a TheopompOy in quo antiquitas scholam Isocratis rhetoris agno-
vit^) In der von lustin wörtlich mitgeteilten, von Trogus selbst in
indirekter Rede gegebenen Rede des Mithridates (XXXVIII 4 fL)
ist er in der Anwendung rhetorischer Mittel durchaus mafsvoU;
würde es überhaupt ein stark rhetorisierender Historiker über
sich gebracht haben, direkte Reden prinzipiell auszuschliefsen
und ihren Gebrauch bei Sallust und Livius zu tadeln (Inst
XXXVni 3, 11)? Auch bei lustin*) selbst, von dem wir nicht
1) Über die meisten Schriftsteller werde ich kurz hinweggehen.
2) Ganz ähnlich schon vorher Ruhnken, Praef. zu Vell. Paterc. (Lngd.
Bat. 1779) 8. p. und J. Chr. H. Krause Praef. zu Vell. Pat. (Lips. 1800) 29.
8) Die gewöhnliche Annahme, er habe zur Zeit der Antonine ge-
schrieben, halte ich für falsch. Wer attaminare virginem, stctgnare se ad-
versus invidias sagt, gehört nach meinem Gefühl frühstens ins dritte Jahr-
hundert, also etwa die Zeit, wo Festus den Yerrius epitomierte. Ins vierte
Jahrh. möchte ich deshalb nicht hinabgehen, weil fiir die damaligen Be-
dürfnisse diese Epitome zu ausführlich ist. Die Zusammenstellung der
nachklassischen Wörter bei Fr. Fischer, De elocutione lustini (Dias. Halle
1868) ist ganz nützlich, aber er hat sie zeitlich nicht genügend verwertet.
Seneca d. Ä. Trogns. Vitrav. 301
wisseiif wie weit er stilisidscli geändert hat^ tritt das rhetorische
Element gar nicht stark hervor, wenn man ihn z. B. an Florus
mÜBt; einen Satz wie XII 16, 11: cum ntdlo hostium unquam con-
gressus est quem non vicerü^ nuUam urbem öbsedü quam non ex-
pugnaverüf mdlam gentem adiit quam non caicaverit laust man sich
an einer panegyrisch gehaltenen Stelle gern gefallen, wie ahn-
liches, was Cicero einst von Pompeins sagte. ^)
3. Vitruv ist nicht blofs wegen seiner viel Vnlgäres ent- vitmr.
haltenden Sprache interessant (ich erinnere nnr an 1400 maliges
is neben 5 maligem üUf offenbar weil für den Mann iUe schon
nicht mehr pronominal gefühlt wurde), sondern auch wegen
seines Stils. Er hat Yarro (z. B. de architectura, de bibliothecis,
de admirandis) förmlich geplündert, wie sich besonders durch
Vergleich mit Plinius näher zeigen lassen mufs'); er schreibt
auch wie Yarro, roh, unbeeinfluDst von der modernen Technik.
Er bittet I 1, 17 den Augustus imd seine Leser um Entschul-
digung, wenn er grammatische Fehler mache, er sei weder rhetor
diserius noch grammaticus, sondern architedus, das merkt man
überall. In den langen Vorreden, die ohne inneren Zusammen-
hang mit dem Werk sind und nur dazu dienen sollen, die ency-
dias eruditio des Verfassers, d. h. seine Lektüre der varronischen
Disciplinae zu zeigen (der Kaiser, an den sie gerichtet sind, wird
wohl Besseres zu thun gehabt haben als sie zu lesen), nimmt
er gelegentlich einen etwas höheren Schwung, wie II praef.:
mihi autemy imperatar, staturam non tribuit natura, faciem de-
farmavit aetas, vcUetudo detraxit vires VI praef.: ego autem, Caesar,
mm ad pecuniam parandam ex arte dedi Studium, sed potius te-
nuitatem cum hona fama quam abundantiam cum infamia se-
quendam prdbavi; aber er wird dann meist entweder abgeschmackt
(so wenn er sich I praef. 2 Caesaris virtutis studiosum nennt
oder ib. 11 sagt, man müsse erst die übrigen Künste durch-
machen, bevor man gelange ad summum templum architecturae)
oder er hat die betreffende Partie abgeschrieben (so die Ge-
schichte von den Karyatiden I 1, 5 f.).
1) Über die Figuren bei Instin ganz dürftig Fr. Seck, De Pompei
Trogi sermone, pars, n (Progr. Konstanz 1882) 24. Besonders beliebt ist
Pftrallelitmas und Dreiteilung mit Anapher.
9) Auch die peinlich genaue Rekapitulation am Anfang der einzelnen
Bflcher findet sich sonst wohl nur so bei Yarro.
302 "^on Augustus bis Traian.
veueios. 4. Yellelus ist fiir uns der erste, der, jedes historischen
Sinnes bar, Geschichte nur vom Standpunkt des Rhetors ge-
schrieben hat. Der Eriegsmann hat ofiTenbar in seiner Jugend
Zeit gehabt, die Schule der Deklamatoren durchzumachen; man
hat das, was den Inhalt angeht, schon im einzelnen nach-
gewiesen^) und ich brauche mich nicht damit aufeuhalten. Für
die Sprache gilt das Gleiche. Das hauptsächliche Mittel, durch
das er Effekt erzielt, ist die Antithese, sowohl in ihrer concisen
Form (II 4, 6: spes desperatione quaesüa) als in der Form des
parallelen Satzbaus, z. 6. 11 11, 1: quantum hello qptimus, tantum
pace pessimus und der absichtlich das zweite Buch einleitende
Satz: potentiae Romanorum prior Scipio viam apemerat, luxuriae
posterior aperuit; quippe remoto Carthaginis metu süblataque imperi
aemiüa non gradu sed praecipiti cursu a virtute descitumf ad vitia
transcursum; vätis discipüna deserta, nova inducta; in samnum a
vigiUiSy ab armis ad voluptates, a negotiis in otium conversa eivHas.
Selten verfallt er geradezu in Geschmacklosigkeiten, wie II 4, 6
(von Scipio Aemilianus): eius corpus velato capite eUUum, cuius
opera super totum terrarum orhem Roma extulerat capwt {BiyyB)\
II 39, 3: parendi confessionem extorserat parens] H 15, 4: nee
triumphis honoribusque quam out causa exUi aut exilio aut reditu
clarior fuit Numidicus. I 11, 6: quaüuor filios sustuiit, mortui
eius lectum pro rostris sustulerunt quattuor flii (Figur der ibnra-
vixka6i^\ Quint. IX 3, 68). Die Wortstellung ist gelegentlich
verschränkt^: I 9, 6: u< &tö milliens centies aerario contulerit HS
1) Aufser den kurzen Andentungen von Pet. Burmann und Dav. Buhxi-
ken in den Vorreden zu ihren Ausgaben cf. Jo. Chr. Heinr. Eranae in der
Vorrede zu seiner Ausg. Leipz. 1800 p. 24 ff. (den etwas erweitert, ohne ihn
zu nennen, Fr. Eritz vor seiner Ausg. Leipz. 1848 p. XLVI ff.) und gans be-
sonders H. Sauppe im Schweiz. Mus. f. bist. Wiss. 1887 p. 178 ff. Efirzlich
hat C. Morawski, De rhett. lat. observ. (in Abb. d. Krakauer Akad. Ser. IL
T. L 1892) 382, 1. 384 sehr hübsch durch Vergleichung des Velleias und
Florus die gemeinsame rhetorische Quelle nachgewiesen, cf. auch denselben
in: Philologus XXXV (1876) 715, Wiener Studien IV (1882) 167 f., Eoa (ed.
Cwikli^ski) 11 (1895) 1 ff. Vgl. noch II 66 die grofse indignatio über den
Ciceromörder Antonius =» Sen. contr. VII 2 (cf. Sauppe 1. c. 178); 11 49 der
Vergleich zwischen Caesar und Pompeius cf. Lucan I in. ; 116 die Reflexion
über den plötzlichen Verfall der Litteratur nach ihrer höchsten Blüte, cf.
Sen. contr. I praef.' 7.
2) Cf. Fr. Milkan, De Vellei genere dicendi quaest. sei. (Diss. Königsb.
1888) 9 f, cf. ib. 11 ff. über Allitteration u. dgl.
Velleius. Valerins Marimug. 303
13, 4: maximorum artificum perfectas mantbus tabulas; wenn man
darauf achtet, wird man bemerken^ dafs er an gehobenen Stellen
gern den rhythmischen SatzschlolB beobachtet^ z. B. I 2, 3: Co-
drum cum morte aetema gloria^ Atheniensis secuta vtdoria^est (wo
man nur zu stellen braucht^ was man erwartet victoria secuta est,
nm den Unterschied zu f&hlen) und im gleich folgenden Satz:
quis cum non miretur, qtii his artibus mortem quaesierity quüms ab
ignavis vUa quaeri soleL Auf den durch die Vorliebe für die
Antithese und kurze Sentenzen veranlafsten Mangel einer or-
ganischen Periodenbildung ist schon oben (S. 297) hingewiesen
worden.^) Man mufs ihm aber lassen, dafs er bei aller Manier
oft packend und glänzend schreibt, besonders in den Charakte-
ristiken (z. B. des Mithridates, Pompeius, Maecenas), die er
gemäb dem seit Theopomp in der rhetorischen Historiographie
üblichen Brauch einlegt. Er will nicht mit Livius yerglichen
sein (man kann eben nicht Heterogenes vergleichen), sondern mit
Nepos einerseits und Florus andererseits: jener schreibt wie ein
pner für pueri, dieser wie ein insanus für insani: den Velleius
liest man gern Yon Anfang bis zu Ende, nicht als Menschen
oder als Historiker, aber als Schriftsteller, der in der Manier selten
kindisch oder absurd wird.
5. Valerius Maximus ero&et die lange Beihe der durch v»ieriiu
ihre Unnatur bis zur Verzweiflung unerträglichen Schriftsteller
in lateinischer Sprache. Der Mann hat sein Werk für die
Khetorenschule gemacht, denn solche facta und dicta brauchte
man dort zur Ausschmückung: Croesus und Crassus waren
exempla corrueniium inter divüias suas, Cincinnatus und Fabricius
fOr die paupertas maiarum (Sen. contr. II 1, 7 f.); man pflegte
an&uzahlen exempla eorum qui fortiter perierant (Sen. suas. 7, 14),
exempla honarum coniugum (contr. X 3, 2) und scheute sich nicht,
solche exempla bei den Haaren herbeizuziehen (ib. VII 5, 13).
Dafs jener Skribent wirklich diesem Bedürfnis entgegenkam, läfst
sich z. B. aus folgendem Umstand beweisen. In einer beliebten
Snasorie riet man dem Cicero, den Antonius nicht um sein
Leben zu bitten, sondern tapfer zu sterben; zu dem Zweck
ählte man auf exempla hominum qui ultra mortem adprehenderunt
(Sen. suas. 6, 8), von denen einer natürlich Cato war (ib. 2).
1) Cf. auch E. Klebs im Philol. N. F. Xu (1890) 287 f.
304 Von Augustos bis Traian.
Nun zählt Seneca der Sohn ep. 14, 4 S. ebenfalls Beispiele f&r
ocagtsQÜc auf: zunächst Rutilius und Metellus, die das Exil stand-
haft ertrugen, dann Mucius Scaevola; dann lälst er sich unter-
brechen: decantatae, inqtiis, in omnibus scholis fabuUie istae
sunt: tarn mihi, cum ad contemnendam mortem ventum fuerü, Ca-
tonem narrabis, was er dann auch wirklich thut, indem er hinzu-
fügt: non in hoc exempla nunc congero, ut ingenium exerceam,
sed ut te adver sus id quod maxime terribUe videtur, ezharter; es
folgt endlich noch, zum Beweis, dafs auch Feiglinge tapfer ge-
storben seien, Scipio, der Schwiegervater des Pompeius. Bei
Valerius Maximus lesen wir alle diese Beispiele zu ebendemselben
Zweck. — Auf das Widerliche seines Stils, an dem der tumor
am meisten charakteristisch ist, habe ich keine Lust ein-
zugehen^): er illustriert praktisch, was ich oben über die Theorie
ausgeführt habe. Auf die manierierte Wortstellung hat Yahlen
im Berliner Proömium 1894/5 p. 10 f. hingewiesen und duxch
diese Beobachtung eine Anzahl von Stellen yor Änderungen ge-
schützt. Diese Frage mufs für alle Autoren der Eaiserzeit, im
Zusammenhang mit der rhythmischen Gestaltung der Diktion,
untersucht werden (s. o. S. 65 fif.).
corüut. 6. Curtius Bufus ist dagegen eine sympathische Er-
scheinung. Dafs die Haltung des Werks rhetorisch ist, ist
selbstverständlich, das war, abgesehen yon der prinzipiellen
Stellung des Altertums (S. 81 ff.), schon durch Quellen wie
Eleitarchos bedingt; aber das rhetorische Element betrifft mehr
den Inhalt (viele Beden, Schilderungen, psychologische Analysen
der handelnden Personen z. B. III 15, 5 ff. Gedanken der Soldaten
bei der Erkrankung Alexanders'), Schilderungen z. B. des
Oceans IX 4, 18^), allgemeine Reflexionen) als die Sprache, die
sich Yon den Auswüchsen der herrschenden Moderhetorik fernhält
1) Einzelnes bei C. Eempf vor seiner gröfseren Ausgabe (Berl. 1S64)
34 ff. C. Gelbcke, Quaestiones Valerianae (Diss. Berl. 1895) 8 ff. Bemerkens-
wert ist n 7, 10 humanae imbecillitatis efficacissimum duramentum est ne-
cessiias oo Sen. contr. IX 4, 6 necessitas magnum humanae imbeciüitcttia pa-
trocinium est, citiert von Morawski in : Eos 1. c. (o. S. 302, 1) 8.
2) Wenn also Tacitus ann. I 9 f. 11 73 statt Augnstus und Ctormaniciu
zu charaMerisieren, die Stimmung des Volks über beide wiedergiebt, so
ist das ein geschickter, in der Rhetorenschule gelernter Kunstgriff der rhe-
torisierenden Historiker.
3) Cf. darüber Morawski 1. c. 7.
Cuiüas. Mela. 305
und AnsdilaJüs an Livius sucht. Es ist, wenn ich so sagen darf,
ein geschickter Versuch , den alternden Boden zwar mit den
neuen Eunstpflanzen zu zieren, aber mit solchen, die keine
grellen, sondern gemäfsigte Farben haben; z. B. treten die Anti-
thesen, dieses beliebteste aller Eunstmittel des Stils, nicht blofs
quantitativ sehr zurück^), sondern, wo sie auftreten, geschieht
es in decenter Weise. Das pflegt man zu verkennen^, obwohl
man nur ein Kapitel des Velleius neben einem des Curtius zu
lesen braucht, um den Unterschied zu erkennen. Über das Ein-
zehie hat S. Dosson, i^tude sur Q. Gurce (Paris 1886) 267 ff. gut
gehandelt. An pathetischen Stellen hat er von dem rhythmischen
SatzschluJüs') stärksten Gebrauch gemacht, z.B. an der folgenden
berühmten Stelle X 9: sed iam fatis admovAantur Macedonum
genü hella civilia: nam et insociabüe est regnum et a pluribus
expetehatur. primum ergo cofdisere vireSy deinde disperserunty et
cum fJuribus corpus quam capiebcut onerassent, cetera membra de-
ficere coeperunt, quodque imperium sub uno stare potuisset,
dum a pluribtis sustinetury ruit. proinde iure meritoque populus
Bamanus salutem se principi suo dehere profitetuTy qui noctis
quam paene supremam haibuimus novum sidus inluxit. huius, her-
euUy non solis ortus lucem caliganti reddidit mundo, cum sine
suo eapik discordia membra trepidarent quot üU tum extinxU
faceSy quot condidit gladios; quantam tempestatem subita sereni-
täte discussit, non ergo reviresdt solum sed etiam floret im-
perium. äbsit modo invidia, excipiet huius saeculi tempora eiusdem
domus uiinam perpettm certe diuturna posteritas.
7. Pomponius Mela^) klagt freilich zu Anfang, diese Meu.
1) Cf. die Sammlang bei Dosson, £tnde sur Q. Curce (Paris 1886)
286, 8. Er zfthlt nur 17 auf: so viel hat Velleius fast in jedem Kapitel.
S) A Benter 1. c. (o. S. 271, 1) 37 behauptet, man könne aus dem Qe-
8chicht0werk des Curtius schliefsen, dafs er als Bhetor ein exemplar insanae
ehquentiae gewesen sei; was bleibt da für Florus und Eonsorten übrig? —
Ein eigenartiges Urteil steht in den Perroniana et Thuana (Köln 1694) 869:
QuitUe Curce est le premier de la Latiniti, si poli, si terse, et est si ad-
wUrabk qu'en ses subtüitez ü est facile, clair et intelligibh; das letztere ist
richtig.
3) 8. oben S. 140 f. und Anh. U, also: ^ux^u!^;^ui^o, v^ia/
1. J, O^ 2. \J ^ \j 2. O^ JL Kj 1. v^'vO.
4) Ich glaube, dafs die Worte II 96 tamdiu clausam (Britanniam)
aperU eoce prineipum maximus nee indomitarum modo ante se verum igno-
Voxdta, antik« KtuutprosA. ^Q
306 ^on AngoBtus bis Traian.
Arbeit sei nicht facundiae capax, aber er hält sich durch zahl-
reiche Beschreibungen yon Gegenden^ Flüssen, Hohlen n. dgl.
schadlos. Sein Satzbau ist abgerissen, mit yielen Pointen.
seneoa. 8. Scueca galt der Nachwelt gewissermaGsen als der litte-
rarische Bepräsentant der ersten Eaiserzeit: im Mittelalter war
er bekannter als Cicero, und in unsem Zeiten verwerfen ihn
selbst- die Kreise nicht, die im übrigen das Anathem über die
heidnische Litteratur verhängen. Der Erzieher desjenigen Prinzen,
dessen Genie sich zum grandios Fürchterlichen wendete^ der Be-
rater und Vertraute des Kaisers, dann eins seiner Opfer, der
ernste Philosoph, dessen groüse Sittenpredigten in fulminanter
Sprache zu uns herübertönen, hat von jeher die Augen der
Menschen auf sich gezogen: HaCs und Liebe, bittere und milde
Beurteilung sind keinem anderen Menschen und Schriftsteller des
Altertums in gleichem MaTse zuteil geworden und noch heute,
kann man sagen, schwankt von der Parteien Hafs und Gunst ver-
wirrt sein Charakterbild in der Geschichte. Über den Menschen
hat Zeller, D. Philos. d. Griechen III 1 p. 718 in seiner ruhigen,
Gut und Böse gleichmäfsig abwägenden Art schon geurteilt
Wie der Mensch der Schriftsteller: Seneca selbst hat dies Dogma
so energisch ausgesprochen wie keiner im Altertum (ep. 114^
s. 0. S. 11, 2) und ich glaube, man kann sagen, bei keinem
besteht es so ganz die Probe auf die Richtigkeit. Wir können
es nicht leugnen: es liegt etwas Theatralisches im Wesen dieses
Mannes, das iactare ingenium, wie es Tacitus nennt (ann. Jüll 11);
wie sein Leben ein merkwürdiges Widerspiel zwischen Wahrheit
und Schein war, so auch sein Ende: grofsartig durch sich selbst^
grofsartiger durch die ergreifende Schilderung des grolsten Seelen-
malers, war doch auch dieses nicht frei von berechneter Ab-
sicht: man sollte an Sokrates' Tod denken. Theatralisch ist
auch sein Stil: es genügte ihm nicht, das, was er fühlte, in
schlichter Form zu bieten, sondern er hat das rhetorische Pathos
tarum quogue gentium victor propriarum rerum fidem ui beUo adfeetavü üa
triumpho declaratums portat nicht auf den Triumph dea Caligula (40 n. Chr.),
sondern den des Claudius (44) gehen; denn clausam scheint dieselbe An-
spielung zu haben wie Seneca apoc. 8 non mirutn quod in curiam impdum
fecisti: nil tibi clausi est. So spielt Curtius X 9, 4 mit seinem caliganti
auf Caligula an (cf. Teuffel-Schwabe § 292, 1) und Tacitus ann. XVI 18
auf Petronius Arbiter (cf. im allgemeinen oben S. 24, 1).
Seneca. 307
in einer uns oft yerletzenden Art walten lassen. Er hat dadurch
erreicht, daCs wir nnr zu häufig das Gefühl haben, als wenn er
zufriedener ist, wenn wir ein geistreiches Aper9u beklatschen,
als dem der umgebenden Phrase entkleideten Gedanken wegen
seines innem Gehalts folgen. Er versichert uns freilich oft genug
des Q^enteils: quae veritaU operam dat araäOf incomposita debet
esse et simpkz (ep. 40, 4), haec sit proposiÜ nostri summa: quod
sefUimusloquamury quod loquimursenHamus: concordet sermo cum vüa
(ep. 75, 4), aber wird es uns nicht schwer, einem zu glauben, der
eben diese propositi summa in ein pointiertes öxHiia kleidet?
Nicht sein Stil hat ihm die Ewigkeit verschafiFt, sondern sein
moraÜBcher Gehalt, der dem Mittelalter genehm war: Johannes
Y. Salisbury tadelt, auf Quintilians yemichtendem Urteil fufsend,
das eammoHctwn genus dicendi, quod brevüer et suocinctas senientias
ceiOigü, omatu verborum spkndet, aber: ut pace Quiniiliani hquar,
mtUus inter gentües ethicus invenüur aut rarus, cuius verbis aut
seiUenUis in omni negotio commodius uU possis (Metalogicus I 22,
ToL V p. 54 Giles, yerfafst c. 1150).
Sein Stil war die cause c^^bre fOr die archaistischen Ejri-
tiker von Traian bis zu den Antoninen. Nicht blofs scholastische
Naturen wie Quintilian, sondern yor allem nichtige Individuen
wie Fronto und G^Uius^) haben sich an dem dämonischen Schrift-
steller yergri£fen und den Wunsch ausgesprochen, er wäre einer
ihresgleichen gewesen. Der Grund für die Erbitterung und fdr
eine solche Erbitterung ist klar: im Kampf der Parteien, der in
der traianischen Zeit, nachdem er lange unter der Asche ge-
glimmt hatte, emporflammte, in diesem Kampf, in dem sich die
(Gemüter der thatenlosen Menschen erhitzten, hielt die Partei der
Modernen das Banner hoch, auf dem der Name Senecas leuchtete,
wihrend die reaktionäre Partei dies Banner herabreifsen und ein
anderes mit Cicero als Deyise aufpflanzen wollte. Seneca selbst
war schuld gewesen: im klaren Bewufstsein, Kind einer neuen
Zeit zu sein, deren neue Ideen auch neuer Formen bedurften,
hatte er die altehrwürdigen Autoren in den Staub gezogen: den
1) Ihre nnd Quintilians Urteile über Seneca als Stilisten werden sorg-
fUtig geprfifb von A. Gercke, Seneca-Studien (in: Fleckeisens Jahrb. Suppl.
XXn 1896) 188 ff., dessen Erörterongen über Senecas Stil ich überhaupt
mü den meinigen zu vergleichen bitte. Weniger ergiebig ist S. Boche-
Uftfe, De IL Fabio Qnintiliano L. Annaei Senecae indice, Paris 1890.
20*
308 Von Augustus bis Traian.
jungen Nero a cognitiom veterum oratorum avertU, quo diutius
in admiratione sui detineret (Suei Ner. 52)^), cf. Qnint X 1, 126:
quem (Senecam) non equidem omnino conabar excutere, sedpotioribus
praeferri non sinä>am, quos ille non destiierat incessere, cum diversi
sibi conscius generis placere se in dicendo posse 0$ quibus Uli
placerent diffideret. Aach an Cicero hatte er sich gewagt: mit
Entrüstung teilt Gellius XII 2 miüsgünstige Urteile Senecas über
diesen mit, und in dem für Stilgeschichte der E^aiserzeit so
wichtigen 114. Brief zählt Seneca die Komposition Cüceros, iUam
in exitu lentam^ devexam et moUiter detinentem nee cUäer quam
sola ad morem suum pedem^ue respondentem, zu den fehlerhaften.
Vollends ein Greuel war ihm, was vor der ciceronianischen Zeit
lag; er hat selbstverständlich nichts davon gelesen (dürfen wir
das doch auch von Quintilian voraussetzen) ^ aber er mirsbüligt
es prinzipiell: über ein paar halb gravitätische , halb zierliehe
Verse des Ennius amüsiert er sich: das sei etwas gewesen für
den hircosum populum] dafür erhält er bei Gellius, der das mit-
teilt (1. c), die Bezeichnang homo nugator, ineptus et insvlmbts.
Höhnisch sagt er von extremen Archaisten seiner Zeit ep. 114^
13 f.: multi ex älieno saeculo petunt verba, duodecim täbulas lo-
quuntur. Gracchus iUis et Crassus et Curia nimis euUi et reeentei
sunt, ad Appium usque et ad Coruncanium redeunt.
Er war in der modernen Bhetorenschule grob geworden,
wir erfahren von seinem Vater die Namen mehrerer Bhetoren,
die er gehört hatte (contr. X praef. 2; 9; 12, cf. VII 5, 10); wie
sehr die drei Söhne für die Deklamatoren schwärmten, geht aas
gelegentlichen gutmütig scheltenden Worten des Vaters hervor,
der es in seiner Jugend nicht besser gemacht hatte (suas. 6, 16;
27). Er ist als Philosoph imd Dichter Deklamator geblieben;
wir haben oben (S. 276) gesehen, dafs moralische Invektiven
zu dem Rüstzeug der Rhetorenschule gehörten: Senecas unmittel-
bares Vorbild war Papirius Fabianus, jener philosophierende
Deklamator oder deklamierende Philosoph, dessen Stil er selbst
1) Dafs man damals Reden zu hören bekam im Stil der alten Autoren,
zeigt die Rede des Claudius im Senat de iure bonorum GkiUis dando Tom
J. 48. Er spricht wie ein Buch, in Perioden, die zwar nicht an die Cicexos,
aber an die des Livius erinnern (cf. oben S. 286). Ähnlich die künlich
m Ägypten gefundene Senatsrede (nach den Herausgebern Ton daudioB
selbst gehalten) : Ägjpt. Urk. aus den Egl. Mus. zu Berlin U 8 (1896) p. S54 ff.
Seneca. 309
ep. 100 und 40, 12 rühmt , den der alte Seneca in der Vorrede
zum zweiten Buch der Kontroversen charakterisiert und von dem
er in diesem Bach mehrere Proben mitgeteilt hat; einzelne
Briefe Senecas lassen sich durch die Tirade des Fabianus gegen
den Reichtum (contr. II 1,10 ff.) geradezu kommentieren, auch
naturales guaestiones behandelte dieser Mann (suas. 1, 4; 9); mit
ihm, seinem Schüler Albucius (contr. YII praef. 1; 4, cf. suas.
6, 9), dem Labienus, der insedcibatur saecidi vilia (ib. X 4, 17 f.),
dem stoischen Deklamator Attalus (suas. 2, 12) mufs man Seoeca
zusammennehmen. Die diaxQißij des vierten und dritten vor-
christlichen Jahrhunderts war in deklamatorische ^döSLg auf-
gegangen, und daher finden wir sie in Senecas Schriften wieder,
daher hat er z. B. seine Freude an den bioneischen Dikta. Er
mnls erklart werden, indem man im weitesten Umfang die
Deklamatoren und^die von ihnen beeinflulsten Prosaiker und
Dichter (besonders Ovid, den er, für ihn sehr charakteristisch,
poetarum ingeniosissimum nennt an der auch sonst für ihn so be-
leichnenden Stelle nat. quaest. III 27, 13, und Lucan) heran-
zieht, z. B. stammt eins seiner Lieblingsthemen, der in unersätt-
lieher Gier an den Küsten des indischen Oceans stehende und
einen neuen Erdkreis für seine Thaten suchende Alexander (ep.
94, 63; 119, 7 f.; de ben. I 13; VII 2, 5 £; nat. quaest. V 18, 10)
direkt ans der Bhetorenschule : manches aus diesem Bilde stimmt
wörtlich mit der ersten Suasorie des alteren Seneca (z. B. wird
dort § 2 in. resiste gegen Änderungen geschützt durch de benef.
I 13, 2).^) Auf den 24. Brief, in dem er nach seinem eigenen
Zugeständnis über Beispiele de cantemnenda morte nach den Re-
septen der Bhetorenschule deklamiert, habe ich schon oben
(8. 309) hingewiesen.
Die Signatur seines Stils ist, wie bekannt, die Auflosung
der Periode in minuUissimae sententiae, die Quintilian X 1, 130
rügt; die in langem, ununterbrochenem Flufs dahinströmende
Bc^ wird von ihm ausdrücklich getadelt ep. 40 u. 114, 16. Ich
habe schon oben (S. 295 ff.) bemerkt, dafs diese Zerstörung der
Periode für den neuen, in den Rhetorenschulen herrschenden Stil
1) Auf eine Einzelheit weist hin Morawski in : Eos 1. c. (S. 302, 1) 9 f. :
Sen. ootts. ad Marc. 28 quidquid ad summam pervenit, ad exitium prope est. . .
Nmm ubi mcremento loctts non est, vkinua occasua est =» Sen. snas. 1, 3
fmdqmä ad mtmmam pervenit, incremento non reliquü locum.
310 ^011 Augastns bis Traian.
typisch ist. An Umfang winzig haben diese Sentenzen regel-
mälsig einen weiten Inhalt, der durch diesen Kontrast um so
mehr zu BewuTstsein kommt; sehr bezeichnend für ihn selbst ist
das Lob, das er dem Stil seines Freundes Lucilius spendet
ep. 59; 5: pressa sunt omnia et rei aptata. loqueris quantum vis
et plus significas quam loqueris, womit man die oben
(S. 283) aus Quintilian angeführten Worte yergleichen muls.
Entsprechend den Regeln der Kunst (S. 280 f.) werden diese in
wenige Kraftworte zusammengeprefsten inhaltsvollen und poin-
tierten Sentenzen von ihm mit Vorliebe an den SchluDs eines
Abschnitts gesetzt und die Antithese spielt dabei natürlich eine
Hauptrolle; so schlieCst, um aus den Hunderten von Beispielen
ein beliebiges herauszugreifen, ep. 10 mit folgenden Worten: vide
ergo ne hoc praecipi salubriter possit: sie vive cum hominibus,
tamquam deus videat; sie loquere cum ä^o, tamquam ho-
mines audiant^)
Das Merkwürdigste ist, dafs er als Stilist seine eigenen
Fehler nicht kennt und an anderen tadelt, was ihm selbst an-
haftet: an Sallust tadelt er amputatas sententias et verba ante ex-
spectatum cadentia et öbscuram bretntatem (ep. 114, 17) und zu den
vitia rechnet er äbruptas sententicis et suspicioscts, in quüms phis
inteUegendum esset quam audiendum (ib. 1), als ob er das nicht
gerade an dem Stil seines Freundes gelobt und selbst mehr als
ein anderer befolgt hätte. Daher verhöhnt auch Fronto
(15Ö ff. N.) seine verba modulate collocata et effeminate fluenÜa,
seine sententias modulatas, eordaces^), ünnulas, d. h. eben das^ was
1) Cf. Gercke 1. c. 155: „Er liebt es, die Oedanken in parallele Glie-
der zu zerlegen, fast in der Art der 'hebräischen Poesie"; nur moDi an
Stelle der letzteren die gorgianische Eunstprosa treten. — Das Gleiche gilt
Yon den Tragödien, in denen er gerade durch die Antithese die effektvoUi^eii
Pointen erlangt, auch in der Form des Parallelismus, z. B. Tro. 510 f. ftUa
81 miseros tuvant, Habes sdlutem; fata si vitam negant, Hohes sepuicrum.
2) Das bedeutet (was ich bemerke, da geändert wird) senUntiae guae ui
ebrii ?u)mines obscaene saltant, cf. Dionys. de Dem. 43 fv^fiol 4fxoQX'il'^xtiMA
xal 'loovtxol nal duc%Xafisvoi (yon den Asianem). Sen. ep. 114, 4 a. £. Quini
XI 4, 66; 142; besonders Aristides or. 50 (narä r&v i^OQxoviUvaw^ d. h. der
asianischen Redner) yol. II p. 564, wo der %6Qdai ausdrücklich erwiLhnt
wird, und Philostr. y. soph. II 28 yon dem Sophisten Vams aus Laodicea:
^y (Ixiv iifqmviav alax^vwv %a(knatg ^Ofidtav^ cds ic&jr ^o^i^oiufö Tt£
Seneca. 311
Seneca selbst an Maecenas ^) tadelt (s. o. S. 292 ff.). Was Fronto
damit memt, malus jeder fühlen, der seine Schriftsteller nicht
nur mit den Augen liest, sondern mit den Ohren hört: Seneca
schreibt ganz rhythmisch, indem er die uns nun schon hinläng-
lich bekannten (s. o. S. 305, 3) rhythmischen Satzschlüsse genau
beobachtet, und da er nun — mit seltenen und beabsichtigten
Ausnahmen (z. B. in Proömien und gelegentlichen ixtpfdöBig) —
in kleinen, zerhackten Sätzen schreibt, tritt das rhythmische
Element mit jener Aufdringlichkeit herror, die wir bei den alten
Asianem gefunden haben (s. o. S. 135 f.). Ich greife ein paar
beliebige Stellen der Schrifk de Providentia heraus^): 2, 6: non
fort ulhiim ictum ifüaesa felicitas: at übi adsidua fuit cum in-
eammodis suis rixa^ caUum per iniurias duxit nee Ulli malo
eedity sed etiamsi cecidU de genu pugnat 3, 3 (Bede der For-
tuna): quid ergo? istutn mihi adver sarium adsumam (^ u u i
x J)? statim arma submittet non opus est in iUum iota po-
tentia mea (^ u . ^ ^ u .): levi comminatione pelletur. non
potest susHnere voltum meum. aiius circumspiciatiMr cum quo
eonferre possimus manum {j. ^ ^ ^ x u S): pudet congredi
cum homine vvnci parato. 4, 5: unde possum scire, guantum ad-
versus paupertatem tibi animi sit, si divitiis diffluis (j. j^^ ^ ±
sj 6)? unde possum scire, quantum adversus ignominiam et infamiam
odiumque populäre constantiae habeas, si inter plausus senescis,
si te inexpugndbüis et indinatione quadam mentium pronus favor
sequitur? unde scio, quam aequo animo laturus sis orbitatem,
si quoBCumque sustulisti vides? audivi te, cum alias con-
solareris\i tunc conspexissem, si te ipse consolatus esses, si
te ipse dolere vetuisses. 4, 7: hos itaque deus quos probat quos
amatf indurat recognoscit exercet (^ u i ^ ^ j. ^ u). eos autem,
quibus indulgere vide\tur quibus parcere^), moUes venturis malis
servat 4, 9: quem specvdaria semper ab adflatu vindicaverunt,
1) Schon Balzac, der berfihmte StiÜBt und Siilkritiker, hat gesagt,
man müsse yon Seneca dasselbe sagen, was er yon Maecenas sage (Oeuvres
ToL n der Ausg. Paris 1666 p. 558). NatürUch ist das in dieser apodik-
tischen Form so wenig richtig wie das yom Hafs eingegebene Urteil Frontos,
aber es Hegt etwas Wahres darin.
2) Die gewöhnlichen Formen des rhythmischen Satzschlusses sind nur
durch den Druck hervorgehoben.
8) Äutem quibus indulgere videtur zu verbinden w&re natürlich
falsch.
312 "^on Augastns bis Traian.
cuius pedes inter fomenta subinde mutata tepueruni^ cuius ceHa-
tianes subditus et parietibus drcumfusus cdlor temperavit, hunc
levis aura non sine periculo stringet A, 13: sie sunt nauticis
Corpora a ferenda mari dura, agricolis manus tritae, ad ex-
cutienda tda militares lacerti valent, agilia sunt membra Cur-
sor ibus: id in quoque validissimum^est quod exercuit^). 4, 14:
perpetua illos hiems, \ triste caelum premit, maligne solum
sterile sustentat, inibrem cülmo aut fronde defendunt, super
durata glacie stagna persultant, in älimentum feras eaptant.
Selbst an öden Stellen der naturales quaestiones hat er meist
sorgfältig darauf geachtet; wo er anders schreibt^ hat er meist
seinen Grund dafür, z. B. wenn er de prov. 6, 8 schreibt: Cor-
pora opima taurorum exiguo concidunt volnere et magnarum
virium animalia humanae manus ictus impellit; tenui ferro com-
missura cervicis abrumpitur et cum articulus ille qui caput coh
lumque committit incisus est, tanta illa moles corruü, so hat er
den SchluTs offenbar deshalb abweichend gestaltet , weil die
Trochäen j.kj-sj±^j.^^ das rdxog malen sollen: das merkt
man deutlich, wenn man sich etwa corruit moles geschrieben
denkt. Die Wortstellung hat er dem Rhythmus zuliebe nur
leicht und unauffällig geändert, vergl. etwa noch 6, 7: prono
animam loco posui. ib.: vidd>itis quam brevis ad libertatem et
quam expedita ducat via. ib. 8: omne tempus, omnis vos locus
doceat ib. 9: non certum ad hos ictus destinavi locum.
Aber trotz aller Fehler werden wir, wenn wir uns in der
Beurteilung seines Stils nicht auf den unhistorischen Standpunkt
Quintilians und Frontos stellen wollen, ohne Bedenken aus-
sprechen dürfen, dafs neben Tacitus keiner den modernen Stil in
so glänzender Weise zum Ausdruck nicht nur der eigenen Per-
sönlichkeit, sondern der ganzen Zeit gemacht hat: ingeaiium
amoenum et temporis eius aureus accommodatum sagt Tacitus
(ann. XIII 3), nicht ohne leisen Tadel, Yon Seneca; wer mochte
wünschen, dals dieser Schriftsteller, erfüllt yon Pathos und ge-
tragen von einer maniera grande, in einer Zeit voll malsloser
Aufregimgen in dem ruhigen, von dem Leben and Treiben der
1) Dafs Sjnalöphe auch in Prosa eintreten kann, ist bekannt genug;
für Seneca beweist es e. B. de proy. 4, 6 calamitas virtutia oceasio^est
{i \j ^ 1 \j l).
Seneca. 313
grolsen Welt nicht berührten StU der philosophischen Schriften
Giceros geschrieben hätte? Gerade weil er dem Fühlen einer
Zeity in der Genie und Verbrechen, Grandioses nnd Fürchter-
liches in einander übergingen wie später am Hofe eines Cesare
Borgia, durch seinen Stil in Bewunderung und Verdammung so
gewaltigen Ausdruck zu leihen verstanden hat, gehören seine
pompösen Stilmalereien, seine Deklamationen über die Selbst-
genügsamkeit der Tugend, die Glückseligkeit des wie ein Fels
im Meer stehenden von Schicksalsstürmen umtosten Weisen, den
siegreichen Kampf des Geistesathleten mit den alle anderen
Menschen unterjochenden Leidenschaften, die ungeheure Ver-
derbnis in Religion imd Sitte zu dem Grofsartigsten, was wir
aus dem ganzen Altertum besitzen. Die von Natur pomp-
hafte Art der rigorosen Stoa hat im Charakter sowohl des
Menschen Seneca, der Bhetor und Philosoph in einer Person
war, als des Stilisten, der abseits vom grofsen Haufen wandelnd
das Ungewöhnliche, Packende, ja Raffinierte durch Zusammen-
drängung langer Gedankenreihen in sensationelle Pointen suchte,
einen Ausdruck erhalten, der seinen Schriften eine Stellung in
der Weltgeschichte des menschlichen Denkens eingetragen hat:
denn was in der ostlichen Welt das Handbüchlein des phry-
gischen Sklaven und die Meditationen des Gäsars, das wurden
im Westen die Schriften des romischen Aristokraten, eine Quelle
des Trostes und der Erbauung für die, deren Geist nicht einfach
genug war zum Verständnis der natürlichen Menschlichkeit der
neuen Lehre. ^)
1) Ich stelle ein paar ältere urteile über Seneca als Stilisten, die ich
mir notiert habe, hier zusammen. Petrarca hatte an seinem Stil grofsen
(}e£Edlen mid er tadelt in einer Notiz am Rande seines Quintilian diesen
wegen seines verwerfenden Urteils über S.*s Stil: P. de Nolhac, P. et llia-
manisme (Paris 1892) 282; sein eigner Stil zeigt starke Beeinflussung durch
8.: Nolhac 1. c. p. 317; aber in seinem Brief an Seneca (ep. de reb. fam.
XXIV 6 Yol. m p. 271 Frac.) spricht er doch folgenden Tadel aus: verum
ti tibi pdlam loguens secretiora conHcui, nunc autem quando ad te mihi
termo est, putasne silebo quod indignatio veritasque suggesserint? adeas modo
€t aceede propius, ne qua externa auris inierveniat sentiens non nobis aetatem
remm tuarum notUtam abstulisse. testem nempe certissimum habemtis, et qui
de Bummis viris agens nee metu flectitur nee gratia, SueUmium Tranquillum.
is igitur quid aii? avertisse te Neronem a cognitione veterum oratorum, quo
9cilicet in iui illum admiratione diutiua detineres. . . . Prima est miseriarum
314 Von Augastus bis Tradan.
liniaid.Ä. 9. Plinius der Altere. Sein Werk gehört^ stiliBtisch be-
trachtet, zu den schlechtesten, die wir haben. Man darf nicht
sagen, dafs der Stoff daran schuld war, denn Columella hat Yor-
trefflich, Celsus gut geschrieben, und dafs gerade eine Natur-
geschichte stilisiert werden kann, hat Buffon gezeigt. Plinius
hat es einfach nicht besser gekonnt, so wenig wie Yarro, an den
er überhaupt erinnert: wer so unendlich viel las, wie diese
beiden, der konnte nicht gut schreiben. Bei beiden steht die
Fülle des Thatsächlichen, das sie bieten, in keinem Verhältnis
zu der Art, wie sie es bieten. Plinius hat sich auch durch den
Stil der von ihm gern gelesenen Autoren stark beeinflussen
lassen; wem fällt z. B. nicht Cato ein^ wenn er etwa liest
XYIII 232: per brutnam vitem ne colüo. . . bubtis glandem tum
tuarum radix ah animi levitate, ne dicam iHlüate profecta. inanem studiorum
gloriam^ dwre senex, nimis moUiter^ ne rtirsus dicam puerüüer, ooncupisti, —
Eine feine Charakteristik mit Gegenüberstellung von Cicero giebt Nicol.
Caussin, Eloq. sacr. et hum. parall. (1619) 1. 1 c. 78 (p. 54) z. B. üle (Cicero)
süperbe graditwr, nihil tentat nisi magnum grave excelsum, verba eeUgit pul-
ehra sonantia luculenta, sensus habet altitis ductos et magnificos, sed ad po-
pularif4m aurium captus diffusos, Spiritus rerum gravissimarum cdlidos aeres
incensos, quHms eloquentia effervescit, voliUU, ignescit, penetrat in pectora,
mollit animos quamvis feros; hie graves et a plebeis auribus remotas conquirit
sententias, hos districta quadam et concinna hrevitate campingit, tcius dicHs
eruditis ut awro vestis rigescit, atigtistatur in seria quaedam aeumina, quae
a%tdientis awrem veUicant, animiwi perpetuo erigunt, perpetuo fodicant atque
exstimulant. u. s. w. — p. 75 totus his dictorum purpibris coUucet ut coeium
stellis. — Pallavicino, Considerationi sopra Farte dello stilo e del dialogo
(angeführt yon Bouhours, La maniere de bien penser [1649] p. 296) pro-
fwna i suoi concetti con im ambra e con un zibetto che a lungo andare
dam,no in testa: nel principio dilettano, nel processo stanccmo. — Diderot,
Essai sur la vie et les Berits de Sen^que I p. 837 c'est un autewr de beau-
coup, mais de beaucoup d'esprit plutot q%^un icrivain de grand go/^ —
Macaulaj, Treveljans Life p. 448 (angeführt von Petersen in seiner Aus-
gabe von Quintilians 1. X Oxford 1891 p. XL adn. 1): His works are made
up of mottoes, There is hardly a sentence which might not be quoted; but
to read him straight forward is like dining on nothing but andMvy sauoe.
— Sehr fein auch Bayle in seinem Dictionnaire historique et critique 8. t.
'Priolo', in der 6. Ausg. Bas. 1741 vol. UI p. 816 adn. L. (über Seneca,
Lucan, Tacitus, Plinius). — Ähnliche Urteile älterer französischer Schrift-
steller findet man bei Giber in: Jugemens des savants T. VIII (Amsterd.
1726) 344 fF.; 854 fF. — Hübsch spricht Fr. Aug. Wolf in der Vorrede rar
Marcelliana (Berlin 1802) XXXITI yon Senecas dulcia sed qpiMdamwtodo gene-
rosa vüia.
PliniuB d. Ä. 315
t eanvenit in iuga singuia madios. . . . maieriae caedendae
tempus hoc dedimus. rdi^pia opera nocturna maxime vigüia constenty
cum sint noctes ia/nto ampliores, gpmlos cratis fiscinas texere, faces
mddere^ ridicas praeparare interdiu XXX, poHos LX et in luojh
hraüone vespertina ridicas V, pahs X, totidem antelucano. Die an
Yespasian in Briefform gerichtete Vorrede ist stilistisch ganz
verdreht^ wie schon Melanchthon bemerkt hat.^) Er hat den
schlimmsten Fehler der Komposition nicht zu meiden verstanden,
die TJngleichmaisigkeit; mitten in ganz öden Partieen, in denen
stilistisch gar nicht verarbeitetes Material roh aufgehäuft ist,
nimmt er plötzlich und unvermittelt, in einer fQr verständige
Leser geradezu verletzenden Art, einen Anlauf, wir müssen uns
eine Zeit lang mehr oder minder manierierte Gedanken und
Satzbildungen gefallen lassen, dann versiegt seine Erafb, Lust
und Fähigkeit, und es geht auf dem holprigen Wege weiter.
Er hätte sich aber diese in eine steinige, baumlose Gegend hinein-
improvisierten Eunstbeete um keinen Preis nehmen lassen, denn
wenn er an Yespasian schreibt (12 f.): meae qtiidem temeritati
accessit hoc quoque, quod levioris operae hos tibi dedicavi libdlos.
nam nee ingenii sunt capaces, quod aiiogui nclbis perquam mediocre
erat, neque admittunt excessus aut orationes sermonesve aut
casus mirabiles vel eventus varios, iucunda dictu aut legentibus
Uanda. sterilis materia, rerum natura hoc est vita, narratur, et haec
sardidissima sui parte, ut plurimarum rerum aut rusticis vocabuiis
aut extemis, imrno bariaris, etiam cum honoris praefaOone ponendis,
so hat er offenbar auf die Exkurse, die er trotz dieser Ver-
sicherung einlegt und die gewählten Worte, in die er sie kleidet,
ein gro&es Gewicht gelegt. Beschreibungen boten sich ungesucht,
so die seit Varro beliebte von Italien (III 39 ff.); da er nicht
gut redende Personen einführen konnte, so benutzt er jede Ge-
legenheit, mag sie sich freiwillig bieten oder an den Haaren
herbeigezogen werden, teils um selbst mit grofser Verve z. B.
den beliebten tinog über das menschliche Elend auszuführen
1) Melanchthon, Elementa rhetorices (zuerst 1619) im Corp. reform.
TTTT 496 s&hlt ihn zu denen, die coacervant sententias male cohaerenUa et
in his ipsis saepe gramnuxticum vocum ordinem perturhant hyperbatis. huius
rei exemplum est videre in exordio Plinianae praefationis , cuius membra in
mea paraphrasi partim eocemi, partim ordine disposui, ut principalis sententia
ckmus eonspici atque int^gi poaset.
316 "^on Augastua bis Traian.
(Vn 3 ff.) oder über die luxuria zu deklamieren , was er in der
Schule gelernt hatte (z. B. IX 67 f.; 104 f.; XIX 54 ft;
YXXnT 4; 26 f.; XXXVI 5 £), teils um mit einem ebenfaUs
scholastischen Eniff personifizierte Wesen oder Gottheiten reden
zu lassen^ z. B. apostrophiert das Plejadengestim in ausführlicher
Rede den Landmann (XYIII 251 ff.), die Pomona redet XXTTT 2;
überhaupt leistet er sich in solchen Personifikationen das
Stärkste, z. B. in Lobpreisungen der guten alten Zeit (dem sol-
lenmen Gegenstück zu den Tiraden gegen den Luxus) XYIII 19:
qucienam ergo tan,tae ubertaHs causa erat? ipsorum tunc manüms
imperatorum colebantur agri, ut fas est crederej gaudente terra
vomere laureato et triumphali aratore, sive Uli eadem cura senUna
tractabant qua bella eademque diligentia arva dispondnmt qua castra,
sive honestis manibus omnia laetius praveniunt^ quoniam et curiasius
fiunt. XXXV 7: foris et circa limina animorum ingenHum imagines
erant adfixis hostium spöliis quae nee emptori refigere liceret, trium-
phabantque etiam dominis mutatis ipsae domus. erat haec sUmu-
latio ingens exprobrantibus tectis cotidie inbellem dominum inirare
in alienum triumphum. Auch für die casttö mirabiles vel eventus
varios weifs er sich schadlos zu halten, denn scagädo^a gab es
ja in der Natur genug: mit Vorliebe verweilt er wie die Natur-
forscher seit Aristoteles (für den dies aber nur Nebensache ge-
wesen war) bei diesen, z. B. registriert er unnatürliche Todes-
falle sorgfältig (Vn 180 ff.); vom Phoenix, diesem Paradestück der
Folgezeit, sagt er freilich nur kurz, aber mit höchst manierierter
Wortstellung, damit man gleich fühle, es sei etwas Besonderes:
X 3: aquilae narratur magnitudinCy auri fulgore circa coüa^ cetero
purpureus, caeruleam roseis caudam pinnis distinguentibus^
cristis fauces caputque plumeo apice honestare; wohl das tollste
Stückchen, das er bietet, eins der tollsten in lateinischer Sprache
überhaupt (Appuleius wird seine Freude daran gehabt haben),
steht IX 102 f., wo er, um die „grofse Mannigfaltigkeit der
spielenden Natur'^ bei den Schaltieren zu malen, selbst anfangt^
sein Spiel mit der Sprache zu treiben: tot colorum differenHae^
tot figurae planis concavis longis luntxtis^ in orbem circumacHs, di-
midio orbe caesis, in dorsum elatis levibus rugatis denUcidatis siriatis,
vertice muricatim intortOy margine in mucronem emisso^ foris effuso,
intus replicato, iam disüncHone virgulata crinita crispa^ candlicU'
latim pecHnatim divisa, imbricatim undata, canceUaUm retiadata, in
PliniuB d. Ä. 317
Miquum in rectum expansa densata porreäa sinuatay brevi nodo
lig(Ui8j toto latere canexis, ad plaustrum apertiSf ad hucinum re-
ciim& navigant ex his Veneriaej proAentesque concavam sui partem
et aurae opponentes per summa aequorum vdificant saliunt pectines
et extra volüant seque et ipsi carinant In solchen Exkursen
scheut er nicht vor den raffiniertesten Pointen zurück, z. B. folgt
auf die eben citierten Worte eine ganz im Stil Senecas ge-
haltene Invektive gegen den Luxus im Tragen von Purpur und
Perlen; sie schliefst (§ lOö): quid mari cum vestibus, quid undis
fluctibusque cum veUere? non rede recipit haec nos rerum natura
nisi nudos, esto, sit tanta ventri cum eo societas; quid tergori?
parum est, nisi qui vescimur periculis etiam vestiamur (g>sv). adeo
per totum corpus anima hominis quaesita maxime placetit (& roD
ipti^drov). Mit Pointen formlich gespickt ist die groCsartig sein
sollende laudatio terrae (U 154 ff.), so um nur eine Stelle heraus-
zuheben (in welcher übrigens auch der rhythmische x&XoV'
Schluüs beobachtet ist): quin et venena nqstri miseritam (sc. na-
turam) instüuisse credi potest, ne in taedio vitae fames, mors
terrae meriOs alienissima, lenta nos consumeret tahe, ne lacerum
corpus dbrupta dispergerent, ne laquei torqueret poena prae-
postera induso ^ritu cui quaereretur exitus (svysX ne in profunde
quaesita motte sepultura pabulo fieret (<fog>&g), ne ferri cnunatus
scinderet corpus u. s. w. Wer wird sich über derartige Scherze
wundem, wenn er liest, dafs ihr Urheber in seinem Jugendwerk,
den Studiosir quibus oratorem ab incunabulis institiiit et perficit
(Plin. ep. m 5, ö), auch rettuUt plerasqtie sententias quas in
declamandis controversiis lepide arguteque dictas putat
(L c.)? Über sein Unvermögen, längere Perioden übersichtlich
zu gliedern, habe ich schpn oben (S. 297) gesprochen; ihm ge-
lingen fast nur die in gorgianischer Manier ohne Periodisierung
parallel gebauten Sätze, so in dem eben angeführten Hymnus
auf die Erde § 15ö: aquae subeunt in inibres, rigescunt in gran-
dineSf tumescunt in fludus, praecipitantur in torrentes; aer densatur
nubibus, furit proceUis, oder X 81 f. (yom Gesang der Nachtigall):
VMdulatus editur sonus et nunc continuo spiritu trahitur in longum
nunc variatur inflexo, nunc distinguitur conciso, copulatur intorto
promittitur revocato infuscatur ex inopinato, inte^'dum d secum ipse
murmurat; plenus gravis acutus, creber extentus ubi visum est vi-
Irans, summus tnedius imns, oder praef. 15: res ardua vetustis novi-
318 "^on AuguBtas bis Traian.
tatem dare novis auctoritatem, obsöUUs nüarem obscuris lucem, fasUr
ditis gratiam dtibiis fidemy omnibus vero natwram et natwrae suae
omnia, — Dabei wimmelt es in den pathetischen Stellen Yon
hochpoetischen^ teilweise auch neu gebildeten Ausdrücken, und
die Wortstellung ist gelegentlich dem Raffinement des Gedankens
zuliebe von beispielloser Gewaltsamkeit.^)
oitiid. j. 10. Plinius der Jüngere^) ist als Persönlichkeit und
Schriftsteller der am meisten charakteristische Repräsentant der
ersten Eaiserzeit, mehr als Seneca und Tacitus, weil er nicht so
eigenartig veranlagt war^ sondern mehr das Durchschnittsma(s
aufweist, wenn er auch selbst davon überzeugt war, es weit zu
überschreiten. Denn Eitelkeit , die wir nur deshalb milder be-
urteilen, weil er sie mit so liebenswürdiger Naivität als etwas
Selbstverständliches hervorkehrt, ist der Grundzug seines Wesens,
und als homo bellus et pusillus verrät er sich auch in seinem
' Stil, mit dem er kokettiert wie mit sich selbst: alles ist geleckt
und gedrechselt, mag er nun seine reizenden Villen oder den
furchtbaren Yesuvausbruch schildern. Es ist schwer, im einzelnen
sich ein Bild seiner stilistischen Tendenzen zu entwerfen, denn
er äufsert sich selbst widersprechend, ein typisches Beispiel f&r
das schwankende Tasten jener Zeit nach dem Richtigen.
Er hörte gleichzeitig bei Quintilian und Niketes Sacerdos
aus Smyma (VI 6, 3), d. h. bei zwei Männern, von denen jeder
das für richtig hielt, was der andere verurteilte, denn von dem
letzteren sagt Philostr. v. soph. I 19, 1: ^ Idda t&v kdyoiv toO
fth/ &Q%alov Ttal ^oXirixov iacoßdßriTUVy im6ßax%og 8\ xal 8t%v-
ga^ißmärig (also ganz asianisch), was Tac. diaL 15 bestötigt.
Plinius schwärmte für Isaeus (II 3), jenen Sophisten, dessen
Diktion nach luvenal (3, 75: sermo pramptus et Isaeo torrentior)
1) Hierfür, sowie fiLr alles andere die Sprache im einzelnen Betreffende
genügt es auf die vorzügliche Schrift von Joh. Müller, D. Stil d. &. Plinius,
Innsbruck 1883, hinzuweisen, fast die einzige der mir bekannten Arbeiten
über die Darstellung eines Schriftstellers, die sich nicht mit einer nnantik
gefühlten schematischen Zusanmienstoppelung begnügt, sondern den Stoff
nach richtigen und höheren Gesichtspunkten gliedert.. Für das rhetorische
Pathos und den diesem entsprechenden Stil vgl. zu den obigen Ausführungen
auch A. Gercke 1. c. (oben S. 807, 1) 332 s. v. 'Plinius'.
2) P. Morillot, De Plinii minoris eloquentia, Thes. Grenoble 1888, ent-
hält viele zutreffende feine Bemerkungen.
Plinius d. J. 319
einen starken Wortschwall hatte. Er stellte sich im allge-
meinen auf einen vermittelnden Standpunkt . wie Quintilian und
Tacitus: ep. VI 21, 1: sum ex iis qui miraniur antiquos, non
tarnen^ ut quidam, temporum nostrarum ingenia despido^ neque enim
quasi lassa et effeta nahira nihä tarn lauddbäe parü. Er ahmte
gelegentlich einmal in einer nnd derselben Schrift Demosthenes,
CalTus und Cicero nach (I 2, 2; 4); letzteren nennt er sein Ideal,
dem er nacheifere (IV 8, 4 f.), und einmal sagt er ausdrücklich
(I 5, 12 f.): est mihi cum Cicerone aemuUüio, nee sum contentus
eloquentia saecnli nostri. nam stuitisstmum credo ad imitandum
non optima quaeque proponere (wo man den Schüler Quintilians
hört)^); dementsprechend tadelte er an Rednern seiner Zeit den
singenden Vortrag (11 14, 12). Aber aus seinen sich wider-
sprechenden Urteilen heben sich doch drei Punkte scharf heraus.
Er liebte erstens das Volle, ja bis zum Übermafs Volle. Er
sagt selbst in einem Brief an Tacitus (I 20), ihm sei die brevitas
nicht genehm und wenn er schon einen Fehler machen müsse,
so wolle er lieber, dafs man ihm immodice et redundanter als ie-
iune et infirme zurufe: non enim amputata oratio et absdsa sed
lata et magnifica et excdsa tonat fülgurat, omnia denique perturbat
ac miscet (§ 19 f.). An einen anderen, dem er eine Schrift zur
Korrektur schickt, schreibt er: da er voraussehe, dals jener ihm
vieles, was sonans et eUitum sei, als tumidum anstreichen werde,
habe er gleich, damit jener sich nicht zu quälen brauche, über
den betrefiFenden Worten pressius quiddam et exüius vd potius %m-
müius et peius hinzugefügt (VH 12). Ganz ähnlich schreibt er
in dem für ihn und seine Zeit besonders wichtigen, schon
oben (S. 282 £) benutzten Brief IX 26, wo er als Beispiel der
nach seinem Geschmack erhabenen, nach demjenigen seines
Freundes schwülstigen Diktion seinen eigenen Satz anführt: ideo
nequaquam par gubematoris est virtus, cum placido et cum iurbato
mari vehitur: tunc admirante nuUo itUaudatus ingloriosus subit
partum, at cum strident funes^ curvatur arbor, gvibemactda gemunt^
tunc iUe darus et dis maris prozimus (§ 4 cf. 13); diese Diktion
1) M. Hertz, Benaissance und Rococo in d. röm. Litt. (Berlin 1866)
11 irrt, wenn er, auf solche Äufsemngen bauend, den Plinius zu einem
Ciceronianer macht: es sind das Phrasen, denen weder die Praxis der Briefe
noch des Panegyricus entspricht.
320 ^on Augustus bis Traian.
finde mehr Beifall als die gedrängte (II 19, 6). Er liebte
zweitens die zierlich geputzte Diktion: an Isaeos bewunderte
er verba quaesita et excuUa (II 3; 2). In einer Bede für seine
Vaterstadt y die er einem Freund zur Korrektur sandte, kamen
viele Ortsbeschreibungen vor: diese habe er, wie er sagt (U 5),
in sehr schöne, poetische Worte gekleidet, und wenn es jenem
etwas zu viel scheine, so möge er es wegschneiden, aber nicht
zu streng dabei verfahren. Von seinem Panegyricus berichtet
er III 18: er hätte ihn einem gewählten Ereis von Freunden
vorgelesen und dabei bemerkt, dafs severissima guaeque am
meisten gefallen hätten, was ihn deshalb besonders wundere,
weil doch gerade bei diesem Stoff eine anmutige und gewisser-
mafsen ausgelassene Diktion angemessener sei: er hoffe zwar und
bete, ut quandoque veniat (uünamque tarn venerit) quo austeris iUis
severisque dulcia haec blandaqne vel iusia possessione decedantf aber
vorläufig sei man noch nicht so weit: omnes enim qtU placendi
causa scribunt, qualia placere viderint scribenL Drittens hat er
Vergnügen an scharf zugespitzten Sentenzen. Ein Senator, mit
Namen Valerius Li^inianus, hatte sich, aus Rom, wo er prak-
tischer Redner gewesen war, verbannt, in Sicilien als Professor
der Rhetorik niedergelassen und begann seine Eröffnungsrede
mit den (wohl dem herrlichen Prolog des Laberius nachgeahmten)
Worten: quos tibi, Fortuna, ludos fads? facis enim ex senatortbus
professoreSf ex professoribus senatores, wozu Plinius ebenfalls mit
einer Pointe bemerkt (IV 1 1, 2) cui sententiae tantum bilis, iantum
amaritudinis inest, ut mihi videatur ideo professus ut hoc diceret.
Seine besondere Freude hatte er daran, wenn diese Sentenzen
bis an die Grenze des Erlaubten herangingen und gewissermaCsen
am Abgrund schwebten: der Brief (IX 26), in dem er dies aus-
führlich begründet und über einen Redner seiner Zeit, der allzu
sicher ging, das charakteristische Wort gesprochen hat nihil
peccat, nisi quod nihil peccat, ist schon oben (S. 282 f.) ver-
wertet worden; in diesem Brief hat er solche Redner, die nach
seinem Sinn sind, mit Seiltänzern verglichen: vides,quiper funem
in summa nituntur quantos soleant excitare damores, cum iam
iamque casuri videntur: kann sich jemand mehr selbst richten?
Seiner Theorie entspricht die Praxis, die wir auüser an
einigen Briefen besonders an dem Panegyricus beobachten, diesem
hervorragendsten Denkmal epideiktischer Beredsamkeit aus der
Plinius d. J. Tacitus. 321
Eaiserzeity welches in der Folge eine solche Bedeutung erlangen
sollte. 6iebt uns Seneca in seinen rhetorischen Büchern wesent-
lich die Theorie der neuen Beredsamkeit; so Plinius in seiner
Bede ihre praktische Anwendung. Obwohl man sich bei einer
epideiktischen Bede nach durchgehender antiker Vorstellung an
Putz des Ausdrucks und Verwegenheit der Gedanken das Doppelte
gefallen lassen mufs^ so kann man doch nicht umhin zu ge-
stehen, dafs das hier Gebotene fQr die Nerren modemer Menschen
zuviel ist; eine Antithese jagt die andere und man mochte ihm
mit seinen eigenen Worten zurufen: fere in nuHo, o hone^ enun-
tiato tum peccctö. Mit welchen Ohren mag Traian Sätze wie die
folgenden angehört haben (wenn er derartiges nicht erst in der
herausgegebenen Bede einfügte): non ideo vicisse videris ut Mum-
phareSj sed triumphare quia vicisti (11), sali omnium contigit tibi,
ut pater patriae esses antequam fieres (21); Traian lafst sich nicht
mehr tragen, sondern geht zu Fuls: ante te prindpes fastidio
nastri et quodam aequäbüitatis metu lisiim pedum amiserant. ülos
ergo umeri cervicesque servorum super ara nostra^ te fama te glaria
te civium pietas te libertas super ipsos prindpes vehunt, te ad si-
dera tollit humus ista communis et confusa principis
vestigia (24). Die Wände der Häuser, der Nil, ja ganz Ägypten
werden beseelt und redend eingeführt, kurz fast alles bewegt
sich entweder in bacchantischem Taumel oder raffinierten
Pointen: es wird uns schwer, das Ernste und Gehaltene heraus-
zufinden, was einige seiner Freunde allein lobten (ep. III 18, 8 f.).^)
11. Tacitus wird wohl zu den letzteren gehört haben, wie T»oitni
wir uns überhaupt die Freundschaft zwischen ihm und Plinius,
die sich noch in der Überlieferung einer unserer Handschriften
abspiegelt^ nur durch eine xaXivtovog &Qiiovia erklären können.
