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Full text of "Die antike kunstprosa : vom VI. jahrhundert v. Chr. bis in die zeit der renaissance"

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DIE 


ANTIKE  KUNSTPROSA 


VOM  VI.  JAHRHUNDERT  V.  CHR. 
BIS  IN  DIE  ZEIT  DER  RENAISSANCE 


VON 


EDUARD  NORDEN 


ZWEITER  BAND 


LEIPZIG 

DEUCK  UND  VEELAG  VON  B.  G.  TEUBNER 

1898 


l  I.  X. 


^^-Z     ^ 


ü^^mMUXS^OACH  Vm  ISEKSKTZUJ^GSKECHTS,  TOmBEHALIXS. 


Zweites  Kapitel. 
Die  griecMsoli-oliristliolie  Litteratnr. 

I.  Allgemeine  Yorbemerkangen. 

Libanios  berührt  in  seinen  Reden  öfters  eine  ihm  sehr  un-  Niederguii 
angenehme  Thatsache:  das  Sinken  des  Interesses  an  der  Bered-  B6r«dMm. 
samkeit.  Am  ausführlichsten  änfsert  er  sich  darüber  in  der^  wie  ^^^^ 
mir  scheint^  litterarhistorisch  wichtigen  65.  Rede  (jcgbg  toi>g  elg 
xijiv  naidalav  ainhv  ixoöxdnlfavtagy  vol.  III  434  ff.  R.).  Seine 
Gegner  hielten  ihm  vor,  dab  er  keine  Schüler  heranbilde.  Er 
weist  den  Vorwurf  von  seiner  Person  zurück,  indem  er  die  all- 
gemeine Weltlage  als  Ursache  angiebt.  Von  den  einzelnen  Mo- 
menten,  die  er  hervorhebt,  geht  uns  hier  nur  das  folgende  an.^) 
Seitdem  Konstantin  die  Tempel  niedergerissen  und  alle  heiligen 
Gesetze  getilgt  hat,  ist  es  mit  der  Beredsamkeit  zu  Ende:  denn 
die  XöyoL  sind  unlöslich  verknüpft  mit  den  Ugdj  das  wissen 
Redner,  Philosophen,  Dichter;  wem  föllt  es  jetzt  noch  ein,  sich 
der  Rhetorik  zu  befleifsigen,  wo  er  sieht,  dals  der  Kaiser  auf 
die  Gebildeten  weder  hört  noch  sie  anredet,  sondern  zu  Rat- 
gebern und  Lehrern  bestellt  ßagßdQOvg  ävd'QAxovg,  xatastt'ifftovg 
xal  ludiiovtag  sivovxovg?  Die  natürliche  Folge  ist,  dals  die 
Väter  ihre  Söhne  nicht  mehr  zu  den  Rhetoren  schicken,  denn 
iöKettac  rö  isl  nfic6fi£i/ov,  äiulattai  de  tb  iu^^öfuvov.  Wir 
atmeten,  sagt  er,  auf,  als  lulian  diesem  Treiben  ein  Ende  machte, 
aber  ein  feindlicher  Dämon  zeigte  ihn  uns  zugleich  und  nahm 
ihn  uns  (p.  436  ff.). 


1)  Doch  bemerke  ich,  dafs  p.  441  f.  eine  interessante  Stelle  über  die 
nach  Libanios^  Ansicht  übermäfsige  Zunahme  des  juristischen  Stadiums  in 
Berytos  zu  lesen  ist. 

Norden,  antike  KonstproB«.   H.  30 

1'^  loSO 


452  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

Diese  AusfQhrung  erscheint  nns  wunderlich:  zu  derselben 
Zeit;  wo  die  christliche  Beredsamkeit  in  dem  Dreigestirn  Gre- 
gorios  -  Basileios  -  loannes  in  bisher  ungeahntem  und  später  nie 
wieder  erreichtem  Glänze  strahlte,  spricht  der  Sophist  von  einem 
Niedergang  der  Beredsamkeit.  Und  doch  hat  er  recht,  denn  er 
meint  ja  nur  die  Beredsamkeit  der  selbst  im  Niedergang  be- 
griffenen Weltanschauung,  deren  Adept  er  ist;  der  Stoff,  mit 
dem  die  heidnische  Rhetorik  wirtschaftete,  hatte  thatsächlich  in 
der  neuen  Weltordnung  den  Lebenskeim  verloren.  Aber  klingt 
es  nicht  wie  eine  tragische  Ironie,  wenn  der  Sophist  sagt,  [afd 
und  köyoL  seien  unlöslich  verbunden  und  da  die  ersteren  fehlten, 
sei  es  auch  mit  den  letzteren  zu  Ende?  Nun,  bei  der  anderen 
Partei  gab  es  Ugd  und  in  ihren  Dienst  hatten  sich  die  Xöyoi, 
gestellt.  Wie  waren  sie  beschaffen?  Immer  wieder  und  wieder 
zieht  es  uns  in  jene  Zeiten,  wo  eine  tausendjährige  greisenhafte 
Kultur,  die  den  Menschen  das  Herrlichste  in  Fülle  gebracht 
hatte,  in  den  Kampf  trat  mit  einer  jugendfrischen  Gegnerin, 
einen  Kampf,  wie  er  gewaltiger  nie  ausgefochten  worden  ist, 
und  der  mit  einem  Kompromifs  endete,  wie  er  gro&artiger  nie 
geschlossen  worden  ist.  Viel  ist  darüber  seit  den  Zeiten  Plotins 
geschrieben  worden,  aber  noch  immer  fehlt  uns  eine  Verstän- 
digung in  prinzipiellen  Fragen:  ich  mufs  auf  sie  in  aller  Kürze 
wenigstens  insoweit  eingehen,  als  sie  den  G^samtcharakter  der 
litterarischen  Produktionen  beider  Kämpfer  betreffen. 


1.    Die  prinzipiellen  Gegensätze  zwischen  hellenischer 

und   christlicher  Litteratur. 

Hellenismus  und  Christentum  sind  zwei  Weltanschauungen, 
die  sich  im  Prinzip  ausschlie&en.  Der  Ring  der  Vergangenheit 
hat  sich  geschlossen,  es  beginnt  eine  neue  nsgioSogj  zunächst  — 
das  kann  gerade  heute  für  sog.  kritische  Philologen  gar  nicht 
genug  betont  werden^)  —  ohne  Zusammenhang  mit  der  vorigen. 
Daher  sind  auch  die  beiden  Litteraturen  sich  im  Prinzip 
entgegengesetzt.  Um  die  Verschwommenheit,  die  darüber  bei 
vielen   besteht,    zu  klären   und  zugleich   den  Gang   meiner  spe- 


1)  v.Wilamowitz,  Weltperioden,  Eaisergeburtstagsrede  1897,  hat  darüber 
das  Richtige  in  tiefen  Worten  ausgesprochen. 


Gegensätze  der  heidnischen  und  christlichen  Litteratur.  453 

ziellen  Untersuchungen  zu  motivieren,  hebe  ich  —  zunächst  mit 
absichtlicher  Übergehung  von  Ausnahmen  im  einzehien  —  die 
konträren  Punkte  hervor,  indem  ich  die  beiden  Litteraturen  als 
groüse  ganze  Einheiten  sich  gegenüberstelle. 

1.  Der  christlichen  Litteratur  fehlt  die  Freiheit  der  an-  Anfhabiu 
tiken.  Das  Altertum  hat  in  seiner  Blütezeit  keine  Autoritäten  indiTidui 
anerkannt,  selbst  seinen  Göttern  stand  es  in  stolzer  Menschlich-  ^°^^* 
keit  gegenüber;  dafür  war  die  Unabhängigkeit  des  Individuums 
um  so  gröfser:  dieses  hatte  sich  nur  der  Macht  der  Tradition 
zu  fügen,  die  aber  keine  autoritative  war,  sondern  ein  Ausdruck 
des  allgemeinen  Fühlens  und  Denkens,  dem  sich  daher  der  Ein- 
zelne leicht  unterordnete.  Das  Christentum  brachte  die  Autorität 
und  hob  daher  die  Individualität  auf,  und  zwar  in  doppelter 
Weise:  einmal  gegenüber  der  Gottheit,  denn  die  Religion  war 
eine  historische  und  geoflfenbarte  und  bot  als  solche  den  Gläu- 
bigen absolute  Garantie  ihrer  Wahrheit^  aber  zugleich  auch  ab- 
solute Überzeugung  der  individuellen  Machtlosigkeit;  zweitens 
gegenüber  den  kirchlichen  Dogmen:  alle,  die  an  ihnen  zu  rütteln 
sich  unterstanden,  haben  hellenisch  gefühlt,  und  ihre  individuellen 
Lehrmeinungen,  die  sie  sich  selbst,  wie  einst  die  griechischen 
Philosophen,  ^wählten'  (atQsrixoi)^),  sind  von  der  allgemeinen 
Kirche  verdammt  worden.  Durch  diese  Aufhebung  der  Freiheit 
des  Individuums  ging  das  stolze  Gefühl  der  Selbstherrlichkeit 
verloren,  durch  eigene,  bis  zum  Übermenschlichen  angespannte 
Kraft  des  Wollens  die  Leidenschaften  zu  knechten  und  auf  Erden 
ein  Gott  zu  werden:  Stoa  und  Christentum  sind  prinzipiell 
Gegensätze,  was  heute  wohl  hervorgehoben  zu  werden  verdient, 
wo  es  Mode  wird,  die  scharfen  Grenzlinien  zu  verwischen,  die 
einst  Lorenzo  Yalla,  der  Feind  aller  Unklarheit  des  Denkens 
und  Vater  der  kritischen  Philologie,  in  seinem  Dialog  von  der 
Lust  erkannt  hat.  AiiöBi,  fi'  6  dal^arv  airtögj  Stav  iyh  d'ikm 
ruft  der  stoische  i^Aijrijg,  bevor  er  zum  letzten  Gang  sich  auf- 
macht;   ndtsQ   fiov^    si  dvvar&if   iöttVj    nagsl^dta)  (br'  i(iov  rö 


1)  Cf.  Th.  Zielinski,  Cicero  im  Wandel  der  Jahrhunderte  (Leipz.  1897) 
78  mit  Berufung  auf  Tert.  de  praescr.  haer.  6:  nobis  nihil  ex  nostro  arbitrio 
indülgere  licet,  sed  nee  eligere  quod  aliquis  de  arbitrio  auo  in- 
duxerit.  apostolos  domini  habermis  auctores,  qui  nee  ipsi  quicquam  ex  suo 
arbitrio  quod  inäucerent  elegenmt,  sed  acceptam  a  Christo  disciplinam  fide- 
liter  nationibüs  assignavenmt. 

30* 


454  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

xoti^Qtov  rothro.  jtXi^  oi%  &g  iyio  d'dXo),  iXX*  &g  6v  der 
christliche;  oderunt  peccare  boni  virtutis  amare  ist  der  Ausdruck 
des  antiken  Sittlichkeitsidealismus,  tä  dtlfmvia  tijg  afuqftCag  d'd- 
vcctog  der  des  christlichen  Dogmas.  Verloren  ging  auch  jene 
Freude,  durch  eigenes  Wollen  und  eigenes  Können  die  Wahrheit 
zu  suchen,  jener  Mut  zu  irren,  jenes  stolze  Siegesgefühl,  ge- 
funden zu  haben,  also  gerade  das,  wodurch  die  antike  Wissen- 
schaft so  Gewaltiges  geleistet  hatte;  der  Zweifel  war  aus  der 
Welt  geschafft  und  mit  ihm  die  Kritik,  es  galt  fortan  das  Credo 
ut  intelligam,  während  fQr  den  antiken  Menschen  ein  Glauben 
im  christlichen  Sinne  nicht  existiert  hatte:  Jtiötavöov  ist  christ- 
lich, {kiyLvMo  i%i6XBlv  hellenisch;  qtiid  Äthenis  et  Hierosolymis? 
quid  academicte  et  ecclesiae?  nabis  cufiositate  optis  non  est  post 
Christum  lesum  nee  inquisitione  post  evangelium.  cum  credimus, 
nihil  desideramus  ultra  credere  (Tert.  de  praescr.  haer.  7)  und 
mitte  illos  semper  quaerentes  sapientiam  et  numquam  invenientes 
(Paul.  Nol.  ep.  16,  11)  ist  christlich,  die  Lobpreisung  eines  der 
Erforschung  des  Wahren  und  Seienden  geweihten  ßiog  d'soQti- 
tix6g  ist  hellenisch.  So  ist  es  mehr  als  ein  Jahrtausend  ge- 
blieben: ein  Scotus  Erigena,  der  in  Zweifelsfallen  die  Vernunft 
über  die  Autorität  stellte^  ist  eine  isolierte  Erscheinung  (er  hat 
an  Piaton,  den  individuellsten  Hellenen,  angeknüpft);  erst  die 
Renaissance  hat  mit  ihrer  Negierung  einer  tausendjährigen  Ver- 
gangenheit das  antike  Fühlen  auch  auf  diesem  Gebiet  wieder- 
gebracht: sie  war  in  den  ersten  Jahrhunderten  ein  revolutionäres 
Auflehnen  gegen  den  Autoritätsglauben,  ihr  Heros  wagte  es,  von 
der  kanonischen  Autorität  des  kirchlich-scholastisch  ausgelegten 
Aristoteles  zu  behaupten,  er  sei  ein  Mensch  und  als  solcher 
nicht  blofs  a  priori  Irrtümern  ausgesetzt,  sondern  er  habe  no- 
torisch in  den  grofsten  und  wichtigsten  Dingen  geirrt');  die 
Folgenden  wagten  sich  an  scheinbar  historisch  verbriefte  Ur- 
kunden der  Kirche,  zuletzt  an  das  kirchliche  Dogma  selbst.  Der 
fundamentale  Unterschied  ist  den  Hellenen  selbst  nicht  verborgen 
geblieben:  Galen  spricht  von  den  &vait6dsixtoi  vöfiot  der 
Christen  (VHI  579  K.)  und  Julian  sagt  stolz  (bei  Greg.  Naz. 
or.  4  c.  102;  vol.  35,  637  Migne):  inUzBQO^  ol  köyot  xal  tb  ik- 
XrivC%siVj  bv  xal  xh  ödßsiv  r(ybg  d'so'ög'  ifi&v  Sh  ij  äXoyCa  %al  fi 


1)  Petrarca  de  ignorant.  p.  1042  (Opera  ed.  Basil.  1681). 


Gegensätze  der  heidniBchen  und  christlicheii  Litteratur.  455 

iyQO0cCa^  xal  oidhv  {}jtiQ  tb  Iliötsvöov  tifg  {fiistigag  iötl  tfo- 
g>iag.  —  Mit  der  individuellen  Freiheit  der  antiken  Litteratur 
im  Gegensatz  zu  der  korporativen  Geschlossenheit  und  Gebunden- 
heit der  christlichen  hängt  aufs  engste  zusammen  das  gröCsere 
schriftstellerische  Selbstbewufstsein,  das  Hervordrängen  der  Per- 
sönlichkeit in  jener;  verstärkt  wurde  dies  Moment  durch  die 
spezifisch  christliche  Tugend  der  Demut,  wofür  dem  Altertum, 
das  im  personlichen  Ruhm,  in  der  irdischen  Unsterblichkeit  das 
höchste  Ziel  des  Lebens  und  Strebens  sah,  Begriff  und  Wort 
gefehlt  hatte.  Derselbe  Boden  der  Campagna,  der  die  Riesen- 
denkmale mit  pompösen  Lischrifben  trägt^  birgt  die  Gebeine 
zahlloser  Christen^  von  deren  Ruhestätte  oft  nur  Tafeln  mit  dem 
schlichten  m  pace  Kunde  geben,  während  ihre  Namen  unbekannt 
von  ewiger  Nacht  gedeckt  werden;  derselbe  Gegensatz  bei  der 
litterarischen  Lidividualität:  exegi  monufnentum  und  was  weiter 
folgt,  ist  antik,  dod^ö^ai,  iiitv  xC  kaXi^östCj  oi  yäf  ii^stg  iötl 
ot  XaXoiJvxBg  iXX&  tb  nvBÜfia  tov  natgbg  ifi&v  t6  kakoihf  iv 
ifütv  ist  christlich.  So  blieb  es  mehr  als  ein  Jahrtausend. 
„Noch  fOr  Dante  ist  die  Ruhmbegier,  h  gran  disio  deW  eccellensfa, 
verwerflich,  die  armen  Seelen  im  Lifemo  verlangen  von  ihm,  er 
möge  ihren  Ruhm  auf  Erden  erneuern***);  Ciceros  Bücher  über 
den  Ruhm  hat  bezeichnenderweise  das  Mittelalter  nicht  tradiert, 
aber  Petrarca,  dessen  Leben,  Denken  und  Dichten  mit  der  Sehn- 
sucht nach  Ruhm  ausgefüllt  war,  bildete  sich  ein,  sie  einst  be- 
sessen zu  haben,  indem  er  seinen  heifsen  Wunsch  durch  eine 
Art  von  Hallucination  realisierte. 

2.  Der  christlichen  Litteratur  fehlt  die  Heiterkeit  der  Aufhebunj 
antiken.  Der  weltflüchtige  Gedanke,  nach  dem  das  irdische  neitarkei« 
Leben  das  Janunerthal  war,  gab  jener  einen  ernsten^  die  un- 
antike Tugend  der  Entsagung  einen  schwermuts vollen  Charakter; 
heiter  war  sie  nur,  wo  sie  die  Freuden  des  Jenseits  schilderte: 
da  entlehnte  sie  die  Farben  dem  Elysium;  aber  während  sie  hier 
die  pindarische  Farbenpracht  nicht  erreichte,  hat  sie  die  ho- 
merisch-orphisch-vergilische  Hölle  ins  Grausige  und  durchaus 
Unantike  ausgemalt.  Sponte  miser,  ne  miser  esse  qtieat^),  ist  der 
christliche  Mönch,  q)oiy(Ofuv  Tcal  nüoinev,  aÜQLov  yäg  aTtodifrjöxO' 


1)  J.  Burckhardt,  Die  Cultur  d.  Renaiss.  I*  (Leipz.  1885)  156. 

2)  Butil.  Nam.  de  reditu  suo  444  von  den  Mönchen. 


456  ^on  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

fi£i/  sagt  der  antike  Plebejer,  (ieqtiam  memento  und  was  folgt  der 
ästhetisch  gebildete  antike  Genuibmensch.  So  blieb  es  wiederum 
mehr  als  ein  Jahrtausend:  bei  Dante  sind  die  fleischlichen 
Sünder  in  der  Hölle  und  mittelalterliche  Mönche  haben  Ovids 
Liebeslieder  allegorisch  ausgelegt  zum  Lobe  der  Jungfrau  Maria. 
Aber  in  der  Renaissance  hat  man  wieder  das  itlvBiv  Koi  Ttalisiv 
nicht  blofs  in  Versen  yerhimmelt,  die  nach  der  Maxime  Gatulls 
ebenso  moUictdi  wie  parum  pudici  sind,  sondern  auch  praktisch 
geübt,  ohne  sich  dadurch  bei  einer  Gesellschaft  unmöglich  zu 
machen,  die  —  ganz  im  antiken  Sinne  —  die  strenge  Moral  der 
graziös-heiteren  Ausprägung  freier  Lidividualität  gern  zum  Opfer 
brachte. 
Lnfhebang  3.    Der  christlichen  Litteratur    fehlt    die   nationale   Ex- 

naüoxuJen  klusivität    der    antiken.     Die    hellenische    Litteratur    war    in 
RikiuBiTi-  w^^ev  Blütezeit  exklusiv  national:   dafs  die  Barbarenseele  knech- 

kat  (167  An- 

tike.      tisch  gesinnt  sei,  war  die  stolze  Maxime,    nach  der  praktisch 
verfahren  wurde.    Dagegen  ist  die  christliche  Litteratur  von  An- 
fang an  international  gewesen  und  hat  gerade  in  der  Verbindung 
der  Völker,    durch  Nivellierung    der  Unterschiede    ihre  höchste 
Eulturmission    bewufst    vollzogen.     Xq&   totg  fikv  "EXkriöLv  ig 
"EXXtiöLVj  totg  dh  ßaQßdQoi^  ing  ßaQßaQoi^  ist  die  Weisung,    die 
der  griechische  Philosoph   einer  Tradition    zufolge    seinem    die 
Welt  erobernden  Schüler  Alexander  auf  den  Weg  mitgab;  noQsv- 
%ivxBg  iiadTitsiiöars  itdvta  tä  idvij  sagte  der  Stifter  der  christ- 
lichen Religion  zu  seinen  Schülern,   als  er  sie  in  die  Welt  aus- 
infliebimg  saudtc.   —    Der  christlichen  Litteratur  fehlt  femer  die  soziale 
sosiftien    Exklusivität    der  antiken.    Populär  ist  die  antike  Litteratur 
^^'^*  bei  den  Griechen  nur  in   der  ältesten   Zeit    gewesen,    als    das 
tike.      Volksepos  geschaffen  wurde,    und  dann  im  perikleischen  Athen, 
weil  in  diesem  das  Durchschnittsmals   der  ästhetischen   und  in- 
tellektuellen Bildung  so  hoch  war  wie  nie  wieder  nachher.     Li 
Rom  hat  es  eine  eigentliche  populäre  Litteratur  überhaupt  nicht 
gegeben,  da  sie  von  Anfang  an  unter  dem  Zeichen  des  Hellenis- 
mus stand:  auch  Plautus  war  Eunstdichter,  und  die  Atellane,  die 
in  der  Republik  noch  am  meisten  volkstümlich  war,  wurde  von 
den  stadtrömischen  Dichtem   sofort   stilisiert,    verschwand   auch 
ganz  von  der  Bildfläche,   als  die  soziale  Bewegung,  von  der  sie 
getragen    wurde,   beseitigt   war.     Li   der  Eaiserzeit   besafs   der 
Grieche   nur   seinen   Homer,    aus   dessen  Vorstellungskreisen  er 


Gegensätze  der  heidnischen  und  christlichen  Litteratur.  457 

entwachsen  war,  der  Lateiner  seinen  Virgil,  der  doch  eigentlich 
nur  fCLr  das  Rom  der  Ixdier  gedichtet  hatte.  Dagegen  brachte 
das  Christentum  eine  volkstümliche  Litteratur,  die  durch  ihren 
rein  menschlichen,  an  keine  bestimmte  Zeit  und  Verhältnisse 
gebundenen  Lihalt  unmittelbar  auf  die  Gemüter  auch  der  Armen 
im  Geiste  wirkte;  und  za  einer  Zeit,  wo  der  Hellene  an  Poesie 
kaum  mehr  etwas  hatte  als  den  Homer,  dessen  Mythenwelt  ihm 
nur  noch  durch  allegorische  Umdeutung  verständlich  war,  der 
nichtgläubige  Occidentale  nichts  als  den  Yirgil,  den  er  als  all- 
wissenden Zauberer  mehr  fQrchtete  als  liebte,  pries  der  Christ 
in  Antiochia  und  Konstantinopel  die  Jungfrau  Maria,  in  Gallien 
und  Mailand  Gott  Vater  und  Sohn  in  Versen,  die  von  den 
Dichtem  formell  und  inhaltlich  dem  Fühlen  und  den  Ideen- 
kreisen des  Volkes  angepafst  waren.  ^)  Ob  es  damals  heidnische 
Volkslieder  gab?  Es  ist  wahrscheinlich,  da  der  Häretiker 
Arius  nach  der  Schilderung  des  Athanasius  an  sie  angeknüpft 
zu  haben  scheint,  aber  sie  hat  kein  Mensch  zur  Litteratur 
gerechnet.  ^Ex^ccigm  nävxa  tä  SijfAÖöLa  ist  antik,  xoqsvsö^s 
ixl  tag  Su^ödovg  r&v  6S&Vj  oucl  Söiyvg  iäv  BÜQrixs  xakiöccvs 
ist  christlicL 

4.  Die  christliche  Litteratur  als  Ganzes  betrachtet  ermangelt  Aufhebu 
der  antiken  Formenschonheit.     Der  sozusagen  äuTsere  Grund    Formen 
ergiebt   sich  unmittelbar  aus  dem  zuletzt  Erörterten.    Es  findet  ^^^^ 
sich,   wie   ich   im  Lauf  dieser  Untersuchungen  schon  öfters  be-    Antike 
merkt   habe,  in   der  ganzen   antiken  Litteratur  (abgesehen  von 
einzelnen    &chwissenschaftlichen    Schriften),     kein    stilistisches 
ßtsxvov,   was   sich   eben   aus   ihrem   dem   gemeinen  Leben   ab- 
gewandten, aristokratischen  Grundcharakter  erklärt.     Behandelte 
einmal  ein  Schriftsteller  realistische  Stoffe  des  taglichen  Lebens, 
so   stilisierte   er   sie   doch   mehr,   als  uns  modern  empfindenden 
Menschen   lieb   ist,    man   denke   an   Herondas,   Theokrits    Ado- 
niazusen,    Petron.     Hätten  wir  die  Inschriften  nicht,   so  würde 
uns  aulser   den  paar  zufällig  überlieferten  Soldatenversen   kein 


1)  Es  ist  aber  bezeichnend,  wie  langsam  sich  die  auch  in  der  Form 
populären  Gedichte  die  Anerkennung  der  Gebildeten  erwarben:  Commodian 
wird  von  Hieronymus  ignoriert  und  erst  von  Gennadius  mit  zweifelhaftem 
Lob  genannt.  Augustin  (retr.  I  20)  entschuldiget  sich  geradezu  wegen  der 
volkstümlichen  Art  seines  Psalms  gegen  die  Donatisten. 


458  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaberzeit. 

heidnisches  lateinisches  Dokument  verraten;  wie  sich  das  Volk 
mit  der  Metrik  abfand.  Dagegen  haben  wir  unter  den  christ- 
lichen Gedichten  die  des  Commodian  and  den  Psalm  des 
Angnstin  gegen  die  Donatisten^  am  von  den  späteren  gar  nicht 
zu  reden.  Ebenso  die  Prosa:  die  Evangelien  mausten  auf  das 
formale  Gefühl  eines  antiken  Lesers  ebenso  verletzend  wirken 
wie  aus  der  späteren  christlichen  Litteratur  etwa  die  Predigten 
des  Augustin;  wir  werden  später  sehen^  dab  unter  den  christ- 
lichen Autoritäten  ein  Jahrhunderte  langer  Kampf  geführt  wurde 
über  die  Frage^  ob  man  gut  oder  schlecht  schreiben  solle,  eine 
Diskussion,  die  für  einen  antik  empfindenden  Menschen  a  priori 
gegenstandslos  war:  ein  (wenn  auch  übertreibender)  Ausspruch 
wie  der  Gregors  d.  Gr.  (moral.  praef.  i.  f.):  ipsam  loquendi  artem 
despexi.  .  .  .,  quia  indignum  vehementer  existimo,  ut  verba  caelestis 
oraculi  restringam  sub  regidis  Donau,  verglichen  mit  einem  be- 
liebigen Ausspruch  eines  griechischen  oder  lateinischen  RhetorS; 
zeigt  deutlich  die  Eluft,  die  zwischen  antikem  und  christlichem 
Empfinden  gähnte.  —  Aber  wenn  wir  diesen  Verzicht  auf 
äu&ere  Formvollendung  der  christlichen  Litteratur  einzig  aus 
ihrem  Zweck,  auf  die  Massen  des  Volkes  zu  wirken^  ableiten 
wollten^  so  würden  wir  den  Fehler  begehen,  ein  bloüs  sekundäres 
und  mehr  äufserliches  Moment  geltend  zu  machen,  das  eigent- 
lich treibende  zu  übersehen.  Den  Kampf  zwischen  Griechentum 
und  Christentum  kann  man,  wenn  man  eine  und  zwar  eine 
wesentliche  Seite  ins  Auge  faist,  einen  Kampf  zwischen  Form 
und  Lihalt  nennen.  Nach  Schönheit  lechzend  hatte  das  Hellenen- 
volk kein  Mittel  verschmäht,  den  Durst  zu  stillen:  die  schöne 
Form  war  sein  Ein  und  Alles,  und  in  seiner  grölsten  Zeit  war 
sie  thatsächlich  mit  dem  Inhalt  kongruent  gewesen.  Dann  aber 
war  ihm  die  Fähigkeit,  einen  tiefen  neuen  Lihalt  zu  schaffen, 
langsam  abhanden  gekommen,  während  die  Kraft  kunstvoller 
Gestaltung  der  Form  ihm  geblieben  war,  ja  auf  Kosten  des  Li- 
halts  sich  einseitig  gesteigert  und  zu  einer  Art  von  Virtuosen- 
tum  ausgebildet  hatte.  An  dieser  Form  berauschten  sich  nach 
wie  vor  die  schönheitsdurstigen  Seelen:  sie  wufsten,  dais  es  nicht 
der  Saft  lauterer  Wahrheit  war,  den  sie  einsogen,  aber  so 
mächtig  war  die  Sinnlichkeit  des  Empfindens,  dafs  sie  mit  vollem 
Bewuistsein  das  Gift  schlürften,  weil  es  suis  war  und  sie  in 
einen  Taumel  befriedigten  ästhetischen  Genusses  versetzte:    die 


•ben  und  christlichen  Litteratur. 


459 


iffht  als  verwerflich  gegolten,  wenn  sie 
anftrat  und  dem  SchönheitsgefÜhl  neue 
Richter   und   das  Volk   haben  gewufst, 
«Mf  itoren  Lippen  die  Peitho  safs,  sie  gelegent- 
hat   das  ja   selbst   einmal  mit  göttlicher 
ezpliciert  und  aus  jedem  beliebigen  Lehr- 
Mit   den  Zeiten   des  Eallikles  konnte  man 
ichten.     Daher  war   auch   der  Kampf  der 
die  Rhetorik  von  Anfang  an   ein  hofi&iungs- 
den   Gebieten   des  Seins  und  des  Scheins  war 
omiis  möcrlich:   in  einer  varronischen  Satire  trat  an 
VT  .<r.r)histice  aperantologia  Übersättigten  heran  cana 
itft/v-.v    'Hilosophiae  aJumna. 
^t?     ■  rihrhoit,  aber  nicht  die  durch  philosophische  Speku- 
.:••  '    luiifsig    abstrahierte,    sondern    die   unmittelbar 
I  tn  in  das  Herz  gesenkte,  erschlofs  die  neue  Reli- 
ns uch  tsvoll    nach    einem   Positiven    ausblickenden 
^  Jie  innere  Öde  ausfallen  konnte.     So  wurde  die 
•  l'-rzens   wieder  geboren.     Seit  dem  Hymnus   des 
.'   in   griechischer  Sprache  nichts  so  Inniges  und 
•  randloses  geschrieben  wie  der  Hynmus  des  Paulus 
('.     Es  ist  bezeichnend,  dafs  uns  vor  allen  noch  die 
itt^ligion  so  nahe  stehenden  neuplatonischen  Schrift- 
Lii'en,  wenn  sie  uns  in  ihrer  Verzückung,    in  der  das 
.:st  zum  Glauben  wird,   mit  sich  raffen  ins  Reich  der 
Vereinigung  mit  der  Gottheit.     Aber  wohin  wir  sonst 
eine    gleichf5rmige  Wüste,    aus   der   dem  ermüdenden 
r  nur  selten  Oasen  entgegenlächeln:   so    steht    mitten 
ji  abgeschmackten  Reden  des  Himerios  ein  tiefergreifender 
.':i    auf  den  Tod    seines   hoffnungsvollen   Sohnes   (or.   23), 
itd    durch  Wärme    des  Gefühls,    Einfachheit    der  Sprache 
.Mangel  an  Raffinement.    Wer  diesen  Erguis  liest,  wer  den 
■  liisten  in  vollem  Glauben  reden  hört  von  dem  Todesdämon, 
den  Sterbenden  würgt,  von  den  Erinnyen  mit  ihren  Fackeln, 
•  m    Neid    der    Gotter,    denen    er    flucht,    der    begreift,    dafs 
'lillionen,    die    sich   in  ähnlichen  Qualen  verzehrten,    und    die 
für    die    Philosophie    teils   zu   sehr    Gefühlsmenschen    teils   zu 
ungebildet,    für  die  Magie   zu    aufgeklärt,    für   die    Mysterien 
zu  arm  waren,   sich  der  neuen  Religion  in  die  Arme  warfen, 


r] 


i-'J 


4U<j  Von  Uiidrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeit. 

diis  brachte,  wonach  die  ganze  Welt  sich  sehnte:  Erlösung  durch 
hlohen  Glauben. 


2.    Der  Eompromifs  zwischen  Hellenismus 

und  Christentum. 

AU-  Aus  den  grolsen  Antinomieen  durch  berechnende  Steigerung 

'  des  Oomeinsamen  und  geschickte  Niyellierung  des  Verschieden- 
»rtigeii  eine  naXivtovog  &QiiOvüt  gemacht  zu  haben,  ist  die 
grUrsto  Geistesthat  der  alten  Kirche  und  der  gewaltigste  Akt  in 
diesem  Weltendrama  überhaupt  gewesen:  gerade  dadurch,  dafs 
sie  niclit  ausschlielslich  zerstörend  vorging,  sondern  in  gegebenen 
Qrmmm  Toleranz  übte,  ist  die  katholische  Kirche  Siegerin  über 
das  I'antboon  geworden.  Nicht  völlig  ist  es  freilich  gelungen, 
die  ungeheuere  Kluft  zwischen  den  sich  widersprechenden  An- 
schauungen auszufüllen,  die  Ringe  der  beiden  Ketten  haben  nie 
ineinaridergogriffen,  sondern  sich  stets  nur  an  einigen  Punkten 
berührt.  Holunge  die  Menschheit  zur  antiken  Kultur  ein  inneres 
VerhllHnis  gehabt  hat,  ist  in  einzelnen  tiefer  angelegten  Naturen 
der  alle  Kampf  immer  wieder  von  neuem  ausgefochten  worden: 
wie  llieronymus  hat  mancher  mittelalterliche  Mönch  visionäre 
tjualen  wegen  der  Desohäftigung  mit  der  alten  Litteratur  ge- 
duldet und  wie  Augustin  hat  noch  Petrarca  gerungen.  Erst 
seiifleiii  die  Welt  vom  Jugendrausoh  der  Renaissance  sich  er- 
iiilolikerk  und  die  aiilike  Kultur  als  einen  Tempel  ewiger  und  vor- 
liitdliolii^i'  Hohnnlieil  in  objektiver  Ruhe  und  Kühle  zu  betrachten 
t^MIfMlWiiiieh  hüll  isl  der  ifroflie  Kampf  bu  Grabe  getragen,  denn 
mt  die  iieuesleii  Hohmllhrufe  lilterarinoher  Proleten  und  Hero- 
«MHilvt  HU(i|i  nur  MU  aiilworien,  dafür  denken  wir  alle  zu  stolz 
sm\  flthleii  wu  lieillit.  Hs  itiebi  noch  kein  Werk,  in  dem  alle 
\\\^\\  VeiliHliiiiMMe  wluNeimeliaftUoh  dargelegt  wlren  —  nur  filr 
\Uli  HM||Hm  \m\  den  KuUmh  haken  Hamack  und  Usener  die 
\(^\^l^\\  \\^M\\\\W\\  ifentelU  und  iMHUilwturiot  -,  und  hier  ist 
w)U(>Yl»l*«iiHlHU(^k  \\\M  der  Ort«  trit^dwie  uUier  darauf  ein- 
IMM^MII  Mf  \\\^  Hs'm^^i  db  \\^  V<Mreehmel«uiigsprozef8  der 
IMMW  yitoVktttlMI  kt^wUkWn»  tMMTtthl^  ie)u  IVnm  w&hrend  oben 
4irM  \li^raw)«Wm  IU\l)^leir(Vittunit<'n  die  Rede  war, 
*^ttH|  MtlMki  Mk  ^  \\w  ht^)l<Mueohen  Litteratur 

**  lUt«  WlA  Mt^^tttirOmungen  vor- 


mus. 


Kompromifs  zwischen  Heidentum  und  Christentum.  461 

banden  waren,  die  bis  zu  einem  gewissen  Grade  einen  Ausgleicb 
der  Gegensätze  ermoglicbten. 

1.  Als  das  Altertum  seine  Jugendlieben  Ej*afte  zuerst  in  sinkende 
titaniscbem  Wagemut,  dann  in  idealistiscber  oder  auf  den  Tbat-  ^Tidiuoii 
sacben  gegründeter  Forscbung  erschöpft  batte,  begann  es,  sieb 
seine  Autoritäten  zu  setzen:  die  nacbaristoteliscben  Systeme  legen 
redendes  Zeugnis  davon  ab.  Piaton  batte  die  Seligkeit  des 
^ritetv  gepriesen,  aber  f£lr  seine  späten  Adepten  galt:  ut  rationem 
Plato  nuUam  adfert,  ipsa  auctoritate  frangit  (Cic  Tusc.  I  49);  f&r 
die  Epikureer  und  Pytbagoreer  waren  die  Stifter  der  Systeme 
die  alles  erleucbtenden  Sonnen,  die  offenbarenden  Götter,  und 
Cbrysipp  galt  als  inkamierte  Stoa.  So  war  der  Boden  fQr  die 
Aufnabme  eines  döy^a  im  cbristlicben  Sinn^),  d.  b.  eines  autori- 
tativen, vorbereitet.  Es  ist  doch  höchst  bezeiebnend,  daüs  Gregor 
von  Nazianz  1.  c.  (oben  S.  454)  dem  Julian  auf  seine  Worte 
oiSiv  %mi(f  rö  üiötevöov  tilg  ifitetdQag  iötl  6oq>ücs  erwidert, 
er  solle  docb  auf  die  Pytbagoreer  seben,  olg  tb  Airbg  itpa  xh 
XQ&tov  xal  yLiyi,6%6v  iöxi  r&v  doyfkixmvj  und  in  gleicbem  Sinn 
bat  es  einmal  Hippolytos  gewagt,  die  b.  Scbrift  als  Offenbarungs- 
urkunde mit  den  Dogmen  der  Philosophen  zusammenzustellen: 
bom.  adv.  Noei  9  (p.  50,  15  Lag.):  bIq  ^eög^  &v  oix  &kko^ev 
hciyivAifxo^v  ^  ix  x&v  icyimv  ygutplbv.  81/  yäg  xgiicov  idv 
xig  ßovXffi^  xilv  6oq>lav  xoi>  al&vog  xovxov  äöxetv^  oinc  ällmg 
dwT^öBXcci  xoiixov  xv%Blv^  iäv  fiil  döyiiaöi  q>ilo66q>mv  ivxiixjjj 
xbv  ainhv  dij  xqöxov  Söoi  ^BOöißBiav  &6xbIv  /SovAdfiC^a,  oix 
&XI0&BV  &6xi^6o(iBv  4  ix  x&v  Xoyimv  xov  deot):  tbatsäcblieb 
beifst  ja  g/riöi  fQr  die  Platoniker  IlXdtayif  wie  fQr  die  Christen 
^BÖg  oder  *Iti6ovg  oder  ö  äxööxoXog  oder  1}  ygccgyij  überhaupt. 
Aber  solange  die  pbilosopbiscben  Satzungen  als  solcbe  von 
Menseben,  wenn  auch  von  göttlieben  Menseben  aufgestellte 
galten,  blieb  doeb  immer  ein  gewichtiger  Unterscbied  besteben, 
den  cbristlicbe  Schriftsteller  gelegentlich  hervorheben,  z.  B.  Mar- 
cellus  V.  Ancyra  (s.  IV)  fr.  bei  Euseb.  contra  Mareell.  14  p.  43 
ed.  Gaisford:  xb  döynaxog  81/Ofux  x^g  ivd'Qmnivrig  S%Bxai  ßovX^g 
XB  ocal  yvAfifig,  Sxi  dh  xov^*  ofhcog  i^Bi^  na(fXV(fBt  fikv  txav&g  ^ 
doy(Mctixii  x&v  IccxQ&v  xi%vri,  yMQxvQBl  d\  xal  xä  x&v  (piXo66tpmv 


1)  Cf.  für  das  Allgemeine  auch  E.  Hatcb,  Griechentum  und  Christen- 
tum, übers,  von  E.  Preuschen  (Freib.  1892)  88  f. 


4^2  Von  JJadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

XM)jr/)li$:Vu  AAyuata.  Sri,  di  xal  tä  övyxXi^tm  Sö^avta  hi  xal  vvv 
d6yfn/.ru  avyxli^tov  Xiyetai  oviiva  Ayvostv  olfiai.  Auch  diesen 
Unlizrtnih'u'jl  hat  daher  charakteristischerweise  Porphyrios,  der 
('AtnüU'Tifc'uul,  udf^ehoben,  indem  er  durch  die  Heranziehung  der 
Orskkt'l  tU:n  Orad  der  heidnischen  Offenbarung  so  steigerte,  dafs 
iirjrh  NJn  zu  einer  absohiten  wurde.  So  begegneten  sich  die 
\nu(Uiti  Milchie  im  Streben  nach  PositiTismuS;  und  der  Eom- 
(iromÜH  ^iii^  (ininorklich  yon  statten.  —  Die  im  Prinzip  un- 
vffnrinbiirrti  WoltaiiMchuuungon  der  Stoa  und  des  Christentums, 
(I.  h.  flnr  HidbHlhtTrlichkoit  des  auf  sich  gestellten  Weisen  und 
fU^r  Hfili^priMHiing  d<*H  geistig  Armen,  haben  sich  an  entscheiden- 
tU'H  Ptiiikinn  berührt:  vor  allem  konnte  bei  der  stoischen 
ThiMidinMi  dio  WilleiiNfroilioit  nur  theoretisch  aufrecht  erhalten 
Mriirilnii,  in  (h«r  Praxi»  hat  sie  fast  zur  Aufhebung  des  Indivi- 
iliiiiliNniiiN  gofniirt.  Auch  auf  heidnischer  Seite  ist  daher  das 
HnwiilHt-NtMii  und  Streben  nach  schriftstellerischer  Individualität 
(i^iiHunkon:  nuin  vorghuche  die  stolze  Anmarsmig  des  Empedokles 
tiiil.  dnr  /urückhultenden  IVseheidonheit  de«  Lucrez  (I  1^21  ff.  gilt 
mir  dnr  diehleridchon  Kormgebung\  Platou  mit  Plotin.  Der 
|ini'Hi\nhohii  liuhni  int  von  siimtliohou  Philo8opbensohuleu  in  der 
Thndi'io  viM'woifon  wortleii:  die  grimiuigt^  Polemik  der  Christen, 
V.-  II  doM  (jro^or  von  Naxiauir,  gegen  die  finYo^iff  oder  xivodol^ia 
kiiiniln  diihni*  mit  den  Watfou  der  Hellenen  gt^ttthrt  werden  imd 
laihl  Imi  den  tiebittMon  unter  diesen  keinen  Widerspruch;  in 
dk«i  PintiM  Hinil  Nieli  die  Thri^ten  der  entwickelten  katho- 
IlMoltnii  l\nelie  ho  ivenig  kon8ei{ueut  gi^blieben  wie  die  helle- 
HlMrlii«n  PliiloHiiplien:  die  liobon»gt^«ehichte  des  Oregor  von 
Nh^Imu»  liMWiitMt,  diilk  er  von  unstillluirer  Uuhmessehnsucht 
dui'iditflülit  wni*,  und  in  den  KatakomlHni  liegen  neben  den  Ge- 
büiiiMh  der  NHiiii>iiloiieii  und  Ihibeweinten  die  der  Papste  und 
MRrKvi'tii'i  Wt^leltii  nu  dem  ittiuialc^u  Oaiuiwu»  ihren  heiligen  Sanger 

1^-         S,  Nur  tu  ihrmi  UMMnk^humkti^r  i«!  die  antike  Litteratur 
n  IMmIIi  nioIlM   itlld    Mil   ih^m    Sclwtten   trflber,    welt- 

i  «ad  XülglMlUmi  hml^Vi.    E»  hat  seit  sehr 
i^  HAMV   tii«  den  K&iper  als  Grab, 

und  die»  Anschauungen 
iMW  d«m  OUubigen  ein 
ll  Wtil»  Kreiie.  Die  Stoa 


KoraptoniirB  zwischen  Heidantam  tmd  ChriBtentam.  463 

femer  macht  mit  ihrem  aBketiscben  Bestreben  tod  TOroherein 
keinen  ganz  rein  hellenischen  Eindruck;  ein  am  ao  wichtigeres 
Bind^lied  «orde  sie  in  demgrorsenEompromUs:  PaoloB,  Seneca, 
Epilctet,  alle  drei  ä^lL^al  z&v  xa^&v,  konnten  leicht  znaammen- 
gebracht  werden;  die  finstere  Rede  des  Dio  (Charid.  10  £f.)  von 
dem  grolsen  Weltengeßngnis,  in  dem  die  irdischen  Menschen 
schmachten,  sowie  die  Meditationen  des  kaiserlichen  Philosophen 
aber  die  Nichtigkeit  dieser  Welt  mtissen  auf  christliche  Leser 
grolsea  Eindruck  gemacht  haben;  das  Gefühl  des  politischen, 
sozialen  und  moralischen  Rückgangs  ist  in  der  heidnischen 
Litt«ratur  der  ersten  Jahrhonderte  sehr  stark  zum  Aaedrack 
gekommen  and  die  aufiallige  BeTorzagong  der  Kalte  von 
Heilq^ttern  beweist,  dafs  das  BewuTaisein  von  der  eigenen 
Haehtlofligkeit  und  von  der  Notwendigkeit  einer  Erlösung 
■eitens  hSherer  Mächte  damals  überhaupt  aafs  stärkste  aus- 
geprägt war. 

3.  Dieselbe  Stoa  hat  dazu  beigetragen,  die  Ezklasirität  im 
Leben  der  Völker  unter  einander  aufzuheben;  nnd  wenn  sie,  an-  i 
knBpfend  an  den  Eynismns,  die  vönifia  ßagßaifixä  in  der 
Theorie  mit  den  hellenischen  gleichgestellt,  ja  sie  in  Geftthls- 
■mrandlai^en  von  im  Grunde  nnhellenischer  Sentimentalität 
•ogar  aU  vorbildlich  fttr  diese  erklärt  hat,  so  hat  das  Zeitalter 
AlsEUiden  d.  Gr.  diese  kosmopolitischen  Theorieen  znm  ersten 
Ual  in  die  Praxis  Übertr^en,  und  seitdem  sind  die  völker- 
Tarkliflpfenden  Tendenzen  dieses  über  sich  selbst  hinaus - 
gewaehaanen  Hellenismus  nicht  wieder  zum  Stillstand  gekommen. 
Abv  doa  ist  ja  gerade  das  Grolsartige  gewesen,  daJÄ  die 
_  1  weniger  Generationen  von  Thukydides  bis  Aristoteles 
Äonen  vorbildlich  geworden  sind:  dasjenige,  was  jene 
i  unter  den  Menschen  in  stolzer  einseitiger  Beschränkrmg 
•  adJosiv  national  gehalten  hatten,  war  in  seinem  innersten 
I  so  sehr  der  Ausdruck  edelster  Menschlicbkeii  überhaupt, 
I  es,  olle  nationalen  Schranken  durchbrechend,  das  vSlkerver- 
mde  Ferment  der  intellektuellen,  ästhetischen  and  ethischen 
;  k&nftiger  Jahrtausende  hat  werden  können:  graeca  le- 
;  M  ommbus  fere  gentibus  sagt  Cicero,  tö  ixQißätg  "EXltivo! 
Ht  d^6vaaftttt  zolq  iv&fftbxois  i^oiuXijeat  Synesios.  Diese 
1  Unterschiede  nivellierende  allgemeine  Menechen- 
iit  die  Basis  gewesen,    auf  der  die  christliche  Kirche, 


464  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

diese   grofse  YÖlkerverbindende   Macht,    ihren  stolzes  Bau   auf- 
soBiAiimui  führen  konnte.  —  Dieselbe  Stoa  hat  auch  den  im  Grunde  gleich- 
H«uaii8<  falls    nnhellenischen    Begriff    des    allgemeinen    Menschenrechts 
'^^^      innerhalb   der  verschiedenen  Stande  eines  und  desselben  Volkes 
zum  ersten  Mal  mit  ausschlaggebender  Energie   —    die  Keime 
liegen,  wie  für  die  gesamte  stoische  Ethik,  schon  in  der  sokra- 
tischen  Lehre    -—    in  der  Theorie    aufgestellt  und,  wie  die  rö- 
mischen Gesetze    zeigen,    bis  zu  einem  gewissen  Grade  in  die 
Praxis  einzufahren  vermocht.    —    Da  nun   die  Ideen    der  Stoa 
überhaupt   in   das  AUgemeinbewufstsein   aller  Gebildeten,    ganz 
unabhängig  von  ihrem  philosophischen  Standpunkt,  übergegangen 
sind,    so    erklärt    es    sich,     daJjs    der    exklusiv    aristokratische 
Charakter  der   antiken   Litteratur   leicht   einem  volkstümlichen 
Platz    machen    oder    ihm   wenigstens   eine    geduldete   Existenz- 
berechtigung   zuerkennen    konnte:    zu    den    Fülsen    des    phry- 
gischen  Sklaven  hat  im  zweiten  Jahrhundert  der  Herr  der  Welt 
gesessen,   und    das   kommunistische  Staatsideal   des   Gnostikers 
Epiphanes  lehnt  sich  aufs  deutlichste  an  die  berüchtigte  zeno- 
nische  tcoXixbCu  an. 
Theoreüiche        4.   Auch   in   ihrer  Verachtung  der  schönen  Form  der  Dar- 
gttittgkeii  steUung   hatten  die  christlichen  iptk66oipov  an  den  hellenischen 
gegen    ihre  Vorgäuffer:  denn  in  der  Theorie  haben  auch  diese  seit  dem 

Formen-  . 

sohonheit.  ^aloq  IlkAcmv  auf  die  äufsere  Form  nichts  gegeben  und  einige, 
wie  der  Aristoteles  der  pragmatischen  Schriften,  Chrysipp  und 
Epiktet  haben  die  Theorie  auch  in  die  Praxis  umgesetzt:  im 
allgemeinen  aber  haben  sie  trotz  aller  ihrer  Versicherungen  mit 
^  Bewulstsein  sorgfältig  und  schön  geschrieben.  Ebenso  die  christ- 
ner     liehen    Schriftsteller:    es    soll    im    folgenden    gerade    dargelegt 

in^Kunit  werden,  wie  die  christliche  Litteratur  seit  dem  Moment,  in  dem 
LittJnftur.  ^^®  ^  ^^®  Sphäre  des  Hellenismus  trat,  trotz  aller  Theorieen 
und  trotz  hei&er  Konflikte  zwischen  Sollen  und  Wollen  doch 
kraft  des  Gesetzes  der  immanenten  Notwendigkeit  sich  in 
steigendem  Mause  die  äuTseren  Mittel  der  hellenischen  Dar- 
stellungsart angeeignet  hat  und  so  auch  auf  diesem  Gebiet  die 
grofse  Erhalterin  gewesen  ist.  Wie  in  der  bildenden  Kunst,  so 
mufste  sie,  wenn  sie  verständlich  sein  und  wirken  wollte,  auch 
in  der  redenden  die  antiken  Formen  beibehalten:  das  Grofse  aber 
war,  daÜB  sie  diese  Formen,  die  bei  dem  mangelnden  Gehalt 
Selbstzweck   geworden   und  wie  ein  für  sich  selbst  bestehendes 


Kompromifs  zwischen  Heidentum  und  Christentum.  465 

Ornament  der  Schnorkelei  anheimgefallen  waren,  mit  neuem 
Inhalt  gefüllt  und  dadurch  dem  Menschengeschlecht  fQr  alle 
Zeiten  übermittelt  hat.  Das  ist  ihre  litterarische  Mission  ge- 
wesen, das  ist  es,  was  sie  auch  uns  Philologen  lieb  und  wert 
macht;  die  wir  uns  durch  den  Inhalt  oft  befremdet  fühlen.  Wer 
nicht  ohne  das  Geftihl  heiligen  Schauers,  das  der  grofse  welt- 
bewegende Zug  der  Ideen  auf  die  Menschen  ausübt,  die  Kirche 
im  Pantheon,  den  guten  Hirten  im  Gewände  des  Orpheus,  die 
Madonna  mit  dem  Kinde  in  der  Kaiserin -Mutter  mit  dem 
künftigen  Herrscher  dieser  Welt  schaut,  wer  in  der  gnostischen 
Legende  das  *  Mädchen'  Persephone  als  Maria,  in  der  katholischen 
die  listenreiche  Tochter  des  Zeus  in  der  schonen  Sünderin  Pela- 
gia,  die  Symbole  der  Mysterien  im  Kultus  der  (konstituierten) 
Kirche,  die  altheidnischen  Sühnfeiem  in  den  kirchlichen  Bitt- 
gängen, den  christlichen  Märtyrer  oder  Bischof  im  Philosophen- 
mantel wiedererkennt,  wer  den  Asklepios-Soter,  den  der  Apostat 
dem  galiläischen  lesus-Soter  als  unvereinbar  höhnend  gegenüber- 
gestellt hatte,  mit  diesem  sich  in  Wort  und  Bild  freundlich  ver- 
binden sieht,  der  wird  ohne  Verwunderung  das  herrliche  Gebet 
am  Schluüg  des  platonischen  Phaidros  nur  leise  umgebogen  aus 
dem  Mund  eines  Bischofs  des  sechsten  Jahrhunderts  ertönen 
hören,  der  wird  ohne  ästhetisches  MiTsempfinden  am  Symposion 
der  Nonnen  teilnehmen,  die  nicht  den  Eros  und  die  Kallone, 
sondern  ihren  himmlischen  Bräutigam  preisen,  der  wird  von  den 
innigen  Herzensergüssen,  die  der  grolse  Nazianzener  in  den 
klassischen  Formen  hellenischer  Poesie  niedergelegt  hat,  ergriffen 
werden,  der  wird  die  kynisch-stoische  Homerexegese  und  die 
aristarchische  Homerkritik  durch  den  gewaltigen  Alexandriner 
gern  auf  die  heiligen  Urkunden  der  Christen  übertragen  sehen, 
der  wird  endlich,  was  uns  vor  allem  naher  beschäftigen  wird, 
als  etwas  Selbstverständliches  die  Thatsache  entgegennehmen, 
dafs  die  (entwickelte)  christliche  Predigt  im  Gewände  der 
sophistischen  Rhetorik  erscheint:  tdSe  yäg  yLBxaxBö&ma  ixetvä 
iöti  xixetva  nikiv  {UtanB6&ma  tavta. 

3.   Prinzipielle  Vorfragen. 

Bei  allen  Untersuchungen,  die  sich  bewegen  „auf  der  breiten     *  ^^ 
Fläche  gemeinsamen  Besitztums,    die  zwischen  dem  Felsen  der  äjuJ'^»^ 


4(U(  Von  Hadrian  bb  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

Lehre  Christi  und  dem  rein  heidnischen  Lande  liegt  ^  auf  dem 
Watt,  über  das  einst  die  Flut  des  Heidentums  sich  ergofis^^), 
ist  die  grölste  Vorsicht  notwendig;  wenn  man  nicht  ausgleiten 
oder  versinken  will.  Zwar  die  Zeiten  sind  Yorüber,  wo  man 
Hellenismus  und  Christentum  wie  durch  eine  Mauer  dauernd  ge- 
schieden glaubte,  wo  man  die  beiden  um  den  Besitz  der  Welt 
kämpfenden  Mächte  als  zwei  Gewalten  ansah,  zwischen  denen  ein 
äönovdog  nal  iaiiiQxmtog  nöXenog  bestanden  habe,  ein  Krieg  des 
xcc9Ü)g  daifioiv  gegen  das  Prinzip  des  Guten:  in  jenes  Dunkel  der 
ivi6to(ffi6ia  hat  das  helle  Licht  der  geschichtlichen  Auffassung, 
das  Sfifia  ttiXccvyig  der  so  einfachen  und  doch  so  lange  yer- 
borgouen  Wahrheit  vom  Werden  alles  (Gewordenen  hinein- 
geleuchtet. Aber  infolge  des  gerade  unser  Jahrhundert  aus- 
zeichnenden Forschungsdranges,  überall  das  höchste  Gesetz  der 
Entwicklung  in  seinem  Walten  zu  erkennen^  überall  die  Wurzeln 
bis  in  ihre  feinsten  Fasern  zu  zergliedern,  gehen  einige  auf 
diesem  Gebiet  meiner  Überzeugung  nach  oft  zu  weit  und  treiben 
mit  dem  Begriff  der  *  Entlehnung'  Milsbrauch:  die  Falle,  in 
denen  eine  Entlehnung  in  dem  rein  äuÜBerlichen  Sinn  der  direkten 
llerUbemaiime  peitens  der  Christen  erfolgt  ist^  sind  weitaus  die 
seltonoron,  und  wo  sie  erfolgt  ist^  handelt  es  sich  nie  um 
die  Idee  als  solche,  sondern  nur  um  die  Formen,  in 
welche  sich  die  Idee  in  der  Welt  des  Hellenismus  ein- 
gekleidet hat:  wo  immer  wir  direkte  Entlehnung  einer 
tnubenden  Idae  des  Christentums  aus  dem  reinen  (d.  h.  dem 
nicht  judalsierten)  Hellenismus  angenommen  haben,  da  haben 
wir  geirrt.  Man  mufs  bei  Behandlung  dieser  Fragen  die  ein- 
«ttlnen  FUlle  nach  inneren  Gründen  streng  zu  scheiden  suchen, 
witim  mau  »u  iripmd  welcher  Klarheit  und  Sicherheit  der  Re- 
Mulialu  gelangen  will:  dafii  die  Untersuchung  dadurch  erheblich 
Miiliwitirlgtir  wirti  als  wann  man  sie  nach  rein  äufserlichen  6e- 
sluliUltuukUu  anstt^Ut,  ist  freilich  gewilk  Folgendes  scheint  mir 

[liHgjHy  l,    lu  yi^au  KiUlai^  wo  aiuigd  vun  ^Entlehnung'  sprechen, 

lum^^li    ^    *i^    i^    Wahrh<»i(    um    spontanes   Wachsen 

^Vf   tk^lU   Uruu^t   you    lU^au»    Ui«   aU  ^^Gemeingut  des 

Mt^f^H    i]kfl^)^a¥a    Qk^athaupt    h^ttacbtet    werden 

iBMltk  IM««a  I  vlMa  l;Wta>  p  IX. 


Die  griechisch-chriBtliche  Litteratur:  prinzipielle  Vorfragen.       467 

müssen/'^)  Hier  moTs  also  an  die  Stelle  des  Begriffs  *  Ent- 
lehnung' der  der  ^Analogie'  treten.  Giebt  es  nun  Kriterien, 
beide  zu  scheiden?  Vieles  wird  hier  immer  dem  subjektiven 
Gefähl  überlassen  bleiben ,  aber  oft  bietet  der  ganze  Charakter 
eines  Schriftstückes  die  Möglichkeit  zu  unterscheiden,  ob  es  sich 
um  Entlehnung  oder  um  Analogie  handelt.  Das  Bild  des  Paulus 
vom  Wettkämpfer  (ad  Cor.  I  9,  24  ff.)  stammt,  wie  jeder  in  der 
griechischen  Litteratur  Bewanderte  zugeben  muTs,  aus  der 
popularisierten  stoischen  Moralphilosophie  ^,  deren  Gedanken 
damals  in  das  allgemeine  Bewulstsein  übergegangen  waren.  Das 
Bild  Yon  den  zwei  Wegen  in  der  Beigpredigt  (ey.  Matth.  7, 13  ff., 
also  aus  dem  spätesten  Teil)  erinnert  zwar  gleichfalls  aufs 
stärkste  an  das  seit  der  Zeit  Hesiods  und  der  alten  Sophisten 
so  überaus  populäre  Bild  von  den  zwei  Wegen,  von  denen  der 
eine,  eng  und  domig,  zur  Tugend,  der  andere,  breit  und  glatt, 
zum  Laster  fOhrt:  aber  von  einer  direkten  Beziehung  kann  gar 
keine  Rede  sein^);  es  stammt  vielmehr,  wie  uns  der  Barnabas- 
brief  und  die  Lehre  der  zwölf  Apostel  zeigt,  aus  jüdischen  Vor- 
Stellungskreisen.  ^)  Je  näher  also  ein  Schriftsteller  dem  Hellenis- 
mus steht,  um  so  grö&er  ist  die  Wahrscheinlichkeit  einer 
unmittelbaren  *  Entlehnung':  bei  Gregor  von  Nazianz  gröfser  als 
bei  den  Mönchen  der  nitrischen  Wüste,  bei  jedem  Häretiker 
grölBcr  als  bei  jedem  Katholiken  u.  s.  w. 

2.   Li  vielen  Fallen  brauchen  wir  uns  nicht  innerhalb  derHeUeniaoh 

AnAlogiaen 

1)  Usener  1.  c. 

2)  Aber  wahrscheinlich  nur  indirekt  durch  Vermittlung  der  jüdisch- 
hellenischen Litteratur  (s.  weiter  unten  sub  S),  cf.  Sap.  Sal.  4,  2  (von  der 
&(fBti/j):  iv  t&  al&vi  ctetpumiipoQoaöu  arofiare^Ci  tbv  t&v  &(iidvtmv  &&lmv 
&y&vu  vixi/jöaüa  und  10,  12  (von  der  öoipla):  &yätva  UsxvQbv  ißgdßsvcBv 
ainm.  Wie  beliebt  das  stoische  Bild  auch  in  der  späteren  alexandnnischen 
Schule  war,  weifs  man  aus  Philon,  cf.  z.  B.  P.  Wendland,  Phil.  u.  d.  kyn.- 
sto.  Diatr.  (Berl.  1896)  44,  1. 

8)  So  wenig  wie  das  Gleichnis  vom  Gk)ttesreich  mit  einem  (Gastmahl 
(ev.  Luc.  14, 16  ff.)  etwas  zu  thun  hat  mit  dem  ähnlichen  Bilde,  das  in  der 
griechischen-  Popularphilosophie  häufig  ist  (cf.  besonders  Dio  Girys.  or. 
80,  28  ff.). 

4)  Cf.  besonders  die  interessanten  Nachweise  von  C.  Taylor,  The 
teaching  of  the  twelve  apostles  with  illustarations  from  the  Talmud,  Cam- 
bridge 1886;  auch  Hamack,  D.  Apostellehre  u.  die  jüdischen  beiden  Wege ' 
(Leipz.  1896)  28  ff.  67  ff.,  F.  Spitta,  Z.  Gesch.  u.  Litt.  d.  Urchrist.  U  (Leipz. 
1896)  884.    Der  Ausgang  war  Jeremias  21,  8. 

Nord«n,  anUka  Kuiutprota.   IL  81 


468  ▼<Mi  Hadriaa  bis  sam  Ende  der  Eaiseneit 

sehr  weiten  Sphäre  der  allgemein  menschlichen  Ideen  za  be- 
wegen, sondern  können  die  Grenze  enger  ziehen.  Seit  Jahr- 
hunderten hatten  die  hellenischen  Ideen  auf  die  ganze  ciTilisierte 
Welt  starker  oder  schwächer  eingewirkt,  der  Boden  war  yor- 
bereitet^  auf  dem  die  weltgeschichtliche  Macht  des  Synkretismus 
zwischen  Heidnischem  und  Christlichem  feste  Wurzeln  fiEU»en 
konnte,  zumal  der  Hellene,  so  exklusiv  er  sonst  war,  gerade  in 
religiösen  Dingen  von  jeher  synkretistischen  Ideen  g^enüber 
sich  sympathisch  verhielt.  Da  also  im  Glauben  und  Denken 
sowie  in  gewissen  Kulthandlungen  die  charakteristischen  Merk- 
male dem  Prozelis  einer  allgemeinen  Niyellierung  leicht  unter- 
worfen wurden,  so  war  die  Möglichkeit  gegeben,  dafe  gleiche 
Erscheinungen  aus  gleichen  Ursachen  durch  spontanes 
Entstehen  sich  entwickelten.  Wir  haben  also  auch  in 
diesen  Fällen  blolse  Analogieen  zu  konstatieren,  die  sich  aus 
gleichartigen  GrundToraussetzungen  erklären.  Die  Sammlung 
solcher  Analogieen  hat  deshalb  einen  wenigstens  relativen  Wert, 
weil  sie  die  Möglichkeit  einer  so  schnellen  Ausbreitung  der 
neuen  Weltanschauung  in  ein  helles  Licht  rückt  ^)  und  uns  z.  B. 
eine  Persönlichkeit  wie  Synesios  verständlich  macht:  man  muTs 
sich  nur  hüten,  diesen  relativen  Wert  zu  einem  absoluten  zu 
steigern,  indem  man  fQr  bewuTste  Entlehnung  hält,  was  in  Wahr- 
heit nur  Fortwuchem  einer  Idee  ist.  Von  diesem  Gesichtspunkt 
aus  betrachtet  sind  Parallelen,  wie  sie  Ghitaker  in  seinem  Kom- 


1)  Cf.  G.  Weizsäcker,  D.  apostol.  Zeitalter  *  (Freib.  1892)  99  f. :  „Die 
Beweise  des  Paulus  für  den  Monotheismus  sind  schon  durchaus  gerichtet 
auf  die  Herstellung  des  Verlangens  nach  einer  Erlösung.  Wir  können  nur 
vermuten,  wie  weit  die  monotheistische  Bichtung,  welche  yon  der  Philo- 
sophie ausging,  damals  auch  schon  in  die  Bevölkerung  eingedrungen  war; 
und  ebenso  wie  es  sich  in  der  gleichen  Hinsicht  verh&lt  mit  der  An- 
erkennung eines  allgemeinen  sittlichen  Verderbens  in  der  Welt  und  der 
Verzweiflung  an  den  bestehenden  öffentlichen  Zuständen.  Das  aber  läfst 
sich  mit  Sicherheit  sagen,  dafs  der  Eingang,  welchen  das  Christentum 
zuerst  bei  den  Heiden  gefunden  hat,  durch  nichts  anderes  vermittelt  ist 
und  keinen  anderen  Grund  hatte,  als  dafs  diese  Motive  der  reinsten  Reli- 
gion, der  andächtigen  Weltbetrachtung  und  des  lebendigen  Gewissens  ihren 
Widerhall  in  den  ersten  heidnischen  Hörern  fand.^^  Wer  die  Entwicklung 
der  Philosophie  seit  Aristoteles,  vor  allem  die  populären,  in  das  allgemeine 
Denken  aufgehenden  Ideen  der  späteren  Stoa  kennt,  kann  sich  das  alles 
selbst  belegen. 


Die  griechisch-christliche  Litieratur:  prinzipielle  Vorfragen.       469 

mentar  zu  M.  Anrel  (1652)  z.  B.  zwischen  Stellen  der  Bergpredigt 
und  der  Stoa  und  Baur  zwischen  Sokraies  und  Christus^  Seneca 
und  Paulus  zog^  höchst  dankenswert  und  lehrreich,  aber  wenn 
derselbe  Gelehrte  in  der  dritten  seiner  berühmten  Abhandlungen 
nach  Vorgang  Yon  yielen  anderen  dem  Philostratos  in  seiner 
Lebensbeschreibung  des  ApoUonios  yon  Tyana  die  bewufste 
Tendenz  unterschiebt,  in  seinem  Heiligen  ein  Gegenstück  zu 
Christus  zu  geben ,  so  ist  das  ein  Irrtum  ^)|  vergleichbar  dem- 
jenigen,  der  viele  (seit  Gregor  von  Nazianz)  verführt  hat,  das 
für  christlich  anzusehen,  was  vielmehr  von  kynischen,  stoischen 
oder  pythagoreischen  Moralphilosophen  herrührt^:  das  alles  sind 
vielmehr  blo&e  Analogieen,  die  deutlich  beweisen,  wie  in  dem 
aufgeklärten  Hellenismus  jener  Zeit  Strömungen  wirksam  waren,, 
die  vermöge  der  gleichen  Tendenz  sich  mit  der  groüsen,  alle 
Dämme   durchbrechenden   Überflutung    durch    das    Christentum 


1)  Die  Einzelheiten,  die  Baur  Torbringt,  lassen  sich  alle  aus  den  Zeit- 
verh&ltnissen  selbst  erkl&ren  (jetzt  bieten  auch  die  Zauberpapyri  Material). 
Das  Fundament  der  ganzen  Behauptung  ist  unhaltbar:  Damis,  der  Jünger 
des  ApoUonios,  den  Philostratos  selbst  als  seine  Hauptquelle  nennt,  soll 
eine  „apokryphische**  Person  sein,  denn  —  das  giebt  auch  Baur  zu  — 
gleich  nach  dem  Tode  des  Apollonios  (um  100)  sei  eine  Tendenzschrift 
gegen  die  Christen  nicht  glaublich.  Nun  aber  liegt  nicht  der  leiseste 
Grund  vor,  Damis,  von  dem  und  yon  dessen  Schrift  Philostratos  allerlei 
Detail  angiebt,  aus  der  Welt  zu  schaffen:  das  gesteht  auch  Zeller,  Phil.  d. 
Gr.  m  2*  (Leipz.  1881)  181  Anm.  zu,  behauptet  aber,  jene  Schrift  sei  auf 
den  Namen  des  Damis  geHQscht,  und  Philostratos  habe  sich  täuschen 
lassen;  allein  er  giebt  keine  Gründe  fOr  diese  Ansicht  an.  Es  muTs  also 
dabei  bleiben,  dals  Hierokles  der  Erste  gewesen  ist,  der  das  Werk  den 
Christen  mit  Hinweis  auf  Christus  entgegengehalten  hat,  dafs  aber  dem 
Philostratos  bezw.  Damis  dieser  Gedanke  ganz  fem  lag. 

2)  Werden  wir  es  denn  nie  lernen,  in  solchen  Fragen  wissenschaft- 
licher zu  urteilen,  als  im  Jahrhundert  der  äviatogricla?  Th.  Zahn  hat  in 
seiner  Bede  'Der  Stoiker  Epiktet  u.  sein  Verhältnis  zum  Christentum'  (Er- 
langen 1894)  beweisen  wollen,  dafs  Epiktet  die  Evangelien  und  die  Briefe 
des  Paulus  gelesen  habe  und  Ton  ihnen  beeinfluTst  sei.  Gegen  alles  und 
jedes,  was  da  rorgebracht  wird,  mufs  laut  Protest  erhoben  werden:  eine 
Widerleg^ung  erspare  ich  mir,  da  der  Philologe  wie  der  der  griechischen 
Philosophie  kundige  Theologe  die  ganz  haltlosen  Argumente  ohne  weiteres 
aus  seiner  eigenen  Kenntnis  widerlegen  wird  (ganz  verständig  urteilt 
A.  Braune,  Epiktet  u.  d.  Christentum  in:  Z.  f.  kirchl.  Wiss.  u.  kirchl. 
Leben  V  [1884]  477  ff.).  Wie  in  Fragen  dieser  Art  zu  urteilen  ist^  habe 
ich  an  ein  paar  konkreten  Fällen  gezeigt  in  meinen  'Beiträgen  z.  Gesch 
d.  griech.  Philos. '  in  Fleckeisens  Jhb.  Suppl.  XIX  (1892)  886  ff. 

81* 


470  V//*  BiUnm  Im  nm  Iom 

luieht  iferhindf^  mA  uhikSäA  vnomtfimktm^zm 

Verbälfcni«  (^h^te  m  aMgeditfatlEt,  <da£i  a 
Ittiitfii,   wii«  H^riUii,  £okni«t,  Pin»  Goii 
üif«ribftrt  bsb«,  O04  der  in  gicidb«  Si 
Lufcbi^r   wkd^rh^lU  WnoMh   Angnithtt,   Cbiitai 
Märi0ii?r;  dUt  vor  dasr  Offenbanuig  des  Heils  dorek  iiiie  Tvgcndoi 
«xiriiiplsrbeb   uimI  sllg<mi«ifMrr  Bewundemiig  triihsftig  gevoiden 
iM^ki^,  üuif  di^r  (1//Ik  trrlTjMetif  hat  doeh  etwas  ebenso  Gmlsut^ies 
wift    UüUntiuUmJ )     Aoeb    Einzuleiten    sind    Ton    solchen    Ge- 
sii'JiU|HiiikUn  stts  zu  iHmrUsilen.    Wer  z.  B.  den  Kult  der  Mär- 
tyrer mm  iUtm  A^f  l\tif(mi  erklären  wollte,  würde  einen  Fehler 
Siti^tiUm^    ti^HH   difu   schon  Theodoret   und  Cyrill  za  kämpfen 
imiUtii*)^    w$$r  uU:U  nhw  etwa   aus  Pausanias  und  Philostratos' 
ititfuU'un  tii4i  frommulHuWmH  Htimmnng  der  hellenischen  Welt  in 
t^^m^Utih    tltsr   Httnmi^itmhruun   vergegenwärtigt^   wird   begreifen, 
iM)i   lUti  vurwfifMlU  Miirtyrer Verehrung   bei  den  Hellenen  leicht 
M)mk»»ii|{  IUuUii  niu\  nkh  in   ihrem  BewaCstsein  mit  jener  innig 
i^KHKlMftbMn  honnl^i     Khhtmo  int  die  Idee  des  Mönchtnms  keines- 
w<*UA  iUlp\^i  l^im  ilor  hnllnnischmi  philosophischen  Askese  herüber- 
K'HiMiiHMdii,    miwUini  \mi  mv.h  im  Christentum  wie  in  Beligions- 
«V«l'*i|MtMi  Miilni'Kr  Vnlki^r  iiilolK^^  einer  lleaktion  einzelner  gegen 
illit  lM«iiiM  iiimI  Ulli  «Itsr  Wnlt  ptiktierende  Moral  der  Gesamtheit') 
(ImmIihmm  M|iMMUh  ii|il.wi(«ktill|  t^hi^r  in  ihren  Erscheinungsformen 
hni   *i(oh    iliitHM    In  dm*  OhriHliMihtiit  seit  den  Zeiten  des  Hermas 
VMiltiuiilithii  l>\inliMMnK  oint^r  li^hort^n,  auf  der  Askese  begründeten 
MmiiiI  mit  iilMlolmi'l>l|Ai»n,   Ktn*mlo  dnumls  im  stoisch  beeinfluTsten 
NiMi|ilHliiMlHhmai     iMtHunilorM     krliftigt^n^^    Onmdströmungen    des 
lli«lli«Ml«tUM«  viiiolMl^i,  MH  diUk  t\\v  <)rigt«nt»i|  Kusobios  u.  s.  w.  der 
MtUh-h    \\\\i    \W\\\    ui\\\ik\A\\\\\    MJiui>AMliitf,    »oiuo   Ideale   mit   den 
«tl'uUt'ht^n  H^Mn^^fii^i^H  #u«Hnuuim(iul0M.    W^v  ft^rnor  bei  den  Sym- 

\^  \\\^\\Ay\\  \^\\  vUwwi  U^  iii  y  4  \\\\  41I(  <I0  Mv|tM«  V^'t  Beil  I.  A%. 
''\  \^  ^n^^^  \s\  ti\«  y  sw  \\\\\  n\s\\\\\  ^su  l^Muiu  IWI«^i»\Wu  Wi  Th.  Zielinski 
\w    \m  \\.^\v\M  \\\*v  m^4^   \\\^\\m   |m»o  H\i 

^M  ^   \^.iU\\  \K'U>^vv  |\^v\   V   «'^\^vl«,  \^    \\'^y\\%w  vi  ChmWatums  Wi  den 


Die  griechiscli-chrifitliche  Liiteratar:  prinzipielle  Vorfragen.       471 

holen  der  Taufe  und  des  Abendmahls  an  eine  direkte  Entlehnung 
aus  den  Eleusinien  denkt,  irrt:  wer  aber  zeigt^  welche  Macht  die  Idee 
Yon  Mysterien  mit  Eultsymbolen^)  auf  die  Gemüter  der  Menschen 
jener  Zeit  ausübte  und  daraus  die  mit  innerer  Notwendigkeit 
sich  vollziehende  Anlehnung  spezifisch  christlicher  Symbole  an 
altüberlieferte  heidnische  erklärt*);  steht  viel  mehr  auf  dem  Boden 
historischer  Forschung  als  jene  anderen,  die  da  glauben,  daCs  das 
Wesen  jeder  Fortentwicklung  nur  in  bewuHster  Herübemahme 
und  Entlehnung  besteht. 

3.  Man  darf  den  Einflufs  des  Judentums  auf  das  JüdiMi 
Urchristentum  nicht  unterschätzen,  mufs  im  Gegenteil 
a  priori  für  die  früheste  Zeit  ihn  höher  taxieren  als 
den  des  Hellenismus.  Prinzipiell  sind  darüber  alle,  die  eine 
klare  Vorstellung  von  der  Entwicklung  des  Christentums  haben, 
einigt),   aber  der  Grrad  der  Beeinflussung  durch  das  Judentum 


1)  Cf.  G.  Anrieh,  D.  antike  Mysterienwesen  in  seinem  EinfloTs  auf  das 
Christentmn,  GOttingen  1894,  übrigens  nach  Vorgang  yon  C.  Schmidt  in 
seinem  an  ausgezeichneten  Beobachtungen  reichen  Werk:  Gnostische 
Schrifben  in  koptischer  Sprache  in:  Texte  u.  Unters.  VIII  (1892)  514  ff. 

2)  Cf.  Hamack  1.  c. 

3)  Cf.  Weizsäcker  1.  c.  S70:  „Die  gröfste  Gefahr,  welche  in  letzter 
Absicht  den  grofsen  Zielen  des  Paulus  drohte,  war  das  Zerfahren  der 
Sache,  das  Übergewicht  der  zuwachsenden  Einflüsse  des  fremden  Bodens, 
die  Umbildung  des  Glaubens,  das  Auseinandergehen  in  yerschiedenartige 
Schulen,  welche  nach  eigenem  Urteil  und  Geschmack  sich  aneigneten,  was 
ihnen  gut  dünkte.  Es  ist  nicht  zu  ermessen,  wie  viel  zur  Überwindung 
gerade  dieser  Gefahr  das  Fortbestehen  des  historischen  Ausgangspunktes, 
das  Richtmafs,  welches  hierfür  Ton  der  Urgemeinde  ausging,  beigetragen 
hat.  Dadurch  yor  allem  kam  das  Christentum  zu  den  Heiden 
als  ein  neuer  Glaube  und  doch  als  eine  historische  Religion,  ja 
als  eine  Religion  überhaupt,  die  sich  nicht  in  eine  Philosophie 
auflösen  liefs.''  Gerade  uns  Philologen,  die  wir  das  nachfühlen  kOnnen, 
was  die  '^llrivBs  jener  Zeit  fohlten,  leuchtet  das,  sollt*  ich  meinen,  ein  und 
nur  der,  welcher  nicht  genügend  nachgedacht  hat,  kann  es  leugnen.  Aus 
dem  genannten  Ghrunde  schreibt  auch  der  Verf.  des  Eolosserbriefs  (2,  8) :  fif} 
xig  ^iiäg  %mai  6  cvlaymy&v  dicc  Ti}ff  ipiXoöoipUcg  xal  msvfjg  &ndtrig  xor^  x^v 
Ttagadociv  t&v  &vd'QS7CiDv,  xara  tä  6toix8ta  toO  xötffiov  %al  o{>  xctra 
X(ficr6v:  hätten  die  häretischen  Gnostiker,  deren  einer  ganz  im  Sinn  des 
exklusiven  Hellenismus  das  alte  Testament  verwarf  und  damit  die  historische 
Garantie  unserer  Religion  aufhob,  gesiegt,  so  wäre  es  um  das  Christentum 
als  Religion  geschehen  gewesen,  sie  hätte  sich  in  algicsig,  in  dt^dacnalsla 
aufgelöst  und  sein  Stifter  wäre  als  Religionsphilosoph  ilg  noXl&v  gewesen 


472  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

ist  kontrovers ,  da  alle  modernen  jüdischen  Gelehrten  diese  Be- 
ziehungen mafslos  zu  übertreiben  ^);  manche  modernen  christ- 
lichen Gelehrten  ihn  auf  ein  Minimum  zu  beschränken  lieben*); 
bei  der  ungenügenden  Chronologie  der  in  Betracht  kommenden 
jüdischen  Urkunden  ^  besonders  des  Talmud;  ist  eine  Einigung 
hier  schwer  zu  erzielen.  Für  die  uns  interessierende  Frage  kommt 
aber  das  Judentum  als  Ganzes  auch  gar  nicht  in  Betracht,  sondern 
nur  das  hellenisierte  Judentum.-  a)  In  vielen  Fällen, wo  man 
in  den  frühesten  Urkunden  des  Christentums  einer  hellenischen 
Vorstellung  begegnet,  wird  man  sich  hüten  müssen,  sie  direkt 
aus  dem  Hellenismus  abzuleiten,  sondern  wird  vorsichtig  zu  sagen 
haben,  dafs  dieses  hellenisierte  Judentum*)  das  ver- 
mittelnde Glied  gewesen  sein  kann.  Die  Entscheidung 
wird  im  einzelnen  schwierig  sein,  weil  die  Thatsache  der  sehr 
frühen  Verbreitung  des  alexandrinischen  Judentums  in  Palästina 
durch  historisch  beglaubigte  Fakta  feststeht,  nicht  ihr  Umfang. 
Wer  in  dem  Stoff  der  synoptischen  Evangelien  irgendwelchen 
hellenischen  Einflufs  annimmt,  begeht  nach  meiner  festen  Über- 
zeugung einen  prinzipiellen  Fehler:  die  Übereinstimmungen  sind 
aus  dem  sub  1)  erörterten  Gesichtspunkt  als  allgemeine  Analo- 
gieen  aufzufassen.  —  b)  Etwas  anders  steht  es  mit  der  religions- 
philosophischen, vom  Verf.  frei  komponierten  Einleitung  des  aus 
einem  Centrum  hellenischer  Kultur  hervorgegangenen  johan- 
neischen  Evangeliums.  Der  Satz:  „Im  Anfang  war  der  köyog 
und  der  Xöyog  war  Gott,   alles  wurde  durch  ihn  und  ohne  ihn 

und  jener  Kaiser,  der  ihn  neben  Orpheus  und  Apollonios  von  Tyana  an- 
betete, hätte  recht  behalten. 

1)  Z.  B.  F.  Nork,  Babbinische  Quellen  u.  Parallelen  zu  neutest. 
Schriftstelleni ,  Leipz.  1889.  M.  Friedländer,  Zur  Entstehungsgesch.  d. 
Christentams,  ein  Exkurs  von  der  Septuaginta  zum  ETangelium,  Wien 
1894.  Während  ersterer  einige  Einzelheiten  richtig  beobachtet,  gelangt 
letzterer  durch  tendenziöse  Interpretation  zu  ganz  perversen  Folgerangen. 
—  Übrigens  ist  die  Quelle  für  alle  Untersuchungen  jüdischer  wie  christ- 
licher Gelehrter  das  heutzutage  —  wie  es  scheint,  mit  Recht  —  der  Ver- 
gessenheit anheimgefallene  grofse  Werk  J.  Lightfoots,  Horae  Hebraicae  et 
Talmudicae  (1658—1664 ;  ich  kenne  nur  den  Nachdruck  Leipz.  1676—1679). 

2)  Richtig  urteilt  natürlich  Hamack  in  seinem  Nachwort  zu  Hatch, 
Griechent.   u.   Christent.   (Freib.  1892)  266   und  Dogmengesch.  P   (Freib. 

1894)  47,  1;   cf.  auch  H.  Vollmer,  Die  alttest.  Gitate  bei  Paulus  (Freiburg 

1895)  80  f. 

8)  Cf  Harnack  1.  c.  68  ff.  und  besonders  108  ff. 


Die  griechisch-christliche  Litteratur:  prinzipielle  Vorfragen.       473 

wurde  nichts,  was  geworden  ist''  hatte  wörtlicli  so  von  einem 
Stoiker  geschrieben  werden  können,  und  Heraklit  hat  ja  wirk- 
lich, wie  der  Evangelist,  sein  Werk  begonnen  mit  den  Worten, 
dafs  der  köyog  von  Ewigkeit  her  war  und  eine  vernehmliche 
Sprache  zu  den  Menschen  redete,  die  ihn  aber  nicht  begreifen 
wollten;  wenn  man  nun  bedenkt,  wie  populär  die  Ideen  der  Stoa 
waren  —  man  kann  sich  diese  Popularität  gar  nicht  grofs  genug 
denken  — ,  dafs  femer  das  heraklitische  Werk  von  Christen  — 
orthodoxen  wie  häretischen  —  gern  gelesen  wurde  (Justin 
apol.  I  64  rechnet  Heraklit  zu  den  XQiöuavoi,  da  er  iura 
1.6 yov  gelebt  habe,  ähnlich  Origenes  c  Gels.  I  5),  dafs,  wie  die 
Citate  zeigen,  gerade  sein  Anfang  hochberühmt  war,  dafs  endlich 
diese  Einleitung  des  johanneischen  Evangeliums  nach  dem  glän- 
zenden Nachweis  Hamacks  (Z.  t  Theol.  u.  Kirche  II  [1892] 
189  ff.)  nicht  -  oder  wenigstens,  wie  auch  die  Gegner  Hamacks 
zugeben,  nicht  sehr  eng  —  mit  dem  Evangelium  selbst  zu- 
sammenhängt, sondern  sich  an  Leser  wendet,  die  über  eine 
Logoslehre  orientiert  waren:  so  wird  man  meiner  Ansicht  nach 
die  Vermutung  aussprechen  dürfen,  dafs  in  einer  der  gran- 
diosesten Schöpfungen  menschlichen  Geistes  eine  direkte  und 
bewuljste  Reminiscenz  an  das  gedankengewaltige  Proomium  des 
ephesischen  Philosophen  vorliegt;  aber  interessant  ist  nun  gerade 
zu  sehen,  wie  die  hellenischen  Vorstellungen^)  hier  durch  helle- 
nistisch-jüdische leise  beeinflufst  sind:  Heraklit  begann  (vorher 
ging  nur  etwa:  ^HQoxXsvrog  *Eg>d6iog  xAds  Xdysi):  rai>  dh  Xöyov 
rovd'  iivTog  alei,   der  Evangelist   ersetzte   aisi  durch  iv  igx^ 


1)  Die  meisten  alten  Exegeten  kommen  in  Behandlung  der  Stelle 
ganz  mit  dem  A.  T.  aus,  so  Hippolytos  adv.  Noet.  p.  52,  8  ff.  Lag.,  Ori- 
genes comm.  in  ev.  loh.  I  c.  42.  n  c.  1  ff.  (vol.  I  88  ff.  Lomm.).  Dagegen 
überträgt  Clemens  AI.  Paed.  261  F.  den  heraklitisch  -  stoischen  Xoyog  un- 
mittelbar auf  den  christlichen  (cf.  über  die  Stelle  des  Clemens  J.  Bemays, 
Die  heraklit.  Briefe  [Berl.  1869]  40  Anm.).  Beides  beweist  aus  einem  im 
Text  sub  6  anzuführenden  Grunde  fOr  uns  nichts.  Aber  interessant  ist 
doch,  dafs  Amelios,  der  Schüler  Plotins,  den  Anfang  des  Hera- 
klit mit  dem  des  lohannes  zusammengestellt  hat,  was  sich  Eu- 
sebios,  der  dies  berichtet  (pr.  ev.  XI  19,  1),  wohl  gefallen  läfst.  —  Dafs 
übrigens  der  hochgebildete,  in  Ephesos  lebende  Verf.  des  Eyangeliums  das 
heraklitische  Werk  kannte,  darf  mit  Bestimmtheit  behauptet  werden: 
kannten  es  doch  gerade  zu  jener  Zeit  so  elende  Skribenten  wie  die  Ver- 
fasser der  Heraklitbriefe,  darunter  ein  hellenistischer  Jude. 


-sTx  "^m.  ^fcfriBf  iB  xmL  Snttt  hsr  ^ÜHzasÜL 


«  isQsz  Anof  'v^zx.  iiK  r7i2J2ff  xi-ctt  2ei-))St:scaiMi 
miL  »«mar  sh  iasoL  «rüm»; o.  i^ffxsiSfa  sx  izucüi 


1    «bi»  iK  -w'iiii.  3tf%:a  i^mc  xmtm'V  jcotfuic  mr  u«<r  immGac     ^ 
fiACum  ^T^Mu   ai^M  V/rf»  vx  iüiUKo.     ^  .ic^^r«:  iui^Ic.  m  ir  insr  3ixs  lae 

ö.>    .r-j;^««»*-     lau  'i'ijc*^«.'* iia*»     ia^  iv,'r    ms  tui^i:(;    i*vüi"   jriib.tviWQ  XsN^ 
-.   UJw     ','»)   VSuiUt»    iK=*«r^  '.^*:i)    ^*.:A-i;i.i»     ),».^    :us:    mwI   4»v\ii    ^iiicija  *-   ■»  zM 


Die  griechisch-christliche  Litteratur:  prinzipielle  Vorfragen.       475 

steller,  ans  Unkenntnis  sowohl  der  allgemeinen  Verhältnisse  wie 
der  erhaltenen  Schriften  jenes  Kreises  nicht  berücksichtigen. 
Selbst  wenn  ich  z.  ß.  zugeben  wollte  —  was  mir  als  Philologen 
natürlich  nicht  einfallt  — ,  dafs  die  Rede,  die  der  Verfasser  jenes 
Teils  der  Apostelgeschichte  den  Paulus  auf  dem  Areopag  halten 
läfst,  von  diesem  gehalten  worden  sei^),  so  würde  ich  noch 
immer  nicht  zugeben,  dafs  aus  dem  Aratcitat  tov  yä(f  ocal  yivog 
i6^iv  (act.  ap.  17,  28)  folge,  der  Apostel  habe  den  Dichter  ge- 
lesen, denn  Aristobul  hatte  denselben  Vers  citiert  (Euseb.  pr. 
eT.  Xm  12,  6),  und  daCs  dessen  Schriften  dem  Paulus  bekannt 
waren,  hat  bei  seinen  notorischen  Beziehungen  zu  alexandrinischen 

—  Folgendes  ist  wohl  noch  nicht  bemerkt.  Der  Vf.  des  Briefs  an  die  Ko- 
losser kann  1,  16  die  Bezeichnung  des  Sohnes  als  «patrordxoff  ndeiig  ^tlasmg 
deshalb  nicht  aus  sich  selbst  haben,  weil  derselbe  Ausdruck  (nur  f&r  den 
l^og)  gebraucht  wird  von  Theophilos  (ad  Autol.  II  22),  der  nirgends  die 
paolinischen  Briefe  (bezw.  was  man  damals  för  paulinisch  hielt)  citiert; 
man  erkennt  auch  aus  den  folgenden  Worten  des  Briefes  (y.  16  ff.),  dafs 
der  Vf.  bemüht  ist,  einen  ihm  überlieferten  Ausdruck  seiner  Oedankenreihe 
durch  Interpretation  einzufagen.  Nun  kennt  auch  Philo  diesen  und  den 
analogen  Ausdruck  nQonoyövos  vom  X6yog  (H.  Cremer,  Bibl.-theol.  WOrterb.  * 
600).  Daraus  folgt  also,  dafs  eine  uns  nicht  erhaltene  Schrift,  in  welcher 
der  Logosbegriff  vom  Standpunkt  des  alten  Bundes  behandelt  war,  für  den 
Vf.  des  Kolosserbriefs,  Philo  und  Theophilos  die  Quelle  gewesen  ist.  — 
Nach  solchen  Gesichtspunkten  müTste  man  einmal  den  paulinischen  Nach- 
lafs  untersuchen;  dazu  wäre  freilich  vor  allem  eine  —  auch  an  sich 
dringend  erwünschte  —  Bearbeitung  der  griechisch-jüdischen  Litteratur  er- 
forderlich (Benutzung  Philos  durch  Paulus  ist  trotz  Vollmer  1.  c.  [S.  472, 2] 
unerweislich). 

1)  Der  Beweis  der  ünechtheit  gehört  zu  den  absolut  sicheren  Er* 
gebnissen  der  Forschimg,  cf.  Baur,  Paulus  I'  (Lpz.  1866)  191  f.,  de  Wette, 
Erkl.  d.  Apostelgesch.  4.  Aufl.  von  Overbeck  (Leipz.  1870)  277  ff.;  was  kürz- 
lich vom  archäologisch  -  topographischen  Standpunkt  für  die  Echtheit  vor- 
gebracht ist,  hat  sich  als  nichtig  herausgestellt.  Wer  den  jedem  Eom- 
promifs  in  prinzipiellen  Fragen  abgeneigten  Paulus  des  Römerbriefs  und 
den  kampfesmutigen  Paulus  des  Galaterbriefs  liebt,  der  wird  der  langen 
Reihe  yemichtender  Indizien,  die  gegen  die  ürkundlichkeit  sowohl  der 
konzilianten  Rede  in  Athen  wie  der  inkonsequenten  Briefe  an  Timotheus 
und  Titus  ^vorgebracht  sind,  gern  Oehör  leihen,  weil  die  Gestalt  des  Apostels 
aus  der  Athetese  reiner  und  geschlossener  hervorgeht.  Wenn  einmal  ein 
wissenschafbliches  Buch  über  die  Beziehungen  des  Christentums  zur  grie- 
chischen Philosophie  geschrieben  wird,  so  hat  die  Rede  in  Athen  als 
frühester  (s.  U,  erste  Hälfte)  katholischer  Eompromifsversuch  zwischen 
Christentum  und  rein  hellenischer  Stoa,  wie  der  Prolog  des  johanneischen 
Evangeliums  zwischen  Christentum  und  jüdisch-hellenischer  Stoa,  zu  gelten. 


476  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeit. 

und  griechiflch  gebildeten  palästinensischen  Juden  ^)  grolseWahr- 
scheinlichkeity  ja,  ist  für  mich  ebenso  begreiflich,  wie  ich  mich 
gegen  die  Behauptung,  Paulus  habe  ^hellenische'  Schriftsteller 
gelesen y  skeptisch  verhalte:  worüber  ich  weiter  unten  noch  Ge- 
naueres zu  sagen  habe. 
Miwhung  4.  In  einigen  Fällen  wird  man  trennen  müssen,  indem  man 
lenisohem  Hciduisches  uebeu  Christlichem  (oder  Jüdischem)  gelten  läfst. 
'^uo^^*^  Für  das  Proömium  des  Johannesevangeliums  ist  das  soeben  ver- 
sucht worden,  wahrscheinlich  zu  machen.  Es  erinnert  femer 
z.  B.  in  den  jüdisch-christlichen  Vorstellungen  vom  Jenseits,  wie 
uns  kürzlich  vor  allem  durch  die  Petrusapokalypse  klar  ge- 
worden ist,  vieles  an  das  Elvsium  und  den  Tartarus:  einiges 
darunter  -  z.  B.  die  Bestiimnung  über  die  fi«,,o.  -  ist  so 
eigenartig,  dafs  man  eine  Beeinflussung  von  heidnischer  Seite 
wird  annehmen  dürfen  und  das  um  so  mehr,  weil  die  Brücke 
gebildet  wird  durch  die  orphisch-pythagoreische  Ausmalung  des 
Jenseits,  die  durch  apokryphe  Litteraturwerke  und  durch  die 
Mysterien  grofse  Verbreitung  erhalten  hatte:  aber  anderes  — 
z.  B.  das  Feuer  an  dem  Marterort  und  einzelne  der  Strafen  — 
ist  teils  zu  allgemein  teils  auch  in  spezifisch  jüdischer  Apo- 
kalyptik  zu  sehr  ausgeprägt,  als  dafs  man  dabei  an  heidnische 
Elemente  denken  könnte.^) 
sondernng  5.  In  allen  Fällen  hat  man  die  Zeiten  und  die  verschiedenen 

und  sirö-  Strömungen    aufs    schärfste    auseinanderzuhalten.     Es    ist    un- 

rnungen.    

1)  Sein  Freund  und  Mitarbeiter  Apollos  war  ein  alezandrinischer  Jude 
(ep.  ad  Cor.  I  8,  6  ff.,  act.  ap.  18,  24  ff.).  In  Jerusalem  safs  Paulus  we- 
nigstens nach  dem  Bericht  der  Apostelgeschichte  (22,  8)  zu  FüTsen  des 
Gtemaliel,  von  dem  der  Talmud  berichtet  (cf.  Friedländer  1.  c.  104),  dafs  in 
seinem  Hause  unter  tausend  Knaben  fünfhundert  in  der  griechischen  Weis- 
heit unterrichtet  wurden,  selbstverständlich  in  der  jüdisch-griechischen,  d.  h. 
der  alezandrinischen  Weisheit. 

2)  Cf.  meinen  Aufsatz:  Die  Petrusapokalypse  u.  ihre  antik.  Vorbilder 
in  der  Beilage  z.  Allgem.  Zeit.  1898  n.  29  (ich  füge  hier  hinzu,  dafs  eine 
sehr  interessante  Stelle  einer  Hadesvision  im  Martyr.  Perpetuae  c.  7  p.  49 
ed.  Harris-Gifford  [Lond.  1890]  wohl  sicher  aus  Übertragung  des  Tantalus- 
mythus  zu  erklären  ist,  cf.  auch  Theophil,  ad  Autol.  I  14.  Pseudoiustin 
coh.  ad  gent.  27  f.  Pseudohippolytos  ad  Qraec.  p.  68  ff.  Lagarde).  Über 
die  jüdische  Apokalyptik  aufser  A.  Hilgenfeld,  D.  Ketzergesch.  d.  Urchristen- 
tums (Leipz.  1884)  129  f.  besonders  A.  Dieterich,  Nekyia  (Leipz.  1893)  214  ff. 
Über  diese  ganze  Frage  jetzt  auch  E.  Hennecke,  Altchristi.  Malerei  und 
altkirchl.  Litt.  (Leipz.  1896)  188  ff. 


Die  griechisch-christliche  Litteratur:  prinzipielle  Yoriragen.       477 

historisch  und  innerlich  pervers,  die  nentestamentlichen  Schrift- 
steller,  die  häretischen  Gbostiker,  die  katholischen  Gnostiker, 
die  Kirchenväter  des  lY.  Jahrhunderts  mit  demselben  Malisstab 
zu  messen.  Die  Geschichte  der  Verweltlichnng  der  Kirche  be- 
weist, dals  der  hellenische  Einfluiis  in  den  ersten  vier  Jahr- 
hunderten gestiegen  ist  und  zwar  stetig,  wenn  man  absieht  von 
der  ^akuten  Hellenisierung'  (Hamack)  in  den  Kreisen  der  häre- 
tischen Gnostiker.  Wenn  also  z.  B.  im  Matthäusevangelium  das 
Gleichnis  der  zwei  Wege  gebraucht  wird,  so  ist  das,  wie  be- 
merkt, jüdisch:  wenn  es  Spätere,  z.  B.  Hieronymus  und  Am- 
brosius,  anföhren,  so  tragen  sie  unwillkürlich  die  Farben  des  so 
ähnlichen  prodiceisch-xenophonteischen  Gleichnisses  hinein.^)  Für 
den  Verfasser  des  Johannesevangeliums  liegt  in  iiovoysvijg  vCög, 
wie  man  es  auch  immer  fassen  mag,  jedenfalls  keine  heidnische 
Vorstellung^;  aber  Valentinus  hat  daraus  den  (wvoysvijg  ^sög 
der  Orphiker  gemacht.')  Bei  Paulus  ist  6q)(faytis6d'at  noch 
durchaus  aus  jüdischem  Vorstellungskreis  herausgewachsen:  erst 
nach  ihm  —  freilich  sehr  bald  —  sind  damit  Begriffe  der 
hellenischen  Mysterien  verbunden  worden.^)  In  der  Apostel- 
geschichte (7,  48  f.)  beweist  Stephanus,  dafs  die  Welt  der  Tempel 
Gottes  sei,  mit  einem  prophetischen  Spruch  des  A.  T.,  aber  Ba- 
silius  und  viele  andere  jener  Zeit  tragen  in  ihren  Homilien  über 
die  Schopfungsgeschichte  die  so  ähnlichen  Lehren  der  Stoa  in 
den  Gedanken  hinein.  Wer  also  die  christlichen  Schriften  nicht 
aufs  strengste  scheidet  nach  den  Zeiten,  in  denen  sie  ent- 
standen sind,  und  den  Kreisen,  aus  denen  sie  stammen,  begeht 
genau  denselben  Fehler,  der  bis  auf  unsere  Tage  die  Beurteilung 
zweier  alttestamentlichen  Schriften  verwirrt  hat:  die  Weisheit 
Salomos   ist,   wie  jedem   bekannt,    ein  von  griechischer  Philo- 


1)  Cf.  Amhros.  in  psalm.  I  26  (14,  983  Migne),  z.B.:  8%  ad  sempitema 
ifUendat,  virtutem  eligit;  8%  ad  praesentia,  voluptatem  praeponü.  Auch 
Hieronjmas  ep.  148,10  (1 1100  Yall.)  läfst  auf  dem  Wege  des  Lebens  die 
virtutes  wohnen. 

2)  Cf.  Gremer  1.  c.  230.  Harnack  1.  c.  (oben  S.  472,  2)  198  und  be- 
sonders H.  Holtzmann  in:  Z.  f  wiss.  Theol.  N.  F.  I  (1898)  889  ff.;  in  der 
Sap.  Sal.  7,  29  steht  fiovoysvhg  nvs^fia. 

8)  Cf.  G.  Wobbermin,  Beligionsgesch.  Studien  (Berl.  1896)  114  ff. 

4)  Cf.  Anrieh  1.  c.  (oben  S.  471,  1)  120  ff.  148.  3;  er  urteilt  richtiger 
als  Wobbermin  1.  c.  144  ff. ,  der  die  Zeiten  nicht  genügend  scheidet.  Cf. 
auch  £.  Bohde  in:  Berl.  phil.  Wochenschr.  1896,  1580  f. 


478  Von  Uadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeit. 

Sophie  durchtränktes  spätes  Produkt,  aber  daraufhin  auch  in  dem 
noch  ganz  hebräisch  empfundenen  Prediger  Salomos  auf  Helle- 
nismen (und  gar  Heraklitismen)  Jagd  zu  machen,  ist  eine  un- 
geheure Perversität;  die  von  einsichtigen  philologischen  und 
theologischen  Kritikern  mit  Recht  gebrandmarkt  ist. 
Prüfung  der  6.  lu  allen  Fällen  sind  die  Zeugnisse  der  christlichen 
^tüMe^"^  Schriftsteller  über  die  Beziehungen  des  Christentums  zum  Helle- 
nismus nur  mit  grofster  Vorsicht  zu  benutzen,  aus  folgenden 
drei  Gründen.  Erstens.  Sie  gingen  oft  zu  weit  in  der  Ab- 
lehnung jeder  Beziehung  von  Christlichem  zu  Heidnischem: 
die  Häretiker  hatten  sie  gelehrt  ^  welche  Folgen  die  völlige 
Fusion  haben  konnte,  so  dafs  man  fortan  mifstrauisch  gegen 
alle  derartige  Zusammenhänge  wurde.  Zweitens.  Sie  gingen 
oft  absichtlich  zu  weit  in  der  Annahme  solcher  Beziehungen^ 
wobei  die  Gründe  wieder  verschieden  waren,  a)  In  den  Nach- 
weisen des  Hippolytos  über  den  ^EXXrivt6(i6g  der  Gnostiker  ist 
ja  sehr  vieles  treffend,  wie  uns  die  erhaltenen  gnostischen  Ur- 
kunden und  die  empedokleische  Ni^aug  auf  der  Aberkiosinschrift 
beweisen;  aber  auf  der  anderen  Seite  geht  er  oft  viel  zu  weit, 
weil  ihm  daran  liegt;  die  Häretiker  eben  wegen  ihres  'jBAAij- 
vi6(uig  zu  brandmarken,  b)  Aber  auch  im  Dienst  der  eigenen 
Sache  sind  einige  Katholiken  zu  weit  gegangen,  wenn  es  näm- 
lich für  sie  darauf  ankam,  ihre  Kunst  der  Auslegung  für  den 
Synkretismus  der  Religionen  nutzbar  zu  machen,  d.  h.  den  Hel- 
lenen zu  beweisen,  dafs  Hellenismus  und  Christentum  wohl 
vereinbar  seien,  weil  die  Hauptvertreter  der  hellenischen  Reli- 
gion, Piaton  und  die  Stoiker,  ihre  meisten  und  besten  Gedanken 
aus  denjenigen  Religionsurkunden  gestohlen  hätten,  die  auch  für 
das  Christentum  die  Grundlage  bildeten,  nämlich  aus  den  Büchern 
des  alten  Bundes:  wie  man  weiüs,  ein  altprobates  Mittel,  das 
schlaue  Juden,  erfolgreich  spekulierend  auf  die  &vi6tOQri6Ca  der 
meisten  Menschen,  in  den  Zeiten  des  beginnenden  Synkretismus 
ausfindig  gemacht  hatten,  und  das  von  den  intelligentesten  Christen, 
wie  Clemens,  Origenes,  Eusebios  und  Augustin,  wie  ich  bestimmt 
glaube,  ohne  Arg^)  gebraucht  worden  ist.    Drittens.   Sie  haben 


1)  Denn  die  &viaroQri6La  war  in  diesen  Dingen  grofs  und  die  Hellenen 
selbst  haben  ja,  wie  man  z.  6.  aus  dem  ProGmiom  des  Laertios  Diogenes 
weiis ,   den  EinfluTs  des  Orientalischen  auf  ihre  Philosophie  sehr  hoch  an- 


Die  Litteratur  des  ürchristentnms:  Allgemeines.  479 

gelegentlich  geirrt  in  der  Annahme  solcher  Beziehungen ;  z.  B. 
hat  Simeon  der  Metaphrast  die  Aberkiosinschrift  wegen  des 
Ttoif/Lif^v  and  wegen  des  l%^vg  fOr  christlich  gehalten,  was  einige 
der  modernen  Interpreten  lange  irregeführt  hat,  bis  kürzlich  der 
Sachverhalt  besonders  durch  die  glänzende  Entdeckung  A.  Die- 
terichs aufgeklärt  wurde.  — 

Alle  diese  Bemerkungen  mulste  ich  vorausschicken,  weil  ich 
den  vorsichtigen  Standpunkt,  den  ich  im  folgenden  einzunehmen 
beabsichtige,  motivieren  zu  müssen  glaubte  gegenüber  jenen 
Heilsspomen,  die,  ohne  lange,  wie  es  sich  gehört,  über  diese 
Dinge  nachgedacht  zu  haben,  iack&coi^Q  xolg  Ttofflv  €t67Cijd&6i.v  eis 
tä  xakd  oder  doch  Wahres  mit  Falschem  mischen  und  dadurch 
den  Gegnern  die  Waffen  zur  Widerlegung  selbst  in  die  Hand 
geben.  —  Ich  bin  durch  die  Lektüre  der  Quellen  sowie  durch 
das  Studium  der  für  mich  vorbildlichen  Arbeiten  Hamacks  und 
üseners  und  deren  Schüler  genug  fortgeschritten,  um  erkannt 
zu  haben,  dafs  derjenige,  der  über  diese  Dinge  mitreden  will, 
viel  gelesen,  viel  gedacht  und  viel  im  eigenen  Inneren  geirrt 
haben  mufs,  bevor  er  lernt,  dab  es,  wenn  irgendwo,  so  auf 
diesem  Gebiete  Schranken  giebt,  an  denen  es  sich  ziemt.  Halt 
zu  machen  und  an  denen  das  i7ti%sw  der  Skeptiker  oder  das 
^yv&ritM  des  Stagiriten  ehrlicher  und  klüger  ist  als  wüstes  Kom- 
binieren oder  planloses  Raten. 


n.  Die  Litteratur  des  Urchristentums. 

Ober  die  Formengeschichte  der  christlichen  Litteratur  giebt      au- 
es    eine   sehr  wichtige  Abhandlung  von  Fr.  Overbeck,  Über  die  «®™®*"®*- 
Anfönge  der  patristischen  Litteratur  in:   Histor.  Zeitschr.  N.  F. 
XII  (1882)  417  ff.     Es   ist  hier  der  Nachweis  erbracht  worden, 
dafs   die  Urkunden   des  sog.  Urchristentums,   also  die  neutesta- 
mentlichen  Schriften   und  die  Schriften   der   sog.   apostolischen 


geschlagen.  Dazu  kam,  dafs  litterarischer  Diebstahl  im  Altertum  noch 
häufiger  war  als  in  der  Jetztzeit,  so  dafs  man,  die  Thatsachen  oft  ver- 
drehend, eine  förmliche  Litteraturgattimg  ntgl  nXonrig  schuf,  wie  aus  Athe- 
naeus  und  Macrobius  bekannt  ist.  Übrigens  hat  Celsus  den  Spiefs  um- 
gedreht und  behauptet,  dafs  die  Sprüche  Jesu  aus  (mifsverstandenen)  Sätzen 
Piatons  abgeleitet  seien:  die  Stellen  aus  Origenes  bei  Hamack,  Dogmen- 
gesch.  I  ^  224,  1. 


480  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

Väter,  den  Hermas  miteingeschlossen^  nicht  zur  Litteraturgeschichte 
gerechnet  werden  dürfen,  weil  sie  sich  nicht  der  Formen  der 
eigentlichen  litteratur  bedient  und  daher  auch  nicht  fOr  die 
Fortentwicklung,  d.  h.  die  Geschichte,  der  christlichen  Litteratur 
die  Grundlage  gebildet  haben.  Diese  beginnt  vielmehr  erst, 
nachdem  die  urchristliche  Litteratur  ihren  Abschlufs  gefunden 
hat,  also  seit  der  Feststellung  des  Kanons  in  der  zweiten 
Hälfte  des  zweiten  Jahrhunderts.  Dieser  Zeitpunkt  fallt  mithin 
zosammen  mit  dem  Begimi  des  Eintritts  der  neuen  Religion  in 
die  Kreise  des  gebildeten  Heidentums,  d.  h.  also  mit  dem  Beginn 
ihrer  Verweltlichung.  Die  Apologeten  eröffnen  die  eigentliche 
Litteratur,  aber  da  sie  sich  nicht  an  die  Christen  selbst  wenden, 
gehören  sie  noch  nicht  zu  der  spezifisch  christlichen  Litte- 
ratur; diese  wird  eröfihet  durch  Clemens  von  Alexandria,  den 
frühesten  konstruktiven  christlichen  Schriftsteller  wenigstens 
auf  katholischer  Seite;  denn  dafs  die  von  Overbeck  nicht  un- 
absichtlich übergangene ,  sondern  prinzipiell  ausgeschlossene 
Gnosis,  wie  sie  ja  überhaupt  in  ihrer  ^akuten  Hellenisierung ' 
den  späteren  katholischen  Standpunkt  anticipiert  hat,  auch  auf 
dem  Gebiet  der  Litteratur  vorangegangen  ist,  indem  sie  fast  alle 
Formen  ausprägte,  ist  ein  wichtiger  Nachtrag,  den  Hamack 
(Dogmengesch.  I'  230,  1)  zu  der  Abhandlung  des  genannten 
Forschers  gemacht  hat.  Wenn  nun  also  auch  jene  Urkunden 
einen  litterarhistorischen  Zusammenhang  weder  nach  rückwärts 
noch  nach  vorwärts  aufweisen,  so  bieten  sie  doch  gerade  wegen 
dieser  Isolierung  ein  zu  grofses  Interesse,  als  dafs  ich  die  wich- 
tigsten unter  ihnen  hier  einfach  übergehen  möchte,  zumal  sich 
unter  ihnen  doch  wieder  gewisse  Gradunterschiede  in  der  äuüseren 
Formengebung  zeigen,  die  mich  für  meine  Zwecke  interessieren. 

1.   Die  Evangelien  und  die  Apostelgeschichte.^) 

.ngeuen.  Die  Evangelien  stehen  völlig  abseits  von  der  kunstmälsigen 

Litteratur.  Auch  rein  äufserlich  als  litterarische  Denkmäler  be- 
trachtet  tragen  sie   den  Stempel   des  absolut  Neuen  zur  Schau. 

1)  Als   nachstehendes  längst  geschrieben  war,    erschien   das    neueste 
Buch  von  F.  Blafs,  Grammatik  des  neutestam.  Griechisch,   Göttingen  1896 
Wo    ich   mit  ihm  zusammentreffe,  werde  ich  es  bemerken.    In  einer  prin- 
zipiellen Frage    weiche    ich    freilich   von   ihm   ab;    er  erklart  (p.VI),    die 


Die  Litteratur  des  Urchristentums:  die  Evangelien.  481 

Als  Litteratur gattung  bieten  zu  ihnen  die  nächste  Analogie 
(aber  auch  nur  dies)  die  acht  Bücher  des  Philostratos  mit  dem 
Titel  Tä  is  ti>v  Tvavia  *AnokX(bviovi  dafür  scheint  mir  ganz 
bezeichnend  zu  sein,  dafs  lustin  die  Evangelien  iatoiuvrnuoveriiuxta 
nennt,  denn  so  hatte  —  in  Anlehnung  natürlich  an  die  Schüler 
des  Sokrates,  Musonios  und  Epiktet  —  Moiragenes,  ein  Vorgänger 
des  Philostratos,  seine  Au&eichnungen  über  Apollonios  genannt 
(Orig.  c.  Gels.  VI  41);  dieser  Name  pafst  besonders  gut,  wenn 
man  an  die  älteste,  durch  Papias  bezeugte  und  für  uns  allem 
Anschein  nach  in  den  Besten  des  berühmten  Fayüm  -  Papyrus 
noch  nachweisbare  Einkleidung  der  Evangelien  in  Xöyut^)  denkt, 
welche  die  Schüler  aufzeichneten,  cf.  Usener,  Beligionsgesch. 
Unters.  I  95  f.')  Auch  die  Apostelgeschichte  steht  als  Litte- 
raturgattung  ziemlich  isoliert  da,  war  aber  hellenischem  Em- 
pfinden lange  nicht  so  fremdartig  wie  die  Evangelien;  denn 
wenn  die  falsche  Vorstellung,  dafs  sie  zur  Geschichtsschreibung 
zu  rechnen  sei,  auch  abgethan  ist,  so  mulste  sich  der  Hellene 
doch  schon  bei  dem  —  natürlich  eben  deshalb  gewählten  — 
Titel  an  seine  einst  recht  umfangreiche  ^^agct^  -  Litteratur  er- 
innert fühlen. 

Von  den  drei  Synoptikern  —   das  vierte  Evangelium  habe 


höhere  Kritik  über  die  Verfasser  der  einzelnen  Schriften  beiseite  lassen 
and  z.  B.  alles  unter  Paulus'  Namen  Überlieferte  als  paulinisch  ansehen 
zu  wollen:  zweifellos  mit  Becht,  wo  es  lautliche  und  formale  Dinge  betrifft 
(denn  in  ihnen  herrscht  wohl  ziemlich  völlige  Identit&t),  firaglich  ob  mit 
Becht,  wo  es  sich  um  Syntaktisches  handelt,  sicher  nicht  mit  Recht  in  der 
Stilistik,  wo  man  eine  Stellungnahme  zu  den  sicheren  Ergebnissen  der 
Forschung  erwarten  darf:  denn  der  Verf.  z.  B.  des  Briefs  an  die  Ephesier 
schreibt  doch  anders  als  Paulus  z.  B.  an  die  Eorinthier,  und  der  echte 
Lukas  anders  als  der  Interpolator.  —  Das  wirre  Buch  von  Chr.  Wilke ,  Die 
neut.  Rhetorik,  Leipz.  1843,  darf  aber  durch  die  klare  Anordnung  des  Stoffs 
bei  Blass  als  endgültig  beseitigt  betrachtet  werden. 

1)  Cf.  Hamack  in:  Texte  u.  Unters.  V  4  (1889)  p.  483  ff.  Usener  1.  c; 
eine  glänzende  Bestätigung  für  Weizsäcker,  Unters,  üb.  d.  evang.  Oesch. 
(GK>tha  1864)  129  ff.  (cf.  Das  apost.  Zeitalter  373  ff.)  und  eine  urkundliche 
Widerlegung  dessen,  was  gegen  ihn  von  A.  Hilgenfeld  in  Z.  f.  wiss.  Theol. 
1866,  189  ff.  vorgebracht  ist. 

2)  Die  Bezeichnung  siayyiXiav  war  bekanntlich  nicht  die  litterarische, 
cf.  Hamack,  Dogmengesch.  I  ^  160,  2.  Man  lese  nach,  wie  sich  Origenes  im 
ersten  Bande  seines  Kommentars  zum  Johannesevangelium  (I  10  ff.  Lomm.^ 
abmüht,  zu  explicieren,  was  darunter  zu  verstehen  sei. 


ieh  noeb  nidit  «iaraofbia  untcmidii    —    sducibi^  wie  ja  wohl 
Hn44>«r«a-  »aeb  nehon  gv^UgentHeli  too  aoderai  bcm^t  ist^   Lakas,    der 

f^^'  rieebiiehi^  Arzt  toid  als  folcfaer  bei  der  damaligen  Bitdimg  der 
rzUs  zneh  LitUfnt^)^  den  relaür  besien  StiL  waa  fibrigena 
nchfjftt  dem  Hieronjmiu  anfgefiülen  iat:  Damacoa  bafcie  bei  ihm 
m^efra^,  waa  OMma  bedeute,  HieronTmoa  ep.  19  e^liri  ea 
al»  eine  weder  im  Gneehiflefaen  nocb  im  Lateiniacbcn  wieder- 
zi]((ebende  Interjektion  nnd  ffihrt  ans,  dals  die  Eraiigeliaien 
Matthäus  (21,  2),  Marcos  (11,  9)  and  Johannes  (12,  14)  ea  nn- 
ferSndert  beibehalten  hätten,  dagegen  Lnkas  (19,  38):  qm  imter 
omne$  evangelistas  gratet  sermonis  eruditissimus  fuii, 
fjuippe  ut  medicus  et  qui  eoangdium  Graeds  scripta,  quia  se  oidtf 
proprietatem  semumü  trangferre  non  posse,  mdms  earbUraims  est 
iacere  quam  id  ponere  quod  legenii  faeeret  quaestkmemj  worin  nnr 
c]f;r  Grand  nicht  ganz  scharf  angegeben  ist:  Lnkas  hat,  einem 
griechischen  Stilprinzip  gemals  (s.  o.  S.  60,  2),  das  hebnische 
Wort  als  eine  ßdgßaQog  yX&ööa  vermieden,  wie  er  überhaupt  in 
der  Angabe  der  palästinensischen  Lokalitaten  znrückhaitender 
ist,  wie  er  der  einzige  Evangelist  ist,  der  bei  dem  Ort  der 
KnMizigung  nicht  den  hebräischen  Namen  angiebt,  sondern  nnr 
die  Obersctzung,  wie  bei  ihm  das  Wort  &(iiiv  am  seltensten  vor- 
kommt, wie  er  (hier  mit  dem  vierten  Evangelisten  überein- 
stimmend) die  letzten  Worte  lesa  nicht  in  aramäischer  Sprache 
anführt.  Nach  solchen  and  ähnlichen  Gesichtsponkten  sind  die 
Kvangidien  noch  nicht  systematisch  untersucht  worden,  und 
doch  scheint  mir  derartiges  charakteristisch  genug  zu  sein.  Ich 
will^  was  Lukas  betrifft,  die  Methode  angeben,  nach  der  man 
mninur  Meinung  nacli  hier  zu  verfahren  hat,  mit  einigen  spe- 
'/«ielloii  Proben.  Krstons.  Man  hat  das  Evangelium  von  der 
A|M)fil.nlfj(ciHchichle  gesondert  zu  betrachten.  Denn  einmal  hat  der 
Vt^rf.  in  jimem  durchwog  Quellen  benutzt,  in  dieser  teilweise 
iV(M  komponiert,  und  ferner  hat  er  in  jenem  die  Quellen  nicht 
NO  Hiiirk  ühorarhfutot  wie  in  dieser,  mit  gutem  Grunde  und 
Initioni  Oofühl:  doiin,  wie  das  von  späteren  Christen  den 
N|ii^iiiNrli(Mi    Ittunnrkiingcn    der  Hellenen   sehr   richtig   entgegen- 


n  Nooli  SynitMui  MoUphruNU^H  llirst  iu  Beinern  romanhaften  ^dfiyTjfux 
\\\\o\    (Ihm    Lnhon    doH    LukiiH    dioHon    aller   hulloniachen  naidkia   teilhaftig 


Die  Litterator  des  Urchristentums:  Stil  des  Lukas.  483 

gehalten  warde,  ein  Evangelium  in  einer  Ennstsprache  wäre  ein 
Unding  gewesen.  Zweitens.  In  dem  Eyangelium  hat  man  den 
einzigen  Satz,  den  der  Verf.  ganz  frei  komponierte,  durchaus 
abzutrennen  vom  übrigen:  das  ist  der  eine  Satz,  in  dem  das 
ganze  Proömium  enthalten  ist  und  der  neben  dem  AnfiEUigssatz 
des  Hebraerbriefs  anerkanntermaüsen  ^)  die  bestgeschriebene 
Periode  im  ganzen  N.  T.  ist:  insidiiitsQ  leolXol  ixexsifriöav 
ivcetä^aö^ai,  di^i^yriövv  \  xsqI  r(bv  xsfCkifi(foq>0(friiidva}v  iv  '^^ltv 
TtQayiuitayvj  |  xad'hg  naQiÖoöav  fjfitv  oC  iai  i4f%fi%  aiyc6nxai  nuti 
i)7cri(fitai,  ysvöfLevoi^  rov  Xöyov^  \\  iäoJ^sv  xifiol  xaQtpcokovdTixöti 
av(o9'sv  7tu6iv  ixQiß&g  \  xa^B^f^g  601,  ygA^taiy  xQtitiöts  966g>i^j  \ 
Iva  hciy^^g  lUffl  bv  xatrixfi^s  Xöyiov  tijv  &6(pdXsucv.  Wenn 
der  Mann,  der  diesen  nach  Inhalt  und  Form  hellenisch  ge- 
dachten Satz  geschrieben  hat,  im  Eyangelium  selbst  einen  ganz 
verschiedenartigen  Stil  zeigt,  so  beweist  er  damit,  dafs  er  — 
aus  dem  angegebenen  Grunde  —  hier  nicht  so  hat  schreiben 
wollen.  Drittens.  In  der  Apostelgeschichte  sind  die  ver-  stiUitiMhc 
schiedenen  Schichten,  deren  Vorhandensein  von  der  höheren  a^JJ^Ji, 
Kritik  unwiderleglich  festgestellt  worden  ist*),  durchaus  zu"^«'Teu« 
scheiden,  a)  Es  giebt  Partieen,  die  gut  stilisiert  sind,  und  wieder 
solche,  an  denen  der  griechisch  empfindende  Leser  sofort  Anstofs 
nimmt.  Zu  ersteren  gehört  der  vermutlich  von  Lukas  selbst 
geschriebene  Bericht  des  Augenzeugen,  der  sog.  „Wir-Bericht", 
z.  B.  läfst  sich  nichts  Klareres  und  Sachlicheres  denken  als  die 
Darstellung  der  Seefahrt  und  des  Schiffbruches  (c.  27  f.);  von 
dem  Verfasser  dieses  Berichts  ist  auch  ziemlich  sicher  das 
kurze  Proömium,  dessen  Verfasser  bekanntlich  identisch  ist 
mit  dem  des  Lukasevangeliums:  wenn  nun  dieses  Proömium 
nach  dem  wieder  echt  griechischen  Anfang  rbv  fikv  nQ&rov 
X&yov  iTCOL'qftdfiijv  nefl  nävtcov,  &  9e6g>tX€  xxk,  kläglich  in 
die  Brüche  geht,  so  begrüfst  man  ein  absolut  sicheres, 
auf   Gründe    von    unantastbarer    Gewahr    gestütztes    Ergebnis 


1)  Cf.  Blass  1.  c.  274.  M.  Erenkel,  losephus  u.  Lukas  (Leipz.  1894) 
50  ff.,  dessen  weitere  Folgerungen  aber  unhaltbar  sind. 

2)  Cf.  u.  a.  Weizsäcker  1.  c.  199  ff.  A.  Gercke  im  Hermes  XXIX  (1894) 
374  ff.,  dessen  scharfsinnige  Darlegungen  und  Schlüsse  für  mich  überzeugend 
sind,  während  ich  mit  der  neuesten  Hypothese  so  wenig  mitkommen  kann 
wie  Hamack  (Sitzungsber.  d.  Berl.  Ak.  1896,  491  f.)  u.  a. 

Norden,  antike  Konitprosa.  II.  32 


484  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

der  Kritik^)  auch  yom  stilistischen  Standpunkt  aus  mit 
Genugthuung:  diese  Vorrede  ist  schwer  interpoliert  und  da- 
durch ist  der  Satz  gründlich  verdorben  worden.  Aber  nicht 
blofs  der  Verf.  des  „Wir  -  Berichts "  schreibt  gut,  sondern 
auch  der  unzuverlässige  Berichterstatter,  dessen  Erzählung 
von  der  jerusalemischen  Gefangenschaft  des  Paulus  mitten 
zwischen  die  Wir -Stücke  eingekeilt  ist  (21,  18  Mitte  bis 
26,  32),  auf  den  die  Schilderung  des  inhaltlich  in  dieser  Form 
undenkbaren  Apostelkonzils  (c.  15;  hier  z.  B.  dreimal,  V.  22. 
25.  28,  das  echt  griechische  iÖol^ev  airtotg,  sonst  nur  noch  ev. 
Luc.  1,3,  sowie  der  vortreflFlich  geschriebene  Brief  V.  23  flf.) 
und  des  ebenfalls  so  unerhörten  Aufenthaltes  des  Paulus  in 
Athen  (17,  15  ff.)  zurückgeht.  Alle  diese  und  andere  gut  ge- 
schriebenen Partieen  zeigen  eine  gewisse  Übereinstimmung  in 
einigen  Einzelheiten,  z.  B.  kommt  nur  in  ihnen  die  gut  grie- 
chische Figur  der  Litotes  vor,  darunter  ein  so  griechischer  Aus- 
druck wie  oix  *  tvxAv  (19,  11.  28,  2).*)  Ob  der  Verf.  der 
Wir- Stücke  (Lukas)  und  der  Anonymus  gleich  gut  schrieben, 
oder  ob  der  endgültige  Redaktor  auch  stilistisch  uniformiert 
hat,  wird  nicht  sicher  festzustellen  sein,  aber  wahrscheinlicher 
ist  das  erstere,  weil  man  sonst  nicht  begreifen  würde,  warum 
der  Redaktor  eine  so  groDse  Zahl  von  Partieen  stilistisch  nicht 
gebessert  haben  sollte,  b)  Wer  sich  von  dem  Stil  dieser  schlecht 
geschriebenen  Partieen  eine  Vorstellung  machen  will,  der  lese 
z.  B.  die  Rede  des  Stephanus  c.  7  und  vergleiche  sie  mit  den 
Reden,  die  Paulus  c.  22  ff.  hält:  der  Mann,  der  jene  verfafst  hat 
(inhaltlich  der  Sachlage  wenig  angemessen:  Weizsäcker  1.  c.  56, 
und  durch  ihre  sonderbaren  Abänderungen  der  Septuaginta- 
Überlieferuug  aus  allem  übrigen  herausfallend),  fühlt  und 
schreibt  ungriechisch:  wer  von  Judengriechisch  eine  deutliche 
Vorstellung  hat  und  beispielsweise  weifs,  dals  eins  seiner  Spe- 
zifika  die  mafslose  Häufung  der  obliquen  Easus  von  aitög  ist 
(aufser  den  jüdischen  Schriften  bieten  auch  die  Evangelien 
massenhafte  Belege^),  findet  das  hier  wieder,  z.  B.  in  folgendem 

1)  Cf.  M.  Sorof,   D.  Entstehnngsgesch.  d.  Apostelgesch.  (Berlin  1890) 
51  f.  und  (unabhängig  davon)  Ocrcke  1.  c.  389  f. 

2)  Cf.  Krenkel  1.  c.  328;  336. 

3)  Cf.  A.  Buttmann,    Gramm,    d.    nt.  Sprachgebrauchs  (Berlin  1859) 
93  if.    105  f. 


Die  Litteratar  des  ürchristentams :  Stil  des  Lukas.  485 

Satz:  V.  4  f.:  tits  il;€l&hv  ix  yijg  XakÖaCmv  xcetpxriöev  (sc. 
*j4ßQad(i)  iv  XaQgdv.  x&xstd'sv  yLBxä  xh  Ano^avatv  thv  naxiga 
avtov  fjLStpxi(f£V  avrbv  slg  xi^v  yf^v  xaiitijv  slg  i\v  {}^6tg  vvv 
xaxoi^xstxej  xal  oix  idoxev  aixm  xkriqovofiCav  iv  aixy  oidl 
ßfjfia  nodögj  xal  iicriyytCkttxo  öovvav  aix^  slg  xaxA6%66i,v  aix'^v 
xal  xdi  öndQfLOXi  aixov  {ux*  aixov  oix  üvxog  aixm  xixpov. 
In  der  ganzen  Rede  (53  Verse)  findet  sich  kein  einziges  (idv^ 
geschweige  denn  (idv — di  (cf.  darüber  oben  8.  25^  3),  auch  sonst 
ist  der  Partikelgebrauch,  dieses  sicherste  Kriterium  fdr  den 
griechisch  Denkenden^  von  grenzenloser  Dürftigkeit,  dagegen 
allenthalben  Hebraismen  in  Fühlen  und  Sprechen.  Doch  ver- 
folge ich  diesen  Gesichtspunkt  hier  nicht  weiter  für  andere 
Stücke  der  Apostelgeschichte:  das  Gesagte  mag  genügen,  einer- 
seits zu  beweisen,  daTs  es  bedenkUch  ist,  trotz  solchen  Kennern 
wie  Holtzmann  (Z.  f.  w.  Theol.  1881,  414)  und  kürzlich  wieder 
Blass,  philologische  Untersuchungen  sprachlicher  Natur  über  die 
Apostelgeschichte  wie  über  ein  einheitliches  Werk  anzustellen, 
andererseits  zu  zeigen,  wie  hier  m.  E.,  in  engster  Fühlung  mit 
der  höheren  Kritik  methodisch  vorgegangen  werden  mufs. 
Viertens.  Bei  dem  unter  Lukas'  Namen  überlieferten  Evan-  sprach- 
gelium  ist  die  sprachliche  Analyse  deshalb  einfacher,  weil  wir  gtuittisoho 
hier  die  anderen  Evangelien,  vor  allem  also  Matthaeus  und  ^e7dref 
Marcus,  zum  Vergleich  heranziehen  können;  ich  bemerke  aber,  Sjnoptikei 
dafs  Lukas  aus  dem  oben  angegebenen  Grunde  nur  mit  sehr 
schonender  Hand  gefeilt  hat.  Ich  habe  an  der  Hand  der  äufser- 
lich  bequem  eingerichteten  „Synopse  der  drei  ersten  Evangelien^' 
von  A.  Huck  (Freiburg  1892)  eine  stilistische  Vergleichung  — 
wenigstens  oberflächlich  —  vorgenommen,  wobei  sich  mir  das 
Resultat  ergab,  dafs  Lukas  an  einer  überaus  grofsen  Anzahl  von 
Stellen  das  vom  klassicistischen  Standpunkt  aus  Bessere  hat 
(besonders  bemerkenswert  sind  die  von  mir  in  den  Anmerkungen 
angeführten  Stellen  der  atticistischen  Lexika),  während  die 
gegenteiligen  Fälle  quantitativ  und  qualitativ  kaum  in  Betracht 
konmien.  Ich  will  die  wesentlichsten  Punkte  hier  tabellarisch 
zusammenstellen,  wozu  ich  nur  bemerke,  dafs  überall  da,  wo  ich 
die  eine  Tabelle  leer  lasse,  der  betr.  Evangelist  den  betr. 
Stoff  nicht  aufgenommen  hat;  da  ich  bei  den  Lesern  sprach- 
liches Gefühl  voraussetze,  werde  ich  nur  selten  nähere  Moti- 
vierungen anzugeben  brauchen;  die  Beispiele  sind  einigermafsen 

32* 


486 


Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Euserzeit. 


saclilich  geordnet;  von  den  Fällen ,  in  denen  Lukas  mit  einem 
der  anderen  gegen  den  dritten  das  Bessere  hat,  sind  nur  ganz 
wenige  aufgenommen.^) 


Marcus. 

16,  15  tbv  *Iriaoi)v  q)Qa- 
ysXlAaag  nccgidioTtsv 

12,42  XentädvOfSiativ 
%odQdvtrig 

12,  14  Tifjvaov 

15,  39  %Bvtvql(av 

11,  9  f.  diOavvd 

14,  45  ^ap^Bl 

15,  22  inl  xhv  Fol- 
yod'&v  tinovj  Z  i- 
ativ  (i€9eQfirivev6fie- 
vov   KgavCov   t6nog 

15,  34  iXwt  iXoat  lafiic 
aaßax^'avi 


13,  16  6  eis  tbv  &yqhv 
lii}  iniaTQBrpdtü)  slg 
Toc  öniücü  („zurück- 
kehren") 


Matthaeus 
5,  26  %o8Qdvxriv 
27,  26  ebenso 


22,  17  ebenso 

27,  54  k%uxovxdg%rig 

21,  9  ebenso 

26,  49  ebenso 

27,  83  Big  x6nov  Uy6- 
fisvov  FoXyod'äf  Z 
iötiv  KquvIov  tdnog 
Xsyöfitvog 

27,  46  ebenso 


24,  47  dfii^v 

23,  39  0^  f*i}  M   ^^n^^ 
&n'   &QTI    i<og    ^v 

26,  29  &n'  &Qti 
.  26,  64  &n'  Äprt ') 

24,  18  6  iv  tA  &yQÄ  fii} 
iTtiötQStpdta  6nia(o 


Lukas 
12,  59  XBnx6v 
23,  25  tpQayBXX&ccig 
fehlt 

21,  2  XBUxa  dvo 

20,  22  (poQOv 

23,  47  knaxovxdgxrig 

19,  38  &,  fehlt 

22,  47  f  fehlt 

23,  33  htl  xhv  xdnovxbv 
TiaXovfiBvov  K^avCov 


23,  46  abgeändert  mit 
Auslassung  des  Ara- 
mäischen 

12,  44  &Xrfi&g  und  so 
öfters*) 

13,  35  oi)  fi^  üdBti  fiB 
icag  TJ^Bi  3tB  BÜnrixs 

22,  18  Q;7r6  xov  vvv 
22,  69  anb  xoi)  vüv 
21,  21  oi  iv  xatg  xc^patg 
(lil  Bl6BQXBa9'(06av  slg 
aisx^v  (sc.  x^v  n6Xiv) 


24,  38  XQ&yovxBg*)%a\      17,  27  f^o^iov    hcivov^ 
nivovxBg^   yafiovvxBg  iydfiovv    iyafil^ovto 

xal  yaiilSovTBg 


1)  Was  C.  Nösgen  in:  Theol.  Stud.  u.  Krit.  1877,  472 ff.  über  die  Sprache 
des  Lukas  anfülirt,  ist  wertlos ;  einiges  (nur  z.  T.  Richtige)  Krenkel  1.  c.  44  f. ; 
besser  schon  J.  Hug,  Einl.  i.  d.  N.  T.  II  ^  (Stuttg.  1826)  159. 

2)  Cf.  Cremer  1.  c.  (o.  S.  472, 1)  p.  144 :  „Bei  L.  findet  sich  &(iijv  am 
seltensten,  er  ersetzt  es  durch  ^Xrid-öbg  (9,  27;  12,  44;  21,  8),  in  icXri^slag 
(4,  25),  vai  (11,  51),  nX^v  (10, 14;  22,  21),  Xiyto  ^fitv,  Xsyoi  coi  (cf.  L.  7,  9  oo 
Mt.  8, 10,  und  so  öfters)." —  Fremdsprachliche  Worte  fehlerhaft:  s.  o.  S.  60,  2 ; 
üher  tiodQdvTrig  u.  yifjvaog  cf  auch  Th.  Zahn,  Einl.  in  das  N.  T.  (Leipz.  1897)  46. 

3)  &7c'  ccQti  für  &7TÜ  rov  vvv  wird  von  den  Atticisten  gerügt:  cf.  Lobeck 
zu  Phryn.  p.  21. 

4)  Phot.  p.  231  N.  TQSyBiv  oixl  xb  iaQ-isiv  anX&g^  iXXce  xa  XQayi^fittra 


Die  LitteratuT  de»  ürchristentamB;  Stil    des  Lokaa. 


487 


1 ,     36      ngcait     üvw^cc 
Xiav 


24,  28  Znw)  iccv  ^  t6 
nt&(ia^\  i%8l  6VV' 

xoL 
24,  46  xl^  &Qa  iotlv  6 
ni^nbg  doüXog  nai 
q>Q6vtfiogf  hv  %ati' 
0tria8v  6  %vQiog  inl 
ti^  ol%8tBiag  ai- 

24,  49  cwdovXovg^ 

24,  51    vno%Qit&v 
(„Heuchler") 

25,  14  indlsasv  tovg  l- 
diovg  dovXavg 

25,  19  evvaigst  Xoyov 
fi£r'  a{ft&v  („hält 
Abrechnung  mit 
ihnen") 

25,  20.  22  itiigdfiöa*) 
nivre  xaXavxa 

25,  21  8h 

25,  24.  26  di8C%6üni' 
eag^) 

3,  9  ftT^  dofijra  Xiy8iv 

iv    iavtotg    („tragt 

euch  nicht  mit  der 

Einbildung    zu    sa- 
gen") 


17,  37  Snov  rb  6dltfia, 
iuBt  xal  6vpax9^' 
aovtai  ol  &8toL 

12,  42  tig  &Qa  iarlv  6 
mctbg  ol%ov6fiog  6 
tpQÖvtykog^  hv  nata- 
ariJ68t  6  HVQiog  inl 
tljg  ^SQanslag  ai- 
roO 

12,  45  tohg  natdccg  xal 
xkg  naidicaag 

12,  46  &niat(ov  *) 

19,  13  %aXicag  S\  8i%a 
liovXovg  kavxo^ 

19,  15  durch  Umschrei- 
bung beseitigt 


19,  16.  18  beidemal  d. 
Umschreibung  besei- 
tigt 

19,  17  f^ye«) 

19,  21.  22  beidemal  l- 
ansiQag 

3,  8  fiii  &(f^ria&8  X.  L  L 


4,  42  y8voiiivrig  dh  i^ii' 
Qug 


nal  XQwnxoc  yMovfUva^   cf.  manducare.    Auch  das  asyndetische  xsxgdmoXov 
ist  gewähljce  Diktion,  cf.  meine  oben  (S.  289,  8)  genannte  Abhandlung. 

X)  Ux&iuc  gebrauchten  ol  v^v  für  den  Toten,  die  Alten  hätten  dann 
aber  ijnmer  v8%Qo(i  hinzugefügt:  Phryn.  875  L.,  in  Wahrheit  ist  aber  nicht 
Guur^al  nx&iuc  v8%ifoe  attisch,  cf.  Lobeck  z.  d.  St. 

2)  Moeris  p.  273  P.  6it>6dovXog  &xxi'K&g,  avvdovXog  iXXrivtyt&g. 

8)  Doch  hat  er  sonst  öfters  das  in  diesem  Sinn  unantike  Wort  bei- 
behalten: Cremer  1.  c.  570  f. 

4)  ünattisch:  Lobeck  1.  c.  740. 

5)  Als  Akklamation  beliebter  als  sh. 
ß)  Unattisch:  Lobeck  1,  c.  218. 


488 


Von  Hadrian  bis  zum  Endo  der  Eaiserzeit. 


6,  86  ijdfi   &Qas  noXlfje' 
yBvoiiivrig 

14,  17  d^lccs  ysvofiivrig 

15,  42  &ipLae  yBV0(iivrig 
1,  32  &ipiccg  ysvofiivrig 


M 


9,  42  (i^Xog  övtnog 
12,    20     0^     &(pfj'Ktv^ 
antQfiM  („hinierliefs 
keine  Nachkommen- 
schaft") 
12,    22      <yb%     &(pflyLav 

14,  38  yffriyoQstte  *) 

14 ,  49  iTigatBlti  fi£ 
(„suchtet  mich  zu 
greifen") 

12,  12  iti/itovv  ai>Tbv 
HQtttfjaat 


14, 66  (ccnUf(iMavv  a{)t6v 

ilaßov 
10,  25  (atplg 
5,  41.  42  yiOQciöMP^) 


'14,  15  öipiag  dh  yBvo- 
lifvrig 

26,  20  ebenso 

27,  57  ebenso 
8,  16  ebenso 

18,  6  ebenso 

'22,  25  iiLii  l^%<ov  cniq\ia 
Aqffj'KBv  rriv  yvvatna 
aiftoi)  Tip  &d£X(ptp 
aiycov 


26,  41  ebenso 
'26,  55  ixQctnjaati  ^is 


21,  46  iriroi}VTsg   a{)tbv 
nQatijacct 

5,  39  3atig  6S  (aniisi 
26,  68  tlg  iattv  6  nal- 

aag  6S 
19,  24  ebenso 
9,  24.  25  ebenso 


'9,  12  17  ^^  iH^iga  Hgiavo 
TnXCvBiv 

22,  14  ZxB  iyivsTO  ij  &qu 

23,  50  6.  y,  fehlt 

4,  40    dvvovtog  dh  tov 

iiUov ') 
17,  2  Xi^og  iivXi%6g*) 
'  20, 29  icni^apsv  atsavog 


20,  31  o^  %uxiXinov  te- 

xya*) 
22, 46  &va6zdvteg  {jtQOö- 

22,  53    i^Btslva9€    tag 
XSiQccg  ifc'  ifii 

20,  19  itv^riöav   inißa- 
Xetv    in'  aiycbv    tag 
XBlgag 
6,  29  Tflo  tvnzovti  ob 
22,  64  wie  Matthaeus 


l 


18,  25  (JfXiJvjj*) 
8,  51.   54   beidemal   ^ 
nalg 


1)  '(hpCa  substantivisch  wird  von  den  Atticisten  gerügt,  cf.  R.  Reitzen- 
stein,  Gesch.  d.  gr.  Etymologika  (Leipz.  1897)  393;  gut  ist  Mr.  11, 11  &ipCag 
^dij  o%crig  tf^g  &Qag\  mgag  noXXilg  (ohne  yBvofiivrig)  hellenistisch  (Polyb.  V 
8,  3),  ij  &Qa  die  bestimmte  Zeit  gut  griechisch. 

2)  Die  Atticisten  (Moeris  262)  unterscheiden  ^ivXog  (der  untere  Mühl- 
stein) und  6vog  (der  obere  M.),  also  kann  danach  fwXog  dviaög  nicht  gesagt 
werden. 

3)  Es  ist  doch  sehr  bezeichnend,  dafs  Lukas  das  in  diesem  Sinn  he- 
braisierende  Wort  aniqyM  (cf.  darüber  die  feinen  Erörterimgen  Cremers 
1.  c.  898  ff.)  nur  an  zwei  Stellen  hat,  von  denen  die  eine  (20,  28)  ein 
Citat  aus  der  Septuag.,  die  andere  (1,  55)  eine  direkte  Beziehung  auf 
diese  ist. 

4)  ünattisch  und  von  den  Atticisten  gerügt:  Lobeck  1.  e.  119.  Lukas 
hat  es  zweimal,  aber  da,  wo  die  ursprüngliche  Bedeutung  durchschimmert: 
12,  37.  39. 

5)  Phiyn.  90  L.  PbXovti  xal  ^BXovonmXrig  &g%a.la.  ij  Ss  (acplg  tC  ietiv 
o'byL  av  Tig  yvolti. 

6)  Wird  von  den  Atticisten  einstimmig  mit  den  schärfsten  Ausdrücken 
gerügt:  Lobeck  1.  c.  73. 


Dio  Litteratar  des  Urchriatentnms:  Stil  des  Lpkas. 


489 


15,  21  &yyaQ£vovai(f,BiQ 
nötigen") 

1,  88  yuoit,{m6l£ig 

3, 6  avfißovXiov  inoLriaav 
xar'  a'btovj  Snoas  ai- 
xbv  dnoliacaatv 


11,  2  svQfjasts  nätlovde- 
dsfiivov,  iq>'  8y  o^- 


15,  42  'Icaaritp  8{f6xiJlKov 
ßovXsvtrig 


12,  7  TtQÖg  iavtovg  et- 
nav 

6,  39  inha^sv  ccbtolg 
&vanllvat  ndvtag 
avfiitoaia  avfino- 
6ia  inl  ro9  x^^9^ 
X^Q^fP'  ^^^  &vsn£- 
accv  yCQaaial  nga- 
aiaij  Tiatä  kuccrbv 
xal  xofra  nsvn^novtci 

10,  22  ^f  yäQ  Ixov  xrtj- 
fuxra  noXXd 

12,  44  avrri  ndvta  Zca 
tlxiv  ^ßalev,  ZXov 
thv  ßlov  ainiig 


27,  32  riyyaQSvaap 


12,  14  avfißovXiov    iXa- 

ßov   TLtX. 

5,  26  ^nrigitTig 

6,  26  oifx  i>(iBtg  (i&XXov 

diaqfigsts  x&v  res- 
tsiv&v;  („seid  ihr 
nicht  viel  besser  als 
die  Vögel?") 


8,  9  dv^ganog^nbi^ov- 
eiav 


11,  21  ndXai  av  iv  adm- 
xco  xocl  (TTTodflo  fifre- 
vÖTiaav 

21,  38  sinov  iv  kavtotg 


19,  22  ebenso 


23,  26  durch  Umschrei- 
bimg beseitigt*) 

4,  43  ndXeig 

6,  11  disXdXovv  ngbg  dX- 
Xi/jXovgj  xi  IStv  noi- 
iJ6aisv  xtp  'Iriaoü 

12,  58  ngdyixmQ  („Ge- 
richtsvollzieher") 

12,  24  nöetp  näXXov  {>- 
(istg  diaq>iQSXi  x&v 
uBXHvibv 


19,  30  k.  n.  d. ,  i.  8. 
oi)  6  Big  nmn  ot  e 
&v9'QAnmv  ^  x  a  ^  t  - 
asv 

7,  8  &.  V.  L  xaaa6(isvog 

23,  50  7.   ßovXevxiig   ^- 

10,  13  TtdXat  otv  iv  ad%' 
xfld  xal  anoda  xa^i{- 
(isvoi  fisxev6ri6av 

20,  14  SisXoy^ovxo  ngbg 
dXXi/jXovg  Xiyovxsg 

9,  14  ncixccriXivaxs  ai- 
xovg  %Xiolag  dva*) 
ntvxi/iiiovxcc 


18,  23  i^v  yocQ  nXovatog 

6fp6dQa 
21,  4  avxri  ^"J^^^xa  xbv 

ßiov  hv  bIx^v  ißccXev 


1)  Das  Wort  gehört  der  xoivri  an   und  wird  als  ßdgßuQog  qxovij  von 
den  Klassicisten  nicht  gebraucht;  cf.  auch  Zahn  1.  c.  (486,  2)  46  f. 

2)  Hier  ist  die  doppelte  Negation  nicht  griechisch. 

3)  Das  Perf.  ist  nur  hellenistisch. 

4)  &vd  in  distributivem  Sinn  ist  der  Hotvi/i  imbekannt,  von  den  Atti- 
cisten  restituiert:  W.  Schmidt,  D.  Atticismus  IV  (Stuttg.  1896)  626. 


490 


Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 


13,  2  ai  ftii  &q>e»1l  U- 
&09  inl  XC&ov  („es 
soll  nicht  ein  Stein 
auf  dem  andern  ge- 
lassen werden") 

26,  16  iSi/itst  8^%aiQlav^ 

15,  38  vb  natccxitaaiia 
iaxlö9ri  elg  d^o  &nb 
ävmd'Bv  img  xcErco 

14,  71  o{}%  olda  tbv  &V' 


14,  30  tiflg  f(£  &7caQvi/J6'ii 

12,  28   iCQoaBl&aiv    elg] 

ygafiiuctsvg 
10,  17  fCQOöÖQafiav    slg 

inriQmva  ai>x6v 
14, 66  {lia  t&v  naidia%&v , 


24,  2  ebenso 


21,  6  oi  (L.  &.  Xi^og  i%\ 


27,  51  tb  X.  i.  äwto^sv 
img  %drm  elg  dvo 

'26,  74  ebenso 

25,  12  o^x  olda  'bfiäg 

26,  34  ebenso 

8,  19  ebenso,  cf.  22,  35 


' . 


19,  16    slg    ngoaeX&cDv 

aitx^  slnev 
,26,  69  fiia  fcatSianTi 
13,  8    iöovtai    asusfiol      24,7  iaovtai  Xtftol  %al 
%axä  tonovg,  iaovxai  asiöfLol  %atä  t6novg 

Xifiol 


22,  6  i.    s^%aiQiav    vov 
nagado^vai  aiyt^v 

23,  45  %b  X.  ic%io%^  fU- 
cov 

'23,  60  oi)%  olda  8  Xiysig 

13,  25  oi%olda^iUcgn6' 

&BV  iati^) 
22,  34   tglg    &naQvrjay 

(lil  sldivai  fus  *) 
10,  25  voftinLog  rig  ävi- 

atriy  cf.  9,  57 
18,  18  intiQmrriaiv     tig 

a{)x6v 
,  22,  56  nai8Lü%r\  tig 
21,  11  asiaiiol  ts  iieyd- 

Xoi  xal  %atä  ronovg 

Xifiol  xal  XoiiLol^) 

icovxai 


Auch  einige  Perioden  bildet  Lukas  besser  als  die  beiden  an- 
deren (ohne  dafs  er  durchweg  gut  periodisierte),  doch  habe  ich 
mir  aus  yielem  nur  weniges  notiert,  z.  6.: 

1,  10  f.  xal  Bi>^hg  kva-       3,  16 f.  e^^^g kvi^ii\itnb      3,  21  f.  iykvf^xo  d\  ivv^ 
ßalvmv  i%  xo^  vöa-  toü  vdaxog.  xal  Idov  ßanxia&ijvai  anavxa 


1)  So  wird  es  erst  gut  griechisch. 

2)  Luc.  22,  57  steht  iiQvi^aaxo  aixöv  nur  in  einigen  Ausgaben,  die 
Hds.  haben  a{jx6v  nicht;  aber  Luc.  22,  61  hat  äna^vBlc^ai  c.  acc.  der  Person 
wie  Mr.  14,  71.   Mt.  26,  75  und  ic^veUs^ai,  c.  acc.  d.  Pers.  12,  9. 

3)  Eine  seit  Hesiod  und  Piaton  äufserst  beliebte  allittericrende  Ver- 
bindung. In  den  Evangelien  konmit  nur  noch  ein  Wortspiel  vor,  und  zwar 
ein  sehr  berühmtes:  Mt.  16, 18  %&ym  di  aot  Xiyat  oxt  av  sl IlixQog,  xal  inl 
xavx'd  xfj  nixQa  olTiodoin/jaco  fiov  xriv  innXriaiav:  selbstverständlich  ist  das 
X6yiov  so  nicht  ursprünglich,  sondern  erst  von  einem  griechischen  Bearbeiter 
zurecht  gemacht,  denn  über  den  Standpunkt-,  wie  er  im  vorigen  Jh.  z.  B. 
von  dem  Neapolitaner  D.  Diodati  in  seiner  Schrift  De  Christo  graece  lo- 
quente  (1767)  vertreten  wurde,  sind  wir  hoffentlich  ein  für  alle  Mal  hinaus 
(den  losephud  anzuführen  wird  sich  der  Kundige  hüten,  cf.  auch  Zahn 
1.  c.  8,1;  40,1).    Cf.  über  jene  Stelle  Weizsäcker  1.  c.  467. 


Die  Litieratur  des  Urchristentums:  Stil  des  Lukas. 


491 


tog  ilSsv  axttofii' 
vovg  tohg  ovgavovg 
xal  rb  fcvsvfjLoc  &g 
nsQiatfQäv  Kataßat- 
vor  elg  ccvt6v.  %al 
qxovil  iyivBTo  i%  t&v 
ovgav&v  Sv  hl  b 
viög  (lov  6  äyanri- 
rdff,  iv  aol  Bvdd- 
xriaa 


ijvstpx&Tiftav  ol  ovga- 
volj  nccl  sISbv  nve^' 
lia  d'80^  naraßatvov 
cbtffl  neQKnsgäv  ig- 
x6fMvov  in'  avx6v. 
«crl  Uioh  qxori}  ix 
t&v  ovgaw&v  Xiyov- 
<ta  %tX. 


Besonders  eine  bestimmte  Art  der  Periode, 
Participialkonstruktion  gebildete  hat  Lukas 
Xi^ig  elgoiiivri  der  anderen: 


10,  28  ISoh  'fifutg  &q)i/i' 
naiieif  ndvta  %al  ij- 
xoXov^xaiUv  <toi 

11,  7  xal  (pigovaiv  tbv 
n&Xov  ngbg  tbv  'It}- 
60ÜV  xal  inißdXXov- 
civ  airz^  tä  lyMXia 
kavt&v  xal  iiid^i' 
OBv  in'  aiycbv 

14,  49  xa&'  ijiiSQav  ij- 
IJkriT  ngbg  {>fi&g  iv 
vm  Ugip  diddaiuov 
xal  oix  ixQavstti  fte 

cf.  12,  18 
cf.  14,  16 


10,  17  Ti  noir^aon^  iva 
tmriv  almvLOv  xXriQO- 
voyLr\0(o 


19,  27  ebenso 


21,  7  ijyayov  tbv  6vov 
xal  tbv  n&Xov  xal 
inidiqxav  in' aitt&v 
ra  indticc  xal  ins- 
%d9'i6Bv  indvco  a{f- 
t&v 

26,  55  "mlO"'  iifiigav  iv 
tm  Isgm  inad'siöftriv 
SUidaxmv  xai  oi)x  i- 
xgati^aati  (ib 

22,23 

cf.  25,  14 

cf.  8,  21 

19,  16  tl  &ya&bv  not- 
riam^  2va  a%&  Sonriv 
aUbviov 

25,  29  tm  yicQ  ix^vti 
navtl  dodi^öBtai  xal 
nBQLaöBv^astar  tov 
dh  iiri  ixovtog,  xal 
8  ^X^i  &Qdi/ia£t ai  &n* 
aifto^ 


tbv  Xabv  xai  'Iri- 
aoü  ßantia&ivtog  %al 
ngoöBvxoiiivov  &vb- 
ipX^^^''  ^^  (ybgavbv 
%al  xataßfjvai  tb 
nvBii(ia  tb  &yiov  am- 
fuxnxco  büSbi  &g  nB- 
QiCtSQäv  in'  avt6vy 
%al  tpmviiv  ii  ovQa- 
vo4)  yBvia^at  xtX,^) 

nämlich  die  durch 
oft  gegenüber  der 

18,  28  Idoh  iifAStg  dtpsv- 
tsg  tcc  I9ia  i\%oXov' 
9"fiaaikiv  aoi 

19,  35  xal  rjyayov  av- 
tbv  ngbg  tbv  'Iriaoüv 
xal  inigifpavtsg  aih- 
tmv  tcc  Ifidtta  inl 
tbv  n&Xov  inBßißoL- 
aav  tbv  'Iriaovv 

22,  53  xad''  ii^igav  öv- 
tog  iiov  ftBd'*  'bfi&v 
iv  tm  Ibq<p  o^x  i^B- 
tBlvatB  titg  x^^Q^S 
in'  i(iB 

20,27 

22,  13 

19,  13 

9,  59 

18,  18  tl  noiT^aag  J^to^v 
aUiViov  xXriQOVOfii/}' 
ato 

19,  26  navtl  t&  ^;|royrt 
dod'i^öBtai^  &nb  dh 
tov  f(^  ix^vtog  xal 
8  ix^i  &Q&ijastai. 


Dagegen  habe  ich  das  umgekehrte  Verhältnis  so   gut  wie  nie 


1)  Wer  das  f^d'og  der  Stelle  besser  getro£Pen  hat,  Lukas  oder  einer  der 
anderen,  fühlt  wohl  jeder. 


492  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

gefundeD,  doch  vgl.  Mt.  24^  45  tQotpiiv  Lc.  12,  42  öitoiistQcov 
(Phryn.  383  verbietet,  statt  öttov  (istQStö^ai  zu  sagen  öLto^- 
XQstöd'aLj  Diodor  hat  öcto^BXQiccy  Plutarch  öltö^tqov).  Mt.  24,  48 
XQOvi^sc  (lov  6  xvQiog,  Lc.  12,  45  fügt  iQxeöd-ai  hinzu.  Mt.  19, 25 
tig  &Qa  Svvccxai  ffoDQ'fivai',  besser  als  Mc.  10,  26  und  Lc.  18,  26 
xal  rig  Stivatai  6(o%f^vav\  Mt.  21,  46  iritorrvtag  aircov  XQatijöaL 
iq)oß^d7i6av  roi)g  Sx^ovg  gegenüber  Mc.  12,  12  ^gijrovv  ccircbv 
XQarfiöccL  xal  ifpoßild-riöav  tbv  Z%Xov  und  Lc.  20,  19  i^T^vriöav 
iTCißaXstv  in  aitbv  tag  x^^Q^S  ««^  i(poßii9ri6av  tbv  Xaöv. 

Die  Wichtigkeit  solcher  denkbar  einfachen,  rein  sprach- 
lichen Analysen,  deren  Vermehrung  dringend  erwünscht  wäre, 
leuchtet  ein,  z.  B.  belehrt  mich  für  den  vorliegenden  Fall  mein 
Kollege  Ä.  Gercke,  daJB  dadurch  die  Benutzung  des  Matthaeus- 
evangeliums  seitens  des  Lukas  endgültig  erwiesen  werde,  da  es 
ja  undenkbar  sei,  dafs  im  umgekehrten  Fall  Matthaeus  die 
stilistisch  guten  Ausdrücke  des  Lukas  absichtlich  vulgarisiert 
haben  solle. 

2.    Die  Briefe  des  Paulus. 

Liitermr-  Auch    sic   will   Overbcck   1.  c.   (o.  S.  477)  429  noch  nicht 

steUnng.  zur  eigentlichen  Litteratur  gerechnet  wissen.  Denn,  wie  er  sagt, 
„das  geschriebene  Wort  ist  hier,  ohne  als  solches  etwas  be- 
deuten zu  wollen,  weiter  nichts  als  das  durchaus  kunstlose  und 
zufällige  Surrogat  des  gesprochenen.  Paulus  schrieb  an  seine 
Gemeinden  nur  um  ihnen  schriftlich  zu  sagen,  was  er  ihnen 
mündlich  gesagt  hätte,  wenn  er  jedesmal  an  Ort  und  Stelle  ge- 
wesen wäre.*'  Das  ist  richtig:  Paulus  selbst  hat  auf  seine 
schriftstellerische  Thätigkeit  gewifs  noch  weniger  Gewicht  gelegt 
als  Piaton;  aber  die  Brieflitteratur,  selbst  die  kunstlose,  hat 
nach  den  Anschauungen  d^r  damaligen  Welt  doch  eine  viel 
gr(*)rsere  Htterarische  Existenzberechtigung  gehabt  als  wir  heute 
nachempfinden  können:  der  Brief  war  allmählich  eine  litte- 
rarische Form  geworden,  in  der  man  alle  möglichen  Stoffe,  ge- 
rade auch  wissenschaftliche,  in  zwangloser  Art  niederlegen 
konnte.  So  erklärt  es  sich,  dafs  die  pauliuischen  Briefe  dem 
hellenischen    Empfinden    wieder    um    einen   Grad    näher    stehen 

^i^^^;;"*f^"'mufsten  als  die  Apostelgeschichte. 

•HeiJeiii«-  Der  Apostel  Paulus  hat  in  dem  2.  Brief  an  die  Korintlner 

Miius.    das    berühmte  Wort  von  sich  gesprochen  (11,  6),    Idiioxrig  tiS 


I . 


Die  Litteratur  des  Urchristentums:  Paulas.  493 

löyp,  «AA'  0%}  tri  yv66eij  und  an  dieselben  schreibt  er(I2,  Iff.): 
xayh  iiJ&hv  nQog  ifiäg^  ideXfpoi^  ^Mov  oi  xa^'  wcsQoxiiv  Xöyov 

rf  6oq)iag  TcatayyikXcav  ifitv  rö  (laQtvQiov  tov  d'sov xal 

6  Xöyog  fiov  xal  rö  xij(fyyii(i  (lov  oinc  iv  xei^ot  6oq>iag  Xöyoig^ 
iXXä  iv  äTCoöei^et  TCvsv^uxtog  xal  dvvd(uag.  Man  mufs  sich  die 
Zeitverhältnisse  vergegenwärtigen,  um  das  Gewicht  dieser  Worte 
gauz  zu  fassen:  er  schrieb  das  zu  einer  Zeit,  als  die  Kunst  der 
Rede  alles  galt,  Weisheit  ohne  sie  nichts,  er  schrieb  es  vor 
allem  an  Bürger  einer  Stadt,  in  der  die  Rhetorik  anerkannter- 
maisen  in  hohem  Ansehen  stand.  ^)  Wie  verhält  sich  nun  zu 
diesen  Au&erungen  der  Stil,  in  dem  er  thatsächlich  schreibt? 
Wollte  ich  genau  darauf  eingehen,  so  müiste  ich  zuvor  die 
äuiserst  schwierige  Frage  behandeln,  inwieweit  Paulus  Kenntnis 
der  heidnischen  Litteratur  besals,  überhaupt  wie  er  sich  zum 
Hellenismus  stellte.  Meine  allgemeine  Ansicht  in  dieser  Frage  ^) 
habe  ich  schon  oben  (S.  472  S.)  ausgesprochen.  Während  ich 
früher,  wenn  ich  seine  Briefe  las,  geneigt  war,  zwischen  den 
Zeilen  Piaton  und  die  Stoa  zu  lesen,  bin  ich  jetzt  längst  über 
einen  solchen  —  unwissenschaftlichen  —  Standpunkt  hinaus- 
gekommen, den,  wie  ich  zu  meiner  Verwunderung  sehe,  sogar 
einige  Theologen  noch  einnehmen.^)  Unter  den  Neueren  hat 
wohl  keiner  das  hellenische  Element  der  Briefe  des  Apostels 
mafsloser  übertrieben  als  C.  Heinrici,  Erklärung  der  Korinthier- 
briefe  II,  Berlin  1887.  Gegen  die  Methode,  mit  der  in  diesem 
Werk  die  hellenische  Litteratur,  vor  allem  die  Redner  und 
Philosophen,  herangezogen  werden,  mufjs  ich  laut  Protest  er- 
heben.    Ich  bitte   denjenigen,   der  etwas  von   antiker  Rhetorik 


1)  Cf.  besonders  die  oben  (S.  422  ff.)  behandelte  korinthische  Rede  des 
Favorin.  Das  hat  übrigens  schon  Johannes  Chrys.  de  sacerdotio  IV  5  (48, 
667  Migne)  bemerkt:  öiaQQridriv  diioXoyst  Ididtrriv  iavtbv  slvai  xal  tavta 
KoQivd'lois  iniatiXXmv  volg  &nb  tov  Xiysiv  d'aviuciofiiwois  xal  fteya  inl  voi)to 

tpQOVO^ftlV. 

