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DIE
ANTIKE KUNSTPROSA
VOM VI. JAHRHUNDERT V. CHR.
BIS IN DIE ZEIT DER RENAISSANCE
VON
EDUARD NORDEN
ZWEITER BAND
LEIPZIG
DEUCK UND VEELAG VON B. G. TEUBNER
1898
l I. X.
^^-Z ^
ü^^mMUXS^OACH Vm ISEKSKTZUJ^GSKECHTS, TOmBEHALIXS.
Zweites Kapitel.
Die griecMsoli-oliristliolie Litteratnr.
I. Allgemeine Yorbemerkangen.
Libanios berührt in seinen Reden öfters eine ihm sehr un- Niederguii
angenehme Thatsache: das Sinken des Interesses an der Bered- B6r«dMm.
samkeit. Am ausführlichsten änfsert er sich darüber in der^ wie ^^^^
mir scheint^ litterarhistorisch wichtigen 65. Rede (jcgbg toi>g elg
xijiv naidalav ainhv ixoöxdnlfavtagy vol. III 434 ff. R.). Seine
Gegner hielten ihm vor, dab er keine Schüler heranbilde. Er
weist den Vorwurf von seiner Person zurück, indem er die all-
gemeine Weltlage als Ursache angiebt. Von den einzelnen Mo-
menten, die er hervorhebt, geht uns hier nur das folgende an.^)
Seitdem Konstantin die Tempel niedergerissen und alle heiligen
Gesetze getilgt hat, ist es mit der Beredsamkeit zu Ende: denn
die XöyoL sind unlöslich verknüpft mit den Ugdj das wissen
Redner, Philosophen, Dichter; wem föllt es jetzt noch ein, sich
der Rhetorik zu befleifsigen, wo er sieht, dals der Kaiser auf
die Gebildeten weder hört noch sie anredet, sondern zu Rat-
gebern und Lehrern bestellt ßagßdQOvg ävd'QAxovg, xatastt'ifftovg
xal ludiiovtag sivovxovg? Die natürliche Folge ist, dals die
Väter ihre Söhne nicht mehr zu den Rhetoren schicken, denn
iöKettac rö isl nfic6fi£i/ov, äiulattai de tb iu^^öfuvov. Wir
atmeten, sagt er, auf, als lulian diesem Treiben ein Ende machte,
aber ein feindlicher Dämon zeigte ihn uns zugleich und nahm
ihn uns (p. 436 ff.).
1) Doch bemerke ich, dafs p. 441 f. eine interessante Stelle über die
nach Libanios^ Ansicht übermäfsige Zunahme des juristischen Stadiums in
Berytos zu lesen ist.
Norden, antike KonstproB«. H. 30
1'^ loSO
452 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
Diese AusfQhrung erscheint nns wunderlich: zu derselben
Zeit; wo die christliche Beredsamkeit in dem Dreigestirn Gre-
gorios - Basileios - loannes in bisher ungeahntem und später nie
wieder erreichtem Glänze strahlte, spricht der Sophist von einem
Niedergang der Beredsamkeit. Und doch hat er recht, denn er
meint ja nur die Beredsamkeit der selbst im Niedergang be-
griffenen Weltanschauung, deren Adept er ist; der Stoff, mit
dem die heidnische Rhetorik wirtschaftete, hatte thatsächlich in
der neuen Weltordnung den Lebenskeim verloren. Aber klingt
es nicht wie eine tragische Ironie, wenn der Sophist sagt, [afd
und köyoL seien unlöslich verbunden und da die ersteren fehlten,
sei es auch mit den letzteren zu Ende? Nun, bei der anderen
Partei gab es Ugd und in ihren Dienst hatten sich die Xöyoi,
gestellt. Wie waren sie beschaffen? Immer wieder und wieder
zieht es uns in jene Zeiten, wo eine tausendjährige greisenhafte
Kultur, die den Menschen das Herrlichste in Fülle gebracht
hatte, in den Kampf trat mit einer jugendfrischen Gegnerin,
einen Kampf, wie er gewaltiger nie ausgefochten worden ist,
und der mit einem Kompromifs endete, wie er gro&artiger nie
geschlossen worden ist. Viel ist darüber seit den Zeiten Plotins
geschrieben worden, aber noch immer fehlt uns eine Verstän-
digung in prinzipiellen Fragen: ich mufs auf sie in aller Kürze
wenigstens insoweit eingehen, als sie den G^samtcharakter der
litterarischen Produktionen beider Kämpfer betreffen.
1. Die prinzipiellen Gegensätze zwischen hellenischer
und christlicher Litteratur.
Hellenismus und Christentum sind zwei Weltanschauungen,
die sich im Prinzip ausschlie&en. Der Ring der Vergangenheit
hat sich geschlossen, es beginnt eine neue nsgioSogj zunächst —
das kann gerade heute für sog. kritische Philologen gar nicht
genug betont werden^) — ohne Zusammenhang mit der vorigen.
Daher sind auch die beiden Litteraturen sich im Prinzip
entgegengesetzt. Um die Verschwommenheit, die darüber bei
vielen besteht, zu klären und zugleich den Gang meiner spe-
1) v.Wilamowitz, Weltperioden, Eaisergeburtstagsrede 1897, hat darüber
das Richtige in tiefen Worten ausgesprochen.
Gegensätze der heidnischen und christlichen Litteratur. 453
ziellen Untersuchungen zu motivieren, hebe ich — zunächst mit
absichtlicher Übergehung von Ausnahmen im einzehien — die
konträren Punkte hervor, indem ich die beiden Litteraturen als
groüse ganze Einheiten sich gegenüberstelle.
1. Der christlichen Litteratur fehlt die Freiheit der an- Anfhabiu
tiken. Das Altertum hat in seiner Blütezeit keine Autoritäten indiTidui
anerkannt, selbst seinen Göttern stand es in stolzer Menschlich- ^°^^*
keit gegenüber; dafür war die Unabhängigkeit des Individuums
um so gröfser: dieses hatte sich nur der Macht der Tradition
zu fügen, die aber keine autoritative war, sondern ein Ausdruck
des allgemeinen Fühlens und Denkens, dem sich daher der Ein-
zelne leicht unterordnete. Das Christentum brachte die Autorität
und hob daher die Individualität auf, und zwar in doppelter
Weise: einmal gegenüber der Gottheit, denn die Religion war
eine historische und geoflfenbarte und bot als solche den Gläu-
bigen absolute Garantie ihrer Wahrheit^ aber zugleich auch ab-
solute Überzeugung der individuellen Machtlosigkeit; zweitens
gegenüber den kirchlichen Dogmen: alle, die an ihnen zu rütteln
sich unterstanden, haben hellenisch gefühlt, und ihre individuellen
Lehrmeinungen, die sie sich selbst, wie einst die griechischen
Philosophen, ^wählten' (atQsrixoi)^), sind von der allgemeinen
Kirche verdammt worden. Durch diese Aufhebung der Freiheit
des Individuums ging das stolze Gefühl der Selbstherrlichkeit
verloren, durch eigene, bis zum Übermenschlichen angespannte
Kraft des Wollens die Leidenschaften zu knechten und auf Erden
ein Gott zu werden: Stoa und Christentum sind prinzipiell
Gegensätze, was heute wohl hervorgehoben zu werden verdient,
wo es Mode wird, die scharfen Grenzlinien zu verwischen, die
einst Lorenzo Yalla, der Feind aller Unklarheit des Denkens
und Vater der kritischen Philologie, in seinem Dialog von der
Lust erkannt hat. AiiöBi, fi' 6 dal^arv airtögj Stav iyh d'ikm
ruft der stoische i^Aijrijg, bevor er zum letzten Gang sich auf-
macht; ndtsQ fiov^ si dvvar&if iöttVj nagsl^dta) (br' i(iov rö
1) Cf. Th. Zielinski, Cicero im Wandel der Jahrhunderte (Leipz. 1897)
78 mit Berufung auf Tert. de praescr. haer. 6: nobis nihil ex nostro arbitrio
indülgere licet, sed nee eligere quod aliquis de arbitrio auo in-
duxerit. apostolos domini habermis auctores, qui nee ipsi quicquam ex suo
arbitrio quod inäucerent elegenmt, sed acceptam a Christo disciplinam fide-
liter nationibüs assignavenmt.
30*
454 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
xoti^Qtov rothro. jtXi^ oi% &g iyio d'dXo), iXX* &g 6v der
christliche; oderunt peccare boni virtutis amare ist der Ausdruck
des antiken Sittlichkeitsidealismus, tä dtlfmvia tijg afuqftCag d'd-
vcctog der des christlichen Dogmas. Verloren ging auch jene
Freude, durch eigenes Wollen und eigenes Können die Wahrheit
zu suchen, jener Mut zu irren, jenes stolze Siegesgefühl, ge-
funden zu haben, also gerade das, wodurch die antike Wissen-
schaft so Gewaltiges geleistet hatte; der Zweifel war aus der
Welt geschafft und mit ihm die Kritik, es galt fortan das Credo
ut intelligam, während fQr den antiken Menschen ein Glauben
im christlichen Sinne nicht existiert hatte: Jtiötavöov ist christ-
lich, {kiyLvMo i%i6XBlv hellenisch; qtiid Äthenis et Hierosolymis?
quid academicte et ecclesiae? nabis cufiositate optis non est post
Christum lesum nee inquisitione post evangelium. cum credimus,
nihil desideramus ultra credere (Tert. de praescr. haer. 7) und
mitte illos semper quaerentes sapientiam et numquam invenientes
(Paul. Nol. ep. 16, 11) ist christlich, die Lobpreisung eines der
Erforschung des Wahren und Seienden geweihten ßiog d'soQti-
tix6g ist hellenisch. So ist es mehr als ein Jahrtausend ge-
blieben: ein Scotus Erigena, der in Zweifelsfallen die Vernunft
über die Autorität stellte^ ist eine isolierte Erscheinung (er hat
an Piaton, den individuellsten Hellenen, angeknüpft); erst die
Renaissance hat mit ihrer Negierung einer tausendjährigen Ver-
gangenheit das antike Fühlen auch auf diesem Gebiet wieder-
gebracht: sie war in den ersten Jahrhunderten ein revolutionäres
Auflehnen gegen den Autoritätsglauben, ihr Heros wagte es, von
der kanonischen Autorität des kirchlich-scholastisch ausgelegten
Aristoteles zu behaupten, er sei ein Mensch und als solcher
nicht blofs a priori Irrtümern ausgesetzt, sondern er habe no-
torisch in den grofsten und wichtigsten Dingen geirrt'); die
Folgenden wagten sich an scheinbar historisch verbriefte Ur-
kunden der Kirche, zuletzt an das kirchliche Dogma selbst. Der
fundamentale Unterschied ist den Hellenen selbst nicht verborgen
geblieben: Galen spricht von den &vait6dsixtoi vöfiot der
Christen (VHI 579 K.) und Julian sagt stolz (bei Greg. Naz.
or. 4 c. 102; vol. 35, 637 Migne): inUzBQO^ ol köyot xal tb ik-
XrivC%siVj bv xal xh ödßsiv r(ybg d'so'ög' ifi&v Sh ij äXoyCa %al fi
1) Petrarca de ignorant. p. 1042 (Opera ed. Basil. 1681).
Gegensätze der heidniBchen und christlicheii Litteratur. 455
iyQO0cCa^ xal oidhv {}jtiQ tb Iliötsvöov tifg {fiistigag iötl tfo-
g>iag. — Mit der individuellen Freiheit der antiken Litteratur
im Gegensatz zu der korporativen Geschlossenheit und Gebunden-
heit der christlichen hängt aufs engste zusammen das gröCsere
schriftstellerische Selbstbewufstsein, das Hervordrängen der Per-
sönlichkeit in jener; verstärkt wurde dies Moment durch die
spezifisch christliche Tugend der Demut, wofür dem Altertum,
das im personlichen Ruhm, in der irdischen Unsterblichkeit das
höchste Ziel des Lebens und Strebens sah, Begriff und Wort
gefehlt hatte. Derselbe Boden der Campagna, der die Riesen-
denkmale mit pompösen Lischrifben trägt^ birgt die Gebeine
zahlloser Christen^ von deren Ruhestätte oft nur Tafeln mit dem
schlichten m pace Kunde geben, während ihre Namen unbekannt
von ewiger Nacht gedeckt werden; derselbe Gegensatz bei der
litterarischen Lidividualität: exegi monufnentum und was weiter
folgt, ist antik, dod^ö^ai, iiitv xC kaXi^östCj oi yäf ii^stg iötl
ot XaXoiJvxBg iXX& tb nvBÜfia tov natgbg ifi&v t6 kakoihf iv
ifütv ist christlich. So blieb es mehr als ein Jahrtausend.
„Noch fOr Dante ist die Ruhmbegier, h gran disio deW eccellensfa,
verwerflich, die armen Seelen im Lifemo verlangen von ihm, er
möge ihren Ruhm auf Erden erneuern***); Ciceros Bücher über
den Ruhm hat bezeichnenderweise das Mittelalter nicht tradiert,
aber Petrarca, dessen Leben, Denken und Dichten mit der Sehn-
sucht nach Ruhm ausgefüllt war, bildete sich ein, sie einst be-
sessen zu haben, indem er seinen heifsen Wunsch durch eine
Art von Hallucination realisierte.
2. Der christlichen Litteratur fehlt die Heiterkeit der Aufhebunj
antiken. Der weltflüchtige Gedanke, nach dem das irdische neitarkei«
Leben das Janunerthal war, gab jener einen ernsten^ die un-
antike Tugend der Entsagung einen schwermuts vollen Charakter;
heiter war sie nur, wo sie die Freuden des Jenseits schilderte:
da entlehnte sie die Farben dem Elysium; aber während sie hier
die pindarische Farbenpracht nicht erreichte, hat sie die ho-
merisch-orphisch-vergilische Hölle ins Grausige und durchaus
Unantike ausgemalt. Sponte miser, ne miser esse qtieat^), ist der
christliche Mönch, q)oiy(Ofuv Tcal nüoinev, aÜQLov yäg aTtodifrjöxO'
1) J. Burckhardt, Die Cultur d. Renaiss. I* (Leipz. 1885) 156.
2) Butil. Nam. de reditu suo 444 von den Mönchen.
456 ^on Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
fi£i/ sagt der antike Plebejer, (ieqtiam memento und was folgt der
ästhetisch gebildete antike Genuibmensch. So blieb es wiederum
mehr als ein Jahrtausend: bei Dante sind die fleischlichen
Sünder in der Hölle und mittelalterliche Mönche haben Ovids
Liebeslieder allegorisch ausgelegt zum Lobe der Jungfrau Maria.
Aber in der Renaissance hat man wieder das itlvBiv Koi Ttalisiv
nicht blofs in Versen yerhimmelt, die nach der Maxime Gatulls
ebenso moUictdi wie parum pudici sind, sondern auch praktisch
geübt, ohne sich dadurch bei einer Gesellschaft unmöglich zu
machen, die — ganz im antiken Sinne — die strenge Moral der
graziös-heiteren Ausprägung freier Lidividualität gern zum Opfer
brachte.
Lnfhebang 3. Der christlichen Litteratur fehlt die nationale Ex-
naüoxuJen klusivität der antiken. Die hellenische Litteratur war in
RikiuBiTi- w^^ev Blütezeit exklusiv national: dafs die Barbarenseele knech-
kat (167 An-
tike. tisch gesinnt sei, war die stolze Maxime, nach der praktisch
verfahren wurde. Dagegen ist die christliche Litteratur von An-
fang an international gewesen und hat gerade in der Verbindung
der Völker, durch Nivellierung der Unterschiede ihre höchste
Eulturmission bewufst vollzogen. Xq& totg fikv "EXkriöLv ig
"EXXtiöLVj totg dh ßaQßdQoi^ ing ßaQßaQoi^ ist die Weisung, die
der griechische Philosoph einer Tradition zufolge seinem die
Welt erobernden Schüler Alexander auf den Weg mitgab; noQsv-
%ivxBg iiadTitsiiöars itdvta tä idvij sagte der Stifter der christ-
lichen Religion zu seinen Schülern, als er sie in die Welt aus-
infliebimg saudtc. — Der christlichen Litteratur fehlt femer die soziale
sosiftien Exklusivität der antiken. Populär ist die antike Litteratur
^^'^* bei den Griechen nur in der ältesten Zeit gewesen, als das
tike. Volksepos geschaffen wurde, und dann im perikleischen Athen,
weil in diesem das Durchschnittsmals der ästhetischen und in-
tellektuellen Bildung so hoch war wie nie wieder nachher. Li
Rom hat es eine eigentliche populäre Litteratur überhaupt nicht
gegeben, da sie von Anfang an unter dem Zeichen des Hellenis-
mus stand: auch Plautus war Eunstdichter, und die Atellane, die
in der Republik noch am meisten volkstümlich war, wurde von
den stadtrömischen Dichtem sofort stilisiert, verschwand auch
ganz von der Bildfläche, als die soziale Bewegung, von der sie
getragen wurde, beseitigt war. Li der Eaiserzeit besafs der
Grieche nur seinen Homer, aus dessen Vorstellungskreisen er
Gegensätze der heidnischen und christlichen Litteratur. 457
entwachsen war, der Lateiner seinen Virgil, der doch eigentlich
nur fCLr das Rom der Ixdier gedichtet hatte. Dagegen brachte
das Christentum eine volkstümliche Litteratur, die durch ihren
rein menschlichen, an keine bestimmte Zeit und Verhältnisse
gebundenen Lihalt unmittelbar auf die Gemüter auch der Armen
im Geiste wirkte; und za einer Zeit, wo der Hellene an Poesie
kaum mehr etwas hatte als den Homer, dessen Mythenwelt ihm
nur noch durch allegorische Umdeutung verständlich war, der
nichtgläubige Occidentale nichts als den Yirgil, den er als all-
wissenden Zauberer mehr fQrchtete als liebte, pries der Christ
in Antiochia und Konstantinopel die Jungfrau Maria, in Gallien
und Mailand Gott Vater und Sohn in Versen, die von den
Dichtem formell und inhaltlich dem Fühlen und den Ideen-
kreisen des Volkes angepafst waren. ^) Ob es damals heidnische
Volkslieder gab? Es ist wahrscheinlich, da der Häretiker
Arius nach der Schilderung des Athanasius an sie angeknüpft
zu haben scheint, aber sie hat kein Mensch zur Litteratur
gerechnet. ^Ex^ccigm nävxa tä SijfAÖöLa ist antik, xoqsvsö^s
ixl tag Su^ödovg r&v 6S&Vj oucl Söiyvg iäv BÜQrixs xakiöccvs
ist christlicL
4. Die christliche Litteratur als Ganzes betrachtet ermangelt Aufhebu
der antiken Formenschonheit. Der sozusagen äuTsere Grund Formen
ergiebt sich unmittelbar aus dem zuletzt Erörterten. Es findet ^^^^
sich, wie ich im Lauf dieser Untersuchungen schon öfters be- Antike
merkt habe, in der ganzen antiken Litteratur (abgesehen von
einzelnen &chwissenschaftlichen Schriften), kein stilistisches
ßtsxvov, was sich eben aus ihrem dem gemeinen Leben ab-
gewandten, aristokratischen Grundcharakter erklärt. Behandelte
einmal ein Schriftsteller realistische Stoffe des taglichen Lebens,
so stilisierte er sie doch mehr, als uns modern empfindenden
Menschen lieb ist, man denke an Herondas, Theokrits Ado-
niazusen, Petron. Hätten wir die Inschriften nicht, so würde
uns aulser den paar zufällig überlieferten Soldatenversen kein
1) Es ist aber bezeichnend, wie langsam sich die auch in der Form
populären Gedichte die Anerkennung der Gebildeten erwarben: Commodian
wird von Hieronymus ignoriert und erst von Gennadius mit zweifelhaftem
Lob genannt. Augustin (retr. I 20) entschuldiget sich geradezu wegen der
volkstümlichen Art seines Psalms gegen die Donatisten.
458 Von Hadrian bis zum Ende der Eaberzeit.
heidnisches lateinisches Dokument verraten; wie sich das Volk
mit der Metrik abfand. Dagegen haben wir unter den christ-
lichen Gedichten die des Commodian and den Psalm des
Angnstin gegen die Donatisten^ am von den späteren gar nicht
zu reden. Ebenso die Prosa: die Evangelien mausten auf das
formale Gefühl eines antiken Lesers ebenso verletzend wirken
wie aus der späteren christlichen Litteratur etwa die Predigten
des Augustin; wir werden später sehen^ dab unter den christ-
lichen Autoritäten ein Jahrhunderte langer Kampf geführt wurde
über die Frage^ ob man gut oder schlecht schreiben solle, eine
Diskussion, die für einen antik empfindenden Menschen a priori
gegenstandslos war: ein (wenn auch übertreibender) Ausspruch
wie der Gregors d. Gr. (moral. praef. i. f.): ipsam loquendi artem
despexi. . . ., quia indignum vehementer existimo, ut verba caelestis
oraculi restringam sub regidis Donau, verglichen mit einem be-
liebigen Ausspruch eines griechischen oder lateinischen RhetorS;
zeigt deutlich die Eluft, die zwischen antikem und christlichem
Empfinden gähnte. — Aber wenn wir diesen Verzicht auf
äu&ere Formvollendung der christlichen Litteratur einzig aus
ihrem Zweck, auf die Massen des Volkes zu wirken^ ableiten
wollten^ so würden wir den Fehler begehen, ein bloüs sekundäres
und mehr äufserliches Moment geltend zu machen, das eigent-
lich treibende zu übersehen. Den Kampf zwischen Griechentum
und Christentum kann man, wenn man eine und zwar eine
wesentliche Seite ins Auge faist, einen Kampf zwischen Form
und Lihalt nennen. Nach Schönheit lechzend hatte das Hellenen-
volk kein Mittel verschmäht, den Durst zu stillen: die schöne
Form war sein Ein und Alles, und in seiner grölsten Zeit war
sie thatsächlich mit dem Inhalt kongruent gewesen. Dann aber
war ihm die Fähigkeit, einen tiefen neuen Lihalt zu schaffen,
langsam abhanden gekommen, während die Kraft kunstvoller
Gestaltung der Form ihm geblieben war, ja auf Kosten des Li-
halts sich einseitig gesteigert und zu einer Art von Virtuosen-
tum ausgebildet hatte. An dieser Form berauschten sich nach
wie vor die schönheitsdurstigen Seelen: sie wufsten, dais es nicht
der Saft lauterer Wahrheit war, den sie einsogen, aber so
mächtig war die Sinnlichkeit des Empfindens, dafs sie mit vollem
Bewuistsein das Gift schlürften, weil es suis war und sie in
einen Taumel befriedigten ästhetischen Genusses versetzte: die
•ben und christlichen Litteratur.
459
iffht als verwerflich gegolten, wenn sie
anftrat und dem SchönheitsgefÜhl neue
Richter und das Volk haben gewufst,
«Mf itoren Lippen die Peitho safs, sie gelegent-
hat das ja selbst einmal mit göttlicher
ezpliciert und aus jedem beliebigen Lehr-
Mit den Zeiten des Eallikles konnte man
ichten. Daher war auch der Kampf der
die Rhetorik von Anfang an ein hofi&iungs-
den Gebieten des Seins und des Scheins war
omiis möcrlich: in einer varronischen Satire trat an
VT .<r.r)histice aperantologia Übersättigten heran cana
itft/v-.v 'Hilosophiae aJumna.
^t? ■ rihrhoit, aber nicht die durch philosophische Speku-
.:•• ' luiifsig abstrahierte, sondern die unmittelbar
I tn in das Herz gesenkte, erschlofs die neue Reli-
ns uch tsvoll nach einem Positiven ausblickenden
^ Jie innere Öde ausfallen konnte. So wurde die
• l'-rzens wieder geboren. Seit dem Hymnus des
.' in griechischer Sprache nichts so Inniges und
• randloses geschrieben wie der Hynmus des Paulus
('. Es ist bezeichnend, dafs uns vor allen noch die
itt^ligion so nahe stehenden neuplatonischen Schrift-
Lii'en, wenn sie uns in ihrer Verzückung, in der das
.:st zum Glauben wird, mit sich raffen ins Reich der
Vereinigung mit der Gottheit. Aber wohin wir sonst
eine gleichf5rmige Wüste, aus der dem ermüdenden
r nur selten Oasen entgegenlächeln: so steht mitten
ji abgeschmackten Reden des Himerios ein tiefergreifender
.':i auf den Tod seines hoffnungsvollen Sohnes (or. 23),
itd durch Wärme des Gefühls, Einfachheit der Sprache
.Mangel an Raffinement. Wer diesen Erguis liest, wer den
■ liisten in vollem Glauben reden hört von dem Todesdämon,
den Sterbenden würgt, von den Erinnyen mit ihren Fackeln,
• m Neid der Gotter, denen er flucht, der begreift, dafs
'lillionen, die sich in ähnlichen Qualen verzehrten, und die
für die Philosophie teils zu sehr Gefühlsmenschen teils zu
ungebildet, für die Magie zu aufgeklärt, für die Mysterien
zu arm waren, sich der neuen Religion in die Arme warfen,
r]
i-'J
4U<j Von Uiidrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
diis brachte, wonach die ganze Welt sich sehnte: Erlösung durch
hlohen Glauben.
2. Der Eompromifs zwischen Hellenismus
und Christentum.
AU- Aus den grolsen Antinomieen durch berechnende Steigerung
' des Oomeinsamen und geschickte Niyellierung des Verschieden-
»rtigeii eine naXivtovog &QiiOvüt gemacht zu haben, ist die
grUrsto Geistesthat der alten Kirche und der gewaltigste Akt in
diesem Weltendrama überhaupt gewesen: gerade dadurch, dafs
sie niclit ausschlielslich zerstörend vorging, sondern in gegebenen
Qrmmm Toleranz übte, ist die katholische Kirche Siegerin über
das I'antboon geworden. Nicht völlig ist es freilich gelungen,
die ungeheuere Kluft zwischen den sich widersprechenden An-
schauungen auszufüllen, die Ringe der beiden Ketten haben nie
ineinaridergogriffen, sondern sich stets nur an einigen Punkten
berührt. Holunge die Menschheit zur antiken Kultur ein inneres
VerhllHnis gehabt hat, ist in einzelnen tiefer angelegten Naturen
der alle Kampf immer wieder von neuem ausgefochten worden:
wie llieronymus hat mancher mittelalterliche Mönch visionäre
tjualen wegen der Desohäftigung mit der alten Litteratur ge-
duldet und wie Augustin hat noch Petrarca gerungen. Erst
seiifleiii die Welt vom Jugendrausoh der Renaissance sich er-
iiilolikerk und die aiilike Kultur als einen Tempel ewiger und vor-
liitdliolii^i' Hohnnlieil in objektiver Ruhe und Kühle zu betrachten
t^MIfMlWiiiieh hüll isl der ifroflie Kampf bu Grabe getragen, denn
mt die iieuesleii Hohmllhrufe lilterarinoher Proleten und Hero-
«MHilvt HU(i|i nur MU aiilworien, dafür denken wir alle zu stolz
sm\ flthleii wu lieillit. Hs itiebi noch kein Werk, in dem alle
\\\^\\ VeiliHliiiiMMe wluNeimeliaftUoh dargelegt wlren — nur filr
\Uli HM||Hm \m\ den KuUmh haken Hamack und Usener die
\(^\^l^\\ \\^M\\\\W\\ ifentelU und iMHUilwturiot -, und hier ist
w)U(>Yl»l*«iiHlHU(^k \\\M der Ort« trit^dwie uUier darauf ein-
IMM^MII Mf \\\^ Hs'm^^i db \\^ V<Mreehmel«uiigsprozef8 der
IMMW yitoVktttlMI kt^wUkWn» tMMTtthl^ ie)u IVnm w&hrend oben
4irM \li^raw)«Wm IU\l)^leir(Vittunit<'n die Rede war,
*^ttH| MtlMki Mk ^ \\w ht^)l<Mueohen Litteratur
** lUt« WlA Mt^^tttirOmungen vor-
mus.
Kompromifs zwischen Heidentum und Christentum. 461
banden waren, die bis zu einem gewissen Grade einen Ausgleicb
der Gegensätze ermoglicbten.
1. Als das Altertum seine Jugendlieben Ej*afte zuerst in sinkende
titaniscbem Wagemut, dann in idealistiscber oder auf den Tbat- ^Tidiuoii
sacben gegründeter Forscbung erschöpft batte, begann es, sieb
seine Autoritäten zu setzen: die nacbaristoteliscben Systeme legen
redendes Zeugnis davon ab. Piaton batte die Seligkeit des
^ritetv gepriesen, aber f£lr seine späten Adepten galt: ut rationem
Plato nuUam adfert, ipsa auctoritate frangit (Cic Tusc. I 49); f&r
die Epikureer und Pytbagoreer waren die Stifter der Systeme
die alles erleucbtenden Sonnen, die offenbarenden Götter, und
Cbrysipp galt als inkamierte Stoa. So war der Boden fQr die
Aufnabme eines döy^a im cbristlicben Sinn^), d. b. eines autori-
tativen, vorbereitet. Es ist doch höchst bezeiebnend, daüs Gregor
von Nazianz 1. c. (oben S. 454) dem Julian auf seine Worte
oiSiv %mi(f rö üiötevöov tilg ifitetdQag iötl 6oq>ücs erwidert,
er solle docb auf die Pytbagoreer seben, olg tb Airbg itpa xh
XQ&tov xal yLiyi,6%6v iöxi r&v doyfkixmvj und in gleicbem Sinn
bat es einmal Hippolytos gewagt, die b. Scbrift als Offenbarungs-
urkunde mit den Dogmen der Philosophen zusammenzustellen:
bom. adv. Noei 9 (p. 50, 15 Lag.): bIq ^eög^ &v oix &kko^ev
hciyivAifxo^v ^ ix x&v icyimv ygutplbv. 81/ yäg xgiicov idv
xig ßovXffi^ xilv 6oq>lav xoi> al&vog xovxov äöxetv^ oinc ällmg
dwT^öBXcci xoiixov xv%Blv^ iäv fiil döyiiaöi q>ilo66q>mv ivxiixjjj
xbv ainhv dij xqöxov Söoi ^BOöißBiav &6xbIv /SovAdfiC^a, oix
&XI0&BV &6xi^6o(iBv 4 ix x&v Xoyimv xov deot): tbatsäcblieb
beifst ja g/riöi fQr die Platoniker IlXdtayif wie fQr die Christen
^BÖg oder *Iti6ovg oder ö äxööxoXog oder 1} ygccgyij überhaupt.
Aber solange die pbilosopbiscben Satzungen als solcbe von
Menseben, wenn auch von göttlieben Menseben aufgestellte
galten, blieb doeb immer ein gewichtiger Unterscbied besteben,
den cbristlicbe Schriftsteller gelegentlich hervorheben, z. B. Mar-
cellus V. Ancyra (s. IV) fr. bei Euseb. contra Mareell. 14 p. 43
ed. Gaisford: xb döynaxog 81/Ofux x^g ivd'Qmnivrig S%Bxai ßovX^g
XB ocal yvAfifig, Sxi dh xov^* ofhcog i^Bi^ na(fXV(fBt fikv txav&g ^
doy(Mctixii x&v IccxQ&v xi%vri, yMQxvQBl d\ xal xä x&v (piXo66tpmv
1) Cf. für das Allgemeine auch E. Hatcb, Griechentum und Christen-
tum, übers, von E. Preuschen (Freib. 1892) 88 f.
4^2 Von JJadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
XM)jr/)li$:Vu AAyuata. Sri, di xal tä övyxXi^tm Sö^avta hi xal vvv
d6yfn/.ru avyxli^tov Xiyetai oviiva Ayvostv olfiai. Auch diesen
Unlizrtnih'u'jl hat daher charakteristischerweise Porphyrios, der
('AtnüU'Tifc'uul, udf^ehoben, indem er durch die Heranziehung der
Orskkt'l tU:n Orad der heidnischen Offenbarung so steigerte, dafs
iirjrh NJn zu einer absohiten wurde. So begegneten sich die
\nu(Uiti Milchie im Streben nach PositiTismuS; und der Eom-
(iromÜH ^iii^ (ininorklich yon statten. — Die im Prinzip un-
vffnrinbiirrti WoltaiiMchuuungon der Stoa und des Christentums,
(I. h. flnr HidbHlhtTrlichkoit des auf sich gestellten Weisen und
fU^r Hfili^priMHiing d<*H geistig Armen, haben sich an entscheiden-
tU'H Ptiiikinn berührt: vor allem konnte bei der stoischen
ThiMidinMi dio WilleiiNfroilioit nur theoretisch aufrecht erhalten
Mriirilnii, in (h«r Praxi» hat sie fast zur Aufhebung des Indivi-
iliiiiliNniiiN gofniirt. Auch auf heidnischer Seite ist daher das
HnwiilHt-NtMii und Streben nach schriftstellerischer Individualität
(i^iiHunkon: nuin vorghuche die stolze Anmarsmig des Empedokles
tiiil. dnr /urückhultenden IVseheidonheit de« Lucrez (I 1^21 ff. gilt
mir dnr diehleridchon Kormgebung\ Platou mit Plotin. Der
|ini'Hi\nhohii liuhni int von siimtliohou Philo8opbensohuleu in der
Thndi'io viM'woifon wortleii: die grimiuigt^ Polemik der Christen,
V.- II doM (jro^or von Naxiauir, gegen die finYo^iff oder xivodol^ia
kiiiniln diihni* mit den Watfou der Hellenen gt^ttthrt werden imd
laihl Imi den tiebittMon unter diesen keinen Widerspruch; in
dk«i PintiM Hinil Nieli die Thri^ten der entwickelten katho-
IlMoltnii l\nelie ho ivenig kon8ei{ueut gi^blieben wie die helle-
HlMrlii«n PliiloHiiplien: die liobon»gt^«ehichte des Oregor von
Nh^Imu» liMWiitMt, diilk er von unstillluirer Uuhmessehnsucht
dui'iditflülit wni*, und in den KatakomlHni liegen neben den Ge-
büiiiMh der NHiiii>iiloiieii und Ihibeweinten die der Papste und
MRrKvi'tii'i Wt^leltii nu dem ittiuialc^u Oaiuiwu» ihren heiligen Sanger
1^- S, Nur tu ihrmi UMMnk^humkti^r i«! die antike Litteratur
n IMmIIi nioIlM itlld Mil ih^m Sclwtten trflber, welt-
i «ad XülglMlUmi hml^Vi. E» hat seit sehr
i^ HAMV tii« den K&iper als Grab,
und die» Anschauungen
iMW d«m OUubigen ein
ll Wtil» Kreiie. Die Stoa
KoraptoniirB zwischen Heidantam tmd ChriBtentam. 463
femer macht mit ihrem aBketiscben Bestreben tod TOroherein
keinen ganz rein hellenischen Eindruck; ein am ao wichtigeres
Bind^lied «orde sie in demgrorsenEompromUs: PaoloB, Seneca,
Epilctet, alle drei ä^lL^al z&v xa^&v, konnten leicht znaammen-
gebracht werden; die finstere Rede des Dio (Charid. 10 £f.) von
dem grolsen Weltengeßngnis, in dem die irdischen Menschen
schmachten, sowie die Meditationen des kaiserlichen Philosophen
aber die Nichtigkeit dieser Welt mtissen auf christliche Leser
grolsea Eindruck gemacht haben; das Gefühl des politischen,
sozialen und moralischen Rückgangs ist in der heidnischen
Litt«ratur der ersten Jahrhonderte sehr stark zum Aaedrack
gekommen and die aufiallige BeTorzagong der Kalte von
Heilq^ttern beweist, dafs das BewuTaisein von der eigenen
Haehtlofligkeit und von der Notwendigkeit einer Erlösung
■eitens hSherer Mächte damals überhaupt aafs stärkste aus-
geprägt war.
3. Dieselbe Stoa hat dazu beigetragen, die Ezklasirität im
Leben der Völker unter einander aufzuheben; nnd wenn sie, an- i
knBpfend an den Eynismns, die vönifia ßagßaifixä in der
Theorie mit den hellenischen gleichgestellt, ja sie in Geftthls-
■mrandlai^en von im Grunde nnhellenischer Sentimentalität
•ogar aU vorbildlich fttr diese erklärt hat, so hat das Zeitalter
AlsEUiden d. Gr. diese kosmopolitischen Theorieen znm ersten
Ual in die Praxis Übertr^en, und seitdem sind die völker-
Tarkliflpfenden Tendenzen dieses über sich selbst hinaus -
gewaehaanen Hellenismus nicht wieder zum Stillstand gekommen.
Abv doa ist ja gerade das Grolsartige gewesen, daJÄ die
_ 1 weniger Generationen von Thukydides bis Aristoteles
Äonen vorbildlich geworden sind: dasjenige, was jene
i unter den Menschen in stolzer einseitiger Beschränkrmg
• adJosiv national gehalten hatten, war in seinem innersten
I so sehr der Ausdruck edelster Menschlicbkeii überhaupt,
I es, olle nationalen Schranken durchbrechend, das vSlkerver-
mde Ferment der intellektuellen, ästhetischen and ethischen
; k&nftiger Jahrtausende hat werden können: graeca le-
; M ommbus fere gentibus sagt Cicero, tö ixQißätg "EXltivo!
Ht d^6vaaftttt zolq iv&fftbxois i^oiuXijeat Synesios. Diese
1 Unterschiede nivellierende allgemeine Menechen-
iit die Basis gewesen, auf der die christliche Kirche,
464 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
diese grofse YÖlkerverbindende Macht, ihren stolzes Bau auf-
soBiAiimui führen konnte. — Dieselbe Stoa hat auch den im Grunde gleich-
H«uaii8< falls nnhellenischen Begriff des allgemeinen Menschenrechts
'^^^ innerhalb der verschiedenen Stande eines und desselben Volkes
zum ersten Mal mit ausschlaggebender Energie — die Keime
liegen, wie für die gesamte stoische Ethik, schon in der sokra-
tischen Lehre -— in der Theorie aufgestellt und, wie die rö-
mischen Gesetze zeigen, bis zu einem gewissen Grade in die
Praxis einzufahren vermocht. — Da nun die Ideen der Stoa
überhaupt in das AUgemeinbewufstsein aller Gebildeten, ganz
unabhängig von ihrem philosophischen Standpunkt, übergegangen
sind, so erklärt es sich, daJjs der exklusiv aristokratische
Charakter der antiken Litteratur leicht einem volkstümlichen
Platz machen oder ihm wenigstens eine geduldete Existenz-
berechtigung zuerkennen konnte: zu den Fülsen des phry-
gischen Sklaven hat im zweiten Jahrhundert der Herr der Welt
gesessen, und das kommunistische Staatsideal des Gnostikers
Epiphanes lehnt sich aufs deutlichste an die berüchtigte zeno-
nische tcoXixbCu an.
Theoreüiche 4. Auch in ihrer Verachtung der schönen Form der Dar-
gttittgkeii steUung hatten die christlichen iptk66oipov an den hellenischen
gegen ihre Vorgäuffer: denn in der Theorie haben auch diese seit dem
Formen- .
sohonheit. ^aloq IlkAcmv auf die äufsere Form nichts gegeben und einige,
wie der Aristoteles der pragmatischen Schriften, Chrysipp und
Epiktet haben die Theorie auch in die Praxis umgesetzt: im
allgemeinen aber haben sie trotz aller ihrer Versicherungen mit
^ Bewulstsein sorgfältig und schön geschrieben. Ebenso die christ-
ner liehen Schriftsteller: es soll im folgenden gerade dargelegt
in^Kunit werden, wie die christliche Litteratur seit dem Moment, in dem
LittJnftur. ^^® ^ ^^® Sphäre des Hellenismus trat, trotz aller Theorieen
und trotz hei&er Konflikte zwischen Sollen und Wollen doch
kraft des Gesetzes der immanenten Notwendigkeit sich in
steigendem Mause die äuTseren Mittel der hellenischen Dar-
stellungsart angeeignet hat und so auch auf diesem Gebiet die
grofse Erhalterin gewesen ist. Wie in der bildenden Kunst, so
mufste sie, wenn sie verständlich sein und wirken wollte, auch
in der redenden die antiken Formen beibehalten: das Grofse aber
war, daÜB sie diese Formen, die bei dem mangelnden Gehalt
Selbstzweck geworden und wie ein für sich selbst bestehendes
Kompromifs zwischen Heidentum und Christentum. 465
Ornament der Schnorkelei anheimgefallen waren, mit neuem
Inhalt gefüllt und dadurch dem Menschengeschlecht fQr alle
Zeiten übermittelt hat. Das ist ihre litterarische Mission ge-
wesen, das ist es, was sie auch uns Philologen lieb und wert
macht; die wir uns durch den Inhalt oft befremdet fühlen. Wer
nicht ohne das Geftihl heiligen Schauers, das der grofse welt-
bewegende Zug der Ideen auf die Menschen ausübt, die Kirche
im Pantheon, den guten Hirten im Gewände des Orpheus, die
Madonna mit dem Kinde in der Kaiserin -Mutter mit dem
künftigen Herrscher dieser Welt schaut, wer in der gnostischen
Legende das * Mädchen' Persephone als Maria, in der katholischen
die listenreiche Tochter des Zeus in der schonen Sünderin Pela-
gia, die Symbole der Mysterien im Kultus der (konstituierten)
Kirche, die altheidnischen Sühnfeiem in den kirchlichen Bitt-
gängen, den christlichen Märtyrer oder Bischof im Philosophen-
mantel wiedererkennt, wer den Asklepios-Soter, den der Apostat
dem galiläischen lesus-Soter als unvereinbar höhnend gegenüber-
gestellt hatte, mit diesem sich in Wort und Bild freundlich ver-
binden sieht, der wird ohne Verwunderung das herrliche Gebet
am Schluüg des platonischen Phaidros nur leise umgebogen aus
dem Mund eines Bischofs des sechsten Jahrhunderts ertönen
hören, der wird ohne ästhetisches MiTsempfinden am Symposion
der Nonnen teilnehmen, die nicht den Eros und die Kallone,
sondern ihren himmlischen Bräutigam preisen, der wird von den
innigen Herzensergüssen, die der grolse Nazianzener in den
klassischen Formen hellenischer Poesie niedergelegt hat, ergriffen
werden, der wird die kynisch-stoische Homerexegese und die
aristarchische Homerkritik durch den gewaltigen Alexandriner
gern auf die heiligen Urkunden der Christen übertragen sehen,
der wird endlich, was uns vor allem naher beschäftigen wird,
als etwas Selbstverständliches die Thatsache entgegennehmen,
dafs die (entwickelte) christliche Predigt im Gewände der
sophistischen Rhetorik erscheint: tdSe yäg yLBxaxBö&ma ixetvä
iöti xixetva nikiv {UtanB6&ma tavta.
3. Prinzipielle Vorfragen.
Bei allen Untersuchungen, die sich bewegen „auf der breiten * ^^
Fläche gemeinsamen Besitztums, die zwischen dem Felsen der äjuJ'^»^
4(U( Von Hadrian bb zum Ende der Eaiserzeit.
Lehre Christi und dem rein heidnischen Lande liegt ^ auf dem
Watt, über das einst die Flut des Heidentums sich ergofis^^),
ist die grölste Vorsicht notwendig; wenn man nicht ausgleiten
oder versinken will. Zwar die Zeiten sind Yorüber, wo man
Hellenismus und Christentum wie durch eine Mauer dauernd ge-
schieden glaubte, wo man die beiden um den Besitz der Welt
kämpfenden Mächte als zwei Gewalten ansah, zwischen denen ein
äönovdog nal iaiiiQxmtog nöXenog bestanden habe, ein Krieg des
xcc9Ü)g daifioiv gegen das Prinzip des Guten: in jenes Dunkel der
ivi6to(ffi6ia hat das helle Licht der geschichtlichen Auffassung,
das Sfifia ttiXccvyig der so einfachen und doch so lange yer-
borgouen Wahrheit vom Werden alles (Gewordenen hinein-
geleuchtet. Aber infolge des gerade unser Jahrhundert aus-
zeichnenden Forschungsdranges, überall das höchste Gesetz der
Entwicklung in seinem Walten zu erkennen^ überall die Wurzeln
bis in ihre feinsten Fasern zu zergliedern, gehen einige auf
diesem Gebiet meiner Überzeugung nach oft zu weit und treiben
mit dem Begriff der * Entlehnung' Milsbrauch: die Falle, in
denen eine Entlehnung in dem rein äuÜBerlichen Sinn der direkten
llerUbemaiime peitens der Christen erfolgt ist^ sind weitaus die
seltonoron, und wo sie erfolgt ist^ handelt es sich nie um
die Idee als solche, sondern nur um die Formen, in
welche sich die Idee in der Welt des Hellenismus ein-
gekleidet hat: wo immer wir direkte Entlehnung einer
tnubenden Idae des Christentums aus dem reinen (d. h. dem
nicht judalsierten) Hellenismus angenommen haben, da haben
wir geirrt. Man mufs bei Behandlung dieser Fragen die ein-
«ttlnen FUlle nach inneren Gründen streng zu scheiden suchen,
witim mau »u iripmd welcher Klarheit und Sicherheit der Re-
Mulialu gelangen will: dafii die Untersuchung dadurch erheblich
Miiliwitirlgtir wirti als wann man sie nach rein äufserlichen 6e-
sluliUltuukUu anstt^Ut, ist freilich gewilk Folgendes scheint mir
[liHgjHy l, lu yi^au KiUlai^ wo aiuigd vun ^Entlehnung' sprechen,
lum^^li ^ *i^ i^ Wahrh<»i( um spontanes Wachsen
^Vf tk^lU Uruu^t you lU^au» Ui« aU ^^Gemeingut des
Mt^f^H i]kfl^)^a¥a Qk^athaupt h^ttacbtet werden
iBMltk IM««a I vlMa l;Wta> p IX.
Die griechisch-chriBtliche Litteratur: prinzipielle Vorfragen. 467
müssen/'^) Hier moTs also an die Stelle des Begriffs * Ent-
lehnung' der der ^Analogie' treten. Giebt es nun Kriterien,
beide zu scheiden? Vieles wird hier immer dem subjektiven
Gefähl überlassen bleiben , aber oft bietet der ganze Charakter
eines Schriftstückes die Möglichkeit zu unterscheiden, ob es sich
um Entlehnung oder um Analogie handelt. Das Bild des Paulus
vom Wettkämpfer (ad Cor. I 9, 24 ff.) stammt, wie jeder in der
griechischen Litteratur Bewanderte zugeben muTs, aus der
popularisierten stoischen Moralphilosophie ^, deren Gedanken
damals in das allgemeine Bewulstsein übergegangen waren. Das
Bild Yon den zwei Wegen in der Beigpredigt (ey. Matth. 7, 13 ff.,
also aus dem spätesten Teil) erinnert zwar gleichfalls aufs
stärkste an das seit der Zeit Hesiods und der alten Sophisten
so überaus populäre Bild von den zwei Wegen, von denen der
eine, eng und domig, zur Tugend, der andere, breit und glatt,
zum Laster fOhrt: aber von einer direkten Beziehung kann gar
keine Rede sein^); es stammt vielmehr, wie uns der Barnabas-
brief und die Lehre der zwölf Apostel zeigt, aus jüdischen Vor-
Stellungskreisen. ^) Je näher also ein Schriftsteller dem Hellenis-
mus steht, um so grö&er ist die Wahrscheinlichkeit einer
unmittelbaren * Entlehnung': bei Gregor von Nazianz gröfser als
bei den Mönchen der nitrischen Wüste, bei jedem Häretiker
grölBcr als bei jedem Katholiken u. s. w.
2. Li vielen Fallen brauchen wir uns nicht innerhalb derHeUeniaoh
AnAlogiaen
1) Usener 1. c.
2) Aber wahrscheinlich nur indirekt durch Vermittlung der jüdisch-
hellenischen Litteratur (s. weiter unten sub S), cf. Sap. Sal. 4, 2 (von der
&(fBti/j): iv t& al&vi ctetpumiipoQoaöu arofiare^Ci tbv t&v &(iidvtmv &&lmv
&y&vu vixi/jöaüa und 10, 12 (von der öoipla): &yätva UsxvQbv ißgdßsvcBv
ainm. Wie beliebt das stoische Bild auch in der späteren alexandnnischen
Schule war, weifs man aus Philon, cf. z. B. P. Wendland, Phil. u. d. kyn.-
sto. Diatr. (Berl. 1896) 44, 1.
8) So wenig wie das Gleichnis vom Gk)ttesreich mit einem (Gastmahl
(ev. Luc. 14, 16 ff.) etwas zu thun hat mit dem ähnlichen Bilde, das in der
griechischen- Popularphilosophie häufig ist (cf. besonders Dio Girys. or.
80, 28 ff.).
4) Cf. besonders die interessanten Nachweise von C. Taylor, The
teaching of the twelve apostles with illustarations from the Talmud, Cam-
bridge 1886; auch Hamack, D. Apostellehre u. die jüdischen beiden Wege '
(Leipz. 1896) 28 ff. 67 ff., F. Spitta, Z. Gesch. u. Litt. d. Urchrist. U (Leipz.
1896) 884. Der Ausgang war Jeremias 21, 8.
Nord«n, anUka Kuiutprota. IL 81
468 ▼<Mi Hadriaa bis sam Ende der Eaiseneit
sehr weiten Sphäre der allgemein menschlichen Ideen za be-
wegen, sondern können die Grenze enger ziehen. Seit Jahr-
hunderten hatten die hellenischen Ideen auf die ganze ciTilisierte
Welt starker oder schwächer eingewirkt, der Boden war yor-
bereitet^ auf dem die weltgeschichtliche Macht des Synkretismus
zwischen Heidnischem und Christlichem feste Wurzeln fiEU»en
konnte, zumal der Hellene, so exklusiv er sonst war, gerade in
religiösen Dingen von jeher synkretistischen Ideen g^enüber
sich sympathisch verhielt. Da also im Glauben und Denken
sowie in gewissen Kulthandlungen die charakteristischen Merk-
male dem Prozelis einer allgemeinen Niyellierung leicht unter-
worfen wurden, so war die Möglichkeit gegeben, dafe gleiche
Erscheinungen aus gleichen Ursachen durch spontanes
Entstehen sich entwickelten. Wir haben also auch in
diesen Fällen blolse Analogieen zu konstatieren, die sich aus
gleichartigen GrundToraussetzungen erklären. Die Sammlung
solcher Analogieen hat deshalb einen wenigstens relativen Wert,
weil sie die Möglichkeit einer so schnellen Ausbreitung der
neuen Weltanschauung in ein helles Licht rückt ^) und uns z. B.
eine Persönlichkeit wie Synesios verständlich macht: man muTs
sich nur hüten, diesen relativen Wert zu einem absoluten zu
steigern, indem man fQr bewuTste Entlehnung hält, was in Wahr-
heit nur Fortwuchem einer Idee ist. Von diesem Gesichtspunkt
aus betrachtet sind Parallelen, wie sie Ghitaker in seinem Kom-
1) Cf. G. Weizsäcker, D. apostol. Zeitalter * (Freib. 1892) 99 f. : „Die
Beweise des Paulus für den Monotheismus sind schon durchaus gerichtet
auf die Herstellung des Verlangens nach einer Erlösung. Wir können nur
vermuten, wie weit die monotheistische Bichtung, welche yon der Philo-
sophie ausging, damals auch schon in die Bevölkerung eingedrungen war;
und ebenso wie es sich in der gleichen Hinsicht verh< mit der An-
erkennung eines allgemeinen sittlichen Verderbens in der Welt und der
Verzweiflung an den bestehenden öffentlichen Zuständen. Das aber läfst
sich mit Sicherheit sagen, dafs der Eingang, welchen das Christentum
zuerst bei den Heiden gefunden hat, durch nichts anderes vermittelt ist
und keinen anderen Grund hatte, als dafs diese Motive der reinsten Reli-
gion, der andächtigen Weltbetrachtung und des lebendigen Gewissens ihren
Widerhall in den ersten heidnischen Hörern fand.^^ Wer die Entwicklung
der Philosophie seit Aristoteles, vor allem die populären, in das allgemeine
Denken aufgehenden Ideen der späteren Stoa kennt, kann sich das alles
selbst belegen.
Die griechisch-christliche Litieratur: prinzipielle Vorfragen. 469
mentar zu M. Anrel (1652) z. B. zwischen Stellen der Bergpredigt
und der Stoa und Baur zwischen Sokraies und Christus^ Seneca
und Paulus zog^ höchst dankenswert und lehrreich, aber wenn
derselbe Gelehrte in der dritten seiner berühmten Abhandlungen
nach Vorgang Yon yielen anderen dem Philostratos in seiner
Lebensbeschreibung des ApoUonios yon Tyana die bewufste
Tendenz unterschiebt, in seinem Heiligen ein Gegenstück zu
Christus zu geben , so ist das ein Irrtum ^)| vergleichbar dem-
jenigen, der viele (seit Gregor von Nazianz) verführt hat, das
für christlich anzusehen, was vielmehr von kynischen, stoischen
oder pythagoreischen Moralphilosophen herrührt^: das alles sind
vielmehr blo&e Analogieen, die deutlich beweisen, wie in dem
aufgeklärten Hellenismus jener Zeit Strömungen wirksam waren,,
die vermöge der gleichen Tendenz sich mit der groüsen, alle
Dämme durchbrechenden Überflutung durch das Christentum
1) Die Einzelheiten, die Baur Torbringt, lassen sich alle aus den Zeit-
verh<nissen selbst erkl&ren (jetzt bieten auch die Zauberpapyri Material).
Das Fundament der ganzen Behauptung ist unhaltbar: Damis, der Jünger
des ApoUonios, den Philostratos selbst als seine Hauptquelle nennt, soll
eine „apokryphische** Person sein, denn — das giebt auch Baur zu —
gleich nach dem Tode des Apollonios (um 100) sei eine Tendenzschrift
gegen die Christen nicht glaublich. Nun aber liegt nicht der leiseste
Grund vor, Damis, von dem und yon dessen Schrift Philostratos allerlei
Detail angiebt, aus der Welt zu schaffen: das gesteht auch Zeller, Phil. d.
Gr. m 2* (Leipz. 1881) 181 Anm. zu, behauptet aber, jene Schrift sei auf
den Namen des Damis geHQscht, und Philostratos habe sich täuschen
lassen; allein er giebt keine Gründe fOr diese Ansicht an. Es muTs also
dabei bleiben, dals Hierokles der Erste gewesen ist, der das Werk den
Christen mit Hinweis auf Christus entgegengehalten hat, dafs aber dem
Philostratos bezw. Damis dieser Gedanke ganz fem lag.
2) Werden wir es denn nie lernen, in solchen Fragen wissenschaft-
licher zu urteilen, als im Jahrhundert der äviatogricla? Th. Zahn hat in
seiner Bede 'Der Stoiker Epiktet u. sein Verhältnis zum Christentum' (Er-
langen 1894) beweisen wollen, dafs Epiktet die Evangelien und die Briefe
des Paulus gelesen habe und Ton ihnen beeinfluTst sei. Gegen alles und
jedes, was da rorgebracht wird, mufs laut Protest erhoben werden: eine
Widerleg^ung erspare ich mir, da der Philologe wie der der griechischen
Philosophie kundige Theologe die ganz haltlosen Argumente ohne weiteres
aus seiner eigenen Kenntnis widerlegen wird (ganz verständig urteilt
A. Braune, Epiktet u. d. Christentum in: Z. f. kirchl. Wiss. u. kirchl.
Leben V [1884] 477 ff.). Wie in Fragen dieser Art zu urteilen ist^ habe
ich an ein paar konkreten Fällen gezeigt in meinen 'Beiträgen z. Gesch
d. griech. Philos. ' in Fleckeisens Jhb. Suppl. XIX (1892) 886 ff.
81*
470 V//* BiUnm Im nm Iom
luieht iferhindf^ mA uhikSäA vnomtfimktm^zm
Verbälfcni« (^h^te m aMgeditfatlEt, <da£i a
Ittiitfii, wii« H^riUii, £okni«t, Pin» Goii
üif«ribftrt bsb«, O04 der in gicidb« Si
Lufcbi^r wkd^rh^lU WnoMh Angnithtt, Cbiitai
Märi0ii?r; dUt vor dasr Offenbanuig des Heils dorek iiiie Tvgcndoi
«xiriiiplsrbeb uimI sllg<mi«ifMrr Bewundemiig triihsftig gevoiden
iM^ki^, üuif di^r (1//Ik trrlTjMetif hat doeh etwas ebenso Gmlsut^ies
wift UüUntiuUmJ ) Aoeb Einzuleiten sind Ton solchen Ge-
sii'JiU|HiiikUn stts zu iHmrUsilen. Wer z. B. den Kult der Mär-
tyrer mm iUtm A^f l\tif(mi erklären wollte, würde einen Fehler
Siti^tiUm^ ti^HH difu schon Theodoret und Cyrill za kämpfen
imiUtii*)^ w$$r uU:U nhw etwa aus Pausanias und Philostratos'
ititfuU'un tii4i frommulHuWmH Htimmnng der hellenischen Welt in
t^^m^Utih tltsr Httnmi^itmhruun vergegenwärtigt^ wird begreifen,
iM)i lUti vurwfifMlU Miirtyrer Verehrung bei den Hellenen leicht
M)mk»»ii|{ IUuUii niu\ nkh in ihrem BewaCstsein mit jener innig
i^KHKlMftbMn honnl^i Khhtmo int die Idee des Mönchtnms keines-
w<*UA iUlp\^i l^im ilor hnllnnischmi philosophischen Askese herüber-
K'HiMiiHMdii, miwUini \mi mv.h im Christentum wie in Beligions-
«V«l'*i|MtMi Miilni'Kr Vnlki^r iiilolK^^ einer lleaktion einzelner gegen
illit lM«iiiM iiimI Ulli «Itsr Wnlt ptiktierende Moral der Gesamtheit')
(ImmIihmm M|iMMUh ii|il.wi(«ktill| t^hi^r in ihren Erscheinungsformen
hni *i(oh iliitHM In dm* OhriHliMihtiit seit den Zeiten des Hermas
VMiltiuiilithii l>\inliMMnK oint^r li^hort^n, auf der Askese begründeten
MmiiiI mit iilMlolmi'l>l|Ai»n, Ktn*mlo dnumls im stoisch beeinfluTsten
NiMi|ilHliiMlHhmai iMtHunilorM krliftigt^n^^ Onmdströmungen des
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Die griechiscli-chrifitliche Liiteratar: prinzipielle Vorfragen. 471
holen der Taufe und des Abendmahls an eine direkte Entlehnung
aus den Eleusinien denkt, irrt: wer aber zeigt^ welche Macht die Idee
Yon Mysterien mit Eultsymbolen^) auf die Gemüter der Menschen
jener Zeit ausübte und daraus die mit innerer Notwendigkeit
sich vollziehende Anlehnung spezifisch christlicher Symbole an
altüberlieferte heidnische erklärt*); steht viel mehr auf dem Boden
historischer Forschung als jene anderen, die da glauben, daCs das
Wesen jeder Fortentwicklung nur in bewuHster Herübemahme
und Entlehnung besteht.
3. Man darf den Einflufs des Judentums auf das JüdiMi
Urchristentum nicht unterschätzen, mufs im Gegenteil
a priori für die früheste Zeit ihn höher taxieren als
den des Hellenismus. Prinzipiell sind darüber alle, die eine
klare Vorstellung von der Entwicklung des Christentums haben,
einigt), aber der Grrad der Beeinflussung durch das Judentum
1) Cf. G. Anrieh, D. antike Mysterienwesen in seinem EinfloTs auf das
Christentmn, GOttingen 1894, übrigens nach Vorgang yon C. Schmidt in
seinem an ausgezeichneten Beobachtungen reichen Werk: Gnostische
Schrifben in koptischer Sprache in: Texte u. Unters. VIII (1892) 514 ff.
2) Cf. Hamack 1. c.
3) Cf. Weizsäcker 1. c. S70: „Die gröfste Gefahr, welche in letzter
Absicht den grofsen Zielen des Paulus drohte, war das Zerfahren der
Sache, das Übergewicht der zuwachsenden Einflüsse des fremden Bodens,
die Umbildung des Glaubens, das Auseinandergehen in yerschiedenartige
Schulen, welche nach eigenem Urteil und Geschmack sich aneigneten, was
ihnen gut dünkte. Es ist nicht zu ermessen, wie viel zur Überwindung
gerade dieser Gefahr das Fortbestehen des historischen Ausgangspunktes,
das Richtmafs, welches hierfür Ton der Urgemeinde ausging, beigetragen
hat. Dadurch yor allem kam das Christentum zu den Heiden
als ein neuer Glaube und doch als eine historische Religion, ja
als eine Religion überhaupt, die sich nicht in eine Philosophie
auflösen liefs.'' Gerade uns Philologen, die wir das nachfühlen kOnnen,
was die '^llrivBs jener Zeit fohlten, leuchtet das, sollt* ich meinen, ein und
nur der, welcher nicht genügend nachgedacht hat, kann es leugnen. Aus
dem genannten Ghrunde schreibt auch der Verf. des Eolosserbriefs (2, 8) : fif}
xig ^iiäg %mai 6 cvlaymy&v dicc Ti}ff ipiXoöoipUcg xal msvfjg &ndtrig xor^ x^v
Ttagadociv t&v &vd'QS7CiDv, xara tä 6toix8ta toO xötffiov %al o{> xctra
X(ficr6v: hätten die häretischen Gnostiker, deren einer ganz im Sinn des
exklusiven Hellenismus das alte Testament verwarf und damit die historische
Garantie unserer Religion aufhob, gesiegt, so wäre es um das Christentum
als Religion geschehen gewesen, sie hätte sich in algicsig, in dt^dacnalsla
aufgelöst und sein Stifter wäre als Religionsphilosoph ilg noXl&v gewesen
472 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
ist kontrovers , da alle modernen jüdischen Gelehrten diese Be-
ziehungen mafslos zu übertreiben ^); manche modernen christ-
lichen Gelehrten ihn auf ein Minimum zu beschränken lieben*);
bei der ungenügenden Chronologie der in Betracht kommenden
jüdischen Urkunden ^ besonders des Talmud; ist eine Einigung
hier schwer zu erzielen. Für die uns interessierende Frage kommt
aber das Judentum als Ganzes auch gar nicht in Betracht, sondern
nur das hellenisierte Judentum.- a) In vielen Fällen, wo man
in den frühesten Urkunden des Christentums einer hellenischen
Vorstellung begegnet, wird man sich hüten müssen, sie direkt
aus dem Hellenismus abzuleiten, sondern wird vorsichtig zu sagen
haben, dafs dieses hellenisierte Judentum*) das ver-
mittelnde Glied gewesen sein kann. Die Entscheidung
wird im einzelnen schwierig sein, weil die Thatsache der sehr
frühen Verbreitung des alexandrinischen Judentums in Palästina
durch historisch beglaubigte Fakta feststeht, nicht ihr Umfang.
Wer in dem Stoff der synoptischen Evangelien irgendwelchen
hellenischen Einflufs annimmt, begeht nach meiner festen Über-
zeugung einen prinzipiellen Fehler: die Übereinstimmungen sind
aus dem sub 1) erörterten Gesichtspunkt als allgemeine Analo-
gieen aufzufassen. — b) Etwas anders steht es mit der religions-
philosophischen, vom Verf. frei komponierten Einleitung des aus
einem Centrum hellenischer Kultur hervorgegangenen johan-
neischen Evangeliums. Der Satz: „Im Anfang war der köyog
und der Xöyog war Gott, alles wurde durch ihn und ohne ihn
und jener Kaiser, der ihn neben Orpheus und Apollonios von Tyana an-
betete, hätte recht behalten.
1) Z. B. F. Nork, Babbinische Quellen u. Parallelen zu neutest.
Schriftstelleni , Leipz. 1889. M. Friedländer, Zur Entstehungsgesch. d.
Christentams, ein Exkurs von der Septuaginta zum ETangelium, Wien
1894. Während ersterer einige Einzelheiten richtig beobachtet, gelangt
letzterer durch tendenziöse Interpretation zu ganz perversen Folgerangen.
— Übrigens ist die Quelle für alle Untersuchungen jüdischer wie christ-
licher Gelehrter das heutzutage — wie es scheint, mit Recht — der Ver-
gessenheit anheimgefallene grofse Werk J. Lightfoots, Horae Hebraicae et
Talmudicae (1658—1664 ; ich kenne nur den Nachdruck Leipz. 1676—1679).
2) Richtig urteilt natürlich Hamack in seinem Nachwort zu Hatch,
Griechent. u. Christent. (Freib. 1892) 266 und Dogmengesch. P (Freib.
1894) 47, 1; cf. auch H. Vollmer, Die alttest. Gitate bei Paulus (Freiburg
1895) 80 f.
8) Cf Harnack 1. c. 68 ff. und besonders 108 ff.
Die griechisch-christliche Litteratur: prinzipielle Vorfragen. 473
wurde nichts, was geworden ist'' hatte wörtlicli so von einem
Stoiker geschrieben werden können, und Heraklit hat ja wirk-
lich, wie der Evangelist, sein Werk begonnen mit den Worten,
dafs der köyog von Ewigkeit her war und eine vernehmliche
Sprache zu den Menschen redete, die ihn aber nicht begreifen
wollten; wenn man nun bedenkt, wie populär die Ideen der Stoa
waren — man kann sich diese Popularität gar nicht grofs genug
denken — , dafs femer das heraklitische Werk von Christen —
orthodoxen wie häretischen — gern gelesen wurde (Justin
apol. I 64 rechnet Heraklit zu den XQiöuavoi, da er iura
1.6 yov gelebt habe, ähnlich Origenes c Gels. I 5), dafs, wie die
Citate zeigen, gerade sein Anfang hochberühmt war, dafs endlich
diese Einleitung des johanneischen Evangeliums nach dem glän-
zenden Nachweis Hamacks (Z. t Theol. u. Kirche II [1892]
189 ff.) nicht - oder wenigstens, wie auch die Gegner Hamacks
zugeben, nicht sehr eng — mit dem Evangelium selbst zu-
sammenhängt, sondern sich an Leser wendet, die über eine
Logoslehre orientiert waren: so wird man meiner Ansicht nach
die Vermutung aussprechen dürfen, dafs in einer der gran-
diosesten Schöpfungen menschlichen Geistes eine direkte und
bewuljste Reminiscenz an das gedankengewaltige Proomium des
ephesischen Philosophen vorliegt; aber interessant ist nun gerade
zu sehen, wie die hellenischen Vorstellungen^) hier durch helle-
nistisch-jüdische leise beeinflufst sind: Heraklit begann (vorher
ging nur etwa: ^HQoxXsvrog *Eg>d6iog xAds Xdysi): rai> dh Xöyov
rovd' iivTog alei, der Evangelist ersetzte aisi durch iv igx^
1) Die meisten alten Exegeten kommen in Behandlung der Stelle
ganz mit dem A. T. aus, so Hippolytos adv. Noet. p. 52, 8 ff. Lag., Ori-
genes comm. in ev. loh. I c. 42. n c. 1 ff. (vol. I 88 ff. Lomm.). Dagegen
überträgt Clemens AI. Paed. 261 F. den heraklitisch - stoischen Xoyog un-
mittelbar auf den christlichen (cf. über die Stelle des Clemens J. Bemays,
Die heraklit. Briefe [Berl. 1869] 40 Anm.). Beides beweist aus einem im
Text sub 6 anzuführenden Grunde fOr uns nichts. Aber interessant ist
doch, dafs Amelios, der Schüler Plotins, den Anfang des Hera-
klit mit dem des lohannes zusammengestellt hat, was sich Eu-
sebios, der dies berichtet (pr. ev. XI 19, 1), wohl gefallen läfst. — Dafs
übrigens der hochgebildete, in Ephesos lebende Verf. des Eyangeliums das
heraklitische Werk kannte, darf mit Bestimmtheit behauptet werden:
kannten es doch gerade zu jener Zeit so elende Skribenten wie die Ver-
fasser der Heraklitbriefe, darunter ein hellenistischer Jude.
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Die griechisch-christliche Litteratur: prinzipielle Vorfragen. 475
steller, ans Unkenntnis sowohl der allgemeinen Verhältnisse wie
der erhaltenen Schriften jenes Kreises nicht berücksichtigen.
Selbst wenn ich z. ß. zugeben wollte — was mir als Philologen
natürlich nicht einfallt — , dafs die Rede, die der Verfasser jenes
Teils der Apostelgeschichte den Paulus auf dem Areopag halten
läfst, von diesem gehalten worden sei^), so würde ich noch
immer nicht zugeben, dafs aus dem Aratcitat tov yä(f ocal yivog
i6^iv (act. ap. 17, 28) folge, der Apostel habe den Dichter ge-
lesen, denn Aristobul hatte denselben Vers citiert (Euseb. pr.
eT. Xm 12, 6), und daCs dessen Schriften dem Paulus bekannt
waren, hat bei seinen notorischen Beziehungen zu alexandrinischen
— Folgendes ist wohl noch nicht bemerkt. Der Vf. des Briefs an die Ko-
losser kann 1, 16 die Bezeichnung des Sohnes als «patrordxoff ndeiig ^tlasmg
deshalb nicht aus sich selbst haben, weil derselbe Ausdruck (nur f&r den
l^og) gebraucht wird von Theophilos (ad Autol. II 22), der nirgends die
paolinischen Briefe (bezw. was man damals för paulinisch hielt) citiert;
man erkennt auch aus den folgenden Worten des Briefes (y. 16 ff.), dafs
der Vf. bemüht ist, einen ihm überlieferten Ausdruck seiner Oedankenreihe
durch Interpretation einzufagen. Nun kennt auch Philo diesen und den
analogen Ausdruck nQonoyövos vom X6yog (H. Cremer, Bibl.-theol. WOrterb. *
600). Daraus folgt also, dafs eine uns nicht erhaltene Schrift, in welcher
der Logosbegriff vom Standpunkt des alten Bundes behandelt war, für den
Vf. des Kolosserbriefs, Philo und Theophilos die Quelle gewesen ist. —
Nach solchen Gesichtspunkten müTste man einmal den paulinischen Nach-
lafs untersuchen; dazu wäre freilich vor allem eine — auch an sich
dringend erwünschte — Bearbeitung der griechisch-jüdischen Litteratur er-
forderlich (Benutzung Philos durch Paulus ist trotz Vollmer 1. c. [S. 472, 2]
unerweislich).
1) Der Beweis der ünechtheit gehört zu den absolut sicheren Er*
gebnissen der Forschimg, cf. Baur, Paulus I' (Lpz. 1866) 191 f., de Wette,
Erkl. d. Apostelgesch. 4. Aufl. von Overbeck (Leipz. 1870) 277 ff.; was kürz-
lich vom archäologisch - topographischen Standpunkt für die Echtheit vor-
gebracht ist, hat sich als nichtig herausgestellt. Wer den jedem Eom-
promifs in prinzipiellen Fragen abgeneigten Paulus des Römerbriefs und
den kampfesmutigen Paulus des Galaterbriefs liebt, der wird der langen
Reihe yemichtender Indizien, die gegen die ürkundlichkeit sowohl der
konzilianten Rede in Athen wie der inkonsequenten Briefe an Timotheus
und Titus ^vorgebracht sind, gern Oehör leihen, weil die Gestalt des Apostels
aus der Athetese reiner und geschlossener hervorgeht. Wenn einmal ein
wissenschafbliches Buch über die Beziehungen des Christentums zur grie-
chischen Philosophie geschrieben wird, so hat die Rede in Athen als
frühester (s. U, erste Hälfte) katholischer Eompromifsversuch zwischen
Christentum und rein hellenischer Stoa, wie der Prolog des johanneischen
Evangeliums zwischen Christentum und jüdisch-hellenischer Stoa, zu gelten.
476 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
und griechiflch gebildeten palästinensischen Juden ^) grolseWahr-
scheinlichkeity ja, ist für mich ebenso begreiflich, wie ich mich
gegen die Behauptung, Paulus habe ^hellenische' Schriftsteller
gelesen y skeptisch verhalte: worüber ich weiter unten noch Ge-
naueres zu sagen habe.
Miwhung 4. In einigen Fällen wird man trennen müssen, indem man
lenisohem Hciduisches uebeu Christlichem (oder Jüdischem) gelten läfst.
'^uo^^*^ Für das Proömium des Johannesevangeliums ist das soeben ver-
sucht worden, wahrscheinlich zu machen. Es erinnert femer
z. B. in den jüdisch-christlichen Vorstellungen vom Jenseits, wie
uns kürzlich vor allem durch die Petrusapokalypse klar ge-
worden ist, vieles an das Elvsium und den Tartarus: einiges
darunter - z. B. die Bestiimnung über die fi«,,o. - ist so
eigenartig, dafs man eine Beeinflussung von heidnischer Seite
wird annehmen dürfen und das um so mehr, weil die Brücke
gebildet wird durch die orphisch-pythagoreische Ausmalung des
Jenseits, die durch apokryphe Litteraturwerke und durch die
Mysterien grofse Verbreitung erhalten hatte: aber anderes —
z. B. das Feuer an dem Marterort und einzelne der Strafen —
ist teils zu allgemein teils auch in spezifisch jüdischer Apo-
kalyptik zu sehr ausgeprägt, als dafs man dabei an heidnische
Elemente denken könnte.^)
sondernng 5. In allen Fällen hat man die Zeiten und die verschiedenen
und sirö- Strömungen aufs schärfste auseinanderzuhalten. Es ist un-
rnungen.
1) Sein Freund und Mitarbeiter Apollos war ein alezandrinischer Jude
(ep. ad Cor. I 8, 6 ff., act. ap. 18, 24 ff.). In Jerusalem safs Paulus we-
nigstens nach dem Bericht der Apostelgeschichte (22, 8) zu FüTsen des
Gtemaliel, von dem der Talmud berichtet (cf. Friedländer 1. c. 104), dafs in
seinem Hause unter tausend Knaben fünfhundert in der griechischen Weis-
heit unterrichtet wurden, selbstverständlich in der jüdisch-griechischen, d. h.
der alezandrinischen Weisheit.
2) Cf. meinen Aufsatz: Die Petrusapokalypse u. ihre antik. Vorbilder
in der Beilage z. Allgem. Zeit. 1898 n. 29 (ich füge hier hinzu, dafs eine
sehr interessante Stelle einer Hadesvision im Martyr. Perpetuae c. 7 p. 49
ed. Harris-Gifford [Lond. 1890] wohl sicher aus Übertragung des Tantalus-
mythus zu erklären ist, cf. auch Theophil, ad Autol. I 14. Pseudoiustin
coh. ad gent. 27 f. Pseudohippolytos ad Qraec. p. 68 ff. Lagarde). Über
die jüdische Apokalyptik aufser A. Hilgenfeld, D. Ketzergesch. d. Urchristen-
tums (Leipz. 1884) 129 f. besonders A. Dieterich, Nekyia (Leipz. 1893) 214 ff.
Über diese ganze Frage jetzt auch E. Hennecke, Altchristi. Malerei und
altkirchl. Litt. (Leipz. 1896) 188 ff.
Die griechisch-christliche Litteratur: prinzipielle Yoriragen. 477
historisch und innerlich pervers, die nentestamentlichen Schrift-
steller, die häretischen Gbostiker, die katholischen Gnostiker,
die Kirchenväter des lY. Jahrhunderts mit demselben Malisstab
zu messen. Die Geschichte der Verweltlichnng der Kirche be-
weist, dals der hellenische Einfluiis in den ersten vier Jahr-
hunderten gestiegen ist und zwar stetig, wenn man absieht von
der ^akuten Hellenisierung' (Hamack) in den Kreisen der häre-
tischen Gnostiker. Wenn also z. B. im Matthäusevangelium das
Gleichnis der zwei Wege gebraucht wird, so ist das, wie be-
merkt, jüdisch: wenn es Spätere, z. B. Hieronymus und Am-
brosius, anföhren, so tragen sie unwillkürlich die Farben des so
ähnlichen prodiceisch-xenophonteischen Gleichnisses hinein.^) Für
den Verfasser des Johannesevangeliums liegt in iiovoysvijg vCög,
wie man es auch immer fassen mag, jedenfalls keine heidnische
Vorstellung^; aber Valentinus hat daraus den (wvoysvijg ^sög
der Orphiker gemacht.') Bei Paulus ist 6q)(faytis6d'at noch
durchaus aus jüdischem Vorstellungskreis herausgewachsen: erst
nach ihm — freilich sehr bald — sind damit Begriffe der
hellenischen Mysterien verbunden worden.^) In der Apostel-
geschichte (7, 48 f.) beweist Stephanus, dafs die Welt der Tempel
Gottes sei, mit einem prophetischen Spruch des A. T., aber Ba-
silius und viele andere jener Zeit tragen in ihren Homilien über
die Schopfungsgeschichte die so ähnlichen Lehren der Stoa in
den Gedanken hinein. Wer also die christlichen Schriften nicht
aufs strengste scheidet nach den Zeiten, in denen sie ent-
standen sind, und den Kreisen, aus denen sie stammen, begeht
genau denselben Fehler, der bis auf unsere Tage die Beurteilung
zweier alttestamentlichen Schriften verwirrt hat: die Weisheit
Salomos ist, wie jedem bekannt, ein von griechischer Philo-
1) Cf. Amhros. in psalm. I 26 (14, 983 Migne), z.B.: 8% ad sempitema
ifUendat, virtutem eligit; 8% ad praesentia, voluptatem praeponü. Auch
Hieronjmas ep. 148,10 (1 1100 Yall.) läfst auf dem Wege des Lebens die
virtutes wohnen.
2) Cf. Gremer 1. c. 230. Harnack 1. c. (oben S. 472, 2) 198 und be-
sonders H. Holtzmann in: Z. f wiss. Theol. N. F. I (1898) 889 ff.; in der
Sap. Sal. 7, 29 steht fiovoysvhg nvs^fia.
8) Cf. G. Wobbermin, Beligionsgesch. Studien (Berl. 1896) 114 ff.
4) Cf. Anrieh 1. c. (oben S. 471, 1) 120 ff. 148. 3; er urteilt richtiger
als Wobbermin 1. c. 144 ff. , der die Zeiten nicht genügend scheidet. Cf.
auch £. Bohde in: Berl. phil. Wochenschr. 1896, 1580 f.
478 Von Uadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
Sophie durchtränktes spätes Produkt, aber daraufhin auch in dem
noch ganz hebräisch empfundenen Prediger Salomos auf Helle-
nismen (und gar Heraklitismen) Jagd zu machen, ist eine un-
geheure Perversität; die von einsichtigen philologischen und
theologischen Kritikern mit Recht gebrandmarkt ist.
Prüfung der 6. lu allen Fällen sind die Zeugnisse der christlichen
^tüMe^"^ Schriftsteller über die Beziehungen des Christentums zum Helle-
nismus nur mit grofster Vorsicht zu benutzen, aus folgenden
drei Gründen. Erstens. Sie gingen oft zu weit in der Ab-
lehnung jeder Beziehung von Christlichem zu Heidnischem:
die Häretiker hatten sie gelehrt ^ welche Folgen die völlige
Fusion haben konnte, so dafs man fortan mifstrauisch gegen
alle derartige Zusammenhänge wurde. Zweitens. Sie gingen
oft absichtlich zu weit in der Annahme solcher Beziehungen^
wobei die Gründe wieder verschieden waren, a) In den Nach-
weisen des Hippolytos über den ^EXXrivt6(i6g der Gnostiker ist
ja sehr vieles treffend, wie uns die erhaltenen gnostischen Ur-
kunden und die empedokleische Ni^aug auf der Aberkiosinschrift
beweisen; aber auf der anderen Seite geht er oft viel zu weit,
weil ihm daran liegt; die Häretiker eben wegen ihres 'jBAAij-
vi6(uig zu brandmarken, b) Aber auch im Dienst der eigenen
Sache sind einige Katholiken zu weit gegangen, wenn es näm-
lich für sie darauf ankam, ihre Kunst der Auslegung für den
Synkretismus der Religionen nutzbar zu machen, d. h. den Hel-
lenen zu beweisen, dafs Hellenismus und Christentum wohl
vereinbar seien, weil die Hauptvertreter der hellenischen Reli-
gion, Piaton und die Stoiker, ihre meisten und besten Gedanken
aus denjenigen Religionsurkunden gestohlen hätten, die auch für
das Christentum die Grundlage bildeten, nämlich aus den Büchern
des alten Bundes: wie man weiüs, ein altprobates Mittel, das
schlaue Juden, erfolgreich spekulierend auf die &vi6tOQri6Ca der
meisten Menschen, in den Zeiten des beginnenden Synkretismus
ausfindig gemacht hatten, und das von den intelligentesten Christen,
wie Clemens, Origenes, Eusebios und Augustin, wie ich bestimmt
glaube, ohne Arg^) gebraucht worden ist. Drittens. Sie haben
1) Denn die &viaroQri6La war in diesen Dingen grofs und die Hellenen
selbst haben ja, wie man z. 6. aus dem ProGmiom des Laertios Diogenes
weiis , den EinfluTs des Orientalischen auf ihre Philosophie sehr hoch an-
Die Litteratur des ürchristentnms: Allgemeines. 479
gelegentlich geirrt in der Annahme solcher Beziehungen ; z. B.
hat Simeon der Metaphrast die Aberkiosinschrift wegen des
Ttoif/Lif^v and wegen des l%^vg fOr christlich gehalten, was einige
der modernen Interpreten lange irregeführt hat, bis kürzlich der
Sachverhalt besonders durch die glänzende Entdeckung A. Die-
terichs aufgeklärt wurde. —
Alle diese Bemerkungen mulste ich vorausschicken, weil ich
den vorsichtigen Standpunkt, den ich im folgenden einzunehmen
beabsichtige, motivieren zu müssen glaubte gegenüber jenen
Heilsspomen, die, ohne lange, wie es sich gehört, über diese
Dinge nachgedacht zu haben, iack&coi^Q xolg Ttofflv €t67Cijd&6i.v eis
tä xakd oder doch Wahres mit Falschem mischen und dadurch
den Gegnern die Waffen zur Widerlegung selbst in die Hand
geben. — Ich bin durch die Lektüre der Quellen sowie durch
das Studium der für mich vorbildlichen Arbeiten Hamacks und
üseners und deren Schüler genug fortgeschritten, um erkannt
zu haben, dafs derjenige, der über diese Dinge mitreden will,
viel gelesen, viel gedacht und viel im eigenen Inneren geirrt
haben mufs, bevor er lernt, dab es, wenn irgendwo, so auf
diesem Gebiete Schranken giebt, an denen es sich ziemt. Halt
zu machen und an denen das i7ti%sw der Skeptiker oder das
^yv&ritM des Stagiriten ehrlicher und klüger ist als wüstes Kom-
binieren oder planloses Raten.
n. Die Litteratur des Urchristentums.
Ober die Formengeschichte der christlichen Litteratur giebt au-
es eine sehr wichtige Abhandlung von Fr. Overbeck, Über die «®™®*"®*-
Anfönge der patristischen Litteratur in: Histor. Zeitschr. N. F.
XII (1882) 417 ff. Es ist hier der Nachweis erbracht worden,
dafs die Urkunden des sog. Urchristentums, also die neutesta-
mentlichen Schriften und die Schriften der sog. apostolischen
geschlagen. Dazu kam, dafs litterarischer Diebstahl im Altertum noch
häufiger war als in der Jetztzeit, so dafs man, die Thatsachen oft ver-
drehend, eine förmliche Litteraturgattimg ntgl nXonrig schuf, wie aus Athe-
naeus und Macrobius bekannt ist. Übrigens hat Celsus den Spiefs um-
gedreht und behauptet, dafs die Sprüche Jesu aus (mifsverstandenen) Sätzen
Piatons abgeleitet seien: die Stellen aus Origenes bei Hamack, Dogmen-
gesch. I ^ 224, 1.
480 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
Väter, den Hermas miteingeschlossen^ nicht zur Litteraturgeschichte
gerechnet werden dürfen, weil sie sich nicht der Formen der
eigentlichen litteratur bedient und daher auch nicht fOr die
Fortentwicklung, d. h. die Geschichte, der christlichen Litteratur
die Grundlage gebildet haben. Diese beginnt vielmehr erst,
nachdem die urchristliche Litteratur ihren Abschlufs gefunden
hat, also seit der Feststellung des Kanons in der zweiten
Hälfte des zweiten Jahrhunderts. Dieser Zeitpunkt fallt mithin
zosammen mit dem Begimi des Eintritts der neuen Religion in
die Kreise des gebildeten Heidentums, d. h. also mit dem Beginn
ihrer Verweltlichung. Die Apologeten eröffnen die eigentliche
Litteratur, aber da sie sich nicht an die Christen selbst wenden,
gehören sie noch nicht zu der spezifisch christlichen Litte-
ratur; diese wird eröfihet durch Clemens von Alexandria, den
frühesten konstruktiven christlichen Schriftsteller wenigstens
auf katholischer Seite; denn dafs die von Overbeck nicht un-
absichtlich übergangene , sondern prinzipiell ausgeschlossene
Gnosis, wie sie ja überhaupt in ihrer ^akuten Hellenisierung '
den späteren katholischen Standpunkt anticipiert hat, auch auf
dem Gebiet der Litteratur vorangegangen ist, indem sie fast alle
Formen ausprägte, ist ein wichtiger Nachtrag, den Hamack
(Dogmengesch. I' 230, 1) zu der Abhandlung des genannten
Forschers gemacht hat. Wenn nun also auch jene Urkunden
einen litterarhistorischen Zusammenhang weder nach rückwärts
noch nach vorwärts aufweisen, so bieten sie doch gerade wegen
dieser Isolierung ein zu grofses Interesse, als dafs ich die wich-
tigsten unter ihnen hier einfach übergehen möchte, zumal sich
unter ihnen doch wieder gewisse Gradunterschiede in der äuüseren
Formengebung zeigen, die mich für meine Zwecke interessieren.
1. Die Evangelien und die Apostelgeschichte.^)
.ngeuen. Die Evangelien stehen völlig abseits von der kunstmälsigen
Litteratur. Auch rein äufserlich als litterarische Denkmäler be-
trachtet tragen sie den Stempel des absolut Neuen zur Schau.
1) Als nachstehendes längst geschrieben war, erschien das neueste
Buch von F. Blafs, Grammatik des neutestam. Griechisch, Göttingen 1896
Wo ich mit ihm zusammentreffe, werde ich es bemerken. In einer prin-
zipiellen Frage weiche ich freilich von ihm ab; er erklart (p.VI), die
Die Litteratur des Urchristentums: die Evangelien. 481
Als Litteratur gattung bieten zu ihnen die nächste Analogie
(aber auch nur dies) die acht Bücher des Philostratos mit dem
Titel Tä is ti>v Tvavia *AnokX(bviovi dafür scheint mir ganz
bezeichnend zu sein, dafs lustin die Evangelien iatoiuvrnuoveriiuxta
nennt, denn so hatte — in Anlehnung natürlich an die Schüler
des Sokrates, Musonios und Epiktet — Moiragenes, ein Vorgänger
des Philostratos, seine Au&eichnungen über Apollonios genannt
(Orig. c. Gels. VI 41); dieser Name pafst besonders gut, wenn
man an die älteste, durch Papias bezeugte und für uns allem
Anschein nach in den Besten des berühmten Fayüm - Papyrus
noch nachweisbare Einkleidung der Evangelien in Xöyut^) denkt,
welche die Schüler aufzeichneten, cf. Usener, Beligionsgesch.
Unters. I 95 f.') Auch die Apostelgeschichte steht als Litte-
raturgattung ziemlich isoliert da, war aber hellenischem Em-
pfinden lange nicht so fremdartig wie die Evangelien; denn
wenn die falsche Vorstellung, dafs sie zur Geschichtsschreibung
zu rechnen sei, auch abgethan ist, so mulste sich der Hellene
doch schon bei dem — natürlich eben deshalb gewählten —
Titel an seine einst recht umfangreiche ^^agct^ - Litteratur er-
innert fühlen.
Von den drei Synoptikern — das vierte Evangelium habe
höhere Kritik über die Verfasser der einzelnen Schriften beiseite lassen
and z. B. alles unter Paulus' Namen Überlieferte als paulinisch ansehen
zu wollen: zweifellos mit Becht, wo es lautliche und formale Dinge betrifft
(denn in ihnen herrscht wohl ziemlich völlige Identit&t), firaglich ob mit
Becht, wo es sich um Syntaktisches handelt, sicher nicht mit Recht in der
Stilistik, wo man eine Stellungnahme zu den sicheren Ergebnissen der
Forschung erwarten darf: denn der Verf. z. B. des Briefs an die Ephesier
schreibt doch anders als Paulus z. B. an die Eorinthier, und der echte
Lukas anders als der Interpolator. — Das wirre Buch von Chr. Wilke , Die
neut. Rhetorik, Leipz. 1843, darf aber durch die klare Anordnung des Stoffs
bei Blass als endgültig beseitigt betrachtet werden.
1) Cf. Hamack in: Texte u. Unters. V 4 (1889) p. 483 ff. Usener 1. c;
eine glänzende Bestätigung für Weizsäcker, Unters, üb. d. evang. Oesch.
(GK>tha 1864) 129 ff. (cf. Das apost. Zeitalter 373 ff.) und eine urkundliche
Widerlegung dessen, was gegen ihn von A. Hilgenfeld in Z. f. wiss. Theol.
1866, 189 ff. vorgebracht ist.
2) Die Bezeichnung siayyiXiav war bekanntlich nicht die litterarische,
cf. Hamack, Dogmengesch. I ^ 160, 2. Man lese nach, wie sich Origenes im
ersten Bande seines Kommentars zum Johannesevangelium (I 10 ff. Lomm.^
abmüht, zu explicieren, was darunter zu verstehen sei.
ieh noeb nidit «iaraofbia untcmidii — sducibi^ wie ja wohl
Hn44>«r«a- »aeb nehon gv^UgentHeli too aoderai bcm^t ist^ Lakas, der
f^^' rieebiiehi^ Arzt toid als folcfaer bei der damaligen Bitdimg der
rzUs zneh LitUfnt^)^ den relaür besien StiL waa fibrigena
nchfjftt dem Hieronjmiu anfgefiülen iat: Damacoa bafcie bei ihm
m^efra^, waa OMma bedeute, HieronTmoa ep. 19 e^liri ea
al» eine weder im Gneehiflefaen nocb im Lateiniacbcn wieder-
zi]((ebende Interjektion nnd ffihrt ans, dals die Eraiigeliaien
Matthäus (21, 2), Marcos (11, 9) and Johannes (12, 14) ea nn-
ferSndert beibehalten hätten, dagegen Lnkas (19, 38): qm imter
omne$ evangelistas gratet sermonis eruditissimus fuii,
fjuippe ut medicus et qui eoangdium Graeds scripta, quia se oidtf
proprietatem semumü trangferre non posse, mdms earbUraims est
iacere quam id ponere quod legenii faeeret quaestkmemj worin nnr
c]f;r Grand nicht ganz scharf angegeben ist: Lnkas hat, einem
griechischen Stilprinzip gemals (s. o. S. 60, 2), das hebnische
Wort als eine ßdgßaQog yX&ööa vermieden, wie er überhaupt in
der Angabe der palästinensischen Lokalitaten znrückhaitender
ist, wie er der einzige Evangelist ist, der bei dem Ort der
KnMizigung nicht den hebräischen Namen angiebt, sondern nnr
die Obersctzung, wie bei ihm das Wort &(iiiv am seltensten vor-
kommt, wie er (hier mit dem vierten Evangelisten überein-
stimmend) die letzten Worte lesa nicht in aramäischer Sprache
anführt. Nach solchen and ähnlichen Gesichtsponkten sind die
Kvangidien noch nicht systematisch untersucht worden, und
doch scheint mir derartiges charakteristisch genug zu sein. Ich
will^ was Lukas betrifft, die Methode angeben, nach der man
mninur Meinung nacli hier zu verfahren hat, mit einigen spe-
'/«ielloii Proben. Krstons. Man hat das Evangelium von der
A|M)fil.nlfj(ciHchichle gesondert zu betrachten. Denn einmal hat der
Vt^rf. in jimem durchwog Quellen benutzt, in dieser teilweise
iV(M komponiert, und ferner hat er in jenem die Quellen nicht
NO Hiiirk ühorarhfutot wie in dieser, mit gutem Grunde und
Initioni Oofühl: doiin, wie das von späteren Christen den
N|ii^iiiNrli(Mi Ittunnrkiingcn der Hellenen sehr richtig entgegen-
n Nooli SynitMui MoUphruNU^H llirst iu Beinern romanhaften ^dfiyTjfux
\\\\o\ (Ihm Lnhon doH LukiiH dioHon aller hulloniachen naidkia teilhaftig
Die Litterator des Urchristentums: Stil des Lukas. 483
gehalten warde, ein Evangelium in einer Ennstsprache wäre ein
Unding gewesen. Zweitens. In dem Eyangelium hat man den
einzigen Satz, den der Verf. ganz frei komponierte, durchaus
abzutrennen vom übrigen: das ist der eine Satz, in dem das
ganze Proömium enthalten ist und der neben dem AnfiEUigssatz
des Hebraerbriefs anerkanntermaüsen ^) die bestgeschriebene
Periode im ganzen N. T. ist: insidiiitsQ leolXol ixexsifriöav
ivcetä^aö^ai, di^i^yriövv \ xsqI r(bv xsfCkifi(foq>0(friiidva}v iv '^^ltv
TtQayiuitayvj | xad'hg naQiÖoöav fjfitv oC iai i4f%fi% aiyc6nxai nuti
i)7cri(fitai, ysvöfLevoi^ rov Xöyov^ \\ iäoJ^sv xifiol xaQtpcokovdTixöti
av(o9'sv 7tu6iv ixQiß&g \ xa^B^f^g 601, ygA^taiy xQtitiöts 966g>i^j \
Iva hciy^^g lUffl bv xatrixfi^s Xöyiov tijv &6(pdXsucv. Wenn
der Mann, der diesen nach Inhalt und Form hellenisch ge-
dachten Satz geschrieben hat, im Eyangelium selbst einen ganz
verschiedenartigen Stil zeigt, so beweist er damit, dafs er —
aus dem angegebenen Grunde — hier nicht so hat schreiben
wollen. Drittens. In der Apostelgeschichte sind die ver- stiUitiMhc
schiedenen Schichten, deren Vorhandensein von der höheren a^JJ^Ji,
Kritik unwiderleglich festgestellt worden ist*), durchaus zu"^«'Teu«
scheiden, a) Es giebt Partieen, die gut stilisiert sind, und wieder
solche, an denen der griechisch empfindende Leser sofort Anstofs
nimmt. Zu ersteren gehört der vermutlich von Lukas selbst
geschriebene Bericht des Augenzeugen, der sog. „Wir-Bericht",
z. B. läfst sich nichts Klareres und Sachlicheres denken als die
Darstellung der Seefahrt und des Schiffbruches (c. 27 f.); von
dem Verfasser dieses Berichts ist auch ziemlich sicher das
kurze Proömium, dessen Verfasser bekanntlich identisch ist
mit dem des Lukasevangeliums: wenn nun dieses Proömium
nach dem wieder echt griechischen Anfang rbv fikv nQ&rov
X&yov iTCOL'qftdfiijv nefl nävtcov, & 9e6g>tX€ xxk, kläglich in
die Brüche geht, so begrüfst man ein absolut sicheres,
auf Gründe von unantastbarer Gewahr gestütztes Ergebnis
1) Cf. Blass 1. c. 274. M. Erenkel, losephus u. Lukas (Leipz. 1894)
50 ff., dessen weitere Folgerungen aber unhaltbar sind.
2) Cf. u. a. Weizsäcker 1. c. 199 ff. A. Gercke im Hermes XXIX (1894)
374 ff., dessen scharfsinnige Darlegungen und Schlüsse für mich überzeugend
sind, während ich mit der neuesten Hypothese so wenig mitkommen kann
wie Hamack (Sitzungsber. d. Berl. Ak. 1896, 491 f.) u. a.
Norden, antike Konitprosa. II. 32
484 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
der Kritik^) auch yom stilistischen Standpunkt aus mit
Genugthuung: diese Vorrede ist schwer interpoliert und da-
durch ist der Satz gründlich verdorben worden. Aber nicht
blofs der Verf. des „Wir - Berichts " schreibt gut, sondern
auch der unzuverlässige Berichterstatter, dessen Erzählung
von der jerusalemischen Gefangenschaft des Paulus mitten
zwischen die Wir -Stücke eingekeilt ist (21, 18 Mitte bis
26, 32), auf den die Schilderung des inhaltlich in dieser Form
undenkbaren Apostelkonzils (c. 15; hier z. B. dreimal, V. 22.
25. 28, das echt griechische iÖol^ev airtotg, sonst nur noch ev.
Luc. 1,3, sowie der vortreflFlich geschriebene Brief V. 23 flf.)
und des ebenfalls so unerhörten Aufenthaltes des Paulus in
Athen (17, 15 ff.) zurückgeht. Alle diese und andere gut ge-
schriebenen Partieen zeigen eine gewisse Übereinstimmung in
einigen Einzelheiten, z. B. kommt nur in ihnen die gut grie-
chische Figur der Litotes vor, darunter ein so griechischer Aus-
druck wie oix * tvxAv (19, 11. 28, 2).*) Ob der Verf. der
Wir- Stücke (Lukas) und der Anonymus gleich gut schrieben,
oder ob der endgültige Redaktor auch stilistisch uniformiert
hat, wird nicht sicher festzustellen sein, aber wahrscheinlicher
ist das erstere, weil man sonst nicht begreifen würde, warum
der Redaktor eine so groDse Zahl von Partieen stilistisch nicht
gebessert haben sollte, b) Wer sich von dem Stil dieser schlecht
geschriebenen Partieen eine Vorstellung machen will, der lese
z. B. die Rede des Stephanus c. 7 und vergleiche sie mit den
Reden, die Paulus c. 22 ff. hält: der Mann, der jene verfafst hat
(inhaltlich der Sachlage wenig angemessen: Weizsäcker 1. c. 56,
und durch ihre sonderbaren Abänderungen der Septuaginta-
Überlieferuug aus allem übrigen herausfallend), fühlt und
schreibt ungriechisch: wer von Judengriechisch eine deutliche
Vorstellung hat und beispielsweise weifs, dals eins seiner Spe-
zifika die mafslose Häufung der obliquen Easus von aitög ist
(aufser den jüdischen Schriften bieten auch die Evangelien
massenhafte Belege^), findet das hier wieder, z. B. in folgendem
1) Cf. M. Sorof, D. Entstehnngsgesch. d. Apostelgesch. (Berlin 1890)
51 f. und (unabhängig davon) Ocrcke 1. c. 389 f.
2) Cf. Krenkel 1. c. 328; 336.
3) Cf. A. Buttmann, Gramm, d. nt. Sprachgebrauchs (Berlin 1859)
93 if. 105 f.
Die Litteratar des ürchristentams : Stil des Lukas. 485
Satz: V. 4 f.: tits il;€l&hv ix yijg XakÖaCmv xcetpxriöev (sc.
*j4ßQad(i) iv XaQgdv. x&xstd'sv yLBxä xh Ano^avatv thv naxiga
avtov fjLStpxi(f£V avrbv slg xi^v yf^v xaiitijv slg i\v {}^6tg vvv
xaxoi^xstxej xal oix idoxev aixm xkriqovofiCav iv aixy oidl
ßfjfia nodögj xal iicriyytCkttxo öovvav aix^ slg xaxA6%66i,v aix'^v
xal xdi öndQfLOXi aixov {ux* aixov oix üvxog aixm xixpov.
In der ganzen Rede (53 Verse) findet sich kein einziges (idv^
geschweige denn (idv — di (cf. darüber oben 8. 25^ 3), auch sonst
ist der Partikelgebrauch, dieses sicherste Kriterium fdr den
griechisch Denkenden^ von grenzenloser Dürftigkeit, dagegen
allenthalben Hebraismen in Fühlen und Sprechen. Doch ver-
folge ich diesen Gesichtspunkt hier nicht weiter für andere
Stücke der Apostelgeschichte: das Gesagte mag genügen, einer-
seits zu beweisen, daTs es bedenkUch ist, trotz solchen Kennern
wie Holtzmann (Z. f. w. Theol. 1881, 414) und kürzlich wieder
Blass, philologische Untersuchungen sprachlicher Natur über die
Apostelgeschichte wie über ein einheitliches Werk anzustellen,
andererseits zu zeigen, wie hier m. E., in engster Fühlung mit
der höheren Kritik methodisch vorgegangen werden mufs.
Viertens. Bei dem unter Lukas' Namen überlieferten Evan- sprach-
gelium ist die sprachliche Analyse deshalb einfacher, weil wir gtuittisoho
hier die anderen Evangelien, vor allem also Matthaeus und ^e7dref
Marcus, zum Vergleich heranziehen können; ich bemerke aber, Sjnoptikei
dafs Lukas aus dem oben angegebenen Grunde nur mit sehr
schonender Hand gefeilt hat. Ich habe an der Hand der äufser-
lich bequem eingerichteten „Synopse der drei ersten Evangelien^'
von A. Huck (Freiburg 1892) eine stilistische Vergleichung —
wenigstens oberflächlich — vorgenommen, wobei sich mir das
Resultat ergab, dafs Lukas an einer überaus grofsen Anzahl von
Stellen das vom klassicistischen Standpunkt aus Bessere hat
(besonders bemerkenswert sind die von mir in den Anmerkungen
angeführten Stellen der atticistischen Lexika), während die
gegenteiligen Fälle quantitativ und qualitativ kaum in Betracht
konmien. Ich will die wesentlichsten Punkte hier tabellarisch
zusammenstellen, wozu ich nur bemerke, dafs überall da, wo ich
die eine Tabelle leer lasse, der betr. Evangelist den betr.
Stoff nicht aufgenommen hat; da ich bei den Lesern sprach-
liches Gefühl voraussetze, werde ich nur selten nähere Moti-
vierungen anzugeben brauchen; die Beispiele sind einigermafsen
32*
486
Von Hadrian bis zum Ende der Euserzeit.
saclilich geordnet; von den Fällen , in denen Lukas mit einem
der anderen gegen den dritten das Bessere hat, sind nur ganz
wenige aufgenommen.^)
Marcus.
16, 15 tbv *Iriaoi)v q)Qa-
ysXlAaag nccgidioTtsv
12,42 XentädvOfSiativ
%odQdvtrig
12, 14 Tifjvaov
15, 39 %Bvtvql(av
11, 9 f. diOavvd
14, 45 ^ap^Bl
15, 22 inl xhv Fol-
yod'&v tinovj Z i-
ativ (i€9eQfirivev6fie-
vov KgavCov t6nog
15, 34 iXwt iXoat lafiic
aaßax^'avi
13, 16 6 eis tbv &yqhv
lii} iniaTQBrpdtü) slg
Toc öniücü („zurück-
kehren")
Matthaeus
5, 26 %o8Qdvxriv
27, 26 ebenso
22, 17 ebenso
27, 54 k%uxovxdg%rig
21, 9 ebenso
26, 49 ebenso
27, 83 Big x6nov Uy6-
fisvov FoXyod'äf Z
iötiv KquvIov tdnog
Xsyöfitvog
27, 46 ebenso
24, 47 dfii^v
23, 39 0^ f*i} M ^^n^^
&n' &QTI i<og ^v
26, 29 &n' &Qti
. 26, 64 &n' Äprt ')
24, 18 6 iv tA &yQÄ fii}
iTtiötQStpdta 6nia(o
Lukas
12, 59 XBnx6v
23, 25 tpQayBXX&ccig
fehlt
21, 2 XBUxa dvo
20, 22 (poQOv
23, 47 knaxovxdgxrig
19, 38 &, fehlt
22, 47 f fehlt
23, 33 htl xhv xdnovxbv
TiaXovfiBvov K^avCov
23, 46 abgeändert mit
Auslassung des Ara-
mäischen
12, 44 &Xrfi&g und so
öfters*)
13, 35 oi) fi^ üdBti fiB
icag TJ^Bi 3tB BÜnrixs
22, 18 Q;7r6 xov vvv
22, 69 anb xoi) vüv
21, 21 oi iv xatg xc^patg
(lil Bl6BQXBa9'(06av slg
aisx^v (sc. x^v n6Xiv)
24, 38 XQ&yovxBg*)%a\ 17, 27 f^o^iov hcivov^
nivovxBg^ yafiovvxBg iydfiovv iyafil^ovto
xal yaiilSovTBg
1) Was C. Nösgen in: Theol. Stud. u. Krit. 1877, 472 ff. über die Sprache
des Lukas anfülirt, ist wertlos ; einiges (nur z. T. Richtige) Krenkel 1. c. 44 f. ;
besser schon J. Hug, Einl. i. d. N. T. II ^ (Stuttg. 1826) 159.
2) Cf. Cremer 1. c. (o. S. 472, 1) p. 144 : „Bei L. findet sich &(iijv am
seltensten, er ersetzt es durch ^Xrid-öbg (9, 27; 12, 44; 21, 8), in icXri^slag
(4, 25), vai (11, 51), nX^v (10, 14; 22, 21), Xiyto ^fitv, Xsyoi coi (cf. L. 7, 9 oo
Mt. 8, 10, und so öfters)." — Fremdsprachliche Worte fehlerhaft: s. o. S. 60, 2 ;
üher tiodQdvTrig u. yifjvaog cf auch Th. Zahn, Einl. in das N. T. (Leipz. 1897) 46.
3) &7c' ccQti für &7TÜ rov vvv wird von den Atticisten gerügt: cf. Lobeck
zu Phryn. p. 21.
4) Phot. p. 231 N. TQSyBiv oixl xb iaQ-isiv anX&g^ iXXce xa XQayi^fittra
Die LitteratuT de» ürchristentamB; Stil des Lokaa.
487
1 , 36 ngcait üvw^cc
Xiav
24, 28 Znw) iccv ^ t6
nt&(ia^\ i%8l 6VV'
xoL
24, 46 xl^ &Qa iotlv 6
ni^nbg doüXog nai
q>Q6vtfiogf hv %ati'
0tria8v 6 %vQiog inl
ti^ ol%8tBiag ai-
24, 49 cwdovXovg^
24, 51 vno%Qit&v
(„Heuchler")
25, 14 indlsasv tovg l-
diovg dovXavg
25, 19 evvaigst Xoyov
fi£r' a{ft&v („hält
Abrechnung mit
ihnen")
25, 20. 22 itiigdfiöa*)
nivre xaXavxa
25, 21 8h
25, 24. 26 di8C%6üni'
eag^)
3, 9 ftT^ dofijra Xiy8iv
iv iavtotg („tragt
euch nicht mit der
Einbildung zu sa-
gen")
17, 37 Snov rb 6dltfia,
iuBt xal 6vpax9^'
aovtai ol &8toL
12, 42 tig &Qa iarlv 6
mctbg ol%ov6fiog 6
tpQÖvtykog^ hv nata-
ariJ68t 6 HVQiog inl
tljg ^SQanslag ai-
roO
12, 45 tohg natdccg xal
xkg naidicaag
12, 46 &niat(ov *)
19, 13 %aXicag S\ 8i%a
liovXovg kavxo^
19, 15 durch Umschrei-
bung beseitigt
19, 16. 18 beidemal d.
Umschreibung besei-
tigt
19, 17 f^ye«)
19, 21. 22 beidemal l-
ansiQag
3, 8 fiii &(f^ria&8 X. L L
4, 42 y8voiiivrig dh i^ii'
Qug
nal XQwnxoc yMovfUva^ cf. manducare. Auch das asyndetische xsxgdmoXov
ist gewähljce Diktion, cf. meine oben (S. 289, 8) genannte Abhandlung.
X) Ux&iuc gebrauchten ol v^v für den Toten, die Alten hätten dann
aber ijnmer v8%Qo(i hinzugefügt: Phryn. 875 L., in Wahrheit ist aber nicht
Guur^al nx&iuc v8%ifoe attisch, cf. Lobeck z. d. St.
2) Moeris p. 273 P. 6it>6dovXog &xxi'K&g, avvdovXog iXXrivtyt&g.
8) Doch hat er sonst öfters das in diesem Sinn unantike Wort bei-
behalten: Cremer 1. c. 570 f.
4) ünattisch: Lobeck 1. c. 740.
5) Als Akklamation beliebter als sh.
ß) Unattisch: Lobeck 1, c. 218.
488
Von Hadrian bis zum Endo der Eaiserzeit.
6, 86 ijdfi &Qas noXlfje'
yBvoiiivrig
14, 17 d^lccs ysvofiivrig
15, 42 &ipLae yBV0(iivrig
1, 32 &ipiccg ysvofiivrig
M
9, 42 (i^Xog övtnog
12, 20 0^ &(pfj'Ktv^
antQfiM („hinierliefs
keine Nachkommen-
schaft")
12, 22 <yb% &(pflyLav
14, 38 yffriyoQstte *)
14 , 49 iTigatBlti fi£
(„suchtet mich zu
greifen")
12, 12 iti/itovv ai>Tbv
HQtttfjaat
14, 66 (ccnUf(iMavv a{)t6v
ilaßov
10, 25 (atplg
5, 41. 42 yiOQciöMP^)
'14, 15 öipiag dh yBvo-
lifvrig
26, 20 ebenso
27, 57 ebenso
8, 16 ebenso
18, 6 ebenso
'22, 25 iiLii l^%<ov cniq\ia
Aqffj'KBv rriv yvvatna
aiftoi) Tip &d£X(ptp
aiycov
26, 41 ebenso
'26, 55 ixQctnjaati ^is
21, 46 iriroi}VTsg a{)tbv
nQatijacct
5, 39 3atig 6S (aniisi
26, 68 tlg iattv 6 nal-
aag 6S
19, 24 ebenso
9, 24. 25 ebenso
'9, 12 17 ^^ iH^iga Hgiavo
TnXCvBiv
22, 14 ZxB iyivsTO ij &qu
23, 50 6. y, fehlt
4, 40 dvvovtog dh tov
iiUov ')
17, 2 Xi^og iivXi%6g*)
' 20, 29 icni^apsv atsavog
20, 31 o^ %uxiXinov te-
xya*)
22, 46 &va6zdvteg {jtQOö-
22, 53 i^Btslva9€ tag
XSiQccg ifc' ifii
20, 19 itv^riöav inißa-
Xetv in' aiycbv tag
XBlgag
6, 29 Tflo tvnzovti ob
22, 64 wie Matthaeus
l
18, 25 (JfXiJvjj*)
8, 51. 54 beidemal ^
nalg
1) '(hpCa substantivisch wird von den Atticisten gerügt, cf. R. Reitzen-
stein, Gesch. d. gr. Etymologika (Leipz. 1897) 393; gut ist Mr. 11, 11 &ipCag
^dij o%crig tf^g &Qag\ mgag noXXilg (ohne yBvofiivrig) hellenistisch (Polyb. V
8, 3), ij &Qa die bestimmte Zeit gut griechisch.
2) Die Atticisten (Moeris 262) unterscheiden ^ivXog (der untere Mühl-
stein) und 6vog (der obere M.), also kann danach fwXog dviaög nicht gesagt
werden.
3) Es ist doch sehr bezeichnend, dafs Lukas das in diesem Sinn he-
braisierende Wort aniqyM (cf. darüber die feinen Erörterimgen Cremers
1. c. 898 ff.) nur an zwei Stellen hat, von denen die eine (20, 28) ein
Citat aus der Septuag., die andere (1, 55) eine direkte Beziehung auf
diese ist.
4) ünattisch und von den Atticisten gerügt: Lobeck 1. e. 119. Lukas
hat es zweimal, aber da, wo die ursprüngliche Bedeutung durchschimmert:
12, 37. 39.
5) Phiyn. 90 L. PbXovti xal ^BXovonmXrig &g%a.la. ij Ss (acplg tC ietiv
o'byL av Tig yvolti.
6) Wird von den Atticisten einstimmig mit den schärfsten Ausdrücken
gerügt: Lobeck 1. c. 73.
Dio Litteratar des Urchriatentnms: Stil des Lpkas.
489
15, 21 &yyaQ£vovai(f,BiQ
nötigen")
1, 88 yuoit,{m6l£ig
3, 6 avfißovXiov inoLriaav
xar' a'btovj Snoas ai-
xbv dnoliacaatv
11, 2 svQfjasts nätlovde-
dsfiivov, iq>' 8y o^-
15, 42 'Icaaritp 8{f6xiJlKov
ßovXsvtrig
12, 7 TtQÖg iavtovg et-
nav
6, 39 inha^sv ccbtolg
&vanllvat ndvtag
avfiitoaia avfino-
6ia inl ro9 x^^9^
X^Q^fP' ^^^ &vsn£-
accv yCQaaial nga-
aiaij Tiatä kuccrbv
xal xofra nsvn^novtci
10, 22 ^f yäQ Ixov xrtj-
fuxra noXXd
12, 44 avrri ndvta Zca
tlxiv ^ßalev, ZXov
thv ßlov ainiig
27, 32 riyyaQSvaap
12, 14 avfißovXiov iXa-
ßov TLtX.
5, 26 ^nrigitTig
6, 26 oifx i>(iBtg (i&XXov
diaqfigsts x&v res-
tsiv&v; („seid ihr
nicht viel besser als
die Vögel?")
8, 9 dv^ganog^nbi^ov-
eiav
11, 21 ndXai av iv adm-
xco xocl (TTTodflo fifre-
vÖTiaav
21, 38 sinov iv kavtotg
19, 22 ebenso
23, 26 durch Umschrei-
bimg beseitigt*)
4, 43 ndXeig
6, 11 disXdXovv ngbg dX-
Xi/jXovgj xi IStv noi-
iJ6aisv xtp 'Iriaoü
12, 58 ngdyixmQ („Ge-
richtsvollzieher")
12, 24 nöetp näXXov {>-
(istg diaq>iQSXi x&v
uBXHvibv
19, 30 k. n. d. , i. 8.
oi) 6 Big nmn ot e
&v9'QAnmv ^ x a ^ t -
asv
7, 8 &. V. L xaaa6(isvog
23, 50 7. ßovXevxiig ^-
10, 13 TtdXat otv iv ad%'
xfld xal anoda xa^i{-
(isvoi fisxev6ri6av
20, 14 SisXoy^ovxo ngbg
dXXi/jXovg Xiyovxsg
9, 14 ncixccriXivaxs ai-
xovg %Xiolag dva*)
ntvxi/iiiovxcc
18, 23 i^v yocQ nXovatog
6fp6dQa
21, 4 avxri ^"J^^^xa xbv
ßiov hv bIx^v ißccXev
1) Das Wort gehört der xoivri an und wird als ßdgßuQog qxovij von
den Klassicisten nicht gebraucht; cf. auch Zahn 1. c. (486, 2) 46 f.
2) Hier ist die doppelte Negation nicht griechisch.
3) Das Perf. ist nur hellenistisch.
4) &vd in distributivem Sinn ist der Hotvi/i imbekannt, von den Atti-
cisten restituiert: W. Schmidt, D. Atticismus IV (Stuttg. 1896) 626.
490
Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
13, 2 ai ftii &q>e»1l U-
&09 inl XC&ov („es
soll nicht ein Stein
auf dem andern ge-
lassen werden")
26, 16 iSi/itst 8^%aiQlav^
15, 38 vb natccxitaaiia
iaxlö9ri elg d^o &nb
ävmd'Bv img xcErco
14, 71 o{}% olda tbv &V'
14, 30 tiflg f(£ &7caQvi/J6'ii
12, 28 iCQoaBl&aiv elg]
ygafiiuctsvg
10, 17 fCQOöÖQafiav slg
inriQmva ai>x6v
14, 66 {lia t&v naidia%&v ,
24, 2 ebenso
21, 6 oi (L. &. Xi^og i%\
27, 51 tb X. i. äwto^sv
img %drm elg dvo
'26, 74 ebenso
25, 12 o^x olda 'bfiäg
26, 34 ebenso
8, 19 ebenso, cf. 22, 35
' .
19, 16 slg ngoaeX&cDv
aitx^ slnev
,26, 69 fiia fcatSianTi
13, 8 iöovtai asusfiol 24,7 iaovtai Xtftol %al
%axä tonovg, iaovxai asiöfLol %atä t6novg
Xifiol
22, 6 i. s^%aiQiav vov
nagado^vai aiyt^v
23, 45 %b X. ic%io%^ fU-
cov
'23, 60 oi)% olda 8 Xiysig
13, 25 oi%olda^iUcgn6'
&BV iati^)
22, 34 tglg &naQvrjay
(lil sldivai fus *)
10, 25 voftinLog rig ävi-
atriy cf. 9, 57
18, 18 intiQmrriaiv tig
a{)x6v
, 22, 56 nai8Lü%r\ tig
21, 11 asiaiiol ts iieyd-
Xoi xal %atä ronovg
Xifiol xal XoiiLol^)
icovxai
Auch einige Perioden bildet Lukas besser als die beiden an-
deren (ohne dafs er durchweg gut periodisierte), doch habe ich
mir aus yielem nur weniges notiert, z. 6.:
1, 10 f. xal Bi>^hg kva- 3, 16 f. e^^^g kvi^ii\itnb 3, 21 f. iykvf^xo d\ ivv^
ßalvmv i% xo^ vöa- toü vdaxog. xal Idov ßanxia&ijvai anavxa
1) So wird es erst gut griechisch.
2) Luc. 22, 57 steht iiQvi^aaxo aixöv nur in einigen Ausgaben, die
Hds. haben a{jx6v nicht; aber Luc. 22, 61 hat äna^vBlc^ai c. acc. der Person
wie Mr. 14, 71. Mt. 26, 75 und ic^veUs^ai, c. acc. d. Pers. 12, 9.
3) Eine seit Hesiod und Piaton äufserst beliebte allittericrende Ver-
bindung. In den Evangelien konmit nur noch ein Wortspiel vor, und zwar
ein sehr berühmtes: Mt. 16, 18 %&ym di aot Xiyat oxt av sl IlixQog, xal inl
xavx'd xfj nixQa olTiodoin/jaco fiov xriv innXriaiav: selbstverständlich ist das
X6yiov so nicht ursprünglich, sondern erst von einem griechischen Bearbeiter
zurecht gemacht, denn über den Standpunkt-, wie er im vorigen Jh. z. B.
von dem Neapolitaner D. Diodati in seiner Schrift De Christo graece lo-
quente (1767) vertreten wurde, sind wir hoffentlich ein für alle Mal hinaus
(den losephud anzuführen wird sich der Kundige hüten, cf. auch Zahn
1. c. 8,1; 40,1). Cf. über jene Stelle Weizsäcker 1. c. 467.
Die Litieratur des Urchristentums: Stil des Lukas.
491
tog ilSsv axttofii'
vovg tohg ovgavovg
xal rb fcvsvfjLoc &g
nsQiatfQäv Kataßat-
vor elg ccvt6v. %al
qxovil iyivBTo i% t&v
ovgav&v Sv hl b
viög (lov 6 äyanri-
rdff, iv aol Bvdd-
xriaa
ijvstpx&Tiftav ol ovga-
volj nccl sISbv nve^'
lia d'80^ naraßatvov
cbtffl neQKnsgäv ig-
x6fMvov in' avx6v.
«crl Uioh qxori} ix
t&v ovgaw&v Xiyov-
<ta %tX.
Besonders eine bestimmte Art der Periode,
Participialkonstruktion gebildete hat Lukas
Xi^ig elgoiiivri der anderen:
10, 28 ISoh 'fifutg &q)i/i'
naiieif ndvta %al ij-
xoXov^xaiUv <toi
11, 7 xal (pigovaiv tbv
n&Xov ngbg tbv 'It}-
60ÜV xal inißdXXov-
civ airz^ tä lyMXia
kavt&v xal iiid^i'
OBv in' aiycbv
14, 49 xa&' ijiiSQav ij-
IJkriT ngbg {>fi&g iv
vm Ugip diddaiuov
xal oix ixQavstti fte
cf. 12, 18
cf. 14, 16
10, 17 Ti noir^aon^ iva
tmriv almvLOv xXriQO-
voyLr\0(o
19, 27 ebenso
21, 7 ijyayov tbv 6vov
xal tbv n&Xov xal
inidiqxav in' aitt&v
ra indticc xal ins-
%d9'i6Bv indvco a{f-
t&v
26, 55 "mlO"' iifiigav iv
tm Isgm inad'siöftriv
SUidaxmv xai oi)x i-
xgati^aati (ib
22,23
cf. 25, 14
cf. 8, 21
19, 16 tl &ya&bv not-
riam^ 2va a%& Sonriv
aUbviov
25, 29 tm yicQ ix^vti
navtl dodi^öBtai xal
nBQLaöBv^astar tov
dh iiri ixovtog, xal
8 ^X^i &Qdi/ia£t ai &n*
aifto^
tbv Xabv xai 'Iri-
aoü ßantia&ivtog %al
ngoöBvxoiiivov &vb-
ipX^^^'' ^^ (ybgavbv
%al xataßfjvai tb
nvBii(ia tb &yiov am-
fuxnxco büSbi &g nB-
QiCtSQäv in' avt6vy
%al tpmviiv ii ovQa-
vo4) yBvia^at xtX,^)
nämlich die durch
oft gegenüber der
18, 28 Idoh iifAStg dtpsv-
tsg tcc I9ia i\%oXov'
9"fiaaikiv aoi
19, 35 xal rjyayov av-
tbv ngbg tbv 'Iriaoüv
xal inigifpavtsg aih-
tmv tcc Ifidtta inl
tbv n&Xov inBßißoL-
aav tbv 'Iriaovv
22, 53 xad'' ii^igav öv-
tog iiov ftBd'* 'bfi&v
iv tm Ibq<p o^x i^B-
tBlvatB titg x^^Q^S
in' i(iB
20,27
22, 13
19, 13
9, 59
18, 18 tl noiT^aag J^to^v
aUiViov xXriQOVOfii/}'
ato
19, 26 navtl t& ^;|royrt
dod'i^öBtai^ &nb dh
tov f(^ ix^vtog xal
8 ix^i &Q&ijastai.
Dagegen habe ich das umgekehrte Verhältnis so gut wie nie
1) Wer das f^d'og der Stelle besser getro£Pen hat, Lukas oder einer der
anderen, fühlt wohl jeder.
492 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
gefundeD, doch vgl. Mt. 24^ 45 tQotpiiv Lc. 12, 42 öitoiistQcov
(Phryn. 383 verbietet, statt öttov (istQStö^ai zu sagen öLto^-
XQstöd'aLj Diodor hat öcto^BXQiccy Plutarch öltö^tqov). Mt. 24, 48
XQOvi^sc (lov 6 xvQiog, Lc. 12, 45 fügt iQxeöd-ai hinzu. Mt. 19, 25
tig &Qa Svvccxai ffoDQ'fivai', besser als Mc. 10, 26 und Lc. 18, 26
xal rig Stivatai 6(o%f^vav\ Mt. 21, 46 iritorrvtag aircov XQatijöaL
iq)oß^d7i6av roi)g Sx^ovg gegenüber Mc. 12, 12 ^gijrovv ccircbv
XQarfiöccL xal ifpoßild-riöav tbv Z%Xov und Lc. 20, 19 i^T^vriöav
iTCißaXstv in aitbv tag x^^Q^S ««^ i(poßii9ri6av tbv Xaöv.
Die Wichtigkeit solcher denkbar einfachen, rein sprach-
lichen Analysen, deren Vermehrung dringend erwünscht wäre,
leuchtet ein, z. B. belehrt mich für den vorliegenden Fall mein
Kollege Ä. Gercke, daJB dadurch die Benutzung des Matthaeus-
evangeliums seitens des Lukas endgültig erwiesen werde, da es
ja undenkbar sei, dafs im umgekehrten Fall Matthaeus die
stilistisch guten Ausdrücke des Lukas absichtlich vulgarisiert
haben solle.
2. Die Briefe des Paulus.
Liitermr- Auch sic will Overbcck 1. c. (o. S. 477) 429 noch nicht
steUnng. zur eigentlichen Litteratur gerechnet wissen. Denn, wie er sagt,
„das geschriebene Wort ist hier, ohne als solches etwas be-
deuten zu wollen, weiter nichts als das durchaus kunstlose und
zufällige Surrogat des gesprochenen. Paulus schrieb an seine
Gemeinden nur um ihnen schriftlich zu sagen, was er ihnen
mündlich gesagt hätte, wenn er jedesmal an Ort und Stelle ge-
wesen wäre.*' Das ist richtig: Paulus selbst hat auf seine
schriftstellerische Thätigkeit gewifs noch weniger Gewicht gelegt
als Piaton; aber die Brieflitteratur, selbst die kunstlose, hat
nach den Anschauungen d^r damaligen Welt doch eine viel
gr(*)rsere Htterarische Existenzberechtigung gehabt als wir heute
nachempfinden können: der Brief war allmählich eine litte-
rarische Form geworden, in der man alle möglichen Stoffe, ge-
rade auch wissenschaftliche, in zwangloser Art niederlegen
konnte. So erklärt es sich, dafs die pauliuischen Briefe dem
hellenischen Empfinden wieder um einen Grad näher stehen
^i^^^;;"*f^"'mufsten als die Apostelgeschichte.
•HeiJeiii«- Der Apostel Paulus hat in dem 2. Brief an die Korintlner
Miius. das berühmte Wort von sich gesprochen (11, 6), Idiioxrig tiS
I .
Die Litteratur des Urchristentums: Paulas. 493
löyp, «AA' 0%} tri yv66eij und an dieselben schreibt er(I2, Iff.):
xayh iiJ&hv nQog ifiäg^ ideXfpoi^ ^Mov oi xa^' wcsQoxiiv Xöyov
rf 6oq)iag TcatayyikXcav ifitv rö (laQtvQiov tov d'sov xal
6 Xöyog fiov xal rö xij(fyyii(i (lov oinc iv xei^ot 6oq>iag Xöyoig^
iXXä iv äTCoöei^et TCvsv^uxtog xal dvvd(uag. Man mufs sich die
Zeitverhältnisse vergegenwärtigen, um das Gewicht dieser Worte
gauz zu fassen: er schrieb das zu einer Zeit, als die Kunst der
Rede alles galt, Weisheit ohne sie nichts, er schrieb es vor
allem an Bürger einer Stadt, in der die Rhetorik anerkannter-
maisen in hohem Ansehen stand. ^) Wie verhält sich nun zu
diesen Au&erungen der Stil, in dem er thatsächlich schreibt?
Wollte ich genau darauf eingehen, so müiste ich zuvor die
äuiserst schwierige Frage behandeln, inwieweit Paulus Kenntnis
der heidnischen Litteratur besals, überhaupt wie er sich zum
Hellenismus stellte. Meine allgemeine Ansicht in dieser Frage ^)
habe ich schon oben (S. 472 S.) ausgesprochen. Während ich
früher, wenn ich seine Briefe las, geneigt war, zwischen den
Zeilen Piaton und die Stoa zu lesen, bin ich jetzt längst über
einen solchen — unwissenschaftlichen — Standpunkt hinaus-
gekommen, den, wie ich zu meiner Verwunderung sehe, sogar
einige Theologen noch einnehmen.^) Unter den Neueren hat
wohl keiner das hellenische Element der Briefe des Apostels
mafsloser übertrieben als C. Heinrici, Erklärung der Korinthier-
briefe II, Berlin 1887. Gegen die Methode, mit der in diesem
Werk die hellenische Litteratur, vor allem die Redner und
Philosophen, herangezogen werden, mufjs ich laut Protest er-
heben. Ich bitte denjenigen, der etwas von antiker Rhetorik
1) Cf. besonders die oben (S. 422 ff.) behandelte korinthische Rede des
Favorin. Das hat übrigens schon Johannes Chrys. de sacerdotio IV 5 (48,
667 Migne) bemerkt: öiaQQridriv diioXoyst Ididtrriv iavtbv slvai xal tavta
KoQivd'lois iniatiXXmv volg &nb tov Xiysiv d'aviuciofiiwois xal fteya inl voi)to
tpQOVO^ftlV.
2) Cf. auch E. Hicks, St. Paul and Hellenism in: Studia biblica ot
ecclesiastica IV (Oxford 1896) 1 ff., der gleichfalls vorsichtig urteilt; ebenso
Hamack, Dogmengesch. P 91.
3) Wenn einige aus der Thatsache, dafs Paulus die wenigsten Briefe
mit eigener Hand geschrieben hat, eine Ungeübtheit im Griechisch-
Schreiben glauben erschliefsen zu müssen, so ist das natürlich wieder nach
der andern Seite viel zu weit gegangen; wie darüber zu urteilen ist, habe
ich im Anhang H g. E. auseinandergesetzt.
494 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
versteht — der Verf. scheint seine wesentliche Kenntnis aus
Volkmann zu schöpfen — die Kapitel 10 — 12 des zweiten Ko-
rintherbriefs zu lesen und sich zu fragen^ ob er darin ^^die be-
währten Mittel der antiken Verteidigungsrede^' (p. 403) erkennt:
gewifjS; insofern jeder Mensch^ der sich zu verantworten hat^ ver-
wandte Töne anschlägt^ aber mufs er die von anderen erlernen?
Von demselben Genre ist^ was p. 573 nach Comificius und
Aphthonios über die Chrienform — & ^eol xal d'sai — von
ep. ad Cor. I 8 — 10 vorgetragen wird, und anderes der Art,
was, wer Lust hat, bei dem Verf. selbst nachlesen mag. Paust
etwas nicht ganz genaui dann heilst es: y,selbstver8tändlich ist
hier nicht eine schulmälsige Nachahmung, sondern eine freie
und zweckentsprechende Ausnutzung bewährter Beweismittel be-
hauptet*' (p. 573, 2), oder es wird von blofser 'Analogie* ge-
sprochen. In letzterem Punkt befinde ich mich ausnahmsweise
mit dem Verf. in Übereinstimmung: aber die ganze Haltlosig-
keit seines Standpunktes ergiebt sich gerade aus dem Mifs-
brauch, den er mit diesem Wort treibt; er ist sich offenbar
selbst darüber völlig im unklaren, wo er von 'Analogie', wo er
von direkter 'Benutzung' reden soll; ganz rätselhaft ist mir,
was er meint mit Worten wie p. 403: ,,Paulus könnte sich
für dies Verfahren die Worte des Demosthenes an-
eignen: 'So verschlagen du auch bist, Aeschines, so hast du
doch dies ganz thöricht geglaubt u. s. w.'.^^ Nicht selten
operiert der Verf. mit Autoritäten: Augustin, Calvin, Casau-
bonus, Mosheim werden als Zeugen für die technische Bered-
samkeit des Apostels angeführt. Nun, mit welcher Vorsicht
Urteile der Kirchenväter in diesen Dingen benutzt werden
müssen, darüber werde ich späterhin zu handeln haben ^); was
aber die Autoritäten der vorigen Jahrhunderte betrifft*), so
1) Übrigens citiert der Verf. einmal (p. 78) die Worte Augustins (de
doctr. Chr. FV 7): sicut ergo apostolum praecepta eloquentiae seciitum fuisse
non dicimus, ita quod eius sapientiam secuta sit eloquentia nan negamtM,
Merkt er denn nicht, dafs er damit sich selbst widerlegt?
2) Es existierten zwei Parteien, von denen die eine Paulus als uni-
versalen Gelehrten, die andere als Ignoranten in weltlicher Bildung hin-
zustellen liebte : beide glaubten damit dem Apostel den gröisten Dienst zu
erweisen und befehdeten sich heftig. Auf beiden Seiten finden wir die
gröfsten Namen: dort vor allem Salmasius und Casaubonus, hier Melanch-
Die Litierator des Urchristentoins: Paulus. 495
dächte ich, wären wir darüber hinaus, den naiven Standpunkt
der Humanisten und Gelehrten einzunehmen, als ob unsere reli-
giösen Urkunden in glänzender Sprache geschrieben und mit
antiker Erudition vollgestopft sein müfsten: eine Anschauung,
die sich jenen ebenso unwillkürlich aufdrängte, wie sie für uns
absurd ist.^) Zu den nichtigen Argumenten gehört auch der
fortwährende Rekurs auf Tarsus, z. B. p. 78, 3: „Wir werden
auf diese Beziehungen noch öfters hinzuweisen haben, welche
beweisen, dafs Paulus nicht mit geschlossenen Augen in der
PflanzstILtte rhetorischer und stoischer Weisheit aufgewachsen
ist'^ (u. ö. ähnlich). * Tarsus' ist ja überhaupt seit Jahr-
hunderten') das Schlagwort, welches immer und immer wieder
in die Wagschale geworfen wird, wo es sich um diese Frage
handelt. Dagegen ist aber zweierlei zu bemerken: erstens sagt
Paulus selbst in seiner Rede in der Apostelgeschichte (22, 3),
er sei „geboren in Tarsus, aufgezogen in Jerusalem, zu den
Füfsen des Gamaliel gebildet nach der Genauigkeit des
väterlichen Gesetzes'', und wenn man dagegen einwenden
könnte, dafs diese Rede wie die ganze Episode der jeru-
salemischen Gefangenschaft nicht ganz zuverlässig sei^) und dafs
thon, Erasmus, Sturm, Grotius. Im vorigen Jahrh. haben dann kleine
Geister das Material jener grofsen wieder hervorgekramt: da wuchsen
seitens der einen Partei aus dem Boden Abhandlungen mit Titeln wie ' de
stupenda eruditione Pauli', seitens der andern kam es so weit, dafs ein
angesehener Theologe (bei G. W. Kirchmaier, nagallriXiciibe Novi Foederis
et Polybii [Wittenberg 1726] 7) schreiben konnte: ,^aulus hat die gröfste
Erudition, Wohlredenheit und andere hohe Gaben, und was er in der Aka-
demie gelemet, allgemach wieder ausgeschwitzet: ie einfaeltiger er wurde,
ie mehr er an diefsen abnahm, ie mehr Geist war in ihm. Man sehe nur
die letzte Epistel ad Timotheum, die kurtz vor seinem Todt geschrieben."
1) Ein starkes Stück ist, dafs der Verf. p. 578, ^ wagt, das ungeheuer
lächerliche ,JiOngin"-Fragment eines Evangeliencodex, wonach Paulus auf
efne Linie gestellt wird mit Demosthenes, Lysias, Aeschines, 'Timarchos'
(den der elende Fälscher offenbar mit Deinarchos verwechselte) u. s. w., für
echt zu halten, wozu, soviel ich sehe, seit J. A. Fabricius, der wohl zuerst
die Fiktion erkannte (bibl. Gr. lY c. 31 p. 445), keiner den Mut gehabt
hat, cf. Chr. Thalemann, De eruditione Pauli ludaica non Graeca (Leipz.
1769) 40 f.
2) Z. B. M. Strohbach, De eruditione Pauli (Diss. Leipz. 1708) 14 ff.
8) Cf. Weizsäcker 1. c. 439. Obwohl gerade die citierten Worte
solches Detail enthalten, dafs sie schwerlich ganz erfunden sind. Dafs
496 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiflerzeit.
dem Apostel; als er von den Juden bedrangt in Jerusalem diese
Rede hielt, daran liegen mniste, das jüdische Element seiner Er-
ziehung geflissentlich zu betonen, so ist zweitens zu bemerken^
dals er, der Sohn rechtgläubiger, auf ihren Zusammenhang mit
den Pharisäern stolzer Eltern, der vor seiner Bekehrung mehr
als irgend ein anderer für das jüdische Gesetz geeifert hatte,
selbst wenn er in Tarsus länger geblieben wäre, dort von der
hellenischen 6oq>ia schwerlich irgendwie tiefer beeinflufst sein
würde. Dafs er in Jerusalem zu denjenigen Schülern des
Gamaliel gehört habe, die von ihm in griechischer Weisheit
unterrichtet wurden (s. oben S. 474, 1), wird zwar nicht über-
liefert, ist aber jedenfalls als sehr wahrscheinlich zu bezeichnen:
aber wer von den griechischen Strömungen im damaligen
Palästina eine klare Vorstellung hat, der weifs, dafs darunter
nicht rein hellenische, sondern jüdisch hellenische Weisheit ver-
standen werden mufs und zwar in Palästina eine solche, in der
nicht wie in Alexandria das hellenische, sondern das jüdische
Element überwog.^) Dafs Paulus, als er seine Mission in der
hellenischen Welt ausführte, sich eine Kenntnis der Fundamente
verschafft habe, auf denen diese Welt ruhte, ist zwar selbst-
verständlich^); aber man darf dies Moment nicht zusammen-
werfen mit der Frage, inwieweit hellenische Ideen in seinen
Schriften nachzuweisen sind: dals Paulus z. B. etwas von Piaton
gelesen haben könne, wage ich nicht zu bestreiten (so sehr
sich mein subjektives Gefühl dagegen auflehnt), aber was nützen
uns solche problematischen urteile? Auf den Beweis käme es
an und den zu führen, dürfte schwer halten. Denn man mache
Paulus in seiner Jugend nach Jerusalem kam, hat ja auch gar nichts Auf-
fälliges: dort gab es in der Synagoge eine Partei tmv &nb KiXiyiias act.
ap. 6, 9.
1) Über die Partei der act. ap. 6. 1 S. erwähnten 'EXXriviatai in Jeru-
salem cf. Weizsäcker 1. c. 51. Die 'AXs^avdgBtg werden als eine besondere
Partei neben diesen genannt ib. y. 9.
2) Cf. Weizsäcker 1. c. 211: „Wie Paulus das Christentum in die
griechische Sprache eingeführt hat, so hat er sich auch der griechischen
Bildung gewachsen gezeigt; bei aller jüdischen Grundlage hat er eine
Weise des Denkens entwickelt, welche auch auf diesem Boden fesseln und
siegen konnte." Vor allem zeigt es die Polemik des Römerbriefs: Weiz-
säcker 08. Vgl. auch E. Curtius in : Sitzungsber. d. Berl. Ak. 1893, 928 fF.,
der aber in Einzelheiten viel zu weit geht, und Zahn 1. c. (o. S.486,2) 33 ff.
Die Litteratur des Urchristentums: Paulus. 497
sich klar: bei einem christlichen Schriftsteller des vierten Jahr-
hnndertSy also der Zeit der vollzogenen Verbindung zwischen
Hellenismus und Christentum, genügt uns eine auch nur an-
nähernde Konkordanz des Ausdrucks mit Platon^ um dadurch zu
dem Schlufs berechtigt zu sein^ jenem Schriftsteller sei Piaton
bekannt gewesen; dagegen bei Paulus, dem der Gedanke eines
Kompromisses zwischen Christentum und Hellenismus noch fem
lag, berechtigt eine solche annähernde Übereinstimmung nicht
zu dem gleichen Schlufs, sondern wer hier etwas Sicheres be-
weisen will, von dem verlange ich, dafs er schlagende Beispiele
bringe, und die sind bisher nicht gebracht, oder besser noch:
nicht einmal Anklänge sind weder an Piaton noch an irgend
einen anderen hellenischen Schriftsteller nachgewiesen worden,
denn was man als Beweise oder Anklänge auszugeben pflegt,
erweist sich bei auch nur flüchtigem Zusehen als ganz und gar
nichtig.^) Ist es denn nicht klar, dafs dem Apostel, selbst an-
1) Geradezu kindlich ist (um von Früheren ganz zu schweigen), was
F. Röster (Ob St. Paulus seine Sprache an der des Demosthenes gebildet
habe? in: Theol. Stud. u. Erit. 1854 I 805 £P.) vorbringt; man höre z. B.
„1 Cor. 4, 4 o{)dhv ifiavta avvoiSa. Wörtlich ebenso sagt Aeschines: [iridhv
airm avvnSSg und ähnlich Demosthenes: s^voiav iftavt^ a^voida. Col.
1, 18: Tira yivritai iv n&aiv ainbg nQcotsvmv, Ebenso bei Dem.: tb ngo}-
TSVHT iv «fifftv" u. s. w. Seitenlang. Was Heinrici für Piaton vorbringt,
mag man bei ihm selbst nachlesen, z. B. p. 575; was er p. 576, 1 sagt:
„Merkwürdig stimmt in dem rhetorischen Charakter das Fragment des
Eleanthes (gemeint ist der Hymnus) mit ep. ad Cor. I 15, 39 f. überein, bis
zu wörtlichen Berührungen" ist mir total unerfindlich. Kürzlich hat
Major in: Classical Review X (1896) 191 behauptet, dafs die bekannten
angeblichen Worte Piatons (cf. Plut. Mar. 46 u. a.), er danke seinem
Dämon, dafs er ihn habe werden lassen einen Menschen, einen Mann, einen
Hellenen und einen Zeitgenossen des Sokrates, von Paulus gekannt worden
seien, als er an die Galater schrieb 3, 28 0'6x ivi 'lovdatos o^Sl "EXXriVy o^x
ivi dovXos oiSh iXtv^SQog, oi)% ivi &q6Sv xal &ijXv' ndvteg yccg 'b[istg slg
iöth iv xQi'Otä 'Iriaov (cf. ad Col. 3, 11): credat ludaeus Apella. — Auf viel
näher Liegendes scheint dagegen noch nicht hingewiesen zu sein. Der Satz
(Rom. 2, 14 f.) 3tav ^%'vri xa \l^ v6fiov ?;|rovira (pvasi tcc toü v6fiov noiA-
öiVy avtoi v6fiov iLT} ^xovtsg iavtoig alaiv v6iiog^ oitivsg ivSsUwvtai tb
igyov xov w6fjtov ygantbv iv tatg %ccQdiaig aix&v ist, wie der Philologe
weifs, ganz griechisch empfunden: die Identität der &yQa(poi v6iLot und der
qivatg wurde seit der Zeit der alten Sophisten aufs lebhafteste diskutiert;
aber der Philologe weifs auch, dafs gerade diese Idee durch die Vermitt-
lung der Stoa in das Allgemeinbewufstsein aufging, so dafs sie von keineip
498 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
genommen, er habe die hellenische Litterator gekannt, daran
liegen mufste, das eher zu verbergen als zu zeigen? Man halte
mir nicht die bekannten hellenischen ^Citate' entgegen^): das
sind geflügelte Worte, bei denen kein Mensch an ihren Ursprung
dachte, geschweige denn dafs daraus folge, Paulus habe Me-
nanders Komödien gelesen, eine Perversität der Vorstellung, der
sich schon Hieronymus schuldig gemacht hat.') und da mochte
ich doch fragen: wer Paulus liebt und bewundert, würde ihn der
sich lieber etwa wie einen Clemens von Alexandria denken, ge-
schmückt mit den Floskeln platonischer Diktion und gewappnet
mit dem Rüstzeug hellenischer Sophisten, oder so wie er ist,
ganz aus sich selbst heraus verständlich in seiner einzigen
Eigenart?
Dor Stil Das unhellenische Element') zeigt sich nun auch im Stil
de« Pftaluf. 1 -rfc , X o
des Paulus.
aus Büchern entnommen zu werden brauchte, so wenig wie das paulinische
Bild vom i^Xrivrig (s. oben S. 466).
1) Die Stellen hat schon Clemens ström. I c. 14 gesammelt, cf. auch
E. Maass, Aratea (= Philol. Unters. XU 1892) 265 f. Aber das *Citat*
der ep. ad Tit. 1, 15 (ebenfalls ein geflügeltes Wort) mufs ausscheiden,
weil sie nicht paulinisch ist; ebenso muTs ausscheiden das Citat der
Apostelgesch. 17, 28 (s. oben S. 473). Es bleiben also als paulinisch nur
die beiden sich unmittelbar folgenden * Citate ' in der ep. ad Cor. I 15, 82 f.
2) Hieron. comm. in ep. ad Tit. c. 1 (VE 706 Vall.): ad Carinfftios
quoque, qui et ipsi (nämlich wie die Athener, deren angebliche Altar-
aufschrift der angebliche Paulus citiert act. ap. 1. c.) AtHca facundia ex-
politi et propter locorum viciniam AtJienienmim sapare conditi sunt, de Me-
nandn comoedia versum sumpsit iambicum ^ corrumpunt mores bonos coUoquia
maW. Dem Hieronymus war es natürlich dienlich zu behaupten, der
Apostel habe heidnische Autoren gelesen : auch Clemens 1. c. hat die ' Citate '
gewisscrmafsen zu seiner Selbstverteidigung gesammelt. Den sprichwört-
lichen Charakter menandrischer Monosticha (gegen Zahn 1. c. 86; 50, 19)
beweisen jetzt auch die Papyri. Ähnlich zu beurteilen sind die Anklänge
an griechische und römische Anschauungen des täglichen Lebens, auf die
Weizsäcker 1. c. 99. 101 hinweist.
8) Es ist doch höchst bezeichnend, dafs gerade in dem eigenhändig
von ihm geschriebenen Grufswort (bekanntlich diktierte er meist) des ersten
liriefs an die Korinthier zwei aramäische Worte vorkommen (die einzigen
in seinen Briefen): d icenaG^thg tfj ifiy x^''Q^ UavXov. bI rtg oi> tpilst tbv
nvQiov, i]t(o Scvdd'Bfia' fiagdv Scd-d (d. h. ^ der Herr kommt', auch in der
Didache 10, cf. Taylor 1. c. [oben S. 405, 4] 77 f. und besonders schon Light-
foot 1. c. [oben S. 470, 1] 268 ff.). ^ X^Q^S ^^^ kvqIov 'Iriaov fied'* 'bfi&v' ij
(iydnri fiov (istä ndvttov vfimv Iv %QiCz^ 'ijicov.
Die Litteratar des Urchristentams: Paulas. 499
Panlas ist wenigstens fdr mich ein Schriftsteller, den ich i. un-
nur sehr schwer verstehe; das erklart sich mir ans zwei Q^^^tein-
Gründen: einmal ist seine Art zu argumentieren fremdartig^), ^"**'^-
und zweitens ist auch sein Stil, als Ganzes betrachtet, un-
hellenisch. Mir bestätigt sich diese Erklärung durch die That-
sache, dals wenigstens ich den sog. Hebräerbriei^ an dem man
schon in alter Zeit eine ganz andere, unter hellenischem Einflufs
stehende Stilistik bemerkte^), von Anfang bis Ende ohne jede
1) Cf. F. Nork 1. c. (oben S. 472,1): „In den alten jüdischen Schriften
erblickt man ganz dieselbe mystische Weise der Parabeln, Allegorieen etc.,
wie sie in den Büchern des N. T., besonders in den Paulinischen Briefen
YorkolUen, wie auch Paulus Darstellung und Sprache überhaupt die
frappanteste Ähnlichkeit mit den Midraschim hat, was auch jeder bezeugen
wird, der dieselben nur einigermafsen kennt." Belege im einzelnen haben
schon Gelehrte firüherer Jahrhunderte gegeben, cf. die Oitate bei J. Schramm,
De stupenda eruditione Pauli (Herbom 1710) 16; dann Nork 1. c. 217 £f.,
der aber sehr übertreibt; einige treffende Beispiele bei Hamack, Dogmen-
gesch. I" 95, 2, Weizsäcker 1. c. 111, Taylor 1. c. 24 u. ö. Was Fried-
länder L c. 166 ff. (nach Vorgang anderer) von dem 'alexandrinischen
Anflug' in Paulus' Sprache und Exegese sagt, ist verwirrend und falsch.
Der klassische Philologe fühlt sich — was natürlich blofse Analogie ist —
ofb an die Beweisführung der Sophisten erinnert; auch Hieronymus schildert
Paulus ganz wie einen griechischen Sophisten, die Worte sind für Hiero-
nymus höchst charakteristisch; ep. 48, 18 (I 222 Vall.): PafdtMn apostolum
quoUenscumque lego, videor mihi non verba audire sed tonitrtta. legite
epistolas eiua et maxime ad Bomanos, ad Galatas, ad Ephesios, in quibm
totus in certamine positus est , et videbitis eum in tesHmoniis quae sumit de
ffetere testamento, quam artifex, quam prudens, quam dissirnukUor sit eius
quod ctgU, videntur quidem verba simplicia et quasi iwnocentis hominis ac
rusticani. .,, sed quocumque respexeris, fülmina sunt, haeret in causa, capit
omne quod tetigerit, tergum vertit ut superet, fugam simuUxt ut occidat. ca-
lumniemur ergo iUiMn atque dicamus ei: tesHmonia quibus contra ludaeos
vel ceteras haereses usus es, cditer in suis locis cditer in tuis epistolis sonant.
Übrigens machte das Verständnis der Briefe schon in sehr früher Zeit
Schwierigkeit, cf. ep. Petr. 11 (s. 11, 1. Hälfte) 3, 16: iv alg ifftw dvev^d
tiwcc. Später hat Paulinus von Nola dem Augustin eine ganze Serie von
Fragen über Stellen des Paulus, die ihm dunkel blieben, vorgelegt (ep.
60, 9 ff.).
2) Cf. das bekannte Zeugnis des Origenes bei Euseb. h. e. VI 26, 11 ff.:
3t i 6 xaga^tiiQ tfjs Xi^Brng tijg ngbg 'Eßgaiovg imysyQafifiivrig i^i^oXtjg o^x
Ixii' tb iv X6yqi l8i(oti%bv rot) änomdlov öitoXoyifeavtog iavtbv IdiStriv slvai
t^ l&ftOy tovtsmt T$ (pQoiasiy &Xld iatyv ^ inustoXii öw^iasi tfjg Xi^srng kX-
XfiPinaniQa, n&g d inictdusvog hlqCvbiv (pQaesmv Siaq>OQccg öfioXoyi/ieai &v.
Da aber die Gedanken durchaus paulinisch seien, so vermute er, dafs ein
Korden, antike Kunitprosa. II. 33
500 ^on Hadrian bis znm Ende der Eaiserzeit.
Schwierigkeit durchlese, ebenso den sog. Bamabasbrief, dessen
Verfasser gelegentlich mit Absicht kunstvoll periodisiert, und
den (ersten) Clemensbrief, in dem wenigstens die Gedanken-
entwicklung und die ganze Art der Beweisführung griechisch
ist.^) Ich finde dieses subjektive Gefühl femer bestätigt durch
eine Ausführung Benan's (Saint Paul [Paris 1869] 231), die der
Philologe als berechtigt anerkennen mufs: Renan sagt u. a.: 2>
style Spistölaire de Paul est le plus personnel qu'il y ait jamais eu.
La langue y est, si fose le dire, hroyee; pas une phrase suivie, II
est impossihle de violer plus audacieusement .... le
gdnie de la langue grecque . .; on dirait une rapide ean-
Schüler des Apostels sie aufgezeichnet habe, nach einigen Clemens Ro-
manns, nach anderen Lukas (cf. Euseb. m 38, 2. VI 14, 2). Cf. H. y. Soden
in: Hand-Eommentar zum N. T. von Holtzmann etc. m 2 (2. Aufl. Freib.
1892) p. 6 : „Der Verf. ist ein vielseitig und fein gebildeter Christ. Er ver-
fügt über einen reichhaltigen Wortschatz (140 &7ia^ Xsyöfusva^ in dem sich
eine grofse Anzahl der Bibelsprache fremder, dem Profangebrauch an-
gehörender Worte finden (z. B. vitpog, vd&otj aliiMteiixvölaj fnad'oatodoalcc).
Die sprachliche Diktion ist gewandt, blühend, sobald er es fär angebracht
hält (z. B. 1, 3), reich an feinen syntaktischen Wendungen, an schön-
gebauten Perioden, nicht ohne Wortspiele (5, 8. 9, 16 f. 10, 38 f. 11, 87.
13, 14 [darunter ein seit Aeschylos berühmtes : ifucd-sv - inad'sv, eins, welches
ich mich erinnere auch sonst gefunden zu haben: ficye» - ft£>Uet]), treffend
durchgeführten Bildern (6, 7. 12, 1 — 3), scharf beleuchteten Gegensätzen."
Cf. auch Blass 1. c. 274. 290 f. (was er aber über angebliche Hiat-
vermeidung vorbringt, widerlegt sich aus dem von ihm selbst vorgelegten
Material) und B. Weiss in seinem Eonunentar (6. Aufl. Götting. 1897) p. 9 f.
Bezeichnend ist auch, dafs z. B. c. 7 nicht weniger als siebenmal fiiw - di
vorkommt, d. h. in einem Kapitel so oft wie in ein paar paulinischen
Briefen zusanuneu (s. oben S. 26, 3).
1) Z. B. ist ganz griechisch, wie er c. 4 ff. durch Anführung einer
langen Reihe von 'bnodsiyfiMta beweist, dafs t^l^og xal q>9'6vog verderblich
seien. (Wenn man freilich behauptet, dafs er je einmal Sophokles und
Euripides nachahme, so ist das völlig illusorisch, um gar nicht zu reden
von der Thorheit, dafs er auf eine Stelle des — Horaz anspiele!) Der Stil
ist gelegentlich hochrhetorisch, cf. z. B. die starken dfioiotilswa c. 1
p. 10 Lightfoot; 2, 12 f.; 3, 20; 6, 34; 21, 76 f.; 45, 137; 59, 174, sowie die
fast übermäfsigen Anaphern c. 4 p. 23 ff.; 32, 98 f.; 36, Ulf.; 48, 147;
49, 148 f , ein Wortspiel vielleicht c. 5 p. 26: laßcoiisv tfjg ysvsäg ijfi&if
tä ysvvaZoc 'bnoSsiyiiata. Bemerkenswert aber ist, dafs in den 65 Kapiteln
nicht ein einziges Mal iiiv - di vorkonmit. Ganz anders auch im Stil ist
der sog. zweite Clemensbrief (die Homilie): keine rhetorische Figur, aber
in 20 Kapiteln doch zweimal (liv-di (3 u. 10).
Die Litteratar des ürchristentams : Panlns. 501
versaUon st^nographiee et reproduite sans corrections. Ich habe Antik«
dann vor allem gesucht^ wie die groCsen Begründer einer christ- *"* ****'
lich-hellenischen Bildung im vierten Jahrhundert über Paulus
als Schriftsteller geurteilt haben , obwohl ich nicht verkenne,
dals diese Zeugnisse mit Vorsicht benutzt werden müssen; denn,
wie wir weiter unten sehen werden, hat man in dem instinktiven
Bestreben, den Standpunkt des vierten Jahrhunderts mit dem
des ersten zu identifizieren, oft den Thatsachen Gewalt an-
gethan, so daTs diese Zeugnisse für uns nur da beweiskräftig
sind, wo wir an den Thatsachen selbst die Kontrolle der Richtig-
keit üben können. Von den Griechen führe ich an loannes
Chrysosi de sacerdoi L IV c. 5 f. (48, 667 S. Migne). Die
Gewalt der Bede sei für den Prediger das wichtigste Mittel zu
wirken. Dann laust er sich den Einwurf machen: warum denn
Paulus diaQ^driv b\iokoyBt IdviSytriv £avtbv elvai xal taih:a Ko-
Qiv^ioig inuSxiXhov totg &nh toi) Xdyecv ^av^ia^oiidvoi^ xal (idya
hcl toikp ipQov<yö6t,; Darauf weist er sehr ausführlich nach,
dals Paulus bei Christen, Juden und Heiden gerade wegen seiner
Bedegewalt bewimdert worden sei, die bis ans Ende der Dinge
den Menschen aus seinen Briefen entgegentönen werde. Freilich
sei es nicht die Beredsamkeit der Welt: bI (ihv ti^v Xai&trixa ^lao-
XQotovg iac'dftow xal xhv ^rifMö&ivovg Syxov xal xiiv Sinncv-
didov 6s(iv&tfixa xal xb Illdxan/og ßtifog, idst q^igaw elg (idöov
tavxriv tav IlaiHov xiiv \ia(fxvQlav' vvv d\ ixstva (ikv navxa
itplvilih xal xhv nBgUgyov x&v i^ad-Bv xaXXa^iöiiöVj xal oidiv
fLOi, ipQdösag oi>öi iitayyBkCag (idkev iXX* i^döxm xal xfi kSisi
7tt(o%BiiBiv xal xiiv öxjvd^xriv x&v övoiiätaw iatk^v xiva slvai.
xal iq>BXfl^ (lövov fiil yvd>6Bv xvg xal rg x&v doy^dxan/ iTCQcßsia
Idi&xrig i4xai^) Unter den lateinischen Zeugnissen sucht der
Briefwechsel des Paulus mit Seneca (jedenfalls vor Hiero-
nymus, der ihn kennt) an köstlicher Naivität seinesgleichen:
ep. 7 mahnt ihn Seneca: vellem, eures et cetera, ut tnaiestati ea/rum
(nämlich der Briefe) cultus sertnmiis non desit; ep. 9 schickt er
ihm ein Buch de verborum copia; ep. 13 schreibt er: aUegorice et
1) Cf. auch Greg. Nyss. adv. Eonom. 1. I (46, 258 B Migne), er wolle
nicht die öxi/jiiata des Eunomios nachahmen, insl xal 6 yinfaios i>7tTiQitrig
T(H) Xdyov IlaeXos {Utviß rf älrfiBlff %oe\LO^ihBvoq ai)x6q ve ratg toia6tatg
noiniXiaig alaxgbv Ssto yiataöxriii'OCTiSsiv tbv Xdyov xal ijfi&g ngbg x^v &Xij'
^sucv fudvriv &(poQ&v i^ena^dsvas, naX&g xai TtQOftrindvtmg vofio^it&v.
83*
O'.^S: Vvjti iiM/irma biw zum Ende der Kaiflerzeit.
««f»<;M»a«^<^ mviita a U usqueqtutque opera condudunkar et ideo
/«TvtM ttfnia m H muneris tun tributa tum omamento verbomm
^/x fHi^ qwßdam dncoranda est. nee verearCy quod saepius te dixisse
f*%if^jjj muUo9, fjui lalia a/fectetU, setisus corrumpere^ virtutes rerum
4y/*r<irt. cat^utn fnilti eoncedos velim latinitati marem garere, ho-
:n/:Hii UßeHnm HjH-eieni adltibtre^ ut gcnerosi muneris cancessio digne
1 U: fßfjmt txftffäiri, worauf ihm Paulus antwortet (ep. 14): navum
U aucUfftm /'ticerin lenu (Jhristi jyraveofiiis ostendendo rhetaricis ir-
fijffifluftifUHlefn Htßftluam, llioronymus, in Theorie und Praxis einer
liarftiiiiHimi ('JiriMilich4)ti StUiHten, spricht ihm in seinen Kommentaren
ofitirn «rififi i^nwiftHo Ki^nntuiH der litterae saeetdares zxXj so comm. in
tili, ud (inl 11 (;. 4 (VI! 471 Vall.); dagegen geringe Kenntnis des
Uniu:U'imiUt*n, cf. 1. ct. 111 c. 0 (p. 520): Hebraeus ex Hebraeis et
f/ui tfini'i in virwtcido smnoue doctissimits, pro fundos sensus aliena
Ufif/ua i'jpriitmr. Htm vaUintty nee eurahat magnopere de verbiSf qnum
hmnum hahnrt in tuh und besonders in ep. ad Ephes. 1. III c. 5
(p. liH7): mts quotivsquumque soloecisfuos aut tdle quid annotavimus,
HÖH npostolum pulsamuSf ut nudivoli crimipiantury sed inagis apostoU
nnmitim-H HumuH, quod Hebraeus ex Hebraeis, absque rhetarici nitore
sermonis et verlninun eofniHysitione et eloqtüi venustate nunquam ad
fidnn ( 'hristi Mum mundum trausdueere valuisset, nisi evangdisasset
mm non in satncntia vtrbi, sed in virtute dei.^)
111.. iiio Wenn man nun aber auf Ci rund des allgemeinen G^samt-
rikhiKm oindrucks» ilon die liriefe dos Apostels in stilistischer Hinsicht
i.ii.uii.Ht. ^^^j. ^1^^^ ^j^jj moderne Loser macheu, glauben wollte, dals sie
uucli im einzelneu jedes Aufputzes durch die kunstmäfsige Rhe-
torik entbehrten, so würde man sehr fehlgehen. Man ist oft
frappiert, mitten iu Partieen, die nur mit der Rhetorik des
Herzens in ungefoilter Sprache geschrieben sind, alte JSekannte
aus der zünftigen griechischen Kunstprosa anzutreffen: Rom. 1,29
f&£tfrotv qjd'ovou (povov igido^. 31 aövvdtovg i^vp^d^
Tov^r) — Cor. II S. 2l* ev xoXXot^ aoXXdxig 6xovdatov.
t Zur ZAi Karls d. ^^r. rühmt ihn der Grammatiker Petrus wegen
>!eiii»*r vollt»udt»teu Spniohe, woraut' Paulus antwortet, er wisse nichts und
';chi-i»ib«» iranz aiiir*? lehrt Poet, aovi Carol. l p. -k> f.V
'2 Daniber stiebt es eine g^uz uutzlUhe ZusauiuieusteUung Ton J. Fr.
lir.rtvh.T. 0'» par..mv>miisia tiiiici;ui^iliio ti tj^riiris Paulo a^K^stolo frequen*
arirt. uein.:. IS'J4; nur wird hier das Syri<*.he und Hebräische statt des
Die Litteratur des ürchristentams : Paulus. 503
9^ 8 dwaret di 6 d-sbg näöav %aQiv TCsgiööevöai Big ifiägj Iva
iv navxl xävtots Jtaöav avt&QtcBiav i%ovxBg TCeQiöösiii^ts Big
nav igyov iyatöv. [Ephes.] 3, 6 Blvac rä idvri övyxXriQovöiia
xal 6v66fo\jLa xal övi^iiitoxcc tflg inayyBkiag. — Cor. 11 1, 4 6
TCaQaxak&v '^(utg iicl ndtfy rf; ^XlifBt iifL&Vj Big xh diiva^tai
'^(i&g itagaxakBtv rovg iv Ttdöy d-X^tlfsi diä tilg naQaxXnjöBoag
ijg xaQaxaXoviiBd'a aircol xntb rov d'BOv. ib. 13 f. oi y&Q
&XXa yQäq>oiiBV ifitv iXX' rj & &vayivA6xBXB. ikjtC^(o öl Sri
B&g tiXovg intyvAaBöd-B xad-iag xal iTciyvmtB fi^iag iTtb fiB-
(fovg, — Rom. 2, 1 iv ä xgCvBig thv BXBQOVy öBaxrtbv xata-
xgivBig. 5, 16 rö ft^i/ yäQ XQt[f,a i% ivbg Big xatdxQciia
Cor. n 3, 2 yivc36xoiiivri xal ivayivmöxoiiivri. Rom. 14, 23
6 dh dLaxQLvöiiBvog^ iäv q>dyijj xataxixQLtat^) — Cor. I 13, 8
iydTcri oiSinozB nCxtBi, bItb S\ 7tQoq>ritBia, xatagyrid^i^östai.' bütb
yX&66aij navöovtar bIxb yv&6ig^ xatagyr^d-i^öBtaL (wo aber
die Wiederholung des letzten Wortes wieder stillos ist),
ib. 15, 39 ff. ov na6a 6&Qi ^i aiti^ 6dQliy iXkä &XXij (ibv dvO^qA^
TtfoVj &XXri äl öägi xxriv&v^ &Xkri 8% tfäpg nxriv&v, aXkri d%
lX^(ov. xal 6(hiiara inovgdvia xal öAiiata iniysta' iXXä itiffa
[ihv ^ t(bv iitovQaviav dd^a, itiqa Sl fi t&v iniyBltov
öiCBVQBtai iv g>^0Qäy iysigBxaL iv d^^aQöCa' önsigBrat
iv äxiikCa^ iyBCQBtai iv W^g* (SUBCQBtav iv iad-BVBia, iyBi-
QBtai iv öwd^BL' öTCBiQBtav 6&iia ilrv%vx6vj iyBCQBxav 6&na
nvBv\jLaxix6v u. dgl. sehr viel.
Natürlich ist derartiges einem so feinen Kenner wie „-^"l'«
Augustin nicht entgangen. Er warnt davor zu glauben, daTs
der Apostel diese Redefiguren deshalb angewandt habe, weil er
durch ihre Effekte habe wirken wollen: darin hat er yielleicht
recht, aber wir sehen doch, dafs Paulus sie gekannt und an
passenden Stellen halb bewuTst halb unbewulst angewendet hat.
Die Ausfiihrungen Augustins sind auch für Philologen interessant
genug, um sie hier ziemlich vollständig mitzuteilen.*) De doctr.
Zeugniiie.
1) Mehr Beispiele für jede dieser Figuren bei Böttcher 1. c
2) Die rhetorische Analyse einer grofsen Anzahl von Bibelstellen, die
er in dieser Schrift giebt, ist auch deshalb interessant, weil man daraus
erkennt, wie elend, das Verständnis erschwerend und oft yerhindemd die
in den heutigen, über alle Welt verbreiteten Bibeln eingeführte Vers-
einteilung ist. Ihr Erfinder war ein Mann, der sich durch andere Werke
besser um das Menschengeschlecht verdient gemacht hat: Robert Stephanus,
504 Von Hadrian bis znin Ende der Kaiserzeit.
Christ. IV 7, 1 1 : guis enim non videat, quid völuerit dicere et quam
sapicnter dixerit apostölus (Rom. 5, 3—5) xav^co/icO"«^) iv talg
d'XitlfSöiVf sldötsg StL ^ ^Xttlfig intoitovilv xategyä^etaij i^ dh ixo^
liovil doxi(iijvy 1^ dh doxtfxi^ ihxCSa, fi 8\ iknlg oi wxxaiöx'Avei^
Srt 1^ iydTtrj rov ^sov ixnixvtav iv tatg xagSCaig ^^i&v dvä jcvs^
Hatog äylov tov do^ivxog fuiXv. hie si quis, ut ita dixerim, int'
perlte perüus, artis ehquentiae praecepta apostolum sectUum fuisse
contendatj nonne a Christianis doctis indodisque ridehiUji/r? et tarnen
agnoscitur hie figura, quae xXt(uci graece, latine vero a quibusdam
est appellata gradaiio, quoniam scalam dicere nöluerunt, cum verba
vel sensu conectuntur alterum ex ältero, sicut hie ex tnbuUUione
patientiam, ex patientia pröbationem, ex probatione spem cofiexam
videmus. agnoscitur et aliud decus, quoniam post aliqua pro-
nuntiationis voce singula finita, quae nostri membra et caesa, Grraeci
autem xCbXa et xd/ifiara vocant, sequiiur ambitus sive circuitus, quem
xegiodov Uli appellant, cuius membra su^penduntur voce dicentis,
donec ultimo finiatur. nam eorum quae praecedunt circuitum, mem-
brum ülud est primum ^quoniam iribulatio patientiam operatur\
secundum ^patientia autem probationem% tertium ^probatio vero
spem*. deinde subiungitur ipse circuitus, qui trüms peragitur mem-
bris, quorum primum est ^qpes autem non confundit% secundum
^quia Caritas dei diffusa est in cordibus nostris% tertium ^per spi-
ritum sanctum qui datus est nobis*. at haec atque huiuscemodi in
elocutionis arte traduntur. Besonders dann ib. e. 17 flf. Er unter-
scheidet nach teil weisem Vorgang Ciceros drei Arten der Bede:
is erit eloquens, qui ut doceat poterit parva submisse, ut ddectet
modica temperate, ut flectat magna granditer dicere. Bei der
zweiten, die es auf delectatio abgesehen hat, kommen omamenta
zur Anwendung (19, 38. 20, 42. 25, 55. 57), für sie giebt er
ein Beispiel 20, 40 freilich aus dem unpaulinischen Brief an
Timoth. I 5, 1 f.: xgsößvtiQ^ fn^ ininkiffyiig^ &Xkä Tcagaxdksv &g
TCatigay vecatiQovg i)g &d€Xq>ovgj TCQBößvxigag &g {Mfitigag^
und zwar fertigte er sie an 1651 irtier equitanduni^ wie sein Sohn bemerkt,
cf. C. Gregory in seinen Prolegomena zum N. T. ed. Tischendorf, ed.
mal. 8 (Leipz. 1894) 167 ff. und E. Reuss, Gesch. d. h. Schriften des N. T.
6. Aufl. (Braunschweig 1887) 483 f.
1) Weil es uns auf die Worte des Paulus ankommt, habe ich sie da,
wo Augustin sie in extenso anführt, griechisch citiert, während ich hinterher
bei der Einzelanalyso das Lateinische habe stehen lassen.
Die Litteratur des Urchristentums: Paulus. 505
vBansgag &g &dsXg)dg. Dann fährt er fort: et in Ulis (Rom. 12, 1)
na(fa7cal& oiv vfiäg, idaX^poC xtX, et totus fere ipsius exhortaiionis
locus temperatum habet elocutionis genus, ubi iUa pulchriora sunt,
in quibus propria propriis tanquam dehita debitis reddita decenter
excurrunt, sicuti est (ib. y. 6 ff.): i%ovtBg xagCö^utta xatä tiiv
Xägiv xifv do^stöav fnklv diM^poQaj BttB stQogyqtsiav ttaxä t^v
ttvakoyiav tfjg niörsmgy stzs dianovCav iv t^ diaxovCa^ etxB 6
dcddöxmv iv XTß dcdaöxaXiuj Btts 6 nagaxaX&v iv tfi naga-
xXiiöSLj 6 ftstadcdovg iv aiiX6xrixi^ 6 7tifol'6xd(uvog iv öTtovdfi^ 6
iXe&v iv [XaQÖxriXL (das letzte ein isokolisches XQcxmXov). f^
äydstri ivxmÖTCQcxog. &no6xvyovvxBg xh TtovriQÖv, \ xoXXmfLSvoL xdi
iya^^, II x^ g)cXa8eXg)£a Big äXXif^Xovg q)iX66xo(fyoc, \ x^ xc^uy
dXXijXovg JCQoriyov^Bvoc, \\ xfj öJtovdfj (lij dxvrjQoiy || xdi nvsvfiaxv
iiovxBg^ I r^ xvqCg) dovXevovxsg, \ rg iXTtidi xaiQOvxBg, \ t$
^XiifBi tmoiiivovxBgj \ xy TtgoöBVXJJ XQOöxaQXsgovvxBg, j xatg
XQBlaig x&v uyCmv xocvavovvxsg, \ xijv (piXo^Bvlav diAxovxsg. ||
Bi)XoyBlxB xovg diAxovxagj svXoyBtxs xal fti) xttxagäö^B. x^^Q^^'^
luxä x^^Q^'^'^^'^9 xXuCblv (isxä xXaiövxmv. et aliquanto post
(13; 6 f.): Big aixb roi)ro TtQoöxagxBQoihnBg iTtödoxs Ttaöi^v xäg
öq>BiXdg^ xp xhv q>6QOV xbv q>6Q0V^ xp xb xiXog xo xiXog^ xdi xhv
q>6ßov xbv g)6ßov, xdi xiiv xifi'^v xi^v Ttfiiji/. quae membratim fusa
claudtintur etiam ipsa drcuitu, quem duo membra contexunt (ib. 8^
anschlieUsend an die citierten Worte): (iridsvl fLrjdhv itpslXstB^ bI
ft'^ xb dXXi^Xovg dyan&v, et post paululum (ib. 12 ff.): i^ vi>i
nQoixojIfBv, I 1^ dh fm^iga fjyyixBV. \\ dstod'afiBd^a oiv xä igya
xov öxöxovgj I ivdv6d}(iBd'a dh xä ZnXa xoij gxDXÖg. \\ xxX.
Dann gebt Augustin 20^ 42 über zum grande genus dicendi, in
dem jene amamenta sein könnten, aber nicht müfsten; als
Stellen, die omamenta haben, führt er an Cor. 11 6, 2 — 11 (wo
V. 4 ff, viele Antithesen), Rom. 8, 28 — 39 (ebenfalls); dann
citiert er eine Stelle, die bloUs granditer, nicht aber auch tem-
perate oder omate gesagt sei (Gal. 4, 10—20), und es ist cha-
rakteristisch, dals er an ihr den Mangel von Isokola, Anti-
theta etc. ausdrücklich hervorhebt: numquid hie aut con-
traria contrariis verba sunt reddita aut aliqua gra-
datione sSn subnexa sunt, aut caesa et membra circuitusve so-
nuerunt? et tarnen, non ideo tepuit grandis affectus, quo ^^S^i^^^^chMotku
fervere sentimus. *«' pauiini
. , •oben Hhe
Den von Augustin citierten Stellen lieljse sich noch eine toruc
506 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
groCse Anzahl hinzuffigen. ^) Aber das Angeffihrte genügt^ um
daraus mit Sicherheit zu schliefsen, dals der Apostel trotz seiner
souveränen Verachtung der schonen Form dennoch oft genug
von den — in den Evangelien fehlenden — geläufigen
Mitteln zierlicher griechischer Rhetorik^ Gebrauch gemacht
1) Einiges bei Blass 1. c. 292 fP., z. B. darunter ein so starkes Stückchen
wie ep. ad Rom. 12, 3 f»^ ifnsQtpgopslp nag* 3 dBl q>Q0P9tp^ &XXa 990-
vtlv Big th aoDtpQOPBlv. Sehr beachtenswert ist die Entdeckung von
Weizsäcker 1. c. 427 f., dafs Paulus öfters als man sonst annahm, Worte
der Gegner citiert (ohne sie ausdrücklich als solche zu bezeichnen), um sie
dann sofort zu widerlegen; das ist ganz die Art der im Diatribenstil üb-
lichen dialektischen Disputation; einmal führt Paulus sogar den un-
bestimmten Gegner mit dem jedem Philologen z. B. aus Bion, Epiktet, Se-
neca geläufigen (priaL ein: ep. ad Cor. n 10, 10: *al inunoXal fiiv', (priclw
(einige Ausgaben absurd tpaaiv\ 'ßagBlai xal laxvgcci, ^ dh nagovaLa vo4i
eAluctog &a&Bviig xal 6 X6yog i^ov&BVTiiLivog* , tofno loyiiia^a 6 toioi^xog^
2ki, olol iaiiBP tip Xdym di' intatoX&p &n6vtBg, to^oütoi xal nag^vtBg ttp
tgy<p. Einige gute Beispiele für axrjiiata diavolag in seiner Argumentation
bei Blass 1. c. 296 f.
2) Dagegen gelingen ihm Perioden meist schlecht, z. B. Böm. 1, 1 — 7;
8, 28—27 und andere SteUen z. B. bei W. Schmidt in seinem Artikel
♦Paulus' (Real - Encycl. f. prot. Theol. u. Kirche X« [Leipz. 1888] 380),
sowie bei Blass 1. c. 278 S. Die Hauptursache der langen, formlosen, ana-
koluthischen Sätze sind, wie die Leser der Briefe wissen, die überaus
häufigen Parenthesen, was einige auf die Vermutung geführt hat, das seien
Randbemerkungen, die er nachträglich seinem Diktat hinzugefügt habe, cf.
Chr. Wilke 1. c. (oben S. 480,1) 216. Übrigens teilt er den Mangel an Kunst
des Periodisierens mit griechischen Schriftstellern jener Zeit, wofür ich oben
(S. 296 ff.) den Grund angegeben habe. Gelegentlich baut er aber seine
Sätze auch besser, z. B. im Proömium des zweiten Korinthierbriefs.
Wenigstens sind aber seine Perioden nie von der ermüdenden Langeweile
derjenigen, die sich in den unpaulinischen Briefen an die Ephesier und
Kolosser finden (die beiden Briefe gleichen sich auch sonst, cf. Eph. 4, 16
no Col. 2, 19. Eph. 6, Ifi". no 3, 18 flf., s. aufserdem Weizsäcker 1. c. 642 f.):
hier wird oft innerhalb einer Periode ein Satz an den anderen angeleimt^
z. B. Eph. 1, 6 if. drei Relativsätze, noch mehr Col. 1, 8—23. 2, 8 fif. (auch
die massenhafte Anhäufung der obliquen Kasus von aMg Eph. 1, 4 ff.
17 fi*. ist, soviel ich mich erinnere, durchaus unpaulinisch, aber für den in
der Septuaginta und sonstiger griechisch -jüdischer Litteratur Bewanderten
nichts Neues, cf. oben S. 484 f). Die Seltenheit rhetorischer Figuren, an
denen die echten Briefe so reich sind, ist für die genannten Briefe sowie
den zweiton an die Thessalonicher (dagegen halte man den ersten an die-
selben!) (loch auch recht bezeichnend. Ich habe mich übrigens in dem,
was ich als i)aulini8ch citiert habe, an die Ansicht der M&nner an-
Die Litieratar des Urchrisientoms : Paulus. 507
hat, freilich — das hebe ich, um Mifsyerstandnissen zuvor-
zukommen; ausdrücklich hervor — nicht von solchen, die er
sich aus der Lektüre von griechischen Schriftstellern angeeignet
hat, sondern vielmehr von solchen, die in der damaligen ^asiani-
schen' Sophistik gelaufig waren: von den Rhetoren, die dieser
Richtung angehorten, ist aber oben gerade im Gegenteil nach-
gewiesen, da& sie die Litteratur der Vergangenheit ignorierten,
was zu beherzigen ich dringend alle die bitte, die sich einbilden,
Paulus habe, weil er die Waffen der Rhetorik gelegentlich so
schneidig zu handhaben versteht, den Demosthenes studiert^ eine
ungeheuere Perversität der Anschauung, beleidigend für De-
mosthenes nicht weniger als für Paulus. Im Gegensatz zu den
gleichzeitigen Rhetoren waren aber für Paulus die äulseren rhe-
torischen Kunstmittel blofses Beiwerk, sie dienten nur dazu, der
dewötrig und ösfivötrjg seiner Gedanken Ausdruck zu geben.
Da& die Antithese dominiert, ist sehr begreiflich. Wir haben
früher (S. 20 f.) festgestellt, dafs im Y. Jahrh. v. Chr., als alles
Bestehende in Frage gestellt wurde, die gewaltigen Revolutionen
der Ideen sich in einer antithetischen Sprachform gewissermafsen
hypostasierten: wieder stand man jetzt an einem Wendepunkt
und die Negation des Bisherigen war eine ungleich schroffere;
ist es da zu verwundem, dafs der kampfesmutige Mann, der sich
daran machte, eine Welt der Schönheit iu Trümmer zu schlagen,
geschlossen, die fär mich in diesen Fragen Autoritäten sind, z. B. Weiz-
säcker. Der Philologe, der es so oft mit Falsa zu thun hat, die er als
solche mehr fühlen als beweisen kann, mufs den Theologen geradezu be-
neiden wegen der Evidenz, zu der er es in gleicher Lage oft bringen kann.
Z. B. wünschte ich, dafs irgend ein heidnisches Falsum durch eine so un-
geheuere, wahrhaft erdrückende Masse von Kriterien innerer und äufserer
Art entlarvt wäre wie die beiden Briefe an Timotheus und der an Titus:
Motive und Art dieser Fälschung sind auch f&r den Philologen von eigen-
artigem Interesse: die beste Zusammenfassung bei Holtzmann, Die Pastoral-
briefe, Leipz. 1880, cf. auch Usener 1. c. Bei. Unters. I 88, 21. (Es scheint
übrigens noch nicht notiert zu sein, dafs Hegesippos bei Euseb. h. e. m 82, 8
die berüchtigten Worte tfjg ipevdmwviiov yvSeeae o» ep. ad Tim. I 6, 20 citiert.
Dafs die Fälschung vor M. Aurel fällt, wufsten wir freilich ohnehin.) In-
wieweit Hamack, Die Chronol. d. altchr. Litt, bis Euseb. I (Leipz. 1897)
480 fP. mit Becht in einigen Fällen eine Überarbeitung echter paulinischer
Briefe annimmt, vermag ich nicht zu beurteilen, glaube aber nicht, dafs
der Beweis erbracht ist (vgl. über den Ursprung von Fälschungen ganzer
Briefe Harnack selbst in: Texte u. Unters. II 1 [1884] 106, 22).
508 Von Hadrian bis zum Ende der EaiBerzeii
seine umstürzenden Ideen in antithetische Formen kleidete, indem
er die Gegensätze von Himmel und Erde, Licht und Finsternis,
Leben in Christus tmd Tod in der Sünde, Geist und Körper,
Glauben tmd Unglauben, Liebe tmd Hals, Wahrheit und Irrtum,
Sein und Schein, Sehnsucht und Erfüllung, Vergangenheit und
Gegenwart, Gegenwart imd Zukunft in oft schroffen, bis zur
Dunkelheit zusammengedrängten, monumentalen Antithesen offen-
barte? Bebg iatoSdöBi ixdötm xatä tä igya ainov^ totg [ilv
KuQ^ {fTCOfiovilv i(fyov iya^ov döl^av xal tcfiilv xal iipd'agöiav
^ritovöiv t<o^v alüvvov totg 8% i^ igid'siag xal ittBid'ovötv tfj
äkrfi'BCa^ neid-ofiivotg dl rg idixicCj ÖQyij xal dv^g (Rom. 2, 6 ff.),
oder: 6 löyog xov ötavgov totg filv ixoXXvfidvoig (imgia iötivj
totg d\ 6(oioiUvoig fj^tv d'&i/a^i.g ^sov iötiv (Gor. I 1, 18), oder:
ilfistg fimgol diA %qi6x6v^ iffistg dh g)(f6vi(ioc iv %Qi6X(p' fiyi^Btg
iö^ßvetg^ ifietg dh l6%vQoC' {)^tg Ivdo^oi, fifLBtg dh &tiiiot. &xqi
tilg ^^^ &Qccg • . . XocdogoviisvoL siXoyovfisv^ dimx6(i€voi avsx^
fis&a^ ßXa6gnj[iov(isvoL naguTcaXov^v (ib. 4, 10 ff.), oder: iv
navtl övvtötdvovtsg iavt(ybg üg ^eov Siaxovoi • . • Siä t&v
5nXa>v tf^g diTiaioöiivvig t&v ds^i&v xal iQcöteg&v, diä dö^rjg xal
itcfiiag, diä dvöqnj^iiag xal ei^pruLCag^ &g nXdvoi xal iXrjd'stg, &g
AyvQov^voi, xal ijetyivofffxöfievoiy üg iTCod'vijöxovtsg xal ldoi>
t&(iev, üg naidsvöfievoi, xal [t/ii d'avatovfisvoc, &g Xvnov[i€voL
iel dh xaC(fovtag^ hg moixol noXXoi)g d\ xXovti^ovtsg, &g (ii^dhv
ixovteg xal ndvxa Tcatdxovteg^): das ist der Ton, der wie eine
1) Diese Stelle war gerade wegen ihrer Antithesen hochberühmt. Sie
wird dafür citiert vom schol. Pers. 1, 86, cf. besonders noch Angustin. de
civ. dei XI c. 18: neque enitn d^ua ullum, non dico angehrutn, sed vel ho-
minum crearet, quem malum futurum esse praescisset, nisi pariter nosset quihus
eos bonorum usibus accommodaret atque ita ordinem saecülorum tamquam
pulcherrimum Carmen etiam quibusdam quasi antiihetis honestaret. antitheta
enim quae appeUantur in omamentis elocutionis sunt decenüssima, quae laHne
ut appellentur opposita vel, quod expressius dicitur, contraposita, non est
apud nos huius vocalmli consuetudo, cum tarnen eisdem omamentis locutionis
etiam sermo latinus utatwr, immo linguae omnium gentium, his antithetis
et PatUus apostolus in secunda ad Corinthios epistüla illum locum suaviter
explicat, uhi dicit\ *Per arma iustitiae dextra et sinistra: per gloriam et
ignobilitatem, per infamiam et honam famam; ut seductores et veraces, ut qui
ignoraremur et cognoscimur; quasi morientes et ccce vimmu^, ut coerciti et
non mortificati; ut tristes, semper autem gaudentes; sicut egeni muUos aiUem
dita/ntes; tamquam nihil habentes et omnia possident€s\ sicut ergo ista con^
*xmtrariis opposita sermonis pulchritudinem reddunt, ita quadam non
Di» Litterator des ürchrisientums : Paulus. 509
naXivtovog &(fnovia aus Paulus* Schriften zu uns hinüberklingt,
und es ist gewifs nicht zufällig, dafs das Christentum gerade
zur Zeit seines Kampfes auch in nachpaulinischer Zeit in Rede
imd Schrift keine Figur mehr bevorzugt hat als die Antithese.
Wie mufs Paulus aber erst gesprochen haben, wenn es nicht
galt zu kämpfen oder kontroverse Meinungen zu entscheiden,
sondern Gott und seine Werke zu preisen, die Menschen zu
einigen in der Liebe zu ihm und unter einander. Nur selten
klingt in seinen Briefen dieser Ton an, aber dann schlägt auch
die Flamme seiner Begeisterung mit hinreifsender Gewalt empor:
jene beiden Hymnen auf die Liebe zu Gott und die zu den
Menschen (Rom. 8, 31 ff. Gor. I 13) haben der griechischen
Sprache das wiedergeschenkt, was ihr seit Jahrhunderten ver-
loren gegangen war, die Innigkeit und den Enthusiasmus des
durch seine Einigung mit Gott beseligten Epopten, wie er uns
in solcher Heiligkeit nur bei Piaton imd zuletzt bei Eleanthes
begegnet. Wie mufs diese Sprache des Herzens eingeschlagen
haben in die Seelen der Menschen, die gewohnt waren, der
albernen Geschwätzigkeit der Sophisten zu lauschen. An diesen
Stellen erhebt sich die Diktion des Apostels zu der Höhe der
platonischen im Phaedrus, und es war für mich eine wohl-
thuende Bestätigung dieses GefUhls, als ich fand, dafs Paulus in
jenem Kapitel des ersten Eorinthierbriefs, wo seine Sprache den
höchsten Schwung nimmt, unwillkürlich zu demselben Mittel ge-
griffen hat wie Piaton: beide haben da den Ton der Hynmen
angeschlagen, der Attiker den des Dithyrambus (s. o. S. 109 f.
111 f.), der orientalische Hellemst den des Psalms: denn Paulus,
der sonst den unhellenischen Satzparallelismus der Septuaginta
und vieler Partieen der Evangelien nicht kennt ^), hat sich an
verborum sed rerum ehquentia contrariorum oppositione saecuU pulchritudo
componitwr. apertisaime hoc positum est in libro ecclesiasHco isto modo
(Sirach 88 [al. 86], 15): * contra malum honum est et contra mortem vita, sie
con^a pium peccator. et sie intuere in omnia opera altissimi, bina bina^
unum contra unum^. — Hieronymus hat natürlich auch gemerkt, um was
für axi/inctta es sich in der Stelle des Eorinthierbriefs handle: man lese
nur seine Übersetzung, um zu sehen, wie er sich bemüht, die 6(uoKnilBvta
wiederzugeben, z. B. einmal egentes (für egeni)^ weil vier solche Participia
damit korrespondieren.
1) Es giebt Tiele ävalö^toiy die auch bei den deutlichsten Fällen
nicht unterscheiden können, was hebräischer Gedanken- und hellenis''*
510 Von Hadrian bis znm Ende der Eaiserzeit.
dieser eineu Stelle^ selbst emporgehoben durch das was er sagen
wollte^ dieses Mittels bedient:
iäv tatg yXAööatg t&v iv^güntov kaX& xal t&v &yyiXmVj
iy&itriv S\ fti) ix(o^ yiyova xaXxhg ii%&v ^ xiinßaXov Ha-
Xd^ov.
xal iäv ixio ngoipi^tecav xal £id& t& (ivötiJQia ndvxa xal
näöav t^i/ yv&6cv^ xctv sx(o naöav xiiv xiötiv &6t6 tigti
fisd'cötdvacj iydjtijv dh ft^ ix(Of oi^ev elfiv.
x&v ilffofiiöco ndvxa tä ixdQxovtd ftovj xal civ nagaöA xb
6&(id iiovy Iva xavdi^öofiaij dydnrj^ d^ fii^ ^2^9 ^d\v
d)g>€Xov^ac.
3. Die Briefe des Ignatius und Polykarp.
igiifttiua. Unter den übrigen Dokumenten der apostolischen Zeit er-
innern an Paulus am meisten die sieben Briefe des Ignatius
von Antiochia (f 109), die er in ESeinasien, auf der einem
Triumphzug gleichenden Reise nach Rom, wo er den Märtyrer-
tod erleiden sollte, an die kleinasiatischen Gemeinden und an
Polykarp von Smyma schrieb. Sie sind das Herrlichste, was
uns aus dieser Zeit erhalten ist, hinreifsend durch die lodernde
Glut einer Seele, die danach dürstet, dem Irdischen entrückt zu
werden durch einen grausig-himmlischen Tod. Eine bedeutende,
FormenparallelismuB ist: darüber einiges im Anhang I. Übrigens urteilt
Heinrici 1. c. 677 in dieser Sache richtig: ,,Der Parallelismus der Glieder
begegnet kaum, vgl. etwa I 15, 54", n^ hätte er vielmehr die im Text von
mir ausgeschriebene Stelle nennen müssen, denn die Worte Cor. I 15, 54
Ztav tb tpQ'aqfthv toüvo ivdvaritai &tp9aqclav xal xb 9vr\xhv xovxo ivd^crittu
Mavaaiav, x&ce ysvi/iasxai 6 X6yog 6 ysygafiiiivog nxX. sehen dem he-
bräischen Parallelismus nur deshalb ähnlich, weil Paulus in den beiden
Kola zweimal dieselben Worte (roihro, ivd^arixoci) wiederholt, was ein ge-
schickter griechischer Stilist nie gethan hätte, bei Paulus aber auch sonst
vorkommt (cf. die Stellen bei Wilke 1. c. 182): dafs dann eher ein vom
Standpunkt der strengen Eunstprosa mangelhaftes stilistisches Können als
eine Anlehnung an hebräische Ausdrucksweise (cf. ev. Matth. 5, 22. 29 f.
Luc. 7, 33 f.) zu sehen ist, geht hervor aus solchen Stellen, an denen von
hebräischem Parallelismus keine Rede sein kann, z. B. ist Rom. 9, 18 8y
d'iXsL iXBBij hv dh %iXsi c%X7\QvvBi — bis auf das bei Paulus wie bei an-
deren nicht rein hellenischen Autoren öfter fehlende als stehende ^liv: 8.
oben S. 25,3 — gut griechisch, ebenso Rom. 14, 5 og [tlv ytQ^vsi iiiiigccv
nag' ijfitgav, Zg dh ytQivsi n&cav iifiigav u. ö.
Die Litteratur des Urchristentums: Ignatius und Poljkarp. 511
mit wunderbarer Schärfe ausgeprägte Persönliclikeit atmet aus
jedem Wort; es läfst sich nichts Individuelleres denken. Dem-
entsprechend ist der Stil: von höchster Leidenschaft und Form-
losigkeit.^) Es giebt wohl kein Schriftstück jener Zeit, welches
in annähernd so souveräner Weise die Sprache vergewaltigte.
Wortgebrauch (Vulgarismen, lateinische Wörter), eigene Wort-
bildungen und Konstruktionen sind von unerhörter Kühnheit,
grofse Perioden werden begonnen und rücksichtslos zerbrochen;
und doch hat man nicht den Eindruck, als ob sich dies aus
dem Unvermögen des Syrers erklärte, in griechischer Sprache
sich klar und gesetzmäCsig auszudrücken, so wenig wie man das
Latein Tertullians aus dem Punischen erklären kann: bei beiden
ist es vielmehr die innere Glut und Leidenschaft, die sich von
den Fesseln des Ausdrucks befreit. Auf das Einzelne hat J. B.
Lightfoot in seiner bewundernswürdigen, durch ihre sprachlichen
und sachlichen Bemerkungen auch für den Philologen wertvollen
Ausgabe hingewiesen.^) Bemerkenswert scheint mir, daüs auch
er, wie Paulus, gelegentlich in Antithesen spricht'), nicht zierlich
gedrechselten, sondern solchen, wie sie sich den id'Xritatg iv
nvB'öiMxxt von selbst aufdrängten^), z. B. ep. ad Ephes. 8 (p. 51 L.)
ot öagxixol tä nvsv^atcxä XQdööeiv oi dvvavtai ovd\ oC jcvsv-
fuxtixol rä öagxixtt^ &67Cbq o'bS'k fj nC6xig tä tf^g &ni6tCaq oiS\
4 iaciöxla tä tf^s niötsog. ib. 10 (p. 58 £) ^gbg rag ÖQyäg aih
t&v iffutg jcgaetg^ ngbg tag fisyaXoQtifioö^vag ain&v i^istg taitsi-
vöifQovsgj nQÖg tag ßXaögyqfilag ain&v vfiBtg tag Ttgoösvxdg^))
1) Cf. Hamack, Dogmengesch. P 209.
2) The apostolic fathers. Part 11. See. ed. vol. I— m. London 1889;
cf. besonders I 408 S., wo er die Ansicht von Leuten widerlegt, die es
wirklich fertig gebracht haben, den unvollkommenen Stil als ein Argument
ffir die Unechtheit der Briefe zu verwerten.
3) Aber bezeichnend ist auch hier, dafs in den sieben z. T. recht
umfangreichen Briefen nur siebenmal iiiv-Si vorkommt: ad Eph. 14
(p. 67). 18 (p. 76). ad Magnet. 4 (p. 116). 5 (p. 117). ad Trall. 4 (p. 161).
4 (p. 162). ad Rom. 1 (p. 196).
4) Das ist auch von E. v. d. Goltz, Ign. v. Ant. als Christ u. Theologe
(in: Texte u. Unters, ed. v. Gebhardt u. Hamack XU 8 [1894] 91 f.) hervor-
gehoben worden.
5) Die kühne Ellipse, die in der interpolierten Fassung der Briefe
durch Hinzufügung von &vtitd^ats beseitigt ist, dient hier deutlich der
prägnanten Fassung der Worte, cf. Lightfoot z. d. St.
512 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
ngbg ti^v nXdvriv ait&v i>(i€tg idgatoi rg nCötsi^ ngbg tb Rygiov
ait&v {f^tg fjfieQO^ ib. 11 (p. 61) f\ yäg r^i/ [idXXovöav 6(fyilv
(poß-q^&yLBv ^ xiiv ivBöt&öav %Aqiv iyascijöio^Vj ^v t&v d'6o.
ib. 12 (p. 63) ol8a xCg bI[ii xal xCötv ygdqxo. iyä) xcctdxQitogy
{ffutg ^Xeri^dvoi,' iyh &r6 tUvSwov, {>^tg iötfiQiyiUvoi. ad Rom.
c. 8 (p. 228 f.) oi) xcctä ödifxa ifitv Sygaifa, iXXä xatä yv&nniv
^eov, iäv Ttdd'io^ iid'sXijöate' iäv iaeodoxiiuMd'&y iiuöi^tfccvs,^)
Foijkarp. In denkbar starkem Kontrast zu diesen ignatianisclien
Briefen steht der Brief des mit ihm befreundeten Polykarp von
Smyma (f 155 oder 156) an die Philipper (bei Lightfoot vol. III
321 ff.). Man liest ihn schnell herunter, ohne anzostoüsen,
während Ignatius fast in jedem Satz Probleme bietet. Die
Sprache ist weder zu loben noch zu tadeln; kein ungewöhnliches
Wort^ kein Anakoluth, aber auch kein origineller Gedanke, keine
Rhetorik weder des Herzens noch des Kopfes (z. B. fehlt jede
Antithese).^) Nur den Tod des Märtyrers hat dieser Mann mit
seinem Freunde gemein gehabt.^
TU. Die Entwicklung der christliehen Prosa seit der Mitte
des n. Jahrhunderts.
A. Die Theorie.
tum nnd ;,Das Evangclium wäre wahrscheinlich untergegangen^ wenn
chriftott^*^^® Formen des * Urchristentums' ängstlich in der Kirche be-
tom.
1) Cf. noch 14 (p. 67 und p. 68). 16 (p. 69). ad Trall. 1 (p. 168). 6
(p. 164). ad Rom. 6 (p. 218). ad Smym. 4 (p. 299 f.). 7 (p. 308). ad Po-
lyc. 6 (p. 862 f.). Für die Anapher cf. ep. ad Ephes. 10 (p. 59). ad Magnet. 7
Q). 122 f.).
2) ii,iv ' di kommt in den zehn Eapitehi nicht vor. Bezeichnend aber
ist, dafs in dem gut stilisierten Brief der Smjmäer an die umliegenden
Gemeinden (über Polykarps Martyrium, bald nach diesem verfafst) diese
Partikeln in zwanzig Kapiteln 10 mal vorkommen (bei Lightfoot vol. HI
863 ff.). Offenbar ist dieser Brief von einem recht gebildeten Christen ge-
schrieben worden; er berührt sehr sympathisch durch die mafsvolle Rhe-
torik und die edle Einfachheit, mit der der Vorgang erzählt wird : um das
zu würdigen, vergleiche man etwa die oben besprochene Schrift des Ps.-Io-
sephus und spiltere christliche Martyrologien.
3) Cf. Lightfoot vol. I p. 596 f. : TJie profmetvess of quotations (bibli-
scher Stellen) in rolycarp's Epistk (im Gegensatz zu denen des Ignatius)
Die Litierator der katholischen Kirche: die Theorie. 513
walirt worden waren; nun aber ist das * Urchristentum' unter-
gegangeU; damit sich das Evangelium erhielte/' Diese Worte
Hamacks^) finden ihre Anwendung auch auf die Entwicklungs-
geschichte der christlichen Prosa. Uns ergreift die erhabene
Schlichtheit der Evangelien; die rührende Einfachheit der Di-
dache, die sinnige Naivität des Hermas, die liebenswürdige An-
mut der novellistischen Legenden; uns reust hin der Tiefsinn
des Paulus imd die Glut des Ignatius; uns würden alle diese
Schriften im Gewand eines pompösen, reflektierenden Stils mifs-
fallen. Aber schon waren neue Aufgaben an die junge Religion
herangetreten: sie wollte sich in der ganzen Welt verbreiten,
das war aber bei der damaligen Lage der Dinge durch die
bloJbe Sprache des Herzens nicht möglicL Hätten die Apolo-
geten des zweiten Jahrhunderts^ ihre an die Kaiser, den Senat,
das gebildete griechische und romische Publikum gerichteten
Schriften in dem Stil geschrieben, dessen sich gleichzeitig
Ignatius und Polykarp in ihren nur für die christlichen Ge-
meinden bestimmten Schriften bedienten, so hätten die Adres-
saten sie entweder überhaupt nicht gelesen oder daraus den
SchluJb gezogen, dafs diese BeUgion wirklich das war, wofür
man sie hielt: eine orientalische Superstition der ixaidsvtoi.
Der Verfasser der ügd^stg 9iXl7cnov xov &3to6x6kov Zte siöfjX^sv
Big tiiv *EXkAda xi^ Sva (p. 95 flf. Tischend.) lä&t den Philippos
in Athen mit den Philosophen zusammentreffen, die ihn um
etwas * Neues' bitten, worauf er ihnen antwortet: iiutg fih/
arises from a iDcwd of origvnality. The Epistle of P. ü essentidlly common
jplace, and therefore esaentially intelUgible. It hos intrinsicaUy no literary or
iheological interest. On ihe other hand fhe letters of Iffnatius have a markeä
individuaUiy. Of all early Christians toritings fhey are preeminent in this
respect etc.
1) Im Nachwort zu E. Hatch, Griechentum u. Christentum, übers, von
E. Prenschen (Freibnrg 1892) 268.
2) Am besten schreibt der Vf. des pseudoiustinischen nagaivstiube
ngb^ 'lElXrivccgi sein Stü ist bewuTst demosthenisch (cf. auch Hamack in:
Sitznngsber. d. Berl. Ak. 1896, 648). Von den an einzelne Personen ge-
richteten apologetischen Schriften ist die des Theophilos an Autoljkos nach
Inhalt, Disposition, Stilistik und Sprache die schlechteste, während der
Brief an Diognet nach allen diesen Gesichtspunkten zu dem Glänzendsten
gehört, was von Christen in griechischer Sprache geschrieben ist (cf. be-
sonders c. 6 — 7).
514 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
iya7t&f & &vdQsg t^g ^EXXdSog^ xal [iccxoQiia} i^ag Blqutpi&tag Sri
&yan&yLBv xi xacvöxBQOv, xal yäg natSsCav Zvtag viav xal xat-
viflf tjvsyxBv 6 xvgvög ^ov Big xbv xööfiovj Iva näöav i^a-
XB^iffi xo6fii.x^v naCdBv6i,vi auf solcher Grundlage lieCs sich
eine Einigung nicht erzielen, im Gegenteil muTste die im Evan-
gelium gebotene Gleichsetzung der sojßientia saectdaris mit der
stuUitia (z. B. Tert. de praescr. haer. 7) die gebildeten Heiden
verletzen. Solange man femer völkerrechtlich die Christen ent-
weder mit den Barbaren identifizierte oder sie neben Hellenen
imd Barbaren als tertium gmvs des Menschengeschlechts be-
trachtete^), war die notwendig zu vollziehende Verschmelzung
beider Kulturen eine Unmöglichkeit: lulian wollte — von seinem
Standpimkt aus ganz konsequent — den ^Galiläem' als ^Bar-
baren' den Gebrauch der griechischen Sprache verbieten (Greg.
Naz. or. in lul. 1 c. 100 ff.). Die Christen wehrten sich seit
dem zweiten Jahrhundert in erbitterter Polemik gegen jene
Unterscheidung: in der Praxis haben sie sie aufgehoben durch
das schwere, aber notwendige Opfer der Verweltlichung ihrer
Religion auf dem Boden des Synkretismus, für den die heid-
nische Welt durch die seit der Zeit Alexanders des Grofsen in
immer steigendem Mafse wirksamen kosmopolitischen Ideen wohl
vorbereitet war. So wurde aus der Religion des Glaubens und
des Herzens eine Religion des Dogmas und des Kultus'); denn
in der ^philosophischen' Lehrmeinung sah der Gebildete^ in der
1) Cf. meine oben (S. 469, 2) citierte Schrift p. 407 flf. Die trotz aller
Irrtümer grofsartigen völkergeschichtlichen Untersuchungen des Eusebios
und besonders des Augustin (cf. auch Paulin. Nol. ep. 28, 5) hatten den
Zweck, dem Christentum in der Geschichte der Völker seinen Platz an-
zuweisen. Aus jenen frühen Zeiten erhielt sich übrigens, als das Christen-
tum längst aus seiner isolierten Sphäre in die Begion der allgemeinen
hellenischen Kultur eingetreten war, die Bezeichnung der Nichtgläubigen
als '^XXrivBi^ so hatten sich einst die Anhänger der alten Religion stolz
selbst bezeichnet, um sich von dem cUterum genus hominum zu unter-
scheiden; daher nannte lulian die Christen Falilatoi, d.h. jSa^jJa^ot, während
lulians Panegyriker Eunapios '^ElXriv als eine ehrende Auszeichnung ge-
braucht (p. 86 Boiss. (piXo&vtrig «^ ^^^ SiafpBgdvttDg "IEXXtjv, cf. p. 29).