Wie muis dem ernsten Mann mit dem weiten Blick und der
magischen Fähigkeit, in die Seelen der Menschen zu schauen,
ihm, der uns von sich, auch wo er es konnte, fast nichts erzählt,
dieser tändelnde, kurzsichtige, von nichts lieber als von seiner
eigenen Wenigkeit und ihrer einstigen Ewigkeit redende Durch-
1) Eine Anzahl von delicatissiinae sententiae hebt ans dem PanegyricaB
beraiu (man brancht nicht lange zu suchen) Bonhoon, La mani^re de bien
penser dans les oeuyres d^esprit (1681) p. 162 f. Er sagt yon ihm (p. 8d2):
ü veut taüjoura avoir de Vesprit,
Worden, antilM KnntiproM. 21
322 Von Augustus bis Traian.
schnittsmensch vorgekommen sein? Von die&iem dämonischen
Mann, der, sein imd die folgenden Jahrhunderte wie eine einsame
Säule stolz überragend; am Ausgang der grofsen Zeit des Alter-
tums steht, von diesem Schriftsteller, der wie sein griechischer
Geistesverwandter kein iyAviöiux ig rb ücafaxifflfuc^ sondern ein
xt^ficc ig ist hat geben wollen, ist es schwer ein volles Bild in
der Seele zu erfassen: den Weg hat F. Leo, *Tacitu8*, Eaiser-
Geburtstagsrede, Göttingen 1896, gewiesen, wo in grofsen Zügen
der Versuch gemacht ist, den Menschen und Schriftsteller als
Individuum und als Eind seiner Zeit zu begreifen«^)
Chronologie Ich mufs zuuächst auf Grund einer Andeutung Leos (p. 6;
dos
Buiogui. 9), die er mir persönlich näher begründet hat, dem herrschenden
Vorurteil entgegentreten, der Dialogus sei durch eine lange
Reihe von Jahren von der übrigen Schriftstellerei des Tacitos
getrennt.^) Auf welche Gründe stützt sich diese Annahme? Es
giebt, wie auch jeder zugesteht, nur einen: die stilistische Ver-
schiedenheit; man hielt es für unmöglich, dafs Werke, die
stilistisch solche Gegensätze bilden, in dieselbe oder fast dieselbe
Zeit fallen können: hatte man doch früher auf kein anderes als
eben dieses Argument gestützt den Dialogus dem Tacitus ab-
1) Bei A. Dräger, Über Syntax und Stil des Tacitus. 8. Aufl. Leipzig
1882 wird 'Rhetorisches' auf ly, Seiten abgethan, darunter nichts Wesent-
liches, wohl aber, dafs Tacitus auch Barbaren, deren Sprache er nicht
kenne, als Redner auftreten lasse, so den Germanen Arminius; nüt einem
Ausdruck wie ' schulmäfsiges Elaborat' (p. 122) sollte er doch Torsichtiger
sein; unter 'rhythmischen Stellen' versteht er (p. 121) Verse, und das Kap.
'Kürze und Fülle des Ausdruckes' beginnt (p. 104): „Die Kürze des Aus-
druckes ist hervorgegangen aus dem Bedürfhisse einer energischen Ob-
jektivierung und in der gesammten antiken Litteratur ohne Parallele'' o. b.w.
— Dagegen gehören die drei Abhandlungen von E. Wölfflin im Philologoi
XXV 92 ff. XXVI 92 ff. XXVII 113 ff. (1867 f.) zu dem Besten, was es über
Tacitus und antike Stilistik (im engem Sinn des Wortes) überhaupt giebt,
betreffen aber nur ganz gelegentlich das hier Auszuführende.
2) B.Wutk, Dialogum a Tacito Traiani temporibus scriptum essei Progr.
Spandau 1887, stützt sich für diese Behauptung auf einen Brief des Plinini
an Tacitus (I 20) aus dem J. 97, aus dem hervorgehen soll, dafs damals der
Dialog noch nicht vorgelegen habe. Aus dem von W. falsch interpretierten
Brief folgt das aber keineswegs (cf. G. Helmreich in: Jahresber. über die
Fortschr. d. klass. Alt. Band LV 1890 p. 16 f.); doch urteilt W. p. 18 £
richtig darüber, dafs das Nebeneinander verschiedener Stüarten bei ver-
schiedenen Werken möglich sei.
Tacitus. 323
gesprochen; nachdem man diesen Irrtum eingesehen hatte^ wurde
er för ein Jngendwerk erklart. Nun ist aber von vornherein zu
sagen, daCs ein auf dieses Argument gestützter Schluls vom
antiken Standpunkt jeder Berechtigung entbehrt. Ich habe
schon zu Anfang dieser Untersuchungen (S. 11 f.) darauf hin-
gewiesen, dais die yerschiedenen Stilarten ofk von einer und der-
selben Persönlichkeit neben einander gebraucht worden sind
und dals daher die moderne Anschauui^, der Stil sei mit dem
Menschen verwachsen, im Altertiun keine unbedingte Berech-
tigung hatte: wozu hat Hermogenes und so mancher vor ihm
seine Idiai geschrieben? Keineswegs, damit der eine diese, der
andere jene je nach seinem Naturell auswählen solle, sondern
damit jeder imstande sei, entsprechend dem verschiedenen Stoff
einen verschiedenen Stil zu schreiben: anders redete man zum
Volk, anders zum Richter, anders zu einer Festversammlung,
anders stilisierte man einen Brief, anders eine Beschreibung,
anders ein Märchen, anders schrieb man innerhalb einer und
derselben Rede die Einleitung, anders die ErzJJilung, anders den
Schluik Das sind allbekannte Dinge und der antike Unterricht
sorgte dafOr, dafs man schon aus der Vorschule als ein mehr
oder minder grofser Stilvirtuose hervorging. Daraus folgt:
stilistische Argumente (ich verstehe unter Stil nur das, was die
Alten darunter verstanden, also alles rein Sprachliche, Gramma-
tische und Syntaktische ist ausgeschlossen) berechtigen uns
weder eine Schrift einem Autor abzusprechen noch sie in eine
bestimmte Lebensperiode desselben zu setzen. Das typische Bei-
spiel hierfür ist Appuleius: jedes einzelne seiner Werke ist in
verschiedenem Stil geschrieben und es ist ja auch ihm thatsäch-
lich nicht erspart geblieben, der Schrift Me mundo' beraubt zu
werden, da man sich den phantasievollen oder vielmehr phan-
tastischen Mann, der sonst seine Rede in bunte Gewänder steckt,
nicht in dem Famulusmantel des dürren Scholastikers denken
mochte: heute glaubt an die Unechtheit dieser Schrift wohl
niemand mehr. Aus der Zeit des Tacitus mag noch hingewiesen
sein auf den jüngeren Plinius: er hat nicht nur in einer und
derselben Rede ganz verschiedene Stilarten gebraucht nach dem
bewährten Rezept, dafs wer vieles bringt, manchem etwas bringen
wird (c£ ep. II 5), sondern er hat gelegentlich es auch in einer
ihm sonst fremden Stilart versucht: ep. I 2: hunc (librum) rogo
21*
324 Von Augustus bis Traian.
ex consuetudine tua et legas et emendeSj eo magis, quod nihil ante
peraeque eodem stilo scripsisse videor. temptavi enim imUari De-
mosthenen semper tuum, Cälvutn nuper meum. Um nun zu Tacitos
zurückzukehren: aus der Stilart des Dialogus folgt für seine
Zeit gar nichtS; er kann der frühen Epoche, kann aber auch der
späten angehören. Dieses negative Resultat ist sicher, man sieht
also, dafs diejenigen, die ihn dem jugendlichen Tacitus anweisen
und daraufhin eine prinzipielle Änderung seiner stilistischen
Tendenzen annehmen, auf unsicherem Fundament operieren.
Nun ist ebenso sicher ein zweites negatives Moment: der Dia-
logus ist nicht unter Domitian verfafst, denn Tacitus sagt aus-
drücklich, er habe die fünfzehn Jahre unter dessen Regierung
geschwiegen (Agr. 3). Es bleibt also für diejenigen, die ihn der
frühesten Epoche des Schriftstellers zuweisen, nur die Zeit des
Titus, und so scheint man sich im allgemeinen auf das Jahr 81
zu einigen, wogegen ja an sich nichts zu sagen ist: denn wenn
Q. Sulpicius Maximus als Einähriger elende griechische Verse
machte, warum sollte in jener Zeit der frühreifen Genies ein
Tacitus als etwa fünfundzwanzigjähriger nicht ein glänzendes
Schriftchen in Prosa haben verfassen können? Nun glaube ich
aber beweisen zu können, daCs der Dialogus nach 91 geschrieben,
folglich, da er unter Domitian nicht fallen kann, frühestens unter
Nerva anzusetzen ist. Gassius Dio LXVII 12 berichtet zum
J. 91 von Domitian: MdrsQvov öotpiötilp^ 8rt xatä zvQdwav
dni T( &6X&V (d. h. declamans), iacdxtscvBv. Dals hier der
Dichter gemeint ist, der im Dialogus auftritt, hat man zu leugnen
versucht^), aber mit was für Gründen? 6og>i6ziig bezeichne einen
Schulredner und es sei ganz unwahrscheinlich, daCs Matemus,
der sich nach seinen eigenen Worten bei Tacitus (c. 4) ermüdet
vom Sachwalteramt zurückgezogen und der Muse gewidmet habe,
in seinem Alter in die Rhetorenschule übergegangen seL Das
scheint mir hinfällig zu sein: erstens ist es an sich ganz be-
greiflich, dafs ein Sachwalter, dem die Plackerei auf dem Forum
zu viel wird, sich in das otium des Deklamationssaals zurück-
zieht, und zweitens wird dieser Übergang im vorliegenden Fall
gerade dadurch um so wahrscheinlicher, weil Matemus sich
1) Cf. L. Schwabe in Teuffels Gesch. d. röm. Litt. » § 818, 1. E. Zarncke
in Jahresber. flb. d. Fortschr. d. klass. Alt. LXXIU (1898) 280.
Tacitus. 325
der Dichtkunst widmete; denn, frage ich, welcher Dichter der
damaligen Zeit deklamierte nicht in der Bhetorenschole? Ich
will hier die Belege nicht yorwegnehmen, die ich später (An-
hang I) fOr die völlige Yerquickung der Rhetorik und Poetik,
des 6o(pi6tiig und X0Li]ti^g^ in der Eaiserzeit zu geben habe.
Wenn ich noch hinzuf&ge, dals der Dichter Matemus, wie die
Stoffe seiner Tragödien zeigen^), mit grolsem Freimut über die
bestehenden Verhältnisse geurteilt hat {pjfendit potentium animos
Tac dial. 2) und Domitian einen Matemus hinrichten liels, der
shii XI xatä tvQdwan/, so wird man doch wohl aufhören, an
der Identität beider zu zweifeln: wie Matemus einen ^Thyestes',
so hatte einst unter Tiberius Mamercus Scaurus, ebenfalls Sach-
walter, Deklamator und Tragodiendichter in emer Persoui einen
^Atreus' gedichtet, der ihm den Eopf kostete (Tac. ann. VI 29;
Snet Tib. 61; Dio LYIII 24). Aus dem Gesagten ergiebt sich
aber, dals der Dialogus nach dem J. 91 yerfalst ist, denn Ta-
citus hat keine Lebenden erwähnt: einmal folgt dies aus der sich
bekanntlich bis in Einzelheiten erstreckenden Nachahmung der
Bücher Ciceros *de oratore', und ferner daraus, dafs von Aper
und Secundus, den beiden anderen Mitunterrednern, gelegentlich
als von nicht mehr Lebenden gesprochen wird (c. 2).')
1) Cf. B. Schoell in: Comm. Woelfflinianae (Leipz. 1891) 894 ff.
2) Die Zeit, in welcher Tacitus das Gespräch gehalten sein l&Dsty ist
natürlich ganz unabhängig yon der Zeit der Abfassung. Ich wfirde das
gar nicht erw&hnen, wenn ich nicht in der Lage wäre, ein allgemeines
kleines Versehen durch eine Bemerkung, die mir A. Eiefsling im J. 1898
knn TOT seinem Tode machte, hier zu berichtigen. Kap. 17 sagt Aper:
tft de Cicerone ipso loquar, Hirtio nempe et Pansa conaulibus, ut Tito liber-
tu$ eius scribU, sepHmo idus Decembres occieus est, quo anno divus Äugustus
in loeum Pansae et Hirtii se et Q. Pedium consules suffecit. statue sex et
quinqiMginta annos, quibus mox divus Äugustus rem pubJicam rexit; adice
Tiberii Pres et viginti, et prope quadriennium Gai, ac bis quatemos denos
Chmdii et Neronis annos, atque iUum GaXbae et Othonis et Vitellii Jongum
et immn annum, ac sextam iam felicis huius princip<xtus staHonem, qua Ve-
epaeianus rem publicam fovet: centutn et viginti anni ab interitu Ciceronis in
kunc diem coUigtMtur, Nun sagt man: das 6. Jahr Vespasians ist 75 n. Chr.,
das 120. Jahr nach Ciceros Tod 77 n. Chr., also stimmen beide Angaben nicht zu
einander, letztere wird aber wohl die approximative, erstere die richtige sein.
Nun ist ja aber aus den Worten ganz klar, dafs die sexta staHo keineswegs
das e.Begiemngsjahr des Vespasian bedeutet, sondern: statio I Äugustus, st. 11
Tiberius, st. m Gaius, st. IV Claudius und Nero, st Y Galba Otho Yitellius,
326 Von AuguBtas bis Traian.
Der Dialogns darf mithin nicht als Dokument f&r die all-
mähliche Entwicklmig der taciteischen Diktion verwertet werden,
sondern man mufs sagen: es ist ein litterarischer Essai, wie in
der ganzen Anlage, so auch im Stil und, soweit das eben möglich
war, auch im sprachlichen Ausdruck gehalten in ciceronianischer
Manier^): so gut wie noch Autoren des sechsten Jahrhunderts
in Gaza und Mytilene und solche der folgenden Zeit in Byzanz
in ihren Dialogen platonisch redeten, so war für die lateinisch
schreibenden Autoren Cicero auf diesem Gebiet das bestandige
Vorbild. Erst mit den beiden feinen Essais, dem biographischen
und dem geographisch-ethnographischen^) — im Altertum schied
mau beides nicht: auch das Volk hat seinen ßiog — beginnt
die Entwicklung des Tacitus, wie als Historikers so als selb-
ständigen Stilisten: von da ab ist es ein Weg, der ununter-
brochen aufwärts fElhrt, seine Signatur ist das immer stärker
werdende Streben nach dem Ungewöhnlichen, hervorgerufen
durch seine immer mehr sich ausprägende Subjektivität,
indi- Diese Subjektivität tritt um so stärker hervor, weil der
Schriftsteller sich bestrebt, sie zurückzudrängen und dort kühl
und leidenschaftslos zu scheinen, wo er von innerer Erregung
glüht. So berichtet er bei der Erzählung vom Tode des Ger-
mauicus scheinbar objektiv, dafs die auswärtigen Völker über
st VI Yespasianus. Also ist eine Zeitangabe nur in den 120 Jahren nach
Giceros Tod zu finden, d. h. das Gespr&ch fällt ins Jahr 77 n. Chr.
1) B. Hirzel , Der Dialog 11 (Leipz. 1896) 60 f. glaubt „durch die
weiten Falten des ciceronianischen Mantels schon den kr&ftigen Gliederbau
des selbständigen Stilisten und Künstlers zu erkennen", führt aber keine
Belege an, was ihm auch schwer fallen dürfte. Ganz verfehlt ist L. Kleiber,
Quid Tac. in dialogo prioribus scriptoribus debeat, Diss. Halle 1888, wo
er p. 73 ff. auf Grund nichtiger Argumente den EinfluTs Senecas nach-
weisen will.
2) Die Germania ist ein den grofsen Gteschichtswerken Torausgesehiek-
ter Essai in der Art der des Seneca über Indien und Ägypten (Leo münd-
lich; Seneca spricht öfters Ton den Germanen, ganz im Sinne des Tacitus,
cf. den Index der Haase'schen Ausgabe). Tacitus selbst hat später (ann.
rV 38) diesen Stoff zu denen gerechnet, die den Leser unterhalten und er-
götzen (cf. auch Strab. XIIT 681); die Griechen pflegten seit Herodot und
Theopomp solche geographisch - ethnographischen Schilderungen in Form
Ton Exkursen zu geben (z. B. Poljbios, Poseidonios), was die römische
Geschichtsschreibung nicht mitmachte, cf. Mommsen, Über T. (Jermania in:
Sitzungsber. d. Berl. Akad. 1886 p. 45.
Tacitus. 327
ihn traaerten^ aber wirkt das nicht mehr, als wenn er ihn der
Mode gemäfs in einem langen Xöyog htvtafpiog gepriesen hätte,
wissen wir nicht trotzdem, dals er sein erklärter Liebling war?
Der Schriftsteller aber, der mit seinem Pathos so sparsam wirt-
schaftet, hat vor andern dann voraus, dafs er doppelt wirkt, wo
er einmal ans sich herausgeht: welches schönere Geschick konnte
dem Arminius zuteil werden, als in dem ernsten, zurückhaltenden
B5mer den Lobredner seiner Gro&e zu finden?
Durch diese Subjektivität unterscheidet sich Tacitus von den i. meOc
meisten antiken Schriftstellern und übertrifft auch die, welche potitton
ihm dann ähnlich sind. Dieses Überströmen einer mächtigen
Lidividualität, die, sich selbst dessen unbevnifsti allen Menschen
und Begebenheiten ihren Stempel aufdrückt, weist Tacitus eine
£EUit singulare Stellung in der antiken Litteraturgeschichte an,
in welcher die Unterordnung des Individuellen unter das Tradi-
tionelle fast ein Dogma war. Und doch ist auch Tacitus kein
Phänomen, auch er ist ganz nur aus seiner Zeit heraus zu ver-
stehen, die er überragt: er erhebt sich über sie, indem er ihre
Fehler vermindert und fast zu Tugenden gestaltet, und ihre
Tugenden auf die höchste Spitze steigert. Ich verstehe darunter
das Malerische seiner Darstellung^), sowie vor allem die unüber-
troffene Kunst in der Wiedergabe von Stimmungen, worin er
scheinbar das Fühlen anderer, in Wahrheit sein eigenes nieder-
legt'), imd in der psychologischen Charakteranalyse, mit der er
uns sowohl milde Naturen als auch besonders grandios genia-
lische Frevler in ihrer ganzen dämonischen Gewalt vor die Seele
steUt, und den dieser Kunst so konform gestalteten Stil: eine
1) Z. B. der Brand Borns (a. XV 88), der Brand und die Plünderung
Cremonas (h. m Z^^ die Erstürmung und der Brand des Eapitols
(L m 71 ff.); am deutlichsten wird einem das, wenn man entsprechende
Partieen be! dem trocknen Sueton vergleicht, z. B. die Katastrophe
der Agrippina bei Tac. XVI 1 ff. mit Suet. 34 oder die Abdankung
des Vitellius bei Tac. m 67 mit Suet. 15. — Auch einzelnes, z. B. die un-
überlegte Hast der auf dem Eapitol Eingeschlossenen (m 78): trepidi
mäUes, dux segnis et velut capitis €tmmi non lingtM, non aumbus compeUre;
neque alienia consüiis regt, neque stM expedire; Jmc illttc clamorihis hasHum
dreumagi; qtMe itisserat vetare, quae vetuercU iu5fre, u. s. w.
2) Z. B. die rumores der Stadt über Augustus (ann. I 9 f.) , Nero
(Xm 6), die Neuerungen im Bühnenwesen unter Nero (XTV 20), die Er-
mordung der Octayia (XIV 68); die Stimmung der Generale im J. 69 (bist.
n 7), der Vitellianer vor der Katastrophe (JE 66).
SaUuit.
328 ^on AugnstoB bis Traian«
Reihe gewaltiger Tragödien, komponiert mit der Eiinst des
groDsten Dichters^) und in monumentaler Sprache. Aber wir
d. Schrift- dürfen dabei zweierlei nicht vergessen. Zunächst: Tacitos hatte
'und einen gro&en Vorgänger, an dem er sich gebildet hat: wie
Sallust nicht ohne Thukydides, so ist Tacitus nicht ohne Sallust
zu verstehen. Er hat ihn einmal rerum Bomanarum florentissimum
auctorem genannt (ann. III 30), wo wir den Superlativ ganz im
eigentlichen Sinn verstehen müssen, denn nicht viel früher war
er von Martial (XIV 191) als primus Bomana Criyms in historia
bezeichnet worden. Man hat seit Lipsius oft auf die nahe Be-
rührung der beiden hingevnesen^); die Ähnlichkeit beruht nicht
1) M. Haupt sagte, Tac. sei aufser zum Historiker zum tragischen
Dichter geboren gewesen (Chr. Beiger, M. H. als acad. Lehrer 268); c£ H.
Nissen im Rhein. Mus. XXVI (1871) 509: „Die Genauigkeit des Details
wird preisgegeben, um eine desto stärkere Gesamtwirkung auf den Leser
auszuüben. Dies Bestreben offenbart sich in der Anordnung des Stoffes.
Tacitus sieht von der streng chronologischen Folge der Begebenheiten ab
und reiht sie Tielmehr nach Inhalt und Schauplatz zu einheitlich gerun-
deten Bildern zusammen." Auf diese Komposition im groDsen wird auch
in den leidlichen erklärenden Ausgaben (von einer guten, die gerade bei
Tac. auch fär Wissende ein Bedürfnis ist, sind wir noch weit entfernt)
keine Rücksicht genommen, obwohl er doch gerade darin sich yor sämt-
lichen antiken Historikern auszeichnet. Eine gute Bemerkung darüber bei
G. Bardt im Hermes XXIX (1894) 458, 1. Am grandiosesten ist wohl die
Darstellung der Ereignisse des Jahres 69, weil hier die Einheitlichkeit
durch den dramatisch yerlaufenden Gang der Dinge selbst gegeben war
(besonders bist. III). Auch rein äuTserlich tritt dies Moment hervor: B. IL
VI. XI. XII. XIY. XV der Annalen enden mit dem Tode des Arminius, des
Tiberius, der Messalina, des Claudius, der Octavia, der Teilnehmer an der
pisonianischen Verschwörung, vor allem des Seneca; dazu am SchluTs ein-
zelner Bücher (ann. I. XI. XIV) spannende Verweise auf die Zukunft, wenn
erst ein Teil des Tragödienkomplexes zu Ende ist. Man mufs bedenken,
dafs politische Tragödien in der ersten Eoiiserzeit wirklich verfafst wor-
den sind.
2) Cf. Lipsius zu ann. III 21 (citiert yon Bemajs in Ges. Abh. II
204, 1, der einiges nachträgt). A. Gerber, De Tacito rerum scriptore etc.
(Progr. Leutschau 1860) 18 f. E. Wölfflin 1. c. XXVI 122 ff. (wo ich be-
sonders bemerkenswert die Beobachtung finde, dafs urbem Bomam a prin-
cipio reges hdbuere auf den Anfang des berühmten sallustischen Exkurses
urhem Eomam, sieut ego accepi, condidere aique hdbuere inüio Traiani Be-
zug nimmt, cf. übrigens auch den Anfang des Exkurses in der inschrift-
lichen Rede des Claudius I Z. 8 guondam reges hanc tenuere urbem), Schön-
feld, De Tac. stud. Sali., Diss. Leipz. 1884. Das stärkste Beispiel ist wohl
Tacitus. 329
bloüi im allgemeinen darauf^ dals beide Meister in der psycho-
logischen Analyse von Charakteren sind; sondern manche Cha-
raktere sind bei Tacitus mit denselben Farben ^ ja teilweise in
wortlicher Anlehnung an Sallust gezeichnet^ vor allem Poppaea
Sabina (ann. XIII 45) nach Sempronia (Cat. 25), Seianus (lY 1)
nach Catilina (Cat. 5); wenn Sallust von Catilina sagt (c. 5):
älieni appetens sui profusus, so sagt Tacitus (bist. I 49) umgekehrt
von Galba: pecuniae alienae non appetens, stii parcus (cf. Germ. 31:
prodigi (Uieni, contemptares sui). Beiden gemeinsam ist die pessi-
mistisch ernste Weltanschauung, die verhaltene Leidenschaft, das
souveräne Streben nach dem Ungewöhnlichen. Diese Ähnlichkeit
mit Sallust, durch Eongenialität der Naturen bedingt und durch
Studium bei Tacitus gesteigert, ist das eine, was wir bei seiner
Beurteilung nicht vergessen dürfen. Dazu kommt dann einT.d.8ohrifl
weiteres. Die Darstellungsart der in den Bhetorenschulen auf- und die
gewachsenen Schriftsteller der Eaiserzeit hat überhaupt etwas ^^JX"
Malerisches (s. o. S. 285 ff.)0' ^^^ speziell die Geschichts-
schreibung jener Zeit hat das psychologische Moment so stark
betont, daCs sogar ein Velleius es verstanden hat, packende Cha-
rakteristiken zu geben; wir wissen (s. o. S. 244 ff.), dals die
Neigung dazu in der ganzen Zeit lag, die sich, nachdem die
Möglichkeit zu selbständigem energischen Handeln fast aus-
gehoben war, mit bei^nderer Liebe dem eigenen Innenleben und
dem der anderen zuwandte, und dafs daher die Kunst der Ana-
lyse innerer Vorgänge in der Bhetorenschule gelehrt wurde.
Doch hat sich Tacitus stets davor zu hüten gewufst, der Manier
oder der Schablone zu verfallen: wenn seine Werke auch in ihrer
ganzen Anlage und Ausführuug dem Geschmack der Zeit ent-
sprechen und vieles nur aus ihm zu erklären ist, so wird ihm
das kein Verständiger vorwerfen wollen, sondern vielmehr das
Urteil bewunderu, welches ihn das Gute auszuwählen und es zum
Besten zu gestalten befähigte. Dasselbe gilt von seinem StiL
Man kann das Wesen dieses Stils mit einem Worte be- s. ni« st
Uatik.
rxj
(et M. Krenkel, Josephus u. Lucas [Leipz. 1894] 85) Sali. lug. 101, 11
Tac. Agr. 87. Auch das auffallend herbe Urteil des Tacitus über Pom-
peius (ann. IQ 28) erinnert an den Standpunkt des Sallust.
1) Schilderung von Bränden, wofür aus Tacitus oben (S. 827, 1) einiges
angefahrt wur^e, waren in den Rhetorenschulen beliebt: Sen. conir. n 1,
11 f. ezc. m 6; 8. Y 6.
330 Von Augostos bis Traian.
zeichnen: Plinius (ep. 11 11, 17) sagt von einer Bede des Tacitns,
sie sei; wie gewöhnlich, 6£(iv&g gesprochen^): ösfivitfig ist der
Ton^ aaf den er alles gestimmt hat — er selbst spricht hist. 11 50
von der gravitas seines Werkes — , wie einst Thokydides, den
das Altertum den Typus der ösfiv&crjg nannte'); wie dann Sallust^
dieser scriptor seriae ac severae oratianis. Der Ernst eines Schrift-
stellers macht immer den Eindruck einer beabsichtigten Feier-
lichkeit: daher rühmt Apollinaris SidoniuS; ein eifriger Leser des
TacituS; dessen pampa (carm. 2; 192). Nur so konnte Tacitus
schreiben als Mensch und Kind seiner Zeit. Sehr schon sagt
Nipperdey (Die antike Historiographie, in Opusc. ed. B. Schoell
p. 420): ;;6ewirs hat dieser Stil (der anniutige und behagliche
des Herodot; Xenophon, Livius) seine grofse Berechtigung. Indeüs
liegen doch gröfsere Motive in der Geschichte, denen zu genügen
er schwerlich im Stande ist. Die gewaltigen Kämpfe, die un-
geheuren Wechselfalle grofser Individuen und ganzer Nationen,
die unbändigen Leidenschaften, die mit einander ringen, sie
werden, wenn wir uns ihrer ganz bewuiüst sein sollen, doch in
einem andern Stil uns dargestellt werden müssen, als dem, dessen
Grundabsicht ist, uns zu ergötzen. Dieser stärkern Motive vor
allen sind sich die grölsten Historiker des Altertums bewulkt
gewesen, Thukydides, Sallust und Tacitus, und man kann sagen,
aafs eben in diesem Bewufstsein ihre Gi^fse liegt. Sie haben
es als die Aufgabe der Geschichte erkannt, nicht zu ergötzen,
sondern zu ergreifen und hinzureifsen und dem Leser dieselbe
gewaltige Bewegung mitzuteilen, die im Leben der Geschichte
tobt.«
Wer 6£iiv&g schreibt, der schreibt nun zunächst vornehm.
Es giebt in der gesamten antiken Litteratur, die doch bis in die
Zeit ihres Verfalls den Stempel einer aristokratischen Exklusi-
vität trägt, keinen Schriftsteller (höchstens Thukydides aus-
1) Eine ungefähre Yorstellong, wie Tacitns geredet haben mag, werden
wir uns etwa aus ann. XIV 43 ff. machen dürfen, weil es sich da nm eine
wirkliche causa handelt, in deren Wiedergabe er gewifs ganz frei verficüiren
ist. Die Rede schliefst bezeichnenderweise mit einer yt^^fu}. — Lateinisch
ist 68itv6g sancttM (was gern mit augtutM und antiquua verbunden wird,
cf. Quintil. VIII 3, 6 ; 44) oder gravis.
2) Joh. Chiys. hom. de sacerdotio lY 6 p. 669 Migne (citiert von R
Yolkmann, Rhetorik' p. 658 adn.).
Tacitus. 331
genommen), der so durchaus voruehm geschrieben hat wie Ta-
citus. 'Ex^aiQm ndvxa tä druiööuc tönt uns aus jedem Satz ent-
gegen.^) Nie steigt er zu seinem Leser herunter, er verlangt,
daCs man zu ihm komme, aber er macht es schwer: er ver-
schmäht es, zur Unterhaltung des Lesers anmutige Exkurse ein-
zulegen; es finden sich ja ein paar Exkurse, aber sie dienen
nicht zur delectatio, sondern sind, ähnlich wie bei Thukydides
und Sallust, staatsrechtlichen oder kulturhistorischen oder per-
sonlichen (besonders a. lY 32 S.) Inhaltes. Daher schreibt er
auch nicht wie das volgus: er sucht das Ungewöhnliche, sagt
nichts, was der Leser auch gesagt haben wQrde, jedenfalls nicht
80| wie dieser es gesagt haben würde; er, der sonst mit jedem
Worte kargt, wird weitschweifig, wo es gilt, sordida vocabula zu
vermeiden, so wenn er ann. I 65 statt palae et liganes sagt: per
quae egeritur humus aut exciditwr ccbespes^)\ sogar staatsrechtliche
Begriffe umschreibt er lieber oder giebt sie in einer besonderen
Form (z. B. tribunus pld>ei, circenses ludi wie Gapüolinus mons,
Vetera Caslra)^\ poetische Worte und Wortverbindungen, die er
teils bewulist, teils auch wohl unbewuUst verwendet^), erhöhen
1) Was das G'egenteil von csitv6g ist, zeigt [Isoer.] ad Dem. 80 ylyvov
%Qhg tahg nXriaidtowtag 6inlriti%6g iiXXu fitj CBykv6g und Isoer. ad Nie. 84,
wo ^tfTcroff als das Gegenteil genannt wird: beides ist Tacitus eben nicht.
8) Cf. bist, n 49 luce prima in ferrum pectore inctilmit (Otho): was
die Quelle gab, steht bei Suei Oth. 11 uno se traiecit ictu infra laevam
papillam; Martial VI 82, 4 hat wie Tac. peclMS, XIV 4 ptctori haerens'>-*
8net. Ner. 84 papillas exoscUUxtM. XITI 26 deverHcula oo Snet. Ner. 26
papimie. XITI 44 mansitare cum müliere. bist. ÜI 88 ecorta et scortis
similes. Ausnahmen sind beabsichtigt: z. B. VI 1 (obscOne Worte zur
Beseichnimg der sexuellen Perversität des Tiberius), XIV 16 cauponcie (der
dBi9m6i£ wegen). — Dafs diese Vermeidung des Gewöhnlichen und Gemeinen
auf Abficht beruht, kann man z. B. aus der gegenteiligen Praxis des Sueton
(nicht blols in den angefahrten Fällen, sondern überhaupt) und seiner Fort-
setser ersehen.
8) Cf. G. Andresen, De voc. ap. T. colloc. (Progr. d. (Jymn. z. gr.
Kloft Berl. 1874) 18 fT. Bardt 1. c. 468 f.; cf. auch h. m 78 und a. Xm 16
fetU» Satwmi didms.
4) Bei augusteischen Dichtem läfst sich gelegentlich eine &noqla aus
Tacitus lösen und umgekehrt. Vergil Aen. VI 802 ipse (Charon) raUm
cotUo iubigit velisque ministrat: schon Servius zweifelt, ob velis Dativ oder
Ablativ sei, also ob * er bedient die Segel ' oder * er bedient das Schiff mit
den Segeln'. Alles spricht für den Ablativ, zunächst die Eonzinnität des
Ausdrucks, die Vergil nachweislieh sehr liebt, sodann die Nachahmung so«
332 Von Augustus bis Traian.
den Yomehmen Charakter, und zwar steigert sich, wie besonders
WolfiTlin 1. c. nachgewiesen hat, das Streben nach dem Un-
gewöhnlichen vom Agricola an bis zu den letzten Büchern der
Annalen: er steht schliefslich als souveräner Sprachmeisterer vor
uns, über dessen Kühnheit wir staunen, wenn wir der strengen
Starrheit der klassischen Sprache gedenken.^)
Wer .66(iv6g ist, ist femer ein Feind des Kleinlichen in
Inhalt und in Form. Daher verschmäht Tacitus die seit lange
üblichen äufserlichen Mittelchen zur Hebung der Darstellung.
Ich verstehe darunter die durch Wortverschränkung erreichte
rhythmische Komposition^, die zierlichen und weichlichen Bede-
figuren ^), vor allem die Konzinnität des Ausdrucks, die ihre
wohl desVal. Flacc. XU 38 ipse rotem vento stdlisque nUnistrcU als auch be-
sonders die des Tacitus Germ, 44 naves velis ministrantur. — Tac. Gtom. 18
dotem non uxor marito, sed uxori marittM offert interswmt parentes ei pro-
pinqui ac munera prohant, tnunera non ad delicuM muliehres quaesUa sed
etc.: das von den meisten getilgte zweite mimera hat hier E. Baehrens
richtig verteidigt durch Properz I 8, 26 omnicigue inffrato largtbar munera
somno, tnunera de prono saepe voluta sinu; wer die augusteischen Dichter
kennt, weifs, dafs sie sich (in Nachahmung der Alexandriner) dieses Mittels
zur Hebung des ^d^og oft bedient haben. — Archaismen, die sehr selten
sind, erklären sich teils aus dem sermo poeticus, teils aus Nachalunang
des Sallust, z. B. gute, patrare (bellum u. dgl., cf. Quintil. VIII 8, 44). Ersteres
gilt auch von den scheinbaren Gi^ismen: Tacitus, ein Feind der Qraeculi,
ist bis zu dem überhaupt zulässigen Grade strenger Purist (Nipperdey zu
XIV 15).
1) Beispiele sind überflüssig, doch vgl. etwa h. m 79 ÄnUmiue mUto
tarn noctis serum auxUium venit (statt: Ä. muUa tarn nocte serus auxiHo venU),
2} Man lese einen beliebigen Satz z. B. des Seneca (über dessen Be-
obachtung der rhythmischen Klausel s. o. S. 811 f.) neben einem des Tacitos
(etwa die B«de, die er den Seneca vor Nero halten läfst XTV 68 f.), um
sofort den fundamentalen Unterschied zu fühlen (ob es Zufall ist, dafs die
letzten Worte, die Seneca vor seinem Tode spricht XV 68 rhythmisch sind :
vüae delenimenta monstraveram tibi, tu mortis decüs mdvis: non inviddbo
hximplö. Sit huius tam fortis exitus penes tUrosque par, clantudinis pku
in tud fine? Vermutlich war das seine ai^toqxovUc). Die Wortstellong ist
bei ihm denkbar einfach: Trennung des Zusammengehörigen (s. B. Substan-
tiv und Attribut) aus rhetorischen Bücksichten sind bei ihm hOdist selten,
cf. die paar Stellen bei Nipperdey zu a. I 67 (und über dichterische Nach-
stellung von Präpositionen zu XIII 47), auch darin stinmit er also mit Sal-
lust überein (s. o. S. 203,1); sogar Eakophonieen (scheinbare?) wie XTV 69
Pelagone spadone, a. IV 75 aviam Octaviam beseitigt er nichts cf. Nippor-
dey zu a. I 59.
8) Man kann sich bei ihm wie bei Sallust darauf verlassen, daCs eine
Tacitufl. 333
deutlicliste Form im Satzparallelismus findet. Man hat nach-
gewiesen ^)y dafs — um von dem Dialogus ganz abzusehen —
von bescheidenen y fast schüchternen Anföngen im Agricola und
in der Grermania an (z. B. Agr. 41 : teineritate aut per ignaviam ;
Oerm. 37: Satnnis Poeni Hispaniae Galliaeve Parihi) ein be-
standiges Abnehmen des konzinnen Ausdrucks zu konstatieren
ist, bis er schliefslich in den Annalen zu seiner völligen Zer-
störung gelangt, indem er die konventionelle Form der Dar-
stellung mit einer subjektiven Willkür ohnegleichen vergewaltigt.
BedefigOT nie ohne bestimmte Absicht angewendet wird, und daher erzielt
er durch sie stets ^d'og %al ndd'og; z. B. das Asyndeton und Wortspiel:
h. I 3 praeter mültiplices rerum humanarum casus caelo terrague prodigia et
fitiminum monitus et futurorum praesagia, laeta tristia, ambigua manifesta;
nee enim umquam atrociorib%^s populi B. cladibus magisve iustis indicibus
adprobatum est non esse ewrae deis securitatem nostram, esse uUumem. 10 (in
einer Charakteristik) Itunma industria, comitate adrogantia^ malis banisque
artibus mixtus. a. XTIT 44 tum, ut adsolet in amore et ira, iwrgia preces,
esprobratio satisfactio (oft drei- und viergliedrige Asyndeta in lebhaften
Schlachtbeschreibungen); Parallelismus mit Anapher, oft dreiglie-
drig: a. XIV 44 (Bede) servis si pereundum sit, ni prodant, possumus sin-
ffüi inter plures, tuti inter anxios, postremo non imUti inter nocentes agere.
Alll 82 post luliam interfectam per quadraginta annos non cultu nisi lugu-
M, non animo nisi maesto egit 85 ipse cultu levi capite iwtecto, in agmine
in läborilms frequens adesse; laudem strentns, solacium invdlidis, exempium
omnilme ostendere, h« IQ 68 nee quisquam adeo rerum humanarum immemor
quem non eommoverat üla fades, Eomanum principem et generis humani
pernio ante dominum relicta fortunae stMe sede per populum, per urhem exire
de imperio. ^Z non dignitas, non aetas protegehat, quo minus stupra caedi-
hu8, eaedes stupris miscerentur. 72 arserat et ante Capitolium civili beUo,
$ed firaude privata: nunc pdlam ohsessum palam incensum, quibus armorum
camtis quo tantae cladis pretio?, besonders auch 88^ wo er den Zustand der
von den Parteien des Yitellius und Yespasian zerfleischten Stadt schildert:
saeva ae deformis urbe tota fades: alibi proelia et vtdnera, alün balineae
popinaeque; simul cruor et strues corporum, iuxta scorta et scortis similes;
quemium in luxurioso otio libidinum, quidquid in acerbissima captivitate
sederum, prorsus ut eandem dvitatem et furere crederes et lasddre, eine
Periode, von welcher der Cavaliere Tesauro in seinem famosen Buch De]r
argnta et ingeniosa elocutione (Venetia 1668) gesagt hat (p. 186), sie sei
eine rosa fktrüa nel ginepraio del suo pungente e duro stile: es ist eben eine
iw^p^eMig. — Über die Antithese s. u. S. 889.
1) Cf. Ph. Spitta, De T. in comi>onendis enuntiatis ratione (Diss. GOt-
ting. 1896) 90; 186. WOlfflin 1. c. Eucera, Üb. d. tac. Inconcinn., Progr.
OlmfitB 1882.
334 ^on Augostiis bis Traian.
sie zersprengt und abwirft wie eine lästige Fessel^); was würde
Cicero wohl geurteilt haben über einen Satz wie a. I 3: äbolendae
magis infamiae quam aipidine proferendi imperii aut dignwm ob
praemiumj den er etwa so gebildet hätte: incensus cupidine
äbolendae magis infamiae quam proferendi imperii aut digni aed"
piendi praemii, oder über folgenden a. lY 38 : quod älii modesHam^
mülti quia diffideret^ quidam ut degeneris animi interpretabantur,
wofür er etwa gesagt hätte: quod (üii modestiam^ alii difßdentiam^
älii degeneris animi Signum interpretabantur^ Durch diese Zer-
störung der Form erreicht er aber eine Vertiefung des Inhalts:
denn, wie ich schon oben bei Thukydides bemerkte, giebt jeder
Wechsel des Ausdrucks dem Gedanken eine, wenn auch noch so
feine Nuance.*)
Endlich ist ein Zeichen des 68nv6v die Kürze. Das hat
schon Hermogenes gesagt (de ideis II 294 Sp.): x&Xa dh ösiivdj
RjcsQ Ttal xa^agd, Xiya) tä ßgaxiksQa. Dies ist diejenige Eigen-
schaft des taciteischen Stils, die sich jedem zuerst aufdrängt^
und die sich auch in ihrem stetigen Steigen von den EroÜings-
schriften an verfolgen läfst.^) Die livianische ubertas ist in ihr
Gegenteil umgeschlagen, es giebt keinen lateinischen Schrift-
steller (ausgenommen TertuUian, der ihm auch in dem souveranen
Schalten mit der Sprache ähnlich ist), der in diesem Mause
weniger gelesen als gedacht sein will: kurze Sätze, kein Wort
zuviel, im Gegenteil: was irgendwie fehlen kann, fehlt, daher
aber auch jedes Wort inhaltsreich, eine Welt von Gedanken
bergend und der Phantasie des mitdenkenden Lesers einen un-
begrenzten Horizont eröfihend. Ganze Gedankenreihen werden
oft ausgelassen und nur durch ein folgendes an, tainen, aiiogum
u. dgl. angedeutet, besonders in den gelegentlich nur skizzierten
1) Vor allem lehrreich ist, was Wölfflin 1. c. XXV 124 über das Vor-
kommen der korrespondierenden Partikeki bemerkt, z. B. kommen neque
— neque, nee — nee in Dial. Agr. Germ. Hist. zusammen 64mal vor, in d«B
— umfEuigreicheren — Annalen nur 8mal; non modo — sed etiam nnd vd
— vel finden sich in den Annalen nur in Reden (die überhaupt ein — ganx
geringes — Plus in der konzinnen Form zeigen), und zwar ersieres Imal,
letzteres 2mal.
2) Cf. F. Haase in der Yorrede zu seiner Ausgabe (Leipz. 1866) p. UIL
S) Eine ganz brauchbare Sammlung giebt schon Boetticher in seinem
Lezicon Taciteum (Berlin 1880) LXXm ff.
Tacitus. 335
Beden y vor allen den indirekten. Er kann — das darf mit Be-
stimmtheit behauptet werden — auch für romische Leser nicht
leicht gewesen sein, und hat es so wenig sein wollen wie Thu-
kydides für griechische.
Ich habe die wesentlichen Merkmale des taciteischen Stils :T.dftr8tiii
Vornehmheit, Vorliebe fQr das ÜDgewohnliche, Kühnheit, Kürze stmott.-
bisher ganz aus der Individualität des Tacitus zu erklären yer-
sucht. Das Bild wäre aber unvollständig, wenn wir nicht die
Fäden verfolgten, durch die er auch auf dem Gebiet des Stils
mit dem ihm wahlverwandten Sallust zusammenhängt, wenn wir
femer vor allem ihn nicht aus seiner Zeit heraus beurteilen
wollten. Beides liegt nicht weit von einander ab, ja fallt teil-
weise zusammen: Sallust, selbst Kind einer Zeit, in der alles
Bestehende in Frage gestellt wurde, Pessimist und Eiferer gegen
die Verderbnis der Sitten, war mit seiner Vorliebe für das Be-
sondere im Stil, für die pointierte Kürze, die so gegen die Breite
des Cicero und Livius kontrastierte, den grolsen Schriftstellern
der ersten Kaiserzeit kougenial: Seneca spricht (ep. 114, 17) von
solchen, die nachahmten Sallusts amputatas sententias et verha
ante exspectatum cadentia et öbscuram brevitatem, Quintilian urteilt
über die Kürze des Sallust: sie sei in der Gerichtsrede zu ver-
meiden, aber in einer für hochgebildete und nachdenkliche Leser
bestimmten Geschichtsdarstellung das Vollkommenste, was es
gebe, nur müsse man sich davor hüten, das, was bei Sallust ein
Vorzug sei, durch Übertreibung zu einem Fehler zu machen
(Quint. IV 2, 45; XI, 32). Man sieht daraus, dafs sogar ein
Oiceronianer wie Quintilian für den historischen Stil die Kon-
zession macht, Sallust habe in ihm das Hervorragendste ge-
leistet. Das ist der eine Gresichtspunkt, von dem aus man den
Stil des Tacitus historisch beurteilen mufs: was ist denn dessen
berufene Inkonzinnität im Ausdruck anders als eine — quanti-
tative und qualitative — Steigerung desseu, was wir schon bei
Sallust deutlich beobachten können?^) Ich habe dafür schon
oben (S. 204) ein paar Beispiele angeführt: Cat 17, 6: inoerta
pro eertiSy beUum quam pacem maldHint lug. 86, 3: alii inopia
bonorum, alü per ambitionem consülis 89, 8: cibus Ulis ad-
1) Schon Boettdcher 1. c. LXXII fahrt ein paar Beispiele aus Sallust
vergleichsweise an.
336 ^on Augustus bis Traian.
vorsus famem atque sitim^ non lubidini neque luxuriae
erat, vgl. noch Ing. 32: fuere qui auro corrupH ekfhantas
lugurthae traderent, alii perfugas vendere, pars ex pacatis
praedas agebant, womit man etwa yergleiche: Tac. a. I 64: de-
liguntur legiones quinta dextro lateri, unetvicensima in laevum,
7: per uxorium ambitum et senili adoptione, Agr. 22: iU
erat comis bonis, ita adversus malos iniucunduSj a. XIV 49:
quae probaverant deseruere, pars, ne principem öbiecisse invidiae
viderentur, plures numero tuti. Wie also einst Tbakydides, der
ernsten ; dem Spielerischen abgeneigten Richtung seines Geistes
folgend die zierlichen konzinnen Antithesen der sophistischen
Prosa^ wie dann, ihm folgend^ Sallnst die ciceronianische Eon-
zinnität zerstört hatten, so ist auch Tacitus dieser von vielen
seiner Zeitgenossen geteilten Manier in steigender Abneigung^)
entgegengetreten. Was er durch diese Zerstörung der zierlichen
Gleichm'afsigkeit hat erreichen wollen und thatsächlich erreicht
hat, können am besten die — tadelnden — Worte des Schon-
schreibers Seneca über einige Schriftsteller seiner Zeit zeigen
(ep. 114, 15): quidam praefractam et asperam (composüianem)
probant, disturbant de industria, si quid placidius effluxit, nolunt
sine salebra esse iuncturam, virilem putant et fortem qui aurem
inaequalitate perctitiat.
r.derstuist Die zweite Vorbedingung fQr ein historisches Verständnis
Bhetoren- dcs taciteischcu Süls ist, ihn in Zusammenhang mit der zeit-
schule, genössischen Rhetorik zu betrachten. Theoretisch hat er seine
Stellung zu ihr im Dialogus begründet, aber dem Charakter des
Gesprächs gemafs in mehr verschleierter als klarer Weise; doch
urteilen gewifs diejenigen richtig'), welche herauslesen , dafii er
1) Bemerkenswert ist, dafs der parallele Satzbau in den sp&teren
Werken besonders noch in Beden gelegentlich auftritt, z. B. hiat, I 16.
ann. I 28. 11 71. IU 60; 63 f.
2) Cf. zuletzt R. Hirzel 1. c. 11 49, 8. 65 ff. (Nichts bietet E. Walter,
De Taciti studiis rhetoricis, Diss. Halle 1873.) Man mufs die Stellen hinsa-
nehmen, an denen er in den historischen Werken Redner nennt, wo er
Zusätze wie facundia clarn8 u. dgl. zu machen pflegt: sie sind zusammen-
gestellt von Q. Gudeman in seiner Ausgabe des Dialogus (Boston 1894)
p. XLIII adn. 86; für seine Anschauung bezeichnend sind: 1. ann. lY 62
Äfer primoribus oratorum (iddüus, divulgato ingenio et secuta adseveroHone
Caesaris (Tiberii), qua suo iure disertum eum appellavit (Domitius Afer
wurde von Quintilian sehr hoch geschätzt und unter die veteree get&hlt:
Tacitus. 337
die extremen Ansicliten beider Parteien miJBbilligte; wie er auch
später den Standpunkt vertrat, dafs man über der Lobpreisung
einer grofsen Vergangenheit nicht die vielen Vorzüge der (regen-
wart vergessen dürfe (cf. besonders die bekannten Aufserungen
Agr. 1; ann. U 88 i. f.; III 55 i. f.), so hat er auch in dieser
litterarischen Tagesfrage eine vermittelnde Stellung eingenommen:
ein rücksichtsloses Hineintragen der alten Rhetorik in die Gegen-
wart ist nach ihm ebenso pervers wie ein völliger Bruch mit
ihr, beides widerspricht dem Prinzip historischer Entwicklung.
Nur die Ezcesse der modernen Rhetorik sind ihm zuwider, das
fühlt man deutlich an der Kritik, welche der Rede des Aper zu
teil wird. Dafs er sich nun von der modernen Rhetorik aufs
stärkste hat beeinflussen lassen, ist ganz zweifellos und auch oft
genug mehr oder weniger energisch betont worden. ^) Seine Vor-
liebe, die gewähltesten Worte zu gebrauchen, teilt er mit den
Deklamatoren (S. 286); bei den ix(pQd6sis der Stürme (ann. 170;
II 23 f.) hat er die aus der Rhetorenschule geläufigen (S. 286)
Farben aufgetragen; wenn im Agricola der britannische Feldherr
sagt (c. 30): raptares orbis, postquam cunda vctötantibus defuere
terrae^ tarn et mare scrutantur und der römische (c. 33): nee in-
glarium fuetUf in ipso terrarum ac ncUurae fine cecidisse, so ist
das dieselbe Tonart, in der man den Alexander und seine Rat-
geber in einer berühmten Suasorie (Sen. suas. 1) an der Küste
X 1, 118 cf. Plin. ep. 11 14, 10). 2. ann. IV 61 Q. Haterius üoquenUae
quoad vixit celebraUu: numimenta ingeni eius ha^id perinde reti^ientur, Bcilicet
impeiu magis quam cura vigehat^ utque aliarum meditatio et labor in posUrum
vdktcU, sie Haterii canorum illtul et profluens cum ipso exstinctum est (daraus
kann man etwa ermessen, was er seinem Freund Plinius auf dessen An-
fnge [ep. I 20], ob nicht die ubertas der brevitas vorzuziehen sei, ge-
antwortet haben mag). 3. Das bekannte Urteil über Seneca (ann. XIII 3, cf. 42),
wo man einen leisen Tadel nicht verkennen kann: oratio a Seneca com-
pomia (für Nero) müUum cultus (ein Schlagwort der Modernen: s.o. S. 286)
praeferebat, %U fmt iUi viro ingemum amoenum et temporis eius auribus ac-
commodatum. Dazu konmit 4. eine von Gudeman übersehene Stelle: ann.
I 63 sagt er Ton Ti. Sempronius (Gracchus: soUers ingenio et prave fa-
eundus, es ist derselbe, den Ovid (ex Pont. IV 16, Sl) als Tragiker nennt,
er wird abo wohl der perversen von dem älteren Seneca getadelten Qe-
sohmacksrichtung angehört haben.
1) Cf. L. Doederlein, Öffentl. Reden (Frankf. -Erlang. 1860), 484 „Ta-
citos war unverkennbar der Zögling einer Rhetorenschule".
Horden, antik« KonatproM. 22
338 Von Augustus bis Traian.
des indischen Oceans reden liels^), und die daher auch in Yel-
leius bei der Landung Caesars in Britannien (II 46, 1) an-
klingt.^ Vor allem ist es aber dann die brevitas, die wir oben
(S. 283 f.) als die Signatur des modernen Stils festgestellt haben:
kann man das Wesen des auf der Hohe seiner Entwicklung
angelangten taciteischen Stils besser bezeichnen als mit den
Worten, die Seneca lobend von dem Stil seines Freundes Lu-
cilius gebraucht: plus signifims quam loqueris (ep. 59, 5), oder
mit den ganz analogen oben (1. c.) angefahrten, in denen
Seneca der Vater und Quintilian die Sitte der Deklamatoren-
schule schildern? Sehen wir nicht auch hier wieder die enge
Beziehung dieser ganzen Stilrichtung zu der sallustischen?
Lobten doch diese Deklamatoren nach dem ausdrücklichen
Zeugnis Senecas (contr. IX 1, 13) den Thukydides wegen seiner
Kürze und noch mehr den Sallust, der sie gesteigert habe.
Daher (s. o. S.280ff.; 288) also auch seine Vorliebe für pointierte,
oft kühne, aber nie das Mafs der Vernunft überschreitende') Sen-
1) Cf. C. Morawski 1. c. (S. 302, 1) p. 884.
2) Die Eiitlelmangen des Tacitus aus Velleius, die E. Elebs im PhiloL
N. F. in (1890) S02 hat nachweisen wollen, sind yOllig illusorisch, ebenso
wie umgekehrt die des Florus aus Tacitus bei A. Egen, De Floro elocntionis
Taciteae imitatore, Diss. Münst. 1882 und bei £. Cornelius, Quomodo Tac.
in hominum memoria yersatus sit etc. (Progr. Wetzlar 1888) 16 f.; letcterer
weifs sogar (p. 16), dafs der Geograph Ptolemaeus und Lukian den Tacitiu
benutzt haben! Solche Arbeiten erscheinen jetzt fOr alle griechischen and
lateinischen Prosaiker und Dichter dutzendweise. Wie ganz anders stellt
sich die Sache da, wo wirkliche Benutzung des einen Autors durch den
andern vorliegt, z. B. des Tacitus durch Ammiau, cf. £. Wölfflin im Pfailol.
XXIX (1870) 658 ff. und H. Wirz ib. XXXVI (1877) 634 f. (kompiliert Ton
Cornelius 1. c. 18 ff.).
3) Darin zeigt sich eben die Kunst des SchriftsteUers, und das be-
dachten nicht die, welche ihn früher deshalb tadelten, so der Verf. des
Artikels ** Stiles' in den Perroniana et Thuana (Cologne 1694) 368 f.: C'e^
le plus michawt stüe du monde que celui de TaciU et est le moindre de tout
ceux qui ont Scrit Vhistoire. Tout son Stile consiste en 4 ou 5 ekoses, en
Äntitheses, en reticences: une page de Quinte Owrce vaut mieux que 30 de
Tacite. MafsvoUer F^n^on, Lettre ä, Tacad^mie Fran9oise sur r^oquence
etc. (angehängt an die Ausgabe seiner Dialogues sur T^loquence Paris
1718) 382: Tacite mantre beaucoup de ginie, avec une profonde connoissanee
des coewrs des plus corrompus; mais il affecte trop une hrieteti mysterieuse.
H est trop plein de toitrs poHiques dans ses descriptions. II a trop ^esprU:
Tadtus. 339
tenzeiii die am liebsten in der Form der Antithese, und zwar
der gedanklichen Antithese auftreten, selten — und wohl nicht
mehr in den Annalen — in der Figur des äufserlichen Parallelis-
mus und nicht oft durch äufseren Wortklang gehoben (gern
effektvoll an den Schlufs gestellt^), wie man deutlich sowohl im
Agricola als in der Germania und in den grofisen Werken be-
obachten kann; z. B. bist. I 19: ipsi medium ingenium magis
extra vitia quam cum virhUibus . . .^ et omnium consensu capax
imperii nisi imperasset. 65: uno amne diseretis conexum odium.
88: per incerta tutissimi. II 39: nee perinde diiudicari potest, quid
opUmum factu fuerit, quam pessimum fuisse qtiod factum est.
III 25: factum esse scdus loqtinntur faciuntque (Schiurs) 31: paeem
ne tum quidem oräbant, ctim Mlum posuissenL IV 68: Damitiani
imdomitae libidines. Y 25: m noxH capitis poena paenitentiam fa-
tean^tur (am Schlufa einer Rede), ann. II 52: spe victoriae indueti
sunt ut vincerentur. III 76 (Schlufs des Buches): praefulgdxint
(beim Leichenbegängnis der lunia, der Schwester des Brutus
und Gemahlin des Cassius) Cassius atque Brutus eo ipso, quod
rffigies eorum non visAantur. XIY 14: eius flagitium est, qui pe-
cuniam ob ddida potius dedit quam ne ddinquerent*) Aus dem
Streben nach Kürze und Pointen erklärt sich, wie wir oben
(S. 295 ff.) sahen, daüs lange und kunstvolle Perioden in cice-
ronianischer oder livianischer Art bei den Schriftstellern der
Kaiaerzeit zu den Seltenheiten gehören. Dafs dies auch bei Ta-
citus der Fall ist, weifs jeder; aber es ist noch nicht darauf
hinge wiesen, dafs die wenigen, vom Standpunkt der Elassicität
regelrechten Perioden (fQr die der Abi. abs. und das Particip.
coni. besonders charakteristisch sind) sich wesentlich nur in
solchen Partieen finden, wo er res hello gestas darstellt und der
Ton naturgemäfs ruhiger und getragener ist; z. B. bist. III 13:
at Caedna defectione dassis vulgata primäres centurianum et paucas
ü rafine trap. (Ähnlich auch Bouhours, La maniäre de bien penser 1649
p. 812 f.).
1) Über die Theorie s. o. S. 281, 1.
2) Mehr bei Haase 1. c. LIU. Gerber 1. c. 16. Joh. Müller, Beiir. z.
Krit. o. Erkl. d. Tac. II (Innabr. 1869) 29 f. In den reiferen Werken hatte
er nicht mehr geschrieben, was er noch in der Germania wagte c. 89 i. f.
centum pagi iis (Semnonibui) habOantur magnoque corpore efßcitur, ut se
Sueborum caput credant.
22*
340 ^^^ Augufltas bis Traian.
militumf ceteris per tnilitiae munia dispersiSf secretum castrorum ad-
fectans in principia vocat 25: is mox aduUuSf inter sepHmanas
a Galba conscriptuSf öblatum forte pcUrem et vctnere slrakim dum
semianimem scrutcUurf agnittis agnoscensque et exsanguem amplexus
voce flfbili precdbahi^r placatos patris maneSf neve se ut parrieidam
aversarentur. 29: is in vailufn egressus, deturbatis gm resHteranl,
conqncuus manu ac voce capta castra conclanuwit (cf. 47: igüm
Vitellü etc.; 56: nam cum iransgredi etc.). ann. XIII 36: m/ienm
Corbulo legiofiHms intra castra habitis, donec ver adolesoeret, dis-
positisque per idoneos locos cohortibus auxiliariis, ne pugnam priores
auderent praedidt. 39: tum drcumspectis munimentis et quae ex-
pugnationi idonea provisis hortatur milites, ut hostem vagum neque
päd aut proelio paratum sed perfidiam et ignaviam fuga confitentem
exuerent sedibus gloriaeque pariter et praedae constUerenL Man lese
ferner etwa den zwischen die städtischen Ereignisse eingescho-
benen Bericht über die FeldzQge in Armenien und Britannien
ann. XIY 23 — 39, um zu fühlen, dafs das ^^og der Darstellung
und daher die Periodisierung hier und dort verschieden ist.^)
Vor allem ist nun aber die historische Quellenanalyse der
beiden grofsen taciteischen Werke, zu der Mommsen durch seine
1870 erschienene Abhandlung * Cornelius Tacitus und Cluyius
Rufus' (Hermes IV 295 ff.) den Grund gelegt hat, nicht blofisi
für die Beurteilung des Historikers, sondern auch des Schrift-
stellers Tacitus von einschneidender Bedeutung geworden: sie
hat freilich unserem Glauben an das rein individuelle Gepräge,
welches diese letzten gewaltigen Schöpfungen der absterbenden
heidnischen Welt auszuzeichnen schien, bis zu einem gewissen
Grade Eintrag gethan, aber der wissenschaftliche Litterar-
1) Viel häufiger als gute Perioden sind, wie überhaupt bei den Au>
toren der Ealserzeit (s. o. 1. c), schlechte (immer vom klassischen Stand-
punkt aus betrachtet), z. B. XIII 12 ignara matre, dein frustra obmtente
penitus inrepserat per luxum et ambigua secreta, ne senioribus guidetn prtii-
cipis amicia adversantihm , muliercttla nuUa cuiusquam inmria eupidines
principia explente, quando uxore ah Octavia fato quodam, an gma^^prae-
valent inlicitu, abhorrebctt metuebaturque, ne in stupra feminarum inlutirmm
prorumperet, si illa libidine prohiberetur. h. n 41 eo metu etc. wird Ton
Müller 1. c. 18 richtig gegen Änderungen geschützt. Eine ganz ÜTianiiche
Periode wie die des unbekannten Historikers beim schol. luyenaL 1, 156
dürfte sich bei Tacitus (natürlich abgesehen vom Dialogus) überhaupt nicht
finden.