2)  Cf.  auch  E.  Hicks,  St.  Paul  and  Hellenism  in:  Studia  biblica  ot 
ecclesiastica  IV  (Oxford  1896)  1  ff.,  der  gleichfalls  vorsichtig  urteilt;  ebenso 
Hamack,  Dogmengesch.  P  91. 

3)  Wenn  einige  aus  der  Thatsache,  dafs  Paulus  die  wenigsten  Briefe 
mit  eigener  Hand  geschrieben  hat,  eine  Ungeübtheit  im  Griechisch- 
Schreiben  glauben  erschliefsen  zu  müssen,  so  ist  das  natürlich  wieder  nach 
der  andern  Seite  viel  zu  weit  gegangen;  wie  darüber  zu  urteilen  ist,  habe 
ich  im  Anhang  H  g.  E.  auseinandergesetzt. 


494  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

versteht  —  der  Verf.  scheint  seine  wesentliche  Kenntnis  aus 
Volkmann  zu  schöpfen  —  die  Kapitel  10 — 12  des  zweiten  Ko- 
rintherbriefs  zu  lesen  und  sich  zu  fragen^  ob  er  darin  ^^die  be- 
währten Mittel  der  antiken  Verteidigungsrede^'  (p.  403)  erkennt: 
gewifjS;  insofern  jeder  Mensch^  der  sich  zu  verantworten  hat^  ver- 
wandte Töne  anschlägt^  aber  mufs  er  die  von  anderen  erlernen? 
Von  demselben  Genre  ist^  was  p.  573  nach  Comificius  und 
Aphthonios  über  die  Chrienform  —  &  ^eol  xal  d'sai  —  von 
ep.  ad  Cor.  I  8 — 10  vorgetragen  wird,  und  anderes  der  Art, 
was,  wer  Lust  hat,  bei  dem  Verf.  selbst  nachlesen  mag.  Paust 
etwas  nicht  ganz  genaui  dann  heilst  es:  y,selbstver8tändlich  ist 
hier  nicht  eine  schulmälsige  Nachahmung,  sondern  eine  freie 
und  zweckentsprechende  Ausnutzung  bewährter  Beweismittel  be- 
hauptet*'  (p.  573,  2),  oder  es  wird  von  blofser  'Analogie*  ge- 
sprochen. In  letzterem  Punkt  befinde  ich  mich  ausnahmsweise 
mit  dem  Verf.  in  Übereinstimmung:  aber  die  ganze  Haltlosig- 
keit seines  Standpunktes  ergiebt  sich  gerade  aus  dem  Mifs- 
brauch,  den  er  mit  diesem  Wort  treibt;  er  ist  sich  offenbar 
selbst  darüber  völlig  im  unklaren,  wo  er  von  'Analogie',  wo  er 
von  direkter  'Benutzung'  reden  soll;  ganz  rätselhaft  ist  mir, 
was  er  meint  mit  Worten  wie  p.  403:  ,,Paulus  könnte  sich 
für  dies  Verfahren  die  Worte  des  Demosthenes  an- 
eignen: 'So  verschlagen  du  auch  bist,  Aeschines,  so  hast  du 
doch  dies  ganz  thöricht  geglaubt  u.  s.  w.'.^^  Nicht  selten 
operiert  der  Verf.  mit  Autoritäten:  Augustin,  Calvin,  Casau- 
bonus,  Mosheim  werden  als  Zeugen  für  die  technische  Bered- 
samkeit des  Apostels  angeführt.  Nun,  mit  welcher  Vorsicht 
Urteile  der  Kirchenväter  in  diesen  Dingen  benutzt  werden 
müssen,  darüber  werde  ich  späterhin  zu  handeln  haben ^);  was 
aber   die   Autoritäten    der   vorigen   Jahrhunderte    betrifft*),    so 


1)  Übrigens  citiert  der  Verf.  einmal  (p.  78)  die  Worte  Augustins  (de 
doctr.  Chr.  FV  7):  sicut  ergo  apostolum  praecepta  eloquentiae  seciitum  fuisse 
non  dicimus,  ita  quod  eius  sapientiam  secuta  sit  eloquentia  nan  negamtM, 
Merkt  er  denn  nicht,  dafs  er  damit  sich  selbst  widerlegt? 

2)  Es  existierten  zwei  Parteien,  von  denen  die  eine  Paulus  als  uni- 
versalen Gelehrten,  die  andere  als  Ignoranten  in  weltlicher  Bildung  hin- 
zustellen liebte :  beide  glaubten  damit  dem  Apostel  den  gröisten  Dienst  zu 
erweisen  und  befehdeten  sich  heftig.  Auf  beiden  Seiten  finden  wir  die 
gröfsten  Namen:  dort  vor  allem  Salmasius  und  Casaubonus,  hier  Melanch- 


Die  Litierator  des  Urchristentoins:  Paulus.  495 

dächte  ich,  wären  wir  darüber  hinaus,  den  naiven  Standpunkt 
der  Humanisten  und  Gelehrten  einzunehmen,  als  ob  unsere  reli- 
giösen Urkunden  in  glänzender  Sprache  geschrieben  und  mit 
antiker  Erudition  vollgestopft  sein  müfsten:  eine  Anschauung, 
die  sich  jenen  ebenso  unwillkürlich  aufdrängte,  wie  sie  für  uns 
absurd  ist.^)  Zu  den  nichtigen  Argumenten  gehört  auch  der 
fortwährende  Rekurs  auf  Tarsus,  z.  B.  p.  78,  3:  „Wir  werden 
auf  diese  Beziehungen  noch  öfters  hinzuweisen  haben,  welche 
beweisen,  dafs  Paulus  nicht  mit  geschlossenen  Augen  in  der 
PflanzstILtte  rhetorischer  und  stoischer  Weisheit  aufgewachsen 
ist'^  (u.  ö.  ähnlich).  *  Tarsus'  ist  ja  überhaupt  seit  Jahr- 
hunderten') das  Schlagwort,  welches  immer  und  immer  wieder 
in  die  Wagschale  geworfen  wird,  wo  es  sich  um  diese  Frage 
handelt.  Dagegen  ist  aber  zweierlei  zu  bemerken:  erstens  sagt 
Paulus  selbst  in  seiner  Rede  in  der  Apostelgeschichte  (22,  3), 
er  sei  „geboren  in  Tarsus,  aufgezogen  in  Jerusalem,  zu  den 
Füfsen  des  Gamaliel  gebildet  nach  der  Genauigkeit  des 
väterlichen  Gesetzes'',  und  wenn  man  dagegen  einwenden 
könnte,  dafs  diese  Rede  wie  die  ganze  Episode  der  jeru- 
salemischen Gefangenschaft  nicht  ganz  zuverlässig  sei^)  und  dafs 


thon,  Erasmus,  Sturm,  Grotius.  Im  vorigen  Jahrh.  haben  dann  kleine 
Geister  das  Material  jener  grofsen  wieder  hervorgekramt:  da  wuchsen 
seitens  der  einen  Partei  aus  dem  Boden  Abhandlungen  mit  Titeln  wie  '  de 
stupenda  eruditione  Pauli',  seitens  der  andern  kam  es  so  weit,  dafs  ein 
angesehener  Theologe  (bei  G.  W.  Kirchmaier,  nagallriXiciibe  Novi  Foederis 
et  Polybii  [Wittenberg  1726]  7)  schreiben  konnte:  ,^aulus  hat  die  gröfste 
Erudition,  Wohlredenheit  und  andere  hohe  Gaben,  und  was  er  in  der  Aka- 
demie gelemet,  allgemach  wieder  ausgeschwitzet:  ie  einfaeltiger  er  wurde, 
ie  mehr  er  an  diefsen  abnahm,  ie  mehr  Geist  war  in  ihm.  Man  sehe  nur 
die  letzte  Epistel  ad  Timotheum,  die  kurtz  vor  seinem  Todt  geschrieben." 

1)  Ein  starkes  Stück  ist,  dafs  der  Verf.  p.  578,  ^  wagt,  das  ungeheuer 
lächerliche  ,JiOngin"-Fragment  eines  Evangeliencodex,  wonach  Paulus  auf 
efne  Linie  gestellt  wird  mit  Demosthenes,  Lysias,  Aeschines,  'Timarchos' 
(den  der  elende  Fälscher  offenbar  mit  Deinarchos  verwechselte)  u.  s.  w.,  für 
echt  zu  halten,  wozu,  soviel  ich  sehe,  seit  J.  A.  Fabricius,  der  wohl  zuerst 
die  Fiktion  erkannte  (bibl.  Gr.  lY  c.  31  p.  445),  keiner  den  Mut  gehabt 
hat,  cf.  Chr.  Thalemann,  De  eruditione  Pauli  ludaica  non  Graeca  (Leipz. 
1769)  40  f. 

2)  Z.  B.  M.  Strohbach,  De  eruditione  Pauli  (Diss.  Leipz.  1708)  14  ff. 
8)  Cf.  Weizsäcker  1.   c.   439.     Obwohl    gerade    die    citierten  Worte 

solches   Detail   enthalten,   dafs   sie   schwerlich  ganz  erfunden  sind.    Dafs 


496  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiflerzeit. 

dem  Apostel;  als  er  von  den  Juden  bedrangt  in  Jerusalem  diese 
Rede  hielt,  daran  liegen  mniste,  das  jüdische  Element  seiner  Er- 
ziehung geflissentlich  zu  betonen,  so  ist  zweitens  zu  bemerken^ 
dals  er,  der  Sohn  rechtgläubiger,  auf  ihren  Zusammenhang  mit 
den  Pharisäern  stolzer  Eltern,  der  vor  seiner  Bekehrung  mehr 
als  irgend  ein  anderer  für  das  jüdische  Gesetz  geeifert  hatte, 
selbst  wenn  er  in  Tarsus  länger  geblieben  wäre,  dort  von  der 
hellenischen  6oq>ia  schwerlich  irgendwie  tiefer  beeinflufst  sein 
würde.  Dafs  er  in  Jerusalem  zu  denjenigen  Schülern  des 
Gamaliel  gehört  habe,  die  von  ihm  in  griechischer  Weisheit 
unterrichtet  wurden  (s.  oben  S.  474,  1),  wird  zwar  nicht  über- 
liefert, ist  aber  jedenfalls  als  sehr  wahrscheinlich  zu  bezeichnen: 
aber  wer  von  den  griechischen  Strömungen  im  damaligen 
Palästina  eine  klare  Vorstellung  hat,  der  weifs,  dafs  darunter 
nicht  rein  hellenische,  sondern  jüdisch  hellenische  Weisheit  ver- 
standen werden  mufs  und  zwar  in  Palästina  eine  solche,  in  der 
nicht  wie  in  Alexandria  das  hellenische,  sondern  das  jüdische 
Element  überwog.^)  Dafs  Paulus,  als  er  seine  Mission  in  der 
hellenischen  Welt  ausführte,  sich  eine  Kenntnis  der  Fundamente 
verschafft  habe,  auf  denen  diese  Welt  ruhte,  ist  zwar  selbst- 
verständlich^); aber  man  darf  dies  Moment  nicht  zusammen- 
werfen mit  der  Frage,  inwieweit  hellenische  Ideen  in  seinen 
Schriften  nachzuweisen  sind:  dals  Paulus  z.  B.  etwas  von  Piaton 
gelesen  haben  könne,  wage  ich  nicht  zu  bestreiten  (so  sehr 
sich  mein  subjektives  Gefühl  dagegen  auflehnt),  aber  was  nützen 
uns  solche  problematischen  urteile?  Auf  den  Beweis  käme  es 
an  und  den  zu  führen,  dürfte  schwer  halten.     Denn  man  mache 


Paulus  in  seiner  Jugend  nach  Jerusalem  kam,  hat  ja  auch  gar  nichts  Auf- 
fälliges: dort  gab  es  in  der  Synagoge  eine  Partei  tmv  &nb  KiXiyiias  act. 
ap.  6,  9. 

1)  Über  die  Partei  der  act.  ap.  6.  1  S.  erwähnten  'EXXriviatai  in  Jeru- 
salem cf.  Weizsäcker  1.  c.  51.  Die  'AXs^avdgBtg  werden  als  eine  besondere 
Partei  neben  diesen  genannt  ib.  y.  9. 

2)  Cf.  Weizsäcker  1.  c.  211:  „Wie  Paulus  das  Christentum  in  die 
griechische  Sprache  eingeführt  hat,  so  hat  er  sich  auch  der  griechischen 
Bildung  gewachsen  gezeigt;  bei  aller  jüdischen  Grundlage  hat  er  eine 
Weise  des  Denkens  entwickelt,  welche  auch  auf  diesem  Boden  fesseln  und 
siegen  konnte."  Vor  allem  zeigt  es  die  Polemik  des  Römerbriefs:  Weiz- 
säcker 08.  Vgl.  auch  E.  Curtius  in :  Sitzungsber.  d.  Berl.  Ak.  1893,  928  fF., 
der  aber  in  Einzelheiten  viel  zu  weit  geht,  und  Zahn  1.  c.  (o.  S.486,2)  33  ff. 


Die  Litteratur  des  Urchristentums:  Paulus.  497 

sich  klar:  bei  einem  christlichen  Schriftsteller  des  vierten  Jahr- 
hnndertSy  also  der  Zeit  der  vollzogenen  Verbindung  zwischen 
Hellenismus  und  Christentum,  genügt  uns  eine  auch  nur  an- 
nähernde Konkordanz  des  Ausdrucks  mit  Platon^  um  dadurch  zu 
dem  Schlufs  berechtigt  zu  sein^  jenem  Schriftsteller  sei  Piaton 
bekannt  gewesen;  dagegen  bei  Paulus,  dem  der  Gedanke  eines 
Kompromisses  zwischen  Christentum  und  Hellenismus  noch  fem 
lag,  berechtigt  eine  solche  annähernde  Übereinstimmung  nicht 
zu  dem  gleichen  Schlufs,  sondern  wer  hier  etwas  Sicheres  be- 
weisen will,  von  dem  verlange  ich,  dafs  er  schlagende  Beispiele 
bringe,  und  die  sind  bisher  nicht  gebracht,  oder  besser  noch: 
nicht  einmal  Anklänge  sind  weder  an  Piaton  noch  an  irgend 
einen  anderen  hellenischen  Schriftsteller  nachgewiesen  worden, 
denn  was  man  als  Beweise  oder  Anklänge  auszugeben  pflegt, 
erweist  sich  bei  auch  nur  flüchtigem  Zusehen  als  ganz  und  gar 
nichtig.^)     Ist  es  denn  nicht  klar,  dafs  dem  Apostel,  selbst  an- 


1)  Geradezu  kindlich  ist  (um  von  Früheren  ganz  zu  schweigen),  was 
F.  Röster  (Ob  St.  Paulus  seine  Sprache  an  der  des  Demosthenes  gebildet 
habe?  in:  Theol.  Stud.  u.  Erit.  1854  I  805  £P.)  vorbringt;  man  höre  z.  B. 
„1  Cor.  4,  4  o{)dhv  ifiavta  avvoiSa.  Wörtlich  ebenso  sagt  Aeschines:  [iridhv 
airm  avvnSSg  und  ähnlich  Demosthenes:  s^voiav  iftavt^  a^voida.  Col. 
1,  18:  Tira  yivritai  iv  n&aiv  ainbg  nQcotsvmv,  Ebenso  bei  Dem.:  tb  ngo}- 
TSVHT  iv  «fifftv"  u.  s.  w.  Seitenlang.  Was  Heinrici  für  Piaton  vorbringt, 
mag  man  bei  ihm  selbst  nachlesen,  z.  B.  p.  575;  was  er  p.  576,  1  sagt: 
„Merkwürdig  stimmt  in  dem  rhetorischen  Charakter  das  Fragment  des 
Eleanthes  (gemeint  ist  der  Hymnus)  mit  ep.  ad  Cor.  I  15,  39  f.  überein,  bis 
zu  wörtlichen  Berührungen"  ist  mir  total  unerfindlich.  Kürzlich  hat 
Major  in:  Classical  Review  X  (1896)  191  behauptet,  dafs  die  bekannten 
angeblichen  Worte  Piatons  (cf.  Plut.  Mar.  46  u.  a.),  er  danke  seinem 
Dämon,  dafs  er  ihn  habe  werden  lassen  einen  Menschen,  einen  Mann,  einen 
Hellenen  und  einen  Zeitgenossen  des  Sokrates,  von  Paulus  gekannt  worden 
seien,  als  er  an  die  Galater  schrieb  3,  28  0'6x  ivi  'lovdatos  o^Sl  "EXXriVy  o^x 
ivi  dovXos  oiSh  iXtv^SQog,  oi)%  ivi  &q6Sv  xal  &ijXv'  ndvteg  yccg  'b[istg  slg 
iöth  iv  xQi'Otä  'Iriaov  (cf.  ad  Col.  3,  11):  credat  ludaeus  Apella.  —  Auf  viel 
näher  Liegendes  scheint  dagegen  noch  nicht  hingewiesen  zu  sein.  Der  Satz 
(Rom.  2,  14  f.)  3tav  ^%'vri  xa  \l^  v6fiov  ?;|rovira  (pvasi  tcc  toü  v6fiov  noiA- 
öiVy  avtoi  v6fiov  iLT}  ^xovtsg  iavtoig  alaiv  v6iiog^  oitivsg  ivSsUwvtai  tb 
igyov  xov  w6fjtov  ygantbv  iv  tatg  %ccQdiaig  aix&v  ist,  wie  der  Philologe 
weifs,  ganz  griechisch  empfunden:  die  Identität  der  &yQa(poi  v6iLot  und  der 
qivatg  wurde  seit  der  Zeit  der  alten  Sophisten  aufs  lebhafteste  diskutiert; 
aber  der  Philologe  weifs  auch,  dafs  gerade  diese  Idee  durch  die  Vermitt- 
lung der  Stoa  in  das  Allgemeinbewufstsein  aufging,  so  dafs  sie  von  keineip 


498  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

genommen,  er  habe  die  hellenische  Litterator  gekannt,  daran 
liegen  mufste,  das  eher  zu  verbergen  als  zu  zeigen?  Man  halte 
mir  nicht  die  bekannten  hellenischen  ^Citate'  entgegen^):  das 
sind  geflügelte  Worte,  bei  denen  kein  Mensch  an  ihren  Ursprung 
dachte,  geschweige  denn  dafs  daraus  folge,  Paulus  habe  Me- 
nanders  Komödien  gelesen,  eine  Perversität  der  Vorstellung,  der 
sich  schon  Hieronymus  schuldig  gemacht  hat.')  und  da  mochte 
ich  doch  fragen:  wer  Paulus  liebt  und  bewundert,  würde  ihn  der 
sich  lieber  etwa  wie  einen  Clemens  von  Alexandria  denken,  ge- 
schmückt mit  den  Floskeln  platonischer  Diktion  und  gewappnet 
mit  dem  Rüstzeug  hellenischer  Sophisten,  oder  so  wie  er  ist, 
ganz  aus  sich  selbst  heraus  verständlich  in  seiner  einzigen 
Eigenart? 
Dor  Stil  Das  unhellenische  Element')   zeigt   sich  nun  auch  im  Stil 

de«  Pftaluf.   1         -rfc        ,  X  o 

des  Paulus. 


aus  Büchern  entnommen  zu  werden  brauchte,  so  wenig  wie  das  paulinische 
Bild  vom  i^Xrivrig  (s.  oben  S.  466). 

1)  Die  Stellen  hat  schon  Clemens  ström.  I  c.  14  gesammelt,  cf.  auch 
E.  Maass,  Aratea  (=  Philol.  Unters.  XU  1892)  265  f.  Aber  das  *Citat* 
der  ep.  ad  Tit.  1,  15  (ebenfalls  ein  geflügeltes  Wort)  mufs  ausscheiden, 
weil  sie  nicht  paulinisch  ist;  ebenso  muTs  ausscheiden  das  Citat  der 
Apostelgesch.  17,  28  (s.  oben  S.  473).  Es  bleiben  also  als  paulinisch  nur 
die  beiden  sich  unmittelbar  folgenden  *  Citate '  in  der  ep.  ad  Cor.  I  15,  82  f. 

2)  Hieron.  comm.  in  ep.  ad  Tit.  c.  1  (VE  706  Vall.):  ad  Carinfftios 
quoque,  qui  et  ipsi  (nämlich  wie  die  Athener,  deren  angebliche  Altar- 
aufschrift der  angebliche  Paulus  citiert  act.  ap.  1.  c.)  AtHca  facundia  ex- 
politi  et  propter  locorum  viciniam  AtJienienmim  sapare  conditi  sunt,  de  Me- 
nandn  comoedia  versum  sumpsit  iambicum  ^  corrumpunt  mores  bonos  coUoquia 
maW.  Dem  Hieronymus  war  es  natürlich  dienlich  zu  behaupten,  der 
Apostel  habe  heidnische  Autoren  gelesen :  auch  Clemens  1.  c.  hat  die  '  Citate ' 
gewisscrmafsen  zu  seiner  Selbstverteidigung  gesammelt.  Den  sprichwört- 
lichen Charakter  menandrischer  Monosticha  (gegen  Zahn  1.  c.  86;  50,  19) 
beweisen  jetzt  auch  die  Papyri.  Ähnlich  zu  beurteilen  sind  die  Anklänge 
an  griechische  und  römische  Anschauungen  des  täglichen  Lebens,  auf  die 
Weizsäcker  1.  c.  99.  101  hinweist. 

8)  Es  ist  doch  höchst  bezeichnend,  dafs  gerade  in  dem  eigenhändig 
von  ihm  geschriebenen  Grufswort  (bekanntlich  diktierte  er  meist)  des  ersten 
liriefs  an  die  Korinthier  zwei  aramäische  Worte  vorkommen  (die  einzigen 
in  seinen  Briefen):  d  icenaG^thg  tfj  ifiy  x^''Q^  UavXov.  bI  rtg  oi>  tpilst  tbv 
nvQiov,  i]t(o  Scvdd'Bfia'  fiagdv  Scd-d  (d.  h.  ^ der  Herr  kommt',  auch  in  der 
Didache  10,  cf.  Taylor  1.  c.  [oben  S.  405,  4]  77  f.  und  besonders  schon  Light- 
foot  1.  c.  [oben  S.  470, 1]  268  ff.).  ^  X^Q^S  ^^^  kvqIov  'Iriaov  fied'*  'bfi&v'  ij 
(iydnri  fiov  (istä  ndvttov  vfimv  Iv  %QiCz^  'ijicov. 


Die  Litteratar  des  Urchristentams:  Paulas.  499 

Panlas  ist  wenigstens  fdr  mich  ein  Schriftsteller,    den   ich     i.  un- 
nur    sehr    schwer    verstehe;    das    erklart    sich    mir    ans    zwei  Q^^^tein- 
Gründen:    einmal  ist  seine  Art  zu  argumentieren  fremdartig^),    ^"**'^- 
und   zweitens    ist    auch    sein   Stil,    als  Ganzes   betrachtet,   un- 
hellenisch.   Mir  bestätigt   sich  diese  Erklärung  durch  die  That- 
sache,  dals  wenigstens  ich  den  sog.  Hebräerbriei^   an  dem  man 
schon  in  alter  Zeit  eine  ganz  andere,  unter  hellenischem  Einflufs 
stehende  Stilistik  bemerkte^),   von  Anfang  bis  Ende  ohne  jede 


1)  Cf.  F.  Nork  1.  c.  (oben  S.  472,1):  „In  den  alten  jüdischen  Schriften 
erblickt  man  ganz  dieselbe  mystische  Weise  der  Parabeln,  Allegorieen  etc., 
wie  sie  in  den  Büchern  des  N.  T.,  besonders  in  den  Paulinischen  Briefen 
YorkolUen,  wie  auch  Paulus  Darstellung  und  Sprache  überhaupt  die 
frappanteste  Ähnlichkeit  mit  den  Midraschim  hat,  was  auch  jeder  bezeugen 
wird,  der  dieselben  nur  einigermafsen  kennt."  Belege  im  einzelnen  haben 
schon  Gelehrte  firüherer  Jahrhunderte  gegeben,  cf.  die  Oitate  bei  J.  Schramm, 
De  stupenda  eruditione  Pauli  (Herbom  1710)  16;  dann  Nork  1.  c.  217  £f., 
der  aber  sehr  übertreibt;  einige  treffende  Beispiele  bei  Hamack,  Dogmen- 
gesch.  I"  95,  2,  Weizsäcker  1.  c.  111,  Taylor  1.  c.  24  u.  ö.  Was  Fried- 
länder L  c.  166  ff.  (nach  Vorgang  anderer)  von  dem  'alexandrinischen 
Anflug'  in  Paulus'  Sprache  und  Exegese  sagt,  ist  verwirrend  und  falsch. 
Der  klassische  Philologe  fühlt  sich  —  was  natürlich  blofse  Analogie  ist  — 
ofb  an  die  Beweisführung  der  Sophisten  erinnert;  auch  Hieronymus  schildert 
Paulus  ganz  wie  einen  griechischen  Sophisten,  die  Worte  sind  für  Hiero- 
nymus höchst  charakteristisch;  ep.  48,  18  (I  222  Vall.):  PafdtMn  apostolum 
quoUenscumque  lego,  videor  mihi  non  verba  audire  sed  tonitrtta.  legite 
epistolas  eiua  et  maxime  ad  Bomanos,  ad  Galatas,  ad  Ephesios,  in  quibm 
totus  in  certamine  positus  est ,  et  videbitis  eum  in  tesHmoniis  quae  sumit  de 
ffetere  testamento,  quam  artifex,  quam  prudens,  quam  dissirnukUor  sit  eius 
quod  ctgU,  videntur  quidem  verba  simplicia  et  quasi  iwnocentis  hominis  ac 
rusticani. .,,  sed  quocumque  respexeris,  fülmina  sunt,  haeret  in  causa,  capit 
omne  quod  tetigerit,  tergum  vertit  ut  superet,  fugam  simuUxt  ut  occidat.  ca- 
lumniemur  ergo  iUiMn  atque  dicamus  ei:  tesHmonia  quibus  contra  ludaeos 
vel  ceteras  haereses  usus  es,  cditer  in  suis  locis  cditer  in  tuis  epistolis  sonant. 
Übrigens  machte  das  Verständnis  der  Briefe  schon  in  sehr  früher  Zeit 
Schwierigkeit,  cf.  ep.  Petr.  11  (s.  11,  1.  Hälfte)  3,  16:  iv  alg  ifftw  dvev^d 
tiwcc.  Später  hat  Paulinus  von  Nola  dem  Augustin  eine  ganze  Serie  von 
Fragen  über  Stellen  des  Paulus,  die  ihm  dunkel  blieben,  vorgelegt  (ep. 
60,  9  ff.). 

2)  Cf.  das  bekannte  Zeugnis  des  Origenes  bei  Euseb.  h.  e.  VI  26, 11  ff.: 
3t i  6  xaga^tiiQ  tfjs  Xi^Brng  tijg  ngbg  'Eßgaiovg  imysyQafifiivrig  i^i^oXtjg  o^x 
Ixii'  tb  iv  X6yqi  l8i(oti%bv  rot)  änomdlov  öitoXoyifeavtog  iavtbv  IdiStriv  slvai 
t^  l&ftOy  tovtsmt  T$  (pQoiasiy  &Xld  iatyv  ^  inustoXii  öw^iasi  tfjg  Xi^srng  kX- 
XfiPinaniQa,  n&g  d  inictdusvog  hlqCvbiv  (pQaesmv  Siaq>OQccg  öfioXoyi/ieai  &v. 
Da  aber  die  Gedanken  durchaus  paulinisch  seien,  so  vermute  er,  dafs  ein 

Korden,  antike  Kunitprosa.   II.  33 


500  ^on  Hadrian  bis  znm  Ende  der  Eaiserzeit. 

Schwierigkeit  durchlese,  ebenso  den  sog.  Bamabasbrief,  dessen 
Verfasser  gelegentlich  mit  Absicht  kunstvoll  periodisiert,  und 
den  (ersten)  Clemensbrief,  in  dem  wenigstens  die  Gedanken- 
entwicklung und  die  ganze  Art  der  Beweisführung  griechisch 
ist.^)  Ich  finde  dieses  subjektive  Gefühl  femer  bestätigt  durch 
eine  Ausführung  Benan's  (Saint  Paul  [Paris  1869]  231),  die  der 
Philologe  als  berechtigt  anerkennen  mufs:  Renan  sagt  u.  a.:  2> 
style  Spistölaire  de  Paul  est  le  plus  personnel  qu'il  y  ait  jamais  eu. 
La  langue  y  est,  si  fose  le  dire,  hroyee;  pas  une  phrase  suivie,  II 
est  impossihle  de  violer  plus  audacieusement  ....  le 
gdnie   de   la   langue  grecque  .  .;    on  dirait  une  rapide  ean- 


Schüler  des  Apostels  sie  aufgezeichnet  habe,  nach  einigen  Clemens  Ro- 
manns, nach  anderen  Lukas  (cf.  Euseb.  m  38,  2.  VI  14,  2).  Cf.  H.  y.  Soden 
in:  Hand-Eommentar  zum  N.  T.  von  Holtzmann  etc.  m  2  (2.  Aufl.  Freib. 
1892)  p.  6 :  „Der  Verf.  ist  ein  vielseitig  und  fein  gebildeter  Christ.  Er  ver- 
fügt über  einen  reichhaltigen  Wortschatz  (140  &7ia^  Xsyöfusva^  in  dem  sich 
eine  grofse  Anzahl  der  Bibelsprache  fremder,  dem  Profangebrauch  an- 
gehörender Worte  finden  (z.  B.  vitpog,  vd&otj  aliiMteiixvölaj  fnad'oatodoalcc). 
Die  sprachliche  Diktion  ist  gewandt,  blühend,  sobald  er  es  fär  angebracht 
hält  (z.  B.  1,  3),  reich  an  feinen  syntaktischen  Wendungen,  an  schön- 
gebauten Perioden,  nicht  ohne  Wortspiele  (5,  8.  9,  16  f.  10,  38  f.  11,  87. 
13, 14  [darunter  ein  seit  Aeschylos  berühmtes :  ifucd-sv  -  inad'sv,  eins,  welches 
ich  mich  erinnere  auch  sonst  gefunden  zu  haben:  ficye»  -  ft£>Uet]),  treffend 
durchgeführten  Bildern  (6,  7.  12,  1 — 3),  scharf  beleuchteten  Gegensätzen." 
Cf.  auch  Blass  1.  c.  274.  290  f.  (was  er  aber  über  angebliche  Hiat- 
vermeidung  vorbringt,  widerlegt  sich  aus  dem  von  ihm  selbst  vorgelegten 
Material)  und  B.  Weiss  in  seinem  Eonunentar  (6.  Aufl.  Götting.  1897)  p.  9  f. 
Bezeichnend  ist  auch,  dafs  z.  B.  c.  7  nicht  weniger  als  siebenmal  fiiw  -  di 
vorkommt,  d.  h.  in  einem  Kapitel  so  oft  wie  in  ein  paar  paulinischen 
Briefen  zusanuneu  (s.  oben  S.  26, 3). 

1)  Z.  B.  ist  ganz  griechisch,  wie  er  c.  4  ff.  durch  Anführung  einer 
langen  Reihe  von  'bnodsiyfiMta  beweist,  dafs  t^l^og  xal  q>9'6vog  verderblich 
seien.  (Wenn  man  freilich  behauptet,  dafs  er  je  einmal  Sophokles  und 
Euripides  nachahme,  so  ist  das  völlig  illusorisch,  um  gar  nicht  zu  reden 
von  der  Thorheit,  dafs  er  auf  eine  Stelle  des  —  Horaz  anspiele!)  Der  Stil 
ist  gelegentlich  hochrhetorisch,  cf.  z.  B.  die  starken  dfioiotilswa  c.  1 
p.  10  Lightfoot;  2,  12  f.;  3,  20;  6,  34;  21,  76  f.;  45,  137;  59,  174,  sowie  die 
fast  übermäfsigen  Anaphern  c.  4  p.  23  ff.;  32,  98  f.;  36,  Ulf.;  48,  147; 
49,  148  f ,  ein  Wortspiel  vielleicht  c.  5  p.  26:  laßcoiisv  tfjg  ysvsäg  ijfi&if 
tä  ysvvaZoc  'bnoSsiyiiata.  Bemerkenswert  aber  ist,  dafs  in  den  65  Kapiteln 
nicht  ein  einziges  Mal  iiiv  -  di  vorkonmit.  Ganz  anders  auch  im  Stil  ist 
der  sog.  zweite  Clemensbrief  (die  Homilie):  keine  rhetorische  Figur,  aber 
in  20  Kapiteln  doch  zweimal  (liv-di  (3  u.  10). 


Die  Litteratar  des  ürchristentams :  Panlns.  501 

versaUon  st^nographiee  et  reproduite  sans  corrections.     Ich   habe     Antik« 
dann  vor  allem  gesucht^  wie  die  groCsen  Begründer  einer  christ-     *"*  ****' 
lich-hellenischen  Bildung   im   vierten  Jahrhundert  über  Paulus 
als   Schriftsteller   geurteilt  haben ,   obwohl   ich  nicht  verkenne, 
dals  diese  Zeugnisse  mit  Vorsicht  benutzt  werden  müssen;  denn, 
wie  wir  weiter  unten  sehen  werden,  hat  man  in  dem  instinktiven 
Bestreben,   den   Standpunkt   des  vierten  Jahrhunderts  mit  dem 
des    ersten    zu    identifizieren,    oft    den  Thatsachen   Gewalt    an- 
gethan,   so   daTs   diese  Zeugnisse   für  uns  nur  da  beweiskräftig 
sind,  wo  wir  an  den  Thatsachen  selbst  die  Kontrolle  der  Richtig- 
keit üben  können.     Von   den  Griechen   führe  ich  an  loannes 
Chrysosi   de   sacerdoi   L  IV  c.  5  f.  (48,  667  S.  Migne).    Die 
Gewalt  der  Bede  sei  für  den  Prediger  das  wichtigste  Mittel  zu 
wirken.    Dann  laust  er  sich  den  Einwurf  machen:    warum  denn 
Paulus   diaQ^driv  b\iokoyBt  IdviSytriv  £avtbv  elvai  xal  taih:a  Ko- 
Qiv^ioig  inuSxiXhov  totg  &nh  toi)  Xdyecv  ^av^ia^oiidvoi^  xal  (idya 
hcl  toikp  ipQov<yö6t,;      Darauf  weist   er   sehr  ausführlich  nach, 
dals  Paulus  bei  Christen,  Juden  und  Heiden  gerade  wegen  seiner 
Bedegewalt  bewimdert  worden  sei,   die  bis  ans  Ende  der  Dinge 
den  Menschen  aus  seinen  Briefen  entgegentönen  werde.    Freilich 
sei  es  nicht  die  Beredsamkeit  der  Welt:  bI  (ihv  ti^v  Xai&trixa  ^lao- 
XQotovg   iac'dftow   xal  xhv   ^rifMö&ivovg  Syxov  xal  xiiv  Sinncv- 
didov  6s(iv&tfixa  xal  xb  Illdxan/og  ßtifog,   idst   q^igaw   elg  (idöov 
tavxriv   tav   IlaiHov   xiiv   \ia(fxvQlav'   vvv  d\  ixstva  (ikv  navxa 
itplvilih  xal  xhv  nBgUgyov  x&v  i^ad-Bv  xaXXa^iöiiöVj  xal  oidiv 
fLOi,  ipQdösag   oi>öi   iitayyBkCag   (idkev   iXX*  i^döxm  xal  xfi  kSisi 
7tt(o%BiiBiv  xal   xiiv   öxjvd^xriv   x&v   övoiiätaw  iatk^v  xiva  slvai. 
xal  iq>BXfl^   (lövov  fiil  yvd>6Bv  xvg  xal  rg  x&v  doy^dxan/  iTCQcßsia 
Idi&xrig  i4xai^)    Unter   den   lateinischen  Zeugnissen   sucht   der 
Briefwechsel  des  Paulus  mit  Seneca  (jedenfalls  vor  Hiero- 
nymus,   der   ihn  kennt)    an   köstlicher  Naivität   seinesgleichen: 
ep.  7  mahnt  ihn  Seneca:  vellem,  eures  et  cetera,  ut  tnaiestati  ea/rum 
(nämlich  der  Briefe)  cultus  sertnmiis  non  desit;    ep.  9  schickt  er 
ihm  ein  Buch  de  verborum  copia;  ep.  13  schreibt  er:  aUegorice  et 

1)  Cf.  auch  Greg.  Nyss.  adv.  Eonom.  1.  I  (46,  258  B  Migne),  er  wolle 
nicht  die  öxi/jiiata  des  Eunomios  nachahmen,  insl  xal  6  yinfaios  i>7tTiQitrig 
T(H)  Xdyov  IlaeXos  {Utviß  rf  älrfiBlff  %oe\LO^ihBvoq  ai)x6q  ve  ratg  toia6tatg 
noiniXiaig  alaxgbv  Ssto  yiataöxriii'OCTiSsiv  tbv  Xdyov  xal  ijfi&g  ngbg  x^v  &Xij' 
^sucv  fudvriv  &(poQ&v  i^ena^dsvas,  naX&g  xai  TtQOftrindvtmg  vofio^it&v. 

83* 


O'.^S:  Vvjti  iiM/irma  biw  zum  Ende  der  Kaiflerzeit. 

««f»<;M»a«^<^  mviita  a  U  usqueqtutque  opera  condudunkar  et  ideo 
/«TvtM  ttfnia  m  H  muneris  tun  tributa  tum  omamento  verbomm 
^/x  fHi^  qwßdam  dncoranda  est.  nee  verearCy  quod  saepius  te  dixisse 
f*%if^jjj  muUo9,  fjui  lalia  a/fectetU,  setisus  corrumpere^  virtutes  rerum 
4y/*r<irt.  cat^utn  fnilti  eoncedos  velim  latinitati  marem  garere,  ho- 
:n/:Hii  UßeHnm  HjH-eieni  adltibtre^  ut  gcnerosi  muneris  cancessio  digne 
1  U:  fßfjmt  txftffäiri,  worauf  ihm  Paulus  antwortet  (ep.  14):  navum 
U  aucUfftm  /'ticerin  lenu  (Jhristi  jyraveofiiis  ostendendo  rhetaricis  ir- 
fijffifluftifUHlefn  Htßftluam,  llioronymus,  in  Theorie  und  Praxis  einer 
liarftiiiiHimi  ('JiriMilich4)ti  StUiHten,  spricht  ihm  in  seinen  Kommentaren 
ofitirn  «rififi  i^nwiftHo  Ki^nntuiH  der  litterae  saeetdares  zxXj  so  comm.  in 
tili,  ud  (inl  11  (;.  4  (VI!  471  Vall.);  dagegen  geringe  Kenntnis  des 
Uniu:U'imiUt*n,  cf.  1.  ct.  111  c.  0  (p.  520):  Hebraeus  ex  Hebraeis  et 
f/ui  tfini'i  in  virwtcido  smnoue  doctissimits,  pro  fundos  sensus  aliena 
Ufif/ua  i'jpriitmr.  Htm  vaUintty  nee  eurahat  magnopere  de  verbiSf  qnum 
hmnum  hahnrt  in  tuh  und  besonders  in  ep.  ad  Ephes.  1.  III  c.  5 
(p.  liH7):  mts  quotivsquumque  soloecisfuos  aut  tdle  quid  annotavimus, 
HÖH  npostolum  pulsamuSf  ut  nudivoli  crimipiantury  sed  inagis  apostoU 
nnmitim-H  HumuH,  quod  Hebraeus  ex  Hebraeis,  absque  rhetarici  nitore 
sermonis  et  verlninun  eofniHysitione  et  eloqtüi  venustate  nunquam  ad 
fidnn  ( 'hristi  Mum  mundum  trausdueere  valuisset,  nisi  evangdisasset 
mm  non  in  satncntia  vtrbi,  sed  in  virtute  dei.^) 
111..  iiio  Wenn    man    nun   aber  auf  Ci rund  des  allgemeinen  G^samt- 

rikhiKm  oindrucks»   ilon   die  liriefe  dos  Apostels  in  stilistischer  Hinsicht 
i.ii.uii.Ht.  ^^^j.  ^1^^^  ^j^jj  moderne  Loser   macheu,   glauben   wollte,   dals    sie 

uucli  im  einzelneu  jedes  Aufputzes  durch  die  kunstmäfsige  Rhe- 
torik entbehrten,  so  würde  man  sehr  fehlgehen.  Man  ist  oft 
frappiert,  mitten  iu  Partieen,  die  nur  mit  der  Rhetorik  des 
Herzens  in  ungefoilter  Sprache  geschrieben  sind,  alte  JSekannte 
aus  der  zünftigen  griechischen  Kunstprosa  anzutreffen:  Rom.  1,29 
f&£tfrotv  qjd'ovou  (povov  igido^.  31  aövvdtovg  i^vp^d^ 
Tov^r)    —    Cor.  II  S.  2l*    ev   xoXXot^  aoXXdxig  6xovdatov. 

t  Zur  ZAi  Karls  d.  ^^r.  rühmt  ihn  der  Grammatiker  Petrus  wegen 
>!eiii»*r  vollt»udt»teu  Spniohe,  woraut'  Paulus  antwortet,  er  wisse  nichts  und 
';chi-i»ib«»  iranz  aiiir*? lehrt    Poet,  aovi  Carol.  l  p.  -k>  f.V 

'2    Daniber  stiebt  es  eine  g^uz  uutzlUhe  ZusauiuieusteUung  Ton  J.  Fr. 

lir.rtvh.T.    0'»   par..mv>miisia  tiiiici;ui^iliio  ti  tj^riiris  Paulo    a^K^stolo    frequen* 

arirt.    uein.:.    IS'J4;    nur   wird   hier   das  Syri<*.he   und  Hebräische   statt  des 


Die  Litteratur  des  ürchristentams :  Paulus.  503 

9^  8  dwaret  di  6  d-sbg  näöav  %aQiv  TCsgiööevöai  Big  ifiägj  Iva 
iv  navxl  xävtots  Jtaöav  avt&QtcBiav  i%ovxBg  TCeQiöösiii^ts  Big 
nav  igyov  iyatöv.  [Ephes.]  3,  6  Blvac  rä  idvri  övyxXriQovöiia 
xal  6v66fo\jLa  xal  övi^iiitoxcc  tflg  inayyBkiag.  —  Cor.  11  1,  4  6 
TCaQaxak&v  '^(utg  iicl  ndtfy  rf;  ^XlifBt  iifL&Vj  Big  xh  diiva^tai 
'^(i&g  itagaxakBtv  rovg  iv  Ttdöy  d-X^tlfsi  diä  tilg  naQaxXnjöBoag 
ijg  xaQaxaXoviiBd'a  aircol  xntb  rov  d'BOv.  ib.  13  f.  oi  y&Q 
&XXa  yQäq>oiiBV  ifitv  iXX'  rj  &  &vayivA6xBXB.  ikjtC^(o  öl  Sri 
B&g  tiXovg  intyvAaBöd-B  xad-iag  xal  iTciyvmtB  fi^iag  iTtb  fiB- 
(fovg,  —  Rom.  2,  1  iv  ä  xgCvBig  thv  BXBQOVy  öBaxrtbv  xata- 
xgivBig.  5,  16  rö  ft^i/  yäQ  XQt[f,a  i%  ivbg  Big  xatdxQciia 
Cor.  n  3,  2  yivc36xoiiivri  xal  ivayivmöxoiiivri.  Rom.  14,  23 
6  dh  dLaxQLvöiiBvog^  iäv  q>dyijj  xataxixQLtat^)  —  Cor.  I  13,  8 
iydTcri  oiSinozB  nCxtBi,  bItb  S\  7tQoq>ritBia,  xatagyrid^i^östai.'  bütb 
yX&66aij  navöovtar  bIxb  yv&6ig^  xatagyr^d-i^öBtaL  (wo  aber 
die  Wiederholung  des  letzten  Wortes  wieder  stillos  ist), 
ib.  15,  39  ff.  ov  na6a  6&Qi  ^i  aiti^  6dQliy  iXkä  &XXij  (ibv  dvO^qA^ 
TtfoVj  &XXri  äl  öägi  xxriv&v^  &Xkri  8%  tfäpg  nxriv&v,  aXkri  d% 
lX^(ov.    xal  6(hiiara  inovgdvia  xal  öAiiata  iniysta'  iXXä  itiffa 

[ihv  ^  t(bv  iitovQaviav  dd^a,    itiqa  Sl  fi  t&v  iniyBltov 

öiCBVQBtai  iv  g>^0Qäy  iysigBxaL  iv  d^^aQöCa'  önsigBrat 
iv  äxiikCa^  iyBCQBtai  iv  W^g*  (SUBCQBtav  iv  iad-BVBia,  iyBi- 
QBtai  iv  öwd^BL'  öTCBiQBtav  6&iia  ilrv%vx6vj  iyBCQBxav  6&na 
nvBv\jLaxix6v  u.  dgl.  sehr  viel. 

Natürlich  ist  derartiges  einem  so  feinen  Kenner  wie  „-^"l'« 
Augustin  nicht  entgangen.  Er  warnt  davor  zu  glauben,  daTs 
der  Apostel  diese  Redefiguren  deshalb  angewandt  habe,  weil  er 
durch  ihre  Effekte  habe  wirken  wollen:  darin  hat  er  yielleicht 
recht,  aber  wir  sehen  doch,  dafs  Paulus  sie  gekannt  und  an 
passenden  Stellen  halb  bewuTst  halb  unbewulst  angewendet  hat. 
Die  Ausfiihrungen  Augustins  sind  auch  für  Philologen  interessant 
genug,  um  sie  hier  ziemlich  vollständig  mitzuteilen.*)    De  doctr. 


Zeugniiie. 


1)  Mehr  Beispiele  für  jede  dieser  Figuren  bei  Böttcher  1.  c 

2)  Die  rhetorische  Analyse  einer  grofsen  Anzahl  von  Bibelstellen,  die 
er  in  dieser  Schrift  giebt,  ist  auch  deshalb  interessant,  weil  man  daraus 
erkennt,  wie  elend,  das  Verständnis  erschwerend  und  oft  yerhindemd  die 
in  den  heutigen,  über  alle  Welt  verbreiteten  Bibeln  eingeführte  Vers- 
einteilung ist.  Ihr  Erfinder  war  ein  Mann,  der  sich  durch  andere  Werke 
besser  um  das  Menschengeschlecht  verdient  gemacht  hat:  Robert  Stephanus, 


504  Von  Hadrian  bis  znin  Ende  der  Kaiserzeit. 

Christ.  IV  7, 1 1 :  guis  enim  non  videat,  quid  völuerit  dicere  et  quam 
sapicnter  dixerit  apostölus  (Rom.  5,  3—5)  xav^co/icO"«^)  iv  talg 
d'XitlfSöiVf  sldötsg  StL  ^  ^Xttlfig  intoitovilv  xategyä^etaij  i^  dh  ixo^ 
liovil  doxi(iijvy  1^  dh  doxtfxi^  ihxCSa,  fi  8\  iknlg  oi  wxxaiöx'Avei^ 
Srt  1^  iydTtrj  rov  ^sov  ixnixvtav  iv  tatg  xagSCaig  ^^i&v  dvä  jcvs^ 
Hatog  äylov  tov  do^ivxog  fuiXv.  hie  si  quis,  ut  ita  dixerim,  int' 
perlte  perüus,  artis  ehquentiae  praecepta  apostolum  sectUum  fuisse 
contendatj  nonne  a  Christianis  doctis  indodisque  ridehiUji/r?  et  tarnen 
agnoscitur  hie  figura,  quae  xXt(uci  graece,  latine  vero  a  quibusdam 
est  appellata  gradaiio,  quoniam  scalam  dicere  nöluerunt,  cum  verba 
vel  sensu  conectuntur  alterum  ex  ältero,  sicut  hie  ex  tnbuUUione 
patientiam,  ex  patientia  pröbationem,  ex  probatione  spem  cofiexam 
videmus.  agnoscitur  et  aliud  decus,  quoniam  post  aliqua  pro- 
nuntiationis  voce  singula  finita,  quae  nostri  membra  et  caesa,  Grraeci 
autem  xCbXa  et  xd/ifiara  vocant,  sequiiur  ambitus  sive  circuitus,  quem 
xegiodov  Uli  appellant,  cuius  membra  su^penduntur  voce  dicentis, 
donec  ultimo  finiatur.  nam  eorum  quae  praecedunt  circuitum,  mem- 
brum  ülud  est  primum  ^quoniam  iribulatio  patientiam  operatur\ 
secundum  ^patientia  autem  probationem%  tertium  ^probatio  vero 
spem*.  deinde  subiungitur  ipse  circuitus,  qui  trüms  peragitur  mem- 
bris,  quorum  primum  est  ^qpes  autem  non  confundit%  secundum 
^quia  Caritas  dei  diffusa  est  in  cordibus  nostris%  tertium  ^per  spi- 
ritum  sanctum  qui  datus  est  nobis*.  at  haec  atque  huiuscemodi  in 
elocutionis  arte  traduntur.  Besonders  dann  ib.  e.  17  flf.  Er  unter- 
scheidet nach  teil  weisem  Vorgang  Ciceros  drei  Arten  der  Bede: 
is  erit  eloquens,  qui  ut  doceat  poterit  parva  submisse,  ut  ddectet 
modica  temperate,  ut  flectat  magna  granditer  dicere.  Bei  der 
zweiten,  die  es  auf  delectatio  abgesehen  hat,  kommen  omamenta 
zur  Anwendung  (19,  38.  20,  42.  25,  55.  57),  für  sie  giebt  er 
ein  Beispiel  20,  40  freilich  aus  dem  unpaulinischen  Brief  an 
Timoth.  I  5,  1  f.:  xgsößvtiQ^  fn^  ininkiffyiig^  &Xkä  Tcagaxdksv  &g 
TCatigay    vecatiQovg    i)g    &d€Xq>ovgj     TCQBößvxigag     &g    {Mfitigag^ 


und  zwar  fertigte  er  sie  an  1651  irtier  equitanduni^  wie  sein  Sohn  bemerkt, 
cf.  C.  Gregory  in  seinen  Prolegomena  zum  N.  T.  ed.  Tischendorf,  ed. 
mal.  8  (Leipz.  1894)  167  ff.  und  E.  Reuss,  Gesch.  d.  h.  Schriften  des  N.  T. 
6.  Aufl.  (Braunschweig  1887)  483  f. 

1)  Weil  es  uns  auf  die  Worte  des  Paulus  ankommt,  habe  ich  sie  da, 
wo  Augustin  sie  in  extenso  anführt,  griechisch  citiert,  während  ich  hinterher 
bei  der  Einzelanalyso  das  Lateinische  habe  stehen  lassen. 


Die  Litteratur  des  Urchristentums:  Paulus.  505 

vBansgag  &g  &dsXg)dg.   Dann  fährt  er  fort:  et  in  Ulis  (Rom.  12, 1) 
na(fa7cal&  oiv  vfiäg,  idaX^poC  xtX,  et  totus  fere  ipsius  exhortaiionis 
locus  temperatum  habet  elocutionis  genus,  ubi  iUa  pulchriora  sunt, 
in  quibus  propria  propriis  tanquam  dehita  debitis  reddita  decenter 
excurrunt,  sicuti  est  (ib.  y.  6  ff.):    i%ovtBg  xagCö^utta   xatä  tiiv 
Xägiv  xifv  do^stöav   fnklv  diM^poQaj    BttB  stQogyqtsiav  ttaxä  t^v 
ttvakoyiav  tfjg  niörsmgy  stzs  dianovCav  iv  t^  diaxovCa^  etxB  6 
dcddöxmv    iv  XTß  dcdaöxaXiuj    Btts  6  nagaxaX&v  iv  tfi  naga- 
xXiiöSLj  6  ftstadcdovg  iv  aiiX6xrixi^  6  7tifol'6xd(uvog  iv  öTtovdfi^  6 
iXe&v    iv    [XaQÖxriXL    (das   letzte   ein  isokolisches   XQcxmXov).    f^ 
äydstri  ivxmÖTCQcxog.    &no6xvyovvxBg  xh  TtovriQÖv,  \  xoXXmfLSvoL  xdi 
iya^^,  II    x^  g)cXa8eXg)£a  Big  äXXif^Xovg  q)iX66xo(fyoc,    \   x^  xc^uy 
dXXijXovg  JCQoriyov^Bvoc,  \\  xfj  öJtovdfj  (lij  dxvrjQoiy  ||  xdi  nvsvfiaxv 
iiovxBg^  I  r^  xvqCg)  dovXevovxsg,  \   rg  iXTtidi  xaiQOvxBg,  \  t$ 
^XiifBi  tmoiiivovxBgj   \   xy  TtgoöBVXJJ  XQOöxaQXsgovvxBg,  j   xatg 
XQBlaig  x&v  uyCmv  xocvavovvxsg,  \  xijv  (piXo^Bvlav  diAxovxsg.  || 
Bi)XoyBlxB  xovg  diAxovxagj  svXoyBtxs  xal  fti)  xttxagäö^B.    x^^Q^^'^ 
luxä  x^^Q^'^'^^'^9    xXuCblv  (isxä  xXaiövxmv.     et  aliquanto  post 
(13;  6  f.):    Big  aixb  roi)ro  TtQoöxagxBQoihnBg  iTtödoxs  Ttaöi^v  xäg 
öq>BiXdg^  xp  xhv  q>6QOV  xbv  q>6Q0V^  xp  xb  xiXog  xo  xiXog^  xdi  xhv 
q>6ßov  xbv  g)6ßov,  xdi  xiiv  xifi'^v  xi^v  Ttfiiji/.    quae  membratim  fusa 
claudtintur  etiam  ipsa  drcuitu,  quem  duo  membra  contexunt  (ib.  8^ 
anschlieUsend  an  die  citierten  Worte):  (iridsvl  fLrjdhv  itpslXstB^  bI 
ft'^    xb    dXXi^Xovg    dyan&v,    et  post  paululum  (ib.  12  ff.):    i^  vi>i 
nQoixojIfBv,  I    1^  dh  fm^iga  fjyyixBV.   \\    dstod'afiBd^a  oiv  xä  igya 
xov    öxöxovgj   I    ivdv6d}(iBd'a    dh    xä    ZnXa   xoij   gxDXÖg.  \\    xxX. 
Dann  gebt  Augustin  20^  42  über  zum  grande  genus  dicendi,   in 
dem   jene    amamenta    sein    könnten,    aber    nicht    müfsten;    als 
Stellen,  die  omamenta  haben,  führt  er  an  Cor.  11  6,  2 — 11  (wo 
V.  4  ff,   viele   Antithesen),    Rom.  8,  28 — 39   (ebenfalls);    dann 
citiert  er  eine  Stelle,  die  bloUs  granditer,  nicht  aber  auch  tem- 
perate  oder  omate  gesagt  sei  (Gal.  4,  10—20),   und   es  ist  cha- 
rakteristisch,  dals    er    an    ihr  den  Mangel  von  Isokola,    Anti- 
theta    etc.    ausdrücklich    hervorhebt:     numquid    hie    aut    con- 
traria   contrariis    verba    sunt    reddita    aut    aliqua    gra- 
datione  sSn  subnexa  sunt,  aut  caesa  et  membra  circuitusve  so- 
nuerunt?    et  tarnen,  non  ideo  tepuit  grandis  affectus,  quo  ^^S^i^^^^chMotku 
fervere  sentimus.  *«'  pauiini 

.  ,  •oben   Hhe 

Den  von   Augustin   citierten   Stellen  lieljse  sich  noch  eine     toruc 


506  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeit. 

groCse  Anzahl  hinzuffigen.  ^)  Aber  das  Angeffihrte  genügt^  um 
daraus  mit  Sicherheit  zu  schliefsen,  dals  der  Apostel  trotz  seiner 
souveränen  Verachtung  der  schonen  Form  dennoch  oft  genug 
von  den  —  in  den  Evangelien  fehlenden  —  geläufigen 
Mitteln   zierlicher    griechischer    Rhetorik^    Gebrauch    gemacht 


1)  Einiges  bei  Blass  1.  c.  292  fP.,  z.  B.  darunter  ein  so  starkes  Stückchen 
wie  ep.  ad  Rom.  12,  3  f»^  ifnsQtpgopslp  nag*  3  dBl  q>Q0P9tp^  &XXa  990- 
vtlv  Big  th  aoDtpQOPBlv.  Sehr  beachtenswert  ist  die  Entdeckung  von 
Weizsäcker  1.  c.  427  f.,  dafs  Paulus  öfters  als  man  sonst  annahm,  Worte 
der  Gegner  citiert  (ohne  sie  ausdrücklich  als  solche  zu  bezeichnen),  um  sie 
dann  sofort  zu  widerlegen;  das  ist  ganz  die  Art  der  im  Diatribenstil  üb- 
lichen dialektischen  Disputation;  einmal  führt  Paulus  sogar  den  un- 
bestimmten Gegner  mit  dem  jedem  Philologen  z.  B.  aus  Bion,  Epiktet,  Se- 
neca  geläufigen  (priaL  ein:  ep.  ad  Cor.  n  10,  10:  *al  inunoXal  fiiv',  (priclw 
(einige  Ausgaben  absurd  tpaaiv\  'ßagBlai  xal  laxvgcci,  ^  dh  nagovaLa  vo4i 
eAluctog  &a&Bviig  xal  6  X6yog  i^ov&BVTiiLivog* ,  tofno  loyiiia^a  6  toioi^xog^ 
2ki,  olol  iaiiBP  tip  Xdym  di'  intatoX&p  &n6vtBg,  to^oütoi  xal  nag^vtBg  ttp 
tgy<p.  Einige  gute  Beispiele  für  axrjiiata  diavolag  in  seiner  Argumentation 
bei  Blass  1.  c.  296  f. 

2)  Dagegen  gelingen  ihm  Perioden  meist  schlecht,  z.  B.  Böm.  1, 1 — 7; 
8,  28—27  und  andere  SteUen  z.  B.  bei  W.  Schmidt  in  seinem  Artikel 
♦Paulus'  (Real  -  Encycl.  f.  prot.  Theol.  u.  Kirche  X«  [Leipz.  1888]  380), 
sowie  bei  Blass  1.  c.  278  S.  Die  Hauptursache  der  langen,  formlosen,  ana- 
koluthischen  Sätze  sind,  wie  die  Leser  der  Briefe  wissen,  die  überaus 
häufigen  Parenthesen,  was  einige  auf  die  Vermutung  geführt  hat,  das  seien 
Randbemerkungen,  die  er  nachträglich  seinem  Diktat  hinzugefügt  habe,  cf. 
Chr.  Wilke  1.  c.  (oben  S.  480,1)  216.  Übrigens  teilt  er  den  Mangel  an  Kunst 
des  Periodisierens  mit  griechischen  Schriftstellern  jener  Zeit,  wofür  ich  oben 
(S.  296  ff.)  den  Grund  angegeben  habe.  Gelegentlich  baut  er  aber  seine 
Sätze  auch  besser,  z.  B.  im  Proömium  des  zweiten  Korinthierbriefs. 
Wenigstens  sind  aber  seine  Perioden  nie  von  der  ermüdenden  Langeweile 
derjenigen,  die  sich  in  den  unpaulinischen  Briefen  an  die  Ephesier  und 
Kolosser  finden  (die  beiden  Briefe  gleichen  sich  auch  sonst,  cf.  Eph.  4,  16 
no  Col.  2,  19.  Eph.  6,  Ifi".  no  3,  18  flf.,  s.  aufserdem  Weizsäcker  1.  c.  642  f.): 
hier  wird  oft  innerhalb  einer  Periode  ein  Satz  an  den  anderen  angeleimt^ 
z.  B.  Eph.  1,  6  if.  drei  Relativsätze,  noch  mehr  Col.  1,  8—23.  2,  8  fif.  (auch 
die  massenhafte  Anhäufung  der  obliquen  Kasus  von  aMg  Eph.  1,  4  ff. 
17  fi*.  ist,  soviel  ich  mich  erinnere,  durchaus  unpaulinisch,  aber  für  den  in 
der  Septuaginta  und  sonstiger  griechisch -jüdischer  Litteratur  Bewanderten 
nichts  Neues,  cf.  oben  S.  484  f).  Die  Seltenheit  rhetorischer  Figuren,  an 
denen  die  echten  Briefe  so  reich  sind,  ist  für  die  genannten  Briefe  sowie 
den  zweiton  an  die  Thessalonicher  (dagegen  halte  man  den  ersten  an  die- 
selben!) (loch  auch  recht  bezeichnend.  Ich  habe  mich  übrigens  in  dem, 
was   ich    als  i)aulini8ch   citiert   habe,    an   die   Ansicht    der  M&nner    an- 


Die  Litieratar  des  Urchrisientoms :  Paulus.  507 

hat,  freilich  —  das  hebe  ich,  um  Mifsyerstandnissen  zuvor- 
zukommen; ausdrücklich  hervor  —  nicht  von  solchen,  die  er 
sich  aus  der  Lektüre  von  griechischen  Schriftstellern  angeeignet 
hat,  sondern  vielmehr  von  solchen,  die  in  der  damaligen  ^asiani- 
schen'  Sophistik  gelaufig  waren:  von  den  Rhetoren,  die  dieser 
Richtung  angehorten,  ist  aber  oben  gerade  im  Gegenteil  nach- 
gewiesen, da&  sie  die  Litteratur  der  Vergangenheit  ignorierten, 
was  zu  beherzigen  ich  dringend  alle  die  bitte,  die  sich  einbilden, 
Paulus  habe,  weil  er  die  Waffen  der  Rhetorik  gelegentlich  so 
schneidig  zu  handhaben  versteht,  den  Demosthenes  studiert^  eine 
ungeheuere  Perversität  der  Anschauung,  beleidigend  für  De- 
mosthenes nicht  weniger  als  für  Paulus.  Im  Gegensatz  zu  den 
gleichzeitigen  Rhetoren  waren  aber  für  Paulus  die  äulseren  rhe- 
torischen Kunstmittel  blofses  Beiwerk,  sie  dienten  nur  dazu,  der 
dewötrig  und  ösfivötrjg  seiner  Gedanken  Ausdruck  zu  geben. 
Da&  die  Antithese  dominiert,  ist  sehr  begreiflich.  Wir  haben 
früher  (S.  20  f.)  festgestellt,  dafs  im  Y.  Jahrh.  v.  Chr.,  als  alles 
Bestehende  in  Frage  gestellt  wurde,  die  gewaltigen  Revolutionen 
der  Ideen  sich  in  einer  antithetischen  Sprachform  gewissermafsen 
hypostasierten:  wieder  stand  man  jetzt  an  einem  Wendepunkt 
und  die  Negation  des  Bisherigen  war  eine  ungleich  schroffere; 
ist  es  da  zu  verwundem,  dafs  der  kampfesmutige  Mann,  der  sich 
daran  machte,  eine  Welt  der  Schönheit  iu  Trümmer  zu  schlagen, 


geschlossen,  die  fär  mich  in  diesen  Fragen  Autoritäten  sind,  z.  B.  Weiz- 
säcker. Der  Philologe,  der  es  so  oft  mit  Falsa  zu  thun  hat,  die  er  als 
solche  mehr  fühlen  als  beweisen  kann,  mufs  den  Theologen  geradezu  be- 
neiden wegen  der  Evidenz,  zu  der  er  es  in  gleicher  Lage  oft  bringen  kann. 
Z.  B.  wünschte  ich,  dafs  irgend  ein  heidnisches  Falsum  durch  eine  so  un- 
geheuere, wahrhaft  erdrückende  Masse  von  Kriterien  innerer  und  äufserer 
Art  entlarvt  wäre  wie  die  beiden  Briefe  an  Timotheus  und  der  an  Titus: 
Motive  und  Art  dieser  Fälschung  sind  auch  f&r  den  Philologen  von  eigen- 
artigem Interesse:  die  beste  Zusammenfassung  bei  Holtzmann,  Die  Pastoral- 
briefe, Leipz.  1880,  cf.  auch  Usener  1.  c.  Bei.  Unters.  I  88,  21.  (Es  scheint 
übrigens  noch  nicht  notiert  zu  sein,  dafs  Hegesippos  bei  Euseb.  h.  e.  m  82,  8 
die  berüchtigten  Worte  tfjg  ipevdmwviiov  yvSeeae  o»  ep.  ad  Tim.  I  6, 20  citiert. 
Dafs  die  Fälschung  vor  M.  Aurel  fällt,  wufsten  wir  freilich  ohnehin.)  In- 
wieweit Hamack,  Die  Chronol.  d.  altchr.  Litt,  bis  Euseb.  I  (Leipz.  1897) 
480  fP.  mit  Becht  in  einigen  Fällen  eine  Überarbeitung  echter  paulinischer 
Briefe  annimmt,  vermag  ich  nicht  zu  beurteilen,  glaube  aber  nicht,  dafs 
der  Beweis  erbracht  ist  (vgl.  über  den  Ursprung  von  Fälschungen  ganzer 
Briefe  Harnack  selbst  in:  Texte  u.  Unters.  II  1  [1884]  106,  22). 


508  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  EaiBerzeii 

seine  umstürzenden  Ideen  in  antithetische  Formen  kleidete,  indem 
er  die  Gegensätze  von  Himmel  und  Erde,  Licht  und  Finsternis, 
Leben  in  Christus  tmd  Tod  in  der  Sünde,  Geist  und  Körper, 
Glauben  tmd  Unglauben,  Liebe  tmd  Hals,  Wahrheit  und  Irrtum, 
Sein  und  Schein,  Sehnsucht  und  Erfüllung,  Vergangenheit  und 
Gegenwart,  Gegenwart  imd  Zukunft  in  oft  schroffen,  bis  zur 
Dunkelheit  zusammengedrängten,  monumentalen  Antithesen  offen- 
barte? Bebg  iatoSdöBi  ixdötm  xatä  tä  igya  ainov^  totg  [ilv 
KuQ^  {fTCOfiovilv  i(fyov  iya^ov  döl^av  xal  tcfiilv  xal  iipd'agöiav 
^ritovöiv  t<o^v  alüvvov  totg  8%  i^  igid'siag  xal  ittBid'ovötv  tfj 
äkrfi'BCa^  neid-ofiivotg  dl  rg  idixicCj  ÖQyij  xal  dv^g  (Rom.  2,  6  ff.), 
oder:  6  löyog  xov  ötavgov  totg  filv  ixoXXvfidvoig  (imgia  iötivj 
totg  d\  6(oioiUvoig  fj^tv  d'&i/a^i.g  ^sov  iötiv  (Gor.  I  1, 18),  oder: 
ilfistg  fimgol  diA  %qi6x6v^  iffistg  dh  g)(f6vi(ioc  iv  %Qi6X(p'  fiyi^Btg 
iö^ßvetg^  ifietg  dh  l6%vQoC'  {)^tg  Ivdo^oi,  fifLBtg  dh  &tiiiot.  &xqi 
tilg  ^^^  &Qccg  •  .  .  XocdogoviisvoL  siXoyovfisv^  dimx6(i€voi  avsx^ 
fis&a^  ßXa6gnj[iov(isvoL  naguTcaXov^v  (ib.  4,  10  ff.),  oder:  iv 
navtl  övvtötdvovtsg  iavt(ybg  üg  ^eov  Siaxovoi  •  .  •  Siä  t&v 
5nXa>v  tf^g  diTiaioöiivvig  t&v  ds^i&v  xal  iQcöteg&v,  diä  dö^rjg  xal 
itcfiiag,  diä  dvöqnj^iiag  xal  ei^pruLCag^  &g  nXdvoi  xal  iXrjd'stg,  &g 
AyvQov^voi,  xal  ijetyivofffxöfievoiy  üg  iTCod'vijöxovtsg  xal  ldoi> 
t&(iev,  üg  naidsvöfievoi,  xal  [t/ii  d'avatovfisvoc,  &g  Xvnov[i€voL 
iel  dh  xaC(fovtag^  hg  moixol  noXXoi)g  d\  xXovti^ovtsg,  &g  (ii^dhv 
ixovteg  xal  ndvxa  Tcatdxovteg^):    das  ist  der  Ton,  der  wie  eine 

1)  Diese  Stelle  war  gerade  wegen  ihrer  Antithesen  hochberühmt.  Sie 
wird  dafür  citiert  vom  schol.  Pers.  1,  86,  cf.  besonders  noch  Angustin.  de 
civ.  dei  XI  c.  18:  neque  enitn  d^ua  ullum,  non  dico  angehrutn,  sed  vel  ho- 
minum  crearet,  quem  malum  futurum  esse  praescisset,  nisi  pariter  nosset  quihus 
eos  bonorum  usibus  accommodaret  atque  ita  ordinem  saecülorum  tamquam 
pulcherrimum  Carmen  etiam  quibusdam  quasi  antiihetis  honestaret.  antitheta 
enim  quae  appeUantur  in  omamentis  elocutionis  sunt  decenüssima,  quae  laHne 
ut  appellentur  opposita  vel,  quod  expressius  dicitur,  contraposita,  non  est 
apud  nos  huius  vocalmli  consuetudo,  cum  tarnen  eisdem  omamentis  locutionis 
etiam  sermo  latinus  utatwr,  immo  linguae  omnium  gentium,  his  antithetis 
et  PatUus  apostolus  in  secunda  ad  Corinthios  epistüla  illum  locum  suaviter 
explicat,  uhi  dicit\  *Per  arma  iustitiae  dextra  et  sinistra:  per  gloriam  et 
ignobilitatem,  per  infamiam  et  honam  famam;  ut  seductores  et  veraces,  ut  qui 
ignoraremur  et  cognoscimur;  quasi  morientes  et  ccce  vimmu^,  ut  coerciti  et 
non  mortificati;  ut  tristes,  semper  autem  gaudentes;  sicut  egeni  muUos  aiUem 
dita/ntes;  tamquam  nihil  habentes  et  omnia  possident€s\  sicut  ergo  ista  con^ 
*xmtrariis  opposita  sermonis  pulchritudinem  reddunt,  ita  quadam  non 


Di»  Litterator  des  ürchrisientums :  Paulus.  509 

naXivtovog  &(fnovia  aus  Paulus*  Schriften  zu  uns  hinüberklingt, 
und  es  ist  gewifs  nicht  zufällig,  dafs  das  Christentum  gerade 
zur  Zeit  seines  Kampfes  auch  in  nachpaulinischer  Zeit  in  Rede 
imd  Schrift  keine  Figur  mehr  bevorzugt  hat  als  die  Antithese. 
Wie  mufs  Paulus  aber  erst  gesprochen  haben,  wenn  es  nicht 
galt  zu  kämpfen  oder  kontroverse  Meinungen  zu  entscheiden, 
sondern  Gott  und  seine  Werke  zu  preisen,  die  Menschen  zu 
einigen  in  der  Liebe  zu  ihm  und  unter  einander.  Nur  selten 
klingt  in  seinen  Briefen  dieser  Ton  an,  aber  dann  schlägt  auch 
die  Flamme  seiner  Begeisterung  mit  hinreifsender  Gewalt  empor: 
jene  beiden  Hymnen  auf  die  Liebe  zu  Gott  und  die  zu  den 
Menschen  (Rom.  8,  31  ff.  Gor.  I  13)  haben  der  griechischen 
Sprache  das  wiedergeschenkt,  was  ihr  seit  Jahrhunderten  ver- 
loren gegangen  war,  die  Innigkeit  und  den  Enthusiasmus  des 
durch  seine  Einigung  mit  Gott  beseligten  Epopten,  wie  er  uns 
in  solcher  Heiligkeit  nur  bei  Piaton  imd  zuletzt  bei  Eleanthes 
begegnet.  Wie  mufs  diese  Sprache  des  Herzens  eingeschlagen 
haben  in  die  Seelen  der  Menschen,  die  gewohnt  waren,  der 
albernen  Geschwätzigkeit  der  Sophisten  zu  lauschen.  An  diesen 
Stellen  erhebt  sich  die  Diktion  des  Apostels  zu  der  Höhe  der 
platonischen  im  Phaedrus,  und  es  war  für  mich  eine  wohl- 
thuende  Bestätigung  dieses  GefUhls,  als  ich  fand,  dafs  Paulus  in 
jenem  Kapitel  des  ersten  Eorinthierbriefs,  wo  seine  Sprache  den 
höchsten  Schwung  nimmt,  unwillkürlich  zu  demselben  Mittel  ge- 
griffen hat  wie  Piaton:  beide  haben  da  den  Ton  der  Hynmen 
angeschlagen,  der  Attiker  den  des  Dithyrambus  (s.  o.  S.  109  f. 
111  f.),  der  orientalische  Hellemst  den  des  Psalms:  denn  Paulus, 
der  sonst  den  unhellenischen  Satzparallelismus  der  Septuaginta 
und  vieler  Partieen  der  Evangelien  nicht  kennt  ^),   hat   sich   an 

verborum  sed  rerum  ehquentia  contrariorum  oppositione  saecuU  pulchritudo 
componitwr.  apertisaime  hoc  positum  est  in  libro  ecclesiasHco  isto  modo 
(Sirach  88  [al.  86],  15):  *  contra  malum  honum  est  et  contra  mortem  vita,  sie 
con^a  pium  peccator.  et  sie  intuere  in  omnia  opera  altissimi,  bina  bina^ 
unum  contra  unum^.  —  Hieronymus  hat  natürlich  auch  gemerkt,  um  was 
für  axi/inctta  es  sich  in  der  Stelle  des  Eorinthierbriefs  handle:  man  lese 
nur  seine  Übersetzung,  um  zu  sehen,  wie  er  sich  bemüht,  die  6(uoKnilBvta 
wiederzugeben,  z.  B.  einmal  egentes  (für  egeni)^  weil  vier  solche  Participia 
damit  korrespondieren. 

1)  Es  giebt  Tiele  ävalö^toiy   die   auch   bei  den  deutlichsten  Fällen 
nicht  unterscheiden   können,  was  hebräischer  Gedanken-  und  hellenis''* 


510  Von  Hadrian  bis  znm  Ende  der  Eaiserzeit. 

dieser  eineu  Stelle^  selbst  emporgehoben  durch  das  was  er  sagen 
wollte^  dieses  Mittels  bedient: 

iäv  tatg  yXAööatg  t&v  iv^güntov  kaX&  xal  t&v  &yyiXmVj 
iy&itriv  S\  fti)  ix(o^  yiyova  xaXxhg  ii%&v  ^  xiinßaXov  Ha- 
Xd^ov. 

xal  iäv  ixio  ngoipi^tecav  xal  £id&  t&  (ivötiJQia  ndvxa  xal 
näöav  t^i/  yv&6cv^  xctv  sx(o  naöav  xiiv  xiötiv  &6t6  tigti 
fisd'cötdvacj  iydjtijv  dh  ft^  ix(Of  oi^ev  elfiv. 

x&v  ilffofiiöco  ndvxa  tä  ixdQxovtd  ftovj  xal  civ  nagaöA  xb 
6&(id  iiovy  Iva  xavdi^öofiaij  dydnrj^  d^  fii^  ^2^9  ^d\v 
d)g>€Xov^ac. 

3.   Die  Briefe  des  Ignatius  und  Polykarp. 

igiifttiua.  Unter  den  übrigen  Dokumenten  der  apostolischen  Zeit  er- 

innern an  Paulus  am  meisten  die  sieben  Briefe  des  Ignatius 
von  Antiochia  (f  109),  die  er  in  ESeinasien,  auf  der  einem 
Triumphzug  gleichenden  Reise  nach  Rom,  wo  er  den  Märtyrer- 
tod erleiden  sollte,  an  die  kleinasiatischen  Gemeinden  und  an 
Polykarp  von  Smyma  schrieb.  Sie  sind  das  Herrlichste,  was 
uns  aus  dieser  Zeit  erhalten  ist,  hinreifsend  durch  die  lodernde 
Glut  einer  Seele,  die  danach  dürstet,  dem  Irdischen  entrückt  zu 
werden  durch  einen  grausig-himmlischen  Tod.    Eine  bedeutende, 

FormenparallelismuB  ist:  darüber  einiges  im  Anhang  I.  Übrigens  urteilt 
Heinrici  1.  c.  677  in  dieser  Sache  richtig:  ,,Der  Parallelismus  der  Glieder 
begegnet  kaum,  vgl.  etwa  I  15,  54",  n^  hätte  er  vielmehr  die  im  Text  von 
mir  ausgeschriebene  Stelle  nennen  müssen,  denn  die  Worte  Cor.  I  15,  54 
Ztav  tb  tpQ'aqfthv  toüvo  ivdvaritai  &tp9aqclav  xal  xb  9vr\xhv  xovxo  ivd^crittu 
Mavaaiav,  x&ce  ysvi/iasxai  6  X6yog  6  ysygafiiiivog  nxX.  sehen  dem  he- 
bräischen Parallelismus  nur  deshalb  ähnlich,  weil  Paulus  in  den  beiden 
Kola  zweimal  dieselben  Worte  (roihro,  ivd^arixoci)  wiederholt,  was  ein  ge- 
schickter griechischer  Stilist  nie  gethan  hätte,  bei  Paulus  aber  auch  sonst 
vorkommt  (cf.  die  Stellen  bei  Wilke  1.  c.  182):  dafs  dann  eher  ein  vom 
Standpunkt  der  strengen  Eunstprosa  mangelhaftes  stilistisches  Können  als 
eine  Anlehnung  an  hebräische  Ausdrucksweise  (cf.  ev.  Matth.  5,  22.  29  f. 
Luc.  7,  33  f.)  zu  sehen  ist,  geht  hervor  aus  solchen  Stellen,  an  denen  von 
hebräischem  Parallelismus  keine  Rede  sein  kann,  z.  B.  ist  Rom.  9,  18  8y 
d'iXsL  iXBBij  hv  dh  %iXsi  c%X7\QvvBi  —  bis  auf  das  bei  Paulus  wie  bei  an- 
deren nicht  rein  hellenischen  Autoren  öfter  fehlende  als  stehende  ^liv:  8. 
oben  S.  25,3  —  gut  griechisch,  ebenso  Rom.  14,  5  og  [tlv  ytQ^vsi  iiiiigccv 
nag'  ijfitgav,  Zg  dh  ytQivsi  n&cav  iifiigav  u.  ö. 


Die  Litteratur  des  Urchristentums:  Ignatius  und  Poljkarp.        511 

mit  wunderbarer  Schärfe  ausgeprägte  Persönliclikeit  atmet  aus 
jedem  Wort;  es  läfst  sich  nichts  Individuelleres  denken.  Dem- 
entsprechend ist  der  Stil:  von  höchster  Leidenschaft  und  Form- 
losigkeit.^) Es  giebt  wohl  kein  Schriftstück  jener  Zeit,  welches 
in  annähernd  so  souveräner  Weise  die  Sprache  vergewaltigte. 
Wortgebrauch  (Vulgarismen,  lateinische  Wörter),  eigene  Wort- 
bildungen und  Konstruktionen  sind  von  unerhörter  Kühnheit, 
grofse  Perioden  werden  begonnen  und  rücksichtslos  zerbrochen; 
und  doch  hat  man  nicht  den  Eindruck,  als  ob  sich  dies  aus 
dem  Unvermögen  des  Syrers  erklärte,  in  griechischer  Sprache 
sich  klar  und  gesetzmäCsig  auszudrücken,  so  wenig  wie  man  das 
Latein  Tertullians  aus  dem  Punischen  erklären  kann:  bei  beiden 
ist  es  vielmehr  die  innere  Glut  und  Leidenschaft,  die  sich  von 
den  Fesseln  des  Ausdrucks  befreit.  Auf  das  Einzelne  hat  J.  B. 
Lightfoot  in  seiner  bewundernswürdigen,  durch  ihre  sprachlichen 
und  sachlichen  Bemerkungen  auch  für  den  Philologen  wertvollen 
Ausgabe  hingewiesen.^)  Bemerkenswert  scheint  mir,  daüs  auch 
er,  wie  Paulus,  gelegentlich  in  Antithesen  spricht'),  nicht  zierlich 
gedrechselten,  sondern  solchen,  wie  sie  sich  den  id'Xritatg  iv 
nvB'öiMxxt  von  selbst  aufdrängten^),  z.  B.  ep.  ad  Ephes.  8  (p.  51  L.) 
ot  öagxixol  tä  nvsv^atcxä  XQdööeiv  oi  dvvavtai  ovd\  oC  jcvsv- 
fuxtixol  rä  öagxixtt^  &67Cbq  o'bS'k  fj  nC6xig  tä  tf^g  &ni6tCaq  oiS\ 
4  iaciöxla  tä  tf^s  niötsog.  ib.  10  (p.  58  £)  ^gbg  rag  ÖQyäg  aih 
t&v  iffutg  jcgaetg^  ngbg  tag  fisyaXoQtifioö^vag  ain&v  i^istg  taitsi- 
vöifQovsgj    nQÖg  tag  ßXaögyqfilag  ain&v  vfiBtg  tag  Ttgoösvxdg^)) 


1)  Cf.  Hamack,  Dogmengesch.  P  209. 

2)  The  apostolic  fathers.  Part  11.  See.  ed.  vol.  I— m.  London  1889; 
cf.  besonders  I  408  S.,  wo  er  die  Ansicht  von  Leuten  widerlegt,  die  es 
wirklich  fertig  gebracht  haben,  den  unvollkommenen  Stil  als  ein  Argument 
ffir  die  Unechtheit  der  Briefe  zu  verwerten. 

3)  Aber  bezeichnend  ist  auch  hier,  dafs  in  den  sieben  z.  T.  recht 
umfangreichen  Briefen  nur  siebenmal  iiiv-Si  vorkommt:  ad  Eph.  14 
(p.  67).  18  (p.  76).  ad  Magnet.  4  (p.  116).  5  (p.  117).  ad  Trall.  4  (p.  161). 
4  (p.  162).    ad  Rom.  1  (p.  196). 

4)  Das  ist  auch  von  E.  v.  d.  Goltz,  Ign.  v.  Ant.  als  Christ  u.  Theologe 
(in:  Texte  u.  Unters,  ed.  v.  Gebhardt  u.  Hamack  XU  8  [1894]  91  f.)  hervor- 
gehoben worden. 

5)  Die  kühne  Ellipse,  die  in  der  interpolierten  Fassung  der  Briefe 
durch  Hinzufügung  von  &vtitd^ats  beseitigt  ist,  dient  hier  deutlich  der 
prägnanten  Fassung  der  Worte,  cf.  Lightfoot  z.  d.  St. 


512  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

ngbg  ti^v  nXdvriv  ait&v  i>(i€tg  idgatoi  rg  nCötsi^  ngbg  tb  Rygiov 
ait&v  {f^tg  fjfieQO^  ib.  11  (p.  61)  f\  yäg  r^i/  [idXXovöav  6(fyilv 
(poß-q^&yLBv  ^  xiiv  ivBöt&öav  %Aqiv  iyascijöio^Vj  ^v  t&v  d'6o. 
ib.  12  (p.  63)  ol8a  xCg  bI[ii  xal  xCötv  ygdqxo.  iyä)  xcctdxQitogy 
{ffutg  ^Xeri^dvoi,'  iyh  &r6  tUvSwov,  {>^tg  iötfiQiyiUvoi.  ad  Rom. 
c.  8  (p.  228  f.)  oi)  xcctä  ödifxa  ifitv  Sygaifa,  iXXä  xatä  yv&nniv 
^eov,  iäv  Ttdd'io^  iid'sXijöate'  iäv  iaeodoxiiuMd'&y  iiuöi^tfccvs,^) 
Foijkarp.  In  denkbar  starkem  Kontrast  zu  diesen  ignatianisclien 
Briefen  steht  der  Brief  des  mit  ihm  befreundeten  Polykarp  von 
Smyma  (f  155  oder  156)  an  die  Philipper  (bei  Lightfoot  vol.  III 
321  ff.).  Man  liest  ihn  schnell  herunter,  ohne  anzostoüsen, 
während  Ignatius  fast  in  jedem  Satz  Probleme  bietet.  Die 
Sprache  ist  weder  zu  loben  noch  zu  tadeln;  kein  ungewöhnliches 
Wort^  kein  Anakoluth,  aber  auch  kein  origineller  Gedanke,  keine 
Rhetorik  weder  des  Herzens  noch  des  Kopfes  (z.  B.  fehlt  jede 
Antithese).^)  Nur  den  Tod  des  Märtyrers  hat  dieser  Mann  mit 
seinem  Freunde  gemein  gehabt.^ 


TU.  Die  Entwicklung  der  christliehen  Prosa  seit  der  Mitte 

des  n.  Jahrhunderts. 

A.   Die  Theorie. 

tum  nnd  ;,Das  Evangclium  wäre  wahrscheinlich  untergegangen^  wenn 

chriftott^*^^®  Formen   des  *  Urchristentums'   ängstlich   in   der  Kirche  be- 

tom. 


1)  Cf.  noch  14  (p.  67  und  p.  68).  16  (p.  69).  ad  Trall.  1  (p.  168).  6 
(p.  164).  ad  Rom.  6  (p.  218).  ad  Smym.  4  (p.  299  f.).  7  (p.  308).  ad  Po- 
lyc.  6  (p.  862  f.).  Für  die  Anapher  cf.  ep.  ad  Ephes.  10  (p.  59).  ad  Magnet.  7 
Q).  122  f.). 

2)  ii,iv  '  di  kommt  in  den  zehn  Eapitehi  nicht  vor.  Bezeichnend  aber 
ist,  dafs  in  dem  gut  stilisierten  Brief  der  Smjmäer  an  die  umliegenden 
Gemeinden  (über  Polykarps  Martyrium,  bald  nach  diesem  verfafst)  diese 
Partikeln  in  zwanzig  Kapiteln  10  mal  vorkommen  (bei  Lightfoot  vol.  HI 
863  ff.).  Offenbar  ist  dieser  Brief  von  einem  recht  gebildeten  Christen  ge- 
schrieben worden;  er  berührt  sehr  sympathisch  durch  die  mafsvolle  Rhe- 
torik und  die  edle  Einfachheit,  mit  der  der  Vorgang  erzählt  wird :  um  das 
zu  würdigen,  vergleiche  man  etwa  die  oben  besprochene  Schrift  des  Ps.-Io- 
sephus  und  spiltere  christliche  Martyrologien. 

3)  Cf.  Lightfoot  vol.  I  p.  596  f. :  TJie  profmetvess  of  quotations  (bibli- 
scher Stellen)  in  rolycarp's  Epistk  (im  Gegensatz  zu  denen  des  Ignatius) 


Die  Litierator  der  katholischen  Kirche:  die  Theorie.  513 

walirt  worden  waren;  nun  aber  ist  das  *  Urchristentum'  unter- 
gegangeU;  damit  sich  das  Evangelium  erhielte/'  Diese  Worte 
Hamacks^)  finden  ihre  Anwendung  auch  auf  die  Entwicklungs- 
geschichte der  christlichen  Prosa.  Uns  ergreift  die  erhabene 
Schlichtheit  der  Evangelien;  die  rührende  Einfachheit  der  Di- 
dache,  die  sinnige  Naivität  des  Hermas,  die  liebenswürdige  An- 
mut der  novellistischen  Legenden;  uns  reust  hin  der  Tiefsinn 
des  Paulus  imd  die  Glut  des  Ignatius;  uns  würden  alle  diese 
Schriften  im  Gewand  eines  pompösen,  reflektierenden  Stils  mifs- 
fallen.  Aber  schon  waren  neue  Aufgaben  an  die  junge  Religion 
herangetreten:  sie  wollte  sich  in  der  ganzen  Welt  verbreiten, 
das  war  aber  bei  der  damaligen  Lage  der  Dinge  durch  die 
bloJbe  Sprache  des  Herzens  nicht  möglicL  Hätten  die  Apolo- 
geten des  zweiten  Jahrhunderts^  ihre  an  die  Kaiser,  den  Senat, 
das  gebildete  griechische  und  romische  Publikum  gerichteten 
Schriften  in  dem  Stil  geschrieben,  dessen  sich  gleichzeitig 
Ignatius  und  Polykarp  in  ihren  nur  für  die  christlichen  Ge- 
meinden bestimmten  Schriften  bedienten,  so  hätten  die  Adres- 
saten sie  entweder  überhaupt  nicht  gelesen  oder  daraus  den 
SchluJb  gezogen,  dafs  diese  BeUgion  wirklich  das  war,  wofür 
man  sie  hielt:  eine  orientalische  Superstition  der  ixaidsvtoi. 
Der  Verfasser  der  ügd^stg  9iXl7cnov  xov  &3to6x6kov  Zte  siöfjX^sv 
Big  tiiv  *EXkAda  xi^  Sva  (p.  95  flf.  Tischend.)  lä&t  den  Philippos 
in  Athen  mit  den  Philosophen  zusammentreffen,  die  ihn  um 
etwas   *  Neues'   bitten,    worauf   er   ihnen   antwortet:    iiutg  fih/ 


arises  from  a  iDcwd  of  origvnality.  The  Epistle  of  P.  ü  essentidlly  common 
jplace,  and  therefore  esaentially  intelUgible.  It  hos  intrinsicaUy  no  literary  or 
iheological  interest.  On  ihe  other  hand  fhe  letters  of  Iffnatius  have  a  markeä 
individuaUiy.  Of  all  early  Christians  toritings  fhey  are  preeminent  in  this 
respect  etc. 

1)  Im  Nachwort  zu  E.  Hatch,  Griechentum  u.  Christentum,  übers,  von 
E.  Prenschen  (Freibnrg  1892)  268. 

2)  Am  besten  schreibt  der  Vf.  des  pseudoiustinischen  nagaivstiube 
ngb^  'lElXrivccgi  sein  Stü  ist  bewuTst  demosthenisch  (cf.  auch  Hamack  in: 
Sitznngsber.  d.  Berl.  Ak.  1896,  648).  Von  den  an  einzelne  Personen  ge- 
richteten apologetischen  Schriften  ist  die  des  Theophilos  an  Autoljkos  nach 
Inhalt,  Disposition,  Stilistik  und  Sprache  die  schlechteste,  während  der 
Brief  an  Diognet  nach  allen  diesen  Gesichtspunkten  zu  dem  Glänzendsten 
gehört,  was  von  Christen  in  griechischer  Sprache  geschrieben  ist  (cf.  be- 
sonders c.  6 — 7). 


514  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

iya7t&f  &  &vdQsg  t^g  ^EXXdSog^  xal  [iccxoQiia}  i^ag  Blqutpi&tag  Sri 
&yan&yLBv  xi  xacvöxBQOv,  xal  yäg  natSsCav  Zvtag  viav  xal  xat- 
viflf  tjvsyxBv  6  xvgvög  ^ov  Big  xbv  xööfiovj  Iva  näöav  i^a- 
XB^iffi  xo6fii.x^v  naCdBv6i,vi  auf  solcher  Grundlage  lieCs  sich 
eine  Einigung  nicht  erzielen,  im  Gegenteil  muTste  die  im  Evan- 
gelium  gebotene  Gleichsetzung  der  sojßientia  saectdaris  mit  der 
stuUitia  (z.  B.  Tert.  de  praescr.  haer.  7)  die  gebildeten  Heiden 
verletzen.  Solange  man  femer  völkerrechtlich  die  Christen  ent- 
weder mit  den  Barbaren  identifizierte  oder  sie  neben  Hellenen 
imd  Barbaren  als  tertium  gmvs  des  Menschengeschlechts  be- 
trachtete^), war  die  notwendig  zu  vollziehende  Verschmelzung 
beider  Kulturen  eine  Unmöglichkeit:  lulian  wollte  —  von  seinem 
Standpimkt  aus  ganz  konsequent  —  den  ^Galiläem'  als  ^Bar- 
baren' den  Gebrauch  der  griechischen  Sprache  verbieten  (Greg. 
Naz.  or.  in  lul.  1  c.  100  ff.).  Die  Christen  wehrten  sich  seit 
dem  zweiten  Jahrhundert  in  erbitterter  Polemik  gegen  jene 
Unterscheidung:  in  der  Praxis  haben  sie  sie  aufgehoben  durch 
das  schwere,  aber  notwendige  Opfer  der  Verweltlichung  ihrer 
Religion  auf  dem  Boden  des  Synkretismus,  für  den  die  heid- 
nische Welt  durch  die  seit  der  Zeit  Alexanders  des  Grofsen  in 
immer  steigendem  Mafse  wirksamen  kosmopolitischen  Ideen  wohl 
vorbereitet  war.  So  wurde  aus  der  Religion  des  Glaubens  und 
des  Herzens  eine  Religion  des  Dogmas  und  des  Kultus');  denn 
in  der  ^philosophischen'  Lehrmeinung  sah  der  Gebildete^  in  der 


1)  Cf.  meine  oben  (S.  469, 2)  citierte  Schrift  p.  407  flf.  Die  trotz  aller 
Irrtümer  grofsartigen  völkergeschichtlichen  Untersuchungen  des  Eusebios 
und  besonders  des  Augustin  (cf.  auch  Paulin.  Nol.  ep.  28,  5)  hatten  den 
Zweck,  dem  Christentum  in  der  Geschichte  der  Völker  seinen  Platz  an- 
zuweisen. Aus  jenen  frühen  Zeiten  erhielt  sich  übrigens,  als  das  Christen- 
tum längst  aus  seiner  isolierten  Sphäre  in  die  Begion  der  allgemeinen 
hellenischen  Kultur  eingetreten  war,  die  Bezeichnung  der  Nichtgläubigen 
als  '^XXrivBi^  so  hatten  sich  einst  die  Anhänger  der  alten  Religion  stolz 
selbst  bezeichnet,  um  sich  von  dem  cUterum  genus  hominum  zu  unter- 
scheiden; daher  nannte  lulian  die  Christen  Falilatoi,  d.h.  jSa^jJa^ot,  während 
lulians  Panegyriker  Eunapios  '^ElXriv  als  eine  ehrende  Auszeichnung  ge- 
braucht (p.  86  Boiss.  (piXo&vtrig  «^  ^^^  SiafpBgdvttDg  "IEXXtjv,  cf.  p.  29). 

2)  Cf.  C.  Schmidt  1.  c.  (oben  S.  471,1)  515  f.  Die  ausführlichsten  heid- 
nischen  Kultformulare,  die  wir  besitzen,  die  iguvinischen  Tafeln,  berühren 
sich  aufs  engste,  oft  bis  in  Einzelheiten  der  Terminologie,  mit  den  christ- 
lichen Liturgieen. 


Die  Litierator  der  katholischen  Sarohe:  die  Theorie.  515 

äu£9erlichen  Bethätigang  sah  das  Volk  die  religiöse  Überzeugung 
und  die  GewiDsheit  auf  Erhorung  seitens  der  höheren  Mächte 
beschlossen.  So  mulfite  auch  die  Sprache,  die  nur  auf  das  Ge- 
müt wirkte,  mit  derjenigen,  die  den  Geist  anregte  und  die  Sinne 
befriedigte,  ein  Bündnis  schlielsen.  Denn  wenn  man  bedenkt, 
wie  grob  damals  die  Gewalt  des  Wortes  war^)  und  wie  empfind- 
lich die  Menschen  in  der  Bede  alles  äuTserlich  Unvollkommene 
und  Unschöne  berührte,  so  begreift  man  leicht,  dals  vor  allem 
die  Gebildeten  nie  und  nimmer  durch  die  edle  Einfachheit  der 
biblischen  Sprache  und  die  rührende  Schlichtheit  ernster  Er- 
mahnung für  die  neue  Religion  gewonnen  werden  konnten,  dals 
sie  im  Gegenteil  abstoCsend  auf  sie  wirken  und  mithin  der  Aus- 
breitung  des  Christentums   hinderlich  sein  mulste.')     Auch  das 


1)  Cf.  Villemain,  M^anges  historiques  et  litt^raires  m  (Paris  1827) 
857:  La  parole,  chez  Ums  ces  peuples  d'origine  grecque,  äait  le  tälisman  du 
culte.  Hs  Haient  convertis  par  des  pretrta  üaquens,  comme  ils  avaient  iti 
d*abord  gowoemis  par  des  orateurs  et  ensuite  amusis  par  des  sophistes. 

2)  Lehrreich  für  die  steigende  Empfindlichkeit  scheinen  mir  die  sprach- 
lichen und  stilistischen  Änderungen,  zu  sein,  die  ein  Unbekannter  in  der 
zweiten  Hälfte  des  IV.  Jh.  mit  den  ignatianischen  Briefen  (ed.  Lightfoot 
1.  c.  m  149  ff.)  vorgenommen  hat.  Ich  habe  mir  folgendes  notiert.  Er 
ändert  mehrere  ungewöhnliche  Worte:  ep.  ad  Trall.  4  dyyeXixal  rd^ttg  für 
&.  tono&Biiiai.  ib.  8  nQa6trig  für  ngavitd^Bia.  ib.  11  naQonnLiux  für 
nagavta;  er  setzt  &Qa  fOr  &Qa  oiv  ib.  10.  Er  ändert  seltenere  Kon- 
struktionen: ep.  ad  Smjm.  6  &ydnrig  a{>tots  oi  iiiUi  fär  nsgl  äydnrig  ^^^* 
ad  TraU.  18  hi  yäg  inl  mvSvvmv  e/fi/  für  ht  yccQ  'bnb  %ipdvv6v  üyi,i.  Er 
bessert  unbeholfene  Perioden  dos  Ignatius:  ad  Philad.  1  in.,  ad  Smym.  1 
a.  E.  Besonders  merkwürdig  ist,  dafs  er  die  bei  Ignatius  sich  findenden 
bykoioxiXBvta  gern  verstärkt  oder  ganz  neue  einführt:  Ign.  ad  Trall.  1  o(> 
%axcc  XQfjctp  &XXä  nuxtä  tp^aiv  nu  Ps.-lgn.  o^  %atä  Xiffjoiw  &Xla  wxtit  ntfjaip, 
Ign.  ad  Smym.  9:  6  tifiSv  ini<s%onov  inb  d'eoQ  rstlfi^tai'  6  Xd&ga  iKi9%6- 
nov  ti  ngdeaatp  x&  dtaß6X(p  Icctgs'ön  <^  Ps.-Ign.  6  xifiAv  inUrnonoif  {>nb 
^eo4  xiiiri^T/jeexai^  &aniQ  oiv  6  Axiitd^oiP  a(fxbv  ^b  d-saii  nolaa^T/iasxai. 
Ganz  neue  hat  er  eingeführt:  ad  Trall.  6  Xiyovai  yäg  Xgiüx&Vy  oij%  tva 
XQiaxbv  uriQ^^ouiip  &XX'  iva  Xgtcxbv  Msxi/iüacip'  xal  a6  v6yi,ov  ngoßdXXovüiv 
Tme  p6fiop  avaxi/iümaiv,  &XX'  tva  &vo\LCav  mxxccyyslXmeiv  xbp  pkhv  yäg  Xgiaxbv 
&XXoxQioeat  xfAi  nocxQÖg,  xbv  dh  p6itop  xoii  XQiaxoü  u.  s.  w.  in  Antithesen, 
ad  Smym.  6  '6  xmg&v  xoDQBixaj  6  duo^av  &%ovixai^  (er  stellt  also  diesem 
cxfif/M  zuliebe  neben  einander  Matth.  19, 12  -f- 18,  48).  x^og  xal  d^ionfui  xal 
nXo^og  it/ridipa  tpvaio'öxoi}'  ddo^ia  xal  nsvla  {krfiiva  xannvoixm.  ibid.  6 
a.  E.  dydnrig  aiycolg  oi)  fi^Xst,  x&v  ngoaSotuDii^ivmp  dXoyoiiCLj  xa  naQ6vxa  &g 
i6x&xa  XoyC^oreai,  xccg  ivxoXocg  nccQOQ&üiv,  X^Q^^  ^^^  ÖQ(pavbv  nsgiOQ&cip^ 
^Xiß6ii£vov  SianxvovaiVy  dsdsiitvov  yBX&aiv:   das   hat   er  gemacht  aus  d^ 

Norden,  antiko  Konatproaa.   II.  84 


516  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  EaiBeneit. 

walkte  der  Apostat:  wenn  er  die  Galiläer  höhnend  anf  die  Bar- 
barismen  ihrer  religiösen  Urkunden  verwies  und  erklärte^  solche 
Leute  seien  unwürdige  in  der  Weisheit  der  Hellenen^  speziell  der 
Rhetorik,  unterrichtet  zu  werden,  so  wollte-  er  damit  dem  schon 
stattlich  emporgewachsenen  Baum  die  Fasern  der  Wurzel  zer- 
schneiden. Denn  seit  langem  lauschten  Hunderttausende  den  ge- 
waltigen Predigern,  die  ihre  Reden  ganz  und  gar  in  das  Mode- 
gewand der  Sophisten  gekleidet  hatten,  und  seit  langem  war  der 
Inhalt  der  neuen  Lehre  auch  durch  die  Schrift  der  gebildeten 
Welt  in  formvollendeten  Werken  zugänglich  gemacht  worden. 
Seitdem  das  geschehen,  war  der  grofse  Zwiespalt  da:  die  heiligen 
Urkunden  waren  in  der  Sprache  von  *  Fischern'^)  gehalten,  ihre 
Auslegungen  in  der  von  ^Sophisten'.  Jahrhunderte  lang  hat 
dieser  Zwiespalt  die  Gemüter  der  Menschen  bewegt.^  Es  ist 
nicht  ohne  Interesse,  und  fiir  meine  Zwecke  unumgänglich  notig, 
darauf  etwas  genauer  einzugehen;  da  die  allgemeinen  Verhältnisse 
in  der  kirchlichen  Litteratur  des  Ostreichs  keine  anderen  waren 
als  in  der  des  Westreichs,  trenne  ich  bei  ihrer  Darlegung  die 
lateinischen  Zeugnisse  nicht  von, den  griechischen. 

1.  Theorieen  über  die  Sprache  des  Neuen  Testaments. 

Dm  N.T.  ein         Das  Ncuc  Testament  in  griechischer  Sprache  wurde  bekannt 
&tixvov.    ZU  einer  Zeit,  als  in  den  gebildeten  Kreisen  die  Sensibilität  für 
alles,  was  mit  Sprache  und  Stilistik  zusammenhing,   auf  ihrem 
Höhepunkt    angelangt    war.     Ein    nichtatiisches   Wort    zu    ge- 
brauchen, galt  für  das  schwerste  litterarische  Verbrechen,   ein 

Worten  des  echten  Ignatius:   nsgl  äyditrig  a6  iiiXn  aircotg^  o^  nsgl  ;t^^ag, 

1)  Cf.  Lactani  div.  inst.  V  2,  17,  wonach  Hierokles  in  seinen  Büchern 
un  die  Christen  Paülum  Petrumque,  ceteros  discipulos  rüdes  et  indoctas 
fume  testattis  est,  nam  quosdam  eorum  piscatorio  artificio  fecisse 
quacstum;  qtiasi  (sogt  Lactanz)  aegre  ferret,  quod  illam  rem  (die  christliche 
liolij^ion)  mm  Äristophanes  aliquis  aut  Äristarchas  commenUxtus  sit.  Celsos 
hattt^  ^OHOgt,  die  Kvangolion  seien  von  paihai  verfafst,  cf.  Orig.  c.  Gels.  1 62. 
Pio  Christon  ihrorscitH  rühmten  sich  gerade  wegen  des  piseatorius  sermo 
ihror  Urkunden,  wie  man  seit  Origenes  1.  c.  (cf.  VI  1)  durchs  Mittelalter  yer- 
iolgon  kann. 

ä)  Noch  im  XVII.  und  XVIII.  Jahrh.  stritt  man  sich  über  den  Stil 
dos  N.  T.,  darüber  manches  bei  Chr.  Sigism.  Georgi,  Hierocriticus  N.  T.  s. 
de  Btvlo  N.  T.  1.  III  (Wittoborgae  et  Lipsiae  1733). 


Die  Litteratar  der  katholischen  Kirche:  die  Theorie.  517 

nicht  mit  den  Figuren  der  Rede  geschmücktes  Werk  hatte 
keinen  Ansprach  auf  einen  Platz  in  der  Litteratur;  kurz:  gut 
oder  schlecht  schreiben  galt  als  das  Distinktiv  von  Griechen  und 
Barbaren.  Ein  solches  Publikum  mufste  die  religiösen  Urkunden 
der  Christen  als  stilistische  Monstra  betrachten.^)  Man  kann 
sich  den  Kreis  derjenigen  Heiden^  welche  sie  überhaupt  lasen^ 
gar  nicht  klein  genug  denken.  Es  wird  darüber  oft  falsch  ge- 
urteilt, weil  man  sich  ungern  entschliefst  zu  glauben,  dafs  Ur- 
kunden, die  für  uns  von  Wichtigkeit  sondergleichen  sind,  damals 
unbeachtet  geblieben  sein  könnten.  Aber  man  muJb  bedenken, 
dafs  in  den  ersten  Jahrhunderten  nur  wenige  Scharfblickende 
dem  Christentum  gröfsere  Bedeutung  beilegten  als  irgend  einer 
der  zahlreichen  orientalischen  Sekten,  deren  Schriftstücke  durch- 
zulesen sich  ein  gebildeter  Heide  gar  nicht  einfallen  lieCs.  Man 
überlege  sich  auch  die  Praxis  der  Apologeten:  entweder  citieren 
sie  überhaupt  nichts  aus  ihren  Urkunden,  wie  Minucius  Felix, 
oder  sie  legen  —  ganz  gegen  die  Gewohnheit  guter  Schriftsteller 
(s.  oben  S.  88  flf.)  —  seitenlange  Citate  ein,  wie  lustin  und 
Theophilos,  und  aus  beiderlei  Praxis  folgt,  dals  sie  bei  ihren 
heidnischen  Lesern  keine  Kenntnis  der  Urkunden  voraussetzen. 


1)  Bezeichnend  ist,  dafs  sie  sich  vor  allem  an  den  vielen  fSr  die  neuen 
Begriffe  notwendigerweise  neugepiAgten  Worten  stiefsen:  Hieronym.  comm. 
in  ep.  ad  Galatas  1.  I  zu  c.  1  v.  12  (Vn  1  p.  887  ValL):  verbum  quogue 
ipsum  iatwuxX^smg  id  est  revehxtionis  proprie  scripturamm  est  et  a  nidlo 
sapienHum  sfiectUi  apud  Graecos  usurpatum.  unde  mihi  videntur,  quem- 
admodum  in  (üiis  verbis  quae  de  Hebraeo  sepbuagvnta  interpretes  transiiderunt, 
ita  et  in  hoc  magnopere  esse  conati,  wt  proprietatem  peregrini  sermanis  ex- 
primerent  nova  novis  rebus  verba  fingentes  .  ,  .  8i  itcique  hi  qui  di- 
sertas  saectUi  legere  cansuevenmt,  coeperint  nobis  de  novitate  et  vilitate 
sertnonis  Hindere,  mittamus  eos  ad  Ciceronis  libros  qui  de  quaestionibus 
Philosophie  praenotanhir,  et  videcmt,  quanta  ibi  necessitate  compulsus  sit, 
tanta  verborum  portenta  proferre  quae  numquam  latini  hominis  auris  audivit: 
et  hoc  cum  de  Graeco  quae  lingua  vicina  est  transferret  in  nostram:  quid 
patiuntur  iUi  qui  de  hebraeis  difficuJtatibus  proprietates  exprimere  conantur? 
et  tarnen  multo  pauciora  sunt  in  tantis  voluminibus  scripturarum  quae  novi- 
totem  sonent,  quam  ea  quae  iUe  in  parvo  opere  congessit.  Das  läfst  sich  am 
besten  illustrieren  durch  die  oft  citierte  Stelle  des  Augustin  serm.  299,  6: 
Christus  Jesus,  id  est  Christus  Sdlvator.  hoc  est  enim  latine  lesus.  nee 
quaerant  grammatici,  quam  sit  latinum,  sed  Christiani  quam  verum.  saJus 
enim  latinum  nomen  est;  salvare  et  sdlvator  non  fuerunt  haec  latina,  ante- 
quam  veniret  scdvator:  quando  ad  Latinos  venit,  et  haec  latina  fecit, 

34* 


518  Von  Hadrian  bii  zum  Ende  der  EaiBeneii 

Ich  glaube  daher  nicht  za  irren,  wenn  ich  behaupte,  daXs  Heiden 
nur  dann  die  Evangelien  (und  die  Briefe)  gelesen  haben,*  wenn 
sie  sie,  wie  Celsns,  Hierokles,  Porphyrios  und  lolian,  widerlegen 
wollten.^).    Die  Argumente,   die  man  kürzlich  vorgebracht  hat^ 

1)  Th.  Zahn  1.  c.  (oben  S.  469, 2)  21,  1  hat  eine  Beihe  von  Stellen  an- 
gefahrt, durch  die  bewiesen  werden  soll,  dafs  Heiden  das  N.  T.  lasen.  Die 
Citate  beweisen,  wenn  man  sie  nachschlägt  (Zahn  hat  keins  vollständig 
ausgeschrieben),  entweder  nichts  oder  das  Gegenteil.  Zu  denen,  die  nich'"> 
beweisen,  gehören  1)  die,  wo  es  sich  um  das  A.  T.  handelt,  das  notorisch 
von  Heiden  gelesen  wurde  (wie  wir  längst  wuTsten),  2)  die,  wo  es  sich  um 
Heiden  nach  ihrer  Bekehrung  handelt,  8)  die,  wo  Christen  die  Heiden  zur 
Lßktflro  auffordom,  was  eben  meist  nur  fromme  Wünsche  blieben.  Das 
Uegcutoil  wird  bewiesen  durch  eine  Stelle  Tertullians,  die  Zahn  (auf  Grund 
einer  von  ihm  mifsverstandenen  Notiz  des  Lactanz)  als  'rednerische  Über- 
treibung* bezeichnet:  TertuU.  test.  an.  1:  tantwn  dbest,  tit  nostris  liUeria 
awnuant  hominea,  ad  quas  nemo  venit  nisi  iam  Christianus.  Soviel 
ich  sehe,  giebt  es  —  natürlich  abgesehen  von  den  im  Text  genannten 
Männern,  die  es  mit  ihrer  Widerlegung  ernst  nahmen  —  nur  zwei  Heiden, 
von  denen  überliefert  ist,  dafs  sie  das  N.  T.  gelesen  haben:  den  ersten 
kennt  Zahn  nicht,  den  zweiten  entnimmt  er  längst  bekannten  modernen 
Autoron.  Jener  war  der  Platoniker  Amelios,  von  dem  Euseb.  pr.  ev.  XI 
19,  1  ein  hochinteressantes  Fragment  überliefert,  in  dem  der  ßagpagog,  d.  h. 
Johannes  (ev.  1,  Ifif.),  citiert  wird;  da  übrigens  alle  Neuplatoniker  jener 
Zeit  mit  dem  Christentum  um  ihre  Existenz  kämpften,  so  ist  es 
durchaus  nichts  Besonderes,  bei  einem  Genossen  des  Porphyrios  Kenntnis 
christlicher  Schriften  zu  finden:  es  beweist  also  nichts  gegen  die  allgemeine 
von  mir  aufgestellte  Behauptung.  Der  zweite,  Ton  dem  wenigstens  wahr- 
Hchoinlich  ist,  dafs  er  etwas  von  den  Evangelien  gelesen  hat  (sicher  ist  es, 
wie  man  sehen  wird,  nicht),  ist  Galen.  Die  Theologen  (z.  B.  Hamack, 
Dogmengosch.  I '  224,  1)  citieren  dafür  eine  äufserst  interessante  Stelle,  die, 
weil  sie,  wie  es  scheint,  in  philologischen  Kreisen  wenig  oder  gar  nicht 
beachtet  wird,  hier  Platz  finden  mag.  Ihre  Quelle  ist,  wie  mir  Dr.  G.  Jacob 
in  Halle  {W>undlichst  mitgeteilt  hat,  das  Kämil  des  Ibn  al-Athtr,  der  i.  J. 
1282  starb;  aus  ihm  wird  die  Stelle  citiert  von  dem  kompilierenden  Histo- 
rikor  Abulfodä  (f  1331)  in  seiner  vorislamischen  Geschichte,  die  von 
H.  Floischer  mit  lat-oinischer  Übersetzung  Leipz.  1831  ediert  ist:  nach  dieser 
iHtoinioohen  Ol>entotzung  hat  derjenige,  der  die  Stelle  ausfindig  gemacht 
(nämlich  wohl  der  von  Hamack  1.  c.  genannte  J.  Gieseler,  Lehrb.  d.  K.- 
(^osch.  1  1*  [Bonn  1844)  167, 16\  oitiort:  Jacob  hat  die  Übersetzung  mit 
der  nuB  orhaltonon  Quelle  do8  AbulfedA  verglichen.  Im  K&mil  des  ge- 
imunicn  Araber«  hoifst  es  also:  frci/^ii  tempore  rvligio  Christtanorum  magna 
i'cim  incmumta  ce^Krat,  eonimq^te  mmtioticm  fccit  Galrnus  in  libro  de 
srfifrfitiiü  Politiar  Plnfonicuf,  bis  trrhi.^:  ^homifwm  fürrique  orationem 
dnnouatrotiiuim  ctnitinuam  iiini/r  assequi  nequcunt:  quare  imiigcfit,  ^t  m- 
tititutuitur  j^iniMis^        ;»<ir«?^>/«i»<  dicit  narrninHic^  de  pmemiis  et  poetiis  in 


Die  Litteratur  der  katholischen  Kirche:  die  Theorie.  519 

zum  BeweiS;  da&  Epiktet  die  L  Schrift  gelesen  habe,  halten  bei 
genauer  Prüfling  nicht  stand.  ^)     Der  den  Heiden  oft  gemachte 

vüa  futura  exipeetandis  — .   ^veluH  nostro  tempore  videmus,  homines  ühs  qui 
ChrisÜani  vocaniur,  fidem  suam  e  parabolis  petiisse,  hi  tarnen  interdwn  tdlia 
faeiunt,  qudlia  gut  vere  phüosophantwr,  nam  guod  mortem  contemnunt,  id 
quidem  omnea  ante  oculos  habemus;  item  quod  verecwndia  quadam  ducti  ab 
usu  rerum  venerearwn  ahhorrent.  stmt  enim  inter  eos  et  feminae  et  viri,  gut 
per  totam  vitam  a  concuhiiu  ahstintierint ;  sunt  ePiam,  qui  in  animis  regendis 
coercendisque  et  in  acerrimo  honestatis  studio  eo  progressi  sint^  ut  nihü  ce- 
dant  vere  phHosophantibus*   haec  Galenus.    In  diesen  Worten  ist  pardbola 
Obersetzung  des  arabischen  rame,  welches  nach  Jacob  bedeutet:  ,,Rät8elf 
Andeutung  und  Siegel  im  Sinne  der  Stenographen**;  die  Worte  poro^oZa« — 
exspectandis  hat  der  Araber  zugesetzt:  sie  sind  also  für  die  Meinung  Galens 
nicht  verbindlich,  man  denkt  an  die  evangelischen  Vergleiche,  von  denen 
sich  ja  einige  auf  das  beziehen,  was  der  Araber  verstanden  wissen  wiU. 
Was  die  Glaubwürdigkeit  des  Citats  anlangt   —   ich  habe  mich  gewöhnt, 
allem,  was  wir   aus   orientalischen  Quellen   für  das  Griechische  zulernen, 
vorerst  zu  mifstrauen  ~,  so  bemerkt  mir  darüber  Jacob,  dafs  eine  arabische 
Erfindung  ausgeschlossen  sei:  schon  aus  dem  Wortreichtum  könne  man  er- 
kennen,   dafs   es  ein  unarabisches  Produkt  sei.     Ich  wandte   mich  dann 
Galens   wegen  an   dessen  ersten  jetzigen  Kenner  Dr.  H.  Schöne  in  Berlin, 
der  mir  folgendes  zu  schreiben  die  Güte  hatte:   „Das  Galencitat  war  für 
mich  ein  Novum  .  .  .   Ich  sehe  keinen  Grund,  warum  man  an  derAuthen- 
ticität  desselben  zweifeln  sollte,  obwohl  eine  Schrift  'de  sententiis  Politiae 
Platonicae  '  weder  erhalten  noch  in  Galens  Schriftenverzeichnissen  (mgl  tfjg 
td^ttD£  t&p  IdUov  ßtßXUov  und  nsgl  t&v  Idlmv  ßißXloiv)  aufgeführt  ist.    Ich 
vermute  daher,  dafs  Galen  das  betreffende  Buch  in  seiner  letzten  Zeit,  als 
er  jene   Schriftenverzeichnisse  schon   publiziert  hatte,    verfaÜBt  hat/*    — 
Übrigens  hat  es  einen  anderen  Weg  gegeben,   auf  dem  die  Kenntnis  der 
Schrift  den  Heiden  vermittelt  wurde:  durch  Vorlesen;  wir  erkennen  das 
aus  einem  Traktat,   in  dem  dagegen  polemisiert  wird:   Pseudoclemens  de 
virginitate  II  6  (erste  Jahrzehnte  s.  m,   nur  in  syrischer  Übersetzung  des 
griechischen  Originals  erhalten,  cf.  Hamack  in:  Sitz.-Ber.  d.  Berl.  Ak.  1891, 
363  ff.):  „Wir  singen  den  Heiden  keine  Psalmen  vor  und  lesen  ihnen  die 
Schriften  nicht  vor,   damit  wir  nicht  den  Pfeifern  oder  Sängern  oder 
Weissagern  gleichen,  wie  Viele,  die  also  wandeln  und   dies  thun,   damit 
sie  sich  mit  einem  Brocken  Brodes  sättigen,  und  eines  Becher  Weins  wegen 
gehen    sie    und    'singen   das   Lied   des  Herrn    in  dem  fremden  Lande' 
der  Heiden  und  thun  was  nicht  erlaubt  ist.    Ihr,  meine  Brüder,  thut  nicht 
also;   wir  beschwören  euch,  Brüder,  dafs  solches  nicht  bei  euch  geschieht, 
vielmehr  wehrt  denen,  die  sich  so  schmählich  betragen  und  sich  wegwerfen 
wollen.  Wir  beschwören  euch,  dafs  dies  so  bei  euch  geschehe  wie  bei  uns.** 
1)  Auch  für  Lukian  hat  es  Th.  Zahn,   Ignatius  v.  Antiochien  (Gotha 
1873)  692  ff.  nachweisen  wollen,  aber  mit  ebenso  geringem  Erfolg  wie  bei 
Epiktet  (s.  oben  S.  469, 2).    Folgende  Gründe  widerlegen  ihn.   1)  Von  dem 


520  ^on  Hadrian  bis  znm  Ende  der  Kaiserzeit. 

Vorwurf,  sie  Temrteilten,  was  sie  überhaupt  nicht  kennten,  hatte 
also  eine  grolse  Berechtigung.^)   Wie  verhielten  sich  nun  diesen 


JBuQip  T9  in  vfjg  IlaXcaetlittig  r^  ixl  to6tm9  (wunderbare  Heilungen)  cotpimef 
(Philops.  16)  wild  durchaus  im  Pr&sens  gesprochen.  Zahn  sagt  fireilich 
(p.  592),  dafs  es  ein  ,,yölliges  Verkennen  der  Schreibweise  Lukians"  sei, 
wenn  man  dies  nicht  yon  Jesus  yerstehe.  Ich  behaupte  viehnehr  auf  Grand 
meiner  Kenntnis  LuMans,  den  ich  ganz  gelesen  habe,  dafs  er  sich  nirgends 
einer  so  peryersen  „Schreibweise"  bedient  hat.  2)  Nun  sollte  man  aber 
wenigstens  erwarten,  dafs  eben  dieser  £6qos  die  Heilung  yollzieht,  auf 
deren  Analogie  zu  ey.  Marc.  2, 11  f.  Matth.  9,  6  f.  Luc.  6,  24  f.  Zahn  sol- 
ches (Gewicht  legt.  Aber  das  ist  nicht  der  Fall,  sondern  sie  wird  einige 
Paragraphen  yorher  (§  11)  yon  einem  ganz  anderen,  n&mlich  einem  Baby- 
lonier,  erzählt  3)  Bei  dieser  Heilung  (die  übrigens  yiel  mehr  an  act. 
Thomae  30  ff.,  p.  216  ff.  Tischend,  erinnert)  heifst  es  freilich:  der  Kranke 
(ein  Winzer)  wbtbs  AgduBvog  xhv  axiiinoda,  iq>' ov  iiu%6fU6to,  ^^o  ig 
tbv  &YQbv  &in6>v^  wie  im  Eyangelium  (Marc.  1.  c.)  coX  Xiyo,  fyei^c  if^ov  xbw 
%Qdißatt6^  eovj  %al  vnayB  slg  xhv  ol%6v  aov.  %al  'fyfiQ^  *al  ii^g  ägag 
thv  %Qdßattov  i^t&8v:  aber  was  ist  denn  daran  sonderbar,  dafs  man 
seinen  Sessel,  auf  dem  man  krank  getragen  wird,  gesund  selbst  tiftgt? 
Auch  die  yon  Apollonius  y.  Tyana  erweckte  Tote  (Philostr.  y.  Ap.  IV  48) 
'geht  wieder  nach  Haus',  aber  da  sie  auf  einer  idlrri  gebracht  ist,  nimmt 
sie  diese  nicht  selbst  mit.  —  Auf  das,  was  C.  Fr.  Baiu:,  ApoUonius  y.  Tyana 
u.  Christus  (1832)  in:  Drei  Abh.  z.  (resch.  d.  alt.  Philos.  ed.  Zeller  (Leipz. 
1876)  137  Anm.  yorbringt,  ist  erst  recht  nichts  zu  geben. 

1)  Bekanntlich  ist  es  auch  den  litteransch  hochgebildeten  Christen 
schwer  genug  geworden,  sich  über  ein  ihnen  angeborene?  Vorurteil  hinweg- 
zusetzen. Wir  haben  die  Zeugnisse  des  Hieronymus  (ep.  22,  1 116  ValL) 
und  Augustin  (conf.  m  5  f.).  Darüber  hat  J.  Bemays,  Üb.  d.  Chron.  d. 
Sulp.  Sey.  >»  ges.  Abh.  11  148  f.  yortreffUch  gehandelt,  und  jeder,  der  die 
litterarischen  Verhältnisse  jener  Zeiten  kennt,  wird  ihm  recht  geben,  wenn 
er  sagt:  „Wenn  dies  den  ernsteren  Naturen  widerfuhr,  was  muTsten  nun 

erst  Menschen  wie  z.  B.  Ausonius  empfinden *  Er  und  die  aquitanischen 

'Professoren',  welche  er  besingt,  hätten  um  ihres  Glaubens  willen  wohl 
jede  andre  Not  und  Schmach  gelitten,  als  die  Not,  solche  Solöcismen  zu 
lesen,  und  die  Schmach,  solche  Barbarismen  in  die  Feder  oder  den  Mund 
nehmen  zu  müssen,  wie  sie  jeder  Vers  der  Itala  oder  der  Septuaginta  ent- 
hält." —  Mir  scheint  auch  recht  bezeichnend,  dafs  ChoriMos  das  N.  T. 
ignoriert,  während  er  das  alte  oft  citiert,  cf.  besonders  p.  179  ff.  Boiss. 
Überhaupt  kann  man  beobachten,  dafs  die  christlichen  Autoren  in  den  für 
ein  gelehrtes  Publikimi  bestimmten  Schriften  sparsam  mit  wörtlichen  Bibel- 
citaten  sind:  man  sehe  daraufhin  durch  z.  B.  die  Briefe  des  Paulinus  yon 
Nola  oder  SidoniuB.  Lucifer  von  Cagliari  zeigt  auch  darin  seinen  Mangel 
an  'Bildung',  dufs  er  überall  seitenlange  Stellen  der  Bibel  wörtlich  citiert, 
in  einem  Umfang,  wie  wohl  kein  anderer  Schriftsteller.  £ine  interessante 
"«tcrsuchung  dächte  ich  mir,   die  stilistischen  Änderungen  nachzuweisen, 


Die  Litteratur  der  katholischen  Kirche:  die  Theorie.  521 

Insiuaationen  gegenüber  die  Christen?  Sie  schlugen  zwei  Wege 
der  Verteidigung  ein:  entweder  gaben  sie  die  sprachlichen  und 
stilistischen  *  Fehler'  der  Schrift  zu^  erklärten  sie  aber  aus  der 
ganzen  Tendenz  der  Schrift;  oder  sie  suchten  zu  beweisen^  dafs 
die  Verfasser  der  einzelnen  Bücher  keineswegs  ungebildete  Leute 
gewesen  seien,  sondern  die  Mittel  kunstvoller  Diktion  gekannt 
und  angewandt  hätten.  Betrachten  wir  zunächst  den  ersteren 
Losungsversuch. 

1.   Man  hielt  den  Spöttern  das  entgegen^  was  die  Wahrheit  zagestäiK 
war:   die  neue  Religion  habe  die  Welt  gewinnen  wollen    ^«j^.«' 
und   sich    daher    einer    allen   yerständlichen    einfachen 
Sprache    bedienen    müssen.     Ich   lasse   dafür   einige   Zeug- 
nisse folgen. 

Am  schönsten  und  wärmsten  hat  Origenes  dieser  Em- 
pfindung Ausdruck  gegeben  in  seiner  Erwiderung  auf  den  Vor- 
wurf des  CelsuS;  die  Eyangelien  seien  in  der  Sprache  von  vavvav 
abgefaist.  Würden  —  erwidert  er  darauf  (I  62)  —  die  Schüler 
des  Herrn  sich  der  dialektischen  und  rhetorischen  Künste  der 
Hellenen  bedient  haben^  so  hätte  es  ausgesehen^  als  ob  Jesus  als 
Gründer  einer  neuen  Philosophenschule  aufgetreten  wäre:  nun 
aber  redeten  sie  yoU  heraus  aus  des  Herzens  Tiefe  ^  so  wie  es 
ihnen  der  Geist  eingab;  da  fragten  sich  die  Menschen  erstaunt: 
,,woher  haben  jene  wohl  diese  Überredungskraft;  denn  nicht  ist 
es  die  bei  allen  anderen  gebräuchliche'^^  und  so  glaubten  sie^ 
dais  es  ein  Höherer  war^  der  aus  ihnen  sprach:  wie  ja  auch 
Paulus  gesagt  hat:  „Mein  Wort  und  Verkünden  stand  nicht  auf 
ÜberredmigskuBst  der  Weisheit,  sondern  auf  dem  Erweise  Ton 
Geist  und  Kraft:  damit  euer  Glaube  nicht  stehe  auf  Menschen- 
Weisheit^  sondern  auf  Gottes-Eraft.^'  In  besonders  eigenartiger 
Weise  und,  wie  gewöhnlich^  stark  übertreibend  hat  Johannes 
Ghrysostomos  die  Frage  erörtert  hom.  in  ep.  I  ad  Cor.  3  c.  4 
(61;  27  Migne):  ;,Wemi  die  Hellenen  gegen  die  Schüler  des 
Herrn  die  Anschuldigung  der  Unwissenheit  erheben  ^  so  wollen 
wir  diese  Anschuldigung  noch  steigern.  Keiner  möge  sagen^ 
Paulus  sei  weise  gewesen,   sondern  indem  wir  vielmehr  die  bei 


die  Ton  christlichen  Schriftstellem  in  ihren  Citaten  des  N.  T.  vorgenommen 
sind.  Das  Material  zu  den  Evangelien  findet  sich  jetzt  bei  A.  Bescb. 
Aossercanonische  Eyangeliencitate  bei  ehr.  Schriftstellern,  Lpz.  1896  f. 


522  ^on  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

den  Hellenen  fQr  grob  geltenden  und  ob  ihrer  WoUberedsam- 
keit  bewunderten  Männer  erheben^  wollen  wir  behaupten,  daCs 
alle  zu  uns  Grehörigen  unwissend  waren.  Denn  so  werden  wir 
die  Gegner  gar  gewaltig  zu  Boden  werfen ,  und  glänzend  wird 
der  Siegespreis  sein.  Das  aber  sagte  ich,  weil  ich  einst  einen 
gar  lächerlichen  Disput  zwischen  einem  Christen  und  Heiden 
anhörte,  die  in  ihrem  wechselseitigen  Kampf  beide  ihre  eigene 
Sache  widerlegten.  Denn  was  der  Christ  hätte  sagen  müssen, 
das  sagte  der  Heide  und  was  naturgemäljs  Worte  des  Heiden 
gewesen  wären,  das  brachte  der  Christ  vor.  Die  Frage  drehte 
sich  nämlich  um  Paulus  und  Piaton,  wobei  der  Heide  zu  zeigen 
yersuchte,  daüs  Paulus  ungebildet  und  unwissend  war,  während 
der  Christ  in  seiner  Einfalt  den  Beweis  zu  bringen  sich  ab- 
mühte, daüs  Paulus  beredter  als  Piaton  war.  Wenn  diese  Be- 
hauptung zu  Recht  bestände,  so  wäre  der  Sieg  auf  Seiten  des 
Heiden:  denn  wäre  Paulus  beredter  als  Piaton,  so  würden  viele 
entgegnen,  Paulus  habe  weniger  durch  die  Gnade  als  durch  seine 
Wohlberedsamkeit  die  Übermacht  erhalten.  Also  wäre  das  Yon 
dem  Christen  Gesagte  für  den  Heiden  günstig,  das  von  dem 
Heiden  Gesagte  für  den  Christen.  Denn,  wie  gesagt,  war 
Paulus  ungebildet  und  überwand  trotzdem  den  Piaton,  dann  war 
der  Sieg  ein  glänzender:  denn  er,  der  Ungeschulte,  wuiste  alle 
Schüler  jenes  zu  überzeugen  und  auf  seine  Seite  zu  bringen, 
woraus  sich  ergab,  dafs  nicht  kraft  menschlicher  Weisheit  die 
Botschaft  siegte,  sondern  kraft  der  Gnade  Gottes.  Damit  es  uns 
nun  nicht  ergehe  wie  jenem  und  wir  in  solchen  Disputen  mit 
den  Heiden  ausgelacht  werden,  wollen  wir  gegen  die  Apostel 
aussagen,  sie  seien  ungebildet  gewesen:  denn  diese  anklagende 
Aussage  ist  ihr  Lobpreis.''  Theodoretos  (saecY)  hat  in  seinem 
Werk  in  dieser  Sache  öfters  das  Wort  genommen.  Gleich  in 
der  Vorrede  sagt  er  (83,  784  Migne):  nokXimg  {lov  x&v  xf^Q  'Ek- 
XtIvMfjg  ^vd'oXoyiag  i^rj^ri^dvav  ^wtervxrjxöteg  ti^vhg  ti^v  xs 
7tl6tiv  ixai[i^dri6av  xijv  f^ksviQav  ....  wd  xf^g  x&v  iaco6x6X<ov 
xatrjyÖQOtyi/  änatdevöiag^  ßagßdQOvg  inoxaXovvxeg  xb  yXa^gbv 
xilg  eieneiccg  oinc  i%ovxag.  Über  einzelnes  äuüsert  er  sich  im 
weiteren  Verlauf  seines  Werkes  folgendermalsen:  L  V  (ib.  946  f.) 
aixlTia  xolvvv  xal  xa^pdovöiv  Ag  ßdQßaga  tä  övö^ata  (nämlich 
Mccxd'atovy  Bagd-olo^atovy  'Idxmßovy  M(ov6ia  etc.)'  fiyi^Blg  81  ab- 
x&v  xijv  iiiTtkriliav  öXoqyvQÖiud'ay  Zxt>  dij  ÖQ&vxsg  ßaqßaQo^Avovg 


s 


Die  litterator  der  katholischen  Kirche:  die  Theorie.  523 

&v^Qdncovg  t^  ^EULfiPixilv  siyXfottiav  vevixiptötag  xal  rov^  xe- 
xofi^evfi^vovg  fit^ovg  xcnnsXS^g  i^BXriXaiUvovg  xal  toi>s  ikisvt^ 
%oi}g  6oloiXi6iU}'bg  toi>g  ^Attiwybg  xataXaXvwkag  ]^XXoyi6noi>g 
oix  i(iv&Qi&6iv  adi*  iyTialvmovtai^  &JiX  ividtfv  {fXBQiucxovöi  tijg 
xXdvfig  xxL  Sehr  ansführlich  motiviert  er  die  einfache  Sprache 
des  N.  T.  L  YIII  (ib.  1008  £):  es  seien  keine  X&yoi  xBxoyL^sv- 
lUvoi  xal  xatayXamuf^ivoty  sie  besäCsen  nichts  von  der  sog. 
svötoiiücy  nichts  Yon  Piatons  s^lamüx,  Demosthenes'  detv&crjg, 
Thukydides'  tiyxogy  noch  von  den  Spitzfindigkeiten  des  Aristoteles 
nnd  Ghrysipp;  es  sei  freilich  der  Gottheit  leicht  gewesen,  auch 
solche  xiiifvxag  tijg  ilfid-BÜicg  zu  schafifen,  aber  sie  habe  es  nicht 
gewollt^  damit  die  Welt  sie  verstehe.  —  Ebenso  äoTsert  sich  an 
einigen  Stellen  Isidor  von  Pelnsium  (saec.  Y)  in  seinen 
stilistisch  auf  der  Hohe  der  Zeitbildung  stehenden  Briefen: 
lY  67  (78,  1124  Migne):  8ib  xal  t^  d'eüxv  altv&vxav  ygatpifi/ 
[lij  t^  XBQvtt^  xal  7CBxaXkami,6iUvtp  xQonivriv  X6yq)j  &klä  rcSf  ra- 
lUiv^  xal  neip.  iXl*  fli^stg  fihv  avvotg  ivzsyxaX&iuv  tflg  qf^Xccv- 
xiag^  Sti  döJ^fjg  iQ^xd'ivxeg  z&v  &Xhov  fjxiöta  iq)Q&ini6ttVy  tilv  dh 
^zCav  fivx(og  yqaq^  iacaXXatt&iuv  x&v  iyxXrnidtav  XdyovtBgy  Srt 
oi  tflg  obceiag  iöl^i^g^  rffg  di  t&v  ixovöövtcav  öatfjQÜicg  iqiQÖvxv- 
6€v.  sl  dl  iirrjXHg  q>(fd66(Dg  iQpsVy  fiavd^avdxmöaVy  oxi  &n£tvov 
xoffä  ididnov  xiXrid'ig  rj  Ttafä  6oq>i.6xov  xb  i^evdog  luc^stv  6  (ikv 
ydcQ  axX&g  xal  6vvx6n(og  ^fga^et,  6  dl  noXXdxig  i6ag>£ia  xal  xo 
xfig  iXri^siag  hctxgvxxet  xdXXog  xal  xb  i^Bvdog  x^  xalXurcsia 
xoffiiiiöag  iv  %(fv6l8i  xb  driXtixiiQiov  ixi(fa6ev.  sl  81  fi  iMfi'eia 
xfi  xaXXuiiBÜf  6vvaip^BCri,  dvvaxai  [kkv  xohg  TtSTiaideviiivovg  d}g)€' 
Ulöaij  xotg  8*  SXXoig  Sstaöiv  &xQfi<fxog  i6xai  xal  iva}q>BXi/ig,  8i  8 
xal  fi  yQaqy^  xij^v  äXi/fisiav  XB%(p  Xöyp  iiQ^iivBVöBVy  Iva  xal  ^iQ- 
xai  xal  6oq)ol  xal  7tat8Bg  xal  yxrvatxBg  luid^ouv.  ix  fikv  y&Q  rov- 
xov  ot  nlv  6oq)ol  oi8lv  naQaßXdjcxovxaiy  ix  8*  ixBivov  xb  xXiov 
tijg  olxovfidv7ig  (Ugog  jtfoöBßXdßri.  6v  xivmv  oiv  ix^fjfif  fpQovxC- 
6ai^  [idXiöxa  iihv  x&v  nXBiAvoiv,  i7CBi,8äv  81  xal  ndvxmv  iq>q6vxi' 
öBVy  8Bixvvxai  XaiutQ&g  d^sia  oiöa  xal  oigdviog.  Und  dazu  das 
triumphierende  testimonium  ex  eventu  IV  28  (ib.  1080  £):  Xav^d- 
VQV6VV  ^EXXi/iv(ov  7tat8Bgj  8i  &v  XiyovöiVy  iavxohg  dvaxgijcovxBg. 
i^BvxBXiiiyvöt  yäg  xifv  %BCav  ygatp^v  Ag  ßaQßagöqxovov  xal  ivo- 
IMCXonoUaig  ^dvaig  6wtBxay(iivriVy  öwSiöiimv  81  dvayxaifov  iX- 
Xsütovöav  xal  nBQtxx&v  TtaQBvd'ijocg  xbv  vovv  x&v  XByo^dvatv  ix- 
xaQdtxovöav.    iXX*  iytb  xovxav  iiavd-avixaöav  xi^g  iXtjd'BÜig  * 


524  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

I6x6v,  n&g  y&Q  Insiöev  fi  iyQOi^xttoiievrf  xi[v  siyXantüxv;  elxa- 
t(D6av  ot  öotpoly  n&Q  ßa^ßagi^ovöa  xarajcgätog  xal  6okoixC%€v6a 
vevUrpiB  tijy  ittixC^ovCav  nXAvr[V'  n&g  IlXatfov  fiivj  t&v  il^a^ev 
q)tXo66q>(ov  6  xoQVtpatog,  oidsvbg  TCBQieyivsto  xvgdwovj  ccfkri  8h 
yHv  ts  xal  d-dkattav  hctjy dysto;  —  Nicht  anders  im  Westen: 
Lac  tanz  selbst^  Mer  christliche  Cicero'^  schreibt  darüber  diy, 
inst,  y  1:  haec  imprimis  catisa  est,  cur  apud  sapientes  et  doctos  et 
principes  huitis  saeculi  scriptura  sancta  fide  careatj  quod  prophetae 
communi  ac  sirnplici  sermone,  ut  ad  poptdum,  sunt  hcuti.  conr 
temnuntur  itaque  ab  üs^  qui  nihil  audire  vel  legere  nisi  expolitum 
ac  diserhim  vohmt,  nee  quicquam  inhaerere  animis  eorum  potest, 
nisi  quod  aures  hlandiori  sono  permtdcet.  tUa  vero,  quae  sardida 
videnlur,  anüia  inepta  vulgaria  existimantur.  adeo  nihü  verum  putant, 
nisi  quod  auditu  suave  est,  nihü  credibile,  nisi  quod  potest  incutere 
voluptatem.  nemo  veritate  rem  ponderat,  sed  omatu.  non  credtmt 
ergo  divinis,  quia  fuco  carent,  sed  ne  Ulis  quidem,  qui  ea  inter- 
pretantur,  quia  sunt  et  ipsi  aut  omnino  rüdes  aut  parum  doctij 
nam  ut  plane  sint  eloquentes,  perraro  cotitingiL  Derselbe  ib.  VI 
21,  3  ff.:  homines  litterati  cum  ad  dei  religionem  accesserint,  si  non 
fuerint  ab  aliquo  perito  doctore  fundati,  minus  credunt;  adsueti  enim 
duUibus  et  politis  sive  orationibus  sive  carminibus  divinarum  litte- 
rarum  simplicem  communetnque  sermonem  pro  sordido  a^aemantur, 
id  enim  quaerunt  quod  sensum  demukeat;  persuadet  autetn  quidquid 
suave  est  et  animo  penitus,  dum  delectat^  insidet.  num  igitur  deus 
et  mcntis  et  vocis  et  Unguae  artifex  diserte  loqui  non  potest?  immo 
vero  summa  Providentia  carere  fuco  voluit  ea  quae  divina  sunt,  ut 
omnes  inteUegerent  quae  ipse  omnibus  loquebatur.  —  Arnobins 
ady.  gentes  I  58  ff.,  eine  berühmte  Stelle^);  aus  der  ich  nur 
einiges  heraushebe:  ^ab  indoctis  Jiominibus  et  rudibus  scripta  sunt 
(eure  Religionsurkunden)  et  idcirco  non  sunt  facili  auditione  cre- 
denda.^  vide  ne  magis  haec  fortior  causa  sit,  cur  üla  sint  nuUis 
coinquinata  mendaciis,  mente  sirnplici  prodita  et  ignara  lenocinüs 
ampliare.  ^trivialis  et  sordidus  sermo  est,'  numquam  enim  veritas 
sectata  est  fucum  nee  quod  exphratum  et   certum   est   circumduei 

se  patitur   orationis  per  ambitum  longiorem ^barbarismis, 

soloecismis  dbsitae  sunt,  inquit,  res  vestrae  et  vitiorum  deformitate 


1)  Eine  ähnliche  Invektive  bat  Tatian  or.  adv.  Graec.  c.  26;   sie  war 
dem  Aruobius  wohl  bekannt. 


Die  litterator  der  katholischen  Kirche:  die  Theorie.  525 

poUtäae.'  puerüis  sane  atque  angusU  pectoris  reprehensio  .  .  .  .  qui 
minus  id  quod  dicitur  verum  est,  si  in  numero  peccetur  aut  casu 
praqposiU(me  participio  coniunctione?  pompa  ista  sermonis  et  oratio 
missa  per  regulas  contiontbus  litibus  foro  iudiciisgue  ser^ur  detur- 
que  Ulis  imtno^  qui  voluptatum  delenimenta  quaerentes  omne  stium 
Studium  verborum  in  lumina  contulerunt  (es  folgt  weiterhin  die 
sprachwissenscliaftlich  interessante  Stelle  über  den  Streit  zwischen 
Analogie  und  Anomalie:  aus  letzterer  leitet  er  die  Berechtigung 
der  Soloecismen  ab).  —  Hieronymus  ep.  63,  9:  ndlo  offendaris 
in  scripturis  sanctis  simpUcitate  et  quasi  vüitate  verborum^  quae  vel 
vitio  interpretum^)  vd  de  industria  sie  prolata  sunt,  ut  rusticam 
eontionem  facilius  instruerent  et  in  una  eademque  sententia  äliter 
doctus  aliter  audiret  indoetus.  —  Endlich  noch  ein  Zeugnis  aus 
dem  Mittelalter,  damit  man  sieht,  wie  lange  diese  Frage  die 
Gemüter  der  Menschen  beschäftigt  hat.  Ermenrich,  Mönch 
von  St.  Gallen,  in  seinem  Brief  an  den  Abt  Grimald  (f  872), 
ed.  E.  Dümmler,  Progr.  Halle  1873,  p.  12  (er  hat  aus  Matth. 
24,  43  perfodiri,  aus  Luc  7,  8  alio  als  Dativ  und  aus  Luc.  11,  7 
deinius  angeführt):  sed  cur  haec  prosequimur^  cum  multa  his  si- 
müia  in  divinis  libris  indita  repperiu/ntur,  quae  grammaticis  con- 
traria esse  videntur?  sed  non  ita  per  ofnnia  sentiendum  est,  quia 
quicquid  Spiritus  sanctus,  auctor  et  fons  totius  sapientiae,  per  os 
sanctorum  suorum  hquitur,  non  est  contra  artem,  immo  cum  arte, 
quia  ipse  est  ars  artium,  cui  omne  mutum  hquitur  et  insensibile 
sentit  .  .  .  quapropter  cum  honore  veneremur  ea  quae  per  sanctos 
ad  nos  perlata  sunt,  et  ne  procaci  contentione  sttuleamus  illud  cor- 

m 

rigere  quod  constat  esse  rectissimum.  hinc  enim  beatus  Gregorius 
ait:   ^stultum  est,  ut  si  velim  verba  cflestis  oractdi  concludere  sub 

reguiis  Donati' haec  itaque  idcirco  dixi,   ut  ne  quis  tam 

süperbe  audeat  loqui  contra  dicta  euuangdistarum  apostolorum  vd 
prophetarum,  sed  dicat  tacitf  cogitationi  suae  illud  apostoli  (1  Cor. 
4,  7)  ^quid  est  quod  hohes  quod  non  accepisti?  si  autem  accepisti, 
quid  gloriaris  quasi  non  acceperis?'  quia  si  auctorem  donorum 
amnium  cogitas,  non  hohes  in  dictis  eins  quod  reprehendas,  vitia 
tantum  scriptorum  cavenda  sunt  d  emendanda,^) 


1)  Dieses  merkwürdige  Argument  auch  in  der  Vorrede  seiner  Über- 
setzung des  Eusebios  (Vill  5  Vall.),  sowie  ep.  49,  4. 

2)  Sollten  wirklich  einige  perfodi  korrigiert  haben?    Das  scheint  mi 


526  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  EaiBerzeit. 

Yenmche,  2.   Seltener  schlug  man  den  anderen  Weg  ein,  sich  auf  eine 

cktjt^ov  ein  angeblich  künstlerische  Vollendung  der  h.  Schrift  zu  be- 
*'^J|J^j^""  rufen.  Wenn  Philo,  losephos,  Origenes,  Eusebios  und,  auf  sie 
sich  berufend,  vor  allem  Hieronymus  die  Behauptung  aufstellten, 
die  poetischen  Bücher  des  A.  T.  seien  nach  den  Gesetzen  antiker 
Metrik  verfaist^),  so  wird  mau  darin  wohl  das  instinktive  Be- 
streben erkennen  dürfen,  das  spezifisch  Orientalische  an  das 
Hellenische  anzugleichen.  —  Ambrosius  schreibt  in  einem  Briefe 
(ep.  8;  16,  912  Migne):  negant  plerique  nostras  secundum  artem 
scripsisse,  nee  nos  abnüimur,  non  enim  secundum  artem  scripserunt 
sed  secundum  gratiam  guae  si(per  omnem  artem  est:  scripserunt 
enim  guae  spirif*tö  iis  logui  dabat  sed  tarnen  ii  gut  de  arte 
scripseruntj  de  earum  scriptis  artem  invenerunt  et  condiderunt  com- 
menta  artis  et  magisteria:  diese  bei  einem  eifrigen  Philo-Leser 
nicht  befremdende  Ansicht  beweist  er  an  einigen  Stellen  der 
Bibel,  in  denen  sich  die  drei  Erfordernisse  der  tdxvti  fanden: 
atxiovy  CXri^  ijtotdXeöiia,  —  Vor  allem  aber  hat  mein  Interesse 
erregt  eine  grofs  angelegte  systematische  Schrift  Augustins,  in 
der  er  zu  beweisen  versucht,  dafs  in  beiden  Testamenten  die 
Figuren  der  Rede  in  weitestem  Umfang  zur  Anwendung  ge- 
kommen seien:  das  vierte  Buch  des  Werks  de  doctrina  Chri- 
stiana^  ist  diesem  Unternehmen  gewidmet;  die  Veranlassung 
und  Tendenz  spricht  er  §  14  aus:  male  doctis  hominibus  reqrni- 
dendum  fuit,  gui  nostros  auctores  contemnendos  putant,  non  guia 
non  lidbent  sed  guia  non  ostentant  guam  nimis  isti  diligunt  eloguen- 
tiam.  Ich  habe  schon  oben  (S.  503  ff.)  aus  diesem  Werk  einige 
Stellen  citiert,  in  denen  er  Perioden  des  Paulus  auf  Grund  dieser 
Anschauung  analysiert;  auch  das  A.  T.  zieht  er  dort  in  diesem 
Sinn  heran  (cf.  IV  16  ff.  die  rhetorische  Analyse  von  Amos  6, 1 


hervorzugehen  aus  folgenden  Worten  Notkers  (f  1022)  in:  P.  Piper,  Die 
Schriften  N/s  u.  seiner  Schule  I  676,  wo  er  unter  den  vitia  orationis  als 
corruptum  nennt  perfodiri,  ut  quid  am  legunt  in  evangeliis  pro  perfodi, 

1)  Cf.  Hieron.  praef.  in  chron.  Euseb.  VHI  3  flf.  Vall. ;  praef.  in  lob  IX 
1099;  ep.  63,  8  =»  I  276.  Nachwirkungen  im  Mittelalter:  cf.  U.  Chevalier, 
Poc^sio  liturgique  du  moyen  fige  in:  L'universitd  catholique  X  (1892)  164  f. 

2)  Richtig  gewürdigt  ist  dies  glänzende  Werk  Augustins  unter  allen, 
die  sich  darüber  geäufsert  haben,  nur  von  Fr.  Overbeck,  Zur  Gesch.  d. 
Kanons  (Chemnitz  1880)  46,  1;  er  übersetzt  den  Titel  richtig  „über  die 
christliche  Wissenschaft". 


Die  litterator  der  katholischen  Kirche:  die  Theorie.  527 

bis  6).  Aber  auf  noch  viel  breiterer  Grundlage  hat  er  dies 
höchst  eigenartige  Unternehmen  in  einem  uns  verlorenen  Werk 
aufgebaut.  Da  die  Kunde  von  der  Existenz  dieses  Werks  gänzlich 
yerloren  zu  sein  scheint^  so  teile  ich  hier  mit^  was  ich  darüber 
weifs:  man  wird  aus  den  mitgeteilten  Zeugnissen  ersehen^  dafs 
Cassiodor  der  letzte  war^  der  es  noch  gelesen  und  benutzt  hat^ 
während  die  Späteren  es  nur  aus  ihm  kennen.^)  Cassiodorius 
de  inst.  diy.  litt.  c.  11  (70^  1111  Migne):  scripsit  (Augustinus) 
de  modis  locutionum  Septem  miräbües  libros,  übt  et  Schemata  sae- 
cularium  litterarum  et  muUas  cdias  loaUiones  divinae  scripturae 
proprias,  id  est  guas  communis  usus  non  haberet,  espressit,  con- 
siderans,  ne  compositionum  novitate  reperta  legentis  animus  non- 
nullis  offensicnibus  angeretur,  simulque  ut  et  iOud  ostenderet  magister 
egregiuSf  generäles  locutiones,  hoc  est  Schemata  grammaticorum 
atque  rhetorum,  exinde  fuisse  progressa  et  aliquid  tamen  Ulis  pe- 
culiariter  esse  derdidum^  guod  adhuc  nemo  doctorum  saecularium 
praevaluit  imitari.  Cf.  auch  c.  15  (1127  A).  Derselbe  setzt  in 
der  Vorrede  seines  Kommentars  zum  Psalter  (c.  15;  ib.  19  ff. 
Migne)  auseinander,  er  wolle  in  diesem  Kommentar  eloquentiam 
totius  legis  divinae  einschlieüsen:  nam  et  pater  Augustinus  in 
libro  III  de  doärina  Christiana  ita  professus  est:  ^  Sciant  autem 
lüteraH  modis  omnium  locutionum,  quos  grammatici  graeci  nomine 
fropos  vocant,  auctores  nostros  usos  fuisse\  et  paulo  post  sequitur: 
*  Quos  tamen  tropos,  id  est  modos  locutionum,  qui  noverunt  agnoscunt 
in  litteris  sanctis  eorumque  scientia  ad  eas  intelligendas  aliqtuintulum 
adiuvantur,^  ctiius  rei  et  in  äliis  codidbus  suis  fedt  emdentissimam 
mentionem.  in  libris  quippe  quos  appdlavit  de  modis  locutionum 
diversa  Schemata  saecularium  litterarum  inveniri  probavit  in  litteris 
sacHs;  cdios  autem  proprios  modos  in  divinis  doquiis  esse  declaravit, 
quos  grammoHci  sive  rhetores  nuUatenus  aüigerunt  dixerunt  hoc 
apud  nos  et  alii  doctissimi  patres,  id  est  Hieronymus  Ämbrosius 
Hüarius  (wo?),  ut  nequaquam  praesumptores  huius  rei  sed  pedisequi 
esse  videamur.^    Von   Baeda   besitzen   wir  eine  kleine  Schrift 


1)  Dafa  man,  wie  aus  dieser  Thatsache  hervorgeht,  dies  Werk  im  VI. 
und  Vn.  Jh.  nicht  abgeschrieben  hat,  ist  bezeichnend  für  die  Abneigung 
jener  Zeiten  gegen  die  Verweltlichung  der  Kirche. 

2)  So  bemerkt  er  zu  ps.  1, 1  {'heatus  vir  qui  non  ahiit  in  consüio  im* 
piarum  et  in  via  peccatorum  non  stetit  et  in  cathedra  pestilentiae  non  sedit' 
p.  29:   nota  quam  pülchre  singüla  verba  rebus  singulis  dedi  ,  id  est  ^äbii 


528  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeii 

De  schematis  et  tropis  sacrae  scripturae  (90^  176  ff.  Migne),  die 
aber  ohne  Kenntnis  Augustins  nach  sekundären  Quellen  (be- 
sonders Cassiodor)  gearbeitet  ist.  Karl  der  Grofse  in  seiner 
Encyclica  de  litteris  colendis  (787;  gerichtet  an  den  Fuldenser 
Abt  Baugulf)  Mon.  Germ.  Leg.  sect.  II  tom.  I  p.  79:  quam  ob 
rem  hortamur  vos,  Utterarum  studia  non  solum  non  negligere,  verum 
etiam  humiUma  et  deo  placita  mtenUone  ad  hoc  certatim  discere,  ut 
facilius  ei  redius  divinarum  scripturarum  mysteria  valecUis  penetraire. 
cum  enim  in  sacris  paginis  scemata,  tropi  et  cetera  his  simüia 
inserta  inveniantur,  nuUi  dubium  quod  ea  unusguisque  legens  tanto 
citius  spiritualiter  inteUegit,  qiuznto  prius  in  litterature  magisterio 
plenim  inshvdus  fuerit  Notker  Balbulus  von  St.  Gallen 
(saec.  IX)  de  interpretibus  divinarum  c.  2  (ISl^  995  Migne):  in 
cuius  (psalterii)  expianationem  Cassiodorus  Senator  cum  muUa  dis- 
seruerit,  in  hoc  tanhim  videtur  nöbis  utüis,  quod  omnem  saecuJarem 
sapientiam,  id  est  scematum  et  troporum  dulcissimam  varietatem 
in  eo  totere  manifestat^) 

Was  wir  über  diesen  Versuch  Augustins  zu  urteilen  haben, 
liegt  auf  der  Hand:  er  hat  (aufser  bei  Paulus)  keine  innere  Be- 
rechtigung;  sondern  ist  dem  Bedür&is  entsprungen^  den  heiligen 
Urkunden  auch  das  zu  geben ,  was  er  selbst  und  mit  ihm  alle 
Gebildeten  so  gern  in  ihnen  finden  wollten:  Vollendung  auch  ia 
der  äufseren  Form.*) 


^stetü^  et  ^aediV ;  quae  figura  dicitur  hypozeuxis,  quando  diversa  verba 
singulis  apta  clausulis  apponuntwr\  zu  97,  5  {'iubilate  deo^  omnis  terra;  com- 
täte  et  exsuUate  etpsallüe')  p.  690:  quae  figura  dicitwr  hamoptoton  (sie),  quda 
in  aimües  sonos  exierunt  verba. 

1)  Wörtlich  so  (nur  nöbis  videtwr)  bei  E.  Dümmler,  Das  Formelbucli 
des  Bischofs  Salomo  IQ  y.  Eonstanz  (Leipz.  1857)  66  f. 

2)  Die  dargelegte  Kontroverse  hat  sich  bis  in  das  vorige  Jahrhundert 
fortgesetzt;  über  die  Vertreter  der  einen  Partei  s.  oben  S.  492,  2,  über  die 
der  anderen  z.  B.  Fr.  Delitzsch^  Über  die  palästinische  Volkssprache,  welche 
Jesus  und  seine  Jünger  geredet  haben,  in:  Daheim  1874,  430:  „Joachim 
Jungius  erregte  in  Hamburg  seit  1630  einen  nicht  zu  beschwichtigenden 
Sturm,  als  er  behauptet  hatte,  das  N.  T.  sei  so  wenig  in  reinem  Griechisch 
geschrieben  als  Christus  reines  Hebräisch  geredet.  Ein  Jahrhundert  später 
durfte  Bengel  das  Paradozon  münzen :  dei  dialectus  soloecismus,  welches  sich 
aneignend  Hamann  vom  Stil  des  N.  T.  sagt:  ^Das  äufserliche  Ansehen  des 
Buchstabens  ist  dem  unberittenen  Füllen  einer  lastbaren  Eselin  ähnlicher 
als  Jonen  stolzen  Hengsten,  die  dem  Phaethon  den  Hals  brachen'". 


Die  LiHeratar  der  katholischen  Kirche:  die  Theorie.  529 


2.  Theorieen  über  den  Stil  der  christlichen  Litteratur. 

Welche  Konsequenzen  haben  nun  aus  diesen  Verhältnissen  widerttreit 
die  christlichen  Autoren  für  die  Gestaltung  ihres  eigenen  The^riT 
Stils  gezogen?  Um  es  kurz  zu  sagen:  in  der  Theorie  haben  p^^ 
sie  von  den  ältesten  Zeiten  bis  tief  in  das  Mittelalter  hinein  fast 
ausnahmslos  den  Standpunkt  vertreten^  dais  man  ganz  schlicht 
schreiben  müsse ;  in  der  Praxis  haben  sie  das  gerade  Gegenteil 
befolgt.  Nach  den  obigen  Ausführungen  kann  dieser  Zwiespalt 
nicht  auffallen:  der  Religionsstifter  hatte  die  Weisheit  dieser 
Welt  von  sich  gewiesen  ^  er  hatte  zu  Fischern  gesprochen  ^  er 
hatte  an  erster  Stelle  selig  gepriesen  die  im  Geist  Armen,  seine 
Jünger  hatten  in  schlichter  Sprache  das  Mysterium  verkündet 
Danach  sollte  man  also  auch  handeln,  aber  man  konnte  es 
nicht:  denn  war  der  Ursprung  der  neuen  Religion  das  auüserhalb 
der  hellenistischen  Kultur  stehende  Palästina  gewesen,  so  war 
jetzt  ihr  Schauplatz  die  hochcivilisierte  Welt  geworden:  die 
einstige  Trösterin  der  Armen  und  Unterdrückten  wollte  jetzt  den 
Hochgebildeten  alles  ersetzen,  was  ihnen  bisher  heilig  und  lieb  ge- 
wesen war.  Da  jeder  in  der  patristischen  Litteratur  nur  einiger- 
mafsen  Bewanderte  weiüsi,  wie  sehr  die  Menschen  in  der  Theorie 
die  Notwendigkeit  eines  schlichten  Stils  anerkannt  haben,  so  will 
ich  aus  der  endlosen  Masse  der  Zeugnisse  nur  solche  anführen, 
die  entweder  durch  ihre  Vertreter  oder  ihren  Inhalt  einiges 
weitere  Interesse  haben  dürften.  Ich  wähle  sie  aus  den  einzelnen 
Jahrhunderten  aus. 


a)  Forderung  eines  einfachen  Stils. 

Basilius  ep.  339  (32,  1084  Migne)  an  Libanios:  fjiistg  ^iv^  Theorie  for 
i  d'ovfidois,  Mm6sl  xal  'HXia  Kai  xotq  (^x(o  lucxagioig  AvSgdtft    ^  ^'  "° 
öiivBö^sVy  ix  tilg  ßaQßccQov  q)(ovfls  diakeyoiiivoig  fi^tv  rä  iavr&Vj 
xal  tä  TtaQ*  ixdvfov  ip&syyö^ed'a,  vovv  (liv  ciAi^-ö"^,  Xi^iv  dl  «fi«- 
•O-q.    el  ydg  ti  xal  ^nsv  naq   v(i&v  didax^dvrsg,  iicb  xov  %q6vov 
insXa^öiu^a.^) 


1)  Er  meint  das  natürlich  ganz  scherzhaft  (wie  ja  auch  die  pikante 
Verwendung  des  axiJitM  gerade  in  den  Worten  vovv  filv  &Xri^,  U^tv  dh 
<ifia^  zeigt),  und  so  fafst  es  auch  Libanios  in  seiner  Antwort  auf. 


530  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

Hieronymus  hat  oft  in  dieser  Sache  das  Wort  genommen, 
z.  B.  ep.  21;  42  (an  Damasus):  er  solle  ihm  den  Stil  yerzeihen, 
cum  in  ecdesiasticis  rebus  non  quaeranhir  verba  sed  sensus,  id  est 
panibns  sit  vita  sustentanda  non  siliquis.  Derselbe  ep.  49,  4 
quae  (seine  ifTCoiiviinata  zu  den  Propheten)  si  legere  volueriSf  pra- 
häbiSy  guantae  difficultatis  sit  divinam  scripturam  et  maxime  pro- 

pl^etas  inteUigere porro  doguentiam  quam  pro  Christo  in 

Cicerone  contemnis,  in  parvulis  ne  requiras.  ecclesiastica  interpretatio 
eUam  si  habet  eioquii  venustatem,  dissimülare  eam  debet  et  fugere^ 
ut  non  otiosis  phüosophorum  scholis  paucisque  discipuüs,  sed  uni- 
verso  loquatur  hominum  generi. 