2) Cf. C. Schmidt 1. c. (oben S. 471,1) 515 f. Die ausführlichsten heid-
nischen Kultformulare, die wir besitzen, die iguvinischen Tafeln, berühren
sich aufs engste, oft bis in Einzelheiten der Terminologie, mit den christ-
lichen Liturgieen.
Die Litierator der katholischen Sarohe: die Theorie. 515
äu£9erlichen Bethätigang sah das Volk die religiöse Überzeugung
und die GewiDsheit auf Erhorung seitens der höheren Mächte
beschlossen. So mulfite auch die Sprache, die nur auf das Ge-
müt wirkte, mit derjenigen, die den Geist anregte und die Sinne
befriedigte, ein Bündnis schlielsen. Denn wenn man bedenkt,
wie grob damals die Gewalt des Wortes war^) und wie empfind-
lich die Menschen in der Bede alles äuTserlich Unvollkommene
und Unschöne berührte, so begreift man leicht, dals vor allem
die Gebildeten nie und nimmer durch die edle Einfachheit der
biblischen Sprache und die rührende Schlichtheit ernster Er-
mahnung für die neue Religion gewonnen werden konnten, dals
sie im Gegenteil abstoCsend auf sie wirken und mithin der Aus-
breitung des Christentums hinderlich sein mulste.') Auch das
1) Cf. Villemain, M^anges historiques et litt^raires m (Paris 1827)
857: La parole, chez Ums ces peuples d'origine grecque, äait le tälisman du
culte. Hs Haient convertis par des pretrta üaquens, comme ils avaient iti
d*abord gowoemis par des orateurs et ensuite amusis par des sophistes.
2) Lehrreich für die steigende Empfindlichkeit scheinen mir die sprach-
lichen und stilistischen Änderungen, zu sein, die ein Unbekannter in der
zweiten Hälfte des IV. Jh. mit den ignatianischen Briefen (ed. Lightfoot
1. c. m 149 ff.) vorgenommen hat. Ich habe mir folgendes notiert. Er
ändert mehrere ungewöhnliche Worte: ep. ad Trall. 4 dyyeXixal rd^ttg für
&. tono&Biiiai. ib. 8 nQa6trig für ngavitd^Bia. ib. 11 naQonnLiux für
nagavta; er setzt &Qa fOr &Qa oiv ib. 10. Er ändert seltenere Kon-
struktionen: ep. ad Smjm. 6 &ydnrig a{>tots oi iiiUi fär nsgl äydnrig ^^^*
ad TraU. 18 hi yäg inl mvSvvmv e/fi/ für ht yccQ 'bnb %ipdvv6v üyi,i. Er
bessert unbeholfene Perioden dos Ignatius: ad Philad. 1 in., ad Smym. 1
a. E. Besonders merkwürdig ist, dafs er die bei Ignatius sich findenden
bykoioxiXBvta gern verstärkt oder ganz neue einführt: Ign. ad Trall. 1 o(>
%axcc XQfjctp &XXä nuxtä tp^aiv nu Ps.-lgn. o^ %atä Xiffjoiw &Xla wxtit ntfjaip,
Ign. ad Smym. 9: 6 tifiSv ini<s%onov inb d'eoQ rstlfi^tai' 6 Xd&ga iKi9%6-
nov ti ngdeaatp x& dtaß6X(p Icctgs'ön <^ Ps.-Ign. 6 xifiAv inUrnonoif {>nb
^eo4 xiiiri^T/jeexai^ &aniQ oiv 6 Axiitd^oiP a(fxbv ^b d-saii nolaa^T/iasxai.
Ganz neue hat er eingeführt: ad Trall. 6 Xiyovai yäg Xgiüx&Vy oij% tva
XQiaxbv uriQ^^ouiip &XX' iva Xgtcxbv Msxi/iüacip' xal a6 v6yi,ov ngoßdXXovüiv
Tme p6fiop avaxi/iümaiv, &XX' tva &vo\LCav mxxccyyslXmeiv xbp pkhv yäg Xgiaxbv
&XXoxQioeat xfAi nocxQÖg, xbv dh p6itop xoii XQiaxoü u. s. w. in Antithesen,
ad Smym. 6 '6 xmg&v xoDQBixaj 6 duo^av &%ovixai^ (er stellt also diesem
cxfif/M zuliebe neben einander Matth. 19, 12 -f- 18, 48). x^og xal d^ionfui xal
nXo^og it/ridipa tpvaio'öxoi}' ddo^ia xal nsvla {krfiiva xannvoixm. ibid. 6
a. E. dydnrig aiycolg oi) fi^Xst, x&v ngoaSotuDii^ivmp dXoyoiiCLj xa naQ6vxa &g
i6x&xa XoyC^oreai, xccg ivxoXocg nccQOQ&üiv, X^Q^^ ^^^ ÖQ(pavbv nsgiOQ&cip^
^Xiß6ii£vov SianxvovaiVy dsdsiitvov yBX&aiv: das hat er gemacht aus d^
Norden, antiko Konatproaa. II. 84
516 Von Hadrian bis zum Ende der EaiBeneit.
walkte der Apostat: wenn er die Galiläer höhnend anf die Bar-
barismen ihrer religiösen Urkunden verwies und erklärte^ solche
Leute seien unwürdige in der Weisheit der Hellenen^ speziell der
Rhetorik, unterrichtet zu werden, so wollte- er damit dem schon
stattlich emporgewachsenen Baum die Fasern der Wurzel zer-
schneiden. Denn seit langem lauschten Hunderttausende den ge-
waltigen Predigern, die ihre Reden ganz und gar in das Mode-
gewand der Sophisten gekleidet hatten, und seit langem war der
Inhalt der neuen Lehre auch durch die Schrift der gebildeten
Welt in formvollendeten Werken zugänglich gemacht worden.
Seitdem das geschehen, war der grofse Zwiespalt da: die heiligen
Urkunden waren in der Sprache von * Fischern'^) gehalten, ihre
Auslegungen in der von ^Sophisten'. Jahrhunderte lang hat
dieser Zwiespalt die Gemüter der Menschen bewegt.^ Es ist
nicht ohne Interesse, und fiir meine Zwecke unumgänglich notig,
darauf etwas genauer einzugehen; da die allgemeinen Verhältnisse
in der kirchlichen Litteratur des Ostreichs keine anderen waren
als in der des Westreichs, trenne ich bei ihrer Darlegung die
lateinischen Zeugnisse nicht von, den griechischen.
1. Theorieen über die Sprache des Neuen Testaments.
Dm N.T. ein Das Ncuc Testament in griechischer Sprache wurde bekannt
&tixvov. ZU einer Zeit, als in den gebildeten Kreisen die Sensibilität für
alles, was mit Sprache und Stilistik zusammenhing, auf ihrem
Höhepunkt angelangt war. Ein nichtatiisches Wort zu ge-
brauchen, galt für das schwerste litterarische Verbrechen, ein
Worten des echten Ignatius: nsgl äyditrig a6 iiiXn aircotg^ o^ nsgl ;t^^ag,
1) Cf. Lactani div. inst. V 2, 17, wonach Hierokles in seinen Büchern
un die Christen Paülum Petrumque, ceteros discipulos rüdes et indoctas
fume testattis est, nam quosdam eorum piscatorio artificio fecisse
quacstum; qtiasi (sogt Lactanz) aegre ferret, quod illam rem (die christliche
liolij^ion) mm Äristophanes aliquis aut Äristarchas commenUxtus sit. Celsos
hattt^ ^OHOgt, die Kvangolion seien von paihai verfafst, cf. Orig. c. Gels. 1 62.
Pio Christon ihrorscitH rühmten sich gerade wegen des piseatorius sermo
ihror Urkunden, wie man seit Origenes 1. c. (cf. VI 1) durchs Mittelalter yer-
iolgon kann.
ä) Noch im XVII. und XVIII. Jahrh. stritt man sich über den Stil
dos N. T., darüber manches bei Chr. Sigism. Georgi, Hierocriticus N. T. s.
de Btvlo N. T. 1. III (Wittoborgae et Lipsiae 1733).
Die Litteratar der katholischen Kirche: die Theorie. 517
nicht mit den Figuren der Rede geschmücktes Werk hatte
keinen Ansprach auf einen Platz in der Litteratur; kurz: gut
oder schlecht schreiben galt als das Distinktiv von Griechen und
Barbaren. Ein solches Publikum mufste die religiösen Urkunden
der Christen als stilistische Monstra betrachten.^) Man kann
sich den Kreis derjenigen Heiden^ welche sie überhaupt lasen^
gar nicht klein genug denken. Es wird darüber oft falsch ge-
urteilt, weil man sich ungern entschliefst zu glauben, dafs Ur-
kunden, die für uns von Wichtigkeit sondergleichen sind, damals
unbeachtet geblieben sein könnten. Aber man muJb bedenken,
dafs in den ersten Jahrhunderten nur wenige Scharfblickende
dem Christentum gröfsere Bedeutung beilegten als irgend einer
der zahlreichen orientalischen Sekten, deren Schriftstücke durch-
zulesen sich ein gebildeter Heide gar nicht einfallen lieCs. Man
überlege sich auch die Praxis der Apologeten: entweder citieren
sie überhaupt nichts aus ihren Urkunden, wie Minucius Felix,
oder sie legen — ganz gegen die Gewohnheit guter Schriftsteller
(s. oben S. 88 flf.) — seitenlange Citate ein, wie lustin und
Theophilos, und aus beiderlei Praxis folgt, dals sie bei ihren
heidnischen Lesern keine Kenntnis der Urkunden voraussetzen.
1) Bezeichnend ist, dafs sie sich vor allem an den vielen fSr die neuen
Begriffe notwendigerweise neugepiAgten Worten stiefsen: Hieronym. comm.
in ep. ad Galatas 1. I zu c. 1 v. 12 (Vn 1 p. 887 ValL): verbum quogue
ipsum iatwuxX^smg id est revehxtionis proprie scripturamm est et a nidlo
sapienHum sfiectUi apud Graecos usurpatum. unde mihi videntur, quem-
admodum in (üiis verbis quae de Hebraeo sepbuagvnta interpretes transiiderunt,
ita et in hoc magnopere esse conati, wt proprietatem peregrini sermanis ex-
primerent nova novis rebus verba fingentes . , . 8i itcique hi qui di-
sertas saectUi legere cansuevenmt, coeperint nobis de novitate et vilitate
sertnonis Hindere, mittamus eos ad Ciceronis libros qui de quaestionibus
Philosophie praenotanhir, et videcmt, quanta ibi necessitate compulsus sit,
tanta verborum portenta proferre quae numquam latini hominis auris audivit:
et hoc cum de Graeco quae lingua vicina est transferret in nostram: quid
patiuntur iUi qui de hebraeis difficuJtatibus proprietates exprimere conantur?
et tarnen multo pauciora sunt in tantis voluminibus scripturarum quae novi-
totem sonent, quam ea quae iUe in parvo opere congessit. Das läfst sich am
besten illustrieren durch die oft citierte Stelle des Augustin serm. 299, 6:
Christus Jesus, id est Christus Sdlvator. hoc est enim latine lesus. nee
quaerant grammatici, quam sit latinum, sed Christiani quam verum. saJus
enim latinum nomen est; salvare et sdlvator non fuerunt haec latina, ante-
quam veniret scdvator: quando ad Latinos venit, et haec latina fecit,
34*
518 Von Hadrian bii zum Ende der EaiBeneii
Ich glaube daher nicht za irren, wenn ich behaupte, daXs Heiden
nur dann die Evangelien (und die Briefe) gelesen haben,* wenn
sie sie, wie Celsns, Hierokles, Porphyrios und lolian, widerlegen
wollten.^). Die Argumente, die man kürzlich vorgebracht hat^
1) Th. Zahn 1. c. (oben S. 469, 2) 21, 1 hat eine Beihe von Stellen an-
gefahrt, durch die bewiesen werden soll, dafs Heiden das N. T. lasen. Die
Citate beweisen, wenn man sie nachschlägt (Zahn hat keins vollständig
ausgeschrieben), entweder nichts oder das Gegenteil. Zu denen, die nich'">
beweisen, gehören 1) die, wo es sich um das A. T. handelt, das notorisch
von Heiden gelesen wurde (wie wir längst wuTsten), 2) die, wo es sich um
Heiden nach ihrer Bekehrung handelt, 8) die, wo Christen die Heiden zur
Lßktflro auffordom, was eben meist nur fromme Wünsche blieben. Das
Uegcutoil wird bewiesen durch eine Stelle Tertullians, die Zahn (auf Grund
einer von ihm mifsverstandenen Notiz des Lactanz) als 'rednerische Über-
treibung* bezeichnet: TertuU. test. an. 1: tantwn dbest, tit nostris liUeria
awnuant hominea, ad quas nemo venit nisi iam Christianus. Soviel
ich sehe, giebt es — natürlich abgesehen von den im Text genannten
Männern, die es mit ihrer Widerlegung ernst nahmen — nur zwei Heiden,
von denen überliefert ist, dafs sie das N. T. gelesen haben: den ersten
kennt Zahn nicht, den zweiten entnimmt er längst bekannten modernen
Autoron. Jener war der Platoniker Amelios, von dem Euseb. pr. ev. XI
19, 1 ein hochinteressantes Fragment überliefert, in dem der ßagpagog, d. h.
Johannes (ev. 1, Ifif.), citiert wird; da übrigens alle Neuplatoniker jener
Zeit mit dem Christentum um ihre Existenz kämpften, so ist es
durchaus nichts Besonderes, bei einem Genossen des Porphyrios Kenntnis
christlicher Schriften zu finden: es beweist also nichts gegen die allgemeine
von mir aufgestellte Behauptung. Der zweite, Ton dem wenigstens wahr-
Hchoinlich ist, dafs er etwas von den Evangelien gelesen hat (sicher ist es,
wie man sehen wird, nicht), ist Galen. Die Theologen (z. B. Hamack,
Dogmengosch. I ' 224, 1) citieren dafür eine äufserst interessante Stelle, die,
weil sie, wie es scheint, in philologischen Kreisen wenig oder gar nicht
beachtet wird, hier Platz finden mag. Ihre Quelle ist, wie mir Dr. G. Jacob
in Halle {W>undlichst mitgeteilt hat, das Kämil des Ibn al-Athtr, der i. J.
1282 starb; aus ihm wird die Stelle citiert von dem kompilierenden Histo-
rikor Abulfodä (f 1331) in seiner vorislamischen Geschichte, die von
H. Floischer mit lat-oinischer Übersetzung Leipz. 1831 ediert ist: nach dieser
iHtoinioohen Ol>entotzung hat derjenige, der die Stelle ausfindig gemacht
(nämlich wohl der von Hamack 1. c. genannte J. Gieseler, Lehrb. d. K.-
(^osch. 1 1* [Bonn 1844) 167, 16\ oitiort: Jacob hat die Übersetzung mit
der nuB orhaltonon Quelle do8 AbulfedA verglichen. Im K&mil des ge-
imunicn Araber« hoifst es also: frci/^ii tempore rvligio Christtanorum magna
i'cim incmumta ce^Krat, eonimq^te mmtioticm fccit Galrnus in libro de
srfifrfitiiü Politiar Plnfonicuf, bis trrhi.^: ^homifwm fürrique orationem
dnnouatrotiiuim ctnitinuam iiini/r assequi nequcunt: quare imiigcfit, ^t m-
tititutuitur j^iniMis^ ;»<ir«?^>/«i»< dicit narrninHic^ de pmemiis et poetiis in
Die Litteratur der katholischen Kirche: die Theorie. 519
zum BeweiS; da& Epiktet die L Schrift gelesen habe, halten bei
genauer Prüfling nicht stand. ^) Der den Heiden oft gemachte
vüa futura exipeetandis — . ^veluH nostro tempore videmus, homines ühs qui
ChrisÜani vocaniur, fidem suam e parabolis petiisse, hi tarnen interdwn tdlia
faeiunt, qudlia gut vere phüosophantwr, nam guod mortem contemnunt, id
quidem omnea ante oculos habemus; item quod verecwndia quadam ducti ab
usu rerum venerearwn ahhorrent. stmt enim inter eos et feminae et viri, gut
per totam vitam a concuhiiu ahstintierint ; sunt ePiam, qui in animis regendis
coercendisque et in acerrimo honestatis studio eo progressi sint^ ut nihü ce-
dant vere phHosophantibus* haec Galenus. In diesen Worten ist pardbola
Obersetzung des arabischen rame, welches nach Jacob bedeutet: ,,Rät8elf
Andeutung und Siegel im Sinne der Stenographen**; die Worte poro^oZa« —
exspectandis hat der Araber zugesetzt: sie sind also für die Meinung Galens
nicht verbindlich, man denkt an die evangelischen Vergleiche, von denen
sich ja einige auf das beziehen, was der Araber verstanden wissen wiU.
Was die Glaubwürdigkeit des Citats anlangt — ich habe mich gewöhnt,
allem, was wir aus orientalischen Quellen für das Griechische zulernen,
vorerst zu mifstrauen ~, so bemerkt mir darüber Jacob, dafs eine arabische
Erfindung ausgeschlossen sei: schon aus dem Wortreichtum könne man er-
kennen, dafs es ein unarabisches Produkt sei. Ich wandte mich dann
Galens wegen an dessen ersten jetzigen Kenner Dr. H. Schöne in Berlin,
der mir folgendes zu schreiben die Güte hatte: „Das Galencitat war für
mich ein Novum . . . Ich sehe keinen Grund, warum man an derAuthen-
ticität desselben zweifeln sollte, obwohl eine Schrift 'de sententiis Politiae
Platonicae ' weder erhalten noch in Galens Schriftenverzeichnissen (mgl tfjg
td^ttD£ t&p IdUov ßtßXUov und nsgl t&v Idlmv ßißXloiv) aufgeführt ist. Ich
vermute daher, dafs Galen das betreffende Buch in seiner letzten Zeit, als
er jene Schriftenverzeichnisse schon publiziert hatte, verfaÜBt hat/* —
Übrigens hat es einen anderen Weg gegeben, auf dem die Kenntnis der
Schrift den Heiden vermittelt wurde: durch Vorlesen; wir erkennen das
aus einem Traktat, in dem dagegen polemisiert wird: Pseudoclemens de
virginitate II 6 (erste Jahrzehnte s. m, nur in syrischer Übersetzung des
griechischen Originals erhalten, cf. Hamack in: Sitz.-Ber. d. Berl. Ak. 1891,
363 ff.): „Wir singen den Heiden keine Psalmen vor und lesen ihnen die
Schriften nicht vor, damit wir nicht den Pfeifern oder Sängern oder
Weissagern gleichen, wie Viele, die also wandeln und dies thun, damit
sie sich mit einem Brocken Brodes sättigen, und eines Becher Weins wegen
gehen sie und 'singen das Lied des Herrn in dem fremden Lande'
der Heiden und thun was nicht erlaubt ist. Ihr, meine Brüder, thut nicht
also; wir beschwören euch, Brüder, dafs solches nicht bei euch geschieht,
vielmehr wehrt denen, die sich so schmählich betragen und sich wegwerfen
wollen. Wir beschwören euch, dafs dies so bei euch geschehe wie bei uns.**
1) Auch für Lukian hat es Th. Zahn, Ignatius v. Antiochien (Gotha
1873) 692 ff. nachweisen wollen, aber mit ebenso geringem Erfolg wie bei
Epiktet (s. oben S. 469, 2). Folgende Gründe widerlegen ihn. 1) Von dem
520 ^on Hadrian bis znm Ende der Kaiserzeit.
Vorwurf, sie Temrteilten, was sie überhaupt nicht kennten, hatte
also eine grolse Berechtigung.^) Wie verhielten sich nun diesen
JBuQip T9 in vfjg IlaXcaetlittig r^ ixl to6tm9 (wunderbare Heilungen) cotpimef
(Philops. 16) wild durchaus im Pr&sens gesprochen. Zahn sagt fireilich
(p. 592), dafs es ein ,,yölliges Verkennen der Schreibweise Lukians" sei,
wenn man dies nicht yon Jesus yerstehe. Ich behaupte viehnehr auf Grand
meiner Kenntnis LuMans, den ich ganz gelesen habe, dafs er sich nirgends
einer so peryersen „Schreibweise" bedient hat. 2) Nun sollte man aber
wenigstens erwarten, dafs eben dieser £6qos die Heilung yollzieht, auf
deren Analogie zu ey. Marc. 2, 11 f. Matth. 9, 6 f. Luc. 6, 24 f. Zahn sol-
ches (Gewicht legt. Aber das ist nicht der Fall, sondern sie wird einige
Paragraphen yorher (§ 11) yon einem ganz anderen, n&mlich einem Baby-
lonier, erzählt 3) Bei dieser Heilung (die übrigens yiel mehr an act.
Thomae 30 ff., p. 216 ff. Tischend, erinnert) heifst es freilich: der Kranke
(ein Winzer) wbtbs AgduBvog xhv axiiinoda, iq>' ov iiu%6fU6to, ^^o ig
tbv &YQbv &in6>v^ wie im Eyangelium (Marc. 1. c.) coX Xiyo, fyei^c if^ov xbw
%Qdißatt6^ eovj %al vnayB slg xhv ol%6v aov. %al 'fyfiQ^ *al ii^g ägag
thv %Qdßattov i^t&8v: aber was ist denn daran sonderbar, dafs man
seinen Sessel, auf dem man krank getragen wird, gesund selbst tiftgt?
Auch die yon Apollonius y. Tyana erweckte Tote (Philostr. y. Ap. IV 48)
'geht wieder nach Haus', aber da sie auf einer idlrri gebracht ist, nimmt
sie diese nicht selbst mit. — Auf das, was C. Fr. Baiu:, ApoUonius y. Tyana
u. Christus (1832) in: Drei Abh. z. (resch. d. alt. Philos. ed. Zeller (Leipz.
1876) 137 Anm. yorbringt, ist erst recht nichts zu geben.
1) Bekanntlich ist es auch den litteransch hochgebildeten Christen
schwer genug geworden, sich über ein ihnen angeborene? Vorurteil hinweg-
zusetzen. Wir haben die Zeugnisse des Hieronymus (ep. 22, 1 116 ValL)
und Augustin (conf. m 5 f.). Darüber hat J. Bemays, Üb. d. Chron. d.
Sulp. Sey. >» ges. Abh. 11 148 f. yortreffUch gehandelt, und jeder, der die
litterarischen Verhältnisse jener Zeiten kennt, wird ihm recht geben, wenn
er sagt: „Wenn dies den ernsteren Naturen widerfuhr, was muTsten nun
erst Menschen wie z. B. Ausonius empfinden * Er und die aquitanischen
'Professoren', welche er besingt, hätten um ihres Glaubens willen wohl
jede andre Not und Schmach gelitten, als die Not, solche Solöcismen zu
lesen, und die Schmach, solche Barbarismen in die Feder oder den Mund
nehmen zu müssen, wie sie jeder Vers der Itala oder der Septuaginta ent-
hält." — Mir scheint auch recht bezeichnend, dafs ChoriMos das N. T.
ignoriert, während er das alte oft citiert, cf. besonders p. 179 ff. Boiss.
Überhaupt kann man beobachten, dafs die christlichen Autoren in den für
ein gelehrtes Publikimi bestimmten Schriften sparsam mit wörtlichen Bibel-
citaten sind: man sehe daraufhin durch z. B. die Briefe des Paulinus yon
Nola oder SidoniuB. Lucifer von Cagliari zeigt auch darin seinen Mangel
an 'Bildung', dufs er überall seitenlange Stellen der Bibel wörtlich citiert,
in einem Umfang, wie wohl kein anderer Schriftsteller. £ine interessante
"«tcrsuchung dächte ich mir, die stilistischen Änderungen nachzuweisen,
Die Litteratur der katholischen Kirche: die Theorie. 521
Insiuaationen gegenüber die Christen? Sie schlugen zwei Wege
der Verteidigung ein: entweder gaben sie die sprachlichen und
stilistischen * Fehler' der Schrift zu^ erklärten sie aber aus der
ganzen Tendenz der Schrift; oder sie suchten zu beweisen^ dafs
die Verfasser der einzelnen Bücher keineswegs ungebildete Leute
gewesen seien, sondern die Mittel kunstvoller Diktion gekannt
und angewandt hätten. Betrachten wir zunächst den ersteren
Losungsversuch.
1. Man hielt den Spöttern das entgegen^ was die Wahrheit zagestäiK
war: die neue Religion habe die Welt gewinnen wollen ^«j^.«'
und sich daher einer allen yerständlichen einfachen
Sprache bedienen müssen. Ich lasse dafür einige Zeug-
nisse folgen.
Am schönsten und wärmsten hat Origenes dieser Em-
pfindung Ausdruck gegeben in seiner Erwiderung auf den Vor-
wurf des CelsuS; die Eyangelien seien in der Sprache von vavvav
abgefaist. Würden — erwidert er darauf (I 62) — die Schüler
des Herrn sich der dialektischen und rhetorischen Künste der
Hellenen bedient haben^ so hätte es ausgesehen^ als ob Jesus als
Gründer einer neuen Philosophenschule aufgetreten wäre: nun
aber redeten sie yoU heraus aus des Herzens Tiefe ^ so wie es
ihnen der Geist eingab; da fragten sich die Menschen erstaunt:
,,woher haben jene wohl diese Überredungskraft; denn nicht ist
es die bei allen anderen gebräuchliche'^^ und so glaubten sie^
dais es ein Höherer war^ der aus ihnen sprach: wie ja auch
Paulus gesagt hat: „Mein Wort und Verkünden stand nicht auf
ÜberredmigskuBst der Weisheit, sondern auf dem Erweise Ton
Geist und Kraft: damit euer Glaube nicht stehe auf Menschen-
Weisheit^ sondern auf Gottes-Eraft.^' In besonders eigenartiger
Weise und, wie gewöhnlich^ stark übertreibend hat Johannes
Ghrysostomos die Frage erörtert hom. in ep. I ad Cor. 3 c. 4
(61; 27 Migne): ;,Wemi die Hellenen gegen die Schüler des
Herrn die Anschuldigung der Unwissenheit erheben ^ so wollen
wir diese Anschuldigung noch steigern. Keiner möge sagen^
Paulus sei weise gewesen, sondern indem wir vielmehr die bei
die Ton christlichen Schriftstellem in ihren Citaten des N. T. vorgenommen
sind. Das Material zu den Evangelien findet sich jetzt bei A. Bescb.
Aossercanonische Eyangeliencitate bei ehr. Schriftstellern, Lpz. 1896 f.
522 ^on Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
den Hellenen fQr grob geltenden und ob ihrer WoUberedsam-
keit bewunderten Männer erheben^ wollen wir behaupten, daCs
alle zu uns Grehörigen unwissend waren. Denn so werden wir
die Gegner gar gewaltig zu Boden werfen , und glänzend wird
der Siegespreis sein. Das aber sagte ich, weil ich einst einen
gar lächerlichen Disput zwischen einem Christen und Heiden
anhörte, die in ihrem wechselseitigen Kampf beide ihre eigene
Sache widerlegten. Denn was der Christ hätte sagen müssen,
das sagte der Heide und was naturgemäljs Worte des Heiden
gewesen wären, das brachte der Christ vor. Die Frage drehte
sich nämlich um Paulus und Piaton, wobei der Heide zu zeigen
yersuchte, daüs Paulus ungebildet und unwissend war, während
der Christ in seiner Einfalt den Beweis zu bringen sich ab-
mühte, daüs Paulus beredter als Piaton war. Wenn diese Be-
hauptung zu Recht bestände, so wäre der Sieg auf Seiten des
Heiden: denn wäre Paulus beredter als Piaton, so würden viele
entgegnen, Paulus habe weniger durch die Gnade als durch seine
Wohlberedsamkeit die Übermacht erhalten. Also wäre das Yon
dem Christen Gesagte für den Heiden günstig, das von dem
Heiden Gesagte für den Christen. Denn, wie gesagt, war
Paulus ungebildet und überwand trotzdem den Piaton, dann war
der Sieg ein glänzender: denn er, der Ungeschulte, wuiste alle
Schüler jenes zu überzeugen und auf seine Seite zu bringen,
woraus sich ergab, dafs nicht kraft menschlicher Weisheit die
Botschaft siegte, sondern kraft der Gnade Gottes. Damit es uns
nun nicht ergehe wie jenem und wir in solchen Disputen mit
den Heiden ausgelacht werden, wollen wir gegen die Apostel
aussagen, sie seien ungebildet gewesen: denn diese anklagende
Aussage ist ihr Lobpreis.'' Theodoretos (saecY) hat in seinem
Werk in dieser Sache öfters das Wort genommen. Gleich in
der Vorrede sagt er (83, 784 Migne): nokXimg {lov x&v xf^Q 'Ek-
XtIvMfjg ^vd'oXoyiag i^rj^ri^dvav ^wtervxrjxöteg ti^vhg ti^v xs
7tl6tiv ixai[i^dri6av xijv f^ksviQav .... wd xf^g x&v iaco6x6X<ov
xatrjyÖQOtyi/ änatdevöiag^ ßagßdQOvg inoxaXovvxeg xb yXa^gbv
xilg eieneiccg oinc i%ovxag. Über einzelnes äuüsert er sich im
weiteren Verlauf seines Werkes folgendermalsen: L V (ib. 946 f.)
aixlTia xolvvv xal xa^pdovöiv Ag ßdQßaga tä övö^ata (nämlich
Mccxd'atovy Bagd-olo^atovy 'Idxmßovy M(ov6ia etc.)' fiyi^Blg 81 ab-
x&v xijv iiiTtkriliav öXoqyvQÖiud'ay Zxt> dij ÖQ&vxsg ßaqßaQo^Avovg
s
Die litterator der katholischen Kirche: die Theorie. 523
&v^Qdncovg t^ ^EULfiPixilv siyXfottiav vevixiptötag xal rov^ xe-
xofi^evfi^vovg fit^ovg xcnnsXS^g i^BXriXaiUvovg xal toi>s ikisvt^
%oi}g 6oloiXi6iU}'bg toi>g ^Attiwybg xataXaXvwkag ]^XXoyi6noi>g
oix i(iv&Qi&6iv adi* iyTialvmovtai^ &JiX ividtfv {fXBQiucxovöi tijg
xXdvfig xxL Sehr ansführlich motiviert er die einfache Sprache
des N. T. L YIII (ib. 1008 £): es seien keine X&yoi xBxoyL^sv-
lUvoi xal xatayXamuf^ivoty sie besäCsen nichts von der sog.
svötoiiücy nichts Yon Piatons s^lamüx, Demosthenes' detv&crjg,
Thukydides' tiyxogy noch von den Spitzfindigkeiten des Aristoteles
nnd Ghrysipp; es sei freilich der Gottheit leicht gewesen, auch
solche xiiifvxag tijg ilfid-BÜicg zu schafifen, aber sie habe es nicht
gewollt^ damit die Welt sie verstehe. — Ebenso äoTsert sich an
einigen Stellen Isidor von Pelnsium (saec. Y) in seinen
stilistisch auf der Hohe der Zeitbildung stehenden Briefen:
lY 67 (78, 1124 Migne): 8ib xal t^ d'eüxv altv&vxav ygatpifi/
[lij t^ XBQvtt^ xal 7CBxaXkami,6iUvtp xQonivriv X6yq)j &klä rcSf ra-
lUiv^ xal neip. iXl* fli^stg fihv avvotg ivzsyxaX&iuv tflg qf^Xccv-
xiag^ Sti döJ^fjg iQ^xd'ivxeg z&v &Xhov fjxiöta iq)Q&ini6ttVy tilv dh
^zCav fivx(og yqaq^ iacaXXatt&iuv x&v iyxXrnidtav XdyovtBgy Srt
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xfig iXri^siag hctxgvxxet xdXXog xal xb i^Bvdog x^ xalXurcsia
xoffiiiiöag iv %(fv6l8i xb driXtixiiQiov ixi(fa6ev. sl 81 fi iMfi'eia
xfi xaXXuiiBÜf 6vvaip^BCri, dvvaxai [kkv xohg TtSTiaideviiivovg d}g)€'
Ulöaij xotg 8* SXXoig Sstaöiv &xQfi<fxog i6xai xal iva}q>BXi/ig, 8i 8
xal fi yQaqy^ xij^v äXi/fisiav XB%(p Xöyp iiQ^iivBVöBVy Iva xal ^iQ-
xai xal 6oq)ol xal 7tat8Bg xal yxrvatxBg luid^ouv. ix fikv y&Q rov-
xov ot nlv 6oq)ol oi8lv naQaßXdjcxovxaiy ix 8* ixBivov xb xXiov
tijg olxovfidv7ig (Ugog jtfoöBßXdßri. 6v xivmv oiv ix^fjfif fpQovxC-
6ai^ [idXiöxa iihv x&v nXBiAvoiv, i7CBi,8äv 81 xal ndvxmv iq>q6vxi'
öBVy 8Bixvvxai XaiutQ&g d^sia oiöa xal oigdviog. Und dazu das
triumphierende testimonium ex eventu IV 28 (ib. 1080 £): Xav^d-
VQV6VV ^EXXi/iv(ov 7tat8Bgj 8i &v XiyovöiVy iavxohg dvaxgijcovxBg.
i^BvxBXiiiyvöt yäg xifv %BCav ygatp^v Ag ßaQßagöqxovov xal ivo-
IMCXonoUaig ^dvaig 6wtBxay(iivriVy öwSiöiimv 81 dvayxaifov iX-
Xsütovöav xal nBQtxx&v TtaQBvd'ijocg xbv vovv x&v XByo^dvatv ix-
xaQdtxovöav. iXX* iytb xovxav iiavd-avixaöav xi^g iXtjd'BÜig *
524 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
I6x6v, n&g y&Q Insiöev fi iyQOi^xttoiievrf xi[v siyXantüxv; elxa-
t(D6av ot öotpoly n&Q ßa^ßagi^ovöa xarajcgätog xal 6okoixC%€v6a
vevUrpiB tijy ittixC^ovCav nXAvr[V' n&g IlXatfov fiivj t&v il^a^ev
q)tXo66q>(ov 6 xoQVtpatog, oidsvbg TCBQieyivsto xvgdwovj ccfkri 8h
yHv ts xal d-dkattav hctjy dysto; — Nicht anders im Westen:
Lac tanz selbst^ Mer christliche Cicero'^ schreibt darüber diy,
inst, y 1: haec imprimis catisa est, cur apud sapientes et doctos et
principes huitis saeculi scriptura sancta fide careatj quod prophetae
communi ac sirnplici sermone, ut ad poptdum, sunt hcuti. conr
temnuntur itaque ab üs^ qui nihil audire vel legere nisi expolitum
ac diserhim vohmt, nee quicquam inhaerere animis eorum potest,
nisi quod aures hlandiori sono permtdcet. tUa vero, quae sardida
videnlur, anüia inepta vulgaria existimantur. adeo nihü verum putant,
nisi quod auditu suave est, nihü credibile, nisi quod potest incutere
voluptatem. nemo veritate rem ponderat, sed omatu. non credtmt
ergo divinis, quia fuco carent, sed ne Ulis quidem, qui ea inter-
pretantur, quia sunt et ipsi aut omnino rüdes aut parum doctij
nam ut plane sint eloquentes, perraro cotitingiL Derselbe ib. VI
21, 3 ff.: homines litterati cum ad dei religionem accesserint, si non
fuerint ab aliquo perito doctore fundati, minus credunt; adsueti enim
duUibus et politis sive orationibus sive carminibus divinarum litte-
rarum simplicem communetnque sermonem pro sordido a^aemantur,
id enim quaerunt quod sensum demukeat; persuadet autetn quidquid
suave est et animo penitus, dum delectat^ insidet. num igitur deus
et mcntis et vocis et Unguae artifex diserte loqui non potest? immo
vero summa Providentia carere fuco voluit ea quae divina sunt, ut
omnes inteUegerent quae ipse omnibus loquebatur. — Arnobins
ady. gentes I 58 ff., eine berühmte Stelle^); aus der ich nur
einiges heraushebe: ^ab indoctis Jiominibus et rudibus scripta sunt
(eure Religionsurkunden) et idcirco non sunt facili auditione cre-
denda.^ vide ne magis haec fortior causa sit, cur üla sint nuUis
coinquinata mendaciis, mente sirnplici prodita et ignara lenocinüs
ampliare. ^trivialis et sordidus sermo est,' numquam enim veritas
sectata est fucum nee quod exphratum et certum est circumduei
se patitur orationis per ambitum longiorem ^barbarismis,
soloecismis dbsitae sunt, inquit, res vestrae et vitiorum deformitate
1) Eine ähnliche Invektive bat Tatian or. adv. Graec. c. 26; sie war
dem Aruobius wohl bekannt.
Die litterator der katholischen Kirche: die Theorie. 525
poUtäae.' puerüis sane atque angusU pectoris reprehensio . . . . qui
minus id quod dicitur verum est, si in numero peccetur aut casu
praqposiU(me participio coniunctione? pompa ista sermonis et oratio
missa per regulas contiontbus litibus foro iudiciisgue ser^ur detur-
que Ulis imtno^ qui voluptatum delenimenta quaerentes omne stium
Studium verborum in lumina contulerunt (es folgt weiterhin die
sprachwissenscliaftlich interessante Stelle über den Streit zwischen
Analogie und Anomalie: aus letzterer leitet er die Berechtigung
der Soloecismen ab). — Hieronymus ep. 63, 9: ndlo offendaris
in scripturis sanctis simpUcitate et quasi vüitate verborum^ quae vel
vitio interpretum^) vd de industria sie prolata sunt, ut rusticam
eontionem facilius instruerent et in una eademque sententia äliter
doctus aliter audiret indoetus. — Endlich noch ein Zeugnis aus
dem Mittelalter, damit man sieht, wie lange diese Frage die
Gemüter der Menschen beschäftigt hat. Ermenrich, Mönch
von St. Gallen, in seinem Brief an den Abt Grimald (f 872),
ed. E. Dümmler, Progr. Halle 1873, p. 12 (er hat aus Matth.
24, 43 perfodiri, aus Luc 7, 8 alio als Dativ und aus Luc. 11, 7
deinius angeführt): sed cur haec prosequimur^ cum multa his si-
müia in divinis libris indita repperiu/ntur, quae grammaticis con-
traria esse videntur? sed non ita per ofnnia sentiendum est, quia
quicquid Spiritus sanctus, auctor et fons totius sapientiae, per os
sanctorum suorum hquitur, non est contra artem, immo cum arte,
quia ipse est ars artium, cui omne mutum hquitur et insensibile
sentit . . . quapropter cum honore veneremur ea quae per sanctos
ad nos perlata sunt, et ne procaci contentione sttuleamus illud cor-
m
rigere quod constat esse rectissimum. hinc enim beatus Gregorius
ait: ^stultum est, ut si velim verba cflestis oractdi concludere sub
reguiis Donati' haec itaque idcirco dixi, ut ne quis tam
süperbe audeat loqui contra dicta euuangdistarum apostolorum vd
prophetarum, sed dicat tacitf cogitationi suae illud apostoli (1 Cor.
4, 7) ^quid est quod hohes quod non accepisti? si autem accepisti,
quid gloriaris quasi non acceperis?' quia si auctorem donorum
amnium cogitas, non hohes in dictis eins quod reprehendas, vitia
tantum scriptorum cavenda sunt d emendanda,^)
1) Dieses merkwürdige Argument auch in der Vorrede seiner Über-
setzung des Eusebios (Vill 5 Vall.), sowie ep. 49, 4.
2) Sollten wirklich einige perfodi korrigiert haben? Das scheint mi
526 Von Hadrian bis zum Ende der EaiBerzeit.
Yenmche, 2. Seltener schlug man den anderen Weg ein, sich auf eine
cktjt^ov ein angeblich künstlerische Vollendung der h. Schrift zu be-
*'^J|J^j^"" rufen. Wenn Philo, losephos, Origenes, Eusebios und, auf sie
sich berufend, vor allem Hieronymus die Behauptung aufstellten,
die poetischen Bücher des A. T. seien nach den Gesetzen antiker
Metrik verfaist^), so wird mau darin wohl das instinktive Be-
streben erkennen dürfen, das spezifisch Orientalische an das
Hellenische anzugleichen. — Ambrosius schreibt in einem Briefe
(ep. 8; 16, 912 Migne): negant plerique nostras secundum artem
scripsisse, nee nos abnüimur, non enim secundum artem scripserunt
sed secundum gratiam guae si(per omnem artem est: scripserunt
enim guae spirif*tö iis logui dabat sed tarnen ii gut de arte
scripseruntj de earum scriptis artem invenerunt et condiderunt com-
menta artis et magisteria: diese bei einem eifrigen Philo-Leser
nicht befremdende Ansicht beweist er an einigen Stellen der
Bibel, in denen sich die drei Erfordernisse der tdxvti fanden:
atxiovy CXri^ ijtotdXeöiia, — Vor allem aber hat mein Interesse
erregt eine grofs angelegte systematische Schrift Augustins, in
der er zu beweisen versucht, dafs in beiden Testamenten die
Figuren der Rede in weitestem Umfang zur Anwendung ge-
kommen seien: das vierte Buch des Werks de doctrina Chri-
stiana^ ist diesem Unternehmen gewidmet; die Veranlassung
und Tendenz spricht er § 14 aus: male doctis hominibus reqrni-
dendum fuit, gui nostros auctores contemnendos putant, non guia
non lidbent sed guia non ostentant guam nimis isti diligunt eloguen-
tiam. Ich habe schon oben (S. 503 ff.) aus diesem Werk einige
Stellen citiert, in denen er Perioden des Paulus auf Grund dieser
Anschauung analysiert; auch das A. T. zieht er dort in diesem
Sinn heran (cf. IV 16 ff. die rhetorische Analyse von Amos 6, 1
hervorzugehen aus folgenden Worten Notkers (f 1022) in: P. Piper, Die
Schriften N/s u. seiner Schule I 676, wo er unter den vitia orationis als
corruptum nennt perfodiri, ut quid am legunt in evangeliis pro perfodi,
1) Cf. Hieron. praef. in chron. Euseb. VHI 3 flf. Vall. ; praef. in lob IX
1099; ep. 63, 8 =» I 276. Nachwirkungen im Mittelalter: cf. U. Chevalier,
Poc^sio liturgique du moyen fige in: L'universitd catholique X (1892) 164 f.
2) Richtig gewürdigt ist dies glänzende Werk Augustins unter allen,
die sich darüber geäufsert haben, nur von Fr. Overbeck, Zur Gesch. d.
Kanons (Chemnitz 1880) 46, 1; er übersetzt den Titel richtig „über die
christliche Wissenschaft".
Die litterator der katholischen Kirche: die Theorie. 527
bis 6). Aber auf noch viel breiterer Grundlage hat er dies
höchst eigenartige Unternehmen in einem uns verlorenen Werk
aufgebaut. Da die Kunde von der Existenz dieses Werks gänzlich
yerloren zu sein scheint^ so teile ich hier mit^ was ich darüber
weifs: man wird aus den mitgeteilten Zeugnissen ersehen^ dafs
Cassiodor der letzte war^ der es noch gelesen und benutzt hat^
während die Späteren es nur aus ihm kennen.^) Cassiodorius
de inst. diy. litt. c. 11 (70^ 1111 Migne): scripsit (Augustinus)
de modis locutionum Septem miräbües libros, übt et Schemata sae-
cularium litterarum et muUas cdias loaUiones divinae scripturae
proprias, id est guas communis usus non haberet, espressit, con-
siderans, ne compositionum novitate reperta legentis animus non-
nullis offensicnibus angeretur, simulque ut et iOud ostenderet magister
egregiuSf generäles locutiones, hoc est Schemata grammaticorum
atque rhetorum, exinde fuisse progressa et aliquid tamen Ulis pe-
culiariter esse derdidum^ guod adhuc nemo doctorum saecularium
praevaluit imitari. Cf. auch c. 15 (1127 A). Derselbe setzt in
der Vorrede seines Kommentars zum Psalter (c. 15; ib. 19 ff.
Migne) auseinander, er wolle in diesem Kommentar eloquentiam
totius legis divinae einschlieüsen: nam et pater Augustinus in
libro III de doärina Christiana ita professus est: ^ Sciant autem
lüteraH modis omnium locutionum, quos grammatici graeci nomine
fropos vocant, auctores nostros usos fuisse\ et paulo post sequitur:
* Quos tamen tropos, id est modos locutionum, qui noverunt agnoscunt
in litteris sanctis eorumque scientia ad eas intelligendas aliqtuintulum
adiuvantur,^ ctiius rei et in äliis codidbus suis fedt emdentissimam
mentionem. in libris quippe quos appdlavit de modis locutionum
diversa Schemata saecularium litterarum inveniri probavit in litteris
sacHs; cdios autem proprios modos in divinis doquiis esse declaravit,
quos grammoHci sive rhetores nuUatenus aüigerunt dixerunt hoc
apud nos et alii doctissimi patres, id est Hieronymus Ämbrosius
Hüarius (wo?), ut nequaquam praesumptores huius rei sed pedisequi
esse videamur.^ Von Baeda besitzen wir eine kleine Schrift
1) Dafa man, wie aus dieser Thatsache hervorgeht, dies Werk im VI.
und Vn. Jh. nicht abgeschrieben hat, ist bezeichnend für die Abneigung
jener Zeiten gegen die Verweltlichung der Kirche.
2) So bemerkt er zu ps. 1, 1 {'heatus vir qui non ahiit in consüio im*
piarum et in via peccatorum non stetit et in cathedra pestilentiae non sedit'
p. 29: nota quam pülchre singüla verba rebus singulis dedi , id est ^äbii
528 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeii
De schematis et tropis sacrae scripturae (90^ 176 ff. Migne), die
aber ohne Kenntnis Augustins nach sekundären Quellen (be-
sonders Cassiodor) gearbeitet ist. Karl der Grofse in seiner
Encyclica de litteris colendis (787; gerichtet an den Fuldenser
Abt Baugulf) Mon. Germ. Leg. sect. II tom. I p. 79: quam ob
rem hortamur vos, Utterarum studia non solum non negligere, verum
etiam humiUma et deo placita mtenUone ad hoc certatim discere, ut
facilius ei redius divinarum scripturarum mysteria valecUis penetraire.
cum enim in sacris paginis scemata, tropi et cetera his simüia
inserta inveniantur, nuUi dubium quod ea unusguisque legens tanto
citius spiritualiter inteUegit, qiuznto prius in litterature magisterio
plenim inshvdus fuerit Notker Balbulus von St. Gallen
(saec. IX) de interpretibus divinarum c. 2 (ISl^ 995 Migne): in
cuius (psalterii) expianationem Cassiodorus Senator cum muUa dis-
seruerit, in hoc tanhim videtur nöbis utüis, quod omnem saecuJarem
sapientiam, id est scematum et troporum dulcissimam varietatem
in eo totere manifestat^)
Was wir über diesen Versuch Augustins zu urteilen haben,
liegt auf der Hand: er hat (aufser bei Paulus) keine innere Be-
rechtigung; sondern ist dem Bedür&is entsprungen^ den heiligen
Urkunden auch das zu geben , was er selbst und mit ihm alle
Gebildeten so gern in ihnen finden wollten: Vollendung auch ia
der äufseren Form.*)
^stetü^ et ^aediV ; quae figura dicitur hypozeuxis, quando diversa verba
singulis apta clausulis apponuntwr\ zu 97, 5 {'iubilate deo^ omnis terra; com-
täte et exsuUate etpsallüe') p. 690: quae figura dicitwr hamoptoton (sie), quda
in aimües sonos exierunt verba.
1) Wörtlich so (nur nöbis videtwr) bei E. Dümmler, Das Formelbucli
des Bischofs Salomo IQ y. Eonstanz (Leipz. 1857) 66 f.
2) Die dargelegte Kontroverse hat sich bis in das vorige Jahrhundert
fortgesetzt; über die Vertreter der einen Partei s. oben S. 492, 2, über die
der anderen z. B. Fr. Delitzsch^ Über die palästinische Volkssprache, welche
Jesus und seine Jünger geredet haben, in: Daheim 1874, 430: „Joachim
Jungius erregte in Hamburg seit 1630 einen nicht zu beschwichtigenden
Sturm, als er behauptet hatte, das N. T. sei so wenig in reinem Griechisch
geschrieben als Christus reines Hebräisch geredet. Ein Jahrhundert später
durfte Bengel das Paradozon münzen : dei dialectus soloecismus, welches sich
aneignend Hamann vom Stil des N. T. sagt: ^Das äufserliche Ansehen des
Buchstabens ist dem unberittenen Füllen einer lastbaren Eselin ähnlicher
als Jonen stolzen Hengsten, die dem Phaethon den Hals brachen'".
Die LiHeratar der katholischen Kirche: die Theorie. 529
2. Theorieen über den Stil der christlichen Litteratur.
Welche Konsequenzen haben nun aus diesen Verhältnissen widerttreit
die christlichen Autoren für die Gestaltung ihres eigenen The^riT
Stils gezogen? Um es kurz zu sagen: in der Theorie haben p^^
sie von den ältesten Zeiten bis tief in das Mittelalter hinein fast
ausnahmslos den Standpunkt vertreten^ dais man ganz schlicht
schreiben müsse ; in der Praxis haben sie das gerade Gegenteil
befolgt. Nach den obigen Ausführungen kann dieser Zwiespalt
nicht auffallen: der Religionsstifter hatte die Weisheit dieser
Welt von sich gewiesen ^ er hatte zu Fischern gesprochen ^ er
hatte an erster Stelle selig gepriesen die im Geist Armen, seine
Jünger hatten in schlichter Sprache das Mysterium verkündet
Danach sollte man also auch handeln, aber man konnte es
nicht: denn war der Ursprung der neuen Religion das auüserhalb
der hellenistischen Kultur stehende Palästina gewesen, so war
jetzt ihr Schauplatz die hochcivilisierte Welt geworden: die
einstige Trösterin der Armen und Unterdrückten wollte jetzt den
Hochgebildeten alles ersetzen, was ihnen bisher heilig und lieb ge-
wesen war. Da jeder in der patristischen Litteratur nur einiger-
mafsen Bewanderte weiüsi, wie sehr die Menschen in der Theorie
die Notwendigkeit eines schlichten Stils anerkannt haben, so will
ich aus der endlosen Masse der Zeugnisse nur solche anführen,
die entweder durch ihre Vertreter oder ihren Inhalt einiges
weitere Interesse haben dürften. Ich wähle sie aus den einzelnen
Jahrhunderten aus.
a) Forderung eines einfachen Stils.
Basilius ep. 339 (32, 1084 Migne) an Libanios: fjiistg ^iv^ Theorie for
i d'ovfidois, Mm6sl xal 'HXia Kai xotq (^x(o lucxagioig AvSgdtft ^ ^' "°
öiivBö^sVy ix tilg ßaQßccQov q)(ovfls diakeyoiiivoig fi^tv rä iavr&Vj
xal tä TtaQ* ixdvfov ip&syyö^ed'a, vovv (liv ciAi^-ö"^, Xi^iv dl «fi«-
•O-q. el ydg ti xal ^nsv naq v(i&v didax^dvrsg, iicb xov %q6vov
insXa^öiu^a.^)
1) Er meint das natürlich ganz scherzhaft (wie ja auch die pikante
Verwendung des axiJitM gerade in den Worten vovv filv &Xri^, U^tv dh
<ifia^ zeigt), und so fafst es auch Libanios in seiner Antwort auf.
530 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
Hieronymus hat oft in dieser Sache das Wort genommen,
z. B. ep. 21; 42 (an Damasus): er solle ihm den Stil yerzeihen,
cum in ecdesiasticis rebus non quaeranhir verba sed sensus, id est
panibns sit vita sustentanda non siliquis. Derselbe ep. 49, 4
quae (seine ifTCoiiviinata zu den Propheten) si legere volueriSf pra-
häbiSy guantae difficultatis sit divinam scripturam et maxime pro-
pl^etas inteUigere porro doguentiam quam pro Christo in
Cicerone contemnis, in parvulis ne requiras. ecclesiastica interpretatio
eUam si habet eioquii venustatem, dissimülare eam debet et fugere^
ut non otiosis phüosophorum scholis paucisque discipuüs, sed uni-
verso loquatur hominum generi.
Augustinus in psalm. 36 v. 26 Qtota die miseretur et fene-
ratur': S6, 386 Migne): ^feneratur' quidem latine dicitur et qui
dat mutuum et qui accipit: planius hoc autem dicitur, si dicamus
^fener(xt\ quid ad nos, quid grammatici vdvnt? melius in batior
rismo nostro vos intdligitis, quam in nostra disertitudine vos de-
serti eritis. Derselbe in psalm. 123, 8 (37, 1644): primo quid
est ^forsitan pertransiit anima nostra?' quomodo potuerunt enim,
Labini expresserunt quod Graeci dicunt &(fa, sie enim graeca habent
exemplaria ßga: quia dubitantis verbum est, expressum est quidem
dubitationis verbo quod est ^fortasse% sed non omnino hoc est. pos-
sumus ülud verbo dicere minus quidem latine coniuncto, sed apto
ad intetligentias vestras. quod Punici dicunt ^iar% hoc Qraeci &Qa:
1u>c Latini possunt vd sölent dicere ^putas\ cum ita loquuntur:
^putaSf evasi hoc?* si ergo dicatur ^forsitan evasi\ videtis quia
non hoc sonat; sed quod dixi ^putas'j usitate dicitur, latine non ita
dicitur. et potui illud dicere, cum tracto vöbis : saepe enim et verba
non UUina dico, ut vos intdligatis. in scriptura autem non potuit
hoc poni, quod latinum non essd, et deficiente latinitate positum est
pro CO quod non hoc sonaret.
Sulpicius Severus vita S. Martini praef. (ep. ad Desi-
derium) p. 109 f. Halm : bona venia id a lectoribus postuUbis, vi
res potius quam verba perpendant d aequo animo ferant si aures
eorum vitiosus forsitan sermo perculerit, quia regnum dei non in
doquentia sed in fide constat. meminerint etiam salutem saeculo
non ab oratoribus, sed a piscatoribus praedicatum. ego enim cum
primum animum ad scribendum appuli^), quia nefas putarem tanti
1) „Also den Teronz nachzuahmen kann er selbst in der Fischer-
Die Litteratur der katholischen Kirche: die Theorie. 531
viri lakre virtutes^ apud me ipse dectdif ut soloedsmis non eru-
hescerem.
Synesios homil. fr. 1 p. 296 B Pet. (66, 1661 Migne): oi-
fUMQoloyücv 6v'yyQaq)iKifjiv.
Gregor d. Gr. (saec VI/ VII) moral. praefat. i. f. (75, 516
Migne): ipsam loquendi artem quam magisteria disdpUnae ex-
terioris insinuant servare despexu nam . . non mytacismi coUisianem
fugiOf non barharismi confusionem devUo, Hiatus motusque etiam et
praqaositionum casus servare contemno, quia indignum vehementer
existimo, ut verba cadestis oraculi restringam sub regtdis Donati.^)
Vita S.Viyentii auctore anonymo in AA. SS. BoU. 13 lan.
I p. 813 Yon dem Bischof Agilmar y. Glermont (saec. IX): qui
venerahilis pontifex saepius relegens conversionem ac actus 8. Vi-
veniii simplices ac paene incultos atque inerti sermone descriptos
deosctdansque dicebat: 0 beata ac henedicta priorum rusHdtas, quae
plus studuit optima qperari quam loqui, et magis novit sancta ho-
nestaque esse quam dicere.
GuDzo epistola (geschrieben 960) in: Martine et Durand,
Ampla coUectio I (Paris 1724) 298 quis tarn excerd)ratus , ut
putet verha sacri doquii stringi regulis Donati aut Prisciani?
Albericns Cardinalis (monachns Casinensis f 1088)') vita
S. Dominici in AA. SS. Boll. 22 lan. II p. 442 sq.: veneräbüis
spräche sich nicht versagen" Bemays, ges. Abh. U 160, 58. — Dafs man
solche Versicherungen übrigens nicht ernst zu nehmen hat, zeigt er selbst
dial. I 27: ein aus dem eigentlichen Gallien stammender Schüler des Mar-
tinus bittet um Entschuldigung, wenn er ganz ohne rhetorische Mittel reden
werde, worauf der Aquitanier erwidert: cum sie scholasticus, hoc ipsum quctsi
scholasticus artificiose facis, ut excuses imperitiam, quia exüberas eloquentia.
sed negue monachum tarn astutum neque Gallum decet esse tarn caUidum.
1) Über diesen berühmten (von den Späteren ofb citierten) Ausspruch
bemerken die Mauriner in ihrer Ausgabe (1706) vol. I p. Xu, er beruhe
auf derselben Bescheidenheit wie der ähnliche des Sulpicius Seyerus, der
doch der Sallustius Christianus sei ; wenn er fnetiri venerari persequi imi-
tari passiyisch brauche, so sei das in der Entwicklung der Sprache be-
gründet gewesen. Ebenso bezeichnet Montalembert, Les moines d'occident
II (Paris 1860) 152 die Worte als eine exagg^ation d'humiliU. Cf. auch
K. Situ in: Arch. f. lat. Lexicogr. VI (1889) 660 f.
2) Cf. Petrus Diaconus, Chron. mon. Casinensis HI 85 (Mon. Germ.,
Script. Vn 728): Älbericus diaconus vir disertissimus ac eruditissimus . . .
Cothposuit . . . lihrum dictaminutn et salutationum.
Norden, antike Knnstprosa. II. 35
532 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
patris Dominici ortum vitam öbHumque . . . Icicinioso impolitoque
nimis quidam sermone descripserat Stylum in hoc qpere
fiffurae sum mediocris prosecutus, qui et peritiorum auribus harrori
esse non debeat et minus eruditorum intelligentia percipi non refugiat
Petrus Damiani (f 1072), ep. 1: ad vos, venerabiles patres,
ista conscnbo et impolüo sHlo quasi rauds vocibus perstrepo; aber
sofort folgt eine meisterhaft geschriebene Invektive gegen die
verderbten Sitten der Zeit: eine lange Reihe rhetorischer Fragen,
die das Studium Ciceros deutlich verraten; dann aber ruft er
sich zurück: sed ne tamquam cotumati tragoediam videamur at-
tollere, stifficiat nobis apostolica dumtaxat siiper his verba referre
etc. Derselbe opusc. VI c. 38: non hie, qtmeso, ductibratae
didionis phalerata discutiatur urbanitas, non accuratae dicacitatis
acrimonia requiratur, sed rtidis simplicitas et sermo pauperctiluSf
qui vix queat explicare quod sensit, proposui enim serias qmsdam
ac necessarias res fratrum meorum cordOms magis tUüiter quam
luculenter exponere nee verborum inanium lenociniis aurium tue'
cebris deservire, non enim ignoratis, qiiia vivacitatem sententiarum
sermo ex industria cuUus evacuat et didorum vim splendore labora-
tus enervcU. Uli sane grandiloquis et trutinatis verbis inserviant, qui
favorabiles piatmis hominum aucupari delenificae locutionis amoena
quadam venustate desudant; nos autem, qui nudis pedibus ire prae-
cipimur, cotumati scribere non debemus, et qnibus censura tacitumi-
tatis indicittir, luocuriantis eloquentiae laciniosa proliadtas congruere
non videtur. Ahnliche Aufserungen von ihm bei A. Dresdner,
Kultur- u. Sittengesch. d. ital. Geistlichk. im 10. u. 11. Jh.
(Breslau 1890) p. 192.*)
1) Cf. aufserdem etwa noch Sozomenos h. eccl. I 11, wo er erzählt,
jemand habe einen chriBtIichen Redner wegen des Gebrauchs von exlftnavg
statt des von den Atticisten (cf. Phrynich. ecl. p. G2 Lob.) gerügten x^aß-
ßatog getadelt mit den Worten: oi av ys &iisiv(ov toü ngdßßaTov dgrix^og.
Belehrend ist der Vergleich von Lukian Philops. IG icgdiisvog rbv cxLii-
7t o See, i(p' ov insyiSfiLato , ^Z^o h "^ov &yQbv &ni6nv mit ey. Marc. 2, 18
&Qas rbv tigaßparov i^fjXd'sv f^itngoad'sv itdvttov (Matth. 9, 6 sagt nXLvriv,
Luc. 6, 24 nXiviSiov). Palladios (s. IV) ep. ad Lausum (34, 1001 f.
Migne): bei ihm beruht es wenigstens auf Wahrheit. Gregor ius Nys-
senus (s. IV) lehnt die typische Einteilung der Lobreden ab: de vita
Greg. Thaumat. (40, 896 Migne). Proklos episc. CP. (s. V) sermo de
circumcisione doniini II c. 1 (05, 837 Migne) über sMXsia der christlichen
Rede im Gegensatz zur hellenischen. Ky rill ob t. Alexandria (s.V) schiokt
Die Litteratnr der katholischen Kirche: die Theorie. 533
b) Forderung eines erhabenen Stils.
Dafs ein gater Stil im Dienst der Kirche lobenswert sei, Theorfo rai
finden wir bei der instinktiven Scheu, die ein der katholischen ainvdnu.
Kirche Angehöriger im Gegensatz zu den meisten Häretikern
Yor dem offenen Zugeständnis heidnischen Einflusses auf irgend-
welche christliche LebensäuTserung hatte, sehr selten aus-
gesprochen. Es ist bezeichnend, dafs gerade ein Grallier un-
umwunden sich dahin geäuTsert hat, eine so hohe Religion dürfe
nur in würdiger Sprache verkündet werden: Hilarius v. Poitiers
de trin. I 38 und in psalm. 13, 1; da(s ebenfalls ein Gallier^
A vi tu 8 V. Vienne, schreibt (ep. 53 p. 82 Peiper), es sei selbst-
Terstandlich, dafs sich aller Pomp der heidnischen Beredsamkeit,
nachdem er sich so lange mit nichtigen Stoffen abgegeben habe,
jetzt^ wo es gelte, die Wahrheit zu befestigen, ganz in den
Dienst dieser grofsen und besseren Aufgabe gestellt habe; dafs
drittens wiederum ein Gallier, Paulinus aus Bordeaux (Bischof
von Nola), einem Freunde rät, die Litteratur der Heiden liegen
zu lassen und sich zu begnügen, ah Ulis linguae copiam et oris
omatum quasi guaedam de hostilibus armis spolia cepisse, ut eomm
nudtis erroribus et vesUtus ehquiis fucum illum faamdiae, quo dc-
cipU vana sapientia, plenis rebus accommodes (ep. 16, 11 p. 124
Hartel).^) Augustin, der sich, wie wir sahen, in seinen für
das weitere Publikum bestimmten Werken meist geringschätzig
über diejenigen äufsert, welche auf die Sorgfalt der Darstellung
Gewicht legen, hat doch den entgegengesetzten Standpunkt mit
Energie vertreten in dem sich an den Kreis nur der Hoch-
gebildeten wendenden bewunderungswürdigen Werk de dodrina
Christiana j aus dem schon oben (S. 526) einiges angeführt
worden ist. Die Tendenz des die Kunst der Bede betreffenden
Abschnitts hat er selbst in folgenden Worten ausgesprochen:
rV 2, 3: cum per artem rhetoricam et vera suadeantur et falsa,
quis audeat äicere adversus mendacium in defensoribus suis inertneni
mehreren seiner dtidlai koQtaatiiiai eine ngo^stogia yoraus, in der er die
Zuhörer bittet, bei ihm keine sityloatt^ zu erwarten (vol. 77 Migne).
1) Cf. Sidonius ep. IX 3, 5 (an Faustus, Bischof y. Riez): praedicationes
tuas, nunc repentinus nunc, ratio cum popascisset, elucubraUM raucus plosor
audivi, tunc praecipue^ cum in Lugdwiensis ecclesiae dedicatae festis hehdo-
madilms coUegarum sacromnctorum rogatu exorareris, ut perorares.
35 ♦
, ..>. ^
,. '^.•■\ ■■
5^M Von Iladrian bis zum Ende der Eaiaeneit.
dfbiTe coHsiskre veriiatem, tU videlicet Uli qui res falsas persuadere
Cf)9Mntur noverifit auditorefn vel lenevolum vd intentum vd docüem
f^Hurmio facerc: isH atttan non naverint? Uli falsa breviter aperte
ir$'i^militer et isti vera sie narrent, iä audire taedeai, nUeUigere
mm fHiteaty credere postremo non libeat? Uli fdUadbus argumentis
txfitaie^H t>i>pufftiattj asserant falsitatem: isti nee vera defendere nee
/(if.<(i ixileant refntare? Uli animas at$dicntium in errarem maventes
imfHUmtesque dicendo tcrrcaut contristetit exhilarent cxhortarentur
ar^iefitcr^ isti f^ro t^eritate lenti frigidiqtie dormiient? guis Ha dt-
sipiat^ nt hoc sapiat? cum ergo sit in media pasita facultas
etoquii^ quae ad persuadenda seu prava seu recta valet
plurimum, cur non bonoru9n studio comparatur^ ut militet
rcritati^ $i cam mali ad obtinendas perversas vanasque
causas in usus iniquitatis et erroris usurpant? Unter den
l)ri^'hou tiiulet sich die Thatsaehe am klarsten formuliert bei
Isidor V* IVlusium ei^ V 2Sl (7S, 1500 Migne): t^j ^sias tfo-
^<A^ ^ ^h* A$l^ü «f^V« ^ m*oia di ovQtnroii^xtig' r^g dl £|od£y
^^i'V <^4^ ^t* ^X^'^* ^"i** h^'Oiirr^ r^^ öl ri^r ^pcrtfir, ffo^pm€cvog
At* Aumiiftv x^^««i\'* di^irrai }xtQ 5p}*criH>y ffroi rij^ ^Ms^xoö^Uov
d«^«^ 1^ f iV'A^ifTi«« fi* mr^cbif^ tfduii tvji vxoxhhto ^ &6%iq
Aiy« Ai>(Ki>Jf!k fk^i^r fi)^r CMko^^^r mirorofiotea rwr^por, if^ri-
r^r iM^ir mi Joi^JUivfir iV^^^^^^^ i^'fid^vi« jMUior ii tvpov-
1"«^' i^fii f9 fiiMii iV|i4>\M« f^^kdT^'.xid(^-t«i er «/^ duuuu^ und
Ihm Ohorikio* iu Marv'ian. ejnsc. Gai. or. 2 p. lOS f. Boiss.:
\Utkian\Vi ^'i ;^^WK^hI iu limmmAtik v,l*^ktüi^ der Dichter) und
K!;oU\r(k wie iu dor TluvU^^io aus^bildeu iift di aun^fog
•iv»M^*i>j***V» •<>' i»^»' -f i\' A*»rf .Ar ;«'»^;o4kf>\v, ^fe di njy ^^^Z^
VA« «^'i\v\ ixsc ^. U^vc ^M\«A>»v'«Tc^^vr <s^\rft>fir. orxorr 6^p^
W i^ ' vls^- v;vv\v**>".\ .'A,< .v.<* VhxVT^.' ;"*.r.e cv^^i^Ue war: die
,..,'.'. '^Nwl.Xi,-,' w *0 .'UN^ o,.*; K';vi?*" «*-:3>^''v. viie^n^ Stil ent*
Die Litteratnr der katholischen Kirche : die Praxis im allgemeinen. 535
sprechend dem der heiligen Urkunden, die anderen einen er-
habenen Stil, wof&r sie sich entweder in halbbewufster Selbst-
tauschnng auf dieselben Urkunden oder in Anerkennung der
realen Verhältnisse auf die inzwischen anders gewordenen Be-
dtlrfiüsse der christlichen Kirche beriefen. Auch die Praxis hat
ein doppeltes Gesicht gezeigt, mag für uns auch nur das eine
deutlich erkennbar sein. Denn nur die mehr oder weniger
kunstmäfsigen Predigten sind uns erhalten, die anderen ver-
schollen: dafs sie existiert haben, wer wollte es leugnen? Noch
um die Mitte des III. Jh. bestand nach dem Zeugnis des Tertul-
lian (adv. Prax. 3) die gröfsere Anzahl der Gläubigen aus simpUces^
imprtukntes et idiotae, und dafs das nie anders geworden ist, be-
weisen, wenn es überhaupt eines Beweises fiir das Selbst-
verständliche^) bedarf, die Steine. Dafs vor diese Armen im
Geiste an allen Orten, wo das Evangelium in griechischer oder
lateinischer Zunge verkündigt wurde, Prediger getreten sind, die
mit ihnen in ihrer Sprache, in der einfachen Sprache des Herzens
geredet und dadurch oft mehr gewirkt haben als viele andere
durch ihre glänzende Diktion, ist ebenso selbstverständlich.^)
1) Cf. auch Lactanz div. inst. I: non credunt ergo (^sc. genüles) divinis,
quia fuco carent, sed ne Ulis quidem gut ea interpretantur, quia sunt et
ipsi aut omnino rüdes aut certe parum docti, nam ut plane sint
eloquentes, perraro contingit Augustin de genesi contr. Manich. I 1
(34, 173 Migne): placuit mihi quorundam vere Christianorum sententia, qui
cum sint eruditi libercdibus litteris, tarnen aJios libros nostros, quos adversus
Manichaeos edidimus, cum legissent, viderunt eos ab imperitioribus aut vix
aut difficüe intelligi et me benevolentissime montier tmt, ut commwnem loquendi
eonsuetudvnem non desererem, si errores illos tam pemiciosos ab animis etiam
mperitorum expeUere cogitarem. hunc enim sermonem usUoitum et simpilicem
etiam docti intelligunt, iUum autem indocti non intelligunt.
2) Cf. Dionys. Alex. (s. HI Mitte) bei Euseb. h. e. VIT 24. 6: cvvsxd'
Xi6a Tovg nQeüßvtSQOvs xal didaöKoXovs t&v iv tatg nmiiaig (von Ägypten)
&delq>&v. Origenes comm. in ep. ad Rom. 1. IX c. 2 (VII 292 Lomm.):
rdms ipsis saepe compertum est, nonnüllos eloquentes et eruditos viros non
sölum in sermane sed et in sensibus praepotentes, cum miUta in ecclesiis
dixerint et ingentem plausum laudis exceperint, neminem tamen auditorum ex
his quae dicta sunt compunctionem cordis accipere nee proficere ad fidem nee
ad timorem dei ex recordatione eorum quae dicta sunt incitari (sed suavitate
quadam et delectatione sola auribus capta diseeditur), saepe autem viros non
magnae eloquentiae nee compositioni sermonis studentes verbif
simplicibus et incompositis multos infidelium ad fidem convi
536 Von Hadrian bi» zum Ende der Kaiserzeii.
Waren doch unter den Predigern selbst trotz den Vorschriften
der Gemeindeordnung eine ganze Anzahl solcher idiotae. Von
der groüsen Mehrzahl der predigend umherreisenden Asketen und
von Bischöfen^ die auf Konzilen nicht imstande waren, ihre
Namensunterschrift zu geben, wird man nicht erwarten, dafs sie
sich einer kunstmäfsigen Sprache bedient hätten: aber auf die
schlichten Gemeinden, die sie zu leiten hatten, werden sie nicht
minder stark gewirkt haben als Gregor von Nazianz oder Hi-
larius von Poitiers auf das vornehme Publikum, das sie durch
den Glanz ihrer Diktion mit sich rissen. Aber das, was jene
Männer in der Einfalt ihres Sinnes sprachen, hat nicht die Hand
von taxvyQdq)Oi nachgeschrieben^), denn es gehörte nicht zur
Litteratur, die nur das fixiert hat, was bleiben sollte. Gregor
von Nyssa erzählt folgende ganz bezeichnende Geschichte: ein
von Gregorios Thaumaturgos, dem Schüler des Origenes, in Eo-
mana (Kappadokien) eingesetzter Priester Alezandros, seinem
Beruf nach Köhler, wurde einst veranlafst, in der Kirche zu
predigen; gleich beim Proömium merkte man, dalis seine Bede
zwar voller Gedanken, aber roh in der Form sei; zufallig war
ein junger Mann dort zu Besuch, der sich etwas darauf einbildete,
aus Attika zu stammen: der lachte laut auf, weil Alexandros
seine Rede nicht mit attischer xsQUQyia aufgeputzt hatte (Greg.
Nyss. de vita Greg. Thaumat. vol. 46, 937 Migne).*) Freilich
terc, HupcrhüS inclinare ad humilitatem, peccantibua atimulum
conversionis infigere.
1) Wie es bei den grofsen Predigern üblich war (übrigens ganz wie
bei den Sophisten jener Zeit: cf. Eunap. v. soph. p. 83 Boiss.). Über diese
TKxvyQdipoi (auch inoyQtttpslg genannt) cf. Lightfoot 1. c. (oben S. -472, 1)
jirolegg. 197, S. Gothofredus zum Cod. Theod. T. 1 44. II 472 f. Valenos
zu Amni. Mure. XIV 9 p. 60. Das bezeichnendste Beispiel trage ich nach:
Diitti',n iu den Predigten des Ambrosius zur Schöpfungsgoschichte stehen
die Worte serm. 8 iu. (= 1. V c. 12), vol. 14, 222 Migne: et cum pau-
luluin conticuisifct, itcrnm sermonem adorsus ait: 'fugerat nos,
f rat res dilectimmi^ etc. Die l^Iauriner haben jene Worte richtig als eine
I3em<'rkuug dos notiirius gefufät. Cf. aulserdem noch Exmodius op. 8
p. ;ja3, 0 tr. Ilurtel.
2) Cf. dan Stilurt-eil des Photios (,bibl. cod. 172 ff.) über die Homilien
i\vH loaimes Chrysost. /.ur Genesis: die (pQaaig sei in ihnen inl tb raimvo-
tt{fov nnfvfivfyuLivT}^ worüber man sich nicht wundem dürfe, da er auf sein
ZuhOrerpublikum liabc Kücksicht nehmen müssen. Man merkt bei ihm
thatsächlich, dai's er spinöse exegetische Erörterungen nicht zu lange aui-
Die Litterakir der katholischen Kirche: Gattungen der Predigt. 537
wäre 68 eine Täaschungy wenn man glauben wollte^ daUsi solche
Predigten und Schriften^ wären sie erhalten, auf uns stets den
Eindruck schlichter Einfachheit machen würden: denn wir dürfen
nie vergessen^ erstens dafs die Zahl der einigermafsen Ge-
bildeten damals eine gröfsere war, und zweitens daCs das Wohl-
gefallen an schöner Form des Vorgetragenen in allen Schichten
ein erheblich gröüseres war als heutzutage. Hieronymus sagt
von seiner Lebensbeschreibung des Paulus Eremita ep. 10^ 3 (I
25 Yall.): prqpter simpliciores quosque muUum in deiciendo semione
läboravinvus: die Diktion ist nach unserem Gefühl noch hoch
genug. Wir erkennen das femer deutlich aus den Predigten, die
nicht blofs für die Gebildeten bestimmt waren, sondern die zu-
gleich auch von der grofsen Masse des Volks verstanden sein
wollten. Solche Predigten besitzen wir z. B. von Augustin und
Caesarius v. Arles, die beide diese ihre Tendenz ausdrücklich
bezeugt haben: wer diese Predigten gelesen hat, weiis, daijs sie
heute selbst den Gebildeten inhaltlich Schwierigkeiten machen
und äufserlich durch ihre bei aller angestrebten Einfachheit doch
oÜ geradezu raffinierte Formgebung überraschen.
2. Die verschiedenen Gattungen der Predigt.
Da in den mir bekannten Untersuchungen über diesen
Gegenstand^) die Gattungen weder zeitlich noch inhaltlich genau
dehnt, sondern sie meist ziemlich unvermittelt abbricht, um zu einer mehr
allgemein gehaltenen und allen verständlichen, meist paränetischen Er-
örterung überzugehen, vgl. z. B. die Homilien über das Johannesevan-
gelium. — Aus den Predigten des Petrus Ghrysologus (Bischof von Ra-
venna, f c. 460) führt C. Weyman im Philologus N. F. X (1897) 469 einiges
an, wodurch bewiesen wird, dafs dieser Prediger seinem theoretischen
Grundsatz populis populariter est loquendum in der Praxis treu geblieben ist.
1) Cf. F. Probst, Lehre u. Gebet in den drei ersten ehr. Jahrh.
(Tübingen 1871), wo das 4. Kap. (p. 189 S.) über die Homüetik handelt.
Derselbe , Katechese u. Predigt vom Anf. d. IV. Jh. bis z. Ende d. VI. Jh.
(Breslau 1884) 184 ff. E. Hatch, Griechentum u. Christentum, übers, von
E. Preuschen (Freiburg 1892) 62 ff. Letzterer scheint mir hier, wie auch
sonst gelegentlich, in der Annahme des hellenischen Einflusses zu weit zu
gehen, wenigstens die Zeiten und Arten nicht genügend zu scheiden. Die
älteren Abhandlungen von Kothe, Augusti etc. sind für die Erkenntnis der
Entwicklung wertlos, ebenso das umfangreichste Werk über die patristische
Beredsamkeit: Jos. Weissenbach, De eloquentia patrum, Augsburg 1776 in
538 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
unterschieden werden^ so rnuDs ich nach den Quellen die That-
Sachen kurz vorlegen,
nie Das Christentum trat als eine mit bestimmten Zukunfts-
jÄtiungen. g^^yj^^jgg^ f]Qj, jjg Gläubigen ausgestattete Offenbarungsreligion
in die Welt; infolgedessen geschah seine Verkündigung von
Anfang an durch Weissagung und Belehrung: aus dem pro-
phetischen und paräuetischen Element setzen sich daher die
Beden schon seines Stifters zusammen. Da diese Offenbarungs-
religion als solche urkundlich verbrieft, also historisch war, so
tritt als drittes Element das exegetische hinzu: z. B. knüpft
bekanntlich Jesus im ersten Teil der Bergpredigt (ev. Matth. 5,
17 — 48) an Gesetzesvorschriften an, sie erklärend und ergänzend
(xkriQ66agy)] die Bede des Stephanus in der Apostelgeschichte
c. 7 ist ein Lehrvortrag auf Grund einer groüsen Anzahl von
Stellen des A. T.; auch Paulus, dessen Briefe ja grofsenteils nichts
anderes sind als ein notwendiger Ersatz für die mündliche Bede*),
9 Bänden. Für denjenigen, der die Quellen kennt, wird dies heutzutage,
wie es scheint, fast vergessene Werk nicht viel Neues bieten, doch behält
es einen gewissen Wert durch die reichhaltige Sammlung von sonst schwer
zugänglichen Urteilen aus früheren Jahrhunderten.
1) Das eigentliche Distinktiv der Beden Jesus ist das Parabolische:
dafs dies in der Folgezeit, wenn ich nicht irre, ganz verschwand (höchstens
aus dem Hermas liefse sich einiges vergleichen, aber wie ganz anders sind
z. B. die Vergleiche bei Paulus ep. ad Gor. I 9, 24. ad Phil. S, 12 ff.), ist
ein Zeichen, dai's das Christentum das orientalische Gewand auch in der
Darstellung der Lehre früh abgelegt hat, denn diese Parabeln sind ja
völlig unhellenisch; wer sie mit den Gleichnissen, deren sich die Sprache
der griechischen Philosophen so gern bedient hat, auch nur als analog ver-
glichen wissen will (P. Wendland in : Arch. f. Gesch. d. Philos. V [1892]
248), begeht einen fundamentalen Fehler.
2) Predigten in Brießbrm sind uns ja auch sonst aus der alt-
christlichen und späteren christlichen Litteratur genug überliefert: der
zweite Brief des Clemens Romanus, der erste des Petrus und der des
lacobus (cf. Hamack, Die Chronol. d. altchr. Litt, bis Enseb. I 488 ff.
451. 487 f.), der sogenannte Hebraerbrief (cf. Weizsäcker 1. c. 478),
manche unter Cjprians Briefen. Für die Profanlitteratur genügt es, an
Scnecas und die pscudoherakli tischen Briefe (s. I/II p. Chr.) zu erinnern:
CS sind reine SiaxQißai auf konventioneller brieflicher Unterlage. Man
mufs eben bedenken, einmal dafs die meisten Schriftsteller diktierten (s.
Anhang II; z. B. steht es von Paulus fest), andererseits dafs viele Briefe
zum Vorlesen bestimmt waren, so die paulinischen : cf. ep. ad Thess. I
5, 27 (ad Col. 4, 16), Weizsäcker 1. c. 186. Wenn es uns also auffällig er-
ttta.
Die Litteratur der katholischen Kirche: Grattangen der Predigt. 539
knüpft mit Vorliebe an die Schriften des alten Bundes
anJ) Endlich kam noch das panegyrische Element hinzu.
1. In der ältesten Zeit dominierte das prophetische Ele- i n^oipi--
ment*); diejenigen^ die es besaüsen, waren überzeugt, kraft eines
besonderen xd^i^yM im Besitz des xvav^a zu sein, das aus ihnen
spreche (aber in der Art, dafs der vovg selbstthätig mitwirkte:
Paulus ep. ad Gor. I 14 , 15. 19). So hatte es Jesus selbst ge-
wollt, als er zu seinen Jüngern sagte: dod^öetai i^tv xC AaAij-
6B%8^ oi> Y&Q {fiutg iötl oC XaXovvtsg &XXä rö xvBv^a rot) natgbg
ifliibv tb XaXovv iv i^tv (ev. Matth. 10, 19 f.). Dafs sich diese
Form der Predigt lange erhielt, ja dafs sie die reguläre war,
wissen wir aus Bemerkungen des Paulus und derjenigen, die
unter seinem Namen schrieben, aus der Apostelgeschichte, sowie
vor allem aus dem berühmten Abschnitt der didax'^ t&v 06-
dsxa &no6t6X(xyv oder vielmehr aus der glänzenden Verwertung,
die gerade dieser Abschnitt durch Harnacks bahnbrechende
Forschung^ erfahren hat. Danach zogen solche nifotpffcai durch
alle Länder des Beichs, überall guter Aufnahme gewils; noch
Lukian hat den von ihm verhöhnten Peregrinus als ^Propheten'
bezeichnet. Wie wir uns solche Prophetieen — wenigstens in
litterarischem Gewände — zu denken haben, zeigt der iToifiijt/
des Hermas: der Verfasser schreibt ja nieder, was ihm die Er-
scheinungen eingeben, und liest es dann seinen &8skq>oC vor; er
selbst hat einen solchen Propheten sehr deutlich geschildert
mand. 11, 9: Ztav oiv iX^ 6 av^gonog 6 ixcav tb nvavfia tb
^Btov Big öwaycoyi^v ivÖQcbv dixaioDV t&v ixövtav 7tl6tiv ^bCov
TCVBvnatog^ xal ivtsv^tg yivvixai ngbg tbv ^Bbv tilg övvaytoy^g
t&v avdg&v ijuivatv^ töts 6 SyyBlog tov xgoqnitixov xvBv^atog
6 XBifiEvog xgbg avtbv JtXriQoi tbv avd'QODXov xal JcXtjQcod'Blg 6
av9Q(o:tog rtp xvBiiiiati tp ayic} XaXBl Big rö nXf^^og^ xa^hg 6
scheint (cf. Hamack 1. c. 442 ff.)» dafs das eine unter Clemens' Namen
gehende Schriftstück, das durchaas die Form der Homilie hat, von frühester
Zeit bis auf Photios als iniötol'q bezeichnet wird, so liegt darin für antike
Auffassung nichts Besonderes.
1) Cf. besonders die interessante Beobachtung von Weizsäcker 1. c.
110 f.
2) Cf. N. Bonwetsch, Die Prophetie im apostolischen u. nachapost.
Zeitalter in: Z. f. kirchl. Wiss. u. kirchl. Leben V (1884) 408 ff.
3) Lehre d. zwölf Apostel in: Texte u. Unters. II 1 (1884) 98 ff.
MO Von lladrian bis zum Ende der S^aiseneit.
x^Qiog fiirvXetai.^) Dafs auf die Darstellung in solchen Pro-
photioen keine Sorgfalt verwendet wurde ^ versteht sich von
MolbHt: sogar die litterarischen Prophetieen des Hermas sind
darin denkbar anspruchslos, freilich gerade durch diese Naivität
üigoiiartig fesselnd. Als dann aber die Gemeinde der Gläubigen
im zweiten Jahrhundert sich zu einem festen, wohl organisierten
Verbünde ku entwickeln anfing, da mufsten die freien Äuüsemngen
dos h. Geistes notwendig eingeschränkt werden, da sie der sub-
jektiven Willkür des Einzelnen zu grofsen Spielraum lieüsen:
schon die z/ida^i} luid Hermas warnen vor tl^evdoxQoqnitai, haben
doch gerade häretische * Propheten' wie Yalentinos und die
Monlaniston') zu ihren Anhängern in einer Flammensprache
gorodet. So ,,starb die Prophetie, als die katholische Kirche ge-
borou wurdet')
f "i^iir*i***< 2. Mittlerweile war nun aber seit der Fixierung des Kanons
it««v«Mu<M^ oiu tuideros Bedürfnis gebieterisch hervorgetreten: die Urkunden
iler Lehre, also neben dem A. T. (besonders den Propheten) das
Evangelium und die apostolischen Briefe, mufsten erklärt werden,
und mit der Erklärung wurde die Ermahnung verbunden. Wir
ki^nnon dalier diese Art der Predigt speziell die exegetisch-
paränetisehe nennen. Wir haben zwar gesehen, dals beide
Mouionte schon in der frühesten Form der Predigt vorhanden
wartMi» aber wulirend sie (vor allem die Erklärung) dort hinter
vier Vorheilsung zurüokgeti*eten waren, begannen sie jetzt aos-
sohUggi^bend xu wenlen: war ja auch an die Stelle der glühenden
llotVuuiigen auf eine nahe Weltauflosung und Vergeltung eine
kühlere« vonurnftgemSfätere Reflexion getreten, wie z. B« der
Naohin^jc »um johaimeischeu Evangelium zeigt. Über die
äulWrt' Einrichtung dieser neuen Form der Predigt haben wir
mehr\>rt» /ougius$e*\ vor allen da$ berühmte des lustin apoL I
t>T: er«»i*fUfiHfi^« yiVfrai xal rA iarofin;fiom*paTa rdr ixo&t6Xov
V AttsWiv Stollen bot IVnw\*t*vh l o -»61 rf
V lY H,«'.iaA \ V iX t* le.^ t l\vtuei^:^*cii P 2i:>. i, 2J«, 1.
^v^.x .-.; v.v; V' s'x^' V. :^ IV,;' »^ivsioV.vT utlicrs* |v*rt. l toI. II [Lond.
Die Litteratnr der kathoÜBchen Kirche: Gattungen der Predigt. 541
eira, XttvöafLivov tov ivayivAöxovtog 6 TCQoeöthg diä Xöyov xi^v
vov^iöiav xal TtQÖxXriöiv tfig t&v xaX&v toikcav ^ini^ösag tcoi-
Ettaiy wozu kommen: Clemens Rom. (ep.) II 19: &vayiv(b6x(Q
'bykXv ivtsv^w slg tb 7Cifo6i%Biv xolq ysyQa^iiivoi^y Origenes
c. Gels, m 50: xal iC ivayvtoöiiätfov xal 8iä t&v elg aixä 8i^
tffi/l^Baiv nQOTQi^ovxBg fiii/ ixl tiiv elg rbv ^sbv t&v Skmv siöi-
ßiutv xal tag öwd'gdvovg taik^g &Q6tdgy Gonst. apost. II 54:
fuxä tij^v iviyvaöiv (xal ti^ tlfaXiiadiav) xal tiiv inl tatg yga-
tpalg 8Uia6xakCav. Die Sitte war ihrem Ursprung nach jüdisch,
cf. act. aposi 15, 21 und Philo de sap. lib. 12 (II 458 M.) von
den Essäem: in den Synagogen 6 fih' tag ßißXovg ivaytvAöxst
XaßAv, hsQog öl t&v inxstQotättov Söa fii^ yvthQLim xagsMiov
ivadiddöxBL Da in dieser Art der Predigt das lehrhafte Moment
im Mittelpunkt stand, so nannte man sie b^iXCa {serm6)^\ ein
Wort, in dem die Anschauung ausgesprochen liegt, dafs der Pre-
diger zu seiner Gemeinde in rein persönliche Beziehung trat,
wenn er sie fast im Tone gewöhnlichen Gesprächs belehrte: mit
demselben Wort wurde seit alter Zeit von den Griechen die per-
sönliche Belehrung bezeichnet, welche die Philosophen ihren
Schülern (tolg b(iiXfitatg) zuteil werden liefsen, cf. Xenoph. mem.
I 2, 6. 12. 15. 48. Lukian Tim. 10. Aelian v. h. III 19 und
besonders deutlich Porphyr, v. Plot. 8. 18. Gelegentlich finden
sich dafür nahverwandte Worte, die das gelehrte Moment etwas
starker betonen: diäXs^ig (so nennt z. B. Euseb. h. e. VI 36, 1
cf. 19, 16 die Predigten des Origenes)^, dispuiatio (so nennt
Augustinus conf. Y 23 die Predigten des Ambrosius und tract.
in loann. ev. 89, 5 seine eigenen). Als das früheste wertvolle
Dokument dieser Art von Predigt hat man den sog. zweiten
Brief des Glemens Bomanus anzusehen, der jetzt wohl ziemlich
1) Einige Stellen aus der frühen christlichen Litteratur bei A. Hilgen-
feld, Eetzergesch. d. Urchristentoms (Leipz. 1884) 11, 17, wo aber die drei
ältesten fehlen: Lakas act. ap. 20, 11 (cf. auch 24, 16. ev. 24, 14 f.; keiner
der anderen Evangelisten kennt das — echt griechische — Wort), Ignat.
ad Polyc. 6, act. lohannis (s. 11, erste Hälfte) p. 219, 15 Zahn. Schon in
der Sept. steht prov. 7, 21: iv noXX^ dfiiXia, wo das hebräische Wort 'Be-
lehrung' bedeutet (cf. Lightfoot zu Ignat. 1. c). Für die Vorstellung des
freundlichen Herablassens , die mit dem Wort verbunden war, ist [Isoer.]
ad Dem. SO f. lehrreich.
2) Schon bei Lukas act. 20, 7 wechselt 8iaXiyh6%av mit 11 öf^ilcty, cf.
auch Hesjch. didXk%tO£' diulia.
542 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
allgemein als die älteste christliche Homilie gilt^ jedenfalls sich
in den Formen einer solchen bewegt. Besonders charakteristisch
ist gleich der Anfang der eigentlichen Predigt c 2 ff.: ^e6q)Qdv'
^ijTi, fSXBlQa 4i oi tbctovöa' ^|oi^ ^ ß6i]6av, ^ oix &divov6a^
Sri xoXXä tä thtva xj\g i^fiov fiäXXov tj tflg ixoiiöi^g r6y &vd(fa*
(Jes. 54, 1). S bIxsv ^ eöfpfdv&titv ötbIqu ^ oi tiTctovöa* ^fucg
slxev' 6t€tQa y&Q fyf 4i ixxXri6ia ^i^&v xgb tov da^i^pcu aiv^
tixva. S dh ehcsv ^ß&qöov ^ oix d}divavfja' rothro Xfyei KtL:
nachdem er in dieser Weise noch eine Anzahl von Schriftstellen
erklärt hat, folgt c 4 die Ermahnung: &6t£ oivj idBXq>oi, iv
totg €(fyoig ccirbv (tbv xAqmv) b^ioXoyibiuv, iv & iyaxäv iccvtirbg
9ctL (ähnlich im weiterhin Folgenden). Diese Form der Predigt
war lange die einzige; sie blieb bestehen, auch als eine neue
Form auftrat. Die Predigten des Origenes, wenigstens die uns
erhaltenen, sind sämtlich von dieser Form, ebenfedls die des
Hippolytos gegen die Noetianer (p. 43 fL Lag.), die fElr den
familiären Ton ganz bezeichnend ist: er untersucht gewisser-
mafsen gemeinschaftlich mit seinen Zuhörern, die er in üblicher
Weise mit idsXq>oi anredet (43, 14. 45, 4. 46, 21. 50, 9. 16.
52, 23. 53, 28. 54, 21. 55, 18), und Ton denen er sich Ein-
wQrfe machen läGst mit iget fioi rig (53, 18), iQBtg ^oi (54, 25).^)
Aus dem IV. Jahrhundert haben wir solche Predigten von
Augustin und loannes Chrysostomos*), aus dem Y. Jh. be-
1) Nach Art dieser 6fuXla (so ist sie in der Hs. bezeichnet) hat man
sich m. E. die 6fuXiai des Eirenaios, des Lehrers des Hippolytos, zu denken,
von denen Phot bibl. cod. 121 spricht {6inloi^9xog Eigriwalov, worfiber
Hilgenfcld 1. c. 10 ff. und andere dort Genannte wohl nicht ganz richtig
urteilen: SiuXtlv steht, absolut gebraucht, was einige nicht för erlaubt
halten, auch in der Apostelgesch. 1. c. und act. loh. p. 226, 9; sp&ter oft,
z. B. Euseb. h. e. VI 19,17, Photios selbst p. Il8b 19 Bekk.). Cf. auch
Hippol. de Chr. et Antichr. 23 (p. 12, 4 Lag. » p. 16, 9 Ach.) nach einem
langen Citat aus Daniel: i^iil o^v dvc9Wtvu rt«i doml eftwi ttt^a xä fw-
CT^n&i tigripL^va, ovShv rorrov axox^p|^ofl<v ^Q^ iwiypmciv roig ^iQ m>^
«c«ri]^('voiff, worauf die Auslegung folgt (^dies ist aber eine Abhandlung,
keine IV'digt).
2"^ über des letzteren Homilien zur Apostelgesch. cf. die Einleitung
bei Migne rol 60 und 0 Seeok im Philol. N, F. VI ^^1894) 460. — Auch
Gregor v. Nyssa mitten iu einer Trauerrede (auf Pulcheria c. 3, vol. 46,
868 f yigne>: die Wort<* sind sehr bezeichnend: n' orr «^ rovroos ^ficüp;
9^X ^l^^^90v f^oi^ufr, a^fZqpor, lo}*or, alle: rf;v arafvmöd^BUav i^iüv i% to6
M^ffiliov (flcip jfcr^a O^r« ff du cO^a rinovcarf ya^ Uyortog roö xv^oo ' &tpBT9
Die Litteratar der katholischen Kirche: Gattungen der Predigt. 543
sonders Ton Hilarios ▼. Arles^), und bis auf den heutigen Ti^
hat sich der Brauch in unseren Kirchen erhalten ^ obwohl ihm
seine eigentliche Basis, die allegorische Auslegung'), entzogen
ist.^) Die Sprache dieser Predigten ist, dem lehrhaften Ton
gemälsy einfach, und ftir Bhetorik ist nicht viel Platz da (sie
sind oft von Abhandlungen kaum zu unterscheiden^)); nur an
den Stellen, wo sich an die Auslegung eine xaQccivBötg oder eine
Lobpreisung anschliefst, wird begreiflicherweise der Ton wärmer,
die Sprache gewählter, die Rhetorik hoher, wie man z. B. in
der genannten Homilie des Hippolytos durch Vergleich von 1
bis 7 mit 8 ff. deutlich beobachten kann.
3. Als Gregor von Nazianz im J. 381 auf den Bischofsstuhl s. nav»]-
▼on Eonstantinopel erhoben wurde, machten seine Gegner ihm ''''^"'
u. a. den Vorwurf, dals er die hellenische Rhetorik in die Kirche
trage: auf die * Fischer' des Evangeliums wiesen sie ihn hin;
„den Fischern, erwidert er, wäre ich gefolgt, wenn ich wie sie
hätte Zeichen und Wunder thun können, nun aber blieb mir nur
meine Zunge und sie stellte ich in den Dienst der guten Sache
(or. 36, 4; vol. 36, 269 Migne).'' Darin liegt der Wandel der
Verhältnisse deutlich ausgesprochen: an die Stelle der Prophetie,
der die schonen Worte nichts galten, war die reflektierende.
TU natdia %tX.\ worauf er diesen Sprach mit seinen eigenen Worten para-
phrasierend verknüpft.
1) Cf. traci in ps. 13, 2 n. 14, 1: qui lectua est psalmus; id. 67, 1160
Migne: in lectione evangelica, quae nobis de decem fnrginibus recitaia
est Vgl. C. Arnold, Caesarius v. Arelate (Leipz. 1894) 137, 432.
2) Es ist doch bezeichnend, dafs gerade Häretiker es waren, die gegen
den Wahnsinn dieser Methode Front machten: Markion und die antioche-
nische Schale, aas der Arias hervorging: cf. Hatch, Griech. a. christl. Aas-
legnng 1. c. 58 f. and Usener Bei. Unters. I 88, 19.
3) In Byzanz gab es (i^OQsg elg rb igfirivs^siv tag yQcctpdgy cf. Mich.
Ang. Giacomelli, Praef. in Philonis Carpasii episcopi (s. TV) enarrat. in
cant. cant., abgedruckt in Mignes Patrologie, patr. graec. yoI. 40,11.
4) Daher berührt sich tractattis, der bekannte christliche Terminus für
die Schriftexegese (i^riyijasig schrieb schon Papias, von denen wir leider
nichts Genaueres wissen), oft mit Predigt, cf. G. Eoffinane, Gesch. d. Kir-
chenlat. I (Bresl. 1879) 84. E. Watson in: Studia bibl. et eccles. IV (Oxford
1896) 272, 1. Hieronymus und Rufin nennen die Uomilien des Origenes ge-
legentlich tractattis, cf Hamack, Gesch. d. altchr. Litt. I (Leipz. 1893) 339.
D. Huetii Origeniana III 1, 3 (XXIV 121 Lomm.). Über die tract<itores cf.
Cresollius, Theatr. rhet. III 2 p. 87 BC.
544 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
durch äuCserliclie Mittel auf die Sinne der Zuhörer wirkende
Rede getreten.^) Man kann sie im Gegensatz zur prophetischen
und exegetischen die synthetische nennen; innerhalb dieser
Gattung kann man als Arten unterscheiden die panegyrischen,
dogmatischen und Gelegenheitspredigten. ^) Es dürfte
wahrscheinlich sein^ dafs von diesen Arten wenigstens die erste
weit hinaufreicht in die Zeiten des Urchristentums selbst: denn
was lag näher^ als Gott und seine Werke bei den sonntaglichen
Zusammenkünften nicht blofs in Hymnen, sondern auch im feier-
lichen Vortrag einer Rede zu preisen? Allein wir wissen, so-
weit meine Kenntnis reicht^ von solchen Predigten, — wenn man
die ziemlich sicher unechte des Hippolytos auf die Theophanien-
feier beiseite läfst — nichts vor der Mitte des lY. Jahrhunderts.
Das ist begreiflich genug, denn die eigentliche panegyrische
Rede hat zur Voraussetzung hohe, kirchlich festgesetzte Feier-
tage. Diese Predigten, vor allen die panegyrischen, berühren
sich aufs engste mit den gleichzeitigen sophistischen Prunkreden
der Helleneu, aber bei aller Ähnlichkeit, die z. B. die Reden des
Gregor von Nazianz mit denen des Himerios, die des Joannes
Chrysostomos mit denen des Themistios haben, ist doch — wenn
wir absehen von den rein enkomiastischen Reden, wie der des
Gregor auf Basilius — das unterscheidende Moment immer ge-
wesen, dafs die christliche Predigt auch dieser dritten Gattung
auf der Grundlage der Schrift sich erhob und darin nie ihren
Ursprung verleugnet hat. Ich weifs wohl, dafs gelegentlich bei
Dio Chrysostomos, Epiktet, Maximus Tyrius Verse des Homer
oder Euripides herangezogen werden, die der Redner gewisser-
mafsen auslegt — so war es seit Bion und Teles Sitte — , aber
das ist eine blofs äuüserliche Analogie, die das Wesen der Sache
nicht berührt: von den hellenischen Sophisten wird selbst 6
TTOfti^ri^^, ihre höchste Autorität, nur zur Bestätigung der eigenen
Aufstellungen herangezogen, während für die christlichen Redner
die Stellen der Schrift den Ausgangspunkt bilden: die Freiheit
der hellenischen Weltanschauung, für die keine — wenigstens
1) Man lese auch, wie Augustin de doctr. Chr. IV 32 f. das oben
(S. 639) citierte Wort Jesus auslegt, um es mit seiner Forderung einer
rhetorischen Predigt in Einklang zu bringen.
2) Diese Bezeichnungen nach Probst in der zweiten der genannten
Abhandlungen 181 ft\
Die Litteratur der grieclÜBchen Kirche: die Predigt saec. U. DI. 545
keine allgemein gültige und öffentlich anerkannte — Offenbarung
und daher kein d6y^a im streng christlichen Sinn existiert, und
die Gebundenheit der christlichen Lehre, für welche die Offen-
barung und das döyfia der Anfang und das Ende ist, kommt
darin trotz aller Ähnlichkeit (s. o. S. 452 ff. 460 f.) immer wieder
zum Ausdruck.
3. Der Stil der griechischen Predigt im zweiten und
dritten Jahrhundert.
In einer den verwöhnten Anforderungen der Zeit ent- nio onori«
sprechenden Form ist das Evangelium zuerst^) von den Häre-
tikern gepredigt worden. Der Gnosticismus, dieser Bannerträger
des Hellenismus, der mehr als irgend eine andere Richtung dazu
beigetragen hat, ;,das Christentum seiner partikulär -jüdischen
Stellung zu entheben und auf dem Boden der griechisch-römischen
Welt zu einer Universalreligion zu stempeln'', und der sich daher
in seiner Gesamtheit als eine „grofsartige Anticipatiou des
späteren Eatholicismus'' darstellt^), ist auch auf diesem Gebiete
vorangegangen.^) Wir haben aus den Homilien des Valentinos
(t c. 160) ein paar Fragmente*) bei Clemens von Alexandria
1) Von Aristides, demselben, dessen an Hadrian gerichtete Apologie
kürzlich wiederentdeckt ist, giebt es eine nur im Armenischen erhaltene,
bisher nur von den Mechitaristen zu S. Lazaro 1878 mit lateinischer Über-
setzung edierte Predigt *de latronis clamore et crucifixi responsione'. Sie
ist aber, wie zuletzt P. Pape in: Texte u. Unters. XII 2 (1896) gegen Th.
Zahn u. a. absolut überzeugend bewiesen hat, unecht; der vorauszusetzende
griechische Urtext muFs, wie noch die lateinische Übersetzung aus dem
Armenischen zeigt, hochrhetorisch gewesen sein, vgl. die Homoioteleuta im
Proömium (p. 16) und Epilog (p. 22 f.).
2) Hamack, Über d. gnost. Buch Pistis Sophia in: Texte u. Unters.
Vn 2 (1891) p. 98.
8) Cf. Origenes c. Gels. III 12 (11, 933 Migne): iitBl gsiiv6v xi i(pdvri
toig &9^QAnoig X(fiaviaviaii6g, oi iidvoig — mg KiXcog oüstai — ro^ icvöga-
nodmdsöT4(fois , &llcc %ai noXXoig tmw nag' '^Xiriai (piXoX6y<DV, &vay%aC(og
(mhtriisav o^ ndvtmg 8uc ütdüsig %al tb (ptX6ifBiK0v algiang, äXXcc Sia tb
anavddtfiv övviivui tic XQUfTiaviöfiOv xal t&v (piXoXoytov nXslovag. Einen
so weiten Blick in der Beurteilung dieser Sache hat kein anderer Kirchen-
schrifbsteller gehabt. — Über die Bedeutung des Gnosticismus für die
Formengeschichte der altchristlichen Litteratur eine wichtige Bemerkung
von Hamack, Dogmengesch. I* 230, 1.
4) Qesammelt z. B. bei A. Hilgenfeld 1. c. (oben S. 541, 1) 298 ff.
546 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
erhalten: sie lassen trotz ihrer Kürze erkennen^ dafs das Urteil
Tertullians (adv. Val. 4)^ der Mann habe sich durch Geist and
Beredsamkeit ausgezeichnet^)^ wahr ist: in ihrer Mischung von
tiefsinniger Grübelei und gaukelnder Phantastik umfangen sie
uns wie die ganze Gnosis gleichsam mit „einem schwülen Hanch^
der aus unnahbarem Garten wundersamen Duft herüberträgt^^').
Durch geschickte Verbindung von Christlichem mit Stoischem
weilä er die Unsterblichkeit hier auf Erden in herrlichen Worten
zu schildern y aber nicht ohne antithetische Pointen inhaltlicher
und formaler Art (bei Clem. Strom. IV 13, 91): iac ci^x^^ ^^^'
vatoi iöts xal rixva ^ODrlg iöts aiaviag xal rbv ^avaxov ii^iketB
fisQLöaö^ai eig iamo^jg, Iva öanavi/^^vits airbv xal ivaXA6rits xal
äitod^ävy 6 ^dvatog iv i)^lv xal 8C i^&v Ztav yäg xhv yihf
xööiiov Xvrits^ ifLBtg di [lij xatalvr^ö^ej xvQwdete tflg Tctiösag xal
Tilg 9>^0Qag anäörig.^ In einem anderen Fragment (bei Clemens
1. c. 92) findet sich folgende scharfe Antithese: bn66ov ikdxtmv
il eixhv xov i&vxog jtQOöAxov, xoöovtov tj66av 6 Ttööii^og tw
i&vtog al&vog. In allen Fragmenten ist auf die Rhythmik
grofses Gewicht gelegt^ besonders deutlich bei Clem. VI 6, 52,
wo alle Eola auf die uns bekannten Klauseln x^ij.^j,\j^
j. ^ ^ ausgehen: nokXä x&v yeygaii^iiivav iv xatg dtmoöCa^g ßi-
ßXoig sxfQiöxsxai ysygaiiiiiva iv xji ixxXijöia xov d'BOv' tä yä(f
1) Ein ähnliches glänzendes Urteil über ihn aus Hieronymus bei
Hamack, Dogmengesch. P 216, 1.
2) Usener, Beligionsgesch. Unters. 1 24.
3) „Gedicht in Prosa** nennt die Stelle Hamack in: Texte 1. c. 49, 1. —
Die Worte hat C. Schmidt 1. c. (oben S. 471, 1) 636, 1 passend zusammen-
gestellt mit einer Stelle aus dem zweiten Buch Jeü (bei Schmidt p. 197):
„Und ich (Jesus spricht) sage euch, dafs sie (die der iwöt^qui teilhaftigen
Menschen) schon, seit sie auf der Erde sind, das Reich Gottes geerbt haben
(idriQovoiutv); sie haben Anteil (jHQlg) an dem Lichtschatze ('^6€ivQ6g),
und sie sind unsterbliche did^dvatoi) Götter." Der vollendete Mensch
ein Gk>tt auf Erden I das ist ganz hellenisch empfunden: iya d* ^^ifuv ^ibs
äf^PifOvogf o^niti ^m^rbs Ilalsijfuci (istcc n&ci xettfiivos hatte Empedokles in
seinen Landsleuten gesagt (355 St.), und einen berühmten Ausspruch des
EanUit yon der Wesenseinheit des Lebens und Sterbens hatten Spätere, be-
"^axi Stoiker, ethisch umgewandelt, so formuliert: icd-dvatoi d^njvol, ^^roi
n, worftber cf. J. Bemays, Die heraklit. Briefe (Berlin 1869) 87 ff.
«itet die Vorstellung von der Unsterblichkeit und Göttlichkeit des
Mentehen in jenen Zeiten war, weifs jeder Leser des Clemens
Die Litteratar der gpriechischen Kirche: die Predigt saec. 11. m. 547
ocoivd^)y tfxikd iffti tä inb xagdiag ^iffiara, vö^iog 6 ygaarbg
iv %a(fdlff. ovt6g iöriv 6 Xccbg 6 rot) '/lyanri^ivov 6 q)(,XoiiiiLevos
%al ipiX&v aitöv,*)
Was die gnostischeu Heifsspome und Phantasten im Sturmes-
laof nnd mit offener Bekennung der Farbe zu erreichen suchten,
die Verquickung des Christlichen mit dem Hellenischen, das er-
reichte die katholische Kirche in vorsichtiger Arbeit, bei der sie
weniger selbst treibend hervortrat, als vielmehr den grofsen Zug
der Ideen seinen langsamen aber um so sichereren Gang gehen
liels, bis ihr, als die Zeit gekommen war, die Frucht von selbst
in den Schofs fiel, gereift in langem Wachstum und frei von
dem *Gift' der Häresie.
Auf katholischer Seite sind Hippolytos und Origenes die Hippoijtoi
ersten Vertreter einer kunstm'afsigen Predigt gewesen.*) Wenn
der Xöyog elg rä Syia ^Botpaveia wirklich dem Hippolytos ge-
horte, müTste man diesen Bischof als Redner dem Gregor von
Nazianz an die Seite stellen. Aber abgesehen von den schweren
inneren Yerdachtsgründen durchbricht diese Rede auch rein
stilistisch die Entwicklungsgeschichte der Predigt, insofern sie
die Darstellungsart frühestens der Mitte des vierten Jahrhunderts
anticipiert. Ich lasse sie daher der Vorsicht halber lieber ganz
beiseite/) Von sonstigen Reden des Hippolytos haben wir nur
eine by^Ma gegen die Noetianer, in der wir an den nicht rein
lehrhaften Stellen eine durch die Eunstmittel der Rhetorik be-
AI. und Plotin; eine Stellensammlong aus anderen Autoren jener Zeit bei
Bemaya 1. c. 135 ff. und vor aUem bei Hamack, Bogmengesch. I' 114, 1.
1) %^0L die Hss., verbessert von Hilgenfeld aus dem Zusammenhang
bei Clemens.
2) Der grofse Brief* des Valentinianers Ptolemaios an Flora bei
Epiphan. haer. XXXIII 8 ff. (zuletzt ed. Hilgenfeld in: Z. f. wiss. TheoL
XXiV [1881] 214 ff.) ist in sprachlicher und stilistischer Hinsicht geradezu
musterhaft, cf. Anhang H. Auch das lange Fragment aus des Earpo-
kratiaiiers Epiphan es Schrift ^re^l di%ui,06vv7i9 bei Clemens AI. Strom. III
S, 6 fF. weifii den Kommunismus mit Farben , die der griechischen Philo-
sophie (Piaton, und vielleicht Zenons noXixBla'i) entnommen sind, in herr-
licher, stellenweise stark rhjrthmischer Sprache zu preisen.
8) Der inhaltlich sehr interessante Panegyricus des Gregorios Thauma-
tnrgos auf Origenes (yoI. 10, 1062 ff.) bleibt hier natürlich ganz aufser
Betracht.
4) Gtegen die Echtheit zuletzt H. Achelis in seiner Ausgabe (Corp.
Bcript. eccl. graec. Berol. 1897) praef. p. VI.
Norden, antike Ennstprosa. II. 86
548 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
wirkte Steigerung des Tons deutlich wahrnehmen ^ z. 6. in der
xagaivsöig p. 50, 21 Lagarde: ola totvw 9(ri(yü66ov€iv at ^Btai
yQaq>al tdcaiisvj xal 3öa diddöxovöiv imyv&iievj ocal Sg d'dXn
nati^Q mörs'ösöd'ai xtötsiiöcoiuvj xal &g d'dXst vCbv do^d-
^Böd'ai do^äöauev^ xal Sg ^iksi ücvsv[ia Syiov dagstö^ai
läßoDiieVj oder in der hyninenartigen Lobpreisung p. 56, 31 ff.:
^afnög i6uv 6 vC6g [lov 6 äyanritög, ixoiists ai5ro€* (Matth. 17, 5).
0*^0^ 6rsq)avoiycai Ttatä di^aßöXov^ oitög i6xiv *Iri6ovg 6 Na^a-
Qatog 6 iv Kavä iv ydiioig xXrjd'Blg xal tb Cdag slg olvov (uta-
ßaXiav xal d'aXd06y intb ßiag ivi^an^ xtvoviiivy hciuii&v xal hcl
d'akdöörig TCBQiitax&v hg inl ^ifag yf^g^ xal tvtpXbv hc ysvevijg
6(fav xot&v xal vsocgbv jid^aQOv rexQaiifUQOv ivi6x(bv xal xotKC-
lag dvvdfUig inoxBk&Vy xal &^a(ftCag &q>€lg xal i^ovöüxv didoi>g
laad^tatg xal alfia xal Cöcoq ig äyCag xXsvQäg ^sv6ag X6yxo w-
ysig, toikiw %d(fiv V^liog öxoti^staiy ijiiiQa oi q>aniietar ^yvx)v-
tai ich(fai 6xClsxav Ttaxanitaö^a* tä %B{Ukia yi^g öBietaCj ivoCyov-
tai tdq>OL xal iysiQOvtac vsxqoI xal &QXOvt€g xaxai^x^vovtai, xbv
y&Q xoöinitoQa tov xavrbg isd ötavQOv ßkijtovxBg xaimv66avta
xbv 6q)^aXnbv xal xaQadAöavta tb xvsi^iMc ldov6a ^ fpv6^ ita-
Qdööeto xal tijv a'drov {msQßdkXovöav dö^av xaiffflöat oi dwa-
^dvrj iöxotC^sto u. s. w.: was wirkt in diesem Passus mehr, die
grandiose Diktion des Panegyrikers oder das schlichte Wort des
Evangeliums, an das er anknüpft?^)
Clement. Hippoljtos hat die Häretiker bekämpft wegen des Inhalts
ihrer Lehre: in der Formgebung hat er kein Bedenken getragen,
sich wie jene der wirksamen Mittel der hellenischen Rhetorik in
ausgiebiger Weise zu bedienen. Auch die imposanten Vertreter
der alezandrinischen Schule haben gegen die hellenisierenden Hä-
retiker gekämpft, aber wie Clemens') in seiner * Philosophie' dem
Piatonismus weitgehendste Zugeständnisse machte und wie Ori-
genes auf die Bibel die aristarchische Textkritik sowie die stoisch-
philonische Exegese übertrug, so haben beide ihre Darstellung
dem hellenischen Geiste unbedenklich angepaEst: vertraten sie
doch überhaupt den freisinnigen Standpunkt, das Gute des Heiden-
tums nicht zu verschmähen, was Origenes einmal (in Exod.
1) Cf. auch de Christ, et Antichrist, p. 2, 12 ff. 8, 14 ff. Lag. — 4, 22 ff.
6, 8 ff. Ach.
2) Über seine Bedeutung für die Formengeschichte der christlichen
Litterator cf. hesonders Overbeck 1. c. (oben S. 479) 454 ff.
Die LiHerabir der griechischen Kirche: die Predigt saec. II. DI. 549
hom. 11 c. 6, Tol. IX 138 f. Lommatzsch) ausführlich darlegt
mit Bemfang auf das Wort des Apostels navxa doxiiiAißtSj xh
%aXhv uaxi%BtB (Paulus ep. ad Thess. I 5, 21). Der Anfang des
clementinischen Protrepticus gehört mit seinen zerhackten,
rhythmisch fallenden^ figurengeschmückten Sätzen zu dem Raffi-
niertesten, was es aus der sophistischen Prosa giebt, stark er-
innernd an das etwa gleichzeitige Proömium des Hirtenromans
des Longos (oben S. 439): *A(upC(ov 6 &tißatog \ xal *A(fC(ov 6
Mft^viivttlog I aiMpm ^ilv 9i6xriv pdi^xA, \ iiv^og dh &ii^q)m' \\ — xal
%b ^6fka elöhi xovto \ ^EXXijvwv adexav xoq^ — * H xi%vji rg imw-
tfucg I 6 lihv l%^v 8BkB&6aq^ \ 6 8i &ijßas xsvx^ag. \\ Oq^xioq dh
RXXog 6oq>i6xilg \ — Skkog oixog ^v^og ^EXXrivtxög — | ixi^dö-
6SVS tä d^Qia I yviivfj xy tpdfjy \ xal dij xä divÖQa xäg fpriyo'bg \
fLiiBffmsvöB xy (MvöMy, H l^oi^* &v 6ov xal &XXov xoikoig adsX-
^bv dtfiyi^6a6^ai \ fiv^ov xal pddv^ \ Eüvoiiov xbv AoxQhv \ xal
xitxiya xbv IIv^ixöv || u. s. w. Origenes war nach Eusebios Origenet.
(h. e. VI 36, 1) der erste, der seine Predigten sorgfältig aus-
arbeitete (die Häretiker rechnet er natürlich nicht mit); die uns
erhaltenen Predigten sind sämtlich von der Form, die ich in
der obigen Skizze der Formengeschichte der Predigt als exege-
tisch bezeichnet habe. In solchen Predigten war nicht viel
Baum für einen glänzenden Stil: soweit ich sie kenne, fehlt in
ihnen das rhetorische Pathos ganz, wenigstens erreicht er es
nicht durch äulserliche Mittel. Das war auch wohl unnötig bei
dem Publikum, vor welchem er sprach: denn die abstrusen Alle-
gorieen, die er vortrug, waren keinesfalls für die Masse bestimmt,
sondern für eine kleine Gemeinde, welche dida6xaXia, kein Ttd^og
suchte. Er hat an mehreren Stellen seiner Homilien gegen
Prediger geeifert, die dem Publikum zuliebe sich eines zu ge-
schmückten Stils bedienten.^) Ein Redner war Origenes so wenig
wie Aristarch, Varro, Philo, Hieronymus.
Dagegen war Paulus von Samosata, der bald nach Ori- Paoiat
genes' Tode Patriarch von Antiochia war (260 — 268), ein Pre- ^ *"**'*
1) In Ezech. hom. 8, 8 (XIV 46 Lomm.): effeminatae sunt eorum ma-
gistrorum et animae et voluntates, qui semper sonantia, semper canora com-
ponwnt; et \tt quod verum est dicam, nihil virile, nihil forte, nihil deo dignum
est in his qui iuxta gratiam et voltmUUem atidientium praedicant Diese
Stelle entnehme ich ans Alberti de Albertis, Thesaur. eloquentiae (1G69)
466 f.; ein paar andere bei Probst 1. c. (oben S. 587, 1) 285. 287, 20.
86 •
550
Von Hadriatt bis mm Ende der Kaieerzeit.
diger ganz nach Art der asianischeu Sophisten. Wir wissen dt
zufällig, weil man für ihn, den Häretiker, diese Vortragsweise
eharakterJatisch fand, Eusebios (h. e. VII 30) teilt aus dem
gegen Paulus gerichteten encjklopädischen Brief der Bischöfe
u. a. folgende bemerkenswerte Stelle mit (§ 9) : r^v iv rafg ^x-
)tXij6tttOTixttls avvödoig ti^aztiav ftijjjttvärt« iJoIoxoäSv xcI qsaw-
%«<StoxonC)V xal tks z&v ixegaioxigav liivxiis i^ois roioikoig wt-
»Aijctrav, ßyiftcc [liv xal 9q6vov vipijkbv iavTä xaraaxsvaoäfuvog,
O^X ^S Xpiatov jiaQrjtijg, «■»jxpTjTOi' dt, toancq o( zov xöaftov
&Q%ovxcs, l%oyv r-E xal drofiä^av, naCtav Si tjj z^'P^ r^*" ftlpiv
xal rö ß^fta ägättcov zoig zoal xal toig fi^ ixatvovöi (iTjäi
äUmp iv Tofg &fäzQOLs xazttödox'Oi tatg 6&6vBig iii}S' ixßoäßi
T£ xcd avaatjS&tSi xazä tä avtä rolg ä^up avzbv araaiihzatg dv
Sffüai zt xal ywttioig, dxöefiojg oürraj äxtfoioiiivotg, zotg ä' ovv
Sg iv ofxo) 9eov «t^voTtgutäg xal iviüxtag äxovovOiv intziftStv
xal iwßQi^av xal stg toüs ä-xsl&övrttg ix zov ßiov zo^zov
otviSv iiriyi}zäg toü i,6yov (poQzixäg iv zip xoivä xal [layai
gi}(iov&v negl iavzov, xa^aTieQ ovx ijiiixoTtQg, iXf.ä
ffiiüT^g xal ycitjg.'l
4. Der Stil der Predigt im vierten Jahrhundert.
a) Die allgemeinen VerhältniBse.
fci*t"«i Die Beeinflussung der Predigt durch die sophistieche Rhe-
PMdig.t torik erreichte im vierten Jahrhundert ihren Höhepunkt.*) „Die
^j*^"**^ bedeutendsten christlichen Kanzelredner jenes Jahrhunderts sind
1
1) In den wenigen erhaltenen Fragmenten ist Ton einem affelctierten
Stil uichta su merken, es Bei denn etwa iip 07^^ xvfvfuiri jp'offfle npon)-
yopcvt^Tj Xftin6s, itoffjtüv kotü (fieiv, 9iiviuiTovey<!iy itttta xägiv (bei A. Mai,
Swiyt. vett. no». uoll. VH p, 68; riavXov Satiataiitas' I" tu* tcütoö jr^i;
Eaptvov iiyuv), oder tä »(atovfiEva zip Uyw tijs <pv<ietos 06» tfovaiv £««*-
vov tä di exictt ipiUus x^ioiififvu vntifuivitä, fiia xul t^ avt
ufoinifura, Oiä ^i&i kuI cfjg cürf]g {vfQytiat ^i^aioifuva (ib. p, G9:
~ I )iBU Hemerknngpn dnnlber l>ei Joh, Bauer, Die Trostreden
^0 ibr«iu Verbältnis z. antik. Rhetorik, Diaa. Marbnig
■sieht ii:e«tellle grOäare Abhandlung „Cber die
«r diM IV. Jh. in iluem Yeih. z. ant Rhet."
Uaa B«aie und Wärmste, waa über 1
»n Kirche geschrieben let, int die J
Die Litteratnr d. griecli. Kirche: Allgemeines über die Predigt s. IV. 551
geschult in der rhetorischen Methode und haben erst selbst
Rhetorik gelehrt. Basilius und Gregor von Nazianz haben in
Athen unter den berühmten Professoren Himerius und Pro-
haeresius studiert, Chrysostomus unter dem noch berühmteren
LibaniuB, der noch auf dem Totenbette von diesem Schüler
sagte y er wäre am würdigsten, sein Nachfolger zu sein, wenn
ihn nicht die Christen gestohlen hätten (Sozom. h. e. VIII 2)."*)
Die Gebildeten gingen damals mit denselben Erwartungen in
die Ejrche wie in den Hörsaal des Sophisten: sie wollten sich
einen Ohrenschmaus verschaffen, ein Stündchen angenehmer
Unterhaltung, imd viele Prediger waren ihnen darin allzu will-
fahrig, so (wenigstens nach dem Bericht seiner Gegner) am
Ende des dritten Jahrhunderts der eben genannte Paulus v.
Samosata. Gegen diesen Mifsbrauch wandten sich die mafs-
gebenden Männer; vor allen loannes Ghrysostomos hat
sich öfters über das Verhalten seiner Gemeinde beklagt , z. B.
hom. 3 in ep. 2 ad Thessal. c. 4 (62, 485 Migne): ^xC elöeQxo^ac
(sc. slg xi(v ixxktiöiav), tpriölv^ ei ovx axot^o tivbg 6(nXovvtog'' ;
rovvo nivta iacoXfnkBxa xal dUtpd-siQS, xC yäg xqbIk dficXriTov;
ijtb tilg fifutigag Qa%viUag avtri rj xqbCu yiyovB. diu rC yäg
byLiXCag %QBla*j nivta 6a(pfi xccl Bvd'ia zä nagä xatg d^Btaig yga-
^atgj nivta xä ivayxata df^ka. aAA' inBidij xiQ^B&g iöxe axQoa-
taCj diä toiho xal xaika ^rixBtxB. Blnh yig (loi, noip xdiinc)
X&yov IlaOXog iXeyBv; iXX' o(i(og xr^v olKOVfiivrjv inixQB^BV. noiGi
ik nixQog 6 iyQiykiutxog\^ Vor allem wendet er sich an vielen
Stellen gegen das Beifallklatschen in der Kirche. Wir haben schon
oben (S. 274 f. 295 f.) gesehen, da& dies ein stehender Gebrauch
bei den Vorträgen der Sophisten war und dafs diese förmlich
handlang von Villemain, De T^loquence chretienne dans le quatrieme
litele in seinen M^langes historiqües et littöraires III (Paris 1827) 293 ff.
Fflr die westliche Kirche tritt erg^lnzend hinzu: A. Ozanam, L'^Ioquence
chrftiehne in seiner GiTÜisation au V. si^cle, soc. <5d. II (Paris 18G2) 149 ff.
Sowohl über die griechische wie die lateinische Predigt dieser Zeit handelt
F. Fkobst^ Katechese n. Predigt Tom Anf. des vierten bis zum Ende des
«whitl« JahilL (Bred. 1884) 134 ff., gelungen besonders in der Charakto-
xiitik der einaelnen Prediger. Doch ziehe ich es vor, auf Grund meiner
LeUbe meine eigenen Wege zu gehen.
1) Hetdh L c. (oben S. 618, l) 78 f.
t) XWmlwili« Stellen bei J. A. Neander, Der h. Juh. Chrys. u. die
I Ofld. im) 118 ff. 927 f.
552 Von Hadrian bis Kam Endo der Kaiseneit.
lebten von dem Beifall, der ihnen gezollt wurde. Dals die Sitte
auf die Predigten übertragen wurde , hat außführlich nach-
gewiesen schon Franc. Bern. Ferrarius, De ritu Hacrarum ec-
clesiae catholicae concionum (Paris 1664) 1. II c. 23 — 26 p. 266 S.
Die bezeichnendste der dort angeführten Stellen m^e hier
Platz finden : loann. Chrys. hom. 30 in act apost. c. 3 (60, 22ö £F.
Higne): „Noch schädlicher ist es, wenn einer zwar mit Worten
schöne Lehren erteilt, mit den Werken aber gegen die Lehren
streitet. Dies ist die Veranlassung Tieler Übel in den Kirchen
geworden. Deswegen verzeiht mir, bitte, wenn meine Rede bei
diesem Fehler verweilt. Viele geben sich alle erdenkliche Mühe,
um, wenn sie aufgetreten sind, ihre Rede in die Länge zu ziehen,
und wenn ihnen von der Menge Beifall geklatscht ist, so ist
ihnen das ein Königreich wert; wenn sie aber unter Schweigen
die Rede beendet haben, so sind sie darüber verzweifelter als
über die Hölle. Das ist es, was die Kirchen ruiniert, dafs ihr
nicht eine Rede zu hören wünscht, die euer Gewissen trifft,
sondern eine, die euch zu amüsieren vermag durch den Schall
und die Komposition der Worte, gerade so als ob ihr SSngem
und Zitherspielem zuhörtet, wir schlaff and erbärmlich genug
sind, euem Begierden zu wUl&hreu, statt sie euch auszutreiben.
(Diese Redner, führt er aus, machten es gerade so wie Väter,
die ihren kranken Kindern schädliche Süfsigkeiten geben.) Das-
selbe widerfährt uns, die wir nach schönen Worten und Sätzen
haschen und darauf aus sind, wie wir eine Harmonie erklingen
lassen, nicht wie wir nützen, wie wir bewandert werden, nicht
wie wir belehren, wie wir unterhalten, nicht wie wir ins Ge-
wissen reden, wie wir beklatscht werden und nach erhaltenen
Lobsprüchen abtreten, nicht wie wir eure Sinnesart in Harmonie
bringen. Glaubt mir: wenn ich rede und beklatscht werde, so
bin ich (warum sollte ich nicht die Wahrheit sagen) Mensch
genug, mich darüber zu freuen und es mir gern ge&Uen zu
lassen: wenn ich dann aber nach Hause komme und mir Ober-
lage, dab die, welche geklatscht haben, keinen Nutzen gehabt
f hnben, oder jedenfalls des Nutzens infolge des Beifallklatschens
bjUid der Lolisjirüche verlustig gegangen sind, dann schmerxt es
^ tteofee und weine imd fühle wie einer, der alles Yer-
lft^ und sage zu mir: „Was nflfast mir nun all
' " r Hörer aus meinen Worten keiaeti Gewinn
Die Litteratnr d. griech. Kirche : Allgemeines über die Predigt s. IV. 553
ziehen wollen?^' Und oft habe ich schon den Gredanken gefafst,
ein Gesetz zu erlassen ; welches das Beifallklatschen yerhindert
und euch bestimmt, schweigend und mit der gehörigen Ordnung
zuzuhören. (Dies ftOirt er dann weitläufig aus.) Nichts ziemt
der Kirche so wie Schweigen und wie Ordnmig: den Theatern ist
der Lärm angemessen, den Bädern, den Aufzügen und den Ver-
sammlungen auf dem Markte .... Wenn ihr euch so benehmt,
werdet nicht nur ihr, sondern auch wir selbst Nutzen davon
haben: wir werden dann nicht mehr den Nacken hoch tragen
und nicht nach Lob oder Ruhm begehreu, nicht das, was unter-
hält, sondern das, was nützt, sagen, nicht auf Satzkomposition
und schöne Worte, sondern auf die Kraft der Gedanken jeden
Augenblick verwenden. Geh in die Malstube und du wirst sehen,
wie dort tiefes Schweigen herrscht; also auch hier, denn auch
hier malen wir königliche, nicht gewöhnliche Gemälde
mit den Farben der Tugend. Was ist das? ihr klatscht
wieder? Nicht leicht scheint es euch zu werden, euch zu
bessern.'^ (Das kühne, in seiner Art grofsartige Bild hatte die
Zuhörer wieder fortgerissen.) Ist derartiges zu verwundern,
wenn um dieselbe Zeit Asterios von Amaseia ohne Bedenken
eine Homilie beginnen konnte mit der Mitteilung, er komme
soeben in grober Erregung von der Lektüre der demosthenisclien
Eranzrede (in S. Euphemiam, vol. 40, 333 Migne)?
Nicht anders war es im Westen. Wir haben gesehen ^) ^
(S. 533 f.), dafs Augustin in seinem Werke de doctrina Chri-
stiana den Nachweis führt, dafs die maüsvoU rhetorische Predigt
nicht nur erlaubt, sondern auch nötig sei und sehr detaillierte,
aus CiceroB rhetorischen Büchern abgeleitete Vorschriften darüber
giebt^), ähnlich wie damals Ambrosius das System der christ-
1) Dieser Standpunkt AugUBtins wurde für die Folgezeit sehr wichtig:
auf ihn beriefen sich alle die , welche eine rhetorische I^digt für erlaubt
und nfitig hielten. Man lese darüber Pauli Cortesii protonotarii apostolici
prohoeminm in libmm prinmm sententiarum ad lulium 11 Pont. Max. (zuerst
Born IftOS, dann Basel 1618). In demselben Sinne äufsem sich die in der
Basetor Ausgabe vorausgeschickten Briefe des Beatus Rhenanus und Kon-
nd Pöotiiiger. Als Titelvignette dieser Ausgabe ist dargestellt ein Wagen,
darin litund eine in einem Buch lesende Frau 'Humanitas', der Wagen
wird forwtiis bewegt links von 'Vergilius' und 'Tullius', rechts von 'De-
i' nad 'Homenis'. Cf. Joh. Sturm, De ludis literariis recte ape-
Üft (ßkabb. 1688) 104. firasmus , Dialogus Ciceronianus p. U93 ff. (is
554 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
liehen Moral auf Ciceros Büchern von den Pflichten begründete.
Aber auch hier dieselben Ezcesse wie im Osten. Was sollen
wir dazu si^en^ wenn Avitus, Bischof von Vienne (f c. 530),
in einer Homilie mitten zwischen Schriftstellen zwei Citate aus
Vergil bringt (homil. 6 p. 112 Peiper), oder es alles Ernstes für
nötig hält, sich in einem eigens zu diesem Zweck geschriebenen
Brief wegen eines vermeintlichen Fehlers zu verantworten, den
er in einer zu Lyon gehaltenen Predigt bei der Messung des
Verbum potiri hegangen haben sollte (ep. 57 p. 85 f.)?0 ^^^
allem herrschte auch im Westen die Unsitte des Beifall-
klatschens, wofür zwei Zeugnisse Augustins angeführt werden
mögen, die ich dem citierten Werk des Ferrarius entnehme:
Augustinus serm. 339 c. 1 (38, 1480 Migne): quid ergo milU
hodie maxime fadendum nisi ut commendem vobis perictdum meum,
iä siiis gaudium meum? pericülum autem meum est, $i adtendam
gtiomodo laudatis et dissimulem guomodo vivatis. ille autem navü,
stib cuius ocülis loquor^ immo sub cuius ocuiis cogito, non me tarn
deUctari landüms populanbus quam sHmülari et angi, qxwmodo vi-
vant qui me laudant laudari autem a male viveniSms nolo ab-
horreo detestar; dolori mihi est, non voluptaii. laudari autem a
bene viventibuSj si dicam nolo, mentior; si dicam volo, timeo, ne
sim inanitatis appetentior quam soliditatis. ergo quid dicam? nee
pletie volo nee plene nolo. non plene volo, ne in laude humana
pericliter: non plene nolo, ne ingrati sint quibus praedico. Sogar
Yol. I der Ausg. von 1703). Sanctius, Minerva (zuerst 1587) p. 866 ff. (der
Amsterdamer Ausg. von 1752). In Frankreich entspann sich über Augostins
Vorschriften ein Streit: die einen verwarfen die künstliche Predigt^ die
anderen verteidigten sie, cf. Gibert in: Jugemens des savants Ylll (Amsterd.
1725) 460 ff. Der bedeutendste dieser französischen Schönredner auf der
Kanzel war im XVII. Jahrh. Fl^chier; wohl hauptsächlich gegen ihn und
seine Anhänger eifern F^n^on in dem von mir schon öfters citierten meister-
haften 'Discours sur T^oquence' (Par. 1718) und der Jesuitenpater Bapin
in seinen 'Reflezions sur T^oquence' (Oeuvres, Amsterd. 1709 voL II).
1) Er nennt bezeichnenderweise einmal (hom. 21 in. p. 184) seine
Predigt eine declamcUio. Ebenso sagt mit naiver Offenheit Grennadius de
vir. ill. 9 von Honoratus, Bischof in Massilia (saec. V): t^ ehquena et
ahsque ullo linguae impediniento ex tempore in ecclesia declamator, cf.
für den Ausdruck Sokrates h. e. VII 12 von Ablabios, einem Schüler des
als Hermogenes-Kommentator bekannten Troilos v. Side (s. V): oi yXcapvQal
ngoooiiiXiai, xal avvTovot (pigomai . . . Tfjs iv Nvnaitf, x&v Nanottutiwdnr i%-
Y,XriGla<s tnla-Konog yiat scrri, iv ravrw xal aotpiavBvmv iv ta^ji.
Die Litt^ratur d. griech. Kirche: Allgemeines über die Predigt s. IV. 555
nach Versen der h. Schrift, die ihnen besonders gefielen,
klatschten sie: Augustinus enarr. in psalm. 147 c. 15 (37,
1923 Migne): ^henedixit filios tuos in te, qui posuit ßios iuos
paeem' (Ps. 147 v. 14). quomodo exsultastis omnes? hanc antäte,
fratres mei. miiUum deledamur^ quando clanuU de cordibtis vestris
pacis düectio. quomodo vos delectavit? nihü dixeram^ nihil ex-
posueram; versum pronuntiavi, et exclamasHs. quid de vobis da-
mavit? dilectio pacis. ^) Auch Ambrosius und Hieronymus haben
sich über die unmäCsige Anlehnung der Predigt an die so-
phistische Deklamation geäufsert. Ambrosius de officiis mi-
nistrorum I 19, 84: vox ipsa non remissa, non fracta, nihil femi-
neum sonans, quaietn multi gravitatis specie simulare consuerunt^
sed fonnam quandam et regulam ac sucum virilem reservans. hoc
est enim pulchritudinem vivendi tenere, convenientia cuique sexui et
personae reddere. hie ordo gestorum optimus, hie omatus ad omnem
aeHonem accommodus. sed ut moUiculum et infractum aut vocis
sonum atä gestum corporis non probOy ita neque agrestem ac rusti-
cum, naturam imitemur; eiu^ effigies formula disciplinae, forma
honestatis est. cf. 22, 101; 23, 104. Hieronymus comm. in ec-
clesiasten c 9 (in 1 p. 467 ValL): quemcumque in ecclesia videris
dedamcUorem et cum quodam lenocinio ac venustate verborum ex-
citare plausuSj risus excutere, audientes in affectus laetitiae concitare,
scito dignum esse insipientiae tam eius qui loquitur quam eorum
qui audiunt. Derselbe comm. in ep. ad Gal. 1. III prooem.
(VII 483 Vall.): iam amissa apostolicorum simplicitate et puritate
verborum quasi ad Athenaeum et ad auditoria convenitur, ut plaur
8us circumstantium st^scitentury ut oratio rhetoricae artis fucata
mendacio quasi quaedam meretricula procedat in publicumy non tam
erudüura pcpulos quam favorem populi quaesitura et in modum
psaUerii et tibiae dulce canentis sensus demulceat audientium^ ut
velus iUud prophetae Ezechidis (33, 32) nostris temporibus possit
aptarif dicente domino ad cum: *et f actus es eis quasi vox cHharae
suave canentis et bene compositae et audiunt verba tua et non fa-
dunt ea'; cf. comm. in lesaiam 1. VIII pr. (IV 1 p. 327), comm.
in lonam c. 4 (VI 420), ep. 52, 4 (I 1 p. 258). lulianus Po-
merius (Presbyter in Südgallien s. VI) de vita contemplativa
1) Zwei interessante Stellen aus dem VI. Jahrh. (Gallien) bei C. Ar-
nold, Caesarius von Arelate (Leipz. 1894) 125.
556 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
I 23 f. (59, 438 f. Migne) nach Anführung der Worte des
Paulus ^etsi imperittis sermone, sed non scientia' (ad Cor. II 11; 6):
unde datur intelluji^ quod non sc debeat ecclesiae doctor de accurati
serinonis ostentatione iadarCj ne videatur ecclesiam dei non veUe
aedificare, sed magis se gtiantae sit erudiHonis ostendere. non igitur
in verborum splendore sed in opemm virtute totam praedicandi fidu-
ciam ponat, noyi vocüms delecietur populi acclamantis sibi sed fletibtis,
nee plaustim a populo studcat exspectare sed geniUum u. s. w. (es
folgt ein durchgeführter Vergleich zwischen dem declamator und
doctor). '
>utribeund Die aufscrc Form, in die sieh die Predigt kleidete, war bei
Predigt, feiei-iichgu Gelegenheiten die des Panegyricus, bei mehr lehr-
haften Stoffen die der Diatribe. Über das Wesen der Diatribe
habe ich oben S. 129 ff. gehandelt und dort den Nachweis ge-
führt, dafs sie sich in der Weise aus dem Dialog entwickelt
hat, dafs der Vortragende sich mit einer von ihm fingierten
Person oder mit einem redend eingeführten Zuhörer (bezw. Leser)
unterhält. Sie wurde besonders gern von den herumziehenden
Moralphilosophen in ihren Mahnreden angewendet und wurde,
wie zuerst v.Wilamowitz 1. c. hervorhob, als die gegebene Form
der paränetisch- doktrinären Predigt von den Christen über-
nommen. Schon bei Paulus begegnen ein paar Stellen, die die
Keime der späteren Entwicklung zeigen: ep. ad Cor. I 15, 35 f.:
&XXä iget tig Il&g iyeiQOvtav ot vexgoi; noim dl öAfucti ig-
Xovtai; &ipQ(0Vj 6i> S öjceigsig, oi ^ooTtoiettaL iäv fi^ äxo^ivy
xtL ep. ad Rom. 9, 19 f.: igetg fiot oiv Ti ovv iti (idiMpsvai
(6 d'sög); t^ yä(f ßovXtifuxti, aitov xlg iv^iöttixsv; i Syd-goxa,
(uvoihf 6i> tig el 6 ivtcaeoxQivöiuvog tp d'sp; xtX. ib. 11, 19 f.:
ifstg ovv ^EiexXiödTjöav xkddo^ tva iya iyxsvtQi6d'&. xa-
XAg' tfi iacuftüf iisxXdö^öaVj öi) dh t^ nCfStH B6xfi%ag TtxJiJ)
Ebenso der Barnabasbrief c. 9: &kl* igetg Kai fi^v nsQixitiii/i'
xai 6 iUeoff Blq 6tpQwyt8a. äkXä xal nag SvQog xtL Der Ja-
«^obnabrief macht von diesem Mittel schon eine weitergehende
"t^nig^: 2, 14 tL: xC S^cAo^, idelipot fiov, iäv xi>v
'Uunidt in: Beal-Encjkl. f. prot. Theol. n. Kirche XI'
dM labbinischl
seiner Zeit (s. n und zwar vielleicht erst aus der
% D. Ghzonol. d. altchr. Litt. I 486 ff.).
Die Litteratnr d. griech. Kirche: Allgemeines über die Predigt s. lY. 557
Xdyg tig i%BiVy i(fya dl fii) ixy; iXX' iget ttg Sv
niöxiv ix^ig, Tciyh igya i%(o, detl^öv {loi r^i/ nCönv 6ov xfoglg
t&v iffymVj xiym 6ov dei^o ix x&v iQycav (lov t^v nlötiv, 6v
niöts^sig Sxt aJg ^s6g iötiv, xaX&g xoietg' tcccI tä dai^^iövia
mörtöoxHtiv xal g>Qi66ov6iv. ^iXsig dl yv&vai, & avd'QCJTCs
xsvij 5t t 1^ niötig x^Q^S ^Av Igycov agyi^ iöriv; xtX, Auch die
mit ßye o^ eingeleiteten direkten Apostrophen an die Hoffärtigen
(4, 13 ff.) und die Reichen (5; 1 ff.) sind in ihrem Invektiventon
ganz diatribenmäfsig. Für die didaktischen Homilien des III. Jh.
sind schon oben (S. 548) einige Beispiele aus Hippolytos
angefahrt worden: dafs dies damals etwas ganz Geläufiges war^
zeigen die Predigten des Origenes^ vgl. z. B. in leremiam hom.
1 c. 8 (XV 116 ff. Lommatzsch). ^) Aber zur eigentlichen Ent-
faltung kam; wie andere Kunstformen, so auch diese erst in der
Predigt des IV. Jh.; hier zuerst^) begegnet auch das formel-
hafte, für die Diatribe typische (s. oben S. 129, 1. 277) ^ijtf^ sc. der
fingierte Gegner. Ein paar beliebige Beispiele aus Predigten des
Gbrysostomos mögen das veranschaulichen. Hom. in evang.
loann. 3 c. 3 (59, 41 Migne): Johannes sage mit Recht 6 Xöyog
^, nicht 6 d'ebg iTCoitjös rbv löyop. Nai, q>ri6Cvy &Xk^ 6 Ili-
XQog xovto shts 6aq>&g xal dtaQQi^dfiv. IIov xal Ttöxs; Xha ^lov-
daioig ducXsyöfiBvog Hsyav Sxl ^^xiigiov aitbv xal ;|^(>t<yröi/ 6
d'ebg ixoifiös/' TC ovv xal xb iiijg oi nQOöid-rjxag ort "rov-
XQv xbv 'Ifjöovv 8v iiutg iöxavQaöaxs'^] '^H iyvoBtg 8rt ocxX.
ii oix ^9^S^9 S^^ ^'^^•9 womit man, um die Identität zu er-
kennen, ein beliebiges von den Hunderten von Beispielen aus Epiktet
vergleiche, etwa diss. I 29, 9: ^T^etg oiv ot (piXööofpoi didäöxexB
mttanpifovstv xAv ßaöiliav; Mii yivoixo .... NaC^ &kka xa\
xätv doyndtanf Rqx^^'^ d'ekm. Kai xCg 6oi xaAxriv xijv i^ovöiav
1) Manches auch bei Tatian und Clemens, aber sie übergehe ich, weil
es mir nur auf die eigentliche Predigt ankommt.
2) Mit einer Ausnahme schon bei Paulus, s. oben S. 506, 1.
8) Biese Wendung ist in der Diatribe sehr beliebt, z. B. Teles p. 34 H.
*K 9§9la %mX4H MQÖg xb q>iXo€0(pstv ^ 6 dh nXoütog slg ralhra ;[rpi}(ri/iov. —
(H% fX. 96aovg yic(f ofct dt' tintogiav ri dt* Msiav nalvd-ilvat axoldistv; ^
o^X 6^^g 9x1 mg inl tb noXv ol nx<o%6taxot tptloGotpovctv xrX. und viele
andere Stellen in dem Ind. verb. der Hense'schen Ausgabe ; bei den Lateinern
fMMi (die« h&nfiger als nonne) vides z. B. sehr oft in Yarros Satiren und bei
Loorai (Lambin lu U 196), cf. £. Marx im Ind. lect. Kost. W. S. 1889/»
p. 10 f.
558 ^on Hadriaa bia zam Ende der Eariseraeit.
didtucii xoü d^vaeai vtx^aart 36yfia äXiörptov; Ilgo^iiyeavy ^-
eiv, avrp ipößov, vixifacD. 'Ayvottg Sn avtb abtb ivixtjßev, oix
im' SXlov ivixij^; Chryaostomoe 1. c. 4, 3 (wo man auf die
gajiz pktoniBche Art des fingerten Zwiegesprächs achte): Ei*i
ydQ (tot, rö äxavyaan« rov i)Uov i^ vtivfjs iM(T]8ä r^g TOÖ
'^lüyv tpvoems ^ Bkko&iv «oOev; &väyxn x&ea äftoAoj'^ffRi
rbv (lij xal tag aia&^ecig ntJtfiQmftivov, Zxi i% ain^g
Ti 8s; find iioi, oiix oC ai&vsg 8i airov ysy6v«eiv Sjcavresi
äväyxri a&aa hfioloy^eai rbv fi^ «agasaCovt«. oifxo^ oidiv
liiaov vtov xal itat(f6s ■ . ■ . Elah yi<f ^oi, o^% Spov tivä
nifoSTi&eis Tp vtä . . . vbv xatiffa sffottvai Xiysts; Eüdiiiov
5t(. Eiah ovv ^oi xrX.
b) Die Hauptvertreter der christlichen Kunstproaa
im vierten Jahrhundert.
a) Die Streitschrift des Eunomios gegeu Baeiteios.
Bevor ich auf die grofsen Prediger des lY. Jh. eingehe, be-
spreche ich eine durch das stark hervortretende sophistische Element
sehr charakteristische christliche Streitschrift derselben Zeit.
Bopuitik. Der Ärianer Eunomios') wurde im J. 360 wegen seiner
ketseriscbeu Gesinnung seines Episkopats in Kyzikos eotsetst
und veröffentlichte daraufhin seinen äxoXoyritafds, der mia er-
halten ist (bei Migue vol. 30, 837 S.). Diesen widerl^te Bui-
leios in seinem ivatQsarixbs tov Satoioyrfcixoü rov ih)««tßoÖe
Evvofiiov 4bb. (Migne 29, 497 ff.) Eunomios schrieb darauf
eine neue Verteidigungsrede in Form einer Streitschrift gegen
Basileios, der kurz vor deren Heraasgabe starb (379). Sie um-
faTste nach Photioa bibl. cod. 138 drei Bficher und ist nna all
Ganzes nicht erhalten, aber gegen sie schrieb nun wieder Gre-
gorios von Nyasa ein am&ngreichea Werk: xi/bs Eivi^»
ivTiQQtiTtxbe !i6yoB in 12 Büchern, die fut den ganien 46. Band
der Migne'schen Pstrologie einnehmen. In dienm Werk hat
Gregorios eine sehr grofee Aniahl Ton Stellen ans der nreiten
Streitschrift des Eunomios wörtlich ciüert (wo er nur die dU
1) Cf meine 'Beiträge t. Reach. d. griecii. Fhilosophip'
Jahrb. Supplement XIX (Leijii tflOi) SOü
Die Liiteraiar der griechischen Kirche saec. IV: Eunomios. 559
vouc wiedergiebt^ sagt er es ausdrücklich: cf. coL 1048 D); mau
mulis sie sich jetzt mühsam ans Gregorios sammeln^), da der
Versuch einer Rekonstruktion der eunomiauischen Schrift, soviel
ich weüb, nicht gemacht ist. Uns interessiert hier nur der Stil
der Schrift, von dem wir uns ein recht deutliches Bild machen
können, weil das Werk des Gregorios von Anfang bis Ende
durchzogen ist mit einer Verhöhnung eben dieses Stils. Bevor
ich hierauf eingehe, stelle ich das Stilurteil des Photios I. c.
voran: 6 dh rot) köyov xagoxtilQ xd(fito$ ^Iv xal ^^dovfjs oid* eC
tig iötiv odd' iyyvg yiyovB tov sidevai, xöfinov 8i tiva tsQatmdij
xal d'öörixov ^xov fpcXotiiuttai iffo^stv r&v te öv^qxbvov tf}
inaXXrikia xal x&v kH^eatv tatg dvösxfpQuötoig xal TCoXvövfiqxb'
voig Tutl tov xoLt^tLxov xiinov^ ^ fiakkov axQißiöxeqov elnttv
tov ÖL^vQaußixov eCSovg rvyxavovöaig. 6vvd"ijxi] ts avx&
infießiaöfiivti xal övfi^nLSöiidvij xal ixxgotog, d)g avdyxriv
clvai r^ AvayLvaöxovTL rä ixsCvov xvnxeiv öfpoSg&g xbv
ÜQa xolg x^^^^^^v, ei iidXXoi xgav&g iatayyiklBiv et xsQixgaxv-
vmv xal 6\HfXQiq>aiv iicstvog (lökig öwixaxts, fiaxgai xs ivioxs
£ig &(it€X(fiav negiodoL ixxBiv6{iLBvaiy xal xh öxoxeivov xal
Rdfilov dl Skov xBxvfkivov xov övyyQdfiii^axog. Gregorios ver-
spottet gleich zu An£EUig die lächerliche Sorgfalt, die Eunomios
auf die äulsere Form dieser Schrift verwendet habe^): er wisse
zwar, dfkb jener ^Sophist und Rhetor' (so pflegt er ihn zn
nennen) von jeher ein tgißtov x&v kdymv gewesen sei, aber an
jenem Werk habe er (wie Isokrates an seinem Pancgyricus) gar
yiele Olympiaden gearbeitet und daraus sei zu erklären fi %bqI
xä 6%'Jifkaxa xatä tilv x&v ^r^^ivxmv 6vvd^Ki]v änaigoxakCa
(I 262 BC).») Was die Wortwahl betrifft, so wirft er ihm
Streben nach Atticismen vor, z. B. I 400 B: Zqa xä &vd^ xrig
iifXaücg ^Ax^Uog. hg hcaöXQdxxei, rg 6vvxäiBi, xov k6yov xh Xeiov
«od 9ummlfimiUvov xi}^ Xdl^emg, &g ykag>vQ&g xal noixiktog xfi
&f^ xaO lAyov nsfiav^itexai, und bemerkt einmal (I 268 D)
1) Des Haute ist bei Migne (nach der Morelli'Bchen Ausg. von 1638)
jpfft tanifeB Lefttam gedruckt, aber nicht alles, so dafs man sich nicht
Qfegor T. Kanani in seinen gegen die Eonomianer ge-
-M, I. B. gleich der Anfang der 27.: ngb^ rohg iv
ib. yXAtftfair 9^ctQO<poiß ixovüip u. dgl. öfter.
Oben 8. 369 u. 384.
660 Ton Hadrion bis zum Ende der Eoiseneit.
hShniech, dafs er im Bestreben, ein attisches Wort zn ge-
brauchen, sich vergriffen habe.*) Am meisten regt er sich auf
über die rhythmische Diktion des Emiomios (noch dazti seien
es die lascivsten and weichlichsten Rhythmen, die er gebrauche)
sowie seine Figuren, speziell das Isokolon und Homoiote-
lenton, z. B. I 253 A: o^ yÄp &v ixoi, rtj i^svQttv, jiQhs tiva
ßXdxfov tStv ixl liöym yviofft^ofiiviov iavzbv elg roüra ffpotfyaj'EV,
&e«tQ ttg tS>p iitl 0xi]i'^s &aviittToaoio^vzo}v, diä staffulXt^Kav
Xttl iaoxAlav 6(iOiog>6va3V te xal {iftoioxarai.'^xtav ^rjiiä-
tav olöv Ttfft xifordiotg Tfö räv ilf^td^cDV ^v^n^ dia-
xvftßttXi^av tbv l6yov,') cotaücK yäff iati ftcrä «oki.Syv iti-
(fcov xol tä iv nqooi^ioie ainoi) tSQStCafUtra rä ßXcixAdij tavta
xal aa^ttTS&fvniiha etotädsia, & not doxtt rdxa fiijSi iiQt(ueCat
9u%tivtti z^ ax'^yMxi, &iX iixoxifOTStv rp aodl') xal int^o^iäv
TOf;; daxTvloig Xiyvgäg Sfia «QÖg rbv ^vd'ftöv ixupftiyYtts^at xal
Xiysiv tö xal fitjdh' hi. deijeiiv "ft'f^* Xöymv hiffiav (iij'te nivmv
iEvxigmv". I 256 A: Xiyoiv ovrmol t^ Üla tptov^ xatä ti)v
A^datv ifffioviav ixsiv^v "xal t&v oix iv Six^ 9(faawo-
fiivav dvv6iiat 8ixQ eatfufovelv ■^vayxaeftdvmv." XII 964 A:
äXX' ixo^afOfttVy xStg xarä "tbv iatßaXövra t$ XQei? tqöxov xal
tbv icpoXaßövta cilnov" — oGza yäf/ totg ittoföxotg tStv 6vo-
nätmv xähv ^[itv ivtoifat^tai — , sAg 8ut to^zatv "3ucXiieiv
fiBv" <pr}tli "tijv «Bifl ttitov yevofUvijv intövoiav, »efiHtiXXstv
äh T^v tröi' ■^xartjfUvav ßyvoiav'\ ainaXg yäf ;;^(fop» toö di-
d-vpaft^fffTot) tatg bftoioli^xTois tpmvatg. Ich fflhre noch
ein paar von Gregorios citierte Stellen des Euuomioa an: I
357 G: tpaxoTQlßiov etQatiAtris xal Syutg äiilyiatos, iacb vii«ta£ag
(tiv wxfi&v incb Xixffiag di tpovStv. 280 A; dtivbg ifftttuiA^
iXri&tias i%9if6g, 9o^tavljs isateAv, talg tibv xoJUAv üi^/ug «st
1) Du die Stelle von luttireaae iet, scbreibe ich sie hier auci 'iiiiite
•/ig, tpriBiv, Zxi etam^pres iälm(tev, ättol-oyoiitev, xaxovpyoiv xul iiov;]«m» r^v
liai, Kitl TCO XoyuSjim tiqus Mqui^ &v iji/jtlaxiiita im löym tbv aoXoixtOjiip I
tirtagiiipi^e oi KaTcv6^al, xdvv eoßafüg Tg Xi^ii 'täv liatpi/tjoavtio
inatrixiaat, äs i} XC')"6 ^it>) l^iv nagii rale luitDpSaiiidn rö* lifor,
iixiorg hotxieftTi' ttll" o6tiv loCca xf^ f*» aiMiabr tiv i^iii«ifev.
2) er. die oben S. 3SI sits la(«iuMh8a Autovw föt ^a 1
riatik des Stils der ernten I
3) Cf. obea S. 374, 2 u
Die Litteratni der giiechiaclieii Kirche aaec IV: EnnomioB. 561
(iv^fUHS ävTttarxöiuvoB, tbv ix x&v X(fttyp.tttiav oht atoivv6p.evos
ikeyxov, oi ip6ßov xbv Ix r&v v6iiaiv, od ^6yov rhv /g &vf^(fä-
»mv^) tiXaßtyüfiEVos, iXij&Eittv äeii'(ttip;og SiaxQiveiv oix ixiOtd-
ftevDs (und das gleich Folgende). II 484 Ä: ov xoivavbv 1%'^"'
vijs 9e6tJiTog, oi (ttifitf)v rijg S6ij}g, oi e^yxXtjQov r^g i^ovaütg,
oö &6v9fovov rfis ßaailEiae. elg ydg laxi xa\ ^6vog fftbg b
MavtoxQdrotQ, &cbg (ttfyv, ßaaiXiiyg zStv ßaoilcvövrctv, xv^tos t&v
»vfitv6vteni. IV 628 B: {liyeni) ysyev^e^ai xaQ& toö xatQog
tov vCov T^r oitfiav, oi xatä ixraaiv xgoßlrj&Btaav, oi xazä
fevOtv H SikCqb9iv zi^g zov yiw^oavTog tsvfiipvtag änooaao&et-
ifav, oi xarä ai^tjOiv zsXeua&eteav, oi xarä älXoißjaiv fto^qMD-
^eUav, fiövj] äl vi) ßovXilasi tov yevv^aavros rb tlvai ia-
lo^av.*)
Zwar wird man nach den mitgeteilten Proben die über-
trieben sophistische Diktion der Schrift zugeben mtlsBen, aber
die urteile des Gregorios und Photios sind als echte Produkte
fimatiacher Orthodoxie ebenso maTslos übertrieben wie die des
AthanftBiOB über die Hymnen des Areios. Das zeigt deatlich der
uns als Ganzes erhaltene Äpologeticus des Eunomios: zwar tritt
aoch hier die aophistische Mache überall deutlich hervor^), aber
man hat das Gefühl, dais man es mit einem Schriftsteller zu
thon hat, der gut zu schreiben weifs und das Mafs des Au-
Bbuides nie verletzt. Für die Stilgeschichte scheint mir diese
Schrift nicht unwichtig zu sein als durchsichtige Imitation iso-
1) Ei Iftbt im tveiten Qlied deu Aitikel vor (^v^piiire)!' aus, um ihm
gleiche Silbensahl mit dem ereteo zu geben.
t) Cf. aafiwrdem noch I 276 D, 297 AC; n 020 Ä, 668 B; IV6UCD;
IX 801 AC (mit dem urteil öiegors flbei den fyxoe, daa ipimuia, die ve-
WH^ivm l«{l9ia); XU 9&S A (liiixta, cf. 966 B, 976 B), »69 A, 97C A,
lOM C («TMt). 10» C (jni^og), 1018 D, 1060 B (.sv(no^), 1060 D, 1073 A,
L 1080 A, 1089 CD. Auf die Itingen Puioden, die PhotioB erwähnt, bezieht
I lieh wohl IX 805 D; XII 970 A (»eiito« XiitSlnv und IvearvQliav toIs
tv), 106S B, 1072 A. Die Daretellnng war ofTenbar echt sophistisch
, cf. i S73 C: iv TOvxot (sc rimf) ipr}ttl ailloyor ytytvlja&ai tdr
irn» tfMtoNfvi]t>. Dei SchuldeklamatiDn beschuldigt er
inn a. B. noch c. 8, 887 CD; c. 3 Anf. ii.
I, a. U, 868 A; C. 80 Bohl.: ndfuiolv dttv^-
M4pM«( «onpiK^ noiofiwtos xttl imiiv &tp'
I
562 Von Hadrian bis zum Ende der Elaiseneit.
krateischer Schreibart: man braucht nur die erste über ein
ganzes Elapitel sich erstreckende, sorgfaltig gegliederte, mit dem
Zierat von 6(ioiotik£vta, TCoXiijttotaj xagovo^aöiuL reichlich aus-
gestattete Periode zu lesen, um das sofort zu merken (cf. auch
die Periode c. 6). Es kommt hinzu die strenge, nach iso-
krateischer Art normierte Meidung des Hiats. Auch dem Gre-
gorios ist das natürlich nicht verborgen geblieben: er sagt YII
748 C, Eunomios habe dem Isokrates seine ^ijfiara xal öxtifi^ccta
abgerupft
ß) Gregor von Nazianz.
^^' Das vierte Jahrhundert war das für die Begründung und
Entwicklung der alten katholischen Kirche wichtigste. Der
Kampf gegen den Hellenismus war so gut wie überflüssig ge-
worden: auf diesem Gebiet war die Ejrche längst aus der ^mi-
litans' eine Hriumphans' geworden, das war gerade in der Re-
aktionszeit unter lulian deutlich hervorgetreten. Die Hellenen
lebten entweder in dumpfer Resignation dahin oder gaben sich
schwärmerischen Träumen von einer Vereinigung des Menschen
mit der Gottheit im Reich des Übersinnlichen hin: beide konnte
man gewähren lassen. Aber es gab grofse andere Ziele: es galt^
die Häretiker zu bekämpfen, die bedrohlicher als je zuvor ihr
Haupt erhoben, es galt, einer nach Millionen zählenden Masse
in allen Teilen des Reichs die Hoheit der neuen Religion durch
die Kraft des Wortes zu enthüllen und die grolsen kirchlichen
Feste in würdigen Reden zu feiern. Diesen Bedür&issen der
Kirche kamen die Prediger des vierten Jahrhunderts entgegen,
unter denen vor allen hervorleuchtet das Dreigestim Gregor der
Theologe, Basilius der Grofse, loannes Chrysostomos, die
gröfsten Prediger, die die alte Kirche hervorgebracht hat, alle
drei auf der Hohe hellenischer Bildung stehend, ausgerüstet mit
den seit Jahrhunderten in Kamp^etümmel und Siegesjubel er*
probten Waffen hellenischer Rhetorik,
[ndividuau- Der feurigste der drei war Gregor von Nazianz in
Kappadokien, wahrlich selbst eine der q>iS6$^ dtäxvQOL nal (U^
ydXaij von denen er einmal sagt (or. 32 c. 3), dab ohne ne
iiaya xi xatOQ^adilvat xgbg iiöißatav ^ ifsvi^v JUAqv if^xaifip
iöTiv. Viele haben damals glühend gehabt und heilig geUebt
wie er, aber keiner hat alle Töne lodernder Tiftidimpd' '
Die litteratar der griechischen Earche saec. IV: Gregor v. Nazianz. 563
einer solchen Meisterschaft in der Sprache zum Ausdruck ge-
bracht^ gleich gewaltig^ mag er deu toten Apostaten, seineu
einstigen Jugendfreund, in Worten maXslosen Hasses als wildes
Tier schildern, oder den Basileios verherrlichen, oder seiner Ge-
meinde in der Stunde drohenden Tumultes ein letztes Lebewohl
zurufen, oder das eigene Irren, Suchen und Finden in innigen
und zarten Versen erzählen, oder fast im Hymnenton an den
groisen Festen — ein Mystagoge inmitten des Chors seiner
Mysten — 'seinen' Jesus preisen. Sein eigentliches Gebiet
waren die Lob- und Festreden, in denen er die reiche Kunst
seiner Diktion am meisten entfalten und sein Genie schranken-
los walten lassen durfte: daher haben unter den 45 offenbar
bald nach seinem Tode mit sorgfältiger Auswahl zusammen-
gestellten Reden weitaus die meisten einen panegyrischen Cha-
rakter. Wie waren die äufseren Mittel dieser Art von Bered- Xa{jaxrt](t.
samkeit beschafifen? Es giebt zwei Nachrichten, die für diese \ene°r
Frage von Bedeutung sind: nach Sokrates h. e. IV 26 war er
in Athen Schüler des Himerios und nach Hieronymus de vir.
ilh 117 secuttis est Folemonem dicendi charadere (ebenso Suidas
im ßiog). Daraus würden wir von vornherein nach dem über
diese beiden früher Gesagten den Schlufs ziehen, dafs er in
seiner Diktion nicht eigentlich ein Anhänger der atheistischen
Klassicisten war. Das Wesen der Diktion Polemons wird uns
als ^or^o^ xal nveviia geschildert (Philostr. v. soph. II 10, 4.
15, 1): wie Sturmesrauschen ist auch die Sprache Gregors; wer
femer hintereinander eine Rede des Himerios und eine der pane-
gyrischen des Gregor liest, dem kann die Ähnlichkeit — natür-
lich nur hinsichtlich der rein äuTseren Formgebung — nicht
verborgen bleiben: hier wie dort ein höchst aufgeregter, nicht
selten maMoser Ton, Kühnheit der Bildersprache, kurze Sätzchen,
starke Anwendung der Redefiguren. Nicht blofs sein eigenes,
zum Pathos neigendes, mit höchster Einbildungskraft aus-
gestattetes Naturell wies ihn in diese Richtung: ich habe öfters
hervorgehoben, dafs die atticistische Manier mit ihrer Parole
der {Ufitriöig t&v iQ%al(ov ein Symptom der Senilität, des Verfalls
selbstschöpferischer Kraft war, während die moderne Strömung,
trotz ihrer ästhetischen Fehler, doch die innerlich allein be-
rechtigte, weil lebendige, war. Ist es da zu verwundern, dafs
die clirisiliehe Rhetorik, als sie zwischen deu beiden Richtungen
VovAsa. aatlkt JCuitproia. II. 37
564 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
zu wählen hatte^ sich unwillkiirlich, ihrer inneren Bestimmung
folgend, der letzteren anschlofs? Reichstes Leben, Interessen
von unmittelbar praktischer Bedeutung entrollten sich in der
neuen Religion, der die Zukunft bestimmt war: fürwahr, nicht
in dem mumienhaften Stil eines Libanios konnten ihre Vertreter
reden. Gemäfsigter ^Asianismus' ist, um es kurz zu sagen,
das Wesen der Rhetorik Gregors. Wer auch nur flüchtig irgend
eine beliebige seiner Reden gelesen hat, der weifs, dafs dieser
christliche Rhetor einen ganz ausgesprochenen Gefallen am
äufseren Aufputz der Rede hat. Freilich, wenn wir gelegentliche
Aufserungen von ihm selbst genau nehmen würden, so müTste
gerade das Gegenteil richtig sein. In einem Brief an Nikobulos
(209) sagt er: ivri&sra xal nuQiöa xal iöÖTcmla 6oq>i6tatg iatog-
Qitlföiie^a' si di nov xal 7CaQakdßoi[iaVj i)g xatcacai^ovtsg fiäXkov
tovto Tcovi^öoiiev TJ öTCOvdd^ovtBg^ und als Gregor von Nyssa das
Lektoramt mit der Rhetorik vertauschte, gab der Nazianzener
dem allgemeinen Unwillen darüber in einem Brief an jenen (43)
Ausdruck: er solle ablassen von dieser SSo^og eido^ia (er fügt
hinzu: Ti/' aCno} xa&* ifA&g, als ob er nicht selbst dergleichen
Wortspielereien liebte) und ihm nicht kommen mit jenen xo^i^ä
xal ^tjtOQLxä ^TJ^araj dafs es nämlich möglich sei, auch als
Rhetor Christ zu sein: oida^iübg^ & ^avfiaöUj oüxow Söov elxög^
si xal ndQog xi doiri^ev. Wie solche Aufserungen aufzufassen
sind, sahen wir oben: sie fliefsen aus einer allgemeinen Theorie,
mit der die Praxis keineswegs notwendig im Einklang zu stehen
braucht. Er selbst nennt seine Predigt ^auf die h. Taufe' eine
didle^ig (or. 40 c. 1) und gesteht in der durch die Fülle per-
sönlicher Bemerkungen ausgezeichneten Rede, in der er seiner
Gemeinde in Eonstantinopel vorläufig Lebewohl sagt (er. 42),
ganz offen zu, dafs ihm das Beifallklatschen und die sonstigen
Zeichen der Bewunderung seitens der Zuhörer ein Bedürfnis
seien: c. 24: deivöv, si 6ts(^66iisd'a k6ymv Tcal 6vXX6ymv xal
navTjyvQSGjv xal t&v xQÖtav to'&tmVf ig>* &v msQOiifud'a und be*
sonders gegen den Schlufs c. 26: xaifsts %&v iftänf Xöyanf
igaöral xal dgö^iOL xal övvdQoyuxl xal ygatpidsg fpavsQ^A mü iUry-
^dvovöai^) xal fi ßta^oykivf^ xvyxklq aihri} xot^ lugl xhv l6yo9
1) Er meint die ofBriiilliw faovv««B«i!e f i. a- fi. 6IM> l) anH floldw^ di»
privatim mitselaf*'
Die Litterator der griechischen Kirche saec. IV: Gregor v. Nazianz. 565
i^i^oiidvotg^) . . . XQOtTJöatB x^^Q^9f ^6* ßoiiöate, Spats slg üiffog
tbv (i^toifa <6ftAv. öBöiyrixev {>(itv i^ 7CovriQ& ylMöa Ttal Xdlog^
o^ fi^^ öiyi^östai navxdnaövv' iiaxijösrai yäg diä x^'^Q^S x«l (li-
Xavog' xb d* oiv Tcagbv ösöiyijxafisv.*) Dafs er mit allen mög-
lichen Figuren seine Reden aufzuputzen liebte, haben schon die
byzantinischen Rhetoren gemerkt, die bekanntlich keinen der
christlichen Redner so häufig citiert haben wie den ^Theologen',
in der richtigen Erkenntnis, dafs kein anderer in diesem MaTse
alle Mittel äufserer Rhetorik zur Anwendung gebracht hat. 2) spesiei-
Unter diesen Figuren spielt weitaus die gröfste Rolle die Anti-
these in der Form des Isokolon mit Homoioteleuton. a) Figurei:
DafQr werden z. B. von Gregor von Korinth zu Hermogenes
xsqI fuMdov deivötritog (Rhet. gr. VII 2 p. 1227 flf. 1261 Walz)
folgende Stellen citiert: or. 15 (in Machabaeorum lauJem) e. 9:
iliol dl oi ted^i^xarBj (pCltatoi naidarvj &lV ixaQJcoq)OQiid^t6' ovx
htliBkolTCate &Xkä ftezslriXvd'ats' ov xccrsldvd^B &XI& 6wB%ayriXB.
ob ^qIov fJQjcaöBV 'bfucg, ov xvfia xaxixkvöBVj o'b Xr^öxiig
didg>d'ei4f€Vj oi vööog didlvöevj oi je6X£[iog Tcagavakmöev. or. 24
(in landem 8. Cypriani) c. 13: xaiha 6 x&v 6i]^s£(ov xal xcbv
rsQdxmv d'sög' xavxa 6 xhv ^Im6^q> &yayhv slg Atyvnxov &viov
diä äÖBXxp&v htr^QBlag
xal iv yvvaixl doxifidöag
Ttal iv öixodoöia do^döag
xal iv ivtmviotg 6oq>i6ag'
Iv inl iivi]g niöxBvd^
xal {)7t6 OaQah xiyLiq^
xal naxilQ yivqxai jcokk&v (ivgtddcov'
dC Stg ( Atyvnxog ßaöavi^Bxai
d'dlaööa xi^vBxai
6(fXog ÜBxai
i^liog löxaxai
yf^ xf^g inayysXiag xXrjQodoxBtxaL
ib. 19: dtiivbv d^aXiiotg äXänfa^ xal ylAööy XQcod'flvai xal ixoy
dslBaa91jvai nal diä 9viiov ^iöavxog ifini^ödijvai xal ysvöBt
rqgd^voi xal Aq^ luxXaxiö&i^ai^ Ttal xotg SycXoig xf^g tfco-
oben (8. 817) aus Cic. Brat. 290 angefahrten Worte.
■itrka den sehr ins Ohr fallenden rhythmischen Schlur«*
37*
566 Von Hadrian bis ztim Ende der Eaiserzeit.
triQiag Zytloig d'avdtov xQijöaöd'ai. Der Kommentator des
Hermogenes bemerkt dazu^ einigen erscheine derartiges öotpusti-
xövj aber das seien ifiad'stg, denn Gregor habe hier nicht dem
Ohr schmeichebi, sondern die Sache erhöhen wollen. Als ob
nicht für das Publikum, vor dem Gregor sprach^ beides identisch
gewesen wäre! Ahnliche Beispiele finden sich bei anderen Bhe-
toren (z. B. bei dem Anonymus III 110 flF. 174 S. Spengel),
aber es wäre ganz zwecklos, sie anzuführen. Denn diese Bei-
spiele sind nicht etwa die Frucht mühsamen Suchens, sondern
sie zählen nach Hunderten: man kann wohl kein Kapitel irgend
einer dieser Reden lesen, ohne an Stellen, wo er besonders
hohen Schwung nimmt, sofort auf ganz Analoges zu stoüsen: es
ist geradezu die Signatur seiner Diktion, und ich bitte den
Leser, dies im Auge zu behalten, weil es, wie wir sehen werden,
für die Entwicklung einer besonderen Art der Poesie von weit-
tragender Bedeutung werden sollte (s. Anhang I).
b) Auf- Wir wissen, dafs diese Figuren mit ihrem starken rhyth-
^'^Sriode*' mischen Wortfall am meisten dann dem Ohr zum Bewuüstsein
kommen, wenn sie in kurzen Sätzchen auftreten, und dais dem-
entsprechend das am meisten hervortretende Charakteristikum
der asianischen Diktion die Auflösung der Periode in zerhackte
xöfifiata war (s. o. S. 134f. 295 ff.). Bei Gregor treten daher auch
lange Perioden durchaus zurück hinter den winzigen, man
möchte sagen zerfetzten Satzteilchen. Eine erv^ünscht« Be-
stätigung meiner Auffassung war mir, als ich Usener, Religions-
gesch. Untersuchungen I (Bonn 1889) 253 von dem „raschen
Tanz asianischer Kola" in einer Predigt Gregors reden sah.
Um dem Leser eine Vorstellung dieser uns von Gorgias und
Hegesias bis Himerios geläufigen Diktion zu geben, greife ich
ein paar Stellen irgend einer Predigt Gregors beliebig heraus.
Die Predigt über die Geburt Christi (38) beginnt so: XQUftbg
yavvcctatj öo^döare' XQiötbg i^ ovquv&v^ äycavtiiöccvs' XQiörbg
inl yijg, v^Ad'rixe. ^' aöars rc5 KvqIco^ näöa i^ y^'', Tcal 7v* iiupö-
TBQa övvekmv sI'tkoj ^^ aixpQavviöd'Giöav oC oigavol Tud iycüL-
Xidöd-OD ii yfi'^ dtä tbv inovQ&viov^ elta inCyevov. XQi6xbg iv
öccQXL' tQÖfia) xal xo^Qä ayakhäöd'B' tQÖfic) diä ri^v &^a(ftüicVy
;|ra()a dtä ti^v iknCda. XQiCtbg ix nagd'dvov' ywatxeg ticcq&s-
vavEXB, Lva Xqlötov ydvtjöd^e yiritiQeg. rlg oi) XQOöxwst tbv iaC
^QtW^ T-t'^ ov do|«£;ffc xbv rtXBvxalov\ Hdliv xb t$x6tog XiisttUj
Die Litteratur der griechischen Kirche saec. IV: Gregor v. Nazianz. 567
xdXvv tb ^p&g inpiöratM, naXiv Aüyvnxog öxörp xoXd^eraij nakiv
^löQcdjX &tvXm (ponClerar 6 labg 6 xad^^isvog iv 6x6% bi ri\g
AyvoCag lÖhco q>übg fi^ya tijg iniyvmöecog. ra icQxala naQfjkd'Bv'
ldoi> yiyovB tä ndvra xaiva, xo yQcefina imoxcoQSt^ ro nvev^a
%Xeov£XT6l, at öxial icaQaxQi%ov6iv^ ^ ak'/^^eia inaieiQxetai^ 6
MeXxiöedhx öwdyerai^ 6 a/iifrcop ijcdtOQ yCvexai^ d(irjx(X}Q ro
MQÖxeQiyv, iatdxfOQ xo öavxeQOv. vöfioc q)v66cog xaxaXvovtai.
xltiQfo^fjyai dst xbv &vto xöc^iov. Xgiöxbg xbXbvbIj fiij dvxiXBlvG}-
fiBV, ^^ndvxa xä ifhfri^ xgoxijöaxB ;i^£r()ag", Srt ^^icaidCov iyBvvtjdifj
^fcfv, vtbg xal iä6^ri iiyLtv^ o5 ^ dQxh ^^^ ^^^ &^ov ainov (xc5
y&Q 6xavQ& ffWBTtavQBxai), xal xakelxav xb Svo^a avxov fiBydXtig
ßovXfig (xfjg roi> IlaxQbg) "Ayyalog^^. ^Imdvvrig ßodxco' ^' ixoindöaxa
rifv bdbv KvqCov *'. K&yh ßoijtSoficci xfjg ijfidQccg xiiv Svvayivv, 'O
&6aQxog öaQxovrai^ 6 Xöyog nax'ivaxai^ 6 &6Q(xxog bgazai^ 6 ava-
fpiig ilrriXatpaxai^ 6 &XQ^'^^^ &QXBxai^ 6 vßg xov d'BOv vCbg avd'QOj-
nov yivBxaiy *Ii^ö(ybg Xgiöxög^ x^^^ ^^^ öi^iilsqoVj 6 avtbg xal Big
T(yi>g al&vag. *Iovdatot öxavdaXi^aöd'CDöav^ "EXkrivag diayaldxcDöav^
algetixol yXtoööakyBCxtoöav. xöxa TttöxBiiöovötv, Sxav tdcoöiv alg
aÖQavbv ivsQx^fiBvov bI dh fiij xöxb, dXV Sxav i^ oigav&v bqx6-
§uvov xal &g xgix'^v xad'B^öfiBVOv (cf. etwa noch 39, 14. 40, 3).
— Wenn man dazu noch nimmt die häufigen Wortspiele^), c) ivtavit^.
das d-BoxQtxbv <y;(^fia der Personifikation, mittelst dessen ^,."J^ixT
einem unbelebten Wesen Persönlichkeit und Worte geliehen
werden (z. B. or. 45, 30: iXX' & Ildaxa^ xb ^aya xal [a^bv xal
navxbg xov xööfiov xad-dgatov, &g ydg iyLil)vxfp (Sol öiaXi^ofiai
xtX. 32, 10: Td^ig [die Weltordnung] TcaXoig av atnoi^ al Xdßot
q>o)vijv^ carm. 8 die Xoyofiaxia des Biog xoöfiixög und des Bcog
jtvavfuttiTcögj s. o. S. 129, 1), die Einführung einer fingierten
Person mit q>ri6i (z. B. or. 40, 20 in. 22 in. 28 in. 29 in., s. oben
S. 556 f.), die grofsen Kühnheiten der Ausdrucksweise im
einzelnen, die ihn öfters zu entschuldigenden Wendungen ver-
anlassen (z. B. 29, 3: at öai xl xal vaavixd)xaQov alnalv, 38, 7:
xoXyM XI vaavixbv 6 Xöyog. 42, 13: ßovXaöd'a itQOOd'&fiav xl xal
veavixdnBQOv; 40, 16: & xrig ivevXaßovg aiXaßaCag^ al Sat xovxo
1) Am bezeichnendsten wohl die Witzelei mit dem Doppelsinn von
xo^f, die auB n^Ql vjpovg 4 bekannt ist: carm. 1. 1 sect. II 29 y. 20.S f.
(87, 906 Higne): yQd'tpe not* öftiucta ndgvr] 'iB^dßsX ccyQL6d'V(jLog. Xvöf ys fi^v
n6ffva9 cS\utxi noQviSUo (citiert von J. Tollius in seiner Longinausgabe
[Traj. Blien. 1694] p. 86 cf. 33).
568
Von Hadriaa hia Eiun Ende der Kaieeneit
tiaEiv), so hat man eine ungefähre Vorstellung vom Stil dii
Reden und mag es vom Standpunkt der vielen Gegner, die der
leidenschaftliche Manu hatte, eiiiigermarseD begreiflich finden,
wenn sie diese mit allen Putzmitteln fast zu reichlich aus-
gestattete Diktion als eine lietärenhafte hezoiclmeten , wie ei]
Eratostheues die des Bion (s. oben S. 128). 'J
Er wurde in sehr früher Zeit der christliche Klaasiker
dem Gebiet der Rede: nur er wurde kommentiert, die uns in
Handschriften seit dem IX. Jh. erhalteneu Schollen*) gehen wohl
bis ins V. Jh. n, Chr. zurück. Mit welcher Begeisterung man
noch in späten Zeiteu gerade das Stilistische dieser Predigten
würdigte, zeigt eine Rede des Michael Psellos über Gregor als
lledner, ed, H, Coxe in den Catalogi codd. mss. bibl. Bodl. (Ox-
ford 1853) p. 743 £f. Er mifst ihn an allen heidnischen Rednern
und stellt ihn natürlich Über alle; wenn er ihu lese, werde er
so hingerissen von der Dilctiou, dafa er oft gar nicht au den
Sinu der Worte denke (p. 744, s. o. S. 5). Bemerkenswert
p. 747: äextQ npbg ivQuv ägftöaas airm rä aoiijfiata (er meint
die Reden) ^v^itä nävr« jitqika^ßävn, oi iiö ixoXciaTO} & aoX-
Aol T&v ^r]t6Q(ov ixq^Oavto itklci zä tltofpQOve6TÜxof ovä\ tfc;
(iovoeidrj SmaptC^ei tbv >.6yov &v^zaveiv, mä SiaaoixiXiii rag
xaraX^^iig.^) iori 6'k s(i(itTifog (liv &$ tä ftälisre, Soxet 6i fi^
&«oßa{vtiv 101' ÄE^oi). Besonders die packende Kralt der epi-
deiktisclien Reden Bebildert pr treffend p. 749 f.*) Heute be-
1) Die eigenartige Stelle findet «ich or. 42 c. 12: il6yuv) oii% lA-s tp-
(iVUfiEv MX' ade fiyan^aatttv, nHi täy itofvi%äv, &s rig f cpT) diaavfav
fjItSv ^Av nAfvrav aul Jtoyov xak ipdnoi', HUi hbI llav matpf6vwi/. Die
Kritik, die Uregor von Njssa An dem Stil de« Eunomios ilbte (s. oben
S. B68ff), findet thatflilcbüch in miiDclieii I'uniten auch auf den dej Vm-
nanxener» Anwendung, und e» berührt eigeiiiu-tig, •xnaa liieaei
ilia ao(iV*<'v Uyiof bei seinea Geguern epOttett (S, 669, 'i).
i) KdUmd flbor diti \)i»hei vdierten mit Uituufägung einiger ati
l-mra XX^Tl U8w2) 808 ff. sowie i» Z t «iBS, '1%
ir da« IHiL-torisubo sind sie, eorii*\ ich sehe,
i\»U din rbnUiriinheD Schnlien fa^t
!,i 11, it(. lioiJi gnat bweichncnd.
i:i'inhua« anf du» ron W Me
I. vgl. Anhang LI.
iK'Uu^ im gtuuen dürfen nir nfttOrllch n
tim li'-r hibflgrifT des Ht>duer« uiid ur vereteitfl jj
UbBitruibungen. UusHelbi! gilt (dq aeineT
Die Litteratur dur griecb. Kirche s. IV: BMJleios. Chr^HOKtonoa. 5()1)
flitzen wir weder eine billigen An8j>rüchen genügende Ausgabe
der Reden und Gedichte nocb eine Würdigniig dos Sctrift-
atellers.^)
y) BasileioB und loannce Chrysostonioo.
Von ihnen, besonders dem letzteren, habe ich nicht genug Trihui
gelesen, um sie wie Gregor von Nazianz, den ich wiederholt ongon
ganz las, stilistisch genau würdigen zu können. *) Aber man
braucht nur eine beliebige Fredigt eines dieser beiden auf-
zaschlagen, um gleich bei den ersten Sätzen den Eindruck zu
gewinnen, daJs sie in einem ganz anderen Stil schreiben als
gleichenden Charakteristik ilee Gregor, HasüiuB und lounneK ChryBciBtonios
(gedruckt bei Migne »ol. 122, 901 ff.). Wan Riebt fs z. it. Falaehprp» uU
den Stil Gregors mit dem dee DemoBthencs und gar den« des langweiligen
kiafHoien Aristides zu Tergleichen? Das geschieht eben nur, weil diese
beiden ala die naritiis toi liytiv galten,
1) Ein paar kurze, aber zutreffende moderne L'rtoile mögen hier Plutz
finden. Erasmua, Epist, praetixa edit. Cluudii Cbeiullonii a. lüS'J (ge-
druckt bei Higne toI. S6, 809 f.); in Qrtgorio Naz. iiirtiis prvpemottwn ex
ocgiia eertat eum fac%mdia, ged antat signiticauteg argut'tag, quag eo difficiliua
at latime rtddere, guod ^erumque gttnt in verbis nitae. CauBsin, Elo-
qnentiae ncrae et homuue puallela (1619) BIO: oratio delicaUmmig fto-
rAw aapena, lumma sitamtai» Unperata ..... incalamistrata, d*. p. 74.
Vjndlon, Dialognes snr l'Eloqnence (Paria 17181 33B; tSaint Gregoire de
H. ttt phu amei» et plu> poitique (n&mlich lil^ Jo. Chrra.), tHuis itn peu
awMt Oüpligittf ä la perauasion. Villemain I. c. (oben S. bCO, 2] .450: cetle
nabtn ä la föis atUgiie et Orientale, gui milait taute» h» gräces, loitte» Jes
MiBriMM du butgage ä Vielat irrigiüier de Vimagination, tmite la tcimec
An rUttitr ä fmuUriU d'utt apötre, et quelqaefois le titxe affecte ilit hm-
ftgt ä ftmolitm la piiu Matve et la pltu profonde . . . Ses Hoges funibres
~iöiü det hynmes. DtrBelbe, Etüde am- Gr. de N. in: Journal des SuT&Dta
1867 p. 77; Ce beau jinit d^vMe ipoque de deeadence, cet oratmir, qui, g'il est
ptTMu de miler deax farM« contmirea, i%ou» temble un Isocrate passionne
t dieaen Aosdruck (adelt mit Recht E. Havet, Le discoure d'isocrate sur
B [Paria 1861] p, LXVII), te laiate entrainer parf'oi», datu ms dia-
mr» mimea, ä des momemattt d'utie viracite presque Igrique; temoin Ken
* trihtne pathanale de Contlantinople, ä sott peuple, ä koh aadi-
I, «m »MKiuaire qt^ o Mfindtt, auas fidiiee qit'il a charmes, n la tent,
iHniii «Am.
Gregor v. Njua Tgl. Piobst 1. c. (oben S. 660, 8) 2S1 ff., Rtr
IM^fllr ChiTsoatomoB dem. 361 ff. Weissenbach 1. c. (oben
570 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
jener. Lange, wohldispoiiierte Sätze statt der kurzen zerhackten,
und im allgemeinen sehr sparsame Verwendung der Redefiguren,
nach denen man hei ihnen suchen mufs, während sie sich bei
Gregor überall aufdrängen. Der Unterschied erklärt sich oflFen-
bar teils aus dem gemäßigteren Temperament beider, teils wohl
auch aus der Scheu, die Predigt ganz . in die sophistische Prunk-
Hophi- rede aufgehen zu lassen. An geeigneten Stellen haben natürlich
beide vou den äufserlichen EflFektmitteln der Rhetorik auch
ihrerseits Gebrauch gemacht^): die Homilien des Basilius zur
Schöpfungsgeschichte (vol. 29 Migne), von denen ich einige ge-
lesen habe, weil sie für die Philosophie von Wichtigkeit sind
und auch sonst ganz auf dem Fundament hellenischer TCaideia
beruhen, sind, wie ich mich erinnere, wegen der fortwährenden
ixg)Qd6€ig in dem für solche Stofie erforderlichen Stil, dem
n^äöiua ävd'riQÖv (s. o. S. 285f.), gehalten, d. h. durch reichliche
öx^iiiara aufgeputzt. Noch pathetischer hat gelegentlich Chry-
sostomos gesprochen. Von ihm sagt Villemain 1. c. 392: Velo-
quence de Chrysostofne a sans doute, pour des modernes, une Sorte
de diffusion (isiatique. Les grandes images empruniees ä la naiure
y reviennent souvent San style est 2^1^^^ edatant que varie; dest la
splendetir de cette lumiere eblouissante et toiijours egale, qui hrüle
stir les campagnes de la Syrie, Ich kenne eine solche Probe aus
einem seiner Briefe (ep. 1 an Olympias, vol. 52, 549 Migne), die
1) Ans Basilius habe ich mir anfser dem im Text AngefQhrten noch
folgendes notiert: hom. in divites c. 8 f., adv. iratos c. 1: dicc dv^töv ital
^Itpog imopßtai, ^dveetog Av^oSnov in XBtgbg Avd'QamHag tolii&tai. c. 2:
röte dii x6^B xa o^re X^fp (rgtä o^b l(fy(p qpo^ra iniSstv iatt d'edfucta.
de iavidia c. 1 in.; in baptisma c. 8. Während er aber in den Predigten
jedenfaUs ftufserst spanam mit diesem Ennstmittel wirtschaftet, macht er
beieiohnenderweise reichlichen Gebrauch davon in den an Libanios ge-
■chxiebenen Brieftn: ep. 889 (vol. 88, 1084): ifo^ [i^if dXi]^, Xiiiw 9h ic^u-
#4. — oMq d\ lnittM9 ^Up SHag foo^toi^ ixtatoXAp noto^iisvog, at
4l M^mm Md iftäg o6% lliftov^i. 844 (ib. 1088): ^ yäq rb Uynv
•^ «4 iwwflin» oH AvhotiUMß. 862 (ib. 1096): o^ yccQ i^ou
' ftpfafttii ofo i^tßAfuttog liy»^ ovrAp, o^ üxgixtimvuiotg
fittpadootg xijpHuq 9%fA&J^. 866 (ib. 1097): dM%fk-
fSflE' Amat€oviU90i/e dh nf^bg St ygd^Big Awti-
brigen, an andere Personen gerichteten Briefen
Bflihjptol u finden. — Noch wexüger als Basüius
' vte'lijiM dieae Figur sn lieben, doch cf. in
4 Hgnes land. in Stephanom ib. 701 und 721.
Die Litteratnr der griech. Kirche s. IV^: Basileios. Chrysoötomos. f)71
hier Platz finden mag, auch deshalb, weil jeder, der sie sich la-
teinisch umdenkt, sich an den Stil erinnert fühlen wird, in dem
im Westen ein paar Jahrhunderte vorher Appuleius, etwa gleich-
zeitig Hilarius nnd überhaupt die Stilisten im Hjallicanus co-
thamns' geschrieben haben, ein Zusammenhang, dessen einzelne
Glieder ich später aufzuzeigen gedenke. Oigs 8^ aTtavrXiiöco
60V T^g i^fitag rb iXxog xal diaöxeödöco rovg Xoyiöiiovg rö
vd(pog tovto övvdyovrag. tl yag iöxiv o övyxal 6ov ri^v dva-
voiav, Ttal Ivjc^ xal adrifLovBtg; Zxv äygiog 6 ;|^£ifiQ}i; 6 ro:^ ixxkri'
öCag xaxakaßbv xal tfiq)mSr]g xal vvxxa äöiXrjvov nivxa slgya-
6axo Ttal xad'^ ixdöxriv xoQVfpovxai xi^v f^Ligav^ mxQd xiva &iCv(ov
vavdyuCf xal ati^axai ij navnke^QCa xf^g oCxovfitvrjg ; olda xovxo
xiym xal oiäelg dvxBQSty xal al ßovkai^ xal alxova Avaitkarxcn
rdv yivo^dvcDVf &6xe 6aq>66xaQav i^oi noifjöai xijv xgaymdiav,
d'dkaööav 6q&ii6v dx ainflg xdxtod^av dvafioxkavofiivrjv xfjg dßvö-
tfov, xlmx^Qag xotg Cdaöt vaxQovg iniitkiovxag^ axagovg {rnoßgu-
Xiovg yevofiivovg^ t&g öaviöag xcbv nkoCmv dtaXvoiiavag^ xä töxCa
iiMQQi^yvvfUva^ xobg töxovg diaxlcofidvovg^ xäg xd)nag xcbv ^jr^tpcäi/
x&v vavxfov dnoxxdöag, xoifg xvßsQvijxag avxl oidxmv inl x&v
xaxaOxffmfuixanf xa^Yi^ivovg^ xäg xatgag xotg yövaöL naQinXaxovxag
Xfd xgbg xijv dftrixaviav x&v yivoiiavav xcoxvovxag, o^dmg ßo&v-
tagj ^fTjvol^ag^ 6lo<pvQO^dvovg ^övov, oix oifQavöv^ oi ndXayog
qwivöfUvoVf illa öxöxog Tcdvxa ßadif xal d(payyig xal ^oip&dag
hg oidh xoi>g nltiöiov imxgdnovxa ßkdnaiv^ xal TtoXvv xbv Tcdxa-
yov x&v xvfidxayv xal 9i^Qia d-aXdtxta xdvxod-av xotg nkaovöiv
ixixMiuva^ der reinste ^Asianismus '. Dafs er mit voller Be-
herrschong der rhetorischen Technik schrieb, wufsten schon die
alten christlichen Leser^ cf. Martyrios von Antiochia (saec. V)
encom. in loann. Chiys., gedruckt bei Migne vol. 47 p. XLIII;
aneh aus seinen Homilien haben die Byzantiner, wenn auch
lange nicht so oft wie aus denen Gregors, Bedefiguren ex-
cexpiertb Unter den Neueren war, soviel ich weifs, der einzige,
der auch diesen Dingen sein Interesse f?eschenkt hat, Chr. Fr.
Hatthaei in seiner Ausgabe von: loannis Chrys. homiliae IV,
Mifsnae 1792. Er bemerkt (praef. p. XXIV fi'.), dafs der Kedner
selbst auf kunstvolle Diktion Gewicht lege: 55, 155 Migne: Ttot-
utÜMt/v Jif^ tb t^ dtdaöxaXiag eldog xal vvv yilv TCavrjyvQixc}'
tifmv^ wthß A äymvtaxtManBQoyv SnxBöd'ai köymv . . . xakko^nit^aiv
{ Mtf «s wA &v6fLa0i xifv ifiitivaiav, daher snepins nimis quc
572 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
Sita est elocutio, conUnuis ac dissimüibus translationibus referta,
floribus multis et discoloribus obsita, ad ostentatianem et aurium
volwptatem composita, mole laborans, inflata, tumens, et ut ipsius
verbis (wo?) utar, ßQvovöa ßgid-ovöa, xoii&öa ötpQiy&öa. Für
den Gebrauch der Homoioteleuta fQhrt er u. a. an 63, 518: fi^
di^ [lOi Xiye^ 8rt elg iörvv 6 ad^A^d^, rö nsQiöitovdaörov tdi d'sdi
tmovj i)jehQ oi xoöavta iydvsxo, imhQ oi rö r^fitov alfia ix^idi]
xal rtfti) xatBßXij^ri rotfai5ri}, di &v oigavbg itd^ Tcal ijliog
ivijq>%7i xal öeXi^vi^ '^Q^X^'' ^^^ Tcotxilog iötigcov xataXäfinsL
Xogbg xal äijQ finkä^ri xal d'ikaööa i^axvd'iq xal yfl id'SfisXuo^
xal nriyal ßQ'6ov6i xal TCotaiiol ^iovöi xal 8(M} nixiqysv xtL
(ganz ähnlich 48, 1011; 1029. 49, 299).
Mit diesen Triumvirn schliefst die eigentliche Entwicklung
der altchristlichen Predigt in griechischer Sprache. Wie jene,
gingen auch die späteren Prediger aus den Schulen der Rhetoren
und Sophisten hervor; neue Formen hat daher seitdem die
Predigt nicht mehr angenommen, aber freilich, die eine dieser
Formen wurde so ausgebildet, dafs sich aus ihr unmittelbar die
Hymnenpoesie entwickelt hat. Ich werde daher erst später, wo
ich diesen Zusammenhang darlege (Anhang I), auf die jüngere
Predigt genauer eingehen.
5. Die Ausläufer der griechischen Eunstprosa
in Byzanz.
EBtartong. Dafür mufs ich, da mir die Möglichkeit eigenen Urteils hier
fehlt, auf Krumbachers Angaben yerweisen. Ich habe daraus ge-
lernt, dafs auch in Byzanz neben der wesentlich klassicistischen
Richtung die andere parallel läuft, deren Hauptvertreter Eusta-
thios der Romanschreiber für den Typus wahnsinnigster 6e-
schmacksyerzerrung zu gelten pflegt. Die paar Seiten, die ich
davon las, genügten mir, um die Berechtigung von Erumbachera
Urteil (p. 764 f.') einzusehen: „Die Darstellung des E. gehört
zu dem Wunderlichsten, was Byzanz au&uweisen hat; das ist
kein style pr^cieux und kein englischer euphnism mehr, sondem
ein in nervösen Windungen aufgeführter stilistischer Eiertani^
bei dem uns vor Augen und Ohren schwindelt; dabei verrät sich
die Armseligkeit dieses Wortjongleurs in der steten Wiederkehr
Byzanz. — Die spätlateinische Litteratur: Allgemeinea. 573
der gleichen Ausdrücke und der gleicheu Eunststückchcn, von
denen das wichtigste in der Häufung kurzer, um jeden Preis
antithetisch gedrehter Satzglieder besteht/' Natürlich
fehlt auch keine der andern Facetien, wie Wortspiel und Homoio-
teleuton. Hätte man diesen Skribenten nach Hegesias gefragt,
er hatte sicher weniger von ihm gewufst als wir, nach Gorgias,
er hätte ihn jedenfalls nur mehr vom Höreusagen gekannt (sogar
Maximos Planudes citiert ihn nur aus Dionys von Halikamass):
aber, ohne dafs er es weifs (er glaubt nämlich, mit einem Bar-
barenwort sich selbst Lügen strafend, zu schreiben ylAööjj
irrixBvofiBvji XI 20), ist er ihr Geistesverwandter gewesen, denn
durch die Macht einer anfangs bewufst, dann latent fortwirkenden
Nachahmung sind die Geister des alten Leontiners und seiner
Genossen nie zur Ruhe gekommen, sondern haben Jahrtausende
lang ihr wunderliches Wesen getrieben, augenverblendend und
ohrenbetäubend.
Drittes Kapitel.
Die lateinische Litteratur.
Überblicken wir die lateinische Litteratur der Spätzeit in Orient und
, Ocddent.
ihrer Gesamtheit, so tritt ihre Inferiorität gegenüber der grie-
chischen womöglich noch deutlicher hervor als in den früheren
Jahrhunderten. Der geistige Principat des Ostens zeigt sich be-
sonders in folgenden zwei Thatsachen. Erstens: die beiden ein-
zigen wirklich bedeutenden Profanschriftsteller des Westens,
Ammianus der Prosaiker und Claudianus der Dichter, waren ge-
borene Griechen: zu einer geistigen Konzentration, wie ihn das
schon durch die Gröfse seines Unternehmens, mehr noch durch
die Kraft und Originalität der Ausführung imponierende Ge-
sehichtswerk des Ammian voraussetzt, war das Abendland längst
nicht mehr fähig, wie die armseligen sog. Scriptores historiae
Angastae und die Verfasser der traurigen Kompendien der römi-
schen Geschichte beweisen; und was läfst sich der Mgysia der
claudianisohen Satire an die Seite stellen? Der weitaus be-
deatendste Schriftsteller des ausgehenden Altertums war Boethius:
mir dnreh eingehendes Studium der Griechen hat er sich seinen
hnponiiweaDden Schwung der Gedanken erworben. Zweitens:
574 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
das occidentalische Land^ in welchem die Litteratur fraglos ihreü
höchsten Stand hatte, Gallien, war am stärksten durch die grie-
chische Kultur beeinflufst: Ausonius las, was wir ihm vielleicht
werden glauben dürfen, den Menander neben Terenz, wie einst
die Philologen der Antoninenzeit; Hilarius von Poitiers, einer der
besten Prosaiker der Spätzeit, hatte längere Zeit im griechischen
Osten verkehrt. In den späteren Jahrhunderten hat Irland, wo,
wie durch eine Fülle von Zeugnissen feststeht, die Kenntnis des
Griechischen für mittolalterliche Verhältnisse abnorm hoch war,
die führende Rolle im Occident übernommen und ist Banner-
träger der Kultur geworden. — Das Verhältnis war also das-
selbe wie von jeher: der Osten gab und der Westen nahm, wie
sich auf allen Gebieten der Litteratur, vor allem auch der christ-
lichen, zeigen läfst: z. B. begnügt sich sogar ein Mann von der
Gröfse des Ambrosius, in seinen Predigten über die Schöpfungs-
geschichte den Basilius z. T. wörtlich zu reproduzieren, und den
Hymnengesang führte er in seine Kirche ein secundum marefu
orientalium partium^ wie Augastin s^t (dasselbe hatte schon vor
Ambrosius Hilarius gethan); die immense Produktionskraft des
Hieronymus stützt sich auf die Vorarbeiten eines Origenes und
Eusebios. Überall, wo wir vergleichen können, zeigt sich^ daCs
das Niveau des Westens ein tieferes ist als das des Ostens: wie
mufs Augastin im Vergleich etwa zu Gregor von Nazianz zu
seinen Zuhörern herabsteigen, um ihnen verständlich zu werden,
wie einfach sind die Formen, in die sich der lateinische Kirchen-
gesang kleidet im Vergleich mit einem Hymnus etwa des Romanos,
wie kontrastiert der hohe Schwnng der Ideen eines Plotinos und
BynedoB lu der Flachheit eines Macrobius und der bis zur Un-
ttadlifllikeit dnnkeln Grübelei eines Marius Victorinus. Es
HoPKtnr des Westens vor allem das ideale und speku-
KefbhU^ von dem die des Ostens mehr oder weniger
>i dagegen hat in ihr das Utilitötsprinzip stets
geipielt: es ist doch bezeichnend, dafs Ency-
Rsmus, wie wir sie im Westen seit Gato und
staigoider Zahl nachweisen können, im Osten,
meht existiert haben: begreiflich genug, denn
i«r mioht erschöpften Quelle des Wissens war
\ Wissenschaft auf Flaschen zu ziehen, nicht
d es gebieterisch hervortrat in einer (Gesell-
Spätlateinische Litteratur: AUgemeiues. oTf)
Schaft, die das Wissen nicht aus sich selbst produziert hatte.