Taciina. 341
hiBtoiiker ist entsagungsvoll und giebt den Glauben an ein
litterarisches Phänomen seinem eigenen GefQhl zum Trotz ohne
Zögern preis dem Nachweis des historischen Werdens.^) Tacitus
hat als Historiker in den uns erhaltenen Teilen seiner Werke
gearbeitet, wie es im Altertum Regel war bei der Darstellung
▼ergangener Zeiten: er verglich seine Vorgänger, schloüs sich
entweder ihrer Ansicht an oder bildete sich aus dem von diesen
gesammelten Material seine eigene Ansicht. *) Er hat nun, wie
schon Mommsen hervorhob, aus seinen Quellenschriftstellern
manches auch stilistisch so gut wie wörtlich herübergenommen,
und zwar gerade derartiges, was wir früher als so ganz, so echt
taciteisch angesehen haben: nun gehört es jenem Anonymus, der
f&r uns verschollen ist, so gut wie die alten Annalisten durch
Livius der Vergessenheit anheimfielen. Folgende Koincidenzen
zwischen Plutarch im Leben des Galba und Otho und Tacitus'
Historien geben die deutlichste Vorstellung:
Tac. hist. I 22: non erat Otho- Flut. Galb. 25: oi xatä t^v rot)
nis mdlis et carpori simüis öAiiatog luxkaxiav xal dijAv-
anifnus xrita r$ i>^lfi ducted'QV(i'
lidvog
I 81: cum^timeret Otho, time- Flut. Oth. 3: (poßoviisvog im^Q
hatur T&v ivÖQ&v aitbg ^v (po-
ßsQbg ixeivotg
II 48: neu patmutn sibi (Hhonem ib. 17: iiijts ixUa^iö^ai navxa-
fuisse aut öbiivisceretur um- naöi iiiftB Ryav (ivrniovevsiv,
quam (Salvius Cocceianus, 8iri Kai6aQa ^Hov l6%Bg,
Oihos Neffe) aut nimiwn tne-
minisset^
1) Wenn C. Nipperdey in seiner erklärenden Ausgabe des Tacitus I'
(Berl. 1871) Einl. p. XXVI adn. gegen Mommsen schreibt: „Dadurch, dafi
hiernach Tac. an sehr vielen Stellen auch die Worte und die rhetorische
Wendimg einem seiner nächsten Vorgänger entlehnt haben müfste, ver-
nrieilt sich diese Ansicht selbst auf das entschiedenste. Wie kann man
dies einem Manne von dem Geiste und der Darstellungsgabe zutrauen,
welche sich in seinen übrigen Schriften offenbart?** u. s. w. u. s. w., so ist
das ganz nnantik empfunden. Natürlich gilt ihm daher Plutarch als der-
jenige, der den Tacitus abgeschrieben habe. Dafs daran gar nicht zu
denken ist^ haben inzwischen die neueren Untersuchungen fdr alle bewiesen.
8) Für die Zeit des Tacitus cf. Plin. ep. V 8, 12 (er will Geschichte
342 Von Augustus bis Traian.
Das ist der Ton, der uns aus den Proben der besseren Rhe-
toren bei dem älteren Seneca und ans den Werken des jüngeren
Seneca geläufig ist, und ich kann nichts Besseres thun, als
Mommsens Worte darüber (1. c. 316) zu wiederholen: ^^Tacitus*
Eigentümlichkeit ist nur der vollendete Ausdruck der in der
höchsten romischen Gesellschaft des ersten Jahrhunderts herr-
schenden Stimmung; man kann dies an Petronius und dem
jüngeren Seneca wie an den beiden Plinius verfolgen, so g^uuslich
verschieden sie auch selbst von Tacitus sind. Es ist gewifs, daCs
das Geschichtswerk, von dem Tacitus hier abhängt, ebenfalls auf
antithetischer Reflexion ruhte, nach glänsender und wirkungs-
voller Darstellung rang, so dafs Tacitus die Farben, die er
brauchte, zum guten Teil schon auf der fremden Palette
fand . . . Dafs Tacitus bestrebt war sie zu steigern, zeigt
sich • . . auch darin, dafs er an einzelnen Stellen damit ver-
unglückt ist. Wenn zum Beispiel Plutarch (18) von Otho sagt^
er habe ebenso viele und ebenso nachdrückliche Lobredner wie
Tadler gefunden, denn nicht besser als Nero habe er gelebt,
aber besser als dieser sei er gestorben, und Tacitus (II 50) dies
also wendet: duobtis facinoribus, altero flagitiosissimo aUero egregio,
iantundem apud posteros meruit bonae famae quantum nuüaef so
hat diese letztere Fassung zwar mehr Pointe als die erstere, aber
in der That ist sie falsch; denn durch keine einzelne Unthat,
der man die Grofsthat seines Todes entgegensetzen könnte , ist
Othos Leben, das ganz gemeine eines leeren und vrüsten Hof-
adlichen, im Besonderen bezeichnet/'^)
indi- Um zusammenzufassen: der Stil des Tacitus stellt sich uns
ond dar als eine Vereinigung des Besten aus der modernen Rhetorik
rradition.
schreiben) tu tarnen iam nunc cogüa, quae poUsBimum tempora aggrediar.
vetera et scripta aiiis? parata inquisitio, sed onerosa collatio; Tad-
tus selbst ann. XIII 20.
1) Doch ist letzteres wohl nicht ganz genau, denn was die Quelle
unter dem facinus flagitiasimmum verstand, zeigt Gass. Dio LXIV 16, 8
&Q%i\v agndöag äguita aitfjg &nriXldyri. — h. m 38 citiert er seine Quelle
{eicut acc^mus) : die betr. Partie ist sehr rhetorisch, sie schliefst mit einer
antithetischen Pointe (39 i. f.): sanctus, inturbidiM, nuUius repentini honoris;
adeo non principatus appetens parum effugerat ne dignus crederetur. ib. 88 ff.,
wofQr er Messalla und Plinius citiert, sind yergilische Ankl&nge beson-
ders stark.
TacitDs. 343
mit der dieser innerlich sehr nahe verwandten sallustischen
Diktion. DaTs er in einem solchen Stil schreiben mafstey erklärt
sich sowohl aus der ganzen Zeitlage als seiner Individualität.
Der schriftstellerische Gedankenausdruck von Männern, die
Furchtbares sahen und deren Blick trotz der wolkenlosen Gegen-
wart soi^envoU in die ungewisse Zukunft gerichtet war —
urgent imperii fata Germ. 33: das glaubte damals die ganze
Welt — , die sich in ihrem sittlichen Idealismus, voll trüber
m
Resignation, aus der groben Vergangenheit exempla recti aut
sciacia fnaii (h. III 51) holen mulsten, konnte nicht heiter sein
wie der des Livius, an dem man das süTse otium jener Zeiten
zu empfinden glaubt. ,,Es ist vergebens, sagt Niebuhr^), zu
fragen: wer ist Tacitus' Lehrer? Ihn lehrte der Schmerz der
Zeit.^ Aber Tacitus hat diesen modernen Stil krafb seiner ge-
waltigen, ja gewaltsamen Individualität in stetiger Entwicklung')
zu einer Vollendung gesteigert, die nie wieder erreicht wurde,
eben weil sie nur von einer so mächtigen Persönlichkeit ge-
tragen werden konnte, wie sie der müde Boden der zur Rüste
gehenden alten Welt nicht wieder hervorgebracht hat.
1) Yortr. üb. rOm. Gesch. ed. Isler III 224, cf. desselben History of
Rome firom the first Punic war to the death of Clonstantiiie (gelesen 1829)
edited by L. Schmitz 11 (London 1844) p. 259 f. It is in vain (hat we ask,
who wert hi$ teathers? They may have been quite insignificatU men, and
ihe adiooH in tohich he wm trained was the deep grief produced hy iKe op-
pressüm of ihe iimee. Hie great soul was eeised toUh thie grief in iKe reign
of DomiUan, and he recovered from it under Nerva and Trtyan, . . . It is
only Ikoee vho are unable to underetand this feding of writers like SaUtMt
and Taeihu, that ean have any doubt of the geniUneness of iheir style. The
origin of it is a disgust and a aversion to all extiberances of style. There is
not a trace of affectation in Ihose writers, for they have no oiher ofjject than
not to waste cmy words.
2) Nach Leo 1. c. 10 hat er im Agricola den Sallust, in der Germania
den Seneca nachgeahmt. Ich kann diese Unterscheidung nicht zugeben:
dafs er zu der Germania inhaltlich durch Senecas Schriften über Indien
ond Ägypten angeregt zu sein scheint (s. o. S. 326, 2), kann für den Stil
kamn beweisend sein; vielmehr dürfte sallustische Einwirkung mit jener
Modifikation, die schon den späteren Stilvirtuosen gelegentlich erkennen
l&fst^ in beiden Essais gleichm&fsig zu konstatieren sein.
344 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
Zweiter Abschnitt.
Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
Einleitung.
atern der Bis zur hadriaiiischeii Zeit bewegt sich die Litterator der
beiden Völker noch auf einer emporsteigenden Linie, dann steht
sie etwa ein halbes Jahrhundert still und geht yon da an ab-
wärts. Wie Greise, die, um mit Yarro zu reden, daran denken,
ihr Bündel zu schnüren^), machten sich die Menschen daran,
das Beste, was die lange grofse Vergangenheit in frischer Jugend
und in gereiftem Mannesalter erforscht hatte, zu sammeln und
durch verständiges Excerpieren den weit geringem Bedürfiussen
der Gegenwart anzupassen und der Zukunft zu übermitteln, die
ihrerseits in demselben Sinne mit den aufgespeicherten Schätzen
wirtschaftete, sie einem stetig fortschreitenden Verdünnongs-
prozefs unterwerfend.
Bomaniik In dem selten unterbrochenen Quietismus der Regierungen
KiMdcii- des Hadrian, Antoninus und Marcus spiegelt sich die Stimmung
™^'' des ganzen Zeitalters. Da den Menschen jener Zeit noch nicht
zu Bewufstsein gekommen war, dafs in ihrer Mitte eine neue
Ideenwelt im Bilden war, welcher die Zukunft gehören sollte,
da sie ebensowenig begriffen, dafs jenseits der Berge neue jugend-
frische Völkerstämme sich konsolidierten, welche das hinwelkende
alte Riesenreich nicht mehr zu bezwingen imstande sein sollte,
so gab es wenig zu denken und noch weniger zu thun: inmitten
der sich vorbereitenden inneren und äufseren Revolution aller
bestehenden Verhältnisse lebte man friedlich dahin, machte
Reisen in uralte Kulturländer, verträumte am Golf von Neapel
1) Das Gefühl des Alterns der Welt kommt besonders deutlich (und
zwar hier nicht spezifisch christlich gefärbt) zom Ausdruck in der Schiift
Cyprians ad Demetrianom (I 351 ff. Hartel), cf. dort vor aUem c. B üM
primo in loco scire debes senuisse tarn saectdum etc. Aus sp&terer Zeit:
Sidonius ep. VIII 6, 3 quis provocatus ad facta tnaiorum nan inerti88imu$,
quis quoque ad verba non it^antissimtis erü? namque virttUes arUum teknrum
meculis potius priscis saeculorum rector itigenuit, quae per aekUem mumdi
iam senescentis lassatis veltU seminibus emediUlatae parum aliquid hoc tem-
pore in quibuscumgtte, atque in paucis, mirandum ac memardbile oetentant.
Allgemeine Charaktoristik. 345
seine Tage und fand im Hafen der stoischen Philosophie das
innerliche Symbol der äuTseren Buhe. Vor allem feierte die
Litteratnr unter dieser milden Sonne ihren Nachsommer , die
Herrscher selbst nahmen an ihr lebhaften Anteil und schufen
ihr an den Eulturcentren des Reiches Freistätten« Das Wich-
tigste war, dafs die griechische Litteratur, die in der letztver-
gangenen Zeit merkwürdig zurückgetreten war, jetzt, durch den
Philhellenismus der Kaiser^) gehegt, wieder die Bolle der Füh-
rerin übernahm: Tacitus vermied ängstlich griechische Fremd-
worter, aber Appuleius weiüs seine Kunststücke in beiden Sprachen
gleich geschickt zu machen; Griechen lebten in Bom, Griechen
in den Provinzen, die Kaiser buhlten formlich um die Gunst
ihrer bedeutendsten litterarischen Vertreter, liefsen sich ihre
Werke widmen, ernannten sie zu ihren Sekretären und Erziehern
ihrer Kinder; mit einer beispiellosen Unverschämtheit dünkten
sieh diese Sophisten die Herren der civilisierten Welt und
lieisen sich in Bom, das sie auf ihren Kunstreisen zu berühren
selten verfehlten, anfeiem; nur in ihrem Dunstkreise leben zu
dürfen, ist einem Gellius die höchste Seligkeit, um die ihn
Tansende beneideten. Vor allen nahm Athen durch die Muni-
ficenz sowohl der Kaiser als auch einzelner reicher in der ein-
stigen Gröüie sich sonnender Einwohner einen ungeahnten Auf-
schwung und wurde noch einmal — für Jahrhunderte — der
Name, der das Herz hoher schlagen machte und über die gleich-
gültige Gegenwart den Schleier der Phantasie breitete: sogar
Iromm glaubte man wieder werden zu können, wenn man die
alten Feste der Götter erneuerte und ihre Tempel aufbaute.')
Denn die Menschen dieses und der folgenden Jahrhunderte
haben ihre Augen nach rückwärts gewendet. Wie Greise er-
innern sie sich einer glücklicheren Kindheit. Ein Grieche re-
gistriert die Monumente der Vorzeit weniger aus künstlerischem
als aus antiquarischem Interesse: er ist dadurch eine unserer
wichtigsten Quellen für Beligionsaltertümer geworden. Marcus
1) Den Hadrian nennt Philosiratos (vit. soph. 1 24, 3) inttTidii6tceto9
rdhr Molai faütXiwp yip6iur99 &Qit^g aif^fjöai^ sc. röv cofpiüt&v. Er flber-
hftofte mit Ehren den Dionysios, Marcus, Polemon (I 22, 3. 24, 3. 25, 2 f.).
Cf. Kaibel zu Epigramm 272 u. 888 a seiner Sammlung.
2) Cf. E. Maals, Orpheus (München 1896) 36 f. W. Schmid, i>.
Attidsm. lY (Stnttg. 1896) 571 f.
346 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
als Caesar fährt nach seiner Villa^ aber er biegt Yom Wege ab,
um Anagnia zu sehen: dcinde id qppidum anticum vidimus, minu-
tulum quidem, sed multas res in se antiguas habet, aedes sanctasque
caerimonias supra modum. nüllus angulus fuit, übt ddubrum aint
fanum aut templum non sit praeterea multi libri lintei, quod ad
Sacra adtinet deinde in porta, cum eximuSf ibi scriptum erat bi-
fariam sie: ^flamen sume samentum\ rogavi aliquem ex pcpularibus,
quid illud verbum esset ait lingua Hemica peUiculam de hostia,
quam in apicem suum flamen cum in urhem introeat imponü, muUa
adeo alia didicimus quae vellemus scire (M. Caes. ad Front. IV 4
p. 66 f. Nab.). Das ist ein Stimmungsbild der Zeit und so ist
es Jahrhunderte geblieben^ selbst als die Riegel des Reiches yon
den Barbaren durchbrochen wurden, als die neue Religion, nicht
mehr geduldet, sondern Siegerin, der im Todeskampf aufstöhnen-
den Gegnerin den herrischen Fufs auf den Nacken setzte. Immer
sind es oC Maga^&vL nQOxivdwsvöavreg und die zahllosen ähn-
lichen Themata bis zur Schlacht bei Chaeronea, die in unend-
lichen Variationen eines stereotypen Schemas vorgetragen werden.^)
Uns erscheint das öde und lächerlich, aber wir dürfen doch nicht
vergessen, dafs auch in dieser Romantik ein idealistischer Zug
nicht fehlt: man versetzte sich mit liebevoller Pietät zurück in
die Zeiten der grofsen Vorfahren, feierte unter den Stürmen der
beginnenden Völkerwanderung in Ruhe die alten Feste und ent-
floh so der Gleichgültigkeit der Gegenwart: denn was machte
das Leben lebenswert, es sei denn die Erinnerung an ver8ch¥run-
dene Pracht imd Gröfse? Das ist die Stimmung, die z. B. aus
so manchen melancholischen Äufserungen des Dion Ghrysostomos
uns entgegenklingt. ^ Dazu kam dann in den folgenden Jahr-
hunderten der Schmerz, die altheiligen Tempel und Grötterbilder
in den Staub sinken zu sehen unter den Händen von Barbaren
1) Cf. auch J. Borckhardt, Die Zeit Constantins d. Gr. ' (Leips. 1S80)
260 ff., wo mich besonders der Hinweis interessierte, dafs nach dem Be-
richt des Gassius Dio LXVI 26 bei der Einweihung des Kolosseums und
der Titusthermen zur Darstellung kam die vavfucx^ der Kerkyrfter und
Korinthier, sowie an einem andern Tage die der Athener nnd Syrakusaaer,
die schliefslich auf einer kleinen Insel sich zu einer n$iofta%Uc gestal-
tete. Man sieht, wie tief das ins Leben und Fühlen der Menschen einge-
drungen war.
2) Sie sind zusammengestellt von W. Schmid 1. c. I (Stutt^. 1887) 74 f.
Allgemeine Charakteristik. 347
oder Fanatikern. Wenn ich mir denke, dalB, als Alarich mit
seinen Horden alles den Hellenen Heiligste mit Feuer und
Schwert vernichtend durch die Thermopylen in Achaia eindrang,
irgend ein Sophist in Athen ein Enkomion t&v iv SsQii^oxiilaig
MBödvzmv gesprochen haben sollte, so würde darin ja freilich
eine grausame Ironie gelegen haben, aber wir würden die senti-
mentale Schwärmerei, von der die ganze Zeit durchdrungen war,
nicht gefQhllos verdammen. Wie ergreifend klingt doch jene
Prophezeiung des eleusinischen Hierophanten von dem nahen
Untergang des Tempels und damit der hellenischen Religion,
was dann bald eintraf (Eunap. v. soph. p. 52 f.); und mag auch
die siegreiche Sache Gott gefallen haben, so wirken auf unser
Gemüt doch tiefer die Klagen des Libanios und Symmachus als
die Triumphrufe des Gregor von Nazianz und Ambrosius. Dab
jene Tiraden auf des alten attischen Reiches Herrlichkeit doch
nicht blolse Phrasen waren, wird man zugeben, wenn man z. B.
Himerios folgende Worte an einige eben aus lonien ange-
kommene neue Schüler richten hört (or. 10, 2 f.): „Ich werde
euch führen zu der Väter grofsen Denkmalen; zeigen werde ich
euch auf dem Gemälde Marathon und eure Väter, wie sie den
Ansturm der Perser durch Lauf oder Hiebe zunichte machten;
zeigen werde ich euch auch meine Krieger, den einen, wie er
mit der Natur selbst auf dem Gemälde kämpft (denn auch ge-
malt wird Kallimachos euch mehr einem Kämpfenden als einem
Toten zu gleichen scheinen), den andern, wie er mit den Händen
die Perserflotte untertaucht und je nach den Forderungen der
verschiedenen Elemente die Natur des Körpers teilt. Führen
werde ich euch nach der Poikile, oben auf den Hügel, die
Werkstatt der Athene. Dort könnt ihr euch an tausend Er-
zählungen sättigen, indem ihr wie auf einem Gemälde die Denk-
male der Väter erforscht'' u. s. w.
Auch der Unterricht in den Schulen, deren Sorge sich viele
Kaiser von Vespasian bis Gratian und Theodosius II., ja wenn
man will, bis Karl d. Groben und seinen Nachfolgern angelegen
sein liefsen^), war begründet auf den alten Klassikern. Dio
1) Gf. aoDBer der wichtigen Anmerkung des Gothofredus zum XIU cod.
Theod. tit. lU 1. 1 die vortreffliche Arbeit Ton G. Boissier, Kinstruction
publique dana Fempire romain in: Revue des deux mondes LXII (1884) 816 ff.
(besonderB auch p. 849 über die auf der Rhetorik basierte Bildung).
348 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
Chrysostomos (or. 18, 479 f. R.) hält es für nötig, sich zu eni-
schuldigen, dafs er einem iv^Q nolit^xös^ der sich im Beden
vervollkommnen will, nicht nur die alten Redner (Demosthenes,
Lysias, Hypereides, Aischines, Lykurgos) empfiehlt, sondern auch
die vbAxbqoi koI dXiyov XQb i^fidi/, yne Antipatros, Theodoros,
Plution, Eonon: es werde ihn zwar mancher deshalb tadeln,
aber die Lektüre der Neueren habe den Vorteil, dals man ihnen
nicht wie den Alten dedovkcjudvog ti^v yvAiitjv gegenüberstehe
und hoffen dürfe, sie zu erreichen, was bei jenen unmöglich sei.
Daher galt es als etwas Besonderes, wenn ein Neuerer unter
die Alten aufgenommen wurde; dafür giebt es ein eigentümliches
Zeugnis in dem Ehrendekret von Halikarnafs aus der Zeit Ha-
drians (Lebas-Wadd. 1618): gefeiert wird ein uns ganz unbe-
kannter Dichter C. Julius Longianus, dessen Recitationen {ix^
Ssiieig) in den karischen Städten grofses Aufsehen machten; in
Halikarnafs wird beschlossen, ihm an hervorragenden Punkten
der Stadt Erzstatuen zu setzen, darunter eine xaQä tbv nahuin»
'Hgödorov, i^tpiöd'ai dl xal rotg ßvßXiovg adroi) driybotttav ivi-
9b6lv iv X8 ßvßkiod^ijxaig tatg nccQ* fifistv^ iva xal hf to^itoig ol
vioi naiÖBvcavtaL rbv avrbv VQÖTtov bv xal iv totg t&v xaXmSuv
6vyy(fäfi(ia6(^v^) Bei den Lateinern war, wie man z. B. aus dem
Kommentar des echten Servius weifs, der, Kreis der Schulautoren
abgeschlossen mit der traianischen Zeit (luyenal ist der letzte);
Terentianus Maurus, der sich für die tändelnden Formen der
Metrik auf die noveUi poetae der hadrianischen Zeit berufen
mufs, entschuldigt sich deswegen (v. 1973 ff.).
Fortaobritt Die klassicistischo und daher archaisierende Richtung über*
Manier, wicgt iu der ganzcu Kaiserzeit und ihr sollte künftig der Sieg
vorbehalten sein. Mit ihr kreuzt sich die neoterische Richtung,
die im allgemeinen bewufst oder unbewufst neue Wege ein-
schlägt, gelegentlich aber ein Stück mit jener andern zusammen-
geht, sodals die Scheidung nicht überall leicht ist. Denn das
ist eben das Bezeichnende dieser wie jeder Zeit des Niedergangs,
dafs Unvereinbares mit einander verständnislos gemischt wird.
1) So wurde auch die Statue des Favorin an einem hervorragenden
Platz der öffentlichen Bibliothek zu Korinth aufgestellt als Vorbild fOr die
Jugend, wie er selbst erzählt (Pseudo-Dio Chrys. or. Gorinth. § 8, vol. II
104 R.).
Allgemeine Charakteristik. 349
Wie war es z. B. möglich^ daTs Hadrian an Ennius Gefallen
finden nnd doch im Stil der noveUi poetae (die mit ihren spiele-
risch lasciven Yerskünsteleien überhaupt ein würdiges Gregenstück
SU den modernen Rednern bildeten) jene an schlaffer Weichlich-
keit nnd kindischer Tändelei ihresgleichen suchenden Yerslein
dichten konnte^ die selbst einem solchen litterarischen ivaiö^-
to$ wie seinem Biographen (c. 25^ 9) zuviel waren? Wer frei-
lieh die phantastischen Sonderlichkeiten bedenkt, die er in seiner
Villa in die Erscheinung treten liefs; wird sich über nichts
mehr wmidem^ auch nicht darüber, dab lulia fialbilla, eine
Dame ans der nächsten Umgebung des Kaisers und seiner Ge-
mahlin, in äolischem ^) Dialekt dichtete (Eaibel 988 ff.).
Auf einen Punkt sehe ich mich veranlaGst, noch ganz be- sprsoh«
sonders hinzuweisen^ damit jedes Mifsverständnis Yon vornherein
angeschlossen wird. Für die Sonderung der beiden Strö-
mungen ist nicht die Sprache im engern Sinn, d. h. der
Wortgebrauch, die Flexion und die Syntax das Ent-
scheidende. Denn mit altattischen Worten, Formen und Wort-
verbindungen haben auch die Moderhetoren ihren ganz unattischen
Stil aufgeputzt^ wofür es vorerst genügen mag, auf Lukian rhet.
praec 18, auf Favorins korinthische Rede (Pseudo-Dio Ghrys.
or. 37, cf. dort besonders § 26) und auf Himerios zu verweisen,
und umgekehrt haben viele Schriftsteller, die durchaus zu den
iq%aXM gehören wollten, nichtattische Worte gebraucht, sei es,
dab sie es versehentlich thaten, sei es, dafs sie ihre Darstellung
dadurch beleben wollten. Das wesentliche Kriterium ist ^
vielmehr der Stil, d. h. das, was die antiken Theoretiker *^>-
li|ig (auch q>Qd6ig) nannten und worunter sie aufser der Perio-
dimerung vor allem das ganze ^og der Darstellung verstanden.
Man begeht — deshalb mufs ich dies hier so eindringlich be-
tonen — heute sehr oft den Fehler, beides zusammenzuwerfen,
wodurch man sich in direkten Gegensatz zur antiken Theorie
und Praxis setzt. Ich will das an einem bestimmten Beispiel
zeigen« Arrian hat sich selbst als neuen Xenophon bezeichnet
1) Nicht viel sp&ter sind nach Schrift, Sprache und Inhalt die drei
in Piridien gefundenen, in dorischem Dialekt verfafsten Gedichte des Leon-
tiaiiot, danmter das herrliche auf Epiktet (Papers of the American school
of clast. itiid. at Ath. III [1884—1886] n. 488—440).
350 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
und galt der Nachwelt als solcher; Photios bibl. cod. 58 fsSsi
das Urteil in die Worte zusammen: l6%vhq ri)v ^ifA^tv i6tl xal
liifL^itiig &£ ikfiO'&g Sevofp&vtog. Neuerdings hat man nun genaue
Untersuchungen über die Sprache Arrians angestellt^ wobei sich
ergab, dafs er im Gebrauch von Worten, in der Flexion und in
der Syntax durchaus nicht immer auf altattischem Standpunkt
ßteht. Daraus haben nun einige^) geschlossen, dab Arrian nur
deshalb sich den zweiten Xenophon genannt und als solcher bei
der Nachwelt gegolten habe, weil beide eine ivdßa^iq geschrieben
hätten und wie der eine ein Schüler des Sokrates, so der andere ein
Schüler des Epiktet gewesen wäre; wenn ihn Photios also wegen
seiner (pQdöig mit Xenophon vergleiche, so sei das fialach. Nun
braucht man aber nur einen ganz beliebigen Satz der arrianischen
Anabasis zu lesen, um sofort mit denkbar gröüster Deutlichkeit
den xenophonteischen Stil herauszufühlen, also eben jene töfyitfigf
die Photios an ihm rühmt wie alle Welt an Xenophon. DaCs
Arrian seinen Sprachgebrauch nicht engherzig dem seines Vor-
bildes angepafst, sondern sich hier — natürlich innerhalb einer
gewissen Grenze — seine Freiheit gewahrt hat, spricht f&r sein
Taktgefühl als Schriftsteller, der zwar der konventionellen Mode
gemäfs in einem künstlich erlernten archaischen Stil schreibt^
ohne aber — wie es andere thatsächlich gethan haben — an
der Hand etwa eines atticistischen Lexikons die Sprache zu
meistern und sie so dem Leben ganz zu entfremden. Dalfl ein
in gemessenen Grenzen sich bewegendes Nebeneinander von ar-
chaischen und modernen Worten auf der gemeinsamen Basis
eines kunstmäfsigen Stils auf seine gebildeten griechischen Leser
einen unangenehmen Eindruck gemacht habe, glaube ich nicht^
wenn ich mich aus unserer Litteratur beispielsweise an Gustav
Frey tags Romane erinnere: die Stoffe Arrians lagen ja gleich-
falls in der Vergangenheit
Nach diesen Vorbemerkungen versuche ich nun im folgen-
den, den Kampf der litterarischen Parteien, den wir in der trm-
ianischen Zeit verlassen hatten, weiter zu verfolgen. Mit gutem
Grund habe ich dabei für die Theorie griechische und lateinische
Zeugnisse aus den verschiedensten Jahrhunderten auf gleiche
1) Besonders A. Boehner, De Arriani dicendi genere in: Act. sem. phiL
Erlang. IV (1886) 1 ff.
Die zweite Sophiatik. 351
Stufe neben einander gestellt: denn eine Sonderang des Griechi-
schen und Lateinischen, die innerlich nicht berechtigt ist, würde
uns die Erkenntnis wichtiger Znsammenhänge erschweren, und
eine wie bisher von Epoche zu Epoche fortschreitende Darstel-
lung läfst sich fortan noch viel weniger geben, als es überhaupt
der Fall zu sein pflegt: denn die Litteraturen beider Volker
tragen in diesen Zeiten einen wesentlich uniformen Charakter,
▼or allem auf dem uns hier allein angehenden Gebiet des kunst-
mÜsigen Ausdrucks der (bedanken in prosaischer Rede.
Die zweite SoplilstÜL
Die bedeutende Stellung, welche man der Sophistik in der au-
Kaiaerzeit einräumte, erscheint uns modern empfindenden Men- ^"*^^
sehen zunächst unbegreiflich. Wenn wir uns aber in das Em-
pfinden einer Gesellschaft hiueinzuversetzen suchen, die erstens
niehta Besseres zu thun hatte als sich zu unterhalten, die
zweitens noch immer die angenehmste geistige Unterhaltung in
dem Beiz sah, welchen das gesprochene Wort auf ihre Ohren
ausübte, die drittens — und das ist nicht unwesentlich — eine
erheblich höhere Durchschnittsbildung besafs als es heute der
Fall ist^), so verschwindet das Befremdliche und wir verstehen
es, dala die Griechen — nicht mehr die "EkXtivsg der groben
Zeit, sondern die Fqu^koI tcoI €%oKa€ti>%oC^ Graeculi — , die es
von jeher .verstanden, alles zu einer Kunst zu gestalten, damals
ihre Geschwätzigkeit zu einer Kunst ausbildeten.') Die vor-
treffUchen Darstellungen, welche diese sog. zweite Sophistik in
neuerer Zeit gefunden hat, vor allem die, welche Rohde in seinem
Buch über den griechischen Roman gab, sind bekannt. Uns
interessiert hier nur die stilistische Seite, imd ich will, damit
man eine möglichst lebendige Vorstellung von der Vortragsweise
dieser Sophisten für die nachfolgende Untersuchung mit auf den
Weg nimmt, eine hübsche, wenn auch etwas karikierende Cha-
rakteristik des Synesios (Dion p. 54 f. Pet.) voranstellen, die
1) Darauf weist hin G. Boissier 1. c. 349; cf. Tac. dial. 19: es gebe
jetit keinen Zuhörer mehr, quin elementis studiorum etsi non instntctus at
eerU mimhu sit
2) Cf. K. Lehrg in: Pop. Aufs, aus d. Altert.» (Leipzig 1876) 872 ff.
352 Von Hadrian bis zum Ende der EjiiBerzeit.
wir, da die Verhältnisse sich in jenen Jahrhunderten nicht
änderten^ ohne weiteres auch auf frühere Zeiten übertragen
dürfen. Er vergleicht sich, den in behaglicher Mufse auf seinem
Landgut lebenden und von den höchsten Fragen in Anspruch
genommenen Philosophen, mit den armseligen Sophisten: y,Wer
so vielen ungleich gearteten Menschen gefallen mufs, wie sollte
der nicht nach Unerreichbarem streben? Ein solcher ist nun
eben der Yolksredner, der Sklave der Menge, der allen ausgesetzt
ist und von jedem Beliebigen in schlechte Stimmung versetst
werden kann. Lacht einer, so ist's um den Sophisten geschehen;
macht einer ein finsteres Gesicht, so beargwöhnt er ihn. Denn
als Sophist erstrebt er, gleichgültig welche Art der Bede
er vertritt, äufseren Schein statt Wahrheit. Unangenehm ist
ihm auch der sehr Aufmerksame, da dieser möglicherweise darauf
lauert, ihn zu packen, ebenso sehr aber auch der, welcher den
Kopf hierhin und dorthin dreht, da er das Vorgetragene nicht
des Anhörens für wert halten könnte. Und doch hätte er
eigentlich eine so harte und herrische Beurteilung nicht verdient,
er, der um den Schlaf vieler Nächte kam, viele Tage auf der
Folter lag und um ein kleines vor Hunger und Sorge, nur ja
etwas Gutes zusammenzubringen, sein Leben hätte zerrinnen
sehen. Und so kommt er denn und bringt etwas mit, das au-
genehm imd lieblich zu hören ist, für seine stolzen Lieblinge,
um derentwillen es ihm elend geht, so sehr er auch thut^ als .
fühle er sich wohl. Vor dem angekündigten Tage badet er sich,
erscheint dann prunkend in Kleidung und Haltung, damit es
auch schön aussehe, lächelt dem Publikum zu und ist (sollte
man denken) vergnügt: aber seine Seele wird gefoltert, hat er
doch sogar Bocksdom gegessen, um nur ja klar und wohlklingend
zu sprechen. Denn dafs ihm gar sehr an der Stimme liege und
er alles, was sie betrifft, gehörig vorgesehen habe, das würde
selbst der von ihnen, der am feierlichsten thut, nicht zu leugnen
wagen: pflegt er sich doch mitten während des Vortrags umzudrehen
und nach dem Fläschchen zu fragen, welches ihm der Diener
hinreicht (denn von langer Hand her bereitet er es vor); jener
aber schlürft davon und gurgelt damit, um sich frisch an die
Gesangpartieen heranzumachen. Aber nicht einmal so findet er
Gnade bei seinen Zuhörern: denn sie möchten freilich wohl, dafs
er lossinge (würden sie doch dabei lachen können), aber sie
Die zweite Sophistik. 353
möchten ebenso gern, dafs er, wie eine Bildsäule, blofs Lippen
und Hand öffiie, dann aber stummer als eine Bildsaule werde
(wQrden sie doch dann loskommen, was sie schon lange
wünschten)/' Die letzten Worte sind eine vom Hafs eingegebene
Unwahrheit: das Publikum, an das sich der Sophist wandte,
konnte nie genug bekommen und verhimmelte seinen Lieb-
ling. Man lese blofs, was Eunapios v. soph. p. 82 & von Pro-
hairesios berichtet. Bei einem Eonkurrenzreden in Athen befiehlt
er durch den Prokonsul dem Publikum, ausnahmsweise ihn nicht
durch Klatschen zu unterbrechen; dieses thut ihm den Gefallen,
und nur halbunterdrücktes Stöhnen wird laut. Dann aber, als
der Sophist, im höchsten Affekt auf der Tribüne hin- und her-
laufend, dieselbe Rede sofort wörtlich wiederholt, oUte 6 iv^v-
xatog ivtavd'tt taifg iavtov vöfiovg iq)'6kattev oGts rb ^iaxQOV
xäg iaCHXäg xov &Q%(yinog' xal xä öxigva xov öotp^öxov nBQi-
XBijjfLin^aiuvoi xa^dnsQ Ayakfiaxog iv&dov ndvxsg oC nagövxsg ol
\kkv x68ag ot d\ X^tgag jcqoösxvvoWj ol 8\ ^sbv lq>a6av oC ds
'E^fioO Aoyiov xvnov.
Man pflegt heute zu glauben, dafs über die litterarhistorische
Stellung dieser jüngeren Sophistik eine wesentliche Kontroverse
zwischen zwei Autoritäten, Rohde (1. c. 288 ff.) und Kaibel
(Hermes XX [1885] 507 ff.), bestehe: jener sage, daCs die zweite
Sophistik mit dem Asianismus, dieser, dafs sie mit dem Atticis-
mus zusammenfalle. Danach meinen die Neueren, die die zweite
Sophistik für eine Regeneration des Asianismus halten, dals sie
dafür auf Rohde verweisen können. ^) Nun aber hat weder Rohde
das eine, noch Kaibel das andere behauptet. Jener spricht
p. 325 ausdrücklich nur von manchen der neueren Sophisten,
die ein begreiflicher Zug der Wahlverwandtschaft über die
1) L. Friedländer, Sittengesch. III» (Leipz. 1881) 418. A. Reuter, De
Qaintiliaiii libro qai fertur de causis corruptae eloquentiae (Diss. Königsb.
1887) 70, 44. G. Brandstaetter, De notionum noliu%6g et ao(pusti/ig usu
rhetorico in: Leipziger Studien XV (1893). Wohl auch J. von Müller, Galen
als Philologe (in: Verh. d. 41. Vers, deutsch. Philol. u. Schulm. in München
1891) 81, wenn ich seine Worte recht verstehe: „sie (die Sophisten) ver-
meinten, die antik-attische Beredsamkeit wieder erneuern zu können, ohne
freilich zu merken, dafs der korrekte Gebrauch attischer Wörter, Formen
und Fflgongen ilften im Grunde asianischen Barockstil nicht vcr-
deckte."
Nord«B, antik« Kunst prosa. ^3
354 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
eiDsten Redner hinaus, za den rhetorischen Manieristen Goigias,
Hippias und den Asianem geführt habe, und er führt p. 316 ein
antikes Zeugnis an, nach welchem z. B. Aristides in direkten
Gegensatz zu den Asianem gestellt werde. Nichts anderes meint
Kaibel, wenn er p. 508 konstatiert, dafs es unter den Sophisten
solche gegeben habe, die dem Asianismus huldigten, da es sonst
dem Aristides nicht hätte nachgerühmt werden können, dafs von
ihm mit dem Asianismus gebrochen sei, wie er ja auch selbst
eine Rede offenbar gegen die Asianer geschrieben habe.^) Ich
hoffe nun, im folgenden die Richtigkeit der im Prinzip von
Rohde und Kaibel geteilten Auffassung nachweisen zu können.
Ich werde ebenso wie im vorhergehenden Abschnitt zunächst
zeigen, dafs der Kampf des alten und des neuen Stils
sich ununterbrochen weiterspinnt; dann, dafs der alte
Stil mit dem Atticismus, der neue mit dem Asianismus
identisch ist; dann, dafs dieser neue, asianische Stil an
die alte Sophistik anknüpft, aus der, wie wir sahen, der
Asianismus überhaupt herausgewachsen ist; endlich, dafs zwi-
schen den beiden extremen Parteien eine dritte yer-
mittelnd steht. Diese Einteilung presse ich nicht etwa mit
Gewalt in eine von mir aufgestellte aprioristische Konstruktion
hinein, sondern sie ergab sich mir ohne weiteres aus einer
grofsen Reihe von Zeugnissen. Diese sprechen meist so deutlich
für sich selbst, dafs ich sie fast alle ohne nähere Erklärung
neben einander stellen kann.
1) Die ganze loyoiucxla ist dadurch hervorgerufen, dafs Rohde an
einer früheren Stelle (p. 290, 1), wo er nur gelegentlich diese Frage
streifl, zu schroff sagt: ,,Die zweite Sophistik scheint überhaupt, in rhe-
torischer Beziehung, nichts eigentlich Neues gebracht, sondern nur die
asianische Manier erneuert zu haben.*' Das hat er aber doch an den im
Text citierten Stellen, wo er die Frage eingehend behandelt, widerrufen
oder wenigstens sehr modifiziert.
Die Parteien. 355
Erste Abteilung.
Die Theorie.
A. Der alte und der neue StiL
Die beiden werden sich in präziser Form gegenübergestellt z«iigniaM.
Yon Philostratos vit. soph. I 19,1: ^ Idia r&v Xöymv (nämlich
des Niketes aas Smyma) rov (ikv aQxaCov xal noXmxov üto-
ßißfptBVj {mößaxxog äh xal di^Qa(ißädrig. id. vit. Apoll. I 17:
6 dh ^AicoXXAvioq Xöymv ISiav im/^6XTi]6Bv oi) t^v didvQa(ißiodfi
xal q>X€yiia{vov6av Ttoiritixotg 6v6^a6tv oöd' av xaT€yXa)xri,6(idvriv
xal 4msffaxtixC^ov6av, &rid%g yäQ xb vn%Q ti^v iiargtav ^At^lda
iffBlxo. Als Skopelianos, einer der schlimmsten Moderedner, in
Athen auftrat, liefs Herodes, der Vater des Sophisten, die Hermen
der alten Redner zertrümmern, da sie ihm seinen Sohn verdürben
(y. s. I 21,7). — Lukian rhet. praec. 9 flf.: auf der einen Seite wird
zu dem jungen Adepten der Rhetorik ein sehniger ernster Mann
treten, dem man die viele Arbeit ansieht, er wird ihn einen
mühsamen Weg führen nach den Sparen des Lysias, De-
mosthenes, Aeschines, Piaton und anderer längstvergessener
*Alten': iQ%atog üg iXri^&g xal KQOVtxbg äv^Qmnog vb-
XQoi>g ig iii(iri6iv naXaioi>g XQOXi^elg xal ävoQvxxBiv
il^i&v Xöyovg xdXai xaxoQmQvy^dvovg &g xi> iiiyiöxov
iya^öv. Auf der anderen Seite tritt an ihn heran ein Mode-
rtutser und entnervter Weichling, der ihn einen bequemen Weg
zu führen verheilst: 15—20 altattische Worte soll freilich auch
er sich aneignen, aber nur auf keinen Fall einen der alten
Schriftsteller lesen: &vaylyv(o6xB xä naXaiä (ihv ^il öv ys^
(ifldl st Xi 6 XfJQog *l6oxQdxfig 1\ 6 xaQttmv &iioiQog z/i}-
fioö^ivfjg 4 6 i^vxQbg nXdtmv^ iXXä Toi^g xtbv dXiyov
XQb ijii&v Xöyovg xal &g fpaöi xavxag ^leXitagj Sg ixfjg
iaC ixeivav inufixiödfuvog iv xaiQp xaxaxQii^aö^at xad'dnsQ ix
xtcfusCov XQoaiQ&v. — Endlich eine Stelle des Synesios in
seinem *Dion', die ich ganz anführen muls, weil sie eine der
wichtigsten ist. Synesios hebt die innere Wandlung hervor, die
in Dio Torging, seitdem er den Beruf eines Sophisten mit dem
eines Philosophen vertauschte. Dem ernsten Inhalt entsprach
der veränderte Stil (p. 39 f. Pet.): reo fii^ naQeQy&g ivxvyxdvovxi.
356 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
dijXri xal fj TTig iQ^tivsiag ISia diaXXdttovöa xal oix ov6a ^ia
rp jdimvL xard xs rag 6oq)i,6ttxäg imod'iösig xal xatä tag noXi-
xtxdg, iv ixsivatg filv yäg intidt^ei xal ÜQotiBxaLy xa^djteg 6
taiag itSQcad^Q&v ainbv xal olov yavv(isvog inl tatg iyXatcug tov
Xöyovj Site ngbg ?i/ rovro bg&v xal tsXog t'^v aitpmvCav xiti-
[LBVog. 16x0) nagdöecy^a fj x&v T6(i7t&v (pgdöig xal 6 Mi^ivatv
{iv xovz(p iiBV ys xal im6xvq)6g iöxL ^ SQ^rivBia). xä di xov dav-
X6Q0V xQÖvov ßißkCa^ i^xtöx* &v iv ainotg tdoig %avv6v xt xal
dianetpoQfi^ivov. i^eXavvsL ydg rot <piXo6oipia xal iacb yXmxxi^g
xifvgyi^Vj xb ifißgi^ig xs xal xöö^iov xdXXog &yan&6aj
bnol6v iöXL xb iQ%atov^ xaxä tpvöiv i%ov xal xotg vxo-
xetfiivotg olxetov, oi [lexä xoi)g XCav igxaiovg xal ^Cmv
intxvyxdv€Ly dtd xg)v Jtgaxxoiiivmv lc)Vy xav Xdyy xotv
diaXiyrixai' iöxa nagdöscy^a xijg iq)€Xovg xal xvQiog ixiyv6fig
iQ(iriv€iag 6 ixxXfi6ia6xix6g xs xal 6 ßovXevvtxögy el 8% ßovXei xal
bvxivovv x&v ngbg xäg nöXecg sIqti^bvov x€ xal &vsyvm6fiiv&v
TCQOXsx^f'Qi'^^ivog [dotg av ixaxiqav Idiav iQxaVxijv, &XX^ ov
xfjg vemxsQag '^x^^S ^^? inijtotovörig x^ xdXXsi xf^g fpvösag^
bitolai at diaXi^ei^y &v XQÖöd'sv i^vri^iovEvöaiieVy 6 Mi(ivav xs
xal xa Ti^uiTi^ X6yog xs oixog b xaxä x&v q)iXo66q)<ov^)
^Hx^ucös ^dXiöxa iv rctf xaxä (piXoööqxov^ V^vxiva xal xaXov6tv
dxnijv oC vsd}xsQOi' xovx* icxiv 'fiQ^ööaxo navrjyvQixdnsQOv
dvÖQog iq)sXovgj xal (isvxoc ys slg xijv xotavxrjv Idiav aifxbg ai-
xov xavxrj xgdxiöxog ido^sv. oi fisvxot xolovxov b /ICmv H^fOQXf^'
6axo xijv dgxaiav ^rixoQtxiiv iv olg xal doxst 6aq)&g iva-
XOQhtv T&v oUsCav ii^&v^ dyg av xal Xad^stv Sri ^Cav iöxl^
jtaQaxcvTJöag slg xb vs6xsqov' aXX' siXaß&g aitxsxai xr^g jtaQa-
vofiiag xal al6xwoyiiv(p ys ioixsv^ Zxav xi naQaxsxtvdwsvfiivov
xal vsavixbv ngosvsyxrixar &6xs xav alxiav fpvyoi dsiXucg, sl
ngbg xijv vöxsqov ininoXd6a6av x&v ^rjxÖQav xöX^av ai-
xbv i^sxd^oi(isVy xotg TtXsiöxoig dh x&v iavxov xal naQa ß(f€cxi>
xotg SnaöL [isx^ ixsiv<ov xaxxiö^a x&v igxaCmv xs xal 6xa6{-
(1(0 V QTixÖQCov, %a^ bvxivovv xal dijua) dcaXsx^vai xal ididyvg
xov navrbg a^iog. oX xs yäg Qvd'fiol xov Xöyov xs7coXa6(idvoi xal
xb ßdd'og xov i^d'ovg olov 6a)q)Qovi,0x}i xivi xal TCatdaymy^ «ffinov
7i6Xs(og oXrjg dvoijxGjg diaxstiisvqg,
1) Also auch diese Rede (die so wenig wie die andern dieser Art er-
halten ist) gehörte zu den sophistischen imdil^sig, cf. H. ▼. Arnim im
Hermes XXVI (1891) 37 f.
Archaismus und Atticismus. 357
B. Der alte Stil und der AttioismuB.
1. Die Griechen.
DaJs der Atticismns in der irriechisehcn Litteratur wie in *e/"*v«»'
und
den vorhergehenden Epochen so auch in dieser der Ausdruck änati^ut.
des reaktionären archaisierenden Elements ist, versteht sich von
selbst Auch liegen ja die äufseren Zeugnisse auf der Hand:
wir haben die Invektiven Lukians, die atticistischen Lexika,^
deren bekanntestes mit den Worten beginnt: 56rtg iQxccitog
xal doxi^fog id'ilai diaHysc^ai^ rdö' aita fpvkcoixia (Phryn. ecl.
in.); den KBixovKBixog bei Athenaeus und so vieles andere derart.
Die nakaiol "Ekktp/eg sind eben die Attiker: dafs er jene allein
erklärte; rühmt Aristides (or. 12; 1 137 Dind.) an seinem Lehrer
Alexander von Kotyaion; ^Axtixä 6v6[ucxa und &Q%ala (pcakaiä)
dvöiucxa sind identisch: an Aristides wird gelobt (schol. in Aristid.
or. 10; vol. I p. 113 Dind.) kd^eag xs ixQißiig ivdQyaia xal
(UT* BvykaniCag iQxaiö^bg (pevymv 6fiot; xcaceivöxrixa xal iacai"
Qoxakiavj an Kaiser Marcus, dem Schüler FrontoS; rühmt Hero-
dian (12,2) k6y(ov &Q%ai6xrixa in griechischer und lateinischer
Sprache, noch Isidor von Pelusium sagt ep. IV 91: nokvxQoxoi.
x&v iv^gAnov xal at xsqI xovg köyovg iTCi^^iar ot yi,%v y&Q
aifx&v iyanMi xb nakai&g &xxtxi^€tVj ot S% xb 6a(p&g sItcbüv
xov &xxixi6^ov 7Cq6x6QOv Syovöt kiyovxsg* ^xC xb xigdog ix xov
ixxixiinvy Zxav xä ksyöiisva &6%sq iv 6x6x(p XQvitxrixai tulI ak-
kav Siffcai x&v elg tp&g a{)tä i^övxajv;^ und Eunapios (vit.
soph« p. 99 Boiss.) nennt die ki^ig des Libanios eine altertüm-
liche; weil er altattische Worte; wie von Eupolis und Aristo-
phaneS; aus langer Vergessenheit wieder hervorgezogen habe.
Die Sprache der dieser Richtung angehorigen Schriftsteller ist
eine dem Leben abgewandte; es ist eine reine Buchsprache: mit
verblüffender Offenheit ist die Theorie ausgesprochen worden von
Aristides rhet. II 6: xegl dh ig^riveiag xoiovzov &v stycoi^ij
fiijrf övöfiaxi, fiijr£ ^i^iiaxi, ;|^p^(fd'at äkkotg nkiiv xotg ix
x&v ßvßkimv^), und für die Praxis ist bezeichnend; was uns
Phrynichos (ecl, 271 Lob.) berichtet: der Sophist Polemon hatte
im Anfang seines Geschichtswerkes das Wort xstpakaimdiöxaxov
1) Cf. über diese Stelle W. Schmid, Der Atticismus I (Stuttg. 1887)
204, 19.
358 ^on Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
gebraucht; ^^ich wundere mich^ bemerkt der Atticist dazu, dab
der Grammatiker Secundus^ der sich dach sonst auf die Sprache
versteht und die Schriften seines Freundes Polemon verbessert,
dies Wort schlechter Prägung übersehen hat." Neubildungen
blieben, wie im Anfang der atticistischen Bewegung (s. oben
S. 149flF.; 184 ff.), verpönt^), überhaupt wurde alles Lebendige in
der Sprache, die övv^^slcc, geächtet: rb koiv6v d. h. das allgemein
Gebräuchliche ist für die Atticisten synonym mit *EXlijvix6v und
wird als solches gebrandmarkt und dem ^j^tuxöv gegenüber-
gestellt. Diese völlige Verwerfung der ötn/i^^eia tadelt an denen,
die in^ &Q%ai6xYitu dij tivi 6B^vvvovtai> und die da glauben,
dafs das aQxcct^siv in dem Gebrauch seltener alter Worte be*
stehe, ein verständiger Mann aus der Antoninenzeit, dessen r/jt^
^ritOQtxii unter Dionysios' von Halikamass Namen überliefert
ist^) c. 10, 7 f. (p. 113): ivia x&v hvoyuttayv^ sagt er, to2^ töra
xaiQolg öwT^d^ri ^t/ xccl yv^Qi^ucy S)v vvv fi %(fy6iq i^BQifAriXBV'
ixBtvoi nikv ovv i)g yvogifiotg i%Q&vto^ 'fifiBÜg d' civ aitä sixAtmq
ixxkivot(i€v.^) Man sieht: es ist die alte, seit den Anfangen
1) Das zeigt vor allem der famose Streit über das Wort iagotpodg^
wegen dessen Verwendung Lukian von einem Gegner angegriffen war: er
rechtfertigt sich in einer eignen Schrift, dem Pseudologistes ; einen Hanpt-
trumpf spielt er dort 24 aus, indem er seinerseits dem andern den Ge-
brauch Yon neugebildeten Worten wie (riai.fi,BtQBtv , &9^o%Qa%Bt9 vorh&li
Cf auch rhet. praec. 16 f, wo er dem Adepten der ^neuen' Beredsamkeit
den ironischen Rat giebt, sich etwa ein Dutzend altattischer Worte anzu-
eignen, im übrigen frisch drauf los neue zu bilden. Bemerkenswert ist
auch eine Stelle des Galen: VH 417 E. (citiert von J. v. MüUer, Galen als
Philologe in: Yerh. d. 41. Philol.-Vers. 1891 p. 86, 6): v6fkog ictl noiwbg
anaai rotg lE^XXriOLv &v nhv otv f;i;eo|Li£v dvö^ucta nQaypLdtcav nagä rot^ ngi^ßth'
tigoig sl^riiiiva, xQ^^^^'' ^ovrot^, &v d' oij% fj^Ofiey, iJTOi (UtatpigHw lbr<(
tivos o}V Ix^uev Tj noitlv aiitoh^ nax' &valoyUcv t^vä ti^v %Qbg tä narmvO'
luccfiiva t&v n^ayiuitav rj %al natccxgfjad'cci, xotg i(p* ktiqwß ntiikiveig. Aber
bei Neubildungen müdse man vorsichtig sein, wozu allerdings eine ordent-
liche Schulung gehöre, die nicht* alle Ärzte seiner Zeit bes&fsen. — Nor
wo es sich darum handelte, lateinische Begriffe zu umschreiben, war man frei-
gebig, cf Athenaeus m 98 C: natürlich, denn ein Atticist h&tte sich lieber
die Zunge abgebissen, als ein solches Barbarenwort gebraucht (s. o. S. eo, 2).
2) Ed. üsener, Leipz. 1895, cf. dort über die Zeit praef. p. VI.
3) Cf.Photiosbibl.cod.TOvonDiodor: N^jjr^firatqp^tfettfaqpeZTCKald^K^ffr^
nal latogia fidXiata HQeno^ajj, xal /Liifrc tag &£ ctv iünoi xig Xlav ifntgritvi-
Kiaiitvag xal &(fx^^<^''Q^^<^^S Si&ytmv ewtd^ig fujre %ff6g ti^p nu9m-
(iiXrinsvjiv vsvmv navTsXß)g, &XXä t£ fiiatp x&v X6yanß xagccnrllQi jg/^r.
Archaismus und Atticismus. 359
wissenschaftlicher Sprachbetrachtung so oft behandelte^ in der
caesarischen Zeit mit dem Thema über die fi^fiq<r^ tAv igxaicav
verquickte (s. o. 8. 184 ff.) Streitfrage, ob die Sprache in leben-
digem Flufs befindlich und daher in ihren Schöpfungen frei und
souyerän sei, oder ob sie in Erstarrung übergegangen und daher
durch strenge Regeln zu binden sei: die Worte , in denen das
nach griechischen Quellen von Horaz de a. p. 45 — 72 aus-
gezeichnet formuliert ist (s. o. S. 189), könnten auf die Litteratur
der ganzen Eaiserzeit angewendet werden.
Nun blieb freilich einsichtigen Männern nicht verborgen,
daCs eine solche , dem Leben abgewandte Sprache ein UncÜng
sei. Sie suchten zu vermitteln: nicht das incBQamxifyiv sei das
Richtige, sondern das imxiisiVj die Vertreter des ersteren hat
Lukian besonders im ^tÖQav diddöxaXog und im ABicipdvfjs zur
Zielscheibe seines Spottes gemacht; denn — dies ist sein Stand-
punkt — %&v 3t€cXat&v övofiirtov tä (jl^v Xsxtiay rä d^ aü^ b%66a
ccin&v fii} 6wii^ totg xokkotg^ iig fti^ tagdztoiiuv tag iicoäg xaX
utQA6xoi(uv t&v 6\>v6vtmv tä Aza (pseudolog. 14), und nicht
anders urteilen Longinos der Kritiker I 306 Sp.: KegyöJLaio toig
Xlav ifxaioig Tud ^ivoig t&v 6vo(tdv(Dv xccta^iaivsiv tb 6&yM
tf^g kUi^mg und Philostratos v. soph. I 16, 4: bQ& tbv &vdQa
(Kritias) . . . äiTixi^avta oix ixgat&g oidh ixxpavkag^ tb y&Q
ixi^föxaXov iv t^ ixtixC^Biv ßaQßagov^ iXJi &671bq ixtCvmv ui-
yaX tä ^Attixä övöiuxta diafpaCvBtai tov X6yw)y v. Ap. 1 17: 6 da
^AxoXXoviog X&ymv Idiav inij6xrj66v oi tijfv .... xateyXantiöiid-
Vfiv xal imeQattuUiovöav, iridig yäg tb vxIq tiiv [istgiav ^At-
^Ida iffBlto. Aber wo war die Grenze? Das war ganz der
Willkür des Einzelnen überlassen, und so kam es, dais eine
Richtung, welche die Eigenmächtigkeit des Schriftstellers
gegenüber dem klassischen Kanon verurteilte, ihr doch wieder
Thür und Thor öfinete: es ist bekannt, dafs Lukian seine eigenen
Vorschriften gelegentlich verletzt hat^j, und für die subjektive
Willkür der einzelnen Schriftsteller scheint mir bezeichnend, dab
in der ti%vvi des Longinos I 307, 19 ff. unter den erlaubten
attischen Worten sich mehrere finden, die Lukian verwirft.
1} Ähnliches bei allen diesen Autoren: das lernt man aus den müh-
samen und dankenswerten Zusammenstellungen in W. Schmidts bekanntem
Werk, besonders IV 083 ff.
360 Von Hadrian bis zum Ende der Kadserzeit.
Überhaupt kann man sagen^ dafs nur die wenigsten in das
Wesen des Atticismus einzudringen vermochten, die meisten an
Äufserlichkeiten hängen blieben: wir wissen heutzutage besser,
was attisch ist^ als die Herren vom Schlage des Phrynichos, die
doch gar zu possierlich sind, wenn sie sich wegen eines nicht
approbierten Wortes * ekeln*, * erbrechen*, *das Haupt verhüllen'.
Die berühmtesten und verständigsten Vertreter der Theorie
waren Hermogenes (f c. 250) und Cassius Longinus (f 273).
Jener zeigt — darin weit hervorragend über Dionys von Hali-
karnass — eine durchaus würdige Auffassung der alten Autoren,
seine Werke sind, wie ich bei einer späteren Gelegenheit nach-
weisen werde, von Polemik gegen die Moderhetoren seiner Zeit
durchzogen. Longin war der gröfste Kritiker und Polyhistor der
Zeit, ein Mann, dessen Einwirkung auf die ihn als inkamierte
Gelehrsamkeit anstaunende Nachwelt gewifs viel gröüser war als
unsere Überlieferung uns zu beweisen ermöglicht; in den Tisch-
gesprächen, die an dem von ihm gegebenen Fest zu Piatons
Geburtstag stattfanden, war nur von den iQxatoi die Bede
(Porphyr, bei Euseb. pr. ev. X 3); in dem Excerpt, welches wir
von seiner Bhetorik haben, warnt er vor dem übermäisigen
Schmuck der Rede (Rhet. gr. I 323, 24 ffi Sp.) und empfiehlt
als Stilmuster Aeschines den Sokratiker und Piaton, Herodot
und Thukydides, Isokrates, Lysias und Demosthenes (ib. p. 324),
doch warnt er davor, totg XCav iQX€ciovg xal %ivoig xSnf ovo-
IKxtcDv xata(iLaiv6tv rb ööb^ia t^g Xslieag (p. 306). Die in einem
Cod. Laurentianus erhaltenen Excerpte hc t&v AoyyCvov (bei
Spengel II 325 ff.), die, wenn sie auch vielleicht nicht dem
Longin selbst angehören, so doch sicher aus einem in seinem
Geist geschriebenen Werke stammen^), enthalten fast durchgängig
eine Polemik gegen die vioi, $ijtOQ€g (fr. 11) und die tfo-
q)t6tai (21) zu Gunsten der igxatoL (3), speziell des Piaton,
Thukydides, Aristoteles, Lysias, Demosthenes: mit letzterem zu-
1) Dafs sie nicht von Longin selbst herrühren, scheint Spengel praef.
p. XXm richtig zu bemerken (cf. auch p. 824, 15 ff. mit fr. 9). Wenn es
aber fr. 2 heifst: 5ri 6 'AQiatotiXrig tovg ndvta [istatpiQovtag ccMyiuna
y^dcpsiv IXBysv. dib Xiyovai Aoyylvog anavUog xix(f^^^^'' (^c. j^ij, cf.
fr. 1) %al tovt(p rc5 stSst^ so darf man dafür weder mit Bahnken liyn
Aoyylvog noch mit Spengel Xiyovai Aoyytvov schreiben, sondern Aoyylwog
ist offenbar ein zu XiyovGi geschriebenes Glossem.
Archaismus imd Atticismus. 361
sammen genannt wird Aristides (5), von dem es fr. 12 be-
zeichnenderweise heifsty dafis er zuerst mit der asianischen
hcXvöig gebrochen habe.
Aus dem energischen Zaruckgehen auf die alte vorisokra-
teische Atthis dürfte es sich übrigens erklären, daCs seit der
hadrianischen Zeit das ELiatgesetz im allgemeinen aufgehoben er-
scheint.^) Sätze wie die aus der arrianischen Anabasis: tavta
iyh i)g ndvxri ikri^f^ ivaygdqxo (aus dem Proomium), 6q&v
{)liäg . . 01^2 ^fM)^ hl xri yvA^ji BKo^ivovg ^lot ig toig xivdv-
vovg (Y 26; 3 aiis einer Bede), oder wie der des Herodian: xal
yä(f aitol t&v otxoi öfioca iTadvfiia iaXmxaiiev (I 13, 4 ebenfalls
aus einer Bede) würden auch diejenigen Schriftsteller aufs
empfindlichste berührt haben , die wie Strabo, Philo , Plutarch,
Galen das Gesetz nur frei beobachtet haben.
2. Die Lateiner.
Ich habe oben (S. 258 ff.) nachgewiesen, daCs die lateinischen Litterar-
Archaisten sowohl der ciceronianischen Epoche als der ersten steiinnfl
Eaiserzeit mit vollem Bewufstsein sich an die attischen Muster,
als die Vertreter des Altertümlichen, angeschlossen haben; wir
sahen, dafs yon dieser Partei Cato mit Demosthenes, Gracchus
mit Lysias zusammengestellt wurde. Wenn ich nun behaupte,
dafs der lateinische Archaismus der hadrianisch-anto-
ninischen Epoche, den wir uns gewohnt haben, im engeren
Sinne so zu bezeichnen, ebenfalls in die engste Beziehung
zu den gleichzeitigen atticistischen Tendenzen der grie-
chischen Prosa zu setzen ist, so würde das wohl einleuchten
und Glauben finden, auch wenn es sich nicht durch sichere That-
sachen beweisen liefse.')
1) Cf auch W. Schmid l. c. IV (Stuttg. 1896) 471.
2) Von dem yielen Verkehrten, was darüber geäufsert worden ist,
führe ich nur das Neueste an: P. Monceaux, Les Africains (Paris 1894) 42.
62. 86. 89. 241 erklärt den Archaismus, den er in Afrika lokalisiert, daraus,
dafs dort die alten Autoren, die zur Zeit der Kolonisiening Afrikas ge-
schrieben hätten, besser yerstanden worden seien als die jüngeren! Ich
habe dann gesucht, wer das Richtige schon ausgesprochen hat, aber wenig
gefunden, z. B. bei M. Hertz, Renaissance und Rococo in d. röm. Litt.