Augustinus  in  psalm.  36  v.  26  Qtota  die  miseretur  et  fene- 
ratur':  S6,  386  Migne):  ^feneratur'  quidem  latine  dicitur  et  qui 
dat  mutuum  et  qui  accipit:  planius  hoc  autem  dicitur,  si  dicamus 
^fener(xt\  quid  ad  nos,  quid  grammatici  vdvnt?  melius  in  batior 
rismo  nostro  vos  intdligitis,  quam  in  nostra  disertitudine  vos  de- 
serti  eritis.  Derselbe  in  psalm.  123,  8  (37,  1644):  primo  quid 
est  ^forsitan  pertransiit  anima  nostra?'  quomodo  potuerunt  enim, 
Labini  expresserunt  quod  Graeci  dicunt  &(fa,  sie  enim  graeca  habent 
exemplaria  ßga:  quia  dubitantis  verbum  est,  expressum  est  quidem 
dubitationis  verbo  quod  est  ^fortasse%  sed  non  omnino  hoc  est.  pos- 
sumus  ülud  verbo  dicere  minus  quidem  latine  coniuncto,  sed  apto 
ad  intetligentias  vestras.  quod  Punici  dicunt  ^iar%  hoc  Qraeci  &Qa: 
1u>c  Latini  possunt  vd  sölent  dicere  ^putas\  cum  ita  loquuntur: 
^putaSf  evasi  hoc?*  si  ergo  dicatur  ^forsitan  evasi\  videtis  quia 
non  hoc  sonat;  sed  quod  dixi  ^putas'j  usitate  dicitur,  latine  non  ita 
dicitur.  et  potui  illud  dicere,  cum  tracto  vöbis :  saepe  enim  et  verba 
non  UUina  dico,  ut  vos  intdligatis.  in  scriptura  autem  non  potuit 
hoc  poni,  quod  latinum  non  essd,  et  deficiente  latinitate  positum  est 
pro  CO  quod  non  hoc  sonaret. 

Sulpicius  Severus  vita  S.  Martini  praef.  (ep.  ad  Desi- 
derium)  p.  109  f.  Halm :  bona  venia  id  a  lectoribus  postuUbis,  vi 
res  potius  quam  verba  perpendant  d  aequo  animo  ferant  si  aures 
eorum  vitiosus  forsitan  sermo  perculerit,  quia  regnum  dei  non  in 
doquentia  sed  in  fide  constat.  meminerint  etiam  salutem  saeculo 
non  ab  oratoribus,  sed  a  piscatoribus  praedicatum.  ego  enim  cum 
primum  animum  ad  scribendum  appuli^),  quia  nefas  putarem  tanti 


1)  „Also    den  Teronz   nachzuahmen   kann   er  selbst  in   der  Fischer- 


Die  Litteratur  der  katholischen  Kirche:  die  Theorie.  531 

viri  lakre   virtutes^  apud  me  ipse  dectdif  ut  soloedsmis  non  eru- 
hescerem. 

Synesios  homil.  fr.  1  p.  296  B  Pet.  (66,  1661  Migne):  oi- 

fUMQoloyücv  6v'yyQaq)iKifjiv. 

Gregor  d.  Gr.  (saec  VI/ VII)  moral.  praefat.  i.  f.  (75,  516 
Migne):  ipsam  loquendi  artem  quam  magisteria  disdpUnae  ex- 
terioris  insinuant  servare  despexu  nam  . .  non  mytacismi  coUisianem 
fugiOf  non  barharismi  confusionem  devUo,  Hiatus  motusque  etiam  et 
praqaositionum  casus  servare  contemno,  quia  indignum  vehementer 
existimo,  ut  verba  cadestis  oraculi  restringam  sub  regtdis  Donati.^) 

Vita  S.Viyentii  auctore  anonymo  in  AA.  SS.  BoU.  13  lan. 
I  p.  813  Yon  dem  Bischof  Agilmar  y.  Glermont  (saec.  IX):  qui 
venerahilis  pontifex  saepius  relegens  conversionem  ac  actus  8.  Vi- 
veniii  simplices  ac  paene  incultos  atque  inerti  sermone  descriptos 
deosctdansque  dicebat:  0  beata  ac  henedicta  priorum  rusHdtas,  quae 
plus  studuit  optima  qperari  quam  loqui,  et  magis  novit  sancta  ho- 
nestaque  esse  quam  dicere. 

GuDzo  epistola  (geschrieben  960)  in:  Martine  et  Durand, 
Ampla  coUectio  I  (Paris  1724)  298  quis  tarn  excerd)ratus ,  ut 
putet  verha  sacri  doquii  stringi  regulis  Donati  aut  Prisciani? 

Albericns  Cardinalis  (monachns  Casinensis  f  1088)')  vita 
S.  Dominici  in  AA.  SS.  Boll.  22  lan.  II  p.  442  sq.:  veneräbüis 


spräche  sich  nicht  versagen"  Bemays,  ges.  Abh.  U  160,  58.  —  Dafs  man 
solche  Versicherungen  übrigens  nicht  ernst  zu  nehmen  hat,  zeigt  er  selbst 
dial.  I  27:  ein  aus  dem  eigentlichen  Gallien  stammender  Schüler  des  Mar- 
tinus  bittet  um  Entschuldigung,  wenn  er  ganz  ohne  rhetorische  Mittel  reden 
werde,  worauf  der  Aquitanier  erwidert:  cum  sie  scholasticus,  hoc  ipsum  quctsi 
scholasticus  artificiose  facis,  ut  excuses  imperitiam,  quia  exüberas  eloquentia. 
sed  negue  monachum  tarn  astutum  neque  Gallum  decet  esse  tarn  caUidum. 

1)  Über  diesen  berühmten  (von  den  Späteren  ofb  citierten)  Ausspruch 
bemerken  die  Mauriner  in  ihrer  Ausgabe  (1706)  vol.  I  p.  Xu,  er  beruhe 
auf  derselben  Bescheidenheit  wie  der  ähnliche  des  Sulpicius  Seyerus,  der 
doch  der  Sallustius  Christianus  sei ;  wenn  er  fnetiri  venerari  persequi  imi- 
tari  passiyisch  brauche,  so  sei  das  in  der  Entwicklung  der  Sprache  be- 
gründet gewesen.  Ebenso  bezeichnet  Montalembert,  Les  moines  d'occident 
II  (Paris  1860)  152  die  Worte  als  eine  exagg^ation  d'humiliU.  Cf.  auch 
K.  Situ  in:  Arch.  f.  lat.  Lexicogr.  VI  (1889)  660  f. 

2)  Cf.  Petrus  Diaconus,  Chron.  mon.  Casinensis  HI  85  (Mon.  Germ., 
Script.  Vn  728):  Älbericus  diaconus  vir  disertissimus  ac  eruditissimus  .  .  . 
Cothposuit  .  .  .  lihrum  dictaminutn  et  salutationum. 

Norden,  antike  Knnstprosa.  II.  35 


532  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

patris  Dominici  ortum  vitam  öbHumque  .  .  .  Icicinioso  impolitoque 

nimis  quidam  sermone  descripserat Stylum  in  hoc  qpere 

fiffurae  sum  mediocris  prosecutus,  qui  et  peritiorum  auribus  harrori 
esse  non  debeat  et  minus  eruditorum  intelligentia  percipi  non  refugiat 
Petrus  Damiani  (f  1072),  ep.  1:  ad  vos,  venerabiles  patres, 
ista  conscnbo  et  impolüo  sHlo  quasi  rauds  vocibus  perstrepo;  aber 
sofort  folgt  eine  meisterhaft  geschriebene  Invektive  gegen  die 
verderbten  Sitten  der  Zeit:  eine  lange  Reihe  rhetorischer  Fragen, 
die  das  Studium  Ciceros  deutlich  verraten;  dann  aber  ruft  er 
sich  zurück:  sed  ne  tamquam  cotumati  tragoediam  videamur  at- 
tollere,  stifficiat  nobis  apostolica  dumtaxat  siiper  his  verba  referre 
etc.  Derselbe  opusc.  VI  c.  38:  non  hie,  qtmeso,  ductibratae 
didionis  phalerata  discutiatur  urbanitas,  non  accuratae  dicacitatis 
acrimonia  requiratur,  sed  rtidis  simplicitas  et  sermo  pauperctiluSf 
qui  vix  queat  explicare  quod  sensit,  proposui  enim  serias  qmsdam 
ac  necessarias  res  fratrum  meorum  cordOms  magis  tUüiter  quam 
luculenter  exponere  nee  verborum  inanium  lenociniis  aurium  tue' 
cebris  deservire,  non  enim  ignoratis,  qiiia  vivacitatem  sententiarum 
sermo  ex  industria  cuUus  evacuat  et  didorum  vim  splendore  labora- 
tus  enervcU.  Uli  sane  grandiloquis  et  trutinatis  verbis  inserviant,  qui 
favorabiles  piatmis  hominum  aucupari  delenificae  locutionis  amoena 
quadam  venustate  desudant;  nos  autem,  qui  nudis  pedibus  ire  prae- 
cipimur,  cotumati  scribere  non  debemus,  et  qnibus  censura  tacitumi- 
tatis  indicittir,  luocuriantis  eloquentiae  laciniosa  proliadtas  congruere 
non  videtur.  Ahnliche  Aufserungen  von  ihm  bei  A.  Dresdner, 
Kultur-  u.  Sittengesch.  d.  ital.  Geistlichk.  im  10.  u.  11.  Jh. 
(Breslau  1890)  p.  192.*) 


1)  Cf.  aufserdem  etwa  noch  Sozomenos  h.  eccl.  I  11,  wo  er  erzählt, 
jemand  habe  einen  chriBtIichen  Redner  wegen  des  Gebrauchs  von  exlftnavg 
statt  des  von  den  Atticisten  (cf.  Phrynich.  ecl.  p.  G2  Lob.)  gerügten  x^aß- 
ßatog  getadelt  mit  den  Worten:  oi  av  ys  &iisiv(ov  toü  ngdßßaTov  dgrix^og. 
Belehrend  ist  der  Vergleich  von  Lukian  Philops.  IG  icgdiisvog  rbv  cxLii- 
7t o See,  i(p'  ov  insyiSfiLato ,  ^Z^o  h  "^ov  &yQbv  &ni6nv  mit  ey.  Marc.  2,  18 
&Qas  rbv  tigaßparov  i^fjXd'sv  f^itngoad'sv  itdvttov  (Matth.  9,  6  sagt  nXLvriv, 
Luc.  6,  24  nXiviSiov).  Palladios  (s.  IV)  ep.  ad  Lausum  (34,  1001  f. 
Migne):  bei  ihm  beruht  es  wenigstens  auf  Wahrheit.  Gregor ius  Nys- 
senus  (s.  IV)  lehnt  die  typische  Einteilung  der  Lobreden  ab:  de  vita 
Greg.  Thaumat.  (40,  896  Migne).  Proklos  episc.  CP.  (s.  V)  sermo  de 
circumcisione  doniini  II  c.  1  (05,  837  Migne)  über  sMXsia  der  christlichen 
Rede  im  Gegensatz  zur  hellenischen.    Ky  rill  ob  t.  Alexandria  (s.V)  schiokt 


Die  Litteratnr  der  katholischen  Kirche:  die  Theorie.  533 

b)  Forderung  eines  erhabenen  Stils. 

Dafs  ein  gater  Stil  im  Dienst  der  Kirche  lobenswert  sei,  Theorfo  rai 
finden  wir  bei  der  instinktiven  Scheu,  die  ein  der  katholischen  ainvdnu. 
Kirche  Angehöriger  im  Gegensatz  zu  den  meisten  Häretikern 
Yor  dem  offenen  Zugeständnis  heidnischen  Einflusses  auf  irgend- 
welche christliche  LebensäuTserung  hatte,  sehr  selten  aus- 
gesprochen. Es  ist  bezeichnend,  dafs  gerade  ein  Grallier  un- 
umwunden sich  dahin  geäuTsert  hat,  eine  so  hohe  Religion  dürfe 
nur  in  würdiger  Sprache  verkündet  werden:  Hilarius  v.  Poitiers 
de  trin.  I  38  und  in  psalm.  13, 1;  da(s  ebenfalls  ein  Gallier^ 
A  vi  tu  8  V.  Vienne,  schreibt  (ep.  53  p.  82  Peiper),  es  sei  selbst- 
Terstandlich,  dafs  sich  aller  Pomp  der  heidnischen  Beredsamkeit, 
nachdem  er  sich  so  lange  mit  nichtigen  Stoffen  abgegeben  habe, 
jetzt^  wo  es  gelte,  die  Wahrheit  zu  befestigen,  ganz  in  den 
Dienst  dieser  grofsen  und  besseren  Aufgabe  gestellt  habe;  dafs 
drittens  wiederum  ein  Gallier,  Paulinus  aus  Bordeaux  (Bischof 
von  Nola),  einem  Freunde  rät,  die  Litteratur  der  Heiden  liegen 
zu  lassen  und  sich  zu  begnügen,  ah  Ulis  linguae  copiam  et  oris 
omatum  quasi  guaedam  de  hostilibus  armis  spolia  cepisse,  ut  eomm 
nudtis  erroribus  et  vesUtus  ehquiis  fucum  illum  faamdiae,  quo  dc- 
cipU  vana  sapientia,  plenis  rebus  accommodes  (ep.  16, 11  p.  124 
Hartel).^)  Augustin,  der  sich,  wie  wir  sahen,  in  seinen  für 
das  weitere  Publikum  bestimmten  Werken  meist  geringschätzig 
über  diejenigen  äufsert,  welche  auf  die  Sorgfalt  der  Darstellung 
Gewicht  legen,  hat  doch  den  entgegengesetzten  Standpunkt  mit 
Energie  vertreten  in  dem  sich  an  den  Kreis  nur  der  Hoch- 
gebildeten wendenden  bewunderungswürdigen  Werk  de  dodrina 
Christiana  j  aus  dem  schon  oben  (S.  526)  einiges  angeführt 
worden  ist.  Die  Tendenz  des  die  Kunst  der  Bede  betreffenden 
Abschnitts  hat  er  selbst  in  folgenden  Worten  ausgesprochen: 
rV  2,  3:  cum  per  artem  rhetoricam  et  vera  suadeantur  et  falsa, 
quis  audeat  äicere  adversus  mendacium  in  defensoribus  suis  inertneni 

mehreren  seiner  dtidlai  koQtaatiiiai  eine  ngo^stogia  yoraus,   in  der  er  die 
Zuhörer  bittet,  bei  ihm  keine  sityloatt^  zu  erwarten  (vol.  77  Migne). 

1)  Cf.  Sidonius  ep.  IX  3,  5  (an  Faustus,  Bischof  y.  Riez):  praedicationes 
tuas,  nunc  repentinus  nunc,  ratio  cum  popascisset,  elucubraUM  raucus  plosor 
audivi,  tunc  praecipue^  cum  in  Lugdwiensis  ecclesiae  dedicatae  festis  hehdo- 
madilms  coUegarum  sacromnctorum  rogatu  exorareris,  ut  perorares. 

35  ♦ 


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5^M  Von  Iladrian  bis  zum  Ende  der  Eaiaeneit. 

dfbiTe  coHsiskre  veriiatem,  tU  videlicet  Uli  qui  res  falsas  persuadere 
Cf)9Mntur  noverifit  auditorefn  vel  lenevolum  vd  intentum  vd  docüem 
f^Hurmio  facerc:  isH  atttan  non  naverint?  Uli  falsa  breviter  aperte 
ir$'i^militer  et  isti  vera  sie  narrent,  iä  audire  taedeai,  nUeUigere 
mm  fHiteaty  credere  postremo  non  libeat?  Uli  fdUadbus  argumentis 
txfitaie^H  t>i>pufftiattj  asserant  falsitatem:  isti  nee  vera  defendere  nee 
/(if.<(i  ixileant  refntare?  Uli  animas  at$dicntium  in  errarem  maventes 
imfHUmtesque  dicendo  tcrrcaut  contristetit  exhilarent  cxhortarentur 
ar^iefitcr^  isti  f^ro  t^eritate  lenti  frigidiqtie  dormiient?  guis  Ha  dt- 
sipiat^  nt  hoc  sapiat?  cum  ergo  sit  in  media  pasita  facultas 
etoquii^  quae  ad  persuadenda  seu  prava  seu  recta  valet 
plurimum,  cur  non  bonoru9n  studio  comparatur^  ut  militet 
rcritati^  $i  cam  mali  ad  obtinendas  perversas  vanasque 
causas  in  usus  iniquitatis  et  erroris  usurpant?  Unter  den 
l)ri^'hou  tiiulet  sich  die  Thatsaehe  am  klarsten  formuliert  bei 
Isidor  V*  IVlusium  ei^  V  2Sl  (7S,  1500  Migne):  t^j  ^sias  tfo- 
^<A^  ^  ^h*  A$l^ü  «f^V«  ^  m*oia  di  ovQtnroii^xtig'  r^g  dl  £|od£y 

^^i'V  <^4^  ^t*  ^X^'^*  ^"i**  h^'Oiirr^  r^^  öl  ri^r  ^pcrtfir,  ffo^pm€cvog 
At*  Aumiiftv  x^^««i\'*  di^irrai  }xtQ  5p}*criH>y  ffroi  rij^  ^Ms^xoö^Uov 
d«^«^  1^  f iV'A^ifTi««  fi*  mr^cbif^  tfduii  tvji  vxoxhhto  ^  &6%iq 
Aiy«  Ai>(Ki>Jf!k  fk^i^r  fi)^r  CMko^^^r  mirorofiotea  rwr^por,  if^ri- 

r^r  iM^ir  mi  Joi^JUivfir  iV^^^^^^^  i^'fid^vi«  jMUior  ii  tvpov- 
1"«^'  i^fii  f9  fiiMii  iV|i4>\M«  f^^kdT^'.xid(^-t«i  er  «/^  duuuu^  und 
Ihm  Ohorikio*  iu  Marv'ian.  ejnsc.  Gai.  or.  2  p.  lOS  f.  Boiss.: 
\Utkian\Vi  ^'i  ;^^WK^hI  iu  limmmAtik  v,l*^ktüi^  der  Dichter)  und 
K!;oU\r(k  wie  iu  dor  TluvU^^io  aus^bildeu  iift  di  aun^fog 
•iv»M^*i>j***V»  •<>'  i»^»'  -f i\' A*»rf .Ar  ;«'»^;o4kf>\v,    ^fe  di  njy  ^^^Z^ 

VA«  «^'i\v\    ixsc  ^.  U^vc  ^M\«A>»v'«Tc^^vr  <s^\rft>fir.    orxorr  6^p^ 

W  i^  '  vls^-  v;vv\v**>".\  .'A,<  .v.<*  VhxVT^.'  ;"*.r.e  cv^^i^Ue  war:  die 
,..,'.'.  '^Nwl.Xi,-,'    w    *0  .'UN^    o,.*;   K';vi?*"   «*-:3>^''v.  viie^n^  Stil  ent* 


Die  Litteratnr  der  katholischen  Kirche :  die  Praxis  im  allgemeinen.    535 

sprechend  dem  der  heiligen  Urkunden,  die  anderen  einen  er- 
habenen Stil,  wof&r  sie  sich  entweder  in  halbbewufster  Selbst- 
tauschnng  auf  dieselben  Urkunden  oder  in  Anerkennung  der 
realen  Verhältnisse  auf  die  inzwischen  anders  gewordenen  Be- 
dtlrfiüsse  der  christlichen  Kirche  beriefen.  Auch  die  Praxis  hat 
ein  doppeltes  Gesicht  gezeigt,  mag  für  uns  auch  nur  das  eine 
deutlich  erkennbar  sein.  Denn  nur  die  mehr  oder  weniger 
kunstmäfsigen  Predigten  sind  uns  erhalten,  die  anderen  ver- 
schollen: dafs  sie  existiert  haben,  wer  wollte  es  leugnen?  Noch 
um  die  Mitte  des  III.  Jh.  bestand  nach  dem  Zeugnis  des  Tertul- 
lian  (adv.  Prax.  3)  die  gröfsere  Anzahl  der  Gläubigen  aus  simpUces^ 
imprtukntes  et  idiotae,  und  dafs  das  nie  anders  geworden  ist,  be- 
weisen, wenn  es  überhaupt  eines  Beweises  fiir  das  Selbst- 
verständliche^) bedarf,  die  Steine.  Dafs  vor  diese  Armen  im 
Geiste  an  allen  Orten,  wo  das  Evangelium  in  griechischer  oder 
lateinischer  Zunge  verkündigt  wurde,  Prediger  getreten  sind,  die 
mit  ihnen  in  ihrer  Sprache,  in  der  einfachen  Sprache  des  Herzens 
geredet  und  dadurch  oft  mehr  gewirkt  haben  als  viele  andere 
durch   ihre   glänzende   Diktion,    ist   ebenso   selbstverständlich.^) 


1)  Cf.  auch  Lactanz  div.  inst.  I:  non  credunt  ergo  (^sc.  genüles)  divinis, 
quia  fuco  carent,  sed  ne  Ulis  quidem  gut  ea  interpretantur,  quia  sunt  et 
ipsi  aut  omnino  rüdes  aut  certe  parum  docti,  nam  ut  plane  sint 
eloquentes,  perraro  contingit  Augustin  de  genesi  contr.  Manich.  I  1 
(34,  173  Migne):  placuit  mihi  quorundam  vere  Christianorum  sententia,  qui 
cum  sint  eruditi  libercdibus  litteris,  tarnen  aJios  libros  nostros,  quos  adversus 
Manichaeos  edidimus,  cum  legissent,  viderunt  eos  ab  imperitioribus  aut  vix 
aut  difficüe  intelligi  et  me  benevolentissime  montier tmt,  ut  commwnem  loquendi 
eonsuetudvnem  non  desererem,  si  errores  illos  tam  pemiciosos  ab  animis  etiam 
mperitorum  expeUere  cogitarem.  hunc  enim  sermonem  usUoitum  et  simpilicem 
etiam  docti  intelligunt,  iUum  autem  indocti  non  intelligunt. 

2)  Cf.  Dionys.  Alex.  (s.  HI  Mitte)  bei  Euseb.  h.  e.  VIT  24.  6:  cvvsxd' 
Xi6a  Tovg  nQeüßvtSQOvs  xal  didaöKoXovs  t&v  iv  tatg  nmiiaig  (von  Ägypten) 
&delq>&v.  Origenes  comm.  in  ep.  ad  Rom.  1.  IX  c.  2  (VII  292  Lomm.): 
rdms  ipsis  saepe  compertum  est,  nonnüllos  eloquentes  et  eruditos  viros  non 
sölum  in  sermane  sed  et  in  sensibus  praepotentes,  cum  miUta  in  ecclesiis 
dixerint  et  ingentem  plausum  laudis  exceperint,  neminem  tamen  auditorum  ex 
his  quae  dicta  sunt  compunctionem  cordis  accipere  nee  proficere  ad  fidem  nee 
ad  timorem  dei  ex  recordatione  eorum  quae  dicta  sunt  incitari  (sed  suavitate 
quadam  et  delectatione  sola  auribus  capta  diseeditur),  saepe  autem  viros  non 
magnae  eloquentiae  nee  compositioni  sermonis  studentes  verbif 
simplicibus  et   incompositis  multos  infidelium  ad  fidem  convi 


536  Von  Hadrian  bi»  zum  Ende  der  Kaiserzeii. 

Waren  doch  unter  den  Predigern  selbst  trotz  den  Vorschriften 
der  Gemeindeordnung  eine  ganze  Anzahl  solcher  idiotae.  Von 
der  groüsen  Mehrzahl  der  predigend  umherreisenden  Asketen  und 
von  Bischöfen^  die  auf  Konzilen  nicht  imstande  waren,  ihre 
Namensunterschrift  zu  geben,  wird  man  nicht  erwarten,  dafs  sie 
sich  einer  kunstmäfsigen  Sprache  bedient  hätten:  aber  auf  die 
schlichten  Gemeinden,  die  sie  zu  leiten  hatten,  werden  sie  nicht 
minder  stark  gewirkt  haben  als  Gregor  von  Nazianz  oder  Hi- 
larius  von  Poitiers  auf  das  vornehme  Publikum,  das  sie  durch 
den  Glanz  ihrer  Diktion  mit  sich  rissen.  Aber  das,  was  jene 
Männer  in  der  Einfalt  ihres  Sinnes  sprachen,  hat  nicht  die  Hand 
von  taxvyQdq)Oi  nachgeschrieben^),  denn  es  gehörte  nicht  zur 
Litteratur,  die  nur  das  fixiert  hat,  was  bleiben  sollte.  Gregor 
von  Nyssa  erzählt  folgende  ganz  bezeichnende  Geschichte:  ein 
von  Gregorios  Thaumaturgos,  dem  Schüler  des  Origenes,  in  Eo- 
mana  (Kappadokien)  eingesetzter  Priester  Alezandros,  seinem 
Beruf  nach  Köhler,  wurde  einst  veranlafst,  in  der  Kirche  zu 
predigen;  gleich  beim  Proömium  merkte  man,  dalis  seine  Bede 
zwar  voller  Gedanken,  aber  roh  in  der  Form  sei;  zufallig  war 
ein  junger  Mann  dort  zu  Besuch,  der  sich  etwas  darauf  einbildete, 
aus  Attika  zu  stammen:  der  lachte  laut  auf,  weil  Alexandros 
seine  Rede  nicht  mit  attischer  xsQUQyia  aufgeputzt  hatte  (Greg. 
Nyss.   de  vita  Greg.  Thaumat.  vol.  46,  937  Migne).*)    Freilich 

terc,   HupcrhüS  inclinare  ad  humilitatem,  peccantibua  atimulum 
conversionis  infigere. 

1)  Wie  es  bei  den  grofsen  Predigern  üblich  war  (übrigens  ganz  wie 
bei  den  Sophisten  jener  Zeit:  cf.  Eunap.  v.  soph.  p.  83  Boiss.).  Über  diese 
TKxvyQdipoi  (auch  inoyQtttpslg  genannt)  cf.  Lightfoot  1.  c.  (oben  S.  -472, 1) 
jirolegg.  197,  S.  Gothofredus  zum  Cod.  Theod.  T.  1  44.  II  472  f.  Valenos 
zu  Amni.  Mure.  XIV  9  p.  60.  Das  bezeichnendste  Beispiel  trage  ich  nach: 
Diitti',n  iu  den  Predigten  des  Ambrosius  zur  Schöpfungsgoschichte  stehen 
die  Worte  serm.  8  iu.  (=  1.  V  c.  12),  vol.  14,  222  Migne:  et  cum  pau- 
luluin  conticuisifct,  itcrnm  sermonem  adorsus  ait:  'fugerat  nos, 
f rat  res  dilectimmi^  etc.  Die  l^Iauriner  haben  jene  Worte  richtig  als  eine 
I3em<'rkuug  dos  notiirius  gefufät.  Cf.  aulserdem  noch  Exmodius  op.  8 
p.  ;ja3,  0  tr.  Ilurtel. 

2)  Cf.  dan  Stilurt-eil  des  Photios  (,bibl.  cod.  172  ff.)  über  die  Homilien 
i\vH  loaimes  Chrysost.  /.ur  Genesis:  die  (pQaaig  sei  in  ihnen  inl  tb  raimvo- 
tt{fov  nnfvfivfyuLivT}^  worüber  man  sich  nicht  wundem  dürfe,  da  er  auf  sein 
ZuhOrerpublikum  liabc  Kücksicht  nehmen  müssen.  Man  merkt  bei  ihm 
thatsächlich,  dai's  er  spinöse  exegetische  Erörterungen  nicht  zu  lange  aui- 


Die  Litterakir  der  katholischen  Kirche:  Gattungen  der  Predigt.    537 

wäre  68  eine  Täaschungy  wenn  man  glauben  wollte^  daUsi  solche 
Predigten  und  Schriften^  wären  sie  erhalten,  auf  uns  stets  den 
Eindruck  schlichter  Einfachheit  machen  würden:  denn  wir  dürfen 
nie  vergessen^  erstens  dafs  die  Zahl  der  einigermafsen  Ge- 
bildeten damals  eine  gröfsere  war,  und  zweitens  daCs  das  Wohl- 
gefallen an  schöner  Form  des  Vorgetragenen  in  allen  Schichten 
ein  erheblich  gröüseres  war  als  heutzutage.  Hieronymus  sagt 
von  seiner  Lebensbeschreibung  des  Paulus  Eremita  ep.  10^  3  (I 
25  Yall.):  prqpter  simpliciores  quosque  muUum  in  deiciendo  semione 
läboravinvus:  die  Diktion  ist  nach  unserem  Gefühl  noch  hoch 
genug.  Wir  erkennen  das  femer  deutlich  aus  den  Predigten,  die 
nicht  blofs  für  die  Gebildeten  bestimmt  waren,  sondern  die  zu- 
gleich auch  von  der  grofsen  Masse  des  Volks  verstanden  sein 
wollten.  Solche  Predigten  besitzen  wir  z.  B.  von  Augustin  und 
Caesarius  v.  Arles,  die  beide  diese  ihre  Tendenz  ausdrücklich 
bezeugt  haben:  wer  diese  Predigten  gelesen  hat,  weiis,  daijs  sie 
heute  selbst  den  Gebildeten  inhaltlich  Schwierigkeiten  machen 
und  äufserlich  durch  ihre  bei  aller  angestrebten  Einfachheit  doch 
oÜ  geradezu  raffinierte  Formgebung  überraschen. 

2.  Die  verschiedenen  Gattungen  der  Predigt. 

Da    in    den    mir    bekannten    Untersuchungen    über    diesen 
Gegenstand^)  die  Gattungen  weder  zeitlich  noch  inhaltlich  genau 


dehnt,  sondern  sie  meist  ziemlich  unvermittelt  abbricht,  um  zu  einer  mehr 
allgemein  gehaltenen  und  allen  verständlichen,  meist  paränetischen  Er- 
örterung überzugehen,  vgl.  z.  B.  die  Homilien  über  das  Johannesevan- 
gelium. —  Aus  den  Predigten  des  Petrus  Ghrysologus  (Bischof  von  Ra- 
venna,  f  c.  460)  führt  C.  Weyman  im  Philologus  N.  F.  X  (1897)  469  einiges 
an,  wodurch  bewiesen  wird,  dafs  dieser  Prediger  seinem  theoretischen 
Grundsatz  populis  populariter  est  loquendum  in  der  Praxis  treu  geblieben  ist. 
1)  Cf.  F.  Probst,  Lehre  u.  Gebet  in  den  drei  ersten  ehr.  Jahrh. 
(Tübingen  1871),  wo  das  4.  Kap.  (p.  189  S.)  über  die  Homüetik  handelt. 
Derselbe ,  Katechese  u.  Predigt  vom  Anf.  d.  IV.  Jh.  bis  z.  Ende  d.  VI.  Jh. 
(Breslau  1884)  184  ff.  E.  Hatch,  Griechentum  u.  Christentum,  übers,  von 
E.  Preuschen  (Freiburg  1892)  62  ff.  Letzterer  scheint  mir  hier,  wie  auch 
sonst  gelegentlich,  in  der  Annahme  des  hellenischen  Einflusses  zu  weit  zu 
gehen,  wenigstens  die  Zeiten  und  Arten  nicht  genügend  zu  scheiden.  Die 
älteren  Abhandlungen  von  Kothe,  Augusti  etc.  sind  für  die  Erkenntnis  der 
Entwicklung  wertlos,  ebenso  das  umfangreichste  Werk  über  die  patristische 
Beredsamkeit:   Jos.  Weissenbach,  De  eloquentia  patrum,  Augsburg  1776  in 


538  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

unterschieden  werden^   so  rnuDs  ich  nach  den  Quellen  die  That- 
Sachen  kurz  vorlegen, 
nie  Das  Christentum  trat  als  eine  mit  bestimmten  Zukunfts- 

jÄtiungen.  g^^yj^^jgg^  f]Qj,  jjg  Gläubigen  ausgestattete  Offenbarungsreligion 

in  die  Welt;  infolgedessen  geschah  seine  Verkündigung  von 
Anfang  an  durch  Weissagung  und  Belehrung:  aus  dem  pro- 
phetischen und  paräuetischen  Element  setzen  sich  daher  die 
Beden  schon  seines  Stifters  zusammen.  Da  diese  Offenbarungs- 
religion als  solche  urkundlich  verbrieft,  also  historisch  war,  so 
tritt  als  drittes  Element  das  exegetische  hinzu:  z.  B.  knüpft 
bekanntlich  Jesus  im  ersten  Teil  der  Bergpredigt  (ev.  Matth.  5, 
17 — 48)  an  Gesetzesvorschriften  an,  sie  erklärend  und  ergänzend 
(xkriQ66agy)]  die  Bede  des  Stephanus  in  der  Apostelgeschichte 
c.  7  ist  ein  Lehrvortrag  auf  Grund  einer  groüsen  Anzahl  von 
Stellen  des  A.  T.;  auch  Paulus,  dessen  Briefe  ja  grofsenteils  nichts 
anderes  sind  als  ein  notwendiger  Ersatz  für  die  mündliche  Bede*), 


9  Bänden.  Für  denjenigen,  der  die  Quellen  kennt,  wird  dies  heutzutage, 
wie  es  scheint,  fast  vergessene  Werk  nicht  viel  Neues  bieten,  doch  behält 
es  einen  gewissen  Wert  durch  die  reichhaltige  Sammlung  von  sonst  schwer 
zugänglichen  Urteilen  aus  früheren  Jahrhunderten. 

1)  Das  eigentliche  Distinktiv  der  Beden  Jesus  ist  das  Parabolische: 
dafs  dies  in  der  Folgezeit,  wenn  ich  nicht  irre,  ganz  verschwand  (höchstens 
aus  dem  Hermas  liefse  sich  einiges  vergleichen,  aber  wie  ganz  anders  sind 
z.  B.  die  Vergleiche  bei  Paulus  ep.  ad  Gor.  I  9,  24.  ad  Phil.  S,  12  ff.),  ist 
ein  Zeichen,  dai's  das  Christentum  das  orientalische  Gewand  auch  in  der 
Darstellung  der  Lehre  früh  abgelegt  hat,  denn  diese  Parabeln  sind  ja 
völlig  unhellenisch;  wer  sie  mit  den  Gleichnissen,  deren  sich  die  Sprache 
der  griechischen  Philosophen  so  gern  bedient  hat,  auch  nur  als  analog  ver- 
glichen wissen  will  (P.  Wendland  in :  Arch.  f.  Gesch.  d.  Philos.  V  [1892] 
248),  begeht  einen  fundamentalen  Fehler. 

2)  Predigten  in  Brießbrm  sind  uns  ja  auch  sonst  aus  der  alt- 
christlichen  und  späteren  christlichen  Litteratur  genug  überliefert:  der 
zweite  Brief  des  Clemens  Romanus,  der  erste  des  Petrus  und  der  des 
lacobus  (cf.  Hamack,  Die  Chronol.  d.  altchr.  Litt,  bis  Enseb.  I  488  ff. 
451.  487  f.),  der  sogenannte  Hebraerbrief  (cf.  Weizsäcker  1.  c.  478), 
manche  unter  Cjprians  Briefen.  Für  die  Profanlitteratur  genügt  es,  an 
Scnecas  und  die  pscudoherakli tischen  Briefe  (s.  I/II  p.  Chr.)  zu  erinnern: 
CS  sind  reine  SiaxQißai  auf  konventioneller  brieflicher  Unterlage.  Man 
mufs  eben  bedenken,  einmal  dafs  die  meisten  Schriftsteller  diktierten  (s. 
Anhang  II;  z.  B.  steht  es  von  Paulus  fest),  andererseits  dafs  viele  Briefe 
zum  Vorlesen  bestimmt  waren,  so  die  paulinischen :  cf.  ep.  ad  Thess.  I 
5,  27  (ad  Col.  4,  16),  Weizsäcker  1.  c.  186.   Wenn  es  uns  also  auffällig  er- 


ttta. 


Die  Litteratur  der  katholischen  Kirche:  Grattangen  der  Predigt.    539 

knüpft    mit     Vorliebe     an    die     Schriften    des    alten    Bundes 
anJ)    Endlich  kam  noch  das  panegyrische  Element  hinzu. 

1.  In  der  ältesten  Zeit  dominierte  das  prophetische  Ele-  i  n^oipi-- 
ment*);  diejenigen^  die  es  besaüsen,  waren  überzeugt,  kraft  eines 
besonderen  xd^i^yM  im  Besitz  des  xvav^a  zu  sein,  das  aus  ihnen 
spreche  (aber  in  der  Art,  dafs  der  vovg  selbstthätig  mitwirkte: 
Paulus  ep.  ad  Gor.  I  14 ,  15.  19).  So  hatte  es  Jesus  selbst  ge- 
wollt, als  er  zu  seinen  Jüngern  sagte:  dod^öetai  i^tv  xC  AaAij- 
6B%8^  oi>  Y&Q  {fiutg  iötl  oC  XaXovvtsg  &XXä  rö  xvBv^a  rot)  natgbg 
ifliibv  tb  XaXovv  iv  i^tv  (ev.  Matth.  10,  19  f.).  Dafs  sich  diese 
Form  der  Predigt  lange  erhielt,  ja  dafs  sie  die  reguläre  war, 
wissen  wir  aus  Bemerkungen  des  Paulus  und  derjenigen,  die 
unter  seinem  Namen  schrieben,  aus  der  Apostelgeschichte,  sowie 
vor  allem  aus  dem  berühmten  Abschnitt  der  didax'^  t&v  06- 
dsxa  &no6t6X(xyv  oder  vielmehr  aus  der  glänzenden  Verwertung, 
die  gerade  dieser  Abschnitt  durch  Harnacks  bahnbrechende 
Forschung^  erfahren  hat.  Danach  zogen  solche  nifotpffcai  durch 
alle  Länder  des  Beichs,  überall  guter  Aufnahme  gewils;  noch 
Lukian  hat  den  von  ihm  verhöhnten  Peregrinus  als  ^Propheten' 
bezeichnet.  Wie  wir  uns  solche  Prophetieen  —  wenigstens  in 
litterarischem  Gewände  —  zu  denken  haben,  zeigt  der  iToifiijt/ 
des  Hermas:  der  Verfasser  schreibt  ja  nieder,  was  ihm  die  Er- 
scheinungen eingeben,  und  liest  es  dann  seinen  &8skq>oC  vor;  er 
selbst  hat  einen  solchen  Propheten  sehr  deutlich  geschildert 
mand.  11,  9:  Ztav  oiv  iX^  6  av^gonog  6  ixcav  tb  nvavfia  tb 
^Btov  Big  öwaycoyi^v  ivÖQcbv  dixaioDV  t&v  ixövtav  7tl6tiv  ^bCov 
TCVBvnatog^  xal  ivtsv^tg  yivvixai  ngbg  tbv  ^Bbv  tilg  övvaytoy^g 
t&v  avdg&v  ijuivatv^  töts  6  SyyBlog  tov  xgoqnitixov  xvBv^atog 
6  XBifiEvog  xgbg  avtbv  JtXriQoi  tbv  avd'QODXov  xal  JcXtjQcod'Blg  6 
av9Q(o:tog  rtp  xvBiiiiati  tp  ayic}  XaXBl  Big  rö  nXf^^og^   xa^hg  6 


scheint  (cf.  Hamack  1.  c.  442  ff.)»  dafs  das  eine  unter  Clemens'  Namen 
gehende  Schriftstück,  das  durchaas  die  Form  der  Homilie  hat,  von  frühester 
Zeit  bis  auf  Photios  als  iniötol'q  bezeichnet  wird,  so  liegt  darin  für  antike 
Auffassung  nichts  Besonderes. 

1)  Cf.   besonders   die  interessante  Beobachtung  von  Weizsäcker  1.  c. 
110  f. 

2)  Cf.  N.  Bonwetsch,    Die  Prophetie  im  apostolischen  u.  nachapost. 
Zeitalter  in:  Z.  f.  kirchl.  Wiss.  u.  kirchl.  Leben  V  (1884)  408  ff. 

3)  Lehre  d.  zwölf  Apostel  in:  Texte  u.  Unters.  II  1  (1884)  98  ff. 


MO  Von  lladrian  bis  zum  Ende  der  S^aiseneit. 

x^Qiog  fiirvXetai.^)  Dafs  auf  die  Darstellung  in  solchen  Pro- 
photioen  keine  Sorgfalt  verwendet  wurde  ^  versteht  sich  von 
MolbHt:  sogar  die  litterarischen  Prophetieen  des  Hermas  sind 
darin  denkbar  anspruchslos,  freilich  gerade  durch  diese  Naivität 
üigoiiartig  fesselnd.  Als  dann  aber  die  Gemeinde  der  Gläubigen 
im  zweiten  Jahrhundert  sich  zu  einem  festen,  wohl  organisierten 
Verbünde  ku  entwickeln  anfing,  da  mufsten  die  freien  Äuüsemngen 
dos  h.  Geistes  notwendig  eingeschränkt  werden,  da  sie  der  sub- 
jektiven Willkür  des  Einzelnen  zu  grofsen  Spielraum  lieüsen: 
schon  die  z/ida^i}  luid  Hermas  warnen  vor  tl^evdoxQoqnitai,  haben 
doch  gerade  häretische  *  Propheten'  wie  Yalentinos  und  die 
Monlaniston')  zu  ihren  Anhängern  in  einer  Flammensprache 
gorodet.  So  ,,starb  die  Prophetie,  als  die  katholische  Kirche  ge- 
borou  wurdet') 
f  "i^iir*i***<  2.  Mittlerweile  war  nun  aber  seit  der  Fixierung  des  Kanons 
it««v«Mu<M^  oiu  tuideros  Bedürfnis  gebieterisch  hervorgetreten:  die  Urkunden 
iler  Lehre,  also  neben  dem  A.  T.  (besonders  den  Propheten)  das 
Evangelium  und  die  apostolischen  Briefe,  mufsten  erklärt  werden, 
und  mit  der  Erklärung  wurde  die  Ermahnung  verbunden.  Wir 
ki^nnon  dalier  diese  Art  der  Predigt  speziell  die  exegetisch- 
paränetisehe  nennen.  Wir  haben  zwar  gesehen,  dals  beide 
Mouionte  schon  in  der  frühesten  Form  der  Predigt  vorhanden 
wartMi»  aber  wulirend  sie  (vor  allem  die  Erklärung)  dort  hinter 
vier  Vorheilsung  zurüokgeti*eten  waren,  begannen  sie  jetzt  aos- 
sohUggi^bend  xu  wenlen:  war  ja  auch  an  die  Stelle  der  glühenden 
llotVuuiigen  auf  eine  nahe  Weltauflosung  und  Vergeltung  eine 
kühlere«  vonurnftgemSfätere  Reflexion  getreten,  wie  z.  B«  der 
Naohin^jc  »um  johaimeischeu  Evangelium  zeigt.  Über  die 
äulWrt'  Einrichtung  dieser  neuen  Form  der  Predigt  haben  wir 
mehr\>rt»  /ougius$e*\  vor  allen  da$  berühmte  des  lustin  apoL  I 
t>T:   er«»i*fUfiHfi^«  yiVfrai  xal  rA  iarofin;fiom*paTa  rdr  ixo&t6Xov 

V  AttsWiv  Stollen  bot  IVnw\*t*vh  l   o    -»61  rf 

V  lY    H,«'.iaA   \  V    iX  t*    le.^  t    l\vtuei^:^*cii    P  2i:>.  i,    2J«,  1. 

^v^.x  .-.;  v.v;     V'     s'x^'  V.  :^     IV,;'  »^ivsioV.vT  utlicrs*   |v*rt.  l  toI.  II  [Lond. 


Die  Litteratnr  der  kathoÜBchen  Kirche:  Gattungen  der  Predigt.    541 

eira,  XttvöafLivov  tov  ivayivAöxovtog  6  TCQoeöthg  diä  Xöyov  xi^v 
vov^iöiav  xal  TtQÖxXriöiv  tfig  t&v  xaX&v  toikcav  ^ini^ösag  tcoi- 
Ettaiy  wozu  kommen:  Clemens  Rom.  (ep.)  II  19:  &vayiv(b6x(Q 
'bykXv  ivtsv^w  slg  tb  7Cifo6i%Biv  xolq  ysyQa^iiivoi^y  Origenes 
c.  Gels,  m  50:  xal  iC  ivayvtoöiiätfov  xal  8iä  t&v  elg  aixä  8i^ 
tffi/l^Baiv  nQOTQi^ovxBg  fiii/  ixl  tiiv  elg  rbv  ^sbv  t&v  Skmv  siöi- 
ßiutv  xal  tag  öwd'gdvovg  taik^g  &Q6tdgy  Gonst.  apost.  II  54: 
fuxä  tij^v  iviyvaöiv  (xal  ti^  tlfaXiiadiav)  xal  tiiv  inl  tatg  yga- 
tpalg  8Uia6xakCav.  Die  Sitte  war  ihrem  Ursprung  nach  jüdisch, 
cf.  act.  aposi  15,  21  und  Philo  de  sap.  lib.  12  (II  458  M.)  von 
den  Essäem:  in  den  Synagogen  6  fih'  tag  ßißXovg  ivaytvAöxst 
XaßAv,  hsQog  öl  t&v  inxstQotättov  Söa  fii^  yvthQLim  xagsMiov 
ivadiddöxBL  Da  in  dieser  Art  der  Predigt  das  lehrhafte  Moment 
im  Mittelpunkt  stand,  so  nannte  man  sie  b^iXCa  {serm6)^\  ein 
Wort,  in  dem  die  Anschauung  ausgesprochen  liegt,  dafs  der  Pre- 
diger zu  seiner  Gemeinde  in  rein  persönliche  Beziehung  trat, 
wenn  er  sie  fast  im  Tone  gewöhnlichen  Gesprächs  belehrte:  mit 
demselben  Wort  wurde  seit  alter  Zeit  von  den  Griechen  die  per- 
sönliche Belehrung  bezeichnet,  welche  die  Philosophen  ihren 
Schülern  (tolg  b(iiXfitatg)  zuteil  werden  liefsen,  cf.  Xenoph.  mem. 
I  2,  6.  12.  15.  48.  Lukian  Tim.  10.  Aelian  v.  h.  III  19  und 
besonders  deutlich  Porphyr,  v.  Plot.  8.  18.  Gelegentlich  finden 
sich  dafür  nahverwandte  Worte,  die  das  gelehrte  Moment  etwas 
starker  betonen:  diäXs^ig  (so  nennt  z.  B.  Euseb.  h.  e.  VI  36, 1 
cf.  19,  16  die  Predigten  des  Origenes)^,  dispuiatio  (so  nennt 
Augustinus  conf.  Y  23  die  Predigten  des  Ambrosius  und  tract. 
in  loann.  ev.  89,  5  seine  eigenen).  Als  das  früheste  wertvolle 
Dokument  dieser  Art  von  Predigt  hat  man  den  sog.  zweiten 
Brief  des  Glemens  Bomanus  anzusehen,   der  jetzt  wohl  ziemlich 

1)  Einige  Stellen  aus  der  frühen  christlichen  Litteratur  bei  A.  Hilgen- 
feld,  Eetzergesch.  d.  Urchristentoms  (Leipz.  1884)  11,  17,  wo  aber  die  drei 
ältesten  fehlen:  Lakas  act.  ap.  20,  11  (cf.  auch  24,  16.  ev.  24,  14  f.;  keiner 
der  anderen  Evangelisten  kennt  das  —  echt  griechische  —  Wort),  Ignat. 
ad  Polyc.  6,  act.  lohannis  (s.  11,  erste  Hälfte)  p.  219,  15  Zahn.  Schon  in 
der  Sept.  steht  prov.  7,  21:  iv  noXX^  dfiiXia,  wo  das  hebräische  Wort  'Be- 
lehrung' bedeutet  (cf.  Lightfoot  zu  Ignat.  1.  c).  Für  die  Vorstellung  des 
freundlichen  Herablassens ,  die  mit  dem  Wort  verbunden  war,  ist  [Isoer.] 
ad  Dem.  SO  f.  lehrreich. 

2)  Schon  bei  Lukas  act.  20,  7  wechselt  8iaXiyh6%av  mit  11  öf^ilcty,  cf. 
auch  Hesjch.  didXk%tO£'  diulia. 


542  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

allgemein  als  die  älteste  christliche  Homilie  gilt^  jedenfalls  sich 
in  den  Formen  einer  solchen  bewegt.  Besonders  charakteristisch 
ist  gleich  der  Anfang  der  eigentlichen  Predigt  c  2  ff.:  ^e6q)Qdv' 
^ijTi,  fSXBlQa  4i  oi  tbctovöa'  ^|oi^  ^  ß6i]6av,  ^  oix  &divov6a^ 
Sri  xoXXä  tä  thtva  xj\g  i^fiov  fiäXXov  tj  tflg  ixoiiöi^g  r6y  &vd(fa* 
(Jes.  54,  1).  S  bIxsv  ^ eöfpfdv&titv  ötbIqu  ^  oi  tiTctovöa*  ^fucg 
slxev'  6t€tQa  y&Q  fyf  4i  ixxXri6ia  ^i^&v  xgb  tov  da^i^pcu  aiv^ 
tixva.  S  dh  ehcsv  ^ß&qöov  ^  oix  d}divavfja'  rothro  Xfyei  KtL: 
nachdem  er  in  dieser  Weise  noch  eine  Anzahl  von  Schriftstellen 
erklärt  hat,  folgt  c  4  die  Ermahnung:  &6t£  oivj  idBXq>oi,  iv 
totg  €(fyoig  ccirbv  (tbv  xAqmv)  b^ioXoyibiuv,  iv  &  iyaxäv  iccvtirbg 
9ctL  (ähnlich  im  weiterhin  Folgenden).  Diese  Form  der  Predigt 
war  lange  die  einzige;  sie  blieb  bestehen,  auch  als  eine  neue 
Form  auftrat.  Die  Predigten  des  Origenes,  wenigstens  die  uns 
erhaltenen,  sind  sämtlich  von  dieser  Form,  ebenfedls  die  des 
Hippolytos  gegen  die  Noetianer  (p.  43  fL  Lag.),  die  fElr  den 
familiären  Ton  ganz  bezeichnend  ist:  er  untersucht  gewisser- 
mafsen  gemeinschaftlich  mit  seinen  Zuhörern,  die  er  in  üblicher 
Weise  mit  idsXq>oi  anredet  (43,  14.  45,  4.  46,  21.  50,  9.  16. 
52,  23.  53,  28.  54,  21.  55,  18),  und  Ton  denen  er  sich  Ein- 
wQrfe  machen  läGst  mit  iget  fioi  rig  (53,  18),  iQBtg  ^oi  (54,  25).^) 
Aus  dem  IV.  Jahrhundert  haben  wir  solche  Predigten  von 
Augustin    und    loannes    Chrysostomos*),    aus    dem  Y.  Jh.   be- 


1)  Nach  Art  dieser  6fuXla  (so  ist  sie  in  der  Hs.  bezeichnet)  hat  man 
sich  m.  E.  die  6fuXiai  des  Eirenaios,  des  Lehrers  des  Hippolytos,  zu  denken, 
von  denen  Phot  bibl.  cod.  121  spricht  {6inloi^9xog  Eigriwalov,  worfiber 
Hilgenfcld  1.  c.  10  ff.  und  andere  dort  Genannte  wohl  nicht  ganz  richtig 
urteilen:  SiuXtlv  steht,  absolut  gebraucht,  was  einige  nicht  för  erlaubt 
halten,  auch  in  der  Apostelgesch.  1.  c.  und  act.  loh.  p.  226,  9;  sp&ter  oft, 
z.  B.  Euseb.  h.  e.  VI  19,17,  Photios  selbst  p.  Il8b  19  Bekk.).  Cf.  auch 
Hippol.  de  Chr.  et  Antichr.  23  (p.  12,  4  Lag.  »  p.  16,  9  Ach.)  nach  einem 
langen  Citat  aus  Daniel:  i^iil  o^v  dvc9Wtvu  rt«i  doml  eftwi  ttt^a  xä  fw- 
CT^n&i  tigripL^va,  ovShv  rorrov  axox^p|^ofl<v  ^Q^  iwiypmciv  roig  ^iQ  m>^ 
«c«ri]^('voiff,  worauf  die  Auslegung  folgt  (^dies  ist  aber  eine  Abhandlung, 
keine  IV'digt). 

2"^  über  des  letzteren  Homilien  zur  Apostelgesch.  cf.  die  Einleitung 
bei  Migne  rol  60  und  0  Seeok  im  Philol.  N,  F.  VI  ^^1894)  460.  —  Auch 
Gregor  v.  Nyssa  mitten  iu  einer  Trauerrede  (auf  Pulcheria  c.  3,  vol.  46, 
868  f  yigne>:  die  Wort<*  sind  sehr  bezeichnend:  n'  orr  «^  rovroos  ^ficüp; 
9^X  ^l^^^90v  f^oi^ufr,  a^fZqpor,  lo}*or,  alle:  rf;v  arafvmöd^BUav  i^iüv  i%  to6 
M^ffiliov  (flcip  jfcr^a  O^r«  ff  du  cO^a      rinovcarf   ya^  Uyortog  roö  xv^oo  '  &tpBT9 


Die  Litteratar  der  katholischen  Kirche:  Gattungen  der  Predigt.    543 

sonders  Ton  Hilarios  ▼.  Arles^),  und  bis  auf  den  heutigen  Ti^ 
hat  sich  der  Brauch  in  unseren  Kirchen  erhalten  ^  obwohl  ihm 
seine  eigentliche  Basis,  die  allegorische  Auslegung'),  entzogen 
ist.^)  Die  Sprache  dieser  Predigten  ist,  dem  lehrhaften  Ton 
gemälsy  einfach,  und  ftir  Bhetorik  ist  nicht  viel  Platz  da  (sie 
sind  oft  von  Abhandlungen  kaum  zu  unterscheiden^));  nur  an 
den  Stellen,  wo  sich  an  die  Auslegung  eine  xaQccivBötg  oder  eine 
Lobpreisung  anschliefst,  wird  begreiflicherweise  der  Ton  wärmer, 
die  Sprache  gewählter,  die  Rhetorik  hoher,  wie  man  z.  B.  in 
der  genannten  Homilie  des  Hippolytos  durch  Vergleich  von  1 
bis  7  mit  8  ff.  deutlich  beobachten  kann. 

3.  Als  Gregor  von  Nazianz  im  J.  381  auf  den  Bischofsstuhl  s.  nav»]- 
▼on  Eonstantinopel  erhoben  wurde,  machten  seine  Gegner  ihm  ''''^"' 
u.  a.  den  Vorwurf,  dals  er  die  hellenische  Rhetorik  in  die  Kirche 
trage:  auf  die  *  Fischer'  des  Evangeliums  wiesen  sie  ihn  hin; 
„den  Fischern,  erwidert  er,  wäre  ich  gefolgt,  wenn  ich  wie  sie 
hätte  Zeichen  und  Wunder  thun  können,  nun  aber  blieb  mir  nur 
meine  Zunge  und  sie  stellte  ich  in  den  Dienst  der  guten  Sache 
(or.  36,  4;  vol.  36,  269  Migne).''  Darin  liegt  der  Wandel  der 
Verhältnisse  deutlich  ausgesprochen:  an  die  Stelle  der  Prophetie, 
der   die   schonen  Worte   nichts   galten,   war   die   reflektierende. 


TU  natdia  %tX.\  worauf  er  diesen  Sprach  mit  seinen  eigenen  Worten  para- 
phrasierend  verknüpft. 

1)  Cf.  traci  in  ps.  13,  2  n.  14,  1:  qui  lectua  est  psalmus;  id.  67,  1160 
Migne:  in  lectione  evangelica,  quae  nobis  de  decem  fnrginibus  recitaia 
est    Vgl.  C.  Arnold,  Caesarius  v.  Arelate  (Leipz.  1894)  137,  432. 

2)  Es  ist  doch  bezeichnend,  dafs  gerade  Häretiker  es  waren,  die  gegen 
den  Wahnsinn  dieser  Methode  Front  machten:  Markion  und  die  antioche- 
nische  Schale,  aas  der  Arias  hervorging:  cf.  Hatch,  Griech.  a.  christl.  Aas- 
legnng  1.  c.  58  f.  and  Usener  Bei.  Unters.  I  88,  19. 

3)  In  Byzanz  gab  es  (i^OQsg  elg  rb  igfirivs^siv  tag  yQcctpdgy  cf.  Mich. 
Ang.  Giacomelli,  Praef.  in  Philonis  Carpasii  episcopi  (s.  TV)  enarrat.  in 
cant.  cant.,  abgedruckt  in  Mignes  Patrologie,  patr.  graec.  yoI.  40,11. 

4)  Daher  berührt  sich  tractattis,  der  bekannte  christliche  Terminus  für 
die  Schriftexegese  (i^riyijasig  schrieb  schon  Papias,  von  denen  wir  leider 
nichts  Genaueres  wissen),  oft  mit  Predigt,  cf.  G.  Eoffinane,  Gesch.  d.  Kir- 
chenlat.  I  (Bresl.  1879)  84.  E.  Watson  in:  Studia  bibl.  et  eccles.  IV  (Oxford 
1896)  272,  1.  Hieronymus  und  Rufin  nennen  die  Uomilien  des  Origenes  ge- 
legentlich tractattis,  cf  Hamack,  Gesch.  d.  altchr.  Litt.  I  (Leipz.  1893)  339. 
D.  Huetii  Origeniana  III  1,  3  (XXIV  121  Lomm.).  Über  die  tract<itores  cf. 
Cresollius,  Theatr.  rhet.  III  2  p.  87  BC. 


544  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

durch  äuCserliclie  Mittel  auf  die  Sinne  der  Zuhörer  wirkende 
Rede  getreten.^)  Man  kann  sie  im  Gegensatz  zur  prophetischen 
und  exegetischen  die  synthetische  nennen;  innerhalb  dieser 
Gattung  kann  man  als  Arten  unterscheiden  die  panegyrischen, 
dogmatischen  und  Gelegenheitspredigten. ^)  Es  dürfte 
wahrscheinlich  sein^  dafs  von  diesen  Arten  wenigstens  die  erste 
weit  hinaufreicht  in  die  Zeiten  des  Urchristentums  selbst:  denn 
was  lag  näher^  als  Gott  und  seine  Werke  bei  den  sonntaglichen 
Zusammenkünften  nicht  blofs  in  Hymnen,  sondern  auch  im  feier- 
lichen Vortrag  einer  Rede  zu  preisen?  Allein  wir  wissen,  so- 
weit meine  Kenntnis  reicht^  von  solchen  Predigten,  —  wenn  man 
die  ziemlich  sicher  unechte  des  Hippolytos  auf  die  Theophanien- 
feier  beiseite  läfst  —  nichts  vor  der  Mitte  des  lY.  Jahrhunderts. 
Das  ist  begreiflich  genug,  denn  die  eigentliche  panegyrische 
Rede  hat  zur  Voraussetzung  hohe,  kirchlich  festgesetzte  Feier- 
tage. Diese  Predigten,  vor  allen  die  panegyrischen,  berühren 
sich  aufs  engste  mit  den  gleichzeitigen  sophistischen  Prunkreden 
der  Helleneu,  aber  bei  aller  Ähnlichkeit,  die  z.  B.  die  Reden  des 
Gregor  von  Nazianz  mit  denen  des  Himerios,  die  des  Joannes 
Chrysostomos  mit  denen  des  Themistios  haben,  ist  doch  —  wenn 
wir  absehen  von  den  rein  enkomiastischen  Reden,  wie  der  des 
Gregor  auf  Basilius  —  das  unterscheidende  Moment  immer  ge- 
wesen, dafs  die  christliche  Predigt  auch  dieser  dritten  Gattung 
auf  der  Grundlage  der  Schrift  sich  erhob  und  darin  nie  ihren 
Ursprung  verleugnet  hat.  Ich  weifs  wohl,  dafs  gelegentlich  bei 
Dio  Chrysostomos,  Epiktet,  Maximus  Tyrius  Verse  des  Homer 
oder  Euripides  herangezogen  werden,  die  der  Redner  gewisser- 
mafsen  auslegt  —  so  war  es  seit  Bion  und  Teles  Sitte  — ,  aber 
das  ist  eine  blofs  äuüserliche  Analogie,  die  das  Wesen  der  Sache 
nicht  berührt:  von  den  hellenischen  Sophisten  wird  selbst  6 
TTOfti^ri^^,  ihre  höchste  Autorität,  nur  zur  Bestätigung  der  eigenen 
Aufstellungen  herangezogen,  während  für  die  christlichen  Redner 
die  Stellen  der  Schrift  den  Ausgangspunkt  bilden:  die  Freiheit 
der  hellenischen  Weltanschauung,  für  die  keine    —    wenigstens 


1)  Man  lese  auch,  wie  Augustin  de  doctr.  Chr.  IV  32  f.  das  oben 
(S.  639)  citierte  Wort  Jesus  auslegt,  um  es  mit  seiner  Forderung  einer 
rhetorischen  Predigt  in  Einklang  zu  bringen. 

2)  Diese  Bezeichnungen  nach  Probst  in  der  zweiten  der  genannten 
Abhandlungen  181  ft\ 


Die  Litteratur  der  grieclÜBchen  Kirche:  die  Predigt  saec.  U.  DI.  545 

keine  allgemein  gültige  und  öffentlich  anerkannte  —  Offenbarung 
und  daher  kein  d6y^a  im  streng  christlichen  Sinn  existiert,  und 
die  Gebundenheit  der  christlichen  Lehre,  für  welche  die  Offen- 
barung und  das  döyfia  der  Anfang  und  das  Ende  ist,  kommt 
darin  trotz  aller  Ähnlichkeit  (s.  o.  S.  452  ff.  460  f.)  immer  wieder 
zum  Ausdruck. 


3.    Der  Stil  der  griechischen  Predigt  im  zweiten  und 

dritten  Jahrhundert. 

In  einer  den  verwöhnten  Anforderungen  der  Zeit  ent-  nio  onori« 
sprechenden  Form  ist  das  Evangelium  zuerst^)  von  den  Häre- 
tikern gepredigt  worden.  Der  Gnosticismus,  dieser  Bannerträger 
des  Hellenismus,  der  mehr  als  irgend  eine  andere  Richtung  dazu 
beigetragen  hat,  ;,das  Christentum  seiner  partikulär -jüdischen 
Stellung  zu  entheben  und  auf  dem  Boden  der  griechisch-römischen 
Welt  zu  einer  Universalreligion  zu  stempeln'',  und  der  sich  daher 
in  seiner  Gesamtheit  als  eine  „grofsartige  Anticipatiou  des 
späteren  Eatholicismus''  darstellt^),  ist  auch  auf  diesem  Gebiete 
vorangegangen.^)  Wir  haben  aus  den  Homilien  des  Valentinos 
(t  c.  160)   ein   paar  Fragmente*)    bei  Clemens  von  Alexandria 

1)  Von  Aristides,  demselben,  dessen  an  Hadrian  gerichtete  Apologie 
kürzlich  wiederentdeckt  ist,  giebt  es  eine  nur  im  Armenischen  erhaltene, 
bisher  nur  von  den  Mechitaristen  zu  S.  Lazaro  1878  mit  lateinischer  Über- 
setzung edierte  Predigt  *de  latronis  clamore  et  crucifixi  responsione'.  Sie 
ist  aber,  wie  zuletzt  P.  Pape  in:  Texte  u.  Unters.  XII  2  (1896)  gegen  Th. 
Zahn  u.  a.  absolut  überzeugend  bewiesen  hat,  unecht;  der  vorauszusetzende 
griechische  Urtext  muFs,  wie  noch  die  lateinische  Übersetzung  aus  dem 
Armenischen  zeigt,  hochrhetorisch  gewesen  sein,  vgl.  die  Homoioteleuta  im 
Proömium  (p.  16)  und  Epilog  (p.  22  f.). 

2)  Hamack,  Über  d.  gnost.  Buch  Pistis  Sophia  in:  Texte  u.  Unters. 
Vn  2  (1891)  p.  98. 

8)  Cf.  Origenes  c.  Gels.  III  12  (11,  933  Migne):  iitBl  gsiiv6v  xi  i(pdvri 
toig  &9^QAnoig  X(fiaviaviaii6g,  oi  iidvoig  —  mg  KiXcog  oüstai  —  ro^  icvöga- 
nodmdsöT4(fois ,  &llcc  %ai  noXXoig  tmw  nag'  '^Xiriai  (piXoX6y<DV,  &vay%aC(og 
(mhtriisav  o^  ndvtmg  8uc  ütdüsig  %al  tb  (ptX6ifBiK0v  algiang,  äXXcc  Sia  tb 
anavddtfiv  övviivui  tic  XQUfTiaviöfiOv  xal  t&v  (piXoXoytov  nXslovag.  Einen 
so  weiten  Blick  in  der  Beurteilung  dieser  Sache  hat  kein  anderer  Kirchen- 
schrifbsteller  gehabt.  —  Über  die  Bedeutung  des  Gnosticismus  für  die 
Formengeschichte  der  altchristlichen  Litteratur  eine  wichtige  Bemerkung 
von  Hamack,  Dogmengesch.  I*  230,  1. 

4)  Qesammelt  z.  B.  bei  A.  Hilgenfeld  1.  c.  (oben  S.  541, 1)  298  ff. 


546  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

erhalten:  sie  lassen  trotz  ihrer  Kürze  erkennen^  dafs  das  Urteil 
Tertullians  (adv.  Val.  4)^  der  Mann  habe  sich  durch  Geist  and 
Beredsamkeit  ausgezeichnet^)^  wahr  ist:  in  ihrer  Mischung  von 
tiefsinniger  Grübelei  und  gaukelnder  Phantastik  umfangen  sie 
uns  wie  die  ganze  Gnosis  gleichsam  mit  „einem  schwülen  Hanch^ 
der  aus  unnahbarem  Garten  wundersamen  Duft  herüberträgt^^'). 
Durch  geschickte  Verbindung  von  Christlichem  mit  Stoischem 
weilä  er  die  Unsterblichkeit  hier  auf  Erden  in  herrlichen  Worten 
zu  schildern  y  aber  nicht  ohne  antithetische  Pointen  inhaltlicher 
und  formaler  Art  (bei  Clem.  Strom.  IV  13,  91):  iac  ci^x^^  ^^^' 
vatoi  iöts  xal  rixva  ^ODrlg  iöts  aiaviag  xal  rbv  ^avaxov  ii^iketB 
fisQLöaö^ai  eig  iamo^jg,  Iva  öanavi/^^vits  airbv  xal  ivaXA6rits  xal 
äitod^ävy  6  ^dvatog  iv  i)^lv  xal  8C  i^&v  Ztav  yäg  xhv  yihf 
xööiiov  Xvrits^  ifLBtg  di  [lij  xatalvr^ö^ej  xvQwdete  tflg  Tctiösag  xal 
Tilg  9>^0Qag  anäörig.^  In  einem  anderen  Fragment  (bei  Clemens 
1.  c.  92)  findet  sich  folgende  scharfe  Antithese:  bn66ov  ikdxtmv 
il  eixhv  xov  i&vxog  jtQOöAxov,  xoöovtov  tj66av  6  Ttööii^og  tw 
i&vtog  al&vog.  In  allen  Fragmenten  ist  auf  die  Rhythmik 
grofses  Gewicht  gelegt^  besonders  deutlich  bei  Clem.  VI  6,  52, 
wo  alle  Eola  auf  die  uns  bekannten  Klauseln  x^ij.^j,\j^ 
j.  ^  ^  ausgehen:  nokXä  x&v  yeygaii^iiivav  iv  xatg  dtmoöCa^g  ßi- 
ßXoig  sxfQiöxsxai  ysygaiiiiiva  iv  xji  ixxXijöia  xov  d'BOv'  tä  yä(f 


1)  Ein  ähnliches  glänzendes  Urteil  über  ihn  aus  Hieronymus  bei 
Hamack,  Dogmengesch.  P  216,  1. 

2)  Usener,  Beligionsgesch.  Unters.  1  24. 

3)  „Gedicht  in  Prosa**  nennt  die  Stelle  Hamack  in:  Texte  1.  c.  49, 1.  — 
Die  Worte  hat  C.  Schmidt  1.  c.  (oben  S.  471, 1)  636,  1  passend  zusammen- 
gestellt mit  einer  Stelle  aus  dem  zweiten  Buch  Jeü  (bei  Schmidt  p.  197): 
„Und  ich  (Jesus  spricht)  sage  euch,  dafs  sie  (die  der  iwöt^qui  teilhaftigen 
Menschen)  schon,  seit  sie  auf  der  Erde  sind,  das  Reich  Gottes  geerbt  haben 
(idriQovoiutv);  sie  haben  Anteil  (jHQlg)  an  dem  Lichtschatze  ('^6€ivQ6g), 
und  sie  sind  unsterbliche  did^dvatoi)  Götter."  Der  vollendete  Mensch 
ein  Gk>tt  auf  Erden I  das  ist  ganz  hellenisch  empfunden:  iya  d*  ^^ifuv  ^ibs 
äf^PifOvogf  o^niti  ^m^rbs  Ilalsijfuci  (istcc  n&ci  xettfiivos  hatte  Empedokles  in 
seinen  Landsleuten  gesagt  (355  St.),  und  einen  berühmten  Ausspruch  des 
EanUit  yon  der  Wesenseinheit  des  Lebens  und  Sterbens  hatten  Spätere,  be- 

"^axi  Stoiker,  ethisch  umgewandelt,  so  formuliert:  icd-dvatoi  d^njvol,  ^^roi 

n,  worftber  cf.  J.  Bemays,  Die  heraklit.  Briefe  (Berlin  1869)  87  ff. 

«itet  die  Vorstellung  von  der  Unsterblichkeit  und  Göttlichkeit  des 

Mentehen  in  jenen  Zeiten  war,  weifs  jeder  Leser  des  Clemens 


Die  Litteratar  der  gpriechischen  Kirche:  die  Predigt  saec.  11.  m.     547 

ocoivd^)y  tfxikd  iffti  tä  inb  xagdiag  ^iffiara,  vö^iog  6  ygaarbg 
iv  %a(fdlff.  ovt6g  iöriv  6  Xccbg  6  rot)  '/lyanri^ivov  6  q)(,XoiiiiLevos 
%al  ipiX&v  aitöv,*) 

Was  die  gnostischeu  Heifsspome  und  Phantasten  im  Sturmes- 
laof  nnd  mit  offener  Bekennung  der  Farbe  zu  erreichen  suchten, 
die  Verquickung  des  Christlichen  mit  dem  Hellenischen,  das  er- 
reichte die  katholische  Kirche  in  vorsichtiger  Arbeit,  bei  der  sie 
weniger  selbst  treibend  hervortrat,  als  vielmehr  den  grofsen  Zug 
der  Ideen  seinen  langsamen  aber  um  so  sichereren  Gang  gehen 
liels,  bis  ihr,  als  die  Zeit  gekommen  war,  die  Frucht  von  selbst 
in  den  Schofs  fiel,  gereift  in  langem  Wachstum  und  frei  von 
dem  *Gift'  der  Häresie. 

Auf  katholischer  Seite  sind  Hippolytos  und  Origenes  die  Hippoijtoi 
ersten  Vertreter  einer  kunstm'afsigen  Predigt  gewesen.*)  Wenn 
der  Xöyog  elg  rä  Syia  ^Botpaveia  wirklich  dem  Hippolytos  ge- 
horte, müTste  man  diesen  Bischof  als  Redner  dem  Gregor  von 
Nazianz  an  die  Seite  stellen.  Aber  abgesehen  von  den  schweren 
inneren  Yerdachtsgründen  durchbricht  diese  Rede  auch  rein 
stilistisch  die  Entwicklungsgeschichte  der  Predigt,  insofern  sie 
die  Darstellungsart  frühestens  der  Mitte  des  vierten  Jahrhunderts 
anticipiert.  Ich  lasse  sie  daher  der  Vorsicht  halber  lieber  ganz 
beiseite/)  Von  sonstigen  Reden  des  Hippolytos  haben  wir  nur 
eine  by^Ma  gegen  die  Noetianer,  in  der  wir  an  den  nicht  rein 
lehrhaften  Stellen  eine  durch  die  Eunstmittel  der  Rhetorik  be- 


AI.  und  Plotin;    eine  Stellensammlong  aus  anderen  Autoren  jener  Zeit  bei 
Bemaya  1.  c.  135  ff.  und  vor  aUem  bei  Hamack,  Bogmengesch.  I'  114,  1. 

1)  %^0L  die  Hss.,  verbessert  von  Hilgenfeld  aus  dem  Zusammenhang 
bei  Clemens. 

2)  Der  grofse  Brief* des  Valentinianers  Ptolemaios  an  Flora  bei 
Epiphan.  haer.  XXXIII  8  ff.  (zuletzt  ed.  Hilgenfeld  in:  Z.  f.  wiss.  TheoL 
XXiV  [1881]  214  ff.)  ist  in  sprachlicher  und  stilistischer  Hinsicht  geradezu 
musterhaft,  cf.  Anhang  H.  Auch  das  lange  Fragment  aus  des  Earpo- 
kratiaiiers  Epiphan  es  Schrift  ^re^l  di%ui,06vv7i9  bei  Clemens  AI.  Strom.  III 
S,  6  fF.  weifii  den  Kommunismus  mit  Farben ,  die  der  griechischen  Philo- 
sophie (Piaton,  und  vielleicht  Zenons  noXixBla'i)  entnommen  sind,  in  herr- 
licher, stellenweise  stark  rhjrthmischer  Sprache  zu  preisen. 

8)  Der  inhaltlich  sehr  interessante  Panegyricus  des  Gregorios  Thauma- 
tnrgos  auf  Origenes  (yoI.  10,  1062  ff.)  bleibt  hier  natürlich  ganz  aufser 
Betracht. 

4)  Gtegen  die  Echtheit  zuletzt  H.  Achelis  in  seiner  Ausgabe  (Corp. 
Bcript.  eccl.  graec.  Berol.  1897)  praef.  p.  VI. 

Norden,  antike  Ennstprosa.   II.  86 


548  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

wirkte  Steigerung  des  Tons  deutlich  wahrnehmen  ^  z.  6.  in  der 
xagaivsöig  p.  50,  21  Lagarde:  ola  totvw  9(ri(yü66ov€iv  at  ^Btai 
yQaq>al  tdcaiisvj  xal  3öa  diddöxovöiv  imyv&iievj  ocal  Sg  d'dXn 
nati^Q  mörs'ösöd'ai  xtötsiiöcoiuvj  xal  &g  d'dXst  vCbv  do^d- 
^Böd'ai  do^äöauev^  xal  Sg  ^iksi  ücvsv[ia  Syiov  dagstö^ai 
läßoDiieVj  oder  in  der  hyninenartigen  Lobpreisung  p.  56,  31  ff.: 
^afnög  i6uv  6  vC6g  [lov  6  äyanritög,  ixoiists  ai5ro€*  (Matth.  17, 5). 
0*^0^  6rsq)avoiycai  Ttatä  di^aßöXov^  oitög  i6xiv  *Iri6ovg  6  Na^a- 
Qatog  6  iv  Kavä  iv  ydiioig  xXrjd'Blg  xal  tb  Cdag  slg  olvov  (uta- 
ßaXiav  xal  d'aXd06y  intb  ßiag  ivi^an^  xtvoviiivy  hciuii&v  xal  hcl 
d'akdöörig  TCBQiitax&v  hg  inl  ^ifag  yf^g^  xal  tvtpXbv  hc  ysvevijg 
6(fav  xot&v  xal  vsocgbv  jid^aQOv  rexQaiifUQOv  ivi6x(bv  xal  xotKC- 
lag  dvvdfUig  inoxBk&Vy  xal  &^a(ftCag  &q>€lg  xal  i^ovöüxv  didoi>g 
laad^tatg  xal  alfia  xal  Cöcoq  ig  äyCag  xXsvQäg  ^sv6ag  X6yxo  w- 
ysig,  toikiw  %d(fiv  V^liog  öxoti^staiy  ijiiiQa  oi  q>aniietar  ^yvx)v- 
tai  ich(fai  6xClsxav  Ttaxanitaö^a*  tä  %B{Ukia  yi^g  öBietaCj  ivoCyov- 
tai  tdq>OL  xal  iysiQOvtac  vsxqoI  xal  &QXOvt€g  xaxai^x^vovtai,  xbv 
y&Q  xoöinitoQa  tov  xavrbg  isd  ötavQOv  ßkijtovxBg  xaimv66avta 
xbv  6q)^aXnbv  xal  xaQadAöavta  tb  xvsi^iMc  ldov6a  ^  fpv6^  ita- 
Qdööeto  xal  tijv  a'drov  {msQßdkXovöav  dö^av  xaiffflöat  oi  dwa- 
^dvrj  iöxotC^sto  u.  s.  w.:  was  wirkt  in  diesem  Passus  mehr,  die 
grandiose  Diktion  des  Panegyrikers  oder  das  schlichte  Wort  des 
Evangeliums,  an  das  er  anknüpft?^) 
Clement.  Hippoljtos  hat  die  Häretiker  bekämpft  wegen  des  Inhalts 
ihrer  Lehre:  in  der  Formgebung  hat  er  kein  Bedenken  getragen, 
sich  wie  jene  der  wirksamen  Mittel  der  hellenischen  Rhetorik  in 
ausgiebiger  Weise  zu  bedienen.  Auch  die  imposanten  Vertreter 
der  alezandrinischen  Schule  haben  gegen  die  hellenisierenden  Hä- 
retiker gekämpft,  aber  wie  Clemens')  in  seiner  *  Philosophie'  dem 
Piatonismus  weitgehendste  Zugeständnisse  machte  und  wie  Ori- 
genes  auf  die  Bibel  die  aristarchische  Textkritik  sowie  die  stoisch- 
philonische  Exegese  übertrug,  so  haben  beide  ihre  Darstellung 
dem  hellenischen  Geiste  unbedenklich  angepaEst:  vertraten  sie 
doch  überhaupt  den  freisinnigen  Standpunkt,  das  Gute  des  Heiden- 
tums  nicht   zu   verschmähen,   was    Origenes    einmal   (in   Exod. 

1)  Cf.  auch  de  Christ,  et  Antichrist,  p.  2,  12  ff.   8,  14  ff.  Lag.  —  4,  22  ff. 
6,  8  ff.  Ach. 

2)  Über  seine  Bedeutung  für  die  Formengeschichte  der  christlichen 
Litterator  cf.  hesonders  Overbeck  1.  c.  (oben  S.  479)  454  ff. 


Die  LiHerabir  der  griechischen  Kirche:  die  Predigt  saec.  II.  DI.     549 

hom.  11  c.  6,  Tol.  IX  138  f.  Lommatzsch)  ausführlich  darlegt 
mit  Bemfang  auf  das  Wort  des  Apostels  navxa  doxiiiAißtSj  xh 
%aXhv  uaxi%BtB  (Paulus  ep.  ad  Thess.  I  5,  21).  Der  Anfang  des 
clementinischen  Protrepticus  gehört  mit  seinen  zerhackten, 
rhythmisch  fallenden^  figurengeschmückten  Sätzen  zu  dem  Raffi- 
niertesten, was  es  aus  der  sophistischen  Prosa  giebt,  stark  er- 
innernd an  das  etwa  gleichzeitige  Proömium  des  Hirtenromans 
des  Longos  (oben  S.  439):  *A(upC(ov  6  &tißatog  \  xal  *A(fC(ov  6 
Mft^viivttlog  I  aiMpm  ^ilv  9i6xriv  pdi^xA,  \  iiv^og  dh  &ii^q)m'  \\  —  xal 
%b  ^6fka  elöhi  xovto  \  ^EXXijvwv  adexav  xoq^  — *  H  xi%vji  rg  imw- 
tfucg  I  6  lihv  l%^v  8BkB&6aq^  \  6  8i  &ijßas  xsvx^ag.  \\  Oq^xioq  dh 
RXXog  6oq>i6xilg  \  —  Skkog  oixog  ^v^og  ^EXXrivtxög  —  |  ixi^dö- 
6SVS  tä  d^Qia  I  yviivfj  xy  tpdfjy  \  xal  dij  xä  divÖQa  xäg  fpriyo'bg  \ 
fLiiBffmsvöB  xy  (MvöMy,  H  l^oi^*  &v  6ov  xal  &XXov  xoikoig  adsX- 
^bv  dtfiyi^6a6^ai  \  fiv^ov  xal  pddv^  \  Eüvoiiov  xbv  AoxQhv  \  xal 
xitxiya  xbv  IIv^ixöv  ||  u.  s.  w.  Origenes  war  nach  Eusebios  Origenet. 
(h.  e.  VI  36,  1)  der  erste,  der  seine  Predigten  sorgfältig  aus- 
arbeitete (die  Häretiker  rechnet  er  natürlich  nicht  mit);  die  uns 
erhaltenen  Predigten  sind  sämtlich  von  der  Form,  die  ich  in 
der  obigen  Skizze  der  Formengeschichte  der  Predigt  als  exege- 
tisch bezeichnet  habe.  In  solchen  Predigten  war  nicht  viel 
Baum  für  einen  glänzenden  Stil:  soweit  ich  sie  kenne,  fehlt  in 
ihnen  das  rhetorische  Pathos  ganz,  wenigstens  erreicht  er  es 
nicht  durch  äulserliche  Mittel.  Das  war  auch  wohl  unnötig  bei 
dem  Publikum,  vor  welchem  er  sprach:  denn  die  abstrusen  Alle- 
gorieen,  die  er  vortrug,  waren  keinesfalls  für  die  Masse  bestimmt, 
sondern  für  eine  kleine  Gemeinde,  welche  dida6xaXia,  kein  Ttd^og 
suchte.  Er  hat  an  mehreren  Stellen  seiner  Homilien  gegen 
Prediger  geeifert,  die  dem  Publikum  zuliebe  sich  eines  zu  ge- 
schmückten Stils  bedienten.^)  Ein  Redner  war  Origenes  so  wenig 
wie  Aristarch,  Varro,  Philo,  Hieronymus. 

Dagegen  war  Paulus  von  Samosata,  der  bald  nach  Ori-    Paoiat 
genes'  Tode  Patriarch  von  Antiochia  war  (260 — 268),   ein  Pre-  ^  *"**'* 


1)  In  Ezech.  hom.  8,  8  (XIV  46  Lomm.):  effeminatae  sunt  eorum  ma- 
gistrorum  et  animae  et  voluntates,  qui  semper  sonantia,  semper  canora  com- 
ponwnt;  et  \tt  quod  verum  est  dicam,  nihil  virile,  nihil  forte,  nihil  deo  dignum 
est  in  his  qui  iuxta  gratiam  et  voltmUUem  atidientium  praedicant  Diese 
Stelle  entnehme  ich  ans  Alberti  de  Albertis,  Thesaur.  eloquentiae  (1G69) 
466  f.;  ein  paar  andere  bei  Probst  1.  c.  (oben  S.  587,  1)  285.   287,  20. 

86  • 


550 


Von  Hadriatt  bis  mm  Ende  der  Kaieerzeit. 


diger  ganz  nach  Art  der  asianischeu  Sophisten.  Wir  wissen  dt 
zufällig,  weil  man  für  ihn,  den  Häretiker,  diese  Vortragsweise 
eharakterJatisch  fand,  Eusebios  (h.  e.  VII  30)  teilt  aus  dem 
gegen  Paulus  gerichteten  encjklopädischen  Brief  der  Bischöfe 
u.  a.  folgende  bemerkenswerte  Stelle  mit  (§  9) :  r^v  iv  rafg  ^x- 
)tXij6tttOTixttls  avvödoig  ti^aztiav  ftijjjttvärt«  iJoIoxoäSv  xcI  qsaw- 
%«<StoxonC)V  xal  tks  z&v  ixegaioxigav  liivxiis  i^ois  roioikoig  wt- 
»Aijctrav,  ßyiftcc  [liv  xal  9q6vov  vipijkbv  iavTä  xaraaxsvaoäfuvog, 
O^X  ^S  Xpiatov  jiaQrjtijg,  «■»jxpTjTOi'  dt,  toancq  o(  zov  xöaftov 
&Q%ovxcs,  l%oyv  r-E  xal  drofiä^av,  naCtav  Si  tjj  z^'P^  r^*"  ftlpiv 
xal  rö  ß^fta  ägättcov  zoig  zoal  xal  toig  fi^  ixatvovöi  (iTjäi 
äUmp  iv  Tofg  &fäzQOLs  xazttödox'Oi  tatg  6&6vBig  iii}S'  ixßoäßi 
T£  xcd  avaatjS&tSi  xazä  tä  avtä  rolg  ä^up  avzbv  araaiihzatg  dv 
Sffüai  zt  xal  ywttioig,  dxöefiojg  oürraj  äxtfoioiiivotg,  zotg  ä'  ovv 
Sg  iv  ofxo)  9eov  «t^voTtgutäg  xal  iviüxtag  äxovovOiv  intziftStv 
xal  iwßQi^av  xal  stg  toüs  ä-xsl&övrttg  ix  zov  ßiov  zo^zov 
otviSv  iiriyi}zäg  toü  i,6yov  (poQzixäg  iv  zip  xoivä  xal  [layai 
gi}(iov&v  negl  iavzov,  xa^aTieQ  ovx  ijiiixoTtQg,  iXf.ä 
ffiiüT^g  xal  ycitjg.'l 


4.    Der  Stil  der  Predigt  im  vierten  Jahrhundert. 

a)   Die  allgemeinen  VerhältniBse. 

fci*t"«i  Die  Beeinflussung  der  Predigt   durch   die  sophistieche  Rhe- 

PMdig.t    torik  erreichte  im  vierten  Jahrhundert  ihren  Höhepunkt.*)     „Die 

^j*^"**^  bedeutendsten  christlichen  Kanzelredner  jenes  Jahrhunderts  sind 


1 


1)  In  den  wenigen  erhaltenen  Fragmenten  ist  Ton  einem  affelctierten 
Stil  uichta  su  merken,  es  Bei  denn  etwa  iip  07^^  xvfvfuiri  jp'offfle  npon)- 
yopcvt^Tj  Xftin6s,  itoffjtüv  kotü  (fieiv,  9iiviuiTovey<!iy  itttta  xägiv  (bei  A.  Mai, 
Swiyt.  vett.  no».  uoll.  VH  p,  68;  riavXov  Satiataiitas'  I"  tu*  tcütoö  jr^i; 
Eaptvov  iiyuv),  oder  tä  »(atovfiEva  zip  Uyw  tijs  <pv<ietos  06»  tfovaiv  £««*- 
vov  tä  di  exictt  ipiUus  x^ioiififvu  vntifuivitä,  fiia  xul  t^  avt 
ufoinifura,   Oiä   ^i&i   kuI  cfjg   cürf]g   {vfQytiat   ^i^aioifuva  (ib.  p,  G9: 

~  I  )iBU  Hemerknngpn  dnnlber  l>ei  Joh,  Bauer,  Die  Trostreden 

^0  ibr«iu  Verbältnis  z.  antik.  Rhetorik,   Diaa.  Marbnig 

■sieht  ii:e«tellle  grOäare  Abhandlung  „Cber  die 

«r  diM  IV.  Jh.  in  iluem  Yeih.  z.  ant  Rhet." 


Uaa  B«aie  und  Wärmste,   waa  über  1 
»n  Kirche  geschrieben  let,    int  die  J 


Die  Litteratnr  d.  griecli.  Kirche:  Allgemeines  über  die  Predigt  s.  IV.     551 

geschult  in  der  rhetorischen  Methode  und  haben  erst  selbst 
Rhetorik  gelehrt.  Basilius  und  Gregor  von  Nazianz  haben  in 
Athen  unter  den  berühmten  Professoren  Himerius  und  Pro- 
haeresius  studiert,  Chrysostomus  unter  dem  noch  berühmteren 
LibaniuB,  der  noch  auf  dem  Totenbette  von  diesem  Schüler 
sagte y  er  wäre  am  würdigsten,  sein  Nachfolger  zu  sein,  wenn 
ihn  nicht  die  Christen  gestohlen  hätten  (Sozom.  h.  e.  VIII  2)."*) 
Die  Gebildeten  gingen  damals  mit  denselben  Erwartungen  in 
die  Ejrche  wie  in  den  Hörsaal  des  Sophisten:  sie  wollten  sich 
einen  Ohrenschmaus  verschaffen,  ein  Stündchen  angenehmer 
Unterhaltung,  imd  viele  Prediger  waren  ihnen  darin  allzu  will- 
fahrig,  so  (wenigstens  nach  dem  Bericht  seiner  Gegner)  am 
Ende  des  dritten  Jahrhunderts  der  eben  genannte  Paulus  v. 
Samosata.  Gegen  diesen  Mifsbrauch  wandten  sich  die  mafs- 
gebenden  Männer;  vor  allen  loannes  Ghrysostomos  hat 
sich  öfters  über  das  Verhalten  seiner  Gemeinde  beklagt ,  z.  B. 
hom.  3  in  ep.  2  ad  Thessal.  c.  4  (62,  485  Migne):  ^xC  elöeQxo^ac 
(sc.  slg  xi(v  ixxktiöiav),  tpriölv^  ei  ovx  axot^o  tivbg  6(nXovvtog'' ; 
rovvo  nivta  iacoXfnkBxa  xal  dUtpd-siQS,  xC  yäg  xqbIk  dficXriTov; 
ijtb  tilg  fifutigag  Qa%viUag  avtri  rj  xqbCu  yiyovB.  diu  rC  yäg 
byLiXCag  %QBla*j  nivta  6a(pfi  xccl  Bvd'ia  zä  nagä  xatg  d^Btaig  yga- 
^atgj  nivta  xä  ivayxata  df^ka.  aAA'  inBidij  xiQ^B&g  iöxe  axQoa- 
taCj  diä  toiho  xal  xaika  ^rixBtxB.  Blnh  yig  (loi,  noip  xdiinc) 
X&yov  IlaOXog  iXeyBv;  iXX'  o(i(og  xr^v  olKOVfiivrjv  inixQB^BV.  noiGi 
ik  nixQog  6  iyQiykiutxog\^  Vor  allem  wendet  er  sich  an  vielen 
Stellen  gegen  das  Beifallklatschen  in  der  Kirche.  Wir  haben  schon 
oben  (S.  274  f.  295  f.)  gesehen,  da&  dies  ein  stehender  Gebrauch 
bei   den  Vorträgen   der  Sophisten  war   und   dafs  diese  förmlich 


handlang  von  Villemain,  De  T^loquence  chretienne  dans  le  quatrieme 
litele  in  seinen  M^langes  historiqües  et  littöraires  III  (Paris  1827)  293  ff. 
Fflr  die  westliche  Kirche  tritt  erg^lnzend  hinzu:  A.  Ozanam,  L'^Ioquence 
chrftiehne  in  seiner  GiTÜisation  au  V.  si^cle,  soc.  <5d.  II  (Paris  18G2)  149  ff. 
Sowohl  über  die  griechische  wie  die  lateinische  Predigt  dieser  Zeit  handelt 
F.  Fkobst^  Katechese  n.  Predigt  Tom  Anf.  des  vierten  bis  zum  Ende  des 
«whitl«  JahilL  (Bred.  1884)  134  ff.,  gelungen  besonders  in  der  Charakto- 
xiitik  der  einaelnen  Prediger.  Doch  ziehe  ich  es  vor,  auf  Grund  meiner 
LeUbe  meine  eigenen  Wege  zu  gehen. 

1)  Hetdh  L  c.  (oben  S.  618,  l)  78  f. 

t)  XWmlwili«  Stellen  bei  J.  A.  Neander,   Der  h.  Juh.  Chrys.   u.   die 
I  Ofld.  im)  118  ff.    927  f. 


552  Von  Hadrian  bis  Kam  Endo  der  Kaiseneit. 

lebten  von  dem  Beifall,  der  ihnen  gezollt  wurde.  Dals  die  Sitte 
auf  die  Predigten  übertragen  wurde ,  hat  außführlich  nach- 
gewiesen schon  Franc.  Bern.  Ferrarius,  De  ritu  Hacrarum  ec- 
clesiae  catholicae  concionum  (Paris  1664)  1.  II  c.  23 — 26  p.  266  S. 
Die  bezeichnendste  der  dort  angeführten  Stellen  m^e  hier 
Platz  finden :  loann.  Chrys.  hom.  30  in  act  apost.  c.  3  (60,  22ö  £F. 
Higne):  „Noch  schädlicher  ist  es,  wenn  einer  zwar  mit  Worten 
schöne  Lehren  erteilt,  mit  den  Werken  aber  gegen  die  Lehren 
streitet.  Dies  ist  die  Veranlassung  Tieler  Übel  in  den  Kirchen 
geworden.  Deswegen  verzeiht  mir,  bitte,  wenn  meine  Rede  bei 
diesem  Fehler  verweilt.  Viele  geben  sich  alle  erdenkliche  Mühe, 
um,  wenn  sie  aufgetreten  sind,  ihre  Rede  in  die  Länge  zu  ziehen, 
und  wenn  ihnen  von  der  Menge  Beifall  geklatscht  ist,  so  ist 
ihnen  das  ein  Königreich  wert;  wenn  sie  aber  unter  Schweigen 
die  Rede  beendet  haben,  so  sind  sie  darüber  verzweifelter  als 
über  die  Hölle.  Das  ist  es,  was  die  Kirchen  ruiniert,  dafs  ihr 
nicht  eine  Rede  zu  hören  wünscht,  die  euer  Gewissen  trifft, 
sondern  eine,  die  euch  zu  amüsieren  vermag  durch  den  Schall 
und  die  Komposition  der  Worte,  gerade  so  als  ob  ihr  SSngem 
und  Zitherspielem  zuhörtet,  wir  schlaff  and  erbärmlich  genug 
sind,  euem  Begierden  zu  wUl&hreu,  statt  sie  euch  auszutreiben. 
(Diese  Redner,  führt  er  aus,  machten  es  gerade  so  wie  Väter, 
die  ihren  kranken  Kindern  schädliche  Süfsigkeiten  geben.)  Das- 
selbe widerfährt  uns,  die  wir  nach  schönen  Worten  und  Sätzen 
haschen  und  darauf  aus  sind,  wie  wir  eine  Harmonie  erklingen 
lassen,  nicht  wie  wir  nützen,  wie  wir  bewandert  werden,  nicht 
wie  wir  belehren,  wie  wir  unterhalten,  nicht  wie  wir  ins  Ge- 
wissen reden,  wie  wir  beklatscht  werden  und  nach  erhaltenen 
Lobsprüchen  abtreten,  nicht  wie  wir  eure  Sinnesart  in  Harmonie 
bringen.  Glaubt  mir:  wenn  ich  rede  und  beklatscht  werde,  so 
bin  ich  (warum  sollte  ich  nicht  die  Wahrheit  sagen)  Mensch 
genug,  mich  darüber  zu  freuen  und  es  mir  gern  ge&Uen  zu 
lassen:  wenn  ich  dann  aber  nach  Hause  komme  und  mir  Ober- 
lage, dab  die,  welche  geklatscht  haben,  keinen  Nutzen  gehabt 
f  hnben,  oder  jedenfalls  des  Nutzens  infolge  des  Beifallklatschens 
bjUid  der  Lolisjirüche  verlustig  gegangen  sind,  dann  schmerxt  es 
^  tteofee  und  weine  imd  fühle  wie  einer,  der  alles  Yer- 
lft^  und  sage  zu  mir:  „Was  nflfast  mir  nun  all 
'  "  r  Hörer  aus  meinen  Worten  keiaeti  Gewinn 


Die  Litteratnr  d.  griech.  Kirche :  Allgemeines  über  die  Predigt  s.  IV.    553 

ziehen  wollen?^'  Und  oft  habe  ich  schon  den  Gredanken  gefafst, 
ein  Gesetz  zu  erlassen ;  welches  das  Beifallklatschen  yerhindert 
und  euch  bestimmt,  schweigend  und  mit  der  gehörigen  Ordnung 
zuzuhören.  (Dies  ftOirt  er  dann  weitläufig  aus.)  Nichts  ziemt 
der  Kirche  so  wie  Schweigen  und  wie  Ordnmig:  den  Theatern  ist 
der  Lärm  angemessen,  den  Bädern,  den  Aufzügen  und  den  Ver- 
sammlungen auf  dem  Markte  ....  Wenn  ihr  euch  so  benehmt, 
werdet  nicht  nur  ihr,  sondern  auch  wir  selbst  Nutzen  davon 
haben:  wir  werden  dann  nicht  mehr  den  Nacken  hoch  tragen 
und  nicht  nach  Lob  oder  Ruhm  begehreu,  nicht  das,  was  unter- 
hält, sondern  das,  was  nützt,  sagen,  nicht  auf  Satzkomposition 
und  schöne  Worte,  sondern  auf  die  Kraft  der  Gedanken  jeden 
Augenblick  verwenden.  Geh  in  die  Malstube  und  du  wirst  sehen, 
wie  dort  tiefes  Schweigen  herrscht;  also  auch  hier,  denn  auch 
hier  malen  wir  königliche,  nicht  gewöhnliche  Gemälde 
mit  den  Farben  der  Tugend.  Was  ist  das?  ihr  klatscht 
wieder?  Nicht  leicht  scheint  es  euch  zu  werden,  euch  zu 
bessern.'^  (Das  kühne,  in  seiner  Art  grofsartige  Bild  hatte  die 
Zuhörer  wieder  fortgerissen.)  Ist  derartiges  zu  verwundern, 
wenn  um  dieselbe  Zeit  Asterios  von  Amaseia  ohne  Bedenken 
eine  Homilie  beginnen  konnte  mit  der  Mitteilung,  er  komme 
soeben  in  grober  Erregung  von  der  Lektüre  der  demosthenisclien 
Eranzrede  (in  S.  Euphemiam,  vol.  40,  333  Migne)? 

Nicht  anders  war  es  im  Westen.  Wir  haben  gesehen  ^)  ^ 
(S.  533 f.),  dafs  Augustin  in  seinem  Werke  de  doctrina  Chri- 
stiana  den  Nachweis  führt,  dafs  die  maüsvoU  rhetorische  Predigt 
nicht  nur  erlaubt,  sondern  auch  nötig  sei  und  sehr  detaillierte, 
aus  CiceroB  rhetorischen  Büchern  abgeleitete  Vorschriften  darüber 
giebt^),  ähnlich  wie  damals  Ambrosius   das  System  der  christ- 


1)  Dieser  Standpunkt  AugUBtins  wurde  für  die  Folgezeit  sehr  wichtig: 
auf  ihn  beriefen  sich  alle  die ,  welche  eine  rhetorische  I^digt  für  erlaubt 
und  nfitig  hielten.  Man  lese  darüber  Pauli  Cortesii  protonotarii  apostolici 
prohoeminm  in  libmm  prinmm  sententiarum  ad  lulium  11  Pont.  Max.  (zuerst 
Born  IftOS,  dann  Basel  1618).  In  demselben  Sinne  äufsem  sich  die  in  der 
Basetor  Ausgabe  vorausgeschickten  Briefe  des  Beatus  Rhenanus  und  Kon- 
nd  Pöotiiiger.  Als  Titelvignette  dieser  Ausgabe  ist  dargestellt  ein  Wagen, 
darin  litund  eine  in  einem  Buch  lesende  Frau  'Humanitas',  der  Wagen 
wird  forwtiis  bewegt  links  von  'Vergilius'  und  'Tullius',  rechts  von  'De- 
i'  nad  'Homenis'.  Cf.  Joh.  Sturm,  De  ludis  literariis  recte  ape- 
Üft  (ßkabb.  1688)  104.    firasmus ,  Dialogus  Ciceronianus  p.  U93  ff.  (is 


554  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeit. 

liehen  Moral  auf  Ciceros  Büchern  von  den  Pflichten  begründete. 
Aber  auch  hier  dieselben  Ezcesse  wie  im  Osten.  Was  sollen 
wir  dazu  si^en^  wenn  Avitus,  Bischof  von  Vienne  (f  c.  530), 
in  einer  Homilie  mitten  zwischen  Schriftstellen  zwei  Citate  aus 
Vergil  bringt  (homil.  6  p.  112  Peiper),  oder  es  alles  Ernstes  für 
nötig  hält,  sich  in  einem  eigens  zu  diesem  Zweck  geschriebenen 
Brief  wegen  eines  vermeintlichen  Fehlers  zu  verantworten,  den 
er  in  einer  zu  Lyon  gehaltenen  Predigt  bei  der  Messung  des 
Verbum  potiri  hegangen  haben  sollte  (ep.  57  p.  85  f.)?0  ^^^ 
allem  herrschte  auch  im  Westen  die  Unsitte  des  Beifall- 
klatschens, wofür  zwei  Zeugnisse  Augustins  angeführt  werden 
mögen,  die  ich  dem  citierten  Werk  des  Ferrarius  entnehme: 
Augustinus  serm.  339  c.  1  (38,  1480  Migne):  quid  ergo  milU 
hodie  maxime  fadendum  nisi  ut  commendem  vobis  perictdum  meum, 
iä  siiis  gaudium  meum?  pericülum  autem  meum  est,  $i  adtendam 
gtiomodo  laudatis  et  dissimulem  guomodo  vivatis.  ille  autem  navü, 
stib  cuius  ocülis  loquor^  immo  sub  cuius  ocuiis  cogito,  non  me  tarn 
deUctari  landüms  populanbus  quam  sHmülari  et  angi,  qxwmodo  vi- 
vant  qui  me  laudant  laudari  autem  a  male  viveniSms  nolo  ab- 
horreo  detestar;  dolori  mihi  est,  non  voluptaii.  laudari  autem  a 
bene  viventibuSj  si  dicam  nolo,  mentior;  si  dicam  volo,  timeo,  ne 
sim  inanitatis  appetentior  quam  soliditatis.  ergo  quid  dicam?  nee 
pletie  volo  nee  plene  nolo.  non  plene  volo,  ne  in  laude  humana 
pericliter:  non  plene  nolo,  ne  ingrati  sint  quibus  praedico.    Sogar 

Yol.  I  der  Ausg.  von  1703).  Sanctius,  Minerva  (zuerst  1587)  p.  866  ff.  (der 
Amsterdamer  Ausg.  von  1752).  In  Frankreich  entspann  sich  über  Augostins 
Vorschriften  ein  Streit:  die  einen  verwarfen  die  künstliche  Predigt^  die 
anderen  verteidigten  sie,  cf.  Gibert  in:  Jugemens  des  savants  Ylll  (Amsterd. 
1725)  460  ff.  Der  bedeutendste  dieser  französischen  Schönredner  auf  der 
Kanzel  war  im  XVII.  Jahrh.  Fl^chier;  wohl  hauptsächlich  gegen  ihn  und 
seine  Anhänger  eifern  F^n^on  in  dem  von  mir  schon  öfters  citierten  meister- 
haften 'Discours  sur  T^oquence'  (Par.  1718)  und  der  Jesuitenpater  Bapin 
in  seinen  'Reflezions  sur  T^oquence'  (Oeuvres,  Amsterd.  1709  voL  II). 

1)  Er  nennt  bezeichnenderweise  einmal  (hom.  21  in.  p.  184)  seine 
Predigt  eine  declamcUio.  Ebenso  sagt  mit  naiver  Offenheit  Grennadius  de 
vir.  ill.  9  von  Honoratus,  Bischof  in  Massilia  (saec.  V):  t^  ehquena  et 
ahsque  ullo  linguae  impediniento  ex  tempore  in  ecclesia  declamator,  cf. 
für  den  Ausdruck  Sokrates  h.  e.  VII  12  von  Ablabios,  einem  Schüler  des 
als  Hermogenes-Kommentator  bekannten  Troilos  v.  Side  (s.  V):  oi  yXcapvQal 
ngoooiiiXiai,  xal  avvTovot  (pigomai  .  .  .  Tfjs  iv  Nvnaitf,  x&v  Nanottutiwdnr  i%- 
Y,XriGla<s  tnla-Konog  yiat scrri,  iv  ravrw  xal  aotpiavBvmv  iv  ta^ji. 


Die  Litt^ratur  d.  griech.  Kirche:  Allgemeines  über  die  Predigt  s.  IV.     555 

nach  Versen  der  h.  Schrift,  die  ihnen  besonders  gefielen, 
klatschten  sie:  Augustinus  enarr.  in  psalm.  147  c.  15  (37, 
1923  Migne):  ^henedixit  filios  tuos  in  te,  qui  posuit  ßios  iuos 
paeem'  (Ps.  147  v.  14).  quomodo  exsultastis  omnes?  hanc  antäte, 
fratres  mei.  miiUum  deledamur^  quando  clanuU  de  cordibtis  vestris 
pacis  düectio.  quomodo  vos  delectavit?  nihü  dixeram^  nihil  ex- 
posueram;  versum  pronuntiavi,  et  exclamasHs.  quid  de  vobis  da- 
mavit?  dilectio  pacis.  ^)  Auch  Ambrosius  und  Hieronymus  haben 
sich  über  die  unmäCsige  Anlehnung  der  Predigt  an  die  so- 
phistische Deklamation  geäufsert.  Ambrosius  de  officiis  mi- 
nistrorum  I  19,  84:  vox  ipsa  non  remissa,  non  fracta,  nihil  femi- 
neum  sonans,  quaietn  multi  gravitatis  specie  simulare  consuerunt^ 
sed  fonnam  quandam  et  regulam  ac  sucum  virilem  reservans.  hoc 
est  enim  pulchritudinem  vivendi  tenere,  convenientia  cuique  sexui  et 
personae  reddere.  hie  ordo  gestorum  optimus,  hie  omatus  ad  omnem 
aeHonem  accommodus.  sed  ut  moUiculum  et  infractum  aut  vocis 
sonum  atä  gestum  corporis  non  probOy  ita  neque  agrestem  ac  rusti- 
cum,  naturam  imitemur;  eiu^  effigies  formula  disciplinae,  forma 
honestatis  est.  cf.  22,  101;  23,  104.  Hieronymus  comm.  in  ec- 
clesiasten  c  9  (in  1  p.  467  ValL):  quemcumque  in  ecclesia  videris 
dedamcUorem  et  cum  quodam  lenocinio  ac  venustate  verborum  ex- 
citare  plausuSj  risus  excutere,  audientes  in  affectus  laetitiae  concitare, 
scito  dignum  esse  insipientiae  tam  eius  qui  loquitur  quam  eorum 
qui  audiunt.  Derselbe  comm.  in  ep.  ad  Gal.  1.  III  prooem. 
(VII  483  Vall.):  iam  amissa  apostolicorum  simplicitate  et  puritate 
verborum  quasi  ad  Athenaeum  et  ad  auditoria  convenitur,  ut  plaur 
8us  circumstantium  st^scitentury  ut  oratio  rhetoricae  artis  fucata 
mendacio  quasi  quaedam  meretricula  procedat  in  publicumy  non  tam 
erudüura  pcpulos  quam  favorem  populi  quaesitura  et  in  modum 
psaUerii  et  tibiae  dulce  canentis  sensus  demulceat  audientium^  ut 
velus  iUud  prophetae  Ezechidis  (33,  32)  nostris  temporibus  possit 
aptarif  dicente  domino  ad  cum:  *et  f actus  es  eis  quasi  vox  cHharae 
suave  canentis  et  bene  compositae  et  audiunt  verba  tua  et  non  fa- 
dunt  ea';  cf.  comm.  in  lesaiam  1.  VIII  pr.  (IV  1  p.  327),  comm. 
in  lonam  c.  4  (VI  420),  ep.  52,  4  (I  1  p.  258).  lulianus  Po- 
merius  (Presbyter  in  Südgallien  s.  VI)    de   vita   contemplativa 


1)  Zwei  interessante  Stellen  aus  dem  VI.  Jahrh.  (Gallien)  bei  C.  Ar- 
nold, Caesarius  von  Arelate  (Leipz.  1894)  125. 


556  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

I  23  f.  (59,  438  f.  Migne)  nach  Anführung  der  Worte  des 
Paulus  ^etsi  imperittis  sermone,  sed  non  scientia'  (ad  Cor.  II  11;  6): 
unde  datur  intelluji^  quod  non  sc  debeat  ecclesiae  doctor  de  accurati 
serinonis  ostentatione  iadarCj  ne  videatur  ecclesiam  dei  non  veUe 
aedificare,  sed  magis  se  gtiantae  sit  erudiHonis  ostendere.  non  igitur 
in  verborum  splendore  sed  in  opemm  virtute  totam  praedicandi  fidu- 
ciam  ponat,  noyi  vocüms  delecietur  populi  acclamantis  sibi  sed  fletibtis, 
nee  plaustim  a  populo  studcat  exspectare  sed  geniUum  u.  s.  w.  (es 
folgt  ein  durchgeführter  Vergleich  zwischen  dem  declamator  und 
doctor).  ' 

>utribeund  Die  aufscrc  Form,  in  die  sieh  die  Predigt  kleidete,  war  bei 
Predigt,  feiei-iichgu  Gelegenheiten  die  des  Panegyricus,  bei  mehr  lehr- 
haften Stoffen  die  der  Diatribe.  Über  das  Wesen  der  Diatribe 
habe  ich  oben  S.  129  ff.  gehandelt  und  dort  den  Nachweis  ge- 
führt, dafs  sie  sich  in  der  Weise  aus  dem  Dialog  entwickelt 
hat,  dafs  der  Vortragende  sich  mit  einer  von  ihm  fingierten 
Person  oder  mit  einem  redend  eingeführten  Zuhörer  (bezw.  Leser) 
unterhält.  Sie  wurde  besonders  gern  von  den  herumziehenden 
Moralphilosophen  in  ihren  Mahnreden  angewendet  und  wurde, 
wie  zuerst  v.Wilamowitz  1.  c.  hervorhob,  als  die  gegebene  Form 
der  paränetisch- doktrinären  Predigt  von  den  Christen  über- 
nommen. Schon  bei  Paulus  begegnen  ein  paar  Stellen,  die  die 
Keime  der  späteren  Entwicklung  zeigen:  ep.  ad  Cor.  I  15,  35  f.: 
&XXä  iget  tig  Il&g  iyeiQOvtav  ot  vexgoi;  noim  dl  öAfucti  ig- 
Xovtai;  &ipQ(0Vj  6i>  S  öjceigsig,  oi  ^ooTtoiettaL  iäv  fi^  äxo^ivy 
xtL  ep.  ad  Rom.  9,  19  f.:  igetg  fiot  oiv  Ti  ovv  iti  (idiMpsvai 
(6  d'sög);  t^  yä(f  ßovXtifuxti,  aitov  xlg  iv^iöttixsv;  i  Syd-goxa, 
(uvoihf  6i>  tig  el  6  ivtcaeoxQivöiuvog  tp  d'sp;  xtX.  ib.  11, 19  f.: 
ifstg  ovv  ^EiexXiödTjöav  xkddo^  tva  iya  iyxsvtQi6d'&.  xa- 
XAg'  tfi  iacuftüf  iisxXdö^öaVj  öi)  dh  t^  nCfStH  B6xfi%ag  TtxJiJ) 
Ebenso  der  Barnabasbrief  c.  9:  &kl*  igetg  Kai  fi^v  nsQixitiii/i' 
xai  6  iUeoff  Blq  6tpQwyt8a.  äkXä  xal  nag  SvQog  xtL  Der  Ja- 
«^obnabrief  macht  von  diesem  Mittel  schon  eine  weitergehende 
"t^nig^:    2,  14  tL:   xC  S^cAo^,  idelipot  fiov,  iäv  xi&gtv 


'Uunidt  in:  Beal-Encjkl.  f.  prot.  Theol.  n.  Kirche  XI' 
dM  labbinischl 

seiner  Zeit  (s.  n  und  zwar  vielleicht  erst  aus  der 
%  D.  Ghzonol.  d.  altchr.  Litt.  I  486  ff.). 


Die  Litteratnr  d.  griech.  Kirche:  Allgemeines  über  die  Predigt  s.  lY.    557 

Xdyg   tig   i%BiVy    i(fya   dl   fii)    ixy; iXX'  iget  ttg  Sv 

niöxiv  ix^ig,  Tciyh  igya  i%(o,  detl^öv  {loi  r^i/  nCönv  6ov  xfoglg 
t&v  iffymVj  xiym  6ov  dei^o  ix  x&v  iQycav  (lov  t^v  nlötiv,  6v 
niöts^sig  Sxt  aJg  ^s6g  iötiv,  xaX&g  xoietg'  tcccI  tä  dai^^iövia 
mörtöoxHtiv  xal  g>Qi66ov6iv.  ^iXsig  dl  yv&vai,  &  avd'QCJTCs 
xsvij  5t t  1^  niötig  x^Q^S  ^Av  Igycov  agyi^  iöriv;  xtX,  Auch  die 
mit  ßye  o^  eingeleiteten  direkten  Apostrophen  an  die  Hoffärtigen 
(4,  13  ff.)  und  die  Reichen  (5;  1  ff.)  sind  in  ihrem  Invektiventon 
ganz  diatribenmäfsig.  Für  die  didaktischen  Homilien  des  III.  Jh. 
sind  schon  oben  (S.  548)  einige  Beispiele  aus  Hippolytos 
angefahrt  worden:  dafs  dies  damals  etwas  ganz  Geläufiges  war^ 
zeigen  die  Predigten  des  Origenes^  vgl.  z.  B.  in  leremiam  hom. 
1  c.  8  (XV  116  ff.  Lommatzsch).  ^)  Aber  zur  eigentlichen  Ent- 
faltung kam;  wie  andere  Kunstformen,  so  auch  diese  erst  in  der 
Predigt  des  IV.  Jh.;  hier  zuerst^)  begegnet  auch  das  formel- 
hafte, für  die  Diatribe  typische  (s.  oben  S.  129, 1.  277)  ^ijtf^  sc.  der 
fingierte  Gegner.  Ein  paar  beliebige  Beispiele  aus  Predigten  des 
Gbrysostomos  mögen  das  veranschaulichen.  Hom.  in  evang. 
loann.  3  c.  3  (59,  41  Migne):  Johannes  sage  mit  Recht  6  Xöyog 
^,  nicht  6  d'ebg  iTCoitjös  rbv  löyop.  Nai,  q>ri6Cvy  &Xk^  6  Ili- 
XQog  xovto  shts  6aq>&g  xal  dtaQQi^dfiv.  IIov  xal  Ttöxs;  Xha  ^lov- 
daioig  ducXsyöfiBvog  Hsyav  Sxl  ^^xiigiov  aitbv  xal  ;|^(>t<yröi/  6 
d'ebg  ixoifiös/'  TC  ovv  xal  xb  iiijg  oi  nQOöid-rjxag  ort  "rov- 
XQv  xbv  'Ifjöovv  8v  iiutg  iöxavQaöaxs'^]  '^H  iyvoBtg  8rt  ocxX. 
ii  oix  ^9^S^9  S^^  ^'^^•9  womit  man,  um  die  Identität  zu  er- 
kennen, ein  beliebiges  von  den  Hunderten  von  Beispielen  aus  Epiktet 
vergleiche,  etwa  diss.  I  29,  9:  ^T^etg  oiv  ot  (piXööofpoi  didäöxexB 
mttanpifovstv  xAv  ßaöiliav;  Mii  yivoixo  ....  NaC^  &kka  xa\ 
xätv  doyndtanf   Rqx^^'^  d'ekm.    Kai  xCg   6oi  xaAxriv  xijv  i^ovöiav 

1)  Manches  auch  bei  Tatian  und  Clemens,  aber  sie  übergehe  ich,  weil 
es  mir  nur  auf  die  eigentliche  Predigt  ankommt. 

2)  Mit  einer  Ausnahme  schon  bei  Paulus,  s.  oben  S.  506, 1. 

8)  Biese  Wendung  ist  in  der  Diatribe  sehr  beliebt,  z.  B.  Teles  p.  34  H. 
*K  9§9la  %mX4H  MQÖg  xb  q>iXo€0(pstv  ^  6  dh  nXoütog  slg  ralhra  ;[rpi}(ri/iov.  — 
(H%  fX.  96aovg  yic(f  ofct  dt'  tintogiav  ri  dt*  Msiav  nalvd-ilvat  axoldistv;  ^ 
o^X  6^^g  9x1  mg  inl  tb  noXv  ol  nx<o%6taxot  tptloGotpovctv  xrX.  und  viele 
andere  Stellen  in  dem  Ind.  verb.  der  Hense'schen  Ausgabe ;  bei  den  Lateinern 
fMMi  (die«  h&nfiger  als  nonne)  vides  z.  B.  sehr  oft  in  Yarros  Satiren  und  bei 
Loorai  (Lambin  lu  U  196),  cf.  £.  Marx  im  Ind.  lect.  Kost.  W.  S.  1889/» 
p.  10  f. 


558  ^on  Hadriaa  bia  zam  Ende  der  Eariseraeit. 

didtucii  xoü  d^vaeai  vtx^aart  36yfia  äXiörptov;  Ilgo^iiyeavy  ^- 
eiv,  avrp  ipößov,  vixifacD.  'Ayvottg  Sn  avtb  abtb  ivixtjßev,  oix 
im'  SXlov  ivixij^;  Chryaostomoe  1.  c.  4,  3  (wo  man  auf  die 
gajiz  pktoniBche  Art  des  fingerten  Zwiegesprächs  achte):  Ei*i 
ydQ  (tot,  rö  äxavyaan«  rov  i)Uov  i^  vtivfjs  iM(T]8ä  r^g  TOÖ 
'^lüyv    tpvoems   ^   Bkko&iv  «oOev;    &väyxn  x&ea  äftoAoj'^ffRi 

rbv   (lij    xal   tag  aia&^ecig   ntJtfiQmftivov,    Zxi  i%  ain^g 

Ti  8s;  find  iioi,  oiix  oC  ai&vsg  8i  airov  ysy6v«eiv  Sjcavresi 
äväyxri  a&aa  hfioloy^eai  rbv  fi^  «agasaCovt«.  oifxo^  oidiv 
liiaov  vtov  xal  itat(f6s  ■  .  ■  .  Elah  yi<f  ^oi,  o^%  Spov  tivä 
nifoSTi&eis  Tp  vtä  .  .  .  vbv  xatiffa  sffottvai  Xiysts;  Eüdiiiov 
5t(.    Eiah  ovv  ^oi  xrX. 


b)  Die  Hauptvertreter  der  christlichen  Kunstproaa 
im  vierten  Jahrhundert. 

a)  Die  Streitschrift  des  Eunomios  gegeu  Baeiteios. 
Bevor  ich  auf  die  grofsen  Prediger  des  lY.  Jh.  eingehe,  be- 
spreche ich  eine  durch  das  stark  hervortretende  sophistische  Element 
sehr  charakteristische  christliche  Streitschrift  derselben  Zeit. 
Bopuitik.  Der  Ärianer  Eunomios')  wurde   im  J.  360   wegen  seiner 

ketseriscbeu  Gesinnung  seines  Episkopats  in  Kyzikos  eotsetst 
und  veröffentlichte  daraufhin  seinen  äxoXoyritafds,  der  mia  er- 
halten ist  (bei  Migue  vol.  30,  837  S.).  Diesen  widerl^te  Bui- 
leios  in  seinem  ivatQsarixbs  tov  Satoioyrfcixoü  rov  ih)««tßoÖe 
Evvofiiov  4bb.  (Migne  29,  497  ff.)  Eunomios  schrieb  darauf 
eine  neue  Verteidigungsrede  in  Form  einer  Streitschrift  gegen 
Basileios,  der  kurz  vor  deren  Heraasgabe  starb  (379).  Sie  um- 
faTste  nach  Photioa  bibl.  cod.  138  drei  Bficher  und  ist  nna  all 
Ganzes  nicht  erhalten,  aber  gegen  sie  schrieb  nun  wieder  Gre- 
gorios  von  Nyasa  ein  am&ngreichea  Werk:  xi/bs  Eivi^» 
ivTiQQtiTtxbe  !i6yoB  in  12  Büchern,  die  fut  den  ganien  46.  Band 
der  Migne'schen  Pstrologie  einnehmen.  In  dienm  Werk  hat 
Gregorios  eine  sehr  grofee  Aniahl  Ton  Stellen  ans  der  nreiten 
Streitschrift   des  Eunomios  wörtlich  ciüert  (wo  er  nur  die  dU 


1)  Cf  meine  'Beiträge  t.  Reach.  d.  griecii.  Fhilosophip' 
Jahrb.  Supplement  XIX  (Leijii    tflOi)  SOü 


Die  Liiteraiar  der  griechischen  Kirche  saec.  IV:  Eunomios.       559 

vouc  wiedergiebt^  sagt  er  es  ausdrücklich:  cf.  coL  1048  D);  mau 
mulis  sie  sich  jetzt  mühsam  ans  Gregorios  sammeln^),  da  der 
Versuch  einer  Rekonstruktion  der  eunomiauischen  Schrift,  soviel 
ich  weüb,  nicht  gemacht  ist.  Uns  interessiert  hier  nur  der  Stil 
der  Schrift,  von  dem  wir  uns  ein  recht  deutliches  Bild  machen 
können,  weil  das  Werk  des  Gregorios  von  Anfang  bis  Ende 
durchzogen  ist  mit  einer  Verhöhnung  eben  dieses  Stils.  Bevor 
ich  hierauf  eingehe,  stelle  ich  das  Stilurteil  des  Photios  I.  c. 
voran:  6  dh  rot)  köyov  xagoxtilQ  xd(fito$  ^Iv  xal  ^^dovfjs  oid*  eC 
tig  iötiv  odd'  iyyvg  yiyovB  tov  sidevai,  xöfinov  8i  tiva  tsQatmdij 
xal  d'öörixov  ^xov  fpcXotiiuttai  iffo^stv  r&v  te  öv^qxbvov  tf} 
inaXXrikia  xal  x&v  kH^eatv  tatg  dvösxfpQuötoig  xal  TCoXvövfiqxb' 
voig  Tutl  tov  xoLt^tLxov  xiinov^  ^  fiakkov  axQißiöxeqov  elnttv 
tov  ÖL^vQaußixov  eCSovg  rvyxavovöaig.  6vvd"ijxi]  ts  avx& 
infießiaöfiivti  xal  övfi^nLSöiidvij  xal  ixxgotog,  d)g  avdyxriv 
clvai  r^  AvayLvaöxovTL  rä  ixsCvov  xvnxeiv  öfpoSg&g  xbv 
ÜQa  xolg  x^^^^^^v,  ei  iidXXoi  xgav&g  iatayyiklBiv  et  xsQixgaxv- 
vmv  xal  6\HfXQiq>aiv  iicstvog  (lökig  öwixaxts,  fiaxgai  xs  ivioxs 
£ig  &(it€X(fiav  negiodoL  ixxBiv6{iLBvaiy  xal  xh  öxoxeivov  xal 
Rdfilov  dl  Skov  xBxvfkivov  xov  övyyQdfiii^axog.  Gregorios  ver- 
spottet gleich  zu  An£EUig  die  lächerliche  Sorgfalt,  die  Eunomios 
auf  die  äulsere  Form  dieser  Schrift  verwendet  habe^):  er  wisse 
zwar,  dfkb  jener  ^Sophist  und  Rhetor'  (so  pflegt  er  ihn  zn 
nennen)  von  jeher  ein  tgißtov  x&v  kdymv  gewesen  sei,  aber  an 
jenem  Werk  habe  er  (wie  Isokrates  an  seinem  Pancgyricus)  gar 
yiele  Olympiaden  gearbeitet  und  daraus  sei  zu  erklären  fi  %bqI 
xä  6%'Jifkaxa  xatä  tilv  x&v  ^r^^ivxmv  6vvd^Ki]v  änaigoxakCa 
(I  262  BC).»)  Was  die  Wortwahl  betrifft,  so  wirft  er  ihm 
Streben  nach  Atticismen  vor,  z.  B.  I  400  B:  Zqa  xä  &vd^  xrig 
iifXaücg  ^Ax^Uog.  hg  hcaöXQdxxei,  rg  6vvxäiBi,  xov  k6yov  xh  Xeiov 
«od  9ummlfimiUvov  xi}^  Xdl^emg,  &g  ykag>vQ&g  xal  noixiktog  xfi 
&f^  xaO  lAyov  nsfiav^itexai,    und  bemerkt  einmal  (I  268  D) 


1)  Des  Haute  ist  bei  Migne  (nach  der  Morelli'Bchen  Ausg.  von  1638) 
jpfft  tanifeB  Lefttam  gedruckt,  aber  nicht  alles,  so  dafs  man  sich  nicht 


Qfegor  T.  Kanani  in  seinen  gegen  die  Eonomianer  ge- 
-M,  I.  B.  gleich  der  Anfang  der  27.:    ngb^   rohg   iv 
ib.  yXAtftfair  9^ctQO<poiß  ixovüip  u.  dgl.  öfter. 
Oben  8.  369  u.  384. 


660  Ton  Hadrion  bis  zum  Ende  der  Eoiseneit. 

hShniech,  dafs  er  im  Bestreben,  ein  attisches  Wort  zn  ge- 
brauchen, sich  vergriffen  habe.*)  Am  meisten  regt  er  sich  auf 
über  die  rhythmische  Diktion  des  Emiomios  (noch  dazti  seien 
es  die  lascivsten  and  weichlichsten  Rhythmen,  die  er  gebrauche) 
sowie  seine  Figuren,  speziell  das  Isokolon  und  Homoiote- 
lenton,  z.  B.  I  253  A:  o^  yÄp  &v  ixoi,  rtj  i^svQttv,  jiQhs  tiva 
ßXdxfov  tStv  ixl  liöym  yviofft^ofiiviov  iavzbv  elg  roüra  ffpotfyaj'EV, 
&e«tQ  ttg  tS>p  iitl  0xi]i'^s  &aviittToaoio^vzo}v,  diä  staffulXt^Kav 
Xttl  iaoxAlav  6(iOiog>6va3V  te  xal  {iftoioxarai.'^xtav  ^rjiiä- 
tav  olöv  Ttfft  xifordiotg  Tfö  räv  ilf^td^cDV  ^v^n^  dia- 
xvftßttXi^av  tbv  l6yov,')  cotaücK  yäff  iati  ftcrä  «oki.Syv  iti- 
(fcov  xol  tä  iv  nqooi^ioie  ainoi)  tSQStCafUtra  rä  ßXcixAdij  tavta 
xal  aa^ttTS&fvniiha  etotädsia,  &  not  doxtt  rdxa  fiijSi  iiQt(ueCat 
9u%tivtti  z^  ax'^yMxi,  &iX  iixoxifOTStv  rp  aodl')  xal  int^o^iäv 
TOf;;  daxTvloig  Xiyvgäg  Sfia  «QÖg  rbv  ^vd'ftöv  ixupftiyYtts^at  xal 
Xiysiv  tö  xal  fitjdh'  hi.  deijeiiv  "ft'f^*  Xöymv  hiffiav  (iij'te  nivmv 
iEvxigmv".  I  256  A:  Xiyoiv  ovrmol  t^  Üla  tptov^  xatä  ti)v 
A^datv  ifffioviav  ixsiv^v  "xal  t&v  oix  iv  Six^  9(faawo- 
fiivav  dvv6iiat  8ixQ  eatfufovelv  ■^vayxaeftdvmv."  XII  964  A: 
äXX'  ixo^afOfttVy  xStg  xarä  "tbv  iatßaXövra  t$  XQei?  tqöxov  xal 
tbv  icpoXaßövta  cilnov"  —  oGza  yäf/  totg  ittoföxotg  tStv  6vo- 
nätmv  xähv  ^[itv  ivtoifat^tai  — ,  sAg  8ut  to^zatv  "3ucXiieiv 
fiBv"  <pr}tli  "tijv  «Bifl  ttitov  yevofUvijv  intövoiav,  »efiHtiXXstv 
äh  T^v  tröi'  ■^xartjfUvav  ßyvoiav'\  ainaXg  yäf  ;;^(fop»  toö  di- 
d-vpaft^fffTot)  tatg  bftoioli^xTois  tpmvatg.  Ich  fflhre  noch 
ein  paar  von  Gregorios  citierte  Stellen  des  Euuomioa  an:  I 
357  G:  tpaxoTQlßiov  etQatiAtris  xal  Syutg  äiilyiatos,  iacb  vii«ta£ag 
(tiv  wxfi&v  incb  Xixffiag  di  tpovStv.  280  A;  dtivbg  ifftttuiA^ 
iXri&tias  i%9if6g,  9o^tavljs  isateAv,  talg  tibv  xoJUAv  üi^/ug  «st 

1)  Du  die  Stelle  von  luttireaae  iet,    scbreibe    ich   sie   hier  auci    'iiiiite 
•/ig,  tpriBiv,  Zxi  etam^pres  iälm(tev,  ättol-oyoiitev,  xaxovpyoiv  xul  iiov;]«m»  r^v 

liai,   Kitl   TCO   XoyuSjim    tiqus   Mqui^  &v  iji/jtlaxiiita  im  löym  tbv  aoXoixtOjiip  I 
tirtagiiipi^e    oi   KaTcv6^al,    xdvv   eoßafüg   Tg   Xi^ii  'täv  liatpi/tjoavtio 
inatrixiaat,    äs   i}   XC')"6   ^it>)   l^iv  nagii   rale  luitDpSaiiidn  rö*  lifor, 

iixiorg  hotxieftTi'  ttll"  o6tiv  loCca  xf^  f*»  aiMiabr  tiv  i^iii«ifev. 

2)  er.  die  oben  S.  3SI   sits  la(«iuMh8a  Autovw  föt  ^a  1 

riatik  des  Stils  der  ernten  I 

3)  Cf.  obea  S.  374,  2  u 


Die  Litteratni  der  giiechiaclieii  Kirche  aaec  IV:  EnnomioB.       561 

(iv^fUHS  ävTttarxöiuvoB,  tbv  ix  x&v  X(fttyp.tttiav  oht  atoivv6p.evos 
ikeyxov,  oi  ip6ßov  xbv  Ix  r&v  v6iiaiv,  od  ^6yov  rhv  /g  &vf^(fä- 
»mv^)  tiXaßtyüfiEVos,  iXij&Eittv  äeii'(ttip;og  SiaxQiveiv  oix  ixiOtd- 
ftevDs  (und  das  gleich  Folgende).  II  484  Ä:  ov  xoivavbv  1%'^"' 
vijs  9e6tJiTog,  oi  (ttifitf)v  rijg  S6ij}g,  oi  e^yxXtjQov  r^g  i^ovaütg, 
oö  &6v9fovov  rfis  ßaailEiae.  elg  ydg  laxi  xa\  ^6vog  fftbg  b 
MavtoxQdrotQ,  &cbg  (ttfyv,  ßaaiXiiyg  zStv  ßaoilcvövrctv,  xv^tos  t&v 
»vfitv6vteni.  IV  628  B:  {liyeni)  ysyev^e^ai  xaQ&  toö  xatQog 
tov  vCov  T^r  oitfiav,  oi  xatä  ixraaiv  xgoßlrj&Btaav,  oi  xazä 
fevOtv  H  SikCqb9iv  zi^g  zov  yiw^oavTog  tsvfiipvtag  änooaao&et- 
ifav,  oi  xarä  ai^tjOiv  zsXeua&eteav,  oi  xarä  älXoißjaiv  fto^qMD- 
^eUav,  fiövj]  äl  vi)  ßovXilasi  tov  yevv^aavros  rb  tlvai  ia- 
lo^av.*) 

Zwar  wird  man  nach  den  mitgeteilten  Proben  die  über- 
trieben sophistische  Diktion  der  Schrift  zugeben  mtlsBen,  aber 
die  urteile  des  Gregorios  und  Photios  sind  als  echte  Produkte 
fimatiacher  Orthodoxie  ebenso  maTslos  übertrieben  wie  die  des 
AthanftBiOB  über  die  Hymnen  des  Areios.  Das  zeigt  deatlich  der 
uns  als  Ganzes  erhaltene  Äpologeticus  des  Eunomios:  zwar  tritt 
aoch  hier  die  aophistische  Mache  überall  deutlich  hervor^),  aber 
man  hat  das  Gefühl,  dais  man  es  mit  einem  Schriftsteller  zu 
thon  hat,  der  gut  zu  schreiben  weifs  und  das  Mafs  des  Au- 
Bbuides  nie  verletzt.  Für  die  Stilgeschichte  scheint  mir  diese 
Schrift  nicht  unwichtig  zu  sein  als  durchsichtige  Imitation  iso- 


1)  Ei  Iftbt  im  tveiten  Qlied  deu  Aitikel  vor  (^v^piiire)!'  aus,  um  ihm 
gleiche  Silbensahl  mit  dem  ereteo  zu  geben. 

t)  Cf.  aafiwrdem  noch  I  276  D,  297  AC;  n  020  Ä,  668  B;  IV6UCD; 
IX  801  AC  (mit  dem  urteil  öiegors  flbei  den  fyxoe,  daa  ipimuia,  die  ve- 
WH^ivm  l«{l9ia);  XU  9&S  A  (liiixta,  cf.  966  B,  976  B),  »69  A,  97C  A, 
lOM  C  («TMt).  10»  C  (jni^og),  1018  D,  1060  B  (.sv(no^),  1060  D,  1073  A, 
L  1080  A,  1089  CD.  Auf  die  Itingen  Puioden,  die  PhotioB  erwähnt,  bezieht 
I  lieh  wohl  IX  805  D;  XII  970  A  (»eiito«  XiitSlnv  und  IvearvQliav  toIs 
tv),  106S  B,  1072  A.  Die  Daretellnng  war  ofTenbar  echt  sophistisch 
,    cf.   i   S73  C:    iv   TOvxot   (sc    rimf)    ipr}ttl   ailloyor   ytytvlja&ai   tdr 

irn»  tfMtoNfvi]t>.   Dei  SchuldeklamatiDn  beschuldigt  er 

inn  a.  B.  noch  c.  8,  887  CD;    c.  3  Anf.  ii. 

I,  a.  U,  868  A;  C.  80  Bohl.:    ndfuiolv  dttv^- 

M4pM«(  «onpiK^  noiofiwtos  xttl  imiiv  &tp' 

I 


562  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Elaiseneit. 

krateischer  Schreibart:  man  braucht  nur  die  erste  über  ein 
ganzes  Elapitel  sich  erstreckende,  sorgfaltig  gegliederte,  mit  dem 
Zierat  von  6(ioiotik£vta,  TCoXiijttotaj  xagovo^aöiuL  reichlich  aus- 
gestattete Periode  zu  lesen,  um  das  sofort  zu  merken  (cf.  auch 
die  Periode  c.  6).  Es  kommt  hinzu  die  strenge,  nach  iso- 
krateischer  Art  normierte  Meidung  des  Hiats.  Auch  dem  Gre- 
gorios  ist  das  natürlich  nicht  verborgen  geblieben:  er  sagt  YII 
748  C,  Eunomios  habe  dem  Isokrates  seine  ^ijfiara  xal  öxtifi^ccta 
abgerupft 

ß)   Gregor  von  Nazianz. 

^^'  Das   vierte  Jahrhundert  war  das   für  die  Begründung  und 

Entwicklung  der  alten  katholischen  Kirche  wichtigste.  Der 
Kampf  gegen  den  Hellenismus  war  so  gut  wie  überflüssig  ge- 
worden: auf  diesem  Gebiet  war  die  Ejrche  längst  aus  der  ^mi- 
litans'  eine  Hriumphans'  geworden,  das  war  gerade  in  der  Re- 
aktionszeit unter  lulian  deutlich  hervorgetreten.  Die  Hellenen 
lebten  entweder  in  dumpfer  Resignation  dahin  oder  gaben  sich 
schwärmerischen  Träumen  von  einer  Vereinigung  des  Menschen 
mit  der  Gottheit  im  Reich  des  Übersinnlichen  hin:  beide  konnte 
man  gewähren  lassen.  Aber  es  gab  grofse  andere  Ziele:  es  galt^ 
die  Häretiker  zu  bekämpfen,  die  bedrohlicher  als  je  zuvor  ihr 
Haupt  erhoben,  es  galt,  einer  nach  Millionen  zählenden  Masse 
in  allen  Teilen  des  Reichs  die  Hoheit  der  neuen  Religion  durch 
die  Kraft  des  Wortes  zu  enthüllen  und  die  grolsen  kirchlichen 
Feste  in  würdigen  Reden  zu  feiern.  Diesen  Bedür&issen  der 
Kirche  kamen  die  Prediger  des  vierten  Jahrhunderts  entgegen, 
unter  denen  vor  allen  hervorleuchtet  das  Dreigestim  Gregor  der 
Theologe,  Basilius  der  Grofse,  loannes  Chrysostomos,  die 
gröfsten  Prediger,  die  die  alte  Kirche  hervorgebracht  hat,  alle 
drei  auf  der  Hohe  hellenischer  Bildung  stehend,  ausgerüstet  mit 
den  seit  Jahrhunderten  in  Kamp^etümmel  und  Siegesjubel  er* 
probten  Waffen  hellenischer  Rhetorik, 
[ndividuau-  Der  feurigste  der  drei  war  Gregor  von  Nazianz  in 
Kappadokien,  wahrlich  selbst  eine  der  q>iS6$^  dtäxvQOL  nal  (U^ 
ydXaij  von  denen  er  einmal  sagt  (or.  32  c.  3),  dab  ohne  ne 
iiaya  xi  xatOQ^adilvat  xgbg  iiöißatav  ^  ifsvi^v  JUAqv  if^xaifip 
iöTiv.  Viele  haben  damals  glühend  gehabt  und  heilig  geUebt 
wie   er,   aber  keiner  hat   alle  Töne  lodernder  Tiftidimpd'       ' 


Die  litteratar  der  griechischen  Earche  saec.  IV:  Gregor  v.  Nazianz.       563 

einer  solchen  Meisterschaft   in  der  Sprache   zum  Ausdruck   ge- 
bracht^   gleich  gewaltig^    mag  er  deu   toten  Apostaten,    seineu 
einstigen  Jugendfreund,  in  Worten  maXslosen  Hasses   als  wildes 
Tier  schildern,  oder  den  Basileios  verherrlichen,  oder  seiner  Ge- 
meinde in  der  Stunde  drohenden  Tumultes  ein  letztes  Lebewohl 
zurufen,   oder  das  eigene  Irren,   Suchen  und  Finden   in   innigen 
und   zarten  Versen   erzählen,    oder  fast  im  Hymnenton  an  den 
groisen   Festen    —    ein  Mystagoge    inmitten   des   Chors   seiner 
Mysten    —    'seinen'    Jesus    preisen.     Sein   eigentliches    Gebiet 
waren  die  Lob-  und  Festreden,   in   denen   er  die   reiche  Kunst 
seiner  Diktion  am  meisten  entfalten  und  sein  Genie  schranken- 
los  walten   lassen   durfte:    daher  haben   unter  den  45  offenbar 
bald    nach   seinem   Tode    mit    sorgfältiger  Auswahl   zusammen- 
gestellten Reden  weitaus  die  meisten  einen  panegyrischen  Cha- 
rakter.   Wie   waren  die  äufseren  Mittel  dieser  Art   von  Bered-  Xa{jaxrt](t. 
samkeit  beschafifen?     Es  giebt  zwei  Nachrichten,   die   für  diese  \ene°r 
Frage  von  Bedeutung  sind:    nach  Sokrates  h.  e.  IV  26  war  er 
in  Athen  Schüler  des  Himerios   und  nach  Hieronymus  de  vir. 
ilh  117  secuttis  est  Folemonem  dicendi  charadere  (ebenso  Suidas 
im    ßiog).     Daraus  würden  wir  von  vornherein  nach  dem  über 
diese  beiden  früher  Gesagten   den  Schlufs    ziehen,    dafs    er    in 
seiner  Diktion   nicht   eigentlich  ein  Anhänger  der  atheistischen 
Klassicisten  war.     Das  Wesen   der  Diktion  Polemons   wird   uns 
als   ^or^o^   xal   nveviia   geschildert    (Philostr.  v.  soph.  II  10,  4. 
15,  1):  wie  Sturmesrauschen  ist  auch  die  Sprache  Gregors;  wer 
femer  hintereinander  eine  Rede  des  Himerios  und  eine  der  pane- 
gyrischen des  Gregor  liest,  dem  kann  die  Ähnlichkeit  —  natür- 
lich  nur   hinsichtlich    der  rein  äuTseren  Formgebung    —    nicht 
verborgen  bleiben:    hier  wie  dort  ein  höchst  aufgeregter,    nicht 
selten  maMoser  Ton,  Kühnheit  der  Bildersprache,  kurze  Sätzchen, 
starke   Anwendung   der  Redefiguren.     Nicht   blofs   sein  eigenes, 
zum    Pathos    neigendes,    mit    höchster    Einbildungskraft    aus- 
gestattetes Naturell  wies  ihn  in  diese  Richtung:  ich  habe  öfters 
hervorgehoben,    dafs   die   atticistische  Manier   mit  ihrer  Parole 
der  {Ufitriöig  t&v  iQ%al(ov  ein  Symptom  der  Senilität,  des  Verfalls 
selbstschöpferischer  Kraft  war,  während  die  moderne  Strömung, 
trotz    ihrer    ästhetischen    Fehler,    doch   die  innerlich  allein  be- 
rechtigte, weil  lebendige,  war.     Ist  es  da  zu  verwundern,  dafs 
die  clirisiliehe  Rhetorik,  als  sie  zwischen  deu  beiden  Richtungen 

VovAsa.  aatlkt  JCuitproia.  II.  37 


564  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeit. 

zu  wählen  hatte^  sich  unwillkiirlich,  ihrer  inneren  Bestimmung 
folgend,  der  letzteren  anschlofs?  Reichstes  Leben,  Interessen 
von  unmittelbar  praktischer  Bedeutung  entrollten  sich  in  der 
neuen  Religion,  der  die  Zukunft  bestimmt  war:  fürwahr,  nicht 
in  dem  mumienhaften  Stil  eines  Libanios  konnten  ihre  Vertreter 
reden.  Gemäfsigter  ^Asianismus'  ist,  um  es  kurz  zu  sagen, 
das  Wesen  der  Rhetorik  Gregors.  Wer  auch  nur  flüchtig  irgend 
eine  beliebige  seiner  Reden  gelesen  hat,  der  weifs,  dafs  dieser 
christliche  Rhetor  einen  ganz  ausgesprochenen  Gefallen  am 
äufseren  Aufputz  der  Rede  hat.  Freilich,  wenn  wir  gelegentliche 
Aufserungen  von  ihm  selbst  genau  nehmen  würden,  so  müTste 
gerade  das  Gegenteil  richtig  sein.  In  einem  Brief  an  Nikobulos 
(209)  sagt  er:  ivri&sra  xal  nuQiöa  xal  iöÖTcmla  6oq>i6tatg  iatog- 
Qitlföiie^a'  si  di  nov  xal  7CaQakdßoi[iaVj  i)g  xatcacai^ovtsg  fiäXkov 
tovto  Tcovi^öoiiev  TJ  öTCOvdd^ovtBg^  und  als  Gregor  von  Nyssa  das 
Lektoramt  mit  der  Rhetorik  vertauschte,  gab  der  Nazianzener 
dem  allgemeinen  Unwillen  darüber  in  einem  Brief  an  jenen  (43) 
Ausdruck:  er  solle  ablassen  von  dieser  SSo^og  eido^ia  (er  fügt 
hinzu:  Ti/'  aCno}  xa&*  ifA&g,  als  ob  er  nicht  selbst  dergleichen 
Wortspielereien  liebte)  und  ihm  nicht  kommen  mit  jenen  xo^i^ä 
xal  ^tjtOQLxä  ^TJ^araj  dafs  es  nämlich  möglich  sei,  auch  als 
Rhetor  Christ  zu  sein:  oida^iübg^  &  ^avfiaöUj  oüxow  Söov  elxög^ 
si  xal  ndQog  xi  doiri^ev.  Wie  solche  Aufserungen  aufzufassen 
sind,  sahen  wir  oben:  sie  fliefsen  aus  einer  allgemeinen  Theorie, 
mit  der  die  Praxis  keineswegs  notwendig  im  Einklang  zu  stehen 
braucht.  Er  selbst  nennt  seine  Predigt  ^auf  die  h.  Taufe'  eine 
didle^ig  (or.  40  c.  1)  und  gesteht  in  der  durch  die  Fülle  per- 
sönlicher Bemerkungen  ausgezeichneten  Rede,  in  der  er  seiner 
Gemeinde  in  Eonstantinopel  vorläufig  Lebewohl  sagt  (er.  42), 
ganz  offen  zu,  dafs  ihm  das  Beifallklatschen  und  die  sonstigen 
Zeichen  der  Bewunderung  seitens  der  Zuhörer  ein  Bedürfnis 
seien:  c.  24:  deivöv,  si  6ts(^66iisd'a  k6ymv  Tcal  6vXX6ymv  xal 
navTjyvQSGjv  xal  t&v  xQÖtav  to'&tmVf  ig>*  &v  msQOiifud'a  und  be* 
sonders  gegen  den  Schlufs  c.  26:  xaifsts  %&v  iftänf  Xöyanf 
igaöral  xal  dgö^iOL  xal  övvdQoyuxl  xal  ygatpidsg  fpavsQ^A  mü  iUry- 
^dvovöai^)   xal  fi   ßta^oykivf^  xvyxklq  aihri}  xot^  lugl  xhv  l6yo9 


1)  Er  meint  die  ofBriiilliw  faovv««B«i!e  f i.  a-  fi.  6IM>  l)  anH  floldw^  di» 
privatim  mitselaf*' 


Die  Litterator  der  griechischen  Kirche  saec.  IV:  Gregor  v.  Nazianz.      565 

i^i^oiidvotg^)  .  .  .  XQOtTJöatB  x^^Q^9f  ^6*  ßoiiöate,  Spats  slg  üiffog 
tbv  (i^toifa  <6ftAv.  öBöiyrixev  {>(itv  i^  7CovriQ&  ylMöa  Ttal  Xdlog^ 
o^  fi^^  öiyi^östai  navxdnaövv'  iiaxijösrai  yäg  diä  x^'^Q^S  x«l  (li- 
Xavog'  xb  d*  oiv  Tcagbv  ösöiyijxafisv.*)  Dafs  er  mit  allen  mög- 
lichen Figuren  seine  Reden  aufzuputzen  liebte,  haben  schon  die 
byzantinischen  Rhetoren  gemerkt,  die  bekanntlich  keinen  der 
christlichen  Redner  so  häufig  citiert  haben  wie  den  ^Theologen', 
in  der  richtigen  Erkenntnis,  dafs  kein  anderer  in  diesem  MaTse 
alle  Mittel  äufserer  Rhetorik  zur  Anwendung  gebracht  hat.  2)  spesiei- 
Unter  diesen  Figuren  spielt  weitaus  die  gröfste  Rolle  die  Anti- 
these in  der  Form  des  Isokolon  mit  Homoioteleuton.  a)  Figurei: 
DafQr  werden  z.  B.  von  Gregor  von  Korinth  zu  Hermogenes 
xsqI  fuMdov  deivötritog  (Rhet.  gr.  VII  2  p.  1227  flf.  1261  Walz) 
folgende  Stellen  citiert:  or.  15  (in  Machabaeorum  lauJem)  e.  9: 
iliol  dl  oi  ted^i^xarBj  (pCltatoi  naidarvj  &lV  ixaQJcoq)OQiid^t6'  ovx 
htliBkolTCate  &Xkä  ftezslriXvd'ats'  ov  xccrsldvd^B  &XI&  6wB%ayriXB. 
ob  ^qIov  fJQjcaöBV  'bfucg,  ov  xvfia  xaxixkvöBVj  o'b  Xr^öxiig 
didg>d'ei4f€Vj  oi  vööog  didlvöevj  oi  je6X£[iog  Tcagavakmöev.  or.  24 
(in  landem  8.  Cypriani)  c.  13:  xaiha  6  x&v  6i]^s£(ov  xal  xcbv 
rsQdxmv  d'sög'  xavxa  6  xhv  ^Im6^q>  &yayhv  slg  Atyvnxov  &viov 
diä  äÖBXxp&v  htr^QBlag 

xal  iv  yvvaixl  doxifidöag 

Ttal  iv  öixodoöia  do^döag 

xal  iv  ivtmviotg  6oq>i6ag' 

Iv  inl  iivi]g  niöxBvd^ 

xal  {)7t6  OaQah  xiyLiq^ 

xal  naxilQ  yivqxai  jcokk&v  (ivgtddcov' 

dC  Stg  (  Atyvnxog  ßaöavi^Bxai 
d'dlaööa  xi^vBxai 
6(fXog  ÜBxai 
i^liog  löxaxai 

yf^  xf^g  inayysXiag  xXrjQodoxBtxaL 
ib.  19:  dtiivbv  d^aXiiotg  äXänfa^  xal  ylAööy  XQcod'flvai  xal  ixoy 
dslBaa91jvai   nal    diä    9viiov   ^iöavxog  ifini^ödijvai  xal  ysvöBt 
rqgd^voi   xal   Aq^   luxXaxiö&i^ai^    Ttal  xotg  SycXoig  xf^g  tfco- 

oben  (8.  817)  aus  Cic.  Brat.  290  angefahrten  Worte. 
■itrka  den  sehr  ins  Ohr  fallenden  rhythmischen  Schlur«* 

37* 


566  Von  Hadrian  bis  ztim  Ende  der  Eaiserzeit. 

triQiag  Zytloig  d'avdtov  xQijöaöd'ai.  Der  Kommentator  des 
Hermogenes  bemerkt  dazu^  einigen  erscheine  derartiges  öotpusti- 
xövj  aber  das  seien  ifiad'stg,  denn  Gregor  habe  hier  nicht  dem 
Ohr  schmeichebi,  sondern  die  Sache  erhöhen  wollen.  Als  ob 
nicht  für  das  Publikum,  vor  dem  Gregor  sprach^  beides  identisch 
gewesen  wäre!  Ahnliche  Beispiele  finden  sich  bei  anderen  Bhe- 
toren  (z.  B.  bei  dem  Anonymus  III  110  flF.  174  S.  Spengel), 
aber  es  wäre  ganz  zwecklos,  sie  anzuführen.  Denn  diese  Bei- 
spiele sind  nicht  etwa  die  Frucht  mühsamen  Suchens,  sondern 
sie  zählen  nach  Hunderten:  man  kann  wohl  kein  Kapitel  irgend 
einer  dieser  Reden  lesen,  ohne  an  Stellen,  wo  er  besonders 
hohen  Schwung  nimmt,  sofort  auf  ganz  Analoges  zu  stoüsen:  es 
ist  geradezu  die  Signatur  seiner  Diktion,  und  ich  bitte  den 
Leser,  dies  im  Auge  zu  behalten,  weil  es,  wie  wir  sehen  werden, 
für  die  Entwicklung  einer  besonderen  Art  der  Poesie  von  weit- 
tragender Bedeutung  werden  sollte  (s.  Anhang  I). 
b)  Auf-  Wir  wissen,   dafs   diese  Figuren   mit   ihrem  starken  rhyth- 

^'^Sriode*'  mischen  Wortfall  am  meisten  dann  dem  Ohr  zum  Bewuüstsein 
kommen,  wenn  sie  in  kurzen  Sätzchen  auftreten,  und  dais  dem- 
entsprechend das  am  meisten  hervortretende  Charakteristikum 
der  asianischen  Diktion  die  Auflösung  der  Periode  in  zerhackte 
xöfifiata  war  (s.  o.  S.  134f.  295  ff.).  Bei  Gregor  treten  daher  auch 
lange  Perioden  durchaus  zurück  hinter  den  winzigen,  man 
möchte  sagen  zerfetzten  Satzteilchen.  Eine  erv^ünscht«  Be- 
stätigung meiner  Auffassung  war  mir,  als  ich  Usener,  Religions- 
gesch.  Untersuchungen  I  (Bonn  1889)  253  von  dem  „raschen 
Tanz  asianischer  Kola"  in  einer  Predigt  Gregors  reden  sah. 
Um  dem  Leser  eine  Vorstellung  dieser  uns  von  Gorgias  und 
Hegesias  bis  Himerios  geläufigen  Diktion  zu  geben,  greife  ich 
ein  paar  Stellen  irgend  einer  Predigt  Gregors  beliebig  heraus. 
Die  Predigt  über  die  Geburt  Christi  (38)  beginnt  so:  XQUftbg 
yavvcctatj  öo^döare'  XQiötbg  i^  ovquv&v^  äycavtiiöccvs'  XQiörbg 
inl  yijg,  v^Ad'rixe.  ^' aöars  rc5  KvqIco^  näöa  i^  y^'',  Tcal  7v*  iiupö- 
TBQa  övvekmv  sI'tkoj  ^^  aixpQavviöd'Giöav  oC  oigavol  Tud  iycüL- 
Xidöd-OD  ii  yfi'^  dtä  tbv  inovQ&viov^  elta  inCyevov.  XQi6xbg  iv 
öccQXL'  tQÖfia)  xal  xo^Qä  ayakhäöd'B'  tQÖfic)  diä  ri^v  &^a(ftüicVy 
;|ra()a  dtä  ti^v  iknCda.  XQiCtbg  ix  nagd'dvov'  ywatxeg  ticcq&s- 
vavEXB,  Lva  Xqlötov  ydvtjöd^e  yiritiQeg.  rlg  oi)  XQOöxwst  tbv  iaC 
^QtW^    T-t'^   ov  do|«£;ffc  xbv  rtXBvxalov\    Hdliv  xb  t$x6tog  XiisttUj 


Die  Litteratur  der  griechischen  Kirche  saec.  IV:  Gregor  v.  Nazianz.       567 

xdXvv  tb  ^p&g  inpiöratM,  naXiv  Aüyvnxog  öxörp  xoXd^eraij  nakiv 
^löQcdjX    &tvXm   (ponClerar    6   labg   6   xad^^isvog   iv   6x6% bi  ri\g 
AyvoCag   lÖhco    q>übg  fi^ya  tijg  iniyvmöecog.    ra  icQxala  naQfjkd'Bv' 
ldoi>   yiyovB   tä   ndvra  xaiva,    xo  yQcefina  imoxcoQSt^   ro  nvev^a 
%Xeov£XT6l,    at  öxial  icaQaxQi%ov6iv^    ^   ak'/^^eia  inaieiQxetai^    6 
MeXxiöedhx   öwdyerai^    6    a/iifrcop   ijcdtOQ  yCvexai^    d(irjx(X}Q  ro 
MQÖxeQiyv,    iatdxfOQ    xo    öavxeQOv.     vöfioc    q)v66cog    xaxaXvovtai. 
xltiQfo^fjyai  dst  xbv  &vto  xöc^iov.    Xgiöxbg  xbXbvbIj  fiij  dvxiXBlvG}- 
fiBV,    ^^ndvxa  xä  ifhfri^  xgoxijöaxB  ;i^£r()ag",  Srt  ^^icaidCov  iyBvvtjdifj 
^fcfv,    vtbg  xal  iä6^ri  iiyLtv^   o5  ^  dQxh  ^^^  ^^^  &^ov  ainov  (xc5 
y&Q  6xavQ&  ffWBTtavQBxai),  xal  xakelxav  xb  Svo^a  avxov  fiBydXtig 
ßovXfig  (xfjg  roi>  IlaxQbg)  "Ayyalog^^.  ^Imdvvrig  ßodxco'  ^' ixoindöaxa 
rifv  bdbv  KvqCov  *'.    K&yh  ßoijtSoficci  xfjg  ijfidQccg  xiiv  Svvayivv,  'O 
&6aQxog  öaQxovrai^  6  Xöyog  nax'ivaxai^  6  &6Q(xxog  bgazai^  6  ava- 
fpiig  ilrriXatpaxai^  6  &XQ^'^^^  &QXBxai^  6  vßg  xov  d'BOv  vCbg  avd'QOj- 
nov  yivBxaiy  *Ii^ö(ybg  Xgiöxög^  x^^^  ^^^  öi^iilsqoVj  6  avtbg  xal  Big 
T(yi>g  al&vag.  *Iovdatot  öxavdaXi^aöd'CDöav^  "EXkrivag  diayaldxcDöav^ 
algetixol  yXtoööakyBCxtoöav.    xöxa  TttöxBiiöovötv,   Sxav   tdcoöiv  alg 
aÖQavbv  ivsQx^fiBvov  bI  dh  fiij  xöxb,  dXV  Sxav  i^  oigav&v  bqx6- 
§uvov  xal  &g  xgix'^v  xad'B^öfiBVOv  (cf.  etwa  noch  39,  14.    40,  3). 
—  Wenn   man   dazu   noch   nimmt  die  häufigen  Wortspiele^),  c)  ivtavit^. 
das    d-BoxQtxbv    <y;(^fia    der    Personifikation,    mittelst    dessen   ^,."J^ixT 
einem    unbelebten   Wesen    Persönlichkeit    und    Worte    geliehen 
werden  (z.  B.  or.  45,  30:    iXX'  &  Ildaxa^  xb  ^aya  xal  [a^bv  xal 
navxbg  xov   xööfiov   xad-dgatov,   &g  ydg  iyLil)vxfp  (Sol  öiaXi^ofiai 
xtX.     32,  10:  Td^ig  [die  Weltordnung]  TcaXoig  av  atnoi^  al  Xdßot 
q>o)vijv^    carm.  8  die  Xoyofiaxia  des  Biog  xoöfiixög   und  des  Bcog 
jtvavfuttiTcögj  s. o. S.  129,  1),  die  Einführung  einer  fingierten 
Person  mit  q>ri6i  (z.  B.  or.  40,  20  in.  22  in.  28  in.  29  in.,  s.  oben 
S.  556 f.),  die  grofsen  Kühnheiten   der  Ausdrucksweise   im 
einzelnen,   die    ihn   öfters    zu   entschuldigenden  Wendungen  ver- 
anlassen (z.  B.  29,  3:  at  öai  xl  xal  vaavixd)xaQov  alnalv,      38,  7: 
xoXyM  XI  vaavixbv  6  Xöyog.     42,  13:  ßovXaöd'a  itQOOd'&fiav  xl  xal 
veavixdnBQOv;     40,  16:  &  xrig  ivevXaßovg  aiXaßaCag^  al  Sat  xovxo 

1)  Am  bezeichnendsten  wohl  die  Witzelei  mit  dem  Doppelsinn  von 
xo^f,  die  auB  n^Ql  vjpovg  4  bekannt  ist:  carm.  1.  1  sect.  II  29  y.  20.S  f. 
(87,  906  Higne):  yQd'tpe  not*  öftiucta  ndgvr]  'iB^dßsX  ccyQL6d'V(jLog.  Xvöf  ys  fi^v 
n6ffva9  cS\utxi  noQviSUo  (citiert  von  J.  Tollius  in  seiner  Longinausgabe 
[Traj.  Blien.  1694]  p.  86  cf.  33). 