Speziell die christliche Litteratur des Ostens ist aufgeklärter als
die des Westens: eine Schrift wie die des Basilius ngbg roi^g
viovg ornog av ^| ^EXX'qvtxätv ätpeloivro Xoycov hat der Westen
nie besessen, und es ist bezeichnend, dufs diese Schrift eine der
ersten war, die in der Frührenaissauce ins Lateinische übersetzt
und den mönchischen Widersachern entgegengehalten wurde:
man besafs eben nichts Entsprechendes in lateinischer Sprache^);
umgekehrt dürfte sich schwerlich aus der christlichen Litteratur
des Ostens eine Stelle anführen lassen^), in der das mönchische
Element in so grellen Farben erscheint wie in der des Cassianus
(conl. XIV 12), der sich verflucht, dafs ihm während des Gebets
und Absingens des Psalters der Teufelsspuk der virgilischen Ge-
dichte vor Augen trete. Angesichts dieser Verhältnisse steigt
nur um so hoher die ragende Gestalt des Augustinus, dessen
litterar- und welthistorische Grüfse wohl zu erklären ist aus
seiner einzigen Verbindung idealer griechischer Spekulationsgabe
mit energisch-praktischer occidentalischer Konstruktionskraft.
Sein geschichtsphilosophisches W^erk bleibt eine der imposan-
testen Schöpfungen aller Zeiten, es setzt eine Kapazität und Ori-
ginalität des Geistes voraus, wie sie damals und mehr als tausend
Jahre hinfort keiner besessen hat
Der eigentliche Grund, weshalb gerade in der Spätzeit des
Altertums die abendländische Kultur der des Ostens ganz be-
sonders inferior war, liegt in dem fortwährenden und progressiv
wachsenden Prozefs ihrer Assimilation an barbarische Elemente,
die ihr ein an der Antike gemessen immer fremdartigeres Ge-
präge verleiht. Ganz anders im Osten, wo eine solche Kuuta-
mination in diesem MaGse nicht stattgefunden hat. So kommt
eSy dab man etwa Agathias und Georgios Pisides nach Ideca-
gang und Darstellungsweise viel mehr zur antiken Litteratur
rechnen kazm als etwa Gregor von Tours und Venaiitius. Im
1) Die ÜbersetKung ist von Lionardo Bruui, vS. G. Voigt, D. AVicrlfM-
beleb. d. cImb. Alt. II' (Berl. 1898) 104.
S) HOchsteiiB die Rede des loanncs Chrysostomos "wider die Verricli ter
des MOnchiweMiis' (besonders 1. III c. 18, vol. 47, 379 fl'. Migiie) liernc akh
anfuhren, aber diese eigentümliche Scbrltl int nur ein l^rodukt der augen-
blieklichen politisch-religiösen Verhältnisse gcwe^^en, cf. A. Puech, St. Ji^an
CkzTB. (Paris 1891) IM f.
f)7() Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
sputen Mittelalter hat sich dann das Verhältnis umgekehrt: der
Occident übernahm die Führung auch auf geistigem Gebiet. Das
erklart sich gleichfalls aus dem dargelegten Umstände. Denn
im Westen war eben durch jenen Assimilationsprozefs eine fast
neue Litteratur entstanden , verständnisvoll begünstigt durch ge-
waltige Herrscher wie Theoderich und Karl d. Gr. und gepflegt
durch deren grofsc litterarische Paladine: diese Litteratur war,
weil sie sich gesetzmäfsig entwickelt hatte , frisch und lebens-
kräftig, während die Litteratur des Ostens, dem Leben und den
Interessen der Gegenwart fern stehend, der Senilität und dem
Marasmus verfiel: in der zweiten Hälfte des XIU. Jh. hat Maxi-
mos Planudes eine Reihe lateinischer Autoren ins Griechische
übersetzt und in den folgenden Zeiten viele Nachfolger gefunden,
eine höchst symptomatische Thatsache, denn sie bedeutet die
Umkehrung eines anderthalb Tausend Jahre mit verschwindenden
Ausnahmen^) konstanten Verhältnisses. Bei dem endlichen Ver-
löschen des immer schwächer glimmenden Lebenslichtes des
byzantinischen Reiches und seiner Litteratur wären daher die
Vertreter der letzteren aus sich selbst nicht imstande gewesen,
die verlorene Gröfse wiederzugewinnen: unter Führung des Westens
wurde die gemeinsame Mutter aufgefunden.
Diese Verhältnisse finden ihren Ausdruck auch in den Formen
der schriftlichen Darstellung, wie sie sich im Westen entwickelt
haben.
I. Der alte 8tU.
1. Allgemeine Vorbemerkungen.
Wai veranlafste diese Epigonen, sich mit der alten Litteratur
weiter za beschäftigen? Es war vor allem die eigne Un-
Produktivität, die sie zwang, immer und immer wieder ihre
blicke rückwärts zu lenken. So haben sie in den Zeiten, als die
alfc« Knitor in Trümmer sank und neue Literessen von onmittel-
Imrer Wichtigkeit an die Stelle traten, in der Schule sich voU-
^ffmogßn AD Terenz, Vergil, Persius. Juvenal. Statins, an Salluat
I CietfOw £b war aber nicht blofs daa Gi^fiüil eigner Unfähig-
"^liirp De latiiM tcriptit quae GrMci t«I«i«s in lingnam
18S6— 185a.
Spätlateinische Litteratur: der alte Stil. 577
keit^ welches ihnen die Pflege der alten Litteratur zur unabweis-
baren Pflicht machte: es kamen hinzu zwei in hohem Mafse be-
günstigende Momente.
1. Zunächst die Reaktion gegen das Christentum. Die nie ait-
Beschäftigung mit der alten Litteratur erhielt nämlich thatsäch- o*^tr*der
lieh einen starken Impuls in den Zeiten, als die neue Religion ^^^°
zur Herrschaft gelangte. In Opposition gegen sie traten die
Männer^ die mit allen Fasern an der Vorzeit hingen und schmerz-
erfüllt durch liebevolle Beschäftigung mit der alten Litteratur
sich über die Miseren der Gegenwart hinwegzutäuschen ver-
suchten. Vor allem habe ich hier natürlich im Auge den Kreis
von hochadligen Männern, die sich um die Familien der Sym-
machi und Nicomachi scharten und deren Thätigkeit wir viel-
leicht die Erhaltung eines Teils der lateinischen Litteratur über-
hauptj'edenfalls die ältesten Handschriften verdanken.^) Symmachus
selbst las die alten Komiker und Sallust mit Vorliebe , sicher
auch den Fronto, denn in einem Brief (III 11) sagt er: speciator
tibi veteris monetae solus stipersum, wobei er an die Vorschrift
denkt, die Fronto seinem prinzlichen Schüler giebt: vetereni mo-
netam sectator (p. 161 N.)'); er hat das Bestreben, sich von den
argutiae pla%isibüis sermonis seiner Zeit fernzuhalten (I 89). Ser-
vins, ein Mitglied jenes Kreises, citiert (z. Aen. I 409) den Fronto
80, dafs man sieht, er las ihn. Die Saturnalien des Macro-
bius führen uns am lebendigsten ein in das Denken und Fühlen
jenes Kreises und erhalten dadurch eine kulturhistorische Be-
deutung. Wie viel weniger wüTsten wir doch von altrömischer
Religion, wie viel weniger Fragmente der archaischen Litteratur
hatten wir, wenn nicht diese Männer Interesse an solchen Dingen
genommen und die darauf bezügliche Litteratur, soweit sie ihrer
noch habhaft werden konnten, ezcerpiert hätten; denn wenn
Macrobios, ein kleines Licht jenes Kreises wie Servius, auch
1) Um eine klare Vorstellang von den berühmten Subskriptionen zu
erhalten, ma£B man jetget hinzunehmen, was über die gleichartige Sitte zeit-
genflssischer griechischer Christen mitteilt Hamack, Gesch. d. altchr. Litt.
I SS7 (wo f&r a^xk x<^^ Tldy^ikog %al EMßiog Siogd'dtcavTO zu lesen ist
S) Daraiis folgt doch wohl, dafs bei Symmachus sectator zu lesen ist,
iraniif aneh führt Solin. praef. p. 4, 17 M.^: vestigia monetae veteris per-
9€e%ii cpimtmu wnivenas eligere maluinnis potius quam inmvare.
578 VoD Hadrian bis zum Kude der Kaieerzeit.
nicht melir die selir alten Autoren gelesen bat, die er aus sekun-
dären Quellen citiert, so verKcihen wir ihm dies nach antiker
.\nBchauung sehr entschuldbare Yoi^ehen um so lieber, weil es
ihm wohl bei den allerwenigsten (freilich nicht z. B. bei Tarro)
möglich gewesen wäre, sie sich zu Terschaffen; bei einer Gelegen-
heit läTst er über ihre Nichtachtung sprechen: VI 1, 5 (aus der
Nachahmung älterer Dichter sei Vergil kein Vorwarf zu macheu,
mau müsse ihm im Gegenteil Dank wissen,) quod non nulla ab
Ulis in opus &ium quod aeterno ntansurum est transferemh fedt,
ne omnino tncmoria vetcrum delerctur, gitos non solttm
ncglectui verum etiam risui habere iam coepimus. — Auch
anfserhalb Roms^) war damals Ansonius, der Freund des Sym-
machus, Christ nur dem Scheine nach, wie alle damaligen
Schöngeister, ein Liebhaber der Alten (speziell auch des Plautua),
mit deren Floskeln et oft seine Werke anputzt.
siüTkuDK 2. Das zweite Moment, welches die alte Litteratur schützte,
NatioDiii- war die Reaktion gegen die Barbaren. Diese überfluteten
'"*'"''"''"■ eine Provinz nach der anderu und es schien, als ob sie gesonnen
wären, die alte Kultur gUnzlich zu zertrümmern. Ihre Sprache
äöfate den Komauen Grausen ein^: Sidonius spricht von der
sqttania s&^notiis Celtici (ep. 111 3), und es ist ihm ganz unfafs-
bar, wie sich der aus altadliger Familie stammende, mit der
Lektüre Vei^ils und Ciceros grofs gewordene S^agrius damit ab-
1) Aber eigenüich lebendig war da« Gefübl fQr die groCse Vergangen-
heit doch nur da, wo sie durch die Monumente unmittelbar za den Men-
schen redete: in Rom wurden Vergil, Hoiaz, Liviua abgeBchrieben. In
Oallicn war das Interesse wesentlich ein schöngeistiges! Panlinus tos Kola,
geboren in Entdigala, erklfiit ausdrücklich, dafs er die HistorikeT nicht
gelesen habe (ep. SS, 5 p. 846 Eartel); doch hatte man hier begreülicher-
weiae fOr Caesars Gallischen Krieg {sowie die betr. Paitieen dea Lirini nnd
SuetoDS Caesar-Vita) ein patriotiachea Interesse, wofür Tor allem beuichnend
ist Sidou. ep. Dt 14, 7.
!) Aus solchen Kreisen Htammt das Gedicht der AL 886 Biese:
inUr eüs gotietim, scapia mattia m driMecm
non mtdet juMjHam dignot edieen ventu.
CaUiope mtadido trqiidat « itutgtre Baeeho,
ne pedibut ntm $tet abria Mtua «mü.
d. h. qZwiicluin dem gotiidliBB "Heil", dem "Sol
Lritikea""; d«r i'uutuineter aju äubluffl isL uatÜrlicii J
Spailaicizii*che Litt-rratur: dfr il:o S::l ;>Tj^
geben mag, sich aEzce:^en stuj'.am sen)i:}.is Gtrmanici uotitir.w^
so dal<> ihn jVizt wie ein Wunder aus einer aiuloru Welt an-
starrten diese a^qu€ c.rporAns ac scusu ;;';;. jV iud'.^itiksque und
dafs — \Tie er mii beifse::dem Spott hinzulugt — sich jetzt die
Barbaren fürchteten, vor diesem Kenner in ihrer eignen Sprache
einen Barbarismas zu machen; restat hoc nnum — schliefst er —
vir facetissimc, ui nihilo segniiis, vd cufu vacahit. aliijiiitl hctioui
operis impertdas cmtcdiasque hoc, prout fo clegmitiissimus, tewirra
mefituM, ut ista tibi llngua icncatur, ne riticariSf illa cxcnratur,
ut rideas (ep. V o)}) Gegenüber diesem Vordrlingin des barbari-
schen Elements scharte sich, \\'ie ausdrückliche Zeugnisse lehren "\
1} Daraus erklärt sich auch die nachdrückliche Forderung der Autorou
in den Provinzen, man solle ^K'imiäch* ^oder 'italiäch\^ sohroibou. Cliuri-
siuB empfiehlt in der Vorrede seinem Sohn die Loktüre dos Huohos, ut
quod originalis patriae natura dencgacit, cirtute aftimi affWdisse
ridearis, Macrobius sat. praef. 11 f. nihil huic o])erae in.<trtuni puto aut
cognitu inutile aut difficile perceptu, sed omnia quibus >i7 intjenium tuum
vegetius, memoria adminiculatior, oratio soUcrtior, sirmo incorruptior, nisi
sicubi no8 suh alio ortos caelo latinae linguae ctua non adiuvtt.
quod ah his, st tarnen quibusdatn forte non numquam teinpus raJuntutiquc
erit ista cognoscerej petitum impetratumque volumus ut tivqui botn'quc cousn-
laut, si in nostro sermone natica romani oris elcgantiu dtsi-
deretur. Beider Aussprüche können an sich auf allo Proviu/.ou lUilVorhalb
Italiens gehen (z. B. entschuldigt sich ja Appuleius im Aufaii^ der Mola-
morphoien ebenso, dafs er sich mit Mühe angeeignet habe (f^uiritium in-
digenam sermonem), aber die höchste Wahrscheinlichkeit spricht doi-h dafür,
dafs 80 Schriftsteller gesprochen haben, die (wie gleichzoiti«? Ammiaii) ge-
borene Griechen waren (die angeblichen Übersetzungsfehler des Macrobius
möchte ich nicht hoch anschlagen), wofür auch zu sprechou scheint 1) di\a
Ton Macrobius in Fortsetzung der citierten Worte augeführte Beispiel des
griechisch schreibenden A. Albinus, 2) die Sprache des Charisius und
Hacrobins: man vergl. z. B. den Schwulst der Vorrede des Dioniedes mit
der Reinheit degenigen des Charisius, 3) die Namen beider (weui^steus ein
sekondäres Axgument). — Ob Diomedes (GL 1 4d<J) seine Deiinition latini-
ta8 mi ineorrupte loquendi ohservatio secttfidum romanam linguam wörilidi
BO ans dem gleich hinterher citierten Varro (fr. 41 Wilni.) gcnoniiiKiu Iiai,
ist mir doch iweifelliaft. Martyrius (ein Sarde) de b et v liiteris beruft
■ich (OL Yn 176) auf das Bomanum eloquium. Der Verf. der Ilisperica
famina kann sich nicht genug darin thun, auf sein ' ausonischcs ' d. h.
italitchm Latein im Gegensatz zu dem barbarischen in Irland gesprochenen
Imimk Bit Stoli hinxnweisen.
f) et SidoninB ep. VIII 2 credidi me, vir peritissimc , ncfas in btudia
e '•^ «< JiifciWMtfm ptoteq^i lamdilws, quod aholeri ia litteraa dintulisii,
''Wb iam aepuHtarum suscitator fautor assertor concclebraria,
U. 88
580
Von Hadrian bis zum Ende der Ealserzeit.
der Adel der eiuzelDen Nationen zusaniineii und, ohnmäclitig
Horden mit den Waffen zu begegnen, schrieb er auf seine Fahne
die Pflege der Litteratur. Wenn man den Umfang der Lektüre
eines Äusonius Sjmmachus Sidonius, ja einea Kunodius ermifst,
80 hann man nicht umhin, ihnen, mag man sonst über sie denken
was man mill, seine Achtung zu bezeugen, und von diesem Ge-
sichtspunkt aus urteilt man, denke ich, mihler, selbst über ei
solche Thorheit, Namen von alten Autoren zuaammenzuhäu:
als ob man diese noch gelesen habe.')
Uque per Gatlias uno magistro sub hac tempestate beüorttm Latina Imnei
ora porlnm, cwm pertulerint arma naufragium .... Nam iant remoUa
diiiMS dignitatvm, per qaas solebat ultimo a quoqae svmmtts jutsgue diecerni,
Bofum erit pogthac nobilitatis indictum littcrai nogse (cf. auch
n 10, 1), A^ituB ep. 9& (p. 102 Peiper) stellt auf eine Stufe barbaro» fugen
und UUeris terga no» praebere. Eonodiua ep. VIU i (an Boethiua); fiterit
in more veteribv» curulium tvlaitudinem catnpi sudore mercari et cotttemptit
luctB honOTUm sole fulgere: eed aliud genus virtutis quaeritur, potl-
quam praemium facta est Roma victorum, nämlich die BeBchaftigung
mit der Litteratnr, wie et pomphaft aual'ührt. Aus diesen Verbältmaaen
begreift e» sich , wenn SidoniuB deu Germanen Arbogast aufeiert als einen
der wenigen Barbaren, die sich um die 1a,l«iniB(ihe Litteratur kümnierten
(ep. JV 17); er abnte nicht, dafs dies ein paar Jahrbonderte epätei
gans SelbstTerstSjidb'cheB sein sollte und dafs diese Barbaren best
waren, die alte Litteratur zu retten.
1) Am atHrksteu ClaudianuB Mamertus in einem Brief an den (
auB Sidon. ep. V lO bekannten) Rhetor Sapaudus aus Vienne (ed. Engel'
brecht im Corp. acript. ecol. lat. Vindob. Xi 203 ff.); dieser BoUe sich neben
FlautuB, Cato, Varro, Salluat, Cicero, Fronte auch NaeTius und Gracchus
Bum Muster nehmen. Ihnlich öfters Sidouiua, t. B. carm. 9, 259 ff. (wo
u. a. EnniuB und Lucilius). Von Jenen Autoren waren damals Naerios,
Eiwius, Gracchus natürlich blofse Namen, auch LnciüuB. Plautus Bcbelnt
wenigateoH Sidonius gelesen zu haben (cf. G, Geialer, De Äpollinaris SldonÜ
Btudüa [Dia^ Breslau 1886] 40), sicher (imi tod Auaonius und Hieronjmus
gar nicht xu reden) Faulinua von Nola (geb. in Bordeaux) und sein Freund,
mit dem er darüber korrespondiert: ep, 22 p. 156 HarteL (Aus dieser Zeit
etwa staiiuiit der codex Ä.) Yarros Antiquitates existierten damals wenig-
stens noch, nie der hochinteressante Brief des Sidonius 11 <J beweist-, aber
i üb nie hul-Ii lemaud Üb/ Wenn er bei SidoniuB (ep. IV 3) als guter StUüt
I 'liuB (ep. 1 Iß) gar Ton Vaminin ehgantia s
:\s sin ihn nicht gelesen haben i^wie anders
;, i. oben ^. lai f.). Den Eindruck der Wahrhnl
16, 0 Hsitationtm de unturilatc faMiiit
' 'tiIönciw Yarroncmg<ite perkctos rei'o'i
]
etw^^H
1 (nt^^*
Juristen.
Spätlat. Litteratur: der alt« Stil: Juriätcu. 581
2. Die Vertreter des alten Stils.
Bei dieser Lage der Dinge hätte man nun erwarten sollen,
daCs die spätlateinisclien Autoren bei ihrer Verehrung der alten
Litteratur sie auch stilistisch sich zum Muster genommen hätten.
Allein die Verhältnisse sind hier dieselben wie bei den Griechen:
alle lobten die Vergangenheit, aber nur wenige wufsten die
Theorie in die Praxis umzusetzen, da die Gegenwart gebieterisch
ihre Rechte forderte.*)
1. Unter den heidnischen Autoren vermag ich als Vertreter Die
der klassischen Stilart nur die Juristen zu nennen, die sich
überhaupt amore antiqui moris auszeichneten (Tac. aun. XIV 43).
Jeder weifs, dafs sie sich durch die klassische Einfachheit ihrer
auf das rein Sachliche gerichteten Sprache hervorgethan haben,
in der nach meinem Gefühl zum letztenmal die römische dignitas
nnd grayitas zum Ausdruck kam, wenngleich die meisten uns
ganz oder teilweise erhaltenen Autoren fast alle aus dem Osten
des Reichs stammen. Lorenzo Valla hat einmal gesagt: wenn
die lateinische Sprache untergegangen wäre, so könne sie aus
den Pandekten allein wiederhergestellt werden.^) Schon Quin-
tilian (V 14, 34) sagt: iuris consulti, qnorum stimmtis circa vor-
borum proprietatem labor est, und bezeichnend ist das Urteil, wel-
ches Pomponius über die Schreibweise des Juristen Q. Aelius
Tubero föUt: dig. I 2, 2, 46 Tubero docHssimus quideni Jiäbitas est
iuris publici et privati et coniplures utriusque operis libros reliquit;
sermone tarnen antiquo usus affectavit scrihere et ideo
parum libri eius grati hahentnr. Dies Urteil stammt aus
der Zeit der Antonine, als in den übrigen Kreisen die Manier des
Archaismns herrschte. Das dieser Zeit angehörende Werk des
Graias hat in seiner Sprache, verglichen mit der schlaffen oder
Terkflnstelten Diktion andrer damaliger Schriftsteller, etwas un-
gemein Erfrischendes: Mommsen nennt sie naturali sua simplici-
tate et prisoo eandare nitentem. Auch die grofsen Juristen, die
dem dritten Jahrhundert angehören, stehen sowohl stilistisch wie
1) Das Sinken des Sprachbewafstseins selbst bei Gelehrten war enorm,
irie vaoM perrene Erklftnmgen der Scholiasten zeigen, vgl. z. B. Servius zur
ÄflansVIl490. 7111409.
%) Cttiert von G. J. Yossius, Inst. or. IV 1 p. 12 ed. 8; cf. besoni
fUlM Toneden mm 8. und 6. Buch seiner Elegantiae.
38*
582
Von Hadrian bis mm Ende der ^iBeraeit,
I
rein sprachlich betrachtet durchaus abseits von der grofsea Masat
der übrigen Autoren: sie schreiben einfach, klar, vornehm, üud
zwar gilt das nicht etwa hlofe von den aus der Praxis hervor-
gegangenen und für die Schüler oder Berufsgeuoseeii bestimmten
Schriften, sondern auch von den durch Juristen verfafsten, aus
dem kaiserlichen Kabinett erlassenen Konstitutionen. Aber gerade
an letzteren kann man nun deuthch den Kontrast der Zeiten er-
kennen: die aus dem codex Gregoriauus und Hermogenianus e»'
haltenen Konstitutionen bis auf Diacletiau sind einfach, sachlich^
kurz, während die seit Constantin erlassenen des codex Theodo-
sianus schwülstig, rhetorisch, geschwätzig -werden, kurz alle
Fehler des bombastischen Stils der gleichzeitigen Schriftsteller
zeigen. Man kann vielleicht behaupten, daüt diese Manier bis
auf Jnstinian sich stetig gesteigert hat. Es ist, um es kurz zu
sagen, die verschnörkelte Sprache der Kanzlei: sie blieb so im
ganzen Mittelalter an den kaiserlichen, fürstlichen und päpst-
lichen Kanzleien, deren Sekretäre immer rhetorisch gebildet waren,
und hat sich von da aus in i]ie moderneu Sprachen verpflanzt.
Das muTs sich alles im einzelnen nachweisen lassen: gewöhnlich
wird heutzutage in deu massenhaften Einzeluntersuchungen über
die Sprache der Juristen, deren Resultate m. E. meist proble-
matisch sind, das Stilistische ganz beiseite gelassen.
2. Unter den christlichen Autoren hat, wie jeder weifs, ni
300 Lactantius in wahrhaft klassischem Stil geschrieben. Wj
kennen seine Heimat nicht; iu der Rhetorik war Ärnobius seiul
Lehrer, aber es giebt kaum zwei Schriften, die sich unähulichi
sind als das rohe Pamphlet des einen und das von vornehmer
Ruhe getragene, mit der Fülle edelster hellenisch -römischer
L Weisheit durihtränkte Kunstwerk des sndem. — Im folgenden
Jahrhundert ist das Centrum des geistigen Lebens in deiu Laude
nördlich von den Pyrenäeu und .\lpen und innerhalb geiner wietler
das eiuflt von Ibrrern bewohnte Aquitanien: ein Gallier wagto
Aqiiitanier kaum den Mund aufzumachen: dum
k [uiKt ein gallischer Teilnehmer am Gespräch bei Sulpic. Sev. di
' homiMeni Gaftum hikr Aquilatios verba facturum, vi
OS nimium urbatias aures scrmo rusUcior. aud»
ut Gurdonicum') liominem nihü cum fuco aut eotht
B|||Kl7p,36'i,r.<KDi
!r Bemerkung im Iudex K,
Spfttlat. Litteratur: der alte Stil: Lactanz, Sulpicius, Jlilarius. 583
loquentem^) Hier schrieb um 400 Sulpicius SeveruS; wie suipicius
Lactanz sich wendend an ein hochgebildetes Publikum, um ihm ^®^*'™**
auch durch Sprache und Stil zu beweisen, dafs sich mit dem
einfachen Geist und der kunstlosen Form der Religionsurkunden
eine gehobene und formvollendete Darstellung sowohl der christ-
lichen Lehre als der biblischen Geschichte gut vertrage. J.Bemays
hat ihn in seiner berühmten Abhandlung auch stilistisch an den
richtigen Platz gestellt: war des Lactanz stilistisches Ideal Cicero,
den er virtim singalaris wgmü und eloquentlae ipsius unicum
ezemplar nannte (de op. dei 1, 12. 20, 5), so schlofs sich Sulpicius
vor allem an Sallust an, den damals am meisten gelesenen Pro-
saiker.^) Aber schon etwa 50 Jahre früher hatte ein andrer
Aquitanier die Augen der gebildeten Welt auf sich gezogen:
Hilarius von Poitiers. Ich trage kein Bedenken zu behaupten, luiariuB.
daüs er neben Boethius der formgewandteste Schriftsteller der
spätlateinischen Periode gewesen ist, gleich grofs, mag er uns —
darin ein geringerer Vorläufer Augustins — sein Suchen und
endliches Finden der Weisheit in der aufs stärkste sallustisch
gefärbten Einleitung des grofsen Werks %le üde' (= ^de trini-
tate^ darlegen, oder seiner Tochter einen zärtlichen Brief schrei-
ben, oder als der „Athanasius des Ostens'^ die fulminanten Streit-
schriften gegen die Haeretiker und den sie beschützenden Kaiser
in die Welt senden; auch seine Traktate zu den Psalmen stehen
stilistisch höher als alle ähnlichen uns erhaltenen Schriften: ist
er doch auch einer der wenigen christlichen Schriftsteller des
Westens, der nicht, wie die andern fast alle, in falscher Be-
1) Cf. auch Yenant. Fortunat. vita S. Albiiii c. 4, 6 (p. 28 Krusch) a^te
vedram penUam ipaa Ciceronis ut mspicor eloquia currerent vix secura, et
em apiid Caeaarem Borna aliquid deliberans Äquitanico iudice forsitan
OfMam fbrmidaret,
S) Gf. den An&ng der epietnla Vindiciani comitis arehiatrorum ad
ValenÜniaimm imp. in: Marcell. Empir. ed. Helmreich p. 21 : ctitn snep*!, sacra-
titdme imperator, humani generis fragilitas falsa de natura sua qucratur etc.
^ K Klebf im Philol. N. F. DI (1800) 288 if. behauptet, dafs Sulpicius den
YeDeliis naohahme (nach Vorgang von Buhnken in den Anm. zu seiner
Anigabe desYelleiDi und Bemays, Ges. Abb. II i:3l). Das ist nicht richtig:
in fiefatlfilit kftme nur Sulp, chron. II 26, 6 Pompeins victor omnium gentium
fMt miitrai na YelL n 107, 3 victor omnium gentium locorumque quos adierat
Otmatg WM al)er Tielmefar ein tonos aus der Rhetorenschule ist (s.
584 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
scheidenheit sich seines stilistischen Unvermögens rühmte ; son-
dern der zu Gott zu beten wagt, er möge ihm geben verhorum
significafionem, intelligentiae lunwrij dictorum Jionoremy denn nur in
würdiger Sprache könne das Wort Gottes verkündigt werden
(de fide I 38, tract. in psalm. 13, 1 ; s. o. S. 533). Seine Rede nimmt
gelegentlich einen sehr hohen Schwung, wenn er die Herrlich-
keit der Natur preist oder seiner indignatio Ausdruck giebt, wo
er dann so wenig wie Cicero die omamenta elocutionis spart:
weht uns nicht z. B. aus folgender Stelle der Geist Ciceros ent-
gegen, contra Gonstantium imp. 5 at nunc pugnamus contra perse-
cutoreni fallentem contra hostenh blandientem contra Constantium anti-
christum, qui non dorsa caedit sed ventrem paJpat, non proscribit
ad vitam sed ditat in mortem^ non trudit carcere ad libertaiem sed
intra pälatium honorat ad servüutem, non latera vexat sed cor occu-
patf non captU gladio desecat sed animam auro occidit, non ignes
publice minatur sed geliennam privatim accendit, non contendit ne
vincatur, sed adulatur ut dominetur. Wo die Rede ruhig fliefst^
da bildet er meisterhafte Perioden: man lese dafür im Anfang
des Werks Me fide' den sallustischen Ideengang in langen cicero-
manischen Perioden, und frage sich, ob irgend jemand damals
Gleiches geleistet hat. Freilich für die simplices fratres war das
keine Eost: 8. Hilaritis Gallicano cothiimo attollitur et cum Grae-
ciae floribus adornetur, longis inierdum periodis involvitur et a lectiofie
simplidorum fratrum procid est, sagt Hieronymus ep. 58, 10 (1 32G
Vall.)^), und auf Grund dieses Zeugnisses hat Erasmus, sonst ein
so feiner Kenner dieser Dinge, ein nicht gerechtes Urteil über
den Stil des Uilarius gefällt.^) Aber Hieronymus spricht ja nur
von den 'einfältigeren Brüdern' und aufserdem verfolgt er an
jener Stelle den Zweck, seinen gelehrten und stilistisch sehr ge-
wandten (cf. auch ep. 85, 1) Freund Paulinus auf Kosten der andern
von ihm genannten Autoren, darunter des Hilarius, gerade als
Stilisten zu loben. Anders urteilt er, wo ihm solche Tendenzen
1) Auf Beine Weise Venant. Fort, de virtutibus S. Hilarii c. 14, 50
(p. 6 Ehuch): gms ahtmäantiam rigantis ingenii conUnd<xt evolvere aui eius
verba verbis vaileai exaegwire? qualiter iUe itidivisae trinüatia libros stih
mmk contexuU, aut scripturam Davitici carmini$ sermone coturnaio per
^ reaeravit
dar Vorrede zu seiner Ausgabe (Bas. 1623) «=■ epist. 613 (opera
Spfttlat. Lit;ieratar: der alte Stil: Hilarius, Claudian, Salvian. 585
fem liegen (ep. 70; 5; yol. I 430 Yall.): Hilarius duodecim Quinti-
liani libros et stilo irnüahis est et numero. Bemerkenswert ist
noch; dals Hilarius der griechischen Sprache in einem für die
damalige Zeit beispiellosen Umfang mächtig war: das zeigen in-
haltlich seine Schriften; in denen er oft auf das Griechische bezug
nimmt; das zeigt die Nachricht; dafs er während seiner vier-
jährigen Verbannung im Orient an der Synode zu Seleucia (359)
in dieser Sprache thätigen Anteil nehmen konnte; ich glaube
auch in dem ^og seiner Darstellung etwas von der griechischen
xdQi^ zu fühlen ; die ihn vor der grassierenden occidentalischen
barbaries bewahrte: die beiden besten lateinischen Stilisten der
Spätzeit; Hilarius und BoethiuS; waren hervorragende Kenner des
Griechischen.
ImV. Jahrh. hat sich Claudianus Mamertus offenbar be- oiaadiani]
müht; in einem von den schlimmsten modernen Fehlern freien
Stil zu schreiben (seinen darauf bezüglichen Brief an den Rhetor
Sapaudus werde ich später anführen); imd wenn man seinen Stil
mit dem seines Freundes Sidonius vergleicht; mufs man zu-
gestehen; dafs es ihm, soweit es noch anging; gelungen ist: frei-
lich ist er; der Gallier aus Vienna; trotz seines BemühenS; nicht
entfernt so klassisch wie die genannten Aquitanier^); während
allerdings der aus der Rheingegend stammende Gallier Sal-Saivian.
▼ianus in einem fast an Lactanz und Hilarius erinnernden Stil
schreibt; an dem das genaue Studium Ciceros unverkennbar ist.^)
In durchaus klassischem Stil von einer geradezu bewunderns-
werten Reinheit ist endlich das edelste Werk des ausgehenden
1) Cf, G. Arnold, Caesarius v. Arelate (Leipz. 1894) 89. Sidonius urteilt
Über den Stil seines Freundes in einem Brief an diesen (lY 8): nova ihi
fftrha, guia vetusta, quihusque conlatus tnerüo etiam a^Uiqtiarum litterarum
Mus anüquaretur; quodque pretiosius tota illa dictio sie caesuratim succincta,
quod profhtens. £influfs der Sprache des Appuleius: A. Engelbrecht in:
SitaimigBber. d. Wiener Ak., phil.-hist. Gl. GX (1885) 423 if.
fi) Cf. W. Zsddmmer, Salvianus u. s. Schriften (Diss. Halle 1874) 60 ff.
Er hat z. B. Gicero de oratore I 227 f. geschickt benutzt ep. 4, 24 (ib. 20 wird
LiviiiB citiert). Doch fehlen nicht gelegentliche Auswüchse, cf. Zschimmer
68, 4 und de gab. dei YII 2, 8 illic (apud Aqxiitanos ac Novempopidos) omnis
admodumj^gio aui intertexta vineis aut floruUnta pratis aut distincta cidttiris
aut eandiia pomis aut amoen<Ua lucis, aiU inrigua fantibus aut interfusa
fiumimbua aut crinita messibw fuit, wo ja freilich die infp^acii die viele'
omainenta entschuldigt.
586 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeii.
Boetuns. Altertoms geschrieben, die Consolatio des Boethius. Es ist
ausnahmsweise keine Phrase, wenn ihn Ennodias in zwei Briefen
an ihn mit den veteres vergleicht (Vll 13. VIII 1). Der Schwung
der Gedanken läfst ihn als Verehrer Platons, der Schwung der
Sprache als Verehrer Ciceros erkennen. Mit Martianus Capella,
mit dem er blofs die äuTsere Form der Komposition teilt ^), soll
man sich hüten, ihn in einem Atem zu nennen. Aber wenn
man dieses nach Inhalt und Sprache einsam dastehende Werk
liest und sich in die so ganz verschiedene Ideenwelt jener Zeit
hineinversetzt, so kann man sich eines sentimentalen Gefühls
nicht erwehren: die Schrift ist, innerlich wie äufserlich betrachtet,
zeitlos, was ein franzosischer Autor^ treffend so ausdrückt:
croyant ä la vitalite romaine ^i pdlpitait encore dans son coettr,
il ecrivait comme sHl se füt adresse ä des lettres, comme s'ü se füt
entretenu avec les disciples de Giceron: il supposaü les Bomains
aussi grands que luL
n. Der nene Stil.
»riosipien. Da ich ciuc Entwicklung darzulegen habe^ die vom ästhe-
tischen Standpunkt als Verfall und Entartung bezeichnet werden
mufs, so halte ich es für unthunlich, die einzelnen Erscheinungs-
formen dieser Entwicklung an einem historischen Faden anzu-
reihen. Und doch ist das Material quantitativ so ungeheuer,
dafs ich mich nach irgend einem Prinzip der Einteilung umsehen
mufs. Würde ich eine Litteraturgeschichte der untergehenden
occidentalischen Welt zu schreiben haben, so wülste ich, dafs
dies nach den einzelnen Provinzen geschehen mülste, so wie es
für die Epigraphik in unserm Corpus, für politische und Kultur-
geschichte von Mommsen im V. Band seiner Romischen Geschichte
mit gröfstem Erfolg unternommen worden ist. Denn seitdem
das Latein die Kultursprache der westlichen Reichshälfte ge-
worden war, begann die Sonderentwicklung des geistigen Lebens
in den Provinzen. Bei der topographischen Einteilung dieser
Litteraturgeschichte würde der chronologische Rahmen, in den
wir uns nun einmal gewöhnt haben alle Entwicklung einzu-
schliefsen, nicht ganz zerbrochen werden: denn die politischen
1) Auch Petron las er, cf. Petr. fr. V*> Buech.
2) Fr. Moimier, Alcuin et Charlemagne (Paris 1868) 29.
Späilateinische Litteratur: der neue Stil. 587
Yerhaltnisse sowie vor allem die Geschichte der Ausbreitung des
Christentums ; das ja vom Ende des zweiten Jahrhunderts das
Ferment aller kulturellen und litterarischen Entwicklung wurde^
haben es mit sich gebracht, daiB einzelne Provinzen des Reichs
sich in bestimmter Reihenfolge abgelöst haben: Afrika hatte bis
zur Mitte des vierten Jahrhunderts die führende Rolle, ihm folgte
Gallien, diesem Italien. In einer Stilgeschichte, wie ich sie
schreibe, ist dagegen eine solche Einteilung innerlich unberech-
tigt, und nur der äufseren Bequemlichkeit zuliebe habe ich sie
beibehalten. Denn was ich nachzuweisen habe, ist gerade Fol-
gendes. In allen Provinzen des Reiches entartet die stiige-
Prosa in gleicherweise; die Formen der Entartung zuaammen-
leiten sich her aus den seit Jahrhunderten bewufst und ^'°*^*
unbewufst tradierten Effektmitteln der rhetorischen
Kunstprosa. Die Linie, die ich von Gorgias bis auf die
hadrianische Zeit für die griechische und die von dieser
abhängige lateinische Eunstprosa zog (s. o. S. 392f.), geht
in gerader Richtung und ununterbrochen weiter bis zum
Ende auch der lateinischen Litteraturgeschichte. Wenn
wir also die Stilfacetien eines Gorgias und Hegesias
etwa bei Appuleius, Gregor v. Tours, Venantius und
dann weiterhin im Mittelalter in genau denselben For-
men wiederfinden, so konstatieren wir jetzt ohne wei-
teres den grofsen litterarischen Zusammenhang, der
zeitlich und ortlich durch gewaltige Zwischenräume
getrennte Individuen kraft der Macht einer unverwüst-
lichen Tradition mit einander verbindet. Das — wenig-
stens nach modernem Gefühl — Manierierte und Bizarre,
das der rhetorischen Eunstprosa von Anfang an eigen
gewesen war und das nur durch den Geschmack und die
Gestaltungskraft der gröfsten Stilvirtuosen ein ertrüg-
liches Aussehen erhalten hatte, tritt in der spätlateini-
schen Litteratur immer mehr in den Vordergrund und
verdrängt schliefslich völlig das Normale, entsprechend
dem „Glaubenssatz aller stilistischen Barbarei, dafs
man sich tättowieren müsse um schön zu sein/'^) Aus
1) J. Bemajs^ Gres. Abh. n 85. Dieselbe Entartung begegnet in der
bildenden Künsten, cf. H. Bichter, Das weström. Reich (Berl. 1865) 23.
588 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
dieser Thatsache ergiebt sich für die folgende Darstellung die
notwendige Forderung, in noch gröfserem Umfang als bisher im
wesentlichen nur auf die allgemeinen Verhältnisse einzugehen^
auf die einzelnen Individuen nur insoweit sie eine Art von ty-
pischer Bedeutung gehabt haben.
A. Afrika.
1. Das ^^afrikanische'' Latein.
'Afrika- Das ^afrikanische' Latein ist unter den ari?en Phan-
Latein eine tomcu^ die in der Stil- und Litteraturgeschichte ihr Wesen treiben^
nSSwhe ®^^ ^®^ ärgsten, und es ist, denke ich, an der Zeit, es endlich
Eifindung. wieder in das Dunkel zu bannen, dem es entstiegen ist. Dieses
^afrikanische' Latein hat sich nachgerade zu dem grofsen Rühr-
kessel herausgebildet; in den viele alles das hineinwerfen, was
sie anderswo nicht unterbringen können oder wollen, denn bei
dem Mangel jedes festen Prinzips ist hier der Unkenntnis und
der Willkür Thür und Thor geöffnet.
Die Hauptsache ist zunächst: wir müssen, wie überhaupt in
der Geschichte der antiken Eunstprosa (s. o. S. 349 f.), Sprache
und Stil sondern und bei der Sprache wieder das Lautliche, das
Formale, das Syntaktische, den Wortgebrauch. Nun leugne ich
natürlich nicht, dafs es ein afrikanisches Latein giebt, wenn man
es Yon lautlichen imd formalen Dingen yersteht: dafür haben
wir Zeugnisse der Grammatiker und vor allen auch eines so
authentischen Mannes wie des Augustin, imd selbst wenn wir
sie nicht hätten, würden wir es postulieren, weil wir die formelle
und besonders lautliche Sonderentwicklung der lateinischen Sprache
in den Provinzen an den heutigen romanischen Mundarten Yor
uns sehen.^) Die Möglichkeit ferner, auf syntaktischem Gebiet
imd im Wortgebrauch Eigenarten des in Afrika gesprochenen
Lateins festzustellen, will ich, obwohl alte Zeugnisse zu fehlen
scheinen, nicht leugnen: was aber heute darüber vorgetragen
1) Cf. das oft citierte Zeugnis des Hieronymus comm. in ep. ad GaL 11 8
tpsa luiinitas et regianibus quotidie mutaiur et tempore. Natürlich bezieht
sich latinitas blofs auf das Lautliche und Formelle: Yarro-Diomedes fr. 41
Wilm. Für die zeitliche Veränderung cf. auch Quint. IX 3, 1. 18 und Ter-
tull. apol. 6 habitu victu, inMructu sensu, ipso denique sermone proavia
renuntiastis (= ad nat. I 10).
Spätlat. Lüteratnr: der neue Stil: 'afrikaiuBches Latein'. 589
wird — ich sehe ab von den spezifisch christlichen Neuerungen,
die natürlich in Afrika zuerst begegnen, ich sehe ferner ab von
den Graecismen, die in dieser terra bilinguis häufiger sind als
anderswo^) — , erscheint mir vorläufig mehr oder weniger proble-
matisch. Doch das geht mich hier nichts an: ich habe es mit
denen zu thun^ die von einem afrikanischen Stil sprechen.
Diesen Irrtum (um mit Fronto zu sprechen) subvertendum cen-
seo radicituS; immo vero Plauti notato verbo exradicitus.
,,Schreibart (Africanische), Stylus Africanus, ist eine hoch-
trabende, schwülstige imd afifectierte Schreibart, dergleichen sich
ehemahls insonderheit die Africaner, und unter solchen zuförderst
Appulejus bedienet.*' So Zedlers Universal -Lexicon vol. XXXV
(Leipz.-Halle 1743) p. 1123. Das ist, wie es scheint, die Ansicht
aller y die sich darüber geäufsert haben, und wohin man sieht,
überall starrt einem der Humor Africus' wie ein Wüstengespenst
entgegen. Da liest man überall von den „Afrikanern mit ihrem
ungezügelt und üppig wuchernden Schwulst, der die aufgeblähte
Latinität der Söhne Afrikas schlingpflanzenartig zu umranken
pflegt^, überall von dem „Wüstenwind", der uns aus der heifsen
Sprache dieser Söhne eines glühenden Klimas entgegenwehe,
überall von dem „semitischen Schwung der Psalmen", der uns
aus ihren hochpathetischen Werken entgegenhalle, von dem
„orientalischen Blute", das in den Adern der Afrikaner rollte imd
sie yeranlaüste, die Freiheiten der Dichter in der Prosa zu ge-
brauchen, von dem „semitischen Satzparallelismus", den wir bei
Appuleius und Genossen überall konstatieren könnten; ja, in dem
neusten, vor zwei Jahren erschienenen Buch über ^die Afrikaner'
wird uns erzählt von der „punischen Amme", welche den kleinen
Afrikaner Appuleius aufzog und verschuldete, dafs er später, als
er Latein lernte, all den Schwulst und all die stilistische Un-
natur seines semitischen Idioms in die andere Sprache übertrug:
ein schönes Genrebild, Appuleius als Baby an der Brust seiner
Amme punisch lallend. Wenn ich keine Namen nenne, so habe
ich meinen Grund: nicht der Einzelne ist hier verantwortlich,
sondern eine perverse Tradition, deren Genesis ich nachgegangen
bin und die ich hier zunächst darlegen will, r
1) Ich will doch nicht versäumen, hinzuweisen auf eine sehr ausfahr-
liche, ausgezeichnete Behandlung dieses Gegenstands bei K. Caspari, Ungedr.
Quellen s. Gesch. d. Taufsymbols III (Christiania 1875) 267 if.
^^90 Von Iladrian bis zum Ende der Eaisorzeit.
Vor allen Dingen: es existiert auch nicht die leiseste
Aufseruiig irgend eines antiken Zeugen über einen Hu-
mor Africus'. Ich mufs das aufs nachdrücklichste betonen,
weil einige es versichern, ohne den Schatten eines Zeugnisses
anführen zu können. Vt^ir verdanken vielmehr den Begriff
den humanistischen Giceronianern des sechzehnten und
siebzehnten Jahrhunderts. Als das ciceronianische Latein,
wie wir im zweiten Buch dieses Werkes genauer sehen werden,
zu kanonischer Geltung erhoben wurde, liebte man es, gegen
alle Autoren, die von ihm abwichen, den Bannstrahl zu schleu-
dern, und der Umstand, dafs einer der gelesensten und beliebte-
sten unter diesen Autoren ein Afrikaner war, wurde Veranlas-
sung, alles schlechte Latein als ^afrikanisches' zu brandmarken.
Dieser eine war Appuleius. Lifolge des ganz persönlichen Ver-
hältnisses, in dem die Humanisten zu ^ ihren' Autoren standen,
sind sie, wie mit Bewunderung und Liebe, so mit Verachtung
und Hafs nicht sparsam gewesen: den Appuleius haben sie wegen
seines Stils in den Staub gezogen. Da es sein Unglück wollte,
dals er von einem Esel erzahlte, so ist irgend ein italienischer
Humanist auf den Gedanken gekommen, zu sagen, die Sprache
des Appuleius gleiche dem Schreien des Esels: wer jener Italiener
war, weifs ich nicht zu sagen, aber ein deutscher und ein spani-
Hcher Humanist eigneten sich das famose Wort an: Melanchthon,
Eloquentiae eucomium (1523) 29^): quis ApnUium et eins simias
ferdY sed recte Apuleiiis, qui cum asinum repracsentarei. rudere
qvutm Utqtii mallet; Vives, De tradendis disciplinis (1531) L III
p. 482*): Apuleius in asino plane rndit, in aliis sonat homincm,
nifti quod Florida sunt rtdicula, sed excusat ea inscriptio,^) Daranf-
1) Kd. K. Harifelder in: Lat. Litt-Denkm. d. XV. u. XVI. Jh., Heft 4,
llArlin lAdl.
S) Opera, ed. Bas. 1665 vol. I.
B) Cf. noch die fomose Parodie bei Gaussin, Eloqa. sacr. ei hnm. pa-
^tob (1619) p. 80 f., wo AppoleioB in der Unterwelt eine Bede hält, tun
b fOf dearo sa rechtfertigen; er achliebt: datt mM^ imikcK f^ed habeo,
10 tnH artrika aemper aut loqwtr aut rndam auf himmiöm. tU miuero,
WlfUkntimimim aeeusatorem meum grandi imfc^rtmmic wkactaU: 9im
iamutiiveriUSß hodie ad ultima miantm mwrian^m ^ierrmx imier
Hmimot qiiondam fratres meos aentmmiit rd^nw m<ji»m cmciahi-
H 90ee m aäenmm infelidiatuf lawkemiah."^. 'Szi wenige Ver-
Befr«4f" Lipniu, der ja fibedumpi den ühectriehenen
Späilat. Littezatar: der neue Stil: 'afrikanisches Latein*. 591
hin prägte man den Begriff einer ^afrikanischen' Latinitüt, in
der aufser Appnleius auch die andern Afrikaner geseh rieben
haben soUten, über die man aber, da es Christen waren, ge-
mäfsigter urteilte. Ich will nur ein paar Stellen anführen:
Erasmus, Praef. in Hilarii editionem (1523) =» epist. G13^)
(nachdem er yon der Gallicana grandiloquentia des llilarius, Sul-
picius Severus, Eucherius gesprochen) mihi, veterum dictionetn
variam consideranti, videtur rix ullos provincialcs felicito' reddidisse
Roniani semianis simplicitateni irraeter aliquot, qui llomae a pticfis
sunt educati. Nam et Tertulliano et Apuleio siius quidam est clia-
racter et in decretis Afronwiy quae mxdta refert Augustinus contra
Petilianum et Crescontiian, depreliendas avxiam affectatiotiefn eloqiieti-
tiae, sed sie, ut Afros agnoscas, subolscunts ei suhmolestus est 7ion-
nufnquam et Augustinus, nee omnino nihil Africum habet Cypria-
nus, ceteris licet candidior. nee mirum si Gdllus refert Gallicum
quiddam, si Poenus Punicum, quum in Livio nonmdlos offendat
Pataviniias, Vives 1. c. Tertullianus perturbatissime loquifur ut
Afer, Cyprianus et Amobius ciusdem gentis clarius, sed et ipsi
nonnumquam Afre. Attgustinus jmdium habet Africitatis in
contextu dictionis, $%on perinde in verbis, pracsertim in lib. de civiiaie
deL Eine groCse Anzahl solcher Urteile (z. B. von Lipsius,
CasaubonuSi Barth) über das ' africanische Latein' kann, wer
Last hat, nachlesen bei Morhof, De Patavinitate Liviana (1684)
a 9, cf. femer Caussin, Eloquent, sacr. et hum. parallela (1619)
58, Balzac, Oeuvres (1665) voL II 623, Fenelou, Dialogues sur
l'floquence (1718) 227. Job. Andr. Fabricius, Philos. Rede-
kunst (Leipz. 1739) § 201 ff. p. 117 ff.^)
Aber — werden die Vorkampfer Afrikas einwenden — wenn LatL-iniacii
kein antikes Zeugnis für den afrikanischen Stil existiert, so folgt ^^u^l'^iu
daraus nicht , dafs es einen solchen nicht gegeben hat; warum ^^^^^^
— werden sie hinzufügen — sollen die Humanisten, denen wir
dcenmianiimiis entgegentrat, giebt zwar zn, dafs er sei tumidus for lasse,
veframdiB et adfeeiatae elega/wtiae seriptor, ärgert sich aber über solche , die
ihn (arftonim nennten, sie seien vielmehr selbst barhari: epistolic. quaest.
1. n ep. S8. m la (ed. Lugd. Bat. 1685 p. 03. 90); anderes bei Morhof, De
PataTinitate liviana c. 9 und Albertus de Albcrtis, Thesaurus eloquentiae
(1669) 836.
1) Opera T. m (Lngd. 1703) 695.
S) Andere iltere citiert J. Weifsenbach 1. c. (oben S. 537, 1) II 8 «.
592
Von Ba^aa bis «um Ende der EaiBen^,
I
so viele feiuc BemerkungeD gerade über den Stil der lateiniadl
Scliriftsteller verdaiikeii , uicLt auch hier intuitiv das Richtige
erkannt haben? Nun, wer über lateinische Stilistik richtig em-
pfinden lernen will, der lese, was darüber von Petrarca bis Lipsius
geschrieben ist (das thun die wenigsten heute), suche aber bei
ihnen nicht das, dessen sie völlig entbehrten und entbehren
muTsten: historische Einsicht in die Entwicklung der Sprache
und Eenntnia der Thatsache, dafs nur aus dem Griechischen das
Lateinische zu verstehen sei. Die Annahme eines spezifisch
afrikanischen, durch Einwirkung des Semitischen von den übrigen
differenzierten Stils beruht auf zwei fundamentalen Fehlern: ich
behaupte, dafs derjenige, der zur Erklärung der stilistischen
Eigenart z. B. des Äppuleius das Punische heranneht, der seinen
Schwung nud seinen parallelen Satzbau aus deu Psalmen erklärt,
eine ebenso schwere Sünde gegen deu Geist der lateinischen
Sprache begeht, wie derjenige, der an ihn herangeht, ohne zu
wissen, wie damals die Griechen schrieben, Äppuleius ein Punier,
und, wie sie sagen, punisches Patois gemischt mit Griechisch
und Lateinisch sprechend! ^Y,a8 waren denn, frage ich, die Be-
wohner Nordafrikas anders als kolonisierte Römer, wenigstens
in den Städten, wo seit der ersten Kaiserzeit die punische Sprache
erloschen ist (Mommsen, Rom. Gesch. V 642ff.), wo griechisch-
lateinische Bildung und Wissenschaft herrschte, also in Leptis,
Madaura, Uea, und vor allem Karthago'), das Augostinna (ep.
118, 9 vol. 33, 436 Migne) neben Rom als die lUtcrarum lalina-
rum artifex nennt und von dem Himerios (ecl. 36, 10 p. 314
Werusd.) sagt: «6X.ig aa^ä roeovzov oi Sf/äzT}, xag Saov'PiaftriV
aiaxvv£Ttti7 Beziehen sich etwa auf ein puniiicbes Afrika die
oft cilüertcn Worte Salvians (de gub. mundi VII 16): Ulk onmia
effidonim piMicoruin instrwnenta, Ulk arlium lUxialitim i
itUe ^üosophorum offkinae, cunda deniqm vd lingnarum ^
".rindtira J. J. QuilelmUB Lagas, Stndiu lutioa prorincia]
I --laj UfF, Diese Schrift (75 Seiten) acheinl in DeiiUol]
it xa Min (»u^ A. Badiiiiaky, Die Aasbreitaog der Int Spl
IbI m SU ttiuem gcliadeu nicht zu kemii^a), ich fiui
r Bibltotbulc (auvb in Kerlic fehlt sie).
r fibnr rien (regetutaad haben, aber natOrtich mal
* wordca, du da« Material (besonden du ii
!' ignoriert) aidi sehr vergröbert hat.
Spätlat. Litteratur: der neue Stil: 'afrikauischea Lateiii\ 5().'>
vel morum? Erst spätchristliclie Bischöfe liabcii, weil sie die
pagani durch die Predigt bekehreii; die Bekehrteu erbauen woll-
ten, punisch gelernt im Schweifse ihres Angesichts und mit in-
nerm Widerstreben: man bedenke doch, dafs Tcrtullian notorisch
gar kein. Augustin nur ein paar Brocken Punisch und Hebräisch
konnten und dafs Hieronymus sich von der ganzen gebildeten
Welt als monstrum der Gelehrsamkeit anstaunen liefs wegen
seiner Kenntnis der semitischen Sprache. Wie viel weniger ist
aus dem süfsen Mund des Appuleius eine gxovii ßccQßagog ge<
kommen: man lese nur^ wie er höhnt über seinen Gegner, der
loquitur numquam nisi punice et si quid adkuc a matre graecissaty
atenim latinc loqui neque vult neque polest (apol. 98).^)
Auf der andern Seite kann gar nicht stark genug der Ein-
flufs des Griechischen hervorgehoben werden. Aber hierbei
müssen wir die verschiedenen Epochen trennen. Seit c. 250 n. Chr.
kann von einer Kenntnis des Griechischen, die grols genug ge-
1) Schon Niebuhr in den oben (S. 3C1,2) eitierten V^orlcdungen leugnet
das Bestehen eines afrikanischen Lateins. K. Zumpt hat in seiner Recen-
sion der Appuleius- Ausgabe Hildebrands (.lahrb. f. wiss. Kritik 1843 vol. II
698 ff.) darüber ganz verständig gearteilt, wenn er auch noch au den tumor
Afxicus glaubt, von dem Ruhnken in seiner Vorrede zu App. gesprochen
hatte. Cf. auch H. Becker, Studia Apuleiana (Berl. 1879) 7 f. : der Schwulst
und die Kflnstelei sei aus dem falschen Geschmack der ganzen Zeit zu er-
klftren und es sei nur Zufall, dafs für uns seine Ilauptvcrtreter aus Afrika
stammten. Die deutsche Hetajagd auf ' Airicismen ' (so pflegt man das zu
nennen) bei juristischen Schriftstellern hat einen italienischen Juristen zur
Venweiflmig gebracht: E. Costa, Papiniano I (Bologna 1804) 283 f Begreif-
lich: der Juzist weife nichts mit dem philologischen Phantom anzufangen.
CL «ich £. Th. Schulze, Zum Sprachgebrauch der röm. Juristen in: Z. d.
Sttvigny-Stift. rem. Abt. Xn 1892 p. 111 if. Am klarsten und eindringlich-
•ten hat den richtigen Standpunkt kürzlich vertreten £. W. Watsou, The
ifyle and langnage of St. Gyprian, in: Studia biblica et ecclcsiaätica,
.eNay« chiefly in biblical and patristic criticism bj memberd of the uui-
Terntj of Ozfozd IV (Oxf. 1896) 189 ff. : nachdem er im einzelneu die rhe-
toiiichaii Elemente im Stil Cyprians aufgezählt hat, fafst er alles zusam-
men p. 840 £; der Stil erinnere stark an den des Appuleius, aber man solle
aiflli hüten, dai ala etwas spezifisch Afrikanisches anzusehen: the e/l'ortü
mft&r roimidii^ of expressüm were commofi to the whole empii-e . . . It is
damgerou» io rtgarä as peeuliarities of African writers tchnt may onltj appear
io he titdk, beea ae comparatively Utile has survived of the Ittera-
(«re of oihar provinees in the third centtiry, und ähnliche treffende
594
Von Hadrian big zum Eade der Eftüeneit.
weseu wäre, um den lateiniacheD Stil zu beeiufiaasen, in AI
so wenig wie im ganzen Übrigen Occident mehr die Rede sein.')
Wenn wir also Schriftatelier dieser Zeit in einem Stil schreiben
sehen, wie ihn gleichzeitig die griechischen Sophisten anwandten,
BO kommt da eine unmittelbare Berührung nicht in Frage, son-
dern wir müssen feststellen, dafs dieser Stil damals in der latei-
nischen Sprache durchaus eingebürgert war und sich durch sich
selbst fortpflanzte. Aber bei allen Schriftstellern, deren Lebens-
zeit in das zweite Jahrhundert und den Anfang des dritten fallt,
ist diese Beeinflussung eine denkbar starke gewesen. Während
es also von Cyprian höchst wahrscheinlich, von Augustin durch
sein eignes Zeugnis sicher ist, dafs ihre Kenntnis des Griechi-
schen mangelhaft war, gilt von Appuleius und Tertullian das
Gegenteil. leb habe schon oben (S. 361 ff.), als ich den Archaismus
Prontoa und seiner Schule aus der direkten Einwirkung der
gleichzeitigen griechischen Sopbistik erklärte, darauf hingewiesen,
dafs die damaligen Schriftsteller aus Afrika durchaus bilingues
waren. Von Appuleius und Tertullian weifs es jeder: wir haben
ihre eiguen zahlreichen Äufaerungeu über ihre Fertigkeit, in
beiden Sprachen zu sehreiben, von denen ich nur eitlere die zwei
am meisten bezeichnenden des Appuleius: die eine aus der n^o-
laltd') zu seiner fiei-iiT) de deo Socratis (p. 4 Goldb.): iamilitdum
scio, quid hoc signißcalu ßagitetis, ut latine cetera maleriae perae-
guamur. nam et iit principio vobis diversa tendcntibus ila memini
polliceri, ut neutra pars vestrutn, »ec qai graece nee qui latine pete-
lalis, dictionis kuius expertes abiretia. quapropter si ita videtur,
satis oratio nostra atHcissaverit. t0Hpt(S est in Zjatium demigrtjare
äe Graecia; nam et qvaestionis hiiva fernie nudia ienemtts, tU,
quiaitum mea opinlo f'ert, pars isla posterior prae illa gra&xi quae
antenertit nee arytunenlis sit effetior ncc sententiis rarior nee exem-
^is pavptrior nee oratione dtfectior (ebenso hatte er in einem
DiiJog den einen Sprecher griechisch, den auderu laLeiniach
(tüi lassen: Flor. 17 p. 33, 2ß. Kr., eüie ganz beispiellose
g); die andere aua dem Anfang der Metamorphosen:
*ie iMchrift CIL VUI T24 {1613 Buecb.), wo ein liJÄliriger
les QriecliiKchei) buxeugt, ist aus aaec. IC, also wohl eher
T «In xyrtstet ^Ule.
Bicht)f[e diurflber hat nur Bohde geäugt in seiner Recen
«nchou A.u*gnbt<, Jenaer Litt.-Zcit. m (IflTe) T8t.
1
Spätlat Litteratar: der neue Stil: ''afrikonischeR Latem\ 595
mettos AtUca et Isthmos Ephyrea et Taenaros Spartiaca . . • mea
f;e^tf0 prosapia est. %bi lingttam Ätthidem primis süpendiis merui,
mox in urbe Latia advetia studionim Quiritium indigcnam semio-
nem aerumnabili läbore nullo tnagistro praceunte aggressus excolui.
en ecce praefamur veniamy si quid exotici ac forcnsis sertnonis rudis
locutor offendero}) Appuleius war ein Sophist so gut wie seine
1) Das Letzte ist natürlich nicht ernst zu nehmen (ich bemerke das
nur, weil einige es för die 'Africitas' seines Lateins immer und immer
wieder Terwerten). Solche affektierte Bescheidenheit war bekanntlich ein
rosroff des Proömiums, wofQr ich doch ein paar charakteristische Zeugnisse
anfahren wiU: Libanios or. 11 (1276 f. K.) %oivbv rdtv iyyuofiiaiovtaiv f^og
iBlnsa^ai tptMxsiv triv airr&v &c&ivBiav xov nsyid'ovg tav igycov olg Ttgoad-
yovffi rlhf IL6yoVf xal avyyv&iiriv altslv Ttagä rmv icKOvSvrtov^ el ßovXofisvot
T^g &iüx£ iyyifg iX&etv &%ovtsg iXdttovg yiyvoivto, Sulpicius Sevcrus dial.
I 27: GkdluB, ein Schüler des Martinus von Tours, bittet wegen der Einfach-
heit seiner Sprache um Entschuldigung, worauf ihm Postumiunus, der
Freond des Severus, erwidert: cum sis scfiolastictuf, hoc ipswn quasi scholasti-
cus ariificiose facis, ut eaxuses imperitiam, <j^aa exuberas eloquent ia. Sidouius
ep. IV 17, 1 urbanitas, qua te ineptire facetimme allegas. Ennodius ep. 1 15
iäem est terminum in adrogantia non tetiere quod in humilttate transceiulere.
supereüii affeetus est iusto amplius esse stibiectum: familiäre est graviter
hiafMma novas invenire blanditias et graiidis cotumus in eloquentia simulare
fonnidinem vel exatfien metuere de laude securum. Beispiele lassen sich, wie
jeder weifs. Hunderte anführen aus allen Zeiten und Sphären der Litteratur,
und iwar kann man sicher sein, dafs unter 100 FäUen 99mal daraus genau
das gerade G^egenteil für den Stil des betr. Autors folgt; er will damit nur
sagen: pa&t einmal auf, wie ausgezeichnet ich meine Sache mache. (Ein
pMur bezeichnende Beispiele bei K. Sittl in: Archiv f. lat. Lexicogr. VI
[1889] 660 f., und G. Arnold, Gaesarius v. Arelate [Leipz. 1894] 85, von denen
die Erscheinung richtig beurteilt wird). So kommt es, dafs wir derartige
FroQiDien gerade den stüistisch allerraffiniertesten Werken vorausgeschickt
finden, i. fi. den in hochtrabendem Stil geschriebenen Heiligen viten, oder
emem so monströsen Werk wie der Geschichte des Theophylactos Simocatta
(p. 88 de Boor: n(fbg f^v [Ictogiav] imdgaitoünai xa^o?, sl %al fisttov i] xar
i^th %k iyxalf^TipM dUc tb tfjg Xi^smg icyBvvhg rätv XB vorindroDv tb icÖgaviara-
«S9 f4s VI toB X6yov aw^nrig tb Anall^g x6 xb xf^g oUovoiäccg &xB%y6xuxov)'
Wer also in jenen Worten des Appuleius ein Zugeständnis seines schlechten
Tiateins sieht^ der wird s. B. auch dem Tacitus glauben, dafs der Agricola
tneomivto ac mcft voce geschrieben sei (c. 3), oder (was wahrhaftig kürzlich
geschehen ist) dem Fronte, wenn er p. 242 N. der Kaiserin-Mutter schreibt
(auf giieoliisch), sie solle es ihm nicht verargen, wenn ein unattisches Wort
in seinem Brief Torkomme, denn er sei Ai^vg xmv Aißvoav x&v voiiddtou. —
Durch die Ausftlhmngen yon J. van Vliet im Hermes XXXII (1897) 7911'.
ist alles, was Bohde über das Proömium der Metamorphosen klar aus-
ainandeiEgel^gt hat, wieder durcheinandergewirrt worden.
Vof4«B, SBtIko Xamtpioia. II. 39
596 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
ausschliefslich griechisch sprechenden Kollegen: mit einigen von
ihnen hat er auch das Schicksal geteilt, für einen (idyog ge-
halten zu werden.^)
Auf Grund dieser Thatsachen brauche ich es demjenigen^
welcher meinen bisherigen Untersuchungen gefolgt ist, nicht erst
zu sagen, dafs der bombastische und zugleich gezierte
Stil der Afrikaner nichts ist als der griechische Asia-
nismus (Manierismus) in lateinischem Gewände.*) Zwi-
schen dem von mir früher aus Nachahmung griechi-
scher Muster erklärten Stil der extremen Moderhetoren,
des Valerius Maximus'), des Plinius (panegyr.) einer-
1) Hat man schon die äulsere Analogie zu dem Sophisten Adrianos
(unter Marcus und Commodus) bemerkt? über ihn sagt Philostratos t.
soph. II 10,0 itBlsvra 8h äfigtl xa 6y^oi{xovra sr?], ovros rot fi^c^ifMff, &£
xal noXkol^ y6rig 86^ai. ort yi^hv ovv &vriQ TCBnaiÖsvfiivog oix &y nots ig
yoijtatv ^Ttax^'slri tixvag, i^avätg iv totg {mhg Jiovva£ov Xoyoig cr^Tjxa* 6 84,
oZftat, tsgatsvoiisvog iv talg ^o^ioBai nngii tä r&v fuiyoav ijdifi r^y ixmw-
fiiav xafftr\v nag' aitolg ianaasv (solche {mo&iasig haben wir bekanntlich
in Ps.-Quintilians Deklamationen).
2) Ich habe gesucht, wer schon vor mir das Griechische herangezogen
hat, und nicht ganz vergeblich. Fr. Bitter, Die ersten christl. Schriftsteller
Africas in: Zeitschr. für Philosophie u. kathol. Theologie, Heft 8 (Köln
1883) p. 44: „Diese Eigentümlichkeit (die SfiouniXsvta) hat App. teils ans
den alten Komikern [das ist falsch], toUs nach dem Vorbilde der attischen
Sophisten, welche ebenfalls nach Gleichklängen und Gegensätzen strebten,
mit eiaer solchen ungezähmtcn Nachahmongssucht aufgenommen, dafs seine
ganze Darstellung sich um Gegensätze und Gleichklänge drehet." H. Eretsch-
mann, De latinitate L. Ap. Mad. (Diss. EOnigsb. 1889) 7f. : gut circa Ha-
driani et AnUminorum tetnpora ibi summa gloria et auctoritate floruerunt
sophistae minores, earum oratio quae vocatwr demonstrativa, muUa habet com-
munia cwn Ap, Nam tumida et lasciva dictione mhü nisi aures permühere
studebant, verbis antiquds et Atticis promiscue cum puerili guadam osten-
tatione utebantur et nota licentius fingebant (Luc. rhet. praec. 17), ad poetarum
simüitudinem non verbis solum verum etiam numeris adspirabawt, Mommsen,
BOm.Gteioh. y 656: ,^8 herrscht in diesen Kreisen (der gelehrten Afrikaner) . . .
eiiie, üble grieohiBohe Muster übler nachahmende, Leichtfertigkeit, wie sie
<n dem EMkraman jenes Philosophen von Madaura ihren Gipfel eneicht**
^■teu für die Metamorphosen des Appuleius spricht auch E. SitÜ in:
Ist Lezioogr. VI (1880) 669 von „den malslosen Ghraecismen und
^ damaligen Sophistik*'.
I Manmni leistet sich bekanntlich in der Unnatur das Un»
. B. Tannag, wenn er folgenden Satz liest V 7 in. det
\ affeetiu parentium erga lUteros indutgentia sälübrique
Sp&ilat. Lifcteratur: der neue Stil: 'afrikanisches Latein'. 597
seits und dem des Florus, Appuleius und Tertullian
andrerseits besteht höchstens ein gradueller oder quan-
titativer^ kein prinzipieller oder qualitativer Unter-
schied. Wenn man also von asianischem Latein statt von
afrikanischem redete^ so würde das meiner Meinung nach sich
mit der antiken Vorstellung besser decken. Wenn man die
Thatsache, dafs gerade dieser Stil in Afrika so beliebt wurde ^)^
aus dem feurigen Naturell erklären will^ welches nach einer oft
citierten Stelle des Sidonius den Afrikanern eigen war (ep. 8, 11
urhium cives Africanaruni, quibas ut est regio nie est mens arden-
iior\ so will ich dagegen nichts sagen: nur höre man auf, von
einer in Afrika geborenen Latinität zu reden. Ich werde weiter-
hin beweisen, daij9 derselbe Stil später in Gallien herrschend
wurde; daCs er uns zuerst in Afrika begegnet, hat nichts Be-
fremdliches. In keinem Lande war im zweiten Jahrhundert und
der ersten Hälfte des dritten die Kenntnis des Griechischen mehr
verbreitet (dann ging es bekanntlich reifsend bergab), und Afrika
hat überhaupt in jener Zeit die führende Bolle in der lateinischen
Litteratur übernommen, während Spanien (speziell Tarraco) etwa
seit Hadrian fQr Jahrhunderte ganz zurückgetreten war und Gal-
lien erst im vierten Jahrhundert sich zu hoher Blüte entfalten
sollte. Daher ist für uns die lateinische Litteratur in den ge-
nannten Jahrhunderten wesentlich durch Afrika vertreten. Es
kommt hinzu, dafs gerade die Rhetorik dort eifrige Pflege und
amra prwoeäa gratam suavUatis dotem secum afferat oder IX 12 ext. 6 ur-
hamMem dieU crebro anheiitu cachmnorum prosecutus senile gtUtur salebris
gpirüuB gravannt, einen Unterschied zu Appuleius zu erkennen? Und diese
Beitpiele stehen nicht etwa allein, sondern, wer Lust hat, kann ein ganzes
Spicilegimn dieser Axt nachlesen z. B. bei Glelbcke, Quaest. Valerianae
(Diu. Berlin 1866) 14 fr. Nun hat Erasmus thatsächlich über Valerius ge-
mteüt: Valenua Afro poUus quam Italo similis (cf. die Vorrede von Eempf
vor teiner Ausgabe Berlin 1864 p. 41). Aber Valerius Maximus ist nun
anmal ein Italer gewesen. Auch hieraus mag man ersehen, dafs das
'afrikanische' Latein ein reines Phantasma ist.
1) Sehr passend fahrt L. Schwabe in Teuffels Gesch. d. röm. Litt^
(Leips. 1890) p. 870, 10 dafOr eine auch durch ihren Stil so charakteristische
Ludizift des Ed. Jahrh. an: CIL Vm 2891 (Thamugadis in Numidien):
P. Fl. PitdmU FornpoHiano ü. c. . . . multifariam laquentes litteras amplianti,
JUieam faetmdiam adaegtumU lUmano nitori, ordo ificola fontis patrono oris
lAm» H ßüßnUi, natro aUeri fonti.
89*
598 Von Iladrian hin zum Ende der Eaiserzeit.
Vcrntändnis fand: Juvcnals ^nutricula causidicorum Africa' läfst
.sich aus dem acliteii Bande des Corpus der lateinischen Inschriften
kommentieren.^)
2. Die Sophistik im Stil der afrikanischen Profan-
autoren des II. Jahrhunderts.
Fhirin. Der früheste dieser afrikanischen Stilvirtuosen ist Florus.
Er hat in seinem Enkomion auf Rom den Schwulst und die
Phrase mit Meisterschaft gehaudhabt. Wie ein solches Mach-
werk stilistisch zu beurteilen ist^ kann man lernen aus der vor-
trefflichen Vorrede des Graevius zu seiner Ausgabe vom J. 1680:
er stellt ihn zusammen mit Gorgias, Hegesias, den Deklamatoren
bei Seneca, Valerius Maximus, nennt seine Diktion xaxö^riXov
(so hatte sie schon Scaliger bezeichnet: zu Euseb. p. 114) und
wendet auf sie die tadelnden Worte an, die der Verf. xsqI vtffovs
von den Asianem der früheren und seiner eignen Zeit braucht.^
Wenn wir doch erst so weit wären, alle diese Autoren auf solche
Weise zu beurteilen! Der Mann ist Deklamator, sein Werk ein
Dithyrambus in Prosa; bezeichnenderweise hat er den Lucan
ausgiebig benutzt.') Man kann ihn förmlich kommentieren aus
den Niederschlägen! die uns von den Deklamationen der ersten
Eaiserzeit erhalten sind. Wenn er z. B. von D. Brutus sagt
(I 33 sa II 17 p. 53^ 11 Jahn): D. Brutus aliquante latius Celticos
Lusitanosque et omnis Gallaeciae populos formidatumque müitüms
flumen OUivianis (sc. transiü)^ peragratoque vietor Oceani
litore non priua Signa eonvertit quam cadentem tu maria
solem ohrutumque aquis ignem non sine quodam saerilegii
mein et horrore deprendit, so überträgt er — lächerlich genug
1) Ot P. Monoeaiiz, L« Afiricains. £tade sor la litt^ratore latine
Lh FUtans (Pbrii 1894) 60. 74, 2.
B gnto wOgpmmBB Charaktezistik giebt auch J. Reber, Dai Ge-
Vlom (Freiniig 1865) 41 S.
bewiesen von H. J. Müller in: Jahns Jahrb. UMIl
von E. Westerbnrg in: Rhein. Mus. XXX Vn tl882)
i ¥011% illnsoriseh, was man von seiner Benntning des
SpftUat. Litteratur: der neue Stil: Afrika: FIoruR. 599
— auf ihn das Thema einer berühmten Alexander -Suasorie^ cf.
Seneca snas. 1 (s. oben S. 200, 1). Auf Calpumius Flamma tr.
mil., der mit dreihundert Leuten einen Hügel verteidigte, bis
das übrige Heer sich in Sicherheit gebracht hatte, werden in
alberner Weise die TCoXv^QvXrira nagadetyiiata des Leonidas und
Othryades (Sen. suas. 2, cf Ph. Kohlmann im Rh. Mus. XXIX
[1874] 463 ff.) übertragen (I 18 = H 2 p. 30, 16): pulcl^rimo
cxitu Thermopylanitn et Leonidae famam adaequamt, hoc inltistrhr
noster, quod expediHoni tantac supe^fuerit, licet niliil inscripsent
sanguine. Vom zweiten punischen Krieg (I 22 = H 6 p. 35, 30) :
tibi semd se in Hispania movit illa gravis et lucttwsa Punici belli
vis atque tempestas destinaiumque Eomanis iam diu ftdmen Sagtin-
Uno igne canflavit, statim quodam impetti rapta medias perfregit
Alpes et in Italiam ab Ulis fabulosae altitudinis nivibns
velut caelo tnissa descendit: woher das Bild stammt, weifs
man aus Horaz sat. II 5, 41. Petron. c. 122 f Derartiges mufs
sich noch massenhaft nachweisen lassen (cf auch oben 8.3(^2, 1).
Danach wundert es uns nicht, wenn die Signatur des Stils dieses
Deklamators die Antithese ist, sowohl die gedankliche wie die
formelle. Nur je ein Beispiel: I 13 = 1 18 p. 24, 9 quinam Uli
fuerunt mi quos ab elephantis prinio proelio öbtritos acccpinms?
omnium wlnera in peetore, quidam Jiostibus suis morte sua com-
mortui, amnium in manibtis ensis et relict^ie in voltibus minac, et
in ipaa morte ira vivebat, cf Gorgias fr. epitaph. i. f rotyaQovv
«ininf iixo^ttv6vxoav 6 %6^og oi) övvandd'avsv^ iXX äd-dvarog iv
iamfuttoig eAfLOöt t$ oi gc&i/ron/, Polemon decL p. 5, 18 Hinck.
— 1 11 i« I 16 p. 20, 19 pepultis liomanfis Samnitas invadit, gen-
km, si qpulmüam quaeras, aureis et argenteis annis et discolori
veste ¥8que ad cunbitum omatam; si fallaciam^ saltibiis fere et man-
imm firamde grassantem; si räbieni ac furoreni, sacratis legibus hu-
mamague hastiis in exitium urbis agitatam; si pertinaciam^ scxie^
rvpto foedere eladibusque ipsis animosiorem (ein tetQdxcokov). Das
nnaosgesetEte Haschen nach Pointen fuhrt zu iiEtQaxceiiiiara
nngeheaerlichster Art: I 5 =» 1 11 p. 15, 12 (Cinciunatus) vichs,
ne quid a rustiei operis imitatione cessaret, niorc peciidum sub iugum
mML 1 13 — 1 18 p. 25; 15 niJiil libenfius p, IL aspexit qwim
Wob quas Ha timuerat cum turribus s^iis beluas, quae non sine
aeimi eaptimtalis smmmissis cervicibus victores equos sequebantur.
Aber ich mfllste ihn Ton Anfang J»is Ende abschreiben. In der
()00 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
Ausdrucksweise ist eine völlige Fusion mit der Poesie^) ein-
getreten: L. Spengel') hat ausgerechnet, dafs selbst er 125mal
für nötig gehalten hat, durch qtuisi die Tollkühnheit des Aus-
drucks zu mildem. Am abscheulichsten ist für unser Gefühl
(das sich aber mit dem des Publikums, für welches Florus
schrieb, in keinem Punkte berührt) die Eatachrese des Aus-
drucks, die wir schon bei Hegesias kennen gelernt haben, z. B.
I 18 = I 21 p. 30, 25 M, Atilio Eegxdo diice iam in Africam na-
viyaiat bellum, ib. p. 31, 4 prooemium belli fuit civitas Capua,
I 19 = II 3 p. 33, 13 denique utrique cotidiani et quctsi domestici
hostes tirocinia tnilitum inhuerant, nee aliter uiraque gente quam
quasi cote quadam papidus Bonianus ferrum suae virtutis
acucbat, u. s. f. Endlich weise ich noch auf das stark hervor-
tretende rhythmische Gepräge der Satzklauseln hin: darüber
handle ich später (Anhang II) im Zusammenhang, die citierten
Sätze geben genügend Beispiele für die uns schon bekannte be-
liebteste Form: ^ ^ yXi jl^.^)
Appuitiai. Alles, was vor ihm war, hat Appuleius übertroffen, der
virtuoseste Wortjongleur, den es gegeben hat. Dieser Mann,
dessen Ehrentitel zu seinen Lebzeiten und lange nach seinem
Tode phüoso^^us Platonicus war, der von Piaton als dem ^seinen',
von Sokrates als seinem ^Vorfahren' spricht (Flor. 15 p. 19 Kr.
1 p. 1), hat die Sprache entwürdigt. Bei ihm feiert der in bac-
1) Es ist natflrlich £eil8ch, überall gerade Vergil zu wittern, wie es
Fr. Sehmidinger, Unters, üb. Florus in Fleckeis. Jhb. Suppl. XX (1894)
788iF. that
I) Über die (Jeschiohtsbflclier des Florus in: Abb. d. bayr. Akad. d.
pliaoi.-pbiloL GL IX (1860) 326.
9 Fslnioa hatte grofsen Gto&llen an Florus: iififia^' Flori florentis-
hrmriku, §iegam ae mccineta Flori brevitaSj Fhrw brevis et eomptus
m efta, e£ P. de Nolhac, P^trarque et l*humamsme (Paris 1898) 444.
«h da Hmnamit bei Jahn praef. p. XXXVIII. In den 'Perroniana et
a' (OolflgM i6S4) 868f. heiftt es: Je mets Florus le plus haut apres
tadkh Cutim, der fttr ihn 2e premier de la LatiniU ist); e'eet taute
1 «I jj JUgamL Ahnliche Urteile hanuuiistischer Anticiceronianer,
Jagmam mid Salmauns, unter den testimonia in der Ausgabe Dükers
Bat 1744). — Das Schriftchen ^Vergilius poeta an orator' habe ich
A am dem Spiel gelassen. Stilistisch ist es erheblich einfacher
^fcwAi«. ^ef. Q. Lafaye, De poetarum et oratorum ap. reteres cer-
■ [BmoM 1888] 8Sf.X aber wir werden uns natürlich hüten, daraus
^ es Ton einem andern Verfasser stamme.
SpftÜat. Litteratur: der neue Stil: Afrika: Appuleius. 601
chautischem Taumel dahinrasende, wie ein wilder Strom sich
selbst überstürzende^ in ein wogendes Nebelmeer wüster Phan-
tastik zergehende Stil seine Orgien; hier paart sich mit dem
ungeheaerlichsten Schwulst die affektierteste Zierlichkeit: alle
die Mätzchen, die dem weichlichsten Wohlklang dienen, werden
in der yerschwenderischesten Weise angebracht, als da sind AI-
litterationen, Ohren und Augen verwirrende Wortspiele, abge-
zirkelte Satzteilchen mit genauester Korresponsion bis auf die
Silbenzahl und mit klingelndem Gleichklang am Ende. Die
Tömiache Sprache, die ernste würdige Matrone, ist zum prosti-
bulum geworden, die Sprache des lupanar hat ihre castitas aus-
gezogen. Met. II 10 iamqne aetnula libidim in anwris parüitatem
congermanescenti niecum, iam patentis oris inJialatu cinnmneo et oc-
CHTsanUs lingwie inlisu nectareo prona ciipidine adlibescente ^pereo^
iN^tfam etc. V 6 imptimens oscula snasoria et ingerats verba mul-
cenHa et inserens membra cohibentia. IX 14 nvdier saeva scaeva, virosa
dniosa^ pervkcuc pertinax, in rapinis turpibm avara, in sumptibus
foedibua profusa Y 15 tnellita cantus dulcedine mollita. Derartiges
lieÜB sich nicht in einem anständigen Stil ausdrücken: einem
Geschlecht, das an der wollüstigen Sprache, mit der eine Fotis
und ihre tf^i^futra beschrieben werden, Gefallen fand, ist mau ver-
sucht mit Persius die entrüstete Frage vorzulegen: haec fierent,
81 testieuli vena uUa patemi viveret in vobis? Und doch ist er in
demselben Hetärengewand als öffentlicher Redner aufgetreten und
hat^ wie er gern hervorhebt (Flor. 9 p. 9. 18 p. 21»;, seine Hörer,
darunter den höchsten Magistrat, in Ekstase versetzt: in diesen
Beden wirkt der Flitterstaat nur um so greller, als mit ihm
amwoben werden nicht blofs Papageien, für die er pafst (12 p. 14),
sondern die griechische Philosophie oder die damals von den
Heiden wirklich geübte Werkheiligkeit, z. B. gleich zu Anfang
der Florida: u^ ferme religiosis viantium moris est, cum aliqui
lueus aul aligui locus sanctus in via oblatus est, votum posttdarc,
pomum adponere, paulisper adsidere: ita mihi, inyresso sanctissimam
istam eivitatem, quamguam oppido festinem, praefanda venia et ha-
benda oratio et inhibenda prpperatio est; neque enim instius religio-
sam moram viatori dbiecerit aut ara floribus rcdimita aut spelunca
fromdXbus inumbrata aut quercus comibus onerata aut fagus pellibus
coronatOf vel enim cöUiculus saepimine consecratus vcl tnmcus dola-
mine rffigiaius vel caespes libamine f'umigatus vcl lapis unguir
S02 Von Hadiiao bis tum Ende der Eai«eraeit. V
ddtbtihis. parva haec qu,ipi>e et quaniquam pauds peramtanlibm
adorata, tamm ignorantibiiS transcursa. Und wie brüstet er sich
mit dieser seiner 'philosojihiachen' Diktion: 13 p. 15 non enim
mihi pliilos(^}iia id gmus orationem largita est, ut natura quibus-
(iam avibus brevem et temporarium cantutn commodavit, AiVundmi
matutinum, cicadis meridianum, noctuis serum, tdiilis vei^ertim
bubonibus ttoelumum, gallis aniclvcanum. quippe Jiaec onii
inter se vario tempore et vario modo occinunt et occipiunt carmi
scÜicet galli expergifico, hubones gemuto, ululae qfterulo, noduae ti
cicadae obstrcpero, hirundines perarguto. sed enim philosophi
et oratio tempore iitgis est et auditn venerabilis et intelleetu utilia
modo omnica»(J. Im einzelnen ist bekannt) ich die Sprache
behandelt, dafs man nur mehr von einer Vergewaltigung reden
kann: nicht mehr ordnet der Schriftatelier sein Wollen und
Können dem vorhandenen Wortschatz unter und sucht in seiner
geschmackvollen und keuschen Verwendung das Ideal des Sl
aouderu mit tyrannischer Selbstgefälligkeit nimmt er sich
Recht freieater Wortprägung, besondera wemi er aeine Eiudereii
anbringen will: Met. XI 9 mvlieres candido splendentes amicimme,
vario laetanles gcstamine, vemo florenles coronamine, Flor. 10 p. 13
steUa lovis benefica, Veneris vobipHfica, pernix Mercuri, perniciosa
Satiimi, Mortis ^nila. Und dann das Tollste: mit dieseu zucht-
losen Worten gehen einträchtig gepaart die gravitatiacheD Worte
des PlautuB und der alten Sprache überhaupt, „Vnde ftacc
lago hquendif'? Nun, ich denke, die beliebig herausgegriff*
Proben ssgen es dem Leser mit greller Deutlichkeit: Gor|
Hegesiaa und ihrosgleicben sind die Geistesverwandten dii
Sprachjittuberers, und hätten wir des Ariateides oder seines Ül
Setzers mileaiache Qeschichteu, so würden wir den Zusammi
bang noch klarer durchschauen.') Appuleius bat ebensoviel
grieühisch wie auf lateinisch geachrieben: in Athen {All
Altieis, wie er gern mit Plautus sagt) gebildet, war er einer
»eitflo' Sophtstcti un<l zwar von der extrem modernen Richtii
Jbe eich selbst als Naclikomme des Hippias, dessen Bei
er bewunderte {Flor. Ü p. 10 f.). Nur in diesem
Hädclieii werden vgn Vorro (sat, 370— 8TS. 375. «32) mit d
JTarben biwcbriubiin wie von Appulei\ia (x. B. HeU 11 ]
fau «oniit al« HO* jonem cchlUprerigon Roman? AI« ]
lut ut ja auch Helbst aein Werk baxeiclmet.
Spätlat. Litieratur: der neue Stil: Afrika: Appulcius. iU^i
sammenhang kann man seinen Stil yersteheu, in ihm aber auch
ganz: den Schwulst, die aöektiertc Zierlichkeit, den mafslosen
Gebrauch der auffälligsten und pikantesten, auf das Ohr wie
Schellengerdate wirkenden Kedefiguren — speziell der Antithese,
des Isokolon ^) mit Homoiotcleuton, des Wortspiels ^) — , die völ-
lige Transfusion des prosaischen und poetischen Ausdrucks^), die
frivole Art, die Sprache zum Versuchsobjekt für Neubildungen
zu verwerten, mit gelegentlicher Einmischung veralteter Worte.*)
Als Stilist ist Appuleius noch in einer anderen Hinsicht
interessant. Er schreibt, wie schon die Humanisten hervorhoben,
in jeder Schrift in einem andern Stil. Ich wüGste keinen an-
tiken Schriftsteller zu nennen, an dem man einen Fundamental-
satz der antiken Stillehre, wonach für die verschiedenen Arten
des Stoffes ein durchaus verschiedener Stil angewandt wurde,
so genaa studieren könnte wie an Appuleius. In der Apologie
schreibt er, abgesehen von einigen gehobenen Partieen, einfach
und klar, gelegentlich an Cicero erinnernd; die Schriften Do
dogmate Piatonis und De mundo sind sachlich und nüchtern,
letztere in solchem Grade, dafs man sie ihm deshalb hat ab-
sprechen wollen. Auf der andern Seite stehen die Metamor-
phosen^) und die Florida. Eine Mittelstellung zwischen beiden
1) Besonders gern trikolisch und tetrakolisch : Beispiele im Grcif»-
walder Frooemiiim Ostern 1897 p. 62 f. 59.
2) El wirkt um so empfindlicher, wenn es mit einem yeraltet<?n Wort
voEgenommen wird: Apol. 62 lignum a me toto oppido et quidem oppido
') is^PP^ hat es in nngewOhnlicher Weise verstanden, die Doppel-
najnr des poetifierenden Bhetors nnd des in Prosa darstellenden Dichters
festenhatten** L. Friedl&nder, 8itt.-Ge8cb. m^ (Leipz. 1881) 421.
4) C£ fttr das letite die schon von H. Kretschmann a. a. 0. (oben
8. AM, f) henngeiogene Stelle Lukian rhet. praec. 17: der Moderhotor soll
alte Wolle anf die ftannenden Zuhörer losBchiefsen, ivloxB ob xa2 aitxog
9ol§i WKUßä lud i[ll6%otu iv6iucta k«1 yoftod'itsi rbv filv igiiriveüacci dsivbv
5) J. T. Vliet L c. (o. S. 696, 1) 81 erscheinen die Worte der Vorrede,
in denen Aptpoleiiii selbat den Stil dieses Werkes als dcsnUoriae scientiae
atHm beiaiehnet, riltseUiaft, und er giebt eine sonderbare ErkK^rung, die
m wiedwholen ich keine Lust habe. Varro schrieb eine Satire Desultorius
sBlfl f»V TfiE^ffiir, was schon Buecheler im Rhein. Mus. XX (ISGö) 4ü8, 6
ans dem spnmgweifen Wechsel dieser Kompositionsart nach Inhalt und,
wai M Yttzo, Seneca, Petron, Martian und Boetliius hinzukommt, nac>*
604 Von üadrian bis zum Ende der Eaiserzeit
Gruppen nimmt ein die philosophische Deklamation De deo So-
cratis: sie sollte zwar, wie die Florida^) (die ja nichts anderes
als yLBXitai sind), der delectatio dienen und ein Prunkstück rhe-
torischen Könnens sein, aber der Stoff war doch ein zu ernster,
als dafs die Lascivität bis zu dem Grade der Florida hätte ge-
steigert werden können.
Eine der dringendsten Aufgaben aus dem Gebiet der an-
tiken Stilistik wäre m. E. eine nach den beiden angedeuteten
Gesichtspunkten^ auf Grund brauchbarer Ausgaben durchge-
führte wissenschaftliche Analyse des Stilcharakters der Werke
dieses merkwürdigen, nach allen Richtungen hin so interessanten,
für die Geschichte der Kultur seiner Zeit einzig wichtigen Men-
schen und Schriftstellers. Das noch immerfort citierte Buch
von H. Koziol, Der Stil des A., ein Beitr. z. Kenntn. d. sog. afri-
kanischen Latinität (Wien 1872), dient als unkritisches Sammel-
surium mehr dazu, die Erkenntnis des Richtigen zu vernichten
als sie zu begründen und zu befestigen: Büchern über einen
Form (cf. auch Bekker Anecd. Gr. 198, 11 b. &va^<ktri9\ erklärt hat. Hätten
wir den Roman des Aristides, so würden wir die sprunghafte Art der Dar-
stellung an der Quelle studieren können; aber bezeichnend ist doch, dafs
der Übersetzer des Aristides, Sisenna, ausdrücklich gesagt hat, er wolle in
seinem G^eschichtswerk nicht sprunghaft schreiben: fr. 127 P. (bei Gell. Xu
15, 2): ne vellicatim aut saltuatim scribendo lectorum animoa impediremus.
Das Sprunghafte der Komposition erkennt man ja auch an Horaz^ Sermonen
noch deutlich genug.
1) Sie beurteilt richtig Cresollius, Theatr. rhet. m c. 10 in GronOYS
Thes. graec. antiquit. X (Venedig 1785) 105 8%Mipsit ad ostentoHonem Florida,
ubi tamquam in speculo antiquitoHs sophisticiim marem mihi noktre videor,
nam curiosa quaedam attingit et 7eaQad6iovg ivvoLag^ dulces fabdlas, narra-
Uu/nculas plenas stMvitatis, quas varie intexitf ut in Fhrygio parapekumate
miUtis colorihus variegato. tum dictio ipsa est conciwna, nonia et ineUnaÜs
artificiose mcülis ut stellulis irradians et canteastu ipso oroHonis yoijre^ovtfa,
praestigiis velut guihusdam audiewtium ammos deleniens^ et ut hremter dicam,
ut in scaena choragium lucukntum eaeponit sophisHca pompa digtmm.
2) Als dritter kommt noch hinzu: es muls innerhalb der euiselnen
Werke geschieden werden nach den einzelnen Gegenständen, die darin vor-
kommen: die Räuber oder der betrogene Schmied sprechen anders als einer,
der in Juno oder in Isis betet, die FoÜb wird mit andern Mitteln der §m-
geiohflderi als die Weltg<)tfcin oder die Fortana auf ihrer Kugel,
*^din all ein Zanbeigarten oder ein Feenpalast, und
-«^inftfea libidinis, andere 'es war einmal ein
dni gar lohOne TltohtaP.
Spfttlai. Litteratur: der neue Stil: Afrika: Appuleius, Minncius. 605
lateinischen Autor wie Appoleius, in denen auf 350 Seiten kaum
der Name eines griechischen Autors^ kaum ein griechischer Buch-
stabe vorkommt, ist der Stempel der Perversität von vornherein
aufgedrückt.
3. Die Sophistik im Stil der frühchristlichen
afrikanischen Autoren.
Würdig erofiEhet die unübersehbar lange Reihe der christ- Mium
liehen lateinischen Prosaiker Minucius Felix mit seinem zu
allen Zeiten vielgepriesenen ^Octavius', der uns wie durch ein
handBchriftliches Wunder überliefert ist.^) Da ich eine kommen-
tierte Ausgabe des Dialogs vorbereite, gehe ich hier auf ein-
zelnes nicht ein^ und das um so weniger, als ich das meiste hierher
Grehorige in meiner Abhandlung De Minucii Felicis aetate et
genere dicendi (Wiss. Beilage zum Vorlesungsverzeichn. d. Univ.
6reifi9wald Ostern 1897) bereits berührt und der Schrift ihren
Platz in der Geschichte der antiken Eunstprosa angewiesen habe.
Minucius hat es mit einzigem Geschick verstanden, auf dem
Grunde der Philosophie Ciceros und der Diktion Senecas in
einem den verwöhntesten Ansprüchen genügenden hocheleganten
Modestil die neue Religion den gebildeten Heiden zu empfehlen;
die zierUchsten Figuren des modernen sophistischen Stils, vor
1} Bekanntlich als ^liber octavus' des Amobius (cf. über dies Ver-
sehen meine o. S. 469, 2 citierten 'Beiträge z. (resch. d. griech. Philos.' 429, 1).
— Den Arno bi US schlierse ich übrigens von dieser Betrachtung mit gutem
Gnmde ans: man braucht nur ein paar Kapitel zu lesen, um sofort zu er-
kennen, daft er, stilistisch (nicht sprachlich) offenbar Anhänger einer mehr
k1ftstiiiniiiii*hftr Richtung, in eiaem ganz andern Stil schreibt als Appuloius
und die übrigen Afrikaner: lange Sätze ohne Parallelismus und ohne die
Wortflgoren des sophistischen Stils. Einen um so reichlicheren Gebrauch
macht er von den cxi/iftata diavolagi es dürfte keinen Schriftsteller geben,
der die riietorische Frage so im Übermafs angewandt hätte. Das stimmt
gut in dem gansen Ton dieses infttmsten Pamphlets, welches das Altertum
uns ftberliefert hat und welches den feingebildeten Christen selbst höchst
peinlich war: denn es ist doch gewifs Absicht, dafs Lactanz in der Auf-
rthlntg der KUeraH, die das Christentum verteidigt hätten (div. inst. V
1, tt £), das Werk seines Lehrers Arnobius totschweigt: der fanatische
Sdmier hatte die neue Religion offenbar mehr kompromittiert als gerecht-
teligl; das, mi er verdorben hatte, machte das edle Werk des Schüler»
vfategnb
00() Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
allem den Gliederparnllelismus mit Gleichklang am Ende^ weifs
er mit einer Grazie anzubiingen, die, obgleich sie keine natür-
liche, sondern eine durch Studium und gelegentlich durch Raffine-
ment erworbene ist, doch nirgends verletzt wie bei Appuleius.
Aber freilich: wie sein Christentum kein tiefes und dogmatisches
war, so genügte auch dieser selbst bei der gröfsten indignatio
immer zierliche und posierende Stil nicht den Anforderungen,
die an die schriftliche Verteidigung des noch mitten im toben-
den Kampf stehenden jungen Glaubens gestellt wurden,
frtuiiun. Tertullians Naturell und Stil war für diesen Kampf ge-
schaffen: dieser ardeus vir (Hieron. ep. 84,2) hat in einer Flammen-
sprache geredet. Ein Fanatismus ohnegleichen tobte in ihm,
eine ihn selbst und andere verzehrende Glut. Mafslos wie sein
Hafs gegen die Heiden und die heterodoxen Christen, zügellos
wie seine Phantasie ist seine Sprache. Von keinem ist die la-
teiuische Sprache auf einen so hohen Grad der Leidenschaftlich-
keit gehoben wie von ihm; das Pathos, das Tacitus mit vornehm
verhaltener Indignation zurückdümmt, vrird bei ihm zu einer
alles Widerstrebende mit sich wirbelnden Sturmflut; er hat die
hoheitsvolle Ruhe des Tacitus mit der turbulenten Leidenschaft-
lichkeit und dem pamphletistischen Ton des Juvenal sowie mit
der affektierten Dunkelheit des Persius verbunden (die beiden
ersteren hat er nachweislich gern gelesen). Es giebt keinen
lateinischen Schriftsteller, bei dem die Sprache in so eminentem
Sinn der unmittelbare Ausdruck des inneren Empfindens gewesen
wäre. Er ist ohne Frage der schwierigste Autor in lateinischer
Sprache; keiner stellt so rücksichtslose Anforderungen an den
Leier: er deutet meist nur an, verlafst einen Gedanken plötzlich,
«m ohne anknüpfende Partikeln^) zu einem andern überzuspringen,
■Des ein Aueflnla übersprudelnder Leidenschaftlichkeit und hastiger
hnialiSt des Denkens. Er hat mehr als irgend ein antiker
inftateller das hSehste Gesetz antiker Kunstanschauung ^ die
iwdmuig des Individuellen unter das Traditionelle, verletzt:
Doa mit vollem Bewufstsein und mit Absicht, denn was
'nabeeverwandter im Osten, Gregor von Nazianz, einmal
« flitkmikt das hflbBch durch Vorgleich des lateinischen Originals
mit der von Eusebios benutzten griechischen TberseUnng,
in Text^ u. Unter«. VTII 4 ;18l)e p. 20 ff. bemerkt. Öfters
Vgl und überhaupt die Prägnanz seines Aasdracks verflacht.
Sp&Üat. Liüeratnr: der neue Stil: Afrika: Tertnllian. 607
sagt: tä iQ%ata nai^k^BV ISov ysyove rä ndvxa xaivd^ das war
auch seine fundamentale Überzeugung. Mit einer geradezu bei-
spiellosen Willkür meistert er die Sprache^ um sie in die Fessebi
seines herrisclien Denkens zu zwängen; er ist so recht eigentlich
der Typus des christlichen Sprachschöpfers gewesen, aus den
gewaltthatigen Neuprägungen atmet der Geist eines Mannes, der
Yon dem Glauben durchdrungen war, dafs das Christentum als
eine neue Gröfse in die Welt gekommen sei und daher neue
Faktoren für seine Ausdrucksweise beanspruchen dürfe. ^) Die
yerhältnismäfsig grofse Biegsamkeit und Geschmeidigkeit, die
der lateinischen Sprache in sehr alter Zeit eigen gewesen war
und die sie durch die Bestrebungen der Puristen und Aualogisten
in stetigem Fortschreiten verloren hatte, ist ihr thatsächlich durch
das Christentum wiedergegeben worden, freilich in einer Art und
in einem Umfang, die ihrer gravi tas widersprachen. Um gar
nicht zu reden von den nach Hunderten zahlenden völligen Neu-
bildungen, durch deren Aufzählung einst D. liuhnken das Gruseln
seiner Leser vor diesem *Afer' erwecken wollte*): was seine
Lektüre besonders erschwert, sind die Bedeutungsänderungen,
die er mit herkömmlichen Wörtern vornahm; das, was nach der
Ansicht der griechischen und lateinischen Reaktionspartei das
ärgste Brandmal eines Schriftstellers war, war für ihn die höchste
Devise: iiBzaxdfatts xb vöiiiöna, so, um aus der grofsen Masse
nur einiges anzuführen, das ich mir zufällig notierte: für ihn
ist äbrumpere »^ desciseere, condicere = cotisentire, detinere = con-
vmeere und «» accusarej erogare = consumcre und = interficei'e,
expm^gere = perficere und = absolvere, ohduccre = convincere, rc-
peraäere «=« refutare, resignare = violare, suhscriberc = coficedere,
sustinere «= exspedare; antecessor = doctor; porro = atqtän. Im
engsten Zusammenhang damit steht, dals er, der homo bilinguis,
dem griechischen Idiom auf das lateinische einen derartigen Ein-
floJJi gestattete, wie es weder vorher noch nachher jemand ge-
wagt hat. Wenn er freilich philosophische Eunstausdrücke mit
neuen lateinischen Worten wiedergiebt, wie yLd^6ig discentia
iofd^vffli^ reminiscentia^ xb &v(iix6v indignaüvum xb imd^v(irixi-
1) Gf. auch H. Leopold, Üb. d. Ursachen d. verdorb. Lat. bei d. Eirchen-
Tfttem in: Z. f. bist Theol. (ed. Ilgen) VIII (= N. F. II) Heft 2 (1838) tio ff.
S) Leopold 1. c. 33 f.
g08 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
x6v cancupiscentivum u. dgl. viel^), so unterscheidet er sich darin
weder in der Theorie noch in der Praxis von Cicero und Seneca^
aber er hat sich keineswegs auf solche nicht zu umgehenden
Fälle beschränkt, sondern die Sphäre der Gräcismen in Über-
setzung griechischer Worter und Konstruktionen ganz beträcht-
lich erweitert. Auch hierfür ein paar aus der Menge heraus-
gegriffene Beispiele: dUegradia avis {njfißcetog (de yirg. Tel. 17)
conrecumbere 6vyxataKkivE6^ai> (de test. an. 4)^ tnultivorantia et
mulHniibentia noXvtpayCa xal xokvyafiia (de iei. adv. psych. 1), alia
delida erunt remissibüiaf alia inrenUssibüia ätp^ia — oint &q)svda
(de pud. 2); salutificatar tfaiti}^ (de pud. 2 u. o.; später einigte
man sich bekanntlich fär salvahr), sed et huic materiae propter
snavüfidios nostros graeco quoque stilo satisfecimus (piXoxaiyiMvag
(de cor. 6)^ caeli ambitus nunc subdivo ^lendidus nunc nübüo sor-
didus tp imaid'Qp (de pall. 2); commune est nomen viH etiam
nondum viri xov oihcm Zvtog ivÖQÖg (de yirg. vel. 8), ex quo se
intellegere coeperit (mulier) et sensum naturae suae intrare et de
virginis exire tov rrjg na^ivov i^Uvav (ib.), inter se dissensiones
at 7t(fbg iXXi^Xovg diatpoQai (ad mart. 1), taiia et tanta fuHUa
eorum xoiavta tucI xo6avta tä ain&v xsvi i6uv (de pud. 2); in
pridie usque atog xov XQoiijv (ad Scap. 2)^ nomina sie sunt insti-
tuta, ut fines su>os habeant inter dici et esse luxa^ xoi> Idysöd-at
xal xov slvav (ad nat. I 5), desponsata quodammodo nupta, tarnen
inter quodammodo et verum satis interest inBxa^if rot) xAg (de Yirg.
vel. 6), per ubique orbis dtä %avxa%ov yf^g (de pall. 2), de viro et
mutiere apostolus tractat, cum ülam oporteai velari, ülum vero non
xbv de (iii (de virg. vel. 8), etsi mundus non est f actus ex Uta
(materia), sed haeresis facta est &Xk* ^ ys aX(fB6ig (adv. Hermog. 23)*),
si oblectari novisse nolumuSj nostra iniuria est, si forte, non vestra
etnsff &Qtt (apol. 38, eine seiner Lieblingsphrasen, cf. Dehler zu
de cor. 5), cuius (vacculac) et dorso vehebatur et, si quando, ubere
alebatur atnaQ noxi (ad nat. 11 14 u. oft so), recognoscite si men-
tior (apol. 13 statt des Konjunktivs, cf. Dehler zu ad mari 2),
1) Wesentlich auf diese Seite der tertullianischen Wortbildung be-
schränken sich die ausgezeichneten Abhandlungen von G. Haoschild, Die
Grundsätze und Mittel der Wortbildung bei T., Progr. Leipzig 1876 und
Frankf. a. M. 1881.
2) Cf. H. Kellner in : Theol. Quartalschr. LVm (1876) 240, der dies sed
aber unrichtig beurteilt.
Spftüat. Lüteratnr: der neue Stil: Afrika: TerMlian. 609
neseio ne plns de vobis dei vesiri quam de ndbis querantur fii^ Aya-
vaMxaüöi (ad nat. I 10, cf. Dehler zu apolog. c. 2 i. f.), nicht
nur est aesümari (de tesL an. 5), sondern auch est recognosci (de
cor. 8) und exüus quem saepe evenire est (de pud. 8, cf. Wolflflin
im Archiv £ Lex. 11 136, Priedländer zu Petron 67); griechischer
Gebranch des Particips ^), z. B. manifestus est Idbefactans fidueiam
ipopagög iffti 6q>dXX(ov (de res. 81), praevenio admonens ^avm
ipapLvi^ag (de praescr. 9), magis damncUi quam absoluti gaudemus
xatadtxaiöfievoi' fL&XXov ^ &noXv6fisvoi %aCQoyLSv (ad Scap. 1)^;
griechischer Gebrauch des InfinitiTS, z. B. promptam mederi fheria-
com (ad Scorp. 1), si quis praevenerat descendere üluc (de bapt. 5),
ng» occasianem tum Juxbere cui debitum solveres (de exh. casi 10, cf.
Oehler zu de pud. 13); das Futurum ftir den Optativ mit fii/*), z. B.
liaee erunt exempla tavt^ &v etii xaQadEtyfioTa (de ieiun. 16); der
Infinitiv des Perfekts für den des Aorists^), z. B. ostendisse dAueras
Idsi 66 ix^sl^ai (adv. Marc. U 16); multa dicendum fuit xoXkä
ilqftfiiov fyf (de pall. 3, cf. ib. 4 Sardanapalum tacendum est),
exempti Senium ä^iftuiivoi tö y^gag (de pall. 1, cf. ib. 2 Tuscia
Vulsinias deusta, Campania erepta Pompeios), gloria illicitum est
(de virg. vel. 13 u. oft so, cfl Oehler zu de pall. 1); Gebrauch
transitiver Verba als Intransitivs^ z. B. in der Schrift de pallio
eruetare explicare exierminare inquietare mutare obhumare producere
stipare suspendere'^ Yertauschung des Akkusativs und Ablativs bei
in wie im Griechischen gerade auch jener Zeit iv für dg oder
umgekehrt, z. B. in insuiis rdegamur (apol. 12), Christianos esse
m causam (ib. 40).^) Die Einwirkung seiner Neuerungen auf
die Nachwelt ist eine unberechenbar grolse gewesen. „Er hat.
1) Cf. EeUner 1. c. 239.
2) Vergü sagte zuerst aen. X 500 quo nunc Turnus ovtxt spolio gau-
detque potitus, [Tibull] DI 4, 60 nee gaudet casta nupta Neaera domo; etwas
anders Orid a. a. I 845 gaudent tarnen esse rogatae, indem er auf gaudere
übertr> eine Konstruktion, mit der Catull vorangegangen war: 4, 1 ait
fudsse nafnum celerrimus, was wohl zuerst Lucan auf die Verba des Meinens
ausgedehnt hat: IX 1087 tutumque putavit tarn bonus esse socer.
8) Cf. Kellner 1. c. 288 f.
4) Kellner 1. c. 285, der die Erscheinung aber unrichtig beurteilt.
Dieses Infinitivs haben sich seit Tibull die Elegiker bekanntlich zur me-
trischen Erleichterung des Pentameters bedient.
5) Cf. P. Langen, De usu praepositionum Tertullianeo (Ind. lect. Mfln-
ster 1869/70) 14, der aber unrichtig von einer 'Nachlässigkoit' des T. spricht.
610 ^on Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
sagt Harnack (Sitzungsber. d. Berl. Ak. 1895, ^6)> ^^^ lateinischen
Christenheit die Sprache scha£fen helfen; vor ihm hat sie nur
gestammelt^ von ihm hat sie reden gelernt. Weder einer der
Yulgärdialekte, wie wir sie in altlateinischen christlichen Schriften
finden y noch die Kunstsprache des Minucius und Lactantius ist
zur Edrchensprache geworden , sondern die Sprache Tertullians,
wenn auch ohne seine Extravaganzen und mit der unverwüstr
liehen Politur, die ihr Gyprian gegeben/' Wenn sich bis in die
romanischen Sprachen griechische Konstruktionen erhalten haben,
so ist das in letzter Hinsicht durch Tertullians Praxis, die mit
derjenigen der ältesten Bibelübersetzungen übereinstimmt, be-
dingt, z. B. fpikatv i%(o amare häbeo io amerö (c£ Dehler zu de
fug. in persec. 12, Ph. Thielmann im Arch. £ Lex. TI 60 £f.), oW
8rt sdo quod (quia) io so che: wenn wir erst eine wissenschaft-
liche Darstellung über die Gräcismen im Lateinischen besitzen
werden, so wird sich herausstellen, daüs das Griechische, zunächst
die Sprache der Gelehrten und der urbanen Konversation, indem
es sich, wesentlich auch durch den Einflufs des Christentums,
zur Weltsprache ausbildete, hauptsächlich in den drei ersten nach-
christlichen Jahrhunderten ein bedeutsames Ingrediens des sog.
Vulgärlateins geworden ist, ein Prozeüs, dessen Anfänge (s. oben
S. 183 f. 193 f.) man schon in Plautus (aber hier nur in geringem
Mafse) und in Ciceros Briefwechsel erkennt, und der durch Pe-
trons Cena gewissermafsen urkundliche Bestätigung erhält.
TertuUian, in seiner Sprache im einzelnen der subjektivste
und individuellste Schriftsteller und ein Verächter jeder Tradi-
tion, ist in seiner Darstellungsweise im ganzen, speziell in seinem
Stil durchaus ein Kind seiner Zeit und ein Repräsentant einer
mehr als halbtausendjährigen Tradition. Ich wü&te kaum einen
andern griechischen oder lateinischen Autor zu nennen, in dessen
Schriften die Kontinuität der von den alten Sophisten ausge-
gangenen Entwicklung mit gleicher Deutlichkeit zu erkennen
wäre wie in den Schriften Tertullians. Mit unglaublichem Raf-
finement versteht er es zhv ^rroi X6yov XQsitrm xotatVj seine
stets eminent subjektiven Ansichten mit den überlieferten That-
sachen der h. Urkunden durch verwegene Interpretation oder
durch scheinbar zwingende Kettenschlüsse in Einklang zu bringen^
wie es einst die alten Sophisten mit den homerischen Gedichten
machten, und durch lange Antithesenreihen und Advokatonknifle
Sp&Üateinifiche Litteratur: der neue Stil: Afrika: Tertollian. 611
aller Art den Leser in seine turbulenten Gedankenkreise zu
zwängen; warum soll man sich scheuen, die Wahrheit zu s^en:
in der Art der Argumentation unterscheidet sich dieser christ-
liche Sophist und Bhetor nicht im geringsten von den E3opf-
fechtern und Haarspaltern, die Piaton besonders im Euthydem
gezeichnet hat — auch darin gleicht er den alten Sophisten,
dafs er grofsere oder kleinere Gedankenreihen aus eigenen früheren
Schriften in spätere herübemimmt, z. B. ad nat. fast ganz aus dem
apolog., de virg. veL teilweise aus de or. — , und nur dadurch ver-
söhnt und erwärmt er, dafs er das, was er sagt, wirklich ftihlt
und die sophistische Form nur als Mittel zum Zweck betrachtet,
indem er seine Kunststücke in den Dienst einer grolsen Sache
stellt« Wenn man die Bücher gegen Marcion liest, so hat man
den Eindruck, dafis ein Sophist dem andern mit gleichen Waffen
zu Leibe rückt: das Raffinement, mit dem er die scharfsinnigen
Aufstellungen seines Gegners dialektisch zerlegt und widerlegt und
dessen Antithesen seine eignen Antithesen entgegenhält, ist gerade-
za staunenerregend und erinnert aufs lebhafteste an die haai-
scharfen XiyyoiJM%üicL des Gorgias, Chrysipp und Eleanthes mit den
döicu der entgegenstehenden aCifdesig; dieselben Mittel der Dialek-
tik verwendet er da, wo er die griechischen Philosophen bekämpft,
z. B. de test. an. 2. Oder wer fühlt sich nicht an altbekannte
sophistische Eunststückchen erinnert, der ihn z. B. mit folgenden
Worten auf seine Gegner losfahren hört, die den Ehebruch zu
den durch Reue sühnbaren Verbrechen rechneten und ihm durch
die Erlaubnis der Wiederverheiratung steuern wollten: ctir ergo
et crimina postmodum indtdgent paenitentiae nomine^ quorum reme-
dia praesiUuunt mtUtinubentiae iure? nam et remedia vacäbunt, cum
crimina indiügentur ^ et crimina manebunt^ si remedia vacabunt
itaqtte utrdbique de soUicitudine et neglegentia ludunt, praecavendo
vanissime guibus parcunt et parcendo inqptissime quüms praecavent,
cum aut praecavendum non sit ubi parcitur aut parcendum non sit
ubi praecavetur. praecavent enim quasi nolint admitti aliquidf in-
dulgent autem quasi velint admitti; quando, si admitti nolint, non
dAeant indutgere^ si induigere velint, non debeant praecavere (de
pud. 1), oder auf diejenigen, die aus der Thatsache, dafs die h.
Schrift die Bekränzung nicht verbiete, folgerten, daUs sie erlaubt
sei (de cor. 2): facHe est statim exigere, ubi scriptttm sit ne coro-
nemur. atenim scriptum est, ut coronemur? expostulantes enim scrip-
Korden, antike Knnttproia. II. 40
f512
1 Hadrian bis b
1 Bnde dar Kaisenwit.
^
turae pafrocintum tit parte diversa praeitidicant sitae quague fKJ^H
scripbtrae patrodmum aäesse debere. nam si ideo dicäur coronari
Ikcre, guia non prohibeat sa-ip^ra, aeque retorguebitur ideo coronari
no» licere, quia scriptura non mbcat. quid faciet discipUna? tttrutn-
que redpiet, qtuisi neutrum prohibitum sit? an vtrumque reiciet,
quasi tmttnim praeceptum sit? 'sed quod non prohibetur, uUro per-
missum est") immo proh^eUir qtiod non ultro est pemnssum{l).
Eis (leutliches Abbild acicer Stellung zur Sophistik ist auch
sein Stil als Ganzes betrachtet: Tertulüan ist ein geradezu exem-
plarischer Vertreter der 'modernen' Stilrichtung, die ich aus der
sophistischen Kmistprosa der platonischen Zeit abgeleitet und
deren Charakteristika ich früher (S. 277 ff. 381 ff. 408 S.) für die
Litteratur der Kaieerzeit zu sammeD gestellt habe. Es ist begreif-
lich genug, dafs die hervorragendste Eigentümlichkeit der so-
phistischen Kunstprosa, die Antithese, geradezu die Signatur
des tertuUiani sehen Stils ist: diese Figur war wie keine andere
geeignet, den Gedanken eines Mannes Ausdruck zu Yerleihen,
der nicht zum Aufbauen, sondern xum Zerstören geschaffen war.
Gelegentlich hat er durch sie eine wahrhaft grofsartige Wirkung
erzielt, so, wenn er in seiner Schrift an die Märtyrer (c, 2) den
Nachweis ftihrt, dafs ihr Kerker die wahre Freiheit sei^ aber in
den weitaus meisten Fällen hat er sie in jene seit Gorgias ge-
läufigen, eug zuHammengedriingten und pointierten Formen ge-
kleidet, die dem antiken Empfinden ebenso schmeichelten wie
eie das unsrige verletzen; so wenn er de pud. 1 ausführt, die
Keuschheit der Heiden wäre nutzlos, selbst wenn sie existiert
hätte, malim nuilwn bottum quam vanum: quid prodest esse qmd
esse tum prodest? oder ad nat. I 5 von den falschen Propheten:
nOM xtaHm sunt quia diaintur, sed qvia non stml f'ntslra dicunttir,
oder de pall, 2 sidcrum distinda confusio oder ib. vom toten Meer
Mortem cirtf. Ära häufigsten tritt die Antithese anf in der Form
de« (besonders drei- oder viergliedrigen) isokolischen Sati-
'allelismus mit Homoioteleuton, also jener Figur, deren
■ichte Hcit Gorgias wir verfolgt haben, an gehobenen Stellen
Utiger Berücksiclitigung des rhythtnischen SatzscbluM
'«» dor Diatribe Btamniende {e. o. S. ISS, I. S
•t{)OuLia' runvmidet er anfserord^ntlic'h oft, cf rtwx ■
Sp&ÜateiniBche Litteratur: der neue Stil: Afrika: TertuUian. 613
über den ich im Anhang II handeln werde ^ so, nm aus den
Tausenden von Beispielen nur ganz wenige anzuführen: de pudic
in. pudicitia flos tnorum honor corporum decor sexuum (j. u }. j. ^ ^),
integritas sanguinis fides generis fundamentum sancHtaiis pradudi-
dum cmnis bonae mentis {j. kj i. i. J), quamquam rara nee facüe
perfecta vixqtie perpetua (j. ^j i. ^i^ J), tarnen aliquatenus in saeculo
moräbitur, si natura praestruxerit {j. ^ i. j. ^ ^) si disciplina per-
suaserit (^ u a. z ^ 6) si censura conipresserit (j. kj i. jl k^ ^), siquidem
amne animi honum aut nasdtur aut eruditnr attt cogitur (j. y^ i^ j. ^ ^).
sed ut nuüa magis vincunt (o^ u ^. j^ _); quod ultimorum temporum
ratio est {j. ^ ^ s^ J), bona iam nee nasci licet ita corrupta sunt
semina {j, kj i. j. ^ ^) nee erudiri ita deserta sunt studia (^ u i. o^ u)
nee cogi ita exarmata sunt iura {j. kj ^ j. J)y ib. 3 i. f. ita nee paenir
tenOa huiusmodi vana nee disciplina eiusmodi dura est. deum anibae
honorant. üla nihil sibi blandiendo facilius impetrdbitj ista nihil sibi
adsumendo plenius adiuvabit, de test. an. 1 novum testimonium ad-
voeOj inimo omni litteratura notius omni doctrina agitatius omni
edüione vulgoHus toto homine maiuSy id est totum quod est hominis.
consiste in medio anima: seu divina et aetema res es secundum
plures phüosophos^ eo magis non mentieris: seu minime divina, quo-
niam quidem mortaliSj ut Epicuro soli videtur, eo magis mentiri
non äAAis: seu de eado exciperis seu de terra conciperis seu nur
meris seu aiomis concinnaris seu cum corpore incipis seu post cor-
pus induceriSf undeunde et quoquo modo hominem facis animal
rationale sensus et scientiae capacissimum , ib. 5 haec testimonia
ammae quanto vera tanto simplicia, quanto simplicia tanto vulgaria,
gwnUo mdgaria tanto eommuniay quanto co^nmunia tanto naturalia,
quanto naturalia tanto divina. de pall. 1 tamen et vobis habitus
dliter olim tunicae fuere et quidem in fama de subteminis studio et
Itfuitiiis eoncüio et mensurae temperamento, quod neque trans crura
proäigae nee intra genua inverecundae nee bracdiiis parcae nee
mumibuß artae^ ib. 2 ceteri quoque eius omatus quid non aliud ex
dUo mukmiy et monUum scapulae decurrendo et fontium venae ca-
viOando et fhminum viae dbhumando; de pud. Sita primofdio
Beamdum oecasiones paräbolarum ipsas materias confinxerunt doc-
tnnammf de cor. 3 hanc (coronam) si nulla scriptura determinavit,
eerle eanmietiido eorreboravit, quae sine dubio de traditione manavit,
ib. 15 ri totes imagines in visionCy quales veritates in repraesenta-
Hone? de test an. 6 suspectam habe cofivenientiam praedicationis
40*
614 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
in tanta disconvenientia conversationis. Diesem Parallelismus zu-
liebe hat er oft zu ungewohulichen Wortformen und Konstruk-
tionen gegriffen, eine Erscheinung, die ich f&r mehrere griechische
und lateinische Schriftsteller im Greifswalder Prooemium Ostern
1897 festgestellt habe, die bei Tertullian aber einer eignen Unter-
suchung bedarf^), vgl. etwa de yirg. vel. 17 fadem üa tegunt, ut
uno ocülo liberato contentae sint dimidiam frui lucem qiuifn iotam
fadem prostituere, adv. Marc. I 1 feritas fabulas scaenis dedit de
sacrifidis Taurorum et amorUms Colchorum et crucä^us Caueasorumf
apol. 46 philosophus famae negotieUor, verborum et factorum Operator^
rerum destructor, veritatis interpolator et furatar, wo opercftor de-
structor furator Neubildungen zuliebe den andern Substantiven
sind.^) Wenn man endlich noch hinzunimmt die massenhaften,
für unser Gefühl meist höchst frostigen Wortspiele, z. B. ad
nat. I 3 nomen (der Ohristenname) in causa est, qxiod quaedam
occulta vis per vestram ignorantiam oppugnat, tU nolüis sdre pro
certo qiAod vos pro certo nescire certi estis (cf. Pers. sai 1, 27), ib. 8
fidem vestram vanüaübus potius quam veritatibus deditamy apol. 50
ad lenonem damnando Christianam potit^s quam ad leonem, de pud. 2
limitem liminis, adv. Marc. I 1 quis tarn castrator camis castor quam
qui nuptias abstulit, ib. UI 13 infantes Pantid qui ante normt lem-
ceare quam landnare (kauen), de yirg. veL 17 dum in capite secura
estf nuda qua maior est capitur tota cum capite^), so wird man
behaupten dürfen, dafs Tertullian, der ernste Eiferer, sich von
Appuleius, dem nichtigen Flattergeist, in den äulseren Mittel-
chen, mit denen er seinen Stil aufputzt, gar nicht unterscheidet^):
beide haben in die lateinische Sprache übertragen, was sie bei
den griechischen Rhetoren lernten, die ihrerseits Sophisten vom
reinsten Wasser waren, würdige Nachfolger des Gorgias und
1) Cf. auch Fr. Ritter 1. c. (o. S. 596, 2).
2) Cf. Jos. Schmidt, De nom. verb. in tor et triz desinentiiiin ap. T.
copia (Gynm.-Progr. Erlangen 1876) 12.
3) Andere Beispiele bei E. Noeldechen, Tertullian (Gk)tha 1890) 483, 1.
4) Man vergleiche z. B. die Schilderung des Pfaus (de pall. 8) pavo
pluma vestis et quidem de caJtaclisHs, immo omni conchylio pressior qua catta
florent et amni patagio aurcUior qua terga fulgent et omni syrmate soMior
qua caudae iacent, multicolor et discolor et veraicolor, numquam ipaa semper
alia et semper ipsa quando alia^ toties d^nique mtUanda quoties movenda
mit den i%(pQdasiß der Florida.
e Lhlentnr: der neae Stü: Afrika: Tertallian. i>15
Hegesias. Mmn kann daher aa« Tertnllian för Appuleius etwas
lernen: die duiXd^is des letzteren, aus denen unsere Florida be-
kanntlich AnsKfige sind, haben wir uns in ihrer Tollstandigen
Gestalt genan nach Analogie der Schrift Tertullians De pallio
zu denken; die Veranlassung ist hier wie dort eine personliche,
die aber im weitem Verlauf hinter der sophistischen Schau-
stellung pmnkhaften Wissens Ton allerlei mehr oder weniger
tändelndem und amüsantem Raritätenkram zurücktritt oder fast
ganz verschwindet.^) Dagegen sind Cyprian und Lactanz seine
stilistischen Widersacher: Tertnllian verhält sich zu dem behag-
lich breiten und nie übermä&ig leidenschaftlichen Cyprian wie
Tacitus zu Livins (was um so stärker hervortritt, weil Cyprian
inhaltlich in bewulster Abhängigkeit von ihm steht: man lese
nebeneinander z. B. Tert. de patientia und Cypr. de bono patieu-
tiae)| zu dem urbanen, maCs vollen ^ im Stil weder zu knappen
noch SU breiten Tiactanz (cf. dessen verwerfendes Urteil über
den Stil Tertullians div. inst. V 1) wie die Deklamatoren bei
Seneea zu Cüeero.
Wie ftr Appuleius, so gebrauchen wir f&r Tertullian drin-
gend eine sprachliche und stilistische Analyse, femer einen Kom-
mentar in der Art, wie wir ihn von Salmasius besitzen zu De
pallioy der schwierigsten Schrift in lateinischer Sprache, die ich
gelesen habe.
4. Der Stil der Predigt in Afrika.
Wir haben oben (S. 550 S.) gesehen , dals die entwickelte Aiig^
Predigt sich die Mittel der profanen Rhetorik angeeignet hat,
and aaeh die Gründe dafür, dafs es so geschehen muTste, kennen
gelernt. Die allgemeinen Verhältnisse waren im Westen zwar
dieselben wie im Osten; die Weltreligion konnte nicht in der
Spradie der Bergpredigt verkündet werden. Aber im einzelnen
miib doeh, wie bereits früher (S. 573 £f.) angedeutet ist, ein ge-
wieser unterschied konstatiert werden. Im Osten wurde die
helleniaelie Knltor verhaltnismäfsig rein durch eine Reihe von
Jelmliimderten bewahrt, es war eben, wenn auch ein greisen-
1) Bas griechische Gegenstück ist die o. S. 422 ff. besprochene Rede
des wafOEUL
616 ^on Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit.
hafteS; 80 doch ein einheitliches und durch das Band derselben
Sprache zusammengehaltenes Reich; im Westen d^egen fand
die lateinische Kultur ihre Mission darin, die Barbarenvölker in
ihre Kreise zu ziehen, mit ihnen eine Art von Yerschmelzungs-
prozefs einzugehen, wodurch sie notwendig degenerieren mulsie.
So erklärt es sich, dafs die Predigten etwa des Augustin oder
Caesarius von Arles formell betrachtet nicht auf der Höhe derer
des Joannes Chrysostomos oder des Proklos von Konstantinopel
stehen: jene konnten ihrem Publikum nicht dasselbe zumuten
wie diese ; sie mulsten auf ein niedrigeres Niveau herabsteigen,
um verstanden zu werden. So kommt es, daCs die Predigten
der Occidentalen viel mehr als die der Orientalen den Eindruck
von Unterhaltungen des Geistlichen mit seiner Gemeinde machen,
also viel weniger dem ursprünglichen Sinn der Predigt entfremdet
wurden, als die mit der Sophistik fast ganz verschmelzenden des
Orients. Freilich hat es auch im Occident Prediger gegeben,
die die Mittel der profanen Rhetorik in umfangreicher Weise
verwendet haben: das beweisen nicht blofs die Angriffe, die sie
wegen ihres deklamatorischen Stils seitens ihrer Kollegen zu er-
dulden hatten (s. o. S. 553), sondern auch die gemälsigt rhe-
torischen Predigten des Ambrosius, die hochpathetischen eines
Hilarius von Poitiers. Aber das waren doch nur Ausnahmen.
Im allgemeinen, muTs man sagen, hat sich seit dem dritten Jahr-
hundert in allen Kulturländern des Westens eine eigne Art von
Predigtstil entwickelt, der sich zwar von der in völligen Schwulst
und Raserei verfallenden sophistischen Diktion durch eine dem
vulgären Verständnis angemessene Sprache vorteilhaft abhebt^
der aber auch seinerseits keineswegs auf gewisse, die Sinne
stark erregende, rhetorische Klangmittel verzichtet.
Die Theorie Als ciust Gorgias die in Olympia versammelten Hellenen
wie ein Priester in feierlicher Rede apostrophierte, da bezauberte
er sie durch jene Klangmittel, die von ihm den Namen erhielten
und unsterblich werden sollten. Mit ihnen haben die christlichen
Prediger die Ohren ihrer Gemeinde bezaubert, deren Herzen sie
durch den Inhalt ihrer Lehre gewannen. Wir haben schon ge-
sehen (S. 562 ff.), wie reichlichen Gebrauch von ihnen die grofsen
Prediger des Ostens machten: in noch erhöhtem MaTse gilt
es von denen des Westens. Die Signatur des Stils der
christlichen Predigt in lateinischer Sprache ist der
Spätlat. Litteratur: der neue Stil: Afrika: die Predigt. (317
antithetische Satzparallelismas mit Homoioteleutoiiy
nicht etwa; wie der Semitist vielleicht denken kÖDnte, jener
^parallelismas membrorum', wie er sich in der hebräischen Poesie^
den Reden der Propheten^ den Beden Jesus findet (er war ganz
anderer Art; vgl. Anhang I), sondern derselbe, deu in griechischer
Bede Gorgias begründet hatte und dessen Geschichte in den
Sprachen beider Völker wir verfolgt haben. Kein anderer uls
Augnstin selbst hat uns das gesagt. Seine vier Bücher De doc-
trina Christiaua enthalten die erste christliche Homiletik, aufge-
baut, wie er selbst überall durch direkte Gitate eingesteht, ganz
und gar auf der saectdaris sapientia (s. o. S. 526). Der grofse Lehr-
meister war Cicero, der atictor Baniani eloquiiy wie er ihn nennt
(lY 34). Die drei ersten Bücher enthalten die Lehre von der
invmtiOy das vierte die von der eloctäio; die Grundlage des letz-
teren bildet das von ihm öfters direkt citierte Werk Oiceros De
oratore. Er unterscheidet danach die drei genera dicendi: das
stännissum, das tempercttum^ das grande\ das erstere komme in
Betracht wesentlich für das docere, das zweite für das movere^
das dritte für das flectere. Würde der Prediger nur 'belehren'
wollen und also die ^niedrige' Bedeart anwenden, so würde, sagt
er (§ 26), ad pamoos quidem studiosissimos shias pervetiire fnicim,
qui ea guae discenda swntj quamvis abiecte inculteque dicantiir, scire
desiderant. guod cum adqpti fuerint, ipsa delectabüiter veritate pa-
scmntwr^ banorumgue ingeniorum insignis est indölesj in verbis vertitn
amare non verba Sed quoniam inter se liabent nonnullam simüi'
Uidinem vescentes atque discentes, propter fastidia plurimorum
etiam ipsa sine quibus vivi non potest alimenta condienda
sunt Das aber leiste nicht das sübmissum genus^ sondern die
beiden andemi in denen die delectatio freilich nicht Selbstzweck
werden dürfe, aber als Mittel zum Zweck des movere und flectere
erlaubt I ja nötig sei Die delectatio bestehe in den ornamenta
verhorum, Fflr ihre Verwendung im temperattim genus giebt er
als Beispiele einige Stellen aus Paulus' Briefen, die ich schon
oben (S. 503 ff.) angeführt habe: sie bestehen aus fortlaufen-
den Antithesenreihen, wozu Augustin bemerkt (§ 40): totus
fere locus temperatwm habet docutionis genus, ubi illa pulchriora
sunt, in quibus propria propriis tamquam debita reddita^)
1) Die Aosdrücke nach Cic. de or. U 268. or. 164 ff.
«19
Ton Hadri»a kii mm Ende der Kaiaeneit
^llecenter czcurrunl. Er giebi dann fBr diese Diktion Beispiele
tun» Cyprian und Anibrosius, in denen die Figur des Satzparalle-
liamuit (propria proprih tantquam dcbita reddita) mit stArkea
lEumoioteleuta herracht, z. B. Cyprian de habitu virginam c. 24:
}u,omodo jyortavimiis imaginem eius qui de limo est, sie portavimus
t imaginem eiua qui de caelo est. liaitc itnaginem virginilas portat,
jrlat integritaa, sanctilas portat et Caritas, portant äisctpUnae de»
memores, iustitiam cum religüme retinentes, stabiles in fide, humües
Win iimore, ad omncm toleranliam forles, ad suslinendas iniurias
Wmitas, ad faciendam misericordiam faciles, fratema pace unaninKS
, aique concordes. Im gründe genus dürften die omamenta verhorum
L faet nlie vorkommen, aber mit dem Unterschied, dafa sie hier,
, die Äfi'ekte aufs höchste zu steigern, nicht gerade
iht wflrdeo, wenn sie sich nicht von selbst darboten: daher
t «r nach dem Citat einer hochpathetischen Stelle des Paulus
i 44: nwmquid hie aut contraria contrariis verba sunt red-
dita? woraus man sieht, wie wesentlich ihm diese Figur bei
dem mittleren Genus erschien.'}
• Wie stellt sich nun zu dieser Theorie die Praxis? Ich be-
schränke mich in diesem Abschnitt auf die Afrikaner und wühle
auch aus ihnen nur zwei aus: aufser Augustin selbst Cyprian,
denn ihn darf man unbedingt unter die Prediger stellen, weil
die meisten seiner Briefe und Traktate (ganz wie der zweite
sog. Clemensbrief) nichts anderes sind als geschriebene Predig-
: citiert doch auch, wie wir sahen, Augustin den CypriBn
- d«n Stil der Predigt.
prian wurde schon in alter Zeit als Stilist dem Tei^
seinem Lehrer, mit ähnlichen Ausdrücken gegenüber^
dlt, wie einst Livins dem Sallnst,') Wie seiner Persönlich-
Bo ist auch seinem Stil der Stempel der Uilde und de«
ns aufgedrückt Er ist daher der erst« christliche Scbrifl-
in Uteiniacher Sprache, dessen in behaglicher Breite
fthinfiiersender, mit Btbelstellen durduogener Stil etwas
1 salbungSTollen Ton der Fredigt hat (wie im GnedüaelMa
ilie des sog. zweiten Clemeoshriefe): qime wte
^ SOS, 1) «^tfthrte 8M1« ic cn. da S
*-****■*—■ m dfr W«Ha*4ang «ad
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M
Sp&Üat Litteratur: der neue Stil: Afrika: Cjprian. 619
sagt Augustin adv. Donat. Y 17, e^ saepe repetmtem non satiant.
tania ex eis iuctinditas fratemi amoris exhälat, tanta dukedo cari-
tatis exvibenxty und: heaius Cyprianus, velut oleum decurrens in om-
nem suavitatem, wie sich Gassiodor (de inst. div. litt. c. 19) Ise-
aseidmend aasdrückt. Er war bekanntlich de rlietore Christiamtö
geworden und hat seinen einstigen Beruf in seinem Stil nie yer-
leugnet.^) Über diesen hat kürzlich E. Watson a. a. 0. (oben
S. 593, 1) vortrefflich gehandelt: ich kann für alle Einzelheiten
auf diese Arbeit verweisen, aus der zu ersehen ist, von welchen
Gresichtspunkten ein Autor dieser Zeit stilistisch betrachtet
werden muls.*) Die Signatur seines Stils ist der Satzparalle-
lismus mit Homoioteleuton; die Beispiele sind so überaus
zahlreich, daCs ich mich damit begnügen mufs, aufser dem be-
reits von Augustin citierten (s. o. S. 618) ein paar beliebig
herauszugreifen: ep. 76, 2:
conservomtes firmiter dominica mandata:
in sitnplicitate innocentiam,
in caritate concordiam^
modestiam^ in humilitaUj
düigentiam in administrationej
frigüantiam in adiuvandis läborantibuSf
misericordiam in fovendis pauperibus,
in defendenda veritcUe constantiamy
in disciplinae severitate censuram.
1) Cf. aufser den bekannten Stellen (ib. § 882, 1) noch Gassiodor 1. c.
(nach den angefahrten Worten) : declamator ifisignis doctorque mirahüis
fNier äUa guae nobia facundiae suae clara monimenta derelinquit, in exposi-
Hone CfaÜoma dtnnnUeae gwie contra suhrepentia vitia veltU invicttis ch'peus
»emper oppamtur, UheUum declamatoria venustate conscripsit — Watson 1. c.
106 bonerkt, dafs G. (wie Tertullian: s. o. S. 611) nicht selten sich selbst
wArtiüoh aoBBchreibt: so haben es die Rhetoren seit dem V. Jahrh. y. Ghr.
ffduilteiL
S) Was er jedoch p. 217 ff. über den rhythmischen Satzschlufs vor-
liriiigt, ist meist falsch, was mich umsomehr wundert, als er W. Meyers
bahnlnechende Arbeit kennt. Ich komme darauf später zurück. — Was er
ferner p. 8fi6 ff. als 'parataxis' bezeichnet, hätte vielmehr noXvnrtotov oder
ma^OftoiaMtg genannt werden müssen.
8) Den Chiasmus, den er Öfters anwendet, hat er dem Minucius Felix
abgelemt: die stilistische und inhaltliche Abhängigkeit von diesem gek
noch yiel weiter als man annimmt.
620 Von Hadrian bis zum Ende der KaJBeneit.
ib. c. 2 0 pedes fdiciter vindi,
qui nan a fälso sed a Domino resolvuntur.
0 pedes fdicUer vincti,
qui itinere saiutari ad paradisum dirtguntur.
0 pedes in saeculo ad praesens ligaü,
tU sint semper apud deum liberi.
(Anderes bei Watson 1. c. 221 £f.). Unter den andern Elang-
mitteln ränmt er der Allitteration einen bedeutenden BAum
ein (I. c. 225 f.), z. B. de cathol. eccl. unit. 11 hos eosdem denuo
DominiLS designat et denotat dicens\ sie steigert sich zur Parono-
masie, cf. in der zuerst eitierten Stelle ventate-severUaie^ Worte
desselben Stammes werden sehr oft nahe beieinander oder an
entsprechende Stelle der Kola gestellt: ad Demetr. 16 cum statu
oris et corporis animum tuum statue, ep. 58, 2 et vivit in aeter-
num et vivificat, ep. 65, 2 qui idolis sacrificando sacrilegia sacri-
ficia fecerunt, sacerdotium dei sibi vindicare non possunt, de habitu
yirg. 17 deum videre non poteris, quando oculi tibi non sunt quos
deus fecit sed quos diaholus infecit (L c. 226 f.). Der durch eine
Masse synonymer Ausdrücke oft übermäüsig angeschwellte Aus-
druck (1. c. 230 ff.) pafst gut zu dem feierlich -erbaulichen Ton
des Ganzen.^)
Einen ganz andern Ton schlägt er dagegen stellenweise in
der durch ihre glänzende Darstellung und ihren nicht dogma-
tischen Ton auch für den Philologen anziehendsten, sittengeschicht-
lich wichtigen kleinen Schrift Ad Donatum an. Dort kommt in
der Einleitung ein Satz vor, der durch seinen (ganz an die Meta-
morphosen des Appuleius erinnernden) Schwulst Augustins Auf-
merksamkeit erregte: de doctr. Christ. lY 31 Hn populo autem
gravi de quo dictum est deo laudabo te* (ps. XXXTV 18), nee iUa
suavitas ddectäbüis est, qua non quidem iniqua dicuntur, sed exigua
et fragüia bona spumeo verborum anibitu omantur^ quali nee magna
atque stabüia decenter et graviter omarentur. est täte aliquid in
epistola beatissimi Cypriani, quod ideo puto vel accidisse vd
1) Cf. Fän^on, Dialognes sor rdloquence (Paris 1718) 227. B. Samt
Oyprien, qu'en dites-vous? N'est-ü pas atMsi enfU (sc. comme TertuUien)?
A. II Vest 8<ms deute. On ne pouvoU gueres etre autrement dans son siicie
et dans son pays. Mais quoique son etile et sa diction sentent Fenflure de
son tems et la dwreti Äfricaine, il a pourtant beaucoup de force et d'Elo-
guence.
Sp&tlat. Litteratur: der neue Stil: Afrika: Cjprian, Augustin. 621
cansülto factum esse, ut scirettir a posteris, quam linguom doctrifiae
chrisHanae sanitas ab ista redundantia revocaverit et ad eloquentiam
graviorem modestioremque restrinxerit, qualis in eius cofiseqtientibus
litteris secure amattir, religiöse appäitur, sed difficillime impletur.
ait ergo guodam loco (c. 1) ^petamus hanc sedem: dant secessum
vidna secreta, uhi dum erraiici palmitum lapsus pendulis nexibi^ ^)
per arundines baiulas rqptant% viteam particum frondea teda fece-
runt' non dictmtur ista nisi mirabiliter afluentissinia fecunditate
faamdiae, sed profusione nimia gravitati displicent. qui vero Jiaec
amant, profecto eos qui non ita dicunt sed castigatius eUquuntur^
ncn passe ita eloqui existimantf non iudicio ista devitare. quapropter
iste vir sanctus et posse se ostendit sie dicere, quia dixit alicübiy et
noUey quoniam postmodum nusquam. Man sieht hieraus deutlich,
dafs nach Augustins Ansicht der manierierte Schwulst der so-
phistischen Prosa von der spezifisch christlichen Beredsamkeit
ausgeschlossen wurde , während er ihre zierlichen, durch das
lledium der Ohren auf die Sinne wirkenden Klangfiguren im
vollen Umfang bestehen liefs.
Augustin ist auch als Stilist die gewaltige, Vergangenheit Augaitij
und Nachwelt überragende Persönlichkeit. Nicht die in mehr
klassischem Stil und (soweit das möglich war) klassischer Sprache
verfafirten, an die ganze gebildete Welt gerichteten grofsen Werke
kommen hier für uns in Betracht, sondern seine für das Volk
bestimmten Predigten, denn in diesen hat er den Stil angewandt,
der die Sinne seiner Zuhörer packte, weil er nicht gelehrt ar-
chaisierend war, sondern durch tausendjährige, ununterbrochene
Fortentwicklung seine ünverwüstlichkeit bewiesen hatte. In
diesen Predigten herrscht der von ihm theoretisch empfohlene
(s. o. S. 617 f.) Satzparallelismus mit Homoioteleuton in
einem noch höheren Grade als bei Gyprian. Die sich jedem
Leser aufdrangende Thatsache ist, freilich ohne dafs man die
theoretischen Äulserungen Augustins herangezogen oder gar die
nach rückwärts und vorwärts fahrenden Fäden erkannt hätte,
öfters herroi^ehoben worden, nicht etwa blofs von Neueren wie
E. WölSFlin') und A. Reignier^), sondern natürlich schon von
1) nexQms pendulis unsere CyprianhsB.
%) rtpunt dieselben.
S) „Der Beim im Lateinischen** in: Archiv f. lat. Lexicogr. 1 (1884) 360 ^
4) De la latinitä des sermons de S. Augustiu (Paris 1886) 115 ff.
622 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiseneit.
Älteren; wie Matth. Dresser ^) und Thom. Gampanella.^ Als Probe
kann jede beliebige Stelle^ dienen, z. B. die Condnsio des serm.
199, 2 (38, 1028 Migne) :
eo fMScente superi novo honore clanierunt,
quo moriente inferi novo timore iremuerufU,
quo resurgente discipuli novo amore exarserunt,
quo ascendente codi novo dbsequio patuerunt.
serm. 219 (ib. 1088) g. K:
vigüat iste, ut laudet mecUcum liberatus,
vigüat ille, ut blasphemet iudicem condemnatus.
vigüat iste mentibus^) piis fervens et lucescens,
vigilat iUe dentibus suis frendens et tabescens
denique istum Caritas
iUum iniquitaSj
istum Christianus vigor
illufn diabolicus livor
nequaquam dormire in hoc celebritate permütiL
serm. 191, 1 (ib. 1010) das- dem hoben Sto£f entsprechend pom-
pös ausgestattete Proomium einer Weihnachtspredigt:
ipse apud patrem praecedit cuncta spatia saeculorum,
ipse de matre in hoc die cursibus se ingessit annorum.
homo (actus hominum faotor^
ut sugerel ubera regem sidera,
tU esuriret pcmis
ut sitiret fons
dormiret lux,
ab itinere via fatigaretur
falsis testibus veritas accusaretur^
iudex vivorum et mortuorum a iudice mortali iudicaretur
ab iniustis iustitia damnaretur,
flageUis disciplina caederetur
1) Bhetoricae inventionis, dispositionis et elocutionis libri IV (Lips.
1584) 617.
2) Bhetorica («=» rationalis philosophiae pars tertia, Paris 1688) 75.
3) Ich wähle sie aus den Zusammenstellungen Beigniers.
4) Nur wegen dentibus. Derartiges mit unserm Beimzwang Vergleich-
bare findet sich bei ihm massenhaft, vgl. meine Abhandlung über Minucius
Felix 1. c. (o. S. 614) 16 fif.
Sp&üflt. Litteratar: der neue Stil: Afrika: Augustin. 623
spinis hotrus coronaretur
in ligno fundamentum suspenderetury
virtus infirmaretur
Salus vulneraretur
vita moreretur.
Dazu kommen^ wie bei Cyprian, nur ebenfalls quantitativ viel
zahlreichere Wortspiele (cf. Reignier 116 ff.); wie distulit securim,
dedU securitatem (72, 2), habens in deo sandos amores et ideo bonos
mores (78, 3), cetera onerant, non honorant (85, 5), die ^haibeo' sed
*db eo* (94, 14), quid strqpis, o munde immunde (105, 6), est enim
severitas quasi saeva veritas (171, 5) u. s. w., Metaphern (Rei-
gnier 129 ff.), wie 0 si possent inspicere agrum cordis suij profecto
lugerenty dum ün non invenirent quod in os mentis mitterent (8, 7),
ouncm, paUorem terrae; argentum, livorem terrae; honorem, tem-
poris fumum (19, 5) u. s. w. Gewifs, uns kommt das, wie man
gesagt hat^), geschmacklos und gesucht vor, aber wie einst
Gorgias durch eben solche Spielereien die Athener elektrisiert
hatte, wie zu Augustins Zeit im Osten die griechische Gemeinde
den gleichen Spielereien des Gregor von Nazianz zujubelte, so
&nd Augustin im Westen ein für derartiges begeistertes Publi-
kum. An einer Stelle vergleicht er die Welt mit dem Schöpfer:
grols sei jene gröiser dieser, schön jene schöner dieser, lieblich
jene süfiser dieser, dann gewissermafsen nagä ngoedoxlav die
Antithese des Gedankens: malus est mundus et honus est a quo
f actus est mundus , das entzückt die Gemeinde, laut lobt sie den
Redner, der bestürzt fortfahrt: quomodo potero absolvere et explir
eoßrt quod dixi? adiuvet deus. quid enim dixi? quid laudastis? ecce
quaesHo est, et tamen iam laudastis, quomodo nuüus est munduSy si
bonus est a quo factus est mtmdus? etc. (serm. 96, 4). und was
die Wortspiele betrifft, so hat er danach kaum zu suchen ge-
branehty sondern sie boten sich ihm durch lange Gewöhnung
unwillkürlich dar und sein Publikum nahm sie als etwas Selbst-
verständliches entgegen; denn sonst würde man nicht begreifen,
wie er eine (schon oben S. 530 angeführte) Expektoration gegen
1) Reignier 1. c. Cf. F^dlon 1. c. 229 B. Saint Äugttstin, n'est-ce pas
VEerivam du monde le plus accoutum^ ä se joiUr des parolcs? Le defen-
dres-vous aussi? — A. Non, je ne le döfetulrai point lu-desstis. C'est le di-
faul de son tems, auquel san esprit vif et subtil lui donnoit wie pente na-
tureUe. Cela montre que Saint Augustin n*a pas etS un Orateur parfait.
«24
Ton Ha^rian bi* lam Ende der Kaiserzeit.
das grammatikalische Sprechen mit den Worten hatte scbliels
können: nifliua in barbarismo nostro vos inieUigitis, gnam in n
disertitudine vos deserti eritis (in psalm. 36 t. 26).^)
5. Der sophiatische Stil der Spätzeit in Afrika.
Während sich so in der christlichen Predigt durch t
ausachliers liehe Anwendung der auf die Sinne am stärksten <
kenden zierlichen (gorgiauischen) Redefiguren ein Stil ausbildet«^
der mit seiner leichten Verständlichkeit mdA seiner breiten, sal-
bongavoUea Behaglichkeit mehr und mehr ein spezifisch christ-
liches Gepräge erhielt, nahm in den übrigen Litteraturgattungen
der bis zur Unverständlichkeit gesteigerte, mit affektierter Zier-
lichkeit zu einem abschreckenden Gemengsei vereinigte Schwillst,
gleichfalls ein Erbteil der alten sophistischen Kunstprosa i
dea aus dieser entwickelten Asiauismus (s. o. S. 69 ff. 140 ff.), «
gehemmt weiter seinen Weg. *) Es ist zwecklos, das im einzeln
darzulegen; dafs für Skribenten wie Martianus Capeila und FiJ
gentius den Mytho logen das stilistische Ideal Appuleius
dem nachzueifern, den zu überbieten man sich alle erdenklicl
1) ÜbrigeaB fehlen dieee Figuren begreiflicherweise auch in seine»
Qbrigen Schriften keineswegs. Aus De doctr. Cbi. IV 61 habe ich mir
notiert: ifui utnvmqiK non potest, dicat »apienter qwui hom Aieil eloquentw,
potiu* quam dicat eloquenter quod ilicit insipienter. TV 36 promia haec eit
■H iloMfuIo etogwiUia, qua fit dicendo non ut libeat qitod korrtbat amt wt fiat
^uotl pitf<bat, ted ut appareat qttod taiebal a. dgl. viel, auch Wortqüele wie
I 98 «Hn doetor iste debcal reruin dictor esee magnantm. Am der Schrift
De virginitat« citiert Hatth. Dresser 1 c: inspiet vwbwni CApitti m enta
fmtUntü, aoH^iuDi mortfiUü, praium rojimentü, eieminta wiwryft'«.
ea|Nrf haM imclinalum ad oäeutanduni , cor aperttiim ad ^Kfemdmm, mawmt
ad atnplretmdurm, totum aiTpu» vxpoaitwm vi rtdjmeninwt (aJao
r gehobene ätelle); aas De spirita et littei» «. IS doMlbe: g«Mtf
imperat, hoc lex fidri eredenäo imptbvl. (Ana d«n Pac-
I Werka d« ciTiUt« dei, die ich gelesen habe, ist mir nieUa äer-
, wae aber ZuibU sein dfirft«.)
■ iat, mn lich des OegeneaUes deutUch bewuU ni vad^ Mv-
in Ton Ans angustinischen g«h<onen Predigt« iet afrtburiachMi
rmtinB Kcmodiu {aanc VT; bei Migne nL CT) nil «enan
"■baatiKben Briefen ^beeoodera dea tos A. ItiilTuMhiiil in
wuMia' BroBtaaei Frooeminm W. 9. 1871 paUtnnica) n
Spätlat. littenlur: der neue Stil: Afrika: der tumor. 625
Mühe gab^); weifs jeder. Nicht aus ihnen will ich daher Proben
geben, sondern ein Dokument mitteilen, das — f&r diese Fragen
ganz unverwertet — mir bezeichnend genug scheint, um es hier
zur Hälfte mitzuteilen, ich meine die von Emeritus (Bischof von
lulia Caesarea) abgefafste Sentenz des Konzils von Bagal,
welches im J. 394 von den Donatisten gegen die Sekte der Maxi-
mianisten abgehalten wurde und in den Streitschriften Augustins
gegen die Donatisten aufbewahrt ist, bei Mansi, Conc. III 857 f. :
Cum omnipotentis dei et Christi scUvatoris nostri voluntate ex
universis pravinciü Africae venientes in ecclesia sancta Bagaiensi
concilium gereremus. . . . (Namen), placuit spiritui sancto, gpU in
nobis est, pctcem firmäre^) perpetuam et Schismata resecäre sacrilega,
— licet enim viperei seminis noxios parius venenati uteri^ alvüs
diu texerit et concepÜ sceleris uda coagula in aspidum membra tarda
se calore vaporaverint^ tarnen concqptum virus evanescente umbraculo
occüliari non potuit nam etsi sero, publicum tamen facinus et parri-
ädium suum feta scderum vöta pepererunt: quod ante praedictum
est, ^parturiit iniustitiam, concepü dolorem et peperit iniquitatem'
(Psal. Vn 15). sed guoniam serenum iam fulget e nubilo nee est
confusa criminum sUva, cum ad poenam designäta sunt nomina
(indulgentiae enim antehac fuerat), dum clementiae dimiUimus li-
1) Von rein sprachlichen Gesichtspunkten hat den Einflufs des Appu-
leius anf die spätere Prosa vortrefflich nachgewiesen C. Weymann in:
Sitsiiiigsber. der K. Bay. Ak. d. Wiss., philos.-philol.-hist. Gl. 1898 II 321 ff.
— Ober den Stil des Folgentias urteilt M. Zink, D. Mytholog Fulgentius.
IL Teil (Würzb. 1867) 89 „Sein Satzbau ist überladen, in Folge dessen der
Inhalt oft yerschwommen, so dafs es dem Leser nur mit Mühe gelingt, vor
Wortschwall zum Yerst&ndnis des Gedankens zu gelangen und den lang-
gestreckten Unholden von Perioden ihren spärlichen Inhalt abzulauern,'* cf.
p. 66, wo er Antithesen und Paronomasieen aufzählt. Fulgentius selbst
nennt de aet. mond. p. 8 seine Bede eopiosum dictionis enormeque fluefOuin
(ef. R. Helm im Rh. Mus. LII [1897] 186), womit man die inanis laqu^ndi
ftuenOa Tergleiche, die Ammian (s. o. S. 188) an den Asianern hervorhebt.
S) Da die Sentenz ganz nach den Gesetzen des 'cursus oratorius' stili-
siert ist, über den ich im Anhang n handeln werde, habe ich jedesmal die
mn^ Wbe mit einem Accent versehen. Die Formen sind :z^^2 0, zuv^c»
aOpawJLOuOyX.xt^uO (diese nur zweimal); ji «^ i, z ^ ^; z w ^ w,
j, ^ M \j (einmal).
8) Man achte auf die gleichmäfsige Verteilung der Adjektiva: das
gehArfc mit stur Manier dieses tänzelnden Stils. Für Cypnan hat Beispiele
gaeammelt E. Watson 1. c, fttr Appuleius gilt dasselbe.
626
Yon Hadrian h» Tvaa Ende d«r KaiMneit. '
neam, invenit causa jmos puniat. — Quod veridica unda in
scopulos fionnullorum naufraga proie'cta sunt membra, et AegypHo-
rum admodum exemplo pereuntium funeribus plena sunt Uttora,
quänis in ipsa tnorte mäior est pocna, quod post extortam aquis
ultricibus anhnam nee ipsam ittveniünl sepuUuram. — Loquamur,
carissimi fratres, schismatis causas, quia iam non possumus taaire
personas. Maximianum, fidei aemulum, veritatis adulterum, ecclesiiK
matris inimicüm, Dathae Chore et Abiron ministrum, de pacis
gremio sententiae fülmen eaxnssit et quod adhuc eum dehiscens terra
non sorbuit (Num. SVT), ad maius supplicium siiperis reservat
raplus enim poenam suam compendio lucräverat funeris
nunc gramores cöUigit fenoris, cum mortieus interest vivis etc.
6. VolkHtamliche Prosa in Afrika.
rm
I
'b- GewisBärmaTBen das Sftfiu t^kavyis der antiken Stilgescliichte
ist, wie wir gesehen haben, das Gesetz gewesen, dafs die kunst-
märsige Prosa rhythmisch aeio müsse. Dies Gesetz war im Ge-
fühl des Volkes selbst tief begründet, welches lange vor dem
Beginn bewufater Kunatübung seine feierlichen Formeln in einer
zwischen Prosa und Poesie die Mitte haltenden Sprache con-
cipiert hatte (s. oben S. 156 &.). Wir werden im Anhang IT
sehen, dalii sich im Lauf der Zeiten hauptsächlich für den Satz-
schluls, in dem der Rhythmus besonders deutlich zum Bewofst-
sein kommt, ein feates Schema herausbildete, dessen Wesen, ge-
mäffl einem ebenfalls fundamentalen Stilgesetz, darin bestand,
dafs die erforderlichen Kadenzen mit den Ausgängen der ge-
lanfigeQ Versarten ao wenig wie möglich Ähnlichkeit zeigten.
Aber daneben hat in später Zeit eine andere Art von rhyth-
mischer Prosa bestanden, in welcher das rhythmische Element
■riel starker ausgeprägt war, indem die von den Früheren ver-
pönten metrischen Satzausgänge nicht nur nicht gemieden, son-
dern vielmehr gesucht wurden. Diese Art von Prosa, die also
gewisser mausen in der Mitte zwischen Xi^iq ivQv9itog and il^ts
iHliirt/oe steht, können wir innerhalb des lateinischen Gebiets
^-"f ollem auf afrikioiischeu Inschriften und zwar solchen, die
'n Kreisen des Volkes stammen, nachweisen. Mit diesen
Inschriften stimmen in ihrer Form eine Reibe T(y
Übereiu, die ebenfalls aus später Zeit und
SpäÜat. Liiiieratur: der neue Stil: Afrika: rhythmische Prosa. 627
Kreisen von Halbgebildeten stammen nnd die ich daher in diesem
Znsammenhang mitbehandeln will.
Die Verwertung dieser Art von Inschriften wird aber da- i. in-
durch erschwert, dals man sehr oft nicht weifs, ob das Durch- "'*'*'**"
einander von Prosa und Yersteilen auf metrischem Unvermögen
der Verfasser oder auf Absicht beruht. Z. B. liegt gewifs Ab-
sicht vor in der afrikanischen Inschrift CIL VIII 352 homo bonas,
rdms hominibusq(u^) pemecessarias,
quem guaerit pcUriae maximus hie popultis,
während ein Erythräer, der in barbarischer, stellenweise unver-
ständlicher Sprache folgende Inschrift (Lebas-Wadd. 58) verfafste,
Verse hat machen wollen, ohne es zu können:
N'6(iq>Mg Nai,A6iv iyaXX6(ievog iv^a UißvXXrigj
sl(fiivfig Sg^ag EitvxLavbg rb nägotd'Cj
daxAvaig BtolfMig &yoQav6fiog tpMxBUkog^
6(i(p(0 d' €iir6x(og ein/ BAtv%uxv& naidl nccvtiyvQiaQxri
ix nQ0668(ov Idicav xy naxQldi ro üdmQ,
qnxidifiivsv ts yQatpatg i7ttxo6fiii6ag tb aüXiov,
livrinööwov t\oih:o] tot6iv [i7t6ö6o(idvotg]y
wozu Waddington bemerkt: c'est une de ces d^dicaces bizarres^
ecrite en mauvaise prose avec une Sorte de cadence metriquey tdles
gylan en rencontre assee satwent dans les bas temps. J'ai dispose
les lignes de maniere ä faire ressortir Vintention de VatUeur, gut a
vauJu imHer ou a peut-Stre cru icrire des vers hexametres et penia-
mebres. Aus der citierten Sammlung führe ich noch folgende
Beispiele an, in denen wohl eine beabsichtigte Mischung anzu-
nehmen ist: 116 (Teos) iwda xal ddx* iz&v fjiiriv iu nagd^ivog^
bI%* iyait>fi6a* slko6^ d* ixtski6a6a XQÖvovg lyxvog oiö* i^avov'
Mstfuu d* iv fifißoig ivß(fsq>og oi6a, Blakog, ^ tb nakai öEfiv^
n^fdöodog, {kBlva6a xqövov ^X&s dh KvxQeig xal isv^ev Zfoöifio}
ig sAvi^p' ^Ms dl MotQa xal Xvöbv f^ iexakf^ nQ66odov, 2122
(Batuiaea) tiXßu ivÖQ&v^ OCkuau^ dovxvivdQu xAlEmg dovxög^
bg fV^fLa ffihf aiXf ix ^efuXianf iyaCgag &nq>BQii>a6o 6i)v aldvrj
^utffOMotxi xtA tixvoi6i alg xliog &bC. Die beiden letzten Floskeln
finden sich ebenso auf metrischen lu Schriften derselben Gegend
(2118.2139. 2145'').^) — Bei den lateinischen Inschriften können
1) (jL anlser den citierten Beispielen etwa noch 2188 (Batanaea). 2465
(KaflliOBilii). HeiMnetrische Versansg^lnge auf griechischen Zauberpapyri
B. B. bei 0. WeMdj in: Denkschr. d. Wien. Ak. XXXVI (1888) 51 Z. 261 £P.
VordcBi MrtDwKaBstpfOML n. 41
und eine
Redeweise
lören h^M
it, lul^^^
628 ^on Hadriftn bis mim Ende der Kaiseraeit.
wir eine rohere Form unterscheiden, wo obne Plan der Pro
eingeatreut werden ganze oder Teilverse, die, wenn eignes Fabri-
kat der Vei'faaaer, stets von der allerrohsteu Art sind, und eine
kunstgemäfsere, bei der in wohlerwogener Absicht die Redeweise
rhyÜunisch gestaltet wird. Zur erstercD Gruppe gehöi
Schriften wie CIL VIII 403 (1329 Bueoh.):
non d^na cotiiux cito vita [exire dejcrevisti, misella.
vivere debueras annis fere centu(m), licebat.
fuit enim forma certior moresgtte facimdi,
fiiit et pudmtia, quam in alis nee fuisse dicam »ec esse conta
sed quia sunt Manes, sit tibi terra levis.
4551 C. Digno Innocenti viro gtii impleta tempora cessit,
pater erat, gut vixit annis Txxx. 10827 (110 Buech.) Gabiniae
Matronae. Comiti defundae sors et fortuna improba. guae dum
per annos bis XVIII vila gerit, non ut mentit vicla fmicta est,
subito ei cönsäus acter (die beiden letzten Worte aus Verg. Aen,
IV 167, cf. n. 1788 Buech.). 10945 (575 Buech.) hie sita est
Kat(pumia) FUwia cognömine dicla, q(ondam) decemviri Kal(pumi)
Taneini filia, quam consUtit vixisse (folgen die Zahlen). ha&: tibi
pro meritis Aemilius, Viiellianus cognömine dichts, coniux pia,
praemia ponit. Die zur zweiten, uns näher angehenden Gruppe
gehörigen Ißscbriften hat Baecheler in seine Sammlung unter
n. 1563 — 1622 zusammengestellt, cf. auch seine Bemerkung zu
n. 116, wo er diese Form der Kompositiou sehr passend
mtisam pedestrcm bezeichnet. Ich wähle als Probe die, wenn
man so sageu darf, kuustvollsten aus. Von drei in einer
derselben Grabkammer gefundenen afrikaniacheu Inschriften
ten die beiden ersten') (die dritte ist verstümmelt):
G46 (116 Buech.) C. lulio Fortunatiano pat^.
filio memoriae titulum sibi erepto rcddidit.
in annis viginli duobus, quos Parcae pra6f~
rani edito
id als
wenn
r ua^^_
1
1) Hiatus und Messung nach dem Wortaccent habe ich geglaubt,
' afiika,tii«cliem Bodea als gelegentlich zugelassen erachten ku dürfeni
"^t den enteren unsere PI autus -Überlieferung und apeEiell die Argu-
filr die letttere das bekannte Zeugnis Auguittins für die Sorglofi^
Ukuiitr gegendber der Silbenquantität und seinen eigenen 1'
loostnten.
Sp&tlat. Litteratar: der neue Stil: Afrika: rhythmische Prosa. 629
innümeris vitae laudibus \ ömnem aetatem reddidü.
nam puer pubertatis exempla optumd hene vivendo
dedit,
pubertatis initia iuvenüi corde edidüf
iuventütis vitam mcucuma \ üccmamt ghria,
sie namque ut in exiguo tempore \ mültis annis
vixerit.
puer ingenio vcUidus, pub4s pudicus, iüvenis ora-
tor fuü
et piAlicas aures togatus siudiis delectavit suis.
in parva itaque tempore vita muUis laudibus.
inque isto patrio operd iuvenis [nunjc ut senex
perpetua quiescit requie, conditori [perjgrato spi-
ritu.
647 (116 Buech.) Palliae Satuminae lulius Mäximus quondam
suae
hanc operis struem dicavit, semper ut haberet
muneri,
simulque memoriam piae coniugis faceret lectori
inque eo suo tempore semet cum ea concluderet,
in annis triginta, quibus datum est, sai probe
midier cum viro vixit stu),
nihil potius cupiens quam üt sua gauderet domus,
nam in rebus mariti et suis, maier communis
iüvenis,
simplici animo vivens vix muliArem mundüm
vindicabat sibi.
in virum rdigiosa, in se pudica, in fämüia mater
fuit,
irasci numquam aut insüire quemquam noverat.
ctdtu neglecto corpofis moribus se ömabat suis
et [piujm [an]im[u]m (?) pudore solo comita-
batur suo.
Dazu kommt noch eine andere^ durch die Anwendung des ora-
torischen oarsuB (s. Anhang II); der Allitteration und vor allem
des bfiowtiXevtov besondera interessante Inschrift 2756 (1604
Buech.) qme fuerunt praeteritae vitae testimonia, nunc declarantt'^
hoe serMura postrema. haec sunt enim mortis solacia, ubi conti
41*
630 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
tur nominis vel generis aetema memoria, Ennia hie sita est Fruc-
tiwsa, karissima coniunx, certae pudicitiae, honoque dbsequio lau-
danda matrona, quinto decimo anno mariti nomen accq^it, in quo
amplius quam tredecim vivere non potuit, quae nön ut meruit ita
mortis sortem retulit: cärminibtis defixa iacutt per tempora muta^
ut eins Spiritus vi extorqueretur quam natura redderetur^ cuius ad-
missi vel manes vel di caelestes erunt sceleris vindices. Adlius hanc
posuit Proculinus ipse maritus, legionis tantae tertiae Augustae
tribunus,
2. Qneroius. Mit dicseii afrikanischen Inschriften hat nun Buecheler im
Eh. Mus. XXVII (1872) 474 (cf. zu carm. epigr. 116) die Kom-
positionsart des Querolus zusammengestellt, eine Kombination,
die, wie die Proben zeigen werden, ohne weiteres einleuchtet.
Er hat femer auf Grund der Thatsache, dafs wir die letztere
Art von Inschriften hauptsächlich auf afrikanischem Boden finden,
die Vermutung geäufsert, daCs auch der Querolus ebendahin ge-
höre; da sie auf alle Fälle hohe Wahrscheinlichkeit hat, schlieüse
ich eine kurze Bemerkung über dieses merkwürdige, nach un-
gefährer Schätzung etwa dem Anfang des V. Jh. angehörige
Litteraturprodukt hier an. Nachdem schon ältere Gelehrte, dar-
unter Caspar Barth, die Stilart als yersähnliche Prosa bezeichnet
hatten^); herrscht jetzt, da die entgegengesetzte Theorie L. Havels
nirgends Glauben gefunden hat, darin Übereinstimmung, dab wir
' es mit einer sehr stark rhythmisierenden Prosa zu thun haben.
Der Verfasser selbst bezeichnet in der Vorrede seinen sermo als
poeticus und sagt zum SchluTs derselben: prodire autem in eigen-
dum non auderemus cum clodo pede, nisi magnos praedarosque
in hoc parte seqtieremur duces, womit er die Zwitterstellung dieses
Stils deutlich genug bezeichnet.^ Anfange oder Schlüsse der
Sätze, oft beide, sind dem sermo comicus entsprechend iambiscli
oder trochaisch (wobei öfters der Wortaccent die Quantität Yer-
tritt), das übrige ist Prosa, z. B. I 2 QVER. 0 fortma, o fars
1) C£ die Znnammeniitellnng in der Ausgabe Ton EHnkhamer (Amsterd.
^"«iMo pn$a (prana, rekomponiert bei Plantiu pravona) ist die
^vio bei Ind. Oxig. I 88, 1; im Mittelalter oft oratio pkmm,
^ttad. rar Gesch. der Herzogin Mathilde y. Canossa [Progr.
•Did in: Forsch, i. deutsch. Gesch. XI [1878] S87), deren
«otm; wer also beide Terbindet, hinkt
Sp&üai Liiiieratur: der neue Stil: Afrika: rhythmische Prosa. 631
fortuna o fcUum sceleratutn atque impium. si gtiis mmc mihi tcie
osknderet, ego nunc tibi facereni et constitnerein fatum inexsuperabile.
LAR. Sperandum est hodie de tridente; sed quid cesso interpellarc
atque adloqui? saive, Querole. QYEB. Ecce iterum rem fnolestam:
^sdlv€y Querole.' istud cui bono, tot hominibus hoc atque illac Juive
dicere? etiam si prodesset, ingratum foret. LAR. Misanthropus herclc
hie verus est: unum conspicity turbas putat u. s. w. Wenn er an
der citierten Stelle der Vorrede von seinen ^grofsen Vorgängern'
in dieser Art der Komposition spricht, so meint er niemand an-
deren als Piautas und Terenz: denn dafs man schon zu jener
Zeit gezweifelt hat, ob die alten Komiker in Versen oder in
einer Art von Prosa geschrieben hätten ; geht aus der Schrift
des Priscian De metris Terentii hervor^ in der er beweisen will,
dab Terenz wirkliche Verse gemacht habe. ^)
B. GallieiL
Gallien war berufen^ in der romischen Kaiserzeit und wäh- Augc-
rend des ganzen Mittelalters in höherem Mafse als das eigent-
liche Mutterland Italien die Erhalterin der antiken Kultur zu
sein. Von Barbaren überschwemmt^ von Klöstern übersät hat
es, sich selbst zum Ruhm, der Menschheit zum Verdienst jahr-
hundertelang die Fahne der alten Bildung hochgehalten. Der
Grund hierfür ist klar: nirgends war der Sinn für diese Bildung
empfimglicher als bei den romanisierten Kelten. Es giebt dar-
1) Schon B. Peiper hat, ohne die Priscianschrift (GL III 418 ff. E) zu
kamifin, richtig geurteilt (in seiner Ausgabe Leipz. 1876 p. XXXVII adn.):
n$e Mmm gum kaec ratio sU nata ex male vel non aatis intellecta versuum
Ttrmtiiamorum confomuxHofie, Gloetta, Beitr. z. Litteratnrgesch. d. Ma. u. d.
Ben. I (Halle 1890) 4, 2 yerweist für die Thataache, dafs man im Mittel-
altar niolift gewnürt habe, ob Terenz Verse oder Prosa schreibe, auf ein
JafcorMiantoi, Ton Gh. Magnin in der Bibl. de T^c. des Chartes I (1839—
1840) 617 iL pnblisiertes Dokument, eine Art von Prolog zu einer (nicht er-
baltenen) KomOdie, in welchem ein Delusor mit Terenz ein Zwiegespräch
lUirfc und ihm u. a. sagt (p. 684 f.) an sit prosaicum (dein Werk) ^lescio an
■nfc'feiiw. Dab dieses Stflck aus s. VU stamme, wie der Herausgeber meint,
lUrt neh nicht beweisen und ist aus innem Ghründen unwahrscheinlich : die
Hii. ist HU a. XL Übiigens yendchert auch HrotsYitha von Gandersheim
im d» Tomde m ihren Komödien (p. 187 Barack), sie ahme den Terenz
dJeMkmii penere; in Wahrheit schreibt sie in gehobener Beimprosa.
632 Von Hadrian bis zum Ende der E^aiserzeit.
über noch kein Werk in zosammenfasBender und auf dem ge-
samten, freilich Ungeheuern Material fufsender Darstellung; aber
wir haben wenigstens einige Arbeiten^ in denen der Anfang dazu
gemacht ist.^) Ich habe auf die allgemeinen kulturellen und
litterarischen Verhältnisse nicht einzugehen; für die Stilgeschichte
des gallischen Lateins , auf die bisher so gut wie gar nicht ge-
achtet ist, glaube ich einiges Neue beibringen zu können.
OaiiiBohet Gallien war von jeher das Land der Rhetorik ^): Gato orig.
* ^^ 1. II 2 J. : pleraque GaUia dtias res industriosisstme persequüur,
rem milüarem et argute loqui und Hieronymus contra Yigilan-
tium c. 1 (II 1 p. 387 Yall.): sola GcUlia monstra non habet, sed
viris semper fortibus et eloquentissimis abundavit sind die beiden
bekanntesten rühmenden Zeugnisse. Schon in den geheimnis-
vollen Institutionen der Druiden wurde die Macht der Rede hoch
geschätzt^ wie man aus Lukians (Herc. 1) eigenartiger Nachricht
weilis: sie verehrten einen Gott Ogmius, den sie darstellten als
einen Greis, der in der rechten Hand die Keule, in der linken
den Bogen führte; seine Zunge war durchbohrt und durch die
Löcher liefen Ketten, an denen die Ohren der ihm willig folgen-
den Menschen befestigt waren: so symbolisierten sie die Gewalt
der Rede. Mit diesem Sinn begabt traten die Gallier zu einer
Zeit in den Kreis der römischen Bildung ein, als diese, wie wir
sahen, mit der Rhetorik zusammenfiel: was war, zumal bei dem
lebhaften Nachahmungstrieb dieses Volkes'), begreiflicher, als
daüs sie gerade diese Kunst zur höchsten Vollendung ausbildeten?
Die römischen Schriftsteller des zweiten Jahrhunderts erkannten
1) Ich nenne nur (um vom Mittelalter vorläufig abzusehen) J. Ampere,
Eist, litt^raire de la France avant Charlemagne (Paria 1840), A. Osanam,
La civilisation chr^tienne au V si^cle (sec. ^d. Paris 1862), Lagus L c. (oben
S. 692, 1) 29 ff., Mommsen, Rom. Gesch. V 100 ff.; im wesentlichen fOr das IV.
und V. Jh. die hervorragende Abhandlung von G. Eaufinann: Bhetorenschulen
und Elosterschulen oder heidnische und christliche Cultur in Gallien in:
Histor. Taschenbuch ed. v. Baumer, Vierte Folge, zehnter Jahrg. (Leipz. 1869)
1 ff.; fOr das VI. Jh. C. Arnold, Caesarius von Arlate, Leipzig 1894.
2) Cf. C. Monnard, De Gkdlorum oratorio ingenio, rhetoribus et rhe-
toricae scholis, Diss. Bonn 1848, von Früheren besonders auch L. CresoUius,
Vacationes autumnales (Paris 1620) SS ff. D. Morhof, De Patavinitate Li-
viana c. 10 (in seinen Dissert. acad. et epistol. p. 558 ff.).
8) Caesar b. G. Vn 22 summae gens sollertiae atque ad anmia mittmda
et efficienda quae ab quoque tradtmtur apHssimum.
Spätlat. Litteratur: der neue Stil: Gallien. 633
Gallien den Vorrang in der Beredsamkeit zu; nicht blofs in der
südlichen Provinz und nicht blofs an den grofsen Bildungscen-
tren hatte sie ihren Sitz aufgeschlagen, sondern sogar in Reims,
wie wir durch Fronto (p. 262 N.) wissen. Das dritte Jahrhun-
dert war, wie f&r das Reich überhaupt^ so besonders fär Gallien
das traurigste: die Schulen verfielen, die Wissenschaften lagen
danieder. Der grofse Aufschwung aller Verhältnisse, der am
Ende jenes Jahrhunderts begann, kam vor allen Gallien zugute:
es war keine blofse Phrase, wenn die Panegyriker Galliens die
Kaiser auch als Förderer der Bildung feierten. Wie hoch die
Beredsamkeit in den folgenden Jahrhunderten geschätzt wurde,
lernen wir aus Autoren wie Ausonius, Sulpicius Severus, Sidonius,
Ennodius und aus den Erlassen der zu Trier residierenden Kaiser.^)
Wie war nun diese Rhetorik und folglich auch der Stil der oahucIio
Stil.
1) Welchen Respekt noch Venantius Fortonatua vor der gallischen
Beredsamkeit hatte, zeigen seine Worte in der Vorrede sur Vita S. Marcelli
c. S (p. 60 f. Kmsch) : er sei nicht würdig sie zu schreiben, praesertim cum
vdbis (dem Germanns, Bischof von Paris) muliorum prudentium famosae
abwndantiae aufficiat eloquentia Gallicana et quadratis tuticturis verba
truHnaia procedant. — Für die litterarische Bedeutung Lyons im V. Jh.
mochte ich nachtragen das Zeugnis eines Autors, der zwar 400 Jahre später
lebte, aber überall vorzüglich orientiert ist, des Mönchs Hericus yon Auxerre :
in der Vorrede zu seinen Miracula S. Germani ep. Autissiodorensis erwähnt
er das ihm yorliegende Werk über denselben Gegenstand von Constantius,
eiiiem Presbyter von Lyon, der etwa 40 Jahre nach dem Tode des Ger-
manuB (440) gelebt habe; er rühmt die Eleganz des Werkes und bemerkt
bei der GMegenheit (AA. SS. BoU. Jul. VH p. 266): ea tempestate Lugdunen-
SNMi dvikis, prima ac praecipua Gälliarum, professiane quoque acientitw
mrtmmque disciplina inter amnes extulerat caput; offensa nam^pie sapieyitia,
qmae prqpter aeipsam tantum appetenda est^ quorumdam Iticris turpibtis, mttZ-
tofum mdiscipimata vita, omfiiwn postretno tepide se appetentium inkonesta
demdia^ praecqptarum inopia intercedente priorumque studm paem collapsis,
kmu8 nostrae exitkUiter peroaa regionis, Lugduni sibi cdiquamdiu familiäre
eomtittoriMm coUocavii. ibi quas dict^nt discipHfiarum liberalium peritia,
guoBque ordme currere hoc tempore fahula tantum est, eo tisque convaluit,
«1 «pMiiliMii ad ic^kolaa publicum appellaretur citramarini orbis gymnasium,
ei, ut aHiguid rationis afferre videar, eo %d argumento colUgimus, quod quis-
§p§e artmm profUendarum afficeretur studio, nofi ante professis inscribi mere-
Mur, g^UMM hue exphrata diligentia eooaminatus abiret. cui rei satyricus
^ftoqm oft^pifZalifr, qui, ut exefnpli circumstantia res eluceat, primo sui operis
lüfro aerOer diuque in impudicos invectus refert eos conscientia frequentati
$odma perinde paUescere, *tU L^gdunemem rhetor diciurus ad aram* (luv.
1, 44). «to claret hanc sapientibus et pahnas et nomina olim fuisse largitam.
634 Von Hadnaji biB zun Ende der Eaüeneit.
Prosa beschaffen? Aach liier kam das gallische Ingenium der herr-
schenden Moderichtang merkwürdig en^^egeo. Diodor betont ia
seiner berühmten Charakteristik (V 31) zweierlei: ihre Vorliebe
für eine an tragödenhaftes Pathoe streifende hTperbolische Rede,
und für scharf zugespitzte Gedanken; das letzte versteht anch
Cato unter dem argute loqui. Man erinnere sich nun an die
Charakteristiken, die der ältere Seneca von den lateinischen
Deklamatoren entwirft (s. o. S. 273 ff.), um zu begreifen, welches
Entgegenkommen ihre Manier in dem romanisierten Gallien finden
mufste. Thatsächlich ist in keinem Lande, auch nicht in Afrika,
der moderne Stil, dessen Geschichte wir verfolgen, mit solcher
Virtuosität gehandhabt worden wie in diesem Lande. Die B9mer
haben das gewufst: bei Tacitns vertritt Aper aus Gallien die
Partei der Modernen, und Messalla, der Sprecher der reaktionären
Partei, erwähnt einmal (c. 26) höhnisch den Gallier Gabinianns,
dessen eoncinnas declamationes noch Hieronymue kannte.*) Es
giebt aus der späteren Zeit eine Reihe interessanter Zeugnisse
für das Fortleben dieses Stils in Grallien, die anzofOhren mir
wichtiger scheint als eine Analyse des Stils der einzelnen
Autoren.
1. Das frühste dieser Zeugnisse findet sich bei Hiero-
nymus. Als ich es las, fand ich darin eine erwünschte Be-
stätigung meiner Ansicht, dals der manierierte Stil der
spätlateinischen Prosa aller Länder eine in allen Ein-
zelheiten unverkennbare und durch die historische Ent-
wicklung begründete Verwandtschaft mit dem Asianis-
mus habe, und wen meine bisherige Darlegung davon nicht
überzeugt hat, der glaubt es vielleicht einem in allen littera-
rischen Dingen so aasgezeichnet bewanderten Kenner wie Eie-
ronymus. Er schreibt an Busticus (ep. 125, I 2 p. 935 ValL):
audio rdigiosam habere te matrem, muiiorum onnontm viäitam,
guae aluit, qtiae eruäivit infantem ac post studio Gtäiiamm quae
vd ftitrentissima sunt misit Somam, non pareens aMt^tSnu et a&-
1) Cf. Tenfiel- Bdiwabe, BSm. Littwai-Oeiah. | iU, tt mmmjmt. ia
lesaiam 6 praef. (IT SS0 VilL): <
utatttmet detitkroHt, Ugtmt IWKnm QtmMiamim GaOioMM (
'in Mesitalla bei Tacitii» 1. l. an Iimius Gallio seine (iitniiiM t
h bei Hieronj'muB sicher nuf ilm die coucinnae lieclas
Sp&üat. Litteratur: der neue Stil: Gallien. 635
senHam ßü ape sustinens fuiurorum, ut ubertatem Gallici nito-
remque sermonis gravitas Botnana candiret nee calcaribus in te
sed frenis uteretur: quod et in disertissimis viris Graeciae legimus,
gui Asianum tumorem ÄUico siccdbant seile et luxuriantes flor
geUis vineas fakibus reprimehanty ut eloguentiae torcularia non ver-
herum pampinis sed sensuum quasi uvarum esqpressionibus redun-
darent^) Worin die römische gravitas bestand, lernen wir aus
einer Reihe anderer Zeugnisse: man ging damals nach Bom^ um
Jurisprudenz zu studieren, oder studierte sie nach der Kodifika-
tion des Rechts in Gallien selbst. Unter diesen Zeugnissen
interessiert uns am meisten eins') aus dem YII. Jahrb., weil in
ihm die Worte des Hieronymus fast wörtlich herübergenommen
werden, woraus wir ersehen, dafs sich im Lauf der Jahrhunderte
die Verhältnisse nicht geändert hatten: Vita S. Desiderii Cadur-
censis (Cahors) episcopi (f 665) ab auctore coaevo (87, 220
Migne) Desiderius vero, summa parentum cura enutritus, litterarum
studiis adplene entditus est (nämlich in der merowingischen schola
Palatii). quorum diligentia nadus est post litterarum insignia-studia
GäUicanam quoque eloguentiam (quae vel florentissima sunt vel exi-
mia^ contubemii regalis adductis inde dignitatibus), ac deinde leg um
Romanarum indagationi studuü, ut ubertatem eloquii Galli-
cani nitoremque gravitas sermonis Romani temperaret.^)
2. Wird in diesen Zeugnissen die Fülle und Zierlichkeit des
*gallicanischen' Stils hervorgehoben, so in anderen, zur Bezeich-
1) Bezeichnend genug för ihn, dafs er selbst in den Fehler yerföllt,
den er rfigt. Seine Kenntnis des Asianismus hat er natürlich aus Cicero,
wie auch eine andere Stelle zeigt: in Oseam 1. I c. 2 (VI 25 Vall.): neque
emm EJämuiwm profhetam edisserens oratoriis debeo declamatitmculis ludere
et ff» nafratiamima atque epüogis Aaiatico more cantare (cf. Cic. or. 27).
S) leh fand es bei J. Pitra, La yie de S. L^ger (Paris 1846) 82, 2 und
nh daim, da& auch Ozanam 1. c. p. 407 adn. es citiert.
t) Gf. ButiL Namat.I 207 f. (von seinem Freunde Palladius): facundus
immmm €Mhrwm miper ab arvis Missus Bamani dUcere iura fori. [Con-
staHÜni], Yila 8. Oennaal episcopi Autissiodorensis (Auxerre, f 448) in: AA.
fSL BolL tl. Juli Tu p. 902 ut in eum perfectio litterarum plene conflueret^
mwiUoria ChMeana kUra urbem Bomatn iuris scientiam plenitudine
Diese Stelle entnahm ich der fOr das Studium der
L-dMiialigen Rom wichtigen Abhandlung von H. Conring,
MKImi nrbis Bomae et CP (1666) in: Nov. Thes. anti-
d» Bulkiigxe m (Venetiis 1785) 1212.
ti3(> Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit
uung des Pathetischen, der Gullicanus cothurnus (tBtQayojdri-
(levoi nenut die Gallier Diodor L c.)- Ich kenne folgende Stellen:
Hieronjmus an Marcella ep. 37, 3 (I 173 Yall.) über die
Schriften des Rheticius, Bischofs von Antun: innumerabilia sunt
quae in tUius mihi commentariis sardere f?isa sunt est quidem sermo
compositus et Gallieano eothurno fluens, sed quid ad inter-
pretem, cuius professio est, nan quo ipse disertus appareeU sed quo
cum qui lecturus est sie faciat inteUegere, quomodo ipse inteUexü
qui scripsit.
Hieronymus an Panlinos ep. 58, 10 (I 326yalL): Sanctus
Hilarius Gallieano eothurno attolUtuTj et cum Graedae fioribus
adometur^ longis interdum periodis invdvitur et a lectione simpiUcio-
rum fratrum procul est
Sulpicius Seyerus dial. I 27: dort sagt ein aus dem eigent-
lichen Grallien stammender Schüler des Martinus von Tours zu
den Aquitaniem, er wolle nichts reden cum fuco out eothurno,
nam si mihi tribuistis Martini me esse discipulum, älud etiam con-
ceditCf^ ut mihi liceat exemplo ülius inanes sermonum phaieras et
verborum omamenta contemnere.
Ennodius ep. I 15 grandis coturnus in eioquentia, cf. ep.
111 24 p. 89, 25 Hartel.
An den Schluls dieser Zeugnisreihe setze ich eine zwar aus
dem tiefen Mittelalter stammende, aber, wie mir scheint, recht
iiiteresaante Stelle, die (wohl ganz singular in ihrer Art) eine
Hiilkritik gallischer und spanischer Autoren der sieben ersten
Jahrhunderte enthalt:
Ekkehart IV von St. Gallen (f c. 1060) in einer Rand-
bufoerkuug zu dem von ihm selbst abgeschriebenen Prognosticon
iulikui^j: (^idam hunc librum ad solitum stUum emendarunt ne-
McimUe», quod Hispana faeundia et Galliens coturnus öbscurius
mkrUum et sen^losius currere nidentur. oeeurrit eiiam hoc ad-
kkC in lock suam plurimis vidercy quod nisi ledor, gm in Bamana
' wmdia ioliuit, eaiutius hie ingrediaiur, non semd offendat; in pro-
I ditop kmus luliam Toletan^ facundi^ setUentüs, nan autem
iM VW Totodo 680—690. Dm Plra^wwbnm ist ediert bei
li» BwMrinmg des Ekkohait tm E. Dümmler in: Zextschr.
4«. BMq^ N. F. n (1869) 31.
Späüat. Litterator: der neue Stil: Gallien. 637
inirodudis (id est Äugustinif Gregorü et cft.y). lege Severum Postur
mianum et GaUum*), maxime autem vitam sancti BricHi^ ....
sanctum Gregorium qxioque lege in libris miraculorum vd in cfteris
sui caraeteris operibus. quid dicam luvencum, poetam ecclesif pri-
mum (immo Prtidentium)^) et Avitum^ nodose guidem in suo co-
tumo facundos? Prosperum etiam ülum metro et prosa summe
egregium? Sedülium vero nimis co se^) et iocunde evangeli-
cum?^) cum etiam Lucano Bomano post Chorduham facto id velud
elogium dicunt: Virgilius cum in X locis propter Grecum modum
sii inviduSf Lucanus in decies X repugnat invictissimus. hfc non
earpens, sedy ne lector stilum nesciat, asscripsi.
3. Wenn die bisher angeführten Zeugnisse^ im allgemeinen
den Schwulst^ die Zierlichkeit, das Pathos des gallischen Stils
1) Diese citiert lulianos nämlich oft.
%) Er meint die Dialoge des Sulpicius Severus, in denen auTser diesem
selbst seine Freunde Postumianus und Gallus reden. Diese hätte er hier
aber nicht nennen dürfen, da sie in klassischem Stil abgefafst und daher
leicht yerständlich sind.
8) Bischof ▼. Tours f 447 ; uns ist die vita selbst nicht erhalten, son-
dern nur das, was daraus mitteilt Gregor y. Tours hist. Franc, n c. 1.
4) Eine von ihm selbst gemachte Glosse.
6) „Ftlr copiase ist der Baum zu grofs, ein Wort wie conterUiose oder
dgl. mnÜB an dieser erloschenen Stelle gestanden haben" Dümmler.
e) Danach wäre also Sedulius keinesfalls, wie Teuffei- Schwabe § 473, 2
bei dem Mangel jeder Nachricht zweifelnd vermuten, ein Italer, sondern
entweder Sjmnier oder Gallier und zwar wegen der Verbindung mit Lucan
eher Spanier. Ob freilich das Zeugnis dieses Spätlings irgend welchen Wert
hat, steht dahin.
7) Ich habe mir femer aus mehreren gallischen Autoren ähnliche Aus-
drfioke gesammelt, die ich, weil sie für ihren stilistischen Geschmack
diaiakteristbch sind, hier mitteile. Sehr häufig ist der Vergleich mit einem
FlnfSy einem wogenden Meer: Auson. comm. prof. Burd. 1, 17 dicendi
Ufrrmm tM eopia, Sidon. ep. Vm 8, 8 f. 10, 1. IX 7, 2 ff. Ennod. p. 1, 3 ff.
H. 0, 10. n, S4. 46, 22. 48, 14. 18. 68, 9. 89, 22. 102, 18. 126, 6. 188, 1. 264, 7.
197, 6. S08, 1. 40S, 16. Daher das Lob der copia, uhertas, ahundantia,
üf/tueniia (so, mit ff, scheinen diese Autoren schon zu schreiben) : Sidon.
ep. IV 16, 1. Ennod. 17, 18. 46, 18 übertaa linguae^ castigcUua sermo, LaUaris
iMfHi, guadrata eloeuHo. 92, 9. 21. 179, 22. 381, 7. Buric. ep. I 4 p. 867
A^ieüxr. — Pompa: Sidon. ep. lü 14, 2. IX 9, 10. Ennod. (cf. Harteis Ind.
a. T.) B. B. 46, 14 verborum pondus vel pompa. 178, 16 pompam quam in
UlitH§ ftigHii Mmetis, nee aliud est loqui vestrum nisi declamatianum tn-
$lßtim cmlorfirtf. Atüos y. Vienne ep. 58 p. 82 Peiper oa pompis adsuetum
et fmmtif MimdmMme Bamuleae profunditatis irriguum. -— Ardens elo
638 Von Hadrian bis som Ende der Eaiserzeit.
heryorhoben, so giebt es eins, das durch seine speziellen An-
gaben fUr meine Untersuchungen wertvoll ist: es steht in dem
Brief, den der nach klassicistischer Diktion strebende Claudianus
Mamertus an den Rhetor Sapaudus schreibt: er rät ihm (p. 205
Engelbr.); tU spräis novitiarum roHuncularufn puerüibus niigis
nullum lectitandis his tempus insutnat, quae quasdam resonantium
sermuncuhrum taureas rotant et oratoriam fortüudinem ploMdentibus
cancinentiis evirant, d. h. er soll vermeiden den bombastischen
Schwulst und das Geklingel (tinnüus oben S. 634, 1) der Bede,
welches entsteht durch das Zusammenschlagen gleiohtonender
Silben: einst hatte Quintilian (IX 4, 142) in gleicher Weise ge-
warnt vor einer Diktion, die weibisch werde Uiscivissimis synto-
norum modis (s. oben S. 291); man erkennt daran die Kontinui-
tät der Entwicklung,
oiousohe Auf die einzelnen Schriftsteller beabsichtige ich nicht näher
einzugehen. Wer Sidonius*), Ennodius^, Gregor von Tours ge-
cutio n. dgl. Sidon. ep. V 17, 9 vir flammeus qwidamque facundiae fims
inenchaustus IX 9, 10. 7, 1 fUlmen in verbis, flumen in claumlis, Ennod.
49, 22 Umare eloguio. 449, 12 itibar dicHonis, — Zierlichkeit, blumige
Diktion u. dgl.: Sidon. ep. IV 8, 2 vemantia eloquii flos. 16, 1. Ennod. 20,
19 dictio redimita floribus. 28, 8. 424, 26. 468, 11 dicHonum floscUU vemant
et ridentia verborum germina. — Süfse: Ennod. 188, 16 u. 226, 17 meUa
sermonum, cf. 18, 8 dum favos loqueris et per domaa cereas eloquentiae nee-
tare liquenüs elementi meUa componis. — Buntheit: Sidon. ep. VIU 6, 6
dixit disposite graviter ardenter, magna acrimonia maiore factmdia maxima
disciplina, et ülam Sarranis ebriam sucis inter crepitantia segmenta pahna-
tam plus picta arationey plus aurea convewustavit, Ennod. 20, 10. 189, 16
ostrum loquendi. 198, 10. 446, 14. 644, 6 fucaiae verborum imagines^ cf. 882,
10. 446, 18. 462, 11. — Figuren: Sidon. ep. VII 9, 2 exacte peraranUbus
mos est , , ., poetica Schemata aptare. IX 8, 6 immane euspicio dicUmdi istud
in vöbis tropologicum genus ac figuratum. IX 7, 2 urbanitas in figuris.
Ennod. 26, 26 scema et pompa sermoniim. 888, 6 logueHae scemata.
1) Er wird gerichtet durch das Lob, das ihm der wahnwitzigste aller
Stilisten hat zuteil werden lassen: Alanus de Insulis (Byssel in Flandern,
saec. XII) in seinem 'Anticlaudianus' L IQ c. 8 (210, 618 Migne):
illic Sidonii trabecstus sermo refülgens
sidere muUijplici splendet gemmis^pie colorum
lucet et in dictis depictus pavo resultat,
SidoniuB selbst urteilt freilich anders über sich ep. YIII 16, 2 lectari non
tantum dictio exossis tenera delumbis quantum vett*scula torosa et quasi
mascula placet.
2) Er versichert gelegentlich, einfach schreiben su müssen: ep. I 16
rhetoricam in me dixisti esse verstUiam, cum diu sit quod (mUorium Schema
Sp&üai. Litteratnr: der neue Stil: Gallien. 639
lesen hat^ weifs, dafs die Prosa, ganz wie bei den afrikanischen
Schriftstellern^), oft bis zur völligen ünverständiichkeit verzerrt
ist, dab zwischen ihr und der Poesie an gehobenen Stellen jede
Schranke gefallen ist^, dafs die normale Stellung der Worte
ganz und gar degeneriert *), dafs verwegene Neologismen sich
mit hocharchaischen Worten paaren, dafs all die Spielereien, vor
allem der Elingklang des Homoioteleuton^) und der Wort-
affeetUB a me oraHonis dbsciderit et nequeam occupari verhorum floribus, quem
ad gemUus et preees evoeat clamor officii, cf. ep. IT 6 p. 46, 14 ff. III 24
p. 89, 15 f. IV 9 p. 105, 5 f. Das hat er nirgends gehalten, so wenig wie
das was er ep. n 18 schreibt: ut trtidit quaedam eloquenüae persona sfiblimis,
lex est in epistulie neglegentia et auctorem genii artifex se praehet incuria,
oder das, was er einem andern anbefiehlt (dict. 8 p. 463, 10): verhorum
htxuriem artis faJce trunetwe.
1) Mit der afrikanischen Latinit&t vergleicht die gallische C. Petersen,
Siadia latina provincialium (Helsingfors 1849) 45 und H. Eretschmann, De
latmitate Sidonii (Progr. Memel 1872) 8 f. Das Gefühl der Wahlverwandt-
schaft sog diese Schriftsteller, vor allem den Sidonius, zu Appuleius hin,
cf. A. Engelbrecht, Unters, über die Spr. d. Claud. Mamert. (Wien 1885) 16 f.
18 ff. K. Sittl in Bursians Jhber. LXVIII (1891) 236, 1.
2) Z. B. die Frühlingsbeschreibung bei Ennodius dict. 1 (p. 424 f. Har-
te!), die er selbst als florulenta bezeichnet: cum terrae suctis per venas aren-
tkun virguHorum eurrit in germina et ailvus sicci fomitis umore maritcUa
tmrgeKit, cum tu hkmdam lucem noveUi praesegminis comae explicantur arbo-
reae o. s. w.
8) Meist ist der rhythmische SatzschluTs daran schuld, z. B. Sidonius
I 6, 6 öbOer Oremonam praevectus adveni, cuius est ölim Tityro MantiMno
largum suspirata proonmitas, ib. 6 cum sese hinc salsum portis pelagus
impmgeret^ ib. 9 omnem pratinus sensi mernbris male fortibus explosum esse
languorem, VI 1, 6 qwmtum meas deprimat oneris impositi massa cer-
vieee; Eonodins ep. 11 9 p. 48, 24 dum secundis in altum loquelae vestrae
poriarenhir vda proventibus, op. 8 p. 381, 8 ipsas eminentissimas ut
puUmiwr in Boecuh vana inflatione personas \ si quis ventoso nimium
sMhterit devare praeeonio, ib. p. 882, 8 ut sattem cruda per ordinem
äigeram facta meritorum. Aber auch ohne diesen Zwang, z. B. Sidon. V
14, 1 seabris coMmatim ructata pumicibus aqua, Ennod. ep. I 7 p. 46,
SS mei rnadei hmge m fMmt^aX studii, u. viel dgl.
4) Bei Sidonius auf jeder Seite; z. B. ep. I 4, 1 macte esto, vir am-
pUetiwie, fatcibm partie äote meritorum; quorum ut titulis apkibusque potiare,
HO» maiemoi reditua man avitas Jargitiones non uxorias gemmas non patemas
pecmmoi mtmeramsti^ quia tibi e contrario apud principis domum inspecta
sincenlaf, $peetata aedulitas, admissa 8od€ditas laudi fuere, o terque quater-
gpte heatmm I«, de emus euHmine dat%*r amicis laetitia, lividis poena, posteris
gloHat Ulm praeterea vegetis et ailacribua exemplum, desidibus et pigris h
640 Von Eodrian bis zum Gscie d«r Kaiseneit. ^H
Witzeleien*) in erschreckendem umfang Verwendung finden, JU
dals die Sprache teils in bacchantischem Taumel dahinrast, wie
ein schlammiger Strom allea mit sich fortraffend, teils zu förm-
lichem Schellengeläute ausartet. Was nützt es, wenn wir aner-
kennen müssen, dafs einige dieser Autoren in der alten Litteratur
wohlbewandert sind: Sallust- und Cicero -Reminiscenzen steigern
auf solchem Grunde nur den Eindruck des Bizarren.*) —
tamentwui,' et tatiitn, si qui sunt, qui te qaocwngw ani'ino äevnce^ aemula-
btmtur, sibi forsitan, gi te conseqiiantvff, debtant, tibi dehehunt procul dubio,
quod Btqmtnhtr. Meist in ganz kleinen Satzgliedern, Kweifelloa auch diea
in NackahmoDg des Appuleius (speziell der Florida), z. B. I &, 10 studia
aikant negotia quiescant iudicia conticescant. 8, S muri eadunt oguoe elanl,
tmres /luwnC i\atws aedenl, aegri deambulant media iacent, aigent Guinea
domieilia amflagrant, sUiwnt vivi fwtant sepuüi, vigitmtt furea dormiutit po-
U^aies et«. II 1, 2 aperte invidet, abiecte fingtt, strviliter etq)erbit; indicit
«( domimts, exigit vt lyratmus, calummatur ut barbarwi toto die a metu
armatui, ab avariUa ieiunus, a cupiditate terribilis, a vanitcae crudetia. 2, 14
Ate tarn quam volupe auribug insonare cicadas meridie concrepanU», rama*
cr^usculo incumbente blalerantes, eygnos atgue anseres concubia nocte elan-
getUeg, intempesta gallos galUttuciog coticinefOes, osdnes corvos voce triplieata
pumceaui »urgetUig Aurorrte fiuxm consalutanits^ dtluculo aufetn Philtymelatn
inter frutices sibilantem, Prognen intcr asscra minurientein. So noch be-
Bondera IV 1, 2 und 4; 8, 3 und 5 und 0; V 11, 2; IX 9, 14. Daa ist offen-
bar die dictio caeguratim succincta, die er an einem Freunde rübrat IV 3, 3.