(Berlin 1866) keine Spur, auch da nicht, wo er, wenigstens ganz im Vor-
übergehen, die griechische Litteratur streift (p. 29). Dagegen freute ich
dM Ut. A:
cb«iimui
362 ^OD Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
FrontO; der Hauptvertreter des lateinischen Archaismus,
der begeisterte Verehrer der ältesten Litteratur, der erbitterte
Feind des Neoterikers Seneca, war mit den hervorragendsten
griechischen Atticisten eng befreundet: mit Herodes Atticus
war er, obwohl er einmal in einem Prozels sein Gegner war
(p. 111 u. 138 N., cf. ep. ad M. Caes. II 2—4), sehr vertraut (c£
den Index der Naberschen Ausgabe p. 266, wo aber ver-
gessen ist der Brief Frontos an Herodes p. 244); Polemon wurde
von M. Aurel in einem Brief an Fronto citiert (cf. Fronto
p. 23), er horte ihn deklamieren (p. 29).
Man bedenke femer folgendes. Die Einwirkung des Grie-
chischen auf das Lateinische ist nie stärker gewesen als in jener
Zeit, wo jeder Gebildete beider Sprachen Herr war^ wo sogar
Griechen es nicht unter ihrer Würde hielten, lateinische Sprach-
studien eifrig zu betreiben. Hadrian und Marcus, Gellius, Appu-
leius und Tertullian sind der griechischen Sprache völlig mächtig
und ein gewisser M. Postumius Festus, ein Freund Frontos
(p. 200), wird auf einer Inschrift (CIL VI 1416) als arator tära-
mich zu finden, dafs Niebnhr (The history of Roma from the first Pnnic
war to the death of Constantin ed. L. Schmitz n London 1844 [gelesen
1829] p. 271) den Archaismus Frontos mit der gleichzeitigen atticistiBchen
Reaktion vergleicht, wofür er auf Lukians Lexiphanes verweist: nur scheint
er (wie auch G. Fülles, De Ti. Claudii Attici Herodis yita [Diss. Bonn 1865]
29) anzunehmen, dafs das Archaisieren von der lateinischen Litteratur aui
in die griechische eingedrungen sei, obwohl er p. 264 von der griechiflchen
Litteratur ganz richtig urteilt: in the time of Hadrian it was 90 pretHÜent^
that everything Bomain became HelUnized. (Wer das Griechische — zumal
in prinzipiellen Dingen — durch das Lateinische beeinflufst sein läfsi, kann
a priori annehmen, dafs er irrt. Das, was D. Ruhnken in seiner Antritts-
rede De doctore umbratico, Leyden 1761, gelehrt hat, beherzigen jetst nur
die wenigsten: mit nichts wird heutzutage mehr Mifswirtschaft getrieben,
als mit der Annahme von Latinismen in der griechischen Sprache). Noch
besser derselbe in den El. Schriften II 68: „Was die Bückkehr zu dem
Alten verursacht, läfst sich schwerlich erraten. Vielleicht Wettkampf
mit den griechischen Philologen.** — Für Appuleius deutet das Bidi-
tige kurz an H. Eretschmann, De latinitate L. App. Mad. (Diss. KOnigsb.
1869) 7 f. — Elar und deutlich A. Eiefsling zu Hör. de a. p. 70: „Horaz
antizipiert mit dieser Betrachtung (s. o. S. 189) die archaisierende Str5-
mung der hadrianischen Zeit mit ihrer Wiederbelebung des catonischen
und plautinischen Wortschatzes: sah er doch eine entsprechende Be-
wegung der griechischen Litteratur in der Rückkehr sum Atti-
ci smus vor seinen Augen sich vollziehen.**
Archaismus und Atticismus. 363
que facundia maximtis bezeichnet^); umgekehrt werden Favorin
und Herodes Atticns von Lateinern über lateinische Worte be-
fragt und Appian benutzt in gröfserem Umfang , als es sonst
griechische Historiker zu thun pflegen^ auch da lateinische
Autoren^ wo ihm griechische zur Verfügung standen. Ist es
unter solchen Verhältnissen nicht auch bezeichnend, daJs Fayorin
und Herodes bei Gellius gerade über die alte lateinische Litte-
ratur Auskunft geben können, dais Herodes einmal ein ganz
veraltetes Wort (aertiscare) gebraucht^, daüs Appian nicht den
Livius benutzt, sondern, wie jetzt angenommen wird, einen Anna-
listen zwischen Valerius Antias und Liyius? Aber das Ent-
scheidende ist folgendes. Da wir von Fronto allerlei Grie-
chisches haben ^), so mufs sich daraus die Probe auf die
Richtigkeit meiner Behauptung anstellen lassen: er muis sich
hier als Atticist zeigen und altattische Worter gebrauchen. Nun
höre man den Schluls des an Domitia, die Mutter des Marcus,
gerichteten griechischen Briefes (der zu dem Albernsten gehört,
was in dieser Sprache überhaupt je geschrieben ist): er bittet
um Entschuldigung, iC xi rStv ivofiaxayy iv tatg ixiötolatg tat$-
1) Yen der Afrikanerin Perpetua wird in ihrem Martyrium c. 13 (p. 57
ed. Harris-Gifford) ausdrücklich gesagt, daTs sie sich mit dem Bischof Op-
tatuB und dem Presbyter Aspasius ^EXXrivicxi unterhält, also sprach sie im
aUgemeinen lateinisch.
2) Bei Gellius IX 2, 8: das kann erst Gellius hineingetragen haben,
aber nötig ist es nicht dies anzunehmen, weil Herodes nicht immer (wenn
auch meist) griechisch sprach: Gellius I 2, 6 (wie Fayorin, sein Lehrer:
Gell. XX 1, 20). Aus Gellius bemerke ich noch folgendes. Für ihn ist
Herodes ein vir ingenio amoeno et graeca facundia cdeber (IX 2, 1), und er
rflhmt an seiner Rede gravitatem atque copiam et elegantiam vocum: die
letzte Bezeichnung pflegt er gerade für die vetustas sermonis zu yerwenden^
z. B. XVni 12, 1. Femer: wie Lukian im Lexiphanes sich lustig macht
über den, der ganz yeraltete attische Worte braucht, so Fayorin bei
Gellins I 10 über den, der in ganz totem Latein spricht, und wie Philostr.
I 16, 4 und schol. Aristid. or. 10 (yol. I 118 Dind.) das &%Quväig ittmlinif
als &%eiQ6%aXov bezeichnen, so Gellius XI 7, 7 als apirocalia das v^»
bis uH nimis obsoUtis excukaüsque wie aphida, flocces u. dgl.
3) Er mischt auch gern griechische Brocken in seine lateinischen
Briefe ein (dies wohl nach dem Vorbild Ciceros, unter dessen Schriften er
mit seinem abnormen Geschmack gerade die Briefe bewunderte), cf. die
Stellen bei Th. Schwierczina, Frontoniana (Dias. BresL 1883) 18, 1. Man
übertetite gern zur Übung aus dem Griechischen ins Lateinische: Fronto
164 cf. 262.
364 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeii.
taig Btri Sxvqov rj ßdgßaQov fj äXliog ädixtiiov xal f»^ nAvv
*j4tttx6v (242). Aus einer solchen affektiert bescheidenen Ab-
bitte folgt natürlich, dafs er seiner Sache sicher ist^ man werde
auch bei eifrigem Suchen kein unattisches Wort finden^): wie
stolz mag er in Wahrheit auf die läppisch gehäuften Duale ge-
wesen sein: i^ol d* ovx slg^ diio d' S^a ^Iak66<o iyQag>i6&fiVj oif
d^ totv XQOöcoTCotv oidh xatv ^logipatv ^övatVy iXXä xal totv XQd-
7C0LV Tcal tatv ägaratv oi (istgico fivxs äfUfo ovdh yQdq>B6^ai ^a-
dl(o (241), oder auf Häufungen Ton Begriffen wie fpQdöm xal
oinc iTCoxQvifOiiat (231), cf. tprj^l xal oix ixoxQ^toiiai (244).
In dem zweiten, ebenfalls an Domitia gerichteten Brief nennt
er seine Frau Gratia KgoxtCa (242). In dem Brief an Herodes
braucht er almöciiog (244), in dem an Appian operiert er mit
dem Begriff der ivtido6ig (250), im Drotikos (der Konkurrenz-
rede gegen Lysias) stehen yXlxoyi^ai und xrivAkXmg (255; 257),
alles verba emortua.^) Der Mann also, der nicht müde wird, auf
die Lektüre der alten Lateiner zu dringen, die Yerachter dieser
zu beschimpfen und einzuschärfen das colorem f^etusculum appin-
gere (152), der über Cicero das monströse Urteil föUt: in omnibus
eins orationxbus paucissima admodum repenas insperata atque
inopinata verba, quae non nisi cum studio atque cura
atque vigilia atque multa veterum carminum memoria
indagantur (63), ist ein Atticist gewesen so gut wie seine
griechischen Kollegen. Wenn er dem M. Antoninus befiehlt:
monetam illam veterem sectator. plumibei nummi et cuitiscemodi
adulterini in istis recentibus nummis Sozius inveniuntur quam
in vetustiSf so überträgt er auf die lateinische Sprache ein den
1) Die gerechte Strafe des eitlen Sophisten ist es freilich gewesen,
daTä ihm in unserer Zeit grammatische Verstöfse nachgewiesen sind (von
y. Wilamowitz im Prooemiom Göttingen 1884, 9). Das war ja überhaupt
das Verhängnis dieser wie jeder Nachahmung, dafs man über kleinlichen
und nebensächlichen Dingen die grofsen Hauptsachen vergafs: in den Geist
der altattischen Sprache sind die Gröfsten unseres Jahrhunderts seit Lobeck
tiefer eingedrungen nicht blofs als ein so armseliger Geselle wie Fronto,
sondern auch als die meisten Griechen jener Zeit. Das liegt s. T. daran,
dafs wir wissenschaftlicher geschult sind, z. T. aber auch daran, dafs wir
nicht mehr in Konflikt mit der avvi/jd'Bitt kommen, die jene auch unfreiwillig
in ihr ehernes Joch zwängte.
2) Cf. besonders über trivdXXcDg Bergler zu Alkiphron I 19.
Archaisinus und Atticismus. 365
Atticisten geläufiges Bild: die iQxata övdiuxta sind ihnen die
döxifiay die anderen die idöxma oder xißdriXa.^) Wie die
Atticisten (s. auch oben S. 358) warnt er vor Neubildung von
Worten, nam id qtddem absurdum est (162). Wie PoUux und
Phrynichos hat er sich aus den alten Autoren Ezcerpte ftlr den
Wortgebrauch gemacht und seine Schüler dazu angehalten.^
Fronto^) war schon zu seinen Lebzeiten eine Celebriiät:
er selbst spricht von seiner secta (p. 95).
1) Ersteres bei Phrynichos die gewöhnliche Bezeichnung, yon Fronte
selbst in der angefahrten Stelle des Briefes an Domitia (242) gebraucht;
%ißdrila: Phryn. epit. 362. 372. il8 Lob. Cf. auch Bentley zu Hör. de a.
p. 69. Die Griechen spielten überhaupt gern mit övöfKxra r^ von^aiuxta:
das Wortspiel läTst sich bis Themistios or. 23, 268 c. 33, 367 bc verfolgen.
2) Cf. G. Bemhardy, Grundrifs d. röm. Litt.* 91.
3) Über seine Stellung als Rhetor können wir uns aus zahlreichen
Äufserungen seiner Briefe noch ein deutliches Bild machen. Hier nur ein
paar Andeutungen. Wie ist es möglich, fragt man seit A. Mai (in der
Vorrede zu s. Ausg. Mail. 1816 p. XXXVHI ff., cf. Hertz 1. c. 27. E. Droz,
De Frontonis institntione oratoria [Besan9on 1885] 19 ff.), dafs er bei Macr.
sat. y 1 ein Vertreter des sie cum genus dicendi heifst, w&hrend der gal-
lische Rhetor Sapaudus (Corp. script. eccl. lat. Vindob. XI 206) sagt, er
sei nützlich ad pompam? Das kommt daher, weil sie verschiedene Rede-
arten im Sinn haben. Seine Geschichte schreibt er genau im Sinn und
Stil des Sallust (cf. z. B. p. 205 die Charakteristik des Vologesus; 206 f.
die Heerreform des Veras genau nach dem Schema derjenigen des Metellus
bei Sali. lug. 44 f.; häufige yv&fUKt), die laudes fumi et neglegentiae im
Stil der gezierten modernen Rhetorik, der Arion (eine ixtpQUitig, wie eine
nQoXalut) ist in dem Stil jener affektierten &(piXsuc und Naivität geschrieben,
die uns an Philostratos und Aelian so abstöfut; in den Gerichtsreden schreibt
er nüchtern, trocken, schmucklos, wie die von M. Caesar p. 14 f. citierte
Probe lehrt und wie er selbst p. 211 in der Theorie befiehlt; dagegen hat
er in den epideiktischen Reden pompatke geschrieben, wie er selbst an
mehreren Stellen erkennen läfst : p. 54 f. (von Mai selbst für die Stelle des
Sapaudus citiert): nunc nuper caepisti legere omatas et pompaticas orationes:
noli poeiulare statim eas imitari posse, denn omnia iv tm inidetxtixm ä9Q&g
dicenda, ubigue omandum, uhique phaleris utendum; über eine solche Rede
neineB Lehrers gerät der Schüler in Verzückxmg (p. 28): o inixtigj^fiava ^ o
tdiig, elegantia, o lepos, o venustas, o verba, o nitor, o argutiae, o chariUs,
o &ö%fi(tig, omnia; p. 20 ff.: wer beim Volke Erfolg haben wolle, müsse
ihm nach dem Munde reden, aber es sei dabei ein gewisses Mafs zu be-
wahren, und zwar potins ut in composiiiotm structuraeque mollitia sü delic-
tum quam in sefitentia impudenti, wenngleich er einst über einen kühnen
Vergleich in einer Rede des sehr jungen Antoninus geurteilt hatte: magni
ingeni Signum esse ad eiusmodi sententiarum pericula audaciter adgredi
366 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
Es blieb Sitte, die hinsterbende Sprache mit dem erborgten
Flitterkram hocharchaischer Worte aufzuputzen ^) (wobei gelegent-
liche schwere Versehen nicht ausblieben*)): so befahl es Mar-
tianus Capella (Y 509), und manche der aus dem Ende des
Altertums stammenden Glossare stellten sich in den Dienst
dieser Sitte: finden wir doch in ihnen, wer weils durch eine wie
grofse Reihe von Zwischengliedern, Worte, die nur im Salierlied
und sonstigen ältesten Ritualbüchem gestanden haben können.
Aus derartigen Worten hat dann bekanntlich jemand seine
^praefatio' zusammengestellt, die uns überliefert ist (Anth.
lat. I p. 69 Riese), und sie finden sich zum Entsetzen des
heutigen Lesers oft inmitten einer schon degenerierenden
(p. 97); kurz: mmmum eloquentiae genus est de mblimibua moffnifice, de
tenuioribus frugaliter dicere (p. 127). Einen solchen höheren Ton scblägt
er gelegentlich in den Briefen an Antoninus Pins und L. Verus an, wo er
dann unerträglich abgeschmackt werden kann, so p. 108, 12 ff. p. 122 f.
(auch in seinen andern Briefen lassen sich ax^/ipMxa Xigsmg nachweisen,
z. B. p. 68 f. für die Antitheta cf. Th. Schwierczina , Frontoniana [Dias.
Breslau 1883] 16, 1); la6%aXa und öfioiotiXsvra in den griechischen Briefen:
cf. p. 240 iLi/jts in' &vi\Lov nagma^ivta, fn/jte (mb xBigbs *A&riv&g tj *Ak6X'
Xfovog OffaXivta, mansg tä 'bnb Tsv%qov rj ra {mb x&v fivriet^Qmv ßXrfi'ivxay
250, 1. 12 f. 13 f. 15 ff. 251, 3 f. 6 f., tgCxmXa und titQoiiuoXa im Qreifs-
walder Prooemium 1897 p. 50 f. 58 f. — Das Hauptgewicht legte er auf
die Wahl der Worte: p. 63 f. 96 f. 107, 10. 140, 8. 149, 8. 161, 8. 152, 9.
154, 9. 169. 161 f. 224, 19. 253, 6; Verus tadelte ihn deswegen, wogegen
er sich verteidigt p. 114, 20 ff. (in einer leider sehr lückenhaften Stelle:
Verus hatte ihn auf Epiktets Verachtung sorgfältiger Wortwahl yerwiesen,
wofür nun Fronte über Epiktet herfällt). In Betreff der Anwendung ar-
chaischer Worte war er übrigens verständig genug zu urteilen (ad M. Caes.
in 1 p. 40): quom in setuUu vel in contiane popüli dicendum fuU, nuBo
verbo remotiore usus es, wie ja auch Hadrian in der uns erhaltenen ManOyer-
rede an die Truppen in Lambaesis (CIL Vlil 2582) durchaus yemflnftig
spricht, übrigens nicht ohne kraftvolle (tx^ficcta (er liebte solche Ansprachen:
Fronte p. 206 Hadrianus prificeps regundis et facunde appellandia exer*
citibus suis impiger); auch seine Leichenrede auf Matidia ist in würdiger
einfacher Sprache gehalten (Z. 22 si potius ut nota dieereniur quam ut
nova fiel kaum ins Ohr).
1) In dem SC de sumptibus ludorum gladiatorum minnendis (CIL 11
6278) steht aufser oUi (Z. 25 von den Kaisem Marcus und Commodus) noch
formonsus (Z. 34, von einem Gladiator; sicher nicht zu ändern), wie Appu-
leius zu schreiben pflegt.
2) Cf. Lachmann zu Lucr. V 1006. Ober die frühere archaistische
Epoche s. o. S. 189, 1.
Neoterismus und Asianismus. 367
Sprache, z. B. im Carmen de figoris; bei Sidonius^), bei Gregor
Yon Tours^ in den famina Hisperica. Bezeichnend ist, dafs, wie
eine Anzahl yon Zeugnissen *) beweist , Fronto lange in Mode
blieb; sein Name war im vierten Jahrhundert so typisch, dafs
er f&r Musterverse verwendet wurde (Diomedes 513, 29); die uns
erhaltene Handschrift stammt etwa aus dem sechsten Jahr-
hundert, ihr Schreiber hat am Band aufser Sentenzen und
sonstigen Merkwürdigkeiten auch alte Wörter excerpiert und
sich einmal die Weisung Frontos an seinen Schüler notiert: co-
larem vetusctdum appingere (p. 152 c Nah.). Dann verschwindet
auch Fronto: die Gelehrten der karolingischen Zeit kennen ihn
nicht mehr, obwohl die Freude an unverstandenen alten Worten
noch immer nicht erloschen war, zum Glück für uns, denn sonst
Wülsten wir von Verrius Flaccus' Werk noch erheblich weniger.
O. Der neue Stil und der AnJanismufl.^
1. Direkte Zeugnisse.
Ich stelle eins der wichtigsten, wenn auch zeitlich eins der vM»r«^«
spätesten Zeugnisse voran. Prokopios von Gaza, aus dessen ito^viUt
tändelnden Briefen man sonst so wenig lernt, beklagt sich
scherzend in einem Brief (116) an seinen Freund, den Sophisten
Hieronymos (aus Elusa in Arabien, wohnhaft in Hermupolis),
wegen eines ihm von diesem gemachten Vorwurfes. Prokop
hatte nämlich einen Brief an Hieronymos begonnen mit den
Worten: ÜQoxixiog 'Isgtovviip %aCQBiv, Das hatte Hieronymos
in seiner Antwort getadelt, weil das xaiffsiv zwar bei den Alten
flblich gewesen, gegenwärtig aber auüser Gebrauch sei; es ge-
1) Obwohl er von sich gelbst mit falscher Bescheidenheit sagt ep. VIII
16, 4 unde nobis ülud loquendi tetricum genus ac perantiquum? unde üla
terba müiaria ttl SibyUina vel Sahinis dbusqye Curibun accita, quae magiitris
pUfumque rdieentibus prompiiu» fetiaJis (üiqui/i aui flamm aut veUmcsut
legaiiuM qmiestumum aenigmatisia paUfeoerii¥ non ojmncula nermone condi-
dimnu arido exüi etc.
2) Sie stehen bei Mai praef ond danach wiftdorhoH l»ci Nab«*r praef.
p. XXXIV ff.
3) Wer kennt oder liest jetzt noch: Boeckh, H« ratmania« stilo AniaDO
(1S24) in seinen Opnsc. IV 208 ff.? Beror Spengül ff\r diiriie Ktudien freie
Bahn schof, konnte über solche Dinge niemand richtig iiH^ilfn.
368 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit
zieme sich aber^ xa 6wii^ qyvXaxxBiv, Diese letztere Behauptung
sucht nun Prokop zu widerlegen^ indem er Fälle anfOhrt, in
denen es sich vielmehr empfehle^ gegen die Gewohnheit an-
zukämpfen und zum Alten zurückzukehren; z. B. werde keiner
jemandem einen Vorwurf machen^ xotv ei xijv vvv XQotovöav
xffvgyfjv slg ösuvöxrjxd xig xijv aQ%alav itcaviysiv i^iXjiy xctv ei
xijv fiovöMiiv ixne6ov6ttv eig ii^kovg [uk&v ocal dtifioxixilv
(pXvuQCav eig xijv TegndvdQOv fiovöav aid-tg iv^yxoi. txinbg di
7c6%^ev fiyitv^ Tcgbg OiXiov, öe^vog elvm doxetg, et n ^fJliM
tp^iy^aio x&v ^Axxix&v Tcal xiixotg x&v inaivovvxmv üg iLQ%aXov
xad'iöxrixe^ Tcagbv i(ig>0Qet6d'aL x&v ix XQiödov ^luitav xal
xaina q>iQei,v inl xov ßi^iiaxog; ^ xi df^xa x&v [UiQaxüov xqo-
xad^e^ö^vog otei xi ^iya <pQovstv ^A^iöxelSov xov ndw xgbg
ixaivovy ei Xiyotg hg ai)x6g\ ^ <^ovX) HokificDV xi^g ^A6iavf^g
xEQuxeiag xijv &Qxaiav ^tixoQixijv ixd&rjQev; eidh6olx6xe
yevdöd'ai nttQi6%ev fi xv%riy xtt% &v fiot xal yQaq>iiv enevdyxaö^ai
xax ixsLVOv doxstg, Sxt xä övvi^^ri TCccQtdcav ilcc^cov elvai ßov-
kexuL Tcgbg ägiaCav ivay6(ievog (lovöav,
Phil ostrat OS vit, soph. II 18: 'OvöfiaQxog 8i^ 6 ix r^^
"AvSqov 6oq)i6x7lg, oix id'avud^exo ^liv, ov iiefmxbg dl itpaCvexo,
ixaidevöe fjkhv y&Q xaxä xQ^^ovg^ ovg ^Adgcavög xe xal XQ^öxog
^Ad^vriöL, ngööoixog dl S)v xijg ^AöCag xr^g 'lavixrlg iddag
olov difd'aX^iag iöTCaöe^ 67Covda^o(idv7ig ^dXiöra xg
*Eq)i6G)j 5d'ev iäöxet xiölv oid^ '/jxQoäöd^ac ^HqAöov xarail;evdO'
^livoig xov dvdgög. xb (liv yäQ xfjg eQ^riveiag naQdq)d'OQev (s.
0. S. 298) iöd^* Snri öl' r}v etQrjTca aixCav^ at 6\ imfiokcd x&v
vori^dxiov ^HgääeiOL xe xal dnoQQijxiog yXvxetai, — Wegen dieser
^ephesischen' Art sagt er II 23, 1: &yei ^e 6 X6yog in* Svöga
dXXoyt^iGixaxov ^a^iavbv xbv ix xfjg *E<pd6ov, Sd'ev iijj(fii6^a>6av
2J(oxflQ0L xe xal £&6ot xal NiTcavÖQOL xal Oatdgoi KiJQoC xe xal
OvXaxeg^ d^vQ^axa yäq x&v ^EXXijvov fioXAov o5xot it(fo6(ffi-
d'stev &v ^ 60(pi6xal X6yov &iuoi. — Von Niketes aus Smyma')
sagt er I 19, 1 (s. o. S. 355): ^ ^*^« ^^^ X6ymv xov yJhv
&Q%aiov xal itoXtxixov ixoßdßtjxevj \m6ßax%og Sh xal di9ih
Qttußadrigj und von demselben sagt Messalla^ der Vertreter der
1) oif habe ich hinzugefügt, o{> för ^ Hercher.
2) Er gehört noch der vorigen Epoche an, ich habe ihn aber des Zu-
sammenhangs halber hier genannt.
Neoterismos und Asianismus. 369
Alten^ bei Tacitus dial. 15: video etiam Gratis accidisse ut hngius
dbsü ab Aeschine et Bemosthene Sacerdos iUe Nicetes et si quis
alius Ephesum vel Mytilenas concentu schdlasticonim et da-
maribus quatit, quam Afer aut Africanus aut vos ipsi a Cicerone
out Asinio recessistis. Endlich eine ebenfalls schon oben (1. c.)
citierte Stelle aus der yita Apoll. I 17, wo der archaischen
Diktion entgegengestellt wird die dtd^vQaiißädijg xal (plsyiiai-
vov6a,
Aristides war der geschworene Feind der zeitgenössischen
Moderhetoren: gegen sie hat er, wie wir bald sehen werden, die
50. Bede geschrieben; er nennt sie freilich dort nicht Asianer
(war er doch selbst aus Asien)^ aber das Wort selbst giebt uns
hier Longinos 6 xqiukös in einem Fragment rhet. gr. I 326 Sp. :
Sri tiiv TCkBovAöaöav tcbqX t^v ^Aöiav IxXvöiv ivextijöato
(d. h. correxit) ^Agi^teidr^g^ övvex&g Y^Q ^^"^^ ^ ^icav xal ni"
^av6g. Daza kommt der (byzantinische) Verfasser der pro-
legomena zu Aristides in Dindorfs Aasgabe vol. III 737 ff.: er
unterscheidet drei tpoQai von Rednern, von denen sowohl die
erste (ff iy(fA(p(og Uyov6a: Themistokles, Perikles u. s.w.) als
die zweite (die 10 Redner) in Athen entstand; von der dritten
heilst es dann: fj dl xv%fi xal t$ ^Aöia tovxov daQSttat g)OQdvj
rQitfjv oi6av ^itftijfiiji/, ^g iön iJoA^fUDi/, 'HgAdrig^) xaVAgiöxeC-
dfig xal ot xatä tovtovg toi>g xQÖvovg ysyövaöi $iitOQ€g^ und
diese Redner hielten sich, obwohl Asiauer, frei von deren
Fehlem: oidhv ix ti^g 'Aöiag i7C€<pdQ€to (Aristides) xsvbv rj
xoi^qfov 1\ aüij^Bgj oidl tatg ZQonixatg t&v Xi^sov äjg itv%e
jjf^fuvog oi)d% q>aiv6ii£vog totg ivtvyxdvovötv i}g iniJCoXflg,
Hü* isl ßa^g &v xavtaxö^sv.
Eallinikos, ein athenischer Sophist im III. Jahrb.,
schrieb nach Suidas s. v.: n^bg Aovxov xsqI xaxoiriklag ^tixo-
^MC^g, also über den Asianismus wie einst Caecilius (s. o.
1) Dafs er ihn hier nennt, erklärt sich daraus, dafs Herodes sich
lange in Asien aufhielt, wo er nahe Beziehungen zu Polemon und Favorin
anknüpfte: Philostr. y. soph. II 1, G. Fülles, De Ti. Claud. Att Herodis
Tita (Diss. Bonn 1864) 8 ff. Dafs er wuTste, Herodes habe später in Athen
gelebt und gelehrt, zeigt p. 789. Übrigens läfst der byzantinische Ver-
fasser des Timarion thörichterweise den Herodes in Smyma geboren sein
(ed. B. Hase in: Not. et Extr. IX 2 [IRIS] c. 46 p. 289).
Norden, antike Kunitprou. 24
370 ^on Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
S. 265, 1). Das Stückchen, was wir aus einer seiner Reden
haben ^), ist thatsächlich verständig stilisiert.
Eunapios vit. soph. p. 94 Boiss. von einem Bhetor Sopolis
aus Athen: fy; ivijQ sig tbv &Q%alov %aQa%xf^Qa xhv Xöyov
ivatpigsiv ßia^öfievog xal T^g i>yiaivo'66riQ Moiiörig (d. h. des
Atticismus, s. o. S. 298, 3) '^avsi.v 6Qiyv6(i6vog. Es ist be-
zeichnend, dafs mit diesem Mann Libanios, der Anhänger der
alten Attiker, korrespondierte (ep. 881), von dem Eunapios p. 96
fast dieselben Worte gebraucht.
Himerios (selbst ein Anhänger der Neuen, wie wir unten
sehen werden) or. 11, 2. Er preist in dieser Rede die Ver-
dienste, die sich die lonier um Hellas erworben haben; dabei
erwähnt er auch die Kunst der Rede: diese, sagt er, Af^nri^
tecog ovöav xal äöxsvov Sqov xb i%ov6av tbv Xöyov inl tä di-
xaötilQia {^^^1^1/ &Qa iietsfOQiöavtsg (ist^ov ^x^dai zilig tQaypdücg
inoCriöav. Man kann die asianische Beredsamkeit (die auch
Philostratos 1. c. ^ionisch' nennt) nicht deutlicher bezeichnet
wünschen.
Endlich für das Fortleben des Asianismus die beiden letzten
Zeugnisse, denen ich begegnet bin:
Über Philippos von Side in Pamphylien (saec. V), einen
Verwandten des uns durch seine wertlosen Prolegomena zu
Hermogenes bekannten Sophisten Troilos, berichtet Sokrates
hist. eccl. Vn 27: ifpUoxövsi öl Tcal nsgl köyovg xal xoXkä xal
natnota ßißXia 6vv^ys. iijXihöag dh tbv ^A6iavbv x&v Xöyav
XagaxrriQa icolXä 6vviyQaq>B xa xb xov ßaöiXdfog *IovXi€cvQV
ßißXia &va6xBvdi(ov. xal xQiöxiav^v CöxoQiav öx^vd^rjXBVy ^v iv
XQL&xovxa ^1 ßißXioig öuTXbVj worauf eine kurze Charakteristik
des Werkes folgt, aus der uns interessiert: öwBx&g ixg>Qd6B^
XiyBv vi^öcDv xal ögitov xal divÖQCDv xal &XX(ov xiv&v BinsX&Vj
dl* &v xal xf^vvtiv xijv ngay^iaxBiav Blgyaöaxo' dib xaly &g vo-
(ii^<Oy &iQBCav avTijv xal ISiAxaig xal BxmaiÖBiixoig Tcsxolffxsv.
oC Idi&xat fi^i/ yä(f xb xBxo(itlfBv(iBVOv xf^g fpQaösmg Idnlv
ovx löxvovöLVj ot (Ji BVTCatdBvxoi xi^g xavxoXoytag xaxayiyvAöxoth
6tv. Cf. Photios bibl. cod. 35: iön dl (Philippos) noXiixovg xatg
Xi^BöLVj ovx äöxBtog dh ovöh i%C%a^i.g^ &XX& xal JCQoöxoff^g^ fiaX"
Xov dl xal aridijg xal iniÖBixxixbg fiäXXov r\ afpdXiiiogj xal xaQBV-
1) Ed. H. Hinck in Reiner Ausgabe des Polemon (Leips. 1878) 43 f.
Neoterismus und Asianismus. 371
riesig &g nXstöta (itidlv n(fbg tijv tötogCav övvtsCvovxay &$
oMh/ iiäXXov htofflav slvai Ij ngayfidtaiv ixiQ(ov ti^v xgay^a-
xbCov didXtppiv.^)
Photios ep. 98 {Nixfiig>6(fp q>iXo66g)p (lovdiotnij saec. IX):
tb ilg ti^ yidqxvQa xfig ^ii&v siqwtag q>iXo7c6vrina xatä xilv öijv
iiüo6iv hcsX^övxeg xf^g (ihv ^Aöiavf^g önoQ&g {hg &v xtg sCxov
fii}d^ rjS M0V6&V övöfucxL X9^f^^^^9 ^f^ '^ ^ iöiavi^cDv) yvq-
6ütv yoviiv^) otax8LXi^g>a(UVy 6q>aX(LAt(ov dl ovddvy xX'^v st nov
XI X€gl övpxa^iv* xal xovxo 6näviov ijcsörjiifivdiud^a, sl di xi
X(fbg X'^v SXXfiv xaXXovijv x&v (ri(idxa)v xaXbv dv Zii&g ixfxeQBtv
i86xaiy xal xovxo vqhg xi^ övyysvfl (lOQqyfiv xb Xöyov xdXXog
lU^IJfflÖÖüCXO.^)
1) In dem Ton Dodwell, Dissertationes in Irenaeum (Oxoniae 1689) 488
ans einem cod. Baroccianus (142) veröffentlichten Fragment über die Vor-
steher der alezandrinischen Katechetenschnle findet sich begreiflicherweise
nichts Geziertes, da es eine blofse Aufzählung von Namen ist. Auch die
aus derselben Handschrift von C. de Boor in: Texte und Unters, herausg.
Ton Gtobhardt-Hamack Y Heft 2 (1889) p. 167 fif. edierten Fragmente boten
bei ihrem sachlichen , für uns hochwichtigen Inhalt keine Gelegenheit zu
rhetorischem Putz. Auch in dem seit üseners Behandlung berühmten, von
£. Bratke im Theol. Litt. Bl. 1894, 185 ff. auf Philipp y. S. zurückgeführten
Stück aus dem Beligionsgesprftch in Persien (in: Anecd. Graeco-Byzantina ed.
A. Yassiliey I [Mosk. 1894] 83 ff.) ist wenigstens in der uns überlieferten Be-
arbeitung keine Ziererei zu bemerken. Aufserdem ist in einer Wiener Hs.
(n. 848 fol. 80'— 92' nach dem Katalog Ton Lambecius 1. Y 137) daraus
eine Disputation zwischen (Christen , Heiden und Juden über Christus, die
unediert scheint.
2) D. h.: deine Rede ist ein echtes Produkt des Asianismus, den ich
nicht, wie es üblich ist, 'Aaucvii fio4)<ra nennen will (cf. die angeführten
Stellen des Prokop und Eunapios), sondern, indem ich mich selbst einer
echt asianischen Ausdrucksweise bediene, tfjg 'Aciavfjt cnogäg yvriaiav yovi/iv
(geziertes Bild und Wortspiel).
8) Yon diesem Nikephoros giebt es eine Rede auf den i. J. 895 ge-
storbenen Patriarchen Ton Eonstantinopel, den h. Antonius Cauleas. Der
lateinische Text steht AA. SS. BoU. 12. Febr. H 622 ff.; der griechische ist
nngedmckt, er findet sich in einer alten (s. X/XI), das griechische Meno-
logion des Februar enthaltenden Wiener Hs. (cod. graec. bist. eccl. XI, bei
Lambecius, Comm. de bibl. Caesar. Yindob.* YUI 161 ff.) fol. 96'— 109''.
Ich teile aus dieser Hs. nach meiner Abschrift das ProOmium mit, weil es
mit seinem Schwulst, seiner langen, unübersichtlichen Periodisierung (an
der er einmal selbst scheitert) und seiner oft perversen Wortverschränkung
das Urteil des Photios erläutert. (H% ^p äffa t&v nQoXaf^mp naX&p dg
nl9U9^ fi4 xdltt rbw xq6vov, %dtp id6%H yiyriQanivat, naQ€cnlrielovg yovug
^4*
372 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
2. Indirekte Zeugnisse.
'9cat9Qi^9tf Diesen unmittelbaren Zeugnissen für das Fortleben des
und
(Fort- ivsmsiv xal di' aijtSiV la%iktoiv dySipav ^oyoig a{>totg xal nQayfucci t&p
letsung). q)^acdvta)v %aQn&v niat^aaa^ai tb na^dBo^ov &n' &Qxiig yug rij» dp^ffOH
nivriv 6 nXdaxr^g nalaiiriadfisvog qtvaiv xal t&v icya^Siiß cnsQfidtaip ivxt^n-
xcb; dfpoqiiiiq o{)% dqtijus ta^triv avyyriQdaiiHv t(p XQ^^y ^^' dvTißäp öcri-
fi4(fai {mg iifiiffai cod.) xal tÖKOvg &dsl(povg t&v 9t^laß6vtav tpigstp, tfjg
&va)d'6v avyysvsUcg tb Bijysvlg iv iocvtotg inKpBqoy^ivovg &v6d'Bvtop. oi yo;^
ixniQa natu %q6vov xal nqcatfp (istQSia^oci nitpvusp «i^^ftif, icXX* ddixdffrm
yv6>fijj t&v natOQd'ovvtaiv xara tbv vvv Big 'bn69'6aiv sifqjrift^ag tm X6yip nQ<h •
%si(isvoVj rg xa^' indatriv iniS6asi ZXjiv &vaßdvTa tiip t&v &q6t&p %Xi(unia
xal dquyiiipov slg tb dng^tatov. dXX' iSsi tovx(p duc ßiov tijv dgitiiv fUiXsti/j-
aavti tovg ^ta tov ßiov kbqI Xöyovg ianovdanötag BianXi%Biv tbp ixaivoVy
oiJtBQ bIcI xal yX&aaav dya^ol xal Svvatol ^avfkx^fti/ dvdgbg xaro^nfiora,
ilih 61 fiax^a aiyfj 6iS6vai tb atoiuc xal tr}v yX&ttav dBa^i,^ xal (titOQW^-
t(ov &XX(ov iv diiQOcctatg HatccXiysad'ai xal t&v filv dvBXittBip tiiP n^fifiv^
&v ö^ig fioi xal nBtga XQÖvoig o4j avxvolg diddanaXog ^y, xal rg iXti^Bia
ngoaiucQtvQStv tb dXrid'ig tB xal ßißcciov, t&v dyvoovftivoiv dh tf Siriyi/iaH
diä tov X&yov xagno^a^ai tj}v BÜdriaiv, &XXä fii) dnaidBvtm yX6nfafj xal avy-
HBxvfiivo} t(p tfig &dv(iiag vfq)Bi XoyiOfim ngbg öynov toao^ov nQdyfkotog
dnodvsad'av, tbv totg ^nlg dvvaiii,v iyxBiQOüaiv inTiQtrjitivov nivdvvov ^tpoQ^
fUBvov. (fvasi yocQ ol X6yoi t&v ngayiidtav iXccttoüa^ai 7tBq)67iaai, ivtaü^a
dh vüVy Znov xal XQ^^^S fJ^dXiütu ftaxQbg BufiBtQi/iaato ti^v &Qttiiv xal wo-
Xvavdij XBift&va iiifuttai xaro^^(£»fiara, n^bg ti^v ndvtmv ifitixocvoihftig Suk"
Xrirpiv Blnitcag avatiXXovtai' oiSh yotg tr}v iavt&v (pvciv^ oi) yikv ohv^ oidh
tb t&v nQayiidtcov dyvoovai iiiyB&og' Zfuog XifytpBO^aC ti (i&XXov rj d&öBiv
iXnlaocvtBg t& t&v &QBt&v ijyovvtoci, fiByid'Bi tr}v olnBiav &xo%Qvy)Biv dc^i-
vBiaVy (iriS4va yccg üqLvblv tovg X6yovg tm t&v ngayfidtatv i%nXrivt6(Uvov
^avfuctf dib xal Xa&Blv iXitL^ovaiv^ 6(iov xal nriQ^tBa^ai tf to6tav «Vfi-
nXo%^ ^av(uci6iiBvoi. inBl Sh xal tfjg aitoxffdtOQog iv n&at yv&yktig i) ^-
(pog %QatBl xal ftBta tr]v baiav &g id'og 6i%aio^ca vifkBiv tu 3ata t^ natgl,
tf tattrig nBgl X6yovg xdQvti tb n&v initQitpavtBg — notv iatBQ^iBiv dvdyxri^
tb Xstnov ndvtcag iüBlvri TtQoad'i/jaBi, dXoatlafiatov dh ii&lXov t& X6ym JucffBiot
t^v i7tav6Q9'aaiv, — B^bv kccvtovg inl ti]v diijyriatv inaq)lBfUv, %ctd'dxBg
tivic xQTjntda tijv natgida itQotdiocvtBg. Daneben zierliche Figuren, z. R
97' dvÖQBiovg fuhv ipvxijv^ dvSQBiovg dl a&fM. ib. noüft^Up iihv ^v^ijy, nocfdm
dh n&ai tgdnoigy xal f j toü a6>fMxtog mga oim iwßgi^ovafi tb vfjg ^%f^
BiyyBvig. ib. f^v ^vvoiqlg inlarmog, ivvmQlg Tifi^a, ^waglg ^ijZcoti}. 98' tb yäg
bXo^vxmg oclQB^hv Big inUtriaiv ßißaiov, tb dh ßBßalmg nQOHTLtri^hv nQ6xHffov
Big ovvtifii^oiv. 99' xal bijqig%bv navta%ov tb (liyoc ntfjfia tb d-stov XiAß^'
100' i^ avv accQul daagnog ducycayij. 104^ toiovvog 6 dQÖfAog^ oitog 6 ßlog^
ToiavTa ra xaTO^^o/Liara * iv dvdynaig tb iiaQtBQLii6v, tb dvdQitov iv MBffi-
axdcBi' Iv n6voig tb B^tovov, iv %&Jtoig tb fiByaX&tffvxov ' iv tolg nat* df^iti^v
IdQ&ai tb B^^viiovj iv da&BVBiaig tb ad-svagdv^ iv vdeoig tb d94nBivt9w
NeoterismuH und Asianismus. 373
Asianismus^) bis in die byzantinische Zeit f&ge ich nun einige
Stellen hinzu^ an denen zwar der Name ^Asianismus' fehlt, die
Bichtung aber so deutlich bezeichnet ist, dafs kein Zweifel
itartiX&g %al äpoXanow. Verwegene Bilder, z. B. 98^ xal loinbw AvsTciatgö'
tpmg x6 tfjg &a%i/janDg xiLQliBtai &QOtQov tovg vfjg &ifBxfjg a^Xaiiag i%ßad^ap
xal ngbg %aifnoyoviap iiaX&g naQaansva^dfUPog. 99' £^i dl t&v lovXeav.
xiffl tag nageucg äv^o^mcov xal ctiq)avovrtav tb nXfjQsg ^iUcg x^Q^'^og
7iQ6caniop 6 xf^g n^auxinfig avpsnriv^si (piloaoq)lag X£tfu»y fi&al&g iv a^x^.
ib. xol Xombp ^v fula cnovdii xb Sovl&aai, xijv cdgxa x& nvi^iucxt^ xal tä
Xoyicii&v ^QB^HP ^gUcy %al xovg xriQ(xnohg &vaKa9alQBiv x&v ivpoi&v i%pri-
XatoviUpap pi/jq)ovai %al qwXanxmotg ola nval raxia diavolag ngbg xä iiQsixxat
Tunljctcip.
1). Im ersten und zweiten Jahrhundert waren die kleinasiatischen
Küstenstädte nach wie Tor die Hauptsitze des Asianismus. Vor allen
Smyrna, die Vaterstadt des Niketes, und vieler anderer sehr be-
rühmter Sophisten. Als die Elazomenier den Skopelianos, ihren Mitbürger,
baten, doch bei ihnen seine Schule zu halten, erwiderte er, die Nachtigall
singe nicht im Käfig, &an8Q dl &Xcog xi xfjg kavxoü B'ötpatviag xiiv Sfi^Qvap
iejUipccxo %al xiiv iixon xrjp iitBl nXBlaxov &^iav di^d^. ndcrig yäg xfjg 'latpiag
olop iiovCBiov nBnoXutitivTig &QXuoxdxriv in^x^i xä^iP ii ZfivQva^ na^dittif ip
xotg ö(fydpotg ii (ucydg (Philostr. y. soph. I 21, 3). Dort strömten, um ihn
zu hören, zusammen lonier, Lyder, Karer, Mäonier, Äolier, Mysier, Phiy-
gier, Kappadocier, Assyrer, Ägyptier, PhOnicier, Athener (ib. § 6). Auch
Polemon lehrte in Smyma, woför Philostratos I 26, 1 f ähnliche Gründe
angiebt. — Neben Smyma dann auch Ephesos, wie uns besonders die
Inschriften gelehrt haben ^ cf. Ancient greek inscriptions of the Brit. Mus.
m n. 648 u. 627 mit den Bemerkungen Ton Hicks. — Bei Tacitus dial. 16
wird aufserdem Mytilene als Hauptsitz der asianischen Rhetorik genannt.
— Im HI. Jahrh. überflügelt Athen diese Küstenstädte: hier strömten sie
zusammen aus der ganzen Welt, vor allem aus Asien. Denn fast aUo So-
phisten des in. und IV. Jahrh. stammen aus dem Osten. So im HI. Jahrh.:
Apsines aus Gadara (lehrend in Athen unter Mazimin), Genethlios und
Kallinikos, beide aus dem peträischen Arabien (lehrend in Athen unter
Gallien), lulianos Domnos aus Caesarea in Kappadocien (Zeitgenosse des
Kallinikos), Paulos und Andromachos aus Sjrrien (lehrend in Athen zur Zeit
des Dexippos), Sirikios aus Palästina (lehrend in Athen, Schüler des Andro-
machos). Dagegen war Minukianos Athener. — Im IV. Jahrh. auTser The-
mistios (Paphlagonien), Himerios (Prusa), Libanios (Nikomedia) bei Euna-
pios erwähnt: Aidesios (Kappadocien), lulianos (Kappadocien), Ghrysanthios
(Sardes), Eusebios (Mindos), Prohairesios (Kappadocien), Epiphanios (Syrien),
Diophantos (Arabien), Anatolios (Berytos), Akakios (Palästina), Nymphi-
dianos (Smyma), Beronikianos (Sardes), dazu die latrosophisten Zenon (Ky-
pros), Hilarios (Bithynien), Magnes (Antiochia), Oreibasios (Pergamon), loni-
ko8 (Sardes). Von den bei Eunapios genannten sind nicht aus Asien nur
Apsines (Lacedaemon), Priskos (Molosser), Epigonos (Lacedaemon).
374 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
bestehen kami; was gemeint sei AUes^ was ich firüher bei der
Charakteristik der Asianer des III. vorchristlichen und des
I. nachchristlichen Jahrhunderts hervorgehoben habe^ wiederholt
sich hier.^)
Wohl die grimmigste Invektive gegen die asianischen
Sophisten ist die Rede des Aristides xatä t&v i^OQx^^^
(idv(ov.^) Er beabsichtigt darin vor allem^ den Einwand dieser
Schönredner^ dafs nur so das Volk sich gewinnen lasse, zu wider-
legen ^ was ihm natürlich auf Grund platonischer (remeinplätze
1) Auch 80 aUgemeines wie das Folgende. Ich habe oben (S. 182,1)
aus Dionjs t. Hai. de or. ant. 1 die Worte angefahrt, in denen er die on-
wissenschaftliche Haltung der Asianer seiner Zeit brandmarkt: iifp6iffft9g
ävccldiux &6atQi%i} xal &vdy<oyog %al o^ts q)tXocoipiag olk' &XXov naidt^iuxtag
oidsvbg (i6t£iXri(pvUic Hsv^bqIov, Damit vergleiche man, was LoMan ihet.
praec. 14 f. den Moderhetor von seinem Schüler verlangen läfst: *6ful^i
tolwv tb fiiyunov (thv ti^v &fuc9lap^ iha ^gdcog inl to^fp nccl r6l(uc9 nal
&vaiaxvvtlav und in Betreff der &(ucd'la noch im speziellen : nQox^f^n fMl^if'
dyivi/jaag iiridh ntfyrfiBlg^ sl [ti) ngostslic^g i%8tva tä n^b tijg (ritOQinfjg^
bitoccL ij &XXri nQonaideia totg &poi/jtoig xal fuxxaloig (t^tä xoXlo^ «afiaroo
2) i^oQxita^ai heifst exsuiUare, von lebhaftem ausgelassenen Tanz,
ganz wie iKßaxxBvtad'ai^ mit dem es Herodian der Historiker V 4 verbindet.
Warum es im Titel steht, zeigt besonders der Schlufs der Bede (p. 668 f):
er vergleicht die Sophisten mit ausgelassenen Tänzern und läfst mit bitterm
Hohn sie selbst sich verteidigen mit dem Argument, Herakles habe ja auch
bei Omphale getanzt. Dafs Redner, die solches G^ewicht auf das Bhyth-
mische und G^sangreiche der Rede legten, Gefahr liefen, ihre Körperbewe-
gungen zu förmlichen Tänzen ausarten zu lassen, ist begreiflich genug;
denn, wie Aristides selbst in einer (verlorenen) Rede bei Libanios or. 63
(vol. ni 857 R.) sagt: 6gx''l<f^ ^<^^ %Cvricig t&v fuiX&v cvrrovog yata fir^y
cxriiuitaiv xal (v^fi&p. Er hat noch in einer andern Rede gelegentlich die
ausgelassenen Tanzbewegungen seiner Gegner gebrandmarkt: or. 49 (voL H
583 Dind.): oi) ndvxtg ii^ol avviaaiiß Zaov to^av (sc. tfjg eotpietmilg jcwiriS-
rritog xal toi) KOiiipsvsad'ai, <r;i;i{|iiaTOff ivena) x^Q^ ^^; o^ ^^^ itBQOw tb
illiBtSQOv; .... noiccv rj x^^Q^'*^ ^^ %Lvriaiv r^ x*^^^ naQaymyrjp iiixitißtg
neQuitigco tov ftstQiov PBv6in%a; notov iad-fjtog cxfjfux XvnriQ6v; cSinrc^ ^i}
tivhg aitovg &7tiii(fwpav totg liiatioig äXXcc &XXo ti taioütov ndtnati
inXaadiirivi &XXä dgx^^i'^^'' ^i^tvxoc mcnsQ itegol tivigi (d. h. „springe
ich von einer Seite der Rednerbühne auf die andere?*'). Von früher citierten
Stellen erinnere ich hier nur an das diserte saltare bei Tac. dial. 26,
cf. aufserdem oben S. 291 und 310, 2. Im Gegensatz zu diesen Rednern
nennt Synesios in der oben (S. 356) citierten Stelle die 'alten' Redner tohg
ataaiiiovg.
Neoterisinas und AsianiBmas. 375
nicht schwer wird Leider will er nicht die einzelnen xtaiöiiä-
tmv xQixovg in ihren Reden au&ählen, sondern sich mit dem
allgemeinen Nachweis begnügen, Sri t^g iffstflg ^ybdafkia %(o
iunUa tQixaiov iöttiösv (II p. 564 Dind.). Diese Leute haben
es nur darauf abgesehen, ya(n^aXi6ai tä Ata (p. 551); (ucXaKt-
{ovrai (ib.), ^^ov6i. X€qI toi)g köyovg (552; 554), sie gleichen
iydQoyüvo^ tj ev^ot^^ot^ (566)] ifutg, ruft er ihnen zu (567),
Stop Big i>akxQlag tdttrjöd^e xal tä t&v Mov6&v Z(fyia xQaivrjte
iv tS dtiiioöipy xdttQOv fpilorifiüicg dixaimg &v ifjupiößritolrizs^ ^
ifivtsg &v xatOQiktoufd^e nBQ6i6xC\ Die gerechteste Strafe sei,
dafs sie oft das Gegenteil von dem erreichten, worauf sie es ab-
gesehen hätten, wie von ihm selbst an einem dieser Redner be-
obachtet sei (564): jde i/lIv yäg iyxXCvag x&v xaQCttov li/£xa,
ixQOXBkavziov S* insfp^iyysto igi* ixdötp r&v xofi(iati(ov &6jcbq
iv fidXBc taiftöv. oC d' ixQoatal xal iQ&iuvoL ovtm 6(p6d(fa
il^BMXiitxovto xal xatBixovto imb rot) (iHovg fitfd' Ztb dil iyfyvovto
Xifbg Tj3 ^T^iioti^ ixyBXdöavtBg &v ainol imißakov^ oinc ivtaxod^
d&vxBg &6XBQ ^xh tiiv tpayvi^v^ &XXä xal TcgoXafißdvovxBg. xal
8f[ta ii8i)g ^v 6 xo(fv<patog ibv xaxömv rot) x^Q^^- ^QOöfjxxov
8i x^ xal &XXo rot) x6QSaxog o^Bxa (cf. Aristoph. Wolken 555
und oben S. 310, 2), &6x^ iXsivbv xb X9^t^ '^^S 6wavXücg Blvai,
xoi> XB 6og)i6xoi} xal x&v ixaigaw ig>* olg iTCxöfjxo,^)
Vor allem finden wir, dafe diesen Rednern der schwere Vorwurf
gemacht wurde, ihre Vortragsweise arte infolge der aufs äuTserste
gesteigerten weichlichen rhythmischen Komposition in förmlichen
Gesang aus. Wir sind diesem Vorwurf schon öfters begegnet:
Cicero erhob ihn gegen die Asianer seiner Zeit (or. 27; 57) und
oben (S. 294 f.) habe ich eine grofse Anzahl von Stellen an-
geführt, um zu beweisen, dafs die Asianer der ersten Eaiserzeit
darin ihren Vorgängern durchaus treu blieben, ja sie womöglich
noch überboten. Die Verhältnisse wiederholen sich genau in
dieser späteren Zeit, mit der wir uns jetzt beschäftigen. Ob-
wohl darüber schon mehrfach gehandelt ist^), so mufs ich doch
1) In einer andern Bede (61, n 681 Dind.) nennt er sie tohg TULta"
xtviftovg aotptatdg,
2) Vor allem von dem Franzosen Lud. Cresollius S. L, Yacationea au-
tumnales (1G20) 472 ff. Diese heutzutage vergessene Schrift habe ich schon
öfters zu citieren Gelegenheit genommen, weil sie eine Fundgrube für der-
artige Dinge ist, wenn auch jeder Ansatz zu historischer Betrachtung fehlt.
376 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
einige wichtige Belegstellen hier wiederholen, yiele hinzafQgen,
nicht blofs um die Kontinuität der Entwicklung auch an einer
solchen Äuüserlichkeit zu zeigen^ sondern auch weil ich den Zu-
sammenhang zwischen rhythmischer Bede und Gesang^) später
zu weiteren Folgerungen benutzen muDs (Anhang I).
Dio Chrys. or. 32 (an die Alexandriner), 686 R.: d^'dfM^
81 i^drj (lot, doxet rö nQ&ypM (nämlich das Singen) xal r&v fri^
rögcnv anxBö^ai xal q>iko66q>(ov ivicovj [uHXov di toifg ^i^togag
ovdl yvQivai, fadvov. iig yä(f 6q&6^ tijv önovdiiv i^av r^v xsqI
tovto xal Tijv inidvfLÜcv^ ndvtsg d^ adovöv xal fi^OQBg xal
6oq>i6t aij xal ndvra nsQaivsrai dt* piflg^ &6x st tig %aQloi di-
xaöTi^Qtov^ oix &v yvoCri ^(fdlmg nötSQOV ivdov nivovöiv ^ di-
xdtfivxar x&v 6o<pi6tov di otxtuia %Xr^6lov 17, ovx iötai yv&vai
tijv dtatgißi^v.
Philostratos vit. soph. I 8 von Favorin: i^sXys dl cv-
Tovg (die des Griechischen unkundigen Römer) rot) Xöyov xal tb
inl näöLV (also der inCXoyog\ S ixetvoi (ilv tiöiiv ixdXoWj iyio
d\ tpiXoxnnlaVj iTCsidij totg iatodadsiyyLivoig itpv^vslxai. Für
Favorin cf. noch Lukian Demon. 12: inal 6 9aß(oqlvog ixoiiöag
zivbg d}g iv yiXfOxi noiotto tag 6(iMag aviov xal ^dXi6ta t&v
iv avxatg fiaX&v rö i7CiXBxXa6(idvov 6g>6dQa Sg iysvvlg tuA
yvvaixelov xal q>iXo6o<pia 9^xi6xa nginov^ XQOöeX^bv ^gdna röv
Einiges daraus hat er wiederholt in seinem bekannteren (von Bohde L c.
291, 1 richtig gewürdigten) Theatrum veterum rhetorom (Par. 1620), am
bequemsten zugänglich durch den Abdruck in Gronovs Thesaurus graec
antiqu. X (Venetiis 1785); dort p. 129 fif. AuTserdem Rohde L c. 812, 4.
W. Schmid, Der Atticismus I (Stuttg. 1887) 41, 16.
1) Diese Sophisten verglichen sich daher gern mit Singvögeln, cf.
Skopelianos in den oben (S. 373, 1) aus Phüostr. v. soph. I 21, 8 angeführten
Worten; sie sprachen daher auch gern über solche Vögel: Themist. or. 27,
336 c fiij (iB &llmg vofUaTjg mQattBcQ'oci t^ x^xyco xal rj) inridovi^ %a9dn9(f oi
xofii^ol aotptatal ol noiioiivtsg tohg X6yovg olov (pv%Uo %ixQrirrai rovroi^ totg
dgvioig (cf. z. B. Lukian Heracl. 4 ff. und Himerios oft). Anderes bei Cre-
sollius vac. 503 und theatr. 43 F 44 AB, Boissonade zu Eunapios (Amsierd.
1822) 228 u. ö. und zu Zacharias Mjt. (Par. 1836) 352 fif., Bohde 1. c. 813, 1.
— Interesse dieser Sophisten fcLr Dichter : Niketes und Skopelian studierten
alle Gedichte, besonders die Tragödien, der (isyalwpavUc wegen: Philostr.
I 21, 5; Adrianos war gewöhnt inid'sidisiv talg Movaaig (ib. II 10, 6) und
seine aUzustarke Anlehnung an die Tragödie wurde getadelt (ib. 7); Nika-
goras nannte die Tragödie die Mutter der Sophisten (ib. 11 27, 6); Hippo-
dromos schrieb auch Lyrisches (ib.). Mehr darüber besonders bei Bohde 882 fi
Neoterismus und Asianismus. 377
Jijimvttxtaj tig !bv xlava^oi tä ainov' ^äv^QaxoQj iq>rij oix
sioMatfita i%mv tä ina\ — I 20, 1 (von Isaios dem Syrer):
rdl Sk MiXtiöim ^lowöip ixQoat^ Svri tag fuXitag |vv p8y
nouwiUvp imnXi/^xxaiv 6 'löatog * (isiQaouov, itpri^ *I(ovix6vy iyh
8i 6B ^dsiv ovx ixa£8€v6a\ — 11 5, 3 von Herodes (der es
gegen seine Gewohnheit einmal mitmachte): ixidsixvviisvog dh
T{3 jiXsidvdQa (einem berühmten Sophisten aus Eilikien) ti^v
ts ^xio tUg dialil^sag ngoöfiQSv^ i%Bidii iyiyvmöxs toiitp xal fia-
h6xa %aCQOvxa ainbv tp x6vm^ ^vd'^o'ög ts noixik(otd(fovg
aiXo^ xal Xvgag iötiydyexo ig xbv Xöyov. — 11 10, 5 (von
Adrianos): xataöxhv dl xal thv &vm d'QÖvov (den Rhetoren-
stnhl in Rom) o^mg tijv ^PAiirjv ig ccötbv ixiötQBtlfsVj i)g Tial
totg ilwitoig ykAttr^g ^EXXddog ignta naQa6%Blv ixQodöemg.
flxQO&vto 81 &6n£(f eiötofiovötig iridövog (cf. Soph. Oed.
G. 18) T^ siyXaittiav ixxsnXrffyiivoi xal th (fx^i^a xal tb
i(i6tQoq>ov toO q>^iyiMctog xal toi)g xb^^ ts xal ^i)v ^d^
^v^fuovg, — II 28: ot thv Aaodixia OüaQov (einen Schüler
des Favorin) Xöy&v iiioihnsg aitol ft^ i^ioiiö^anf XöycoVj xal
y&Q siftsXiig xal ducxBxV^i^S ^ exn^d^g xal r^v bIxbv tdipoviav
aUfx&i/0}v xaiixatg a^iidtmvy alg x&v ixoQx^'i^^''''^^ ^'^S ^^^
i6ekys6tiQmv.
Plütarch de rat. aud. 7 p. 41 C: ^x£i di ti xal ^ Xi^ig
&X€ctriX6vj Zxav iiÖBla xal noXXii xal (ist üyxov ti^vbg xal xata-
6xB\}ilg ixtq>eQtitai totg ngdyiiaöLV. Sg yäg t&v ijt* aifXotg
o^dövtfov aC xoXXal toi>g ixoiiovtag a(ia(fxiai dia<pBiiyovötVf otiro
XBQLVC^ Tcal öoßagä Xii^cg &vti,XdyLnBi t^ ixQoaty xgbg tb dijAoiJ-
luvov ... aC dl t&v xoXX&v diaXi^Big xal (isXitai 6o(pt6t(bv
Qfb iiövov totg 6v6(uc6i jcagaitstdöiucöi XQ^^^^^^ ^^^ öiavoriiidtaiv^
dXXä xal tiiv q>aiviiv ifinsXBiaig ti,6l xal (laXaxötrjöi xal
nagvömöBöiv ifptidvvovtsg ixßaxxsvovöi xal zaQaqii-
QOVöL toifg ixQOOfisvovg^ xsvijv iidoviiv di86tnsg xal Tuvto-
tdgav döl^av ivtiXafißdvovtsg (folgt ein Vergleich mit dem xi-
f^aQOfdögX cf. auch 8 p. 41 F.
Lukian pseudolog. 5 (von dem phönikischen Sophisten Ti-
marchos, der über das Thema ^6 üv^ayögag xa)Xv6iisvog vno
tLVog ^A^Kivalfov ^iBtixBiv t^g ^EXbvöIvl tsXsxf^g &g ßdgßagog, 5ti
IXsyBV ainbg 6 TIv^aydQag ngb tovtov notl xal EZq^ogßog ys-
yovdvai' eine iisXitri hielt) tijv fpmv^v ivtgi^ag Big ^iXog^
ig ^BtOj ^(fflvöv ti,va infi^iXBi rdf üv^ayöga, — Der im
378 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit
^ögmv di8d6xaXog parodierte Sophist (Pollax) empfiehlt dem
angehenden Schüler, mitzubringen (idXog &val6%vvtov (15)
und giebt ihm den Rat (21): ^ di jcoxb tuiI a6ai nutiQhg slvm
doxfj, xdvta 6ov addöd'm xal iiiXog ysviö^fo. x% xovs iato-
Qtitfijg ngäyiucrog cidixot), toi}g Svögag xoi>g 8i7uc6täg dvoiUiöag
ifilisX&g nsTtXriQcmivai otov rijv agyLovlav seine Freunde
sollen ihm Beifall klatschen, xal yäg a{> Ttal tovde (UBlirm 6o^
tbv xoQov i%ei,v oixstov xal övvadovta. — Cf. auch die
bitteren Worte über die zyr Hetäre herabgewürdigte, in einem
GäTschen wohnende Rhetorik, die sich nächtlicherweile ansingen
läfst von ihren betrunkenen Verehrern (bis acc. 31).
Musonius bei Gellius Y 1: cum phüosophus hortatur mottet
suadet dbiurgat aliudve quid disciplinarum disserü, tum qui audümt
si de summo et soluto pectare ohvias vulgatasque laudes effuHunt, si
damitant etiam, si gestiunt, si vocum eius fesHvitatibus, si modulis
verhorum, si quibusdam quasi frequentamentis arationis moveniur
exagitantiir et gestiunt, tum scias et qui dicit et qui audiunt frustra
esse neque Uli philosophum loqui sed tibicinem canere.