568 


Von  Hadriaa  hia  Eiun  Ende  der  Kaieeneit 


tiaEiv),  so  hat  man  eine  ungefähre  Vorstellung  vom  Stil  dii 
Reden  und  mag  es  vom  Standpunkt  der  vielen  Gegner,  die  der 
leidenschaftliche  Manu  hatte,  eiiiigermarseD  begreiflich  finden, 
wenn  sie  diese  mit  allen  Putzmitteln  fast  zu  reichlich  aus- 
gestattete Diktion  als  eine  lietärenhafte  hezoiclmeten ,  wie  ei] 
Eratostheues  die  des  Bion  (s.  oben  S.  128). 'J 

Er  wurde  in  sehr  früher  Zeit  der  christliche  Klaasiker 
dem  Gebiet  der  Rede:  nur  er  wurde  kommentiert,  die  uns  in 
Handschriften  seit  dem  IX.  Jh.  erhalteneu  Schollen*)  gehen  wohl 
bis  ins  V.  Jh.  n,  Chr.  zurück.  Mit  welcher  Begeisterung  man 
noch  in  späten  Zeiteu  gerade  das  Stilistische  dieser  Predigten 
würdigte,  zeigt  eine  Rede  des  Michael  Psellos  über  Gregor  als 
lledner,  ed,  H,  Coxe  in  den  Catalogi  codd.  mss.  bibl.  Bodl.  (Ox- 
ford 1853)  p.  743  £f.  Er  mifst  ihn  an  allen  heidnischen  Rednern 
und  stellt  ihn  natürlich  Über  alle;  wenn  er  ihu  lese,  werde  er 
so  hingerissen  von  der  Dilctiou,  dafa  er  oft  gar  nicht  au  den 
Sinu  der  Worte  denke  (p.  744,  s.  o.  S.  5).  Bemerkenswert 
p.  747:  äextQ  npbg  ivQuv  ägftöaas  airm  rä  aoiijfiata  (er  meint 
die  Reden)  ^v^itä  nävr«  jitqika^ßävn,  oi  iiö  ixoXciaTO}  &  aoX- 
Aol  T&v  ^r]t6Q(ov  ixq^Oavto  itklci  zä  tltofpQOve6TÜxof  ovä\  tfc; 
(iovoeidrj  SmaptC^ei  tbv  >.6yov  &v^zaveiv,  mä  SiaaoixiXiii  rag 
xaraX^^iig.^)  iori  6'k  s(i(itTifog  (liv  &$  tä  ftälisre,  Soxet  6i  fi^ 
&«oßa{vtiv  101'  ÄE^oi).  Besonders  die  packende  Kralt  der  epi- 
deiktisclien   Reden    Bebildert   pr   treffend   p.  749  f.*)     Heute   be- 

1)  Die  eigenartige  Stelle  findet  «ich  or.  42  c.  12:  il6yuv)  oii%  lA-s  tp- 
(iVUfiEv  MX'  ade  fiyan^aatttv,  nHi  täy  itofvi%äv,  &s  rig  f  cpT)  diaavfav 
fjItSv  ^Av  nAfvrav  aul  Jtoyov  xak  ipdnoi',  HUi  hbI  llav  matpf6vwi/.  Die 
Kritik,  die  Uregor  von  Njssa  An  dem  Stil  de«  Eunomios  ilbte  (s.  oben 
S.  B68ff),  findet  thatflilcbüch  in  miiDclieii  I'uniten  auch  auf  den  dej  Vm- 
nanxener»  Anwendung,  und  e»  berührt  eigeiiiu-tig,  •xnaa  liieaei 
ilia  ao(iV*<'v  Uyiof  bei  seinea  Geguern  epOttett  (S,  669,  'i). 

i)  KdUmd  flbor  diti   \)i»hei  vdierten   mit  Uituufägung  einiger  ati 
l-mra  XX^Tl  U8w2)  808  ff.  sowie  i»  Z  t  «iBS,  '1% 
ir  da«  IHiL-torisubo  sind  sie,  eorii*\  ich  sehe, 
i\»U   din    rbnUiriinheD  Schnlien    fa^t 
!,i  11,  it(.  lioiJi  gnat  bweichncnd. 

i:i'inhua«   anf  du»  ron  W    Me 
I.  vgl.  Anhang  LI. 

iK'Uu^  im  gtuuen  dürfen  nir  nfttOrllch  n 
tim   li'-r  hibflgrifT  des  Ht>duer«    uiid    ur  vereteitfl  jj 
UbBitruibungen.     UusHelbi!    gilt    (dq    aeineT 


Die  Litteratur  dur  griecb.  Kirche  s.  IV:  BMJleios.    Chr^HOKtonoa.       5()1) 

flitzen  wir  weder  eine  billigen  An8j>rüchen  genügende  Ausgabe 
der  Reden  und  Gedichte  nocb  eine  Würdigniig  dos  Sctrift- 
atellers.^) 

y)  BasileioB  und  loannce  Chrysostonioo. 
Von  ihnen,   besonders  dem  letzteren,   habe  ich  nicht  genug  Trihui 
gelesen,    um  sie  wie   Gregor  von   Nazianz,    den  ich  wiederholt  ongon 
ganz   las,    stilistisch   genau  würdigen   zu  können. *)     Aber  man 
braucht    nur    eine    beliebige   Fredigt    eines    dieser   beiden    auf- 
zaschlagen,    um   gleich  bei  den  ersten  Sätzen  den  Eindruck  zu 
gewinnen,    daJs  sie   in    einem    ganz   anderen   Stil    schreiben  als 


gleichenden  Charakteristik  ilee  Gregor,  HasüiuB  und  lounneK  ChryBciBtonios 
(gedruckt  bei  Migne  »ol.  122,  901  ff.).  Wan  Riebt  fs  z.  it.  Falaehprp»  uU 
den  Stil  Gregors  mit  dem  dee  DemoBthencs  und  gar  den«  des  langweiligen 
kiafHoien  Aristides  zu  Tergleichen?  Das  geschieht  eben  nur,  weil  diese 
beiden  ala  die  naritiis  toi  liytiv  galten, 

1)  Ein  paar  kurze,  aber  zutreffende  moderne  L'rtoile  mögen  hier  Plutz 
finden.  Erasmua,  Epist,  praetixa  edit.  Cluudii  Cbeiullonii  a.  lüS'J  (ge- 
druckt bei  Higne  toI.  S6,  809  f.);  in  Qrtgorio  Naz.  iiirtiis  prvpemottwn  ex 
ocgiia  eertat  eum  fac%mdia,  ged  antat  signiticauteg  argut'tag,  quag  eo  difficiliua 
at  latime  rtddere,  guod  ^erumque  gttnt  in  verbis  nitae.  CauBsin,  Elo- 
qnentiae  ncrae  et  homuue  puallela  (1619)  BIO:  oratio  delicaUmmig  fto- 
rAw  aapena,  lumma  sitamtai»  Unperata  .....  incalamistrata,  d*.  p.  74. 
Vjndlon,  Dialognes  snr  l'Eloqnence  (Paria  17181  33B;  tSaint  Gregoire  de 
H.  ttt  phu  amei»  et  plu>  poitique  (n&mlich  lil^  Jo.  Chrra.),  tHuis  itn  peu 
awMt  Oüpligittf  ä  la perauasion.  Villemain  I.  c.  (oben  S.  bCO,  2]  .450:  cetle 
nabtn  ä  la  föis  atUgiie  et  Orientale,  gui  milait  taute»  h»  gräces,  loitte»  Jes 
MiBriMM  du  butgage  ä  Vielat  irrigiüier  de  Vimagination,  tmite  la  tcimec 
An  rUttitr  ä  fmuUriU  d'utt  apötre,  et  quelqaefois  le  titxe  affecte  ilit  hm- 
ftgt  ä  ftmolitm  la  piiu  Matve  et  la  pltu  profonde  .  .  .  Ses  Hoges  funibres 
~iöiü  det  hynmes.  DtrBelbe,  Etüde  am-  Gr.  de  N.  in:  Journal  des  SuT&Dta 
1867  p.  77;  Ce  beau  jinit  d^vMe  ipoque  de  deeadence,  cet  oratmir,  qui,  g'il  est 
ptTMu  de  miler  deax  farM«  contmirea,  i%ou»  temble  un  Isocrate  passionne 
t  dieaen  Aosdruck  (adelt  mit  Recht  E.  Havet,  Le  discoure  d'isocrate  sur 
B  [Paria  1861]  p,  LXVII),  te  laiate  entrainer  parf'oi»,  datu  ms  dia- 
mr»  mimea,  ä  des  momemattt  d'utie  viracite  presque  Igrique;  temoin  Ken 
*  trihtne  pathanale  de  Contlantinople,  ä  sott  peuple,  ä  koh  aadi- 
I,  «m  »MKiuaire  qt^  o  Mfindtt,  auas  fidiiee  qit'il  a  charmes,  n  la  tent, 
iHniii  «Am. 

Gregor  v.  Njua  Tgl.  Piobst  1.  c.  (oben  S.  660,  8)  2S1  ff.,    Rtr 
IM^fllr  ChiTsoatomoB  dem.  361  ff.  Weissenbach  1.  c.  (oben 


570  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeit. 

jener.    Lange,  wohldispoiiierte  Sätze  statt  der  kurzen  zerhackten, 
und  im  allgemeinen  sehr  sparsame  Verwendung  der  Redefiguren, 
nach    denen    man   hei  ihnen  suchen  mufs,  während   sie  sich  bei 
Gregor  überall  aufdrängen.     Der  Unterschied  erklärt  sich  oflFen- 
bar  teils  aus  dem  gemäßigteren  Temperament  beider,  teils  wohl 
auch  aus  der  Scheu,  die  Predigt  ganz .  in  die  sophistische  Prunk- 
Hophi-    rede  aufgehen  zu  lassen.     An  geeigneten  Stellen  haben  natürlich 
beide    vou    den    äufserlichen    EflFektmitteln    der  Rhetorik    auch 
ihrerseits  Gebrauch  gemacht^):    die  Homilien  des  Basilius  zur 
Schöpfungsgeschichte  (vol.  29  Migne),  von  denen  ich  einige  ge- 
lesen   habe,    weil   sie  für  die  Philosophie   von  Wichtigkeit  sind 
und    auch   sonst   ganz   auf  dem  Fundament  hellenischer  TCaideia 
beruhen,  sind,  wie  ich  mich  erinnere,  wegen  der  fortwährenden 
ixg)Qd6€ig    in    dem   für   solche    Stofie    erforderlichen   Stil,    dem 
n^äöiua  ävd'riQÖv  (s.  o.  S.  285f.),  gehalten,  d.  h.  durch  reichliche 
öx^iiiara   aufgeputzt.     Noch  pathetischer  hat  gelegentlich  Chry- 
sostomos  gesprochen.    Von  ihm  sagt  Villemain  1.  c.  392:  Velo- 
quence  de  Chrysostofne  a  sans  doute,  pour  des  modernes,   une  Sorte 
de  diffusion  (isiatique.    Les  grandes  images  empruniees  ä  la  naiure 
y  reviennent  souvent     San  style  est  2^1^^^  edatant  que  varie;  dest  la 
splendetir  de  cette  lumiere  eblouissante  et  toiijours  egale,  qui  hrüle 
stir  les  campagnes  de  la  Syrie,    Ich  kenne  eine  solche  Probe  aus 
einem  seiner  Briefe  (ep.  1  an  Olympias,  vol.  52,  549  Migne),  die 


1)  Ans  Basilius  habe  ich  mir  anfser  dem  im  Text  AngefQhrten  noch 

folgendes  notiert:  hom.  in  divites  c.  8  f.,  adv.  iratos  c.  1:    dicc  dv^töv  ital 

^Itpog  imopßtai,  ^dveetog  Av^oSnov  in  XBtgbg  Avd'QamHag  tolii&tai.    c.  2: 

röte   dii   x6^B  xa  o^re  X^fp  (rgtä  o^b  l(fy(p  qpo^ra  iniSstv  iatt  d'edfucta. 

de  iavidia  c.  1  in.;  in  baptisma  c.  8.    Während  er  aber  in  den  Predigten 

jedenfaUs  ftufserst  spanam  mit  diesem  Ennstmittel  wirtschaftet,  macht  er 

beieiohnenderweise   reichlichen  Gebrauch  davon   in   den  an  Libanios  ge- 

■chxiebenen  Brieftn:  ep.  889  (vol.  88,  1084):  ifo^  [i^if  dXi]^,  Xiiiw  9h  ic^u- 

#4.   —   oMq  d\  lnittM9  ^Up  SHag  foo^toi^  ixtatoXAp  noto^iisvog,   at 

4l  M^mm  Md  iftäg  o6%  lliftov^i.      844  (ib.  1088):    ^   yäq  rb  Uynv 

•^  «4  iwwflin»  oH  AvhotiUMß.     862  (ib.  1096):    o^  yccQ  i^ou 

'  ftpfafttii  ofo  i^tßAfuttog  liy»^  ovrAp,  o^  üxgixtimvuiotg 

fittpadootg  xijpHuq  9%fA&J^.    866  (ib.  1097):  dM%fk- 

fSflE'  Amat€oviU90i/e  dh  nf^bg  St  ygd^Big  Awti- 

brigen,  an  andere  Personen  gerichteten  Briefen 

Bflihjptol  u  finden.  —  Noch  wexüger  als  Basüius 

'  vte'lijiM  dieae  Figur  sn  lieben,   doch  cf.  in 

4  Hgnes  land.  in  Stephanom  ib.  701  und  721. 


Die  Litteratnr  der  griech.  Kirche  s.  IV^:  Basileios.    Chrysoötomos.       f)71 

hier  Platz  finden  mag,  auch  deshalb,  weil  jeder,  der  sie  sich  la- 
teinisch umdenkt,  sich  an  den  Stil  erinnert  fühlen  wird,  in  dem 
im  Westen  ein  paar  Jahrhunderte  vorher  Appuleius,  etwa  gleich- 
zeitig Hilarius  nnd  überhaupt  die  Stilisten  im  Hjallicanus  co- 
thamns'  geschrieben  haben,  ein  Zusammenhang,  dessen  einzelne 
Glieder  ich  später  aufzuzeigen  gedenke.  Oigs  8^  aTtavrXiiöco 
60V  T^g  i^fitag  rb  iXxog  xal  diaöxeödöco  rovg  Xoyiöiiovg  rö 
vd(pog  tovto  övvdyovrag.  tl  yag  iöxiv  o  övyxal  6ov  ri^v  dva- 
voiav,  Ttal  Ivjc^  xal  adrifLovBtg;  Zxv  äygiog  6  ;|^£ifiQ}i;  6  ro:^  ixxkri' 
öCag  xaxakaßbv  xal  tfiq)mSr]g  xal  vvxxa  äöiXrjvov  nivxa  slgya- 
6axo  Ttal  xad'^  ixdöxriv  xoQVfpovxai  xi^v  f^Ligav^  mxQd  xiva  &iCv(ov 
vavdyuCf  xal  ati^axai  ij  navnke^QCa  xf^g  oCxovfitvrjg ;  olda  xovxo 
xiym  xal  oiäelg  dvxBQSty  xal  al  ßovkai^  xal  alxova  Avaitkarxcn 
rdv  yivo^dvcDVf  &6xe  6aq>66xaQav  i^oi  noifjöai  xijv  xgaymdiav, 
d'dkaööav  6q&ii6v  dx  ainflg  xdxtod^av  dvafioxkavofiivrjv  xfjg  dßvö- 
tfov,  xlmx^Qag  xotg  Cdaöt  vaxQovg  iniitkiovxag^  axagovg  {rnoßgu- 
Xiovg  yevofiivovg^  t&g  öaviöag  xcbv  nkoCmv  dtaXvoiiavag^  xä  töxCa 
iiMQQi^yvvfUva^  xobg  töxovg  diaxlcofidvovg^  xäg  xd)nag  xcbv  ^jr^tpcäi/ 
x&v  vavxfov  dnoxxdöag,  xoifg  xvßsQvijxag  avxl  oidxmv  inl  x&v 
xaxaOxffmfuixanf  xa^Yi^ivovg^  xäg  xatgag  xotg  yövaöL  naQinXaxovxag 
Xfd  xgbg  xijv  dftrixaviav  x&v  yivoiiavav  xcoxvovxag,  o^dmg  ßo&v- 
tagj  ^fTjvol^ag^  6lo<pvQO^dvovg  ^övov,  oix  oifQavöv^  oi  ndXayog 
qwivöfUvoVf  illa  öxöxog  Tcdvxa  ßadif  xal  d(payyig  xal  ^oip&dag 
hg  oidh  xoi>g  nltiöiov  imxgdnovxa  ßkdnaiv^  xal  TtoXvv  xbv  Tcdxa- 
yov  x&v  xvfidxayv  xal  9i^Qia  d-aXdtxta  xdvxod-av  xotg  nkaovöiv 
ixixMiuva^  der  reinste  ^Asianismus '.  Dafs  er  mit  voller  Be- 
herrschong  der  rhetorischen  Technik  schrieb,  wufsten  schon  die 
alten  christlichen  Leser^  cf.  Martyrios  von  Antiochia  (saec.  V) 
encom.  in  loann.  Chiys.,  gedruckt  bei  Migne  vol.  47  p.  XLIII; 
aneh  aus  seinen  Homilien  haben  die  Byzantiner,  wenn  auch 
lange  nicht  so  oft  wie  aus  denen  Gregors,  Bedefiguren  ex- 
cexpiertb  Unter  den  Neueren  war,  soviel  ich  weifs,  der  einzige, 
der  auch  diesen  Dingen  sein  Interesse  f?eschenkt  hat,  Chr.  Fr. 
Hatthaei  in  seiner  Ausgabe  von:  loannis  Chrys.  homiliae  IV, 
Mifsnae  1792.  Er  bemerkt  (praef.  p.  XXIV  fi'.),  dafs  der  Kedner 
selbst  auf  kunstvolle  Diktion  Gewicht  lege:  55,  155  Migne:  Ttot- 
utÜMt/v  Jif^  tb  t^  dtdaöxaXiag  eldog  xal  vvv  yilv  TCavrjyvQixc}' 
tifmv^  wthß  A  äymvtaxtManBQoyv  SnxBöd'ai  köymv .  . .  xakko^nit^aiv 
{     Mtf  «s  wA  &v6fLa0i  xifv  ifiitivaiav,  daher  snepins  nimis  quc 


572  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

Sita  est  elocutio,  conUnuis  ac  dissimüibus  translationibus  referta, 
floribus  multis  et  discoloribus  obsita,  ad  ostentatianem  et  aurium 
volwptatem  composita,  mole  laborans,  inflata,  tumens,  et  ut  ipsius 
verbis  (wo?)  utar,  ßQvovöa  ßgid-ovöa,  xoii&öa  ötpQiy&öa.  Für 
den  Gebrauch  der  Homoioteleuta  fQhrt  er  u.  a.  an  63,  518:  fi^ 
di^  [lOi  Xiye^  8rt  elg  iörvv  6  ad^A^d^,  rö  nsQiöitovdaörov  tdi  d'sdi 
tmovj  i)jehQ  oi  xoöavta  iydvsxo,  imhQ  oi  rö  r^fitov  alfia  ix^idi] 
xal  rtfti)  xatBßXij^ri  rotfai5ri},  di  &v  oigavbg  itd^  Tcal  ijliog 
ivijq>%7i  xal  öeXi^vi^  '^Q^X^''  ^^^  Tcotxilog  iötigcov  xataXäfinsL 
Xogbg  xal  äijQ  finkä^ri  xal  d'ikaööa  i^axvd'iq  xal  yfl  id'SfisXuo^ 
xal  nriyal  ßQ'6ov6i  xal  TCotaiiol  ^iovöi  xal  8(M}  nixiqysv  xtL 
(ganz  ähnlich  48,  1011;  1029.    49,  299). 


Mit  diesen  Triumvirn  schliefst  die  eigentliche  Entwicklung 
der  altchristlichen  Predigt  in  griechischer  Sprache.  Wie  jene, 
gingen  auch  die  späteren  Prediger  aus  den  Schulen  der  Rhetoren 
und  Sophisten  hervor;  neue  Formen  hat  daher  seitdem  die 
Predigt  nicht  mehr  angenommen,  aber  freilich,  die  eine  dieser 
Formen  wurde  so  ausgebildet,  dafs  sich  aus  ihr  unmittelbar  die 
Hymnenpoesie  entwickelt  hat.  Ich  werde  daher  erst  später,  wo 
ich  diesen  Zusammenhang  darlege  (Anhang  I),  auf  die  jüngere 
Predigt  genauer  eingehen. 

5.    Die   Ausläufer   der   griechischen   Eunstprosa 

in  Byzanz. 

EBtartong.  Dafür  mufs  ich,  da  mir  die  Möglichkeit  eigenen  Urteils  hier 
fehlt,  auf  Krumbachers  Angaben  yerweisen.  Ich  habe  daraus  ge- 
lernt, dafs  auch  in  Byzanz  neben  der  wesentlich  klassicistischen 
Richtung  die  andere  parallel  läuft,  deren  Hauptvertreter  Eusta- 
thios  der  Romanschreiber  für  den  Typus  wahnsinnigster  6e- 
schmacksyerzerrung  zu  gelten  pflegt.  Die  paar  Seiten,  die  ich 
davon  las,  genügten  mir,  um  die  Berechtigung  von  Erumbachera 
Urteil  (p.  764  f.')  einzusehen:  „Die  Darstellung  des  E.  gehört 
zu  dem  Wunderlichsten,  was  Byzanz  au&uweisen  hat;  das  ist 
kein  style  pr^cieux  und  kein  englischer  euphnism  mehr,  sondem 
ein  in  nervösen  Windungen  aufgeführter  stilistischer  Eiertani^ 
bei  dem  uns  vor  Augen  und  Ohren  schwindelt;  dabei  verrät  sich 
die  Armseligkeit  dieses  Wortjongleurs  in  der  steten  Wiederkehr 


Byzanz.  —  Die  spätlateinische  Litteratur:  Allgemeinea.  573 

der  gleichen  Ausdrücke  und  der  gleicheu  Eunststückchcn,  von 
denen  das  wichtigste  in  der  Häufung  kurzer,  um  jeden  Preis 
antithetisch  gedrehter  Satzglieder  besteht/'  Natürlich 
fehlt  auch  keine  der  andern  Facetien,  wie  Wortspiel  und  Homoio- 
teleuton.  Hätte  man  diesen  Skribenten  nach  Hegesias  gefragt, 
er  hatte  sicher  weniger  von  ihm  gewufst  als  wir,  nach  Gorgias, 
er  hätte  ihn  jedenfalls  nur  mehr  vom  Höreusagen  gekannt  (sogar 
Maximos  Planudes  citiert  ihn  nur  aus  Dionys  von  Halikamass): 
aber,  ohne  dafs  er  es  weifs  (er  glaubt  nämlich,  mit  einem  Bar- 
barenwort sich  selbst  Lügen  strafend,  zu  schreiben  ylAööjj 
irrixBvofiBvji  XI  20),  ist  er  ihr  Geistesverwandter  gewesen,  denn 
durch  die  Macht  einer  anfangs  bewufst,  dann  latent  fortwirkenden 
Nachahmung  sind  die  Geister  des  alten  Leontiners  und  seiner 
Genossen  nie  zur  Ruhe  gekommen,  sondern  haben  Jahrtausende 
lang  ihr  wunderliches  Wesen  getrieben,  augenverblendend  und 
ohrenbetäubend. 


Drittes  Kapitel. 
Die  lateinische  Litteratur. 

Überblicken  wir   die  lateinische   Litteratur  der  Spätzeit  in  Orient  und 

,        Ocddent. 

ihrer  Gesamtheit,  so  tritt  ihre  Inferiorität  gegenüber  der  grie- 
chischen womöglich  noch  deutlicher  hervor  als  in  den  früheren 
Jahrhunderten.  Der  geistige  Principat  des  Ostens  zeigt  sich  be- 
sonders in  folgenden  zwei  Thatsachen.  Erstens:  die  beiden  ein- 
zigen wirklich  bedeutenden  Profanschriftsteller  des  Westens, 
Ammianus  der  Prosaiker  und  Claudianus  der  Dichter,  waren  ge- 
borene Griechen:  zu  einer  geistigen  Konzentration,  wie  ihn  das 
schon  durch  die  Gröfse  seines  Unternehmens,  mehr  noch  durch 
die  Kraft  und  Originalität  der  Ausführung  imponierende  Ge- 
sehichtswerk  des  Ammian  voraussetzt,  war  das  Abendland  längst 
nicht  mehr  fähig,  wie  die  armseligen  sog.  Scriptores  historiae 
Angastae  und  die  Verfasser  der  traurigen  Kompendien  der  römi- 
schen Geschichte  beweisen;  und  was  läfst  sich  der  Mgysia  der 
claudianisohen  Satire  an  die  Seite  stellen?  Der  weitaus  be- 
deatendste  Schriftsteller  des  ausgehenden  Altertums  war  Boethius: 
mir  dnreh  eingehendes  Studium  der  Griechen  hat  er  sich  seinen 
hnponiiweaDden   Schwung   der   Gedanken   erworben.     Zweitens: 


574  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeit. 

das  occidentalische  Land^  in  welchem  die  Litteratur  fraglos  ihreü 
höchsten  Stand  hatte,  Gallien,  war  am  stärksten  durch  die  grie- 
chische Kultur  beeinflufst:  Ausonius  las,  was  wir  ihm  vielleicht 
werden   glauben  dürfen,  den  Menander  neben  Terenz,  wie  einst 
die  Philologen  der  Antoninenzeit;  Hilarius  von  Poitiers,  einer  der 
besten  Prosaiker  der  Spätzeit,  hatte  längere  Zeit  im  griechischen 
Osten  verkehrt.     In  den  späteren  Jahrhunderten  hat  Irland,  wo, 
wie  durch  eine  Fülle  von  Zeugnissen  feststeht,  die  Kenntnis  des 
Griechischen  für  mittolalterliche  Verhältnisse  abnorm  hoch  war, 
die   führende  Rolle   im  Occident    übernommen  und  ist  Banner- 
träger der  Kultur  geworden.  —    Das  Verhältnis  war  also  das- 
selbe wie  von  jeher:  der  Osten  gab  und  der  Westen  nahm,  wie 
sich  auf  allen  Gebieten  der  Litteratur,  vor  allem  auch  der  christ- 
lichen, zeigen  läfst:  z.  B.  begnügt  sich  sogar  ein  Mann  von  der 
Gröfse  des  Ambrosius,  in  seinen  Predigten  über  die  Schöpfungs- 
geschichte den  Basilius  z.  T.  wörtlich  zu  reproduzieren,  und  den 
Hymnengesang   führte   er  in  seine  Kirche  ein  secundum  marefu 
orientalium  partium^  wie  Augastin  s^t  (dasselbe  hatte  schon  vor 
Ambrosius  Hilarius  gethan);  die  immense  Produktionskraft  des 
Hieronymus  stützt  sich  auf  die  Vorarbeiten  eines  Origenes  und 
Eusebios.    Überall,  wo  wir  vergleichen  können,  zeigt  sich^  daCs 
das  Niveau  des  Westens  ein  tieferes  ist  als  das  des  Ostens:  wie 
mufs  Augastin  im   Vergleich  etwa  zu  Gregor  von  Nazianz  zu 
seinen  Zuhörern  herabsteigen,  um  ihnen  verständlich  zu  werden, 
wie  einfach  sind  die  Formen,  in  die  sich  der  lateinische  Kirchen- 
gesang  kleidet  im  Vergleich  mit  einem  Hymnus  etwa  des  Romanos, 
wie  kontrastiert  der  hohe  Schwnng  der  Ideen  eines  Plotinos  und 
BynedoB  lu  der  Flachheit  eines  Macrobius  und  der  bis  zur  Un- 
ttadlifllikeit  dnnkeln  Grübelei  eines  Marius  Victorinus.    Es 
HoPKtnr  des  Westens  vor  allem  das  ideale  und  speku- 
KefbhU^  von  dem  die  des  Ostens  mehr  oder  weniger 
>i  dagegen  hat  in  ihr  das  Utilitötsprinzip  stets 
geipielt:  es  ist  doch  bezeichnend,  dafs  Ency- 
Rsmus,  wie  wir  sie  im  Westen  seit  Gato  und 
staigoider  Zahl  nachweisen  können,  im  Osten, 
meht  existiert  haben:  begreiflich  genug,  denn 
i«r  mioht  erschöpften  Quelle  des  Wissens  war 
\  Wissenschaft  auf  Flaschen  zu  ziehen,  nicht 
d  es  gebieterisch  hervortrat  in  einer  (Gesell- 


Spätlateinische  Litteratur:  AUgemeiues.  oTf) 

Schaft,  die  das  Wissen  nicht  aus  sich  selbst  produziert  hatte. 
Speziell  die  christliche  Litteratur  des  Ostens  ist  aufgeklärter  als 
die  des  Westens:  eine  Schrift  wie  die  des  Basilius  ngbg  roi^g 
viovg  ornog  av  ^|  ^EXX'qvtxätv  ätpeloivro  Xoycov  hat  der  Westen 
nie  besessen,  und  es  ist  bezeichnend,  dufs  diese  Schrift  eine  der 
ersten  war,  die  in  der  Frührenaissauce  ins  Lateinische  übersetzt 
und  den  mönchischen  Widersachern  entgegengehalten  wurde: 
man  besafs  eben  nichts  Entsprechendes  in  lateinischer  Sprache^); 
umgekehrt  dürfte  sich  schwerlich  aus  der  christlichen  Litteratur 
des  Ostens  eine  Stelle  anführen  lassen^),  in  der  das  mönchische 
Element  in  so  grellen  Farben  erscheint  wie  in  der  des  Cassianus 
(conl.  XIV  12),  der  sich  verflucht,  dafs  ihm  während  des  Gebets 
und  Absingens  des  Psalters  der  Teufelsspuk  der  virgilischen  Ge- 
dichte vor  Augen  trete.  Angesichts  dieser  Verhältnisse  steigt 
nur  um  so  hoher  die  ragende  Gestalt  des  Augustinus,  dessen 
litterar-  und  welthistorische  Grüfse  wohl  zu  erklären  ist  aus 
seiner  einzigen  Verbindung  idealer  griechischer  Spekulationsgabe 
mit  energisch-praktischer  occidentalischer  Konstruktionskraft. 
Sein  geschichtsphilosophisches  W^erk  bleibt  eine  der  imposan- 
testen Schöpfungen  aller  Zeiten,  es  setzt  eine  Kapazität  und  Ori- 
ginalität des  Geistes  voraus,  wie  sie  damals  und  mehr  als  tausend 
Jahre  hinfort  keiner  besessen  hat 

Der  eigentliche  Grund,  weshalb  gerade  in  der  Spätzeit  des 
Altertums  die  abendländische  Kultur  der  des  Ostens  ganz  be- 
sonders inferior  war,  liegt  in  dem  fortwährenden  und  progressiv 
wachsenden  Prozefs  ihrer  Assimilation  an  barbarische  Elemente, 
die  ihr  ein  an  der  Antike  gemessen  immer  fremdartigeres  Ge- 
präge verleiht.  Ganz  anders  im  Osten,  wo  eine  solche  Kuuta- 
mination  in  diesem  MaGse  nicht  stattgefunden  hat.  So  kommt 
eSy  dab  man  etwa  Agathias  und  Georgios  Pisides  nach  Ideca- 
gang  und  Darstellungsweise  viel  mehr  zur  antiken  Litteratur 
rechnen  kazm  als  etwa  Gregor  von  Tours  und  Venaiitius.        Im 


1)  Die  ÜbersetKung  ist  von  Lionardo  Bruui,  vS.  G.  Voigt,  D.  AVicrlfM- 
beleb.  d.  cImb.  Alt.  II'  (Berl.  1898)  104. 

S)  HOchsteiiB  die  Rede  des  loanncs  Chrysostomos  "wider die Verricli ter 
des  MOnchiweMiis'  (besonders  1.  III  c.  18,  vol.  47,  379  fl'.  Migiie)  liernc  akh 
anfuhren,  aber  diese  eigentümliche  Scbrltl  int  nur  ein  l^rodukt  der  augen- 
blieklichen  politisch-religiösen  Verhältnisse  gcwe^^en,  cf.  A.  Puech,  St.  Ji^an 
CkzTB.  (Paris  1891)  IM  f. 


f)7()  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeit. 

sputen  Mittelalter  hat  sich  dann  das  Verhältnis  umgekehrt:  der 
Occident  übernahm  die  Führung  auch  auf  geistigem  Gebiet.  Das 
erklart  sich  gleichfalls  aus  dem  dargelegten  Umstände.  Denn 
im  Westen  war  eben  durch  jenen  Assimilationsprozefs  eine  fast 
neue  Litteratur  entstanden ,  verständnisvoll  begünstigt  durch  ge- 
waltige Herrscher  wie  Theoderich  und  Karl  d.  Gr.  und  gepflegt 
durch  deren  grofsc  litterarische  Paladine:  diese  Litteratur  war, 
weil  sie  sich  gesetzmäfsig  entwickelt  hatte ,  frisch  und  lebens- 
kräftig, während  die  Litteratur  des  Ostens,  dem  Leben  und  den 
Interessen  der  Gegenwart  fern  stehend,  der  Senilität  und  dem 
Marasmus  verfiel:  in  der  zweiten  Hälfte  des  XIU.  Jh.  hat  Maxi- 
mos  Planudes  eine  Reihe  lateinischer  Autoren  ins  Griechische 
übersetzt  und  in  den  folgenden  Zeiten  viele  Nachfolger  gefunden, 
eine  höchst  symptomatische  Thatsache,  denn  sie  bedeutet  die 
Umkehrung  eines  anderthalb  Tausend  Jahre  mit  verschwindenden 
Ausnahmen^)  konstanten  Verhältnisses.  Bei  dem  endlichen  Ver- 
löschen des  immer  schwächer  glimmenden  Lebenslichtes  des 
byzantinischen  Reiches  und  seiner  Litteratur  wären  daher  die 
Vertreter  der  letzteren  aus  sich  selbst  nicht  imstande  gewesen, 
die  verlorene  Gröfse  wiederzugewinnen:  unter  Führung  des  Westens 
wurde  die  gemeinsame  Mutter  aufgefunden. 

Diese  Verhältnisse  finden  ihren  Ausdruck  auch  in  den  Formen 
der  schriftlichen  Darstellung,  wie  sie  sich  im  Westen  entwickelt 
haben. 

I.  Der  alte  8tU. 

1.   Allgemeine  Vorbemerkungen. 

Wai  veranlafste  diese  Epigonen,  sich  mit  der  alten  Litteratur 
weiter  za  beschäftigen?  Es  war  vor  allem  die  eigne  Un- 
Produktivität,  die  sie  zwang,  immer  und  immer  wieder  ihre 
blicke  rückwärts  zu  lenken.  So  haben  sie  in  den  Zeiten,  als  die 
alfc«  Knitor  in  Trümmer  sank  und  neue  Literessen  von  onmittel- 
Imrer  Wichtigkeit  an  die  Stelle  traten,  in  der  Schule  sich  voU- 
^ffmogßn  AD  Terenz,  Vergil,  Persius.  Juvenal.  Statins,  an  Salluat 
I  CietfOw    £b  war  aber  nicht  blofs  daa  Gi^fiüil  eigner  Unfähig- 

"^liirp  De  latiiM  tcriptit  quae  GrMci  t«I«i«s  in  lingnam 
18S6— 185a. 


Spätlateinische  Litteratur:  der  alte  Stil.  577 

keit^  welches  ihnen  die  Pflege  der  alten  Litteratur  zur  unabweis- 
baren Pflicht  machte:  es  kamen  hinzu  zwei  in  hohem  Mafse  be- 
günstigende Momente. 

1.  Zunächst  die  Reaktion  gegen  das  Christentum.  Die  nie  ait- 
Beschäftigung  mit  der  alten  Litteratur  erhielt  nämlich  thatsäch- o*^tr*der 
lieh  einen  starken  Impuls  in  den  Zeiten,  als  die  neue  Religion  ^^^° 
zur  Herrschaft  gelangte.  In  Opposition  gegen  sie  traten  die 
Männer^  die  mit  allen  Fasern  an  der  Vorzeit  hingen  und  schmerz- 
erfüllt durch  liebevolle  Beschäftigung  mit  der  alten  Litteratur 
sich  über  die  Miseren  der  Gegenwart  hinwegzutäuschen  ver- 
suchten. Vor  allem  habe  ich  hier  natürlich  im  Auge  den  Kreis 
von  hochadligen  Männern,  die  sich  um  die  Familien  der  Sym- 
machi  und  Nicomachi  scharten  und  deren  Thätigkeit  wir  viel- 
leicht die  Erhaltung  eines  Teils  der  lateinischen  Litteratur  über- 
hauptj'edenfalls  die  ältesten  Handschriften  verdanken.^)  Symmachus 
selbst  las  die  alten  Komiker  und  Sallust  mit  Vorliebe ,  sicher 
auch  den  Fronto,  denn  in  einem  Brief  (III  11)  sagt  er:  speciator 
tibi  veteris  monetae  solus  stipersum,  wobei  er  an  die  Vorschrift 
denkt,  die  Fronto  seinem  prinzlichen  Schüler  giebt:  vetereni  mo- 
netam  sectator  (p.  161  N.)');  er  hat  das  Bestreben,  sich  von  den 
argutiae  pla%isibüis  sermonis  seiner  Zeit  fernzuhalten  (I  89).  Ser- 
vins,  ein  Mitglied  jenes  Kreises,  citiert  (z.  Aen.  I  409)  den  Fronto 
80,  dafs  man  sieht,  er  las  ihn.  Die  Saturnalien  des  Macro- 
bius  führen  uns  am  lebendigsten  ein  in  das  Denken  und  Fühlen 
jenes  Kreises  und  erhalten  dadurch  eine  kulturhistorische  Be- 
deutung. Wie  viel  weniger  wüTsten  wir  doch  von  altrömischer 
Religion,  wie  viel  weniger  Fragmente  der  archaischen  Litteratur 
hatten  wir,  wenn  nicht  diese  Männer  Interesse  an  solchen  Dingen 
genommen  und  die  darauf  bezügliche  Litteratur,  soweit  sie  ihrer 
noch  habhaft  werden  konnten,  ezcerpiert  hätten;  denn  wenn 
Macrobios,   ein  kleines  Licht  jenes  Kreises  wie  Servius,   auch 


1)  Um  eine  klare  Vorstellang  von  den  berühmten  Subskriptionen  zu 
erhalten,  ma£B  man  jetget  hinzunehmen,  was  über  die  gleichartige  Sitte  zeit- 
genflssischer  griechischer  Christen  mitteilt  Hamack,  Gesch.  d.  altchr.  Litt. 
I  SS7  (wo  f&r  a^xk  x<^^  Tldy^ikog  %al  EMßiog  Siogd'dtcavTO  zu  lesen  ist 

S)  Daraiis  folgt  doch  wohl,  dafs  bei  Symmachus  sectator  zu  lesen  ist, 
iraniif  aneh  führt  Solin.  praef.  p.  4,  17  M.^:  vestigia  monetae  veteris  per- 
9€e%ii  cpimtmu  wnivenas  eligere  maluinnis  potius  quam  inmvare. 


578  VoD  Hadrian  bis  zum  Kude  der  Kaieerzeit. 

nicht  melir  die  selir  alten  Autoren  gelesen  bat,  die  er  aus  sekun- 
dären Quellen  citiert,  so  verKcihen  wir  ihm  dies  nach  antiker 
.\nBchauung  sehr  entschuldbare  Yoi^ehen  um  so  lieber,  weil  es 
ihm  wohl  bei  den  allerwenigsten  (freilich  nicht  z.  B.  bei  Tarro) 
möglich  gewesen  wäre,  sie  sich  zu  Terschaffen;  bei  einer  Gelegen- 
heit läTst  er  über  ihre  Nichtachtung  sprechen:  VI  1,  5  (aus  der 
Nachahmung  älterer  Dichter  sei  Vergil  kein  Vorwarf  zu  macheu, 
mau  müsse  ihm  im  Gegenteil  Dank  wissen,)  quod  non  nulla  ab 
Ulis  in  opus  &ium  quod  aeterno  ntansurum  est  transferemh  fedt, 

ne  omnino   tncmoria  vetcrum  delerctur,    gitos non  solttm 

ncglectui  verum  etiam  risui  habere  iam  coepimus.  —  Auch 

anfserhalb  Roms^)  war  damals  Ansonius,  der  Freund  des  Sym- 

machus,    Christ    nur    dem    Scheine    nach,    wie   alle   damaligen 

Schöngeister,  ein  Liebhaber  der  Alten  (speziell  auch  des  Plautua), 

mit  deren  Floskeln  et  oft  seine  Werke  anputzt. 

siüTkuDK  2.    Das  zweite  Moment,  welches  die  alte  Litteratur  schützte, 

NatioDiii- war  die  Reaktion  gegen  die  Barbaren.     Diese  überfluteten 

'"*'"''"''"■  eine  Provinz  nach  der  anderu  und  es  schien,  als  ob  sie  gesonnen 

wären,  die  alte  Kultur  gUnzlich  zu  zertrümmern.     Ihre  Sprache 

äöfate   den  Komauen   Grausen    ein^:    Sidonius    spricht  von  der 

sqttania  s&^notiis  Celtici  (ep.  111  3),  und   es  ist  ihm  ganz  unfafs- 

bar,    wie   sich  der  aus  altadliger  Familie   stammende,   mit  der 

Lektüre  Vei^ils  und  Ciceros  grofs  gewordene  S^agrius  damit  ab- 

1)  Aber  eigenüich  lebendig  war  da«  Gefübl  fQr  die  groCse  Vergangen- 
heit doch  nur  da,  wo  sie  durch  die  Monumente  unmittelbar  za  den  Men- 
schen redete:  in  Rom  wurden  Vergil,  Hoiaz,  Liviua  abgeBchrieben.  In 
Oallicn  war  das  Interesse  wesentlich  ein  schöngeistiges!  Panlinus  tos  Kola, 
geboren  in  Entdigala,  erklfiit  ausdrücklich,  dafs  er  die  HistorikeT  nicht 
gelesen  habe  (ep.  SS,  5  p.  846  Eartel);  doch  hatte  man  hier  begreülicher- 
weiae  fOr  Caesars  Gallischen  Krieg  {sowie  die  betr.  Paitieen  dea  Lirini  nnd 
SuetoDS  Caesar-Vita)  ein  patriotiachea  Interesse,  wofür  Tor  allem  beuichnend 
ist  Sidou.  ep.  Dt  14,  7. 

!)  Aus  solchen  Kreisen  Htammt  das  Gedicht  der  AL  886  Biese: 

inUr  eüs  gotietim,  scapia  mattia  m  driMecm 

non  mtdet  juMjHam  dignot  edieen  ventu. 

CaUiope  mtadido  trqiidat  «  itutgtre  Baeeho, 

ne  pedibut  ntm  $tet  abria  Mtua  «mü. 
d.  h.  qZwiicluin  dem  gotiidliBB  "Heil",  dem  "Sol 
Lritikea"";  d«r  i'uutuineter  aju  äubluffl  isL  uatÜrlicii  J 


Spailaicizii*che  Litt-rratur:  dfr  il:o  S::l  ;>Tj^ 

geben  mag,  sich  aEzce:^en  stuj'.am  sen)i:}.is  Gtrmanici  uotitir.w^ 
so  dal<>  ihn  jVizt  wie  ein  Wunder  aus  einer  aiuloru  Welt  an- 
starrten  diese  a^qu€  c.rporAns  ac  scusu  ;;';;. jV  iud'.^itiksque  und 
dafs  —  \Tie  er  mii  beifse::dem  Spott  hinzulugt  —  sich  jetzt  die 
Barbaren  fürchteten,  vor  diesem  Kenner  in  ihrer  eignen  Sprache 
einen  Barbarismas  zu  machen;  restat  hoc  nnum  —  schliefst  er  — 
vir  facetissimc,  ui  nihilo  segniiis,  vd  cufu  vacahit.  aliijiiitl  hctioui 
operis  impertdas  cmtcdiasque  hoc,  prout  fo  clegmitiissimus,  tewirra 
mefituM,  ut  ista  tibi  llngua  icncatur,  ne  riticariSf  illa  cxcnratur, 
ut  rideas  (ep.  V  o)})  Gegenüber  diesem  Vordrlingin  des  barbari- 
schen Elements  scharte  sich,  \\'ie  ausdrückliche  Zeugnisse  lehren  "\ 

1}  Daraus  erklärt  sich  auch  die  nachdrückliche  Forderung  der  Autorou 
in  den  Provinzen,  man  solle  ^K'imiäch*  ^oder  'italiäch\^  sohroibou.  Cliuri- 
siuB  empfiehlt  in  der  Vorrede  seinem  Sohn  die  Loktüre  dos  Huohos,  ut 
quod  originalis  patriae  natura  dencgacit,  cirtute  aftimi  affWdisse 
ridearis,  Macrobius  sat.  praef.  11  f.  nihil  huic  o])erae  in.<trtuni  puto  aut 
cognitu  inutile  aut  difficile  perceptu,  sed  omnia  quibus  >i7  intjenium  tuum 
vegetius,  memoria  adminiculatior,  oratio  soUcrtior,  sirmo  incorruptior,  nisi 
sicubi  no8  suh  alio  ortos  caelo  latinae  linguae  ctua  non  adiuvtt. 
quod  ah  his,  st  tarnen  quibusdatn  forte  non  numquam  teinpus  raJuntutiquc 
erit  ista  cognoscerej  petitum  impetratumque  volumus  ut  tivqui  botn'quc  cousn- 
laut,  si  in  nostro  sermone  natica  romani  oris  elcgantiu  dtsi- 
deretur.  Beider  Aussprüche  können  an  sich  auf  allo  Proviu/.ou  lUilVorhalb 
Italiens  gehen  (z.  B.  entschuldigt  sich  ja  Appuleius  im  Aufaii^  der  Mola- 
morphoien  ebenso,  dafs  er  sich  mit  Mühe  angeeignet  habe  (f^uiritium  in- 
digenam  sermonem),  aber  die  höchste  Wahrscheinlichkeit  spricht  doi-h  dafür, 
dafs  80  Schriftsteller  gesprochen  haben,  die  (wie  gleichzoiti«?  Ammiaii)  ge- 
borene Griechen  waren  (die  angeblichen  Übersetzungsfehler  des  Macrobius 
möchte  ich  nicht  hoch  anschlagen),  wofür  auch  zu  sprechou  scheint  1)  di\a 
Ton  Macrobius  in  Fortsetzung  der  citierten  Worte  augeführte  Beispiel  des 
griechisch  schreibenden  A.  Albinus,  2)  die  Sprache  des  Charisius  und 
Hacrobins:  man  vergl.  z.  B.  den  Schwulst  der  Vorrede  des  Dioniedes  mit 
der  Reinheit  degenigen  des  Charisius,  3)  die  Namen  beider  (weui^steus  ein 
sekondäres  Axgument).  —  Ob  Diomedes  (GL  1  4d<J)  seine  Deiinition  latini- 
ta8  mi  ineorrupte  loquendi  ohservatio  secttfidum  romanam  linguam  wörilidi 
BO  ans  dem  gleich  hinterher  citierten  Varro  (fr.  41  Wilni.)  gcnoniiiKiu  Iiai, 
ist  mir  doch  iweifelliaft.  Martyrius  (ein  Sarde)  de  b  et  v  liiteris  beruft 
■ich  (OL  Yn  176)  auf  das  Bomanum  eloquium.  Der  Verf.  der  Ilisperica 
famina  kann  sich  nicht  genug  darin  thun,  auf  sein  '  ausonischcs '  d.  h. 
italitchm  Latein  im  Gegensatz  zu  dem  barbarischen  in  Irland  gesprochenen 
Imimk  Bit  Stoli  hinxnweisen. 

f)  et  SidoninB  ep.  VIII  2  credidi  me,  vir  peritissimc ,  ncfas  in  btudia 
e  '•^  «<  JiifciWMtfm  ptoteq^i  lamdilws,  quod  aholeri  ia  litteraa  dintulisii, 

''Wb  iam  aepuHtarum  suscitator  fautor  assertor  concclebraria, 
U.  88 


580 


Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Ealserzeit. 


der  Adel  der  eiuzelDen  Nationen  zusaniineii  und,  ohnmäclitig 
Horden  mit  den  Waffen  zu  begegnen,  schrieb  er  auf  seine  Fahne 
die  Pflege  der  Litteratur.  Wenn  man  den  Umfang  der  Lektüre 
eines  Äusonius  Sjmmachus  Sidonius,  ja  einea  Kunodius  ermifst, 
80  hann  man  nicht  umhin,  ihnen,  mag  man  sonst  über  sie  denken 
was  man  mill,  seine  Achtung  zu  bezeugen,  und  von  diesem  Ge- 
sichtspunkt aus  urteilt  man,  denke  ich,  mihler,  selbst  über  ei 
solche  Thorheit,  Namen  von  alten  Autoren  zuaammenzuhäu: 
als  ob  man  diese  noch  gelesen  habe.') 


Uque  per  Gatlias  uno  magistro  sub  hac  tempestate  beüorttm  Latina  Imnei 
ora  porlnm,  cwm  pertulerint  arma  naufragium  ....  Nam  iant  remoUa 
diiiMS  dignitatvm,  per  qaas  solebat  ultimo  a  quoqae  svmmtts  jutsgue  diecerni, 
Bofum  erit  pogthac  nobilitatis  indictum  littcrai  nogse  (cf.  auch 
n  10,  1),  A^ituB  ep.  9&  (p.  102  Peiper)  stellt  auf  eine  Stufe  barbaro»  fugen 
und  UUeris  terga  no»  praebere.  Eonodiua  ep.  VIU  i  (an  Boethiua);  fiterit 
in  more  veteribv»  curulium  tvlaitudinem  catnpi  sudore  mercari  et  cotttemptit 
luctB  honOTUm  sole  fulgere:  eed  aliud  genus  virtutis  quaeritur,  potl- 
quam  praemium  facta  est  Roma  victorum,  nämlich  die  BeBchaftigung 
mit  der  Litteratnr,  wie  et  pomphaft  aual'ührt.  Aus  diesen  Verbältmaaen 
begreift  e»  sich ,  wenn  SidoniuB  deu  Germanen  Arbogast  aufeiert  als  einen 
der  wenigen  Barbaren,  die  sich  um  die  1a,l«iniB(ihe  Litteratur  kümnierten 
(ep.  JV  17);  er  abnte  nicht,  dafs  dies  ein  paar  Jahrbonderte  epätei 
gans  SelbstTerstSjidb'cheB  sein  sollte  und  dafs  diese  Barbaren  best 
waren,  die  alte  Litteratur  zu  retten. 

1)  Am  atHrksteu  ClaudianuB  Mamertus  in  einem  Brief  an  den  ( 
auB  Sidon.  ep.  V  lO  bekannten)  Rhetor  Sapaudus  aus  Vienne  (ed.  Engel' 
brecht  im  Corp.  acript.  ecol.  lat.  Vindob.  Xi  203 ff.);  dieser  BoUe  sich  neben 
FlautuB,  Cato,  Varro,  Salluat,  Cicero,  Fronte  auch  NaeTius  und  Gracchus 
Bum  Muster  nehmen.  Ihnlich  öfters  Sidouiua,  t.  B.  carm.  9,  259  ff.  (wo 
u.  a.  EnniuB  und  Lucilius).  Von  Jenen  Autoren  waren  damals  Naerios, 
Eiwius,  Gracchus  natürlich  blofse  Namen,  auch  LnciüuB.  Plautus  Bcbelnt 
wenigateoH  Sidonius  gelesen  zu  haben  (cf.  G,  Geialer,  De  Äpollinaris  SldonÜ 
Btudüa  [Dia^  Breslau  1886]  40),  sicher  (imi  tod  Auaonius  und  Hieronjmus 
gar  nicht  xu  reden)  Faulinua  von  Nola  (geb.  in  Bordeaux)  und  sein  Freund, 
mit  dem  er  darüber  korrespondiert:  ep,  22  p.  156  HarteL  (Aus  dieser  Zeit 
etwa  staiiuiit  der  codex  Ä.)  Yarros  Antiquitates  existierten  damals  wenig- 
stens noch,  nie  der  hochinteressante  Brief  des  Sidonius  11  <J  beweist-,  aber 
i  üb  nie  hul-Ii  lemaud  Üb/    Wenn  er  bei  SidoniuB  (ep.  IV  3)  als  guter  StUüt 

I  'liuB  (ep.  1  Iß)  gar  Ton  Vaminin  ehgantia  s 

:\s  sin  ihn  nicht  gelesen  haben  i^wie  anders 

;,  i.  oben  ^.  lai  f.).    Den  Eindruck  der  Wahrhnl 

16,  0  Hsitationtm  de  unturilatc  faMiiit 

'  'tiIönciw  Yarroncmg<ite  perkctos  rei'o'i 


] 


etw^^H 
1  (nt^^* 


Juristen. 


Spätlat.  Litteratur:  der  alt«  Stil:  Juriätcu.  581 

2.    Die  Vertreter  des  alten  Stils. 

Bei  dieser  Lage  der  Dinge  hätte  man  nun  erwarten  sollen, 
daCs  die  spätlateinisclien  Autoren  bei  ihrer  Verehrung  der  alten 
Litteratur  sie  auch  stilistisch  sich  zum  Muster  genommen  hätten. 
Allein  die  Verhältnisse  sind  hier  dieselben  wie  bei  den  Griechen: 
alle  lobten  die  Vergangenheit,  aber  nur  wenige  wufsten  die 
Theorie  in  die  Praxis  umzusetzen,  da  die  Gegenwart  gebieterisch 
ihre  Rechte  forderte.*) 

1.  Unter  den  heidnischen  Autoren  vermag  ich  als  Vertreter  Die 
der  klassischen  Stilart  nur  die  Juristen  zu  nennen,  die  sich 
überhaupt  amore  antiqui  moris  auszeichneten  (Tac.  aun.  XIV  43). 
Jeder  weifs,  dafs  sie  sich  durch  die  klassische  Einfachheit  ihrer 
auf  das  rein  Sachliche  gerichteten  Sprache  hervorgethan  haben, 
in  der  nach  meinem  Gefühl  zum  letztenmal  die  römische  dignitas 
nnd  grayitas  zum  Ausdruck  kam,  wenngleich  die  meisten  uns 
ganz  oder  teilweise  erhaltenen  Autoren  fast  alle  aus  dem  Osten 
des  Reichs  stammen.  Lorenzo  Valla  hat  einmal  gesagt:  wenn 
die  lateinische  Sprache  untergegangen  wäre,  so  könne  sie  aus 
den  Pandekten  allein  wiederhergestellt  werden.^)  Schon  Quin- 
tilian  (V  14,  34)  sagt:  iuris  consulti,  qnorum  stimmtis  circa  vor- 
borum  proprietatem  labor  est,  und  bezeichnend  ist  das  Urteil,  wel- 
ches Pomponius  über  die  Schreibweise  des  Juristen  Q.  Aelius 
Tubero  föUt:  dig.  I  2,  2,  46  Tubero  docHssimus  quideni  Jiäbitas  est 
iuris  publici  et  privati  et  coniplures  utriusque  operis  libros  reliquit; 
sermone  tarnen  antiquo  usus  affectavit  scrihere  et  ideo 
parum  libri  eius  grati  hahentnr.  Dies  Urteil  stammt  aus 
der  Zeit  der  Antonine,  als  in  den  übrigen  Kreisen  die  Manier  des 
Archaismns  herrschte.  Das  dieser  Zeit  angehörende  Werk  des 
Graias  hat  in  seiner  Sprache,  verglichen  mit  der  schlaffen  oder 
Terkflnstelten  Diktion  andrer  damaliger  Schriftsteller,  etwas  un- 
gemein Erfrischendes:  Mommsen  nennt  sie  naturali  sua  simplici- 
tate  et  prisoo  eandare  nitentem.  Auch  die  grofsen  Juristen,  die 
dem  dritten  Jahrhundert  angehören,  stehen  sowohl  stilistisch  wie 

1)  Das  Sinken  des  Sprachbewafstseins  selbst  bei  Gelehrten  war  enorm, 
irie  vaoM  perrene  Erklftnmgen  der  Scholiasten  zeigen,  vgl.  z.  B.  Servius  zur 
ÄflansVIl490.  7111409. 

%)  Cttiert  von  G.  J.  Yossius,   Inst.  or.  IV  1  p.  12  ed.  8;   cf.  besoni 
fUlM  Toneden  mm  8.  und  6.  Buch  seiner  Elegantiae. 

38* 


582 


Von  Hadrian  bis  mm  Ende  der  ^iBeraeit, 


I 


rein  sprachlich  betrachtet  durchaus  abseits  von  der  grofsea  Masat 
der  übrigen  Autoren:  sie  schreiben  einfach,  klar,  vornehm,  üud 
zwar  gilt  das  nicht  etwa  hlofe  von  den  aus  der  Praxis  hervor- 
gegangenen und  für  die  Schüler  oder  Berufsgeuoseeii  bestimmten 
Schriften,  sondern  auch  von  den  durch  Juristen  verfafsten,  aus 
dem  kaiserlichen  Kabinett  erlassenen  Konstitutionen.  Aber  gerade 
an  letzteren  kann  man  nun  deuthch  den  Kontrast  der  Zeiten  er- 
kennen: die  aus  dem  codex  Gregoriauus  und  Hermogenianus  e»' 
haltenen  Konstitutionen  bis  auf  Diacletiau  sind  einfach,  sachlich^ 
kurz,  während  die  seit  Constantin  erlassenen  des  codex  Theodo- 
sianus  schwülstig,  rhetorisch,  geschwätzig  -werden,  kurz  alle 
Fehler  des  bombastischen  Stils  der  gleichzeitigen  Schriftsteller 
zeigen.  Man  kann  vielleicht  behaupten,  daüt  diese  Manier  bis 
auf  Jnstinian  sich  stetig  gesteigert  hat.  Es  ist,  um  es  kurz  zu 
sagen,  die  verschnörkelte  Sprache  der  Kanzlei:  sie  blieb  so  im 
ganzen  Mittelalter  an  den  kaiserlichen,  fürstlichen  und  päpst- 
lichen Kanzleien,  deren  Sekretäre  immer  rhetorisch  gebildet  waren, 
und  hat  sich  von  da  aus  in  i]ie  moderneu  Sprachen  verpflanzt. 
Das  muTs  sich  alles  im  einzelnen  nachweisen  lassen:  gewöhnlich 
wird  heutzutage  in  deu  massenhaften  Einzeluntersuchungen  über 
die  Sprache  der  Juristen,  deren  Resultate  m.  E.  meist  proble- 
matisch sind,  das  Stilistische  ganz   beiseite  gelassen. 

2.    Unter  den  christlichen  Autoren  hat,  wie  jeder  weifs,  ni 
300  Lactantius  in  wahrhaft  klassischem  Stil  geschrieben.    Wj 
kennen  seine  Heimat  nicht;  iu  der  Rhetorik  war  Ärnobius  seiul 
Lehrer,  aber  es  giebt  kaum  zwei  Schriften,  die  sich  unähulichi 
sind   als  das  rohe  Pamphlet  des   einen  und  das  von  vornehmer 
Ruhe    getragene,    mit    der    Fülle    edelster   hellenisch -römischer 

L  Weisheit  durihtränkte  Kunstwerk  des  sndem.  —  Im  folgenden 
Jahrhundert  ist  das  Centrum  des  geistigen  Lebens  in  deiu  Laude 
nördlich  von  den  Pyrenäeu  und  .\lpen  und  innerhalb  geiner  wietler 
das  eiuflt  von  Ibrrern  bewohnte  Aquitanien:  ein  Gallier  wagto 
Aqiiitanier  kaum  den  Mund  aufzumachen:   dum 

k  [uiKt  ein  gallischer  Teilnehmer  am  Gespräch  bei  Sulpic.  Sev.  di 
'  homiMeni  Gaftum  hikr  Aquilatios  verba  facturum,  vi 
OS  nimium  urbatias  aures  scrmo  rusUcior.    aud» 
ut  Gurdonicum')  liominem  nihü  cum  fuco  aut  eotht 


B|||Kl7p,36'i,r.<KDi 


!r  Bemerkung  im  Iudex  K, 


Spfttlat.  Litteratur:  der  alte  Stil:  Lactanz,  Sulpicius,  Jlilarius.     583 

loquentem^)  Hier  schrieb  um  400  Sulpicius  SeveruS;  wie  suipicius 
Lactanz  sich  wendend  an  ein  hochgebildetes  Publikum,  um  ihm  ^®^*'™** 
auch  durch  Sprache  und  Stil  zu  beweisen,  dafs  sich  mit  dem 
einfachen  Geist  und  der  kunstlosen  Form  der  Religionsurkunden 
eine  gehobene  und  formvollendete  Darstellung  sowohl  der  christ- 
lichen Lehre  als  der  biblischen  Geschichte  gut  vertrage.  J.Bemays 
hat  ihn  in  seiner  berühmten  Abhandlung  auch  stilistisch  an  den 
richtigen  Platz  gestellt:  war  des  Lactanz  stilistisches  Ideal  Cicero, 
den  er  virtim  singalaris  wgmü  und  eloquentlae  ipsius  unicum 
ezemplar  nannte  (de  op.  dei  1, 12.  20,  5),  so  schlofs  sich  Sulpicius 
vor  allem  an  Sallust  an,  den  damals  am  meisten  gelesenen  Pro- 
saiker.^) Aber  schon  etwa  50  Jahre  früher  hatte  ein  andrer 
Aquitanier  die  Augen  der  gebildeten  Welt  auf  sich  gezogen: 
Hilarius  von  Poitiers.  Ich  trage  kein  Bedenken  zu  behaupten,  luiariuB. 
daüs  er  neben  Boethius  der  formgewandteste  Schriftsteller  der 
spätlateinischen  Periode  gewesen  ist,  gleich  grofs,  mag  er  uns  — 
darin  ein  geringerer  Vorläufer  Augustins  —  sein  Suchen  und 
endliches  Finden  der  Weisheit  in  der  aufs  stärkste  sallustisch 
gefärbten  Einleitung  des  grofsen  Werks  %le  üde'  (=  ^de  trini- 
tate^  darlegen,  oder  seiner  Tochter  einen  zärtlichen  Brief  schrei- 
ben,  oder  als  der  „Athanasius  des  Ostens'^  die  fulminanten  Streit- 
schriften gegen  die  Haeretiker  und  den  sie  beschützenden  Kaiser 
in  die  Welt  senden;  auch  seine  Traktate  zu  den  Psalmen  stehen 
stilistisch  höher  als  alle  ähnlichen  uns  erhaltenen  Schriften:  ist 
er  doch  auch  einer  der  wenigen  christlichen  Schriftsteller  des 
Westens,   der  nicht,   wie  die  andern  fast  alle,   in  falscher  Be- 


1)  Cf.  auch  Yenant.  Fortunat.  vita  S.  Albiiii  c.  4,  6  (p.  28  Krusch)  a^te 
vedram  penUam  ipaa  Ciceronis  ut  mspicor  eloquia  currerent  vix  secura,  et 
em  apiid  Caeaarem  Borna  aliquid  deliberans  Äquitanico  iudice  forsitan 
OfMam  fbrmidaret, 

S)  Gf.  den  An&ng  der  epietnla  Vindiciani  comitis  arehiatrorum  ad 
ValenÜniaimm  imp.  in:  Marcell.  Empir.  ed.  Helmreich  p.  21 :  ctitn  snep*!,  sacra- 
titdme  imperator,  humani  generis  fragilitas  falsa  de  natura  sua  qucratur  etc. 
^  K  Klebf  im  Philol.  N.  F.  DI  (1800)  288  if.  behauptet,  dafs  Sulpicius  den 
YeDeliis  naohahme  (nach  Vorgang  von  Buhnken  in  den  Anm.  zu  seiner 
Anigabe  desYelleiDi  und  Bemays,  Ges.  Abb.  II  i:3l).  Das  ist  nicht  richtig: 
in  fiefatlfilit  kftme  nur  Sulp,  chron.  II  26,  6  Pompeins  victor  omnium  gentium 
fMt  miitrai  na  YelL  n  107,  3  victor  omnium  gentium  locorumque  quos  adierat 
Otmatg  WM  al)er  Tielmefar  ein  tonos   aus   der  Rhetorenschule  ist  (s. 


584  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

scheidenheit  sich  seines  stilistischen  Unvermögens  rühmte ;  son- 
dern der  zu  Gott  zu  beten  wagt,  er  möge  ihm  geben  verhorum 
significafionem,  intelligentiae  lunwrij  dictorum  Jionoremy  denn  nur  in 
würdiger  Sprache  könne  das  Wort  Gottes  verkündigt  werden 
(de  fide  I  38,  tract.  in  psalm.  13,  1 ;  s.  o.  S.  533).  Seine  Rede  nimmt 
gelegentlich  einen  sehr  hohen  Schwung,  wenn  er  die  Herrlich- 
keit der  Natur  preist  oder  seiner  indignatio  Ausdruck  giebt,  wo 
er  dann  so  wenig  wie  Cicero  die  omamenta  elocutionis  spart: 
weht  uns  nicht  z.  B.  aus  folgender  Stelle  der  Geist  Ciceros  ent- 
gegen, contra  Gonstantium  imp.  5  at  nunc  pugnamus  contra  perse- 
cutoreni  fallentem  contra  hostenh  blandientem  contra  Constantium  anti- 
christum,  qui  non  dorsa  caedit  sed  ventrem  paJpat,  non  proscribit 
ad  vitam  sed  ditat  in  mortem^  non  trudit  carcere  ad  libertaiem  sed 
intra  pälatium  honorat  ad  servüutem,  non  latera  vexat  sed  cor  occu- 
patf  non  captU  gladio  desecat  sed  animam  auro  occidit,  non  ignes 
publice  minatur  sed  geliennam  privatim  accendit,  non  contendit  ne 
vincatur,  sed  adulatur  ut  dominetur.  Wo  die  Rede  ruhig  fliefst^ 
da  bildet  er  meisterhafte  Perioden:  man  lese  dafür  im  Anfang 
des  Werks  Me  fide'  den  sallustischen  Ideengang  in  langen  cicero- 
manischen  Perioden,  und  frage  sich,  ob  irgend  jemand  damals 
Gleiches  geleistet  hat.  Freilich  für  die  simplices  fratres  war  das 
keine  Eost:  8.  Hilaritis  Gallicano  cothiimo  attollitur  et  cum  Grae- 
ciae  floribus  adornetur,  longis  inierdum  periodis  involvitur  et  a  lectiofie 
simplidorum  fratrum  procid  est,  sagt  Hieronymus  ep.  58, 10  (1 32G 
Vall.)^),  und  auf  Grund  dieses  Zeugnisses  hat  Erasmus,  sonst  ein 
so  feiner  Kenner  dieser  Dinge,  ein  nicht  gerechtes  Urteil  über 
den  Stil  des  Uilarius  gefällt.^)  Aber  Hieronymus  spricht  ja  nur 
von  den  'einfältigeren  Brüdern'  und  aufserdem  verfolgt  er  an 
jener  Stelle  den  Zweck,  seinen  gelehrten  und  stilistisch  sehr  ge- 
wandten (cf.  auch  ep.  85,  1)  Freund  Paulinus  auf  Kosten  der  andern 
von  ihm  genannten  Autoren,  darunter  des  Hilarius,  gerade  als 
Stilisten  zu  loben.    Anders  urteilt  er,  wo  ihm  solche  Tendenzen 


1)  Auf  Beine  Weise  Venant.  Fort,  de  virtutibus   S.  Hilarii  c.  14,  50 

(p.  6  Ehuch):  gms  ahtmäantiam  rigantis  ingenii  conUnd<xt  evolvere  aui  eius 

verba  verbis  vaileai  exaegwire?  qualiter  iUe  itidivisae  trinüatia  libros  stih 

mmk  contexuU,  aut  scripturam  Davitici  carmini$  sermone  coturnaio  per 

^  reaeravit 

dar  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  (Bas.  1623)  «=■  epist.  613  (opera 


Spfttlat.  Lit;ieratar:  der  alte  Stil:  Hilarius,  Claudian,  Salvian.     585 

fem  liegen  (ep.  70;  5;  yol.  I  430  Yall.):  Hilarius  duodecim  Quinti- 
liani  libros  et  stilo  irnüahis  est  et  numero.  Bemerkenswert  ist 
noch;  dals  Hilarius  der  griechischen  Sprache  in  einem  für  die 
damalige  Zeit  beispiellosen  Umfang  mächtig  war:  das  zeigen  in- 
haltlich seine  Schriften;  in  denen  er  oft  auf  das  Griechische  bezug 
nimmt;  das  zeigt  die  Nachricht;  dafs  er  während  seiner  vier- 
jährigen Verbannung  im  Orient  an  der  Synode  zu  Seleucia  (359) 
in  dieser  Sprache  thätigen  Anteil  nehmen  konnte;  ich  glaube 
auch  in  dem  ^og  seiner  Darstellung  etwas  von  der  griechischen 
xdQi^  zu  fühlen ;  die  ihn  vor  der  grassierenden  occidentalischen 
barbaries  bewahrte:  die  beiden  besten  lateinischen  Stilisten  der 
Spätzeit;  Hilarius  und  BoethiuS;  waren  hervorragende  Kenner  des 
Griechischen. 

ImV.  Jahrh.  hat  sich  Claudianus  Mamertus  offenbar  be-  oiaadiani] 
müht;  in  einem  von  den  schlimmsten  modernen  Fehlern  freien 
Stil  zu  schreiben  (seinen  darauf  bezüglichen  Brief  an  den  Rhetor 
Sapaudus  werde  ich  später  anführen);  imd  wenn  man  seinen  Stil 
mit  dem  seines  Freundes  Sidonius  vergleicht;  mufs  man  zu- 
gestehen; dafs  es  ihm,  soweit  es  noch  anging;  gelungen  ist:  frei- 
lich ist  er;  der  Gallier  aus  Vienna;  trotz  seines  BemühenS;  nicht 
entfernt  so  klassisch  wie  die  genannten  Aquitanier^);  während 
allerdings  der  aus  der  Rheingegend  stammende  Gallier  Sal-Saivian. 
▼ianus  in  einem  fast  an  Lactanz  und  Hilarius  erinnernden  Stil 
schreibt;  an  dem  das  genaue  Studium  Ciceros  unverkennbar  ist.^) 

In  durchaus  klassischem  Stil  von  einer  geradezu  bewunderns- 
werten Reinheit  ist  endlich  das  edelste  Werk  des  ausgehenden 


1)  Cf,  G.  Arnold,  Caesarius  v.  Arelate  (Leipz.  1894)  89.  Sidonius  urteilt 
Über  den  Stil  seines  Freundes  in  einem  Brief  an  diesen  (lY  8):  nova  ihi 
fftrha,  guia  vetusta,  quihusque  conlatus  tnerüo  etiam  a^Uiqtiarum  litterarum 
Mus  anüquaretur;  quodque  pretiosius  tota  illa  dictio  sie  caesuratim  succincta, 
quod  profhtens.  £influfs  der  Sprache  des  Appuleius:  A.  Engelbrecht  in: 
SitaimigBber.  d.  Wiener  Ak.,  phil.-hist.  Gl.  GX  (1885)  423  if. 

fi)  Cf.  W.  Zsddmmer,  Salvianus  u.  s.  Schriften  (Diss.  Halle  1874)  60  ff. 
Er  hat  z.  B.  Gicero  de  oratore  I  227  f.  geschickt  benutzt  ep.  4,  24  (ib.  20  wird 
LiviiiB  citiert).  Doch  fehlen  nicht  gelegentliche  Auswüchse,  cf.  Zschimmer 
68,  4  und  de  gab.  dei  YII  2,  8  illic  (apud  Aqxiitanos  ac  Novempopidos)  omnis 
admodumj^gio  aui  intertexta  vineis  aut  floruUnta  pratis  aut  distincta  cidttiris 
aut  eandiia  pomis  aut  amoen<Ua  lucis,  aiU  inrigua  fantibus  aut  interfusa 
fiumimbua  aut  crinita  messibw  fuit,  wo  ja  freilich  die  infp^acii  die  viele' 
omainenta  entschuldigt. 


586  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeii. 

Boetuns.  Altertoms  geschrieben,  die  Consolatio  des  Boethius.  Es  ist 
ausnahmsweise  keine  Phrase,  wenn  ihn  Ennodias  in  zwei  Briefen 
an  ihn  mit  den  veteres  vergleicht  (Vll  13.  VIII  1).  Der  Schwung 
der  Gedanken  läfst  ihn  als  Verehrer  Platons,  der  Schwung  der 
Sprache  als  Verehrer  Ciceros  erkennen.  Mit  Martianus  Capella, 
mit  dem  er  blofs  die  äuTsere  Form  der  Komposition  teilt  ^),  soll 
man  sich  hüten,  ihn  in  einem  Atem  zu  nennen.  Aber  wenn 
man  dieses  nach  Inhalt  und  Sprache  einsam  dastehende  Werk 
liest  und  sich  in  die  so  ganz  verschiedene  Ideenwelt  jener  Zeit 
hineinversetzt,  so  kann  man  sich  eines  sentimentalen  Gefühls 
nicht  erwehren:  die  Schrift  ist,  innerlich  wie  äufserlich  betrachtet, 
zeitlos,  was  ein  franzosischer  Autor^  treffend  so  ausdrückt: 
croyant  ä  la  vitalite  romaine  ^i  pdlpitait  encore  dans  son  coettr, 
il  ecrivait  comme  sHl  se  füt  adresse  ä  des  lettres,  comme  s'ü  se  füt 
entretenu  avec  les  disciples  de  Giceron:  il  supposaü  les  Bomains 
aussi  grands  que  luL 

n.  Der  nene  Stil. 

»riosipien.  Da  ich  ciuc  Entwicklung  darzulegen  habe^  die  vom  ästhe- 

tischen Standpunkt  als  Verfall  und  Entartung  bezeichnet  werden 
mufs,  so  halte  ich  es  für  unthunlich,  die  einzelnen  Erscheinungs- 
formen dieser  Entwicklung  an  einem  historischen  Faden  anzu- 
reihen. Und  doch  ist  das  Material  quantitativ  so  ungeheuer, 
dafs  ich  mich  nach  irgend  einem  Prinzip  der  Einteilung  umsehen 
mufs.  Würde  ich  eine  Litteraturgeschichte  der  untergehenden 
occidentalischen  Welt  zu  schreiben  haben,  so  wülste  ich,  dafs 
dies  nach  den  einzelnen  Provinzen  geschehen  mülste,  so  wie  es 
für  die  Epigraphik  in  unserm  Corpus,  für  politische  und  Kultur- 
geschichte von  Mommsen  im  V.  Band  seiner  Romischen  Geschichte 
mit  gröfstem  Erfolg  unternommen  worden  ist.  Denn  seitdem 
das  Latein  die  Kultursprache  der  westlichen  Reichshälfte  ge- 
worden war,  begann  die  Sonderentwicklung  des  geistigen  Lebens 
in  den  Provinzen.  Bei  der  topographischen  Einteilung  dieser 
Litteraturgeschichte  würde  der  chronologische  Rahmen,  in  den 
wir  uns  nun  einmal  gewöhnt  haben  alle  Entwicklung  einzu- 
schliefsen,   nicht   ganz  zerbrochen  werden:   denn  die  politischen 

1)  Auch  Petron  las  er,  cf.  Petr.  fr.  V*>  Buech. 

2)  Fr.  Moimier,  Alcuin  et  Charlemagne  (Paris  1868)  29. 


Späilateinische  Litteratur:  der  neue  Stil.  587 

Yerhaltnisse  sowie  vor  allem  die  Geschichte  der  Ausbreitung  des 
Christentums ;  das  ja  vom  Ende  des  zweiten  Jahrhunderts  das 
Ferment  aller  kulturellen  und  litterarischen  Entwicklung  wurde^ 
haben  es  mit  sich  gebracht,  daiB  einzelne  Provinzen  des  Reichs 
sich  in  bestimmter  Reihenfolge  abgelöst  haben:  Afrika  hatte  bis 
zur  Mitte  des  vierten  Jahrhunderts  die  führende  Rolle,  ihm  folgte 
Gallien,  diesem  Italien.  In  einer  Stilgeschichte,  wie  ich  sie 
schreibe,  ist  dagegen  eine  solche  Einteilung  innerlich  unberech- 
tigt, und  nur  der  äufseren  Bequemlichkeit  zuliebe  habe  ich  sie 
beibehalten.  Denn  was  ich  nachzuweisen  habe,  ist  gerade  Fol- 
gendes. In  allen  Provinzen  des  Reiches  entartet  die  stiige- 
Prosa  in  gleicherweise;  die  Formen  der  Entartung  zuaammen- 
leiten  sich  her  aus  den  seit  Jahrhunderten  bewufst  und  ^'°*^* 
unbewufst  tradierten  Effektmitteln  der  rhetorischen 
Kunstprosa.  Die  Linie,  die  ich  von  Gorgias  bis  auf  die 
hadrianische  Zeit  für  die  griechische  und  die  von  dieser 
abhängige  lateinische  Eunstprosa  zog  (s.  o.  S. 392f.),  geht 
in  gerader  Richtung  und  ununterbrochen  weiter  bis  zum 
Ende  auch  der  lateinischen  Litteraturgeschichte.  Wenn 
wir  also  die  Stilfacetien  eines  Gorgias  und  Hegesias 
etwa  bei  Appuleius,  Gregor  v.  Tours,  Venantius  und 
dann  weiterhin  im  Mittelalter  in  genau  denselben  For- 
men wiederfinden,  so  konstatieren  wir  jetzt  ohne  wei- 
teres den  grofsen  litterarischen  Zusammenhang,  der 
zeitlich  und  ortlich  durch  gewaltige  Zwischenräume 
getrennte  Individuen  kraft  der  Macht  einer  unverwüst- 
lichen Tradition  mit  einander  verbindet.  Das  —  wenig- 
stens nach  modernem  Gefühl  —  Manierierte  und  Bizarre, 
das  der  rhetorischen  Eunstprosa  von  Anfang  an  eigen 
gewesen  war  und  das  nur  durch  den  Geschmack  und  die 
Gestaltungskraft  der  gröfsten  Stilvirtuosen  ein  ertrüg- 
liches  Aussehen  erhalten  hatte,  tritt  in  der  spätlateini- 
schen Litteratur  immer  mehr  in  den  Vordergrund  und 
verdrängt  schliefslich  völlig  das  Normale,  entsprechend 
dem  „Glaubenssatz  aller  stilistischen  Barbarei,  dafs 
man    sich  tättowieren  müsse  um  schön  zu  sein/'^)     Aus 


1)  J.  Bemajs^  Gres.  Abh.  n  85.    Dieselbe  Entartung  begegnet  in  der 
bildenden  Künsten,  cf.  H.  Bichter,  Das  weström.  Reich  (Berl.  1865)  23. 


588  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeit. 

dieser  Thatsache  ergiebt  sich  für  die  folgende  Darstellung  die 
notwendige  Forderung,  in  noch  gröfserem  Umfang  als  bisher  im 
wesentlichen  nur  auf  die  allgemeinen  Verhältnisse  einzugehen^ 
auf  die  einzelnen  Individuen  nur  insoweit  sie  eine  Art  von  ty- 
pischer Bedeutung  gehabt  haben. 


A.   Afrika. 
1.   Das  ^^afrikanische''  Latein. 

'Afrika-  Das   ^afrikanische'   Latein   ist  unter  den  ari?en  Phan- 

Latein  eine  tomcu^  die  in  der  Stil-  und  Litteraturgeschichte  ihr  Wesen  treiben^ 
nSSwhe  ®^^  ^®^  ärgsten,  und  es  ist,  denke  ich,  an  der  Zeit,  es  endlich 
Eifindung.  wieder  in  das  Dunkel  zu  bannen,  dem  es  entstiegen  ist.  Dieses 
^afrikanische'  Latein  hat  sich  nachgerade  zu  dem  grofsen  Rühr- 
kessel herausgebildet;  in  den  viele  alles  das  hineinwerfen,  was 
sie  anderswo  nicht  unterbringen  können  oder  wollen,  denn  bei 
dem  Mangel  jedes  festen  Prinzips  ist  hier  der  Unkenntnis  und 
der  Willkür  Thür  und  Thor  geöffnet. 

Die  Hauptsache  ist  zunächst:  wir  müssen,  wie  überhaupt  in 
der  Geschichte  der  antiken  Eunstprosa  (s.  o.  S.  349  f.),  Sprache 
und  Stil  sondern  und  bei  der  Sprache  wieder  das  Lautliche,  das 
Formale,  das  Syntaktische,  den  Wortgebrauch.  Nun  leugne  ich 
natürlich  nicht,  dafs  es  ein  afrikanisches  Latein  giebt,  wenn  man 
es  Yon  lautlichen  imd  formalen  Dingen  yersteht:  dafür  haben 
wir  Zeugnisse  der  Grammatiker  und  vor  allen  auch  eines  so 
authentischen  Mannes  wie  des  Augustin,  imd  selbst  wenn  wir 
sie  nicht  hätten,  würden  wir  es  postulieren,  weil  wir  die  formelle 
und  besonders  lautliche  Sonderentwicklung  der  lateinischen  Sprache 
in  den  Provinzen  an  den  heutigen  romanischen  Mundarten  Yor 
uns  sehen.^)  Die  Möglichkeit  ferner,  auf  syntaktischem  Gebiet 
imd  im  Wortgebrauch  Eigenarten  des  in  Afrika  gesprochenen 
Lateins  festzustellen,  will  ich,  obwohl  alte  Zeugnisse  zu  fehlen 
scheinen,   nicht   leugnen:   was  aber  heute  darüber  vorgetragen 

1)  Cf.  das  oft  citierte  Zeugnis  des  Hieronymus  comm.  in  ep.  ad  GaL  11  8 
tpsa  luiinitas  et  regianibus  quotidie  mutaiur  et  tempore.  Natürlich  bezieht 
sich  latinitas  blofs  auf  das  Lautliche  und  Formelle:  Yarro-Diomedes  fr.  41 
Wilm.  Für  die  zeitliche  Veränderung  cf.  auch  Quint.  IX  3,  1.  18  und  Ter- 
tull.  apol.  6  habitu  victu,  inMructu  sensu,  ipso  denique  sermone  proavia 
renuntiastis  (=  ad  nat.  I  10). 


Spätlat.  Lüteratnr:  der  neue  Stil:  'afrikaiuBches  Latein'.         589 

wird  —  ich  sehe  ab  von  den  spezifisch  christlichen  Neuerungen, 
die  natürlich  in  Afrika  zuerst  begegnen,  ich  sehe  ferner  ab  von 
den  Graecismen,  die  in  dieser  terra  bilinguis  häufiger  sind  als 
anderswo^)  — ,  erscheint  mir  vorläufig  mehr  oder  weniger  proble- 
matisch.  Doch  das  geht  mich  hier  nichts  an:  ich  habe  es  mit 
denen  zu  thun^  die  von  einem  afrikanischen  Stil  sprechen. 
Diesen  Irrtum  (um  mit  Fronto  zu  sprechen)  subvertendum  cen- 
seo  radicituS;  immo  vero  Plauti  notato  verbo  exradicitus. 

,,Schreibart  (Africanische),  Stylus  Africanus,  ist  eine  hoch- 
trabende, schwülstige  imd  afifectierte  Schreibart,  dergleichen  sich 
ehemahls  insonderheit  die  Africaner,  und  unter  solchen  zuförderst 
Appulejus  bedienet.*'  So  Zedlers  Universal -Lexicon  vol.  XXXV 
(Leipz.-Halle  1743)  p.  1123.  Das  ist,  wie  es  scheint,  die  Ansicht 
aller y  die  sich  darüber  geäufsert  haben,  und  wohin  man  sieht, 
überall  starrt  einem  der  Humor  Africus'  wie  ein  Wüstengespenst 
entgegen.  Da  liest  man  überall  von  den  „Afrikanern  mit  ihrem 
ungezügelt  und  üppig  wuchernden  Schwulst,  der  die  aufgeblähte 
Latinität  der  Söhne  Afrikas  schlingpflanzenartig  zu  umranken 
pflegt^,  überall  von  dem  „Wüstenwind",  der  uns  aus  der  heifsen 
Sprache  dieser  Söhne  eines  glühenden  Klimas  entgegenwehe, 
überall  von  dem  „semitischen  Schwung  der  Psalmen",  der  uns 
aus  ihren  hochpathetischen  Werken  entgegenhalle,  von  dem 
„orientalischen  Blute",  das  in  den  Adern  der  Afrikaner  rollte  imd 
sie  yeranlaüste,  die  Freiheiten  der  Dichter  in  der  Prosa  zu  ge- 
brauchen, von  dem  „semitischen  Satzparallelismus",  den  wir  bei 
Appuleius  und  Genossen  überall  konstatieren  könnten;  ja,  in  dem 
neusten,  vor  zwei  Jahren  erschienenen  Buch  über  ^die  Afrikaner' 
wird  uns  erzählt  von  der  „punischen  Amme",  welche  den  kleinen 
Afrikaner  Appuleius  aufzog  und  verschuldete,  dafs  er  später,  als 
er  Latein  lernte,  all  den  Schwulst  und  all  die  stilistische  Un- 
natur seines  semitischen  Idioms  in  die  andere  Sprache  übertrug: 
ein  schönes  Genrebild,  Appuleius  als  Baby  an  der  Brust  seiner 
Amme  punisch  lallend.  Wenn  ich  keine  Namen  nenne,  so  habe 
ich  meinen  Grund:  nicht  der  Einzelne  ist  hier  verantwortlich, 
sondern  eine  perverse  Tradition,  deren  Genesis  ich  nachgegangen 
bin  und  die  ich  hier  zunächst  darlegen  will,  r 

1)  Ich  will  doch  nicht  versäumen,  hinzuweisen  auf  eine  sehr  ausfahr- 
liche,  ausgezeichnete  Behandlung  dieses  Gegenstands  bei  K.  Caspari,  Ungedr. 
Quellen  s.  Gesch.  d.  Taufsymbols  III  (Christiania  1875)  267  if. 


^^90  Von  Iladrian  bis  zum  Ende  der  Eaisorzeit. 

Vor  allen  Dingen:  es  existiert  auch  nicht  die  leiseste 
Aufseruiig  irgend  eines  antiken  Zeugen  über  einen  Hu- 
mor Africus'.  Ich  mufs  das  aufs  nachdrücklichste  betonen, 
weil  einige  es  versichern,  ohne  den  Schatten  eines  Zeugnisses 
anführen  zu  können.  Vt^ir  verdanken  vielmehr  den  Begriff 
den  humanistischen  Giceronianern  des  sechzehnten  und 
siebzehnten  Jahrhunderts.  Als  das  ciceronianische  Latein, 
wie  wir  im  zweiten  Buch  dieses  Werkes  genauer  sehen  werden, 
zu  kanonischer  Geltung  erhoben  wurde,  liebte  man  es,  gegen 
alle  Autoren,  die  von  ihm  abwichen,  den  Bannstrahl  zu  schleu- 
dern, und  der  Umstand,  dafs  einer  der  gelesensten  und  beliebte- 
sten unter  diesen  Autoren  ein  Afrikaner  war,  wurde  Veranlas- 
sung, alles  schlechte  Latein  als  ^afrikanisches'  zu  brandmarken. 
Dieser  eine  war  Appuleius.  Lifolge  des  ganz  persönlichen  Ver- 
hältnisses, in  dem  die  Humanisten  zu  ^ ihren'  Autoren  standen, 
sind  sie,  wie  mit  Bewunderung  und  Liebe,  so  mit  Verachtung 
und  Hafs  nicht  sparsam  gewesen:  den  Appuleius  haben  sie  wegen 
seines  Stils  in  den  Staub  gezogen.  Da  es  sein  Unglück  wollte, 
dals  er  von  einem  Esel  erzahlte,  so  ist  irgend  ein  italienischer 
Humanist  auf  den  Gedanken  gekommen,  zu  sagen,  die  Sprache 
des  Appuleius  gleiche  dem  Schreien  des  Esels:  wer  jener  Italiener 
war,  weifs  ich  nicht  zu  sagen,  aber  ein  deutscher  und  ein  spani- 
Hcher  Humanist  eigneten  sich  das  famose  Wort  an:  Melanchthon, 
Eloquentiae  eucomium  (1523)  29^):  quis  ApnUium  et  eins  simias 
ferdY  sed  recte  Apuleiiis,  qui  cum  asinum  repracsentarei.  rudere 
qvutm  Utqtii  mallet;  Vives,  De  tradendis  disciplinis  (1531)  L III 
p.  482*):  Apuleius  in  asino  plane  rndit,  in  aliis  sonat  homincm, 
nifti  quod  Florida  sunt  rtdicula,  sed  excusat  ea  inscriptio,^)    Daranf- 

1)  Kd.  K.  Harifelder  in:  Lat.  Litt-Denkm.  d.  XV.  u.  XVI.  Jh.,  Heft  4, 

llArlin  lAdl. 

S)  Opera,  ed.  Bas.  1665  vol.  I. 

B)  Cf.  noch  die  fomose  Parodie  bei  Gaussin,  Eloqa.  sacr.  ei  hnm.  pa- 

^tob  (1619)  p.  80 f.,  wo  AppoleioB  in  der  Unterwelt  eine  Bede  hält,  tun 

b  fOf  dearo  sa  rechtfertigen;  er  achliebt:  datt  mM^  imikcK  f^ed  habeo, 

10  tnH  artrika  aemper  aut  loqwtr  aut  rndam  auf  himmiöm.  tU  miuero, 

WlfUkntimimim  aeeusatorem  meum  grandi  imfc^rtmmic  wkactaU:  9im 

iamutiiveriUSß  hodie  ad  ultima  miantm  mwrian^m  ^ierrmx  imier 

Hmimot  qiiondam  fratres  meos  aentmmiit  rd^nw  m<ji»m  cmciahi- 

H  90ee  m  aäenmm  infelidiatuf  lawkemiah."^.    'Szi  wenige  Ver- 

Befr«4f"     Lipniu,  der  ja  fibedumpi  den  ühectriehenen 


Späilat.  Littezatar:  der  neue  Stil:  'afrikanisches  Latein*.         591 

hin  prägte  man  den  Begriff  einer  ^afrikanischen'  Latinitüt,  in 
der  aufser  Appnleius  auch  die  andern  Afrikaner  geseh  rieben 
haben  soUten,  über  die  man  aber,  da  es  Christen  waren,  ge- 
mäfsigter  urteilte.  Ich  will  nur  ein  paar  Stellen  anführen: 
Erasmus,  Praef.  in  Hilarii  editionem  (1523)  =»  epist.  G13^) 
(nachdem  er  yon  der  Gallicana  grandiloquentia  des  llilarius,  Sul- 
picius  Severus,  Eucherius  gesprochen)  mihi,  veterum  dictionetn 
variam  consideranti,  videtur  rix  ullos  provincialcs  felicito'  reddidisse 
Roniani  semianis  simplicitateni  irraeter  aliquot,  qui  llomae  a  pticfis 
sunt  educati.  Nam  et  Tertulliano  et  Apuleio  siius  quidam  est  clia- 
racter  et  in  decretis  Afronwiy  quae  mxdta  refert  Augustinus  contra 
Petilianum  et  Crescontiian,  depreliendas  avxiam  affectatiotiefn  eloqiieti- 
tiae,  sed  sie,  ut  Afros  agnoscas,  subolscunts  ei  suhmolestus  est  7ion- 
nufnquam  et  Augustinus,  nee  omnino  nihil  Africum  habet  Cypria- 
nus,  ceteris  licet  candidior.  nee  mirum  si  Gdllus  refert  Gallicum 
quiddam,  si  Poenus  Punicum,  quum  in  Livio  nonmdlos  offendat 
Pataviniias,  Vives  1.  c.  Tertullianus  perturbatissime  loquifur  ut 
Afer,  Cyprianus  et  Amobius  ciusdem  gentis  clarius,  sed  et  ipsi 
nonnumquam  Afre.  Attgustinus  jmdium  habet  Africitatis  in 
contextu  dictionis,  $%on  perinde  in  verbis,  pracsertim  in  lib.  de  civiiaie 
deL  Eine  groCse  Anzahl  solcher  Urteile  (z.  B.  von  Lipsius, 
CasaubonuSi  Barth)  über  das  ' africanische  Latein'  kann,  wer 
Last  hat,  nachlesen  bei  Morhof,  De  Patavinitate  Liviana  (1684) 
a  9,  cf.  femer  Caussin,  Eloquent,  sacr.  et  hum.  parallela  (1619) 
58,  Balzac,  Oeuvres  (1665)  voL  II  623,  Fenelou,  Dialogues  sur 
l'floquence  (1718)  227.  Job.  Andr.  Fabricius,  Philos.  Rede- 
kunst (Leipz.  1739)  §  201  ff.  p.  117  ff.^) 

Aber  —  werden  die  Vorkampfer  Afrikas  einwenden  —  wenn  LatL-iniacii 
kein  antikes  Zeugnis  für  den  afrikanischen  Stil  existiert,  so  folgt  ^^u^l'^iu 
daraus  nicht ,   dafs  es  einen  solchen  nicht  gegeben  hat;  warum     ^^^^^^ 
—  werden  sie  hinzufügen  —  sollen  die  Humanisten,  denen  wir 


dcenmianiimiis  entgegentrat,  giebt  zwar  zn,  dafs  er  sei  tumidus  for lasse, 
veframdiB  et  adfeeiatae  elega/wtiae  seriptor,  ärgert  sich  aber  über  solche ,  die 
ihn  (arftonim  nennten,  sie  seien  vielmehr  selbst  barhari:  epistolic.  quaest. 
1.  n  ep.  S8.  m  la  (ed.  Lugd.  Bat.  1685  p.  03.  90);  anderes  bei  Morhof,  De 
PataTinitate  liviana  c.  9  und  Albertus  de  Albcrtis,  Thesaurus  eloquentiae 
(1669)  836. 

1)  Opera  T.  m  (Lngd.  1703)  695. 

S)  Andere  iltere  citiert  J.  Weifsenbach  1.  c.  (oben  S.  537,  1)  II  8 «. 


592 


Von  Ba^aa  bis  «um  Ende  der  EaiBen^, 


I 


so  viele  feiuc  BemerkungeD  gerade  über  den  Stil  der  lateiniadl 
Scliriftsteller  verdaiikeii ,  uicLt  auch  hier  intuitiv  das  Richtige 
erkannt  haben?  Nun,  wer  über  lateinische  Stilistik  richtig  em- 
pfinden lernen  will,  der  lese,  was  darüber  von  Petrarca  bis  Lipsius 
geschrieben  ist  (das  thun  die  wenigsten  heute),  suche  aber  bei 
ihnen  nicht  das,  dessen  sie  völlig  entbehrten  und  entbehren 
muTsten:  historische  Einsicht  in  die  Entwicklung  der  Sprache 
und  Eenntnia  der  Thatsache,  dafs  nur  aus  dem  Griechischen  das 
Lateinische  zu  verstehen  sei.  Die  Annahme  eines  spezifisch 
afrikanischen,  durch  Einwirkung  des  Semitischen  von  den  übrigen 
differenzierten  Stils  beruht  auf  zwei  fundamentalen  Fehlern:  ich 
behaupte,  dafs  derjenige,  der  zur  Erklärung  der  stilistischen 
Eigenart  z.  B.  des  Äppuleius  das  Punische  heranneht,  der  seinen 
Schwung  nud  seinen  parallelen  Satzbau  aus  deu  Psalmen  erklärt, 
eine  ebenso  schwere  Sünde  gegen  deu  Geist  der  lateinischen 
Sprache  begeht,  wie  derjenige,  der  an  ihn  herangeht,  ohne  zu 
wissen,  wie  damals  die  Griechen  schrieben,  Äppuleius  ein  Punier, 
und,  wie  sie  sagen,  punisches  Patois  gemischt  mit  Griechisch 
und  Lateinisch  sprechend!  ^Y,a8  waren  denn,  frage  ich,  die  Be- 
wohner Nordafrikas  anders  als  kolonisierte  Römer,  wenigstens 
in  den  Städten,  wo  seit  der  ersten  Kaiserzeit  die  punische  Sprache 
erloschen  ist  (Mommsen,  Rom.  Gesch.  V  642ff.),  wo  griechisch- 
lateinische  Bildung  und  Wissenschaft  herrschte,  also  in  Leptis, 
Madaura,  Uea,  und  vor  allem  Karthago'),  das  Augostinna  (ep. 
118,  9  vol.  33,  436  Migne)  neben  Rom  als  die  lUtcrarum  lalina- 
rum  artifex  nennt  und  von  dem  Himerios  (ecl.  36,  10  p.  314 
Werusd.)  sagt:  «6X.ig  aa^ä  roeovzov  oi  Sf/äzT},  xag  Saov'PiaftriV 
aiaxvv£Ttti7  Beziehen  sich  etwa  auf  ein  puniiicbes  Afrika  die 
oft  cilüertcn  Worte  Salvians  (de  gub.  mundi  VII  16):  Ulk  onmia 
effidonim  piMicoruin  instrwnenta,  Ulk  arlium  lUxialitim  i 
itUe  ^üosophorum  offkinae,  cunda  deniqm  vd  lingnarum  ^ 


".rindtira   J.  J.  QuilelmUB   Lagas,    Stndiu   lutioa   prorincia] 

I --laj   UfF,    Diese   Schrift  (75   Seiten)   acheinl  in  DeiiUol] 

it  xa  Min  (»u^  A.  Badiiiiaky,  Die  Aasbreitaog  der  Int  Spl 

IbI  m  SU  ttiuem  gcliadeu  nicht  zu  kemii^a),   ich  fiui 

r  Bibltotbulc  (auvb  in  Kerlic  fehlt  sie). 

r  fibnr  rien  (regetutaad  haben,  aber  natOrtich  mal 

*  wordca,  du  da«  Material  (besonden  du  ii 

!'  ignoriert)  aidi  sehr  vergröbert  hat. 


Spätlat.  Litteratur:  der  neue  Stil:  'afrikauischea  Lateiii\         5().'> 

vel  morum?  Erst  spätchristliclie  Bischöfe  liabcii,  weil  sie  die 
pagani  durch  die  Predigt  bekehreii;  die  Bekehrteu  erbauen  woll- 
ten, punisch  gelernt  im  Schweifse  ihres  Angesichts  und  mit  in- 
nerm  Widerstreben:  man  bedenke  doch,  dafs  Tcrtullian  notorisch 
gar  kein.  Augustin  nur  ein  paar  Brocken  Punisch  und  Hebräisch 
konnten  und  dafs  Hieronymus  sich  von  der  ganzen  gebildeten 
Welt  als  monstrum  der  Gelehrsamkeit  anstaunen  liefs  wegen 
seiner  Kenntnis  der  semitischen  Sprache.  Wie  viel  weniger  ist 
aus  dem  süfsen  Mund  des  Appuleius  eine  gxovii  ßccQßagog  ge< 
kommen:  man  lese  nur^  wie  er  höhnt  über  seinen  Gegner,  der 
loquitur  numquam  nisi  punice  et  si  quid  adkuc  a  matre  graecissaty 
atenim  latinc  loqui  neque  vult  neque  polest  (apol.  98).^) 

Auf  der  andern  Seite  kann  gar  nicht  stark  genug  der  Ein- 
flufs  des  Griechischen  hervorgehoben  werden.  Aber  hierbei 
müssen  wir  die  verschiedenen  Epochen  trennen.  Seit  c.  250  n.  Chr. 
kann  von  einer  Kenntnis  des  Griechischen,   die  grols  genug  ge- 


1)  Schon  Niebuhr  in  den  oben  (S.  3C1,2)  eitierten  V^orlcdungen  leugnet 
das  Bestehen  eines  afrikanischen  Lateins.  K.  Zumpt  hat  in  seiner  Recen- 
sion  der  Appuleius- Ausgabe  Hildebrands  (.lahrb.  f.  wiss.  Kritik  1843  vol.  II 
698  ff.)  darüber  ganz  verständig  gearteilt,  wenn  er  auch  noch  au  den  tumor 
Afxicus  glaubt,  von  dem  Ruhnken  in  seiner  Vorrede  zu  App.  gesprochen 
hatte.  Cf.  auch  H.  Becker,  Studia  Apuleiana  (Berl.  1879)  7  f. :  der  Schwulst 
und  die  Kflnstelei  sei  aus  dem  falschen  Geschmack  der  ganzen  Zeit  zu  er- 
klftren  und  es  sei  nur  Zufall,  dafs  für  uns  seine  Ilauptvcrtreter  aus  Afrika 
stammten.  Die  deutsche  Hetajagd  auf '  Airicismen '  (so  pflegt  man  das  zu 
nennen)  bei  juristischen  Schriftstellern  hat  einen  italienischen  Juristen  zur 
Venweiflmig  gebracht:  E.  Costa,  Papiniano  I  (Bologna  1804)  283  f  Begreif- 
lich: der  Juzist  weife  nichts  mit  dem  philologischen  Phantom  anzufangen. 
CL  «ich  £.  Th.  Schulze,  Zum  Sprachgebrauch  der  röm.  Juristen  in:  Z.  d. 
Sttvigny-Stift.  rem.  Abt.  Xn  1892  p.  111  if.  Am  klarsten  und  eindringlich- 
•ten  hat  den  richtigen  Standpunkt  kürzlich  vertreten  £.  W.  Watsou,  The 
ifyle  and  langnage  of  St.  Gyprian,  in:  Studia  biblica  et  ecclcsiaätica, 
.eNay«  chiefly  in  biblical  and  patristic  criticism  bj  memberd  of  the  uui- 
Terntj  of  Ozfozd  IV  (Oxf.  1896)  189  ff. :  nachdem  er  im  einzelneu  die  rhe- 
toiiichaii  Elemente  im  Stil  Cyprians  aufgezählt  hat,  fafst  er  alles  zusam- 
men  p.  840  £;  der  Stil  erinnere  stark  an  den  des  Appuleius,  aber  man  solle 
aiflli  hüten,  dai  ala  etwas  spezifisch  Afrikanisches  anzusehen:  the  e/l'ortü 
mft&r  roimidii^  of  expressüm  were  commofi  to  the  whole  empii-e  .  .  .  It  is 
damgerou»  io  rtgarä  as  peeuliarities  of  African  writers  tchnt  may  onltj  appear 
io  he  titdk,  beea  ae  comparatively  Utile  has  survived  of  the  Ittera- 
(«re  of  oihar  provinees  in  the  third  centtiry,  und  ähnliche  treffende 


594 


Von  Hadrian  big  zum  Eade  der  Eftüeneit. 


weseu  wäre,  um  den  lateiniacheD  Stil  zu  beeiufiaasen,  in  AI 
so  wenig  wie  im  ganzen  Übrigen  Occident  mehr  die  Rede  sein.') 
Wenn  wir  also  Schriftatelier  dieser  Zeit  in  einem  Stil  schreiben 
sehen,  wie  ihn  gleichzeitig  die  griechischen  Sophisten  anwandten, 
BO  kommt  da  eine  unmittelbare  Berührung  nicht  in  Frage,  son- 
dern wir  müssen  feststellen,  dafs  dieser  Stil  damals  in  der  latei- 
nischen Sprache  durchaus  eingebürgert  war  und  sich  durch  sich 
selbst  fortpflanzte.  Aber  bei  allen  Schriftstellern,  deren  Lebens- 
zeit in  das  zweite  Jahrhundert  und  den  Anfang  des  dritten  fallt, 
ist  diese  Beeinflussung  eine  denkbar  starke  gewesen.  Während 
es  also  von  Cyprian  höchst  wahrscheinlich,  von  Augustin  durch 
sein  eignes  Zeugnis  sicher  ist,  dafs  ihre  Kenntnis  des  Griechi- 
schen mangelhaft  war,  gilt  von  Appuleius  und  Tertullian  das 
Gegenteil.  leb  habe  schon  oben  (S.  361  ff.),  als  ich  den  Archaismus 
Prontoa  und  seiner  Schule  aus  der  direkten  Einwirkung  der 
gleichzeitigen  griechischen  Sopbistik  erklärte,  darauf  hingewiesen, 
dafs  die  damaligen  Schriftsteller  aus  Afrika  durchaus  bilingues 
waren.  Von  Appuleius  und  Tertullian  weifs  es  jeder:  wir  haben 
ihre  eiguen  zahlreichen  Äufaerungeu  über  ihre  Fertigkeit,  in 
beiden  Sprachen  zu  sehreiben,  von  denen  ich  nur  eitlere  die  zwei 
am  meisten  bezeichnenden  des  Appuleius:  die  eine  aus  der  n^o- 
laltd')  zu  seiner  fiei-iiT)  de  deo  Socratis  (p.  4  Goldb.):  iamilitdum 
scio,  quid  hoc  signißcalu  ßagitetis,  ut  latine  cetera  maleriae  perae- 
guamur.  nam  et  iit  principio  vobis  diversa  tendcntibus  ila  memini 
polliceri,  ut  neutra  pars  vestrutn,  »ec  qai  graece  nee  qui  latine  pete- 
lalis,  dictionis  kuius  expertes  abiretia.  quapropter  si  ita  videtur, 
satis  oratio  nostra  atHcissaverit.  t0Hpt(S  est  in  Zjatium  demigrtjare 
äe  Graecia;  nam  et  qvaestionis  hiiva  fernie  nudia  ienemtts,  tU, 
quiaitum  mea  opinlo  f'ert,  pars  isla  posterior  prae  illa  gra&xi  quae 
antenertit  nee  arytunenlis  sit  effetior  ncc  sententiis  rarior  nee  exem- 
^is  pavptrior  nee  oratione  dtfectior  (ebenso  hatte  er  in  einem 
DiiJog  den  einen  Sprecher  griechisch,  den  auderu  laLeiniach 
(tüi  lassen:  Flor.  17  p.  33,  2ß.  Kr.,  eüie  ganz  beispiellose 
g);   die  andere  aua  dem  Anfang  der  Metamorphosen: 


*ie  iMchrift  CIL  VUI  T24  {1613  Buecb.),  wo  ein  liJÄliriger 
les  QriecliiKchei)  buxeugt,  ist  aus  aaec.  IC,  also  wohl  eher 
T  «In  xyrtstet  ^Ule. 
Bicht)f[e  diurflber  hat  nur  Bohde  geäugt  in  seiner  Recen 
«nchou  A.u*gnbt<,  Jenaer  Litt.-Zcit.  m  (IflTe)  T8t. 


1 


Spätlat  Litteratar:  der  neue  Stil:  ''afrikonischeR  Latem\         595 

mettos  AtUca  et  Isthmos  Ephyrea  et  Taenaros  Spartiaca  .  .  •  mea 
f;e^tf0  prosapia  est.  %bi  lingttam  Ätthidem  primis  süpendiis  merui, 
mox  in  urbe  Latia  advetia  studionim  Quiritium  indigcnam  semio- 
nem  aerumnabili  läbore  nullo  tnagistro  praceunte  aggressus  excolui. 
en  ecce  praefamur  veniamy  si  quid  exotici  ac  forcnsis  sertnonis  rudis 
locutor  offendero})    Appuleius  war  ein  Sophist  so  gut  wie  seine 

1)  Das  Letzte  ist  natürlich  nicht  ernst  zu  nehmen  (ich  bemerke  das 
nur,  weil  einige  es  för  die  'Africitas'  seines  Lateins  immer  und  immer 
wieder  Terwerten).  Solche  affektierte  Bescheidenheit  war  bekanntlich  ein 
rosroff  des  Proömiums,  wofQr  ich  doch  ein  paar  charakteristische  Zeugnisse 
anfahren  wiU:  Libanios  or.  11  (1276  f.  K.)  %oivbv  rdtv  iyyuofiiaiovtaiv  f^og 
iBlnsa^ai  tptMxsiv  triv  airr&v  &c&ivBiav  xov  nsyid'ovg  tav  igycov  olg  Ttgoad- 
yovffi  rlhf  IL6yoVf  xal  avyyv&iiriv  altslv  Ttagä  rmv  icKOvSvrtov^  el  ßovXofisvot 
T^g  &iüx£  iyyifg  iX&etv  &%ovtsg  iXdttovg  yiyvoivto,  Sulpicius  Sevcrus  dial. 
I  27:  GkdluB,  ein  Schüler  des  Martinus  von  Tours,  bittet  wegen  der  Einfach- 
heit seiner  Sprache  um  Entschuldigung,  worauf  ihm  Postumiunus,  der 
Freond  des  Severus,  erwidert:  cum  sis  scfiolastictuf,  hoc  ipswn  quasi  scholasti- 
cus  ariificiose  facis,  ut  eaxuses  imperitiam,  <j^aa  exuberas  eloquent ia.  Sidouius 
ep.  IV  17,  1  urbanitas,  qua  te  ineptire  facetimme  allegas.  Ennodius  ep.  1 15 
iäem  est  terminum  in  adrogantia  non  tetiere  quod  in  humilttate  transceiulere. 
supereüii  affeetus  est  iusto  amplius  esse  stibiectum:  familiäre  est  graviter 
hiafMma  novas  invenire  blanditias  et  graiidis  cotumus  in  eloquentia  simulare 
fonnidinem  vel  exatfien  metuere  de  laude  securum.  Beispiele  lassen  sich,  wie 
jeder  weifs.  Hunderte  anführen  aus  allen  Zeiten  und  Sphären  der  Litteratur, 
und  iwar  kann  man  sicher  sein,  dafs  unter  100  FäUen  99mal  daraus  genau 
das  gerade  G^egenteil  für  den  Stil  des  betr.  Autors  folgt;  er  will  damit  nur 
sagen:  pa&t  einmal  auf,  wie  ausgezeichnet  ich  meine  Sache  mache.  (Ein 
pMur  bezeichnende  Beispiele  bei  K.  Sittl  in:  Archiv  f.  lat.  Lexicogr.  VI 
[1889]  660  f.,  und  G.  Arnold,  Gaesarius  v.  Arelate  [Leipz.  1894]  85,  von  denen 
die  Erscheinung  richtig  beurteilt  wird).  So  kommt  es,  dafs  wir  derartige 
FroQiDien  gerade  den  stüistisch  allerraffiniertesten  Werken  vorausgeschickt 
finden,  i.  fi.  den  in  hochtrabendem  Stil  geschriebenen  Heiligen viten,  oder 
emem  so  monströsen  Werk  wie  der  Geschichte  des  Theophylactos  Simocatta 
(p.  88  de  Boor:  n(fbg  f^v  [Ictogiav]  imdgaitoünai  xa^o?,  sl  %al  fisttov  i]  xar 
i^th  %k  iyxalf^TipM  dUc  tb  tfjg  Xi^smg  icyBvvhg  rätv  XB  vorindroDv  tb  icÖgaviara- 
«S9  f4s  VI  toB  X6yov  aw^nrig  tb  Anall^g  x6  xb  xf^g  oUovoiäccg  &xB%y6xuxov)' 
Wer  also  in  jenen  Worten  des  Appuleius  ein  Zugeständnis  seines  schlechten 
Tiateins  sieht^  der  wird  s.  B.  auch  dem  Tacitus  glauben,  dafs  der  Agricola 
tneomivto  ac  mcft  voce  geschrieben  sei  (c.  3),  oder  (was  wahrhaftig  kürzlich 
geschehen  ist)  dem  Fronte,  wenn  er  p.  242  N.  der  Kaiserin-Mutter  schreibt 
(auf  giieoliisch),  sie  solle  es  ihm  nicht  verargen,  wenn  ein  unattisches  Wort 
in  seinem  Brief  Torkomme,  denn  er  sei  Ai^vg  xmv  Aißvoav  x&v  voiiddtou.  — 
Durch  die  Ausftlhmngen  yon  J.  van  Vliet  im  Hermes  XXXII  (1897)  7911'. 
ist  alles,  was  Bohde  über  das  Proömium  der  Metamorphosen  klar  aus- 
ainandeiEgel^gt  hat,  wieder  durcheinandergewirrt  worden. 

Vof4«B,  SBtIko  Xamtpioia.  II.  39 


596  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

ausschliefslich  griechisch  sprechenden  Kollegen:  mit  einigen  von 
ihnen  hat  er  auch  das  Schicksal  geteilt,  für  einen  (idyog  ge- 
halten zu  werden.^) 

Auf  Grund  dieser  Thatsachen  brauche  ich  es  demjenigen^ 
welcher  meinen  bisherigen  Untersuchungen  gefolgt  ist,  nicht  erst 
zu  sagen,  dafs  der  bombastische  und  zugleich  gezierte 
Stil  der  Afrikaner  nichts  ist  als  der  griechische  Asia- 
nismus  (Manierismus)  in  lateinischem  Gewände.*)  Zwi- 
schen dem  von  mir  früher  aus  Nachahmung  griechi- 
scher Muster  erklärten  Stil  der  extremen  Moderhetoren, 
des  Valerius   Maximus'),  des  Plinius   (panegyr.)   einer- 


1)  Hat  man  schon  die  äulsere  Analogie  zu  dem  Sophisten  Adrianos 
(unter  Marcus  und  Commodus)  bemerkt?  über  ihn  sagt  Philostratos  t. 
soph.  II  10,0  itBlsvra  8h  äfigtl  xa  6y^oi{xovra  sr?],  ovros  rot  fi^c^ifMff,  &£ 
xal  noXkol^  y6rig  86^ai.  ort  yi^hv  ovv  &vriQ  TCBnaiÖsvfiivog  oix  &y  nots  ig 
yoijtatv  ^Ttax^'slri  tixvag,  i^avätg  iv  totg  {mhg  Jiovva£ov  Xoyoig  cr^Tjxa*  6  84, 
oZftat,  tsgatsvoiisvog  iv  talg  ^o^ioBai  nngii  tä  r&v  fuiyoav  ijdifi  r^y  ixmw- 
fiiav  xafftr\v  nag'  aitolg  ianaasv  (solche  {mo&iasig  haben  wir  bekanntlich 
in  Ps.-Quintilians  Deklamationen). 

2)  Ich  habe  gesucht,  wer  schon  vor  mir  das  Griechische  herangezogen 
hat,  und  nicht  ganz  vergeblich.  Fr.  Bitter,  Die  ersten  christl.  Schriftsteller 
Africas  in:  Zeitschr.  für  Philosophie  u.  kathol.  Theologie,  Heft  8  (Köln 
1883)  p.  44:  „Diese  Eigentümlichkeit  (die  SfiouniXsvta)  hat  App.  teils  ans 
den  alten  Komikern  [das  ist  falsch],  toUs  nach  dem  Vorbilde  der  attischen 
Sophisten,  welche  ebenfalls  nach  Gleichklängen  und  Gegensätzen  strebten, 
mit  eiaer  solchen  ungezähmtcn  Nachahmongssucht  aufgenommen,  dafs  seine 
ganze  Darstellung  sich  um  Gegensätze  und  Gleichklänge  drehet."  H.  Eretsch- 
mann,  De  latinitate  L.  Ap.  Mad.  (Diss.  EOnigsb.  1889)  7f. :  gut  circa  Ha- 
driani  et  AnUminorum  tetnpora  ibi  summa  gloria  et  auctoritate  floruerunt 
sophistae  minores,  earum  oratio  quae  vocatwr  demonstrativa,  muUa  habet  com- 
munia  cwn  Ap,  Nam  tumida  et  lasciva  dictione  mhü  nisi  aures  permühere 
studebant,  verbis  antiquds  et  Atticis  promiscue  cum  puerili  guadam  osten- 
tatione  utebantur  et  nota  licentius  fingebant  (Luc.  rhet.  praec.  17),  ad  poetarum 
simüitudinem  non  verbis  solum  verum  etiam  numeris  adspirabawt,  Mommsen, 
BOm.Gteioh.  y  656:  ,^8  herrscht  in  diesen  Kreisen  (der  gelehrten  Afrikaner) . . . 
eiiie,  üble  grieohiBohe  Muster  übler  nachahmende,  Leichtfertigkeit,  wie  sie 
<n  dem  EMkraman  jenes  Philosophen  von  Madaura  ihren  Gipfel  eneicht** 

^■teu  für  die  Metamorphosen  des  Appuleius  spricht  auch  E.  SitÜ  in: 
Ist  Lezioogr.  VI  (1880)  669  von  „den  malslosen  Ghraecismen  und 
^  damaligen  Sophistik*'. 

I  Manmni  leistet  sich  bekanntlich  in  der  Unnatur  das  Un» 

.  B.  Tannag,  wenn  er  folgenden  Satz  liest  V  7  in.    det 

\  affeetiu  parentium  erga  lUteros  indutgentia  sälübrique 


Sp&ilat.  Lifcteratur:  der  neue  Stil:  'afrikanisches  Latein'.         597 

seits  und  dem  des  Florus,  Appuleius  und  Tertullian 
andrerseits  besteht  höchstens  ein  gradueller  oder  quan- 
titativer^  kein  prinzipieller  oder  qualitativer  Unter- 
schied. Wenn  man  also  von  asianischem  Latein  statt  von 
afrikanischem  redete^  so  würde  das  meiner  Meinung  nach  sich 
mit  der  antiken  Vorstellung  besser  decken.  Wenn  man  die 
Thatsache,  dafs  gerade  dieser  Stil  in  Afrika  so  beliebt  wurde  ^)^ 
aus  dem  feurigen  Naturell  erklären  will^  welches  nach  einer  oft 
citierten  Stelle  des  Sidonius  den  Afrikanern  eigen  war  (ep.  8,  11 
urhium  cives  Africanaruni,  quibas  ut  est  regio  nie  est  mens  arden- 
iior\  so  will  ich  dagegen  nichts  sagen:  nur  höre  man  auf,  von 
einer  in  Afrika  geborenen  Latinität  zu  reden.  Ich  werde  weiter- 
hin beweisen,  daij9  derselbe  Stil  später  in  Gallien  herrschend 
wurde;  daCs  er  uns  zuerst  in  Afrika  begegnet,  hat  nichts  Be- 
fremdliches. In  keinem  Lande  war  im  zweiten  Jahrhundert  und 
der  ersten  Hälfte  des  dritten  die  Kenntnis  des  Griechischen  mehr 
verbreitet  (dann  ging  es  bekanntlich  reifsend  bergab),  und  Afrika 
hat  überhaupt  in  jener  Zeit  die  führende  Bolle  in  der  lateinischen 
Litteratur  übernommen,  während  Spanien  (speziell  Tarraco)  etwa 
seit  Hadrian  fQr  Jahrhunderte  ganz  zurückgetreten  war  und  Gal- 
lien erst  im  vierten  Jahrhundert  sich  zu  hoher  Blüte  entfalten 
sollte.  Daher  ist  für  uns  die  lateinische  Litteratur  in  den  ge- 
nannten Jahrhunderten  wesentlich  durch  Afrika  vertreten.  Es 
kommt  hinzu,  dafs  gerade  die  Rhetorik  dort  eifrige  Pflege  und 


amra  prwoeäa  gratam  suavUatis  dotem  secum  afferat  oder  IX  12  ext.  6  ur- 
hamMem  dieU  crebro  anheiitu  cachmnorum  prosecutus  senile  gtUtur  salebris 
gpirüuB  gravannt,  einen  Unterschied  zu  Appuleius  zu  erkennen?  Und  diese 
Beitpiele  stehen  nicht  etwa  allein,  sondern,  wer  Lust  hat,  kann  ein  ganzes 
Spicilegimn  dieser  Axt  nachlesen  z.  B.  bei  Glelbcke,  Quaest.  Valerianae 
(Diu.  Berlin  1866)  14  fr.  Nun  hat  Erasmus  thatsächlich  über  Valerius  ge- 
mteüt:  Valenua  Afro  poUus  quam  Italo  similis  (cf.  die  Vorrede  von  Eempf 
vor  teiner  Ausgabe  Berlin  1864  p.  41).  Aber  Valerius  Maximus  ist  nun 
anmal  ein  Italer  gewesen.  Auch  hieraus  mag  man  ersehen,  dafs  das 
'afrikanische'  Latein  ein  reines  Phantasma  ist. 

1)  Sehr  passend  fahrt  L.  Schwabe  in  Teuffels  Gesch.  d.  röm.  Litt^ 
(Leips.  1890)  p.  870,  10  dafOr  eine  auch  durch  ihren  Stil  so  charakteristische 
Ludizift  des  Ed.  Jahrh.  an:  CIL  Vm  2891  (Thamugadis  in  Numidien): 
P.  Fl.  PitdmU  FornpoHiano  ü.  c.  .  .  .  multifariam  laquentes  litteras  amplianti, 
JUieam  faetmdiam  adaegtumU  lUmano  nitori,  ordo  ificola  fontis  patrono  oris 

lAm»  H  ßüßnUi,  natro  aUeri  fonti. 

89* 


598  Von  Iladrian  hin  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

Vcrntändnis  fand:  Juvcnals  ^nutricula  causidicorum  Africa'  läfst 
.sich  aus  dem  acliteii  Bande  des  Corpus  der  lateinischen  Inschriften 
kommentieren.^) 


2.     Die    Sophistik    im    Stil    der    afrikanischen    Profan- 
autoren des  II.  Jahrhunderts. 

Fhirin.  Der  früheste  dieser  afrikanischen  Stilvirtuosen  ist  Florus. 

Er  hat  in  seinem  Enkomion  auf  Rom  den  Schwulst  und  die 
Phrase  mit  Meisterschaft  gehaudhabt.  Wie  ein  solches  Mach- 
werk stilistisch  zu  beurteilen  ist^  kann  man  lernen  aus  der  vor- 
trefflichen Vorrede  des  Graevius  zu  seiner  Ausgabe  vom  J.  1680: 
er  stellt  ihn  zusammen  mit  Gorgias,  Hegesias,  den  Deklamatoren 
bei  Seneca,  Valerius  Maximus,  nennt  seine  Diktion  xaxö^riXov 
(so  hatte  sie  schon  Scaliger  bezeichnet:  zu  Euseb.  p.  114)  und 
wendet  auf  sie  die  tadelnden  Worte  an,  die  der  Verf.  xsqI  vtffovs 
von  den  Asianem  der  früheren  und  seiner  eignen  Zeit  braucht.^ 
Wenn  wir  doch  erst  so  weit  wären,  alle  diese  Autoren  auf  solche 
Weise  zu  beurteilen!  Der  Mann  ist  Deklamator,  sein  Werk  ein 
Dithyrambus  in  Prosa;  bezeichnenderweise  hat  er  den  Lucan 
ausgiebig  benutzt.')  Man  kann  ihn  förmlich  kommentieren  aus 
den  Niederschlägen!  die  uns  von  den  Deklamationen  der  ersten 
Eaiserzeit  erhalten  sind.  Wenn  er  z.  B.  von  D.  Brutus  sagt 
(I  33  sa  II 17  p.  53^  11  Jahn):  D.  Brutus  aliquante  latius  Celticos 
Lusitanosque  et  omnis  Gallaeciae  populos  formidatumque  müitüms 
flumen  OUivianis  (sc.  transiü)^  peragratoque  vietor  Oceani 
litore  non  priua  Signa  eonvertit  quam  cadentem  tu  maria 
solem  ohrutumque  aquis  ignem  non  sine  quodam  saerilegii 
mein  et  horrore  deprendit,  so  überträgt  er  —  lächerlich  genug 


1)  Ot  P.  Monoeaiiz,  L«  Afiricains.    £tade  sor  la  litt^ratore  latine 
Lh  FUtans  (Pbrii  1894)  60.  74,  2. 

B  gnto  wOgpmmBB  Charaktezistik  giebt  auch  J.  Reber,  Dai  Ge- 
Vlom  (Freiniig  1865)  41 S. 

bewiesen  von  H.  J.  Müller  in:  Jahns  Jahrb.  UMIl 

von  E.  Westerbnrg  in:  Rhein.  Mus.  XXX Vn  tl882) 

i  ¥011%  illnsoriseh,  was  man  von  seiner  Benntning  des 


SpftUat.  Litteratur:  der  neue  Stil:  Afrika:  FIoruR.  599 

—  auf  ihn  das  Thema  einer  berühmten  Alexander -Suasorie^  cf. 
Seneca  snas.  1  (s.  oben  S.  200,  1).  Auf  Calpumius  Flamma  tr. 
mil.,  der  mit  dreihundert  Leuten  einen  Hügel  verteidigte,  bis 
das  übrige  Heer  sich  in  Sicherheit  gebracht  hatte,  werden  in 
alberner  Weise  die  TCoXv^QvXrira  nagadetyiiata  des  Leonidas  und 
Othryades  (Sen.  suas.  2,  cf  Ph.  Kohlmann  im  Rh.  Mus.  XXIX 
[1874]  463  ff.)  übertragen  (I  18  =  H  2  p.  30,  16):  pulcl^rimo 
cxitu  Thermopylanitn  et  Leonidae  famam  adaequamt,  hoc  inltistrhr 
noster,  quod  expediHoni  tantac  supe^fuerit,  licet  niliil  inscripsent 
sanguine.  Vom  zweiten  punischen  Krieg  (I  22  =  H  6  p.  35,  30) : 
tibi  semd  se  in  Hispania  movit  illa  gravis  et  lucttwsa  Punici  belli 
vis  atque  tempestas  destinaiumque  Eomanis  iam  diu  ftdmen  Sagtin- 
Uno  igne  canflavit,  statim  quodam  impetti  rapta  medias  perfregit 
Alpes  et  in  Italiam  ab  Ulis  fabulosae  altitudinis  nivibns 
velut  caelo  tnissa  descendit:  woher  das  Bild  stammt,  weifs 
man  aus  Horaz  sat.  II  5,  41.  Petron.  c.  122 f  Derartiges  mufs 
sich  noch  massenhaft  nachweisen  lassen  (cf  auch  oben  8.3(^2, 1). 
Danach  wundert  es  uns  nicht,  wenn  die  Signatur  des  Stils  dieses 
Deklamators  die  Antithese  ist,  sowohl  die  gedankliche  wie  die 
formelle.  Nur  je  ein  Beispiel:  I  13  =  1 18  p.  24,  9  quinam  Uli 
fuerunt  mi  quos  ab  elephantis  prinio  proelio  öbtritos  acccpinms? 
omnium  wlnera  in  peetore,  quidam  Jiostibus  suis  morte  sua  com- 
mortui,  amnium  in  manibtis  ensis  et  relict^ie  in  voltibus  minac,  et 
in  ipaa  morte  ira  vivebat,  cf  Gorgias  fr.  epitaph.  i.  f  rotyaQovv 
«ininf  iixo^ttv6vxoav  6  %6^og  oi)  övvandd'avsv^  iXX  äd-dvarog  iv 
iamfuttoig  eAfLOöt  t$  oi  gc&i/ron/,  Polemon  decL  p.  5,  18  Hinck. 
—  1 11  i«  I  16  p.  20, 19  pepultis  liomanfis  Samnitas  invadit,  gen- 
km,  si  qpulmüam  quaeras,  aureis  et  argenteis  annis  et  discolori 
veste  ¥8que  ad  cunbitum  omatam;  si  fallaciam^  saltibiis  fere  et  man- 
imm  firamde  grassantem;  si  räbieni  ac  furoreni,  sacratis  legibus  hu- 
mamague  hastiis  in  exitium  urbis  agitatam;  si  pertinaciam^  scxie^ 
rvpto  foedere  eladibusque  ipsis  animosiorem  (ein  tetQdxcokov).  Das 
nnaosgesetEte  Haschen  nach  Pointen  fuhrt  zu  iiEtQaxceiiiiara 
nngeheaerlichster  Art:  I  5  =»  1 11  p.  15, 12  (Cinciunatus)  vichs, 
ne  quid  a  rustiei  operis  imitatione  cessaret,  niorc  peciidum  sub  iugum 
mML  1 13  —  1 18  p.  25;  15  niJiil  libenfius  p,  IL  aspexit  qwim 
Wob  quas  Ha  timuerat  cum  turribus  s^iis  beluas,  quae  non  sine 
aeimi  eaptimtalis  smmmissis  cervicibus  victores  equos  sequebantur. 
Aber  ich  mfllste  ihn  Ton  Anfang  J»is  Ende  abschreiben.    In  der 


()00  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeit. 

Ausdrucksweise  ist  eine  völlige  Fusion  mit  der  Poesie^)  ein- 
getreten: L.  Spengel')  hat  ausgerechnet,  dafs  selbst  er  125mal 
für  nötig  gehalten  hat,  durch  qtuisi  die  Tollkühnheit  des  Aus- 
drucks zu  mildem.  Am  abscheulichsten  ist  für  unser  Gefühl 
(das  sich  aber  mit  dem  des  Publikums,  für  welches  Florus 
schrieb,  in  keinem  Punkte  berührt)  die  Eatachrese  des  Aus- 
drucks, die  wir  schon  bei  Hegesias  kennen  gelernt  haben,  z.  B. 
I  18  =  I  21  p.  30,  25  M,  Atilio  Eegxdo  diice  iam  in  Africam  na- 
viyaiat  bellum,  ib.  p.  31,  4  prooemium  belli  fuit  civitas  Capua, 
I  19  =  II  3  p.  33, 13  denique  utrique  cotidiani  et  quctsi  domestici 
hostes  tirocinia  tnilitum  inhuerant,  nee  aliter  uiraque  gente  quam 
quasi  cote  quadam  papidus  Bonianus  ferrum  suae  virtutis 
acucbat,  u.  s.  f.  Endlich  weise  ich  noch  auf  das  stark  hervor- 
tretende rhythmische  Gepräge  der  Satzklauseln  hin:  darüber 
handle  ich  später  (Anhang  II)  im  Zusammenhang,  die  citierten 
Sätze  geben  genügend  Beispiele  für  die  uns  schon  bekannte  be- 
liebteste Form:  ^  ^  yXi  jl^.^) 
Appuitiai.  Alles,  was  vor  ihm  war,  hat  Appuleius  übertroffen,  der 

virtuoseste  Wortjongleur,  den  es  gegeben  hat.  Dieser  Mann, 
dessen  Ehrentitel  zu  seinen  Lebzeiten  und  lange  nach  seinem 
Tode  phüoso^^us  Platonicus  war,  der  von  Piaton  als  dem  ^seinen', 
von  Sokrates  als  seinem  ^Vorfahren'  spricht  (Flor.  15  p.  19  Kr. 
1  p.  1),  hat  die  Sprache  entwürdigt.    Bei  ihm  feiert  der  in  bac- 


1)  Es  ist  natflrlich  £eil8ch,  überall  gerade  Vergil  zu  wittern,  wie  es 
Fr.  Sehmidinger,  Unters,  üb.  Florus  in  Fleckeis.  Jhb.  Suppl.  XX  (1894) 
788iF.  that 

I)  Über  die  (Jeschiohtsbflclier  des  Florus  in:   Abb.  d.  bayr.  Akad.  d. 

pliaoi.-pbiloL  GL  IX  (1860)  326. 

9  Fslnioa  hatte  grofsen  Gto&llen  an  Florus:  iififia^'  Flori  florentis- 

hrmriku,  §iegam  ae  mccineta  Flori  brevitaSj  Fhrw  brevis  et  eomptus 

m  efta,  e£  P.  de  Nolhac,  P^trarque  et  l*humamsme  (Paris  1898)  444. 

«h  da  Hmnamit  bei  Jahn  praef.  p.  XXXVIII.    In  den  'Perroniana  et 

a'  (OolflgM  i6S4)  868f.  heiftt  es:  Je  mets  Florus  le  plus  haut  apres 

tadkh  Cutim,  der  fttr  ihn  2e  premier  de  la  LatiniU  ist);  e'eet  taute 

1  «I  jj  JUgamL    Ahnliche  Urteile  hanuuiistischer  Anticiceronianer, 

Jagmam  mid  Salmauns,  unter  den  testimonia  in  der  Ausgabe  Dükers 

Bat  1744).  —  Das  Schriftchen  ^Vergilius  poeta  an  orator'  habe  ich 

A  am  dem  Spiel  gelassen.    Stilistisch  ist  es  erheblich  einfacher 

^fcwAi«.  ^ef.  Q.  Lafaye,  De  poetarum  et  oratorum  ap.  reteres  cer- 

■  [BmoM  1888]  8Sf.X  aber  wir  werden  uns  natürlich  hüten,  daraus 

^  es  Ton  einem  andern  Verfasser  stamme. 


SpftÜat.  Litteratur:  der  neue  Stil:  Afrika:  Appuleius.  601 

chautischem  Taumel   dahinrasende,   wie   ein   wilder   Strom  sich 
selbst  überstürzende^  in  ein  wogendes  Nebelmeer  wüster  Phan- 
tastik  zergehende   Stil   seine   Orgien;   hier  paart  sich  mit  dem 
ungeheaerlichsten   Schwulst   die   affektierteste    Zierlichkeit:   alle 
die  Mätzchen,  die  dem  weichlichsten  Wohlklang  dienen,  werden 
in  der  yerschwenderischesten  Weise  angebracht,  als  da  sind  AI- 
litterationen,  Ohren  und  Augen   verwirrende  Wortspiele,  abge- 
zirkelte  Satzteilchen  mit  genauester  Korresponsion  bis  auf  die 
Silbenzahl   und   mit   klingelndem   Gleichklang    am    Ende.     Die 
Tömiache  Sprache,   die  ernste  würdige  Matrone,  ist  zum  prosti- 
bulum  geworden,  die  Sprache  des  lupanar  hat  ihre  castitas  aus- 
gezogen.   Met.  II  10  iamqne  aetnula  libidim  in  anwris  parüitatem 
congermanescenti  niecum,  iam  patentis  oris  inJialatu  cinnmneo  et  oc- 
CHTsanUs  lingwie  inlisu  nectareo  prona  ciipidine  adlibescente  ^pereo^ 
iN^tfam  etc.  V  6  imptimens  oscula  snasoria  et  ingerats  verba  mul- 
cenHa  et  inserens  membra  cohibentia.  IX 14  nvdier  saeva  scaeva,  virosa 
dniosa^  pervkcuc  pertinax,  in  rapinis  turpibm  avara,  in  sumptibus 
foedibua  profusa  Y  15  tnellita  cantus  dulcedine  mollita.    Derartiges 
lieÜB  sich  nicht  in   einem   anständigen   Stil    ausdrücken:   einem 
Geschlecht,  das  an  der  wollüstigen  Sprache,  mit  der  eine  Fotis 
und  ihre  tf^i^futra  beschrieben  werden,  Gefallen  fand,  ist  mau  ver- 
sucht mit  Persius  die  entrüstete  Frage  vorzulegen:   haec  fierent, 
81  testieuli  vena  uUa  patemi  viveret  in  vobis?  Und  doch  ist  er  in 
demselben  Hetärengewand  als  öffentlicher  Redner  aufgetreten  und 
hat^  wie  er  gern  hervorhebt  (Flor.  9  p.  9.  18  p.  21»;,  seine  Hörer, 
darunter  den  höchsten  Magistrat,  in  Ekstase  versetzt:  in  diesen 
Beden  wirkt  der  Flitterstaat  nur   um   so   greller,  als  mit  ihm 
amwoben  werden  nicht  blofs  Papageien,  für  die  er  pafst  (12  p.  14), 
sondern  die  griechische  Philosophie   oder  die  damals  von   den 
Heiden  wirklich  geübte  Werkheiligkeit,  z.  B.  gleich  zu  Anfang 
der  Florida:  u^  ferme  religiosis  viantium  moris  est,   cum  aliqui 
lueus  aul  aligui  locus  sanctus  in  via  oblatus  est,  votum  posttdarc, 
pomum  adponere,  paulisper  adsidere:  ita  mihi,  inyresso  sanctissimam 
istam  eivitatem,  quamguam  oppido  festinem,  praefanda  venia  et  ha- 
benda  oratio  et  inhibenda  prpperatio  est;  neque  enim  instius  religio- 
sam  moram  viatori  dbiecerit  aut  ara  floribus  rcdimita  aut  spelunca 
fromdXbus  inumbrata  aut  quercus  comibus  onerata  aut  fagus  pellibus 
coronatOf  vel  enim  cöUiculus  saepimine  consecratus  vcl  tnmcus  dola- 
mine  rffigiaius  vel  caespes  libamine  f'umigatus  vcl   lapis  unguir 


S02  Von  Hadiiao  bis  tum  Ende  der  Eai«eraeit.  V 

ddtbtihis.    parva  haec  qu,ipi>e  et  quaniquam  pauds  peramtanlibm 
adorata,  tamm  ignorantibiiS  transcursa.     Und  wie  brüstet  er  sich 
mit   dieser   seiner  'philosojihiachen'  Diktion:  13  p.  15  non  enim 
mihi  pliilos(^}iia  id  gmus  orationem  largita  est,   ut  natura  quibus- 
(iam  avibus  brevem  et  temporarium  cantutn  commodavit,  AiVundmi 
matutinum,  cicadis  meridianum,  noctuis  serum,  tdiilis  vei^ertim 
bubonibus  ttoelumum,   gallis  aniclvcanum.    quippe  Jiaec  onii 
inter  se  vario  tempore  et  vario  modo  occinunt  et  occipiunt  carmi 
scÜicet  galli  expergifico,  hubones  gemuto,  ululae  qfterulo,  noduae  ti 
cicadae  obstrcpero,  hirundines  perarguto.    sed  enim  philosophi 
et  oratio  tempore  iitgis  est  et  auditn  venerabilis  et  intelleetu  utilia 
modo   omnica»(J.     Im   einzelnen   ist   bekannt) ich   die   Sprache 
behandelt,  dafs   man  nur  mehr  von  einer  Vergewaltigung  reden 
kann:    nicht    mehr    ordnet    der   Schriftatelier    sein   Wollen    und 
Können  dem  vorhandenen  Wortschatz  unter  und  sucht  in  seiner 
geschmackvollen  und  keuschen  Verwendung  das  Ideal  des  Sl 
aouderu   mit   tyrannischer   Selbstgefälligkeit   nimmt  er  sich 
Recht  freieater  Wortprägung,  besondera  wemi  er  aeine  Eiudereii 
anbringen  will:  Met.  XI  9  mvlieres  candido  splendentes  amicimme, 
vario  laetanles  gcstamine,  vemo  florenles  coronamine,  Flor.  10  p.  13 
steUa  lovis  benefica,  Veneris  vobipHfica,  pernix  Mercuri,  perniciosa 
Satiimi,  Mortis  ^nila.    Und  dann  das  Tollste:  mit  dieseu  zucht- 
losen Worten  gehen  einträchtig  gepaart  die  gravitatiacheD  Worte 
des  PlautuB   und  der  alten  Sprache  überhaupt,     „Vnde  ftacc 
lago  hquendif'?     Nun,  ich  denke,  die  beliebig  herausgegriff* 
Proben  ssgen  es  dem   Leser   mit   greller  Deutlichkeit:   Gor| 
Hegesiaa    und    ihrosgleicben    sind    die    Geistesverwandten    dii 
Sprachjittuberers,  und  hätten  wir  des  Ariateides  oder  seines  Ül 
Setzers   mileaiache   Qeschichteu,   so   würden   wir  den  Zusammi 
bang  noch  klarer  durchschauen.')    Appuleius  bat  ebensoviel 
grieühisch    wie   auf   lateinisch    geachrieben:    in    Athen    {All 
Altieis,  wie  er  gern  mit  Plautus  sagt)  gebildet,  war  er  einer 
»eitflo'  Sophtstcti  un<l  zwar  von  der  extrem  modernen  Richtii 
Jbe  eich  selbst  als  Naclikomme  des  Hippias,  dessen  Bei 
er   bewunderte   {Flor.  Ü  p.  10  f.).     Nur   in   diesem 

Hädclieii  werden  vgn  Vorro  (sat,  370— 8TS.  375.  «32)  mit  d 
JTarben  biwcbriubiin  wie  von  Appulei\ia  (x.  B.  HeU  11  ] 
fau  «oniit  al«  HO*  jonem  cchlUprerigon  Roman?  AI«  ] 
lut  ut  ja  auch  Helbst  aein  Werk  baxeiclmet. 


Spätlat.  Litieratur:  der  neue  Stil:  Afrika:  Appulcius.  iU^i 

sammenhang  kann  man  seinen  Stil  yersteheu,  in  ihm  aber  auch 
ganz:  den  Schwulst,  die  aöektiertc  Zierlichkeit,  den  mafslosen 
Gebrauch  der  auffälligsten  und  pikantesten,  auf  das  Ohr  wie 
Schellengerdate  wirkenden  Kedefiguren  —  speziell  der  Antithese, 
des  Isokolon  ^)  mit  Homoiotcleuton,  des  Wortspiels  ^)  — ,  die  völ- 
lige Transfusion  des  prosaischen  und  poetischen  Ausdrucks^),  die 
frivole  Art,  die  Sprache  zum  Versuchsobjekt  für  Neubildungen 
zu  verwerten,  mit  gelegentlicher  Einmischung  veralteter  Worte.*) 
Als  Stilist  ist  Appuleius  noch  in  einer  anderen  Hinsicht 
interessant.  Er  schreibt,  wie  schon  die  Humanisten  hervorhoben, 
in  jeder  Schrift  in  einem  andern  Stil.  Ich  wüGste  keinen  an- 
tiken Schriftsteller  zu  nennen,  an  dem  man  einen  Fundamental- 
satz der  antiken  Stillehre,  wonach  für  die  verschiedenen  Arten 
des  Stoffes  ein  durchaus  verschiedener  Stil  angewandt  wurde, 
so  genaa  studieren  könnte  wie  an  Appuleius.  In  der  Apologie 
schreibt  er,  abgesehen  von  einigen  gehobenen  Partieen,  einfach 
und  klar,  gelegentlich  an  Cicero  erinnernd;  die  Schriften  Do 
dogmate  Piatonis  und  De  mundo  sind  sachlich  und  nüchtern, 
letztere  in  solchem  Grade,  dafs  man  sie  ihm  deshalb  hat  ab- 
sprechen wollen.  Auf  der  andern  Seite  stehen  die  Metamor- 
phosen^) und   die  Florida.    Eine  Mittelstellung  zwischen  beiden 


1)  Besonders  gern  trikolisch   und  tetrakolisch :   Beispiele  im  Grcif»- 
walder  Frooemiiim  Ostern  1897  p.  62  f.  59. 

2)  El  wirkt  um  so  empfindlicher,  wenn  es  mit  einem  yeraltet<?n  Wort 
voEgenommen  wird:  Apol.  62  lignum  a  me  toto  oppido  et  quidem  oppido 


')  is^PP^  hat  es  in  nngewOhnlicher  Weise  verstanden,  die  Doppel- 
najnr  des  poetifierenden  Bhetors  nnd  des  in  Prosa  darstellenden  Dichters 
festenhatten**  L.  Friedl&nder,  8itt.-Ge8cb.  m^  (Leipz.  1881)  421. 

4)  C£  fttr  das  letite  die  schon  von  H.  Kretschmann  a.  a.  0.  (oben 
8.  AM,  f)  henngeiogene  Stelle  Lukian  rhet.  praec.  17:  der  Moderhotor  soll 
alte  Wolle  anf  die  ftannenden  Zuhörer  losBchiefsen,  ivloxB  ob  xa2  aitxog 
9ol§i  WKUßä  lud  i[ll6%otu  iv6iucta  k«1  yoftod'itsi  rbv  filv  igiiriveüacci  dsivbv 

5)  J.  T.  Vliet  L  c.  (o.  S.  696,  1)  81  erscheinen  die  Worte  der  Vorrede, 
in  denen  Aptpoleiiii  selbat  den  Stil  dieses  Werkes  als  dcsnUoriae  scientiae 
atHm  beiaiehnet,  riltseUiaft,  und  er  giebt  eine  sonderbare  ErkK^rung,  die 
m  wiedwholen  ich  keine  Lust  habe.  Varro  schrieb  eine  Satire  Desultorius 
sBlfl  f»V  TfiE^ffiir,  was  schon  Buecheler  im  Rhein.  Mus.  XX  (ISGö)  4ü8,  6 
ans  dem  spnmgweifen  Wechsel  dieser  Kompositionsart  nach  Inhalt  und, 
wai  M  Yttzo,  Seneca,  Petron,  Martian  und  Boetliius  hinzukommt,  nac>* 


604  Von  üadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit 

Gruppen  nimmt  ein  die  philosophische  Deklamation  De  deo  So- 
cratis:  sie  sollte  zwar,  wie  die  Florida^)  (die  ja  nichts  anderes 
als  yLBXitai  sind),  der  delectatio  dienen  und  ein  Prunkstück  rhe- 
torischen Könnens  sein,  aber  der  Stoff  war  doch  ein  zu  ernster, 
als  dafs  die  Lascivität  bis  zu  dem  Grade  der  Florida  hätte  ge- 
steigert werden  können. 

Eine  der  dringendsten  Aufgaben  aus  dem  Gebiet  der  an- 
tiken Stilistik  wäre  m.  E.  eine  nach  den  beiden  angedeuteten 
Gesichtspunkten^  auf  Grund  brauchbarer  Ausgaben  durchge- 
führte wissenschaftliche  Analyse  des  Stilcharakters  der  Werke 
dieses  merkwürdigen,  nach  allen  Richtungen  hin  so  interessanten, 
für  die  Geschichte  der  Kultur  seiner  Zeit  einzig  wichtigen  Men- 
schen und  Schriftstellers.  Das  noch  immerfort  citierte  Buch 
von  H.  Koziol,  Der  Stil  des  A.,  ein  Beitr.  z.  Kenntn.  d.  sog.  afri- 
kanischen Latinität  (Wien  1872),  dient  als  unkritisches  Sammel- 
surium mehr  dazu,  die  Erkenntnis  des  Richtigen  zu  vernichten 
als   sie  zu  begründen  und   zu   befestigen:   Büchern   über   einen 


Form  (cf.  auch  Bekker  Anecd.  Gr.  198,  11  b.  &va^<ktri9\  erklärt  hat.  Hätten 
wir  den  Roman  des  Aristides,  so  würden  wir  die  sprunghafte  Art  der  Dar- 
stellung an  der  Quelle  studieren  können;  aber  bezeichnend  ist  doch,  dafs 
der  Übersetzer  des  Aristides,  Sisenna,  ausdrücklich  gesagt  hat,  er  wolle  in 
seinem  G^eschichtswerk  nicht  sprunghaft  schreiben:  fr.  127  P.  (bei  Gell.  Xu 
15,  2):  ne  vellicatim  aut  saltuatim  scribendo  lectorum  animoa  impediremus. 
Das  Sprunghafte  der  Komposition  erkennt  man  ja  auch  an  Horaz^  Sermonen 
noch  deutlich  genug. 

1)  Sie  beurteilt  richtig  Cresollius,  Theatr.  rhet.  m  c.  10  in  GronOYS 
Thes.  graec.  antiquit.  X  (Venedig  1785)  105  8%Mipsit  ad  ostentoHonem  Florida, 
ubi  tamquam  in  speculo  antiquitoHs  sophisticiim  marem  mihi  noktre  videor, 
nam  curiosa  quaedam  attingit  et  7eaQad6iovg  ivvoLag^  dulces  fabdlas,  narra- 
Uu/nculas  plenas  stMvitatis,  quas  varie  intexitf  ut  in  Fhrygio  parapekumate 
miUtis  colorihus  variegato.  tum  dictio  ipsa  est  conciwna,  nonia  et  ineUnaÜs 
artificiose  mcülis  ut  stellulis  irradians  et  canteastu  ipso  oroHonis  yoijre^ovtfa, 
praestigiis  velut  guihusdam  audiewtium  ammos  deleniens^  et  ut  hremter  dicam, 
ut  in  scaena  choragium  lucukntum  eaeponit  sophisHca  pompa  digtmm. 

2)  Als  dritter  kommt  noch  hinzu:  es  muls  innerhalb  der  euiselnen 
Werke  geschieden  werden  nach  den  einzelnen  Gegenständen,  die  darin  vor- 
kommen:  die  Räuber  oder  der  betrogene  Schmied  sprechen  anders  als  einer, 
der  in  Juno  oder  in  Isis  betet,  die  FoÜb  wird  mit  andern  Mitteln  der  §m- 

geiohflderi  als  die  Weltg<)tfcin  oder  die  Fortana  auf  ihrer  Kugel, 
*^din  all  ein  Zanbeigarten  oder  ein  Feenpalast,  und 
-«^inftfea  libidinis,  andere  'es  war  einmal  ein 
dni  gar  lohOne  TltohtaP. 


Spfttlai.  Litteratur:  der  neue  Stil:  Afrika:  Appuleius,  Minncius.    605 

lateinischen  Autor  wie  Appoleius,  in  denen  auf  350  Seiten  kaum 
der  Name  eines  griechischen  Autors^  kaum  ein  griechischer  Buch- 
stabe vorkommt,  ist  der  Stempel  der  Perversität  von  vornherein 
aufgedrückt. 


3.    Die  Sophistik  im  Stil  der  frühchristlichen 

afrikanischen  Autoren. 

Würdig  erofiEhet  die  unübersehbar  lange  Reihe  der  christ-  Mium 
liehen  lateinischen  Prosaiker  Minucius  Felix  mit  seinem  zu 
allen  Zeiten  vielgepriesenen  ^Octavius',  der  uns  wie  durch  ein 
handBchriftliches  Wunder  überliefert  ist.^)  Da  ich  eine  kommen- 
tierte Ausgabe  des  Dialogs  vorbereite,  gehe  ich  hier  auf  ein- 
zelnes nicht  ein^  und  das  um  so  weniger,  als  ich  das  meiste  hierher 
Grehorige  in  meiner  Abhandlung  De  Minucii  Felicis  aetate  et 
genere  dicendi  (Wiss.  Beilage  zum  Vorlesungsverzeichn.  d.  Univ. 
6reifi9wald  Ostern  1897)  bereits  berührt  und  der  Schrift  ihren 
Platz  in  der  Geschichte  der  antiken  Eunstprosa  angewiesen  habe. 
Minucius  hat  es  mit  einzigem  Geschick  verstanden,  auf  dem 
Grunde  der  Philosophie  Ciceros  und  der  Diktion  Senecas  in 
einem  den  verwöhntesten  Ansprüchen  genügenden  hocheleganten 
Modestil  die  neue  Religion  den  gebildeten  Heiden  zu  empfehlen; 
die  zierUchsten  Figuren   des   modernen  sophistischen   Stils,  vor 


1}  Bekanntlich  als  ^liber  octavus'  des  Amobius  (cf.  über  dies  Ver- 
sehen meine  o.  S.  469, 2  citierten  'Beiträge  z.  (resch.  d.  griech.  Philos.'  429, 1). 
—  Den  Arno bi US  schlierse  ich  übrigens  von  dieser  Betrachtung  mit  gutem 
Gnmde  ans:  man  braucht  nur  ein  paar  Kapitel  zu  lesen,  um  sofort  zu  er- 
kennen, daft  er,  stilistisch  (nicht  sprachlich)  offenbar  Anhänger  einer  mehr 
k1ftstiiiniiiii*hftr  Richtung,  in  eiaem  ganz  andern  Stil  schreibt  als  Appuloius 
und  die  übrigen  Afrikaner:  lange  Sätze  ohne  Parallelismus  und  ohne  die 
Wortflgoren  des  sophistischen  Stils.  Einen  um  so  reichlicheren  Gebrauch 
macht  er  von  den  cxi/iftata  diavolagi  es  dürfte  keinen  Schriftsteller  geben, 
der  die  riietorische  Frage  so  im  Übermafs  angewandt  hätte.  Das  stimmt 
gut  in  dem  gansen  Ton  dieses  infttmsten  Pamphlets,  welches  das  Altertum 
uns  ftberliefert  hat  und  welches  den  feingebildeten  Christen  selbst  höchst 
peinlich  war:  denn  es  ist  doch  gewifs  Absicht,  dafs  Lactanz  in  der  Auf- 
rthlntg  der  KUeraH,  die  das  Christentum  verteidigt  hätten  (div.  inst.  V 
1,  tt  £),  das  Werk  seines  Lehrers  Arnobius  totschweigt:  der  fanatische 
Sdmier  hatte  die  neue  Religion  offenbar  mehr  kompromittiert  als  gerecht- 
teligl;  das,  mi  er  verdorben  hatte,  machte  das  edle  Werk  des  Schüler» 
vfategnb 


00()  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeit. 

allem  den  Gliederparnllelismus  mit  Gleichklang  am  Ende^  weifs 
er  mit  einer  Grazie  anzubiingen,  die,  obgleich  sie  keine  natür- 
liche, sondern  eine  durch  Studium  und  gelegentlich  durch  Raffine- 
ment erworbene  ist,  doch  nirgends  verletzt  wie  bei  Appuleius. 
Aber  freilich:  wie  sein  Christentum  kein  tiefes  und  dogmatisches 
war,  so  genügte  auch  dieser  selbst  bei  der  gröfsten  indignatio 
immer  zierliche  und  posierende  Stil  nicht  den  Anforderungen, 
die  an  die  schriftliche  Verteidigung  des  noch  mitten  im  toben- 
den Kampf  stehenden  jungen  Glaubens  gestellt  wurden, 
frtuiiun.  Tertullians  Naturell  und   Stil  war  für  diesen  Kampf  ge- 

schaffen: dieser  ardeus  vir  (Hieron.  ep.  84,2)  hat  in  einer  Flammen- 
sprache geredet.  Ein  Fanatismus  ohnegleichen  tobte  in  ihm, 
eine  ihn  selbst  und  andere  verzehrende  Glut.  Mafslos  wie  sein 
Hafs  gegen  die  Heiden  und  die  heterodoxen  Christen,  zügellos 
wie  seine  Phantasie  ist  seine  Sprache.  Von  keinem  ist  die  la- 
teiuische  Sprache  auf  einen  so  hohen  Grad  der  Leidenschaftlich- 
keit gehoben  wie  von  ihm;  das  Pathos,  das  Tacitus  mit  vornehm 
verhaltener  Indignation  zurückdümmt,  vrird  bei  ihm  zu  einer 
alles  Widerstrebende  mit  sich  wirbelnden  Sturmflut;  er  hat  die 
hoheitsvolle  Ruhe  des  Tacitus  mit  der  turbulenten  Leidenschaft- 
lichkeit und  dem  pamphletistischen  Ton  des  Juvenal  sowie  mit 
der  affektierten  Dunkelheit  des  Persius  verbunden  (die  beiden 
ersteren  hat  er  nachweislich  gern  gelesen).  Es  giebt  keinen 
lateinischen  Schriftsteller,  bei  dem  die  Sprache  in  so  eminentem 
Sinn  der  unmittelbare  Ausdruck  des  inneren  Empfindens  gewesen 
wäre.  Er  ist  ohne  Frage  der  schwierigste  Autor  in  lateinischer 
Sprache;  keiner  stellt  so  rücksichtslose  Anforderungen  an  den 
Leier:  er  deutet  meist  nur  an,  verlafst  einen  Gedanken  plötzlich, 
«m  ohne  anknüpfende  Partikeln^)  zu  einem  andern  überzuspringen, 
■Des  ein  Aueflnla  übersprudelnder  Leidenschaftlichkeit  und  hastiger 
hnialiSt  des  Denkens.  Er  hat  mehr  als  irgend  ein  antiker 
inftateller  das  hSehste  Gesetz  antiker  Kunstanschauung  ^  die 
iwdmuig  des  Individuellen  unter  das  Traditionelle,  verletzt: 
Doa  mit  vollem  Bewufstsein  und  mit  Absicht,  denn  was 
'nabeeverwandter  im  Osten,  Gregor  von  Nazianz,  einmal 

«  flitkmikt  das  hflbBch  durch  Vorgleich  des  lateinischen  Originals 
mit  der  von  Eusebios  benutzten  griechischen  TberseUnng, 
in  Text^  u.  Unter«.  VTII  4  ;18l)e    p.  20  ff.  bemerkt.  Öfters 
Vgl  und  überhaupt  die  Prägnanz  seines  Aasdracks  verflacht. 


Sp&Üat.  Liüeratnr:  der  neue  Stil:  Afrika:  Tertnllian.  607 

sagt:  tä  iQ%ata  nai^k^BV  ISov  ysyove  rä  ndvxa  xaivd^  das  war 
auch  seine  fundamentale  Überzeugung.  Mit  einer  geradezu  bei- 
spiellosen Willkür  meistert  er  die  Sprache^  um  sie  in  die  Fessebi 
seines  herrisclien  Denkens  zu  zwängen;  er  ist  so  recht  eigentlich 
der  Typus  des  christlichen  Sprachschöpfers  gewesen,  aus  den 
gewaltthatigen  Neuprägungen  atmet  der  Geist  eines  Mannes,  der 
Yon  dem  Glauben  durchdrungen  war,  dafs  das  Christentum  als 
eine  neue  Gröfse  in  die  Welt  gekommen  sei  und  daher  neue 
Faktoren  für  seine  Ausdrucksweise  beanspruchen  dürfe.  ^)  Die 
yerhältnismäfsig  grofse  Biegsamkeit  und  Geschmeidigkeit,  die 
der  lateinischen  Sprache  in  sehr  alter  Zeit  eigen  gewesen  war 
und  die  sie  durch  die  Bestrebungen  der  Puristen  und  Aualogisten 
in  stetigem  Fortschreiten  verloren  hatte,  ist  ihr  thatsächlich  durch 
das  Christentum  wiedergegeben  worden,  freilich  in  einer  Art  und 
in  einem  Umfang,  die  ihrer  gravi tas  widersprachen.  Um  gar 
nicht  zu  reden  von  den  nach  Hunderten  zahlenden  völligen  Neu- 
bildungen, durch  deren  Aufzählung  einst  D.  liuhnken  das  Gruseln 
seiner  Leser  vor  diesem  *Afer'  erwecken  wollte*):  was  seine 
Lektüre  besonders  erschwert,  sind  die  Bedeutungsänderungen, 
die  er  mit  herkömmlichen  Wörtern  vornahm;  das,  was  nach  der 
Ansicht  der  griechischen  und  lateinischen  Reaktionspartei  das 
ärgste  Brandmal  eines  Schriftstellers  war,  war  für  ihn  die  höchste 
Devise:  iiBzaxdfatts  xb  vöiiiöna,  so,  um  aus  der  grofsen  Masse 
nur  einiges  anzuführen,  das  ich  mir  zufällig  notierte:  für  ihn 
ist  äbrumpere  »^  desciseere,  condicere  =  cotisentire,  detinere  =  con- 
vmeere  und  «»  accusarej  erogare  =  consumcre  und  =  interficei'e, 
expm^gere  =  perficere  und  =  absolvere,  ohduccre  =  convincere,  rc- 
peraäere  «=«  refutare,  resignare  =  violare,  suhscriberc  =  coficedere, 
sustinere  «=  exspedare;  antecessor  =  doctor;  porro  =  atqtän.  Im 
engsten  Zusammenhang  damit  steht,  dals  er,  der  homo  bilinguis, 
dem  griechischen  Idiom  auf  das  lateinische  einen  derartigen  Ein- 
floJJi  gestattete,  wie  es  weder  vorher  noch  nachher  jemand  ge- 
wagt hat.  Wenn  er  freilich  philosophische  Eunstausdrücke  mit 
neuen  lateinischen  Worten  wiedergiebt,  wie  yLd^6ig  discentia 
iofd^vffli^  reminiscentia^  xb  &v(iix6v  indignaüvum  xb  imd^v(irixi- 


1)  Gf.  auch  H.  Leopold,  Üb.  d.  Ursachen  d.  verdorb.  Lat.  bei  d.  Eirchen- 
Tfttem  in:  Z.  f.  bist  Theol.  (ed.  Ilgen)  VIII  (=  N.  F.  II)  Heft  2  (1838)  tio  ff. 
S)  Leopold  1.  c.  33  f. 


g08  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

x6v  cancupiscentivum  u.  dgl.  viel^),  so  unterscheidet  er  sich  darin 
weder  in  der  Theorie  noch  in  der  Praxis  von  Cicero  und  Seneca^ 
aber  er  hat  sich  keineswegs  auf  solche  nicht  zu  umgehenden 
Fälle  beschränkt,  sondern  die  Sphäre  der  Gräcismen  in  Über- 
setzung griechischer  Worter  und  Konstruktionen  ganz  beträcht- 
lich erweitert.  Auch  hierfür  ein  paar  aus  der  Menge  heraus- 
gegriffene Beispiele:  dUegradia  avis  {njfißcetog  (de  yirg.  Tel.  17) 
conrecumbere  6vyxataKkivE6^ai>  (de  test.  an.  4)^  tnultivorantia  et 
mulHniibentia  noXvtpayCa  xal  xokvyafiia  (de  iei.  adv.  psych.  1),  alia 
delida  erunt  remissibüiaf  alia  inrenUssibüia  ätp^ia  —  oint  &q)svda 
(de  pud.  2);  salutificatar  tfaiti}^  (de  pud.  2  u.  o.;  später  einigte 
man  sich  bekanntlich  fär  salvahr),  sed  et  huic  materiae  propter 
snavüfidios  nostros  graeco  quoque  stilo  satisfecimus  (piXoxaiyiMvag 
(de  cor.  6)^  caeli  ambitus  nunc  subdivo  ^lendidus  nunc  nübüo  sor- 
didus  tp  imaid'Qp  (de  pall.  2);  commune  est  nomen  viH  etiam 
nondum  viri  xov  oihcm  Zvtog  ivÖQÖg  (de  yirg.  vel.  8),  ex  quo  se 
intellegere  coeperit  (mulier)  et  sensum  naturae  suae  intrare  et  de 
virginis  exire  tov  rrjg  na^ivov  i^Uvav  (ib.),  inter  se  dissensiones 
at  7t(fbg  iXXi^Xovg  diatpoQai  (ad  mart.  1),  taiia  et  tanta  fuHUa 
eorum  xoiavta  tucI  xo6avta  tä  ain&v  xsvi  i6uv  (de  pud.  2);  in 
pridie  usque  atog  xov  XQoiijv  (ad  Scap.  2)^  nomina  sie  sunt  insti- 
tuta,  ut  fines  su>os  habeant  inter  dici  et  esse  luxa^  xoi>  Idysöd-at 
xal  xov  slvav  (ad  nat.  I  5),  desponsata  quodammodo  nupta,  tarnen 
inter  quodammodo  et  verum  satis  interest  inBxa^if  rot)  xAg  (de  Yirg. 
vel.  6),  per  ubique  orbis  dtä  %avxa%ov  yf^g  (de  pall.  2),  de  viro  et 
mutiere  apostolus  tractat,  cum  ülam  oporteai  velari,  ülum  vero  non 
xbv  de  (iii  (de  virg.  vel.  8),  etsi  mundus  non  est  f actus  ex  Uta 
(materia),  sed  haeresis  facta  est  &Xk*  ^  ys  aX(fB6ig  (adv.  Hermog.  23)*), 
si  oblectari  novisse  nolumuSj  nostra  iniuria  est,  si  forte,  non  vestra 
etnsff  &Qtt  (apol.  38,  eine  seiner  Lieblingsphrasen,  cf.  Dehler  zu 
de  cor.  5),  cuius  (vacculac)  et  dorso  vehebatur  et,  si  quando,  ubere 
alebatur  atnaQ  noxi  (ad  nat.  11  14  u.  oft  so),  recognoscite  si  men- 
tior  (apol.  13  statt  des  Konjunktivs,  cf.  Dehler  zu  ad  mari  2), 


1)  Wesentlich  auf  diese  Seite  der  tertullianischen  Wortbildung  be- 
schränken sich  die  ausgezeichneten  Abhandlungen  von  G.  Haoschild,  Die 
Grundsätze  und  Mittel  der  Wortbildung  bei  T.,  Progr.  Leipzig  1876  und 
Frankf.  a.  M.  1881. 

2)  Cf.  H.  Kellner  in :  Theol.  Quartalschr.  LVm  (1876)  240,  der  dies  sed 
aber  unrichtig  beurteilt. 


Spftüat.  Lüteratnr:  der  neue  Stil:  Afrika:  TerMlian.  609 

neseio  ne  plns  de  vobis  dei  vesiri  quam  de  ndbis  querantur  fii^  Aya- 

vaMxaüöi  (ad  nat.  I  10,  cf.  Dehler  zu  apolog.  c.  2  i.  f.),   nicht 

nur  est  aesümari  (de  tesL  an.  5),  sondern  auch  est  recognosci  (de 

cor.  8)  und  exüus  quem  saepe  evenire  est  (de  pud.  8,  cf.  Wolflflin 

im  Archiv  £  Lex.  11 136,  Priedländer  zu  Petron  67);  griechischer 

Gebranch  des  Particips  ^),  z.  B.  manifestus  est  Idbefactans  fidueiam 

ipopagög  iffti  6q>dXX(ov  (de  res.  81),  praevenio  admonens  ^avm 

ipapLvi^ag  (de  praescr.  9),  magis  damncUi  quam  absoluti  gaudemus 

xatadtxaiöfievoi'  fL&XXov  ^  &noXv6fisvoi  %aCQoyLSv   (ad  Scap.  1)^; 

griechischer  Gebrauch  des  InfinitiTS,  z.  B.  promptam  mederi  fheria- 

com  (ad  Scorp.  1),  si  quis  praevenerat  descendere  üluc  (de  bapt.  5), 

ng»  occasianem  tum  Juxbere  cui  debitum  solveres  (de  exh.  casi  10,  cf. 