Den Sidonina ahmt auch hierin nach Ruriciua, z, B. ep. I 3 (p. 8S& Engelbr.)
per quam (pietalemj flectuntw^ rigida saxea moüiuntw, sedanMr tunüda
leniuntitr aspera, tumescunt lenia miletount saeva eaeviunt milia, aecenduntitr
plncida acmmlur bruta, dominantur barbara immania placantur (cf. 1 5
p. 8&e, II. 18; G p. 359, 4). — Bei Kunodioa findet aicb derartiges nicht,
was ioh mir daraus erkläre, dals damals dies StUomament schon so aua-
scblieralich Tür die Predigt charakteristisch geworden war, doTs dieser Ton
sich und anderu gefeiert« Schänachreiber ea iu seinen eotti-intuUitniee (so
nennt er seine und H,nderer Briefe öfters) aowie seinen panegyriachen und
sopliistiacben Beden mied. Dafür ist er der Bauptvertj-eter der pomphaft
dithyrambischen Scbreiborl, — Aus Gregor von Tours hat M. Bonnet in
MÜnem berühmten Buche p, 721 ff. viele Beispiele für Antithesen mit Komoio-
telent« xusammengestellt,
l) Cf. Sidonias IV 2&, 2 pritedae praedia ioTr:,\Ul 3, 3 tum iam fmU
«Mm frotUe, 11, 1 ubstrvcto anhtUttt gttltare dbstrieto, IX 7, 2 fiumen in verbia
m in dmumli», ib. 6 faewtdis feetmdare coUoqaiis und hundert« von
*HeiipieleR. Ennodius hat auch dies weniger, aber e, B. op. 6
it orondi l'agtidivm, dum perornndi tenebar cupiditate, nttnari.
'. Tours viel dgl. b«i ßonuet 1. c-
r<ue Uahnosg opus e»t ut sine digaimuiatione lectiU», sine
U 10, D) hat Sidonius ~ das inuls man ihm lassen —
Sp&Uat. Litteratnr: der neue Stil: Gallien. 641
Was den Stil der Predigt betrifiFb, so habe ich dem oben Predigt in
(S. 615 ff.) Ansgefährten nichts Neues hinzuzufügen. Als Typen
fdr Gallien können die Predigten des Faustus von Biez (Beii)
(t c. 500) und Caesarius von Arles (f 542) dienen, um so
mehr als die ersteren kürzlich von A. Engelbrecht neu heraus-
gegeben sind mit einer auch den Stil berücksichtigenden Ein-
leitung (Corp. Script. Eccl. Vind. XXI 1891), dem letzteren von
C. Arnold a. a. 0. 84 ff. 115 ff. eine vortreffliche Behandlung zu-
teil geworden ist. Auch in ihnen tritt neben andern rhetorischen
Mitteln der Satzparallelismus mit Homoioteleuton stark
hervor^), wenn auch, wenigstens bei Caesarius, nicht in dem
Umfang wie bei Augustin, so, um zwei beliebige Beispiele heraus-
zugreifen: Faustus serm. 13 in pcissione quae hodie recitata est,
fratres carissimif evidenter ostenditur iudex ferox, tortor cmenttAS,
martifr invidus. in cuius corpore poenis variis exarato iam tormenta
defecerant et adhue membra durdbant tot convida miraculis per-
sistebat inipietas, tot vexata suppliciis non cedebat infirmitas: cogno-
seakur ergo operata divinitas. quomodo enim corruptibüis pulvis
contra tarn immania tormenta duraret, nisi in eo Christus habitaret?
IL 8. w. Caesarius homil. 12 (vol. 67, 1071 Migne) nee Uli qui
boni mnt se debent quasi de suis meritis extoUere nee iUi qui negle-
treulich selbst befolgt; und zwar las er sowohl die alten Autoren (Sallust,
von Cicero wenigstens die Yerrinen) wie die modernen (aufser Appuleius
TOT allen Symmachos, cf. E. G^isler, De Apollinaris Sidonii studiis [Dies.
Bmlaa 1886] 78 fL\ ganz wie er von einem Freund berichtet (ep. YIII 11, 8)
legebat niee$ia»Uer auctores cum reverentia antiquas, sine invidia recentes;
Müich gehört fttr ihn auch Taeitns zu den alten, cf. ep. IV 22, 2 vetusto
§emmr€ manannäi iwre Cknneliwn (mtecenis, Ennodius, der ebenfalls grofses
Gawioht auf die Lektfire legt (fl^ucit sermo non cibsonus, lectionia tarnen opi-
hm ampHtmdm schreibt er seinem Neffen ep. VI 23), hat von Cicero ge-
leaea neher die Bücher De oratore und einige Beden (in Pis., pro Cluent.),
et WuMb ladax und die Testimonia p. 46. 290. 291, sowie den Anfang
der iSMo % p. 480 credo ego vos, frairea earissimi^ vener aH etc. nach Cic.
pco Bote. A. 1 tredo ego vos, iudicea, mirari, sowie ep. n 6 in. p. 46 quoua-
fNf fcmliiw KesM äbsUnmOiae? guousque fama ndbilis . . . veterescet? nach
mOiliLI 1.
1) C£ flbtr FamtoB die bei A. Engelbrecht 1. c. XXXIT angeführten
Wests Y0B B. Cabrol (Revue des qnestions historiques 1890 p. 238): aon
iÜl • • . itfSwte Ici pkipairt du iemps une forme antithäigue, , . . II recherche
te «MMMN0M «I Ici rime au däriment de VidSe qui devient Vesclave de la
642 Von Hadrian bis znm Ende der Eaiseneit.
gentes sunt de dei misericordia desperate; sed xUi cum humüüaJle
dei dana ct^stodiant et isti cum grandi compunctione cderius ad
poenitentiae vd correctionis medicamenta confugiant, guia qui btrnm
est, si superbire coeperit, cito huinili4itur, et qui superbus est, si se
humiliat, per dei misericordiam sublevatur. Die ganz im Stil von
Deklamationen gehaltenen Homilien des rhetorisch hochgebildeten
A vi tu 8 von Vienne machen von diesem Mittel, den Vorschriften
der Kunst gemaJDs, wohl nur an sehr pathetischen Stellen Ge-
brauch, z. B. in der Peroratio der 20. Homilie (p. 134 Peiper):
laetemur ergo exultatione concordi: effectu conditor, concursor ad-
sensu, populus lucro, telius öbsequio, fidelis ut permaneat, ne re-
manecU infidelis u. s. w.
O. Die übrigen Frovinien.
Qftiuiche Der Einfluls Galliens erstreckte sich bis nach Eonstantinopel,
vor allem auch nach Rom. Ausonius feiert (prof. Burd. 1) den
aus Burdigala gebürtigen Minervius, der in Rom lehrte^); von
einem andern Rhetor derselben Zeit bezeugt es Hieronymus
(z. J. Chr. 337) *), und kein Geringerer als Symmachus verdankt
seine rhetorische Ausbildung einem Gallier "), möglicherweise
dem genannten Minervius.^)
1) Cf. Teuffel-Schwabe, Gesch. d. röm. Litt.» § 417, 2.
2) Cf. Bemays in Gea. Abb. 11 88, 8.
8) Symm. ep. IX 88 fatendum tibi est amice: Gallicanae facundiae
haiMtus requiro; non quod his Septem monttbus eloquentia Lcttiaris exeessU;
sed quia prctecepta rhetoricae pectori tneo senex olim Odrumnae ahtmnus im-
mülsity est mihi cum scholis vestris per dactorem ituta cognaüo, quidquid in
me est, quod scio quam sit exiguum, caelo tuo deheo. riga nos ergo demto
ex Ulis Camenis, quae mihi lac honarum artium primwn dederunt.
4) Cf. 0. Seeck in seiner Ausgabe des Symm. praef. p. XUX. — Im
folgenden Jahrhundert gingen die Gallier Studien halber nach Rom: am
anschaulichsten der Studiengang des Partenius, des Neffen des Ennodias,
cf. den Ind. nom. der Hartelschen Ausgabe s. Partenius; ferner Ennodius
an einen Simplicianus (ep. VII 14): tibi, erudite puer, häbeo graüas, quod
quamvis dicendi splendore nituisses et in iUa urbe litterarum scienUa ad-
stipulante lauderis, mei quoque desideras adiumenta praeconii .... Constüit
concavatis (was heifst das?) Latiaris elocuUo, dum per alveum «um» Bo-
manae eloquentiae unda praektbitw. — Im sechsten Jahrh. hebt Cassiodor
(yar. YIII 12) es als bemerkenswert hervor, dafs der aus Lignrien gebürtige
Arator trotz seiner nicht römischen Abkunft ein zweiter Cicero geworden
Sp&tlat. Litteratur: der neue Stil in den Übrigen Provinzen. 643
Der Name dieses Symmaclius übte auf die Gebildeten sjm
des ganzen Erdkreises den gröfsten Zauber aus. Ein Briefchen
von ihm, auch des nichtigsten Inhalts, aber geleckt und gedrech-
selt in der Form, adelte den Empfanger; man hielt zuweilen den
Boten auf dem Wege auf und liefs die Bestellung nicht an den
Adressaten gelangen, worüber der gefeierte Mann mit befriedigter
Eitelkeit klagt. Der berühmteste transalpine Litterat Ausonius
war stolz darauf, sein Freund zu heifsen und tauschte mit ihm
Komplimente aus. An ihn wendete man sich von Mailand aus,
um den dortigen Stuhl der Rhetorik zu besetzen: eine Ironie
des Schicksals wollte es, dafs er den Augustin empfahl, den er
dadurch dem Ambrosius und dem Christentum zuführte, er, einer
der letzten und mächtigsten Pfeiler des dem Einsturz verfallenen
Pantheon. In den Mauern der Stadt, die noch immer das Cen-
tram der Welt war und als solches allen erschien, hafteten die
Augen des Mannes auf den alten Tempeln und Altären; die Ge-
danken des hochgestellten Beamten galten freudelos der Gegen-
wart, die des Menschen versenkten sich mit liebevollem Ent-
zücken in die Litteratur der herrlichen, durch ihre bitteren
Schicksale nur noch verklärten Vergangenheit. Er suchte sich
auch in seinem Stil von den Excessen der Modernen freizuhalten,
aber Wollen und 'Können deckten sich nicht: ep. III 11 sumpsi
pariter liUeras tuas Nestorea, ut ita dixerim, manu scriptas, quarum
sequi gravitatem laboro, trahit enim nos usus temporis in
plausibilis sermonis argutias. quare aequus admitte linguam
saeeuli nostri et deesse huic episiulae Atticam sanitatem boni
amsuJe. quodsi novitatis impatiens es, sume de foro arbitros, mihi
an abi stüi venia poscenda sit. crede, cahulos plures merd>or, noti
er aequo ae bano, sed quia plures vitiis communibus favent itaqucy
ut ipse namnumquam praedicas, spectator tibi veteris monetae^)
arins supersum; ceteros delenimenta aurium capiunt stet igitur
mkr nos ista pactio, ul me quidem iuvet vetustatis exemplar de
OMtogirapho tuo sumere, te autem nan paeniteat scriptorum meorum
fam novitatem, was er natürlich nicht gar so ernst meint. Er
Yerlengnet in seinem Stil nicht den Einflufs seiner durch einen
— BhetoxiBche Vorträge in Rom: Sidon. ep. IX 14, 2 dignus omnino,
pkmmbüis Borna foveret ulnis guoque recitante crepitantis Athenaei suh-
mUta ommkL guakren^ur, cf. carm. 8, 9 f. 9, 299 ff. Vgl. aach oben S. 634 f.
1) Cf. oben S. 864 f.
SotA«b, •bUIeo KnnttproM. n. 42
machas.
644
Ton HadriaB bis t
1 Ende der Kaiaeneit.
galliaclien Rhetor erhaltenen Äasbildung (S. C43).
teile der Zeitgenoeaen und der Späteren^) sind bezeichnend
Ansonius I 32 (der BriefaammluDg dea Syinmachus): suavissmus
nie floridus tui sermonis efflabis. haud quisquam ita nitet,
ui comparatus tibi non sordeat. ÄmbroaiuB ad Yalentiuianam
ioD. (= adv. Symm. 2): aurea est Ungua saptentium litieratorum,
quae phaleratis doUzta scrmonibus et quodam splendenÜs
eloquii velut coloris pretiosi corusco testtltans capit aninto-
rum oculos specie formosi visuque perstringif. Prudentius adv. Symm.
II praef. Qu.6 nunc nemo diserlior Exxütat frcmit intonat Ventisque
eloquii turnet. Macrobins sat. V 1, 5 fF. oratortim non Simplex
ncc una natura est, sed hie fluit et redundat, contra ille hrevitcr et
äreumcise dicere adfeetat, temiis quidam et siccus et sobrius amat
quandam dicendi fnigalitatem, alius pingui et luculcnta et
florida oratione lascivit copiosuvi (genus dicendi est)
in qvo Cicero äominatur, breve in quo SallusHus regnat, sicctim guod
Frontoni adscr3>itar, pingue et floridum in quo PUnius 8e-
cundus quondam et nunc nvllo veterum minor noster Sym-
machus luxuriatur. Sidonius ep. I 1 Symmachi rotundilatem.
Wir können die Berechtigung dieser Urteile an seinen Briefen,
sowohl den spielerischen an Privatleute als den offiziellen an
die Kaiser gerichteten, und an seinen Reden prüfen: überall c
selbe Zierlichkeit (besonders Antithesen mit dem üblichen Zifl
rat^)), die in den panegyrischen Beden mit starkem Pathos i
1) Ich entnehme nie der Znaammenstelliutg von A. Uai in Beiaer «
Ausgabe der Beden (Mailand ISIS) praef. p. 1 f. Cf. aucb die gute i
meine Beurteilung von Chr. O. Heyne, Ceneura ingenii et morum Q, Aoi
Symiaaclii (Qött. 1801 = opusc. VI 1 ff,).
t) Ana den Reden cf. z. B. in ValontiniaDum laud. I 6 (p. 830 S«M
futfit aliquia in pace iuwtuJtis, sed ttian rebus Irepiäia parum felüe;
timuerint factiosi, eeil despeetui haliuere concordti; hunc tfiolavdum i
cmdidit, »011 fanwti eiiam sublittuutdttni aliquii aegiimavü; ilti Aonomn r
t eicercittie, seil idem lattiit ittUc privatw: te ununi tiTMnt rebella, i
tdieantes, ijaem mmo audax in fwore amUmpsü, nemo conrnKui i
raettriil. quid inttreat, saetnat mika an sajpiat? tibi i'ra ett, tu »
<Mft{ilKii f«, tu Bohia tligerig. ib. § lO (ib.) mniore i
-'UtnmtH, qttam adeptu» es probatns imperiunt-
1 jftrma renovarH, ptr easdtm catli lineas labe
I aut in rtnataendo variai mutaret effigüs <tii( i
attatm. % 9 (p. SSO) itejue tnim tanlum ilh'^
militant- in Valentiaian. Innd. 11 @ fl (p. 326)
Sp&tlat. Litteratur: der neue Stil in den übrigen Provinzen. 645
mischt wird^ wohl kadenzierte Sätze mit strenger Beobachtung
des rhythmischen Kursus am Schlufs, jedes Wort überdacht^ wie
wir besonders erkennen aus jenen bessernden (d. h. stets die Zier-
lichkeit steigernden) Bemerkungen , die er an den Rand einer
neuen Ausgabe der Reden nachtrug und die wir nun mit der
ersten Fassung vereinigt im Text lesen. ^) Wir würden, auch
ohne dafs es uns ein Zeitgenosse sagte (Macrob. 1. c), fühlen,
dafs der jüngere Plinius sein stilistisches Ideal ist, dessen Manier
er gelegentlich durch ein paar Archaismen nach Frontos Muster
aufputzt. Aber man kann nicht sagen, dafs er je geradezu ge-
schmacklos geworden wäre wie Appuleius oder Sidonius, der
sich auch einbildet, den Plinius zu imitieren. Er hält eine ge-
wisse Mitte glücklich ein, so dafs von ihm selbst gilt, was er
von einem (nicht weiter bekannten) Redner Antonius schreibt
ep. I 89: praeter loquendi phaleras guibus te tuxtura ditavü,
sentte quiddam planeque conveniens auribus patrum gravi-
täte sensuunif verborum proprietate sanuisH. denique etiam
hi, guarum Minerva rancidior est, non neganty facundiam tuam
euriae magis quam caveae convenire; at iUi, gpios cothumus aUior
wkit et structurarum pigmenta delectant, neque tristem soHdi-
totem neque lascivum leparem consona laude celebrarunt Mec sunt
enim condimenta tui oris et pectoris, quod nee gravitate horres
nee venustate luxurias, sed ratione fixus ac stabilis germanos
cölares rebus öbducis. Ja, einmal hat er es verstanden, aufs tiefste
kiMlexmuB te ideo praemisisse nonnuUoa ne esset tarda vidoria, ideo pleros-
que iemnese ne esset muUitudo suspecta (solcher Chiasmus in den Beden
nur hier, offenbar dem rhythmischen SchluTs zuliebe), in Gratian. laud. 4
(p. 380) spe eleetus es, re probatus. pro Flavio Severo 1 (p. 886) vos tarnen
flifSwnMs nm diffidentia istud fieri sed revereniia. pro Sjnesio § 3 (p. 337)
«OH iieo Sifnesius in eenahim legendus est, quia mihi amicitia iwngitUTy sed
Mm amkm est nuM, quia dignus est qui legatur. ib. § 4 (ib.) siguidem
dt§miia§ kmaia feUeiMis est, delata virtutum. Aus den Briefen: I 8 p. 6,
«OL I t5 p. 14| 27. m 8 p. 70, 27. IQ 46 p. 85, 29. IV 56 p. 117, 15. V 86
pu 140, tl eto. (also nicht eben h&ufig). Wortspiele nicht oft» z. B. laud. in
YriliiHii n 1 16 (p. 826) servitus miaeras, quod amiserat^ extruehat ep. 1, 10
haee opera intermitHt, amiUit.
1) Kiie irichtige Entdeckung Seecks, praef. p. X ff. (Ob das Verhältnis
mlUlai Yernimen bei Dio Chrys. or. 11, 22 f. [I p. 120 f. Arnim] analog
vtaOen ist?) Ein Vergleich der älteren und jüngeren Fassung ist
L IfllBveioli, um den stilistischen Qeschmack dieser Spätzeit zu er-
42*
646 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
zu ergreifen: in jener berühmten^ im J. 384 an Theodosius ge-
richteten Relation (= ep. X 3) über den Altar der Victoria
und den Kult der Vesta: das Todesseufzen, das die Worte der
in Trauergewand auftretenden und selbst redenden Roma^) durch-
zittert, tönt mit ungeheuer packender Gewalt noch zu uns herüber:
ein Dokument von ganz einziger Bedeutung, in dem die Rhe-
torik des Herzens mit einer seit Demosthenes und Cicero bei-
spiellosen Reinheit zum Ausdruck kommt, weitaus das Grofs-
artigste, was nach Tacitus von einem Anhänger der alten Religion
in lateinischer Sprache geschrieben ist, und hinter dem Ambrosius
weit zurückblieb, mochte seine Gegenschrift auch der yictrix
causa gelten: das ergreifende Bild von der trauernden Roma ist
bis auf Dante, Petrarca und Cola nicht vergessen worden.^) —
Ammianns Mit Sjmmachus befreundet war, wie es scheint^), Ammia-
linuB. nus Marcellinus, dem mit Recht ein ehrenvoller Platz in der
spätlateinischen Litteraturgeschichte eingeräumt wird. Es ist,
wie bemerkt (o. S. 573), für die andauernde geistige Superiori-
tät des Ostens über den Westen äufserst bezeichnend, dals die
beiden einzigen Schriftsteller, die sich in dieser späten Zeit noch
zu wirklich bedeutenden Gesamtkompositionen in lateinischer
Sprache aufschwingen konnten, geborene Griechen waren, neben
Ammian der Dichter Claudian, Wer auch nur, wie ich selbst,
ein paar Bücher Ammians gelesen hat, ist von der Frische
der Darstellung, von der Kunst des Charakterisierens, in der
auch Claudian Grofses leistet, von der derben Natürlichkeit
und Originalität des im Wafifenhandwerk erprobten Schrift-
stellers, von der starken Subjektivität in Hafs (Constantius) und
Liebe (lulian) aufs angenehmste berührt. Selbstverständlich darf
man ihn nicht an Sallust und Tacitus messen, die er neben
Florus (cf. XI Y 6, 3) besonders studiert hat (gegen Sallusts
Historien XYII 11, 4, nach Tacitus' Tiberius und Gtermanicus
1) Cf. übrigens auct. ad Her. IV 58, 66. [Dio Chrys.] de fort. er. 2 § 16
(II 162, 10 V. Arnim).
2) Eine gerechte Würdigung des Inhalts dieser welthistorischen Ur-
kunde mit der Gegenschrift des Ambrosius bei G. Boissier, La fin du pa-
ganisme II (Paris 1891) 817 ff. — Wieviel bedeutender Syimnachiii war
als sein Zeitgenosse libanins, erkennt man dentlieh, wenn man die adhwich-
liehe Bede des 1«***^ ^ ** lÜm die Daldnifg des heidnisohen
SfAtlat. Litteratur: der neae Stil in den übrigen Provinzen. 647
die brillante Schildenmg des Constantius und lulian), sondern
mulii ihn mit den armseligen Geschichtskompilatoren seiner eignen
Zeit yergleichen. Dafs er historischen Blick hatte , zeigt die
Aosf&hrlichkeit in der Behandlung der Germanen- und Perser-
kriege, sowie seine bei aller Schwärmerei fär lulian verständige
Auffassung des Christentums ^ von dem er allerdings nur ganz
gelegentlich spricht: letzterer Umstand mag uns, die wir wissen,
daÜB das Christentum gerade in jener Zeit der entscheidende
Faktor der inneren Weltverhältnisse war, wunderlich erscheinen,
aber wir müssen bedenken, dafs eine Darstellung der allgemeinen,
die Welt bewegenden Ideen von der antiken Geschichtsschreibung
überhaupt nie erreicht, ja nicht einmal angestrebt worden ist.
Natürlich fehlt es bei allen Vorzügen nicht an Sonderbarkeiten,
die ihn als Eind seiner Zeit zeigen: besonders durch seine Ex-
kurse, die er nach althergebrachter Manier einlegt, bringt er
den modernen Leser zur Verzweiflung, denn er zieht sie an den
Haaren heran und sie sind mit wenigen Ausnahmen (so den
geographisch-ethnographischen) unsäglich banal und in ihrer ge-
spreizten Schaustellung von allerlei gelehrtem oder dilettanten-
haftem Baritätenkram widerlich: die Kluft, die den Graeculus
und den Spätling von Tacitus scheidet^ tritt in ihnen besonders
stark hervor; aber wir können uns darauf verlassen, dafs gerade
diese Exkurse auf seine Zuhörer, denen er das Werk etappen-
weise vorlas, einen besondem Eindruck machten und sie zwischen
all den fränkischen, alamannischen und sarazenischen 6v6nata
ßafßccQ^xd angenehm berührten. Der Stil im ganzen betrachtet
ist der Mode gemäfs hochpathetisch: die Rhetorik drängt sich
bei ihm in einer für uns ebenso verletzenden Weise vor wie bei
Yelleius, Florus und Eonsorten; Libanios (ep. 983) nennt seine
Vorlesungen imdst^sig, von seiner Schilderung der Thaten Julians
sagt er selbst (XVI 1, 3): ad laudativam paene materiam pertinebit
(also wie bei Eunapios), und er hat notorisch als Quellen auch
Panegyriken benutzt; daher merkt man allenthalben die Ein-
flüsse der Deklamatorenschule, so in der Schilderung der Foltern
(XIV 9, 6, s. o. S. 286) oder der Wechselfälle der Fortuna (XIV
11, 26 £y s. 0. S. 276) und in der grolsen indignatio über den Ver-
fiA der Bitten und der Beredsamkeit (XXX 4, s. o. S. 245 f. 309).
Wnlfii ist die Stilisierung fast durchweg von einem ganz
dieii Sehwulst; ungeheuerliche Metaphern jagen sieb
048 Von Ilailriun bis zum Kndc ilcr Eaiserzeit.
förmlicli; XIV 5^ 1 Constantitis insolentiae pondera gravius
libratis Gcrontium exulari maerore multavit 6, 3 tefnpare
(jHO primis auspiciis in mundamim fulgorem surgeret victura
dum crtmt Iwinines Borna XY 7, 1 dum hos ex^itwrum commu-
nium dades suscitat turbo feralis XYI 12, 57 spuinans cruore
harbarico decolor alvcus instieta stupebat augmenta (cf. XVII 4, 14)
XVIII 4, 1 oricntis fortuna periculorum tcrribües tubas inflabat
(cf. XV 2, 1, XVI 8, 11, XVIII 4, 1) 5, 4 PalaHna coliors palt-
nodiam in cxitium concinens nostrum, ebenso Bilder, wie XIV 1,
10 Caesar aoius efferatus velut contumadae quoddam vexillxim
altius crigens 9, 7 ferociens Gallus ut leo cadaveribus pastus (Bil-
der aus dem Tierleben liebt er sehr, cf. 4, 1, XV 3, 3, XVIII
4, 4). Der Stil als Ganzes gehört also zu der Richtung, die
wir als die 'moderne' bezeichnet haben. ^) Aber der Stil im
einzelnen steht fast isoliert da. Es giebt auiser TertuUian
keinen lateinischen Schriftsteller, der in dieser Weise gräcisierte.
Und zwar ist dieses Gräcisieren kein beabsichtigtes, sondern
die natürliche Folge der Unfähigkeit des Schriftstellers^ sich in
korrektem Latein auszudrücken: er denkt griechisch. Vieles
läCst sich nur fühlen, vieles aber auch beweisen (was es bbher
darüber giebt, ist ganz ungenügend), z. B. XIV 10, 16 mox dicta
finierat, multitudo onmis ad quae imperator voluit, consensit, svdifg
rov Xiyov xsQUivoiiivov nav xo nk^^oq alg a 6 avrojcparop ißov-
JUro övyxati^stOj XIV 4, 4 exaggerare incidentia, xa tfvfure-
6&tfxaj XMI 12, 6 urendo rapiendoque occurrentia mäUaris tufio
castabai, xä xvxövxa, XVIII 1, 1 muUa conducentia dispotuibatj
xa tvfupiQwnttj 3, 6 multa garritbat et saeta xoUi ual iava;
in dem Satz XY 5, 6 f. Mailobaude spondenk guod remeahU . . . .,
haec quae ipse pdUiciius est impleturum. testaifahtr emim id st
proad dubio sdre guody siqui mitteretur extermmSj smcpte üngenio
SUoamus owipasvfai forte tnrbabit ist im Modos dreimml gegoi
den Geist der lateinischen Sprache gesündigt» wahrend er im
Cfacieeliiaehen korrekt wäre; am meisten fiel mir anf da fiber
Ige Gebrauch Ton Partisipialkonstroktionaiy die im Lateini-
abor sehr bemeikeniwerti daCi er Uokels sad BsbohMriU
ab sncU, entweder weil er ^boa Aer ^axb mun
ft^ (a o. a 40t £), oder wol ät ük n ^vlksttaüicb
ftosal wann: klikiu Mt walmakaaliebcc da
iiidit, aaSLesa|4.
SpftUai. Litieratur: der neue Stil in den übrigen Provinzen. 649
sehen ebenso unbeliebt wie im Griechischen beliebt sind, z. B.
XIY 2j 13 tibi conduntwr nunc usque cotnmeatus distribui müüibus
amne latus Isauriae defendentibus adsueti, 6, 7 laeditur hie
coetuum magnificus splendor lemtate paucorum inconditUy ubi naii
sunt nan reputantium, ib. 8 quidam aetemitati se cammendari
passe per statuas aestimantes eas ardenter adfectant, ivioi t^
ai&vi övöti^ösiv iavtovg di &v8(fi,dvx(ov oUfLBVoi deiv&g avt(yvg
XBQucoiovvxai (aber lateinisch hätte es heüsen müssen: quidam
slatuas quüms aetemitati se eommendari posse aestimant ardenter
adfectant), XYIII 2, 15 post saepimenta inflammata et obtrun-
catam haminum multitudinem visosque cadentes multos, cf. XIV
5, 4. 6, 10. XV 6, 2 L f . 7, 9 L f.; daher hat er nicht selten
mÜBgestaltete Perioden, z. B. XTV 7, 7 Serenianus, pulsatae maie-
statis imperii reus iure postulatus ac lege, incertum qua potuit
suffragatiane absdvi, aperte canvictus familiärem suum cum pileo,
quo Caput operUbat^ incantato vetitis artibus ad templum misisse
faüdieumf XV 2, 10 Gorgonius otmspiratione spadonum iustitia
eoncimuMs mendaeiis obumbrata perictilo ecclutus abscessit. Auch
das Cref&hl f&r die Proprietät der lateinischen Wortstellung geht
ihm ab, wodurch seine Lektüre uns sehr erschwert wird; er
ändert nicht nur die übliche Wortfolge wegen des rhythmischen
Satzsehlusaes (^ 3 j. ^ 3 oder z 3 . ^ . ^ oder z ^ ^ z, s. Anh. 11)^
z. B. XIY 2f 17 quarum tutela securitas poterai in solido locari
cunelarwn, 7, 21 quam neoessario aliud reieci ad lempus, h, 'A
vestigia daritmimis pristmae numstrat admodum pauca, 10, 5
Salus est m tnäo loeata praefectij 10, 14 qw>s fama per pla-
garum guogue aeeolas eztimarum diffundit, XV 7, 3 Marcus
eomUdit imperator, 7, 5 suppiieio est eapitali addictus, XVII
2^ 1 exfkri se posse praedarum opimitati sunt arbitrati, 4, 1
abdisem Htmm m cireo erectus est mazimo, 4, 12 aller in
eau^po loealus est Martio^ 4, 14 circo inlatu» est mazimo,
XVm 1, 2 erat mdeämabSUs iust/jrum iniusU/rumque diaiinctor,
XVI % ^^tmggerato Uaque negotio ad arfnirium tempr^um cum
amM jmC isswsesda multorum meettireimr \ iudieesqwt haerereni
mmhiguig I imsiem veritas respirofH opprehna e/ in af/rui/to
■fier Bufinum taHus marMwu c^mfM^r auctorem, \
fimJititi' smpf^etta ^), wandern auch ohne iiftt'Asn Onrifi,
m ötfc «rlaobt, das htrxhi:,^ zzLit^j^ «ib mA/tm
650 Von Hadrian bis zum Ende der Kaiserzeit
wie XV 5; 25 ut ad imperatoris novelli per ludibriosa auspicia
virium accessu firmandi sensum ac voluntatem dux fMnlis ver-
teretur, 6, 1 ne reos atrocium criminum promiscue citari faceret
multoSf XVII 1, 1 praedam Mediomatricos servandam ad re-
ditum usque suum duci praecipit — Eine genaue stilistische
Würdigung des Ammian, die ebenso wie eine gute Ausgabe ein
dringendes Bedürfnis ist^ wird das alles im einzelnen darzulegen
haben. Ich führe zum Schlufs noch eine treffende Charakteristik
des ammianischen Stils von y. Gutschmid an (El. Sehr. V 583 f.):
^yAmmian schreibt ein blumiges und barbarisches Latein; sein
gesuchter, outrierter Stil steht unter dem Einflüsse der
asianischen Rhetorik, die in seiner Zeit den Geschmack be-
herrschte. . . Als Grieche und Soldat schreibt er unsicher. Aber
die Diktion ist trotz des Schwulstes nicht ohne Kraft. . • Die
Perioden sind gedunsen imd leiden an Wortüberfülle. Poetische
Worte sind sehr zahlreich, nicht minder obsolete Worte ^), Me-
taphern und Neuerungen im Gebrauch der Worte. Er vermeidet
griechische Worte, die er immer nur mit einer entschuldigenden
Formel anbringt; um so häufiger sind Graecismen aller Art. . .
Am übelsten sind die schlechten Constructionen und die barocken
Wortstellungen, die erst bei einiger Überlegung den Sinn des
Schriftstellers ergeben." —
merony. Ilierouymus, weitaus der gelehrteste aller christlichen
lateinischen Schriftsteller, der zu den heidnischen Autoren ein
so intimes Verhältnis hatte wie kein anderer, tadelt zwar oft
genug den Schwulst und die Ziererei in der Diktion seiner Zeit-
genossen'), aber wie er inhaltlich ganz als Rhetor schreibt^ nn-
mäfsig im Lob wie im Tadel je nachdem es ihm gerade palst,
sophistisch in der Argumentation'), so hat er sich auch formell
nicht überall von den Auswüchsen des pathetischen StUs frei-
Tempus zu setzen: 8% Numa PömpUiiAS vd SocraUs bona guaedam
de spadane, a veriUUe descivisse arguebaniur.
1) Z. B. XIV 1, 9 non nisi luce palam egrediens ad agenda quae
putabiU aeria cemdHxhiNr. et haec qmdem medulUius müUia gewtenübui
ogebanitHr.
2) CL oben 8. M6. Ferner ep. 40, 2 (I 187) numqmd aohta Onoiui
«Mphii 4 JM wHkhun vetieamm tummHa buecis trutmatur m-
^hqmUiam nor« mUmamio,
n. worden, of. i. B. Job. Glericos, Qoae-
Sp&Uat Litteratur: der neue Stil in den übrigen Provinzen. 651
gehalten^); z. B. setzt er den ganzen Apparat der sophistischen
Deklamationskünste in Bewegung bei der Schilderung der Fol-
tern einer Christin und ihrer wunderbaren Rettung (ep. 1)^ und
es finden sich bei ihm genug Stellen wie die folgende (ep. 14^ 10,
I p. 36 Vall.): sed quoniam e scopulosis locis enavigavit oratio d
inter cavas sputneis fltictibus cautes fragilis in dUum cymha pro-
cessU, expandenda vela sunt ventis et quaestionum sccpulis Irans-
vadatis laetantium more nauiarum epilogi cdeuma cantandum est.
0 desertum Christi fhribus vemans^ o solitudo in qua Uli nascuntur
lapides de quibus in apocälffpsi civitas magni regis extruitur, o ere-
mus famüiarius deo gaudens. quid agis frater in saecülo, qui inaior
es mundo? u. s. w. Von Asella^ der Schwester seiner gelehrten
Freundin Marcella schreibt er (ep. 24, 5, I 130 Yall.) nMl illius
severitate iucundius nihil iuctinditate severius, nihä stiavitate tristius
nikU tristitia suavius. ita pallor in fade est, ut cum continentiam
indicet non redoleat ostentationem. sermo silens et silentium loquens,
negleda mundities et in culta veste cuttus ipse sine cuUu, Unter
seinen Briefen ist der 117te eine grimmige Invektive gegen eine
Jungfrau in Gallien, die sich mit ihrer Mutter entzweit hat. Er
schildert ihr Treiben mit so lebhaften Farben, als ob er selbst
dabei gewesen wäre, und läfst sie selbst den Einwurf machen
(c. 8) : unde me nosti et 'quomodo tarn longe positus iactas in me
oculas tuos? Schliefslich (c. 12) hält er es selbst für nötig zu
sagen: haec ad brevem lucubratiunculam celeri sermone dictavi ....
quasi ad scholasticam materiam me exercens . . . simulque
ut ostenderem dbtredaioribus meis, quod et ego possim qttidquid
venerit in buccam dicere. Daher machte ihm sein Gegner Vigi-
lantius den Vorwurf, den er selbst berichtet contra Vigil. c. 3
(vol. II 389 Vall): scd iam tetnpus est, ut ipsius verba ponentes
ad singüla respandere nitamur, fieri enim potest, ut rtwsum ma-
Ugnus interpres dicat fictam a me materiam, cui rhetorica
deelamatione respondeam, sicut ülam, quam scripsi ad Oallias,
wudris et fiUae inter se discordantium. —
Von Ambrosius als Stilisten gilt das Gleiche, wie sehr er Ambrodm
1) Er entschuldigt sich einmal eingehend, dafs er ein Werk nicht ge-
nflgond stilistiBch habe feilen können: comm. in Zachariam 1. III praef.
(toL 71 S p. 880 f. YalL), und ärgert sich über einen Mönch, der seine
Sfcpaitaehrift gegen lorinian wegen ihres Stils getadelt hatte: ep. 50, 2 f.
a Ul f.).
652 ^OB Hatlrian bis zum Ende der Katserzett.
auch als MeuBch den Hieronymus überragt. Was ist aucli
greiflicher, als daXa der gewaltige Prediger, der den jungen
Auguetm durch die Schönheit seiner Diktion bezauberte (Aug.
conf. V 13, oben S. 5), sich wenigateoB ia den Predigten') des
modernen Stils bedieute, der auf die Herzen und den Sinn der
Zuhörer den gröfsten Eindruck machen mufste? Am stärksten
tritt dies Bestreben hervor in den Predigten, die er in Nach-
ahmung des BasileioB über die Schöpfungsgeschichte hielt, z.
um eine beliebige Stelle herauszugreifen, Hexaem, III 15,
(14, 183 Migne): inexplicahile est singulamm rerum exquirere
proprietatcs et vel diversilates earum mattifesla teslificatione du
guere vel latentes oceultasqite causas indeficientibus aperire
mentis. una nempe atgue eadem est aqua et in diversa3 plenimque
sese mvtat speäes: aut inter arenas flava aut intcr catttes spumea
aut inter netnora viridantior aut inier florvlcnta discolor aut inier
lüia fidgentior aut inter rosas nitilantior, aut in gramine ligjiidior
aut in palude turbidior aut in fönte perspicacior aut in mari 6b-
scttrior, assumpto locorutn quOtus infinit colore, decurril. r^orem
qtwgue pari rakone commutat, ut inter vaporantia fcrveat, inter
umbrosa frigescat, sole repercussa exftestuet, nivOnis irrigata glaäali
humore canescat u. s. w. Eine ähnliche Periode aus dem Anfang
des zweiten Bucha De virginitate analysiert Äugustin de doctr.
Christ. IV 48 als ein Muster des grande dicondi genus.^) —
Die absolute Geschmacklosigkeit drang aber, wie in (üallien,
auch in den andern Provinzen erat seit der Mitte des V. Jahr-
De ofs'o^^H
eleaen, <>4^^^|
1) Sachlicher und einfacher scliteibt er, soweit ich mich
der auf Ciceroa Büchern Ton den Pflichten aufgebauten Schrift De
imnistroram, cf. R. Thamin, 8. Ämbroise et 1a morale ebr^tienne
Piris 1B9G. Von den äbrigen Schriften habe ich zu wenig gelesen,
darüber nrtcilen zu kennen.
2) Der Ciceroniftner in Eraarntta' dialogua Ciceronianus (p. 1008 B der
Äuignbe Ton ITOÜ vol. 1} lu-teilt aber Ambrosius: gaudet argntia alttmonibw,
[ aeclamMionibus, «ec praeter scntenliae quicguam lo^itur: membrii meitis
•••tatibua mioia-osus ik modulatus eumn quoddam dictnHi genm habet atiiis
le, $td a TuHiano gcnere diiKr»i»simvm. Fänälon, Dialogues aar
ip^s ITIS) !34 Saint Ambroise sut't qntlquefeiis la mode de
tmne ö ton dinwtr« Uf omeme^u qit'on tttimoU
ftattda homme» gut avoitia des nl£s p^hs havtcs gw I
VBIogttmce, se conformoienl au goül du (eiw, pour fi
parok de J)icu, rt pour insinaer Its rtriltt de t
SpäUat. Liiteratur: der neae Stil in den übrigen Provinzen. 653
hunderte ein. Wer einiges aus den Gesetzessammlungen jener
Zeit^ aus Cassiodors Variae, aus Venantius Fortuuatus' Prosa-
schriften gelesen hat, weifs^ dafs der Stil bis zur völligen üu-
yerständlichkeit verzerrt wurde. In den Kanzleien der Kaiser
bildete sich das aus, was wir unter ^Kanzleistil' verstehen: schon
in den Briefen Konstantins des Grofsen liegt er fast ausgebildet
Yor^): Gespreiztheit und Schwulst sind seine Charakteristika^),
aber darin unterscheidet er sich von der uns geläufigen Vor-
stellung, dalB er nicht affektiert archaisierend, sondern hoch-
modern ist, indem er ohne Rücksicht auf die castitas der alten
Sprache sich mit all den bekannten Mittelchen raffinierter Rhe-
torik aufflittert, z. B. empfiehlt Gassiodor (im J. 511) im Namen
Theoderichs den Gallier Felix dem Senat mit folgenden Worten
(var. II 3): litter arum stxtdüs dedicatus perpetuam doctissimis disci-
plinis mandpavit aetaieni. non primisy nt aiunt, Idbris eloquentiam
consecuius toto se Aonü fönte satiaviL vehenietis disputator in libri^,
amoenas declamatar in fäbulis, verhorum novellus sator acqui-
peraverat prorsus meritis qtios lectitarat auctores. Was man da-
mals fdr guten Stil ansah, erkennen wir aus Venantius, wenn
er lobt pompasae facimdiae flonüenta germina (praef. p. 1, 15 Leo)
oder erepitantia verhorum tonitrua (c. III 4, 1 p. 52, 6), und be-
sonders aus folgenden Worten (c. V 1, 6 p. 102, 19): quid loqtiar
de perihodis q^ichirematibus enthymemis syllogismisque perplexis?
quo laborat quadrus Maro, quo rotufidus Cicero, quod apud illos
estprofundum, hie profluum, qtiod iUic difficillimum, hie in promptu:
comperi paucis pundis quoniam quo volueris colae pampinosae dif-
fundis propagineSj quod vero libuerü aeuti commatis falce succidiß,
iä cauii vinitoris studio moderante nee in hoc luxurians germinet um-
bra fastidium et illuc tensa placeat propago cum fructu. Ihm selbst
gehen lange Perioden meist jammervoll in die Brüche (z. B. c. V
6, 1 p. 112, 1 ff.), während ihm besser gelingen Wortklingeleien
wie (praafl 1 p. 1, 1 ff.) acuminum siwrum luculenta veteris aetatis
vngeim qui natura fervidi, curatura fülgidiy usu tritt, auso seciiri,
cre freHf mare festivi^ praeclaris operüms cehArati posteris stupore
1) Z. B. in denen, die er in Sachen der Donatisten schreiben licfs
(Goip. BCiipi. eccl. Vindob. XXVI 204. 210), oder in dem an Porfyrius Opta-
tiaiuu gerichteten (p. 4 Müller).
8) Cf. Sidon. Apoll, ep. VIII 3, 8 declamationes qtms oris regit vice
eomfieiB.
654 Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
laudanda rdiquere vestigia, certe iüi invenHone pravidi, partitione
seriiy distnbtUione librati, epilogiarum calce iticundi, colae fönte pro-
flui, comtnate stuxnso venusti, iropis paradigmis perihodis qnchire-
matibus coronaH pariter et cothumaü taie sui canentes dederutd
specitnen, ut adhtui nostro tempore quasi sibi postumi vivere credan-
tur etsi non came vel carmine. —
Für die Predigten jener Zeit gilt das Gleiche , was oben
über die des Augustin gesagt ist: unter den angewandten Bede-
figaren dominiert das Isokolon mit Homoioteleuton , vor allem
in den Predigten Gregors des Grofsen (f 604), worüber die
Mauriner in ihrer Ausgabe (1705) vol. III 2 pg. II bemerken:
Crregorius fere semper graditur periodis himenibrtbus et qtuisi W-
pedibus similiter cadentibus und Erasmus 1. c. (S. 652, 2): Isocrati-
cae striActurae quasi servit oratio, sie enim puer in, scholis asstieverai.
SohluTsresultat.
Schlafs. Blicken wir zum Schlufs dieses Buches kurz zurück auf den
langen Weg, den wir bisher durchmessen haben. Eine Ent-
wicklungsreihe von tausend Jahren liegt hinter uns: in ihnen
ist von dem feinstorganisierten aller Völker ein Tempel der
Schönheit aufgebaut worden, die, zeitlich und örtUch unbegrenzt,
ihren Siegeslauf genommen hat und eine Erzieherin der Nationen
geworden ist. Denn da für dieses Volk der Begri£F der Schön-
heit mit dem edler, stolzer Menschlichkeit zusammenfiel, haben
die Wunderwerke, die es geschafien, seinen eignen Untergang
überdauert: ihre Ideen waren imendlich dehnbar, ihre Formen
auf heterogene Verhältnisse übertragbar. Was in ein paar Jahr-
hunderten das kleine Hellenenvolk geschafien hatte, wurde ewig
vorbildlich für den Orbis terrarum. Wir haben diese litterar-
historische Maxime — die gröfste, die es überhaupt für die
Völker unseres Eulturkreises giebt — in den vorangegangenen
Untersuchungen für ein kleines Gebiet, die Formgebung kunst-
mäJjsiger Prosa, bestätigt gefanden. Aus dem Born der Schön-
heit, die in den klassischen Meisterwerken attischer Prosa des
fünften vorchristlichen Jahrhunderts niedergelegt wurde, haben
die Menschen, sich selbst zuletzt unbewulist, kraft einer unver-
wüstlichen immanenten Tradition, welche die BeachfltBeriii alles
Schlufs. 655
wahrhaft Orofsen und Guten ist^ getrunken. Freilich die klas-
sische, Tomehm in sich selbst ruhende und äufserliche Mittel
stolz Terschmähende Schönheit hat keiner der Nachahmer , so
yiele sich auch darum bemühten ^ erreichen können: die Nach-
ahmung war mehr oder weniger schablonenhaft und mumien-
artig; ein deutliches Abbild der langsam aber stetig alternden
Welt der Antike. Dagegen die äufserlichen, auf die Nerven
stark wirkenden und daher dem Oeschmack des Durchschnitts-
publikums angemesseneren Schönheitsmittel der prosaischen Dik-
tion, wie sie gleichfalls im fünften Jahrhundert von den so-
phistischen Schönschreiben! als verbindlich aufgestellt wurden,
haben in Wahrheit gelebt: in den Entwicklungsphasen der
Litteraturen beider Völker sind sie von Anfang bis zum Ende
konstante Gröfsen gewesen, die sich aus sich selbst stets von
neuem wieder erzeugten. Die Anhänger der ersteren Partei,
die sich an der Nachahmung der klassischen Muster Atfcikas
versuchte, nannten sich, wie wir sahen, mit Stolz die ^Alten',
die der anderen Partei, die in stetem Fühlen mit den Bedürf-
nissen der Gegenwart blieb, die *Neuen'. Der Kampf der bei-
den Parteien in Theorie und Praxis bildet den wesentlichen In-
halt der bisherigen Darstellung. Wenn wir Epigonen von der
Warte kühl reflektierender Beobachtung auf den Kampf zurück-
blicken, so werden wir nicht umhin können, nur der Partei der
^Neuen' objektiv historische Berechtigung zuzuerkennen, denn
nur das Lebende besteht zu Recht. Anders werden wir freilich
urteilen, wenn wir unsere subjektive Empfindung als Mafsstab
anlegen. Denn gemäfSs dem Erfahrungssatz, dafs^ je stärker ein
Reiz auf unsere Sinne wirkt, um so leichter das Gefühl der Er-
schla£fung oder Übersättigung eintritt, haben nur die gröfsten
Stilvirtuosen jene äufseren Effektmittel der alten sophistischen
Kunstprosa mit solchem Mafs und solchem Takt angewendet,
dals ihre Schöpfungen auf uns wirken wie Gemälde, in denen
zwar starkwirkende Farben aufgetragen sind, aber nur am rechten
Ort und so, dafs sie in ihrer Gesamtheit das Auge eher erfreuen
als verletzen: eius demum vera est cUque absoluta ars, qui quan-
tum inpenderit qperae dissifnuiat magis quam profitetur, ut facüius
jUaeere aliquid persentiscamus quam quid placeat intdlegamus^) Die
1) Kaibel in: Gomm. in hon. Momms. 826.
G5G Von Hadrian bis zum Ende der Eaiserzeit.
grofse Masse der Stilkünstler ist an der schwierigen Aufgabe
gescheitert; indem sie, um mich eines anderen, gleichfalls antiken
Bildes zu bedienen, die starken Oewürze zur Speise selbst ge-
macht hat: die Folge war, dafs die antike Kunstprosa, indem
sie sich mehr und mehr dem nur für starke Kost empfönglichen
Geschmack der langsam von der früheren ästhetischen Hohe
niedersteigenden Völker anpafste, stetig degeneriert ist und in
ihrer einstigen Scliönheit erst wiedererkannt werden konnte von
uns Epigonen, die wir durch andere Sprachen und andere Lebens-
gewohnheiten abseits stehen von dem grofsen Strom der Ent-
wicklung, der die in ihm Befindlichen widerstandslos mit sich
fortreifst.
Zweites Buch.
Das Mittelalter und der
Humanismus.
Erster Abschnitt.
Die Antike im Mittelalter nnd im Humanismns.
Erste Abteilung.
Die Antike im Hittelalter.
Als eine der grofsen historischen Errungenschaften unseres Aiigo-
Jahrhunderts darf gelten, daCs derjenige, der das Mittelalter °*
noch mit den Schmähworten der Humanisten bezeichnet, ähn-
licher Schmähworte seitens der heutigen Forscher gewärtig sein
mufs. Die Bedeutung des Mittelalters auf litterarhistorischem
Gebiet besteht in der Vermittlung der antiken Bildung für die
moderne Zeit. Es verdient gerade heutzutage gegenüber den
Verächtern der klassischen Studien betont zu werden, dafs, wie
die folgenden Untersuchungen zeigen werden, der Stand der all-
gemeinen Kultur und Menschenbildung im Mittelalter nie tiefer
gewesen ist als in den Zeiten der völligen Abwendung vom Alter-
tum, nie höher als in denjenigen Jahrhunderten, in denen Kaiser
und Könige aufs nachdrücklichste die Bückkehr zur Antike be-
fohlen haben, um durch sie die stagnierende Kultur ihrer eignen
Völker zu beleben. Eine zusammenfassende Behandlung dieser welt-
geschichtlichen Thatsachen giebt es noch nicht; das erklärt sich
teils aus der Fülle des Ungeheuern, überall verstreuten, meist noch
ungesichteten, ja unedierten Materials, teils aus dem Umstand,
dab der klassische Philologe, der auf seinem eigensten Arbeitsfelde
noch so viele Blumen in prangenden Farben mühelos pflücken
kann, ungern auf dem Acker eines Fremden die zwischen Disteln
und Domgestrüpp sich verirrenden matten Blüten sammelt, der
Historiker des Mittelalters sich ebenfalls nur gezwungen an eine
ihn doch nur mittelbar und nicht sehr wesentlich berührende
V«f <•>, maSSk» KoaitproM. IL 43
. 660 Die Antike im Mittelaltar. ■
Aufgabe macht. Ich habe mich, 80 gut ich konute, auf ävm
mir von Haus aus fremden Gebiet zurechtzufinden gesucht, auf
das mich nicht eigne Neigung führte, sondern das Bedürfnis,
einerseits den eich scheinbar fast verlierenden VerÜatelungeE der
antiken Kultur nachzugehen, andererseits das Wiederaufleben
dieser Kultur in aeiuer geschichtlichen Notwendigkeit zu be-
greifen. Nachdem ich dies, soweit ich vermochte, erreicht
habe, werde ich nie wieder die stille Reinheit der Antike
dem phantastisch wogenden Nebelmeer des Mittelalters
tauschen. Die Gesichtspunkte, nach denen ich das Material ge-
ordnet habe, zum gröfsten Teil auch das auf Grund der Quellen
selbst gesammelte Material, glaube ich mit wenigen als solche
angegebenen Ausnahmen als neu bezeichnen zu dürfen.*) Ich
muTs das alles hier vorlegen, weil die Stilgeachichte eng damit
verknüpft ist und eben nur durch diese Verknüpfung einiges
Interesse gewähren mag, dessen sie isoliert entbehren würde.
Den allgemeinen Entwicklungsgang der klassischen Studü
im Mittelalter hat schon Melajichthon in grofsen Zügen treffe
geschildert in seiner zu Wittenberg am 29. Aug. 1518 gehall
Antrittsrede De corrigendis adulescentiae studiis.*) Nach
Verwüstung Italiens durch Gothen und Langobarden waren
Irland und Britannien in ihrer friedlichen Abgeschiedeuheit
PBegstätten der alten Litteratur; Italien, Gallien, Deutschland
lagen danieder, bis Karl d. Gr., selbst hochgebildet, eine Er^
1) Daa ÄsBehen, welchei die bekannte AUg. Geacb. der Lit. ilee I
im Abendlonde bia zum Beginn des XI. Jh. von A. Ebert geniefst, ertdb
sich nur daraus, dafa ea über diesen Gegeuatond nichts bosaerea Zusammen-
foBsendea giebt: Biugraphieen der Verfaaaer und ermüdende Tuiialts angaben
ihrer Werke sind wahrlich keine Litteratni'geaohichte , am wenigsten eine
solche dea Mittelalters, wo ea darauf ankonunt, den grolsen Gang der Ideen
darxuatetlen and wo die ohnehin ja ao spärlich vorhandenen Individaen
nur inBofem GeHang beaitKen, ab sie weaentliohe Träger dieser Ideen
sind. Ich werde daher dieses Wert, aus dem ich so gut wie nichts balu
lernen kGnnen , im folgenden fast ganz ignorieren. Die angekündigte (
teinigche Litteraturgesohichte des Ma. von L. Traube wird, i
dürfen, die empfindliche Lücke ausfOllen. Dafs ich in den folgenden ün)
suchungen den nnermeratichen Stoff' nicht habe erachSpfen kCnnen ,
fflr Wissende keiner Bcgrfindung oder Entschuldigung.
S) Am besten ediert von K. Hartfelder in: Lst. Litteratnrdenkm. '
XV. n. XVI Jahrh , Lerausgeg. von Hermann v. Seamatälski , Hefl 1 (B«
1881) 3 ff.
icht
iniges
de. ^^m
^udie^^H
efTe^^H
a ni«^H
Die Übergangszeit. 661
neuemng der Litteratur (littercts instaurandas) beschlofs^ und zu
dem Zweck Alcuin aus England nach Gallien kommen liefs. Von
da an wurde Paris ein Hort der Studien , aber noch nicht war
Aristoteles hier der Mittelpunkt^ sondern Wissenschaft aller Art
blühte: Zeuge ist der Benediktinerorden^ dessen Mitglieder durch
gelehrte Thätigkeit berühmt wurden. Zu ihrem Unglück ver-
fielen dann die Menschen auf Aristoteles ^ nicht den echten und
reinen, sondern den durch barbarische Übersetzungen verzerrten:
von dieser Zeit an pro honis tum bona doceri coepta. Aus dieser
Schule gingen hervor Männer wie Thomas^ Scotus^ Durandus und
eine Legion andrer: ihnen verdanken wir es, daCs die alte Littera-
tur abgeschafft wurde und so viele Tausende von Schriftsteilem
rettungslos dem Untergang verfielen. Dann kam die Zeit, in
der die humanitas und mit ihr die lüterae wieder geboren wurden.
„Glücklich ihr Jünglinge'^, ruft der Praeceptor Germaniae aus,
dessen kürzlich gefeiertes Gedenkfest seinen Manen angesichts
des Niedergangs der ^besten' Wissenschaft als Hohn erscheinen
muljste, ^ygiücklich ihr, deren Leben in diese Zeit fällt !^' — Es
wird also zunächst darauf ankommen, die allgemeinen Verhält-
nisse aus der Zeit des Übergangs vom Altertum zum Mittelalter
in aller Kürze zusammenzufassen.
Erstes EapiteL
Die Zeit des Obergangs vom Altertum zum Mittelalter.
Als das Heidentum aufgehört hatte, einen Faktor zu bilden, Kiedere
mit dem man zu rechnen hatte, als die katholische Kirche im umi!«
wesenÜichen vollendet war, brachen seit dem Y. Jh. die Barbaren- ^^^^^'
liorden mit stürmender Hand in das romische Reich ein, nicht
mehr gewillt, geduldet zu sein und zu gehorchen, sondern zu
dulden nnd zu befehlen. Um dieselbe Zeit beginnt daher auch
flbr die Litteratnrgeschichte zunächst eine Epoche der Barbarei:
ÜB Xioberar, die zunächst nur daran dachten, das Alte zu zer-
dHra^leikiten swar die lateinische Sprache, aber entweder ent-
^meh die Manier zu völliger Unverständlichkeit oder
gkeity sich in dem fremden Idiom auszudrücken,
meliu Li Gallien geben Ausonius, Sidonius,
43*
66g Die Antike im Mittelalt«!-.
Gregor von Toura, in Italien Symmaclius und Venantins
Vorstellung von dem stufeuweieen Niedergang des EünnenB und
des Geschmacks. Wenn Gregor (f 593) sagt (liist. Franc, praef.),
die Pflege der Wissenschaften werde vcrnachiässigt und wenn
er um Eutschuldigung bittet, doTe er die Geschlechter der Sub-
Btantive nicht mehr unterscheiden könne und die PrUpositionen
mit falschen Kasus verhinde, ao ist das, wie seine eigne Sprach^,
zeigt, keine Phrase. So war die Gefahr grofs, dafs die antil
Bildung gänzlich verloren ging. Zwei Momente von weltgeschichl
licher Bedeutung haben ihre Restanration angebahnt und durcl
geführt: der Sieg des Christentums und die friedliche Ki
solidierung der Barharenreiche, beide Momente ihrem inni
Wesen nach, wie es auf den ersten Blick acheinen könnte
wenigsten dazu bestimmt, das Alte zu konservieren. Dafa aber
das Christentum von dem Moment an, wo es tn die antike
Kulturwelt eintrat, sich wesentlich als erhaltende und vermit-
telnde, nicht als zerstörende Macht bewährt hat, ist au mehreren
Stellen dieses Werkes hinlänglich hervoi^ehoben worden; die
Thatsache tritt, um nur das hier noch zu bemerken, mit besi
derer Deutlichkeit in folgendem Ereignis hervor: lulian hal
den christlichen Lehrern verboten, die heidnischen Litterati
werke ihrem Unterricht zugrunde zu legen; daraufhin nnter-
nahmen es die beiden Apollinarios, Vater und Sohn, eine eigne
christliche Litteratur (in heidnischen Formen) zu schaffen: der
Vater bearbeitete die Schriften des alten Bundes episch und
dramatisch, der Sohn die des neuen dialogisch nach platonischem
Mnster; man hätte erwarten sollen, dafs sich diese Arbeiten er-
hielten, aber kaum war mit dem Tode des Apostaten die Keak-
L iion eingetreten, verschwanden sie spurlos: iv tea roü ft^ yQ«-
«w Aoyi^ovTKi, wie Sokratesj der dies berichtet (h. e, III 16)
I sich ausdruckt: sie machten wieder den heidnischen Werken
F Plittz'), die, wie wir aus der berühmten Rede dos Basilius npös
bg viovs wissen, in der Schule gelesen wurden; so fest haftete-
er Schule und im Leben der Christen die antike Tradition!
iaker in der genannten Zeit diese in Vergessenheit zn
drohte, hat die Kirche sie als Grundlage der Kultur
nen
I
ttODli erliiclt sich, wenn A. l.ndwidi in: Eünigab. BiaA. I (1837) 79 1
1, ilie btaametrische Pealterparaphrasc.
Die Übergangszeit. 663
schützt — lu derselben Richtung wirkte das zweite Moment.
Dieselben Barbaren, die anfangs als Zerstörer der uralten Kul-
tur auftraten, erwiesen sich als ihre Beschützer, seitdem sie be-
gannen, auf dem Boden dieser Kultur in friedlicher Arbeit neue
Beiche zu gründen. Sie brachten in das altersschwache Reich
alles, was diesem fehlte: freudige Siegesgewifsheit, wie sie jungen
Nationen eignet, Mut und Kraft nicht blols zum Zerstören des
Alten, sondern auch zum Aufbauen eines Neuen; nur eins brach-
ten sie nicht, eine auf tausendjähriger Vergangenheit ruhende
Kultur und als deren Trägerin eine gleich alte Litteratur; so
haben sie es zwar yermocht, durch die Gewalt ihrer Fäuste
auf die Throne der Cäsaren Männer ihres Stammes zu setzen,
aber ein kulturelles Äquivalent vermochten sie nicht zu bieten:
daher amalgamierten sie sich das Fremde und obwohl sie es
dadurch seiner Eigenart beraubten, so haben sie es doch er-
halten. — Von den beiden Momenten ist das erstere sowohl
das ältere als auch das wirksamere und eigentlich entscheidende
gewesen: denn die antike Kultur wurde den Barbaren ja eben
durch das Christentum vermittelt und mit diesem übernahmen
sie die Ghnmdlage, auf der jene sich aufbaute, die alte Litteratur.
Es sind hauptsächlich drei in derselben Richtung wirkende Hobongdor
Faktoren gewesen, in denen diese beiden Momente ihren Aus- sTadien!^
druck fanden: die Bestrebungen des Cassiodorius, der Iren, der
Angelsachsen. ^)
1. In Caasiodor') vereinigen sich beide Momente. Alsi.casaiodor.
Minister und litterarischer Beirat der ostgothischen Barbaren-
kSnige, die Römer sein wollten und denen er den Gefallen that,
8ie durch sein Geschichtswerk als solche zu legitimieren, hat er
in deren Sinn die (auf italischem Boden ja freilich vergebliche)
Tendenx einer Verschmelzung des romanischen imd barbarischen
Elements auch in der Litteratur durchzuführen versucht. Fol-
1) Von Iflidor preist Braulio, Bischof von Saragossa (f 651) in der
Vorrede sn seiner Ausgabe Isidors (I 9 Arevalo) : quem deus 2^ost tot defectus
Hüpaniae novissimis iemporibus suscitam, credo ad restauranda anti-
quorum monumenta, ne usqueqiMqite rnsticiUite veterasceremus^ quasi quan-
dam oppotwU desHnam, Aber Spanien stund seit der Zeit der Antonine
auTserhalb der grofsen Heerstrafse der Kultur.
S) Le h^ro8 et le restawrateur de la scicnce nennt ihn Montalembert,
Les moinea d*Ocoident IE (Paris 1860) 80.
664
Die Antike im. Mittelaller
gendc Worte, die er den Athalaricli sagcu liLfst (var. IX 2l|
etwa aus dem J. 533), scheinen mir dafür besondera bezeichnend
ZQ Bein: fframmaika magistra verbontm, omatrix hmnani gener is,
quaeper exercitationem pulcherrimae lectionts anttquorum
nos cognoscitur iuvare consilUs. kae non utuntur iarhari
reges: apud legales dominos n%anere cognoscitur singularts.
arma enim et reliqua gentes habcnt: sola reperitur eh
quentia, guae Eomanortim dominis obsecundat. hinc
torum pugna civilis iuris classiciim canit, hinc canctas prt
ndbilissima diseftitiAdo conanendat, et ut reliqua taceamus, hoc guodf
loquimur inde est. Überhaupt unterlälst er es im Namen der
Konige bei Empfehlangen von Kandidaten nie, deren litterarische
Bildung hervorzuheben (z. B. var. Ul 6. 12. V 4. 22). — In
gleichem Sinn wie als Minister hat er als Geistlicher gewirkt.
Als er sich in sein Kloster zarückzog, hat er es vermocht, sich
auf den hoben Standpunkt des Augustin und Hieronymua zu
stellen, indem er seinen Mönchen gründliche wissenschaftliche
Vorbildung zur Pflicht machte; denjenigen Mönchen, denen ihre
geistige Veranlagung eine litterariache Beschäftigung unmöglich
machte, empfahl er als nützlichste Arbeit den Ackerbau, aber
auch dies bezeichnenderweise nicht ohne den Hinweis, in der
Klosterbibliothek fanden sie die auctores de re njstica: die älteste
römische Prosaschrift würden wir also ohne diesen Mann ver-
mutlich nicht besitzen. Man kann diese Organisation Caesiodors
nicht hoch genug anschlagen; denn man vergegenwärtige sich,
wie ee mit der Bildung der Klöster in den Zeiten vor ihm aua-
ßah. Für Gallien gab um 400 der Presbyter von Massilia,
sianus, die Mönchsregel: wir dürfen wohl annehmen, dafs
Mann, der von GewiBsensqualen gepeinigt wurde, weil ihm bi
Absingen des Psalters und beim Gebet die 'Teufelsgestalten' der
vergilischen Gedichte vor Augen traten (conl. XIV 12), seine
Mitbrüder vor derselben Gefahr durch Verbot heidnischer Lektüre
geschützt haben wird. Und Benedictua, der Patriarch der abend-
ländischen Mönche? Im J. 480 in Umbrien geboren, besuchte
er die öffentlichen Schulen Roms, zog sich aber bald in die
Einode zurück; im J. 529 hat er auf dem Mona Cassinus, auf
den Fundamenten eines zerstörten Apollotempels, das Kloater
gegriindet, das einst ein Centrnm der Wissenschaft südlich der
Aljiei' 'ler hat — das kann nicht
Die Übergangszeit. 665
eiDdringlich genug betont werden, weil es von einigen immer
wieder vergessen wird — der Oedanke, seinen Mönchen eine
wissenschaftliche Vorbildung zur Pflicht zu machen , durchaus
fem gelegen: in seiner regula findet sich keine Verweisung
darauf.^) Diese Ordensregel erhielt bekanntlich noch zu Leb-
zeiten ihres Stifters , sowie fernerhin durch seine Schüler, Be-
deutung für einen grofsen Teil des Abendlandes, und vom DL Jh.
an wurde sie für alle lateinischen Mönche kanonisch: dafs aber
der Benediktinerorden früh seine von der weltlichen Bildung
abgewandte Haltung aufgab, dafs er Träger der Kultur durch
die Wissenschaft wurde, ist nicht die Absicht seines Stifters
gewesen, sondern das unsterbliche Verdienst Cassiodors, des Ver-
üftssers der institutiones. Er war weder ein origineller noch ein
produktiv wissenschaftlicher Denker, was beides Boethius war:
dafär erfafste er aber mit dem praktischen Blick des Staats-
manns die Weltlage besser als jener Idealist; gerade dadurch,
daCs er das Wissenswerte der Vergangenheit teils excerpierte,
teils in seiner Bibliothek sammelte und zu vervielfältigen befahl,
wurde sein Vorbild für die folgenden Generationen mafsgebend,
die eine Selbständigkeit des Schaffens auf diesen Gebieten weder
selbst besassen, noch von andern verlangten.
2. War der mit der allgemeinen Weltlage wohlvertraute s. nie inn
Mann kraft eigner Ansicht und kraft der Überzeugung, dafs der
durch die Barbaren und die einseitige Auffassung des Christen-
tums zugrunde gehenden Kultur eine neue Stütze gegeben werden
müsse, auf den Standpunkt der freisinnigen christlichen Geistes-
heroen des vierten Jahrhunderts zurückgekehrt, so hatten die
Iren (oder vielmehr, wie sie bis zum Ausgang des Mittelalters
heilsen, die ^Scotti') ihn überhaupt nie verlassen. Im III. und
IV. Jahrh. von britannischen Missionären christianisiert, blieb
Irland dank seiner Abgelegenheit von den Stürmen der Völker-
wanderung, die im ganzen übrigen Abendland die Kultur fast
1) Gf. Hamack, D. Mönchtum (4. Aufl., Giefsen 1896) 42 f. A. Dan-
r, Les monastöres bän^dictins dltalie (Paris 1866) I c. 10 (La science et
Im Iflthas daas one abbaye b^n^dictine) scheidet nicht zwischen dem ur-
luHflfcfW Zustand imd dem späteren. Richtiger also als viele Neuere hat
** — Uiieüt im XI. Jh. Petrus Damiani, wenn er opnsc. XITT c. 11
I Muif die parvi pendentes regtUam BenedicH regulis gaudent
et auch C. Arnold, Caesarios (Leipz. 1894) 102 f.
666 Die Antike im MittelBller.
vernichteten, verechoufc, und in den zahlreichen Klöstern
hier in rascher Folge entstanden, konnte an den Zustand d<
Bildung im IV. Jh. unmittelbar angeknüpft werden. Die
Occideut sonst fast verlorene Kenntnis des Griechischen')
bei den Iren so verbreitet, dafs man schlofs: wenn jemand grie-
chisch verstehe, so werde er wohl aus Irland stammen. Für
den ganzen Gang der Kultur wurde entscheidend die fast spricb-
wörtliche Wanderlust der Iren. So kam es, dafs sie die lieid-
uisch- christliche Kultur, die aie im III. und lY. Jh. empfangen
Latten, im VI. und VH. Jh. den siidliehen Ländern, wo sie in-
zwischen verloren war, wieder übermittelten: zu derselben Zeit,
als Gregor von Tours über die litterariscbe Verwahrlosung des
Frankenreichs klagte, gründete am Westabhang der Vogesen ein
Utterarisch hochgebildeter, in Grammatik, Rhetorik und Geo-
metrie wohlbewanderter Mann, Columbanus, drei Klöster, darunter
das bekannteste Luxovium (Luxeuil). Wechselvolle Schicksale
führten ihn im J. 613 zur LangobardenkÖnigin Theudelinde, jener
klugen und mächtigen Frau, die von Papst Gregor d. Gr. für
den römischen Katholicismus gewonnen war: dieses Nebenein-
ander des irischen (d. h. antirömischen), langobardischen und
römisch-katholischen Elements ist höchst bemerkenswert, dt
1) Über die Schicksale der griecbischen Spracbe im Westen i
ginn der Berühi-ung GrriecheDlandti mit Rom Lia zu dem Zeitpunkt,
Petrarca durch Vermjttluug dea Barlaam aus Ealabrien sich eine uotdürf-
tige Kenntnis der griecbJBchon Spiacio erwarb, liabe ich mii', wie umge-
kelirt für die Schickaale der late-iniacben Sprachß iiu Oiten his anf die
Cberaetzujigsthätigkeit des Maxi mos Plaaude« und Demetrios Kjdonee,
Zeugiüsae gecanunelt; aber das za Terarbeiteode Material ist so ungeheuer
grofs und e. T. auf Gebieten verstreut, die meiaeu Studien und intetesson
f«m liegen, dafs ich zu seiner vOUigen Sammlung und Verarbeitung noch
Juhie gebrauchen werde. Das Best«, was es darüber giebt, sind noch immer
Kwei Programme von Fr, Cramor, De graecis per occidentcm gtadiis inde
a primo medio acvo usqne ad Carolum M, , Stralaund 1B4S, 1853; ferner
L. Traube inr Abb. d. Bayr. Ak. d. Wisa, S1X(1S92) 344—361. K. Kram-
bacJuer in; Sitzungiber. der Bayr. Ak. d. Wiss. (1S9!) 363 ff. (dort auch
t)1» Littuiatuinavhweite), L. Stein La: Anh. f. Gesch. d. Fhilos.' N.
■ T>idDl, Aide Hanuoc tl'niU 1876) Einleitung. K. Ci
d. TnnfsTRiboIs ii. d. Olaubensregel TTI (Chrisl
(liiechiacfa in d. rOm. Geiueinde ;
Tb. Zalin, Oeech. d. neut. Kanon* 1 I
1
Dio übergaugszeit. 667
eben diese Elemente bat später Karl d. Gr. vereinigt. In dem
Reicbe dieser Fürstin, unweit südlicb von ibrem Haaptsitz Pavia^
gründete Golumban das Kloster Bobbio ^), dessen Name das Herz
des Philologen stärker scblagen läfst. In einem Gedicbt spricbt
Golumban zu einer Zeit, als Gregor der Gr. es für unwürdig
erklärte, dafs aus demselben Munde der Name Christi und Ju-
piters komme, unbefangen von den Trojanern, Ampbiaraus, Dauae,
Pluto: diejenigen Mönche, die in spätem Jahrhunderten über die
schönen alten Handschriften des Plautus, Cicero und Fronto die
Texte der Yulgata, des Augustin und der Konzilsakten schrieben,
haben nicht im Sinn Columbans gehandelt. Columbans Schüler
Gallus, der ihm wegen Krankheit nicht nach Bobbio folgen
konnte, legte um 613 den Grund zu der später nach ihm be-
nannten Abtei St. Gallen, der zweiten grofsen Fundgrube von
Handschriften in der Zeit des Humanismus.^)
3. Der Philologe kann die Bedeutung der irischen Kultur 3. uio
für die Erhaltung der klassischen Litteratur gar nicht hoch B»ch8en.
genug anschlagen: was uns von Handschriften, welche die Für-
sorge der romischen Adelsfamilien im IV. und Y. Jh. anfertigen
liels, erhalten ist, verdanken wir direkt oder indirekt den Iren,
die sie aus Rom nach Bobbio u. s. w. geschafft haben; den Ale-
mannen, Langobarden, Franken, Bayern haben wesentlich die
Iren eine reiche geistliche, auf der Antike basierende Bildung
gebracht: eine lange Beihe glänzender Namen vom siebenten
bis sehnten Jahrhundert bezeugt es im Verein mit den erhal-
tenen Handschriftenkatalogen jener Zeiten. Am frühsten und
1) Cf. A. Peyron, De bibliotheca Bobiensi in seiner Ausgabe der Cicero-
tegmente (Stattig. 1824), praef. lU ff.
8} Gf. A Oianam, La civilisation chretienne chez las Francs = Oeu-
vraa oompl^tefl IV (6. 6d., Paris 1803) 100 ff., B. Huurdau, Singularites hi-
itoriqnea et litt^raires (Paris 1861) c. 1 (Ecoles dlrlande), L. Traube 1. c.
846 Q. 0. und besonders H. Zimmer, Über die Bedeutung des irischen Elc-
menti für die mittelalt. Cnltar in: Preuss. Jahrb. 1887 p. 27 ff.; derselbe
ins Neaaiiu tindieatos (Berlin 1898) 288 ff. (doch cf. G. Wissowa in: Gott.
gaL Abb. 1896 ^ 788 ff.). Interessant sind die bekannten Bibliothckskata-
löge Ton St. Gallen und Bobbio aus dem IX. u. X. Jahrb. bei G. Becker,
Gaftalogi biMiothecanun antiqui (Bonn 1886) 43 ff. 64 ff. Übrigens stehen
a— gMwiflhufltfi Difltiohen des Bischofs Liyinus yom J. 633 in: Vetemm 6pi-
■tolaram ffibernioanim aylloge ed. J. Usher (Herbem in Nassau 1696) p. 17 f.
(fcBlHehii Stadium de« Ovid v. 68 ff.).
668 Die Antike im Mittelalter.
nachhaltigsten haben sie derjenigen Nation die Schätze ihres
Wissens mitgeteilt, die ihnen ortlich am nächsten wohnte, den
Angelsachsen, deren Christianisierung Gregor d. Gr. begonnen
hatte. Eine grofse Anzahl von zeitgenossischen Zeugnissen^)
beweist, dab dieses Volk mit mafsloser Bewunderung auf die
Gelehrsamkeit seiner Nachbarn sah und sie sich anzueignen
trachtete. Die Angelsachsen besuchten die irischen Klöster und
fanden hier das bereitwilligste Entgegenkommen: guas {sc. Anglos),
sagt Beda h. e. III 27, omnes ScoUi libeniissime suscipientes victum
eis cotidiantMn sine pretio, libros quoque ad legendum et magisterium
gratuüum praebere curabant Die Kenntnis des von den Iren
ihnen übermittelten Griechischen wurde bei ihnen dadurch noch
vergrofsert, dafs im J. 668 Theodoros, ein Mönch aus Tarsos,
vom Papst nach England geschickt wurde, wo er im Verein mit
seinem ebenfalls des Griechischen kundigen Begleiter, dem Abt
Hadrian, Elosterschulen errichtete.^ Die beiden groüsen Schrift-
steller Aldhelmus (f 709) und Beda (f 735) schreiben zwar,
wie alle Angelsachsen, ein stilistisch verwildertes (übrigens
grammatisch korrektes) Latein, aber die Bedeutung dieser irisch*
angelsächsischen Kultur liegt auch weniger in den eignen Werken
ihrer Träger, als darin, daüs diese das Wissen des Hieronymus,
Augustinus und Cassiodorius zusammenfafsten und dadurch für
das Mittelalter die angesehensten und einfluüsreichsten Schrift-
steller wurden. Aus diesen Kreisen, in denen es als selbstver-
ständlich galt, dals klassische Bildung die notwendige Voraus-
setzung der Theologie sei, stammte Winfrid. Wir haben von
ihm Briefe in schwülstiger Sprache, durchmischt mit halblatini-
sierten griechischen Worten, Gedichte in antiken Metren, sogar
ein grammatisches Werkchen über die acht Redeteile; doch nicht
in diesen seinen Schriften liegt seine litterarhistorische Grofse,
seine kulturhistorische Bedeutung, sondern darin, dafs er, wie
Cassiodor und die irischen Vorgänger, diese auf durchaus wissen-
schaftlichem Unterbau ruhende Kultur in seinen deutschen Grün-
dungen eingebürgert hat. Mit hoher Bewunderung, die alles
Grofse in der Geschichte des Menschengeistes erweckt, lesen wir
1) Gf. Zimmer, 1. c. 34 f. und Nemiius 296 f., der auch andere Zeug-
nisse als das gleich folgende anführt.
2) Näheres bei Zimmer, Nennius 1. c.
Dio CbcrgangHzeit. 669
dcD Bericht, wie Sturm, der Schüler des Bonifacius*), iu die
Einöden der Buchonia vordringt, wie er bei Hairuvisfelt Halt
macht, dann von seinem Lehrer geheifsen wird weiter zu ziehen,
wie er dann Fulda gründet, das Karlmann im J. 744 bestätigt.
Diese mit bedeutenden Privilegien ausgestattete Abtei wurde im
Verein mit dem bald nachher als Kloster eingerichteten Hers-
feld die Bivalin von St. Gallen in geistiger Bildung: hier wurde
Einhart erzogen, der eleganteste Autor des Mittelalters, hier
war Hrabanus Maurus Abt, der Augustins Wissensschätze der
Welt von neuem zugänglich machte, hier ist Tacitus gelesen
und teilweise erhalten worden: es wurde die Schule nicht bloCs
Germaniens, sondern des ganzen karolingischen Reichs. Vor
der Thür des Saals, in dem die Kopisten arbeiteten, stand eine
lateinische Inschrift, die — ganz im Sinne Cassiodors — zur
Vervielfältigung der Bücher aufforderte und — gleichfalls nach
dessen ausdrücklicher Vorschrift — vor Interpolationen warnte.
Ein Mönch studierte hier so eifrig Virgil und Cicero, dafs mau
ihn im Scherz beschuldigte, er reihe sie den Heiligen ein.*)
Ein Schüler Bedas war Egbert, Erzbischof von York; ein
Schüler Egberts AIcuiu, der berufen war, unterstützt durch das
verständnisvolle Entgegenkommen des gewaltigen Imperators, die
angelsächsische Kultur in das geistig verwilderte Frankenreich
hinüberzuleiten; ein Schüler Alcuins (in Tours) war der genannte
Hrabanus Maurus^, der nun die Methode Alcuins in sein Kloster
Fulda übertrug und dadurch dem dort schon eingebürgerten
wissenschafUichen Sinn neue Nahrung zuführte. Doch verfolge
ich dies zunächst nicht weiter, sondern wende mich zur Er-
örterung einer Frage, die richtig zu beantworten vor allem
wichtig ist: welche Stelle nahmen in der mittelalterlichen Bil-
dung die klassischen Studien ein.
1) So sicher ea ist, dafs der Name etymologisch Bonifatius zu
ichraiben ist, so wenig steht fest, ob er sich selbst noch so geschrieben
hat: auf dem ravennatischen Papyrus vom J. 474 (Fontes iur. Rom. ed. Brans *
n. 108 p. 881) wird der gleiche Name Bonif actus geschrieben.
2) Gf. Osanam 1. c. 150 ff.
8) Cf. Fr. Monnier, Alcuin et Charlemagne (Pari» 18C3) 264 f.
670 Die Antike im Mittelalter.
Zweites Kapitel.
Die Stellang der Artes liberales im mittelalterliclLen
Bildungswesen.
Über die *artes liberales' ist sehr viel geschrieben worden^),
aber die mich interessierende Frage wird selten aufgeworfen.
Kürzlich hat M. Guggenheim in der Beilage zum Progr. der
Kantonsschule in Zürich (1893) über die ^^Stellung der liberalen
Künste oder encyklischen Wissenschaften im Altertum" vortreflF-
lich gehandelt; in manchen der im folgenden entwickelten Ideen
bin ich mit dem Verfasser zusammengetroffen, dessen Schrift
ich den Leser zu vergleichen bitte, um das richtige Verständnis
zu gewinnen, müssen wir zeitlich weit zurückgreifen.
L Die propädeutiBChe Wertschätzung der Artes liberales von
der platonischen Zeit bis auf Augustin.
Fiaton Piatons Streit mit den Sophisten ist bekanntlich keineswegs
sophiHen. ^^ hlob akademischer gewesen, sondern wurde durch aktuelle
Interessen von unmittelbarer Bedeutung für beide Parteien aus-
gefochten. Es handelte sich darum, ob die Erziehung der helle-
nischen Jugend nach den Maximen Piatons oder denen der So-
phisten vorgenommen werden solle. Jener sah das einzige Heil
in der q>iXo6oipia und verwarf gemäfs seinem idealistisch -aristo-
kratischen Standpunkt im Prinzip die gewöhnlichen Bildungs-
mittel. Umgekehrt die Sophisten: sie standen dem praktischen
Leben näher und kannten daher besser seine Bedürfiiisse: die
g>Uo6o(pia galt ihnen nichts, dagegen alles jene naidsüiCj die
zum Fortkommen im Leben am meisten dienlich war. Sie haben
thatsächlich mit BewuTstsein schon alle diejenigen zi%vM gelehrt,
die von der spätem Zeit unter die iytciKXioq naidsCa^ d. h. die
gewöhnliche, alltägliche Bildung, begriffen wurden und die im
1) Am besten: P. Gabriel Meier, Die 7 freien Künste im Ma. Jahres-
bericht d. Lehr- u. Erziehungsanstalt Maria-Einsiedeln 1885. 1886, cf. auch
0. Willmann, Didaktik als Bildungslehre I' (Braunschw. 1894) 264, 1, wo
mir die Stelle aus Tzetzes neu war. — Über ihre Stellung im antiken
Unterricht cf. auch Rohde, Rh. M. XL (1885) 73 f. und Mommsen-Blümner,
Der Maximaltarif des Diocletian (Berlin 1893) 116 ff.
Die Artes liberales. 671
ganzen Altertam und Mittelalter in Geltung bleiben sollten:
Zeugnisse aus dem Altertum selbst nennen Hippias den
Begründer des auf den freien Künsten basierten Er-
ziehungssystems. ^) Isokrates hat dann^ was seiner ganzen iiokratcs
Parteistellung entsprach, zwischen den beiden extremen Ansichten
in der Weise vermittelt, dafs er die gewöhnliche Bildung als
eine Yorbereitende zur höchsten und eigentlichen, der 91A0-
6oq>{a^ bestehen liefs und in sein pädagogisches System auf-
nahm.^ Dieser Standpunkt blieb fortan der mafsgebende, zu-
nächst für das Altertum'); zwar fehlte es nicht an solchen
1) An Hippias fiel schon den Zeitgenossen das encyklopildische Wissen
auf; wir erkennen aus dem, was uns [Plat.] Hipp. mai. 285 D und Cicero
de OT. in 127 darüber mitteilen, dafs er alle jene später mafsgebenden
xiivai lehrte: Astronomie, Geometrie, Arithmetik werden ausdrücklich ge-
nannt; in der yQoc(uiuir<ov dvva(itg %al avllaßav *ul (v^(t&v xal olqiiovl&v
liegt Grammatik und Musik; Rhetorik und Dialektik versteht sich für den
Sophisten von selbst. Es ist also ganz korrekt, wenn Cicero 1. c. von ihm
sagt, er habe gelehrt die artes quilrns liberales doctrinae atque ingenuae
continemtwr und Quintil. XE 11, 21: El^is Hippias, gut liberalium disci-
plinarum prae se scientiam tülit. Sokrates bei Xcnoph. mem. IV 7 er-
wähnt ABtronomie, Geometrie, Arithmetik.
8) Gf. z. B. AntidosiB 267 f.
8 Hier ein paar Nachweise. Cicero, Hertens, fr. VI Us. ut ei qui
canhibi purpuram volunt, sufficiunt prius lanam medicamentis quibusdum,
sie UUerii liberalibusque doetrinis ante excoli animos et ad sapientiam cofi-
eipiendam tn&ift et praeparari decet (cf. anch de fin. I 72). — Auf einer
Inschrift von Branchidae (Anc. greek inscr. in the Brit. Mus. IV 1 n. 925),
die ihrer Sprache nach (besonders auffällige Berührungen mit Polybios)
noch ans dem I. Jh. y. Chr. zu sein scheint (cf. die Bemerkungen G. Hirsch-
feldsX wird von Melanien gesagt (Z. 18 fP.): fv re totg oUdotg tilg iilmiag
Meuäe6iuc§tf iuit€tyip6iU9og mal iv tolg %axcc tpiXoaotplccv l6yoig l%aviiv i^iy
«al »(OKiMri^ i^x^i*^' — Nikolaos von Damaskus begann, wie er in seiner
Selbstbiographie erzählt (FHG HI 349), mit der Grammatik, durch die er
die ganze Dichtkunst erlernte, später machte er sich an die Rhetorik, Mu-
sik und Mathematik, endlich kam er zur Philosophie. Er vergleicht (wie
YaiTO sat fr. 418 £, Epiktet disa. EI 23, 36 ff., cf. auch Philo de congr. 3)
die naidtla mit einem Wege: wie man in der einen Herberge kürzer, in
der anderen länger bleibt, so auch in den einzelnen Bildungsstationen, bis
man achlielBlich rb inelwov XQ^^P^^ %axao%aiv int t^v mg &Xri9'&g natQtpav
iatUip it99Xi&d»p ipilo€oiptt — Biotin erachtet wenigstens Mathematik, Logik
und Dialektik als nötig für den Philosophen, der den Weg ins Reich des
Intelligibeln machen will (cnn. I 3, 3 f.). — Von Porphyrios berichtet Eu-
napios y. soph. p. 10 Boiss.: oiSev naidsiag slöog habe er übergangen,
Philosophen y die iicii wnni^sccriiä in Jer Theorie der extremen
Anschauung Piatons iinsciilossen wir wissen es von den Kyni-
sto«, kern, Zenon, Epikur. den Skepcikem ^ . aber die jüngere Stoa
hat, ganz entsprechend der VermitiiungsroUe, die sie auf allen
Gebieten zwischen den Gebildeten und dem Yolk^ zwischen philo-
sophischem Idealismus und dem Realismus der gegebenen Ver-
hältnisse gespielt hat. ein filr alle Male die iyxvxXiot xi%vai
als nffontzidsvaaxa zu der wahren Maidiia, der (p$Xo-
6oq>iay hingestellt. Seneca giebt uns in dem berühmten, fQr
diese Fragen einzig wichtigen SS. Brief auch den Namen des
Mannes^ der diese Auflassung scharf formuliert hat: Poseidonios.
Wenn Seneca in jenem Brief Tom Standpunkt der alten Stoa
aus gegen Poseidonios polemisiert, so ist das natürlich (ganz wie
bei den Skeptikern) ein blols akademischer Streit: folgt doch
sogar ein so rigoroser Denker wie Epiktet in dieser Frage ganz
der vermittelnden Richtung (diss. III 23, 36 ff.). An Poseidonios
haben sich drei Mäimer angeschlossen, von denen notorisch fest-
Hlelit, dals sie überhaupt in seinen Bahnen zu wandeln pflegen:
v^uiiiut' Ol- ;iut Kühlt Schritleu über Rhetorik, Grammatik, Arithmetik, 6eo-
iiuitiiu, Muäik. Yielleioht mit besonderer Rücksicht auf Poiphyrios sagt
Kiiriübiud ^i: UV. \LV 10, 10 vou den Philosophen überhaupt: TtBQupigoveiv
uvu) xui xavu> ^vXoi^ifte^ xvc fME^fiora, SbIv i^ &navtog q>da%a9Teg ro^
kuytinf äväifu xul (pil6ciKpow aMot9lBa9ilvai &li' oifdh rfjg t&v Ihftmp dlri'
^kiu^ ^aOfitti ffti) tiwtnv iv ypvxj vfjg yvmitttag nffovvxad^iicrig, — Synesios,
l>iuu p. 1)1 tt'. l*ot., führt in herrlichen, feierlich schwungvollen Worten ans,
ilttl'H durjttuigo, der die höchste Philosophie, die ihm als Neaplatoniker die
Koligiüu i»t, erreiohen d. h. der Idiair teilhaftig werden wolle, sich suerst
<siuwüihuu lasMui müsse in die tHämla d. h. die Künste, die von den Chari-
tiuuttu uad Musen gepflegt werden, vor allem Rhetorik und Poesie: denn
dun»h aiei die «^osmdt^fMxva, erreiche man tb AttQtßAg "SUi^va elwxif rovre-
ff* Mv«f#«ft xot8 &99iiAxoig Igofulftfo», s. besonders auch p. 68 f., wo
mHprftlhrt wivd, wie KaUiope die den steilen Weg rar Togend d. h. zur
fUkMOphl» Hinaawandelnden auf blumigen Auen ei^rischt mit den SüTsig-
An ttMitihir Beda und Poesie, und wo das sckOne Wort steht, dafs es
k hM dHB sieht Mhleoht bestallt sei, der, statt weiter hinaufiuklimmen,
li MVMMtompal bleibe, denn er sei, wenn auch kein tpiloeotpog^
in FleekeiaeM Jahrb. SnppL XVIII (1891)
Krto Liitwali, ra der jcirt Guggenheim 1. c. kommt
Die Altes liberales. 673
Varro^), Strabon^) and Philon. Der letztere hat diese Anschau-
uDg den Christen übermittelt^ bei denen natürlich die hellenische
q>tXo6(Hp(cc durch die christliche g>LXo6o<pia d. h. die Theologie
ersetzt wurde und die TtQtmai.ds'öficita eben die klassischen Stu-
dien bedeuteten.
Philo hat diese Frage sehr oft berührt') und sie dann vor pwio.
allem in einer eignen Schrift behandelt: mQl i^^ff sis tc^ xqo-
jucvdBviiccta 6vv6dov (De congressu quaerendae eruditionis gratia
I 519—545 M.). Die Worte der Sarah zu Abraham (Gen. 16, 1),
er solle, da sie selbst nicht gebären könne, mit ihrer Magd, der
Ägyptierin Hagar, Kinder zeugen, werden so gedeutet: (§3 p. 520),
„es heilst nicht, dafe Sarah überhaupt nicht gebäre, sondern dafs
sie ihm persönlich nicht gebäre; denn wir sind unfähig, den
Samen der Tugend zu empfangen, wenn wir nicht vorher mit
deren Dienerin verkehrt haben. Dienerin der Weisheit ist aber
die durch die Yorschulfächer erreichte allgemeine ästhetische
und verstandesmäCsige Bildung (d'eQaxaivls dh 6oq>iag i^ diä t&v
nQOXaidsviuiTiov iyxiixkios iiovöixii xal loyixiiy^ wie dann weit-
läufig in der ganzen Schrift bewiesen wird von der yQcc(i(iauxfjy
ysafuZQicCy iötQOvoiiia, ^ijtOQix^^ iiov6ix% rg &XXji Xoyto(/fj ^£(d-
QÜc 7ci6^. Man hat bemerkt^), dafs diese Allegorie ihre Ent-
stehung einem berühmten Bonmot aus der älteren kynisch-
stoischen Schule verdankt, welches Plutarch (de lib. educ. 10,
7 D) dem Bion, Stobaeus (flor. IV 110) dem Ariston zuschreibt^):
lyhübsch sagte Bion, diejenigen, die, aufser Stande der Philosophie
teilhaftig zu werden, sich mit den andern unnützen Bildungs-
fachem abquälten, glichen den Freiem, die, aufser Stande sich
der Penelope zu nähern, sich mit deren Dienerinnen einlie&en/'
Die in diesem Diktum hervortretende rigorose Ansicht der älteren
Stoa von der absoluten Verwerflichkeit der nQoxccLdaviuctcc ist
1) Sai fr. 418 f. mit meiner AuBlegung 1. c.
t) Im L Buch. Dafs übrigens Poseidonios an Eratosthenes anknüpfte,
gebk aus p. 16 Gas. hervor.
•) Cf. Zeller, Philos. d. Gr. m« 2, 408, 1. Guggenheim 1. c. 17 ff.
4) et Zeller 1. c Guggenheim 1. c.
6) Nach andern soll es von Aristipp herrühren, cf. Gaggenheim 22, 1
md A I[ie£Blisg zu Hör. ep. I 8, 88. Dafs es auf keinen Fall von Gorgias
henrflhrt (dem es eine sehr schlechte Oberlieferung zaschreibt), betont A.
Oefeke in seiner Ausg. des Sauppe'schen Gorgias (Berlin 1897) p. VI, 5.
yk,*/, rr»r* Fr..>, z*zl1^ ii^r ax*ryi A'.-ff'Un; •» jungem Stoft
Im <:T*W£. Boiii i^iLirs zr:i*:i ^7*^iiLiaKi.izi Werkes hat er
*,*z\r.H h'^.J.'.:,:z z-^ .•,-=, i^^iIth Biliir^ i:i5flLriich begründet.
Mä:* ii«r. *ih.<iraL zTri*^!*;! I-til Z^ilrn «ii-r bittere Polemik gegen
k\h prinzipieller '•^z^SzzizT i^z L^UriiisciLezi jr<»4fia: gelegentlieh
jf j>bt HT ihr acich ^iind*.**lb4res Aa5*imck. so I 1, 18 (p. 326 P):
,,Icb kenne ^r vobi iie Redereies. gewisser ans Mangel an Bil-
rlrin^r ängatiicher ^lenschen. die da sagen, man müsse sich nnr
rnit dem Notwendigsten tind dem, was den Glauben zusammen-
hält, beschäftigen, das aaTserhalb Stehende und Überflüssige über-
(fehen, da es uns doch nur Tergeblich aufhalte und an Dinge
fessele, die zur Erreichung des Ziels nichts beitrügen. Einige
glauben sogar, daCs die Philosophie zum Verderben der Menschen
durch die Erfindung einer Art Ton Teufel ins Leben hineinge-
kommen sei''; cf. 9, 43 p. 341. Diese Widersacher hatten sieh
sogar berufen auf eine Stelle der Schrift: ,,halte dich nicht an
ein schlechtes Frauenzimmer, denn Honig traufeit Ton den Lippen
einer Hure'' (Spr. Sal. 5, 3): das deuteten sie auf die Philosophie
(5, 29 p. 332). Dem gegenüber legt nun Clemens eingehend
zweierlei dar: 1) Die hellenische Bildung, vor allem auch die
Philosophie, ist „ein Werk der göttlichen Vorsehung'* (1, 18
p. 327); denn „von allem Schonen, mag es nun hellenisch, mag
es unser sein, ist Gott der Urheber" (5, 28 p. 331), und „durch
ihre Bildung hat Gott die Hellenen auf Christus erzogen, wie
die Hebräer durch das Gesetz" (ib.). Jene Stelle der Schrift sei
falsch ausgelegt: sie beziehe sich, wie der Zusammenhang be-
weise, vielmehr auf die Sinnenlust. 2) „Wie diese hellenische
Bildung die Hellenen selbst zur Gerechtigkeit enog, so soll sie
uns zur Gottesfurcht erziehen: denn sie ist eine Vorschule {%qo-
xaideCa) für die, welche den Glauben auf dem Wege des Beweises
sieh erwerben wollen" (5, 28 p. 331). Denn „wie es meiner An-
lioht nach möglich ist, gläubig zu sein ohne Wissenaehafk, so
*y Bemerkanswert ist, dafs auch Paulus ep. ad GaL i» n ff. die alt-
■üKohfl Stelle allegoriBch gedeutet hat: maa Tngkiche wxne Alle-
dsr philoniflchen, um den fundameatalm ratertekied des palästi-
nikmsnhen und des alexandriniirb • hellMMAca Jadeatuu lu
Die Artes liberales. 675
sind wir nns darüber einige dafs es ohne Bildung unmöglich sei,
das in der Glaubenslehre Gesagte zu verstehen; denn das gut
Gesagte sich zu eigen zu machen^ das Gegenteilige sich fem zu
halten, ist nicht Sache des einfachen, sondern des wissenschaft-
lichen Glaubens (6, 35 p. 336)/' Um zu diesem Glauben zu ge-
langen, sei die hellenische ngonaideia, d. h. die iyxvxkLa (ladi^^
l/Loxa und die tpiXo6oq>Cay iiötig, aber nur als Mittel zum Zweck,
wie er mit ausführlicher Behandlung des philonischen Gleich-
nisses von Sarah und Hagar darlegt (5, 30 ff. p. 333 ff.); abgesehen
Yon anderem sei eine solche Vorbildung auch zum Verständnis
der h. Schrift nötig, in der oft grammatische, dialektische und
wegen ihrer absichtlichen Dunkelheit inhaltliche Schwierigkeiten
zu losen seien (9, 44 f. p. 342). Die Stellen, an denen Paulus
vor der weltlichen, speziell der philosophischen Bildung warnt,
bezogen sich nur auf die entartete Bildung, wie sie von den
Sophisten der Gegenwart vertreten würde (8, 39 f. p. 339 f. 10,
49 f. p. 346 f.).
Origenes, der eigentliche christliche Fortsetzer Philons in origonea.
der allegorischen Deutungsmethode ^), hat an die Stelle der ge-
nannten stoisch - philonischen Allegorie eine andere von genau
derselben Tendenz gesetzt: sie ist für alle Folgezeit bindend ge-
worden. In seinem Brief an Gregorios (Thaumaturgos) handelt
er über das Thema: y,Wann und wem die philosophischen Kennt-
nisse nützlich sind zur Erklärung der heiligen Schriften, auf
Grand eines Schriftzeugnisses" (vol. I 1 ff. Lomm.). Er bemerkt
zu Anfang, Gregorios sei so gut veranlagt^ dafs er sowohl ein
vollendeter römischer Jurist wie griechischer Philosoph werden
könne. Aber, fahrt er fort, „ich wünschte, dafs du die ganze
Kraft deiner guten Anlage hinsichtlich des Zwecks {zbXiti&s)
ansschlielslieh dem Christentum widmetest, dafs du aber als
Mittel zum Zweck {noiririx&g) von der hellenischen Philo-
sophie die dem Christentum gewissermafsen dienlichen Kennt-
nisse des gewöhnlichen Lebens oder der Vorschule (iyxvxXia
luc9iiliLata ^ XQOXaidBiiiuxta) hinzunähmest, desgleichen von
'der Geometrie und Astronomie das zur Erklärung der heiligen
1) Por^yr. adv. Chrifli bei Euseb. h. e. VI 19, 8 behauptet, Origenes
habe leme aUegorische Anslegungsmethode von der Stoa gelernt, was in-
direkt richtig ist; denn wer etwas Origenes gelesen hat, wcifs, dafs er
dnreli das Stadium Philons auch zn dessen stoischen Quellen geführt wurde.
XordtB, aatlka Ktmitpros». II. 44
670 I^ie Antike im Mittelalter.
Schriften Brauchbare^ damit wir das^ was die Philosophen von
der Geometrie, Musik, Grammatik, Rhetorik und Astronomie
sagen, sie seien Gehülfinnen der Philosophie, unsererseits auch
von der Philosophie selbst hinsichtlich ihres Verhältnisses zum
Christentum sagen können^^ Es folgt nun eine in der Zukunft
hoch berühmt gewordene allegorische Deutung von Exod. 11,
1 sq. („Es sprach der Herr zu Moses: Noch eine Plage will ich
über Pharao und Ägypten kommen lassen, darnach wird er euch
von hier entsenden. . . So sage nun insgeheim zum Volke, es
solle ein Jeder von seinem Nächsten fordern silberne
und goldne Gefäfse und Gewänder") Wie diese aus Ägyp-
ten mitgenommenen Kostbarkeiten zu dem von Gott befohlenen
Bau des Allerheiligsten verwandt worden seien (cf. Exod. c. 37 flF.),
so solle man es auch mit den weltlichen Wissenschaften machen,
denn diese seien zu verstehen unter den Agyptiem, bei denen
die Kinder Israel lange gelebt hätten, um sich endlich von ihnen
zu befreien.^) Aber vorsichtig müsse man das aus Ägypten Mit-
gebrachte verwenden: gröfser sei die Zahl derer, denen es ver-
derblich geworden sei: das seien die Häretiker.*) — Dieser
Theorie entsprach die Praxis, die Origenes bei seinen SchQlem
anwandte: derselbe Gregorios, an den er die obigen Worte schrieb,
hat uns darüber in seinem Panegyricus auf Origenes c. 7 (10,
1076 f. Migne) interessante Mitteilungen gemacht (genannt sind:
Dialektik in Verbindung mit Rhetorik, Musik, Astronomie, be-
1) E. Bernheim weist mich darauf bin, dafs dieselbe Stelle schon bei
Irenaeus liaer. IV 30 allegorisch gedeutet wird; freilich ist die Deutung ver-
schiedenartig, aber man lernt doch aus Irenaeus, besonders wenn man ihn
mit Tertull. adv. Marc. II 20 cf. IV 24. V 13 kombiniert, wie Origenefl
gerade auf diese Stelle geführt wurde; Marcion hatte nämlich in seinen
&9tid-i6sig den Diebstahl der Kinder Israel als Argument für seine Ver-
werfung des A. T. benutzt: denn Jesus habe seinen Jüngern nicht einmal
erlaubt einen Stab mitzunehmen, wie g^z anders also der Judengott. Da-
durch erhielt die Stelle offenbar auch in katholischen Kreisen eine gewisse
Celebrit&t: Irenaeus, Tertullian und Origenes deuteten sie sämtlich allegorisch
um, aber jeder yon ihnen auf Tenchiedene Weise.
S) Er denkt wohl i. B. an die H&resie des Artemon, von der eine
«Hidirift ani dem Anfang des m. Jh. bei Enseb. h. e. V 28, U be-
■iprig tag itflag to6 4^eo4) Ytftapiig ynofur^/cnr iniviidsvovetp
■Mfit tum» flrfvAv 9i2ojrtfiN»ff yesficr^ilrai, *AQi9totiXfig
ifilNWM' IVlqyAff y&f fiMiff ^6 turnt %al %ifoauv-
▼. Nozian«.
Die Artes liberales. 677
sonders auch Geometrie), ebenfalls Eusebios li. e. VI 18, 3 f. wo
er berichtet: noXXovg ivfiyav inl r« iy^vTiXia ygäfiiiccra (kurz
vorher nennt er sie 7CQ07Cai,dsv^ata)^ ov (itxgäv avtotg
B6e69ai g>döx(ov i^ ixsivav inLxri8Bi6zii]xa slg t»)v t&v
&si(ov ygatp&v d^sagiav xb xal jtaQaöxsvilv (aus Eusebios
Hieron. de vir. ill. 54).^)
Clemens und Origenes waren die grofsen Lehrer der folgen- owgor
den Theologen des Ostens wie des Westens. Unter den ersteren
nimmt Gregor von Nazianz eine hervorragende Stelle ein: 6
^BoXöyog war seine ehrende exemplarische Bezeichnung. Daher
mögen zwei Zeugnisse aus ihm zeigen, dafs die Thesen des
Clemens und Origenes: die profane Bildung ist notwendig, aber
ihr gebührt nur die Rolle einer Dienerin, Geltung behalten haben.
An der einen dieser beiden Stellen polemisiert er ganz wie Cle-
mens gegen die Verächter dieser Bildung (paneg. in Basil. c. 11,
vol. 36, 508 f. Migne): „Es herrscht wohl bei allen Verständigen
darüber volles Einvernehmen, dafs Bildung von allen unsern
Gütern das erste ist, und zwar nicht nur jene edlere und uns
gehörige Bildung, die alle anspruchsvolle Zierlichkeit in den
Beden gering achtet und nur das Heil und die Schönheit der
Gedanken zum Zweck hat, sondern auch die profane, welche eine
sehr grolse Zahl von Christen als eine hinterlistige und gefähr-
liche und von Gott weit entfernende verabscheut: ein böser Irr-
tum". Nachdem er das im einzelnen gezeigt und bemerkt hat,
dafs man nur in der Auswahl vorsichtig sein müsse, schliefst
er: ,^icht also darf man die Bildung gering achten, weil einige
dieser Ansicht sind, sondern man mufs Leute dieses Schlages viel-
mehr ftlr querköpfig und dumm halten, die freilich gern wollten,
dab alle so wie sie seien, damit in der Allgemeinheit ihre Sonder-
stellong verborgen bleibe und sie so der Überführung ihrer
Dummheit entgehen". In einem Gedicht betont er die dienende
1) Gf. auch die achOnen Worte des OrigeneR in Exod. hom. 11 c. 6
(IX 188 f. Lomm.) *et amdivit Moses vocern soceri sui et fecit quaecumque
dixU ei' (Ezod. 18, 84) ... . Unde et nos si forte aliquando invenimus ah-
qmid BOpimUr a gmMbua dichim, non continuo cum auctoris nomine sper-
MMV Memm H dieta, nuec pro eo, guod legem a deo datam tettemits, ivnvcnit
UM tmutm mtperbia «I tpemere verba prudentium, sed sicut apostolus dtcit:
^amma pröbtmlii, quod honum ett tmentes* (ad Thessal. I 6, 21).
678 Die Antike im Mittelalter.
Stellung, die der profanen Wissenschaft gebühre (carm. ad Seleac
240 flf., vol. 37, 1592 f.):
xal rilv (iddifiöiv r&v nag^ "EXlriötv Xöymv
&6nsQ ÖLxaötilg Ivvogiov iln\(pov tpigtov
imi^Qststöd'ai td^ov, &g i6rl nginov,
ry zßyv &Xrfi&v doyfidt(ov nagQtiöCa
ty 7Cav66q>(p xs x&v yQaq>&v ^sagia.
xal yäQ dCxaiov ti^v 6oq>(av roi) nvavfjLatog
ävmd'sv oiöav ix d'sov % ätp^yfiivriv
diönoLvav slvai tiig xdrm 7tai>ds'66s(og
&6XSQ ^BQanaCvrig fi'^ (läri^v fpvöafiivfig
inriQBXBtv d\ xo6iii(og sid'iöfidvrig'
r$ Tov d'sov yäQ ^ xdrm dovXsvita,
Nach diesen Prinzipien haben nicht bloüs die grofsen Manner
auf der Höhe ihres Wirkens gelebt, sondern nach denselben ist
auch der Unterricht auf den Schulen und Universitäten des
Ostens geregelt worden; für denjenigen, der den Lebenslauf des
Gregor von Nazianz und Basilius, sowie die fär alle diese Fragen
ganz besonders interessante Rede des letzteren (nQbg toi>g vdtwgj
Zxmg &v i^ ^Ekkrivix&v &(pBXotvzo X6yfov^ vol. 31, 564 ff. Migne)
kennt, bedarf es dafür keiner weiteren Beweise. Julian hatte
durch sein berüchtigtes Verbot des hellenischen Unterrichts bei
den 'Galiläem' die Axt an die Wurzel der verhafsten Religion
gelegt und nach seinem Tode brach ein Sturm der Entrüstung
gerade auch über dieses Verbot unter den gebildeten Christen
aus: über die Art der Abwehr seitens der letzteren hat beson-
ders der Kirchenhistoriker Sokrates (h. e. m 16) interessante
Dinge mitgeteilt ^) und zugleich seinen eignen Standpunkt in
der ganzen Frage der profanen Ausbildung eingehend dargelegt^
der sich von dem des Clemens und Origenes nicht unterscheidet:
TÖ Y&Q xaköv, iv^a ctv r), tdiov tf^g dlri^sCag iötlv sagt er auf
Grund derselben Worte des Apostels, die auch Origenes dafür
citiert hatte (s. o. S. 677, 1). Von gebildeten Männern hat, so-
viel ich sehe, nur emer, Joannes Chrysostomos, sich in gegen-
1) S. 0. S. 662. Dafs das Verbot übrigens wirklich praktische Kon-
Hpquonzon Imtto, jjoht aus folgender Thatsache hervor: Manns Victorinns,
dainal« »t'hon üborzoiigungstreuer Christ, legte sein Lehramt nieder (Angnst.
vouW VUl f>).
Die Artes liberales. 679
teiligem Sinn geäufsert, aber bei einer besondem Gelegenheit:
in seiner Ilede Vider die Verächter des Monchswesens' machte
er den Vorschlag, die Kinder statt zn weltlichen Lehrern zehn
bis zwanzig Jahre zn den Mönchen zu schicken (1. IQ c. 18, vol.
47; 379 ff. Migne); Ernst ist es ihm damit natürlich nicht ge-
wesen: es lag ihm daran, die Sache der Mönche zu heben. —
Genau ebenso verfuhr man im Westen und hier finden wir Auguttin.
nun eine folgenreiche Anknüpfung an jene Allegorie des Origenes,
deren Spuren mir im Osten nicht begegnet sind.^) In dem zweiten
Buch seiner bewunderungswürdigen Schrift De doctrina Christiana
(s. o. S. 526) erörtert Augustin von einem sehr freisinnigen
Standpunkt die Frage ^ was der Christ von den Heiden lernen
dürfe und müsse. Nachdem er alles im einzelnen genau aufge-
zählt und ausgeführt hat, schlieiBt er mit folgenden Worten
(60): ,;Wie die Ägyptier nicht blofs Götzenbilder hatten, die das
Volk Israel verabscheute, sondern auch Gefafse, goldene und
silberne, Schmucksachen und Gewänder, die jenes Volk bei seinem
Auszug aus Ägypten für sich selbst gewissermafsen zu einem
bessern Gebrauch heimlich in Anspruch nahm (und zwar nicht
aus eigner Machtvollkommenheit, sondern auf Befehl Gottes, in-
dem die Ägyptier, ohne es zu wissen, dasjenige ihnen liehen, von
dem sie selbst keinen guten Gebrauch machten): also enthalten
die Lehren der Heiden nicht blofs falsche und abergläubische
Erdichtungen und überflüssigen Ballast, sondern auch die zum
Dienst der Wahrheit passenderen freien Künste (liberales disci-
plinas) und einige äuüserst nützliche Moral Vorschriften, ja in
betreff der Verehrung des einen Gottes findet sich bei ihnen
einiges Wahre. Dieses, also gewissermafsen ihr Gold und
Silber, mufs der Christ ihnen entwenden, um es in ge-
rechter Weise bei der Verkündigung des Evangeliums
zu gebrauchen; auch ihre Gewänder, d. h. Einrichtungen, die
zwar von Menschen stammen, aber der menschlichen Gesellschaft,
ohne die wir nun einmal nicht leben können, darf er in Empfang
nehmen und für den christlichen Gebrauch behalten/'
1) Wenigstens ähnlich Gregor v. Nyssa de vita Mosis vol. 44, 360
Migne. Dafs die Allegorie des Origenes aber berühmt war, zeigt ihre
Au&ahme in die von Gregor y. Nazianz und Basilius aus seinen Werken
zosammengestellte <Pdo%aXia c. 13 (XIY 66 f. Lomm.).
680 Die Antike im Mittelalter.
2. Die propädeutisohe WertsohätEiing der Artes liberaloB im
Mittelalter.
a. Die Theorie.
Zeugnisse. Diese Wofte Augustins sind öfters citiert worden, zuerst
von Cassiodor de inst. div. litt. 28 (70^ 1142 Migne), so dafs
das Mittelalter sich also zur Rechtfertigung des in ihnen ausge-
sprochenen Gedankens auf seine Hauptgewährsmänner, Augustin
und Cassiodor, berufen konnte. Statt aber diesen Spuren nachzu-
gehen^), will ich lieber einige Belege bringen für die allgemeine
in ihnen niedergelegte Anschauung, dafs die artes, d. h. die
ganze heidnische Bildung, keinen Selbstzweck, sondern
einen blofs relativen Wert habe, insofern sie der Kirche
nutzbar zu machen sei. In dieser dienenden Stellung
der Wissenschaften liegt der fundamentale Gegensatz
des Mittelalters zum Humanismus ausgesprochen.') Ich
werde, wie ich es in andern Partieen dieses Werkes gethan habe,
aus einzelnen Jahrhunderten die bezeichnendsten mir bekannten.
Zeugnisse aufführen (sie würden sich leicht vermehren lassen),
weil ich glaube, so am besten die allgemeine Gültigkeit') dieses
Standpunktes beweisen zu können.
1) Z. B. Ratherius, Bischof von Verona, citiert von H. Guides, Gesch.
des deutschen Volkes und seiner Kultur zur Zeit der Karolinger etc. 1 658,
cf. auch Guggenheim 1. c. 20, Petrus Damiani (s. XI) op. XXXIT c. 9 (p. 250
der Pariser Ausgabe 1642), citiert von Montalembert, Las moines d^Occident
VI (Paris 1877) 205, 4. Die beiden frühsten Stellen aus dem Ma.: Sma-
ragdus (unter Karl d. Gr.) comm. in Donat. prolog. ed. H. Keil (De gramm.
quibusd. lat. infimae aetatis (Progr. Erlaug. 1868) p. 20, und Ambrosius
Autpertus (f 781) conmi. in apocal. 1. VIII praef., citiert bei J. Haufsleiter
in: Realencycl. f. prot. Theol. u. Kirche (3. Aufl., 1896) 308.
2) Cf. auch 0. Willmann 1. c. (o. S. 670, 1) 289 ff. 296 ff.
3) Ausnahmen sind selten. Man kann im allgemeinen sagen, dafs
deijenige, der die klassischen Studien ihrer selbst wegen betrieb, yerfolgt
wurde, cf. H. Reuter, Gesch. d. relig. Aufklär, im Ma. I (BerL 1875) 72.
78 ff. (Gerbert). 191. 229 H 4 ff . (Abälard und die von ihm ausgehenden
Richtungen, besonders die Schule von Cliartres). — Umgekehrt fehlen auch
nicht ganz Stimmen, welche die artes völlig verwerfen (für die Griechen
vgl. z. B. ülympiodor. Alex, in eccles. c. 7, 26 f. = 98, 672 Migne). Z. B.
gicbt es einen grimmigen Ausfall gegen die Künste des trivium Ton Ekke-
hard IV. von St. Gallen f c. 1060 (ed. E. Dünmder in: Haupts Zeitschr.
f. deutsches Altert. N. F. U [1869] 62 ff.), also von demselben Mann, der
Die Altes liberaleB. 681
Ennodius ep! IX 9: eine Verwandte liatte ihren Sohn in mmo. vi.
jungen Jahren dem geistlichen Beruf übergeben, ohne ihn Yorher
skidia liberälia treiben zu lassen. Später beschloß sie das nach-
zuholen und wendete sich an Ennodius. Dieser tadelt sie wegen
des Versäumnisses, denn eigentlich sei es jetzt zu spät: pro-
perantes ad se de discipUnis saectdaribus säluHs opifex non refutai,
sed ire ad illas qtiemquam de stw nitore non patitur. iam si eum
mundo subiraxeras^ dicendi in eo Schemata non requiras: erubesco
ecclesiastica profitentem omamentis saecularibus expolire. Doch wolle
er einmal eine Ausnahme machen. — Derselbe, opusc. VI p. 401 iL
Hart.: er preist in Versen die Verecundia, Castitas, Fides; darauf
fährt er fort: diesen Tugenden dürfe aber nicht fehlen stt^diorum
liberalium düigentiam, per quam divinarum bona rerum quasi pre-
tiosi monüis luce sublimentur^ worauf Verse auf die Grammatik
und Rhetorik folgen.^)
Karl d. Gr. encycl. de literis colendis (Mon. Germ. leg. sect. «»ec- ix.
II tom. I p. 79): kortamur vos, litterarum skidia non solum non
negligere, verum etiam humilUma et deo placita intentione ad hoc
eine ganz aufserordentliche Belesenheit in der heidnischen Litteratur be-
safs. Otloh, der auch in profaner Wissenschaft gelehrte deutsche Mönch
des XI. Jh. (cf. Wattenbach, Deutschi. Geschichtsq. 11 • 66 ff.), liber metri-
cus de doctrina spirituali (ed. Pez, Thes. anecd. nov. EEI 2 [1721] p. 431 ff.)
c. 11 (de libris gentilium vitandis) p. 442. Vor allem bezeichnend sind
einige ÄuTserungen des sehr gelehrten Petrus Damiani (cf. auch A.
Dresdner, Kultur- u. Sittengesch. d. ital. Geistlichkeit im 11. Jh. [Breslau
1890] 219 ff.), z. B. opusc. XIII c. 11: er eifert dort gegen die Mönche, die
parvi pendentes regulam Benedicti regulis gaudent vacare Donati. Sie be-
gründen ihre Beschäftigung mit den exteriores artes damit, ut locupletius
ad 8tt*dia divina proficiant Doch sucht Damiani entsprechend seiner Stel-
lung in dieser Frage dies Argument zu entkräften. Femer opusc. XLV (de
sancta simplicitate scientiae inflanti anteponenda), wo er einen Mönch tröstet
wegen seiner mangelhaften Kenntnis der artes z. B. c. 1 ecce, f rater, vis
grammaticam discere? disce deum plurcUiter declinare; artifex enim doctor
dum artem obedientiae noviter condit, ad colendos etiam plurimos deos in-
auditam mundo declinationis regutam introducit c. 7 kann er es sich nicht
versagen, zwei selbstgemachte Hexameter auf einen sapienter indodum ein-
zufügen, wofür er sich dann sofort tadelt: heu me miserumi . . versiculos
facimus ad similitudinem puerorum. Den allgemein gültigen Standpunkt
vertritt er dagegen op. XXXVI c. 6.
1) Ähnlich Fulgentius super Thebaide c. 5 (ed. B. Helm im Bhein.
Mus. LH [1897] 181 f.).
682 I>ie Antike im Mittelalter.
certatim discere^ ut facilius et rectius diversarum scriptu-
rarum mysteria valeatis penetrare.^)
Alcuinus grammatica (vol. 101 p. 853 f. Migne): Discipulos:
quos toties promisisti, septmos Oieorasticae disdplinae gradus nobis
ostende. Magister: sunt igitur gradus quos qmeriüs: grammatica,
rhetorica, diälecticaj arithmetica, geomebriay musica et asirologia. . . .
per has verOj filii carissimij semitas vestra quotidie currat adoles-
centta, donec perfectior aetas et cmimus sensu röbustior ad culmina
sandarum scripturarum perveniat, quatenus hinc inde armati verae
fidei defensores et veritatis assertares omnimodis invincibäes effi-
ciamini.
Babanus Maurus de clericomm institatione 1. III c. 16 ff.
(107, 392 ff. Migne) wiederholt z. T. mit wörtlichem AnschliÜB
die von Augustin de doctr. Christ. II gegebenen Weisungen.*)
iMo. x/xL Notker Labeo (f 1022) in seinem Brief an einen Bischof
von Sitten (Eanton Wallis), zuletzt ediert von P. Piper, Die
Schriften N.'s u. s. Schule I (Freib.-Leipz. 1882) p. 859 ff j dort
p. 860: artibus illiSy quihus me onustare vultis, ego renunciavi neque
fas mihi est eis aliter quam sicut instrumentis frui; sunt
enim ecclesiastici libri et precipue quidem in scolis legendi, quos
impossibile est sine Ulis prelibatis ad intellectum in-
tegrum duci, worauf er seine diesem propädeutischen Zweck
dienenden Schriften aufzahlt.^)
1) Ganz in demselben Sinn ist das Dekret des Papstes Engenins II
vom J. 826 (Mon. Germ. leg. t. II append. p. 17): de quHmsdam locis ad
no8 refertur non magistros neque cwram inveniri pro studio liUerarum: id-
circa iti UMiversis episcopiis st^iectisque plebibus et aliis locis, in quibus ne-
cessitas occurrerit, omnino cura et diligentia acffiibeatur, ut mctgistri et doc-
tores constituantur, qui studia litterarum liberaliumque artium häbentes
dogmata assidue doceant, quia in his maxime divina manifestantwr aique
declarantur mandata.
2) In demselben Sinn folgende Bemerkung aus dem IX. Jh. bei Thorot
in: Not. et extr. des ms. XXII (1868) 61 f.: eo liquidius potueris sacras per-
scrutari pagi^ias, quia peritia gramwaticae artis in sacrosancto senUinio laho-
rantihus ad subtiliorem intellectum, qui fjrequenter in sacris scripturis inseri'
tur, vdlde utilis esse dinoscitur, eo quod lector huius expers arHs in muUii
scripturarum locis usurpare sibi illa quae non habet et ignotus sibi ipsi esse
comprobatur. Cf. femer Ermenrich von St. Gallen (tB72) ed. £. Dumm-
ler (^Progr. Ilalle 1873) p. 6.
3) Cf denselben in einem rhetorischen Traktat ed. Piper 1. a 687 x
Diso.: an sapicntia sine elo^uentia oberit? Mag.: obdrtf flm'diW ^
Die Altes liberales. 683
Honoriüs Angustodunensis de artibas ed. Pez^ Thes. «aoo. i
anecd. noyiss. II (1721) 227 ff. Er unterscheidet die scientia von
der sapientia: durch erstere, d. h. die artes liberales, gelange man
ad sacram scripiuram quasi ad veram patriam, in qua multiplex
Sapientia regnat.
Auch Abälard steht durchaus auf diesem Standpunkt, cf.
besonders den Anfang des IL Buches der Introductio ad theo-
logiam (Abaelardi opera ed Cousin vol. 11 [Paris 1859] 67 ff.);
sein Grundsatz ist: äbsit ut credamus deum qui malis quoque ipsis
bene utitur, non bene eUam omnes artes quae eius dona sunt ordi-
näre, ut haec qtioque eitis maiestati deserviant, quantumcumque male
his (Autuntur perversi (p. 67); dieser Mifsbrauch besteht
eben darin, dafs einige sie nicht als Mittel zum Zweck,
sondern um ihrer selbst willen treiben: von diesem Ge-
sichtspunkt aus erklärt sich auch, wie er nachweist, ein so ver-
werfendes Urteil über die Beschäfbigung mit der heidnischen
Litteratur, wie es z. B. von Papst Gregor d. Gr. überliefert wird
(p. 70); daher ist auch Hieronymus mit Recht von Gewissens-
qualen wegen seiner Lektüre der Heiden gefoltert worden, weil
er non pro utilitate aliqua, sed pro oblectatione eloquentiae illius
intendAat neglecto sacrae scripturae studio, cuius quidem, ut ipsemet
ait, incuÜus ei sermo horrdxU (p. 71); nach A. hat die Grammar
tik und Rhetorik Wert nur, insofern diese Künste reflektiert
werden auf die h. Schrift.
Hugo de S. Victore erudit. didasc. L III c. 3 (176, 768
Migne): sunt artes liberales quasi optima quaedam instru-
menta et rudimenta, quibus via paratur animo ad plenam
philo sophieae veritatis notitiam. hinc trivium et quadri-
vium nomen aeeepit, eo quod iis quasi quibusdam viis vi-
vax animus ad secreta sophiae introeat^)
doquenHam vim mam exierü (1. exserif) sapientia; verutntamen »ajnenUa jiro-
desi sine doqumUa, eloquentia auiem numquam prwlerit nine mpienti^i. ■-■
Cf. auch Landnlfns bist. Mediol. II 36 Ol G scnpt. VIU 71; nUr Hi#; Kin-
richtang der MaüSiider Schule 8. XI, und AnfielmuH der TcriimU;tik«;r\
Bethorimachia (ed. E. Dfimmler, Halle 1872) L II.
1) Bme interessante Stelle aas Bernhard ▼. Clairvaux, nerm. 3G in
caaBtt. (18Sy967fll Migne), angeführt von Mabillon, De Htud, iflonaiit. (fA, 2
YwilwKir ITM) M. Dia dienende Stellang der arte» kommt «ehr thttjiVwh
■^«r Abbildung^ weldia Herrad ▼* Landviicrg, khiinmn
684 Die Antike im Mittelalter.
Joh. Sarisberiensis entheticus v. 373 f. (vol. V p. 250
Giles) nach Aufzählung der artes liberales, die in der Philosophie
ihren Abschlufs finden:
quum cunctas artes, quum dogmata cuncta peritus
noverit, imperium pagina sacra tenet.
und besonders v. 441 flf. von der h. Schrift:
haec scripturarum regina vocatur, eandem
divinam dicunt, nam fadt esse deos.
est Sacra, personas et res quae consecrat omneSy
hanc Caput agnoscit Philosophia suum;
huic omnes artes famulae.^)
aec. XIV. Die Humanisten haben, wie wir später sehen werden, wie
mit den artes überhaupt, so auch mit der dienenden Stellung
der heidnischen Studien gebrochen. Als ein Dokument aus der
Übergangszeit mag hier folgende Darstellung angeführt werden,
auf die ich aufmerksam geworden bin durch E. Gebhart, Les
origines de la renaissance en Italic (Paris 1879) 58: auf dem
Fresko des Taddeo Gaddi (f 1366) im Capellone dei Spagnuoli
zu Florenz ist dargestellt: Thomas von Aquino zwischen Pro-
pheten und Evangelisten; darunter 14 weibliche Gestalten, näm-
lich die 7 artes liberales mit ihren Hauptvertretem sowie: Liebe
(Augustin), Hoffnung (Johannes v. Damaskus), Glaube (Dionys.
Areop.), praktische Theologie (Boethius), spekulative (Petrus
Lombardus), kanonisches Recht (Papst Clemens V), weltliches
Recht (Justinian).^) Da alle 14 Figuren auf gleicher Linie
stehen, bemerkt Gebhart richtig: iciy la pensee est, bien moins gue
dans le reste de VOccident, ancilla theologiae^)
von St. Odilien (f 1195), ihrem Hortus deliciarum beigegeben hat : Herrad
V. L. etc. von Chr. Engelhardt (Stuttg. 1818) Taf. Vm, cf. 0. Willmann
1. c. (o. S. 670, 1) 276.
1) Absichtlich übergangen habe ich in der obigen Zeugenreihe eine
Stelle, auf die ich einst grofsen Wert legte: Gregor d. Grofse in primum
librum regum cxpositiones 1. V c. 3 § 30 (79, 356 f. Migne). Das Werk ist
nämlich allem Anschein nach ein Erzeugnis des späten Mittelalters, cf. die
Bemerkungen der Mauriner zu ihrer Ausgabe (1706) vol. III pars 2 praef.
Da ich also das Zeugnis zeitlich nicht einreihen konnte, habe ich es ganz
woggelassen.
2) Genaueres in Crowe-Cavalcaselle, Gesch. d. ital. Malerei (Ühersets.
von M. Jordan) I (Leipz. 1869) 306 f.
3) Die streng-theologische Auffassung befindet sich ja noch heute mit
Die Artes liberales. 685
b. Die Praxis.*)
Vita^) loannis Damasceni (saec. VIII), yermutlich von Jo- Zeugnis*
hannes VI von Jerusalem f c 969, c. 9 (94, 441 Migne): ein
Mönch aus Calabrien, Cosmas, ist in saracenische Gefangenschaft
geraten; dem Vater des Johannes giebt er in Damascus eine
Schilderung seiner Studien, die jenen veranlafst, ihn zum Er-
zieher seiner Söhne zu machen. Der Mönch führt aus: Sri
näöav fistysiv &v%'Qf07clvviv 6og>iav xal tiiv iyxvxlLOV
TtQoiJTtsd'iiiriv &6X6Q d'Sfiiliov. r§ ^xoQixy tifv yX&06av
^gij(Txijfia& ' tatg duclextixatg yi,ed'68oig xal inodei^Eat tbv k6yov
7t£7taid6viittt' zi^v '^d'ix'^v ^tysLV Zcriv 6 ZtayBiglzvig tulX Zotiv 6
tov ^j4qC(Sx(ovoq TcaQaSiSfoxB' xä nsgl xi^v gyvöLxiiv ^aagiav &7Ca-
öavj üg Cxavhv äv^Q^na^ ivxBd'swQtixa' iQt^iitixvxfig Sh xoi^g kö-
yovg iieiidd'rixa' yemiiBtQiav slg Stcqov il^TJöxrifiai' agfiovoXoyiag
dh fiovaixfig xal ivaXoyCag s'bxdxxovg 0€iivoxQS7t&g xax6(f^cjxa'
oöa X6 7C€(fl xiiv oiQavvov xivriCiv, xi^v x&v aötigcDv negifpogäv
ov TCaQskvTCov .... ivxsvd'Bv slg xä xr^g d'eoloyiag iiexBßrjv
livCxT^gLUy ^v xe natSsg 'Ekkif^voav Ttagidfoxav xal ^r oC xa^'
fliiäg d'BoköyoL dLSöd(pri6av Ankaviöxaxa. Dann wird c. 11 ge-
schildert, wie er in diesen Wissenschaften den Johannes imd
dessen Bruder imterrichtete.
Vita S. Gregorii Magni papae (f 604) auctore lohanne dia-
cono (s. IX), AA. SS. Boll. 12 Mart. II lib. II c. 2, 13 p. 150
tunc rerutn sapientia Botnae sibi templum visibiliter quodam-
modo fäbricarat et septemplicibus artibus, velut colnmnis
nobilissimorum totidem lapidum, apostolicae sedis atriutn
fulciebat nullus pontifici famulantium barbarutn qtwdlibet in
sermone vel habitu praeferebat, sed togata Quiritium more seu tra-
Augustin und dem Mittelalter im Einklang. Auch Melanchthon urteilte so,
cf. K. Hartfelder, M. als Praeceptor Germaniae, in: Mon. Germ. Pacdagog.
VII (Berlin 1889) 162. Im J. 1543 hat er dies in seiner Rede De uccessaria
coniunctione scholarum cum ministeriis eyangclii durch den historischen
Nachweis gestützt, dafs die Schulen von jeher mit den Klöstern verbunden
gewesen wären.
1) Die Zahl der Beispiele könnte ich besonders aus den Acta Sanc-
torum leicht vermehren. In den landläufigen Darstellungen des Schul-
wesens im Mittelalter wird gerade auf solche Biographieen kaum Rück-
sicht genommen.
2) Citiert von Mabillon L c. 44.
686 ^6 Antike im Mittelalter.
beata latinitas suum Latium in ipso Latiäli pälatio singtdarHer
obtinebat reflamerant ibi diversarum artium sttidia^)
Vita S. Abbonis abbatis Ploriacensis (f 1004) auctore Ai-
moino monacho (139, 390 Migne). Zunächst im Kloster (Fleury)
liberälium artium sumebantur exercitia. Dann: maiara gliscens
scientiae scrutari arcana diversorum adiit sapientiae ofßcinas loco-
rum, uty quia grammaticaey arithmeticaey nee non diaUcticae iam ad
plenum indaginem attigerat, ceteras ingenio sw) pergeret superadicere
artes. quapropter Parisitis atque Bemis ad eos qui phüosophiam
profitebantur profecttis aliquantulum quidem in astronomia, sed non
qtumtum cupierat, apud eos profedt inde Aurdianis regressus
musicae artis dulcedinemy qiMmvis occulte propter invidos, a quodam
clerico non patuns redemit nummis. itaque quinque ex his quas
liberales vocant plenissime imbuius artibus sapientiae magnüudine
amicos praeibat coaetaneos. supererant rhetorica, nee non geometriay
quarum plenitudinem etsi non ut voluit attigit, nequaquam tarnen
ieiunus ab eis fundittis remansit nam et de rhetoricae ubertate
facundiae Victorinumy quem Hieronymus praeceptorem se habuisse
gloriatur, legit, et geometricorum multiplieiUxtem numerwn non
mediocriter agnovit. . .denique quosdam dialecticorum nodos syHogis-
morum enucUatissime enodavii, . ,de solis quoque ac lunae seu plane-
tarum cursu a se editas dispositiones scripto posterorum mandavit
notitiae,
Guibertus, Abt von Nogent (Diöcese Laon) f 1124, de vita
sua libri III (156, 837 flF. Migne). Er besuchte die Elementar-
schule seiner Vaterstadt Beauvais, aber, wie er berichtet (I 4
p. 844): erat paulo ante id temporis et adhuc partim sub meo tem-
pore tanta grammaticorum Caritas, ut in oppidis pene nulluSy in
urbibns vix aliquis reperiri potuisset, et quos inveniri contigerat,
eorum scientia tenuis erat nee etiam moderni temporis dericulis
vagantibus comparari poterat is itaque cui mei qperam maier
mandare decreverat, addiscere grammaticam grandaevus incqperat
tantoque circa eandem artem magis rudis exstüity quanto eam a
tenero minus ebiberat. Sechs Jahre brachte er in dieser Schule
zu, ohne etwas anderes als Prügel davongetragen zu haben.
Noch in jungen Jahren trat er in das Kloster Flavigny ein, wo
1) ÄhnHch Vita S. PauU Virdunensis (f c. 649) AA. SS. Boll. 8. Febr.
II 176 f. Einiges andere derart bei J. Pitra, La vie de S. Läger (Paris 1846) 62.
Die Altes liberaleB. 687
er sich eifrig wissenschaftlicher Beschäftigung hingab , aber
(c. 17 p.872 f.) cum versificandi studio uUra omnem modum tneum
animum immersissemy ita ut universae divinae paginae seria pro
tarn ridicüla vanitate sqponerem^ ad hoc ipsum duce mea levüate
tarn veneramy ut Ovidiana et Bucolicorum dida praesumerem et
lepores amatorios in specierum distributionibus epistolisque nexilibus
affectarem. Er erzählt dann, wie er die von ihm nach diesen
Mustern verfaTsten Gedichte unter falschem Namen seinen Freun-
den vorgelesen habe, bis ihn der h. Anseimus, damals noch Prior
jenes Klosters, durch die Lektüre der Schriften Gregors d. Gr.
auf den richtigen Weg zurückführte.
Vita des spätem Erzbischofs von Mainz Adelbert 11 (f 1141),
beschrieben von einem Anseimus, ed. Jaff(£, Bibl. rer. Germ. lU
(Berlin 1866) 565 ff. Gaboren in Saarbrücken hätte er, wie zu
erwarten gewesen wäre, die berühmte Schule zu Mainz besucht,
si non cura chori foret huic invisa labori
nee rigor ecdesuie daret impeditnenta sophiae:
nam psaimodia disconvenit atque sqphia
(67 ff.). So begab er sich auf die Schule zu Hildesheim, wo er
Grammatik lernte, sowie in Vers und Prosa zu schreiben (130 ff.).
Dann kehrte er nach Mainz zurück, doch riet ihm sein Oheim,
der damalige Erzbischof (Adelbertus I), die Stadt wieder zu ver-
lassen, um auswärts Weisheit zu lernen. Er ging nach Reims
(270 ff. wird beschrieben, was da noch an alten Göttertempeln
zu sehen sei), wo er auTser der Jurisprudenz die artes liberales
erlernte. Aber noch war sein Oheim nicht zufrieden: er schickte
ihn abermals fort, und zwar nach Paris. Bei dem berühmtesten
dortigen Lehrer studierte er Grammatik, Logik und besonders
Rhetorik. Auf dem Rückweg von Paris lernte er dann noch in
Montpellier Medicin und Physik. Im J. 1138 wurde er nach
dem Tode seines Oheims Erzbischof ^)
1) Solche Bildungsreisen waren schon im IX. .Th. üblich, sogar bei
Mönchen, cf. Cuissard - Gaucheron , L'ecole de Fleury in: M<$moirea de la
soci^t^ archdol. et bist, de TOrldanais XIV (1876) 682.
688 I^ie Antike im Mittelalter.
Drittes Kapitel.
Die Anctores im mittelalterliolieii Bildimgsweseii. Der Gegensatz
von Anctores nnd Artes.
verpönimg Es kommt mir in diesem Kapitel nur darauf an, die allge-
Antoren. meinen Verhältnisse festzustellen, und da wird man sowohl aus
allgemeinen Erwägungen als auf Grund der Quellen sagen dürfen:
während die artes das Ferment der höheren wissenschaftlichen
Bildung waren^ traten die klassischen anctores ganz in den Hinter-
grund oder wurden geradezu als gefährlich ausgeschlossen.^) Das
ist begreiflich genug. In dem System der artes , das im Mar-
ianus und den zu einzelnen Teilen seines Werkes verfafisten
Kommentaren vorlag und fiir bescheidenere sowie spezifisch
christliche Ansprüche im Lauf der Jahrhunderte immer mehr
zusammengedrängt worden war^ hatte man das Wesentliche und
Nützliche der klassischen Bildung in bequemer und vor allem
unanstöfsiger Form zusammen; was brauchte man die anctores,
in denen auf jeder Seite gefährliche Dinge zu lesen waren, über
die man sich nur durch die bei schwachen Gemütern versagende
Gewaltkur der allegorischen Auslegung hinweghelfen konnte?
Und wenn einer sich gar daran machte , auch Ovids Liebes-
gedichte für Nonnen zu allegorisieren^), so war das doch ein
zu starkes Stück selbst für die in solchen Dingen seit den Zeiten
der seligen Stoa stumpf gewordenen Sinne auch von Gebildeten.
Ästhetischen Genufs gewährten die Schriftsteller auch nicht einer
Generation von Menschen, die meist Geschmack an dem Bizarren
und Perversen hatte und dem Denken und Fühlen der Antike
entwachsen war. Besser also, man warf den alten Plunder in
die Ecke und begnügte sich mit dem auf Flaschen gezogenen
Bildungsextrakt der artes. Warnende Beispiele hatte mian ja
genug. Die famose Vision des h. Hieronymus war den Gemütern
fest eingeprägt: eine ganze Reihe von gebildeten Männern des
Mittelalters hat in angstvollen Träumen dieselben Prügel zu be-
kommen fest geglaubt, die einst dem Hieronymus in jener
1) Schon auf dem sog. vierten karthagischen Konzil (436) wird ver-
ordnet: ut episcopus gentilium libros non legat (III 946 ff. Mansi, c. XVI).
2) Cf. das Gedicht ed. Wattenbach in: Sitzungsber. d. Bayr. Akad.
1873, 696 ff.
Auctores und Aztes. 689
Schreckensnacht zuteil geworden waren, weil er es nicht lassen
konnte, lieber für einen Ciceronianus als f&r einen Ghristianus
zu gelten.^) Cassianus, der Stifter des occidentaiischen Mönchs-
Wesens, hatte sich verflucht, dafs ihm beim Gebet und beim
Absingen des Psalters die Teufelsgestalten der heidnischen My-
thologie Tor Augen tanzten (s. o. S. 575).
Für die prinzipielle Trennung der artes und auctores giebt
es auch direkte Zeugnisse. Schon Serratus Lupus (s. IX) ep. 1
(ad Eginhardum: 119, 433 f. Migne) berichtet, er habe zuerst
die artes liberales bei seinem Lehrer getrieben, dann audorum
voluminibitö spatiari aliquanUim coepi: er war eben zu hoch ge-
bildet, als dafs er sich mit der Alltagskost der grofsen Masse be-
gnügt hätte. Auf dem oben (S. 683, 1) angeführten Bilde aus dem
Hortus deliciarum der Herrad von Landsperg (f 1195) nehmen
die Personifikationen der artes einen höchst ehrenvollen Platz
ein, aber unter dem Ganzen sitzen an ihren Pulten vor aufge-
schlagenen Büchern vier Männer, von denen zwei Feder und
Federmesser in den Händen halten; jedem flüstert ein Rabe
etwas ins Ohr. Ihre Beischrifb: Poete vel magi spiritu immundo
insiindi und: isH immundis spiritihtis in^rati scribunt arteni
tnagicam ac poetriam - i • fabulosa commenta. Vor allem lehrreich
ist eine lange Ausführung des gebildeten und ziemlich frei-
sinnigen Hugo von St. Victor (f 1141) erud. didasc. 1. III c. 3 f.
(176, 768 Migne). Er hat von der Notwendigkeit gesprochen,
sich die sieben artes gründlich anzueignen, denn aus ihrer gegen-
wärtigen Vernachlässigung erkläre es sich, dafs es früher so viele
Weise gegeben habe, jetzt nicht mehr. Aber man müsse, wie
1) Cf. A. Dreedner, Kultur- u. Sittengesch. d. ital. Geistlichkeit im 10.
u. 11. Jb. (Breal. 1890) 228 f., Th. Zielinski, Cicero im Wandel der Jahr-
hunderte (Leipz. 1897) 71 und besonders Wattenbach, Geschichtsquellen d.
Ma. I* (Berlin 1898) 824 f., sowie H. v. Eicken, Gesch. u. System d. ma.
Weltanschauung (Stuttg. 1887) 691 ff. Noch Petrarca erzählt dasselbe von
sich (cf. A. Hortis in: Archeografo Triestino N. S. VI 120), aber er koket-
tiert wohl mehr damit, während man bei dem stark ausgeprägten Gefühls-
leben des Mittelalters an der Realität solcher Visionen (cf. G. Fritzsche, Die
lat. Visionen d. Ma., Diss. Halle 1886 und in Vollmöllers "Rom. Forsch. 11
[1885] 247 ff. III [1887] 887 ff.) gar nicht zweifehl darf. Noch Lorenzo Valla
widerlegt in allem Ernst die Ansicht, dafs aus dem Traum des Hieronyn
etwas für die klassischen Studien zu folgern sei: Elegantiae (c. 1440) L
praef. (ed. Argentorat. 1617) f. 109 ff.
f;i>(> Die Antike im Mittelalter.
or aufs eindringlichste betont, scharf scheiden zwischen den artes
und deren ^Appendix', den antiken auctores: ebenso notig wie
die aries für die Bildung seien , so unnötig an sich die Schrift-
steller, denn das Nützliche , was in diesen stehe, lerne man ja
alles in den artes; höchstens deshalb möge man, wenn man
gerade MuCse habe, die Schriftsteller lesen, quia aliquando plus
(lelectare solent seriis admista ludicra. verumtantm in sqptem Hbe-
ralibus artibus fundamentum est omnis doctrinae. —
KriiÄituiJK Trotz dieser, wie ich glaube, im allgemeinen zutreffenden
Auiorun Lage der Dinge sind uns nun aber die überwiegend gröüste Zahl
der klassischen Schriftsteller nur durch Abschriften des Mittel-
alters erhalten worden. Widersprach also die Praxis der Theorie
oder lassen sich andere Momente finden, welche diese beiden
scheinbar auseinanderfallenden Thatsachen verbinden?
I fiurrh di« Das eine Moment ist der wissenschaftliche Sinn, der in den
Klöstern durch die oben dargelegten Bestrebungen des Cassiodor,
der Iren und der Angelsachsen ein für alle Male eingebürgert
war und der in den verschiedenen Ländern des Abendlandes zwar
nicht in gleichem MaCse verbreitet war (Frankreich stand voran,
Italien zu unterst) und oft in einem und demselben Kloster
nicht zu allen Zeiten gleich stark hervortrat (Bobbio und Monte-
^ cassino geben die deutlichsten Beispiele), aber nie ganz ausstarb.
Doch liegt dieses Moment hier aufserhalb meiner Betrachtung,
wo es mir darauf ankommt, den allgemeinen Zug der Ideen dar-
zulegen, der uns das Werden der Renaissance historisch ver-
stehen läfst: denn nicht an diese von dem Treiben der Welt
abgeschiedene Thätigkeit unbekannter bücherabschreibender
Mönche^) haben die Humanisten angeknüpft, mögen sie auch
1) Das Beste, was es bis jetzt darüber gicbt, ist auTaer den biblio-
j^raphisrlion Arbeiten Montfaucons, G. Beckers, Th. Grottliebs und L. De-
liziös' die buchst dankenswerte, nach Autoren geordnete Zusammenstellung
von M. Manitins, Philologisches aus alten Bibliothekskatalogen bis 1300,
im Khcin. Mus. XliVIII ErgOnzungsheft (1892), cf. auch L. Traube, Cber-
liofonmgsgcsch. röm. Schriftst. in: Sitzungsber. d. Bayr. Ak. 1891 p. 387 ff.
Was wir aber noch brauchen, ist folgendes: I. Eine wissenschaftliche Qe-
schichte der einzelnen Klöster, wie wir sie für Corbie Ton Delisles (Re-
chcrchos sur ranciennc bibL de C, Paris 1860), für Gluny von E. Sackur
(Die Glaniacenser, Halle 1892—1894), für Montecassino yon A. Dantier
(Lm monastörea b^n^dictins d'Italie, Paris 1866), für Hersfeld in dem kurzen,
ishattfonoii Abiifs Ton 0. Holder-Egger (in seiner Ausgabe des Lam-
sance.
Auetores und Artes. G91
ihnen das Material zu ihrer Repristination der Antike verdanken.
Uns interessiert hier vielmehr das zweite Moment: es hat zu 2. durch di
allen Zeiten im Mittelalter namhafte Männer gegeben ^ die sich der Be^i!iB
über die Vorurteile der grofsen Masse hinwegsetzten xmd mit
den antiken Autoren, den Vertretern einer im wesentlichen über-
wundenen Weltanschauung y freien Sinns verkehrten. Auch das
Abendland hat seine Photios, Arethas und Psellos gehabt. Da
sie mit geringen Ausnahmen Geistliche waren und zwar fast
alle solche, die hohe Stellungen einnahmen, so war ihr Einflufs
und ihr Beispiel bedeutend, und, da sie zu verschiedenen Zeiten
und in den meisten Kulturländern, vor allem aber in Frank-
reich^), auftraten, anhaltend und weitverbreitet; auch auf die
bert, Hann.-Leipz. 1894, p. XU ff.) besitzen (die älteren Behandlungen wie
die Fuldas von J. Gegenbaur, Bobbios von A. Peyron reichen längst nicht
mehr aus). IL Eine Erörterung der Motive, die für die Überlieferung gerade
der uns erhaltenen Schriften mafsgebend gewesen ist. Diese waren 1) äufserer
Art^ z. B. sind die ersten Annalenbücher und die Germania des Tacitus, bis
zu einem gewissen Grade auch Ammian, begreiflicherweise gerade in Deutsch-
land, die Bücher Caesars vom gallischen Krieg in Frankreich, Catull in
Verona gern gelesen worden, ebenso wie es gewifs kein Zufall ist, dafs
die Schrift Frontins über die Wasserleitungen gerade in Montecassino ab-
geschrieben ist, von wo aus man die Campagna überblickte, cf. auch die
folgende Anmerkung; 2) innerer Art, insofern das utilitaristische Inter-
esse durchaus vorherrschte, nämlich a) das der Schule (aufser den Gram-
matikern Vergil, Terenz, Sallust: darüber einige interessante Einzelheiten
bei C. Weyman im Philol. N. F. VI [1897] 472 f.; in zweiter Instanz Lucan,
Statins, Persius, luvenal), b) das des Lebens, nämHch a) für die praktische
Nachahmung: so für die Abfassung von historischen Werken aufser Sallust
auch Sueton und Livius, für die Abfassung von Reden die Beden und rhe-
torischen Schriften Ciceros und die Beden aus Sallust, für die Abfassung
von Gedichten in den antiken Metren Ovid etc., ß) für die Moral, auf die
es dem Ma. vor aUem ankam: daher das aufserordentUche Interesse für
Seneca und Ciceros philosophische Schriften von den Zeiten des Ambrosius
und Augustinus bis tief in die Zeit der Renaissance , ja die Zeit der Re-
formation (Melanchthon) und der Aufklärung (Voltaire), woraus es sich z.
B. erklärt, daÜB noch auf unsem heutigen Gymnasien Cicero de officiis ge-
lesen wird; daher ist auch Valerius Maximus erhalten (cf. besonders einen
c. 1160 geschriebenen Brief des Wibaldus, Abtes von Corvey, in Bibl. rer.
Germ. ed. Jaffö I 280), den noch Petrarca (ep. de reb. fam. IV 16 p. 238
Frac.) und sein französischer Gegner (Galli anonymi invectiva in Petrarcam
p. 1062 f. der Basler Ausgabe des Petrarca vom J. 1664) als philosophus
moralis auffassen.
1) Es ist doch recht bezeichnend, wie sich, wenn wir das Allgen
Korden, antike KnnstproM. n. 46
C92 I>ie Antike im Mittelalter.
Kloster haben ihre Bestrebungen wieder eine segensreiche Rück-
wirkung gehabt, da sie meist selbst aus diesen hervorgegangen
waren und oft wieder in sie eintraten. Wir dürfen diese Männer
in höherem oder geringerem Grade als Vorgänger der Huma-
nisten bezeichnen und sind ihnen wie diesen zu Dank Terpflichtet,
denn ohne ihre Bemühungen würde auf dem weiten Trümmer-
ioH Auge fassen, die Oberliefenmg der verschiedenen Grattungen yon antiken
Schriften über die romanischen Länder und Deutschland yerteilt. Dort
Qberwog das ästhetische (stilistisch-poetische), hier das sachliche Interesse.
Poggio wufste, dafs er auf Ciceros Reden in Frankreich fahnden müsse:
thatsächlich boten Cluny und Langres viele, während er in St. Gallen ver-
geblich suchte, dafür hier freilich Asconius fand; in Lüttich, also auf ur-
sprünglich französischem Boden (erst 870 kam es durch den Vertrag von
Ifersen an Deutschland) fand Petrarca zu seinem Erstaunen zwei Cicero-
reden, darunter vermutlich die für Archias; im Kloster von Hildesheim
waren um 1150 Ciceros philippische Reden und de lege agraria, aber, wie
ausdrücklich bemerkt wird, de Francia adductas (Bibl. rer. Germ. ed. Jaffe
1 327) ; Brunetto Latini (f 1294) hat als erster drei Ciceroreden ins Italienische
übersetzt (darüber Näheres später); der Brutus ist nur durch Italien er-
halten, die Bücher De oratore und der Orator durch Italien und Frankreich
(über Cicero in Frankreich zur Zeit der Revolution cf. Th. Zielinski, Cicero
im Wandel der Jahrhunderte [Leipz. 1897] 50 ff.); Festus (den man sti-
listisch verwertete , cf. die Vorrede des Paulus) ist durch Italien erhalten,
in Frankreich bekannt gewesen (Manitius p. 39); auch die durch Italien
erhaltenen Bücher Varros de lingua latina wurden aus stilistischen Grün-
den tradiert, denn Grammatik und Stilistik deckten sich im Ma. ; Properz
ist uns wohl durch Frankreich erhalten: denn nur dort wird er im Ma.
einmal erwähnt (cf. Manitius 1. c. 31) und von da wird also wohl Petrarca
die Hs. mitgebracht haben, die er las und von der unsere abstammen (cf.
P. de Nolhac, Pdtrarque et Thumanisme [Paris 1892] 141 ff.); Tibull ist
im Ma. nachweisbar nur in Frankreich (cf. Manitius 1. c. 31 und unten S. 704.
718, 2) und Italien (cf. Baehrens praef. p. VI und Haupt opusc. I 276 f.);
Catull ist entweder durch Frankreich oder durch Italien erhalten (cf.
Haupt, Quaest. Cat. 3 f.); nur durch Frankreich, nämlich durch die beiden
berühmten Kxcerptenhandschriften s. IX/X (cod. Sannazarianus «= Vindob.
277 und cod. Thuaneus = Paris. 8071) Ovids Halieutica, Grattius, Ne-
mesians Cynegetica (letztere im Ma. erwähnt nur von Hincmar y. Reims
t 8K2, cf. Haupt vor s. Ausg. p. 42); bei Horaz überwiegt quantitativ und
ciualitativ Frankreich. Dagegen wurden die Historiker (aufser Caesar, fSr
den auch Frankreich begreiflicherweise Interesse hatte) mit besonderer
Vorliebe in Deutschland gelesen, wie z. B. für das IX. Jh. in Fulda durch
Einharts Vita Caroli feststeht: an unserer Überlieferung des Tacitus hat
(neben Italien) Deutschlaud den gröfsten Anteil, ebenso an der des Florus,
auch bei Li v ins überwiegt Deutschland.
Das IX. Jahrh. : Karl der Grofse. 693
felde des Altertums, wie es Petrarca und seine Nachfolger an-
trafen, eine noch gröfsere Anzahl von Säulen zu Boden gestürzt
sein. Ich werde im folgenden Tersuchen, diese Manner und die
von ihnen ausgehenden Richtungen in ein helleres Licht zu
rücken. Die unmittelbare Veranlassung zu diesem Versuch war
für mich das wissenschaftliche Bedürfnis, einen Petrarca nicht
blofs als ein an keine Zeiten und keine Verhältnisse gebundenes
Genie anstaunen, sondern als den grofsten Nachfolger einer Reihe
von mehr oder weniger bedeutenden Vorgängern bewundem und
die Möglichkeit seines Erscheinens und damit des Humanismus
überhaupt historisch begreifen zu können.
Viertes Kapitel.
Die klassicistischen Strömungen des Mittelalters. Der Kampf der
auctores gegen die artes.
I. Das nennte JaJrrhnndert«
1. Das Zeitalter Karls des Grofsen.
Das Zeitalter Karls des Groüsen pflegt man als die Epoche Karo-
der ersten Renaissance zu bezeichnen. Darin ist eine gewifs nnd eigent-
richtige Erkenntnis ausgesprochen. Das unmittelbare Verdienst ^^J^^^.
des gewaltigen Imperators liegt in dem Verständnis, das er den ^- »«rüh-
kulturellen und litterarischen Bestrebungen der vergangenen Jahr-
hunderte entgegenbrachte y und in der Centralisation dieser Be-
strebungen an seinem Hofe. Thatsächlich waren ja dort die er-
lesensten Männer aller derjenigen Nationen versammelt, die wir
als Kulturträgerinnen kennen gelernt haben, der Iren^), Angel-
sachsen^) und Langobarden'), zu denen sich Gelehrte seines
eignen Volks und Spanier gesellten. Es liegt mir selbstverständ-
lich fem, auf ohnehin bekannte Einzelheiten einzugehen; nur ein
1) Zimmer 1. c. (oben S. 667, 2) 86 ff.
2) Über Alcuin urteilt A. Hauck, Eirchengesch. Deutschl. 11 (Leij
1889) 116 ff. viel richtiger als Ebert 1. c. IT 12 ff.
8) W. Giesebrecht, De litt. stnd. ap. Italos prim. med. aev. saec,
gramm d. Joachimsthal. Gymn. Berlin 1846.
46*
'•;ff4 Die Antfze im Ulttifflaltg.
pa^r allgemeine Ponkte mochte ich herrorhefaen. Das Moment,
weiehei» die karolingische Wisaenschafb von derjenigen der Ver-
gän^^enheit onterscheidety ist ein gewisser freierer Zog, der fde
an.) den Maaem der weltabgeschiedenen Kloster mitten in das
pn bierende Leben eines glanzenden Hofes stellte. Die Achtung,
mit welcher der Konig den Litteraten begegnete, der freie Ton,
fUm er ihnen erlaubte^ fordert unwillkürlich za Vergleichen mit
einer fernen Vergangenheit ond einer fernen Zukunft auf: Augustus
und Vergil, Karl und Alcuin, Robert Ton Neapel und Petrarca^);
die Akademie an seinem Hofe hat etwas gemein mit jenen, die
sich einst im Paradiso degli Alberti und um Pomponias Laetus
konstituieren sollten: wie die Mitglieder der ersteren haben Al-
cuin und Genossen über theologische und philologische (gram-
matische) Fragen disputiert, ond wie die der letzteren sich halb
im Scherz, halb im Ernst antike Namen beigelegt. Ein Werk
wie die Lebensbeschreibung des Kaisers von Einhart darf sich
mit der Geschichte Caesars von Petrarca inhaltlich und formell
messen; in der Vorrede spricht er von dem *ßuhm', der Sehn-
sucht; seinen Namen auf die Nachwelt zu bringen, ganz im Geist
der Antike und des Humanismus; nichts aber ist so bezeichnend
wie die fast durchgängige Projektion der zeitgenössischen Ver-
hilltnissc auf die des Altertums^): er nennt sich selbst hominem
barhariim (praef.), Karl läfst sammeln barbara carmina (c. 29),
,,der Hatz c. 15 deinde omnes barbaras ac feras ncUiones quae
inter lilienum ac Visulam fltivios oceanumque ac Danubiutn positae
Germaniam incolunt ist so gehalten, dafs er ebensogut von Taci-
tus oder einem anderen Ilömer geschrieben sein konnte^', „die
fränkischen Heere haben ihre Winterlager, die neueroberten Ge-
biete heifsen Provinzen, die Sachsen scheiden sich in senaUis ac
populm^\ während andere Autoren von Niumaga und Mohin reden,
nennt sie Einhart Novioniagns und Moenus u. s. w.*), alles Dinge,
die aus der l\umanistisclien Geschichtsschreibung nur zu gut be-
kannt sind. Man mufs die historischen Werke Einharts etwa
mit donon dos Gregor von Tours vergleichen, um den Ungeheuern
n (T. G. KöriiuK, Petrarca (Leipz. 1878) 169.
*2) Cf. M. Manitiua, Kinharta Werke und ihr Stil in: Neues Archiv d.
UoH. f. iUt. aoutHihc Cu-Hvh. VII (1882) 665 ff., derselbe, Die humanist. Be-
\vt»^nm>^ untvr Karl <I. (ir. in: Z. f. alljjr. Gesch. I (1884) 428.
;r. Manitius 1. o. 66S u. 428.
Das IX. Jahrb.: Karl der Grofse. 695
Unterschied zu erkennen; ja^ man kann noch mehr sagen ^ Ein-
hart hat den Sueton besser reproduziert, als irgend einer der
Verfasser der nachsuetonischen Kaiserbiographieen. Gerade diese
Biographie Einharts giebt nun aber auch den Schlüssel zum
Verständnis der ganzen Bewegung: Karl erscheint in ihr durch-
aus als römischer Imperator, mit den Ansprüchen und den Rechten
eines solchen ausgestattet^), wie denn auch der Akt des J. 800,
bei dem ihm inmitten der römischen Vornehmen und unter den
Jubelrufen des römischen Volkes die römische Kaiserkrone auf-
gesetzt wurde, ein greifbarer Ausdruck jenes in ihm lebendigen
Gedankens einer Repristination der Antike war.*) Er liefs sich
nicht nur selbst und seine Kinder in den freien Künsten sehr
eifrig unterrichten (Einh. vit. 19. 25), sondern auch:' legebantur
et historiae et antiquorum res gestae (ib. 24), d. h., nach der Lek-
türe Einharts selbst zu urteilen, besonders Caesar, Livius und
Sueton; Tacitus' Germania und die ersten Bücher der Annalen,
beide damals nachweislich in Deutschland gern gelesen, wer-
den nicht gefehlt haben: der erste römische Kaiser deutscher
Nation, der Besiegerin des Weltreichs, lauschend den Lobes-
worten, die der prophetische Geist des grofsen Römers den
Ruhmesthaten derselben zum ersten Mal an die Pforten des Im-
periums pochenden Nation zollt, ein welthistorisches Bild. Wir
dürfen wohl annehmen, dafs der Kaiser, umringt von einer
Schar Gelehrter und Dichter, die sich mit den Namen der
litterarischen Gröfsen der augusteischen Zeit belegten, sich selbst
als neuer Augustus gefühlt hat: dafür scheinen mir die Worte,
mit denen Paulus (natürlich Diaconus^)) seine Epitome des Festus
an Karl schickte, recht bezeichnend zu sein: in cuius serie quae-
dam secundum artem, quaedatn iuxta etymologiam nan inconvenien-
ter posita invenietis et praecipue civitatis vestrae Romuleae
viarum portarum montium locorum tribuumque vocabnla
1) Cf. W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Ma. I*
(Berlin 1893) 185.
2) Cf. Gregorovius, Gesch. d. St. ilom im M. 11 (Stuttg. 1869) 542 ff.
3) Die unbegründeten Zweifel an der Autorschaft dieses Paulus sind
durch die Bemerkungen von Waitz in der Ausgabe der Script, rer. Langob.
(1878) 19 f. und von Mommsen im N. Arch. d. Ges. f. alt. d. Gesch. V (187'
55 endgültig gehoben.
696 Die Antike im Mittelalter.
diserta reperietis.^) In diesem Sinne, denke ich, „lieCs er die
alten Kunstwerke nach Aachen führen, seine Bauten nach den
Hegeln des Yitruy auffOhren und. die alten Schriftsteller nach
den alten Handschriften mit der sorgsamsten Genauigkeit ab-
schreiben."^ ^
2. Unter- Dafs nuu frcilich die profane Litteratur hinter der geist-
"». Da» liehen zurückstehen mufste, verstand sich bei einem so frommen
'^Jr^*^^® und kirchlichen Mann, wie es Karl d. Gr. war, von selbst. Be-
sonders nach auilsen hin liefs er diesen Gesichtspunkt hervor-
treten: allen seinen auf diese Dinge Bezug nehmenden Erlassen')
liegt der Gedanke zugrunde, dafs eine ausreichende wissenschaft-
liche Vorbildung (durch die artes) im Dienst der Kirche
durchaus notwendig und dafs daher der ungebildete Priester zu
suspendieren sei.^) Das in seinem Auftrag von Paulus Diaconus
zusammengestellte Homiliar empfahl er mit der Begründung:
non stimus passi nostris diehm in divinis lectionibus sacrarum offi-
ciorum inconsonantes perstrepere soloecismos atque earundem lectio-
1) In seiner Langobardengescliiclite erwähnt er Strafsen, Thore und
Brücken Borns: V 31. VI 36. Man lese, um zugleich die Verwandtschaft
und die gewaltige Verschiedenheit zu erkennen, den entzückenden Brief
Petrarcas über seine Spaziergänge in Rom (ep. de reb. fam. VI 2).
2) Wattenbach 1. c. 165. — Mehr als in allem oben Angefahrten würde
die humanistische Idee jenes Zeitalters zum Ausdruck kommen in folgenden
Versen, die G. Kaufmann, Deutsche Gesch. bis auf Karl d. Gr. 11 (Leipzig
1881) 379 f. in deutscher Übersetzung ohne Stellenangabe citiert (^so sangen
die Männer von ihrer Zeit'): „Sieh, es erneut sich die Zeit, es erneut sich
das Wesen der Alten ; Wiedergeboren wird heut, was dir in Rom einst ge-
glänzt"; da ich das Citat trotz eifrigen Nachforschens nicht habe auffinden
können (eine Anfrage beim Autor ist erfolglos geblieben), so habe ich um-
soweniger gewagt, es im Text zu benutzen, als meinem Gefühl nach die
Übersetzung mindestens sehr frei sein mufs: ich leugne, dafs ein Mensch
jener Zeit so gedacht haben kann.
3) Wohl am vollständigten bei G. Salvioli, L'istruzione pubblica in
Italia nei secoli Vm— X in: Rivista Europea Xm (1879) 700 f.
4) Cf. Hauck 1. c. 116 ff. Cesare Balbo, Della letteratura negli undici
primi secoli dalFera cristiana in: Lottere di politica e letteratura di C. B.
(Firenze 1855) 156 ff. Merryweather, Bibliomania in the middle ages (Lond.
1849) 105 ff. H. Reuter, Gesch. d. relig. Aufkl. im Ma. I (Berl. 1876) 6 f.
Schou MabilloD, De studiis monasticis (1691) 1 9 (der lat. Übersetzung Vened.
1729) bebt die Bedeutung Karls richtig hervor. (Veraltet sind die Werke
von J. Baehr, De lit. stud. a Carole M. revocato, Heidelb. 1855 und: Gesch.
d. röm. Litt, im karol. Zeitalter, Carlsruhe 1840).
Das IK. Jahrh.: Karl der Grofse. 697
nuni in melius reformare tramitem mentem intenditnus^) Bei dem
einflufsreichsten seiner litterariscilen Paladine^ dem Angelsachsen
ÄlcuiD; trat dies Moment starker hervor als bei dem Franken
Einharty begreiflich genug, da jenem die politischen Ideale des
andern fremd waren; er hat eine ganze Anzahl Ton nützlichen
Werkchen yerfafst, in denen er die artes^ besonders die Gram-
matik^ für den Bedarf seiner Zeit ganz im Sinne seines Lands-
mannes Bonifacius zurechtmachte, aber wie gering war seine
Kenntnis der auctores: dafs er Vergil las, war nicht viel Be-
sonderes und in seinem Alter hätte er gewünscht, es lieber
unterlassen zu haben ; in dem Kloster von York, seiner Bildungs-
stätte, waren nach seiner eigenen Angabe^) aufser Vergil noch
Statius, Lucan, Justin, Plinins d. Ä., Aristoteles (d. h. Boethius)
und Ciceros rhetorische Schriften vorhanden, aber in seinen
Werken fehlen im Gegensatz zu Einhart Spuren ihres Einflusses.')
Dieses starke Betonen des kirchlichen Interesses und, was b. Das
damit eng zusammenhängt, der blofs relativen Bedeutung der Moment
antiken Bildung ist das erste Moment, welches bei allem Ge-
meinsamen, das diese sog. erste Renaissance mit der späteren
verbindet, den unterschied doch deutlich hervortreten läfist. Dazu
kommt ein weiteres. Die germanische Nation war der romani-
schen zu fremdartig, als daüs die bei dieser lebhaft Anklang
findenden rein formalen humanistischen Bestrebungen bei jener
rechten Boden hätten finden können: der romische Kaiser hat
als germanischer Yolkskönig mit dem weiten Blick, der ihn aus-
zeichnete, die nationalen Denkmäler seines Volkes sammeln und
eine eigentliche deutsche Litteratur zum ersten Male erstehen
lassen^), während der eigentliche Humanismus, wie später ge-
nauer bewiesen werden soll, als höchste seiner Forderungen die
Ablehnung des Nationalen aufstellte^); Alcuin hat sich trotz
1) Cf. MabiUon, Ann. ord. S. B. H (Par. 1704) 828.
2) Poet. lat. aev. Car. I p. 208 f. V. 1540 ff., cf. Hauck 1. c. 127 ff.
8) Cf. Fr. Monnier, Alcuin et Gharlemagne (Par. 1868) 12 ff.
4) Es verdient zu der Zeit, in der wir leben, wohl darauf hingewiesen
zu werden, dafs dieses erstmalige Entstehen einer deutschen Litteratur aufs
engste mit dem Aufschwimg der klassischen Studien zusammengeht. Ein
analoger Vorgang hatte sich im alten Rom abgespielt: die römische Littera-
tur verdankt ihr Entstehen dem Interesse, das die römischen Aristokraten
der griechischen Litteratur zuwendeten.
5) Man lese, was Petrarca über das römische Kaiserreich deutsch«
698 ^ie Antike im Mittelalter.
der dringendeu AufforderuDgen des Imperators nur schwer ent-
schliefsen konneD, nach Rom zu kommen , und hat bedauert,
dals er dtUces Germaniae sedes verlassen mufste^): man lese Pe-
trarcas uns so modern anmutende Rom-Briefe (ad fam. II 9. 14
VI 2); um zu empfinden, dafs er doch einer ganz andern Ideen-
welt angehörte. Es scheint mir daher sehr bezeichnend zu sein,
dafs die ferneren humanistischen Bestrebungen des Mittelalters
in ihrem weitaus überwiegenden Teil nicht in Germanien, son-
dern in Gallien, dem westlichen Teil des karolingischen Reiches,
stattgefimdcn haben.')
2. Die humanistische Bewegung in Frankreich: Karl
der Kahle und Servatüs Lupus.
Karl Der Niedergang des litterarischen Interesses unter Karls
d. kau«. jfachf olger fiel schon den Zeitgenossen auf. *; Da ist es nun
höchst bezeichnend, dafs ein neuer Aufschwung begann unter
Karls d. Gr. Enkel Karl dem Kahlen (840—877), der den
französischen Teil des Reiches zugewiesen erhielt. Während in
den ostfränkischen Klöstern, Tor allem auch in Fulda nach Ra-
banus Maurus, der wissenschaftliche Sinn sich fast ausschliefs-
lieh in der rein kirchlichen Litteratur bethätigte, preisen die
Zeitgenossen in begeisterten Worten die Sorgfalt, die Karl d. EL
auf die Hebung der Studien verwandte. Einer*) vergleicht ihn
Nation urteilt ep. de reb. fam. XX 2: Ckieaarwn fcUum et in occasu sölis et
8%U> austro, denique ubilibet felicius fuerit quam 8%U> arcto: ita ibi gelida am-
nitty wuUus ardor nohilis, nullus vitcUis ccUar imperii, und was weiter folgt
1) Cf. Hauet 1. c. 123.
2) Italien trat im späteren Mittelalter infolge seiner politischen Lage
zurück. Was darüber (besonders über Montecassino) zu sagen ist, hat
zuerst festzustellen gesucht Muratori, De litt, statu, neglectu et cultura in
Italia post barbaros in eam invectos, usque ad a. Chr. MC in: Antiq. Ital.
diss. XLm (vol. m [Mediol. 1740] 809 ff.), dann W. Giesebrecht 1. c, A.
Ozanam in Oeuvres compl. vol. 11 (ed. 2) 866 ff., einiges auch bei F. Haase,
De med. aev. stud. philol., Progr. Breslau 1866, zuletzt Salvioli 1. c. vol.
Xni— XV (1879).
3) Zeugnisse bei Hauck L c. 666 f.
4) Hericus monachus Antissiodorensis (f c. 881) in der an Karl d. K.
gerichteten Widmungsepistel zu seiner Lebensbeschreibung des S. Germanus
Das IX. Jahrh. : Karl der Kahle, Servatus Lupus. 699
deshalb y wenn auch in etwas zu panegyrischen Worten , mit
seinem Grofsvater: illud vel maxime vohis aetemam parat memo-
riam, quod famatissimi avi vestri Caroli Studium erga immortales
disciplinas non modo ex aequo repraesentaiiSy verum etiam incom-
paräbiU fervore transscenditis, dum qtiod üU sopitis educit cineribus
vos fomento muUiplici tum ienefidorum tum audoritatis tisquequague
provehitis, . .; ita vestra tempestate ingenia hominum duplici nitun-
tur adminiculo, dum ad sapientiae abdita persequenda omnes quidem
exemplo allicitiSj quosdam vero etiam praemiis invitatis . . . . Id vobis
singulare Studium effecistis^ ut sicubi terrarum magistri florerent
artium, quarum principalem operam philosophia poUicetur^ huc ad
puhlicam eruditionem undecumque vestra celsitudo conduceret u. s. w.
An der Hofschule dieses Königs wirkte Johannes Scotas (Eri-
gena), nnter den gelehrten Iren der geistig weitaas hervor-
ragendste, in griechischer Litteratur sehr bewandert, dessen be-
rühmtes Postulat von dem Prinzipat der Vernunft über der
Autorität ganz antik und ganz modern, aber ganz und gar nicht
mittelalterlich gefühlt ist: dafs der Konig ihn gegen die erbit-
terten Angriffe der Kirche in Schutz nahm, gereicht ihm zu
hoher Ehre.
Glücklicherweise ist uns aus dieser Zeit der Briefwechsel senraiuB
eines Mannes erhalten, dem wir f^lr die lateinische Litteratur zu
demselben Dank yerpflichtet sind wie dem ein halbes Jahrhundert
später lebenden Arethas^) für die griechische. Dieser Mann war
Servatus Lupus, ein geborener Franzose, 842 — 862 Abt von
Ferriferes in der Diöcese Sens. Aus den 130 Briefen, die wir
von ihm besitzen'), weht uns wirklich ein leiser, aber deutlich
wahrnehmbarer Hauch des Geistes entgegen, der ein halbes Jahr-
AA. SS. Boll. Jul. Vn p. 221 ff. Cf. auch Vita B. Herifridi episcopi An-
tissiodorensis (f 909) 1. c. Oct. X p. 210. Auf beide Zeugnisse weist kurz
hin auch J. Lebeuf, Dissert. sur Tätat des Sciences dans les Gaules depuis
la mort de Charlemagne jusqu'ä celle du Roy Robert, in: Recueil de divers
Berits pour servir d'eclaircissemens ä Thistoire de France T. 11 (Paris 1788) 6.
1) L. Stein, Die Continuität der griech. Philosophie in: Arch. f. Oesch.
d. Philos. N. F. n (1896) 227, weist auf die gleichzeitig bei den Arabern
beginnende intensive Beschäftigung mit der antiken Litteratur hin.
2) Die neueste Ausgabe von G. Desdevises du Dezert (Paris 1888) läfst
kritisch zu wünschen übrig, enthält aber eine gute Einleitung und brauch-
bare historische Anmerkungen. Ich citiere die Briefe nach der Anordr
dieser Ausgabe.
700 Die Antike im Mittelalter.
tausend später ganz Europa im Sturm durchfliegen sollte. C'est
un veritable hufnaniste ä la maniere des humanistes du XV^ et du
XVP siede sagt J. Ampere (Hist. liti de la France avant le
Xn« si^cle m [Par. 1840] 237) und viele Laben sich ähnlich
geäulsert.^) Die Zeit; die ihm sein geistlicher Beruf in diesen
politisch so unruhigen Jahren liefs^ verwendete er auf die Lek-
türe von Schriften, unter denen die Bibel, Augustin, Hierony-
mus u. s. w. durchaus auf gleicher Stufe mit den klassischen
Autoren standen, und zwar nicht etwa blola denjenigen, die zu
kennen kein besonderes Verdienst war, wie Yirgil Donat Pris-
cian Boethius, nein, hier begegnen meist zum ersten Mal seit
400jähriger Vergessenheit wieder Namen wie Cicero — und nicht
nur die auch sonst viel gelesenen unter seinem Namen gehenden
Bücher an Herennius, sondern auch die Schrift De oratore (ep.
111)*), ferner die Briefe*) (69), die Tusculanen (9), die Aratea
(69), ja sogar die Verrinen (45) — , Caesars commentarii (37),
Sallusts Catilina und Jugurtha (45), Livius (10. 93), Quintilians
Institutionen (76. 111), Sueton (20. 33), Gellius (la.E. c£ 5a.E.),
Macrobius (9).^) Man muTs selbst lesen, wie er sich bemühte,
dieser Schriften habhaft zu werden und nicht eher ruhte, bis
es ihm gielang: meist suchte er zunächst in der Nachbarschaft^
d. h. offenbar^) in Fleury, dann wendete er sich an andre
französische Klöster, dann an die deutschen (Fulda), die eng-
lischen (York), einmal (ep. 111) sogar an den Papst selbst (Bene-
dict III 855 — 858) : er hatte nämlich auf einer Reise nach Rom
(849) dort eine Handschrift von Cicero de or. und eine von
1) Die ausfOhrlichste mir bekannte Darstellung ist von Maxime de la
Bocheterie: Un abb^ au neuviäme siäcle, in: Acad^mie de Sainte-Croix
d'Orldans. Lectures et m^moires I (1865^1872) S69— 466. Einige treff-
liche Bemerkungen von L. Traube 1. c. (oben S. 690, 1), cf. auch Maniiins
1. c. (oben S. 694, 2) 645 f.
2) Um sie bittet er im J. 866 den Papst, nachdem er sie in Born ge-
sehen hatte. Er war also inzwischen klüger geworden: in dem 1. Briet
(an Einhart vom J. 830) verwechselt er sie mit der Schrift De inventione,
wie kürzlich festgestellt hat F. Marx in der Praef. zu seiner Aoag. des
[Comificius] p. 10.
3) Die 'ad familiäres', cf. Marx L c.
4) Mit der vermeintlichen Lektüre des CatuU ist es aber nichts: cf.
L. Schwabe im Hermes XX (1885) 496.
5) Cf. Traube 1. c. 400 f.
Das DL Jahrb.: Servatos Lupus. 701
Quintilians Institutionen gesehen, von denen beiden er nur Teile
besafs, femer eine von' Donats Terenzkommentar; diese drei solle
ihm der Papst schicken. Wer fühlt sich bei dem allen nicht
erinnert an die Briefe der Humanisten mit ihrem sehnsüchtigen
Verlangen nach neuen und vollständigen Autoren? Ja, in einem
Punkte ist er sogar den meisten Humanisten voraus: er will
nicht blofs Texte, sondern gute Texte, z. B. schreibt er ep. 69:
Tullianas epistolas, quas mi^H, cum nostris conferri faciam, ut ex
utrisqne^ si possit fieri, veritas excuJpatur (cf. ep. 9 und 45): wer
denkt nicht an die Symmachi und Nicomachi? Noch eine An-
zahl andrer Autoren hat er gelesen, wie die (längst nicht alle
als solche erkannten) Citate beweisen, mit denen er teils unter
Nennung ihres Autors teils ohne eine solche manche Briefe aus-
stattet, z. B. Horaz^), Martial, Yalerius Maximus ^), Justin. Er
korrespondiert nicht weniger als viermal über Fragen der Proso-
sodie (6. 7. 9. 10), was freilich auch Schriftsteller des ausgehen-
den Altertums und des frühen wie späten Mittelalters gethan
haben, über Grammatik (das Activum locupktare beweist er aus
Cicero: ep. 10), über Wortbedeutung (ib.), über Altertümer (ep.
46 erklärt er auf eine Anfrage hin aus Servius, was pater pa-
tratiis sei). Wie ein echter Humanist schämt er sich, als ihm
einige sagen, er sei, um sich die Kenntnis des Deutschen anzu-
eignen, nach Fulda gereist; „das hätte, erwidert er, die lange
Reise nicht gelohnt: gelesen habe ich dort und Bücher abge-
schrieben ad dblivionis remedium et eruditionis augmentum (ep. 6).
Ja, auch die ganze Tendenz dieser ersten Renaissance in Frank-
reich fällt zusammen mit derjenigen der späteren: denn aus einem
Briefe (11) erkennen wir, daGs das Interesse an der klassischen
Litteratur ein wesentlich formalistisches war, bis zu dem Grade,
dafs sich Lupus veranlaCst sieht, dagegen aufzutreten: reviviscen-
tem in his nostris regUmibus sapienHam quosdam studiosissime co-
lere pergratum hdbeo, sed hinc haudqmqtuim mediocriter maveor,
guod qxddam nosbrum partem illius appetentes insolenter partem re-
1) Ep. 1 in silvam ne ligna feras aus sat. I 10, 84. ep. 41 non poUtt
vox missa reverti aus de a. p. 390. Dagegen ist ep. 43 itixta tShtd JBm
tiantim ^tneos dividerem libenter annos* ein Versehen, aber der (bedanke j
mir aus antiker Poesie gel&ufig.
2) Seine und eines seiner SchtQer Bemühungen um diesen Schrift'
steiler lassen sich noch handschriftlich nachweisen, cf. Traube L c.
702 Die Antike im Mittelalter.
ptidiant omnium autem consensu nichü in ea est, quod iure ex-
dpi aut possit aut dä)eat guare apparet nos ipsos nobis esse con-
trarioSy dum insipienter sapientiam consequi cogitemus. etenim
plerique ex ea cuUum sermonis quaerimus et paucos ad-
modum reperias qui ex ea morum pröbitatem . . . proponant addiscere.
sie linguae vitia reformidamus et pxirgare contendimus, vitae
vero delicta parvi pendimus, . . . Quocirca si vigilanter poliendo
ineumhimus eloquio, mxdto maxime conseqtiendae honestati atque
iustitiae operam impendamus oportet. Die formalistische Tendenz,
gegen deren Ausschliefsliclikeit er hier polemisiert, tritt aber
bei ihm selbst entgegen in dem schönsten seiner Briefe, in dem
er sich und diesen Studien ein leuchtendes Denkmal gesetzt hat:
er ist der erste der ganzen Sammlung, den der damals (830)
ganz junge Mensch an den auf der Höhe des Buhmes stehenden
Einhart richtet, zehn Jahre bevor durch Karls des Kahlen Für-
sorge die Studien einen neuen starken Impuls erhielten: amor
litterarum ab ipso fere initio piieritiae mihi est innatus, nee earum
ut nunc a plerisque vocantiir superstitiosa otia fastidiviy et nisi inter-
cessisset inopia preceptorum et longo situ collapsa priorum studio
pene interissent, largiente domino meae aviditati satisfacere forsitan
potuissem, siquidem vestra memoria per famosissimum imperatorem
Karolum, cui litterae eo usque deferre debent ut aetemitati parent
memoriam, coepta revocari aliquantulum quidem extulere caput, 50-
tisque constitit veritate stibnixum praeclarum tum^) dictum: ^honos
alit artes et accenduntur omnes ad studia gloria^ (Cic. Tusc I 4);
nunc oneri sunt qui aliquid discere affectant, et velut in edito sitos
loco studiosos quosqus imperiti vulgo suspectantes^) , si quid in eis
culpae deprehenderint, id non humano vitio sed qualitati disciplina"
rum assignant. ifu dum alii dignam sapientiae palmam non capiuni,
alii famam verentur indignam, a tarn praeclaro opere desHterunt
mihi satis apparet propter seipsam appetenda sapientia,
cui indagandas a sando metropolitano episcopo Aldrico^) delegaius
doctorem gramm^ticae sortitus sum praeceptaque ab eo artis accepi.
sie quoniam a grammatica ad rhetoricam et deinceps ordine ad
caeteras liberales disciplinas transire hoc tempore fabula tantum est,
1) Cum cod., verbessert von Traube 1. c. 402.
2) aspectantes cod., verbessert von demselben 1. c.
3) Abt von Ferrieres, seit 828 Metropolitanbischof von Sens.
Das IX. Jahrh.: Servatus Lupus. 703
cum deinceps auctorum voluminibus spaüari äliquanttdufn coe-
pisseni et dictatus nostra aetate confecti displicerent, pro-
pterea quod ab illa Tulliana caeterorumque gravitate, quam
insignes quoque Christianae rdigionis viri aemulati sunt, aherra-
rent: venit in mani^ meas opus vestrum, quo memorati imperatoris
clarissima gesta . . . darissime Utteris allegastis. ibi elegantiam
sensuum, ibi raritatem coniunctionum^), quam in auctoribus
notaveram, ibidemque non longissimis perihodis impeditas et implici'
tas sed modids absolutm spaciis sententias inveniens amplexus sum.
Wie also Petrarca, von Grauen ergriffen vor dem Latein der
Scholastiker, zu Cicero zurückkehrte, so begrüfste Servatus Lupus
in einer Zeit tiefer Depravation des Lateins mit Jubel die in
klassischer Sprache geschriebene Vita Karls d. Gr., und nährte
sein stilistisches Schönheitsgefühl an dessen Urquell Cicero. Wie
Petrarca und allen Humanisten, so ist auch ihm der Buhm eine
Triebfeder, und in den schönen Worten von der Selbstgenügsam-
keit der Weisheit werden wir keine blofse Phrase aus Ciceros
philosophischen Schriften, sondern die Überzeugung erkennen
dürfen, die allen Humanisten eingepflanzt war: dafs die wahre
Wissenschaft frei und sich selbst ihr höchster Zweck sei.*) —
Wir erkennen aus den Briefen des Servatus Lupus, dafs er i^jp««*
mit seinen klassicistischen Interessen keineswegs allein stand ^:
überall iu den französischen Klöstern und Bischofsitzen regte
sich das Wehen eines freieren Geistes. In die Zeit der letzten
Karolinger fiel auch die Romfahrt jenes unbekannten Mönchs,
von der er die berühmte Inschriftensammlung mitbrachte. Momm-
sen^) hat das Faktum mit den humanistischen Bestrebungen jener
Zeit-
gonoasen.
1) Was mag er damit meinen?
2) Seine Erklärung der in Boethius vorkommenden Metra ist unge-
druckt, cf. R. Peiper vor seiner Ausgabe des B. p. XXIV.
3) Z. B. werden von ihm oft genannt Heribold, Bischof von Auxerro,
und der berühmte Hincmar, Metropolitanbischof v. Reims, Theodulfus,
Bischof von Orleans, dessen Verse von klassischer Reinheit sind (cf. K.
Liersch, Die Gedichte Th.'s, Halle 1880). Dazu kommt sein Schüler Heine,
über den cf. Traube 1. c. 389 u. ö. Wir können hinzufügen den sonst nicht
weiter bekannten Hadoard, dessen Ciceroezcerpte (aufser aus den philo-
sophischen Schriften auch aus De oratore) P. Schwenke im Philol. Suppl.
V (1889) 399 ff. ediert hat.
4) Ber. d. Sachs. Ges. d. Wiss. 18ö0 p. 289, cf. H. Jordan, Topogr. d.
St. Rom n (Berl. 1871) 333.
Frank-
reichs.
704 I)ie Antike im Mittelalter.
Zeit in Zusammenhang gebracht. Wenn man Kleines mit GroCsem
vergleichen darf, so kann man sagen, dafs jener Mönch ein Vor-
gänger des Cola di Bienzo und des Poggio gewesen ist.^) Dem-
selben Interesse fQr das Altertum wird man übrigens wohl die
Überlieferung des aus dem I. Jh. n. Chr. stammenden Testamentes
eines römischen Bürgers in Gallien im Gebiet von Langres ver-
danken, also jenem Ort, der dem Poggio einst eine so reiche
Ausbeute von Ciceroreden gewähren sollte: die ausführliche und
durch allerlei Detail merkwürdige Inschrift wurde aus einer in
Basel befindlichen Pergamenthandschrift des X. Jh. zuerst von
A. Kiefsling i. J. 1863 ediert und ist dann öfters wiederholt
worden (zuletzt in Fontes iur. Rom. ed. Bruns* n. 99 p. 275 flf.).
Kameritchet Für die Überlieferung der klassischen Litteratur ist diese
gewicht Epoche Wahrscheinlich von noch viel gröberer Bedeutung ge-
wesen, als wir auch nur zu ahnen vermögen: die stattliche Reihe
von Handschriften aus dem IX. und der ersten Hälfte des X. Jh.,
die aus Frankreich stammen oder von deren einstiger Existenz
wir durch alte Kataloge Kunde haben, zeugt dafür. Das be-
trächtliche Übergewicht Frankreichs über Deutschland kann man
auch aus folgender Thatsache ermessen. Die Zahl der aus Kata-
logen deutscher Klöster des IX. Jh. bekannten Handschriften be-
trägt nach G. Beckers Sammlung (Catal. bibl. ant. Bonn 1885)
1460 (wenn wir zunächst den einen Katalog von S. Gallen n. 15
Becker und den von Lorsch n. 37 beiseite lassen), vertreten sind
darin die Bibliotheken von Freising, Fulda, 8. Gallen, Reichenau,
Weifsenburg, Würzburg; darunter sind 26 Grammatiker (Donat,
Pompeius, Priscian u. a.), von Dichtem Terenz (Freising), Ver-
gil (4mal), Ilias latina (Freising), Avian (Reichenau), von Pro-
saikern Hygin (Reichenau), Plinius maior (Reichenau), Solin
(S. Gallen), Justin (S. Gallen), Servius' Yergil - Kommentar
(S. Gallen), Martianus (Freising), Vegetius (2mal). Damit ver-
gleiche man den Katalog einer (unbekannten) französischen Biblio-
thek des IX. Jh. (Becker n. 20): unter dessen 12 Nummern^
befinden sich: Terenz, TibuU, Horaz, Lucan, Statins, Juvenal|
1) Wattenbach, Geschichtsqa. P 281 vermutet, dafs die Sammlnng
von einem Schüler Walahfrids Strabo, des Abts von Reichenau, herrfilut,
da die Urschrift der Einsiedler Hs. aas Reichenau zu stammen scheine.
2) Das sind natürlich nur die libri scolastici, cf. Th. Gk)ttlieb, Üb. ma.
Hiblioth. (Leipz. 1890) 303.
Das X. Jahrh. : Gerbert. 705
Martial, Claudian; Ciceros Catilinarien, Verrinen, pro Deiotaro,
Sallusts Reden: also eine höchst erlesene Auswahl; mit der nicht
einmal der sonst reichste S. Galler Katalog dieses Jahrhunderts
(n. 15 Becker) konkurrieren kann^ der unter 356 Nummern fol-
gende Autoren hat: Ovid, Persius, Juvenal, Silius, Statins, Clau-
dian; Sallusts Catilina, Senecas Briefe und nat. quaest., Justin,
Solin, Vegetius (2mal), Macrobius' Satumalien, Martianus (4mal),
wobei also gerade die Raritäten, die der französische Katalog
hat, fehlen (Ciceros Reden, TibuU, Horaz). Am nächsten kommt
dem französischen Katalog der von Lorsch aus s. IX oder An-
fang s. X (37 Becker), der unter seinen 590 Nummern aufser
einer gewaltigen Anzahl von grammatischen Werken enthält:
Vergil (4mal), Horaz, Lucan, Martial (2mal), Juvenal; Cicero
pro Cluent., pro Mil., in Pis., pro Süll., ep. (4mal), de oflF., Seneca
rhet., Seneca de ben., de dem., ep. (2mal), Plinius mai. (2mal),
Plinius min., Frontinus, Florus, Justinus, Solinus, Macrobius,
Vegetius, Dares.
n. Das zehnte Jahrhundert: Gtorbert.
Auch in diesem war es ein aus dem Centrum Frankreichs Oerbert.
stammender Mann, der die klassischen Studien vor allen andern
Gelehrten hegte: Gerbert, geboren c.940, in einem wechselvollen
Leben Scholasticus unter dem Erzbischof Adalbero von Reims, Abt
von Bobbio, dann selbst Erzbischof von Reims, endlich in den vier
letzten Jahren (f 1003) Papst als Silvester 11. Seine umfassen-
den, in allen Zweigen des Wissens, besonders der Mathematik
und Astronomie das gewöhnliche Mafs weit überschreitenden
Kenntnisse haben ihn bekanntlich in den Verdacht der Nekro-
mantie gebracht: wir bewundern den Mann, der in einem Zeit-
alter voller Kriege und Intriguen^), selbst mit Geschäften über-
häuft und im Mittelpunkt der politischen Ereignisse stehend,
den Studien oblag und von sich selbst das schöne Geständnis
ablegen konnte: in otio, in negotio et docemus quod scimus et addi-
scimtis quod nescimus (ep. 44). Das Interesse für die klassische
Litteratur scheint freilich bei ihm weniger ein ideales als ein
hauptsächlich durch praktische Motive bedingtes gewesen zu
1) Begnorum ambitio, dira ac miseranda tempora fas vertenmt in nefa$
(ep. 130 der Ausg. von J. Havet, Paris 1889), und oft ähnlich.
706 Die Antike im Mittelalter.
seiD. Wenigstens schreibt er an den Abt von Tours (ep. 44):
cum ratio morum dicendiqm ratio a philosophia nan se^rentur,
cum studio bene vivendi semper coniuncxi Studium bene dicendi,
quamvis solum bene vivere praestantittö sü eo quod est bene dicere
curisque regiminis absoluto alterum satis sit sine altero. at nobis
in re publica occupatis utraque necessaria. nam et apposite di-
cere ad persuadendum et animos furentium suavi oratione
ab impetu retinere summa utilitas. cui rei praeparandae
bibliothecam assidue comparo. et sicut Romae dudum ac m
aliis partibus ItaliaCy in Germania quoque et Belgica scriptcres
auctorumque exemplaria muUitudine nummorum redemi adiutus
benivolentia ac studio amicorum comprovincialium^), sie idenOdem
apud vos fieri ac per vos sinite ut exorem. qfios scribi vdimus, tu
fine epistölae designaibimus^) Also auch hier begegnen wir wie-
derum der treibenden Idee aller dieser humanistischen Bestre-
bungen: die schöne Sprache war^ wie man wuTste, einzig und
allein aus dem Studium der klassischen Autoren zu gewinnen.
Dem entsprechend hatte nun Gerbert ein besonderes Interesse
für Cicero, nicht blofs fiir dessen rhetorische *) und philo-
sophische "Werke, sondern vor allem für seine Beden. Er er-
bittet sich ein vollständiges Exemplar der Rede für Deiotarus (9);
dem Scholasticus Constantin von Fleury, der ihn besuchen will,
schreibt er (86): comitentur iter tuum Ttdliana opuscula vd de
rcpublica^) vel in Verrem vel quae pro defensione muliorum
1) Cf. ep. ISO unum a te interim plurimum exposco, quod et sine peri-
culo ac dctrimento tut fiat, et me tibi quam niaxime in amicicia constringat,
nosti quanto studio libronim exemplaria undique conguiram; nosti, quot
scriptores in urhibus ac in agris Italiae passim habeantur, worauf folgte
was er haben will.
2) Diese Liste ist leider nicht mit überliefert worden.
3) Unter diesen übrigens nicht nur, wie fast alle andern, für die sog.
'Rhetorica Ciceronis' (d. h. die Bücher an Comificius und die Bücher De
inventione), sondern auch, ganz wie Servatus Lupus, für die Bücher De
oratore: das wissen wir zwar nicht aus den Briefen, aber aus der Sab-
scription des aus s. X stammenden Teils der Erlanger Hs. n. 76: Venerando
abhate Oerhcrto phiJosophante Sutis place^is Ayrardus scripsit^ cf. C. Halm,
Zur Handsebriftenkunde der cic. Schriften (München 1860) 8, 6.
4) Es wäre natürlich ganz falsch, daraus mit Fr. Jol. Schmidt (Ger-
bort als Freund und Förderer klass. Studien [Progr. Schweidniii 1843] p. 15
mit adn. 7), zu folgern, dafs das Werk damals noch existierte: entweder
Das X. Jahrh.: Gerbert 707
plurima Bomanae eloquentiae parens conscripsit; cf. ep. 167
agite ergo ut coepistis et fluenta M. Ttdlii sicienH praebete. M. Tulr
litis mediis se ingerat curis quibtis . . implicamur^ 158 fadte vestra
Itberaiitate, ne absentia honestatiSy fuga öbtimarum artiutny effidar
sedaiar CatUinae, qui in otio et negotio praeceptorum M. Tuüii
diligens fui executor. Daher hat er Oiceros Beden (besonders
die catilinarischen und die für ciceronianisch geltende Invektive
gegen Sallust) oft citiert^ mit oder ohne Nennung des Autors^),
aber nicht nur das: er hat sich so in sie hineingelebt, dafs er
wirklich ihr ^d-og gut zu reproducieren versteht^ wozu in den
turbulenten Zeiten flir ein so kampfesfreudiges , ja gelegentlich
etwas intrigantes Gemüt wie das Gerberts Gelegenheit genug
war; nur eine kleine Probe in einer harmloseren Sache: ep. 105
quousqm abutemini pacientia, fidissimi qttondam, ut putcibatury
amici? caritcdem verbis praetenditis rapinam exercere parati. cur
sanctissimam societatem abrumpitis? quosdam Codices ndbis vestra
sponte obtulistis^ sed nostri iuris nostraeque ecclesiae contra divinas
humanasque leges retinetis. out librorum restitutione cum adiuncto
Caritas redintegrabitur aut depositutn male retentum bene merito sup-
plicio condonabäur (cf. etwa noch ep. 32. 79).*) Um die Bedeu-
tung dieser Thatsache zu würdigen, muls man bedenken, dab
flir das allgemeine Bewulstsein Cicero als Bedner im Mittel-
alter so gut wie nicht vorhanden war: man las eifrig die ^Bhe-
war 68 (ähnlich wie bei Petrarca mit der Schrift De gloria) ein frommer
Wunsch, oder, was wahrscheinlicher, der für Mystik und Astronomie inter-
essierte Mann meinte das Somninm Scipionis. Man kann mit der Ver-
wertung solcher Notizen nicht Torsichtig genug sein; dafür ein Beispiel.
Dafs Hermannus Contractus, Abt von Beichenau (f 1064), Oiceros Hortensius
gelesen haben soll, wird auf Grund der bekannten Stelle (Mon. Germ. V
268) nun wieder Ton 0. Piasberg, De M. Tullii Ciceronis dialogo (Diss.
Berl. 1892) 16 f. behauptet. Aber das ist ganz illusorisch: gerade darin
liegt das Wunder, dafs er in der Nacht vor seinem Tode in exstasi qua-
dam von dem Inhalt einer Schrift tr&umt, die er nicht gelesen hatte, aber
von deren einstiger Existenz und allgemeiner Tendenz er gar wohl aus
Augustin und Boethius wuTste. (Dafs aber an dieser Stelle nicht der Lu-
culluB gemeint sein kann, hat Piasberg richtig bemerkt).
1) Einiges hat J. Hayet 1. c. angemerkt, aber das würde eine eigne
Untersuchung erfordern.
2) Um den Kontrast zu empfinden, lese man dagegen den Brief Ottos UI
an (Herbert (no. 186).
Korden, antike Konstprosa. II. 46
708 Die Antike im Mittelalter.
torik' und einige philosophische Schriften; die Reden^ deren ak-
tuelle Bedeutung man doch nicht erfassen konnte^ da die ge-
nügenden Kenntnisse der Geschichte und Altertümer fehlten,
konnten ein Interesse haben eben nur für die yerhältnismälsig
verschwindende Anzahl von Männern^ die sich an ihrer Form-
vollendung erfreuten und bilden wollten. Dem Einflufs Ger-
berts verdanken wir daher ohne Frage die Erhaltung
vieler von den Humanisten speziell in Frankreich ge-
fundenen Beden Ciceros.^) Aufser um Cicero hat er sich
1) Für eine Geschichte Ciceros im Mittelalter fehlt uns noch
so gut wie alles. Th. Zielinski, Cic. im Wandel der Jahrh. (Leipz. 1897)
86 geht nicht näher darauf ein. Das Beste, was ich kenne, ist P. Deschamps,
Essai bibliographique sur C, Paris 1863. A. Graf, Roma nella memoria
del medio evo n (Turin 188S) 269 ff. P. de Nolhac, Pätrarque et l*huma-
nisme (Paris 1892) 179, 4, dazu einige beachtenswerte Notizen bei L. Mehus,
Vita Ambrosii Camaldul. (Florenz 1769) p. CCJXm f., G. Meier, Die 7 freien
Künste im Ma. (Jahresber. y. Maria - Einsiedeln 1886/86) 19. — Ein paar
Einzelheiten aus meinen Sammlungen mOgen hier Platz finden. Die rhe-
torischen und philosophischen Schriften wurden aus dem oben (S. 690, 1)
näher erörterten utilitaristischen Gesichtspunkt weitaus beyorzugt. Ein-
hart citiert in der Vorrede der Vita C. die Tusculanen, die auch sonst yon
ihm am meisten benutzt sind, dazu kommen die oratorischen Schriften, Ton
den Beden durch Nachahmungen gesichert Verr. n, Catil. I, MiL, cf. Ma-
nitius 1. c. (S. 694,2) 642. Über Lupus s. oben S. 700. Notker (f 1022)
in seinem Brief an den Bischof von Sitten (Kanton Wallis) ed. P. Piper
(Die Schriften N.'s u. s. Schule I) p. 861 : Itbros vestros • i • phüippica et
commentum in topica ciceronis peciü a me ahhas de augia pignore dato quod
maioris precii est: pluris namque est rethorica ciceronis et victorini nobile
commentum que pro eis retineo et eos non nisi vestris repetere non valet.
(üioquin sui erunt vestri et nullum dampnum est vohis. Conradus Hir-
saugiensis (c. 1100) dial. sup. auctores (ed. Schepps, Würzburg 1889) 61:
TulliiM nobilissimtis auctor iste libros plurimos philosophicos studiosis phiUh
sophiae pemecessarios edidit et vix similem in prosa vel praecedentem vel sUlh-
sequentem Juibuit: er kennt nur den Laelius und Gato. — Lambert t. Hers-
feld (s. XI) hat nach dem Nachweis von 0. Holder-Egger in seiner Aus-
gabe (Hann.- Leipz. 1894) p. XLV. 241. 399 ff. etwas von Ciceros Beden
gelesen, aber nur bei den Gatilinarien (p. 241. 416. 420. 431. 461; 431; 449.
486; 417) scheint es mir g^anz, bei pr. Mur. (p. 409. 472) und pr. Süll,
(p. 476) einigermafsen sicher, während die andern Stellen (pr. Balb. p. 420,
Font. 426, Man. 446, Mil. 421, Phil. 422. 428, Bosc. 473) entweder zu farb-
los sind oder ebensogut aus andern, z. T. von Holder-Egger selbst citierten
Autoren stammen können. — Li dem von L. Delisle, Inventaire des ms. de
la bibl. nat. , fonds de Cluni (Paris 1884) publicierten Katalog der Clunia-
censer Bibliothek aus s. XH finden sich 3 Codd. mit Briefen, 3 mit Beden,
Das X. Jahrb.: Gerbert 709
noch bemüht um Abschriften bezw. bessere Exemplare von Cae-
sar (8), Plinius (7), Statins' Achilleis (148), Sueton (40), Sym-
machns (40), den Terenzkommentar des Eugraphius (7). Aus
seinen Citaten geht hervor, dafs er, was nicht zn verwundern,
5 mit philosophiscben , 7 mit rhetorischen Schriften. — In dem Gtoneral-
katalog der Sorbonne vom J. 1838 (ed. Delisles, Cabinet des ms. de la bibL
nat. III [Paris 1881] 9 ff. ist keine Hs. mit Beden , dagegen 24 mit den
philosophischen nnd rhetorischen Schriften sowie den Briefen (was bedeuten:
LI 5 Tullius ad Lucülum, ine. canswnpsiaset, 6 ToUius ad Cecilium oratorem,
ine. incommodis, 25 Tullius de accusaciane, ine. lega [sie], in pen. severiUxte?),
— In dem von Delisle edierten Inventaire des ms. de la Sorbonne, Paris
1870 sind 14 Hss. mit den philosophischen und rhetorischen Schriften sowie
den Briefen, aufserdem zwar 4 Hss. mit Reden, aber, was doch sehr charak-
teristisch, keine früher als saec. XV, also aus einer Zeit, als der Humanis-
mus an der Hochschule Platz griff (n. 16232 ist sogar eine Schrift des Pe-
trarca). — Wilhelmus Malmesbiriensis monachus (f vor 1142) de
gestis regum Anglorum ed. W. Stubbs, Lond. 1889, citiert nach dem Index
dieser Ausgabe Cicero yiermal (regem factmdiae Bomantne nennt er ihn
p. 144), darunter zwei Citate aus de off., eins (angeblich) aus der Rhetorik,
eins aus pr. Mil. 11: licet, ut quidam ait, Ugea inter arma sileant: doch
glaube ich nicht, dafs er das geflügelte Wort aus eigner Lektüre der Rede
hatte, weil er hier nur von quidam spricht, sonst Ciceros Namen stets
nennt. — Abälard kennt nur die rhetorischen und philosophischen Schrif-
ten (von letzteren citiert er je einmal de off. und parad.), cf. den Index der
Ausg. von Cousin vol. H (Paris 1859) und S. Deutsch, P. Abälard (Leipz.