Themistios stellt or. 26, 315 a — c seinem ösiivhv eldog
tov Xiysiv das naiyvt&dsg der Sophisten gegenüber; dem letzteren
eignet das adsiv xal ngoadsiv xolg iaiQOfQ^ivoig. or. 28,841c
(nach einer Schilderung des prunkhafben Auftretens der Sophisten):
nqhg 8% toi x66yLa> oiko XafinQ^ Svti xal xoXvteXet xal on&rol
of Xdyoi, atyniXoi el6l xal fmsQßdXXovöi dsl^iörYjn xal fpiXav^och-
nia, xvSaCvovxBg Ttal inalQovxBg xal iöxa^öiuvot toi>g d'smfLdvovg
xal Tcäöag tivxsg qxoväg xal a6(iaxa adovxBg (uöxä ^dov^
&67C6Q SsiQUvsg. Eine merkwürdige Stelle noch or. 24, 301b:
er gleiche nicht den Sophisten, die ihre Zuhörer anlockten,
indem sie ihnen reichen Ohrenschmaus yerscha£ften und von
denen of (liv xLveg inixAgiov adovxsg (idXog^ ot S% *ji66v(fiov
xal ix Avßdvov^ xrjXovöiv ifiäg rg xs otxo^sv &Qiiavia xal x^
d^Qa^ev. Zu dieser Stelle bemerkt Petavius: psalmodiam ae
musicam in ecciesia modulationem, tU opinor, innuit. sie enim ap-
pdlare amat 'Aöövqiov (idXog pro Hebraeo, Das ist richtig, denn
dreimal citiert er die Septuaginta (jedesmal dieselbe Stelle: proT.
Sal. 21, 1) als 'AöOvgia yga^^xa (7, 89 d; 11, 147c; 19, 229 A).
Synesios Dion p. 55 Pet. (s. o. S. 355 f.): rovro f/hf ohv
oiö' av 6 ös^vöxaxog aix&v {x&v 6oq>i6x&v) ngoönoiijöaixo, ^i)
ov navv (liXeiv avxdi xal neTtQayfiaxevö^aL xä nagl xi^v fpmt'i^f
Der Asianismus und die alte Sophistik. 379
ig ya xal furaii) tfjg ix^dsÜ^cag i6t(fdq>fi xal rö Xrjxv^iov yttiöe'
xal 6 (»hf äxökov^og Ags^sv {ix icokXov yä(f xal ^aQsöxevaöBv),
6 dl ixoQQOipst t€ xal &va%oy%vkCiBi,^ rot; vsaQ&g iteiti^eö^ac
totg iidX€6L tvyxdvei 81 (ybS* Sig ixQoat&v ilsiov 6 dvörrivog
Sv^lfoxog' iXXä ß(y6Xoivto (ihv &v aitbv i^ä6ai, {ysX^sv yäg
6v)j ßwiXo^vto d' &v xal . . . ig>anf6t6QOv ivögiovrog ysviö^av
{iaucXlaystev yäq &v xdXai dsöfisvoi). — id. enc. calv. 4 (66 B
ed. Pet.): iyh di oiks yCQOoi(iia6dn£vog iaifuxXdv xi xal zoqöVj
otf toi>g iymvufxixovg löyovg oC fi^roQeg &6xsq i(iß6Xoig rag
tQi^iiQSig ixli^ovö^Vy oihs XQodöag Sxsq Aifov Inoltfit (iHog
ivaßeßXriiiivov xal Xiyvffbv Sts XL^aQq^dixov vöfiov rot)
Xöyov XQoavaxQovödiisvog^)' tivaötäg em^ev xahtoi>g ^sovg
%f06€ixAvy SjciQ sta^a^ ixsfLcXovfii^v tf^g xtffii}^. xal y&Q itvyxa"
vov fiaXax6t6(fov rb 6&iuc i%0Vy fi 8\ '/jiiiXtito ix xXeiovog:^.
D. Der neue Stil und die alte Sophistik.
Ich habe früher (S. 138 f.; 147) bewiesen, daDs der alte Asianis- stii-
mus eine konsequente Weiterentwicklung der alten sophistischen uehe
Konstprosa war. Es laust sich nun femer auf Grund unwider- ^"JJ|^"*"
leglicher Zeugnisse der Nachweis fQhreU; dafs der Asianismus
der zweiten Sophistik sich seiner Verwandtschaft mit
der alten Sophistik bewufst gewesen ist')
1) Jene Schrift stammt aus Dions sophistischer Periode und sein sang-
reicher Vortrag war nicht i%XiXvii4pog , wie deijenige der Asianer, sondern
&paßtßXfifiipog, d. h. 'gehalten'.
2) Es liegt ja auch schon im Namen: ol &(fxaToi coqfiotai nach Brand-
staetter 1. c. (oben S. 863, 1) 248 zuerst bei Aristides ars rhet. II 680, 14 Sp.
KQitlav iiäXXov 6 toioi^o^ tg^og fldo^tp ilvai ij xipog t&v &Qxaliov cotpiatStv.
Dann bei Philostratos, auch bei Menander HI 382, 27 Sp. xal x&v alAv
%aX t&v toiovtap HSri riy^; t&v ndlcu cotpiat&v inairovg avpdygaipav. Da-
her beginnt Philostratos seine ßloi der eigentlichen Sophisten mit Gk>rgia8.
(Aach Pausanias erzählt bei Erwähnung einer Statue des Gorgias dessen
Lebenslauf VI 17, 7 ff.) Daher konnte Dio Chrysostomos seine luTektiven
gegen die Sophisten dem Eyniker Diogenes in den Mund legen (die Identi-
tät der Zeiten spricht er selbst aus or. 8, 143 R.). Daher identifiziert sich
Aristides {n, (rit, 1, (mlQ t&v ttttagav) sachlich (in der Sprache und im
Stil hat er mit ihnen nichts gemein) durchaus mit jenen älteren und glaubt
sich selbst zu yerteidigen, wenn er sie yerteidigt (cf. H. Baumgart, Aelius
Aristides [Leipz. 1874] 29 fif.), und Themistios (im Zbqpunrifff, or. 28) führt,
um den Namen eines aotpianig Ton sich abzuwehren, den Nachweis, dafs
380 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiderzeit.
Eraeuenmg Plutarch. der erbitterte Gegner der asianischen Redner
gorgiani- Seiner Zeit; hat in einer nicht erhaltenen Schrift folgende
sehen Stil.. Äufserung gethan (bei Isidor. Peius, ep. II 42, vol. 78, 484 Migne):
{nkovtd(fX9^ ^oxet tb öatplg xal Xetov yvij6i.ov slvai, ^Amxi6ii6v)j
oik<o ydg gyrjöivj iXdltjöav ol fiitogsg. FoQyiag di 6 Abov-
rtvog nQ&tog tijv v66ov taiitriv slg tovg ycoXLUxo{>g löyovg aUfj^-
yccye, rö itlniXbv xal xvnixhv iö^aöä^uvog xal rg öaqyrivsüc Avfftij-
rdfievog. Wenn er sagt, dafs man den echten Atticismus an den
zehn Rednern zu lernen habe, während er durch Gorgias yer-
dorben sei, so scheint daraus zu folgen, dafs er einer Richtung
seiner Zeit entgegentritt, welche dem Gorgias Einflufs auf den
Stil zuerkannte. Dafs sich das nun thatsächlich so yerhalt, er-
kennen wir aus einem Brief des Philostratos (73), dem ein-
zigen in der ganzen Masse, aus dem wir wirklich etwas lernen.
Er ist an die Kaiserin lulla Domna gerichtet, gehört also jeden-
falls einer frühen Epoche im Leben des Philostratos an. Er
enthält eine systematische Verteidigung des Gorgias, und
zwar, wie aus dem Schlufs hervorgeht, mit einer Polemik gegen
Plutarch, also vermutlich speziell gegen jene Schrift, aus der
das obige Fragment stammt. Er führt zunächst aus, dafs Piaton
in Wahrheit die Sophisten nicht beneidet, sondern ihnen nach-
geeifert habe: aus seinen Schriften erkenne man, dala er die
Stilarten des Gorgias, Protagoras, Hippias nachahme (wie darüber
zu urteilen ist, haben wir oben S. 104 ff. gesehen), wie Xeno-
phon die des Prodikos. Dann zählt er andere Nachahmer des
Gorgias auf: Aspasia, Eritias, Thukydides, Aeschines der Sokra-
tiker (aus dem er dafür anführt das S. 103 besprochene Frag-
ment), manche Epiker.^) netd'S d^, schliefst er dann, xal 6Vy A
er nicht so sei wie die von Piaton geschilderten. Wer also die Linie von
Gorgias bis zur zweiten Sophistik herstellt, rechtfertigt nur die antike Tra-
dition, während Brandstaetter, wenn er die Linie erst mit den sich aotpictai
im engem technischen Sinne nennenden Asianem beginnen l&Tist und Ari-
stides und Themistios der Konfusion anschuldigt, yergifst, dalk, wenn Gor-
gias, Eritias, Isokrates etc. sich selbst auch 'Sophisten' im weitem Sinn
des Wortes nannten, sie von den Späteren einfach in jene engere Begriffs-
sphäre des Wortes miteingeschlossen wurden.
1) AI d' &7ioatdaBig at ts nQoaßolal t&v X6yav roi^ylov inifa-
QiaSov noXXaxoü iibv, (uiXiina d* iv tä t&v inonoi&v itvaltp. Was das heiffli,
weifs ich nicht.
Der Asianismus und die alte Sophistik. 381
ßaölXeiOy tbv d'UQöaXedyeBQOv tov 'EXXriv^Teov nXoikaQ%Qv^) fi^
Sx^iö&m totg 6ofpt6xatg fiijd' ig diaßoXäg xcci&iata6&ac tov roQ-
yi(n}. ei d^ oi5 xsi&eigj 6i) iidvy o7a 6ov 6o(pla xal itr^tig^ olö^a
tC jjifii üvoiMc %i6^ai rp toi^ds^ iyh S* sinstv ix^ov oi Xdym.^
Man sieht, wie Philostratos sich die Ehrenrettung des 6or-
gias') angelegen sein lälst. Er stand mit seiner Vorliebe fiir
ihn nicht allein. Von seinem Lehrer Proklos aus Naukratis
sagt er yit. soph. II 10, 6: t6 iilv oiv ducXax&flvai. airbv iv
öxaviörot^ ixsitOy St 8 dh bgiJtijöeuv ig didXsiiVj ^Ixxid^ovti ts
it&xai xal roQyid^ovtt, Von Skopelian ib. I 21, 5: &iUXbi d\
6oq>i6t(bv fihv iiäXiöxa FoQyCa reo AeovtCvfOy ^rjvÖQav de totg
XaiutQbv iixovfiiv (das sind eben die ^Asianer'). Von Adrianos
II 10, 6, er sei gefolgt tolg &QX^ioi,g 6o(pi6tatg^)
Worin bestand nun die Anlehnung dieser Sophisten an ihre
alten Namensgenossen? Deutlich genug erkennen wir es aus
dem, was wir von ihnen haben: aber davon sehe ich vorläufig
völlig ab, wo ich nur auf Grund thatsächlicher und unmittel-
barer Zeugnisse operiere, was mir bei allen diesen wesentlich
an das stilistische Fühlen von uns modernen Menschen ap-
pellierenden Untersuchungen immer am wichtigsten zu sein
scheint. Wir haben aus dem Anfang des dritten Jahrhunderts
1) Ich brauche wohl nicht zu erinnern, dafs man an keinen jüngeren
dieses Namens zu denken hat. Das nstd-s IRo^aQxov xrX., obgleich er
längst tot war, ist echt manieriert gesagt, wie es diesem Skribenten und
seinesgleichen eignet.
2) Er meint ipiXtegog oder dgl.
8) Den Prodikos imitiert er auf läppische Art vit. soph. n 10, 4
iyac^slg dh a4)tbv (sc. 'AÖQutvbv tbv aoqjiatiiv) 6 aiftongdtaQ (sc. Mdgnog)
inl fuiya f^QS donffsatg re xtt2 dAgotg. %aXäi dh dcoQiäg fihv rag ti
cifi/iaBig xal tag itQOidQlag xal tag itslilag xal tb Itg&ad'ai xal Zaa äUa
laii,nif6psi ävdQag, d&Qa dl xifvabv &qy^qov tnnovg ivS^dnoda xal üacc
kQiLtiviißsi nloiitov.
4) Die letzte SteUe sowie die über Prodikos hat schon Bohde 1. c.
826, 1 angefahrt, um zu beweisen, „dafs ein begreiflicher Zug der Wahl-
verwandtschaft manche der neuem Sophisten über die ernsten Alten hinaus-
führte zu ihren eigentlichen Vorgängern, den rhetorischen Manieristen
Gorgias und Hippias.** Er hat also ganz richtig geurteilt, cf. auch p. 888, 2 :
„Aus der bekannten Darlegung des tpvxQ6v, welches aus der Anwendung
poetischer Mittel in der Prosa des Gorgias, Alkidamas u. a. entstehe, bei
Aristoteles rhet. IIl 8, wäre das Meiste auch auf die poetisierendeu Pro-
saiker dieser späteren Zeit wohl anzuwenden."
382 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiseneit.
rhetorische Werke eines Mannes, der in seiner Jagend den
Schwindel der zeitgenössischen Sophisten mitgemacht hatte, dann
sich von ihnen abwandte und auf atticistischer Basis sein Lehr-
gebäude der Rhetorik aufbaute, welches die Jahrhunderte über-
dauern sollte: des Hermogenes von Tarsos. Wir haben seinen
ßü}g bei Philostr. 11 7: der stellt es so dar, als ob Hermogenes
in seiner Jugend ein hervorragender Sophist gewesen, im Alter
völlig degeneriert sei, was er durch einige Witzworte seiner
sophistischen Kollegen über Hermogenes bekräftigt. Wer Philo-
stratos und jene Zeiten kennt, weifs, dafs dies in unsere, und
überhaupt in normale Denkweise übersetzt heilst: Hermogenes
war in seiner Jugend toll und wurde im Alter vernünftig und
da fielen alle diejenigen, die toll geblieben waren, über ihn her.
In seinem Alter*) schrieb er jene grofsen uns erhaltenen Werke,
welche zur nC[Lri6ig r&v &Q%aC(ov anleiten sollten^): wer sie nicht
blofs gelegentlich aufschlägt, sondern ganz durchliest, der mufs
merken, dafs sie durchaus nicht so scholastisch sind, wie ge-
wöhnlich angenommen wird, sondern dafs sie von Anfang bis zu
Ende von einer mehr oder weniger hervortretenden Polemik
durchzogen sind, die man oft freilich nur fühlt, wenn man die
herrschende Gegenströmung kennt, z. B. erklärt sich die auf-
fällig eingehende Kritik, die er zbqI Ids&v 272, 20 flf.; 280, 16 S.
Sp. an der Ansicht gewisser Leute übt, die dem Rhythmus in
der Bede einen übermälsigen Wert beilegen, ohne weiteres aus
der ivQvd'iiog XS^cg der asianischen Redner seiner Zeit.^ Uns
interessiert hier seine Polemik gegen die übermälsige Anwendung
1) W. V. Christ, Gesch. d. griech. Litt. • (München 1890) 686 und H.
Becker, Hermogenis de rhythmo oratorio doctrina (Diss. Münster 1896) 82
irren, wenn sie sie in die Jugend des H. fallen lassen, offenbar nur, weil
sie glauben, dafs der im Alter 'degenerierte' Mann sie nicht mehr habe
schreiben können. Nein, ein Jüngling, der, wie er als achtzehigfthriger,
vor Hadrian die albernen Worte sprach: ^oo tfo», ßaedsii^ (i/jttoif «ai^cryo-
yovfisvog, ('^(oq iiliyUag ds6iisvos (Sopat. zu Hermog. ars Y 8 Walz),
schrieb nicht die Werke, die eben solche Tändeleien verpönten.
2) Cf. die Vorrede zu den Ideen 266, 11 ff. Von den psStg^i l&fst
er nur einige gelten (cf. 273, 32; 265, 9), nämlich die archaisierenden, be-
sonders den von ihm öfters citierten Aristides und den Nikostratos (866, 28;
420, 8, cf. über diesen üsener, Praef. zu [Dionys.] de arte rhet. [Leipz. 1896]
p. VI).
3) Das hat auch IT. Baumgart 1. c. (S. 879, 2) 161 f. bemerkt
Der Asianismus und die alte Sophistik. 383
der seit Oorgias üblichen 6o<pi6uxit öx^ii^xta iu der Xil^is. Ganz
unverblümt tritt sie hervor x€qI Ide&v 395, 19 ff.: (paivetai di
Xöyog 86ivbg oix !bv toiovtog (S dii xal tgitov itpfpf dsiv&crjtog
ildogslvai) 6 t&v 6oq>i6t&v^ kiyon x&v naifl Tl&kov xal Foq-
ylav xcel Mivtova xal t&v xa^* 4^^^ oix dliytovy Iva (lij
liym xdvtag. yivetaiyäQtb xketörov ^sglf^v Xd^vv^ ZxavxQa%Blag
%aX 6g>odQdg tig ^ xal 6€(iväg övfifpogiiöag li^sig slr* H^ayyilXij
taitaig ivvotag ixixoXaiovg xal xoivdgy xal (idkiöta bI xal tf^ij-
fiatft ZP^^^ xi6Aot^ r£ xal totg &Xloi.g %a6iv ^ xi6i xsxaXXaniö-
fJvoig ixfiaCoig xb xal öBfLvotg, Etwas genauer über dasselbe
%bqI lud-ödov ÖBivdxrixog c. 13 p. 437 Sp. Er handelt hier xbqI
t6aiv 6%'qyL&t(oVy die er in drei Arten teilt: die iy&viöxixa^ d. h.
solche y die sich aus der Natur der Dinge von selbst ergeben
und daher sehr wirksam sind (Beispiel: Demosth. de fals. leg. 8),
die i%i,8Bixxixdy d. h. solche , die man absichtlich bildet, aber
Bidfiiiivmg Big 'f^dov^v aTtoflg 66g)Q0va (Beispiele besonders aus
Isokrates' ntcgaivdöBig), endlich: 6oq>i6xixdy d. h. solche, & vvv
(ilv iicaiVBlxaiy 'bxb dl x&v naXai&v xtoyLfpdBlxai^ Zöa
al6%Q&g xal XBV&g xoXaxBvsi xiiv äxotf^v^ St nXdxmv dia-
ßdXXst, wofür er die bekannten platonischen Stellen anführt:
Gorg. 467 B: & X^öxb II&Xb^ Iva jtQoöBixa 6b xatd 6b und
Symp. 185 C: IlavöavCov S\ itavöafiivov.
Unter den 6%tfi\uixa Xi^Brng ist es nun speziell das Anti-
theton verbunden mit Isokolon (besonders gern trikolisch oder
tetrakolisch) etc., welches, wie bei den alten Sophisten, so auch
in dieser Zeit wieder massenhafte Anwendung fand So wird
aus dem Syrer Isaios angeführt (bei Philostr. I 20, 2): iXiyxta
Il'dtava nQOÖBdmx&ca x& xQif^öavxi, dfö, rcS äiiöavxt ^^f^9>9 ^^
ivatBiiiavxi 9iXlnntp. 6 (ikv y&Q oinc &v ixQ^^^^j *^ l^^ ^^^ ^^^
6 dl oix av idriöBv^ bI (i^ xoiovxog //v, 6 81 oix &v dvi^BV^BV^
bI fiij, 8C hv liX^BVy oi% BiQBv, Lukian schreibt in der aus
seiner sophistischen Periode stammenden didXB^ig xbqI xov
otxov 1: TcaXöv xb xal diavyfl xbv xoxaiibv Idhv xal i6g)aX&g
ßa%iv xal nQOör^v&g d^iv xal vi^^aö^ai iidvv xal ^igovg &Qa
in)%Q6vj ib.: olxov yLByi^Bi (liyiöxov xal xdXXsi xdXXiöxov xal
q>anl q>ai8Q6xaxov xal XQvöp 6xikjiv6xaxov xal yQatpatg ivd^nfö-
taxov u. dgl. m. Anderes werde ich später anführen. Auch in
diesem Punkt ist der Zusammenhang mit den alten Manieristen
ein bewufster gewesen, wie sich aus Gellius XVIII 8 ergiebt:
384 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiseneit.
6lJtoioxii€vta et löoxatAlrjxta et ndfufa et bfioiAmmta ceteraque
huiusmodi scitamenta, quae isti apirocali qui se Isoer at tos
videri volunt in conlocandis verbis immodice faciunt et raneide^
quam sint insuhida et inertia et piierilia, facetissime herde signi-
ficat in V saturarum Lucüius, worauf die bekannten^ schon oben
(S. 170) citierten Verse, folgen , in denen Lucilius selbst die
Eunstredner seiner Zeit verspottete und die dann Quintilian
(IX 4y 113) zn demselben Zweck benutzte (woran man also aach
rein äufserlich den Zusammenhang deutlich erkennt). Daher
ziehen auch die Gegner dieser jüngeren Sophisten mit be-
sonderem Ingrimm auf diese Wortfiguren und ihre Vertreter in
alter und neuer Zeit los.^)
Ich will den durch die asianische Rhetorik vermittelten
litterarischen Zusammenhang zwischen der alten und neuen
Sophistik noch durch das Fortleben zweier gorgianischen Fa-
cetien beweisen. Hermogenes de id. 292^ 15 bemerkt über den
Gebrauch hochpoetischer Tropen in prosaischer Rede folgendes:
n6Qait^Q(o öh xovxmv sl ngoik^ouv^ xal naxihsQOv xal öxedbv
aircbv BixBXiöxBQOV noiovöi. xaQädeiy(ia xoikov ^riiio6^Bvtxbv
filv eine &v XdßoLg' otJ yäQ iöxij xagä dl xotg {fXO^iiXoig
tovxoig 6oq>i6xatg ndfinokXa sÜQOig 6v' tdfpovg te yäg
i(iipvxovg xovg yvnag XiyovöLv, &V7Csq bM (idXufxa f^tot,
xal &kXa xivä tl^vxQSvovxai, xd(i7tokXa, ixtgaxflXltfivöi S* airti^g
OL xs XQayadiat xoXXä Tovrov ixovöai naQadsfyfucxay xal Zöoi
1) Plutarch aufser in der oben (S. 377) angeführten Stelle besonders
noch de glor. Athen. 8 p. S60 D ff., wo er sich in dem aus ntgl ^ov^ 4, 2
bekannten Ton über Isokrates lustig macht, der zu Hause sitzt, Antitheta
und Parisa und Homoioptota leimend und Isokola Silbe für Silbe abzählend,
während in gleich langer Zeit Feldherren grofse Eriegsthaten yoUbrachten
und Perikles Propyläen und Parthenon erbaute. Ähnlich gehässige Worte
praec. reip. ger. c. 6 p. 802 E ff. über die nsQlodoi XQÖg %av6va Kai 9iapi/(n^
&nri%Qißainivai, in denen Ephoros, Theopomp und Anazimenes die Feldherren
vor der Schlacht reden liefsen, wobei man sagen könne: oidilg cidififav
ravta fuoQalvH nilag. Lukian läfst den Hermes einem Bhetor befehlen,
bevor er in Charons Nachen steige, abzulegen tag ivtid'iciig %ccl nct^icd^cug
xal nBQiMovg (dial. mort. 10, 10). Hermogenes warnt Tor zu häufigem
Gebrauch dieser Figuren n. IS. p. 304, 21 fF. (richtig erklärt Ton Sjrian im
Kommentar p. 61, 7 ff. Rabe) und giebt ib. S32, 23 ff. eine lange Auseinander-
setzung, um zu beweisen, dafs Demosthenes sie eher gemieden als gesucht
habe (zu p. 388, 8 cf. Syrian p. 64, 4).
Der AsianismuB und die alte Sophistik. 385
%&v »oiif€&v t(fayix(bxBQ6v mag UQoaiQwvxai^ &6n€Q 6 JUv-
daQog. iXX* inthQ (ilv t(y6xiov oikcD xQfOfUvtov x^ Xöypy t&p
tQayq}doxoi&v di JJyfo xal tot) IIivddQOv^ tax &v l%oiiiiv xi Xi-
YBWy oi> tov xoQdvTog dh bv xatQOv slg rö d^oi; ävaßsßXiiö^a}^
{m^Q (livxot x&v iv noX^x^Ttp X&yip xoucvxcug XQOiidvav itaxv-
xri6iv oidayUav inoXoyiav aigiöxm. ^ Geier, lebendige Gräber'
war ein famoses Diktum des Gorgias, Ton dem zwar der Ver-
fasser sr. üifovg 3, 2 sagt^ es werde verlacht, aber romische
Dichter seit Ennius und Accius haben es verwertet (cf. Munro
zu Lucr. y 993); keiner öfter als Ovid, der Zögling der mo-
dernen (asianischen) Rhetorenschule, z. B. Met VI 665, wo er
von Tereus nach der Verspeisung seines Sohnes Itys sagt: flei
modo seque vocat bustum miserabile naii, und auch einer der
tollsten Rhetoren bei Seneca, ein gewisser Musa, hat es im
Sinn^ wenn er zu deklamieren wagt (Sen. contr. X praef 9):
quidquid avium volUat, quidquid piscium natat, quidquid ferarum
discurrit, nostris sepelitur ventribus. qtuiere nunc, cur subito
moriamur: mortibus vivimus. Achilles Tat. III 5^ 4: sl dl xal
^Qiatv '^^ag ßcgäv nhcQonai yeviö^ai, slg iffiag Ix^g iva-
Xm0dx(Dy iita ya^xiiQ x^QV^^^j ^^^ ^^^ ^^ ix^'^(f^ xoiv^
xatp&i/Lev. Für die Kirchenschriftsteller cf. die gelehrte An-
merkung von J. B. Lightfoot^) zu Ignatios ep. ad Rom. c. 4. —
Noch weiter läfst sich die Linie bei einem zweiten Bonmot des
Gorgias verlängern. Die gewagte Vorstellung einer *See-
Schlacht auf dem Lande' und einer ^Landschlacht auf
der See' geht auf Gorgias zurück. Das hat E. Scheel^ De
Gorgianae disciplinae vestigiis (Diss. Rostock 1890) 35 für die
Litteratur der früheren Zeit bewiesen. Erfunden ist das Bonmot
für Xerzes, cf. Isokrates paneg. 89: ßovXri^sXg dl totothroi/
ftvri(utov xataXutBtv 8 fii^ xijg iv&Q(oxivtig ipvösag iöxiv, ad
jtQ6x€Q0v inav6axo %qIv S^b^qb xal 6vvrivdyxa6Bv S nävtBg ^qv-
AoDiTii/, &6XS xdi öXQaxonidp nXBv^ai iihv diä xijg '/jnBiQOVj xb-
tBvöai dh diä xijg d'aXdxxtigj xbv [ilv 'EXXi^öxovxov tavlagj tbv
& "A^fo dio^iag. .Dasselbe fast wörtlich so bei Ps.-Lysias
epitaph. 29 (und Cic. de fin. II 34^ 112). Da ea nun aber älter
ist als Isokrates, wie aus Thukydides IV 14 folgt (pX xb yäf
1) The apostolic fathers. Part. U. ed. 2. vol. 11 (London 18S9) 20S, 2,
der übrigens auch auf Soph. El. 1487 f. und Eorip. Ion 983 verweist
Nord«ii, «ntike Kanitprota. 26
386 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeii.
Aaxidcciiiövvoi {mb XQO^fiiccg xal ix^Aiflfiog, hg BbulVy aXlo oMhf
4 ix Y^q ivav(idxoWy o% xb ^Atrivatoi xQcctoihrcBg xal ßovX6iitBvoi t£
naQOvöy xvxq ä)g inl nkstötov ixeisMstv iaeb vb&v isteioyLdxiwv), so
schliefet Scheel überzeugend^ dafs der Erfinder derselbe Mann war, der
den Xerzes den Zeus der Perser nannte und der in seinem Epi-
taphios nachweislich Ton Xerzes' Übermut sprach (6org. fr. 14).
Die Autoren der späteren Zeit schwelgen darin. In einer De-
klamation bei Seneca (contr. exe. VUI 6) steht wenigstens
etwas Ähnliches. Einer wird schifiTbrüchig an die Heimatsküste
geworfen, wo ihn sein grausamer Vater erwartet: er sagt: adhue
tarnen lene, iudices^ navigamus: naufragium maius restat in
litore. Polemon p. 5, 23: TCQ&tog ävtQAxav ivavyLd%ri6BV ix
yi^gj was er noch zweimal wiederholt (13 , 16; 31, 21) und
p. 11, 16 steht genau wie in der Deklamation bei Seneca xsQöata
vavdyva. Auch der sonst so vorsichtige Aristides^) hat es sich
nicht versagt: or. 13 p. 259. 276. Dann der Sophist Varus von
Ferge bei Philostr. v. soph. 11 6 (mit Beziehung auf Xerxes).
In grausenerregender Weise hat es dann der unter Marc Aurel
blühende Sophist lamblichos ausgeführt an einer Stelle, die
ich später genauer citieren werde (ed. Hinck in: Polemonis de-
clamationes, Leipz. 1873 p. 45 f.). Aus ihm nahm es
herüber Achilles Tatios IV 1 und vielleicht Heliodoros
Aethiop. I 30. Endlich hat Himerios eine wahrhaft diabolische
Freude daran: ecl. 1,7; 5, 4. or. 2, 27 cf. 14, 9 (meist mit
Beziehung auf Xerzes); auch Sidonius führt es breit aus
carm. 9, 40 ff.^)
1) Angefahrt von W. Schmid 1. c. I 68 als Parallele za Polemon.
2) Zwei weitere Fälle will ich hier anführen. 1) Der (wie nachher
bewiesen werden soll) der zweiten Sophistik angehOnge Verfasser des dem
pseudoxenophonteischen Eynegetikos vorausgeschickten ProÖmioms sagt §4:
Zshg yccQ xal Xelgoav &dtX(pol natQbg (i^v rol) a^ol), pkrftQbg dh 6 likw^Piag^
6 dh Natdog vv^upris, was offenbar eine Nachbildung ist von Gtorgias Hei. 8:
dfjlow yccQ &g li'TltQbg it>lv Ai/jdasj natgbg 91 roi) ^ihv y890(Uvav ^eoü^ Xcyo-
(thov dh d^to^^ TvvdäQsm xal Ji6g, (Auch die im ProÖmium an die citierte
Stelle anschliefsenden Worte : mcts iyBy6vn i^Ip nQ6tBQog tovxmp, itiXt^ttfii
dh ^etBQOw ri 'A%üXia inaldsvaev sind ganz gorgianisch, cf. auch § 12.) —
2) Bei Gorgias zuerst findet sich eine formelhafte Art der scharfen Dis-
position, indem zunächst die zu behandelnden Punkte nebeneinander gestellt
werden, worauf dann die Argumentatio mit XQ&rov, dtißttQ99 etc. beginnt.
Z. B. Hei. 6 ff. : rj yä(f tvxfig ßovXi/iiiaci .... htgoisv & far^gt ir, ^ ßif
Yereinigping des Elassicismus mit dem Neoterismiis (Asianismus). 387
B. Vermitüungsversnohe Bwisohen dem alten nnd neuen StU.
Sie haben in dieser Epoche so wenig gefehlt wie in den Herodo«.
früheren.^) Den beiden bedeutendsten Vertretern der zweiten
0L(fn«ü^iUfa ^ X6yoig nsut^ttöcc ^ l^ort otloHoa. El ii^p ohf dUc tb ngAtow
xrl. El dh pi^ iiifnäo^ xrl. El dh l6yog 6 ne£e«g %xX. Kul 8ri ^w^ ü
iSyip ixiUfd^i^ o^ffilnriosv &H' ^vfriosv, Bt^ii;tar x^v 9\ tstdQtriv alt law
t^ tBtdgtip XSym ^ii|ctfti. bI yotQ igatg ^9 6 ta^a nf^^ag %xX. Dami
folgt § 20 die Becapitulatio in umgekehrter Beihenfolge: nätg ohv xQh ^^
%mov iiY^icac^ai xhv xf^g *EXiv7\g pL&iiOP^ i^tig sk' iffaö^eUta shs X6ym
nsuf^staa bUb ßla a^ac^Btoa bIxb ^b ^s^g &pdy%rig &vay%ac^BUsa htQu^Bw
& Isrpafc, nAvxmg ducips^Bi xiiv alxCaw\ Wenn uns das auch kleinlich er-
scheint, so düifen wir doch nicht vergessen, dafs er hierdurch zum ersten-
mal eine scharfe Anordnung der Gedanken in der Bede und der wissen-
schaftlichen Abhandlung schuf: ein solches chaotisches Durcheinander, wie
es die pseudoxenophonteische Schrift yom Staat der Athener zeigt, war hin-
fort unmöglich. In den Beden blieb die Partitio immer üblich, nur dafs
die grofsen Bedner sie nicht mit so kleinlicher Sorgfalt vorzunehmen
pflegten, sondern sie mehr verkleideten: Cic. pro Quinct. 86 f. macht es wie
Gk>rgiaB mit der ausdrücklichen Angabe, er befolge darin die Praxis des
Hortensius; später hat er es geschickter gemacht. Für die wissenschaftliche
Abhandlung giebtVarro mit seinen minutiösen schematischen Einteilungen
die besten Beispiele. Wir werden also diese Form der Einteilung, wie das
meiste im äuDBeren Aufbau der Bede, auf Gk>rgias, d. h. in diesem Fall auf
Eorax und Teisias, zurückführen dürfen. Nun findet sich bei der Behand-
lung des ersten Punktes oft die Bemerkung: t^va ng&xov B^nm x6 nQ&rop
und wenn der Bedner zum letzten Punkt übergeht, sagt er wohl: xbXbv-
xatov^ Sxt^ fUyurrofr, um den Zuhörer nicht glauben zu machen, dafs das
in zeitlicher Beihenfolge Sp&tere auch seiner Bedeutung nach das Minder-
wertige sei. Ich habe dafür im Hermes XXIX (1894) 290 £P. Beispiele von
Demosthenes bis in die byzantinische Zeit und von Yarro bis Appuleius
angeführt; ich kann sie jetzt noch um einige vermehren (Ps. Plut. de vit.
et poes. Hom. n in., Clem. AI. ström. I 1,11 p. 82S P., Procop. ep. 116,
Papers of the American school of class. stud. at Ath. n n. 266 [Eleinasien]
nQ&fxog . . . ÖBvxBQog . . . ^atdgog ^ ahx* inl xoUii XQlxog, fpdljf S* &(fa
XQAxogf cf. auch Cass. Dio LU 6, 6: tva iatb ngAxov roO ßgaxvxdxov ä^iah-
(Uli. Cic. in Cat. II 22, Sali, de bell. lug. 86, 12), aber wichtiger war mir,
als ich fjEuid, dafs dies artificium in die Zeit der firühen Sophistik zurück-
geht, wie aus folgenden Stellen hervorgeht: [Plat] Hipp. mai. 282 A: BÜto^a
(Hippias redet) i^iptoi iymyB xahg naXaioig xb %al ngoxiQOvg ijiiAp grpö-
xbq69 xb %ai i^&XXov ipmiudiBiv ^ xohg rOv. Plat. Menex. 287 C (inner-
halb einer genauen Partitio) xqAxop dh Kai pkiyiaxow. Isokr. Panath. 80 £:
XQ&xop . ., hfiixa . . . ., fn . . ., xixaQXov ZnBQ (tiyioxop,
1) unter den Lateinern wOfste ich hier niemanden zu nennen. Sue-
26*
388 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
Sophistik; Herodes und Polemon^ mufs man hierin die führende
Bolle zuweisen. Herodes tritt uns in der Lebensbeschreibung
des Philostratos (II 1) als ein Mann entgegen, der sich vor
beiden Extremen hütet; als eine Ausnahme berichtet Philostratos
(II 5, 3), daXs er einmal gegen seine Gewohnheit einem andern
Sophisten zuliebe den pomphaft hohen Ton der Rede an-
geschlagen habe. Seine wahre Meinung hören wir, wenn er die
Diktion des Asianers Skopelianos als eine * betrunkene' be-
zeichnete (Philostr. 1. c). In der uns erhaltenen fi^A/ri} steht
er sogar durchaus auf der Seite der &Qxatot^)^ aber wir dürfen
ton schreibt farblos. Über seine prinzipielle Stellung bemerkt A. Beiffer-
scheid, Quaestiones Suetonianae (hinter seiner Ausgabe Leipz. 1860) 405 f.
422 f. richtig, dafs ihm der Archaismus offenbar unsympathisch war: in
seinen yiri inlustres ist der erste Redner Cicero, der erste Historiker Sallu«t
(die älteren streift er nur flüchtig in den Vorreden), er steht hier also ganz
auf dem Standpunkt des Quintilian im 10. Buch. Die oben (S. 266 f.) an-
gefahrte Bemerkung über die Diktion des Augfustus, die sich vor den Ex-
tremen der ciicozeU und antiquarii gleichermalsen hütete, ist yielleicht nicht
ohne Beziehung auf seine eigene Zeit gemacht. Denn dafs die Partei der
Modernen ihm gleichfalls unsympathisch war, schliefst Beifferscheid mit
Recht aus der gehässigen Beurteilung, die er Lucan (in der vita) und Se-
neca (Nero 62) zuteil werden l9Xst. Mit Fronte stand er, wie aus der
lückenhaften Stelle p. 118 f. Nab. hervorgeht, nicht gerade intim. (Die
stilistische Würdigung des S., die H. Thimm am Schlufs seiner Dissertation
De usu atque elocutione C. Suet. Tranquilli [Eönigsb. 1867] 98 verspricht,
hat er nicht geliefert.)
1) Doch liebt er bezeichnenderweise gerade die Zierlichkeit der iso-
krateischen Periodisierung. DafOr zwei Beispiele: nsgl xoUtsiag g. E. 6
lihv oiv ifibg l6yog
UfuoQslv dh totg &nod'avoijai,
XagLiia^ai dh totg ngoc^novat,
dixic^ai dh tijv ti%riv'
avfikiuixovs ts totg lElXriciv slvai,
noXfiilovg dh tolg ßaQßugotg-
xal nicxBvHv fihv tolg oMptloHav,
ÖQQeadetv dh tohg fii} toio^ovg'
ix^QOvg dh voiUttiv tohg idino^hnag^
(pUovg dh toig inaiivvovtag.
&vixBad'ai i^hv &dniov(ikivovg^
Gleich nachher:
Yereinigxmg des ElassiciBmas mit dem Neoterismas (Asianismos). 389
annelimen, dals er bei höhereu Sto£fen eine glänzende Diktion
angewandt hat.^) Für Polemon habe ich oben (S. 367 t) das Poiemon.
wichtige Zeugnis des Prokopios hervorgezogen, wonach er die
alte Rhetorik von der asianischen Manier gesäubert hat. Seine
Abneigung gegen das Übermafs zeigt er auch in einer Kritik
des Skopelianos bei Philostratos II 21, 5 a. E. In Pergamon
stellte er eine Büste des Demosthenes auf (Phrynichos epit.
p. 421 Lob.). Er war aber noch weiter entfernt von der blut-
losen Diktion des Aristides und seinesgleichen: Philostratos be-
zeichnet seine Idia als eine ^sQ^tii xal ivay&vioq xal xoQhv
')l%w6a &6%BQ ii *OXvfLni€cxii ödkiay^ und als ^ot^oq (I 25, 10.
II 10, 3) und zu einer solchen Charakteristik stimmt die Tra-
dition, dafs Gregor von Nazianz, der feurige, hinreifsende Pre-
diger, sich ihn zum Vorbild genommen habe (Suid. s. t. FfHj-
y6Qioq), Die beiden uns erhaltenen Deklamationen zeigen einen
verhältnismäfsig ruhigeren Ton, wenngleich die Farben gelegenir
lich yiel stärker aufgetragen sind als in der des Herodes^); yiel
mehr scheint der Ton herabgestimmt gewesen zu sein in der
Deklamation, die L. Veras bei ihm hörte, denn er schreibt an
Fronto (p. 29 £ N.): Folemona ante hoc triduum dedamanleni
audivimus . . . $i quaeris, quid visus sit mihi, accipe. videtur mihi
agricola sirenuus, summa söllertia praeditus, latum fundum in sola
segete fnimenti et vitibus occupasse, tibi sane et fruäus pulcherrimus
et rcditus ubenrimus. sed enim nusqiiam in eo rure ficus Pompeiana
vd holus Aricinum vel rosa Tarentina vd nemus amoenum vd
densus lucus vd platanus umbrosa: omnia ad usum magis quam
ad voluptatem quaeque magis laudare oporteat, amare non libeat
— Philostratos selbst gehört auch zu dieser Mittelpartei, doch FhUMtm.
to«.
&xu/til9 dh TOtg tpHoig
nuftB^Hv dh totg ix^Qotg'
dggmdstw dl tä sr^p^o,
tä dh nXridov ^tQog&v.
Cf darüber das Greifswalder Prooeminm Ostern 1897 p. 44.
1) Cf. Bohde im Rh. Mus. XLI (1886) 186, 1. W. Schmid 1. c. 196 ff.
*i) Cf. besonders das von W. Schmid 63 f. zusammengestellte Ma-
terial.
390 ^o^ Hadrian bis zum Ende der Kaiieneit.
steht er den vsAxbqoi entschieden naher als den iQxatoi. Frei-
lich die schlimmsten Ezcesse der ersteren yerurteilt er bitter,
cf. die oben (S. 368. 377) angeführten Urteile über den Sophisten
Yaras und gewisse asianische Redner, die er i^Quata töv 'EX-
X^vfov nennt; aber für den von einigen wegen seiner über-
triebenen Art aus dem Sjreis der Sophisten ausgeschlossenen
Skopelianos schreibt er eine Ehrenrettung (I 21) und er äulsert
gelegentlich seine helle Freude an höchst bedenklichen Kunst-
stücken seiner Kollegen (z. B. I 20, 2; 23, 2). Daher schreibt
er auch selbst keineswegs äQxaCmgj sondern in allen seinen
Werken, Tor allem in den Briefen affektiert und albern genug,
wofür später Beispiele angeführt werden sollen*
LMbonftx. Besonders charakteristisch scheint mir die Deklamation des
Lesbonax zu sein. Er gehört zweifellos in diese Zeit, wie
schon lo. Alb. Fabricius, BibL gr. II p. 871 f. ed. Harles. ge-
wufst hat.^) Sein itQiycQsmiixbg Xdyog (ein Athener ermahnt
seine Landsleute beim Einfall der Spartaner in Attika, stand
zu halten) wird als eins der lehrreichsten Erzeugnisse der
zweiten Sophistik viel zu wenig berücksichtigt. Der Ton ist
leidenschaftlich, aber nie maGslos. Antithesen und Parisosen
mit gelegentlichen Homoioteleuta finden sich überall; mir
scheint vor allem bemerkenswert das stark rhythmische Ge-
präge, welches keinem entgehen kann, dessen Ohr daf&r einiger-
malsen geschult ist; z. B. p. 22 £ (ed. Orelli, Leipz. 1820): dl-
Ttaiov fikv y&Q tfj natgiöi iiivvsiv, dUaiov dl CsQOtg xtxtQ^oig
nal iivii(jka6i xlbv VQoyövmv^ dlxtuov th toi>g juctiifixs ^itAv
inp &v ixQdqyrits &vti.yfiQorQog)fi0aiy dücaiop dl toi>g xatdag^
ixsidi^7t€Q ifpiiöccr^s) ix^gii^atj dixaiov dl xtritnv tivä
fiil^iXXeisceiv. p. 26: Sötig dl iv x& igyp iöxai iviiQ iya-
d'bg I r&v XB nQoyövmv xijv &Q€xiiv ivafiviiöai \ xotg xs
leavölv BiyivBiav xaxaXBiiffBi |* x&v yäf iv xotg dsivotg
ivdQ&v &yat&v yi^vofkivmv | ot natdBg BiyBvatg vofki-
iovxai.. p. 34 (am SchluGs einer sehr schwungvollen Partie):
ivdqdciv iyad'otg yivofkivoi^g \ iaUvdvvog 6 Xo^nhg
ßioSf I iucxagi^^oiiivoig iv %dttai,g navqyÖQBöiVj \ iv nd<faig
^BfogCai^g^ \ oC tplXoi, xovxoig tpCXoi Blöivj \ oC ix^fol xotg
1) Cf. Rohde, Roman 841, 3. B. Müller, De Lesbonacte graomiatico
Pi88. Greifswald 1890) 102 f.
Yereinigniig des Elassicismus mit dem Neoterismus (Asianismos). 391
toioiitoig iiesQSvxovtai' \ xäg iv^Q aitoi>g ^evoi^öd'tti
ßo^Xtxai. So fast durchgeliend, besonders an gehobeneren
SteUen.*)
F. Besoltate.
Die Linie, anf der wir bei einer früheren Znsammen- lattenr
fassung der Resultate (S. 299 f.) in der Zeit Traians zoHumM
Halt gemacht hatten, liefs sich, wie wir sahen, in ge- ^'^^'^9^
rader und nicht unterbrochener Fortsetzung über die
hadrianische Zeit bis zum Ende des Altertums ver-
folgen. Es standen sich gegenüber die Archaisten und
1) Schriftsteller, die mit einem gewissen Mafs den neuen Stil an-
wenden, lassen sich noch mehrere anfOhren. Sogar ein so ernster Mann
wie Musonius hat gelegentlich recht geziert geschrieben. Man lese das
grofse Fragment aus einer Bede srcpl &c%ifiCin9 an seine Schüler bei Stob,
flor. XXrX 78 : xoty^ {i^v oiv &6%ricig iciitpolw (sc. aihfiatog mal tpvxfjg) ysiri{-
cttai awi^i^opkiwoav i^ii&v (lyei ^oXsret, di'ipsi XifMo, tQOtpfjg TAx&n^Ki %oltrig
cnLkriQ^Tj^ti ^ dinoxt ^^^ i^diiov ^oiiov^ t&v i7ti,n6viO¥. 6icc yäg to&fmv mal
t&v totovtav (dtpwtai (ihv tb c&fue %al yivttai dvana^ig ts %al tftSQsbv
%al Xif^CiiiOV nQÖg anav difyov, (ihvpvxai dh i) tffvxil Y^p^pa^oiiivri dik yikv
^Oftovfjg T&v inmdviov ngbg iLv9glav^ dUc dh tfjg &noxfjg t&v i^Siwif itgbg
coKpffOövrriv. 9im dh tfjg tpvxfjg äöxriolg ieti ngAtop fihv tag äxods^Big ngo-
Xtlgovg sroieto^at, tag ti ntgl t&v &ya^&v t&v do%o4vtmv abg o^ iiya^d^
not tag negl t&v %cc%&v t&v dono^vtcav obg oi %ce%df %al tä &Xrid'&g äya^ä
yvagiiHv ts yud ducnglvBiv iatb t&v /(^ iclrid'&g i^'ij^Bcd'ar slta dh fuXet&v
(uliti (pB^yHv liTidhv tAv donovvtmv %a%&v in/fts dtA%nv firidhv t&v do-
ico^Tjrroir &ya^&v, nal tu ikkv &lfi^&g %a%ä ndoff l^fix^^ ixtgejetö^aij tä dh
itXri^ätg &ya^ä xavtl tg^xm fiBt^gx^^^*" hi dieser Weise geht es noch
eine Seite im Meineke'schen Text weiter. — Wie viel mehr derartiges muTs
man also erwarten bei einem so leichtfertigen (Gesellen wie Maximus
Tyrius. Dieser Mann, der sich ein grolser Philosoph dünkte, thut so, als
ob ihm mit den Sophisten ein &%i/igv%tog n6XeiMg wäre (cf. besonders
diss. 81 ganz und vor allem c. 8. 6), aber er ist selbst durch und durch
Sophist, wie kürzlich H. Hobein, De M. T. quaestiones (Diss. Jena 1895)
16 ff. gut hervorgehoben hat. Er schreibt auch sehr geputzt, z. B. wimmelt
es förmlich von bftoiotiUvta u. dgl.; so l&Tst sich seine Manier gut
illustrieren an den von Hobein p. 94 hervorgehobenen Stellen, in denen er
Dien Chrysostomos ausschreibt: er verfehlt nie, eine Pointe hineinzubringen,
z. B. Dio: fpoßtta^ai iihv tohg &v6Klovgy nuns^nv dh u{>tbv totg ^nluffii-
voiff, Maximus: ds^vol ngbg Scv^xXovg^ dsiXol ngbg omliaiiivovg, Dio: i&ci
Sh nolh icridiatsgov t&v ts^vdvai ini^(io^vTmv, tbv dh d'dveetov didoinoceij
Maximus: puicTuicgLiovtsg tohg tidmin^ag^ yUxdfisvoi to9 ifjv^ (UöoÜvteg tb
l^ijVj (poßovfiivoi Sh tbv ^dvatov.
392 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit
Neoteriker des Stils (zwischen beideu suchte eine dritte
Richtung zu yermittehi); jene anknüpfend an die attischen
Klassiker^ diese an die Sophisten der platonischen Zeit
und die mit diesen ihrerseits verwandte asianische
Rhetorik; das Resultat bei jenen ist völlige Erstarrung, bei
diesen Fortbildung: denn es liegt ja im Wesen des nachgeahmten
starren Elassicismus, dafs er nicht veränderungsföhig ist, wahrend
die Manier, die an keine festen Normen gebunden ist, unendlich
fortwuchert. So hat die Geschichte der antiken Kunst-
prosa vom fünften vorchristlichen Jahrhundert an eine
ununterbrochene Kontinuität der Entwicklung gehabt
Zweite Abteilung.
Die Praxis.
Erstes KapiteL
Die grieohisohe Litteratur mit Aussohlufs der christlichen«
L Der alte StU.
A. Die freien Arohaiaten.
Es mochte ja ganz anerkennenswert sein, wenn man dem
Unfug des Modestils einen Damm entgegensetzen wollte, aber
die Folge war, dafs die meisten Anhänger der reaktionären
Partei in einem wahrhaft mumienhaften Stil sdirieben. Nur
wenigen war es gegeben, das Übermals zu vermeiden und in
den Geist der alten Vorbilder einzudringen,
piutorch. Bei keinem ist das in höherem Grade der Fall als bei
Plutarch. Ich wüfste keinen Schriftsteller der Kaiserzeit zu
nennen, der kraft seines weichen, empfindsamen Naturells, kraft
der idealen Grundstimmung seiner Seele, die die iisyal(Hp(fo6rivfi
selbst besafs und an anderen bewanderte, kraft seines feinen
Gefühls für das Mafs, kraft seiner Überzeugung, dals blolse
schöne Worte ohne entsprechendes Handeln wertlos und nichtig
seien, so sehr in den Geist der grofsen alten Zeit, in der er mit
seinen Gedanken lebte und webte, eingedrungen wäre wie Plu-
tarch. Wie unnachahmlich liebenswürdig und* ohne Affektationi
Freier ArchaismuB: Plutarch. 393
attigch im besten Sinn des Wortes^ versteht er besonders in den
kleinen (in unserer Sammlung voranstehenden) ethischen Auf-
sätzen zu schreiben^ in denen er von Quellen am wenigsten ab-
hangig ist: ^ ipilo6oq>ücg cacdöfig iipQoditfj xal X^qUj wie ihn
Eunapios (v. soph. p. 3 Boiss.) etwas manieriert nennt Die
affektierten Schriftsteller sind ihm yerhafst: vor Timaeus, He-
gesiasy Phylarch und dem ganzen Asianismus hat er einen Ab-
scheu (cf. T. Nie. 1; Them. 32; AnL2)y ebenso vor den Sophisten^
alten (Gorgias: bei Isidor Peius, ep. II 42, s. oben S. 380) wie
neuen (cf. v. Luc 7; Brut 33; de rat aud. 7, 41 C; 8, 41 F;
12, 43 F; de prof. in yirt. 8, 80 A; apopth. Lac 215 E; de sui
laude 12, 543 EF; quaest cony. YII 8^ 4, 713 F; de an. proer.
in Tim. 8, 1016 A). Ebenso ist ihm der rigorose Atticismus
unsympathisch (de rat aud. 9, 42 DE^)). Aber er ist in seiner
Beurteilung des modernen Stils nicht einseitig. An Bions und
dessen Geistesverwandten Pointen hat er seine Freude: wer Ge-
fBhl f&r derartiges hat, wird sie bei ihm so gut heraushören
wie den Theophrast und Panaetius bei Cicero, den Posidonius
bei Strabo.^ In den Biographieen der älteren Zeit fühlt man
am Pathos den Theopomp heraus und in denen des Gralba und
Otho hat er die pompösen, oft manierierten Wendungen seiner
Quelle so wenig weggelassen wie Tacitus und Gassius Dio, was
seinen Stil gelegentlich etwas ungleichartig macht. ^) Wo es
darauf ankommt, weifs er auch aus sich selbst heraus pathetisch
1) Die Stelle lautet: 6 s^^g ii dtgxfjg fi^ totg nffdyiucanf ^fi^vöficvog
AXXä tri9 li^iw 'Amxiiv &iiAw ihai xal laxviiv 3iiOi6g iexi y^i ßavloiUvqi
natv &ptldoTOv^ Sv fikij tb iyyslov i% tfjg 'Attt%fjg ntaXiddog i xtni^aiuv'
lUvov, IMfid' Ifidinov niQißttXia^M xsijUlivogj et f*4 XQoß<itmp 'Axti%&tv ttri xh
Iptov, iiXk' &6nBQ iv tQlßmifi Avöiccno^ X6yov Ism^ %al ^1X9 %tt^ik€9og
&XQa%tog xal &%£vri;rog. taihra yap tä voci/jitata xoXZijv f»^y iffr^^v ifo9 xal
fpQiv&v &yu^Siv^ nolXfyf dl tiQd'QBlaif %al otmiivXUtv ir tatg exoXatg nB-
xoifi%if t&v in^fanliov olks ßlov o^e ngä^tv o^c noXitslaw ipdoc6ipav
naQatpvXcctt&vtmv iLifdQ6q^ &XXk U^Biq %al (iljfMta %ul tb naXätg &nccyyiXXiiv
Ir inalvip xt^BydiKOv^ xh 9' &xayyiXX6iuifOV itxB jr^fjatfioir itt' äxi^noif
itx' Avayuatov ihs %av6v iaxi %al xsgixthv 06% iniexaitiviov oidh ßovXoiUTap
Htxdinv,
2) Cf. s. B. Teles p. 8, 12 ff. H. mit Plat de tranquill, an. 470 F.
(Mitteilung A. G^rekes). In ähnlicher Weise tritt der Diatribenstil mit un-
yerkennbarer Deutlichkeit gelegentlich bei Philon hervor, cf. P. Wendland,
Ph. u. d. kyn.-8to. Diatr. (Berlin 1898) 48 f.
3) Cf. Gercke in Fleckeii. Jhb. Suppl. ^^n (1896) 176 ff.
394 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
und hocbrhetorisch zu schreiben (z« B. in der Schrift über das
Glück der Römer^ den Deklamationen auf Alexander und denen
über den Fleischgenuls), und in den Streitschriften gegen Epiknr
und die Stoa hat er den gewohnlichen Ton der InTektiye nicht
verschmäht.
LukUn. Der Widerpart dieses für das Hohe und Edle begeisterten
Mannes mit dem tiefen Gemüt ist Lukian, der so wenig Gemüt
besals wie Voltaire ^ Wieland oder überhaupt irgend ein S^Bog.
Er ist deshalb auch für die Geschichte des Stils sehr charakte-
ristisch, weil wir von ihm sowohl die Werke aus seinen beiden
sophistischen Perioden wie diejenigen besitzen, die er yer£afste,
als er seine früheren und späteren Kollegen bekämpfte. Jene
sind entweder langweilig oder albern, diese voller Bew^lichkeit
und Leben; in letzteren hat er es verstanden, den saloppen Um-
gangston kunstgemäis zu gestalten^), freilich in ganz anderer
Art als einst Piaton, dessen Manen zürnen würden, wollte man
ihn mit dem leichtfertigen Syrer vergleichen: hat Lukian doch,
indem er den Dialog der Eomodie amiäherte, über die himmelan
fliegende Diktion Piatons in seiner abscheulichen Art gewitzelt
(bis acc 32 ff.). Dem Orientalen ohne Tiefe und Charakter,
aber voller Witz und Beweglichkeit, eigneten zwar die MsvtM-
yuioi. XiQixBQj aber von Attika besafs er nicht die %dQiqy nur
den (ivHtif^Qy mit dem er Hohes und Heiliges ins Frivole gezogen
hat. Einst las ich ihn gern und wiederholt, jetzt gehe ich nur
mit innerem Widerwillen an ihn heran: er hat keine Seele und
würdigt daher trotz aller Virtuosität die seelenvollste Sprache
zum naiyviov herab.
AniAn. Arrian hat mit unerreichter Virtuosität die iapikBut Xeno-
phons und die yXvxikfig Herodots kopiert, ohne dabei albern
1) Vgl. das treffende und gerechte urteil von W. Schmid, D. Attids-
mns n 810 f.: „Von den beiden Möglichkeiten, einen neuen Stil auf die
von wesentlichen Barbarismen und Solöcismen gereinigte und aus dem
attischen Sprachschatz zweckmäfsig bereicherte Umgangssprache su
gründen, oder die Umgangssprache völlig zu verwerfen und von der Litte-
ratnr auszuschliefsen, hat Lukian die erste, Aristides die zweite eu ver-
wirklichen gesucht. Um die erste ins Werk zu setzen, war eine Art von
schöpferischer Kraft erforderlich, die zweite beansprucht nur gute Be-
obachtungsgabe, Sammelfleifs und Geschicklichkeit im Nachbilden." Viel
zu günstig urteilt M. Hertz, Renaissance u. Bococo in d. röm. litt. (Berlin
1866) 81 f.
Freier Archaismas: Platarch. Liüdan. Arrian. Cassins Dio. 395
oder widerwärtig zu werden (s. oben S. 349 f.). Sein der Ver-
gangenheit angehöriger (seit Traian freilich wieder populärer)
Stoff läCst die fiC^6iq t&v iQ%aCfov nirgends unangenehm em-
pfinden. Die Wahl des herodoteischen Dialekts in der ^lydixi^
mit ihrem vielen Wunderbaren läfst auf feines stilistisches Gefühl
schlielsen. Die Rhetorik tritt auch in den kurzen und sach-
lichen Reden ganz zurück und er hat^ wenn ich nicht irre, die
beliebten Redefiguren in noch höherem Grade als Xenophon ge-
mieden, offenbar in bewuüstem Gegensatz zu den zeitgenössischen
Sophisten I die ihm wie seinem Lehrer Epiktet auch als Philo-
soph unsympathisch waren*
Gassius Dio imponiert, wenn man die Zeitverhältnisse be-CMiiiiii>i
denkty durch die Grölse des Unternehmens^ der er sich ge-
wachsen fühlte, sowie durch sein entschiedenes Talent, spannend
zu erzählen, ohne fiach zu werden. Als Stilist scheint er mir,
soweit ich nach den paar Büchern, die ich gelesen habe, urteilen
kann, deshalb weniger Lob zu verdienen, weil er, wie auch
Gercke 1. c. 176 bemerkt, es noch in viel geringerem Mabe als
Flutarch verstanden hat, die Stildifferenzen seiner verschiedeur
artigen Quellen auszugleichen; z. B. muiüs, wie ich glaube, jeder
Leser fohlen, dals die Regierung des Augustus in einem andern
Stil geschrieben ist als die der folgenden Kaiser, wie des Ti-
berius und Nero: dort folgte er sachlich gehaltenen, hier rheto-
rischen Quellen, z. T. denselben wie Tacitus. Innerhalb solcher
Abschnitte mulis man dann wieder die erzählenden Partieen und
die Reden scheiden. Li jenen verwendet er die äuTseren Effekt-
mittel der Rhetorik nur an besonders pathetischen Stellen, wo
er sie auch in seinen Quellen fand: man lese z. B. die Schil-
derung der Katastrophe des Seian (LVIII 10 f.) und darin be-
sonders die sicher aus der Quelle genommene, bei den Histo-
rikern (cf. Tac. h. III 68) und Rhetoren der Kaiserzeit stereotype
Moralbetrachtung c. 11 in«: Iv^a 8il ual fuiXifft &v ttg ti^v iv-
^QmjUvrfv iativBULV xatitdev, &6xb ftrjdaiijj iiijda^&g gyvö&ad'aL
iv y&Q ty ip TcdvxBg ä)g tucI XQeitta 6tp(bv tivta ig tb ßovX$xh
tiifunf jeaQdxsfjkilHiVy tothrov rrfr« ig tb olxriiia Sg fiijdevbg ßsktim
xatievQOVj xal bv ötstpdvanf xq&v€qov ^^iow^ toikp xixB 8t6^ä
TUQii^Bffav bv di idoqvtp6QOW bg deöie&trjVj rothrov ip(faiiQ(wv
ig d(f<mitfiv xal &x&uiXv%XQv imxaXtmtöiuvov' xal 5v zip tuqit-
xo(f(piiQß) [fLotim htBxoöfnixsffaVj iid xöffffig buciov* Sv ts iCfCöB-
396 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
xiivovv ^ t€ &g ^B^ i^vovj roi;rot^ ^^av(xxA6ovtBq IffOVy ganz
ähnlich und daher wohl aus derselben Quelle^) die brillante
Charakteristik des Tiberius LVIIl 1. In den Reden hat er Ton
der Antithese mit Homoioteleuton einen aufserordentlich starken
Gebrauch gemacht, ganz im Sinn der zeitgenossischen Sophistik,
so ist die Deklamation des Agrippa vor Augustus (LH 2 tL) eine
fast ununterbrochene Antithesenreihe^ z. B. c. 4: ii ithf xoCvw
l0ovoiiia x6 XB JtQÖöQtjfia BiAwiiov xal xb l(fyov dixa&ixatop
l%Bi. XT^v XB yäg qniöiv ti^v ciinif^v xivag BlXtjxdxag Kai 6iiog>yiXavg
iXXiiXoig ivxag Iv xb xotg (tbxotg i^Böi. xe^Qaiifiivovg TUtl iv xotg
öiioioig vöfioig TCBuaiÖBvixdvovg xal xoiviiv xal xifv x(hv <faiuitmv
Tcal xiiv x&v ilfv%&v X(ffj6iv rg natqüi, 7Caqi%ovxagj x&g (»h^ oi
dixatov xal xaXXa icdvxa xovvovö^ai^ n&g 8* oix Sgiötov iv fii;-
ÖBvl TcXiiv (br' igBXilg nQOXiiuaö^ai.; ij xb y&Q löoyovCa iöoi^oiQÜcg
6(ftyväxat Jial xv%ov6a iikv ainUg X^^^h 9iaiiaqixoi^a 8% &%9Bxai,
xxL bis zum Schlufs des Abschnitts, wo es folgendermaGsen
heilst : xal &v xi xig ainbg Aqbxi^v xtva ixjjj xal nfoq>aivBt aixiiv
n(fo%BCQ(og xal &67ut XQO^iificog xal hciÖBlxwötv i6iuvi<fx€eta' tv
XB xal iv ixifp [djjy xal iCQoiyBi ixoCfMog xal öwa^^Bi, 0xov-
iaCfog xal xi^a XaiiXQdxaxa, xal lidvxoi x&v xaxiivrfxai xig^ xäg
aixbv (itöBt, x&v dvöxvxyj xag iXBBtj xoivilv x^g xöXBmg xal xi^v
^flliiav xal xiiv al6%fivriv xi^v iat* aix&v bIvm voiiC^av. In den
mehr praktischen und sachlichen Ratschlägen, die er den Mae-
cenas dem Augustus geben läfst, ist auch die Sprache im all-
gemeinen nicht so geziert, ohne dafs aber Sätze fehlen wie 37, 8 :
xal xoi}g (ihv igyalofiivovg xQij<ft(i6v xi xi XBjymfUvovg xifiUy xoi>g
d^ agyovvxag Ij xal ipXavQÖv rt nQay^XBvo(tJv(yvg fiiöBij Xva x&v
lihv 8iä xctg ütpBXBCag ögiyvo^uvotj x&v 8h diä xäg tflfiiag &XB%i^
luvoi, itQÖg XB xä olxBla äiuivovg xal XQbg xä xotvä 0vi^poQA'
xBQoi öov yiyvayinai. Er scheut diesem Parallelismus zuliebe
keine tautologischen Flickworter, z. B. LH 5, 2: xäg xb cbTtQm-
yCag aifx&v olxBCag Ixifilag xal xäg 6vfi(poQäg [dia xifdfj sroi-
oiiiiBvoi, 10, 2: xal ^qovxI^biv noXXä xal ÖBÖUvai 6v%vA.