Oehler  zu  de  pud.  13);  das  Futurum  ftir  den  Optativ  mit  fii/*),  z.  B. 

liaee  erunt  exempla  tavt^  &v  etii  xaQadEtyfioTa  (de  ieiun.  16);  der 

Infinitiv  des  Perfekts  für  den  des  Aorists^),  z.  B.  ostendisse  dAueras 

Idsi  66  ix^sl^ai  (adv.  Marc.  U  16);  multa  dicendum  fuit  xoXkä 

ilqftfiiov  fyf  (de  pall.  3,  cf.  ib.  4   Sardanapalum   tacendum  est), 

exempti  Senium  ä^iftuiivoi  tö  y^gag  (de  pall.  1,  cf.  ib.  2  Tuscia 

Vulsinias  deusta,  Campania  erepta  Pompeios),  gloria  illicitum  est 

(de  virg.  vel.  13  u.  oft  so,  cfl  Oehler  zu  de  pall.  1);   Gebrauch 

transitiver  Verba  als  Intransitivs^  z.  B.  in  der  Schrift  de  pallio 

eruetare  explicare  exierminare  inquietare  mutare  obhumare  producere 

stipare  suspendere'^  Yertauschung  des  Akkusativs  und  Ablativs  bei 

in  wie  im  Griechischen  gerade  auch  jener  Zeit  iv  für  dg  oder 

umgekehrt,  z.  B.  in  insuiis  rdegamur  (apol.  12),  Christianos  esse 

m  causam  (ib.  40).^)    Die  Einwirkung   seiner   Neuerungen   auf 

die  Nachwelt  ist  eine  unberechenbar  grolse  gewesen.    „Er  hat. 


1)  Cf.  EeUner  1.  c.  239. 

2)  Vergü  sagte  zuerst  aen.  X  500  quo  nunc  Turnus  ovtxt  spolio  gau- 
detque  potitus,  [Tibull]  DI  4,  60  nee  gaudet  casta  nupta  Neaera  domo;  etwas 
anders  Orid  a.  a.  I  845  gaudent  tarnen  esse  rogatae,  indem  er  auf  gaudere 
übertr&gt  eine  Konstruktion,  mit  der  Catull  vorangegangen  war:  4,  1  ait 
fudsse  nafnum  celerrimus,  was  wohl  zuerst  Lucan  auf  die  Verba  des  Meinens 
ausgedehnt  hat:  IX  1087  tutumque  putavit  tarn  bonus  esse  socer. 

8)  Cf.  Kellner  1.  c.  288  f. 

4)  Kellner  1.  c.  285,  der  die  Erscheinung  aber  unrichtig  beurteilt. 
Dieses  Infinitivs  haben  sich  seit  Tibull  die  Elegiker  bekanntlich  zur  me- 
trischen Erleichterung  des  Pentameters  bedient. 

5)  Cf.  P.  Langen,  De  usu  praepositionum  Tertullianeo  (Ind.  lect.  Mfln- 
ster  1869/70)  14,  der  aber  unrichtig  von  einer  'Nachlässigkoit'  des  T.  spricht. 


610  ^on  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

sagt  Harnack  (Sitzungsber.  d.  Berl.  Ak.  1895,  ^6)>  ^^^  lateinischen 
Christenheit  die  Sprache  scha£fen  helfen;  vor  ihm  hat  sie  nur 
gestammelt^  von  ihm  hat  sie  reden  gelernt.  Weder  einer  der 
Yulgärdialekte,  wie  wir  sie  in  altlateinischen  christlichen  Schriften 
finden  y  noch  die  Kunstsprache  des  Minucius  und  Lactantius  ist 
zur  Edrchensprache  geworden ,  sondern  die  Sprache  Tertullians, 
wenn  auch  ohne  seine  Extravaganzen  und  mit  der  unverwüstr 
liehen  Politur,  die  ihr  Gyprian  gegeben/'  Wenn  sich  bis  in  die 
romanischen  Sprachen  griechische  Konstruktionen  erhalten  haben, 
so  ist  das  in  letzter  Hinsicht  durch  Tertullians  Praxis,  die  mit 
derjenigen  der  ältesten  Bibelübersetzungen  übereinstimmt,  be- 
dingt, z.  B.  fpikatv  i%(o  amare  häbeo  io  amerö  (c£  Dehler  zu  de 
fug.  in  persec.  12,  Ph.  Thielmann  im  Arch.  £  Lex.  TI  60  £f.),  oW 
8rt  sdo  quod  (quia)  io  so  che:  wenn  wir  erst  eine  wissenschaft- 
liche Darstellung  über  die  Gräcismen  im  Lateinischen  besitzen 
werden,  so  wird  sich  herausstellen,  daüs  das  Griechische,  zunächst 
die  Sprache  der  Gelehrten  und  der  urbanen  Konversation,  indem 
es  sich,  wesentlich  auch  durch  den  Einflufs  des  Christentums, 
zur  Weltsprache  ausbildete,  hauptsächlich  in  den  drei  ersten  nach- 
christlichen Jahrhunderten  ein  bedeutsames  Ingrediens  des  sog. 
Vulgärlateins  geworden  ist,  ein  Prozeüs,  dessen  Anfänge  (s.  oben 
S.  183  f.  193  f.)  man  schon  in  Plautus  (aber  hier  nur  in  geringem 
Mafse)  und  in  Ciceros  Briefwechsel  erkennt,  und  der  durch  Pe- 
trons  Cena  gewissermafsen  urkundliche  Bestätigung  erhält. 

TertuUian,  in  seiner  Sprache  im  einzelnen  der  subjektivste 
und  individuellste  Schriftsteller  und  ein  Verächter  jeder  Tradi- 
tion, ist  in  seiner  Darstellungsweise  im  ganzen,  speziell  in  seinem 
Stil  durchaus  ein  Kind  seiner  Zeit  und  ein  Repräsentant  einer 
mehr  als  halbtausendjährigen  Tradition.  Ich  wü&te  kaum  einen 
andern  griechischen  oder  lateinischen  Autor  zu  nennen,  in  dessen 
Schriften  die  Kontinuität  der  von  den  alten  Sophisten  ausge- 
gangenen Entwicklung  mit  gleicher  Deutlichkeit  zu  erkennen 
wäre  wie  in  den  Schriften  Tertullians.  Mit  unglaublichem  Raf- 
finement versteht  er  es  zhv  ^rroi  X6yov  XQsitrm  xotatVj  seine 
stets  eminent  subjektiven  Ansichten  mit  den  überlieferten  That- 
sachen  der  h.  Urkunden  durch  verwegene  Interpretation  oder 
durch  scheinbar  zwingende  Kettenschlüsse  in  Einklang  zu  bringen^ 
wie  es  einst  die  alten  Sophisten  mit  den  homerischen  Gedichten 
machten,  und  durch  lange  Antithesenreihen  und  Advokatonknifle 


Sp&Üateinifiche  Litteratur:  der  neue  Stil:  Afrika:  Tertollian.     611 

aller  Art  den  Leser  in  seine  turbulenten  Gedankenkreise  zu 
zwängen;  warum  soll  man  sich  scheuen,  die  Wahrheit  zu  s^en: 
in  der  Art  der  Argumentation  unterscheidet  sich  dieser  christ- 
liche Sophist  und  Bhetor  nicht  im  geringsten  von  den  E3opf- 
fechtern  und  Haarspaltern,  die  Piaton  besonders  im  Euthydem 
gezeichnet  hat  —  auch  darin  gleicht  er  den  alten  Sophisten, 
dafs  er  grofsere  oder  kleinere  Gedankenreihen  aus  eigenen  früheren 
Schriften  in  spätere  herübemimmt,  z.  B.  ad  nat.  fast  ganz  aus  dem 
apolog.,  de  virg.  veL  teilweise  aus  de  or.  — ,  und  nur  dadurch  ver- 
söhnt und  erwärmt  er,  dafs  er  das,  was  er  sagt,  wirklich  ftihlt 
und  die  sophistische  Form  nur  als  Mittel  zum  Zweck  betrachtet, 
indem  er  seine  Kunststücke  in  den  Dienst  einer  grolsen  Sache 
stellt«  Wenn  man  die  Bücher  gegen  Marcion  liest,  so  hat  man 
den  Eindruck,  dafis  ein  Sophist  dem  andern  mit  gleichen  Waffen 
zu  Leibe  rückt:  das  Raffinement,  mit  dem  er  die  scharfsinnigen 
Aufstellungen  seines  Gegners  dialektisch  zerlegt  und  widerlegt  und 
dessen  Antithesen  seine  eignen  Antithesen  entgegenhält,  ist  gerade- 
za  staunenerregend  und  erinnert  aufs  lebhafteste  an  die  haai- 
scharfen  XiyyoiJM%üicL  des  Gorgias,  Chrysipp  und  Eleanthes  mit  den 
döicu  der  entgegenstehenden  aCifdesig;  dieselben  Mittel  der  Dialek- 
tik verwendet  er  da,  wo  er  die  griechischen  Philosophen  bekämpft, 
z.  B.  de  test.  an.  2.  Oder  wer  fühlt  sich  nicht  an  altbekannte 
sophistische  Eunststückchen  erinnert,  der  ihn  z.  B.  mit  folgenden 
Worten  auf  seine  Gegner  losfahren  hört,  die  den  Ehebruch  zu 
den  durch  Reue  sühnbaren  Verbrechen  rechneten  und  ihm  durch 
die  Erlaubnis  der  Wiederverheiratung  steuern  wollten:  ctir  ergo 
et  crimina  postmodum  indtdgent  paenitentiae  nomine^  quorum  reme- 
dia  praesiUuunt  mtUtinubentiae  iure?  nam  et  remedia  vacäbunt,  cum 
crimina  indiügentur  ^  et  crimina  manebunt^  si  remedia  vacabunt 
itaqtte  utrdbique  de  soUicitudine  et  neglegentia  ludunt,  praecavendo 
vanissime  guibus  parcunt  et  parcendo  inqptissime  quüms  praecavent, 
cum  aut  praecavendum  non  sit  ubi  parcitur  aut  parcendum  non  sit 
ubi  praecavetur.  praecavent  enim  quasi  nolint  admitti  aliquidf  in- 
dulgent  autem  quasi  velint  admitti;  quando,  si  admitti  nolint,  non 
dAeant  indutgere^  si  induigere  velint,  non  debeant  praecavere  (de 
pud.  1),  oder  auf  diejenigen,  die  aus  der  Thatsache,  dafs  die  h. 
Schrift  die  Bekränzung  nicht  verbiete,  folgerten,  daUs  sie  erlaubt 
sei  (de  cor.  2):  facHe  est  statim  exigere,  ubi  scriptttm  sit  ne  coro- 
nemur.  atenim  scriptum  est,  ut  coronemur?  expostulantes  enim  scrip- 

Korden,  antike  Knnttproia.  II.  40 


f512 


1  Hadrian  bis  b 


1  Bnde  dar  Kaisenwit. 


^ 


turae  pafrocintum  tit  parte  diversa  praeitidicant  sitae  quague  fKJ^H 
scripbtrae  patrodmum  aäesse  debere.  nam  si  ideo  dicäur  coronari 
Ikcre,  guia  non  prohibeat  sa-ip^ra,  aeque  retorguebitur  ideo  coronari 
no»  licere,  quia  scriptura  non  mbcat.  quid  faciet  discipUna?  tttrutn- 
que  redpiet,  qtuisi  neutrum  prohibitum  sit?  an  vtrumque  reiciet, 
quasi  tmttnim  praeceptum  sit?  'sed  quod  non  prohibetur,  uUro  per- 
missum  est")  immo  proh^eUir  qtiod  non  ultro  est  pemnssum{l). 

Eis  (leutliches  Abbild  acicer  Stellung  zur  Sophistik  ist  auch 
sein  Stil  als  Ganzes  betrachtet:  Tertulüan  ist  ein  geradezu  exem- 
plarischer Vertreter  der  'modernen'  Stilrichtung,  die  ich  aus  der 
sophistischen  Kmistprosa  der  platonischen  Zeit  abgeleitet  und 
deren  Charakteristika  ich  früher  (S.  277  ff.  381  ff.  408  S.)  für  die 
Litteratur  der  Kaieerzeit  zu sammeD gestellt  habe.  Es  ist  begreif- 
lich genug,  dafs  die  hervorragendste  Eigentümlichkeit  der  so- 
phistischen Kunstprosa,  die  Antithese,  geradezu  die  Signatur 
des  tertuUiani sehen  Stils  ist:  diese  Figur  war  wie  keine  andere 
geeignet,  den  Gedanken  eines  Mannes  Ausdruck  zu  Yerleihen, 
der  nicht  zum  Aufbauen,  sondern  xum  Zerstören  geschaffen  war. 
Gelegentlich  hat  er  durch  sie  eine  wahrhaft  grofsartige  Wirkung 
erzielt,  so,  wenn  er  in  seiner  Schrift  an  die  Märtyrer  (c,  2)  den 
Nachweis  ftihrt,  dafs  ihr  Kerker  die  wahre  Freiheit  sei^  aber  in 
den  weitaus  meisten  Fällen  hat  er  sie  in  jene  seit  Gorgias  ge- 
läufigen, eug  zuHammengedriingten  und  pointierten  Formen  ge- 
kleidet, die  dem  antiken  Empfinden  ebenso  schmeichelten  wie 
eie  das  unsrige  verletzen;  so  wenn  er  de  pud.  1  ausführt,  die 
Keuschheit  der  Heiden  wäre  nutzlos,  selbst  wenn  sie  existiert 
hätte,  malim  nuilwn  bottum  quam  vanum:  quid  prodest  esse  qmd 
esse  tum  prodest?  oder  ad  nat.  I  5  von  den  falschen  Propheten: 
nOM  xtaHm  sunt  quia  diaintur,  sed  qvia  non  stml  f'ntslra  dicunttir, 
oder  de  pall,  2  sidcrum  distinda  confusio  oder  ib.  vom  toten  Meer 
Mortem  cirtf.  Ära  häufigsten  tritt  die  Antithese  anf  in  der  Form 
de«  (besonders  drei-  oder  viergliedrigen)  isokolischen  Sati- 
'allelismus  mit  Homoioteleuton,  also  jener  Figur,  deren 
■ichte  Hcit  Gorgias  wir  verfolgt  haben,  an  gehobenen  Stellen 
Utiger  Berücksiclitigung  des  rhythtnischen  SatzscbluM 


'«»  dor  Diatribe  Btamniende   {e.  o.  S.  ISS,  I.    S 
•t{)OuLia'  runvmidet   er   anfserord^ntlic'h  oft,  cf  rtwx  ■ 


Sp&ÜateiniBche  Litteratur:  der  neue  Stil:  Afrika:  TertuUian.     613 

über  den  ich  im  Anhang  II  handeln  werde ^  so,  nm  aus  den 
Tausenden  von  Beispielen  nur  ganz  wenige  anzuführen:  de  pudic 
in.  pudicitia  flos  tnorum  honor  corporum  decor  sexuum  (j.  u  }.  j.  ^  ^), 
integritas  sanguinis  fides  generis  fundamentum  sancHtaiis  pradudi- 
dum  cmnis  bonae  mentis  {j.  kj  i.  i.  J),  quamquam  rara  nee  facüe 
perfecta  vixqtie  perpetua  (j.  ^j  i.  ^i^  J),  tarnen  aliquatenus  in  saeculo 
moräbitur,  si  natura  praestruxerit  {j.  ^  i.  j.  ^  ^)  si  disciplina  per- 
suaserit  (^  u  a.  z  ^  6)  si  censura  conipresserit  (j.  kj  i.  jl  k^  ^),  siquidem 
amne  animi  honum  aut  nasdtur  aut  eruditnr  attt  cogitur  (j.  y^  i^  j.  ^  ^). 
sed  ut  nuüa  magis  vincunt  (o^  u  ^.  j^  _);  quod  ultimorum  temporum 
ratio  est  {j.  ^  ^  s^  J),  bona  iam  nee  nasci  licet  ita  corrupta  sunt 
semina  {j,  kj  i.  j.  ^  ^)  nee  erudiri  ita  deserta  sunt  studia  (^  u  i.  o^  u) 
nee  cogi  ita  exarmata  sunt  iura  {j.  kj  ^  j.  J)y  ib.  3  i.  f.  ita  nee  paenir 
tenOa  huiusmodi  vana  nee  disciplina  eiusmodi  dura  est.  deum  anibae 
honorant.  üla  nihil  sibi  blandiendo  facilius  impetrdbitj  ista  nihil  sibi 
adsumendo  plenius  adiuvabit,  de  test.  an.  1  novum  testimonium  ad- 
voeOj  inimo  omni  litteratura  notius  omni  doctrina  agitatius  omni 
edüione  vulgoHus  toto  homine  maiuSy  id  est  totum  quod  est  hominis. 
consiste  in  medio  anima:  seu  divina  et  aetema  res  es  secundum 
plures  phüosophos^  eo  magis  non  mentieris:  seu  minime  divina,  quo- 
niam  quidem  mortaliSj  ut  Epicuro  soli  videtur,  eo  magis  mentiri 
non  äAAis:  seu  de  eado  exciperis  seu  de  terra  conciperis  seu  nur 
meris  seu  aiomis  concinnaris  seu  cum  corpore  incipis  seu  post  cor- 
pus induceriSf  undeunde  et  quoquo  modo  hominem  facis  animal 
rationale  sensus  et  scientiae  capacissimum ,  ib.  5  haec  testimonia 
ammae  quanto  vera  tanto  simplicia,  quanto  simplicia  tanto  vulgaria, 
gwnUo  mdgaria  tanto  eommuniay  quanto  co^nmunia  tanto  naturalia, 
quanto  naturalia  tanto  divina.  de  pall.  1  tamen  et  vobis  habitus 
dliter  olim  tunicae  fuere  et  quidem  in  fama  de  subteminis  studio  et 
Itfuitiiis  eoncüio  et  mensurae  temperamento,  quod  neque  trans  crura 
proäigae  nee  intra  genua  inverecundae  nee  bracdiiis  parcae  nee 
mumibuß  artae^  ib.  2  ceteri  quoque  eius  omatus  quid  non  aliud  ex 
dUo  mukmiy  et  monUum  scapulae  decurrendo  et  fontium  venae  ca- 
viOando  et  fhminum  viae  dbhumando;  de  pud.  Sita  primofdio 
Beamdum  oecasiones  paräbolarum  ipsas  materias  confinxerunt  doc- 
tnnammf  de  cor.  3  hanc  (coronam)  si  nulla  scriptura  determinavit, 
eerle  eanmietiido  eorreboravit,  quae  sine  dubio  de  traditione  manavit, 
ib.  15  ri  totes  imagines  in  visionCy  quales  veritates  in  repraesenta- 
Hone?  de  test  an.  6  suspectam  habe  cofivenientiam  praedicationis 

40* 


614  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

in  tanta  disconvenientia  conversationis.  Diesem  Parallelismus  zu- 
liebe hat  er  oft  zu  ungewohulichen  Wortformen  und  Konstruk- 
tionen gegriffen,  eine  Erscheinung,  die  ich  f&r  mehrere  griechische 
und  lateinische  Schriftsteller  im  Greifswalder  Prooemium  Ostern 
1897  festgestellt  habe,  die  bei  Tertullian  aber  einer  eignen  Unter- 
suchung bedarf^),  vgl.  etwa  de  yirg.  vel.  17  fadem  üa  tegunt,  ut 
uno  ocülo  liberato  contentae  sint  dimidiam  frui  lucem  qiuifn  iotam 
fadem  prostituere,  adv.  Marc.  I  1  feritas  fabulas  scaenis  dedit  de 
sacrifidis  Taurorum  et  amorUms  Colchorum  et  crucä^us  Caueasorumf 
apol.  46  philosophus  famae  negotieUor,  verborum  et  factorum  Operator^ 
rerum  destructor,  veritatis  interpolator  et  furatar,  wo  opercftor  de- 
structor  furator  Neubildungen  zuliebe  den  andern  Substantiven 
sind.^)  Wenn  man  endlich  noch  hinzunimmt  die  massenhaften, 
für  unser  Gefühl  meist  höchst  frostigen  Wortspiele,  z.  B.  ad 
nat.  I  3  nomen  (der  Ohristenname)  in  causa  est,  qxiod  quaedam 
occulta  vis  per  vestram  ignorantiam  oppugnat,  tU  nolüis  sdre  pro 
certo  qiAod  vos  pro  certo  nescire  certi  estis  (cf.  Pers.  sai  1,  27),  ib.  8 
fidem  vestram  vanüaübus  potius  quam  veritatibus  deditamy  apol.  50 
ad  lenonem  damnando  Christianam  potit^s  quam  ad  leonem,  de  pud.  2 
limitem  liminis,  adv.  Marc.  I  1  quis  tarn  castrator  camis  castor  quam 
qui  nuptias  abstulit,  ib.  UI  13  infantes  Pantid  qui  ante  normt  lem- 
ceare  quam  landnare  (kauen),  de  yirg.  veL  17  dum  in  capite  secura 
estf  nuda  qua  maior  est  capitur  tota  cum  capite^),  so  wird  man 
behaupten  dürfen,  dafs  Tertullian,  der  ernste  Eiferer,  sich  von 
Appuleius,  dem  nichtigen  Flattergeist,  in  den  äulseren  Mittel- 
chen, mit  denen  er  seinen  Stil  aufputzt,  gar  nicht  unterscheidet^): 
beide  haben  in  die  lateinische  Sprache  übertragen,  was  sie  bei 
den  griechischen  Rhetoren  lernten,  die  ihrerseits  Sophisten  vom 
reinsten  Wasser   waren,    würdige   Nachfolger   des   Gorgias   und 


1)  Cf.  auch  Fr.  Ritter  1.  c.  (o.  S.  596,  2). 

2)  Cf.  Jos.  Schmidt,  De  nom.  verb.  in  tor  et  triz  desinentiiiin  ap.  T. 
copia  (Gynm.-Progr.  Erlangen  1876)  12. 

3)  Andere  Beispiele  bei  E.  Noeldechen,  Tertullian  (Gk)tha  1890)  483,  1. 

4)  Man  vergleiche  z.  B.  die  Schilderung  des  Pfaus  (de  pall.  8)  pavo 
pluma  vestis  et  quidem  de  caJtaclisHs,  immo  omni  conchylio  pressior  qua  catta 
florent  et  amni  patagio  aurcUior  qua  terga  fulgent  et  omni  syrmate  soMior 
qua  caudae  iacent,  multicolor  et  discolor  et  veraicolor,  numquam  ipaa  semper 
alia  et  semper  ipsa  quando  alia^  toties  d^nique  mtUanda  quoties  movenda 
mit  den  i%(pQdasiß  der  Florida. 


e  Lhlentnr:  der  neae  Stü:  Afrika:  Tertallian.     i>15 

Hegesias.  Mmn  kann  daher  aa«  Tertnllian  för  Appuleius  etwas 
lernen:  die  duiXd^is  des  letzteren,  aus  denen  unsere  Florida  be- 
kanntlich AnsKfige  sind,  haben  wir  uns  in  ihrer  Tollstandigen 
Gestalt  genan  nach  Analogie  der  Schrift  Tertullians  De  pallio 
zu  denken;  die  Veranlassung  ist  hier  wie  dort  eine  personliche, 
die  aber  im  weitem  Verlauf  hinter  der  sophistischen  Schau- 
stellung pmnkhaften  Wissens  Ton  allerlei  mehr  oder  weniger 
tändelndem  und  amüsantem  Raritätenkram  zurücktritt  oder  fast 
ganz  verschwindet.^)  Dagegen  sind  Cyprian  und  Lactanz  seine 
stilistischen  Widersacher:  Tertnllian  verhält  sich  zu  dem  behag- 
lich breiten  und  nie  übermä&ig  leidenschaftlichen  Cyprian  wie 
Tacitus  zu  Livins  (was  um  so  stärker  hervortritt,  weil  Cyprian 
inhaltlich  in  bewulster  Abhängigkeit  von  ihm  steht:  man  lese 
nebeneinander  z.  B.  Tert.  de  patientia  und  Cypr.  de  bono  patieu- 
tiae)|  zu  dem  urbanen,  maCs vollen  ^  im  Stil  weder  zu  knappen 
noch  SU  breiten  Tiactanz  (cf.  dessen  verwerfendes  Urteil  über 
den  Stil  Tertullians  div.  inst.  V  1)  wie  die  Deklamatoren  bei 
Seneea  zu  Cüeero. 

Wie  ftr  Appuleius,  so  gebrauchen  wir  f&r  Tertullian  drin- 
gend eine  sprachliche  und  stilistische  Analyse,  femer  einen  Kom- 
mentar in  der  Art,  wie  wir  ihn  von  Salmasius  besitzen  zu  De 
pallioy  der  schwierigsten  Schrift  in  lateinischer  Sprache,  die  ich 
gelesen  habe. 

4.  Der  Stil  der  Predigt  in  Afrika. 

Wir  haben  oben  (S.  550  S.)  gesehen ,  dals  die  entwickelte  Aiig^ 
Predigt  sich  die  Mittel  der  profanen  Rhetorik  angeeignet  hat, 
and  aaeh  die  Gründe  dafür,  dafs  es  so  geschehen  muTste,  kennen 
gelernt.  Die  allgemeinen  Verhältnisse  waren  im  Westen  zwar 
dieselben  wie  im  Osten;  die  Weltreligion  konnte  nicht  in  der 
Spradie  der  Bergpredigt  verkündet  werden.  Aber  im  einzelnen 
miib  doeh,  wie  bereits  früher  (S.  573  £f.)  angedeutet  ist,  ein  ge- 
wieser unterschied  konstatiert  werden.  Im  Osten  wurde  die 
helleniaelie  Knltor  verhaltnismäfsig  rein  durch  eine  Reihe  von 
Jelmliimderten  bewahrt,  es  war  eben,  wenn  auch  ein  greisen- 


1)  Bas  griechische  Gegenstück  ist  die  o.  S.  422  ff.  besprochene  Rede 
des  wafOEUL 


616  ^on  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeit. 

hafteS;  80  doch  ein  einheitliches  und  durch  das  Band  derselben 
Sprache   zusammengehaltenes   Reich;   im  Westen   d^egen  fand 
die  lateinische  Kultur  ihre  Mission  darin,  die  Barbarenvölker  in 
ihre  Kreise  zu  ziehen,  mit  ihnen  eine  Art  von  Yerschmelzungs- 
prozefs  einzugehen,  wodurch  sie  notwendig  degenerieren  mulsie. 
So  erklärt  es  sich,  dafs   die  Predigten  etwa  des  Augustin  oder 
Caesarius  von  Arles  formell  betrachtet  nicht  auf  der  Höhe  derer 
des  Joannes  Chrysostomos  oder  des  Proklos  von  Konstantinopel 
stehen:  jene  konnten  ihrem  Publikum  nicht  dasselbe  zumuten 
wie  diese ;  sie  mulsten  auf  ein  niedrigeres  Niveau  herabsteigen, 
um  verstanden  zu   werden.     So   kommt  es,  daCs  die  Predigten 
der  Occidentalen  viel  mehr  als  die  der  Orientalen  den  Eindruck 
von  Unterhaltungen  des  Geistlichen  mit  seiner  Gemeinde  machen, 
also  viel  weniger  dem  ursprünglichen  Sinn  der  Predigt  entfremdet 
wurden,  als  die  mit  der  Sophistik  fast  ganz  verschmelzenden  des 
Orients.     Freilich  hat  es  auch  im  Occident  Prediger  gegeben, 
die   die   Mittel   der   profanen  Rhetorik  in  umfangreicher  Weise 
verwendet  haben:   das  beweisen  nicht  blofs  die  Angriffe,  die  sie 
wegen  ihres  deklamatorischen  Stils  seitens  ihrer  Kollegen  zu  er- 
dulden  hatten   (s.  o.  S.  553),  sondern  auch  die   gemälsigt  rhe- 
torischen Predigten  des  Ambrosius,   die   hochpathetischen  eines 
Hilarius  von  Poitiers.     Aber  das   waren   doch  nur  Ausnahmen. 
Im  allgemeinen,  muTs  man  sagen,  hat  sich  seit  dem  dritten  Jahr- 
hundert in  allen  Kulturländern  des  Westens  eine  eigne  Art  von 
Predigtstil  entwickelt,  der  sich  zwar  von  der  in  völligen  Schwulst 
und  Raserei  verfallenden   sophistischen  Diktion  durch  eine  dem 
vulgären  Verständnis    angemessene    Sprache   vorteilhaft   abhebt^ 
der   aber   auch   seinerseits   keineswegs   auf  gewisse,   die    Sinne 
stark  erregende,  rhetorische  Klangmittel  verzichtet. 
Die  Theorie         Als   ciust   Gorgias   die   in   Olympia  versammelten  Hellenen 
wie  ein  Priester  in  feierlicher  Rede  apostrophierte,  da  bezauberte 
er  sie  durch  jene  Klangmittel,  die  von  ihm  den  Namen  erhielten 
und  unsterblich  werden  sollten.    Mit  ihnen  haben  die  christlichen 
Prediger  die  Ohren  ihrer  Gemeinde  bezaubert,  deren  Herzen  sie 
durch  den  Inhalt  ihrer  Lehre  gewannen.     Wir  haben  schon  ge- 
sehen (S.  562  ff.),  wie  reichlichen  Gebrauch  von  ihnen  die  grofsen 
Prediger    des    Ostens   machten:   in   noch   erhöhtem   MaTse   gilt 
es    von   denen   des   Westens.      Die   Signatur   des    Stils   der 
christlichen    Predigt   in   lateinischer    Sprache    ist    der 


Spätlat.  Litteratur:  der  neue  Stil:  Afrika:  die  Predigt.  (317 

antithetische  Satzparallelismas  mit  Homoioteleutoiiy 
nicht  etwa;  wie  der  Semitist  vielleicht  denken  kÖDnte,  jener 
^parallelismas  membrorum',  wie  er  sich  in  der  hebräischen  Poesie^ 
den  Reden  der  Propheten^  den  Beden  Jesus  findet  (er  war  ganz 
anderer  Art;  vgl.  Anhang  I),  sondern  derselbe,  deu  in  griechischer 
Bede  Gorgias  begründet  hatte  und  dessen  Geschichte  in  den 
Sprachen  beider  Völker  wir  verfolgt  haben.  Kein  anderer  uls 
Augnstin  selbst  hat  uns  das  gesagt.  Seine  vier  Bücher  De  doc- 
trina  Christiaua  enthalten  die  erste  christliche  Homiletik,  aufge- 
baut, wie  er  selbst  überall  durch  direkte  Gitate  eingesteht,  ganz 
und  gar  auf  der  saectdaris  sapientia  (s.  o.  S.  526).  Der  grofse  Lehr- 
meister war  Cicero,  der  atictor  Baniani  eloquiiy  wie  er  ihn  nennt 
(lY  34).  Die  drei  ersten  Bücher  enthalten  die  Lehre  von  der 
invmtiOy  das  vierte  die  von  der  eloctäio;  die  Grundlage  des  letz- 
teren bildet  das  von  ihm  öfters  direkt  citierte  Werk  Oiceros  De 
oratore.  Er  unterscheidet  danach  die  drei  genera  dicendi:  das 
stännissum,  das  tempercttum^  das  grande\  das  erstere  komme  in 
Betracht  wesentlich  für  das  docere,  das  zweite  für  das  movere^ 
das  dritte  für  das  flectere.  Würde  der  Prediger  nur  'belehren' 
wollen  und  also  die  ^niedrige'  Bedeart  anwenden,  so  würde,  sagt 
er  (§  26),  ad  pamoos  quidem  studiosissimos  shias  pervetiire  fnicim, 
qui  ea  guae  discenda  swntj  quamvis  abiecte  inculteque  dicantiir,  scire 
desiderant.  guod  cum  adqpti  fuerint,  ipsa  delectabüiter  veritate  pa- 
scmntwr^  banorumgue  ingeniorum  insignis  est  indölesj  in  verbis  vertitn 

amare  non  verba Sed  quoniam  inter  se  liabent  nonnullam  simüi' 

Uidinem  vescentes  atque  discentes,  propter  fastidia  plurimorum 
etiam  ipsa  sine  quibus  vivi  non  potest  alimenta  condienda 
sunt  Das  aber  leiste  nicht  das  sübmissum  genus^  sondern  die 
beiden  andemi  in  denen  die  delectatio  freilich  nicht  Selbstzweck 
werden  dürfe,  aber  als  Mittel  zum  Zweck  des  movere  und  flectere 
erlaubt I  ja  nötig  sei  Die  delectatio  bestehe  in  den  ornamenta 
verhorum,  Fflr  ihre  Verwendung  im  temperattim  genus  giebt  er 
als  Beispiele  einige  Stellen  aus  Paulus'  Briefen,  die  ich  schon 
oben  (S.  503  ff.)  angeführt  habe:  sie  bestehen  aus  fortlaufen- 
den Antithesenreihen,  wozu  Augustin  bemerkt  (§  40):  totus 
fere  locus  temperatwm  habet  docutionis  genus,  ubi  illa  pulchriora 
sunt,  in  quibus  propria  propriis  tamquam  debita  reddita^) 


1)  Die  Aosdrücke  nach  Cic.  de  or.  U  268.  or.  164  ff. 


«19 


Ton  Hadri»a  kii  mm  Ende  der  Kaiaeneit 


^llecenter  czcurrunl.    Er  giebi  dann  fBr  diese  Diktion  Beispiele 
tun»  Cyprian  und  Anibrosius,  in  denen  die  Figur  des  Satzparalle- 
liamuit    (propria   proprih    tantquam   dcbita   reddita)    mit    stArkea 
lEumoioteleuta  herracht,  z.  B.  Cyprian  de  habitu  virginam  c.  24: 
}u,omodo  jyortavimiis  imaginem  eius  qui  de  limo  est,  sie  portavimus 
t  imaginem  eiua  qui  de  caelo  est.   liaitc  itnaginem  virginilas  portat, 
jrlat  integritaa,  sanctilas  portat  et  Caritas,  portant  äisctpUnae  de» 
memores,  iustitiam  cum  religüme  retinentes,  stabiles  in  fide,  humües 
Win   iimore,   ad  omncm   toleranliam   forles,   ad  suslinendas  iniurias 
Wmitas,  ad  faciendam  misericordiam  faciles,  fratema  pace  unaninKS 
,  aique  concordes.    Im  gründe  genus  dürften  die  omamenta  verhorum 
L  faet  nlie  vorkommen,  aber  mit  dem  Unterschied,   dafa  sie  hier, 
,  die  Äfi'ekte  aufs  höchste  zu  steigern,   nicht  gerade 
iht  wflrdeo,  wenn  sie  sich  nicht  von  selbst  darboten:  daher 
t  «r  nach  dem  Citat  einer  hochpathetischen  Stelle  des  Paulus 
i  44:  nwmquid  hie  aut  contraria  contrariis  verba  sunt  red- 
dita?  woraus   man   sieht,   wie    wesentlich   ihm   diese  Figur  bei 
dem  mittleren  Genus  erschien.'} 
•  Wie  stellt  sich  nun  zu  dieser  Theorie  die  Praxis?    Ich  be- 

schränke mich  in  diesem  Abschnitt  auf  die  Afrikaner  und  wühle 
auch  aus  ihnen  nur  zwei  aus:  aufser  Augustin  selbst  Cyprian, 
denn  ihn  darf  man  unbedingt  unter  die  Prediger  stellen,  weil 
die  meisten  seiner  Briefe  und  Traktate  (ganz  wie  der  zweite 
sog.  Clemensbrief)  nichts  anderes  sind  als  geschriebene  Predig- 
:  citiert  doch  auch,  wie  wir  sahen,  Augustin  den  CypriBn 
-  d«n  Stil  der  Predigt. 

prian  wurde  schon  in  alter  Zeit  als  Stilist  dem  Tei^ 

seinem    Lehrer,    mit    ähnlichen  Ausdrücken    gegenüber^ 

dlt,  wie  einst  Livins  dem  Sallnst,')    Wie  seiner  Persönlich- 

Bo   ist   auch   seinem   Stil   der  Stempel  der  Uilde  und  de« 

ns  aufgedrückt    Er  ist  daher  der  erst«  christliche  Scbrifl- 

in   Uteiniacher    Sprache,    dessen    in    behaglicher    Breite 

fthinfiiersender,    mit  Btbelstellen  durduogener  Stil  etwas 

1  salbungSTollen  Ton  der  Fredigt  hat  (wie  im  GnedüaelMa 

ilie  des   sog.  zweiten  Clemeoshriefe):   qime  wte 


^  SOS,  1)  «^tfthrte  8M1«  ic  cn.  da  S 
*-****■*—■  m  dfr  W«Ha*4ang  «ad 


M 

M 


Sp&Üat  Litteratur:  der  neue  Stil:  Afrika:  Cjprian.  619 

sagt  Augustin  adv.  Donat.  Y  17,  e^  saepe  repetmtem  non  satiant. 
tania  ex  eis  iuctinditas  fratemi  amoris  exhälat,  tanta  dukedo  cari- 
tatis  exvibenxty  und:  heaius  Cyprianus,  velut  oleum  decurrens  in  om- 
nem  suavitatem,  wie  sich  Gassiodor  (de  inst.  div.  litt.  c.  19)  Ise- 
aseidmend  aasdrückt.  Er  war  bekanntlich  de  rlietore  Christiamtö 
geworden  und  hat  seinen  einstigen  Beruf  in  seinem  Stil  nie  yer- 
leugnet.^)  Über  diesen  hat  kürzlich  E.  Watson  a.  a.  0.  (oben 
S.  593,  1)  vortrefflich  gehandelt:  ich  kann  für  alle  Einzelheiten 
auf  diese  Arbeit  verweisen,  aus  der  zu  ersehen  ist,  von  welchen 
Gresichtspunkten  ein  Autor  dieser  Zeit  stilistisch  betrachtet 
werden  muls.*)  Die  Signatur  seines  Stils  ist  der  Satzparalle- 
lismus  mit  Homoioteleuton;  die  Beispiele  sind  so  überaus 
zahlreich,  daCs  ich  mich  damit  begnügen  mufs,  aufser  dem  be- 
reits von  Augustin  citierten  (s.  o.  S.  618)  ein  paar  beliebig 
herauszugreifen:  ep.  76,  2: 

conservomtes  firmiter  dominica  mandata: 
in  sitnplicitate  innocentiam, 
in  caritate  concordiam^ 
modestiam^  in  humilitaUj 
düigentiam  in  administrationej 
frigüantiam  in  adiuvandis  läborantibuSf 
misericordiam  in  fovendis  pauperibus, 
in  defendenda  veritcUe  constantiamy 
in  disciplinae  severitate  censuram. 


1)  Cf.  aufser  den  bekannten  Stellen  (ib.  §  882,  1)  noch  Gassiodor  1.  c. 

(nach  den  angefahrten  Worten) :  declamator  ifisignis  doctorque  mirahüis 

fNier  äUa  guae  nobia  facundiae  suae  clara  monimenta  derelinquit,  in  exposi- 
Hone  CfaÜoma  dtnnnUeae  gwie  contra  suhrepentia  vitia  veltU  invicttis  ch'peus 
»emper  oppamtur,  UheUum  declamatoria  venustate  conscripsit  —  Watson  1.  c. 
106  bonerkt,  dafs  G.  (wie  Tertullian:  s.  o.  S.  611)  nicht  selten  sich  selbst 
wArtiüoh  aoBBchreibt:  so  haben  es  die  Rhetoren  seit  dem  V.  Jahrh.  y.  Ghr. 
ffduilteiL 

S)  Was  er  jedoch  p.  217  ff.  über  den  rhythmischen  Satzschlufs  vor- 
liriiigt,  ist  meist  falsch,  was  mich  umsomehr  wundert,  als  er  W.  Meyers 
bahnlnechende  Arbeit  kennt.  Ich  komme  darauf  später  zurück.  —  Was  er 
ferner  p.  8fi6  ff.  als  'parataxis'  bezeichnet,  hätte  vielmehr  noXvnrtotov  oder 
ma^OftoiaMtg  genannt  werden  müssen. 

8)  Den  Chiasmus,  den  er  Öfters  anwendet,  hat  er  dem  Minucius  Felix 
abgelemt:  die  stilistische  und  inhaltliche  Abhängigkeit  von  diesem  gek 
noch  yiel  weiter  als  man  annimmt. 


620  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  KaJBeneit. 

ib.  c.  2  0  pedes  fdiciter  vindi, 

qui  nan  a  fälso  sed  a  Domino  resolvuntur. 

0  pedes  fdicUer  vincti, 

qui  itinere  saiutari  ad  paradisum  dirtguntur. 

0  pedes  in  saeculo  ad  praesens  ligaü, 

tU  sint  semper  apud  deum  liberi. 
(Anderes  bei  Watson  1.  c.  221  £f.).  Unter  den  andern  Elang- 
mitteln  ränmt  er  der  Allitteration  einen  bedeutenden  BAum 
ein  (I.  c.  225  f.),  z.  B.  de  cathol.  eccl.  unit.  11  hos  eosdem  denuo 
DominiLS  designat  et  denotat  dicens\  sie  steigert  sich  zur  Parono- 
masie,  cf.  in  der  zuerst  eitierten  Stelle  ventate-severUaie^  Worte 
desselben  Stammes  werden  sehr  oft  nahe  beieinander  oder  an 
entsprechende  Stelle  der  Kola  gestellt:  ad  Demetr.  16  cum  statu 
oris  et  corporis  animum  tuum  statue,  ep.  58,  2  et  vivit  in  aeter- 
num  et  vivificat,  ep.  65,  2  qui  idolis  sacrificando  sacrilegia  sacri- 
ficia  fecerunt,  sacerdotium  dei  sibi  vindicare  non  possunt,  de  habitu 
yirg.  17  deum  videre  non  poteris,  quando  oculi  tibi  non  sunt  quos 
deus  fecit  sed  quos  diaholus  infecit  (L  c.  226  f.).  Der  durch  eine 
Masse  synonymer  Ausdrücke  oft  übermäüsig  angeschwellte  Aus- 
druck (1.  c.  230  ff.)  pafst  gut  zu  dem  feierlich -erbaulichen  Ton 
des  Ganzen.^) 

Einen  ganz  andern  Ton  schlägt  er  dagegen  stellenweise  in 
der  durch  ihre  glänzende  Darstellung  und  ihren  nicht  dogma- 
tischen Ton  auch  für  den  Philologen  anziehendsten,  sittengeschicht- 
lich wichtigen  kleinen  Schrift  Ad  Donatum  an.  Dort  kommt  in 
der  Einleitung  ein  Satz  vor,  der  durch  seinen  (ganz  an  die  Meta- 
morphosen des  Appuleius  erinnernden)  Schwulst  Augustins  Auf- 
merksamkeit erregte:  de  doctr.  Christ.  lY  31  Hn  populo  autem 
gravi  de  quo  dictum  est  deo  laudabo  te*  (ps.  XXXTV  18),  nee  iUa 
suavitas  ddectäbüis  est,  qua  non  quidem  iniqua  dicuntur,  sed  exigua 
et  fragüia  bona  spumeo  verborum  anibitu  omantur^  quali  nee  magna 
atque  stabüia  decenter  et  graviter  omarentur.  est  täte  aliquid  in 
epistola  beatissimi  Cypriani,  quod  ideo  puto  vel  accidisse  vd 


1)  Cf.  Fän^on,  Dialognes  sor  rdloquence  (Paris  1718)  227.  B.  Samt 
Oyprien,  qu'en  dites-vous?  N'est-ü  pas  atMsi  enfU  (sc.  comme  TertuUien)? 
A.  II  Vest  8<ms  deute.  On  ne  pouvoU  gueres  etre  autrement  dans  son  siicie 
et  dans  son  pays.  Mais  quoique  son  etile  et  sa  diction  sentent  Fenflure  de 
son  tems  et  la  dwreti  Äfricaine,  il  a  pourtant  beaucoup  de  force  et  d'Elo- 
guence. 


Sp&tlat.  Litteratur:  der  neue  Stil:  Afrika:  Cjprian,  Augustin.    621 

cansülto  factum  esse,  ut  scirettir  a  posteris,  quam  linguom  doctrifiae 
chrisHanae  sanitas  ab  ista  redundantia  revocaverit  et  ad  eloquentiam 
graviorem  modestioremque  restrinxerit,  qualis  in  eius  cofiseqtientibus 
litteris  secure  amattir,  religiöse  appäitur,  sed  difficillime  impletur. 
ait  ergo  guodam  loco  (c.  1)  ^petamus  hanc  sedem:  dant  secessum 
vidna  secreta,  uhi  dum  erraiici  palmitum  lapsus  pendulis  nexibi^  ^) 
per  arundines  baiulas  rqptant%  viteam  particum  frondea  teda  fece- 
runt'  non  dictmtur  ista  nisi  mirabiliter  afluentissinia  fecunditate 
faamdiae,  sed  profusione  nimia  gravitati  displicent.  qui  vero  Jiaec 
amant,  profecto  eos  qui  non  ita  dicunt  sed  castigatius  eUquuntur^ 
ncn  passe  ita  eloqui  existimantf  non  iudicio  ista  devitare.  quapropter 
iste  vir  sanctus  et  posse  se  ostendit  sie  dicere,  quia  dixit  alicübiy  et 
noUey  quoniam  postmodum  nusquam.  Man  sieht  hieraus  deutlich, 
dafs  nach  Augustins  Ansicht  der  manierierte  Schwulst  der  so- 
phistischen Prosa  von  der  spezifisch  christlichen  Beredsamkeit 
ausgeschlossen  wurde ,  während  er  ihre  zierlichen,  durch  das 
lledium  der  Ohren  auf  die  Sinne  wirkenden  Klangfiguren  im 
vollen  Umfang  bestehen  liefs. 

Augustin  ist  auch  als  Stilist  die  gewaltige,  Vergangenheit  Augaitij 
und  Nachwelt  überragende  Persönlichkeit.  Nicht  die  in  mehr 
klassischem  Stil  und  (soweit  das  möglich  war)  klassischer  Sprache 
verfafirten,  an  die  ganze  gebildete  Welt  gerichteten  grofsen  Werke 
kommen  hier  für  uns  in  Betracht,  sondern  seine  für  das  Volk 
bestimmten  Predigten,  denn  in  diesen  hat  er  den  Stil  angewandt, 
der  die  Sinne  seiner  Zuhörer  packte,  weil  er  nicht  gelehrt  ar- 
chaisierend war,  sondern  durch  tausendjährige,  ununterbrochene 
Fortentwicklung  seine  ünverwüstlichkeit  bewiesen  hatte.  In 
diesen  Predigten  herrscht  der  von  ihm  theoretisch  empfohlene 
(s.  o.  S.  617  f.)  Satzparallelismus  mit  Homoioteleuton  in 
einem  noch  höheren  Grade  als  bei  Gyprian.  Die  sich  jedem 
Leser  aufdrangende  Thatsache  ist,  freilich  ohne  dafs  man  die 
theoretischen  Äulserungen  Augustins  herangezogen  oder  gar  die 
nach  rückwärts  und  vorwärts  fahrenden  Fäden  erkannt  hätte, 
öfters  herroi^ehoben  worden,  nicht  etwa  blofs  von  Neueren  wie 
E.  WölSFlin')   und  A.  Reignier^),   sondern   natürlich   schon   von 

1)  nexQms  pendulis  unsere  CyprianhsB. 

%)  rtpunt  dieselben. 

S)  „Der  Beim  im  Lateinischen**  in:  Archiv  f.  lat.  Lexicogr.  1  (1884)  360  ^ 

4)  De  la  latinitä  des  sermons  de  S.  Augustiu  (Paris  1886)  115  ff. 


622  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiseneit. 

Älteren;  wie  Matth.  Dresser  ^)  und  Thom.  Gampanella.^  Als  Probe 
kann  jede  beliebige  Stelle^  dienen,  z.  B.  die  Condnsio  des  serm. 
199,  2  (38,  1028  Migne) : 

eo  fMScente  superi  novo  honore  clanierunt, 
quo  moriente  inferi  novo  timore  iremuerufU, 
quo  resurgente  discipuli  novo  amore  exarserunt, 
quo  ascendente  codi  novo  dbsequio  patuerunt. 

serm.  219  (ib.  1088)  g.  K: 

vigüat  iste,  ut  laudet  mecUcum  liberatus, 
vigüat  ille,  ut  blasphemet  iudicem  condemnatus. 
vigüat  iste  mentibus^)  piis  fervens  et  lucescens, 
vigilat  iUe  dentibus  suis  frendens  et  tabescens 
denique  istum  Caritas 

iUum  iniquitaSj 
istum  Christianus  vigor 
illufn  diabolicus  livor 
nequaquam  dormire  in  hoc  celebritate  permütiL 

serm.  191,  1  (ib.  1010)  das-  dem  hoben  Sto£f  entsprechend  pom- 
pös ausgestattete  Proomium  einer  Weihnachtspredigt: 

ipse  apud  patrem  praecedit  cuncta  spatia  saeculorum, 
ipse  de  matre  in  hoc  die  cursibus  se  ingessit  annorum. 

homo  (actus  hominum  faotor^ 

ut  sugerel  ubera     regem  sidera, 

tU  esuriret  pcmis 

ut  sitiret  fons 
dormiret  lux, 
ab  itinere  via  fatigaretur 
falsis  testibus  veritas  accusaretur^ 

iudex  vivorum  et  mortuorum  a  iudice  mortali  iudicaretur 
ab  iniustis  iustitia  damnaretur, 
flageUis  disciplina  caederetur 


1)  Bhetoricae  inventionis,  dispositionis  et  elocutionis  libri  IV  (Lips. 
1584)  617. 

2)  Bhetorica  («=»  rationalis  philosophiae  pars  tertia,  Paris  1688)  75. 

3)  Ich  wähle  sie  aus  den  Zusammenstellungen  Beigniers. 

4)  Nur  wegen  dentibus.  Derartiges  mit  unserm  Beimzwang  Vergleich- 
bare findet  sich  bei  ihm  massenhaft,  vgl.  meine  Abhandlung  über  Minucius 
Felix  1.  c.  (o.  S.  614)  16  fif. 


Sp&üflt.  Litteratar:  der  neue  Stil:  Afrika:  Augustin.  623 

spinis  hotrus  coronaretur 

in  ligno  fundamentum  suspenderetury 

virtus  infirmaretur 

Salus  vulneraretur 

vita  moreretur. 
Dazu  kommen^  wie  bei  Cyprian,  nur  ebenfalls  quantitativ  viel 
zahlreichere  Wortspiele  (cf.  Reignier  116  ff.);  wie  distulit  securim, 
dedU  securitatem  (72,  2),  habens  in  deo  sandos  amores  et  ideo  bonos 
mores  (78,  3),  cetera  onerant,  non  honorant  (85,  5),  die  ^haibeo'  sed 
*db  eo*  (94,  14),  quid  strqpis,  o  munde  immunde  (105,  6),  est  enim 
severitas  quasi  saeva  veritas  (171,  5)  u.  s.  w.,  Metaphern  (Rei- 
gnier 129  ff.),  wie  0  si  possent  inspicere  agrum  cordis  suij  profecto 
lugerenty  dum  ün  non  invenirent  quod  in  os  mentis  mitterent  (8,  7), 
ouncm,  paUorem  terrae;  argentum,  livorem  terrae;  honorem,  tem- 
poris  fumum  (19,  5)  u.  s.  w.  Gewifs,  uns  kommt  das,  wie  man 
gesagt  hat^),  geschmacklos  und  gesucht  vor,  aber  wie  einst 
Gorgias  durch  eben  solche  Spielereien  die  Athener  elektrisiert 
hatte,  wie  zu  Augustins  Zeit  im  Osten  die  griechische  Gemeinde 
den  gleichen  Spielereien  des  Gregor  von  Nazianz  zujubelte,  so 
&nd  Augustin  im  Westen  ein  für  derartiges  begeistertes  Publi- 
kum. An  einer  Stelle  vergleicht  er  die  Welt  mit  dem  Schöpfer: 
grols  sei  jene  gröiser  dieser,  schön  jene  schöner  dieser,  lieblich 
jene  süfiser  dieser,  dann  gewissermafsen  nagä  ngoedoxlav  die 
Antithese  des  Gedankens:  malus  est  mundus  et  honus  est  a  quo 
f actus  est  mundus ,  das  entzückt  die  Gemeinde,  laut  lobt  sie  den 
Redner,  der  bestürzt  fortfahrt:  quomodo  potero  absolvere  et  explir 
eoßrt  quod  dixi?  adiuvet  deus.  quid  enim  dixi?  quid  laudastis?  ecce 
quaesHo  est,  et  tamen  iam  laudastis,  quomodo  nuüus  est  munduSy  si 
bonus  est  a  quo  factus  est  mtmdus?  etc.  (serm.  96,  4).  und  was 
die  Wortspiele  betrifft,  so  hat  er  danach  kaum  zu  suchen  ge- 
branehty  sondern  sie  boten  sich  ihm  durch  lange  Gewöhnung 
unwillkürlich  dar  und  sein  Publikum  nahm  sie  als  etwas  Selbst- 
verständliches entgegen;  denn  sonst  würde  man  nicht  begreifen, 
wie  er  eine  (schon  oben  S.  530  angeführte)  Expektoration  gegen 

1)  Reignier  1.  c.  Cf.  F^dlon  1.  c.  229  B.  Saint  Äugttstin,  n'est-ce  pas 
VEerivam  du  monde  le  plus  accoutum^  ä  se  joiUr  des  parolcs?  Le  defen- 
dres-vous  aussi?  —  A.  Non,  je  ne  le  döfetulrai  point  lu-desstis.  C'est  le  di- 
faul  de  son  tems,  auquel  san  esprit  vif  et  subtil  lui  donnoit  wie  pente  na- 
tureUe.    Cela  montre  que  Saint  Augustin  n*a  pas  etS  un  Orateur  parfait. 


«24 


Ton  Ha^rian  bi*  lam  Ende  der  Kaiserzeit. 


das  grammatikalische  Sprechen  mit  den  Worten  hatte  scbliels 
können:  nifliua  in  barbarismo  nostro  vos  inieUigitis,  gnam  in  n 
disertitudine  vos  deserti  eritis  (in  psalm.  36  t.  26).^) 


5.  Der  sophiatische  Stil  der  Spätzeit  in  Afrika. 

Während  sich  so  in  der  christlichen  Predigt  durch  t 
ausachliers liehe  Anwendung  der  auf  die  Sinne  am  stärksten  < 
kenden  zierlichen  (gorgiauischen)  Redefiguren  ein  Stil  ausbildet«^ 
der  mit  seiner  leichten  Verständlichkeit  mdA  seiner  breiten,  sal- 
bongavoUea  Behaglichkeit  mehr  und  mehr  ein  spezifisch  christ- 
liches Gepräge  erhielt,  nahm  in  den  übrigen  Litteraturgattungen 
der  bis  zur  Unverständlichkeit  gesteigerte,  mit  affektierter  Zier- 
lichkeit zu  einem  abschreckenden  Gemengsei  vereinigte  Schwillst, 
gleichfalls  ein  Erbteil  der  alten  sophistischen  Kunstprosa  i 
dea  aus  dieser  entwickelten  Asiauismus  (s.  o.  S.  69  ff.  140  ff.),  « 
gehemmt  weiter  seinen  Weg.  *)  Es  ist  zwecklos,  das  im  einzeln 
darzulegen;  dafs  für  Skribenten  wie  Martianus  Capeila  und  FiJ 
gentius  den  Mytho logen  das  stilistische  Ideal  Appuleius 
dem  nachzueifern,  den  zu  überbieten  man  sich  alle  erdenklicl 


1)  ÜbrigeaB  fehlen  dieee  Figuren  begreiflicherweise  auch  in  seine» 
Qbrigen  Schriften  keineswegs.  Aus  De  doctr.  Cbi.  IV  61  habe  ich  mir 
notiert:  ifui  utnvmqiK  non  potest,  dicat  »apienter  qwui  hom  Aieil  eloquentw, 
potiu*  quam  dicat  eloquenter  quod  ilicit  insipienter.  TV  36  promia  haec  eit 
■H  iloMfuIo  etogwiUia,  qua  fit  dicendo  non  ut  libeat  qitod  korrtbat  amt  wt  fiat 
^uotl  pitf<bat,  ted  ut  appareat  qttod  taiebal  a.  dgl.  viel,  auch  Wortqüele  wie 
I  98  «Hn  doetor  iste  debcal  reruin  dictor  esee  magnantm.  Am  der  Schrift 
De  virginitat«  citiert  Hatth.  Dresser  1  c:  inspiet  vwbwni  CApitti  m  enta 
fmtUntü,  aoH^iuDi  mortfiUü,  praium  rojimentü,  eieminta  wiwryft'«. 
ea|Nrf  haM  imclinalum  ad  oäeutanduni ,  cor  aperttiim  ad  ^Kfemdmm,  mawmt 
ad  atnplretmdurm,  totum  aiTpu»  vxpoaitwm  vi  rtdjmeninwt  (aJao 
r  gehobene  ätelle);  aas  De  spirita  et  littei»  «.  IS  doMlbe:  g«Mtf 
imperat,  hoc  lex  fidri  eredenäo  imptbvl.  (Ana  d«n  Pac- 
I  Werka  d«  ciTiUt«  dei,  die  ich  gelesen  habe,  ist  mir  nieUa  äer- 
,  wae  aber  ZuibU  sein  dfirft«.) 
■  iat,  mn  lich  des  OegeneaUes  deutUch  bewuU  ni  vad^  Mv- 
in  Ton  Ans  angustinischen  g«h&ltonen  Predigt«  iet  afrtburiachMi 
rmtinB  Kcmodiu  {aanc  VT;  bei  Migne  nL  CT)  nil  «enan 
"■baatiKben  Briefen  ^beeoodera  dea  tos  A.  ItiilTuMhiiil  in 
wuMia'  BroBtaaei  Frooeminm  W.  9.  1871  paUtnnica)  n 


Spätlat.  littenlur:  der  neue  Stil:  Afrika:  der  tumor.  625 

Mühe  gab^);  weifs  jeder.  Nicht  aus  ihnen  will  ich  daher  Proben 
geben,  sondern  ein  Dokument  mitteilen,  das  —  f&r  diese  Fragen 
ganz  unverwertet  —  mir  bezeichnend  genug  scheint,  um  es  hier 
zur  Hälfte  mitzuteilen,  ich  meine  die  von  Emeritus  (Bischof  von 
lulia  Caesarea)  abgefafste  Sentenz  des  Konzils  von  Bagal, 
welches  im  J.  394  von  den  Donatisten  gegen  die  Sekte  der  Maxi- 
mianisten  abgehalten  wurde  und  in  den  Streitschriften  Augustins 
gegen  die  Donatisten  aufbewahrt  ist,  bei  Mansi,  Conc.  III  857  f. : 
Cum  omnipotentis  dei  et  Christi  scUvatoris  nostri  voluntate  ex 
universis  pravinciü  Africae  venientes  in  ecclesia  sancta  Bagaiensi 
concilium  gereremus.  .  .  .  (Namen),  placuit  spiritui  sancto,  gpU  in 
nobis  est,  pctcem  firmäre^)  perpetuam  et  Schismata  resecäre  sacrilega, 
—  licet  enim  viperei  seminis  noxios  parius  venenati  uteri^  alvüs 
diu  texerit  et  concepÜ  sceleris  uda  coagula  in  aspidum  membra  tarda 
se  calore  vaporaverint^  tarnen  concqptum  virus  evanescente  umbraculo 
occüliari  non  potuit  nam  etsi  sero,  publicum  tamen  facinus  et  parri- 
ädium  suum  feta  scderum  vöta  pepererunt:  quod  ante  praedictum 
est,  ^parturiit  iniustitiam,  concepü  dolorem  et  peperit  iniquitatem' 
(Psal.  Vn  15).  sed  guoniam  serenum  iam  fulget  e  nubilo  nee  est 
confusa  criminum  sUva,  cum  ad  poenam  designäta  sunt  nomina 
(indulgentiae  enim  antehac  fuerat),  dum  clementiae  dimiUimus  li- 


1)  Von  rein  sprachlichen  Gesichtspunkten  hat  den  Einflufs  des  Appu- 
leius  anf  die  spätere  Prosa  vortrefflich  nachgewiesen  C.  Weymann  in: 
Sitsiiiigsber.  der  K.  Bay.  Ak.  d.  Wiss.,  philos.-philol.-hist.  Gl.  1898  II  321  ff. 
—  Ober  den  Stil  des  Folgentias  urteilt  M.  Zink,  D.  Mytholog  Fulgentius. 
IL  Teil  (Würzb.  1867)  89  „Sein  Satzbau  ist  überladen,  in  Folge  dessen  der 
Inhalt  oft  yerschwommen,  so  dafs  es  dem  Leser  nur  mit  Mühe  gelingt,  vor 
Wortschwall  zum  Yerst&ndnis  des  Gedankens  zu  gelangen  und  den  lang- 
gestreckten Unholden  von  Perioden  ihren  spärlichen  Inhalt  abzulauern,'*  cf. 
p.  66,  wo  er  Antithesen  und  Paronomasieen  aufzählt.  Fulgentius  selbst 
nennt  de  aet.  mond.  p.  8  seine  Bede  eopiosum  dictionis  enormeque  fluefOuin 
(ef.  R.  Helm  im  Rh.  Mus.  LII  [1897]  186),  womit  man  die  inanis  laqu^ndi 
ftuenOa  Tergleiche,  die  Ammian  (s.  o.  S.  188)  an  den  Asianern  hervorhebt. 

S)  Da  die  Sentenz  ganz  nach  den  Gesetzen  des  'cursus  oratorius'  stili- 
siert ist,  über  den  ich  im  Anhang  n  handeln  werde,  habe  ich  jedesmal  die 
mn^  Wbe  mit  einem  Accent  versehen.  Die  Formen  sind  :z^^2  0,  zuv^c» 
aOpawJLOuOyX.xt^uO  (diese  nur  zweimal);  ji  «^  i,  z  ^  ^;  z  w  ^  w, 
j,  ^  M  \j  (einmal). 

8)  Man  achte  auf  die  gleichmäfsige  Verteilung  der  Adjektiva:  das 
gehArfc  mit  stur  Manier  dieses  tänzelnden  Stils.  Für  Cypnan  hat  Beispiele 
gaeammelt  E.  Watson  1.  c,  fttr  Appuleius  gilt  dasselbe. 


626 


Yon  Hadrian  h»  Tvaa  Ende  d«r  KaiMneit. ' 


neam,  invenit  causa  jmos  puniat.  —  Quod  veridica  unda  in 
scopulos  fionnullorum  naufraga  proie'cta  sunt  membra,  et  AegypHo- 
rum  admodum  exemplo  pereuntium  funeribus  plena  sunt  Uttora, 
quänis  in  ipsa  tnorte  mäior  est  pocna,  quod  post  extortam  aquis 
ultricibus  anhnam  nee  ipsam  ittveniünl  sepuUuram.  —  Loquamur, 
carissimi  fratres,  schismatis  causas,  quia  iam  non  possumus  taaire 
personas.  Maximianum,  fidei  aemulum,  veritatis  adulterum,  ecclesiiK 
matris  inimicüm,  Dathae  Chore  et  Abiron  ministrum,  de  pacis 
gremio  sententiae  fülmen  eaxnssit  et  quod  adhuc  eum  dehiscens  terra 
non  sorbuit  (Num.  SVT),  ad  maius  supplicium  siiperis  reservat 
raplus  enim  poenam  suam  compendio  lucräverat  funeris 
nunc  gramores  cöUigit  fenoris,  cum  mortieus  interest  vivis  etc. 


6.  VolkHtamliche  Prosa  in  Afrika. 


rm 


I 


'b-  GewisBärmaTBen  das  Sftfiu  t^kavyis  der  antiken  Stilgescliichte 
ist,  wie  wir  gesehen  haben,  das  Gesetz  gewesen,  dafs  die  kunst- 
märsige  Prosa  rhythmisch  aeio  müsse.  Dies  Gesetz  war  im  Ge- 
fühl des  Volkes  selbst  tief  begründet,  welches  lange  vor  dem 
Beginn  bewufater  Kunatübung  seine  feierlichen  Formeln  in  einer 
zwischen  Prosa  und  Poesie  die  Mitte  haltenden  Sprache  con- 
cipiert  hatte  (s.  oben  S.  156  &.).  Wir  werden  im  Anhang  IT 
sehen,  dalii  sich  im  Lauf  der  Zeiten  hauptsächlich  für  den  Satz- 
schluls,  in  dem  der  Rhythmus  besonders  deutlich  zum  Bewofst- 
sein  kommt,  ein  feates  Schema  herausbildete,  dessen  Wesen,  ge- 
mäffl  einem  ebenfalls  fundamentalen  Stilgesetz,  darin  bestand, 
dafs  die  erforderlichen  Kadenzen  mit  den  Ausgängen  der  ge- 
lanfigeQ  Versarten  ao  wenig  wie  möglich  Ähnlichkeit  zeigten. 
Aber  daneben  hat  in  später  Zeit  eine  andere  Art  von  rhyth- 
mischer Prosa  bestanden,  in  welcher  das  rhythmische  Element 
■riel  starker  ausgeprägt  war,  indem  die  von  den  Früheren  ver- 
pönten metrischen  Satzausgänge  nicht  nur  nicht  gemieden,  son- 
dern vielmehr  gesucht  wurden.  Diese  Art  von  Prosa,  die  also 
gewisser  mausen  in  der  Mitte  zwischen  Xi^iq  ivQv9itog  and  il^ts 
iHliirt/oe  steht,  können  wir  innerhalb  des  lateinischen  Gebiets 
^-"f  ollem  auf  afrikioiischeu  Inschriften  und  zwar  solchen,  die 
'n  Kreisen  des  Volkes  stammen,  nachweisen.  Mit  diesen 
Inschriften  stimmen  in  ihrer  Form  eine  Reibe  T(y 
Übereiu,    die    ebenfalls    aus  später  Zeit  und 


SpäÜat.  Liiiieratur:  der  neue  Stil:  Afrika:  rhythmische  Prosa.    627 

Kreisen  von  Halbgebildeten  stammen  nnd  die  ich  daher  in  diesem 
Znsammenhang  mitbehandeln  will. 

Die  Verwertung  dieser  Art  von  Inschriften  wird  aber  da-    i.  in- 
durch  erschwert,  dals  man  sehr  oft  nicht  weifs,  ob  das  Durch-  "'*'*'**" 
einander  von  Prosa  und  Yersteilen  auf  metrischem  Unvermögen 
der  Verfasser  oder  auf  Absicht  beruht.     Z.  B.  liegt  gewifs  Ab- 
sicht vor  in  der  afrikanischen  Inschrift  CIL  VIII  352  homo  bonas, 
rdms  hominibusq(u^)  pemecessarias, 

quem  guaerit  pcUriae  maximus  hie  popultis, 
während  ein  Erythräer,  der  in  barbarischer,  stellenweise  unver- 
ständlicher Sprache  folgende  Inschrift  (Lebas-Wadd.  58)  verfafste, 
Verse  hat  machen  wollen,  ohne  es  zu  können: 

N'6(iq>Mg  Nai,A6iv  iyaXX6(ievog  iv^a  UißvXXrigj 

sl(fiivfig  Sg^ag  EitvxLavbg  rb  nägotd'Cj 

daxAvaig  BtolfMig  &yoQav6fiog  tpMxBUkog^ 

6(i(p(0  d'  €iir6x(og  ein/  BAtv%uxv&  naidl  nccvtiyvQiaQxri 
ix  nQ0668(ov  Idicav  xy  naxQldi  ro  üdmQ, 

qnxidifiivsv  ts  yQatpatg  i7ttxo6fiii6ag  tb  aüXiov, 
livrinööwov  t\oih:o]  tot6iv  [i7t6ö6o(idvotg]y 
wozu  Waddington  bemerkt:  c'est  une  de  ces  d^dicaces  bizarres^ 
ecrite  en  mauvaise  prose  avec  une  Sorte  de  cadence  metriquey  tdles 
gylan  en  rencontre  assee  satwent  dans  les  bas  temps.  J'ai  dispose 
les  lignes  de  maniere  ä  faire  ressortir  Vintention  de  VatUeur,  gut  a 
vauJu  imHer  ou  a  peut-Stre  cru  icrire  des  vers  hexametres  et  penia- 
mebres.  Aus  der  citierten  Sammlung  führe  ich  noch  folgende 
Beispiele  an,  in  denen  wohl  eine  beabsichtigte  Mischung  anzu- 
nehmen ist:  116  (Teos)  iwda  xal  ddx*  iz&v  fjiiriv  iu  nagd^ivog^ 
bI%*  iyait>fi6a*  slko6^  d*  ixtski6a6a  XQÖvovg  lyxvog  oiö*  i^avov' 
Mstfuu  d*  iv  fifißoig  ivß(fsq>og  oi6a,  Blakog,  ^  tb  nakai  öEfiv^ 
n^fdöodog,  {kBlva6a  xqövov  ^X&s  dh  KvxQeig  xal  isv^ev  Zfoöifio} 
ig  sAvi^p'  ^Ms  dl  MotQa  xal  Xvöbv  f^  iexakf^  nQ66odov,  2122 
(Batuiaea)  tiXßu  ivÖQ&v^  OCkuau^  dovxvivdQu  xAlEmg  dovxög^ 
bg  fV^fLa  ffihf  aiXf  ix  ^efuXianf  iyaCgag  &nq>BQii>a6o  6i)v  aldvrj 
^utffOMotxi  xtA  tixvoi6i  alg  xliog  &bC.  Die  beiden  letzten  Floskeln 
finden  sich  ebenso  auf  metrischen  lu  Schriften  derselben  Gegend 
(2118.2139.  2145'').^)  — Bei  den  lateinischen  Inschriften  können 

1)  (jL  anlser  den  citierten  Beispielen  etwa  noch  2188  (Batanaea).  2465 
(KaflliOBilii).    HeiMnetrische  Versansg^lnge  auf  griechischen  Zauberpapyri 
B.  B.  bei  0.  WeMdj  in:  Denkschr.  d.  Wien.  Ak.  XXXVI  (1888)  51  Z.  261  £P. 
VordcBi  MrtDwKaBstpfOML  n.  41 


und  eine 
Redeweise 
lören  h^M 

it,  lul^^^ 


628  ^on  Hadriftn  bis  mim  Ende  der  Kaiseraeit. 

wir  eine  rohere  Form  unterscheiden,   wo   obne   Plan   der  Pro 
eingeatreut  werden  ganze  oder  Teilverse,  die,  wenn  eignes  Fabri- 
kat der  Vei'faaaer,  stets  von  der  allerrohsteu  Art  sind,  und  eine 
kunstgemäfsere,  bei  der  in  wohlerwogener  Absicht  die  Redeweise 
rhyÜunisch   gestaltet  wird.     Zur   erstercD   Gruppe  gehöi 
Schriften  wie  CIL  VIII  403  (1329  Bueoh.): 
non  d^na  cotiiux  cito  vita  [exire  dejcrevisti,  misella. 

vivere  debueras  annis  fere  centu(m),  licebat. 

fuit  enim  forma  certior  moresgtte  facimdi, 
fiiit  et  pudmtia,  quam  in  alis  nee  fuisse  dicam  »ec  esse  conta 

sed  quia  sunt  Manes,  sit  tibi  terra  levis. 
4551  C.  Digno  Innocenti  viro  gtii  impleta  tempora  cessit, 
pater  erat,  gut  vixit  annis  Txxx.  10827  (110  Buech.)  Gabiniae 
Matronae.  Comiti  defundae  sors  et  fortuna  improba.  guae  dum 
per  annos  bis  XVIII  vila  gerit,  non  ut  mentit  vicla  fmicta  est, 
subito  ei  cönsäus  acter  (die  beiden  letzten  Worte  aus  Verg.  Aen, 
IV  167,  cf.  n.  1788  Buech.).  10945  (575  Buech.)  hie  sita  est 
Kat(pumia)  FUwia  cognömine  dicla,  q(ondam)  decemviri  Kal(pumi) 
Taneini  filia,  quam  consUtit  vixisse  (folgen  die  Zahlen).  ha&:  tibi 
pro  meritis  Aemilius,  Viiellianus  cognömine  dichts,  coniux  pia, 
praemia  ponit.  Die  zur  zweiten,  uns  näher  angehenden  Gruppe 
gehörigen  Ißscbriften  hat  Baecheler  in  seine  Sammlung  unter 
n.  1563 — 1622  zusammengestellt,  cf.  auch  seine  Bemerkung  zu 
n.  116,  wo  er  diese  Form  der  Kompositiou  sehr  passend 
mtisam  pedestrcm  bezeichnet.  Ich  wähle  als  Probe  die,  wenn 
man  so  sageu  darf,  kuustvollsten  aus.  Von  drei  in  einer 
derselben  Grabkammer  gefundenen  afrikaniacheu  Inschriften 
ten  die  beiden  ersten')  (die  dritte  ist  verstümmelt): 
G46  (116  Buech.)  C.  lulio  Fortunatiano  pat^. 

filio  memoriae  titulum  sibi  erepto  rcddidit. 
in  annis  viginli  duobus,  quos  Parcae  pra6f~ 
rani  edito 


id  als 
wenn 
r  ua^^_ 

1 


1)  Hiatus  und  Messung  nach  dem  Wortaccent  habe  ich  geglaubt, 

'  afiika,tii«cliem  Bodea  als  gelegentlich  zugelassen  erachten  ku  dürfeni 

"^t  den  enteren  unsere  PI autus -Überlieferung  und  apeEiell  die  Argu- 

filr  die  letttere  das  bekannte  Zeugnis  Auguittins  für  die  Sorglofi^ 

Ukuiitr  gegendber  der  Silbenquantität  und  seinen  eigenen  1' 

loostnten. 


Sp&tlat.  Litteratar:  der  neue  Stil:  Afrika:  rhythmische  Prosa.    629 

innümeris  vitae  laudibus  \  ömnem  aetatem  reddidü. 
nam  puer  pubertatis  exempla  optumd  hene  vivendo 

dedit, 
pubertatis  initia  iuvenüi  corde  edidüf 

iuventütis  vitam  mcucuma  \  üccmamt  ghria, 
sie  namque  ut  in  exiguo  tempore  \  mültis  annis 

vixerit. 
puer  ingenio  vcUidus,  pub4s  pudicus,  iüvenis  ora- 

tor  fuü 
et  piAlicas  aures  togatus  siudiis  delectavit  suis. 
in  parva  itaque  tempore  vita  muUis  laudibus. 
inque  isto  patrio  operd  iuvenis  [nunjc  ut  senex 
perpetua  quiescit  requie,  conditori  [perjgrato  spi- 

ritu. 

647  (116  Buech.)  Palliae    Satuminae  lulius  Mäximus   quondam 

suae 
hanc  operis  struem  dicavit,  semper  ut  haberet 

muneri, 
simulque  memoriam  piae  coniugis  faceret  lectori 
inque  eo  suo  tempore  semet  cum  ea  concluderet, 
in  annis  triginta,  quibus  datum  est,  sai  probe 

midier  cum  viro  vixit  stu), 
nihil  potius  cupiens  quam  üt  sua  gauderet  domus, 
nam  in  rebus  mariti  et  suis,  maier  communis 

iüvenis, 
simplici  animo  vivens  vix  muliArem   mundüm 

vindicabat  sibi. 
in  virum  rdigiosa,  in  se  pudica,  in  fämüia  mater 

fuit, 
irasci  numquam  aut  insüire  quemquam  noverat. 
ctdtu  neglecto  corpofis  moribus  se  ömabat  suis 
et  [piujm  [an]im[u]m  (?)  pudore  solo  comita- 

batur  suo. 

Dazu  kommt  noch  eine  andere^  durch  die  Anwendung  des  ora- 
torischen  oarsuB  (s.  Anhang  II);  der  Allitteration  und  vor  allem 
des  bfiowtiXevtov  besondera  interessante  Inschrift  2756  (1604 
Buech.)  qme  fuerunt  praeteritae  vitae  testimonia,  nunc  declarantt'^ 
hoe  serMura  postrema.  haec  sunt  enim  mortis  solacia,  ubi  conti 

41* 


630  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

tur  nominis  vel  generis  aetema  memoria,  Ennia  hie  sita  est  Fruc- 
tiwsa,  karissima  coniunx,  certae  pudicitiae,  honoque  dbsequio  lau- 
danda  matrona,  quinto  decimo  anno  mariti  nomen  accq^it,  in  quo 
amplius  quam  tredecim  vivere  non  potuit,  quae  nön  ut  meruit  ita 
mortis  sortem  retulit:  cärminibtis  defixa  iacutt  per  tempora  muta^ 
ut  eins  Spiritus  vi  extorqueretur  quam  natura  redderetur^  cuius  ad- 
missi  vel  manes  vel  di  caelestes  erunt  sceleris  vindices.  Adlius  hanc 
posuit  Proculinus  ipse  maritus,  legionis  tantae  tertiae  Augustae 
tribunus, 
2.  Qneroius.  Mit  dicseii  afrikanischen  Inschriften  hat  nun  Buecheler  im 
Eh.  Mus.  XXVII  (1872)  474  (cf.  zu  carm.  epigr.  116)  die  Kom- 
positionsart des  Querolus  zusammengestellt,  eine  Kombination, 
die,  wie  die  Proben  zeigen  werden,  ohne  weiteres  einleuchtet. 
Er  hat  femer  auf  Grund  der  Thatsache,  dafs  wir  die  letztere 
Art  von  Inschriften  hauptsächlich  auf  afrikanischem  Boden  finden, 
die  Vermutung  geäufsert,  daCs  auch  der  Querolus  ebendahin  ge- 
höre; da  sie  auf  alle  Fälle  hohe  Wahrscheinlichkeit  hat,  schlieüse 
ich  eine  kurze  Bemerkung  über  dieses  merkwürdige,  nach  un- 
gefährer Schätzung  etwa  dem  Anfang  des  V.  Jh.  angehörige 
Litteraturprodukt  hier  an.  Nachdem  schon  ältere  Gelehrte,  dar- 
unter Caspar  Barth,  die  Stilart  als  yersähnliche  Prosa  bezeichnet 
hatten^);  herrscht  jetzt,  da  die  entgegengesetzte  Theorie  L.  Havels 
nirgends  Glauben  gefunden  hat,  darin  Übereinstimmung,  dab  wir 
'  es  mit  einer  sehr  stark  rhythmisierenden  Prosa  zu  thun  haben. 
Der  Verfasser  selbst  bezeichnet  in  der  Vorrede  seinen  sermo  als 
poeticus  und  sagt  zum  SchluTs  derselben:  prodire  autem  in  eigen- 
dum  non  auderemus  cum  clodo  pede,  nisi  magnos  praedarosque 
in  hoc  parte  seqtieremur  duces,  womit  er  die  Zwitterstellung  dieses 
Stils  deutlich  genug  bezeichnet.^  Anfange  oder  Schlüsse  der 
Sätze,  oft  beide,  sind  dem  sermo  comicus  entsprechend  iambiscli 
oder  trochaisch  (wobei  öfters  der  Wortaccent  die  Quantität  Yer- 
tritt),  das  übrige  ist  Prosa,  z.  B.  I  2  QVER.     0  fortma,  o  fars 


1)  C£  die  Znnammeniitellnng  in  der  Ausgabe  Ton  EHnkhamer  (Amsterd. 

^"«iMo  pn$a  (prana,  rekomponiert  bei  Plantiu  pravona)  ist  die 

^vio  bei  Ind.  Oxig.  I  88, 1;  im  Mittelalter  oft  oratio  pkmm, 

^ttad.  rar  Gesch.  der  Herzogin  Mathilde  y.  Canossa  [Progr. 

•Did  in:  Forsch,  i.  deutsch.  Gesch.  XI  [1878]  S87),  deren 

«otm;  wer  also  beide  Terbindet,  hinkt 


Sp&üai  Liiiieratur:  der  neue  Stil:  Afrika:  rhythmische  Prosa.    631 

fortuna  o  fcUum  sceleratutn  atque  impium.  si  gtiis  mmc  mihi  tcie 
osknderet,  ego  nunc  tibi  facereni  et  constitnerein  fatum  inexsuperabile. 
LAR.  Sperandum  est  hodie  de  tridente;  sed  quid  cesso  interpellarc 
atque  adloqui?  saive,  Querole.  QYEB.  Ecce  iterum  rem  fnolestam: 
^sdlv€y  Querole.'  istud  cui  bono,  tot  hominibus  hoc  atque  illac  Juive 
dicere?  etiam  si  prodesset,  ingratum  foret.  LAR.  Misanthropus  herclc 
hie  verus  est:  unum  conspicity  turbas  putat  u.  s.  w.  Wenn  er  an 
der  citierten  Stelle  der  Vorrede  von  seinen  ^grofsen  Vorgängern' 
in  dieser  Art  der  Komposition  spricht,  so  meint  er  niemand  an- 
deren als  Piautas  und  Terenz:  denn  dafs  man  schon  zu  jener 
Zeit  gezweifelt  hat,  ob  die  alten  Komiker  in  Versen  oder  in 
einer  Art  von  Prosa  geschrieben  hätten ;  geht  aus  der  Schrift 
des  Priscian  De  metris  Terentii  hervor^  in  der  er  beweisen  will, 
dab  Terenz  wirkliche  Verse  gemacht  habe.  ^) 


B.   GallieiL 

Gallien  war  berufen^  in  der  romischen  Kaiserzeit  und  wäh-  Augc- 
rend  des  ganzen  Mittelalters  in  höherem  Mafse  als  das  eigent- 
liche Mutterland  Italien  die  Erhalterin  der  antiken  Kultur  zu 
sein.  Von  Barbaren  überschwemmt^  von  Klöstern  übersät  hat 
es,  sich  selbst  zum  Ruhm,  der  Menschheit  zum  Verdienst  jahr- 
hundertelang die  Fahne  der  alten  Bildung  hochgehalten.  Der 
Grund  hierfür  ist  klar:  nirgends  war  der  Sinn  für  diese  Bildung 
empfimglicher  als  bei  den  romanisierten  Kelten.    Es  giebt  dar- 


1)  Schon  B.  Peiper  hat,  ohne  die  Priscianschrift  (GL  III  418  ff.  E)  zu 
kamifin,  richtig  geurteilt  (in  seiner  Ausgabe  Leipz.  1876  p.  XXXVII  adn.): 
n$e  Mmm  gum  kaec  ratio  sU  nata  ex  male  vel  non  aatis  intellecta  versuum 
Ttrmtiiamorum  confomuxHofie,  Gloetta,  Beitr.  z.  Litteratnrgesch.  d.  Ma.  u.  d. 
Ben.  I  (Halle  1890)  4,  2  yerweist  für  die  Thataache,  dafs  man  im  Mittel- 
altar niolift  gewnürt  habe,  ob  Terenz  Verse  oder  Prosa  schreibe,  auf  ein 
JafcorMiantoi,  Ton  Gh.  Magnin  in  der  Bibl.  de  T^c.  des  Chartes  I  (1839— 
1840)  617  iL  pnblisiertes  Dokument,  eine  Art  von  Prolog  zu  einer  (nicht  er- 
baltenen)  KomOdie,  in  welchem  ein  Delusor  mit  Terenz  ein  Zwiegespräch 
lUirfc  und  ihm  u.  a.  sagt  (p.  684  f.)  an  sit  prosaicum  (dein  Werk)  ^lescio  an 
■nfc'feiiw.  Dab  dieses  Stflck  aus  s.  VU  stamme,  wie  der  Herausgeber  meint, 
lUrt  neh  nicht  beweisen  und  ist  aus  innem  Ghründen  unwahrscheinlich :  die 
Hii.  ist  HU  a.  XL  Übiigens  yendchert  auch  HrotsYitha  von  Gandersheim 
im  d»  Tomde  m  ihren  Komödien  (p.  187  Barack),  sie  ahme  den  Terenz 

dJeMkmii  penere;  in  Wahrheit  schreibt  sie  in  gehobener  Beimprosa. 


632  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  E^aiserzeit. 

über  noch  kein  Werk  in  zosammenfasBender  und  auf  dem  ge- 
samten,  freilich  Ungeheuern  Material  fufsender  Darstellung;  aber 
wir  haben  wenigstens  einige  Arbeiten^  in  denen  der  Anfang  dazu 
gemacht  ist.^)  Ich  habe  auf  die  allgemeinen  kulturellen  und 
litterarischen  Verhältnisse  nicht  einzugehen;  für  die  Stilgeschichte 
des  gallischen  Lateins ,  auf  die  bisher  so  gut  wie  gar  nicht  ge- 
achtet ist,  glaube  ich  einiges  Neue  beibringen  zu  können. 
OaiiiBohet  Gallien  war  von  jeher  das  Land  der  Rhetorik ^):  Gato  orig. 

*  ^^  1.  II  2  J. :  pleraque  GaUia  dtias  res  industriosisstme  persequüur, 
rem  milüarem  et  argute  loqui  und  Hieronymus  contra  Yigilan- 
tium  c.  1  (II  1  p.  387  Yall.):  sola  GcUlia  monstra  non  habet,  sed 
viris  semper  fortibus  et  eloquentissimis  abundavit  sind  die  beiden 
bekanntesten  rühmenden  Zeugnisse.  Schon  in  den  geheimnis- 
vollen Institutionen  der  Druiden  wurde  die  Macht  der  Rede  hoch 
geschätzt^  wie  man  aus  Lukians  (Herc.  1)  eigenartiger  Nachricht 
weilis:  sie  verehrten  einen  Gott  Ogmius,  den  sie  darstellten  als 
einen  Greis,  der  in  der  rechten  Hand  die  Keule,  in  der  linken 
den  Bogen  führte;  seine  Zunge  war  durchbohrt  und  durch  die 
Löcher  liefen  Ketten,  an  denen  die  Ohren  der  ihm  willig  folgen- 
den Menschen  befestigt  waren:  so  symbolisierten  sie  die  Gewalt 
der  Rede.  Mit  diesem  Sinn  begabt  traten  die  Gallier  zu  einer 
Zeit  in  den  Kreis  der  römischen  Bildung  ein,  als  diese,  wie  wir 
sahen,  mit  der  Rhetorik  zusammenfiel:  was  war,  zumal  bei  dem 
lebhaften  Nachahmungstrieb  dieses  Volkes'),  begreiflicher,  als 
daüs  sie  gerade  diese  Kunst  zur  höchsten  Vollendung  ausbildeten? 
Die  römischen  Schriftsteller  des  zweiten  Jahrhunderts  erkannten 


1)  Ich  nenne  nur  (um  vom  Mittelalter  vorläufig  abzusehen)  J.  Ampere, 
Eist,  litt^raire  de  la  France  avant  Charlemagne  (Paria  1840),  A.  Osanam, 
La  civilisation  chr^tienne  au  V  si^cle  (sec.  ^d.  Paris  1862),  Lagus  L  c.  (oben 
S.  692, 1)  29  ff.,  Mommsen,  Rom.  Gesch.  V 100  ff.;  im  wesentlichen  fOr  das  IV. 
und  V.  Jh.  die  hervorragende  Abhandlung  von  G.  Eaufinann:  Bhetorenschulen 
und  Elosterschulen  oder  heidnische  und  christliche  Cultur  in  Gallien  in: 
Histor.  Taschenbuch  ed.  v.  Baumer,  Vierte  Folge,  zehnter  Jahrg.  (Leipz.  1869) 
1  ff.;  fOr  das  VI.  Jh.  C.  Arnold,  Caesarius  von  Arlate,  Leipzig  1894. 

2)  Cf.  C.  Monnard,  De  Gkdlorum  oratorio  ingenio,  rhetoribus  et  rhe- 
toricae  scholis,  Diss.  Bonn  1848,  von  Früheren  besonders  auch  L.  CresoUius, 
Vacationes  autumnales  (Paris  1620)  SS  ff.  D.  Morhof,  De  Patavinitate  Li- 
viana  c.  10  (in  seinen  Dissert.  acad.  et  epistol.  p.  558  ff.). 

8)  Caesar  b.  G.  Vn  22  summae  gens  sollertiae  atque  ad  anmia  mittmda 
et  efficienda  quae  ab  quoque  tradtmtur  apHssimum. 


Spätlat.  Litteratur:  der  neue  Stil:  Gallien.  633 

Gallien  den  Vorrang  in  der  Beredsamkeit  zu;  nicht  blofs  in  der 
südlichen  Provinz  und  nicht  blofs  an  den  grofsen  Bildungscen- 
tren hatte  sie  ihren  Sitz  aufgeschlagen,  sondern  sogar  in  Reims, 
wie  wir  durch  Fronto  (p.  262  N.)  wissen.  Das  dritte  Jahrhun- 
dert war,  wie  f&r  das  Reich  überhaupt^  so  besonders  fär  Gallien 
das  traurigste:  die  Schulen  verfielen,  die  Wissenschaften  lagen 
danieder.  Der  grofse  Aufschwung  aller  Verhältnisse,  der  am 
Ende  jenes  Jahrhunderts  begann,  kam  vor  allen  Gallien  zugute: 
es  war  keine  blofse  Phrase,  wenn  die  Panegyriker  Galliens  die 
Kaiser  auch  als  Förderer  der  Bildung  feierten.  Wie  hoch  die 
Beredsamkeit  in  den  folgenden  Jahrhunderten  geschätzt  wurde, 
lernen  wir  aus  Autoren  wie  Ausonius,  Sulpicius  Severus,  Sidonius, 
Ennodius  und  aus  den  Erlassen  der  zu  Trier  residierenden  Kaiser.^) 

Wie  war  nun  diese  Rhetorik  und  folglich  auch  der  Stil  der  oahucIio 

Stil. 


1)  Welchen  Respekt  noch  Venantius  Fortonatua  vor  der  gallischen 
Beredsamkeit  hatte,  zeigen  seine  Worte  in  der  Vorrede  sur  Vita  S.  Marcelli 
c.  S  (p.  60  f.  Kmsch) :  er  sei  nicht  würdig  sie  zu  schreiben,  praesertim  cum 
vdbis  (dem  Germanns,  Bischof  von  Paris)  muliorum  prudentium  famosae 
abwndantiae  aufficiat  eloquentia  Gallicana  et  quadratis  tuticturis  verba 
truHnaia  procedant.  —  Für  die  litterarische  Bedeutung  Lyons  im  V.  Jh. 
mochte  ich  nachtragen  das  Zeugnis  eines  Autors,  der  zwar  400  Jahre  später 
lebte,  aber  überall  vorzüglich  orientiert  ist,  des  Mönchs  Hericus  yon  Auxerre : 
in  der  Vorrede  zu  seinen  Miracula  S.  Germani  ep.  Autissiodorensis  erwähnt 
er  das  ihm  yorliegende  Werk  über  denselben  Gegenstand  von  Constantius, 
eiiiem  Presbyter  von  Lyon,  der  etwa  40  Jahre  nach  dem  Tode  des  Ger- 
manuB  (440)  gelebt  habe;  er  rühmt  die  Eleganz  des  Werkes  und  bemerkt 
bei  der  GMegenheit  (AA.  SS.  BoU.  Jul.  VH  p.  266):  ea  tempestate  Lugdunen- 
SNMi  dvikis,  prima  ac  praecipua  Gälliarum,  professiane  quoque  acientitw 
mrtmmque  disciplina  inter  amnes  extulerat  caput;  offensa  nam^pie  sapieyitia, 
qmae  prqpter  aeipsam  tantum  appetenda  est^  quorumdam  Iticris  turpibtis,  mttZ- 
tofum  mdiscipimata  vita,  omfiiwn  postretno  tepide  se  appetentium  inkonesta 
demdia^  praecqptarum  inopia  intercedente  priorumque  studm  paem  collapsis, 
kmu8  nostrae  exitkUiter  peroaa  regionis,  Lugduni  sibi  cdiquamdiu  familiäre 
eomtittoriMm  coUocavii.  ibi  quas  dict^nt  discipHfiarum  liberalium  peritia, 
guoBque  ordme  currere  hoc  tempore  fahula  tantum  est,  eo  tisque  convaluit, 
«1  «pMiiliMii  ad  ic^kolaa  publicum  appellaretur  citramarini  orbis  gymnasium, 
ei,  ut  aHiguid  rationis  afferre  videar,  eo  %d  argumento  colUgimus,  quod  quis- 
§p§e  artmm  profUendarum  afficeretur  studio,  nofi  ante  professis  inscribi  mere- 
Mur,  g^UMM  hue  exphrata  diligentia  eooaminatus  abiret.  cui  rei  satyricus 
^ftoqm  oft^pifZalifr,  qui,  ut  exefnpli  circumstantia  res  eluceat,  primo  sui  operis 
lüfro  aerOer  diuque  in  impudicos  invectus  refert  eos  conscientia  frequentati 
$odma  perinde  paUescere,  *tU  L^gdunemem  rhetor  diciurus  ad  aram*  (luv. 
1,  44).  «to  claret  hanc  sapientibus  et  pahnas  et  nomina  olim  fuisse  largitam. 


634  Von  Hadnaji  biB  zun  Ende  der  Eaüeneit. 

Prosa  beschaffen?  Aach  liier  kam  das  gallische  Ingenium  der  herr- 
schenden Moderichtang  merkwürdig  en^^egeo.  Diodor  betont  ia 
seiner  berühmten  Charakteristik  (V  31)  zweierlei:  ihre  Vorliebe 
für  eine  an  tragödenhaftes  Pathoe  streifende  hTperbolische  Rede, 
und  für  scharf  zugespitzte  Gedanken;  das  letzte  versteht  anch 
Cato  unter  dem  argute  loqui.  Man  erinnere  sich  nun  an  die 
Charakteristiken,  die  der  ältere  Seneca  von  den  lateinischen 
Deklamatoren  entwirft  (s.  o.  S.  273  ff.),  um  zu  begreifen,  welches 
Entgegenkommen  ihre  Manier  in  dem  romanisierten  Gallien  finden 
mufste.  Thatsächlich  ist  in  keinem  Lande,  auch  nicht  in  Afrika, 
der  moderne  Stil,  dessen  Geschichte  wir  verfolgen,  mit  solcher 
Virtuosität  gehandhabt  worden  wie  in  diesem  Lande.  Die  B9mer 
haben  das  gewufst:  bei  Tacitns  vertritt  Aper  aus  Gallien  die 
Partei  der  Modernen,  und  Messalla,  der  Sprecher  der  reaktionären 
Partei,  erwähnt  einmal  (c.  26)  höhnisch  den  Gallier  Gabinianns, 
dessen  eoncinnas  declamationes  noch  Hieronymue  kannte.*)  Es 
giebt  aus  der  späteren  Zeit  eine  Reihe  interessanter  Zeugnisse 
für  das  Fortleben  dieses  Stils  in  Grallien,  die  anzofOhren  mir 
wichtiger  scheint  als  eine  Analyse  des  Stils  der  einzelnen 
Autoren. 

1.  Das  frühste  dieser  Zeugnisse  findet  sich  bei  Hiero- 
nymus.  Als  ich  es  las,  fand  ich  darin  eine  erwünschte  Be- 
stätigung meiner  Ansicht,  dals  der  manierierte  Stil  der 
spätlateinischen  Prosa  aller  Länder  eine  in  allen  Ein- 
zelheiten unverkennbare  und  durch  die  historische  Ent- 
wicklung begründete  Verwandtschaft  mit  dem  Asianis- 
mus  habe,  und  wen  meine  bisherige  Darlegung  davon  nicht 
überzeugt  hat,  der  glaubt  es  vielleicht  einem  in  allen  littera- 
rischen Dingen  so  aasgezeichnet  bewanderten  Kenner  wie  Eie- 
ronymus.  Er  schreibt  an  Busticus  (ep.  125,  I  2  p.  935  ValL): 
audio  rdigiosam  habere  te  matrem,  muiiorum  onnontm  viäitam, 
guae  aluit,  qtiae  eruäivit  infantem  ac  post  studio  Gtäiiamm  quae 
vd  ftitrentissima  sunt  misit  Somam,  non  pareens  aMt^tSnu  et  a&- 

1)  Cf.  Tenfiel- Bdiwabe,  BSm.  Littwai-Oeiah.  |  iU,  tt  mmmjmt.  ia 

lesaiam  6  praef.  (IT  SS0  VilL):  < 

utatttmet  detitkroHt,  Ugtmt  IWKnm  QtmMiamim  GaOioMM  ( 

'in    Mesitalla   bei  Tacitii»  1.  l.  an  Iimius  Gallio  seine   (iitniiiM   t 
h  bei  Hieronj'muB  sicher  nuf  ilm  die  coucinnae  lieclas 


Sp&üat.  Litteratur:  der  neue  Stil:  Gallien.  635 

senHam  ßü  ape  sustinens  fuiurorum,  ut  ubertatem  Gallici  nito- 
remque  sermonis  gravitas  Botnana  candiret  nee  calcaribus  in  te 
sed  frenis  uteretur:  quod  et  in  disertissimis  viris  Graeciae  legimus, 
gui  Asianum  tumorem  ÄUico  siccdbant  seile  et  luxuriantes  flor 
geUis  vineas  fakibus  reprimehanty  ut  eloguentiae  torcularia  non  ver- 
herum  pampinis  sed  sensuum  quasi  uvarum  esqpressionibus  redun- 
darent^)  Worin  die  römische  gravitas  bestand,  lernen  wir  aus 
einer  Reihe  anderer  Zeugnisse:  man  ging  damals  nach  Bom^  um 
Jurisprudenz  zu  studieren,  oder  studierte  sie  nach  der  Kodifika- 
tion des  Rechts  in  Gallien  selbst.  Unter  diesen  Zeugnissen 
interessiert  uns  am  meisten  eins')  aus  dem  YII.  Jahrb.,  weil  in 
ihm  die  Worte  des  Hieronymus  fast  wörtlich  herübergenommen 
werden,  woraus  wir  ersehen,  dafs  sich  im  Lauf  der  Jahrhunderte 
die  Verhältnisse  nicht  geändert  hatten:  Vita  S.  Desiderii  Cadur- 
censis  (Cahors)  episcopi  (f  665)  ab  auctore  coaevo  (87,  220 
Migne)  Desiderius  vero,  summa  parentum  cura  enutritus,  litterarum 
studiis  adplene  entditus  est  (nämlich  in  der  merowingischen  schola 
Palatii).  quorum  diligentia  nadus  est  post  litterarum  insignia-studia 
GäUicanam  quoque  eloguentiam  (quae  vel  florentissima  sunt  vel  exi- 
mia^  contubemii  regalis  adductis  inde  dignitatibus),  ac  deinde  leg  um 
Romanarum  indagationi  studuü,  ut  ubertatem  eloquii  Galli- 
cani  nitoremque  gravitas  sermonis  Romani  temperaret.^) 

2.  Wird  in  diesen  Zeugnissen  die  Fülle  und  Zierlichkeit  des 
*gallicanischen'  Stils  hervorgehoben,  so  in  anderen,  zur  Bezeich- 


1)  Bezeichnend  genug  för  ihn,  dafs  er  selbst  in  den  Fehler  yerföllt, 
den  er  rfigt.  Seine  Kenntnis  des  Asianismus  hat  er  natürlich  aus  Cicero, 
wie  auch  eine  andere  Stelle  zeigt:  in  Oseam  1.  I  c.  2  (VI  25  Vall.):  neque 
emm  EJämuiwm  profhetam  edisserens  oratoriis  debeo  declamatitmculis  ludere 
et  ff»  nafratiamima  atque  epüogis  Aaiatico  more  cantare  (cf.  Cic.  or.  27). 
S)  leh  fand  es  bei  J.  Pitra,  La  yie  de  S.  L^ger  (Paris  1846)  82,  2  und 
nh  daim,  da&  auch  Ozanam  1.  c.  p.  407  adn.  es  citiert. 

t)  Gf.  ButiL  Namat.I  207  f.  (von  seinem  Freunde  Palladius):  facundus 
immmm  €Mhrwm  miper  ab  arvis  Missus  Bamani  dUcere  iura  fori.  [Con- 
staHÜni],  Yila  8. Oennaal  episcopi  Autissiodorensis  (Auxerre,  f  448)  in:  AA. 
fSL  BolL  tl.  Juli  Tu  p.  902  ut  in  eum  perfectio  litterarum  plene  conflueret^ 
mwiUoria  ChMeana  kUra  urbem  Bomatn  iuris  scientiam  plenitudine 

Diese  Stelle  entnahm  ich  der  fOr  das   Studium  der 
L-dMiialigen  Rom  wichtigen  Abhandlung  von  H.  Conring, 
MKImi  nrbis  Bomae  et  CP  (1666)  in:  Nov.  Thes.  anti- 
d»  Bulkiigxe  m  (Venetiis  1785)  1212. 


ti3(>  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeit 

uung   des   Pathetischen,  der  Gullicanus  cothurnus  (tBtQayojdri- 
(levoi  nenut  die  Gallier  Diodor  L  c.)-    Ich  kenne  folgende  Stellen: 

Hieronjmus  an  Marcella  ep.  37,  3  (I  173  Yall.)  über  die 
Schriften  des  Rheticius,  Bischofs  von  Antun:  innumerabilia  sunt 
quae  in  tUius  mihi  commentariis  sardere  f?isa  sunt  est  quidem  sermo 
compositus  et  Gallieano  eothurno  fluens,  sed  quid  ad  inter- 
pretem,  cuius  professio  est,  nan  quo  ipse  disertus  appareeU  sed  quo 
cum  qui  lecturus  est  sie  faciat  inteUegere,  quomodo  ipse  inteUexü 
qui  scripsit. 

Hieronymus  an  Panlinos  ep.  58,  10  (I  326yalL):  Sanctus 
Hilarius  Gallieano  eothurno  attolUtuTj  et  cum  Graedae  fioribus 
adometur^  longis  interdum  periodis  invdvitur  et  a  lectione  simpiUcio- 
rum  fratrum  procul  est 

Sulpicius  Seyerus  dial.  I  27:  dort  sagt  ein  aus  dem  eigent- 
lichen Grallien  stammender  Schüler  des  Martinus  von  Tours  zu 
den  Aquitaniem,  er  wolle  nichts  reden  cum  fuco  out  eothurno, 
nam  si  mihi  tribuistis  Martini  me  esse  discipulum,  älud  etiam  con- 
ceditCf^  ut  mihi  liceat  exemplo  ülius  inanes  sermonum  phaieras  et 
verborum  omamenta  contemnere. 

Ennodius  ep.  I  15  grandis  coturnus  in  eioquentia,  cf.  ep. 
111  24  p.  89,  25  Hartel. 

An  den  Schluls  dieser  Zeugnisreihe  setze  ich  eine  zwar  aus 
dem  tiefen  Mittelalter  stammende,  aber,  wie  mir  scheint,  recht 
iiiteresaante  Stelle,  die  (wohl  ganz  singular  in  ihrer  Art)  eine 
Hiilkritik  gallischer  und  spanischer  Autoren  der  sieben  ersten 
Jahrhunderte  enthalt: 

Ekkehart  IV  von  St.  Gallen  (f  c.  1060)  in  einer  Rand- 
bufoerkuug  zu  dem  von  ihm  selbst  abgeschriebenen  Prognosticon 
iulikui^j:  (^idam  hunc  librum  ad  solitum  stUum  emendarunt  ne- 
McimUe»,  quod  Hispana  faeundia  et  Galliens  coturnus  öbscurius 
mkrUum  et  sen^losius  currere  nidentur.  oeeurrit  eiiam  hoc  ad- 
kkC  in  lock  suam  plurimis  vidercy  quod  nisi  ledor,  gm  in  Bamana 
'  wmdia  ioliuit,  eaiutius  hie  ingrediaiur,  non  semd  offendat;  in  pro- 
I  ditop  kmus  luliam  Toletan^  facundi^  setUentüs,  nan  autem 


iM  VW  Totodo  680—690.     Dm  Plra^wwbnm  ist  ediert  bei 
li»  BwMrinmg  des  Ekkohait  tm  E.  Dümmler  in:  Zextschr. 
4«.  BMq^  N.  F.  n  (1869)  31. 


Späüat.  Litterator:  der  neue  Stil:  Gallien.  637 

inirodudis  (id  est  Äugustinif  Gregorü  et  cft.y).  lege  Severum  Postur 
mianum  et  GaUum*),  maxime  autem  vitam  sancti  BricHi^  .... 
sanctum  Gregorium  qxioque  lege  in  libris  miraculorum  vd  in  cfteris 
sui  caraeteris  operibus.  quid  dicam  luvencum,  poetam  ecclesif  pri- 
mum  (immo  Prtidentium)^)  et  Avitum^  nodose  guidem  in  suo  co- 
tumo  facundos?    Prosperum  etiam  ülum  metro  et  prosa  summe 

egregium?    Sedülium  vero  nimis  co se^)  et  iocunde  evangeli- 

cum?^)  cum  etiam  Lucano  Bomano  post  Chorduham  facto  id  velud 
elogium  dicunt:  Virgilius  cum  in  X  locis  propter  Grecum  modum 
sii  inviduSf  Lucanus  in  decies  X  repugnat  invictissimus.  hfc  non 
earpens,  sedy  ne  lector  stilum  nesciat,  asscripsi. 

3.  Wenn  die  bisher  angeführten  Zeugnisse^  im  allgemeinen 
den  Schwulst^  die  Zierlichkeit,   das  Pathos  des  gallischen  Stils 


1)  Diese  citiert  lulianos  nämlich  oft. 

%)  Er  meint  die  Dialoge  des  Sulpicius  Severus,  in  denen  auTser  diesem 
selbst  seine  Freunde  Postumianus  und  Gallus  reden.  Diese  hätte  er  hier 
aber  nicht  nennen  dürfen,  da  sie  in  klassischem  Stil  abgefafst  und  daher 
leicht  yerständlich  sind. 

8)  Bischof  ▼.  Tours  f  447 ;  uns  ist  die  vita  selbst  nicht  erhalten,  son- 
dern nur  das,  was  daraus  mitteilt  Gregor  y.  Tours  hist.  Franc,  n  c.  1. 

4)  Eine  von  ihm  selbst  gemachte  Glosse. 

6)  „Ftlr  copiase  ist  der  Baum  zu  grofs,  ein  Wort  wie  conterUiose  oder 
dgl.  mnÜB  an  dieser  erloschenen  Stelle  gestanden  haben"  Dümmler. 

e)  Danach  wäre  also  Sedulius  keinesfalls,  wie  Teuffei- Schwabe  §  473, 2 
bei  dem  Mangel  jeder  Nachricht  zweifelnd  vermuten,  ein  Italer,  sondern 
entweder  Sjmnier  oder  Gallier  und  zwar  wegen  der  Verbindung  mit  Lucan 
eher  Spanier.  Ob  freilich  das  Zeugnis  dieses  Spätlings  irgend  welchen  Wert 
hat,  steht  dahin. 

7)  Ich  habe  mir  femer  aus  mehreren  gallischen  Autoren  ähnliche  Aus- 
drfioke  gesammelt,  die  ich,  weil  sie  für  ihren  stilistischen  Geschmack 
diaiakteristbch  sind,  hier  mitteile.  Sehr  häufig  ist  der  Vergleich  mit  einem 
FlnfSy  einem  wogenden  Meer:  Auson.  comm.  prof.  Burd.  1,  17  dicendi 
Ufrrmm  tM  eopia,  Sidon.  ep.  Vm  8,  8  f.  10,  1.  IX  7,  2  ff.  Ennod.  p.  1,  3  ff. 
H.  0,  10.  n,  S4.  46,  22.  48, 14. 18.  68,  9.  89,  22.  102,  18.  126,  6.  188,  1.  264,  7. 
197,  6.  S08, 1.  40S,  16.  Daher  das  Lob  der  copia,  uhertas,  ahundantia, 
üf/tueniia  (so,  mit  ff,  scheinen  diese  Autoren  schon  zu  schreiben) :  Sidon. 
ep.  IV  16, 1.  Ennod.  17, 18.  46,  18  übertaa  linguae^  castigcUua  sermo,  LaUaris 
iMfHi,  guadrata  eloeuHo.  92,  9.  21.  179,  22.  381,  7.  Buric.  ep.  I  4  p.  867 
A^ieüxr.  —  Pompa:  Sidon.  ep.  lü  14,  2.  IX  9,  10.  Ennod.  (cf.  Harteis  Ind. 
a.  T.)  B.  B.  46, 14  verborum  pondus  vel  pompa.  178,  16  pompam  quam  in 
UlitH§  ftigHii  Mmetis,  nee  aliud  est  loqui  vestrum  nisi  declamatianum  tn- 
$lßtim  cmlorfirtf.  Atüos  y.  Vienne  ep.  58  p.  82  Peiper  oa  pompis  adsuetum 
et  fmmtif  MimdmMme  Bamuleae  profunditatis  irriguum.  -—  Ardens  elo 


638  Von  Hadrian  bis  som  Ende  der  Eaiserzeit. 

heryorhoben,  so  giebt  es  eins,  das  durch  seine  speziellen  An- 
gaben fUr  meine  Untersuchungen  wertvoll  ist:  es  steht  in  dem 
Brief,  den  der  nach  klassicistischer  Diktion  strebende  Claudianus 
Mamertus  an  den  Rhetor  Sapaudus  schreibt:  er  rät  ihm  (p.  205 
Engelbr.);  tU  spräis  novitiarum  roHuncularufn  puerüibus  niigis 
nullum  lectitandis  his  tempus  insutnat,  quae  quasdam  resonantium 
sermuncuhrum  taureas  rotant  et  oratoriam  fortüudinem  ploMdentibus 
cancinentiis  evirant,  d.  h.  er  soll  vermeiden  den  bombastischen 
Schwulst  und  das  Geklingel  (tinnüus  oben  S.  634,  1)  der  Bede, 
welches  entsteht  durch  das  Zusammenschlagen  gleiohtonender 
Silben:  einst  hatte  Quintilian  (IX  4,  142)  in  gleicher  Weise  ge- 
warnt vor  einer  Diktion,  die  weibisch  werde  Uiscivissimis  synto- 
norum  modis  (s.  oben  S.  291);  man  erkennt  daran  die  Kontinui- 
tät der  Entwicklung, 
oiousohe  Auf  die  einzelnen  Schriftsteller  beabsichtige  ich  nicht  näher 

einzugehen.   Wer  Sidonius*),  Ennodius^,  Gregor  von  Tours  ge- 

cutio  n.  dgl.  Sidon.  ep.  V  17,  9  vir  flammeus  qwidamque  facundiae  fims 
inenchaustus  IX  9,  10.  7,  1  fUlmen  in  verbis,  flumen  in  claumlis,  Ennod. 
49,  22  Umare  eloguio.  449,  12  itibar  dicHonis,  —  Zierlichkeit,  blumige 
Diktion  u.  dgl.:  Sidon.  ep.  IV  8,  2  vemantia  eloquii  flos.  16,  1.  Ennod.  20, 
19  dictio  redimita  floribus.  28,  8.  424,  26.  468,  11  dicHonum  floscUU  vemant 
et  ridentia  verborum  germina.  —  Süfse:  Ennod.  188,  16  u.  226,  17  meUa 
sermonum,  cf.  18,  8  dum  favos  loqueris  et  per  domaa  cereas  eloquentiae  nee- 
tare  liquenüs  elementi  meUa  componis.  —  Buntheit:  Sidon.  ep.  VIU  6,  6 
dixit  disposite  graviter  ardenter,  magna  acrimonia  maiore  factmdia  maxima 
disciplina,  et  ülam  Sarranis  ebriam  sucis  inter  crepitantia  segmenta  pahna- 
tam  plus  picta  arationey  plus  aurea  convewustavit,  Ennod.  20,  10.  189,  16 
ostrum  loquendi.  198,  10.  446,  14.  644,  6  fucaiae  verborum  imagines^  cf.  882, 
10.  446,  18.  462,  11.  —  Figuren:  Sidon.  ep.  VII  9,  2  exacte  peraranUbus 
mos  est ,  ,  .,  poetica  Schemata  aptare.  IX  8,  6  immane  euspicio  dicUmdi  istud 
in  vöbis  tropologicum  genus  ac  figuratum.  IX  7,  2  urbanitas  in  figuris. 
Ennod.  26,  26  scema  et  pompa  sermoniim.    888,  6  logueHae  scemata. 

1)  Er  wird  gerichtet  durch  das  Lob,  das  ihm  der  wahnwitzigste  aller 
Stilisten  hat  zuteil  werden  lassen:  Alanus  de  Insulis  (Byssel  in  Flandern, 
saec.  XII)  in  seinem  'Anticlaudianus'  L  IQ  c.  8  (210,  618  Migne): 

illic  Sidonii  trabecstus  sermo  refülgens 
sidere  muUijplici  splendet  gemmis^pie  colorum 
lucet  et  in  dictis  depictus  pavo  resultat, 
SidoniuB  selbst  urteilt  freilich  anders  über  sich  ep.  YIII  16,  2  lectari  non 
tantum  dictio  exossis  tenera  delumbis   quantum  vett*scula   torosa   et   quasi 
mascula  placet. 

2)  Er  versichert  gelegentlich,  einfach  schreiben  su  müssen:  ep.  I  16 
rhetoricam  in  me  dixisti  esse  verstUiam,  cum  diu  sit  quod  (mUorium  Schema 


Sp&üai.  Litteratnr:  der  neue  Stil:  Gallien.  639 

lesen  hat^  weifs,  dafs  die  Prosa,  ganz  wie  bei  den  afrikanischen 
Schriftstellern^),  oft  bis  zur  völligen  ünverständiichkeit  verzerrt 
ist,  dab  zwischen  ihr  und  der  Poesie  an  gehobenen  Stellen  jede 
Schranke  gefallen  ist^,  dafs  die  normale  Stellung  der  Worte 
ganz  und  gar  degeneriert  *),  dafs  verwegene  Neologismen  sich 
mit  hocharchaischen  Worten  paaren,  dafs  all  die  Spielereien,  vor 
allem  der  Elingklang  des   Homoioteleuton^)   und   der  Wort- 


affeetUB  a  me  oraHonis  dbsciderit  et  nequeam  occupari  verhorum  floribus,  quem 
ad  gemUus  et  preees  evoeat  clamor  officii,  cf.  ep.  IT  6  p.  46,  14  ff.  III  24 
p.  89,  15  f.  IV  9  p.  105,  5  f.  Das  hat  er  nirgends  gehalten,  so  wenig  wie 
das  was  er  ep.  n  18  schreibt:  ut  trtidit  quaedam  eloquenüae  persona  sfiblimis, 
lex  est  in  epistulie  neglegentia  et  auctorem  genii  artifex  se  praehet  incuria, 
oder  das,  was  er  einem  andern  anbefiehlt  (dict.  8  p.  463,  10):  verhorum 
htxuriem  artis  faJce  trunetwe. 

1)  Mit  der  afrikanischen  Latinit&t  vergleicht  die  gallische  C.  Petersen, 
Siadia  latina  provincialium  (Helsingfors  1849)  45  und  H.  Eretschmann,  De 
latmitate  Sidonii  (Progr.  Memel  1872)  8  f.  Das  Gefühl  der  Wahlverwandt- 
schaft sog  diese  Schriftsteller,  vor  allem  den  Sidonius,  zu  Appuleius  hin, 
cf.  A.  Engelbrecht,  Unters,  über  die  Spr.  d.  Claud.  Mamert.  (Wien  1885)  16  f. 
18  ff.  K.  Sittl  in  Bursians  Jhber.  LXVIII  (1891)  236,  1. 

2)  Z.  B.  die  Frühlingsbeschreibung  bei  Ennodius  dict.  1  (p.  424  f.  Har- 
te!), die  er  selbst  als  florulenta  bezeichnet:  cum  terrae  suctis  per  venas  aren- 
tkun  virguHorum  eurrit  in  germina  et  ailvus  sicci  fomitis  umore  maritcUa 
tmrgeKit,  cum  tu  hkmdam  lucem  noveUi  praesegminis  comae  explicantur  arbo- 
reae  o.  s.  w. 

8)  Meist  ist  der  rhythmische  SatzschluTs  daran  schuld,  z.  B.  Sidonius 
I  6,  6  öbOer  Oremonam  praevectus  adveni,  cuius  est  ölim  Tityro  MantiMno 
largum  suspirata  proonmitas,  ib.  6  cum  sese  hinc  salsum  portis  pelagus 
impmgeret^  ib.  9  omnem  pratinus  sensi  mernbris  male  fortibus  explosum  esse 
languorem,  VI  1,  6  qwmtum  meas  deprimat  oneris  impositi  massa  cer- 
vieee;  Eonodins  ep.  11  9  p.  48,  24  dum  secundis  in  altum  loquelae  vestrae 
poriarenhir  vda  proventibus,  op.  8  p.  381,  8  ipsas  eminentissimas  ut 
puUmiwr  in  Boecuh  vana  inflatione  personas  \  si  quis  ventoso  nimium 
sMhterit  devare  praeeonio,  ib.  p.  882,  8  ut  sattem  cruda  per  ordinem 
äigeram  facta  meritorum.  Aber  auch  ohne  diesen  Zwang,  z.  B.  Sidon.  V 
14, 1  seabris  coMmatim  ructata  pumicibus  aqua,  Ennod.  ep.  I  7  p.  46, 
SS  mei  rnadei  hmge  m  fMmt^aX  studii,  u.  viel  dgl. 

4)  Bei  Sidonius  auf  jeder  Seite;  z.  B.  ep.  I  4,  1  macte  esto,  vir  am- 
pUetiwie,  fatcibm  partie  äote  meritorum;  quorum  ut  titulis  apkibusque  potiare, 
HO»  maiemoi  reditua  man  avitas  Jargitiones  non  uxorias  gemmas  non  patemas 
pecmmoi  mtmeramsti^  quia  tibi  e  contrario  apud  principis  domum  inspecta 
sincenlaf,  $peetata  aedulitas,  admissa  8od€ditas  laudi  fuere,  o  terque  quater- 
gpte  heatmm  I«,  de  emus  euHmine  dat%*r  amicis  laetitia,  lividis  poena,  posteris 
gloHat  Ulm  praeterea  vegetis  et  ailacribua  exemplum,  desidibus  et  pigris  h 


640  Von  Eodrian  bis  zum  Gscie  d«r  Kaiseneit.  ^H 

Witzeleien*)  in  erschreckendem  umfang  Verwendung  finden,  JU 
dals  die  Sprache  teils  in  bacchantischem  Taumel  dahinrast,  wie 
ein  schlammiger  Strom  allea  mit  sich  fortraffend,  teils  zu  förm- 
lichem Schellengeläute  ausartet.  Was  nützt  es,  wenn  wir  aner- 
kennen müssen,  dafs  einige  dieser  Autoren  in  der  alten  Litteratur 
wohlbewandert  sind:  Sallust-  und  Cicero -Reminiscenzen  steigern 
auf  solchem  Grunde  nur  den  Eindruck  des  Bizarren.*)  — 
tamentwui,'  et  tatiitn,  si  qui  sunt,  qui  te  qaocwngw  ani'ino  äevnce^  aemula- 
btmtur,  sibi  forsitan,  gi  te  conseqiiantvff,  debtant,  tibi  dehehunt  procul  dubio, 
quod  Btqmtnhtr.  Meist  in  ganz  kleinen  Satzgliedern,  Kweifelloa  auch  diea 
in  NackahmoDg  des  Appuleius  (speziell  der  Florida),  z.  B.  I  &,  10  studia 
aikant  negotia  quiescant  iudicia  conticescant.  8,  S  muri  eadunt  oguoe  elanl, 
tmres  /luwnC  i\atws  aedenl,  aegri  deambulant  media  iacent,  aigent  Guinea 
domieilia  amflagrant,  sUiwnt  vivi  fwtant  sepuüi,  vigitmtt  furea  dormiutit  po- 
U^aies  et«.  II  1,  2  aperte  invidet,  abiecte  fingtt,  strviliter  etq)erbit;  indicit 
«(  domimts,  exigit  vt  lyratmus,  calummatur  ut  barbarwi  toto  die  a  metu 
armatui,  ab  avariUa  ieiunus,  a  cupiditate  terribilis,  a  vanitcae  crudetia.  2,  14 
Ate  tarn  quam  volupe  auribug  insonare  cicadas  meridie  concrepanU»,  rama* 
cr^usculo  incumbente  blalerantes,  eygnos  atgue  anseres  concubia  nocte  elan- 
getUeg,  intempesta  gallos  galUttuciog  coticinefOes,  osdnes  corvos  voce  triplieata 
pumceaui  »urgetUig  Aurorrte  fiuxm  consalutanits^  dtluculo  aufetn  Philtymelatn 
inter  frutices  sibilantem,  Prognen  intcr  asscra  minurientein.  So  noch  be- 
Bondera  IV  1,  2  und  4;  8,  3  und  5  und  0;  V  11,  2;  IX  9,  14.  Daa  ist  offen- 
bar die  dictio  caeguratim  succincta,  die  er  an  einem  Freunde  rübrat  IV  3,  3. 
Den  Sidonina  ahmt  auch  hierin  nach  Ruriciua,  z,  B.  ep.  I  3  (p.  8S&  Engelbr.) 
per  quam  (pietalemj  flectuntw^  rigida  saxea  moüiuntw,  sedanMr  tunüda 
leniuntitr  aspera,  tumescunt  lenia  miletount  saeva  eaeviunt  milia,  aecenduntitr 
plncida  acmmlur  bruta,  dominantur  barbara  immania  placantur  (cf.  1  5 
p.  8&e,  II.  18;  G  p.  359,  4).  —  Bei  Kunodioa  findet  aicb  derartiges  nicht, 
was  ioh  mir  daraus  erkläre,  dals  damals  dies  StUomament  schon  so  aua- 
scblieralich  Tür  die  Predigt  charakteristisch  geworden  war,  doTs  dieser  Ton 
sich  und  anderu  gefeiert«  Schänachreiber  ea  iu  seinen  eotti-intuUitniee  (so 
nennt  er  seine  und  H,nderer  Briefe  öfters)  aowie  seinen  panegyriachen  und 
sopliistiacben  Beden  mied.  Dafür  ist  er  der  Bauptvertj-eter  der  pomphaft 
dithyrambischen  Scbreiborl,  —  Aus  Gregor  von  Tours  hat  M.  Bonnet  in 
MÜnem  berühmten  Buche  p,  721  ff.  viele  Beispiele  für  Antithesen  mit  Komoio- 
telent«  xusammengestellt, 

l)  Cf.  Sidonias  IV  2&,  2  pritedae  praedia  ioTr:,\Ul  3,  3  tum  iam  fmU 

«Mm  frotUe,  11, 1  ubstrvcto  anhtUttt  gttltare  dbstrieto,  IX  7,  2  fiumen  in  verbia 

m  in  dmumli»,  ib.  6  faewtdis  feetmdare  coUoqaiis  und  hundert«  von 

*HeiipieleR.     Ennodius    hat   auch   dies    weniger,   aber   e,  B.   op.  6 

it  orondi  l'agtidivm,  dum  perornndi  tenebar  cupiditate,  nttnari. 

'.  Tours  viel  dgl.  b«i  ßonuet  1.  c- 

r<ue  Uahnosg  opus  e»t  ut  sine  digaimuiatione  lectiU»,  sine 
U  10,  D)  hat  Sidonius  ~  das  inuls  man  ihm  lassen  — 


Sp&Uat.  Litteratnr:  der  neue  Stil:  Gallien.  641 

Was  den  Stil  der  Predigt  betrifiFb,  so  habe  ich  dem  oben  Predigt  in 
(S.  615  ff.)  Ansgefährten  nichts  Neues  hinzuzufügen.  Als  Typen 
fdr  Gallien  können  die  Predigten  des  Faustus  von  Biez  (Beii) 
(t  c.  500)  und  Caesarius  von  Arles  (f  542)  dienen,  um  so 
mehr  als  die  ersteren  kürzlich  von  A.  Engelbrecht  neu  heraus- 
gegeben sind  mit  einer  auch  den  Stil  berücksichtigenden  Ein- 
leitung (Corp.  Script.  Eccl.  Vind.  XXI  1891),  dem  letzteren  von 
C.  Arnold  a.  a.  0.  84  ff.  115  ff.  eine  vortreffliche  Behandlung  zu- 
teil geworden  ist.  Auch  in  ihnen  tritt  neben  andern  rhetorischen 
Mitteln  der  Satzparallelismus  mit  Homoioteleuton  stark 
hervor^),  wenn  auch,  wenigstens  bei  Caesarius,  nicht  in  dem 
Umfang  wie  bei  Augustin,  so,  um  zwei  beliebige  Beispiele  heraus- 
zugreifen: Faustus  serm.  13  in  pcissione  quae  hodie  recitata  est, 
fratres  carissimif  evidenter  ostenditur  iudex  ferox,  tortor  cmenttAS, 
martifr  invidus.  in  cuius  corpore  poenis  variis  exarato  iam  tormenta 
defecerant  et  adhue  membra  durdbant  tot  convida  miraculis  per- 
sistebat  inipietas,  tot  vexata  suppliciis  non  cedebat  infirmitas:  cogno- 
seakur  ergo  operata  divinitas.  quomodo  enim  corruptibüis  pulvis 
contra  tarn  immania  tormenta  duraret,  nisi  in  eo  Christus  habitaret? 
IL  8.  w.  Caesarius  homil.  12  (vol.  67,  1071  Migne)  nee  Uli  qui 
boni  mnt  se  debent  quasi  de  suis  meritis  extoUere  nee  iUi  qui  negle- 


treulich  selbst  befolgt;  und  zwar  las  er  sowohl  die  alten  Autoren  (Sallust, 
von  Cicero  wenigstens  die  Yerrinen)  wie  die  modernen  (aufser  Appuleius 
TOT  allen  Symmachos,  cf.  E.  G^isler,  De  Apollinaris  Sidonii  studiis  [Dies. 
Bmlaa  1886]  78  fL\  ganz  wie  er  von  einem  Freund  berichtet  (ep.  YIII 11, 8) 
legebat  niee$ia»Uer  auctores  cum  reverentia  antiquas,  sine  invidia  recentes; 
Müich  gehört  fttr  ihn  auch  Taeitns  zu  den  alten,  cf.  ep.  IV  22,  2  vetusto 
§emmr€  manannäi  iwre  Cknneliwn  (mtecenis,  Ennodius,  der  ebenfalls  grofses 
Gawioht  auf  die  Lektfire  legt  (fl^ucit  sermo  non  cibsonus,  lectionia  tarnen  opi- 
hm  ampHtmdm  schreibt  er  seinem  Neffen  ep.  VI  23),  hat  von  Cicero  ge- 
leaea  neher  die  Bücher  De  oratore  und  einige  Beden  (in  Pis.,  pro  Cluent.), 
et  WuMb  ladax  und  die  Testimonia  p.  46.  290.  291,  sowie  den  Anfang 
der  iSMo  %  p.  480  credo  ego  vos,  frairea  earissimi^  vener aH  etc.  nach  Cic. 
pco  Bote.  A.  1  tredo  ego  vos,  iudicea,  mirari,  sowie  ep.  n  6  in.  p.  46  quoua- 
fNf  fcmliiw  KesM  äbsUnmOiae?  guousque  fama  ndbilis  .  .  .  veterescet?  nach 
mOiliLI  1. 

1)  C£  flbtr  FamtoB  die  bei  A.  Engelbrecht  1.  c.  XXXIT  angeführten 
Wests  Y0B  B.  Cabrol  (Revue  des  qnestions  historiques  1890  p.  238):  aon 
iÜl  •  •  .  itfSwte  Ici  pkipairt  du  iemps  une  forme  antithäigue,  ,  .  .  II  recherche 
te  «MMMN0M  «I  Ici  rime  au  däriment  de  VidSe  qui  devient  Vesclave  de  la 


642  Von  Hadrian  bis  znm  Ende  der  Eaiseneit. 

gentes  sunt  de  dei  misericordia  desperate;  sed  xUi  cum  humüüaJle 
dei  dana  ct^stodiant  et  isti  cum  grandi  compunctione  cderius  ad 
poenitentiae  vd  correctionis  medicamenta  confugiant,  guia  qui  btrnm 
est,  si  superbire  coeperit,  cito  huinili4itur,  et  qui  superbus  est,  si  se 
humiliat,  per  dei  misericordiam  sublevatur.  Die  ganz  im  Stil  von 
Deklamationen  gehaltenen  Homilien  des  rhetorisch  hochgebildeten 
A  vi  tu  8  von  Vienne  machen  von  diesem  Mittel,  den  Vorschriften 
der  Kunst  gemaJDs,  wohl  nur  an  sehr  pathetischen  Stellen  Ge- 
brauch, z.  B.  in  der  Peroratio  der  20.  Homilie  (p.  134  Peiper): 
laetemur  ergo  exultatione  concordi:  effectu  conditor,  concursor  ad- 
sensu,  populus  lucro,  telius  öbsequio,  fidelis  ut  permaneat,  ne  re- 
manecU  infidelis  u.  s.  w. 


O.  Die  übrigen  Frovinien. 

Qftiuiche  Der  Einfluls  Galliens  erstreckte  sich  bis  nach  Eonstantinopel, 

vor  allem  auch  nach  Rom.  Ausonius  feiert  (prof.  Burd.  1)  den 
aus  Burdigala  gebürtigen  Minervius,  der  in  Rom  lehrte^);  von 
einem  andern  Rhetor  derselben  Zeit  bezeugt  es  Hieronymus 
(z.  J.  Chr.  337) *),  und  kein  Geringerer  als  Symmachus  verdankt 
seine  rhetorische  Ausbildung  einem  Gallier "),  möglicherweise 
dem  genannten  Minervius.^) 


1)  Cf.  Teuffel-Schwabe,  Gesch.  d.  röm.  Litt.»  §  417,  2. 

2)  Cf.  Bemays  in  Gea.  Abb.  11  88,  8. 

8)  Symm.  ep.  IX  88  fatendum  tibi  est  amice:  Gallicanae  facundiae 
haiMtus  requiro;  non  quod  his  Septem  monttbus  eloquentia  Lcttiaris  exeessU; 
sed  quia  prctecepta  rhetoricae  pectori  tneo  senex  olim  Odrumnae  ahtmnus  im- 
mülsity  est  mihi  cum  scholis  vestris  per  dactorem  ituta  cognaüo,  quidquid  in 
me  est,  quod  scio  quam  sit  exiguum,  caelo  tuo  deheo.  riga  nos  ergo  demto 
ex  Ulis  Camenis,  quae  mihi  lac  honarum  artium  primwn  dederunt. 

4)  Cf.  0.  Seeck  in  seiner  Ausgabe  des  Symm.  praef.  p.  XUX.  —  Im 
folgenden  Jahrhundert  gingen  die  Gallier  Studien  halber  nach  Rom:  am 
anschaulichsten  der  Studiengang  des  Partenius,  des  Neffen  des  Ennodias, 
cf.  den  Ind.  nom.  der  Hartelschen  Ausgabe  s.  Partenius;  ferner  Ennodius 
an  einen  Simplicianus  (ep.  VII 14):  tibi,  erudite  puer,  häbeo  graüas,  quod 
quamvis  dicendi  splendore  nituisses  et  in  iUa  urbe  litterarum  scienUa  ad- 
stipulante  lauderis,  mei  quoque  desideras  adiumenta  praeconii  ....  Constüit 
concavatis  (was  heifst  das?)  Latiaris  elocuUo,  dum  per  alveum  «um»  Bo- 
manae  eloquentiae  unda  praektbitw.  —  Im  sechsten  Jahrh.  hebt  Cassiodor 
(yar.  YIII  12)  es  als  bemerkenswert  hervor,  dafs  der  aus  Lignrien  gebürtige 
Arator  trotz  seiner  nicht  römischen  Abkunft  ein  zweiter  Cicero  geworden 


Sp&tlat.  Litteratur:  der  neue  Stil  in  den  Übrigen  Provinzen.      643 
Der  Name   dieses   Symmaclius   übte   auf  die   Gebildeten     sjm 


des  ganzen  Erdkreises  den  gröfsten  Zauber  aus.  Ein  Briefchen 
von  ihm,  auch  des  nichtigsten  Inhalts,  aber  geleckt  und  gedrech- 
selt in  der  Form,  adelte  den  Empfanger;  man  hielt  zuweilen  den 
Boten  auf  dem  Wege  auf  und  liefs  die  Bestellung  nicht  an  den 
Adressaten  gelangen,  worüber  der  gefeierte  Mann  mit  befriedigter 
Eitelkeit  klagt.  Der  berühmteste  transalpine  Litterat  Ausonius 
war  stolz  darauf,  sein  Freund  zu  heifsen  und  tauschte  mit  ihm 
Komplimente  aus.  An  ihn  wendete  man  sich  von  Mailand  aus, 
um  den  dortigen  Stuhl  der  Rhetorik  zu  besetzen:  eine  Ironie 
des  Schicksals  wollte  es,  dafs  er  den  Augustin  empfahl,  den  er 
dadurch  dem  Ambrosius  und  dem  Christentum  zuführte,  er,  einer 
der  letzten  und  mächtigsten  Pfeiler  des  dem  Einsturz  verfallenen 
Pantheon.  In  den  Mauern  der  Stadt,  die  noch  immer  das  Cen- 
tram der  Welt  war  und  als  solches  allen  erschien,  hafteten  die 
Augen  des  Mannes  auf  den  alten  Tempeln  und  Altären;  die  Ge- 
danken des  hochgestellten  Beamten  galten  freudelos  der  Gegen- 
wart, die  des  Menschen  versenkten  sich  mit  liebevollem  Ent- 
zücken in  die  Litteratur  der  herrlichen,  durch  ihre  bitteren 
Schicksale  nur  noch  verklärten  Vergangenheit.  Er  suchte  sich 
auch  in  seinem  Stil  von  den  Excessen  der  Modernen  freizuhalten, 
aber  Wollen  und  'Können  deckten  sich  nicht:  ep.  III  11  sumpsi 
pariter  liUeras  tuas  Nestorea,  ut  ita  dixerim,  manu  scriptas,  quarum 
sequi  gravitatem  laboro,  trahit  enim  nos  usus  temporis  in 
plausibilis  sermonis  argutias.  quare  aequus  admitte  linguam 
saeeuli  nostri  et  deesse  huic  episiulae  Atticam  sanitatem  boni 
amsuJe.  quodsi  novitatis  impatiens  es,  sume  de  foro  arbitros,  mihi 
an  abi  stüi  venia  poscenda  sit.  crede,  cahulos  plures  merd>or,  noti 
er  aequo  ae  bano,  sed  quia  plures  vitiis  communibus  favent  itaqucy 
ut  ipse  namnumquam  praedicas,  spectator  tibi  veteris  monetae^) 
arins  supersum;  ceteros  delenimenta  aurium  capiunt  stet  igitur 
mkr  nos  ista  pactio,  ul  me  quidem  iuvet  vetustatis  exemplar  de 
OMtogirapho  tuo  sumere,  te  autem  nan  paeniteat  scriptorum  meorum 
fam  novitatem,  was  er  natürlich  nicht  gar  so  ernst  meint.  Er 
Yerlengnet  in  seinem  Stil  nicht  den  Einflufs  seiner  durch  einen 


—  BhetoxiBche  Vorträge  in  Rom:   Sidon.  ep.  IX  14,  2  dignus  omnino, 
pkmmbüis  Borna  foveret  ulnis  guoque  recitante  crepitantis  Athenaei  suh- 
mUta  ommkL  guakren^ur,  cf.  carm.  8,  9  f.  9,  299  ff.   Vgl.  aach  oben  S.  634  f. 
1)  Cf.  oben  S.  864  f. 

SotA«b,  •bUIeo  KnnttproM.  n.  42 


machas. 


644 


Ton  HadriaB  bis  t 


1  Ende  der  Kaiaeneit. 


galliaclien  Rhetor  erhaltenen  Äasbildung  (S.  C43). 
teile  der  Zeitgenoeaen  und  der  Späteren^)  sind  bezeichnend 
Ansonius  I  32  (der  BriefaammluDg  dea  Syinmachus):  suavissmus 
nie  floridus  tui  sermonis  efflabis.  haud  quisquam  ita  nitet, 
ui  comparatus  tibi  non  sordeat.  ÄmbroaiuB  ad  Yalentiuianam 
ioD.  (=  adv.  Symm.  2):  aurea  est  Ungua  saptentium  litieratorum, 
quae  phaleratis  doUzta  scrmonibus  et  quodam  splendenÜs 
eloquii  velut  coloris  pretiosi  corusco  testtltans  capit  aninto- 
rum  oculos  specie  formosi  visuque  perstringif.  Prudentius  adv.  Symm. 
II  praef.  Qu.6  nunc  nemo  diserlior  Exxütat  frcmit  intonat  Ventisque 
eloquii  turnet.  Macrobins  sat.  V  1,  5  fF.  oratortim  non  Simplex 
ncc  una  natura  est,  sed  hie  fluit  et  redundat,  contra  ille  hrevitcr  et 
äreumcise  dicere  adfeetat,  temiis  quidam  et  siccus  et  sobrius  amat 
quandam  dicendi  fnigalitatem,   alius  pingui   et    luculcnta   et 

florida  oratione  lascivit copiosuvi  (genus  dicendi  est) 

in  qvo  Cicero  äominatur,  breve  in  quo  SallusHus  regnat,  sicctim  guod 
Frontoni  adscr3>itar,  pingue  et  floridum  in  quo  PUnius  8e- 
cundus  quondam  et  nunc  nvllo  veterum  minor  noster  Sym- 
machus  luxuriatur.  Sidonius  ep.  I  1  Symmachi  rotundilatem. 
Wir  können  die  Berechtigung  dieser  Urteile  an  seinen  Briefen, 
sowohl  den  spielerischen  an  Privatleute  als  den  offiziellen  an 
die  Kaiser  gerichteten,  und  an  seinen  Reden  prüfen:  überall  c 
selbe  Zierlichkeit  (besonders  Antithesen  mit  dem  üblichen  Zifl 
rat^)),  die  in  den  panegyrischen  Beden  mit  starkem  Pathos  i 


1)  Ich  entnehme  nie  der  Znaammenstelliutg  von  A.  Uai  in  Beiaer  « 
Ausgabe  der  Beden  (Mailand  ISIS)  praef.  p.  1  f.    Cf.  aucb  die  gute  i 
meine  Beurteilung  von  Chr.  O.  Heyne,  Ceneura  ingenii  et  morum  Q,  Aoi 
Symiaaclii  (Qött.  1801  =  opusc.  VI  1  ff,). 

t)  Ana  den  Reden  cf.  z.  B.  in  ValontiniaDum  laud.  I  6  (p.  830  S«M 
futfit  aliquia  in  pace  iuwtuJtis,  sed  ttian  rebus  Irepiäia  parum  felüe; 
timuerint  factiosi,  eeil  despeetui  haliuere  concordti;  hunc  tfiolavdum  i 
cmdidit,  »011  fanwti  eiiam  sublittuutdttni  aliquii  aegiimavü;  ilti  Aonomn  r 

t  eicercittie,  seil  idem  lattiit  ittUc  privatw:  te  ununi  tiTMnt  rebella,  i 
tdieantes,  ijaem  mmo  audax  in  fwore  amUmpsü,  nemo  conrnKui  i 
raettriil.  quid  inttreat,  saetnat  mika  an  sajpiat?  tibi  i'ra  ett,  tu  » 
<Mft{ilKii  f«,  tu  Bohia  tligerig.    ib.  §  lO  (ib.)  mniore  i 
-'UtnmtH,  qttam  adeptu»  es  probatns    imperiunt- 
1  jftrma  renovarH,  ptr  easdtm  catli  lineas  labe 
I  aut  in  rtnataendo  variai  mutaret  effigüs  <tii(  i 
attatm.     %  9  (p.  SSO)  itejue  tnim  tanlum   ilh'^ 
militant-  in  Valentiaian.  Innd.  11  @  fl  (p.  326) 


Sp&tlat.  Litteratur:  der  neue  Stil  in  den  übrigen  Provinzen.      645 

mischt  wird^  wohl  kadenzierte  Sätze  mit  strenger  Beobachtung 
des  rhythmischen  Kursus  am  Schlufs,  jedes  Wort  überdacht^  wie 
wir  besonders  erkennen  aus  jenen  bessernden  (d.  h.  stets  die  Zier- 
lichkeit steigernden)  Bemerkungen ,  die  er  an  den  Rand  einer 
neuen  Ausgabe  der  Reden  nachtrug  und  die  wir  nun  mit  der 
ersten  Fassung  vereinigt  im  Text  lesen.  ^)  Wir  würden,  auch 
ohne  dafs  es  uns  ein  Zeitgenosse  sagte  (Macrob.  1.  c),  fühlen, 
dafs  der  jüngere  Plinius  sein  stilistisches  Ideal  ist,  dessen  Manier 
er  gelegentlich  durch  ein  paar  Archaismen  nach  Frontos  Muster 
aufputzt.  Aber  man  kann  nicht  sagen,  dafs  er  je  geradezu  ge- 
schmacklos geworden  wäre  wie  Appuleius  oder  Sidonius,  der 
sich  auch  einbildet,  den  Plinius  zu  imitieren.  Er  hält  eine  ge- 
wisse Mitte  glücklich  ein,  so  dafs  von  ihm  selbst  gilt,  was  er 
von  einem  (nicht  weiter  bekannten)  Redner  Antonius  schreibt 
ep.  I  89:  praeter  loquendi  phaleras  guibus  te  tuxtura  ditavü, 
sentte  quiddam  planeque  conveniens  auribus  patrum  gravi- 
täte  sensuunif  verborum  proprietate  sanuisH.  denique  etiam 
hi,  guarum  Minerva  rancidior  est,  non  neganty  facundiam  tuam 
euriae  magis  quam  caveae  convenire;  at  iUi,  gpios  cothumus  aUior 
wkit  et  structurarum  pigmenta  delectant,  neque  tristem  soHdi- 
totem  neque  lascivum  leparem  consona  laude  celebrarunt  Mec  sunt 
enim  condimenta  tui  oris  et  pectoris,  quod  nee  gravitate  horres 
nee  venustate  luxurias,  sed  ratione  fixus  ac  stabilis  germanos 
cölares  rebus  öbducis.  Ja,  einmal  hat  er  es  verstanden,  aufs  tiefste 

kiMlexmuB  te  ideo  praemisisse  nonnuUoa  ne  esset  tarda  vidoria,  ideo  pleros- 
que  iemnese  ne  esset  muUitudo  suspecta  (solcher  Chiasmus  in  den  Beden 
nur  hier,  offenbar  dem  rhythmischen  SchluTs  zuliebe),  in  Gratian.  laud.  4 
(p.  380)  spe  eleetus  es,  re  probatus.  pro  Flavio  Severo  1  (p.  886)  vos  tarnen 
flifSwnMs  nm  diffidentia  istud  fieri  sed  revereniia.  pro  Sjnesio  §  3  (p.  337) 
«OH  iieo  Sifnesius  in  eenahim  legendus  est,  quia  mihi  amicitia  iwngitUTy  sed 
Mm  amkm  est  nuM,  quia  dignus  est  qui  legatur.  ib.  §  4  (ib.)  siguidem 
dt§miia§  kmaia  feUeiMis  est,  delata  virtutum.  Aus  den  Briefen:  I  8  p.  6, 
«OL  I  t5  p.  14|  27.  m  8  p.  70,  27.  IQ  46  p.  85,  29.  IV  56  p.  117,  15.  V  86 
pu  140,  tl  eto.  (also  nicht  eben  h&ufig).  Wortspiele  nicht  oft»  z.  B.  laud.  in 
YriliiHii  n  1 16  (p.  826)  servitus  miaeras,  quod  amiserat^  extruehat  ep.  1, 10 
haee  opera  intermitHt,  amiUit. 
1)  Kiie  irichtige  Entdeckung  Seecks,  praef.  p.  X  ff.  (Ob  das  Verhältnis 
mlUlai  Yernimen  bei  Dio  Chrys.  or.  11, 22  f.  [I  p.  120  f.  Arnim]  analog 
vtaOen  ist?)  Ein  Vergleich  der  älteren  und  jüngeren  Fassung  ist 
L  IfllBveioli,  um  den  stilistischen  Qeschmack  dieser  Spätzeit  zu  er- 

42* 


646  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

zu  ergreifen:  in  jener  berühmten^  im  J.  384  an  Theodosius  ge- 
richteten Relation  (=  ep.  X  3)  über  den  Altar  der  Victoria 
und  den  Kult  der  Vesta:  das  Todesseufzen,  das  die  Worte  der 
in  Trauergewand  auftretenden  und  selbst  redenden  Roma^)  durch- 
zittert,  tönt  mit  ungeheuer  packender  Gewalt  noch  zu  uns  herüber: 
ein  Dokument  von  ganz  einziger  Bedeutung,  in  dem  die  Rhe- 
torik des  Herzens  mit  einer  seit  Demosthenes  und  Cicero  bei- 
spiellosen Reinheit  zum  Ausdruck  kommt,  weitaus  das  Grofs- 
artigste,  was  nach  Tacitus  von  einem  Anhänger  der  alten  Religion 
in  lateinischer  Sprache  geschrieben  ist,  und  hinter  dem  Ambrosius 
weit  zurückblieb,  mochte  seine  Gegenschrift  auch  der  yictrix 
causa  gelten:  das  ergreifende  Bild  von  der  trauernden  Roma  ist 
bis  auf  Dante,  Petrarca  und  Cola  nicht  vergessen  worden.^)  — 
Ammianns  Mit  Sjmmachus  befreundet  war,  wie  es  scheint^),  Ammia- 

linuB.  nus  Marcellinus,  dem  mit  Recht  ein  ehrenvoller  Platz  in  der 
spätlateinischen  Litteraturgeschichte  eingeräumt  wird.  Es  ist, 
wie  bemerkt  (o.  S.  573),  für  die  andauernde  geistige  Superiori- 
tät  des  Ostens  über  den  Westen  äufserst  bezeichnend,  dals  die 
beiden  einzigen  Schriftsteller,  die  sich  in  dieser  späten  Zeit  noch 
zu  wirklich  bedeutenden  Gesamtkompositionen  in  lateinischer 
Sprache  aufschwingen  konnten,  geborene  Griechen  waren,  neben 
Ammian  der  Dichter  Claudian,  Wer  auch  nur,  wie  ich  selbst, 
ein  paar  Bücher  Ammians  gelesen  hat,  ist  von  der  Frische 
der  Darstellung,  von  der  Kunst  des  Charakterisierens,  in  der 
auch  Claudian  Grofses  leistet,  von  der  derben  Natürlichkeit 
und  Originalität  des  im  Wafifenhandwerk  erprobten  Schrift- 
stellers, von  der  starken  Subjektivität  in  Hafs  (Constantius)  und 
Liebe  (lulian)  aufs  angenehmste  berührt.  Selbstverständlich  darf 
man  ihn  nicht  an  Sallust  und  Tacitus  messen,  die  er  neben 
Florus  (cf.  XI Y  6,  3)  besonders  studiert  hat  (gegen  Sallusts 
Historien  XYII  11,  4,  nach  Tacitus'  Tiberius  und   Gtermanicus 

1)  Cf.  übrigens  auct.  ad  Her.  IV  58,  66.  [Dio  Chrys.]  de  fort.  er.  2  §  16 
(II  162,  10  V.  Arnim). 

2)  Eine  gerechte  Würdigung  des  Inhalts  dieser  welthistorischen  Ur- 
kunde mit  der  Gegenschrift  des  Ambrosius  bei  G.  Boissier,  La  fin  du  pa- 
ganisme  II  (Paris  1891)  817  ff.  —  Wieviel  bedeutender  Syimnachiii  war 
als  sein  Zeitgenosse  libanins,  erkennt  man  dentlieh,  wenn  man  die  adhwich- 
liehe  Bede  des  1«***^  ^    **  lÜm  die  Daldnifg  des  heidnisohen 


SfAtlat.  Litteratur:  der  neae  Stil  in  den  übrigen  Provinzen.      647 

die  brillante  Schildenmg  des  Constantius  und  lulian),  sondern 
mulii  ihn  mit  den  armseligen  Geschichtskompilatoren  seiner  eignen 
Zeit  yergleichen.  Dafs  er  historischen  Blick  hatte ,  zeigt  die 
Aosf&hrlichkeit  in  der  Behandlung  der  Germanen-  und  Perser- 
kriege, sowie  seine  bei  aller  Schwärmerei  fär  lulian  verständige 
Auffassung  des  Christentums ^  von  dem  er  allerdings  nur  ganz 
gelegentlich  spricht:  letzterer  Umstand  mag  uns,  die  wir  wissen, 
daÜB  das  Christentum  gerade  in  jener  Zeit  der  entscheidende 
Faktor  der  inneren  Weltverhältnisse  war,  wunderlich  erscheinen, 
aber  wir  müssen  bedenken,  dafs  eine  Darstellung  der  allgemeinen, 
die  Welt  bewegenden  Ideen  von  der  antiken  Geschichtsschreibung 
überhaupt  nie  erreicht,  ja  nicht  einmal  angestrebt  worden  ist. 
Natürlich  fehlt  es  bei  allen  Vorzügen  nicht  an  Sonderbarkeiten, 
die  ihn  als  Eind  seiner  Zeit  zeigen:  besonders  durch  seine  Ex- 
kurse, die  er  nach  althergebrachter  Manier  einlegt,  bringt  er 
den  modernen  Leser  zur  Verzweiflung,  denn  er  zieht  sie  an  den 
Haaren  heran  und  sie  sind  mit  wenigen  Ausnahmen  (so  den 
geographisch-ethnographischen)  unsäglich  banal  und  in  ihrer  ge- 
spreizten Schaustellung  von  allerlei  gelehrtem  oder  dilettanten- 
haftem  Baritätenkram  widerlich:  die  Kluft,  die  den  Graeculus 
und  den  Spätling  von  Tacitus  scheidet^  tritt  in  ihnen  besonders 
stark  hervor;  aber  wir  können  uns  darauf  verlassen,  dafs  gerade 
diese  Exkurse  auf  seine  Zuhörer,  denen  er  das  Werk  etappen- 
weise vorlas,  einen  besondem  Eindruck  machten  und  sie  zwischen 
all  den  fränkischen,  alamannischen  und  sarazenischen  6v6nata 
ßafßccQ^xd  angenehm  berührten.  Der  Stil  im  ganzen  betrachtet 
ist  der  Mode  gemäfs  hochpathetisch:  die  Rhetorik  drängt  sich 
bei  ihm  in  einer  für  uns  ebenso  verletzenden  Weise  vor  wie  bei 
Yelleius,  Florus  und  Eonsorten;  Libanios  (ep.  983)  nennt  seine 
Vorlesungen  imdst^sig,  von  seiner  Schilderung  der  Thaten  Julians 
sagt  er  selbst  (XVI 1,  3):  ad  laudativam  paene  materiam  pertinebit 
(also  wie  bei  Eunapios),  und  er  hat  notorisch  als  Quellen  auch 
Panegyriken  benutzt;  daher  merkt  man  allenthalben  die  Ein- 
flüsse der  Deklamatorenschule,  so  in  der  Schilderung  der  Foltern 
(XIV  9, 6,  s.  o.  S.  286)  oder  der  Wechselfälle  der  Fortuna  (XIV 
11,  26  £y  s.  0.  S.  276)  und  in  der  grolsen  indignatio  über  den  Ver- 
fiA  der  Bitten  und  der  Beredsamkeit  (XXX  4,  s.  o.  S.  245  f.  309). 
Wnlfii  ist  die  Stilisierung  fast  durchweg  von  einem  ganz 
dieii  Sehwulst;  ungeheuerliche  Metaphern  jagen  sieb 


048  Von  Ilailriun  bis  zum  Kndc  ilcr  Eaiserzeit. 

förmlicli;  XIV  5^  1  Constantitis  insolentiae  pondera  gravius 
libratis  Gcrontium  exulari  maerore  multavit  6,  3  tefnpare 
(jHO  primis  auspiciis  in  mundamim  fulgorem  surgeret  victura 
dum  crtmt  Iwinines  Borna  XY  7,  1  dum  hos  ex^itwrum  commu- 
nium  dades  suscitat  turbo  feralis  XYI  12,  57  spuinans  cruore 
harbarico  decolor  alvcus  instieta  stupebat  augmenta  (cf.  XVII  4,  14) 
XVIII  4,  1  oricntis  fortuna  periculorum  tcrribües  tubas  inflabat 
(cf.  XV  2,  1,  XVI  8,  11,  XVIII  4,  1)  5,  4  PalaHna  coliors  palt- 
nodiam  in  cxitium  concinens  nostrum,  ebenso  Bilder,  wie  XIV  1, 
10  Caesar  aoius  efferatus  velut  contumadae  quoddam  vexillxim 
altius  crigens  9,  7  ferociens  Gallus  ut  leo  cadaveribus  pastus  (Bil- 
der aus  dem  Tierleben  liebt  er  sehr,  cf.  4,  1,  XV  3,  3,  XVIII 
4,  4).  Der  Stil  als  Ganzes  gehört  also  zu  der  Richtung,  die 
wir  als  die  'moderne'  bezeichnet  haben. ^)  Aber  der  Stil  im 
einzelnen  steht  fast  isoliert  da.  Es  giebt  auiser  TertuUian 
keinen  lateinischen  Schriftsteller,  der  in  dieser  Weise  gräcisierte. 
Und  zwar  ist  dieses  Gräcisieren  kein  beabsichtigtes,  sondern 
die  natürliche  Folge  der  Unfähigkeit  des  Schriftstellers^  sich  in 
korrektem  Latein  auszudrücken:  er  denkt  griechisch.  Vieles 
läCst  sich  nur  fühlen,  vieles  aber  auch  beweisen  (was  es  bbher 
darüber  giebt,  ist  ganz  ungenügend),  z.  B.  XIV  10,  16  mox  dicta 
finierat,  multitudo  onmis  ad  quae  imperator  voluit,  consensit,  svdifg 
rov  Xiyov  xsQUivoiiivov  nav  xo  nk^^oq  alg  a  6  avrojcparop  ißov- 
JUro  övyxati^stOj  XIV  4,  4  exaggerare  incidentia,  xa  tfvfure- 
6&tfxaj  XMI  12, 6  urendo  rapiendoque  occurrentia  mäUaris  tufio 
castabai,  xä  xvxövxa,  XVIII  1,  1  muUa  conducentia  dispotuibatj 
xa  tvfupiQwnttj  3,  6  multa  garritbat  et  saeta  xoUi  ual  iava; 
in  dem  Satz  XY  5, 6  f.  Mailobaude  spondenk  guod  remeahU  . . . ., 
haec  quae  ipse  pdUiciius  est  impleturum.  testaifahtr  emim  id  st 
proad  dubio  sdre  guody  siqui  mitteretur  extermmSj  smcpte  üngenio 
SUoamus  owipasvfai  forte  tnrbabit  ist  im  Modos  dreimml  gegoi 
den  Geist  der  lateinischen  Sprache  gesündigt»  wahrend  er  im 
Cfacieeliiaehen  korrekt  wäre;  am  meisten  fiel  mir  anf  da  fiber 
Ige  Gebrauch  Ton  Partisipialkonstroktionaiy  die  im  Lateini- 

abor  sehr  bemeikeniwerti  daCi  er  Uokels  sad  BsbohMriU 

ab  sncU,  entweder  weil  er  ^boa  Aer  ^axb  mun 

ft^  (a  o.  a  40t  £),  oder  wol  ät  ük  n  ^vlksttaüicb 

ftosal  wann:  klikiu  Mt  walmakaaliebcc  da 

iiidit,  aaSLesa|4. 


SpftUai.  Litieratur:  der  neue  Stil  in  den  übrigen  Provinzen.      649 

sehen  ebenso  unbeliebt  wie  im  Griechischen  beliebt  sind,  z.  B. 
XIY  2j  13  tibi  conduntwr  nunc  usque  cotnmeatus  distribui  müüibus 
amne  latus  Isauriae  defendentibus  adsueti,  6,  7  laeditur  hie 
coetuum  magnificus  splendor  lemtate  paucorum  inconditUy  ubi  naii 
sunt  nan  reputantium,  ib.  8  quidam  aetemitati  se  cammendari 
passe  per  statuas  aestimantes  eas  ardenter  adfectant,  ivioi  t^ 
ai&vi  övöti^ösiv  iavtovg  di  &v8(fi,dvx(ov  oUfLBVoi  deiv&g  avt(yvg 
XBQucoiovvxai  (aber  lateinisch  hätte  es  heüsen  müssen:  quidam 
slatuas  quüms  aetemitati  se  eommendari  posse  aestimant  ardenter 
adfectant),  XYIII  2,  15  post  saepimenta  inflammata  et  obtrun- 
catam  haminum  multitudinem  visosque  cadentes  multos,  cf.  XIV 
5,  4.  6,  10.  XV  6,  2  L  f .  7,  9  L  f.;  daher  hat  er  nicht  selten 
mÜBgestaltete  Perioden,  z.  B.  XTV  7,  7  Serenianus,  pulsatae  maie- 
statis  imperii  reus  iure  postulatus  ac  lege,  incertum  qua  potuit 
suffragatiane  absdvi,  aperte  canvictus  familiärem  suum  cum  pileo, 
quo  Caput  operUbat^  incantato  vetitis  artibus  ad  templum  misisse 
faüdieumf  XV  2,  10  Gorgonius  otmspiratione  spadonum  iustitia 
eoncimuMs  mendaeiis  obumbrata  perictilo  ecclutus  abscessit.  Auch 
das  Cref&hl  f&r  die  Proprietät  der  lateinischen  Wortstellung  geht 
ihm  ab,  wodurch  seine  Lektüre  uns  sehr  erschwert  wird;  er 
ändert  nicht  nur  die  übliche  Wortfolge  wegen  des  rhythmischen 
Satzsehlusaes  (^  3  j.  ^  3  oder  z  3  .  ^  .  ^  oder  z  ^  ^  z,  s.  Anh.  11)^ 
z.  B.  XIY  2f  17  quarum  tutela  securitas  poterai  in  solido  locari 
cunelarwn,  7,  21  quam  neoessario  aliud  reieci  ad  lempus,  h,  'A 
vestigia  daritmimis  pristmae  numstrat  admodum  pauca,  10,  5 
Salus  est  m  tnäo  loeata  praefectij  10,  14  qw>s  fama  per  pla- 
garum  guogue  aeeolas  eztimarum  diffundit,  XV  7,  3  Marcus 
eomUdit  imperator,  7,  5  suppiieio  est  eapitali  addictus,  XVII 
2^  1  exfkri  se  posse  praedarum  opimitati  sunt  arbitrati,  4,  1 
abdisem  Htmm  m  cireo  erectus  est  mazimo,  4,  12  aller  in 
eau^po  loealus  est  Martio^  4,  14  circo  inlatu»  est  mazimo, 
XVm  1,  2  erat  mdeämabSUs  iust/jrum  iniusU/rumque  diaiinctor, 
XVI  %  ^^tmggerato  Uaque  negotio  ad  arfnirium  tempr^um  cum 
amM  jmC  isswsesda  multorum  meettireimr  \  iudieesqwt  haerereni 
mmhiguig  I  imsiem  veritas  respirofH  opprehna     e/  in  af/rui/to 

■fier  Bufinum  taHus  marMwu  c^mfM^r  auctorem,  \ 
fimJititi'  smpf^etta  ^),  wandern  auch  ohne  iiftt'Asn  Onrifi, 

m  ötfc  «rlaobt,  das  htrxhi:,^  zzLit^j^  «ib  mA/tm 


650  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Kaiserzeit 

wie  XV  5;  25  ut  ad  imperatoris  novelli  per  ludibriosa  auspicia 
virium  accessu  firmandi  sensum  ac  voluntatem  dux  fMnlis  ver- 
teretur,  6,  1  ne  reos  atrocium  criminum  promiscue  citari  faceret 
multoSf  XVII  1,  1  praedam  Mediomatricos  servandam  ad  re- 
ditum  usque  suum  duci  praecipit  —  Eine  genaue  stilistische 
Würdigung  des  Ammian,  die  ebenso  wie  eine  gute  Ausgabe  ein 
dringendes  Bedürfnis  ist^  wird  das  alles  im  einzelnen  darzulegen 
haben.  Ich  führe  zum  Schlufs  noch  eine  treffende  Charakteristik 
des  ammianischen  Stils  von  y.  Gutschmid  an  (El.  Sehr.  V  583  f.): 
^yAmmian  schreibt  ein  blumiges  und  barbarisches  Latein;  sein 
gesuchter,  outrierter  Stil  steht  unter  dem  Einflüsse  der 
asianischen  Rhetorik,  die  in  seiner  Zeit  den  Geschmack  be- 
herrschte. .  .  Als  Grieche  und  Soldat  schreibt  er  unsicher.  Aber 
die  Diktion  ist  trotz  des  Schwulstes  nicht  ohne  Kraft.  .  •  Die 
Perioden  sind  gedunsen  imd  leiden  an  Wortüberfülle.  Poetische 
Worte  sind  sehr  zahlreich,  nicht  minder  obsolete  Worte ^),  Me- 
taphern und  Neuerungen  im  Gebrauch  der  Worte.  Er  vermeidet 
griechische  Worte,  die  er  immer  nur  mit  einer  entschuldigenden 
Formel  anbringt;  um  so  häufiger  sind  Graecismen  aller  Art.  .  . 
Am  übelsten  sind  die  schlechten  Constructionen  und  die  barocken 
Wortstellungen,  die  erst  bei  einiger  Überlegung  den  Sinn  des 
Schriftstellers  ergeben."  — 
merony.  Ilierouymus,    weitaus   der   gelehrteste    aller    christlichen 

lateinischen  Schriftsteller,  der  zu  den  heidnischen  Autoren  ein 
so  intimes  Verhältnis  hatte  wie  kein  anderer,  tadelt  zwar  oft 
genug  den  Schwulst  und  die  Ziererei  in  der  Diktion  seiner  Zeit- 
genossen'), aber  wie  er  inhaltlich  ganz  als  Rhetor  schreibt^  nn- 
mäfsig  im  Lob  wie  im  Tadel  je  nachdem  es  ihm  gerade  palst, 
sophistisch  in  der  Argumentation'),  so  hat  er  sich  auch  formell 
nicht  überall  von  den  Auswüchsen  des  pathetischen  StUs  frei- 


Tempus  zu  setzen:  8%  Numa  PömpUiiAS  vd  SocraUs  bona  guaedam 
de  spadane,  a  veriUUe  descivisse  arguebaniur. 

1)  Z.  B.  XIV  1,  9  non  nisi  luce  palam  egrediens  ad  agenda  quae 
putabiU  aeria  cemdHxhiNr.  et  haec  qmdem  medulUius  müUia  gewtenübui 
ogebanitHr. 