1883) 66. — Selbst ein so belesener Mann wie Peter v. Blois (f 1200)
kennt von Cicero zwar einige philosophische Schriften und die Briefe, aber
nicht die Reden. — Auch Johannes Sarisber. (f 1180), der fast sämt-
liche philosophischen Schriften, de inventione und ad Herennium, ep. ad
fam. so oft citiert, bringt nur einmal ein Citat aus einer Rede (pro Lig. 12 :
Polycrat. Vm 7), cf. C. Schaarschmidt, J. S. (Leipz. 1862) 87. 92 f. (Dafs
er pro Caecina citiere, ist eine irrtümliche Behauptung Chr. Petersens im
Kommentar zu seiner Ausg. des Entheticus [Hamb. 1843] 81.) — Besonders
interessant eine (mir von meinem Bruder Walter, Stud. der Creschichte in
Berlin, nachgewiesene) Stelle aus dem Briefwechsel des Wibaldus, seit
1146 Abtes von Corvey (cf. Wattenbach, Deutschi. Gkschichtsquellen im
Ma. n» 269 ff.), bei Ph. Jaffö, Bibl. rer. Germ. I (Berl. 1864) 326 f. Er
verlangt von Reinaldus, Abt in Hildesheim, Tuüii libroa und motiviert
seine Bitte so: nee pati possumus^ quod iJZud nobile ingeniitm, tUa splendida
inoenta, iUa tanta rerum et verhorum omamenta öblivione et negligentia de-
pereant; set ipsius opera universa, quantacunque inveniri pot-
erunt^ in unum volumen confici volumus; daraufhin erhält er ans
Hildesheim die philippischen Reden, de lege agraria und die Briefe. — A/
Brnnetto Latini (f 1294), dem Lehrer Dantes, steht fest, dafs er —
sehr bemerkenswertes Faktum — drei Ciceroreden, pro Marc, Lig., De!«
46*
710 ^i^ Antike im Mittelalter.
Terenz, SaJlust, Vergil, Seneca (die Briefe) kannte; bemerkens-
werter ist^ daCs ihm von Horaz nicht blofs die Episteln (cf.
p. 178; 4. 238, 5 Havet); sondern auch die Oden geläufig waren
(ep. 55). 0
ins Italienische übersetzt hat: cf. P. Chabaille in der Vorrede zu seiner
Ausgabe der Liyres dou tresor par Brun. Lat. (CoUection de documents in-
^dits sur lliist. de France, S^r. I fasc. 45 [1863]) p. VII: diese Übersetzungen
sind zuerst 1568 in Lyon gedruckt, dann in Mailand 1832 wiederholt (ich
habe keine von beiden Ausgaben gesehen); ob auch eine Übersetzung der
ersten catilinarischen Bede von ihm^st, steht nicht ganz fest, cf Chabaille
1. c. und überhaupt J. Schuck in Fleckeisens Jhb. XCII (1865) 281 f Be-
zeichnend aber ist, dafs er im III. Buch seines Tresor, wo er über die Rhe-
torik handelt, als Muster nicht Cicero, sondern die Reden des sallustischen
Catilina zugrunde legt (Schuck 1. c. 289), die er nach einer Mitteilung tou
Mehus 1. c. p. CLVU f. (dies ist noch immer die Hauptstelle über Latini)
auch in eignen Schriften übersetzt hat. (Die Notiz über Latini, die sich
nach G. Voigt, Die Wiederbeleb, d. class. Alt. 11 » [Berl. 1893] 159, 1 bei
Zacharias, Iter litt, per Italiam [Vened. 1762] 29 finden soll, hab^ ich nicht
identifizieren können.) — Dagegen kennt Dante nur de amic, sen., off., fin.,
inv., parad. (Schuck 1. c. 264). — Vincenz v. Beauvais kennt 12 Reden: cf.
E. Boutaric in: Rev. des quest. bist. XVII (1876) 5 ff. Orelli ed. Cic. m * (1845)
p. X f. — Unter den Reden waren (wie schon im Altertum) die gelesensten
die Verrinen, die catilinarischen, die philippischen. Nur die beiden letzteren
Gruppen kennt Baudri, Abt von Bourgueil (1079 — 1107), dann Bischof von
Dol (bis 1130): aus seinen, im cod. Vat. 1351 vereinigten lateinischen Ge-
dichten hat Delisle in: Romania I (1872) 23 ff. einiges mitgeteilt, darunter
(p. 46) die Anfangsverse von sechs auf fol. 130^ stehenden kleinen Gedichten
auf Cicero. Mein Freund H. Graeven hat sie mir abgeschrieben: sie be-
stehen aus je 3 Distichen und feiern in sehr pathetischer Weise (z. B. 5, 1 f.
qui tenet ac tenuit, docet aetemumque docebit Ärtem dicendi verbifluus Cicero;
4, 1 ingenium cuius semper mirabitttr orhis u. dgl. m.) Ciceros Verdienste
um den Staat während der catilinarischen Verschwörung und seine Reden
gegen Antonius. — Über die im Ma. relativ häufigen Reden vgl. auch G.
Voigt, D. Wiederbeleb, d. klass. Alt. I» (Berl. 1893) 41 f. -- (In dem von
Wattenbach in: Sitzungsber. d. bayr. Ak. 1873, 703 aus einem cod. Tegems.
19488 saec. Xn/XTTT mitgeteilten Gedicht beklagt sich einer, dals ihm zum
Vorwurf gemacht werde, quod scripta lego Ciceronis, doch sagt er nichts
welche Schriften.) — Natürlich darf man nicht glauben, dafs alle diejenigen,
die seine Beredsamkeit preisen, ihn gelesen haben; im Gegenteil ist das
meist Phrase, z. B. wenn in karolingischer Zeit jemand neben Cicero Sappho
preist (MG. n 585). Was noch Petrarca von der Schätzung Ciceros bei
seinen Zeitgenossen sagt (ep. de reb. fam. XXIV 4) fama rerum eeleberrima
atque ingens et sanarum nomen, perrari autem Studiosi gilt für das ganze
Mittelalter.
1) Für Deutschland werden aus dem X. Jh. klassische Studien aus-
Das XI.— Xm. Jahrb.: die Gegner der Scholastiker. 711
m. Das XL — TTTTT. JahrlmncLert.
Es war die Zeit, in welcher zum Abschlufs kam das^ was weaen de
wir mit ^Scholastik' bezeichnen, einem Namen^ der vielen noch
dasselbe Grauen einfiofst wie einst den Humanisten des XIY.
und XV. Jh.: zweifellos mit Unrecht, wenn wir uns auf histo-
rischen Boden stellen — das wird eine wissenschaftliche Dar-
stellung dieser in der Geschichte des menschlichen Geistes viel-
leicht am meisten vernachlässigten Epoche einst zu beweisen
haben — , sicher mit Recht, wenn wir den Standpunkt jener
Humanisten einnehmen, die der Ästhetik zuliebe eben mit
der historischen Entwicklung gebrochen haben. Denn für die
Geschichte des Studiums der klassischen Schriftsteller bedeutet
drücklich bezeugt von Meinwerk v. Paderborn und Bemward v. Hildesheim,
cf. die Zeugnisse bei A. Heeren, Gesch. d. class. Litt, im Ma. I (Göttingen
1797) 196 f. Einer der gelehrtesten Männer dieses Jahrh. in Deutschland
war Bruno, der Bruder Ottos I. Von seinen Kenntnissen weifs der Bio-
graph Wunderdinge zu erzählen (cf. die Vita in Mon. Germ. Script. IV
254 fP.), aber er übertreibt offenbar maTslos (wie auch Heeren 1. c. 197 be-
merkt); doch scheint wahr zu sein, dafs Bruno einer der wenigen war, die
griechisch verstanden (c. 11. 12); bemerkenswert sind seine Bemühungen
um Sorgfalt in der lat. Sprache: lucttbrcUionihus intentissimus inveniendis^
in dictatu, quaecumqiie sunt honestissima , ctcuHssimus fuit. Latialem eh-
quentiam non in se aolutn, vhi exceUuit^ sed et in tnultis aliis politam reddi-
dit et iUustrem; nuUo autetn hoc egit supercüio, sed omh domestico lepore^
cum urbana gravitate. Möglich, dafs infolge dieser Bestrebungen des ein-
flufsreichen Mannes vieles in Lorsch, Eonrey, St. Gallen abgeschrieben
wurde. Cf. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Ma. I* 322 f.
Mit Bruno stand in nahen Beziehungen Ratherius (f 974), geb. in Lüt-
tich, also auf ursprünglich französischem Boden (s. oben S. 691, 1), später
Bischof von Verona; er war neben G^rbert am meisten in der klassischen
Litteratur bewandert und schreibt einen guten Stil; über die vielen von
ihm citierten Autoren cf. B. Ellis vor seiner Gatullausgabe (2. Aufl. Oxford
1878) p. Vni, 1. Es ist doch höchst wahrscheinlich, dafs die reichen
Schätze, die in der Renaissance aus der Bibliothek des Domkapitels in
Verona zum Vorschein kamen, von diesem Manne — wenigstens teilweise
— aus Frankreich dahin geschafft worden sind. — Ein deutliches Beispiel
der Verbreitung antiker Vorstellungen auch auf politischem Felde bietet
Widukind, der Otto I., ohne seines späteren Römerzuges (962) zu gedenken,
schon nach dem Ungamsiege des Jahres 966 ganz nach altrömischem Muster
zum Imperator ausrufen läfst: triumpho celebri rex f actus gloriosus ab exer-
citu pcUer patriae imperatorgue appeUatus est (MG. SS. IH 469).
712 1^0 Antike im Mittelalter.
diese Zeit anerkanntermaCsen den groüisten Bückscliritt. Die
*artes' waren an den Universitäten^ vor allen an der Sorbonne,
das wesentlichste Bildungselement, und nicht einmal sie in der
reinen; überkommenen Gestalt: die Grammatik wurde ^Spekula-
tiv'^), Donat ^moralisiert'*), ja schlief slich traten an die Stelle
der alten Lehrbücher zwei neue: das berühmte, oder besser in-
folge der Verhöhnung der Humanisten berüchtigte ^Doctrinale'
des Alexander von Villa Dei (Villedieu in der Normandie) und
der ^Grecismus' des Eberhard von B^thune, in denen das eigent-
lich mittelalterliche, d. h. antiklassische Latein als Norm zu-
grunde gelegt wurde. Gegen diese dunkle, durch die Universi-
täten sanktionierte Richtung sind nun von Anfang an Bestre-
bungen in durchaus entgegengesetztem Sinn aufgetreten, die wir
daher ohne weiteres berechtigt sind als echte Vorläufer der
Renaissance aufzufassen. Ihre Entstehung und ihr Wirken aus
zeitgenössischen Quellen kennen zu lernen war vielleicht nicht
blofs für mich von Interesse: ich lege daher im folgenden meine
darüber angestellten Untersuchungen vor.
1. Der litterarische Streit der Elassicisten und
Scholastiker s. XL XTT. Die Schule von Ghartres.
johanneiT. Seit der Mitte des XI. Jh. wurde in Frankreich von zwei
Parteien ein erbitterter Streit geführt, dessen Tendenzen wir
aus den beiden fdr die Geschichte der Wissenschaft im spatem
1) Von Duns (f 1308) giebt es eine 'grammatica specolativa', die in
der Lyoner Gesamtausgabe vom J. 1639 in Bd. I p. 89 — 76 steht: ich habe
sie nicht gelesen. Cf besonders Böcking zu den epp. obsc. vir. 11 421 1
G. Meier, Die 7 Künste im Ma. (Jahresber. M.-Einsiedebi 1885/86) 21 1
Melanchthon tadelte es, dafs die Scholastiker sogar in der Grammatik ihn
instdsissinMS caviUationes vorgetragen h&tten: K. Hartfelder, M. als Pkaa-
cept. Germ, (in: Mon. Germ. Paed. YU 1889) 159.
2) Johannes de Gerson, der berühmte Kanzler der üniversitiU ¥wdM,
^doctor Christianissimus^ (1363 — 1429), hat ein feunoses Büchlein 'DMiatu
moralizatus' verfaTst, yon dessen Art folgende Probe eine Vorsiellim^ giebt:
§ XI Cuius casus (sc. homo est)? — NominaHvi et Voeativi, i
iam mortalis qui immortalis erat creaius, et fx>catur operariuB, qui
quirti erat deputatus % Xu Cuius decUnationis? — Tertia^
et humiliari dcbet tripliciter, scilicet coram deOy eorom pnmm
Das Schriftchen ist noch 1692 mit denkbar ausfShrlichem Kommienlar ediert
Yon Jo. Fr. Heckel (zu Plauen i. V.).
Das XL— Xni. Jahrh.: die (Gegner der Scholastiker. 713
Mittelalter wichtigsten Schriften des Johannes Saresberiensis
(c. 1110 — 1180) kennen lernen: dem Entheticus und Metalogicns.
Die eine Partei setzte sich zusammen aus Verächtern jeder, vor
allem der klassischen Wissenschaft: ihr Ziel war, unter dem
Deckmantel einer spitzfindigen und haarspaltenden Philosophie,
die sie ^Logik' nannten^ Schule zu machen. Die eignen Worte
des Johannes zeigen am besten, was das für Leute waren.
Metalog. I c. 3 (vol. V p. 16 ed. Giles) nennt er ein paar Fragen,
wie sie in den Schulen jener Partei behandelt wurden^), z. B.
insolubüis in illa phüosophantium schola Urne temporis quaestio habe-
hatur, an porcus qui ad venalitium agüur, ab homine an a funicuh
teneatur; item an capucium emerü qui cappam integratn comparavit
XL s. w. Es ist dies, wie C. Schaarschmidt, Joh. Sarisb. (Leipz.
1862) 220 bemerkt, jene Art spitzfindigen, haarspaltenden, un-
fruchtbaren Disputierens, die man gewöhnlich erst späteren
Zeiten des Mittelalters zuschreibt, die aber hier schon für das
Xn. Jh. bezeugt wird. In dieser Schule, fährt Joh. Saresb. fort
(1. c), sufßdebat ad victoriam verbosas clamor poetae, historio-
graphi habebantur infames, et si quis incumbebat labori-
bus antiquorum, notabatur u. s. w. p. 17 ecce nova fiebant
omnia: innovabatur grammatica, immutäbatur diaiedica, contemne-
bahir rhetorica et novas totius quadrivii vias evacuatis priorum re-
gtdis de ipsis philosophiae adytis proferebant Speziellere Notizen
giebt der ungefähr gleichzeitige Entheticus, der zuerst von Chr.
Petersen Hamburg 1843 (mit Kommentar) ediert wurde. Wir
lernen hier die Gegner genauer kennen: sie gehören der Schule
dreier Scholastiker an, des Adam du Petit-Pont (so genannt nach
dem Quartier in Paris, wo er lehrte; f 1180)'), Robert von Melun
(t 1167)*), Albericus von Reims.*) So heifst es von ihnen in
dem Kapitel De nugacQms mentientibus logicam: (Enth. Y. 41 ff.
vol. V 240 G.) :
si sapis auctoreSf veterum si scripta recenses,
ut statuas, si quid forte probare velis,
1) Cf. auch Polycrat. VII c. 12 (vol. FV 123 Gilee).
2) Cf. Hißt. litt, de la France XIV 189 f. Einen lexikographischen Trak-
tat von ihm edierte A. Scheler, Lexicographie latine du Xu® et du X
si^cle, Leipz. 1867.
3) Ib. Xm 371 ff.
4) Über ihn ist wenig bekannt, cf. Petersen 1. c. p. 80.
714 I^ie Antike im Mittelalter.
undique damabunt: ^vetus hie quo tendit aseOm?
cur veterum nöbis dicta vel acta refert?
a nohis sapimus, docuit $e nostra iwoentuSy
non recipit veterum dagmata nostra cöhors.
non onus accipimus, ut eorum verba sequamur,
quos habet auctores Graecia, Roma colit.
expedit ergo magis varias confundere linguas,
quam veterum studiis insipienter agi.
quos numeros aut quos casus aut tempora iungant,
grammatid qu^aerunt, verha rotunda cavent:
torquentur studiis, cura torqtientur edaci,
nuUa stbi dantur otia, nuUa quies
qui numeros numeris, qui casus casibus aptat,
tempora temporihus, desipit et miser est,
magnus enim labor est, compendia nuila sequentur,
tempora sie pereunt, totaque vita simul.
äbsque läbore gravi poteris verhosior esse,
quam sunt quos cohibet regula prisca patrum.
quicquid in os veniet, audacter profer, et adsit
fastus: hohes artem qtiae facit esse virum
hos lilri impediunt, iUos documenta priorum,
successumque vetat magnus habere labor.
disputat ignave, qui scripta revolvit et artes:
nam veterum fautor logicus esse nequiU^ u. s« w.
Dazu bemerkt dann der Verf. (V, 109 fit):
ha^c ubi persuasit aliis error puerüis,
ut iuvenis discat plurima, pauca legat,
laudat Äristotelem solum, spernit Ciceronem
et quicquid Latiis Graecia capta dedit,
conspuit in leges, vüesdt physica, quaevis
litera sordescit: logica sola placet
Die Folge davon sei eine völlige Verwahrlosung der lateinischen
Sprache ; die durch Vermischung mit der modernen^) barbari-
siert werde (133 fif.).
Dem immer weiter um sich greifenden Verfall der Wissen-
schaft traten nun, wie Metalog. I c. 5 (p. 21) berichtet wird,
1) Die Stelle wird dadurch recht interessant, ist aber zu lang, um
hier citiert zu werden.
Das XI.— Xm. Jahrh.: die Schule Ton Chartres. 715
die amatares litterarum entgegen: es sind die Lehrer , bei denen
Job. Saresb. selbst in die Schule gegangen ist, nachdem er durch
den Unterricht der andern abgeschreckt war. Ihr Ziel war:
Begründung einer wissenschaftlichen PhUosophie in gebUdeter
lateinischer Sprache auf der Basis einer ausgedehnten Gelehr-
samkeit, die Yor allem — und das ist nns das Wichtigste —
durch die Lektüre der alten Klassiker erworben werden sollte.
Im Mittelpunkt stand die Schule von Chartres mit ihrem Bemardut
glänzendsten Vertreter älterer Zeit: Bernardus Silvester chartm.
(t c. 1160). Über ihn haben wir den ausführlichen Bericht
seines Schülers, des Johannes Saresberiensis , im Metalogicus
1. I c. 24 (vol. V 57 ff. Giles): mit Recht hat C. Schaarschmidt
1. c. 73 ff. diesem Bericht als einem der wichtigsten Dokumente
für mittelalterliche Bildung seine Anfmerksamkeit geschenkt.^)
Wenn man den Bericht des Johannes liest, so mufs man sagen:
wenn irgendwo, so haben wir hier einen Vorläufer des Petrarca
zu erkennen. Denn der fundamentale Unterschied zvnschen der
Lehrmethode des übrigen Mittelalters und der des Bernardus
liegt in der Stellungnahme zu den klassischen Autoren: sie sind
für ihn schon durchaus Selbstzweck, nicht wie sonst bloDs Mittel
zum Zweck geistlicher Bildung. Femer: er hat die Künste des
Triyium nicht getrennt von den Autoren gelehrt, sondern hat
vielmehr diese seinem Unterricht zugrunde gelegt. Endlich,
und das ist nicht am wenigsten bedeutsam: er hat (wie Pe-
trarca) die Klassiker vor allem als Stilisten gewürdigt und
auf ihre imitatio (jenes Losungswort der Humanisten) das
grofste Gewicht gelegt. Ich setze, um das Gesagte zu be-
legen, einige Stellen des genannten Kapitels her: metaplasmufn
schematismumgue et oratarios tropos^ midtiplicitatem dictionum quum
affuerint, et diversas sie vel sie dicendi ratianes ostendat (sc. der
Lehrer) et crebris commonitumüms agat in memoriam auditorum.
1) Einiges fügt hinzu C. Barach in der Vorrede zu der von ihm und
J. Wrobel herausgegebenen Schrift des Bernardus De mundi universitate,
Innsbruck 1876, cf. auch G. Kanftnann, Gesch. d. deutsch. Univers. I (Stuttg.
1888) 38 £f. Ein Versehen ist es, wenn Barach 1. c. XITT als mutmafslichen
Inhalt eines (verlorenen) Liber dictaminum des Bernardus angiebt ^eine
Sammlung seiner praktischen Weisheitslehren': dafs dictamina vielmehr,
wie überhaupt im Mittelalter (cf. Anh. II), ^Stilezercitien' bedeutet, zeigen
die Verse eines Schülers des Bernardus (Matthaeus v. Vendöme) bei B.
Haur^a in^ Joum. des sav. 1884, 209.
716
Die Antike im Mittelalter.
auctores excutiat et sine intiientium risu eos plumis spoliel, {p9^|
ad modum comieulae ex vanis disäplinis, ut color apttor sit, mm
operibas indiderunt. qitantum pluribus discipUnis et abnndaniius
quisqtK imbulus fuerit, ianto elegantiam auctorum plenius in-
tu^ititr planiusque docelnt .... Ergo pro capacitate discenlis attt
docentis indtistria et diligentia constat frtictits praelectionis auctorum.
sequebatur hunc morcm Bernardus Carnotensis, exundan-
tissimus modemis temporibus fons Uterarvm in GaUia, et in auc-
torum lectione quid simplea: esset et ad imaginem regulae posi-
tutn, ostendehal; figuras grammaticae, colores rhetoricos . . proponebat
in media . . Et quin ^lendor orationis aut a proprietate est (id est,
guum adiedivum aut verbum suhstantivo eleganter adiungitur), aut
a translaHone (id est, uM sermo ex causa probabüi ad alienam
Iraducitw signißcationem), haec sumpta oecasionc inculaä>at meniibus
auditorum. et quoniam memoria exercitio ßrmatur ingeniumque
aeuitur ad imitandum ea quae audiebant, alios admoniHontbus,
alios flageUis et poenis urgebat. cogebantur exsolvere singuli die
seguenti aliqiiid eorttm quae praecedenti audierant . . Vespertinum
exerätium, guod declinatio dicebaüir, tanta copiositate grammaticae
referium &'at, ut siquis in eo per annum integrum versaretur, ra-
tionefn loquendi et scribendi, si non esset h^etior, haberet ad
manum .... Quäms aulem indicebantur praeexerdtamina puerorum
in prosis aut poematibus imitandis, poetas aut oratores propone-
bat et eorutn iubebat vestigta imitari ostendens iuncturas
dictionum et elegantes sermonum clausulas. siquis autetn
ad splendorem sui opms alienum pannum assuerat, deprehensum
redarguebal furtum . . Sic vero r^argutum, si hoc tarnen meruerat
inepta posilio, ad exprimendam auctorum imaginem modesta
indulgentia eomcendere iub^at faeiebatque, ut qui maiores imita-
batwr, ßeret posteris imitandus. id quoque inter prima rudimeiUa
docd}at et infigebat animis, quae in oeconomia virtus, quae in de-
core rerum, quae in verbis laudanda sunt: übt ienuiias et qwui
macies strmonis, uiii copia prob(ätilis, uhi excedcns, übt omnitim
modus. historiaSf poemala percurrenda monebat diligcnler
.. et ex singulia aliquid reconditum in memoria, diumum d^iimn,
dü^enti instantia exigebnt. superflaa tarnen fugienda dic^at et ea
sufficere, quae a claris auctoribus scripta sunt ...El qrtia in
•) praeexercitamme erudiendorum nihil utilius est quan
i' ex arte oportet assucscere, prosas et poemata •
Das XI. — ^Xin. Jabrh.: die Schule Ton Chartres. 717
scriptitatant et se muUHs exercdnint coUoHonibus, quo guidem
exercitio nihil utilius ad doquentiam^ nihü expedüius ad sdentiam.
Von demselben Mann f&Iirt Johannes an einer andern Stelle
(Metal. 1. III c. 4 p. 131) ein denkwürdiges Wort an. Joliannes
bespricht dort, allerdings zunächst nur in Bezng auf die Philo-
sophie^ die imyergleichliche Grofse des Altertums im Verhältnis
zur Jetztzeit; die freilich in Einzelheiten mehr wisse, aber nicht
durch sich selbst, sondern gestützt auf die grofse Gelehrsamkeit
der Vorzeit; dicebai, fährt er dann fort, Bemardus Camotemis
nos esse quasi nanos gigantium humeris insidenteSj ut possimus
plura eis et remotiora videre^ non utique proprii vistis acumine aut
eminentia corporis, sed guia in altum subvehimur et extoUimur magni-
tudine gigantea.
Dieses Mannes und seiner wenigen gleichgesinnten Freunde Die sohui
Schüler war Johannes Saresberiensis: daher sein für die da- BemArdai
malige Zeit musterhaftes Latein und seine ganze klassicistische
Richtung, der er einmal mit folgenden Worten Ausdruck giebt
(Polycr. VII c. 9, vol. IV 112 G.): poetas historicos oratores tnatJie-
maticos quis ambigit esse legendos? tnaxime qutmi sine his viri esse
nequeant vd non soleant literati: qui enim istorum ignari sunt,
iüiterati dicuntur, etsi Uteras noverint Diesem Kreise nahe stand
auch Hugo von St. Victor (f 1141), den Johannes gelegent-
lich mit grofser Ehrfurcht nennt und den jene unwissenschaft-
lichen Eristiker denn auch nicht mit ihren Angriffen verschon-
ten, aus Neid auf seine Gelehrsamkeit (Metalog. I c. 5 p. 22):
der freisinnige Standpunkt, den dieser Mann, wie wir sahen
(o. S. 689 f.), in seiner Eruditio didascalica der Lektüre der auc-
tores gegenüber einnimmt, erklärt sich so ohne weiteres.^)
Die Resultate einer auf Grund klassischer Lektüre einge- J^^\
richteten Erziehung liegen fast noch klarer als bei Joh. Saresb.
bei dessen Frermd und Gesinnungsgenossen Peter von Blois
(f 1200) zu Tage. Wenn man seine von ihm selbst auf Befehl
Heinrichs H von England gesammelten 243 Briefe durchblättert,
so findet man, dafisi diejenigen, in denen nicht haufenweis Citate
aus heidnischen Prosaikern rmd Dichtem stehen, zu den Aus-
1) Gegen den scholastischen Betrieb der Grammatik eifert er 1. 111
c. 6 (176, 769 Migne): sunt guidam, gut . . . nMi arH quod sutwi esf '
Imere norunt, sed in singt^ia legunt omnes. in grammatica de syUogi»
ratione disputant, in diäkctica inflexiones casuales inqmrunt.
Bloii.
718 I^ie Antike im Mittelalter.
nahmen gehören. Er rechtfertigt sich gegen Angriffe wegen
dieser Citierwut^) in Brief 92 (207, 289 ff. Migne), z. B.: sicut
in libro Satumalium et in libris Senecae ad Ludlium legimuSy apes
imitari debemus, quae colligunt floreSj quibus divisis et in fa/oum
dispositis varios sticcos in unum saporem artifici mistura frans-
fundunt Er kennt, um ganz von den Dichtem, die er fort-
während citiert, zn schweigen*), von Prosaikern z. B. Cicero
(aber nicht die Beden), Sallust, Livins, Curtins, Seneca (Briefe),
Frontin (strat.), Justin, Valerius Max., Quintilian (inst.), Tacitus,
Sueton, Appuleius (philos.), Martianus Capella. Es hat daher
wenig auf sich, wenn er einmal jemanden anfahrt mit den Wor-
ten: Friscianm et Tidlias, Lucanas et PersiuSj isti sunt dii vesiri
(ep. 6 p. 18), oder in einem salbungsvollen Brief an einen an-
dern, der sich mit Yersemachen abgab und den Stil des Evan-
geliums durum insipidum infantilem zu nennen wagte, 68 Bibel-
citate, nur 2 aus heidnischen Autoren verwendet (ep. 76 p. 231 ff.).
Interessant ist nun, dafs er auch in der Theorie sich durchaus
auf dem Standpunkt jener Vertreter der klassicistischen Rich-
tung befindet. Das geht hervor aus ep. 101 (p. 311 ff.)*0 Ein
Archidiacon von Nantes hatte ihm zwei jugendliche Verwandten
zur Erziehung anvertraut und besonders den etwas älteren em-
pfohlen, der schon vorgebildet sei und grofse Erwartungen er-
rege. Petrus antwortet ihm, der jüngere, der noch in keiner
Schule gewesen sei, gefalle ihm besser; denn: Wülelmum predig
1) So stehen in einem ganz kleinen Brief (72) 20 heidnische Citate,
kein biblisches.
2) Einer seiner Freunde, ein tnagister B. Blondus^ hatte in einem
Brief an ihn Tibull citiert (ep. 62 p. 186), nach der Erwähnung in dem
französischen Bibliothekskatalog s. IX (20 Becker, vgl. o. S. 691, 1. 706), wohl
das erste Mal, dafs dieser Dichter wieder genannt wird seit der 2ieit des
Sidonius (zwar nennt ihn in karolingischer Zeit Petrus v. Pisa neben Vergil
und Horaz als hervorragend eloquio [Poet. lat. aev. Carol. ed. Dümmler I
p. 48], aber da in den sonst fast wörtlich übereinstimmenden Versen seines
Freundes Paulus Diaconus [ib. 49] vom Veronensis TibuHus gesprochen
wird, so ist eine Verwechslung mit Catull wahrscheinlich, wenn die beiden
sich überhaupt etwas dabei dachten): die berühmten Excerpte in der Pa-
riser Hs. (Notre Dame 188) sind etwa 60 Jahre später geschrieben. P. Bles.
selbst kennt ihn nicht.
3) Besser als bei Migne jetzt ediert im Chartolarium uniT. Paris. I
(Paris 1889) 27 ff., wonach ich citiere.
Das XI.— XIIL Jahrb.: die Schule Ton Chartres. 719
COS subtüioris vene et acutioris ingeniif eo quod grammatice et
auctorum sdentia pretermissa volavit ad versuiias logicorum. tum
est in tälibus fundamentum sdentie Utteralis, muUisque perniciosa
est ista subiilitas^), quam extollis. ait namque Seneca^: ^odibüins
nidiil est sübtilitatej ubi est sola subtüitas' guidam antequam
discipUnis elementariis imbuantury docentur inquirere de puncto^ de
linea, de superficie, de quantitate anime^ de fato, de pronitate nature^
de casu et libero arhürio, de materia et motu (etc.). prmi-
cianda erat etas tenera in regtdis artis grammatice^ in ancdogiiSf in
barbarismiSf in soloecisfnis, in tropis et scematibus^ in quorum om-
nitim doctrina Donatus Servius Priscianus Ysidorus Beda
Cassiodorus plurimam düigentiam impenderunt: quod equidem non
fecissenty si sine hiis passet hdberi scientie fundamentum (folgen
Zeugnisse des Qnintilian und Cicero), et que utüitas est scedulas
evolvere, firmare verhotenus summas et sophismatum versucias in-
versare^ dampnare scripta veterum et rqprdbare omnia que non
inveniuntur in suorum cedülis magistrorum? scriptum est, ^quia
in antiquis est scientia' (Hiob 12) ... nam de ignorantia
ad lumen scientie non ascenditur, nisi antiquorum scripta
propensiore studio relegantur. (folgt je ein Zeugnis des
Hieronymns und Horaz) profuit michi frequenter inspicere
Trogum Pompeium, losephum (natürlich in Cassiodors Be-
arbeitung), Suetonium, Egesippum, Quintum Curtium, Cor-
nelium Tacitum^), Titum Livium, gui omnes in historiis quas
referunty multa ad morum edificationem et ad profectum scientie
liUeralis interserunt legi et alios, qui de historiis nichil
agunt, quorum non est numerus, in quibus omnibus quasi in
ortis aromatum flores decerpere et urbana suavitate loquendi meUir
ficare sibi potest diligentia modernorum. Er solle sich daher über
die langsamen Fortschritte Wilhelms nicht wundem: er müsse,
wie bei Martianus Capella die Philologie^ erst all die überflüssigen
Bücher, die er verschluckt habe, wieder von sich geben.*)
1) Das bekannte Schlagwort der Scholastiker, über das sich später
auch die Humanisten lustig machten.
2) ep. 88.
3) Ob das freilich auf Wahrheit beruht, ist sehr fraglich, cf. E. Cor-
nelius, Quomodo Tac. in hominum memoria versatus sit (Progr. Wet^"
1888) 41.
4) Ganz ähnlich äufsert sinh an einer für die Geschichte der mi
720 Die Antike im Mittelalter,
Litten- Fragen wir uns nach dem Ansgangi den dieser Kampf nahm,
■a^en^ SO müssen wir sagen: die klassicistische Partei unterlagt die der
hftnge.
alterlichen Bildung wichtigen Stelle Giraldns de Barri (Cambrensis, weil
aus Wales gebürtig) im Anfang seines Speculum ecclesiae (verf. c. 1220):
Giraldi opera ed. Brewer, London 1874 (vgl. auch H. Bashdall, The uni-
yersities of Europe in the middle ages I [Oxford 1895] 69 adn.); er ver-
langt Bildung non solum in trivio verum etiam in authoribus zum Zweck
des recte lepide omate h^i. Im J. 1280 wiederholt dieselbe Klage Hugo
von Trimberg, Schulmeister in Bamberg: cf. die Vorrede zu seinem Be-
gistrum multorum auctorum (ed. J. Huemer in: Sitzungsber. d. Wien. Ak.
1888, 145 ff.) y. 21 ff., wo es z. B. heilst: 30 ff. omne vetus Studium perit
accedente modemo; quondam apud veteres lecH sunt auctores, an deren
Stelle jetzt die scholastischen Subtilitäten getreten seien. — Aus dieser
Zeit und aus diesen Kreisen stammt die schon oben (S. 718, 2) kurz er-
wähnte Pariser Excerptenhandschrift (Notre Dame 188), beschrieben
von E. Wölfflin im Philol. XXVII (1868) 158; sie enth< Excerpte .aus
lateinischen Dichtem meist sententiösen Inhalts, und zwar aus Prudentius,
Claudian, Ovid, Horaz, Juvenal, Persius, Martial, Culex, de laud. Pisonis,
Terenz, Querulus, Tibull, femer an philosophischer Litteratur ziemlich viel
aus Cicero (de off., Lael. , Cat., Tusc.) und aus Seneca, dann Rhetorisches,
Grammatisches, Metrisches, sowie verschiedenes aus Gtellius, Macrobius,
Sidonius, Cassiodor, Caesar, Sallust, Sueton. Es würde sich lohnen, ent-
weder alles abzudrucken, oder wenigstens genau die einzelnen Stellen an-
zugeben (bisher sind nur die kritisch so wertvollen Tibullexcerpte publiziert).
Für die Auswahl der Autoren giebt es c. aus dem J. 1100 den von G. Schepps
(Würzburg 1886) edierten Dialogus super auctores des Conradus von
Hirsch au. Er teilt die auctores in 2 Klassen, die inferiores und die
superiores. Zu ersteren gehören die bekannten Elementarlesebücher des
Ma. : Donatus, Cato, Hesopus (sie), Avianus. Eine Art Mittelstellung nehmen
ein: Sedulius, luvencus, Prosper, Theodolus (d. h. Theodulus). Darauf fährt
er fort p. 46: Magister: veniamus nimc ad Bomanos auctores Aratorem Pru-
dentium Tullium Salustium Boetium Lucanum Virgilium et OratiiMn moder"
norum studiis usitatos, quia veterum auctoritas multis dliis idest histariographis
tragedis comicis musicis usa probatur, quibus certis ex causis modemi minime
utuntur. Discipulus: causam huiics rei scire cupio. Magister: teste I^riaciano
grammatico et nonnuUis aliis multi gentilium libri Christiana tempora praC"
cesserunt, in quibus antiqui studia sua contrivenmt^ quae non recipit nee
approbat nunc ecclesia^ quia facile respuitur vana et falsa doctrina, tibi in-
cipiunt clarescere divina. Er behandelt im folgenden aber auTser den Ge-
nannten noch Boethius, luvenalis, Homerus (Pindarus Thebanus), Pendns,
Statins. — Für das XI. Jh. cf. auch das, was von Halinard, Abt von S.-
Bönigne de Dijon, seit 1046 Erzbischof von Lyon, berichtet wird im Chro-
nicon S. Benign, bei D'Achery, Spicileg. vet. Script. 11 (Paris 1665) 892; an-
deres derart bei Ch. de Montalembert, Les meines d'Occident VI (Paris
1877) 201, 2. 204 f.
Das XI. — Xm. Jahrb.: Scholastik und ElasBicismos. 721
Lektüre der anctores feindlich gegenüberstehende, die Sprache
yernachlässigende, in unsinnige Spitzfindigkeiten sich verlierende
Partei triumphierte: das ist die Partei, an die man gewöhnlich
denkt, wenn man von der Scholastik im schlechten Sinne redet;
eine Zeit lang boten ihr noch die glänzenden Vertreter der
scholastischen Philosophie das Gegengewicht, aber als die neue
Sonne Petrarcas aufleuchtete, da war überall, besonders in Paris,
der Hochburg dieser Studien, tiefe Nacht, in der jene Klopf-
fechter in vermeintlichem Scharfsinn die Waffen ihrer Dialektik
schwangen in barbarischer Sprache: denn eine Grammatik als
selbständige Wissenschaft gab es nicht mehr, sie war der Logik
Unterthanin. Den unmittelbaren Zusammenhang jener von
der Schule y. Chartres im XIL Jh. bekämpften Richtung mit
derjenigen Generation, über welche die Humanisten des XY. Jh.
die Flut ihrer Schmähreden ergehen liefsen, will ich an einem
schlagenden Beispiel zeigen.
Hugo von St. Victor, wie bemerkt der Parteigenosse des
Saresberiensis, sagt in seiner Eruditio didascalica 1. IH c. 5 (176,
769 Migne) über die Scholastiker seiner Zeit: in grammatica de
sylhgismorum raiione disputant, in diadedica inflexiones ctisuäles
inquirunt, et quod magis inrisione dignum est, in tüulo totum pene
legunt Itbrum, et Uncipit* tertia vix lectione expediunt non alias
docent huiusmodi^ sed st/iam ostentant scientiam. Diese Stelle
überträgt nun, ohne die Quelle zu nennen, wortlich auf die
Scholastiker seiner Zeit Geiler von Eaisersberg in seinen im
J. 1498 zu Straüsburg gehaltenen Predigten über S. Brants
Narrenschiff: gerade diese Stelle ist zufällig abgedruckt in den
Mitteilungen, die Fr. Zamcke in dem Kommentar zu seiner Aus-
gabe des Narrenschiffs (Leipz. 1854) aus den lateinischen Pre-
digten Geilers macht: p. 354.^) —
Es ist im obigen wesentlich nur von den Prosaikern gesprochen KiaMioii-
miM in der
Poesie.
1) Was in der Stelle des Hugo und Geiler die Worte 'incipU^ tertia
vix lectione expediunt bedeuten, mag, wer den Wahnsinn in Methode ge-
bracht sehen will, nachlesen in den Proben, die Zamcke p. 348 ff. aus
scholastischen Kommentaren zu Donat, Alezander de Villa Dei u. a. giebt.
Über die Worte incipit dydlogus Donati de partibus orationis octo feliciter
wird z. B. anderthalb grofse Seiten in geradezu wahnwitziger Weise ge-
redet: und das ist ausgedacht und vorgetragen zur Zeit der Entdeckunj
Amerikas, über 100 Jahre nach Petrarcas Tod.
722 Die Antike im Mittelalter.
worden« Auch in der lateinischen Poesie läfst sich in Frank-
reich bei Männern, die zum Kreis der Elassicisten gehorten, seit
dem Xn. Jh. ein deutlicher Aufschwung erkennen, der an die Zeiten
Karls d. Gr. erinnert, in denen u. a. Theodulfiis, der Bischof von
Orleans, seine technisch meisterhaften Verse machte. Die alten
Dichter, besonders Statins, Lucan und Ovid, aber auch Tibull
und Properz (s. o. S. 691, 1) wurden inhaltlich wie formell studiert,
vgl. z. B. die Gedichte des von Mit- und Nachwelt viel gefeierten
Matthaeus von Yendöme, eines Schülers des Bemardus Sil-
vestris.^) Der leoninische Vers trat daher zurück: Giraldus de
Barri, ein Zeitgenosse des Saresberiensis, antwortet auf ein in
Distichen verfafstes Gedicht mit Hexametern, die am Ende
reimen, aber er entschuldigt sich: er habe Podagra und so stehe
ihm nur die morbida Musa zur Verfügung.^) Einer der besten
lateinischen Dichter des Mittelalters war Hildebert, geb. 1055
bei Vendöme, Bischof von Le Maus, Erzbischof von Tours,
f 1134. Seine Poesieen sind von erstaunlicher Reinheit der
Form: Vergil, Horaz, die Elegiker und Martial sind seine Vor-
bilder; der heidnischen Göttemamen bedient er sich ohne die
geringsten Skrupel. Er that sich auf diese Klassicitat etwas
zugute:
öbscuros versus facis, Htigo, parumque laHnos,
quos vitio linguae vix reticere potes,
vis videam versus? expone laiinius Mos
vel tcuxas. melius, si reticere potes,^)
Man kann die Thatsache seiner auffalligen Fähigkeit am besten
daran erkennen, dafs eine ganze Anzahl seiner Gedichte als
noch dem Altertum angehörig in die Anthologia latina seit Bur-
mann aufgenommen sind, von denen sich erst später heraus-
stellte, dafs sie von Hildebert stammen, darunter ein berühmtes
auf Rom, das auch durch seinen Inhalt so über alles ahnUche
1) Cf. die Proben bei Wattenbach in: Sitzungsber. d. Bayr. Ak. 1878,
II 570 ff.
2) Giraldi Cambrensis opera 1. c. (oben S. 719, 4) I 884.
3) B. Haur^au, Notices sur las m^langes po^tiques d'Hildebert, in;
Not. et extr. des ms. XXVIII 2 (1878) p. 289 ff.; diese Abhandlung mnis
mau jetzt notwendig zu der Ausgabe des Mauriners A. Beangendre (Pwia
1708) und dem Abdruck dieser bei Migne vol. 171 hinzunehmen. .
Das XL— Xlli. Jahrb.: Scholastik und Elassicismas. 723
dem Mittelalter Angehörige hervorragt, dafs hier einige Stellen
daraus Platz finden mögen ^):
par tibi, Roma, nihil, cum sis prope tota ruina:
quam magni fueris inteffra, fr acta doces.
longa tuos fastus aetas destruxitj et arces
Caesaris et superum templa pälude iacent
iUe lahor, labor üle ruit, quem dirus Araxes
et stantem tremuit et cecidisse dolet,
quem gladii regum, quem provida iura senatus,
quem superi rernm constituere caput,
quem magis optavit cum crimine solus habere
Caesar, quam socius et pius esse socer. . . .
urbs cecidit, de qua si quicquam dicere dignum
moliar, hoc potero dicere: Roma fuit.
non tarnen annorum series, non flamma, nee ensis
ad plenum potuit hoc abolere decus.
. cura hominum potuit tantam componere Romam,
quantam non potuit solvere etwa deum.
confer opes marmorq\ie novum superumque favorem,
artificum vigilent in nova facta ntanus:
non tarnen aut fieri par stanti madiina muro
aut restaurari sola ruina potest,
hie superum formas superi mirantur et ipsi,
et cupiunt fictis vultibus esse pares, . .
urbs feliXy si vel dominis urbs iUa careret
vel dominis esset turpe carere fide.
Diese Verse dichtete er, als er sich im J. 1106 in Rom
aufhielt: die Augen dieses Mannes haben auf den Ruinen schon
mit jener sentimentalen Sehnsucht geruht, die seit Petrarca ge-
wöhnlich war. Man darf vielleicht vermuten, dafs vor allem
von diesem Mann die klassicistische Richtung ausging, die sich
im weitem Verlauf des XII. imd XIII. Jh. in der lateinischen
Poesie Frankreichs zeigte, denn sein Ruhm war bei Zeitgenossen
und Nachwelt ungemessen: in England kannte man seine Ge-
dichte, und Kardinäle, die nach Frankreich kamen, brachten sie
1) Das Gedicht ist überliefert von Wilelmus Malmesbiriensis (f vor
1142) de geatis regum Anglonim ed. W. Stubbs TI (Und. 1889) p. 403; cf.
auch Gregorovius, Gesch. d. St. Rom i. Ma. IV (Stuttg. 1862) 238 f.
Norden, antike Knnstprosa. 11. 47
724 Die Antike im Mittelalter.
nach Rom. Man nannte ihn divinum und empfahl, seine Werke
auswendig zu lernen. Ich glaube daher, dafs durch diesen Mann,
bezw. die Richtung, die er vertrat und die an ihn anknüpfte,
Tibull und Properz erhalten worden sind (s. o. S. 691, 1. 704.
718, 2).
2. Die Fortsetzung dieses Streites s. Xin: artes und
auctores. Die Schule von Orleans.
Der Streit der Schulen von Paris und Orleans im XHI. Jh.
ist nicht blofs wichtig für die Geschichte der klassischen Studien
im Mittelalter überhaupt, sondern auch als neues Dokument für
das Erwachen einer weiteren freieren Geistesrichtung hundert
Jahre vor dem Auftreten Petrarcas.
Orleans Die Schulcu von Orleans führten sich zurück auf den Bischof
' Theodulfus, den Akademiker Karls d. Gr., der ihn zum Bischof
von Orleans und Abt von Fleury erhob; er war klassisch hoch-
gebildet, das zeigen seine musterhaften Verse und seine Bekannt-
schaft mit den alten Autoren, cf. besonders carm. ^De libris quos
legere solebam' in den Poet. lat. aev. Carol. I 543 f.^) Diese
Tradition wurde in Orleans aufrecht erhalten, wozu die Nähe
von Fleury und Chartres nicht wenig beigetragen haben wird.
Aus dem XI. Jh. konnten die Verfasser der Histoire litteraire
de la France (VII 100 f.)*) eine ganze Reihe angesehener Ge-
lehrter aufzählen. Im XII. Jh. war Orleans neben Chartres ein
Hauptsitz der Wissenscliaften, seiu Einflufs erstreckte sich bis
nach England'); aus seiner Schule gingen drei Männer hervor,
1) Cf. Hist. litt, de la France lY 459 £f. und B. Haar^ao, Singolarit^
historiqaes et littt^raires (Paris 1861) 37 ff.
2) Mehr Einzelheiten giebt die sorgfaltige Arbeit der M"^ A. de Foul-
qnes de Yillaret: L'enseignement des lettres et des sciences dans rOrl^anais,
in; M^oires de la soci^t^ arch^ologique et historique de TOrl^anais XIV
(1876) 899 ff.
8) Im J. 1109 starb Ingolphos, Abt des Klosters Croyland, dessen Ge-
ichichte er Terfafst hat. Sein Nachfolger wurde Jofiridus, der in der
Bohnle Ton 0rI6uiB gebüdet war, cf. Petri Blesensis continnatio ad historiam
*<|*^^lii in: Benim Anglicamm script. yei ed. lo. Fellns 1. 1 (nnicns) (Oxoniae
^* 9mlm H mtirüms Äureliams, ab infanUa monasUrio a parentilmi
UberaUum acieiUiam mperateroL Er schickte auch
'"T«» Mflnche aemes Klosters, um die dortig« Schale
Das XIII. Jh. : Kampf d. ma. (artes) u. human, (auctores) Riebtang. 725
die Sekretäre der Päpste Alexander III (1159—1181) und Lu-
cius III (1181 — 1185) waren ^); auch eine bedeutende Dichter-
schule liatte dort ihren Sitz, deren Vertreter sich durch Kenntnis
der antiken Poesie und Wahrung ihrer Formen im Gegensatz
zu den Verskünsteleien anderer auszeichneten.^ Ein besonderes
Interesse gewinnt die Schule von Orleans aber erst im XIII. Jh.
durch ihren Streit mit der Sorbonne.
Man hätte erwarten sollen, dafs die Provinzialstadt sich der OriAoni
Metropole anschliefsen würde, allein das Gegenteil geschah: Or-
leans^) wurde gegenüber der Hochburg der Scholastik die Trä-
gerin einer freieren Geistesrichtung. Hier vernachlässigte man
die Philosophie und legte einzig Gewicht auf die Grammatik und
die Reinheit der Sprache, die man — und dies ist das Bedeut-
same — aus den Autoren des Altertums selbst lernte. Man
kann den Unterschied kurz so formulieren: in Paris domi-
nierten die artes und wurden die auctores völlig ver-
nachlässigt, ja verpönt, Orleans hob die auctores auf
den Schild.*) Wir können noch mit einiger Klarheit die Be-
nach dem Muster der von Orleans zu reformieren, 1. c. 114 (mit interessan-
tem Detail!).
1) Cf. Hist. litt. IX 59 f. Sie erfanden auch eine besondere Art des
dictamen in der Beobachtung des curstts; nach ihnen nannte man die
Schreibart stilus Gallictis, cf. Ch. Thurot in: Not. et extr. des ms. XXII (1868)
488, 4. Cf. auch Delisle, Les ^coles d'OrMans au Xu. et XlII. siäcle in:
Annuaire-BuUetin de la soci^t^ de Thistoire de France 1869, 140, und über
die bedeutende Bechtsschule daselbst: H. Denifle, Die Univ. des Ma. bis
1400, I (Berl. 1885) 251 ff., H. Fitting, Die Anfänge der Bechtsschule zu
Bologna (Berl.-Leipz. 1888) 45 £f.
2) Cf. Delisle in: Bibl. de IMcole des Chartes XXXI (1870) 309. B.
Haur^au in: Not. et extr. des ms. XXIX 2 (1880) p. 296 und in: Joum. des
aav. 1888, 210. St. Endlicher, Catal. cod. phü. Vindob. n. CCCLIX p. 251.
3) Freilich nicht die dortige Universität, in der die Rechtsstudien
dominierten, cf. Denifle 1. c.
4) Für die Geschichte der Pariser Universität ist kürzlich eine
neue Ära eröfi&iet, seitdem begonnen worden ist mit der Veröffentlichung
der Urkunden. Bisher war man angewiesen auf das grofse Sammelwerk
des C. BulaeuB, Hist. univ. Par. (1665), bezw. das Excerpt daraus von Crd-
▼ier, Hist. de Tuniv. de Paris (1761). Für den Verfall seit dem XI. Jh. hat
BolaeuB I 611 ff. n 142 ff. IV 892 f. einiges gesammelt. Für das gänzliche
Zurfickireten der auctores verweise ich besonders auf folgende Aktenstück
Ghartularinm univers. Paris. I (Paris 1889) 78 f. vom J. 1215^ an die nr
giiiri axtium: legant libros Äristotelis de dialectica tarn de veteri quam
47*
72G Die Antike im Mittelalter.
schäftigung der Schule von Orleans mit Vergil und Lucan nach-
weisen, cf. Delisle 1. c. 144 f., deutlicher aber als diese Spuren
sprechen ein paar von Delisle angeführte zeitgenössische Urteile,
die ich hier wiederholen mufs.^)
Matthaeus von Vendome (s. XII)*), v. 33 f.:
nova in scolis ordinarie et wow ad cursum. legant etmm in scolis ordinarie
diW8 Priscianos vel alteru^n ad minus, non legant in festivis diebus nisi
philosophos et rhetoricas et qiMdrutndlia et barbarisnium (so hiefs das dritte
Buch der ars maior des Donat, cf. Ch. Thurot in: Not. et extr. des ms.
XXII 2 p. 94) et cihicam, si placet, et gtiarttim topichorum. non legantur
libri Äristotelis de methafisica et de naturali philosophia, nee »umme de eis-
dem. — In einem Statut der Artistenfakultät der englischen Nation vom
J. 1262 wird für das Baccalaureatsexamen verlangt der Nachweis, bestimmt«
logische und psychologische Schriften des Aristoteles und Boethius gehört
zu haben; femer nur noch: quod atidiverit Prissianum minorem et barba-
rismum bis ordifiarie et ad minus airsorie, Prissianum magnum semel cttr-
sorie. — Ähnlich das Statut der Artistenfakultät zu Paris vomJ. 12 55 (Chaitul.
I 277 f.). — Im J. 1276 erliefs die Pariser Universität eine Ordination, nach
der es den magistri und baccalarei verboten wird, für sich {in locis priratis)
andere Bücher zu lesen als logische und grammatische (Chart. I 538 f.). —
Noch 1478 wies ein Edikt König Ludwigs an die Universität darauf hin,
dafs schon Papst Gregor d. Gr. die Jünglinge vor der süfsen, bezaubernden
Rede Ciceros gewarnt habe, und so solle es künftig bleiben: bei BulaeusV
70G. — Zwar ist zu bemerken, dafs in den oben (S. 708, 1) citiertcn Kata-
logen der Sorbonne eine Reihe von Hss. klassischer Autoren genannt sind:
Plautus, Terenz, Vergil, Horaz (serm.), Ovid (met., fast., trist., de Pont.),
Persius, Lucan, Statins, Juvenal, Claudian; Cicero (s.o. I.e.), Sallust, Livius
(I Dec), Seneca rhet., Valerius Max., Seneca phil. (ep., de benef., trag.,
apocol. und die falsa), Ps. Quintilian (decl.), Sueton, G^ellius, Justin, Solin,
Nonius, Martianus Cap., aber weitaus die meisten dieser Hss. gehören erst
der Benaissancezeit, einige dem frühen Mittelalter (s. IX und X) an. — Ein
etwas freierer Ton scheint auf der in den 20er Jahren des XIII. Jh. ge-
gründeten Universität Toulouse geherrscht zu haben, wie aus dem amü-
santen Programm- und Konkurrenzschreiben der dortigen Magister vom
J. 18S9 (ed. in: Charta!, univ. Par. I 129 ff.) hervorgeht, in dem sie u. a.
die Stadenien darauf hinweisen, dafs in Toulouse völlige libertcu acoiasiiea
liBinche und Wein, Brot, Fleisch, Fische für ein Billiges m haben seien.
Si werden Mercurioa, Fhoebns, Mmerra, Bacchus, Ceres, Achilles, Thersitet,
mid die Achilleis des Statins citiert, der fOr einen ctrü
m aii^gegeben wird. Anch wird bemerkt, dafs die in Paris Ter-
■nvinaiieliaftliehen Bflcher hier gelesen werden dürften. Im
■ich, wie das Pkxigramm xeigi, das Stadium im ge-
"4 dritte filge ich hinin.
wh in: Sitmngsber. d. Bayr. Ak. 1872 II 671.
Dan XIII. Jh.: Kampf d. ma. (artes) u. buman. (aactores) Richtung. 727
Parisius logicam s^ibi iactitet, Aurelianis
' auctores: elegos Vindocinense soltitn.
Galfredus von Vinesauf in seiner an Papst Innocenz III
(111)8—1216) gerichteten Poetria nova^) v. 1009 ff.:
in morhis sanat medici virtute Salemum
aegros. in cansis Bononia legibus armat
nudos. Parisius dispensat in artibus illos
paneSf unde cibat robustos. Aurelianis
educat in ctmis autorum lacte tenellos.
Heliuand^ ein gelehrter Mönch^ in seiner im J. 1229 zu Tou-
louse vor den Studenten gehaltenen Predigt*): ecce quaerunt derici
Parisiis artes liberales^ Aurelianis auctores, (Bononiae
Codices, Salemi pyxides, Toleti daemones et nusguam mores),
Alexander Neckam (f 1215) de laudibus divinae sapien-
tiae«) V. 607 ff.:
non se Pamassus tibi conferat, Aurelianis:
Pamassi vertex cedet uterque tibi,
carmina Pieridum, multo vigiktta labore,
expofii nulla certius urbe reor.
Alexander von Villadei, selbst ein Vertreter der Pariser
Schule^ bezeugt unfreiwillig dasselbe in seinem Ecclesiale^):
sacrificare deis nos edocet Aurelianis,
indicens festum Fauni, lovis atque Liei.
Jiec est pestifera, David testante catJiedra. . . .
Aurdianiste via non pcUet ad paradisum,
ni prius os mutet
Johannes von Garlandia ars lectoria (verfafst 1234 zu
Paris)^):
1) Ed. Leyser in seiner Uist. poct. et poem. med. aevi (Halle 1721) 920.
2) Angeführt in der Hist Utt. XVÜI 95.
3) Ed. Th. Wright in: Alex. N. de natnris remm p. 464.
4) Ed. Ch. Thurot in: Not. et extr. XXTT 2 p. 115. Das Ecclesiale ist
jedenfiills nach dem Doctrinale geschrieben, dessen Abfassnngszeit aller-
dingt nur annfthemd auf c. 1200 bestimmt werden kann, cf. D. Reichling,
Das Docir. d. Alex. » Mon. Germ. Paedag. XU [1898] p. XXIV.
6) Einiget daraus (darunter die folg. Verse) edierte zuerst A. Scheler
Lenoographie latine du XU« et XIII«' siecle (Leipz. 1867) 8 f. Wie dii
Yene idgan, tteht er, der Autländer, vermittelnd zwischen beiden Par>
72S Die Antike im Mittelalter.
vos, vates magni, qtios aurea cmiparat auro
fama, favete mihi, quos Aurelianis ah tirbe
orbe trahit ioto Pegasei gloria fontis.
vos dens elegity per quos fundamina firma
astent eloquii studio succurrere, cuitis
fundanienta labant: einarcet lingua latina,
autorum vemans exaruit area, pratum
florigcrnm boreas flatn livente perussit
Parisius supcris gaudens tünquam paradisus
philosophos alit egregios, ubi quicquid Athenac,
quicquid Aristoteles, quicquid Plato vel Galienus
cdiderant, legitur; td)i pascit pagina sacra
stibtilcs animas celesti pane refcctas.
Noch deutlicher aber als aus diesen Zeuguissen wird der
Streit beider Schulen aus dem Gedicht des zeitgenössischen Trou-
vore Henri d'Andeli: La bataille des sept arts.^) ,,Paris
— dies ist der wesentliche Inhalt des Gedichts — und Orleans
sind zwei, und das ist sehr schade. Die Ursache ihres Streits
ist, dafs die immer streitsüchtige Logik es sich hat einfallen
hissen, die Gelehrten von Orleans „Glomeriaux" und ihre Au-
toren „Autoriaux''^) zu nennen; die Grammatik hat, durch die
teien: das Werk ist gewidmet dem damaligen Kanzler der Pariser Uni-
versität Gautier de Chiiteau-Thierry.
1) Ed. A. Jubinal in: Oeuvres de Rutebeuf, 2. t^d. vol. III (Paris 1874)
S25 if. Schon vorher hatte eine Inhaltsangabe gemacht Legrand d'Aussy
in: Not. et estr. des ms. V ^1800) 496 iX.: ihr sohliefse ich mich im wesent-
lichen im. Auf die Bedeutung des Gedichts bin ich aufmerksam geworden
durch eine kurze Notiz bei R. v. Liliencron, über den Inhalt der allg. Bil-
dung in der Zeit der Scholastik, Festrede gehalten in der Sitzung der K.
Bayr. Ak. d. Wiss., München 1876 p, 47. V. Le Clerc, Hist. litt, au XIV»
siöcle (2. i<d., vol. I [Paris 1865]) 430 f., der es kurz erwähnt, hat es nicht
richtig gewürdigt. Denn wenn er, um das Zeugnis abzuschw&chen, auf
Nicolaoa TriTettus (f 1S28) verweist, der Livius, Valerius Maximas, Juvenal,
Seneca^ Ovid kommentiert habe, so braucht man, um zu erkennen, welcher
Alt diese Eommeiiftare waren, nur aufzuschlagen Fabricios-Mansi, Bibl. lat.
d. et inf. aei V (Florenz 1858) 127: dedamationes Schecae heme ef pukkre
Bmtmc Von dem Ovidkommentar sagt Le Clerc selbst p. 4SI, es
'^oologieehe und mondieche Erklänmg. Solche Sachen stehen also
Sfofe mifc Genom Donatiu moralizatos (s. o. 8. 71^ 2):
T^oaftee nicht einmal zu polemisieren.
lUUt neh not einer Einrichtong der UniTersitAt Cam-
Das XIII. Jh. : Kampf d. ma. (artes) u. human, (auctores) Richtung. 729
Augriffe ihrer Rivalin gereizt^ sich entschlosseu, Rache zu nehmen
und ihr den Krieg zu erklären. In dieser Absicht pflanzte sie
aufserhalb Orleans das Bauner auf und rief dort ihre Trappen
zusammen. Sofort sah man zu ihr herbeieilen Homer^ Claudian,
Priscian, Persius, Donatus und manche andre gute Ritter und
Knappen. Die Ritter aus Orleans^ die die Waffen fär die Au-
toren trugen^ beeilten sich auch zu erscheinen. Sie hatten an
ihrer Spitze Endes , Garnier, Jean de Saint-Morisse und Balsa-
mon. Die versammelte Truppe marschierte, ohne Zeit zu ver-
lieren, auf Paris. Auf die Kunde hiervon erschrak Logik.
„Weh, rief sie, ich hatte an Raoul de Builli einen furchtbaren
Verteidiger, und der Tod hat mir ihn genommen !'' Doch verlor
sie nicht den Mut und beschäftigte sich damit, ihre Truppen
zusammenzuziehen. Aus Toumai entbot sie Johann den Pagen,
Poilaue mit den Gamaschen, Nicolaus mit dem hohen Steifs; sie
stellten in einem Wagen auf eine Kufe Trivium und Qua-
drivium und setzten sich in Bewegung. Der Wagen wurde
gezogen von den Kirchendienern und geleitet von Robert dem
Zwerg und Cheron dem Alten, die, den Stachel in der Hand,
das Gespann pikten. Schon war Rhetorik in Mont-rH^ri^) an-
gelangt mit den Lombardischen Rittern. Das sind Leute, die
sich darauf verstehen, sich der Erbschaften zu bemächtigen und
die Dummen zu betrügen, die ihre Zuflucht zu ihnen nehmen.
Sie trugen zimgenbefiederte Wurfspiefse. unterdes wuchs die
Armee der Logik täglich. Von allen Seiten sah man ihre Ver-
bridge, über die Rashdall, The universities of Europo in the middle ages
(Oxf. 1896) n 2 p. 655 handelt: dort existierte in losem Zusammenhang mit
der Universität eine Art von Latein- Vorschulen, deren Schüler glotnereUi und
deren Vorsteher magistri glameriae hiefsen. Über die Bedeutung dieses
Wortes finde ich die beste Erklärung im Century Dictionary s. y. (vol. III
p. 2642): glomery^ middle engl., a word found, wiih ita derivatiati ^glomereV,
q. V. appar. ahly in the recards of the University of Cambridge; a vor, of
ghmery glawmery glamer glamour, more orig. gramery, gramary etc., used
in the deflected sense of ^enchantment^, but orig. identical toith grammar.
— Für Äuctoriaux wird von Rashdall 1. c. ü 1 p. 67, 2 verglichen ein von
Papst Honorius m im J. 1220 an die Universität Palencia in Spanien ge-
■andtes Schreiben (bei Denifle, Die Univ. des Mittelalters bis 1400. Bd. I
p. 476 adn. 1089), wo der Grammatiker im Gregensatz zum Logiker aueto
genannt wird.
1) Sohlofs bei Paris.
730 I^ie Antike im Mittelalter.
teidiger in Rotten zu ihr herbeieilen; darunter war Hochwissen-
schaft. Aber kaum war diese angekommen, als ihr Easzler
den Parisem befahl, sie 'mit allen Weinen zu beschenken, die sie
in ihrem Keller hätten; und Paris lieferte sie ihr aus. Physik
führte Hippocrates und Galen herbei ... (es folgen Chirurgie,
Musik, Nekromantie, Astronomie, Arithmetik, Geo-
metrie). Endlich wurde der Kampf begonnen, und zwar von
Donat, der Plato angriff. Aristoteles stürzte sich seinerseits auf
Priscian, dem er einen derartigen Stofs mit der Lanze beibrachte,
dafs er ihn aus dem Sattel hob; schon machte er sich gar daran,
ihn unter die Füfse seines Pferdes zu treten, als der Besiegte
Hülfe bekam von seinen beiden Neffen, dem Doctrinale und dem
Graecismus.^) Die beiden jungen Krieger verwunden das Pferd
so, dafs Aristoteles abgesetzt wird. Nichtsdestoweniger kämpfte
er mutig weiter und warf sogar Grammatik über den Haufen.
Aber plötzlich werfen sich auf ihn Persius Virgilius Hora-
tius luvenalis Statins Lucanus Sedulius Propertius
Prudentius Arator Terentius Homerus, sowie Priscian
und seine Neffen; und er wäre unfehlbar unterlegen, wenn nicht
Elenchus, die Logik, Peri Hermenias, die Topik, das Buch von
der Natur und Ethik ihm zu Hülfe gekommen wären im Verein
mit Nekromantie, Physik, Porphyrius, Boethius und Macrobius.*)
Herr Barbarismus, obgleich Lehnsmann der Grammatik, hatte
die Waffen gegen sie ergriffen, weil er Domänen im Lande der
Logik besafs. — Unter allen Kämpfenden war es Logik, die
sich durch ihre Helden thaten am meisten auszeichnete, und die
Autoren hatten Mühe, ihr zu widerstehen. Was die Partei der
letzteren schwächte und sie um den Vorteil brachte, den sie
hätten haben können, war die grofse Zahl von Fabeln, die mit
ihnen gemischt waren. Aber sie erwarteten eine Verstärkung
von ihrem zweiten Aufgebot; und thatsächlich erschien die Hülfs-
mannschaft, geführt von Primas^) von Orleans und Ovid. Man
sah dabei Martianus, Seneca, Marciacop und Anti-Claudianus.
Bernardin-le-Sauvage hatte sich ihnen verbündet mit einem be-
1) In der Hs. steht Agrecime, eine Französieruug des GredsmiM des
Eberhard v. Bethune.
2) Offenbar iät das Somnium Scipionis gemeint.
3) Ein berühmter lateinischer Dichter dieser Zeit.
I>ci3 XIII. Jb. : Kami)f d. nia. (artes) u. human, (auctores) Richtung. 731
sondern Corps, welches in seinen Reihen Avien, Cato und Pau-
filus hatte. ^) — Bei dem Anblick dieser neuen Armee erschrak
Logik. Rhetorik und Astronomie rieten ihr^ das Schlachtfeld zu
verlassen und sich auf Mont-rHeri zurückzuziehen. Sie folgte
diesem Rat; aber die Truppen der Grammatik machten sich zur
Verfolgung auf und begannen die Belagerung, mit dem Schwur,
nicht fortzugehen, es sei denn im Besitz des Forts. In dieser
IJedränguis schickte Logik einen Friedensverhändler zu ihrer
Rivalin. Aber der Abgesandte, den sie für diese Botschaft wählte,
kannte so wenig die Regeln der Sprache und drückte sich so
schlecht aus, dafs man ihn nicht anhören wollte und er zurück-
geschickt wurde. Trotzdem änderte sich alles bald und die Be-
lagerer erkannten, dals ihre Kräfte und ihr Mut nutzlos seien.
Astronomie, zur Verzweiflung gebracht, schleuderte den Blitz-
strahl auf sie, verbrannte ihre Zelte, zerstreute ihre Armee, so
dafs sie nur noch an die Flucht dachten. — Seit diesem Tage
hat sich die höfische Poesie zwischen Orleans und Blois zurückge-
zogen und wagt es nicht mehr sich da zu zeigen, wo ihre Rivalin
herrscht. Indes achten sie die Engländer und Deutschen noch;
aber die Lombarden verabscheuen sie und ihr Hafs ist derart^
dafs sie sie erdrosselten, fiele sie in ihre Hände. — „Meine
Herren, so wird es noch etwa 30 Jahre dauern. Aber
wenn eine neue Generation geboren sein wird, so wird
diese auf die Grammatik halten, was man auf sie hielt
zur Zeit Henri's d'Andeli. Darauf wartend erkläre ich
euch, dafs jeder Gelehrte, der nicht die Regeln der
Sprache kennt und danach nicht seine Reden formt,
ein Mensch zum Anspucken isf
1) Wer Marciacop war, weifs man nicht. Pauphilc war, wie es scheint,
ein französisch schreibender Moralist, Bcmardin ein Dichter des XIII. Jh.
und Vf. eines französischen Doctrinalc; unter dem Anti-Claudianus ist Alanus
de InBoliB verstanden, unter Cato die unter seinem Namen so verbreiteten
Sprüche
732 I^ie Antike im Humanismus.
Zweite Abteilung.
Die Antike im Hamanismus.
Erstes EapiteL
Petrarcas gescUclitliclie Stellung.
Petrarcas Wie ein vaticinium klingen die zuletzt angefahrten Worte
natur. des Trouvere zu uns herüber. Nur dauerte es etwas länger, als
er glaubte, bis der Mann geboren wurde, der, wie ein späterer
Humanist^) einmal sagt, primiis ex lutülenta harbarie os caelo at-
tollere ausus est, eine der liebenswürdigsten Gestalten in der
Reihe der Geistesheroen, für alle Zeiten umweht vom Zauber-
hauch der Romantik und umgeben mit dem Strahlenkranz des
Genius. Aber wenn Petrarca in den zahlreichen neueren Dar-
stellungen seines Lebens von der gesamten Vergangenheit ab-
solut losgelöst wird, so entspricht das, wie ich zeigen will, weder
den allgemeinen Verhältnissen noch der thatsächlichen Über-
lieferung des Einzelnen.
1. Das AU- „Der Mensch knüpft immer an Vorhandenes an. Bei jeder
gemeine: _ ,
Kampf des Idee, deren Entdeckung oder Ausführung dem menschlichen Be-
i]kh^n*u^d streben einen neuen Schwung verleiht, läfst sich durch Forschung
zukunfts- zeigen, wie sie schon früher und nach und nach wachsend in
menschen - -^
in p. den Köpfen vorhanden gewesen. Wenn aber der anfachende
Odem des Genies in Einzelnen oder Völkern fehlt, so schlägt
das Helldunkel dieser glimmenden Kohlen nie in leuchtende
Flammen auf.^^^) Petrarca selbst hat sich die richtige Stelle in
der Geschichte des menschlichen Geistes angewiesen: ego velut
in confinio duorwni populorum constitutus simul ante retroque
praspicio (rer. mem. I 2). Gerade diese lanusnatur giebt ihm
aber seine welthistorische Bedeutung, und dadurch, dafs wir in
n Bwei verschiedene Weltanschauungen sich bekämpfen sehen,
ir mxB auch menschlich so nahe gerückt. Derselbe Mann,
er Höhe der Diocletiansthermen, seinen Livius im Kopf
w. Soaliger, Poet. 1. VI c. 4.
miboldt, Üb. d. Kawi-Spr. I (Berl. 1836) p. XXIX.
Petrarcas geschichÜiche Siellimg. 733
und im Herzen^ mit dem Blick über die Ruinenfelder, die Grolüse
Borns an seinen trunknen Augen vorüberziehen läüst^ sieht viele
Monumente in dem dämmerhaften Nebelschleier wie der mittel-
alterliche Pilger, der einst an der Hand der Mirabilien voll
phantastischen Glaubens die ewigen Stätten durchzog; derselbe
Mann, der, mit geradezu staunenswerter Divinationsgabe eine
tausendjährige Vergangenheit ignorierend und seiner eignen Zeit
um ein Jahrhundert vorauseilend, die kanonische Autorität des
scholastischen Aristoteles zu zertrümmern und an dessen Stelle
auf Piaton den Idealisten, seinen eignen Geistesverwandten, als
Apostel der Zukunft hinzuweisen vermag, ohne von ihm mehr
als die oberflächlichste Kenntnis zu besitzen, zeigt sich in seiner
philosophischen Weltbetrachtung durchaus beherrscht von dem
in seiner Art ja auch grofsartigen, aber unfreien und grüblerischen
Mysticismus des Mittelalters^); derselbe Mann, der seinen Yergil
nicht mehr mit abergläubischer Furcht als einen Zauberer verehrt,
der, als man ihn selbst wegen seiner Liebe zu diesem Dichter
für einen Zauberer hält, mit bitterm Hohn ausruft en quo sttidia
nostra dilapsa sunt (ep. de reb. fam. XIH 6), der sich vielmehr
in echt antikem Fühlen an dem Wohllaut der vergilischen Verse
berauscht, zeigt sich wie Fulgentius und die lange Reihe von
Dunkelmännern bis auf Dante sehr oft noch im lähmenden Banne
der allegorischen Interpretation dieses Dichters befangen; der-
selbe Mann, der seinen vielgeliebten Cicero als Stern der latei-
nischen Eloquenz im Triumphzug der Geister einherziehen läfst,
der ihm, die Seele von Begeisterung geschwellt, einen sehnsuchts-
vollen Brief ins Reich der Schatten sendet und der Melodie
seiner Perioden mit Entzücken lauscht, schreibt in einem Latein,
das in seiner widerspruchsvollen Mischung von Wollen und
Können ; von scholastischer Barbarei und antiker Eleganz dem
alten Römer stellenweise fürchterlich gewesen wäre. In diesem
Sinne glaube ich sagen zu dürfen, dafs Petrarca einerseits die
oben dargelegten klassicistischen Strömungen des Mittelalters,
von dessen Denkweise er sich noch nicht voll loslösen konnte,
zum Abschlufs gebracht, andrerseits sie aber mit einem neuen.
1) Dafür findet man jetzt, was die Lektüre P.'s betrifft, Belege be-
sonders bei P. de Nolhac, De patrum et medii aevi scriptorum codd. in
bibl. Petrarcae olim collectis (.Paris 1892) 29 £f.
734 Die Antike iui Humanismus.
bisher ungeahnten Inhalt gefüllt hat: denn selbst den gelehr-
testen Männern des Mittelalters waren die Autoren in letzter
Hinsicht doch nur Mittel zum Zweck einer korrekten Sprache
gewesen, ein Motiv, das bei Petrarca keineswegs gefehlt hat,
aber vertieft und geweiht ist durch ein höheres, das ihm die
Autoren zu seinen geliebten Freunden machte, denen allein er
alles danken wollte, was er geworden war, denen er die heiligsten
Geheimnisse seines leichtbeweglichen Herzens in der traulichen
Stille seines Studierzimmers anvertraute zum Dank dafür, dafs
sie ihn sich auf den Flügeln der Phantasie aus dem Jammer
der Gegenwart in die versunkene Zauberwelt hinüberträumen
liefseu: nunc tibi tetnjnis est (schreibt er seinem Livius: ep. de
reb, fam. XXIV 8) ut graiias agam tum pro mtiltis tum pro eo
nominatim qiwd ohlitiim saepe praesentium nidlorum saectdis nie
felicio^ibus inseris, ut infer legendtim saltem ciim ComeliiSy Scipiotii-
bus AfricaniSy Laeliis, Fabiis Maximis, MetelliSj Brutis, Dccüs^
CatonihuSy Eegulis, CursoribuSj Torquatis, VcäeriiSj CorviniSy Salina-
torihus, ClatidiiSj MarcelliSy Ncronibus, Äemiliis, Fulviis, Flaminiis,
ÄtiliiSy Quintiis, Curiis, Fdbriciis ac Camillis, et non cum his ex-
trefnis furihus, inter quos adverso sidere natus sum, mihi vidcar
aetatem agere. et oh si totus mihi contingeres, quibus dliis quan-
tisve nominibus et vitae solatium et iniqui temporis dblivio quaere-
retur: der Mann, der dies und hundertfaches dergleichen schrieb,
der sich bei Mantua am murmelnden Quell unter dem Schatten
des Baumes auf dem Rasenstück niedersetzte, wo, wie er dachte,
Vergil einst geruht haben möchte, der im Exemplar seines Quin-
tilian zu den Worten (X 1, 112) hoc prqpositum nöbis sit exem-
plum, nie se profecisse sciat, cid Cicero vdlde placebit sich notierte:
Süvane (so nennt er sich selbst) audi, te enim tangit und zu den
Worten (X 2, 27) imitatio, nam saepius idem. dicam, non sit tan-
tum in verhis folgendes: lege, Silvanc, memoriter^), der hat Livius
doch ganz anders gelesen als einst Einhart in seiner Kloster-
zelle, der hat in Vergil neben den tiefen mystischen Gedanken
doch auch etwas anderes zu finden gewuCst, der hat sich um
1) Gf. F. de Nolhac, Fdtnuque et rhumanisme (Paris 1898) 288, die
bedentendste neuere Leiatong auf diesem Gebiet^ vor allem wertvoll durch
bniff dar von F. benuiarteii HandBchriften, deren Bandnotimi
■ uderM in die Gedankenwelt des Manne« ein-
Petrarcas gescliiclitliche Stellung. 735
Ciceros Reden doch noch in einem ganz andern Sinn bemüht
als einst Gerbert, ebenso wie den unglücklichen Tribunen, der mit
seiner unsinnigen Phantastik das Gegenstück zu der stimmungs-
vollen Phantasie seines grofsen Freundes bildete, doch ganz
andere Impulse zu seiner berühmten Sammlung römischer In-
schriften trieben als den ungenannten und unbekannten Pilger
des zehnten Jahrhunderts. Um dieses Neue zuwege zu bringen,
dazu gehörte der Boden Italiens, die Stimmung der ganzen Zeit
und die mächtige Individualität Petrarcas, die sich, wie uns zu-
erst — das pflegt jetzt vergessen zu werden, wo der Gedanke
zum Allgemeingut geworden ist — Jakob Burckhardt in seinem
bahnbrechenden Werk gelehrt hat, in bestimmender Weise von
dem korporativen Massengeist der mittelalterlichen Weltanschau-
ung scharf abhob. Aber bei dem quantitativ und qualitativ so
bedeutenden Neuen, welches das Genie Petrarcas in den Lauf
der Geschichte der menschlichen Gedanken eingeschaltet hat^),
wollen wir doch das Gemeinsame, das ihn mit der Vergangen-
heit und seiner Zeit verknüpft, nicht vergessen, weil wir nur so
dieses Neue in der Notwendigkeit seines Entstehens begreifen
können. Gewifs, keinen seiner Vorgänger hat er gekannt, und
hätte er sie gekannt, so hätte er sie verachtet*): aber über dem
Einzelwesen steht die Welt der Ideen, und in wem sie ihre sinn-
lichste Form annimmt, der ist der Grofse^ an dessen Namen die
Nachwelt eine neue Epoche anknüpft, und insofern gilt auch
von Petrarcas Auftreten das tiefe Wort, dafs auf der lebendigen
Flur der Welt alles Frucht und alles Samen ist. Alle gewaltigen
Begebenheiten vollziehen sich, wie schon der titanische Geist
des ephesischen Denkers wufste, nach dem Prinzip der Anti-
nomie: auch der Humanismus ist ein Widerspruch gegen die
auf ihren Gipfel gelangte Perversität der Scholastik gewesen,
vom Standpunkt der Geschichte aus betrachtet die unge-
heuerste Reaktion, die es je in der Entwicklung des mensch-
lichen Geeistes gegeben hat, und daher, wie jede Reaktion, un-
1) Er war sich des Neuen wohl bewurst: zu Quiutil. Xu 10, 25 (gc^en
die NOigler, die mit Berufung auf Autoritäten da« Neue verpönten) notiert
er sich: fiofot«, a9im, quos nee nomine digner (Nolhac 286).
8) In semer Apologia contra Galli calumnias zahlt er eine lieihe
framOÜBeher Gelehrter des Ma. verilchtlich auf: p. 1080 der Basler Gesamt
MUgaibe vom J. 1664.
736 1^16 Antike im Humanismus.
erhört und dem Wesen normalen Werdens widersprechend, aber
Yom Standpunkt der Ästhetik, die eine absolute und unver-
änderliche Gröfse ist, einer der gewaltigsten Fortschritte, der
je gemacht wurde: die antike Welt hat ihre unverwüstliche
Jugendfrische nie glänzender bewährt, als durch die Thatsache,
dafs sie in dem grofsen Yerjüngungsprozefs einer greisenhaften
und lebensmijden Welt den wesentlichen, ja anfangs den einzigen
Faktor hat bilden können. Wir haben gesehen, wie Jahrhun-
derte lang die Überzeugung, dafs man die Stagnation und De-
pravation der Gegenwart durch die in ihrer Formenschönheit
ewig junge Vergangenheit beleben und bessern müsse, in den
Geistern wirksam gewesen ist: dann ist endlich einer gekommen,
der, getragen von der eignen Grölse und begünstigt von den
äuTseren Umständen, das in bindende Worte gefafst hat, was
Hunderte und aber Hunderte fühlten und ersehnten. Dafs durch
solche Betrachtungsweise die Gröfse des Genies vermindert werde,
können nur Banausen glauben; „in den grofsen Wendungen der
Geschichte werden die Träger des Geistes nicht kleiner dadurch,
dafs sie das Wort aussprechen für das, was sich in vielen be-
wegt und dunkler oder heller verlangt wird. Auch dadurch
nicht, dafs andere neben ihnen oder selbst vor ihnen die ersten
Schritte thun auf der neuen Bahn."^)
!. Das Ein- Aber um vom Allgemeinen auf einiges Spezielle zu kommen:
Vorläufer auch in Italien bereitete sich seit dem XL Jh. eine freisinnigere
P.'B in
Italien.
1) C. Weizsäcker, D. apost. Zeitalt.' 88 von Paulus. — Das greschicht-
liche Verhältnis, in das ich Petrarca einzuordnen versucht habe, ist ähn-
lich demjenigen, in das Gemisthos Plethon kürzlich von L. Stein, Die Con-
tinuität der griechischen Philosophie in der Gedankenwelt der Byzantiner
in: Arch. f. Gesch. d. Philos. N. F. 11 (1896) 226 fP. gestellt worden ist; cf.
dort p. 234: „Von Psellos führt eine grade Linie der Entwicklung zu jenem
Gemisthos Plethon und zu Marsilius Ficinus, der Psellos übersetzte, welche
die Schwärmerei für den Piatonismus von Byzanz nach Florenz verpflanzen
und damit in entscheidender Weise auf den Gedankenverlauf der Renais-
sance eingewirkt haben. . . . Hatte die Figur des Gemisthos Plethon fBr
die meisten Darsteller der Renaissance etwas Providentiellefl , weder aus
dem geschichtlichen Zusammenhang Ableitbares noch aus dem wissenschaft-
lichen Milieu seines Zeitalters Erklärbares, so verschwindet das EmpÜT«
und Unvermittelte an der Wundergestalt des Gemisthos, wenn wir erfahren,
dafs auch sein Piatonismus keine creatio ex nihilo, sondern nur das Schlols-
glicd einer Entwicklungsreihe von Platonschwärmem ist, die mit Psellot ein-
gietzt, um in Gemisthos ihren Höhepunkt zu erreichen." Dafs die yom ftnfiwr-
Petrarcas geschichtliche Stellung. 737
Richtung deutlich vor, wie besonders W. Giesebrecht^) gezeigt
hat. Im Xni. und in den ersten Jahrzehnten des XIY. Jahrh.
sehen wir, wie sie um sich greift. Tn der bildenden Kunst be-
gannen im XIII. Jh. Niccolö Pisano und Giotto, die Antike sich
zum Muster zu nehmen.^) In einer in Oberitalien verfafsten
lateinischen Grammatik s. XIII (ed. Ch. Fierville, Paris 1884)
werden im Gegensatz zum Doctrinale des Alexander die Bei*
spiele genommen aus Sallust, Vergil, Horaz (serm.), Ovid, Lucan,
Juvenal. Im J. 1253 citiert sogar Papst Innocenz IV. in einem
Rundschreiben einen Ovidvers (Chartul. univ. Paris. I 262), Eine
im J. 1329 zu Verona geschriebene Hs. (Cod. capituli Veronensis
CLXVIII [155]) giebt eine Blütenlese aus biblischen und pro-
fanen Autoren, unter letzteren Ciceros Briefe, Varro (de r. r.),
CatuU, Tibull, Petron.*) Im J. 1335 hat ein Italiener, sicher
noch nicht beeinflufet von Petrarca, eine Sammlung von Alter-
tümern angelegt.*) Aber wenn man von Petrarca spricht, denkt
man an Cicero; über sein Verhältnis zu ihm in ganz jungen
Jahren, als er den Sinn der Worte noch gar nicht verstand, hat
er uns besonders in einem vielcitierten Brief (ep. rer. sen. XV 1)
Mitteilungen gemacht, dort stehen die für ihn und den ganzen
Humanismus so bezeichnenden Worte: sola me verborum dulcedo
quaedam et sonor itas detinebat, ut quicquid aliud vel legerem vel
audirem, raucum mUii hngeque dissonum videretur, d. h. er wufste,
wie Cicero gelesen oder vielmehr wie er gehört sein will. Aber
wufste er es allein und er zuerst? Sollten nicht jene Franzosen,
die, wie wir sahen, sich um ciceronianische Redeh bemühten,
etwas Ähnliches empfunden haben? Doch nicht darauf will ich
zurückgreifen, sondern lieber aus Petrarcas Heimatsland ein paar
Zeugnisse anführen. Brunetto Latini (f 1294) hat als erster die
sten Westen nnd vom änfsersten Osten ausgehenden Linien sich gerade in
Italien schnitten, beruht auf den kulturellen Voraussetzungen dieses Landes,
die Jakob Borckhardt vorbildlich dargelegt hat.
1) In der oben (S. 698, 3) angeführten Abhandlung. Vgl. noch eine von
Mabillon (Do stud. mon. p. 40) citierte Äufserung des Anselmus, ep. I 66
(158, 1124 Migne), geschrieben vor 1078.
2) Cf. E. Müntz, Les prdcurseurs de la renaissance (Paris 1882) 6 fP.
3) Es sind freilich sämtlich Moralsprüche, daher auch die üntcrschrifb:
flores moralium (Uoritatum, cf. D. Detlefsen in Fleckeiscns Jahrb. LXXXVII
1863) 552.
4) Cf. J. Burckhardt, D. Cult. d. Ren. I* (Leipz. 1885) 206.
738 Die Antike im Humanismus.
drei caesarianischen Reden Ciceros ins Italienische übersetzt (s. o.
S. 708, 1). Der im J. 1306, also zwei Jahre nach Petrarcas Ge-
burt, gestorbene umbrische Dichter Jacopone da Todi sagt in
seiner ergreifenden Binunzia del mondo Str. 20^):
lassovi le scritture antidie,
che mi eran cotanto amidie,
et le Tulliane rubriche^
che mi fean tal melodia.
Petrarcas Vater hatte, wie uns der Sohn in dem genannten Brief,
erzählt, eine ganz besondere Vorliebe för Cicero: seine Bibliothek
ermöglichte dem Sohn die Lektüre und er zweifelt, ob ihn eigner
Instinkt oder das Vorbild seines Vaters zu Cicero geführt habe. *)
Bemerkenswert ist femer der jetzt in Troyes befindliche, von
P. de Nolhac') beschriebene Cicero - Sammelband. Er stammt
aus der ersten Hälfte des XIV. Jh. und kam vor c 1344 in den
Besitz Petrarcas, der ihn seiner Gewohnheit gemäfs mit Rand-
notizen versah. Der Mann, der ihn schrieb, hatte ein besonderes
Interesse för Cicero, wie besonders zeigt die vorausgeschickte
epytJwma de vita gestis scientie prestantia et libris ac fine viri da-
rissimi et iUiistris Marchi TuUii Ciceronis,^) Der Mann war aller
1) Le poesie spirituali del B. Jacopone da Todi (Venetia 1617) p. 5.
Ich wurde auf diese Stelle aufinerksam durch eine Notiz bei E. Grebhart,
Lea origines de la renaissance en Italie (Paris 1879) 157.
2) L. c. ab ipsa pueritia, quando ceteri omnes aut Prospero inhiant out
ÄesopOy cgo Ubris Ciceronis incubtii seu naturae instinctu seu parentis
hortatu, qui auctoris illius vener ator ingens fuii, facile m dltum
erasurus nisi occtipatio rei familiaris nobile distraxissH ingefiium . . . (folgen
die oben citierten Worte sola me rerborum duicedo etc., dann:) erat hac,
fateor, in re ptteri non puerile iudicium, si iudicium dici debei quod nmUa
ratione subsisterct, illud mirtun, nihil intelligentem id seniire .... Crescebat
in dies desiderium weum et patris admiratio ae pietas aliquamdin
imntaturo facebat studio et ego hac una non segnis ttt re, cum vixtesta
effracta aliqnam nuclei dulcedinem degustarem^ nihü utnquam de cantingenti'
Intii intcrmisi, paratus sponte meum genium fraudare, quo Cieeromis libros
undevumque coftquirerem. sie coepto in studio nullis externis egens
st im Ulis procedebam.
S) IVtrarquo et rhumanisme 186 ff.
i^ Abgedruckt bei Nolhac 190 ff. £r citiert als seine Quellen com^
mrnta; uus solchen mufs auch der Satz stammen: hie podarum mira benigm-
täte forit ingenia ^Plin. ep. III 15), denn Plinius d. J. war den ersten Ho-
manist<^n unbekannt. Der auf ein Granimatikercitat larückgehende Inrtum,
Petrarcas geschichiliohe SteUnng. 739
Wahrscheinlichkeit nach ein Italiener, weil Pithon (yermntlich
Petras) den codex besessen und ihn also wohl, wie die übrigen,
aus Italien erhalten hatte. Zu dem nähern Kreis des Petrarca
scheint aber der Unbekannte nicht gehört zu haben, denn dieser
behandelt ihn in den Bandbemerkungen sehr unglimpflich (p in^
dode, frivolum u. dgl.). Man wird also wohl sagen dürfen, dals
etwa gleichzeitig mit Petrarca ein andrer Italiener sich mit Vor-
liebe diesem Autor zuwandte. Dafs dies nichts Besonderes war,
zeigt ein Brief des Petrarca selbst (ep. fam. XXIV 2), in dem
er sehr ergötzlich über sein Zusammentreffen mit einem alten
Mann in Vicenza berichtet, der ärgerlich gewesen sei, daJGs Pe-
trarca an Cicero überhaupt auch nur das Geringste auszusetzen
habe, cf. z. B. p. 259 Frac: nihü aiiiid vel mihi vel aliis quod
responderet habebat, nisi ut adversus omne quod diceretur splendorem
hominis obiectaret et rationis locuim teneret auctoritas. siuxiamat
identidem protenta manu: ^parcius, oro, pardus de Oicerone meo^j
dumque ab eo quaereretur, an errasse umquam uUa in re Ciceronem
opinari posset, claudebat oculos et qtiasi verbo percussus averiebat
frontem ingeminans ^heu mihi, ergo Cicero meus arguitur?', quasi
non de homine sed de deo quodam ageretur. quaesivi igitur, an
deum fuisse TuMium opinaretur an hominem; incunctanter *deum'
iUe respondit, et quid dixisset inteUigens ^deum, inquit, eloquii\ Pe-
trarca führt dann weiterhin aus, er begreife nicht, dafs dieser
alte Mann noch jetzt so über Cicero denken könne, während er
selbst einst in seiner Jugend auch dieser Ansicht gewesen sei,
aber jetzt im Alter verständiger auch über diesen seinen Lieb-
ling urteile. Man sieht also, daJGs Petrarca selbst gar nicht den
Anspruch darauf gemacht hat, mit seiner Vorliebe für diesen
seinen Heros allein zu stehen; nur darum haben seine Ideen
ihren Siegeszug zunächst durch Italien so ungehemmt halten
können, weil sie überall verwandte Saiten anschlugen, wie vor
allem bei dem phantastischen Unternehmen des Cola di Rienzo
zu Tage trat. —
Es sind besonders zwei Punkte, durch die sich der Huma- MitteiAite
nismus — innerhalb des engen, uns hier allein angehenden Ge- "°^^
bietes — vom Mittelalter unterscheidet. An die Stelle der
dafs Cicero de orthographia geschrieben habe, findet sich übrigens schoi
bei ihm.
Norden, antike KonttproM. II. 48
740
Die Ästihe im Homanisinaa,
Enormität und Diffusion des Wissens, wie sie dem occidenQ
lischen Mittelalter, besondere dem ausgehenden, eigen war^),
trat eine fast einseitige Beschränkung und Konzentration, die
dem Spezialismua und damit aller eigentlichen Forschung freie
Bahn schuf. Das wird einem besonders deutlich, wenn man
Petrarca an einem so gelehrten Zeitgenossen wie dem englischen.
Staatsmann und Bischof von Durham Rieh, de Bury (1287 bia
1347) mifst, mit dem Petrarca in Avignon 1330 persönlich be-
kannt wurde und von dem er gern einen Brief erhalten hatte
(cf. ep, de reb. fam. III 1). In dessen 'Philobiblon' paart sich
quantitativ unermefsliches Wissen, das aber qualitativ den Ein-
druck einer chaotischen moles macht, mit Spekulation uud Phan-
tasterei. Im Vergleich hierzu ist der Umfang des Wissens Pe-
trarcas gering, aber wie klar und echt antik heiter ist weitaus
das meiste, das er in seiner liebenswürdigen Art zu sagen weifs.
Es ist daher wohl eine richtige Vermutung des letzten Heraus-
gebers des Philobiblon*), dafs das Stillschweigen des Hyper-
boreers gegenüber den an ihn gerichteten Briefen Petrarcas aus
innerer Antipathie, aus Mangel an Verständnis für die Bestre-
bungen des Neuerers sich erkläre.*)
Der zweite Punkt interessiert uns hier uumittelbar. Die
eigentliche Signatur des Humanismus war das sehnsüchtige Ver-
langen, aus der abstrusen Formlosigkeit der Scholastik sich
emporzuringen zu strenger Formenschönheit. Die stilistisch-
rhetorische Tendenz war von Anfang an ein wesentliches
Moment und wurde nach Petrarca, als die romantische Idee
einer auch inhaltlichen Hepristination der Antike gescheitert
war, immer mehr zum einzigen, was es dann auf lange Zeit
hinaus blieb. Elegatitia war das Schlagwort dieser Kreise. Me-
1) Eine Art EncjklopELdie ist »chon das Werk des ßabimu» de uuiv erso.
Diinn B. Xil: Bernhard v. Cburtree, megacoemus et microcosmusi Ouillaume
de CoQches; Hoaorius t. Äutun, imago mundi u. philoxophia, rnuadi; 9, XIII:
Omona, image du monde (cf. Legrand d'Auaa; in: Not. et eitr, V [ISOOj
S4G); Brünett« Latini; Vincenz v. Beauvaia. Ein eigenartiger Nitciizüg]i
aua dem XVL Jb. Tb. Zwinger (Ar;it und Litterat in Basel), tbeatrum vitae
bumanae, Baa. 1665, eine ma. Encyklop&die auf huinaniatiBcher Orundl
2) E. Thomaa (London 1888) praef. p. XXXVI.
8) Cf. aber diesen ersten Punkt auch A. Hortis, M. T. Cicerone
opere del Petr. e del Boccaccio, ricerche intomo alln aloriii della emdizioM
clastica nel medio evo in: Archeografo Trieatino N. S. VI (1979—80) 61 ff
vitae
lla^^H
ZIOM ^
MittelalteT nnd Hnmanismiu. 741
lanchthon^ dem das Verdienst gehört, die Annalen Lamberts
aufgefanden zu haben; scheut sich nicht , seinem Freunde, dem
er den Fund mitteilt, zu schreiben: si iudicaris diffnam esse
historiam editiane, quaeso incumbetö, ut praelis emendatissima man-
detur, sin cUiter viddntur, facile faciam scriptum non elegan-
tissimum interire,^) Daher waren schon die ersten Genera-
tionen erfüllt von dem Kampf gegen die spatmittelalterlichen
Lehrbücher, Grammatiken wie Lexika, die besonders in der con-
tentiosa Parisitis kanonisches Ansehen genossen, überall dem
Unterricht zugrunde gelegt wurden und nur schwer zu ver-
drängen waren, da sie sich als praktisch erwiesen hatten und
von jenen anfar^lich blofs destruktiven Genies durch nichts
Besseres ersetzt wurden.*) Wenn man die Ungeheuern Pamphlete
1) Bei 0. Holder-Egger in seiner Ausgabe Lamberts (Hann.-Leipz. 1S94)
p. XLVm, 2.
2) Einige litterarische Nachweise, die von andern leicht zu yermehren
sein werden, dürften erwünscht sein. Die beiden berühmtesten gramma-
tischen Lehrbücher des späten Mittelalters waren bekanntlich das Doc-
trinale und der Grecismus, die jetzt in zwei ausgezeichneten Ausgaben
vorliegen: das Doctrinale des Alexander de Villa Dei ed. Reichling in den
Mon. Oerm. Paedag. Xu, Berl. 1898 und der Grecismus des Eberhardus
Bethuniensis ed. Wrobel, Breslau 1887. Über die verschiedene Wertschätzung
der beiden Grammatiken giebt es ein (übersehenes) Zeugnis: Henricus Ghuida-
vensis (f 1293) de Script, eccles. (ed. in: Bibl. eccles. ed. Fabricius, Hamb.
1718) 128: Alexander Dolensis scripsit metrice librum quem doctrinale vocant,
cuius libri in scholis gratnmaticarum magnus U8U8 est temporibus kodier-
nis. Ebrardus Betwniae oriundus scripsit librum quem Orecismum vocant,
grammaticis non ignotum. In einem Statut der artistischen Fakultät
in Paris vom J. 1866 ist an Stelle von Priscianus das Doctrinale und der
Grecismus eingeführt (Chartul. un. Par. m p. 145); ersteres wurde ebenso
zugrunde gelegt in Wien und Oxford (cf. Rashdall, The universities of
Europe in the middle ages IT 1 p. 240, 2. 608 f.). Angriffe der Humanisten
auf das Doctrinale und zwar 1) Versuche zur Vermittlung: am inter-
essantesten die erste und bedeutendste pädagogische Programmschrift von
einem Humanisten diesseits der Alpen, der Isidoneus (von ttaodog^ viog) des
Jac. Wimpheling, erschienen zuerst c. 1497, mir bekannt nur aus der
genauen Inhaltsangabe von B. Schwarz, J. W. der Altvater des deutschen
Schulw. (Gotha 1876) 122 ff. Obwohl er seinen Gegner einen zweibeinigen
Esel, Maulwurf, träge Bestie etc. nennt, wagt er sich doch nicht recht an
den Alexander heran: er beschränkt sich darauf zu befehlen, dafs alles
Oberflüssige aus ihm zu verbannen sei, vor allem die unnützen scholastischen
Definitionen und Sophismen; besonders müsse man die Schriftsteller selbst
lesen, denn Leute, denen Jahre lang die zwei partes des Alexander eingebläut
48*
742 I^ie Antike im Humaniimiu.
dieser Hnmanisten gegen die zeitgenossischen Scholastiker liest
— man darf wohl behaupten, dals niemals öfter und maTsloser
geschimpft ist als auf der Grenze jener beiden Zeitalter — , f&hlt
man sich lebhaft erinnert an die von gleicher Tendenz getragenen
Angriffe der Hnmanisten des Mittelalters auf die Frühscholastiker,
seien, wüTsten sich der Erfahrung gemäTs nie richtig lateinisch auszudrücken.
Femer vermittelnd Pylades Brixianus, der 1606 zu Mailand herausgab
In Älexandrum de ViUadei annotaUones, in denen er ihn im einzelnen durch-
geht, korrigierend, aber im allgemeinen mit gemäfsigtem Ton. Dies Schrift-
chen ist neben L. Vallas elegantiae interessant, weU es die Fortschritte der
Humanisten auf diesem Gebiet besonders lebhaft vor Augen fShrt. 2) Po-
lemik. Von Antonius Nebrissensis (de Lebrixa, geb. 1444), einem
der frühsten Humanisten Spaniens, der lange Zeit in Italien mit den dor-
tigen Gelehrten verkehrt hatte und dann in Spanien die Beform der la-
teinischen Grammatik auf humanistischer Basis durchführte, sagt N. Antonio
in seiner Bibl. Hisp. vol. I (Rom 1672) 104, dafs er die bisher allgemein
gebrauchten scholastischen Lehrbücher, darunter das des Alexander und
Eberhardus, verdrängt habe. Alphonsus Garsias Matamorus berichtet
1689 in dem seiner Ausgabe des Ant Nebrissensis vorausgeschickten Brief
(Matamori op. omn. [Matriti 1769] 90 f.): als er 1637 berufen wurde, in
Saetabis Grammatik und Rhetorik zu lehren, habe er zun&chst ein Examen
veranstaltet und erkannt, dafs die gute Anlage der Schüler prodigiotis gwt-
btisdam grammatieat praeceptis cofUaminatatn, carruptam, nüüa non ex parte
perditam esse ; unter den monstra von Grammatiken nennt er dann auch den
Alexander: gut unus in re grammaUea iüis deus erat, nattis nemini eedere,
nee ipst Varroni guidem. Ähnlich der schwäbische Humanist H. Bebelias
in seinem 1600 erschienenen Schriflchen De abusione ling. lat (gedruckt in
seinen opusc. Strassb. 1613) f. LX'. Am ergötzlichsten die Epist. obsc
vir. I p. 243 f. U p. 297 fif. Böcking. — Der Grecismus wird sogar von
Petrarca noch zweimal citiert, cf. de Nolhac 1. c. (S. 733, 1) 80 f. Über
seine Fortdauer cf. A. Jubinal, Oeuvres compl^tes de Butebeuf , 2. 4d. vol.
m (Par. 1874) 338, 1. Die deliramenta Graecistae geÜBclt auf 6 Seiten H.
BebeliusLc. XXX^ ff. — Im allgemeinen cf. besonders die famose Satire
in Rabelais' Gargantua (1632) c. 14 {Comment G. fnU instiM par vn So-
phiste en lettres latines): mit seinem Lehrer, dem Sophisten Thubal Holo-
fernes liest er 13 Jahre 6 Monate 2 Wochen Donat Facetos Theodoletos
Alanus in parabolis. Darauf mit demselben 18 Jahr 11 Monate de modis
significandi (von lohannes de Garlandia, cf. Bebel 1. c. XXXIU^ u. a. dgL,
wodurch er es so weit brachte, seiner Mutter an den Fingern zu beweisen,
dafs de modis significandi non erat scieniia. Darauf las er bei demselben
Lehrer 16 Jahr 2 Monate den Computus. Dann kam er zu einem andern
alten „Huster'^ genannt maistre Jobelin Bridi (Herr Gimpel), bei dem er
las Hugutio, den Graecismus, das Doctrinal, die partes^ das guid est, dai
suppletnenium , Marmortret de moribus m mensa servandis^ Seneca de guat-
tuor virtutilms cardinalibus, Passavantus cum commento. SchlieCdich sah
Kampf der anotores gegen die artes. 743
wie wir sie im Vorhergehenden kennen gelernt haben. Dafs
ich diesen Männern als Vorgängern der Humanisten
ihre litterarhistorische Stellung richtig zugewiesen
habe, will ich noch an einer besonders deutlichen That-
sache zeigen.
Zweites Kapitel
Fortsetzung des mittelalterlichen Kampfs der auctores gegen die
artes in der Frühzeit des Humanismus.
Ich habe oben (S. 688 ff. 724 ff.) gezeigt^ dals die mittelalter-
lichen Humanisten im Gegensatz zu den artes der Scholastik die
auctores auf den Schild erhoben hatten und dalis im XIII. Jh.
ein französischer Dichter den kommenden Sieg der letzteren pro-
phezeite (S. 728 ff.). Derselbe Kampfe von beiden Parteien mit
denselben Schlagwörtern ausgefochten^ dauerte nun in den ersten
Jahrhunderten des Renaissance-Humanismus mit unverminderter
Heftigkeit fort.
1) Eine ausgezeichnete Darstellung des Konflikts zwischen Fr»no.
den beiden Weltanschauungen, welcher in der zweiten Hälfte des
XIV. Jh. die Gemüter der Menschen bewegte ^ hat Alessandro
Wesselofsky gegeben in den Prolegomena zu seiner Ausgabe des
Paradiso .degli Alberti, vol. I (Bologna 1867) part. 2 c. 4. Die
Partei der Alten lebte mit ihren Erinnerungen und Gefühlen im
Mittelalter^ bei den grolBen Scholastikern und Dante; die Partei
der Jungen blickte yerächtlich zurück auf das Dunkel und die
Barbarei der vergangenen Zeit. Das Bildungsideal der Alten
waren nach wie vor die sieben artes, yor allem die des Trivium;
sein Vater, dafs er von dem allen n&rrisch, albern, tr&nmeriach, einfältig
wurde: da nahm er ihn aus der Schule. Ähnlich Erasmus, Conflictns
Thaliae et Barbariei in: Opera I 89S. — Von den ma. Lexicis ist wenig
gedruckt; einige Auszüge (z. B. aus dem Mammotrectus) bei lo. Henr. Stuss,
De primis coenobiorum scholis (Progr. Ilfeld 1728) § X adn. s, sowie vor
allem bei S. Berger, De glossariis et compendiis exegeticis quibusdam medii
aevi, sive de libris Ansileubi, Papiae, Hugutionis, Guill. Britonis, de Catho-
licon, Mammotrecto, aliis. Diss. Paris 1879; cf. auch G. Salvioli 1. c.
(S. 696, 8) XIV 746 ff. und Fr. Eckstein, Lat. u. griech. Unterricht (Leipz.
1887) 58 f.
744 I^ie Antike im Humanismus.
dem stellten die Neuen gegenüber die ans jahrhundertelangem
Schlaf wiedererweckten auctores. Für diesen letzteren Gegen-
satz ist von besonderem Interesse ein von Wesselofsky zum
ersten Mal ediertes Dokument. Ein Hauptführer der Alten war
der Florentiner Francesco Landini, zubenannt il Cieco oder degli
Organi (1325—1397).^) Von ihm teilt Wesselofsky p. 295 ff.
ein in guten Hexametern geschriebenes Gedicht mit, welches in
der Handschrift betitelt ist:
IndpiurU versus Francisci organistae de Fhrentia, missi ad
dominum Antonium plebanum de Vado, grammaticae loicae re-
thoricae opümum instructorem, et facti in laudem loicae Ocham.
Im Traum erscheint ihm Wilh. von Occam im Minoritenkostüm
und beklagt sich in rührenden Worten über seine Widersacher,
besonders einen:
novus in nostras idiota rudissimus artes
qui furit et saevit, nostri quoque pestifer hostis.
Es folgt eine begeisterte Lobrede auf die Dialektik , die dieser
protervus idiota verachte; von demselben heiüst es weiterhin:
loicos ceu mortem exterritus odit
fallacesque vocat altercantesgue sophistas.
Wen hebt er dagegen auf den Schild? Cicero, dessen Name
auch für uns der höchste ist, den jener Widersacher aber miCs-
braucht:
Marcus, romanae gloria linguae,
ingenium cuius dudum aurea Roma potenti
par tulit imperiOy sibi quem temerarius iste
(prdh scelus) ascrünt: divina volumina nomque
allegatf recitat non inteUecta popeüo
nee sibi; percurrit tua cuncta volumina y Marce,
teque suum appelkU Ciceronem, et nomine crebro
nunc hoc nunc ülud rugosa fronte volumen
nominat: exterrent ignota vocabula vulgus;
laudibus immensis Ciceronem ad sidera toüit.
Und nicht genug mit Cicero: den Seneca nennt er seinen *Vater^,
und überhaupt:
gravis ineessu, sermone superbus
omnia sub pedibus repuUat: trnic ncmina mük
1) NUiaret über ihn bei Wessaloftky L e. toL I pari 1 p. 101 C
Kampf der aactores gegen die artes. 745
auetorum äüegat^ quarum nisi namma tanium
nescit et in hicas vomit exitiale venenum
viperei cordis scdertttaque iurgia fundii,^)
Während Occam noch mehr sagen will, yerschencht ihn der er-
wachende Tag und Francesco Landini erwacht mira turhaim
imagine somni,
2) Anderthalb Jahrhunderte später sagte Melanchthon in MeUuioh
seiner berühmten humanistischen Programmrede De corrigendis "^"^
adulescentiae studiis'), gehalten am 29. Äng. 1518 zu Wittenberg
Ton dem damals Einnndzwanzigjährigen, p. 22 nach einer yer-
nichtenden Invektive anf die mittelalterliche Erziehungsmethode,
der es zu yerdanken sei, dais so viele Schriftsteller rettungslos
dem Untergang verfallen seien: vdbis^ adtUescentes, vestram grahdor
felicitatem, quibus henignüate optimi ac sapientisstmi principis nostri
Friderici, ducis Saxoniae, dectoris contigit longe scduberrimis erudiri:
fontes ipsos artium ex optimis auctoribus hauritis. hie
nativum ac sincerum Aristotelem, %Ue Quintilianum rhetorem, hie
Flinium . . ,, iUe arguUas sed arte temperatas docet. accedunt, sine
quibus nemo potest eruditus eenseri, malhematica, item poemata oror
tores, professoribus nan proUtariis. haee si eognoveritis quo ordine
tractanda sint, certo scio et facUia et admirandi profectus vidAuntur.
3) Sehr deutlich kommt der prinzipielle Gegensatz der Par- Epist. obi<
teien zum Ausdruck in der 46. epistola der Epistolaeobscuro-
rum yirorum (novae) (p. 258 f. Böcking), aus der ich nicht
umhin kann, die bezeichnendsten Stellen herauszuheben. Man
erkennt unter der Karikatur leicht das Thatsächliche. Herr
Mag. Cunradus Unckebunck schreibt an Herrn Mag. Ortvinus
Gratius: intdlexi, quod habetis paucos auditores, et est querela vestra
quod Buschius^ et Caesarius^) trahunt vöbis scholares et supposita
dbinde .... credo quod diabolus est in Ulis poetis. ipsi destruunt
omnes universitaies. et audivi ab uno Antiqua Magistro lApsiensi
qui fuit Magister XXXVI annorum, et dixit mihi, qttando ipse
1) Man vergleiche hiermit vor allem die oben (S. 718 f.) aus Johannes
von SaUsbuzy angefahrten Verse, um die Identität der beiden Richtungen
and ihres Kampfes zu erkennen.
S) Ed. K. Hartfelder in: Lat. Litteratnrdenkm&ler d. XY. n. XVI. Jh.
henuug. von Hemnann xl Szamatölski, Heft 4. Berlin 1892.
i) GC Böeking p. 880 ff.
4) ib. 883 £
746 1^6 Antike im Humanismus.
fuisset iuvenis, tunc üla universitas bene stetisset, quia in XX
miliaribus nullus poeta fuisset. et dixit etiam quod tunc supposiki
düigenter compleverunt lediones saas formales et Maleriäles seik
hursäles: et fuit magwum scandäluin quod cUiquis studens iret in
platea et non häberet Petrum Hispanum^) cmt Parva logicaUa sub
hrachio. et si fuerunt Grammatici^ tunc portabant Partes Alexandri
vel Vade mecum vd Exerdtium puerorum, aut Opus minus ^ aut
dicta lohannis Sinthen,^) et in scholis advertdmnt düigenter: et
habuerunt in honore magisiros Artium: et quando videnmt umim
Magistrum y tunc fuenmt perterriti quasi viderent unum diabolum
sed nunc supposita vohint audire Virgilium et Plinium
et alios novos autores: et licet audiunt per quinque AnnoSj tarnen
non promaventur. et sie g^iando revertunt in pairiam, dicunt eis
parentes ^Quid es?^ Bespondent quod sunt nihü, sed studuerunt in
Poesi. tunc parentes non sciunt quid est Et dixit mihi
quod ipse LiptsAgTc olim habuit quadraginta domicellos, et quando
ivit in Ecclesiam vd ad forum vd spaciatum in Rubetum, kmc
iverunt post eum. et fuit tunc magnus excessus studere in poetria.
et quando unus confUebatur in confessiane quod occulte audierü
Virgilium ab uno baculario, tunc Sacerdos imponebat ei magnam
penitentiam . . , et iuravit mihi in conscientia sua quod vidit quod
unus magistrandus fuit seiectus^ quia unus de examina/toribus semd
in die festo vidit ipsum legere in Terentio (folgt eine Klage
über Verminderung der Studenten an den üniyersitaten und das
Gebet quod moriantur omnes poete). Ähnlich ep, 7 (p. 12). 17
(p. 26). ep. noy. 63 (p. 285).^)
1) Ib. 393 f.
2) Ib. 472 f.
3) Hans Sachs* Meisterlieder aus der Jugend des Dichters (1511 — 1520)
beschäftigen sich, wie mit andern scholastischen Problemen, so auch mit
den 7 arte 8. Seit 1523 ist davon nichts mehr zu merken: er ist ein Käm-
pfer für die Gedanken der Reformation geworden und nun nimmt er seine
Stoffe teils aus der Bibel, teils aus den ihm durch Übersetzungen bekannten
Autoren, die der Humanismus erweckt hatte: cf. R. ▼. Liliencron 1. c
(S. 728, 1) 39. — Es hat lange gedauert, bis die artes gftnzlioh beseitigt
waren: Salutato ruft in dem Elagebrief über Petrarcas Tod: fletU totmm
trwium atgue quadrivium (Colucci Salutati ep. ed. Bigaooi [Flor. 1741] 11
ep. 7 p. 58). Im J. 1489 schrieb Alonio de la Torre La Tinon del^ytable
de la Filosofia j artes Liberales (Tolosa 1489; 8. Ausg. Sevilla 1638); nach
der Inhaltsangabe des (&a£serst seltenen) Werkes bei L. CSanu, DarstelL d.
Kampf der auctores gegen die artes. 747
span. Litt, im Ma. 11 (Mainz 1846) 169 ff. treten hier die 7 Künste wie bei
MartianuB Capeila auf. Im J. 1588 schrieb GuiUamne Telin ein Brey Som-
maire des sept Vertus, sept Arts liberaux (Paris 1688), mir unbekannt.
Einiges ÄhnHche bei K. Hartfelder 1. c. (S. 745, 2) p. XVm f. — Gewisser-
mafsen eine Übergangsperiode bezeichnet der Bildungsgang des Heidelberger
Humanisten Peter Luder, cf. seine im J. 1456 gehaltene Antrittsvorlesung
(ed. Wattenbach in: Z. f. d. Gesch. d. Oberrheins XXH [1869] 100 ff.) p. 102 f.:
nachdem er die (Mrtes gelernt habe, t^ ad hasce omnes aut ad tmamquamque
ülarum verum et infaMihüe fM/ndameiitwn miehi ponerem, ad studia hunumi-
tatiSj historiographoe oratores scilicet et poetas^ toto me mentis ardore convertk
Zweiter Abschnitt.
Der Stil der lateinisclieii Prosa im Mittelalter
nnd im Hnmanismns.')
Erstes Kapitel.
Der Stil der lateinisclien Prosa im Mittelalter.
Der alte Wir haben gesehen, dafs sich die scheinbar so yerschieden-
neue stiL artigen Stilarten» des Altertums sehr einfach unter zwei Gresichts*
punkte fassen lassen: die klassicistische Richtung ist re-
aktionär, ihre Vertreter schreiben in einem durch Nach-
ahmung erlernten alten Stil; die Vertreter der neo-
terischen Richtung passen ihren Stil der jeweiligen
Zeit an, sie schreiben modern. Der alte Stil hält sich bei
einigen Autoren, die ein besonders ausgebildetes stilistisches An-
empfindungsvermogen besitzen, auf einer anerkennenswerten Hohe,
macht aber den Eindruck des Künstlichen und Erlernten; der mo-
derne Stil steht mitten im Leben und degeneriert mit ihm in dem
langsam, aber stetig fortschreitenden Prozefs des Verfalls, der
besonders fühlbar wird, als die Barbaren das Reich über-
schwemmen und den Stempel ihrer Anästhesie der Litteratur
aufdrücken. Auch im Mittelalter laufen die beiden Stile
nebeneinander her.
1. Der alte StiL
mus.
KiMsioii- Den künstlich archaisierenden Stil suchten, so gut sie es
vermochten^, alle diejenigen Männer anzuwenden, deren Tendenz^
1) Besonders für das Ma. beschränke ich mich auf die Darl^ixuig nur
der Hauptrichtongen, da alles Einzelne für mich kein Interesse hat.
2) Grammatische Fehler kommen selbst bei den Besten, wie Einbari,
Yor. Denn man mafste die Sprache ja mühsam erlernen, daher wurde keine
der artes mit gröfserem Eifer getrieben als die Grammatik. In dem
Katalog der Bibliothek Yon York, den Alcnin de sanctis Eboricensis eode-
Elassicismas: Einhaxt, Paulas Diaconns. 749
wie ich im yorigen Abschnitt zeigte, eine klassicistiBche war.
Der Stil Einharts ist yon Manitins 1. c. (oben S. 694, 2) yor-
trefflich behandelt worden; er hat sich in die Diktion der Hi-
storiker so hineingefühlt, daüs er yiele Sätze hat, deren sich
Caesar und Liyios nicht geschämt hätten, z. B. um beliebig
einen herauszugreifen yit. Gar. 9: cum enim assiduo ac paene
continuo cum Scixonibus belle certaretur, disposüis per congrua can-
finiarum loca praesidiis Hispaniam quam maximo poterat belli ap-
paratti aggreditur, säUugue Pyrenaei superato omnibus quae adierat
oppidis atque casteUis in deditionem acceptis sälvo et incolumi exer-^
diu revertitur. Besonderes Interesse hat der Nachweis von Ma-
nitius p. 548 f.; dafs Einhart in seinen nicht streng historischen
Werken in einem andersartigen „deutsch - lateinischen'' Stil
schreibt: man sieht daraus, dafis derjenige der historischen Werke
mühsam studiert ist: freilich lälst sich ja das Gleiche bei Huma-
nisten wie Petrarca konstatieren, dessen Briefe salopper sind als
seine Geschichte Caesars. — Paulus Diaconus schreibt nicht
ganz so rein und klassisch wie Einhart; er besafs aber doch ein
lebendiges GefElhl fQr den guten Stil, wie seine yon Mommsen
(in: N. Arch. d. Ges, f. alt. deutsche Gesch. V [1879] 53, 1) nach-
gewiesenen stilistischen Besserungen an Gregor y. Tours zeigen;
siae y. 1540 ff. giebt, befinden sich yon heidnischen Autoren nur wenig
(8. oben S. 697), aber eine ganze Reihe Grammatiker: Probus, Focas, Do-
natus, Priscianus, Servius, Eutjehius, Pompeius, Comminianus. Besonders
bezeichnend ist der im J. 960 geschriebene Brief des Italieners Gunzo an
die Mönche yon Beichenau (bei Martine et Durand, Ampla collectio I
[Paris 1724] 894 ff.) Im Kloster 8t. Gallen, wo er halb erfroren nach der
langen Reise aus Italien angelangt war, hatte er das Unglück, den Akku-
satdy fOr den Ablativ zu gebrauchen, worauf ein St. Galler pusio, wie er
ihn nennt, ein Spottgedicht yerfafste, in dem es u. a. hiefs, dafs der Greis
Gunzo Prügel verdiene wie ein Schuljunge, um sich nun zu rechtfertigen,
schreibt er diesen mit aller möglichen Gelehrsamkeit vollgepfropften Brief,
in dem er sich aber einmal (p. 298) doch zu dem Gest&ndnis herbeiläfst:
faiso putavU 8, GaUi monachuB me remotum a scienHa grammaticae artis,
Ueet aliquando retarder U8u nostrae vulgans Unguae, quae latmitati vicina
ttt Für die zahUosen spätmittelalterlichen Grammatiken ist für alle Zeit
grundlegend die berühmte Abhandlung von Gh. Thurot, Not. et extraits de
divers mss. lat pour servir ä. lliistoire des doctrines grammaticales au
moyen fige in: Not. et extr. des ms. XXII 2, Paris 1868. Wesentlich auf
Grund davon Fr. Eckstein, Lat. u. griech. Unterricht (Leipz. 1887) 54 ff. ; cf.
auch G. Salvioli 1. c. (S. 696) XIY 732 ff.
750 ^ei^ Stil der mittelalterlichen Prosa.
über sein Werk als Ganzes urteilt Mommsen 1. c. 53 f.: ,;Wer
auch nur einigermafsen die stammelnden und stümperhaften
Schriftstücke kennt, wie sie in jener Zeit yerfertigt wurden, der
betrachtet mit Verwunderung und zuweilen mit Bewunderung
dieses durchaus klare, meistens bequeme Latein, diese yerstan-
dige und doch aller Affektierung frei stehende Wortfügung, diese
Fähigkeit zu gestalten und zu stilisieren.'' — Für den Stil des
Seryatus Lupus erinnere ich an jenen Brief, in dem er seinen
Freund Einhart beglückwünscht, dais er yon dem häfslichen Stil
der Modernen zu dem eleganten Ciceros und anderer (mdtores zurück-
gekehrt sei (o. S. 702 f.), und an den andern, in dem er die Lektüre
der Alten als Mittel fCLr die Zierde der Bede und für die Politar
des Ausdrucks hinstellt (o. S. 701 f.). — Sein Schüler Heiric, Mönch
y. Auzerre, schreibt gewandt und einfach in seiner Epistel an
Earl den Kahlen, was um so deutlicher heryortritt, weil er zwei
Briefe aus dem Anfang des Vll. Jh. einlegt, deren Stil geschwollen
und y erzerrt isi^) — Von Gerbert wurde bemerkt (o. S, 707),
daCs sein Stil wirklich etwas yom ciceronianischen Ethos habe.
— Li dem auf Gerberts Veranlassung yerfeübten Geschichtswerk
seines Schülers Rieh er tritt jene ganz an die humanistische
Historiographie erinnernde Manier, antike Bezeichnungen auf
mittelalterliche Begriffe unmittelbar zu übertragen, die wir schon
bei Einhart und Widukind antrafen (S. 694. 710, 1), stark heiror:
„er macht einen Grafen zu einem vir consulariSf er spricht yon
Legionen und Cohorten, nennt, indem er die in Caesars Commen-
tarien gegebene Einteilung Gralliens auch für seine Zeit festludt^
die Lothringer Belgier."*) — Alle überragt Lambert yon
Hersfeld, nicht als ob seine Sprache im einzelnen durchaus
korrekt wäre (im Gegenteil ist ihm darin z. B. Einhart über-
1) AA. SS. Jul. Vn 221 ff.
2) A. Ebert L c. (o. S. 660, 1) UI (Leipi. 1887) 441. Ähnliches ans an-
dern ma. Schriftetellem : F. Bühl, Die Verbreitoiig des Iiutmua im Ma.
(Leipz. 1871) 13, 1, wo aber ein Haaptbeispiel fehlt: Ekkehart lY (f 1060)
spricht in den Casus S. Gkdli von einem ^Senat der Brüder*, yon einer toga
praetexta, bei der Beschreibung des UngameinfaDs yon priwmpäana, prim'
cerii$8^ hgiones; er nennt Petras einen himmlischen 'Consul' und Gallns
einen himmlischen ^Prätor*: die Stellen bei G. Meier, Gesoh. d. Schule ▼.
St. Gallen im Ma., in: Jahrb. f. schweix. Gesch. X (1886) 96. Wir werden
weiter unten die gleiche Erscheinung in der Zeit der Benaiswaoe wieder-
finden.
ElasBiziamuB: Seryatos LupuB, Gerbert, Lambert. 751
legen): aber er hat es yerstanden, die PriU^iBion Sallusts und die
Behaglichkeit des Livius in einer Weise zu yereinigen, dais man
ihm seine Bewnndenmg nicht versagen kann. Die Nachahmung
ist nicht so schablonenhaft wie die Einharts und gewinnt da-
durch an Frische und Beweglichkeit. Wenn er sich nicht scheut^
germanische Namen und Bezeichnungen zu gebrauchen, so spricht
das nur für seinen Takt, der ihm das Übermafs als pervers er-
scheinen liels und der ihn befiLhigte, trotz des gelehrten Studiums
der Antike ein von nationalem Geist durchwehtes, sowie ein in-
dividuelles Werk zu schaffen. Die Kunst schlagender Charak-
teristik und der Ableitung von Ereignissen aus ihren Ursachen
hat er dem Sallust, die Kunst der Erzählung in langen, aber
nicht überladenen Perioden dem Livius abgelernt. Die Figuren
der Rede (besonders die Anapher und das Homoioteleuton) ver-
wendet er mit einem stilistischen Anstandsgefühl, das den meisten
Autoren des ausgehenden Altertums und des Mittelalters abgeht.
Von der Proprietät der lateinischen Wortstellung hat er, was
stets etwas Besonderes ist, ein lebhaftes BewuTstsein. Man kann,
wie bei Einhart, so auch bei ihm beobachten, daJs er da besser
schreibt, wo er sich an antike Vorbilder anlehnen kann, als da,
wo er auf sich selbst angewiesen ist; z. B. ist eine geschickte
Nachahmung des Livius (U 6)^) die Stelle ann. p. 71 f.^) nee
mora: dato müitHms signo ad pugnam equis subdunt caicaria et
pari utraque pars audacia, paribus odiis in mutua vulnera ruunt
ibi in prima fronte Brun et Otto, ambo pleni irarum, ambo sui
legendi inmemores dum hostem ferirent, tam concitatos in sese vi-
cissim impetus dederunty ut uterque aUerum primo incursu equo ex-
ctissum letali vulnere transfoderet. omissis ducibus aliquamdiu tUram-
que aciem anceps pugna tenuit. sed Ecberdus, qtiamquam gravüer
sauciuSy dolore tamen interempH fratris efferatuSf rapido cursu in
confertissimos hostes praecipitem se mittit, Bemhardi cofnitis filium^
egregium adolescentem sed vixdum müiciae maturum, interficit, cae-
teros languidiuSy quoniam ducem perdidissent, pugnantes in fugam
eonvertii; di^egen ist in der Wortwahl und Periodisiemng unbe-
holfener z. B. p. 75 ego exacta peregrinatione lerosolimiiana XV,
1) Bemerkt von L. Bockrohr in: Forsehimgen z. dentsch. Gesch. XXV
(1886) 671 ff.
2) Ed. 0. Holder-Egger, Hann.-Leipz. 1894.
752 1^6r Stil der mittelalterlichen Prosa.
Käl, Octobris ad monasterium reversus sum, et quod in omni iUa
profediane mea praecipuum a Deo postidaveram, Meginherum ab-
totem superstitem inveni. timAam scüicet, quoniam sine benedictiane
iUius profectus fuissem, si offenstis inreccncUiatusque decessissd,
magni criminis reum me teneri apud Deum. sed non abfuit pro-
picia divinitas redeunti, quae tanto ülo iUnere sepe usqtie ad tdti-
mam necessHatem periditatum misericordissime texerat. incolumem
repperi, peccatum indulsit. Alles in allem wird man sagen dürfen^
dafs es im Mittelalter keinen Schriftsteller gegeben hat, der ihm
in der Kunst der Nachahmung guter antiker Muster und gleich-
zeitiger Wahrung von Originalität und Individualität überlegen
crewesen ist, und dafs es der Greschichtsschreibunir des Humanis-
L der Renaissance erst nach vielen Irrwegen gelungen ist^
ihren mumienhaften und yemunftwidrigen Charakter abzulegen
und auf die Höhe des Könnens jenes einfachen Mönchs zu ge-
langen.^) — Auch lohannes Sarisberiensis und die zu jenem
Ejreise gehörigen Männer (z. B. auch Abälard^) bemühen sich,
ihrer antischolastischen klassicistischen Tendenz gemäüs einfach
und korrekt zu schreiben. Derartiges würde sich noch mehr
anführen lassen^), doch kommt es mir, wie bemerkt, weniger
auf das Einzelne an, das ich doch nur unyollkommen beherrsche,
als auf die Skizzierung der Hauptrichtungen.
1) Einzelne Nachweise für die von ihm gelesenen Autoren giebt Holder-
Egger 1. c. 399 ff. und in: N. Arch. d. Ges. f. alt. deutsche Gesch. IX (1884)
296 ff. — Der Stil Ottos von Freising steht, wie ich mich durch die
Lektüre von ein paar Kapiteln überzeugte, nicht auf der Höhe des Lam-
bert^schen; durch die EinfÜgimg von Versen (meist vergilischen) und ma-
nierierte Wortstellung hat er ein mehr mittelalterliches Gepi^e und den
für die reine Latinität verderblichen Einflufs der Pariser Scholastik glaubt
man auch an seiner Sprache und seinem Stil zu merken. Immerhin gehurt
er sowie sein Fortsetzer Bähe w in (bei dem das für Otto nicht direkt nach-
weisbare Studium des Sallust hervortritt, ohne dafs er sich dessen Art so
zu eigen gemacht hätte wie Lambert: er begnügt sich meist mit wörtlichem
Abschreiben, cf. G. Jordan, B.*s gesta [Diss. Strassb. 1881] 80 ff.) zu den
besseren Stilisten des Ma., die sich die barbarischen Auswüchse des Mode-
stils fem gehalten haben. Ein paar Bemerkungen über Otto bei W. Lü-
decke, D. bist. Wert d. I. B. von 0. v. F. (Diss. Halle 1884) 18 ff.
2) Cf. S. Deutsch, P. Abälard (Leipz. 1888) 62 f.
8) Z. B. sind merkwürdig korrekt die Predigten und Briefe des in
Oberitalien gebildeten Abts von S.-Bänigne Wilhelmus (962 — 1081), was mit
Becht als bemerkenswert hervorhebt G. Chevallier, Le vänärable Guillaume
(Pans-Dijon 1875) 211 (dort 218 ff. sind seine Werke veröffentlicht).
Neoterismas: Dante. 753
2, Der neue StiL
In ihm pulsiert noch wirkliches Leben: wenn er bizarr, negenara-
phantastisch; grell, yerschnorkelt ist^ so offenbart sich eben darin
die herrschende Geschmacksrichtung des Mittelalters. Es giebt,
soviel ich weÜB^ kein fQr die stilistische Geschmacksrichtung
des Mittelalters bezeichnenderes und durch den Namen seines
Urhebers interessanteres Zeugnis als dasjenige Dante's^) de
Yulgari eloquentia II 6*): 5ti9t^ gradus constmctionum quamplures,
videlicet insipidus, qui est ruJium, ut: „Petrus amat midtum domi"
nam Bertham". est pure sapidus, qui est rigidorum scholarium vel
magistrorum, ut: „Piget me civitatis^, sed pietatem maiorem iUarum
hdbeOf quicumque in exilio tcibescentes patriam tantum somniando
revisunif\ est et sapidus et venustuSf qui est quorundam superfide
tenus rhetoricam haurientium, ut: ,Jjaudabüis discretio marckionis
Estensis et sua magnificentia, praeparata cunctiSj illum facit esse
düectum". Est et sapidus et venustus, etiam et excelsus, qui est
didcUorum iUustriuin, ut: jyEieda maxima parte florum de sinu
tuOy Fhrentia, nequicquam Trinacriam Totüa^) sems adivü'*. hunc
gradum constructionis excellentissimum nominamus, et
hie est, quem quaeritnus, cum suprema venemur, ut dictum
est Ihn hält er einzig brauchbar für die hohe Gattung der
Poesie, und in seiner Prosa befolgt er ihn selbst. Also die
Einfachheit und Natur wird verpönt, der Schwulst und die Un-
natur sanktioniert.^) Das liefse sich aus allen Jahrhunderten
belegen, doch fehlt mir dazu die Lust. Eine Hauptfundgrube
sind die Acta Sanctorum, über die der Card. Pitra eiaige feine
1) Über seine Stellnng zum Ma. am besten A. Wesselofsky in seiner
Ausgabe des Paradiso degli Alberti I 2 (Bologna 1867) 9 ff., besonders auch
p. 16 f. über seine Stellung zu den artes. Cf. auch B. v. Liliencron 1. c.
(S. 728, 1) 29 ff. Über sein Verhältnis zu den klassischen Studien : J. Schuck
in: Fleckeisens Jahrb. XCII (1865) 258 ff.
2) Vol. II > 216 in: Opere minori di D. Alighieri ed. FraticeUi, Flo-
renz 1861.
8) CuncHs edd., corr. E. Böhmer, Über D.'s Schrift de yulgari eloquentia
(Halle 1867) 22, 8.
4) D. h. Carl v. Valois (FraticeUi).
5) Qanz ähnlich ist eine Äufserang des Rieh, de Bury (1287 — 1845)
1. c. (o. S. 740, 2) 7.
764 I)er Stil der mittelalterlichen Prosa.
hierher gehörige Bemerkungen gemacht hat^), die sog. Prosen
und Tropen des X. und XI. Jh.*), die sog. ^dictamina', worüber
genaueres im Anhang ü, die in absichtlich dunkler Latinitat
yerfalsten Werke. •) — Auf andere Weise degenerierte der Stil
1) Histoire de S. L^ger, ey^qae d'Autnn et martyr, et de T^lise des
Francs au septi^me si^de (Paris 1846) p. LXXXYI fiP. Natürlich sagen fiut
alle diese Skribenten in der Vorrede, daiÜB sie in roher, unwürdiger Sprache
schrieben (s. oben S. 696, 1). Nur selten ist das nicht rhetorische Floskel^
sondern Wahrheit, cf. Merryweather, Bibliomania in the middle ages (Lond.
1849) 108.
2) Cf. L. Gantier, La po^sie religieuse dans les dottres des IX® — XI*
si^les (Paris 1887) 88 ff. Sie gehören mit zn dem Haarstrilabendsten, was
je in lateinischer Sprache geschrieben ist: Schwulst und Unnatur feiern
bacchantische Orgien, und dabei yersichem diese „Dichter** gewöhnlich,
dafs sie einfach wären. Das Wunder von Eana wird beschrieben: naturas
lymphoeas hodie mutavit in saporiferoa hatuttis (p. 86 Gautier); die Heiligen
heifsen pleba martyriea, tarn wranica^ sorte hgica phalanx deiea (p. 87), na-
türlich auch Wortspiele wie lauream regni Unet LaurenHuB (p. 40), nnd so-
gar tibi {deo) eahibet Phoeba ac Titan digna famiäitia (ib.). Cf. auch O.
Dreves, Anal. hynm. med. aeyi YU (Leipz. 1889) 10 ff. Das Einzige, was
ihnen einigermafsen an die Seite zu stellen ist, sind die Hisperica fa-
mina, an die sie auch durch ihre wunderliche Sprachmischerei (griechische
Brocken oft halb mifsverstanden) und wahnsinnige Neubildung besonders
Ton Adjektiven (allein yon Bildungen mit -fluus finden sich in den ^(Ge-
dichten': laudifluus, dulcifluw, eUmifluua, mellifiuua) erinnern, sowie der
Liber de planctu naturae des Alanus de Insulis (210, 481 ff. Migne)
aus s. Xn.
8) (3f. W. Giesebrecht 1. c. (S. 693, 8) 22 f. A. Ozanam, La cirilisation
chr^t. chez les Francs p. 645, 1. V. L. Clerc, Hist. litt, de la France au
XIV. siäcle, 2. ^d. I (Paris 1866) 428. Z. B. (aufser den Hisperica famina)
aus dem X. Jh.: Atto iunior Vercellensis episcopus, polypticum ed. A. Mai
in: Script, vet. nov. coli. VI 48 ff., worüber jetzt besonders G. Gk>etB, Über
Dunkel- u. Gteheimsprachen im späten u. ma. Lat. in: Ber. üb. d. Verh. d.
S&chs. Ges. d. Wiss. 1896, 62 ff. Aus dem Xm. Jh.: Brief eines Mag. Adam
Balsamiensis (ein Engländer) ed. M. Haupt in: Berichte der Sachs. Ges. d.
Wiss. 1849, 276 ff. (er fängt an: fakae tholum cillentibui radOs eon^aieuum
cum iam prospicerem, (xccelerantem eece morahctntur tesqua cmhi sooMs, du-
mtta cwn quisquüiis, et confraga rubetis eireumvdllata) und das 'disUgium^
ed. in: Not. et eztr. XXVÜ 2 p. 27 ff. Gegen solchen Stil (besonders die
tolle Wortstellung) eifert s. X Bather y. Verona phrenesis c. 8 (186, 869
Migne) und s. Xu der deutsche Cistercienser Günther (cf. A. Pannenlxttg
in: Forsch, zur deutschen Gesch. XTII [1878] 262 ff.), de oratione etc. bei
Migne 212, 104. Boncompagno (Prof. der Grammatik in Bologna s. XU)
bei G. Tiraboschi, Storia de la litteratnra Italiana IV (Modena 1788) 466.
Neoterismus: Mischung von Prosa und Vers. 755
in der Spätzeit der Scholastik. Jene Schriftsteller mit ihrem
barbarisch tättowierten Stil glaubten schon zn schreiben und
verwandten unsägliche Mühe darauf^ ihre Farbenklexe überall
anzubringen: die Scholastiker, denen es nur auf ihre subtilen
Distinktionen ankam, yemachlässigten die ästhetische Seite der
Sprache ganz und gar und liefsen sie auf ihre Art verwildern,^)
Die exakte Grammatik wurde von oben herab angesehen: sie
mufste der Logik und Dialektik weichen.^
Nur von drei Erscheinungsformen des mittelalterlichen Stils
will ich in aller Kürze handeln, weil sie für ihn am bezeichnendsten
sind und sich unmittelbar aus der antiken Tradition ableiten
lassen.
a. Die Mischung von Prosa und Vers.
Die Anfänge reichen, wie wir sahen (o. S. 74 f. 109 f.) in die Antike
Zeit des Gorgias und Piaton zurück. Die Neigung der Kyniker ^°'«*"8*''
zur Parodie, besonders von Versen Homers und der Tragiker,
mag dem Menippos von Gadara im III. Jh. v. Chr. den Anlafs
gegeben haben, in seinen burlesken, der Komödie stark ange-
glichenen Kompositionen Prosa und Vers mit einander wechseln
zu lassen^): in welcher Art freilich und in welchem Umfang, ist
uns nicht mehr möglich, auch nur zu vermuten; wenn wir aus
1) Cf. S. Deutsch, P. Abälard (Leipz. 1883) 62 f. — In der ffist. litt,
de France XXIII 226 wird hingewiesen auf ein paar Verse der Vie St.
Thomas le martir von Quemes du Pont de St. Mazence (geschrieben 1175)
ed. Imm. Bekker in: Abh. der Berl. Akad. 1838, 55:
Deuant le pape esturent U messagier real.
aJquant diseient bien, pluisw diseient mal,
li aJquant en Latin, tel ben tel anamal,
tel gui fist personel del uerbe impersonal,
singuler e plu/rel aueit tut par igal.
2) Cf. aus s. Xn den Brief des Boncompagno bei Ch. Thurot in: Not.
et Extr. des ms. xyn (1868) 90, 2 : cum sit grammcUica lac primarium, quo
addiscentium corda nutriuntur, miror quod sine ülius notitia te ad diaiecticam
transtulisti: nam gui partes ignorat, se ad artes transferre non debet, guia
non convalescit plantula gue humore indiget primitivo, worauf der Student
antwortet: ars grammatica potest male asinarie assimilari, gue, dum laborioso
impulsu volvitur, grana in farinam convertü, de gua ß nutritivus panis per
adiutoria su^cessiva. unde cupio per auxilium dialetice gramaticam adiuvare.
sane gui proficit in dialetica, gramaticam non öbmittit S. auch o. S. 712, 1.
3) Cf. R. Hirzel, D. Dialog I (Leipz. 1895) 389.
Norden, antiko Kunitprosa. II. 49
756 Der Stil der mittelalterlichexi Prosa.
der bewufsten Nachahmung seines Landsmannes Lukian einen
SchluTs auf Menippos selber ziehen dürfen, so würde er nur
parodierte Verse eingelegt haben. ^) Ob in dem Roman des
Aristides Verse in die Prosa eingelegt waren, wissen wir ebenso
wenig sicher: immerhin ist es möglich, weil sein Übersetzer
Sisenna von Fronto 62 N. mitten zwischen Dichtem genannt
wird und weil eins der aus Sisenna citierten Bruchstücke nach
Rhythmus und Sprache poetisch ist.^) Erst bei den lateinischen
Schriftstellern kommen wir auf festeren Boden, denn bei ihnen,
die stilistisch viel ^a%vrBQov waren, hat bezeichnenderweise diese
bizarre Art der Komposition, die bei den Griechen nie recht in
Aufnahme kam und gewissermafsen nicht als salonfähig ange-
sehen wurde (das zeigt die ausführliche Verteidigung Lukians),
sich grofser Beliebtheit erfreut. Varro, stilistisch alles weniger
als ein Feinschmecker, hat sie — angeblich in Anschluls an
Menipp, vermutlich aber dessen xigiteg vergröbernd — einge-
bürgert; ihm sind dann die andern gefolgt, deren allbekannte
Namen ich nicht aufzuzählen brauche.')
Bai lüttei- Für das Mittelalter wurde nun entscheidend, dafs danmter
*^**^'' seine beiden Hauptautoren, Martianus und Boethius, waren. Zu
einer Zeit, als alles Krause und Bizarre des Stils für schon galt,
war die Mischung von Prosa und Vers für den hohen Stil aufser-
ordentlich beliebt. Man prägte auch einen eignen Namen dafür,
der in den Stilistiken des XII. und XIII. Jh. auftaucht: prosi-
metrum.^) Beispiele brauche ich nicht anzuführen, da die That-
1) Dafs das nagtodsiv (sowohl als einfache ii^fir}ai^ und als Travestie)
jedenfalls eine besondere Rolle spielte, zeigt noch die Nachahmung der
Römer, cf. für Varro die Citate bei Buecheler ' p. 260 und den tgayiTibg
TQdnos von fr. 269 ff. 423 flP., für Seneca 2. 7. 12, für Petron 4 (Lucilius), 65
(Syrus) 119 ff. (Lucan) und die Vergücitate 68. 111. 112. 132.
2) Nocte vagatrix bei Chans. 208 K., wozu Buecheler im Anhang seiner
Weinen Ausgabe des Petron (3. Aufl. Berl. 1882) 237 bemerkt: carminis
puto verha.
3) Cf. übrigens auch Sidonius ep. IX 16. Ennodius op. 6 p. 402, 4 ff. Hart.
Parthenius presbyter (Africa, s. VI) in Anecd. Casinensia ed. A. Reifferscheid
(Ind. lect. Breslau 1871/2) 8.
4) Ich kenne folgende Zeugnisse: Hugo Bononiensis rationcs dictandi,
ed. Rockingcr in: Quellen z. bayr. u. deutsch. Gesch. IX 1 (München 1863)
47 ff. aus dr(;i IIss. des XII. Jh. (in Salzburg, Pommersfelden, Wolfenbüttel)
c. 2 p. 64 diio quidem dictaminum genera novimua, imum videlicet prt^saicum,
Neoterismus: Mischung yon Prosa und Vers. 757
Sache bekannt ist: wo die Bede einen hohen Schwung nahm,
war der Übergang in Verse eins der bequemsten Hülfsmittel^),
z. B. bei Gebeten^), bei den in eine Geschichte eingelegten
Reden ^j, im pathetischen Stil der Urkunden*), in Subscrip-
tionen^) u. s. w. Die Humanisten haben dann auch hiermit ge-
brochen, indem sie ihren Abscheu offen aussprachen.^)
b. Die rhythmische Prosa (s. o. S. 41ff.).
Das merkwürdigste Dokument frühmittelalterlicher rhyth- Hiiperfo»
mischer Prosa'') sind die durch ihre dunkle, kaum mehr als
lateinisch zu bezeichnende Sprache berüchtigten Famina Hi-
alterum q;uod vocatur metrictim, metricum vero . . . repperitur tripliciter: auf
cum pedum meiisura et Carmen vocatur, vel numero dumtaxat siUabarum cum
voaim cofisonantia et tunc riddimus (ridmus Guelf., rithmius Pom.) appei-
Jatur, seu utroque mioctum quod quidem prosimetrum conpositione dicitur
(folgen Beispiele). Thomas Capuanus (f 1239) dictator epistularis s. summa
dictaminis ed. S. Fr. Hahn in seiner CoUectio mon. vet. et rec. I (Braun-
schweig 1724) 279fF., dort 280 f. dictaminum vero gener a tria sunt a veteribus
diffinita, scilicet prosaicum, metricum et rühmicum. prosaicum ut Cassiodori^
metricum ut Virgilii^ rühmicum ut JPrimatis (s. ohen S. 730, 3) quodsi ex
his fiat commixtio, ex tali commixtione denominationem asstimit, ut dicatur
prosimetricon sive mixtum, unde dictamen Boetii veteres prosimetricon
appellanmt. Ganz ähnlich in einem Werk De modo prosandi aus s. XIH^XIV,
woraus Bockinger 1. c. IX 2 (1864) einiges mitteilt, die betreffende Stelle
p. 726. — In der Summa de arte prosandi des Conrad Ton Mure, Terfafst
i. J. 1275, ed. Rocldnger 1. c. IX 1 wird p. 473 f. auf die Frage, ob man in
einem Brief Prosa und Vers mischen dürfte, geantwortet, man müsse darin
zurückhaltend sein.
1) Cf. auch W. Giesebrecht, De litterarum stud. ap. Italos (Progr.
Berl. 1846) 28.
2) Cf. das Beispiel bei A. Ozanam, La civilisation chr^tienne chez Ics
Francs (Paris 1849) 466, 1.
3) Besonders bei Liudprand, cf. A. Ebert, G. d. Lit. d. Ma. III (Leipz.
1887) 423.
4) Cf. A. Giry, Manuel de diplomatique (Paris 1894) 460 if.
5) Cf. Ozanam, Des ^coles en Italic auz temps barbares (in: Oeuvres
compl^tes. 2. 6d. vol. n [Paris 1862]) 417.
6) L. Castelvetro, Poetica d' Aristotele vulgarizzata et sposata (1570)
ed. Basil. 1676 p. 21 erklärt eine solche Mischung für ein mostro wie die
Fabelwesen der Centauren (dies Bild nach Uoraz und Lukian); nicht einmal
prosaische Vorbemerkungen wie bei Statins und Martial läfst er gelten.
7) Den Prosastil nennt ^wosaica wo^Zw^aftoAunarius, Bischof v. Auxcrre
8. VII in.), bei Hericus, Vita S. Germani in: AA. SS. BoU. Jul. VII 222.
49 •
758 Der Sta der mittelalteriiclieii Prosa.
sperica, denen kürzlich dorch H. Zimmers glänzenden Nach-
weis^) eine herrorragende Stellung in der Liüeratnr- und Kultur-
geschichte der Übergangsperiode des Altertums zum Mittelalter
angewiesen worden ist. Sie sind, wie Zimmer bewiesen hat,
im VI. Jh. in einem südwestbrittannischen Kloster yon einem
Britten yerfalst, der seinen Goniratres, yor allen den irischen,
zeigen wollte, wie man nach seiner Meinung hisperisches, d. h.
abendländisches, ausonisches oder italisches Latein schreiben
müsse. Über den Satzbau urteilte schon P. Geyer, der nach der
erstmaligen Veröffentlichung durch A. Mai (Class. auci. Y
[Rom 1833] 479 ff.) die Aufmerksamkeit wieder auf das sonder-
bare Schriftchen gelenkt hat (in: Arch. £ lat. Lexicogr. 11 [1885]
255 ff), richtig *), dais in den Sätzen ein bestimmter Rhythmus
heryortrete, der durch eine ganz bestinmit normierte Wort-
stellung innerhalb kleiner, nichtperiodisierter, sondern sich parallel
laufender und fast gleich langer Sätze heryorgerufen werde: das
Verbum nimmt die Mitte des Satzes ein und die übrigen Satz-
teile werden um dasselbe gruppiert, wobei die logisch und gram-
matisch zusammengehörigen Begriffe, besonders Substantiy und
Attribut, fast prinzipiell yon einander getrennt werden, z. B. c. 6^:
Titanetis olimphitim inflammat arotus täbulattim,
thalasicum illustrat vapore flvstrum^
flammivomo secat polum corusco supemum,
almi scandit camaram firmanienti.^)
Der Verfasser that sich offenbar etwas darauf zugute, denn
er sagt in der Vorrede c. 2: hacc compta dictaminum fxdget sparsiOj
at nullos vitioso aggere glomerat logos, ac sospitem lecto
libramine artat vigorein et aequali plasmamine, nieUifluam
populans ausonici faminis per gutttira spargineni; er scheint, wie
1) Nennius vindicatus (Berlin 1893) 291 flF.; s. auch o. S. 754, 2. 3.
2) Cf. übrigens schon A. Ozanam, La ciTÜisation chrätienne chez les
Francs (Paris 1849), 481, der das Ganze nennt ime sorte de po€m en
prose.
3) Ed. J. Stowasser in: Jahresber. über d. Franz-Joseph-Gymn. in Wien
1886/87, cf. dens. in: Arch. f. lat. Lexicogr. EI (1886) 168 ff.
4) Die einzelnen Kola, die ich als Verse abgeteilt habe (cf. Hartel in:
Z. f. d. östr. Gymn. 1888, 471), sind in einigen Hss. meist durch grofse An-
fangsbuclistaben gekennzeichnet, cf. Zimmer in: Nachr. d. Ges. d. Wies, zu
Göttiugeu 1895, 154.
NeoteriBinus : Rhythmische Prosa. 759
J. Stowasser 1. c. 17 bemerkt, das Kunststück der daktylischen
Poesie abgelernt zu haben, in der Wortverschränknngen wie
mollia luteola pingü vaccinia calta (Yerg. ed. II 50)
mollia securae peragebant otia gentes (Ovid met. I 100)
beliebt gewesen seien, doch hat die Zwischenstellung des Yerbum
zwischen Substantiv und Attribut, wie sie ja auch z. B. Cicero
besonders an gehobenen Stellen liebt, in der spätlateinischen
Litteratur genug Analogieen: wird sie doch von einem antiken
Rhetor ausdrücklich empfohlen.^)
Mehr an die Art der rhythmischen Prosa des Querolus Anden
(s. o. S. 630f.) erinnern die mittelalterlichen Schriftstücke, deren
Sätze an gehobenen Stellen hexametrisch auslauten, z. B.
lautet eine Stelle im Prolog der Vita S. Eligii (s. VII) ed.
d'Achery IV (Paris 1723) p. 76: cum gentües poetae studeant sua
figmenta prolixis pompare stilis et saeva nefandarum renovent con-
tagia rerum, ac plürima Niliacis tradant mendacia chartis eorumqtie
vana tantum discurrat gloria, qua veterum nectuni mendacia: ctir
nos Christiani salütiferi taceamus \ miräcula Christi^ cum possimus
sermone vel tenui aedificationis historiam pändere pld)i? So endigen
in einem Brief des Bonifacius (4 p. 29 Giles) zwei sehr nahe
zusammenstehende Sätze reüa dignoscuntur, limina latrat, und in
einer merkwürdigen aus dem XIII. Jh. stammenden rhetorischen
Anweisung für künftige Volksredner*) heifst es in einem Muster-
beispiel (de naufragium passis et spoliis eorumdem): miseremini,
venimus non dllaturi salutem, qua nos et tota patria nostra caret
singultus et lacrymae genas madentes et ora nostra tristes praepe-
1) Cf. lul. Vict. ars rhet. c. 20 p. 433 Halm: inter nomina aut pro-
nominal in eosdem casus cadentia nomen diversi casus interveniat, was z. B.
auch Martianus Capella befolgt, wenn er schreibt Y 426 mülta terrestrium
plehs deorum u. viel dgl. Hrotsvitha Terschränkt in der Vorrede zu ihrem
Gedicht auf Otto I. (p. 802 ff. Barack) fast prinzipiell die Worte. Über die
Arengen von Urkunden aus der Zeit Heinrichs IV. sagt W. Gundlach, Ein
Dictator aus der Kanzlei Heinrichs IV. (Innsbr. 1884) 82: „Das Verbum
geht dem zugehörigen Substantivum oder Participium in der rhetorischen
Bede mit einer gewissen Stetigkeit voran und, wenn das Substantivum mit
einem Attribut verbunden ist, wird es in deren Mitte gestellt." Noch
Aeneas Sylvius, Rhetorica praecepta(Bas. 1551)996 giebt als^praeceptumXIE' :
inter adiectivum et substantivum aliquid mediare dehet.
2) Bei Muratori, Antiquit. Ital. IV 95 ff., cf. A. Ozanam, Des dcoles en
Italie aux temps barbares 1. c. (o. S. 757, 5) 426 f. Man lese nach dem Accent.
760 ^f Stil der mittelalterlicheii Proea.
di%mi, naiufragium promere nastrum. sed pietas vestrOj quod neguä
exprimere linffuOy penset öbnäas insanis esse carmas aguis. devatio
pia, terrae sandae succurrere voUntes^ aceinxerai armis müües quin-
gmios d ultra iotidemque plebeias: qtws ardma p^ppis educta nor
valäms undis ordimiSnts gemmis aeoepU in sedibus aptos. at htvevtes
rfwigare sucH subiio reducunt ad fortia pedora remos et currens
saUu vdoci seoabaf aequora navis. Auch in den ^Valedietiones'
Ton Briefen sdieint es Sitte gewesen zu sein, so zu sdireiben:
über ein Werk, in dem solche GroMormeln gesammelt waren,
K. B. vdle raptim ex Parrhisius ada tarn coena oadenie humime soUSj
vale ex Borna odabris decima vdocius euro, dum nox Uderat süeHÜa
ierris etc. geeist die Schale seines Zorns aas der Tfibinger
Humanist Henricus Bebelins, Commentaria epistolarom
darum ^^1513) f. IX\ XX.
c. Die Beimprosa.
M" Das &fKHor£l£vroy war, wie im Verlauf der Toranagi^aiigenen
B». Untersuchungen gezeigt worden ist, die wesentlichste und am
meisten charakteristische Wortfigur der antiken Kunstprosa. Wie
Wliebt sde auch b^im Volk war, haben wir besonders an
Augustins lYesügten y^S. 621 ff "^ und der oben (S. 629£) angefahrten
Inschrift eines Afrikaners gesehen. Gerade die Autoren des aus-
gehenden Altenums in beiden Sprachen haben reichlichen Ge-
brauch Ton ihr gemacht« und so wurde sie, wie man sagen kann,
die eigentliche Signatur der gehobenen mittelalterlichen
Prosa. Da nach dem seit Gorgias bestehenden StUgesetz die
blioiQTii£VTa in gewissen, sich entsprechenden Satzteilen auf-
treten^ so erhalt dadurch die Bede eine ausgeprägt rhythmische
Färbung: die Reimprosa ist also eine und zwar die am hiufigsten
Torkommende Species der rhythmischen Prosa. Das rhythmische
Element i£t so stark, da£s man gelegentlich solche Prosa f&r
wirkliche Verse angesehen hat, die aus Tolkstümlicher Ober-
liefenmg in die lateinische Sprache herübergenommen seien; so
urteilt A. Ozanam \^La cirilisation chretienne chez les Francs
[Paris 1><49] 122 adn.) über folgenden Passus der Vita S. Galli
''Monum. Germ. ed. Pertz II 5): ecce pereffrini renenifi/ qui me de
templo eiecenmt. en umis illomm es/ in pelago, cui numquam
nocere potero. volui enim reiia sua laednr, S(d wie vidmm probo
*v.
Neoterismus: Beimprosa. 761
lugere. signo orationis est semper clausus nee umquam oppressus:
„peut-etre faulril y reconnaitre le reste cCun anden chant populaire
panni les populatums latines de la Suisse, recueüU plus tard par le
biographe de Saint- GalV\ und in einer gereimten Partie des
Prologs zur Lex Salica wollte in analoger Weise jemand die
Spuren eines fränkisclien Volksliedes wiederfinden, cf. G. Waitz,
Deutsche Verfassungsgesch. ü* 1 (Kiel 1882) 125. Das ist der-
selbe Fehler, den Philologen und Theologen begingen, wenn sie
aus hochpathetischen Stellen, z. B. der pseudohippokratischen
Briefe, der griechischen Deklamatorenfragmente bei Seneca^ einer
Stelle des [Paulus] (ep. ad Tim. I 3, 14flF.), des Homilien&agments
am Schlufs des pseudoiustinischen Diognetbriefes, der Fragmente
des Maecenas und des pseudoxenophontischen Eynegetikos, Verse
herauslasen. Bemerkenswert ist, dafs in den Prosadramen der
Hrotsvitha (s. X) die einzelnen rhythmischen, meist reimenden
Kola durch Punkte von einander getrennt zu werden pflegen.*)
Über die Geschichte der Reimprosa im Mittelalter zu handeln,
muTs ich den Historikern überlassen^)'; mir genügt es, festgestellt
1) Das hat aus der Hs. (cod. Monac. s. X) festgestellt J. Bendixen in
seiner Ausgabe der Komödien (Lübeck 1867), praef. Xff. Z. B. Interim
eram constematus mente. ex ostensae visianis terrore. — Postquam evigilans
huius aolamine visianis. temperäbam tristitiam prioris. — Nam nimium can-
fundor, cordetenus contristor, anxio. gemo. doleo super gravi impietate
mea. — Eapido impetu adveniens, candidulam secus ine columbam repperie^is.
cepit devoravit. subitoque comparuit. Cf. auch R. Köpke, Hrotsuit von
Gandersheim = Ottonische Studien II (Berlin 1869) 162 ff. Die Thatsache
scheint ganz vereinzelt zu stehen, denn eine verwandte Erscheinung (Accente
zur Bezeichnung des Rhythmus in Prosaurkunden) dürfte noch nicht sicher
genug festgestellt sein: cf. G. v. Buchwald, Bischofs- u. Fürsten-Urkunden
des XII. u. Xm. Jh. (Rostock 1882) 44.
2) Es giebt nämlich verschiedene Formen dieser Reimprosa, z. B. ist
besonders merkwürdig eine Form des VII. Jh. : Cinq formules rhythmdes et
assonanc^es ed. A. Boucherie, Montpellier-Paris 1867 (kurze, ganz versähn-
liche Glieder mit eigenartigen Reimen); femer eine ganz rohe Form dieser
Reimprosa, wo die Glieder an Länge ganz verschieden sind und unmotiviert
ein nicht sich reimender Satz zwischen gereimte geschoben wird, cf.
P. Scheffer-Boichorst in: Z. f. G. d. Oberrheins N. F. HI (1888) 182 ff. über
Urkunden s. XQ. Wissen möchte ich vor allen Dingen, wann man ange-
fangen hat, als Reim aufzufassen und zu behandeln auch solche Worte,
die zwar auf gleiche Silben ausgehen, aber keine diioioriXsvta im antiken
Sinne sind, weil sie von ungleicher Flexion sind, wie in dem S. 762 Anm. 2
762 I>« 2<
zu haben, daüi sie das Resultat einer ta eisend jiKr igen
Entwieklnng seit Gorgias gewesen ist und die Sparen ihrer
Entstefanng durchaus bewahrt hat: dazu gdLÖrt, dad sie sich nur
(oder doch fast aosschHeisIich} an gehobenen Steüoi findet^
z. B. mit besonderer Vorliebe in den Arengen, d. h. den hoch-
rhetorischen Exordia der Urkundoiy und dad sie, wozu der
Parallelismus der Glieder von sdbet führte, gern in der Figur
der Antithese auftritt.^ Man nannte diese Schreibart entweder
allgemein Maus retkcricHS^) oder später, als man für die einzelnen
Stile besondere Xamen er&nd, stäms Isidariimus.^) Die Huma-
angefahrteii Beispiel renere — habere, oder bei HzotffTitha adoni — ere-
WMtri etc. — Ist ferner die besonders stark mo^eprägte Beunpro«a der
Chronik des fog. Isidoms ron Beja geschrieben 7»4 in Säd5panien\ woraus
R. Dozj, Becherches snr V histoire et Im Utteratnre de Y Espagne pendant
le mojen äge. Ed. 2 I «Xejden 18<o; 2 ff., Proben Toeffentlicht hat, auf
Bechnnng des Arabischen za setzen oder hat man anch sie ans der Eni*
Wicklung des lateinischen Stüs za erklären? Yielleicht waren beide MoÜTe
wijiuam. — Über deutsche Beimprosa im ICttelalter cf. W. Wackeniagel,
Hdb. d. deutsch. Nationallitt. I > (Basel 1879 § 40.
Ij Man erkennt das z. 6. dentlich aus Ekkehart (t 1080) casus
S. GalH, in den Mon. Germ. ed. Pertz 11 85.
2) Cf. W. Gnndlach, Ein Diktator aus der Kanzlei Kaiser Heinrichs IV
.""Innsbr. 1884) 32. 51. 125; z. 6. quam sicut eeteris fpeeiälius dileetione nastra
dignamur, ita qaoqy^e nobis preciosiora eidem eeteris speeialibus addere ca-
namur, — deus, qui et intisibHi diseiplina ut vertat animum informat et ad
exsequenda in visünlibus guae vortrat soüicitat. — inimicos regis . , . ut sieut
periurii infamia sunt exleges ita bonorum suorum omnium fiant tjkeredes,
Cf. auch Hugo Bononiensis (s. XII) ars dictandi ed. Bockinger in: Quellen
z, bajer. n. dentsch. Gresch. IX 1 (1863) 58 sunt prtter hoc duo necessaria^
id est coma et cola (im Ma. ist dies Wort fem. gen.), sine quibus orator per-
fecta non utitur eloquentia. est coma divisio^ ridelicet subsequens precedenti
non multum inpar positio, quando scilicet distinctione videntur quasi currere.
et sint fere conpares. verbi gratia: ^restrae dilectionis et fraiemitatis litterae
tneas ad aures usque venere: quorum presentiam vtUem si possem pre ocuJis
semper habere \ hoc in epistola est necessarium sine quo tncoMCtfiniijfi con-
fftat omne prosaicum (er giebt dann noch mehr Beispiele). Auch Vincentins
BelloTacensiB behandelt im Speculum doctrinale IV c. 129 unter den Wort-
figuren am ausführlichsten das Antitheton, gestützt auf je ein Beispiel aus
Cicero und der Bibel (ersteres hat er aus den lateinischen Bhetoren, letzteres
aus Augustin).
3) Cf. Odile vita S. Maioli in AA. SS. BoU. Mai. vol. E 688.
4) Cf. Johannes Anglicus (s. XIII) ars dictandi ed. Bockinger 1. c. 602.
Die allgemeiiien Verhältnisse. 763
nisten haben damit aufgeräumt^ indem sie die Anwendung des
byLOiotiksvxov auf die bei Isokrates und Cicero eingehaltenen
Normen zurückführten.
Zweites Kapitel.
Der Stil der lateinisclien Prosa in der Zeit des Hiunanlsians.
I. Die allgemeinen Verhältnisse.
1. Die rhetorisch-stilistische Tendenz war in dem Zeitalter^ fQr PoiemUc dor
welches der Begriff der allgemeinen Bildung echt antik mit dem gegen aJ*
der * Eloquenz' zusammenfiel, zwar von Anfang an stark ver-™** ^***^
treten, aber im ersten Jahrhundert doch noch nicht die einzige:
man denke an Petrarcas glühende Begeisterung für das auf
Restitution der alten Roma ausgehende Unternehmen Colas, an
die Gründung der platonischen Akademie, an die Sehnsucht nach
Kenntnis Homers als des Urquells der Poesie. Man kann also
sagen: anfangs war die Verbesseruug des Stils nur eine Aus-
strahlung des allgemeinen Ringens nach Klarheit und Reinheit
auf Grund der Antike im Gegensatz zum Formenchaos des Mittel-
alters.
Schon Petrarca verglich das Monchslatein einem ver-
krüppelten Baume, der weder grüne noch Früchte trage.*)
Vor allem charakteristisch aber für ihn und die ganze Stellung
des Humanismus zum Mittelalter in Fragen des Stils ist ein von
Petrarca selbst (ep. de reb. fam. XHI 5) mit seiner gewohnten
antiken Liebenswürdigkeit und Eitelkeit geschilderter Vorgang
aus dem J. 1352. Zwei befreundete Kardinäle haben ihn zum
Sekretär der päpstlichen Kanzlei vorgeschlagen, einem Amte, zu
dem man sich seit alters die besten Latinisten aus aller Herren
Länder kommen liefs; Petrarca hat keine Lust, sich irgendwie
zu binden, weifs aber nicht recht, wie er mit guter Manier ab-
lehnen kann: da kommt ihm die Kurie selbst zu Hülfe, sie fordert
nämlich, er solle seinen hohen Stil erniedrigen, denn so gezieme
es sich für die Niedrigkeit des römischen Stuhls. Dieses An-
sinnen erfüllt Petrarca, wie er sagt, mit einer Freude, wie sie
1) Cf. G. Voigt, D. Wiederbeleb, d. class. Altert. I » (Berl. 1893) 85.
764 I^6r Stil des Humanistenlateins.
der empfindet; der auf der Schwelle des yerhafsien Kerkers
seinen Befreier unverhofiFk erblickt: denn in der Probeschrift ent-
faltet er nun erst recht alle Schwingen seines Genies und ver-
sucht eS; so hoch zu fliegen, daüs diejenigen, die ihn fangen
wollen, ihn aus dem Gesicht verlieren möchten: und die Musen
und Apollo stehen ihm bei: quod dictaveram^ magnae parti non
satis intelligibile, cum tarnen esset apertissimum, quibusdam vero
graecum seu magis barbaricum visuni est. en guibus ingeniis rerum
summa committitur. Drei Stilarten, führt er weiter aus, erkennt
Cicero an, den hohen, mittleren und niederen:; in dem ersten
vermag jetzt so gut wie niemand zu schreiben, in dem zweiten
wenige, in dem dritten viele; was aber darunter ist, iam pro-
fecto nullum orationis ingentiae gradnm tenet, sed verborum potius
quaedam et agrestis et servilis ejfusio est, et quamquam mille
annorum observatione continua inoleverit^ dignüatem tarnen,
quam naturaüter non habet, ex tempore non Jiäbebit .... Quid est
igitur quod me poscunt? certe quo nie uti iubent et quem ipsi stüum
nominant, non est stilus . . . Has ad scholas ire iubeor iam
senescens, g^as iuvenis semper fugi. Den Göttern, führt er aus,
sei Dank, dafs Cicero, Seneca und Juvenal, die gegen den Verfall
der Beredsamkeit geeifert haben, diese Zustände nicht erlebt
haben! Man erkennt den Unterschied zwischen der Diktion
mittelalterlicher Menschen und der des Petrarca am deutlichsten,
wenn man neben einander Dokumente liest, die in einer und
derselben Angelegenheit von beiden Parteien verfafst sind, z. B.
die Invektive des Franzosen (eines echten Pariser Scholastikers)
gegen Petrarca und dessen Antwort^), den Brief Karls IV. an
Petrarca*) und die — zum Teil glänzend geschriebenen — Briefe
dieses an jenen ^); diese Dokumente sind um so bezeichnender,
als sowohl der französische Anonymus wie der böhmische König
(bezw. sein Sekretär) in ihren Schreiben an den berühmten
Latinisten sich viel Mühe gegeben haben, aber ohne Erfolg. —
In demselben Sinn hat Salutato speziell gegen die mittelalter-
1) Beide Schreiben in der Basler Ausgabe Petrarcas vom J. 1554
p. 1060 ff.
2) Bei J. de Sade, M6m. pour la vio de Fr. Petr. 11 (Amsterd. 1764),
piöce just. XXXIV.
3) Z. B. ep. de reb. fam. X 1. XIII 1 u. ö.
Die allgemeinen VerbfiliausBe. 765
liehe Reimprosa geeifert^); und für alle Späteren ist, wie jeder
weifs^ bis auf die Epistulae obscuronim viromm das scholastische
Latein ein ^^Schlammpfuhl^ in dem sich Menschen wtlhlen, die
man besser Schweine nenne''; „Menschen, die Gott zur Strafe in
jenem durch Barbarei verseuchten Zeitalter habe leben lassen^,
^^MenscheU; die mehr Soloecismen als Worte machten und die
man daher lieber schnarchen als reden höre" und so weiter.*)
Peinlich war es, dafs man auch Dante, den allgemein verehrten,
von diesem Gesichtspunkt aus mitsamt den übrigen Terwerfen
mufste*): aber das wollte nicht viel heiisen, genügten doch
1) Da die Stelle nicht bekannt zu sein scheint, will ich sie anführen:
Lini Coluci Salutati epistolae ed. Rigacci I (Florenz 1741) ep. 80 (p. 183 f.):
Episcopo Florentino, vidi gavisusque sum elegantissimam illam orationetn
vestram quam mihi dignatus fuistis (sie) vestra benignitate tranamittere ....
Et quum omnia placeant, super omnia gratum erit, guod more fratrum
ille sermo rythmica lucubratione non ludit, non est ibi sylla-
barum aequalitas, quae sine dinumeratione fieri non solet, non
sunt ibi clausulae quae similiter desinant aut cadant. quod a
Cicerone nostro non aliter reprehenditur quam puerile quiddam, quod minime
deceat in rebus seriis vel ab hominibus, qui graves sint, adhiberi. bene-
dictus Sit deus, quod sermonem unum vidimus hoc fermento non
contaminatum et qui legi possit sine concentu et effeminata con-
sonantiae cantilena. — Ganz ähnlich verurteilt der (unbekannte) Verf.
einer in Köln 1484 gedruckten Ars dicendi (bei Panzer, Ann. typ. I p. 292
n. 117. Ich habe sie auf der Kgl. Bibl. zu Berlin benutzt): 1. Xm tract. VI
cap. XII (De similiter desinente) die Beimprosa als puerilitas und erbost
sich über quidam modemi predicatores, die sie trotzdem anwendeten.
2) Aufser den ep. obsc. vir. vgl. etwa noch die Sammlung von K. Hart-
felder, Melanchthon als Praeceptor Grermaniae (in: Mon. Germ. Paedag. VU
1889) 165 ff. L. Bruni Aretini dial. de trib. vatibus Florentinis (1401) ed.
Wotke (Wien 1889) 14f. Erasmus dial. Ciceron. (Opera 1703 vol. I) 1008 D.
G. J. Vossius inst. orat. (1606) 1. IV c. 1. Wie selten dagegen einmal ein
Wort der Anerkennung! Melsöichthon or. de art. lib. (1617) 1. c. (oben S. 746, 2)
von den Scholastikern: aridi sunt ac ieiuni sermonem, fecundi sema. Muretus
notae ad Senecam p. 383 (citiert von Mosheim in der Vorrede zu s. Ausg.
von Vberti Folietae de linguae lat. usu et praestantia [Hamb. 1723] p. 23):
Seneca (ep. 58) klage, dafs er tb öv nicht übersetzen könne, Thomas und
Duns hätten es gethan und es sei unrecht, sie deshalb zu verlachen.
3) Der Stimmung dieser Kreise leiht, ohne sie selbst zu teilen, Worte
Lionardo Bruni in der berühmten Invektive gegen die florentinischen Trium-
vim (1401): Leon. Bruni Aretini dial. de trib. vatib. Florent. ed. Wotke
(Wien 1889) 20 f.: de his loqaamur qua^ ad studia nostra pertinent, quae
quidem ab isto ita plerumqxie ignorata video, ut appareat id quod verissimum
est, Dantem quodlibeta fratrum atque huius modi molestias lectitasse^ libff
766 I^6r Stil des Humanistenlatems.
späteren Generationen bei immer steigender stilistischer Em-
pfindlichkeit nicht einmal Petrarca und Boccaccio mehr.*)
Folgen für 2. Die vom Standpunkt der Humanisten selbst höchst Ter-
ni»tenutoin:hängnis vollen Folgen dieser steigenden Einseitigkeit waren un-
ausbleiblich. Sie sind für uns erkennbar in folgenden zwei für
die ganze Eulturentwicklung sehr wichtigen Symptomen.
autem gentilium, tmde maxime ars stM dependehat, nee eos quidem gut nohis
reliqui stmt attigisse. d^nique ut alia omnia sihi adfuissenty at certe latinitas
defuit. n08 vero non pudehit eum poetam appellare et Virgilio etiam ante-
ponere, qui latine loqui non potest? legi nuper quasdam eins litUras, quas
nie videhatur peraccurate scripsisse — erant enim propria manu atque eitts
aigillo obsignatae — , at fnehercule nemo est tarn rudis, quem tarn inepte
scripsisse non puderet quam ob rem, Colucci, ego istum poetam
tuum a concilio literatorum seiungam atque eum zonariis, pi-
storibus et eius modi turbae relinquam. sie enim locutus est, ut vi-
deatur huic generi hominum valuisse esse frater. Das Urteil über Dantes
lateinische Prosa wird nicht, wie die andern Beschuldigungen, im zweiten
Teil des Dialogs zurückgenommen. — Über den Stil des Albertino Mussato
(t 1329) cf. Voigt 1. c. 18; des Ferreto von Vicenza ib. 19; des Cola di
Bienzo ib. 63. 60, 1 ; des Salutato ib. 201 f. ; des Giovanni di Conversino
ib. 218.
1) Cf. Paulus Cortesius (f 1610) de hominibus doctis (ed. Florentina
1734): huius sermo nee est latinus et aliquanto horridior, sententiae autem
multae sunt sed concisae, verba abiecta, res compositae diligentius quam ele-
gantius. fuit in illo ingenii atque memoriae tanta tnagnitudo, ut primus
ausus Sit eloquentiae studia in lucem revocare: nam huius ingenii magni-
tudine primum Italia exhilarata et tanquam ad studia impulsa ctique ineensa
est, declarant eius rhythmi, qui in vulgus feruntur, quantum iUe vir con-
sequi potuisset ingenio, si latini sermonis lumen et splendor affuisset: sed
homini in faece omnium saeculorum nato illa scribendi Orna-
ment a defuerunt . . . . : qimmquam omnia eius nescio quo pacto sie inor-
nata delectant... Et iisdem temporibus fuit Johannes Boccaccius . . .
Huius etiam praeclarissimi ingenii cursum fatal^illud malum oppressit: excurrit
enim licenter multis cum salebris ac sine circumscriptione uUa ver-
borum; totum genus incondituin est et claudicans et ieiunum,
multa tarnen videtur conari, multa veUe: ex quo intelligi potest, naturale eius
quoddam bonum inquinatum esse pravissime loquendi consuetudifie. L. Vives
de tradendis disciplinis (1631) in: Op. ed. Bas. 1565 I p. 482: non est Ofnnino
impurus (Petrarca), sed squalorem sui saeculi non valuit prorsum
detegere. Ant. Sabellicus de lat. ling. reparatione (Cöln 1529) 10 preist
den Gasparinus Barziza als den ersten, qui ad veteris eloquentiae umbram
oculos retorsit, quum mille et amplius amws semper o^nnia in peius abiissent.
Wie viel gerechter die schönen Worte eines älteren Humanisten bei Nolhac
1. c, (0. S. 734, 1) 426.
Die allgeineinen Yerh<nisse. 767
Erstens. Der lateinischen Sprache, die im Mittel- *) na«
alter nie ganz aufgehört hatte zu leben^) und dem- eine tota
gemäfs Veränderungen aller Art unterworfen gewesen ^p"®'^®-
war, wurde von denselben Männern, die sich einbildeten,
sie zu neuem dauernden Leben zu erwecken, sie zu einer
internationalen Eultursprache zu machen'), der Todes-
stofs gegeben. Die Geschichte der lateinischen Sprache
hört damit endgültig auf, an die Stelle tritt die Ge-
schichte ihres Studiums. Das ist von vielen modernen
Forschern sehr richtig hervorgehoben worden'); ja, wenn man
genau zusieht, findet man, dafs die Erkenntnis den Humanisten
selbst nicht ganz verborgen blieb. Sie kommt deutlich zum
Ausdruck in einem litterarischen Streit des Picus de Mirandula
und Melanchthon, in welchem ersterer die Freiheit des scho-
lastischen Lateins gegenüber der Gebundenheit des künstlich
archaisierenden verteidigt (Corp. reform. IX 678 ff.). Man ver-
gleiche ferner den in den ep. obsc. vir. (ep. 1 p. 4, 35 Bock.)
vertretenen Standpunkt der Scholastiker: non obstat quod
^nostro — tras — trare' non est in usu, qui possumus fingere
nova vocabula, et ipse aUegavit super hoc Horatium (nämlich de
a. p. 52 nova fictaque nnper hdbebunt verha fidem) mit folgenden
Worten des Melanchthon de imitatione (zuerst 1519) p. 493*):
cum hoc tempore tota nobis latina lingua ex libris discenda
est, facile iadicari potest necessariam esse imitationem, ut certum
sermonis genust quod tibique et omnibus actatibus intelligi possit,
nobis comparemus. quis enim inteUigit istos, qui genuerunt no-
vum quoddam sermonis genus, quales sunt Thomas, Scotus
et similes. certa igitur aetas autorum eligenda est, qui propriis-
1) Cf. G. Salvioli 1. c. (S. 696, 8) XIV Ö26 f.
2) Francisc. Yayassor or. m (gehalten 1636, in: Opera ed. Amstelo-
dami 1709) p. 203.
3) Wohl zuerst von Fr. Haase, Do med. aev. stud. philol. (Progr. Bresl.
1866) 26 f. Femer: Yahlen, Lorenzo Valla (in: Almanach d. Kais. Akad.
d. Wies, in Wien XIV 1864) 193. Ch. Thurot 1. c. (S. 748, 2) 600 ff. H. Kämmel,
Gesch. d. deutsch. Schulwesens im Übergang vom Ma. zur Neuzeit (Leipz.
1882) 381. A. Graf, Roma nella memoria e nelle imaginazioni del mcdio
evo n (Turin 1883) 169. H. Rashdall, The universities of Europe in the
middle ages II 2 (Oxford 1896) 696. Alle von einander unabhängig.
4) Ein Teil seines Werkes Elementa rhetorices ed. im Corp. Reform.
Xin 413 ff.
768 ^6f S^ d^s Humanisienlateins.
sime^) etpurissifne locuü sunt.^) Petrarca selbst hatte sich freilich,
auch darin den Instinkt und den weiten Blick des Genius be-
während, eine durchaus freie Stellung den geliebten Autoren
gegenüber zu wahren gewufst: wie es ihm eine Herzensfreude
ist, wenn er sie loben, ein Gram, wenn er sie tadeln muüs, so
will er in der imitatio durchaus nicht seine eigne so unendlich
stark ausgeprägte Individualität verleugnen: das Nachahmende,
sagt er einmal (ep. fam. XXIII 19), solle mit dem Nachgeahmten
nicht die Ähnlichkeit eines Porträts, sondern die des Sohnes zum
Vater haben: providendum, ut cum simile aliquid sit, mülta sint
dissimüia et id ipsum simile lateat nee deprehendi possit nisi tacita
mentis indagine, vi intelligi simile queat potius quam dici. utendum
igitur ingenio alieno utefidumque cohribus, äbstinendum verbis: iüa
enim similitudo latet, haec eminet.^) Das war der Standpunkt der
grolsten Stiltheoretiker des Altertums gewesen (Petrarca kennt
ihn aus Quintilian)^), aber wie im Altertum nur die bedeutendsten
Stilisten, allen voran Cicero, ihn in der Praxis haben behaupten
können, die meisten zu imitatores^ servum pectis herabsanken, so
auch in der Zeit dieser stilistischen Wiedergeburt der Antike:
die Last, die das gestaltende Genie leicht auf den Schultern
trug, drückte die Epigonen nieder; statt die ^Fehler' der
Sprache und des Stils Petrarcas zu rügen, sollte man lieber
hervorheben, dafs er gerade dadurch so liebenswürdig und indi-
1) Eine seltsame Laune des Zufalls, dafs ihm das Wort gerade in
diesem Zusammenhang in die Feder kommen muTste.
2) Cf. ib. p. 500 sMtum est, nunc de numeris praecipere, cum sonus
Unguae latinae hoc tempore non sit mUivus. Ähnliche Äufserungen bei
Erasmus (de rat. conscr. epist. 4 = Op. I 348 A und ep. 633 = Op. HI 724
D — F) cf. G. Glöckner, Das Ideal d. Bildung u. Erzieh, bei E. (Dresden
1889) 12.
3) Besonders eingehend hat er sich darüber ausgesprochen ep. fam. XXn2,
z. B. vitam mihi alienis dictis omare, fateor, est animus^ non stüum . . .
Decet non omnis scribentem stilus: suus cuique fatmandus servandusque est...
Quid ergo? sum quem priorum semitam sed non semper cdiena vestigia sequi
iuvet . . . Sum quem similitudo delectet, non idetititas, et simili'
tudo ipsa quoque non nimia, in qua sequacis lux ingenii emineat,
non caecitas, non paupertas. sum qui satius rear duce caruisse
quam cogi per omnia ducem sequi u. s. w.
4) Das geht mit Sicherheit hervor aus seiner Randbemerkung (bei
Nolhac 1. c. 288) zu Quint. X 2, 27 (^tmttofu), nam saepius idem dicam, non
sit tafitum in verbis^): lege^ Silvan£, memoriter.
Die allgemeinen Verli<iiiBse. 769
yiduell schreibt im Gegensatz zu der mnmienliaften Diktion der
Späteren.
Zweitens. Die endgültige Beseitigung des Lateins i>) Anf-
als lebender Sprache hatte zur Folge^ dafs jetzt den moderner
einzelnen Yolksidiomen eine freiere Bahn zu selb- ^p*»«*»«"
ständiger Entfaltung gegeben wurde. Denn war jenes
Barbarenlatein bis zu einem gewissen Grade fähig gewesen, dem
Gefühl und Denken der Menschen auch bei den praktischen, in
Staat und Kirche eingreifenden Fragen einen deutlichen Ausdruck
zu verleihen, so war das in dem klassischen Latein, der toten
Sprache, nicht mehr möglich^). Dadurch hatte sich nun aber
der Humanismus selbst den schwersten Stofis versetzt. Denn
was waren diese Volkssprachen der Kulturländer in den Augen
der Humanisten? Vom Deutschen und Englischen stand es
ein für alle Mal fest, dals es Barbarensprachen seien, an die
man blofs zu denken brauchte, um ein Fieberschütteln in den
Gliedern zu spüren. *). Die Volkssprachen der romanischen Länder,
das Franzosische und vor allem das Italienische selbst, mufsten
aber den Humanisten, die linguistisch noch unwissender waren
als die Gelehrten des Altertums und daher von einer spontanen,
gesetzmälsigen Entwicklung der Sprachen keine Idee hatten, als
1) Cf. Kämmel 1. c. (S. 767, 3) 381.
2) Auch im Mittelalter galt bei den Gelehrten die Gleichung Teil-
tonice logui und harharice lo^i. Wer liest heute ohne Lächeln die langen
Expectorationen Otfrids in dem lateinischen Prolog zu seinem Gedicht,
wo er sich darüber beklagt, dafs er in einer solchen agrestis lingua schreiben
müsse? Die Barbarismen und Soloecismen dieser Sprache mifst er an der
lateinischen, die für ihn die Norm alles Richtigen ist (p. 10 Piper). Notker
(t 1022) mufs sich in seinem berühmten Brief (zuletzt ed. Piper, Die
Schriften N.*s und s. Schule I 860 f.) weg^n seiner Übersetzungen aus dem
Lateinischen ins Deutsche geradezu entschuldigen: scio quia primum ah-
horrebitis quasi ab insuetis; sed paiUatitn forte incipiant se commendare vobis
et prevaUbitis ad legendum et ad dinoscendumj quam cito capimvtur per
patriam linguam, que^ aut vix aut non integre capienda forent in lingua nofi
proprio. Solche Äi^fserungen wie diese Notkers sind gewifs ganz vereinzelt,
die gewöhnliche Anschauung finde ich besonders drastisch ausgesprochen
in-Ekkeharts IV (f c 1080) casus S. Galli c. 3 (MGH 11 98), wenn er den
Teufel in seiner höchsten Not deutsch sprechen läfst: tot iam ictus et in-
cussiones ferre non sustinens barbarice damans: au wi! mir wi! voci-
feravit. Cf. auch R. v. Raumer, Die Einwirkung des Christentums auf i
althochdeutsche Sprache (Stuttg. 1846) 201 f.
770 I^er Stil des Hnmanistenlateins.
sog. ^depraviertes Latein' erscheinen.^). So hatten sie also
glücklich der Hydra des scholastischen Lateins den Eopf ab-
gehauen^ aber sofort waren neue Köpfe nachgewachsen^ die sich
1) Man sah nämlich Hunnen, Yandalen and besonders Gothen als
die Zerstörer der lateinischen Sprache an. Dieses in solcher Einseitigkeit
ganz wesenlose Phantom spukte in fast allen Köpfen der Gelehrten des
XV.— XVn. Jh. ; cf. L. Valla, Elegantiae (c. 1440) 1. HI praef. (ed. Argentor.
1617) f. 76^ postguam hae gentes (Gothi et Vandali) semel iterumgue
Itäliae infiuentes Bomam eeperimty ut imperium eorutn ita Unguam quoque,
quemadmodum dliqui putant, accepimtts et plurimi forsan ex Ulis oriundi
mwius. argumento simt Codices gothice scripti, quate magna muüitudo est.
guae gens si scriptitram ranumam depravare potuit, quid de lingua ptUan-
dum est? M. Antonius Sabellicus de lat. ling. reparatione dialogus (Colon.
1529) 2 und 8: die Verderbnis datiere sich ex Gothica tempestate; Erasmus
dial. Ciceronianus I 988 (der Gesamtausgabe vom J. 170S) Gotticas voces
atU Teutonum soloecismos. Viel Material bei: A. Schott, Tullianae quae-
stiones (1610) 41. 43. 16S und besonders bei: Ch. Cellarius de origine ling.
Italicae (1694) 90 ff. (in: Cellarii dissertationes academ. ed. Walch, Leipz.
1712). Von der französischen Sprache behauptete man natürlich dasselbe,
cf. Vavassor or. 3 (gehalten 1636) in: Opera ed. Amstelod. 1709 p. 203.
Balzac, Oeuvres U (Paris 1666) 670. Bouhours, Les entretiens d* Aristo et
d' Eugene (1671) 124. 139 (er citiert Jul. Caes. Scaliger, der als selbstver-
ständlich hinstellt, linguam GaUicatfi, Itdlicam et Hispanicam linguae La-
tinae ah ort um esse). Cf. auch unten Anhang I 4b Anm. — Sollte nicht dies
Vorurteil einige national gesinnte und zugleich humanistisch gebildete
Franzosen des XVI. Jh. yeranlafst haben zu den tollen Herleitungen fran-
zösischer Worte aus dem Griechischen statt aus dem Lateinischen? Wer
kann z. B. glauben, dafs ohne eine bestimmte Veranlassung Henri Estienne
in seiner Schrift Conformit^ du langage fran9oyB avec le grec (1666) nicht
gewufst haben soll, dafs frz. despense sich leichter von dispensa als von
dandvriai.g, coin von cuneus als von ymvia herleiten lasse, oder dafs ein
späterer Etymologe bei der Erklärung von vestement an vestimentum vorbei-
gegangen wäre xmd iad^g als Grundwort für das Franz. aufgestellt hätte
(cf. E. Egger, L' hellänisme en France I 110 ff.)? Die Abneigung gegen
'gothische' Drucktypen (cf. A. ßirch-Hirschfeld, Gesch. d. frz. Litt. I 109 f.),
hängt jedenfalls damit zusammen, ebenso die uns geläufige Gegenüber-
stellung des 'gothischen' und ^romanischen' Baustils. — Kur wenige
Gelehrte der früheren Jahrhunderte haben sich von dieser Anschauung sn
emancipieren vermocht. Im XVII. Jh. waren einige ^uf dem richtigen
Wege, indem sie mit scharfem Blick die Gothen -Theorie als falsch er-
kannten, weil sich schon viel früher deutliche Spuren der lingua vulgaris
fänden, z. B. wies man schon ganz richtig auf die Cena Trimalchionis hin
und tadelte diejenigen, die aus ihr die Vulgarismen entfernen wollten. Die
Urteile dieser Gelehrten (zu denen z. B. auch Lipsius gehörte) sind ge-
sammelt von D. Morhof, De Patavinitate Liviana (1684) c. 6 (in seinen
Die allgemeinen Yerli<niBse. 771
trotz heifsen Bemühens als imyertilgbar bewiesen. Dieser Kampf
der Humanisten gegen die Volkssprachen^ die nnpatriotisclien,
beleidigenden Anfsenmgen^ die in ihm zuliebe einem aulserhalb
jeder Entwicklung stehenden unklaren Phantasiegemaide gefallen
sind, bilden in der Geschichte der menschlichen Irrtümer wohl
eins der unerfreulichsten Kapitel*), dessen genauere Behandlung —
sie mufs ja bekanntlich leider schon mit Petrarca beginnen —
ich andern überlasse, wenn sie sich überhaupt lohnt.*) Nur auf
em Dokument, welches uns den lebendigsten Einblick in diesen
Streit gewährt, mochte ich aufmerksam machen: die Schrift des
Ciceronianers Ubertus Folieta aus Genua (1516 — 1581) de
ling. lat. usu et praestantia libri III, Rom 1574 (bekannter in
der von Mosheim zu Hamburg 1723 besorgten Ausgabe). In
Form eines Dialogs legen die beiden Gegner ihre sich schroff
Dissert. academ. et epistol. ed. Hamburg 1699) 517 ff. Das erste mir be-
kamite (von Morhof übersehene) Zeugnis ist: Celso Cittadini in seinem
Trattato della vera origine e del processo e nome della nostra lingua
(1601) ed. Gigli (in: Opere di C. C, Roma 1721). Er polemisiert c. 1 gegen
die Grothen-Theorie und weist weiterhin nach, dafs die Anfänge der ml-
g^en Diktion viel früher liegen. Das Werk ist für jene Zeit wirklich be-
wundernswert (uns erscheint das alles als selbstverständlich): es werden die
ältesten Inschriften und Schriftisteller herangezogen, dann auch spätlateinische
Inschriften und Autoren, Zeugnisse über den sermo müitaris und rtuticua.
1) Ein Analogen aus einem verwandten Eulturkreis ist der Kampf
der Attidsten gegen die xotvif, eins ans einem getrennten Knlturkreis der
Kampf der jüdischen Gelehrten g^en die aramäische Volkssprache zu
Gonsten des klassischen, aber toten Hebräisch (cf. Th. Zahn, Einl. in d. N. T. I
[Leipz. 1897] 17, 9).
2) Für die ältere Zeit cf. Voigt 1. c. 18. 117f. 166. 881; der Brief (de
reb. fam. XXI 16), in dem Petrarca sich wegen seines gleichgültigen Ver-
haltens gegenüber Dante zu verwahren sucht, macht — wenigstens auf
uns — den Eindruck nicht einer Selbstverteidigung, sondern einer Selbst-
anklage, bei der versöhnend nur das uns auch so fremdartige Motiv wirkt,
dafs er ebenso verächtlich auf seine Lauralieder herabsieht. Aus Erasmus
hat höchst bezeichnende Aussprüche gesammelt G. Glöckner, Das Ideal d.
Bild. u. Erzieh, bei E. (Dresden 1889), 10, cf. A. Richter, Erasmus-Studien
(Leipz. 1891) p. XIX. Der humanistisch gebildete Verf. der zu Köln 1484
gedruckten Ars dicendi (genauer oben S. 766, 1) gesteht bei einem Abschnitt
über die vulgäre Reimpoesie (1. XITI tract. VI c. Xu): er würde gern Bei-
spiele geben, aber da er sie nur aus den 'Barbarensprachen' (er meint die
franz. und deutsche) geben könne, so lasse er es lieber. Nachher läfst er
sich aber doch herab, ein Beispiel zu bilden: possum ffraviter aufferre, guod
in mimdo tat sunt guerre.
Norden, antike Konitproia. II. 60
772 Dm Hrnnairirtenlatein imd die modernen Sprachen.
entgegenstehenden Anschaunngen dar. Der Vertreter des italieni-
sehen Idioms fahrt filnf Gründe an (p. 94£ Mosh.): 1) Es ist
a priori mmatörlich, nicht in der Sprache zn schreiben , die im
taglichen Gebrauch ist. 2) Es ist Tom rein praktischen Gresichts-
ponkt ans falsch , denn das Latein wird als eine tote Sprache
nur von den Gelehrten mehr verstanden. 3) Es kostet eine
lange Reihe von Jahren, es zu einer annähernden Vollkommen-
heit im Gebrauch dieser Sprache zu bringen. 4) Wenn aus den
bisher vorgebrachten Gründen folgt, daCs das Latein nicht mehr
geschrieben werden soll, so folgt aus dem jetzt voizubringenden,
dals es gar nicht mehr geschrieben werden kann. Denn jede
Sprache ist dazu da, den Gedanken Ausdruck zu verleihen; das
kann das Latein nicht, weil inzwischen eine vollständige Ver-
änderung aller Verhältnisse eingetreten und eine unzählige Reihe
von Dingen erfunden ist, für die es keine lateinischen Ausdrücke
giebt. 5) Aus diesen Gründen würde folgen, dais man italienisch
schreiben müsse, auch wenn es eine hälsliche Sprache wäre;
nun aber giebt es thatsächlich keine schönere. — Diese Gründe,
die uns so vernünftig erscheinen, sucht nun der Gegner zu entr
kräften. Von der Bitterkeit, mit der der Streit geführt wurde,
kann z. B. die Diskussion über den fünften Punkt eine Vor-
stellung geben (p. 115): Quare dd)emus (beginnt der Vertreter
des Lateinischen) vestigia priscorum persequentes nobüissimam,
patriam, latinam linguam nostram teuere^ popuiari ItcUica prae iUa
ignobili et manca spreta, quippe quae nihil aliud sit quam laüna
lingua carrupta et depravata, — Hoc vero aures ferre non possunt
ingensque piaculum commiüi puto linguam patriam nostram Italam
ita aspere et probrose appeUare, quae non latina corrupta vocanda
sit, sed pulcherrimae mairis latinae linguae pulchrior filia. — 2Vi
vero illam, ut libet, filiam appellato, modo id meminerisy tum eam
conceptam et natam, cum misera parens omni barbararum gentium
colluvioni prostituta ex incesto concubitu iUam protulii. — Tu vero
vide, quanto te parricidio patriae obstringas, — Meo pericuio pecco.
quid autem per deum immortalem est indignius, quam filiam hone
degenerem et notham tanta esse audacia tamque proieda impudentiaf
ut matrem per summum scelus et impietatem extinguere conetur?
Sie sei gerade gut genug für vulgus et opifices, denen man sie
immerhin lassen möge.
Der CiceronianismuB und seine Gegner. 773
n. Das Htunanistenlatein und seine Binwirknng auf die
modernen Sprachen.
A. Der Ciceronianismus und seine Gegner.
Wir haben gesehen, dals durch den Humanismus die latei- i. iMe
nische Sprache zu Grabe getragen wurde. Petrarca hatte das ^^
Monchslatein einem verkrüppelten Baume verglichen und ein
franzosischer Dichter (Clement Marot) von den Ejiospen ge-
sprochen, die zu neuer Blüte sich erschlossen, nachdem ein
eisiger Wintersturm sie hatte verdorren lassen. Nun (um im
Bilde zu bleiben), diese neuen Pflanzen wuchsen nicht mehr auf
einem, wenn auch gealterten, so doch noch zeugungsfähigen
Boden, sondern waren Eunstpflanzen des Treibhauses. Die
Parole lautete von jetzt ab: imitatio, aber die Frage war:
imitatio wessen? Um sie wurde der Kampf länger als ein
Jahrhundert mit einer Erbitterung geführt, die wahrlich einer
besseren Sache wert gewesen wäre: quiie (imitatio), sagte einer ^),
cum vehementer muttomm animis non solum in Italia sed et in
aliis regionibuSf in quibttö Jxmae liUerae vigent, insederit, ita liUera-
torum ingenia torquet^ ut nulla unquam de re acrius magis-
que capitali inter eos odio meo iudicio certatum sit Für
Petrarca spielte, wie bemerkt (S. 768), diese Frage verhältnis-
mäfsig noch eine Nebenrolle: stand auch für ihn in der Prosa
Cicero, wie in der Poesie Virgil, schon durchaus im Vorder-
grund, so dachte er doch nicht daran, ihn allein auf den Schild
zu erheben und sich ihm als Sklave unterzuordnen: er umfafste
sie alle mit zärtlicher Liebe, * seine' auctores, weil ihm jeder
Einzelne das Bild jener Zeiten vervollständigte, in die er sich
sehnsuchtsvoll hineinträumte, er korrespondierte wie mit Cicero,
so auch z. B. mit Varro und Seneca. Aber als bald nach
Petrarca das rhetorisch-stilistische Element sich mehr und mehr
vordrängte und schliefslich zum allein herrschenden wurde, als
durch die Bemühungen der grofsen Sammler der Kreis der
Autoren, die man glaubte auffinden zu können, geschlossen war,
da wurde man wählerisch: an die Stelle der Vielheit trat für
die imitatio der grofse Eine, Cicero. Die Nachahmer Ciceros
1) Floridas Sabinus adversus Stephani Doleti Aarelii calmnnias b'^'^
(Rom 1541) 7.
60^
774 I)&8 Homanistenlatein und die modemen Sprachen.
nannten sich und wurden von ihren Gegnern genannt Cicero-
niani, eine nicht gerade klassische Bezeichnung, die man wohl
einem berühmten Brief des Hieronymas (ep. 22) entnahm.
Eine Geschichte dieses Streites giebt es noch nicht/), auch
beabsichtige ich nicht, obwohl ich mir seine Akten einigermaGsen
vollständig, wie ich glaube, gesammelt habe, sie zu liefern, weil
sie, an sich unerfreulich^, einem zu geringen Interesse begegnen
dürfte. Doch mufs ich zum Verständnis des Folgenden (B), das
mir wichtig und allgemein interessant erscheint, ein paar mehr
allgemeine Momente herausheben.
Es waren hauptsächlich zwei Argumente, mit denen die
Anticiceronianer operierten.
2. DieAnti- Erstcus. Ihr könnt, sagten sie, eine Unzahl von Dingen
nianer. dcs gewöhnlichen Lebens nicht ausdrücken, weil euch dafür die
1) B. Sabbadini, Storia del Ciceronianismo, Turin 1886, behandelt nur
die Anfänge. Eine gedrängte Übersicht bei Q. Bemhardy, Grundrifs d. röm.
Litt.* (Braunschw. 1872) 116 fF. Über die verschiedenen Parteien orientiert
gut schon der spanische Humanist Matamoro de formando stilo (1570), c 11
(in: Opera ed. Madrid 1769 p. 603 ff.)* Einige die imitatio betreffende
Schriften sind abgedruckt in: Fr. Andr. Hallbauer, Collect, praestantissi-
morum opusc. de imit. orat., Jena 1726. Die Hauptführer der Ciceronianer
fafst zusammen Will. Camden in einem lateinischen Gedicht auf den
englischen Ciceronianer Boger Ascham, gedruckt bei Giles in seiner Ausg.
A.*s I 1 (Lond. 1866), sowie Ascham in einem Brief an Sturm vom J. 1568:
bei Giles vol. U ep. 99 p. 186 f.
2) Aber — das sei erlaubt, in einer Anmerkung zu betonen — man
kann doch sehr vieles daraus für das Verständnis Ciceros lernen, wie ich
schon oben (S. 213 f 218) hervorgehoben habe. Für mich wenigstens haben
manche dieser Schriften das Verständnis ciceronianischer Kunst geradezu
vermittelt, und meine Ansicht ist, dafs tmser Schulunterricht in vielen
Punkten daraus verbessert werden könnte. Wie wenige nehmen heutzutage
aus der Schule ins Leben mit sich die Bewunderung Ciceros als Redners
und Stilisten! Aber ist das auch anders denkbar, wo es vorkommt , dals
Lehrer ihre Schüler sofort übersetzen lassen, ohne dafs vorher die latei-
nischen Worte gelesen werden, auf deren Stellung und Zusammenf&g^ng
doch eben der hauptsächliche, oft alleinige Beiz beruht? Wir müssen
Ohren und Zunge schulen durch wiederholtes lautes Lesen, erst des einzelnen
(vorher sorgfältig auf seine oratorische Kunst analysierten) Satzes, dann
des ganzen Abschnitts, dann der ganzen Bede: dann werden wir unsere
Schüler nicht langweilen, sondern sie etwas von dem Zauber empfinden
lehren, durch den die Hörer des Mannes und zahllose Generationen nach
ihm gebannt wurden.
Der Ciceroniaidsmns und seine Gegner. 775
Worte bei Cicero fehlen; ihr müfst daher zu Umschreibimgen
greifen^ die absurd und oft anyerstandlich sind. Diese An-
schauung tritt besonders klar hervor in der Kritik, der Jnstus
LipsiuSy ein Führer der Anticiceronianer, die venetianische
Geschichte (Rerum Yenetamm historiae 1. Xu, erschienen 1551,
vier Jahre nach des Verfassers Tod) des Pietro Bembo, des
Haupts der Ciceronianer, unterzieht in einem Brief an Janus
Dousa (wahrscheinlich aus d. J. 1588). ^) Er tadelt die affektierte
Nachahmung Ciceros, die zur Folge habe, dafs universa scriptio
composita et formata ad aevum priscum et omnia sie de re Veneta
quasi de potenti illa re Bomana. hoc fero; etiamne verha oninia
ex iüorum moribus tracta ad hos nostros . . .? hoc, ut mea guidem
fnens est, damno et faUor aut tu et viri omnes tnecum. ecce patres
conscripti semper Venetorum senatus, ipsae VeneHae xor' i^ox^
urbs, anni numeraü non a Christo nato sed ah urbe condita ....