LVI 36, 2: fiijr« xb %Xffiog x&v ixd'Q&v q>oßfi9Blg itiftB xb iid-
yB^og x&v nqayiidxfov ÖBiöag (iijxB xifv dXiyoBxiav xijv iovroO
1) Das um so mehr, weil man dies Kapitel als Motto über die Bücher
setzen könnte, in denen Tacitns die Begienmgszeit des Tiberius be-
handelt.
Freier Archaismas: Cassius Dio. 397
dxvi^öag.^) Wenn man alles zusammennimmt, so muis man
sagen, dafs er wie im Inhalt dessen was er erzählt')^ so auch
in seinem Stil gerade da, wo er selbständig schreibt, also be-
sonders in den Beden, dem modernen Gefühl Rechnung getragen
hat, ohne geschmacklos zu werden, z. B. bestrebt er sich mit
Erfolg, lange und glanzende Perioden zu bilden, während er die
starke Bhythmisierung der Bede durch kleine zerhackte Sätzchen,
soviel ich sehe, durchgehends vermeidet.') Man empfindet das
besonders deutlich, wenn man ihn mit seinem Zeitgenossen
Herodian vergleicht, bei dem die Sophistik oft in empfindUcher
Weise hervortritt, z. B. in den äulserst zahlreichen, meist un-
älglich banalen yvdbfiaij die bei Dio, wie es scheint, ganz fehlen,
jedenfalls höchst selten sind, und in den seichten moralischen
Beflexionen über die Willkür der Tyche u. dgl/)
1) Ober seine Vorliebe für tginaXa und titQdnuoXa cf. L c. (o. S. d88, 1)
46. 66.
2) Das tritt besonders deutlich hervor in der berühmten Bede des
MaecenaSy die er — offenbar in voller Absicht — in seine eigene Zeit pro-
jinerti worüber zuletzt gehandelt hat Paul Meyer, De Maecenatis oratione
a Dione ficta, Diss. Berlin 1891.
8) Cf. über Dio das gerechte Urteil v. Gutschmids in: Kleine
Schriften Y (Leipz. 1894) 661 f. „Seine Nachahmung des Thukydides ist
keine Nachäfferei, wie etwa die der Historiker des Partherkrieges: der sitt-
liche Ernst zog ihn zu Thukydides hin, er hat wirklich von ihm gelernt
und den Sinn für das Wichtige in der Geschichte begriffen . . . Auch
seine Geschichte steht wie alle römische unter dem EinfluTs der Rhetorik,
allein weniger als bei irgend einem Anderen hat der Inhalt darunter ge-
Utten."
4) Auch in seinem Stil zeigt Herodian, obwohl er sich im allgemeinen
bemüht, in guten Perioden zu schreiben, gelegentlich die Manier der gleich-
zeitigen Sophistik, auch abgesehen von den — verhftltnism&Tsig seltenen —
Antithesen und Parisosen (vgl. z. B. das Proömium); so erinnert an die
Art des Philostratos und Eonsorten der Satz I 16, 6: nagddlimg di nots
divtdt^ dQ6(jup tbv i%%cclo^ijavov %atccXttßo6orig^ | ip^'difocg (sc. 6 Kdfiodog) tm
itnovtüa \ ftiXXavaccv ^i}£«0do^ | r^v fi^v &ni%tHif8 \ tbv ^ iQQ^aaxo^ | tp^'dcag
tf to9 d6ifeeTog (xlxii^f \ Tijv t&v 6d6vtmif &%iii/ip. | Die Bede des sterbenden
Marcus (I 6, 8 ff.) ist ziemlich stark rhythmisch: die weitaus überwiegenden
Schlüsse der %Ala sind: j, \j ^ iD (6mal) x \j tf \j j. ö (4mal, denn xctta-
tpQOTlIaaif § 8 ist von Mendelssohn mit Unrecht getilgt), jl ^ ^ j. \j ^ (8 mal,
darunter sehr wirkungsvoll am SchluTs des Ganzen), .£ v . c (4 mal, darunter
einmal mit Spondeus an erster Stelle); wie deutlich dieser Rhythmus ins
Ohr f&llt, kann gleich der erste Satz zeigen: xaipi^w ihai fM>i n^ ^lUtg
Tfiv M totg %atttXaßo^6iv &Xyrid6va %al {iridiv ti i^ttov i>fi&s ino%
398 Von Hadrian bis zum Ende der ElaiBeraeii.
Eine sympathische Erscheinung dieser Zeit ist der Redner
Bexippoi. und Historiker Dexippos. Achtunggebietend als Mann und
Schriftsteller ist er wahrhaft begeistert für die einstige Gröfise
seiner Vaterstadt Athen ^ die er im J. 269 aus der Hand der
germanischen Horden gerettet hat (s. o. S. 241 f.)* Über seinen
Stil sagt Photios (bibL cod. 82): iötl di ti^v q>(fd6iv iatifittög ti
Hat iyxp xal i^nbnatv %aCQtov ml bq &v tig bItcoi SXXog lutd tivog
0ag>rivsiag Bovxvdiötig, (idli6td ys iv xatg SKV^tMalg tötofüug.
Dies Urteil erregte den Zorn Niebuhrs: quae tnira est viri pru-
dentis a vero aberratio, nemo enim in eo guicquam praeter inanem
degeneris aevi rhetorem agnoscet, ut mirum sit, gut tarn pueriUa
sectetwTj inter res arduas posUum magna gessisse schreibt er (praet
ad exe. Dexippi in Corp. Script. Hist. Bjz. vol. I p. XYII) und
andere (C. Müller, FHG HI p. 666; Dindorf, HGM I p. XXXIV)
sprechen es ihm nach. Mir scheint dies Urteil höchst ungerecht
zu sein; wenn uns wesentlich Reden aus seinen Werken er-
halten sind, so liegt das doch nur an der Natur jener Excerpte
und der Vorwurf lieüse sich mit demselben Recht daraufhin
gegen Thukydides aussprechen. Und nun der Ton dieser Reden !
In jedem Wort hat Photios recht: überall empfinden wir, noch
mehr als bei Gassius Dio, mit einer unverkennbaren Deut-
lichkeit die Anlehnung an Thukydides heraus, aber nicht blolSi
in den Worten, sondern der ganze Ton ist würdevoll und stets
den Personen und Dingen angemessen. Wie schon z. B. doch
der SchluTs seiner eigenen Rede, mit der er sein kleines Häuflein
zu der grofsen That anfeuert (p. 188 Dind.): xaXbv di) yvmffi&ai
dvctpoQstv^ ifutvtbif im^ipAs ximixu. Andererseits ist bei ihm die
Anlehnung an altattische Muster stärker als bei Dio, s. B. I 8, 1 : «fi fiaep-
Xs^ovti Mdffwp ^yoet ifftg filv iyivovto nUlavg^ üifQiVig dh d^ nadi
Xenophon (dessen Kyrop&die Vlll 7 die — übrigens recht abgeschmackte —
Seene am Totenbett des Marcus I 4 nachgebildet ist), ib. 6, 1: cd «MatfMv
yaatQl xal totg alcxUnoig fikitQoeei fast wörtlioh nach Dem. de cor. 866
(wie Mendelssohn notiert); bezeichnend für diesen seinen Stan^unkt ult,
dafs er an Marcus rühmt, er sei gewesen l6ymp &Q%ai6tfit0g l^a#nfr:
dafs er trotzdem so wenig wie irgend ein anderer dieser Attioisten reines
Attisch schreibt, ist selbstverständlich und daher h&tte MendeLMohn das
zweimalige inetcs von der Buhe am Ort (I 6, 8. 6) nicht in intt ändern
dürfen, zumal er es an einer dritten Stelle (I 11, 1) stehen läftt. (In dieser
Anmerkung habe ich nur das erste Buch berücksichtigt; die anderen habe
ich nicht gelesen.)
Freier ArchaiBmus: Dexippos. Ploiin. 399
tb xAtQiov '^lUbv ^x^fur, xal aitoi>g totg "EXkrjöiv iQStilg xal
iXsv^SQCag yeviö^ai itaQddsiyita, tcoI xagd ts totg oitfi xal totg
iKiyhyvoydvoig ebxXsCag isi^vj^tfrov [letaöxetVj iQyoi devxmivtag
Sg xal iv tatg 0v(Mpofcctg rö (pQÖvrnuc t&v ^A^vaüov oix ^tti-
tat. öiivd^iMc dil roD leoXiiiov Tcatdag xal rä tpCXxaxa noifiöä-
[isvoi xal tb tavta diaöAöaö^ai^ ig ti^ ivtüftaöiv öwtottA-
fu^nc^ 9€oi>g iip6Q0vg iQtoyaifg imxaXB^AfLSvo^. An seinem klag-
liclien Fortsetzer Eunapios molis man diesen Mann messen, um
zu empfinden, da(s er als Historiker und Schriftsteller mit Ehren
genannt werden muls.
Ein Jahr nach dieser Heldenthat des Dexippos starb Plo- pioün.
tin, ein Mann der abstrakten Spekulation^ wie jener des ener-
gischen Handelns. Wie er als Philosoph ein Verehrer der Aq-
Xatoi war — den Gnostikem wirft er vor, dafs sie tiiv iLQ%alav
^EXX'qvtixiiv a%QB6iv und tä t&v naXai&v xal 9sCmv ivdf&v xaX(bg
xal tUg äXfi^siag ixoftivmg slifrjfiiva Terunglimpften (enn. 11 9, 6;
10; 15) — , so auch als Stilist: war doch der Kritiker Longin
(s. o. S* 360 f.) sein genauer, fElr ihn begeisterter Freund. Mit
den sophistischen Bhetoren hatte er nichts gemein: weil sein
Auftreten ein so anspruchsloses war, und sein Vortrag mehr
dem Gesprächston gleichkam, nannten ihn jene, wie Porphyrios
berichtet (y. Ploi 18), einen platten Schwätzer. Bei seinen
Schriften kann man stilistisch zwei Gruppen unterscheiden. Viele
haben wirklich nur jenen Gesprächston (6/xiiUa), den seine
Gegner an ihm tadelten: sie setzen sich zusammen aus einer
fast ununterbrochenen Reihe von Syllogismen (z. B. I 7) oder
▼on Frage und Antwort^ ohne irgend welche Bücksicht auf die
Form, z. B. n 2: diä tl TciixXp xivsttai; Sri voihf (uiuttai. xal
tivog ii xivtiötg^ i^Z^g 1i 6Aiiatog\ tC o^; Sri ifv%ii iv ainfj löti
xai nqhg aitipf iA önevdsi Uvai; ij l0tiv iv ainfj (yö ewe^^g
o^a; 4 ipsQOftivri 6viiq>iQst; u. s. w.^) Man erkennt in diesen
Xöyot di' iQoniiöicog xal hcoxgiöscog deutlich den Platoniker, der
es zwar aufgegeben hat^ in Dialogform zu schreiben, aber die
dialektische Methode im Sinne Piatons anwendet; einmal f&hrt
er auch die fingierten Teilnehmer an der Untersuchung direkt
redend ein (I 4, 2): dtä tl d% oßro xal xsqI tb Xayuebv C^ov
liövov tb aifdaifiovitv tC^svtcUj iqmtav aitoi)g XQOöi^xsr ^i^d
1) Cf. auch T. Wilamowitz im Prooemium Göttingen 1884, 18 f.
400 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserseit.
ye t6 loyiübv XQOöXafißdvBte ^ 8rt Bviniixavog (Utllav 6 Xiyog'
KtX. Die zweite Gruppe wird gebildet durch die Schriften, in
denen er, wie gelegentlich Platon^ dem hohen Flug seiner Phan-
tasie in einem öwex'^IS Xöyog freien Lauf läfst. Da erhebt sich
dann seine Sprache ; dem Gegenstand folgend^ oft zu einer nur
mit Piaton selbst vergleichbaren Grandiositat, so wenn er über
das Schöne spricht, wenn er die Vollendung der Welt und die
Güte des Schöpfers gegen die Gnostiker verteidigt, wenn er das
selige Schauen an dem überhimmlischen Ort schildert, ig oUv
TB tä toiavta bIübIv (Y 8, 1). Dann bewegt er sich in pracht-
voller Bildersprache und in langen Perioden (z. B. III 2, 17),
dann wird die Bede ganz poetisch und rhythmisch, z. B. I 6, 8:
ifBvyioiiBv dl) q)ilriv ig naxQlda^ ikrid'iötBQOv &v xig naQaxBlii-
Otto. tCg oiv fj qwyij xal x&g iva^öfiBd'a; olov ixb (idyov RIq-
XYig ipriölv ^ Kakvtffovg X)dv66Bi>g ocivtttöiiBVogy doxBt fiOi, fiBtvM
oix iQBö&Bigy xaitoi i%mv fidoväg dt* 6(iiidtav xal xdkkBi noXXif
aiöd'T^tp 6w6v, nat(flg dl 'filitvy Sd-BWCSQ ^A^ofißv, xal xatilQ
ixBt. xCg oiv 6 ötölog Tcal i^ ^y^] oi xdöi öbI diavriöar nav-
xa^ov y&Q ipigovöi xödsg inl yfjv &lkriv iac akkrig' aidd 6b 8bI
ijtnmv ÜXW^ 4 ^^ ^aXaxxiov xagaöXBvdöaL^ iXXä xavxa Ttdpxa
ifpBtvai ÖBt xal (lij ßXixBiVj iXk^ olov iiiiöama S^ii/ akktfif iXXi-
^uöd-ai xal ivsyetQai, i}v i%€i ^v näg^ xQ&vxaL dh öliyoij cf.
etwa noch II 9, 9; 16 a. E.; III 2, 14 a. E.; V 8, 3 f.; 10;
VI 9, 9. Zwar kommt es mir vor, als wenn das Wenigste
daran neu ist — der Phaedrus und das Symposion klingen ge>
rade an solchen Prachtstellen fast immer durch und die grols-
artige Bildersprache verdankt er oft auiser Piaton auch den
Stoikern^) — , aber er hat es doch — vielleicht als letzter
1) So das bei ihm sich öfters findende Gleichnis vom Schöpfer und
Dichter, Menschen und Schauspieler, Leben und Drama (z. B. m 2, 17).
Es geht in letzter Instanz auf Piaton zurück (Phileb. 50 B, cf. auch So-
krates bei Stob. Flor, m 86. IV 61), wurde dann von den Stoikern oft in
ermüdender Breite ausgeführt (z. B. Cic. de off. I 97, 107. 114 f. Seneea
ep. 116, 16. Epikt. ench. 17. fr. 174 Schw. M. Aurel XI 6). Gelegentlich
scheint er ein Bild etwas modifiziert zu haben, z. B. ist zu dem wunder-
vollen Vergleich des von heftigen inneren Schmerzen gequ<en Weisen mit
einem vom Sturm bewegten Licht in einer Laterne (I 4, 8) zu bemerken,
dafs die Stoa (die betr. Abhandlung Plotins kbqI sifiaiitovlag ist sehr staik
stoisch beeinflufst) das Leben mit einer Lampe verglich: Sen. ep. 64, 6
und die Altercatio Hadriani et Epict. bei Fabridus, bibl. Qraeo. YTH 661:
Freier Archaismas: Plotin. Strenger Archaismas: Aristides. 401
unter den "ElXrjvsg — verstanden, der für klare, nüchterne De-
finitionen in gleichem Mafse wie fär mystischen, phantasievollen
Schwnng geschaffenen griechischen Sprache die Glut einzuhauchen,
die in seinem Fühlen lebte, und dadurch scheint er sich mir
vorteilhaft von den späteren Neuplatonikem zu unterscheiden,
dals seine Sprache wie seine Gedanken selbst in der höchsten
Ekstase nie nebelhaft phantastisch und verschwommen werden.
Er wäre würdig gewesen, Eonig der von ihm geträumten Illa-
tavöxoXig (Porph. v. Plot. 12) zu werden.
B. Die strengen Arohaisten«
Nur den wenigsten war es gegeben, über die blofse Schablone ArutidM
hinauszukommen. Man hatte sich zwar durch lange Übung in
der (iifuijöig so gezüchtet, dals man im Stande war, auf Kom-
mando bald attisch zu schreiben wie Piaton oder wie Thukydides
oder wie Xenophon oder (und besonders) wie 6 QiitmQy bald
ionisch wie Herodot oder gar wie Hekataios: aber bei den
meisten war die Mache rein äulserlich in der Struktur der
Perioden, in dem Aufputz der eigenen ärmlichen Gedanken (wie
in grellstem Licht die Proben der Geschichtsskribillanten bei
Lukian zeigen): das f^^og^ welches der daCfuav in den grolsen
alten Autoren war, fehlte diesen Epigonen. Ich mufs die haupt-
sächlichsten kurz charakterisieren, weil sie diese ganze Stil-
richtung am deutlichsten kennzeichnen.
Über des Aristides gesinnungstüchtige Langeweile, die
noch empfindlicher wird durch das süfsliche Wesen des Mannes,
seine impertinente Eitelkeit, seine ewigen Versicherungen, er
gerate durch seine Beden selbst in Verzückung und Raserei,
wird sich jeder geärgert haben, der, wie ich selbst, auch nur
einige seiner Beden ganz hat zu Ende lesen können. „Man kann,
sagt H. Baumgart (Ael. Aristides p. 39), ohne Übertreibung be-
haupten, dals in den gesamten 55 erhaltenen Beden des Aristides
auch nicht ein einziger selbständiger Gedanke entwickelt ist.''
Für das Einzelne genügt es, auf Baumgart und die Zusammen-
biß est hotno? Lucema in vento posita. Ähnliches kann man ufterR bei
Plotin beobachten.
Norden, antike Kauttprota. 2G
402 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
Stellungen von W. Schmid (D. Atticismus 11 1889) zu ver-
weisen.*)
Dieser Mann^ der für uns von unerträglicher Öde ist^ wurde
nun aber als viog jdfifioö^ivijg das Ideal aller späteren An-
hänger dieser Stilrichtung.
Im vierten Jahrhundert erfolgte nach der Trennung der
beiden Reichshälften , unter mächtigen und für die Litteratur
Sorge tragenden Herrschern, aus Opposition gegen die immer
mehr erstarkende neue Religion^ die sich schon einer bedeutenden
Litteratur rühmen durfte^ noch einmal ein gewaltiger Aufschwung
auf heidnischer Seite. Während an der athenischen Universität
im allgemeinen die moderne asianische Geschmacksrichtung
Libanios. herrschte^ hielt im Osten Libanios^) das Banner der i(fx^^^
hoch. Sein unmittelbares Vorbild war Aristides, cf. er. 63
(vol. III p. 347 Reiske): rbv ftiv oiv i(ibv slg *jiQi.6tBCdriv Igmxa
xaX hg atgiösAg ftot dod'Biörig f\ vix^öaL nkoiitG) tbv MCdctv ^
xorl xatä \iixqhv iyybg ild'stv tfjg rovds ti%vifig . . (ich letzteres
wählen würde), navxC tcov df^lov. oi) y&g i^ &v ixrjKÖaöi fiov
tpiöKovtog ig&v tovto 6vvCa6tVy iXl^ ix rot) xoXk^ lui^ovog elg
xiöttv, ix T&v iQyav aiz&v iniötavtai, xöffov xi fpCXxQOv rot)
^ropo^ iv ifioi. xb yaQ, f^vCxa &v noi,& kdyovgy x&v l%v&v
S%s6^ai xov ^AqiöxbCSov xal xsigaöd'aL xoig iiioifg iq>0(iOLOVP^ elg
Söov olöv XBy xotg ixBivov xal xigdog xoutöd'ai xov ßlov x6 xiva
x&v xttdifjiiivtDV slnstv &g ioixofiBv ör^iiBtov olfuci naitf/dyB^Bg
xov x&v axQ(Dv fiyBlö^ai xbv (i^xoga. Cf. ep. 1551, wo er seine
Freude äuüsert über eine ihm geschenkte Büste des Aristides:
wenn er eine Rede des Aristides lese, setze er sich neben diese
Büste, sehe sie an und frage sich, ob diese Rede auch wohl
echt sei; dann antworte er sich meist: ja, otfroi nivxa d'BOBidij
xal xakä xal xqbCxxoh x&v nokX&v. Daher stellt er sich, wie
seiner Zeit Aristides, in scharfen Gegensatz zu den zeitgenössi-
schen Sophisten: in der Geschichte seines Bildungsganges (er. 1)
erzählt er, wie er es in seiner Jugend mit diesen Sophisten ver-
sucht habe, aber bald zur Überzeugung gekommen sei, dafs er
1) Seine eigenen Äufserungen über seinen Gegensatz zu den Mo-
dernen B. 0. S. 869; 374 f.
2) Ich gehe mit ein paar Worten auf seine rhetorische Stellung ein,
da sie in dem bekannten Buch von G. Sievers, Das Leben des L., Berlin
1868, 80 gut wie gar nicht berücksichtigt ist.
strenger Archaismns: Libanios. 403
fjys^öi tvq>Xotg inöfuvos elg ßdgad'QOV i(ia^iag Ixsösv (p. 8):
daher habe er sich an einen Mann gewandt^ der die naXaioC
hoch hielt. Als er daher, wie Eunapios (y. soph. p. 06 Boiss.)
berichtet^ später zu seiner Ausbildung nach Athen ging^ ver-
suchte er es mit den dortigen Sophisten, hielt es aber nicht
lange bei ihnen aus, sondern ccbxog iavtbv ijtl roclg luXitaig
6x)val%B xal nQhg xhv äifiatov i^eßLd^sro tvjtov ti^v ^n^x^i^
duxxkdzxmv tukX xhv kdyov,^) Überhaupt weifs sich Eunapios
nicht genug darin zu thun, das Altertümliche der Reden des
Libanios hervorzuheben, besonders p. 99, wo er sagt, L. habe
aitattische, ganz in Vergessenheit geratene Wörter wie alte
Weihgeschenke wieder hervorgezogen. Die Alten, voran De-
mosthenes, sind es daher, denen er und die ihm Gleichgesinnten
nachstreben und deren Lektüre er seinen Schülern empfiehlt, cf.
voL I 202; II 207; 291; 293; III 354 (wo er Demosthenes über
Antiphon stellt). Daher finden sich bei ihm auch kaum^) die
Flitter der modernen sophistischen Beredsamkeit: er sucht a(f-
%aC<og zu schreiben, aber da das weder zeitgemäfs noch möglich
1) Aus dieser Richtung erklären sich auch die gehässigen Worte, mit
denen er ep. 664 eines Vortrags gedenkt, den Himerios, der Hauptvertreter
der Modernen, in Nikomedia gehalten hatte (zwischen 846 und 351): dieser
ic^yMUi Xaitn(f6s habe in seinen Vertilgen die ganze äa^ivtia der
Sophisten gezeigt, denn seine l6yoi seien oi ynicioi (d. h. ihnen fehle die
attische Prägung), und man habe ihn überhaupt nur hergerufen, um sich
über ihn lustig zu machen. — Dafs (der nicht genannte) Himerios gemeint
ist, hat Tillemont durch anderweitige Zeugnisse sicher bewiesen, cf. Wems-
dorf, Vita Himerii (vor seiner Ausgabe Götting. 1790) § 7 p. XLV. Da, wo
Libanios in seinen Briefen den Himerios mit Namen nennt, spricht er frei-
lich Yon ihm wie von einem berühmten Sophisten (cf. den Index der Aus-
gabe der Briefe von J. Ch. Wolf, Amsterd. 1788): der Mann war eine zu
grofse Celebrität, als dals es dem L. genützt hätte, das Gegenteil zu yer-
sichem.
2) So sind, wenn ich nicht irre, sehr selten Stellen wie or. 18 (1409):
9u%qf6mv \tkv inl xolg xBi^ivoig^ etivwp ö' inl tolg ceavlTifidvoig, &Xy&p
&* inl totg vßQiafiivoiSj didohg xot£ nlriaiov 6q&v iv tfj naQovay Xvnfi tiiv
icoiiivriw poi^^iiav oder in derselben Rede p. 418: oitd' iv anripfl nadi^fuvog
ntQl tab9 iv ty (uixfj nw^avoittvos^ &XXcc xal nodl xQmiiivog xal x^^^ %iv&v
nal d6(fv asUov %al iUpog iX%mv (an beiden Stellen soll die Figur malerisch
wirken). Nur seine beiden novtpdUct auf den abgebrannten Apollo tempel
in Daphne und das vom Erdbeben zerstörte Nikomedia (IH 882 ff. 887 ff.)
fallen ganz aus seinem sonstigen Stil heraus: den Grund dafür werde ich
später feststellen.
26*
404 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
war, machen seine Reden einen so sterilen Eindruck; nicht ein-
mal da^ wo er zu und von seinem Liebling lulian spricht, oder
in der berühmten Rede an Theodosios über die Duldung des
heidnischen Kultus weiTs er wirklich zu erwarmen; ihm fehlt die
Leidenschaft y die sich nur in der lebendigen Sprache zum Aus-
druck bringen läTst; er redet aus Büchern und wie ein Buch,
z. B. die grofse Lobrede auf Antiochia (or. 11, vol. I 275—365)
ist genau nach dem Schema gearbeitet^ das Menander für solche
Lobreden auf Städte gegeben hatte: denn es war längst dahin
gekommen, dafs die Theorie nicht mehr aus der Praxis ab-
geleitet, sondern die Praxis sklavisch nach der Theorie gestaltet
wurde.*)
ThemiBtioa. Der Hauptrepräscntant der q)Lk66oq)og ^toqix^ im vierten
Jahrhundert war Themistios. Er hat uns in den Reden, in
welchen er seinen Standpunkt gegen seine Widersacher ver-
teidigt (or. 23 — 29), ein deutliches Bild der von ihm vertretenen
Beredsamkeit entworfen. Voller Entrüstung weist er die Iden-
tifikation mit den 60fpi6taC zurück, gegen deren gezierte, mit
Schminke bestrichene, nur auf den Beifall der Hörer bedachte,
in aöiiara aufgelöste Beredsamkeit er heftige Ausfalle macht
(cf. besonders 24, 301b; 302a; 26, 330a; 27, 332c; 336c;
28, 341b — d). Im Gegensatz dazu nennt er sich, den Vertreter
der iQxaia (piko6oq>(cc^)f auch einen Anhänger der i(fx^^^^ ^^
der Sprache.') Daher ist es auch begreiflich, dafs er mit
1) Von nichtklassischen Antoren sind (nach Sievers 1. c. 11) nur je
einmal genannt: Favorinos (ep. 1313), Adrianos (ep. 546), Longinos (ep. 998)
und zwar ist bezeichnend, dafs er keinen von ihnen besitzt, sondern sie
von Freunden leihen mufs.
2) Z. B. 23,295b: ^Bgccntvcav oi triv viav otdr^Vy iLlXii xriv ndtgiov
xal &Qxaiav rf^g 'Atiadrifiiccs %ccl ro4) Avxbiov. Von Constantin läfst er sich
nennen p. 20 a: Trpoqpifn}; (ihv t&v nalai&v xal ao<p&v &vdQ&v xa^stfff]««»^,
IsQoqtdvtTig dh r&v iLdvxmv xb nal iLva%x6Qmv <piXoao<pUxg' lucoccivBe^-at dh
o^x iä xccg iL^xaCag d6^ag cf. auch o. S. 378 f.
3) Cf. 28, 343 b: Xixä fi^fucxa ngotindfiriv xal xa^a bUIj oihr««l na\
llap &Qxal(ogj o^b nBQiaxBClag o^b %oyk{L&cag. 20, 233 c: xfi Xi^Bi öh bI
XI iXlslnBiv Big naXai6xrixa BtfQienoixB, a6 ^aviucax6v, xaXBnbw ycrp Iqpi-
nicd-ai, xffi iv avyyQcctpfl &%QißBlag fiii roi>ro cvvBx&g i%i^XBx&vxag^ iiXXa «^
^tBQu xTjp nXBUo anovdi\v noiovfiiviwg. Die attischen Redner, sowie Piaton
und Thukydides nennt er öfters auch in stilistischen Dingen, cf. den Index
der Dindorf'schen Ausgabe.
Sirenger Archaismus: Themistios. Synesios. 405
Libanios befreundet war, wie der Briefwechsel des letzteren
beweist.
Synesios ^)y der jüngere Zeitgenosse des Libanios und The- sjumIoi.
mistios, wollte ebenfalls aQ%aCmq schreiben. Das folgt vor allem
aus der oben (S. 355 f.) angeführten Stelle seines ^Dion'^ wo
er die Idia ägiaCxii, die &Q%aCa (tiroQixii, die äQxaiovg
xal ötaöiiiovg (iJTOQag dem modernen Unfug rühmend
gegenüberstellt. In demselben Sinn schreibt er an einen Freund
(ep. 53): xal öi) iilv iifyd^i] fijtOQixiiVy xal 6vyxo}Q& 6oi iitj
taikfiv (die moderne) hcixifidBiiBtv &kkä rijv 6(fd"^v xal yav-
vaiav, ijv oidh IlXatav ol[iaL äiayQdq>£iv naigoxai. Er verehrt
den Aristides: ep. 10\\' %Q66Bi7tB nag* ifiov nivv noXXä rbv ob-
ßa6iii6vatov Magxiavöv (in Konstantinopel) , Sv bI ngolaßhv
^Aqi6xbC8viv 'EQ[ioii loyiov tiinov Big iv^Qmxovg iiprjv cAijAi;-
%ivaiy H6hg av bxv%ov xf^g i^iag^ ort nliov iöxlv rj rvjcog.
Dagegen stichelt er zweimal auf die FogyiBia 6%ifiiuLxa (ep. 83;
134). In einem Brief an Hypatia (153) äufsert er sich selbst
kurz über seinen Stil, indem er der Philosophin die Veranlassung
zu seinem *Dion' auseinandersetzt: Philosophen und Mönche
hätten ihn eines Verbrechens an der Philosophie geziehen, weil
er in seinen Schriften auf die Schönheit und den Rhythmus der
Worte und die rhetorischen Figuren sehe und weil seine Ge-
dichte etwas von der &Qxala Idia zeigten (diese sind nicht
erhalten). Das, was ich von seinen Beden gelesen habe (sie
sind sehr schwierig), macht auf mich den Eindruck, dals er
einerseits lange nicht so klassicistisch und daher nicht so lang-
weilig schreibt wie Aristides, Libanios und Themistios, anderer-
seits nicht entfernt so neoterisch wie Himerios, sondern dafs er
zwischen beiden Richtungen steht und zwar erheblich näher der
ersteren als der letzteren. Dafs er viel geputzter ist als sein
gepriesenes Ideal Dion, hat schon Theodoros Metochita misc.
phil. et bist. p. 141 flf. hervorgehoben.*)
1) R. Volkmann, Synesius von Cyrene, Berlin 1869, geht auf das
Rhetorische nicht ein.
2) Die Stelle ist gedruckt bei Erabinger in seiner Ausgabe der Werke
des Sjneeios T. I (unicus) Landshut 1850 p. XLIV ff. Ein Byzantiner bei
Bekker, Anecd. p. 1082 adn. nennt ihn atftwbv xal 6y%riQ6v, was im all-
gemeinen gut pai'st.
406 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
prokopios Nocb am Ausgang der antiken Beredsamkeit fand die ar-
chJrikioi. chaisierende Richtung ihre Vertreter in der Rhetoren schale
von Gaza.^) Ihr frühester für uns nachweisbarer Repräsentant
Prokopios weils sich in seinen süfslichen Briefen^ nicht genug
im Lob der alten attischen Beredsamkeit zu thun, jener Zeit,
wo die Rhetorik inl öBiivrig ^fta^a föxris (ep. 80; cf. ep. 48;
49; 78; 104; 120; 158); den wichtigen Brief (116), der den
Ausfall gegen die asianische Rhetorik enthält , habe ich bereits
oben (S. 367 f.) behandelt; in einem anderen (136) tadelt er die
gorgianische Manier eines Freundes. Wirklich ist der erhaltene
Panegyricus') auf Anastasios I (491 — 518) in seiner Sprache
und Haltung äufserst einfach , im übrigen ganz nach der rheto-
rischen Schablone gemacht und natürlich auch im Vermeiden
des Hiats^) und Beobachtung des (Meyerschen) Satzschlusses
1) Dafs ich über sie hier handle, wo ich von der christlichen Litte-
ratur noch absehe, hat seinen Grund darin, dafs sie durchaus auf antikem
Fundament ruht. — Ein merkwürdiges, wenn auch übertreibendes Zengnis
für ihre Bedeutung steht bei Aeneas Gaz. ep. 18 (epistol. gr. ed. Hercher
p. 29): er dankt seinem Lehrer in der Rhetorik, einem Sophisten Theodoros
von Smyma, dafs x&v 'A^rivalmv ol naiSsg o{> nagcc t&v naxiqfov^ wagcc Sh
ra)v EvQtov iLXti%iJ^Hv ä^iovci fucv^dviiv, oimivi yovv slg tbv üngaUt
nataigovaiv ol tfjg 'Axadrifilag iffäivtsg o{tdh q)OtT&ai na^ä tb Av%si09y
nag' ijiitv xriv 'Anadijiisuiv nal tb Avusiov ihai voiil^ovrBg. Dieselbe
Stimmung, noch deutlicher, in der Einleitung seines 'Theophrastos'
(vol. 85, 872 fp., bes. 877 Migne).
2) Sie sind bekanntlich mit Dichtercitaten durchsät. Manche sind in
der Hercher'schen Ausgabe nicht als Verse bezeichnet, z. B. ep. 89:
&XV oit ^vfißlijv' iatl nvvdßatog oifd' &vsfi&vai \ ngbg (6da. 115 : bI tolg
ig&aiv iifisga yiCa \ ngbg yfigag icg%Bl. cf. ep. 86 Demophon und Phjllis.
(Ich weifs natürlich ganz gut, dafs es lächerlich ist, bei dem rhythmischen
Wortfall der Eunstprosa auf Dichtercitate zu fahnden. Aber hier handelt
es sich um wirkliche Citate.) In jener Zeit erlebte ja auch die Poesie ihre
letzte Nachblüte: Autoren wie Eunapios, Libanios, Sjnesios, Prokopios ent-
halten Anspielungen auf die ägyptische Dichterschule, die noch nicht ge-
sammelt sind. Auch in Gaza gab es Dichter, vgl. Niebuhr 1. c. (folg. Anm.)
p. xxm.
3) Ed. Niebuhr im Corp. script. hist. Byz. I 489 ff.
4) Die bekannte Strenge (cf. aufser H. y. Bohden, De mundi miraculis
[Diss. Bonn 1875] 34 ff. noch R. Förster im Herm. XVII [1882] 207) ist
übrigens nicht dort erfunden: von dem um 470 in Alexandria lehrenden
Sophisten Seyerus haben wir sechs diriyi/ifucta und acht fi^onoäai^ im ganzen
in der Ausgabe yon Walz Rh. Gr. I 357 ff. elf Seiten. Der Hiat (und zwar
nie ein schwerer) ist nur zugelassen: nach starker Interpunktion 6 mal, yor
strenger Archaismus: Schule von Gaza, Bjzanz. 407
genau nach allen Regeln der Ennst; die Vergleiche des Kaisers
mit den Gröüsen einer tausendjährigen Vergangenheit (Peisistra-
toS; Aristeides, Themistokles c. 14; 21; 22) können uns nur ein
Lachein abgewinnen. — Daher sagt auch sein Schüler Chorikios
in der Grabrede auf ihn, er habe seine Schüler eingeweiht totg
x&v iQxaCmv ÖQyioLg und sie pflücken lassen kßtfUbvag *Atti-
»ovg (p. 3 f. Boiss.). Thatsächlich sind die Beden des Chorikios
in demselben Stil geschrieben wie der Panegyricus des Prokop*
Auch bei ihm findet sich unausgesetzt jenes Parallelisieren mit
den Grofsen uralter attischer Vergangenheit; was sich dann
doppelt lächerlich ausnimmt^ wenn es rings von Citaten aus der
Septuaginta umgeben ist.^)
Weiter möchte und könnte ich nicht hinuntergehen. btuA
K Krumbachers Sorgfalt verdanken wir es, dals wir in seiner
* Geschichte der byzantinischen Litteratur' auch über den Stil
der einzelnen Autoren nie vergebens Rat suchen. Es ist be-
kannt; dafs die iLQ%aCa Idia^ also die scholastische, in Byzanz
wenigstens im Prinzip als die mafsgebende anerkannt wurde:
DemostheneSy Aristides und Hermogenes wurden erklärt. Bis zu
welchem Grad der Vollendung die iiiiiriöig t&v iiQxaCmv we-
nigstens in der frühbyzantinischen Zeit noch gedeihen konnte,
zeigt Prokopios von Caesarea. Später trat scholastische Ver-
knöcherung ein. Dafs nicht die moderne Richtung Oberhand
erhielt, ist für uns ein Segen gewesen: dem Marasmus, an dem
die antike Welt in ungeheuer langem Greisenalter hinsiechte,
verdanken wir die Rettung der gröfsten Werke ihrer blühenden
Jugendzeit.
II. Der neue Stil.
Ich beabsichtige im folgenden einige hauptsächliche Proben au-
des neuen Stils zu geben, damit der Leser sich durch Ohr und ^^
Auge von der Wesensgleichheit dieses Stils mit dem der ersten
^ Imal; nach dem Artikel nur in folgenden fünf Fällen: 6 iy^^ 6 ain^
(2 mal), i) ädilfpifi^ xa ohadi; nach %a£ 7 mal; W ovp 4 mal.
1) Er hat ja auch im einzelnen die alten Autoren, besonders die
Redner, stark ausgebeutet, cf. J. Malchin, De Choricii yeterum graecorum
scriptorum studiis, Diss. fiael 1884. Ich bemerke noch, dafs er je einmal
den Aristides und den Libanios nennt (p. 23 und 6 Boiss.).
J^a^, Vw» fisbJRM to IVB Eaie
iyypikktlk nad des aas ihr he iioigi qBMgEtn AbuLshdi fiber*
i«»9i^r«ii kann. Eine Clmakteiistik vill i^ ni^ Ton neiieni
Tf^f^itL, 4a ieh thatnirhlifh gezwangen wiic^ mnr n wicderiiolco,
iraj kh frOher bei der Danldlang der Pnwa der alten Sopliistik
«nd dea Asianismiia im dritten Torekristiichen and enien nadi-
<:knstliefaen Jahrlrandert gesagt habe (S. 63C; 1S4C; 270 C):
b:^T wie dort dieselbe Jagd nach Sentenxen') and zierlichen
odfrr (fraosigen 8childerangen, die Gelegenheit geben, alle Konst-
fntttel der Üarstellong za ent&Iten'), hier wie dort eine bald
\, Die jwmfLoUjia hebt Plai. Phaedr. 267 an der Diktioii des Polos
b^Tir</r, Philottratos an der des Antiphon (t. 9oph. I 15) und des Kritias
^ 16, 2; 4;, Bei den jängeren Sophisten biingen nns die jw^fktn und die
allgemeinen Betraclitongen durch ihre Häufigkeit und Banalität zor Yer-
zw^üuBf^f zomal sie meist an Stellen aoftreten, wo äe passen wie vo^l
rf f^*i ft^QOWf Tgl. z. B. nur aas Achilles Tatioe p. 40, 38 (Herch.).
42,13. 43,14. 44,2. 80,3. 91,13. 98,14. 100,27. 133,19. 136,3.
140, 10. 160, 9. 18. 26. 161, 9. 164, 10. 30. 166, 17. 169, 1. 4. 170, 18.
174, 10. 176, 13. 182, 28 o. s. w. Es hatte also nichts genütst, wenn
f Longin] befahl rfaet. gr. I 327, 9 Sp.: oti al y^mftolojltu &^teuu iml Tf
nataciuvf, oi dtl di %ata%6(fmg tavtaig %i%Q^c9^ai, (Die Vorliebe
des ganzen Zeitalters dafor zeigt dentlich anch Fronto p. 48. 93 N. Diese
Leute schrieben also in der Art, wie es einst M. Aper bei Tac. dial. 22
rerlangt hatte: der Leser wollte sich etwas excerpieren kGnnen.)
2) Cf. W. Schmid im Bhein Mos. XLIX (1894) 159 und Attidsmos 11
268, 11; oben 8. 285 f. — An dem Asianer Philippos Yon Side tadelt es
Hokrates h. e. VII 27 (s. o. S. 370 f.). Man müftte ein eigenes Bach
schreiben, wollte man sie alle auch nur nennen. Hier nur ein paar Bei-
Hpiele, um die itSri zu kennzeichnen. Gemälde sind besonders beliebt
(PhiloHtratos, Lukian [auTser in den Spezialschriflen auch de domo 22 ff.],
LongOB in., Achill. Tat. I 1, 3 p. 37 f. III 6, 3 ff., cf. E. Bertrand, ün eri-
tique d'art dans Tantiquite. Philostrate et son siäcle [Paris 1882] 147 ff.),
Häuser (Lukian nsgl xov ofxot;, ein sehr zierliches E^abinettsstückchen),
Kirchen (Chorikios p. 84 ff. Boiss. und sonst oft; Venant. Fortonat. cann.
I 5 ff.), Städte (urbium situs Sen. contr. H praef. 3, z. B. Antiochia und
Umgebung Libanios I 338 ff. B. in gemessener Sprache, oberitalische Städte
Sidonius ep. I 5. Ennodius ep. I 6 geziert wie immer, Dijon Qregor. h.
Franc. III 11) p. 129, 8 ff. Er. in sehr gewählter Sprache), x^Q^<^ xal &vtQa
beliebt nach Lukian de bist, conscr. 19 f. 57, wobei der Eingang des
platonischen Phaedms in zahllosen Stellen nachgeahmt wird, deutlich x. B.
Achill. Tat. I 2, 3 (vgl. für x»^/« z. B. Basilius ep. I 14, vol. 32, 279 f.
Grog. NysH. cp. 20, yoI. 46, 1080 Migne), die ganze Natur haben in stellen-
weiso äufuerst geziertem Stil Basilius und Ambrosius in ihren Darstellnngen
der Schöpfungsgeschichte beschrieben (cf. schon Cic. de nat. deor. U 98 ff.);
Der neue Stil. 409
zierliche, in kurzen Sätzchen ^) sich ergehende Diktion, aufgeputzt
mit Facetien aller Art, unter denen die Antithese , verbunden
mit den bekannten Klangfiguren ^ sowie das Wortspiel obenan
stehen, bald eine in bacchantischem Taumel »dahinrasende
und in nebelhafte Phantastik zerfliefsende Rede; hier wie
dort übermäiüsiges Pathos*) und eine durch poetische Wort-
besonders das Idyllische ist beliebt (fär die Theorie cf. Proklos bei Phot.
bibl. 818 b 26: XsipLwvsg^ &lari): so blumenreiche, sonnenbeschienene Wiesen
(Achill. Tat. I 1, 3 f.), das am Ufer plätschernde Meer (Min. Fei. 3, Longos
I 1, 2, cf. Wemsdorf zu Himerios ecl. 10, 18 p. 193), ein über die leicht-
bewegte Meeresfläche hingleitendes Segel (Luk. de dorn. 12), nagadsicot
(Ach. Tat. I 15), das Tempethal (Dio Chrjs. in einer nicht erhaltenen
Schrift nach Synes. Dio p. 324 Dind., sowie Aelian y. h. III 1); Tiere
(aniser Aelian und Oppian z. B. Luk. de dom. 10 ff.: ein über blumige
Wiesen galoppierendes Bols, ein seinen Schweif im Sonnenglanz spiegelnder
Pfan; der Vogel Phoenix aufser bei christlichen Autoren Achill. Tat. III
26, 1 ff., bei demselben IV 2, 2 f. ein Pferd [cf. die Vorrede des Pelagonius
mit der Bemerkung Büchelers im Rhein. Mus. XLV 333], 19, 1 ff. ein Kro-
kodil); Körperbeschreibungen bis ins kleinste Detail, bei den Griechen
zu yerfolgen bis Byzanz (cf. Fleckeisens Jahrb. Suppl. XIX [1892] 372, 2. Hermes
XXIX [1894] 292), bei den Lateinern bis Sidonius (ep. I 2 : der Westgoten-
kOnig Theoderich) und Ennodius (opusc. 3 p. 334 Hart. : der h. Epiphanius),
am beliebtesten hübsche Mädchen (massenhaft bei den griechischen Ero-
tikem und Appuleius, auch Philostr. ep. 32. 34, cf. 58; Vergleich des
Mädchenmundes mit einem Bosenkelch bei Achill. Tat. ü 1, 3 wie bei
Varro sat. 375). Fast alle diese i'Ktpgdasig lassen sich in der Poesie seit
der Alexandrinerzeit nachweisen (besonders in der Anthologie): die Prosa
konkurrierte auch auf diesem Grebiet mit der Dichtung. — Dann Schauer-
liches: Meer im Sturm unzählige Male, s. o. S. 286, besonders in den
Romanen wegen der üblichen vavdyia, auch Alkiphr. I 1. 10 und noch in
der bist. Apoll. Tyr. 11; Hieronymus ep. 1 c. 2: Euxini maris credar fra-
garibus] nunc mihi evanescentibus terris 'caelum undique et undique pantus*
(Verg. Aen. lU 193); nunc unda tenebris inhorrescit et caeca nocte niniborum
spumei fluctus caneacunt: jenen Vergilyers liebt er ganz besonders (wie
auch Paulin. Nol. ep. 49, 2), cf ep. 2 p. 9 Vall. und 3, 3 p. 10, wo aufser-
dem noch: *tunc mihi caeruleus supra caput (istitit imber* (Aen. lU 194);
Öde Insel (Hieron. ep. 4, 4 p. 11); Foltern (für die Theorie: Sen. contr.
X 4 und 5, cf. 5, 26. suas. 6, 10; daher besonders bei den Christen, dio
yon Märtyrern erzählen, z. B. Hieron. ep. 1, Greg. Naz. in Maccab. or. 15, 4,
yol. 35, 917 M. nach Ps.-Ioseph. n. aittOTiQ, l6yov).
1) Philostratos y. soph. II 10, 1 und II 19 nennt sie ganz bezeichnend
KOfifM^ruc, votöta.
2) Man lese z. B. den tVQavvonxovog Lukians, eine aus seiner sophisti-
schen Periode stammende Deklamation. Der mafslose Ton des Chuizen er-
410 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
wähl*), Kühnheiten aller Art (öoq>iöuxii rdAfii} Philostr. 7.
soph. n 5, 3; 9, 3; 12, 2) und besonders mafslose Rhythmi-
sierung die Grenzen zwischen Prosa und Poesie völlig ver-
wischende Darstellung: kurz, nach den Ausdrücken der Gegner
eine ^betrunkene', ^hetärenhafte', ^ eunuchenartige' Beredsam-
keit.«)
A. Die Bednar und Deklamatoren.
1. Proben aus den Citaten bei Philostratos.
Sophisten a) Figuren. Lollianos aus Ephesos (I 23, 2): xixXe^özai
Philostr»- tb ötöna rov növtov vöfio) Koi rag *A^r^ai(ov rQoq>äg 6Xiyai
^*' x(akvov6i, övlkaßal »al rainbv dvvatat AvöavÖQog vavyi,a%&v
xal AenzCvrig vo\io{ia%&v. Markos aus Byzanz (I 24, 1 von
Iris, der Tochter des Oavyi^aq): 6 tiiv ^Iqiv lihv &g Fi/ %Q(b^
oix dÖBVj d)g d'avfioiöat^)' 6 dh, 56a xQ^ucctay (ucHov id'ocv-
reicht seinen Höhepunkt gegen den Schlufs, wo eine förmliche xQaytpdia
aufgeführt wird: der Autor selbst braucht diesen Ausdruck c. 20 und 22,
und verteilt sogar die Rollen unter vier Acteurs (deren einer das ilfpoq
ist!). Cf. auch Rohde im Rhein Mus. XLI (1886) 179, 1.
1) Cf. Lukian de bist, conscr. 22 (oben S. 92). Ein Cento aus Homer
(Z 202 -|-J^ 505) ist z. B. Eunapios y. soph. p. 9 Boiss.: Iveiro (TTop^t^^io;)
XQoqniv o{f ngoaiifiBvog xal äpO^Q^ncav ilsB^vatv ndxov oisd* &laoit%onir^ 6
liiyag fixe THattvog inl to^oig,
2) Einige Belege für diese Ausdrücke (es giebt viel mehr) bei Cre-
sollius, Vacat. autumn. 276 ff. und Theatr. vet. rhet. HI c. 17 p. 127 f.
3) Das wird von Philostratos mit folgenden Worten eingeleitet: di-
ddciKov nsgl tfjg t&v cofpicx&v xiivr^g^ cbg noXXii imlI noinCkri^ na^-
duyiuc ro{) Idyov xfiv ^Iqiv inotrjaaxo xal ijgiaxo xfjg SiaXi^BOis &de' 6 tiiv
^Igiv lS6v %xX. Nun hat man längst hierfür als Parallele citiert Fiat.
Theaet. 156 CD: 9EAITHT0Z, ^nBQ(pv&s &£ »avfidta xl nax' iexl
xccvxay xal MoxB ag &Xri9'&g fiXinrnv slg aifxä c%oxodivi&, ZSIKPJTHZ,
SB6d(OQog, m (piXBf tpaivBxai o^ Tianmg xond^Biv fCBgl xfjg tp^attog eov (cf.
144 AB). fuiXa yccQ (piXoa6q)av roOro x6 nd^og, xb ^avfid^Btv ai yicQ
dXXri dgxil q)iXoaoq)iag ri ccvxri, xal loi%Bv b xi^v ^Igiv Sa^itavxog inyovov
(pi^eag (nämlich Hesiod. Theog. 773) o^ %a%&g yBVBaXoyslv. Der Sophist
soll nun diese Platonstelle verwertet haben. Aber diese Leute haben
aufser dem Phaedrus gewifs nichts von Piaton gelesen, geschweige denn
jenen Dialog. Nun hat femer die Platonstelle noch niemand erklären
können. Die sog. Kommentare schweigen natürlich; Steinhart in den An-
merkungen zu Müllers Platon-Übersetzung schreibt: „PL dachte wohl bei
dem Namen Iris an das Auge und zwar nicht das leibliche, sondern das
Neoterismus (Asianismus): Zweite Sophisiik. 411
liaöBv. — Alexandros aus Seleukia in Kilikien (II 5^ 4; zu-
gleich charakteristisch wegen der rhythmischen xofifui^ia): ^^Aga-
ßla yfl I divdga nokkd^ \ nsdia xcctdöxiaj \ yviivbv oidiv | ra
qnnä ^ yfj^ | t& &v^. || oiäl tp^XXov *J(fdßiov iKßaXstg \ oiil
xttQq>os iatOQQCipBiq \ ovdhv itiat qiviv \ xoi,ovxov fi yfj xsqI t<ybg
tÖQ&tag sircvxst.^ xi^v d\ Idiav tatkriv (bemerkt Philostratos)
duLXfo%i%mv & ^AvxCoxog (cf. II 4) kuX diamvanf avxbv &g rpv-
q)&vxa ig xijv x&v dvofidxmv &Qav^ TtaQsk^cjv ig xijv ^Avxi6xBiav
diskixd'fi &ds' ^^lavCai AvdCai MaQövai (uoQiatj döxe xqo-
/SAi^fioTo.' Von demselben Alexandros führt Philostratos weiter-
hin an: xä (ihv dij IIsqö&v xb xal M^dcov xoutvxd 60Lj ßaöi-
Xsvy xaxä x^^av nivovxr xä dl ^EKki/jfViov yi} lixxij^ ^dkatxa
6xBvi^y Tial Svögsg inorBvorjuivoi xal d'Bol ßdöxavoi, Yaros aus
Ferge (II 6): iq)' 'EXXijönovxov ik^hv innov alxBtg^ in^A^a
dl ik^hv nkBv6ai d-iksig. ovx oldag^ Svd'QajtBj xäg bdovg;
ikk* *Ekkfi6x6vxp yf^v ikCyifjy hcißakhv xaikriv oCbi 6oi [livBiv
xßbv ÖQ&v iiii (isvövxcav; Von PoUux aus Naukratis (II 12, 2):
6 IjQioXB'bg 6 OdQiog, xb d^av^a xb 'OiiriQixövj xokkal ^Iv avxov
xal xokvBLÖBtg at fiOQfpai' xal y&Q ig iidcaQ atQBxai xal ig xvq
SxxBxai xal ig kiovxa ^yLOvxaij xal ig övv bQ^ia xal ig dga-
xavxa x^9^^ ^^^ ^S ndgiakiv xijda xal divÖQov r^v yivrixai
xoiia,^) Philostratos selbst besonders in den Briefen, näm-
geistige. Verwnndening, würde er ohne Bild gesagt haben, erregt das
Nachdenken, welches das Auge unseres Geistes schärft und so zur Er-
kenntnis fahrt" Das yerstehe ich nicht, aber ich glaube, durch die Worte
jenes Sophisten dem Sinn der Piatonstelle näher kommen zu können.
Irgend einer der natXaiol cotpicxaC hatte seine Kunst, deren Wesen die
Yielgestaltigkeit ist (ein berühmter Vergleich nannte den Sophisten einen
'Proteus'), mit der in allen Farben spielenden Iris verglichen und nicht
▼erzürnt, auf Hesiod hinzuweisen, wodurch das famose Wortspiel ermög-
licht wurde. Sokrates überträgt das hier auf die Philosophie, natürlich
halb im Scherz, wie die ganze Stelle zeigt. Die Leser wufsten, was er
meinte, um so mehr, als in dem ganzen Zusammenhang eben von den So-
phisten die Rede ist: Protagoras wird in den unmittelbar auf die aus-
geschriebenen folgenden Worten genannt und Theaitetos ist eben sein Ver-
ehrer (152 A fl.).
1) Wie affektiert der Mann schreibt, zeigt aufserdem die andere
Probe bei Philostratos, sowie sein Lexikon überall da, wo er seine dürre
Aufzählung yerläfst (denn, wie er selbst sagt I 30, xh didaanaXiKÖv eUfog
aitxpL7i(f6v icxi xal srpoffxope;), z. B. I 30 f.: ivsiariJHBi fihw yicQ ^ navrjyvQig
Tod 9ii^ nul nan/JTrBiye tov ^vsiv 6iiai(f6g^ xb dh iegelov &Qa n Qi.bg ffV,
412 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
lieh: Isokola^ oft mit Homoioteleata, z.B. ep. 3: oC Aaxi-
daifLÖviot q>oivtxoßaq>6tg ivBÖvovto xtx&vagj rj %v ixxli^aö^ toi>g
ivavxlovg t& (poßegS tUs XQÖag f\ Iva ayvo&6t tb alfut t{| xot-
VGivia xf^g ßa^pfig (17 = 17). 7, 1: &mda XQog t6 d'iaxQOVj
nevijtfov 6 dflfiiog' änide nghg tä dixaavi^QuCj icivf^xBg xd-
^rivxai, (Q = 6). 8: ^dvoi xal üiißgoi x^g y^g tucI jtoxccfLol
xfjgd^akdxxrig^ xal 6 ^AöxXifpcLog ^A^valmv xal 6 ZBi}g fjii&v xal
i Netkog Aiyv7Cx£<ov xal 6 "Hhog ndvxmv. 14: xatQB xav ft^
^ikrig^ XalQB xav fti^ ygäipfjig (6 = 6), Sklotg xaXh ifiol d^ vxbq-
rjtpavB. 19: ncolstg öBavxfjv^ xal yäg ot iii6&oq>6QOi' xal
Ttavzbg bI xov dtdövxog, xal yäQ ot xvßagvijxai (7 ■= 7)* otf-
xog 6ov TcivofiBv &g x&v Ttoxaii&v^ ovxmg anxöiu^a &g x&v (6-
dov (11 oo 10). liij Si^ atdov xp BvxöXpf iXlä öBiivvov xp
itoifip (8 ou 9). 21: büxs yäQ xä (68a tBQJCväj fiij xaQBvdoxi-
IIB ix CO xäg xaXdg' bIxb aväiSri^ fti) ipxiTtvsixa' bIxb cbxt^fio^,
Itii (poßBixa (10 = 10). 34: ovx olSa xl 6ov [läXlov ixa^
viöG), ziiv XBfpakr^v\ &}X & x&v diiftdxfov. xabg 6q)d'aliioiig;
akk' & xcbv naQBi&v (6 «= 6). xäg 7caQBLdg\ akkä xä x^^^V /**
indyBxai xal dBiv&g xdBxai^ xBxksiöfidva fA^v dt Bixoöfitav^
dvotx^Bvxa dl iv Bvodiav (10 = 10). 48: xal 6v novtiQog
ovxog^ dig (iridiv(a) akkov ikBBtv Tt&yh dvöxvxiig ovxcjg^ hg
fiiydi naQ' Skkov kaßBtv (15 = 15). 64: tcqIv dt^^v, matv
jtglv 7tBt,vijVj tpayBtv (5 «= 5), besonders gern trikolisch^),
z. B. ep. 1: im6dB%ai avxä (xä (6da) Bv^uv&g ^ hg ^Addnfidog
vTto^VTifiaxa r\ Ag 'A<pQodLxrig ßa<p^v tj Ag yfjg Zfifiaxa. 3: xavxa
(xä (68d) ^AyxiOffiv ävinBiöB^ xam ''Aqti äitidvöB^ xam "AdcyviV
ik^Blv dvdiiVfiöB' I xavx' ^gog xöiiat, xaijxa yf^g &6Xifanai^
xam igmxog ka^mdÖBg, 7, 2: 6 nkov6iog xakBt 6b iQOfuvoVj
iyä) dh xvqiov ixBtvog vnriQixTiVy iyh dl ^böv ixBtvog [ligog
x&v avxov xxrifidxov, iyh S\ ndvxa. 12: xa%iaig iilv Ag «rij-
vögj ikBvd'dgmg d' &g yv^ivög^ ifidxmg d* Sg xo^öxrig (7 = 7
= 7). 24: xig ^ xaxijtpBia avxrj, xCg ^ vt}|, xl xo öxvyvbv 6x6-
xog; itBtdiaöov xaxdöxri^i iac68og fi^lv xi^v x&v öfniuixav iifUgav.
%al ol iilv &yovTeg &iiovTSs ißgadwov . , tj ol 6* &fi(pl tb isffbv natSig
öiiov naitovrsg &ns7tXi^govv xfjg isQOvgylag tbv v6iiiOV, III 6: yivog dh
ilvai xb (pvCBv nQoa6v, ov tb v6it<p %qoöi6v.
1) Über die Vorliebe des ganzen Zeitalters für Trikola in Nach-
ahmung des Gorgias und Isokrates habe ich im Greifswalder Prooemium,
Ostern 18D7, p. 43 ff. ; 50 ff. gehandelt.
Neoterismus (AsianismiiB): Zweite Sophisük. 413
Antithesen des Gedankens z. B. ep. 35: d^doifg filv et %'i-
kaiq^ & dl ^ikfo kafußdvmv. 45: öitovfiBvog (mit Granatäpfeln)
(ikv Ag otviDj (le^av ö' &g öCxg). Wortspiele, z. B. ep. 29:
xttl tovvo ainfig tb ^da(ia xal d^avfua fjv. 52: ov xb igav
vööog^ ilkä tb [lij igäv bI y&q &nb tov bgav tb igäv, tvg)Xol
ot fi^ ig&vxBg. 56: xa oiyqavov v&xa 6q&v xal X6qI xiig xaxä
xavxa oüörig oiöiag noXvXQayyiovBlv,
b) Rhythmus.^) Dionysios aus Milet^ iiovpäia auf Chae-
ronea (II 22, 1):
S) Xa^fd)veLa Äovijpöi/ %mQiov. «^ kj \j j. kj kj
ebd. 6x6vd^ccts ot xaxä yf^g Ugasg' sjj.kj±^kj^j.^^
iyyvg ükaxaCav vevixiiiisd'a. ^\a \j i, j. ^ \ zu6
ebd. iv xotg XQivofiivoig ^ j. jl ^ ^ i.
ijcl rp (iiöd'oq>OQ£tv ^Aqxaöiv ^\j±j.yj^i.j. ^^
iyogä nolifiov ngÖTcsi^xai^j yj kj i yj yj j. sj
xal x& x&v ^EXlijvajv j. kj ^ _
xaxä xiiv ^AQxaäCav xgitpBv. ^kjj.j.^^.^j^
ebd. ini(fX€xai nöXsiiog ^ j. kj j. ^ kj ^
alxlav ovx ix(ov. x u \. l yj i.
Philagros aus Eilikieo, von Philostratos (II 8, 3) eigens wegen
der Rhythmen citiert:
ilxa OCSI i]XLOv'Eö7t6Qp q>d'0V6tV r yj yj ± yj ± yj ^
^ lidXuv aifxay ^ u x ^ -
st xCg ioxLV äöxiiQ ' ± yj i yj j. ^
&kXog iv oigavp; j. yj ^ j^ yj ^
oix ovxcog i%Bi xä xov iieydXov j.^Lyj±yjsyj\jj.^iyjyj
Tovrov nvQ6g.
ifiol fA^p yuQ doxet xal noirjxL-
x&g ixdöxG) diavi^LBiv^ ^v-»z«Ouv^_
*<yOt lUV &QXXOV d {80^11^ kiyOVXa^ J.yjl.±yjJ.yjyj±yj
^öoldliiBariiißQLaVjöoldliöneQaVj ±yjyj±yj±^i.^^
ndvxeg i\ iv vvxxC^ ndvxag^ ^ j. ^ ^ ^ ^ yj
5xav iycj fi^ ßkinmfiai,^ y:, yj yj ^ i. yj
1) Die Abteilung der Kola wird im wesentlichen richtig Bein; über
einzelnes urteilen yielleicht die Oliren anderer anders. Ich bitte besonders
auf die uns schon bekannton (h. o. S. 140 f. u. u., sowie Anhang II) Klauseln
2v/x ±\^ und /«y»i ^6 (mit Auflösungen) zu achten.
_ u s./ _ _
^ u u . s^ .
414 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
xccl^iöt^Qsg oiöaiiov.