2)  CL  oben  8.  M6.    Ferner  ep.  40,  2  (I  187)  numqmd  aohta  Onoiui 
«Mphii  4  JM  wHkhun  vetieamm  tummHa  buecis  trutmatur  m- 

^hqmUiam  nor«  mUmamio, 

n.  worden,  of.  i.  B.  Job.  Glericos,  Qoae- 


Sp&Uat  Litteratur:  der  neue  Stil  in  den  übrigen  Provinzen.      651 

gehalten^);  z.  B.  setzt  er  den  ganzen  Apparat  der  sophistischen 
Deklamationskünste  in  Bewegung  bei  der  Schilderung  der  Fol- 
tern einer  Christin  und  ihrer  wunderbaren  Rettung  (ep.  1)^  und 
es  finden  sich  bei  ihm  genug  Stellen  wie  die  folgende  (ep.  14^  10, 
I  p.  36  Vall.):  sed  quoniam  e  scopulosis  locis  enavigavit  oratio  d 
inter  cavas  sputneis  fltictibus  cautes  fragilis  in  dUum  cymha  pro- 
cessU,  expandenda  vela  sunt  ventis  et  quaestionum  sccpulis  Irans- 
vadatis  laetantium  more  nauiarum  epilogi  cdeuma  cantandum  est. 
0  desertum  Christi  fhribus  vemans^  o  solitudo  in  qua  Uli  nascuntur 
lapides  de  quibus  in  apocälffpsi  civitas  magni  regis  extruitur,  o  ere- 
mus  famüiarius  deo  gaudens.  quid  agis  frater  in  saecülo,  qui  inaior 
es  mundo?  u.  s.  w.  Von  Asella^  der  Schwester  seiner  gelehrten 
Freundin  Marcella  schreibt  er  (ep.  24,  5,  I  130  Yall.)  nMl  illius 
severitate  iucundius  nihil  iuctinditate  severius,  nihä  stiavitate  tristius 
nikU  tristitia  suavius.  ita  pallor  in  fade  est,  ut  cum  continentiam 
indicet  non  redoleat  ostentationem.  sermo  silens  et  silentium  loquens, 
negleda  mundities  et  in  culta  veste  cuttus  ipse  sine  cuUu,  Unter 
seinen  Briefen  ist  der  117te  eine  grimmige  Invektive  gegen  eine 
Jungfrau  in  Gallien,  die  sich  mit  ihrer  Mutter  entzweit  hat.  Er 
schildert  ihr  Treiben  mit  so  lebhaften  Farben,  als  ob  er  selbst 
dabei  gewesen  wäre,  und  läfst  sie  selbst  den  Einwurf  machen 
(c.  8) :  unde  me  nosti  et  'quomodo  tarn  longe  positus  iactas  in  me 
oculas  tuos?  Schliefslich  (c.  12)  hält  er  es  selbst  für  nötig  zu 
sagen:  haec  ad  brevem  lucubratiunculam  celeri  sermone  dictavi  .... 
quasi  ad  scholasticam  materiam  me  exercens  .  .  .  simulque 
ut  ostenderem  dbtredaioribus  meis,  quod  et  ego  possim  qttidquid 
venerit  in  buccam  dicere.  Daher  machte  ihm  sein  Gegner  Vigi- 
lantius  den  Vorwurf,  den  er  selbst  berichtet  contra  Vigil.  c.  3 
(vol.  II  389  Vall):  scd  iam  tetnpus  est,  ut  ipsius  verba  ponentes 
ad  singüla  respandere  nitamur,  fieri  enim  potest,  ut  rtwsum  ma- 
Ugnus  interpres  dicat  fictam  a  me  materiam,  cui  rhetorica 
deelamatione  respondeam,  sicut  ülam,  quam  scripsi  ad  Oallias, 
wudris  et  fiUae  inter  se  discordantium.  — 

Von  Ambrosius  als  Stilisten  gilt  das  Gleiche,  wie  sehr  er  Ambrodm 

1)  Er  entschuldigt  sich  einmal  eingehend,  dafs  er  ein  Werk  nicht  ge- 
nflgond  stilistiBch  habe  feilen  können:  comm.  in  Zachariam  1.  III  praef. 
(toL  71  S  p.  880  f.  YalL),  und  ärgert  sich  über  einen  Mönch,  der  seine 
Sfcpaitaehrift  gegen  lorinian  wegen  ihres  Stils  getadelt  hatte:  ep.  50,  2  f. 
a  Ul  f.). 


652  ^OB  Hatlrian  bis  zum  Ende  der  Katserzett. 

auch  als  MeuBch  den  Hieronymus  überragt.  Was  ist  aucli 
greiflicher,  als  daXa  der  gewaltige  Prediger,  der  den  jungen 
Auguetm  durch  die  Schönheit  seiner  Diktion  bezauberte  (Aug. 
conf.  V  13,  oben  S.  5),  sich  wenigateoB  ia  den  Predigten')  des 
modernen  Stils  bedieute,  der  auf  die  Herzen  und  den  Sinn  der 
Zuhörer  den  gröfsten  Eindruck  machen  mufste?  Am  stärksten 
tritt  dies  Bestreben  hervor  in  den  Predigten,  die  er  in  Nach- 
ahmung des  BasileioB  über  die  Schöpfungsgeschichte  hielt,  z. 
um  eine  beliebige  Stelle  herauszugreifen,  Hexaem,  III  15, 
(14,  183  Migne):  inexplicahile  est  singulamm  rerum  exquirere 
proprietatcs  et  vel  diversilates  earum  mattifesla  teslificatione  du 
guere  vel  latentes  oceultasqite  causas  indeficientibus  aperire 
mentis.  una  nempe  atgue  eadem  est  aqua  et  in  diversa3  plenimque 
sese  mvtat  speäes:  aut  inter  arenas  flava  aut  intcr  catttes  spumea 
aut  inter  netnora  viridantior  aut  inier  florvlcnta  discolor  aut  inier 
lüia  fidgentior  aut  inter  rosas  nitilantior,  aut  in  gramine  ligjiidior 
aut  in  palude  turbidior  aut  in  fönte  perspicacior  aut  in  mari  6b- 
scttrior,  assumpto  locorutn  quOtus  infinit  colore,  decurril.  r^orem 
qtwgue  pari  rakone  commutat,  ut  inter  vaporantia  fcrveat,  inter 
umbrosa  frigescat,  sole  repercussa  exftestuet,  nivOnis  irrigata  glaäali 
humore  canescat  u.  s.  w.  Eine  ähnliche  Periode  aus  dem  Anfang 
des  zweiten  Bucha  De  virginitate  analysiert  Äugustin  de  doctr. 
Christ.  IV  48  als  ein  Muster  des  grande  dicondi  genus.^)  — 

Die  absolute  Geschmacklosigkeit  drang  aber,  wie  in  (üallien, 
auch  in  den  andern  Provinzen  erat  seit  der  Mitte   des  V.  Jahr- 


De  ofs'o^^H 

eleaen,  <>4^^^| 


1)  Sachlicher  und  einfacher  scliteibt  er,   soweit  ich  mich 
der  auf  Ciceroa  Büchern  Ton  den  Pflichten  aufgebauten  Schrift  De 
imnistroram,  cf.  R.  Thamin,  8.  Ämbroise  et  1a  morale  ebr^tienne 
Piris  1B9G.    Von  den  äbrigen  Schriften  habe  ich  zu  wenig  gelesen, 
darüber  nrtcilen  zu  kennen. 

2)  Der  Ciceroniftner  in  Eraarntta'  dialogua  Ciceronianus  (p.  1008  B  der 
Äuignbe  Ton  ITOÜ  vol.  1}  lu-teilt  aber  Ambrosius:  gaudet  argntia  alttmonibw, 

[  aeclamMionibus,  «ec  praeter  scntenliae  quicguam  lo^itur:  membrii  meitis 

•••tatibua  mioia-osus  ik  modulatus  eumn  quoddam  dictnHi  genm  habet  atiiis 

le,  $td  a  TuHiano  gcnere  diiKr»i»simvm.    Fänälon,   Dialogues   aar 

ip^s  ITIS)  !34  Saint  Ambroise  sut't  qntlquefeiis  la  mode  de 

tmne  ö  ton  dinwtr«  Uf  omeme^u  qit'on  tttimoU 

ftattda  homme»  gut  avoitia  des  nl£s  p^hs  havtcs  gw  I 


VBIogttmce,  se  conformoienl  au  goül  du  (eiw,  pour  fi 
parok  de  J)icu,   rt  pour  insinaer  Its  rtriltt  de  t 


SpäUat.  Liiteratur:  der  neae  Stil  in  den  übrigen  Provinzen.      653 

hunderte  ein.  Wer  einiges  aus  den  Gesetzessammlungen  jener 
Zeit^  aus  Cassiodors  Variae,  aus  Venantius  Fortuuatus'  Prosa- 
schriften gelesen  hat,  weifs^  dafs  der  Stil  bis  zur  völligen  üu- 
yerständlichkeit  verzerrt  wurde.  In  den  Kanzleien  der  Kaiser 
bildete  sich  das  aus,  was  wir  unter  ^Kanzleistil'  verstehen:  schon 
in  den  Briefen  Konstantins  des  Grofsen  liegt  er  fast  ausgebildet 
Yor^):  Gespreiztheit  und  Schwulst  sind  seine  Charakteristika^), 
aber  darin  unterscheidet  er  sich  von  der  uns  geläufigen  Vor- 
stellung,  dalB  er  nicht  affektiert  archaisierend,  sondern  hoch- 
modern ist,  indem  er  ohne  Rücksicht  auf  die  castitas  der  alten 
Sprache  sich  mit  all  den  bekannten  Mittelchen  raffinierter  Rhe- 
torik aufflittert,  z.  B.  empfiehlt  Gassiodor  (im  J.  511)  im  Namen 
Theoderichs  den  Gallier  Felix  dem  Senat  mit  folgenden  Worten 
(var.  II  3):  litter arum  stxtdüs  dedicatus  perpetuam  doctissimis  disci- 
plinis  mandpavit  aetaieni.  non  primisy  nt  aiunt,  Idbris  eloquentiam 
consecuius  toto  se  Aonü  fönte  satiaviL  vehenietis  disputator  in  libri^, 
amoenas  declamatar  in  fäbulis,  verhorum  novellus  sator  acqui- 
peraverat  prorsus  meritis  qtios  lectitarat  auctores.  Was  man  da- 
mals fdr  guten  Stil  ansah,  erkennen  wir  aus  Venantius,  wenn 
er  lobt  pompasae  facimdiae  flonüenta  germina  (praef.  p.  1, 15  Leo) 
oder  erepitantia  verhorum  tonitrua  (c.  III  4, 1  p.  52,  6),  und  be- 
sonders aus  folgenden  Worten  (c.  V  1,  6  p.  102,  19):  quid  loqtiar 
de  perihodis  q^ichirematibus  enthymemis  syllogismisque  perplexis? 
quo  laborat  quadrus  Maro,  quo  rotufidus  Cicero,  quod  apud  illos 
estprofundum,  hie  profluum,  qtiod  iUic  difficillimum,  hie  in  promptu: 
comperi  paucis  pundis  quoniam  quo  volueris  colae  pampinosae  dif- 
fundis  propagineSj  quod  vero  libuerü  aeuti  commatis  falce  succidiß, 
iä  cauii  vinitoris  studio  moderante  nee  in  hoc  luxurians  germinet  um- 
bra  fastidium  et  illuc  tensa  placeat  propago  cum  fructu.  Ihm  selbst 
gehen  lange  Perioden  meist  jammervoll  in  die  Brüche  (z.  B.  c.  V 
6,  1  p.  112,  1  ff.),  während  ihm  besser  gelingen  Wortklingeleien 
wie  (praafl  1  p.  1,  1  ff.)  acuminum  siwrum  luculenta  veteris  aetatis 
vngeim  qui  natura  fervidi,  curatura  fülgidiy  usu  tritt,  auso  seciiri, 
cre  freHf  mare  festivi^  praeclaris  operüms  cehArati  posteris  stupore 


1)  Z.  B.  in  denen,  die  er  in  Sachen  der  Donatisten  schreiben  licfs 
(Goip.  BCiipi.  eccl.  Vindob.  XXVI  204.  210),  oder  in  dem  an  Porfyrius  Opta- 
tiaiuu  gerichteten  (p.  4  Müller). 

8)  Cf.  Sidon.  Apoll,  ep.  VIII  3,  8  declamationes  qtms  oris  regit  vice 
eomfieiB. 


654  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

laudanda  rdiquere  vestigia,  certe  iüi  invenHone  pravidi,  partitione 
seriiy  distnbtUione  librati,  epilogiarum  calce  iticundi,  colae  fönte  pro- 
flui,  comtnate  stuxnso  venusti,  iropis  paradigmis  perihodis  qnchire- 
matibus  coronaH  pariter  et  cothumaü  taie  sui  canentes  dederutd 
specitnen,  ut  adhtui  nostro  tempore  quasi  sibi  postumi  vivere  credan- 
tur  etsi  non  came  vel  carmine.  — 

Für  die  Predigten  jener  Zeit  gilt  das  Gleiche ,  was  oben 
über  die  des  Augustin  gesagt  ist:  unter  den  angewandten  Bede- 
figaren dominiert  das  Isokolon  mit  Homoioteleuton ,  vor  allem 
in  den  Predigten  Gregors  des  Grofsen  (f  604),  worüber  die 
Mauriner  in  ihrer  Ausgabe  (1705)  vol.  III  2  pg.  II  bemerken: 
Crregorius  fere  semper  graditur  periodis  himenibrtbus  et  qtuisi  W- 
pedibus  similiter  cadentibus  und  Erasmus  1.  c.  (S.  652,  2):  Isocrati- 
cae  striActurae  quasi  servit  oratio,  sie  enim  puer  in,  scholis  asstieverai. 


SohluTsresultat. 

Schlafs.  Blicken  wir  zum  Schlufs  dieses  Buches  kurz  zurück  auf  den 

langen  Weg,  den  wir  bisher  durchmessen  haben.  Eine  Ent- 
wicklungsreihe von  tausend  Jahren  liegt  hinter  uns:  in  ihnen 
ist  von  dem  feinstorganisierten  aller  Völker  ein  Tempel  der 
Schönheit  aufgebaut  worden,  die,  zeitlich  und  örtUch  unbegrenzt, 
ihren  Siegeslauf  genommen  hat  und  eine  Erzieherin  der  Nationen 
geworden  ist.  Denn  da  für  dieses  Volk  der  Begri£F  der  Schön- 
heit mit  dem  edler,  stolzer  Menschlichkeit  zusammenfiel,  haben 
die  Wunderwerke,  die  es  geschafien,  seinen  eignen  Untergang 
überdauert:  ihre  Ideen  waren  imendlich  dehnbar,  ihre  Formen 
auf  heterogene  Verhältnisse  übertragbar.  Was  in  ein  paar  Jahr- 
hunderten das  kleine  Hellenenvolk  geschafien  hatte,  wurde  ewig 
vorbildlich  für  den  Orbis  terrarum.  Wir  haben  diese  litterar- 
historische  Maxime  —  die  gröfste,  die  es  überhaupt  für  die 
Völker  unseres  Eulturkreises  giebt  —  in  den  vorangegangenen 
Untersuchungen  für  ein  kleines  Gebiet,  die  Formgebung  kunst- 
mäJjsiger  Prosa,  bestätigt  gefanden.  Aus  dem  Born  der  Schön- 
heit, die  in  den  klassischen  Meisterwerken  attischer  Prosa  des 
fünften  vorchristlichen  Jahrhunderts  niedergelegt  wurde,  haben 
die  Menschen,  sich  selbst  zuletzt  unbewulist,  kraft  einer  unver- 
wüstlichen immanenten  Tradition,  welche  die  BeachfltBeriii  alles 


Schlufs.  655 

wahrhaft  Orofsen  und  Guten  ist^  getrunken.  Freilich  die  klas- 
sische, Tomehm  in  sich  selbst  ruhende  und  äufserliche  Mittel 
stolz  Terschmähende  Schönheit  hat  keiner  der  Nachahmer ,  so 
yiele  sich  auch  darum  bemühten ^  erreichen  können:  die  Nach- 
ahmung war  mehr  oder  weniger  schablonenhaft  und  mumien- 
artig; ein  deutliches  Abbild  der  langsam  aber  stetig  alternden 
Welt  der  Antike.  Dagegen  die  äufserlichen,  auf  die  Nerven 
stark  wirkenden  und  daher  dem  Oeschmack  des  Durchschnitts- 
publikums angemesseneren  Schönheitsmittel  der  prosaischen  Dik- 
tion, wie  sie  gleichfalls  im  fünften  Jahrhundert  von  den  so- 
phistischen Schönschreiben!  als  verbindlich  aufgestellt  wurden, 
haben  in  Wahrheit  gelebt:  in  den  Entwicklungsphasen  der 
Litteraturen  beider  Völker  sind  sie  von  Anfang  bis  zum  Ende 
konstante  Gröfsen  gewesen,  die  sich  aus  sich  selbst  stets  von 
neuem  wieder  erzeugten.  Die  Anhänger  der  ersteren  Partei, 
die  sich  an  der  Nachahmung  der  klassischen  Muster  Atfcikas 
versuchte,  nannten  sich,  wie  wir  sahen,  mit  Stolz  die  ^Alten', 
die  der  anderen  Partei,  die  in  stetem  Fühlen  mit  den  Bedürf- 
nissen der  Gegenwart  blieb,  die  *Neuen'.  Der  Kampf  der  bei- 
den Parteien  in  Theorie  und  Praxis  bildet  den  wesentlichen  In- 
halt der  bisherigen  Darstellung.  Wenn  wir  Epigonen  von  der 
Warte  kühl  reflektierender  Beobachtung  auf  den  Kampf  zurück- 
blicken, so  werden  wir  nicht  umhin  können,  nur  der  Partei  der 
^Neuen'  objektiv  historische  Berechtigung  zuzuerkennen,  denn 
nur  das  Lebende  besteht  zu  Recht.  Anders  werden  wir  freilich 
urteilen,  wenn  wir  unsere  subjektive  Empfindung  als  Mafsstab 
anlegen.  Denn  gemäfSs  dem  Erfahrungssatz,  dafs^  je  stärker  ein 
Reiz  auf  unsere  Sinne  wirkt,  um  so  leichter  das  Gefühl  der  Er- 
schla£fung  oder  Übersättigung  eintritt,  haben  nur  die  gröfsten 
Stilvirtuosen  jene  äufseren  Effektmittel  der  alten  sophistischen 
Kunstprosa  mit  solchem  Mafs  und  solchem  Takt  angewendet, 
dals  ihre  Schöpfungen  auf  uns  wirken  wie  Gemälde,  in  denen 
zwar  starkwirkende  Farben  aufgetragen  sind,  aber  nur  am  rechten 
Ort  und  so,  dafs  sie  in  ihrer  Gesamtheit  das  Auge  eher  erfreuen 
als  verletzen:  eius  demum  vera  est  cUque  absoluta  ars,  qui  quan- 
tum  inpenderit  qperae  dissifnuiat  magis  quam  profitetur,  ut  facüius 
jUaeere  aliquid  persentiscamus  quam  quid  placeat  intdlegamus^)  Die 


1)  Kaibel  in:  Gomm.  in  hon.  Momms.  826. 


G5G  Von  Hadrian  bis  zum  Ende  der  Eaiserzeit. 

grofse  Masse  der  Stilkünstler  ist  an  der  schwierigen  Aufgabe 
gescheitert;  indem  sie,  um  mich  eines  anderen,  gleichfalls  antiken 
Bildes  zu  bedienen,  die  starken  Oewürze  zur  Speise  selbst  ge- 
macht hat:  die  Folge  war,  dafs  die  antike  Kunstprosa,  indem 
sie  sich  mehr  und  mehr  dem  nur  für  starke  Kost  empfönglichen 
Geschmack  der  langsam  von  der  früheren  ästhetischen  Hohe 
niedersteigenden  Völker  anpafste,  stetig  degeneriert  ist  und  in 
ihrer  einstigen  Scliönheit  erst  wiedererkannt  werden  konnte  von 
uns  Epigonen,  die  wir  durch  andere  Sprachen  und  andere  Lebens- 
gewohnheiten  abseits  stehen  von  dem  grofsen  Strom  der  Ent- 
wicklung, der  die  in  ihm  Befindlichen  widerstandslos  mit  sich 
fortreifst. 


Zweites  Buch. 


Das  Mittelalter  und  der 

Humanismus. 


Erster  Abschnitt. 

Die  Antike  im  Mittelalter  nnd  im  Humanismns. 


Erste  Abteilung. 
Die  Antike  im  Hittelalter. 

Als  eine  der  grofsen  historischen  Errungenschaften  unseres  Aiigo- 
Jahrhunderts  darf  gelten,  daCs  derjenige,  der  das  Mittelalter  °* 
noch  mit  den  Schmähworten  der  Humanisten  bezeichnet,  ähn- 
licher Schmähworte  seitens  der  heutigen  Forscher  gewärtig  sein 
mufs.  Die  Bedeutung  des  Mittelalters  auf  litterarhistorischem 
Gebiet  besteht  in  der  Vermittlung  der  antiken  Bildung  für  die 
moderne  Zeit.  Es  verdient  gerade  heutzutage  gegenüber  den 
Verächtern  der  klassischen  Studien  betont  zu  werden,  dafs,  wie 
die  folgenden  Untersuchungen  zeigen  werden,  der  Stand  der  all- 
gemeinen Kultur  und  Menschenbildung  im  Mittelalter  nie  tiefer 
gewesen  ist  als  in  den  Zeiten  der  völligen  Abwendung  vom  Alter- 
tum, nie  höher  als  in  denjenigen  Jahrhunderten,  in  denen  Kaiser 
und  Könige  aufs  nachdrücklichste  die  Bückkehr  zur  Antike  be- 
fohlen haben,  um  durch  sie  die  stagnierende  Kultur  ihrer  eignen 
Völker  zu  beleben.  Eine  zusammenfassende  Behandlung  dieser  welt- 
geschichtlichen Thatsachen  giebt  es  noch  nicht;  das  erklärt  sich 
teils  aus  der  Fülle  des  Ungeheuern,  überall  verstreuten,  meist  noch 
ungesichteten,  ja  unedierten  Materials,  teils  aus  dem  Umstand, 
dab  der  klassische  Philologe,  der  auf  seinem  eigensten  Arbeitsfelde 
noch  so  viele  Blumen  in  prangenden  Farben  mühelos  pflücken 
kann,  ungern  auf  dem  Acker  eines  Fremden  die  zwischen  Disteln 
und  Domgestrüpp  sich  verirrenden  matten  Blüten  sammelt,  der 
Historiker  des  Mittelalters  sich  ebenfalls  nur  gezwungen  an  eine 
ihn  doch  nur  mittelbar  und  nicht  sehr  wesentlich  berührende 

V«f  <•>,  maSSk»  KoaitproM.  IL  43 


.  660  Die  Antike  im  Mittelaltar.  ■ 

Aufgabe  macht.  Ich  habe  mich,  80  gut  ich  konute,  auf  ävm 
mir  von  Haus  aus  fremden  Gebiet  zurechtzufinden  gesucht,  auf 
das  mich  nicht  eigne  Neigung  führte,  sondern  das  Bedürfnis, 
einerseits  den  eich  scheinbar  fast  verlierenden  VerÜatelungeE  der 
antiken  Kultur  nachzugehen,  andererseits  das  Wiederaufleben 
dieser  Kultur  in  aeiuer  geschichtlichen  Notwendigkeit  zu  be- 
greifen. Nachdem  ich  dies,  soweit  ich  vermochte,  erreicht 
habe,  werde  ich  nie  wieder  die  stille  Reinheit  der  Antike 
dem  phantastisch  wogenden  Nebelmeer  des  Mittelalters 
tauschen.  Die  Gesichtspunkte,  nach  denen  ich  das  Material  ge- 
ordnet habe,  zum  gröfsten  Teil  auch  das  auf  Grund  der  Quellen 
selbst  gesammelte  Material,  glaube  ich  mit  wenigen  als  solche 
angegebenen  Ausnahmen  als  neu  bezeichnen  zu  dürfen.*)  Ich 
muTs  das  alles  hier  vorlegen,  weil  die  Stilgeachichte  eng  damit 
verknüpft  ist  und  eben  nur  durch  diese  Verknüpfung  einiges 
Interesse  gewähren  mag,  dessen  sie  isoliert  entbehren  würde. 
Den  allgemeinen  Entwicklungsgang  der  klassischen  Studü 
im  Mittelalter  hat  schon  Melajichthon  in  grofsen  Zügen  treffe 
geschildert  in  seiner  zu  Wittenberg  am  29.  Aug.  1518  gehall 
Antrittsrede  De  corrigendis  adulescentiae  studiis.*)  Nach 
Verwüstung  Italiens  durch  Gothen  und  Langobarden  waren 
Irland  und  Britannien  in  ihrer  friedlichen  Abgeschiedeuheit 
PBegstätten  der  alten  Litteratur;  Italien,  Gallien,  Deutschland 
lagen   danieder,   bis   Karl  d.  Gr.,   selbst   hochgebildet,   eine   Er^ 

1)  Daa  ÄsBehen,  welchei  die  bekannte  AUg.  Geacb.  der  Lit.  ilee  I 
im  Abendlonde  bia  zum  Beginn  des  XI.  Jh.  von  A.  Ebert  geniefst,  ertdb 
sich  nur  daraus,  dafa  ea  über  diesen  Gegeuatond  nichts  bosaerea  Zusammen- 
foBsendea  giebt:  Biugraphieen  der  Verfaaaer  und  ermüdende  Tuiialts angaben 
ihrer  Werke  sind  wahrlich  keine  Litteratni'geaohichte ,  am  wenigsten  eine 
solche  dea  Mittelalters,  wo  ea  darauf  ankonunt,  den  grolsen  Gang  der  Ideen 
darxuatetlen  and  wo  die  ohnehin  ja  ao  spärlich  vorhandenen  Individaen 
nur  inBofem  GeHang  beaitKen,  ab  sie  weaentliohe  Träger  dieser  Ideen 
sind.  Ich  werde  daher  dieses  Wert,  aus  dem  ich  so  gut  wie  nichts  balu 
lernen  kGnnen ,  im  folgenden  fast  ganz  ignorieren.  Die  angekündigte  ( 
teinigche  Litteraturgesohichte  des  Ma.  von  L.  Traube  wird,  i 
dürfen,  die  empfindliche  Lücke  ausfOllen.  Dafs  ich  in  den  folgenden  ün) 
suchungen  den  nnermeratichen  Stoff'  nicht  habe  erachSpfen  kCnnen , 
fflr  Wissende  keiner  Bcgrfindung  oder  Entschuldigung. 

S)  Am  besten  ediert  von  K.  Hartfelder  in:  Lst.  Litteratnrdenkm.  ' 
XV.  n.  XVI  Jahrh  ,  Lerausgeg.  von  Hermann  v.  Seamatälski ,  Hefl  1  (B« 
1881)  3  ff. 


icht 


iniges 

de.   ^^m 

^udie^^H 

efTe^^H 

a  ni«^H 


Die  Übergangszeit.  661 

neuemng  der  Litteratur  (littercts  instaurandas)  beschlofs^  und  zu 
dem  Zweck  Alcuin  aus  England  nach  Gallien  kommen  liefs.  Von 
da  an  wurde  Paris  ein  Hort  der  Studien ,  aber  noch  nicht  war 
Aristoteles  hier  der  Mittelpunkt^  sondern  Wissenschaft  aller  Art 
blühte:  Zeuge  ist  der  Benediktinerorden^  dessen  Mitglieder  durch 
gelehrte  Thätigkeit  berühmt  wurden.  Zu  ihrem  Unglück  ver- 
fielen dann  die  Menschen  auf  Aristoteles  ^  nicht  den  echten  und 
reinen,  sondern  den  durch  barbarische  Übersetzungen  verzerrten: 
von  dieser  Zeit  an  pro  honis  tum  bona  doceri  coepta.  Aus  dieser 
Schule  gingen  hervor  Männer  wie  Thomas^  Scotus^  Durandus  und 
eine  Legion  andrer:  ihnen  verdanken  wir  es,  daCs  die  alte  Littera- 
tur abgeschafft  wurde  und  so  viele  Tausende  von  Schriftsteilem 
rettungslos  dem  Untergang  verfielen.  Dann  kam  die  Zeit,  in 
der  die  humanitas  und  mit  ihr  die  lüterae  wieder  geboren  wurden. 
„Glücklich  ihr  Jünglinge'^,  ruft  der  Praeceptor  Germaniae  aus, 
dessen  kürzlich  gefeiertes  Gedenkfest  seinen  Manen  angesichts 
des  Niedergangs  der  ^besten'  Wissenschaft  als  Hohn  erscheinen 
muljste,  ^ygiücklich  ihr,  deren  Leben  in  diese  Zeit  fällt  !^'  —  Es 
wird  also  zunächst  darauf  ankommen,  die  allgemeinen  Verhält- 
nisse aus  der  Zeit  des  Übergangs  vom  Altertum  zum  Mittelalter 
in  aller  Kürze  zusammenzufassen. 


Erstes  EapiteL 
Die  Zeit  des  Obergangs  vom  Altertum  zum  Mittelalter. 

Als  das  Heidentum  aufgehört  hatte,  einen  Faktor  zu  bilden,  Kiedere 
mit  dem  man  zu  rechnen  hatte,  als  die  katholische  Kirche  im  umi!« 
wesenÜichen  vollendet  war,  brachen  seit  dem  Y.  Jh.  die  Barbaren-   ^^^^^' 
liorden  mit  stürmender  Hand  in  das  romische  Reich  ein,  nicht 
mehr  gewillt,  geduldet  zu  sein  und  zu  gehorchen,  sondern  zu 
dulden  nnd  zu  befehlen.    Um  dieselbe  Zeit  beginnt  daher  auch 
flbr  die  Litteratnrgeschichte  zunächst  eine  Epoche  der  Barbarei: 
ÜB  Xioberar,  die  zunächst  nur  daran  dachten,  das  Alte  zu  zer- 
dHra^leikiten  swar  die  lateinische  Sprache,  aber  entweder  ent- 
^meh  die  Manier  zu  völliger  Unverständlichkeit  oder 
gkeity  sich  in  dem  fremden  Idiom  auszudrücken, 
meliu    Li  Gallien  geben  Ausonius,  Sidonius, 

43* 


66g  Die  Antike  im  Mittelalt«!-. 

Gregor  von  Toura,  in  Italien  Symmaclius  und  Venantins 
Vorstellung  von  dem  stufeuweieen  Niedergang  des  EünnenB  und 
des  Geschmacks.  Wenn  Gregor  (f  593)  sagt  (liist.  Franc,  praef.), 
die  Pflege  der  Wissenschaften  werde  vcrnachiässigt  und  wenn 
er  um  Eutschuldigung  bittet,  doTe  er  die  Geschlechter  der  Sub- 
Btantive  nicht  mehr  unterscheiden  könne  und  die  PrUpositionen 
mit  falschen  Kasus  verhinde,  ao  ist  das,  wie  seine  eigne  Sprach^, 
zeigt,  keine  Phrase.  So  war  die  Gefahr  grofs,  dafs  die  antil 
Bildung  gänzlich  verloren  ging.  Zwei  Momente  von  weltgeschichl 
licher  Bedeutung  haben  ihre  Restanration  angebahnt  und  durcl 
geführt:  der  Sieg  des  Christentums  und  die  friedliche  Ki 
solidierung  der  Barharenreiche,  beide  Momente  ihrem  inni 
Wesen  nach,  wie  es  auf  den  ersten  Blick  acheinen  könnte 
wenigsten  dazu  bestimmt,  das  Alte  zu  konservieren.  Dafa  aber 
das  Christentum  von  dem  Moment  an,  wo  es  tn  die  antike 
Kulturwelt  eintrat,  sich  wesentlich  als  erhaltende  und  vermit- 
telnde, nicht  als  zerstörende  Macht  bewährt  hat,  ist  au  mehreren 
Stellen  dieses  Werkes  hinlänglich  hervoi^ehoben  worden;  die 
Thatsache  tritt,  um  nur  das  hier  noch  zu  bemerken,  mit  besi 
derer  Deutlichkeit  in  folgendem  Ereignis  hervor:  lulian  hal 
den  christlichen  Lehrern  verboten,  die  heidnischen  Litterati 
werke  ihrem  Unterricht  zugrunde  zu  legen;  daraufhin  nnter- 
nahmen  es  die  beiden  Apollinarios,  Vater  und  Sohn,  eine  eigne 
christliche  Litteratur  (in  heidnischen  Formen)  zu  schaffen:  der 
Vater  bearbeitete  die  Schriften  des  alten  Bundes  episch  und 
dramatisch,  der  Sohn  die  des  neuen  dialogisch  nach  platonischem 
Mnster;  man  hätte  erwarten  sollen,  dafs  sich  diese  Arbeiten  er- 
hielten, aber  kaum  war  mit  dem  Tode  des  Apostaten  die  Keak- 
L  iion  eingetreten,  verschwanden  sie  spurlos:  iv  tea  roü  ft^  yQ«- 
«w  Aoyi^ovTKi,  wie  Sokratesj  der  dies  berichtet  (h.  e,  III  16) 
I  sich  ausdruckt:  sie  machten  wieder  den  heidnischen  Werken 
F  Plittz'),  die,  wie  wir  aus  der  berühmten  Rede  dos  Basilius  npös 
bg  viovs  wissen,  in  der  Schule  gelesen  wurden;  so  fest  haftete- 
er  Schule  und  im  Leben  der  Christen  die  antike  Tradition! 
iaker  in  der  genannten  Zeit  diese  in  Vergessenheit  zn 
drohte,   hat  die  Kirche  sie  als  Grundlage  der  Kultur 


nen 

I 


ttODli  erliiclt  sich,  wenn  A.  l.ndwidi  in:  Eünigab.  BiaA.  I  (1837)  79 1 
1,  ilie  btaametrische  Pealterparaphrasc. 


Die  Übergangszeit.  663 

schützt  —  lu  derselben  Richtung  wirkte  das  zweite  Moment. 
Dieselben  Barbaren,  die  anfangs  als  Zerstörer  der  uralten  Kul- 
tur auftraten,  erwiesen  sich  als  ihre  Beschützer,  seitdem  sie  be- 
gannen, auf  dem  Boden  dieser  Kultur  in  friedlicher  Arbeit  neue 
Beiche  zu  gründen.  Sie  brachten  in  das  altersschwache  Reich 
alles,  was  diesem  fehlte:  freudige  Siegesgewifsheit,  wie  sie  jungen 
Nationen  eignet,  Mut  und  Kraft  nicht  blols  zum  Zerstören  des 
Alten,  sondern  auch  zum  Aufbauen  eines  Neuen;  nur  eins  brach- 
ten sie  nicht,  eine  auf  tausendjähriger  Vergangenheit  ruhende 
Kultur  und  als  deren  Trägerin  eine  gleich  alte  Litteratur;  so 
haben  sie  es  zwar  yermocht,  durch  die  Gewalt  ihrer  Fäuste 
auf  die  Throne  der  Cäsaren  Männer  ihres  Stammes  zu  setzen, 
aber  ein  kulturelles  Äquivalent  vermochten  sie  nicht  zu  bieten: 
daher  amalgamierten  sie  sich  das  Fremde  und  obwohl  sie  es 
dadurch  seiner  Eigenart  beraubten,  so  haben  sie  es  doch  er- 
halten. —  Von  den  beiden  Momenten  ist  das  erstere  sowohl 
das  ältere  als  auch  das  wirksamere  und  eigentlich  entscheidende 
gewesen:  denn  die  antike  Kultur  wurde  den  Barbaren  ja  eben 
durch  das  Christentum  vermittelt  und  mit  diesem  übernahmen 
sie  die  Ghnmdlage,  auf  der  jene  sich  aufbaute,  die  alte  Litteratur. 

Es  sind  hauptsächlich  drei  in  derselben  Richtung  wirkende  Hobongdor 
Faktoren  gewesen,  in  denen  diese  beiden  Momente  ihren  Aus-    sTadien!^ 
druck  fanden:  die  Bestrebungen  des  Cassiodorius,  der  Iren,  der 
Angelsachsen.  ^) 

1.  In  Caasiodor')  vereinigen  sich  beide  Momente.  Alsi.casaiodor. 
Minister  und  litterarischer  Beirat  der  ostgothischen  Barbaren- 
kSnige,  die  Römer  sein  wollten  und  denen  er  den  Gefallen  that, 
8ie  durch  sein  Geschichtswerk  als  solche  zu  legitimieren,  hat  er 
in  deren  Sinn  die  (auf  italischem  Boden  ja  freilich  vergebliche) 
Tendenx  einer  Verschmelzung  des  romanischen  imd  barbarischen 
Elements  auch  in  der  Litteratur  durchzuführen  versucht.    Fol- 


1)  Von  Iflidor  preist  Braulio,  Bischof  von  Saragossa  (f  651)  in  der 
Vorrede  sn  seiner  Ausgabe  Isidors  (I  9  Arevalo) :  quem  deus  2^ost  tot  defectus 
Hüpaniae  novissimis  iemporibus  suscitam,  credo  ad  restauranda  anti- 
quorum  monumenta,  ne  usqueqiMqite  rnsticiUite  veterasceremus^  quasi  quan- 
dam  oppotwU  desHnam,  Aber  Spanien  stund  seit  der  Zeit  der  Antonine 
auTserhalb  der  grofsen  Heerstrafse  der  Kultur. 

S)  Le  h^ro8  et  le  restawrateur  de  la  scicnce  nennt  ihn  Montalembert, 
Les  moinea  d*Ocoident  IE  (Paris  1860)  80. 


664 


Die  Antike  im.  Mittelaller 


gendc  Worte,  die  er  den  Athalaricli  sagcu  liLfst  (var.  IX  2l| 
etwa  aus  dem  J.  533),  scheinen  mir  dafür  besondera  bezeichnend 
ZQ  Bein:  fframmaika  magistra  verbontm,  omatrix  hmnani  gener is, 
quaeper  exercitationem  pulcherrimae  lectionts  anttquorum 
nos  cognoscitur  iuvare  consilUs.  kae  non  utuntur  iarhari 
reges:  apud  legales  dominos  n%anere  cognoscitur  singularts. 
arma  enim  et  reliqua  gentes  habcnt:  sola  reperitur  eh 
quentia,  guae  Eomanortim  dominis  obsecundat.  hinc 
torum  pugna  civilis  iuris  classiciim  canit,  hinc  canctas  prt 
ndbilissima  diseftitiAdo  conanendat,  et  ut  reliqua  taceamus,  hoc  guodf 
loquimur  inde  est.  Überhaupt  unterlälst  er  es  im  Namen  der 
Konige  bei  Empfehlangen  von  Kandidaten  nie,  deren  litterarische 
Bildung  hervorzuheben  (z.  B.  var.  Ul  6.  12.  V  4.  22).  —  In 
gleichem  Sinn  wie  als  Minister  hat  er  als  Geistlicher  gewirkt. 
Als  er  sich  in  sein  Kloster  zarückzog,  hat  er  es  vermocht,  sich 
auf  den  hoben  Standpunkt  des  Augustin  und  Hieronymua  zu 
stellen,  indem  er  seinen  Mönchen  gründliche  wissenschaftliche 
Vorbildung  zur  Pflicht  machte;  denjenigen  Mönchen,  denen  ihre 
geistige  Veranlagung  eine  litterariache  Beschäftigung  unmöglich 
machte,  empfahl  er  als  nützlichste  Arbeit  den  Ackerbau,  aber 
auch  dies  bezeichnenderweise  nicht  ohne  den  Hinweis,  in  der 
Klosterbibliothek  fanden  sie  die  auctores  de  re  njstica:  die  älteste 
römische  Prosaschrift  würden  wir  also  ohne  diesen  Mann  ver- 
mutlich nicht  besitzen.  Man  kann  diese  Organisation  Caesiodors 
nicht  hoch  genug  anschlagen;  denn  man  vergegenwärtige  sich, 
wie  ee  mit  der  Bildung  der  Klöster  in  den  Zeiten  vor  ihm  aua- 
ßah.  Für  Gallien  gab  um  400  der  Presbyter  von  Massilia, 
sianus,  die  Mönchsregel:  wir  dürfen  wohl  annehmen,  dafs 
Mann,  der  von  GewiBsensqualen  gepeinigt  wurde,  weil  ihm  bi 
Absingen  des  Psalters  und  beim  Gebet  die  'Teufelsgestalten'  der 
vergilischen  Gedichte  vor  Augen  traten  (conl.  XIV  12),  seine 
Mitbrüder  vor  derselben  Gefahr  durch  Verbot  heidnischer  Lektüre 
geschützt  haben  wird.  Und  Benedictua,  der  Patriarch  der  abend- 
ländischen Mönche?  Im  J.  480  in  Umbrien  geboren,  besuchte 
er  die  öffentlichen  Schulen  Roms,  zog  sich  aber  bald  in  die 
Einode  zurück;  im  J.  529  hat  er  auf  dem  Mona  Cassinus,  auf 
den  Fundamenten  eines  zerstörten  Apollotempels,  das  Kloater 
gegriindet,  das  einst  ein  Centrnm  der  Wissenschaft  südlich  der 
Aljiei'  'ler  hat  —  das  kann  nicht 


Die  Übergangszeit.  665 

eiDdringlich   genug  betont  werden,  weil   es  von  einigen  immer 
wieder  vergessen  wird  —  der  Oedanke,    seinen  Mönchen  eine 
wissenschaftliche  Vorbildung  zur  Pflicht  zu   machen ,  durchaus 
fem    gelegen:    in    seiner   regula   findet   sich   keine  Verweisung 
darauf.^)     Diese   Ordensregel  erhielt  bekanntlich  noch  zu  Leb- 
zeiten  ihres   Stifters ,  sowie   fernerhin  durch  seine  Schüler,   Be- 
deutung für  einen  grofsen  Teil  des  Abendlandes,  und  vom  DL  Jh. 
an  wurde  sie  für  alle  lateinischen  Mönche  kanonisch:   dafs  aber 
der   Benediktinerorden   früh   seine   von   der  weltlichen    Bildung 
abgewandte  Haltung   aufgab,  dafs   er  Träger  der  Kultur  durch 
die  Wissenschaft  wurde,   ist   nicht   die  Absicht   seines    Stifters 
gewesen,  sondern  das  unsterbliche  Verdienst  Cassiodors,  des  Ver- 
üftssers  der  institutiones.    Er  war  weder  ein  origineller  noch  ein 
produktiv  wissenschaftlicher  Denker,   was   beides  Boethius  war: 
dafär  erfafste  er  aber   mit  dem  praktischen  Blick  des  Staats- 
manns die  Weltlage  besser   als  jener  Idealist;   gerade  dadurch, 
daCs   er   das  Wissenswerte   der  Vergangenheit   teils  excerpierte, 
teils  in  seiner  Bibliothek  sammelte  und  zu  vervielfältigen  befahl, 
wurde  sein  Vorbild  für  die  folgenden  Generationen  mafsgebend, 
die  eine  Selbständigkeit  des  Schaffens  auf  diesen  Gebieten  weder 
selbst  besassen,  noch  von  andern  verlangten. 

2.  War  der  mit  der  allgemeinen  Weltlage  wohlvertraute  s.  nie  inn 
Mann  kraft  eigner  Ansicht  und  kraft  der  Überzeugung,  dafs  der 
durch  die  Barbaren  und  die  einseitige  Auffassung  des  Christen- 
tums zugrunde  gehenden  Kultur  eine  neue  Stütze  gegeben  werden 
müsse,  auf  den  Standpunkt  der  freisinnigen  christlichen  Geistes- 
heroen des  vierten  Jahrhunderts  zurückgekehrt,  so  hatten  die 
Iren  (oder  vielmehr,  wie  sie  bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters 
heilsen,  die  ^Scotti')  ihn  überhaupt  nie  verlassen.  Im  III.  und 
IV.  Jahrh.  von  britannischen  Missionären  christianisiert,  blieb 
Irland  dank  seiner  Abgelegenheit  von  den  Stürmen  der  Völker- 
wanderung, die  im  ganzen  übrigen  Abendland  die  Kultur  fast 


1)  Gf.  Hamack,  D.  Mönchtum  (4.  Aufl.,  Giefsen  1896)  42  f.    A.  Dan- 

r,  Les  monastöres  bän^dictins  dltalie  (Paris  1866)  I  c.  10  (La  science  et 

Im  Iflthas  daas  one  abbaye  b^n^dictine)  scheidet  nicht  zwischen  dem  ur- 

luHflfcfW  Zustand  imd  dem  späteren.   Richtiger  also  als  viele  Neuere  hat 

**  — Uiieüt  im  XI.  Jh.  Petrus  Damiani,  wenn  er  opnsc.  XITT  c.  11 

I  Muif  die  parvi  pendentes  regtUam  BenedicH  regulis  gaudent 

et  auch  C.  Arnold,  Caesarios  (Leipz.  1894)  102  f. 


666  Die  Antike  im  MittelBller. 

vernichteten,  verechoufc,  und  in  den  zahlreichen  Klöstern 
hier  in  rascher  Folge  entstanden,  konnte  an  den  Zustand  d< 
Bildung  im  IV.  Jh.  unmittelbar  angeknüpft  werden.  Die 
Occideut  sonst  fast  verlorene  Kenntnis  des  Griechischen') 
bei  den  Iren  so  verbreitet,  dafs  man  schlofs:  wenn  jemand  grie- 
chisch verstehe,  so  werde  er  wohl  aus  Irland  stammen.  Für 
den  ganzen  Gang  der  Kultur  wurde  entscheidend  die  fast  spricb- 
wörtliche  Wanderlust  der  Iren.  So  kam  es,  dafs  sie  die  lieid- 
uisch- christliche  Kultur,  die  aie  im  III.  und  lY.  Jh.  empfangen 
Latten,  im  VI.  und  VH.  Jh.  den  siidliehen  Ländern,  wo  sie  in- 
zwischen verloren  war,  wieder  übermittelten:  zu  derselben  Zeit, 
als  Gregor  von  Tours  über  die  litterariscbe  Verwahrlosung  des 
Frankenreichs  klagte,  gründete  am  Westabhang  der  Vogesen  ein 
Utterarisch  hochgebildeter,  in  Grammatik,  Rhetorik  und  Geo- 
metrie wohlbewanderter  Mann,  Columbanus,  drei  Klöster,  darunter 
das  bekannteste  Luxovium  (Luxeuil).  Wechselvolle  Schicksale 
führten  ihn  im  J.  613  zur  LangobardenkÖnigin  Theudelinde,  jener 
klugen  und  mächtigen  Frau,  die  von  Papst  Gregor  d.  Gr.  für 
den  römischen  Katholicismus  gewonnen  war:  dieses  Nebenein- 
ander des  irischen  (d.  h.  antirömischen),  langobardischen  und 
römisch-katholischen  Elements  ist  höchst  bemerkenswert,  dt 


1)  Über  die  Schicksale  der  griecbischen  Spracbe  im  Westen  i 

ginn  der  Berühi-ung  GrriecheDlandti  mit  Rom  Lia  zu  dem  Zeitpunkt, 

Petrarca   durch  Vermjttluug  dea  Barlaam  aus  Ealabrien  sich  eine  uotdürf- 

tige  Kenntnis  der  griecbJBchon  Spiacio  erwarb,  liabe  ich  mii',  wie  umge- 

kelirt   für   die   Schickaale   der   late-iniacben   Sprachß    iiu  Oiten   his   anf  die 

Cberaetzujigsthätigkeit    des    Maxi  mos    Plaaude«    und   Demetrios    Kjdonee, 

Zeugiüsae  gecanunelt;  aber  das  za  Terarbeiteode  Material  ist  so  ungeheuer 

grofs  und  e.  T.  auf  Gebieten  verstreut,  die  meiaeu  Studien  und  intetesson 

f«m  liegen,    dafs  ich  zu  seiner  vOUigen  Sammlung  und  Verarbeitung  noch 

Juhie  gebrauchen  werde.    Das  Best«,  was  es  darüber  giebt,  sind  noch  immer 

Kwei  Programme   von   Fr,  Cramor,    De  graecis  per  occidentcm  gtadiis  inde 

a  primo  medio  acvo  usqne  ad  Carolum  M, ,   Stralaund  1B4S,  1853;   ferner 

L.  Traube  inr  Abb.  d.  Bayr.  Ak.  d.  Wisa,  S1X(1S92)  344—361.     K.  Kram- 

bacJuer  in;   Sitzungiber.  der  Bayr.  Ak.  d.  Wiss.  (1S9!)  363  ff.    (dort  auch 

t)1»  Littuiatuinavhweite),  L.  Stein  La:  Anh.  f.  Gesch.  d.  Fhilos.'  N. 

■    T>idDl,  Aide  Hanuoc  tl'niU  1876)  Einleitung.  K.  Ci 

d.  TnnfsTRiboIs  ii.  d.  Olaubensregel  TTI  (Chrisl 

(liiechiacfa  in  d.  rOm.  Geiueinde  ; 

Tb.  Zalin,  Oeech.  d.  neut.  Kanon*  1  I 


1 


Dio  übergaugszeit.  667 

eben  diese  Elemente  bat  später  Karl  d.  Gr.  vereinigt.  In  dem 
Reicbe  dieser  Fürstin,  unweit  südlicb  von  ibrem  Haaptsitz  Pavia^ 
gründete  Golumban  das  Kloster  Bobbio  ^),  dessen  Name  das  Herz 
des  Philologen  stärker  scblagen  läfst.  In  einem  Gedicbt  spricbt 
Golumban  zu  einer  Zeit,  als  Gregor  der  Gr.  es  für  unwürdig 
erklärte,  dafs  aus  demselben  Munde  der  Name  Christi  und  Ju- 
piters komme,  unbefangen  von  den  Trojanern,  Ampbiaraus,  Dauae, 
Pluto:  diejenigen  Mönche,  die  in  spätem  Jahrhunderten  über  die 
schönen  alten  Handschriften  des  Plautus,  Cicero  und  Fronto  die 
Texte  der  Yulgata,  des  Augustin  und  der  Konzilsakten  schrieben, 
haben  nicht  im  Sinn  Columbans  gehandelt.  Columbans  Schüler 
Gallus,  der  ihm  wegen  Krankheit  nicht  nach  Bobbio  folgen 
konnte,  legte  um  613  den  Grund  zu  der  später  nach  ihm  be- 
nannten Abtei  St.  Gallen,  der  zweiten  grofsen  Fundgrube  von 
Handschriften  in  der  Zeit  des  Humanismus.^) 

3.  Der  Philologe  kann  die  Bedeutung  der  irischen  Kultur  3.  uio 
für  die  Erhaltung  der  klassischen  Litteratur  gar  nicht  hoch  B»ch8en. 
genug  anschlagen:  was  uns  von  Handschriften,  welche  die  Für- 
sorge der  romischen  Adelsfamilien  im  IV.  und  Y.  Jh.  anfertigen 
liels,  erhalten  ist,  verdanken  wir  direkt  oder  indirekt  den  Iren, 
die  sie  aus  Rom  nach  Bobbio  u.  s.  w.  geschafft  haben;  den  Ale- 
mannen, Langobarden,  Franken,  Bayern  haben  wesentlich  die 
Iren  eine  reiche  geistliche,  auf  der  Antike  basierende  Bildung 
gebracht:  eine  lange  Beihe  glänzender  Namen  vom  siebenten 
bis  sehnten  Jahrhundert  bezeugt  es  im  Verein  mit  den  erhal- 
tenen Handschriftenkatalogen  jener   Zeiten.    Am   frühsten   und 


1)  Cf.  A.  Peyron,  De  bibliotheca  Bobiensi  in  seiner  Ausgabe  der  Cicero- 
tegmente  (Stattig.  1824),  praef.  lU  ff. 

8}  Gf.  A  Oianam,  La  civilisation  chretienne  chez  las  Francs  =  Oeu- 
vraa  oompl^tefl  IV  (6.  6d.,  Paris  1803)  100  ff.,  B.  Huurdau,  Singularites  hi- 
itoriqnea  et  litt^raires  (Paris  1861)  c.  1  (Ecoles  dlrlande),  L.  Traube  1.  c. 
846  Q.  0.  und  besonders  H.  Zimmer,  Über  die  Bedeutung  des  irischen  Elc- 
menti  für  die  mittelalt.  Cnltar  in:  Preuss.  Jahrb.  1887  p.  27  ff.;  derselbe 
ins  Neaaiiu  tindieatos  (Berlin  1898)  288  ff.  (doch  cf.  G.  Wissowa  in:  Gott. 
gaL  Abb.  1896  ^  788  ff.).  Interessant  sind  die  bekannten  Bibliothckskata- 
löge  Ton  St.  Gallen  und  Bobbio  aus  dem  IX.  u.  X.  Jahrb.  bei  G.  Becker, 
Gaftalogi  biMiothecanun  antiqui  (Bonn  1886)  43  ff.  64  ff.  Übrigens  stehen 
a— gMwiflhufltfi  Difltiohen  des  Bischofs  Liyinus  yom  J.  633  in:  Vetemm  6pi- 
■tolaram  ffibernioanim  aylloge  ed.  J.  Usher  (Herbem  in  Nassau  1696)  p.  17  f. 
(fcBlHehii  Stadium  de«  Ovid  v.  68  ff.). 


668  Die  Antike  im  Mittelalter. 

nachhaltigsten  haben  sie  derjenigen  Nation  die  Schätze  ihres 
Wissens  mitgeteilt,  die  ihnen  ortlich  am  nächsten  wohnte,  den 
Angelsachsen,  deren  Christianisierung  Gregor  d.  Gr.  begonnen 
hatte.  Eine  grofse  Anzahl  von  zeitgenossischen  Zeugnissen^) 
beweist,  dab  dieses  Volk  mit  mafsloser  Bewunderung  auf  die 
Gelehrsamkeit  seiner  Nachbarn  sah  und  sie  sich  anzueignen 
trachtete.  Die  Angelsachsen  besuchten  die  irischen  Klöster  und 
fanden  hier  das  bereitwilligste  Entgegenkommen:  guas  {sc.  Anglos), 
sagt  Beda  h.  e.  III  27,  omnes  ScoUi  libeniissime  suscipientes  victum 
eis  cotidiantMn  sine  pretio,  libros  quoque  ad  legendum  et  magisterium 
gratuüum  praebere  curabant  Die  Kenntnis  des  von  den  Iren 
ihnen  übermittelten  Griechischen  wurde  bei  ihnen  dadurch  noch 
vergrofsert,  dafs  im  J.  668  Theodoros,  ein  Mönch  aus  Tarsos, 
vom  Papst  nach  England  geschickt  wurde,  wo  er  im  Verein  mit 
seinem  ebenfalls  des  Griechischen  kundigen  Begleiter,  dem  Abt 
Hadrian,  Elosterschulen  errichtete.^  Die  beiden  groüsen  Schrift- 
steller Aldhelmus  (f  709)  und  Beda  (f  735)  schreiben  zwar, 
wie  alle  Angelsachsen,  ein  stilistisch  verwildertes  (übrigens 
grammatisch  korrektes)  Latein,  aber  die  Bedeutung  dieser  irisch* 
angelsächsischen  Kultur  liegt  auch  weniger  in  den  eignen  Werken 
ihrer  Träger,  als  darin,  daüs  diese  das  Wissen  des  Hieronymus, 
Augustinus  und  Cassiodorius  zusammenfafsten  und  dadurch  für 
das  Mittelalter  die  angesehensten  und  einfluüsreichsten  Schrift- 
steller wurden.  Aus  diesen  Kreisen,  in  denen  es  als  selbstver- 
ständlich galt,  dals  klassische  Bildung  die  notwendige  Voraus- 
setzung der  Theologie  sei,  stammte  Winfrid.  Wir  haben  von 
ihm  Briefe  in  schwülstiger  Sprache,  durchmischt  mit  halblatini- 
sierten griechischen  Worten,  Gedichte  in  antiken  Metren,  sogar 
ein  grammatisches  Werkchen  über  die  acht  Redeteile;  doch  nicht 
in  diesen  seinen  Schriften  liegt  seine  litterarhistorische  Grofse, 
seine  kulturhistorische  Bedeutung,  sondern  darin,  dafs  er,  wie 
Cassiodor  und  die  irischen  Vorgänger,  diese  auf  durchaus  wissen- 
schaftlichem Unterbau  ruhende  Kultur  in  seinen  deutschen  Grün- 
dungen eingebürgert  hat.  Mit  hoher  Bewunderung,  die  alles 
Grofse  in  der  Geschichte  des  Menschengeistes  erweckt,  lesen  wir 


1)  Gf.  Zimmer,  1.  c.  34  f.  und  Nemiius  296  f.,  der  auch  andere  Zeug- 
nisse als  das  gleich  folgende  anführt. 

2)  Näheres  bei  Zimmer,  Nennius  1.  c. 


Dio  CbcrgangHzeit.  669 

dcD  Bericht,  wie  Sturm,  der  Schüler  des  Bonifacius*),  iu  die 
Einöden  der  Buchonia  vordringt,  wie  er  bei  Hairuvisfelt  Halt 
macht,  dann  von  seinem  Lehrer  geheifsen  wird  weiter  zu  ziehen, 
wie  er  dann  Fulda  gründet,  das  Karlmann  im  J.  744  bestätigt. 
Diese  mit  bedeutenden  Privilegien  ausgestattete  Abtei  wurde  im 
Verein  mit  dem  bald  nachher  als  Kloster  eingerichteten  Hers- 
feld die  Bivalin  von  St.  Gallen  in  geistiger  Bildung:  hier  wurde 
Einhart  erzogen,  der  eleganteste  Autor  des  Mittelalters,  hier 
war  Hrabanus  Maurus  Abt,  der  Augustins  Wissensschätze  der 
Welt  von  neuem  zugänglich  machte,  hier  ist  Tacitus  gelesen 
und  teilweise  erhalten  worden:  es  wurde  die  Schule  nicht  bloCs 
Germaniens,  sondern  des  ganzen  karolingischen  Reichs.  Vor 
der  Thür  des  Saals,  in  dem  die  Kopisten  arbeiteten,  stand  eine 
lateinische  Inschrift,  die  —  ganz  im  Sinne  Cassiodors  —  zur 
Vervielfältigung  der  Bücher  aufforderte  und  —  gleichfalls  nach 
dessen  ausdrücklicher  Vorschrift  —  vor  Interpolationen  warnte. 
Ein  Mönch  studierte  hier  so  eifrig  Virgil  und  Cicero,  dafs  mau 
ihn  im  Scherz  beschuldigte,  er  reihe  sie  den  Heiligen  ein.*) 

Ein  Schüler  Bedas  war  Egbert,  Erzbischof  von  York;  ein 
Schüler  Egberts  AIcuiu,  der  berufen  war,  unterstützt  durch  das 
verständnisvolle  Entgegenkommen  des  gewaltigen  Imperators,  die 
angelsächsische  Kultur  in  das  geistig  verwilderte  Frankenreich 
hinüberzuleiten;  ein  Schüler  Alcuins  (in  Tours)  war  der  genannte 
Hrabanus  Maurus^,  der  nun  die  Methode  Alcuins  in  sein  Kloster 
Fulda  übertrug  und  dadurch  dem  dort  schon  eingebürgerten 
wissenschafUichen  Sinn  neue  Nahrung  zuführte.  Doch  verfolge 
ich  dies  zunächst  nicht  weiter,  sondern  wende  mich  zur  Er- 
örterung einer  Frage,  die  richtig  zu  beantworten  vor  allem 
wichtig  ist:  welche  Stelle  nahmen  in  der  mittelalterlichen  Bil- 
dung die  klassischen  Studien  ein. 


1)  So  sicher  ea  ist,  dafs  der  Name  etymologisch  Bonifatius  zu 
ichraiben  ist,  so  wenig  steht  fest,  ob  er  sich  selbst  noch  so  geschrieben 
hat:  auf  dem  ravennatischen  Papyrus  vom  J.  474  (Fontes  iur.  Rom.  ed.  Brans  * 
n.  108  p.  881)  wird  der  gleiche  Name  Bonif actus  geschrieben. 

2)  Gf.  Osanam  1.  c.  150  ff. 

8)  Cf.  Fr.  Monnier,  Alcuin  et  Charlemagne  (Pari»  18C3)  264  f. 


670  Die  Antike  im  Mittelalter. 


Zweites  Kapitel. 

Die  Stellang  der  Artes  liberales  im  mittelalterliclLen 

Bildungswesen. 

Über  die  *artes  liberales'  ist  sehr  viel  geschrieben  worden^), 
aber  die  mich  interessierende  Frage  wird  selten  aufgeworfen. 
Kürzlich  hat  M.  Guggenheim  in  der  Beilage  zum  Progr.  der 
Kantonsschule  in  Zürich  (1893)  über  die  ^^Stellung  der  liberalen 
Künste  oder  encyklischen  Wissenschaften  im  Altertum"  vortreflF- 
lich  gehandelt;  in  manchen  der  im  folgenden  entwickelten  Ideen 
bin  ich  mit  dem  Verfasser  zusammengetroffen,  dessen  Schrift 
ich  den  Leser  zu  vergleichen  bitte,  um  das  richtige  Verständnis 
zu  gewinnen,  müssen  wir  zeitlich  weit  zurückgreifen. 

L   Die  propädeutiBChe  Wertschätzung  der  Artes  liberales  von 
der  platonischen  Zeit  bis  auf  Augustin. 

Fiaton  Piatons  Streit  mit  den  Sophisten  ist  bekanntlich  keineswegs 

sophiHen.  ^^  hlob  akademischer  gewesen,  sondern  wurde  durch  aktuelle 
Interessen  von  unmittelbarer  Bedeutung  für  beide  Parteien  aus- 
gefochten.  Es  handelte  sich  darum,  ob  die  Erziehung  der  helle- 
nischen Jugend  nach  den  Maximen  Piatons  oder  denen  der  So- 
phisten vorgenommen  werden  solle.  Jener  sah  das  einzige  Heil 
in  der  q>iXo6oipia  und  verwarf  gemäfs  seinem  idealistisch -aristo- 
kratischen Standpunkt  im  Prinzip  die  gewöhnlichen  Bildungs- 
mittel. Umgekehrt  die  Sophisten:  sie  standen  dem  praktischen 
Leben  näher  und  kannten  daher  besser  seine  Bedürfiiisse:  die 
g>Uo6o(pia  galt  ihnen  nichts,  dagegen  alles  jene  naidsüiCj  die 
zum  Fortkommen  im  Leben  am  meisten  dienlich  war.  Sie  haben 
thatsächlich  mit  BewuTstsein  schon  alle  diejenigen  zi%vM  gelehrt, 
die  von  der  spätem  Zeit  unter  die  iytciKXioq  naidsCa^  d.  h.  die 
gewöhnliche,   alltägliche   Bildung,   begriffen  wurden  und  die  im 


1)  Am  besten:  P.  Gabriel  Meier,  Die  7  freien  Künste  im  Ma.  Jahres- 
bericht d.  Lehr-  u.  Erziehungsanstalt  Maria-Einsiedeln  1885.  1886,  cf.  auch 
0.  Willmann,  Didaktik  als  Bildungslehre  I'  (Braunschw.  1894)  264,  1,  wo 
mir  die  Stelle  aus  Tzetzes  neu  war.  —  Über  ihre  Stellung  im  antiken 
Unterricht  cf.  auch  Rohde,  Rh.  M.  XL  (1885)  73  f.  und  Mommsen-Blümner, 
Der  Maximaltarif  des  Diocletian  (Berlin  1893)  116  ff. 


Die  Artes  liberales.  671 

ganzen  Altertam  und  Mittelalter  in  Geltung  bleiben  sollten: 
Zeugnisse  aus  dem  Altertum  selbst  nennen  Hippias  den 
Begründer  des  auf  den  freien  Künsten  basierten  Er- 
ziehungssystems. ^)  Isokrates  hat  dann^  was  seiner  ganzen  iiokratcs 
Parteistellung  entsprach,  zwischen  den  beiden  extremen  Ansichten 
in  der  Weise  vermittelt,  dafs  er  die  gewöhnliche  Bildung  als 
eine  Yorbereitende  zur  höchsten  und  eigentlichen,  der  91A0- 
6oq>{a^  bestehen  liefs  und  in  sein  pädagogisches  System  auf- 
nahm.^ Dieser  Standpunkt  blieb  fortan  der  mafsgebende,  zu- 
nächst  für   das  Altertum');    zwar   fehlte   es   nicht   an    solchen 


1)  An  Hippias  fiel  schon  den  Zeitgenossen  das  encyklopildische  Wissen 
auf;  wir  erkennen  aus  dem,  was  uns  [Plat.]  Hipp.  mai.  285  D  und  Cicero 
de  OT.  in  127  darüber  mitteilen,  dafs  er  alle  jene  später  mafsgebenden 
xiivai  lehrte:  Astronomie,  Geometrie,  Arithmetik  werden  ausdrücklich  ge- 
nannt; in  der  yQoc(uiuir<ov  dvva(itg  %al  avllaßav  *ul  (v^(t&v  xal  olqiiovl&v 
liegt  Grammatik  und  Musik;  Rhetorik  und  Dialektik  versteht  sich  für  den 
Sophisten  von  selbst.  Es  ist  also  ganz  korrekt,  wenn  Cicero  1.  c.  von  ihm 
sagt,  er  habe  gelehrt  die  artes  quilrns  liberales  doctrinae  atque  ingenuae 
continemtwr  und  Quintil.  XE  11,  21:  El^is  Hippias,  gut  liberalium  disci- 
plinarum  prae  se  scientiam  tülit.  Sokrates  bei  Xcnoph.  mem.  IV  7  er- 
wähnt ABtronomie,  Geometrie,  Arithmetik. 

8)  Gf.  z.  B.  AntidosiB  267  f. 

8  Hier  ein  paar  Nachweise.  Cicero,  Hertens,  fr.  VI  Us.  ut  ei  qui 
canhibi  purpuram  volunt,  sufficiunt  prius  lanam  medicamentis  quibusdum, 
sie  UUerii  liberalibusque  doetrinis  ante  excoli  animos  et  ad  sapientiam  cofi- 
eipiendam  tn&ift  et  praeparari  decet  (cf.  anch  de  fin.  I  72).  —  Auf  einer 
Inschrift  von  Branchidae  (Anc.  greek  inscr.  in  the  Brit.  Mus.  IV  1  n.  925), 
die  ihrer  Sprache  nach  (besonders  auffällige  Berührungen  mit  Polybios) 
noch  ans  dem  I.  Jh.  y.  Chr.  zu  sein  scheint  (cf.  die  Bemerkungen  G.  Hirsch- 
feldsX  wird  von  Melanien  gesagt  (Z.  18  fP.):  fv  re  totg  oUdotg  tilg  iilmiag 
Meuäe6iuc§tf  iuit€tyip6iU9og  mal  iv  tolg  %axcc  tpiXoaotplccv  l6yoig  l%aviiv  i^iy 
«al  »(OKiMri^  i^x^i*^'  —  Nikolaos  von  Damaskus  begann,  wie  er  in  seiner 
Selbstbiographie  erzählt  (FHG  HI  349),  mit  der  Grammatik,  durch  die  er 
die  ganze  Dichtkunst  erlernte,  später  machte  er  sich  an  die  Rhetorik,  Mu- 
sik und  Mathematik,  endlich  kam  er  zur  Philosophie.  Er  vergleicht  (wie 
YaiTO  sat  fr.  418  £,  Epiktet  disa.  EI  23,  36  ff.,  cf.  auch  Philo  de  congr.  3) 
die  naidtla  mit  einem  Wege:  wie  man  in  der  einen  Herberge  kürzer,  in 
der  anderen  länger  bleibt,  so  auch  in  den  einzelnen  Bildungsstationen,  bis 
man  achlielBlich  rb  inelwov  XQ^^P^^  %axao%aiv  int  t^v  mg  &Xri9'&g  natQtpav 
iatUip  it99Xi&d»p  ipilo€oiptt  —  Biotin  erachtet  wenigstens  Mathematik,  Logik 
und  Dialektik  als  nötig  für  den  Philosophen,  der  den  Weg  ins  Reich  des 
Intelligibeln  machen  will  (cnn.  I  3,  3  f.).  —  Von  Porphyrios  berichtet  Eu- 
napios  y.  soph.  p.  10  Boiss.:   oiSev   naidsiag   slöog  habe   er   übergangen, 


Philosophen  y  die  iicii  wnni^sccriiä  in  Jer  Theorie  der  extremen 
Anschauung  Piatons  iinsciilossen  wir  wissen  es  von  den  Kyni- 
sto«,  kern,  Zenon,  Epikur.  den  Skepcikem  ^  .  aber  die  jüngere  Stoa 
hat,  ganz  entsprechend  der  VermitiiungsroUe,  die  sie  auf  allen 
Gebieten  zwischen  den  Gebildeten  und  dem  Yolk^  zwischen  philo- 
sophischem Idealismus  und  dem  Realismus  der  gegebenen  Ver- 
hältnisse gespielt  hat.  ein  filr  alle  Male  die  iyxvxXiot  xi%vai 
als  nffontzidsvaaxa  zu  der  wahren  Maidiia,  der  (p$Xo- 
6oq>iay  hingestellt.  Seneca  giebt  uns  in  dem  berühmten,  fQr 
diese  Fragen  einzig  wichtigen  SS.  Brief  auch  den  Namen  des 
Mannes^  der  diese  Auflassung  scharf  formuliert  hat:  Poseidonios. 
Wenn  Seneca  in  jenem  Brief  Tom  Standpunkt  der  alten  Stoa 
aus  gegen  Poseidonios  polemisiert,  so  ist  das  natürlich  (ganz  wie 
bei  den  Skeptikern)  ein  blols  akademischer  Streit:  folgt  doch 
sogar  ein  so  rigoroser  Denker  wie  Epiktet  in  dieser  Frage  ganz 
der  vermittelnden  Richtung  (diss.  III  23,  36  ff.).  An  Poseidonios 
haben  sich  drei  Mäimer  angeschlossen,  von  denen  notorisch  fest- 
Hlelit,  dals  sie  überhaupt  in  seinen  Bahnen  zu  wandeln  pflegen: 


v^uiiiut'  Ol-  ;iut Kühlt  Schritleu  über  Rhetorik,  Grammatik,  Arithmetik,  6eo- 
iiuitiiu,  Muäik.  Yielleioht  mit  besonderer  Rücksicht  auf  Poiphyrios  sagt 
Kiiriübiud  ^i:  UV.  \LV  10,  10  vou  den  Philosophen  überhaupt:  TtBQupigoveiv 
uvu)   xui   xavu>   ^vXoi^ifte^  xvc   fME^fiora,  SbIv  i^  &navtog  q>da%a9Teg  ro^ 

kuytinf  äväifu  xul  (pil6ciKpow  aMot9lBa9ilvai  &li'  oifdh  rfjg  t&v  Ihftmp  dlri' 

^kiu^  ^aOfitti  ffti)  tiwtnv  iv  ypvxj  vfjg  yvmitttag  nffovvxad^iicrig,  —  Synesios, 

l>iuu  p.  1)1  tt'.  l*ot.,  führt  in  herrlichen,  feierlich  schwungvollen  Worten  ans, 

ilttl'H  durjttuigo,  der  die  höchste  Philosophie,  die  ihm  als  Neaplatoniker  die 

Koligiüu  i»t,  erreiohen  d.  h.  der  Idiair  teilhaftig  werden  wolle,  sich  suerst 

<siuwüihuu  lasMui  müsse  in  die  tHämla  d.  h.  die  Künste,  die  von  den  Chari- 

tiuuttu  uad  Musen  gepflegt  werden,  vor  allem  Rhetorik  und  Poesie:  denn 

dun»h  aiei  die  «^osmdt^fMxva,  erreiche  man  tb  AttQtßAg  "SUi^va  elwxif  rovre- 

ff*  Mv«f#«ft  xot8  &99iiAxoig  Igofulftfo»,  s.  besonders  auch  p.  68  f.,   wo 

mHprftlhrt  wivd,  wie  KaUiope  die  den  steilen  Weg  rar  Togend  d.  h.  zur 

fUkMOphl»  Hinaawandelnden  auf  blumigen  Auen  ei^rischt  mit  den  SüTsig- 

An  ttMitihir  Beda  und  Poesie,  und  wo  das  sckOne  Wort  steht,  dafs  es 

k  hM  dHB  sieht  Mhleoht  bestallt  sei,  der,  statt  weiter  hinaufiuklimmen, 

li  MVMMtompal  bleibe,  denn  er  sei,  wenn  auch  kein  tpiloeotpog^ 

in  FleekeiaeM  Jahrb.  SnppL  XVIII  (1891) 
Krto  Liitwali,  ra  der  jcirt  Guggenheim  1.  c.  kommt 


Die  Altes  liberales.  673 

Varro^),  Strabon^)  and  Philon.  Der  letztere  hat  diese  Anschau- 
uDg  den  Christen  übermittelt^  bei  denen  natürlich  die  hellenische 
q>tXo6(Hp(cc  durch  die  christliche  g>LXo6o<pia  d.  h.  die  Theologie 
ersetzt  wurde  und  die  TtQtmai.ds'öficita  eben  die  klassischen  Stu- 
dien bedeuteten. 

Philo  hat  diese  Frage  sehr  oft  berührt')  und  sie  dann  vor  pwio. 
allem  in  einer  eignen  Schrift  behandelt:  mQl  i^^ff  sis  tc^  xqo- 
jucvdBviiccta  6vv6dov  (De  congressu  quaerendae  eruditionis  gratia 
I  519—545  M.).  Die  Worte  der  Sarah  zu  Abraham  (Gen.  16, 1), 
er  solle,  da  sie  selbst  nicht  gebären  könne,  mit  ihrer  Magd,  der 
Ägyptierin  Hagar,  Kinder  zeugen,  werden  so  gedeutet:  (§3  p.  520), 
„es  heilst  nicht,  dafe  Sarah  überhaupt  nicht  gebäre,  sondern  dafs 
sie  ihm  persönlich  nicht  gebäre;  denn  wir  sind  unfähig,  den 
Samen  der  Tugend  zu  empfangen,  wenn  wir  nicht  vorher  mit 
deren  Dienerin  verkehrt  haben.  Dienerin  der  Weisheit  ist  aber 
die  durch  die  Yorschulfächer  erreichte  allgemeine  ästhetische 
und  verstandesmäCsige  Bildung  (d'eQaxaivls  dh  6oq>iag  i^  diä  t&v 
nQOXaidsviuiTiov  iyxiixkios  iiovöixii  xal  loyixiiy^  wie  dann  weit- 
läufig in  der  ganzen  Schrift  bewiesen  wird  von  der  yQcc(i(iauxfjy 
ysafuZQicCy  iötQOvoiiia,  ^ijtOQix^^  iiov6ix%  rg  &XXji  Xoyto(/fj  ^£(d- 
QÜc  7ci6^.  Man  hat  bemerkt^),  dafs  diese  Allegorie  ihre  Ent- 
stehung einem  berühmten  Bonmot  aus  der  älteren  kynisch- 
stoischen  Schule  verdankt,  welches  Plutarch  (de  lib.  educ.  10, 
7  D)  dem  Bion,  Stobaeus  (flor.  IV  110)  dem  Ariston  zuschreibt^): 
lyhübsch  sagte  Bion,  diejenigen,  die,  aufser  Stande  der  Philosophie 
teilhaftig  zu  werden,  sich  mit  den  andern  unnützen  Bildungs- 
fachem  abquälten,  glichen  den  Freiem,  die,  aufser  Stande  sich 
der  Penelope  zu  nähern,  sich  mit  deren  Dienerinnen  einlie&en/' 
Die  in  diesem  Diktum  hervortretende  rigorose  Ansicht  der  älteren 
Stoa  von  der  absoluten  Verwerflichkeit  der  nQoxccLdaviuctcc  ist 


1)  Sai  fr.  418  f.  mit  meiner  AuBlegung  1.  c. 

t)  Im  L  Buch.  Dafs  übrigens  Poseidonios  an  Eratosthenes  anknüpfte, 
gebk  aus  p.  16  Gas.  hervor. 

•)  Cf.  Zeller,  Philos.  d.  Gr.  m«  2,  408,  1.    Guggenheim  1.  c.  17  ff. 

4)  et  Zeller  1.  c    Guggenheim  1.  c. 

6)  Nach  andern  soll  es  von  Aristipp  herrühren,  cf.  Gaggenheim  22,  1 
md  A  I[ie£Blisg  zu  Hör.  ep.  I  8,  88.  Dafs  es  auf  keinen  Fall  von  Gorgias 
henrflhrt  (dem  es  eine  sehr  schlechte  Oberlieferung  zaschreibt),  betont  A. 
Oefeke  in  seiner  Ausg.  des  Sauppe'schen  Gorgias  (Berlin  1897)  p.  VI,  5. 


yk,*/,   rr»r*   Fr..>,    z*zl1^    ii^r   ax*ryi    A'.-ff'Un;   •»  jungem   Stoft 

Im  <:T*W£.  Boiii  i^iLirs  zr:i*:i  ^7*^iiLiaKi.izi  Werkes  hat  er 
*,*z\r.H  h'^.J.'.:,:z  z-^  .•,-=, i^^iIth  Biliir^  i:i5flLriich  begründet. 
Mä:*  ii«r.  *ih.<iraL  zTri*^!*;!  I-til  Z^ilrn  «ii-r  bittere  Polemik  gegen 
k\h  prinzipieller  '•^z^SzzizT  i^z  L^UriiisciLezi  jr<»4fia:  gelegentlieh 
jf j>bt  HT  ihr  acich  ^iind*.**lb4res  Aa5*imck.  so  I  1,  18  (p.  326  P): 
,,Icb  kenne  ^r  vobi  iie  Redereies.  gewisser  ans  Mangel  an  Bil- 
rlrin^r  ängatiicher  ^lenschen.  die  da  sagen,  man  müsse  sich  nnr 
rnit  dem  Notwendigsten  tind  dem,  was  den  Glauben  zusammen- 
hält, beschäftigen,  das  aaTserhalb  Stehende  und  Überflüssige  über- 
(fehen,  da  es  uns  doch  nur  Tergeblich  aufhalte  und  an  Dinge 
fessele,  die  zur  Erreichung  des  Ziels  nichts  beitrügen.  Einige 
glauben  sogar,  daCs  die  Philosophie  zum  Verderben  der  Menschen 
durch  die  Erfindung  einer  Art  Ton  Teufel  ins  Leben  hineinge- 
kommen sei'';  cf.  9,  43  p.  341.  Diese  Widersacher  hatten  sieh 
sogar  berufen  auf  eine  Stelle  der  Schrift:  ,,halte  dich  nicht  an 
ein  schlechtes  Frauenzimmer,  denn  Honig  traufeit  Ton  den  Lippen 
einer  Hure''  (Spr.  Sal.  5,  3):  das  deuteten  sie  auf  die  Philosophie 
(5,  29  p.  332).  Dem  gegenüber  legt  nun  Clemens  eingehend 
zweierlei  dar:  1)  Die  hellenische  Bildung,  vor  allem  auch  die 
Philosophie,  ist  „ein  Werk  der  göttlichen  Vorsehung'*  (1,  18 
p.  327);  denn  „von  allem  Schonen,  mag  es  nun  hellenisch,  mag 
es  unser  sein,  ist  Gott  der  Urheber"  (5,  28  p.  331),  und  „durch 
ihre  Bildung  hat  Gott  die  Hellenen  auf  Christus  erzogen,  wie 
die  Hebräer  durch  das  Gesetz"  (ib.).  Jene  Stelle  der  Schrift  sei 
falsch  ausgelegt:  sie  beziehe  sich,  wie  der  Zusammenhang  be- 
weise, vielmehr  auf  die  Sinnenlust.  2)  „Wie  diese  hellenische 
Bildung  die  Hellenen  selbst  zur  Gerechtigkeit  enog,  so  soll  sie 
uns  zur  Gottesfurcht  erziehen:  denn  sie  ist  eine  Vorschule  {%qo- 
xaideCa)  für  die,  welche  den  Glauben  auf  dem  Wege  des  Beweises 
sieh  erwerben  wollen"  (5,  28  p.  331).  Denn  „wie  es  meiner  An- 
lioht  nach  möglich  ist,  gläubig  zu  sein  ohne  Wissenaehafk,  so 

*y  Bemerkanswert  ist,  dafs  auch  Paulus  ep.  ad  GaL  i»  n  ff.  die  alt- 

■üKohfl  Stelle  allegoriBch  gedeutet  hat:  maa  Tngkiche  wxne  Alle- 

dsr  philoniflchen,  um  den  fundameatalm  ratertekied  des  palästi- 

nikmsnhen  und  des  alexandriniirb  •  hellMMAca  Jadeatuu  lu 


Die  Artes  liberales.  675 

sind  wir  nns  darüber  einige  dafs  es  ohne  Bildung  unmöglich  sei, 
das  in  der  Glaubenslehre  Gesagte  zu  verstehen;  denn  das  gut 
Gesagte  sich  zu  eigen  zu  machen^  das  Gegenteilige  sich  fem  zu 
halten,  ist  nicht  Sache  des  einfachen,  sondern  des  wissenschaft- 
lichen Glaubens  (6,  35  p.  336)/'  Um  zu  diesem  Glauben  zu  ge- 
langen, sei  die  hellenische  ngonaideia,  d.  h.  die  iyxvxkLa  (ladi^^ 
l/Loxa  und  die  tpiXo6oq>Cay  iiötig,  aber  nur  als  Mittel  zum  Zweck, 
wie  er  mit  ausführlicher  Behandlung  des  philonischen  Gleich- 
nisses von  Sarah  und  Hagar  darlegt  (5,  30  ff.  p.  333  ff.);  abgesehen 
Yon  anderem  sei  eine  solche  Vorbildung  auch  zum  Verständnis 
der  h.  Schrift  nötig,  in  der  oft  grammatische,  dialektische  und 
wegen  ihrer  absichtlichen  Dunkelheit  inhaltliche  Schwierigkeiten 
zu  losen  seien  (9,  44  f.  p.  342).  Die  Stellen,  an  denen  Paulus 
vor  der  weltlichen,  speziell  der  philosophischen  Bildung  warnt, 
bezogen  sich  nur  auf  die  entartete  Bildung,  wie  sie  von  den 
Sophisten  der  Gegenwart  vertreten  würde  (8,  39  f.  p.  339  f.  10, 
49  f.  p.  346  f.). 

Origenes,  der  eigentliche  christliche  Fortsetzer  Philons  in  origonea. 
der  allegorischen  Deutungsmethode  ^),  hat  an  die  Stelle  der  ge- 
nannten stoisch  -  philonischen  Allegorie  eine  andere  von  genau 
derselben  Tendenz  gesetzt:  sie  ist  für  alle  Folgezeit  bindend  ge- 
worden. In  seinem  Brief  an  Gregorios  (Thaumaturgos)  handelt 
er  über  das  Thema:  y,Wann  und  wem  die  philosophischen  Kennt- 
nisse nützlich  sind  zur  Erklärung  der  heiligen  Schriften,  auf 
Grand  eines  Schriftzeugnisses"  (vol.  I  1  ff.  Lomm.).  Er  bemerkt 
zu  Anfang,  Gregorios  sei  so  gut  veranlagt^  dafs  er  sowohl  ein 
vollendeter  römischer  Jurist  wie  griechischer  Philosoph  werden 
könne.  Aber,  fahrt  er  fort,  „ich  wünschte,  dafs  du  die  ganze 
Kraft  deiner  guten  Anlage  hinsichtlich  des  Zwecks  {zbXiti&s) 
ansschlielslieh  dem  Christentum  widmetest,  dafs  du  aber  als 
Mittel  zum  Zweck  {noiririx&g)  von  der  hellenischen  Philo- 
sophie die  dem  Christentum  gewissermafsen  dienlichen  Kennt- 
nisse des  gewöhnlichen  Lebens  oder  der  Vorschule  (iyxvxXia 
luc9iiliLata  ^  XQOXaidBiiiuxta)  hinzunähmest,  desgleichen  von 
'der  Geometrie  und  Astronomie  das  zur  Erklärung  der  heiligen 

1)  Por^yr.  adv.  Chrifli  bei  Euseb.  h.  e.  VI  19,  8  behauptet,  Origenes 
habe  leme  aUegorische  Anslegungsmethode  von  der  Stoa  gelernt,  was  in- 
direkt richtig  ist;  denn  wer  etwas  Origenes  gelesen  hat,  wcifs,  dafs  er 
dnreli  das  Stadium  Philons  auch  zn  dessen  stoischen  Quellen  geführt  wurde. 
XordtB,  aatlka  Ktmitpros».  II.  44 


670  I^ie  Antike  im  Mittelalter. 

Schriften  Brauchbare^  damit  wir  das^  was  die  Philosophen  von 
der  Geometrie,  Musik,  Grammatik,  Rhetorik  und  Astronomie 
sagen,  sie  seien  Gehülfinnen  der  Philosophie,  unsererseits  auch 
von  der  Philosophie  selbst  hinsichtlich  ihres  Verhältnisses  zum 
Christentum  sagen  können^^  Es  folgt  nun  eine  in  der  Zukunft 
hoch  berühmt  gewordene  allegorische  Deutung  von  Exod.  11, 
1  sq.  („Es  sprach  der  Herr  zu  Moses:  Noch  eine  Plage  will  ich 
über  Pharao  und  Ägypten  kommen  lassen,  darnach  wird  er  euch 
von  hier  entsenden.  .  .  So  sage  nun  insgeheim  zum  Volke,  es 
solle  ein  Jeder  von  seinem  Nächsten  fordern  silberne 
und  goldne  Gefäfse  und  Gewänder")  Wie  diese  aus  Ägyp- 
ten mitgenommenen  Kostbarkeiten  zu  dem  von  Gott  befohlenen 
Bau  des  Allerheiligsten  verwandt  worden  seien  (cf.  Exod.  c.  37  flF.), 
so  solle  man  es  auch  mit  den  weltlichen  Wissenschaften  machen, 
denn  diese  seien  zu  verstehen  unter  den  Agyptiem,  bei  denen 
die  Kinder  Israel  lange  gelebt  hätten,  um  sich  endlich  von  ihnen 
zu  befreien.^)  Aber  vorsichtig  müsse  man  das  aus  Ägypten  Mit- 
gebrachte verwenden:  gröfser  sei  die  Zahl  derer,  denen  es  ver- 
derblich geworden  sei:  das  seien  die  Häretiker.*)  —  Dieser 
Theorie  entsprach  die  Praxis,  die  Origenes  bei  seinen  SchQlem 
anwandte:  derselbe  Gregorios,  an  den  er  die  obigen  Worte  schrieb, 
hat  uns  darüber  in  seinem  Panegyricus  auf  Origenes  c.  7  (10, 
1076  f.  Migne)  interessante  Mitteilungen  gemacht  (genannt  sind: 
Dialektik  in  Verbindung  mit  Rhetorik,  Musik,  Astronomie,  be- 

1)  E.  Bernheim  weist  mich  darauf  bin,  dafs  dieselbe  Stelle  schon  bei 
Irenaeus  liaer.  IV  30  allegorisch  gedeutet  wird;  freilich  ist  die  Deutung  ver- 
schiedenartig, aber  man  lernt  doch  aus  Irenaeus,  besonders  wenn  man  ihn 
mit  Tertull.  adv.  Marc.  II  20  cf.  IV  24.  V  13  kombiniert,  wie  Origenefl 
gerade  auf  diese  Stelle  geführt  wurde;  Marcion  hatte  nämlich  in  seinen 
&9tid-i6sig  den  Diebstahl  der  Kinder  Israel  als  Argument  für  seine  Ver- 
werfung des  A.  T.  benutzt:  denn  Jesus  habe  seinen  Jüngern  nicht  einmal 
erlaubt  einen  Stab  mitzunehmen,  wie  g^z  anders  also  der  Judengott.  Da- 
durch erhielt  die  Stelle  offenbar  auch  in  katholischen  Kreisen  eine  gewisse 
Celebrit&t:  Irenaeus,  Tertullian  und  Origenes  deuteten  sie  sämtlich  allegorisch 
um,  aber  jeder  yon  ihnen  auf  Tenchiedene  Weise. 

S)  Er  denkt  wohl  i.  B.  an  die  H&resie  des  Artemon,  von   der  eine 

«Hidirift  ani  dem  Anfang  des  m.  Jh.  bei  Enseb.  h.  e.  V  28,  U  be- 

■iprig  tag  itflag  to6  4^eo4)  Ytftapiig  ynofur^/cnr  iniviidsvovetp 

■Mfit  tum»  flrfvAv  9i2ojrtfiN»ff  yesficr^ilrai,  *AQi9totiXfig 

ifilNWM'  IVlqyAff  y&f  fiMiff  ^6  turnt  %al  %ifoauv- 


▼.  Nozian«. 


Die  Artes  liberales.  677 

sonders  auch  Geometrie),  ebenfalls  Eusebios  li.  e.  VI  18,  3  f.  wo 
er  berichtet:  noXXovg  ivfiyav  inl  r«  iy^vTiXia  ygäfiiiccra  (kurz 
vorher  nennt  er  sie  7CQ07Cai,dsv^ata)^  ov  (itxgäv  avtotg 
B6e69ai  g>döx(ov  i^  ixsivav  inLxri8Bi6zii]xa  slg  t»)v  t&v 
&si(ov  ygatp&v  d^sagiav  xb  xal  jtaQaöxsvilv  (aus  Eusebios 
Hieron.  de  vir.  ill.  54).^) 

Clemens  und  Origenes  waren  die  grofsen  Lehrer  der  folgen-  owgor 
den  Theologen  des  Ostens  wie  des  Westens.  Unter  den  ersteren 
nimmt  Gregor  von  Nazianz  eine  hervorragende  Stelle  ein:  6 
^BoXöyog  war  seine  ehrende  exemplarische  Bezeichnung.  Daher 
mögen  zwei  Zeugnisse  aus  ihm  zeigen,  dafs  die  Thesen  des 
Clemens  und  Origenes:  die  profane  Bildung  ist  notwendig,  aber 
ihr  gebührt  nur  die  Rolle  einer  Dienerin,  Geltung  behalten  haben. 
An  der  einen  dieser  beiden  Stellen  polemisiert  er  ganz  wie  Cle- 
mens gegen  die  Verächter  dieser  Bildung  (paneg.  in  Basil.  c.  11, 
vol.  36,  508  f.  Migne):  „Es  herrscht  wohl  bei  allen  Verständigen 
darüber  volles  Einvernehmen,  dafs  Bildung  von  allen  unsern 
Gütern  das  erste  ist,  und  zwar  nicht  nur  jene  edlere  und  uns 
gehörige  Bildung,  die  alle  anspruchsvolle  Zierlichkeit  in  den 
Beden  gering  achtet  und  nur  das  Heil  und  die  Schönheit  der 
Gedanken  zum  Zweck  hat,  sondern  auch  die  profane,  welche  eine 
sehr  grolse  Zahl  von  Christen  als  eine  hinterlistige  und  gefähr- 
liche und  von  Gott  weit  entfernende  verabscheut:  ein  böser  Irr- 
tum". Nachdem  er  das  im  einzelnen  gezeigt  und  bemerkt  hat, 
dafs  man  nur  in  der  Auswahl  vorsichtig  sein  müsse,  schliefst 
er:  ,^icht  also  darf  man  die  Bildung  gering  achten,  weil  einige 
dieser  Ansicht  sind,  sondern  man  mufs  Leute  dieses  Schlages  viel- 
mehr ftlr  querköpfig  und  dumm  halten,  die  freilich  gern  wollten, 
dab  alle  so  wie  sie  seien,  damit  in  der  Allgemeinheit  ihre  Sonder- 
stellong  verborgen  bleibe  und  sie  so  der  Überführung  ihrer 
Dummheit  entgehen".    In  einem  Gedicht  betont  er  die  dienende 


1)  Gf.  auch  die  achOnen  Worte  des  OrigeneR  in  Exod.  hom.  11  c.  6 
(IX  188  f.  Lomm.)  *et  amdivit  Moses  vocern  soceri  sui  et  fecit  quaecumque 
dixU  ei'  (Ezod.  18,  84)  ...  .  Unde  et  nos  si  forte  aliquando  invenimus  ah- 
qmid  BOpimUr  a  gmMbua  dichim,  non  continuo  cum  auctoris  nomine  sper- 
MMV  Memm  H  dieta,  nuec  pro  eo,  guod  legem  a  deo  datam  tettemits,  ivnvcnit 
UM  tmutm  mtperbia  «I  tpemere  verba  prudentium,  sed  sicut  apostolus  dtcit: 
^amma  pröbtmlii,  quod  honum  ett  tmentes*  (ad  Thessal.  I  6,  21). 


678  Die  Antike  im  Mittelalter. 

Stellung,  die  der  profanen  Wissenschaft  gebühre  (carm.  ad  Seleac 
240  flf.,  vol.  37,  1592  f.): 

xal  rilv  (iddifiöiv  r&v  nag^  "EXlriötv  Xöymv 

&6nsQ  ÖLxaötilg  Ivvogiov  iln\(pov  tpigtov 

imi^Qststöd'ai  td^ov,  &g  i6rl  nginov, 

ry  zßyv  &Xrfi&v  doyfidt(ov  nagQtiöCa 

ty  7Cav66q>(p  xs  x&v  yQaq>&v  ^sagia. 

xal  yäQ  dCxaiov  ti^v  6oq>(av  roi)  nvavfjLatog 

ävmd'sv  oiöav  ix  d'sov  %    ätp^yfiivriv 

diönoLvav  slvai  tiig  xdrm  7tai>ds'66s(og 

&6XSQ  ^BQanaCvrig  fi'^  (läri^v  fpvöafiivfig 

inriQBXBtv  d\  xo6iii(og  sid'iöfidvrig' 

r$  Tov  d'sov  yäQ  ^  xdrm  dovXsvita, 

Nach  diesen  Prinzipien  haben  nicht  bloüs  die  grofsen  Manner 
auf  der  Höhe  ihres  Wirkens  gelebt,  sondern  nach  denselben  ist 
auch  der  Unterricht  auf  den  Schulen  und  Universitäten  des 
Ostens  geregelt  worden;  für  denjenigen,  der  den  Lebenslauf  des 
Gregor  von  Nazianz  und  Basilius,  sowie  die  fär  alle  diese  Fragen 
ganz  besonders  interessante  Rede  des  letzteren  (nQbg  toi>g  vdtwgj 
Zxmg  &v  i^  ^Ekkrivix&v  &(pBXotvzo  X6yfov^  vol.  31,  564  ff.  Migne) 
kennt,  bedarf  es  dafür  keiner  weiteren  Beweise.  Julian  hatte 
durch  sein  berüchtigtes  Verbot  des  hellenischen  Unterrichts  bei 
den  'Galiläem'  die  Axt  an  die  Wurzel  der  verhafsten  Religion 
gelegt  und  nach  seinem  Tode  brach  ein  Sturm  der  Entrüstung 
gerade  auch  über  dieses  Verbot  unter  den  gebildeten  Christen 
aus:  über  die  Art  der  Abwehr  seitens  der  letzteren  hat  beson- 
ders der  Kirchenhistoriker  Sokrates  (h.  e.  m  16)  interessante 
Dinge  mitgeteilt  ^)  und  zugleich  seinen  eignen  Standpunkt  in 
der  ganzen  Frage  der  profanen  Ausbildung  eingehend  dargelegt^ 
der  sich  von  dem  des  Clemens  und  Origenes  nicht  unterscheidet: 
TÖ  Y&Q  xaköv,  iv^a  ctv  r),  tdiov  tf^g  dlri^sCag  iötlv  sagt  er  auf 
Grund  derselben  Worte  des  Apostels,  die  auch  Origenes  dafür 
citiert  hatte  (s.  o.  S.  677, 1).  Von  gebildeten  Männern  hat,  so- 
viel ich  sehe,  nur  emer,  Joannes  Chrysostomos,  sich  in  gegen- 


1)  S.  0.  S.  662.  Dafs  das  Verbot  übrigens  wirklich  praktische  Kon- 
Hpquonzon  Imtto,  jjoht  aus  folgender  Thatsache  hervor:  Manns  Victorinns, 
dainal«  »t'hon  üborzoiigungstreuer  Christ,  legte  sein  Lehramt  nieder  (Angnst. 
vouW  VUl  f>). 


Die  Artes  liberales.  679 

teiligem  Sinn  geäufsert,  aber  bei  einer  besondem  Gelegenheit: 
in  seiner  Ilede  Vider  die  Verächter  des  Monchswesens'  machte 
er  den  Vorschlag,  die  Kinder  statt  zn  weltlichen  Lehrern  zehn 
bis  zwanzig  Jahre  zn  den  Mönchen  zu  schicken  (1.  IQ  c.  18,  vol. 
47;  379  ff.  Migne);  Ernst  ist  es  ihm  damit  natürlich  nicht  ge- 
wesen: es  lag  ihm  daran,  die  Sache  der  Mönche  zu  heben.  — 

Genau  ebenso  verfuhr  man  im  Westen  und  hier  finden  wir  Auguttin. 
nun  eine  folgenreiche  Anknüpfung  an  jene  Allegorie  des  Origenes, 
deren  Spuren  mir  im  Osten  nicht  begegnet  sind.^)  In  dem  zweiten 
Buch  seiner  bewunderungswürdigen  Schrift  De  doctrina  Christiana 
(s.  o.  S.  526)  erörtert  Augustin  von  einem  sehr  freisinnigen 
Standpunkt  die  Frage  ^  was  der  Christ  von  den  Heiden  lernen 
dürfe  und  müsse.  Nachdem  er  alles  im  einzelnen  genau  aufge- 
zählt und  ausgeführt  hat,  schlieiBt  er  mit  folgenden  Worten 
(60):  ,;Wie  die  Ägyptier  nicht  blofs  Götzenbilder  hatten,  die  das 
Volk  Israel  verabscheute,  sondern  auch  Gefafse,  goldene  und 
silberne,  Schmucksachen  und  Gewänder,  die  jenes  Volk  bei  seinem 
Auszug  aus  Ägypten  für  sich  selbst  gewissermafsen  zu  einem 
bessern  Gebrauch  heimlich  in  Anspruch  nahm  (und  zwar  nicht 
aus  eigner  Machtvollkommenheit,  sondern  auf  Befehl  Gottes,  in- 
dem die  Ägyptier,  ohne  es  zu  wissen,  dasjenige  ihnen  liehen,  von 
dem  sie  selbst  keinen  guten  Gebrauch  machten):  also  enthalten 
die  Lehren  der  Heiden  nicht  blofs  falsche  und  abergläubische 
Erdichtungen  und  überflüssigen  Ballast,  sondern  auch  die  zum 
Dienst  der  Wahrheit  passenderen  freien  Künste  (liberales  disci- 
plinas)  und  einige  äuüserst  nützliche  Moral  Vorschriften,  ja  in 
betreff  der  Verehrung  des  einen  Gottes  findet  sich  bei  ihnen 
einiges  Wahre.  Dieses,  also  gewissermafsen  ihr  Gold  und 
Silber,  mufs  der  Christ  ihnen  entwenden,  um  es  in  ge- 
rechter Weise  bei  der  Verkündigung  des  Evangeliums 
zu  gebrauchen;  auch  ihre  Gewänder,  d.  h.  Einrichtungen,  die 
zwar  von  Menschen  stammen,  aber  der  menschlichen  Gesellschaft, 
ohne  die  wir  nun  einmal  nicht  leben  können,  darf  er  in  Empfang 
nehmen  und  für  den  christlichen  Gebrauch  behalten/' 


1)  Wenigstens  ähnlich  Gregor  v.  Nyssa  de  vita  Mosis  vol.  44,  360 
Migne.  Dafs  die  Allegorie  des  Origenes  aber  berühmt  war,  zeigt  ihre 
Au&ahme  in  die  von  Gregor  y.  Nazianz  und  Basilius  aus  seinen  Werken 
zosammengestellte  <Pdo%aXia  c.  13  (XIY  66  f.  Lomm.). 


680  Die  Antike  im  Mittelalter. 

2.   Die  propädeutisohe  WertsohätEiing  der  Artes  liberaloB  im 

Mittelalter. 

a.    Die  Theorie. 

Zeugnisse.  Diese  Wofte  Augustins   sind  öfters   citiert  worden,  zuerst 

von  Cassiodor  de  inst.  div.  litt.  28  (70^  1142  Migne),  so  dafs 
das  Mittelalter  sich  also  zur  Rechtfertigung  des  in  ihnen  ausge- 
sprochenen Gedankens  auf  seine  Hauptgewährsmänner,  Augustin 
und  Cassiodor,  berufen  konnte.  Statt  aber  diesen  Spuren  nachzu- 
gehen^), will  ich  lieber  einige  Belege  bringen  für  die  allgemeine 
in  ihnen  niedergelegte  Anschauung,  dafs  die  artes,  d.  h.  die 
ganze  heidnische  Bildung,  keinen  Selbstzweck,  sondern 
einen  blofs  relativen  Wert  habe,  insofern  sie  der  Kirche 
nutzbar  zu  machen  sei.  In  dieser  dienenden  Stellung 
der  Wissenschaften  liegt  der  fundamentale  Gegensatz 
des  Mittelalters  zum  Humanismus  ausgesprochen.')  Ich 
werde,  wie  ich  es  in  andern  Partieen  dieses  Werkes  gethan  habe, 
aus  einzelnen  Jahrhunderten  die  bezeichnendsten  mir  bekannten. 
Zeugnisse  aufführen  (sie  würden  sich  leicht  vermehren  lassen), 
weil  ich  glaube,  so  am  besten  die  allgemeine  Gültigkeit')  dieses 
Standpunktes  beweisen  zu  können. 


1)  Z.  B.  Ratherius,  Bischof  von  Verona,  citiert  von  H.  Guides,  Gesch. 
des  deutschen  Volkes  und  seiner  Kultur  zur  Zeit  der  Karolinger  etc.  1  658, 
cf.  auch  Guggenheim  1.  c.  20,  Petrus  Damiani  (s.  XI)  op.  XXXIT  c.  9  (p.  250 
der  Pariser  Ausgabe  1642),  citiert  von  Montalembert,  Las  moines  d^Occident 
VI  (Paris  1877)  205,  4.  Die  beiden  frühsten  Stellen  aus  dem  Ma.:  Sma- 
ragdus  (unter  Karl  d.  Gr.)  comm.  in  Donat.  prolog.  ed.  H.  Keil  (De  gramm. 
quibusd.  lat.  infimae  aetatis  (Progr.  Erlaug.  1868)  p.  20,  und  Ambrosius 
Autpertus  (f  781)  conmi.  in  apocal.  1.  VIII  praef.,  citiert  bei  J.  Haufsleiter 
in:  Realencycl.  f.  prot.  Theol.  u.  Kirche  (3.  Aufl.,  1896)  308. 

2)  Cf.  auch  0.  Willmann  1.  c.  (o.  S.  670,  1)  289  ff.  296  ff. 

3)  Ausnahmen  sind  selten.  Man  kann  im  allgemeinen  sagen,  dafs 
deijenige,  der  die  klassischen  Studien  ihrer  selbst  wegen  betrieb,  yerfolgt 
wurde,  cf.  H.  Reuter,  Gesch.  d.  relig.  Aufklär,  im  Ma.  I  (BerL  1875)  72. 
78  ff.  (Gerbert).  191.  229  H  4  ff .  (Abälard  und  die  von  ihm  ausgehenden 
Richtungen,  besonders  die  Schule  von  Cliartres).  —  Umgekehrt  fehlen  auch 
nicht  ganz  Stimmen,  welche  die  artes  völlig  verwerfen  (für  die  Griechen 
vgl.  z.  B.  ülympiodor.  Alex,  in  eccles.  c.  7,  26  f.  =  98,  672  Migne).  Z.  B. 
gicbt  es  einen  grimmigen  Ausfall  gegen  die  Künste  des  trivium  Ton  Ekke- 
hard  IV.  von  St.  Gallen  f  c.  1060  (ed.  E.  Dünmder  in:  Haupts  Zeitschr. 
f.  deutsches  Altert.  N.  F.  U  [1869]  62  ff.),  also  von  demselben  Mann,  der 


Die  Altes  liberaleB.  681 

Ennodius  ep!  IX  9:  eine  Verwandte  liatte  ihren  Sohn  in  mmo.  vi. 
jungen  Jahren  dem  geistlichen  Beruf  übergeben,  ohne  ihn  Yorher 
skidia  liberälia  treiben  zu  lassen.  Später  beschloß  sie  das  nach- 
zuholen und  wendete  sich  an  Ennodius.  Dieser  tadelt  sie  wegen 
des  Versäumnisses,  denn  eigentlich  sei  es  jetzt  zu  spät:  pro- 
perantes  ad  se  de  discipUnis  saectdaribus  säluHs  opifex  non  refutai, 
sed  ire  ad  illas  qtiemquam  de  stw  nitore  non  patitur.  iam  si  eum 
mundo  subiraxeras^  dicendi  in  eo  Schemata  non  requiras:  erubesco 
ecclesiastica  profitentem  omamentis  saecularibus  expolire.  Doch  wolle 
er  einmal  eine  Ausnahme  machen.  —  Derselbe,  opusc.  VI  p.  401  iL 
Hart.:  er  preist  in  Versen  die  Verecundia,  Castitas,  Fides;  darauf 
fährt  er  fort:  diesen  Tugenden  dürfe  aber  nicht  fehlen  stt^diorum 
liberalium  düigentiam,  per  quam  divinarum  bona  rerum  quasi  pre- 
tiosi  monüis  luce  sublimentur^  worauf  Verse  auf  die  Grammatik 
und  Rhetorik  folgen.^) 

Karl  d.  Gr.  encycl.  de  literis  colendis  (Mon.  Germ.  leg.  sect.  «»ec-  ix. 
II  tom.  I  p.  79):  kortamur  vos,  litterarum  skidia  non  solum  non 
negligere,  verum  etiam  humilUma  et  deo  placita  intentione  ad  hoc 


eine  ganz  aufserordentliche  Belesenheit  in  der  heidnischen  Litteratur  be- 
safs.  Otloh,  der  auch  in  profaner  Wissenschaft  gelehrte  deutsche  Mönch 
des  XI.  Jh.  (cf.  Wattenbach,  Deutschi.  Geschichtsq.  11  •  66  ff.),  liber  metri- 
cus  de  doctrina  spirituali  (ed.  Pez,  Thes.  anecd.  nov.  EEI  2  [1721]  p.  431  ff.) 
c.  11  (de  libris  gentilium  vitandis)  p.  442.  Vor  allem  bezeichnend  sind 
einige  ÄuTserungen  des  sehr  gelehrten  Petrus  Damiani  (cf.  auch  A. 
Dresdner,  Kultur-  u.  Sittengesch.  d.  ital.  Geistlichkeit  im  11.  Jh.  [Breslau 
1890]  219  ff.),  z.  B.  opusc.  XIII  c.  11:  er  eifert  dort  gegen  die  Mönche,  die 
parvi  pendentes  regulam  Benedicti  regulis  gaudent  vacare  Donati.  Sie  be- 
gründen ihre  Beschäftigung  mit  den  exteriores  artes  damit,  ut  locupletius 
ad  8tt*dia  divina  proficiant  Doch  sucht  Damiani  entsprechend  seiner  Stel- 
lung in  dieser  Frage  dies  Argument  zu  entkräften.  Femer  opusc.  XLV  (de 
sancta  simplicitate  scientiae  inflanti  anteponenda),  wo  er  einen  Mönch  tröstet 
wegen  seiner  mangelhaften  Kenntnis  der  artes  z.  B.  c.  1  ecce,  f rater,  vis 
grammaticam  discere?  disce  deum  plurcUiter  declinare;  artifex  enim  doctor 
dum  artem  obedientiae  noviter  condit,  ad  colendos  etiam  plurimos  deos  in- 
auditam  mundo  declinationis  regutam  introducit  c.  7  kann  er  es  sich  nicht 
versagen,  zwei  selbstgemachte  Hexameter  auf  einen  sapienter  indodum  ein- 
zufügen, wofür  er  sich  dann  sofort  tadelt:  heu  me  miserumi  .  .  versiculos 
facimus  ad  similitudinem  puerorum.  Den  allgemein  gültigen  Standpunkt 
vertritt  er  dagegen  op.  XXXVI  c.  6. 

1)  Ähnlich  Fulgentius  super  Thebaide  c.  5  (ed.  B.  Helm  im  Bhein. 
Mus.  LH  [1897]  181  f.). 


682  I>ie  Antike  im  Mittelalter. 

certatim  discere^  ut  facilius  et  rectius  diversarum  scriptu- 
rarum  mysteria  valeatis  penetrare.^) 

Alcuinus  grammatica  (vol.  101  p.  853  f.  Migne):  Discipulos: 
quos  toties  promisisti,  septmos  Oieorasticae  disdplinae  gradus  nobis 
ostende.  Magister:  sunt  igitur  gradus  quos  qmeriüs:  grammatica, 
rhetorica,  diälecticaj  arithmetica,  geomebriay  musica  et  asirologia. . . . 
per  has  verOj  filii  carissimij  semitas  vestra  quotidie  currat  adoles- 
centta,  donec  perfectior  aetas  et  cmimus  sensu  röbustior  ad  culmina 
sandarum  scripturarum  perveniat,  quatenus  hinc  inde  armati  verae 
fidei  defensores  et  veritatis  assertares  omnimodis  invincibäes  effi- 
ciamini. 

Babanus  Maurus  de  clericomm  institatione  1.  III  c.  16  ff. 
(107,  392  ff.  Migne)  wiederholt  z.  T.  mit  wörtlichem  AnschliÜB 
die  von  Augustin  de  doctr.  Christ.  II  gegebenen  Weisungen.*) 
iMo.  x/xL  Notker  Labeo  (f  1022)  in  seinem  Brief  an  einen  Bischof 
von  Sitten  (Eanton  Wallis),  zuletzt  ediert  von  P.  Piper,  Die 
Schriften  N.'s  u.  s.  Schule  I  (Freib.-Leipz.  1882)  p.  859  ff  j  dort 
p.  860:  artibus  illiSy  quihus  me  onustare  vultis,  ego  renunciavi  neque 
fas  mihi  est  eis  aliter  quam  sicut  instrumentis  frui;  sunt 
enim  ecclesiastici  libri  et  precipue  quidem  in  scolis  legendi,  quos 
impossibile  est  sine  Ulis  prelibatis  ad  intellectum  in- 
tegrum duci,  worauf  er  seine  diesem  propädeutischen  Zweck 
dienenden  Schriften  aufzahlt.^) 


1)  Ganz  in  demselben  Sinn  ist  das  Dekret  des  Papstes  Engenins  II 
vom  J.  826  (Mon.  Germ.  leg.  t.  II  append.  p.  17):  de  quHmsdam  locis  ad 
no8  refertur  non  magistros  neque  cwram  inveniri  pro  studio  liUerarum:  id- 
circa  iti  UMiversis  episcopiis  st^iectisque  plebibus  et  aliis  locis,  in  quibus  ne- 
cessitas  occurrerit,  omnino  cura  et  diligentia  acffiibeatur,  ut  mctgistri  et  doc- 
tores  constituantur,  qui  studia  litterarum  liberaliumque  artium  häbentes 
dogmata  assidue  doceant,  quia  in  his  maxime  divina  manifestantwr  aique 
declarantur  mandata. 

2)  In  demselben  Sinn  folgende  Bemerkung  aus  dem  IX.  Jh.  bei  Thorot 
in:  Not.  et  extr.  des  ms.  XXII  (1868)  61  f.:  eo  liquidius  potueris  sacras  per- 
scrutari  pagi^ias,  quia  peritia  gramwaticae  artis  in  sacrosancto  senUinio  laho- 
rantihus  ad  subtiliorem  intellectum,  qui  fjrequenter  in  sacris  scripturis  inseri' 
tur,  vdlde  utilis  esse  dinoscitur,  eo  quod  lector  huius  expers  arHs  in  muUii 
scripturarum  locis  usurpare  sibi  illa  quae  non  habet  et  ignotus  sibi  ipsi  esse 
comprobatur.  Cf.  femer  Ermenrich  von  St.  Gallen  (tB72)  ed. £. Dumm- 
ler  (^Progr.  Ilalle  1873)  p.  6. 

3)  Cf  denselben  in  einem  rhetorischen  Traktat  ed.  Piper  1.  a  687  x 
Diso.:  an  sapicntia  sine  elo^uentia  oberit?    Mag.:  obdrtf  flm'diW  ^ 


Die  Altes  liberales.  683 

Honoriüs   Angustodunensis   de   artibas  ed.  Pez^  Thes.   «aoo.  i 
anecd.  noyiss.  II  (1721)  227  ff.    Er  unterscheidet  die  scientia  von 
der  sapientia:  durch  erstere,  d.  h.  die  artes  liberales,  gelange  man 
ad  sacram  scripiuram  quasi  ad  veram  patriam,  in  qua  multiplex 
Sapientia  regnat. 

Auch  Abälard  steht  durchaus  auf  diesem  Standpunkt,  cf. 
besonders  den  Anfang  des  IL  Buches  der  Introductio  ad  theo- 
logiam  (Abaelardi  opera  ed  Cousin  vol.  11  [Paris  1859]  67  ff.); 
sein  Grundsatz  ist:  äbsit  ut  credamus  deum  qui  malis  quoque  ipsis 
bene  utitur,  non  bene  eUam  omnes  artes  quae  eius  dona  sunt  ordi- 
näre, ut  haec  qtioque  eitis  maiestati  deserviant,  quantumcumque  male 
his  (Autuntur  perversi  (p.  67);  dieser  Mifsbrauch  besteht 
eben  darin,  dafs  einige  sie  nicht  als  Mittel  zum  Zweck, 
sondern  um  ihrer  selbst  willen  treiben:  von  diesem  Ge- 
sichtspunkt aus  erklärt  sich  auch,  wie  er  nachweist,  ein  so  ver- 
werfendes Urteil  über  die  Beschäfbigung  mit  der  heidnischen 
Litteratur,  wie  es  z.  B.  von  Papst  Gregor  d.  Gr.  überliefert  wird 
(p.  70);  daher  ist  auch  Hieronymus  mit  Recht  von  Gewissens- 
qualen wegen  seiner  Lektüre  der  Heiden  gefoltert  worden,  weil 
er  non  pro  utilitate  aliqua,  sed  pro  oblectatione  eloquentiae  illius 
intendAat  neglecto  sacrae  scripturae  studio,  cuius  quidem,  ut  ipsemet 
ait,  incuÜus  ei  sermo  horrdxU  (p.  71);  nach  A.  hat  die  Grammar 
tik  und  Rhetorik  Wert  nur,  insofern  diese  Künste  reflektiert 
werden  auf  die  h.  Schrift. 

Hugo  de  S.  Victore  erudit.  didasc.  L  III  c.  3  (176,  768 
Migne):  sunt  artes  liberales  quasi  optima  quaedam  instru- 
menta et  rudimenta,  quibus  via  paratur  animo  ad  plenam 
philo sophieae  veritatis  notitiam.  hinc  trivium  et  quadri- 
vium  nomen  aeeepit,  eo  quod  iis  quasi  quibusdam  viis  vi- 
vax  animus  ad  secreta  sophiae  introeat^) 


doquenHam  vim  mam  exierü  (1.  exserif)  sapientia;  verutntamen  »ajnenUa  jiro- 
desi  sine  doqumUa,  eloquentia  auiem  numquam  prwlerit  nine  mpienti^i.  ■-■ 
Cf.  auch  Landnlfns  bist.  Mediol.  II  36  Ol G  scnpt.  VIU  71;  nUr  Hi#;  Kin- 
richtang  der  MaüSiider  Schule  8.  XI,  und  AnfielmuH  der  TcriimU;tik«;r\ 
Bethorimachia  (ed.  E.  Dfimmler,  Halle  1872)  L  II. 

1)  Bme  interessante  Stelle  aas  Bernhard  ▼.  Clairvaux,  nerm.  3G  in 
caaBtt.  (18Sy967fll  Migne),  angeführt  von  Mabillon,  De  Htud,  iflonaiit.  (fA,  2 
YwilwKir  ITM)  M.    Dia  dienende  Stellang  der  arte»  kommt  «ehr  thttjiVwh 

■^«r Abbildung^  weldia  Herrad  ▼*  Landviicrg,  khiinmn 


684  Die  Antike  im  Mittelalter. 

Joh.  Sarisberiensis  entheticus  v.  373  f.  (vol.  V  p.  250 
Giles)  nach  Aufzählung  der  artes  liberales,  die  in  der  Philosophie 
ihren  Abschlufs  finden: 

quum  cunctas  artes,  quum  dogmata  cuncta  peritus 
noverit,  imperium  pagina  sacra  tenet. 
und  besonders  v.  441  flf.  von  der  h.  Schrift: 

haec  scripturarum  regina  vocatur,  eandem 
divinam  dicunt,  nam  fadt  esse  deos. 

est  Sacra,  personas  et  res  quae  consecrat  omneSy 
hanc  Caput  agnoscit  Philosophia  suum; 

huic  omnes  artes  famulae.^) 
aec.  XIV.  Die   Humanisten  haben,  wie  wir  später  sehen  werden,  wie 

mit  den  artes  überhaupt,  so  auch  mit  der  dienenden  Stellung 
der  heidnischen  Studien  gebrochen.  Als  ein  Dokument  aus  der 
Übergangszeit  mag  hier  folgende  Darstellung  angeführt  werden, 
auf  die  ich  aufmerksam  geworden  bin  durch  E.  Gebhart,  Les 
origines  de  la  renaissance  en  Italic  (Paris  1879)  58:  auf  dem 
Fresko  des  Taddeo  Gaddi  (f  1366)  im  Capellone  dei  Spagnuoli 
zu  Florenz  ist  dargestellt:  Thomas  von  Aquino  zwischen  Pro- 
pheten und  Evangelisten;  darunter  14  weibliche  Gestalten,  näm- 
lich die  7  artes  liberales  mit  ihren  Hauptvertretem  sowie:  Liebe 
(Augustin),  Hoffnung  (Johannes  v.  Damaskus),  Glaube  (Dionys. 
Areop.),  praktische  Theologie  (Boethius),  spekulative  (Petrus 
Lombardus),  kanonisches  Recht  (Papst  Clemens  V),  weltliches 
Recht  (Justinian).^)  Da  alle  14  Figuren  auf  gleicher  Linie 
stehen,  bemerkt  Gebhart  richtig:  iciy  la  pensee  est,  bien  moins  gue 
dans  le  reste  de  VOccident,  ancilla  theologiae^) 


von  St.  Odilien  (f  1195),  ihrem  Hortus  deliciarum  beigegeben  hat :  Herrad 
V.  L.  etc.  von  Chr.  Engelhardt  (Stuttg.  1818)  Taf.  Vm,  cf.  0.  Willmann 
1.  c.  (o.  S.  670,  1)  276. 

1)  Absichtlich  übergangen  habe  ich  in  der  obigen  Zeugenreihe  eine 
Stelle,  auf  die  ich  einst  grofsen  Wert  legte:  Gregor  d.  Grofse  in  primum 
librum  regum  cxpositiones  1.  V  c.  3  §  30  (79,  356  f.  Migne).  Das  Werk  ist 
nämlich  allem  Anschein  nach  ein  Erzeugnis  des  späten  Mittelalters,  cf.  die 
Bemerkungen  der  Mauriner  zu  ihrer  Ausgabe  (1706)  vol.  III  pars  2  praef. 
Da  ich  also  das  Zeugnis  zeitlich  nicht  einreihen  konnte,  habe  ich  es  ganz 
woggelassen. 

2)  Genaueres  in  Crowe-Cavalcaselle,  Gesch.  d.  ital.  Malerei  (Ühersets. 
von  M.  Jordan)  I  (Leipz.  1869)  306  f. 

3)  Die  streng-theologische  Auffassung  befindet  sich  ja  noch  heute  mit 


Die  Artes  liberales.  685 

b.  Die  Praxis.*) 

Vita^)  loannis  Damasceni  (saec.  VIII),  yermutlich  von  Jo-  Zeugnis* 
hannes  VI  von  Jerusalem  f  c  969,  c.  9  (94,  441  Migne):  ein 
Mönch  aus  Calabrien,  Cosmas,  ist  in  saracenische  Gefangenschaft 
geraten;  dem  Vater  des  Johannes  giebt  er  in  Damascus  eine 
Schilderung  seiner  Studien,  die  jenen  veranlafst,  ihn  zum  Er- 
zieher seiner  Söhne  zu  machen.  Der  Mönch  führt  aus:  Sri 
näöav  fistysiv  &v%'Qf07clvviv  6og>iav  xal  tiiv  iyxvxlLOV 
TtQoiJTtsd'iiiriv  &6X6Q  d'Sfiiliov.  r§  ^xoQixy  tifv  yX&06av 
^gij(Txijfia& '  tatg  duclextixatg  yi,ed'68oig  xal  inodei^Eat  tbv  k6yov 
7t£7taid6viittt'  zi^v  '^d'ix'^v  ^tysLV  Zcriv  6  ZtayBiglzvig  tulX  Zotiv  6 
tov  ^j4qC(Sx(ovoq  TcaQaSiSfoxB'  xä  nsgl  xi^v  gyvöLxiiv  ^aagiav  &7Ca- 
öavj  üg  Cxavhv  äv^Q^na^  ivxBd'swQtixa'  iQt^iitixvxfig  Sh  xoi^g  kö- 
yovg  iieiidd'rixa'  yemiiBtQiav  slg  Stcqov  il^TJöxrifiai'  agfiovoXoyiag 
dh  fiovaixfig  xal  ivaXoyCag  s'bxdxxovg  0€iivoxQS7t&g  xax6(f^cjxa' 
oöa  X6  7C€(fl  xiiv  oiQavvov  xivriCiv,  xi^v  x&v  aötigcDv  negifpogäv 
ov  TCaQskvTCov  ....  ivxsvd'Bv  slg  xä  xr^g  d'eoloyiag  iiexBßrjv 
livCxT^gLUy  ^v  xe  natSsg  'Ekkif^voav  Ttagidfoxav  xal  ^r  oC  xa^' 
fliiäg  d'BoköyoL  dLSöd(pri6av  Ankaviöxaxa.  Dann  wird  c.  11  ge- 
schildert, wie  er  in  diesen  Wissenschaften  den  Johannes  imd 
dessen  Bruder  imterrichtete. 

Vita  S.  Gregorii  Magni  papae  (f  604)  auctore  lohanne  dia- 
cono  (s.  IX),  AA.  SS.  Boll.  12  Mart.  II  lib.  II  c.  2,  13  p.  150 
tunc  rerutn  sapientia  Botnae  sibi  templum  visibiliter  quodam- 
modo  fäbricarat  et  septemplicibus  artibus,  velut  colnmnis 
nobilissimorum  totidem  lapidum,  apostolicae  sedis  atriutn 
fulciebat  nullus  pontifici  famulantium  barbarutn  qtwdlibet  in 
sermone  vel  habitu  praeferebat,  sed  togata  Quiritium  more  seu  tra- 


Augustin  und  dem  Mittelalter  im  Einklang.  Auch  Melanchthon  urteilte  so, 
cf.  K.  Hartfelder,  M.  als  Praeceptor  Germaniae,  in:  Mon.  Germ.  Pacdagog. 
VII  (Berlin  1889)  162.  Im  J.  1543  hat  er  dies  in  seiner  Rede  De  uccessaria 
coniunctione  scholarum  cum  ministeriis  eyangclii  durch  den  historischen 
Nachweis  gestützt,  dafs  die  Schulen  von  jeher  mit  den  Klöstern  verbunden 
gewesen  wären. 

1)  Die  Zahl  der  Beispiele  könnte  ich  besonders  aus  den  Acta  Sanc- 
torum  leicht  vermehren.  In  den  landläufigen  Darstellungen  des  Schul- 
wesens im  Mittelalter  wird  gerade  auf  solche  Biographieen  kaum  Rück- 
sicht genommen. 

2)  Citiert  von  Mabillon  L  c.  44. 


686  ^6  Antike  im  Mittelalter. 

beata  latinitas  suum  Latium  in  ipso  Latiäli  pälatio  singtdarHer 
obtinebat    reflamerant  ibi  diversarum  artium  sttidia^) 

Vita  S.  Abbonis  abbatis  Ploriacensis  (f  1004)  auctore  Ai- 
moino  monacho  (139,  390  Migne).  Zunächst  im  Kloster  (Fleury) 
liberälium  artium  sumebantur  exercitia.  Dann:  maiara  gliscens 
scientiae  scrutari  arcana  diversorum  adiit  sapientiae  ofßcinas  loco- 
rum,  uty  quia  grammaticaey  arithmeticaey  nee  non  diaUcticae  iam  ad 
plenum  indaginem  attigerat,  ceteras  ingenio  sw)  pergeret  superadicere 
artes.  quapropter  Parisitis  atque  Bemis  ad  eos  qui  phüosophiam 
profitebantur  profecttis  aliquantulum  quidem  in  astronomia,  sed  non 
qtumtum  cupierat,  apud  eos  profedt  inde  Aurdianis  regressus 
musicae  artis  dulcedinemy  qiMmvis  occulte  propter  invidos,  a  quodam 
clerico  non  patuns  redemit  nummis.  itaque  quinque  ex  his  quas 
liberales  vocant  plenissime  imbuius  artibus  sapientiae  magnüudine 
amicos  praeibat  coaetaneos.  supererant  rhetorica,  nee  non  geometriay 
quarum  plenitudinem  etsi  non  ut  voluit  attigit,  nequaquam  tarnen 
ieiunus  ab  eis  fundittis  remansit  nam  et  de  rhetoricae  ubertate 
facundiae  Victorinumy  quem  Hieronymus  praeceptorem  se  habuisse 
gloriatur,  legit,  et  geometricorum  multiplieiUxtem  numerwn  non 
mediocriter  agnovit. .  .denique  quosdam  dialecticorum  nodos  syHogis- 
morum  enucUatissime  enodavii, .  ,de  solis  quoque  ac  lunae  seu  plane- 
tarum  cursu  a  se  editas  dispositiones  scripto  posterorum  mandavit 
notitiae, 

Guibertus,  Abt  von  Nogent  (Diöcese  Laon)  f  1124,  de  vita 
sua  libri  III  (156,  837  flF.  Migne).  Er  besuchte  die  Elementar- 
schule seiner  Vaterstadt  Beauvais,  aber,  wie  er  berichtet  (I  4 
p.  844):  erat  paulo  ante  id  temporis  et  adhuc  partim  sub  meo  tem- 
pore tanta  grammaticorum  Caritas,  ut  in  oppidis  pene  nulluSy  in 
urbibns  vix  aliquis  reperiri  potuisset,  et  quos  inveniri  contigerat, 
eorum  scientia  tenuis  erat  nee  etiam  moderni  temporis  dericulis 
vagantibus  comparari  poterat  is  itaque  cui  mei  qperam  maier 
mandare  decreverat,  addiscere  grammaticam  grandaevus  incqperat 
tantoque  circa  eandem  artem  magis  rudis  exstüity  quanto  eam  a 
tenero  minus  ebiberat.  Sechs  Jahre  brachte  er  in  dieser  Schule 
zu,  ohne  etwas  anderes  als  Prügel  davongetragen  zu  haben. 
Noch  in  jungen  Jahren  trat  er  in  das  Kloster  Flavigny  ein,  wo 


1)  ÄhnHch  Vita  S.  PauU  Virdunensis  (f  c.  649)  AA.  SS.  Boll.  8.  Febr. 
II 176  f.  Einiges  andere  derart  bei  J.  Pitra,  La  vie  de  S.  Läger  (Paris  1846)  62. 


Die  Altes  liberaleB.  687 

er  sich  eifrig  wissenschaftlicher  Beschäftigung  hingab ,  aber 
(c.  17  p.872  f.)  cum  versificandi  studio  uUra  omnem  modum  tneum 
animum  immersissemy  ita  ut  universae  divinae  paginae  seria  pro 
tarn  ridicüla  vanitate  sqponerem^  ad  hoc  ipsum  duce  mea  levüate 
tarn  veneramy  ut  Ovidiana  et  Bucolicorum  dida  praesumerem  et 
lepores  amatorios  in  specierum  distributionibus  epistolisque  nexilibus 
affectarem.  Er  erzählt  dann,  wie  er  die  von  ihm  nach  diesen 
Mustern  verfaTsten  Gedichte  unter  falschem  Namen  seinen  Freun- 
den vorgelesen  habe,  bis  ihn  der  h.  Anseimus,  damals  noch  Prior 
jenes  Klosters,  durch  die  Lektüre  der  Schriften  Gregors  d.  Gr. 
auf  den  richtigen  Weg  zurückführte. 

Vita  des  spätem  Erzbischofs  von  Mainz  Adelbert  11  (f  1141), 
beschrieben  von  einem  Anseimus,  ed.  Jaff(£,  Bibl.  rer.  Germ.  lU 
(Berlin  1866)  565  ff.  Gaboren  in  Saarbrücken  hätte  er,  wie  zu 
erwarten  gewesen  wäre,  die  berühmte  Schule  zu  Mainz  besucht, 

si  non  cura  chori  foret  huic  invisa  labori 
nee  rigor  ecdesuie  daret  impeditnenta  sophiae: 
nam  psaimodia  disconvenit  atque  sqphia 

(67  ff.).  So  begab  er  sich  auf  die  Schule  zu  Hildesheim,  wo  er 
Grammatik  lernte,  sowie  in  Vers  und  Prosa  zu  schreiben  (130  ff.). 
Dann  kehrte  er  nach  Mainz  zurück,  doch  riet  ihm  sein  Oheim, 
der  damalige  Erzbischof  (Adelbertus  I),  die  Stadt  wieder  zu  ver- 
lassen, um  auswärts  Weisheit  zu  lernen.  Er  ging  nach  Reims 
(270  ff.  wird  beschrieben,  was  da  noch  an  alten  Göttertempeln 
zu  sehen  sei),  wo  er  auTser  der  Jurisprudenz  die  artes  liberales 
erlernte.  Aber  noch  war  sein  Oheim  nicht  zufrieden:  er  schickte 
ihn  abermals  fort,  und  zwar  nach  Paris.  Bei  dem  berühmtesten 
dortigen  Lehrer  studierte  er  Grammatik,  Logik  und  besonders 
Rhetorik.  Auf  dem  Rückweg  von  Paris  lernte  er  dann  noch  in 
Montpellier  Medicin  und  Physik.  Im  J.  1138  wurde  er  nach 
dem  Tode  seines  Oheims  Erzbischof  ^) 


1)  Solche  Bildungsreisen  waren  schon  im  IX.  .Th.  üblich,  sogar  bei 
Mönchen,  cf.  Cuissard -  Gaucheron ,  L'ecole  de  Fleury  in:  M<$moirea  de  la 
soci^t^  archdol.  et  bist,  de  TOrldanais  XIV  (1876)  682. 


688  I^ie  Antike  im  Mittelalter. 

Drittes  Kapitel. 

Die  Anctores  im  mittelalterliolieii  Bildimgsweseii.    Der  Gegensatz 

von  Anctores  nnd  Artes. 

verpönimg  Es  kommt  mir  in  diesem  Kapitel  nur  darauf  an,  die  allge- 

Antoren.  meinen  Verhältnisse  festzustellen,  und  da  wird  man  sowohl  aus 
allgemeinen  Erwägungen  als  auf  Grund  der  Quellen  sagen  dürfen: 
während  die  artes  das  Ferment  der  höheren  wissenschaftlichen 
Bildung  waren^  traten  die  klassischen  anctores  ganz  in  den  Hinter- 
grund oder  wurden  geradezu  als  gefährlich  ausgeschlossen.^)  Das 
ist  begreiflich  genug.  In  dem  System  der  artes ,  das  im  Mar- 
ianus und  den  zu  einzelnen  Teilen  seines  Werkes  verfafisten 
Kommentaren  vorlag  und  fiir  bescheidenere  sowie  spezifisch 
christliche  Ansprüche  im  Lauf  der  Jahrhunderte  immer  mehr 
zusammengedrängt  worden  war^  hatte  man  das  Wesentliche  und 
Nützliche  der  klassischen  Bildung  in  bequemer  und  vor  allem 
unanstöfsiger  Form  zusammen;  was  brauchte  man  die  anctores, 
in  denen  auf  jeder  Seite  gefährliche  Dinge  zu  lesen  waren,  über 
die  man  sich  nur  durch  die  bei  schwachen  Gemütern  versagende 
Gewaltkur  der  allegorischen  Auslegung  hinweghelfen  konnte? 
Und  wenn  einer  sich  gar  daran  machte ,  auch  Ovids  Liebes- 
gedichte für  Nonnen  zu  allegorisieren^),  so  war  das  doch  ein 
zu  starkes  Stück  selbst  für  die  in  solchen  Dingen  seit  den  Zeiten 
der  seligen  Stoa  stumpf  gewordenen  Sinne  auch  von  Gebildeten. 
Ästhetischen  Genufs  gewährten  die  Schriftsteller  auch  nicht  einer 
Generation  von  Menschen,  die  meist  Geschmack  an  dem  Bizarren 
und  Perversen  hatte  und  dem  Denken  und  Fühlen  der  Antike 
entwachsen  war.  Besser  also,  man  warf  den  alten  Plunder  in 
die  Ecke  und  begnügte  sich  mit  dem  auf  Flaschen  gezogenen 
Bildungsextrakt  der  artes.  Warnende  Beispiele  hatte  mian  ja 
genug.  Die  famose  Vision  des  h.  Hieronymus  war  den  Gemütern 
fest  eingeprägt:  eine  ganze  Reihe  von  gebildeten  Männern  des 
Mittelalters  hat  in  angstvollen  Träumen  dieselben  Prügel  zu  be- 
kommen   fest    geglaubt,    die    einst    dem   Hieronymus   in  jener 


1)  Schon   auf  dem   sog.  vierten  karthagischen  Konzil  (436)  wird  ver- 
ordnet: ut  episcopus  gentilium  libros  non  legat  (III  946  ff.  Mansi,  c.  XVI). 

2)  Cf.  das   Gedicht  ed.  Wattenbach  in:   Sitzungsber.  d.  Bayr.  Akad. 
1873,  696  ff. 


Auctores  und  Aztes.  689 

Schreckensnacht  zuteil  geworden  waren,  weil  er  es  nicht  lassen 
konnte,  lieber  für  einen  Ciceronianus  als  f&r  einen  Ghristianus 
zu  gelten.^)  Cassianus,  der  Stifter  des  occidentaiischen  Mönchs- 
Wesens,  hatte  sich  verflucht,  dafs  ihm  beim  Gebet  und  beim 
Absingen  des  Psalters  die  Teufelsgestalten  der  heidnischen  My- 
thologie Tor  Augen  tanzten  (s.  o.  S.  575). 

Für  die  prinzipielle  Trennung  der  artes  und  auctores  giebt 
es  auch  direkte  Zeugnisse.  Schon  Serratus  Lupus  (s.  IX)  ep.  1 
(ad  Eginhardum:  119,  433  f.  Migne)  berichtet,  er  habe  zuerst 
die  artes  liberales  bei  seinem  Lehrer  getrieben,  dann  audorum 
voluminibitö  spatiari  aliquanUim  coepi:  er  war  eben  zu  hoch  ge- 
bildet, als  dafs  er  sich  mit  der  Alltagskost  der  grofsen  Masse  be- 
gnügt hätte.  Auf  dem  oben  (S.  683, 1)  angeführten  Bilde  aus  dem 
Hortus  deliciarum  der  Herrad  von  Landsperg  (f  1195)  nehmen 
die  Personifikationen  der  artes  einen  höchst  ehrenvollen  Platz 
ein,  aber  unter  dem  Ganzen  sitzen  an  ihren  Pulten  vor  aufge- 
schlagenen Büchern  vier  Männer,  von  denen  zwei  Feder  und 
Federmesser  in  den  Händen  halten;  jedem  flüstert  ein  Rabe 
etwas  ins  Ohr.  Ihre  Beischrifb:  Poete  vel  magi  spiritu  immundo 
insiindi  und:  isH  immundis  spiritihtis  in^rati  scribunt  arteni 
tnagicam  ac  poetriam  -  i  •  fabulosa  commenta.  Vor  allem  lehrreich 
ist  eine  lange  Ausführung  des  gebildeten  und  ziemlich  frei- 
sinnigen Hugo  von  St.  Victor  (f  1141)  erud.  didasc.  1.  III  c.  3  f. 
(176,  768  Migne).  Er  hat  von  der  Notwendigkeit  gesprochen, 
sich  die  sieben  artes  gründlich  anzueignen,  denn  aus  ihrer  gegen- 
wärtigen Vernachlässigung  erkläre  es  sich,  dafs  es  früher  so  viele 
Weise  gegeben  habe,  jetzt  nicht  mehr.     Aber  man  müsse,  wie 


1)  Cf.  A.  Dreedner,  Kultur-  u.  Sittengesch.  d.  ital.  Geistlichkeit  im  10. 
u.  11.  Jb.  (Breal.  1890)  228  f.,  Th.  Zielinski,  Cicero  im  Wandel  der  Jahr- 
hunderte (Leipz.  1897)  71  und  besonders  Wattenbach,  Geschichtsquellen  d. 
Ma.  I*  (Berlin  1898)  824  f.,  sowie  H.  v.  Eicken,  Gesch.  u.  System  d.  ma. 
Weltanschauung  (Stuttg.  1887)  691  ff.  Noch  Petrarca  erzählt  dasselbe  von 
sich  (cf.  A.  Hortis  in:  Archeografo  Triestino  N.  S.  VI  120),  aber  er  koket- 
tiert wohl  mehr  damit,  während  man  bei  dem  stark  ausgeprägten  Gefühls- 
leben des  Mittelalters  an  der  Realität  solcher  Visionen  (cf.  G.  Fritzsche,  Die 
lat.  Visionen  d.  Ma.,  Diss.  Halle  1886  und  in  Vollmöllers  "Rom.  Forsch.  11 
[1885]  247  ff.  III  [1887]  887  ff.)  gar  nicht  zweifehl  darf.  Noch  Lorenzo  Valla 
widerlegt  in  allem  Ernst  die  Ansicht,  dafs  aus  dem  Traum  des  Hieronyn 
etwas  für  die  klassischen  Studien  zu  folgern  sei:  Elegantiae  (c.  1440)  L 
praef.  (ed.  Argentorat.  1617)  f.  109  ff. 


f;i>(>  Die  Antike  im  Mittelalter. 

or  aufs  eindringlichste  betont,  scharf  scheiden  zwischen  den  artes 
und  deren  ^Appendix',  den  antiken  auctores:  ebenso  notig  wie 
die  aries  für  die  Bildung  seien ,  so  unnötig  an  sich  die  Schrift- 
steller,  denn  das  Nützliche ,  was  in  diesen  stehe,  lerne  man  ja 
alles  in  den  artes;  höchstens  deshalb  möge  man,  wenn  man 
gerade  MuCse  habe,  die  Schriftsteller  lesen,  quia  aliquando  plus 
(lelectare  solent  seriis  admista  ludicra.  verumtantm  in  sqptem  Hbe- 
ralibus  artibus  fundamentum  est  omnis  doctrinae.  — 

KriiÄituiJK  Trotz  dieser,  wie  ich  glaube,  im   allgemeinen  zutreffenden 

Auiorun  Lage  der  Dinge  sind  uns  nun  aber  die  überwiegend  gröüste  Zahl 
der  klassischen  Schriftsteller  nur  durch  Abschriften  des  Mittel- 
alters erhalten  worden.  Widersprach  also  die  Praxis  der  Theorie 
oder  lassen  sich  andere  Momente  finden,  welche  diese  beiden 
scheinbar  auseinanderfallenden  Thatsachen  verbinden? 

I  fiurrh  di«  Das  eine  Moment  ist  der  wissenschaftliche  Sinn,  der  in  den 
Klöstern  durch  die  oben  dargelegten  Bestrebungen  des  Cassiodor, 
der  Iren  und  der  Angelsachsen  ein  für  alle  Male  eingebürgert 
war  und  der  in  den  verschiedenen  Ländern  des  Abendlandes  zwar 
nicht  in  gleichem  MaCse  verbreitet  war  (Frankreich  stand  voran, 
Italien  zu  unterst)  und  oft  in  einem  und  demselben  Kloster 
nicht  zu  allen  Zeiten  gleich  stark  hervortrat  (Bobbio  und  Monte- 
^  cassino  geben  die  deutlichsten  Beispiele),  aber  nie  ganz  ausstarb. 

Doch  liegt  dieses  Moment  hier  aufserhalb  meiner  Betrachtung, 
wo  es  mir  darauf  ankommt,  den  allgemeinen  Zug  der  Ideen  dar- 
zulegen, der  uns  das  Werden  der  Renaissance  historisch  ver- 
stehen läfst:  denn  nicht  an  diese  von  dem  Treiben  der  Welt 
abgeschiedene  Thätigkeit  unbekannter  bücherabschreibender 
Mönche^)  haben  die   Humanisten   angeknüpft,   mögen   sie  auch 


1)  Das  Beste,  was  es  bis  jetzt  darüber  gicbt,  ist  auTaer  den  biblio- 
j^raphisrlion  Arbeiten  Montfaucons,  G.  Beckers,  Th.  Grottliebs  und  L.  De- 
liziös' die  buchst  dankenswerte,  nach  Autoren  geordnete  Zusammenstellung 
von  M.  Manitins,  Philologisches  aus  alten  Bibliothekskatalogen  bis  1300, 
im  Khcin.  Mus.  XliVIII  ErgOnzungsheft  (1892),  cf.  auch  L.  Traube,  Cber- 
liofonmgsgcsch.  röm.  Schriftst.  in:  Sitzungsber.  d.  Bayr.  Ak.  1891  p.  387  ff. 
Was  wir  aber  noch  brauchen,  ist  folgendes:  I.  Eine  wissenschaftliche  Qe- 
schichte  der  einzelnen  Klöster,  wie  wir  sie  für  Corbie  Ton  Delisles  (Re- 
chcrchos  sur  ranciennc  bibL  de  C,  Paris  1860),  für  Gluny  von  E.  Sackur 
(Die  Glaniacenser,  Halle  1892—1894),  für  Montecassino  yon  A.  Dantier 
(Lm  monastörea  b^n^dictins  d'Italie,  Paris  1866),  für  Hersfeld  in  dem  kurzen, 

ishattfonoii  Abiifs  Ton  0.  Holder-Egger  (in  seiner  Ausgabe  des  Lam- 


sance. 


Auetores  und  Artes.  G91 

ihnen  das  Material  zu  ihrer  Repristination  der  Antike  verdanken. 
Uns  interessiert  hier  vielmehr  das  zweite  Moment:  es  hat  zu  2.  durch di 
allen  Zeiten  im  Mittelalter  namhafte  Männer  gegeben  ^  die  sich  der  Be^i!iB 
über  die  Vorurteile  der  grofsen  Masse  hinwegsetzten  xmd  mit 
den  antiken  Autoren,  den  Vertretern  einer  im  wesentlichen  über- 
wundenen Weltanschauung  y  freien  Sinns  verkehrten.  Auch  das 
Abendland  hat  seine  Photios,  Arethas  und  Psellos  gehabt.  Da 
sie  mit  geringen  Ausnahmen  Geistliche  waren  und  zwar  fast 
alle  solche,  die  hohe  Stellungen  einnahmen,  so  war  ihr  Einflufs 
und  ihr  Beispiel  bedeutend,  und,  da  sie  zu  verschiedenen  Zeiten 
und  in  den  meisten  Kulturländern,  vor  allem  aber  in  Frank- 
reich^),  auftraten,   anhaltend   und   weitverbreitet;    auch  auf  die 


bert,  Hann.-Leipz.  1894,  p.  XU  ff.)  besitzen  (die  älteren  Behandlungen  wie 
die  Fuldas  von  J.  Gegenbaur,  Bobbios  von  A.  Peyron  reichen  längst  nicht 
mehr  aus).  IL  Eine  Erörterung  der  Motive,  die  für  die  Überlieferung  gerade 
der  uns  erhaltenen  Schriften  mafsgebend  gewesen  ist.  Diese  waren  1)  äufserer 
Art^  z.  B.  sind  die  ersten  Annalenbücher  und  die  Germania  des  Tacitus,  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  auch  Ammian,  begreiflicherweise  gerade  in  Deutsch- 
land, die  Bücher  Caesars  vom  gallischen  Krieg  in  Frankreich,  Catull  in 
Verona  gern  gelesen  worden,  ebenso  wie  es  gewifs  kein  Zufall  ist,  dafs 
die  Schrift  Frontins  über  die  Wasserleitungen  gerade  in  Montecassino  ab- 
geschrieben ist,  von  wo  aus  man  die  Campagna  überblickte,  cf.  auch  die 
folgende  Anmerkung;  2)  innerer  Art,  insofern  das  utilitaristische  Inter- 
esse durchaus  vorherrschte,  nämlich  a)  das  der  Schule  (aufser  den  Gram- 
matikern Vergil,  Terenz,  Sallust:  darüber  einige  interessante  Einzelheiten 
bei  C.  Weyman  im  Philol.  N.  F.  VI  [1897]  472  f.;  in  zweiter  Instanz  Lucan, 
Statins,  Persius,  luvenal),  b)  das  des  Lebens,  nämHch  a)  für  die  praktische 
Nachahmung:  so  für  die  Abfassung  von  historischen  Werken  aufser  Sallust 
auch  Sueton  und  Livius,  für  die  Abfassung  von  Reden  die  Beden  und  rhe- 
torischen Schriften  Ciceros  und  die  Beden  aus  Sallust,  für  die  Abfassung 
von  Gedichten  in  den  antiken  Metren  Ovid  etc.,  ß)  für  die  Moral,  auf  die 
es  dem  Ma.  vor  aUem  ankam:  daher  das  aufserordentUche  Interesse  für 
Seneca  und  Ciceros  philosophische  Schriften  von  den  Zeiten  des  Ambrosius 
und  Augustinus  bis  tief  in  die  Zeit  der  Renaissance ,  ja  die  Zeit  der  Re- 
formation (Melanchthon)  und  der  Aufklärung  (Voltaire),  woraus  es  sich  z. 
B.  erklärt,  daÜB  noch  auf  unsem  heutigen  Gymnasien  Cicero  de  officiis  ge- 
lesen wird;  daher  ist  auch  Valerius  Maximus  erhalten  (cf.  besonders  einen 
c.  1160  geschriebenen  Brief  des  Wibaldus,  Abtes  von  Corvey,  in  Bibl.  rer. 
Germ.  ed.  Jaffö  I  280),  den  noch  Petrarca  (ep.  de  reb.  fam.  IV  16  p.  238 
Frac.)  und  sein  französischer  Gegner  (Galli  anonymi  invectiva  in  Petrarcam 
p.  1062  f.  der  Basler  Ausgabe  des  Petrarca  vom  J.  1664)  als  philosophus 
moralis  auffassen. 

1)  Es  ist  doch  recht  bezeichnend,  wie  sich,  wenn  wir  das  Allgen 

Korden,  antike  KnnstproM.   n.  46 


C92  I>ie  Antike  im  Mittelalter. 

Kloster  haben  ihre  Bestrebungen  wieder  eine  segensreiche  Rück- 
wirkung gehabt,  da  sie  meist  selbst  aus  diesen  hervorgegangen 
waren  und  oft  wieder  in  sie  eintraten.  Wir  dürfen  diese  Männer 
in  höherem  oder  geringerem  Grade  als  Vorgänger  der  Huma- 
nisten bezeichnen  und  sind  ihnen  wie  diesen  zu  Dank  Terpflichtet, 
denn  ohne  ihre  Bemühungen  würde  auf  dem  weiten  Trümmer- 


ioH  Auge  fassen,  die  Oberliefenmg  der  verschiedenen  Grattungen  yon  antiken 
Schriften  über  die  romanischen  Länder  und  Deutschland  yerteilt.  Dort 
Qberwog  das  ästhetische  (stilistisch-poetische),  hier  das  sachliche  Interesse. 
Poggio  wufste,  dafs  er  auf  Ciceros  Reden  in  Frankreich  fahnden  müsse: 
thatsächlich  boten  Cluny  und  Langres  viele,  während  er  in  St.  Gallen  ver- 
geblich  suchte,  dafür  hier  freilich  Asconius  fand;  in  Lüttich,  also  auf  ur- 
sprünglich französischem  Boden  (erst  870  kam  es  durch  den  Vertrag  von 
Ifersen  an  Deutschland)  fand  Petrarca  zu  seinem  Erstaunen  zwei  Cicero- 
reden, darunter  vermutlich  die  für  Archias;  im  Kloster  von  Hildesheim 
waren  um  1150  Ciceros  philippische  Reden  und  de  lege  agraria,  aber,  wie 
ausdrücklich  bemerkt  wird,  de  Francia  adductas  (Bibl.  rer.  Germ.  ed.  Jaffe 
1 327) ;  Brunetto  Latini  (f  1294)  hat  als  erster  drei  Ciceroreden  ins  Italienische 
übersetzt  (darüber  Näheres  später);  der  Brutus  ist  nur  durch  Italien  er- 
halten, die  Bücher  De  oratore  und  der  Orator  durch  Italien  und  Frankreich 
(über  Cicero  in  Frankreich  zur  Zeit  der  Revolution  cf.  Th.  Zielinski,  Cicero 
im  Wandel  der  Jahrhunderte  [Leipz.  1897]  50  ff.);  Festus  (den  man  sti- 
listisch verwertete ,  cf.  die  Vorrede  des  Paulus)  ist  durch  Italien  erhalten, 
in  Frankreich  bekannt  gewesen  (Manitius  p.  39);  auch  die  durch  Italien 
erhaltenen  Bücher  Varros  de  lingua  latina  wurden  aus  stilistischen  Grün- 
den tradiert,  denn  Grammatik  und  Stilistik  deckten  sich  im  Ma. ;  Properz 
ist  uns  wohl  durch  Frankreich  erhalten:  denn  nur  dort  wird  er  im  Ma. 
einmal  erwähnt  (cf.  Manitius  1.  c.  31)  und  von  da  wird  also  wohl  Petrarca 
die  Hs.  mitgebracht  haben,  die  er  las  und  von  der  unsere  abstammen  (cf. 
P.  de  Nolhac,  Pdtrarque  et  Thumanisme  [Paris  1892]  141  ff.);  Tibull  ist 
im  Ma.  nachweisbar  nur  in  Frankreich  (cf.  Manitius  1.  c.  31  und  unten  S.  704. 
718,  2)  und  Italien  (cf.  Baehrens  praef.  p.  VI  und  Haupt  opusc.  I  276  f.); 
Catull  ist  entweder  durch  Frankreich  oder  durch  Italien  erhalten  (cf. 
Haupt,  Quaest.  Cat.  3  f.);  nur  durch  Frankreich,  nämlich  durch  die  beiden 
berühmten  Kxcerptenhandschriften  s.  IX/X  (cod.  Sannazarianus  «=  Vindob. 
277  und  cod.  Thuaneus  =  Paris.  8071)  Ovids  Halieutica,  Grattius,  Ne- 
mesians  Cynegetica  (letztere  im  Ma.  erwähnt  nur  von  Hincmar  y.  Reims 
t  8K2,  cf.  Haupt  vor  s.  Ausg.  p.  42);  bei  Horaz  überwiegt  quantitativ  und 
ciualitativ  Frankreich.  Dagegen  wurden  die  Historiker  (aufser  Caesar,  fSr 
den  auch  Frankreich  begreiflicherweise  Interesse  hatte)  mit  besonderer 
Vorliebe  in  Deutschland  gelesen,  wie  z.  B.  für  das  IX.  Jh.  in  Fulda  durch 
Einharts  Vita  Caroli  feststeht:  an  unserer  Überlieferung  des  Tacitus  hat 
(neben  Italien)  Deutschlaud  den  gröfsten  Anteil,  ebenso  an  der  des  Florus, 
auch  bei  Li v ins  überwiegt  Deutschland. 


Das  IX.  Jahrh. :  Karl  der  Grofse.  693 

felde  des  Altertums,  wie  es  Petrarca  und  seine  Nachfolger  an- 
trafen, eine  noch  gröfsere  Anzahl  von  Säulen  zu  Boden  gestürzt 
sein.  Ich  werde  im  folgenden  Tersuchen,  diese  Manner  und  die 
von  ihnen  ausgehenden  Richtungen  in  ein  helleres  Licht  zu 
rücken.  Die  unmittelbare  Veranlassung  zu  diesem  Versuch  war 
für  mich  das  wissenschaftliche  Bedürfnis,  einen  Petrarca  nicht 
blofs  als  ein  an  keine  Zeiten  und  keine  Verhältnisse  gebundenes 
Genie  anstaunen,  sondern  als  den  grofsten  Nachfolger  einer  Reihe 
von  mehr  oder  weniger  bedeutenden  Vorgängern  bewundem  und 
die  Möglichkeit  seines  Erscheinens  und  damit  des  Humanismus 
überhaupt  historisch  begreifen  zu  können. 


Viertes  Kapitel. 

Die  klassicistischen  Strömungen  des  Mittelalters.    Der  Kampf  der 

auctores  gegen  die  artes. 

I.    Das  nennte  JaJrrhnndert« 

1.  Das  Zeitalter  Karls  des  Grofsen. 

Das  Zeitalter  Karls  des  Groüsen  pflegt  man  als  die  Epoche     Karo- 
der   ersten   Renaissance  zu  bezeichnen.     Darin   ist  eine   gewifs  nnd  eigent- 
richtige  Erkenntnis  ausgesprochen.     Das  unmittelbare  Verdienst  ^^J^^^. 
des  gewaltigen  Imperators  liegt  in  dem  Verständnis,  das  er  den  ^-  »«rüh- 
kulturellen  und  litterarischen  Bestrebungen  der  vergangenen  Jahr- 
hunderte entgegenbrachte  y  und  in  der  Centralisation  dieser  Be- 
strebungen an  seinem  Hofe.    Thatsächlich  waren  ja  dort  die  er- 
lesensten Männer  aller  derjenigen  Nationen  versammelt,  die  wir 
als  Kulturträgerinnen  kennen  gelernt  haben,  der  Iren^),  Angel- 
sachsen^)  und  Langobarden'),   zu   denen   sich   Gelehrte   seines 
eignen  Volks  und  Spanier  gesellten.   Es  liegt  mir  selbstverständ- 
lich fem,  auf  ohnehin  bekannte  Einzelheiten  einzugehen;  nur  ein 


1)  Zimmer  1.  c.  (oben  S.  667,  2)  86  ff. 

2)  Über  Alcuin  urteilt  A.  Hauck,  Eirchengesch.  Deutschl.  11  (Leij 
1889)  116  ff.  viel  richtiger  als  Ebert  1.  c.  IT  12  ff. 

8)  W.  Giesebrecht,  De  litt.  stnd.  ap.  Italos  prim.  med.  aev.  saec, 
gramm  d.  Joachimsthal.  Gymn.  Berlin  1846. 

46* 


'•;ff4  Die  Antfze  im  Ulttifflaltg. 

pa^r  allgemeine  Ponkte  mochte  ich  herrorhefaen.  Das  Moment, 
weiehei»  die  karolingische  Wisaenschafb  von  derjenigen  der  Ver- 
gän^^enheit  onterscheidety  ist  ein  gewisser  freierer  Zog,  der  fde 
an.)  den  Maaem  der  weltabgeschiedenen  Kloster  mitten  in  das 
pn bierende  Leben  eines  glanzenden  Hofes  stellte.  Die  Achtung, 
mit  welcher  der  Konig  den  Litteraten  begegnete,  der  freie  Ton, 
fUm  er  ihnen  erlaubte^  fordert  unwillkürlich  za  Vergleichen  mit 
einer  fernen  Vergangenheit  ond  einer  fernen  Zukunft  auf:  Augustus 
und  Vergil,  Karl  und  Alcuin,  Robert  Ton  Neapel  und  Petrarca^); 
die  Akademie  an  seinem  Hofe  hat  etwas  gemein  mit  jenen,  die 
sich  einst  im  Paradiso  degli  Alberti  und  um  Pomponias  Laetus 
konstituieren  sollten:  wie  die  Mitglieder  der  ersteren  haben  Al- 
cuin und  Genossen  über  theologische  und  philologische  (gram- 
matische) Fragen  disputiert,  ond  wie  die  der  letzteren  sich  halb 
im  Scherz,  halb  im  Ernst  antike  Namen  beigelegt.  Ein  Werk 
wie  die  Lebensbeschreibung  des  Kaisers  von  Einhart  darf  sich 
mit  der  Geschichte  Caesars  von  Petrarca  inhaltlich  und  formell 
messen;  in  der  Vorrede  spricht  er  von  dem  *ßuhm',  der  Sehn- 
sucht;  seinen  Namen  auf  die  Nachwelt  zu  bringen,  ganz  im  Geist 
der  Antike  und  des  Humanismus;  nichts  aber  ist  so  bezeichnend 
wie  die  fast  durchgängige  Projektion  der  zeitgenössischen  Ver- 
hilltnissc  auf  die  des  Altertums^):  er  nennt  sich  selbst  hominem 
barhariim  (praef.),  Karl  läfst  sammeln  barbara  carmina  (c.  29), 
,,der  Hatz  c.  15  deinde  omnes  barbaras  ac  feras  ncUiones  quae 
inter  lilienum  ac  Visulam  fltivios  oceanumque  ac  Danubiutn  positae 
Germaniam  incolunt  ist  so  gehalten,  dafs  er  ebensogut  von  Taci- 
tus  oder  einem  anderen  Ilömer  geschrieben  sein  konnte^',  „die 
fränkischen  Heere  haben  ihre  Winterlager,  die  neueroberten  Ge- 
biete heifsen  Provinzen,  die  Sachsen  scheiden  sich  in  senaUis  ac 
populm^\  während  andere  Autoren  von  Niumaga  und  Mohin  reden, 
nennt  sie  Einhart  Novioniagns  und  Moenus  u.  s.  w.*),  alles  Dinge, 
die  aus  der  l\umanistisclien  Geschichtsschreibung  nur  zu  gut  be- 
kannt sind.  Man  mufs  die  historischen  Werke  Einharts  etwa 
mit  donon  dos  Gregor  von  Tours  vergleichen,  um  den  Ungeheuern 

n  (T.  G.  KöriiuK,  Petrarca  (Leipz.  1878)  169. 

*2)  Cf.  M.  Manitiua,  Kinharta  Werke  und  ihr  Stil  in:  Neues  Archiv  d. 
UoH.  f.  iUt.  aoutHihc  Cu-Hvh.  VII  (1882)  665  ff.,  derselbe,  Die  humanist.  Be- 
\vt»^nm>^  untvr  Karl  <I.  (ir.  in:  Z.  f.  alljjr.  Gesch.  I  (1884)  428. 

;r.  Manitius  1.  o.  66S  u.  428. 


Das  IX.  Jahrb.:  Karl  der  Grofse.  695 

Unterschied  zu  erkennen;  ja^  man  kann  noch  mehr  sagen ^  Ein- 
hart hat  den  Sueton  besser  reproduziert,  als  irgend  einer  der 
Verfasser  der  nachsuetonischen  Kaiserbiographieen.  Gerade  diese 
Biographie  Einharts  giebt  nun  aber  auch  den  Schlüssel  zum 
Verständnis  der  ganzen  Bewegung:  Karl  erscheint  in  ihr  durch- 
aus als  römischer  Imperator,  mit  den  Ansprüchen  und  den  Rechten 
eines  solchen  ausgestattet^),  wie  denn  auch  der  Akt  des  J.  800, 
bei  dem  ihm  inmitten  der  römischen  Vornehmen  und  unter  den 
Jubelrufen  des  römischen  Volkes  die  römische  Kaiserkrone  auf- 
gesetzt wurde,  ein  greifbarer  Ausdruck  jenes  in  ihm  lebendigen 
Gedankens  einer  Repristination  der  Antike  war.*)  Er  liefs  sich 
nicht  nur  selbst  und  seine  Kinder  in  den  freien  Künsten  sehr 
eifrig  unterrichten  (Einh.  vit.  19.  25),  sondern  auch:'  legebantur 
et  historiae  et  antiquorum  res  gestae  (ib.  24),  d.  h.,  nach  der  Lek- 
türe Einharts  selbst  zu  urteilen,  besonders  Caesar,  Livius  und 
Sueton;  Tacitus'  Germania  und  die  ersten  Bücher  der  Annalen, 
beide  damals  nachweislich  in  Deutschland  gern  gelesen,  wer- 
den nicht  gefehlt  haben:  der  erste  römische  Kaiser  deutscher 
Nation,  der  Besiegerin  des  Weltreichs,  lauschend  den  Lobes- 
worten, die  der  prophetische  Geist  des  grofsen  Römers  den 
Ruhmesthaten  derselben  zum  ersten  Mal  an  die  Pforten  des  Im- 
periums pochenden  Nation  zollt,  ein  welthistorisches  Bild.  Wir 
dürfen  wohl  annehmen,  dafs  der  Kaiser,  umringt  von  einer 
Schar  Gelehrter  und  Dichter,  die  sich  mit  den  Namen  der 
litterarischen  Gröfsen  der  augusteischen  Zeit  belegten,  sich  selbst 
als  neuer  Augustus  gefühlt  hat:  dafür  scheinen  mir  die  Worte, 
mit  denen  Paulus  (natürlich  Diaconus^))  seine  Epitome  des  Festus 
an  Karl  schickte,  recht  bezeichnend  zu  sein:  in  cuius  serie  quae- 
dam  secundum  artem,  quaedatn  iuxta  etymologiam  nan  inconvenien- 
ter  posita  invenietis  et  praecipue  civitatis  vestrae  Romuleae 
viarum  portarum  montium  locorum  tribuumque  vocabnla 


1)  Cf.  W.  Wattenbach,   Deutschlands   Geschichtsquellen   im   Ma.  I* 
(Berlin  1893)  185. 

2)  Cf.  Gregorovius,  Gesch.  d.  St.  ilom  im  M.  11  (Stuttg.  1869)  542  ff. 