üla iam yslaötä xal iy&x htuixcä: rex Urbini, rex Mantuae,
rex Populoniae: quid censes eum dicere? duces; atque item dur
catus ipsos regna .... nee in titulis solum isti lusus sed in no-
minibus ipsis. quäle iUud de Ludovico Gaüorum rege, quefn
Aloysium (magis ^fOfuctötC scUicet) ubique appeUat et alibi cum
faceta additiunctda quem isti (qiii isti? barbari nos et inepti)
Ludovicum appellant. quid quod etiam in divinis rebus haec
sibi permittit et fides nostra non nisi persuasio Uli est, excom-
municatio aqua et igni interdictio, peccata morituro remittere
deos superos manesque Uli placare, ipse deus raro in stilo
aut animo, sed prisco ritu dii immortales .... atque adeo, quod
oninem skdtitiam superet, prudens Hie senatus Venetus ad lulium
pontificem publice scribit uti fidat diis immortalibus, quorum
vicem gerit in terris. fdicem te geniis et patriae, Bembe: quia
si nostrum äliquis trans Alpes sie scripsisset, profeeto non tulisset
impune. iam quae periphrases in eo et circuitus verborum: senatus
Venetus dono misit Aloysio regi Oallorum aquilas sexaginta ex
earum genere quibus in aucupio reges consueverunt quid
aquilas? ita falcones tibi dicere religio est? . . . scribis ibidem da-
natas regi pelles pretiosiores canis ab summa inter nigrum
colorem conspersas ducentas. quae istae sunt? genettas dicis
an potius zebdlinas? quin, malum, exprimis et res novas novo
1) In den Epist. misc. centur. II n. 57.
776 ^^^ Humanistenlatein und die modernen Sprachen.
dliguo nomine dids? si purüati sermonis tui metuiSj adde *ut vtdgo
dicimus': nihil infuscas u. s. w. Wer mehr dergleichen wünscht,
findet es bei Erasmus in seinem Dialogos CiceronianuS; der er-
götzlichsten in dieser Sache 'geschriebenen Satire, op. (ed. 1703) I
992£^) Strebaens de verb. elect et coUoc. (Bas. 1539) 109.
Gaussin eloquentiae sacrae et homanae parallela (1619) 627.
H. Stephanus, Nizoliodidascalns (Paris 1678) 169 ff. Mabillon
de studiis monasticis (1619) 185 f. (der Ausg. Yenetiis 1729).
Wenn in der oben (S. 771) citierten Schrift des Ubertus Folieia
im zweiten Buch, welches die ganze Frage ausführlich behandelt,
die Berechtigung der modernen Worte dadurch motiviert wird,
daCs auch Cicero griechische Worte gebrauche, so ist das doch
ein verzweifelt schlechter Ausweg, denn das Griechische war in
Ciceros Augen eine, vielmehr die Eultursprache, die modernen
Idiome in den Augen der Humanisten Barbarensprachen. Wenn
wir unser Urteil in dieser ganzen Frage fällen, so werden wir
sagen: das Vorgehen der Ultras im ciceronianischen Lager war
widersinnig, aber der Besserungsvorschlag der Gegner gUch dem
Versuch, einem Toten neues Leben einzuflöCsen. Das Facit lautet:
man war aa einem Punkt angelangt, wo es nicht weiterging,
der Humanismus hatte sich infolge seiner einseitigen Beschrän-
kung überlebt und mufste seine Rechte an die vielgeschmähten
modernen Sprachen abtreten.
Zweitens. Cicero allein sollte nicht zur imitatio dienen,
so weit war man endlich gekommen, denn die Ultras hatten den
unablässigen Angriffen nicht standhalten können, besonders
durch die scharfe Zunge des Erasmus waren sie ziemlich all-
gemein zum Gespött geworden. Wen also sollte man nach-
ahmen? Das war nun die weitere Frage, in der eine Einigkeit
nicht zu erzielen war, denn hier waltete individuelle Neigung
ob. Lipsius zog bekanntlich Seneca und Tacitus dem Cicero vor
und setzte daher an die Stelle der langen und kunstvollen Perioden
den zerhackten pointierten Satzbau; auch liebte er alte Worte. ^)
1) Für Christus sagten sie z. B. Apollo oder Aesculapias, sehr cha-
rakteristisch.
2) Cf. z. B. Balzac Oeuvres n (Par. 1666) 608, wo er mitteilt rtri
magni iadicium de imitatione Lipsianae Laiinitatiß: Si quiß scribere L<sUne
vellet, a Pacuvio et Ewnio demortua accersebantur verba; sältiUibcifU periodi;
maera teiuna ac famelica oratio, aucco omni, nervis destiMa omnibua et
Der Ciceroniamsmus and seine Gegner. 777
Das lielis man sich scUielslich noch gefallen^ denn jene beiden
waren Antoren^ die offen zu tadehx man sich doch nicht recht
herausnahm; obwohl einige sich für die Herabsetzung Senecas
auf Quintilian beriefen.^) Aber nun kamen andere , die sich an
die allgemein verpönten Autoren heranmachten, vor allen an
den Unglücklichen; dem es nicht vergessen wurde, dab er einst
in einen Esel verwandelt worden war. Man fing an, blendend
und pikant zu schreiben, indem man alle jene pigmenta anwandte,
mit denen, wie früher gezeigt wurde, die spätlateinischen Schrift-
steller ihre ärmlichen Gedanken herauszuputzen versuchten: es
begann die Periode der concetti, zunächst im lateinischen Stil.
Über diese Skribenten fiel nun alles her, sowohl was sich
Ciceronianer wie was sich Anticiceronianer nannte, denn den
Gebildeten unter den letzteren war es natürlich höchst peinlich,
dafs man sie in einer Gesellschaft sah, die ihre Partei nur
kompromittieren konnte. Ein wunderliches Durcheinander, in
dem Schimpfwörter fielen, als ob es sich um Majestätsverbrechen
handelte. Für uns, die wir kühlen Sinnes, von der sicheren
Warte der historischen Beobachtung in dies Gewimmel hinab-
blicken, bietet sich eine frappante Parallele aus dem Altertum
selbst. Hatte doch einst Quintilian und seine Partei mit nicht
copia, pundulis guibusdam et ätttmunculis aut membria inierim praecisis et
interrogatiunculis äbrupta, nauseatn fastidiumque sui pariehat o. 8. w. Dm
meint Io8. Scaliger in dem interessanten Gedicht De stilo et charactere,
in dem er die verschiedenen Arten des lateinischen Stils seiner Zeit Revue
passieren läXst, ohne direkte Nennung der einzebien Vertreter, aber so, dafs
man wenigstens damals wissen mufste, wer gemeint sei. Auf Lipsias be-
ziehen sich sicher folgende Verse:
offendit cUioa planiUu aegudbüis,
quam (Jaesar olim, quam colebat TuUius,
canstrictae in arctum quas iuvant argutiae,
quae per sälebras stUtitant, tum ambulant,
et dum legentis haeret exapectatio,
inteUigendum quam Ugendum plus ferent
(los. Scaligeri poemata omnia ex maseo Scriverii, ed. 2 [Berlin 1864] n. 14
p. 20flF.).
1) Z. B. l&fst der Jesuit Vavassor or. 8 (Pro vetere genere dicendi
contra novmn, gehalten 1686, in seinen Werken ed. Amsterd. 1709) p. 208
den Quintilian auftreten und ihn perorieren gegen die Verehre?^ '^
quem vo8 in amaribt^ nwnc habetis, quem tanquam numen ot
778 l^&B Humanistenlatein und die modernen Sprachen.
geringerer ivKftoQriöia als Bembo und Genossen die Nachahmung
Giceros dekretiert^ und was war die Folge gewesen? Nach
kurzem erfolgreichen Bemühen war der Zusammenbruch der
ganzen Scheinarchitektur erfolgt: der Lebende forderte gebieterisch
sein Recht und nahm es sich trotz dem Entsetzen der reaktionären
Theoretiker; es erstanden Appuleius, Sidonius und wie sie sonst
heÜBen, jene Skribenten der Decadencezeit: ihre treuen Spiegel-
bilder sind eben diese Autoren der Spätrenaissance^ die sich mit
ihren Farben putzten.^)
Ende dM Etwa seit dem letzten Drittel des XVII. Jh. hat dieser Streit
aufgehört. Endlich begann man, wesentlich gestützt auf das
Griechische, dessen Kenntnis sich erweiterte^ das einseitig rhe-
torisch-stilistische Moment des Humanismus zurücktreten zu
lassen und in den wahren und unvergänglichen Geist der Antike
einzudringen. Diese Vertiefung ist wesentlich ein Verdienst des
entwickelten deutschen Protestantismus gewesen , während der
jesuitische Unterricht nach wie vor ängstlich bemüht war, die
streitet.
1) Es giebt zahlreiche Belege, yon denen ich nur ein paar anführen will.
Pico della Mirandola (in: Bembi opp. Vened. 1729) 882 vetustoa üha et cario-
808 Bomanorum augurtwi et Mutiorum frcUrum coph%no8 adewnt, atque cum
re8civertmt Catonem et Ennium dita88e patriam, in eorum etiam 8upeUecHlem
praedabundi et populabundi penitus irrwunt. nee deswnt q\U asinum cum
exisUment bellum animcd et aureum, de iUiu8 pili8 8%b% l(icemam conficiunt.
Andr. Schott us S. J., Tullianae quaestiones (Antwerp. 1610) 44: vixertmt
hoc temporum infeliciUxte haXbi potiu8 quam di8erti 8cnptore8, Symmcu^MS
Appuleiu8 Ca8siodoru8 Sidoniu8 ApoUinart8 Fulgentius Planciade8 Martianus
Capella et Boeihiu8, in quibu8 illustrandie hac tempestate recentiores tantum
operae ac düigentiae po8ui88e vehementer eguidem miror, neglecti8 interim
meliori8 notae auctoribu8\ yon Appuleius: cum quo rudere hoc 8aecfdo pleri-
que quam cum Cicerone loqui mdlunt (cf. gegen ihn besonders noch p. 58 ff.).
Femer etwa noch: Paul. Cortesius prohoem. in 1. I sententiarmn ad Inl. IL
pont. max. (1508) ed. Bas. 1518 f. 1^. Vives de ratione dicendi (1582)
1. n p. 114 (in: Opera ed. Bas. 1555). Baco de Verolam de augmentis scien-
tiarum (1605) L I p. 15 f. (in: Opera ed. Lips. 1694). Vavassor S. J. 1. c
(S. 777, 1). lanus Nicius Erythraeus oft, z. B. ep. ad diverses (ed. J. Chr.
Fischer, Köbi 1789) 1. m 10 (1630). IV 13 (1684). V 10 (1636). Albertus de
Albertis S. J. Thesaur. eloquentiae sacrae profanaeque per actionem
contra eiusdem corruptores erutus (Coloniae 1669) 9, 49 f., 80 f., 97 ff., 190f,
429 ff.; an letzter Stelle giebt er eine (selbstgebildete) Probe mitsamt Ver-
höhnung, ebenso H. Bebel, Commentaria epistolarum conficiendamm
(1513) f. 15^, cf. id. de modo bene dicendi et scribendi (c. 1505) f. CXXIIII'
(der Ausg. von 1515).
Der Ciceronianismus und seiiie Gegner. 779
Autoren nur als Mittel zur Bildung des Stüs zu leaen^). Doch
jene neue Richtung der humanistischen Studien zu verfolgen
gehört nicht hierher. Ich will vielmehr versuchen, der Frage
näher zu treten, welchen Einflufs die soeben dargelegten
1) Vortreffliche Bemerkungen darüber bei dem anonymen Verf. (es ist,
wie mir mein Kollege J. Hanssleiter mitteilt, G. F. Nägelsbach) eines noch
heute lesenswerten Aufsatzes: „Das BewuTstsein der protestantischen Kirche
über die Noth wendigkeit und Methodik des klassischen Unterrichtes** in:
Z. f. Protestantismus u. Kirche (herausg. yon Harless, Erlangen) 1888 p. 66fif.
83 ff. Nur ist nicht richtig, wenn der Verf. dies Prinzip schon yon Anfang
an in den protestantischen Schulen mafsgebend sein ISist: das widerlegt
doch schon das Stürmische Gymnasium, über dessen Anlehnung an die
jesuitische Unterrichtsmethode G. Paechtler S. J., Ratio studiorum et in-
stitutiones scholasticae s. J. (in: Mon. Germ, paedag. V 1887 p. VI) richtig
urteilt. Luther freilich hat auch hier einen yiel weitem Blick gehabt, wie
die yon Nägelsbach p. 70 aus seinen Schriften angefahrten Sätze beweisen,
aber es fehlte yiel, dafs diese theoretische Einsicht gleich praktisch durch-
geführt wäre, dazu war die Zeit noch nicht reif, wie keiner besser als
Melanchthon, der enragierte Ciceronianer (cf. Corp. ref. XTTT 492 ff.), lehrt. —
Für die Geschichte des jesuitischen Unterrichts besitzen wir jetzt das ge-
nannte ausgezeichnete Werk eines Mitglieds der Gesellschaft G. M. Paechtler,
welches sich über mehrere Bände der Mon. Germ. Paedag. erstreckt (TL. V.
IX. XVI, der letzte yon B. Duhr S. J.); hier findet man für die im Text
ausgesprochene Behauptimg massenhafte Belege, z. B. wird in der Studien-
ordnung yom J. 1586 in dem Abschnitt De libris (Mon. V 179 f.) sogar die
Lektüre der Dichter einzig wegen des rhetorischen Materials, das sie bieten,
empfohlen und eine Auswahl aus den yerschiedenen Gattungen der Poesie
gewünscht, woraus zu ersehen sei, quis Stylus historicus^ quis poeticus, qu,i8
epistolaris, quae dicendi genera. — Daher waren die Jesuiten im XVI. und
XVn. Jh. die Vorkämpfer des Ciceronianismus: die gröfste Anzahl der S. 778, 1
Genannten gehörten ihrer Gesellschaft an, cf. aufserdem noch eins der
frühsten dieser Werke: Gauss in S. J., Eloquentiae sacrae et humanae pa-
rallela 1619, reich an feinen stilistischen Bemerkungen und yon mir öfters
citiert; Perpinianus S. J. (yerherrlicht yon Andr. Schottus S. J. in seiner
'Hispaniae bibliotheca' 11 [Frankf. 1608] 287 ff.) ad Bomanam iuyentutem
de ayita dicendi laude recuperanda or., gehalten zu Bom i. J. 1564 ed. in:
Petri loannis Papiniani Valentini e S. J. or. duodeyiginti. Ed. IV. Ingol-
stadt 1599 p. 888 ff.; Nigronius S. J. de imitatione Ciceronis, gehalten 1583,
in seinen zu Mainz 1610 edierten Beden n. XVI. XYIL Xvill, gerichtet gegen
die, welche Cicero einen 'Asianer' nannten. Die berühmteste jesuitische
Rhetorik wurde yerfafst yon Cyprianus Soarez aus Ocana (f 1598); sie
erschien zuerst 1566 unter dem Titel De arte rhetorica libri tres ex Aristo-
tele, Cicerone et Quintiliano deprompti und erlebte eine grofse Anzahl
yon Aullagen, die zusammengestellt sind yon A. de Backer in : Bibliothöqne
des ^criyains de la compagnie de J^sus 11 (Liäge 1854) 569.
7^> IM« Hatn— iiferahtea und die
Yorginge aaf die Aasbildong des Prosastils der mo-
dernen Sprachen gehabt haben.
B« Der Einflnfs des Hnmanistenlateins anf den Prosa-
stil der modernen Sprachen im XYL und XML Jh.
SßmTtiMMip Die Hnmanisten haben, wie bemerkt, die Ton ihnen Ter-
p&nten modernen Sprachen dnrch den Todesstols, den sie der
lateinischen Sprache gaben, in ihrer Entwicklung gefordert
Wenn sie sich einmal herablielsen, der 'barbarischen' Idiome zn
gedenken, so pflegten sie daran die Ermahnung za knüpfen, jene
sollten sich den antiken Stil zum Master nehmen; so sagt der
spanische Humanist Vives de tradendis disciplinis (1531; in:
Opera ed Bas. 1555 yoL I) 463: die romanischen Sprachen (das
Italienische, Spanische und Französische) seien aus der latei-
nischen abgeleitet, quas maxime expediret latino sermcm assuescere,
tum ut cum ipsum et per eum artes amnes probe inißOigeretU, tum
ut sermonem suiim patrium ex illo vdut aqua eopiosiics ex
fönte derivata puriorem atque opulentiorem redderent Wie
selbstverständlich diese Anschauung war, ersieht man besonders
daraus, dafs sogar ein Schriftsteller, der im Gegensatz zu den
meisten anderu der damaligen Zeit die Vollkommenheit der
französischen Sprache nachzuweisen unternahm, Du Bellay, in
seiner 1549 erschienenen Deffence et illustration de la langue
Franfoise ein Kapitel (8) einlegt, welches handelt öT amplifier^)
la langue Francoyse par V immitation des anciens Aucteurs
Grecz et Bomains.^
1) Diei, das opülenttorem reddere, wie es Vives 1. c. nennt, scheint der
gewöhnliche Terminus gewesen zu sein. Vgl. noch folgende (von Fr. Land-
mann, Der Euphuismus [Diss. Giefsen 1881] 62 citierte) Äufserung des Sir
Thomas Eljot in der Vorrede zu seinem 1633 erschienenen Buch Of the
knowlodge which maketh a wise man: His hignesse (König Heinrich VIII)
henignely receyving my bocke, whiehe I named the Gov€rnour (erschienen 1631),
in te redynge iherofsoone perceyved, (hat I intended to augment ourEnglyshe
tonguc und zwar, wie er ausführt, aus dem Griechischen, Lateinischen und
andern Sprachen. Cf. auch Alphonso Matamoro, den spanischen Humanisten
8. XVI, in: Opera ed. Matriti 1769 p. 429: Ciceronem omnihus eoneiona-
toribvs propomiy quem in omnibus Unguis nemo non imüaretur: de vtdgaribus
autvm Unguis loquor, quae nohis sunt vemaculae, quas Ciceronis artificio
informandas censeo.
2) DüDselbou Standpunkt vertrat Ronsard, worüber cf. E. Borinski,
Poetik der Renaissance (Bcrl. 1886) 206f.
Die 'Verbesserong' der modemen Sprachen. 781
Dafs die aulserordentliche Verbreitong der Kenntnis derDerEinUnf
klassischen Sprachen im XVI. und XVII, Jh. auf die Gestaltung giJJetoin.
des modemen Prosastils bei allen europäischen Eulturyölkern
von bedeutendem Einfluls war, ist allgemein bekannt und zu-
gegeben. ,;In allen Litteraturen des modemen Europa labt sich
der Gährungsprozeis^ der sich in dem Bestreben nach Einführung
neuer Ideen ^ neuer Formen ^ ja selbst neuer Konstruktionen in
der heimischen Sprache äuiserte, verfolgen und man muls sagen,
in der ersten Zeit; ja in den ersten Jahrhunderten, hat dieser
ProzeCs auf die selbsstandige Entwickelimg der Sprachen und
Literaturen Europas in gewisser Beziehung nachteilig gewirkt
Italien machte diesen Prozefs am schnellsten durch und war
am frühesten fertig, es folgen dann die übrigen romanischen
Literaturen, besonders Frankreich und Spanien, dagegen haben die
germanischen Literaturen, namentlich England und Deutschland,
längere Zeit gebraucht, das Neue mit dem Einheimischen zu
verschmelzen.^^) Die anfönglich nachteilige Wirkung erklärt
sich daraus, dals im XVI. und XVII. Jh. in Bezug auf die Aus-
wahl der klassischen Muster jene Perversität des stilistischen
Geschmacks herrschte, die ich eben behandelt habe; die beste
Analogie bildet das Verhältnis des Rokoko- und Barockgeschmacks
zum Elassicismus der eigentlichen Renaissancekunst. Ich will
nun versuchen, das durch ein paar Beispiele zu beweisen; da
mir die Führer fehlten, habe ich mich mit den Quellen selbst
vertraut gemacht, wobei mir gewifs manches entgangen ist.
1. Der Elassicismus.
Dafs Frankreichs Boden für die Au&ahme der antiken Frankrcioi
Rhetorik so geeignet wie möglich war, hat sich aus den Unter- .^tike
suchungen dieses ganzen Werks ergeben. Bis auf den heutigen ^'*'*^'***
Tag gut, dafs „der franzosische Prosastil sich den Vorrang be-
wahrt hat, als Eunstprosa mit der antiken und nicht blofs der
romischen Eunstprosa verglichen werden zu können*'.*) Die
1) Fr. Lan^^T^ftTiTi^ 1. c. 26. — Einflüsse der lateinischen Periodisienmg
auf französische Autoren der ersten HfiJfte des XVI. Jh. werden gestreift
von A. Birch-äirschfeld 1. c. (o. S. 770, 1) 78. 79. 80. 92. 121. 278 mit
280 f. mit Anm. 14.
2) V. Wilamowitz, Eur. Her. II« 200, cf. o. S. 2, 1.
782 DS'S Humanistenlatein und die modernen Sprachen.
rhetorischen Schriften des Dionys von HalikamaDs gehorten hier
zu den am frühsten gedruckten Büchern ^ die feinsinnigste rhe-
torisch-stilistische Schrift des Altertums (fitsQl ütlfovg) fand hier
früh volles Verständnis; schon 1562 druckte Henri Estienne die
Reden des Themistios, 1567 die des Polemon und Himerios.^)
BaiMc. Yüi einen der besten Prosaisten galt bei seinen Zeitgenossen
und gilt wohl noch heute Balzac (1594 — 1654); virum ad ele-
gantias omnes factum nennt ihn einer ;^ es giebt; wie auch ich
zu konstatieren vermag; vielleicht keinen Schriftsteller ^ der in
einem modernen Idiom mit solcher Grazie den Stil der besten
alten Autoren nachgeahmt hat, der ihn^ was mehr sagen will;
sich so zu eigen gemacht hat; daCs man die Nachahmung nicht
mehr als solche unangenehm empfindet. Er besafs einen er-
lesenen Geschmack: er bewundert Aristoteles und Cicero als
Theoretiker; DemostheneS; CicerO; Livius als Redner und Schrift-
steller; Terenz und Yergil als Dichter ; während er die Autoren
der späteren Zeit mit Phaethon und Icarus vergleicht (Oeuvres II
[Par. 1665] 558); er besitzt eine aufserordentliche Belesenheit
in der griechischen Litteratur, so dafs er einem Schriftsteller
Entlehnungen aus Themistios nachzuweisen vermag (ib. 569);
er spricht sich energisch gegen Übergriffe der Poesie in das
Gebiet der Prosa aus (ib. 570 f.). Und wenn er auch Pointen
keineswegs scheut^), so hat er doch dabei die schmale Grenze
des Erhabenen gegen das Lächerliche selten oder nie über-
schritten.*)
1) Cf. im allgemeinen E. Egger 1. c. (o. S. 770, 1) 11 147 ff.
2) D. Morhof de Patavinitate Liviana (1684) c. 7 (Dias. acad. et epistol.
p. 533). Von ihm sagt, ohne ihn zu nennen, sein Zeitgenosse de la Mothe
le Vayer, De V Eloquence Fran9oi3e 1638 (in: Oeuyres II 1 [Dresden 1756]
236): paur ce gut est des nombres et du sott des periodes, ü fawt awuer que
notre laiigage a regu depuis peu tant de graces pour ce regard, que naus ne
voions gueres de periodes mieux digeries, ni plus agreäblement toumies dans
Demosthene ou dans Ciceron, que sont Celles de quelques-uns de nos JEcrivains . .
L' un d' entre eux, que je croi avoir le plus meriU en cette parHe^ comme
au reste des ornenums de notre Langue, a couru la fortune de tous ceux qui
excellent en quelque profession, par V envie qui s* est particulierement attach^e
ä lui.
3) Proben bei Bouhours 1. c. 264 und im 3. Dialog.
4) Nicht ganz gerecht scheint mir über ihn zu urteilen £. Havet, Le
discours d' Isocrate sur lui-m6me (Paris 1862) p. LXXXIf. Man mufs ihn
an seinen Zeitgenossen messen!
ElassicisinTis und Manier in Frankreicli. 783
2. Der Stil der Pointen (precieuses) und des
Schwulstes (galimatias).
1. Frankreich. Der eigentliche Geschmack der Zeit war yerderbni
ein anderer als derjenige Balzacs. Seine beste Darlegung findet ^^^^
sich in dem zierlichen^ an geistvollen stilistischen Bemerkungen •^»»»«>«
reichen und daher von mir schon öfters citierten Werk von niMisten.
Bouhours, La maniere de bien penser dans les ouvrages d' esprit,
1649 (ich benutze die Ausgabe Paris 1687). In Dialogform
werden die sich gegenüberstehenden Stiltheorieen diskutiert. Der
Vertreter der neuen begeistert sich an Wortspielen und Hyper-
beln, seine erkorenen Schriftsteller sind Yelleius, Seneca, Lucan,
Tacitus, sowie die pointierten Epigramme des Martial und
Ausonius, er freut sich, dafs sogar Cicero an dem tollen Apercu
des Timaeus über den Brand des ephesischen Tempels (oben
S. 232, 1) Gefallen findet. Auf p. 56 j£ werden eine lange Brcihe
falscher Pointen aus französischen Predigten angeführt, besonders
die Frauen seien darüber sehr entzückt gewesen , z. B. als ein
Prediger am Ostertage cherchant pourquoy Jesus-Christ ressuscite
apparut Sähord aux Maries, dit froidement que (fest que Dieu
vouhit rendre public le Myst^e de la Besurrection, et que des
femmes sgachant les premi4res une chose si importante, la nouveUe
en seroit hientost rSpandue par taut Besonders schwärmte man
für Seneca, gegen den daher die Vertreter des besseren Stils
im Sinn und mit den Worten Quintilians polemisierten. Wie
weit die Vorliebe ging, zeigt besonders deutlich das, was Bouhours
p. 504 f. aus einem Buch Les demi^res paroles de Seneque (von
wem?) citiert; der sterbende Philosoph sagt eine Pointe über
der andern, so, um nur zwei anzuführen: Ce poignard qui ne
rougit que du sang de Pauline, comme s'ü avoit honte d'avoir hlessc
une femme, apres avoir fait les premieres ouvertures inutilefnent,
fera les demieres avec effet — Tout insensible q%Cü est, il a pitie
de Neron, et le voyant travaüU Sune soif enrag^, il luy ouvre des
sources <yu sa cruaute se pourra desalierer dans le sang, qui est son
breuvage ordinaire. Zusammenfassend sagt Bouhours p. 316 ff.:
On s'expose quelquefois ä passer Je but, quand on veut aUer phis
hin que les autres. Les Modernes tombent d'ordinaire dans
ce d^faut d4s qu'ils veulent rencherir sur les Anciens, waa
er dann beweist durch eine Reihe von Nachahmungen des Martial^
784 Das Humanistenlatein und die modernen Sprachen.
TacituS; Seneca n. s. w.') Den bis zur Dunkelheit gehobenen
Stil nannte man galimatiaSy den glänzenden und pointenreichen
phebus, die brillanten concetti pensSes alambiquees cf. Bouhours
p. 333. 346. 355.*)
Ein treffendes urteil über diesen yerkünstelten Stil giebt
auch Fran9ois Ogier. Dom Jean Goulu hatte in seinen Donze
livres de lettres de Philarque ä Ariste den Stil Balzac's ange-
griffen, in dessen Namen Ogier 1627 antwortete in seiner an
Richelieu gerichteten Apologie pour M. de Balzac.') Seine An-
greifer seien Leute, in deren Stil herrschten (p. 123) de fausses
sübtüiteis, des sottises estudiees et des raisons contraires aux honnes.
Touiefois ü meritent quelque excuse, puisqu'en cela ils ont imitS
les Änciens, et que devant enx ü y a en des fous de la mesme
especey tele que Oorgias le Leontiny CallisOieneSy Cliiarchus,
Amphicatres, Hegesias, et auires, dont nous n'avons pas les Uvres,
et ne connoissons les defatäs que par le rapport que Je Saphiste
Longin en a fait.
2. In Italien herrschte dieselbe Manier. Am besten er-
kennt man das Einzelne aus der bittem Invektive des Muratori^
Della perfetta poesia Italiana I (Venezia 1748) 10 ff. 417 ff., be-
sonders II 428 ff. III 172 ff.: wenn man sich für die hoch-
poetische, mit Figuren überladene Prosa auf die Alten berufe,
so solle man nicht vergessen, dafs sie bei ihnen in Gebrauch
war erst nach den Zeiten des Demosthenes und des Cicero. Die
Verwandtschaft dieser manierierten italienischen Prosa mit der
spätlateinischen weist er an einigen geschickt ausgewählten Bei«
spielen nach.*) Unter den Poeten war bekanntlich der Typus
1) Appoleius wird hinzugefügt yon Strebaeos de yerb. eleciione et
collocatione (1539) 2 f. : seine Florida ahme man nach statt Cicero. Appn-
leius wurde in Frankreich zuerst 1522 übersetzt.
2) Cf. auch CauBsin S. J., Eloquentiae sacrae et humanae parallela
(1619) 2. 619. 629.
3) Sie ist angehängt der Pariser Ausgabe der Werke Balzac^s (1666)
T. II p. 105 ff.
4) Cf. auch: Del segretario del Sig. Panfilo Persico libri quattro, n^
quali si tratta dell* arte, e facoltä del Segretario, della Istitutione e yita
di lui nclle Republiche e nello Corti. Della lingua, e deir arteficio dello
scrivere, Del soggetto, stile, e ordine della lettera, Dei titoli etc. Yenetia
1620 p. 86—103 (bes. p. 100).
Die Manier in den modernen Spraohen. 785
dieser perversen Art Marino^); als abschreckendes Master des
yerkünstelten Geschmacks in der italienischen Prosa stellt der
französische Kritiker de la Mothe le Yayer 1. c (oben S. 782, 2)
234 den Virgilio Malvezzi (1599—1654) hin.^
3. Auch England, Spanien und Deutschland sind in
Prosa und Poesie von dieser Stilmanier infiziert worden. In
England') traten vor allem Roger Ascham in seinem Schole-
master (Lond. 1570) 99 (in Arbers reprints n. 23) und Philipp
Sidney in seiner Apologie for poetrie (Lond. 1595) 68 (in Ar-
bers reprints n« 4) diesem Geschmack entgegen. In Spanien
war Gongora der berüchtigte Typus, gegen den sich alle urteils-
fähigen Männer wandten wie einst griechische Stilkritiker gegen
Hegesias/) In Deutschland steht wegen dieser Manier die sog.
zweite sehlesische Schule in schlechtem Andenken.^)
Franzosen, Italiener und Spanier haben sich gegenseitig als
Erfinder dieses schlechten Geschmacks angeklagt^; es ist bei
dem beständigen Geben und Nehmen gerade dieser Nationen
in jener Zeit auch fraglos^ dafs eine bedeutende Wechselwirkung
stattgefunden hat — besonders der Einflufs des auch in Frank-
reich hochgefeierten Marino war verhängnisvoll — , aber die
1) Cf. jetzt besonders M. Menghini, La yita e le opere di Giambat-
tista Marino. Rom 1888.
2) Die deutlichsten Beispiele bietet sein Romolo (1635). Von derselben
Art soll (nach la Mothe 1. c.) des Malvezzi Dayid persegnitato sein, von
dem ich nur die lateinische Übersetzung (Virgilii Malvezzi Historia politica
de persecutione Davidis, Lngd. Bat. 1660) kenne. In seinem Jugendwerk,
den Discorsi sopra Comelio Tacito (1622) tritt dies Haschen nach Effekt
lange nicht so stark hervor. — Beispiele ans italienischen Predigern bei
Bouhours 1. c. 124. 162. 306.
3) Cf. E. Schwan in: Engl. Stnd. VI 106 ff.
4) Cf. N. Antonio in seiner Hispan. bibliotheca 11 29 f. und Bouhours
1. c. 367 u. ö.
6) Ihre litterarischen Zusammenhänge mit Frankreich und Italien sind
von J. Ettlinger, Chr. Hofman v, Hofmanswaldau (Halle 1891) 67 ff. 89 ff.
sehr gut klargestellt worden.
6) Cf. Bouhours 1. c. im 3. Dialog passim. Muratori 1. c. HI 172 ff.
(der französische diälogista, gegen den er dort polemisiert, ist eben Bou-
hours und zwar dessen Entretiens d'Ariste et d'Eugene [1671] c. 2 p. 42 ff.).
Mascardi, Dell* arte historica trattati (Rom 1636) 614 beschuldigt den Frp
zosen Matthieu (dies Citat aus de la Mothe 1. c. 234). Cassaigne in sei]
Vorrede zu Balzac's Werken (Par. 1666) 33. Für Spanien cf. Mengli
1. c. 816 ff.
786 I^as Hnmanistenlatem und die modernen Sprachen.
gemeinsame Quelle aller war die Nachahmung schlech-
ter antiker Muster, mit denen die modernen Sprachen
ebenso wie das gleichzeitige Humanistenlatein kon-
kurrieren wollten.^)
3. Der Stil der formalen Antithese (Euphuismus).
Formftier Lag die Perversitat der eben gezeichneten Richtung wesent-
,tu'^°'lich auf dem Gebiet des GedankenS; der in pointierte oder
schwülstige Worte gekleidet wurde, so werden wir im folgenden
eine Stilmanier kennen lernen, die sich auf bloüs formalem
Gebiet bewegte« Es kann nicht stark genug betont werden,
dafs, wenn wir zu irgendwelcher Klarheit gelangen wollen, wir
beide Richtungen von einander trennen müssen.^
Die Signatur dieses zweiten Stils ist die formale Anti-
these. Man kann behaupten^ dafs sie in jenen Jahr-
hunderten das internationale Eunstmittel des Stils ge-
wesen ist. Bei ihrer Behandlung muDs ich ausführlicher sein,
da ich nur so glaube, die vielbehandelte Frage mit absoluter
Sicherheit beantworten zu können.
a. John Lyly.
I. In Im J. 1579 erschien in England ein Roman mit folgendem
England, rpj^^i. ^^E^phues. Thc Anatomy of Wit. Verie pleasaunt for all
Gentlemen to read, and most necessarie to remember, wherein
are contained the delightes that Wit foUoweth in his youth by
1) Mit diesem Resoltat glaube ich die bis in die neueste Zeit (cf. das
citierte Werk Menghinis p. 315 fif.) diskutierte Streitfrage endgültig gelöst
zu haben.
2) Das hat schon Landmann 1. c. (o. S. 780, 1) gethan. Gut darüber
auch Schwan 1. c. Auch die Zeitgenossen haben geschieden, z. B. schilt
Bouhours 1. c. mafslos auf Gbngora, während er in seinen Entretiens
1. c. 186 den Spanier Guevara, den Hauptrepräsentanten des zweiten StUs,
wegen seiner netieti et elegance in ausdrücklichem Gegensatz zu den anderen
Spaniern lobt. Dafs gelegentliche Berührungen beider Stilarten vorge-
kommen sind (z. B. bei Shakespeare) weifs ich, übergehe das aber, um
nicht zu verwirren; die Behauptung Menghinis 1. c. 846: Veufuiamo fu in
Inghilterra cid die fu il ^gongorismo* in Ispagna, V'esprit prMeux* in Fraw-
cia, il 'manirismo* in Itaiia ist notorisch falsch und irreführend.
Antithesenstil: Lyly. 7g 7
tlie pleasantnesse of love^ and the happinesse he reapeth in age
by the perfectnesse of Wisedome"; diesem ersten Teile folgte
ein Jahr darauf der zweite: ^^Euphnes and his England. Con-
taining his Yoyage and adventures^ myxed with snndry pretie
disconrses of honest Love^ the description of the countrey, the
Court^ and the manners of that Isle.^ Der Verfasser war John
Lyly, der ältere Zeitgenosse Shakespeares.^) ,;Die Bedeutung
dieses Buches — sagt Fr. Landmann in seiner für immer grund-
legenden Dissertation: „Der Euphuismus; sein Wesen^ seine
Quelle, seine Geschichte'* (Giefsen 1881) 6 — beruht nicht auf
dem Inhalte der Erzählimg, der für uns ein recht langweiliger
und ermüdender ist, sondern auf dem Umstände, dsSa es in einem
Stile geschrieben war, welcher die englische Prosa (bekanntlich
auch die gewählte Shakespeares) in jener Zeit beherrschte und
welcher als Eonversationssprache der höheren Stände, sowohl
am Hofe der Königin Elisabeth, wie in guter Gesellschaft Jahr-
zehnte hindurch Mode war.'* n^^ Hauptmerkmal des
Euphuismus bildet die Antithese. Dieselbe ist in solchem
Umfange durchgeführt, dafs sich nur wenige Seiten in dem
ganzen Buche finden, wo dieselbe fehlte. . . . Diese Antithese
ist bei Lyly etwas rein Formelles, Äufeerliches, eine Gegen-
überstellung von Sätzen und Wörtern, welche entweder
wirklich einen Kontrast enthalten oder nur der Kon-
formität der Sätze zuliebe gegenübergestellt sind*'
(ib. 12 f.). Jeder beliebige Satz kann das illustrieren; ich führe,
da ich den Roman selbst nur flüchtig durchblättert habe, ein
paar der von Landmann gegebenen Beispiele an. p. 74 Arb.
Gentleman, as you may sttsped me of idlenesse in giving eare io
your taJJcey so nuiy you convince me of lightnesse in aunswering
such toyes: certes as you have made mine eares glow at the rehear-
saU of your love, so have you gaUed my heart unih the remem-
braunce of your folly. p. 65: Friend and fellow, as I am not
ignoraunt of thy present weakness, so I am not privie of the catise:
and although I suspect many things, yet can I ossäre myself of no
one thing. Therefore my good Euphues, for these doubts and dumpe^
of mine, either remove the cause or reveale it. Thou hast helher
founde me a cheerefull companion in thy myrOh, and nowe shc
1) Jetzt am bequemsten zu lesen in Arben reprints n. 9.
Norde D| antike Konstproso. II. 61
788 ^^ Hmnanistenlatein und die modernen Sprachen.
tJiau finde me as carefidl with thee in thy moane. If dttogeÜier
thou maist not he cured, yet malst thou hee comforted, If ther he
any thing yat either hy my friends may he procured, or hy my
life aUeined, that may either heale thee in part^ or helpe thee in
all^ I protest to thee hy tJie name of a friend, that it shaU raiher
he gotten with the losse of my hody, then lost hy getting a hing-
dorne. Die Antithese wird oft den Ohren fühlbarer gemacht
durch Allitteration; Assonanz, Reim; z. 6. p. 47 Leaming wühout
läbour and treasure wiihout travaile. 51 Why goe I about to
hinder the course of love unth ühe discourse of law. 43 We merry^
you melancholy: we eecAous in affection, you iealous in aU your
doings: you testie unthout came, we hastie for no quarreil.
b, Antonio Guevara.
II. In Woher stammt dieser Stil der englischen Prosa? Nach-
1. GueTaro. dem darüber viel Falsches gesagt war, wies Landmann mit
völliger Evidenz und unter allgemeiner Zustimmung^) die Quelle
nach: es ist der berühmte Roman des Spaniers Don Antonio
de Guevara, El libro de Marco Aurelio, erschienen 1529. Der
Verfasser ,^ebte am Hof der Königin Isabella und trat dann in
den Franziskanerorden ein. Bald jedoch spielte er eine bedeu-
tende Rolle am Hof Karls V., wo er sich zum Historiographen
des Kaisers emporschwang und Hofprediger, wurde. Er starb
im J. 1545, als Erzbischof von Mondofiedo und Guadix."*) Sein
1) Die sehr umfangreiche Litteratur findet sich jetzt am besten ver-
einigt bei: Clarence Griffin Child, John Lyly and Euphuism in: Münchener
Beitr. z. rom. u. engl. Philol. (herausg. von Breymann u. Koppel), Heft VII
(1894). Hinzuzufügen ist dort noch: in enphuistischem Stil schreibt auch
Edw. Young (1684 — 1765), durchgängig in seiner Schrift A true estimate of
human life (The Works of the author of the night-thoughts vol. V Lond.
1773 p. 11 ff.). Er wird deshalb getadelt von H. Blair, Lectures on rhetoric
and belles-lettres , deutsche Übers, von Schreiter H (Liegnitz-Leipz. 1785)
124. Ib. 126 wird bemerkt, dafs Alex. Pope (1688—1744) mit grofser Kunst
den antithetischen Stil kultiviert habe. Manche Beispiele aus Autoren von
Shakespeare an giebt schon H. Homer, Elements of criticisme (1762) c. XHI.
— Ich bemerke noch, dafs der erste, der die Antithese als das wesentliche
Charakteristicum erkannte, Nathan Drake war in seiner Schrift: Shake-
speare and his time 1817, vol. I 441, angeführt von Schwan 1. c. (oben
S. 785, 3) 96.
2) Landmann 1. c. 65.
Antithesenstil: Gnevara. 789
Bucli erhielt sofort nach dem Erscheinen einen Weltruf und
wurde bald in viele Sprachen übersetzt. Die englische Über-
setzung Yon Thomas North (1568) war die unmittelbare Quelle
des englischen Euphuismus^ dessen Hauptrepräsentant eben Lyly
war: aber nicht der einzige; demi; wie schon Landmann be-
merkte und andere wiederholten ^); hatte er mehrere Vorgänger,
besonders an George Pettie^ dessen 1576, also 3 Jahre vor Lylys
EuphueS; erschienene Novellen denselben Stil in Anlehnung an
die genannte englische Übersetzung des Guevara schon recht
deutlich, wenn auch noch nicht so einseitig, ausgeprägt zeigen.
Ein paar Proben aus dem Werke des Guevara führe ich nach
Landmann an: Quedate a Dios mundo ^ pues prendes y no fudUis
atas y no afloocas^ Ictötimas y no cösaeUis, röbas y no restituyes,
'alteras y no pacificas, desonras y no lidlagas accusas sinque aya
quexaSy y smtencias sin oyr partes: por manera, que en tu casa^
0 mundo nos maias sin sentendar: y nos entierras sin nos morir,
— No hay oy generoso seüor ni delicada senora: que antes no
suffriesse una pedrada en la cabega que no una cuchillada en la
fama: porque la herida de la cabega en un mes se la darä sana:
mas la mägilla de la fama no saldra en toda su vida.
c. Guevara und der spanische Humanismus.
Mit der Erkenntnis, dafs die unmittelbare Quelle des eng- s. Frage-
lischen Euphuismus im Spanischen zu suchen sei; haben sich ' ^^
die Anglisten begnügt: sie war ja auch für ihre Zwecke aus-
reichend. Aber ich; dem das Englische nebensächlich war^ fragte
weiter: woher hat diesen Stil der Spanier? Die Antwort ergab
sich mir sofort: dieser Antithesenstil oder, was dasselbe
ist; dieser Satzparallelismus kann nur eine der vielen
Erscheinungsformen jenes alten gorgianischen öx^fia
seiU; dessen tändelnde, auf Ohr und Auge sinnlich wirkende
Art seit zwei Jahrtausenden auf Menschen verschiedenster Zunge
seine Wirkung ausübte und zur Nachahmung reizte, wie wir im
ganzen Verlauf dieser Untersuchungen erkannt haben. Aber,
fragte ich mich weiter, besteht hier auch ein wirklich hi^tn-
1) E. Koppel, Stud. z. Gesch. d. ital. Novelle, in: Quellen o,
z. Sprach- u. Culturgesch. d. germ. Volk., Heft LXX (1892) 24 ff.
61 •
Eice Gcsdcekte des H^BaBssnss ik S
rii^Lt ^.TTA Auflege z^ ei&er aclgfeffp. frosi koflaoL Es blieb
sukj zitkXM ^brfgy &Ij die QcelläL seIcss n l^&mgen, was aber
in ToLem ümfuig n^ir in Spaziieii selbst no^ick vire, da die
wiüiIgiteD dieser Werke di€sseiss der PrreiuefL bdaaat geworden
niui Die Thatiaebe ihrer Existenz erkennt man aber ans den
groben, im XVIL Jh. acgelegioi Bibliotbekskasalogcn des An-
dreas Sehottas (Hispaniae bibliotheca, Frankl 1606) und beson-
ders des Nie. Antonio (Bibliotheea Hispana« Born 1672). Die
dort rerzeiehneien Werke dreier, der berühmtestoi, Homanisien
sind aneh in unsem gröberen Bibliotheken Terbreitet: die des
Lud« Vires, des berühmtesten und Teriiiltnismälsig selbstän-
digsten spanütehen Homanisten (1492 — 1540; Opera ed. Basileae
l:/}0), die des Alphonso Garsias Matamoro (seit 1542 Pro-
fessor der Rhetorik in Alcala, f 1572. Open ed. Mairiii 1769^
und die (nur füi syntaktische Fragen in Betracht kommende)
Minenra des Francisc Sanctius (1587). Liest man die Werke
der beiden ersten nnd sammelt sich aas den genannten Elata-
logen die stattliche Reihe der Humanisten, so erkennt man, dals
die formalistische Benaissancerhetorik seit dem Ausgang des
AntdthesensiQ: GKieTara. 791
XV. Jb. in Spanien eine aoTserordentlich groCse Rolle spielte^),
was ja bei dem stark ausgeprägten oratoriscben Naturell dieses
Volkes aucb begreiflieb genug ist. Selbständiges scheinen diese
spaniscben Humanisten so gut wie gar nicbt produziert zu haben:
1) Ein paar Beispiele aus der Bibliotheca des Antonio (die alpha-
betisch geordnet ist, so dafs man Mühe hat, aus dem Chaos das heraus-
zufinden, was man gerade sucht):
Alphonsus de Alyarado: In Giceronis orationes analyses et enarra-
tiones etc. Basileae 1544. id. Artium disserendi ac dicendi indissolubili
vinculo iunctarum libri duo. ibidem 1600.
Alphonsus Garsias Matamoros: De ratione dicendi libri duo.
Compluti 1548 et 1561. De tribus dicendi generibus sive de recta infor-
mandi styli ratione. ib. 1570. De methodo concionandi iuxta rhetoricae
artis praescriptum ib. 1570. etc.
Alphonsus de Torres: Progymnasmata Rhetoricae, Compluti 1569.
Andreas Baianus: In Aphtonium de elementis Rhetoricae (s. 1. s. a.,
Anf. s. XVH).
Andreas Semperius (f 1572, gepriesen als grammaticorum Äristar-
chus, Bhdhorwn OorgiaSj in antiquitate Varro alter^ Latinarum Graecarum"
que literarum Coriphams, tertiua Uiieensis Cato, eloquentiae ac doctrinae oni'
nis instauraior, cuius in hibiis Ciceroniana dicendi facuUM, in pectore
Demosthenica, in capite PUUonica sapientia residehant): Methodus oratoria;
De Sacra concionandi ratione (Valentiae 1568); In Tabulas rhetoricae Cas-
sandri; In Ciceronis Brutum.
Antonius lolius: Adiuncta Ciceronis, sive quae yerba Cicero simul
dixit tanquam synonyma aut vicini sensus. Barcinone 1579.
Antonius Nebrissensis: Artis rhetoricae compendiosa coaptatio ex
Aristotile, Cicerone et Quintiliano. Compluti 1529.
Antonius Lullus: Progymnasmata rhetorica. Basileae 1550.
Antonius Pinus Portodomeus: Ad Fabii Quintiliani oratoriarum
institutionum librum III scholia (s. XVI in.).
Ferdinandus Mancanares Flores (inter rhäores nascentium in
Hispania liberdliufn disciplinartim aut verius renascentium tempore numera*
batur, qui Äntonii Nebrissensis magistri iussu oUm edidiU) Bhetoricam s. de
dicendi yenustate, de yerborum sententiarum coloribus, de componendis
epistolis (s. 1. s. a.).
u. s. w. Yiyes yerfafste Deklamationen nach antikem Muster, cf. Opera
I 179 ff., sowie eine lange Reihe andrer rhetorischer Werke. — Ein paar
humanistische Werke yerzeichnet E. Wotke in der Einl. zu seiner Ausgabe
des Gyraldus de poetis nostrorum temporum (Lat. Litteraturdenkm. des
XV. u. XVI. Jh. Heft 10. Beriin 1894) p. XXm f. — Eine „Rhetorica en
lengpia castellana en la quäl se pone muy en breye lo necessario para saber
bien hablar y escriyer y conoscer qui en habla y escriye bien. Alcala '
Henares, en casa loan de Brocar. 1541, in 4. goth.^* als bibliographiM
Seltenheit erwähnt yon Brunet, Manuel du libraire. IV 5 ^d. (Paris 186
792 I^äs Humanisienlaieiii und die modernen Sprachen.
sie beschränkten sich^ wie im allgemeinen auch die Homonisien
der andern Lander^ auf eine Hinüberleitong der Theorieen ita-
lienischer Gelehrter — einer der frühsten spanischen Humanisten,
Antonius Nebrissensis (de Lebrixa^geb. 1444), yerkehrte lange
Zeit in Italien mit den dortigen Gelehrten^ s. o. S. 741, 2 — ^)
und ihre praktische Einführung in den Schulunterricht: der
Kampf gegen die scholastischen Lehrbücher stand auch hier im
Mittelpunkt; wie oben (S. 741, 2) durch ein Zeugnis bewiesen
wurde. Dafs dabei in Spanien wie überall die Lehre Ton den
oratorischen Stilfiguren eine Hauptrolle spielte, erkennt man
deutlich z. B. aus Vives de tradendis disciplinis L HI (1531) in
den Opera I 476: eine Übersichtstafel der Figurenlehre (wie
uns mehrere aus jener Zeit erhalten sind, z. B. von Petrus Ba-
mus) solle an die Wand gehängt werden, ut deambulanti stndioso
occurrant fignrae et quasi ingerant se ocülis.
4. Urteile Dafs uuu Gucvara in einer humanistischen Schale erzogen
oaerarM wurdc, ist bei einem Mann von solcher Herkunft von Yornherein
^^"' begreiflich, auch zeigt es überall sein im Altertum handelnder,
mit Anspielungen auf die Antike geradezu vollgestopfter Boman').
1267. — Von einem Pietr. Joh. Nunnez aus Valencia, Professor der Rhe-
torik in Barcelona (f 1602 fast achtzigjährig), giebt es Institationes rhe-
toricae (Barcelona 1578 u. ö.), notiert von D. Morhof, Polyhistor I (ed, Fa-
bricius, Lübeck 1747) 953, eine kurze Inhaltsangabe (aber wohl nach Miraens
de Script, sec. XVI c. 133) bei Gibert in: Jngemens des sayants T. Vm
(Amsterd. 1725). — Quintilian in Spanien s. XV./XVI.: Ch. Fierville in
seiner Ausgabe des I. Buches (Par. 1890) p. CXII. CXV adn. 1. CXXII. —
Lehrstühle der Rhetorik an den Uniyersitäten : Andr. Schottas 1. c. I c. 2
p. 31 ff. — Briefwechsel des Erasmus mit humanistisch gebildeten Spaniern:
A. Helfferich in: Z. f. d. bist. Theologie N. F. XXIII (1859) 592 ff. — Für
die Geschichte des Humanismus wichtig jetzt auch der Katalog der lat.
Hss. des Escorial Ton W. Hartel in: Sitzungsber. d. Wien. Ak., phil.-hist.
Cl. CXII (1886) 161 ff. Die von mir (in: Fleck. Jhb. Suppl. XIX [1892]
378, 1) vermutete Benutzung eines Hippokratesbriefs durch Velez de Gue-
vara in seinem Diablo cujaelo erscheint mir jetzt gesichert, seitdem ich
weifs, dafs diese Briefe dort in lateinischer Obersetzung bekannt waren
(Hartel p. 162).
1) Aus G. Voigt, die Wiederbeleb, d. klass. Altertums I* (Berl. 1898)
351 u. 458 habe ich mir notiert, dafs schon um 1430 bei Filelfo in Florenz
spanische Zuhörer waren und dafs König Alfonso v. Neapel, der Aragonier,
von Spanien aus mit Lionardo Bruni korrespondierte.
2) Das Ganze ist eine fabulose Erfindung, wie auch die ans Dares-
Dictjs entlehnte Einleitung zeigt. Die EIrfindungen deckte zuerst auf Pe-
Antiihesenstil: GneTara. 793
Dafs er daher^ wie den Inhalt, so auch den Stil nach antiken
Mustern gestaltet hatte, ergab sich mir als selbstverständliche
Folgerung. Ich fand sie bestätigt zunächst durch die einzigen
lateinischen Worte, die es von ihm zu geben scheint, nämlich
seine selbstyerfaTste Grabschrift, die ich hier folgen lasse, aber
nicht in einem fortlaufenden Satz, wie sie in N. Antonio's Kata-
log, sondern so, wie sie in der Frankfurter Ausgabe seiner Briefe
vom J. 1671 (p. 272) gedruckt ist:
Garolo V. Hispaniarum rege imperante
Illustris D, Dominus Frater Antonius de Oaevara
Fide Christianus
Natione Hispanus
Patria Alavensis
Genere de Guevara
Beligione S. Francisci
Hahitu huius conventus
Professione theologus
Officio praedicator et chronista Caesaris
Dignitate episcopus Mondoniensis.
Fecit anno Domini MDXLIL
Posui finem ciiris. ^es et Fortuna valete.
Eine weitere Bestätigung fand ich in Urteilen von Zeitgenossen
die den Stil des Guevara ohne weiteres auf eine Linie stellten
trus de Kua in drei Briefen unter dem Titel Cartas del Bachiller Rua
(s. XVI), cf. Schott 1. c. 667. Antonio 11 187. Der uns Philologen wohl-
bekannte Landsmann des Guevara, Antonius Augustinus, urteilt über
den Inhalt des Werks (Dialogos de las medallas, inscriptiones y otras anti-
guidades 1575; ins Lat. übersetzt von A. Schott: Antonii Augustini anti-
quitatum dialogi [Antwerp. 1617] 152): acire se antiqua Bomanasque historias
fingit eaque comminiscitur, quae nee visa nee audita mortalibtu: nemo ut
divinare queat^ in quos ille libros inciderit nova itaque notnina scriptorum
excogitavit somniaque venditat ohtruditque quae apud nullum reperias auo-
torem. Ähnlich Miraeus, Bibl. ecclesiastica, pars altera (Antwerp. 1649) 47:
quod ad ^horölogium principutn^ seu librum *de vita Marci Aurelii Imp.*
attinet, est is totua fabulose confictuSy non ex priscis historiis Bonumis petUus,
quod moneo, ne quis erret, ut in Uispania et Gallia atdici passim errant,
ubi cupid^ nimis in sinu manibusque gestari a viria nobilibus merito eruditi
indignantur. idem iudicium est de Guevarae epistolis, quae ineptiarum stmt
plenae nee 'aurearum epistolarum^ titulum inerentur, quo eas Gallicum vtUff^-
indigeUU. Eeins dieser Zeugnisse scheint bekannt.
794 I^as Homanisienlatein und die modernen Sprachen.
mit dem entsprechenden antiken; da sie nicht bekannt sind^
teile ich sie hier vollständig mit. 1) Das frühste dieser Qrteile
(drei Jahre nach dem Erscheinen des Bomans) stammt von
ViveSy wo freilich Guevara nicht genannt, aber für jeden Leser
mit absoluter Deutlichkeit bezeichnet ist: de ratione dicendi
(1532) 1. II 114: das Gegenteil der gravis et sancta oratio sei
eine oratio deliciosa lasciva Itidibunda, cum semper ludit omnibus
translationum generibus et figuris et schematis et periodis con-
tortis et comparatis, tum sententiolis argutis concinnisqu€y molli
structura et delicata,, sälihuSy allusionibus ad fäbellaSy ad historiolas^
ad carmina, ad dicta in scriptoribtis celehria: in quam orationis
fonnam degeneravit ea quae aulica dicitur, multorum itidem,
qui se enascentium linguarum studio dediderunt — 2) Ma-
tamoro hat sich^ als Zeitgenosse des Guevara^ begreiflicher-
weise gelegentlich über ihn und seinen Stil geäufsert^ aber nur
einmal direkt, nämlich in seiner Gelehrtengeschichte Spaniens
(De adserenda Hispanorum eruditione sive de viris Hispaniae
doctis 1553) 64 (der genannten Ausgabe): decräum mihi erat,
nihil de praestantissimo viro et antiqme nobüitatis praesule Min-
doniensi (d. i. Guevara), qui solus aulicorum manibiis proximis
annis gestäbatur, privato iudicio statuere: nisi me invitum et plane
repugnantem libellus vulgatus a Petro Efiu^a Soriensi, homine cum
paucis erudito, in lianc censuram pertraxisset. ego vero sie existimo,
virum hunc mirae facundiae fuisse et incredWilis uhertatis naturae,
sed omnia rerum mo^nenta, quod Pedio obiecit PersiuSy Vasis
lihrat in antithetis, doctas posuisse figuras^ laudari con-
tentus (Pers. 1, 85 flf.): fxdgurat interdum et tonat, sed non totam,
ut olim PericleSy dicendo commovet civitatem, et dum nihil vült nisi
culte et splendide dicere, saepe incidit in ea quae derisum effugere
non possunt. qui si illam extra ripas effluentem verborum copiam
artificio dicendi repressisset . ., dübito quidem, an parem in eo eUh
quentiae genere in Hispania esset inventurus. An ihn wird er da-
her auch wohl gedacht haben, als er in dem 1548 verfalsten
Werk De ratione dicendi schrieb (p. 296): man habe sich vor
nichts so zu hüten, wie vor der fortwährenden Anwendung der
Schemata, wodurch man alles verderbe und die Rede verweich-
liche, hoc vitiOf fügt er hinzu, quum iuvenes essemus, orationefn
corrupimus, quam ^de laudibus Davidis* Valentiae scripsimus; nam
frequentissimis tropis et schemate perpetuo totam orationem effemi-
Antithesensiil: GneyanL 795
navinms (diese Rede ist nicht erhalten), ceterum haee luxuries
dictionis commendatur in iuvenibuSy quam speramus tarnen stilo
cum aetate depascendam esse. — 3) A. Schott L c. (1608) 250 £
scripsit lingua patria tum disertissimus , ut Caroli V ecdesiastes
atque historicus sit delechtSj vemactüo sermonCy in quo affectasse
nimium Schemata visus, pompa quadam tumens, et antithetis
putide nimium iteratis lectorem enecat. guiny ut poetae verbis utar
(Hör. de a. p. 97): proicit ampuUas et sesquipedcUia verha. Über
dies Urteil ereiferte sich ein Ordensbruder des Guevara, Lucas
Waddingy in den Scriptores ordinis Minorum (Rom 1650) 32:
multa scripsit patrio ac ciiltissimo quidem et sublimi sermone, qua
de causa et ob variam gratamque per omnia opera sparsam erudi-
tionem in omnes ferme Europeae gentis linguas translata sunt,
nescio itaque, unde tantus livor auctori Bibliothecae Hispaniccte, ut
quem inprincipio elogii dixerat Hingua patria tum facundum.,.{iAG.Yj
postea iniuriose nimis circa stilum vituperet Dagegen wieder Nie.
Antonio I. c. I (1672) 98, der sich dem Urteil des Matamoro und
Schott gegen Wadding anschliefst und hinzufügt: demus tatnen
aliquid auctoris aevo, quando scüicet non bene adeo fundata ea
Hispani sermonis, quae nunc in summo est, purifatis et eloqtientiae
forma hisce aurium lenociniis, quae ex antithetis et syllabarum
paritate veniunt, quasi extollere se ex socco ad cothumum videbatur,
uti olim fatiscentis iam linguae latinae vitia crebris vocahulorum et
periodorum figuris abscondi suhtrahique imminenti ruinac sequior
aetas credidit, — 4) George Puttenham, The art of english
poesie (London 1589) 219 f. (in Arbers reprints, n. 15): das
Antitheton gebe oft dem Redner und Dichter grofse Anmut^
aber Isocrates was a litle too füll of this fgure, and so tcas the
Spaniard that wrote the life of Marcus Äurelius, and many of
cur moderne umters in vulgär use it in excesse and incurre the
vice of fond affectcUion: otherunse the figure is very commendable.
d. Der Ursprung des Antithesenstils im XVI. u. XVII. Jh.
Isokrates und Cicero bei den Humanisten.
Guevara stand mit seiner Vorliebe für diese Rede-iii imHu
figur keineswegs allein: im Gegenteil gab er durch ihre utein aber
Verwendung nur einer bei den Humanisten aller Länder ^^^*
verbreiteten theoretischen Überzeugung und prakti-
schen Anwendung besonders lebhaften Ausdruck.
796 ^^ Humanistenlatein und die modernen Sprachen.
Dafs die Humanisten die reichliche Verwendung dieser Rede-
figur als das wesentlichste Erfordernis eines gewählten Stils an-
sahen ^ erklärt sich aus ihrer Vorliebe für Isokrates, der schon
im Altertum als der Hauptrepräsentant des antithetischen Satz-
baus galt^), und für Cicero, bei dem diese Figur in Theorie
und Praxis eine so bedeutende Rolle spielt.
1. Isokrates.
1. Nach- Er wurde schon in der Schule Vittorino's da Feltre neben
des uo- Demosthenes gelesen.^) Vives übersetzte im J. 1523, also sechs
^'*^°^®°Jahr vor dem Erscheinen jenes spanischen Romans, den Areo-
a) bei IUI., pagiticus und Nicocles ins Lateinische (I 306 flf.); er preist im
Span.« ijTaxus. _
u. dentsoh. Vorwort die Reden des Isokrates: in quibus est mira sermonis
nirt©^ dulcedo et aptissima compositw^ numeris ad omatum adstrida^ wo-
mit er eben die itaQiöcoötg^ das ivri^srov meint, Figuren, deren
Schönheit er in seinen rhetorisch -stilistischen Schriften ofiers
preist.') In seiner Schrift De tradendis disciplinis (1531) nennt
1) Dafs sich die Fignr bei Isokrates finde, bemerkt anch Landmann
1. c. 65 (cf. 15. 19. 47), doch fehlten ihm die Mittel, mehr als einen blofsen
Vergleich anzustellen.
2) Cf. Voigt 1. c. I 641.
3) Besonders de ratione dicendi (1582), vol. I 97: periodi vim htibent
incisa quaedam apte inter se quadrantia: ^Ad amentiam te natura peperit,
ad scelus exercuit educoHo, ad supplicium fartuna reservavit* (Cic. in Cat.
1, 25). ipsa enim congruens applicatio nexus habet vicem, ut in stmctura
lapidum sine calce vel gypso quadrantium, venustissimae sunt periodi,
quae fiunt vel ex antithetis, de quihus mox loquimur^ vel acute concluso
arcftitnentOj atque adeo sunt quidam, qui acute concinnata argumenta et hre-
viter conclusa et contorte vihrata eas demum veras periodos esse censeant, ut
Hermogenes; über die antitheta spricht er dann ansföhrlich p. 101 f., wo
er Beispiele giebt wie ^saepe vicit alea, saepe victus est proelio*, 'dicendum
quod non sentias aut faciendum quod non probes\ ^non tarn cdlicere volui
qiMm dlienare noluV u. s. w. Er wirft dann die Frage anf, wie es komme,
dafs die Antithesen solche venustas besäfsen; er meint: hahent adversa haec
gratiae plurimum ad gentes omnes propter iUam rerum pugnantium com-
plexionem, similem naturali compositioni elementorum, qua constant humana
Corpora. Infolge der ganz mangelhaften Disposition der Schrift kommt er
noch einmal darauf zurück p. 107 : eine oratio florida sei u a. die, in welcher
verha verbis quasi demensa et paria respondeant, ut crebro can-
ferant pugnantia, comparent contraria, ut pariter extrema terminentur eun-
demque re ferant in cadendo sonum. hoc oratümis genus et florens et iucun-
dum et laetum dicitur et pictum atque expolitum , in quo omnes verborum,
omnes sententiarum illigantur lepores, ut inquit Cicero (or. 38).
Antithesenstil: Isokrates im Humanismiu. 797
er unter den auf der Schule zu lesenden griediischen Autoren
zuerst Isocratem, quo simplicius ac purius cogifari nihü potest
(ib. 480). An einem portugiesischen Redner der ersten Hälfte
des XVI. Jh. wird gelobt Isocratica iuctmditas lenitcisgue (Nie.
Antonio 1. c. I 411). Gleich das erste in Frankreich mit grie-
chischen Lettern gedruckte Buch brachte etwas von Isokrates:
es ist der im J, 1507 erschienene Liber gnomagyricus, dessen
interessante Entstehungsgeschichte u. a. E. Egger^ L'hellenisme
en France -I (Par. 1869) 154 S, erzählt. Während es sich hier
nur um den gnomologischen Gehalt dieses Autors handelte, hob
Estienne Dolet in seiner Schrift La maniere de bien traduire
d une langue en autre (1540)^) die Wichtigkeit einer nach seiner
Ansicht aus keinem Autor besser als aus Isokrates zu lernenden
rhythmischen und harmonischen Diktion herror, die sich in
Wortstellung und Periodenbau zeige. Im Anfang des XVII. Jh.
ging man in Frankreich so weit, dais man nach dem Muster
des Isokrates das Zusammentreffen zweier Vokale in zwei Wör-
tern mied^; auch von der Kanzel herab ertönten die nach iso-
krateischem Schema geleckten und gedrechselten Perioden '),
1) Ich kenne nur das, was Gibert in: Jugemens des sayants Vlil 2
p. 647 ff. daraus mitteilt.
2) Cf. De la Mothe le Vayer, De l'^oquence Fran9oise (1638): in Oeu-
vres n 1 (Dresden 1756) 242, cf. auch 0. Oerber, D. Sprache als Kunst I
(Bromberg 1871) 417.
8) Der Hauptvertreter war Flächier (1632 — 1710), neben Bossuet der
berühmteste Eanzelredner des XYII. Jh., cf. über ihn und seine Manier
Crevier, Rhätorique Fran9oise n (Paris 1767) 141 ff. und den Artikel in
Michauds Biogr. uniy. XTV 211. Ein Beispiel aus seiner Oraison funebre
de M. le Ghancelier le Tellier (gehalten 1686) in: Recueil des oraisons
funebres prononcäes par Messire Esprit Flechier, ev^que de Nismes. Nouv.
äd. (Paris 1706) 322 f.: Dans Viloge que je fais at^ourd'huy de , , . Messire
Michel le Tellier . , ., j'envisage non pas sa fortime, tnais sa vertu; les Ser-
vices qbCil a rendus, non pas les places qu'il a remplies; les dons qu'il a
receus du Ciel, non pas les hanneurs qu'on luy a rendus sur la terre; en un
mot, les exemples que votre raison vous doü faire suivre, et non pas les gran-
deurs que votre orgueü pourroit vous faire desirer. ' In solchen parallel ge-
bauten Sätzen, wo einem Wort das andere entspricht, bewegt sich sein Stil
fast immer. — Mit viel gröfserer Feinheit hat Bossuet (1627—1704) den
Isokrates nachgeahmt; ich wähle ein von A. Chaignet, La rhätorique et son
histoire (Paris 1888) 448 citiertes Beispiel aus einem Panegyricus: 1. L'hotnme
lui a downe premihrement une forme humaine; \ 2. ensuite il a adore ses pro-
pres ouvrages; \ 3, enfin il a fait des dieux de ses propres passums^ || afin que
798 DftB Humauistenlatem und die modernen Sprachen.
eiu Unfug, gegen den feinfühlige Männer ilire warnende Stimme
erhoben^ wie einst die Gegner des Isokrates gegen diesen.^) Der
Jesuit Nigronius aus Genf sagt in einer 1579 gehaltenen Rede^:
undenam affulsit Isocrati et apud AiJwnienses et apud posteros in
Graecia, Europa tanta gloria, tanta latis ab doquentia, tantus splefh
Vhomme, n*ayant plus devant les yexix P 1. ni VatdoritS de 80n nom, \ 2. ni
Ics conduites de sa providence, \ 3. wi 7a crainte de ses jitgements, 0 n'eüt pius ]
1. d'autres rcgies que sa volonte, \ 2. d'autres guides que ses passions, \ 3. en-
fin plus d'autres dieux que lui meme. — Ähnliche Beispiele aus französischen
Panegyriken giebt Bouhours 1. c. p. 39; 105; 107; 113. Cf. auch den Ar-
tikel 'Antithese' in der Encjclop^die mt^thodique, Grammaire et littärature
1 1782. — In die Geschichtfischreibung führte diesen Geschmack ein Pierre
Matthieu (1563 — 1621), der in seinem der Histoire des demiers troubles
cn France (1594) Torausgeschickten adyertissement den Satz aofistellt, qH'il
est permis ä Vhistoire de faire le Ehetetir et que ceux qui otU esent les
llistoires Grecqucs et Latines^ les ofU ainsi embellies.
1) Cf. Rapin S. J., Beflexions sur Tdloquence (Par. 1684) in seinen
Oeuvres (Amsterd. 1709) 11 21. 64. 68. Lamy, La rh<§torique on Vart de
parier (Par. 1670), cd. Amsterd. 1699 p. 298 f. Cassaigne in der Yoxrede
zu seiner Ausgabe der Werke Balzac's (Paris 1665) 31: 72 (Balzac) »'crt
bien dontie de garde de tomber dans Vaffection de ces discipües d'hocrate,
qui faschoicnt par tout d'arrondir egalemcnt leur Stile, qui de toutes leurs
pcriodes faisoicnt autant de cercles, et qui ne songeoient pas, que comjne dans
la prononciation il n'y a point de plus grand defaut que la manaUmie, aussi
le plus vicicux de tous les stiks est celuy qui manque de varieU. Sehr fein
auch Balzac selbst in seiner Dissertation De la grande ^oquence (vol. 11
519 ff.). Vor allem Ft5n^lou in seinen Dialogues sur F^loquence en gene-
ral, et sur celle de la chaire en i>articulier, erschienen Paria 1718 nach
seinem Tode (nach Gibert in den Jugemens des savans YUI 2 p 558 sind
sie ein aus unbekannten Gründen nicht erschienenes Jugendwerk F.'s; der
Grund ist aber doch klar: die mafslosen Angriffe würden einen so einflufs-
reichen Mann wie Flechier f 1710 verletzt haben). Du« Tendenz ist, dem
herrschenden Geschmack entgegenzutreten und Vorschriften für eine ver-
besserte Art des Predigens zu geben. Das Vorbild dieser Redner sei Iso*
krates, dessen blomenreicher, weichlicher, antithesenreicher Stü es den
modischen „Isokratessen^ angethan habe; ihn unterwirft er daher einer
Temichtenden Kritik, immer mit Hinblick auf die Nachahmer, die er nicht
neonen wolle (cf. 16 ff. 1S4. 151 ff.); er verurteile nicht prinzipiell alle Anti-
ÜMMii, wolle aber nur die gelten lassen, wo die Dinge, von denen man
qpndiei, durch ihre Natur sich entgegengesetzt seien (156). Da er bemerkt,
dbfii auch christliche Prediger, vor allem Augnstin, jenen parallelen Satz-
tea beromigten, so wagt er es, sich auch gegen diese zu wenden, cf. 238
L die ingehAngte Lettre toite ä Tacademie Fran^ise sur lYloqnence 301 f.
t) Or. de f^lo optimo dicendi magistro in der Ausg. seiner Reden
■IlttO)
Antithesenstil: Isokratea im Hnmanismas. 799
dor, %d eius memoria numqtiam interitura videatur? A styh, dicendi
magistro.^) Im Stil des Rudolph Agricola (f 1485) fand Eras-
mus^) etwas von der orationis stnictura des Isokrates.*) Vor b) bei eng-
allem aber gefiel er in England, wo ihn Roger Ascham (f 1568), mwütte^
der bekannte Humanist, einbürgerte.^) Im J. 1550 schreibt er
an seinen Freund Sturm in Strafsburg (The whole worhs of
Ascham, ed. Giles I 1, London 1865, ep. 99) über seine Schülerin,
die damals eben sechzehnjährige Prinzessin Elisabeth, von den
vielen humanistisch gebildeten Frauen jener Zeit die erlauch-
teste: Gallice lialiceque aeque ac Änglice loquüur; Latine expedite
proprie considerate, Graece etiam mediocriter mecum freqnenter libefi"
terque colloquuta est . . Perlegit mecum integrum fere Oceronem,
magnam partem Titi Limi, ex his enim propemodum solis duohus
auctoribus Latinam linguam hausü, exordium diei semper novo
tesiamenio Graece tribuit, deinde sclectas Isocratis orationes et
Soplwclis tragoedias legeboit. . . Orationem ex re natam, proprietate
castam, perspicuitate illustrem libenter prohat. verecundas Irans-
lationes et contrariorum collationes apte commissas et feli-
citer confligentes unice admiratur. quarum rerum diligenti
animadversione aures eius trit<ie adeo teretes factae sunt et iudicium
tam intelligens, ut nihil in Graeca, Latina et Änglica oratione vel
solutum et pervagatum, vel clausum et terminatum, vel numeris aut
nimis effusum aut rite temperatum occurrat, quod non illa inter legen-
dum ita religiöse attendit, ut id statim vel magno rejiciat cum fastidio
vel summa excipiat cum voluptate.^) Man sieht aus den angeführten
1) In dem jesuitischen Catalogus perpetuus der oberdeutschen Provinz
vom J. 1602/4 (Mon. Germ. Paedag. XVI [1894] 1 ff.) findet sich unter der
verschwindend kleinen Zahl griechischer Autoren auch Isokrates, und zwar
nicht blofs seine ethischen Reden, sondern auch der Panegyricus und
Enagoras.
2) Dialogus Giceronianns p. 1013 (vol. I der Ausgabe von 1703).
3) Für Belgien cf. Ruhnken de doctore umbratico (Lugd. Bat. 1761) 25 f.
4) Doch nicht er allein. Sir Thomas Elyot spricht 1541 von quicke
and proper aentences of the GreeJce mit Bezug auf Isokrates (Landmann 1. c. 65)
und in der Diktion des Thomas Monis (1480 — 1635) erkannte wenigstens
Erasmus eine Hinneigung zur Isocratica strudura (Dialog. Ciceronianus
p. 1018).
5) Cf. über diese Studien der Prinzessin noch ep. I 191 (vom J. 1555).
n 34 (vom J. 1562): sie habe leicht gefafst orationis omamenta et totius
sermonis numerosam ac concinnam comprehensionem. Desselben
Schoolmaster 1. 11 p. 180 Giles: sie übersetzte jeden Vormittag ans
800 Dfts Humanistenlatein und die modernen Sprachen.
Worten; daDs er die Freude seiner Schülerin an dem antithetischen
Satzbau billigt; auch in seinem Urteil über den portugiesischen
Humanisten Osorius (ep. I 161 vom J. 1553) hebt er hervor,
dessen Stil sei frequens et felix in contrariis^ und in einem
Brief an Sturm (11 99%om J. 1568) lobt er dessen Analyse
mehrerer Antitheta aus Ciceros Rede für Quinctius. Er selbst
schwelgt förmlich in diesem Stil, wie schon die oben angeführten
Worte zeigen und jeder beliebige Brief bestätigt, so, um aufs
Geratewohl eine Stelle herauszugreifen: ep. I 173 (vom J. 1554)
an König Philipp : inter tot hodie in Iwc urbe praeclara spedacuia
quae ocuios ttios ohlectant, inter tot laetas congrattiUUiones quae
aures ttuis deniulcent, ecce vocem et gemitum pauperum^ quae ani-
tnum tuum, ut speramus, etiam commovebunt, vocem quidem laetitiae,
gemitum vero miseriae. • . Hie locus non scelercUorum carcer sed
miserorum custodia et est et nominatur, et in hanc custodiam nas
non intrudimur ab cdiis sed ipsi confugimus, et huc eonfugimus
non metu supplidi sed ^e melioris fortunae. Von seinem lateini-
schen Stil, in dem jeder die affektierte Nachahmung des Isokrates
oder Cicero deutlich fühlt, übertrug er diese Manier nun auch
auf die englische Sprache. Denn er hatte die ausgesprochene
Absicht, in diese die Feinheiten der antiken Diktion einzubür-
gern. So schreibt er im J. 1568 an Sturm (II 99), er verwende
in seinem für Engländer bestimmten Traeceptor' die englische
Sprache, was freilich ein gefahrliches Unternehmen sei: neque
tarnen ipse sum tam nostrae linguae inimicus, quin sentiam ülam
omnium ornamentorum quum dktionis tum sententiarum admodum
esse capacem; besonders aber hat er diesen Standpunkt dargelegt
in dem 1545 erschienenen Buch mit dem eigentümlichen Titel
^Toxophilus, The schole of shootinge conteyned in two books.
To all Gentlemen and Yomen of Englande, pleasante for theyr
pastyme to rede, and profitable for theyr use to folow, both in
war and peace'. Dies Buch hat abgesehen von seinem unmittel-
baren Zweck, das Bogenschiefsen als nützlichste Übung für jeder-
mosthenes und Isokrates ins Lateinische, jeden Nachmittag aus Cicero ins
Griechische. — Isokrates bei Ascham noch: ep. I 13 (1542). 17 (1643) 186
(1552?). 164. Toxophilus p. 52. Cf. E. Grant, De vita et obitu Rogeri
Aschami, in seiner Ausgabe von 1576 (abgedruckt bei Giles III 318): 2>e-
mosthenem et Isoiratem suavissimos oratores jfHvatim discipulis prculegtbat.
Antithesenstil : Isokrates im Humanismus. 801
mann zu empfehlen^), zugleich noch die Absicht^ die Kunst der
lateinischen Sprache auf die englische zu übertragen. Das sagt
er selbst p. 6 f. Giles*): „Wenn Jemand tadeln wollte, dafs ich
... in englischer Sprache geschrieben habe, so mochte ich ihm
Folgendes erwiedem. Was die lateinische und griechische Sprache
betrifft, so ist in ihnen bereits alles so vortrefflich behandelt,
dafs schwerlich Jemand diese Meisterwerke übertreffen wird. Was
dagegen in englischer Sprache seither geschrieben wurde, steht
sowohl nach Inhalt als Form auf so niedriger Stufe, dafs schwer-
lich Jemand noch schlechter schreiben wird. Denn je geringer
das Wissen, desto geneigter war man stets, zur englischen Sprache
zu greifen, und die am wenigsten Aussicht hatten sich durch ihr
Latein auszuzeichnen, glaubten um so unverschämter mit ihrem
Englisch hervortreten zu dürfen. (Falsch sei es, dadurch die
englische Sprache bessern zu wollen, dafs man sie mit Fremd-
wörtern überschwemme:) Indem Cicero den Stil des Isokrates,
Plato und Demosthenes zu seinem Vorbilde nahm, erweiterte
auch er die lateinische Sprache, aber doch in einer durchaus
andern Weise als jene. Dieser Weg bleibt von den meisten
Schriftstellern unbenutzt: entweder können sie ihn nicht ein-
schlagen, weil ihre Unwissenheit ihnen im Wege ist, oder sie
wollen ihn nicht einschlagen, weil ihre Eitelkeit sie daran hin-
dert." Er wolle das Versäumte nachholen.') Demgemäfs über-
trägt er nun auch jenes Stilomament des parallelen (antitheti-
schen) Satzbaus, das ihm als das wichtigste von allen erschien,
in mafsloser Weise in seine englische Prosa; auch hier braucht
man nur beliebig zuzugreifen, um ein Beispiel zu finden: so
gleich in der an König Heinrich VIII gerichteten Vorrede des
genannten Buches: 1 trust that your Grace shall perceive it to he
1) Ob die Idee, das Bogenschiefsen neben geistiger Thätigkeit hergehen
zu lassen, nicht, wie fast alles bei diesen hyperboreischen Humanisten, aus
Italien entlehnt ist? Cf. G. Voigt Lei' 539 von der Schule des Yittorino
da Feltre: „Neben dem Unterricht gingen die Spiele und Übungen in freier
Luft her. — Täglich gab es Übungen im Laufen, Bingen und Schwimmen,
im Reiten, Ballspiel und Bogenschiefsen."
2) Ich führe die Worte an in der Übersetzung A. Eatterfelds, Roger
Ascham, sein Leben und seine Werke (Strafsburg 1879) 49.
3) Die englische Orthographie auf Grund der lateinischen zu refor-
mieren yersuchte Th. Smith, De recta et emendata linguae Anglicae scrip
tione," Lutetiae 1668.
802 Das Homanistenlatein and die modernen Sprachen.
a thing honest for me to torite, pleasant for some to read, and pro-
ßäble for many to follow; containing a pastime honest for fhe
mind, whöksome for (he body, fit for every man^ vüe for no man,
using the day and open place for honesty to rüle ü, not Iwrking in
comers for misorder to abuse iL
Wenn man diese Verhältnisse überblickt, so dürfte man
folgender Schlufsfolgenmg nicht aus dem Wege gehen können.
Als John Lyly im J. 1579 seinen Boman schrieb , verwendete
er in ihm den Stil, der damals infolge einseitiger, durch die Hu-
manisten aufgebrachter Nachahmung des Isokrates (und Cicero)
als der einzig feine galt imd aus dem Latein der Humanisten
auf die modernen Sprachen übertragen wurde ^); der Spanier
Guevara war nur einer dieser vielen, die das thaten; eine un-
mittelbare Beziehung Lyl/s zu dem durch seine Stellung am
Hof einflufsreichsten englischen Humanisten Ascham scheint sich
klar auch daraus zu ergeben, dafs in dessen 1570 erschienenem
^Schoolmaster' als erstes Erfordernis für einen jungen Menschen
hingestellt wird, dafs er Bitpvif^g sein und gesunden Witz haben
müsse (p. 106 f. Giles): der Titel des Lyl/schen Buches aber
ist: ^Euphues. The anatomy of wit/*)
2. Cicero.
2. Nach- Unter den Ciceronianern des XVI. Jh. nahm eine her-
des Cicero- Vorragende Stellung ein der berühmte Strafsburger Humanist
'^%";;;°,'*"° und Pädagoge Johannes Sturm (1507-1589)»). Er hat den
1) Die starke Anwendung der Allitteration in den korrespondierenden
Worten (z. B. that all that are woed of love should he toedded to liMt) ist
wohl etwas spezifisch Englisches: diese Sprache neigte yon Anfang dazn,
wie die hierfür yon Landmann angeführten Beispiele zeigen. Bei dem
Spanier wird dagegen ein anderes, uns mehr antik anmutendes Elangmittel
zur Verstärkung der Parisosis verwendet, das Homoioteleuton, z. B. Costumbre
es rescehir presto y alegres: y dar tarde y tristes. En lo uno presumptuosos:
y en lo otro perezosos und sehr viel dgl.
2) Landmann 1. c. 68 gedenkt Aschams auch, aber ganz im Yorbei-
gehu: mir scheinen die Beziehimgen aber sehr eng zu sein. Ob übrigens
e'ötpvtjg auch bei Humanisten anderer Länder in jener Zeit nachweisbar
ist? A priori ist es sehr wahrscheinlich.
3) Die Bedeutung dieses Mannes für den deutschen Humanismus ist
vortrefilich hervorgehoben von Ch. Schmidt, La vie et les travaux de Jean
Sturm, Strafsb. 1865 und H. Veil, Zum Gedächtnis J. Sturms in: Fostschr.
d. prot. Gymn. zu Strafsb. (Strafsb. 1888) 3 AT.
Antithesenstil: Cicero im Hnmaidtmiis. 803
Cicerokultus förmlich organisiert. Er lielisi seine Schfiler auf-
treten und mit Anwendung aller A£Fekte die ciceronianischen
Prozesse fahren; erat etiam in eodem loco quaesitar iudicii ipsique
iudices, fasees etiam consulares et lictares^ viatores etiam ei cjrcum-
stans Corona eorum qui audiunt, inprimis vero rei et litigatores
utrinque^ patroni et amici quos ipsi sibi advocarint qui causas dt-
ctmt ... Es wurde ein Gegner aufgestellt^ der unterbrechen
durfte, worauf dann der kleine Cicero ^im Geist des toten' ant-
wortete; sie no8 Vera iudicia in veris causis instHuimus et quasi
gladiatorum oratorum paria introducimus.^) Was den Stil betrifft,
so hat er, wie sein Freund Ascham, eine aufserordentliche Vor-
liebe fdr den parallelen (antithetischen) Satzbau, in dem
er wie alle^ das Wesen der ciceronianischen concinnitas be-
1) De exercitationibus rhetoricis (Strafsb. 1575) 71. 79 f. Übrigens
war auch dieser Gedanke nicht originell , cf. G. Voigt 1. c. I ' 540 f. von
Vittorino da Feltre: „Rednerische Übungen wurden in der Weise der an-
tiken Bhetorenschule veranstaltet : die Knaben lernten fingierte Fälle be-
handeln, so dafs sie bald yor Gericht bald vor eiuem Senat oder einer
Yolksyersammlung ihre Beden hielten*' (s. o. S. 801, 1). Die analogen Auf-
führungen antiker Dramen an dem Gymnasium Sturms haben ihre Quelle
gleichfalls in Italien, cf. J. Crüger in der (S. 802, 3) citierten Festschrift
p. 309. Dagegen heifst es in der jesuitischen Verordnung yom J. 1619 (Mon.
Germ. Paed. XVI 1894 p. 186): in rhetoriea etiam exhiberi poterit aliquod
Senatus constütum, iudicium, sed äbsque apparatu soknniori personarum v.
theatri.
2) Cf. z. B. Doletus de imitatione Ciceroniana adyersus Desiderium
Erasmum pro Christophoro Longolio (Lugd. 1535) 68 f.: die concinnitas sei
den Ohren erwünscht, daher Cicero anüfheta crebro confert, quae numerum
Oratorium ipsa necessitcUe gignunt et sine industria conficiunt (wörtlich wieder-
holt in seinem: Liber de imit. Cic. ady. Floridum Sabinum [Lugd. 1540] 17).
— Strebaeus de yerborum electione et collocatione (Bas. 1539) 1. 11 c. 7 — 9
(p. 202 ff.): er sieht in jenen Stellen Ciceros (or. 38 ff. 164 ff.) yon der Con-
cinnität das wesentlichste Erfordernis für die suavitas der Bede. — P. Ra-
mus, Ciceronianus (1556) 95 (der Ausg. Prancofurti 1580) nuUa parte Cicero
mctgis Ciceronianus videtur quam in orationis compositione et structura: tam
eleganter et venuste orationem composuit .... frequentibus verhorum figuris
totum corpus exomat, dum prima primis^ postrema posiremis, prima mediis,
media postremis, omniaque inter se paria eoncinnitate stui numerum quendam
faciunt, vel gradaüm aliis consequentia praecedentium loco redeunt vel col-
lusione vocum similium aut casuum varietate veluH concinunt, — Antonius
Lullus Balearis de oratione (Bas. 1558) 1. V c. 7 über die concinnitas. —
Fr. San et ins de arte dicendi (1573) in: Opera ed. Maiansius I (Genf 1766)
362 f. mit richtiger Herleitung aus Gorgias. — Daher schärfen die je^
Norden, antike Kunstpros«. II. 52
804 Ds^ HmKumisteiüatem nnd die moderneii Sprachen.
schloss^i sah. In seiner Schrift De amissa dicendi ratione (zu-
erst 1538) 1. n e. 14 analysiert er^) daraofhin ciceronianische
Perioden wie: plus kuins inopia possit ad miserieordiam quam
Situs apes ad cruddUatem (pro Qoinci 91) und non ab homint
älieno neque ab aliguo calumniatcre atque improbo, sed ab eguiie
Bomano, propinquo et necessario suo (ib. 87). Er rät, ut in eius-
modi propositis exemplis adoUscentes exerceantur und führt eine
selbstgemachte Probe an. Ahnlich in seinem — übrigens yor-
trefflichen (s. oben S. 42, 1) — Werk De periodis (1567): als
Proben der elegantiay der venustas citiert er (f. 87 \ 103') pr.
Quinct. 26 denim, si veritate amicitia, fide societaSf pietate pro-
pinqtiitas colitur, necesse est, iste qtä amicum socium affinem fama
ac fortunis spoliare conatus est^ vanum sc ei perfidiosum ei impium
esse fateatur; pr. Caec 1 si gtiantum in agro locisque deserUs au"
dacia potest, iantum in faro atque iudiciis impudentia vdlarei: non
minus in causa cederet A. Caecina Sex. Ädmtü impudenOae quam
in vi facienda cessit audaciae; div. in Caec. 54 hie tUj si loesum
te a Verre esse dices, patiar et concedam: si iniuriam tibi fadam
quereris, defendam et negdbo. In derselben Weise analysiert er
(f. 105'. 154^ — 156^) isokrateische Perioden wie oi yäg dij^ov
ndtQtöv iöTtVj '^ystö^at tovg i^r^kvöag t&v avxox^6vaiv oi>d%
Toi}g si na^övtag z&v si xotriödvrov oidh Toi}g txitag ysvofiJ-
vovg r&v vjtods^aiiivov uad bemüht sich, sie möglichst genau
ins Lateinische zu übersetzen.^) Auch Sturm wollte die Kunst
tischen Rationes studiorum diese Figur vor allen andern ein, z. B. die
vom J. 1622 (Mon. Germ. Paedag. XVI 1894) p. 217 cf. 219 f., und der Jesuit
Julius Nigronius verwendet sie oft in seinen Reden, z. B. in der 1583 ge-
haltenen (XV p. 483 der oben [S. 798, 2] citierten Ausgabe). — Sogar Lip-
sius, sonst der erbitterte Gegner der ciceronianischen Goncinnität (s. oben
S. 775), empfiehlt am Schlufs seiner Oratoria institutio (1573; ed. Eoburg
1630 p. 106 f.), die inaignis periodus der Miloniana (e^ enim haec^ iudices,
non scripta sed nata lex etc.) so umzusetzen in eine Bede De pietate in
patriam: est enim haec, auditores, animis hominum innata virtus, ad quam
non doctrifia nos instituit sed natura imbuit, quae non tradita nobis sed tn-
fixa, non instilHta sed insita est, sowie den Satz (in Gatil. 1, 25) ad hanc te
amentiam natura peperit, volufitas exercuit, fortuna servavit in folgenden:
ad quam nos virtutem natttra peperit, doctrina exercuit, fortuna ipsa destinavit.
1) Den Kommentar zur Quinctiana, in dem er nach Ascham ep. II 99
GiloH solche Perioden analysierte, habe ich nicht finden können.
2) Cf. noch Do universa ratione elocutionis (Strafsb. 1576) 412 ff.;
665 tr. ; nur der exilis orator solle diese Figur meiden : De imitat. orat. (ib.
AntÜhesenstil: Cicero im Hnmanionna. 805
des lateinischen Periodenbaus in seine Muttersprache übertragen
wissen, denn auch das Deutsche sei solcher Finessen fähig. ^)
Aber er selbst hat sich für zu gut gehalten, um deutsch zu
schreiben, und der Antithesenstil, der im Spanischen, Englischen,
Französischen und Italienischen grassierte, hat in unsere Sprache
meines Wissens überhaupt nur geringe Aufnahme gefunden.^
Ich konnte noch eine ganze Reihe Ton Belegen geben, aus
denen zu ersehen ist, dafs im XYII. und XVIII. Jh. in den unter
Einfluls des Humanistenlateins stehenden Sprachen eine wahre
Antithesenwut herrschte. Doch lasse ich sie hier beiseite'), und
will, statt den Leser zu ermüden, ihn lieber belustigen durch
das tollste Stück, das auf diesem Gebiete geleistet wurde. Ein
viel gelesenes Buch^) war das des Emanuele Tesauro: II can-
nocchiale Aristo telico, osia idea deir arguta et ingeniosa elo-
1576) 1. II c. 9 (p. 249). — Die Vorliebe Sturms steigert ins Lächerliche
sein ^Scholiast' Valentinas Erythraeus: er (und mit ihm andere) zerlegt
z. B. den oben ans der Rede für Gaecina angefahrten Satz si — potest in
3 %6iifutta zu je 6 Silben: 8% guantum in agro | locisque deseriis \ audacia
polest und um nun auch in dem folgenden korrespondierenden Satz von
19 Silben tantum in foro atque itidiciis impudentia vakret 18 Süben heraus-
zubekommen, liefs man entweder in aus oder schrieb ac für 'atque' (in der
Anmerkung zu der citierten Stelle Sturms de periodis).
1) De ezerc. rhet. 1. c. 81.
2) Doch vgl. Anm. 4.
3) Nur einen will ich hier noch anfahren, weil er recht bezeichnend
ist. Die Rhetorik des Bartolomeo Gavalcanti (Yinegia 1669), ein unend-
lich weitschweifiges Werk, handelt im fünften Buch vom Stil, wobei an
verschiedenen Stellen mehr als jede andere Figur das la6%a)Xov gepriesen
und mit Beispielen vor allem aus Cicero belegt wird, dessen theoretische
Ausführung über diese Figur im Orator dem Vf. natürlich auch bekannt
ist (cf. p. 314), wie überhaupt das ganze Werk auf antiker Grundlage ruht.
Cf. p. 279 (wo er selbst folgendes Musterbeispiel bildet: costui neUa paee
inquieto, nella giterra otioso, nei pericoli timido, nella sicwrezza ardito si
dimastrava); 305; 312; 313 f. (er schliefst p. 314: quesH quattro omamenti,
la paritä dico, i sitnili casi, le simili terminationi ^ la contrapposiUone aono
quegli, i quali danno dcLSCwno per se stesao e senza altro artificio risanama
ed harmania tnoUo suave al parlare, come negli esempi allegcUi possono i
nostri purgaU orecchi comprendere). Doch warnt er vor dem zu häufigen
Gebrauch , und zwar in so scharfer Form , dafs er offenbar jene Manie*
seiner Zeit im Auge hat: p. 279.
4) Deutsche Nachahmungen nennt J. Chr. Gottsched, Ausfährl. Redl
kunst * (Leipz. 1739) 330 f.
62*
806
Das Homanistenlatein und die modernen Sprachen.
cutione, Venetia 1663. Von p. 114 an handelt er von den figure
harmaniche. Das sei vor allem das iööxaXov mit seinen paral-
lelen oder gegensätzlichen Gliedern und gelegentlichem Gleich-
klang am Ende (das sei ciceronianische concinnitiis). Es ge-
nügt ihm aber nicht , die unnachahmliche Schönheit dieser
Figuren blofs dem Ohr bemerklich zu machen^ sondern auch
das Auge soll sich daran erfreuen; zu diesem Zweck teilt er
die einzelnen, meist Cicero entnommenen; Beispiele durch Linien
ab, z. B. Cic. in Mü. 102:
an
Tu
1
Me
Per hos
I
In patriam
I
Bevocare
I
Fotuisti
Ego
I
Te
I
Per eosdem
I
In Patria
I
Eetinere
I
Non potero?
Dann folgen noch ein paar andere derartige Analysen cicero-
nianischer Perioden; von einer sagt er: di cui nel giardin delle
Muse ntun' altro e piü fiorito, denn sie enthielte eine Komposi-
tion dolceniente sonora e vigorosamente soave, omaixt insieme et or-
dinafa, ricrea il Dotto, insegna VIdioto; ebenso Cic. pr. Scaur. 45:
doinus tibi deerat:
at häbehas
pecunia supererat:
at egebas;
incurristi
in alienas
amens
insanus
in columnas
insanisth
Welchen erschreckenden Umfang diese Manier angenommen hatte,
sieht man daraus, dafs nicht blofs Tesauro sich (p. 187 flF.) daran
macht, alte Ehreninschriften auf Augustus und Constantinus nach
diesem Schema umzuformen, sondern dafs man — ganz wie
Guevara (s. oben S. 793) — damals thatsächlich solche Ehren-
inschriften verfafste, von denen z. B. nach Tesauro (p. 189) eine
lautet:
Omasius Fagoniae Biuc
Dominus y Victor ^ Princeps, Deus;
Hie ia>ceo.
Antithesenstil : Cicero im Humanismus. 807
Nemo me nominet famelicus^
Praetereat ieiunus^
SältUet söbrim.
Haeres mihi esto, qui potest;
Stihditus qui vult;
Hostis qui audet
Vivite Ventres et välete.
Doch man mufs diesen ganzen Abschnitt des Cavaliere lesen^
um einen Begriff von der Monomanie jenes Jahrhunderts für
diese Spielereien zu bekommen.
Schlafs.
Der Mann, dessen Stilfacetien wir soeben keunen lernten, ZM^mmen
hat in richtiger Selbstschätzung als seine und seiner Genossen
Vorgänger gepriesen GorgiaS; den Sophisten Ton Leontini, so-
wie jene gezierten spätlateinischen Autoren aus der Deklamar
torenschule, ne' quali parve rinato Gorgia Leontino. Vernünftige
Männer haben ihre in orgiastischem Stil schwelgenden Zeit-
genossen darauf hingewiesen, dafs sie es nicht besser machten,
als Gorgias, Hegesias und jene Asianer, deren Excesse Cicero
und der Autor negl wlfovg Terponten. *) In diesen Vergleichen
ist eine durchaus zutreffende historische Erkenntnis niedergelegt.
Denn wenn wir, auf der Hohe angelangt, einen Rückblick werfen
auf den langen Weg, den wir zurückgelegt haben^ so sehen wir
hinter uns liegen eine zweitausendjährige, nie unter-
brochene Tradition. Dem alten sizilischen Redekünstler,
„dem Mann der Mache und des Esprit''^), hatte das für Geist
und Witz so empföngliche und für sinnliche Formenschönheit
auch der Sprache von der Natur einzig prädestinierte Athener-
Yolk zugejubelt und die Süfsigkeiten, die er ihm bot, begierig
eingesogen. Von Gorgias und Genossen haben die Attiker mit
1) Fr. Ogier 1. c. (S. 784). R. Ascham, The schoobnaBter (London
1670) 99 Arber.
2) V. Wilamowitz, Hom. Unters. (Berlin 1884) 318. — Es hätte oben
(8. 15, 1) bemerkt werden müssen, dafs v. Wilamowitz 1. c. 811 £P. zuerst
dM zeitliche Verh<nis des Thrasymachos zu Gorgias richtig beurteilt hat
808 Schlufs.
ihrem merkwürdigen Geschick^ Fremdes sich anzueignen und
durch den Stempel ihrer Eigenart zu adeln ; die Kunst gelernt,
durch äulserliche Mittel den Sinn und Geist Ton Horem und
Lesern zu bewegen. Die Klassicität der grolsen attischen Schrift^
steller beruht auf der Stellung^ die sie zur sophistischen Kunst-
prosa einnahmen, deren Verkehrtheiten sie yermieden uud deren
Vorzüge sie mit dem ihnen angeborenen Gefühl für Takt und
Grazie zur Vollendung erhoben: am meisten gelang das Piaton,
dem Dichterphilosophen, und den Rednern der Praxis. Aber da
sie sich kraft ihres individuellen Könnens am weitesten Ton der
bewufsten rix'^fi der sophistischen Kunstprosa entfernten, so
geht deren eigentliche Entwicklungslinie nicht über sie fort.
Vielmehr war es Isokrates, der Schüler des Gorgias, der die
Praxis seines Lehrers und der sophistischen Bedekünstler über-
haupt wissenschaftlich begründet und sie — nicht ohne wesent-
liche, mildernde Änderungen — für alle Zeit den Gemalsigten
verbindlich gemacht hat. Die asianische Rhetorik dagegen hat
in unmittelbarer Anknüpfung an Gorgias und mit absichtlicher
Übergehung des Isokrates (und Demosthenes) jene Manier ins
Bizarre gesteigert. Gerade durch die grellen Farben, die sie
auftrug, zog sie die Augen der Römer auf sich, sobald diese in
die Sphäre der hellenischen Kultur eintraten. In den griechischen
und lateinischen Rhetorenschulen der Kaiserzeit, bei den Ver-
ehrern sowohl der alten Götter wie der neuen Gottheit, fand
diese Manier begeisterte Adepten, die ihr bis ins byzantinische
und occidentalische Mittelalter treu geblieben sind und weiterhin
den an der Antike sich emporrankenden modernen Sprachen an-
fangs ihren Stempel aufgedrückt haben. Diese von der alten
sophistischen Kunstprosa ausgegangene und in Einzelheiten
stetiger Umbildung und Weiterbildung imterworfene Stilrichtimg
haben wir nach einem aus dem Altertum selbst stammenden
ünterscheidungsprinzip die „moderne" genannt. Dem progres-
siven Verfall hat sich von Anfang an eine reaktionäre Partei,
die der „Alten", entgegengestemmt, die in Theorie und Praxis
Rückkehr zum Archaischen und Einfachen befahl, das sie in
den attischen Klassikern versinnbildlicht fand: ein vergebliches
Unternehmen, da sie in romantisch - idealistischer Schwärmerei
das Wollen mit dem Können verwechselte und den Anforderungen
der wechselnden Generationen keine Rechnung trug: der gröfste
Schlufs. 809
und geschichtlich bedeutendste dieser reaktionären Versuche
wurde von den Humanisten — auch auf dem Gebiete des Stils
— unternommen, aber er scheiterte wie alle seine Vorgänger.
Auch an Vermittlungsversuchen zwischen den „Neuen" und den
y^Alten'^ hat es in der ganzen Zeit nie gefehlt: mit unerreichter
und daher der Ewigkeit für würdig befundener Virtuosität schlofs
diesen Kompromifs Cicero, und in langer ununterbrochener Ar-
beit schlössen ihn auch die modernen Sprachen, iudem sie nach
jahrhundertelangem Tasten und Irren zur Erkenntnis kamen,
dafs nicht eine überstürzte mechanische Übertragung des Fremd-
artigen, sondern nur ein langsamer inniger Verschmelzungs-
prozefs zu dem Ziele führen könne, dem jedes Kulturvolk, nur
seiner Veranlagung gemäfs mit gröfserer oder geringerer In-
tensität, zustrebt, der reinen Schönheit der Form wie in der
bildenden Kunst, so auch in der gesprochenen und geschrie-
benen Rede.
Weit über ihre zeitlichen Grenzen hinaus hat sich uns die
Antike als die alles bewegende und belebende Kulturmacht er-
wiesen. Die Barbarennationen, von denen sie zertreten zu werden
in Gefahr war, hat sie ihrerseits veredelt und die rohen, planlos
hinstürmenden Gewalten befähigt, durch edelste Menschenbildung
die grofse Mission einer Givilisation des Erdkreises zu voll-
bringen. Die feindliche Gewalt der neuen Religion hat ihre
stolze Gegnerin nach einem Ringen, wie es länger und furcht-
barer in der Weltgeschichte des menschlichen Denkens nicht
stattgefunden hat, zu Boden geworfen, aber wie des Lichtes
Fackel auch umgewendet emporschlägt, so ist die Besiegte von
der hoheitsvollen Siegerin selbst wieder aufgerichtet worden und
hat mit ihr, wie auf allen Gebieten, so auch auf dem des kunst-
mälaigen Ausdrucks der Gedanken in Worten und in Schrift,
einen Freundschaftsbund geschlossen, welcher der Menschheit
zum Segen die Äonen hindurch dauern wird, so gewifslich wahr
das Wort des ernsten Dichters von der Ewigkeit des Guten ist:
t6 si vixä.
Atihang L
Über die Geschiclite des Beims.
Es giebt wenige litienu'hisionBche Probleme, dber die so
Tiel gesehrieben ist wie über das Tom Cispnmg des Reims.
Eine blolse An&ahlimg der Titel dieser Abhandinngen, die ich
ziemlieh rollstandig geben zn können glanbe — wer heute
darüber sehreibt, thnt so, als ob er keine oder fiui kerne Vor-
gänger hat — würde Seiten f&Uen^), und wollte ich den ganzen
Stoff in allen seinen Einzelheiten bearbeiten, so bedürfte es dazu
eines eignen Werkes. Ohne daher auf das Detail einzogehen
und ohne mich mit einer genauen Widerlegung des yielen Fal-
schen und Abenteuerlichen, das in dieser Frage rorgebracht ist,
zn be£assen, werde ich mich darauf beschranken, die wesent-
lichen Resultate meiner Untersuchungen vorzulegen; wenn ich
trotzdem ausf&hrlich werde, so geschieht es deshalb, weil ich
nur auf breitester Grundli^e das Problem lösen zu können
glaube.
L Prinzipielle Fragegtellug.
Dt a«im Wer vor etwa hundert Jahren über dies Thema schreiben
fomin wollte, mufste vor allem zu einer prinzipiellen Frage Stellung
^^J^ nehmen: ist der Reim die ^Erfindung' irgend eines bestimmten
Volks gewesen, von dem er den übrigen vermittelt wurde? Heut-
zutage herrscht darüber Einigkeit, dals eine solche Frage in sich
1) Die erste Bystematische üntersochung stammt von Muratori in
seinen Antiqoitates Italiae medii aevi III (1740) diss. XL De rhythmica
veterom poesi et origine Italicae poeseos, cf. besonders p. 686 £P.
spontane Entstehung oder Entlehnung. 811
selbst zusammenfällt: die aus allgemeinen Gesichtspunkten sich
ergebende Anschauung , dafs etwas derartiges überhaupt nicht
'erfunden' wird^ erhält immer neue positive Beweise durch die
Erforschung der Sprachen primitiver oder wenigstens von der
europäischen Kultur abseits stehender Völker. Wir erkennen;
dafs der Hang zur Verknüpfung von Versteilen oder ganzen
Versen durch gleichklingende Silben potentiell (um mich so
auszudrücken) überall vorhanden ist^), dafs es sich mithin nur
darum handelt^ ob; wann; in welchem Umfang und durch welche
Einflüsse er aktuell geworden ist. — Jeder Gebildete weils, dafs Der ger-
der Beim in der späten Eaiserzeit in die Verse der christlichen B^'t^'eiiu
Hymnen*) eindrang und hier; von bescheidenen Anfängen ai^s-^^®^'^
gehend; mehr und mehr seine Herrschaft ausdehnte, die er end- lat Hym-
gültig besafs; als die alte Welt zu Boden gesunken war und
auf ihren Trümmern neue Völker zu wirtschaften anfingen. —
Auch darüber herrscht jetzt allgemeines Einvernehmen, dafs
das germanische Volk in Anlehnung an die lateinischen Hymnen
diese Verszier f[ir seine Poesie nutzbar gemacht; d. h. dem Beim
seine originalen Versformen geopfert hat.^) Zwar sträubt sich
unser Gefühl anfangs gegen die Zumutung; ein wesentliches for-
males Element der Poesie als Import aus der Fremde anzusehen.
Aber es fehlen dafür nicht Analogieen. Über die Verse der
Kirgisen urteilt der erste Kenner dieses und der verwandten
nen
1) Weite Verbreitung des Reims : George Puttenham, The art of eng-
lish poesie (1589) in Arbers reprints n. 15 p. 26. Theophilus Swift, Essay
on the rise and progress of rhime in: Transactions of the royal irish aca-
demy IX (Dublin 1803) 3 ff., wo er ihn nennt: fhe universal voice of nations.
J. Eayser, Beitr. z. Gesch. d. alt. Kirchenhymnen ' (Paderborn 1881) 110, 4 u. a.
2) Ein wissenschaftliches Buch über die Geschichte des christlichen
Gesanges fehlt. In den bekannten Darstellungen sucht man vergebens so
wichtige Stücke wie den (jetzt durch M. E. James in Tezts and studies V
[Cambridge 1897] 12 f. vervollständigten) Hymnus in den (aus s. 11 stammen-
den) gnostischen acta lohannis p. 220 f. Zahn (genau wie es Tertull. de
or. 27 beschreibt), den Hymnus des Valentinus bei Hippol. ref. haer. VI
87, den der Naassener ib. V 10, die Lieder des ApoUinarios nach Sozom.
h. e. VI 25 und die des Arius nach Athanas. I 247. 406. 728 ed. Maur.
Künftig wird auch hinzuzunehmen sein der kürzlich in Ägypten gefundene,
von üsener (Religionsgesch. Unters. I 189 f.) ins rechte Licht gestellte
liturgische Antiphonengesang am Epiphanienfest.
8) Wohl zuerst hat W. Wackemagel, Gesch. d. deutsch. Nationallitt.
I ' (Basel 1879) § 30 das nachdrücklich hervorgehoben.
812 Anhang I: Über die Geschichte des Reims.
Völker, W. RadlofiF*), folgen dermalBeD: „Was die rhytbmiscben
Gesetze betrifft, durch die die gebundene Rede geregelt wird,
so sehen wir, dafs hier die persische Poesie einen grolsen Ein-
flufs geübt. Die ursprünglichen türkischen VersmaCse sind ver-
loren gegangen: an Stelle der akrostichischen Verse sind Verse
mit Endreim getreten/' Die Perser haben, soviel ich weiCs,
ihre originalen Versformen denen der Araber geopfert. Das
nationalitalische Versmals, in dem Priester Hymnen, Dichter
Epen, Aristokraten Grabschriften, Aristokraten und Plebejer
Dedikationen verfafsten und nach dessen Takt der Landmann
beim Erntefest tanzte und sang, ist durch die um 200 v. Ohr.
importierten griechischen Versmafse bis zu dem Grade verdrangt
worden, dafs Gelehrte um 50 v. Chr. von der alten Versform
keine klare Vorstellung mehr besafsen und dab, was noch mehr
sagen will, der Soldat Verse auf die Kaiser in trochäischen
Langzeilen, die weise Frau Losorakel in Hexametern, der ge-
wöhnliche Mann Grabschriften in Senaren oder Distichen kon-
zipierte. So übte also die antik -christliche Kultur ihre über-
wältigende Macht auch auf die Versformen der modernen Völker
aus: der Germane, der gemäfs seiner Aussprache das charak-
teristische Ornament des Verses von jeher auf die Anfangssilben
gelegt hatte, begann nun, es auf die Endsilben zu legen und
das in einer Zeit, wo die Entwicklung der eignen Sprache,
nämlich der beginnende Verfall dieser Endsilben, umsomehr ein
Festhalten an dem alten Prinzip empfohlen hätte: der allitte-
rierende Vers des Hildebrandliedes wich dem gereimten, der
wenigstens für uns zuerst und gleich voll ausgebildet in Otfrids
Werk vorliegt, ohne dafs die Zufälligkeit imserer Überlieferung
ausschlösse, dafs infolge der Einwirkung der lateinisch -christ-
lichen Poesie der Reim schon vor ihm wenigstens partielle Ver-
wendung gefunden haben könnte; denn erstens pflegt die volle
Ausbildung irgend welcher Erscheinung primitive Vorstufen zu
haben und zweitens ist, wie mich F. Vogt belehrt, die kanonische
Geltung des Reims in der ganzen deutschen Poesie seit der
karolingischen Zeit nicht aus Otfrids Werk zu erklären, das nur
in gelehrten Kreisen gelesen wurde und dessen Einfluüs über-
1) Die Sprachen der tfirkischen Stämme Süd- Sibiriens L Abt. 8. Teil
(St. Petersb. 1870) p. XX IT
Entlehnung von Formen. 813
haupt sehr gering war. — Die Einwände; die früher gegen die
Herkunft des Reims aus der lateinischen Hynmenpoesie gemacht
wurden^ sind hinfallig. Wenn in altgermanischen Liedern ganz
gelegentlich ein oder der andere Vers reimt^), wenn, wie wir
nachher sehen werden, der Reim in germanischen Zauberformeln
aus heidnischer Zeit begegnet, oder wenn selbst, was jetzt von
mafsgebenden Forschem in Abrede gestellt wird, jene in der
Notkerschen Rhetorik citierten altdeutschen Reimverse*) sehr
alter volkstümlicher Poesie angehören sollten, was folgt daraus
anders als das, was jeder ohnehin zugeben mufs: daüs das ger-
manische Ohr für den Zusammenklang auch des Auslauts der
Worte empfönglich war, dafs also (um mich des obigen Aus-
drucks zu bedienen) der Reim auch im Deutschen seiner dwa-
liig nach vorhanden war, ehe er durch die auf allen Gebieten
des Denkens und Dichtens so einsdmeidende Einführung der
christlichen Hymnen zur ivsQysuc wurde? — Da mithin die Der Beim
Thatsache, dafs der Reim in der Poesie der modernen Hymnen
Volker in aktuelle Erscheinung getreten ist durch
Übertragung aus dem lateinischen Hymnengesang, als
sicher zu gelten hat, wird die prinzipielle Fragestellung
für die Volker unsres Eulturkreises zu lauten haben:
wie ist der Reim in die lateinische Hymnenpoesie ge-
kommen? Bevor wir aber diese Frage beantworten können,
sind noch mehrere Punkte zu erörtern.
U. Der Parallelismns als Urform der Poesie and
der Reim in Formeln.
1. Es war nicht blofis das allen Menschen angeborene Ver- ParaiieUs-
gnügen an harmonischem Wohlklang, das den Reim potentiell ZZ^v
bei den meisten Völkern hervorbrachte'), sondern es bedurfte ^^aSte
1) Gf. C. F. Meyer, De theodiscae poeseos yerbomm consonantia finali
(DisB. Berl. 1849) 9 flF.
2) Bei P. Piper, D. Schriften Notkers u. s. Schule I 678 f., cf. darüber
z. B. 0. Schrader in: Germania XIV (1869) 42 ff.
8) Harsdörffer in seinem Poetischen Trichter, dritter Teil (Nümb. 1668)
p. 79 (cf. E. Borinski, Die Poetik d. Renaissance [Berl. 1886] 206) antwortet
auf die Frage Varum die Reimen das Ohr belustigen': „nemlich wegen
ihrer ungezwungenen Lieblichkeit, welche sich etlicher Mafsen mit einei
814 Anhang I: Über die (xeschicfale des Beiiiu.
einer ganz bestimmten Gnindlagey ron der er nicht liMgeloofc
werden kann, ohne seiner Existenzmoglichkeit Terlnstig n gdien.
Das Substrat des Reims ist der Parallelismos, oder, wie
Herder es einmal etwas weniger scharf ansdröckt: ,pDer Retm,
das grolse Vergnügen nordischer Ohren, ist ja ein fortgehender
Parallelismns.^^) Parallelismns ist yielleicht der wiehtigate for-
male Yolkergedanke, den es giebL Treffend arteilt A. Wnitke^
D. deutsche Volksaberglaube d. Gegenwart' (Berlin 1869) 157 £:
„In Formeln wie ^Mond nimt zu, Warse nimt ab' ^Glocken gehn
Toten nach, Warzen gehn mit' liegt eine achte und nraprllng-
liehe Volkspoesie, ein Parallelismus der Gedanken, wie er in der
hebniischen Dichtkunst und in den Volkssprüchen und besondas
in den Gleichnissen sich kundgiebt, der Ursprung aller Dicht-
kunst überhaupt. Was der Reim im auberen Klange anadiücken
will, das drückt sich hier in kemhafter Wirklichkeit ans, die
innere Gleichstellung und Verbindung des äuberlich Cntersehie-
denen.^ Wer die Veröffentlichungen der Folkloristen durchblür
tert, findet genug Beweise daf&r; so kleiden die Stamme am
Altai ihre Sprichworter so gut wie ausschlielslich in die Form
des Parallelismns, z. B.
„Was gedenkst du die Vogel des Himmels zu fiingen?
Was gedenkst du die Fische des Meeres zu fangen ?*
oder:
„Wer hat gesehen, dals des Bockes Hom zum EUmmel reicht?
Wer hat gesehen, dals des Eameels Schwanz zur Erde reicht ?^^
Ebenso Sprichworter der Tataren, z. B.
„Des Alten Worte bewahre im Sack,
Seinen Leichnam bewahre nach Gebühr.^
oder:
„Des Menschen Dummheit ist innen,
Des Viehes Buntheit aufeen."*)
gleichkünstlicher ZnsammenstimmnTig in der Mosic rereinbahren ; aller
Mafsen anch ein wolge«taltes and nach konstrichtigem Ebenmafs wolge-
stelltes Gem&hl dem Ang beliebet. Ea ist dieses der Natur eingepflamet,
dafs ihm angenehm ist, wa« eine Gleichheit hat und hingegen miüsfiUüg,
was eine Ungleichheit answeisset.**
V In seiner Abhandlung .,Vom Geist der ebrÜschen Poede'* 178S »bk
Werke ed. Suphan XI SSS.
2^ Radioff 1. o. I 1 ^St. Petersb. 1866^ 1 ff.
Z) Ders. 1. c. 1 6 ^St, Petersb. 1S86) 7.
Parallelismas als Urform der Poesie. 815
Ein Eskimolied ^):
„Den grofsen Eoonak Berg im Süden drüben,
Ich sehe ihn.
Den groCsen Eoonak Berg im Süden drüben
Ich schaue ihn.
Den leuchtenden Glanz im Süden drüben,
Staune ich an.
Jenseits von Koonak
Dehnt es sich aus,
Dasselbe was Eoonak
Seewärts umschliefst.
Schau, wie sie (die Wolken) im Süden
Wogen und wechseln,
Schau, wie sie im Süden
Einander verschönem;
Während er (der Gipfel) seewärts umhüllt ist
Von wandelnden Wolken,
Seewärts umhüllt,
Einander verschönernd/^
Ein finnischer Sang^:
A maiden waVced along the airs edge — a girl along the ^naveV
of fhe sky,
AUmg the outline of a doudj — along fhe heaven's houndaryy
In stodßings of a bluüh hue^ — in shoes with omamented heels,
A ivool'hox in her handy — nnder her arm a hairßled potich
tL S. W.
2. Dieser Parallelismus der Poesie und der gehobenen Prosa ^) Arten des
PanUleli»-
mn«:
1) Bei E. Grosse, D. Anfange d. Kunst (Freib.-Leipz. 1894) 282.
2) In englischer Übersetzung mitgeteilt von J. Abercromby, Magic
songs of the Finns in: Folk-Lore, a quaterly review of myth etc. I (Lond.
1890) 26 cf. p. 22 : In Finnish, the second line of a coupUt is nearly dtwaya
a repetition in other toorda of its predecessor, and stände in apposUion to it, •
Wem die Folk-Lore-Litteratur besser zugänglich ist als es einem Deutschen
(selbst an den gröfsten Bibliotheken) möglich ist, wird zweifellos Beispiele
auch anderer Völker beibringen können. Es wÄre dringend zu wünschen,
dafs die Folkloristen (was jetzt Ausnahme zu sein scheint) stets genaue
Mitteilung auch über die ftufsere Form der Lieder machten (am liebsten
auch mit einer oder der anderen Probe im Original): allgemeine Inhalts-
angaben allein genügen uns nicht.
8) Cf. A. Jeremias, Die babylonisch -assyr. Vorstell, v. Leben nach dem
81G Anhang I: Ober die Geschichte des Reims.
— wir haben bereits oben (S. 30 ff.) gesehen und werden weiter-
hin darauf zurückkommen , dafs beides nicht zu trennen ist —
zeigt bei verschiedenen Völkern oft eine Terschiedene Erschei-
nungsform: teils entsprechen sich die parallel laufenden Satze
. ganz oder zumeist Wort für Wort, teils ist die Besponsion eine
erheblich freiere; wenn wir den wesentlichen Unterschied ins
Auge fassen, so können wir die erstere Erscheinung Parallelis-
mus der Form, die zweite Parallelismus des Gedankens
nennen,
a. orieoh. a. Den Parallelismus der Form nannten die Griechen
paraiieu«- naQl0(o0ig; wir haben gesehen, dafs diese das wesentlichste
^^ Charakteristicum der griechischen, dann der lateinischen Ennst-
prosa war; ein Satz wie der des Gorgias:
t{ y&Q iatf^ xolg &vdQa6i tovroig &v Sei ivd^döi MQOöitvm;
r{ dl xal nQOöf^ &v oi det XQOöBtva^;
slxstv SwalyLriv St ßovXofuUj
ßovkolyLriv d' & det'
q>vyhv dh xbv &v^Q(bxivov g>&6vov
mag typisch dafür sein. Die Griechen müssen es sich gefallen
lassen, hier mit den Chinesen zusammenzugehen (deren Sprache
übrigens charakteristischerweise wie die der Griechen den musi-
kalischen Äccent haben soll: s. o. S. 5); über sie teilt G. ¥. d.
Gabelentz folgendes mit (Zeitschr. f. Y olkerpsych. X [1878] 230 £):
«,Der Chinese, ein stilistischer Feinschmecker der empfindlichsten
Art, ist ein grofser Verehrer scharf zugespitzter Antithesen.
Schärfer aber können die Spitzen nicht aneinanderstoüsen, als
wenn man beide entgegengesetzte Gedanken in ToUig symme-
trischer Gestalt, Glied auf Glied einander entsprechend, neb-
sammen rückt. Dies ist eine der gebräuchlichsten Arten ihrer
StilkuDst'', was dann durch ein auch für Laien yeraündliches
Beispiel illustriert wird.*)
TvHio Jweipu^ ISST^ 9: „Die Form der I>ant«llaiig (io der Höllenfikhri der
Istar^ ist Parallel ismus der Glieder, eine Form der poetiachem Sprache, die
»iohorlioh urspr&nglich keine bewafst kunstmäiag« ist^ tonden das natür-
Hoho Krgebnis «chwnngToll gehobener Rede,**
r Btruierkensweit i$t aoch. dafs ans diesem Fonnparalleli imns sich
nach T «1. GaU^lentt die chine<i$>cbe Sitte erklärt, «ehr oft ohne Inieipank-
VivMi i\\ ;^oUroilvn Auch der Gritvho brauchte i B. fieineii Goi^a« kamn
SU intorj^uujjioron.
Parallelismas als Urform der Poesie. 817
b. Der Parallelismus des Gedankens tritt vor allem b. Hebr.
klar entgegen in der hebräischen Sprache. Wer ihn zusammen- ^üuü:
wirft mit dem griechisch-lateinischen, oder gar den Parallelismus "*"'
im Stil jüngerer lateinischer Autoren (z. B. des Appuleius oder
Augustin) aus dem Hebräischen ableitet, beweist, dafs er von
der Art des hebräischen Parallelismus gar keine Vorstellung hat.
Ich will, damit der Kontrast um so deutlicher hervortrete, nicht
das Hebräische unmittelbar mit dem Griechischen, sondern das
von Juden geschriebene Griechisch mit dem von echten Hellenen
geschriebenen Griechisch vergleichen. Wer des nationalgriechi-
sehen Parallelismus Kundige, der etwa den eben angeführten
Satz des Gorgias liest, könnte auch nur in Versuchung kommen,
ihn für identisch zu erklären etwa mit Jes. Sir. 1
ütaöa 6oq>ia itaQä kvqCov^
ocal (ist' aitov iötvv sig rbv al&va.
&[iliov d'aXa66&v xal örayövas ifBtov
xal imiiQas ai&vag tig iiaQid'(i'^0si;
iitlfog oiQavov xal nXdtog yfig
xal &ßv66ov xal 6oq>Cav xlg i^LXvidösi;
nQOziga navxoyif ixxi,6xai tsotpla^
xal övvsöig q>Q0viJ6€a}g i^ al&vog
(u. s. w. in 51 langen Kapiteln), oder mit dem in den (griechi-
schen) Thomasakten erhaltenen gnostischen Hymnus auf die
Sophia (Act. apost. apocr. 195 f. Tischend.), dessen erste und
sechste Strophe R. Lipsius, Die apokr. Apostelgesch. I (Braun-
schweig 1883) 301 £ so übersetzt:
„Das Mädchen ist des Lichtes Tochter,
Der Abglanz der Könige wohnt ihr ein.
Fröhlich und erquickend ist ihr Anblick,
In strahlender Schönheit erglänzt sie." —
„Ihr Brautgemach duftet von Balsam und allen Aromen,
Gibt süfsen Wohlgeruch von Myrrhen und Laubwerk.
Drinnen sind Myrthenzweige imd duftende Blumen gebreitet,
Das Brautbett mit Schilfrohr geschmückt'',^)
oder mit folgenden Sätzen aus den Reden Jesu^) im Evan-
gelium Matth. 7, 13 f.
1) Cf. in denselben Akten noch p. 198 f. 213 f. 216. 224.
2) Dafs sie so komponiert sind, ist von D. Müller, Die Proph«*
818 Anhang I: Über die Geschiebte des Reims.
£l6iX^£xs diä tfls 6t£VYig nvkfig.
Zxi nXaxala ii Tfdkri
Kai si>Qvx(OQ0s '^ 6dbg
^ &7tciyov6a slg ti^v &7t<oksiav
xal noXkol bIölv ot b16£q%6(uvoi 8C aitriq.
ort 6tBvii fi nvXri
xal tsd'kifiiiivti fj böbg
^ &7tdyov6a slg tiiv %miiv
xal dXiyoL slölv ot s{)(fi6xovTsg avti^v.
ib. 16 ff.
&xb r&v xaQTC&v avt&v imyvAösöd'S aitovg'
/Liiert 6vkkiyov6iv anh ixavd'&v 6taq>vkiiv
^ &nh TQLßökav 6vxa;
oUto) nav divSqov iya^bv xaQitoifg xakoifg aoisi*
rb dh tsanqbv SivSgov xaQito'bg novriQoi>g noiBl,
oi diivaxai öivÖQOv iya^bv xagnovg novi]QOi>g xoietv
ovdl divSgov 6anQbv xaqnohg xakovg xovBtv,
Ttäv divdgov fiij noiovv xagxbv xakbv ixxditxstai
xal slg nvQ ßdkkstai'
&Qa y£ inb r&v xagn&v air&v inLyvA0s6d'£ avroiig,
ihrer ursprünglichen Form I (Wien 1896) 216 £P. richtig hervorgehoben, cf.
schon Chr. Wilke, D. neutest. Rhet., Leipz. 1843, 192. (Für Paulas cf. jet«t
J. Weifs, Beitr. z. paul. Rhet., Gott. 1897, wonach o. S. 609 f. zu erweitem).
Auch A. Resch, Agrapha 1. c. (o. S. 474, 2) 244 £P. hat auf solche Parallelismen
zu yier Gliedern in den X6yicc ytvQiatui hingewiesen und sehr belehrend ist,
was derselbe p. 82. 35 notiert: bei Lukas 10, 16
6 dh iy^ Msv&v MetBt tbv &nootBiXavxd \lb
sind die in Klammem eingeschlossenen Worte nur in dem berühmten Co-
dex Cantabrigiensis (s. VI), sowie in mehreren Übersetzungen und in Alteren
Oitaten erhalten; der Philologe würde daraus einfach folgern, dafs sie in
nnsem EyangelienhsB., mögen diese auch ein paar Jahrhunderte älter sein
ala der Cod. Cant., ausgefallen sind: ob die Folgerung des genannten Theo-
logen, ne gehörten dem ürerangeUum an und seien Ton Lukas ansgelaMen
den. ixgend welche innere oder ftolsere Wahncheinlichkeit hat, wage
^'v «j^be ei aber luoht.
Parallelismas als Urform der Poesie. 819
ib. 24 S.
nag oiv ZtSug ixo'6sL (lov toi>g Xöyovg tovtovg xal nout aitovgj
&lioi(o6(o ctötbv &vd(fl q>QOvliia)y
Z0tig pxod6(ii]<fs tiiv olxiav airtov ixl tiiv nixqav*
xal xatdßr] ^ ß(fOXi^j
ocal ^k^ov ot nota(ioiy
xal i%vsv6av ot &vB[kOij
xal nQoöineöov r$ olxia ixaivfjj
xal (yöx hc€66'
XB^siiBliano yä(f inl f^v xixQav,
xal nag 6 ixo'öayi/ (lov roi>g Xöyovg tovtovg xal (lij noi&v ainovgy
6iiLOia}dii0Btai &vd(fl (KOQ^y
S0tig pxod6iiLrj0ß f^v olxCav avtov inl tifv &(iiiov'
xal xatißtj ^ ßQOxii,
xal f^k^ov o[ notaiioij
xal hcvBv6av ot &VBiioij
xal n(fo0ixo^av tfi olxia ixBivg,
xal inB0B'
xal fyf fi nt&0ig aitijg (isydkri.
Das ist derselbe Strophen-^ Satz- und Gedankenparallelismus^ der
gelegentlich^ an besonders gehobenen Stellen, auch die Reden
der Propheten auszeichnet: der hellenischen Prosa ist derartiges
ganz fremd. ^)
3. Was ist nun begreiflicher, als dafs in diesen beiden Arten Spon<
^___^^________ tanei
Beim ii
1) Ich erwähne das alles nur, weil immer wieder von neuem der echt- Formell
griechiBche und echtlateinische Parallelismus der Eunstprosa mit dem he-
br&ischen Parallelismus zusammengeworfen wird. Am verwegensten ist die
Behauptung Yon E. Deutschmann, De poesis Graecorum rhjthmicae usu et
origine (Progr. Eoblenz 1889) 26: der Beim der christlichen Poesie sei aus
der Septoaginta abzuleiten, denn : pscUtni illim versionis tarn pleni atmt ri-
montm, ut prope ad fnacamas Ärahutn accedant, worin jedes Wort unrichtig
ist. Über das Wesen des hebräischen Parallelismus hat schon B. Lowth
In seinem berühmten Werk De sacra poesi Hebraeorum (1763) praelectio
XIX xichüg geurteilt, cf. auch E. du M^ril, Essai philosophique sur le prin-
dpe el las formes de la yersification (Paris 1841) in dem Eapitel, das han-
ddt Da ihjthme bas^ sur les id^es (p. 47 fp.). Mit dem Hebräischen stimmt
gOBMi die Knnische: der Ealewala zeigt durchgängigen Parallelismus, über
Weton D. Comparetti, Der Ealewala (Halle 1892) 81 sagt: „Jeder
i aiUii einen Tollständigen Gedanken oder einen yollständigen Teil
Oe danken 8 enthalten, welcher im nächsten Verse in an-
fcen wiederholt wird."
OBi SoMlproM. II. t>^
820 Anhang I: Über die Greschichte des Beimi.
des Parallelismns und zwar natnrgemäls weit öfters in der
als in der zweiten die beiden sich gegenübergestellten Sitze
durch den Zusammenklang der auslautenden Silben der letzten
Worte ^gebunden' werden, wie wir mit einer bezeichnenden Me-
tapher^) sagen? In der griechisch-lateinischen Eunstprosa ge-
schah es durch bewulste Absicht der Schriftsteller, aber wie
*) im La- tief der Hang dazu in der Volksseele selbst wunelte, zeigen
' jene uralten ^carmina', die die antiken Volker so gut besalsen
wie die anderen. Buecheler hat auf ihre Bedeutung auch f&r
die uns hier interessierende Frage hingewiesen im Rh. M. XXXTV
(1879) 345. Nach Anfährung einiger Beispiele gereimter Zauber-
formeln urteilt er: recetUissima haec est latinorum poemaium fanma,
elsi primordia eius ipsa quoque ad horridam antiquiiaiem, immo
ultra gentis ronumae originem redeunt. Auf Anregung Buechelers
hat dann R. Heim das Material yorgelegt: Incantamenta magica
graeca latina in Fleckeisens Jahrb. Suppl. XIX (1893) 465 ff.
Mustert man die Beispiele, so findet man, dals die Urform dieser
'carmina' der Parallelismus ist, der gelegentlich durdi den Reim
gehoben wird. Nur ein paar Beispiele wiederhole ich daraus.
Die beiden ältesten stehen bei Varro de r. r. I 2, 27 und de
1. 1. VI 21:
terra pestem teneto
salm hie maneto
und:
novum vetiis vinum bibo
novo veteri morbo medeor;
alt ist auch die Formel, die einem bekannten Vergilyers (ed. 8, 79)
zugrunde liegt:
limus ut hie dureseit et haee ut cera liquescit.
Femer der accentuierende Vers bei Marc. Emp. YllI 191:
nee huio niorbo caput erescat aut si ereverit tabescat;
Marc. XV 11:
si hodie naia — ^i ante nata
si hodie creata — si ante creata
hafic pestem — hanc pestilentiam
l) et 0. Plaio, Die Kunstaasdrücke der Meistersinger in: Strafsboiger
Studiou III vi$^8) 195 mit Belegen seit dem Beownlf. Die Metapher findet
»ich abrigena »uch bei andern Völkern: cf. E. du M^ril 1. c. 21, 8. Dem
Altertum war *ie Rlr die Toetie fremd, s. oben S. 53, 2.
Spontaner Beim in parallelen Formeln. 821
hunc dolorem — hunc tumorem — hunc ruhorem
hos toles — hos tosilUis
hanc strumam — hanc strumellain
hanc religionem
evoco educo excanto
de istis menibris meduUis.
id. XV 101:
albula glandula
nee doleas nee noceas
nee paniculas facias
sed liqtiescas tamquam salis in aqua,
id. XXI 3. XXVm 16:
pastores te invenerunt
sine manibus coUigerunt
sine foco coxerunt
sine dentibus comederunt.
id. XX 78:
lupus ibat per viam per semitam
cruda vordbat liquida bib^L
id. VIII 199:
ne lacrimus exeat
ne extiüet ne noceat
Pelagonins 19:
si tortoniaius si hordiatus
si lassatt4S si cakatus
si vermigeratus si vulneratus
si marmoratus si roborcxtus,
wozu noch kommen: die Eyocationsformel bei Macr. sat. III 9, 7 f.:
ut vos populum civitcUemque Carthaginiensem deseratis loca templa
Sacra urbemque eortim relinquatis absque his abeatis eiqtie populo
civUaU metum formidinem oblivionem inicicUis proditique Bomam
ad me meosque veniatis,
der Flach des Kochs im Testamentum porcelli (p. 242, 10 Buech.):
de Tebeste usque ad Tergeste liget sibi Collum de reste^
sowie die Reimspiele in den ^Efpiöia ygäfifiata bei Cato r. r. 160:
daries dardaries astataries
nnd:
huat huat huat
ista pista sista. —
68*
ohiiohen.
822 Anhang I: Über die Geschichte des
Aus den igavinischen Tafeln habe ich schon oben (S. 159 £)
einiges hierher Gehörige angeführt, was ich zu yergleidien bitte;
aufserdem noch das Oebet 11 B 24:
lupater Sase, tefe estu
vUlu vufru sestu
sowie die Execrationsformel VI B 54 f.:
nosve ter ehe esti paplu
sopir habe esme pople,
portatu ulo pae mersest
fetu uru pirse mers esL^)
b) im Orifl- Für das Griechische habe ich mir folgendes gesammelt
Die altehrwürdige Rhetra des Lykurg begannt hochfeierlich (Plut
Y. Lyc. 6): jdibg ^EXXaviov xal ^AQ^avag ^EXXavCag Ufin^ tdifv6a§upoVj
(pvXäg g>vX(iiavta xal Aßäg Aßä^avta, XQuixovta yBQovöiav
6i>v &QxaYitaig xataöti^öavtaj &Quig i| &(fav^) iauXld^Biv, In
dem alten Demeterhymnus stammt die formelhafte Yerbindong
iyiXttötog &na6Tog (V. 200) aus der Mysteriensprache. *) Dann
späte Beispiele, in deren Formulierung aber manches älter sein
kann. Zunächst jene auf den Steinen sich oft findende Fluch-
formely die in der Fassung einer Inschrift yon Halikamass lautet
(Anc. greek inscr. in the Brii Mus. lY 1 m 918): d di tig ixg-
XBiQijöi Q'etvai xiva^ firidh yH xa(^og)0^6oiro avt^ iif^dh d'diaööa
nXmtii^ liridh tixvov 6vri6ig fiijd^ ßiov xQdti^öigy HXä SJlq
:tav6Xvij wofür es in einem Punkte auf andern Inschriften (z. B.
CIGr. 2667. 2826 u. o. Lebas-Wadd. 509. Petersen - t. Lnschan,
Reisen in Lyk. u. Kar. 6) bezeichnender heibt: fii^£ }n} ßax^
^qre ^dXaööa srlcorf).^) Femer ein gnostischer Zauberspruch
auf Amuleten (besonders Gemmen) bei W. Frohner im Philol.
Suppl V (1889) 42 ffi und C. Wessely in Wien. Stud. VII (1885)
180: ^tiQa luXdvii luXavmiU^j Sg Sqfig tilviöai | xal hg Idmp
V et daxa die Anm. Baechelers p. 97 ond C. Pauli, AltitaL Stud. T
vlSiiT^ 139 ff.
ä' So T. WilamowitZy Isrllos p. 11 för iifcs 'S «f«?-
3^ Cf. Diels, SibTlL Blätter 133.
4' Horode» Atticus hat das stilisiert: T»rni jifrf yifw mcfsov ^pi^tw
iiiff« ^ItXfS^aw ]iZi»fr;r firci «oncök^ tf chroIi#9ai teifv^ wal yfvo; (CIA m
141 «\ — Cber P)iaruu^ von Aasdhicken wie ov rli^mr »vJl fi^mr» ß^jt^xtt
Y^^ ii^Ti«rT«s et Näkuck zu Soph. 0. C. 1676.
Spontaner Beim in parallelen Formeln. 823
ßifvxä6ai I xal &g äfviov xoi^fiov d. h. ^^ystera^) schwarze ge-
schwärzte, wie eine Schlange windest du dich; und wie ein Löwe
brüllst du, und wie ein Lamm werde sanft/^ Eine Bronzetafel
in Avignon bei Frohner 1. c. 44 ff. enthält einen Wettersegen
gegen Hagel; Frost und alles was dem Felde schadet; dort
heifst es nach Anrufung der Dämonen: xfi^ov ix tovtov tov
XagCov itä6av %aXalav \ xal näöav viq>iXav \ xal Söa ßkimsi
xAqav.^ — Ich bemerke noch, dafs auch in dem berühmten
rhodischen Schwalbenlied (bei Athen. VIII 360 C) je zwei Verse
gepaart werden, die meist durch gleichen Anfang oder gleichen
Schlufs zusammengefaüst sind:
f^M^y flXQ'B %BXidhv
xaXäg ägag &yov6a
xaXo'bs iviatnovgj
iücl yaötiga Xevxä
inl v&ta iiiXuLva,
jcaXdd'av 6i> xgoxiixXsi
ix nCovog otxoVy
otvov XB 8ina6XQov
XVQOV XB xdvVÖXQOV.^)
Für das Deutsche habe ich bereits oben (S. 161, 3) einiges o) in
zusammengestellt, was ich zu vergleichen bitte. Es lielise sich sprühen,
manches' hinzufügen, besonders aus heidnischer Zeit die beiden
Merseburger Sprüche, z. B. 1, 4
insprinc haptbandun invar vigandun,
2, 6 ff
sose henrenJci sose bluotrenki
sose lidirenht:
t) Eine gnostische Göttin, cf. A. Dieterich bei F. Skutsch in Fleck-
eisens Jhb. Suppl. XIX (1893) 567.
2) Ans mittelgriechischen Ezorcismen mancheB derart in: Anecd. Graeco-
Byzantina ed. A. Yassiliev I (Moskau 1893) 332 ff.
3) Cf. auch das yon Demetr. de el. 156 aus Sophron (fr. 110 B.) ange-
fahrte Sprichwort: t6Qvvccv i^Boev, n^fiipov ingtaev. Hierher gehört viel-
leicht auch der Gleichklang in einem Orakel bei Ps. Eallisth. I 8 oitog 6
tpvywf ßactXi^s {[{ci ndXiv iv Alyvntm, oi yrigdciinv &lXä vsa^av.
824 Anhang I: Über die Geschichte des Beims.
ben ei bena bluot ei hlmodaj
Itd ei gdiden sose gdimidä sin.
Kürzlich warde ich auf den yon Grimma Deutsche Myth. (Anh.
no. IX) mitgeteilten Waffensegen König Konrads aufinerksam,
den Olbrich, Ober Waffensegen in: Mitt d. Schles. Ges. ftr Volks-
kunde 1897 p. 88 mit Recht als eine ^^uralte Formel^' ansieht:
min buch st mir beinin,
min heree st mir stahdin,
min houbet si mir steinin.
Viel Material aus dem Ehstni sehen findet man in: Myth.
u. magische Lieder der Ehsten ed. Fr. Kreutzwald u. H. Neos,
St. Petersburg 1854; z. B. ein Zauberspruch gegen Zahnschmerz
(p.87):
Jcoera amba kadunego, „In des Hunds Zahn mog' er schwinden^
hundi amba idanego, In des Wolfs Zahn mog' er wachsen,
pöhja tuulde pogenegOj In des Nordes Wind entweichen,
tuulesta tühja taganego! Aus dem Wind hinaus ins Leere !^
oder einer gegen Verrenkung (p. 99):
luu luu asemele, ^Bein du, an des Beines Stelle,
lüge liikme ligemale, Näher, du Gelenk, Gelenke,
weri were asemele Blut du, an des Blutes Stelle,
soon soone asemele! Sehne, an der Sehne Stelle!"
Wer mehr in diesen Dingen bewandert ist als ich, wird die
Beispiele zweifellos sehr vermehren können.
in. Resultat and spezielle Fragestellang.
spon- Fassen wir die bisherigen Ergebnisse zusammen, so laust
^bewu?"- ^^^^ folgendes behaupten. Eine gewisse Neigung, parallele Verse
ter Beim, durch den Gleichklang am Ende zu binden, hat in sehr be-
schränktem Umfang bei den antiken Völkern bestanden; doch
wurde der Reim nicht als solcher gesucht, sondern stellte sich
nur ganz gelegentlich, durch spontane Entstehung ein. Ver-
gleichen wir dies Resultat mit den Thatsachen der spateren
eigentlichen Reimpoesie, so müssen wir konstatieren, dals letztere
aus jenen Anfangen auf keine Weise direkt abzuleiten ist. Es
muis vielmehr ein entscheidendes Faktum dazwischen getreten
Der Ursprung des Hymnenreims. 825
sein, welches die potentielle Neigung zur Aktualität umwandelte,
welches die nur gelegentliche und spontane Verwendung zur
gesetzmafsigen und beabsichtigten steigerte. Welches war dies
nQ&tov xti/ow? Danach ist natürlich Yon vielen gesucht worden.
Wenn heutzutage im allgemeinen angenommen wird, dafs der
Übergang von der quantitierenden Poesie zur accentuierenden
das entscheidende Moment war, so ist damit die Sphäre, inner-
halb welcher das neue Formenprinzip wirksam wurde, ohne
Frage richtig erkannt: denn jeder sieht ein, dafs sich, sobald
die Metrik in der Auflösung begriffen war, das Bedürfois ein-
stellen mufste, die rhythmischen Verse mit einem neuen Distinktiv
auszustatten, das geeignet war, die feste Norm der Quantität
einigermafsen zu ersetzen^), wie ja auch der ^Beim' schon durch
seinen Namen mit dem ^Rhythmus' verknüpft ist.^) Aber es
1) Cf. R. Gottschall, Poetik > (Bresl. 1873) 268: „Der Reim ist keines-
wegs die Erfindung eines besonderen Volkes, der Araber oder irgend eines
andern, er ist die innere Notwendigkeit der accentuierenden Poesie, denn
er hebt den Accent hervor und kräftigt den Rhythmus/*
2) Die etwas komplizierte, aber wohl allgemein interessierende Sache
will ich hier kurz darlegen. 1) In den altgermanischen Dialekten heifst
rim ' Reihe, Reihenfolge, Zahl ' (cf. z. B. F. Kluge, Etym. Wörterb. d. deutsch.
Spr. '^ s. y.), was etymologisch mit rhythmiis nichts zu thun hat, aber der
Bedeutung nach mit ihm zusammenfällt, denn (v^ii6g wird schon yon
Aristoteles (Rhet. m 8. 1408 b 29) als igii^fUg definiert (offenbar brachte
man, d. h. in diesem Fall ein Sophist der platonischen Zeit, beide Worte
durch eine spielerische Etymologie zusammen) und bei den Lateinern ist
die konstante Übersetzung yon (v&ftog numerus, cf. z. B. Yarro de serm. lat.
fr. 64 mit den Zeugnissen bei Wilmanns. Auch das romanische rima
kann nach dem urteil der mafsgebenden Forscher (cf. Diez im Etym.
Wörterb.) lautlich nicht aus rhyihmus geworden sein, besonders deshalb
nicht, weil im Italienischen daraus rimmo hätte werden müssen, wie
flemma aus phlegma, dramma aus drachma, ammirare aus cidtnirftri etc.;
daher wird angenommen, dafs das romanische Wort aus dem Germanischen
entlehnt ist. (Früher brachte man rithmus mit rima in etymologischen
Zusammenhang, cf. z. B. Maffei, Dissertazione sopra i yersi ritmici, in:
Opere ^^T [Venezia 1790] 330). — 2) Also hat germ. rim ^rom. rima mit
rhytkmuß lautgeschichtlich nichts zu thun, sondern wir haben eine Über-
trag^ong auf Grund blofser Elangähnlichkeit zu konstatieren; um diese
Elangähnlichkeit noch deutlicher zu erkennen, mufs man bedenken, dafs
rhyihmus (wie alle griechischen Worte im Mittelalter) stärksten Ver-
änderungen unterworfen war: die gewöhnlichen Formen sind rithmus ritmus
ri^ünus rigmus; man findet yiele Belege in den Varianten, die J. Wrob»^
in seiner Ausgabe des Graecismus des Eberhard y. B^thune zu c. 8 V.
g26 Anhang I: Über die Geschichte des Beims.
ist klar, daCs durch jene Antwort die Frage nicht in ihrem
ganzen Umüang beantwortet wird: denn, fragt man sofort weiter.
p. 49 sammelt, femer in den Varianten der Onintilianhandsdiiiftea bei
Halm ToL n p. 178, 11 und 179, lOf. (in den ep. obsc. Tir. wird
rigmizare geschrieben: p. 28, 22. 285, 36 Bock.). Dats nnn unter di<
Yerstfimmlongen öfters auch rymus nipt» begegnen, darauf will ich kein
groCses Grewicht legen, weil die Möglichkeit besteht, dafs die Schreiber
hier die ihnen aus den modernen Sprachen gel&ofige Form an die Stelle
gesetzt haben, obwohl ich bemerke, erstens dals die Form ryams schon im
cod. Ambrosianns des Quintilian aus s. XI vorkommt (bei Halm L c 179, 10\
zweitens dals auch innerhalb des sog. Mittellateins ans rigmm$ werden
konnte rimus, wie die Schreibung sima für sigma bei Ebeihardus L c. Y. 2S8
beweist. Wie dem aber auch sei: wenn man in rühwnu oder rigmmg die
lateinische Endung fortliels, so war die Klan^hnlichkeit mit dem germ.
rim grofs genug, um — auf Grund der BedeutnngsShnlichkeit — den Za-
sammenfall zu bewirken. — 3) Natürlich hiels nun mlat. riikmus auf Gnmd
des germ. rim ursprünglich nur 'Beimzeile', nicht das was wir jetzt unter
'Beim' Tersteheu: man erkennt das z. B. deutlich aus der Definition in
einer Ars rithmicandi, die Ton Wright-Halliwell, Beliq. antiquae I (Lond. 1841)
aus einem Cod. Cotton. s. üV ediert ist, p. 30: rUhmus est conttma paritas
stüabarum sub certo numero camprehensarum , wo rühmus die ganze Zeile
bezeichnet, während der Verfasser den 'Beim' in unserm Sinne nie anders
als c<ms(mantia nennt. Ebenso Henricus Gandayensis (f 1293), De scriptori-
bas ecclesiasticis (ed. in: Bibliotheca ecclesiastica, ed. Fabricius, Hamburg
1718) 128: WUhelmus numachus Affligeniensis (s. XTTl) . . . vitam domimae
Lutgardis a fratre Thoma latine scriptum cofirertit in teutonicHm ritkwtice
duobus sibi semper rithmis consonantibus. — 4) Wann ist nun jene
Bedeutungsverengerung eingetreten, d. h. wann hat man einen allerdings
wesentlichen Teil der Beimzeile, nämlich die consonantia an ihrem Ende,
mit dem Namen des Ganzen zu bezeichnen begonnen? Ich kann das nicht
genau sagen, will aber eine für diese Frage, wie mir scheint, wichtige
Stelle mitteilen. Ich fand sie in den Flors del gaj saber estier dichas las
levs d'amors, yerfafst 1356 von Guillaume Molinier, dem Kanzler des
Poetenkollegiums von Toulouse (ed. in: Monumens de la litt^rature Bomane
depuis le quatorzieme siecle, publi^s par Gatien-Amoult. Paris -Toulouse
6. a. vol. I— IQ): vol. I p. 143 [ich gebe die Übersetzung des Herausgebers],
in dem Abschnitt: Definition des rimts. Er definiert ihn nämlich so: la
rime est une certaine suite dt syllabes, ä laqueUt onjmnt un autre vers pour
lui correspondre , ayant meme accord et meme nombre de syllabes, ou un
different (sc. accord et nombre; denn dafs sich different auch auf accord
beziehe, sagt er später ausdrücklich). Dann fugt er hinzu: ü faut obserrer
qu'aujourd'hui beaucoup de gens ont une opinion mal fondee, ou pour mieux
dire abusive, gui cotmste ä ne point reputer ni tenir pour rimea des vers
ayant meine nombre de syllabes, si la fin de Vun ne 8*accorde par assonancCy
ronsotinance ou leonisme, atec ceUe de Vautre, ^i lui correspond , . , . En
Der Ursprung des Hymnenreims. 827
warum war es gerade der Beim; der diese Funktion übernahm?
warum beispielsweise nicht die Alliiteration, zu der eine min-
destens ebenso starke Neigung bestand? Solche Erwägungen
mögen es gewesen sein, die den hervorragendsten Forscher auf
diesem Gebiet, Wilh. Meyer, bestimmten, in einer berühmten
Abhandlung: „Anfang und Ursprung der lateinischen und grie-
chischen rhythmischen Dichtung"^) die Behauptung aufzustellen,
dals der Reim aus der Poesie der semitischen Völker in die
griechisch-lateinische Dichtung eingedrungen sei. Doch hat diese
Hypothese mehr Widerspruch als Zustimmung erfahren. Man
samme, an ne veut pas admettre que la ritne consiste dam im nombre egal de
syllabes sans accord final. Das sei aber ganz verkehrt, denn nach dieser
Theorie seien z. B. keine 'Reime' in folgendem Couplet:
Fres et enclaus. estau dedins. j. cercle.
On tne destrenh. osses, neivis. e canibas.
Amors, e pueysh fam ayssi batr eh pökes
Ckim li mariel. can fero aus lenclutge u. s. w.
Ebenso äuTsert er sich im vierten Teil seines Werks, der Lehre von den
rhetorischen Figuren: vol. m 331: compar est une autre fleur, Ce tnot
signifie *pariti^ et designe un nombre 6gal ou presque igal de syllabes, avec
une cadence agreable. Nous appellons ceite parite 'nw'. H n*est pas ni-
cessaire de donner des exemples, chacun pouvant assez en trouver de lui-
mime. Car partout oü il y a igaliti ou presque igaliU de syllabes^ quoiqu'ü
n'y ait pas de consonnance, on a cette fleur appeUe ^ compar \ Für ihn ist
also der Gleichklang am Ende etwas rein Accessorisches, keineswegs mit
'Reim' in unserm Sinne verwandt, aber man sieht, dafs zu seiner Zeit jene
uns geläufige Übertragung schon ziemlich allgemein durchgedrungen war,
der er sich nur von seinem gelehrten Standpunkt widersetzen kann. Ganz
ähnlich (auch recht lesenswert) Du Bellay, La deffence et iUustration de
la langue Fran9oi8e (1549) c. 8. Für viele Humanisten war aber die ur-
sprüngliche Bedeutung verloren, z. B. nennt der Verfasser der 1484 in Köln
gedruckten Ars dicendi (Näheres über sie oben S. 765, 1) in seinem
(übrigens ganz interessanten) Abschnitt über die gereimte Yulgärpoesie
(L 7CTTT tract. VI cap. Xu) den 'Reim' rythmum (so, als neutrum), z. B. similis
desinentia seu ryihma dictis vulgaribus metris solet aptan. In England ging
man seit c. 1550 so weit in der Identifikation des lateinischen und ger-
manischen Wortes, dafs man statt rime schrieb rhime oder rhyme (die
Humanisten hatten nämlich inzwischen rh und y wieder eingeführt: be-
sonders das erstere war dem Mittelalter in diesem wie in andern Worten
abhanden gekommen), cf. The Century dictionary s. v. rime,
1) In: Abh. d. Bayr. Ak. d. Wiss. I. Cl. Bd. XVH. 2. Abt. (München 1885)
270—450. Die Recension von G. Dreves in: Gott. gel. Anz. 1886, 284 ff. wirc(
den Verdiensten des Verf. nicht gerecht.
828 Anhang I: Ober die Geschicliie des Beims.
wandte vor allen Dingen ein, dafs kein Volk sich auf dem Ge-
biet seiner Poesie ein so einschneidendes Mittel, wie es der
Reim sei, als fremdländisches Produkt aufdrängen lasse. Aber
das ist nicht richtig: nach meinen obigen Bemerkungen (8.811 f.)
liefse sich aus der Poetik der Germanen und mehrerer dem
europäischen Kulturkreise fremder Völker ohne weiteres der
Gegenbeweis gegen diesen Einwand führen. Viel grölseres Ge-
wicht würde ein zweiter Einwand haben: bei den semitischen
Völkern spielt nach dem Urteil aller Spezialforscher der Beim
nicht entfernt jene Rolle, die ihm Meyer anweist^): man mülste
also annehmen, dafs die antiken Völker eine durchaus sekundäre
Erscheinungsform der fremden Poesie übernommen und sie nun
ihrerseits zur Norm ihrer eignen Poesie gemacht hätten, ein
Entwicklungsgang, der a priori höchst unwahrscheinlich ist
Ich glaube aber nicht, dafs wir hier mit Erwägungen allgemeiner
Art zu sicheren Resultaten kommen können, sondern wir werden
folgende Alternative aufstellen müssen: entweder ist der Ur-
sprung des bewufsten Reims auf griechisch-lai. Boden
nachzuweisen oder, wenn sich das als unmöglich heraus-
stellt, so ist fremdländischer Ursprung anzunehmen;
nur wenn das erstere sicher bewiesen ist, fällt ein für
alle Male jede Hypothese der zweiten Art.
Der Nun läfst sich, wie ich ho£fe, mit Sicherheit der Nachweis
Beim führen, dafs der Reim eine durchaus originale Schöpfung der
aus der
Rhetorik .
1) Cf. z. B. J. G. Sommer, Vom Reim in d. hebr. Volkspoesie, in seinen
Bibl. Abhandl. (Bonn 1846) 85 ff. F. Bleek, Einl. in d. A. T. 8. Aufl. (Berl.
1869) 242ff. P. Zingerle in: Z. d. deutsch, morg. Ges. X (18Ö6) 110. Cf. auch
E. Wölfflin in: Arch. f. lat. Lexicogr. I (1884) 362. In Betreff der Hymnen
des Bardesanes und Ephraem bemerkt A. Hahn, Bardesanes Gnosücus
Syrorum primus hymnologus (Diss. Eönigsb. 1819) 42, dafs sich in ihnen
das Homoioteleuton gelegentlich finde, aber E. Kessler bemerkt mir, dafs
sämtliche dort gegebenen Beispiele sich aus dem Pi^ponderieren gewisser
Formen der syrischen Nominalbildung erklären \md auch in der Prosa gans
geläufig seien. Trotzdem wird immer und immer wieder eine Entlehnimg
aus dem Syrischen oder Hebräischen behauptet, z. B. von H. Grimme, Der
Strophenbau in den Gedichten Ephraems des Syrers in: Collectanea Fri-
burgensia II 1893, Ph. Thielmann in: Arch. f. lat. Lexicogr. VH! (1893) 548:
CS kann nicht dringend genug betont werden, dafs diese Ansicht ein
Rudiment aus dem XVI. Jh., dem Zeitalter der &vi6to(friifla^ ist, cf. E. Borinski,
Die Poetik der Renaissance (Berl. 1886) 46 f.
Der rhetorische Reim in der quantitierenden Poesie. 829
antiken Völker gewesen ist; dafs er sich mit einer gewissen
Notwendigkeit ans dem Gang ihrer Litteratur ergeben hat. Um
das Resultat der nachfolgenden Untersuchungen vorwegzunehmen:
der Reim der Poesie war nichts anderes als jenes öfiOLO-
tiXsvToVy welches, wie im Verlauf dieses Werkes ge-
zeigt worden ist; das heryorragendste Charakteristicum
der antiken Kunstprosa von Anfang bis zu Ende ge-
wesen ist. Um eins mochte ich vorher den Leser bitten: da
er weifS; dals ich eine so volkstümliche Erscheinung ^ wie es
der Reim ist; aus der Kunstprosa ableiten werde, so möchte
er mit einem gewissen Vorurteil an meine Argumente heran-
gehen; doch bedenke er, dab; wie ich nachgewiesen habe, die
antike Kunstprosa gerade deshalb eine solche Kontinuität in
ihrer Entwicklung gehabt hat; weil sie tief aus der Volksseele
selbst geschöpft war, ihren Regungen entgegenkam und aus ihr
wiederum Nahrung empfing; und ist es nicht überhaupt der
Triumph aller Kunst; gerade das Volkstümliche künstlerisch zu
gestalten; den Bund zwischen sich und der Natur, der von Ewig-
keit her besteht; immer aufs Neue zu befestigen?
IV. Der rhetorische Reim in der quantitierenden Poesie
des Altertums.
1. Den Anstofs zu Untersuchungen über das Vorkommen Auiionde-
des Reims in der quantitierenden Poesie des Altertums gab eine '^^on-'
bekannte Abhandlung von W. Grimm, Zur Geschichte des Reims ^JJ^^^
in: Abh. d. Kgl. Akad. d. Wiss. zu Berlin 1851 p. 521—707, wo <i«"ti-
er die von ihm als ;;Reime'' aufgefafsten Gleichklänge der latei- poeiie.
nischen Hexameter und Pentameter einiger Dichter sammelte:
leider eine ebenso mühsame wie von vornherein wenig frucht-
bare Ajrbeit; deren Wert noch dadurch vermindert wird; dafs
eine auCserordentlich groDse Zahl notorisch falscher Beispiele an-
gefahrt ist. Für den entwickelten Satumier hat besonders
K. Bartsch; D. sat. Vers u. d. deutsche Langzeile (Leipz. 1867) 27 f.
die Beispiele gesammelt, für den trochäischen Septenar Usener
in Fleckeisens Jhb. 1873 p. 175 f. (cf. Altgr. Versbau 116); für
diesen und andere scenische Metra der Lateiner L. Buchhold;
De paromoeoseos apud veteres Romanorum poetas usU; Diss.
830 Anhang I: Über die Geschichte des Beims.
Leipz. 1883. Dann sind diese Untersuchungen auf einige grie-
chische Dichter der klassischen Zeit ausgedehnt: die Resultate
findet man ^) in dem neuesten, vom Verf. gewiiüs nur för populäre
Zwecke bestimmten, Büchlein über diesen ganzen Gegenstand
von 0. Dingeldein, Der Beim bei den Griechen und Römern,
Leipzig 1892. Aus allen genannten Untersuchungen hat sich
ergeben, dafs die Dichter, von Homer und Livius Andronicus
angefangen, in den durch die Hauptcäsur scharf abgeteilten Vers-
hälften ganz gelegentlich gereimte Silben aufweisen^, z. B.
^Eönsts vvv (loi Moi)6ai \ 'Oliiiutia dmiMcz* Ixovöai (Hom.)
ix d* ißri aldoifi \\ xakij ^eög, ifapl di noitj (Hes.)
sifpijiiois ^ivd-oig II xal xad-agotöL X&yoig (XenopL)
(ijctstv xal TCetQioVj \\ KvQve, xax ^lißdttov (Theogn.)
argdnteo polubro \\ aureo et glutro (Liv.)
hkorpores gigantes || magnique ÄÜantes (Naey.)
stülti hau scimus, \\ frustra ut simus, ^ u _ ^ ^ «^ . (Plaut.)
Orüsdlf^ me hodie düaceravity \ Cmsälus me iniserumspoliavit(V]B,\it.)
inde boves lucas \\ turrito corpore, tetras, (Lucr.)
anguimanuSf belli \\ docuerunt volnera Poeni
sufferre et magnas \\ Martis turbare catervas
Cynthia prima fuit, \\ Cynthia finis erit (Prep.)
cldre decore tuo, \\ care favore meo (Ov.)
terramm dominos \\ evehit ad deos (Hör.)
iam caeruleis || evecttts equis (Sen.)
Titan summa \\ prospicit Oeta,
Wie diese Erscheinung aufzufassen ist, ist nach dem vorhin
(unter III) Ausgeführten sofort klar. Das ganz gelegentliche
Vorkommen des Reims in der kunstmäfsigen, quanti-
tierenden Poesie der Griechen und Lateiner erklärt sich
bei den weitaus meisten Dichtern aus dem spontanen
1) Es fehlt F. Gustafsson, De yocum in poematiB graecis consonantia
in: Acta sog. Fennicae XI (Helsingfors 1880) 297 ff.
2) Cf. auch Th. Birt, Ad historiam hezametri lat. symbola (Diss. Bonn
1876) 60 f. und speziell für den Pentameter E. Eichner, Bemerk, üb. d. Ge-
brauch d. Homoiot. bei Catull, Tibull, Properz und Ovid (Progr. Gnesen 1875)
29 ff. Übrigens hat Lehrs, De Aristarchi studiis Homericis' (Leips. 1882)
460 ff., besonders 472 ff., sich energisch gegen solche gewendet, die in den
Versen Homers, Hesiods, Yergils u. s. w. auf 'Reime' Jagd machen; aber
die Erfahrung zeigt leider, dafs er in den Wind gesprochen hat.
Der rhetorisclie Beim in der quantitierenden Poesie. 831
Trieb aller Sprachen; parallel geformte Sätze hin und
wieder durch Oleichklang im Auslaut mit einander in
enge Verbindung zu bringen. Wer solche in der kunst-
mäfslgen Poesie ganz sporadisch auftretenden Reime als ^^volks-
tümlich'^ bezeichnet; meint vielleicht das Richtige^ drückt es
aber mit einem Wort aus, welches leicht zu mifsverstandlicher
Auffassung verleiten kann und thatsächlich verleitet hat. Der
Reim ist auch hier bedingt durch den in den Versteilungen
stark hervortretenden; oft auch inhaltlich ausgedrückten und
äufserlich durch gleiche Anfänge der Teile markierten Parallelis-
mus der Form^): nur insofern dieser Parallelismus überhaupt die
Grundlage des Reims ist; kann man jene Reime ,;Volkstümlich''
nennen; aber von einer bewufsten Anwendung eines volkstüm-
lichen Elements kann nicht die Rede sein: wer das von den
Satumiem der ersten römischen Dichter oder den trochäischen
Langversen des Plautus behauptet; mufs es konsequenterweise
auch für alle übrigen Versarten zugeben ; und wozu soll das
führen? Schon die eine Thatsachc; dafs die in trochäischen
Langzeilen geschriebenen uns erhaltenen Soldatenverse der Kaiser-
zeit sovne die der Inschriften keinen Reim zeigen^); genügt zur
Widerlegung jener Ansicht.
2. Dab in den genannten Fällen eine bewuTste rhetorische Bheto
Absicht vorliege; ist von keinem behauptet worden und ist ja Beim ii
auch von vornherein ausgeschlossen. Aber es lä&t sich nun — uemde
und das ist für meine weiteren Untersuchungen wichtig — der Po««i«:
Beweis erbringen; dafs einige Dichter auch in quanti-
tierenden Versen den Reim mit Bewufstsein als rhe-
torisches Mittel verwendet, oder mit anderen Worten
den beliebtesten Schmuck der Kunstprosa auf die Poesie
übertragen haben.
1) Schon W. Wackemagel, Gesch. d. deutsch. Hex. u. Pent. p. IX be-
merkt, „dafs der syntaktische Farallelismus in den Hauptabschnitten beider
Versarten auf den Beim hingewirkt und ihm seinen Platz angewiesen habe**
(cf. auch G. Gerber, D. Sprache als Kunst U 1 [Bromberg 1873] 169 f.). Grimm
citiert diese Worte (1. c. 679), legt aber wenig Gewicht darauf, weil er den
Beim aus der „Yolkspoesie** ableiten will. Über den Pentameter hatte
schon im J. 1816 Lachmann zu Prop. I 5, 20 richtig geurteilt; diese Be-
merkung scheint Grimm nicht gekannt zu haben.
2) Das hebt auch Dingeldein 1. c. 81 richtig herror.
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li >«r. diK ;&. Die Giieeke^
in£nt3sd£i wTsit hdl 0& der BaifSivpai ■nlribrr Didiier
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^ntfffiSf . Äi^ «Dt ^voL FofinL pfsfcijpirte Praai arfwciii (Su 77).
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:x n;2;s DffH^diar Aruzci* msb» Kition. J^A äews Knnsi-
n^TSsi rftt»:«Kt: aiir s='i folgsi-ie flnf Siellta Wkumt'), Ton
erssen den Sehlufi Üag^erer EnieBL oie fünfte eine
iL k- sie gehören Pardeen an, wo juKk in der
Prcsa ger»öe dies Mittel besonders beliebt wmr:
Med. 313 C n^^^ ^i i^i^m
iaxi fi oljulw juil ya^ rfiuLi^miroi
öiyr^öoiuö^aj xi^iööowmv ruuisfvof
Phoen. 1479f. xöliL d' iyav^g oT fuv sijvidöTmJOi
Tg<J' i^ißrföavj oi di dvöTviförmtog
Andr. 689 f. f^v d' öjv^^g^, öoI (up ^ yloööalyia
Hec. 1250 f. iix' ixd xä (li^ xaXä
JtQdö0HV iroltuig, tXfg^L xal xä f&]| 9« i a
\, er V. HemnanowBki, De homoeoteleatis qnibosdam tngicomm,
Diss. MtziVin 1881, daa relativ Beste, was es für die 'Reime' der Tragödie
jJM»bt a^ingeldcin 1. c. 47 ff. kennt die Abhandlang za seinem Schaden nicht);
jier a«"i- ^ier werden nicht die Arten geschieden, und das rhetorische
^oriert.
Der rhetorische Beim in der quantitierenden Poesie. 833
Ale. 782ff. ßQOtotg &xa6i xatO'avetv 6g>siXstai
xoinc l6xi Qvrir&v SöriQ H^eniötatai
xi^v aÜQiov ^HXov0av sl ßi(o6£tat'
tb tfjg Tvxrig yäg iipavlg ol nQoßijöetai.^)
Bei meiner Lektüre der späteren griechischen Poesie traf ich Kaiii-
dann den bewufsten rhetorischen Reim zunächst bei Kalli- "'"'''•
mach 08.^ Er hat der Rhetorik einen nicht geringen Einflufs
auf seine Verse eingeräumt, z. B. hat er von der Anapher einen
1) Über die beiden andern Tragiker hier ein paar Worte. Für
Aeschjlos habe ich mir nur notiert
Pers. 170ff.E. aviußovXot X6yov
XQ^di fto» yivead'e, Uigcaiy yrigalicc niatAnata'
nuvxa yccQ tä %idv* iv ^iiiv iatl ftoi ßovXBvnaxa
(Schlufs einer längeren Rede, also wohl gesucht; dafs Aeschylos schon im
J. 472 ein Yon den Sophisten im letzten Viertel des Jahrhunderts ver-
breitetes Eunstmittel kennt, ist nach dem oben S. 25 ff. Ausgeführten nicht
befremdlich). Verwandt ist die lang beobachtete Thatsache, dafs unter den
Tragikern besonders Aeschylos in korrespondierenden Stellen der Strophe
und Antistrophos durch dies Mittel starken (durch die Musik wohl noch
gehobenen) Effekt zu erzielen wuTste, z. B.
Pers. 694ff. Strophe:
aißoiuxi d* &vxi(x. Xi^ai
ai^sv &Q%al(p iCBgl tagßBi
700 ff. Antistrophos:
dlefjMi. d' icvxlu (pda9'ai
li^oci dvaXentu tpiXoiaiv.
Bei Sophokles halte ich in der Stichomythie zwischen Elektra und
Chrysothemis
El. 1031 f. &n8Xd'6- aol yaQ anpiXtiaig oin ivi.
l^VBCtiV &lXa aol iid^riaig ai naQu
den Beim för beabsichtigt und glaube, dafs der zweite Vers gerade darum
halbiert ist, um das ffiog zu steigern; aus demselben Grund dürfte
Phil. 1009 ivd^iov (ihv aoi), natd^iov 6' ifiov
halbiert sein. Auch
AI. 666 f. toiyocQ tb Xombv sladiisa^a iihv ^eolg
bPkbiVj ^ioc^r}a6ii8a^a S* 'AtQsl9ag aißeip
ist beabsichtigt. — Qenauere Untersuchungen werden für alle drei Tragiker
wohl noch mehr ergeben, cf. auch Vahlen im Progr. Berl. 1883, 12 f.
2) In dem delphischen Apollonhymnus des Kleochares ist V. 14 itva-
nldvatai ro V. 16 &vaiiiXnBtat rein musikalisch, cf. 0. Crusius im Philol.
N. F. Vn (1894) Erganzungsheft p. 66.
834 Anhang I: Über die Geschichte des Reims.
für die frühere Poesie unerhörten Gebrauch gemacht^); und sie
zweimal noch durch ein anderes Mittel; das uns interessierende,
gesteigert:
h. 2f 26 8^ fiA%Btai, ^axcigsööiv^ i(ip ßaöiXili fic^^oiTO*
Söttg iiidi ßaöiXiiij xal *An6kX(ovi (idxoito
4, 84 Niiiiq>av ^iv xaCgovöiv^ Srs dgiiccg üfißgog ii^ei*
Nv^g)at d' av xXaiovöLV, Sts dgvölv oimitv gyöXla,
und zu demselben Zweck hat er öfters seine eignen metrischen
Gesetze vernachlässigt, z. B. in folgenden Versen^):
ep. 25,2 £^€iv fiiJT£ g>iXov xQiööova^ [nirs tplkfiv
(iambisches Wort am Schlufs der ersten Hälfte des Pentameters),
h. 3,262 fii}d' iXatprißoXCiqv^ (irid' B'b6to%lriv igidaivsiv
(Spondeus im dritten Fufs und Wortschluis nach der Länge des
fünften Fufses),
6, 91 Ag dh Mi(iavti xt(ov, Ag äsXip Svt nXayymv
(ebenso),
3, 63 oör' &vtfiv iisstv oüta xtvfcov oüaöi Six^av
6, 73 of>xB viv Big igavtag oüte ^iwdeinvLa Ttiyatov
(Spondeus im dritten Fufs und Oxytonierung eines trochäischen
Wortes).
Pfl.-Oppian Aber weitaus das meiste Material bot mir unter den un-
bedeutenden Dichterlingen der Kaiserzeit einer der ärmlichsten,
Pseudo-Oppian, der Verfasser der Kvvriyettxoi, die er dem
Caracalla widmete. Er hat seine bekanntlich auch rein metrisch
betrachtet schlechten Verse mit rhetorischen Putzmitteln in
einer für antike Poesie widerlichen Aufdringlichkeit aufgeflittert
(wie er ja auch inhaltlich stark rhetorisch ist, besonders in den
zahlreichen ixq>Qdösig z. 6. I 173 ff.). Von der Anapher macht
er einen albernen Gebrauch, z. B.
I 504 scdvra XC^ov xal Tcdvra X6q>ov xal näöav ivaQmiv
II 565 v66q>i nö^av xal v66fpi ydi/Ltov xal v66q>L töxoio
1) H. 1, 2. 6f. 22ff. 46f. 55. 70f. 87f. 91f. 92; 2, If. 6f 17f. 82ff. 48ff.;
3, 9f. 14. 33f. 43. 56 f. llOff. 130f. 136f. 138. 183ff.; 4, 39f. 70. lOSff. 194. 219.
260ff. 324f.; 6, If. 4. 45. 127f.; 6, 18f. 34f. 46f. 122. 136f.
2) Darauf hat zuerst Kaibel hingewiesen in den Conun. in hon. Momms.
(1877) 32 7 f., vgl. aufserdem Fr. Beneke, De arte metr. Callimachi (Dibs.
Strafsb. 1880) 15. G. Heep, Quaest. Callim. metr. (Dias. Bonn 1884) 18. 17.
J. Hilberg, Das Gesetz d. troch. Wortformen etc. (Wien 1878) 14. W- ?«— —
in: Sitzungsber. der Bayr. Ak. 1884, 982. 991.
Der rhetorische Reim und die qnantitierende Poesie. 835
II 410f. ZßQifi iQ(og, xööog iööi, ^öörj 6d&€v &7eXBVog Hxij,
n666a voBtgj xööa xoiQavisvg, xööa^ SatfuoVj i&ijQBtg
II 70 ^sivövtmv &iiotov xal d'Bivoitivmv xBQdeööiv,^)
ebenso von Wortspielen, z. B.
I 53 ff. l^evtriQi
&yQrj vööfpt 7c6voio' %6v(p d' &yLa tig^ig iiiriSst
fioiivfi, xal q>6vog oOtig, ava^iucTCTOi öl niXovxttv
I 399 tpvXa ^ivBvv fiov6q>vXa
II 376 aitödstov ßaivovöi xal aitö^oXoi nBQÖmöi,^
und von allerlei Witzeleien, z. B.
III 68 (ieio6t lihv (iBi^mv xsXi^Biy fuydXfjöt öh ^uimv
I 260 f. (von der iit^ig der Stute mit ihrem Füllen):
1^ luv &qa tXi^fi(ov äyovov yövov (sc. &^Qri6Bv\ aircäQ
8y' ultima
alvöyaiiog xaxöXBXtQog AfiijtoQa itritiga öbi^Xi^v
III 264 SbCiimxv Saifuovtp nBmijörBg.
Aber einen ganz besonders unmäCsigen Gebrauch hat er von dem
rhetorischen 6iu)ioxiXBvtov gemacht.
I Iff. 6oij (läxaQf iBiS(Of yaCtig igixvSlg {gBiöfia^
tpiyyog iwaXimv xoXviiQatov AlvBaSdmv^
Ai)6ovCov Zfivbg yXvxBQbv ^dXog, ^AvttovtvB'
xhv {uyAXvi ^uydXp (pixiöaxo ^öfiva SBßiJQm
bXßCm Bivrid'Btöa xal ZXßtov d^öivaöay
v^[Ag>ri &Qi,6xon66Bitty X8%h di xb xaXXvx6xBia^
^A66vQlri Kv^igBia, xal oi XBhtovöa SbXi^
so beginnt er, woraus man schon sieht, dafs er die Figur be-
sonders oft in der Stelle der Hauptcasur verwendet; hier kann
von einem blolisi zufälligen, durch Parallelismus der beiden Vers-
glieder spontan entstandenen Reim nicht mehr die Rede sein,
was allein schon ein Zahlen Verhältnis beweist^): die Odyssee hat
in ihren ersten 100 Versen 5 solche Binnenreime, Pseudo-
1) Cf. I 82. 224 ff. 330. 377 bis 386. 11 28. 34 ff. 376. 393. III 204. 284 f.
d60f. 466. 606. IV 1. 48f.
2) Dals F&lle wie l^a/tuxt — &staaty ixovaiv — ddovatv^ tglyXai —
imoputif Mi^wtat — icnoyvfivm&staai, fiovvoieiv — iaaiv u. s. f. (alles aus
Pseadooppiaii) nicht mitgezählt werden dürfen, versteht sich yon selbst
doRtttige heterogene Flexionssilben sind im Altertum nie als Homoioteleii
WQXdßSL
IL 64
836 Anhang I: Ober die Oeschichte des Reims.
oppian 18, wobei nur als einfach gezählt sind die Falle, in
denen sich der Beim über ly, Verse erstreckt, wie
I 35 f. iiiXjts nö^ovg ^riQ&v te xal ivÖQ&v ayQSvx'qQfov'
ULikitB yivri öxvXdxmv xb xal innrnv alöXa qwXa
70f. r\ ^&ag xcQxoig ^ ^ivoxiqmxccQ i%Cvoig^
^ XdQOv aiydyQOig ^ xijtea %&vx iXitpavxi,
Oft sind solche Binnenreime noch durch besondere Mittel fühl-
barer gemacht, z. B.
I 111 Viyi,axog i6xaiidvoio xal fj(iaxog &vo(iivoto
290 aiiq>l dgöitovg xavaovg xs xal &ii>q>l növovg ilsysivovg
297 ndööovsg elöiSisiv xal xQeiööovsg I9i>g öqovsiv
IV 399 ö^i> XiXrjxs ^0Q0v6a xal bl^i) didoQXB Xaxovöa,
manchmal hat er auch zwei Verse mit Gasurenreim hinter-
einander, so
II 207 f. ^Xvxigri xCxxbl^ x(fCßov ivd^Q^Ticov iXBBivBi^
oiivBXBv &XQanixol fiBQÖstmv %^qb66i ßißriXoi
451 f. al%\jLal nBVTCBÖaval ^BXavöxQOOv Bldog i%ov6ai
xal %aXxov ^rixxoto aidiJQOv xb xgvBQoto
ni If. iXX^ 5xB dl} XBQa&v iiBCöayLBv idvBa ^riQ&v
xavQOvg i}<}' iXdtpovg i)d' BVQvxdQfoxag äyavovg.
Aber auch die Enden von Versen reimt er in oft sehr auffalliger
Weise, so
l 298 f. iöd'Xol d* '^bXiov (poQiBiv nvQÖBööav iQfoi^v
xaC XB ^B6riiißQvvijv diipovg dgifUBtav ivtxijv
31 7 f. öxixxhv &QC^riXoVy xoi)g loQvyyag xaXiovöiv^
rj Zxi xaXXixö^oiöiv iv oüqbölv iXdT^öxovaiv
440f. iXX^ ikaqxov ^ nov (ucidi xi^aöoto XBaivrig
il nov doQxaXiSav 1\ vvxxl7i6qoio Xvxaivrjg
475f. iXX' bvv%B66i nödag XBXOQv^yiivov &QyaXioi6v
xal ^a^LVotg xvv6dov6iv axax^dvov lo^6(foi6i
II 12G£ aCkv &Bi6(iBvog xal xBixBog iyybg 6dft;a)v,
%iQ6ov öfiov Ttal vf^60Vy iiiijv nöXiv, ^daxi xbvov
I 50f. l%%i)v iönaiQOvta ßv%&v &3C0{LriQv6a6^ai
xal xava(ybg ÜQVid^ag ht '/jigog BlQv6a6%ai
rl %YiQ(5lv (povloKSiv iv oÜQBöt öfiQiöaöd'aij
cf I 36Gf. 383f. 485f. II 264fiF. 589f. III 4G7f. Die Mitten und
Enden reimen z. B.
Der rhetorische Reim und die quantitierende Poesie. 837
I 223f. alhf yivfhöxovöiv ibv tplXov iivio%f^a
Tcal %QBii,i%^ov6iv ISövtsg iyaxXtnbv i^£fioi;^a
II 167f. xaXxsioig yvanntotöiv iicslxaXoi, &yxC6xQ0i6iv'
&kk^ ov% &g itigoiöiv ivuvxCov ikXijXoLöLv
176 ff. val (lijv d)xxm6d(ov ikdq>iOV ysvog ixQatpBv ala
svxigaov (isyakmxbv iQiXQSxlg ulok6v(otov
ötixtbv iQi^ijXov ycorafitinÖQOv i^ixjiqr^vov
niiXsov vthtotg xal Xentakiov xd}koi6iv,
ovtiSav^ dsiQ'^ xal ßatordtti %Akiv ovqifi
102 ff. atd'tovsg XQatsgol fieyaki^toQsg siQVfiixionoi
&yQavkoL öd'SvaQol xsgaakxisg &yQi6dviiot
(ivxfjTal ßkoövQol itiki^iiovsg siQvyivetov
ikk' fyö makioi dinag iiAg>ikaq)hg ßagiid'ovöiv
ovSh ndkiv ktndifcc(fxoi ibv di^iag adqaviovciv
&S6 d-sSiv xkvtä d&Qa xBQtt66aiuvoi tpogiovöiv
I 71 ff. ^(^fizfiQS X'ixovg ikeöav, ^ivvovg ährisg^
iyQevtflQsg 8IV9 tQi^Qiovag iXov dovaxfjsgy
&QXtov ixaxtflQeg xal ^OQftvXov iönaXirjsgy
xCygiv d' txni^sg Ttal XQiyXiSag ixd^ßoXfiagj
TcdxQLOV ixvevtiiQsgy iridövag l^svtilQsg.
Doch damit noch nicht genug: er hat nicht selten zwei oder
mehrere Verse^ die sich ganz oder grofstenteils Wort für Wort
entsprechen: rhetorische Isokola (wie üblich mit gelegentlichem
Homoioteleuton) in der Poesie!
I 39f. xal d^aXdfüovg iv 5q£66iv ddaxQ'ötoio xvd'siQtig
xal toxstovg ivl d"q(f6lv iiiaisvtoio Xoxsitig
II 20f. xal yä(f nvyiiaxigtft XvyQOvg ivagi^ato q)&tag
xal öxvXdxaööi. ^oatg ßaXiovg iSa^dööato d'tiQag
III 223 f. ov yövov ioq>6(fov TCava^BikCxroio dgaxaCvqg^
oi öxii^vov navdd'Söiiov bQiickdyxxoio ksaivqg
I281ff. aietbg al^B(fCoi,6iv ini^ifov yvdkotöiv
^ xi(fXog tava^öL tLvaöööfisvog 7CxsQ'6yB66iv
^ ÖBXtplg itoXtotöiv dXi6^aivmv fod'ioiöi,
lY 33ff. [o'öxlXaq>ogxB(fdB66v ^Qaövg^XBQdBööi di tavQogj
cö yBviiBööiv igv^ XQaxBQÖgy ysvvBööi kiovxBg^
oi xoöl ^i^vöxBQOig niövvog^ itödsg ZnXa Xaym&v
nÖQÖaXig old^ öXoij naXandmv Xoiyiov I6vj
xal öd'ivog alvbg iXg ^iya XaVvdoio fistaicov,
xal xthcifog ^ivog o18bv i&v ixigoTtkov 686vxiov
64*
838 Anhang I: Über die Geschichte des Reims.
I 386 ff. Xtcxoi d' iyQarikoig in\ q>0Qßd6iv bnkClovtai^
xavQoi 8* iygotdQag inl xÖQtiag ÖQfiaivovöif
xal KtCXov eCktxösvtsg iv staQi itriXoßat€v6i,
xal xdxQOi xvQÖevteg inaixfidiovöi 6'6b66i^
xal %CyLa(fOi kaöiTjöiv i(piic%Bvov6i xtfiaifatg
II 456ff. oijtB Y&Q sigipoio xvvbg tQoniovöiv fikay'iiaj
ov övbg iygavkoio Ttagä 6xoitikoi6i q>Qvayfiaj
oidl lihv oi taiigov XQUTBQbv ii'öxri^a q>dßovrccij
nogSaklmv d' ov yrJQvv i^sidia %B(pQlxa6iv^
oiS* ttitov q>B'6yov6L iiiya ßg^xv^ka kiovrog^
oiS^ ßgot&v &kiyov6iv ivaidsijiöt v6oio.
Spätere Ein Dichter, der auch nur in annähernd ähnlicher Art wie
dieser Anonymus aus der ersten Hälfte des in. Jh. seine Verse
mit den Mitteln der Rhetorik aufgeputzt hätte, ist mir aus dem
Altertum nicht bekannt.^). Aus späterer Zeit (saec. YIII) fand
ich nur noch eine von Lanckoroüski, Städte Pamphyliens und
Pisidiens I (Wien 1890) 159, 12 edierte Inschrift von Attaleia
in Pamphylien, wo unter 14 iambischen Trimetem 4 aufein-
ander folgende so lauten (sie betreffen Leo lY, der die Stadt
neu ummauerte):
deMVvg iavtijg fiäkkov &6q>akB6xi(fav
i%%'Q&g XB naörig ^rix^cv^g ivfoxigav.
xal x^Iq f^^^ 4 (lövaQxog igyov TCQoaxdxig
&g xal x^9V?^S ^^^ xak&v xal Ssönöxig.
Ob es aus byzantinischer Zeit sonst derartiges giebt, vermag
ich nicht zu beurteilen; mir ist nichts begegnet. Immerhin ist
ganz bezeichnend für die theoretische Auffassung, dab Eustathios
in seinen Kommentaren die gelegentlichen Cäsurenreime in den
homerischen Gedichten als rhetorische Figuren erklärt, worüber
sich Lehrs 1. c. (o. S. 830, 2) 465 f aufregt, mit Recht des Homer,
mit Unrecht des Eustathios wegen. ^)
1) Dafs Joannes y. Gaza (s. VI) in seiner iK(pQaaig und seinen Ana-
kreontika Schlafsworte absichtlich gereimt habe, ist eine der yielen falschen
Behauptungen von E. Seitz, Die Schule y. Gaza (Diss. Heidelberg 1892) 45, 1.
Für Makedonios, den Epigrammatiker aus der Zeit lustinians, weniges und
nicht sehr Auffälliges bei A. Dittmar, De Meleagri Macedonii Loontii re
metrica (Diss. Königsb. 1886) 23 f.
2) Die Stellen jetzt sämtlich bei H. Grofsmann, De doctrinae metricae
reliquiis ab Eustathio servatis (Diss. Strafsb. 1887) 34 f. und Q. Lehnert, De
scholiis ad Homerum rhetoricis (Diss. Leipz. 1896) 29.
Der rhetorische Reim and die quantiüerende Poesie. 839
b. Die Lateiner.
Aus der alten Tragödie, die, wie später noch etwas näher b) bei d
ausgeführt werden soll, von Anfang an hochrhetorisch war, ge- * **
hören hierher folgende sehr gehobenen Verse des Ennius bei Ennini.
Cicero Tusc. I 69
caelutn mitescere^ arhores frondescere,
vites laetificae pampinis pubescere,
rami biwarum uhertate incurvescere
und ib. 85. IH 45
haec omnia vidi inflammari^
Priamo vi vitam evitari,
lovis aram sanguine turpari,
Verse, an denen — begreiflich genug — Cicero seine helle oioero.
Freude hatte. ^) Cicero selbst hat in jenem famosen Gedicht,
das ihn kompromittierte, die rhetorischen Homoioteleuta an
einer von ihm selbst citierten hochpathetischen Stelle zur An-
wendung gebracht, wo er die Muse die Prophezeiungen der
sibyllinischen Bücher verkünden laust:
ingentem eladem pestemque numebant,
vd legum exitium constanti voce ferebant,
templa deumque adeo flammis urbemque iubebant
eripere et stragem horribilem caedemque vereri,
atque haec fixa gravi fato ac fundata teneri etc.')
Es giebt meines Wissens keinen andern lateinischen Dichter,
der ähnliches gewagt hätte; denn was etwa sonst angeführt
werden könnte, beruht entweder auf ofifenbarem Zufall^ oder ist
1) Zu letzteren Versen bemerkt er: praeclarum Carmen, est enim et
rebus et verbis et tnodis lugubre; aufser den Homoioteleuta wird ihm das
doppelte KOfit^^ in vi vitam evitari imponiert haben.
2) G£ Dingeldein I. c. 15. 107.
8) Z. B. Verg. Aen. IV 266 f. Mud aliter terras itUer caelumque volabat]
liius harenosum ad Libyae ventosque secabat; immerhin würde die Auf-
zählung der ziemlich zahlreichen Verse dieser Art bewirken, dafs man sie
nicht mehr verdächtigt (cf. Bentley zu Hör. carm. I 84, 5. Heinsius zu Verg.
Aen. Vin 896 f. Ribbeck zu Verg. Aen. X 804 f. Cf. übrigens schon Gebauer,
Pro rhjthmis seu öfioiotsXBvrois poeticis in: Anthologicarum dissertab''^'
über, Leipz. 1788, p. 284f. 827 adn. f. 835 f.). — Hexameter mit ^leonin
Beim hat kein lateinischer Dichter ängstlich gemieden, aber soUi
840 Anhang I: Über die Creschichte des Reims.
anders zu erklären.^) Wie zurückhaltend die Dichter gegen dies
Ornament wurden, zeigt allein die Thatsache, dafs sich selbst
so rhetorische Dichter wie Ovid*) und Seneca') seiner enthielten.
doch Vergil an zwei Stellen absichtlich geschrieben liaben: ecl. 8, 28 cum
canilms timiäi venient ad poctda dammae, ge. I 188 aut oculis capti f ödere
cubilia tdlpae? Zum ersten Vers bemerkt es ausdrücklich der interpolierte
Servius und, ohne diesen zu kennen, auch G. Vossius, De poematum canta
et de viribus rhythmi (Oxf. 1673) 26, cf. auch Gebauer I. c. 280 adn. g.
(Bentley nahm übrigens — gewifs mit Unrecht — Anstofs an Manil. IV 217
scorpioa armata violenta cuspide cauda, cf. Naeke zu Val. Cat. 286). —
Zu prüfen wäre noch, wie weit auf wirklicher Beobachtung beruht die im
Altertum aufgesteUte Behauptung, dafs zwei mit derselben Silbe endigende
Wörter im Vers nicht nebeneinander gestellt werden dürften, weil das ein
nanoavv&stov sei (Quint. IX 4, 42. Serv. z. Aen. IV 604. IX 49. 606. Serv.
Dan. z. ecl. 3, 1. Aen. IV 487 , für das Griechische Eustathios an den Ton
Grofsmann 1. c. [o. S. 838, 2] 29 ff. angeführten Stellen unter inuswifunioötg);
mir ist aufgefallen, dafs Vergil thatsächlich gleiche Casnsaus^üige zweier
aufeinander folgender Worte ungern gebraucht zu haben scheint, wenigstens
braucht er an fünf Stellen hm^gus nach der 2. Deklination, wo kein Nomen
mit gleicher Endung dabei steht, aber zweimal biiugis, wo ein Nomen der
2. Dekl. folgt: ge. m 91 equi biifAgea Aen. XII 365 equos biiuges; ebenso
zweimal qtiadrnugua (ge. HI 18 qiuidriiugos cttrrus Aen. XQ 162 quadriiugo
curru), aber einmal quadriiugis: Aen. X 571 qwidriiugis in equos; ebenso
Aen. X 425 pectus inermum XII 131 volgus inermwn, aber Aen. II 67 tur-
hatus inermis cf XI 672, wo durch diese Form leoninischer Reim yermieden
wird: dum subit ac dextram labenti tendit inermem; daher Aen. VI 161 richtig
cod. M. socium exanimem (gegen exanimum PE), aber XI 51 iuvenem exam-
mum richtig MP (gegen R). Cf auch G. Wagner, Quaest. Virg, xxxTTT
(in der 4. Aufl. des Heyneschen Vergils, Leipz. 1832) p. 549.
1) Eine durchaus spielerische, tändelnde, keine rhetorische Absicht
liegt yor in dem hübschen Gedichtchen des Modestinus (etwa saec. IV in.) auf
den schlafenden Amor AL 273 Riese, wo sieben Hexameter hintereinander
neckisch enden auf ligemus metamus necemus perimamw crememus necemus
volemus, und in dem Epigramm des Ausonius (29) auf den ndv&Bogy wie er
in neuplatonischer Anwandlung einen Allerweltsgott nennt: es sind 7 aka-
talektische iambische Dimeter, deren 4 erste enden auf vocant putant no-
minant existimant, die 3 letzten auf Liberum Ädoneum ParUheum (yerfehlt
ist die Ausführung yon W. Brandes in seinen sonst wertyoUen Beiträgen
zu Ausonius, Progr. Wolfenbüttel 1895 p. 5 ff.).
2) Z. B. hat er yiel weniger Binnenreime im Pentameter als Properz,
cf Eichner 1. c. (o. S. 830, 2) 40. Dafs sich übrigens gerade bei den Elegikem
im Pentameter so viele Reime finden, erklärt sich ganz einfach aus der
bekannten Manier, Substantiva yon ihren gleichauslautenden Attributen zu
trennen, cf Eichner 1. c. 36 f.
3) Verfehlt ist, was Lehrs 1. c. (o. S. 830, 2) 474 darüber sagt.
Predigt und Hymnus. 341
Wir sind also zum Resultat gekommen^ daüs es in der Besuiut.
quantitierenden Dichtung des Altertums einen rhetorischen
Reim gab, vor dessen Anwendung aber die meisten und besten
Dichter begründete Scheu hatten. Aber von hier führt kein
direkter Weg zur Hymnenpoesie und daher auch nicht zur Er-
klärung des Reims in dieser sowie den von ihr beeinflufsten
neueren Sprachen. Um hier zur Erkenntnis vorzudringen, müssen
wir vielmehr noch einen Umweg machen, auf den wir aber durch
die soeben festgestellte Thatsache die Gewilüsheit mitnehmen,
dafs es einen rhetorischen Reim in der Poesie wirklich ge-
geben hat.
y. Fredigt und Hymnus. Das Eindringen des rhetorischen
Reims in die Hymnenpoesie.
1. Das Bedür&is, den Schopfer und seine Werke im Gesang Prinzipien
zu preisen, war in der christlichen Gemeinde früh empfunden ohriituohei
worden. Das lehren zwei berühmte Stellen der pseudopaulinischen ^^■^«•
Briefe: ep. ad Ephes. 5, 18 f. xX'^Qoi^ö^s iv jcvs'ö^ti Xccloihnsg
iavtoZs iv tpalfiotg xal üiivoig xal aSatg, aSovteg xal tpAXXovrsg
r§ naqSCa i^k&v xdi xv^ip^ ad. Col. 3, 16 6 Xöyog tov %Qf,6xov
ivoixBCxm iv iyitv xkavöimg^ iv xdöy 6o(pCa Si^däöxovxsg xal
vov^stoihti^eg iavtoiigy tpalnotg ü^ivoig ipöalg xvaviuczLxalgy iv
rg 2^9^^^ adovtsg iv xalg xa(fdiaig i^&v tdi d'eä. Es ist be-
kannt, wie dann die Häretiker sich die Ausbildung des Eirchen-
gesangs als eines auf die Sinne besonders stark wirkenden Mittels
angelegen sein liefsen, während sich die katholische Kirche in
ihrem instinktiven Bestreben, sich von den Häretikern zu unter-
scheiden und alle sinnlichen Elemente aus dem Kultus zu be-
seitigen, lange Zeit zurückhielt, bis auch sie diese Scheu über-
wand und dem innem Bedürfnis ihrer Mitglieder Rechnung trug,
im Osten sich stützend auf die Autorität des loannes Chryso-
Stornos, im Westen auf die des Hilarius (der sich lange im
Osten aufgehalten hatte), des Ambrosius (der in vielem sich an
die groüsen Vorbilder des Ostens anschlofs) und des Augustinui
(der anfangs grofse Bedenken hegte, dem Ambrosius hierin zu
folgen, bis ihn die praktischen Erfolge in der Mailänder Kirche
veranlalsten, auch seinerseits sowohl in der Theorie wie in der
Praxis nachzugeben). Dadurch war der Kirche eine neue, groise
842 Anhang I: Über die Geschichte des Aeims.
Aufgabe gestellt: es waren Hymnen nicht nur zu dichten, sondern,
was viel schwieriger war, zu komponieren.
Auf Grund der alten Yerskimst und Musik sollte und konnte
das nicht geschehen. Es sollte nicht geschehen, weil die An-
wendung heidnischer Metra zu orthodoxen Bedenken Veranlassung
geben koimte; man lese, was darüber Nilos (s. IV/V) an einen
Mönch schreibt, der Grammatiker gewesen war und sich noch
weiter der epischen Form bediente (ep. II 49, vol. 79, 221 Migne):
Paulus habe gesagt: ^ 6oq>ia tov xööiuw rot^ov iuoqCu xoifä z^
^€^ iötiv und es sei daher verboten, sich der Formen der
Hellenen zu bedienen, der Hexameter und lamben; denn wenn
geschrieben stehe (proy. 5, 3) itiXi iatoötä^i icxb iBi^Hmv ywai-
xbg nö^vrigj so bedeute diese nÖQvtj die xaXXihcaia r&v ^EXXijvafv^
daher: xolXol z&v aCQStiTc&v noXXä iTtufvpha^av &Xl* oiSlv
d)(pilfi6av, . .* ei Si d'avftd^BLg to'bg yQdtfovtag t& firi], &Qa 6oi
xal ^AnoXkvvaQvov xov dvööeßfj xal 7UUVCit6yMV ^aviid^Biv, xoUä
klav fLBXQijöccvTa xal iTtoxoii^öavtu xal [uxtaumoviiöentta xal
Tcavxl xatQdi iv X6yotg ivoi/jftoig xcctatQißivta oUhlfiaimd ts tolg
&x£(fdi6i t&v i%&v xal q>X€yiJLi^vavrcu Doch wäre dieses Moment
allein nicht ausschlaggebend gewesen; denn Männer wie Methodios,
Gregor von Nazianz, Synesios u. a. haben sich über dieses
ängstliche Vorurteil hinweggesetzt^), und vor allem im Abend-
land hat nicht bloüs eine Reihe von Dichtem in vergilischen
Versen alt- und neu testamentliche Stoffe behandelt, sondern
Hieronymus hat (auch hierin anknüpfend an griechische Vor-
gänger) sogar zu beweisen versucht, dais sich in den religiösen
Urkunden jene Versmafse vorfänden (s. oben S. 526). Wichtiger
also war das zweite Moment: weitaus den meisten war das Ver-
ständnis für die alte Verskunst und Musik längst abhanden ge-
kommen, so dais eine Erneuerung der Hymnenpoesie auf der
alten Grundlage gar nicht vorgenommen werden konnte. Für
die Verskunst beweist es das nach Ausweis der Inschriften immer
mehr schwindende Bewufstsein der nach Silbenquantität ge-
regelten Metrik. Für die mit der melischeu Poesie verwachsene
Musik bezeugt es (abgesehen von der Eolometrie unserer Texte)')
1) Näheres bei Krumbacher, Gesch. d. byz. Litt. ' 66d ff.
2) Die folgenden SteUen aus B. Volkmann in seiner Ausgabe von
[Plutarch] de mus. (Leipz. 1866) p. 66. 101.
Predigt und Hymnus. 843
Dio Clirys. or. 19, 4 ta xoXXä aiyt&v (sc. x&v xif&aQpS&v tcoI
imoTCQit&v) &Qx<xttt iöu not TCoXi) 6o(pani(fmv ivd(f&v ij x&v vvv'
t& fiiv tilg TtcjupSiag &xavtay x^g dh XQaypdiag xä fihv löxvQä
ifg ioiKS ^dv€t, Xiym dh xä lafißstay xäl xofkanf (liifij 8u^la6vv
iv xotg d'BdxQoigj xä di luclaxcneQa iisQQiifixey xä tuqI xä fiilri
und (aus später Zeit) anecd. ed. Bekker p. 752^ 1 xipf Av(»ix^i/
xoifiöiv dst fuxä lUkovg ivaytvAöKei^v , sl Tcal ft^ auQeXäßoitsv
fiqd^ äxoiisiipijfisd'a xä ixsivcDv fUXvi. Interessant sind vor allem
zwei Zeugnisse lulians, weil sie zeigen, wie er, offenbar als
Platoniker und vielleicht in bewuijstem Gegensatz zu den Christen,
die alte Musik künstlich wieder zu beleben suchte: Misop. 337 B
dq>aiQitxm xifif iv xotg iiiXs6i ftovötxiiv 6 v&v ixiXQUX&v iv xolg
Hsv^i(fOig xi^g naidsiag xQÖxogy at6%f,ov yäq slvai doxal vvv [Mvötr
xifv ixiXfiSs'öeiv ^ xdXai, noxh i86xsi, xb nXovxetv idixmg und be-
sonders ep. 56 p. 442 A S^i^öv iöxiv, BticsQ äXXov xivög^ xal xi^g
U(f&g ix^itsXfi&Hvai ^ovöixrig: er setze Preise aus für die alexan-
drimschen Knaben, die es darin am weitesten bringen würden,
denn: Sxi 7t(fb ^^i&v avxol xäg iruxäg imb xi^g d'siag iiavöiTcHg
xa&af^ivxsg ivijöovxaij ittöxevxaov xotg TCQoanofpaivofiivotg ögd'&g
{;xhQ xoitmvj worauf noch ein spezieller Befehl an den Musiker
Dioskoros folgt
Eine Anknüpfung an die Veigangenheit war also unmöglich:
ein neuer Weg mulste gesucht werden und er bot sich leicht.
Während Orient und Occident in den Einzelheiten hier völlig
auseinander gingen, war doch die gemeinsame Grundli^e der
neuen Poesie dieselbe: als Prinzip wurde nicht die Quantität der
Silben, sondern der Rhythmus aufgestellt. Dazu bedurfte es
keiner Anleihe bei den stammfremden semitischen Völkern,
sondern alle Grundvoraussetzungen waren in der hochrheto-
rischen Prosa gegeben, die von alters her nach dem Prinzip des
Rhythmus gegliedert und jene engen Beziehungen zur Poesie
eingegangen war, wie wir sie festgestellt haben. Aus dieser
rhythmischen Prosa hat sich die rhythmische Dichtung
und der mit ihr aufs engste verknüpfte Reim heraus-
entwickelt. Diese Ansicht, die sich mir mit notwendiger
Konsequenz aus der Geschichte der antiken Kunstprosa ergab,
ist, wie ich sehe, nicht ganz neu. F. Probst, Lehre und Ge^
in den drei ersten christl. Jahrhunderten (Tübingen 1871) 26
hat, soviel ich weifs, als erster in unserm Jahrhundert (t
844 Anhang I: Über die Geschicliie des Beinti.
die frohere Zeit werde ich weiter unten zu handehi haben) das
b^uniXimov der Rhetorik zu demjenigoi der Poesie in Be-
ziehung gesetzt Ohne Probst zu kennen, hat dieselbe Ansieht
aufgestellt und kurz begründet £. Boqtj, Poetes ei mäodes.