Derselbe^ ebenfalls wegen der Rhythmen citiert (1. c):
^iq>ovg (iov kaXetg. j. ^ y.^)
Derselbe (ib., aus demselben Gmnde citiert):
rijv inb rfjg ixxXrjöiag iiövr^v ^v^^^_^w2w-
olda tpikCav, j. kj u kj ^
anns ovv, Svögeg tpikoi^ \j ^ ± \j ± ^ ^
xav dsrid^Cbiiiv nors öv^ificixiovy ± ^ ±\j^^kjj.sj^
i<p^ ifiäg nii/i^oiuv^ ^ j. kj ^
Bt TtotB drjnov. i. ^ ^ ± ^
ApoUonios aus Athen, wegen der Rhythmen citiert (II 20, 3):
v^riXiiv &QOVj ^ ± ^ I. ^
avd'QtDXB^ f^v däda. _|^ ^ i. / w
t£ ßtdtv ^^^ xaxdyBig xära) ^^A^j.yj^^^^
xal ßaöaviiBig t6 xvq; ± kj kj i. i kj ^
ovgdviöv iöxij ^\ö ^ sj . ^
ald^^QlÖV iöXLj »|vJ w vy _ vy
ngbg rö övyysvlg iQ%Bxai j.sj±^^^<j^
Tovro TÖ nvQ. ± ^ y^ i
oi) xatayBi VBxgovg^ j. ^ ^ ± ^ ^
akX ivdyBi ^BOiig, j. yj ^ j. yj ^
ih Ugoiiri^Bv^ sj j. yj j. ^
dadovxB xal nvQtpÖQB^ ^\i kj ^ ± yj b
old 6ov rö d&QOv ißgi^BtUL' ±kj±^±^^i.kj^
vBXQolg dvaLödi^toig dvafiiyvxnat, wzuz_zuw2v/-
indgri^ov ßonjd'riöov xliipov, bI ^^j.jL^i.j.^±^t\j^\j
dwatöv^
xixBld'BV t6 XVQ. ^ l ± yj ^
Onomarchos aus Andres, wegen der asianischen Manier citiert
(II 18):
h xakkog iiii^vxov .|^ ^ i. ^ ^
iv di)vx(p öAfucTij w|z _ A. z ^ ^
1) Zuerst ionisch, dann dem Sinn entsprechend der Waffenrhjihmus.
Neoterismtis (AsianismuB): Zweite Sophisilk. 415
Xig &QU öS daifKOV w[0 yj yj J. ^
idflfllOVQytiÖBV'^ yj\j. ^ y, J, yj
nBid'6 ti^ r\ XaQig r\ _|jL^-v^vy_
cdftbg 6 "Eifiog^ 6 xov xiXXovg Lyjyjyjj.yj±^Lsj.
hg Tcavxu 6oi nQÖösötiv iv iAij- _|^ uzv^^v^v^v^i./.
4
nQOömcov ötdöcg |, xQÖag av&ogy kj i jl sj i\yj i ^ ^j
ßXdlllUCTOg XSVtQOVj J. ^ }l J. yj
naQSi&v iQSv&og^ ixotlg txvog. yjj.j.yj-yj\isj±uyj
ix^ig di xal q)fovriv ^iXXovöav asL yj±yjj.^s^j.yjyj^
x&ia XI xal XaXstgj sS, kj yj ± yj ^
aAA' ifiot; fii) 7CaQ6vzog^ z u ^ z w . u
ävipaöts xal ßdöxavEj yj yj j. yj i zw6
nQbg niötbv iQaöf^v &%i6xs. _zuvyA.zu_u
oi5hv6g [lOi luxidancag ^(uxxog. j.yj}.j.yjyj±^j,yjyj
xoiyaQOvv rijv q)Qixa}d£6xdxijv zv/^z-xzwa.
SataCiv &sl xolg TtaXotg yj\j. yj yj i. ± yj \.
iifäv inl 001, d^öo^iar yj\i. yj yj l j. yj l
eüXoiiaC 601, yrnfäöau ± yj ^ j.
Philostratos selbst in seinen Briefen sehr oft^ z. B. ep. 7:
&%i8e Xgbg Xb ^iaXQOV^ s!,yjyjy.y^yjyj^
nsvi^xarv 6 d^fiog* yj j. j. yj jl yj
&jci8b nQog xb dixaöxT^Qioif^ v^uuzwv/.zuw
nivfftBg xdd^ijvxar yjjLj.yjj.yj
SmÖB nQbg xäg (idxag^ vi v^ u i. z ^^ i.
ot filv noXvxsXBtg xal xQVöot xotg z^v^v^w^lz-^zv^a.
SnXoig
Xslnovöi, xäg xcH^Bcgy .|z ^ a. z .
fliulg d' i(fi6x6iioiiLBV.^) _|z v^ a. z u ^
ep. 14:
Xd^^Q^9 ^^ f*^ ^^AjS* Z w iL Z U A.
X^C^Q^y ^^ f^^ yQ^WS' J. yj 1. J. yj 1.
cp. 16 a. E.: q)iQ^ stna coi xbv imxd^iov xi^g xd^ii^g'
& xdXXovg i7C(f6noXig^ . z _ v^ v^ w «^
1) Der kretische Rhythmus malt das Affiativuv,
416 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
& iQOtog äköog, ± \j j.\j j. kj (oder ^ j.\j j. J)
& aötQa xsq)aXrlg,^) ^ ± ^ kj \j j.
2. P8.-Iosepho8.
Liitera- Ein formell wie inlialtlicli höchst interessantes Dokument
lang des ^ler nicht unter dem Einflufs atticistischer Reaktion stehenden
bIeJbuchi Rhetorik des ersten nachchristlichen Jahrhunderts ist das sog.
IV. Makkabäerbuch; welches unter dem Namen des losephus
läuft; es handelt, wie ein Nebentitel anzeigt^ %Bffl airtoxQAtOQog
Xoyiö(iov, Auf die Bedeutung der Schrift hat vor allen
J. Freudenthal, Die Flavius losephus beigelegte Schrift Über
die Herrschaft der Yemunft, eine Predigt aus dem ersten nach-
christlichen Jahrhundert (Breslau 1869), hingewiesen, wozu dann
einige Nachträge und Berichtigungen im einzelnen geliefert hat
E. Wolscht, De Ps. losephi oratione quae inscribitur xsqI ccAto-
xQcixoQog Xoytöiiov (Diss. Marburg 1881). Freudenthal hält
(nach dem Vorgang anderer) die Schrift für eine wirklich ge-
haltene Predigt imd scheint darin allgemeine Zustimmung ge-
funden zu haben. ^) Das wäre natürlich von grofser Bedeutung
für die Geschichte vom Ursprung auch der christlichen Predigt^
und Freudenthal hat seine Annahme auch in diesem Sinn ver-
wertet (c. 1). Allein diese Ansicht ist sicher unrichtig. Frenden-
thal selbst mufs zugeben, dafs die Schrift als wirklich gehaltene
Predigt ganz isoliert dastehen, ja sich in direktem Widerspruch
zu dem befinden würde, was wir aus Philo und anderen jüdischen
Quellen über die Art der gottesdienstlichen Vorträge jener Zeit
wissen. Nun ist das einzige wirkliche Argument, das Freuden-
thal für seine Ansicht beibringt, hinfällig. Der Verfasser be-
ginnt: q>iXo6oq>fotatov X6yov ixtdsixwöd'ai (idUioVy bI irdro-
dicxoTÖg icxi x&v 7ttt%&v 6 sinfsß'^g Aoj/ttffui^, övfißovXaiiöaiii*
ccv iyLtv ÖQ^&g^ oxmg 7CQ06i%rixa ngod^vfuog r§ ^tilo-
6oq)ia, wozu dann noch gelegentliche Anreden ähnlicher Art
kommen. So soll nach Freudenthal nur ein wirklicher Prediger
zu seiner Gemeinde sprechen können, und da er nun am Schlufs
1) Im letzten Glied stellt er die beiden Substantive anders als in den
Torhergehenden, um päonischen Rhythmus zu erzielen, den er am Ende der
Briefe liebt (cf. ep. 12; 14).
2) Z. B. auch die Zellers, Philos. d. Qr. III 2* (Leips. 1881) 272.
Neoterismus (Asianismus): Ps.-Iosephos. 417
seines Proömiums (c. 1) sagt: iXXä xal tcsqI tov ^ijtov(iivov ai-
xCxa iii Xiysiv iiiötai^ iQ^afidva tflg {mo^iöecng^ &0%E(f Blfo^tt-
116V TCoiBlVy so wird dieser Anonymus zu einem groüseU; einsam
dastehenden^ jüdischen Kanzelredner des ersten nachchristlichen
Jahrhunderts. In Wahrheit aber ist die Schrift nichts als eine
Diatribe über ein philosophisches Dogma. Bewiesen werden soll
der stoische Satz, dafs die Vernunft Herrin über die Affekte sei;
das geschieht zunächst rein philosophisch-dogmatisch und dann
folgen Beispiele aus der jüdischen Geschichte, vor allem der
Heldenmut des Priesters Eleasar, der sieben Makkabäerbrüder
und deren Mutter, die in der Verfolgung durch Antiochos nicht
durch die gräfslichsten Martern gezwungen werden konnten,
ihren Glauben zu verleugnen (ganz wie Seneca mit Vorliebe den
x6icog ausfuhrt, dafs der Weise auch auf der Folter seine ina-
%Bia beweisen müsse, z. B. ep. 71, 5). Wer eine solche Kom-
position blofs wegen der Anrede an Zuhörer für eine wirklich
gehaltene Rede ansieht, der mulis auch behaupten, dafs Cicero
seine stoischen Paradoxa vor einem Publikum gesprochen hat,
was keinem eingefallen ist zu thun. Man nehme z. B. das erste
dieser Paradoxa. Das Thema lautet: 8n iiövov t6 xaXbv iya-
d'öv: dieselbe Form ist in mehreren Handschriften des Ps.-Io-
sephus erhalten: ipiXo6og>ia 'laöiiTtov xbqI rot) Sri ainod^önotog
B6ti t&v Tcad-Stv 6 BiöBßiig Xoyiö^ög oder ähnlich: *Ia6ijnov Big
tb aitoxQttroQa t&v 7Ca%&v Xoyiö^bv Blvat u. dgl.: ich halte
daher diese Aufschriften für ursprünglicher als die abgekürzte
bei Eusebios und anderen nBQl avxoxQcitOQog koyiö^ov. Cicero
beginnt: vereor ne cui vestrum ex Socraticorum hominum dis-
putationibtiSy non ex tneo sensu deprompta haec videatur oratio^ und
auch im folgenden redet er in der zweiten Person wie zu Zu-
hörern. Nachdem er den Satz theoretisch bewiesen hat, bringt
er einen Haufen von Beispielen^) aus der römischen Geschichte.
Stimmt das nicht in allen Einzelheiten mit der Schrift des Ps.-
losephus? Wenn nun Cicero am Schlufs der Einleitung zu
seinen Paradoxen sagt: degustdbis genus exercitationum earum,
quibus uti consueviy cum ea, qttae dicuntur in sclwlis d'Btix&gy ad
nostrum hoc Oratorium transfero dicendi geniis, so folgt daraus.
1) Womit ich zu vergleichen bitte, was ich oben (S. 30.S f.) über diesnu
koDfltanten Brauch der dtatQtßa{ gesagt habe.
Norden, antike Kunstprnt». 27
418 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
(lafs es der hellenistische Jude ebenso gemacht hat, ohne aber
diese fiktive Rede in der Synagoge oder sonst wo wirklich ge-
halten zu haben. ^) Man müTste denn etwa auch glauben, dafs
eine wirklich gehaltene Rede sei der Traktat des Hermes Tris-
megistos (Poim. 7) über das Thema Srt iiiyi6tov xaxbv iv totg
iv^Qtojtotg ^ nsQi Tov d'sov iyvaöiaj der so anfangt: xot q>i^
QBöd-By & avQ'QfOTCOL ^d^ovtsg und in diesem Stil weiter: wer
weifs aber nicht, dafs dies der Ton ist^ in dem die Kyniker (cf.
auch den Anfang des pseudoplatonischen Eleitophon) in ihren
diatQißai schimpften? Wenn also in einigen Handschriften die
Schrift des Ps.-Iosephus zwischen wirklich gehaltenen Reden des
Gregor von Nazianz und lohannes Chrysostomos steht (cf.
Freudenthal p. 13, 2), so folgt daraus nur, dafs die Schrift
äufserlich in die Form der Rede gekleidet ist. Richtig ur-
teilte also, freilich auf Grund ganz ungenügender Argumente,
die von Freudenthal leicht zu beseitigen waren, C. Grimm in
seinem Kommentar zum IV. Makkab'äcrbuch (Leipz. 1857; p. 286):
„Der Ausdruck ^Predigt' kann und soll aber natürlich nur die
Form der Schrift charakterisieren,^ kemeswegs dieselbe als wirk-
lich gehaltenen Synagogenvortrag bezeichnen'^
siu. Stilistisch ist diese Schrift nun höchst eigentümlich. Der im
ersten Teil gegebene theoretische Beweis des aufgestellten philo-
sophischen Satzes ist, entsprechend seinem Inhalt, einfach und
sachlich auch in der Sprache. Ganz anders der zweite Teil, ein
iyxAiiiov auf die Märtyrer. Die Reden, die er jeden einzelnen
vor den mit grausiger Detailmalerei beschriebenen Folte-
1) Auch Gregor von Nazianz, der diese Schrift in seiner Rede 'auf
die Makkabäer' (or. 22) stark benutzte, hat sie offenbar nicht ftir eine
Predigt gehalten: denn wie hätte er sonst sie charakterisieren können als
ßißXog i} tcsqI tov a{}Xo%QdtOQa slvai, t&v nad'&v tbv Xoyiafibv (piXocoqfO^Oy
in der aufser anderen Zeugnissen auch die Leiden der Makkabäer beschrieben
wären? Übrigens ist für den Gebrauch solcher fiktiven Anreden an ein
blofs gedachtes Publikum sehr lehrreich auch das Urteil des Photios (bibL
cod. 172) über einen Band von Homilien des Johannes Chrys. 2ur Genesis.
Photios fand sie bezeichnet als X6yoi (Abhandlungen), aber es seien, sagt
er, yiclmehr öiuXiat, denn er rede darin fortwährend seine Zuhörer an; frei-
lich gebrauche man solche Anreden oft auch einem blofsen
cxijtta zuliebe, aber bei jenen Schriften des Johannes seien sie doch so
häufig und ho ohne oUovopiia verwandt, dafs man sich ein wirklich vor-
handenes Publikum denken müsse.
NeoteriBmus (Asianismus): P8.-Io8ephos. 419
rungen^) halten lafst (er nennt das ^^^oloyitv c. 15), nocli mehr
aber seine eigenen i^rt^ovi^fiara, sind von geradezu rasender
Leidenschaftlichkeit; aufgeputzt mit allen Mitteln der höchsten
Rhetorik, die er mit grofser Geschicklichkeit handhabt. Als
Beweis mag von hunderten der eme Satz am Schlufs genügen:
& niXQäg tilg x6xs "lifidQag xal oi xucQägy Zta 6 XLTCQog ^ElXi^vmv
rvQavvog tcvq xvqI cßdöag Xdßriöiv d)notg xal tiovöi d^iiotg iya-
yhv inl xhv xttxuJciXt'qv xal nüöag xäg ßaödvovg aixov xo{>g
ixxä naldag xr^g ^AßifaayiixiSog xal xäg xwv d^ifLatav xögag^) ixt^-
Qm6€ xal yXaööag i^dxsiu xal ßaödvoig noixCXaig axixtsivBv.
Gelegentlich verfällt er in bombastischen Schwulst, so c. 7:
&6jt8Q yocQ aQiöxog xvßBQvrlxrig ^ 6 xov naxgbg ^fiSv ^EXsaiaQOv
XoyLöiibg jei^8aXt,ovxcbv xiiv xf^g eiöeßeiag vavv iv xä x&v naO'&v
xsXdyety xal xaxaiyi^öiuvog xatg xov xvgdvvov ixeiXatg xal
xaxavxXovfievog xatg x&v ßaödviov XQ^xv^Liacg^ xar' ovdiva xqötcov
ixQS^s xo'bg xf^g svösßsiag otaTcag^ emg oi ijtXevösv ifd xbv xrjg
d^avdxov vcxr^g Xi^^iva. c. 13: xa^dnsQ y&q nQoßXf^xag Xifiivmv
nvQyoi xäg x&v xviidxtov iscevX&g dvaxdnxovxsg yaX'qvhv naffi-
%ov6i xotg siöJtXdovöi xbv SqiuoVj ovxag i^ ijtxdxvgyog x&v
vsaviöxGiv ai)Xoyi6xCa xbv xf^g eiöeßeCag 6xvQd}öa6a Xt,iiiva f^v
x&v nad'&v ivCxricsv dxoXaöiav^^ cf. c. 15 L f. 17 in. In welche
Sphäre uns dieser Stil weist, ist schon von Frendentbal (p. 28;
112; 115; 156) hervorgehoben: es ist der reine, von der atti-
cistischen Reaktion nicht beeinflulste Asianismus, wie denn auch
der Verfasser wahrscheinlich nicht in Alexandria^ sicher nicht in
1) Man lese die entsetzlichen descripHones tomientorum des von dem
Tyrannen gefolterten Weibes bei Seneca contr. II 6: auch daran erkennt
man die Sphäre, aus der die Schrift des Ps.-Iosephos stammt. Cf. auch
S. 280 und 408, 2 und Seneca ep. 67, 6 f. u. fr. 124. Wieviel packender
die Wirklichkeit ist als diese scholastischen Kunstprodukte, weifs jeder, der
das in all seiner Schlichtheit so ergreifende (uc(fTVQiov Tlegnetavag ge-
lesen hat.
2) Was ihn zu dieser Ausdrucks weise veranlafste, ersieht man aus
n. wffovg 4, 4.
3) Ein x6nog, den Seneca gelegentlich in grandioser Weise ausitlhrt,
z. B. dial. II 8, 5: quetnadmodum proiecti qtiidam in (dtum sco2)uli mare
frangunt nee ipsi ulla saeviiiae vesUgia tot verberata aaecuhs ostentant, ita
sapientis animus tiolidus est et id roboris coUigit, ut tarn tutus sit ab iniuria
quam illa quae rettuli. Ebenso, etwas ausführlicher, VII 27, 3. Cf. auch
Greg. Naz. or. 26, 9 (35, 1240 Migne).
27 •
420 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
Palastina, sondern möglicherweise in einer der kleinasiatischen
Küstenstadte lebte. Höchst bezeichnend ist dafQr auch, dals sich
vielleicht keine Schrift wird nachweisen lassen, die auf einem
yerhältnismäfsig so kleinen Raum eine so ungeheuere Zahl von
hochpoetischen und meist mit souveräner Willkür neugebildeten
Worten enthält: nur eine Anzahl davon führt Grimm 1. c 287
auf, denen Freudenthal p. 28 wenige hinzufQgt. So kann uns
dies Denkmal, welches nicht archaisiert, sondern kühn mit der
Sprache schaltet, lehren, was die Atticisten mit ihrer eifrigen
Betonung des Sprachrichtigen und Normalen haben erreichen
wollen und erreicht haben.
3. Aristides.
Stil der /uo- Man wird sich wxmdem, ihn in dieser Gesellschaft zu finden.
Er, der sich selbst in der 50. Rede in so scharfen Gegensatz
zu den Moderednem setzt und von späteren Kunstrichtem als
Hauptvertreter der c^(»;|rarot ein Gegner der Asianer genannt wird
(s. oben S. 369; 374 f.), verfallt — allerdings nur selten und bei
besonderen Anlässen — offen in deren Fehler. Darauf hat schon
W. Schmid, Der Atticismus II 10 hingewiesen. Bei Gelegenheit
eines Erdbebens von Smyma hält er auf die in Trümmern
liegende Stadt eine ^ovatdia (or. 20). Ihr Stil fallt ganz aus
dem sonst an Aristides bekannten heraus : statt der langen, nach
Demosthenes' Vorbild gebauten Perioden hier kurze, abgerissene
Sätzchen, meist mit & beginnend und Frage oder Ausruf ent-
haltend.^) Dazu kommen — was dem Aristides sonst fremd
ist — abgeschmackte Bilder und Wortspiele, kurz echte
asianische xaKotpfiUa. Das Bemerkenswerteste aber ist^ dafs die
Rhythmen in der Rede in einer unerhörten Weise zu Tage
liegen: man kann das Ganze einen ^(ff^vo^ in hochpoetischer
Prosa^ nennen; jede beliebig herausgegriffene Stelle kann davon
1) Cf. [Menandros] mgl ini8H%xi%&v TU 437, 4 Sp.: i\ iiovoSla ictl
&VSXOS.
2) Cf. Libanios ep. 34: 6 filv nMaQ6s n6v (priei fujXioy ti x^nHiätv
slvai (pvXa^ {rä dh slvai Movadiv) %al tovttov äXlots &XXoig vififiv, iyn dh
a{>xbv filv iiyovficci XtiqbIv^ aol dh (paivofiai %QVCä yBPV&v^ %al iHiv ^l^äg ii
&v id'QTivi^öa^ev slg rov; t&v xQaytpSt&v %atil6xriaag noir^tdi. Sffa ii cov
ravra ccv^^trat Zoq)onXfjg ij rig &XXog väv 6ft4)ti%v(oy u^&. Im Anfang der
Neoterismos (AsiamBinus): Aristidcs' {lovipdiai, 421
eine Vorstellung geben^ z. B. I 426 Dind.: cd xaAAi] yvftvaöüov
ifLiid^Uj & va&v xal 7t6Qiß6k(ov xoQnsg, not nots yi^g idxna; &
%66yL0i naQaliag^ & xävt(a) iüBlv dveigara u. s. w. Das zweite
Beispiel dieses Stils findet sich am Schlafs der vorhergehenden
Rede (19), deren Veranlassung eine ganz ähnliche war: der Brand
des eleusinischen Tempels. Man höre nur den gleichen rhyth-
mischen SchluTs folgender Sätzchen (p. 421 f.): & dadagy vq>* oitov
ivÖQ&v &xiößijts (^ ^ A. ^ u). & ÖBivii xal &q)Byyi^g '^fiSQa^ rj
rag qxoö^pÖQOvg vöxtag i^BtXeg. & nvQy olov &(p^tig ^EXsv-
ötviy olov ivO^* oiov. Wer sich von dem Aufgelosten; Weich-
licheU; SchlafiTen dieses Stils eine Vorstellung machen will, lese
diese (lovadiai und dann gleich hinterher die folgende Rede (21):
die naXcvadia inl Ufivgvy xal tp tavtrig ävoixiöiiS^ in der an
die Stelle der zerhackten Sätzchen wieder die langhinrollenden
Perioden, das 6wsx&g ^iov^ wie es Longin an Aristides im
Gegensatz zu den Asianem nennt, getreten ist.^)
Monodie auf Nikomedia (III 337 Beiske) vergleicht sich Libanios mit
einem Flötenspieler, der yof^ iUXbi xhv d^gi^rov nXriQol.
1) Auch die beiden fiovcod^ai des Libanios auf den abgebrannten
Apollotempel in Daphne und das vom Erdbeben zerstörte Nikomedia
(vol. III 332 ff.; 337 ff. Beiske) fallen ganz aus dem sonstigen Stil des Li-
banios heraus, der sich, wie wir oben (S. 402 ff.) sahen, wie Aristides den
Demosthenes zum Vorbild nahm. Man erkennt in diesen novcadUci des L.
deutliche Nachahmung derer des Aristides. Bemerkenswert sind dabei die
von L. sonst nur ganz spärlich verwendeten, hier die Klage wirksam
hebenden dfioiotiXivta p. 341: m ndlsrng ineX^ovarig, & ngoariyoglas Blnfj
luvo^aris, & diä yi^g xal ^aXdttrig &Xy7iS6vos Öifaiiovörig, Dafs diese Be-
obachtungen über den Stil der fiovatdlai nicht nutzlos sind, erkannte ich
bei der Lektüre von K. Seitz, Die Schule von Gaza (Heidelberg 1892) 20;
50; dort heilst es von der Monodie des Prokop v. Gaza (bisher ediert nur
in: Catal. codd. mss. Graec. bibl. reg. Matrit. ed. I. Iriarte [Madrid 1767]
264 f): „Die Monodie ihm beizulegen, wäre ein Unrecht an seinem Ge-
schmack und formellen Können; der erste Satz schon ti^gt den Charakter
des Ganzen zur Schau: fjv äga xal cvfKpoQcc av^ogäg xal ndd'og ndd'ovg
xal Xvnri Xvnrig ^^^ ol\uoyri olfi<oyfjg xal ^Qfjvog ^qtjvov fiet^floy." Nun, wenn
irgend etwas sicher ist, so ist es dies, dafs die Monodie, überschrieben in
derHs.: Ugononiov aoq>iatoH rd^rig ^ovoiidia ilg riiv äyiav Eotpiav fCBaoÜaav
imb tfctcr/Liot), echt ist. Der Stil ist ganz dem der fiovcctdiai des Aristides und
Libanios nachgemacht imd von Prokops sonstigem Stil allerdings total ver-
schieden, aber nicht mehr als im gleichen Fall bei Aristides und Libanios.
(übrigens zeigen die alttestamcntlichen Citate auch den Kommentator des
Oktateuchs.) Diese Unechterklärong fUUt also in die Bubrik der oben
422 Von Hadrian bis zum Ende der Efdserzeit.
4. Die Rede des Pavorinus.
Litterar. Sie ist UBS durch einen glücklichen Zufall unter den Beden
steUung* des Dio Ghrysostomos erhalten. Dals diese Bede nicht von Dio
der Bede, ^^j^ ^^^ schou von Nicbuhr u. a. erkannt: es lassen sich in der
That kaum zwei andere Beden denken^ die inhaltlich wie formell
unter sich unähnlicher wären als die genannte und irgend eine
Bede Dios. Das Verdienst^ sie auf Grund sicherer Argumente
dem Favorin zugesprochen zu haben^ gebührt A. Emperius, De
oratione Coriuthiaca falso Dioni Chrysostomo adscripta (1832),
jetzt in seinen Opuscula (ed. Schneidewin, Gottingen 1847) 18 flf.
Der Sprecher bezeichnet sich als Kelten, römischen Bürger und
Griechen, er stand einem Kaiser (Hadrian, der aber nicht ge-
nannt wird) persönlich nahe, er war in Sachen der *A^Qo8Cxri in
schlechten Buf gekommen, in griechischen Städten waren seine
Bildsäulen umgestürzt, in seiner Wortwahl bestrebte er sich des
Atticismus: das alles wird von Favorin ausdrücklich überliefert
und auf keinen anderen pafst es als auf ihn. Man ist daher
jetzt allgemein einig, daCs die Bede von Favorin ist^); dafs sie
in die dionische Sammlung gelangte, erklärt sich leicht daraus,
dafs in dieser gerade die Städtereden einen grofsen Platz füllten,
es kommt hinzu eine Anlehnung Favorins an die rhodische Bede
Dios.^) Somit hat diese Bede als das wichtigste und
umfangreichste Dokument der modernen Bichtung
innerhalb der frühen zweiten Sophistik zu gelten.
Inhalt. Ihr entspricht sie nach Inhalt und Form. Die Eitelkeit des
Sophisten ist wirklich mafslos. Die Korinthier hatten, dem Bei-
spiel der Athener folgeud, die in der öfiTentlichen Bibliothek an
hervorragendem Platze aufgestellte Statue Favorins beseitigt^
weil ihnen allerlei seinen moralischen Buf verdächtigendes Ge-
rede zu Ohren gekommen war. Der Sophist beweist ihnen in
seiner Dialexis, dafs sie daran übel gethau hätten, aber Undank
(S. 11 f) genannten nnd mag ein weiteres warnendes Beispiel für Un-
wissende sein.
1) Cf. E. Maafs, De biographis Graecis (in den Philol. Unters. IIl
1880) 133 ff. W. Christ, Gesch. d. gri'ech. Litt.- (München 1890) 696,6.
H. V. Arnim in seiner Ausgabe Dios II (Berl. 1896) praef. p. IIL
2) Cf. V. Arnim 1. c. 363.
Neoterisma» (AjBianismus): Fayorinus. 423
sei der Welt Lohn, das zeigten Pythagoras, SokrateS; Platon, die
Götter selbst; an alle habe sich der Neid gemacht Er fingiert^
daGs sich ein Advokat seiner annehme and läfst diesen nun eine
Bede an die Richter halten: das thut er natürlich nur, weil er
nun, Yon sich in dritter Person redend, den Mund um so voller
nehmen kann; unvermerkt geht er dann wieder in die erste
Person über. Er sei der berühmteste Mann Griechenlands, mehr:
sein Name sei weltbekannt. Daher, schliefst er, sei er viel zu
grob, als dals ihm die Mifsachtung der Eorinthier schaden
könne: bei der Göttin der Weisheit werde er die Statue wieder
aufrichten, von wo sie nicht stürzen könne Erdbeben und Wind,
Schnee und Regen, Neid und Feindschaft. Mit seinem Wissen
prunkt er in lächerlichster Weise: die Exkurse — einer ist in
Form eines langen, die Periode zerstörenden Zwischensatzes aus-
drücklich als ixs^ßoXii bezeichnet (§ 20) — unterbrechen oft
den Zusammenhang aufs empfindlichste: sie behandeln litterar
rische, politische und kunstgeschichtliche Dinge, kurz all den
Karitätenkram, den der Verfasser der navtodaxii [ötOQÜc im
Kopf trug. Wir bekommen so ein deutliches Bild von dem
bunten Aussehen einer solchen sophistischen Dialexis und be-
greifen nun, wie gut sich ein solches Produkt zum Excerpieren
eignete: die Florida des Appuleius muTs man nach dieser Bede
des Favorin beurteilen. Dals die Gedanken im einzelnen oft un-
erträglich albern sind, bedarf keiner Versicherung, besonders
durch die dem Leser des Aelian bekannte süfsliche i^dXsia
werden sie abgeschmackt, z. 6. wenn es von den Athenern
heifst (3«S), sie bringen die Athene mit Hephaistos zusammen
xal xovoikfi ti^v na^ivov fLixQov iirjtdga.
Formell ist diese Dialexis ein Prachtstück sophistischen stu.
Könnens. Wer sich von dem Unterschied der beiden Stilarten,
die ich als die ^alte* und ^neue' bezeichne, ein besonders leben-
diges Bild machen will, der lese hintereinander etwa die rho-
dische Bede Dios und die korinthische Favorins. Dort Ernst
der Diktion und kraftvolle Würde, die sich im Fehlen äuüser-
licher Effektmittel und in langen, oft etwas unbeholfenen
Perioden ausspricht, hier schlaffe Weichlichkeit, hervorgerufen
durch kleinliches Haschen nach Effekt wie durch die sensiblen
Bhythmen. Die effektvollen Bedekunststücke sind die alten,
uns wohlbekannten, wofür ich nur einen Satz ausschreiben will:
424 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
§ 16 f.: 4 yäf oix oirtoi elöiv ol z&g tvQccwidag iv xatg nöXBöi
xataXvovreg \ xal tag drunoxQcctCag xa^^öxivxag \ xol t&g *A^-
vag oacb r&v xvQavvov iXsvd'SQAöavxsg H TtQÖxegov ^ikv äxb ^Ix-
%iov^ I V6XSQOV 8\ &nh KXeoiiBvovg, \\ xal fuxä xaika hg ccixol
^A^valoi n(f&Yiia icocstv hcaiBLQOxrv ^InnCov ^cal ^löayögov xal
tvQavvida x^g ^Ekkadog xa&iaxccö^ai , \ XQ&xot (ilv aiö&ö-
lievoij I fiäXiöxa dl iXyijCavxsgy | '^y€(i6vsg xotg &kXotg xijg iXev-
d'BQiag xaxaöxdvxsg, \ xal xavxr^v x'^v didvoiav od (livov hil
x&v ^Adifivatav \ iXkä Tcal inl x&v AaxaSaiiiovimv Sia^yvla^av-
T£^.^) Über die Bhythmen sagt schon Emperius 1. c. 25; 33:
numeri orationis fracti sunt et super dicendi consuetudinem modu-
lati; canere mulierem, non virum orare dixeris und er findet hierin
mit Recht eine Bestätigung dessen, was uns bei Philostratos
und Lukian (Demon. 12) über das Weibische, Gebrochene, Sang-
artige in der Vortragsweise dieses Mannes berichtet wird. Das
kommt nun besonders in der kleinlichen Komposition der Sätze
zum Ausdruck, z. 6. gleich der Anfang: oxs xb xq&xov ixadi^'
(ifjöa I xfi jcöksi rg ifLaxiga, \ iq)* oi dixa ixti öxsdövj | xal xibv
Xöyov fisxidmxa \ xä dT^fip xal xotg xiXsöi xotg iiuxigoig^ \ iio^
iicnnjöeiog alvai i(itv ovxa 6q)6dQa | hg oidh ^Agiayv 6 Mri-
^invatog. 4: iyivsxo dl imb xbv aixbv %q6vov \ xal £6Xmv
lilv iv KoQivd'p, I q)Bvyav xi^v üsiöiöXQdxov xvQawida, \ oif
q)€vyan/ öh xi^v IleQiavSQOv' \ oi) yäg ^v Sfiotov. 6: ÜBQÜtvdQog
Cofpbg fi^i/ i^v f^r' dXiymv^ \ xvQawog dl fuxä xoXX&v* \ ay^pd-
XBQa Sl Ttal xvQavvog xal öotpbg yövog. || X(fbg xovxov 6 £6X€9v
iXQ'hv I xal xv%üv x&v xoiv&v \ xocvä yäQ xä q>CXayif |' &XX^ o^img
&v5(fiavxog ovx hvxBv. 19: fjv d' Idatv Aioviiöuyv iv Ko-
giv&p^ I %ia^a xdXXtöxov^ \ oidavbg xvqiov \ aXX* Sfimg oidl
xovxov I oiÖBlg '/jöcxBi \ ovdl i^ißaXXav \ oid^ i^i^Xavvs \ x&v ix
SixaXlag, 44: xaiQBXc:^ d' 6 AaidaXog \ Tcal x& AatddXov fufiijilä
xBxvi^(iaxa' || fidiyv nQOfiij&iagy \ adifv nrjXov. Die Bhythmen
treten überall scharf hervor, ich will dafür noch folgendes an-
führen, obgleich man den richtigen Eindruck erst durch die
Lektüre der ganzen Rede erhält: 7: ^xb dl xal 'HQÖdoxog 6 Xoyo-
Tcoibg hg Vfiäg \ Xöyovg g>BQ(ov 'EXXijvixovg \ aXXovg xb
1) Cf. aufserdem noch § 18 (p. 21, 11 v. Arnim); 19 (21, 23 f.); 20
(22, 1); 24 (22, 28 f.); 25 (23,7); 29 (24, 9 f.); 30 (24, 19); 31 (24, 24 f.); ib.
(24, 27 f.); 32 (26, 2 f.); 37 (26, 11); 46 (28, 24 f.).
Neoterismus ( Aälaniämu») : Favorinus. 425
xal KoQivd'iovg \ oidifCfo il;£vdetSy \ &vd^ &v i^iiov nagä
x^g n6Xe(og \ (iiöd'bv &QVV6^ai, 14: vixfjöai Kdövoga (liv
0tddiov^ KaXaXv Sl diavXov (die Daktylen sollen malen).
30: sl xolvvv ov8\v alöxgbv xovt{6) iöxiy \ xalnsQ 81/
dBi,v6v^ I ov xofitd^ x£xvq)afLevrjg noXixBiag \ &vdQt,dvxsg ins-
xsioiy I &6nBQ ot xaQXot; 36: vvv d* aq)^ oi TcgoXikomev 6
nXovxog \ ^OQ%6yLBv6v xs xal ^sXtpoiig, \ iXim (jlIv ifL&v dv-
vavxai diatpigeiv^ \ JiJAp S* ovS\ etg. 39: iXX* & 7taQ%iv{s)
aixdyysXa, \ xov filv Tcoiritov äxoiioi^ev, \ öl dl ^rixovvxeg
ovx BVQoyLBVy I ovd% xh Cfifia xb Midov. || vSaxa d' ixBlva
xal devdga \ ixi filv väBc xb xal &dXXBi, \ XQ^^P ^^ ^^^
xavxa I [uxä x&v aXXav ioixsv iniXBitl^siVf \ d)g Midag^ hg
nag^ivog. 40: xq6%ov [ilbv ^EXXr^vcaVy \ xvx^S ^^ ^P(o-
^aifov. 41: xal ydg ^v vB(iB6fi\xbv xbv avxbv avdqa \ vvv
yL\v iv %Boig XiyBiVy \ vvv d' oi5d' iv av&Qfhnoig. 45: dXX*,
& Alyijixi^oC XB xal Ka^ßvöi^, \ bÜx^b) aXXog xtg ^v 6 xavxa
na^div I Bh{B) aixbg^A^aöig ^v, | x'6nog ^v avacfwg aöaQXog
afvxog. Unter den die Klausel der Kola bildenden Rhythmen
treten folgende besonders hervor: 1) Es dominiert der uns
schon bekannte a) ^ ^ ^ -t g: TömaH), sowie in der Form b) j: v^
^ Kj j. o (cf. esse videatur) 13 mal, c) in der Form jl ^ 1. y:, ^ 3ma1y
in der Form d) vi u v^ ^ z 7 mal. 2) Die verwandte Klausel
a) j. Kj i. JL sj ^ findet sich 26 mal (durch die Wortstellung be-
merkbar § 6 inb lihv xov ^bov ßaöiXBvg^ imb dh x&v ^EXXiivav
dvTjyoQBv^ij 6oip6g)y in der Form b) j. ^ 1. y^ sj ^ 1. 7mal (deut-
lich z. B. 40: BXBQOi S\ iöxaöi xal yiyvdföxovxai, xi^v dh ixi-
yQaq>iiv Bxovöiv ixigav). Man lese für diese Klauseln z. B.
folgenden Satz: § 40: i&Baödfiriv xal xbv ^AXxißtdSriv xbv xaXbv
xbv KXblvIov {j. \j -d ^ _) . . . . ixLyQaify^v ixovxa XaXxo-
xoytovog {j. ^j 1. j, J)^ \ bxbqov di xbqixbxoiil(ibvov xh x^^9^
{1 Kj ^ - JL J)y \ bg iXiyBxo xfjg IloXvxXiovg xBxvf^g Blvai (1^1.
j. _)• II 5Qa(ia ÖBivöv {^ ^ _ J), \ & F^ xal "HXiB (2 . _ u ^), j
'AXxißiddfjg XBXriQafidvog (-: ^y :. / u ^). || oida d^ iycD xal ^Aq(i6'
diov Tcal ^Aqiöxoyeixova SovXBvöavxag iv ÜBgöaig^ \ xal Afiinj-
1) Die Partikeln rc xal hat er nur dreimal, darunter einmal (§ 45)
dem trochäischen Rhythmus zuliebe (cd Alyvntioi xs xal Ka(ißvari\ zweimal
jener Klausel zuliebe: 25; donelv n xal tlvai, 36: 'Ogiofiepov rs xal
dilffovg.
426 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
rgiov nevtaxoöLOvg ävögtavtag xul xil^ovs {jl ^ i. i. ^ \) \ iiiä
Tcal xfi aitfi ^fi^p« xavtag xa^yQti^iyovg (z w i ^ u ^). 3) Die-
selben Klauseln^ doch statt des einen Creticus ein Choriambus;
B>) ± sj yj 1. JL ö 16mal; z. B. § 16: &XX' oCt(£) &%id(fa (z u u >.) |
ovx{e) inaxBCffviöiv {j. ^j ^ ^ ± J) \ oCO*' ZXmg ifidXXrjös (z w j.
j. J)y § 42: avd'Qtojtog ä^aidevrog (j. ^ kj i, z J) \ Tial iiijdevbg
XG)v xaX&v nBTCsiQai/Livog {j, ^ y. x ^ ^)y b) ji u u ^ j: u ^ 5mal,
z. B. § 34: &ÖXSQ &v et ttg tbv i^Xi^riiv q)airi xa-O*' aitbv (ilv
eizaxtetv (^ «^ ^ z .) \j iv ö\ tp ötadip xal jtaQä tbv äyrnvo-
%'ixriv xXfj 1^116 Xstv {j, <j <j i. j. sj i.), c) z^ui.v^wv^i. 2 mal:
§ 27: ä)g oidlv tb natdev^tlvai tov ^vvai jtgbg tb doxstv dia-
q>dQ£i, § 32: diaßoXilg y&g ivexa x&v ZGntQdtfjg atri t&v vdmv
diaq)^OQSvg {i. ^ j. ^ j. kj J) \ xal xävrtov t&v iv iv^Qcmoig
vo(iiiofisv(ov &vat(fox£'6g (-t vy ^ j. v^ ^ v^ i), | inb t&v Q'b&v
&Qx6^svog {j. ^ ^ j. ^j sj ^j d)^u2.zuu^ 7mal, z. B. § 23:
xal dixatov töcog ictiv {j. ^ kj i s J), \ &6ns(f ixetvoi ti(i&6i
tilvfiijtQÖJtoliv (z v> j. z V-» w o), I oik(0 xal {}(iäg ta ttlg &%oir-
xlag rflg viietdQag igya {j. kj ^ ^ j. J)j \ (jSt 3t/> xal&g IxVi
(iLlietö&av {j. ), § 24: sl dd tig oi Asvxavbg &v
(x u V-» X « « ^ _), I akXä ^PayLatog (x u i. -t v^), | oidl tov äAi}-
^ovg (ü ^ i. z _), I akXa x&v IjcjcotQÖgxov {j, ^ l j. ^ \j i.),
4) Nächst diesen Klausehi ist weitaus am häufigsten der Ditro-
chaeus a) ^ vy - ü: 30mal, b) v^ v-» ^ _ c 5mal; c) mit Spondeus
statt des ersten Trochaeus: j. o 22 mal. Hinter diesen
Klauseln treten andere weit zurück, z. B. der vierte Paeon § 5:
bv oC ^Iv ^EXkr^veg tvQovvov ixdXovv (vy ^ u ji), | oC dh d'sol
ßaöLkda (z v^ ^ ^ o ^ vy vJy), derlonicus a minore § 6: oid* ^Avti-
oxog 6 d^ebg incxXrj&aig (^ ^ z ^) | o-ödi Mid'Qtdatijg (^ <j
^ ^) I 6 Jiövvöog (y ^ j. v^), der Dochmius sehr wirksam § 29:
tb (ilv €v9i>g ivötf^vai v6(imov töcag xal noXitixöv (^ ^
j. yj J)j I tb S" v6t€Q0v iX^övtag tijg iva^döBtog ivaXvsiv xbi-
Quöd-ac tä dedoy^ktva^ "AnoXXov ßagv {y j. j. ^ ^). Am stärksten
rhythmisch ist, wie es seit den alten Asianern üblich war (s.
oben S. 135; 3), der Schlufs der Rede, der so recht deutlich die
Worte des Philostratos in der Vita des Favorin (I 8, 4)
illustriert: sd'Blys dh aixovg xal tb inl naöt (die peroratio) tov
Xöyov^ b ixstvoi fulv adiiv ixdkovv^ iyh S\ q)t,kotiiikLaVj isCBidi^
totg inodedeiyndvoig iq)Vfiv6txai: er mischt Prosa mit Versen
(wie auch § 8; 11; 44), wie Agathon bei Piaton (s. oben
Neoierismus (Asianismus): Fayorinus. 427
S. 74) und wagt es, je eine ionische und eine dorische Form
in seinen eigenen Worten beizubehalten; er redet die gestürzte
Statue an: & Xdyoov i(ji&v öiyrilbv atdcnXov ov q)aivi] (s ^ l
j. ^ 1. j. J)] I oidl yuQ 6 JtQO 6ov ^Agiöririg (^ ^ ^ u «). || &d6
y&Q i6%B xaxeivm (^ ^ i. ^ _), | &g iiiol Blxdö^ri (j. ^ j, ^
), H ävaatiivai (liv aircbv inb r&v IlQOXovvijöiosiv (z w jl jl
Kj 1.), I ifpaviödijvaL SQ) vTtb t&v ixd'Q&v \ X6yov d^ imb r&v
axn&v Tovtmv dtadod'flvat, (o^uz_), | d)g oihs göv ovt£
tsdvsag (pa£vovt(p) ^AQi6xirig, || &XXä xal x6xb xal vvv
{j. Kj ± ^ \j j. S) I xal Ttgbg anavxa xbv xqövov {j. kj ^ s ^j jl
v^ J) I i^Tj ^ÄQi^xirig (^ x yj j. ^ j. oder: s ^ kj j. ^ J).
^vdösöd'ai xiva q>a(iL xal bxbqov a(iiii(ov^
jtdvv y&Q xal&g sIjcbv i^ Sa%q>A {j. sj ^ ± .)* xal TtoXv xdl-
qyijfiri d* oUxig nd^inav iitoXlvrai^ ijvxLva Xaol
nolXol qyrjfii^fDöL' ^EÖg vö xCg iöxc xal ccixij.
iyü 6s dvaöXTJöm nagd xri %'Bä {j. ^J ^j j. ^ S)^ \ Z^ev bvöeig
6e fti^ xa&iXfj (z ^ ^ u v-» _), | oi öBiö^ibg oix dvsfiog {j. ^ 2
sj ^ J)y I oi vtq>£xbg oix Sfißgog (vi ^ ^ 1 z *^), | ov {pd'övog
oix ixd'QÖg (j. yj ^ ^ z J), I iXXä xal vvv 6e xaxaXafußdvo
iöxr^xöxa {j. sj x ^ j. ^ J). Xd&a filv yäg fjdri xiv&g xal^ixa-
Qovg (j. ^ 1. j. ^ 1.) I 6ö(ptiX€ xal^iipsvöaxo (z ^ i. -t w ^) \j
yvd)(iri d^ avÖQav dyad'&v oidiva (z ^^ w x ^ u ^^), | fl xax* äv-
dga iioi (^ vy -d u _) I dgd'bg söxrixag {x sj i j, J).^)
1) Stilistisch ähnlich dieser Rede ist die zweite pseudodionische Rede
ntgl tvxris (U 328 ff. R.). Sehr stark treten die 6iJL0i<niXivta hervor, z. B.
gleich im Anfang: &%ovaais 9' ctv altimy^ivünv ai}%r\v xal yeeo^yd&y xal i{kn6-
pmv, xal nlovaloav inl totg XQVC'^^'' ^^^ xaXdv inl totg crnftaaif xal Tlav^tUtg
inl tm Avdgl xal Kqolaov inl ttp nccidi^ xal 'Aatvdyovg i^rrri^ivtog %cil TIoXv-
yigdrovg iaX<o%6tog. xal Tligaai 6h iitifitpovro ti}v tv%riv nerä trjv Kvqov
atpayiiv xal Ma-Ksdovtg fistä t^v 'AXa^dvögov teXsvvi^v, Anwendung syno-
nymer Worte für den isokolischen Satzbau: § 19: tlg &v nots ijXniasv 'Iv-
d&v &Q^siv novQia^ Avd&v ßaatXtvanv noifisva, rfjg 'Aalag iiyBfiovevativ yv-
vatyia; Charakteristisch ist der zerhackte Satzbau, ganz wie man ihn aus
dem Diatribenstil des Bion, Teles, Seneca etc. kennt (s. oben S. 295 ff. ; an ihn
erinnern auch die eingemischten Verscitate, das axfj fia ^eccvQinovli), gelegent-
lich auch mit deutlichem rhythmischen Fall, z. B. 11 (die Tvxr} rettet auch den
Odysseus auf seinem Flofse): ti Sidomag, m dslXs (j. v^ 2. 1 ^); tb fii)%og
tfjg ^aXartrig (foß^ (j. \j 1 j. ^ l); ^crai (liv as 6 noand&v xal naQu-
^aXicBi xovg dvif^ovg xal triv VQiaivav Aij^crai xol ndcag dgo^vpsl tag
428 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
5. Himerios.
Seine 2u derselben Zeit, als Libanios im Osten der anireselienste
'heorieen. . °,
Vertreter der archaischen Eloquenz war, behauptete in Athen
Himerios mit grofsem Erfolg die Professur der modernen So-
phistik. Während Libanios durch den Reichtum historischer
Notizen für die politische Geschichte von grofserer Bedeutung
ist als für die Literaturgeschichte, ist das Verhältnis bei Hi-
merios umgekehrt. Dieser Mann hat es verstanden, die positiven
geschichtlichen Angaben durch die Phrase grundsätzlich zu er-
sticken: es wäre ja auch unfein gewesen, von den Dingen des
gewöhnlichen Lebens unverhüllt zu sprechen; als Rhetor vertritt
er eine dem Libanios entgegengesetzte Richtung, deren einziger
Repräsentant in jenem Jahrhundert er für uns ist.^) Er ist der
Vertreter der Modernen; unter seinen c. 80 Reden sind nur
vier bis fünf, die sich mit den althergebrachten Stoffen aus den
Zeiten der Perser und des Demosthenes beschäftigen, und man
mufs sagen, dafs dieser Sophist proteusartig genug war, um sich
mit Erfolg auch im Stil des Demosthenes (ecL 1 und 2) und
des Aristides (or. 2 mit Benutzung des Panathenaikos) zu prä-
sentieren, was Eunapios (v. soph. p. 95 Boiss.) und Photios
aiXXag {jl ^ )' oi)% änontsvet dl ai {^ ^ - kj j, ^ ^), ij tv%Yi yccg
oi ßovXstai. (i Kj 1 JL sj l).
ovtas vvv nana noXXcc na^mv aXoo xara Ttovtov,
tlc6%sv &vd'Qmnoiat SiotQB<piBaei (uysirig.
&SOV Xoyog vn6 tvxrig vsvinTiftivov (i \j }^ j. ^ i). Solche kurzen ini-
(pton^liaxa des Redners zu Versen, die er citiert, auch § 16 f: sie beweisen
übrigens, dafs die ähnlichen Ausrufe bei Teles p. 12, 4 ff.; 18, 15 Hense
nicht, wie nach Cobet auch Hense annimmt, Bandbemerkimgen eines
Lesers, sondern echt sind.
1) Über die andern können wir uns nur theoretisch unterrichten durch
Eunapios, der leider nicht, wie sein Vorgänger Philostratos, Proben an-
führt. Charakteristisch ist z. B., was er von einem hochangesehenen So-
X)histen dieser Zeit, dem Prohairesios, sagt p. 83 Boiss.: ä^x^vai 6 IIqü-
aiQBOtog Xiysiv (vdrjv, %arcc tbv %(f6tov &va7cavo)v Ixdffirijy nsgiodov^ was
BoisBonade in den adnotationes p. 370 richtig übersetzt: singulas periodos
sonoro qnodam verhorum concinnorum amhitu claudens mit der Bemerkung:
nQ&tog hie est verhorum concinnorum in fine sententiae exquisita dispositio;
alibi vocatur ^x^S'^ ^^ diese Bedeutung von %Q6tog führt er p. 346 f. noch
zwei andere Stellen aus Eunapios an.
Neoterismus (Asianismns): Himerios. 429
.(cod. 165) von ihm rühmen.*) Aber er fühlt sich nicht wohl
in diesem erborgten Mantel , mit eitler Selbstgefälligkeit hebt
er oft das *Neue' seiner Reden hervor, so or. 21, 3: atgoito
d* av 6 xvQöbg ofrtog (er meint seine Reden) ava xal xarav-
ya^oi xä ölifucavta^ sl fii^ rotg ag^aiotg ael xvxoig oi xoitital
t&v k&y(ov ötdgyouVj iXV asC ri öaidaX(ia viov ixivoovvtfg
t$xtaivovtai. Der Stil dieser Reden lafst sich kurz und bundig stii.
charakterisieren. Wenn wir bisher von stark poetisch gefärbter
Prosa sprachen, so würden wir mit dieser Bezeichnung den
Reden dieses Sophisten nicht mehr gerecht werden: Poesie in
scheinbarer Prosa ist der richtige Ausdruck. Es ist ja bekannt,
dals wir den inhaltlich sonst so trostlosen Reden dieses Mannes
viele wertvolle, zum Teil ausführliche Fragmente der alten Ly-
riker, von Alkman angefangen, verdanken.^ Anakreon und
Sappho sind seine speziellen Lieblinge, aber geistesverwandt
f&hlt er sich ihnen allen'), viel mehr als den attischen Rednern,
über die er or. 11, 2 eine unverschämte Bemerkung macht. Es
giebt fast keine Rede, in der er die Musen nicht anruft, ihm
beizustehen; durchw^ vergleicht er sich mit dem Singschwan,
der Nachtigall, der Schwalbe, der Cikade; seine Reden nennt er
nicht so häufig Xöyoi wie v^voi, (liXti, möaC und entsprechend
'redet' er nicht, sondern iuvsl, adei^ ngaoadii; einmal (or. 14, 2)
tpricht er sogar von seiner tpoguiy^j wie er es überhaupt liebt,
seinen %OQtvxaC (so nennt er seine Schüler z. B. in der ganzen
20. Rede) sich als ^AndXlov Mov6ayixrig hinzustellen. Ich will,
um das Gesagte zu veranschaulichen, nur ein paar beliebig
herausgegriffene Stellen hersetzen. Or. 3 Auf: xatQt fpikov tpdog
XUQUvxi iiudiöov XQ06GMO. {liXog ydg xi Xaßiav ix xr^g Xvgag
sig xr^v öi^v ixidfifUav nQOöaöoiiai, ^deag [iiv av xsiöag xal aih-
xovg xavg Xöyovg XvQav fioi yivi6%ai xai xoCrfiiv, iva xi tunä
öov viavuv6(0{iai^ &Motov Zifiefvidf^g tf UCvöagog xaxä ^lovvüov
xal ^j4%6XX(ovog' ixtl dl ayiQOjipC X£ ovx^g xal vpavxBvsg a^txoi
xe xal i^G} iuxqov &^vqov6iv^ iXiya xagaxaXioag xr^v %oiri6iv
dovpa£ fioi Xi iiiXog Tijtov (xavxt^v y&Q tpiXö ri^v iioikfav), ix
1 Von Piaton kennt er, wenn ich nicht irre, nur den Phaednis. den
l^i allen Spateren hffViehUiaten Dialog, au.^ <i»?m er <He dithyniinbiscb'-u
Partieen oft fast wörtli'.h abschreibt.
2j Cf C. Teaber, Quaeetiones Ilimenanae. Di«». Breal. 1^^2.
3, ^ilop ^liov itoiTitAv xoffov n*fnnt er -ich or. 4, 5.
430 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
t&v istod'itoav t&v ^AvanQiovtog tovt6v 6oi (pigov tbv vfivov
iQXOikai^ xat ti xal aixbg ngoöd'slg tp atSiuati, & fpdog ^Ekkr^vciv
TcaX t&v Z6oi TLaXkaSog Ughv öoxbSov Movödcov x aXör^ i/£ftd-
lisd'a {nsld'Biq yäg ^di; toifg köyovg xal iiskri (pd'eyyeö^aL), igxx'
vrjg '^fitv, iq)ävrig u. s. w. 4, 3: iiEkk(yv6i di ot k6yoi, Mov6&v
6tadloig ivaao8vB6t(!ci. ib. 8: &<Sxbq tivl d^ep xaiava ^ ßQccxv
ti ydlog JCQOöadsiv aircm i^Bki^öoiisv. 11; 1: x^^S &ßQoi fiovay
f^v ^ImvCav nQOOBÜtoiuv . ., vvv S\ aitolg nakiv tbv ZQd'iov
völkov TCQOöaöfDiksv. 12, 1: t^v Qgav t&v kdymv X6ym xoöfiT]'
öcDfUVj iva %a%ditBQ vk6 tLVi Xvqcc t&v Mov6&v neksL tag
'Eqiuov diigag dvoi^caiusv. 14 , 5: adixovöd (A€ t&v köyov i}
tixvtj oi kvQuv iSCda^BV ov8% ßdgßnov, iXXä tä xs^ä tavta
XOQBVSLV tatg Movöaig. 15, 1: &g '^dv ^oi niktv rö d'datQov^
Xogbg iy^ig, t6ov d\ bIjcbIv xal Movö&v, jcbqI t^v '^fiBtigav avd^ig
kvQav dysigav öxigti^fiata. ib. 2: bei ihm gebe es nicht Arie
bei anderen Sophisten Prügel, sondern er führe seine Schüler zu
den Wiesen und Quellen der Musen und statt Schlägen biete er
ihnen Gesänge (aöfiata), 18, 5: dkk^ & fiovöixk "Anokkov {xaC-
QBig yäg ol^at xal 6v noirit&v iiiivoi^ ocakov(iBvog), & Mov6&v
^EkixmvCSmv X'^Q^^y iiiJTCOtB '^[lag köyovg noiovvtag ngokstTcritB,
akkä 7C&V iv iiLXQOtg ^BdtQoig xav iv ^sydkoig xoqbvo^uv^ navta-
Xov ti^v (lovöixiiv övvBQydiBöd'B. Es versteht sich, dafs, ent-
sprechend solchen Aufseningen, das Kolorit seiner Rede durchaus
poetisch ist; nur eine Probe: or. 14 (auf Herrn ogenes, den Pro-
konsul von Griechenland), 35 ff.: nachdem er seine Muse an-
gerufen hat, sich beflügelt zum Himmel emporzuschwingen, fahrt
er fort: ^k^sg i^iol ykvxv tB (pdog xal ^BikLxoVy bnotov ^Em6q>6-
Qog ii^v dvd'Qmjcotg ikayLijjBv iiQivrig '^inigag äyyBkog, fjkiog dh xard
fiBötifißgiav lötTjöB totg iv %etf(&i/& xdfivovöLV. iyh di 6b xal inl
^IctQOv divaig Bti futä t&v xvxvtov t& Movöriyitti ;|^o(^£voi'ra
xal lästv ixöd'riöa xai rti^a i^i^tow xal aitbg ti%vr^y 8i f^g
aQ^Blg dtp* ^Ekkif^vciv {möxtsQog ^iBtdQöiog ixBtöB xitofiaL. akkä
yaQ i(pd'tigj & (piks^ tovg ii^BtBQOvg xöd-ovg' lÖBi ydq BSbi 7ca6i,v
ixkdfitl;aL totg ^Ekkri6L (liya tB ovtfo xal xdkhötov d'dafux.
dkk^ if^ikto yaQ aitolg totg d'BOtg ti (iLxgbv in^Q 'Ekk'qvcjv
B&iaö^at' xak& dl ng&tov Big Bix'fiv tag ifiäg d^Bäg tag Movöag.
^ jdibg jcatdsg, itB ttB Movöai XQ'^^^^'^^Q'^Y^^ (btcblöi ydg fio^
xai ti Tioiritixbv elg x)iLäg dvaq>d^dy^a6^ai)j BÜtB xa^' 'Ekix&va
xal IIiBqCav ayM ^Axikkmvv tbv x^QOV il^BkctTBtB ykvxv ti xal
Neoterismas (Aaiani&mus): Himerio«, lV«Xoiu>|\h<vn. -|%U
kiav 6^v vv^q>atg ixBt Katfralieiv id^Q^xf^ ^ xar^ roiV **''rr«'
xovg Xsificivag [md^Bvai exitpdvovg x^ Movtftiyitji (fv^mX/Hn^*
iXd'sre sixiig ixi^xooi. xaiixtig^ 1)1/ iitlg '&7A»ji*a>i> fl^^jofinr»^ mx)
rövds rbv ävöga doifirs ixl xkstöxov xäg rC^v vifoiv t^O'tSp^iv
&yiXag^ Iva 9cal ä6vxi(fov xal XQirov XQdcrilifog of kAytn roilff^i
67Csiö(06lV.
B. Das Froömium des pseudoxenophontoisohon Eynogotlkoi.
Die Untersuchungeu über den Kyncgclikot liut kMrxIioli
L. Radermacher im Rhein. Mus. LI (IHUÜ) 50(1 AT. und LH
(1897) 13 ff. erheblich gefordert. Ich hallo für Nichnr, darN or
nicht von Xenophon herrührt^), dafs er aber doch in uinnr Zoll
verfafst wurde ^ als die Frage nach der philosopliischon odnr
sophistischen xaidsia aufs lebhafteste und mit dor ganzitn Kt'
bitterung, die uns aus Piatons Schriften geläufig ist; bDliandult
wurde ^); da sich femer sichere Spuren altkynischf9r Lidini
finden^), so folgt, daCs die Schrift von einem Zeitgenossen tUm
Piaton, Antisthenes, Isokrates und des Xenophon si?lbst vfirfaTiit
ist; sie wurde, wie andere Essais jener Zeit^ auf X^rnopbons
Namen gesetzt und als zenophonteiseh schon in die al^^xandriiii-
sehen Kataloge eingetragen« Aber nicht die Schrift msWmi g<;lii
uns hier an, sondern das Proomium. Iiadi;rmaeb«r (U e. 20 tt.)
hat nachgewiesen, daf^i es ganz anders §tilu$iert ist als lii^
übrige Schrift, er hat ferner diesen Stil als 'asiaiiisch' b^>fii;bri^i$
1 Von d^fo ia^hlicfaen Ar^ptmßmUfU Vrib H'n, Vrtl« *fi4*ff*rr KaI n/t/;h
i VvB Kjüiv^j iaft Ii«n3i IXT t'rt^* ^^A f x«^/A(r*iu^ «rvi«»*^. m-m'
432 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
in beiden Punkten ist er (cf. p. 36) mit Usener zusammen-
getroifen^ der kurz vorher in den Griechischen Gottemamen
(Bonn 1896) 158 ohne nähere Begründung dieselbe Ansicht aus-
gesprochen hatte. DaTs nun ein Proömium anders stilisiert ist
als eine Abhandlung selbst, zumal eine technische, ist ja nicht
nur nicht auffällig, sondern nach einem durchgängig befolgten
Prinzip des Altertums selbstverständlich^), aber dies Proömium
ist, wie jeder Kundige den genannten Gelehrten ohne weiteres
zugeben mufs, so stilisiert, wie es für Xeiiophon, bezw. einen
Autor seiner Zeit, völlig undenkbar ist. Badermacher urteilt
(p. 36), vor dem III. Jh. v. Chr. dürfte das Proömium schwer-
lich entstanden sein; er denkt also wohl an die ältere asianische
Schule und zieht daher Hegesias zum Vergleich heran. Es läfst
sich aber aus dem Stil beweisen, dafs das Proömium ein
Produkt der zweiten Sophistik ist: wenngleich ich in der Ver-
wertung rein stilistischer Momente für eine chronologische Be-
stimmung die äufserste Vorsicht für geboten halte — es ist dies
in den vorliegenden Untersuchungen das einzige Mal, wo ich
davon Gebrauch mache — , so dürfen wir doch, glaube ich, in
diesem Fall ein sicheres Urteil abgeben. Die ersten Worte der
Schrift lauten: tb fihv svgrjfia d'e&v, ^Ait6Xkmvog ocal ^j^Qrdfiidogj
ayQui xal xvveg, also statt zu sagen: ^ ^Iv xvvriyeöia *An6lkanfoq
xal 'j^Qtiiitdog svQrmd iötcVy zerteilt der Vf. den Satz in drei kleine
Teile, die in ihrer scheinbaren Einfachheit doch das höchste
Kaffinement verraten; ib. 3: ^avua^iro dh yLtidsCg^ 8r& ol Ttokkol
avT&v igdöHovreg d'sotg Sfimg ixBksvxri<Sav' rovto (ilv yäg ^
(pvöig' iXk^ ol ijcaivot airöv ^sydXoi iyivovxo' (iridl Zu oi) xal
ai avxal fikixiar 6 yäg XeCgtovog ßlog nä6iv il^if^QXBi^ und so
durchgehends. Diese affektierte Anspruchslosigkeit ist aber ge-
rade eine der hervorragendsten und widerlichsten Eigentümlich-
keiten im Stil der zweiten Sophistik, die sich ganz natürlich aus
dem Streben nach graziöser attischer, speziell xenophonteischer
aq)ik£ia und dem Unvermögen, sie ohne Künstelei zu erreichen,
erklärt. Dafs in solchem Stil ausschliefJich Vertreter der sog.
zweiten Sophistik geschrieben haben, kann ich mit gröfster Be-
stimmtheit versichern. Für diese aber giebt es massenhafte Be-
1) Dringend erwünscht wäre eine Untersuchung, in der das im ein-
zelneu nachgewiesen würde.