3)  Die  unbegründeten   Zweifel  an  der  Autorschaft  dieses  Paulus  sind 
durch  die  Bemerkungen  von  Waitz  in  der  Ausgabe  der  Script,  rer.  Langob. 
(1878)  19  f.  und  von  Mommsen  im  N.  Arch.  d.  Ges.  f.  alt.  d.  Gesch.  V  (187' 
55  endgültig  gehoben. 


696  Die  Antike  im  Mittelalter. 

diserta  reperietis.^)  In  diesem  Sinne,  denke  ich,  „lieCs  er  die 
alten  Kunstwerke  nach  Aachen  führen,  seine  Bauten  nach  den 
Hegeln  des  Yitruy  auffOhren  und.  die  alten  Schriftsteller  nach 
den  alten  Handschriften  mit  der  sorgsamsten  Genauigkeit  ab- 
schreiben."^ ^ 
2.  Unter-  Dafs  nuu  frcilich  die  profane  Litteratur  hinter  der  geist- 
"».  Da»  liehen  zurückstehen  mufste,  verstand  sich  bei  einem  so  frommen 
'^Jr^*^^®  und  kirchlichen  Mann,  wie  es  Karl  d.  Gr.  war,  von  selbst.  Be- 
sonders  nach  auilsen  hin  liefs  er  diesen  Gesichtspunkt  hervor- 
treten: allen  seinen  auf  diese  Dinge  Bezug  nehmenden  Erlassen') 
liegt  der  Gedanke  zugrunde,  dafs  eine  ausreichende  wissenschaft- 
liche Vorbildung  (durch  die  artes)  im  Dienst  der  Kirche 
durchaus  notwendig  und  dafs  daher  der  ungebildete  Priester  zu 
suspendieren  sei.^)  Das  in  seinem  Auftrag  von  Paulus  Diaconus 
zusammengestellte  Homiliar  empfahl  er  mit  der  Begründung: 
non  stimus  passi  nostris  diehm  in  divinis  lectionibus  sacrarum  offi- 
ciorum  inconsonantes  perstrepere  soloecismos  atque  earundem  lectio- 


1)  In  seiner  Langobardengescliiclite  erwähnt  er  Strafsen,  Thore  und 
Brücken  Borns:  V  31.  VI  36.  Man  lese,  um  zugleich  die  Verwandtschaft 
und  die  gewaltige  Verschiedenheit  zu  erkennen,  den  entzückenden  Brief 
Petrarcas  über  seine  Spaziergänge  in  Rom  (ep.  de  reb.  fam.  VI  2). 

2)  Wattenbach  1.  c.  165.  —  Mehr  als  in  allem  oben  Angefahrten  würde 
die  humanistische  Idee  jenes  Zeitalters  zum  Ausdruck  kommen  in  folgenden 
Versen,  die  G.  Kaufmann,  Deutsche  Gesch.  bis  auf  Karl  d.  Gr.  11  (Leipzig 
1881)  379  f.  in  deutscher  Übersetzung  ohne  Stellenangabe  citiert  (^so  sangen 
die  Männer  von  ihrer  Zeit'):  „Sieh,  es  erneut  sich  die  Zeit,  es  erneut  sich 
das  Wesen  der  Alten ;  Wiedergeboren  wird  heut,  was  dir  in  Rom  einst  ge- 
glänzt"; da  ich  das  Citat  trotz  eifrigen  Nachforschens  nicht  habe  auffinden 
können  (eine  Anfrage  beim  Autor  ist  erfolglos  geblieben),  so  habe  ich  um- 
soweniger  gewagt,  es  im  Text  zu  benutzen,  als  meinem  Gefühl  nach  die 
Übersetzung  mindestens  sehr  frei  sein  mufs:  ich  leugne,  dafs  ein  Mensch 
jener  Zeit  so  gedacht  haben  kann. 

3)  Wohl  am  vollständigten  bei  G.  Salvioli,  L'istruzione  pubblica  in 
Italia  nei  secoli  Vm— X  in:  Rivista  Europea  Xm  (1879)  700  f. 

4)  Cf.  Hauck  1.  c.  116  ff.  Cesare  Balbo,  Della  letteratura  negli  undici 
primi  secoli  dalFera  cristiana  in:  Lottere  di  politica  e  letteratura  di  C.  B. 
(Firenze  1855)  156  ff.  Merryweather,  Bibliomania  in  the  middle  ages  (Lond. 
1849)  105  ff.  H.  Reuter,  Gesch.  d.  relig.  Aufkl.  im  Ma.  I  (Berl.  1876)  6  f. 
Schou  MabilloD,  De  studiis  monasticis  (1691)  1 9  (der  lat.  Übersetzung  Vened. 
1729)  bebt  die  Bedeutung  Karls  richtig  hervor.  (Veraltet  sind  die  Werke 
von  J.  Baehr,  De  lit.  stud.  a  Carole  M.  revocato,  Heidelb.  1855  und:  Gesch. 
d.  röm.  Litt,  im  karol.  Zeitalter,  Carlsruhe  1840). 


Das  IK.  Jahrh.:  Karl  der  Grofse.  697 

nuni  in  melius  reformare  tramitem  mentem  intenditnus^)  Bei  dem 
einflufsreichsten  seiner  litterariscilen  Paladine^  dem  Angelsachsen 
ÄlcuiD;  trat  dies  Moment  starker  hervor  als  bei  dem  Franken 
Einharty  begreiflich  genug,  da  jenem  die  politischen  Ideale  des 
andern  fremd  waren;  er  hat  eine  ganze  Anzahl  Ton  nützlichen 
Werkchen  yerfafst,  in  denen  er  die  artes^  besonders  die  Gram- 
matik^ für  den  Bedarf  seiner  Zeit  ganz  im  Sinne  seines  Lands- 
mannes Bonifacius  zurechtmachte,  aber  wie  gering  war  seine 
Kenntnis  der  auctores:  dafs  er  Vergil  las,  war  nicht  viel  Be- 
sonderes und  in  seinem  Alter  hätte  er  gewünscht,  es  lieber 
unterlassen  zu  haben ;  in  dem  Kloster  von  York,  seiner  Bildungs- 
stätte, waren  nach  seiner  eigenen  Angabe^)  aufser  Vergil  noch 
Statius,  Lucan,  Justin,  Plinins  d.  Ä.,  Aristoteles  (d.  h.  Boethius) 
und  Ciceros  rhetorische  Schriften  vorhanden,  aber  in  seinen 
Werken  fehlen  im  Gegensatz  zu  Einhart  Spuren  ihres  Einflusses.') 

Dieses  starke  Betonen  des  kirchlichen  Interesses  und,  was  b.  Das 
damit  eng  zusammenhängt,  der  blofs  relativen  Bedeutung  der  Moment 
antiken  Bildung  ist  das  erste  Moment,  welches  bei  allem  Ge- 
meinsamen, das  diese  sog.  erste  Renaissance  mit  der  späteren 
verbindet,  den  unterschied  doch  deutlich  hervortreten  läfist.  Dazu 
kommt  ein  weiteres.  Die  germanische  Nation  war  der  romani- 
schen zu  fremdartig,  als  daüs  die  bei  dieser  lebhaft  Anklang 
findenden  rein  formalen  humanistischen  Bestrebungen  bei  jener 
rechten  Boden  hätten  finden  können:  der  romische  Kaiser  hat 
als  germanischer  Yolkskönig  mit  dem  weiten  Blick,  der  ihn  aus- 
zeichnete, die  nationalen  Denkmäler  seines  Volkes  sammeln  und 
eine  eigentliche  deutsche  Litteratur  zum  ersten  Male  erstehen 
lassen^),  während  der  eigentliche  Humanismus,  wie  später  ge- 
nauer bewiesen  werden  soll,  als  höchste  seiner  Forderungen  die 
Ablehnung   des    Nationalen  aufstellte^);   Alcuin  hat   sich   trotz 

1)  Cf.  MabiUon,  Ann.  ord.  S.  B.  H  (Par.  1704)  828. 

2)  Poet.  lat.  aev.  Car.  I  p.  208  f.  V.  1540  ff.,  cf.  Hauck  1.  c.  127  ff. 
8)  Cf.  Fr.  Monnier,  Alcuin  et  Gharlemagne  (Par.  1868)  12  ff. 

4)  Es  verdient  zu  der  Zeit,  in  der  wir  leben,  wohl  darauf  hingewiesen 
zu  werden,  dafs  dieses  erstmalige  Entstehen  einer  deutschen  Litteratur  aufs 
engste  mit  dem  Aufschwimg  der  klassischen  Studien  zusammengeht.  Ein 
analoger  Vorgang  hatte  sich  im  alten  Rom  abgespielt:  die  römische  Littera- 
tur verdankt  ihr  Entstehen  dem  Interesse,  das  die  römischen  Aristokraten 
der  griechischen  Litteratur  zuwendeten. 

5)  Man  lese,  was  Petrarca  über  das  römische  Kaiserreich  deutsch« 


698  ^ie  Antike  im  Mittelalter. 

der  dringendeu  AufforderuDgen  des  Imperators  nur  schwer  ent- 
schliefsen  konneD,  nach  Rom  zu  kommen ,  und  hat  bedauert, 
dals  er  dtUces  Germaniae  sedes  verlassen  mufste^):  man  lese  Pe- 
trarcas uns  so  modern  anmutende  Rom-Briefe  (ad  fam.  II  9.  14 
VI  2);  um  zu  empfinden,  dafs  er  doch  einer  ganz  andern  Ideen- 
welt angehörte.  Es  scheint  mir  daher  sehr  bezeichnend  zu  sein, 
dafs  die  ferneren  humanistischen  Bestrebungen  des  Mittelalters 
in  ihrem  weitaus  überwiegenden  Teil  nicht  in  Germanien,  son- 
dern in  Gallien,  dem  westlichen  Teil  des  karolingischen  Reiches, 
stattgefimdcn  haben.') 


2.   Die  humanistische  Bewegung  in  Frankreich:  Karl 

der  Kahle  und  Servatüs  Lupus. 

Karl  Der   Niedergang   des   litterarischen   Interesses  unter  Karls 

d.  kau«.  jfachf olger  fiel  schon  den  Zeitgenossen  auf.  *;  Da  ist  es  nun 
höchst  bezeichnend,  dafs  ein  neuer  Aufschwung  begann  unter 
Karls  d.  Gr.  Enkel  Karl  dem  Kahlen  (840—877),  der  den 
französischen  Teil  des  Reiches  zugewiesen  erhielt.  Während  in 
den  ostfränkischen  Klöstern,  Tor  allem  auch  in  Fulda  nach  Ra- 
banus Maurus,  der  wissenschaftliche  Sinn  sich  fast  ausschliefs- 
lieh  in  der  rein  kirchlichen  Litteratur  bethätigte,  preisen  die 
Zeitgenossen  in  begeisterten  Worten  die  Sorgfalt,  die  Karl  d.  EL 
auf  die  Hebung  der  Studien  verwandte.     Einer*)  vergleicht  ihn 


Nation  urteilt  ep.  de  reb.  fam.  XX  2:  Ckieaarwn  fcUum  et  in  occasu  sölis  et 
8%U>  austro,  denique  ubilibet  felicius  fuerit  quam  8%U>  arcto:  ita  ibi  gelida  am- 
nitty  wuUus  ardor  nohilis,  nullus  vitcUis  ccUar  imperii,  und  was  weiter  folgt 

1)  Cf.  Hauet  1.  c.  123. 

2)  Italien  trat  im  späteren  Mittelalter  infolge  seiner  politischen  Lage 
zurück.  Was  darüber  (besonders  über  Montecassino)  zu  sagen  ist,  hat 
zuerst  festzustellen  gesucht  Muratori,  De  litt,  statu,  neglectu  et  cultura  in 
Italia  post  barbaros  in  eam  invectos,  usque  ad  a.  Chr.  MC  in:  Antiq.  Ital. 
diss.  XLm  (vol.  m  [Mediol.  1740]  809  ff.),  dann  W.  Giesebrecht  1.  c,  A. 
Ozanam  in  Oeuvres  compl.  vol.  11  (ed.  2)  866  ff.,  einiges  auch  bei  F.  Haase, 
De  med.  aev.  stud.  philol.,  Progr.  Breslau  1866,  zuletzt  Salvioli  1.  c.  vol. 
Xni— XV  (1879). 

3)  Zeugnisse  bei  Hauck  L  c.  666  f. 

4)  Hericus  monachus  Antissiodorensis  (f  c.  881)  in  der  an  Karl  d.  K. 
gerichteten  Widmungsepistel  zu  seiner  Lebensbeschreibung  des  S.  Germanus 


Das  IX.  Jahrh. :  Karl  der  Kahle,  Servatus  Lupus.  699 

deshalb  y  wenn  auch  in  etwas  zu  panegyrischen  Worten ,  mit 
seinem  Grofsvater:  illud  vel  maxime  vohis  aetemam  parat  memo- 
riam,  quod  famatissimi  avi  vestri  Caroli  Studium  erga  immortales 
disciplinas  non  modo  ex  aequo  repraesentaiiSy  verum  etiam  incom- 
paräbiU  fervore  transscenditis,  dum  qtiod  üU  sopitis  educit  cineribus 
vos  fomento  muUiplici  tum  ienefidorum  tum  audoritatis  tisquequague 
provehitis, . .;  ita  vestra  tempestate  ingenia  hominum  duplici  nitun- 
tur  adminiculo,  dum  ad  sapientiae  abdita  persequenda  omnes  quidem 
exemplo  allicitiSj  quosdam  vero  etiam  praemiis  invitatis  . . . .  Id  vobis 
singulare  Studium  effecistis^  ut  sicubi  terrarum  magistri  florerent 
artium,  quarum  principalem  operam  philosophia  poUicetur^  huc  ad 
puhlicam  eruditionem  undecumque  vestra  celsitudo  conduceret  u.  s.  w. 
An  der  Hofschule  dieses  Königs  wirkte  Johannes  Scotas  (Eri- 
gena),  nnter  den  gelehrten  Iren  der  geistig  weitaas  hervor- 
ragendste, in  griechischer  Litteratur  sehr  bewandert,  dessen  be- 
rühmtes Postulat  von  dem  Prinzipat  der  Vernunft  über  der 
Autorität  ganz  antik  und  ganz  modern,  aber  ganz  und  gar  nicht 
mittelalterlich  gefühlt  ist:  dafs  der  Konig  ihn  gegen  die  erbit- 
terten Angriffe  der  Kirche  in  Schutz  nahm,  gereicht  ihm  zu 
hoher  Ehre. 

Glücklicherweise  ist  uns  aus  dieser  Zeit  der  Briefwechsel  senraiuB 
eines  Mannes  erhalten,  dem  wir  f^lr  die  lateinische  Litteratur  zu 
demselben  Dank  yerpflichtet  sind  wie  dem  ein  halbes  Jahrhundert 
später  lebenden  Arethas^)  für  die  griechische.  Dieser  Mann  war 
Servatus  Lupus,  ein  geborener  Franzose,  842 — 862  Abt  von 
Ferriferes  in  der  Diöcese  Sens.  Aus  den  130  Briefen,  die  wir 
von  ihm  besitzen'),  weht  uns  wirklich  ein  leiser,  aber  deutlich 
wahrnehmbarer  Hauch  des  Geistes  entgegen,  der  ein  halbes  Jahr- 


AA.  SS.  Boll.  Jul.  Vn  p.  221  ff.  Cf.  auch  Vita  B.  Herifridi  episcopi  An- 
tissiodorensis  (f  909)  1.  c.  Oct.  X  p.  210.  Auf  beide  Zeugnisse  weist  kurz 
hin  auch  J.  Lebeuf,  Dissert.  sur  Tätat  des  Sciences  dans  les  Gaules  depuis 
la  mort  de  Charlemagne  jusqu'ä  celle  du  Roy  Robert,  in:  Recueil  de  divers 
Berits  pour  servir  d'eclaircissemens  ä  Thistoire  de  France  T.  11  (Paris  1788)  6. 

1)  L.  Stein,  Die  Continuität  der  griech.  Philosophie  in:  Arch.  f.  Oesch. 
d.  Philos.  N.  F.  n  (1896)  227,  weist  auf  die  gleichzeitig  bei  den  Arabern 
beginnende  intensive  Beschäftigung  mit  der  antiken  Litteratur  hin. 

2)  Die  neueste  Ausgabe  von  G.  Desdevises  du  Dezert  (Paris  1888)  läfst 
kritisch  zu  wünschen  übrig,  enthält  aber  eine  gute  Einleitung  und  brauch- 
bare historische  Anmerkungen.   Ich  citiere  die  Briefe  nach  der  Anordr 
dieser  Ausgabe. 


700  Die  Antike  im  Mittelalter. 

tausend  später  ganz  Europa  im  Sturm  durchfliegen  sollte.  C'est 
un  veritable  hufnaniste  ä  la  maniere  des  humanistes  du  XV^  et  du 
XVP  siede  sagt  J.  Ampere  (Hist.  liti  de  la  France  avant  le 
Xn«  si^cle  m  [Par.  1840]  237)  und  viele  Laben  sich  ähnlich 
geäulsert.^)  Die  Zeit;  die  ihm  sein  geistlicher  Beruf  in  diesen 
politisch  so  unruhigen  Jahren  liefs^  verwendete  er  auf  die  Lek- 
türe von  Schriften,  unter  denen  die  Bibel,  Augustin,  Hierony- 
mus  u.  s.  w.  durchaus  auf  gleicher  Stufe  mit  den  klassischen 
Autoren  standen,  und  zwar  nicht  etwa  blola  denjenigen,  die  zu 
kennen  kein  besonderes  Verdienst  war,  wie  Yirgil  Donat  Pris- 
cian  Boethius,  nein,  hier  begegnen  meist  zum  ersten  Mal  seit 
400jähriger  Vergessenheit  wieder  Namen  wie  Cicero  —  und  nicht 
nur  die  auch  sonst  viel  gelesenen  unter  seinem  Namen  gehenden 
Bücher  an  Herennius,  sondern  auch  die  Schrift  De  oratore  (ep. 
111)*),  ferner  die  Briefe*)  (69),  die  Tusculanen  (9),  die  Aratea 
(69),  ja  sogar  die  Verrinen  (45)  — ,  Caesars  commentarii  (37), 
Sallusts  Catilina  und  Jugurtha  (45),  Livius  (10.  93),  Quintilians 
Institutionen  (76.  111),  Sueton  (20.  33),  Gellius  (la.E.  c£  5a.E.), 
Macrobius  (9).^)  Man  muTs  selbst  lesen,  wie  er  sich  bemühte, 
dieser  Schriften  habhaft  zu  werden  und  nicht  eher  ruhte,  bis 
es  ihm  gielang:  meist  suchte  er  zunächst  in  der  Nachbarschaft^ 
d.  h.  offenbar^)  in  Fleury,  dann  wendete  er  sich  an  andre 
französische  Klöster,  dann  an  die  deutschen  (Fulda),  die  eng- 
lischen (York),  einmal  (ep.  111)  sogar  an  den  Papst  selbst  (Bene- 
dict III  855 — 858) :  er  hatte  nämlich  auf  einer  Reise  nach  Rom 
(849)   dort  eine   Handschrift  von  Cicero  de   or.  und  eine  von 


1)  Die  ausfOhrlichste  mir  bekannte  Darstellung  ist  von  Maxime  de  la 
Bocheterie:  Un  abb^  au  neuviäme  siäcle,  in:  Acad^mie  de  Sainte-Croix 
d'Orldans.  Lectures  et  m^moires  I  (1865^1872)  S69— 466.  Einige  treff- 
liche Bemerkungen  von  L.  Traube  1.  c.  (oben  S.  690,  1),  cf.  auch  Maniiins 
1.  c.  (oben  S.  694,  2)  645  f. 

2)  Um  sie  bittet  er  im  J.  866  den  Papst,  nachdem  er  sie  in  Born  ge- 
sehen hatte.  Er  war  also  inzwischen  klüger  geworden:  in  dem  1.  Briet 
(an  Einhart  vom  J.  830)  verwechselt  er  sie  mit  der  Schrift  De  inventione, 
wie  kürzlich  festgestellt  hat  F.  Marx  in  der  Praef.  zu  seiner  Aoag.  des 
[Comificius]  p.  10. 

3)  Die  'ad  familiäres',  cf.  Marx  L  c. 

4)  Mit  der  vermeintlichen  Lektüre  des  CatuU  ist  es  aber  nichts:  cf. 
L.  Schwabe  im  Hermes  XX  (1885)  496. 

5)  Cf.  Traube  1.  c.  400  f. 


Das  DL  Jahrb.:  Servatos  Lupus.  701 

Quintilians  Institutionen  gesehen,  von  denen  beiden  er  nur  Teile 
besafs,  femer  eine  von'  Donats  Terenzkommentar;  diese  drei  solle 
ihm  der  Papst  schicken.  Wer  fühlt  sich  bei  dem  allen  nicht 
erinnert  an  die  Briefe  der  Humanisten  mit  ihrem  sehnsüchtigen 
Verlangen  nach  neuen  und  vollständigen  Autoren?  Ja,  in  einem 
Punkte  ist  er  sogar  den  meisten  Humanisten  voraus:  er  will 
nicht  blofs  Texte,  sondern  gute  Texte,  z.  B.  schreibt  er  ep.  69: 
Tullianas  epistolas,  quas  mi^H,  cum  nostris  conferri  faciam,  ut  ex 
utrisqne^  si  possit  fieri,  veritas  excuJpatur  (cf.  ep.  9  und  45):  wer 
denkt  nicht  an  die  Symmachi  und  Nicomachi?  Noch  eine  An- 
zahl  andrer  Autoren  hat  er  gelesen,  wie  die  (längst  nicht  alle 
als  solche  erkannten)  Citate  beweisen,  mit  denen  er  teils  unter 
Nennung  ihres  Autors  teils  ohne  eine  solche  manche  Briefe  aus- 
stattet, z.  B.  Horaz^),  Martial,  Yalerius  Maximus  ^),  Justin.  Er 
korrespondiert  nicht  weniger  als  viermal  über  Fragen  der  Proso- 
sodie  (6.  7.  9.  10),  was  freilich  auch  Schriftsteller  des  ausgehen- 
den Altertums  und  des  frühen  wie  späten  Mittelalters  gethan 
haben,  über  Grammatik  (das  Activum  locupktare  beweist  er  aus 
Cicero:  ep.  10),  über  Wortbedeutung  (ib.),  über  Altertümer  (ep. 
46  erklärt  er  auf  eine  Anfrage  hin  aus  Servius,  was  pater  pa- 
tratiis  sei).  Wie  ein  echter  Humanist  schämt  er  sich,  als  ihm 
einige  sagen,  er  sei,  um  sich  die  Kenntnis  des  Deutschen  anzu- 
eignen, nach  Fulda  gereist;  „das  hätte,  erwidert  er,  die  lange 
Reise  nicht  gelohnt:  gelesen  habe  ich  dort  und  Bücher  abge- 
schrieben ad  dblivionis  remedium  et  eruditionis  augmentum  (ep.  6). 
Ja,  auch  die  ganze  Tendenz  dieser  ersten  Renaissance  in  Frank- 
reich fällt  zusammen  mit  derjenigen  der  späteren:  denn  aus  einem 
Briefe  (11)  erkennen  wir,  daGs  das  Interesse  an  der  klassischen 
Litteratur  ein  wesentlich  formalistisches  war,  bis  zu  dem  Grade, 
dafs  sich  Lupus  veranlaCst  sieht,  dagegen  aufzutreten:  reviviscen- 
tem  in  his  nostris  regUmibus  sapienHam  quosdam  studiosissime  co- 
lere  pergratum  hdbeo,  sed  hinc  haudqmqtuim  mediocriter  maveor, 
guod  qxddam  nosbrum  partem  illius  appetentes  insolenter  partem  re- 


1)  Ep.  1  in  silvam  ne  ligna  feras  aus  sat.  I  10,  84.  ep.  41  non  poUtt 
vox  missa  reverti  aus  de  a.  p.  390.    Dagegen  ist  ep.  43  itixta  tShtd  JBm 
tiantim  ^tneos  dividerem  libenter  annos*  ein  Versehen,  aber  der  (bedanke  j 
mir  aus  antiker  Poesie  gel&ufig. 

2)  Seine  und  eines  seiner  SchtQer  Bemühungen  um  diesen  Schrift' 
steiler  lassen  sich  noch  handschriftlich  nachweisen,  cf.  Traube  L  c. 


702  Die  Antike  im  Mittelalter. 

ptidiant  omnium  autem  consensu  nichü  in  ea  est,  quod  iure  ex- 
dpi  aut  possit  aut  dä)eat  guare  apparet  nos  ipsos  nobis  esse  con- 
trarioSy  dum  insipienter  sapientiam  consequi  cogitemus.  etenim 
plerique  ex  ea  cuUum  sermonis  quaerimus  et  paucos  ad- 
modum  reperias  qui  ex  ea  morum  pröbitatem  . . .  proponant  addiscere. 
sie  linguae  vitia  reformidamus  et  pxirgare  contendimus,  vitae 
vero  delicta  parvi  pendimus, . . .  Quocirca  si  vigilanter  poliendo 
ineumhimus  eloquio,  mxdto  maxime  conseqtiendae  honestati  atque 
iustitiae  operam  impendamus  oportet.  Die  formalistische  Tendenz, 
gegen  deren  Ausschliefsliclikeit  er  hier  polemisiert,  tritt  aber 
bei  ihm  selbst  entgegen  in  dem  schönsten  seiner  Briefe,  in  dem 
er  sich  und  diesen  Studien  ein  leuchtendes  Denkmal  gesetzt  hat: 
er  ist  der  erste  der  ganzen  Sammlung,  den  der  damals  (830) 
ganz  junge  Mensch  an  den  auf  der  Höhe  des  Buhmes  stehenden 
Einhart  richtet,  zehn  Jahre  bevor  durch  Karls  des  Kahlen  Für- 
sorge die  Studien  einen  neuen  starken  Impuls  erhielten:  amor 
litterarum  ab  ipso  fere  initio  piieritiae  mihi  est  innatus,  nee  earum 
ut  nunc  a  plerisque  vocantiir  superstitiosa  otia  fastidiviy  et  nisi  inter- 
cessisset  inopia  preceptorum  et  longo  situ  collapsa  priorum  studio 
pene  interissent,  largiente  domino  meae  aviditati  satisfacere  forsitan 
potuissem,  siquidem  vestra  memoria  per  famosissimum  imperatorem 
Karolum,  cui  litterae  eo  usque  deferre  debent  ut  aetemitati  parent 
memoriam,  coepta  revocari  aliquantulum  quidem  extulere  caput,  50- 
tisque  constitit  veritate  stibnixum  praeclarum  tum^)  dictum:  ^honos 
alit  artes  et  accenduntur  omnes  ad  studia  gloria^  (Cic.  Tusc  I  4); 
nunc  oneri  sunt  qui  aliquid  discere  affectant,  et  velut  in  edito  sitos 
loco  studiosos  quosqus  imperiti  vulgo  suspectantes^) ,  si  quid  in  eis 
culpae  deprehenderint,  id  non  humano  vitio  sed  qualitati  disciplina" 
rum  assignant.  ifu  dum  alii  dignam  sapientiae  palmam  non  capiuni, 
alii  famam  verentur  indignam,  a  tarn  praeclaro  opere  desHterunt 
mihi  satis  apparet  propter  seipsam  appetenda  sapientia, 
cui  indagandas  a  sando  metropolitano  episcopo  Aldrico^)  delegaius 
doctorem  gramm^ticae  sortitus  sum  praeceptaque  ab  eo  artis  accepi. 
sie  quoniam  a  grammatica  ad  rhetoricam  et  deinceps  ordine  ad 
caeteras  liberales  disciplinas  transire  hoc  tempore  fabula  tantum  est, 


1)  Cum  cod.,  verbessert  von  Traube  1.  c.  402. 

2)  aspectantes  cod.,  verbessert  von  demselben  1.  c. 

3)  Abt  von  Ferrieres,  seit  828  Metropolitanbischof  von  Sens. 


Das  IX.  Jahrh.:  Servatus  Lupus.  703 

cum  deinceps  auctorum  voluminibus  spaüari  äliquanttdufn  coe- 
pisseni  et  dictatus  nostra  aetate  confecti  displicerent,  pro- 
pterea  quod  ab  illa  Tulliana  caeterorumque  gravitate,  quam 
insignes  quoque  Christianae  rdigionis  viri  aemulati  sunt,  aherra- 
rent:  venit  in  mani^  meas  opus  vestrum,  quo  memorati  imperatoris 
clarissima  gesta  . . .  darissime  Utteris  allegastis.  ibi  elegantiam 
sensuum,  ibi  raritatem  coniunctionum^),  quam  in  auctoribus 
notaveram,  ibidemque  non  longissimis  perihodis  impeditas  et  implici' 
tas  sed  modids  absolutm  spaciis  sententias  inveniens  amplexus  sum. 
Wie  also  Petrarca,  von  Grauen  ergriffen  vor  dem  Latein  der 
Scholastiker,  zu  Cicero  zurückkehrte,  so  begrüfste  Servatus  Lupus 
in  einer  Zeit  tiefer  Depravation  des  Lateins  mit  Jubel  die  in 
klassischer  Sprache  geschriebene  Vita  Karls  d.  Gr.,  und  nährte 
sein  stilistisches  Schönheitsgefühl  an  dessen  Urquell  Cicero.  Wie 
Petrarca  und  allen  Humanisten,  so  ist  auch  ihm  der  Buhm  eine 
Triebfeder,  und  in  den  schönen  Worten  von  der  Selbstgenügsam- 
keit der  Weisheit  werden  wir  keine  blofse  Phrase  aus  Ciceros 
philosophischen  Schriften,  sondern  die  Überzeugung  erkennen 
dürfen,  die  allen  Humanisten  eingepflanzt  war:  dafs  die  wahre 
Wissenschaft  frei  und  sich  selbst  ihr  höchster  Zweck  sei.*)  — 

Wir  erkennen  aus  den  Briefen  des  Servatus  Lupus,  dafs  er  i^jp««* 
mit  seinen  klassicistischen  Interessen  keineswegs  allein  stand  ^: 
überall  iu  den  französischen  Klöstern  und  Bischofsitzen  regte 
sich  das  Wehen  eines  freieren  Geistes.  In  die  Zeit  der  letzten 
Karolinger  fiel  auch  die  Romfahrt  jenes  unbekannten  Mönchs, 
von  der  er  die  berühmte  Inschriftensammlung  mitbrachte.  Momm- 
sen^)  hat  das  Faktum  mit  den  humanistischen  Bestrebungen  jener 


Zeit- 
gonoasen. 


1)  Was  mag  er  damit  meinen? 

2)  Seine  Erklärung  der  in  Boethius  vorkommenden  Metra  ist  unge- 
druckt,  cf.  R.  Peiper  vor  seiner  Ausgabe  des  B.  p.  XXIV. 

3)  Z.  B.  werden  von  ihm  oft  genannt  Heribold,  Bischof  von  Auxerro, 
und  der  berühmte  Hincmar,  Metropolitanbischof  v.  Reims,  Theodulfus, 
Bischof  von  Orleans,  dessen  Verse  von  klassischer  Reinheit  sind  (cf.  K. 
Liersch,  Die  Gedichte  Th.'s,  Halle  1880).  Dazu  kommt  sein  Schüler  Heine, 
über  den  cf.  Traube  1.  c.  389  u.  ö.  Wir  können  hinzufügen  den  sonst  nicht 
weiter  bekannten  Hadoard,  dessen  Ciceroezcerpte  (aufser  aus  den  philo- 
sophischen Schriften  auch  aus  De  oratore)  P.  Schwenke  im  Philol.  Suppl. 
V  (1889)  399  ff.  ediert  hat. 

4)  Ber.  d.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  18ö0  p.  289,  cf.  H.  Jordan,  Topogr.  d. 
St.  Rom  n  (Berl.  1871)  333. 


Frank- 
reichs. 


704  I)ie  Antike  im  Mittelalter. 

Zeit  in  Zusammenhang  gebracht.  Wenn  man  Kleines  mit  GroCsem 
vergleichen  darf,  so  kann  man  sagen,  dafs  jener  Mönch  ein  Vor- 
gänger des  Cola  di  Bienzo  und  des  Poggio  gewesen  ist.^)  Dem- 
selben Interesse  fQr  das  Altertum  wird  man  übrigens  wohl  die 
Überlieferung  des  aus  dem  I.  Jh.  n.  Chr.  stammenden  Testamentes 
eines  römischen  Bürgers  in  Gallien  im  Gebiet  von  Langres  ver- 
danken, also  jenem  Ort,  der  dem  Poggio  einst  eine  so  reiche 
Ausbeute  von  Ciceroreden  gewähren  sollte:  die  ausführliche  und 
durch  allerlei  Detail  merkwürdige  Inschrift  wurde  aus  einer  in 
Basel  befindlichen  Pergamenthandschrift  des  X.  Jh.  zuerst  von 
A.  Kiefsling  i.  J.  1863  ediert  und  ist  dann  öfters  wiederholt 
worden  (zuletzt  in  Fontes  iur.  Rom.  ed.  Bruns*  n.  99  p.  275  flf.). 
Kameritchet  Für  die  Überlieferung  der  klassischen  Litteratur  ist  diese 
gewicht  Epoche  Wahrscheinlich  von  noch  viel  gröberer  Bedeutung  ge- 
wesen, als  wir  auch  nur  zu  ahnen  vermögen:  die  stattliche  Reihe 
von  Handschriften  aus  dem  IX.  und  der  ersten  Hälfte  des  X.  Jh., 
die  aus  Frankreich  stammen  oder  von  deren  einstiger  Existenz 
wir  durch  alte  Kataloge  Kunde  haben,  zeugt  dafür.  Das  be- 
trächtliche Übergewicht  Frankreichs  über  Deutschland  kann  man 
auch  aus  folgender  Thatsache  ermessen.  Die  Zahl  der  aus  Kata- 
logen deutscher  Klöster  des  IX.  Jh.  bekannten  Handschriften  be- 
trägt nach  G.  Beckers  Sammlung  (Catal.  bibl.  ant.  Bonn  1885) 
1460  (wenn  wir  zunächst  den  einen  Katalog  von  S.  Gallen  n.  15 
Becker  und  den  von  Lorsch  n.  37  beiseite  lassen),  vertreten  sind 
darin  die  Bibliotheken  von  Freising,  Fulda,  8.  Gallen,  Reichenau, 
Weifsenburg,  Würzburg;  darunter  sind  26  Grammatiker  (Donat, 
Pompeius,  Priscian  u.  a.),  von  Dichtem  Terenz  (Freising),  Ver- 
gil  (4mal),  Ilias  latina  (Freising),  Avian  (Reichenau),  von  Pro- 
saikern Hygin  (Reichenau),  Plinius  maior  (Reichenau),  Solin 
(S.  Gallen),  Justin  (S.  Gallen),  Servius'  Yergil  -  Kommentar 
(S.  Gallen),  Martianus  (Freising),  Vegetius  (2mal).  Damit  ver- 
gleiche man  den  Katalog  einer  (unbekannten)  französischen  Biblio- 
thek des  IX.  Jh.  (Becker  n.  20):  unter  dessen  12  Nummern^ 
befinden   sich:   Terenz,  TibuU,  Horaz,  Lucan,  Statins,  Juvenal| 

1)  Wattenbach,  Geschichtsqa.  P  281  vermutet,  dafs  die  Sammlnng 
von  einem  Schüler  Walahfrids  Strabo,  des  Abts  von  Reichenau,  herrfilut, 
da  die  Urschrift  der  Einsiedler  Hs.  aas  Reichenau  zu  stammen  scheine. 

2)  Das  sind  natürlich  nur  die  libri  scolastici,  cf.  Th.  Gk)ttlieb,  Üb.  ma. 
Hiblioth.  (Leipz.  1890)  303. 


Das  X.  Jahrh. :  Gerbert.  705 

Martial,  Claudian;  Ciceros  Catilinarien,  Verrinen,  pro  Deiotaro, 
Sallusts  Reden:  also  eine  höchst  erlesene  Auswahl;  mit  der  nicht 
einmal  der  sonst  reichste  S.  Galler  Katalog  dieses  Jahrhunderts 
(n.  15  Becker)  konkurrieren  kann^  der  unter  356  Nummern  fol- 
gende Autoren  hat:  Ovid,  Persius,  Juvenal,  Silius,  Statins,  Clau- 
dian; Sallusts  Catilina,  Senecas  Briefe  und  nat.  quaest.,  Justin, 
Solin,  Vegetius  (2mal),  Macrobius'  Satumalien,  Martianus  (4mal), 
wobei  also  gerade  die  Raritäten,  die  der  französische  Katalog 
hat,  fehlen  (Ciceros  Reden,  TibuU,  Horaz).  Am  nächsten  kommt 
dem  französischen  Katalog  der  von  Lorsch  aus  s.  IX  oder  An- 
fang s.  X  (37  Becker),  der  unter  seinen  590  Nummern  aufser 
einer  gewaltigen  Anzahl  von  grammatischen  Werken  enthält: 
Vergil  (4mal),  Horaz,  Lucan,  Martial  (2mal),  Juvenal;  Cicero 
pro  Cluent.,  pro  Mil.,  in  Pis.,  pro  Süll.,  ep.  (4mal),  de  oflF.,  Seneca 
rhet.,  Seneca  de  ben.,  de  dem.,  ep.  (2mal),  Plinius  mai.  (2mal), 
Plinius  min.,  Frontinus,  Florus,  Justinus,  Solinus,  Macrobius, 
Vegetius,  Dares. 

n.    Das  zehnte  Jahrhundert:    Gtorbert. 

Auch  in  diesem  war  es  ein  aus  dem  Centrum  Frankreichs  Oerbert. 
stammender  Mann,  der  die  klassischen  Studien  vor  allen  andern 
Gelehrten  hegte:  Gerbert,  geboren  c.940,  in  einem  wechselvollen 
Leben  Scholasticus  unter  dem  Erzbischof  Adalbero  von  Reims,  Abt 
von  Bobbio,  dann  selbst  Erzbischof  von  Reims,  endlich  in  den  vier 
letzten  Jahren  (f  1003)  Papst  als  Silvester  11.  Seine  umfassen- 
den, in  allen  Zweigen  des  Wissens,  besonders  der  Mathematik 
und  Astronomie  das  gewöhnliche  Mafs  weit  überschreitenden 
Kenntnisse  haben  ihn  bekanntlich  in  den  Verdacht  der  Nekro- 
mantie  gebracht:  wir  bewundern  den  Mann,  der  in  einem  Zeit- 
alter voller  Kriege  und  Intriguen^),  selbst  mit  Geschäften  über- 
häuft und  im  Mittelpunkt  der  politischen  Ereignisse  stehend, 
den  Studien  oblag  und  von  sich  selbst  das  schöne  Geständnis 
ablegen  konnte:  in  otio,  in  negotio  et  docemus  quod  scimus  et  addi- 
scimtis  quod  nescimus  (ep.  44).  Das  Interesse  für  die  klassische 
Litteratur  scheint  freilich  bei  ihm  weniger  ein  ideales  als  ein 
hauptsächlich    durch   praktische    Motive    bedingtes    gewesen    zu 

1)  Begnorum  ambitio,  dira  ac  miseranda  tempora  fas  vertenmt  in  nefa$ 
(ep.  130  der  Ausg.  von  J.  Havet,  Paris  1889),  und  oft  ähnlich. 


706  Die  Antike  im  Mittelalter. 

seiD.  Wenigstens  schreibt  er  an  den  Abt  von  Tours  (ep.  44): 
cum  ratio  morum  dicendiqm  ratio  a  philosophia  nan  se^rentur, 
cum  studio  bene  vivendi  semper  coniuncxi  Studium  bene  dicendi, 
quamvis  solum  bene  vivere  praestantittö  sü  eo  quod  est  bene  dicere 
curisque  regiminis  absoluto  alterum  satis  sit  sine  altero.  at  nobis 
in  re  publica  occupatis  utraque  necessaria.  nam  et  apposite  di- 
cere ad  persuadendum  et  animos  furentium  suavi  oratione 
ab  impetu  retinere  summa  utilitas.  cui  rei  praeparandae 
bibliothecam  assidue  comparo.  et  sicut  Romae  dudum  ac  m 
aliis  partibus  ItaliaCy  in  Germania  quoque  et  Belgica  scriptcres 
auctorumque  exemplaria  muUitudine  nummorum  redemi  adiutus 
benivolentia  ac  studio  amicorum  comprovincialium^),  sie  idenOdem 
apud  vos  fieri  ac  per  vos  sinite  ut  exorem.  qfios  scribi  vdimus,  tu 
fine  epistölae  designaibimus^)  Also  auch  hier  begegnen  wir  wie- 
derum der  treibenden  Idee  aller  dieser  humanistischen  Bestre- 
bungen: die  schöne  Sprache  war^  wie  man  wuTste,  einzig  und 
allein  aus  dem  Studium  der  klassischen  Autoren  zu  gewinnen. 
Dem  entsprechend  hatte  nun  Gerbert  ein  besonderes  Interesse 
für  Cicero,  nicht  blofs  fiir  dessen  rhetorische  *)  und  philo- 
sophische "Werke,  sondern  vor  allem  für  seine  Beden.  Er  er- 
bittet sich  ein  vollständiges  Exemplar  der  Rede  für  Deiotarus  (9); 
dem  Scholasticus  Constantin  von  Fleury,  der  ihn  besuchen  will, 
schreibt  er  (86):  comitentur  iter  tuum  Ttdliana  opuscula  vd  de 
rcpublica^)  vel  in  Verrem  vel  quae  pro  defensione  muliorum 


1)  Cf.  ep.  ISO  unum  a  te  interim  plurimum  exposco,  quod  et  sine  peri- 
culo  ac  dctrimento  tut  fiat,  et  me  tibi  quam  niaxime  in  amicicia  constringat, 
nosti  quanto  studio  libronim  exemplaria  undique  conguiram;  nosti,  quot 
scriptores  in  urhibus  ac  in  agris  Italiae  passim  habeantur,  worauf  folgte 
was  er  haben  will. 

2)  Diese  Liste  ist  leider  nicht  mit  überliefert  worden. 

3)  Unter  diesen  übrigens  nicht  nur,  wie  fast  alle  andern,  für  die  sog. 
'Rhetorica  Ciceronis'  (d.  h.  die  Bücher  an  Comificius  und  die  Bücher  De 
inventione),  sondern  auch,  ganz  wie  Servatus  Lupus,  für  die  Bücher  De 
oratore:  das  wissen  wir  zwar  nicht  aus  den  Briefen,  aber  aus  der  Sab- 
scription  des  aus  s.  X  stammenden  Teils  der  Erlanger  Hs.  n.  76:  Venerando 
abhate  Oerhcrto  phiJosophante  Sutis  place^is  Ayrardus  scripsit^  cf.  C.  Halm, 
Zur  Handsebriftenkunde  der  cic.  Schriften  (München  1860)  8,  6. 

4)  Es  wäre  natürlich  ganz  falsch,  daraus  mit  Fr.  Jol.  Schmidt  (Ger- 
bort als  Freund  und  Förderer  klass.  Studien  [Progr.  Schweidniii  1843]  p.  15 
mit  adn.  7),  zu  folgern,   dafs  das  Werk  damals  noch  existierte:  entweder 


Das  X.  Jahrh.:  Gerbert  707 

plurima  Bomanae  eloquentiae  parens  conscripsit;  cf.  ep.  167 
agite  ergo  ut  coepistis  et  fluenta  M.  Ttdlii  sicienH  praebete.  M.  Tulr 
litis  mediis  se  ingerat  curis  quibtis  . .  implicamur^  158  fadte  vestra 
Itberaiitate,  ne  absentia  honestatiSy  fuga  öbtimarum  artiutny  effidar 
sedaiar  CatUinae,  qui  in  otio  et  negotio  praeceptorum  M.  Tuüii 
diligens  fui  executor.  Daher  hat  er  Oiceros  Beden  (besonders 
die  catilinarischen  und  die  für  ciceronianisch  geltende  Invektive 
gegen  Sallust)  oft  citiert^  mit  oder  ohne  Nennung  des  Autors^), 
aber  nicht  nur  das:  er  hat  sich  so  in  sie  hineingelebt,  dafs  er 
wirklich  ihr  ^d-og  gut  zu  reproducieren  versteht^  wozu  in  den 
turbulenten  Zeiten  flir  ein  so  kampfesfreudiges ,  ja  gelegentlich 
etwas  intrigantes  Gemüt  wie  das  Gerberts  Gelegenheit  genug 
war;  nur  eine  kleine  Probe  in  einer  harmloseren  Sache:  ep.  105 
quousqm  abutemini  pacientia,  fidissimi  qttondam,  ut  putcibatury 
amici?  caritcdem  verbis  praetenditis  rapinam  exercere  parati.  cur 
sanctissimam  societatem  abrumpitis?  quosdam  Codices  ndbis  vestra 
sponte  obtulistis^  sed  nostri  iuris  nostraeque  ecclesiae  contra  divinas 
humanasque  leges  retinetis.  out  librorum  restitutione  cum  adiuncto 
Caritas  redintegrabitur  aut  depositutn  male  retentum  bene  merito  sup- 
plicio  condonabäur  (cf.  etwa  noch  ep.  32.  79).*)  Um  die  Bedeu- 
tung dieser  Thatsache  zu  würdigen,  muls  man  bedenken,  dab 
flir  das  allgemeine  Bewulstsein  Cicero  als  Bedner  im  Mittel- 
alter so  gut  wie  nicht  vorhanden  war:  man  las  eifrig  die  ^Bhe- 


war  68  (ähnlich  wie  bei  Petrarca  mit  der  Schrift  De  gloria)  ein  frommer 
Wunsch,  oder,  was  wahrscheinlicher,  der  für  Mystik  und  Astronomie  inter- 
essierte Mann  meinte  das  Somninm  Scipionis.  Man  kann  mit  der  Ver- 
wertung solcher  Notizen  nicht  Torsichtig  genug  sein;  dafür  ein  Beispiel. 
Dafs  Hermannus  Contractus,  Abt  von  Beichenau  (f  1064),  Oiceros  Hortensius 
gelesen  haben  soll,  wird  auf  Grund  der  bekannten  Stelle  (Mon.  Germ.  V 
268)  nun  wieder  Ton  0.  Piasberg,  De  M.  Tullii  Ciceronis  dialogo  (Diss. 
Berl.  1892)  16  f.  behauptet.  Aber  das  ist  ganz  illusorisch:  gerade  darin 
liegt  das  Wunder,  dafs  er  in  der  Nacht  vor  seinem  Tode  in  exstasi  qua- 
dam  von  dem  Inhalt  einer  Schrift  tr&umt,  die  er  nicht  gelesen  hatte,  aber 
von  deren  einstiger  Existenz  und  allgemeiner  Tendenz  er  gar  wohl  aus 
Augustin  und  Boethius  wuTste.  (Dafs  aber  an  dieser  Stelle  nicht  der  Lu- 
culluB  gemeint  sein  kann,  hat  Piasberg  richtig  bemerkt). 

1)  Einiges  hat  J.  Hayet  1.  c.  angemerkt,  aber  das  würde   eine  eigne 
Untersuchung  erfordern. 

2)  Um  den  Kontrast  zu  empfinden,  lese  man  dagegen  den  Brief  Ottos  UI 
an  (Herbert  (no.  186). 

Korden,  antike  Konstprosa.  II.  46 


708  Die  Antike  im  Mittelalter. 

torik'  und  einige  philosophische  Schriften;  die  Reden^  deren  ak- 
tuelle Bedeutung  man  doch  nicht  erfassen  konnte^  da  die  ge- 
nügenden Kenntnisse  der  Geschichte  und  Altertümer  fehlten, 
konnten  ein  Interesse  haben  eben  nur  für  die  yerhältnismälsig 
verschwindende  Anzahl  von  Männern^  die  sich  an  ihrer  Form- 
vollendung erfreuten  und  bilden  wollten.  Dem  Einflufs  Ger- 
berts verdanken  wir  daher  ohne  Frage  die  Erhaltung 
vieler  von  den  Humanisten  speziell  in  Frankreich  ge- 
fundenen  Beden   Ciceros.^)     Aufser   um  Cicero  hat  er  sich 


1)  Für  eine  Geschichte  Ciceros  im  Mittelalter  fehlt  uns  noch 
so  gut  wie  alles.  Th.  Zielinski,  Cic.  im  Wandel  der  Jahrh.  (Leipz.  1897) 
86  geht  nicht  näher  darauf  ein.  Das  Beste,  was  ich  kenne,  ist  P.  Deschamps, 
Essai  bibliographique  sur  C,  Paris  1863.  A.  Graf,  Roma  nella  memoria 
del  medio  evo  n  (Turin  188S)  269  ff.  P.  de  Nolhac,  Pätrarque  et  l*huma- 
nisme  (Paris  1892)  179, 4,  dazu  einige  beachtenswerte  Notizen  bei  L.  Mehus, 
Vita  Ambrosii  Camaldul.  (Florenz  1769)  p.  CCJXm  f.,  G.  Meier,  Die  7  freien 
Künste  im  Ma.  (Jahresber.  y.  Maria  -  Einsiedeln  1886/86)  19.  —  Ein  paar 
Einzelheiten  aus  meinen  Sammlungen  mOgen  hier  Platz  finden.  Die  rhe- 
torischen und  philosophischen  Schriften  wurden  aus  dem  oben  (S.  690, 1) 
näher  erörterten  utilitaristischen  Gesichtspunkt  weitaus  beyorzugt.  Ein- 
hart  citiert  in  der  Vorrede  der  Vita  C.  die  Tusculanen,  die  auch  sonst  yon 
ihm  am  meisten  benutzt  sind,  dazu  kommen  die  oratorischen  Schriften,  Ton 
den  Beden  durch  Nachahmungen  gesichert  Verr.  n,  Catil.  I,  MiL,  cf.  Ma- 
nitius  1.  c.  (S.  694,2)  642.  Über  Lupus  s.  oben  S.  700.  Notker  (f  1022) 
in  seinem  Brief  an  den  Bischof  von  Sitten  (Kanton  Wallis)  ed.  P.  Piper 
(Die  Schriften  N.'s  u.  s.  Schule  I)  p.  861 :  Itbros  vestros  •  i  •  phüippica  et 
commentum  in  topica  ciceronis  peciü  a  me  ahhas  de  augia  pignore  dato  quod 
maioris  precii  est:  pluris  namque  est  rethorica  ciceronis  et  victorini  nobile 
commentum  que  pro  eis  retineo  et  eos  non  nisi  vestris  repetere  non  valet. 
(üioquin  sui  erunt  vestri  et  nullum  dampnum  est  vohis.  Conradus  Hir- 
saugiensis  (c.  1100)  dial.  sup.  auctores  (ed.  Schepps,  Würzburg  1889)  61: 
TulliiM  nobilissimtis  auctor  iste  libros  plurimos  philosophicos  studiosis  phiUh 
sophiae  pemecessarios  edidit  et  vix  similem  in  prosa  vel  praecedentem  vel  sUlh- 
sequentem  Juibuit:  er  kennt  nur  den  Laelius  und  Gato.  —  Lambert  t.  Hers- 
feld (s.  XI)  hat  nach  dem  Nachweis  von  0.  Holder-Egger  in  seiner  Aus- 
gabe (Hann.- Leipz.  1894)  p.  XLV.  241.  399  ff.  etwas  von  Ciceros  Beden 
gelesen,  aber  nur  bei  den  Gatilinarien  (p.  241.  416.  420.  431.  461;  431;  449. 
486;  417)  scheint  es  mir  g^anz,  bei  pr.  Mur.  (p.  409.  472)  und  pr.  Süll, 
(p.  476)  einigermafsen  sicher,  während  die  andern  Stellen  (pr.  Balb.  p.  420, 
Font.  426,  Man.  446,  Mil.  421,  Phil.  422.  428,  Bosc.  473)  entweder  zu  farb- 
los sind  oder  ebensogut  aus  andern,  z.  T.  von  Holder-Egger  selbst  citierten 
Autoren  stammen  können.  —  Li  dem  von  L.  Delisle,  Inventaire  des  ms.  de 
la  bibl.  nat. ,  fonds  de  Cluni  (Paris  1884)  publicierten  Katalog  der  Clunia- 
censer  Bibliothek  aus  s.  XH  finden  sich  3  Codd.  mit  Briefen,  3  mit  Beden, 


Das  X.  Jahrb.:  Gerbert  709 

noch  bemüht  um  Abschriften  bezw.  bessere  Exemplare  von  Cae- 
sar (8),  Plinius  (7),  Statins'  Achilleis  (148),  Sueton  (40),  Sym- 
machns  (40),  den  Terenzkommentar  des  Eugraphius  (7).  Aus 
seinen  Citaten  geht  hervor,  dafs  er,  was  nicht  zn  verwundern, 

5  mit  philosophiscben ,  7  mit  rhetorischen  Schriften.  —  In  dem  Gtoneral- 
katalog  der  Sorbonne  vom  J.  1838  (ed.  Delisles,  Cabinet  des  ms.  de  la  bibL 
nat.  III  [Paris  1881]  9  ff.  ist  keine  Hs.  mit  Beden ,  dagegen  24  mit  den 
philosophischen  nnd  rhetorischen  Schriften  sowie  den  Briefen  (was  bedeuten: 
LI  5  Tullius  ad  Lucülum,  ine.  canswnpsiaset,  6  ToUius  ad  Cecilium  oratorem, 
ine.  incommodis,  25  Tullius  de  accusaciane,  ine.  lega  [sie],  in  pen.  severiUxte?), 
—  In  dem  von  Delisle  edierten  Inventaire  des  ms.  de  la  Sorbonne,  Paris 
1870  sind  14  Hss.  mit  den  philosophischen  und  rhetorischen  Schriften  sowie 
den  Briefen,  aufserdem  zwar  4  Hss.  mit  Reden,  aber,  was  doch  sehr  charak- 
teristisch, keine  früher  als  saec.  XV,  also  aus  einer  Zeit,  als  der  Humanis- 
mus an  der  Hochschule  Platz  griff  (n.  16232  ist  sogar  eine  Schrift  des  Pe- 
trarca). —  Wilhelmus  Malmesbiriensis  monachus  (f  vor  1142)  de 
gestis  regum  Anglorum  ed.  W.  Stubbs,  Lond.  1889,  citiert  nach  dem  Index 
dieser  Ausgabe  Cicero  yiermal  (regem  factmdiae  Bomantne  nennt  er  ihn 
p.  144),  darunter  zwei  Citate  aus  de  off.,  eins  (angeblich)  aus  der  Rhetorik, 
eins  aus  pr.  Mil.  11:  licet,  ut  quidam  ait,  Ugea  inter  arma  sileant:  doch 
glaube  ich  nicht,  dafs  er  das  geflügelte  Wort  aus  eigner  Lektüre  der  Rede 
hatte,  weil  er  hier  nur  von  quidam  spricht,  sonst  Ciceros  Namen  stets 
nennt.  —  Abälard  kennt  nur  die  rhetorischen  und  philosophischen  Schrif- 
ten (von  letzteren  citiert  er  je  einmal  de  off.  und  parad.),  cf.  den  Index  der 
Ausg.  von  Cousin  vol.  H  (Paris  1859)  und  S.  Deutsch,  P.  Abälard  (Leipz. 
1883)  66.  —  Selbst  ein  so  belesener  Mann  wie  Peter  v.  Blois  (f  1200) 
kennt  von  Cicero  zwar  einige  philosophische  Schriften  und  die  Briefe,  aber 
nicht  die  Reden.  —  Auch  Johannes  Sarisber.  (f  1180),  der  fast  sämt- 
liche philosophischen  Schriften,  de  inventione  und  ad  Herennium,  ep.  ad 
fam.  so  oft  citiert,  bringt  nur  einmal  ein  Citat  aus  einer  Rede  (pro  Lig.  12 : 
Polycrat.  Vm  7),  cf.  C.  Schaarschmidt,  J.  S.  (Leipz.  1862)  87.  92  f.  (Dafs 
er  pro  Caecina  citiere,  ist  eine  irrtümliche  Behauptung  Chr.  Petersens  im 
Kommentar  zu  seiner  Ausg.  des  Entheticus  [Hamb.  1843]  81.)  —  Besonders 
interessant  eine  (mir  von  meinem  Bruder  Walter,  Stud.  der  Creschichte  in 
Berlin,  nachgewiesene)  Stelle  aus  dem  Briefwechsel  des  Wibaldus,  seit 
1146  Abtes  von  Corvey  (cf.  Wattenbach,  Deutschi.  Gkschichtsquellen  im 
Ma.  n»  269  ff.),  bei  Ph.  Jaffö,  Bibl.  rer.  Germ.  I  (Berl.  1864)  326  f.  Er 
verlangt  von  Reinaldus,  Abt  in  Hildesheim,  Tuüii  libroa  und  motiviert 
seine  Bitte  so:  nee  pati  possumus^  quod  iJZud  nobile  ingeniitm,  tUa  splendida 
inoenta,  iUa  tanta  rerum  et  verhorum  omamenta  öblivione  et  negligentia  de- 
pereant;  set  ipsius  opera  universa,  quantacunque  inveniri  pot- 
erunt^  in  unum  volumen  confici  volumus;  daraufhin  erhält  er  ans 
Hildesheim  die  philippischen  Reden,  de  lege  agraria  und  die  Briefe.  —  A/ 
Brnnetto  Latini  (f  1294),  dem  Lehrer  Dantes,  steht  fest,  dafs  er  — 
sehr  bemerkenswertes  Faktum  —  drei  Ciceroreden,  pro  Marc,  Lig.,  De!« 

46* 


710  ^i^  Antike  im  Mittelalter. 

Terenz,  SaJlust,  Vergil,  Seneca  (die  Briefe)  kannte;  bemerkens- 
werter ist^  daCs  ihm  von  Horaz  nicht  blofs  die  Episteln  (cf. 
p.  178;  4.  238,  5  Havet);  sondern  auch  die  Oden  geläufig  waren 
(ep.  55).  0 

ins  Italienische  übersetzt  hat:  cf.  P.  Chabaille  in  der  Vorrede  zu  seiner 
Ausgabe  der  Liyres  dou  tresor  par  Brun.  Lat.  (CoUection  de  documents  in- 
^dits  sur  lliist.  de  France,  S^r.  I  fasc.  45  [1863])  p.  VII:  diese  Übersetzungen 
sind  zuerst  1568  in  Lyon  gedruckt,  dann  in  Mailand  1832  wiederholt  (ich 
habe  keine  von  beiden  Ausgaben  gesehen);  ob  auch  eine  Übersetzung  der 
ersten  catilinarischen  Bede  von  ihm^st,  steht  nicht  ganz  fest,  cf  Chabaille 
1.  c.  und  überhaupt  J.  Schuck  in  Fleckeisens  Jhb.  XCII  (1865)  281  f  Be- 
zeichnend aber  ist,  dafs  er  im  III.  Buch  seines  Tresor,  wo  er  über  die  Rhe- 
torik handelt,  als  Muster  nicht  Cicero,  sondern  die  Reden  des  sallustischen 
Catilina  zugrunde  legt  (Schuck  1.  c.  289),  die  er  nach  einer  Mitteilung  tou 
Mehus  1.  c.  p.  CLVU  f.  (dies  ist  noch  immer  die  Hauptstelle  über  Latini) 
auch  in  eignen  Schriften  übersetzt  hat.  (Die  Notiz  über  Latini,  die  sich 
nach  G.  Voigt,  Die  Wiederbeleb,  d.  class.  Alt.  11 »  [Berl.  1893]  159,  1  bei 
Zacharias,  Iter  litt,  per  Italiam  [Vened.  1762]  29  finden  soll,  hab^  ich  nicht 
identifizieren  können.)  —  Dagegen  kennt  Dante  nur  de  amic,  sen.,  off.,  fin., 
inv.,  parad.  (Schuck  1.  c.  264).  — Vincenz  v.  Beauvais  kennt  12  Reden:  cf. 
E.  Boutaric  in:  Rev.  des  quest.  bist.  XVII  (1876)  5  ff.  Orelli  ed.  Cic.  m *  (1845) 
p.  X  f.  —  Unter  den  Reden  waren  (wie  schon  im  Altertum)  die  gelesensten 
die  Verrinen,  die  catilinarischen,  die  philippischen.  Nur  die  beiden  letzteren 
Gruppen  kennt  Baudri,  Abt  von  Bourgueil  (1079 — 1107),  dann  Bischof  von 
Dol  (bis  1130):  aus  seinen,  im  cod.  Vat.  1351  vereinigten  lateinischen  Ge- 
dichten hat  Delisle  in:  Romania  I  (1872)  23  ff.  einiges  mitgeteilt,  darunter 
(p.  46)  die  Anfangsverse  von  sechs  auf  fol.  130^  stehenden  kleinen  Gedichten 
auf  Cicero.  Mein  Freund  H.  Graeven  hat  sie  mir  abgeschrieben:  sie  be- 
stehen aus  je  3  Distichen  und  feiern  in  sehr  pathetischer  Weise  (z.  B.  5, 1  f. 
qui  tenet  ac  tenuit,  docet  aetemumque  docebit  Ärtem  dicendi  verbifluus  Cicero; 
4,  1  ingenium  cuius  semper  mirabitttr  orhis  u.  dgl.  m.)  Ciceros  Verdienste 
um  den  Staat  während  der  catilinarischen  Verschwörung  und  seine  Reden 
gegen  Antonius.  —  Über  die  im  Ma.  relativ  häufigen  Reden  vgl.  auch  G. 
Voigt,  D.  Wiederbeleb,  d.  klass.  Alt.  I»  (Berl.  1893)  41  f.  --  (In  dem  von 
Wattenbach  in:  Sitzungsber.  d.  bayr.  Ak.  1873,  703  aus  einem  cod.  Tegems. 
19488  saec.  Xn/XTTT  mitgeteilten  Gedicht  beklagt  sich  einer,  dals  ihm  zum 
Vorwurf  gemacht  werde,  quod  scripta  lego  Ciceronis,  doch  sagt  er  nichts 
welche  Schriften.)  —  Natürlich  darf  man  nicht  glauben,  dafs  alle  diejenigen, 
die  seine  Beredsamkeit  preisen,  ihn  gelesen  haben;  im  Gegenteil  ist  das 
meist  Phrase,  z.  B.  wenn  in  karolingischer  Zeit  jemand  neben  Cicero  Sappho 
preist  (MG.  n  585).  Was  noch  Petrarca  von  der  Schätzung  Ciceros  bei 
seinen  Zeitgenossen  sagt  (ep.  de  reb.  fam.  XXIV  4)  fama  rerum  eeleberrima 
atque  ingens  et  sanarum  nomen,  perrari  autem  Studiosi  gilt  für  das  ganze 
Mittelalter. 

1)  Für  Deutschland  werden  aus  dem  X.  Jh.  klassische  Studien  aus- 


Das  XI.— Xm.  Jahrb.:  die  Gegner  der  Scholastiker.  711 


m.    Das  XL — TTTTT.  JahrlmncLert. 

Es  war  die  Zeit,  in  welcher  zum  Abschlufs  kam  das^  was  weaen  de 
wir  mit  ^Scholastik'  bezeichnen,  einem  Namen^  der  vielen  noch 
dasselbe  Grauen  einfiofst  wie  einst  den  Humanisten  des  XIY. 
und  XV.  Jh.:  zweifellos  mit  Unrecht,  wenn  wir  uns  auf  histo- 
rischen Boden  stellen  —  das  wird  eine  wissenschaftliche  Dar- 
stellung dieser  in  der  Geschichte  des  menschlichen  Geistes  viel- 
leicht am  meisten  vernachlässigten  Epoche  einst  zu  beweisen 
haben  — ,  sicher  mit  Recht,  wenn  wir  den  Standpunkt  jener 
Humanisten  einnehmen,  die  der  Ästhetik  zuliebe  eben  mit 
der  historischen  Entwicklung  gebrochen  haben.  Denn  für  die 
Geschichte  des  Studiums  der  klassischen  Schriftsteller  bedeutet 


drücklich  bezeugt  von  Meinwerk  v.  Paderborn  und  Bemward  v.  Hildesheim, 
cf.  die  Zeugnisse  bei  A.  Heeren,  Gesch.  d.  class.  Litt,  im  Ma.  I  (Göttingen 
1797)  196  f.  Einer  der  gelehrtesten  Männer  dieses  Jahrh.  in  Deutschland 
war  Bruno,  der  Bruder  Ottos  I.  Von  seinen  Kenntnissen  weifs  der  Bio- 
graph Wunderdinge  zu  erzählen  (cf.  die  Vita  in  Mon.  Germ.  Script.  IV 
254  fP.),  aber  er  übertreibt  offenbar  maTslos  (wie  auch  Heeren  1.  c.  197  be- 
merkt); doch  scheint  wahr  zu  sein,  dafs  Bruno  einer  der  wenigen  war,  die 
griechisch  verstanden  (c.  11.  12);  bemerkenswert  sind  seine  Bemühungen 
um  Sorgfalt  in  der  lat.  Sprache:  lucttbrcUionihus  intentissimus  inveniendis^ 
in  dictatu,  quaecumqiie  sunt  honestissima ,  ctcuHssimus  fuit.  Latialem  eh- 
quentiam  non  in  se  aolutn,  vhi  exceUuit^  sed  et  in  tnultis  aliis  politam  reddi- 
dit  et  iUustrem;  nuUo  autetn  hoc  egit  supercüio,  sed  omh  domestico  lepore^ 
cum  urbana  gravitate.  Möglich,  dafs  infolge  dieser  Bestrebungen  des  ein- 
flufsreichen  Mannes  vieles  in  Lorsch,  Eonrey,  St.  Gallen  abgeschrieben 
wurde.  Cf.  Wattenbach,  Deutschlands  Geschichtsquellen  im  Ma.  I*  322  f. 
Mit  Bruno  stand  in  nahen  Beziehungen  Ratherius  (f  974),  geb.  in  Lüt- 
tich, also  auf  ursprünglich  französischem  Boden  (s.  oben  S.  691, 1),  später 
Bischof  von  Verona;  er  war  neben  G^rbert  am  meisten  in  der  klassischen 
Litteratur  bewandert  und  schreibt  einen  guten  Stil;  über  die  vielen  von 
ihm  citierten  Autoren  cf.  B.  Ellis  vor  seiner  Gatullausgabe  (2.  Aufl.  Oxford 
1878)  p.  Vni,  1.  Es  ist  doch  höchst  wahrscheinlich,  dafs  die  reichen 
Schätze,  die  in  der  Renaissance  aus  der  Bibliothek  des  Domkapitels  in 
Verona  zum  Vorschein  kamen,  von  diesem  Manne  —  wenigstens  teilweise 
—  aus  Frankreich  dahin  geschafft  worden  sind.  —  Ein  deutliches  Beispiel 
der  Verbreitung  antiker  Vorstellungen  auch  auf  politischem  Felde  bietet 
Widukind,  der  Otto  I.,  ohne  seines  späteren  Römerzuges  (962)  zu  gedenken, 
schon  nach  dem  Ungamsiege  des  Jahres  966  ganz  nach  altrömischem  Muster 
zum  Imperator  ausrufen  läfst:  triumpho  celebri  rex  f actus  gloriosus  ab  exer- 
citu  pcUer  patriae  imperatorgue  appeUatus  est  (MG.  SS.  IH  469). 


712  1^0  Antike  im  Mittelalter. 

diese  Zeit  anerkanntermaCsen  den  groüisten  Bückscliritt.  Die 
*artes'  waren  an  den  Universitäten^  vor  allen  an  der  Sorbonne, 
das  wesentlichste  Bildungselement,  und  nicht  einmal  sie  in  der 
reinen;  überkommenen  Gestalt:  die  Grammatik  wurde  ^Spekula- 
tiv'^),  Donat  ^moralisiert'*),  ja  schlief slich  traten  an  die  Stelle 
der  alten  Lehrbücher  zwei  neue:  das  berühmte,  oder  besser  in- 
folge der  Verhöhnung  der  Humanisten  berüchtigte  ^Doctrinale' 
des  Alexander  von  Villa  Dei  (Villedieu  in  der  Normandie)  und 
der  ^Grecismus'  des  Eberhard  von  B^thune,  in  denen  das  eigent- 
lich mittelalterliche,  d.  h.  antiklassische  Latein  als  Norm  zu- 
grunde gelegt  wurde.  Gegen  diese  dunkle,  durch  die  Universi- 
täten sanktionierte  Richtung  sind  nun  von  Anfang  an  Bestre- 
bungen in  durchaus  entgegengesetztem  Sinn  aufgetreten,  die  wir 
daher  ohne  weiteres  berechtigt  sind  als  echte  Vorläufer  der 
Renaissance  aufzufassen.  Ihre  Entstehung  und  ihr  Wirken  aus 
zeitgenössischen  Quellen  kennen  zu  lernen  war  vielleicht  nicht 
blofs  für  mich  von  Interesse:  ich  lege  daher  im  folgenden  meine 
darüber  angestellten  Untersuchungen  vor. 

1.   Der  litterarische  Streit  der  Elassicisten  und 
Scholastiker   s.  XL  XTT.     Die   Schule  von  Ghartres. 

johanneiT.  Seit  der  Mitte   des   XI.  Jh.  wurde  in  Frankreich  von  zwei 

Parteien   ein   erbitterter    Streit   geführt,  dessen  Tendenzen  wir 
aus  den  beiden  fdr  die  Geschichte  der  Wissenschaft  im  spatem 

1)  Von  Duns  (f  1308)  giebt  es  eine  'grammatica  specolativa',  die  in 
der  Lyoner  Gesamtausgabe  vom  J.  1639  in  Bd.  I  p.  89 — 76  steht:  ich  habe 
sie  nicht  gelesen.  Cf  besonders  Böcking  zu  den  epp.  obsc.  vir.  11  421 1 
G.  Meier,  Die  7  Künste  im  Ma.  (Jahresber.  M.-Einsiedebi  1885/86)  21  1 
Melanchthon  tadelte  es,  dafs  die  Scholastiker  sogar  in  der  Grammatik  ihn 
instdsissinMS  caviUationes  vorgetragen  h&tten:  K.  Hartfelder,  M.  als  Pkaa- 
cept.  Germ,  (in:  Mon.  Germ.  Paed.  YU  1889)  159. 

2)  Johannes  de  Gerson,  der  berühmte  Kanzler  der  üniversitiU  ¥wdM, 
^doctor  Christianissimus^  (1363 — 1429),  hat  ein  feunoses  Büchlein  'DMiatu 
moralizatus'  verfaTst,  yon  dessen  Art  folgende  Probe  eine  Vorsiellim^  giebt: 
§  XI  Cuius  casus  (sc.  homo  est)?  —  NominaHvi  et  Voeativi,  i 
iam  mortalis  qui  immortalis  erat  creaius,  et  fx>catur  operariuB,  qui 
quirti  erat  deputatus  %  Xu  Cuius  decUnationis?  —  Tertia^ 
et  humiliari  dcbet  tripliciter,  scilicet  coram  deOy  eorom  pnmm 
Das  Schriftchen  ist  noch  1692  mit  denkbar  ausfShrlichem  Kommienlar  ediert 
Yon  Jo.  Fr.  Heckel  (zu  Plauen  i.  V.). 


Das  XL— Xni.  Jahrh.:  die  (Gegner  der  Scholastiker.  713 

Mittelalter  wichtigsten  Schriften  des  Johannes  Saresberiensis 
(c.  1110 — 1180)  kennen  lernen:  dem  Entheticus  und  Metalogicns. 
Die  eine  Partei  setzte  sich  zusammen  aus  Verächtern  jeder,  vor 
allem  der  klassischen  Wissenschaft:  ihr  Ziel  war,  unter  dem 
Deckmantel  einer  spitzfindigen  und  haarspaltenden  Philosophie, 
die  sie  ^Logik'  nannten^  Schule  zu  machen.  Die  eignen  Worte 
des  Johannes  zeigen  am  besten,  was  das  für  Leute  waren. 
Metalog.  I  c.  3  (vol.  V  p.  16  ed.  Giles)  nennt  er  ein  paar  Fragen, 
wie  sie  in  den  Schulen  jener  Partei  behandelt  wurden^),  z.  B. 
insolubüis  in  illa  phüosophantium  schola  Urne  temporis  quaestio  habe- 
hatur,  an  porcus  qui  ad  venalitium  agüur,  ab  homine  an  a  funicuh 
teneatur;  item  an  capucium  emerü  qui  cappam  integratn  comparavit 
XL  s.  w.  Es  ist  dies,  wie  C.  Schaarschmidt,  Joh.  Sarisb.  (Leipz. 
1862)  220  bemerkt,  jene  Art  spitzfindigen,  haarspaltenden,  un- 
fruchtbaren Disputierens,  die  man  gewöhnlich  erst  späteren 
Zeiten  des  Mittelalters  zuschreibt,  die  aber  hier  schon  für  das 
Xn.  Jh.  bezeugt  wird.    In  dieser  Schule,  fährt  Joh.  Saresb.  fort 

(1. c),  sufßdebat  ad  victoriam  verbosas  clamor poetae,  historio- 

graphi  habebantur  infames,  et  si  quis  incumbebat  labori- 
bus  antiquorum,  notabatur  u.  s.  w.  p.  17  ecce  nova  fiebant 
omnia:  innovabatur  grammatica,  immutäbatur  diaiedica,  contemne- 
bahir  rhetorica  et  novas  totius  quadrivii  vias  evacuatis  priorum  re- 
gtdis  de  ipsis  philosophiae  adytis  proferebant  Speziellere  Notizen 
giebt  der  ungefähr  gleichzeitige  Entheticus,  der  zuerst  von  Chr. 
Petersen  Hamburg  1843  (mit  Kommentar)  ediert  wurde.  Wir 
lernen  hier  die  Gegner  genauer  kennen:  sie  gehören  der  Schule 
dreier  Scholastiker  an,  des  Adam  du  Petit-Pont  (so  genannt  nach 
dem  Quartier  in  Paris,  wo  er  lehrte;  f  1180)'),  Robert  von  Melun 
(t  1167)*),  Albericus  von  Reims.*)  So  heifst  es  von  ihnen  in 
dem  Kapitel  De  nugacQms  mentientibus  logicam:  (Enth.  Y.  41  ff. 
vol.  V  240  G.) : 

si  sapis  auctoreSf  veterum  si  scripta  recenses, 
ut  statuas,  si  quid  forte  probare  velis, 

1)  Cf.  auch  Polycrat.  VII  c.  12  (vol.  FV  123  Gilee). 

2)  Cf.  Hißt.  litt,  de  la  France  XIV  189  f.  Einen  lexikographischen  Trak- 
tat von  ihm  edierte  A.  Scheler,  Lexicographie  latine  du  Xu®  et  du  X 
si^cle,  Leipz.  1867. 

3)  Ib.  Xm  371  ff. 

4)  Über  ihn  ist  wenig  bekannt,  cf.  Petersen  1.  c.  p.  80. 


714  I^ie  Antike  im  Mittelalter. 

undique  damabunt:  ^vetus  hie  quo  tendit  aseOm? 

cur  veterum  nöbis  dicta  vel  acta  refert? 
a  nohis  sapimus,  docuit  $e  nostra  iwoentuSy 

non  recipit  veterum  dagmata  nostra  cöhors. 
non  onus  accipimus,  ut  eorum  verba  sequamur, 

quos  habet  auctores  Graecia,  Roma  colit. 
expedit  ergo  magis  varias  confundere  linguas, 

quam  veterum  studiis  insipienter  agi. 
quos  numeros  aut  quos  casus  aut  tempora  iungant, 

grammatid  qu^aerunt,  verha  rotunda  cavent: 
torquentur  studiis,  cura  torqtientur  edaci, 

nuUa  stbi  dantur  otia,  nuUa  quies 

qui  numeros  numeris,  qui  casus  casibus  aptat, 

tempora  temporihus,  desipit  et  miser  est, 
magnus  enim  labor  est,  compendia  nuila  sequentur, 

tempora  sie  pereunt,  totaque  vita  simul. 
äbsque  läbore  gravi  poteris  verhosior  esse, 

quam  sunt  quos  cohibet  regula  prisca  patrum. 
quicquid  in  os  veniet,  audacter  profer,  et  adsit 

fastus:  hohes  artem  qtiae  facit  esse  virum 

hos  lilri  impediunt,  iUos  documenta  priorum, 

successumque  vetat  magnus  habere  labor. 
disputat  ignave,  qui  scripta  revolvit  et  artes: 

nam  veterum  fautor  logicus  esse  nequiU^  u.  s«  w. 

Dazu  bemerkt  dann  der  Verf.  (V,  109  fit): 

ha^c  ubi  persuasit  aliis  error  puerüis, 
ut  iuvenis  discat  plurima,  pauca  legat, 

laudat  Äristotelem  solum,  spernit  Ciceronem 
et  quicquid  Latiis  Graecia  capta  dedit, 

conspuit  in  leges,  vüesdt  physica,  quaevis 
litera  sordescit:  logica  sola  placet 

Die  Folge  davon  sei  eine  völlige  Verwahrlosung  der  lateinischen 
Sprache ;  die  durch  Vermischung  mit  der  modernen^)  barbari- 
siert  werde  (133  fif.). 

Dem  immer  weiter  um  sich  greifenden  Verfall  der  Wissen- 
schaft traten  nun,  wie   Metalog.  I  c.  5  (p.  21)  berichtet   wird, 

1)  Die  Stelle  wird  dadurch  recht  interessant,  ist  aber  zu  lang,  um 
hier  citiert  zu  werden. 


Das  XI.— Xm.  Jahrh.:  die  Schule  Ton  Chartres.  715 

die  amatares  litterarum  entgegen:  es  sind  die  Lehrer ,  bei  denen 
Job.  Saresb.  selbst  in  die  Schule  gegangen  ist,  nachdem  er  durch 
den  Unterricht  der  andern  abgeschreckt  war.  Ihr  Ziel  war: 
Begründung  einer  wissenschaftlichen  PhUosophie  in  gebUdeter 
lateinischer  Sprache  auf  der  Basis  einer  ausgedehnten  Gelehr- 
samkeit, die  Yor  allem  —  und  das  ist  nns  das  Wichtigste  — 
durch  die  Lektüre  der  alten  Klassiker  erworben  werden  sollte. 

Im  Mittelpunkt  stand  die  Schule  von  Chartres  mit  ihrem  Bemardut 
glänzendsten  Vertreter  älterer  Zeit:  Bernardus  Silvester  chartm. 
(t  c.  1160).  Über  ihn  haben  wir  den  ausführlichen  Bericht 
seines  Schülers,  des  Johannes  Saresberiensis ,  im  Metalogicus 
1.  I  c.  24  (vol.  V  57  ff.  Giles):  mit  Recht  hat  C.  Schaarschmidt 
1.  c.  73  ff.  diesem  Bericht  als  einem  der  wichtigsten  Dokumente 
für  mittelalterliche  Bildung  seine  Anfmerksamkeit  geschenkt.^) 
Wenn  man  den  Bericht  des  Johannes  liest,  so  mufs  man  sagen: 
wenn  irgendwo,  so  haben  wir  hier  einen  Vorläufer  des  Petrarca 
zu  erkennen.  Denn  der  fundamentale  Unterschied  zvnschen  der 
Lehrmethode  des  übrigen  Mittelalters  und  der  des  Bernardus 
liegt  in  der  Stellungnahme  zu  den  klassischen  Autoren:  sie  sind 
für  ihn  schon  durchaus  Selbstzweck,  nicht  wie  sonst  bloDs  Mittel 
zum  Zweck  geistlicher  Bildung.  Femer:  er  hat  die  Künste  des 
Triyium  nicht  getrennt  von  den  Autoren  gelehrt,  sondern  hat 
vielmehr  diese  seinem  Unterricht  zugrunde  gelegt.  Endlich, 
und  das  ist  nicht  am  wenigsten  bedeutsam:  er  hat  (wie  Pe- 
trarca) die  Klassiker  vor  allem  als  Stilisten  gewürdigt  und 
auf  ihre  imitatio  (jenes  Losungswort  der  Humanisten)  das 
grofste  Gewicht  gelegt.  Ich  setze,  um  das  Gesagte  zu  be- 
legen, einige  Stellen  des  genannten  Kapitels  her:  metaplasmufn 
schematismumgue  et  oratarios  tropos^  midtiplicitatem  dictionum  quum 
affuerint,  et  diversas  sie  vel  sie  dicendi  ratianes  ostendat  (sc.  der 
Lehrer)  et  crebris  commonitumüms  agat  in  memoriam  auditorum. 

1)  Einiges  fügt  hinzu  C.  Barach  in  der  Vorrede  zu  der  von  ihm  und 
J.  Wrobel  herausgegebenen  Schrift  des  Bernardus  De  mundi  universitate, 
Innsbruck  1876,  cf.  auch  G.  Kanftnann,  Gesch.  d.  deutsch.  Univers.  I  (Stuttg. 
1888)  38  £f.  Ein  Versehen  ist  es,  wenn  Barach  1.  c.  XITT  als  mutmafslichen 
Inhalt  eines  (verlorenen)  Liber  dictaminum  des  Bernardus  angiebt  ^eine 
Sammlung  seiner  praktischen  Weisheitslehren':  dafs  dictamina  vielmehr, 
wie  überhaupt  im  Mittelalter  (cf.  Anh.  II),  ^Stilezercitien'  bedeutet,  zeigen 
die  Verse  eines  Schülers  des  Bernardus  (Matthaeus  v.  Vendöme)  bei  B. 
Haur^a  in^  Joum.  des  sav.  1884,  209. 


716 


Die  Antike  im  Mittelalter. 


auctores  excutiat  et  sine  intiientium  risu  eos  plumis  spoliel,  {p9^| 
ad  modum  comieulae  ex  vanis  disäplinis,  ut  color  apttor  sit,  mm 
operibas  indiderunt.  qitantum  pluribus  discipUnis  et  abnndaniius 
quisqtK  imbulus  fuerit,  ianto  elegantiam  auctorum  plenius  in- 
tu^ititr  planiusque  docelnt ....  Ergo  pro  capacitate  discenlis  attt 
docentis  indtistria  et  diligentia  constat  frtictits praelectionis  auctorum. 
sequebatur  hunc  morcm  Bernardus  Carnotensis,  exundan- 
tissimus  modemis  temporibus  fons  Uterarvm  in  GaUia,  et  in  auc- 
torum lectione  quid  simplea:  esset  et  ad  imaginem  regulae  posi- 
tutn,  ostendehal;  figuras  grammaticae,  colores  rhetoricos . .  proponebat 
in  media  . .  Et  quin  ^lendor  orationis  aut  a  proprietate  est  (id  est, 
guum  adiedivum  aut  verbum  suhstantivo  eleganter  adiungitur),  aut 
a  translaHone  (id  est,  uM  sermo  ex  causa  probabüi  ad  alienam 
Iraducitw  signißcationem),  haec  sumpta  oecasionc  inculaä>at  meniibus 
auditorum.  et  quoniam  memoria  exercitio  ßrmatur  ingeniumque 
aeuitur  ad  imitandum  ea  quae  audiebant,  alios  admoniHontbus, 
alios  flageUis  et  poenis  urgebat.  cogebantur  exsolvere  singuli  die 
seguenti  aliqiiid  eorttm  quae  praecedenti  audierant  . .  Vespertinum 
exerätium,  guod  declinatio  dicebaüir,  tanta  copiositate  grammaticae 
referium  &'at,  ut  siquis  in  eo  per  annum  integrum  versaretur,  ra- 
tionefn  loquendi  et  scribendi,  si  non  esset  h^etior,  haberet  ad 
manum  ....  Quäms  aulem  indicebantur  praeexerdtamina  puerorum 
in  prosis  aut  poematibus  imitandis,  poetas  aut  oratores  propone- 
bat et  eorutn  iubebat  vestigta  imitari  ostendens  iuncturas 
dictionum  et  elegantes  sermonum  clausulas.  siquis  autetn 
ad  splendorem  sui  opms  alienum  pannum  assuerat,  deprehensum 
redarguebal  furtum  .  .  Sic  vero  r^argutum,  si  hoc  tarnen  meruerat 
inepta  posilio,  ad  exprimendam  auctorum  imaginem  modesta 
indulgentia  eomcendere  iub^at  faeiebatque,  ut  qui  maiores  imita- 
batwr,  ßeret  posteris  imitandus.  id  quoque  inter  prima  rudimeiUa 
docd}at  et  infigebat  animis,  quae  in  oeconomia  virtus,  quae  in  de- 
core  rerum,  quae  in  verbis  laudanda  sunt:  übt  ienuiias  et  qwui 
macies  strmonis,  uiii  copia  prob(ätilis,  uhi  excedcns,  übt  omnitim 
modus.  historiaSf  poemala  percurrenda  monebat  diligcnler 
..  et  ex  singulia  aliquid  reconditum  in  memoria,  diumum  d^iimn, 
dü^enti  instantia  exigebnt.  superflaa  tarnen  fugienda  dic^at  et  ea 
sufficere,  quae  a  claris  auctoribus  scripta  sunt  ...El  qrtia  in 
•)  praeexercitamme  erudiendorum  nihil  utilius  est  quan 
i'  ex  arte  oportet  assucscere,  prosas   et  poemata   • 


Das  XI. — ^Xin.  Jabrh.:  die  Schule  Ton  Chartres.  717 

scriptitatant  et  se  muUHs  exercdnint  coUoHonibus,  quo  guidem 
exercitio  nihil  utilius  ad  doquentiam^  nihü  expedüius  ad  sdentiam. 
Von  demselben  Mann  f&Iirt  Johannes  an  einer  andern  Stelle 
(Metal.  1.  III  c.  4  p.  131)  ein  denkwürdiges  Wort  an.  Joliannes 
bespricht  dort,  allerdings  zunächst  nur  in  Bezng  auf  die  Philo- 
sophie^  die  imyergleichliche  Grofse  des  Altertums  im  Verhältnis 
zur  Jetztzeit;  die  freilich  in  Einzelheiten  mehr  wisse,  aber  nicht 
durch  sich  selbst,  sondern  gestützt  auf  die  grofse  Gelehrsamkeit 
der  Vorzeit;  dicebai,  fährt  er  dann  fort,  Bemardus  Camotemis 
nos  esse  quasi  nanos  gigantium  humeris  insidenteSj  ut  possimus 
plura  eis  et  remotiora  videre^  non  utique  proprii  vistis  acumine  aut 
eminentia  corporis,  sed  guia  in  altum  subvehimur  et  extoUimur  magni- 
tudine  gigantea. 

Dieses  Mannes  und  seiner  wenigen  gleichgesinnten  Freunde  Die  sohui 
Schüler  war  Johannes  Saresberiensis:  daher  sein  für  die  da-  BemArdai 
malige  Zeit  musterhaftes  Latein  und  seine  ganze  klassicistische 
Richtung,  der  er  einmal  mit  folgenden  Worten  Ausdruck  giebt 
(Polycr.  VII  c.  9,  vol.  IV  112  G.):  poetas  historicos  oratores  tnatJie- 
maticos  quis  ambigit  esse  legendos?  tnaxime  qutmi  sine  his  viri  esse 
nequeant  vd  non  soleant  literati:  qui  enim  istorum  ignari  sunt, 
iüiterati  dicuntur,  etsi  Uteras  noverint  Diesem  Kreise  nahe  stand 
auch  Hugo  von  St.  Victor  (f  1141),  den  Johannes  gelegent- 
lich mit  grofser  Ehrfurcht  nennt  und  den  jene  unwissenschaft- 
lichen Eristiker  denn  auch  nicht  mit  ihren  Angriffen  verschon- 
ten, aus  Neid  auf  seine  Gelehrsamkeit  (Metalog.  I  c.  5  p.  22): 
der  freisinnige  Standpunkt,  den  dieser  Mann,  wie  wir  sahen 
(o.  S.  689  f.),  in  seiner  Eruditio  didascalica  der  Lektüre  der  auc- 
tores  gegenüber  einnimmt,  erklärt  sich  so  ohne  weiteres.^) 

Die  Resultate  einer  auf  Grund  klassischer  Lektüre  einge-  J^^\ 
richteten  Erziehung  liegen  fast  noch  klarer  als  bei  Joh.  Saresb. 
bei  dessen  Frermd  und  Gesinnungsgenossen  Peter  von  Blois 
(f  1200)  zu  Tage.  Wenn  man  seine  von  ihm  selbst  auf  Befehl 
Heinrichs  H  von  England  gesammelten  243  Briefe  durchblättert, 
so  findet  man,  dafisi  diejenigen,  in  denen  nicht  haufenweis  Citate 
aus   heidnischen  Prosaikern  rmd  Dichtem  stehen,  zu  den  Aus- 

1)  Gegen  den  scholastischen  Betrieb  der  Grammatik  eifert  er  1.  111 
c.  6  (176,  769  Migne):   sunt  guidam,  gut  .  .  .  nMi  arH  quod  sutwi  esf  ' 
Imere  norunt,  sed  in  singt^ia  legunt  omnes.  in  grammatica  de  syUogi» 
ratione  disputant,  in  diäkctica  inflexiones  casuales  inqmrunt. 


Bloii. 


718  I^ie  Antike  im  Mittelalter. 

nahmen  gehören.  Er  rechtfertigt  sich  gegen  Angriffe  wegen 
dieser  Citierwut^)  in  Brief  92  (207,  289  ff.  Migne),  z.  B.:  sicut 
in  libro  Satumalium  et  in  libris  Senecae  ad  Ludlium  legimuSy  apes 
imitari  debemus,  quae  colligunt  floreSj  quibus  divisis  et  in  fa/oum 
dispositis  varios  sticcos  in  unum  saporem  artifici  mistura  frans- 
fundunt  Er  kennt,  um  ganz  von  den  Dichtem,  die  er  fort- 
während citiert,  zn  schweigen*),  von  Prosaikern  z.  B.  Cicero 
(aber  nicht  die  Beden),  Sallust,  Livins,  Curtins,  Seneca  (Briefe), 
Frontin  (strat.),  Justin,  Valerius  Max.,  Quintilian  (inst.),  Tacitus, 
Sueton,  Appuleius  (philos.),  Martianus  Capella.  Es  hat  daher 
wenig  auf  sich,  wenn  er  einmal  jemanden  anfahrt  mit  den  Wor- 
ten:  Friscianm  et  Tidlias,  Lucanas  et  PersiuSj  isti  sunt  dii  vesiri 
(ep.  6  p.  18),  oder  in  einem  salbungsvollen  Brief  an  einen  an- 
dern, der  sich  mit  Yersemachen  abgab  und  den  Stil  des  Evan- 
geliums durum  insipidum  infantilem  zu  nennen  wagte,  68  Bibel- 
citate,  nur  2  aus  heidnischen  Autoren  verwendet  (ep.  76  p.  231  ff.). 
Interessant  ist  nun,  dafs  er  auch  in  der  Theorie  sich  durchaus 
auf  dem  Standpunkt  jener  Vertreter  der  klassicistischen  Rich- 
tung befindet.  Das  geht  hervor  aus  ep.  101  (p.  311  ff.)*0  Ein 
Archidiacon  von  Nantes  hatte  ihm  zwei  jugendliche  Verwandten 
zur  Erziehung  anvertraut  und  besonders  den  etwas  älteren  em- 
pfohlen, der  schon  vorgebildet  sei  und  grofse  Erwartungen  er- 
rege. Petrus  antwortet  ihm,  der  jüngere,  der  noch  in  keiner 
Schule  gewesen  sei,  gefalle  ihm  besser;  denn:   Wülelmum  predig 


1)  So  stehen  in  einem  ganz  kleinen  Brief  (72)  20  heidnische  Citate, 
kein  biblisches. 

2)  Einer  seiner  Freunde,  ein  tnagister  B.  Blondus^  hatte  in  einem 
Brief  an  ihn  Tibull  citiert  (ep.  62  p.  186),  nach  der  Erwähnung  in  dem 
französischen  Bibliothekskatalog  s.  IX  (20  Becker,  vgl.  o.  S.  691, 1.  706),  wohl 
das  erste  Mal,  dafs  dieser  Dichter  wieder  genannt  wird  seit  der  2ieit  des 
Sidonius  (zwar  nennt  ihn  in  karolingischer  Zeit  Petrus  v.  Pisa  neben  Vergil 
und  Horaz  als  hervorragend  eloquio  [Poet.  lat.  aev.  Carol.  ed.  Dümmler  I 
p.  48],  aber  da  in  den  sonst  fast  wörtlich  übereinstimmenden  Versen  seines 
Freundes  Paulus  Diaconus  [ib.  49]  vom  Veronensis  TibuHus  gesprochen 
wird,  so  ist  eine  Verwechslung  mit  Catull  wahrscheinlich,  wenn  die  beiden 
sich  überhaupt  etwas  dabei  dachten):  die  berühmten  Excerpte  in  der  Pa- 
riser Hs.  (Notre  Dame  188)  sind  etwa  60  Jahre  später  geschrieben.  P.  Bles. 
selbst  kennt  ihn  nicht. 

3)  Besser  als  bei  Migne  jetzt  ediert  im  Chartolarium  uniT.  Paris.  I 
(Paris  1889)  27  ff.,  wonach  ich  citiere. 


Das  XI.— XIIL  Jahrb.:  die  Schule  Ton  Chartres.  719 

COS  subtüioris  vene  et  acutioris  ingeniif  eo  quod  grammatice  et 
auctorum  sdentia  pretermissa  volavit  ad  versuiias  logicorum.  tum 
est  in  tälibus  fundamentum  sdentie  Utteralis,  muUisque  perniciosa 
est  ista  subiilitas^),  quam  extollis.   ait  namque  Seneca^:  ^odibüins 

nidiil  est  sübtilitatej  ubi  est  sola  subtüitas' guidam  antequam 

discipUnis  elementariis  imbuantury  docentur  inquirere  de  puncto^  de 
linea,  de  superficie,  de  quantitate  anime^  de  fato,  de  pronitate  nature^ 

de  casu  et  libero  arhürio,  de  materia  et  motu (etc.).  prmi- 

cianda  erat  etas  tenera  in  regtdis  artis  grammatice^  in  ancdogiiSf  in 
barbarismiSf  in  soloecisfnis,  in  tropis  et  scematibus^  in  quorum  om- 
nitim  doctrina  Donatus  Servius  Priscianus  Ysidorus  Beda 
Cassiodorus  plurimam  düigentiam  impenderunt:  quod  equidem  non 
fecissenty  si  sine  hiis  passet  hdberi  scientie  fundamentum  (folgen 
Zeugnisse  des  Qnintilian  und  Cicero),  et  que  utüitas  est  scedulas 
evolvere,  firmare  verhotenus  summas  et  sophismatum  versucias  in- 
versare^  dampnare  scripta  veterum  et  rqprdbare  omnia  que  non 
inveniuntur  in  suorum  cedülis  magistrorum?  scriptum  est,  ^quia 
in  antiquis  est  scientia'  (Hiob  12)  ...  nam  de  ignorantia 
ad  lumen  scientie  non  ascenditur,  nisi  antiquorum  scripta 
propensiore    studio    relegantur.    (folgt   je    ein    Zeugnis    des 

Hieronymns   und   Horaz) profuit  michi  frequenter  inspicere 

Trogum  Pompeium,  losephum  (natürlich  in  Cassiodors  Be- 
arbeitung), Suetonium,  Egesippum,  Quintum  Curtium,  Cor- 
nelium  Tacitum^),  Titum  Livium,  gui  omnes  in  historiis  quas 
referunty  multa  ad  morum  edificationem  et  ad  profectum  scientie 
liUeralis  interserunt  legi  et  alios,  qui  de  historiis  nichil 
agunt,  quorum  non  est  numerus,  in  quibus  omnibus  quasi  in 
ortis  aromatum  flores  decerpere  et  urbana  suavitate  loquendi  meUir 
ficare  sibi  potest  diligentia  modernorum.  Er  solle  sich  daher  über 
die  langsamen  Fortschritte  Wilhelms  nicht  wundem:  er  müsse, 
wie  bei  Martianus  Capella  die  Philologie^  erst  all  die  überflüssigen 
Bücher,  die  er  verschluckt  habe,  wieder  von  sich  geben.*) 


1)  Das  bekannte  Schlagwort  der  Scholastiker,  über  das  sich  später 
auch  die  Humanisten  lustig  machten. 

2)  ep.  88. 

3)  Ob  das  freilich  auf  Wahrheit  beruht,  ist  sehr  fraglich,  cf.  E.  Cor- 
nelius, Quomodo  Tac.  in  hominum  memoria  versatus   sit  (Progr.  Wet^" 
1888)  41. 

4)  Ganz  ähnlich  äufsert  sinh  an  einer  für  die  Geschichte  der  mi 


720  Die  Antike  im  Mittelalter, 


Litten-  Fragen  wir  uns  nach  dem  Ansgangi  den  dieser  Kampf  nahm, 

■a^en^   SO  müssen  wir  sagen:  die  klassicistische  Partei  unterlagt  die  der 

hftnge.      


alterlichen  Bildung  wichtigen  Stelle  Giraldns  de  Barri  (Cambrensis,  weil 
aus  Wales  gebürtig)  im  Anfang  seines  Speculum  ecclesiae  (verf.  c.  1220): 
Giraldi  opera  ed.  Brewer,  London  1874  (vgl.  auch  H.  Bashdall,  The  uni- 
yersities  of  Europe  in  the  middle  ages  I  [Oxford  1895]  69  adn.);  er  ver- 
langt Bildung  non  solum  in  trivio  verum  etiam  in  authoribus  zum  Zweck 
des  recte  lepide  omate  h^i.  Im  J.  1280  wiederholt  dieselbe  Klage  Hugo 
von  Trimberg,  Schulmeister  in  Bamberg:  cf.  die  Vorrede  zu  seinem  Be- 
gistrum  multorum  auctorum  (ed.  J.  Huemer  in:  Sitzungsber.  d.  Wien.  Ak. 
1888,  145  ff.)  y.  21  ff.,  wo  es  z.  B.  heilst:  30  ff.  omne  vetus  Studium  perit 
accedente  modemo;  quondam  apud  veteres  lecH  sunt  auctores,  an  deren 
Stelle  jetzt  die  scholastischen  Subtilitäten  getreten  seien.  —  Aus  dieser 
Zeit  und  aus  diesen  Kreisen  stammt  die  schon  oben  (S.  718,  2)  kurz  er- 
wähnte Pariser  Excerptenhandschrift  (Notre  Dame  188),  beschrieben 
von  E.  Wölfflin  im  Philol.  XXVII  (1868)  158;  sie  enth&lt  Excerpte  .aus 
lateinischen  Dichtem  meist  sententiösen  Inhalts,  und  zwar  aus  Prudentius, 
Claudian,  Ovid,  Horaz,  Juvenal,  Persius,  Martial,  Culex,  de  laud.  Pisonis, 
Terenz,  Querulus,  Tibull,  femer  an  philosophischer  Litteratur  ziemlich  viel 
aus  Cicero  (de  off.,  Lael. ,  Cat.,  Tusc.)  und  aus  Seneca,  dann  Rhetorisches, 
Grammatisches,  Metrisches,  sowie  verschiedenes  aus  Gtellius,  Macrobius, 
Sidonius,  Cassiodor,  Caesar,  Sallust,  Sueton.  Es  würde  sich  lohnen,  ent- 
weder alles  abzudrucken,  oder  wenigstens  genau  die  einzelnen  Stellen  an- 
zugeben (bisher  sind  nur  die  kritisch  so  wertvollen  Tibullexcerpte  publiziert). 
Für  die  Auswahl  der  Autoren  giebt  es  c.  aus  dem  J.  1100  den  von  G.  Schepps 
(Würzburg  1886)  edierten  Dialogus  super  auctores  des  Conradus  von 
Hirsch  au.  Er  teilt  die  auctores  in  2  Klassen,  die  inferiores  und  die 
superiores.  Zu  ersteren  gehören  die  bekannten  Elementarlesebücher  des 
Ma. :  Donatus,  Cato,  Hesopus  (sie),  Avianus.  Eine  Art  Mittelstellung  nehmen 
ein:  Sedulius,  luvencus,  Prosper,  Theodolus  (d.  h.  Theodulus).  Darauf  fährt 
er  fort  p.  46:  Magister:  veniamus  nimc  ad  Bomanos  auctores  Aratorem  Pru- 
dentium  Tullium  Salustium  Boetium  Lucanum  Virgilium  et  OratiiMn  moder" 
norum  studiis  usitatos,  quia  veterum  auctoritas  multis  dliis  idest  histariographis 
tragedis  comicis  musicis  usa  probatur,  quibus  certis  ex  causis  modemi  minime 
utuntur.  Discipulus:  causam  huiics  rei  scire  cupio.  Magister:  teste  I^riaciano 
grammatico  et  nonnuUis  aliis  multi  gentilium  libri  Christiana  tempora  praC" 
cesserunt,  in  quibus  antiqui  studia  sua  contrivenmt^  quae  non  recipit  nee 
approbat  nunc  ecclesia^  quia  facile  respuitur  vana  et  falsa  doctrina,  tibi  in- 
cipiunt  clarescere  divina.  Er  behandelt  im  folgenden  aber  auTser  den  Ge- 
nannten noch  Boethius,  luvenalis,  Homerus  (Pindarus  Thebanus),  Pendns, 
Statins.  —  Für  das  XI.  Jh.  cf.  auch  das,  was  von  Halinard,  Abt  von  S.- 
Bönigne  de  Dijon,  seit  1046  Erzbischof  von  Lyon,  berichtet  wird  im  Chro- 
nicon  S.  Benign,  bei  D'Achery,  Spicileg.  vet.  Script.  11  (Paris  1665)  892;  an- 
deres derart  bei  Ch.  de  Montalembert,  Les  meines  d'Occident  VI  (Paris 
1877)  201,  2.  204  f. 


Das  XI. — Xm.  Jahrb.:  Scholastik  und  ElasBicismos.  721 

Lektüre  der  anctores  feindlich  gegenüberstehende,  die  Sprache 
yernachlässigende,  in  unsinnige  Spitzfindigkeiten  sich  verlierende 
Partei  triumphierte:  das  ist  die  Partei,  an  die  man  gewöhnlich 
denkt,  wenn  man  von  der  Scholastik  im  schlechten  Sinne  redet; 
eine  Zeit  lang  boten  ihr  noch  die  glänzenden  Vertreter  der 
scholastischen  Philosophie  das  Gegengewicht,  aber  als  die  neue 
Sonne  Petrarcas  aufleuchtete,  da  war  überall,  besonders  in  Paris, 
der  Hochburg  dieser  Studien,  tiefe  Nacht,  in  der  jene  Klopf- 
fechter in  vermeintlichem  Scharfsinn  die  Waffen  ihrer  Dialektik 
schwangen  in  barbarischer  Sprache:  denn  eine  Grammatik  als 
selbständige  Wissenschaft  gab  es  nicht  mehr,  sie  war  der  Logik 
Unterthanin.  Den  unmittelbaren  Zusammenhang  jener  von 
der  Schule  y.  Chartres  im  XIL  Jh.  bekämpften  Richtung  mit 
derjenigen  Generation,  über  welche  die  Humanisten  des  XY.  Jh. 
die  Flut  ihrer  Schmähreden  ergehen  liefsen,  will  ich  an  einem 
schlagenden  Beispiel  zeigen. 

Hugo  von  St.  Victor,  wie  bemerkt  der  Parteigenosse  des 
Saresberiensis,  sagt  in  seiner  Eruditio  didascalica  1.  IH  c.  5  (176, 
769  Migne)  über  die  Scholastiker  seiner  Zeit:  in  grammatica  de 
sylhgismorum  raiione  disputant,  in  diadedica  inflexiones  ctisuäles 
inquirunt,  et  quod  magis  inrisione  dignum  est,  in  tüulo  totum  pene 
legunt  Itbrum,  et  Uncipit*  tertia  vix  lectione  expediunt  non  alias 
docent  huiusmodi^  sed  st/iam  ostentant  scientiam.  Diese  Stelle 
überträgt  nun,  ohne  die  Quelle  zu  nennen,  wortlich  auf  die 
Scholastiker  seiner  Zeit  Geiler  von  Eaisersberg  in  seinen  im 
J.  1498  zu  Straüsburg  gehaltenen  Predigten  über  S.  Brants 
Narrenschiff:  gerade  diese  Stelle  ist  zufällig  abgedruckt  in  den 
Mitteilungen,  die  Fr.  Zamcke  in  dem  Kommentar  zu  seiner  Aus- 
gabe des  Narrenschiffs  (Leipz.  1854)  aus  den  lateinischen  Pre- 
digten Geilers  macht:  p.  354.^)  — 

Es  ist  im  obigen  wesentlich  nur  von  den  Prosaikern  gesprochen  KiaMioii- 

miM  in  der 
Poesie. 


1)  Was  in  der  Stelle  des  Hugo  und  Geiler  die  Worte  'incipU^  tertia 
vix  lectione  expediunt  bedeuten,  mag,  wer  den  Wahnsinn  in  Methode  ge- 
bracht sehen  will,  nachlesen  in  den  Proben,  die  Zamcke  p.  348  ff.  aus 
scholastischen  Kommentaren  zu  Donat,  Alezander  de  Villa  Dei  u.  a.  giebt. 
Über  die  Worte  incipit  dydlogus  Donati  de  partibus  orationis  octo  feliciter 
wird  z.  B.  anderthalb  grofse  Seiten  in  geradezu  wahnwitziger  Weise  ge- 
redet: und  das  ist  ausgedacht  und  vorgetragen  zur  Zeit  der  Entdeckunj 
Amerikas,  über  100  Jahre  nach  Petrarcas  Tod. 


722  Die  Antike  im  Mittelalter. 

worden«  Auch  in  der  lateinischen  Poesie  läfst  sich  in  Frank- 
reich bei  Männern,  die  zum  Kreis  der  Elassicisten  gehorten,  seit 
dem  Xn.  Jh.  ein  deutlicher  Aufschwung  erkennen,  der  an  die  Zeiten 
Karls  d.  Gr.  erinnert,  in  denen  u.  a.  Theodulfiis,  der  Bischof  von 
Orleans,  seine  technisch  meisterhaften  Verse  machte.  Die  alten 
Dichter,  besonders  Statins,  Lucan  und  Ovid,  aber  auch  Tibull 
und  Properz  (s.  o.  S.  691, 1)  wurden  inhaltlich  wie  formell  studiert, 
vgl.  z.  B.  die  Gedichte  des  von  Mit-  und  Nachwelt  viel  gefeierten 
Matthaeus  von  Yendöme,  eines  Schülers  des  Bemardus  Sil- 
vestris.^)  Der  leoninische  Vers  trat  daher  zurück:  Giraldus  de 
Barri,  ein  Zeitgenosse  des  Saresberiensis,  antwortet  auf  ein  in 
Distichen  verfafstes  Gedicht  mit  Hexametern,  die  am  Ende 
reimen,  aber  er  entschuldigt  sich:  er  habe  Podagra  und  so  stehe 
ihm  nur  die  morbida  Musa  zur  Verfügung.^)  Einer  der  besten 
lateinischen  Dichter  des  Mittelalters  war  Hildebert,  geb.  1055 
bei  Vendöme,  Bischof  von  Le  Maus,  Erzbischof  von  Tours, 
f  1134.  Seine  Poesieen  sind  von  erstaunlicher  Reinheit  der 
Form:  Vergil,  Horaz,  die  Elegiker  und  Martial  sind  seine  Vor- 
bilder; der  heidnischen  Göttemamen  bedient  er  sich  ohne  die 
geringsten  Skrupel.  Er  that  sich  auf  diese  Klassicitat  etwas 
zugute: 

öbscuros  versus  facis,  Htigo,  parumque  laHnos, 
quos  vitio  linguae  vix  reticere  potes, 

vis  videam  versus?    expone  laiinius  Mos 
vel  tcuxas.    melius,  si  reticere  potes,^) 

Man  kann  die  Thatsache  seiner  auffalligen  Fähigkeit  am  besten 
daran  erkennen,  dafs  eine  ganze  Anzahl  seiner  Gedichte  als 
noch  dem  Altertum  angehörig  in  die  Anthologia  latina  seit  Bur- 
mann aufgenommen  sind,  von  denen  sich  erst  später  heraus- 
stellte, dafs  sie  von  Hildebert  stammen,  darunter  ein  berühmtes 
auf  Rom,  das  auch  durch  seinen  Inhalt  so  über  alles  ahnUche 


1)  Cf.  die  Proben  bei  Wattenbach  in:  Sitzungsber.  d.  Bayr.  Ak.  1878, 
II  570  ff. 

2)  Giraldi  Cambrensis  opera  1.  c.  (oben  S.  719,  4)  I  884. 

3)  B.  Haur^au,  Notices  sur  las  m^langes  po^tiques  d'Hildebert,  in; 
Not.  et  extr.  des  ms.  XXVIII  2  (1878)  p.  289  ff.;  diese  Abhandlung  mnis 
mau  jetzt  notwendig  zu  der  Ausgabe  des  Mauriners  A.  Beangendre  (Pwia 
1708)  und  dem  Abdruck  dieser  bei  Migne  vol.  171  hinzunehmen.  . 


Das  XL— Xlli.  Jahrb.:  Scholastik  und  Elassicismas.  723 

dem  Mittelalter  Angehörige  hervorragt,  dafs  hier  einige  Stellen 
daraus  Platz  finden  mögen  ^): 

par  tibi,  Roma,  nihil,  cum  sis  prope  tota  ruina: 

quam  magni  fueris  inteffra,  fr  acta  doces. 
longa  tuos  fastus  aetas  destruxitj  et  arces 

Caesaris  et  superum  templa  pälude  iacent 
iUe  lahor,  labor  üle  ruit,  quem  dirus  Araxes 

et  stantem  tremuit  et  cecidisse  dolet, 
quem  gladii  regum,  quem  provida  iura  senatus, 

quem  superi  rernm  constituere  caput, 
quem  magis  optavit  cum  crimine  solus  habere 

Caesar,  quam  socius  et  pius  esse  socer. . . . 
urbs  cecidit,  de  qua  si  quicquam  dicere  dignum 

moliar,  hoc  potero  dicere:  Roma  fuit. 
non  tarnen  annorum  series,  non  flamma,  nee  ensis 

ad  plenum  potuit  hoc  abolere  decus. 
.  cura  hominum  potuit  tantam  componere  Romam, 

quantam  non  potuit  solvere  etwa  deum. 
confer  opes  marmorq\ie  novum  superumque  favorem, 

artificum  vigilent  in  nova  facta  ntanus: 
non  tarnen  aut  fieri  par  stanti  madiina  muro 

aut  restaurari  sola  ruina  potest, 
hie  superum  formas  superi  mirantur  et  ipsi, 

et  cupiunt  fictis  vultibus  esse  pares, . . 
urbs  feliXy  si  vel  dominis  urbs  iUa  careret 

vel  dominis  esset  turpe  carere  fide. 

Diese  Verse  dichtete  er,  als  er  sich  im  J.  1106  in  Rom 
aufhielt:  die  Augen  dieses  Mannes  haben  auf  den  Ruinen  schon 
mit  jener  sentimentalen  Sehnsucht  geruht,  die  seit  Petrarca  ge- 
wöhnlich war.  Man  darf  vielleicht  vermuten,  dafs  vor  allem 
von  diesem  Mann  die  klassicistische  Richtung  ausging,  die  sich 
im  weitem  Verlauf  des  XII.  imd  XIII.  Jh.  in  der  lateinischen 
Poesie  Frankreichs  zeigte,  denn  sein  Ruhm  war  bei  Zeitgenossen 
und  Nachwelt  ungemessen:  in  England  kannte  man  seine  Ge- 
dichte, und  Kardinäle,  die  nach  Frankreich  kamen,  brachten  sie 


1)  Das  Gedicht  ist  überliefert  von  Wilelmus  Malmesbiriensis  (f  vor 
1142)  de  geatis  regum  Anglonim  ed.  W.  Stubbs  TI  (Und.  1889)  p.  403;  cf. 
auch  Gregorovius,  Gesch.  d.  St.  Rom  i.  Ma.  IV  (Stuttg.  1862)  238  f. 

Norden,  antike  Knnstprosa.   11.  47 


724  Die  Antike  im  Mittelalter. 

nach  Rom.  Man  nannte  ihn  divinum  und  empfahl,  seine  Werke 
auswendig  zu  lernen.  Ich  glaube  daher,  dafs  durch  diesen  Mann, 
bezw.  die  Richtung,  die  er  vertrat  und  die  an  ihn  anknüpfte, 
Tibull  und  Properz  erhalten  worden  sind   (s.  o.  S.  691,  1.  704. 

718,  2). 

2.   Die  Fortsetzung  dieses  Streites  s.  Xin:  artes  und 
auctores.     Die  Schule  von  Orleans. 

Der  Streit  der  Schulen  von  Paris  und  Orleans  im  XHI.  Jh. 
ist  nicht  blofs  wichtig  für  die  Geschichte  der  klassischen  Studien 
im  Mittelalter  überhaupt,  sondern  auch  als  neues  Dokument  für 
das  Erwachen  einer  weiteren  freieren  Geistesrichtung  hundert 
Jahre  vor  dem  Auftreten  Petrarcas. 
Orleans  Die  Schulcu  von  Orleans  führten  sich  zurück  auf  den  Bischof 

'  Theodulfus,  den  Akademiker  Karls  d.  Gr.,  der  ihn  zum  Bischof 
von  Orleans  und  Abt  von  Fleury  erhob;  er  war  klassisch  hoch- 
gebildet, das  zeigen  seine  musterhaften  Verse  und  seine  Bekannt- 
schaft mit  den  alten  Autoren,  cf.  besonders  carm.  ^De  libris  quos 
legere  solebam'  in  den  Poet.  lat.  aev.  Carol.  I  543  f.^)  Diese 
Tradition  wurde  in  Orleans  aufrecht  erhalten,  wozu  die  Nähe 
von  Fleury  und  Chartres  nicht  wenig  beigetragen  haben  wird. 
Aus  dem  XI.  Jh.  konnten  die  Verfasser  der  Histoire  litteraire 
de  la  France  (VII  100  f.)*)  eine  ganze  Reihe  angesehener  Ge- 
lehrter aufzählen.  Im  XII.  Jh.  war  Orleans  neben  Chartres  ein 
Hauptsitz  der  Wissenscliaften,  seiu  Einflufs  erstreckte  sich  bis 
nach  England');   aus  seiner  Schule  gingen  drei  Männer  hervor, 


1)  Cf.  Hist.  litt,  de  la  France  lY  459  £f.  und  B.  Haar^ao,  Singolarit^ 
historiqaes  et  littt^raires  (Paris  1861)  37  ff. 

2)  Mehr  Einzelheiten  giebt  die  sorgfaltige  Arbeit  der  M"^  A.  de  Foul- 
qnes  de  Yillaret:  L'enseignement  des  lettres  et  des  sciences  dans  rOrl^anais, 
in;  M^oires  de  la  soci^t^  arch^ologique  et  historique  de  TOrl^anais  XIV 
(1876)  899  ff. 

8)  Im  J.  1109  starb  Ingolphos,  Abt  des  Klosters  Croyland,  dessen  Ge- 

ichichte  er  Terfafst  hat.    Sein  Nachfolger  wurde  Jofiridus,  der   in   der 

Bohnle  Ton  0rI6uiB  gebüdet  war,  cf.  Petri  Blesensis  continnatio  ad  historiam 

*<|*^^lii  in:  Benim  Anglicamm  script.  yei  ed.  lo.  Fellns  1. 1  (nnicns)  (Oxoniae 

^*  9mlm  H  mtirüms  Äureliams,  ab  infanUa  monasUrio  a  parentilmi 

UberaUum  acieiUiam  mperateroL    Er  schickte  auch 
'"T«»  Mflnche  aemes  Klosters,  um  die  dortig«  Schale 


Das  XIII.  Jh. :  Kampf  d.  ma.  (artes)  u.  human,  (auctores)  Riebtang.     725 

die  Sekretäre  der  Päpste  Alexander  III  (1159—1181)  und  Lu- 
cius III  (1181 — 1185)  waren  ^);  auch  eine  bedeutende  Dichter- 
schule  liatte  dort  ihren  Sitz,  deren  Vertreter  sich  durch  Kenntnis 
der  antiken  Poesie  und  Wahrung  ihrer  Formen  im  Gegensatz 
zu  den  Verskünsteleien  anderer  auszeichneten.^  Ein  besonderes 
Interesse  gewinnt  die  Schule  von  Orleans  aber  erst  im  XIII.  Jh. 
durch  ihren  Streit  mit  der  Sorbonne. 

Man  hätte  erwarten  sollen,  dafs  die  Provinzialstadt  sich  der  OriAoni 
Metropole  anschliefsen  würde,  allein  das  Gegenteil  geschah:  Or- 
leans^) wurde  gegenüber  der  Hochburg  der  Scholastik  die  Trä- 
gerin einer  freieren  Geistesrichtung.  Hier  vernachlässigte  man 
die  Philosophie  und  legte  einzig  Gewicht  auf  die  Grammatik  und 
die  Reinheit  der  Sprache,  die  man  —  und  dies  ist  das  Bedeut- 
same —  aus  den  Autoren  des  Altertums  selbst  lernte.  Man 
kann  den  Unterschied  kurz  so  formulieren:  in  Paris  domi- 
nierten die  artes  und  wurden  die  auctores  völlig  ver- 
nachlässigt, ja  verpönt,  Orleans  hob  die  auctores  auf 
den   Schild.*)     Wir  können  noch  mit  einiger  Klarheit  die  Be- 


nach dem  Muster  der  von  Orleans  zu  reformieren,  1.  c.  114  (mit  interessan- 
tem Detail!). 

1)  Cf.  Hist.  litt.  IX  59  f.  Sie  erfanden  auch  eine  besondere  Art  des 
dictamen  in  der  Beobachtung  des  curstts;  nach  ihnen  nannte  man  die 
Schreibart  stilus  Gallictis,  cf.  Ch.  Thurot  in:  Not.  et  extr.  des  ms.  XXII  (1868) 
488,  4.  Cf.  auch  Delisle,  Les  ^coles  d'OrMans  au  Xu.  et  XlII.  siäcle  in: 
Annuaire-BuUetin  de  la  soci^t^  de  Thistoire  de  France  1869,  140,  und  über 
die  bedeutende  Bechtsschule  daselbst:  H.  Denifle,  Die  Univ.  des  Ma.  bis 
1400,  I  (Berl.  1885)  251  ff.,  H.  Fitting,  Die  Anfänge  der  Bechtsschule  zu 
Bologna  (Berl.-Leipz.  1888)  45  £f. 

2)  Cf.  Delisle  in:  Bibl.  de  IMcole  des  Chartes  XXXI  (1870)  309.  B. 
Haur^au  in:  Not.  et  extr.  des  ms.  XXIX  2  (1880)  p.  296  und  in:  Joum.  des 
aav.  1888,  210.    St.  Endlicher,  Catal.  cod.  phü.  Vindob.  n.  CCCLIX  p.  251. 

3)  Freilich  nicht  die  dortige  Universität,  in  der  die  Rechtsstudien 
dominierten,  cf.  Denifle  1.  c. 

4)  Für  die  Geschichte  der  Pariser  Universität  ist  kürzlich  eine 
neue  Ära  eröfi&iet,  seitdem  begonnen  worden  ist  mit  der  Veröffentlichung 
der  Urkunden.  Bisher  war  man  angewiesen  auf  das  grofse  Sammelwerk 
des  C.  BulaeuB,  Hist.  univ.  Par.  (1665),  bezw.  das  Excerpt  daraus  von  Crd- 
▼ier,  Hist.  de  Tuniv.  de  Paris  (1761).  Für  den  Verfall  seit  dem  XI.  Jh.  hat 
BolaeuB  I  611  ff.  n  142  ff.  IV  892  f.  einiges  gesammelt.  Für  das  gänzliche 
Zurfickireten  der  auctores  verweise  ich  besonders  auf  folgende  Aktenstück 
Ghartularinm  univers.  Paris.  I  (Paris  1889)  78  f.  vom  J.  1215^  an  die  nr 
giiiri  axtium:  legant  libros  Äristotelis  de  dialectica  tarn  de  veteri  quam 

47* 


72G  Die  Antike  im  Mittelalter. 

schäftigung  der  Schule  von  Orleans  mit  Vergil  und  Lucan  nach- 
weisen, cf.  Delisle  1.  c.  144  f.,  deutlicher  aber  als  diese  Spuren 
sprechen  ein  paar  von  Delisle  angeführte  zeitgenössische  Urteile, 
die  ich  hier  wiederholen  mufs.^) 

Matthaeus  von  Vendome  (s.  XII)*),  v.  33  f.: 

nova  in  scolis  ordinarie  et  wow  ad  cursum.     legant  etmm  in  scolis  ordinarie 
diW8  Priscianos  vel  alteru^n  ad  minus,    non  legant  in  festivis  diebus  nisi 
philosophos  et  rhetoricas  et  qiMdrutndlia  et  barbarisnium  (so  hiefs  das  dritte 
Buch  der  ars   maior  des   Donat,  cf.  Ch.  Thurot  in:   Not.  et  extr.  des  ms. 
XXII  2  p.  94)  et  cihicam,  si  placet,  et  gtiarttim  topichorum.    non  legantur 
libri  Äristotelis  de  methafisica  et  de  naturali  philosophia,  nee  »umme  de  eis- 
dem.   —  In  einem  Statut  der  Artistenfakultät  der  englischen  Nation  vom 
J.  1262  wird  für  das  Baccalaureatsexamen  verlangt  der  Nachweis,  bestimmt« 
logische  und  psychologische  Schriften   des  Aristoteles  und  Boethius  gehört 
zu  haben;   femer  nur  noch:   quod  atidiverit  Prissianum  minorem  et  barba- 
rismum  bis  ordifiarie  et  ad  minus  airsorie,  Prissianum  magnum  semel  cttr- 
sorie.  —  Ähnlich  das  Statut  der  Artistenfakultät  zu  Paris  vomJ.  12  55  (Chaitul. 
I  277  f.).  —  Im  J.  1276  erliefs  die  Pariser  Universität  eine  Ordination,   nach 
der  es  den  magistri  und  baccalarei  verboten  wird,  für  sich  {in  locis  priratis) 
andere  Bücher  zu  lesen  als  logische  und  grammatische  (Chart.  I  538  f.).  — 
Noch  1478  wies  ein  Edikt  König  Ludwigs   an  die  Universität  darauf  hin, 
dafs  schon  Papst  Gregor  d.  Gr.  die  Jünglinge  vor  der  süfsen,  bezaubernden 
Rede  Ciceros  gewarnt  habe,  und  so  solle  es  künftig  bleiben:  bei  BulaeusV 
70G.  —  Zwar  ist  zu  bemerken,  dafs  in  den  oben  (S.  708,  1)  citiertcn  Kata- 
logen der  Sorbonne  eine  Reihe  von  Hss.  klassischer  Autoren  genannt  sind: 
Plautus,  Terenz,  Vergil,  Horaz  (serm.),  Ovid  (met.,  fast.,  trist.,  de  Pont.), 
Persius,  Lucan,  Statins,  Juvenal,  Claudian;  Cicero  (s.o. I.e.),  Sallust,  Livius 
(I  Dec),  Seneca  rhet.,  Valerius  Max.,  Seneca  phil.  (ep.,  de  benef.,  trag., 
apocol.  und  die  falsa),  Ps.  Quintilian  (decl.),  Sueton,  G^ellius,  Justin,  Solin, 
Nonius,  Martianus  Cap.,  aber  weitaus  die  meisten  dieser  Hss.  gehören  erst 
der  Benaissancezeit,  einige  dem  frühen  Mittelalter  (s.  IX  und  X)  an.  —  Ein 
etwas  freierer  Ton  scheint  auf  der  in  den  20er  Jahren  des  XIII.  Jh.  ge- 
gründeten Universität  Toulouse  geherrscht  zu  haben,  wie  aus  dem  amü- 
santen Programm-  und  Konkurrenzschreiben   der  dortigen   Magister  vom 
J.  18S9  (ed.  in:  Charta!,  univ.  Par.  I  129  ff.)  hervorgeht,  in  dem  sie  u.  a. 
die  Stadenien  darauf  hinweisen,  dafs  in  Toulouse  völlige  libertcu  acoiasiiea 
liBinche  und  Wein,  Brot,  Fleisch,  Fische  für  ein  Billiges  m  haben  seien. 
Si  werden  Mercurioa,  Fhoebns,  Mmerra,  Bacchus,  Ceres,  Achilles,  Thersitet, 

mid  die  Achilleis  des  Statins  citiert,  der  fOr  einen  ctrü 

m  aii^gegeben  wird.    Anch  wird  bemerkt,  dafs  die  in  Paris  Ter- 

■nvinaiieliaftliehen  Bflcher  hier  gelesen  werden  dürften.    Im 

■ich,  wie  das  Pkxigramm  xeigi,  das  Stadium  im  ge- 


"4  dritte  filge  ich  hinin. 

wh  in:  Sitmngsber.  d.  Bayr.  Ak.  1872  II  671. 


Dan  XIII.  Jh.:  Kampf  d.  ma.  (artes)  u.  buman.  (aactores)  Richtung.    727 

Parisius  logicam  s^ibi  iactitet,  Aurelianis 
'  auctores:  elegos  Vindocinense  soltitn. 

Galfredus  von  Vinesauf  in  seiner  an  Papst  Innocenz  III 
(111)8—1216)  gerichteten  Poetria  nova^)  v.  1009  ff.: 

in  morhis  sanat  medici  virtute  Salemum 
aegros.    in  cansis  Bononia  legibus  armat 
nudos.  Parisius  dispensat  in  artibus  illos 
paneSf  unde  cibat  robustos.    Aurelianis 
educat  in  ctmis  autorum  lacte  tenellos. 

Heliuand^  ein  gelehrter  Mönch^  in  seiner  im  J.  1229  zu  Tou- 
louse vor  den  Studenten  gehaltenen  Predigt*):  ecce  quaerunt  derici 
Parisiis  artes  liberales^  Aurelianis  auctores,  (Bononiae 
Codices,  Salemi  pyxides,  Toleti  daemones  et  nusguam  mores), 

Alexander  Neckam  (f  1215)  de  laudibus  divinae  sapien- 
tiae«)  V.  607  ff.: 

non  se  Pamassus  tibi  conferat,  Aurelianis: 

Pamassi  vertex  cedet  uterque  tibi, 
carmina  Pieridum,  multo  vigiktta  labore, 

expofii  nulla  certius  urbe  reor. 

Alexander  von  Villadei,  selbst  ein  Vertreter  der  Pariser 
Schule^  bezeugt  unfreiwillig  dasselbe  in  seinem  Ecclesiale^): 

sacrificare  deis  nos  edocet  Aurelianis, 
indicens  festum  Fauni,  lovis  atque  Liei. 
Jiec  est  pestifera,  David  testante  catJiedra. . . . 
Aurdianiste  via  non  pcUet  ad  paradisum, 
ni  prius  os  mutet 

Johannes  von  Garlandia  ars  lectoria  (verfafst  1234  zu 
Paris)^): 


1)  Ed.  Leyser  in  seiner  Uist.  poct.  et  poem.  med.  aevi  (Halle  1721)  920. 

2)  Angeführt  in  der  Hist  Utt.  XVÜI  95. 

3)  Ed.  Th.  Wright  in:  Alex.  N.  de  natnris  remm  p.  464. 

4)  Ed.  Ch.  Thurot  in:  Not.  et  extr.  XXTT  2  p.  115.  Das  Ecclesiale  ist 
jedenfiills  nach  dem  Doctrinale  geschrieben,  dessen  Abfassnngszeit  aller- 
dingt  nur  annfthemd  auf  c.  1200  bestimmt  werden  kann,  cf.  D.  Reichling, 
Das  Docir.  d.  Alex.  »  Mon.  Germ.  Paedag.  XU  [1898]  p.  XXIV. 

6)  Einiget  daraus  (darunter  die  folg.  Verse)  edierte  zuerst  A.  Scheler 
Lenoographie  latine  du  XU«  et  XIII«'  siecle  (Leipz.  1867)  8  f.  Wie  dii 
Yene  idgan,  tteht  er,  der  Autländer,  vermittelnd  zwischen  beiden  Par> 


72S  Die  Antike  im  Mittelalter. 

vos,  vates  magni,  qtios  aurea  cmiparat  auro 
fama,  favete  mihi,  quos  Aurelianis  ah  tirbe 
orbe  trahit  ioto  Pegasei  gloria  fontis. 
vos  dens  elegity  per  quos  fundamina  firma 
astent  eloquii  studio  succurrere,  cuitis 
fundanienta  labant:  einarcet  lingua  latina, 
autorum  vemans  exaruit  area,  pratum 
florigcrnm  boreas  flatn  livente  perussit 
Parisius  supcris  gaudens  tünquam  paradisus 
philosophos  alit  egregios,  ubi  quicquid  Athenac, 
quicquid  Aristoteles,  quicquid  Plato  vel  Galienus 
cdiderant,  legitur;  td)i  pascit  pagina  sacra 
stibtilcs  animas  celesti  pane  refcctas. 

Noch  deutlicher  aber  als  aus  diesen  Zeuguissen  wird  der 
Streit  beider  Schulen  aus  dem  Gedicht  des  zeitgenössischen  Trou- 
vore  Henri  d'Andeli:  La  bataille  des  sept  arts.^)  ,,Paris 
—  dies  ist  der  wesentliche  Inhalt  des  Gedichts  —  und  Orleans 
sind  zwei,  und  das  ist  sehr  schade.  Die  Ursache  ihres  Streits 
ist,  dafs  die  immer  streitsüchtige  Logik  es  sich  hat  einfallen 
hissen,  die  Gelehrten  von  Orleans  „Glomeriaux"  und  ihre  Au- 
toren „Autoriaux''^)  zu  nennen;   die  Grammatik  hat,  durch  die 


teien:   das  Werk  ist  gewidmet  dem  damaligen  Kanzler  der  Pariser  Uni- 
versität Gautier  de  Chiiteau-Thierry. 

1)  Ed.  A.  Jubinal  in:  Oeuvres  de  Rutebeuf,  2.  t^d.  vol.  III  (Paris  1874) 
S25  if.    Schon  vorher  hatte  eine  Inhaltsangabe  gemacht  Legrand  d'Aussy 
in:  Not.  et  estr.  des  ms.  V  ^1800)  496  iX.:  ihr  sohliefse  ich  mich  im  wesent- 
lichen im.    Auf  die  Bedeutung  des  Gedichts  bin  ich  aufmerksam  geworden 
durch  eine  kurze  Notiz  bei  R.  v.  Liliencron,  über  den  Inhalt  der  allg.  Bil- 
dung in  der  Zeit  der  Scholastik,  Festrede  gehalten  in  der  Sitzung  der  K. 
Bayr.  Ak.  d.  Wiss.,  München  1876  p,  47.    V.  Le  Clerc,  Hist.  litt,  au  XIV» 
siöcle  (2.  i<d.,  vol.  I  [Paris  1865])  430  f.,  der  es  kurz  erwähnt,  hat  es  nicht 
richtig  gewürdigt.    Denn  wenn  er,  um  das  Zeugnis   abzuschw&chen,   auf 
Nicolaoa  TriTettus  (f  1S28)  verweist,  der  Livius,  Valerius  Maximas,  Juvenal, 
Seneca^  Ovid  kommentiert  habe,  so  braucht  man,  um  zu  erkennen,  welcher 
Alt  diese  Eommeiiftare  waren,  nur  aufzuschlagen  Fabricios-Mansi,  Bibl.  lat. 
d.  et  inf.  aei  V  (Florenz  1858)  127:  dedamationes  Schecae  heme  ef  pukkre 
Bmtmc    Von  dem  Ovidkommentar  sagt  Le  Clerc  selbst  p.  4SI,  es 
'^oologieehe  und  mondieche  Erklänmg.   Solche  Sachen  stehen  also 
Sfofe  mifc  Genom  Donatiu  moralizatos  (s.  o.  8.  71^  2): 
T^oaftee  nicht  einmal  zu  polemisieren. 
lUUt  neh  not  einer  Einrichtong  der  UniTersitAt  Cam- 


Das  XIII.  Jh. :  Kampf  d.  ma.  (artes)  u.  human,  (auctores)  Richtung.    729 

Augriffe  ihrer  Rivalin  gereizt^  sich  entschlosseu,  Rache  zu  nehmen 
und  ihr  den  Krieg  zu  erklären.     In   dieser  Absicht  pflanzte  sie 
aufserhalb  Orleans  das  Bauner  auf  und  rief  dort  ihre  Trappen 
zusammen.    Sofort  sah  man  zu  ihr  herbeieilen  Homer^  Claudian, 
Priscian,  Persius,   Donatus  und   manche  andre  gute  Ritter  und 
Knappen.     Die  Ritter  aus  Orleans^  die  die  Waffen  fär  die  Au- 
toren trugen^  beeilten  sich  auch  zu  erscheinen.     Sie  hatten  an 
ihrer  Spitze  Endes ,  Garnier,  Jean  de  Saint-Morisse  und  Balsa- 
mon.     Die  versammelte  Truppe  marschierte,   ohne  Zeit  zu  ver- 
lieren,  auf  Paris.     Auf  die   Kunde   hiervon   erschrak   Logik. 
„Weh,  rief  sie,  ich  hatte  an  Raoul  de  Builli  einen  furchtbaren 
Verteidiger,  und  der  Tod  hat  mir  ihn  genommen !''    Doch  verlor 
sie  nicht  den   Mut  und  beschäftigte   sich   damit,   ihre  Truppen 
zusammenzuziehen.     Aus  Toumai  entbot  sie  Johann  den  Pagen, 
Poilaue  mit  den  Gamaschen,  Nicolaus  mit  dem  hohen  Steifs;  sie 
stellten  in   einem  Wagen  auf  eine   Kufe  Trivium   und   Qua- 
drivium   und   setzten   sich   in   Bewegung.     Der  Wagen  wurde 
gezogen  von  den  Kirchendienern  und  geleitet  von  Robert  dem 
Zwerg  und  Cheron  dem  Alten,  die,  den  Stachel  in  der  Hand, 
das  Gespann  pikten.    Schon  war  Rhetorik  in  Mont-rH^ri^)  an- 
gelangt mit  den  Lombardischen  Rittern.     Das   sind  Leute,  die 
sich  darauf  verstehen,  sich  der  Erbschaften  zu  bemächtigen  und 
die  Dummen  zu  betrügen,  die  ihre  Zuflucht  zu  ihnen  nehmen. 
Sie  trugen  zimgenbefiederte  Wurfspiefse.     unterdes   wuchs   die 
Armee  der  Logik  täglich.    Von  allen  Seiten  sah  man  ihre  Ver- 


bridge,  über  die  Rashdall,  The  universities  of  Europo  in  the  middle  ages 
(Oxf.  1896)  n  2  p.  655  handelt:  dort  existierte  in  losem  Zusammenhang  mit 
der  Universität  eine  Art  von  Latein- Vorschulen,  deren  Schüler  glotnereUi  und 
deren  Vorsteher  magistri  glameriae  hiefsen.  Über  die  Bedeutung  dieses 
Wortes  finde  ich  die  beste  Erklärung  im  Century  Dictionary  s.  y.  (vol.  III 
p.  2642):  glomery^  middle  engl.,  a  word  found,  wiih  ita  derivatiati  ^glomereV, 
q.  V.  appar.  ahly  in  the  recards  of  the  University  of  Cambridge;  a  vor,  of 
ghmery  glawmery  glamer  glamour,  more  orig.  gramery,  gramary  etc.,  used 
in  the  deflected  sense  of  ^enchantment^,  but  orig.  identical  toith  grammar. 
—  Für  Äuctoriaux  wird  von  Rashdall  1.  c.  ü  1  p.  67,  2  verglichen  ein  von 
Papst  Honorius  m  im  J.  1220  an  die  Universität  Palencia  in  Spanien  ge- 
■andtes  Schreiben  (bei  Denifle,  Die  Univ.  des  Mittelalters  bis  1400.  Bd.  I 
p.  476  adn.  1089),  wo  der  Grammatiker  im  Gregensatz  zum  Logiker  aueto 
genannt  wird. 

1)  Sohlofs  bei  Paris. 


730  I^ie  Antike  im  Mittelalter. 

teidiger  in  Rotten  zu  ihr  herbeieilen;  darunter  war  Hochwissen- 
schaft. Aber  kaum  war  diese  angekommen,  als  ihr  Easzler 
den  Parisem  befahl,  sie 'mit  allen  Weinen  zu  beschenken,  die  sie 
in  ihrem  Keller  hätten;  und  Paris  lieferte  sie  ihr  aus.  Physik 
führte  Hippocrates  und  Galen  herbei  ...  (es  folgen  Chirurgie, 
Musik,  Nekromantie,  Astronomie,  Arithmetik,  Geo- 
metrie). Endlich  wurde  der  Kampf  begonnen,  und  zwar  von 
Donat,  der  Plato  angriff.  Aristoteles  stürzte  sich  seinerseits  auf 
Priscian,  dem  er  einen  derartigen  Stofs  mit  der  Lanze  beibrachte, 
dafs  er  ihn  aus  dem  Sattel  hob;  schon  machte  er  sich  gar  daran, 
ihn  unter  die  Füfse  seines  Pferdes  zu  treten,  als  der  Besiegte 
Hülfe  bekam  von  seinen  beiden  Neffen,  dem  Doctrinale  und  dem 
Graecismus.^)  Die  beiden  jungen  Krieger  verwunden  das  Pferd 
so,  dafs  Aristoteles  abgesetzt  wird.  Nichtsdestoweniger  kämpfte 
er  mutig  weiter  und  warf  sogar  Grammatik  über  den  Haufen. 
Aber  plötzlich  werfen  sich  auf  ihn  Persius  Virgilius  Hora- 
tius  luvenalis  Statins  Lucanus  Sedulius  Propertius 
Prudentius  Arator  Terentius  Homerus,  sowie  Priscian 
und  seine  Neffen;  und  er  wäre  unfehlbar  unterlegen,  wenn  nicht 
Elenchus,  die  Logik,  Peri  Hermenias,  die  Topik,  das  Buch  von 
der  Natur  und  Ethik  ihm  zu  Hülfe  gekommen  wären  im  Verein 
mit  Nekromantie,  Physik,  Porphyrius,  Boethius  und  Macrobius.*) 
Herr  Barbarismus,  obgleich  Lehnsmann  der  Grammatik,  hatte 
die  Waffen  gegen  sie  ergriffen,  weil  er  Domänen  im  Lande  der 
Logik  besafs.  —  Unter  allen  Kämpfenden  war  es  Logik,  die 
sich  durch  ihre  Helden thaten  am  meisten  auszeichnete,  und  die 
Autoren  hatten  Mühe,  ihr  zu  widerstehen.  Was  die  Partei  der 
letzteren  schwächte  und  sie  um  den  Vorteil  brachte,  den  sie 
hätten  haben  können,  war  die  grofse  Zahl  von  Fabeln,  die  mit 
ihnen  gemischt  waren.  Aber  sie  erwarteten  eine  Verstärkung 
von  ihrem  zweiten  Aufgebot;  und  thatsächlich  erschien  die  Hülfs- 
mannschaft,  geführt  von  Primas^)  von  Orleans  und  Ovid.  Man 
sah  dabei  Martianus,  Seneca,  Marciacop  und  Anti-Claudianus. 
Bernardin-le-Sauvage  hatte  sich  ihnen  verbündet  mit  einem  be- 


1)  In  der  Hs.  steht  Agrecime,  eine  Französieruug  des  GredsmiM  des 
Eberhard  v.  Bethune. 

2)  Offenbar  iät  das  Somnium  Scipionis  gemeint. 

3)  Ein  berühmter  lateinischer  Dichter  dieser  Zeit. 


I>ci3  XIII.  Jb. :  Kami)f  d.  nia.  (artes)  u.  human,  (auctores)  Richtung.     731 

sondern  Corps,  welches  in  seinen  Reihen  Avien,  Cato  und  Pau- 
filus  hatte.  ^)  —  Bei  dem  Anblick  dieser  neuen  Armee  erschrak 
Logik.  Rhetorik  und  Astronomie  rieten  ihr^  das  Schlachtfeld  zu 
verlassen  und  sich  auf  Mont-rHeri  zurückzuziehen.  Sie  folgte 
diesem  Rat;  aber  die  Truppen  der  Grammatik  machten  sich  zur 
Verfolgung  auf  und  begannen  die  Belagerung,  mit  dem  Schwur, 
nicht  fortzugehen,  es  sei  denn  im  Besitz  des  Forts.  In  dieser 
IJedränguis  schickte  Logik  einen  Friedensverhändler  zu  ihrer 
Rivalin.  Aber  der  Abgesandte,  den  sie  für  diese  Botschaft  wählte, 
kannte  so  wenig  die  Regeln  der  Sprache  und  drückte  sich  so 
schlecht  aus,  dafs  man  ihn  nicht  anhören  wollte  und  er  zurück- 
geschickt wurde.  Trotzdem  änderte  sich  alles  bald  und  die  Be- 
lagerer erkannten,  dals  ihre  Kräfte  und  ihr  Mut  nutzlos  seien. 
Astronomie,  zur  Verzweiflung  gebracht,  schleuderte  den  Blitz- 
strahl auf  sie,  verbrannte  ihre  Zelte,  zerstreute  ihre  Armee,  so 
dafs  sie  nur  noch  an  die  Flucht  dachten.  —  Seit  diesem  Tage 
hat  sich  die  höfische  Poesie  zwischen  Orleans  und  Blois  zurückge- 
zogen und  wagt  es  nicht  mehr  sich  da  zu  zeigen,  wo  ihre  Rivalin 
herrscht.  Indes  achten  sie  die  Engländer  und  Deutschen  noch; 
aber  die  Lombarden  verabscheuen  sie  und  ihr  Hafs  ist  derart^ 
dafs  sie  sie  erdrosselten,  fiele  sie  in  ihre  Hände.  —  „Meine 
Herren,  so  wird  es  noch  etwa  30  Jahre  dauern.  Aber 
wenn  eine  neue  Generation  geboren  sein  wird,  so  wird 
diese  auf  die  Grammatik  halten,  was  man  auf  sie  hielt 
zur  Zeit  Henri's  d'Andeli.  Darauf  wartend  erkläre  ich 
euch,  dafs  jeder  Gelehrte,  der  nicht  die  Regeln  der 
Sprache  kennt  und  danach  nicht  seine  Reden  formt, 
ein  Mensch  zum  Anspucken  isf 


1)  Wer  Marciacop  war,  weifs  man  nicht.  Pauphilc  war,  wie  es  scheint, 
ein  französisch  schreibender  Moralist,  Bcmardin  ein  Dichter  des  XIII.  Jh. 
und  Vf.  eines  französischen  Doctrinalc;  unter  dem  Anti-Claudianus  ist  Alanus 
de  InBoliB  verstanden,  unter  Cato  die  unter  seinem  Namen  so  verbreiteten 
Sprüche 


732  I^ie  Antike  im  Humanismus. 


Zweite  Abteilung. 
Die  Antike  im  Hamanismus. 


Erstes  EapiteL 
Petrarcas  gescUclitliclie  Stellung. 

Petrarcas  Wie  ein  vaticinium  klingen  die  zuletzt  angefahrten  Worte 

natur.  des  Trouvere  zu  uns  herüber.  Nur  dauerte  es  etwas  länger,  als 
er  glaubte,  bis  der  Mann  geboren  wurde,  der,  wie  ein  späterer 
Humanist^)  einmal  sagt,  primiis  ex  lutülenta  harbarie  os  caelo  at- 
tollere  ausus  est,  eine  der  liebenswürdigsten  Gestalten  in  der 
Reihe  der  Geistesheroen,  für  alle  Zeiten  umweht  vom  Zauber- 
hauch der  Romantik  und  umgeben  mit  dem  Strahlenkranz  des 
Genius.  Aber  wenn  Petrarca  in  den  zahlreichen  neueren  Dar- 
stellungen seines  Lebens  von  der  gesamten  Vergangenheit  ab- 
solut losgelöst  wird,  so  entspricht  das,  wie  ich  zeigen  will,  weder 
den  allgemeinen  Verhältnissen  noch  der  thatsächlichen  Über- 
lieferung des  Einzelnen. 

1.  Das  AU-  „Der  Mensch  knüpft  immer  an  Vorhandenes  an.     Bei  jeder 

gemeine:     _  , 

Kampf  des  Idee,  deren  Entdeckung  oder  Ausführung  dem  menschlichen  Be- 
i]kh^n*u^d  streben  einen  neuen  Schwung  verleiht,  läfst  sich  durch  Forschung 
zukunfts-  zeigen,  wie  sie   schon  früher  und  nach  und  nach  wachsend  in 

menschen    -  -^ 

in  p.     den   Köpfen   vorhanden   gewesen.      Wenn   aber   der   anfachende 

Odem  des  Genies  in  Einzelnen  oder  Völkern   fehlt,   so    schlägt 

das  Helldunkel   dieser    glimmenden    Kohlen    nie   in   leuchtende 

Flammen  auf.^^^)    Petrarca  selbst  hat  sich  die  richtige  Stelle  in 

der  Geschichte  des  menschlichen  Geistes   angewiesen:   ego   velut 

in  confinio  duorwni  populorum  constitutus  simul  ante  retroque 

praspicio  (rer.  mem.  I  2).     Gerade   diese  lanusnatur   giebt   ihm 

aber  seine  welthistorische  Bedeutung,  und  dadurch,  dafs  wir  in 

n  Bwei  verschiedene  Weltanschauungen  sich  bekämpfen  sehen, 

ir  mxB  auch  menschlich  so  nahe  gerückt.    Derselbe  Mann, 

er  Höhe  der  Diocletiansthermen,  seinen  Livius  im  Kopf 

w.  Soaliger,  Poet.  1.  VI  c.  4. 
miboldt,  Üb.  d.  Kawi-Spr.  I  (Berl.  1836)  p.  XXIX. 


Petrarcas  geschichÜiche  Siellimg.  733 

und  im  Herzen^  mit  dem  Blick  über  die  Ruinenfelder,  die  Grolüse 
Borns  an  seinen  trunknen  Augen  vorüberziehen  läüst^  sieht  viele 
Monumente  in  dem  dämmerhaften  Nebelschleier  wie  der  mittel- 
alterliche Pilger,  der  einst  an  der  Hand  der  Mirabilien  voll 
phantastischen  Glaubens  die  ewigen  Stätten  durchzog;  derselbe 
Mann,  der,  mit  geradezu  staunenswerter  Divinationsgabe  eine 
tausendjährige  Vergangenheit  ignorierend  und  seiner  eignen  Zeit 
um  ein  Jahrhundert  vorauseilend,  die  kanonische  Autorität  des 
scholastischen  Aristoteles  zu  zertrümmern  und  an  dessen  Stelle 
auf  Piaton  den  Idealisten,  seinen  eignen  Geistesverwandten,  als 
Apostel  der  Zukunft  hinzuweisen  vermag,  ohne  von  ihm  mehr 
als  die  oberflächlichste  Kenntnis  zu  besitzen,  zeigt  sich  in  seiner 
philosophischen  Weltbetrachtung  durchaus  beherrscht  von  dem 
in  seiner  Art  ja  auch  grofsartigen,  aber  unfreien  und  grüblerischen 
Mysticismus  des  Mittelalters^);  derselbe  Mann,  der  seinen  Yergil 
nicht  mehr  mit  abergläubischer  Furcht  als  einen  Zauberer  verehrt, 
der,  als  man  ihn  selbst  wegen  seiner  Liebe  zu  diesem  Dichter 
für  einen  Zauberer  hält,  mit  bitterm  Hohn  ausruft  en  quo  sttidia 
nostra  dilapsa  sunt  (ep.  de  reb.  fam.  XIH  6),  der  sich  vielmehr 
in  echt  antikem  Fühlen  an  dem  Wohllaut  der  vergilischen  Verse 
berauscht,  zeigt  sich  wie  Fulgentius  und  die  lange  Reihe  von 
Dunkelmännern  bis  auf  Dante  sehr  oft  noch  im  lähmenden  Banne 
der  allegorischen  Interpretation  dieses  Dichters  befangen;  der- 
selbe Mann,  der  seinen  vielgeliebten  Cicero  als  Stern  der  latei- 
nischen Eloquenz  im  Triumphzug  der  Geister  einherziehen  läfst, 
der  ihm,  die  Seele  von  Begeisterung  geschwellt,  einen  sehnsuchts- 
vollen Brief  ins  Reich  der  Schatten  sendet  und  der  Melodie 
seiner  Perioden  mit  Entzücken  lauscht,  schreibt  in  einem  Latein, 
das  in  seiner  widerspruchsvollen  Mischung  von  Wollen  und 
Können ;  von  scholastischer  Barbarei  und  antiker  Eleganz  dem 
alten  Römer  stellenweise  fürchterlich  gewesen  wäre.  In  diesem 
Sinne  glaube  ich  sagen  zu  dürfen,  dafs  Petrarca  einerseits  die 
oben  dargelegten  klassicistischen  Strömungen  des  Mittelalters, 
von  dessen  Denkweise  er  sich  noch  nicht  voll  loslösen  konnte, 
zum  Abschlufs  gebracht,  andrerseits  sie  aber  mit  einem  neuen. 


1)  Dafür  findet  man  jetzt,  was  die  Lektüre  P.'s  betrifft,  Belege  be- 
sonders bei  P.  de  Nolhac,  De  patrum  et  medii  aevi  scriptorum  codd.  in 
bibl.  Petrarcae  olim  collectis  (.Paris  1892)  29  £f. 


734  Die  Antike  iui  Humanismus. 

bisher  ungeahnten  Inhalt  gefüllt  hat:  denn  selbst  den  gelehr- 
testen Männern  des  Mittelalters  waren  die  Autoren  in  letzter 
Hinsicht  doch  nur  Mittel  zum  Zweck  einer  korrekten  Sprache 
gewesen,  ein  Motiv,  das  bei  Petrarca  keineswegs  gefehlt  hat, 
aber  vertieft  und  geweiht  ist  durch  ein  höheres,  das  ihm  die 
Autoren  zu  seinen  geliebten  Freunden  machte,  denen  allein  er 
alles  danken  wollte,  was  er  geworden  war,  denen  er  die  heiligsten 
Geheimnisse  seines  leichtbeweglichen  Herzens  in  der  traulichen 
Stille  seines  Studierzimmers  anvertraute  zum  Dank  dafür,  dafs 
sie  ihn  sich  auf  den  Flügeln  der  Phantasie  aus  dem  Jammer 
der  Gegenwart  in  die  versunkene  Zauberwelt  hinüberträumen 
liefseu:  nunc  tibi  tetnjnis  est  (schreibt  er  seinem  Livius:  ep.  de 
reb,  fam.  XXIV  8)  ut  graiias  agam  tum  pro  mtiltis  tum  pro  eo 
nominatim  qiwd  ohlitiim  saepe  praesentium  nidlorum  saectdis  nie 
felicio^ibus  inseris,  ut  infer  legendtim  saltem  ciim  ComeliiSy  Scipiotii- 
bus  AfricaniSy  Laeliis,  Fabiis  Maximis,  MetelliSj  Brutis,  Dccüs^ 
CatonihuSy  Eegulis,  CursoribuSj  Torquatis,  VcäeriiSj  CorviniSy  Salina- 
torihus,  ClatidiiSj  MarcelliSy  Ncronibus,  Äemiliis,  Fulviis,  Flaminiis, 
ÄtiliiSy  Quintiis,  Curiis,  Fdbriciis  ac  Camillis,  et  non  cum  his  ex- 
trefnis  furihus,  inter  quos  adverso  sidere  natus  sum,  mihi  vidcar 
aetatem  agere.  et  oh  si  totus  mihi  contingeres,  quibus  dliis  quan- 
tisve  nominibus  et  vitae  solatium  et  iniqui  temporis  dblivio  quaere- 
retur:  der  Mann,  der  dies  und  hundertfaches  dergleichen  schrieb, 
der  sich  bei  Mantua  am  murmelnden  Quell  unter  dem  Schatten 
des  Baumes  auf  dem  Rasenstück  niedersetzte,  wo,  wie  er  dachte, 
Vergil  einst  geruht  haben  möchte,  der  im  Exemplar  seines  Quin- 
tilian  zu  den  Worten  (X  1,  112)  hoc  prqpositum  nöbis  sit  exem- 
plum,  nie  se  profecisse  sciat,  cid  Cicero  vdlde  placebit  sich  notierte: 
Süvane  (so  nennt  er  sich  selbst)  audi,  te  enim  tangit  und  zu  den 
Worten  (X  2,  27)  imitatio,  nam  saepius  idem.  dicam,  non  sit  tan- 
tum  in  verhis  folgendes:  lege,  Silvanc,  memoriter^),  der  hat  Livius 
doch  ganz  anders  gelesen  als  einst  Einhart  in  seiner  Kloster- 
zelle, der  hat  in  Vergil  neben  den  tiefen  mystischen  Gedanken 
doch  auch  etwas  anderes  zu  finden  gewuCst,  der  hat  sich  um 


1)  Gf.  F.  de  Nolhac,  Fdtnuque  et  rhumanisme  (Paris  1898)  288,  die 

bedentendste  neuere  Leiatong  auf  diesem  Gebiet^  vor  allem  wertvoll  durch 

bniff  dar  von  F.  benuiarteii  HandBchriften,  deren  Bandnotimi 

■  uderM  in  die  Gedankenwelt  des  Manne«  ein- 


Petrarcas  gescliiclitliche  Stellung.  735 

Ciceros  Reden  doch  noch  in  einem  ganz  andern  Sinn  bemüht 
als  einst  Gerbert,  ebenso  wie  den  unglücklichen  Tribunen,  der  mit 
seiner  unsinnigen  Phantastik  das  Gegenstück  zu  der  stimmungs- 
vollen Phantasie  seines  grofsen  Freundes  bildete,  doch  ganz 
andere  Impulse  zu  seiner  berühmten  Sammlung  römischer  In- 
schriften trieben  als  den  ungenannten  und  unbekannten  Pilger 
des  zehnten  Jahrhunderts.  Um  dieses  Neue  zuwege  zu  bringen, 
dazu  gehörte  der  Boden  Italiens,  die  Stimmung  der  ganzen  Zeit 
und  die  mächtige  Individualität  Petrarcas,  die  sich,  wie  uns  zu- 
erst —  das  pflegt  jetzt  vergessen  zu  werden,  wo  der  Gedanke 
zum  Allgemeingut  geworden  ist  —  Jakob  Burckhardt  in  seinem 
bahnbrechenden  Werk  gelehrt  hat,  in  bestimmender  Weise  von 
dem  korporativen  Massengeist  der  mittelalterlichen  Weltanschau- 
ung scharf  abhob.  Aber  bei  dem  quantitativ  und  qualitativ  so 
bedeutenden  Neuen,  welches  das  Genie  Petrarcas  in  den  Lauf 
der  Geschichte  der  menschlichen  Gedanken  eingeschaltet  hat^), 
wollen  wir  doch  das  Gemeinsame,  das  ihn  mit  der  Vergangen- 
heit und  seiner  Zeit  verknüpft,  nicht  vergessen,  weil  wir  nur  so 
dieses  Neue  in  der  Notwendigkeit  seines  Entstehens  begreifen 
können.  Gewifs,  keinen  seiner  Vorgänger  hat  er  gekannt,  und 
hätte  er  sie  gekannt,  so  hätte  er  sie  verachtet*):  aber  über  dem 
Einzelwesen  steht  die  Welt  der  Ideen,  und  in  wem  sie  ihre  sinn- 
lichste Form  annimmt,  der  ist  der  Grofse^  an  dessen  Namen  die 
Nachwelt  eine  neue  Epoche  anknüpft,  und  insofern  gilt  auch 
von  Petrarcas  Auftreten  das  tiefe  Wort,  dafs  auf  der  lebendigen 
Flur  der  Welt  alles  Frucht  und  alles  Samen  ist.  Alle  gewaltigen 
Begebenheiten  vollziehen  sich,  wie  schon  der  titanische  Geist 
des  ephesischen  Denkers  wufste,  nach  dem  Prinzip  der  Anti- 
nomie: auch  der  Humanismus  ist  ein  Widerspruch  gegen  die 
auf  ihren  Gipfel  gelangte  Perversität  der  Scholastik  gewesen, 
vom  Standpunkt  der  Geschichte  aus  betrachtet  die  unge- 
heuerste Reaktion,  die  es  je  in  der  Entwicklung  des  mensch- 
lichen Geeistes  gegeben  hat,  und  daher,  wie  jede  Reaktion,   un- 


1)  Er  war  sich  des  Neuen  wohl  bewurst:  zu  Quiutil.  Xu  10,  25  (gc^en 
die  NOigler,  die  mit  Berufung  auf  Autoritäten  da«  Neue  verpönten)  notiert 
er  sich:  fiofot«,  a9im,  quos  nee  nomine  digner  (Nolhac  286). 

8)  In  semer  Apologia  contra  Galli  calumnias  zahlt  er  eine   lieihe 
framOÜBeher  Gelehrter  des  Ma.  verilchtlich  auf:  p.  1080  der  Basler  Gesamt 
MUgaibe  vom  J.  1664. 


736  1^16  Antike  im  Humanismus. 

erhört  und  dem  Wesen  normalen  Werdens  widersprechend,  aber 
Yom  Standpunkt  der  Ästhetik,  die  eine  absolute  und  unver- 
änderliche Gröfse  ist,  einer  der  gewaltigsten  Fortschritte,  der 
je  gemacht  wurde:  die  antike  Welt  hat  ihre  unverwüstliche 
Jugendfrische  nie  glänzender  bewährt,  als  durch  die  Thatsache, 
dafs  sie  in  dem  grofsen  Yerjüngungsprozefs  einer  greisenhaften 
und  lebensmijden  Welt  den  wesentlichen,  ja  anfangs  den  einzigen 
Faktor  hat  bilden  können.  Wir  haben  gesehen,  wie  Jahrhun- 
derte lang  die  Überzeugung,  dafs  man  die  Stagnation  und  De- 
pravation  der  Gegenwart  durch  die  in  ihrer  Formenschönheit 
ewig  junge  Vergangenheit  beleben  und  bessern  müsse,  in  den 
Geistern  wirksam  gewesen  ist:  dann  ist  endlich  einer  gekommen, 
der,  getragen  von  der  eignen  Grölse  und  begünstigt  von  den 
äuTseren  Umständen,  das  in  bindende  Worte  gefafst  hat,  was 
Hunderte  und  aber  Hunderte  fühlten  und  ersehnten.  Dafs  durch 
solche  Betrachtungsweise  die  Gröfse  des  Genies  vermindert  werde, 
können  nur  Banausen  glauben;  „in  den  grofsen  Wendungen  der 
Geschichte  werden  die  Träger  des  Geistes  nicht  kleiner  dadurch, 
dafs  sie  das  Wort  aussprechen  für  das,  was  sich  in  vielen  be- 
wegt und  dunkler  oder  heller  verlangt  wird.  Auch  dadurch 
nicht,  dafs  andere  neben  ihnen  oder  selbst  vor  ihnen  die  ersten 
Schritte  thun  auf  der  neuen  Bahn."^) 
!.  Das  Ein-  Aber  um  vom  Allgemeinen  auf  einiges  Spezielle  zu  kommen: 

Vorläufer  auch  in  Italien  bereitete  sich  seit  dem  XL  Jh.  eine  freisinnigere 


P.'B  in 
Italien. 