Etnde sur les origines da ryÜune toniqne dans Phymnogr^bie
• de l'eglise grecqne (Nimes 1886), 183 ffl nnd E. Erambaeher
hat sie L c. 700 £ 704f. angenommen. Aber trotzdem bewegen
sich alle neueren Untersnchongen noch im alten Crdeiae^ Dta
mag daran liegen, daÜB eine nene Ansicht anf solchem Gebiet
nur dann Anerkennong za finden pflegt, wenn sie anf Grand
Tieles Beweismaterials allseitig begründet nnd ans der Sphäre
einer blolsen Yermatnng in die einer historisch beweisbaren, ja
notwendigen Thatsache erhoben wird. Den Nachweis dieser
Thatsache will ich im folgenden zn erbringen Tersoehen.
HeUmiMiM 2. Die rhetorischen, an den hohen Festtagen gehaltenen
bjBM B. Predigten der Christen waren nichts anderes als Hymnen in
Prosa. Nicht die Christen waren die Erfinder dieser litterarischen
Gattong, sondern der yon allen Hellenen zugleich am tiefirten
religiös gestimmte nnd poetisch am höchsten begabte llenseh,
Piaton. Anf der Hohe seines Lebens schrieb er die Hymnen
auf Eros, im Alier den auf das All und seinen Schopfer: im
ersten Hymnus auf Eros werden zu Anfang (Phaedr. 237 A) die
Musen angerufen und der lyrische Schwung steigert sich zu
solcher Hohe, daCs er schlielslieh geradezu in den Dithyrambus
umschlägt (241 E); der zweite Hymnus auf Eros (244 Äff.) ist
das Grandioseste, was in der poetischen Prosa je geschrieben
worden ist (s. auch oben S. 109 ff.); im Hymnus des Timaeus
spricht er feierlich wie ein Hierophant. Es dauerte lange, bis
er Nachfolger fand; denn Eleanthes hat seinen Hymnus auf Zeus,
der an Innigkeit (wenn auch nicht an technischem Eonnen)
seines Gleichen im Altertum sucht, im altheigebrachten Vers-
maus der theologischen Dichtung yerfaCst. Dann aber kam die
Zeit, in der das religiöse Empfinden, herrorbrechend aus den
Herzen der im Chaos der Meinungen sehnsüchtig nach der Er-
1) U. Konca, Metrica e ritmica laÜna nel medlo evo (Rom 1890), 151 ff.
und Cultura medioevale I (Rom 1892) 341 ff. zieht, ohne die genannten Arbeiten
zu kennen, wenigstens vergleichsweise die Prosa heran (auf Grund einer
Bemerkung, die schon W. Meyer 1. c. 378 machte), aber er weifs keine Ver-
bindung zwischen beiden herzustellen: das aber ist eben die Hauptsache.
Predigt nnd Hymnus. 845
lösuDg ausblickeDdcn Meuschen^ in vorher nie gekannter Stärke
die weitesten Schichten ergriflF. Ein Kind dieser Zeit war der
Rhetor Aristides; er hat nicht nnbewuTst wie Piaton, sondern
mit deutlich ausgesprochener Absicht die prosaische Predigt als
Lobrede auf die Gotter an die Stelle der Hymnen gesetzt: dafür
haben wir sein eignes Zeugnis in der Einleitung zu seiner Rede
auf Sarapis (8 p. 81 flF. Dind.). Warum sollen, führt er aus, die
Dichter das Vorrecht haben, die Gotter zu besingen, obgleich
die prosaische Rede es viel besser vermag? Wie die lange Recht-
fertigung (p. 81 — 87) zeigt, thut er so, als ob er eine neue
Gattung der Rede einführte: aber charakteristisch ist, dafs das
Gebet, mit dem er anhebt (p. 87), hier wie in den andern Götter-
reden (1 auf Zeus, 2 auf Athene, 3 auf Poseidon, 4 auf Dionysos,
5 auf Herakles, 6 auf Asklepios) sich ganz deutlich, z. T. wortlich
(z. B. 1 p. 2), an die gleichartigen platonischen (Phaedr. 237 A
257 A Tim. 27 C) anlehnt, wie überhaupt die ganze Haltung
dieser Reden aufs stärkste durch die platonischen beeinflufst ist.
Er nennt diese Art der Komposition ifivstv &vbv [lizQOVj
naxaXoydSriv aSeiv u. dgl., auch blofs ifivstv (8 p. 97)^);
daher ist der Ton der Reden feierlich, hochpathetisch, dithy-
rambisch weniger in den Worten (davor hütete sich der Rhetor
seinem StUprinzip zuliebe) als in dem Schwung der Gedanken:
Pindar wird oft citiert, wohl noch öfter benutzt. — Neben Piaton
und Aristides') steht als Vertreter dieser Kompositionsart Julian
mit seinen Reden auf Helios und die Göttermutter (4. 5): als
Neuplatoniker glaubte er an seine Götter und suchte sich mit
ihnen in nicht geringerer Inbrunst zu verbinden als die ge-
schmähten Galiläer mit ihrem Gott. Man darf vielleicht an-
nehmen, dals er — beseelt von dem Gedanken, ^die Menschheit
1) Cf. schon Theon (s. I p. Chr.) progymn. 8 (109, 23 Sp.) tb slg to^g
ti^iArtcg iynSiuov initdtpiog Xiyitai^ tb dh slg tovg 9'eo4jg ^fivog, Schema-
tiBche Regeln für Enkomien auf Götter gab femer schon vor Aristides
Alexander Nnmeniu (Bhet. gr. m 4ff. Sp.) und nach Aristides besonders
'Menaader', der in der Einleitung mit Berufung auf Piaton nachweist, dafs
es Prosahymnen gebe (Ul 334 Sp.). Cf. übrigens auch E. Maafs, Orpheus
(München 1896) 122 f.
2) Cf. aufser den angeführten Reden noch 45 11 p. 139 Dind. hi yctg
fiäXUfP al napfiy^Qtig aal tcc t^g slfy/jvrig x^Q^^vta toi) nccg' ceötijg (tijg
Z^ai taü/g iLya/^otg t&v &v8q&v dtpsiXovtai dma^ag sixpriiLiai.
846 AwhAwgr I: Cber die Geschichte dea-Beims.
aoB der Nacht des Tartarus wieder emporblicken zu lassen zum
Glanz des himmlischen Lichts' (so drficken sich seine Lobredner
Libanios, Himerios, Mamertinus ans) — mit Tollem Bewnlstaein
und in bestimmter Absicht den christlichen Predigten, denen er
in seiner Jugend erst glaubig, dann widerwillig zugehört haite^
diese heidnischen Hymnen in Prosa en^egengestellt hat. Auch
er schliefst sich im ^^og und in manchen Einzelheiten an das
Vorbild Piatons an, auch er spricht tou seinem i^vitw (131 D),
wie denn z. B. der Schiulis der f&nften Bede ganz hymnenartig
ist. — Auch lulians Zeitgenosse Libanios hat einen solchen
Prosahymnus auf Artemis geschrieben: yoL L 225 ff. R. Er sagt
selbst p. 225, es weihe der Gottheit ein %oiiir^ üpwop iv f^ff^
ein fijtoQixbg vyivov &v$v yiitQOVj spricht p. 226 Yon &8uv
und nennt p. 240 seine Rede eine f^, die er mit der des
Simonides auf die Dioskuren yeigleicht. — Endlich ist noch zu
nennen der unbekannte Bhetor saec III (^Menander'), der am
Schlals seiner Schrift xegl ixidsunuc&v (Bhet gr. m 437 £ Sp.)
Vorschriften und Beispiele f&r prosaische Hymnen auf ApoUon
Smintheus giebt: die Vorrede schlielst (p. 438): aMfim %aQä
x(bv Movö&v fiavQ'ivsiv, xa^cbceQ IlivdaQog t&v Hiivtav xw^d-
viral * ävaiupöifiiiyyeg {i[ivoi\ xö^sv [U xifij tijv i(fxh^ MOiii-
öaö&ai; doout d' oiv fiot nQ&tov &q>efiiva tdmg toi) yivavg
üfivov elg ainov ivatp^iy^aö^ai. Der Anfang dieses ^Hymnus'
lautet, sehr poetisch: & S^Uv^ib "AnoXloVj xlva 6b x(f^ xqoöbi-
xstv'y xötBQov ijXiov tbv tov q>anbg TayLCav xal xtjyilv tijg odpa-
viov atyXtig V vovv, ig 6 rdh; ^eoXoyo'övtmv Xöyog, diiJHovta [ihv
dcä x&v oiqavCoDVj iövta dh dt al^iqog inl xä x^dB\ ^ xdxsfov
avxbv xhv x&v SXcnv dtifiiovQyöVj ^ nöxBQOv ÖBvxBQBiiovöccv dv-
vayLLVy dv Zv öbXijvij [ihv xixxtjxaL öiXag^ yfj di xoi>g obutovg
riydnriöBv Zqovg^ ^dXaxxa dl oi)% inBQßaCvBv xoi)g Idiovg {ivxoiig xxX.
Das Ganze schlielst (p. 445f.) mit einem hochfeierlichen Gebet
ganz im Stil der poetischen Gebete.^)
ohriftiioh» 3. Um so vicl inniger und wahrer nun die christlichen
bjmneö. Predigten sind als die zuletzt genannten rhetorischen Muster
1) Cf. über letztere Maafs 1. c. 198 f. — An Piaton hat dann erst
wieder Gemistos Plethon angeknüpft: seine ngoag^CBig und Bifxal an die
Götter sind prosaische Umschreibungen neuplatonischer Hymnen (die Stücke
stehen in der Ausgabe seiner Ndnot von Alexandre [Paris 1868] p. 44. 182 ff.
278 f.).
Predigt und Hymnus. Der Reim in den Prosahymnen. 847
stücke, in desto höherem Sinn können wir sie Hymnen nennen,
die zwar ävsv (litQOVy aber nicht &vbv ^v9(iov sind.
Gregor Yon Nazianz feiert am Schlafs seiner zweiten theo-
logischen' Bede (28 c. 31, vol. 36, 72 Migne), ganz wie Piaton, das
Überhimmlische: er nennt das ävviivBtv und sagt zum Schlafs:
roihra sl lihv Tcgbg il^ücv üfivi^taLy tilg TQiddog ^ X^9^- I^
der ersten Invektive gegen lalian ruft er — ganz wie gleich-
zeitige heidnische Redner, besonders Himerios (s. oben S. 429)
— sich einen *Chor' seiner Zuhörer herbei, denen er seine pdii
Tortragen wolle (or. in lul. 1 c 7 — 17, vol. 35, 537 ff. Migne).
Daher nennt Fenelon an einer oben (S. 569, 1) citierten Stelle
seine Reden ^hymnes'. Was aber von diesem Prediger des lY. Jh.
gilt, hat noch erhöhte Geltung für die der folgenden Jahrhun-
derte, als der Ton der Predigten ein immer aufgeregterer wurde
und sich dem Stil des Dithyrambus immer mehr näherte^), wo-
für ich gleich Beispiele anführen werde.
4. Die Signatur dieser hymnenartigen Predigten nerseim
war nun der Rhythmus — das versteht sich nach der oben ^^^^.
(S. 537 ff.) gegebenen Entwicklungsgeschichte der Predigt von selbst ^^^^
— und das öiioiotiXsvtov. Wir wissen aus den Darlegungen
dieses Werkes, dafs beides aufs engste zusammenhängt, denn
das 6iiOiotiXsvtov tritt ja nur in parallel laufenden, nicht zu •
langen Sätzen auf, die durch ihren Bau, wie Cicero sagt, ^Versen
ganz ähnlich sind und von selbst rhythmisch fallen'. Wir wissen
femer, dafs das iiiouytdXevtov nach einer Praxis, die wir von
Gbrgiaa an bis in das Mittelalter beider Sprachen verfolgt haben,
nie willkürlich gesetzt wurde, sondern den Stellen des höchsten*
1) *Tn99t9 auch Sophronios (s. VII), or. 7 in S. loannem Bapt. c. 1
(vol. 87 m, S821 Migne) dlSoVy & tpap^ roü X6yoVy tpavi^if' 8i8ov ilfitv, &
t^x^i Toe q>an6sf tiiv ai/i{ir' dlSov iiittv^ & toü X6yov ngdSgoiLB^ ta€ X6yov
xh9 9q6imv^ twa as ngbg &iiav totg 6otg sixprifAi^eavtsg ivrQV(piJ6m(LBv C'^fis-
ifop' ifivitw ydg as %cctcc xgiog natgipov. Cf. auch die {>iLvtpdia nQvnti/j
eines (gnostiBch beeinflufsten) Traktats des Hermes Trismegistos (Poim. 13,
17 ff.): näea ^^tfi^ *6aiiov nQoedB%ic&(o to6 v^vov r^ir dxoifir. &voiyj\^i yQ,
itvovf^ftm fftot n&g {/MxXbg öi^ßgovj tä Sivöga (lij asUed'S' ifivBtw (lilXm rbv
T^ vrUimg n^QiOv nal tb n&v %al xb ?v %tX, Vom (}ebet: Definition der
orthodoxen Kirche bei W. Gafs, Symbolik d. gr. Kirche (Berl. 1872) 362
4 «^otfMpf icti9 &vdßaaig roü vobg xal rfjg ^eXi^etag i^nAv ngbg tbv d's6p,
Si' j^ xbp ^ibp 'bftvovusv ^ tbv naQocuaXovfisv rj roO BifxccQUtto^f^^
xit% iig ifitäg iis^ialag a^ot).
848 Anhang I: Ober die Oeschichte des Reims.
Pathos vorbehalten blieb. Ich will das hier noch an Doku-
menten zeigen, deren einige ich absichtlich aus einem nicht-
christlichen Kreise auswähle , damit man sieht, wie allgemein
verbreitet diese Form der religiösen Rede war.
ft)heue. a. Ein Traktat des Hermes Trismegistos (Poim. 6)
^ieie. schliefst mit folgenden Worten (§ 11): xöts dd öe^ xovsqj iiitniöm;
oüts yäg &Qav öov oike %q6vov xataXaßBtv dwcctiv. {nchg rA
vog d^ 9cal v[ivii6(o; inlg &v ixotr^öag ij {rnkg &v oix ixotTjöag;
diä tC d% Kai ifivijöa 66; Sg ifiawov &v; üg ixfov n tdiav; i}g
aXXog &v; 6v yäg el 8 &v &, öi) et b äv tcol&j 6i> bI 8 &v Xiya.
6i) yäQ ndvra el xal &XXo oidiv iötcv 8 fti) el, öif el xäv tb
ysvöfisvovj 6i) xh fti) yevöfievovj vovg inhf vooii(Uvog^ aror^p 81
öfj^iovQy&Vj d^ebg Sl ivBQy&Vj iyad^bg dh xal Tcdvxa xoi&v. üXtig
filv yäq xb kexxofieQiöxeQov isi^Qj äigog d^ ifv%iij ^h^xAs 9^ vot^
vov 8% 6 ^B6g. — In einem der sog. Zauberpapyri des III./IV. Jh.
tritt die Figur an der Stelle auf, wo die an den Ton der orphischen
Hymnen erinnernde inixkviöig d'e&v beginnt (Pap. graec. ed. C.
Leemans II [Leyden 1885] pap. Y col. 7* 7 ff.): i x&v xdvtmv
i(o&v xe xal xed-vipc&tmv x(faxaLoij x&v iicl xoXXatg iviyxatg d'e&v
xs xal ivQ'Qmncov diaxovöxai' & x&v q>aveQ&v xakvxtai' i x&v
NefieöecDV x&v 6vv vfietv öiax(fsi,ßov6&v x'^v naöav &(fav xvßeQ-
VT^xar & xfjg Moigag xfjg &itavxa xeifuöxafiivrig ixütofiJtoi* i x&v
wt6Qsx6vx(ov inixdxxai' & x&v imovexayiiivfov vijf&xar & x&v ixo-
xexQvniudvoav fpavBQ&xai' & x&v avifimv bSriyoi' & xv^uximv i^eyeg-
xaC' & TCVQbg KOfitöxal xaxd xiva xaiQÖV & Ttdörig yivvrig xxlöxai, %al
evBQyitai' & Ttdör^g yivvrig "^QO^poC' & ßaöiXimv xvqiol xal XQdxiöxoi
— SX^axB BifiBVBtg i(p* 8 i^uäg inLxaXovfiai, ...,*Exdxovö6v ftov xvgUj
oü xb ivofia fi yrj ixovöaöa iXeiiöBxai^ 6 adrig Axovcdv xagdööetai^
jcotafiol d'dkaööa kCyivai nr^yal &xov6a6ai nijywvtaij at xixQai
axovöaöai ^TJyvvvxai' xal oigavbg filv XBq>aX'^j al^Q Sh ö&fucj yij
TtöÖBg^ xb öi TtBQl öl vdtoQ G}XBavbg, dya^bg äaiiMov. öi} el xfiQiog^ 6
ysvv&v xal XQifptov xal a{;go)t; x& ndvxa. TCg fio(fq>äg ^^(ov iicXaye;
xCg 8\ Bi(fB xBXBvQ'ovg; u. s. w. in Hexametern; erst wo der Ton
ruhiger iind sachlicher wird, setzt die Prosa wieder ein.^) — In
1) Cf. auch die Stelle aus einem Gebet eines Leydener Papyrus bei
A. Dietcrich, Abraxas (Leipz. 1891) 24 f. Wer etwa hier an einen auf das
Hebräische zurückgehenden Parallelismus denken sollte (s. o. S. 817ff.), der
kann sich selbst widerlegen aus den bei Leemans p. 77 ff. folgenden '£z-
cerpta ex libris apocryphis Moisis', deren magische hicaniamenta sich in-
Predigt und Hymnus. Der Beim in den Prosahymnen. 849
einem Gebet an den löwenköpfigen Gott yon Leontopolis (ed.
W. Frohner im Philol. Suppl. V [1889] 46) heilst es auf einer
Gemme: xXvd'i fiot (sie), 6 iv Asovxm%6XL (sie) xiiv xaroixiav
xsocXfiQmiiivogj 6 iv tp &yip öt^xm iviSQvpiivog^ 6 &6%Qa%&v xal
ßfovt&v xal yv6q>ov xal ävifiav xvqloSj 6 ri^t/ ivovQdviov trjg
iavUyv (sie) gjvösmg xixkrjQioiiivog ävivxriv (sie).
b. Auch der Christ liebte diese Redefigur gerade da, wo b) ohriat-
seine Rede am feierlichsten wurde, bei der Anrufung Gottes im apieie:
Gebet ^); ich will dafür ein paar Stellen eitleren^ zunächst nicht
aus eigentlichen Predigten. Aus den Liturgieen vgl. z. B. den Liturgieen.
Passus der alexandrinischcD Liturgie^) p. 4^ deöfud^a xal Tcaga-
xaXovyLiv ö6y q>i,kdvO'(f(07C6y iya^i^ iaiq)avov, XTigu, tb XQÖöamöv
<fov ixl tbv agtov xovxov xal i%l xh xoxijifLOv xovxo^ alg [lexa-
xoifjöiv xov ixQavxov 6(hfiaxog xal xov xiniov öov aZfurro^, iv
olg 6a xneodixsxai XQdacala vcavayCa, UQatixij iiivpdia, iyyaXixij
%0Q06xa6lay alg luxdXtjilfiv tfwx&v xal öfofidxcov, 32* ixt öi} 6
d'abg "^fi&Vy 6 Xiimv xoi)g naaaSi](iivovgy 6 &vo(fd'&v xabg xaxaQ-
fayuivovg, i^ iknlg x&v iTcalmöfiivatv^ i^ ßoi^&aia x&v ißoridijx(ov,
4 ivdöxaöig x&v naaxooxötayv, 6 Xtfi'^v x&v x^'^i'^to^^varvj 6 ix-
dtxog x&v xaxa7tovov(iiva)v' näöy i^oxfi j^(»t<^r£ai/g d-Xißofiivri xal
naQiaxo(iivy dbg iXaogy dbg Svaöiv^ dbg äva^lrv^iv, 48* kvx^möai
öaöfUovg, il^iXov xoifg iv iviyyiaig' naiv&vxag %($(»ra<^ov, dXiyotln)-
Xovvxag naQaTcdXaöov, naxkavrifiavovg iniöxgatlfovj iöxotcö^ivovg
ipanayAytjöov^ xsitxcoxöxag iyaiQOv, öaXsvofiivovg öxiJQLiov^ vsvo-
ötpcdtag laöat, 60* ^ai, g)a}xbg yavvfjxoQj ^fofig iQXVy^y X^if^'^og
xoifftäj al(ovl(av 9ayLakL&xaj yväöaag dfOQodöxa^ 6oq>Cag d'rjöavQd,
iytmöTivrig diddöxaXa, 62* diöTCoxa xv^w 6 ^adg^ 6 navxoxQdxooQ^
6 xa9iiiiEvog ixl x&v x^QOvßiii xal dola^öiiavog inb x&v 6aQag)i^'
6 i£ {)8dt(ov (yö(favbv 6xavd6ag xal zotg x&v döxigav x^Q^^S
xoirxQV xaxaxoöfiijöag und oft ähnlich; cf. auch das lange litur-
gische Gebet in den Constitutiones' apostolicae YII 33 — 38
(p. 212 flf. Lagarde).^) — Aus den apokryphen Apostelge- ^po-
haltlich mit den angefahrten Worten gelegentlich decken, während die
Form eine ganz andere ist, mehr den PsaUnen ähnelnd, ohne Satzparal-
lelitmns und ohne 6iu)iotiUvxcc.
1) Cf. Clem. AI. Strom. VII 7 p. 864 P ftfttv, cbf sinstv toXfiriQ^SQOv,
S) Ich citiere nach: The Greek Liturgies ed. Swainson, London 1884.
8) Nicht so viel in den andern Liturgieen, doch cf. aus der des C
850 AnhaTiy I: Über die Greachidite des
schichten: act. Petr. 10 (p. 96 Lipsiiis) giptpiatü ötn odx h
%Bil£öiw xovtois SQO&iilm(i£woig , ill' iniitQ tf^ 9^^
sijaQiatA 601, ßtufiisvj rg dia 6iyiig iroovpiirg, xg ^i| #y fpmv^m
ixovo^Jvfij ^ ft4 't' oqyavwv ^ApLoxog aepofoif^, Tj} fii) /v öif-
Tuwa ina xoQSvofgdvrj , Tg fti} ovöia ^pdsprg iamwifUvfi imd so
noch mehrere Glieder; act. Andr. 10 (p. 121 'Hflch.) xnCifOiq i
6tavQh 6 iv xm ömium rov Xqiöxov ifTUuvuö^ilg Mal ix tAv
ful&v ainov insai p4tgya^xat$ xo6p.ii^s{g i iya9^h fftavfiy
6 BvxQijuim xal ibpantn^ra ix x&9 p^linf rov xvpiov d^/i^urogj
ixl xoXv ixix6^x§ xal ^xovdaüog iMt^v^f/tl xal ixtspAg ixir
tfftovfuve, xal fjdi} ixuco^ov6iiq as x^g irvjjlg ^ov Mgov/xot^ua-
iUvBj Xafik f&£ iaco xSrv äv^goxenß xtLj c£ ib. 13 (p. 126); martjrr.
Bartholomaei 7 (p. 255 Tisch.) Big ^tbg 6 9can)p 6 iw vt^ xa\
ayia xvsvium yvmifi^öiuvogy slg ^ebg 6 vibg 6 ix xarpl xal hß
ayCo xvaii^Laxi do§aS<(ftcvo^, Big d'Bbg xb xvsvfUL xb Sywv 6 ip
xoxqI xal vtA XQoöxwovftBvog. act loann. cathoL 21 (p. 276
TiscL, p. 249 Zahn) xoQBvofUvov fiov Xffög 6b ixoiOQV^^^ ^>^^
i/ixi^diJTOi 6x&togj ixovri^ata xdiuxog, 6ßB6^ijxa yiewa* icxokov-
^fl^atoHiav &yYBloi, ipoßi^^xmöax daifwvBgj ^^ovtfdiJTOtfay Bn9^
XBg' dwd[uig öxötovg XBödraöav, ÖB^iol xixoi 6Xfpcixo6aXj iQUfXB-
Qol fiif luivdrmöav ' 6 didßoXog (ptiim^xfOy 6 6axaväg xaxayaXaö^ijxm*
i] navla ainov ^(^firiödt(Oy fj 6(^ aifxov X€ev6^ifta* xä xixva irdroD
xatax^iixiOj xal SA17 aircov 1} QiXa cbcoppi^odi^cD.^) act. Andr.
sostomos (a. XI) p. 129 f. (isuwriiupoi xoivw xi^ cmtr}(flov tuvtris Irrolijs sal
navtiov t&v vnsQ fnimv ysysvr^iidvmv, roO ötcevQO^ rov rdfpav, rf^ rgni^df^ov
äwaotdöstog TJ/ff slg oitgavovg äva^de^togy xf^ i% di^iav na^idifag, xijg Sev^
xigag xal ivdd^ov nuXiv naQovaiag y wo man die AbsichÜichkeit erkennt
durch Vergleich mit der betr. Stelle in der Liturgie des Basilios (ebenfalls
s. XI) p. 161 : (UfiVfiuivoi ovv, Sienaxa, %al fifutg x&v öüovriQimv it^o9 «a^-
(laxcov, xov taoxoiov exavQov, xi^g XQirifiiQOv xtupilg, x^ i% 9i%gA9 iwaetd"
aimgy xijg slg oi)Qttvoifg &v6SoVy xf^g in ds^iav aov xo9 ^so^ tulI xtcvQbg «a-
^iSgag xal r^ ivÖo^ov xal (poßsi^g S&vxigag a^ov nagoveücg. Femer ein
Abschnitt ans der pontischen Liturgie bei F. Brightman, Litnrgies eastem
and wcstem I (Oxford 1896) 522. Auf Antithesen an sehr gehobcmen Stellen
von angeblich liturgischen Partieen bei Clemens AL, Hippolytos, NoTatian
u. a. weist hin F. Probst, Lit. d. erst, drei Jahrh. (Tübingen 1870) 91. 188.
212 ff. 225: aber der Beweis, dafs die Stellen aus Liturgieen sind, scheint
mir nicht erbracht.
1) Th. Zahn in seiner Ausgabe der Acta lohannis (Erlangen 1880)
XCIV IT. teilt die Beschreibung des Lebensendes des Johannes (bei Tischen-
dorf p. 272 ff. §§ lü~21, bei Zahn p. 239 ff.) in ihrem ganzen Umfang dem
Predigt und Hymnus. Der Beim in den Prosahymnen. 851
gnostica ap. [Augustin.] de vera et falsa poenitentia c. 32 (cf.
B. Lipsius, Die apokr. Apostelgesch. I 592 f. Das Original war
griechisch) : ipse auiem coqdt dominum rogare ^ne me permiUas,
domine, descendere viviMt, sed tempus est ut commendes terrae cor-
pus meunu tamdiu enim iam portavi, tamdiu super commendatum
vigilavi et läboravi, quod vettern iam ipsa cibedientia liberari et isto
gravissimo indumento exspoliari: recordor qtiantum in portando
onerosum, in fovendo infirmumj in coercendo lenium, in domando
superbum lahoravi und was weiter folgt. — Aas gnostischen onotti-
Schriften : in dem von C. Schmidt in : Texte u. Untersuch. VIII
(1892) herausgegebenen zweiten^) gnostischen Werk in koptischer
Sprache finden sich mehrere hymnenartige Partieen^ die auch
noch in der deutschen Übersetzung (das Original war griechisch)
den Parallelismus stark hervortreten lassen^ z. B. p. 304 Und die
Mutter des Alls und der XQOJtdtoQ^ und der airtonAtcuQ und der
Leukios zu, d. h. der ersten H&lfte des zweiten Jahrhunderts. Aber das ist
sicher falsch, wie sich ans dem Stil dieser Partie ergiebt, der von den
sicher bezeugten Fragmenten des Leukios ganz nnd gar abweicht; auch
die Sprache (Wortgebrauch, Formen) ist andersartig. Hätte Leukios so ge-
schrieben, wie in der genannten Partie, so hätte Photios (bibl. cod. 114)
nicht ein so vei^htliches Urteil über seinen Stil abgegeben {cpqdöig slg tb
navtstkg &vd»fucX6g xb xal «rafijlXayfiivij , Xi^is äyogalog xal nsnafrutivri).
Der echte Leukios hat in den langen und feierlichen Beden, die er den
Johannes halten läfst, die Figur des 6(koiotiUvTOv nur ein einziges Mal
angewendet p. 280 Zahn (am Schlufs einer Bede): ^b iidovfjg (vnaQäg fii}
hdv^vat, 4>nb (^^ii£ag fiTJ 'ijtxrfiijvai, (mb &%(ifig 6&iiatog (lii ngodo^'f^voci.
Die genannte Partie stammt vielmehr aus einer frühestens dem vierten
Jahrhundert angehörenden katholisierenden Bearbeitung des häretischen
Werkes des Leukios, wie aus inneren Gründen von B. Lipsius, Die apo-
kryphen Apostelgesch. I (Braunsohw. 1888) 600 ff. erschlossen ist. — Vor-
stehendes war längst geschrieben, bevor es M. B. James glückte, ein grofes
neues Stück der echten Leukios -Akten aufzufinden (Texte and studies Y
[Cambridge 1897] 2 ff.): dadurch wird das Gesagte vollauf bestätigt.
1) Welches sich formell und inhaltlich durch seinen griechischen
Charakter von dem ersten unterscheidet, wie Schmidt im einzelnen ausge-
zeichnet bewiesen hat. In jenem ersten findet sich bezeichnenderweise
keine so komponierte Stelle; ebensowenig in der (überhaupt nicht stark
von griechischen Ideen beeinflufsten) Pistis Sophia trotz der vielen dort
ausdrücklich als v(kvoi bezeichneten Partieen.
2) Die griechischen Worte sind im Koptischen beibehalten und zwar
da, wo sie nicht in Klammem gesetzt sind, wörtlich, da, wo sie in £[lam-
mem stehen, mit koptischer Flexionssilbe.
Kord«ii, »ntik« KimitproM. II. 56
852 Anhang I: Über die Geschichte des Reims.
x(fiyyeviit<o(f und die Kräfte des Äons (alAv) der Mutter ^immtei^
einen grofsen Hymnus (pii^vog) an, indem sie den Einigen Alleinigen
priesen und zu ihm sprachen: Du bist der allein Unendliche
(iaciQavtog)j und Du bist allein die Tiefe (ßd&og)^ und Du
bist allein der Unerkennbare, und Du bisVs nach dem ein
Jeder forscht, und nicht haben sie Dich gefunden, denn
Niemand kann Dich gegen Deinen Willen erkennen, und
Niemand kann Dich allein gegen Deinen Willen preisen
. . . Du bist allein ein ixAfUtog, und Du bist allein der
iöfatog, und Du bist allein der ivoii6u>g u. & w. 307 Die
Geburten der Materie baten das verborgene Mysterium (livötiJQiov):
„Gieb uns Macht {i^ovöia), damit wir uns Äonen (ai&veg)
und Welten (xööiioi) schaffen Deinem Worte gemäfs {xatd)j
welches Du, o Herr, mit Deinem Knechte verabredet, denn
Du allein bist der Unveränderliche, und Du bist allein
der istigavtog^ und allein der ix^f'V^^^^ ^^^ ^^ ^^^^ allein
der iyiwtitog und airtoysviig und oAxotcAtfOQ, und Du bist
allein der iödXsvtog und äyvcoötog u. s. w., cf. 311 f.
Predigten. c. Aus den Predigten selbst, besonders denen des Gregor
von Nazianz und Augustin; habe ich schon oben (S. 564 ff. und
621 ff.) eine Reihe von Beispielen gegeben , die ich den Leser
zu vergleichen bitte. Ich füge hier noch einiges zeitlich Frühere
und Spätere hinzu. Die Reihe wird eröffnet mit einer berühmten
Stelle aus dem unter Paulus' Namen gehenden ersten Brief an
Timotheos (erste Hälfte des IL Jh.): wenn ich die Stelle eines
Briefes imter Predigten citiere, so glaube ich nach dem früher
(S. 538; 2) über die Beziehungen beider Litteraturgattungen im
Urchristentum Gesagten Berechtigung dazu zu haben. Es heifst
da am Schlufs eines Abschnitts (c. 3, 14 ff.): tavtd 6ov y(fd<pio
iXxL^fov iXd^etv nQÖg 6b iv tixBi^ iäv dh ß^aSiivm^ Iva etd^g x&g
det iv otxp d'Boi) &va6XQi(pB6^ai^ i^tig iötlv ixxkriöüc Q'bov ^&V'
rog^ öTpXog xal idgaCcafia tfjg AXrid'Biag. xal 6iioXoyov(Uv(og (liya
iörlv TÖ tflg BiösßBiag iivötTJQiov
bg i(pavBQ(b^ iv öagxi,
iSixaiAdifj iv xvBiifiati'
&q>^ri äyyiXoig,
ixriQv%^ iv i^vBöiv
iTtiöxBvd'ti iv x6öiiG)j
ivBkilnq>^ri iv S6^(j.
Predigt und Hymiins. Der Reim in hjmnenarfcigen Predigten. 853
Ich habe diese Worte in unserer Manier als Verse abgeteilt,
weil die Exegeten darin gewöhnlich einen Rest jener ältesten
christlichen Eirchenpoesie erkennen, von welcher der unter Pau-
lus^ Namen schreibende Verfasser des Ephesier- und Kolosser-
briefs an den beiden oben (S. 841) citierten Stellen spricht (cf.
J. Eayser, Beitr. z. Gesch. n. Erkl. d. ältesten Eirchenhymnen
[Paderborn 1866] 21 f., F. Probst 1. c. 275), und K. Weizsäcker
hat, wie ich sehe, in entsprechender Weise übersetzt, sehr mit
Recht, da uns Deutschen das Ethos des pathetischen Stils am
besten in gebundener Rede zum Gefühl gebracht wird. Aber
dals die Worte nicht in unserm Sinn fQr ^Verse' zu halten sind,
dürfte doch wohl feststehen^); eher annehmbar wäre die Bezeich-
nung, deren sich einige Exegeten bedient haben: liturgische (?)
Bekenntnisformel'.^) Jedenfalls ist die Form der Einkleidung nichts
1) Die tßdal, von denen der Verf. des Ephesier- und Eolosserbriefs an
jenen Stellen spricht, dürfte man sich eher zu denken haben nach apoc.
Joh. 6, 9 f. %al ^dovciv ip8i}9 naivi/jv, Xiyovcsg "A^iog st laßstv tb ßißXiov
%al ävot^ai tag aq>(f€cytSag a^ov, 8n iü(pdyrig aal 'f^yögaeag r^ &Bm iv tm
aÜ^fuctl öov i% ndcfig iffvXijg mal yX&6arig %al Xaoü xal id-vovg xal inolriöag
a^ahg ßaeiXsUtv xal Ugstg, xal ßaeils^ovüiv inl tfjg yfjg, cf. 15, 3 xal ^Sov-
üiv x^if <p8iiv Mayoöimg . . . xal r^y tpdiiv xa^ &Qvlav, Xiyovtsg MsydXcc
xal ^avfucctä xcc ^gycc cov xrX. Die Stellen über solche alten Gesänge in
frühchristlicher Zeit bei Hamack, Über das gnostische Buch Pistis Sophia
in: Texte u. Unters. VE H. 2 (1891) p. 46, 2, cf. auch Dogmengesch. I» 167, 1.
Cf. auch Snunbacher 1. c. 309 f., der die nenem Forschungen über die
ältesten Eirchengesänge zusammenfafst.
2) An die Stelle knüpft sich ein interessantes Problem. Alle Hand-
schriften haben: öfioXoyovfUifODg fiiycc i6xl xb xijg sifCißsUcg (wexi^QioVf hg
itpa^BoMri xtX., während das in älteren Ausgaben stehende 8 nur auf
der für solche Dinge nicht in Frage kommenden lateinischen Übersetzung
beruht. Aus dem mangelnden grammatischen Anschlufs wird nun in den
meisten exegetischen Eonmientaren eine wichtige äufsere Stütze abgeleitet
für das in dem Inhalt hervortretende formelhafte Gepräge der ganzen
Stelle. Diese Auslegimg ist sehr ansprechend; der Vorschlag der Gegner
dieser Auslegung (z. B. bei H. Eölling, Der erste Brief Pardi an Tim. II
[Berlin 1887] 214, cf. auch H. Holtzmann, Die Pastoralbriefe [Leipzig 1890]
329), eine Konstruktion ad sensum anzunehmen nach Analogie von [Paul.]
ep. ad C!ol. 2, 19 o^ %Qoct&v xiiv xe^aXify, i^ o^ n&v xb ö3ma 8i& x&p
ätf&w xal cwdieyMV inixoqfriyü^\kBvov xal avfißißat6pitSvov a^^si xi^p aütt'
€iiß X&& ^eo^, liefse sich ja an und für sich hören: aber man bemarin
die Thatsache, dafs gerade der Verf. der beiden Briefe an Timotheos und
des an Titua das 6iLoioxiX$vxov sonst nicht anwendet aufser an einer Stelle,
die Ton einigen wieder als eine Art von Citat aufgefafst wird: ep. ad Tim.
65*
854 Anhang I: Ober die Gescliichte des Reims.
als eben jene hymnenähnliche, feierliche, in kleine Kola mit
ilioiotiXsvta gegliederte Eunstprosa, die auch Paulus selbst
an gehobenen Stellen hat, von denen einige oben (S. 502 ff.) an-
geführt sind. — Aus spätem eigentlichen Predigten hat schon
Bouyy 1. c. 192 ff. (und nach ihm Erumbacher 1. c. 339) Proben
angef&hrt und sie durchaus richtig beurteilt, wenn er sie mit
Stellen aus Isokrates vergleicht. Ich gebe hier einige Proben,
von denen zwei (Pseudojustin, Sophronios) sich schon bei den
genannten Gelehrten finden. Der pseudojustinische Brief an
Diognet bricht unvermittelt ab, ihm ist in der Überlieferung
angefügt ein Stück einer Homilie, die Hamack (Gesch. d. altchr.
Litt, bis Euseb. I [Leipz. 1893] 758) vermutungsweise ins lY. Jh.
setzt; sie schliefst so^):
o{)Sh Eüa fpd's{Q6tai,
älXä naqdivog möta^star
xal ömtiigiov dsixwtat,
xal iaeöötoXoi öwstC^ovraij
xal tb tcvqCov itA6%a n(foi(fxstat,
Ttal xaiQol övväyovtaLj
xal nstaHÖöfita &Qfi6^etai^
xal Siddöxav &ylovg 6 k6yog £ig>qa£v£tat,
8i oi xatijQ do^d^srar
^ ^ dö^a Big to{>s al&vag. i(i7Jv,
II 2, 10 ff. diic to^o ndvta (mofiivm diic tohg inlsxro^g^ Zira %ul aiftol üeh
triglag tvxcoüip tijg iv XQ*^^^ 'Irieoii futä 86i7ig alavlov. mcröc ö Xöyoc*
ßa^ilB^eofiBV' sl &Q9ri<f6(iid'oc, ii&%sZißog &QVi/j<f8tai 4iiLäg' sl &ni'
<ftoü(LSV^ i%st9og ni<ftbg fiivsi' Agvi^aacd'ai yäg iavtbv o^ dvvcctcci (die
— dem Paulas selbst ganz fremden — Worte niatbg 6 liyog finden sich
übrigens auch ep. ad Tim. I 8, 1. 4, 9. ad Tit. 3, 8; daher darf wenigstens
aus ihnen nicht gefolgert werden, dafs die angeföhrte SteUe ein Citat sein
müsse). Die endgültige Entscheidung, ob wir es an solchen Stellen mit
Citaten zu thun haben, ist deshalb schwer und meist unmöglich, weil wir
von der Litteratur, die dem Paulus und dem unter seinem Namen schreiben-
den Epistolographen vorlag, manches nicht besitzen (s. oben S. 474, 2).
1) Ich teile auch hier und im folgenden zur Bequemlichkeit des Lesers
die Kola durch Absetzen der Zeilen mit. Übrigens hat schon W. Meyer in
der oben (S. 827) citierten Abhandlung diese Stelle herangezogen, aber nicht
richtig verwertet.
Predigt und Hymnus. Der Beim in hymnenartigen Predigten. 855
AmphilochioB aus Caesarea in Eappadokien, Bischof von Iko-
niuni; der Freund des Basileios und Gregor von Nazianz, sagt
am Anfang seiner Weihnachtspredigt (hom. 1 c. 1; 39, 36 Migne):
Sv tQÖaov 6 alö&rjrbg ixetvog 7ud äxTJQatog xoQog divÖQeöiv
&q>^a(fXoig xal 7ca(fxotg ä^avatoig xal pivgCoig äXXoig 'bxsQkdpLXQoig
qfaidQvv€ttti xakks6iVj ovrco di^ Tcal oizog 6 %'soBtdi6taxog xf^g
C€QOX(f€7t£6t(kfig iTcxXfiöiag d'iaöog votfcotg Tcal ä^ifiltotg wxxakai/ir'
XQirivBxav yLv6xri^Coig j &v
XQtiTclg fifiiv iQQay^g
xal d's^dkiog iöxsiiqy^g
xal &(fx'^ ömziigtog
xal xoQvgyii nccvösßdöfitog
4 öijfUQOv x&v &yC(av X(fL6xov xov äXfid'ivov 9eov ^^n&v yBVB-
9XCmv iöxlv io^ij'
di* ffv xal xä nakaiä xs^goqyijxevxaL xv7iix(bg
xal xä via dia^QTJdriv slg xäöav xijv olxovyLivrpf xexij-
Qvxxai'
dt* rjv ip^ogäg dtivanig ns^ätrjxaL
xal dtaßöXov öißag dXd&Qiov niicavxai'
dv TJv iv^QAjtLva nidiri xs^avdtmxaty
iyyeXixflg dsönoxsiag ßCog ivaxsxaCvufxar
8l rlv oigavbg ^^vipxxai
xal yfl slg ^etov ihlfog (lexsAgLöxai'
dv^ r^v nagdSsLöog iv&QtoJCOLg &%o8i8oxav
xal d'avdxov xgdxog xati^gyrixar
dl* ffv TtXdvri duL^övcov deSicoxtatf
^sov 6oq>ia xal jcdvayvog yta(f0v6ia iisfiilwxat.
oix äyysXog ydq^ q)i^ö{v (Jes. 63, 9), o'ödl itgiößvg, iXX* avxbg
6 xiifiog fjl^et xal öAöst aircovg,
i ^siav siayyeXlcDV TtXoikog iiiv^ifcogy
& nccvööqxov fivöxriQiiov yv&ö^g dvsxdiijyi^xogj
& d'eicDv itpQdöxtov S(oqb&v ^öavfbg dveidXsmtog,
& ngovoi^Lxilg g)i,Xavd'Q(07tlag xd(fig dvagl^fLtixog
und 80 derselbe öfters. — Von Proklos, Bischof von Eonstan-
tinopel (s. Y), haben wir einige Reden, die wohl zu den am
stärksten rhythmisch gegliederten und mit Figuren geschmückten
gehören, die uns überliefert sind. Er lehnt sich deutlich an
Gregor Yon Nazianz an, steigert aber dessen Eigenart aufii
856 Anhang I: Über die (beschichte des Reims.
äuijserste. Lange Perioden sucht man bei ihm vergebens^ er
lost alles in kleine zerhackte Sätzchen auf, die sich meist parallel
laufen y z. B. finden sich in der Weihnachtsrede hintereinander
32 Sätzchen von der Form ^ Y^ (ngoögfigsi) ti^v fpdtvfiv (or. 4
c. 3; vol. 65; 713 M.). Ich müDste diese Beden ganz abschreiben,
wollte ich eine deutliche Vorstellung von dem maMosen orgia-
stischen Taumel der Phantasie und der Sprache geben; ich be-
gnüge mich mit einigen Proben. Or. de laud. S. Mariae (1 c 9^
1. c. 689):
ainbg xal tbv ixdvO'ivov iq>6(fe6e ctitpavov
xal xi^v x&v ixccv^&v ikv6BV iat6qia6Lv*
6 airbg Siv iv totg xöXxoig tov aatifbg
xal iv yaötgl xoQ^dvov'
6 airbg iv &yxakaig [lYjZQbg
xal inl ntSQ'öycDV &viyL(ov'
6 ainbg &v(o imb iyyilmv it(foöBxwetto
xal xdtm tsXAvatg öwavexXivato'
rä £6(faq>lfi oi TtQoöißXsne
xal nUdtog '/JQAta'
6 dovXog iQifamis
xal i} xtCöig i(pQi66BV'
inl ötavifov 6 avrbg ixilywro
xal 6 d'QÖvog t^g dö^rig ainov ovx iyeyöfivioto*
iv tatpfp xatsxXsisto
xal tbv ovQavbv iiitetvev üösl di(fQiv'
iv vexQotg iXoyi^sto
xal tbv adriv iöx'öXevöev
&de TrXävog iövxofpavxBlto
xal ixet Ryiog idoioXoyBtto,^)
Or. de laud. S. Mariae (5 c. 2, 1. c. 712):
aXXä Tcäöai fikv t&v ayCayv at fivfj(uci d'avfiaötai' oiSlv dl xo-
öoihov elg döl^avy ola fj Ttagovöa TCavif^yvQig.
6 "AßaX diä dvöiav ivondistaL'
6 ^Evhx ^^' Biagiötri^w ^vrifiovsvsraL'
6 MsXxt^siix &g alxhv ^bov xr^fdööBtai'
1) Man bemerke, daCs die ganze Stelle oin Cento aus den Evangelien
ist: dio Worte ändert er so ab, dafs sie die von ihm gewollte Figur er-
geben.
Predigt und Hymnus. Der Beim in hymnenartigen Predigten. 857
6 ^Aßqa&yL Siä xiöuv iyxmfiidietar
6 ^löaäx 8iä tvjcov inaivBltav
6 ^laxhß dtä TtäXijv ficcxagC^star
6 ^I(o6iig> diä öa)q>(fOö'&i/riv tiyLaxar
6 'Jcb/J 8l ixonovijv fiaTcagi^erai.
Mmvöfjg üg vo^d^iti^g svqnjfiettaL'
JSaiiifhv d)g öwöfiiXog 9soi) naxa(fif^€tai'
^Hkiag hg IriXmti^g giaQtvQettar
^Höatäg ig ^soXöyog &vay(fciq>£tai'
^aviiik bg öwstbg xrjQiiöffstac'
'Is^sxL'^k ä)g ^soctiig %(bv &noQ(fif(t(ov d'aviuiiBtai'
^aßld ä)g xat'^Q tov xaxä ödgxa nv^tfjQiov XaXettar
£oXofia}v ä)g öixpbg ^avfidiBxaL^)
Or. de laud. S. Mariae (6 c. 8, 1. c. 756 f.) ein merkwürdiges
Zwiegespräch zwischen Joseph und Maria ^ gewissermafsen der
erste Anfang einer dramatischen Ausgestaltung der h. Geschichte.
Joseph beginnt:
"Amd"!, laaxgäv r^g 'JovJarxfj^ övyysvslag^
tf^g id^Lxfjg ixoXaßovöa ixa^agöiag,
Sita xal 1^ ayia naq^ivog ngbg tijv ßageiav ixitififiöiv ngaBtav
ididov &%6xQL6iv Xiyovöw
BsßrjXcDiiivijv ivvoetg^
5t L diyxcofidvijv /x£ d'ScoQctg;
XQhg tovto 6 'I(oö7J(p'
FwaLxbg oix iötl xoöfiiag
iXX6t(fuc (pQOVstv siöeßeiag.
ij ayia Xdysr
^ixä^Giv tQÖTtov jtOQVsiag
oi 8C8(og x6nov äjtoXoyiag;
xal 6 'Jotfi^qp*
^ErnyLivBig y&Q &Qvovfiivri
oiitag iyxvficov ysvofisvij;
xal i} ayia'
Z'ijfcriöov ro &^Bv8\g jtiötCbg tflg nQOtprjtixfig TtgoQQTlösag
xal iiadi^öy 6ag)&g i^ avtfjg tb xaivongsnig tfjg de-
6itotixrig övXki^Bfog
1) Je acht Glieder; die fiCTa^oAi} wird nur durch Weglassung de
tikels gekennzeichnet.
858 Anhang I: Über die Geschichte des Reims.
und 80 noch eine lange Strecke weiter.^) — Sophronios, Pa-
triarch von Jerusalem (s. VII), hom. 2 in S. Deiparae annuni
c. 18 (87 III, 3237 Migne):
XaiQoigj & X^Q^S '^^S ixovQaviov yswiffQuc'
Xccigotg, & x^Q^S ^^S incBffrizrig liauikf^a'
X^iifoig^ & Xc^&S ^^S öanriQiov iifftQ^xoJUg*
Xc^^otg, & X'^Q^S '^VS i^ixtov iiv6tL%bv xatayAyiinf*
Xatgoig, & x^Q^S ^^S iQffijtov &%idya6toq &ifOVQa'
X(^^(foigy i x^Q^S ^4^ ^axmaQÖxov qnnbv ai^aXiötatov'
X(^i(fOigj i d'eov li^ltsQ ävöiup&vts'
XcciQOigy & naq^ivB lutä x6%ov &6iiXfit6*
tig 6ov tpQOL^ai rijv iyXatav din^i{<f£Ta»$
tig 60V qxivai tb ^aufia toXinjösce;
xCg 60V XTK^^ai ^ccQöijöaL tb fiiya^og;
ivd'QATtoav tijv gjvöiv ijcööiMjöag'
iyyikayif tag tä^eig vevixfptag'
t&v &QX(^yyikoiv tag ipatavyeiag istixffv^ag'
t&v %'q6v(ov x&g ngoaSgCag dBvti(fag 6ov iaiSstliag'
T&v xvQLOti/[ta}v xb ihlfog iöiiixQwag'
tä>v &QX&V xäg xa^yijöeig JCgoidgafLsg'
t&v iiovöL&v tb 6&ivog ivBVQcoöag'
t&v Swd^cDv dwancDtiga jCQOslTJXvd^ag dvvaiug'
tb t&v XsQOvßlii, TCoXvönnatov yritvoig 6g>d'aliiotg ixegißecXig'
tb t&v U6Qag)lii i^amiQvyov irvxfig d'eoxLn^tOLg TCtefotg ins^-
ßißijxag.^
1) A. Kirpitschmikow, Byzant. Eeimprosa in: Byz. Zeitschr. I (1892)
527 ff. bespricht kurz diese Stelle, begeht aber den fundamentalen Fehler,
einige nicht reimende Stellen durch Konjektur zu ändern. DaTs in dieser
Stelle der Reim stärker auftrete als sonst bei Proklos, ist, wie das Ange-
führte zeigt, nicht ganz richtig: er findet sich in sehr gehobenen Partieen,
wie es diese doch ist, regelmäfsig.
2) Die Belege lassen sich beliebig yermehren, vgl. etwa noch [Hippel.]
in S. Theophania IV 851 ff. Migne. [Greg. Thaumat.] hom. 2 in annunt virg.
Mar. ib. 1160 ff., id. hom. 4 in S. Theophan. ib. 1180 ff.; Eustath. episc.
Antioch. alloc. ad imp. Const. in concilio Nie. XVIU 678; [Athanas.] hom.
in natiy. praecursoris XXViil 905 ff., id. serm. de descriptione Deiparae
ib. 943 ff., id. serm. in occursum domini ib. 97S ff., id. in caecum a natiyi-
tate ib. 1001 ff., id. serm. in feriam ib. 1047 ff., id. serm. in passionem
Der Ursprung des H3nimenreim8. 859
5. Um nun ohne weiteres zuzugeben ^ daCs die biioiotiXevta vortragt-
der eigentlichen Hymnen von denen der hymnenahnlichen Pre- predigtez
digten nicht getrennt werden können ^ muJjs man zweierlei be- ^^^
denken. Erstens. Jene Predigten wurden in einem dem
Gesang nahekommenden Tonfall (^recitativisch'^ wie
wir sagen würden) mit ausgeprägter Modulation der
Stimme vorgetragen; das steht nach den früheren Ausfüh-
rungen über diesen Punkt (S. 55 ff. 135 f. 265. 294 f. 352. 375 ff.
555. 560) fest: wer es trotz der zahlreichen von mir vorgelegten
Zeugnisse leugnet, mufs sich darüber klar sein, daüs er seine
moderne Anschauung mit derjenigen fremder Völker und Zeiten
falschlich identifiziert. Zweitens. Der alte Eirchengesang
selbst ist nichts anderes gewesen als ein feierlicher
mit modulierter Stimme mehr recitativisch gesprochener
als gesungener Vortrag. Das hat schon v. Helmholtz, Lehre
von den Tonempfindungen' (Braunschweig 1870) 375 ff. mit be-
wunderungswürdiger Schärfe erkannt^); es ist jetzt unabhängig
domini ib. 1063 fP., id. serm. pro eis qui saec. renant. ib. 1409 fP. ; Cyrillus
Hieros., procatechesis XXXTTT 882 fP., sowie in mehreren der Katechesen
(bei der zweiten mehr in der zweiten Fassung 409 ff.); [Cyrillas] hom. in
occnrs. dom. ib. 1187 ff. (sehr viel); Serapion ady. Manich. XL 899 ff., id.
ep. ad Endozium ib. 923 ff. (aber fast nichts in der ep. ad monachos ib.
926 ff.); [Epiphan.] homiliae XTiTTT 428 ff. (sehr yiel); Eologios honL LXXXVI
2918 ff. n. s. w. Bei Sophronios hom. de praesentatione domini p. 9 (ed.
Usener im Bonner Progr. 1889) folgen sich 17 auf -tat endigende %6fiiucta,
— Bemerkenswert scheint, dafs diese Art von Prosa sich auch anf zwei
christlichen Inschriften aus Zorava (südl. yon Damascos, in Trachonitis)
findet: CIGr. 2498. 8921 (= Lebas-W. 2498. 2601).
1) Ich wurde darauf aufmerksam durch 0. Crusius, Die delphischen
Hymnen im Philol. N. F. VII Erg&nzongshefb 1894. Helmholtz sagt z. B.
p.876: „In dem singenden Tone der italienischen Declamatoren,
in den liturgischen Recitationen der römisch-katholischen
Priester mögen wir Nachklänge des antiken Sprechgesanges
haben 877 Die Feststellung der römischen Liturgie durch Papst
Gregor d. Greisen (690 — 604) reicht zurück in eine Zeit, wo Beminiscenzen
der alten Kunst, wenn auch yerblafst und entstellt, durch Tradition noch
überliefert sein konnten, namentlich wenn, wie man wohl als wahrschein-
lich aimehmen kann, Gregorius im Wesentlichen nur die Normen für die
schon seit der Zeit des Papstes Silvester (314 — 336) bestehenden römiao?
Singachulen endgültig festgestellt hat. Die meisten dieser Form
für die Lectionen, Collecten u. s. w. ahmen deutlich den Ton
des gewöhnlichen Sprechens nach" (folgt ein instruktiyes Bekf
860 Anhang I: Über die Geschichte des Reims.
davon durch die bahnbrechenden Forschungen der Benediktiner
endgültig festgestellt, z. B. von einem der ersten Kenner dieser
Dinge Dom Joseph Pothier, Les melodies gregoriennes (Toumay
1881) c. XV p. 234 S. Er geht aus von der Bemerkung Ciceros
(or. 57) est etiam in dicendo quidam cantus dbscurior; das komme
daher, dafs der Accent der antiken Sprachen musikalischer Natur
gewesen sei (s. auch oben S.4f. und besonders noch Crusius 1. c.
113 ff.); daher: les ancienSy meme en parlant, moduiaieni beaucoup
plus leur voix que nous ne le faisons dans nos langues modemesy
und sie hätten daher die Liturgie stets recitativisch vorgetragen;
aus diesem recitativischen Vortrag sei der gregorianische Gresang
hervorgegangen: (fest ainsi que la musique grigorienne est, par les
fomies de ses modtdations, aussi bien que par la natura de san
rhythme, un vrai recitatif.^) Er hat das dann im einzelnen zu
begründen versucht in einer Abhandlung De Tinfluenee de l'ao-
cent tonique latin et du cursus sur la structure m^lodique et
rhythmique de la phrase Gregorienne .in: Pal^ographie musicale
III (Solesme 1892) 7 ff.*) Noch heute werden ja, besonders in
den romanischen Ländern, einzelne Teile der Messe in einem
verhaltenen Gesangston gelesen, vor allem die sog. CoUecten.')
1) Man kann das am besten sich vorstellen nach folgenden Worten
Augustins (Conf. X 33, 80): ÄihanasitM tarn vnodico flexu vocis faciebcU so-
nare lectorem psahni, ut pronuntianti vicinior esset quam canenti.
2) Man muTs immer noch diese nur an den gröfsten Bibliotheken
(z. B. der Berliner) vorhandene Publikation benutzen, da die dankenswerte
deutsche Übersetzung „Der Einflufs des tonischen Accentes auf die melo-
dische u. rhythm. Struktur der gregor. Psalmodie" (Freiburg 1894) g^erade
das für die vorliegende Frage besonders wichtige Moment, den Cursus,
nicht umfafst.
3) Cf. für die Theorie M. (Herbert, De cantu et musica sacra I (St.
Blasien 1774) 326. 355 f 388 f. J. Augusti, Denkwürdigkeiten aus d. ehr.
Archacol. VI (Leipz. 1823) 158 fP.; einiges auch bei J. Hilliger, De psal-
morum hymnorum atque odarum discrimine, Wittenb. 1720, neu gedruckt
in: Thes. commentationum selectarum ed. J. Vollbeding IE (Leipz. 1849) 43 ff.
— Unter ^Collecte' im speziellen versteht man ein vom Priester (oder Diacon)
gesprochenes Gebet, welches die Bitten der ganzen versammelten Gemeinde
zusammenfafst: in der griechischen Kirche heifst sie avvantr} t&v alti/janp^
cf. C. Cracau, Die Liturgie des h. Joh. Chrjs. mit Obersetz. u. Kommentar
(Gütersloh 1890) 44, 3. Über ihren Vortrag lerne ich aus J. Gräffe, An-
weisung zum Rhythmus in homiletischer u. liturg. Hinsicht ((jtöttingen 1809)
226: „Der Rhythmus, welcher diesem Vortrag gegeben wird, entspreche so-
wohl den allgemeinen Zwecken, welche durch das Gebet erreicht werden
Der Ursprung des Hymnenreims. 861
Bezeichneud scheint mir auch der Name, den die mittelalterliche
Kirche fOr die dem Hallelaja untergelegten Gesangtexte wählte:
sie hielsen prosae,^)
Da nun also eine erhebliche Wesensverschiedenheit idenuut
der hochrhetorischen Predigt und des feierlichen proB«iMheii
Kirchengesangs nicht existiert hat, so sind wir berech- po^^hea
tigt oder vielmehr genötigt, beide in betreff ihrer am ^«^"^•
meisten charakteristischen Erscheinungsform, nämlich
des Reims, in engste Beziehung zu einander zu setzen,
oder — mit anderen Worten — den Reim der hohen
Prosa mit dem der getragenen Poesie für identisch zu
erklären. Das vermittelnde Bindeglied war der Rhyth-
mus, auf dem beide Gattungen der Rede basiert waren.
Eine gewisse äufsere Bestätigung dieses Zusammenhangs liegt
in folgenden zwei Thatsachen. a) Gunz wie in der Kunstprosa
seit Gorgias findet sich der Reim in den Hymnen nur an be-
sonders pathetischen Stellen: die Verfasser dieser Hymnen sind
sich also bewulst gewesen, im Reim eine fakultative, nicht eine
obligatorische Zier (tf^^fia, figura) der Verse zu besitzen. In
sollen, als auch der besondem Bestimmung der Collecten, auf eine dem
Gesang sich nähernde Weise gesprochen zu werden", wofür er
einige (deutsche) Beispiele giebt; fOr die orientalische Kirche cf. das E6x^'
X6ytov 8. Rituale Graecorum ed. J. Goar (Vened. 1730): Stellen, die mit
erhobener Stimme gesprochen werden sollen, werden mit intpavoag be-
zeichnet (etwas anderes ist fisyaXovpiSivtog^ was blofs 4aut' bedeutet, im
Gegensatz zu fivati%&g ^leise'), cf die Bemerkungen Groars p. 27 u. 106. —
Eine gute Analogie (aber nichts weiter) bietet auch die hebräische Poesie
worüber zuletzt D. H. Müller, Die Propheten in ihrer ursprünglichen Form
I (Wien 1896) 251 so urteilt: „Die prophetische Rede hat sich aus dem
Chore [?] herausgearbeitet . . .; sie fand aber in dem überlieferten Typus
eine gewisse Schranke, aus der sie nicht heraustreten konnte. Zur Schei-
dung Ton Rhetorik und Dichtung ist es bei den Semiten nie-
mals gekommen, und in der That schwankt die prophetische Rede
zwischen beiden und neigt je nach der Art des Schriftstellers und je nach
dem Stoff, den er behandelt, bald nach der einen, bald nach der andern
zu.** In der Synagoge spricht der Vorbeter noch heutzutage in einem
siBgenden Ton; aber wenn kürzlich F. Consolo, Cenni suir origine e sul i
progreMO della musica liturgica (Florenz 1897) den gregorianischen Kirchen-
gesang aus dem Hebriüschen ableitet, so ist das eine Ungeheuerlichkeit,
die sich selbst richtet.
1) Cf. L. Gkkutier, Eist, de la po^sie liturgique au moyen fige I (Pari'
188Q 164 f. 178, 2.
862 Anhang I: Über die Geschichte des Reims.
der griechischen Hymnenpoesie ist; wenn ich nicht irre^ diese
Tradition durch das ganze Mittelalter bewahrt worden. — b) Die
Byzantiner haben ihre Hymnen als Prosawerke aufgefalst, wie
Erumbacher 1. c. 331 bemerkt: ^^Suidas und die Kommentatoren
der Eirchenpoesie sagen mit trockenen Worten, diese Werke
seien Ttcctakoyadipf, ns^p köyp geschrieben'^^); ich erwähne noch;
dais der Abendhymnus des Gregor von Nazianz in der ältesten
Überlieferung (s. X und XI) mit dessen Predigten, erst in der
jüngeren (s. XIH— XVI) mit dessen Gedichten überliefert ist*),
und dais Ambrosius seinen Hymnus Äeteme verum conditar, in
rhetorische Prosa aufgelöst, fast wortlich wiederholt hat in seinen
Predigten über die Schöpfungsgeschichte.^
B«iipiei6 6. Ich gebe nun ein paar Proben solcher Hymnen. Bevor
Hymnen- ich aber solche aus der Zeit des entwickelten katholischen
^^^; Eirchengesangs anfahre, schicke ich die ältesten aus den Zeiten
chiBciie. der ersten Häresieen voraus. Der Hymnus der Naassener lautet
bei Hippol. ref haer. V 10*):
Nöfiog ^v yevixbg tov %avxhq 6 iCQ&tog Ndccg,
6 dh dsjksQog ^v tov üeQmtoröxov tb xvd'iv xdogy
t(fCtatov ^x^ d* ilaßev ioya^oiidvfi i/tffiov.
dvä tovto ikä(pov (logqyfjv 7e6QLKBL(iivfi
xomä d'avdtp iisXitruia XQatoviAivri.
jcoth lihv ßaöiXBiccv ixovöa ßXinsi tb q>&g^
%ot\ d' slg iXsov iQQvyiitivri xXaisij
xoth dh xXaisi xal xalffsi^j
not% d\ xXaCBLy tcqCv Bt ai^
%oth 8\ xgCvBtav^ d'vi^öxBL'
xotl dh yivBtat ivd^odog. fj iibXbA xax&v
XttßvQLvd'ov iöfjXd'B nXavfoibivri,
1) Bemerkenswert ist übrigens auch, dafs Eustathios in seinem Kommen-
tar zum PfiDgsthjrmnus des loannes Damasc. diesen Dichter jiJTopa nennt:
Spicil. Rom. ed. Mai V (1841) 164.
2) Cf. Fr. Hansen im Phüol. XLTV (1886) 228 ff.
3) Cf. G. Dreves, Aurelius Ambrosius d. Vater des EirchengeBangs in:
Stimmen aus Maria -Laach, Suppl. XV Heft 58 (Freiburg 1898). Hymnen-
citate in den Predigten des Bischofs Petrus Chrysologus von Ravenna
(t c. 450) bei C. Weyman im Philol. N. F. X (1897) 466 ff.
4) Text nach A. Hilgenfeld, Die Ketzergesch. d. Urchristent. (Leipzig
1884) 260.
Der Reim in H3nimen. 863
€la€v d* 'Iriöovg' ^EöÖQttj tcAzbq^
ii^tfiiia xax&v töd* ikl %%6va
ixb öfjg nvoY^g iKinXdf^etau
trttst dl (pvyslv th magov xdog
xoihc olösv Svccog dule'öcetai,
toikov (i€ %d(fiv Tt^iiilfov, ndxBQ.
6(pQaytdag B%(ov xaraßi^öoiiM.
al&vag SXovg diodsvöcoj
p^vöti^ifia nivxa d* ävoi^co,
^OQfpdg ts d's&v inidsi^cjj
t& xsKQVfiiidva tijg ayiag 6dov
yv&6vv TcaXiöag naQadAöa.
Der i^aXfiög des Yalentlnos auf die groCse Ernte, das ^igog,
bei Hippol. 1. c. VI 37^):
ndvxa TCQeiidiuva 9rv£i5fiart ßXiicmy
ndvta d* öxo'öiißvtt av€viiatt, vo&'
ödffxa (iiv ix iroxilg 9C(f€(ia(iivfiv,
irvxilv di &i(fog i^oxovfiivriVy
Hqu d' ^1 at^Qtig XQBiiduBvoVj
ix dh fiv^ov xa(f7tovg fpBQOfLivovg^
ix iiiitQag dh ß(fiq)og q>8Q6n£vov.
Für die spätere Zeit wähle ich einige Strophen aus Liedern des
Synesios und Romanos. Synesios in dem ersten ; noch vor
seinem Übertritt zum Christentum verfaTsten Hymnus Y . 20 ff. :
6 iilv tfcaov si diAxoi,
6 dl tö^ov €i xnaCvoi^
6 6% ^[iStvag (pvXdööoij
dann besonders stark hymn. 5; 58 ff.:
X<^iQOig, & na^äbg jcayd,
Xccigoig, & naxQbg (lOQipd'
Xccigoigj & naidbg TCQtjTtigj
Xccfyoig^ & TCatQog ötpQtiyig'
XaCfOig, & naidbg xdgtogy
Xalgoig^ & naxqbg xdXXog,
Die erste Strophe des berühmten Weihnachtshymnus des Ro-
manos lautet (Anal. Sacra ed. Pitra I 1):
1) Hilgenfeld 1. c. 304. Zeugnisse filr die Psalmdichtung der Gnostil
bei Hamack l c. (oben S. 853, 1).
864 Anhang I: Über die Q^schichte des Reims.
fl xaQ^ivog 6ijiiSQ0v — tbv vxsQovöiov xüetBr ■ —
xal 4 yi} TÖ ömjlaiov — rc5 iacQoöCxm jeQOöäysi, —
äyysXoi (istä Ttoinivav — do^oXoyovöiv,
^dyoi dh (letä &6xi(foq — b8oi%o(fOi)6iV'
6i fii/Mg yäQ iysvvi^^fi —
naidlov vdovj 6 agb al&vmv ^s6g.
Die yierzehnte Strophe des Osterhymnus (I. c. p. 64):
^ij yäQ &yyikovg lötSQ^a, —
öl tbv nt<D%bv i(piXri6cCj —
f^v döiav fiov ^x^v^a, —
xal xivfig 6 nXovöiog —
(paivo^ai ixAv;
noXif ydg os nod'&v —
imCvaöa idCipii6a —
6id 6b xal i(uix^6a.
Die dritte Strophe des Hymnus über den Verrat des Judas
(1. c. p. 92):
tig äxo'ööag — oix ivdgxtiös —
fl tig ^BCDQiiöag — oix it(f6(ia6€ —
tbv 'Iriöoih/ — döXm (piXoiiiuvoVy —
tbv X(fi(Stbv — (p^övp XfoXoiiiuvov —
tbv ^sbv — yva(ii] TCQotoiiiuvov ;
b)iatei- 7. Auf die im Prinzip analogen Verhältnisse im Abend-
uiiche. jg^jjjß brauche ich nicht näher einzugehen. Wenn man die
dem Griechischen parallel gehende Entwicklung des rhetorischen
biiOLOtiXBvtov in lateinischer Sprache betrachtet; wenn man vor
allem den Prosareim der augustinischen Predigten (S. 621 ff .) ver-
gleicht, dessen Popularität auch aus einer oben (S. 629 f.) ange-
führten Inschrift eines Tribunen ersichtlich ist, so wird man
zugeben, dafs die für die eine Sprache gewonnenen Resultate
ohne weiteres auch für die andere Gültigkeit haben. ^) Aber in
1) Die Forschung über die Geschichte des Reims in den alten latei-
nischen Hymnen halte ich noch nicht fflr abgeschlossen, so yiel auch
darüber geschrieben ist (die Litteratur über das lateinische Kirchenlied
findet man am besten bei U. Chevalier, Poesie liturgique du moyen äge in:
L'universitä catholique X [1892] 177, 8, cf. auch L. Gautier, Les ^popto
franyaises [Paris 1878] 281, 1; wozu jetzt neben anderem noch kommt N.
Spiegel, Unters, üb. d. iütere ehr. Hymnenpoesie. 1. Teil: BeimTerwendung
und Taktwechsel. Würzburg 1896). Das Thema liegt mir fem, nur ein
Der Reim in Hymnen. 865
Einzelheiten gingen Orient und Occident (wesentlich infolge der
yerscliiedenen Natur ihrer Wortaccente, s. S. 867, 1) ihre geson-
derten Wege, und die Geschmacklosigkeit der gereimten Hexa-
meter, unter denen die sog. ^leoninischen' ^) die Hauptrolle spielten,
blieb dem Occident vorbehalten.
paar Belnerkungen über prinzipielle Fragen. Die Tiradenreime bei Com-
modian, Augnstin, Pseudocyprian (über letzteren cf. A. Ozanam, La mili-
sation chrät. au V. sifecle, 2« ^d. [Paris 1862] vol. II 140 ff.) sind, wie mir
scheint (cf. auch Spiegel 1. c. 35), als blofse Spielerei (bei Augustin auch
mnemotechnisch) gesondert zu nehmen und nicht als erste Anfänge des
eigentlichen Reims zu betrachten. Dieser beginnt erst mit Sedulius, denn
ich stimme darin durchaus mit Dreves 1. c. (oben S. 862, 3) 49 überein, dafs
für Ambrosius der Reim als bewuTst angewendetes Eunstmittel noch nicht
existiert, sondern dafs er an den paar Stellen, wo die Verse gleich aus-
lauten, eine blofse Folge der flexivischen Endungen ist (z. B. in dem Hym-
nus Äeteme verum conditor Strophe 6 : Gallo canente spes redit, Aegris scUus
reftiMditur, Mucro IcUro^iis conditur, Lapsis fides revertitur); dasselbe gilt
für Prudentius, während M. Manitius, Qesch. d. ehr. lat. Poesie (Stuttgart
1891) 16 f. über beide anders (aber m. E. unrichtig) urteilt. Wenn freilich
die scharfsinnige Vermutung von W. Brandes 1. c. (oben S. 840, 1) 9 richtig
wäre, dafs Ausonius in der am stärksten christlich gefärbten Strophe seiner
Sphemeris v. 15 ff.: Deus precandus est mihi Ac filius summi dei, Maiestas
tMiusmodi Sociata sacro spiritui absichtlich den Reim verwendet hätte,
Bo galt er damals schon als Charakteristicum der christlichen Poesie. Aber
keiner hat im IV. Jh. mihi dei spiritui für Reime halten und als solche
anwenden können: das war vielmehr erst im Mittelalter möglich (s. oben
S. 886, 2); also besteht die Alternative: entweder sind die Reime als solche
beabsichtigt — dann ist die Strophe nicht von Ausonius (für den Gedanken
kann sie fehlen trotz Brandes p. 10) — oder sie sind überhaupt nicht als
solche empfunden, dann kann sie echt sein, beweist aber für die Reimfrage
nichts; ich neige zu ersterer Entscheidung, weil spiritui mit dreisilbiger
Messung für Ausonius unerhört ist (cf. auch Leo in: Gott. gel. Anz. 1896,
778): Scaliger schrieb ^ritu, ich glaube vielmehr, dafs durch die Not-
wendigkeit einer Änderung die Interpolation bewiesen wird, was sich mir
noch dadurch bestätigt, dafs in den unmittelbar folgenden Versen, die das
Game abschliefsen: JSt ecce iam vota ordior, Et cogitatio numinis Prae-
9eniiam sentit pavens; Pavetne quicquam spes fides? ein schwerer metrischer
Fehler ist, der von Leo (1. c.) nur durch eine, wie mir scheint, nicht über-
zeugende Änderung beseitigt wird.
1) Woher der Name kommt, habe ich mich vergeblich bemüht fest-
logtellen (immer noch das Beste, aber historisch nicht Ausreichende ent-
hält die Notiz bei Fabricius-Mansi, Bibl. lat. med. et inf aet. m [Fl*
1868] 646 f.). Die Hoffnung, dafs durch die Notiz von 0. Dingeldei]
(oben S. 8S0) 4, 1 : „Nach den Mitteilungen von Duchesne in der !
866 Anliang I: Über die Oeschiclite des Reims.
o) mittel- 8. Zum Schlafs dieses Abschnitts wül ich noch ein Doku-
ment des lateinischen Mittelalters anfOhreUi aus dem man
das Ineinanderfliefsen des rhetorischen und poetischen Reims gut
beobachten kann. A. Ozanam, Des ecoles en Italie aux temps
barbares (oeuvres complfetes 2. 6i. vol. IE Paris 1862) 400 ff. hat
zur Illustration mittelalterlicher Stilistik Teile einer bisher nicht
bekannten Vita S. Donati, Bischofii von Fiesole (f 874), aus
einer Florentiner Hs. s. XI veröffentlicht. Darin wird erzählt^
wie der Ire Donatus suorum civium prosapia nobüium parentum
progenitus et ab ipsis pene crepundiis Mus fide calholicuSj animus
vero liüeris deditus et erga Christi cuUores devotus auf einer Pilger-
reise nach Fiesole gekommen sei, wo man gerade einen Bischof
brauchte; Wunder verkünden, dafs der unbekannte Pilger der
erkorene sei: man veranlafst ihn seinen Namen zu nennen:
nomine (sie) cum audierunty
letabundo sie pectare dixenmt:
^eia Donate,
pater a deo date,
pontificdU reside cathedra^
ut nos perducere vdleas ad astra/
tunc sandus pectore puro verba dixit in unum:
^parcite,
0 fratres, quod ista proferiis inane . . .
mea crimina lagere sciatis,
non in plebe docere credaUs'
critique 1889, 260 kann die Herleitung des Namens von Papst Leo I. als
sicher gelten** die Frage erledigt sei, sah ich getäuscht: an der in der
ReTue 1. c. citierten Stelle (Acad. des inscr. et belies lettres. Comptes lendui
22. März 1889 p. 141 ff.) ist von nichts hierher Gehörigem die Bede (es
handelt sich um den cursus Gregorianus). Baeda (GLK YIl 244) kennt den
Namen noch nicht; im XU. Jh. wuTste man nichts mehr über den Ursprung
des Namens, wie die blödsinnigen Erklärungsversuche in Metriken jener
Zeit beweisen, cf. z. B. den Traktat De cognitione metri, den H. Hoffinann
in: Altdeutsche Blätter von Haupt und Hoffmann I (Leipzig 1886) 212 ans
einem cod. Admont. nr. 769 (s. XH) ediert hat, ähnliches noch Pierre Fabri,
Le grand et vray art de rethorique (1620) ed. A. H^ron yoI. H (Bouen 1890)
16. Die leonina consonanHa wird genannt continua scanaio Ton Hugo t.
Trimberg, Registrum multorum auctorum (ed. Huemer in: Sitnmgsber. d.
Wien. Ak. 1888) V. 868. Ich zweifle nicht, dafs durch genauere Forschung
das Dunkel, das über dem Namen liegt, gehoben werden kann.
Der Beim in Hymnen. 867
ad haec sonanUa verba
cuncta eepit dicere caterva:
^sicut visUavü nos oriens ex cdto,
sie agatnus in viro sancto:
Christus eum adduxit ex occiduis,
eligamus tws in Fesulis.
et ecce deo dignus
a Christo demanstratur
domino Danatus;
ad sedem nunc producatur,
tU nöbis a deo datus
Sit pater Donatus.
si est f?oluntas resistendi,
fiat vis eligendi.'
sicque factum est: licet muitum renitendo f^wrimumque repugnando
resisteret, inthronigatus tarnen est ... . Erat largus in deemosyniSf
sedidus in vigüiiSy devotus in orationej praecipuus in dodrina,
paratus in sermone^ sanctissimus in conversatione. iipse enim Om-
nibus vite sue diäms nunquam animum oUo dedit, quin non aut
oratUmi insisteret aut lectioni incumberet aut utüitatibus ecdesie
describeret, seu etiam scemata metrorum discipulis dictaret vel in
rebus ecclesiasticis insudaret necnon in soUicitudinibus viduarum et
arphanorum instaret et egenorum curam häberet. Der Verfasser
schreibt also in Reimprosa, die er in den Beden so steigert,
daTs man die einzelnen Kola von rhythmischen reimenden Versen
nicht mehr unterscheiden kann.
VI. Resultate.
Ich fasse kurz zusammen. Potentiell ist der Reim in der Beiuiute.
griechischen und lateinischen Sprache von jeher so gut vor-
honden gewesen wie in jeder andern Sprache; aber in der me-
trischen (quantitierenden) Dichtung hatte er keine rechte Stätte,
erschien daher in ihr im allgemeinen nur ganz sporadisch und
zufallig und wurde nur von wenigen Dichtern als rhetorisches
Eunstomament hier verwendet. Aktuell wurde er beim Über-
gang der metrischen Dichtung in die rhythmische^); dieser Über-
1)D. h. die silbenzählende, wozu im LateiniBchen noch die Bück-
aicht auf den Wortaccent kommt. Ihre Entstehung verdankt bekanntlie^
Korden, uitike Kanitprosa. II. 56
S88 Anhang T: Über die Oescliicbte dea Keims.
gang vollzog sich au der Hand der seit Jahrhunderten gepflegten,
hochpoetiscfaen , nach dem Prinzip des Rhythmas gegliederten
Prosa, in der das rhetorische f}[toiotiXtvTov eine immer steigende
Bedeutung erhalten hatte. Speziell aus der in solcher Prosa
abgefafsten, mit einer dem Gesänge nahekommenden Stimme
roi^etragenen Predigt fand der Reim dann in die der Predigt
anch innerlich verwandte Hymnenpoeaie Gingang. Aus der la-
teinischen Hymnenpoesie wurde er seit dem IX. Jh. in die frem-
den Sprachen Übertragen; dafs auch in diesen Sprachen der Reim
die ailbenzählende statt ailbenwägende Poesie dem scbwindenden BewoTst-
sein für die Quantität der Vokale, das beiden Sprachen gemeinsam war;
pmefätio nosträ viäm erranti devionttrat (Commod. inatr. praef. v. 1) ist wi*
trffiid' 'A»vl(ifov kbI tottt TiT/ilTfv evv6iievvov \ yala ipilii iiaffxti Vroxlis
Anomaiiivrit (ep. 426 Kaibel, cf. ep. 393). Aber im Lat, kommt zu dieaem
Moment nocb ein weiteres hinzu, das dem Griech. so gat wie fremd ist;
das Zusammenfallen des Wortaccentes mit dem Versaccent. Mit
den irrlüni liehen Annahmen, nach denen dies Moment auch im Griech. eine
bedeutende Rolle spielte, bat W. Mejer in seiner grundlcgendea Abhaad-
lung „Zur Gesch. d. griech. u. lat. Hexameters" (in: Sitzungsber. d. bayr, Ale.
1884, 979 ff.), p. 1013 ff., aufgeräumt: dsjiach besteht es nur Im Babrios
(der sicher kein geborener Grieche war), fOr den es bekanntlich 2uel«t
Ahrens beobachtete, sowie in einigen byzantiniflcheu Versen, besonders den
poUtiscben (fOr Byzajw; vgl, aueb 0, Cnisins im Philol. N. F. VH \lSn]
Ergänzungsheft p. 133), Dagegen ist dies Moment in der lateinischen
Sprache — zweifellos, weil deren Accent ein ganz wesentlich eispiratoriach-
energischer, kein musikalischer war — so alt wie lateinische Poesie Ober-
haupt, bat in den Satumiero eine — wenn auch nur sekundäre — Rolle
gespielt und nach Bentleys berühmter Beobachtung auf die Technik des
Senars einen hervorragenden Einfluls ausgeübt. (Die gleiche Beobachtung
bat Ritschl für den Heiameter gemacht: der Versuch Meyers 1. c. lOsa ff.,
Ritschl's Argumente zu widerlegen, ist, wie ich anderswo nachweisen werde,
nicht gelungen.) Prosodisch regelwidrige LBngungen durch den Accent
finden wir, abgesehen von den Satumiern (in denen sie nicht wegdispuliert
werden können, ohne dafs deshalb die saturnische Poesie eine ausschlieTs-
licb Bccentuierende gewesen würe), schon in Pompeji: ep. 44 Buech. maffi
properares, ut viderei Vcnerem, Pompeios defer, ühi dulcin (Kt amor, Ton wo
es kein weiter Schritt mehr war bis eu appartbit repentina mofftw dies ä&-
mini (ganz anders zu beurteilen sind die zwei Verse der alUateinischcu
Orakel CIL ! 1440 f. de irKtrto certa ne fiant, si sapix, caveag und de rero
falsa ne fiant iudiee fuUo, wo nacb Bnecheler, Lat. Decl. < 40 die DLugong
durch die ClUur bedingt ist, sich also nicht unterscheidet Ton den ge-
legentlichen — rein metrischen, nicht prosodiachen — Freiheiten alt^isdl
griechischer Poesie, die auch Enuias und Vergil anwenden).
Resiiltate. 869
potentiell vorhanden war, ehe er durch die fremde Poesie aktuell
wurde; ist selbstverständlich, denn auch auf diesem Gebiet gilt
das höchste immanente Gesetz jedes Werdens und jeder Entwick-
lung, dals auf der grolsen Flur alles Lebendigen nichts absolut
Neues erfunden, sondern ein blofs schlummernder Keim zu ener-
gischem Leben erweckt wird.^)
1) Die Frage nach der Berechtigung des Reims in den mo-
dernen Sprachen war seit den ersten Tagen des Hmnanismus eine inter-
nationale. Für die Beurteilung der humanistischen Bestrebungen und ihres
Einflusses auf die modernen Sprachen hat sie ein eignes Interesse. Ich will
daher hier einiges von mir gesammelte Material fSr eine genauere Behand-
lung geben. (Anderes in Sulzers Allg. Theorie d. schönen Künste IV 1794
8. V. Beim. Petrarca hat auf seine Liebeslieder mit ähnlicher Gering-
schätzung gesehen wie Catull auf die seinen, während uns die Bime des
einen und die nugae des andern so unvergleichlich höher stehen als die
qtalica' und die Epyllien ; cf. für Petrarca G. Voigt, Wiederbel. d. kl. Alt.
I' 22. 25. 29. 160. Zu was fär Abgeschmacktheiten man kam, zeigt eine
alte Danteyita, die aus einem cod. Riccardianus ediert ist von Mehus in
der Vita generalis Camaldulensis (Florenz 1759) p. CLXXI: dort wird Dantes
Gedicht mit einem Pfau yerglichen, teils weil es so viele colores habe wie
der Pfau, teils aber auch weil pavo habet turpes pedes et mollem incessum:
ita ipse Stylus, quo tamquam pedibus ipsa natura consistit et fimuUur, turpis
videtur respectu lüeraU, quamvis in genere suo sit pulcerrimus amnium et
magis confarmis ingeniis modemorum, vel pedes twrpes swnt carmina vulgaria,
quibus tamquam pedibus Stylus cwrrit, quae sunt turpia respectu litercdium.
Erasmus läfst in seinem Conflictus Thaliae et Barbariei (Opera ed. 1703,
Tol. I 889 ff.) die Barbaries, d. h. die Vertreterin von ZwoUe, auftreten und
in leoninischen Hexametern reden (col. 898), die dann von der Thalia mit
dem G^chrei eines Esels und dem Ej^en eines kastrierten Hahns yer-
glichen werden. Überhaupt haben bekanntlich die Humanisten besonders
in den Epistolae obscurorum virorum die rhythmischen Verse ihrer
Gtegner verhöhnt, die ihrerseits unbefangen zugaben, die quantitierende
Poesie zu verachten, z. B. ep. obsc. vir. nov. 9 (p. 198, 23 ff. Bock.) sciaUs
quod campasui rühmice non attendens quantitates et pedes, quod videtur mihi,
quod sanat melius sie. etiam ego non didici illam poetriam nee curo, ib. 27
(p. 229, 7) ipsi dicunt, quod non est rede compositum seu comportatum in
pedibus suis; et ego dixi: quid ego curo pedes? ego tamen non sum poeta
seeuiaris sed Iheologicälis, et non curo nee habeo re^ctum ad ista puerüia,
sed tantwm curo sententias, ib. 34 (p. 242, 8) sancte deus^ ego non habui
vohtntatem scribere vobis metra et tamen scribo. sed factum est ex improviso.
etiam iHa metra non sunt de poetria seculari et nova, sed de üla antiqua
quam eUam admittunt magistri nostri in Parrhisia et Colonia et älibi. So
giebt Mich. Ne ander im dritten Teil seiner Ethice vetus et sapiens ve-
terum latinonun sapientium (Lipsiae 1590) eine grofse alphabetisch geord-
66*
870
Anhang I: Über die Geacliichte des Reime,
I
I
net« Zahl leonimscher Heiameter, entschuldigt sich aber in der Voir
dafs er solchee gesammelt habe t coeno iUa et sla-core monaatko et barban,
während der Tübinger Humanist Heuricaa Bebelius in seinen Commen-
taria epistolarum conficiendarum (1500} f. 1' mahnt, sich »on den gereimten
Gedichten fem zu halten toTtquam ab aspidwn venenis. — FOr die Tni>denieii
Sprachen empfiehlt Ähachafiimg des ELeims in England Bogdr ABcbam,
The scholema,ater (1670) p. 14t ff. in Ätbera reprints n. SS (doch batt« er
Vorgänger: cf. p. 147 f.) und William Webhe, A discours of english poetrie
(1586) p. 30. G6 ff. bei Arber n. 26: der Reim sei eine Erfindung der Hannen
(cf. darüber oben S. 770, 1). Für Frankreich wertvolles Materia! in öonjets
Bibl. fran?. Hl (1741) e. 16 p. 351 ff. nnd bei Lonia Racine (dem Ewdt«n
Sohn des Dichters), De la poesie artificielle on de la vereification, publiciert
in: Memoires de litterature, tirez des registres de l'academie rojole des
iiucriptions et bellea lettres depuia 1'ann^e MDCCXXXVHI jusques et com-
pris l'annäe HDCCXL, Tome X7 (1743) S12 f.; er polemisiert besonden
gegen die Verwerfung des Beims durch Fän^lon (die Stelle, auf die er sich
bezieht, steht in deseen Lettre ä Taead^mie Fran9. sur l'dloquence etc.,
hinter der Anegabe seiner Dialogues sur l'^oquence [Paris 17IB] 310 ff. SSI).
Einen Versuch, in die modernen Sprachen die antiken Metren einzuführen,
lobt bei den Franzosen Casanbonus im Komm, eu Persias (1G09) p. 134
(p, 98 ed. Dühner), hei den Italienern Ubertua Folieta, De ling. lat. usn et
praeetantia (1674) ed. Moeheim (Hamb. 1723) p. S4S f Viel anderes Ua-
terial enthalt das ausgezeichnete Buch von K, Borinski, Die Poetik der
Renaissance, Berlin 1886; cf. auch Rosenbauer, Die poet. Hieorieen der
Plejade. Ein Beitr. z. Oesch. d. Renaissancepoet. in Frankr., in: Münchn.
Beitr. z. rom, u. engl. Poesie X 1895. — Selten dagegen finden sich bei
den Humanisten gerechtere Beorteilungen, Wohl die älteste ist: Francesco
Rinnccini, Invettiva contro a cierti esluniatori di Dante e di meaaer
Francesco Petrarca e di messer Qiovanni Boccaei (verfafst 2:irischen 1400
nnd 1407) ed. Weaselofsk; (in seiner Ausgabe des Paradiso degli Alberti
Tol. I 2) p. 811: Datde con maravigliosa brevitä e Ugiadra nette äite ö tre
eompariuiioni in uno rittirno wlgetre che Vtrgilio wm mMe m venti eeni
eiametri, egeendo attcora la gramniica (d. h. die Litteratursprache, Aaa La-
tein) Botua eomparitione piü copiosa ehe 'l indgnre. H perchi tengo ehe 'l
vulgare riman tut molto piü malaffevole e maestrevole che 'l wreificare litteraU
(dat Citat aus Voigt 1. c. I 385). Salutato epist. vol. H 7 p. 67 Rigaeci
(nach Lobpreisungen der Werke Petrarcas) taeeo in hoc dicendi gymnasio.
qtM altematis consonatU^nis^ue nersÜMlontm finibus matema lingiM vulgarivm
aurieulae demukentur, in qua octo sexque earminibus (aul si quid pavcioribtu
expediendum futt) omnium conaeneu et compatriot^tm suum Äldigerinm Dan-
ttm, diviwtm prorsus tt'rwn, et cetera» antecessit.
Das Mittelalter über den rhetorischen Ursprung des Reims. 871
YU. Die mittelalterliche nnd hnmanistisehe Tradition Aber
den rhetorischen Ursprung des Reims.
Zu dem vorgelegten Resultat wurde ich durch die unbe-
fiEmgene Prüfung der Thatsachen mit Notwendigkeit geführt. Ich
snchte dann nach einer äufseren Gewähr für die Richtigkeit| und
nicht ganz vergebens. Denn ich fand eine Reihe von Angaben,
in denen die Entwicklung des poetischen Reims aus dem rhe-
torischen unmittelbar bezeugt wird. Wer also in unserm
Jahrhundert den Reim aus der rhetorischen Prosa ab-
leitet, unternimmt in Wahrheit nichts anderes als die
Wiederherstellung einer Tradition, die ungezählte Jahre
Bestand gehabt hatte.
L Das Mittelalter.
Ich will nicht zu viel Gewicht darauf legen, daüs man dennittaiAiteri.
Reim als omoeoteleuton bezw. omotdentonj wie das späte Mittel- ^*^[^^
alter in seiner fast konstanten Barbarisierung griechischer Worte to^i*«!^«»
schrieb; zu bezeichnen pflegte^), denn daraus würde nur die
Ähnlichkeit beider Erscheinungen folgen. Dagegen ist doch
charakteristisch, dafs man den Reim ganz gewöhnlich unter die
Redefiguren oder, wie man diese damals gern nannte, die cohres
rhdarici^ rechnete. Ein paar Beispiele aus vielen mögen das
1) Z. B. Otfrid im Prolog zu seinem Gedicht p. 9 Piper: non quo series
BcripHonia huiua metrica sit subtüitaie canstricta^ sed scema (moeaUlewUm
assidue qiMent. — Homcteltntan ist in den Poetiken s. XIII wohl die ans.
sdüiefoliche Fonn; noch der Humanist MancineUi schreibt in seinem 1489
▼ezfiüsten Traktat De figuris unter n. XLII: hofnotdenton vel homotektUan
dieiUtr. Andere Barbarisierungen des Worts cf. GuiU. MoUnier, Flors del
gaj taber estier dichas las leys d' amors (1866) 1. c. (oben S. 825, 2) in 176
De (maOidkuUm, OmathoUutan en autra maniera dicha OmoetheleiUan, en
autra wianiera OmoJmton; gleich darauf nennt er es OthoekuUm.
2) Der Ausdruck ist nicht antik (jg&fuc, color vielmehr »b Kolorit,
Chanücter des Ausdrucks in Rücksicht auf Sinn und Gedanken: cf. Hermog.
de id. p. 831, 7 Sp. Quint. II 12, 10. VI 5, 5. IX 1, 18. 4, 17 und die pra
tische Verwendung bei Seneca; A. Greilich, Dionys. Hai. quibus potissimir
▼ocabnlis ex artibus metaphorice ductis usus sit [Diss. Bresl. 1886] Sil
aber wohl der Gedanke, der zu seiner Prägung fahrte: Auci ad. Her. IV 11, i
S72
Anbang I: Ü^er die GeBchicht« des Reime.
zeigen. Baeda, De schematis et tropis sacrae scripturae, toI. ^
178 Migne: homoeoteleuion, simüis terminatio, diciiur fyura,
quoHes media et posirema versus äve sententiae simüi sylUAa fini-
quae (exomati(mes) « rarae disponentur, distinctam sicuti eoloribtts reddum
oraticmem. Cic. or. 65 von der Diktion der SophiBten: terba altiua trans-
fentnt eagve ita düiponufit ut pictorcs varietatem colorum, paria pariht* re-
ferutU, advena eoyOrariig, saepissumeque similiter extrema df/iniunt; den.
ep. ad. Art. I! 1, 1 über die FarbenWpfe des laokratesi Plut. de. glor. Ath- 8
p. 346F; Lntdan de hiHt. conacr. 48 et«., und über xpayyvvat, trondlltir
(pingere, distinguere) Greilich L c. 33 f. 44 f. Für dae Mittelaltar mHgea ent-
echeidend geivesen sein Stellen wie Aquila Hom. g 21 (Bbat. lat, min. p. SS
Halm) ftgiiToe elocutionis . . . ad omandum et quasi ad pingendam oratiofiein
accommodatae , qidbus prvHceps Oorgias Leontinus umis est, seil sine modo.
Ein paar Stellen aus dem Mittelalter: Petr. Damiani (b, XIj, opuflc. XYT c. 3.
Lin c. I, ep. Vni 8. Benzo (episc. Albensis s. XT; ad Henricum IV imp. L n
in: Mon. G«nn. Script. XI 615, 16. AlanuB de Insuliis, Aniiclaudianus praef.
1. I (210, 487 Migne), 1. I c. 4 (ib. 494), I, EI c. 3 (ib. 5IS) die Ehetorik in
buntem Kleide, et<^. Jahannea de Garlandia (a. XIIl) ed. B. fiaur^an in;
Not et extr. X5VII 2 (1879) 7* ff. MoÜnier (b. XIV) I.e. (vorige Anm.) UlSOff.
(die Rethorica giebt aus ibrem schönen Garten, der toH verschiedenfarbig«?
Bösen ist, jeder ihrer Tochter Blumen Terechiedener Farben, z. B. Anaphom,
Paronomasia, Similiter cadene, Similiter deainens, Antitheton etc.). Chaucer,
The Canterbury Tales im Prolog dea Freisassen V, :3694 ff. und in der Er-
zählung des Junkers V. 12913 ff (<lie beiden Stellen aus Murraja New engl,
dict. II 638 B. V. eolour n. 13). Auf dem Fresko dea Taddeo Oaddi (f 1366)
im Capellone dei Spagnuoli in Florene steht auf der Rolle, welche die Rhe-
torik in der Hand hält; mulceo, dum loquor vnrws indut^t colorea (narh
Crowe-Cavalcaselle, Oesch. d. ital. Malerei, deutsch von M. Jordan I [Leipx.
1869] 807, 69). — Noch oß bei den Humaniaten, z. B. Georgius Trapezuntius
(1396—1486), Ehetoricorum liber V f. 125' [der Basler Ausg. TOn 1622); [Aenoas
SjWius], Äitis rhetorice precepta p. 1014 ff. (in Opera ed. Baa. 1661), cf darüber
JA. Herrmanu, Albr, v. E;b (Berl. 1893) 179ff.; Peter Luder in seiner 1456
gehaltenen Antrittsvorlesung (ed. Watteubach in: Z. f. Gesch. d. Oberrheins
XXn 1869 p. 102); F. Fabri, Le grand et Tra; art de pleine Bhetorique
(1620) ed. Höron Tol. 1 (Ronen 1889) 154; James VI von Schottland (I tob
Engtand), The essajes of a prentiso in the divine art of poesie (1686) ed.
Arber n. 19 p. 54 ff. Aber schon Valla machte gegen diesen Sprachgebrauch
Front: cfEenricus Bebelius, De abusione Ung. lat. (1600), in seinen Opuacula
(Strafsb. 1513) f. SLVllI': eolores rhetoriooa inenulitunt vttlgu« putat signi-
ficare ezomatiotiea et elegantitu verborum atque se*itentiarum, vt cum pni-
ferunl tlegafUem orationem, dicmU committi colorem rhetoricalem; sed nude
smlümt. attdiamus Vallam super nonntn Uhmm QuintUiani »wh'tutionum
«w inq}Me¥dem: 'De figwrU et eoIoriAws TtTborum, hie tüulits ab imperitorvm
aliqKo est appositws, qui pulant figurae verborum ae senUmliarutm eolores t^
com a rhtloribus probabüü eauta aticwus facti eolor vocetur'.
Das Mittelalter über den rhetorischen Ursprang des Reims. 873
untur, ut Eccle. VI: ^Melius est videre quod cupias quam desir-
derare quod nescias^ Et iterum cap. VII: ^Melius est a sapiente
corripi quam stuUorum adtdatione decipi\ Hac figura poetae
et oratores saepe utuntur. Poetae hoc modo:
^ Pervia divisi patuerunt caerüla pontV (Sedul. c. pasch. I 136)
Oratores vero ita (es folgt ein Beispiel aus Gregors des
Grofsen Predigten), quo schemate, ipse qui hoc dixit beatus papa
Crregorius saepissime usus fuisse reperitur. et huiusmodi orationes
esse reor, quas Hieronymus concinnas rhetorum declamationes ap-
pellat (s. ob. S. 555). Eberhardus y. Bethone (s. XIII), Grae-
cista c 4; welches handelt de coloribus rethoricis, Y. 37 f. (p. 13
Wrobel):
consimüi cadere faciet Concor dia vocum:
^fac tibi fortunamj festina frangere lunam,
et contra fatum faciet tü>i cura beatum*
(dieselben beiden Verse werden citiert ftLr die Figur des *simi-
liter cadens' in einer verbreiteten mittelalterlichen Poetik, z. B.
ed. Haupt in: Ber. d. Sachs. Ges. d. Wiss. 1848; 53 £ c. 13).
Anonymus ed. Zamcke (der dazu eine lesenswerte Bemerkung
macht) in denselben Berichten 187 1, 55 ff.: rühimus est dictionum
consonantia in fine similium, sub certo numero sine mebrids pedibus
ordinata rithimus sumpsit originem secundum quoS'
dam a colore rhetorico ^similiter desinens*.
Ein Zeugnis von besonderem Interesse findet sich in dem
merkwürdigen Prolog des Ekkehart von St. Gallen (f c. 1060)
zu seinem Liber benedictionum, herausgegeben aus einer von
Ekkehart selbst geschriebenen und von ihm selbst glossierten
Hs. in St. Gallen von E. Dümmler in Haupts Zeitschr. f. deutsch.
Altertum N. F. U (1869) 51 ff. Das Latein ist ganz barbarisch
und entzieht sich oft dem Verständnis. In dem metrischen
Prolog an den Diakon Johannes , der ihn zu dieser Arbeit ver-
anlaJst hatte, setzt er auseinander, jener solle nicht von ihm
erwarten die Kunst und Sprache eines Livius, Cicero, Caesar
and der lateinischen heidnischen Poeten: er müsse, entsprechend
dem Befehl des Johannes, in gereimten Versen dichten und zwar
so, dafs meist zwei Silben zusammenklängen: cf. V. 94
Opern
ferque pedem dictis tam presso tramiie strictis
mit der Glosse: propter consonantiam dupianwi pierumque siß
874 Anhang I: Über die Greschichte des Beims.
barum, ut monuisU^ minus potenter inquiens concinnari per unam.
Etwas nähere Angaben über die Art dieses gereimten Verses
stehen nun V. 45 ff.
nam fugiunt mentem (nämlich Cicero, Cäsar etc.) nimis hfc
ccncmna parantem^
concinna a me
que päis et brac^iis asstringens exigis artis;
concmnis
his rigidumque senem flexum cecinisse Catonem
priscas virtutes memoras morumque sdlutes.
scfmata lexeos te, cemo, libent, sed et hie flos
in tot scßmaticis aures mulcet speciehis m
tinnitus dans crebros crepitusque sonores.
par sibi compactis repetatur syUciba dictis,
flore
hoe quoque lectorem benedicere dueis honorem.
flore concinmt(<Uis)
Tullius hoc prosas fore sed memorat vitiosas,^)
versibiis metricis non tarnen esse vitiosa hoc flore metra.
carminibus verba decedere mille superba.^ 55
Ichannes obedire
quam tarnen, 6 cc^e, videar non stApeditare
dukibus desideriis mihi iuo
nectareis votis tarn grata pectore motis,
in facundia stM et cedant prius
Frontonis gravitas, Varronis acuta venustas,
et Äihenienaium. Terentius: Nonne Atticam diosi in homine eloguentiam.
Atticus omatus salis et sapor üle notatus, ab omnibua
et ipae alter octdus laiinae eloquentiae, alter Cicero, sed et flumen eloquentiae
Virgilii lumen Ciceronis ab oreque flumen, dicitur Cicero.
omatis splendens
omnis et in pictis vemans facundia dictis
concinnis equiperatis
verbis colkUis cedant prius et sociatis,
cantor concinnus victor est latinitatis. id est dekctaris, nam iubere non
carmine victrid quis festa iubes benedici. ^ predpere.
1) Cicero spricht darüber nur im Brutus und im Orator, also den im
Mittelalter verschollenen Schriften, und zwar tadelt er nur das Übermafs
der Figur. Die Notiz wird ihm^ durch Bhetoren vermittelt sein, ebenso wie
Alcuin seine Citate aus 'de oratore' dem Julius Victor entlehnt hat.
2) Natürlich sagt das Cicero nirgends; der Vf. meinte es aber aus
dem Vers 0 fortunatam etc. schliefsen zu können (von den ihm zugänglichen
Autoren eitleren ihn Quintilian und Diomedes).
Das Mittelalter über den rhetorischen Ursprung des Beims. 875
D. h. also: obgleich Cicero für die Prosa das (zu häufige) 6fk)to-
rdXsvtov für fehlerhaft erklärt, so werde ich es auf Befehl in
meinen Versen doch anwenden, die dadurch schöner werden als
die ganze lateinische Litteratur.
Die rhetorische Auffassung scheint sich mir auch mit Not-
wendigkeit zu ergeben aus einem der merkwürdigsten Produkte
des lateinischen Mittelalters, über das ich die neueren Forschungen
ganz kurz zusammenfasse. Um 1500 fand Conrad Celtis^) in
dem fränkischen Kloster Ebrach eine alte Handschrift, die ein
grolses hexametrisches Gedicht in 10 Büchern enthielt. Seine
Freunde edierten es bald nachher, und, da diese Humanisten
wenig Interesse an der Erhaltung der in die Druckerei gegebenen
Hs. hatten, ging diese yerloren. Wer war nun der Dichter?
Celtis hielt irrtümlicherweise den Titel ^Ligurinus' für den
Namen des Dichters, obwohl dieser selbst X 615 Yon seinem
Werk noster Ligurint^s sagt; der Titel ist nämlich hergenommen
von den Kämpfen Kaiser Friedrichs I im Lande der Ligurer,
speziell mit deren Hauptstadt Mailand, die der Dichter Ligurina
urbs nennt. Auf diesen Irrtum wurden die Freunde des Celtis
bald aufinerksam. Auf Grund einer hier nicht darzulegenden
Kombination fand man bald den wahren Namen: der Verfasser
ist der Cisterciensermonch Günther des Klosters Paris in der
DiScese Basel. Das Gedicht wurde im J. 1737 yon Senkenberg
ftür unecht erklärt und galt seitdem als eine Fälschung der
Humanisten, bis A. Pannenborg in mehreren Abhandlungen die
Echtheit zur yölligen Evidenz erhob. Die erste Abhandlung er-
1) Es ist doch bezeichnend, dafs es gerade ein deutscher Humanist
r, der den besseren mittelalterlichen Werken seine Anfmerksamkeit nicht
▼enagte: die Romanen waren darin viel empfindlicher. Celtis hat auch
die Dramen der Hrotsritha aufgefunden und zu Ehren gebracht, cf. B. Köpke,
Hrotsidt von Gkmdersheim (Berlin 1869) 5 ff. Auf Lambert hat Melanchthon
nerst wifinerlaam gemacht (s. o. S. 741). Es giebt übrigens noch ein drittes
ndtteiaUerMofaes Gedicht, das wenigstens einige von den Humanisten gelten
liaÜMn; das des Benediktinermönchs Johannes Hautvillensis (c. 1200), worüber
Fabricias, Bibl. lat. med. et inf aet. n 369 (ed. Mansi) näheres mitteilt (9 Bb.
in nicht gereimten Hexx.). Das Gedicht wurde 1517 zu Paris gedruckt; ich
habe es nieht gesehen, wüfste aber gern, welcher Humanist es entdeckt
und es merst wenigstens in dem beschränkten Mafse hat gelten lassen,
wie es Tires, De tradendis disciplinis (1581) 1. IE (Op. .Basil. 1555 vol. I
181) Unit
876 Anbang I: Über die Gescbicbte des Reims.
schien in den * Forschungen zur deutschen Geschichte' XI (1871)
163 fid Im Gegensatz zu der früheren Annahme, ,,daD3 Denkart,
Sprache, Vers, Gleichnisse modern seien'', wies er in allen diesen
Punkten durchaus mittelalterliches Empfinden und mittelalter-
liche Technik nach, uns interessiert hier das über den leoni-
nischen Vers p. 184 ff. Gesagte. Dals nämlich leoninische Hexa-
meter in diesem Gedicht so selten begegnen, war den Früheren
ein Kriterium der Fälschung; dagegen weist Pannenboi^ nach,
dafs trotz der groüsen Beliebtheit dieser Art yon Hexametern
doch Yon der Zeit Karls des Groüsen an sich der nichtleoninische
Vers neben dem leoninischen überall erhielt und vor allem
im Xn. Jh., dem Zeitalter des Klassicismus in der Poesie
(s. 0. S. 721 ff.), oft gebraucht wurde. Besonders interessant sind
zwei Yon Pannenborg angeführte Stellen aus Dichtem, die in
einem Teil ihres Werks der modernen Manier folgen, dann aber
mit ausdrücklichem Vermerk zur antiken übergehen. Gilo yon
Paris (c. 1140) bewegt sich in den ersten fünf Büchern seines
Werkes über den ersten Kreuzzug in gereimten Hexametern;
am Eingang des sechsten spricht er sich darüber aus, dals er
nunmehr den lästigen Zwang fallen lassen wolle: de expeditione
Hierosolymitana ed. Martene, Thesaurus novus anecdotorum III
(Par. 1717) 258:
tarn duce materia, cuius pars magna perada^
inspicimus propius partum finemque laboris.
obscuraty fateor, puerüis pagina grandem
historiam viresque leves onus aggravat ipsum,
quod tarnen incoepi, sed non quo tramite coepi^
aggrediar, sensumque sequar, non verba sonora,
nee patiar fines sibi respondere vicissim etc.,
und ähnlich der Verf. der metrischen Vita TJrbans IV (1261 — 64)
bei Muratori, Rer. Ital. Script. HI 2 p. 405 ff. V. 9 ff. Diesen
Beispielen füge ich noch ein drittes hinzu. Von Marbod, Bischof
von Renues in der Bretagne, f 1123, besitzen wir Gedichte in
antiken Versmafsen, aber durchaus reimend^), cf. z. B. seine
Historia Theophili metrica c. 1 (p. 1593 Migne):
1) Ed. A. Beaugendre, Paris 1708. Ich eitlere nach dem Abdruck bei
Migne vol. 171.
Das Mittelalter über den rhetoriflchen Ursprung des Reims. 877
quidam magnorum vicedotnnus erat meritarum,
Theophilus nomen, tenuit quoque nominis omen.
quippe malum cavit, cultum deitoHs amavit etc.
Aber in hohem Alter schrieb er ein ans 10 capitnla yerschiedenen
Inhalts bestehendes Werk (liber decem capitnlorum), dessen
erstes capitnlum handelt Me apto genere scribendi' (1693 M.):
quae iuvenis scripsi, senior, dum plura retradOj
poenitetj et quaedam vel scripta vel edita nollem,
tum quia materies irihonesta levisque videtur,
tum quia dicendi potuit modus aptior esse.
ergo propositum mihi sit, neque ludicra quaedam
scribere nee verbis aures mulcere canoris,
non quod inomale describere seria laudem,
sed nej quod prius est^ neglecto pondere rerum,
dulcisonos numeros concinnaque verba sequamur.
est operosa quidem muitisque negata facultas,
ut rerum virtus verborum lege subacta
servetur verbisque canor sub rebus abundet,
quod iugi studio tune affectare videbar.
sed mihi nunc melius suadet maturior aetas,
quam decet ut facüi contenta sit utüitate
utque supervacuum studeat vitare Idborem.
est aliud quare puto continnare canor os
versus absurdum, quoniam color unus ubique
nil varium formal, sed nee pictura vocatur,
imo litura magis, quia delectare videntes
res variae raraeque solent: fit copia vilis.^)
1) Cf. auch Gaufredus Malaterra (BenediktinermOnch s. XTIT Ende),
Eist. Sicola ed. Muratori 1. c. V: praef. p. 647, wo er die gereimten latei-
nischen Verse, die er auf Befehl seines Herzogs mache, als tncuUiorem
poeUcam bezeichnet. Otloh (s. XI, cf Wattenbach, Deutschlands Geschichts-
quellen 11 * 66 fP.), Liber metricus de doctnna spiritali (ed. Pez im Thes.
anecd. nov. in 2 p. 4SlfiP.) praef. V. 27 ff.: porro quod interdum subiungo
consona verba, \ quae nwfkc multorum nimius desiderat usus, \ hoc
gue verhorum plus ordine convenienU, \ insuper antiqua de consueh
feei, I cum me deerevi certare scholaribus orsis, \ quam cuicunque 9*
per talia dicta placere. Femer s. o. S. 722;
878 Anhang I: Über die Greschichte des Reims.
Der Verfasser des Ligurinns hat nun, während er seine Verse
sonst durchaus nach klassischen Mustern gestaltet ^); an gewissen
Stellen leoninische Reime angewandt: betrachtet man diese Stellen
genauer, so findet man, daCs sie ohne Ausnahme einen pathe-
tischen Ton zeigen; also hat der Verfasser den Beim
durchaus als rhetorisches Hülfsmittel betrachtet und
in diesem Sinn angewandt, so wie es allgemein in der
Prosa üblich war. Damit man sich davon überzeugen kann,
will ich diese Stellen hier anführen.^ I 67 ff. in einer Mahn-
rede an den ältesten Sohn Friedrichs, Eonig Heinrich; III 201 ff.
beim Einzug des Königs in Pavia, wo der Dichter selbst Yoraus-
schickt: non est traäahüe sensu \ doquiove meo, quae gaudia,
quantm ab urbe \ occursus pqpuli IV 373 ff. in einer sehr ge-
hobenen Stelle mit Sentenzen und Vergleichen:
non tarnen emissa tantorum plebe virarum
vel princeps vacuus vd curia sola remansit:
non est magnorum cum paucis vivere regum.
quotltbet emittat, plures tarnen aüla reservat,
nee princeps latebras nee sol desiderat umhras:
dbscondat solem, qui vült äbscondere regem,
sive novi veniant seu qui venere recedant,
semper inexhausta ceUbratur curia tiirba:
ut mare cum largas mundo disseminet undas^
semper inexhaustis foecundum puilükU undis;
IV 396 ff. in einer Beschreibung des Etschüberganges ; 473 ff. in
einer durch eine Sentenz eingeleiteten Partie; 520 ff. SchluDs
einer Rede; VU 206 ff. in einer pathetischen Aufzählung von
Völkern; X 567 ff. in einer Beschreibung prächtiger Geschenke
1) Es darf wohl als sicher gelten, dafs Günther bei seinen selbst-
bewuTsten Versen X 686 fF.
hoc quoque me fame, si desint cetera, solum
conciliare potest^ quod iam per tnuUa latentes
secuta nee clausis prodire penctHbus ausas
Pierides vulgare paro priscumque niiorem
r edder e carminibus tardosque citare poetas
gerade auch seine Vermeidung des Reims im Aoge hat. Über die Be-
lesenheit des Mannes in der antiken Litteratur cf. Pannenborg 1. c. XUI
(1873) 288.
2) Ich entnehme sie aus Pannenborg 1. c. XI 186.
Das Mittelalter über den rhetorischen ürsprang des Reims. 879
(ebenso II 249 ff.). Es kommen noch hinzu ^) sog. Wersos can-
dati', nämlich IV 476 f.
sapiens quod praedicat, hoc est:
principibi4Sj ßi, tacitus maledicere noli;
partat avis codi maledida latentia regi,
also eine Sentenz; nnd V 164 ff.
Vvonnaciam petüt, medio gpme gurgite Bheni
OaUica Germanis oppanit rura coUniis.
iUraque frugiferis teUus tiberrima campiSf
iUraque vineHs exuberaty utraqtie pomis,
pisdbus atgue feris et cunctis rebus edendis,
also eine Beschreibung; femer sog. Wersus coUaterales'^ nämlich
II1496f.
ergane, Boma^ Um legem vis ponere regi?
cum potius regem deceat te stibdere legi,
also eine Bede^; endlich sog. *trini salientes', nämlich I 13:
iamque adeo, si quid studio possemus in isto
aus dem Proömium; YII 375:
noster amor regnique labor iustigue doloris
aus einer Rede; III 120:
neve vdis Herum miseris nos reddere daustris
ebenfalls aus einer Rede.
2. Der Humanismiui.
Da die meisten Humanisten, wie wir sehen werden (unter YIII), HnmMitti
in ihrer Unterordnung der Poesie unter die Rhetorik durchaus '^ J.« na
auf dem Standpunkt des späteren Altertums und des Mittel- ^^Jj^^
alters beharrten , so ist es begreiflich, dafs yiele von ihnen Beim,
über den rhetorischen Ursprung des Reims instinktiv richtig
dachten. ^) Ein paar dieser Zeugnisse, die ich mir gesammelt
habe, will ich hier mitteilen.
1} Cf. Pannenborg 1. c. IX (1869) 614.
2) Das zweite Beispiel IV 67 f.
gaudet habere i>iro8 tUrinque ad firaena potentes,
sanguine conspicuos et mundi iura regentes
wird sich einfacb aus dem gehobenen Ton erklären.
8) Aber nicht alle, z. B. nicht Petrarca ep. de reb. fam. praef. p. 14
Frac, wo er den Beim aus der sizilianischen Poesie ableitet, auch nicht
880
AnbaBg I; ül>er die GeMhicfate dea Bönu.
Der Verfasser der oben (S. 765, 1) gen&aer citierten, i
halb iD mittelalterlichen Ideenkreisen sich bewegenden 'Ar§
diceadi', die zu Köln 1484 gedruckt ist, rermiscbi das rheto-
rische and poetische hiiotor^Xivzov durchaus. Er bebandelt
1. XUI tract. VI cap. XU onter den colores rhetorici das sümiUer
deainena, tadelt dessen zu häufigen Gebrauch in der Prosa, lälst
es aber in der gereimten Vulgürpoesie gelten.
Äveutinus, Rudimenta grammaticae (1612) ed. in: Johaimes
Turmair's genannt AveatinuB sammtliche Werke berausg. von der
K. Akad. d. Wtas. zu München I (1881) 541 ('de differentia rhytiimi
TersDsqne'): rhythmus a nostris numerus transfertur, 'am gereimt
ding, das sein mos, weis iiai'; habet finem saepius simäiter eadentem,
eoüisionem interim observal. Ciceronls exempla: 'quod scis niJiil
prodest, quod neacis multum obcst'. cui simOe illud ecdesiasücum:
' ave maris steUa, monstra te esse matrem, sumat per te precetn etc. '
aliud Ciceronis exemplum: 'composite et apte sine sententiis dicere
insania est, sententiose sine verborum et ordine et modo infimtia*.
Strebaeus, De Terborum electioue et collocatione (Basel
1539) 1. II c. 1 und 8 (p. 202 if,) spricht sehr ausführlich darüber.
Er geht aus von den bekannten Stellen Cicetos (or. 38S. 164 ff.),
wo dieser als Charakteristica der Conciimität die ia6xtoia mit
ifiotoTiievTa angiebt, wodurch die nutnerositas erzielt werde.
Das könne man, bemerkt der frauzösische Stilistiker, auch an
den gereimten Versen der vulgären Poesie erkennen, nur dafe in
diesen die Vorschrift Ciceros, sparsam mit diesem Kunstmittel
Bembo, der die Proveuzaleu zu semeo ''Erfindern' macht (i-'f, Op. Venes.
TOl. n 16). Cf. aach Giammaria B&rbieri, Dell' ori^ue delltt poesia
ei. TiraboRcbi, Modena 1T90. Die meisten Humanial^u konatatierten
ihrer prinnipiellen Abneigung gegen den Reim: er sei mitsamt der übrigen
Verwahrlosung der Sprache (s. o. S. 770, 1) Ton HuimeD, Gothen und Vaa-
dalen nach Italien gebracht, k. B, Giovanni Franceaco della Mirandola ep.
ad Potnuu Bembum de imitatione (IGIS) in der citierten Äuggabe BentbuH
IV 881; ebenso Roger Aacham, The acholemaster (1670) p. 145 ed. Arber
(n. as), wo aber wenigstens verg'leicheweiee die Rhetorik herangeKogen
wird: Quintilian habe die Redner seiner Zeit wegen ihrer zd häufigen An-
wendung deg öiKiiotiXtVTov getadelt, dna aei aber noch nicht« gegen den
jetaigen Mirsbrauch dieses Oraarnents in der Poesie, das die Hunnen ond
Oothen mitgebracht hatten. Noch im XVUl. Jh. nannten die französischen
Gegner des Reims diesen ein omement ßoüuqut, cf. Qoujet, Bibl. franp,
(!'- ■ -'41) S6Bf, 876 und BorinsH J. c. [o. S. 860, 1] 821. 8.
tenb^^n
.^^J
Der Humanismus über den rhetorischen Urdprung des Reims. 881
zu wirtschaften, leider ganz aufser acht gelassen werde, wodurch
es seine Wirkung völlig verliere. So mufiste ein Mann urteilen,
der vorher (1. I c. 6) den Nachweis gefOhrt hatte, dals, um eine
gute flede zu schreiben, das beste Mittel die Lektüre der Dichter
sei, und der sich daher wundert, dafs es Leute gebe, welche die
Rhetorik von der Poetik trennten, qmsi eloquentia poemate nan
egeret.
lovita Rapicius Brixianus, De numero oratorio 1. Y (Köln
1582) 18 f» cuiiAsmadi (sc rhythmorum qui e paribus membris simi-
liter vd desinenObus vd cadenübtis constant) sunt in sacris solennibus
noHssimi iUi:
Fange lingua gloriosi
Corporis mysterium
et mi:
Becordare, lesu pie,
Quod sum causa tuae viae.
his arcUores aut certe similibus utuntur, tä:
DoMus tibi deerat:
At häbebas.
Pecunia superabat:
At egebas (Cic. pr. Scaur. 45),
et fere ubicunque paria aut prope paria membra aiio denuo membro
exdpiuntury quod genus exomationis iödicmXov et naQiöov vocant.
ad harum similitudinem fictos arbitror rhythmos istos OaUicae,
Sieidae et Hetruscae linguae, quos in honorem Petrarca et Dantes
Äligerius adduxerunt.
Casaubonus im Kommentar zu Persius (1609) 1, 92 ff.,
freilich einer von ihm falsch interpretierten Stelle. Die von
Persius wegen ihrer Weichlichkeit angeführten Verse
torva Mimdlloneis implerunt comua bombis,
et raptum vitulo caput dblatura superbo
Bassaris et lyncem Maenas flexura corymbis
Euhion ingeminaty reparabilis adsonat echo
würden, meinte er, wegen der b\M)io%ikBvxa (MimaUoneis — bombis^
vitulo — superbo) getadelt, ein Irrtum des Casaubonus, wegen
dessen sich ein langer Streit entspann, dessen Akten man z. B.
bei Gebauer; Anthologicarum dissertationum liber (Leipz. 1733)
283 ff. findet Persius geht vom Tadel der rhetorischen Anti-
thets (Y. 85 f., s. oben S. 288) unmittelbar über zur Persiflage
gg2 Anhang I: Über die Qescliichte des Beuns.
zeitgenössischer Dichter: Casaubonus sah in den Antitheta ganz
richtig jene schillernden Sentenzen, die in die gorgianischen
Figuren eingekleidet wurden, und weil nun zufallig in den darauf
angeführten Versen sich die genannten öfioiotdXevtä finden, so
meinte er, dals der Satiriker gegen ihre Anwendung auch in
Versen Front mache. Das giebt ihm nun Gelegenheit, über den
Ursprung des Reims in Versen kurz zu handeln: er leitet ihn
aus dem rhetorischen ^xijfuc her (p. 130 £ «> p. 95£ ed. Dübner,
Leipz. 1833): cammodus atque e vicino transUm est a Oargiamis
figuris in prosa ad verswum rhyithmos; j^o^u^Sciv in carmtne r»
vetuSj neque enim defuerunt ne inier Graecos quidem vd mdiore
saeculo, qui eam vanitatem in poemata sua inveherent. Nachdem
er hierf&r (mit Unrecht) auf Grund Yon Plutarch comp. Aristoph.
et Menondri c. 1 p. 853 BC einige Beispiele aus Aristophanes
angefahrt hat, fährt er fort: sed in camoedia . . . .utcumque hoe
feras; in älio canninis genere odiosa res atque ridicida, utique in
iis prarsus intolerabiliSy qui grandia scribere aggressi maiestatem
heroid carminis pueriläms his figuris infringerent. . • Ab hoc auiem
principio et ridiculo studio toi^ yo^fyidißiv in poematis originem
habuerunt versus rhythmici . . . Hoc solum differunt Gorgiae imHa-
tores in versu ab eiusdem aemtdis in sohäa oratione, quod hi
TCxAaamg simiUtudifkem ponebant in fine coli vd dausula periodi,
iüi modo in coniunäorum versmun üUimis syüabis^ modo in guinto
semipede eiusdem versus et fine.
Endlich noch das Zeugnis eines Mannes, bei dem man eine
Aufserung in dieser Frage kaum erwartet. Eine der besten
älteren Abhandlungen über den Reim stammt yon einem Pariser
Arzt Benatus Moreau, der in seinen ^Prolegomena in scholam
Salemitanam' (1672) fBnf Kapitel diesem Thema widmete, weil
er nicht dulden wollte, dafs seine Kollegen in Salemo medizi-
nische Werke in gereimten Versen yerfafsten. Diese fünf Kapitel
sind abgedruckt bei Gebauer L c. (oben S. 881) 341 ff. Er sagt
p. 343 f.: ryfhmi versuum revocari debent ad 6f*0MteriDra xal ifiouh
xH&ina^ quae a Quintiliano lü). 9 instit oral, oadentia skniUteTf
simüiter desinentia et eodem modo dedinaia afpeUantur. quae qui-
dem figura^ si adsit temperieSj ortUionem admodum exomatp alias
ut nimium affectata vituperaiur. hanc sua aetale exagitanrit LudüM
apud ÄgeUium lib, 18 cap. 8 (s. oben S. 384), in Tkucydide irrisü
Dionysius HalicamasseuSy in Apuleio, Tertuüiano, Äfris omnibus
Rhetorik und Poesie: Altertum. 883
pasteritas damnavit fuit autem inprimis oraiorum proprio^ a qtiibus
rqpsit ad poetas, qui ea in uno aut altero carmine tisi feliciter inte-
gra tandem qpera ingenioso quodam nomtatis luxu ducti eo velut
flare distinxerunt.^)
Ich konnte hier abbrechen, doch beabsichtige ich, das über
den Beim Ermittelte in einen grö&eren Zusanmienhang einzu-
reihen. Nachdem wir nämlich an einem deutlichen Beispiel ge-
sehen haben, wie in der Praxis Poesie und Rhetorik sich ver-
bündeten, will ich jetzt zeigen, daffl auch in der Theorie die
beiden tausend Jahre und länger Hand in Hand gingen.
Vm. Rhetorik und Poesie.")
1. Das Altertum.
Es ist oben (S. 73 ff.) gezeigt worden, dais seit der i me *u
platonischen Zeit infolge des übermächtigen Einflusses der i^^aa-
Sophistik die einzelnen Gattungen der Poesie durch die Rhetorik
entweder yöllig verdrängt oder so umgestaltet wurden, dafs ma^
hinfort statt echter Poesie fast nur mehr Rhetorik in Versen
besafs, und zwar liefs sich, wie wir sahen, die stetige Degeneration
am deutlichsten an der Tragödie nachweisen. Die Einwirkung
der Rhetorik auf die Poesie ist aber, wie hier nachgetragen
nng.
1) Vgl. aufserdem noch: Pierre Pabri, Le grand et vray art de pleino
Bethorique (1520) ed. A. H^ron, vol. I (Rouen 1889) 169. Antonius Lullus
Balearis, De oratione 1. VII (Bas. 1558) 417. Thomas Campion, Obser-
TationB in the art of english poesy (1602) ed. A. Bullen (Lond. 1889) 232.
Vau ge las, Remarques sur la langue fi:an9oi8e (1647) ed. Chassang, vol. I
(Par. 1880) 874 fP. Tesauro, Dell* arguta et ingeniosa elocutione (Venetia
1663) 120.
2) Eine Behandlung dieses Stoffes fehlt, wie überhaupt eine historische
geordnete Darstellung der poetischen Theorieen bisher nur ein frommer
Wunsch geblieben ist. Die Dissertation Ton J. Chr. Winter, De eo quod
sibi inTicem debent musica poetica et rhetorica artes iucundissimae, HannoTcr
1764, bricht vor der Behandlung des Verhältnisses der Poesie zur Rhetorik
ab, würde auch, nach dem Vorliegenden zu urteilen, nur allgemeines
<ioiiiienient enthalten haben.
'«»Vi Mitike Knnstprosa. II. 57
8S4 Äohang I: über dis GescMcliie des Beiois.
werden mufa, schon älter: kürzlich hat Diels') darauf hinge-
wiesen und durch ein schlagendes Beispiel erläutert, dals schon
Parmenides der llhetorik auf seine Verse Einflufe eingeräumt hat
durch Anwendung gewisser in der heratditisch- sophistischen
Kunatprosu üblicher Wortfiguren. ^) Der Praxis folgte bald die
Theorie. Aristoteles (Rhet. III 2. 1405' 6) und auch Isokrates
(£u^. 9 ff.) haben zwar die beiden Künste noch scharf von ein-
ander geschieden, aber als iu der cice romanischen Zeit von den
Dichtern selbst die Frage aufgeworfen und erörtert wurde, quid-
nam esset illud quo ipsi differrent ab oratoribus (Cic. or. 66), da war
mau in Gefahr, bei der grofsen Ähnlichkeit die unterscheidenden
Merkmale zu Übersehen (ib. 68): durch nichts wird das schlagender
bewiesen als durch die glänzende Entdeckung Leos (GÖttinger
Prooemium 1892/3 p. 7 ff), daXs einzelne der veränderten Bildungs-
gesetze des lateinischen Hexameters seit CatuU und Cicero ihre
Erklärung aus der Rhetorik finden. Während aber Cicero —
wenigstens in der Theorie — noch zu verständig war, den letzten
Schritt zu thuu^, hat nicht viel später Dionysios von Hali-
barnafs, ein Mann, den die Musen bei seiner Gebart mit zornigen
1) In fleiner Ausgabe do8 Parmeuides (Leipz. 1897) 35, 60 f.
2) Hier noch einige weitere Nachträge. För die Zeit Pind&r« cf.
Ol. S, 94ff., wo er an seinen in Sizilien, dem Stammland der Rbetorili,
lebenden Bivalen (Simonidea und BftkchjlideB) speziell die Bhetorik tu
rügen scheint (Iciß^oi nayylmcalif), aber er hat sie überhanpt ungerecht
heurteilt. Für Findar selbst; die Boholien erklären Fjth. 1, 35 (70) X6j«i
rhetorisch, aber mit Unrecht (er braucht ea ao wie Hemklit fr. 33 B., mit
dem er eich überhaupt öfters berührt). Für Simonidea : v. WUamowitz, Nachr.
d, Ges. d. Wise. GöttLag. 1897, 31. — Oats übrigens in alter Zeit die Dichter
eo^tvtal hiefsen (Find. Isthm. ß[4j, 3S), weil äs eoipol waren (t. Christ tu
Find. Ol. 1, 9), mag Manuem, die, wie Euripides und Agathon, Sophisten
und Dichter in einer Feraon waren, die Übertragung der rhetorischen Orna-
mente auf die Poesie erleichtert haben, denn die alte Beveichnung war
damals noch geläufig: Eur. Blies. 924 ttitivm aoq)iav^ ^VS*^ ^' b. 'O^tfiT. —
Für die platonische Zeit wäre auch auf Oorg. (iQa D hinzuweisen gewesen,
für Sophokles auf Kaibela Kommentar zur Elektra (7.. B. £u 210. SU. 1339),
für Euripidea auf y. Wilamowitz zum Herakles p. Böf ; für Tbeokrits
Enkomion auf Ftolemaios II (IT) vgL Buecheler, Huldigungen für KSnige
vor Zeiten in: Deutsche Revue 1897 p. Gf. (des Beparatabzugs).
3) Vgl. noch de or. lU 27 poetia tat proxima cognatio cum oralorUmt.
Bei seinem Lehrer hatte er gelernt, eine ISjigere Stelle der Aadria c
Terenx nach allen Hegeln der Kunst als rhetorisches Musterstüok t
legen: de inv. I Sil.
Rhetorik und Poesie: Altertum. 885
Aagen angeblickt haben , gewagt, das grofse nvöziiQcoVy wie er
es nennt; der Welt zu offenbaren; dafs, wie die beste Rede
poetisch sei; so die beste Poesie rhetorisch (de comp. verb. 25 f.);
und nur dadurch hat er uns einigermafsen versöhnt; dafs er zum
Beweis eine Perle griechischer Lyrik, das Danaelied des Simo-
nideS; überliefert; das ihm eine Probe der 'civilen Rede eines
gebildeten Mannes' ist.^) Ein Zeitgenosse StrabonS; Alexandros
aus EphesoS; war zugleich Rhetor und Dichter (Strab. XIY 642).
Die nahe Verwandtschaft beider Künste bezeugt um dieselbe Zeit
Ovid in einem Brief an seinen Freund; den Redner und Rhetor
Cassius SalanuS; den Lehrer des Germanicus (Plin. n. h. XXXIV 47):
ex Ponto II 4, 57 flF.
huic (Germanico) tu cum placeas et vertice sidera tangas,
scripta tarnen profugi vatis habenda putas.
scüicet ingeniis aliqua est concordia iunctis
et servat studii foedera quisgue suL
tu gtioque Pieridum studio, studiose, teneris
ingenioque faves, ingeniöse, meo.
distat opus nostrum, sed fontibus exit ah isdem,
artis et ingenuae cultor uterque sumus.
thyrsus enim vobis, gestata est laurea nobis,
sed tarnen athbobus debet inesse calor.
1) Überhaupt sind die alten lyrischen Dichter in der Eaiserzeit
wesentlich zu rhetorischen Zwecken wieder hervorgezogen worden: das be-
weisen sowohl die theoretischen Vorschriften der Rhetoren (z. B. [Menander]
nBql inidsixt. TEL p. 393, 6 fP. Sp. , vgl. den Index der Spengelschen Bhetores
8. Y. Alcaeus Alcman Bacchylides Pindar Sappho Simonides Stesichorus)
als auch die Praxis des Dio Chrysostomos, Aristides, Himerios, Libanios. —
Bei dieser Gelegenheit will ich eine hierher gehörige Stelle des Quintilian
(X 1, 63) Über Alkaios emendieren. Die mafsgebende Es. G hat: Alcaeus . . .
m eloguendo quogpie brevis et magnifieua et dicendi et plerumque orationis
similia sed et eius sit et in amorea descendit, maioribus tarnen aptior.
Daraus wird in den Ausgaben auf Grund der Interpolation einer jungen
Hs. (düigens für dicendi) und einer Konjektur der Kölner Ausgabe jetzt
geschrieben: magnificus et diligena et plerumque erat ort similis, sed et
lusit Nur das letzte Wort ist richtig konjiziert (doch ist vielleicht lussit
von Quintilian geschrieben, cf. cod. Pal. Verg. Aen. XI 427), aber das übrige
ist so zu schreiben magnificus. et incendit [et] plerumque oratio civil i
similis, cf. für incendit X 1 , 16 und für das übrige Dionys. nsgl /Liifi.
p. 80 Üb. 'AXnalov a%67tSL . . . ngb anavtav tb t&v noXitm&v noi.ri(uit(ov r^&og '
noXkax^Q yoihf tb ydxQOv ug ü nsgislot, friTOQeiav Sv tvQOi noXit lyn/jv.
Ö7»
1 Anhang I: Dl)er die Gesehiclit« des Beims.
utque mei$ numeris tua dat facundia nervös,
nolis i
> tua verha nitor.
iure igitur studio canfinia carmina vestro
et commilitii sacra tuenda putas.
Quintilian X 2, 21 muls sich gegen solche wenden, die in der
Poesie oratores mit decUmiatores nacliahmen, in quo magna pars
errat Fronto schreibt an Marcus als Caesar (ep. HI 16 p. biS.
in der Kritik einer epideik tischen Rede seines Schülers): qttid
igitur Enniits egit quem legisti, quid tragoediae ad versum suMimäer
fadundum te iuverunt? plerumque enim ad orationem fa-
ciendam versus, ad versificanduvt oratio magis adtuvaS.
MasimuB Tyrius macht alles Ernstes darauf Ansprach, Poetik
zu lehren: diss. VII 8 na^EXijlv^iv sig \>iiäs, m veoi, na^aoxtvti
Idymv avtt} nolvxovs xal noXvfiiQiis *kI näit<popos ■ ■ ■ ' etre tii
QtjTOQfius igä, ovzos aitä SQ6(iog Xöyov xgöx^tpos xal 3toXva(fK^s
xal tiinoffos. . . ., ittE ttg nocijccx^g ^C?t ijxito} nopitfa-
ftBvog &lko&£v rä (lizgn fiövov, lijv di £AAij)' loifriyittv
XafißavErat ivitv&ev, tö (Soßag6v, ib iaiipavig, rb üafix^iv,
t6 yivifiov, TÖ Iv&EOv, t^v oixovonCav, ti]v SpttfiazovQytav , tb
xarä tag <fiioväg ätaftüvrov, tb xazä rijv KQfiov(av fi^mKfftov.
Die Fusion war eine so völlige, dafs etwa im II. Jh. n. Chr.
jemand ein von ihm verfertigtes Epigramm gijToqixiis xüvov
nannte (442 Kaibel). Um das zu verstehen, muTs man bedenken,
daTs die Sophisten jener Zeit die Poesie nicht blofs iu der Theorie
als ihre Domäne ansahen, sondern auch in der Praxis nicht
selten den Pegasus bestiegen: so kann sich Äristides nicht genug
darin thus, von seinen Gedichten zu sprechen'), über die freilich
die richtende Nachwelt das Todesurteil gesprochen hat; ao
dichteten im 11. Jh. die Sophisten Skopelianos, Ädrianos Hippo-
dromos fPhilostr. v. soph. I 11, 5. II 10, 5. II 27, 6), im HL Jh,
AmmonioB und Ptolemaios (Porph. v. Plot. 20), im IV. JK ein
Freund des Libanios'), bei den Römern z. B. Ti. Sempn
Gracchus, der Freund Ovid«, Matemus, Plinius d. J.
1) Cf. H, Baumgart, Aeliua ÄriaUdes (Leipz. 1874) 48 ff.
2) Lib. ep. 3S1 vou einem gewisHen Rhetorios: Siä xoUäv fdv pij-
jöfiav, oix (iaTi6vioii ii noir^iäv Aipiyiiirog Kai Siv äya^fis xccl tobto uintito.
S) Aus späterer Zeit Tgl. i, B. SidoE. Ap, ep. IX 13 von dem galüadiun
Bedner Lampridius (cf. ep. VIH 11, 3 v. 22fF. und § 6): iteelaiHana gttnini
pondere sub stili \ coram disäpvlis Burdigalcnsibui, sowie mehrere der Pn>-
Rhetorik und Poesie: Altertum. 887
JSog>i6tiig wurde die Bezeichnimg gleichermaCsen fiir den Rhetor
wie den Dichter.^) Deklamationen; welche die üblichen Schul-
themata in Versen behandeln^ sind uns zahlreich erhalten.^
Zn vielen Dichtem schrieb man Kommentare , die wesentlich
oder ausschliefslich das Rhetorische behandelten, so Eustathios
auf Grund sehr viel älterer Quellen (deren Material bis in die
Zeit des Antisthenes zurückreicht) zu Homer '), Aelius Donatus
und Eugraphius zu Terenz, Claudius Donatus zu Yergil^), aus
dessen Aeneis man Themata zu rhetorischen Deklamationen
nahm.^) Ist es da zu verwundern; dafs man schließlich im
fessoren in Bordeaux: Auson. 2, 7. 8, 8. 6, 9. 21, 14. 26, 8; Ausonius, Si-
donius, Ennodius (cf. seine eignen Bemerkungen p. 895 ff.) selbst und über-
haupt die meisten Litteraten. Als es Kaiser Constantius mit der Rhetorik
nicht glücken wollte, warf er sich aufs Yersemachen, aber mit ebenso wenig
Erfolg: Amm. Marc. XXI 16, 4. An König Chilperich preist Fortunatus carm.
IX 1 die elo^ptentia und poesis. Für die allgemeine Anschauung bezeich-
nend ist auch Paulinus Nol., ep. 16, 6, wo er Cicero mit folgenden Worten
preist: omnium poetarum florihus spiras^ omnium orcUorum fluminibus
exundaa. Cf. aufserdem Monnard, De Gallorum oratorio ingenio, rhetoribus
et rhetoricae scholis (Diss. Bonn 1848) 54 ff.
1) Cf. oben S. 824 f.; fSr die frühere Zeit (auTser S. 884, 2) die Citate
bei Clem. AI. I 829 P. Cf. auch die treffenden Bemerkungen Bohde's, D. gr.
Boman 882 ff. W. Schmid, D. Atticismus I 214, 84.
2) Für das Griechische vgl. die berufene 4>it6d'i6Lg des elfjährigen
Q. Sulpicius Mazimus aus d. J. 94 n. Chr. bei Kaibel epigr. 618; femer die
Anacreontica des Johannes von Gaza (s. VI) ed. Abel (Berl. 1882) 55 ff.,
darunter eins mit der Überschrift tivag ^otpy cfsrot X6yovg i^ *A(pqodCt7i iri-
ro^ea tbv "AÖmviv^ ein anderes X6yov 8ir insdii^axo iv t{| inidi^tf t&v (^
dw9 #r tjj kavto^ dutrQi.ßi, Manches derart aus dem Lateinischen in der
Anthologie (z. B. n. 21 Riese), cf. Teuffei -Schwabe, Gesch. d. röm. Litt."
§ 46, 9. 828, 7. Friedlander, Sittengesch. m* (Leipzig 1881) 350. Daher
'fehlten auch umgekehrt die Rhetoren für ihre Deklamationen gern poetische
Stoffe: Quint. m 8, 53. Serv. z. Aen. X 18.
8) Cf. G. Lehnert, De scholiis ad Homerum rhetoricis, Diss. Leipzig
1896; übrigens schon Lehrs, De Aristarchi stud. Hom. ' (Leipz. 1882) 452 f.
466, und über rhetorische Dichterparaphrasen überhaupt derselbe, Die Pindar-
scholien (Leipz. 1873) 50 ff.
4) Auch Servius benutzte solche Scholien, wie sie dem Claudius Do-
natus Yorlagen (z. B. zur Aen. VI 847 est rfietaricus locus), cf. J. Moore, Ser-
Tina on the tropes and figures of Vergil in : The American Journal of Philol.
Xn (1891) 157 ff.
6) Cf. Servius zu X 18 Titianus et Cdlvus ihemata omnia de Vergilio
gÜeuerwU et deformarunt ad dicendi tisum] wir haben eine dictio des Enno-
888 Anhang I: Über die Geschichte des Keims.
Ernst und mit Ausführlichkeit die Frage erörterte , ob Yergil
ein Redner oder ein Dichter sei?^)
2. Die DaXs die Folgen dieser theoretischen Maxime yerhängnisvoll
Till waren, ist begreiflich. Bei den Griechen treten sie weniger in
Griechen. Einzelheiten hervor^), als in der allgemeinen Thatsache, dab
sie nach Theokrit Jahrhunderte lang keinen nennenswerten Dich-
ter gehabt haben: die alles überwuchernde Rhetorik tötete im
Verein mit der didaktischen Poetik in stetigem Fortschritt alles,
was etwa noch von zarten Reisern echter Poesie in der Lyrik
des Herzens oder des Kultus übrig geblieben war. Erst als das
gesteigerte religiöse Bedürfnis dem Gefühlsleben einen neuen
Inhalt gab, that sich der Garten der Poesie wieder auf, jedoch
nicht mehr vom Quell rein hellenischen Fühlens und Könnens
befruchtet: die phantastischen Schöpfungsmythen der späten
^Orphiker', Gnostiker und der verwandten Ejreise sind zwar eine
in ihrer Art grandiose Poesie'), aber von der rein hellenischen
einfachen Natürlichkeit und plastischen Realität ist in ihnen
dius 28 p. 605 f. H. : verha Didonis^ cum aheuntem inderet Äeneatn (über IV
365 ff. ; über dieselben Verse Anth. lat. 256 Riese), cf. auch August, conf. 1 17.
1) Cf. aufser dem Dialogfragment des Annius Florus (worüber zuletzt
R. Hirzel, Der Dialog II 64 f) Macrob. sat. V 1, 1. Über die Autorität Ver-
gils bei Rhetoren cf. D. Comparetti, Virgilio nel medio evo, übersetzt von
H. Dütschke (Leipzig 1876) 32 ff. 64. 122. — Übrigens war ein ähnliches
Thema, ob Cicero oder Publilius Syrus 'beredter' gewesen sei, was einige
zu Gunsten des letzteren entschieden zu haben scheinen (Petron c. 65), der
ja auch thatsächlich, wie die scharf zugespitzten Sentenzen beweisen, von
der Rhetorik stark beeinflufst war.
2) Für Agathon, Euripides und Eallimachos s. oben S. 8d2ff.
Auch Theokrit hat, wie Kallimachos, die Anapher sehr oft verwendet,
aber mit unvergleichlich gröfserer Kunst als jener, wofür z. B. das erste
Gedicht viele Belege enthält. Dagegen wirtschaftet Apollonios von Rho-
dos nach homerischem Muster sehr sparsam mit solchen Mitteln: in den
1862 Versen des I. Buches findet sich Anapher nur dreimal in Reden (286 f.
336 f. 418 f.), zweimal in einem Gleichnis (1266 ff.), zweimal sonst (683. 1287),
aufserdem überhaupt keine rhetorische Wortfigur.
3) Z. B. der oben (S. 862 f.) angeführte Hymnus der Naassener, der
an die Grofsartigkeit Goethescher Phantasie und Sprache in dem Fragment
des Ahasver erinnert; ferner der herrliche Mythus (in Hymnenform) viel-
leicht des Bardesanes von der Seele, erhalten in den syrischen Thomas-
akten, in englischer Übersetzung bei W. Wright in seiner Ausg. der Apo-
cryphal acta of the apostles II (Lond. 1871) 238 ff., deutsch bei R. Lipsir
Die apokryphen Apostelgesch. I (Braunschw. 1883) 292 ff.
Rhetorik und Poesie: Altertum. 889
kaum mehr etwas zu spüren: die Glut und Gestaltungslosigkeit
orientalischer Phantastik dominiert in ihnen, wie später im Epos
des Nonnos; nur die katholisch-christliche Dichtung, z. B. die
des Gregor von Nazianz (obgleich auch in ihr den äufserlichen
Mitteln der Rhetorik ein grofser Spielraum zugestanden wurde),
verstand es, mit dem lyrischen Schwung oder der einfachen Tiefe
der Gedanken die Gesetze hellenischer Schönheit wieder so weit
zu verbinden, als es bei der veränderten Lage der Zeiten über-
haupt noch möglich war.
In der lateinischen Poesie, deren Produkte quantitativ ^ ^/* ^
die der griechischen weit übertreffen, können wir die verderb-
lichen Einflüsse der Rhetorik überall verfolgen. Die Tragödie
war hochrhetorisch: man scheute sich nicht, die Facetien der
Kunstprosa reichlich anzubringen: die rhetorischen Homoioteleuta
des Ennius, sowie die doppelte Witzelei in dem Vers Priamo
vi vitam evitari haben wir bereits oben (S. 839) kennen gelernt.
An Accius bewunderte man so sehr die rednerischen Agone
seiner Tragödien, dafs man ihn fragte, warum er nicht als öffent-
licher Redner auftrete (Quint. V 13, 43).^) Aus Pacuvius führt
der Verf. der Schrift an Herennius II 23, 36 ein tolles Stückchen
an, in dem der Dichter mit Sjnaonymen unerträglich witzelt*);
die Beschreibung eines Sturms (V. 411 ff. Ribb.) ist ganz nach
der Schablone (s. o. S. 286. 408, 2); seine contorta exordia ver-
spottet Lucilius V. 718 L.') Über den Redner und Tragiker
C. Titius schreibt Cic. Brut. 167: huius orationes tantum argu-
tiarum, tantum exemplorum, tantum f*rbanitatis hcibent, ut paene
Attico stilo scriptae esse videantur. easdem argutias in tragoedias
saus quidem ille acute sed parum tragice transtulit — In der
epischen Poesie eröffnet gleichfalls Ennius den Reigen. Er
hat seine Freude an scharf zugespitzten Antithesen: 205 f. V.
quorum virtutei hdli fortuna pepercit,
eorundem lihertati me parcere certum est,
359 f. quae neque Dardaniis campis potuere perire
nee cum capta capi nee cum comhusta cremari,
an einem auf Gorgias zurückgehenden Bonmot (s. o. S. 384 f.)
1) In den Pragmatica scheint er seine eigne Diktion rhetorisch ana-
lysiert zu haben, cf. Rh. Mos. XLIX (1894) 531 ff.
2) Cf. £. Marx in der praef. seiner Ausgabe p. 92. 132.
■^ Cf. L. Brunei, De tragoedia apud Rom. corrupta (Thes. Par. 1884) 96 ff.
890 Anhang I: Über die Greschichte des Beims.
141 f. volturus in spinis miserum mandebat homanem.
heu quam crudeli condehat membra sepulcro,
vor allem auch an Wortfiguren, unter denen die oft durch alle
Wörter des Verses hindurchgehende Allitteration die grofste Rolle
spielt (cf. z. B. 4. 9. 113. 311. 452. 471. 478), aber auch der Gleich-
klang am Ende:
107 maerentes flentes lacrumantes commiserantes
(das typische Beispiel der späteren Bhetoren fiir das diioidTCta-
tov) und
412 si lud si nox si mox si tarn data sit fruXj
sowie Wortspielereien:
sat. 32 ff. näm qui lepide postulat dlterum frustrdri
quom frustrast, frustra illum dicit frustra esse,
nam qui se frustrari quem frustras sentit,
qui frustratur frustrast, si ille non est frustra.
Lucrez hat dagegen, soweit ich mich aus früherer Lektüre des
Dichters erinnere, die äufserlichen Mittel der Rhetorik erheblich
zurücktreten lassen, z. B. die Allitteration auf eine geringere
Anzahl von Worten eines Verses beschränkt und sie nur zur
Hebung des Ethos verwendet; Wortspiele, die unserm Geschmack
wenig entsprechen, verschmäht auch er nicht, z. B. III 888
nam si in morte malumst malis morsuque ferarum
tractari,
cf. Munro zu I 875 und Heinze zu III 364. Wie ganz anders
aber als dieser gewaltige Dichter sein antiker Herausgeber
Cicero. Über seine poetischen Versuche, auf die er sich selbst
so viel zugute that^), hat, wie man weifs, schon die nach-
folgende Generation den Stab gebrochen: Ciceronem eloquentia
sua in carminibus destituit sagt Cassius Severus bei Seneca contr.
praef. III 8. Er hat die kümmerlichen Verse mit den ihm als
Redner geläufigen Mittel eben auszuputzen unternommen, aber
solche argutiae wie die in den berüchtigten Versen
1) Was ihn dazu veraslafsto, seinen Pegasus zu zäumen, hat ihm ein
Humanist richtig nachgefühlt: Melanchthon, Eloquentiae encomium (ed.
K. Hartfelder in: Lat. Litteraturdenkm. des XV. u. XVI. Jh. herausg. von
Herrmann und Szamatölski, Heft 4, Berlin 1891) 42 f.: sensit M. Cicero fa-
cundiam versihiis scribendis ali eamque ob causam et saepe scripsisse Carmen
et poetarum perstudiosum fuisse constat; cf. auch Qoint. X 5, 4. 16 f.
i..
Rhetorik und Poesie: Altertum. 891
0 fortunatam natam me constde Bomam.
cedant arma togae, concedat laurea laudi
haben ihn ein für alle Male kompromittiert. ^) Auf die rheto-
rischen Homoioteleuta, die er in demselben Gedicht verwendete,
ist schon oben (S. 839) hingewiesen worden.
Unter den Augusteem hatVergil mit dem feinen, ihm eignen
ästhetischen Takt dem Rhetorischen einen sehr beschränkten
Baum angewiesen: dafs er es nicht aus Unvermögen that, zeigen
zwei solche Meisterstücke wie die Rede des Turnus XI 378 ff. und
vor allem die der Inno YII 293 ff., f&r deren indignatio die scharfen
(aus Ennius übernommenen) Antithesen: num capti potuere capi?
num incensa cremavit \ Troia viros? wohl angemessen sind. Zwar
hat er gelegentlich, z. T. wohl nach Ennius, Argutien an Stellen,
wo wir sie nicht erwarten, aber man mufs mühsam suchen, bis
man sie findet, und vielleicht sind wir Moderne darin zu sensitiv.*)
Ein spitzes Bonmot seiner Zeit (s. o. S. 284) hat er feinsinnig
durch Umschreibung vermieden, wofür ihn Seneca (suas. 2, 20)
lobt.^ Wie im Charakter so war auch in seiner Poesie Ovid
der Widerpart Vergils;^man erkennt das besonders deutlich da,
1) Die Humanisten disputierten über diese Verse pro et contra, cf.
Erasmus, Dial. Ciceronianus I 984 F. Steph. Doletus, Dial. de imit. Cicero-
niana adversus Erasmum pro Longolio (Lugd. 1585) 186 f. Caes. Scaliger,
Foetica 1. IV c. 41 p. 518. Andr. Schottus, Cic. a calumniis vindicatas
(1618), ed. Fabricius (im Anhang zn: Ciceronis filii vita Simone Yallam-
berto auctore, Hamburg 1780) c. 10 p. 148 ff. Tumebus, Adversaria VIl 19.
Die dem fortunatam natam analoge Spielerei in einem Brief an Brutus (bei
Quint. IX 4, 41) res mihi invisae visae sunty Brüte wollte Doletus L c. durch
Umstellung beseitigen.
2) Ich meine die Wortspiele: Aen. I 899 pitppeaque tuae puhesgue tuo-
rum (worüber cf. Quint. IX 8, 76). II 494 fit via vi (ennianisch) IV 288
parere parahat (vielleicht ennianisch) 271 qua spe Libycis teris otia terris
VI 204 auri awra X 191 f. dum canit et maestum musa solatur amorem \ ca-
nentem moUi pluma duxisse senectam (wohl nicht gefühlt) Georg. U 828 avia
tum resonant avibus virgulta canoria (cf. Auct. ad Her. IV 21, 29. Quint.
IX 8, 70). Cf. darüber schon G. Vossius, Inst. or. (1606) 1. V c. 4 (p. 845 f.
der 8. Ausg.). Femer eine Antithese, wo sie nach unserm (aber nicht nach
antikem: cf. Naeke zu Val. Cat. p. 285. 287) GefOhl nicht am Platz ist:
in 181 Offnovit «c . . . . novo veterum deceptum errore locorum (cf. dazu
ServiuB und Gonington). — Von R. BraumüDer, Über Tropen und Figuren
in y.*8 Aemeis ist nur der erste, die Tropen behandehide Teü erschienen
(Progr. des Wilhelmsgymn. Berl. 1877). .
S) Tgl. übrigens Leo praef. Senec. trag. p. 155, 10.
892 Anhang I: Über die Geschichte des Reims.
wo beide denselben Stoff behandeln, z, B. erzählt Vergil (Aen.
III 588 ff.) die Begegnung des Odysseus mit dem Cyclopen wie
ein Dichter, Ovid (Met. XIV 167 ff.) wie ein Deklamator, wobei
er fast in denselben Schwulst verfällt wie der Grieche Dorion
bei Seneca suas. 1, 12. Wie man aus des älteren Seneca Schriften
weifs, galt er schon bei seinen Zeitgenossen als Dichter unter
den Deklamatoren und als Deklamator unter den Dichtem^): die
Bhetoren nahmen ihre concetti aus ihm, er aus den Rhetoren
und zwar nicht aus den vorsichtigen, sondern den überkühnen
(cf. z. B. Sen, contr. II 4, 11 f.). Nichts hübscher als die Anek-
dote, die Seneca mit Berufung auf Albinovanus Pedo erzählt:
Freunde bitten den Ovid, ihm drei Verse bezeichnen zu dürfen,
die er aus seinen Gedichten beseitigen solle, er bedingt sich aus,
seinerseits drei ausnehmen zu dürfen, die vor dem Angriff jener
sicher sein sollten; beide Parteien schreiben die Verse auf und
es stellt sich heraus, dafs auf den Zetteln beider Parteien die-
selben Verse stehen, nämlich:
semibovemgpie virum semivirumqiie bovem (a. a. 11 24)
et gdidum Borean egelidumque Notum (am. II 11, 10)
(der dritte ist durch eine Lücke im Text des Seneca verloren): „er
kannte, fügt Seneca hinzu, seine Fehler, aber er liebte sie". Das-
selbe gilt von den meisten seiner Leser in der Eaiserzeit: in
einer Zeit, wo Genie die Parole war, muTste der ingeniosissimus
poeta der Liebling aller sein, wie unter den Prosaikern Seneca
der Sohn, der Geistesverwandte Ovids. Wir brauchen einen
Kommentar zu Ovid, in dem seine Stoffe mit den uns bekannten
Deklamationen verglichen^) und seine Verse — inhaltlich und
formell — von diesem Gesichtspunkt aus analysiert werden: aus
den Bhetoren, die seit Gorgias die Leuchtkugeln ihres Esprits
1) Den &y&v des Aiax und Odysseus Met. XHI citiert Quintilian (V
10, 41) zugleich mit dem Streit des Clodius und Milo.
2) Z. B. der Phaethonmythus, der ganz ähnlich behandelt wird in der
poetischen Deklamation des Q. Sulpicius Maximus (Eaibel epigr. 618) und
von Lukian deor. dial. 26, alle gewifs nach älterer Vorlage, cf. die An-
merkungen Eaibels und G. Lafaye, De poetar. et orat. certaminibus (Paris
1883) 73 fiP. Die Kontroverse Senecas 11 7 wird von Ovid in den Meta-
morphosen poetisch behandelt: ich finde die Stelle leider nicht wieder. —
Auch Albinovanus Pedo, der Freund Ovids, beschreibt bei Seneca, suas. 1,
16 den Ocean mit denselben Farben wie die dort angeführten Bhetoren.
Rhetorik und Poesie: Altertum. 893
aufsteigen liefseii; kann man viele seiner inventa belegen.^) —
Die ganze übrige lateinische Poesie der Eaiserzeit^ abgesehen
von einzelnen Gattungen der christlichen, steht bekanntlich gleich-
&lls unter dem Zeichen der Rhetorik; manches läfst sich ohne
weiteres glossieren aus den von Seneca überlieferten Deklama-
tionen*); obwohl für das Einzelne noch sehr viel nachzuweisen
wäre^, gehe ich hier nicht näher darauf ein, wo es genügt, die
allgemeine Thatsache festgestellt zu haben. ^)
1) Nur je ein Beispiel för das Inhaltliehe und Formelle. Auf das
berüchtigte, unendlich oft wiederholte oder variierte Wort des Gorgias
von den yvnsg ^fiipvxoi rayot (s. o. S. 385) kann auch er sich nicht ver-
sagen anzuspielen Met. VI 665, wo es von Tereus nach der Verspeisung
seines Sohnes Itys heifst: flet modo seque vocat bi^um miserabile nati; hier-
über sagt J. Tollius in seiner Ausgabe der Schrift ntQi wpovg (Traj. ad
Rhen. 1694) 18: flevisse Calliopen ferunt, cum Tuiec scriberet Otndiua: adeo
puHde et puerüiter cum patris ndd-oe tum gentis fid-og expressisse videbatur,
— Das doppelte diiounilBvtov in dem Vers (a. a. I 69):
quot cwlum stelkis, tot ha^et tua Borna pueUca.
erklärt zwar Puttenham, The art of engl, poesie (1589) 80 (ed. Arber) fär
zufällig, aber, wie die stark hervorgehobene Antithese zeigt, ist es ebenso
beabsichtigt wie bei Senec. Tro. 510 ff.: fcxta si miseros iuvant, \ hohes sa-
lutem; fata si vitam negant, \ hohes sepulchrum, s. oben S. 310, 1. — Cf. im
aUgemeinen auch Fr. Aug. Wolf in der Vorrede zu seiner Ausgabe der
Marcelliana (Berl. 1802) XXXI f.; dagegen war D. Heinsius ein grofser Lieb-
haber des Ovid, den er in einer Art von Hymnus in Schutz genommen hat
gegen seine Feinde: De tragoediae constitutione (1611) 154 ff. Melanchthon
hat ihn als Bhetor gewürdigt: instruit eloquentiae studiosos omni apparatu
oratorio verhorum et figurarum, cf. E. Hartfelder in: Mon. Germ. Paed. VE
(1889) 888, 2.
2) So kennt Lucan ÜI 233 die Suasorie bei Sen. suas. 1 (cf. besonders
§ 8), cf. das Scholion zu jenem Vers; Senec. Agam. 211 bringt ein Bonmot
des Latro an, cf. Sen. suas. 2, 19.
8) Mein Schüler St. Glöckner beabsichtigt, dies Thema näher zu be-
handeln.
4) Feine Bemerkungen darüber bei Muratori, Della perfetta poesia
Italiana (Venezia 1748) 428 ff. Eine gute £[ritik des sprachlichen Ausdrucks
mit reicher Materialsammlung giebt J. Chr. Emesti, De elocutionis poetarum
latinorum veterum luxurie, in: Acta seminarii reg. et societatis philol. Lip-
siensis H (1812) 1 ff. Selbst Tibull zeigt gelegentlich rhetorische Beein-
flussung: in den Versen 1 5, 64 suhicietque manus efficietque viam und I 4, 4
non tibi barha nitet, non tibi culta comast hat er nach der feinen Beobsich-
iong Meyers 1. c. (o. S. 867, 1) 1032 gegen seine Gewohnheit den ersten Teil
des Pentameters mit einem iambischen Wort geschlossen dem Parallelismus
xuliebe. Für Seneca*s Tragödien cf. aufser Heinsius 1. c. 191 ff. B. Smith,
Sfl4 Anliimg I: Ülier die GeschiclitG des Reims.
2. Da« Mittelalter.
r Eine Belbständige Stellung hat die Poesie uaeli der Theori
" des Mittelaltere nicht besessen. Inaofem es darauf ankam, die
Gesetze der Metrik an ihr zu lernen, rechnete man sie zur
Grammatik'), als Ganzes genommen zur Rhetorik, die man, wie
I
De arte rhetorica in Senecae tragoediia penpicua, Leipz. 1885, F. Jocobt,
'Seneca' in Sulzera Theorie d. schönen Künste, Nacitr. IV (1795) 88» ff.,
Bowio besonderB Leo vor seiner Ausgabe p. 147 ff. Über Lucan Bahsac,
oeu<rreB IL 696 f.; für ihn iat vemicbtend, dafa ihn Flarus rtarlt benntzt hat,
wie bewieaen ist Ton E. Weaterburg in: Khein. Muä. XXXVn (1882) 36 ff.;
sein Werk galt bekanntlich im Ältertinn imd Mittelalter füi' thetorisiereniiß_
Qsscbichtsadtreiboiig; nach der Vita (p. 78 f. Reiff.) achrieb er in Prosa
Chtamum Sagittam et pro eo (also Übungareden über das bei Tac. a,
44 Eriflhlto). Über Juvenal E. Strnbo, De rhetorica luv. di»ciplina, Proj
Brandenburg 1875, L. BergniQlleT, Quaestiones luTenalianae in: Act.
Erlang. IV (1886) 396 ff., über Siliaa: Cellariue, De C. Silio Italice 169]
(in; Cellarii diBsertationea aeudemieae ed. Walch [Lips. 1712] 8! f.); Statiui
unter den Dichtem der spHtcrn Eaiaerzeit der bedeutendste, iat ein Ueisl
in der tutfeaais, die man in den RhetorenBchulen lernte: cf. Leo 1. c. (ol
S. 88*) 5 ff. (überhaupt das Wichtigete für diese ganze Frage) und J. Zieh«
in: Bcr. d. freien deutsch. Hochstiftes zu Prankf. a. M. 1896, 311 ff. In
neuestena beliebten Dissertationen Sbcr die 'Figuren' bei diesen Dichtem
wird der Stoff viel zu oberflächlich behandelt; hier bleibt noch viel ta. thuu.
1) Die Metrik figuriert als Teil der Granunatik schon in den ans
ans dem Altertum erhaltenen Grammatiken. Cf. ferner Ennodius opoac. S
\i. 407 H., WD die 'Granunatica' eagt: poetica, iuris peritia, diaiectiea, oriA-
mrtica ve utuntur quaei genttrice. In alten Bibliothelukatalogen stehen
Handschriften über Granuuatik und Metrik zuaaimnen, z. B. in St. Gallen
(s. K) bei G. Becker. Catal. codd. p. 62, Keichenau (s- IX) ib. 12. 27. Bobbio
(b. X) bei Muratori, Antiqult, Ital. IH dise. 43. Honoriua t. Auton (s. XII)
de animae eiilio et patria cd. Fez im Thea. anecd. noviss. n (1721) 837 ff.;
in der dvitas grainmatka herrschen DonatuB und Friscianus, viUae huic
ditae mnt libri poetarum, qui in quattuor spedes dividuntur, säiicet
gotdias, in comoedias, in satyrica, t'n lyrica (was dann nllher ausgeftthi
wird). Verse aus s. XII eitr. bei Haui-öau in: Not et oxtr. des
2 (18BÜ) 2U6 f.: inter artti igitttr qui (sie) (fuMnfur trivitim \ fundatrix gram-
matica vindieal principittm, \ quae «e eutam aestimat tirlem esse artiwn. \ ntb
hae chofvs militat metrice scribcnliUiiH. Abätard introd. ad theologiam 1.
vol. H p, 69 Cousin: de pottieig figmentis (d. h. den heidnischen Gedicht
quo» nonnulU Hbros gramiTtaticae vocare consuervttt, eo quod pannUi ad
ditionait grammatieae kdionia tos tegtre aoUti sint, Utlia eancUrrum gat
auctoritas. Eberhardus t. Biithane laborintuB (ed. Leysor in: Hist.
poem. med. aev. [Halle 1741] 736 IT.) I t. 253 ff. (p. 808): grammatkae fax
:S7ff.:^^^
Rhetorik und Poesie: Mittelalter. 895
das spätere Altertum; ganz allgemein als die ars tene dicendi
fafste.^) Es giebt für den letzteren Zusammenhang eine grofse
Anzahl von Belegen^ von denen ich einige anf&hren will.
lans stibit ingeniosa poesis, \ officii confert ülterioria omts, \ expUcat haec legem
metri, gpiid pes, docet, addens, \ quid tempus, quot sint tempora cuique pedi
u. 8. w. Zur Rhetorik rechnet auch diesen Teil der Poesie Gregor ▼. Tours,
h. Franc. X Id si te in grammcUicis docuit (Martianus) legere, in diälecticis
(dtercationutn propositionia advertere, in rhetoricis genera metrorum agnoscere
etc. Die Beschäftigung mit Prosodie war im Mittelalter eine aufserordent-
lieh lebhafte, einen Verstofs gegen sie zu begehen, galt nicht weniger
schlimm als ein grammatischer Fehler; wir haben mehrere dieser meist
sehr armseligen Traktate, z. B. aus s. IX von einem Mönch Hildemar, ed.
Mabillon in: Ann. Ord. S. Ben. 11 743 f., yon einem Mönch Lambert ib. 744 f.,
aus s. X Yon Abbo y. Fleury ib. IV 687, aus s. XH/XITT yon einem armen
Schulmeister, dem es sehr schlecht geht und der nun in höchst amüsanter
Weise auf den die Gesetze der Prosodie yemachlässigenden Klerus schimpft,
ed. Gh. Fieryille in: Not. et extr. des mss. XXXI 1 (1884) 129 £f., und ge-
wifs yiele andere.
1) Cf. V. Le Clerc, Hist. littdraire de la France au XIV« siöcle, I
(2. Aufl., Paris 1865) 450: la rhdtorique, teile qu'on Ventendait cdors, signi-
fiait Vart de hien dire dans tom les genres, seit en prose, soit en vers. So
^ Eberhardus yon B^thune (s. XIII) graecista c. 8 v. 285 (p. 49 ed. Wrobel):
eloguitur resis indeque reihorica, ib. 17 y. 80 (p. 173): eloquitur qui rethoHce
profert sua verba. Brünette Latini (s. XITI) li liyres dou tresor (ed. Chabaille
in: OoUection de documents inädits sur Thistoire de France. S^r, I Paris
1863) 1. m part. I cap. X p. 481 : La grans partisans de touz parleors est
en Aj, manieres, une qui est en prose, et %me autre qui est en riine; mais li
enseignement de rectorique sont commun andui. Die Rhetorik ist unter allen
artes des Mittelalters yon den Neueren am wenigsten bearbeitet, obwohl
sie neben der Grammatik eine Hauptrolle im Unterricht spielte; wie ich
sehe, yerspricht M. Herrmann (Albr. y. Eyb u. die Frühzeit d. Humanismus
[Berl. 1893] 175, 1) den „Versuch einer Geschichte der Rhetorik". Daher
will ich das yon mir gesammelte Material zurückhalten. Ich bemerke nur
wegen der im Text meist angewendeten Schreibung reihor, reihorica, dafii
das Mittelalter meist diese Form hat. Sie steht schon s. Vü bei Marculfb
in den Formularum libri, praef., in Mon. Germ. Legg. V p. 87, 11. Freili«
kannte man aus den Handschriften der Autoren auch die antike Schreibui
das zeigen sowohl Schwankungen wie rheihorica (s. IX in St. Gallen,
einem yermuÜich yon Notker geschriebenen Brief, ed. E. Dümmler,
h h
Formelbuch des Bischofs Salomo [Leipz. 1857] p. 51, 15), retor retorids
taris (s. XI/XII bei P. Piper, Die Schriften Notkers u. s. Schule I [Fl
Tübing. 1882] praef. XVI. XX f. cf. p. 860), als auch die Schreibonj
lehrter Männer wie Ekkehard FV yon St. Gallen (f c. 1060), der in i
yon E. Dümmler (in Haupts Z. f. deutsch. Alt. N. F. H) heraoBgeg
Anhang I: Über die Geschieht« des Seins.
ZmssUM bber Gerberts (s. X) Uaterrichtsinetliode haben wir folgi
Bhturik Notiz bei KicberiuB, bist. 1. IIl 47: cum ad rhebtricam suos pro-
<indpM.ie. f.gj,g,.ß vellet, i(i sibi suspectum erat, quod sine loculionum modis,
qui in poetis discendi sunl, ad oraUmam artem perveniri non queat.
poeias igitur adiiibttit, quibus assuescendos arbitrabattir. l^t ilague
ac docuit Maronem et Stalium Terentiumque poetas, luvenaleta
quoque ac Peraium Horatiutnque satiricos, Lucanum etiatn historio-
graphum. quibits assuefactos tocutionumque modis compositos ad
rhetoricam transduxU.*) — Eiue in Versen abgefalste Batsel-
sammlung etwa s. X bat die Überschrift Questiones euigmatum
rethoricae artis.*) — Horaz wird von Petrus Diaconus, dem
Bibliothekar von Monte Casiuo s. XI, streymisstmus oraior ge~
oatuit.*) — In einer Poetik s. XII*) heifet es (v. 93 f.):
perlegat auctores varios, legat et paelriam
rlietoricos flores cupiens et sdre sopkiam. —
Sehr bezeichnend iat auch der Name, der seit s. XII für gewisse
Dicbtergilden nachweisbar ist: 'L'eacole de Hcthorique de Tonr-
na;*, 'Puf (d. b. podium, Amphitheater) d'eacole de rhetoriqae'
ZQ Doomik in Bai^und u. e. w. Von Frankreich and Bui^od
4
Werken meist rftrfor, wohl nur Eweimal (p. 45 v. S5, p. 62 t. 18) rtlhor
schreibt, lutereesaut ist. daTs von den alten Bas. (b. IX und X) des Werkes
an Herenniua nur der Berneiisia fast immer (unter den 8 Stellen nur eine
Ausnahme: II ä7, 44) rhtl. bat, olle andern reth., richtig beurteilt von Marx
in der Vorrede p. 11. Die Humanielen haben noch lange die mitteliUter-
liehe Form fortgepflanzt, z. B. Petrarca (rer. mem. I 2); P. Luder (Aotiitt«'
rede in Heidelberg 1456, ed. Watteubach in; Z. t. d Gesch. d, Oberrheiua
XXII 1369 p. 103, loa. 133), J. Locher m seiner Epilhöma rhetoricea (Freib.
I49G) schwanken.
1) umgekehrt Cicero als Lehrer der Dichter: Alauns de Inaulie (s. XII),
AnticlaudianuB Ul 3 (vol. 310, 61H Migne).
2) Ed. Mone in seinem Anzeiger f. Kunde d. tentacben Voixeit Vm
(läSl)) 310 ff. und Haupt in; Ber. d. K. sa,chs. Ges. d. Wiss. 1860, 11 t ff.
S) De locis sanctis ed. Qamurrini in: Biblioteca dell' accademia sto-
rioo-giiiridica IV (Rom 1887), prol. |j. 114. Ebenso wird Flautua rhetor ge-
nannt von Raduiphus Eigden (Münch in Cheater t c. 1SG7) poljcbronicon
I. in c. 40, was A. Graf (dem ich dies Citat entnehme), Roma nella me-
moria del m. e. II (Torino 18S3) 178 nicht richtig ein Zeichen der Tln-
wissenbeit nennt. Ähnlich ist, wenn in den aus s. IX stammenden Glossen
XU vates Jnvenal VI 436 nugeachrieben ist: poeta« rhetores, et. E. Lonunatwcta
: PleckeiseuB Jhb. Suppl. XXII (1896) 443.
4) Ed, FiervUle in: Not. et estr. des mss. XXXI 1 (1884) p. 132 i
Rhetorik und Poesie: Mittelalter. 897
kam dann diese Einrichtung mit ihrem Namen nach Holland:
das sind die berühmten ^Eamers van Rethorica', die vom XV.
bis zum Ausgang des XVII. Jh. nachweisbar sind; mit ihren
Vertretern, den *Rhetorijkers* ^Rhetrosynen' ^Gesellen van Re-
toiique', am bekanntesten als ^Rederijkers'; über sie hat eine
ausführliche Monographie verfafst 6. Schotel, Geschiedenis der
Rederijkers in Nederland, 2. Aufl. Rotterd. 1871; über den Namen
sagt er I 53 (ich übersetze die Worte ins Deutsche): ^^Es ist
nicht zu verkennen, dafs die Rederijk-Eunst in den Werken des
XYI. Jh. als Bezeichnung von Dichtkunst vorkommt, und dafs
unsere alten Dichter, selbst Maerlant, Rhetoren genannt werden,
obgleich bei unsem alten Rederijkers Stellen vorkommen, die
uns lehren, dafs sie unter Rhetorik noch etwas anderes ver-
standen. So liest man von Toesie und Rhetorik', doch auf
derselben Seite kommen beide wiederum als gleichbedeutende
Worte vor." — Im s. XIII sagt Eberhardus v. Bdthune, Grae-
cista c. 7 V. 16 (p. 23 ed. Wrobel), dafs Folyhymnia dat rethori-
cos und in demselben Jahrhundert Frate Guidotto da Bologna
in seinen Fiore dl rettorica^) von Vergil, er habe sich angeeignet
tutto il costrtttto dello intendimento della Bettoricay e piü ne fece
chiara dimostranza, sieche per hii possiamo dire che VatibiamOy e
conoscere la via della ragione e la etimölogia delV arte di Bettarica.
— Dante de vulgari eloquio sive idiomate II 4^) revisentes ergo
ea quae dicta sunt recolimus nos eos, qui vulgariter versificantur,
plerumque vocasse poetaSj quod procul dubio rationabiliter erudare
praesumpsitnuSj quia prorsus poetae sunt, si poesim rede con-
sideremus, quae nihil aliud est quam fictio rethorica in
musicaque posita; daher ist ihm (c. 6 p. 218) die höchste rhe-
torische Prosa der dictatores auch der einzige der Poesie würdige
Stil, und daher analysiert er ep. 11') den Prolog eines Gedichts
nach den Regeln der ciceronianischen Rhetorik.^) — Aus & XII
und XIII giebt es poetische Metaphrasen der sog. quintilianischen
1) Ediert in: Manuale della letteratura del primo secolo della lingua
italiana, compilato da Y. Nannacci, ed. 2, toI. II (Firenze 1868) 118.
2) Opere minori di D. Alighieri ed. Fraticelli, sec, ed. (Firenze 1861),
vol. n 208.
3) Ib. m 621 f.
4) Die Rhetorik gilt ihm aU Hoavi$$ima di Mte Valtre scienze, peroecht
a cid principalmenU irUende: Convito II c. 14 (III 164 Frat).
g9R ^n^npg T: Ober die Oeschiehte des Reims. ^^^|
DeklamBtiouen and der Kontroversen Senecas.*) — Selir bez«i^^|
nend ist auch folgendes: der einstige Lehrer Petrarcas in der
Jurisprudenz, Giovanai d' Andrea in Bologna, hatte iu einem
Brief an diesen Cicero als Dichter bezeichnet, wofür ihn Petrarca
in seiner Antwort zurechtweist (ep. de reb. fam. IT 15 p. 338 f.
Frae.). —
Vielleicht noch deutlicher als diese positiven Zeugnisse, die
sich leicht vermehren lielsen, sprechen zwei Stellen, au denen
gegen die übliche Unterordnung der Poesie unter die Rhetorik
polemisiert wird. Die eine findet sich bei einem Skribenten,
der zeitlich einer von ans noch eben zum Altertum gerechneteu
Periode augehört, aber in seinem Fühlen und Denken diesem schon
ganz entfremdet ist, die zweite stammt aus dem tiefen Mittel-
alter. Virgilius Maro (etwa a, VII) grammatica p. 16 ff. (ed,
Huemer): nostrae filosophiae artcs sunt midtae, quanim stvdia
jirincipalia sunt: poema rhetoria grania leporia diaUcta geometria
et cetera . . . Inter poenia et rhetoriam hoc dtsiat, quod poema sui
varietate contmta augasta atqHC obscura est, rhetoria atiiem svi
amoenitate gavdens lalitudhiem ac pulchriludinem cum quadam me-
Irorum pedum accentutim tonorum syllabarumqiie magnifica nume-
ratione praepalal. sed »lulti hoc tempore vim deffendenttam-
que harumce artium ignorantes in rhetoria poema et >h
poema rhetoriam agglomitnt non habentes in memoria, quid
Felix Alexander agnorum magister praeceperit: unaquaeqite, inguiens,
ars inlra suas contineaiur metas, ne adültereiur discipUna »utiorum
et nos aput eos aecussare cogatur. Johannes Sarisb, (s, XU)
metalogicus I 17 (V 46 Giles): adeo quidem assidet poetica rebus
naUiralänis , ut eam pleriqm negaverint grammaticae speciem esse,
asserentes eam esse arlem per se nee magis ad grammatj-
cam quam ad rhetoricam pertincre, afßru
quod cum his habcat praecepta communia.
8. Der HnmauisDiua.
Wie wir in ihm auf allen Gebieten Rudimente aua
r fiafaerlich ganz überwundenen Zeit erkennen (a. o. S. 732 ff.),
auch auf dem Gebiet der poetischen Theorie. Bekanntlich
I tameti utrique^^^^^
dimente aua eÜM^^
1) Cf Fiervillö I. e. p, 126. 139.
Rhetorik und Poesie: Humanismus. 899
hat selbst Petrarca die Anschauung des Mittelalters (die ihrer-
seits wieder tief ins Altertum zurückreicht)^ dals die beste Poesie
allegorisch sei^ durchaus geteilt und, von ihr befangen, seinen
Virgil gelesen. Aber uns geht hier nur die Frage an, inwie-
weit sich noch in der Zeit des Humanismus eine bis zur Identi-
fikation reichende Oleichstellung der Poesie und Rhetorik nach-
weisen läfst.
Die Nachwirkung der Scholastik in der Zeit des schon
entwickelten Humanismus zeigt sich besonders deutlich in einer
Summe des Wissens, die zu Basel 1565 erschien unter dem
Titel *Theatrum vitae humanae'. Der Verfasser ist Theodor
Zwinger, geb. zu Basel 1533, ein berühmter Arzt und Poly-
histor, auf italienischen und französischen Universitäten gebildet,
f 1588. In jenem Werk verarbeitete er die Materialien, die von
seinem Stiefvater Lycosthenes (Conrad Wolffhart, geb. 1518 im
Elsals, f 1561 zu Basel, wo er Prediger gewesen war und Gramma-
tik und Dialektik gelehrt hatte) zurückgelassen waren. Es ist
wohl die letzte Encyklopädie des Wissens, verfafst in Anlehnung
an die Specula des Yincentius v. Beauvais, aber dadurch von
eignem Interesse, dafs sie auf humanistische Grundlage gestellt
ist.^) Nachdem p. 50 — 62 von der Rhetorik gehandelt ist, folgen
p. 62 fif. die Poetae, und in einer Vorbemerkung heifst es (p. 62):
nas poeticamy ut et rhetoricam^ inter talionis instrumenta mtUtis
rationibus referre possumuSf sive inter eas artes quae a harbaris
sermocinales appeUantur, nam cum dtä ti^v tov &xQoaxov {lox^Qiccv
non omamentis tantum rhetorids, verum etiam metro poetico uti
interdum necesse sit^ ut qui verüate ipsa non capiuntur, veritatis
organis etiam nolentes ducantur: in eodem genere facultatum et
rhetaricam et poeticam statuere oportebit videnmt hoc veteres, q\d
non ApoUinem modo Musarum principem finxeruntt verum etiam
Mereurium ipstim cum Musis assidtie versari et lyrae inventorem
esse asseruerunt, ut innuerent, rhetoricam fundamenta quoque
poetices continere et rhetorem poetis lyram, qua canerent,
tradere. quod enim Aristoteles de rhetorica dixity ivrC-
atfogxn/ slvai ty diaXe9enx% illud idem nos de poetica possu-
mus dicerCj &vxC6xQO(pov elvai ry ^rjtoQix^ . . . poeta a rhe-
1) Cf. B. V. Liliencron, Ober den Inhalt der allgemeinen Bildung in
der Zeit der Scholastik (München 1876) 26.
Korden, antike Kunstprosa. Tl. 58
900 Aiiltflng I: Cber die Gescbichte des Bdonfi.
tore ornatum sumii et inveniionem, addä de smo fkÜomewi,
metrum atque äiam xä^ßw. tdißp dko^ qwmioM poda a mnKii fort
tAus inAoare seiet. — Ein dem eben beschriebeDea simliA—
Werk ist die ^Margaritha philosophica' des Gregor Reisck
(Priors der EarÜmoser bei Freibarg i Br.)^), das leisfee mn du
Mittelalter erinnernde Lehrbneh der artes, gedruckt znersi 1509^
dann noch oft wiederholt. In ihm ist dargestellt ein tomiartigcs
Gebäude, dessen verschiedene Stockwerke von den artes libenki
nnd ihren Hauptvertretem gebildet werden. Im zweiten Stod[
sitzt Tullius mit der Unterschrift:
Bethorica.^ Poesis. —
Der Zusammenhang mit der mittelalterlichen Tradition ist sdir
deutlich auch bei dem englischen Dichter Stephen Hawes.*)
Sein im J. 1506 dem König Heinrich YII gewidmetes Werk
'The pastime of pleasure' ist ein sehr ausf&hrliehes aüe-
gorisches Gedicht, aus dem uns die Kapitel 3 ff. interessieiea^
wo der Held Graunde Amoure in die Stadt der Doctrine kommt
und dort mit deren sieben Töchtern , den Künsten des TriTfaim
und Quadrivium, Bekanntschaft macht. Am ausf&hrlichsten wird
die Rhetorik behandelt (c. 7—14 p. 27 ff.); aber es ist zugleiek
eine Anweisung zur Dichtkunst: beide werden thatsachlich gar
nicht geschieden ; z. B. handelt c. 8 of the fyrst (sc. part of Be-
Üuyryke), called inventiony and a cammendacion of poetes^ und die
Rhetorik apostrophiert dort am Schlufs die Dichter so:
and ehe to prayse you toe are gretdy bounde^
because our connyng from you so procedethj
for you iherof toere fyrst originaU ground
and upon your scripttire our science ensueth.
your splendent verses our lyghtnes renuäh;
and so toe ought to laude and magnify
your excellent springes of famous poetry^
1) Cf. über dies Werk E. Hartfelder in: Z. f. d. Gesch. d. Oberrheini
N. F. V (1890) 170 ff. Ich benutze den Druck Strafsburg 1608.
2) Aus dieser mittelalterlichen Schreibung scheint zu folgen, daÜB die
Zeichnung älteren Ursprungs ist, denn der Verf. selbst schreibt konstant
rhetonca und schärft sogar f. 55' ausdrücklich ein, dafs ^ mit rh wieder-
zugeben sei, wofür er gerade rhetor anführt.
d) Cf. über ihn das Dictionary of National Biographj ed. Stephen-
Lee, vol. XXV (London 1891) 188 f. Ich citiere nach der Ausgabe von Th.
Wright in: Percy Society vol. XVIII, London 1846.
Rhetorik und Poesie: Htunanismas. 901
worauf c. 14, unmittelbar nach Beendigung des Abschnitts über
die Bhetoriky eine Empfehlung der Dichter Gower, Chaucer und
Lygdate folgt.
Die Universitäten verkörperten im Gegensatz zu den
humanistischen Neuerern das reaktionäre Element. Von dem
durch die Angriffe der Dunkelmännerbriefe berüchtigten Ort-
winus GratiuS; Professor in Köln, giebt es eine Anzahl von
Beden über die freien Künste, die durch ihre Mischung von
scholastischen und humanistischen Tendenzen eigenartiges Inter-
esse haben; sie sind m. W. nur einmal gedruckt: in Köln 1508.^)
In einer dieser Reden, gehalten in commendationem poeticae^ heifst
es: nunc quia rhetoricen pro virili laudare contendinms, viri da-
rissimi, poeticam etiam laudare debemus. est enim oratori coniundus
poeta stmique inter se necessitate guadam et officio constrictiy qtwn-
iam nulla est poetarum exornatio^ nnllus lepos, nulla
denique studii facultas, quam communem non habeant et
vates et rhetor. quae si mixtim divisa forent aut eorum
unioni nuncius remissuSf non haheret orator circumloquu-
tionem multifarie explicandam et concinnam maiestatem
poeta desideraret — Daher wundem wir uns nicht, wenn z. B.
in einer Studienordnung der Universität Oxford unter ^Rhetorik'
stehen aufser Aristoteles, Boethius (Top.) und Cicero (de inv.)
auch Ovids Metamorphosen und Toetria Virgilii**), und wenn
ebenda im J. 1513 einem Scholaren der Rhetorik, unter der
Bedingung, dafs er 100 Gedichte mache, der Dichterlorbeer ver-
brochen wurde. ') Ebenso berichtet aus dem Ende des XIY. Jh.
von der Wiener Universität J. Aschbach ^): „An das Studium der
1) Titel: Orationes quodlibetice periueunde Ortuini Gracii Daventrien-
sis Colonie bonas litteras docentiB etc. Am Schlufs : Impressum est hoc opus
egreginm Colonie per honestmn civem Henricum de Muscia. Anno domini
MCCCCVlil. Ich benutze das freundlichst zur VerfcLgung gestellte Exemplar
der Kölner Stadtbibliothek.
2) Cf. H. Bashdall, The universities of Europe in the middle ages n
2 (Oxford 1895) 467.
3) Cf. Register of the university of Oxford ed. Boase, I (Oxford 1886)
299, citiert von Bashdall 1. c. 469, 3.
4) G^sch. d. Wien. Univ. im 1, Jh. ihres Bestehens I (Wien 1866) 88,
cf. auch n 56, wo mitgeteilt wird, dafs i. J. 1497 der berühmte Humanist
Conrad Celtes, poeta laureatus, nach Wien berufen wurde für die Professur
58*
902 Anhang I: Über die (beschichte des Reims.
lateinischen Sprache reihte sich das der Rhetorik, welche nicht
nur die eigentlichen Stil- und Redeübungen, sondern aach die
Poesie oder yielmehr die Anleitung zur Dichtkunst in sich
schlols/' In Zaragossa wurde am Anfang des XYIL Jh. in den
oberen Klassen der Kollegien unter ^Rhetorik' gelesen Cicero
und Vergil.*)
Noch konservativer als die Universitäten waren die jesui-
tischen Schulen, worüber schon oben (S. 779, 1) einiges be-
merkt wurde. Daher ist in den uns jetzt gesammelt vorliegenden
Studienordnungen die Fusion von Poetik und Rhetorik eine
vollige. So wird in der Ratio studiorum vom J. 1586 zu den
Übungen der classis rhetorica bemerkt (bei Pachtler 1. c. V 197)
cum rhetores versibus etiam scribendis frequenter vacent, iuvandi vt
dentur prape quotidiana poetae cdictiius enarratione, unde depromi
possit poeticae imitationis atque hcutionis varietas et copia, und in
der für diese Klasse folgenden Stundeneinteilung werden Dichter
und Redner ganz promiscue behandelt; so heilet es in dem
Lektionsplan des Gymnasiums zu Freibui^ i. d. Schweiz vom
J. 1623 (1. c. IX 242): In Bhetorica, M. T. Cic. l III de Oratare,
JEj, Orationum vol. 3. T, Livii Decas III Georgica Virgüii. Luciani
dial sei. lib. III Epigrammata Graeca ex anihologiae libris selecta.
lac. Gretseri Prosodia graeca und in den Lektionsplänen der fol-
genden Jahre werden unter Bhetorica auüserdem noch genannt:
Euripides (1625), Senecas Tragödien imd die Odyssee (1628),
Horaz de arte poetica und Vergils Aeneis (1769), und ganz
analog an andern Gymnasien; wo aber einmal eine Trennung
vorgenommen wird, herrscht völliges Durcheinander: in dem
Lektionsplan der Gymnasien der böhmischen Provinz vom J. 1753
(1. c. XVI 46 f.) steht unter Rhetorik Senecas Medea, unter
Poesie aufser Yergil, Horaz und Martial auch Sallusts Catilina,
Cicero de off. I, Cicero pro lege Manilia; ja noch in dem Studien-
plan von Freiburg i, d. Schw. vom J. 1843 Q. c. XVI 537 ff.)
der Poetik und Rhetorik, eine Verbindung, die überhaupt durchaus regulär
gewesen zu sein scheint.
4) Cf. D.Vincente de la Fuente, Historia de las universidades, collegios
y demas establecimientos de ensenanza en Espaüa 11 (Madrid 1884 f.) 465.
Noch heute scheint in Spanien die Verbindung ganz gewöhnlich zu sein,
cf. das Diccionario general de bibliografia espanola per D. Hidalgo VIl
(Madr. 1881) 801 ff.
Rhetorik und Poesie: Humanismus. 903
werden unter Rhetorik begriffen neben Demosthenes und Cicero
auch Sophokles, Vergil, Horaz, Juvenal, Persius sowie Elopstock
und eine deutsche poetische Anthologie.^)
Aber auch die eigentlichen Humanisten haben das
Band zwischen Rhetorik und Poesie eher straffer gezogen als
gelockert. Das ergab sich aus ihrer ganzen Auffassung von der
eloguentia, deren beide Teile — prosaische Rede und Poesie*) —
sie gleichmäfsig umfassen wollten; poeta nennt sich daher der
Humanist auch da, wo er als Rhetor spricht'), poeta ist über-
haupt, wie man z. B. aus den Briefen der Dunkelmänner weifs,
gleichbedeutend mit humanista, und es war ganz gewöhnlich.
1) Eine merkwürdige Einwirkung dieser Theorie auf deutsche Poetiken
8. XVn bei Borinski 1. c. (o. S. 828, 1) 832 f. 340 f. — um das alles zu yer-
stehen, mufs man bedenken, dafs die Poesie yon den Jesuiten ja nicht so-
wohl ihres Inhalts wegen gelesen wiurde und wird, als vielmehr um daraus
die Kunst, selbst Verse zu machen, zu lernen. — Ganz bezeichnend sind
übrigens kleine Änderungen in den Lektionsplänen yerschiedener Zeiten:
so werden in der Ratio studiorum von 1832 die Bestimmungen aus dem
J. 1599 meist wörtlich wiederholt, aber während es in den Begulae rectoris
Ton 1599 § 11 heifst (1. c. Y 270): mdeat eUam, ut äliguae a nostris Bdhoricis
oraHones aut poemata latine vel graece in mensa hahtcmtwr, ist dies in
der ratio yon 1832 abgeändert, indem die poemata fortgelassen werden.
Aber wie fest die Tradition wurzelte, zeigt die Antwort der deutschen Pro-
vinz vom J. 1830 auf die Anfrage, ob die alte Ratio studiorum geändert
werden solle: allerdings seien Änderungen bei der Rhetorik nötig, es sollten
nämlich, wie es in der deutschen Provinz üblich sei, das ganze Jahr hin-
durch Dichter vorgelesen werden, quod opportwnwn videtitr vel ad ipsam
oratoriam facuUatem excitandam atq^ue ßvendam (1. c. XVI 488). — Wenn
daher J. Sturm, De exercitationibus rhetoricis (Argent. 1575) 31. 57. 89 da-
vor warnt, durch das Nebeneinander der Lektüre von Dichtem und Rednern
den Prosastil zu gefährden (cf. auch Ch. Schmidt, Jean Sturm [Strafsburg
1855] 271), so scheint er darin sich gegen die jesuitischen Gymnasien zu
wenden, von denen er sonst manches übernahm; doch will er keineswegs
das Studium der Dichter für den Redner ganz eliminieren, cf. De amissa
dicendi ratione (Argent. 1543) f. 30^. Zu derselben Zeit wundert sich der
Franzose Strebaeus, De verborum electione et coUocatione (Bas. 1530) 1. I
c. 6 p. 32 ff. bei Behandlung des Themas utri priores legendi, poäae an
oratores, dafs kürzlich mehrere aufgetreten seien, ^i poetas abicerent, uni
rhetoricas navarent operam, qwm eloguentia poemate non egeret.
2) Cf. z. B. Salutato ep. 7, vol. II 54 f. Rigacci: eloguentia aut laxis
habenis exwndat proaaica melodia aut metrorutn continuis angustiis coartatur.
8) Z. B. Albr. von Eyb in seiner Margarita poetica (1472), worüber
M. Hemnann 1. c. (S. 895, 1) 198 ff.
904 Anhang I: Ober die Geschichte des Reims.
dafs man für eine gute Rede Ton irgend einem EmishnSceii
zum Dichter gekrönt wurde. ^) Man fuhr daher fort, die alten
Dichter rhetorisch auszulegen ^^ im rhetorischen Unterricht Vene
machen zu lassen') und die gelehrten Poetiken der ersten Be-
naissancezeit sind ganz auf rhetorischer Basis aufgebaut.^) Das,
was alle meinten, hat Erasmus am bündigsten ausgesproehoi
ep. 112: mihi semper placuit Carmen, quod a prosa, sed
optima, non longe recederet . . . Me vehementer deleetat
poema rhetoricum et rhetor poeticus, ut et in oratione $o-
luta Carmen agnoscas et in carmine rhetoricam phrasin,
und auch Melanchthon hat sich oft ähnlich geäulsert^ z. B. Eiern,
rhet (1519) im Corp. ref. XIII 496: ego vero ita statuo, arti-
1) Z. B. Perotti i. J. 1462, cf. G. Voigt, D. WiederbeL d. klass. Alt 11"
(Berl. 1893) 134.
2) Cf. Petrarcas Urteile über Vergil bei de Nolhac 1. c. (S. 734, 1) 106it
Gnarino Yon Verona leitete die Aufgaben der Rhetorik ans einer VergO-
etelle ab und sein Sohn Battista behauptete : in deliberativo praesertim gmen
Lucani orctHones adeo graves, adeo artificiosae Sfumt, ut nesciam an ab äHquo
rhetorieas praeceptiones darius coUigere vdleafU: cf. R. Sabbadini, La scuoIa
di Guarino (Catania 1896) 63. Sturm erklärte Vergils Eklogen nach den
Vorschriften des Hermogenes, cf. loh. Sturmii Nobilitas litterata c. XXIIl
u. XXVni ff. (in: loh. Sturmii de inst, scholastica opusc. omnia ed. Fr. HaU-
bauer [Jena 1730] 61 ff. 76 ff.), wo er z. B. den Vergleich gebraucht: farwui
fere eadem est: ut inter se duae togae discrepant, quae forma sint eadem con-
sutae, sed altera viridis sit et laetioris cohris, altera nigri et severioris; der-
selbe gab im J. 1666 eine poetische Chrestomathie heraus, die er am Rand
mit rhetorischen Lemmata versah, cf. J. Veil 1. c. (o. S. 802, 3) 111 f. cf. 123.
Aeneas Sylyius weist in seinem l^tustatus de liberorum educatione (ed. Baa.
1651 p. 984) nach, dafs Vergil die qwxUuor dicendi genera besitze.
3) Cf. Voigt 1. c. I 562 über Guarino. Es war die allgemeine Praxis
der Humanisten.
4) So besonders die Scaligers. Er citiert z. B. einmal eine Periode des
Bemosthenes als poetisches Beispiel: 1. IV c. 37 p. 508 (anderswo sucht er
freilich KU scheiden, cf. Borinski 1. c. [S. 828, 1] 70 f.). Ähnlich die des Thom.
Campanella (» dem vierten Abschnitt seiner Rationalis philosophia, Par.
1638); er konstatiert z. B. p. 90 esse poeUcam rhetoricam quandam figuraiam.
Aus einer Wiener Hs. s. XV teilt Mone in seinem Anz. f. Kunde d. teutsch.
Vorz. Vn (1838) 586 f. ein Stück einer Verslehre mit, worin es heifst: versi-
fieandi perfecta doctrina in duobus consistit, scüicet in arte et in elegantia,
. . . elegantia rhetoricis praeceptis comparatur. G. I. Vossius, Inst. or. (1606)
IV 1 eiocuHo olta oratoria est, dlia poetica; quae etsi praeceptis non paucis
differant, tarnen pluribus conreniunt: quae et ratio est, cur pieraque elocutionis
praecepta poetarum quoque ezemplis a rhetoribus illustrentur.
Rhetorik und Poesie: Humanismus. 905
ficium faciendae orationis non valde dissimile esse poeti-
cae, ib. 504: tanta est inter has cognatas artes similitudo,
ut plerique illustriores loci Ciceronis ac Livii, si rede
existimemuSj poemata iure dici possint, und eine nene Aus-
gabe des Terenz empfiehlt er mit den Worten, dals dessen fabulae
noch ffftOQixdnsQai seien als die des Aristophanes. ^) Nach Baco,
De dignitate et augmentis scientiarum (1625) 11 13 gehört die
lyrische, elegische, epigrammatische, satirische Poesie zur Rhe-
torik, während er als eigentliche Poesie gelten läTst nur die
epische, dramatische und didaktisch - allegorische, die er am
höchsten stellt.
Wie die humanistischen Stiltheorieen der Prosa auf die
modernen Sprachen Ton bedeutendem EinfluTs gewesen sind
(s. o. S. 780 ff.), so auch die der Poesie. In Frankreich hat
es am Ausgang des XY. und in den ersten Jahrzehnten des
XYI. Jh. eine burgundische Dichterschule gegeben, die sich „die
rhetorische^ nannte, deren Mitglieder sich anfeierten als „Meister
in der rhetorischen Wissenschaft, Tollkommene Fürsten in der
Beredsamkeit, wert zu sitzen auf dem Thron der Redner'', die
sich unter den Schutz des Mercur, nicht den des Apollo stellten,
und den Namen „Poeten'' den yerachteten Naturdichtem über-
lielsen, die nicht im Besitz der Theorie und der dotdce Bhetaricque
seien ^); in einem theoretischen Werk jener Zeit ^Le grand et
vray art de rethorique' des Pierre Fabri (zuerst 1520) wird neben
der Prosa auch die Poesie behandelt.') Auch die englischen
1) Die Stelle bei E. Beinhardstöttner, Spät. Bearb. plant. Lostsp.
(Leipz. 1886) 28.
2) Nach A. Birch-Hirschfeld, Gesch. d. franz. Litt, seit Anf. d. XVI. Jh.
I (Stnttg. 1889) 66 ff. Wie die 'Rhetoriker' der älteren burgondischen Schnle
(8. o. S. 896 f.), so wirkten anch diese wieder anf die niederländische Poesie,
cf. Jonckbloet, (}esch. d. niederl. Lit., deutsch Yon Berg I (Leipz. 1870) 331
„Die Kammern von Bethorica^S
8) Ed. A. Häron, Ronen 1889 f. In dem zweiten Teil, der die Poetik
nmfafst, ist er, wie der Herausgeber sagt (cf. auch E. Egger, L^Hell^nisme
en France I 326 f.), abhängig yon älteren Werken wie Henry de Croy, L'art
et science de Rhethorique pour faire rigmes et ballades u. ä. In dem yon
L. Delisle publicierten Katalog der Bibl. nat. (Manuscr. lat. et fran9. ajoutds
anz fonds des nouyelles acquisitions. Partie n. Paris 1891) p. 578 wird
eine Handschrift s. XY beschrieben, deren Text so anfängt: cy commencent
le$ rigk» de la secande rettorique, c'est assavoir des choses rimUs, lesqueUes
906 Auhaog I: Über die Geschichte des Reims.
Theoretiker des ausgehenden XYI. Jh. haben den Zusammenhang
beider Künste betont, so William Webbe in seinem Discours of
english poetrie (löSG), dem ältesten systematischen Versuch
einer Beform der englischen Dichtkunst nach antikem Muster^);
Rhetorik und Poesie, sagt er (p. 19), toere by hyrth Ttatfns, hy
Jcinde tJie same^ hy originaU of one descent^ In Deutschland
polemisiert Geiler Ton Eaisersberg in seinen 1498 gehaltenen
Predigten über S. Brants Narrenschiff (ed. Scheible, Stuttg. 1845)
371 gegen die Bhetorik nicht als Kunst der Bede, sondern in-
sofern sie „mit der Poeten gedieht vnd fantaseien befleckt'^
werde; so kanzelt er, als „behaftet mit der Schelle der Bhetorik^,
alle die ab, die „den Ouidium Ton der liebkunst ynd der lieb
lesen, oder den Propertium vnd TibuUum, welche nicht anders
geschrieben haben, dann allein wüste vnd schampare wort^
u. s. w.
ond«rang Aber trotzdcm dürfen wir sagen, dafs die Humanisten das
EUi«torik Wesen der Poesie in der Theorie wieder entdeckt haben. So
ad Poetle, g^j^^^ gj^ ^^^y^ lange Zeit in den Anschauungen der Vergangen-
heit befangen waren oder im Streben nach Eleganz der Form
die äuisere Glätte höher schätzten als den Inhalt: sie sind es
doch gewesen, die den in Vergessenheit geratenen Begriff der
80fU de plfiseurs tailles et de pluseurs fachons, sy comme lais, chans royaux
(etc.) , . . et pluseurs auUres choses descendans dt la seconde retthorique, et
est ditte seconde rethorique pour cause que la pretnüre est prosayque. Aus
dem im J. 1648 erschienenen Werk Sibilet's, das sich schon 'Poetik', nicht
mehr 'Bhetorik' nennt (cf. Birch-Hirschfeld 1. c. 68), finde ich doch noch
folgende Worte citiert (in dem Dictionnaire hist. de Tancien langage fran-
9oi8 par La Cume de Sainte-Palaye s. v. rethoricien): I 14 sont Vorateur et
le poete, tant proches et co^joints que semhlahles et egaux en plusieurs choses,
differens principallement en ce que Vun est plus contraint de nombres que
Vautre: ce que Macrobe confirme, en ses Satumäles, quant il fait doute, k-
quel a este plus grand rethoricien, ou Virgil ou Ciceron.