Neoterismus (ABianismns): Ps.-Xenophon. 433
lege, so, um einige herauszuheben, Philostr. imag. I 4: 07iß&v
nlv ^ xoliOQxiaj rö yä(f retxog hctdnvXoVy 1} 6tQ(xxiä d\ UoXv-
veUr^q 6 Toi) Oldiitodog, ot yäQ Xöxoi kcxA. 11: %Qv6ä t&v
*HXidd(DV t& ddxQvay ^add'ovzi Xöyog ainä ^atv. 11 2: vißqog
xal XayAg, xavta d'riQdfuxta xov vvv ^Axikliag^ 6 Si ys iv *IXip
nöXsLg a[(fii6€i. 32: 6 (ikv xä^Qog ^AqKadCay xh xdXXi6tov ^Aq/Ka-
dCag xal S {kakifSxtc 6 ZBi>g x^^Q^^ — ^OXv^Mclav ainh dvoiid^
^oiksv — , ad'kov dl oi^fD ndkfjg oidh TOt) xaXaisLV ifcog^
dkk^ iöxai. Die zahlreichsten Beispiele bietet der von Süfslich-
keit triefende Aelian, ein paar ganz beliebig herausgegriffene
mögen es zeigen: h. a..I 5: 6 lx^'i>g 6 XQmxtrigj x(y&cov fihv xaxri-
yoQst xi[v q>v6iv ical xb 81/Ofia, fjdri dh xal xb öxöfux. 28: 2k-
nog iQQiniiivog CtpfpcSiv ydvsöig i6xiv. 6 ^hf y&g (moCi^sxcu, ix
dl xov iivsXov ix3tixovxai ot diJQsg o^ot, äxiöxov ^d)Ov nxrivä
ixyova^ xov Zitnov ot ö^pfptBg. 57: ksvxhv d^qCov 6 xsQdöxr^g'
itSxi d\ üffi^gj xal imkQ xov (iixd)nov xiqaxa ix^i diioj xal ioixa
xolg xov xox^iov xä xi^axa^ od fiijv iöxiv üg ixeivc^v iatakd.
11 6: xi^ x&v daXtplvmv tpiXofMvöCav xal xb x&v aix&v iffoni-
x6vj xb iilv aSov6i KoqCv&ioIj xal 6[iioXoyov6i>v aireotg Adcßioij
xb dl ^lilxai, XII 37: olvox6ov ßaöikwodj Tcal ^v ßa6il6i>g
Nixo^iiidrig 6 Bidvv&v, iXsxx(fii(ov i}^a<T^, KdvxavQog tivofuc, xal
kiysi OiXav xovxo. Aus den Erotikem dtiert Badermacher
selbst (p. 28) als ein Beispiel solcher &q>dkBia den Anfang des
Bomans des Achilles Tatios: Si^diov inl ^uXAtxji n6]ug^ 'Aöövqüov
fl d'dka66€Cj f^^^P 9oivix(ov ^ xöXigy 0rißai<Dv 6 dfliu>g natii(f.
Jenes Proömium ist also der in xenophonteischer Art mit iyio
(ihf oiv jcaQaivA xxk. (1; 18) beginnenden Schrift über die Jagd
von einem Vertreter der zweiten Sophistik vorangesetzt worden;
das ist^ denke ich, recht verstandUch, denn der Gegenstand hatte
damals nicht blols Xenophons halber Interesse: man denke an
ArriaU; der, wie es scheint, das Proömium schon las (Rader-
macher p. 26), an Pollux, der das fünfte über die Jagd han-
delnde Buch seines Lexikons dem Kaiser Commodus als Jagd-
liebhaber gewidmet hat, an die vielen Jagdgeschichten Aelians,
an Philostratos d. J. imag. 3 und an Pseudooppian. Auch auf
die längst beobachtete merkwürdige Konkordanz des sonderbaren,
echt sophistischen Heroenkatalogs (1, 2) mit dem des philostra-
tischen Heroikos fällt durch diese Zeitbestimmung wohl neues
Licht: derselbe Geist hat beide Produkte gd" l früher
Norden, antike Konttpros».
434 Von Hadnan bis zum Ende der Eaiserzeit.
den Katalog des ProömiumS; den Philostratos zu kennen scheint.
Über die Stilisierung des Pro'ömiums hat Radermacher eine
Reihe treffender Bemerkungen gemacht, z. B. hat er auf die Ver-
kehrung der Wortfolge (wie 10: 9ri6€vg dl toifg (ilv t^g ^EkXa-
dog ix^Qovg nier^g ^6vog iac&kB6B) und auf die starke Rhyth«
misierung hingewiesen (ältere Erklärer haben Verscitate in
dieser Prosa gesucht), obwohl er mir darin im einzelnen z. T.
unmögliche Prinzipien zu befolgen scheint (vgl. Anhang 11)^);
man braucht, um den Rhythmus zu fühlen^ nur Sätze zu lesen,
wie etwa die beiden folgenden: 7: Ne6tOQog dh ngodieXi^Xv^sv
ij igsrij {j. ^ ^ jl^ yj J) \ t&v ^EXXif^vmv xäg ixodg {j. ^ jl ^
^ u v^ _), I &6rB eldööiv &v kiyoinLv {^ x ^ sj j. yj ^ J)^ 14: Ma-
Xdcov äl xal üodalBiQiog xaiStv^ivtsg tä cdrä ndvxa iydvovto
ical ri%vag xal Adyovg Tcal xoXdfiovg iya&ol (j. yj ^ j. u ^
j. \j \j j. \j \j
O. Die erotisohen Romane.
Poetiicbe Sie siud, wie nach Rohdes AusfiihruDgen jeder weilÜs, von
Rhetoren verfafst und nur in engem Zusammenhang mit der
rhetorisch -sophistischen Bewegung zu verstehen. Senecas Kon-
troversen lassen sich durch die griechischen Erotiker, diese
durch jene kommentieren.^) Die Stilgattung selbst stand an-
erkanntermalsen auf der Grenze von Prosa und Poesie: von den
erotischen Werken des vielleicht noch in voralezandrinischer
Zeit lebenden Asopodoros heifst es bei Athenaeus XIY 639 A:
x& *j46(oitodd)QOv xbqI tbv igana xal nav tb t&v igmux&v ixi-
1) Doch beobachtet er 27 mal (??) den Ditrochaeus als Klausel. Dazu
kommt w G X - G 8 mal.
2) Rohde hat das festgestellt. Ist schon folgendes bemerkt? Bei
Achilles Tatios versichert die aus den Händen der Piraten befreite Lenkippe,
dafs sie Jungfrau sei, was ihr Thersandros, ihr neuer Herr und Liebhaber,
nicht glaubt (VI 21, 3): nagd'ivos ov; m t6Xiirig nocl y^X«Mroff. na(f9'ipo9 to-
eovxoig avvvvursqsveaaa nsigatatg; sivo^x^^ ^^^ ysy69a€i9 ol tjiateci; fptXo-
c6q>(ov fyf xb srct^omfpto«' ; o^del^ iv a'bxotg bIxbv ötpd'aXiiovg; Damit ver-
gleiche man Seneca contr. I 2 : ein von Piraten gefangenes, dann an einen
Kuppler yerkaufbes Mädchen will Priesterin werden, da sie behauptet,
Jungfrau geblieben zu sein: drei Rhetoren führen höhnend den röfros aus,
wie eine unter Piraten ihre Jungfernschaft bewahren könne (4; 9; 11
cf. 20).
Neoierismus (Asianismus): EroÜsclie Romane. 435
6tok&v yivog iQcouxijg rivog di& X6yov xoiTJösmg iöxiv.^)
Die Byzantiner schwankten^ wie sie diese Schriftsteller nennen
sollten: Thomas Mag. (s. v. &vaßaiv(o) nennt den Achilles Tatios
fi^OQ; Michael Psellos de Heliod. et Ach. Tat. fab. (gedruckt
in der Ausgabe des Ach. Tat. von Jacobs, Leipz. 1827, p. CVI ff.)
urteilt über ihn (p. CX): f^dig ^liv iffn r$ Xd^si ocal rg eiöroiiia
Toi) ^tlTOQ6i5fSavtog. xaXbg dl r§ {nfnfyoQia xal t^ doocstv Tcat* ffi-
lUXQOv nByaXfjyoQiag (sie) tä noXXä övyxetöd'at, Theodoros Pro-
dromos und Niketas Eugenianos haben ja ihre Romane wirklich
in Versen geschrieben und Eustathios mischt in den seinigen
in unausstehlicher Weise fortwährend Verse ein. Für den Stil FigmrMi
aller dieser Romane gilt im allgemeinen das, was Hermogenes Bh^^u
ns(fl Ide&v n 368, 28 ff. Sp. so formuliert: 6 xegl ijdov^g o^og
xal ykvxikritog ^firv ^d'slg köyog 6 cebtbg &v stri dijjrot; tj3 xbqI
aßgötrixog Tcal xcqI rov ÜQaiov Xsyoiiivov X6yov ocal et ti toi-
ovt&tQOJCOv. ravta y&Q olfiai. xdvta xal tä toiavta dvö^ati
diakkdrtSL iiöv^j i6ri d\ tä aircci 5tav yäg ^rot igotixöv ti
ivvöfifia Xiy(oiA€v ^ xal t&v &kXa)v ti t&v ISüov ykvxtitritog^
lud'odevcoiABv te ovtmg xal iQfLriv6va)iisv di ixid'itfov xal not-
rjtix&v dvonAtmv, 3CaQi6&fidv ta totg 6xiJii,a6Lv i\ totg
x6koLg ^ xal &kXm tivl xdXXovg Idlm exi^fiati. i^ayyiX-
iloffci/, Cwtid'&iiiv ts ovtmg^ xal t<ybg (ikv ^v^^oi^g noi&(uv
6€^voi}g &IIM xal xaXoiig^ tag S\ ivaxav6sig tfBfiväg 6fiov xal
iq>sX£tgj i)Qatog xal äßQbg xat* ävayxviv fi\iXv 6 X6yog ylvBtau
Im einzelnen haben diese Schriftsteller') es verstanden, den Stil it^piXua
den verschiedenen Situationen anzupassen. In den erzählenden na^tixia
Partieen schreiben sie ganz einfach, entsprechend den für das
dii^riiuc geltenden Schulregeln: kleine Sätzchen, kein gesuchter
Rhythmus, kurz alles, was die Theoretiker (z. B. Aphthonios
prog. p. 22 Sp.) für das Oenre des iq>sXig und Xn6v ver-
langten^; natürlich verfallen sie auch hier nicht selten in den
1) Gf. F. Susemihl, GeBch. d. griech. Litt, in d. Aloxandrineneit II
(Leipz. 189«) 677, 9.
2) Xenophon von Ephesos ateht bekanntlich stilistisch aufserhalb dieser
ganzen Gesellschaft. Auch bei den übrigen sind natfirlich die Grenzen des
Könnens verschieden: am besten hält Longos den Ton des Ganzen fest,
und Heliodor ist viel weniger affektiert als Achilles, Chariten und gar die
noch späteren.
8) Das läfst sich hübsch illustrieren an den ^tfjyifftara des alezandri-
28*
436 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
Fehler des xaxö^r^Xov^ indem sie in der Absicht, naiv zu sein,
albern werden, worin sie sich mit ihren Geistesverwandten und
Zunfi^enossen Aelian^) und Philostratos berühren: ich verstehe
darunter Stellen wie Achill. Tat. I 5, 1: ,,was ich afs, weifs ich
nicht; aber ich sah die Geliebte an^^: rovro ydg ftot ^ rö
detxvov I 10, 1: xä &QtCtoxa x&v ßgefp&v oidelg SiSA^xbi ti^v
tQoq>iivj ainöficcta yäg ixyiavd'&VBi xal oldev iv totg [uc^otg oi6av
oAtotg tiiv XQoacetjav. In den zahllosen ixfpQciöaig lassen sie alles
ihnen verfügbare xdXkog 6voiidx€Jv öxrjiuixov ^v^^i&v spielen.
In den vielen, z. T. sehr umfangreichen Reden, die sie einzulegen
lieben, wissen sie jedesmal das ^og zu wahren: lange Prozefs-
reden sind im Stil der attischen Redner gehalten, dagegen er-
gehen sich die d-Qi^voi, in heulenden Rhythmen und die De-
klamationen in unerhörtem Schwulst. Mit yv&fiai, meist ab-
geschmacktester Art werfen die meisten nur so um sich. — Tch
werde nun ein paar für die Manier des neuen Stils bezeichnende
Proben geben.
lAmbiichoi. lamblichos, der unter Ejiiser Marcus lebende Sophist, hat
in seinen Roman eine uns erhaltene fieXdxri eingelegt. Sie ist
uns nicht durch Photios' Auszug aufbewahrt, sondern gesondert
mit mehreren anderen Auszügen aus diesem Roman in einigen
italienischen Handschriften, aus deren einer sie zuerst von Leo
AUatius i. J. 1641 in seinen Excerpta varia graecorum sophi-
starum et rhetorum herausgegeben wurde. Er imd auch noch
Walz (Rhei gr. I 526 fif.) hielten nicht lamblichos, sondern den
gleichzeitigen Sophisten Adrianos für den Verfasser. Aber zuerst
Hercher (im Hermes I [1865] 362 f.) wies durch eine Rand-
bemerkung in der Florentiner Hs., sowie eine schlagende
Parallele des Achilles Tatios nach, dafs sie vielmehr dem lam-
nischen Sophisten Seyeros (saec.V) bei Walz, Rhet. gr. I 537 ff., z. B. 3 (ra
naxcc NaQKiaaov): HagaXdyov nd9'ovg 6 X6yog 'bit^g^B nccQcclayAtSQOs' Nag-
miaaog yocQ fjv ig&v oünod'BV xal tpd'BtgoyLSvos oHno&iV' &q^ fikp yäg dUfpsge
eAfiarog' Zd-sv dh t^ &Qct xal thv n6vov intifjaato' TtatocXccfikßdvei yäg ari^y^y
6 ni6fU9og' d-satris dh tfjg oluBiag itogtpfjs %ataetdsj igaetiig 6 aiftbg %al
^Batiig %uxBq>(xl9Bto' ijga di, ^S9 aiftbs i^ a<6roi) wxtatp^eigetai.. igAfjLSvog
f^v igaariiv oif }itriadfiB90s u. s. w.
1) Den engen Zusammenhang dieses Gesellen mit den Erotikem er-
kennt man z. B. aus Ach. Tai I 18, 3 ff. (wo er igarog ^vatiiguc bei den
ignstd erzählt) und 11 13, 7 ff. (nagadoici in der Natur).
Neoterismus (Asianismus): lamblichos. Longos. 437
blichos gehört; ihm folgten Bohde p. 365 ^ 1 und H. Hinck
(Polemonis declamationes rec. Hinck; Lips. 1873 p. IX adn. 1).
Das Thema lautet: Soldaten fordern fdr Verursachung einer
Überschwemmung, durch die das feindliche Lager zerstört war,
ihren Lohn:
Oix inavakAöafuv tp nokifip xqövoVj &kXä nQoöiOTnuv rg
vixy tdxogy ifistg dl inofSxBQrfiCLi xhv ynö^ov duyvAnaxs^ rö
xXsovixtfiiuc t^g si)xv%lag lynkf^ia xoLOviuvoi^ xal oidl ixstvo
6wlatSy ZxL ^oAAol ffvnfiaxi^öavxeg j od iiivxot xQoxiiöavxegy x&
övvoaiAoloyfjiiiva x^fiaxa naqä x&v Cv^ifiaxiccg xvx6vxmv xo^iC-
tpvxaiy ÖLÖxi x&v 6vfi(iaxovvx(ov ixaöxog &vikßakX6n€vog xipf
yvtbiifiv oifx inayyiXKsxai x^v xixVf^* ^ ^^ naffddol^ov xovxo
xdlfirma '^(i&v' CXQaxöxsdov 8kov noxaiia ßdkXsxai, xal xkiidcovi
X^Q^aia na(fOi6ii(fexm xal x^^^Qonoinf^xqi %£&fid^vt ßafcvi^sxai. & ft^
itetofiax'^ffavxeg 'fifietg (lövovj iXXä xal x^Q^S vs&v vavfucxii'
6avx6g. aüxavdQov ol^x^xai xb x&v noksiUmv öxQoxöicsdoVy xal
xdvdr^lJLog iv ii%Bl(fm fidöji xoifg ixd'(foi>g xaxBCkrjfpa vavayCa.
xvfia dsdidayfiivov ^siQSXo xal ^ovg xaxslevö^vog iyiveto xal
noxaiibg intb övvd^fucxog ^stv nqo6BtdxxBto, h /xi^ (lövov ivÖQ&v
ikXä 9ud noxafi&v iöXQaxrjyrixöxsg.
Das spricht für sich selbst^ und ich mufs den Leser bitten,
das Ungeheuerliche der Phantasie, das Raffinement der Ge-
danken, den Schwulst und damit gepaart die Zierlichkeit des
Stils sich selbst zu vergegenwärtigen: wer sich an Gorgias, He-
gesias imd die Bruchstücke der asianischen Bhetoren in Senecas
Kontroversen erinnert, durchschaut den litterarhistorischen Zu-
sammenhang.^)
Dem lamblichos zeitlich zunächst steht Longos. Ich hatte i^sm
ihn längst für mich als einen Schriftsteller spätestens der ersten
Hälfte des III. Jahrh. n. Chr. gelesen und war erfreut, als ich
dies subjektive Gefühl, das uns bei der Stabilität der antiken
Litteratur so häufig irreleitet, kürzlich bestätigt fand durch den
evidenten Nachweis von H. Beich, De Alciphronis Longique
aetate (Diss. Eönigsb. 1894) 45 ff.; er hat bewiesen: 1) dafs
Alkiphron einerseits den Lukian (f c. 170) nachahmt, anderer-
1) Dieser liegt gerade hier klar vor Augen wegen der Vorstellung von
der 'Seeschlacht auf dem Lande' und der ^Landschlacht auf der See',
worüber oben S. 386 f.
438 ^on Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
seit» von Aeliau (f c. 220) nachgeahmt wird^ 2) dals Alkiphron
den Longos benutzt hat^ dessen Blütezeit danach in das zweite
Jahrhundert und zwar (wegen seiner ganzen Stellung zur
Sophistik) in die Mitte oder die letzte Hälfte dieses Jahr-
hunderts fallt. Er ist der liebenswürdigste und, soweit uns das
zu beurteilen möglich^ der originellste dieser Erotiker. Von der
Figur des iööxmXov und bikoiotHavtov hat er den aus-
gedehntesten Gebrauch gemacht, besonders in den landschaft-
lichen Stimmungsbildern, die er (in Nachahmung des plato-
nischen Phaedrus und Theokrits) wirklich mit einem Duft der
Zartheit zu umwehen weifs, z. B. I 23: i|^xa€ d' airto'bs xal ^
&Qa rov hovg. i^Qog l^v Ijäij tekog xal d'iqovg äQXi/^j xal ndvta
iv a;xfi$* divÖQa iv xagycotg^ jtedia iv Xriiotg, fjdeta (ihv xetxt-
y(ov iix^i ykvxala S% öitmqag ddiki/j^ T£(»ri/^ äl scoiiivüov /lAijxi}-
eüxaöav &v xig xal toig xotafioifg aSaiv iiQiiua ^iovtag xal %oi>g
avd^ovg övQittSLV tatg nitv6LV ifmviovxag xal xä fi^ka if&vxa
xCnxBiv xa^al xal xov ^Atov (piXöxakov ivxa xdvxag ixodiisiv.^)
Den Rhythmus laust er in der Erzählung selbst, entsprechend
dem Stilgesetz für die ätpikeva^ absichtlich nicht hervortreten,
aber er hält sich schadlos in den zahlreichen ixq>(f<i6eig j z. B.
I 1 (p. 242, 5): xavxrjg xfjg TCÖXetog (sc. MvttAijvijg) Söov axb
6tadio9v ducxoöioav iy^bg ^v ivd(fbg si>dai(iovogy xxfjfiLa
xaXkiötov {j. yj 1. j. ^ :l, j. ^ X 1 J). ÜQfi ^fiQOXQÖtpay nadia
3CVQoq>6Qa' yi/^ko^oi xkrmäxmvj vo^al TtoiyLvlmv xal ^
%akaxta nQOödxkv^ev ii&vv ixtsxanivy^ ^ccfifiG) luck^ccxfi (der
1) Ich habe mir fdr diese Figxiren folgende Stellen notiert, die ich
anführe, damit man den Umfang ihrer Anwendung erkennt: p. 241, 1 £f.
(Herch.) 42, 7 ff. 43, 4 ff. 43, 13 f. 43, 16 ff. 46, 13 ff. 46, 22 ff. 49, 7 ff.
60, 16 f. 66, 6. 66, 19 ff. 58, 10. 69, 13. 61, 1 ff. 63, 30 cf. 32. 64, 12 ff.
66, 14. 66, 19 ff. 73, 28. 76, 10. 76, 24. 76, 29. 77, 20. 80, 2 f. 80, 26 ff.
(in einem it^d'os tp9ijs yXvxvra^off, wie er ihn p. 281,9 bezeichnend nennt).
81, 21. 81, 23. 82, 12 ff. 86, 6. 86, 11. 86, 29. 91, 3. 92, 18. 92, 21 (nai-
gbv TJKStP voiiiaaau Si^ttovj xbv i^hv elg triv ixslvmv iroori^^uxir, xbv dh efe
tiiv kavtflg im&vfiüxv, wie Gorgias). 94, 22. 96, 19 ff. 97, 18 f. 800, 11.
03, 27 ff. cf. 04, 6 f. 04, 13 ff. 04, 26. 06, 4 ff. 06, 12 f. 06, 16 f. (dasaelbe
Wort). 07, 10 ff. 08,22 {Mvteg ißomv xal ßo&rcss iddn^ot). 09, 1 ff.
10, 6 f. 11, 10. 11, 27. 12, 13 ff. (dasselbe Wort). 20, 6 f. 21, 18 {eldov
xo^o avtbg xal Idojv id'avfkccaoc xal d'ccvfidaag id'ifEipa). 24, 28. 26, 11.
Selten fast ein Wortspiel: 243, 24: &vi%Hvto dh xal yavXol xal a^Zo^.
267, 23: i) dh ^dsto ISovaa xal i(piXTiaB lupoüooc.
Neoterismus (Asianismus): Longos. Achilles Tatios. 439
weichliche Rhythmus der beiden letzten Worte malt das fiaXd-a-
x6v)f und yor allem der Anfang des Granzen: *Ev Aiößm dij-
Q&v I iv 6X6H Nv^&v \ tiaiLa eldov \ TcdXltötov &v sldov B si-
xdva ygagyijv hxoqCav i(fcnog. — KaXbv (ikv xal xb äköag, \ ^oAt$-
dsvÖQOv iv^fKfbv ouctäQifVTOv' || ^ia nijy^ xdvxa itQetpB^ || Tcal xä
&v&fi I Ttal xä divÖQa' || iXX* ^ VQc^^ XBQXvoxiqa \ xal xixvtiv
l%ovfga ncQixxijv \ ocal xvxrflf iqmxixi/^v' | &6xb nokloX xal x&v
^ivanf xaxä ^ijfiijv ^eeavj \\ x&v iikv Nviup&v txdtai, | xfig 6h
slxdvog d'Baxal | u. s. w. Ebenso in den obligaten Threnoi; z. B.
IV 8^ 3: 9€v x^q ^oS&viäg^ üg oucxccxixlaöxar \ q>€v xf^g i(oviäg,
&g xaxdxfixar \ (psv x&v iaxlv^mv Ttal x&v vaqxiööiov ohg ävä-
(fv^d xig xovviqhg &vd'Q(D3tog.^) || &q>{^€xai xb ^Qj xä 61 oix iv^-
ö£t' I iöxai xb d'dqogy xä dh oix äxfidös^^ \ lUXÖXiOQOVy xä dh oi&-
ddva 6xeq>avm6BL.^ ||
Von den anderen Erotikem habe ich noch Achilles Ta- AcbaiM
tios genau geprüft.') Er scheint nicht später als im vierten
Jahrhundert geschrieben zu haben^ genauere Indicien fehlen^ wie
in dieser Litteratur fast stets ^); es kommt bei der GleichmäCsig-
keit gerade dieses Litteraturzweiges für den vorliegenden Zweck
auch nicht viel darauf an. Wie Longos schwelgt er in den
Figuren des lööxaXov imd biiotoxdXsvxov^ z. B. VI 10, 4:
4>]jfii] 9Cttl ^taßoXil 6vo övyysvf^ xaxd' ^vydvi^Q ^ dhjfii} xr^g
^laßoXflg. Tcal iöxi filv fi ^LaßoXij ^xaigag d^vxdqa^ nvQbg
6q>od(fOxdQay 2üst(n}va>v niQavfoxdQa' i^ 8% ^(iri vdaxog hyqoxdQay
xvevuaxog SqofLixondqa] nxeq&v xaxvtdga. VI 21; 1 f.: tpsQdxoi}
XQOX^v Idoi) x^^Q^Sy xstvdta), q>aqdx(o xal fidöxiyag' Idov v&xavj
xvjixdxm. xoiki^dxG) itvQ' ldoi> ö&fuxj xadxcD. (psqdxo) xal öidtjQGv'
1) Man beachte die Stellung des tlg, wodurch er erreicht: Dochmius
{äpaQvU ^•*) + (^) -^ *-' - - *-'•
2) Im letzten Komma dominiert der ionische Rhythmus.
3) Heliodoros ist aufser Xenophon v. Ephesos am sparsamsten mit
seinen Eunstmitteln (z. B. den SiiotoxiUvta und besonders den von den
andern inept gehäuften y9&ftat,\ doch habe ich nur das erste Buch prüfen
können. (Die grofse Periode I 19 p. 25, 16 ff. offenbar nach isokrateischem
Muster.)
4) Rohde 1. c. 472 f. setzt ihn erst in die Mitte des fünften Jahr-
hunderts ; aber dafs er den Musaios benutzt habe, ist wohl nicht zwingend.
Wir tappen in dieser Litteraturgattung in Bezug auf Vorbild oder Nach-
ahmung noch mehr als gewöhnlich im Dunkeln und haben noch dazu
wahrscheinlich mit manchen uns nicht überlieferten Unbekannten zu rechnen.
440 ^on Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
Idov dd(fijy ötpa^hm^) Auch Wortspiele fehlen nicht , z. B.
IV 8, 1: rö fihv y&g l^yor r^g ^AtpQoSCtriq xal Zqov i%si> xal
oi6ifov xal oidiv iötiVj iäv i^ilyg a'broi) tä g)irX7ifuicta' (piXrnta
dl xal äÖQiötöv iöxi xal iacÖQSötov xal ocatvbv &sl,^) Er liebt
Antithesen, wie man sie aus Gorgias und Senecas Kontroversen
kennt, sowohl solche der Gedanken, wie IQ 17, 4 (einer will
sich mit seinem Schwert töten, worauf man ihm das Schwert
entreifst; er klagt:) rovro ^ihv iq>ai(fii6€6d'd fiov rö ii(pogy rö dl
tflg ififjg Xvnrig ^ifpog ivdov Tcataxditr^ys xal tdiJLVsi. xax dXiyov,
ä^avdrm öfpayfj &7tod'Vi^6XBLV (le ßovle^d'e; IV 1, 3 (der
Weg durch Alexandria ist lang): xal Ivdruiog Axodrukiaj
VI 7, 2: tä SdxQva x&v 6(pd'akn&v Ivdov £U(y6n6va ysXäj als
solche der Form, wie V 1, 6: £^ fihv sig rijv it6Uv (Alexandria)
Ajtetöovj iinC^xow ei nhfiqAöBi xig d^(iog ainiiv &v8q&v^ ai di
Big xbv dil(iov id'BaödfiriVy d^av(ia^0Vj bI %(0(fT/^6Bi xig ainov nöXigj
als auch beide verbtmden, wie VI 14, 2: dq)oßBtx6 iuro rö HjtC-
lov xal fjlTtitB rö ipoßo'öiiBvov^ VIII 8, 13 f. (in einer Gerichts-
rede): i>zozd(f(og ctv oixog iacod'dvy^ dog ^oix^g tj ä)g tpovBvg^
&yL{poxdQOig hfo%og &Vy dCxrpf ÖBÖcoxhg oi ddömxBv. &no^avbv
yoQ 6q>BiXBt %avatov £AAov (dasselbe glaube ich mich zu er-
innern, bei Seneca in den Kontroversen gelesen zu haben). Im
Ausdruck finden sich unerhörte, zu vollendetem Schwulst aus-
artende Katachresen, wie sie seit Hegesias in diesen Kreisen
Mode waren, z. B. I 15, 1: BTtdöxri nkBVQä xov XBi%lov — xd^-
6aQBg dl ^6av xkBvqaC — xaxA6xByog (sc. ^v) 'bnh X^QP ^iid-
v(DV' imb dl xotg xio6vv dv6ov fyf ij x&v ddvÖQmv xavr^yvQig
(und was dann folgt von der ehelichen Verbindung der Pflanzen
und Bäume). I 16, 3: (der Pfau) xfi dQ(Ofidvri rö xdXkog ini,-
SBlxwxai XBiyi&va tcxbq&v. II 15, 2 wird die Fülle der in
die Luft steigenden Düfte genannt ein &vBfiog fidovilg. II 29, 2:
aidag xal Xvnri xal d^yij XQia xijg tl^vxvs xvfiaxa. ib. 2: i^
ÖQy^ XBQi^vXaxxovöa ti^v xaQÖiav d7CixX'6^Bi xhv Xoyiöfibv reo
1) Er liebt auch dpLotarilBvta ohne isokolischen Satzban: I 3*, 3: rb
dh Tigb to{) nad'siv nQoadonAiievov ngoiuetrivdXmas %atä (ungbv fi b le-
rn n §909 ro4> ndd'ovg tij9 <ixfii}y. So noch an den folgenden Stellen:
p. 47, 15. 48, 8. 62, 6 f. 65, 6. 86, 7. 94, 17. 102, 27. 117, 17. 161, 23.
166, 20. 192, 31. Ähnlich Heliodor Aeth. p. 11, 31 Bekk. 24,2. 27, 2 f.
U. 8. W.
2) Cf. noch 123, 25. 140, 19 f. 141, 8.
Neoterismus (Asianismus): Achilles Tatios. 441
Tilg uLavlag iq>(fp, ib. 5: at Adtvsg t&v ix rot) Xöyov
xvfidtfov oifx &xontv6a6av xhv äipifov oldovffi xsqI
iavräg ns(pv6i^iievai. IV 19, 6 (das Krokodil hat so viel
Zähne wie das Jahr Tage) toöoinov önögav tpi^Bi xh t&v ya-
vvfDv nediov. An geeigneten Orten läfst er natürlich auch
den Rhythmus deutlich hervortreten, besonders in den ix-
q>Qd66ig mit ihren kleinen rhythmischen x6n(iata, cf. I 1, 3
(p. 37, 17 fif.) die iwpqaai^ einer Wiese, ib. 7 (p. 38, 11 fif.) der
naQ^ivoij ib. 13 (p. 39^ 22 ff.) der Eroten und Delphine, die
den Stier umspielen, auf dem Europa sitzt, I 4, 3 eines Mad-
chens: Sfifta yoqyhv iv iiSov^' xrffii} ^av^j xo ^ävd'ov oiXov
6ipQi)g iiiXaLva, tb fiiXav &xqaxov' kBvxii jtaQSiUy xh Iwxhv
itpowl66Bxo xal i^ifulxo itOQqyÖQOVy diav slg xhv ikifpavxa
Avdia ßcatxBL ywi^ u. s. w.; dann auch in gehobenen Reden,
wie I 8, 7: & xdvxa xoX(i&6ai ywatxsg, x8v (pU&öi (povsiiiyv^iy
xav fiii g>U&6t g>ov£vov6LVj V 16, 3: 0i> (ihv Ootpitjjj tpCXxaxB'
nag d\ xönog xotg iQ&6i ^akayLog' oidlv yä(f Sßaxov x& d'Bm.
^dkatföa dl ^f^ xal oixeioxdxfi iötlv ''Eqanv xal ^AtpQoSiöCoig
ILVöxfiQiot^g; ^vydtriQ ^AtpqoöCxr^ %akd66rig. xaQtöAfud'a rf) ya-
(irikip d'Bpj Ttffi}<T(Dft£v aifxflg^) ydikci xijv y^rftiga* i^ol iikv y&Q
doxBl xä TCagdvxa yd^Loyv bIvul 6iifißoka u. s. w. I 13, 4 ein
Threnos auf einen vom Pferd gestürzten Jüngling: itixB fiot,
xixvovj ya^Btg; %&tB öov ^liöa xoifg ydiiovg^ tmtBv xal wfL^U^
vviupiB (ihv ixBki^gj txxBv S\ Sv6xv%i^g. xdtpog n^iv <Tot, xixvoVj 6 d'd-
ka^agj yd^Mg dh 6 d'dvaxog^ d'fffflfog S\ 6 v^ivaiog' 6 dl xcMvxhg
o^og x&v ydumv ASaC^) u. s. w.; das Absichtliche des Rhyth-
mus in diesem d'iff^fog besonders deutlich in einer gleich fol-
genden Stelle (14, 2): iyh 81 6 xaxodaifianf . . . ixakkdntL^ov xh
TCovriQov d'YjQiov itQOöXBQvidioig 7C(fO(iBX€ijzi,dioig^ (pakdQOi^g iQyv-
Qotg^ XQvöatg ipflatg^ wo die beiden letzten Worte so gestellt
sind, um ipfCaig an aQyvQolg anzugleichen. In einem anderen
^^fj^vog (III 16, 4): & TtovtjQag ixl ßm^ov daSovxCag' & XQwp&v
1) Das Wort ist nur des Rhythmus halber so gestellt; den Hiat
meidet er nicht ängstlich.
2) Das hat sich Simonides gefallen lassen müssen: denn sein herr-
liches t&v iv SsQiionvXcci^ ^av6vtmv \ Bifüliijs fkkv a tvxccj TtaXbs ^ 6
n6rpu)g \ ßmiLÖg d' 6 tdtpos, ngb yoav dh (i9&atigy 6 d' ol%tos inaivog
schwebte natürlich all diesen über Marathon, Thermopylen, Salamis die
eigene Zeit vergessenden Sophisten auf der Zunge.
442 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
Touva nvtfti^QLa. In einem Gebet VIII 5^ 8: äiönoiva ^AtpffoSCxri^
fi^ ve^öi^öjig fi^tv &g ißQt6[i>dvfi' oim ^^^Ao/xai/ indtoga ye-
viöd'aL tbv yd^v. %aqB6xiv ovv 6 xariiQ' ^xs xal 6v' sifLSvijs
D. Historiker.
Von EunapioS; aus dessen Geschichtswerk uns bekannt-
lich nur Fragmente erhalten sind, will ich nicht reden ^)y um
Theophy. mich glcich zu Theophylaktos Simocatta zu wenden^ einem
Geschichtsschreiber^ auf den man das Wort anwenden könnte;
welches einst Cicero von Hegesias gebraucht hatte: wenn du
wissen willst^ was albern ist; so lies ihn. Er ist für uns der
früheste Hauptvertreter jener taumelnden Diktion, die besonders
in spätbyzantinischer Zeit noch ihre Orgien feiern sollte. Das
urteil des Photios (cod. 65) über den Stil seines Geschichts-
werks: fi tpqAöiq a'ötp i%Bi, y^iv xi %d(fixogj TCkijv ys dij ff x&v
XQomx&v Xü^ean/ xal xf^g iXXriyoQLxrig iwolag xaxocxoQ^g XQ^iOi^g
sig tl;vxQoXoy£av xivä wil VBavixiiv ixetQOouckiav änoxekevxa ist
nach unserem Urteil noch viel zu milde. Das Einzige, was es
dem modernen Leser, soweit er nicht Historiker ist, ermög-
licht, wenigstens einige Seiten dieses Autors zu lesen, ist das
traurige Vergnügen zu erkennen, wie weit die Verzerrung des
gestmden Geschmacks gehen kann. Man lese z. B. gleich im
Anfang die Rede, die der sterbende Kaiser Tiberios (f 582) an
seinen Nachfolger richtet (I 1, 5 ff.): unsinnige Metaphern, die
uns an die schlimmsten Eimststücke eines Gorgias und He-
gesias gemahnen, wagehalsige Neubildungen, übermälsige Klang-
figuren (p. 39, 20 ff. de Boor: die Homoioteleuta) , eine der
natürlichen Wortstellung genau entgegengesetzte, kurz überall
Ziererei, Schwulst, Entartung jeder Art.*) Er hält sich natür-
1) Ein ähnlicher Geselle mufs der Historiker Candidus (H. 6. M. I
441 S. Dindorf) gewesen sein (um 600 n. Chr.), cf. Phot. bibl. cod. 79: r^y
tpQaaiv o^x ^xu nginovcap Xay(p latoginup' taig ts yccg noitirtnalg Xi^saip
&nsiQOiidXmg xs x^x^ijrai xal (teiQanimS&g xal ij öwdi/iTiTi a{>tfp ilg tb tgccxv-
XSQOV xal dvarixov iyLdidvQccußoütai y mansg av ndXiv slg rb ixleXviiivov te
xal infuXhg vntidisi. vsatBglist dh xal taig avvtd^eaiv O'öx Big tb yXatpvgbv
fUtXXov xal i7ca(pg6öirov, monsg irsgoiy ScXX' mats dvaxBgijg änoi^aai xal rat>
ijSiog 4mBg6gtog.
2) Cf. Boissonade, Adn. in Eunapium (Amsterd. 1822) 139 Ton
Neoterismus (Asianismus) : Theophylaktos. Inschriften. 443
lieh für einen Dichter: I 8 (p. 55): iMC inal negC ys t&v Ovv-
vmv rä nQOcniXid noi tilg l6xo(flag ysyivTitaiy &ya di) &y€ xal
tag ne(f0i7c&g n^d^eig ty r^g ÖLt^yiicsiog ivatwaiaiuv g)6Qniyyt.
Ebenso in der Vorrede zu seinem Dialogus (Theophylacti'
quaestiones physicae, ed. Boissonade, Paris 1835): Sys ovv &y€j
liovtfixmtccta eiiHoye^ siykiotxCav didov xatdl xal icqoöadBiv
^Baxqm fi£ didaöxe ocal xeQi^Xalstv ^dijv 'AttiXfijv, &Qtt fuxvd^d-
vovxa ikovöixän/ ixißaCvBiv d-akdi^mv. al de ti %ul t&v ^Stx&v
S^a ysvoiiiriv ^v^^&v, {mtixstti fio& q>Llotifia}g rä XeiTCÖiuva
u. s. w. Es ist bezeichnend, was Ejumbacher (Gesch. d.
byz. Litt. p. 56 f.), der übrigens eine gute Charakteristik des
Stils dieses Antors giebt^ über dessen Kenntnis der alten Litte-
ratur sagt: ,^bn, Gegensatz zu Agathias hat er yon den übrigen
alten Autoren aulser Homer nur wenig gelesen. Klassische Re-
miniscenzen sind bei ihm selten.^ ^)
E. Insohriften«
Dals eine nicht serinfice Zahl von Inschriften der Diadochen- stu der
® ® klein-
zeit von der Manier des damals herrschenden Stils überwuchert MiatiMiM
smd, habe ich oben (S. 140 ff. 146, 1) hervorgehoben. Dafe das ^~»«"*«
Gleiche von den Inschriften der Kaiserzeit gilt, weiüs jeder, der
sich damit beschäftigt hat. Die Epigraphiker, für die solche In-
schriften mit ihren vielen, bis zur Unklarheit gezierten Worten
und dem dürftigen positiven Inhalt eine Qual sind, äufsem sich
nur selten über ihre stilistische Seite, und doch brauchen wir
ihre Verwertung auch in dieser Hinsicht. Ich habe nur klein-
asiatische Inschriften') daraufhin geprüft und auch von ihnen
Theophylaktos: partentoso gaudet et verhorum et metaphararum hucu iste
sophista.
1) Photios, der doch gewifs als Atticist gelten wollte, schreibt in
den Briefen oft unerträglich manieriert , daher nennt ihn Rieh. Monta-
cutins in seiner lateinischen Übersetzung zu Brief 156 turgentem, infl(xtum,
Asiaticum (ich entnehme diese Notiz aus VaTassor, De epigrammate in
seinen Opuscula p. 144).
2) Bezeichnend ist auch, dafs der pathetische Titel yfjg xal ^alducrig
dson&cTis nur auf kleinasiatischen Inschriften einigen Kaisem (Septimius
Sevcrus, Caracalla, Gordianus) gegeben wird, cf. Waddington zu seiner
Sammlung n. 1174.
444 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
zweifellos nur die kleinere Zahl; doch wird das Mitgeteilte für
die allgemeine Vorstellung genügen. Schwulst oder Zierlichkeit
oder beide vereint dominieren.^)
Termessos (Pisidien). Hierfür kann ich verweisen auf
E. Petersen in: Lanckoro6ski , Städte Pamphyliens und Pi-
sidiens 11 (Wien 1892) 35: „Die Inschriften bekunden un-
mittelbar auch hier eine Lust zu stilisieren, die in den Zeiten
der zweiten Sophistik wohl die Höhe erreicht. Die längsten
und nach dieser Seite vielleicht bedeutsamston Stücke sind leider
verstümmelt oder so gut wie unlesbar. Eine ausgeführte Ur-
kunde , aber sichtlich noch nach besseren Mustern^ ist der Be-
schlufs zu Ehren der älteren Atalante (34) .... Schulbildung
bekundet sich in dem atticistischen xcatxov d^ r&v nspl tov
'OßQijiitriv (36) oder dem gezierten Scq^lö^si di toiovtovs ävögag
elg nQotQOJC^v xal t&v ßkkmv ysQaiQSiv (13). Bezeichnend
sind auch Namen wie PifiroQixög (167: Av. 'PritOQtxbg Boiorov)
und die Vorliebe für den Namen Jlkdtmvy neben dem auch
SoxQarrig nicht fehlt, am bezeichnendsten für die spätere Zeit
aber das der Ehreninschrift des Gymnasiarchen M. Aurelios
Meidianos Platonianos Piaton am Schlüsse von späterer Hand
hinzugefügte vdoa 'Hq&Svi IlXdxfovi, (11): Piaton ein neuer
1) Auch die athenischen Inschriften der Eaiserzeit werden wohl Aus-
beute gewähren, z. B. ist der in Athen gefundene Xdyo^ ngotQBntiTtds aus
der Zeit bald nach Hadrian (CIA IQ 52) zwar sehr Terstümmelt, doch
lassen an einer Stelle die Buchstaben deutlich die zierliche Gliederung mit
Homoioteleuta erkennen (die Ergänzungen sind von Dittenberger): &11' iv
iiXXi/jXolis] äiuHAftB^'a xal [(ptloti^iiAfiBd-a xal rbv xo(Tf&9][r4y
tiii&fisv .... xal ] tm tu ndXXiata nQo[^(iovnivai nstd'aQxäh'
fi€]9 (?). — W. V. Christ, Griech. Litt.* p. 607 behauptet: „Eine Vor-
stellung, wie die Lehren der Redekünstler in die Praxis des politischen
Lebens übergingen, gewähren die zahlreichen Ehrendekrete, Erlasse und
Briefe, welche uns inschriftlich aus der Kaiserzeit erhalten sind. Von
einem gewissen Opramoas, einem freigebigen und hochgestellten Lykier
aus der Zeit Hadrians [yielmehr des Pius], sind allein an 60 Urkunden
jenes Schlages auf uns gekommen, welche der eitle Mann an den Wänden
seines Grabdenkmals in Rhodiapolis (Lykien) hat einmeisseln lassen und welche
Petersen und v. Luschan, Reisen in Kleinasien II 76 fT. , veröffentlicht
haben." Das ist ein Irrtum. Diese Inschriften (die einzigen, die v. Christ
nennt) sind in jenem Kanzleistil gehalten, der uns aus Urkunden der Dia-
dochenzeit (und aus Polybios) bekannt ist, der aber völlig verschieden ist
von dem Stil der zweiten Sophistik (s. o. S. 163 f.).
Neoterismos (Asianismiis): Inschriften. 445
Herodes wie Eonstantin eiu neuer Helios. Natürlich ist der
Attiker gemeint^ der berühmteste jener Redeküustler." Auf der
genannten Inschrift der Atalante (34) steht Z. 3 fif.: ^Ata-
kivxvi • . . eiysvsia xal [öaHpiQOövvtj x[e]xo(ffii7fi/vi7, Sxaöav
ywaixsCav i^etipf ixodsixwitdvi^. Geziert auch ib. 17 f. der
Chiasmus: sIxövl x^^V ^ Xf^^^ öts^piva.
Arabissos (Süd-Eappadokien): Papers of the American
school of class. stud. at Ath. 11 (1883—1884) n. 332 eine christ-
liche Inschrift; deren rhythmische Wortfügung auch durch die
Stellung deutlich ist: 6 xä$ doQsäg tov ^{€o)v nXovöücg ds^d-
(uvog I x(^) tbv TCoXvfioxd'OV ßiov ^a&tSQOV «ccgadgaiibv \ iv^dds
xaxaxC^i OiXdygiog \ slg f^v tov oioceiov ngoördtov xaxcapvyhv
dwikfii^iv (hinter «agadgafiav ist auf dem Stein ein Doppel-
punkt gesetzt).
Sidyma (Lykien) saec. I p. Chr.: Benndorf- Niemann,
Reisen in Lykien und Earien (Wien 1884) p. 66: Der Demos
der Sidymer ehrt (xbv detva) nfftnaveiiöavta dlg daxavi^Q[&g^
x]al Cegatsvöavta t&v I]€ßa[6]T[&]v ivdö^cjgy xal yvfivaöiagxii'
öavxa g>iXod6^(og^ xal teXdöavxa ndöag tag ägxctg xal aöud-
öavta tbv dflfiov tgig, xal ngeößsvöavta ngbg toi>g IJeßaötoiigj
xal noXvtBvödiuvov «Qbg AfpsXiav t^g «öXsagj xal nCötBi xal di-
xaioöiivti xal iQStfl diBvixavta,
Ebendaselbst ist gefunden die in einem unerhört
schwülstigen, ganz verzerrten Stil abgefaüste, auch inhaltlich
höchst merkwürdige Inschrift (eine * Apollopredigt' nennt sie
E. Maass, Orpheus [München 1895] 122), die Benndorf (1. c. 74 ff.)
nach den Schriftzügen um 200 n. Chr. ansetzt. ,,Durch Weit*
schweifigkeit und Unklarheit der Periodenbildung, poetischen
Phrasenschwall und eine grolse Zahl neugebildeter oder un-
gewöhnlicher Worte macht sie den Eindruck einer epideiktischen
Prunkrede'' (Benndorf). Vor allem föllt auf die beispiellose,
sicher dem Rhythmus zuliebe gewählte Wortstellung, z. B. von
Wunderdingen im Xanthosthal B 6 ff.: (ybx iXlya sig tbv nsgi^
BxiitBvov fi(f€0i, xal ^aXdööfi d'HÖtritog ixoiiötig d'aiifiata
xöXnov^ oder C 9 ff.: ApoUon wird verehrt in einer schwer zu-
ganglichen Grotte, die nur von oben ein kleines gxotovXxbv
&voiyyLa hat, yiidov sig 8 xa^ont£v0ai d'sXi^^aöd tig afpvcDg itpo-
q>ritl tbv d'sbv xatrivix^'^* 9ud Xi^og xettai xt&yMj ipoßov
ästyna xataöxönav.
446 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
Die berühmte Petition der Lykier und Pamphylier an
den Kaiser Maximinns vom J. 311/2, betreffend Erneuerung der
Cbristenverfolgungy gefunden von Benndorf in der lykischen
Stadt Arykanda, ed. Mommsen, Arch. epigr. Mitth. aus Ostr. XVI
(1893) p. 93 ff. In den Schlüssen der auch sonst pathetisch
genug lautenden zwei Sätze, aus denen die Petition besteht, ist
zweifellos rhythmischer Wortfall beabsichtigt: TcaX&g i%Biv ido-
xifidöafiev xatagrvystv [jtQbg f^v i^d]varov ßa6iXaCav xal
ÖBfiO^ai xoi>q naXai [fuxi/txoö^ XQi\6twoi)g tucI slg ösvqo x^
aini^v vööov [diatfiQ0vvrd]g noxB nanai^ö^ai ocal [iridsfLi^ä öxaiä
xiVL xai[vfj d'Qfiöxsiif] r^v xotg d-sotg 6g>SikofLdvrjv naga-
ßaivsiv, und der Schlufs des Ganzen: SnsQ [icXstöxov 6v(i]g>dQ£iv
n&öi xotg iftexigoig iv^gAieoig ngödrilöv iöxvv.
Aphrodisias (Earien) (Lebas- Waddington 1620; Zeit Ha-
drians): ISo^ev xfj IsQä [x€QL]noXi6xi7c^ siöBßit Csßaöxfj öwöda
xal rcüi 0'6v%avxi IvtfrcSf x&v tcbqX T[fiaUivhv ^A8QC\ixvhv SBßa6xov
duicTciiitlfaöd'aL [xööb xb i}iig>i6](ia xfj tBQ[(o]xdxi] ^Aq>Qo8Bi6iiiov
ß[ovXfi xaX] x^ di^fip' 'ExbI KaXXcxQdxrig ^ioyd[yovg *j4q>Q0']
IßlBiöiB'ögj xavxQccxuc6xiig tBQOVBix[rig itBQCod]ovBixrjgy dich xq[6']'
xrig fjXixiag Bl[g xäg 6^doi>g xfjg igstrig xgaxBlg Cdg&öi [xal
n6]voi,g ixti^öaxo xiiv BixXsfl dö^aVy ldBcv6]xfix6g xb icagä näöiv
&v^Qd}7c\o']ig XüL^o\ßi,X]oviLivrig ya[^]i/£rat, 8ui [t]« xipf bX6xX\ri'
QOv\ aina iCB(piXonovri^[i Ivfjv öotpCav öA^axi yäg i{7t]BQßdXXG}v
Sxavxag icQxalovg i^av^öd^ [r^v g>'6]6iVy iwx'flg xb htifiLBXoii-
liBvog inaxaQ[ii']Bxo xbv XQÖnov* iw f[t/]£x[a] itdvxvyv nqhg xo
hjCBQßdXXov xf^g d6\j^rig B[Q\icv6ag ö [fildöxavog (pd'övog xb xoi^vbv
fl(i&v iya^bv t'efi£[tfi}]tfa$ icTtifiVBVXBVj ivBQBÜfag Big ndgri xov öm-
^axog xä B'b%Qri6x6xaxa navxgaxiaöxatg ^ xoi>g &[AOvg' dib
[^]do[5]€v, xiixo rg dycc^j alxii6a6[d^]ai r^v ^AtpQodBiöUiov xöXiv
xöxovg hcnridBiovg, Sxag noiriöAnB^a xov fLBydXov CbqovbCxov
Btx6v[mv] ivaQ'iöBig xal ivdQBi4i\y\xog &vd6xa6iVy xcc^ä xal iv
xfi firiXQonöXBi xfjg *A6lag ^Ekpiötpj ixov6&v x&v xbl^&v iniyQaq>äg
xäg ngoürpcovöag XfS KaXXvKQdx[BC\y Xva 8iä xoiixov xov irqfptöiM'
xog xbv &Qvd'fiov [nQ]bg BCiuxQudvijv inaQalxvfiov at x&v XBiji&v
XdgiXBg B'ÖTCaQfjyÖQfixov fifiBtv xbv 6v[v]ad'Xfixiiv xccxaöxi^CfoöLv.
Das bei Lebas-W. folgende, zeitlich einige Jahrzehnte spätere
Dekret desselben Vereins ist auch geziert genug, reicht aber
doch nicht an den imerträglichen Schwulst des mitgeteilten. Cf.
auch die (nndatierbare) Inschrift n. 1599.
NeoteriBmus (Asianismus): Inschriften. 447
Ephesos. Zu dem Dekret zu Ehren des C. Yibius Salu-
tarisy datiert vom J. 104 p. Chr. (Aneient greek iuscriptions in
the Brit. Mus. HI n. 481) bemerkt Hicks p. 135: This decree
was probdbly drawn up by some rhetorician of the Urne, tvho
avoids the ordinary phrases of Iwnorary decrees translating them
into an* absurd bambast which even öbscures the sense. Es ist aber
im Verhältnis zu anderen asiatischen Inschriften (Lykien, Olbia)
noch einfach; wenn auch z. B. affektiert genug Z. 18: rag ixb
tilg tv%rig inl xh XQ\Blttov] XQOxoxäg 7co6[ii&v rf;] t&v ^&v
ösfivötriti u. dgl. m.
Ebendaselbst (CIGr 2954 B): .... r^v itavi^yvQiv^ %al
itelsUbv xal ixB%BiQCag slg ZXov %hv inAwfiov xflg d'soi) fi/tlva
xv%6vxaj xal tijv ^jiQtsfiiötccxijv ocQiöiV wxxa6%'/^6avtay Tcal ra
^iiuxta totg äytoviöratg aH^ijöavtaj xal ivögidinag t&v vikij-
ödvtanf ivaütiiöavta' r^v tst^ijv &va6tij0avrlpg] A. 9aiviov
^aiiötov tov 6%fyysvovg aiftov,
Ilium novum (CIGr 3616): ij 'jittaXlg qyvXij Ui^ov Tov-
Xiov 9iX[av]a tbv xöifuov tUg n6X€a)gj inuQxov öiui^g OXa-
ßuLvf^gy yvfivaifucQX^öavra XafmQ&g xal g>iX(neifLagj xal icq&xov
t&v iaC al&vog ocal iiixQi' vvv ^övov iXaioiuzQiiöavta tovg te
ßovXevxäg xal ^oXelxag navxag xal iXsiijfavxa ix Xovxi^gmv
[7eav]di^iut.
Bithynien (Lebas-Wadd. 1177) c. saec. II p. Chr.: xbv
g>iX6n€cx(fiv xal iv icaöw iiXvi^^ yv^vaöcccQxiiöavxa luyaXo-
XQSTC&gj &yoQavo(uii6avxa inig>av&gy yQa(inaxBii0avxa iTti-
öi^^iogy iifyvQ(naiUav x&v iXaiayvix&v %(friiidxanfj Sg^avxa xi^v
luyiöxfiv i(nA^ ivdö^mg^ TCaQaninifavxa x(ybg xvgiovg ccirtoxQa-
xoQag ocal xä Ugä ccirt&v öXQoxsvfiata xoXXixcgy xal SXXag &Qxäg
xal X€ix(yv(fyiccg iicteXd6avxa rg natgiöiy K. Ti,vito\y'\ ^AöxXti-
Tttödoxovj ixodedetyfiivov xq&xov &qx'^^'^^ ^^^ Cegia xal iyanfo-
^ixriv dibg 'OAvfurtbt;, ot xf^g &novoiag elg t[i^] iQX'^'^ aixov
iatodsdsiyiUvoL gy6XaQXo[i^]> Mit dem Ausdruck ot xfjg b^iovotag
q>^XaQxoi weifs man wohl nur infolge seiner absichtlichen Ver-
schrobenheit nichts anzufangen.
Olbia (Inscr. antiquae orae septentrionalis Ponti Euxini ed.
Latyschey I [Petersburg 1885] n. 21 c. saec. II p. Chr.: inl
icQX^vxayv x&v ^sqI ^OiiipdXaxov EiQfiötßioVy iitivbg Uavi^nov iß\
ido^Bv T$ ßovXfi xal xä diffiO) {inawiöaC) RaQ^oa^o^v ^AxxAXov
üviga xaX&g inißsßtixöxa xotg xfjg noXixaCag txvB6i xal ^riXAöavxa
448 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
ßiov äXoidÖQtitov. iSoTUfuz^ev ainov ij netga toig xöttovg' iv te
yäf tatg xocvcctg xgeiaig aid'a^fitmg kaixovQy&v ivBitiii^tfirov
3c6vov €l6dg>B{(fs) xal g)d'ävmv tag imxayäg ndötig ;i;eiporov^^
bXoxXfiQiav iiCBÖBUwxOj und in diesem unerträglichen Stil weiter.
Ebendaselbst (ib. n. 24) saec. II p. Chr.: (6 öbIvo) bIxbv'
'EitBidi^ Kakkiöd'dvfig KaXXi6^dvovg ivilQ yBvöfLBVog itQoyövanf
iTCuSi^licav ts xal öBßaötoyvAötcav xal xtwöävtav tijv %6Xiv tuA
noXXä iv insiyov^i xaigotg airtiiv BiBQyBtr^icörooVj &v 6 inaivog
dv6dg>£ixtog (ihv Xöyp^ &t(uvri6tog dh XQÖvc)' toiovtmv ovv
yByovcag nQoyövav oi ^övov ait&v xiiv oi)6Cav iiXXä xal r^
&(fBxiiv xXr^QovoyLi/^6ag iiCBx66firiifBV oix im* ivayx^^g iv^QfonCvfig
dafiaö^Big, iXX^ (neb ^s&v iCQOvoCag xaidsv^Blg aitoq>vii q>iXo'
0Ofplav &6'6vxQitov ixtii^ato u. s. f.
Ebendaselbst (CIGr II 2059 = 22 Latysch.) c. saec 11
p. Chr. ein Dekret, an dem Boeckh stili indegantiam tumarem
prolixüatem hervorhebt, cf. z. B. den Schlufs: es wird bestimmt
ivayoQBvdilvai i)7cb xov xi^QVXogy 5xv ii ßovX'^ otal 6 dijfiog xal
aC nöXBtg (Olbia und die umliegenden) x&v naQByeidri(iovvx(ov
idvfov 6XBq>avoi}6iv 9B0xXda SatvQOV VBixtixiiv yBvöfiBvov x&v
&% al&vog tcbqI x&v xoivfi nä6i 8iag)B(f.6vx(ov xal x&v r$ xöXbi
6i)(i(pBQ6vx(ov xal ivaxs^vav ainov Bixöva ivoxXov dtjiMö^a
iv x& yviivaifipj oi xr^g xaxaöxBvrjg xijv inv^dXBLav avxbg tcb-
noifjxo' xb dl tl;iiq>t6^a xovxo &vayQaq>Hvai Big üxijXXriv Xbvxö-
Xid'ov xal ävaxsdi^ai iv xp i%i6ri^oxdxai xr^g nöXBog xönp Big
xb fia^Btv nAvxag xbv ävdfa TCgbg ävigBiav iilv BÜxoXfiov
xal TCQbg äQBxi^v dh äoxvov xal legbg noXiXBlag 6(oxiIqiov
xal xgbg l^dvovg fpiXAv^QmicoVj ^ Big ngoxQOTciiv x&v xi^v
n6Xiv fpiXBtv xal BiBgysxBtv öwa^dvaiv.
Trostdekrete aus Amorgos und aus Synnada (Phry-
gien). Besonderes Interesse haben die tlftjfpUf^xa xaga^vd'fixixd^
eine Inschriftengattung; auf die zuerst E. Buresch im Rh. M. 49
(1894) 424 ff. hingewiesen hat. Sie stammen vorzugsweise
aus der Stadt Aigiale auf Amorgos (das stabile Praescript ist:
MBiXr]6laiv x&v *j4(ioQybv AlyiaXri/v xaxotxovvxmv iöo^Bv &qxov6l
etc.), sowie aus karischen Städten (Aphrodisias, Antiocheia a. M.).
Sie gehören zum grölsten Teil dem I. und IL Jh. n. Chr. an,
einzelne sind vielleicht etwas früher, eins erst aus dem III. Jh.
n. Chr. Der Inhalt betrifft die Ehrung des Toten sowie die
Tröstung der Hinterbliebenen, letztere mit einem vielfach
Neoterismas (Asianismus): Inschriften. 449
yariierten Gemeinplatz; wie s{>d'a(^&g tb övvßsßrixbg {mb rot)
dalyLOVOQ ivsvxstv (Buresch p. 430). Von dem Stil dieser Ur-
kunden urteilt Baresch p. 444 richtig; dafs es derselbe ist, der
die i7titdg>ioiy inin^dsMi^ d'gHvoi und fiovmdiai der Sophisten
des II. und III. Jh. geschaffen hat. Um eine Vorstellnng davon
zu geben, wähle ich drei dieser Dekrete aus, von relativ Ein-
fsushem zu unerträglich Manieriertem au&teigend; die Künstelei
ist um so empfindlicher, weil die Verfasser oft nicht einmal
grammatisch richtige Sätze bauen können.
Bull, de corr. hell. XI (1887) 218 ff. n. 13 (Synnada),
vielleicht nc^h saec. I a. Chr. (Buresch): [hciY] ^iXcjvidrjg [iv
r^t ngAtrii] fiXinCai iymy^q (ikv itiy%avBv xf^g ßB\Xzt6\trig diä
T^v t&v yovioav nBQl tä önovdata x&v iv rSt ßimi x[aAAi/],
^riXatiig dl yLVÖfisvog t&v igCörmv öwpxsiov xbv ^h/ [tQ6]itov
iQsrfj xal 6(O(pQ0övvjj^ tb 81 ^d'og xo6(ii6triti, xal B{>öx[ii]!i^o6vv}jy
diä tb xal g)v6[£t] &v%lvoiav ain&i xagstvai^ y^vöfuvöljs] ts
&^Mg [tUg t]&v yovicjv dö^fig iiu6okaßijd^ ivavti(o^€[üfy?'] trj[i]
tvx[i^t, i| aß 6]vveßri toi>g yovstg ocdtoi} xal tovg nokl-
ta[g\ xaO*' {)iCBQßoXii[v Xvnri^vai xal xad^xet
t[bv'] öflnov \xat* äjt]« T[£ft]ai/ tovg %Qbg ägetiiv tQsnoiidvovg
u. s. w. (folgt die Ehrung).
Bull, de corr. hell. XV (1891) 573 f. (Aigiale auf Amorgos),
datiert 153 n. Chr.: *E7iBtdii ^Agiötiav . . . . ov, ävdgbg ev ye-
yBwiikivoVy ti%vag ts xal iBitiWQyiag tag aag* 'lifiBtv iv ty na-
tqCdi ijcitBkiöavtogj öBfivöv ts xal fi6'6xiov ßCov na^ oXov tbv
t^g go^g ainov xqövov diBvivxag^ &g 81 iab nivtov t&v
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Bulletin 1. c. 584 ff. n. 9 (Arkesina auf Amorgos), datiert
242 n. Chr.: {inBl 6 ÖBtva) i| ivd'gdmmv datijX^BVj vijptia xccta-
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Norden, antike Konttprota. 29
450 Von Hadiian bis zum Ende der Eaiseneit.
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aixoi)f nagafiv&ijöM^aL 81 xbv naxiffa ainoii (xbv detva) xal xifv
[njxiga aircov (r^v dstva^ es folgen die übrigen Verwandten)
yswaimg q^igiv xb övfißdvj sldötag Sxi otks xfi^fucötv otks xoiUe-
Tceia oüxe Cxexsia oOxs d(ix(fv6iv i[yix߀cxov?] xfjg sCfutQfUvfig
Sqov {msgßfivai äwr^d^ötcai noxs^ ivayogeiiBö^ai dl aifxbv iv
xotg xag' fifutv iyoiidvoig ^pisXtxotg äy&6iVj Sxi 6 dilfiog *Agx8-
öLviav 6xeg>avot XQvödi 6X6g>dpcD Kgöviov f^gaa. (Unterschriften
und Datierung.)
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