1) Ed. in Arbers reprints n. 26 (London 1870).
2) Cf. femer George Puttenham, The arte of english poesie (1589) ==
Arber n. 15, p. 25 Ihe poets were from the heginning ihe best perswaders and
their eloquence the first Eethoricke of ihe world, worüber er dann p. 206 ß.
ausführlich handelt; überhaupt ist das ganze dritte Buch The omament,
wie er selbst sagt, auf rhetorischer Figurenlehre aufgebaut. Ähnlich Phi-
lipp Sidney, An apologie for poetrie (1595) ^s Arber n. 4 p. 69 und Thomas
Campion, Observations in the art of english poesy (1602) ed. Bullen (The
works of Dr. Th. Campion, London 1889) p. 227.
Rhetorik und Poesie: Humanismus. 907
Naturbegabung und Inspiration des Dichters wiedergefunden,
die als das eigenste Gebiet des arotijri}^ die freie Schöpfung der
Phantasie bezeichnet haben: Boccaccio hat die göttliche Mission
des Poeten in gar herrlichen Worten gepriesen und in einer
polemischen Bemerkung gegen die allgemeine Anschauung Poesie
und Rhetorik gesondert^), Salutato hat einen Verächter Dantes
oiit Hinweis auf den dichterischen Enthusiasmus abgefertigt^),
Lionardo Bruni hat das Grenzgebiet von Poesie und Rhetorik
acliarf definiert'), imd wie weifs derselbe Melanchthon, der, wie
wir sahen, oft das Wesen der Poesie in die Eloquenz aufgehen
iBbt, das Genie Homers zu preisen ! Seitdem hat sich ihre Yer-
^limdung mehr und mehr gelöst*); wir sprechen noch wohl von
1) De genealogia deorum 1. X c. 3 p. 554 ff. (der Basler Ausg. 1532),
l'JMchdem er die Poesie als Gabe des Himmels gepriesen hat: dicent forsan
'.(die Verächter der Poesie), ut huic a se tncognitae detrahant, quo utimtur
:(ie. poetae) rhetoricae opus esse, quod ego pro parte non inficiar, habet enim
muu inventiones rhethorica; verum apud tegmenta fictionum nullae sunt rJie-
•€koricae partes: mera poesis est, quicquid suh velamento componimus et ex-
^gmrüur exquisite; durch die letzten Worte freilich, die ähnlich öfters wieder-
Icehren (z. B. c. 10 p. 565 f.), zeigt er, dafs er so wenig wie Petrarca sich
TOm dem Bann jener yerhängnisvollen Theorie einer allegorischen Dichtung
jBreigemacht hat: erst etwa anderthalbhundert Jahre später merkt man auch
. luerin den Flügelschlag einer neuen Zeit, denn die Dunkelmänner ärgern
Mch darüber, dafs die Himianisten eine allegorische Deutung der Dichter
nicht zulassen wollen: ep. obsc. vir. p. 41 ff. Böcking.
2) Cf. Voigt 1. c. I 386.
8) Dial. de trib. vatibus Florentinis (1401) ed. Wotke (Wien 1889) 26 f.
pidentur mihi in summo poeta tria esse oportere: fingendi artem, oris elegan-
tiam multarumque rerum scientiam. horum trium primum poetarum prae-
e^pumn est, secundum cum oratore, tertium cum philosophis historicisque
commune, haec tria si adsunt, nihil est quod amplius in poeta requiratur,
was er an Dante exemplificiert; cf auch E. Hartfelder, M. als praecept.
Germaniae in: Mon. Germ. Paed. VII (1889) 319 f
4) Gegen ihre Verbindung polemisierten im XVII. Jh. auch G. Vossiua,
cf. Borinski 1. c. (o. S. 828, 1) 203 f. , und besonders lebhaft Balzac in einem
Briefe (Oeuvres II 65): schon die Thatsache, dafs Cicero nichts als Dichter
geleistet, Vergil eine schlechte Prosa geschrieben habe (nach Sueton), be-
weise, dafs die beiden Künste Ton einander zu trennen seien; poetarum
orcUorttmque ingenia atque natura^ oportet contraria propemodum inter se
9mt hi enim ratione atque humanitate reguntur, illos fu/roris afflatus et dt-
mmtas quaedam impeUit. Sehr feine Bemerkungen auch bei F^ndlon in
den Dialogues sur Täloquence (Paris 1718) 98. — Auch auf den unter
humaiiistischem Einflufs stehenden Universitäten wurde der Zusammenhang
908 Anhang I: Über die Geschichte des Reims.
Rhetorik in der Poesie ^ aber halten sie nicht für erforderlich,
meist nicht einmal ftir wünschenswert'), nnd gestehen der Rhe-
torik höchstens zu, dab sie, wie in der Theorie bei Lessing, in
der Praxis bei den Franzosen und Schiller, eine Dienerin, nicht
aber, dafs sie die Herrin der Poesie sei.
gelöst: in den Statuten der Uniyersit&t Helmstedt (ed. Fr. Eoldewey, Gesch.
d. klass. Fhilol. anf d. Univ. H. [Braunschw. 1895] 195 ff.) sind die Bestim-
mungen über Rhetorik und Poetik ganz und gar getrennt.
1) Man lese, um den Unterschied antiken und modernen Empfindens
besonders deutlich zu empfinden, die Abhandlung G. Hermanns De differentia
prosae et poeticae orationis (1808) in seinen Opusc. I 81 ff.
Anhang U.
Über die Geschichte des rhythmischen
Satzschlnsses.
I. Allgemeine Yorbemerknngeii.
Nicht oline Zögern und Selbstüberwindung betrete ich ein
Gebiet^ auf dem ich mich deshalb unsicher fühle, weil ich weifs,
dals zu seiner genauen Erforschung eine greise Zahl Ton Vor-
untersuchungen notwendig wäre, zu denen noch kaum die An-
fange Yorliegen. Da ich jedoch einzelnes sicher feststellen und
künftigen Untersuchungen wenigstens in einer bestimmten Rich-
tung den Weg zeigen zu können glaube, so halte ich es für
meine Pflicht, in grofsen Zügen, die, wie ich ausdrücklich be-
merke, nur das Allgemeine im Umrifs zeichnen sollen, die Ver-
hältnisse hier darzulegen.
DaTs der sich aus der Periodisierung ergebende oder viel- Prinsipi«ii.
mehr mit dieser in innigster Wechselwirkung stehende Rhyth-
mus das eigentliche Fundament der gesamten antiken Eunst-
prosa war, ist in diesem Werk gezeigt worden. Nur durch
g>ii6ig und lange &6xin6ig können wir moderne Menschen, für die
eine rhythmische Prosa kaum mehr Torhanden ist, das Gefühl
hierfür uns zu eigen machen, und zwar, wie bestimmt versichert
werden darf, selbst im günstigsten Fall nur bis zu einer
gewissen Grenze, über die hinauszukommen keinem Ton uns
gegeben ist, so dafs uns allen mehr oder weniger von dem Haupt-
reiz der Meisterwerke der antiken Prosa verloren geht, ebenso-
wenig wie wir die Pracht der pindarischen Hymnen, des simoni-
deischen Danaeliedes und der tragischen Ghorgesänge voll erfassen
können. Wenn man also noch hinzunimmt, dafs auf diesem Ge-
biet das meiste dem individuellen Fühlen anheimgegeben ist, so
910 Anhang IL: Zur Geschichte des rhythmischen Satzschlusses.
begreift es sich leicht^ dafs die mannigfachen , von Tomherein
unsicheren modernen Theorieen über das rhythmische Gepräge
der antiken Eunstprosa keinen Ansprach auf allgemeine und
objektive Gültigkeit machen können. Ich will die Zahl dieser
Theorieen nicht durch eine neue vermehren, sondern nur einige
Postulate aufstellen, die man, wie mir scheint, nicht aufser acht
lassen darf. 1) Das gesamte Altertum hat den Rhythmus der
kunstvollen Prosarede vor allem in den Schlüssen der Eola ge-
funden, wo er durch die Pausen naturgemäfs am deutlichsten
hervortrat. Auf sie werden also auch wir unser Hauptaugen-
merk zu richten haben. ^) 2) Für die Erkenntnis von Einzel-
heiten haben die Analysen der späteren antiken Rhetoren keinen
Wert, da in ihnen die falschen metrischen Theorieen des Alter-
tums auf die Rhetorik übertragen werden.*) 3) Wir müssen
die verschiedenen Zeiten auseinander zu halten suchen: denn der
Rhythmus des Demosthenes ist majestätisch wie die Brandung
des Meeres imd das Grofse an dem gewaltigsten Redner des
Altertums ist, dafs bei ihm keine bestimmten Gesetze höherer
Ordnung^) aufgestellt werden können, so wenig wie sich die
Woge der Brandung in ihrer Ausdehnung an Länge und Schall
gebieten läfst; dagegen gleicht der zierliche und monotone
Rhythmus der späteren Schönredner dem kleinlichen Plätschern
eines aufgezogenen Wasserfalls: hier ist alles geregelt, hier lassen
sich also bestimmte Gesetze aufstellen. 4) Das Einfachste ist,
wie überall, auch hier das Wahrste; z. B. genügt ein Blick auf
die ungeheuer komplizierten Schemata, die von Gelehrten und
1) Zwei Zeugnisse für viele: Hermogenes de id. 1 301, 8 ^ &vcinavatg
il noia fistct tf)s ffvv^^Hijs (Wortstellung) tijg noUcg tbv (vd'fibv &neQydttTai.
Cicero de or. UI 192 clausuJas diligentitts etiam servandas esse arbiträr quam
superiora, quod in eis maxime perfectio atque absolutio ii4dicatur. nam versus
aeque prima et media et extrema pars attcnditur, qui debilitatur, in quacufique
est parte titubatum; in oratione autem pauci prima cernunt, postrema plerique,
quac quofiiam apparent et intelleguntur varianda sunt. Andere Stellen bei
C. Josephy, D. orator. Numerus bei Isokr. u. Demosth. mit Berücksichtigung
der Lehren d. alten Rhetoren (Diss. Zürich 1887) 36 f.
2) Doch ißt Hermogenes, wie in allem, verstandiger als Dionys, cf.
über ersteren H. Becker, Hermogenis de rhythmo oratorio doctrina, Diss.
Münster 1896.
3) Das bekannte, von Blafs entdeckte Kürzengesetz hat — mit den
von Blafs selbst zugegebenen Ausnahmen — Gültigkeit.
Demosthenea. 911
Ungelehrten kürzlich für Demosthenes anfgestellt sind, nm jeden
sofort zu überzeugen, dafs dies nicht der richtige Weg sein kann.^)
n. Demostlieiies.
Ich will an ein paar beliebigen Stellen der ersten philippi- Analyse d«
sehen Rede des Demosthenes zeigen, wie nach meinem Gefühl
demosthenische Perioden gelesen werden müssen, um das Ethos
und Pathos, das diesen Mann mehr als irgend einen andern
griechischen Redner beseelt hat, zum Ausdruck zu bringen. Die
Abteilung der Kola ergiebt sich mir, da ich Übung darin habe,
stets Tou selbst teils aus dem Sinn, teils aus den Rhythmen-
geschlechtem: über einzelnes werden andere nach subjektiyem
Gefühl anders urteilen, aber darauf kommt es auch am wenig-
sten an.
6 xal ydg toi, taiitjj z _ jl ^ -
XQfiödfiBvos tg yvAfiji j. ^ kj j. ^ j. ^
nivxa xatiötQaTcraty z u »-. a. ^ _
xal Ixsv tä iilv &s ctv iXmv ti^s l%oi icoXdfipy yj ^j j. ^ \j
J. \j KJ J. yj yj J.
tä di öii^ifiaxcc xal <piXa xoi^fjöaiuevog. v^v^zv^vy^v^vy
j. j, \j \j ^
xal yäg 6vfLfiaxstv a ^ a ^ ^
xal nQoöix^i'V tbv vovv j. ^ kj jl
xovxoi,^ i^ilov6LV Snavtegy j,yj^±^vjAKj
o\}g ctv &Q&6L naQs6x€va6fidvovg jlsjkjj.^kjj.^j.kj-
xal TCQaxxBiv i^dXovtag et XQ'^i* jl^j-^^ja^j^j-
24 xal 7iaQaxvil)avxa (sc. x& l^BVixdi) inl tbv tflg nöXeag nö-
Xsfiov j. \j \j A \j \j \j
ngbg ^j^Qtdßa^ov xal navtaxot luäXXov oüxstai nXiovta^),
A\j1.L\jA\jA^A\j
1) Die Dissertation Yon C. Widunann, De numeris quos adhibuit De-
mosthenes in oratione Fhilippica I, Kiel 1892, dürfte nur ihrem Verf. ver-
ständlich geworden sein, gleichfalls die von C. Adams, De periodorom formis
et successionibus in Demosthenis oratione Chersonesitica, Kiel 1891. — Die
Yon Blals, De numeris Isocrateis, Eiel 1891 aufgestellte Theorie hat für
Demosthenes sicher keine Gültigkeit.
2) Tiliovxa^ das in dem Citat bei Priscian fehlt, wird von Blafs aus-
gelassen: der Rhythmus zeigt, dafs es nötig ist.
912 Anhang ü: ZuT Goschichte des rhythmischen Satzschliuses.
^ \J JL \J wr .X
I:
6 d^ ötgatijybg^) ixoXov^€ty elxötag' s5>
j. \j 1.
oi yäg iötiv &q%biv j. ^j j. ^ ± ^
fiil didövta [ii^ö^öv. jL yj JL yj ± \j
28 tömg d% tavta fthv 6q^&s ijyetö^e Idyaö^aij x yj xj ^ j.
^ j. ^ ^ j. ^
t6 dl %(bv fjffrifui^cfov «66a xal %6^bv iötaij j.\j\jj,\jsjjl^
lidXiöta xo^ettB ixov6ai. j. ^ ^ j. ^j jl ^
tovto dl) xal X8Qav&, j. ^ i. j, \j sj ^
34 xQv nd6%Bw a:bxol xax&g i^a yeviiöeö^s^ j. \j i. j, yj
oil &6xeQ tbv TtaQeX^övta xqövov x u x z u u^
Big Ailfipov xal ^fi/J^ov ifißakhv alxfiaXAtovg xokCtag
ifiBtiQOvg ^%B%* i%foVj zuux^v^ux
Ttqhg TjBf Fegaiöt^ tä nXota övXXaßhv ifLi^^xa xQt^nLax*
tä XBXBvxata Big Maqa^&va ixißti ± sj yj j. sj yj ^
{Tcal xijv Ibq&v ixb xilg jä^^a^ ^ u u jl ^ .
cSjar' Ixfov r^tij^i}, z v^ v^ z v^ jl «
ifiBtg d* oüxs xavxa dvvaö^e xfoXiiBiv x ^ ^ jl ^
o(Jr' slg toi>g xQ^^ovg o9g otv sr^o^fjtfdf ßori^stv.^ j. ^ ^j
38 xoikan/y & &vdqBg^A^iiivatoiy x&v ivByvcoöfidvmv ± ^ ^
iXui^f^ fidv iöti xä xoXXä^ ijg oix idei^^ ±^j.yj\jj,^jLyj.
oi fiijv iXX* t6mg oix iiiia icxoiiBvv, ±^j.sj±^jL^yj
&XX* bI [ikvy Söa &v xig ixBQß^ rf3 Xöy^y Iva (lii Xvxijöjjy
xal tä nQayuLata ixBfßii^etaij x vy u x ^ u ^
dBt XQbg "^dovijv drifLtiyoQstv j.yj±^j.-j.\j^
bI i* ii t&v Xöyav X^Q'^Sy j. \j j. yj ^j
&v XI f^4 nfoöTixovöa^ jl \j i. j. ^j
i(fyp tfitiia yiyvBtaiy ± yj i. j, kj i.
alöxQ^v iött q>BvaxiiBiv iavtaiig^ j. yj
xal Sxavt* ävaßaXXofidvovg & &v ^ dvöx^Q^ ± \j yj j. sj
yj J. ÖO L J. yj 1,
1) 6 ctQ€etriy6g d* ändert BlaTs seinem G^etz soliebe; aber der Ditro-
chäus mit aufgelöster erster Länge präludiert dem Creticus, dessen erste
Länge gleichfalls aufgelöst ist.
2) Hexameti'ische Satzschlüsse werden von Demosthenes nicht ängst-
lich gemieden.
Demosthenes. 913
ndvxmv ietSQSiv t&v IfyAvy z u ^ . ^ .
{xal (ii^dl tovto d'6vtt6^at lua^stv, jl \j sj y. jl ^ i.
StL dst toi>g 6f^&g noXdiio) xQcofiivovg jl ^ ^ i. j. kj i.
a&x ixoXovQ'stv totg jeQdyfiaöi^Vy v>C7 . ^ . z u v^
{iXX* a'&toi>g i(i7CQ06d'ev elvat t&v ngayfidtavy j, ^ ^ ± yj i.
xal tbv aitbv tqöxov j. ^ ^ j. ^j ^
i&6X6Q t&v 6tffatBVfiatmv j. ^ ±\j j. ^ ^
i^iAösii tig JStv ± ^j :l j. \j \j ^
tbv ötQutriybv i^ysteQ'aiy ^ v^ i -t «
oüta xal t&v TtgayfidtcDV jl ^ j. ^ j. ^ ^
toi>g ßovXevo^ivovgy j. ^ j. sj u -
tv S &v ixsivoig iox^j j. ^ i. j. ^j i.
tavta XQdttijtai z u jl ^ .
xal fti) tä evfißdvta ivayxdtfovtac diAxsiv, z ^ . .
41 tavta J' [öag XQÖtSQOv (ilv ivf^v zuvy^uv^^«jv^.
vvv d* hi aitijv ijxsi t^v äxfiif^Vj j. ^ j. ^ j. >j ^
&6t ovxit iyxmffBl. j. sj ^ jl ^
44 siQi^eei tä öad'Qdy mävdQcg ^j^^r^vatoi, j. yj ^ l j, ^
t&v ixeCvov XQayfidtcDV ± ^ j. ^ ± ^ ^
aitbg 6 TCÖXsiiog, j. kj Jj ^ \j
&V i7CI.XSlQ&^6V' j. Kj ^ 1. J. yj
Rv yiivtoi xa^&fied'a otxoi j.^j.^j.kjj.-
XocdoQOViiivcov dxoiiovtsg zv^.w|zv^jlzv^
xal alticDiiivmv iXXi^Xovg t&v Xeyövtav jl yj ^ sj\j. ^
oidinot* oidiv i^itv j. \j yj j. ^
ft^ yivfitat t&v deövtav. j. ^ \ j. kj
51 (Schlafs der Rede)
iyh (ikv oiv ofk* SXXote xAxote ngbg %dffiv eCXö^itiv
XiyBiV 2.\j\jJLyj\j±\j\jJ.\jJ.\j^
8 ti JStv (lil xal övvoiösiv iyLlv 7C67Csi6fiivog S, v>0 _ a.
vvv te & yiyvAöxa ndv^* äxX&g, jl\j\jj.^i.\j^
oid%v {)Xo6t6iXd(i6vog X6XaQQri6ia6(iai, j.^yji.j.yjsjj.
ißovXÖliflV d' &Vy &67CSQ Ztt ifltV ÖVflfpdQS^ j. ^ JL ^ -
tä ßiXtiöta ixo'Aeiv olda^ j. ^ ^ jl ^ i. \j
ofoiDg sldivai övvoteov jl ^ j. ^ ^ ^
TuA t^ tä ßiXtiöta eixövtv jl ^ i. j. \j
914 Anhang 11: Zur Geschichte des rhythmischen Satzschlosses.
VVV S* ilC ädl^XOLg oiöL jl yj kj ± ^ J. ^j
tots &xh zoiztov ifittvt^ ysvijöofiivoig, j. kj kj ^ jl kj l
J. KJ — yj yj ^
ZfKDg inX t^ 6woi6sLV {ffitv^ &v XQd^rjtSj ± \ j. ^
xavxa nexslö^ai Xiyeiv af^oiffiat. j.^jkj!lj.\jj.^j.^
vtx^fj d' 8 tt näöiv ifitv [liXXsi övvoiöaiv. ^ . z u u ^
So sehr nmiy wie gesagt, gerade in der Mannigfaltigkeit der
Rhythmen y die bei scheinbarer Regellosigkeit stets wunderbar
das Ethos des Gedankens wiederspiegeln, die höchste Kunst des
Demosthenes liegt, so zeigt doch eine genaue Analyse des Ein-
zelnen, dafs er gewisse Rhythmengeschlechter in den Klauseln
bevorzugt. Es finden sich in der genannten Rede an den Schlüssen
der Kola:
1) Der Ditrochäus ^ w . o 48mal,
2) Der rhythmisch mit dem Ditrochäus identische ^) Di-
spondeus ^ _ _ v^ 59mal,
3) Creticus -j- Trochäus z ^ x ^ o 34mal,
4) Creticus + Creticus ^ v^ ^ ^ v^ ^ 14mal,
5) Choriambus + Trochäus j. ^ ^ ^ j. ö 48mal*),
6) Choriambus + Creticus j. ^ yj i. j. ^j ^ 14mal,
7) Choriambus + Choriambus ^^wjlzwu^ 7mal.
Von diesen Rhythmen fallen der choriambische und kretische
am meisten ins Ohr, weil sie sich am weitesten von der ge-
wöhnlichen Rede entfernen; Beispiele finden sich in den oben
angeführten Stellen genug. Tgl. etwa noch für den Choriambus
27 tv' ^v &g iXfi^&g r^^ jeöXemg '^ dt5i/afttff, ib. xal oi thv
avSga (i6(i(p6^evog tavxa Xiym^ für den Creticus 47 thv
avÖQaTCodiöt&v xal XconoSvt&v d'dvatov fiäXXov atQovvtat |
rov TCQoöiixovtog (zweimal hintereinander), 13 xal nöfovg |
ov6tivag I xQfi^dtmv (drei Kretiker) und or. 8, 22:
&XXä ßaöxaivofisv ± kj i. ± sj ^
xal 6xonoij^Bv xö^sv j, ^ }^ j. yj ^
1) Daher hinter einander § 2: insl rot d fcdv&* & nQoefjxs nQartSnatf
ovtoag elxBVj \ O'bd* iStv iXnlg ^ a^tcc ßsltlm yeried'at. 7 n&accv itpiU
TTJv slQavsiav \ ^toi^g ngdttsiv 'bnag^jj.
2) Darunter 27mal £&vdQeg 'AQ-rivatoi,
Demosthenes. 915
xal tl fiiXXsi noi^Btv ± u i. jl \/ 1,
xal navxa tä xoiavtC ± \j \j x. ± \jj
und zwar ist die Fonu _' ^ ^ z 0 besonders wirksam am Schlufs
des ganzen Satzes, weil durch sie eine icatdXfiiig ßsßtiHvta be- Anaijte
wirkt wird, z. B. 1, 13, wo die sich jagenden Daktylen den stei^'^
Siegeslauf des Philipp prachtvoll malen:
liitä xavxa üvdvavy z ^ _ ^
näXtv üotsidatavy j. sj 1. j. yj
Msd'tbvfiv ai^LSj ^ v>
hlxa @exxaX£ag indßri' ±^j.^^j.^yj^
fiftd ravra ^bq&q üayaeäg Mayvtiöiav yj
I
I,
\j j. \j \j
ndv^* 81/ ißovXsx* eixQenC6ag XQÖTtovy j. ^ ^j j. yj j.
\j yj ± \j \j
I:
äXBx" eis @Qdxriv. j. ^j 1, j. ^
Die Vorliebe des Demosthenes für den Kretiker war im Alter-
tum bekannt. Als das berühmteste Beispiel galt der Anfang
der Eranzrede:
XQ&xov fiiv, & SvdQsg 'y^^ijvarot, s kj kj i. j. -
xotg 9'sotg £{;%ofia& j. ^ 1. j. ^j 1.
TcäöL xal nd6aig^)y ^ ^ a. z _
womit Dionys de comp. verb. 25 den kretischen Vers
{K(^öiotg iv ^vd'iuotg z cf a. z vy 1
natda pJk^m^BV j. ^j ^ j. ^
zusammenstellt. Ein weiteres berühmtes Beispiel stammt aus
der dritten philippischen Bede (17):
6 yäQ olg &v iyh X'riq>^si'riVy j. ^j \j ± ^ j. ^
xavxa nQdxxiov xal xaxa6xBvai6yLBvog^ j.<jz^j.kjkju
o{)Xog i^iol xoXsiiBtj j. kj \j j. \j ^ -
xctv fninm ßdXXy \ fiiydi xo^Biijjy ^.a.z«|^ujlz_
1) Die Formel ist sakral, cf. Beispiele aus Eiden bei E. y. Lasaulz in
seinen Stadien d. class. Altert. (Regensburg 1854) 190 adn. 68, wozu jetzt
noch kommt der Eid Eumenes I von Pergamon und seiner Söldner öiMnfiii
d'8ovg ndvrag xal ndeag (D. Inschr. y. Perg. ed. Fränkel no. 13 Z. 2^ u. 53).
Auch das Asyndeton war vielleicht in Gebrauch (fOr sakrales zweigliedriges
Asyndeton wichtig A. Körte in: Mitt. d. deutsch. Arch. Inst, in Athen XXI
1896 p. 295), cf. Menander bei Athen. XIV 659 E ^ioXg 'Olviinioig e'bx&ii^a |
X}Xv(tniai6i, n&ai ndcaig. Cf. auch Usener, Göttemamen (Bonn 1896) 345, 34.
Norden, antike Kunstprout. II. 59
916 Anhang II: Zur Geschichte des rhythmischen Satzschlusses.
worüber Quintilian IX 4, 63: Demosthenis severa videtur compo-
sitio totg ^eotg eüxofiai, Ttäöi, xal naöatg et iUa xSv injxa
ßdXXy lur^dh ro|£t^. — DaPs im Rhythmus des Creticos die zweite
Silbe auch durch eine Länge vertreten werden kann, ist rhyth-
misch selbstverständlich (cf. z. B. Quint. IX 4, 48): am SchluTs
des zuletzt angeführten Satzes des Demosthenes stehen beide
Formen nebeneinander und für 7tä6i xal ndöavg tritt xdvtag xal
nd6ag ein or. 18, 141:
xak& J' ivavxiov {>fi&Vj j. kj j. ^^j jl ^
ävÖQsg ^A^vivatOLj jl ^ u i. j. ^
toifg d'sovg ndvxag xal xdöag. j.^i.j.^2lj,^
Dagegen sind die Längen des Creticus und des mit ihm ver-
bundenen Trochäus bei Demosthenes sehr selten au%elo8t, was
sich aus seiner Abneigung gegen die Aufeinanderfolge von mehr
als zwei Kürzen erklärt; in der ersten philippischen Rede nur
in folgenden Fällen: ndli^v ivaXij^eöd's Jb kj 2l jl uy ix^Qol
xataysX&öi, j. y^ Ju j. u, tcq&csqov TCQoXafißdvsts ^ ^ x uO u,
tilg iicaQxovörig ait^ övvdfiemg z . ^ oO ^y jl. Die Auflösung
im Ditrochäus findet sich nur einmal (bei einem Zahlwort): ddh-
Sexa xdkavttt uO v^ _ w.^)
Hpnron Dcmosthenes ist nicht der ^Erfinder' des Gesetzes gewesen,
mofthonof. dafs der Scblufsrhythmus einer prosaischen Periode und ihrer
Teile vorzugsweise auf dem Creticus basiert werden müsse«
Aristoteles bezeugt (Rhet. lü 8. 1409* 2flF.), dafs schon Thrasy-
1) Um das häufige Neheneinander des Ditrochäus und der Form
j. \j 1, j. o rhythmisch zu y erstehen, mufs man bedenken, dafs beide sich
sehr nahe kommen, denn über die Wertung des Eretikers heifst es im Schol.
Hephaest. p. 77 Gaisf. ': *HXi69(oq6^ (pr]6i noefiiav slvai x&v nuicoviTimv xiiv
%axa n6da tofii/ivy Stto); i^ &vdfcav6ig 9idov6a xQ^vov k^ccöi/ifiovs täs ßdasig
Ttoi^ xal laoiiBfftlg ms tag äUccg^ olov Obdh tod KvattaXca oifdh tob NvQüvXa^
d.h. also: j. \j ^ \j j. yj - ^ ^^ j. ^ -^ i ^ ^ (cf. für die ditrochaische Wer-
tung des Eretikers — natürlich innerhalb der von 0. Crusius im Philol.
N. F. Vn [1894] Ergänzungsheft p. 128 betonten Grenzen — besonders auch
das Zeugnis des Aristoxenos bei Choerobosc. exeg. in Hephaest. p. 62 H.,
Aristid. Quint. de mus. p. 39 M., Diomed. p. 481 E., sowie die lehrreiche
Pruds der junggriechischen dramatischen Lyrik und des Plautus nach Leo,
Die plant. Gantica u. die hellenist. Lyrik [Berlin 1897] 17 f.); man mufs
dllier beim Recitieren des oratorischen Rhythmus die Stimme auf der
Bweiten Länge des Eretikers etwas länger ruhen lassen als auf der ersten:
^ V ^ ^ v/.
Thrasymachos und die spätgriechische Prosa. 917
m ach 08; also der Begründer der EuDstprosa^ eine Vorliebe für
diesen FoTs gehabt habe. Zwar scheint Aristoteles speziell die
aufgelöste Form Ji^ kj \. (den vierten Päou) im Auge zu haben,
aber rhythmisch macht das ja keinen Unterschied, wie auch
Cicero in dem Citat der aristotelischen Stelle (de or. III 183)
ausdrücklich heryorhebt. Aristoteles billigt den Gebrauch dieses
Rhythmus, da er der Poesie am fernsten stehe; das ist richtig,
denn damals waren kretische (päonische) Gesänge schon Anti-
quitäten. ^)
III. Die spätere grieehiselie Prosa.
Die grofsartige Kraft und Mannigfaltigkeit der demostheni- i>ie nach-
sehen Rhythmen begann nut der allgememen Entartung der niiohez«u.
Beredsamkeit zu schwinden. An die Stelle der Kraft trat Weich-
lichkeit und Schlaffheit, an die der Mannigfaltigkeit Uniformi-
tat. Der daktylische (und also auch choriambische) Rhythmus,
durch den Demosthenes solchen Effekt erzielt, trat ganz zurück,
ebenso die dispondeische Klausel; dagegen wurde die von De*
mosthenes gemiedene Aufeinanderfolge von mehr als zwei Kürzen,
wodurch der Rhythmus etwas Trällerndes, Trippelndes bekommt,
gesucht^ ebenso ionischer Rhythmus, der bei Demosthenes schwer-
lich nachzuweisen sein dürfte. Unter den Klauseln begannen
der Ditrochäus und der Creticus + Creticus oder + Tro-
chäus mehr und mehr zu dominieren und andere zu ver-
drängen, und zwar wurden die Längen in weit gröfserem Um-
fang als es bei Demosthenes (aus dem angegebenen Grunde) der
Fall war, aufgelost.
Auf dem dargelegten Standpunkt befindet sich die Kom- AsUner.
positionsart des Hegesias: ich bitte, die oben (S. 136 f.) analy-
sierten Partieen mit den demosthenischen zu vergleichen, um
den gewaltigen Unterschied zu fühlen.*) In dem wichtigsten
Dokument der griechischen Kunstprosa aus dem ersten vorchrist-
1) Cf. V. Wilamowitz, Commentariolum metricom I (Göttinger Pro-
oemium 1895) 6 ff. — übrigens tritt x v> x ^ o bei Isokrates sehr zurück,
während j. kj i. jl kj ^ etwas häufiger ist, cf. E. Peters, De Isocratis studio
numeronim (Festschrift Parchim 1883) 14 und Josephy 1. c. 86. 97.
2) Ein auf S. LSG untergelaufenes Versehen bitte ich zu berichtigen:
i^dhg ftkv yaQ iati l ^ j. ^ ^ ^ statt der dort stehenden Messung.
69»
918 Anhang 11: Zur Geschichte des rhythmischen Satzschlusses.
liehen Jahrhundert^ der Inschrift des Antiochos von Eom-
magene (S. 140 ff.)^ sind die genannten Klauseln bereits so sehr
die herrschenden^ dafs man ganze Sätze hintereinander lesen
kanU; ohne an den Einschnitten der hauptsächlichen Eola ein
einziges Mal auf eine andere zu treffen. Z. B. § 2 iyh ndvxmv iya-
^&v oi) (uivov octflöLV ßeßaLOtdttiv iXXä xal i7c6Xav6tv iidCörniv
(jL Kj 1. j. J) äv^QAitovq ivöiiLöa ti^ siedßstav (z v^ _ w), t^ ai-
rijv te XQiötv xal dwdfismg eitvxovg ^cc^ XQijifsag fiaxagiötflg
altiav iöxov (z ^ a. ^ J)j xccq* Skov ts tbv ßiov &(pdifiv Einaöi,
ßa6iXeCag iiiflg xal q>iiXaxa Jtiötotdtriv xal tiQipiv ifiifititov
fiyovfievog {j. ^ l j. ^ ^) tijv 6tftörijra (j. ^ J j. J)' dt,* S xal
xivivvovg fisydXovg 7CaQaS6^a)g dvitpvyov {ji, ^J i. Ji» ^ i) xal
nQal^Baiv dvaekniörtov eifitixdvag insxQdtriöa (j. ^ Ju j. J) xal
ßiov TCoXvatovg iiaxaQi6t&g inXrjQÜd'riv {j. <j l s .).
Dekiam«. Poljbios uud die Atticisten haben natürlich an dieser Entr
toren der . • i ■ • «i i • • • i
Kftiseneit. artuug uicht teilgenommen , aber was wir an manierierter
griechischer Prosa der ersten Jahrhunderte der Eaiser-
zeit habeu; steht unter dem Zeichen der genannten
Klauseln. Ein Fragment des Deklamators Arte mon bei Seneca
suas. 1, 11 lautet: ßovXavöfied^a, el XQ'h ^aqaiov6^ai {± ^ ^ j. ^).
oi) tatg ^ElXr}07Covtiaig tjööiv iq>s6t&tsg (uO ^ l s J) ovd^ inl
rca IlaiKpvXia) xsXdyet ti^v ifiXQÖd'sefiov xaQaöoxovftav üfinoföiv
{j. Kj 1. j. J)' oiSh EvfpQdrrig zovx iötiv ovdh *Ivd6g (jl u 2. ^ u),
dXX' stxB yfig xiQ^a (z ^^ i. z u), atte (pv6emg oQog (jl ^ ^J^ j.
u 0/), aCra jtQaaßvrarov (jroi^e^oi/ (j. v), ai'ra yivaöcg ^a&v
(jL xj J<^ X u y.), CagAragöv iöriv ^ xata vavg üSoq (± ^ ^ jl ^ J)j
also durchgängig mit Ausnahme des Schlusses. Gitate Ton Hi«
storikern bei Lukian de bist, conscr. 22 ilaXcla [ilv fj i^VX^^^
{j^ <j ^ :^ j, sj i.)j rb tetxog dl naöbv iiaydXa)g idovTtrjea (z v^ u
j. <j yj j. Kj 1. j. J). ib. ''Eöa66a iihv dij ovra totg SnXoLg stegta-
6[iaQayatto (j. u ^ j. <j u ^ J), xal Ztoßog ^1/ xal xövaßog Sinavxa
ixatva (zu» J). ib. 6 ötQarriybg ifiBQiiiiQiiav (j. yj ^ j. ^ j. J)y
cJ rgöno} [idXiöta XQoöaydyoc ngbg tb tatxog (zu» u). Klau-
seln von Deklamatoren - Citaten des Philostratos (s. oben
S. 413 ff.): aha olai ^Atov 'EöitdQp <p^ovatv (z u u z u z u »)
rj iiiXaiv avtp (z u j. z »). — iyyifg IlXataCmv vavtxi^iAa^a
(z u 1 z u 1 z u >i;). — ix^Qxarai TtöXafiog altiav oix ixmv
(z u ^ z u ^). — xal iiarä l^iq>ovg fioi XaXatg (z u a. z u a). —
vtl^TjX'^v aQOVy &v9'Q(07taj ti^v ö^da {j. sj ^ j. sj). — <To?
Die spätgriechische Prosa. UVJ
didaiii (-^ u . sS). — Stav iyh (lij ßXinmukav (^ ^ . yS)j sowie
das oben (S. 414 f.) aus Philostratos citierte längere Fragment
des Onomarchos; Philostratos selbst in seinen Briefen (%. oben
S. 415): &xi8b XQog tag (lixag (uO ^^ 2. z vy :.), oC iihv noXv-
tskstg xal xQvöot xolg ZnXoig {Jij ^ l ± . l j. ^ l,) IbI%ov6i
tag tiisig (^ ^ ». j: -), ^fif Tg 8* iQiötsvoiiBv {j. ^ l j, sj "J).
14 xatQB xav (i^ 9'dXfig (^ ^ ^ ^ ^ 2.), %atQS x&v iiij y(fdq>gg
(s yj 2. X sj l). Aristides in der nach asianischem Muster Ter-
falsten (s. o. S. 420 f.) Monodie (or. 29, I 421 D.): & Säöig^ ixp'
oTov ivÖQibv &%i6ßriXB {j. sj 2. j. J)- & dsiv^ xtd iupeyyiig ^lUga^
rj tag q>a6q>6(fovg vvxtag i^etXsg (j. ^ l j. yj x j. J). & M^g,
olov &ip%rig ^EXivötv^ {z kj 2, j. J)j olov iv^ olov (x ^ i ^ -)•
Favorinus (Pseudo-Dio Chrys. de fort, s. o. S. 422 ff.) hat
z \j :l JL o 75nial
2. X \> Tmal
z z 13mal
die Klausel
%
JL ^ L J^ zt 3maly
die Klausel
die Klausel ( . .«,
U ^ :l X ^ JL 7mal*),
die Klausel s ^ ^ l z :) 16mal'i^
I. sj ^ L z V j- bmzl*)
j, ^ ^ L JJ ^ L 2mz\
z ^ :, JL ^ ^ L 7inal*j,
die Klausel j, ^ l -:, ?jf)mai!L
Von dem ÜbermaÜi der Anwendung der krttiMchen Klauseln
mögen folgende Sitze eine Vorstellung geben:
X6yovg ifigmp 'EXXfiPixovg T' > / . / > ^)
1, Cf. «i^ ^''jru^//*rstist ^: ^0iUß IUP t^ Irn^ pu4tU4f$^ imh $)t i^rp
2; Z. h, y$ fo^M i0> 'yK^iM %ui yiyp4if0in^ptsi^t f/,/ ;, tfgp W»
iMty^^T,9 ix*94tp ifk^mp * f * ' /• ^ /
3^ Z. y, \K <ui' *<T# <fni4^u (/ / / / ♦^P** in»%»i^f^4itp ^f / /
taxxttp '■ . ,, ip 4ä Uy i^iiuAu^ Mü 1M^ €i^p i^fftphtfit^p itlf^lt
^iiitp ' : ^ ^ ' * f
U Z 'f^ Xi il ^i it% <^i //**/4/>//^4*''/ ' / / / ,, if'h%U
920 Anhang 11: Zur Creschichte des rhythmischen Satzschlusaes.
SXXovg TB xal KoQvv^Covg {j. Kf j. sj ± \j S)
ovddxm ifsvdstg. {^ u i. j. J)
30 el xoCwv oiShv al6%Q0v tovzö iöriv, {j. ^ ^ j. J)
xavTceQ 8v deivövj (z u jl z u)
wöiteg oC xaQXoi; {j. sj i. jl J)
39 äXl^ & nuQ^ivs airdyyEXe^ (j. kj l j. <j l)
TOV llhv TCOlfiXOV ixOVOflSVy (^ u _t v/ w)
6^ äl irjrovvteg oi% BVQOHLBVy {± \j ^ j. yj b)
ovd% xh öfiiia tb Midov. (j. ^ ^ ± ^ ^ x J)
vdata d^ ixalva xal ddvÖQa {j. kj ^ j. S)
hl (tiv vasC xe xal d'dXXeiy {j. ^ i. j. J)
XQÖvc) dh xal tavta {j. ^ ^ j. S)
lierä t&v &XX(ov ioixBv iniXBC^feiv, (^ vy o^ z _)
Ehrendekret für Kaiser Gaius aus Assos (Papers of
the Amer. school I 50): insl fj xat* eixiiv naöiv iv^Qm%oig
iXntö^stöa (z _ ^ z u) Falov KaCöaQog FsQuutvixov Ikßaöxw
fiyeiiovla xan^vysXtav {j. ^ 2. j. _), oid^v dh fidtQov %aQäg rß-
Qifix\e\v 6 xööfiog (z u v> - S), näöa de xöXig Tial %äv idvog ixl
f^v xov d'£ov 5ifiv ionsvxBV {j. kj 1. ± J)^ hg av xov iiiCöxov
iv^Qanovg al&vog vvv ivsöx&xog {1 ^ 1, j. u), idol^sv xtj ßovX^^
worauf der im üblichen Kurialstil verfalste BeschluTs folgt, ohne
eine Spur von Rhythmisierung; dann aber wieder die Eides-
ablegung: öiivv^isv /ila Ucjxfjga xal d'abv Kaiöaqa Usßaöxbv xal
xi]v ndxQiov ayviiv naQ^ivov ein/oijöaiv FaCm KaiöaQv Usßaöx^
xal xp öv^inarxi otxp avxov, xal q>iXovg xe xqivetv ovg av av-
xbg TCQoaiQfixai {1 ^ 1. j. J) xal i%^QOvg ovg av aixbg xqo-
ßäX\X\rixaL {j. ^j 2^ j. _). evoQxovöiv [iav fnilv ev eCri {j. ^ \^ j. _),
iq)LOQXov0cv dh xä ivav[xia^ (z u 1 z ^y 6).
Von dem Valentinianer Ptolemaios (s. II) überliefert Epi-
phanios haer. XXXIII 3 S, einen Brief an die Flora über den
ungleichen Wert einzelner Teile im Gesetz des alten Bundes.
Dieser Brief ^) ist wie in seiner durch die platonischen Schriften
«gesättigten Gedankenentwicklung so in seiner Stilisierung meister-
haft. Ein paar beliebig herausgegriflfene Partieen werden die
1) Ich citiere nach der Ausgabe des Briefes von A. Hilgenfeld in: Z.
f. wiss. Theol. XXIV (1881) 214 ff.
Die spätgriechische Prosa. 921
(gelegentlich auch durch die Wortstelloog bemerkbare^)) Rhyth-
misiemng deutlich zeigen. G. 1 o^ot ii^v oiv &g Sit^iiaiytiixaöi,
tflg iXfjd'eiag (^ ^ x z _), dflXöv 6oC iötiv ix x(bv BlQr^kivmv
(^ - i ^ vy 2l). nendv^aöi, 8\ oitoi 181mg SxdtSQOL ait&v {Ji
u ^ ^ -), of fikv Siä tb iyvoBtv xhv xf^g dixaioöivrig ^e6v
(j. yj j. yj yj JL <j J)f ot ds Si^ä xb iyvoBlv rbv x&v SXmv naxiga
(^ V i V w), Sg ^vog iXd'hv 6 (lövog aldhg iq>aviQ(066 {j. kj b
u s J). TtsQiXsinsxai öl f^itv iiicD^ilöi xs xfjg .... (Lücke)
&lupotiQ(ov xovxav ixqnfj^al öoi xal ixQiß&öai aixöv xs xbv vö-
(lov Ttaxanög xig etri (z v^ _ _), xal xbv iq>^ oi xdd'sirat (j. v>
), xbv vo^o^ixT^v, x&v ^r^%ri6o^ivmv fniXv x&g iatodsi^stg ix
x&v xov öanflQog 'fifi&v löymv JcaQtax&vxsg (j, yj 2l z J), 8C &v
fiövcov löxiv ijtxaiöxcag (j. yj i. j. J) ijtl xijv xaxdXri^iv x(bv 8v-
xmv bSi^yetö^at (j. sj ^ j. _). c. 2 (die Ehescheidung sei von
Moses nur mit Rücksicht auf die menschliche Schwäche erlaubt
worden, denn im Evangelium heilst es^ was Gott zusammen-
gefügt habe, solle der Mensch nicht lösen): ijtsl yäg x'^v xov
^sov yvA^riv qruXdxxsiv (rbx '/^d'övavxo o^rot (j. yj 2. j. ^) iv xdi
liij i^stvai aixotg ixßdXXaiv x&g yvvatxag air&v {± ^ ), alg
xivsg irjd&g övvcixovv (j. yj ), xal ixivdvvavov ix xovxov
ixtQinsöd'ai TcXiov slg ddixiav (z ^ u 1 v^ v> w x), xal ix tav-
xr^g slg dnAXeiav (z u ^ - u), xb irjälg xovro ßovX6[ievog ix-
x6^ai aix(bv 6 Mmvöf^g {j. yj ), Sl oi xal inöXXsöd^ai ixiv-
diivevov (^ w), dsvxsQÖv xtva, &g xax& xsQiöxaöiv f^xxov
xaxbv &vxl yLBltpvog ivxtxaxaXXaöööiisvog {j. yj yj 1. j. yj yj ^)y
xbv xov inoöxaölov vöfiov dtp iavxov ivonod'ixr^öBv aixotg
{1 u ), tva, iav ixstvov fii) diivcovxai q>vXd606iv {j. yj ),
x&v xovxöv yB (pvXdi,<o6i {j. yj yj 1. j. yj) xal fii) slg ddtxlag xal
xaxCag ixxgaTC&öi {jl yj ^ J), di i)V dnAXeia a'bxoig IfieXXs re-
Xsvoxdxri i%axoXov^if^6Bvv {Ji, yj y. ± _). c. 5 (Schlufs des
Briefes) xavxd öov^ & ddeXtpi^ [lov OXAQa^ dC dXlywv el(frjiieva
ovx fjxövYiöa (?) {1 ^ . J) xal xb xi^g övtnoniag JtQOSyQa^a
(z - - J). afia nlv tb nQOxeifievov d7toxQ<ovt(og i^atpr^va (^ ^
. J), a xal slg xä il^'^g rä niyiörd ooi övfißaXatxai (^ v> _ «),
idv ye &g xaAiJ yf^ xal dya^^i yovC^cov ensQfidxov xvxovöa
1) Daher ist auch c. 4 p. 222, 9 mit den meisten Hss. zu lesen (am
Schlufs eines Kolons) 6 &n6atoXog Hdei^e IlaijXog (-^ v> - ^\ nicht IlaüXos
\)2() Anhang' II: /.
iiiu-i--::
0 V ö en G) (;• . ■
3(^ fi Touwr ■'
TOt) U^J^ .
(?£ da C).
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■?t\va 400 n. Chr.
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■•i.".cuccoiitiuerte iSilboii
■ ".' VmveuJung el»t'iK>ri
•."l'.orer Kritik rbtMiso
. : *ii»niJiijf duukel. Pais
- ■!!, wii^ Movei* an-
.■.:: \w Zo'iuni und dio
"'ivrlimibclie Poesie
^ iir wickelt hat. Viel-
. 'I'vei" .selbst [\). 14 tV)
i 'iiesem Ciebriiucli
■. '-j icli kein Urteil'"),
. '{•V LT'i'.'ch. Trosii v'»m
f.
-..1. ..s« wolil Chorikioa epi-
Die spätgriecliische Prosa. 933
^wHl atier bemerken, da& sich die von mir oachgewieBenen be-
bliten rhythmischen Klauseln mit dem ziemlich streng beobach-
lltcten Uejerschen Acceutgeeetz vereinigt zu finden scheinen in
Fdeu H<>milien des Proklos (s. Y), z. B. in der zweiten Rede auf
[die h. Maria, vol. 65, 683 f. Migne: äXJl' iyBwij^ &c jnjvaiiAg
[ ^bg ob yv^vbs xal 6v&ifmaos oi i>iX6g {i ■j y ^ J). xal Mvitpf
f tfairitfitts 6 rez^ets t^ »ifAai tijv ifiuifrüts iäeile &ii(fav. 5nov
' yäg 6 Sqiis Siä r^g «affaxotig tbv litv iiixssv') (^ v i w J)y
^xtl&tv 6 löyog diät Eije wtaxoijg eltsifiiov rbv vtcbv i^aojtXd-
) Ofri<$iv{± vj y ± J). S^tv 6 nffätog t^s äfutpr^g Kitv xgoixvifiev,
, ixet&iv 6 ToS y^ovs Xvrtfon^s Xffi&tbs iß«6ffa>g ißldavTiaev
(^ u i. _ m). tfij y&if ^ ti> xifayfittttv6(i£vov (j u i ww).
ovx ifioX^&ij oixiioag ^ijtp«»^), ijvntff icötbg äwßffiatmg id-^-
(tiovQ'/iiUEv (.i ^ 1. .1 u). »' ft^ yäff attff9ivoq Ifietvtv ij fiij-
tviff {^1. M \ j. _), ^ii.hq StvQ(f(a%og 6 xByfisXg xaX oi «afdio^og 6
vAxog- bI 8\ xal ftcrä xAxov ipeive itaQ^ivog, «ibg o^jl xal ^tbg
xal f»v0Tifp(ov &<p(fatftov (w u _ u); ixttvog itpffäaxmg iysv
vif'fri] (.£ u 1. .£ _) 6 xal tAv #v<>Ai' xexXBUtfiivav BUtskftitv
inal'ötmg (^ « i _ _).
tV. Die lateiniBcIie Prosa.
Die Resultate der soeben angestellten Üntgrsuchnngen sind
folgende. 1) Die GrSlse des Demosthenes in TtetreflF des rhyth-
mischen Baus seiner Perioden beruht darauf, dals er keine be-
stimmte Theorie befolgt, wie sie ihm von den NenereiLange'
dichtet vrird, sondern dafs er in wundervoller Mai^giaTti^keit
den Rhythmus, speziell den des Satzachlusses, jedesmal ein ener-
gischeB Abbud des Gedankeiig^Bein läfst. 2) Jedoch heben sich
bei ihm aus der anerscÜoplIichen FüUgder satzschlielsenden
Rhythmen folgende als besonders bevor^gt heraus:
1. ^ ö i ^ ö
2. ^ ü^^ü ii
4. ^ V. ^ W V. i
5. ^ c . o
or. de Qregoni cbaract. 1. c. (oben S. 6) p. 717 oHi
•nitH cdv Uyov dvBXavaiv, &XXii diaxomlXXti taf
■eyenchen Geaetsea.
924 Anhang 11 : Zur Geschichte des rhythmischen Satzschliuses.
3) Von diesen treten 3 und 4 spater ganz zorück, da man die
grofse ivi(fyeuc der Daktylen (Choriamben) nicht mehr zum
Ausdruck bringen konnte oder wollte. Dagegen drangen sich
die Formen 1, 2, 5 mehr und mehr hervor, und zwar noch mit
der Modifikation, dafs einzelne Längen dieser Klauseln aufgelost
werden können, was Demosthenes in seiner prinzipiellen — aus
seiner SsivAtrjg sich ergebenden — Abneigung g^en Häufung
von Kürzen mied. Die am meisten charakteristischen
Formen des rhythmischen Satzschlusses der nachdemo-
sthenischen griechischen Kunstprosa sind also:
la. j. D 1. j. o
b. v/ \j 1. j. o
d.
_ /
± \J 1. KAJ
ö
2a.
J. \J ^ ± O ^
b.
^ U \. J.
w
^
^
c
± \J U^ ±
o
^
d.
JL \J \. vX/
\J
^
3a.
J. \j ± \i
b.
\,Kj \J J. Ö
4) Diese Klauseln sind in der griechischen Kunstprosa zwar
ganz besonders bevorzugt worden, aber nie zur ausschliefs-
lichen Herrschaft gelangt. Seit c. 400 n. Chr. tritt an die
Stelle des rhythmischen Prinzips ein äufserlich accentuierendes,
welches mit jenem nicht zusammenzuhängen scheint.
Geichichte Es läfst sich uuu der K^ächweis erbrincren, dafs diese
der Bnt- • o o 7
deckung rhythmischeu Satzschlüsse in die lateinische Kunst-
Geaeteei. prosa aufgenommen wurden von dem Moment an, wo
diese in die Sphäre dgg^HeJ^lenismus trat, und dafs sie
in ihr bald zur ausschliefslichen Herrschaft gelangten
und (mit einer Unterbrechung zu Beginn des Mittel-
alters) M& zum Ausgang des Mittelalters absolute Gel-
tung erhielten. Bevor ich aber dazu übergehe, diese Ent-
wicklung in grolsen, allgemeinen Umrissen darzulegen, werde
ich die Geschichte der Entdeckung dieser Thatsache mitteilen,
damit der Leser wisse, was ich andern verdanke und was ich
selbst hinzugethan habe. Man begann am Ende der ganzen
Entwicklungsreihe. N. Valois, De arte scribendi epistolas apud
Galileos medii aevi scriptores rhetoresve, These Paris 1880 und
Die lateinischo Prosa: Allgemeines. 925
l^tnde sur le rythme des buUes pontificales in: Bibl. de TEcole
des Chajtes XLn (1881) 161 flF. 257 flf., stellte zum ersten Mal
die Vorscnnften der mittelalterlichen Dictatores über den rhyth-
mischen SatzschluJüs yolIstSndig zusammen, nachdem schon Char-
les Thurot in seinem berühmten Werk Notices et extraits des
diyers manuscrits latins pour servir ä Thistoire des doctrines
grammaticales au moyen age in: Not. et Extr. des ms. de la
bibl. imp. XXII (1868) 480 flF. einiges darüber mitgeteilt hatte,
und bewies, dafis dessen frühste mittelalterliche Beispiele sich
unter dem Pontifikat des Gelasius II (1118—1119) fänden. Einen
wichtigen Nachtrag dazu machte L. Duchesne, Note sur Tori-
gine du ^cursus' ou rythme prosaique suivi dans la r^daction
des buUes pontificales in: Bibl. de l'l^cole des Ghartes L (1889)
161 flf. Im Liber pontificalis wird nämlich berichtet, dals Ur-
ban II (1088 — 1099) den Giovanni Caetani aus M. Cassino in
die päpstliche Kanzlei berief: tunc papa litteratissimus et facundtis
fratrem lohannem, virum utigue sapientem ac pravidum sentiens,
ardinavity admovity suumque cancellarium ex intima deliheratione
constituit^ ut per eloquentiam sibi a domino traditam antiqui le-
poris et elegantiae stilum in sede apostolicay iam pene
omnem deperditum, sando dictante spiritu, lohannes dei gratia
reformaret ac Leoninum cursum lucida velocitate redu-
eeret Einen weiteren wesentlichen Fortschritt bezeichnet die
Abhandlung von L. Couture, Le cursus ou rythme prosaique
dans la liturgie et dans la litterature de l'^glise latine du IIP
si^cle ä la renaissance in: Compte rendu du congr^s scientifique
international des catholiques tenu ä Paris du 1®' au 6 avril 1891,
cinqui^me section p. 103 S, (wiederholt in: Revue des questions
historiques XXVI [1892] 253 flf.). Er wies nämlich nach 1) dafs
die frühesten Spuren dieses rhythmischen Satzschlusses sich be-
reits bei Cyprian fänden und von da bis Gassiodor nachweisbar
seien, 2) dafis er seit Gregor d. Gr. (f 601) für vier Jahrhun-
derte verschwand und erst im XL Jh. in der kirchlichen Littera-
tur (z. B. bei Peter Damianus) wieder auftauchte, also ein Jahr-
hundert früher als in der päpstlichen Kanzlei. Diese Gelehrten
hatten sich mit der Feststellung der Thatsache begnügt, ohne
nach dem Prinzip zgfragen, welches in den verschiecWn^n For-
men der Klausel obwalte: dieses zu erforschen, unternahm zuerst
L. Havety La prose m^trique de Symmache et les origines me-
926 Anhang 11: Zur Geschichte des rhythmischen Satzschlosses.
triquea du cursus, Paris 1892. Wenngleich sich das von ihm
aufgestellte Prinzip als nicht haltbar erwies, so hatte er doch
manches richtig beobachtet, und durch ihn wurde Wilhelm
Meyer in der Anzeige des Havetschen Buches in: Götting. geL
Anz. 1893 p. 1 S, zu eigner Forschung angeregt: das eigentliche
Prinzip im wesentlichen richtig gefunden zu haben, ist sein Ver-
dienst.^) An ihn knüpfe ich an, imd jzyiü: nehme ich für mich
folgendes in Anspruch: 1) die Autweisung der Zusammenhänge
mit der griechischen Litteratur, die bei Meyer ganz fehlt ^),
2) den Nachweis, dafs die Klauseln nicht erst, wie Meyer meint,
im n. Jh. n. Chr. von einem imaginären „Ordner^' „ersonnen^'
sind^), sondern sich in geschichtlichem Werden vom Beginn der
lateinischen Kunstprosa an verfolgen lassen, 3) die Heranziehung
von Zeugnissen antiker Bhetoren (Meyer kennt nur das des Teren*
tianus Maurus), 4) die Korrektur einzelner Versehen, die sich
mir ohne weiteres eben aus der griechischen Praxis ergab, z. B.
der sonderbaren Theorie Meyers von Arten des Kretikers, die
er „freie'' (ariitnäey plürimäy bpera) und „verschobene^ (süorum,
conferie u. dgl.) nennt
1. Die Theorie.*)
z«QgniMe. Cicero de or. III 183 Aristoteli ordiri placet a superiore
paeoney posteriore finire. est autem paeon hie posterior non sylla-
barum numero, sed attrium ntensura, quod est cicritis iudicium et
certius^ par fere cretico qui est ex longa et brevi et longa, ut:
^Quid petam praesidi aut exsequar? q%iove nunc (Ennius tn^.
75^ R.)'. a quo numero exorsus est Fannius: '8i Quirites minas
1) Havet hat dann in der Revue de philologie XVII (1898) 33 ff. 141 ff.
speziell für Cicero de or. über das Gesetz gesprochen, damals wohl schon
mit Kenntnis der Meyerschen Abhandlimg.
2) E. Droz, De Frontonis institutione oratoria (Thes. Paris., Besan9on
1885) 63 zieht für den Satzschlufs bei Fronto p. 21 omnüms tunc imago
patriciis pingehatur insignis die von Quintilian citierten Worte des De-
mosthenes n&ct xal ndaatg und firiSh toisvfi heran: er war also auf
dem richtigen Wege. Über E. MüUer s. u. S. 930.
3) Meyer p. 25 ,,Im 2. Jh. n. Chr. wird für alle Declamationspausen
der gesprochenen Rede ein bestimmter Tonfall ersonnen**, p. 6 9,Der Ordner
dieses Schlusses war ein in der Metrik erfahrener Redekünstler*'.
4) Ich gebe die Zeugnisse der sp&ten Rhetoren selbstrerst&ndlicb nur
insoweit, als sie selbständigen Wert haben.
Die lateiiiitelie Prosa: Die Theorie. 927
iUius^. Jmne iUe dansulis apiiorem pulai^), quas vuU longa ptemm-
que sjßJkaba terminari, Ct 193.
Cicero or. 215 creticus . . . quam comtnodissime putafur in
soluUtm oraticnem iUigarL 218 es^ quidem paeon, ut inter omnes
canstat antiquas, Aristatdem Theopltraskim Theodedem Epitomm
umts tgMssimus oratiani orienti vd mediae, putant Uli eiiam ca-
cfen/ty quo loco mihi videtur aptior creticus. ib. 222 bemerkt
er zn dem Satz des Crassas ^missos faciant pcUronos: ipsi pro-
deant\ er sei einem Senar zu ähnlich; omnino melius caderei:
^prodeant ipsi', also jt u j. ^ _.
Cicero or. 212 f. insistit ambiius modis plurüms, e quibus
unum est secuta Asia maxume, qui dichoreus vocatur, cum duo
extremi ekorei sunty id^est e singulis longis et brevüms. . . didioreus
non est üle qtiidem sua sponte vitiosus in clausulis, sed in orationis
numero nihil est tam.viUosum quam si semper est idem, cadit
autem per se ipse iUe praeclare, quo etiam saHetas formidanda
est magis. Es folgt als Beispiel ein Satz einer Rede des C. Pa-
pirius Carbo endend mit compröbavity wozu Cicero bemerkt: Iwc
dichoreo tantus damor contionis excitatus est, ut admirabUe esset
Cicero de rep. bei Rnfin de nnmeris orai GLK VI 574, 31:
Cicero in dialogis de re publica mtdta dicit referens Asianos ora-
tores ditrochaeo clausulas terminare.
Qnintilian IX 4, 63 f. Die rhythmische Klausel des De-
mosthenes naöi xccl ndöaig = firiSl rolatJß {j. \j ^ j. S) ßnde
als strenger und gewichtiger Satzausgang Billigung, bei Cicero
würde dieselbe Klausel in hcUneatori (Cic. pr. Cael. 62) = archi-
piratae (in Verr. V 70) nur deshalb getadelt, weil es sich um
lange Einzel worte handle, die am Schlufs prosaischer Sätze so
wenig gut gebraucht würden wie am Schlufs der Hexameter.
Qnintilian IX 4, 105 dichoreus . . qui placet plerisque.
107 creticus et initiis optimus: ^quod precatus a diis immor-
taUbus sum (Cic, pr. Mur. 1)' et clausulis: Un conspectu populi
Bomani vomere postridie (Cic. Phil. 2, 63)': ^ ^ x j. ^ l.
Qnintilian IX 4, 73 ^esse videatur' (z u JO ^ u) iam nimis
frequens: es sei dieselbe Klausel wie die des Demosthenes naö^
6) So ist das nicht korrekt ausgedrückt. Aristotolos (rhet. III 8) sagt
nur, dafs am Ende der vierte Paeon wegen der schliefaendon Lttngo piiHHond
sei, dafs i^ JJ yj i, auch z u ^ stehen könne, legt erst Cicero hiooiii: in
^ft Stelle or. 218 hat er das richtiger formuliert.
928 Anhang II : Zur Geschichte des rhythmischen Satzschlusses.
xal Tcdöaig. Cf. X 2, 18 noveram quosdam, qui se pulchre expressisse
genus illud caelesiis huius in dicendo viri (des Cicero) sibi videren-
tur, si in dausula posuissent ^esse videatur^; c£ Tac. dial. 23.
Quintilian IX 4, 103 daudet et dicJwrens, quo Asiani sunt
usi plurimum.
Gellius I T, 16fif.: Cicero habe des Rhythmus wegen in
der Rede de imp. Cn. Pomp. 33 einen Satz geschlossen in prae-
donum potestatem fuisse statt in praedonum potestate fuisse, und
'in derselben Rede 30 einen anderen consilii celeritate explicavit
statt explicuit
Terentianus Maurus V. 1439 flf. (GLK VI 368) vom Kre-
tiker:
optimt^ pes et mdodis et pedestri ghriae:
plurimum orantes decAit^ quando paene in ultimo
dbtinet sedem heatamy terminet si clausulam
dactylus ^mideus imam; nee trochaeum resptw
(bacchicos utrosque fugito), nee rqpdlas tribrachyn.
plenius tradatur istud arte prosa rhetorum,
d. h. also: gut sind z u i. ^ w ^^)f zu^^», zv^^zv^, zwa.uCw,
schlecht sind: j. ^ j. u (mehr als zwei Trochäen hintereinander
galten als weichlich), ^ u ^ ^ (schleppend).
Victorinus de compositione bei Rufinus de num. orat. GLK
VI 573, 18: creticum^ qui est ex longa et brevi, si sequatur
spondeus vel trochaeus, honam compositionem facere dicunt, ^quo
usque tandem abutere^ Catilina, patientia nostra?*
C. lulius Victor ars rhet. c. 20 (p. 433 Halm): cum per
totam orationem, tum praecipue in conclusionibus servandus est ordo
vaborum, moderate in exordio, in media parte leniier, ita ut magis
ad numerum tendat quam ipsa numerosa sit. longis sylldbis inci-
piendum potius quam brevibtis est ... , concludere autem aut
creticus, ut una syllaha ei supersit, potest, vel duae, quae
spondeum vel irochaeum vel iamhum pedem faciant, aut
tres^ quae eundem creticum geminent. cludit et paeon pri-
muSy si spondeus ei supersit, et paeon posterior, si una
syllaha ei supersit mc vero ad hanc diligentiam redigimus
1) Diese Klausel meint er offenbar mit Creticus -f- Daktylus, denn
auf ein daktylisch gemessenes Wort liefs niemand ein Kolon ausgehen, cf.
über die Identität des schliefsenden Daktylus mit dem Kretiker Cic. or. 217
Quint. IX 4, 103. Creticus + Creticus hat er übergangen.
Die lateinische Prosa: Die Theorie. 929
aratoretn, ut in structura semper pedes singulos conqnciai et coUocet:
erit enim maximi res impedimenü et tarditatis; sed exercitatiane et
discendo auctores qptimos ad hanc eandeni cursu perveniet, ad quam
ratio deducit. cavendum^ ne onmes concltisianes eandem fortnam
habeant, quia fastidium credbunt et Studium ostentabunt maxime
tarnen fugiendum est id Vitium, quo in oratione nihil turpius est,
cum cessanti numero verba inania non rei augendae sed structurae
tantummodo implendae causa subveniant nee numerosa sint omnia
nee dissoluta; nee creticus pes saepius frequentetur, also:
j. \j ^ \j
j. \j 1. j. ^
(j. \j j. \j J)
j. \j :l j. \j 1.
^-^^ \j ^ ^
Martianus Capella^) Y 520 ff. bezeichnet als bonas (ptd-
chras, elegantes) clausulas folgende:
jL ^ ^ ^ >j asserat caput legis
z v^ ^ - - litus eiectis
j. ^ kXj litus agitanti
z v^ 1 vjw _ litus Aemiliae
du sj Jj ^ ^ regere animorum
z u - u magna cura
± Kj sola curant,
also nur die uns bekannten; doch verpönt er im Creticus (und
im Ditrochäus) die Länge der zweiten Silbe: fit pessima clausula,
si pro trochaeo paenultimo spondeum praelocaveris, ut si dicas . . .
^rupes eiectis* (für Hitus eiedis^).^
1) Wohl aus ihm Notker bei P. Piper, Die Schriften N/s und seiner
Schule 1 (Preib. 1882) 679 f.
2) Verwirrung in der alten Theorie entstand dadurch, dafs man auf
die Silbenzahl der die Klausel bildenden Worte Bücksicht nahm (cf. be-
sonders Martianus 1. c.) und, wie in der Metrik, nach oft imaginären Vers-
fäfsen die Silben abzählte, statt rhythmisch Zusammenhängendes zu ver-
binden; z. B. sagt Ps. Ascon. in diy. p. 108, 4 Or. zu den Worten Ciceros
(8 23) *cmu8 ego causa laboro\ wo der Ditrochäus vorliegt: inepti sunt
homines, qui hanc clausiUam notant ut malam, cum sit ex spondeo et baccheo
de industria dwrior ad exprimendam sententiam posita more Ciceronis, was
Cicero, der rhythmisch sprach, gar nicht verstanden hätte. Eine höchst
merkwürdige Theorie befolgt Diomedes in dem kleinen Schlufsabschnitt
seiner Ars, wo er handelt de qualitate structurae; die Vermutung Useners
(Sitzungsber. d. Bayr. Ak. 1892 p. 642, 8), dafs Yarro die Quelle sei, ist
930 Anhang 11: Zar Geschichte des rhythmischen Satzschlnsaea.
2. Die Praxis.
Um von Yomherein jeden Zufall auszoschliefsen, werden wir
das Gesetz aufstellen müssen: nur diejenigen Schriftsteller be-
obachten den rhythmischen Satzschlufis, bei denen die ur-
sprünglichen Formen der Klausel (ohne aufgelöste Längen,
ohne irrationale Längen für Kürzen), nämlich j. yj ^ j. o, zui
^ ^ ^, z u _ o, weitaus überwiegen,
voroioero- 1. Für die Kunstprosa vor Cicero kann ich auf die oben
"zeit* (S. 172 flf. 177,1) gegebenen Proben zurückverweisen: ich habe
schon dort die Klauseln abgeteilt und ein flüchtiger Blick ge-
nügt, um zu erkennen, dafs die uns bekannten an Zahl schon
damals alle anderen weitaus überragen. — Daus in den
Musterbeispielen der Schrift an Herennius der Ditrochäus in den
Klauseln eine übermäfsige Bolle spielt, hat schon E. Marx in
den Prolegomena seiner Ausgabe (Leipz. 1894) 100 f. bemerkt;
aber die andern fehlen nicht, vgl. z. B. IV 22, 31 Tiberium Grao-
chum rem puhlicam administrantem prohibuü indigna nex diutius
in eo commorari (zw. _). Gaio Graccho simüis occisio est
ohlata (jL . _ sS)y quae virum rei puhlicae amantissimum subito de
sinu civitatis eripuit (z u i. oC J). Satuminum fide captum
tnalorum (z u _ v^) perfidia per scelus vita privavit (^ J),
tuns, 0 Druse, sanguis domesticos parietes et vultum parentis asper-
Sit {j. Kj 2l JL J). Sulpicio qui paulo ante omnia concedehani
(z ), eum hrevi spatio non modo vivere {j. kj x j. ^ ^) seä
etiam sepeliri prohihuerunt (wC ^ ).
Cicero. 2. Über die rhythmische Klausel bei Cicero giebt es
eine sehr sorgfaltige Dissertation von Ernst Müller, De nu-
mero Ciceroniano, Berlin 1886.^) In meinen unabhängig von
ihm geführten Untersuchungen bin ich in allem Wesentlichen
mir wegen der Nennung Catos und des Redners Antonius sehr wahrschein-
lich. Was meint aber Cassiodor de inst. div. litt. 16 (vol. 70, 1128 AB
Migne), in dem Kapitel, wo er die Abschreiber vor willkürlichen, den Re-
geln der Kunst zuliebe vorgenommenen Änderungen warnt: in prosa Ca-
put versus heroici finemque non corrigas, id est quinque Jongas
totidemque hreves non audeas improbare; trochaeum triplicem Jauda-
büis neglectus abscondat?
1) Irrtümlich ist, was M. Seyflfert zum Laelius * (Leipz. 1876) 1, S p. 18
über den Docbmius bei Cicero sagt.
Die lateinische Prosa: Cicero. 931
mit ihm zusammengetroffen: ihm gebührt daher das Verdienst,
die Frage f&r Cicero zum ersten Mal^) richtig gestellt und ge-
löst zu haben; ich erwähne auch, dafs er meines Wissens der
einzige ist, der fär das Lateinische die Praxis der Griechen
herangezogen hat, indem er die Rhythmen des Hegesias mit
denen Ciceros vergleicht (p. 51 ff.). In der Cicero - Litteratur
scheinen aber diese absolut sicheren Resultate keine Berück-
sichtigung zu finden, obwohl sie in jedem guten Kommentar
verwertet, m. E. auch in die Praxis unserer Schulen eingef&hrt
werden müfsten: denn die gewaltige Rhythmenpracht des De-
mosthenes mag nicht jeder fühlen können, aber bei Cicero liegen
die Dinge viel einfacher, und ich denke, dafs wir Epigonen uns
freuen sollten, auf diesem schwierigen Gebiet sichere Marksteine
zu haben, zu wissen, wie Cicero gesprochen hat und wie wir
recitieren sollen, wenn uns nicht — bei blofs grammatisch-logi-
scher, völlig unantiker Recitation — das Ethos und Pathos ver-
loren gehen soll. Ich werde daher die Untersuchung, so wie
ich sie für mich angestellt hatte, darlegen, obwohl es einer
eigentlichen Untersuchung kaum bedarf: um das Gefühl des
Lesers zu erregen — denn darauf kommt es hauptsächlich an — ,
werde ich keine Tabellen aufstellen, aus denen man nach dieser
Richtung hin nichts lernen kann, sondern einzelne zusammen-
hängende Stellen ausschreiben und rhythmisch zerlegen. Ich
wähle Stücke zunächst dreier Reden, die Cicero auf der Höhe
seines Könnens zeigen, und zwar ein Proömium, eine Narratio
und eine Conclusio, dann ein Stück der frühsten Rede, endlich
eins der letzten. Was die Anzahl der zur Klausel zu rechnen-
den Füfse betrifft, so genügt es, dafür auf Cicero selbst zu ver-
weisen: or. 216 hos cum in clausulis pedes nomino, non loqtwr de
uno pede extremo: adiungo, guod minimum sity proximum superiorem,
saepe etiam tertium^ was überhaupt die antike Praxis war, der
ich durchgängig mich bisher angeschlossen habe und im weiteren
anschliefsen werde. Die von den regulären Klauseln abweichen-
den bezeichne ich mit *,
1) Für die Bücher De oratore cf. L. Havet in Revue de philologie
1. c. (oben S. 926, 1), der Müller nicht kennt. — C. Wüßt, De clausula Cice-
ronis, Diss. Strafsburg 1881 ist trotz mancher guter Einzelbeobachtungen
verfehlt, J. Schmidt, D. rhythm. Eiern, in Cic.'s Reden, Wien. St. 1898,
209 ff. ganz pervers.
Korden, »ntike Kanitproia. II. 60
932 Anhang 11: Zur Geschichte des riiythmudieii Satsachlnnefl.
Or. in Catilinam (Prooemium) I 1£ Quo usque tandem
äbiderej Catäina^ paiientia nostra (jl sj i. s _)? quam dm diam
furor iste iuus nos eludei {j. )? quem ad finem sese effreiuäa
iaetahii audacia (^ w x ^ w ^)? niküme te nocktnmm praesidium
Palaii (-t w _ -)*), nihil urbis vigiliae (^ . ^ ^ u x)*), nihil
timor populi (^ ^ ^ wO .), nihil eoneursus bonorum omnium*
(^ u z w jl w J)^f nihü hie wmtniissimms habendi senaius locus
{jL Kj X z sj ^), nthü horum ora voltusque moverunt (^ u ^ jl J)?
paiere tua eonsilia non sentis (oO ^ ^ ^ J)? eonsirielam iam
horum omnium sdetUia teneri coniuraiionem tuam non vides
(x w j. ^ w i)f quid proxima, quid superiore node egeris, td>i fueris^
quos eonvoeaveriSj quid consili{i) eeperis (^ u ^ ^ ^ 6)^), quem
nostrum ignorare arbiträr i$ (^ u . u)? o temporOj o mores, se-
naius haee inteUegü, consul videl*^): hie tamen vivii (^ ^ jl ^ w).
vivit? immo vero eüam in senatum venit (jl u ^ z ^ C/), ß
pMici consili{i) particeps (^ ^ ^ ^ u :l), notat et designat ocuüs
ad caedem unum quemque nostrum (^ u . J): nos auiem, fartes
virij satis facere rei publieae videmur (^ w . J)j si istius furorem
ae tela vitemus (j, sj ^ jl J). ad mortem te, Catilina, duei iusm
consuUs iam pridem oportebat* (jl ^ ^ i. j. J)^), in te conferri
pestem quam tu in nos iam diu machinaris (^ u ^ ^ v> _ J).^
an vero vir amplissimuSy P. Scipio, pontifex maximus, Ti. GracAum
mediocriter labefactantem statum rei publicae privaius interfecit
(jL ^ ^ J): CatUinam orbem terrae caede atque incendiis vastare
cupientem (j. ^ C^J j. J) nos consules perferemus (^ w ^ j. ^
1) Zwar geben die Hss. PakUii, dafs aber Cicero Palaii gesproch«
und geschrieben hat (wie noch Ovid), ist selbstverständlich; dafs
Formen bei Cicero die allein herrschenden sind, hat Wüst 1. c. 79 f. auf
Qrund anderer Klauseln gut bemerkt, cf. auch or. Phil. 14, 32 parricidL
2) Natürlich sprach Cicero nihü einsilbig, cf. auch Wüst 1. c. 81.
3) Die xqo%aXoi malen das avvxQi%Hv.
4) Nur da, wo das xc5Xoy endet, wendet er die Klausel an, die tot-
hergehenden xofiftarta sind &qqv^iul\ das gilt auch für alles Folgende.
6) Eine Art von Senar.
6) Dafs Cicero pridem oportebcU mit Synalöphe sprach (also j. ^ ^ j. J]
oder wenigstens sprechen konnte, wenn er wollte, glaube ich jetzt (gegen
oben S. 63, 3). Wie weit er seine eigne Theorie darüber (or. 160) befolgte,
mufs sich genauer feststellen lassen als es von Wüst p. 19 f. geschehen ist
7) iam diu von Halm mit Unrecht ge' ^*<3>ochftU8 geht b»<
sonders gern ein Creticus vorauf.
Die lateinische Prosa: Cicero. 933
. Kj)? nam ilia nimis antiqua praetereo (^ v^ x wO _), quod
C. Servüius Ähala Sp. Madium novis rebus studentem manu sua
occidit (^ . . u)^). fuit^ fuit ista quondam in Jmc re publica
virtus (^ yj 1. j. J)y ut viri fortes acriaribus suppliciis civem per-
niciosum quam acerbissimum hostem coercerent (^ ^ x ^ .).
Or. pro Archia (Narratio) 4 f. nam ut primum ex pueris
excessit Ärchias atque ab eis artibus quibus aetas puerüis ad humani-
tatem informari solet (j. . i. j. u b), se ad scribendi Studium con-
tulit*f primum Antiochiae — nam ibi natus est loco nobili (j. ^
jL ^ u 2.) — f celebri quondam urbe et copiosa atque eruditissimis
hominibus liberalissimisqiie studiis affluenti (j. yj - J), cderiter ante-
ediere omnibus ingenii gloria contigit (^ v> x ^ ^ o). post in ce-
teris Asiae partibus cunctaeque Graeciae sie eius adventus celebra-
bantur (v^^ « _ J), ut famam ingenii exspectatio hominis (jt w jl
^ J), exspeäaiionem ipsius advenius admiratioque superaret (z sj
VA/ jl J). erat Itaiia iunc plena Graecarum artium ac disciplina-
rum {j. ^ 1. j^ J) studiaque haec et in Lotio vehementius tum cole-
bantur (jl sj i. j, J) quam nunc eisdem in oppidis et hie Romae
propter tranquülitatem rei publicae non neglegebantur {jl kj i. j. J).
itaque hunc et Tarentini et Regini et Neapolitani civitate ceterisque
praemiis donarunt {x ) d omnes qui aliquid de ingeniis
poterant iudicare (^ u . J), cognitione atque hospitio dignum ex-
istimarunt {j. kj ^ .). hac tanta celebritate famae cum esset iam
absentibus notus (jl kj i. jl kj), Bomam venit Mario consule et
Catulo (z w A. uO _).*) etc.
Or. pro Milone (CoDcIusio) 103 ff. quodnam ego concepi
tantum scelus a%U quod in me tantum facinus admisi {JJ kj y^ ± _),
iudices, cum üla indicia communis exitii indagavi patefeci protuli
exstinxi (jl )? omnes in me meosque redundant ex fönte
illo dolores (j. ^j ~ -). qwd me reducem esse voluistis (^ ^ vX/
j. S)? an ut inspectante me expdlerentur ei per quos essem resti-
tutus (j. KJ ^ Kj)? nolite, dbsecro vos, acerbiorem mihi pati reditum
esse quam fuerit ille ipse discessus (j. kj i. ^ kj): nam qui possum
putare me restitutum esse (j. kj ^ J), si distrahar ab his per quos
1) Eventuell manu sua occidit {j. kj l j. kj\ cf. 8. 9d2, 6.
2) Hier darf wohl sicher SynalOpbe angenommen werden, da es sich
X. um zwei gleir^ * ndelt und 2. die Wortstellung von selbst auf
U hinwei
60*
934 AwViftng II: Zar Qeschichte des rhythmiBclien SatzschlaMes.
restiiutus sum {j.yj^±S)? utinam di immortales feeisseni
(j. ) — pace tuOj paMa, dixerim*^): nietuo enim ne scderate
dicam in te quod pro MUone dicam pie (z w ^ ^ u ^) — utinam
P. CUdius non modo viveret (^ u ^ ^ u 6), sed eUam praetor
consul dickUor esset potius quam hoc spectaculum viderem (^ ^
. J). 0 di immortales (j, ), fortem et a vobis, iudieeSj eon-
servandiim virum (x . x ^ ^ o). ^minime^ minima, iviguü, Hmmo
vero poenas iUe debitas luerit (^ sj i. Ji J): nos subeamus si iia
necesse est^ non debitas (x . ^ ^ u i)'. hicine vir patriae naius
usquam nisi in patria morietur^) aut, si forte, pro patria {j. ^ ^
Jij J)? huius vos animi monumenta retinebitis (j. kj sX> j. ^ ^)f
corporis in Italia ntülum sepulcrum esse patiemini {j. sj ^ j. ^j i.)?
hunc sua quisquam sententia ex hoc urbe expellet (j. yj i. jl J), quem
omnes urbes expulsum a vobis ad se vocabunt (x ^ . .)? o terram
iUam beatam guae hunc virum exaperit*, hanc ingratam si eie-
cerit (^ . :l ^ w 6), miseram, si amiserit (-t - jl ^ u 6). sed finis
sitj neque enim prae lacrimis iam loqui possum (^ u x ) et
hie se lacrimis defendi vetat (z . ^ x u 6). vos oro obtestorquey
iudices, ut in senientiis ferendis, quod sentietis^ id audeatis
(jL yj ^ J). vestram virtutem iusUtiam fidem, mihi credite {j sj i.
j. <j ^), is maxime probabit (^ u . J), qui in iudicibus legendis Opti-
mum et sapientissimum et fortissimum quemque elegit (jl\j x j. J).
Or. pro Quinctio 1 — 3 quae res in civitate duae plurimum
possunt {j. sj 1. X S)y eae contra nos ambae faciunt in hoc tem-
pore (j. Kj 1. JL yj ^)y summa gratia et eloqtientia* : quarum aUeram,
C. Aquilij vereor, alteram metuo (^ ^ a. wC J): eloquentia Q. Hör-
tensi ne me dicendo impediat non nihil commoveor (j. ^ i. Ji J),
gratia Sex. Naevii ne P. Quinctio noceat (^ u ^ v^ ^), id vero
non mediocriter pertimesco (^ u _ »). neque hoc tanto opere quae-
rendum videretur (j. u i j. J), haec summa in Ulis esse {j. .
» u), si in nobis essent saltem mediocria {j. ^ Z^ Ji, J): verum
iia res se habet ut ego, qui neque usu satis et ingenio parum
possum (j. Kj 1. 1 J)j cum patrono disertissimo comparer (ji ^ i
1) Schlufs eines x($fifux, nicht eines yt&Xov.
2) Enklisis.
3) Hier ist keine Pause, denn sonst würde die Klausel hexametrisch
sein, was er so gut wie ganz meidet, doch cf. Heindorf zu de nat. deor.
p. 114. Zumpt zu Verr. p. 66. Madyig zu de fin. ' 486. A. Eberhard, Lect.
TuU. (Progr. Bielefeld 1872) 8 f.
Die lateinische Prosa: Cicero. 935
j. Kj ^), P. Qumctius, cuius tenues apes, nullae facultates (^ ^ ^
X .), exiguae amieofum copiae sunt (zu. .), cum adnersario
graUosissimo contendat (^ . . u). iUud quoque ndbis aeeedit
incommodum {jl ^ x j. kj ^), quod M. lunius qui hone causam^
C. AquiU, äliquatiens apud te egü*, hämo et in älüs eausis exer-
eiiatus (^ kj ^ J) ä in hac müUum ac saepe versatus (^ w x jl u),
hoe tempore äbest nova legatione impeditus (x u _ u), et ad me
ventnm est gui, ut summa höherem cetera*^ temporis quidem eerte
vix satis habui*^), ut rem tantamj tot coniroversiis impUeatam,
possem eognoscere (z _ j. ^ w 6).
Or. Philipp. 14, 1 — 3: si^ ui ex Utteris quae reeitatae sunt,
patres conseripti {j. )^ sederaUssimorum hostium exerdtum
caesum fusumque cognovi (^ u ^ ^ .), sie id quod et omnes
maxime optamus {j. ^ . J) et ex ea tictoria quae parta est eon-
seeuium arhitramur (^ er . J), D. Brutum egressum iam Mutina
esse cognovissem {jl ^ ^ J)^)^ propter cuius periculum ad saga
issemus*^), propter eiusdem sälutem redeundum ad pristinum vesti-
tum sine tdla dtMtatione censerem (^ ^ :. ^ J); ante vero quam
Sit ea re quam avidissime dmtas exspectat adlata (z w ^ ^ J)^
laetiUa frui satis est maximae praedarissimaeque pugnae (z sj
. _): reditum ad vestitum eonfeäae tdctoriae reservate (j. ^ ^ j, sj).
eonfeetio autem huius beäi est Decimi Bruti salus (X . i ^ w i.).
quae autem est ista sententia (j. sj y. jl sj l), ut in hodiemum diem
vestitus mutetur (^ _ _ J)j deinde cras sagati prodeamus (j. w
. J)? nos vero cum semd ad cum quem cupimus opta$nusque vesti-
tum redierimus (wO ^ . J)^), id agamus ut cum in perpetmtm
retineamus (oO u . J). nam hoe quidem cum turpe est tum ne
dis quidem immortalihus gratum (j. sj 2. s J), ab eorum aris ad
quas togaÜ adierimus (^ w . v^), ad saga sumenda discedere
(z w i z u ^). atque animadrerto, patres conseripti (^ ),
quosdam huic favere sententiae (s ^ 1. j. ^j 1,), quorum ea mens
1) In beiden Fällen bleibt die Stimme in der Schwebe.
2) Bez. esse eognossem (z ^ 2. z J).
3) Der Sinn zeigt, daÜB hier die Stimme in der Schwebe bleibt, also
keine Klausel Torliegt.
4) Wüst p. 81 schliefst ans den Klaosefai feoeritis (pr. Hü. 99. lig. MX
memineritis (in Cat. 4, 23) und proposueriUs {j. sj Xf j, \j^ so, nicht wie
WüstX dals Cicero, wie ja auch ans der Praxis des Catnll ganz begreiflich
^ift^ diese Formen noch mit alter Betonimg spcaofa.
936 Anhang ü: ZiiT Geschidite des rlijihmiacheii Satzscbliuses.
idque coHsilium est (^ ^ jl .0 J)^), ut cum videant glariosissimum
ittum D. Rmto futurum diem (^ v/ x z u 6), quo die propter ems
saliUem redierimus (^x w . w\ ikiiJie et fructum eripere cupiant
(^c .j V.C J\^), ne memariae posieritatique prodatur (x u ^ _ u)
prcpkr uMius cms pericutum pcpmhnm Bamanum ad saga isse*^,
prvpter eiusdem rohstem redisse ad icgas.*^) toUüe hanc: nullam
tarn pratae sententiae causam reperietis (oO ^ _ J). vo8 vero, pa-
tres conscripti (^ ), eomervate auctaritatem vestram (z .
. yj), wumete m setUentia^, ^nete vestra memoria (^ u uO J)%
quod saepe ostendistis ü . - J), hmus totius beiUi in unius viri
forfissimi et wuianmi rita positum esse discrimen (^ u ^ . J).
Da(s nun bei dieser Prmxis Ciceros yieles aus dem Zu&U
oder, richtiger gesagt^ aus dem ingenium der lateinischen Sprache
selbst» die — lum deutlichen Abbild ihrer gravitas gegenüber
der griechischen — einen gro&en Überschulis an Jjangen hat, zu
erklären ist^ dürfte rem Tomherein selbstverständlich sein; aber
ebenso sicher ist^ daTs die fast ausnahmslose Befolgung der
Itegel ein Resultat der Berechnung ist. Selbst wenn wir nicht
die RVr die Lateiner vorbildliche Praxis der Griechen sowie die
an^'tlthrton Zeugnisse der Khetoren besafsen, würden wir das
Ulis fol^^euden drei Thatsacheu schliefsen müssen. Erstens aus
der Praxis von Schriftstellern, die sich von dem Gesetz der
rhythmischen Klausel emanzipieren; z. B. nehme man eine be-
liebige Uede bei Livius und vergleiche sie mit Cicero, etwa Liv.
XXI 18, 3 ff.: pracceps vestra, Bomani, et prior legatio fuit*, cum
Hannibalcfn iamqtiam suo consüio Sagufitum oppugnantem deposce-
batis (jt - - J); cetenim haec legatio verbis adhuc lenior est, re
asperior*. tunc enim Hannibal et insimulabatur et deposcebatur
(^ _ _ ^); nunc ab nobis et confessio culpae exprimitur {x ^ i.
1) Wie weit bei etft Enklisis bez. Synalöphe (cf. F. Leo, Plaut. Forsch.
224 flf.) geht, mufs genauer festgestellt werden (cf. auch Wüst p. 41); z. B.
sicher pr. Sest. 2 iis potissimum vox haec serviat, quorum opera et mihi et
vobis et populo JRomcMO restituta est {j. kj : Schlufs eines gröfseren
Abschnitts); Phil. 4, 9 lihido flagitiosa, qua Antoniorum oblita est vita
(^j. \j ^ I. \ji ebenfalls).
2) Oder ist hier eine Abweichung zu konstatieren? Jedenfalls ist der
Ditrochäus mit doppelter Auflösung sehr selten.
5) Cf. S. 986, 8.
4) Eventuell (s. o. S. 982, 6) salutem redisse ad togas (j. \j x ± kj i).
6) Eventuell Abweichung, im noi^idxiov begreiflich.
Die lateinische Prosa: Cicero. 937
jij J) et ut a ccnfessis res extemplo repetuntur (^ » uv^ ^ J).
ego autem non privato ptiblicane cansilio Sagtmtum oppugnahim sit
gmerendum censeam*, sed utrum iure an iniuria\ nostra enim
haec qmestio atque animadversio in dvem nostrutn est*^ quid nostro
aut 3U0 fecerit arbürio*; vöbiscum una disceptatio est, licueritne
per foedus fieri (z . i. vX/ -). itaque quoniam discemi placet*,
quid publica cansüio, quid sua sponte imperatores faciant (^ _ o
u .), nöbis vöbiscum foedus est a C. Lutatio cansüle ictum*^ in quo
cum caveretur utrorumque sociis*, nihil de Saguntinis — necdum
enim erant socii vestri* — cautum est*. Hier sind die Abwei-
chungen von dem Gesetz häufiger als in allen ausgeschriebenen
Stellen Giceros zusammen, und von den der Regel scheinbar
entsprechenden Fällen ist kein einziger ganz genau, da im Tro-
chäus und Creticus überall statt der Kürzen Längen stehen,
was besonders für letzteren bei Cicero doch nur ganz ausnahms-
weise vorkommt. Zweitens aus der Beschaffenheit einzelner
Stellen in Giceros Reden selbst, wo das Gesetz nicht oder nicht
streng beobachtet wird; z. B. or. pro Rose. A. 54 ^exheredare
filium voluit* (ji w i. v>0 v^). ^quam ob causam*?^ ^nescio** ^ex-
heredavitne* {j. yj ^ ± J)? 'non/ ^quis prohibuit?^ ^cogitabaV
(jL ^ ^ J)' cui dixit*? nemini*. or. pro Deiot. 21 *cum* inqtiit
^vomere post cenam te velle dixisses (± yj ^ ^ u), in bcdneum te
ducere coepenmt*: ibi enim erant insidiae*. at te eadem tua for-
tuna servavit {j. yj i. j. J): in cubiculo malle dixisti (^ w i x -)/
dt te perduint, fugitive*. ita non modo nequam et improbus, sed
fatuus et amens es*, quid? iUe signa aenea in insidiis posuerat
quae e bcdneo in ctibictdum transferri non possent (ji . ^ . .)?
häbes crimina insidiarum*: nihil enim dixit amplitis*. ^horum*
inquit ^eram conscius^*. Hier sind die zahlreichen Ausnahmen
offenbar aus dem Gesprächston zu erklären. Drittens aus ge-
suchten Wortstellungen. Denn wenngleich die Kunst Giceros
wie aller bedeutenden Stilisten des Altertums gerade darin liegt,
dals er sie im allgemeinen nicht durch äufserliche Mittel zur
Schau stellt, so giebt es doch auch bei ihm Stellen, an denen
man, ähnlich wie im Isokrates bei der Hiatvermeidung, an der
Wortstellung eine Absichtlichkeit nicht verkennen kann. Ein
paar Beispiele, die sich sehr vermehren lassen, mögen das zeigen.
Or. pr. Cluent. 199 «^ ««n, noverca fili, filiae pellex (x u ^
I. _). Or. Philipp. 1 ^otius belli in unius viri fortissimi
938 Anhang 11: Zur deschichte des rhythmischen Saizschlnsses.
et maximi vita positum esse discrimen (x v^ ^ . J). 15 ex quo
caedes esset vestrum omnium consecuta (j. yj \ z u . u). 17 fnale
enim mecum ageretur^ si parutn vobis essem sine defensione pur-
gatus (^ u j. . J). 20 huic essem fwmini pestiferae pacis inimi-
cus (z u uu ^ J). 23 grave beUum Octavianum insecutum est
{j. sj ^ J): supplicatio Cinnae nulla victoris (z u x -t J). Cinnae
victoriam Imperator ultus est Sulla (^ u a. . J). 32 priorum
estis sedem et locum consecuti (z u ^ x u _ .). 3, 30 qui cum
exerdtu sit ad dispersionem urhis venire conatus (^ u jl ^ J).
in Gat. 4, 14 omnia et pravisa et parata et constüuta sunt
cum mea summa cura atque diligentia tum etiam muUo maiore
populi Eomani ad summum imperium retinendum et ad communes
fortunas conservandas voluntate (x u ^ j. J). 16 qui non tan-
tum quantum audet et quantum polest conferai ad communem so-
lutem voluntatis (j. ^ ^ u, w). pr. Arch. 13 quantum ceteris ad
suas res öbeundas, quantum ad festos dies ludorum celebrandoSy
quantum ad alias voluptates et ad ipsam requietn animi et corporis
conceditur temporum (j. yj i, j. ^ ö). de or. II 262 Orassus apud
M. Perpemam iudicem pro AcuUone quom diceret: diese Stel-
lung von quom ist altertümlich, für Cicero ungewöhnlich, cf.
Bheiu. Mus. XLIX (1894) 551. or. 66 in his tracta quaedam et
fluens expetiiur, non haec contorta et acris oratio. Für Inversion
von est, esse, esset etc. vgl. etwa noch pr. Sest. 3 a. E. 11 a. E.
15 a. E. 31 a. E. 33 a. E. 51 öfters. 52 a. E. 59. 62.
Wie sich die relative Anzahl der gesetzmäfsigen Klauseln
sowie die der Ausnahmen über die einzelnen Reden erstreckt
und ob; was ich nicht glaube, zwischen den einzelnen Reden
Unterschiede bestehen^), mufs genauer untersucht werden; die
Betrachtung der Schlufsworte der ganzen Reden (soweit sie
nicht am Ende verstümmelt sind) ergiebt folgendes Resultat:
a. JL \j L 1. o 12
6
3
f
\jyj \J L J. </
21
1) Wüßt 1. c. und auf ihm fufsend 0. Guttmann, De Caesar, orat. TuU.
gen. die. (Dies. Greifswald 1883) 52 ff. 75 f. nehmen es an, aber sie gehen
eben von falschen Prinzipien aus; cf. dagegen Müller 1. c. 87 ff.
Die lateinische Prosa: Cicero u. seine Zeitgenossen. 939
b.
X \J - o
16
1.
2
VA/ \J ^ Q
1
19
c.
X. \J i. X. \J
ii
3
A - i. J. \J
i
2
UV \J l. J. \J ^
1
vJv _ i. ^ V-
,ii
3
9
Ausnahmeu 6. ^)
3. Unter Ciceros Zeitgenossen haben, wie wir wissen
(s. o. S. 219, 1. 262), die Atticisten, vor allen Brutus, die rhyth-
mische Komposition der Rede gemifsbilligt: von Brutus wird
uns im speziellen überliefert (Quint. IX 4, 63), dafs ihm die Form
± yj :^ ± o unsympathisch war, und von der als asianisch gelten-
den Form ^ ^ « o dürfen wir es erst recht vermuten (s. auch
o. S. 262, 2). Es ist daher bezeichnend, dafs Caesar, der Atti-
eist, und sein Anhanger Sallust die rhythmischen Klauseln nicht
beobachtet haben. Für Caesar genügt es, auf die kunstvollste caeiar.
Rede des ganzen bellum Gallicum, die des Critognatus VII 77
hinzuweisen; der Anfang lautet: nihil de eortim sententia dktwrus
sumy qui turpissimam servitutem dediüonis nomine appeUant*^ neque
hos habendos civium loco neque ad condlium adhibendos censeo*.
cum his mihi res sit, qui eruptionem probant (z u a. z ^ :l), quo-
rum in consilio omnium vestrum consensu pristinae residere virtutis
memoria videtur*. animi est ista mollitia non virtuSy paulisper
incpiam ferre non posse (^ u :l _ v^). qui se ultro morti offerant*
facUius reperiuntur (v>0 w _ o), quam qui dolorem patienter ferant*
u. 8. w. Es ist klar, dafs hier die regulären Schlüsse, umringt
von so vielen Ausnahmen, nicht auf Absicht beruhen. Für
Sallust bezeugt Seneca ep. 114, 17 (s. o. S. 202, 1) ausdrücklich saUui
das ünrhythmische seiner Komposition; jede seiner Reden be-
stätigt das, z. B. der Anfang der des C. Cotta (p. 116 f. Jord.):
1) Verr. act. n 1. V accmare necesse sit; de imp. Pomp, praeferre
oportere*, de leg. agr. III evocaverunt, disserant; pr. Deiot. clementiae tuae;
Phil, y nüllum haberemus, IX sepulcrum datum esset (hier in einem Gesetzes-
antrag).
940 Anhang 11: Zur Geschichte des rhythmischen Satsschlosses.
QuirüeSj muUa mihi pencula danU milUiaequej muUa adcana fuere*,
quarum alia toleravi, partim reppuli dearum auxiUis et virtute
mea*: in quis Omnibus numquam animus negotio defuit neque
decretis lahos (^ _ ^ ^ u 2.). mälae secundaegue res qpes, non
ingenium mihi mutahant (^ ). €U contra m his miserüs
cunda me cum fortuna deseruere*. praeterea senectuSj per se gravis,
curam duplicat*, cui misero acta tarn aetate ne mortem quidem
honestam sperare licet* ^ also nur Ausnahmen und von den zwei
Formen keine regulär. In der Rede Caesars de coni. CatiL 51,
die etwa so lang ist wie die oben (S. 932 ff.) aus Cicero gegebenen
Proben kommt die Form z kj 1. j. yj kein einziges Mal vor, was,
wie ich denke, deutlich genug spricht. Interessant ist das Ver-
Nepoi. halten des Nepos, des Freundes Ciceros: an Stellen, wo er
seiner Diktion einen höheren Schwung zu geben sucht (Reden,
Charakteristiken), beobachtet er die Klauseln sehr genau (oft
mit starker Yerkehrung der natürlichen Wortfolge), an Stellen
niederer Gattung yemachlässigt er sie: daf&r sind schon oben
(S. 208 f.) Beispiele gegeben worden.^)
4. Über die Autoren der Kaiserzeit habe ich keine
systematischen Untersuchungen angestellt, sondern mir nur ge-
^toien*" legGiiÜich einzelnes notiert. In den Fragmenten der Deklama-
toren bei Seneca merkt man oft die Absicht: z. B. Moschus
suas. 1, 2 tempus est Aleocandrum cum orbe et cum sole desinere
{jL ^ ^ Jj u). quod noveram, vici (z u i. x _); nunc concupisco
quod nescio {j. y 1. j. yj 1.). quae tam ferae gentes fuerunt (^ ^
_ -), quae non Alcxatidrum posito genu adorarint (^ u ^ ^ J)?
qui tam horridi montes (j. ^ }, j. .), quorum non iuga vidor
miles calcaverit {j. . 1. j. kj ^)? ultra Liberi patris trophaea
constitimus (j. kj l ^ J). non quaerimus orbem sed amittimus
{j. yj 1. j. ^ ^). inmensum et humanae intemptatum experientiae
pelagus (z ^ ^ vX. J), totius orbis vinculum terrarumque custo-
dia (j. Kj L j. u ^), inagitata remigio va^titas^), litora modo saeviente
fluctn inquieta {j. u . u), modo fugiente deserta (^ u 2. ^ J);
1) In einer im J. 55 y. Chr. gehaltenen Rede des Helvius Mancia (bei
Val. Max. VI 2, 8 = Fragm. or. Rom.* p. 328 Meyer) sind die aufeinander
folgenden Klauseln esset occisus, accidisse, trucidatum, occidissent offenbar
beabsichtigt.
2) remigio ist alte Konjektur für remissio, dem Sinn nach zwingend,
aber es wäre die einzige Stelle, wo der reguläre Rhythmus aufgehoben ist.
Die lateinische Prosa: Erste Eaiserzeit. 941
täetra caligo fluctus premit (^ y ^ ^ ^ ^/), et nescio qui quod
humanis natura subduxit oculis aeterna nox obruit (^ ^ i ^ ^ 6).
In den Worten des Albucius Silus contr. X 3, 3 dona filiam^ si
misericors es, deprecanti; si hostiSy edido; si pater, naturae; si iudex,
causae; si iratus es, fratri (ji ^ jl jl _) ist im letzten Glied es
nur des Rhythmus wegen wiederholt.^) — Für Velleius und
Curtius s. o. S. 303. 305. — Sehr sorgfältig hat Seneca der Sohn scneo«.
den rhythmischen Satzschlufs beobachtet ^ was bei ihm deshalb
noch besonders deutlich ist, weil er in kleinen Sätzen statt in
Perioden schreibt; die atnputatae sententia^ et verba ante exspcc-
tatum cadentia Sallusts sind ihm zuwider (ep. 114, 17): was
das Gegenteil von letzteren ist, zeigt Cicero or. 199: cum aures
extremum semper exspectent in eoque acquiescant, id vacare
numero non oportet. Aus den Dialogen ist schon oben (S. 311 f.)
eine Probe gegeben: hier folge noch eine beliebige Stelle der
Briefe'): ep. 24, 4 ff. damnationem suam Butilius sie tulit tamquam
nihil HU molestum aliud esset quam quod male iudicaretur,
exüiwn MeteUus fortiter tulit Butilius etiam libenter: alter ut
rediret reipublicae praestitit, alter reditum suum Bullae nega-
Vit, cui nihil tunc negabatur. in carcere Socrates disputavit et
exire cum essent qui promitterent fugam noluit remansitque, td
duarum rerum gravissimarum hominibus metum demeret, mortis
et carceris. Modus ignibus manum inposuit*; acerbum est uri:
quanio acerbius si id te faciente patiaris. vides hominem non
eruditum nee uUis praeceptis contra mortem aut dolorem suhorna-
tum, militari tantum robore instruetum poenas a sc inriti c&natus
exigentem: ^peäaior destillantis in hostili foculo dexterae »tetit*
nee ante remavit nudis ossibus fluentem manum, quam ignis
iUi ab hoste subductus est, facere aliquid in Ulis cnstris felicius
potuit nihil fortius. vide qunnto acrior sit ad occupanda perictUa
virtus quam crudeliias ad inroganda: facilius Pf/rsenna Mucio
ignavit quod voluerat occidere, quam $ibi Hfucim quod non
oceiderat. ^decanUUa^ inquis 'in omnihus scholis fabulae inlae
1) Cf. auch die Fni((TO^t#j wia tunft (Umirrfftirmfi ä*i% iUmf/-^ »*rürtt
bei Qnintil. IX 2, 42 f, - - H'rhr i(f.knnMU'.\Ui Wf^AfA\Uinf( Mnh in /l^rm
Fragm. des Griechfm }lyhr0:nM htu Hfn niiM 4, f>
2) Ich bezeicho^ rr/n hi^f »r» dttn lihytUrtnnt nnr mtihr dnrnh t^^^jf^rrUsn
Drock nnd interpnnfQ^f: in f\*'ft VthSt^KU kri4 H*inf:f:i^ nnt\ f'tinioA nicht in
unserer Manier, tond^rm ja itrtiik*'.f^ /l h, üsu:h fUstn Hhfihmn*
942 Anhang 11: Zur Geschichte des rhythmischen Satzschlusses.
sunt*: iam mihi mm ad contemnendam mortem ventum fuerit CcU(h
nem narrabis^ quidni ego narrem ultima iUa nocte Platanis
librum legmtem posito ad caput gladio? duo haec in rebus ex-
tremis instrumenta prospexerat, aUerum ut vdlet mori aUerum
ut posset*. compositis ergo rebus, utcumque componi fractae atque
ultimae poterant, id agendum existimavit, ne cui Catonem aut
occidere liceret aut servare contingeret et stricto gladio, quem
usque in ülum diem ab omni caede purum servaverat ^nihiP in-
quit ^egisti fortuna, omnihus conatibus meis obstando. nan
pro mea adhuc sed pro patriae libertate pugnavi, nee ogAam
tanta pertinacia ut liber sed ut inter liberos viverem: nunc quo-
niam deploratae sunt res humani generis Cato deducatur in tu-
piiniusd.j. tum u. s. w. Dieselbe Praxis befolgt Plinius d. J., vgL den
Anfang des Panegyricus: bene ac sapienter patres conscripti ma-
iores instituerunt ut rerum agendarum ita dicendi iniUum a pre-
cationibus capere, quod nihil rite nihü providenter homines sine
deorum inmortalium ope consilio honore auspicarentur. qui mos
cui potius quam consuli aut quando magis usurpandus colen-
dusqtie est, quam cum imperio senatus audoritate reipublicae ad
agendas optimo prindpi gratias excitamur? quod enim prae-
stdbilius est aut ptddirius munus deorum, quam castus et sanctus
et diis simillimus princeps? ac si adhuc dubium fuisset,
forte casuque rectores terris an äliquo numine darentur, prin-
cipem tarnen nostrum liqueret divinitus constitutum, non enim
occulta potestate fatorum sed ab love ipso coram ac pala/m re-
pertus est*: electus qiiippe inter aras et ältaria eodemque loci quem
deus nie tarn manifestus ac praesens quam caelum ac sidera
insedit*. quo magis aptum piumque est te luppiter optime maxime
antea conditotem nunc conservatorem imperii nostri precarij tU
mihi digyia consule digna senatu digna principe contingat oratio,
utque Omnibus quae dicentur a me libertas fides veritas constet,
tantumque a specie adnlationis dbsit gratiarum actio quantum abest
TftcituB. a neccssitate^) Dagegen ignoriert Tacitus, ganz entsprechend
seinen sonstigen stilistischen Prinzipien (s. o. S. 332; 2), den
Rhythmus der Klausel durchaus , berührt sich also auch darin
1) Ib. 2 wechselt er deswegen mit ante und antea: guare aheani ae
recedant voces illae quas metits expritnebat: nthil quäle ante dieamui^
nihil enim quäle antea patimur, ibid. quando sit actae mit $ WM Mft
Properz.
Die lateinische Prosa: Eaiserzeit. 943
mit Ballast. Florus, der Schönschreiber, beobachtet ihn sorg-
faltig, 8. 0. S. 600.
Von den Autoren nach Hadrian^), profanen wie christlichen;
glaube ich sagen zu können, dab sie alle, soweit sie kunstmafsig
haben schreiben wollen, das festgestellte Gesetz befolgen, und
zwar werden, wenn ich nicht irre, die Ausnahmen immer seltener.
Ich greife aber nur einige wenige aus der Ungeheuern Masse
heraus. Aus Minucius Felix habe ich schon anderswo^) Bei- Minnciat.
spiele angeführt; hier mag noch das Prooemium stehen, wo die
Regel nur dann verletzt ist, wenn die Stimme noch in der
Schwebe bleibt, also eine eigentliche Klausel nicht vorliegt:
cogitafUi mihi et cum animo meo Odavi boni et fiddissimi conUjiber-
nalis memoriam recensenti tanta dulcedo et adfedio hominis in-
haesit*f ut ipse guodammodo mihi viderer in praeterita redire*, non
ea guae iam transacta et decursa sunt* recordatione revocare:
ita eius cantemplatio guantum subtracta est oculis, tantum pectori
meo ac paene intimis sensibus inplicata est nee inmerito dece-
dens vir eximius et sanctus inmensum sui desiderium nobis reli-
quit, ulpote cum et ipse tanto nostri semper amore flagraverit^
ut et in ludicris et seriis pari mecum voluntate concineret eadem
velle vel nolle: crederes unam mentetn in duobttö fuisse divisam.
sie solus in amoribus conscius, ipse socius in erroribus: et
cum discussa caligine de tenebrarum profunda in lucem sapientiae
et veritatis emergerem^ non respuit comitem^ sed quod est
gloriosius praecucurrit. itaque cum per universam convictus no-
stri et famüiaritatis aetatem mea cogitatio volveretur, in iUo
praecipue sermone eius meniis meae resedit intentioj quo Cae-
cüium superstitiosis vanitaHbus etiamnunc inhaerentem disputa-
tione gravissima ad veram religionem reformavit. Tertullian Tertaiiun,
überall da, wo er besonders sorgfältig schreibt, z. B. am Anfang
des Werks de pudicitia: pudicitia flos morum honor corporum
decor sexuum, integritas sanguinis fides generiSy fundamentum
sanctitatis, praeiudicium omnis bonae mentis, quamquam rara
1) Cf. auch die von Fronto p. 160 N., wie es scheint, aus einer Eede (?)
des M. Anrel citierten Worte: Tiberis est, Tusce^ Tiberis^ quem iubes claudi.
— Tiber amnis et dominus et fluentium circa regnator undarum: das letzte
Wort ist dem Bhyüimns zuliebe gew&hlt, denn Vergil (Aen. VlII 77), den
er narfiahmt^ sagt: fkumus regnator aquarum.
1) In Cfaeeifrwalder Prooemium, Ostern 1897 p. 18 £f.
944 AwliftTig 11: Zur Greschichie des rhythmischen Satzschlosses.
nec facüe perfecta vixque perpetua, tarnen aliquatenus in saeculo
morabitur*, si natura praestruxeritj si disciplina persuaserit,
si censura compresserii, siguidem omne (mimi honum aut nasei-
tur aut eruditur aut cogitury sed ut mala magis vineunt,
quod uUimorum temporum ra4io esty bona tarn nec nasä licet,
ita corrupta sunt semina, nec erudiri, itadeserta sunt studio,
Appnieiiif. nec cogi, ita exarmata sunt iura. Bei Appuleius kann man
hübsch beobachten, dafs er den Bhythmas in gehobenen Par-
tieen sehr sorg^tig berücksichtigt, in niederen ihn vernach-
lässigt; z. B. Met. VI 4 (Gebet der Psyche): nuxgni levis germana
et coniuga, sive tu Samt quae insula partu vagituque et alinumia
tua gloriatur tenes vetusta delubra, sive cdsae Carfhaginis quae
te virginem vectura leonis cado commeantem percolit beatas sedes
frequentaSf sive prope ripas Inachi qui te iam nuptam Tonantis
et reginam dearum memarat inclitis Argivorum praesides moeni-
bus, quam cunctus oriens Zygiam veneratur et amnis occidens Lu-
cinam appellat: sis meis extremis casibus luno Sospita meque in
tantis exantlatis laboribus defessam imminentis periculi metu 2i-
bera. quod sciam soles praegnaiibus periditantibus ültro subvenire.
Dagegen z. B. I 22 ^meliora* inquam ^ominare et potius responde
an intra aedes erum tuum offenderim^*. ^plane^ inquit ^sed quae
causa quaestionis huius?* Hitteras ei a Corinthio Demea scriptas
ad eum reddd^*, ^dum annuntio^ inquit ^hic ibidem me opperimino^*.
Daher sind die Florida besonders sorgfaltig, z. B. I 1 w^ ferme
religiosis viantium moris est, cum aliqui lucus aut aliqui locus
sanctus in via oblatus est votum postulare, \ pomum adponere,
paulisper adsidere: ita mihi ingresso sanctissimam istam civi-
tatem, quamquam oppido festinem, praefanda venia et habenda
oratio et inhibenda properatio est. Der erste christliche Schrift-
steller, bei dem die Beobachtung des Gesetzes ungemein pedan-
tisch ist, weil es sich auf die kleinsten Kommata ausgedehnt
cyprian. findet, ist Cyprian; z. B. ep. I 1 bene admones, Donate caris-
sime: nam et promisisse me memini et reddendi tempestivum
prorsus hoc tempus est, cum indulgente vindemia solutus
animus in quietem sollemnes ac statas anni fatiscentis induüas
sortitur. locus etiam cum die convenit et mulcendis sensibus ac
fovendis ad lenes auras blandientis autumni hortorum fades
amoena consentit: hie iucundum sermonibus diem ducere et
Die lateinische Prosa: Kaiserzeit. 945
studentibus fahulis in divina praecepta conscientiam pec-
toris I erudire. ac ne collogpAtum nostmm arliter profanus im-
pediat aut damor intemperans familiae strepeniis ohtundaty \
petamus hanc sedem. dant secessum vicina secreta, ubi dum
erratici palmitum lapsus \ nexibus pendulis \ per arundines
baiulas repunt, viteam porticum frondea tecta fecerunt bene
hie siudia in aures damt4S, et dum in arbores et in viies oblectante
prospectu oculos amoenamus, animum simul et auditus insttiiit
et pascit obtutus: quamquam tibi sola nunc gratia, sola cura
sermonis est contemptis voluptariae visionis illecebris in me
oculus tuus fixus est: tam aure quam mente \ totus auditor
es I et hoc amore quo diligis. Trotz dieser peinlichen Genauig-
keit sagt er gleich darauf: in iudiciiSy in contione, pro rostris
opulenta facundia volubüi ambitione iactetur: cum vero de
domino deo vox est, vocis pura sinceritas non eloquentiae viri-
bus nititur ad fidei argumenta sed rebus, denique accipe non
diserta sed fortia, nee ad audientiae popularis illecebram cuUo
sermone fucata, sed ad divinam indulgentiam praedicandam
rudi (!) veritate simplicia. accipe quod sefititur antequam
discitur, nee per moras temporum longa agnüione colligitur,
sed compendio gratiae maturantis hauritur. Für unser Gefühl
ist das besonders empfindlich da, wo er (wie so häufig) Citate
aus der Schrift einfügt, z. B. de or. dorn. 8 quod declarat scrip-
turae divinae fides, et dum docet quomodo oraverint tales,
dat exempium quod imitari in precibus debeamus, ut tales esse
possimus: „Tunc iUe tres, inquit (Dan. 3, 51), quasi ex uno ore
lyymnum canebant et benedicebant dominum* J' loquebantur quasi
ex uno ore, et nondum iUos Christus docuerat orare, et idcirco
oranObus fuit impetrabüis et efficax sermo, quia promerebatur
dominum pacifica et simplex et spiritalis oratio, sie et apostohs
cum diseipulis post ascensum domini invenimus orasse: „erant,
inquit (act. 1, 14), perseverantes omnes unanimes in oratione cum
muUerüms et Maria quae fuerat maier lesu et fratribus eius*/^
perseverdbant in oratione unanimes, orationis suae et instantiam
simul et concordiam declarantes: quia deus, ^^qui inhdbitare facit
unanimes in domo (ps. 57, 7)*,*^ tion admittit in divinam et aeter-
nam domum nisi eos apud quos est unanimis oratio. Wort-
stellung, Wortgebrauch, ja die Syntax ist bei ihm gelegentlich
dadurch tAß ^' nfluJGst, doch gehe ich darauf nicht näher
946 Anfang 11: Zur Geschichte des rhythmischen Satzschlosses.
Arnobiiu. eüi.^) Amobius berücksichtigt die Klausel, soviel ich sehe, an
allen stärkeren Satzschlüssen, meist auch an den schwächeren^,
Lftctmnz. während Lac tanz auch darin klassischer ist, dals er sich wie
sein Vorbild Cicero nicht sklavisch dem Gesetz unterwirft. Die
aus der kaiserlichen Kanzlei hervorgegangenen Schriftstücke
Kandrfen halten sich genau an das Gesetz, z. B. die schwülstige Vorrede
des Edictum Diocletiani a. 301 (CIL VI p. 824): Fortunam
rei publicae nostraCy cui iuxta inmartales deos beUorum memoria
quae feliciter gessimuSj grtxtalari licet tranquillo orbis statu
et in gremio aUissimae quietis locato^ etiam pacis bania prcbter
qtiam sudore largo lavoratum est^ disponi feliciter atque or-
nari deeenter hanestum publicum et Bomana dignitas maiestas-
que desiderant, ut no$ qui benigtio favare numinum aestuantes
de praeterito rapinas gentium barbarorum ipsairum naüonum
clade conpressimus, in aetemum fundatam quietem ab m-
testinis quoque malis saepiamus. etenim si ea quibus nullo sibi
fine proposito ardet avaritia desaeviens, qua sine respeetu
generis humanif non annis modo vel mensibus aut diebus, sä
paene horis ipsisque momentis ad inerementa sui et augmenta
festinant, aiiqua continentiae ratio frenaret, vei si fartunae
communes aequo animo perpeti possent hanc dtbachandi licen-
iiam qua pessime in dies eiusmodi Sorte lacerantur: dissi-
mulandi forsitam adque reticendi relictus locus videretur, cum
detestandam inmanitatem condicionemque miserandam communis
animorum patientia temperaret u. s. w. £benso der Brief Con-
stantins an Porfyrius Optatianus, woraus man lernen kann,
dafs das Gesetz auch für die Kritik wichtig ist'), ein inschrift-
1) Interessant müfste eine Untersuchung der pseudocjprianischen
Schriften sein; z. B. beobachtet der Vf. von De bono pudicitiae den Sats-
schlufs in Cyprians Sinn, aber bei ihm ist das Gefühl von der Quantit&t
schon abhanden gekommen und er mifst daher im 1. Kapitel einmal nach
dem Accent: redderi conor (^ ^ 0 ^ J). Dagegen kennt der Vf De duplici
martyrio das Gesetz überhaupt nicht: begreiflich, denn er ist, wie Ton F.
Lezius in: Neue Jhb. f. deutsche Theol. 1895, 96 ff. 184 ff. glänzend nach-
gewiesen wurde, Erasmus: die Tradition über den Rhythmus bricht aber,
wie wir sehen werden, am Ende des Mittelalters ab.
2) Verfehlt ist K. Stange, De Amobii oratione: n de clausula Amo-
biana, Progr. Saargemünd 1898; er kennt nichts von dem, was früher über
•"i'».he Dinge geschrieben war.
1) Falsch sind folgende Konjekturen T ^«Uers (Porf. Opt. cano., Leipi.
Die lateiniBche Prosa: Kaiserzeit. 947
lieh erhaltener Brief desselben (CIL III 352, Brans, Fontes^
p. 158f.) nnd die Erlasse des Codex Theodosianns, z. B. vom
J. 380 (cod. lust. I 1; 1): cundos populos, quos clementiae nostrae
regit temper amentumy in tali volumus religione versari, quam
divinum Petrum apostolum tradidisse Romanis religio usque ad
nune ab ipso insinuata declarat quamque ponüficem Damasum
sequi claret et Petrum AUxandriae episcopum virum apostolicae
sanctitatiSj hoc est ut secundum apostolicam disciplinam evan-
geUcamque doctrinam patris et filii et spiritus sancti unam dei-
tatem sub pari maiestate et sub pia Urinitate credamus^) u. s. w.
Die Praxis des Hieronymns ist wiedenim ganz lehrreich: da, ^^^'
wo er spinöse Fragen behandelt^ achtet er nicht oder so gut
wie nicht auf den Rhythmus, aber sobald seine Rede höheren
Schwung nimmt, stellt er sich ein. Man lese z. B. den yierzehnten
Brief (I 28 ff. Yall.): bis c. 9 mehr Ausnahmen als der Regel
gemälse Klauseln, aber dann beginnt c. 10 der pathetisch-schwül-
stige Epilog also: sed quaniam e scoptdosis locis enavigavit
oratio et inter cavas spumeis fluctibus cautes fragilis in cdtum
cymba processit, expandenda vela sunt ventis et quaestionum
scopulis transvadatis laetanlium more nautarum epilogi ce-
leuma cantandum est o desertum Christi floribus vernans.
0 solitudo, in qua iUi nascuntur lapides de quibus in apocalypsi
1877 p. 4): a fntctu favoris exclusi sunt für exclusit, wie richtig über-
liefert ist (Subjekt ist eloquentia); hoc tenere propositum (^contigity^ yielmehr:
hoc tenere (conti gii} propositum; ut haesitantiam carmini multiplex legis
ohservanHa non pareret: überliefert ist repararet, zu schreiben pararet (aus
ra
pareret); unnötig die Änderung elegia eantatast für das überlieferte elegia
cantata sunt {ilByilov öfters so latinisiert saec. IV). Dagegen wird be-
stätigt: ex ea vindicare für indicere; conlocutus est ^altery.
1) In der Praefatio zur Urbs Constantinopolitana noya Roma (ver-
fafst unter Theodosius 11 408—450) ed. in: Not. dign. ed. Seeck p. 229,
Geogr. min. ed. Biese p. 138 durchgängig, merkwürdigerweise aufser dem
letzten Wort; dies ebenso in der Epist. Yindiciani comitis archiatrorum
ad Valentinian. bei Marcell. Emp. p. 21 ff. Helmr. — Recht bemerkens-
wert dürfte sein, dafs die byzantinische Staatskanzlei in ihren lateinischen,
für den Westen bestimmten Schriften das (besetz nicht kennt, vgl. z. B. die
Antwort Justinians auf ein Schreiben des römischen Papstes Cod. lust. I 1,
8: letzteres ist streng rhythmisiert, erstere absolut nicht. Die Tradition
war in Byzanz abgebrochen, da für das Griechische, wie wir sahen, seit
c. 400 n. Chr. ein anderes (besetz galt.
Norden, antike Konstproift. IL 61
948 Anhang tl: Zui- Oeichiebte des rhytlimischen SalzacUluMea.
itas magni regia extruttur. o eremus famiUarius deo g
I dens n. s, w.*) Äagustin ist, wenn ich nicht irre, der erste,
dar neben der Quantität der Silben auch schon den
Accent in der Klausel berücksichtigt: begreiflich genug,
da er selbst von den Afrikanern sagt, sie verständen sich nicht
darauf, mit den Ohren die Quantität der Silben zu percipieren
(cf. K. Sittl, D. lokal. Versch. d. lat Spr. 68), woraufhin er ja
auch seinen berühmten Hymnus gegen die Donatisten nur nach
dem Accent geregelt hat. Zum Beweis will ich eine Stelle an-
führen, die uns auch durch ihren Inhalt gerade hier inteiesaiert.
De doctr. Christ. IV 20, 40 f, 'induite dominum lesum Christum, et
comi« providentiam ne feceritia in concupisceniii^ (Paul. ep. ad Rom.
13, 14), quod si quisquam ita diceret: 'et camis povidentiam «c im
cotta^iscentiis feceritis*, sinedfibio aures clausula numerosiore mul-
ceret'), sed gravior interpres etiam ordinem maluit teuere verhorum.
quomodo autem hoc in graeco elöquio sönet, quo eat locutus dpa-
stolus, viderint eius eloguii itsgue ad isla doctiores: mihi tamen
quod nobis codem verborum ordine interpr^tatum est, nee Hi
videtur currere nümerose.^) sane hunc elocutionis ornatum, qui
»umerosis fit clausulis, deesse fatendum est auctorihus nostris.
quod utrum per interpretes factum sit*) an, quod magis ar-
biträr, consitlto Uli haec plausibilia devitarint, affirmare non
audeo, gitoniam me fateor ignorare. illtid tamen scto, quod si
quisquam kuius numerosilatis peritus illorum claustäas eorundetn
numerorum lege componat, qttod facilUme fit muiatis guibusdam
verbis quae tantundem signtficalione välenl vcl mufalo eorum quae
iHscrcrii ordine''), nihü illorum quae velut tnagna in seholis
grammaticorum aut rhetorum didicit, Ulis divinis virts defmsse
cognoseet et multa reperiet locutionis genera tanti decoris, qyae
1) F,B iat doch cbarakteris tisch, daTe an der «insigea Stelle der beidaK "
den Epilog bildenden Kapitel, wo die Klaaae! Ternachiaaaigt ist, die Über-
lieferung schwankt: c. 11 exhihtbilur cum prolt sua Venus, cf die adu. crit,
2) NUmlieh mit i _ ^ u. Concupiscetitiis hat aw&r die Form i ^ i
i u i, aber sie durfte nicht ans einem Wort bestehen, was wenigat«iui
Tüi j. ^ ^ j. ^ nach einigen galt: Quint IX 4, 66 f. 97; die Praxis ist noch
zu untersuchen.
i) Er bSrtc wohl du
6} So also machte n
Die lateinische Prosa: Ende des Altertums. 949
quidem et in nostra sed maxime in sua lingua ddcora sunt^
guorwn miUum in eis guibus isti inflaniur litteris invenitur. sed
eavendum est ne divinis gravibnsque sententiis, dum additur
numerus, pondus detrahatur. nam Ula musica disciplina, vbi
numerus plenissime dicitur, usque adeo ncn defuit propheiis
nostris, ut vir doctissimus Hierattymus quorundam etiam mitra
commemoret in hAraea dumtaxat lingua, cuius ut veritatem ser-
varet in verbis, haec inde non transtulit ego autem ut de
sensu meo Idquar, qui mihi quam aliis et quam cUiorum est
ütiqui notior, sictU in meo eloquio, quantum modeste fieri arbi-
trär, non praetermüto istos numeros clausularum, ita in audari'
hus nostris hoc mihi plus placet, quod ibi eos rarissime in-
venio.^) In den fQr das Volk bestimmten Predigten tritt der
A^ccent womöglich noch stärker hervor, vgl. z. B. serm. 11 (38;
97 f. Migne).
Aus späteren Autoren*) will ich, da sich aus ihnen für das ^*^j^*"
Prinzip nichts Neues lernen lälst, nur noch auf zwei hinweisen, Eimodio
die von der besprochenen Sache selbst reden. Ennodiusep. II sedaUui
dum sälum qmeris verbis in statione conpositis et incerta liquentis
elementi plaeida oratione describis, dum sermonum cymbam inter
loquelae scopulos rector diligens frenas et cursum arti-
ficem fabricatus trutinator expendis, pelagus octdis meis,
quod aquarum simuldbas ehquii^ demonstrasti, und besonders Se-
dulius in der Vorrede zu seiner Prosabearbeitung des Carmen
paschale p. 171 Huemer: praecepisti, reverende mi domine, paschalis
carminis textum ... in rhetoricum me transferre sermonem
p. 173 priores igitwr libri, gpiia versu digesH sunt, nomen pascluüis
carminis acceperunt, sequentes autem in prosam nulla cursus
varietate conversi paschalis designantur operis vocabülo nuncupati.
1) Zum Inhalt vergleiche noch was weiter folgt c. 26, 66: sogar in
der niedem Bedegattnng (oraHo 9ubmi88a\ deren Zweck nur Belehrung sei,
dürfe man nicht jede suavÜM verbannen, denn nuKcime quando adest et
qtAoddam decus non appetüum sed quodammodo naturale, et nownulla non
iactanticula sed quasi necessaria atgue ut ita dicam ipsis rebus extorta
numerositas clausularum, tantas acclamationes excitat, ut vix
intellegatur esse submissa.
2) Für Faustus von Reii (f c 600) cf. A. Engelbrecht im Corp. eccl.
Vind. XXI p. XXXri; für Caesarius von Arles: C. Arnold, Caesarius v. A.
(Leipz. 1894) 86. Für das Konzil zu Bagai i. J. 894 s. o. S. 626 f.
61*
950 Anhang 11: Zur Geschichte des rhythnÜBchen Satsschlosaes.
Sedulius mufs also nach diesem seinem SelbstzeagniB als Norm
für das gelten, was man damals als rhetorische Elausel (eursuSf
s. weiter nnten) ansah. Wir sehen ans seiner Praxis, dafs in
den nns bekannten Klauseln damals die Messung nach
dem Accent schon dnrchans legitim war; cl den Anfang:
pasdialibus te dapibus conviva quisquis inpertiSj aceubitare no-
siris non dedignatus in iöris, eredum supercüü depone fasti-
giuntj si caru8 advenies 4t amicuSj nee opus codids hie requiras
artificis sed exigua parvae mensae sollemnia \ laetus aeci-
piens, contentus adsumens libentius animo saturare quam
cibo n. s. w., cf. p. 177, 13 dirigens via, 180, 1 delicta n^-
caverant^)
ft!^*di^ 5) Für das Mittelalter mu& ich anf die Darlegungen der
Hiiuuiten. oben (S. 924 ff.) genannten Gelehrten verweisen'): abgeschlossen
scheint mir die Forschung hier noch keineswegs zu sein. Ob
es sich z. B. wirklich bestätigen wird, dafs die Tradition von
Gregor d« Gr. (f 601) bis zum XL Jh. völlig aufgehoben ist?
Innerlich ist derartiges immer höchst unwahrscheinlich und
dürfte sich in diesem Fall auch wohl durch Tbatsachen wider-
legen lassen, z. B. habe ich mir notiert, dafs die regulären
Klauseln dem Marculfus (s. YIl) in seinen Formularum libri
(Mon. Germ. Leg. sect. Y) noch bekannt sind, dafs fftr die karo-
lingische Zeit Theodulfns, Carm. L IV 2 (ed. Sirmond Yened. 1728
vol. II 813 ff.) sie zu bezeugen scheint, dafs sie Gerbert (f 1003)
in seinem Brief an Otto III (ep. 154 ed. Par.) beobachtet (aber
Otto selbst in seinem Brief '^^ ep. 163 nichi)^ ebenso Walther
Spirensis (s. X) in seiner prosaischen Passio S. Christophori ed.
Pez, Thes. anecd. II P. III p. 57 ff. Für diejenigen meiner Leser,
denen diese Dinge femer liegen, bezeichne ich in aller Kürze die
Praxis des Mittelalters nach den Yorschriften der Theoretiker
(Dictatores) :
1) Cursus planus: nostris infünde, largire cidpärum, devotionis
äffectu etc.; reficiamur in mente.
2) Cursus tardus: dignos efficidnt, iudicata lätinitäs; saeraminta
quae sumpsimüs, verba prdläta sunt.
1) Konsonantisches h z. B. p. 179, 2 recondat in horrea.
2) Cf. ferner noch H. Brefslau, Hdb. d. Urkundenl. I (Leipz. 1889) 588 ff.
A. Giry, Manuel de diplomatique (Paris 1894) 454 ff.
Die lateiiiische Prosa: Mittelalter und Hamanismui. 951
3) Corsas yelox: gloriam perducdmttr, actufnibüs drudita etc.;
proficidnt et salüte, cAmitür it in tdrra, spiritüs sdncti dcu8.
Die beiden ersten Formen sind basiert auf dem Cretious, und
zwar sind es die uns seit Demosthenes wohlbekannten Formen
j. Kj X j. o und j. yj X j. Kj X, nur dafs statt der Quantität der Ac-
cent die Norm bildet; also r>j n^ Aj rij ^ und rij »^ r^j ^L ^ Aj]
die dritte Form ist der ebenfalls auf die griechische Eunstprosa
zurückgehende Ditrochäus j. yj j. o, bezw. rL n^ <* 0^: wann es
Gesetz geworden ist; dals dieser dritten Form ein Creticus Yor-
ausgehen mufs, also Aj n^ A* Aj r^ Aj nu, ist noch genauer zu
untersuchen: Cicero liebt es schon (s. 0. S. 932, 7).
Wie lange erhielt sich die Tradition? Dafs sie durch Dante ^"''*J*^"|
noch vertreten wird, ist selbstverständlich; aber auch Petrarca uamMUt«
zahlt dem Mittelalter noch seinen Tribut, vgl. z. B. seinen Brief
aB Quintilian (ep. de reb. fanu XXIV 7); der sich Ober die
Accente entsetzt haben würde: olim tuum nomen audieram et
de tuo äliquid legeram, et mirdbar unde tibi nomen äcuminis.
sero ingenium tuum novi. oratariarum instHutianum liber heu
discerptus et lacer venit ad manus meas u. s. w. Bei der jüngeren
Humanistengeneration erlosch die Tradition bis zu dem Qrade^),
dafs Erasmus die von ihm gemischte Cyprianscbrift ohne eine
Ahnung von diesem Gesetz verfaCste (s. oben S. 946; 1): ein neuer
Beleg für die früher (8. 767) bemerkte Thatsache, dab sie dem
mittelalterlichen Latein ; damit aber zugleich auch dem Latein
als lebender Sprache ; den Todesstols versetzte. Aber in den
Kreisen der Scholastiker, die das reaktionäre Element vertraten,
erhielt sich die Tradition viel länger: ich war überrascht; sie
ausf&hrlich erörtert zu finden in der von bumaoistiseben Ideen
nur leise berührten (anonymen) Ars dicendi, die in K5ln 14^
gedruckt ist^; wer sich einmal mit der Geschichte dieser Klausel
genauer beschäftigen will; kann nichts Besseres thun, aN die
1) Wenn einige die Vom l ^ -^^ t j oiu;h tim vUeaUtr ber<>rtogien
(cf. Bu Sabaddini, La tcnoU di Guariflo [Cutaoia Iff^J Ih^^ nt, UuiUm nin da«
niciit, weil die mittelaiterliebe InAiüon 10 iho^ ntft^ Mttnäi^ wsr, n^m^
dem anf Grand der Steiles uati)usr ÜhnU/r^sn^ in d^sn^ mn 6Ut WtMMiit
Ciceros filr am videatmr bezeugt UnAtm (n o, H, fßtJt),
t) CfPttuer, Ann. tjp. l p.Wl u, J17| ff/rimndtm auf d«r KgJ. blhlyj-
tbdk sa Bedia. H. %nch o, H. W,, L
T. FflgemgeB ffr asm Texte.
Die TOT^legt« Sidzze der Gesdiicbt« der rhjüunischHi
Klausel dOrfte nkbt blc^^Jbe^tisch insofern interessant sein,
als wir dorch sie die Zan^ei^ der^^iditian fär zwei Jahr-
taaseode an eüaemeinbeben Geseti« deatlicb beobachten k&ui^
BtadeTn sie b^otzi aticli praktiscbe Bedeatnng in me^TacC«-
HiaBclit 1) Sie zeigt ons, wie wir antike EiiJ^{a;osa recitiereo
mSnen, wenn wir nna wenigstens iu emem PqäI eine Vorstel-
^ Kmg 'on ihrem Ethos machen wollen. 2) Sie lehrt ans, auf
welche Partieen seines Werks ein Äntor durch ihre Beobacbtong
bexw. V^OTSwijassignng grofses oder geringes Gewicht gelegt
hat, sie dient insofern also der Interpretation. 3) Sie wird uns
lehren, nnsere Texte oft richtiger zu interpnngieren als es jetzt
geschieht. Ich halte es ferner auch umgekehrt für möglich,
data wir durch eine wissenschaftliche Geschichte der antiken
lüterpunktion, und zwar nicht blofs der Theorie, sondeni anch
der Praxis, wozu ja ein dringendes Bedürfnis vorliegt, manches
fQr das Gesetz der rhythmischen Klausel lernen werden: auf
Spuren rhythmischer Interpunktion ist im Verlauf dieses Werks
gelegentlich hingewiesen, und beim Lcaen griechischer Hand-
Bchriften der byzantinischen Zeit (z. B. des Gregor von Nazianz,
wo die Schoben sehr viel auf die Interpunktion hinweisen) wollte
es mir gelegentlich scheincu, als ob darin keineswegs eine solche
Planlosigkeit herrscht, wie man gewöhnlich annimmt, sondern
als ob neben der grammatisch -logischen auch die rhythmisi
Interpunktion beobachtet wird.') Wenigstens wäre zu wilns«
damit wir darüber ('cwifsbeit erhalten, dafs die Herausgebei
1) In dem oben S. H71, 3 aus einer H» saec. X/Xl mitgeteilten
^Hi Nikotifaon» i«t nnch folgenden Worten interpungiert: xlm
ieä*1>' iaijfiiiiat' t6iiovs qifQUV evyyfvtlaf, 6v6&fVTOV ägiTtj' ngo%(lfump-
httitli, BUfiHXR, Atif6iaiov luXit^Oavii, liraivoy tiei' Aya9oi' ivvaxoi,
«an^Mfiora ' ii, 0><!|ia' Si«luS- älXav, nutaXiyeeSai- ftiv, fiy^nijv atlfa'
, ^' nfo«iuiptvi/tlv pißmov ditgytiaft, itSrieiv' ylAveji- loyitfi^
1
Folgerangen and Terminologie. 953
Texten griechischer und lateinischer Prosaiker sich etwa in der
Praefatio kurz auch über die Interpunktion der von ihnen ver-
glich^en Handschriften äoberten. 4) Sie wird f&r die Kritik
nul^bar gcmijMht werden k5nnen, sobald die Praxis des betreffen-
den Schriftstellers genau ermittelt sein wird: denn bevor das
geschehen ist^ dürfen Stellen , die dem Gesetz widersprechen,
natürlich nicht geändert werden: L. Havet hat in der Revue de
Philologie 1. c. (oben S. 926; 1) mit Cicero de or. einen guten An-
fang gemacht; doch sind noch viele Voruntersuchungen nötig;
um seine Vorschläge zur Evidenz zu erheben (s. auch o. S. 932; ?•
940, 2. 946; 3. 948, 1).
VI. Tenninologle des rhythmischen SatzscUnsses.
Zum Schlufs noch ein paar Bemerkungen über die Aus-
drücke; mit denen man diese Art der kunstmäüsigen Komposition
bezeichnete.
1. structnra, dictamen.
In der klassischen Zeit fehlte ein spezieller Ausdruck; erst
im IV. Jh.; als die Befolgung des Gesetzes eine immer strengere
wurdC; begegnet structura: so C. lulius Victor ars rhet. c. 20 «/me/Mra.
(Rhet lat. 433, 20 H.) und 26 (446, 17), Diomedes betitelt den
betreffenden Abschnitt seiner Grammatik de strudurae quälitat3ms\
die Beschäftigimg selbst nannte man struere, cf. Victor c. 27
(448, 15): anxius struendi labor. — Im Mittelalter war der ty-
pische Ausdruck dictamen, dessen Verfasser dictator hiefi3;<<>'6<am«tt.
die meisten Belege dafür findet man bei Thurot und Valois in
den oben (S. 924 f.) genannten Abhandlungen^); ich füge noch
eine erst später bekannt gewordene, recht bezeichnende Stelle
hinzu: in einer von Ch. Fierville Paris 1884 edierten lateinischen
Grammatik des XIII. Jh. (verfaTst in Oberitalien) heifst es fol. 81':
dictamen est ad unamquamque rem congrua et decora hcutio; ä
dicitur dictamen a diclo y a$, quod est frequentativum huim verbi
dicOy eis. nam haec sdentia maxime in exercitatione consistit tria
dUj ilnliovaiv ^av(iMt6fUvor yvAfkris^ x^arer, nectQl- inixi^hparcn' iotiffi-
1) Cf auch Fr. Eckstem, Lat. u. griech. Unterricht (Leipz. 1887) 52 f.
954 Anhang 11: Zar Qeechichie des rhythmischen Satzschlosses.
in omni exacuto dictamine requiruntur, scilicet degantia^ composUio
et dignitas, elegantia est q\ie facit iU locutio sU cangrua^ propria
et apta. compositio est dicHonum comprehensio equabüiter perpölita.
. . dignitas est qae ordinem exomat et ptdchra varietate distinguif.
Der Ursprung dieses Wortes dürfte von allgemeinerem Inter-
esse sein, weshalb ich kurz darauf eingehe. Es war nämlich
«e/ar0sgj^Q ZU diktieren und nur in AusnahmefaUen (z. B. in beson-
diktieren' , ^
aiMThanpi. ders yertraulichen Briefen) selbst zu schreiben: f&r Regel und
Ausnahme lasse ich die mir bekannten griechischen und latei-
nischen Zeugnisse folgen.
Der Apostel Paulus hat, wie die bekannten Stellen seiner
Briefe beweisen; diktiert , natürlich nicht (wie einige früher an-
nahmen), weil er nicht schreiben konnte ^); sondern weil es so
Sitte war, cf. die Stellen in der Real-EncycL f. prot. Theol.* s. v.
Paulus XI 379. Auch der erste Petrus brief (8.11) ist diktiert,
cf. 5, 12. Den Johannes lieis die Tradition Evangelium und
Apokalypse diktieren: acta loh. p. XLIY. LIX ed. Zahn (Erlang.
1880). Für Ignatius cf. Lightfoot zu ep. ad Rom. 10, Phila-
delph. 11. Im allgemeinen: Weizsäcker, D. apost. Zeitalter p. 188.
Origenes nach Eusebios h. e. VI 23, 2 ta%vyQdtpoi, airtm
nXelovQ fl g' xov igc^^bv naQ7J6av ixuyoQBvovxi.
lulian diktierte: cf. Liban. or. 17, vol. I 517 R: & X^^Q^S
i)icoyQatpi€ov xri xf^g yXAxxris BifLovöia XQaxri^stöai.
Synesios ep. 23 Sov6rig öol xfjg q>i}6ea)g oi lidvov XQog XQBlav
&Xkä xal nQbg Ivdsi^tv Tcal g)iXoxiiiCav imayoQSVBiv ixiötoXdg.
16 (an Eypatia) xXivonsxiig vjt'qyÖQCvöa xijv ixiöxo^i^v: ihr schrieb
er also sonst eigenhändig.
Prokopios Gaz. ep. 28 bekli^t sich über die undeutliche
Schrift eines von der Hand seines Freundes geschriebenen Briefes.
Lucilius nach Hör. s. I 4, 9 f.: in hora saepe ducentos üt
magnum versus dictabat stans pede in uno,
Nero nach Suet. 52: venere in manne meas pugiUares libeUi-
que mm qtiibusdam notissimis verstbt4S ipsius Chirographe scripUs,
ut facile appareret non tralatos aut dictante aliquo excqptos^ sed
1) Selbstverständlich ist auch dies oft der Grund gewesen, cf. die
Qesta de aperiundo testamento vom J. 474 (Bruns, Fontes ^ p. 281 f.) in hae
cartula testamentum feci idque scribendum didavi Domitio lohanni forfenm),
cuiqtie ipse liUeras ignorans subter manu propria Signum feci. Solche Fftl
gehen uns hier nichts an.
Terminologie: Geschichte des Wortes dictare. 955
plane quasi a cogitanie afque generante exaratos: ita mülta et deleta
et inducta et superscripia inerant
Plinius d. A. diktierte: cf. Plin. ep. III 5, 15.
Quintilian X 3^ 18 ff. wendet sich in ausführlicher Polemik
gegen das Diktieren, woraus man sieht, wie verbreitet die Sitte
damals war.
Plinius d. J. ep. IX 36, 2 notarium voco et die admisso quae
farmaveram dicto: abit rursusque revocatur rursusque dimiititur,
cf. IX 40, 2 u. 5.
M. Aurel diktierte seine Briefe an andere, aber dem Fronto
schrieb er eigenhändig, nur selten diktierte er auch für ihn, was
er dann ausdrücklich mit seiner -Krankheit motiviert: ep. IV 7.
8. V 47 (p. 70. 71. 90 N.). Ebenso Fronto selbst: ep. ad M. Caes.
IV 9 (p. 71): gwod qtuxeris de vaietudine mca^ tarn prius scripseram
tibi, me umeri dolore vexatum ita vehementer quidem, ut illam ipsam
qrisiulam, qtia id siffnifieabam, scribendo dare operam nequirem, sed
uterer contra morem nostrum (hier bricht der Text ab) und V 58
(p. 92): vexatus sum, domine, nocte diffusa dolore per umerum et
eubitum et genu et talum. denique id ipsum tibi mea manu scribere
mm potui, c£ p. 99. 133. 149. 222. 230. 232.
Ammianus XV 1, 3 (von Constantius) a iustitia declinavit
ita iniemperanter, ut ^aetemitatem meam* aliquotiens subsereret ipse
dictando scribendoque propria manu orbis totius se dominum appel-
laret. Der ib. 5, 3 erzählte Betrug erklärt sich daraus, dafs der
Text des Empfehlungsbriefs diktiert und nur die Unterschrift
eigenhändig gegeben war.
Hieronjmus ep. 21, 42 (an Damasus): non ambigo, quin
tneulta tibi nostrae parvitatis videatur oratio; sed saepe causatus
sum expoUri non posse sermonem nisi quem propria manus lima-
verit itaque ignosce dolentibus octdis, id est ignosce dictanti. Der-
selbe ep. 127, 12 haeret vox et singulius intercipiunt verba dictantis,
Sidonius und seine Freunde schrieben teils selbst, teils
diktierten sie, cf. ep. I 5, 9. III 4, 1. — I 7, 5. V 17, 9 f. IX 9, 8.
Für Ennodius cf. den Hartelschen Index s. v. dictare.
Karl d. Gr. hat nach der bekannten Tradition nicht schreiben
können. Wie das zu beurteilen ist, hat schon Hauck, Eirchen-
fieschichte Deutschlands II 117, 6 richtig bemerkt: „Man mufs
"^as Schreiben eine Kunst war und dafs man des-
i asu diktieren pflegte. So Alkuin (ep. 147),
956 Anhang II: Zur Geschichte des rhythmischen Satzschlasses.
Benedikt von Aniane (Y. Ben. 57 p. 205), selbst ein junger Mönch
wie Candidas von Fulda (V. Eigil. 1 p. 217) oder der spatere
Bischof Lul von Mainz (Bonif. et LuL ep. 111 p. 274).''^) —
dicMr«« Hauptsächlich diktierte man nun solche Schriften, deren Stil
gehobener ein gehobener und glänzender sein sollte: das ist sehr bezeich-
schrifton. jjgjjj^ jgjm ^jg Stimme und das Ohr, diese Trager des Rhyth-
mus, waren auf diese Weise an der Konzeption beteiligt, wie
man ja aus demselben Grunde laut zu lesen pflegte (s. o. 8. 6):
Dio Chrjs. 18, 483 R. an einen Staatsmann, der sich im
Reden weiter ausbilden will: yQdg>€iv ftiv oiv oi öv^ifiov-
Xeva 601 aixA iXX^ ^ 6q)6dQa igaiAg^ ixididövat, dl
[AäXXov' XQ&tov i^hv yä(f ifkOiötSQog x& Xdyovti 6 ^xayo-
Qßvmv rot) yQdq>ovxogj htHta iXittovi x6vp ylyvstaij ixHta
Sl 7t(fbg SvvafiiP (ihv fjvtov övXXafißdvsi tov y(fdq>€iv, Xffbg sitv
öi (UcXXov.
Ambrosius ep. I 47 (an Sabinus; 16, 114 f. Migne): trans-
misi Petitum codiceni scriptum apertit/tö atque enodatins, quam ea
scriptura est quam dudum direxi, ut legendi facüHate nuOum iudicio
tue afferatur impedimentum. nam exempUms liber nan ad spedem
sed ad necessitatem scriptus est, non enim dictamus omnia et
maxime noctibus, quihus nolumus aliis graves esse ae mo-
lesti. tum ea quae dictantur, impetu quodam proruunt et
profluo cur SU feruntur. nobis autem quibus curae est senilem
sermonem familiari usu ad unguem distinguere et lento
quodam figere gradu, aptius videtur propriam manum
nostro affigere stilo, tU non tam deflare aliquid videamur quam
oAscondere, neque alterum scribentem ervbescamus sed y^i nobis
conscii sine ullo arbitro non solum auribus sed etiam ocuJis ea
ponderemus quae scribimus. vdodor est enim lingua quam manus,
dicente scriptura Hingua mea calamus scrtbae vehdter scribenti^
(Psalm. 44, 2) Apostdus quoque Paulus sua scribAat manu
sicut ipse ait: ^mea manu scripsi vdbi^ (Gal. 6, 11), iUe propter
honorificentiam, nos propter verecundiam.
Otloh, der gelehrte deutsche Mönch s. XI*), in der Über-
1) Übrigens hat schon Gesner in seiner Ausgabe des Quintilian (CrÖi-
tingen 1788) zu X 3, 18 die Thatsache richtig erkannt. — Aus dem späten
Mittelalter cf. etwa noch Otto y. Freising, chron. prooem. qui (Bagewin)
hanc historiam ex ore nostro sttbnotavit,
2) Cf. über ihn Watteabach, Deutschi. Geschichtsquellen im Ma. II* 65 ff.
Terminologie: Geschichte des Wortes düiare. 957
sieht über seine Schriftstellerei Mon. Germ. SS. XI 387 ff.: scripsit
iäem dericus (er selbst) . . qmedam quidem dictando, quaedam
autem älio modo, quae scäicet utraque subsequenter pandere voh;
sed didata prius, post haec quoque cetera pandam. Es folgen nun
3 Werke y die er als dictamina ansieht: de spiritali doctrina,
yisiones; de tribas quaestionibus. Er schliefst nach der Inhalts-
angabe mit den Worten (p. 390, 15) haec sint dida de siipra-
scriptis libriSj quos in ummi componere volui nunc etiam libet
pandere, qua causa studuerim altos libellos scribere. Wenn man
nnn die folgenden Schriften mit jenen 3 ersten vergleicht, so
sieht man den Unterschied: jene enthalten selbständige Kom-
positionen, diese sind teils Umarbeitongen von vorliegenden
Heiligenviten, teils Predigten , teils eine Art von libri exhorta-
torü, in denen er im wesentlichen Stellen der Schrift und ge-
eigneter Profanaatoren anhäuft zu erbaulichem Zweck (es sind
dies: de cursu spiritali bei Pez, Thes. anecd. nov. IH 2 p. 259 ff.,
cf. besonders von c. 4 an; libellus manualis de ammonitione
clericorum et laicorum 1. c.p. 403 ff.; Über proverbiorum 1. c. 485 ff.),
teils überhaupt nur Handschriften, die er abgeschrieben hat.
Diese Verhältnisse haben nun gewissermafsen ihren plasti-
schen Ausdruck in der Bedeutungsentwicklang von dictare^^^^^
gefunden, das bei späteren Schriftstellern geradezu syn-
onym mit scribere (aber nur von Kompositionen in hohem
Stil) gebraucht worden ist Die Stelle, wo es scheinbar zu-
erst vorkommt, ist auszusondern: Appuleius flor. 16: poeta fuü
hie Polemon ..., fäbulas cum Menandro in scaenam dictavit,
denn hier ist die Emendation Büchelers (Couiect. lat. [Greifswald
1868] 10) datavit sicher. Ich finde es zuerst bei Augustin ^)
contra epistulam Parmen. 3, 7, wo Emeritus, ein Bischof von
lulia Caesarea, der Verfasser der sententia des Konzils von
Bagai i. J. 394, dictator ülius sententiae genannt wird, cf. von
demselben Augustinus contr. Crescont. lU 19, 22 dictator vd
1) Der daneben aber auch die nrsprfingliche Bedeutung noch kennt,
z. B. de doctr. Chr. IV 4 exerdtoHo si/oe scribendi sive dictandi. Sie ging
natfirlich nie ganz verloren, cf. etwa noch Aimoinns mon., vita S. Abbonis
(abb. FloriacensiB, f 1004) bei Mabillon AA. SS. 0. S. B. 8. VI 1 p. 87: müt-
tum prodesse ceruebcU liUerarum studia maximeque dictandi exereitia, qua-
rum ipu perstudiosua existens nullum paene iniermittebiU tempui, quin Ugeret
icriberet dictaretve.
958 Ajüiaag Uz Imr Gcxkickle d»
üdor Slims saämtimt. Im Y. Jh. ist diner GcIhwbA t^on gim
fest^ L BL bei ädonmiy wn dem, SaTsro im aciiiei Anagmbe (Puis
1599) die Bds{ade m ep. Ym 6, 2 (rnuikmm fmfd jbrMm
greams) zunmiBCBgesidlt und dnr^ idUickhe Sidkn fiterer
Aviom (l a CuskMkNr) l» uf AlArim»') criiaftat Ini: mos
Sim kaibaL ihr w^acntlkhes Mateml Facnna% De iiftii tmexarmm
eccleaae eaäoficae condonut (Park 16&I} L 11 c 15 pi 194 und
4.rf«r^= GesEwr n Qniirtilian (1738; X 3, 18. In dicRr Bcdeaftang kt
diaim befcamitiiA'j das Woit in die geimmiiAea SpEadkm
gefioauam woidat und iwar hier tim AaÜMig an
ftr £e BoeidunBg der hochaieB adtrifiateDendbett KospockioB,
der 'Dichtumg^ aach des oUgen (S- 894 C) Dfedegmigen über
die eBga Bfaiehnagen zwiadieB Bheionk and Pocaie im Mülri-
alier isc das ja bcgreiflidi genug. !■ dieaer Bedevtmig finde
ich es zaersi bo Oft&ied im Prolog za sciacm 6e£^ pu 6 P^er:
aia»aai f«0 iffam (lintm) diciare prmaamfmy fnmäms wobis
manmre CMraet, ib. 9 qMoarii limgmat hmim (der dwiibjcWii) . . . a
iictamtiims emoeoidaäam obfervare^ cL aaa dot iipilmn ICttel-
altar etwa nodi Hugo Ton Trimberg (saec XIII\ Eegiatnun mal-
iorum auctomm ed. Haemer (in: Sitznngsber. d. Wien. Ak. 1888)
V. 68 £ Ton Horaz: ^i ^^5 Zi^os e^io» /«i^ primeifBlts | dbosjiie
dtctacemt minus usuales, \ epcdcn videiieet et übrum odanum, \ qmos
AaiteöM« Mos^m ten^paribus credo valere jparum, — Die üiere Generation
der Homanisten hat dictare, dktamen^ dietatar nodi im mittel-
alterlichen Sinn gebraacht^ z. B. Petrarca adir häufig (so beson-
ders ep. de reb. fam. XIII 5, s. oben S. 764) imd Salntato ep,
ToL 11 p. 54 (Kigacci); erst die jüngere Generation hat wie mit
der Sache so mit dem Wort aufgeräumt^ cL das ^pigraouna ad
lectores', welches Jac. Locher seiner L J. 1496 zu Freibarg L Br.
gedruckten Epithoma rhetorices Toranschiekt:
qui vdü orator quis sU dignoscere dams,
vel qui rhetorices dogmata nasse vdU,
hoc legat e puris opus est quod foniibus ortmm
atque vetustatis quod monumenta sapU.
'Uen aus dem späteren Ma. giebt Dacange 8. t.
Grimm, WOrterb. d. deatsck Spr. 11 105S ff. Fr. Klnge^ Etrm.
mtsck Spr. * (Strafsburg 1894) s. t. 'dichtäx*.
Terminologie: dicUtrt, daumtia, cunui. 959
fum est protrito rerum dictamine factum,
sed prisco enltu rhetoris arma parat,
hue diuerte pedes, ariis dodrina diserte
quem utwä, doquii eanspicuumque deeus
und EL Bebely Comm. epifitolamm conficiendamm (1500) f. VI^
in einer Kritik der rethorica eines gewissen Pontius: neseio pro-
feeto, unde haec sartago loquendi venerit in linguas Germanorum,
ut omnes fere acüpiant dictare pro eo quod est componere et die-
tarnen materiam quae composUa sit^ cum tarnen hnge faUant. dic-
tare enim est id dicere, quod alius excipiens notet. Testis Georffius
MerutOf Domitius Chaiderinus et quo nemo ex recentiorilms latinitatis
dbservantiar Laurenthts Vdlla.^)
r«r««t.
2. clausula, cursus.
Im Altertum hiefis das rhythmische Schlulskolon clausula, ciautmia.
ef. Diomedes p. 300 oratio est sermo contextus ad dausulam ien-
dens. clausula est conpositio verborum plausibilis struc-
turae ezitu terminatcu Dieser Ausdruck geht wahrscheinlich
auf die Zeit Yarros zurück^ c£ Leo im Herrn. XXIV (1889; 291 £
Im Mittelalter wurde der rhythmische Satzschluls cursus
genannt. Den Grund erkennt man aus folgenden Notizen des
Xn. und XHL Jh.: Boncompagnus ars dictaminis p. 480^): appo-
säia, que didtur esse artifidosa dictumum struetura^ ideo a qmibus-
dam cursus vocatur, quia, cum artifieialiter dictiomes hjtcwiimr, cmr-
rere sonitu delectabili per aures ridemimr aum hmffSmcäkf'
audiiarum. Hugo Bononiensis rationes dicianü p. 5S^\ smmit pmeiknr
hoc duo necessariGj id est coma ei o(4ay simf fuJhm vv)«for jwvjwAi
Mom uOtur doquentia, est coma rfiri.^^ rMMWv^ j»Jii«y«nu: jwyw^
dettÜ mm multum inpar posOi^^ ^mmk««^ ;^Wi^ iüsfimunime- nAmimr
quasi currere. An grammaiica ^ XIU t Sr *^: cnrsms esi ^ntr"
bantm dtgamtia vocum duleedtmem ^Mimfi ^ämümH: wt cursms
Ij Em M also Hohn, wenn di<^ V^ JW *fisawJliät o)wc. rironim lO
Uoig dkiamem =• Gedicht g«brin<vb<Mi
T. Ed. Tlmrot L c. (o. S. «ÄV
Z^ EdL Bockinger in: Qu«U«a $, V^x ^ 'JkaAmk ijre^chichi« (Mduchou
f EäL Fierrille L c. ^o. S. 90^^
960 AnViang ü; ZuT Oeschichte des rhythmischen SatzBchlnsscB.
est verbarum camposUio Iqpida et $uavi8^) Die Bezeichnung geht
aber auf viel frühere Zeit zurück, cf. Quintilian IX 4^ 70 quae-
dam dausulae sunt daudae atque pendentes, si rdinquantur, sed
sequentibus suscipi ac sustineri solent^ eoqtte facto vüium, guod erai
in fine, continuaHo emendat, ^nan vult paptdus Bomanus dbsoletis
criminibus accusari Verrem' (Cic. in Verr. V 117) durum, si desi-
nas: sed cum est continuatum iis quae sequuntur, quamquam natura
ipsa divisa sunt *nova postulat, inaudita desiderat* {j, sj i. j, sj^,
salvus est cursus. cf. 106 omnes hi (pedes), qui in breües exci-
dunt, minus erunt stabiles nee altbi fere satis apti, quam ubi cur-
sus orationis exigitur et clausulis non intersisHiiur. Gellius XI .
13, 4 cursus hie et sonus rotundae volid)ilisque sententiae.^ Der
Vorstellung zu Grunde liegt der Vergleich der Bede mit einem
trabenden Boüs, wofür ich oben (S. 33, 3) Beispiele gegeben habe,
von denen hier nur eins wiederholt sein mag: Verg. ge. II i. f.
sed nos immensum spatiis confedmus aequor,
et iam temptis equom spumantia sohere frena.
1) Cf. aolserdem etwa noch üdalricos Babenbergensis, epitoma rhe-
toricae bei Endlicher, Codd. lat. Yindob., cod. CCLXXXI (saec. Xu) p. 166 ff.
2) Aus Autoren des ausgehenden Altertums cf. Auson. prof. Burd. 4, 16.
Sidon. ep. lY 3, 9. Ruricius ep. I 4 p. 357, 3 Engelbr.
Begister.
Accent, griechisch - lateinischer 4 f.
867, 1. Accentmessong in der
Poesie: s. 'Rhythmische Poesie*,
in der Prosa 946, 1. 948 ff.
Accins, Bhetorik 889
Achilles Tatios 489 ff.
Acta Sanctonun, Stil 768 f.
Aelian 488. 486, 1
Aeneas y. Qaza 406^ 1
Aeschines d. Sokratiker 108 f.
Aeschylos, 'Reime' 888, 1
Afrika, eine terra biling^s 862 f.
'Afrikanisches' Latein 689 ff. 689, 1
Agathon 74 f. 77 f. 882
&%atqov 69, 1
Alcmn 697
Alkidamas 72. 188. 145, 8. 147
Allegorie 543. 549. 678 ff. 688. 788
Allitteration 69 f. 157. 169 f. 161, 8.
167 f. 207 f. 620. 629 f. 802, 1. 890
Ambrosins 651 f.
Ammianus Marc. 245. 888, 1. 646 ff.
Analogie und Anomalie 184 ff. 625
Angelsächsische Kultur 668 f.
Anmerkungen, antike 90, 2
Anonymus nsQl ^ovg 68, 1. 246 f.
267. 279. 282, 1. 294 f. 296
Antiochos y. Eommagene 140 ff. 268.
918
Antipater, L. Caelius 176 f.
Antiphon der Sophist, Stil 72, 2,
seme ti%vri ib.
Antisthenes bei Ps. Xenophon de
yenat. 481,8
Antithese (Parisose): des Gedan-
kens 71. 145, 4. 208. 207. 229, 2.
289. 889. 418. 440. 507 f. 511 f.
546. 699. 611 f. 628. 788, der Form:
ihre Geschichte yor Georgias 16 ff.
25 ff., Postulat der Eunstprosa 50 ff.,
in den DeMamationen 288 ff., in
der zweiten Sophistik 888 f. 410 ff.
424. 560 f., auf lateinischen In-
schriften 629 f., bei Rüschen Au-
toren 689, 4. 641 f., m der griechi-
schen n. lateinischen Predigt 662 ff.
616 ff., bei den Humanisten n. in
den modernen Sprachen 786 ff. —
In der Poesie: 76, 2. 77 f. 881 ff.
— YffL die einzelnen Schriftsteller
und "Homoioteleuton'
Antonius, Triumyir 264
&nBiQ6%ttXov 868, 2. 884. 559, 8
&q>iUuc^ gesuchte, in der zweiten
Sophistik 866, 8. 482 f. 485
Apokalyptik, heidnische u. christliche
476
Apologeten, christliche 518, 2
ApoUonios y. Rhodos, sparsame Rhe-
torik 888, 2
ApoUonios y. Tyana, keine Tendenz-
figur 469, 1. cf. 481. 519, 1
Apostelgeschichte: Titel 481. Yer-
nältms zum Eyang. Luc. 482 f.,
sprachliche Sonderung der Schich-
ten 488 ff., die Rede des Paulus
in Athen unhistorisch 475, 1
Appian 868
Appuleius: Stil 600 ff. 944; yerpönt
bei den Ciceronianem 590 f. 777 f. ;
Florida, Bedeutung des Titels 408,
1. 428. 604, 1. 616; Metamorph.,
prooem. 695. 608, 6; 'Magier' 596,
1; bei den Späteren 585, 1. 626, 1.
689, 1
Archaismus: des Sallust 202. 284;
der augusteischen Zeit 252 ff. ; der
ersten Kaiserzeit 266. 1 ; der nero-
nischen und trajaniscnen Zeit 256 f. ;
seit Hadrian 844 ff. 861 ff. 401 ffT
581. 602 f. ; saec. IV/V 676 ff. 586.
648. 650, 1; am Ausgang des Alter-
tums 866 f. -j fehlerhafter 189, 1. —
Vgl. 'Atticismus'.
Aristides, Apologet: gefälschte Pre-
digt 545, 1
962
Register.
Aristides, Bhetor: Stil 386. 401 f.
420 f. 845. 919; Gegner des Asia-
nismus 369. 374 f.; 'Dichter' 886
Aristoteles 126 f,
Amobius 606, 1. 946
Arrian 349. 394 f.
Artes liberales 670£f. 696. 699. 712 ff.
726 ff. 743 ff.
Asianismus : in hellenistischer Zeit,
sein Charakter 131 ff. 150 f. cf. 374,
1; Zusammenhang mit der alt-
sophistischen Eunstprosa 138 ff.
147; =Neoterismus 161 f. 263 ff.;
Varros 196; Ciceros 218 ff. 226 f.;
in der ersten Eaiserzeit 266 ff. ;
der A. und die zweite Sophistik
353 f. 867 ff. 596 f. cf. 566; in der
lateinischen Spätzeit 634 f. 660. — -
Schriftsteller aus Asien 378, 1
Atticismus: in hellenistischer Zeit
149 ff. ; Zusammenhang mit den ana-
logetischen Bestrebungen 184 ff. ; <=»
Archaismus, im Griechischen 151 f.
201 ff. 258 ff 357 ff. 401 ff., im La-
teinischen 361 ff. ; in ciceroniani-
scher Zeit 184 ff. 209. 219 ff. 239.
258 f. 939; in der Eaiserzeit 346 f.
349 f.; der A. und die zweite So-
phistik 353 f. 357 ff.; in der christ-
lichen Prosa 532, 1. 536. 559
Attxaction 172, 1. 193
Augustin: Allgemeines 575; Stil der
Predigten 621ff. ; rhythmische Prosa
948 f.; de doctrina Christiana 503 ff.
526 f. 533 f. 553. 617 f. 679; ver-
gessene Schrift 527 f.
Augustus 240. 249. 253. 263 f. 268
Ausonius 578. 840, 1. 864, 1
airög: Häufungen der obliquen Casus
ungriechisch 484 f. 506, 2
Aziochos 125
Barbaren im römischen Beich 578 ff.
663
BasiliuB 569 f. 575. 678
Beifallklatschen 274 f 295 f 551 ff.
554 f 564. 949, 1
Benedictus y. Nursia 664 f.
Beredsamkeit, s. 'Bhetorik'
Biographie, rhetorische 205 f.
Bion 130. 673; bei Plutarch 393. S.
auch 'Diatribe'
Boccaccio: Stil 766, 1; über das
Wesen der Poesie 907
Boethius 585 f.
Bonifatius: Schreibung des Namens
669, 1
Brief: täglicher 238, 1. 367; stili-
sierter 88, 1. 484. 492. 538, 2. 618
Buchstaben: tu ^nalä* axoix§ilu 67 ff.
Bjzanz 407. 572 f.
Caecilius %atoc ^ovy&v 265, 1
Caesar: Analogetikerl88; Stil 209 ff.
939; bell. Gall. ab^schrieben in
Gallien 578, 1; seme Fortsetzer
211 f.
Cambridge: Schule daselbst 724, 3
cartnen = Zauberspruch 160 f. 820 ff.
Cassiodor: Stil derVariae 653; Ver-
hältnis zur Antike 663 ff.
Cato d. Ä. 164 ff.
Chariaius: Nationalität 679, 1
Chartres: Schule daselbst 716 ff.
Chorikios 407. 620^ 1. 534. 922, 3
Christentum und Hellenismus in der
Litteratur 452 ff. 674 ff.; Chr. con-
seryierte die heidnische Litteratar
662; Urchristentum u. katholisches
Chr. 612 ff.; occidentalische Gegner
des Chr. s. IV/V 677 f. ; StilÄeo-
rien der christlichen litteratur
629 ff. 533 ff. — S. auch 'Stoa'.
Cicero: Allgemeines 212 ff. 216 ff.;
urbanitas sermonis 190 f. ; Häufung
von Synonymen 167, 1; C. und An-
tiochos y. Eommagene 140. 145,2;
'Asianer' 218 ff.; C. u. C. Gracchus
171, 3; C. und die Deklamatoren-
schule 200, 1. 208. 232, 1. 248, 3;
Entwicklung seiner Kunst 221 ff.
225 ff.; Vortragsweise 274; Theorie
über den Stil der Geschichtsschrei-
bung 94, 1. 235; Tendenz von 'de
oratore' 222 ff.; Tendenz des 'Bru-
tus' 259; litterarisches yivog der
Paradoxa 417 f.; wie ist C. zu re-
citieren? 774, 2. 930 ff.; C. als
'Dichter' 839. 890 f.; C. saec. V
p. Chr. 640, 2; C. im Mittelalter
690,1. 691,1. 700. 705. 706 ff. 718.
719,4. 738 f. 744; C. im Huma-
nismus (Ciceronianismus) 690 f.
773 ff. 780, 1. 782. 802 ff.
Citate yon Versen in Prosa 89, 3;
rhetorische Selbstcitate 619, 1
Claudianus Mamertus 685. 688
Claudius, App. bei Mart. Cap. HI
261: 58, 1
Claudius, Kaiser 236. 297
Clemens Alexandrinus : Stil 648 f ;
Pädagogik 674 f.
Clemens Romanus [ep.] 2: 641 f.
'color'' rhetaricus 871, 2
Constantin 946 f.
Register.
963
carrupta eZo^fuenh'a ^»Asianisinus 267,
1. 298
Crassus, L. Licinius 174 f. 222 ff.
cttrsus orationis ( rhythmische
Klausel): Bedeutung des Wortes
969 f. cf. 428, 1; Anwendung: 88,
3. 140 f. 172 ff. 208. 264, 8. 288,2.
292ff. 303. 305. 311f. 897,4. 413ff.
421. 425 ff. 427, 1. 438. 445 f. 546.
565,2. 600. 613. 625,2. 639,3.
644,2. 649. 716. 909 ff.; Meyerscher
568, 3. 922 f. cf. 947, 1
Curtius Bufus 304
Cyprian 618 ff. 944 f.
Dante: Stil seiner Prosa 753. 951,
von den Humanisten yerworfen
765, 3; seine Verse 869, 1. 907, 2;
über das Wesen der Poesie 897
Deklamation : Zusammenhang mit der
Diatribe 309. 651 (s. auch 'Perso-
nifikation' und '9170/'); Verhältnis
zur Poesie 885 ff. ; der ciceroniani-
Bchen Paradoxa 417 f. ; der Kaiser-
zeit 248 ff. 266 ff. 270 ff. 918. 940;
= Predigt 554, 1
Deklination: Oenitiv sing, der No-
mina auf 'iu8 bei Cicero 932, 1;
Nominativ plur. der o-Stämme auf
-s 191, 2
Demetrios v. Phaleron 127 ff. 248
Demokrit 22 f. 41. 44. 59 f.
Demosthenes: Verhältnis zur sophi-
stischen Kunstprosa 26, 1. 120 f.;
D. und Isokrates 115; Häufung
von S^onymen 167, 1 ; Kraftworte
185; Disposition 115, 2; Vortrags-
weise 56; rhythmische Analyse
einzelner Beden 910 ff.; bei den
Atticisten 401. 408. 428.
Deutsch: :» 'barbarisch' im Mittel-
alter 694. 769, 2; altdeutsche
Sprüche in rhythmischer Prosa
161, 3 cf. 823 f.
DexippoB 241 f. 898 f.
diaUiig = Predifft 541. 564
diazQtßi^: entwickelt aus dem Dialog
129 f.; bei Paulus 506, 1 ; bei Philo
u. Plutarch 898, 2; d. u. Predigt
556 ff. S. auch 'tprinC
Diktieren 498,3. 498,8. 588,2. 954 ff.;
== 'dichten' 958; dictamina 715, 1.
756, 4. 953 f.
Dio Cassius 244. 395 ff.
Dio Chrysostomus : SUl 297. 423;
Gegner des Asianismus 376. 379,
2; nachgeahmt yon Mazimus Tyr.
Norden, antike Kanstprosa. II.
391, 1; Ton Synesios 405; Ps. Dio
de fort. 8. 'Favorinus'
Diocletianisches Edikt: Stil 946
Dionys y. Halikamass: Beurteilung
79 ff. 884 f.
Doctrinale, mittelalt. Grammatik 712.
727, 4. 741, 2. 746
Dogma: hellenische und christliche
Bedeutung 461 f. 545
Domitius Afer 269, 2. 336, 2
Einhart 694 f. 702 f. 749
Einsiedler Inschrifbensammlung 708 f.
Ekkehart t. St. Gallen 873 ff.
itupgdasig 285 f. 304. 306. 315. 320.
332, 3. 337. 408, 2. 419, 1. 488.
441. 570. 585, 2. 604, 2. 614, 4.
647. 651. 652. 878 f. 893, 4
'*!EUi]vfff = 'Heiden': Ursprung des
Namens 514, 1
Empedokles: Beziehungen zur Bhe-
torik 17 ff.
Encyklopädieen : fehlend bei den
Griechen 574 f. ; mittelalterliche
740, 1
England: rhetorisch-stilistische Ten-
denzen in der Benaissance 785.
786 ff. 799 ff.
Enklisis Ton est 936, 1
Ennius: Bhetorik 885. 889. 888 f.;
Fragmente aus Cato 4- Vergil 168,
aus Quadrigarius -f- Vergil 179, 1,
aus Livius + Ver^ 235, 2
Ennodius 688, 2. 639, 4. 949
Epiktet: Gegner der Bhetorik 865, 3;
kennt nicht die christl. Litteratur
469, 2. 519
Epikur: Stil 123 ff.
Epiphanes, Gnostiker 464
Epistolae obscurorum yirorum 745 f.
767 f. cf. 901
Euenos 78
Eunomius: Streitschrift gegen Basi-
lius 558 ff.
Euripides: Verhältnis zur sophisti-
schen Kunstprosa 28 f. 75 f. 832 f.
884, 2
Evangelien: Stellung zur Litteratur
479 ff. ; 'Fischersprache' 516, 1.
521. 580. 548; Ton wenigen Heiden
gelesen 518 f.^ von einigen Christen
nur widerwiUiff 520, 1 ; Keden Jesus
817 ff.; ev. Luk. 10, 16: 817,2; CT.
Joh. prol. 472 ff. 475, 1. 518, 1. S.
auch ^Lukas'
eoeempla aus der Geschichte, rheto-
rische 876. 284 f. 808 f. 809. 417.
699
62
964
Register.
Fayorinas: Stil 376 f.; = Ps. Dio
Chrysostomus de fort. 297. 422 ff.
919 f.
Figuren der Bede s. 'Antithese' u.
THomoioteleuton' ; im N. T. 626 ff.
Flickwörter 896 f. 427, 1. 929
Florus 698 ff. cf. 888, 1
Fortuna in den Deklamationen 276 f.
397. 427, 1. 647
Frankreich: Bedeutung für die klassi-
schen Studien im Mittelalter 686 f.
690^1. 691,1. 698 ff.; rhetorisch-
stilistische Tendenzen in der Be-
naissance 780ff. 797, 3. 798, 1. 906,
in der Neuzeit 2, 1. S. auch 'Gkdlien'
Fremdwörter: in der Eunstprosa ver-
pönt 60, 1. 188 f. 868, 1. 482. 486.
489, 1. 498, 8. 611. cf. 678 f. 698.
694. 769, 2. 776 f.
Fronto: Stil 362 ff.; Gegner der Phi-
losophie 260, 2; Schätzung bei der
Nachwelt 867
Fulgentius, Bischof 624, 2
Fulgentius, Mythologe 626, 1
Oalen: Qegner der Atticisten 368,1;
über die Christen 464. 618, 1 ; un-
bekannte Schrift ib.
Gallien (Aquitanien): Bhetorik da-
selbst 638. 631 ff. ; griechischer Ein-
flufs 674. 582 ff. ; Einwirkung auf
die übrigen Provinzen 642
Gaza: Bhetorenschule daselbst 406 f.
Gebete, altitalische 166 ff.
Gerbert (Silvester U.) 706 ff. 896
Geschichtsschreibung : Beziehungen
zur Bhetorik 81 ff. 647, zur Poesie
91 ff.; Materialsammlungen 94; G.
der römischen Bepublik 176 ff.
Gleichnis von den zwei Wegen 477
yvcbfuxiQS. 138 f 201. 209. 230. 279 ff.
309 f 320. 397. 408, 1. 436; an den
Schlufs gestellt 280 f. 330, 1. 339
Gnostiker: Schöpfer der christlichen
Kunstprosa 546 ff. cf 920 ff.; Hym-
nen 817. 863. 888, 3 cf 851 f ;
Gegner der Allegorie 643, 2 cf
676, 1
Gorgias: Begründer der Eunstprosa
15 ff. cf 807; poetische Sprache
30. 41. 98, 2; Wortstellung 66 ff.;
Satzbau 64; genaue Disposition
368,2; %a%otriXia 68 ff.; Inschrifb
auf ihn 68. 71, 1; Lehrer des Iso-
krates 116 f; Anspielung bei Theo-
pomp 122 , 2 ; Nachahmung bei
^ftteren 229, 2. 889 f. 893, 1 ; Wert-
schätzung in der zweiten SophisÜk
380 f. 384 ff. 438, 1
^Grothischer' Baustil: Urspron^ des
Namens 770, 1
Gracchus, C. 67. 171 f. 178
Grammatik im Mittelalter 712. 74S,
2. 756; Zusammenhang mit der
Metrik 894, 1
Grecismus, mittelalterliche Ghramma-
tik 712. 741, 2
Gregor d. Gr. 531, 1. 654. 684, 1.
685 f.
Gregor v. Nazianz 418, 1. 419, 3.
543. 662 ff. 677 f. 847. 862
Griechisch: Gräcismen im Latein
173,1. 183 f 193 f 689,1. 607 ff.
648 f.; Eenntnis in Afrika 361 ff.
694 f. 607 ff., im Spätiatein 686.
694, im Mittelalter 666, 1. 668.
699. 754, 2
Guevara, Antonio 788 ff.
h, konsonantisches 960, 1
Hadrian 349. 365, 3
Handschrifbenkataloge ans dem Mit-
telalter 704 f. 706,2; Exccrpten-
hss. 719, 4
Hebräerbrief: Stil 499 f.
Hegesias 184 ff. 148, 3. 232, 1. 917.
S. auch ^Asianismus'
Hendiadyoin 167, 1
HerakHt: Stil 18 f. 28 f. 41. 44; H.
und der Prolog des ev. Joh. 472 ff.
Herennius, Bhetorik an ihn 161, 1.
175. 224. 930
Hermes Trismeg. 418
Hermogenes 360. 882 f. 884, 1
Herodes Atticus 363. 369, 1. 377.
388 f.
Herodian, Historiker 897
Herodot: Verhältnis zur sophistischen
Eunstprosa 27 f 38 ff., zum Epos
40 f. 46. 90, 2; in der Eaiserzeit
348
Hiatvermeidung 57. 67. 146. 268, 2.
406,4. 499,2. 562. 797; angehoben
in der zweiten Sophistik 361
Hieronymus 660 f. 947 f.
Hilarius v. Poitiers 583 ff.
Himerios: Stil 370. 386. 428 ff. 469;
verspottet von Libanios 403, 1;
Lehrer des Gregor v. Naz. 668
Hippias: Stil 59. 72. cf. 386, 2; Be-
gründer der artes liberales 671; in
der zweiten Sophistik 381. 602
Hippokrates und Hippokratiker 21 f,
44
Hippolytos, Bischof 647 f.
Register.
965
ffisperica famina 867. 764,2. 3. 767 ff.
Homoioteleuton: nur an pathetischen
Stellen 61 f. 847 ff. 861. 878 f.; in
der Predigt 847 ff.; bei den Tra-
gikern 76, 2. 77 f. ; mittelalt. Schrei-
bungen des Worts 871, 1. S. auch
'Antithese' u. 'Reim'
Horaz: Allgemeines 243. 268 f.; de
a. p. 46 f. : 189. 869
Hortensius 221 f.
Humanismus u. die Antike 464 ff. ; H.
u. das Mittelalter 782 ff.; H. gegen
die modernen Sprachen 769 ff.; Sti-
listik 768 ff. ; Humanistenlatein u.
die modernen Sprachen 780 ff. ; hu-
manistische Lehrbücher 741, 2. S.
auch 'Reim'
Hymnen, christliche 811, 2. 828, 1.
841 ff. 868, 1. 869 ff. 864, 1. 889,
8. auch 'Gnostiker'; H. in Prosa
844 ff.
Hyperbaton: s. 'Wortstellung*
lamblichos, Sophist 486 f.
Jesuitischer Unterricht in der Stilistik
779, 1. 798. 799, 1. 808^. 902 f.
Ignatius: Stil 610 ff.; im IV. Jh. sti-
listisch umgearbeitet 616, 1
inguit in der Diatribe: s. ^tprjai^
Inschriften: altoriechische 46 f.; des
Antiochos y. Kommagene 140 ff. 268.
918; andere hellenistische 146, 1.
168 f. 186, 2. 238, 1. 671, 8; grie-
chische der Eaiserzeit 241 f. 886, 2.
448 ff. 627. 920; altlateinische 178, 1;
lateinische der Eaiserzeit 297. 866, 1.
627 ff.
Interpunktion, rhetorische (?) 47, 1.
761, 1. 941, 2. 962 f.
loannes Chrysost. 686, 2. 661 ff. 670 ff.
676, 2. 678 f.
Johannes Sarisber. 718 f. 717. 762
Josephos, falscher («» IV. Makkabäer-
buch) 416 ff.
Irische Kultur 666 ff.
Isidor V. Sevilla: sein Verhältnis zur
Antike 668, 1
laoTKolov: in der Poesie 887 f.; in der
Prosa s. 'Antithese'
Kokrates : Vollender der sophistischen
Kunstprosa 118 ff. ; Hiatvermeidung
57. 67 ; in der zweiten Sophistik 384.
388, 1 cf. 661 f.; Pädagogik 671;
Wertschätzung in der Renaissance
796 ff.
Judentum: das hellenisierte und das
ChriftflP«
Julian, Kaiser 464. 460. 464. 614. 516.
618. 662. 846 f.
Juristen: Stil 681 f. 946 f. 947, 1. S.
auch 'Kanzleistil'
Justin, Historiker 300 f.
Kakophonieen: gemieden 68,1. 889, 8
cf. 882, 2
xaxö^2lov 69, 1. 184, 1. 263, 2. 278.
298 f. 698
Kallimachos: Rhetorik 833 f.
Kallinikos, Sophist 869 f.
Kanzleistil: der hellenistischen Zeit
163; der spätlateinischen Zeit 663.
946 f.; päpstlicher 768 f. 926
Karl der Grofse 628. 681 f. 698 ff. 724.
966 f.
Karl der Kahle 698 f.
Karthago: litterarische Bedeutung in
der Eaiserzeit 692
KlassiFche Studien im Mittelalter
680, 8. 690 ff.
nofiipöv 69, 1
Konjugation: Perfectum conj., Be-
tonung bei Cicero 986, 4
Konstruktionen : ungewöhnliche durch
Stilzwang 614. 622, 4; ad sensum
163, 2. 192
Konzil zu Bagai 626 f.
%6Qdcc^ Ton der Diktion 810, 2. 876
cf. 660. 668, 1
%Qdßßoetog s. c%ifinovg
xpÖTOff: rhetorische Bedeutung 428, 1.
661, 2.
Kürze, affektierte 288 f. 810. 819.
834 f. 388
Kunst, bildende: ihr Verhältnis zur
Kunstprosa 160, 1. 266, 2. 781
Kunstprosa, s. 'Prosa'
Lactanz 682. 606, 1. 616. 946
Lambert y. Hersfeld 760 ff.
Lateinisch: Kenntnis des L. bei den
Griechen 272. 862; in griechischen
Schrifben 60, 1 ; beeinflufst fast nie
das Griechische 861, 2 ; Umkehrung
dieses Verhältnisses im griechischen
Mittelalter 676 ; tote Sprache durch
den Humanismus 767 f. S. auch
'Fremdwörter'
laudatio Turiae 268, 2; Murdiae 268, 2.
297
^Leoninischer' Reim 722
Lesbonaz 890 f.
Lesen, lautes, im Altertum üblich 6
cf. 966
LeukioB, Verf. apokrypher Acta 860, 1
62*
I
lf|i«(^pop^vt) in primitiver Rede 87,1.
4D. 491
Libanios 370. 374, 3. 402 H. 131. 1.
451. US
Lignrinus, ma. Gedicht 875 ff.
Likynmiofl 73 f.
LipaiDB TT5. 776, 2
Licteratnr: Wertschätzuuc: in der
Kaiserzeit ■iil ff. 344 f; warum
die lateinische in der KaiBerzeit
gerioffwertiger als die griechiache?
573 fr
LifiuB; Stil 234 ff. 936 f.; im Mittel-
alter 751
Logograpbie: Verhältnis zam Epoa
85 ff.
li^os, hellenisch-cbriatlicher 473 ff.
Longin, CaBsins 360. 3U9.
Longos, Sophist 437 ff.
Lacau: Rhetorik 599. 893. 2. 4
LucilJus L IX: 18ß
Lucrez: mafsvolle Rhetorik 890; Ci-
ceroa Urteil über ihn 182 1
Lukaa: Sprache q. Stil 483 IT. 485 ff.
541, J. S. auch 'ApOBtelgHBchichte'
Lnkian: Stil 3S3. S94. 409, 2. 756;
Gegner der Sophiateu 368, I, 359.
874, 1. 377 f. 384, 1; kennt nicht
die chriatl. Litteratur 519, 1
Ljly, John 78eff. 802
Ljnlter bei Rhetoren 429 f 78. 1.
885, 1
Ljaiaa 130
Macrobiaa:Nationalität6Tg,l: Gegner
des ChnBt«ntiuna 677 f.
Maecenas: Stil 968. 2«?. 292 ff 311, 1
MatemnB 324 f.
MaximuB Tyriue 391, 1. 886.
ulieauiäidit 69, I cf. 661, 2. 567
Heia: Zeit 306, 4; Stil 30G f.
Melanchthon 660f. 741. 745. 766, 2.
767, 976, 1. 893, I. 904 f, 907
u^t> — Si: griechisches Spezüikam
85, 8. 486. 499, 2. 600, 1. 609, 1.
512, 2
Monipn 76G f.
Minncius Felix 605. 943
Mittelalterliche Poesie nnd Prosa in
klaaetachen Formen 72S ff. 748 ff.
»76 ff.; manierierte Prosa 763 ff.;
rhythroiache Proaa 950!',
MOnchtnuL und Philosophii- 470, e.
auch 'Stoa'
povmSiai: Stil der prosaiachen 420 f.
Mueik, alte: verlorene Keuntnia s.
IT 842 f.
9 378. 391, 1
Xacbschreihen von Reden 536, 1
Nepoa 146, 4. 304 ff. »10
nAil: Aosaprocbe bei Cicero 933, 3
NikephoTos, Bhetor a. Vm : nnediert*
Rede 371, 3. 952, I
Oliiiv: rhetorificlie Bedeatong 69,1,
s. aneh tamori ähnliche Wort« 661,2
ifuUa = Predigt 641. 642, 1
dvdiiata '^ voitlaitBTB 364 f.
[Oppian], Cyneget.: Rhetorik 834 ff.
Ongenes: Pred^ten 643. 648 f. 657;
Urteü über Häretiker 646,3; Päda-
gogik 674 ff.
Orleans: Schnle daselbst 734 ff.
Orid: Rhetorik 379 1 283 f. 388. 309.
385. 885 f. 891 ff.
PacuTius: Rhetorik 88S
ParoUeligma« : =^ ^aelaiaais der Eunst-
prosa 816, s. auch 'Antithese';
Grondförm der Poesie 156 ff. 813ff ;
im tragifichen Chor S7, 1; hebräi-
scher Gedankenparalleliamns 509 f.
817 ff.
Parataxe: 8. 'li^ig cifoniv^'
Paris: Universität daselbst 712 ff.
725 ff. 725, 4. 741, 2
Parmenides: Rhetorik 884
Partitio in Reden: ihr Drsprong 386, 3
Paulus, Apostel: P. und die jödioch-
hellenistische Litteratur 474 ff 49ar.;
P. a. die hellenische Litteratur 492 ff.
522; Stil 4Ö8ff. 656; ep. ad Cor, I
9, 24 ff.: 467, I 13: 509 f. (doch b.
auch 817, 2), 11 6, 7 ff. : 508, 1, ep.
ad Gal. 4, 33 ff.: 674, 1, ep ad Rom.
S, 14: 497. 1; [Paulus] ep. ad Tim.
I 3, 14 ff.: 852 f., I 6. 20: 606, S,
n 2, 10 fl.: 863, 2
Paulus, Diaconus: Epitome de« Fm
867. 695f.; Stil der Langoba '
geachichte 749 f.
Paulus V. Samosata 549 f.
Periodik 42, 1. 117. 386. 490 f. bU
649; Auflösung der Periode IM
134 r. 207. 295 ff. 803. 817. 38ll'r
409. 1. 410 ff. 420 f. «7, 1.
439. 653
PeraiuB 1, 92 ff,: 881 f.
Personifikation {npacTaiiioiioi 1(1): i
Diatribe 139, J ; in der Deklaraal»
der Kaiaerxeit 377. 816. 321.
Register.
967
Pbaedrus^ Fabeln Ton Seneca igno-
riert 243
phäkrae der Bede 646
(prioC (inquü) in der Diatribe u. Pre-
digt 129, 1. 277. 606, 1. 667 f. 667.
612
Pbilippofl Sideta 370 f.
Pbilo Alezandr. : Pädagogik 673 ff.
Philostratos 380 ff. 389 f. 411 f. 416 f.
433. 918 f.
Piaton: Stil 67. 104 ff. 844; Päda-
gogik 670; Menexenos 60; Pbaedr.
231 ff.: 91, 252 B: 111, 1, 267 CD:
43. 74, 1 ; Symp. 197 C: 74 f. ; Tbeaet.
156 CD: 410, 3; Nacbabmungen des
Pbaedrus 113. 408,2. 429, 1. 438.
466
PliniuB d. Ä. 297. 314 ff.
Plinius d. J. 282 f. 299. 318 ff. 942
cf. 646
Plotin 399 ff.
Plutarcb: Biograph 244; P. u. Tacitus
341 ; Gegner der Sophisten 877. 380.
384, 1. 392 ff.
Poesie, rhetorische 76 ff. 283 f. 286.
324 f. 376, 1. 386. 832 ff. 871 ff. 883 ff.
Pointen 68 ff. 138 f. 232, 1. 280 ff. S.
die einzelnen Schriftsteller
Polemon : Stil 386. 389 ; Gegner des ex-
tremen Asianismus 386. 389; Lehrer
des Gregor v. Nazianz 663
PoUio 237, 2. 261 ff.
Pollux, Sophist 378. 411, 1
Polybios 81 ff. 161 ff. 237, 1
Polykarp 612
Poseidonios: Stil 164, 1; Pädagogik
672
Predigt: Geschichte der christlichen
637 ff. 616 ff. 641 f. 662. 664. 846 f.
852 ff. ; angebliche des Ps.-Iosephos
416 ff.
Prodikos 97. 99, 4. 167. 381, B
Proklos y. Eonstantinopel 866 ff. 923
Prokop V. Gaza 367 f. 406 f. 421, 1
Proömien: Stilisienmg 172. 432.606,
2 ; affektierte Bescheidenheit 696, 1
Prosa: Etymologie 630,2; Verhältnis
zur Poesie 80 ff. 62 f. 78 ff. 105.
147, 1. 160 f. 429. 484 f. 760 f. 841 ff.;
poetische Worte 30. 36. 40 f. 52, 1.
72, 2. 74. 107. 117. 187. 146. 168.
235, 2. 286 f. 331. 410, 1. 600. 603.
639, 2. 650; P. und Vers gemischt
74 f. 110. 148,1. 426 f. 427,1. 486.
7o5 f. 848; metrische Prosa 53, 8.
. 74. 135 f. 177. 626 ff. 982,6.984,3
cf. 912, 2; rhythmische Prosa 41 ff.
10. 117 f. 124. 186 ff. 167 ff.
161, 8. 176 f. 178 f. 219. 290 ff. 882.
397,4. 400. 409,2. 418 ff. 420 f. 424 ff.
429 f. 434. 438 f. 441 f. 445. 649.
662. 566. 659 ff. 566 f. 668. 629 ff.
767 ff. 847ff. 909ff. (s.auch'cursusM;
musikalisches Element der P. 66 ff ;
gesangartiger Vortrag und dessen
Ausartung 66 ff. 136. 161. 266. 294 f.
376 ff. 869 ff. ; gesucht unrhythmische
Prosa 262 f. 269,2. 936 f. 989 f. 942 f.;
altitalische 162 f.
Protagoras 41
ipvufov 69, 1
Ptolemaios, Gnostiker 920 ff.
Quadrigarius, Annalist 176. 178 f.
237, 1
Querolus 630 f. 769
Quintilian: allgemeiner Standpunkt
269; de causis corruptae cloquen-
tiae 247, 2. 271 ff.; inst. IX 8, 79
u. X 1, 63 emendiert 269, 2. 886, 1
Bede: Vortragsweise 61 ff., s. auch
^Prosa' ; Reden bei den Historikern
86 ff. 148, 8. 176. 800. 384, 1. 476
Reim: Etymologie des Worts 826,2;
Geschichte 810 ff.; in quantitieren-
der Poesie 881 ff. 890. 893, 1, von
Vergil gemieden? 889, 3; 'leonini-
scher' , Ursprung des Namens ? 866, 1 ,
im Mittelalter von einigen gemie-
den 876 ff. ; in griech. Hymnen 859 ff. ;
in lat. Hynmen 864, 1; ursprüng-
lich als rhetorische Figur nur an
pathetischen Stellen 847 ff. 861.
878 f. ; in der Prosa des Ma. 760 ff.
866 f.; verworfen von den Huma-
nisten 766, 1. 869, 1. 879, 3. 882.
S. auch ^Homoioteleuton'.
Rhetorik (Beredsamkeit): ihre Bedeu-
tung 6 ff. ; Beziehungen zur Poesie
42, 2. 871 ff. 888 ff., s. auch 'Prosa';
R. u. Philosophie 8, 2. 250, 2; ihr
Verfall in Attika 126 ff.; Bered-
samkeit in der rOmischen Republik
169 ff., in der Kaiserzeit 246 ff., im
Mittelalter 896, 1; rhetores latini
175. 176, 1. 222 ff. 248
Rhythmus: ^rhythmische* Poesie 826.
848 f. 867, 1 ; prosaischer s. Trosa'
Romane: ihr Verhältnis zur Rhetorik
484, 2 ; Stilisierung 434 ff.
Romanen: ihr Verständnis für die
Knnstprosa 2 ff., s. auch 'Frank-
reich' u. 'Spanien'
Romantik: in der Eaiserzeit, s. 'Ar-
chaismus'
968
Register.
Sallüst: Stil 200 ff.; Charakteristiken
87, 2; Urteil des Livius über ihn
234; beliebt bei den Deklamatoren
288; Tacitos und S. 828 f. 335 f.
939 f. S. bei Späteren 688. 640,2.
646
Salyian 586
Sana eloquentia — Atticismns 267, 1.
298, 3. 643
Satumier: Urform? 167 ff. cf. 820 ff.
867,1
Scholastik 711 ff. 755, 1
Schnlnnterricht in der Kaiserzeit 347 f.
Scipio Africanus minor 170
Sedulius, Herkunft? 637, 6; Prosa
949 f.
Seneca d. Ä. 248 ff. 281 f. 300
Seneca d. J. : Stil 306 ff. ; Auflösung
der Periode 297. 309 f. ; rhythmische
Prosa 311 f. 941 f.; Zögling der Rhe-
torenschule 304; Repräsentant der
Modernen 254 f. 283. 307 f. 419, 1. 3;
Tragödien 310, 1. 893, 1. 2. 4
Servatus Lupus 699 ff. 750
Sicilier: ihr Charakter 25, 2
Sidonius 367. 386. 578 f. 638, 1
Simonides bei den Sophisten 441, 2
Singen in der Rede: s. 'Prosa'
Sisenna 177. 188. 608, 1. 603, 5. 756
axiiinovg atticistisch ^ %Qdßßaxog
532, 1
Sophisten, alte : ihre Beziehungen zur
Poesie 73 ff., s. auch 'Prosa*
Sophistik, zweite: Ursprung des Na-
mens 379, 2; allgemeine Charak-
teristik 861 ff. 650 cf. 374, 2. 422 f. ;
die zweite und die alte S. 379 ff.;
ihre Beziehungen zur Poesie 886 f. ;
Proben der Stilisierung 410 ff.
Sophokles: Rhetorik 884, 2; 'Reime'
883, 1
Sophron: rhythmische Prosa 46 ff.
Spanien: Humanismus daselbst 741, 2.
788 ff.
Sprachreformen in ciceronianischer
Zeit 183 ff.
Stil: wechselnd in verschiedenen Wer-
ken eines Autors 11 f. 43. 323 f.
365, 3. 421, 1. 600, 3. 603 f. 624,2
cf. 052; Einheitlichkeit höchstes
Postulat 88 ff.; St. der i%q}Qaais
285 f., s. auch ' Atqppaat; * ; stilisti-
sche Umarbeitungen 515,1 cf. 620,1.
525,2. 645, 1; der 'alte' und der
'neue' Stil s. 'Atticismns' u. 'Asia-
nismus*
Stoa: bei Plotin 400, 1 ; St. u. Christen-
tum 243. 453. 462 ff. 467, 2. 470.
472 ff. 497, 1. 546, 8. 547, 2. 548
676, 1.
Sturm, Job. 802 ff. 904, 2
Subskriptionen 677, 1
Sueton 387, 1
Sulpicius SeyeruB 683
Symmachus: Stil 643 ff.; Gegner des
Christentums 677
Synesios: Gegner des Asianismus
361 ff. 366 f. 378 f. 405; Hymnen
863
Synkrisis 26, 1
Synonyma gehäuft 166 f. 225. 620
Syrus, Publilius: Rhetorik 289, 2.
888, 1
Tacitns: Stil 329 ff. 942 cf. 88; Ex-
kurse 90, 2 : Charakteristiken 87, 2
cf. 304, 2; T. u. Sallust 328 f. 336 f
942 f.; T. u. die Rhetorenschule
304, 2. 329. 336 ff.; T. u. die Ge-
schichtsschreiber der Eaiserzeit
340 ff. cf. 395. 396, 1; T. u. die
Tragödie 93. 244. 327 f.; T. bei den
Späteren 640, 2. 646 f.; Zeit des
Dialogus 322 ff. ; Quellen des Dia-
logus 246 f.; yivog der Grermania
326 2
Telesr* Stil 130. 657, 3; zur Kritik
427, 1
Terenz: Purist 186, 1. 187, 2; im
Mittelalter 631, 1
Tertullian 606 ff. 943 f.
Testament, Neues : Stiltheorieen516ff.
526 ff.
Themistios: Gegner des Asianismus
378. 404 f.
Theokrit: Rhetorik 884, 2. 888, 2
Theon, Rhetor 267, 1
Theophrast: Stiltheorie 126 ; bei Cicero
49, 1
Theophylaktos Sim. 442 f. 695, 1
Theopomp 87, 2. 121 f 206. 393
Thrasymachos : Verhältnis zu Grorgias
15. 43, 1. 807, 2; 'Erfinder' der
rhythmischen Rede 41 ff. 917
Thukydides: Verhältnis zur sophisti-
schen Eunstprosa 95 ff. 385 f ; Keden
87, 2; Urkunden 88 f.; Th. u. Sal-
lust 201 f ; Th. in der Kaiserzeit
283. 398. 404, 3
TibuU: Rhetorik 893, 4; im Mittel-
alter 718, 2. 719, 4. 724
Timaeus 148, 3. 205. 232, 1
Trikolon (u. Tetrakolon) 172. 212.
227, 1. 289 f. 388, 1. 397, 1. 412,
486, 4. 505. 699. 603, 1
Trogus Pompeius 300 f.
Register.
969
tumor 298 f. 635. 644. 650, 2; 8. auch
olds£v
Überlieferung der lat. Sclirifksieller
im Mittelster 690, 1. 691, 1
Universität in Berytos 461, 1 ; mittel-
alterliche 901 f., 8. auch ^Orl^ans'
u. 'Paris'
wbanüas 183. 237, 1
Urkunden stilisiert 88 f.
Yalerius Maximus 303 f. 696, 3
Varro: Stil 194 flF. 766; Reaktionär
253. 254, 1; benutzt von Vitruv
301 ; über den oratorischen Rhyth-
mus? 929, 2; sat. ' Desultorius '
603, 5, sat. 143 ff.: 264, 2; 370 ff.
602, 1; 375: 408, 2. 602, 1; 432
602, 1; 550: 69, 1
Velleius 297. 302 f. 338. 583, 2
Venantius Fort. 653
Vergil 236. 243. 264. 284. 287. 839, 3.
891; Aen. VI 302: 331,4
'Verse' in der Prosa 53, 8. 235, 2, b.
auch 'Prosa, metrische'
Worte : alltägliche gemieden 286. 831 ;
poetische 8. 'Prosa'; neugebildete
72, 2. 97, 1. 124, 1. 146. 149. 184 ff.
207. 287,1. 368. 365. 420. 446. 499,2.
511. 517, 1. 602. 607 f. 653, durch
gewöhnliche ersetzt 515, 1
Wortgebrauch nicht identisch mit
Stil 349 f.
Wortspiel 23 ff. 107. 137. 197. 208.
212. 225. 263, 3. 290, 3. 302. 305, 4.
317. 371, 2. 409 ff. 419, 2. 438, 1.
440. 490, 3. 499, 2. 500, 1. 502 f.
506, 1. 564. 567. 601 ff. 614. 620.
623 f. 624, 1. 640, 1. 644, 2. 754, 2.
836. 890 f. 891, 2
Wortetellung 65 ff. 72, 2. 99, 3. 111.
145. 176 f. 177, 1. 179 ff. 181, 1.
203, 1. 208 f. 214, 1. 262 f. 302 f.
304. 312. 316. 318. 832, 2. 371, 8.
416, 1. 434. 439, 1. 441, 1. 442.
445. 639, 3. 649 f. 758 f. 919, 1. 937 f.
941, 1. 945. 948, 6
Xenophon: Stil 82,2. 101 ff.; Charak-
teristiken 87, 2 ; bei den Atticisten
894 f. 397, 4; Ps.-X., Cyneg. 298.
386, 2. 431 ff.
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