1)  C.  Weizsäcker,  D.  apost.  Zeitalt.'  88  von  Paulus.  —  Das  greschicht- 
liche  Verhältnis,  in  das  ich  Petrarca  einzuordnen  versucht  habe,  ist  ähn- 
lich demjenigen,  in  das  Gemisthos  Plethon  kürzlich  von  L.  Stein,  Die  Con- 
tinuität  der  griechischen  Philosophie  in  der  Gedankenwelt  der  Byzantiner 
in:  Arch.  f.  Gesch.  d.  Philos.  N.  F.  11  (1896)  226  fP.  gestellt  worden  ist;  cf. 
dort  p.  234:  „Von  Psellos  führt  eine  grade  Linie  der  Entwicklung  zu  jenem 
Gemisthos  Plethon  und  zu  Marsilius  Ficinus,  der  Psellos  übersetzte,  welche 
die  Schwärmerei  für  den  Piatonismus  von  Byzanz  nach  Florenz  verpflanzen 
und  damit  in  entscheidender  Weise  auf  den  Gedankenverlauf  der  Renais- 
sance eingewirkt  haben.  .  .  .  Hatte  die  Figur  des  Gemisthos  Plethon  fBr 
die  meisten  Darsteller  der  Renaissance  etwas  Providentiellefl ,  weder  aus 
dem  geschichtlichen  Zusammenhang  Ableitbares  noch  aus  dem  wissenschaft- 
lichen Milieu  seines  Zeitalters  Erklärbares,  so  verschwindet  das  EmpÜT« 
und  Unvermittelte  an  der  Wundergestalt  des  Gemisthos,  wenn  wir  erfahren, 
dafs  auch  sein  Piatonismus  keine  creatio  ex  nihilo,  sondern  nur  das  Schlols- 
glicd  einer  Entwicklungsreihe  von  Platonschwärmem  ist,  die  mit  Psellot  ein- 
gietzt,  um  in  Gemisthos  ihren  Höhepunkt  zu  erreichen."  Dafs  die  yom  ftnfiwr- 


Petrarcas  geschichtliche  Stellung.  737 

Richtung  deutlich  vor,  wie  besonders  W.  Giesebrecht^)  gezeigt 
hat.  Im  Xni.  und  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  XIY.  Jahrh. 
sehen  wir,  wie  sie  um  sich  greift.  Tn  der  bildenden  Kunst  be- 
gannen im  XIII.  Jh.  Niccolö  Pisano  und  Giotto,  die  Antike  sich 
zum  Muster  zu  nehmen.^)  In  einer  in  Oberitalien  verfafsten 
lateinischen  Grammatik  s.  XIII  (ed.  Ch.  Fierville,  Paris  1884) 
werden  im  Gegensatz  zum  Doctrinale  des  Alexander  die  Bei* 
spiele  genommen  aus  Sallust,  Vergil,  Horaz  (serm.),  Ovid,  Lucan, 
Juvenal.  Im  J.  1253  citiert  sogar  Papst  Innocenz  IV.  in  einem 
Rundschreiben  einen  Ovidvers  (Chartul.  univ.  Paris.  I  262),  Eine 
im  J.  1329  zu  Verona  geschriebene  Hs.  (Cod.  capituli  Veronensis 
CLXVIII  [155])  giebt  eine  Blütenlese  aus  biblischen  und  pro- 
fanen Autoren,  unter  letzteren  Ciceros  Briefe,  Varro  (de  r.  r.), 
CatuU,  Tibull,  Petron.*)  Im  J.  1335  hat  ein  Italiener,  sicher 
noch  nicht  beeinflufet  von  Petrarca,  eine  Sammlung  von  Alter- 
tümern angelegt.*)  Aber  wenn  man  von  Petrarca  spricht,  denkt 
man  an  Cicero;  über  sein  Verhältnis  zu  ihm  in  ganz  jungen 
Jahren,  als  er  den  Sinn  der  Worte  noch  gar  nicht  verstand,  hat 
er  uns  besonders  in  einem  vielcitierten  Brief  (ep.  rer.  sen.  XV  1) 
Mitteilungen  gemacht,  dort  stehen  die  für  ihn  und  den  ganzen 
Humanismus  so  bezeichnenden  Worte:  sola  me  verborum  dulcedo 
quaedam  et  sonor itas  detinebat,  ut  quicquid  aliud  vel  legerem  vel 
audirem,  raucum  mUii  hngeque  dissonum  videretur,  d.  h.  er  wufste, 
wie  Cicero  gelesen  oder  vielmehr  wie  er  gehört  sein  will.  Aber 
wufste  er  es  allein  und  er  zuerst?  Sollten  nicht  jene  Franzosen, 
die,  wie  wir  sahen,  sich  um  ciceronianische  Redeh  bemühten, 
etwas  Ähnliches  empfunden  haben?  Doch  nicht  darauf  will  ich 
zurückgreifen,  sondern  lieber  aus  Petrarcas  Heimatsland  ein  paar 
Zeugnisse  anführen.    Brunetto  Latini  (f  1294)  hat  als  erster  die 

sten  Westen  nnd  vom  änfsersten  Osten  ausgehenden  Linien  sich  gerade  in 
Italien  schnitten,  beruht  auf  den  kulturellen  Voraussetzungen  dieses  Landes, 
die  Jakob  Borckhardt  vorbildlich  dargelegt  hat. 

1)  In  der  oben  (S.  698,  3)  angeführten  Abhandlung.  Vgl.  noch  eine  von 
Mabillon  (Do  stud.  mon.  p.  40)  citierte  Äufserung  des  Anselmus,  ep.  I  66 
(158,  1124  Migne),  geschrieben  vor  1078. 

2)  Cf.  E.  Müntz,  Les  prdcurseurs  de  la  renaissance  (Paris  1882)  6  fP. 

3)  Es  sind  freilich  sämtlich  Moralsprüche,  daher  auch  die  üntcrschrifb: 
flores  moralium  (Uoritatum,  cf.  D.  Detlefsen  in  Fleckeiscns  Jahrb.  LXXXVII 

1863)  552. 

4)  Cf.  J.  Burckhardt,  D.  Cult.  d.  Ren.  I*  (Leipz.  1885)  206. 


738  Die  Antike  im  Humanismus. 

drei  caesarianischen  Reden  Ciceros  ins  Italienische  übersetzt  (s.  o. 
S.  708,  1).  Der  im  J.  1306,  also  zwei  Jahre  nach  Petrarcas  Ge- 
burt, gestorbene  umbrische  Dichter  Jacopone  da  Todi  sagt  in 
seiner  ergreifenden  Binunzia  del  mondo  Str.  20^): 

lassovi  le  scritture  antidie, 
che  mi  eran  cotanto  amidie, 
et  le  Tulliane  rubriche^ 
che  mi  fean  tal  melodia. 

Petrarcas  Vater  hatte,  wie  uns  der  Sohn  in  dem  genannten  Brief, 
erzählt,  eine  ganz  besondere  Vorliebe  för  Cicero:  seine  Bibliothek 
ermöglichte  dem  Sohn  die  Lektüre  und  er  zweifelt,  ob  ihn  eigner 
Instinkt  oder  das  Vorbild  seines  Vaters  zu  Cicero  geführt  habe.  *) 
Bemerkenswert  ist  femer  der  jetzt  in  Troyes  befindliche,  von 
P.  de  Nolhac')  beschriebene  Cicero  -  Sammelband.  Er  stammt 
aus  der  ersten  Hälfte  des  XIV.  Jh.  und  kam  vor  c  1344  in  den 
Besitz  Petrarcas,  der  ihn  seiner  Gewohnheit  gemäfs  mit  Rand- 
notizen versah.  Der  Mann,  der  ihn  schrieb,  hatte  ein  besonderes 
Interesse  för  Cicero,  wie  besonders  zeigt  die  vorausgeschickte 
epytJwma  de  vita  gestis  scientie  prestantia  et  libris  ac  fine  viri  da- 
rissimi  et  iUiistris  Marchi  TuUii  Ciceronis,^)    Der  Mann  war  aller 


1)  Le  poesie  spirituali  del  B.  Jacopone  da  Todi  (Venetia  1617)  p.  5. 
Ich  wurde  auf  diese  Stelle  aufinerksam  durch  eine  Notiz  bei  E.  Grebhart, 
Lea  origines  de  la  renaissance  en  Italie  (Paris  1879)  157. 

2)  L.  c.  ab  ipsa  pueritia,  quando  ceteri  omnes  aut  Prospero  inhiant  out 
ÄesopOy  cgo  Ubris  Ciceronis  incubtii  seu  naturae  instinctu  seu  parentis 
hortatu,  qui  auctoris  illius  vener ator  ingens  fuii,  facile  m  dltum 
erasurus  nisi  occtipatio  rei  familiaris  nobile  distraxissH  ingefiium  . . .  (folgen 
die  oben  citierten  Worte  sola  me  rerborum  duicedo  etc.,  dann:)  erat  hac, 
fateor,  in  re  ptteri  non  puerile  iudicium,  si  iudicium  dici  debei  quod  nmUa 
ratione  subsisterct,  illud  mirtun,  nihil  intelligentem  id  seniire  ....  Crescebat 
in  dies  desiderium  weum  et  patris  admiratio  ae  pietas  aliquamdin 
imntaturo  facebat  studio  et  ego  hac  una  non  segnis  ttt  re,  cum  vixtesta 
effracta  aliqnam  nuclei  dulcedinem  degustarem^  nihü  utnquam  de  cantingenti' 
Intii  intcrmisi,  paratus  sponte  meum  genium  fraudare,  quo  Cieeromis  libros 
undevumque  coftquirerem.  sie  coepto  in  studio  nullis  externis  egens 
st  im  Ulis  procedebam. 

S)  IVtrarquo  et  rhumanisme  186  ff. 

i^  Abgedruckt  bei  Nolhac  190  ff.  £r  citiert  als  seine  Quellen  com^ 
mrnta;  uus  solchen  mufs  auch  der  Satz  stammen:  hie podarum  mira  benigm- 
täte  forit  ingenia  ^Plin.  ep.  III  15),  denn  Plinius  d.  J.  war  den  ersten  Ho- 
manist<^n  unbekannt.    Der  auf  ein  Granimatikercitat  larückgehende  Inrtum, 


Petrarcas  geschichiliohe  SteUnng.  739 

Wahrscheinlichkeit  nach  ein  Italiener,  weil  Pithon  (yermntlich 
Petras)  den  codex  besessen  und  ihn  also  wohl,  wie  die  übrigen, 
aus  Italien  erhalten  hatte.  Zu  dem  nähern  Kreis  des  Petrarca 
scheint  aber  der  Unbekannte  nicht  gehört  zu  haben,  denn  dieser 
behandelt  ihn  in  den  Bandbemerkungen  sehr  unglimpflich  (p  in^ 
dode,  frivolum  u.  dgl.).  Man  wird  also  wohl  sagen  dürfen,  dals 
etwa  gleichzeitig  mit  Petrarca  ein  andrer  Italiener  sich  mit  Vor- 
liebe diesem  Autor  zuwandte.  Dafs  dies  nichts  Besonderes  war, 
zeigt  ein  Brief  des  Petrarca  selbst  (ep.  fam.  XXIV  2),  in  dem 
er  sehr  ergötzlich  über  sein  Zusammentreffen  mit  einem  alten 
Mann  in  Vicenza  berichtet,  der  ärgerlich  gewesen  sei,  daJGs  Pe- 
trarca an  Cicero  überhaupt  auch  nur  das  Geringste  auszusetzen 
habe,  cf.  z.  B.  p.  259  Frac:  nihü  aiiiid  vel  mihi  vel  aliis  quod 
responderet  habebat,  nisi  ut  adversus  omne  quod  diceretur  splendorem 
hominis  obiectaret  et  rationis  locuim  teneret  auctoritas.  siuxiamat 
identidem  protenta  manu:  ^parcius,  oro,  pardus  de  Oicerone  meo^j 
dumque  ab  eo  quaereretur,  an  errasse  umquam  uUa  in  re  Ciceronem 
opinari  posset,  claudebat  oculos  et  qtiasi  verbo  percussus  averiebat 
frontem  ingeminans  ^heu  mihi,  ergo  Cicero  meus  arguitur?',  quasi 
non  de  homine  sed  de  deo  quodam  ageretur.  quaesivi  igitur,  an 
deum  fuisse  TuMium  opinaretur  an  hominem;  incunctanter  *deum' 
iUe  respondit,  et  quid  dixisset  inteUigens  ^deum,  inquit,  eloquii\  Pe- 
trarca führt  dann  weiterhin  aus,  er  begreife  nicht,  dafs  dieser 
alte  Mann  noch  jetzt  so  über  Cicero  denken  könne,  während  er 
selbst  einst  in  seiner  Jugend  auch  dieser  Ansicht  gewesen  sei, 
aber  jetzt  im  Alter  verständiger  auch  über  diesen  seinen  Lieb- 
ling urteile.  Man  sieht  also,  daJGs  Petrarca  selbst  gar  nicht  den 
Anspruch  darauf  gemacht  hat,  mit  seiner  Vorliebe  für  diesen 
seinen  Heros  allein  zu  stehen;  nur  darum  haben  seine  Ideen 
ihren  Siegeszug  zunächst  durch  Italien  so  ungehemmt  halten 
können,  weil  sie  überall  verwandte  Saiten  anschlugen,  wie  vor 
allem  bei  dem  phantastischen  Unternehmen  des  Cola  di  Rienzo 
zu  Tage  trat.  — 

Es  sind  besonders  zwei  Punkte,  durch  die  sich  der  Huma- MitteiAite 
nismus  —  innerhalb  des  engen,  uns  hier  allein  angehenden  Ge-  "°^^ 
bietes    —    vom    Mittelalter  unterscheidet.     An   die   Stelle   der 


dafs  Cicero  de  orthographia  geschrieben  habe,  findet  sich  übrigens  schoi 
bei  ihm. 

Norden,  antike  KonttproM.  II.  48 


740 


Die  Ästihe  im  Homanisinaa, 


Enormität  und  Diffusion  des  Wissens,  wie  sie  dem  occidenQ 
lischen  Mittelalter,  besondere  dem  ausgehenden,  eigen  war^), 
trat  eine  fast  einseitige  Beschränkung  und  Konzentration,  die 
dem  Spezialismua  und  damit  aller  eigentlichen  Forschung  freie 
Bahn  schuf.  Das  wird  einem  besonders  deutlich,  wenn  man 
Petrarca  an  einem  so  gelehrten  Zeitgenossen  wie  dem  englischen. 
Staatsmann  und  Bischof  von  Durham  Rieh,  de  Bury  (1287  bia 
1347)  mifst,  mit  dem  Petrarca  in  Avignon  1330  persönlich  be- 
kannt wurde  und  von  dem  er  gern  einen  Brief  erhalten  hatte 
(cf.  ep,  de  reb.  fam.  III  1).  In  dessen  'Philobiblon'  paart  sich 
quantitativ  unermefsliches  Wissen,  das  aber  qualitativ  den  Ein- 
druck einer  chaotischen  moles  macht,  mit  Spekulation  uud  Phan- 
tasterei. Im  Vergleich  hierzu  ist  der  Umfang  des  Wissens  Pe- 
trarcas gering,  aber  wie  klar  und  echt  antik  heiter  ist  weitaus 
das  meiste,  das  er  in  seiner  liebenswürdigen  Art  zu  sagen  weifs. 
Es  ist  daher  wohl  eine  richtige  Vermutung  des  letzten  Heraus- 
gebers des  Philobiblon*),  dafs  das  Stillschweigen  des  Hyper- 
boreers gegenüber  den  an  ihn  gerichteten  Briefen  Petrarcas  aus 
innerer  Antipathie,  aus  Mangel  an  Verständnis  für  die  Bestre- 
bungen des  Neuerers  sich  erkläre.*) 

Der  zweite  Punkt  interessiert  uns  hier  uumittelbar.  Die 
eigentliche  Signatur  des  Humanismus  war  das  sehnsüchtige  Ver- 
langen, aus  der  abstrusen  Formlosigkeit  der  Scholastik  sich 
emporzuringen  zu  strenger  Formenschönheit.  Die  stilistisch- 
rhetorische  Tendenz  war  von  Anfang  an  ein  wesentliches 
Moment  und  wurde  nach  Petrarca,  als  die  romantische  Idee 
einer  auch  inhaltlichen  Hepristination  der  Antike  gescheitert 
war,  immer  mehr  zum  einzigen,  was  es  dann  auf  lange  Zeit 
hinaus  blieb.    Elegatitia  war  das  Schlagwort  dieser  Kreise.    Me- 


1)  Eine  Art  EncjklopELdie  ist  »chon  das  Werk  des  ßabimu»  de  uuiv erso. 
Diinn  B.  Xil:  Bernhard  v.  Cburtree,  megacoemus  et  microcosmusi  Ouillaume 
de  CoQches;  Hoaorius  t.  Äutun,  imago  mundi  u.  philoxophia,  rnuadi;  9,  XIII: 
Omona,  image  du  monde  (cf.  Legrand  d'Auaa;  in:  Not.  et  eitr,  V  [ISOOj 
S4G);  Brünett«  Latini;  Vincenz  v.  Beauvaia.  Ein  eigenartiger  Nitciizüg]i 
aua  dem  XVL  Jb.  Tb.  Zwinger  (Ar;it  und  Litterat  in  Basel),  tbeatrum  vitae 
bumanae,  Baa.  1665,  eine  ma.  Encyklop&die  auf  huinaniatiBcher  Orundl 

2)  E.  Thomaa  (London  1888)  praef.  p.  XXXVI. 
8)  Cf.  aber  diesen  ersten  Punkt  auch  A.  Hortis,   M.  T.  Cicerone 

opere  del  Petr.  e  del  Boccaccio,  ricerche  intomo  alln  aloriii  della  emdizioM 
clastica  nel  medio  evo  in:  Archeografo  Trieatino  N.  S.  VI  (1979—80)  61  ff 


vitae 
lla^^H 

ZIOM     ^ 


MittelalteT  nnd  Hnmanismiu.  741 

lanchthon^  dem  das  Verdienst  gehört,  die  Annalen  Lamberts 
aufgefanden  zu  haben;  scheut  sich  nicht ,  seinem  Freunde,  dem 
er  den  Fund  mitteilt,  zu  schreiben:  si  iudicaris  diffnam  esse 
historiam  editiane,  quaeso  incumbetö,  ut  praelis  emendatissima  man- 
detur,  sin  cUiter  viddntur,  facile  faciam  scriptum  non  elegan- 
tissimum  interire,^)  Daher  waren  schon  die  ersten  Genera- 
tionen erfüllt  von  dem  Kampf  gegen  die  spatmittelalterlichen 
Lehrbücher,  Grammatiken  wie  Lexika,  die  besonders  in  der  con- 
tentiosa  Parisitis  kanonisches  Ansehen  genossen,  überall  dem 
Unterricht  zugrunde  gelegt  wurden  und  nur  schwer  zu  ver- 
drängen waren,  da  sie  sich  als  praktisch  erwiesen  hatten  und 
von  jenen  anfar^lich  blofs  destruktiven  Genies  durch  nichts 
Besseres  ersetzt  wurden.*)  Wenn  man  die  Ungeheuern  Pamphlete 


1)  Bei  0.  Holder-Egger  in  seiner  Ausgabe  Lamberts  (Hann.-Leipz.  1S94) 
p.  XLVm,  2. 

2)  Einige  litterarische  Nachweise,  die  von  andern  leicht  zu  yermehren 
sein  werden,  dürften  erwünscht  sein.  Die  beiden  berühmtesten  gramma- 
tischen Lehrbücher  des  späten  Mittelalters  waren  bekanntlich  das  Doc- 
trinale  und  der  Grecismus,  die  jetzt  in  zwei  ausgezeichneten  Ausgaben 
vorliegen:  das  Doctrinale  des  Alexander  de  Villa  Dei  ed.  Reichling  in  den 
Mon.  Oerm.  Paedag.  Xu,  Berl.  1898  und  der  Grecismus  des  Eberhardus 
Bethuniensis  ed.  Wrobel,  Breslau  1887.  Über  die  verschiedene  Wertschätzung 
der  beiden  Grammatiken  giebt  es  ein  (übersehenes)  Zeugnis:  Henricus  Ghuida- 
vensis  (f  1293)  de  Script,  eccles.  (ed.  in:  Bibl.  eccles.  ed.  Fabricius,  Hamb. 
1718)  128:  Alexander  Dolensis  scripsit  metrice  librum  quem  doctrinale  vocant, 
cuius  libri  in  scholis  gratnmaticarum  magnus  U8U8  est  temporibus  kodier- 
nis.  Ebrardus  Betwniae  oriundus  scripsit  librum  quem  Orecismum  vocant, 
grammaticis  non  ignotum.  In  einem  Statut  der  artistischen  Fakultät 
in  Paris  vom  J.  1866  ist  an  Stelle  von  Priscianus  das  Doctrinale  und  der 
Grecismus  eingeführt  (Chartul.  un.  Par.  m  p.  145);  ersteres  wurde  ebenso 
zugrunde  gelegt  in  Wien  und  Oxford  (cf.  Rashdall,  The  universities  of 
Europe  in  the  middle  ages  IT  1  p.  240,  2.  608  f.).  Angriffe  der  Humanisten 
auf  das  Doctrinale  und  zwar  1)  Versuche  zur  Vermittlung:  am  inter- 
essantesten die  erste  und  bedeutendste  pädagogische  Programmschrift  von 
einem  Humanisten  diesseits  der  Alpen,  der  Isidoneus  (von  ttaodog^  viog)  des 
Jac.  Wimpheling,  erschienen  zuerst  c.  1497,  mir  bekannt  nur  aus  der 
genauen  Inhaltsangabe  von  B.  Schwarz,  J.  W.  der  Altvater  des  deutschen 
Schulw.  (Gotha  1876)  122  ff.  Obwohl  er  seinen  Gegner  einen  zweibeinigen 
Esel,  Maulwurf,  träge  Bestie  etc.  nennt,  wagt  er  sich  doch  nicht  recht  an 
den  Alexander  heran:  er  beschränkt  sich  darauf  zu  befehlen,  dafs  alles 
Oberflüssige  aus  ihm  zu  verbannen  sei,  vor  allem  die  unnützen  scholastischen 
Definitionen  und  Sophismen;  besonders  müsse  man  die  Schriftsteller  selbst 
lesen,  denn  Leute,  denen  Jahre  lang  die  zwei  partes  des  Alexander  eingebläut 

48* 


742  I^ie  Antike  im  Humaniimiu. 

dieser  Hnmanisten  gegen  die  zeitgenossischen  Scholastiker  liest 
—  man  darf  wohl  behaupten,  dals  niemals  öfter  und  maTsloser 
geschimpft  ist  als  auf  der  Grenze  jener  beiden  Zeitalter  — ,  f&hlt 
man  sich  lebhaft  erinnert  an  die  von  gleicher  Tendenz  getragenen 
Angriffe  der  Hnmanisten  des  Mittelalters  auf  die  Frühscholastiker, 

seien,  wüTsten  sich  der  Erfahrung  gemäTs  nie  richtig  lateinisch  auszudrücken. 
Femer  vermittelnd  Pylades  Brixianus,  der  1606  zu  Mailand  herausgab 
In  Älexandrum  de  ViUadei  annotaUones,  in  denen  er  ihn  im  einzelnen  durch- 
geht, korrigierend,  aber  im  allgemeinen  mit  gemäfsigtem  Ton.    Dies  Schrift- 
chen ist  neben  L.  Vallas  elegantiae  interessant,  weU  es  die  Fortschritte  der 
Humanisten  auf  diesem  Gebiet  besonders  lebhaft  vor  Augen  fShrt.    2)  Po- 
lemik.   Von  Antonius  Nebrissensis   (de  Lebrixa,  geb.  1444),    einem 
der  frühsten  Humanisten  Spaniens,  der  lange  Zeit  in  Italien  mit  den  dor- 
tigen Gelehrten  verkehrt  hatte  und  dann  in  Spanien  die  Beform  der  la- 
teinischen Grammatik  auf  humanistischer  Basis  durchführte,  sagt  N.  Antonio 
in  seiner  Bibl.  Hisp.  vol.  I  (Rom  1672)  104,   dafs  er  die  bisher  allgemein 
gebrauchten  scholastischen  Lehrbücher,   darunter   das  des  Alexander  und 
Eberhardus,  verdrängt  habe.     Alphonsus  Garsias  Matamorus  berichtet 
1689  in  dem  seiner  Ausgabe  des  Ant  Nebrissensis  vorausgeschickten  Brief 
(Matamori  op.  omn.  [Matriti  1769]  90  f.):  als  er  1637  berufen  wurde,  in 
Saetabis  Grammatik  und  Rhetorik  zu  lehren,  habe  er  zun&chst  ein  Examen 
veranstaltet  und  erkannt,  dafs  die  gute  Anlage  der  Schüler  prodigiotis  gwt- 
btisdam  grammatieat  praeceptis  cofUaminatatn,  carruptam,  nüüa  non  ex  parte 
perditam  esse ;  unter  den  monstra  von  Grammatiken  nennt  er  dann  auch  den 
Alexander:  gut  unus  in  re  grammaUea  iüis  deus  erat,  nattis  nemini  eedere, 
nee  ipst  Varroni  guidem.   Ähnlich  der  schwäbische  Humanist  H.  Bebelias 
in  seinem  1600  erschienenen  Schriflchen  De  abusione  ling.  lat  (gedruckt  in 
seinen  opusc.  Strassb.  1613)  f.  LX'.    Am  ergötzlichsten  die  Epist.  obsc 
vir.  I  p.  243  f.  U  p.  297  fif.   Böcking.   —  Der  Grecismus  wird  sogar  von 
Petrarca  noch  zweimal  citiert,  cf.  de  Nolhac  1.  c.  (S.  733,  1)  80  f.    Über 
seine  Fortdauer  cf.  A.  Jubinal,  Oeuvres  compl^tes  de  Butebeuf ,  2.  4d.  vol. 
m  (Par.  1874)  338,  1.    Die  deliramenta  Graecistae  geÜBclt  auf  6  Seiten  H. 
BebeliusLc.  XXX^  ff.  —  Im  allgemeinen  cf.  besonders  die  famose  Satire 
in  Rabelais'  Gargantua  (1632)  c.  14  {Comment  G.  fnU  instiM  par  vn  So- 
phiste  en  lettres  latines):  mit  seinem  Lehrer,  dem  Sophisten  Thubal  Holo- 
fernes  liest  er  13  Jahre  6  Monate  2  Wochen  Donat  Facetos  Theodoletos 
Alanus  in  parabolis.    Darauf  mit  demselben  18  Jahr  11  Monate  de  modis 
significandi  (von  lohannes  de  Garlandia,  cf.  Bebel  1.  c.  XXXIU^  u.  a.  dgL, 
wodurch  er  es  so  weit  brachte,  seiner  Mutter  an  den  Fingern  zu  beweisen, 
dafs  de  modis  significandi  non  erat  scieniia.    Darauf  las  er  bei  demselben 
Lehrer  16  Jahr  2  Monate  den  Computus.    Dann  kam  er  zu  einem  andern 
alten  „Huster'^  genannt  maistre  Jobelin  Bridi  (Herr  Gimpel),  bei  dem  er 
las  Hugutio,  den  Graecismus,  das  Doctrinal,  die  partes^  das  guid  est,  dai 
suppletnenium ,  Marmortret  de  moribus  m  mensa  servandis^  Seneca  de  guat- 
tuor  virtutilms  cardinalibus,  Passavantus  cum  commento.    SchlieCdich  sah 


Kampf  der  anotores  gegen  die  artes.  743 

wie  wir  sie  im  Vorhergehenden  kennen  gelernt  haben.  Dafs 
ich  diesen  Männern  als  Vorgängern  der  Humanisten 
ihre  litterarhistorische  Stellung  richtig  zugewiesen 
habe,  will  ich  noch  an  einer  besonders  deutlichen  That- 
sache  zeigen. 


Zweites  Kapitel 

Fortsetzung  des  mittelalterlichen  Kampfs  der  auctores  gegen  die 

artes  in  der  Frühzeit  des  Humanismus. 

Ich  habe  oben  (S.  688  ff.  724  ff.)  gezeigt^  dals  die  mittelalter- 
lichen Humanisten  im  Gegensatz  zu  den  artes  der  Scholastik  die 
auctores  auf  den  Schild  erhoben  hatten  und  dalis  im  XIII.  Jh. 
ein  französischer  Dichter  den  kommenden  Sieg  der  letzteren  pro- 
phezeite (S.  728  ff.).  Derselbe  Kampfe  von  beiden  Parteien  mit 
denselben  Schlagwörtern  ausgefochten^  dauerte  nun  in  den  ersten 
Jahrhunderten  des  Renaissance-Humanismus  mit  unverminderter 
Heftigkeit  fort. 

1)  Eine  ausgezeichnete  Darstellung  des  Konflikts  zwischen  Fr»no. 
den  beiden  Weltanschauungen,  welcher  in  der  zweiten  Hälfte  des 
XIV.  Jh.  die  Gemüter  der  Menschen  bewegte  ^  hat  Alessandro 
Wesselofsky  gegeben  in  den  Prolegomena  zu  seiner  Ausgabe  des 
Paradiso  .degli  Alberti,  vol.  I  (Bologna  1867)  part.  2  c.  4.  Die 
Partei  der  Alten  lebte  mit  ihren  Erinnerungen  und  Gefühlen  im 
Mittelalter^  bei  den  grolBen  Scholastikern  und  Dante;  die  Partei 
der  Jungen  blickte  yerächtlich  zurück  auf  das  Dunkel  und  die 
Barbarei  der  vergangenen  Zeit.  Das  Bildungsideal  der  Alten 
waren  nach  wie  vor  die  sieben  artes,  yor  allem  die  des  Trivium; 


sein  Vater,  dafs  er  von  dem  allen  n&rrisch,  albern,  tr&nmeriach,  einfältig 
wurde:  da  nahm  er  ihn  aus  der  Schule.  Ähnlich  Erasmus,  Conflictns 
Thaliae  et  Barbariei  in:  Opera  I  89S.  —  Von  den  ma.  Lexicis  ist  wenig 
gedruckt;  einige  Auszüge  (z.  B.  aus  dem  Mammotrectus)  bei  lo.  Henr.  Stuss, 
De  primis  coenobiorum  scholis  (Progr.  Ilfeld  1728)  §  X  adn.  s,  sowie  vor 
allem  bei  S.  Berger,  De  glossariis  et  compendiis  exegeticis  quibusdam  medii 
aevi,  sive  de  libris  Ansileubi,  Papiae,  Hugutionis,  Guill.  Britonis,  de  Catho- 
licon,  Mammotrecto,  aliis.  Diss.  Paris  1879;  cf.  auch  G.  Salvioli  1.  c. 
(S.  696,  8)  XIV  746  ff.  und  Fr.  Eckstein,  Lat.  u.  griech.  Unterricht  (Leipz. 
1887)  58  f. 


744  I^ie  Antike  im  Humanismus. 

dem  stellten  die  Neuen  gegenüber  die  ans  jahrhundertelangem 
Schlaf  wiedererweckten  auctores.  Für  diesen  letzteren  Gegen- 
satz ist  von  besonderem  Interesse  ein  von  Wesselofsky  zum 
ersten  Mal  ediertes  Dokument.  Ein  Hauptführer  der  Alten  war 
der  Florentiner  Francesco  Landini,  zubenannt  il  Cieco  oder  degli 
Organi  (1325—1397).^)  Von  ihm  teilt  Wesselofsky  p.  295  ff. 
ein  in  guten  Hexametern  geschriebenes  Gedicht  mit,  welches  in 
der  Handschrift  betitelt  ist: 

IndpiurU  versus  Francisci  organistae  de  Fhrentia,  missi  ad 

dominum  Antonium  plebanum  de  Vado,  grammaticae  loicae  re- 

thoricae  opümum  instructorem,  et  facti  in  laudem  loicae  Ocham. 

Im  Traum  erscheint  ihm  Wilh.  von  Occam  im  Minoritenkostüm 

und  beklagt  sich  in  rührenden  Worten  über  seine  Widersacher, 

besonders  einen: 

novus  in  nostras  idiota  rudissimus  artes 
qui  furit  et  saevit,  nostri  quoque  pestifer  hostis. 

Es  folgt  eine  begeisterte  Lobrede  auf  die  Dialektik ,  die  dieser 
protervus  idiota  verachte;  von  demselben  heiüst  es  weiterhin: 

loicos  ceu  mortem  exterritus  odit 
fallacesque  vocat  altercantesgue  sophistas. 

Wen  hebt   er   dagegen  auf  den   Schild?     Cicero,  dessen  Name 

auch  für  uns  der  höchste  ist,  den  jener  Widersacher  aber  miCs- 

braucht: 

Marcus,  romanae  gloria  linguae, 

ingenium  cuius  dudum  aurea  Roma  potenti 

par  tulit  imperiOy  sibi  quem  temerarius  iste 

(prdh  scelus)  ascrünt:  divina  volumina  nomque 

allegatf  recitat  non  inteUecta  popeüo 

nee  sibi;  percurrit  tua  cuncta  volumina y  Marce, 

teque  suum  appelkU  Ciceronem,  et  nomine  crebro 

nunc  hoc  nunc  ülud  rugosa  fronte  volumen 

nominat:  exterrent  ignota  vocabula  vulgus; 

laudibus  immensis  Ciceronem  ad  sidera  toüit. 

Und  nicht  genug  mit  Cicero:  den  Seneca  nennt  er  seinen  *Vater^, 
und  überhaupt: 

gravis  ineessu,  sermone  superbus 
omnia  sub  pedibus  repuUat:  trnic  ncmina  mük 

1)  NUiaret  über  ihn  bei  Wessaloftky  L  e.  toL  I  pari  1  p.  101  C 


Kampf  der  aactores  gegen  die  artes.  745 

auetorum  äüegat^  quarum  nisi  namma  tanium 
nescit  et  in  hicas  vomit  exitiale  venenum 
viperei  cordis  scdertttaque  iurgia  fundii,^) 

Während  Occam  noch  mehr  sagen  will,  yerschencht  ihn  der  er- 
wachende Tag  und  Francesco  Landini  erwacht  mira  turhaim 
imagine  somni, 

2)  Anderthalb  Jahrhunderte  später  sagte  Melanchthon  in  MeUuioh 
seiner  berühmten  humanistischen  Programmrede  De  corrigendis     "^"^ 
adulescentiae  studiis'),  gehalten  am  29.  Äng.  1518  zu  Wittenberg 

Ton  dem  damals  Einnndzwanzigjährigen,  p.  22  nach  einer  yer- 
nichtenden  Invektive  anf  die  mittelalterliche  Erziehungsmethode, 
der  es  zu  yerdanken  sei,  dais  so  viele  Schriftsteller  rettungslos 
dem  Untergang  verfallen  seien:  vdbis^  adtUescentes,  vestram  grahdor 
felicitatem,  quibus  henignüate  optimi  ac  sapientisstmi  principis  nostri 
Friderici,  ducis  Saxoniae,  dectoris  contigit  longe  scduberrimis  erudiri: 
fontes  ipsos  artium  ex  optimis  auctoribus  hauritis.  hie 
nativum  ac  sincerum  Aristotelem,  %Ue  Quintilianum  rhetorem,  hie 
Flinium  . . ,,  iUe  arguUas  sed  arte  temperatas  docet.  accedunt,  sine 
quibus  nemo  potest  eruditus  eenseri,  malhematica,  item  poemata  oror 
tores,  professoribus  nan  proUtariis.  haee  si  eognoveritis  quo  ordine 
tractanda  sint,  certo  scio  et  facUia  et  admirandi  profectus  vidAuntur. 

3)  Sehr  deutlich  kommt  der  prinzipielle  Gegensatz  der  Par-  Epist.  obi< 
teien  zum  Ausdruck  in  der  46.  epistola  der  Epistolaeobscuro- 

rum  yirorum  (novae)  (p.  258  f.  Böcking),  aus  der  ich  nicht 
umhin  kann,  die  bezeichnendsten  Stellen  herauszuheben.  Man 
erkennt  unter  der  Karikatur  leicht  das  Thatsächliche.  Herr 
Mag.  Cunradus  Unckebunck  schreibt  an  Herrn  Mag.  Ortvinus 
Gratius:  intdlexi,  quod  habetis  paucos  auditores,  et  est  querela  vestra 
quod  Buschius^  et  Caesarius^)  trahunt  vöbis  scholares  et  supposita 
dbinde  ....  credo  quod  diabolus  est  in  Ulis  poetis.  ipsi  destruunt 
omnes  universitaies.  et  audivi  ab  uno  Antiqua  Magistro  lApsiensi 
qui  fuit  Magister  XXXVI  annorum,  et  dixit  mihi,  qttando  ipse 


1)  Man  vergleiche  hiermit  vor  allem  die  oben  (S.  718  f.)  aus  Johannes 
von  SaUsbuzy  angefahrten  Verse,  um  die  Identität  der  beiden  Richtungen 
and  ihres  Kampfes  zu  erkennen. 

S)  Ed.  K.  Hartfelder  in:  Lat.  Litteratnrdenkm&ler  d.  XY.  n.  XVI.  Jh. 
henuug.  von  Hemnann  xl  Szamatölski,  Heft  4.    Berlin  1892. 

i)  GC  Böeking  p.  880  ff. 

4)  ib.  883  £ 


746  1^6  Antike  im  Humanismus. 

fuisset  iuvenis,  tunc  üla  universitas  bene  stetisset,  quia  in  XX 
miliaribus  nullus  poeta  fuisset.  et  dixit  etiam  quod  tunc  supposiki 
düigenter  compleverunt  lediones  saas  formales  et  Maleriäles  seik 
hursäles:  et  fuit  magwum  scandäluin  quod  cUiquis  studens  iret  in 
platea  et  non  häberet  Petrum  Hispanum^)  cmt  Parva  logicaUa  sub 
hrachio.  et  si  fuerunt  Grammatici^  tunc  portabant  Partes  Alexandri 
vel  Vade  mecum  vd  Exerdtium  puerorum,  aut  Opus  minus  ^  aut 
dicta  lohannis  Sinthen,^)  et  in  scholis  advertdmnt  düigenter:  et 
habuerunt  in  honore  magisiros  Artium:  et  quando  videnmt  umim 
Magistrum  y  tunc  fuenmt  perterriti  quasi  viderent  unum  diabolum 

sed  nunc  supposita  vohint  audire  Virgilium  et  Plinium 

et  alios  novos  autores:  et  licet  audiunt  per  quinque  AnnoSj  tarnen 
non  promaventur.  et  sie  g^iando  revertunt  in  pairiam,  dicunt  eis 
parentes  ^Quid  es?^   Bespondent  quod  sunt  nihü,  sed  studuerunt  in 

Poesi.    tunc  parentes  non  sciunt  quid  est Et  dixit  mihi 

quod  ipse  LiptsAgTc  olim  habuit  quadraginta  domicellos,  et  quando 
ivit  in  Ecclesiam  vd  ad  forum  vd  spaciatum  in  Rubetum,  kmc 
iverunt  post  eum.  et  fuit  tunc  magnus  excessus  studere  in  poetria. 
et  quando  unus  confUebatur  in  confessiane  quod  occulte  audierü 
Virgilium  ab  uno  baculario,  tunc  Sacerdos  imponebat  ei  magnam 
penitentiam  .  .  ,  et  iuravit  mihi  in  conscientia  sua  quod  vidit  quod 
unus  magistrandus  fuit  seiectus^  quia  unus  de  examina/toribus  semd 
in  die  festo  vidit  ipsum  legere  in  Terentio  (folgt  eine  Klage 
über  Verminderung  der  Studenten  an  den  üniyersitaten  und  das 
Gebet  quod  moriantur  omnes  poete).  Ähnlich  ep,  7  (p.  12).  17 
(p.  26).  ep.  noy.  63  (p.  285).^) 


1)  Ib.  393  f. 

2)  Ib.  472  f. 

3)  Hans  Sachs*  Meisterlieder  aus  der  Jugend  des  Dichters  (1511 — 1520) 
beschäftigen  sich,  wie  mit  andern  scholastischen  Problemen,  so  auch  mit 
den  7  arte 8.  Seit  1523  ist  davon  nichts  mehr  zu  merken:  er  ist  ein  Käm- 
pfer für  die  Gedanken  der  Reformation  geworden  und  nun  nimmt  er  seine 
Stoffe  teils  aus  der  Bibel,  teils  aus  den  ihm  durch  Übersetzungen  bekannten 
Autoren,  die  der  Humanismus  erweckt  hatte:  cf.  R.  ▼.  Liliencron  1.  c 
(S.  728,  1)  39.  —  Es  hat  lange  gedauert,  bis  die  artes  gftnzlioh  beseitigt 
waren:  Salutato  ruft  in  dem  Elagebrief  über  Petrarcas  Tod:  fletU  totmm 
trwium  atgue  quadrivium  (Colucci  Salutati  ep.  ed.  Bigaooi  [Flor.  1741]  11 
ep.  7  p.  58).  Im  J.  1489  schrieb  Alonio  de  la  Torre  La  Tinon  del^ytable 
de  la  Filosofia  j  artes  Liberales  (Tolosa  1489;  8.  Ausg.  Sevilla  1638);  nach 
der  Inhaltsangabe  des  (&a£serst  seltenen)  Werkes  bei  L.  CSanu,  DarstelL  d. 


Kampf  der  auctores  gegen  die  artes.  747 

span.  Litt,  im  Ma.  11  (Mainz  1846)  169  ff.  treten  hier  die  7  Künste  wie  bei 
MartianuB  Capeila  auf.  Im  J.  1588  schrieb  GuiUamne  Telin  ein  Brey  Som- 
maire  des  sept  Vertus,  sept  Arts  liberaux  (Paris  1688),  mir  unbekannt. 
Einiges  ÄhnHche  bei  K.  Hartfelder  1.  c.  (S.  745,  2)  p.  XVm  f.  —  Gewisser- 
mafsen  eine  Übergangsperiode  bezeichnet  der  Bildungsgang  des  Heidelberger 
Humanisten  Peter  Luder,  cf.  seine  im  J.  1456  gehaltene  Antrittsvorlesung 
(ed.  Wattenbach  in:  Z.  f.  d.  Gesch.  d.  Oberrheins  XXH  [1869]  100  ff.)  p.  102  f.: 
nachdem  er  die  (Mrtes  gelernt  habe,  t^  ad  hasce  omnes  aut  ad  tmamquamque 
ülarum  verum  et  infaMihüe  fM/ndameiitwn  miehi  ponerem,  ad  studia  hunumi- 
tatiSj  historiographoe  oratores  scilicet  et  poetas^  toto  me  mentis  ardore  convertk 


Zweiter  Abschnitt. 

Der  Stil  der  lateinisclieii  Prosa  im  Mittelalter 

nnd  im  Hnmanismns.') 


Erstes  Kapitel. 
Der  Stil  der  lateinisclien  Prosa  im  Mittelalter. 

Der  alte  Wir  haben  gesehen,  dafs  sich  die  scheinbar  so  yerschieden- 

neue  stiL  artigen  Stilarten»  des  Altertums  sehr  einfach  unter  zwei  Gresichts* 
punkte  fassen  lassen:  die  klassicistische  Richtung  ist  re- 
aktionär,  ihre  Vertreter  schreiben  in  einem  durch  Nach- 
ahmung erlernten  alten  Stil;  die  Vertreter  der  neo- 
terischen  Richtung  passen  ihren  Stil  der  jeweiligen 
Zeit  an,  sie  schreiben  modern.  Der  alte  Stil  hält  sich  bei 
einigen  Autoren,  die  ein  besonders  ausgebildetes  stilistisches  An- 
empfindungsvermogen  besitzen,  auf  einer  anerkennenswerten  Hohe, 
macht  aber  den  Eindruck  des  Künstlichen  und  Erlernten;  der  mo- 
derne Stil  steht  mitten  im  Leben  und  degeneriert  mit  ihm  in  dem 
langsam,  aber  stetig  fortschreitenden  Prozefs  des  Verfalls,  der 
besonders  fühlbar  wird,  als  die  Barbaren  das  Reich  über- 
schwemmen und  den  Stempel  ihrer  Anästhesie  der  Litteratur 
aufdrücken.  Auch  im  Mittelalter  laufen  die  beiden  Stile 
nebeneinander  her. 

1.  Der  alte  StiL 


mus. 


KiMsioii-  Den  künstlich  archaisierenden  Stil  suchten,  so   gut  sie   es 

vermochten^,  alle  diejenigen  Männer  anzuwenden,  deren  Tendenz^ 

1)  Besonders  für  das  Ma.  beschränke  ich  mich  auf  die  Darl^ixuig  nur 
der  Hauptrichtongen,  da  alles  Einzelne  für  mich  kein  Interesse  hat. 

2)  Grammatische  Fehler  kommen  selbst  bei  den  Besten,  wie  Einbari, 
Yor.  Denn  man  mafste  die  Sprache  ja  mühsam  erlernen,  daher  wurde  keine 
der  artes  mit  gröfserem  Eifer  getrieben  als  die  Grammatik.  In  dem 
Katalog  der  Bibliothek  Yon  York,  den  Alcnin  de  sanctis  Eboricensis  eode- 


Elassicismas:  Einhaxt,  Paulas  Diaconns.  749 

wie  ich  im  yorigen  Abschnitt  zeigte,  eine  klassicistiBche  war. 
Der  Stil  Einharts  ist  yon  Manitins  1.  c.  (oben  S.  694,  2)  yor- 
trefflich  behandelt  worden;  er  hat  sich  in  die  Diktion  der  Hi- 
storiker so  hineingefühlt,  daüs  er  yiele  Sätze  hat,  deren  sich 
Caesar  und  Liyios  nicht  geschämt  hätten,  z.  B.  um  beliebig 
einen  herauszugreifen  yit.  Gar.  9:  cum  enim  assiduo  ac  paene 
continuo  cum  Scixonibus  belle  certaretur,  disposüis  per  congrua  can- 
finiarum  loca  praesidiis  Hispaniam  quam  maximo  poterat  belli  ap- 
paratti  aggreditur,  säUugue  Pyrenaei  superato  omnibus  quae  adierat 
oppidis  atque  casteUis  in  deditionem  acceptis  sälvo  et  incolumi  exer-^ 
diu  revertitur.  Besonderes  Interesse  hat  der  Nachweis  von  Ma- 
nitius  p.  548  f.;  dafs  Einhart  in  seinen  nicht  streng  historischen 
Werken  in  einem  andersartigen  „deutsch  -  lateinischen''  Stil 
schreibt:  man  sieht  daraus,  dafis  derjenige  der  historischen  Werke 
mühsam  studiert  ist:  freilich  lälst  sich  ja  das  Gleiche  bei  Huma- 
nisten wie  Petrarca  konstatieren,  dessen  Briefe  salopper  sind  als 
seine  Geschichte  Caesars.  —  Paulus  Diaconus  schreibt  nicht 
ganz  so  rein  und  klassisch  wie  Einhart;  er  besafs  aber  doch  ein 
lebendiges  GefElhl  fQr  den  guten  Stil,  wie  seine  yon  Mommsen 
(in:  N.  Arch.  d.  Ges,  f.  alt.  deutsche  Gesch.  V  [1879]  53,  1)  nach- 
gewiesenen stilistischen  Besserungen  an  Gregor  y.  Tours  zeigen; 


siae  y.  1540  ff.  giebt,  befinden  sich  yon  heidnischen  Autoren  nur  wenig 
(8.  oben  S.  697),  aber  eine  ganze  Reihe  Grammatiker:  Probus,  Focas,  Do- 
natus,  Priscianus,  Servius,  Eutjehius,  Pompeius,  Comminianus.  Besonders 
bezeichnend  ist  der  im  J.  960  geschriebene  Brief  des  Italieners  Gunzo  an 
die  Mönche  yon  Beichenau  (bei  Martine  et  Durand,  Ampla  collectio  I 
[Paris  1724]  894  ff.)  Im  Kloster  8t.  Gallen,  wo  er  halb  erfroren  nach  der 
langen  Reise  aus  Italien  angelangt  war,  hatte  er  das  Unglück,  den  Akku- 
satdy  fOr  den  Ablativ  zu  gebrauchen,  worauf  ein  St.  Galler  pusio,  wie  er 
ihn  nennt,  ein  Spottgedicht  yerfafste,  in  dem  es  u.  a.  hiefs,  dafs  der  Greis 
Gunzo  Prügel  verdiene  wie  ein  Schuljunge,  um  sich  nun  zu  rechtfertigen, 
schreibt  er  diesen  mit  aller  möglichen  Gelehrsamkeit  vollgepfropften  Brief, 
in  dem  er  sich  aber  einmal  (p.  298)  doch  zu  dem  Gest&ndnis  herbeiläfst: 
faiso  putavU  8,  GaUi  monachuB  me  remotum  a  scienHa  grammaticae  artis, 
Ueet  aliquando  retarder  U8u  nostrae  vulgans  Unguae,  quae  latmitati  vicina 
ttt  Für  die  zahUosen  spätmittelalterlichen  Grammatiken  ist  für  alle  Zeit 
grundlegend  die  berühmte  Abhandlung  von  Gh.  Thurot,  Not.  et  extraits  de 
divers  mss.  lat  pour  servir  ä.  lliistoire  des  doctrines  grammaticales  au 
moyen  fige  in:  Not.  et  extr.  des  ms.  XXII  2,  Paris  1868.  Wesentlich  auf 
Grund  davon  Fr.  Eckstein,  Lat.  u.  griech.  Unterricht  (Leipz.  1887)  54  ff. ;  cf. 
auch  G.  Salvioli  1.  c.  (S.  696)  XIY  732  ff. 


750  ^ei^  Stil  der  mittelalterlichen  Prosa. 

über  sein  Werk  als  Ganzes  urteilt  Mommsen  1.  c.  53  f.:  ,;Wer 
auch  nur  einigermafsen  die  stammelnden  und  stümperhaften 
Schriftstücke  kennt,  wie  sie  in  jener  Zeit  yerfertigt  wurden,  der 
betrachtet  mit  Verwunderung  und  zuweilen  mit  Bewunderung 
dieses  durchaus  klare,  meistens  bequeme  Latein,  diese  yerstan- 
dige  und  doch  aller  Affektierung  frei  stehende  Wortfügung,  diese 
Fähigkeit  zu  gestalten  und  zu  stilisieren.''  —  Für  den  Stil  des 
Seryatus  Lupus  erinnere  ich  an  jenen  Brief,  in  dem  er  seinen 
Freund  Einhart  beglückwünscht,  dais  er  yon  dem  häfslichen  Stil 
der  Modernen  zu  dem  eleganten  Ciceros  und  anderer  (mdtores  zurück- 
gekehrt sei  (o.  S.  702  f.),  und  an  den  andern,  in  dem  er  die  Lektüre 
der  Alten  als  Mittel  fCLr  die  Zierde  der  Bede  und  für  die  Politar 
des  Ausdrucks  hinstellt  (o.  S. 701  f.).  —  Sein  Schüler  Heiric,  Mönch 
y.  Auzerre,  schreibt  gewandt  und  einfach  in  seiner  Epistel  an 
Earl  den  Kahlen,  was  um  so  deutlicher  heryortritt,  weil  er  zwei 
Briefe  aus  dem  Anfang  des  Vll.  Jh.  einlegt,  deren  Stil  geschwollen 
und  y erzerrt  isi^)  —  Von  Gerbert  wurde  bemerkt  (o.  S,  707), 
daCs  sein  Stil  wirklich  etwas  yom  ciceronianischen  Ethos  habe. 
—  Li  dem  auf  Gerberts  Veranlassung  yerfeübten  Geschichtswerk 
seines  Schülers  Rieh  er  tritt  jene  ganz  an  die  humanistische 
Historiographie  erinnernde  Manier,  antike  Bezeichnungen  auf 
mittelalterliche  Begriffe  unmittelbar  zu  übertragen,  die  wir  schon 
bei  Einhart  und  Widukind  antrafen  (S.  694.  710, 1),  stark  heiror: 
„er  macht  einen  Grafen  zu  einem  vir  consulariSf  er  spricht  yon 
Legionen  und  Cohorten,  nennt,  indem  er  die  in  Caesars  Commen- 
tarien  gegebene  Einteilung  Gralliens  auch  für  seine  Zeit  festludt^ 
die  Lothringer  Belgier."*)  —  Alle  überragt  Lambert  yon 
Hersfeld,  nicht  als  ob  seine  Sprache  im  einzelnen  durchaus 
korrekt  wäre  (im  Gegenteil  ist  ihm  darin  z.  B.  Einhart  über- 

1)  AA.  SS.  Jul.  Vn  221  ff. 

2)  A.  Ebert  L  c.  (o.  S.  660, 1)  UI  (Leipi.  1887)  441.  Ähnliches  ans  an- 
dern ma.  Schriftetellem :  F.  Bühl,  Die  Verbreitoiig  des  Iiutmua  im  Ma. 
(Leipz.  1871)  13,  1,  wo  aber  ein  Haaptbeispiel  fehlt:  Ekkehart  lY  (f  1060) 
spricht  in  den  Casus  S.  Gkdli  von  einem  ^Senat  der  Brüder*,  yon  einer  toga 
praetexta,  bei  der  Beschreibung  des  UngameinfaDs  yon  priwmpäana,  prim' 
cerii$8^  hgiones;  er  nennt  Petras  einen  himmlischen  'Consul'  und  Gallns 
einen  himmlischen  ^Prätor*:  die  Stellen  bei  G.  Meier,  Gesoh.  d.  Schule  ▼. 
St.  Gallen  im  Ma.,  in:  Jahrb.  f.  schweix.  Gesch.  X  (1886)  96.  Wir  werden 
weiter  unten  die  gleiche  Erscheinung  in  der  Zeit  der  Benaiswaoe  wieder- 
finden. 


ElasBiziamuB:  Seryatos  LupuB,  Gerbert,  Lambert.  751 

legen):  aber  er  hat  es  yerstanden,  die  PriU^iBion  Sallusts  und  die 
Behaglichkeit  des  Livius  in  einer  Weise  zu  yereinigen,  dais  man 
ihm  seine  Bewnndenmg  nicht  versagen  kann.  Die  Nachahmung 
ist  nicht  so  schablonenhaft  wie  die  Einharts  und  gewinnt  da- 
durch an  Frische  und  Beweglichkeit.  Wenn  er  sich  nicht  scheut^ 
germanische  Namen  und  Bezeichnungen  zu  gebrauchen,  so  spricht 
das  nur  für  seinen  Takt,  der  ihm  das  Übermafs  als  pervers  er- 
scheinen liels  und  der  ihn  befiLhigte,  trotz  des  gelehrten  Studiums 
der  Antike  ein  von  nationalem  Geist  durchwehtes,  sowie  ein  in- 
dividuelles Werk  zu  schaffen.  Die  Kunst  schlagender  Charak- 
teristik und  der  Ableitung  von  Ereignissen  aus  ihren  Ursachen 
hat  er  dem  Sallust,  die  Kunst  der  Erzählung  in  langen,  aber 
nicht  überladenen  Perioden  dem  Livius  abgelernt.  Die  Figuren 
der  Rede  (besonders  die  Anapher  und  das  Homoioteleuton)  ver- 
wendet er  mit  einem  stilistischen  Anstandsgefühl,  das  den  meisten 
Autoren  des  ausgehenden  Altertums  und  des  Mittelalters  abgeht. 
Von  der  Proprietät  der  lateinischen  Wortstellung  hat  er,  was 
stets  etwas  Besonderes  ist,  ein  lebhaftes  BewuTstsein.  Man  kann, 
wie  bei  Einhart,  so  auch  bei  ihm  beobachten,  daJs  er  da  besser 
schreibt,  wo  er  sich  an  antike  Vorbilder  anlehnen  kann,  als  da, 
wo  er  auf  sich  selbst  angewiesen  ist;  z.  B.  ist  eine  geschickte 
Nachahmung  des  Livius  (U  6)^)  die  Stelle  ann.  p.  71  f.^)  nee 
mora:  dato  müitHms  signo  ad  pugnam  equis  subdunt  caicaria  et 
pari  utraque  pars  audacia,  paribus  odiis  in  mutua  vulnera  ruunt 
ibi  in  prima  fronte  Brun  et  Otto,  ambo  pleni  irarum,  ambo  sui 
legendi  inmemores  dum  hostem  ferirent,  tam  concitatos  in  sese  vi- 
cissim  impetus  dederunty  ut  uterque  aUerum  primo  incursu  equo  ex- 
ctissum  letali  vulnere  transfoderet.  omissis  ducibus  aliquamdiu  tUram- 
que  aciem  anceps  pugna  tenuit.  sed  Ecberdus,  qtiamquam  gravüer 
sauciuSy  dolore  tamen  interempH  fratris  efferatuSf  rapido  cursu  in 
confertissimos  hostes  praecipitem  se  mittit,  Bemhardi  cofnitis  filium^ 
egregium  adolescentem  sed  vixdum  müiciae  maturum,  interficit,  cae- 
teros  languidiuSy  quoniam  ducem  perdidissent,  pugnantes  in  fugam 
eonvertii;  di^egen  ist  in  der  Wortwahl  und  Periodisiemng  unbe- 
holfener z.  B.  p.  75  ego  exacta  peregrinatione  lerosolimiiana  XV, 


1)  Bemerkt  von  L.  Bockrohr  in:  Forsehimgen  z.  dentsch.  Gesch.  XXV 
(1886)  671  ff. 

2)  Ed.  0.  Holder-Egger,  Hann.-Leipz.  1894. 


752  1^6r  Stil  der  mittelalterlichen  Prosa. 

Käl,  Octobris  ad  monasterium  reversus  sum,  et  quod  in  omni  iUa 
profediane  mea  praecipuum  a  Deo  postidaveram,  Meginherum  ab- 
totem  superstitem  inveni.  timAam  scüicet,  quoniam  sine  benedictiane 
iUius  profectus  fuissem,  si  offenstis  inreccncUiatusque  decessissd, 
magni  criminis  reum  me  teneri  apud  Deum.  sed  non  abfuit  pro- 
picia  divinitas  redeunti,  quae  tanto  ülo  iUnere  sepe  usqtie  ad  tdti- 
mam  necessHatem  periditatum  misericordissime  texerat.  incolumem 
repperi,  peccatum  indulsit.  Alles  in  allem  wird  man  sagen  dürfen^ 
dafs  es  im  Mittelalter  keinen  Schriftsteller  gegeben  hat,  der  ihm 
in  der  Kunst  der  Nachahmung  guter  antiker  Muster  und  gleich- 
zeitiger Wahrung  von  Originalität  und  Individualität  überlegen 
crewesen  ist,  und  dafs  es  der  Greschichtsschreibunir  des  Humanis- 
L  der  Renaissance  erst  nach  vielen  Irrwegen  gelungen  ist^ 
ihren  mumienhaften  und  yemunftwidrigen  Charakter  abzulegen 
und  auf  die  Höhe  des  Könnens  jenes  einfachen  Mönchs  zu  ge- 
langen.^) —  Auch  lohannes  Sarisberiensis  und  die  zu  jenem 
Ejreise  gehörigen  Männer  (z.  B.  auch  Abälard^)  bemühen  sich, 
ihrer  antischolastischen  klassicistischen  Tendenz  gemäüs  einfach 
und  korrekt  zu  schreiben.  Derartiges  würde  sich  noch  mehr 
anführen  lassen^),  doch  kommt  es  mir,  wie  bemerkt,  weniger 
auf  das  Einzelne  an,  das  ich  doch  nur  unyollkommen  beherrsche, 
als  auf  die  Skizzierung  der  Hauptrichtungen. 

1)  Einzelne  Nachweise  für  die  von  ihm  gelesenen  Autoren  giebt  Holder- 
Egger  1.  c.  399  ff.  und  in:  N.  Arch.  d.  Ges.  f.  alt.  deutsche  Gesch.  IX  (1884) 
296  ff.  —  Der  Stil  Ottos  von  Freising  steht,  wie  ich  mich  durch  die 
Lektüre  von  ein  paar  Kapiteln  überzeugte,  nicht  auf  der  Höhe  des  Lam- 
bert^schen;  durch  die  EinfÜgimg  von  Versen  (meist  vergilischen)  und  ma- 
nierierte Wortstellung  hat  er  ein  mehr  mittelalterliches  Gepi^e  und  den 
für  die  reine  Latinität  verderblichen  Einflufs  der  Pariser  Scholastik  glaubt 
man  auch  an  seiner  Sprache  und  seinem  Stil  zu  merken.  Immerhin  gehurt 
er  sowie  sein  Fortsetzer  Bähe w in  (bei  dem  das  für  Otto  nicht  direkt  nach- 
weisbare Studium  des  Sallust  hervortritt,  ohne  dafs  er  sich  dessen  Art  so 
zu  eigen  gemacht  hätte  wie  Lambert:  er  begnügt  sich  meist  mit  wörtlichem 
Abschreiben,  cf.  G.  Jordan,  B.*s  gesta  [Diss.  Strassb.  1881]  80  ff.)  zu  den 
besseren  Stilisten  des  Ma.,  die  sich  die  barbarischen  Auswüchse  des  Mode- 
stils fem  gehalten  haben.  Ein  paar  Bemerkungen  über  Otto  bei  W.  Lü- 
decke, D.  bist.  Wert  d.  I.  B.  von  0.  v.  F.  (Diss.  Halle  1884)  18  ff. 

2)  Cf.  S.  Deutsch,  P.  Abälard  (Leipz.  1888)  62  f. 

8)  Z.  B.  sind  merkwürdig  korrekt  die  Predigten  und  Briefe  des  in 
Oberitalien  gebildeten  Abts  von  S.-Bänigne  Wilhelmus  (962 — 1081),  was  mit 
Becht  als  bemerkenswert  hervorhebt  G.  Chevallier,  Le  vänärable  Guillaume 
(Pans-Dijon  1875)  211  (dort  218  ff.  sind  seine  Werke  veröffentlicht). 


Neoterismas:  Dante.  753 


2,  Der  neue  StiL 


In  ihm  pulsiert  noch  wirkliches  Leben:  wenn  er  bizarr,  negenara- 
phantastisch;  grell,  yerschnorkelt  ist^  so  offenbart  sich  eben  darin 
die  herrschende  Geschmacksrichtung  des  Mittelalters.  Es  giebt, 
soviel  ich  weÜB^  kein  fQr  die  stilistische  Geschmacksrichtung 
des  Mittelalters  bezeichnenderes  und  durch  den  Namen  seines 
Urhebers  interessanteres  Zeugnis  als  dasjenige  Dante's^)  de 
Yulgari  eloquentia  II  6*):  5ti9t^  gradus  constmctionum  quamplures, 
videlicet  insipidus,  qui  est  ruJium,  ut:  „Petrus  amat  midtum  domi" 
nam  Bertham".  est  pure  sapidus,  qui  est  rigidorum  scholarium  vel 
magistrorum,  ut:  „Piget  me  civitatis^,  sed  pietatem  maiorem  iUarum 
hdbeOf  quicumque  in  exilio  tcibescentes  patriam  tantum  somniando 
revisunif\  est  et  sapidus  et  venustuSf  qui  est  quorundam  superfide 
tenus  rhetoricam  haurientium,  ut:  ,Jjaudabüis  discretio  marckionis 
Estensis  et  sua  magnificentia,  praeparata  cunctiSj  illum  facit  esse 
düectum".  Est  et  sapidus  et  venustus,  etiam  et  excelsus,  qui  est 
didcUorum  iUustriuin,  ut:  jyEieda  maxima  parte  florum  de  sinu 
tuOy  Fhrentia,  nequicquam  Trinacriam  Totüa^)  sems  adivü'*.  hunc 
gradum  constructionis  excellentissimum  nominamus,  et 
hie  est,  quem  quaeritnus,  cum  suprema  venemur,  ut  dictum 
est  Ihn  hält  er  einzig  brauchbar  für  die  hohe  Gattung  der 
Poesie,  und  in  seiner  Prosa  befolgt  er  ihn  selbst.  Also  die 
Einfachheit  und  Natur  wird  verpönt,  der  Schwulst  und  die  Un- 
natur sanktioniert.^)  Das  liefse  sich  aus  allen  Jahrhunderten 
belegen,  doch  fehlt  mir  dazu  die  Lust.  Eine  Hauptfundgrube 
sind  die  Acta  Sanctorum,  über  die  der  Card.  Pitra  eiaige  feine 


1)  Über  seine  Stellnng  zum  Ma.  am  besten  A.  Wesselofsky  in  seiner 
Ausgabe  des  Paradiso  degli  Alberti  I  2  (Bologna  1867)  9  ff.,  besonders  auch 
p.  16  f.  über  seine  Stellung  zu  den  artes.  Cf.  auch  B.  v.  Liliencron  1.  c. 
(S.  728, 1)  29  ff.  Über  sein  Verhältnis  zu  den  klassischen  Studien :  J.  Schuck 
in:  Fleckeisens  Jahrb.  XCII  (1865)  258  ff. 

2)  Vol.  II  >  216  in:  Opere  minori  di  D.  Alighieri  ed.  FraticeUi,  Flo- 
renz 1861. 

8)  CuncHs  edd.,  corr.  E.  Böhmer,  Über  D.'s  Schrift  de  yulgari  eloquentia 
(Halle  1867)  22,  8. 

4)  D.  h.  Carl  v.  Valois  (FraticeUi). 

5)  Qanz  ähnlich  ist  eine  Äufserang  des  Rieh,  de  Bury  (1287 — 1845) 
1.  c.  (o.  S.  740,  2)  7. 


764  I)er  Stil  der  mittelalterlichen  Prosa. 

hierher  gehörige  Bemerkungen  gemacht  hat^),  die  sog.  Prosen 
und  Tropen  des  X.  und  XI.  Jh.*),  die  sog.  ^dictamina',  worüber 
genaueres  im  Anhang  ü,  die  in  absichtlich  dunkler  Latinitat 
yerfalsten  Werke.  •)  —  Auf  andere  Weise  degenerierte  der  Stil 


1)  Histoire  de  S.  L^ger,  ey^qae  d'Autnn  et  martyr,  et  de  T^lise  des 
Francs  au  septi^me  si^de  (Paris  1846)  p.  LXXXYI  fiP.  Natürlich  sagen  fiut 
alle  diese  Skribenten  in  der  Vorrede,  daiÜB  sie  in  roher,  unwürdiger  Sprache 
schrieben  (s.  oben  S.  696,  1).  Nur  selten  ist  das  nicht  rhetorische  Floskel^ 
sondern  Wahrheit,  cf.  Merryweather,  Bibliomania  in  the  middle  ages  (Lond. 
1849)  108. 

2)  Cf.  L.  Gantier,  La  po^sie  religieuse  dans  les  dottres  des  IX® — XI* 
si^les  (Paris  1887)  88  ff.  Sie  gehören  mit  zn  dem  Haarstrilabendsten,  was 
je  in  lateinischer  Sprache  geschrieben  ist:  Schwulst  und  Unnatur  feiern 
bacchantische  Orgien,  und  dabei  yersichem  diese  „Dichter**  gewöhnlich, 
dafs  sie  einfach  wären.  Das  Wunder  von  Eana  wird  beschrieben:  naturas 
lymphoeas  hodie  mutavit  in  saporiferoa  hatuttis  (p.  86  Gautier);  die  Heiligen 
heifsen  pleba  martyriea,  tarn  wranica^  sorte  hgica  phalanx  deiea  (p.  87),  na- 
türlich auch  Wortspiele  wie  lauream  regni  Unet  LaurenHuB  (p.  40),  nnd  so- 
gar  tibi  {deo)  eahibet  Phoeba  ac  Titan  digna  famiäitia  (ib.).  Cf.  auch  O. 
Dreves,  Anal.  hynm.  med.  aeyi  YU  (Leipz.  1889)  10  ff.  Das  Einzige,  was 
ihnen  einigermafsen  an  die  Seite  zu  stellen  ist,  sind  die  Hisperica  fa- 
mina,  an  die  sie  auch  durch  ihre  wunderliche  Sprachmischerei  (griechische 
Brocken  oft  halb  mifsverstanden)  und  wahnsinnige  Neubildung  besonders 
Ton  Adjektiven  (allein  yon  Bildungen  mit  -fluus  finden  sich  in  den  ^(Ge- 
dichten': laudifluus,  dulcifluw,  eUmifluua,  mellifiuua)  erinnern,  sowie  der 
Liber  de  planctu  naturae  des  Alanus  de  Insulis  (210,  481  ff.  Migne) 
aus  s.  Xn. 

8)  (3f.  W.  Giesebrecht  1.  c.  (S.  693,  8)  22  f.  A.  Ozanam,  La  cirilisation 
chr^t.  chez  les  Francs  p.  645,  1.  V.  L.  Clerc,  Hist.  litt,  de  la  France  au 
XIV.  siäcle,  2.  ^d.  I  (Paris  1866)  428.  Z.  B.  (aufser  den  Hisperica  famina) 
aus  dem  X.  Jh.:  Atto  iunior  Vercellensis  episcopus,  polypticum  ed.  A.  Mai 
in:  Script,  vet.  nov.  coli.  VI  48  ff.,  worüber  jetzt  besonders  G.  Gk>etB,  Über 
Dunkel-  u.  Gteheimsprachen  im  späten  u.  ma.  Lat.  in:  Ber.  üb.  d.  Verh.  d. 
S&chs. Ges.  d.  Wiss.  1896,  62  ff.  Aus  dem  Xm.  Jh.:  Brief  eines  Mag.  Adam 
Balsamiensis  (ein  Engländer)  ed.  M.  Haupt  in:  Berichte  der  Sachs.  Ges.  d. 
Wiss.  1849,  276  ff.  (er  fängt  an:  fakae  tholum  cillentibui  radOs  eon^aieuum 
cum  iam  prospicerem,  (xccelerantem  eece  morahctntur  tesqua  cmhi  sooMs,  du- 
mtta  cwn  quisquüiis,  et  confraga  rubetis  eireumvdllata)  und  das  'disUgium^ 
ed.  in:  Not.  et  eztr.  XXVÜ  2  p.  27  ff.  Gegen  solchen  Stil  (besonders  die 
tolle  Wortstellung)  eifert  s.  X  Bather  y.  Verona  phrenesis  c.  8  (186,  869 
Migne)  und  s.  Xu  der  deutsche  Cistercienser  Günther  (cf.  A.  Pannenlxttg 
in:  Forsch,  zur  deutschen  Gesch.  XTII  [1878]  262  ff.),  de  oratione  etc.  bei 
Migne  212,  104.  Boncompagno  (Prof.  der  Grammatik  in  Bologna  s.  XU) 
bei  G.  Tiraboschi,  Storia  de  la  litteratnra  Italiana  IV  (Modena  1788)  466. 


Neoterismus:  Mischung  von  Prosa  und  Vers.  755 

in  der  Spätzeit  der  Scholastik.  Jene  Schriftsteller  mit  ihrem 
barbarisch  tättowierten  Stil  glaubten  schon  zn  schreiben  und 
verwandten  unsägliche  Mühe  darauf^  ihre  Farbenklexe  überall 
anzubringen:  die  Scholastiker,  denen  es  nur  auf  ihre  subtilen 
Distinktionen  ankam,  yemachlässigten  die  ästhetische  Seite  der 
Sprache  ganz  und  gar  und  liefsen  sie  auf  ihre  Art  verwildern,^) 
Die  exakte  Grammatik  wurde  von  oben  herab  angesehen:  sie 
mufste  der  Logik  und  Dialektik  weichen.^ 

Nur  von  drei  Erscheinungsformen  des  mittelalterlichen  Stils 
will  ich  in  aller  Kürze  handeln,  weil  sie  für  ihn  am  bezeichnendsten 
sind  und  sich  unmittelbar  aus  der  antiken  Tradition  ableiten 
lassen. 

a.   Die  Mischung  von  Prosa  und  Vers. 

Die  Anfänge  reichen,  wie  wir  sahen  (o.  S.  74  f.  109  f.)  in  die  Antike 
Zeit  des  Gorgias  und  Piaton  zurück.  Die  Neigung  der  Kyniker  ^°'«*"8*'' 
zur  Parodie,  besonders  von  Versen  Homers  und  der  Tragiker, 
mag  dem  Menippos  von  Gadara  im  III.  Jh.  v.  Chr.  den  Anlafs 
gegeben  haben,  in  seinen  burlesken,  der  Komödie  stark  ange- 
glichenen Kompositionen  Prosa  und  Vers  mit  einander  wechseln 
zu  lassen^):  in  welcher  Art  freilich  und  in  welchem  Umfang,  ist 
uns  nicht  mehr  möglich,  auch  nur  zu  vermuten;   wenn  wir  aus 

1)  Cf.  S.  Deutsch,  P.  Abälard  (Leipz.  1883)  62 f.  —  In  der  ffist.  litt, 
de  France  XXIII  226  wird  hingewiesen  auf  ein  paar  Verse  der  Vie  St. 
Thomas  le  martir  von  Quemes  du  Pont  de  St.  Mazence  (geschrieben  1175) 
ed.  Imm.  Bekker  in:  Abh.  der  Berl.  Akad.  1838,  55: 

Deuant  le  pape  esturent  U  messagier  real. 
aJquant  diseient  bien,  pluisw  diseient  mal, 
li  aJquant  en  Latin,  tel  ben  tel  anamal, 
tel  gui  fist  personel  del  uerbe  impersonal, 
singuler  e  plu/rel  aueit  tut  par  igal. 

2)  Cf.  aus  s.  Xn  den  Brief  des  Boncompagno  bei  Ch.  Thurot  in:  Not. 
et  Extr.  des  ms.  xyn  (1868)  90,  2 :  cum  sit  grammcUica  lac  primarium,  quo 
addiscentium  corda  nutriuntur,  miror  quod  sine  ülius  notitia  te  ad  diaiecticam 
transtulisti:  nam  gui  partes  ignorat,  se  ad  artes  transferre  non  debet,  guia 
non  convalescit  plantula  gue  humore  indiget  primitivo,  worauf  der  Student 
antwortet:  ars  grammatica  potest  male  asinarie  assimilari,  gue,  dum  laborioso 
impulsu  volvitur,  grana  in  farinam  convertü,  de  gua  ß  nutritivus  panis  per 
adiutoria  su^cessiva.  unde  cupio  per  auxilium  dialetice  gramaticam  adiuvare. 
sane  gui  proficit  in  dialetica,  gramaticam  non  öbmittit    S.  auch  o.  S.  712,  1. 

3)  Cf.  R.  Hirzel,  D.  Dialog  I  (Leipz.  1895)  389. 

Norden,  antiko  Kunitprosa.    II.  49 


756  Der  Stil  der  mittelalterlichexi  Prosa. 

der  bewufsten  Nachahmung  seines  Landsmannes  Lukian  einen 
SchluTs  auf  Menippos  selber  ziehen  dürfen,  so  würde  er  nur 
parodierte  Verse  eingelegt  haben.  ^)  Ob  in  dem  Roman  des 
Aristides  Verse  in  die  Prosa  eingelegt  waren,  wissen  wir  ebenso 
wenig  sicher:  immerhin  ist  es  möglich,  weil  sein  Übersetzer 
Sisenna  von  Fronto  62  N.  mitten  zwischen  Dichtem  genannt 
wird  und  weil  eins  der  aus  Sisenna  citierten  Bruchstücke  nach 
Rhythmus  und  Sprache  poetisch  ist.^)  Erst  bei  den  lateinischen 
Schriftstellern  kommen  wir  auf  festeren  Boden,  denn  bei  ihnen, 
die  stilistisch  viel  ^a%vrBQov  waren,  hat  bezeichnenderweise  diese 
bizarre  Art  der  Komposition,  die  bei  den  Griechen  nie  recht  in 
Aufnahme  kam  und  gewissermafsen  nicht  als  salonfähig  ange- 
sehen wurde  (das  zeigt  die  ausführliche  Verteidigung  Lukians), 
sich  grofser  Beliebtheit  erfreut.  Varro,  stilistisch  alles  weniger 
als  ein  Feinschmecker,  hat  sie  —  angeblich  in  Anschluls  an 
Menipp,  vermutlich  aber  dessen  xigiteg  vergröbernd  —  einge- 
bürgert; ihm  sind  dann  die  andern  gefolgt,  deren  allbekannte 
Namen  ich  nicht  aufzuzählen  brauche.') 
Bai  lüttei-  Für  das  Mittelalter  wurde  nun  entscheidend,  dafs  danmter 
*^**^''  seine  beiden  Hauptautoren,  Martianus  und  Boethius,  waren.  Zu 
einer  Zeit,  als  alles  Krause  und  Bizarre  des  Stils  für  schon  galt, 
war  die  Mischung  von  Prosa  und  Vers  für  den  hohen  Stil  aufser- 
ordentlich  beliebt.  Man  prägte  auch  einen  eignen  Namen  dafür, 
der  in  den  Stilistiken  des  XII.  und  XIII.  Jh.  auftaucht:  prosi- 
metrum.^)     Beispiele  brauche  ich  nicht  anzuführen,  da  die  That- 


1)  Dafs  das  nagtodsiv  (sowohl  als  einfache  ii^fir}ai^  und  als  Travestie) 
jedenfalls  eine  besondere  Rolle  spielte,  zeigt  noch  die  Nachahmung  der 
Römer,  cf.  für  Varro  die  Citate  bei  Buecheler  '  p.  260  und  den  tgayiTibg 
TQdnos  von  fr.  269  ff.  423  flP.,  für  Seneca  2.  7.  12,  für  Petron  4  (Lucilius),  65 
(Syrus)  119  ff.  (Lucan)  und  die  Vergücitate  68.  111.  112.  132. 

2)  Nocte  vagatrix  bei  Chans.  208  K.,  wozu  Buecheler  im  Anhang  seiner 
Weinen  Ausgabe  des  Petron  (3.  Aufl.  Berl.  1882)  237  bemerkt:  carminis 
puto  verha. 

3)  Cf.  übrigens  auch  Sidonius  ep.  IX  16.  Ennodius  op.  6  p.  402,  4  ff.  Hart. 
Parthenius  presbyter  (Africa,  s.  VI)  in  Anecd.  Casinensia  ed.  A.  Reifferscheid 
(Ind.  lect.  Breslau  1871/2)  8. 

4)  Ich  kenne  folgende  Zeugnisse:  Hugo  Bononiensis  rationcs  dictandi, 
ed.  Rockingcr  in:  Quellen  z.  bayr.  u.  deutsch.  Gesch.  IX  1  (München  1863) 
47  ff.  aus  dr(;i  IIss.  des  XII.  Jh.  (in  Salzburg,  Pommersfelden,  Wolfenbüttel) 
c.  2  p.  64  diio  quidem  dictaminum  genera  novimua,  imum  videlicet  prt^saicum, 


Neoterismus:  Mischung  yon  Prosa  und  Vers.  757 

Sache  bekannt  ist:  wo  die  Bede  einen  hohen  Schwung  nahm, 
war  der  Übergang  in  Verse  eins  der  bequemsten  Hülfsmittel^), 
z.  B.  bei  Gebeten^),  bei  den  in  eine  Geschichte  eingelegten 
Reden ^j,  im  pathetischen  Stil  der  Urkunden*),  in  Subscrip- 
tionen^)  u.  s.  w.  Die  Humanisten  haben  dann  auch  hiermit  ge- 
brochen, indem  sie  ihren  Abscheu  offen  aussprachen.^) 

b.    Die  rhythmische  Prosa  (s.  o.  S.  41ff.). 

Das   merkwürdigste  Dokument  frühmittelalterlicher  rhyth-  Hiiperfo» 
mischer  Prosa'')    sind   die   durch   ihre   dunkle,   kaum   mehr   als 
lateinisch   zu   bezeichnende  Sprache  berüchtigten  Famina  Hi- 

alterum  q;uod  vocatur  metrictim,  metricum  vero  .  .  .  repperitur  tripliciter:  auf 
cum  pedum  meiisura  et  Carmen  vocatur,  vel  numero  dumtaxat  siUabarum  cum 
voaim  cofisonantia  et  tunc  riddimus  (ridmus  Guelf.,  rithmius  Pom.)  appei- 
Jatur,  seu  utroque  mioctum  quod  quidem  prosimetrum  conpositione  dicitur 
(folgen  Beispiele).  Thomas  Capuanus  (f  1239)  dictator  epistularis  s.  summa 
dictaminis  ed.  S.  Fr.  Hahn  in  seiner  CoUectio  mon.  vet.  et  rec.  I  (Braun- 
schweig 1724)  279fF.,  dort  280  f.  dictaminum  vero  gener a  tria  sunt  a  veteribus 
diffinita,  scilicet  prosaicum,  metricum  et  rühmicum.   prosaicum  ut  Cassiodori^ 

metricum  ut  Virgilii^  rühmicum  ut  JPrimatis  (s.  ohen  S.  730,  3) quodsi  ex 

his  fiat  commixtio,  ex  tali  commixtione  denominationem  asstimit,  ut  dicatur 
prosimetricon  sive  mixtum,  unde  dictamen  Boetii  veteres  prosimetricon 
appellanmt.  Ganz  ähnlich  in  einem  Werk  De  modo  prosandi  aus  s.  XIH^XIV, 
woraus  Bockinger  1.  c.  IX  2  (1864)  einiges  mitteilt,  die  betreffende  Stelle 
p.  726.  —  In  der  Summa  de  arte  prosandi  des  Conrad  Ton  Mure,  Terfafst 
i.  J.  1275,  ed.  Rocldnger  1.  c.  IX  1  wird  p.  473 f.  auf  die  Frage,  ob  man  in 
einem  Brief  Prosa  und  Vers  mischen  dürfte,  geantwortet,  man  müsse  darin 
zurückhaltend  sein. 

1)  Cf.  auch  W.  Giesebrecht,  De  litterarum  stud.  ap.  Italos  (Progr. 
Berl.  1846)  28. 

2)  Cf.  das  Beispiel  bei  A.  Ozanam,  La  civilisation  chr^tienne  chez  Ics 
Francs  (Paris  1849)  466,  1. 

3)  Besonders  bei  Liudprand,  cf.  A.  Ebert,  G.  d.  Lit.  d.  Ma.  III  (Leipz. 
1887)  423. 

4)  Cf.  A.  Giry,  Manuel  de  diplomatique  (Paris  1894)  460  if. 

5)  Cf.  Ozanam,  Des  ^coles  en  Italic  auz  temps  barbares  (in:  Oeuvres 
compl^tes.  2.  6d.  vol.  n  [Paris  1862])  417. 

6)  L.  Castelvetro,  Poetica  d'  Aristotele  vulgarizzata  et  sposata  (1570) 
ed.  Basil.  1676  p.  21  erklärt  eine  solche  Mischung  für  ein  mostro  wie  die 
Fabelwesen  der  Centauren  (dies  Bild  nach  Uoraz  und  Lukian);  nicht  einmal 
prosaische  Vorbemerkungen  wie  bei  Statins  und  Martial  läfst  er  gelten. 

7)  Den  Prosastil  nennt ^wosaica  wo^Zw^aftoAunarius,  Bischof  v.  Auxcrre 
8.  VII  in.),  bei  Hericus,  Vita  S.  Germani  in:  AA.  SS.  BoU.  Jul.  VII  222. 

49  • 


758  Der  Sta  der  mittelalteriiclieii  Prosa. 

sperica,  denen  kürzlich  dorch  H.  Zimmers  glänzenden  Nach- 
weis^) eine  herrorragende  Stellung  in  der  Liüeratnr-  und  Kultur- 
geschichte  der  Übergangsperiode  des  Altertums  zum  Mittelalter 
angewiesen  worden  ist.  Sie  sind,  wie  Zimmer  bewiesen  hat, 
im  VI.  Jh.  in  einem  südwestbrittannischen  Kloster  yon  einem 
Britten  yerfalst,  der  seinen  Goniratres,  yor  allen  den  irischen, 
zeigen  wollte,  wie  man  nach  seiner  Meinung  hisperisches,  d.  h. 
abendländisches,  ausonisches  oder  italisches  Latein  schreiben 
müsse.  Über  den  Satzbau  urteilte  schon  P.  Geyer,  der  nach  der 
erstmaligen  Veröffentlichung  durch  A.  Mai  (Class.  auci.  Y 
[Rom  1833]  479  ff.)  die  Aufmerksamkeit  wieder  auf  das  sonder- 
bare Schriftchen  gelenkt  hat  (in:  Arch.  £  lat.  Lexicogr.  11  [1885] 
255 ff),  richtig *),  dais  in  den  Sätzen  ein  bestimmter  Rhythmus 
heryortrete,  der  durch  eine  ganz  bestinmit  normierte  Wort- 
stellung innerhalb  kleiner,  nichtperiodisierter,  sondern  sich  parallel 
laufender  und  fast  gleich  langer  Sätze  heryorgerufen  werde:  das 
Verbum  nimmt  die  Mitte  des  Satzes  ein  und  die  übrigen  Satz- 
teile werden  um  dasselbe  gruppiert,  wobei  die  logisch  und  gram- 
matisch zusammengehörigen  Begriffe,  besonders  Substantiy  und 
Attribut,  fast  prinzipiell  yon  einander  getrennt  werden,  z.  B.  c.  6^: 

Titanetis  olimphitim  inflammat  arotus  täbulattim, 
thalasicum  illustrat  vapore  flvstrum^ 
flammivomo  secat  polum  corusco  supemum, 
almi  scandit  camaram  firmanienti.^) 

Der  Verfasser  that  sich  offenbar  etwas  darauf  zugute,  denn 
er  sagt  in  der  Vorrede  c.  2:  hacc  compta  dictaminum  fxdget  sparsiOj 
at  nullos  vitioso  aggere  glomerat  logos,  ac  sospitem  lecto 
libramine  artat  vigorein  et  aequali  plasmamine,  nieUifluam 
populans  ausonici  faminis  per  gutttira  spargineni;  er  scheint,  wie 


1)  Nennius  vindicatus  (Berlin  1893)  291  flF.;  s.  auch  o.  S.  754,  2.  3. 

2)  Cf.  übrigens  schon  A.  Ozanam,  La  ciTÜisation  chrätienne  chez  les 
Francs  (Paris  1849),  481,  der  das  Ganze  nennt  ime  sorte  de  po€m  en 
prose. 

3)  Ed.  J.  Stowasser  in:  Jahresber.  über  d.  Franz-Joseph-Gymn.  in  Wien 
1886/87,  cf.  dens.  in:  Arch.  f.  lat.  Lexicogr.  EI  (1886)  168 ff. 

4)  Die  einzelnen  Kola,  die  ich  als  Verse  abgeteilt  habe  (cf.  Hartel  in: 
Z.  f.  d.  östr.  Gymn.  1888,  471),  sind  in  einigen  Hss.  meist  durch  grofse  An- 
fangsbuclistaben  gekennzeichnet,  cf.  Zimmer  in:  Nachr.  d.  Ges.  d.  Wies,  zu 
Göttiugeu  1895,  154. 


NeoteriBinus :  Rhythmische  Prosa.  759 

J.  Stowasser  1.  c.  17  bemerkt,  das  Kunststück  der  daktylischen 
Poesie  abgelernt  zu  haben,  in  der  Wortverschränknngen  wie 
mollia  luteola  pingü  vaccinia  calta  (Yerg.  ed.  II  50) 
mollia  securae  peragebant  otia  gentes  (Ovid  met.  I  100) 
beliebt  gewesen  seien,  doch  hat  die  Zwischenstellung  des  Yerbum 
zwischen  Substantiv  und  Attribut,  wie  sie  ja  auch  z.  B.  Cicero 
besonders  an   gehobenen   Stellen  liebt,   in   der   spätlateinischen 
Litteratur  genug  Analogieen:  wird  sie  doch  von  einem  antiken 
Rhetor  ausdrücklich  empfohlen.^) 

Mehr  an  die  Art  der  rhythmischen  Prosa  des  Querolus  Anden 
(s.  o.  S.  630f.)  erinnern  die  mittelalterlichen  Schriftstücke,  deren 
Sätze  an  gehobenen  Stellen  hexametrisch  auslauten,  z.  B. 
lautet  eine  Stelle  im  Prolog  der  Vita  S.  Eligii  (s.  VII)  ed. 
d'Achery  IV  (Paris  1723)  p.  76:  cum  gentües  poetae  studeant  sua 
figmenta  prolixis  pompare  stilis  et  saeva  nefandarum  renovent  con- 
tagia  rerum,  ac  plürima  Niliacis  tradant  mendacia  chartis  eorumqtie 
vana  tantum  discurrat  gloria,  qua  veterum  nectuni  mendacia:  ctir 
nos  Christiani  salütiferi  taceamus  \  miräcula  Christi^  cum  possimus 
sermone  vel  tenui  aedificationis  historiam  pändere  pld)i?  So  endigen 
in  einem  Brief  des  Bonifacius  (4  p.  29  Giles)  zwei  sehr  nahe 
zusammenstehende  Sätze  reüa  dignoscuntur,  limina  latrat,  und  in 
einer  merkwürdigen  aus  dem  XIII.  Jh.  stammenden  rhetorischen 
Anweisung  für  künftige  Volksredner*)  heifst  es  in  einem  Muster- 
beispiel (de  naufragium  passis  et  spoliis  eorumdem):  miseremini, 
venimus  non  dllaturi  salutem,  qua  nos  et  tota  patria  nostra  caret 
singultus  et  lacrymae  genas  madentes  et  ora  nostra  tristes  praepe- 


1)  Cf.  lul.  Vict.  ars  rhet.  c.  20  p.  433  Halm:  inter  nomina  aut  pro- 
nominal  in  eosdem  casus  cadentia  nomen  diversi  casus  interveniat,  was  z.  B. 
auch  Martianus  Capella  befolgt,  wenn  er  schreibt  Y  426  mülta  terrestrium 
plehs  deorum  u.  viel  dgl.  Hrotsvitha  Terschränkt  in  der  Vorrede  zu  ihrem 
Gedicht  auf  Otto  I.  (p.  802  ff.  Barack)  fast  prinzipiell  die  Worte.  Über  die 
Arengen  von  Urkunden  aus  der  Zeit  Heinrichs  IV.  sagt  W.  Gundlach,  Ein 
Dictator  aus  der  Kanzlei  Heinrichs  IV.  (Innsbr.  1884)  82:  „Das  Verbum 
geht  dem  zugehörigen  Substantivum  oder  Participium  in  der  rhetorischen 
Bede  mit  einer  gewissen  Stetigkeit  voran  und,  wenn  das  Substantivum  mit 
einem  Attribut  verbunden  ist,  wird  es  in  deren  Mitte  gestellt."  Noch 
Aeneas  Sylvius,  Rhetorica  praecepta(Bas.  1551)996  giebt  als^praeceptumXIE' : 
inter  adiectivum  et  substantivum  aliquid  mediare  dehet. 

2)  Bei  Muratori,  Antiquit.  Ital.  IV  95  ff.,  cf.  A.  Ozanam,  Des  dcoles  en 
Italie  aux  temps  barbares  1.  c.  (o.  S.  757, 5)  426 f.  Man  lese  nach  dem  Accent. 


760  ^f  Stil  der  mittelalterlicheii  Proea. 

di%mi,  naiufragium  promere  nastrum.  sed  pietas  vestrOj  quod  neguä 
exprimere  linffuOy  penset  öbnäas  insanis  esse  carmas  aguis.  devatio 
pia,  terrae  sandae  succurrere  voUntes^  aceinxerai  armis  müües  quin- 
gmios  d  ultra  iotidemque  plebeias:  qtws  ardma  p^ppis  educta  nor 
valäms  undis  ordimiSnts  gemmis  aeoepU  in  sedibus  aptos.  at  htvevtes 
rfwigare  sucH  subiio  reducunt  ad  fortia  pedora  remos  et  currens 
saUu  vdoci  seoabaf  aequora  navis.  Auch  in  den  ^Valedietiones' 
Ton  Briefen  sdieint  es  Sitte  gewesen  zu  sein,  so  zu  sdireiben: 
über  ein  Werk,  in  dem  solche  GroMormeln  gesammelt  waren, 
K.  B.  vdle  raptim  ex  Parrhisius  ada  tarn  coena  oadenie  humime  soUSj 
vale  ex  Borna  odabris  decima  vdocius  euro,  dum  nox  Uderat  süeHÜa 
ierris  etc.  geeist  die  Schale  seines  Zorns  aas  der  Tfibinger 
Humanist  Henricus  Bebelins,  Commentaria  epistolarom 
darum  ^^1513)  f.  IX\  XX. 


c.   Die  Beimprosa. 

M"  Das  &fKHor£l£vroy  war,  wie  im  Verlauf  der  Toranagi^aiigenen 

B».  Untersuchungen  gezeigt  worden  ist,  die  wesentlichste  und  am 
meisten  charakteristische  Wortfigur  der  antiken  Kunstprosa.  Wie 
Wliebt  sde  auch  b^im  Volk  war,  haben  wir  besonders  an 
Augustins  lYesügten  y^S.  621  ff "^  und  der  oben  (S.  629£)  angefahrten 
Inschrift  eines  Afrikaners  gesehen.  Gerade  die  Autoren  des  aus- 
gehenden Altenums  in  beiden  Sprachen  haben  reichlichen  Ge- 
brauch Ton  ihr  gemacht«  und  so  wurde  sie,  wie  man  sagen  kann, 
die  eigentliche  Signatur  der  gehobenen  mittelalterlichen 
Prosa.  Da  nach  dem  seit  Gorgias  bestehenden  StUgesetz  die 
blioiQTii£VTa  in  gewissen,  sich  entsprechenden  Satzteilen  auf- 
treten^  so  erhalt  dadurch  die  Bede  eine  ausgeprägt  rhythmische 
Färbung:  die  Reimprosa  ist  also  eine  und  zwar  die  am  hiufigsten 
Torkommende  Species  der  rhythmischen  Prosa.  Das  rhythmische 
Element  i£t  so  stark,  da£s  man  gelegentlich  solche  Prosa  f&r 
wirkliche  Verse  angesehen  hat,  die  aus  Tolkstümlicher  Ober- 
liefenmg  in  die  lateinische  Sprache  herübergenommen  seien;  so 
urteilt  A.  Ozanam  \^La  cirilisation  chretienne  chez  les  Francs 
[Paris  1><49]  122  adn.)  über  folgenden  Passus  der  Vita  S.  Galli 
''Monum.  Germ.  ed.  Pertz  II  5):  ecce  pereffrini  renenifi/  qui  me  de 
templo  eiecenmt.  en  umis  illomm  es/  in  pelago,  cui  numquam 
nocere  potero.    volui  enim  reiia  sua  laednr,  S(d  wie  vidmm  probo 


*v. 


Neoterismus:  Beimprosa.  761 

lugere.  signo  orationis  est  semper  clausus  nee  umquam  oppressus: 
„peut-etre  faulril  y  reconnaitre  le  reste  cCun  anden  chant  populaire 
panni  les  populatums  latines  de  la  Suisse,  recueüU  plus  tard  par  le 
biographe  de  Saint- GalV\  und  in  einer  gereimten  Partie  des 
Prologs  zur  Lex  Salica  wollte  in  analoger  Weise  jemand  die 
Spuren  eines  fränkisclien  Volksliedes  wiederfinden,  cf.  G.  Waitz, 
Deutsche  Verfassungsgesch.  ü*  1  (Kiel  1882)  125.  Das  ist  der- 
selbe Fehler,  den  Philologen  und  Theologen  begingen,  wenn  sie 
aus  hochpathetischen  Stellen,  z.  B.  der  pseudohippokratischen 
Briefe,  der  griechischen  Deklamatorenfragmente  bei  Seneca^  einer 
Stelle  des  [Paulus]  (ep.  ad  Tim.  I  3,  14flF.),  des  Homilien&agments 
am  Schlufs  des  pseudoiustinischen  Diognetbriefes,  der  Fragmente 
des  Maecenas  und  des  pseudoxenophontischen  Eynegetikos,  Verse 
herauslasen.  Bemerkenswert  ist,  dafs  in  den  Prosadramen  der 
Hrotsvitha  (s.  X)  die  einzelnen  rhythmischen,  meist  reimenden 
Kola  durch  Punkte  von  einander  getrennt  zu  werden  pflegen.*) 
Über  die  Geschichte  der  Reimprosa  im  Mittelalter  zu  handeln, 
muTs  ich  den  Historikern  überlassen^)';  mir  genügt  es,  festgestellt 


1)  Das  hat  aus  der  Hs.  (cod.  Monac.  s.  X)  festgestellt  J.  Bendixen  in 
seiner  Ausgabe  der  Komödien  (Lübeck  1867),  praef.  Xff.  Z.  B.  Interim 
eram  constematus  mente.  ex  ostensae  visianis  terrore.  —  Postquam  evigilans 
huius  aolamine  visianis.  temperäbam  tristitiam  prioris.  —  Nam  nimium  can- 
fundor,  cordetenus  contristor,  anxio.  gemo.  doleo  super  gravi  impietate 
mea.  —  Eapido  impetu  adveniens,  candidulam  secus  ine  columbam  repperie^is. 
cepit  devoravit.  subitoque  comparuit.  Cf.  auch  R.  Köpke,  Hrotsuit  von 
Gandersheim  =  Ottonische  Studien  II  (Berlin  1869)  162  ff.  Die  Thatsache 
scheint  ganz  vereinzelt  zu  stehen,  denn  eine  verwandte  Erscheinung  (Accente 
zur  Bezeichnung  des  Rhythmus  in  Prosaurkunden)  dürfte  noch  nicht  sicher 
genug  festgestellt  sein:  cf.  G.  v.  Buchwald,  Bischofs-  u.  Fürsten-Urkunden 
des  XII.  u.  Xm.  Jh.  (Rostock  1882)  44. 

2)  Es  giebt  nämlich  verschiedene  Formen  dieser  Reimprosa,  z.  B.  ist 
besonders  merkwürdig  eine  Form  des  VII.  Jh. :  Cinq  formules  rhythmdes  et 
assonanc^es  ed.  A.  Boucherie,  Montpellier-Paris  1867  (kurze,  ganz  versähn- 
liche Glieder  mit  eigenartigen  Reimen);  femer  eine  ganz  rohe  Form  dieser 
Reimprosa,  wo  die  Glieder  an  Länge  ganz  verschieden  sind  und  unmotiviert 
ein  nicht  sich  reimender  Satz  zwischen  gereimte  geschoben  wird,  cf. 
P.  Scheffer-Boichorst  in:  Z.  f.  G.  d.  Oberrheins  N.  F.  HI  (1888)  182 ff.  über 
Urkunden  s.  XQ.  Wissen  möchte  ich  vor  allen  Dingen,  wann  man  ange- 
fangen hat,  als  Reim  aufzufassen  und  zu  behandeln  auch  solche  Worte, 
die  zwar  auf  gleiche  Silben  ausgehen,  aber  keine  diioioriXsvta  im  antiken 
Sinne  sind,  weil  sie  von  ungleicher  Flexion  sind,  wie  in  dem  S.  762  Anm.  2 


762  I>«  2< 

zu  haben,  daüi  sie  das  Resultat  einer  ta eisend jiKr igen 
Entwieklnng  seit  Gorgias  gewesen  ist  und  die  Sparen  ihrer 
Entstefanng  durchaus  bewahrt  hat:  dazu  gdLÖrt,  dad  sie  sich  nur 
(oder  doch  fast  aosschHeisIich}  an  gehobenen  Steüoi  findet^ 
z.  B.  mit  besonderer  Vorliebe  in  den  Arengen,  d.  h.  den  hoch- 
rhetorischen Exordia  der  Urkundoiy  und  dad  sie,  wozu  der 
Parallelismus  der  Glieder  von  sdbet  führte,  gern  in  der  Figur 
der  Antithese  auftritt.^  Man  nannte  diese  Schreibart  entweder 
allgemein  Maus  retkcricHS^)  oder  später,  als  man  für  die  einzelnen 
Stile  besondere  Xamen  er&nd,  stäms  Isidariimus.^)    Die  Huma- 


angefahrteii  Beispiel  renere  —  habere,  oder  bei  HzotffTitha  adoni  —  ere- 
WMtri  etc.  —  Ist  ferner  die  besonders  stark  mo^eprägte  Beunpro«a  der 
Chronik  des  fog.  Isidoms  ron  Beja  geschrieben  7»4  in  Säd5panien\  woraus 
R.  Dozj,  Becherches  snr  V  histoire  et  Im  Utteratnre  de  Y  Espagne  pendant 
le  mojen  äge.  Ed.  2  I  «Xejden  18<o;  2 ff.,  Proben  Toeffentlicht  hat,  auf 
Bechnnng  des  Arabischen  za  setzen  oder  hat  man  anch  sie  ans  der  Eni* 
Wicklung  des  lateinischen  Stüs  za  erklären?  Yielleicht  waren  beide  MoÜTe 
wijiuam.  —  Über  deutsche  Beimprosa  im  ICttelalter  cf.  W.  Wackeniagel, 
Hdb.  d.  deutsch.  Nationallitt.  I  >  (Basel  1879    §  40. 

Ij  Man  erkennt  das  z.  6.  dentlich  aus  Ekkehart  (t  1080)  casus 
S.  GalH,  in  den  Mon.  Germ.  ed.  Pertz  11  85. 

2)  Cf.  W.  Gnndlach,  Ein  Diktator  aus  der  Kanzlei  Kaiser  Heinrichs  IV 
.""Innsbr.  1884)  32.  51.  125;  z.  6.  quam  sicut  eeteris  fpeeiälius  dileetione  nastra 
dignamur,  ita  qaoqy^e  nobis  preciosiora  eidem  eeteris  speeialibus  addere  ca- 
namur,  —  deus,  qui  et  intisibHi  diseiplina  ut  vertat  animum  informat  et  ad 
exsequenda  in  visünlibus  guae  vortrat  soüicitat.  —  inimicos  regis  .  ,  .  ut  sieut 
periurii  infamia  sunt  exleges  ita  bonorum  suorum  omnium  fiant  tjkeredes, 
Cf.  auch  Hugo  Bononiensis  (s.  XII)  ars  dictandi  ed.  Bockinger  in:  Quellen 
z,  bajer.  n.  dentsch.  Gresch.  IX  1  (1863)  58  sunt  prtter  hoc  duo  necessaria^ 
id  est  coma  et  cola  (im  Ma.  ist  dies  Wort  fem.  gen.),  sine  quibus  orator  per- 
fecta non  utitur  eloquentia.  est  coma  divisio^  ridelicet  subsequens  precedenti 
non  multum  inpar  positio,  quando  scilicet  distinctione  videntur  quasi  currere. 
et  sint  fere  conpares.  verbi  gratia:  ^restrae  dilectionis  et  fraiemitatis  litterae 
tneas  ad  aures  usque  venere:  quorum  presentiam  vtUem  si  possem  pre  ocuJis 
semper  habere  \  hoc  in  epistola  est  necessarium  sine  quo  tncoMCtfiniijfi  con- 
fftat  omne  prosaicum  (er  giebt  dann  noch  mehr  Beispiele).  Auch  Vincentins 
BelloTacensiB  behandelt  im  Speculum  doctrinale  IV  c.  129  unter  den  Wort- 
figuren am  ausführlichsten  das  Antitheton,  gestützt  auf  je  ein  Beispiel  aus 
Cicero  und  der  Bibel  (ersteres  hat  er  aus  den  lateinischen  Bhetoren,  letzteres 
aus  Augustin). 

3)  Cf.  Odile  vita  S.  Maioli  in  AA.  SS.  BoU.  Mai.  vol.  E  688. 

4)  Cf.  Johannes  Anglicus  (s.  XIII)  ars  dictandi  ed.  Bockinger  1.  c.  602. 


Die  allgemeiiien  Verhältnisse.  763 

nisten  haben  damit  aufgeräumt^  indem  sie  die  Anwendung  des 
byLOiotiksvxov  auf  die  bei  Isokrates  und  Cicero  eingehaltenen 
Normen  zurückführten. 


Zweites  Kapitel. 
Der  Stil  der  lateinisclien  Prosa  in  der  Zeit  des  Hiunanlsians. 

I.   Die  allgemeinen  Verhältnisse. 

1.  Die  rhetorisch-stilistische  Tendenz  war  in  dem  Zeitalter^  fQr  PoiemUc  dor 
welches  der  Begriff  der  allgemeinen  Bildung  echt  antik  mit  dem  gegen  aJ* 
der  *  Eloquenz'   zusammenfiel,   zwar  von  Anfang  an  stark  ver-™**  ^***^ 
treten,  aber  im  ersten  Jahrhundert  doch  noch  nicht  die  einzige: 
man   denke    an  Petrarcas    glühende   Begeisterung   für   das   auf 
Restitution  der  alten  Roma  ausgehende  Unternehmen  Colas,  an 
die  Gründung  der  platonischen  Akademie,  an  die  Sehnsucht  nach 
Kenntnis  Homers  als  des  Urquells  der  Poesie.     Man  kann  also 
sagen:    anfangs  war  die  Verbesseruug  des  Stils  nur  eine  Aus- 
strahlung des  allgemeinen  Ringens  nach  Klarheit  und  Reinheit 
auf  Grund  der  Antike  im  Gegensatz  zum  Formenchaos  des  Mittel- 
alters. 

Schon  Petrarca  verglich  das  Monchslatein  einem  ver- 
krüppelten Baume,  der  weder  grüne  noch  Früchte  trage.*) 
Vor  allem  charakteristisch  aber  für  ihn  und  die  ganze  Stellung 
des  Humanismus  zum  Mittelalter  in  Fragen  des  Stils  ist  ein  von 
Petrarca  selbst  (ep.  de  reb.  fam.  XHI  5)  mit  seiner  gewohnten 
antiken  Liebenswürdigkeit  und  Eitelkeit  geschilderter  Vorgang 
aus  dem  J.  1352.  Zwei  befreundete  Kardinäle  haben  ihn  zum 
Sekretär  der  päpstlichen  Kanzlei  vorgeschlagen,  einem  Amte,  zu 
dem  man  sich  seit  alters  die  besten  Latinisten  aus  aller  Herren 
Länder  kommen  liefs;  Petrarca  hat  keine  Lust,  sich  irgendwie 
zu  binden,  weifs  aber  nicht  recht,  wie  er  mit  guter  Manier  ab- 
lehnen kann:  da  kommt  ihm  die  Kurie  selbst  zu  Hülfe,  sie  fordert 
nämlich,  er  solle  seinen  hohen  Stil  erniedrigen,  denn  so  gezieme 
es  sich  für  die  Niedrigkeit  des  römischen  Stuhls.  Dieses  An- 
sinnen erfüllt  Petrarca,  wie  er  sagt,  mit  einer  Freude,  wie  sie 


1)  Cf.  G.  Voigt,  D.  Wiederbeleb,  d.  class.  Altert.  I » (Berl.  1893)  85. 


764  I^6r  Stil  des  Humanistenlateins. 

der  empfindet;  der  auf  der  Schwelle  des  yerhafsien  Kerkers 
seinen  Befreier  unverhofiFk  erblickt:  denn  in  der  Probeschrift  ent- 
faltet er  nun  erst  recht  alle  Schwingen  seines  Genies  und  ver- 
sucht eS;  so  hoch  zu  fliegen,  daüs  diejenigen,  die  ihn  fangen 
wollen,  ihn  aus  dem  Gesicht  verlieren  möchten:  und  die  Musen 
und  Apollo  stehen  ihm  bei:  quod  dictaveram^  magnae  parti  non 
satis  intelligibile,  cum  tarnen  esset  apertissimum,  quibusdam  vero 
graecum  seu  magis  barbaricum  visuni  est.  en  guibus  ingeniis  rerum 
summa  committitur.  Drei  Stilarten,  führt  er  weiter  aus,  erkennt 
Cicero  an,  den  hohen,  mittleren  und  niederen:;  in  dem  ersten 
vermag  jetzt  so  gut  wie  niemand  zu  schreiben,  in  dem  zweiten 
wenige,  in  dem  dritten  viele;  was  aber  darunter  ist,  iam  pro- 
fecto  nullum  orationis  ingentiae  gradnm  tenet,  sed  verborum  potius 
quaedam  et  agrestis  et  servilis  ejfusio  est,  et  quamquam  mille 
annorum  observatione  continua  inoleverit^  dignüatem  tarnen, 
quam  naturaüter  non  habet,  ex  tempore  non  Jiäbebit ....  Quid  est 
igitur  quod  me  poscunt?  certe  quo  nie  uti  iubent  et  quem  ipsi  stüum 
nominant,  non  est  stilus . . .  Has  ad  scholas  ire  iubeor  iam 
senescens,  g^as  iuvenis  semper  fugi.  Den  Göttern,  führt  er  aus, 
sei  Dank,  dafs  Cicero,  Seneca  und  Juvenal,  die  gegen  den  Verfall 
der  Beredsamkeit  geeifert  haben,  diese  Zustände  nicht  erlebt 
haben!  Man  erkennt  den  Unterschied  zwischen  der  Diktion 
mittelalterlicher  Menschen  und  der  des  Petrarca  am  deutlichsten, 
wenn  man  neben  einander  Dokumente  liest,  die  in  einer  und 
derselben  Angelegenheit  von  beiden  Parteien  verfafst  sind,  z.  B. 
die  Invektive  des  Franzosen  (eines  echten  Pariser  Scholastikers) 
gegen  Petrarca  und  dessen  Antwort^),  den  Brief  Karls  IV.  an 
Petrarca*)  und  die  —  zum  Teil  glänzend  geschriebenen  —  Briefe 
dieses  an  jenen  ^);  diese  Dokumente  sind  um  so  bezeichnender, 
als  sowohl  der  französische  Anonymus  wie  der  böhmische  König 
(bezw.  sein  Sekretär)  in  ihren  Schreiben  an  den  berühmten 
Latinisten  sich  viel  Mühe  gegeben  haben,  aber  ohne  Erfolg.  — 
In  demselben  Sinn  hat  Salutato  speziell  gegen  die  mittelalter- 


1)  Beide   Schreiben   in    der   Basler   Ausgabe  Petrarcas    vom  J.   1554 
p.  1060  ff. 

2)  Bei  J.  de  Sade,  M6m.  pour  la  vio  de  Fr.  Petr.  11  (Amsterd.  1764), 
piöce  just.  XXXIV. 

3)  Z.  B.  ep.  de  reb.  fam.  X  1.  XIII  1  u.  ö. 


Die  allgemeinen  VerbfiliausBe.  765 

liehe  Reimprosa  geeifert^);  und  für  alle  Späteren  ist,  wie  jeder 
weifs^  bis  auf  die  Epistulae  obscuronim  viromm  das  scholastische 
Latein  ein  ^^Schlammpfuhl^  in  dem  sich  Menschen  wtlhlen,  die 
man  besser  Schweine  nenne'';  „Menschen,  die  Gott  zur  Strafe  in 
jenem  durch  Barbarei  verseuchten  Zeitalter  habe  leben  lassen^, 
^^MenscheU;  die  mehr  Soloecismen  als  Worte  machten  und  die 
man  daher  lieber  schnarchen  als  reden  höre"  und  so  weiter.*) 
Peinlich  war  es,  dafs  man  auch  Dante,  den  allgemein  verehrten, 
von  diesem  Gesichtspunkt  aus  mitsamt  den  übrigen  Terwerfen 
mufste*):   aber    das   wollte   nicht    viel    heiisen,    genügten   doch 

1)  Da  die  Stelle  nicht  bekannt  zu  sein  scheint,  will  ich  sie  anführen: 
Lini  Coluci  Salutati  epistolae  ed.  Rigacci  I  (Florenz  1741)  ep.  80  (p.  183 f.): 
Episcopo  Florentino,  vidi  gavisusque  sum  elegantissimam  illam  orationetn 
vestram  quam  mihi  dignatus  fuistis  (sie)  vestra  benignitate  tranamittere  .... 
Et  quum  omnia  placeant,  super  omnia  gratum  erit,  guod  more  fratrum 
ille  sermo  rythmica  lucubratione  non  ludit,  non  est  ibi  sylla- 
barum  aequalitas,  quae  sine  dinumeratione  fieri  non  solet,  non 
sunt  ibi  clausulae  quae  similiter  desinant  aut  cadant.  quod  a 
Cicerone  nostro  non  aliter  reprehenditur  quam  puerile  quiddam,  quod  minime 
deceat  in  rebus  seriis  vel  ab  hominibus,  qui  graves  sint,  adhiberi.  bene- 
dictus  Sit  deus,  quod  sermonem  unum  vidimus  hoc  fermento  non 
contaminatum  et  qui  legi  possit  sine  concentu  et  effeminata  con- 
sonantiae  cantilena.  —  Ganz  ähnlich  verurteilt  der  (unbekannte)  Verf. 
einer  in  Köln  1484  gedruckten  Ars  dicendi  (bei  Panzer,  Ann.  typ.  I  p.  292 
n.  117.  Ich  habe  sie  auf  der  Kgl.  Bibl.  zu  Berlin  benutzt):  1.  Xm  tract.  VI 
cap.  XII  (De  similiter  desinente)  die  Beimprosa  als  puerilitas  und  erbost 
sich  über  quidam  modemi  predicatores,  die  sie  trotzdem  anwendeten. 

2)  Aufser  den  ep.  obsc.  vir.  vgl.  etwa  noch  die  Sammlung  von  K.  Hart- 
felder, Melanchthon  als  Praeceptor  Grermaniae  (in:  Mon.  Germ.  Paedag.  VU 
1889)  165  ff.  L.  Bruni  Aretini  dial.  de  trib.  vatibus  Florentinis  (1401)  ed. 
Wotke  (Wien  1889)  14f.  Erasmus  dial.  Ciceron.  (Opera  1703  vol.  I)  1008  D. 
G.  J.  Vossius  inst.  orat.  (1606)  1.  IV  c.  1.  Wie  selten  dagegen  einmal  ein 
Wort  der  Anerkennung!  Melsöichthon  or.  de  art.  lib.  (1617)  1.  c.  (oben  S.  746,  2) 
von  den  Scholastikern:  aridi  sunt  ac  ieiuni  sermonem,  fecundi  sema.  Muretus 
notae  ad  Senecam  p.  383  (citiert  von  Mosheim  in  der  Vorrede  zu  s.  Ausg. 
von  Vberti  Folietae  de  linguae  lat.  usu  et  praestantia  [Hamb.  1723]  p.  23): 
Seneca  (ep.  58)  klage,  dafs  er  tb  öv  nicht  übersetzen  könne,  Thomas  und 
Duns  hätten  es  gethan  und  es  sei  unrecht,  sie  deshalb  zu  verlachen. 

3)  Der  Stimmung  dieser  Kreise  leiht,  ohne  sie  selbst  zu  teilen,  Worte 
Lionardo  Bruni  in  der  berühmten  Invektive  gegen  die  florentinischen  Trium- 
vim  (1401):  Leon.  Bruni  Aretini  dial.  de  trib.  vatib.  Florent.  ed.  Wotke 
(Wien  1889)  20 f.:  de  his  loqaamur  qua^  ad  studia  nostra  pertinent,  quae 
quidem  ab  isto  ita  plerumqxie  ignorata  video,  ut  appareat  id  quod  verissimum 
est,  Dantem  quodlibeta  fratrum  atque  huius  modi  molestias  lectitasse^  libff 


766  I^6r  Stil  des  Humanistenlatems. 

späteren  Generationen  bei  immer  steigender  stilistischer  Em- 
pfindlichkeit nicht  einmal  Petrarca  und  Boccaccio  mehr.*) 
Folgen  für  2.  Die  vom  Standpunkt  der  Humanisten  selbst  höchst  Ter- 
ni»tenutoin:hängnis vollen  Folgen  dieser  steigenden  Einseitigkeit  waren  un- 
ausbleiblich. Sie  sind  für  uns  erkennbar  in  folgenden  zwei  für 
die  ganze  Eulturentwicklung  sehr  wichtigen  Symptomen. 


autem  gentilium,  tmde  maxime  ars  stM  dependehat,  nee  eos  quidem  gut  nohis 
reliqui  stmt  attigisse.  d^nique  ut  alia  omnia  sihi  adfuissenty  at  certe  latinitas 
defuit.  n08  vero  non  pudehit  eum  poetam  appellare  et  Virgilio  etiam  ante- 
ponere,  qui  latine  loqui  non  potest?  legi  nuper  quasdam  eins  litUras,  quas 
nie  videhatur  peraccurate  scripsisse  —  erant  enim  propria  manu  atque  eitts 
aigillo  obsignatae  — ,  at  fnehercule  nemo  est  tarn  rudis,  quem  tarn  inepte 
scripsisse  non  puderet  quam  ob  rem,  Colucci,  ego  istum  poetam 
tuum  a  concilio  literatorum  seiungam  atque  eum  zonariis,  pi- 
storibus  et  eius  modi  turbae  relinquam.  sie  enim  locutus  est,  ut  vi- 
deatur  huic  generi  hominum  valuisse  esse  frater.  Das  Urteil  über  Dantes 
lateinische  Prosa  wird  nicht,  wie  die  andern  Beschuldigungen,  im  zweiten 
Teil  des  Dialogs  zurückgenommen.  —  Über  den  Stil  des  Albertino  Mussato 
(t  1329)  cf.  Voigt  1.  c.  18;  des  Ferreto  von  Vicenza  ib.  19;  des  Cola  di 
Bienzo  ib.  63.  60,  1 ;  des  Salutato  ib.  201  f. ;  des  Giovanni  di  Conversino 
ib.  218. 

1)  Cf.  Paulus  Cortesius  (f  1610)  de  hominibus  doctis  (ed.  Florentina 
1734):  huius  sermo  nee  est  latinus  et  aliquanto  horridior,  sententiae  autem 
multae  sunt  sed  concisae,  verba  abiecta,  res  compositae  diligentius  quam  ele- 
gantius.  fuit  in  illo  ingenii  atque  memoriae  tanta  tnagnitudo,  ut  primus 
ausus  Sit  eloquentiae  studia  in  lucem  revocare:  nam  huius  ingenii  magni- 
tudine  primum  Italia  exhilarata  et  tanquam  ad  studia  impulsa  ctique  ineensa 
est,  declarant  eius  rhythmi,  qui  in  vulgus  feruntur,  quantum  iUe  vir  con- 
sequi  potuisset  ingenio,  si  latini  sermonis  lumen  et  splendor  affuisset:  sed 
homini  in  faece  omnium  saeculorum  nato  illa  scribendi  Orna- 
ment a  defuerunt  .  .  .  . :  qimmquam  omnia  eius  nescio  quo  pacto  sie  inor- 
nata  delectant...  Et  iisdem  temporibus  fuit  Johannes  Boccaccius  .  .  . 
Huius  etiam praeclarissimi  ingenii  cursum  fatal^illud  malum  oppressit:  excurrit 
enim  licenter  multis  cum  salebris  ac  sine  circumscriptione  uUa  ver- 
borum;  totum  genus  incondituin  est  et  claudicans  et  ieiunum, 
multa  tarnen  videtur  conari,  multa  veUe:  ex  quo  intelligi  potest,  naturale  eius 
quoddam  bonum  inquinatum  esse  pravissime  loquendi  consuetudifie.  L.  Vives 
de  tradendis  disciplinis  (1631)  in:  Op.  ed.  Bas.  1565  I  p.  482:  non  est  Ofnnino 
impurus  (Petrarca),  sed  squalorem  sui  saeculi  non  valuit  prorsum 
detegere.  Ant.  Sabellicus  de  lat.  ling.  reparatione  (Cöln  1529)  10  preist 
den  Gasparinus  Barziza  als  den  ersten,  qui  ad  veteris  eloquentiae  umbram 
oculos  retorsit,  quum  mille  et  amplius  amws  semper  o^nnia  in  peius  abiissent. 
Wie  viel  gerechter  die  schönen  Worte  eines  älteren  Humanisten  bei  Nolhac 
1.  c,  (0.  S.  734,  1)  426. 


Die  allgeineinen  Yerh&ltnisse.  767 

Erstens.  Der  lateinischen  Sprache,  die  im  Mittel-  *)  na« 
alter  nie  ganz  aufgehört  hatte  zu  leben^)  und  dem-  eine  tota 
gemäfs  Veränderungen  aller  Art  unterworfen  gewesen  ^p"®'^®- 
war,  wurde  von  denselben  Männern,  die  sich  einbildeten, 
sie  zu  neuem  dauernden  Leben  zu  erwecken,  sie  zu  einer 
internationalen  Eultursprache  zu  machen'),  der  Todes- 
stofs  gegeben.  Die  Geschichte  der  lateinischen  Sprache 
hört  damit  endgültig  auf,  an  die  Stelle  tritt  die  Ge- 
schichte ihres  Studiums.  Das  ist  von  vielen  modernen 
Forschern  sehr  richtig  hervorgehoben  worden');  ja,  wenn  man 
genau  zusieht,  findet  man,  dafs  die  Erkenntnis  den  Humanisten 
selbst  nicht  ganz  verborgen  blieb.  Sie  kommt  deutlich  zum 
Ausdruck  in  einem  litterarischen  Streit  des  Picus  de  Mirandula 
und  Melanchthon,  in  welchem  ersterer  die  Freiheit  des  scho- 
lastischen Lateins  gegenüber  der  Gebundenheit  des  künstlich 
archaisierenden  verteidigt  (Corp.  reform.  IX  678  ff.).  Man  ver- 
gleiche ferner  den  in  den  ep.  obsc.  vir.  (ep.  1  p.  4,  35  Bock.) 
vertretenen  Standpunkt  der  Scholastiker:  non  obstat  quod 
^nostro  —  tras  —  trare'  non  est  in  usu,  qui  possumus  fingere 
nova  vocabula,  et  ipse  aUegavit  super  hoc  Horatium  (nämlich  de 
a.  p.  52  nova  fictaque  nnper  hdbebunt  verha  fidem)  mit  folgenden 
Worten  des  Melanchthon  de  imitatione  (zuerst  1519)  p.  493*): 
cum  hoc  tempore  tota  nobis  latina  lingua  ex  libris  discenda 
est,  facile  iadicari  potest  necessariam  esse  imitationem,  ut  certum 
sermonis  genust  quod  tibique  et  omnibus  actatibus  intelligi  possit, 
nobis  comparemus.  quis  enim  inteUigit  istos,  qui  genuerunt  no- 
vum  quoddam  sermonis  genus,  quales  sunt  Thomas,  Scotus 
et  similes.    certa  igitur  aetas  autorum  eligenda  est,  qui  propriis- 


1)  Cf.  G.  Salvioli  1.  c.  (S.  696,  8)  XIV  Ö26  f. 

2)  Francisc.  Yayassor  or.  m  (gehalten  1636,  in:  Opera  ed.  Amstelo- 
dami  1709)  p.  203. 

3)  Wohl  zuerst  von  Fr.  Haase,  Do  med.  aev.  stud.  philol.  (Progr.  Bresl. 
1866)  26 f.  Femer:  Yahlen,  Lorenzo  Valla  (in:  Almanach  d.  Kais.  Akad. 
d.  Wies,  in  Wien  XIV  1864)  193.  Ch.  Thurot  1.  c.  (S.  748, 2)  600  ff.  H.  Kämmel, 
Gesch.  d.  deutsch.  Schulwesens  im  Übergang  vom  Ma.  zur  Neuzeit  (Leipz. 
1882)  381.  A.  Graf,  Roma  nella  memoria  e  nelle  imaginazioni  del  mcdio 
evo  n  (Turin  1883)  169.  H.  Rashdall,  The  universities  of  Europe  in  the 
middle  ages  II  2  (Oxford  1896)  696.    Alle  von  einander  unabhängig. 

4)  Ein  Teil  seines  Werkes  Elementa  rhetorices  ed.  im  Corp.  Reform. 
Xin  413  ff. 


768  ^6f  S^  d^s  Humanisienlateins. 

sime^)  etpurissifne  locuü  sunt.^)  Petrarca  selbst  hatte  sich  freilich, 
auch  darin  den  Instinkt  und  den  weiten  Blick  des  Genius  be- 
während, eine  durchaus  freie  Stellung  den  geliebten  Autoren 
gegenüber  zu  wahren  gewufst:  wie  es  ihm  eine  Herzensfreude 
ist,  wenn  er  sie  loben,  ein  Gram,  wenn  er  sie  tadeln  muüs,  so 
will  er  in  der  imitatio  durchaus  nicht  seine  eigne  so  unendlich 
stark  ausgeprägte  Individualität  verleugnen:  das  Nachahmende, 
sagt  er  einmal  (ep.  fam.  XXIII  19),  solle  mit  dem  Nachgeahmten 
nicht  die  Ähnlichkeit  eines  Porträts,  sondern  die  des  Sohnes  zum 
Vater  haben:  providendum,  ut  cum  simile  aliquid  sit,  mülta  sint 
dissimüia  et  id  ipsum  simile  lateat  nee  deprehendi  possit  nisi  tacita 
mentis  indagine,  vi  intelligi  simile  queat  potius  quam  dici.  utendum 
igitur  ingenio  alieno  utefidumque  cohribus,  äbstinendum  verbis:  iüa 
enim  similitudo  latet,  haec  eminet.^)  Das  war  der  Standpunkt  der 
grolsten  Stiltheoretiker  des  Altertums  gewesen  (Petrarca  kennt 
ihn  aus  Quintilian)^),  aber  wie  im  Altertum  nur  die  bedeutendsten 
Stilisten,  allen  voran  Cicero,  ihn  in  der  Praxis  haben  behaupten 
können,  die  meisten  zu  imitatores^  servum  pectis  herabsanken,  so 
auch  in  der  Zeit  dieser  stilistischen  Wiedergeburt  der  Antike: 
die  Last,  die  das  gestaltende  Genie  leicht  auf  den  Schultern 
trug,  drückte  die  Epigonen  nieder;  statt  die  ^Fehler'  der 
Sprache  und  des  Stils  Petrarcas  zu  rügen,  sollte  man  lieber 
hervorheben,  dafs  er  gerade  dadurch  so  liebenswürdig  und  indi- 


1)  Eine  seltsame  Laune  des  Zufalls,  dafs  ihm  das  Wort  gerade  in 
diesem  Zusammenhang  in  die  Feder  kommen  muTste. 

2)  Cf.  ib.  p.  500  sMtum  est,  nunc  de  numeris  praecipere,  cum  sonus 
Unguae  latinae  hoc  tempore  non  sit  mUivus.  Ähnliche  Äufserungen  bei 
Erasmus  (de  rat.  conscr.  epist.  4  =  Op.  I  348  A  und  ep.  633  =  Op.  HI  724 
D  — F)  cf.  G.  Glöckner,  Das  Ideal  d.  Bildung  u.  Erzieh,  bei  E.  (Dresden 
1889)  12. 

3)  Besonders  eingehend  hat  er  sich  darüber  ausgesprochen  ep.  fam.  XXn2, 
z.  B.  vitam  mihi  alienis  dictis  omare,  fateor,  est  animus^  non  stüum  .  .  . 
Decet  non  omnis  scribentem  stilus:  suus  cuique  fatmandus  servandusque  est... 
Quid  ergo?  sum  quem  priorum  semitam  sed  non  semper  cdiena  vestigia  sequi 
iuvet  .  .  .  Sum  quem  similitudo  delectet,  non  idetititas,  et  simili' 
tudo  ipsa  quoque  non  nimia,  in  qua  sequacis  lux  ingenii  emineat, 
non  caecitas,  non  paupertas.  sum  qui  satius  rear  duce  caruisse 
quam  cogi  per  omnia  ducem  sequi  u.  s.  w. 

4)  Das  geht  mit  Sicherheit  hervor  aus  seiner  Randbemerkung  (bei 
Nolhac  1.  c.  288)  zu  Quint.  X  2,  27  (^tmttofu),  nam  saepius  idem  dicam,  non 
sit  tafitum  in  verbis^):  lege^  Silvan£,  memoriter. 


Die  allgemeinen  Verli&ltiiiBse.  769 

yiduell  schreibt  im  Gegensatz  zu  der  mnmienliaften  Diktion  der 
Späteren. 

Zweitens.  Die  endgültige  Beseitigung  des  Lateins  i>)  Anf- 
als  lebender  Sprache  hatte  zur  Folge^  dafs  jetzt  den  moderner 
einzelnen  Yolksidiomen  eine  freiere  Bahn  zu  selb-  ^p*»«*»«" 
ständiger  Entfaltung  gegeben  wurde.  Denn  war  jenes 
Barbarenlatein  bis  zu  einem  gewissen  Grade  fähig  gewesen,  dem 
Gefühl  und  Denken  der  Menschen  auch  bei  den  praktischen,  in 
Staat  und  Kirche  eingreifenden  Fragen  einen  deutlichen  Ausdruck 
zu  verleihen,  so  war  das  in  dem  klassischen  Latein,  der  toten 
Sprache,  nicht  mehr  möglich^).  Dadurch  hatte  sich  nun  aber 
der  Humanismus  selbst  den  schwersten  Stofis  versetzt.  Denn 
was  waren  diese  Volkssprachen  der  Kulturländer  in  den  Augen 
der  Humanisten?  Vom  Deutschen  und  Englischen  stand  es 
ein  für  alle  Mal  fest,  dals  es  Barbarensprachen  seien,  an  die 
man  blofs  zu  denken  brauchte,  um  ein  Fieberschütteln  in  den 
Gliedern  zu  spüren.  *).  Die  Volkssprachen  der  romanischen  Länder, 
das  Franzosische  und  vor  allem  das  Italienische  selbst,  mufsten 
aber  den  Humanisten,  die  linguistisch  noch  unwissender  waren 
als  die  Gelehrten  des  Altertums  und  daher  von  einer  spontanen, 
gesetzmälsigen  Entwicklung  der  Sprachen  keine  Idee  hatten,  als 


1)  Cf.  Kämmel  1.  c.  (S.  767,  3)  381. 

2)  Auch  im  Mittelalter  galt  bei  den  Gelehrten  die  Gleichung  Teil- 
tonice  logui  und  harharice  lo^i.  Wer  liest  heute  ohne  Lächeln  die  langen 
Expectorationen  Otfrids  in  dem  lateinischen  Prolog  zu  seinem  Gedicht, 
wo  er  sich  darüber  beklagt,  dafs  er  in  einer  solchen  agrestis  lingua  schreiben 
müsse?  Die  Barbarismen  und  Soloecismen  dieser  Sprache  mifst  er  an  der 
lateinischen,  die  für  ihn  die  Norm  alles  Richtigen  ist  (p.  10  Piper).  Notker 
(t  1022)  mufs  sich  in  seinem  berühmten  Brief  (zuletzt  ed.  Piper,  Die 
Schriften  N.*s  und  s.  Schule  I  860  f.)  weg^n  seiner  Übersetzungen  aus  dem 
Lateinischen  ins  Deutsche  geradezu  entschuldigen:  scio  quia  primum  ah- 
horrebitis  quasi  ab  insuetis;  sed  paiUatitn  forte  incipiant  se  commendare  vobis 
et  prevaUbitis  ad  legendum  et  ad  dinoscendumj  quam  cito  capimvtur  per 
patriam  linguam,  que^  aut  vix  aut  non  integre  capienda  forent  in  lingua  nofi 
proprio.  Solche  Äi^fserungen  wie  diese  Notkers  sind  gewifs  ganz  vereinzelt, 
die  gewöhnliche  Anschauung  finde  ich  besonders  drastisch  ausgesprochen 
in-Ekkeharts  IV  (f  c  1080)  casus  S.  Galli  c.  3  (MGH  11  98),  wenn  er  den 
Teufel  in  seiner  höchsten  Not  deutsch  sprechen  läfst:  tot  iam  ictus  et  in- 
cussiones  ferre  non  sustinens  barbarice  damans:  au  wi!  mir  wi!  voci- 
feravit.  Cf.  auch  R.  v.  Raumer,  Die  Einwirkung  des  Christentums  auf  i 
althochdeutsche  Sprache  (Stuttg.  1846)  201  f. 


770  I^er  Stil  des  Hnmanistenlateins. 

sog.  ^depraviertes  Latein'  erscheinen.^).  So  hatten  sie  also 
glücklich  der  Hydra  des  scholastischen  Lateins  den  Eopf  ab- 
gehauen^  aber  sofort  waren  neue  Köpfe  nachgewachsen^  die  sich 


1)  Man  sah  nämlich  Hunnen,  Yandalen  and  besonders  Gothen  als 
die  Zerstörer  der  lateinischen  Sprache  an.  Dieses  in  solcher  Einseitigkeit 
ganz  wesenlose  Phantom  spukte  in  fast  allen  Köpfen  der  Gelehrten  des 
XV.— XVn.  Jh. ;  cf.  L.  Valla,  Elegantiae  (c.  1440)  1.  HI  praef.  (ed.  Argentor. 
1617)  f.  76^  postguam  hae  gentes  (Gothi  et  Vandali)  semel  iterumgue 
Itäliae  infiuentes  Bomam  eeperimty  ut  imperium  eorutn  ita  Unguam  quoque, 
quemadmodum  dliqui  putant,  accepimtts  et  plurimi  forsan  ex  Ulis  oriundi 
mwius.  argumento  simt  Codices  gothice  scripti,  quate  magna  muüitudo  est. 
guae  gens  si  scriptitram  ranumam  depravare  potuit,  quid  de  lingua  ptUan- 
dum  est?  M.  Antonius  Sabellicus  de  lat.  ling.  reparatione  dialogus  (Colon. 
1529)  2  und  8:  die  Verderbnis  datiere  sich  ex  Gothica  tempestate;  Erasmus 
dial.  Ciceronianus  I  988  (der  Gesamtausgabe  vom  J.  170S)  Gotticas  voces 
atU  Teutonum  soloecismos.  Viel  Material  bei:  A.  Schott,  Tullianae  quae- 
stiones  (1610)  41.  43.  16S  und  besonders  bei:  Ch.  Cellarius  de  origine  ling. 
Italicae  (1694)  90  ff.  (in:  Cellarii  dissertationes  academ.  ed.  Walch,  Leipz. 
1712).  Von  der  französischen  Sprache  behauptete  man  natürlich  dasselbe, 
cf.  Vavassor  or.  3  (gehalten  1636)  in:  Opera  ed.  Amstelod.  1709  p.  203. 
Balzac,  Oeuvres  U  (Paris  1666)  670.  Bouhours,  Les  entretiens  d*  Aristo  et 
d'  Eugene  (1671)  124.  139  (er  citiert  Jul.  Caes.  Scaliger,  der  als  selbstver- 
ständlich hinstellt,  linguam  GaUicatfi,  Itdlicam  et  Hispanicam  linguae  La- 
tinae  ah  ort  um  esse).  Cf.  auch  unten  Anhang  I  4b  Anm.  —  Sollte  nicht  dies 
Vorurteil  einige  national  gesinnte  und  zugleich  humanistisch  gebildete 
Franzosen  des  XVI.  Jh.  yeranlafst  haben  zu  den  tollen  Herleitungen  fran- 
zösischer Worte  aus  dem  Griechischen  statt  aus  dem  Lateinischen?  Wer 
kann  z.  B.  glauben,  dafs  ohne  eine  bestimmte  Veranlassung  Henri  Estienne 
in  seiner  Schrift  Conformit^  du  langage  fran9oyB  avec  le  grec  (1666)  nicht 
gewufst  haben  soll,  dafs  frz.  despense  sich  leichter  von  dispensa  als  von 
dandvriai.g,  coin  von  cuneus  als  von  ymvia  herleiten  lasse,  oder  dafs  ein 
späterer  Etymologe  bei  der  Erklärung  von  vestement  an  vestimentum  vorbei- 
gegangen wäre  xmd  iad^g  als  Grundwort  für  das  Franz.  aufgestellt  hätte 
(cf.  E.  Egger,  L'  hellänisme  en  France  I  110  ff.)?  Die  Abneigung  gegen 
'gothische'  Drucktypen  (cf.  A.  ßirch-Hirschfeld,  Gesch.  d.  frz.  Litt.  I  109 f.), 
hängt  jedenfalls  damit  zusammen,  ebenso  die  uns  geläufige  Gegenüber- 
stellung des  'gothischen'  und  ^romanischen'  Baustils.  —  Kur  wenige 
Gelehrte  der  früheren  Jahrhunderte  haben  sich  von  dieser  Anschauung  sn 
emancipieren  vermocht.  Im  XVII.  Jh.  waren  einige  ^uf  dem  richtigen 
Wege,  indem  sie  mit  scharfem  Blick  die  Gothen -Theorie  als  falsch  er- 
kannten, weil  sich  schon  viel  früher  deutliche  Spuren  der  lingua  vulgaris 
fänden,  z.  B.  wies  man  schon  ganz  richtig  auf  die  Cena  Trimalchionis  hin 
und  tadelte  diejenigen,  die  aus  ihr  die  Vulgarismen  entfernen  wollten.  Die 
Urteile  dieser  Gelehrten  (zu  denen  z.  B.  auch  Lipsius  gehörte)  sind  ge- 
sammelt von  D.  Morhof,    De  Patavinitate  Liviana  (1684)  c.  6  (in  seinen 


Die  allgemeinen  Yerli&ltniBse.  771 

trotz  heifsen  Bemühens  als  imyertilgbar  bewiesen.  Dieser  Kampf 
der  Humanisten  gegen  die  Volkssprachen^  die  nnpatriotisclien, 
beleidigenden  Anfsenmgen^  die  in  ihm  zuliebe  einem  aulserhalb 
jeder  Entwicklung  stehenden  unklaren  Phantasiegemaide  gefallen 
sind,  bilden  in  der  Geschichte  der  menschlichen  Irrtümer  wohl 
eins  der  unerfreulichsten  Kapitel*),  dessen  genauere  Behandlung  — 
sie  mufs  ja  bekanntlich  leider  schon  mit  Petrarca  beginnen  — 
ich  andern  überlasse,  wenn  sie  sich  überhaupt  lohnt.*)  Nur  auf 
em  Dokument,  welches  uns  den  lebendigsten  Einblick  in  diesen 
Streit  gewährt,  mochte  ich  aufmerksam  machen:  die  Schrift  des 
Ciceronianers  Ubertus  Folieta  aus  Genua  (1516  — 1581)  de 
ling.  lat.  usu  et  praestantia  libri  III,  Rom  1574  (bekannter  in 
der  von  Mosheim  zu  Hamburg  1723  besorgten  Ausgabe).  In 
Form  eines  Dialogs  legen  die  beiden  Gegner  ihre  sich  schroff 

Dissert.  academ.  et  epistol.  ed.  Hamburg  1699)  517  ff.  Das  erste  mir  be- 
kamite  (von  Morhof  übersehene)  Zeugnis  ist:  Celso  Cittadini  in  seinem 
Trattato  della  vera  origine  e  del  processo  e  nome  della  nostra  lingua 
(1601)  ed.  Gigli  (in:  Opere  di  C.  C,  Roma  1721).  Er  polemisiert  c.  1  gegen 
die  Grothen-Theorie  und  weist  weiterhin  nach,  dafs  die  Anfänge  der  ml- 
g^en  Diktion  viel  früher  liegen.  Das  Werk  ist  für  jene  Zeit  wirklich  be- 
wundernswert (uns  erscheint  das  alles  als  selbstverständlich):  es  werden  die 
ältesten  Inschriften  und  Schriftisteller  herangezogen,  dann  auch  spätlateinische 
Inschriften  und  Autoren,  Zeugnisse  über  den  sermo  müitaris  und  rtuticua. 

1)  Ein  Analogen  aus  einem  verwandten  Eulturkreis  ist  der  Kampf 
der  Attidsten  gegen  die  xotvif,  eins  ans  einem  getrennten  Knlturkreis  der 
Kampf  der  jüdischen  Gelehrten  g^en  die  aramäische  Volkssprache  zu 
Gonsten  des  klassischen,  aber  toten  Hebräisch  (cf.  Th.  Zahn,  Einl.  in  d.  N.  T.  I 
[Leipz.  1897]  17,  9). 

2)  Für  die  ältere  Zeit  cf.  Voigt  1.  c.  18.  117f.  166.  881;  der  Brief  (de 
reb.  fam.  XXI  16),  in  dem  Petrarca  sich  wegen  seines  gleichgültigen  Ver- 
haltens gegenüber  Dante  zu  verwahren  sucht,  macht  —  wenigstens  auf 
uns  —  den  Eindruck  nicht  einer  Selbstverteidigung,  sondern  einer  Selbst- 
anklage, bei  der  versöhnend  nur  das  uns  auch  so  fremdartige  Motiv  wirkt, 
dafs  er  ebenso  verächtlich  auf  seine  Lauralieder  herabsieht.  Aus  Erasmus 
hat  höchst  bezeichnende  Aussprüche  gesammelt  G.  Glöckner,  Das  Ideal  d. 
Bild.  u.  Erzieh,  bei  E.  (Dresden  1889),  10,  cf.  A.  Richter,  Erasmus-Studien 
(Leipz.  1891)  p.  XIX.  Der  humanistisch  gebildete  Verf.  der  zu  Köln  1484 
gedruckten  Ars  dicendi  (genauer  oben  S.  766, 1)  gesteht  bei  einem  Abschnitt 
über  die  vulgäre  Reimpoesie  (1.  XITI  tract.  VI  c.  Xu):  er  würde  gern  Bei- 
spiele geben,  aber  da  er  sie  nur  aus  den  'Barbarensprachen'  (er  meint  die 
franz.  und  deutsche)  geben  könne,  so  lasse  er  es  lieber.  Nachher  läfst  er 
sich  aber  doch  herab,  ein  Beispiel  zu  bilden:  possum  ffraviter  aufferre,  guod 
in  mimdo  tat  sunt  guerre. 

Norden,  antike  Konitproia.   II.  60 


772  Dm  Hrnnairirtenlatein  imd  die  modernen  Sprachen. 

entgegenstehenden  Anschaunngen  dar.   Der  Vertreter  des  italieni- 
sehen  Idioms  fahrt  filnf  Gründe  an  (p.  94£  Mosh.):    1)  Es  ist 
a  priori  mmatörlich,  nicht  in  der  Sprache  zn  schreiben ,  die  im 
taglichen  Gebrauch  ist.   2)  Es  ist  Tom  rein  praktischen  Gresichts- 
ponkt  ans  falsch ,  denn  das  Latein  wird  als  eine  tote  Sprache 
nur  von   den  Gelehrten   mehr    verstanden.     3)  Es  kostet  eine 
lange  Reihe  von  Jahren,  es  zu  einer  annähernden  Vollkommen- 
heit im  Gebrauch  dieser  Sprache  zu  bringen.    4)  Wenn  aus  den 
bisher  vorgebrachten  Gründen  folgt,  daCs  das  Latein  nicht  mehr 
geschrieben  werden  soll,  so  folgt  aus  dem  jetzt  voizubringenden, 
dals  es  gar  nicht  mehr  geschrieben  werden  kann.    Denn  jede 
Sprache  ist  dazu  da,  den  Gedanken  Ausdruck  zu  verleihen;  das 
kann  das  Latein  nicht,  weil  inzwischen  eine  vollständige  Ver- 
änderung aller  Verhältnisse  eingetreten  und  eine  unzählige  Reihe 
von  Dingen  erfunden  ist,  für  die  es  keine  lateinischen  Ausdrücke 
giebt.    5)  Aus  diesen  Gründen  würde  folgen,  dais  man  italienisch 
schreiben   müsse,   auch   wenn  es   eine  hälsliche   Sprache  wäre; 
nun  aber  giebt  es  thatsächlich  keine  schönere.  —  Diese  Gründe, 
die  uns  so  vernünftig  erscheinen,  sucht  nun  der  Gegner  zu  entr 
kräften.    Von  der  Bitterkeit,  mit  der  der  Streit  geführt  wurde, 
kann  z.  B.   die  Diskussion   über   den   fünften  Punkt   eine  Vor- 
stellung geben  (p.  115):    Quare  dd)emus  (beginnt  der  Vertreter 
des    Lateinischen)    vestigia   priscorum  persequentes  nobüissimam, 
patriam,  latinam  linguam  nostram  teuere^  popuiari  ItcUica  prae  iUa 
ignobili  et  manca  spreta,  quippe  quae  nihil  aliud  sit  quam  laüna 
lingua  carrupta  et  depravata,  —  Hoc  vero  aures  ferre  non  possunt 
ingensque  piaculum  commiüi  puto  linguam  patriam  nostram  Italam 
ita  aspere  et  probrose  appeUare,  quae  non  latina  corrupta  vocanda 
sit,  sed  pulcherrimae  mairis  latinae  linguae  pulchrior  filia.  —  2Vi 
vero  illam,  ut  libet,  filiam  appellato,  modo  id  meminerisy  tum  eam 
conceptam  et  natam,  cum  misera  parens  omni  barbararum  gentium 
colluvioni  prostituta  ex  incesto  concubitu  iUam  protulii.  —  Tu  vero 
vide,  quanto  te  parricidio  patriae  obstringas,  —  Meo  pericuio  pecco. 
quid  autem  per  deum  immortalem  est  indignius,  quam  filiam  hone 
degenerem  et  notham  tanta  esse  audacia  tamque  proieda  impudentiaf 
ut  matrem  per  summum  scelus  et  impietatem  extinguere  conetur? 
Sie  sei  gerade  gut  genug  für  vulgus  et  opifices,  denen  man  sie 
immerhin  lassen  möge. 


Der  CiceronianismuB  und  seine  Gegner.  773 

n.   Das  Htunanistenlatein  und  seine  Binwirknng  auf  die 

modernen  Sprachen. 

A.  Der  Ciceronianismus  und  seine  Gegner. 

Wir  haben  gesehen,  dals  durch  den  Humanismus  die  latei-  i.  iMe 
nische  Sprache  zu  Grabe  getragen  wurde.  Petrarca  hatte  das  ^^ 
Monchslatein  einem  verkrüppelten  Baume  verglichen  und  ein 
franzosischer  Dichter  (Clement  Marot)  von  den  Ejiospen  ge- 
sprochen,  die  zu  neuer  Blüte  sich  erschlossen,  nachdem  ein 
eisiger  Wintersturm  sie  hatte  verdorren  lassen.  Nun  (um  im 
Bilde  zu  bleiben),  diese  neuen  Pflanzen  wuchsen  nicht  mehr  auf 
einem,  wenn  auch  gealterten,  so  doch  noch  zeugungsfähigen 
Boden,  sondern  waren  Eunstpflanzen  des  Treibhauses.  Die 
Parole  lautete  von  jetzt  ab:  imitatio,  aber  die  Frage  war: 
imitatio  wessen?  Um  sie  wurde  der  Kampf  länger  als  ein 
Jahrhundert  mit  einer  Erbitterung  geführt,  die  wahrlich  einer 
besseren  Sache  wert  gewesen  wäre:  quiie  (imitatio),  sagte  einer ^), 
cum  vehementer  muttomm  animis  non  solum  in  Italia  sed  et  in 
aliis  regionibuSf  in  quibttö  Jxmae  liUerae  vigent,  insederit,  ita  liUera- 
torum  ingenia  torquet^  ut  nulla  unquam  de  re  acrius  magis- 
que  capitali  inter  eos  odio  meo  iudicio  certatum  sit  Für 
Petrarca  spielte,  wie  bemerkt  (S.  768),  diese  Frage  verhältnis- 
mäfsig  noch  eine  Nebenrolle:  stand  auch  für  ihn  in  der  Prosa 
Cicero,  wie  in  der  Poesie  Virgil,  schon  durchaus  im  Vorder- 
grund, so  dachte  er  doch  nicht  daran,  ihn  allein  auf  den  Schild 
zu  erheben  und  sich  ihm  als  Sklave  unterzuordnen:  er  umfafste 
sie  alle  mit  zärtlicher  Liebe,  *  seine'  auctores,  weil  ihm  jeder 
Einzelne  das  Bild  jener  Zeiten  vervollständigte,  in  die  er  sich 
sehnsuchtsvoll  hineinträumte,  er  korrespondierte  wie  mit  Cicero, 
so  auch  z.  B.  mit  Varro  und  Seneca.  Aber  als  bald  nach 
Petrarca  das  rhetorisch-stilistische  Element  sich  mehr  und  mehr 
vordrängte  und  schliefslich  zum  allein  herrschenden  wurde,  als 
durch  die  Bemühungen  der  grofsen  Sammler  der  Kreis  der 
Autoren,  die  man  glaubte  auffinden  zu  können,  geschlossen  war, 
da  wurde  man  wählerisch:  an  die  Stelle  der  Vielheit  trat  für 
die  imitatio  der  grofse  Eine,  Cicero.     Die  Nachahmer  Ciceros 


1)  Floridas  Sabinus  adversus  Stephani  Doleti  Aarelii  calmnnias  b'^'^ 
(Rom  1541)  7. 

60^ 


774  I)&8  Homanistenlatein  und  die  modemen  Sprachen. 

nannten  sich  und  wurden  von  ihren  Gegnern  genannt  Cicero- 
niani,  eine  nicht  gerade  klassische  Bezeichnung,  die  man  wohl 
einem  berühmten  Brief  des  Hieronymas  (ep.  22)  entnahm. 

Eine  Geschichte  dieses  Streites  giebt  es  noch  nicht/),  auch 
beabsichtige  ich  nicht,  obwohl  ich  mir  seine  Akten  einigermaGsen 
vollständig,  wie  ich  glaube,  gesammelt  habe,  sie  zu  liefern,  weil 
sie,  an  sich  unerfreulich^,  einem  zu  geringen  Interesse  begegnen 
dürfte.  Doch  mufs  ich  zum  Verständnis  des  Folgenden  (B),  das 
mir  wichtig  und  allgemein  interessant  erscheint,  ein  paar  mehr 
allgemeine  Momente  herausheben. 

Es   waren   hauptsächlich   zwei  Argumente,   mit   denen   die 
Anticiceronianer  operierten. 
2.  DieAnti-         Erstcus.     Ihr  könnt,  sagten  sie,  eine  Unzahl  von  Dingen 
nianer.    dcs  gewöhnlichen  Lebens  nicht  ausdrücken,  weil  euch  dafür  die 


1)  B.  Sabbadini,  Storia  del  Ciceronianismo,  Turin  1886,  behandelt  nur 
die  Anfänge.  Eine  gedrängte  Übersicht  bei  Q.  Bemhardy,  Grundrifs  d.  röm. 
Litt.*  (Braunschw.  1872)  116 fF.  Über  die  verschiedenen  Parteien  orientiert 
gut  schon  der  spanische  Humanist  Matamoro  de  formando  stilo  (1570),  c  11 
(in:  Opera  ed.  Madrid  1769  p.  603 ff.)*  Einige  die  imitatio  betreffende 
Schriften  sind  abgedruckt  in:  Fr.  Andr.  Hallbauer,  Collect,  praestantissi- 
morum  opusc.  de  imit.  orat.,  Jena  1726.  Die  Hauptführer  der  Ciceronianer 
fafst  zusammen  Will.  Camden  in  einem  lateinischen  Gedicht  auf  den 
englischen  Ciceronianer  Boger  Ascham,  gedruckt  bei  Giles  in  seiner  Ausg. 
A.*s  I  1  (Lond.  1866),  sowie  Ascham  in  einem  Brief  an  Sturm  vom  J.  1568: 
bei  Giles  vol.  U  ep.  99  p.  186  f. 

2)  Aber  —  das  sei  erlaubt,  in  einer  Anmerkung  zu  betonen  —  man 
kann  doch  sehr  vieles  daraus  für  das  Verständnis  Ciceros  lernen,  wie  ich 
schon  oben  (S.  213  f  218)  hervorgehoben  habe.  Für  mich  wenigstens  haben 
manche  dieser  Schriften  das  Verständnis  ciceronianischer  Kunst  geradezu 
vermittelt,  und  meine  Ansicht  ist,  dafs  tmser  Schulunterricht  in  vielen 
Punkten  daraus  verbessert  werden  könnte.  Wie  wenige  nehmen  heutzutage 
aus  der  Schule  ins  Leben  mit  sich  die  Bewunderung  Ciceros  als  Redners 
und  Stilisten!  Aber  ist  das  auch  anders  denkbar,  wo  es  vorkommt ,  dals 
Lehrer  ihre  Schüler  sofort  übersetzen  lassen,  ohne  dafs  vorher  die  latei- 
nischen Worte  gelesen  werden,  auf  deren  Stellung  und  Zusammenf&g^ng 
doch  eben  der  hauptsächliche,  oft  alleinige  Beiz  beruht?  Wir  müssen 
Ohren  und  Zunge  schulen  durch  wiederholtes  lautes  Lesen,  erst  des  einzelnen 
(vorher  sorgfältig  auf  seine  oratorische  Kunst  analysierten)  Satzes,  dann 
des  ganzen  Abschnitts,  dann  der  ganzen  Bede:  dann  werden  wir  unsere 
Schüler  nicht  langweilen,  sondern  sie  etwas  von  dem  Zauber  empfinden 
lehren,  durch  den  die  Hörer  des  Mannes  und  zahllose  Generationen  nach 
ihm  gebannt  wurden. 


Der  Ciceroniaidsmns  und  seine  Gegner.  775 

Worte  bei  Cicero  fehlen;   ihr  müfst  daher  zu  Umschreibimgen 
greifen^    die    absurd   und   oft   anyerstandlich  sind.     Diese   An- 
schauung tritt  besonders  klar  hervor  in  der  Kritik,  der  Jnstus 
LipsiuSy    ein  Führer    der    Anticiceronianer,    die    venetianische 
Geschichte  (Rerum  Yenetamm  historiae  1.  Xu,  erschienen  1551, 
vier  Jahre  nach  des  Verfassers  Tod)   des   Pietro  Bembo,  des 
Haupts  der  Ciceronianer,   unterzieht  in  einem  Brief  an  Janus 
Dousa  (wahrscheinlich  aus  d.  J.  1588).  ^)   Er  tadelt  die  affektierte 
Nachahmung  Ciceros,  die  zur  Folge  habe,  dafs  universa  scriptio 
composita  et  formata  ad  aevum  priscum  et  omnia  sie  de  re  Veneta 
quasi  de  potenti  illa  re  Bomana.    hoc  fero;  etiamne  verha  oninia 
ex  iüorum  moribus  tracta  ad  hos  nostros  . . .?  hoc,  ut  mea  guidem 
fnens  est,  damno  et  faUor  aut  tu  et  viri  omnes  tnecum.    ecce  patres 
conscripti  semper  Venetorum  senatus,  ipsae  VeneHae  xor'  i^ox^ 
urbs,  anni  numeraü  non  a  Christo  nato  sed  ah  urbe  condita .... 
üla  iam  yslaötä  xal  iy&x  htuixcä:  rex  Urbini,  rex  Mantuae, 
rex  Populoniae:  quid  censes  eum  dicere?   duces;  atque  item  dur 
catus  ipsos  regna ....    nee  in  titulis  solum  isti  lusus  sed  in  no- 
minibus   ipsis.     quäle   iUud   de    Ludovico    Gaüorum    rege,    quefn 
Aloysium  (magis  ^fOfuctötC  scUicet)  ubique  appeUat  et  alibi  cum 
faceta    additiunctda  quem  isti  (qiii  isti?    barbari  nos  et  inepti) 
Ludovicum  appellant.     quid  quod  etiam  in  divinis  rebus  haec 
sibi  permittit  et  fides  nostra  non  nisi  persuasio  Uli  est,  excom- 
municatio  aqua  et  igni  interdictio,  peccata  morituro  remittere 
deos  superos  manesque  Uli  placare,   ipse  deus  raro  in  stilo 
aut  animo,  sed  prisco  ritu  dii  immortales ....    atque  adeo,  quod 
oninem  skdtitiam  superet,  prudens  Hie  senatus  Venetus  ad  lulium 
pontificem  publice  scribit  uti  fidat  diis  immortalibus,  quorum 
vicem  gerit  in  terris.    fdicem  te  geniis  et  patriae,  Bembe:  quia 
si  nostrum  äliquis  trans  Alpes  sie  scripsisset,  profeeto  non  tulisset 
impune.    iam  quae  periphrases  in  eo  et  circuitus  verborum:  senatus 
Venetus  dono  misit  Aloysio  regi  Oallorum  aquilas  sexaginta  ex 
earum  genere  quibus  in  aucupio  reges  consueverunt    quid 
aquilas?  ita  falcones  tibi  dicere  religio  est? . . .  scribis  ibidem  da- 
natas  regi  pelles  pretiosiores  canis  ab  summa  inter  nigrum 
colorem  conspersas  ducentas.    quae  istae  sunt?    genettas  dicis 
an  potius  zebdlinas?    quin,  malum,  exprimis  et  res  novas  novo 


1)  In  den  Epist.  misc.  centur.  II  n.  57. 


776  ^^^  Humanistenlatein  und  die  modernen  Sprachen. 

dliguo  nomine  dids?  si  purüati  sermonis  tui  metuiSj  adde  *ut  vtdgo 
dicimus':  nihil  infuscas  u.  s.  w.  Wer  mehr  dergleichen  wünscht, 
findet  es  bei  Erasmus  in  seinem  Dialogos  CiceronianuS;  der  er- 
götzlichsten in  dieser  Sache  'geschriebenen  Satire,  op.  (ed.  1703)  I 
992£^)  Strebaens  de  verb.  elect  et  coUoc.  (Bas.  1539)  109. 
Gaussin  eloquentiae  sacrae  et  homanae  parallela  (1619)  627. 
H.  Stephanus,  Nizoliodidascalns  (Paris  1678)  169 ff.  Mabillon 
de  studiis  monasticis  (1619)  185  f.  (der  Ausg.  Yenetiis  1729). 
Wenn  in  der  oben  (S.  771)  citierten  Schrift  des  Ubertus  Folieia 
im  zweiten  Buch,  welches  die  ganze  Frage  ausführlich  behandelt, 
die  Berechtigung  der  modernen  Worte  dadurch  motiviert  wird, 
daCs  auch  Cicero  griechische  Worte  gebrauche,  so  ist  das  doch 
ein  verzweifelt  schlechter  Ausweg,  denn  das  Griechische  war  in 
Ciceros  Augen  eine,  vielmehr  die  Eultursprache,  die  modernen 
Idiome  in  den  Augen  der  Humanisten  Barbarensprachen.  Wenn 
wir  unser  Urteil  in  dieser  ganzen  Frage  fällen,  so  werden  wir 
sagen:  das  Vorgehen  der  Ultras  im  ciceronianischen  Lager  war 
widersinnig,  aber  der  Besserungsvorschlag  der  Gegner  gUch  dem 
Versuch,  einem  Toten  neues  Leben  einzuflöCsen.  Das  Facit  lautet: 
man  war  aa  einem  Punkt  angelangt,  wo  es  nicht  weiterging, 
der  Humanismus  hatte  sich  infolge  seiner  einseitigen  Beschrän- 
kung überlebt  und  mufste  seine  Rechte  an  die  vielgeschmähten 
modernen  Sprachen  abtreten. 

Zweitens.  Cicero  allein  sollte  nicht  zur  imitatio  dienen, 
so  weit  war  man  endlich  gekommen,  denn  die  Ultras  hatten  den 
unablässigen  Angriffen  nicht  standhalten  können,  besonders 
durch  die  scharfe  Zunge  des  Erasmus  waren  sie  ziemlich  all- 
gemein zum  Gespött  geworden.  Wen  also  sollte  man  nach- 
ahmen? Das  war  nun  die  weitere  Frage,  in  der  eine  Einigkeit 
nicht  zu  erzielen  war,  denn  hier  waltete  individuelle  Neigung 
ob.  Lipsius  zog  bekanntlich  Seneca  und  Tacitus  dem  Cicero  vor 
und  setzte  daher  an  die  Stelle  der  langen  und  kunstvollen  Perioden 
den  zerhackten  pointierten  Satzbau;  auch  liebte  er  alte  Worte. ^) 


1)  Für  Christus  sagten  sie  z.  B.  Apollo  oder  Aesculapias,  sehr  cha- 
rakteristisch. 

2)  Cf.  z.  B.  Balzac  Oeuvres  n  (Par.  1666)  608,  wo  er  mitteilt  rtri 
magni  iadicium  de  imitatione  Lipsianae  Laiinitatiß:  Si  quiß  scribere  L<sUne 
vellet,  a  Pacuvio  et  Ewnio  demortua  accersebantur  verba;  sältiUibcifU  periodi; 
maera  teiuna  ac  famelica  oratio,  aucco  omni,  nervis  destiMa  omnibua  et 


Der  Ciceroniamsmus  and  seine  Gegner.  777 

Das  lielis  man  sich  scUielslich  noch  gefallen^  denn  jene  beiden 
waren  Antoren^  die  offen  zu  tadehx  man  sich  doch  nicht  recht 
herausnahm;  obwohl  einige  sich  für  die  Herabsetzung  Senecas 
auf  Quintilian  beriefen.^)  Aber  nun  kamen  andere ,  die  sich  an 
die  allgemein  verpönten  Autoren  heranmachten,  vor  allen  an 
den  Unglücklichen;  dem  es  nicht  vergessen  wurde,  dab  er  einst 
in  einen  Esel  verwandelt  worden  war.  Man  fing  an,  blendend 
und  pikant  zu  schreiben,  indem  man  alle  jene  pigmenta  anwandte, 
mit  denen,  wie  früher  gezeigt  wurde,  die  spätlateinischen  Schrift- 
steller ihre  ärmlichen  Gedanken  herauszuputzen  versuchten:  es 
begann  die  Periode  der  concetti,  zunächst  im  lateinischen  Stil. 
Über  diese  Skribenten  fiel  nun  alles  her,  sowohl  was  sich 
Ciceronianer  wie  was  sich  Anticiceronianer  nannte,  denn  den 
Gebildeten  unter  den  letzteren  war  es  natürlich  höchst  peinlich, 
dafs  man  sie  in  einer  Gesellschaft  sah,  die  ihre  Partei  nur 
kompromittieren  konnte.  Ein  wunderliches  Durcheinander,  in 
dem  Schimpfwörter  fielen,  als  ob  es  sich  um  Majestätsverbrechen 
handelte.  Für  uns,  die  wir  kühlen  Sinnes,  von  der  sicheren 
Warte  der  historischen  Beobachtung  in  dies  Gewimmel  hinab- 
blicken, bietet  sich  eine  frappante  Parallele  aus  dem  Altertum 
selbst.    Hatte  doch  einst  Quintilian  und  seine  Partei  mit  nicht 


copia,  pundulis  guibusdam  et  ätttmunculis  aut  membria  inierim  praecisis  et 
interrogatiunculis  äbrupta,  nauseatn  fastidiumque  sui  pariehat  o.  8.  w.  Dm 
meint  Io8.  Scaliger  in  dem  interessanten  Gedicht  De  stilo  et  charactere, 
in  dem  er  die  verschiedenen  Arten  des  lateinischen  Stils  seiner  Zeit  Revue 
passieren  läXst,  ohne  direkte  Nennung  der  einzebien  Vertreter,  aber  so,  dafs 
man  wenigstens  damals  wissen  mufste,  wer  gemeint  sei.  Auf  Lipsias  be- 
ziehen sich  sicher  folgende  Verse: 

offendit  cUioa  planiUu  aegudbüis, 
quam  (Jaesar  olim,  quam  colebat  TuUius, 
canstrictae  in  arctum  quas  iuvant  argutiae, 
quae  per  sälebras  stUtitant,  tum  ambulant, 
et  dum  legentis  haeret  exapectatio, 
inteUigendum  quam  Ugendum  plus  ferent 
(los.  Scaligeri  poemata  omnia  ex  maseo  Scriverii,  ed.  2  [Berlin  1864]  n.  14 
p.  20flF.). 

1)  Z.  B.  l&fst  der  Jesuit  Vavassor  or.  8  (Pro  vetere  genere  dicendi 
contra  novmn,  gehalten  1686,  in  seinen  Werken  ed.  Amsterd.  1709)  p.  208 
den  Quintilian  auftreten  und  ihn  perorieren  gegen  die  Verehre?^  '^ 
quem  vo8  in  amaribt^  nwnc  habetis,  quem  tanquam  numen  ot 


778  l^&B  Humanistenlatein  und  die  modernen  Sprachen. 

geringerer  ivKftoQriöia  als  Bembo  und  Genossen  die  Nachahmung 
Giceros  dekretiert^  und  was  war  die  Folge  gewesen?  Nach 
kurzem  erfolgreichen  Bemühen  war  der  Zusammenbruch  der 
ganzen  Scheinarchitektur  erfolgt:  der  Lebende  forderte  gebieterisch 
sein  Recht  und  nahm  es  sich  trotz  dem  Entsetzen  der  reaktionären 
Theoretiker;  es  erstanden  Appuleius,  Sidonius  und  wie  sie  sonst 
heÜBen,  jene  Skribenten  der  Decadencezeit:  ihre  treuen  Spiegel- 
bilder sind  eben  diese  Autoren  der  Spätrenaissance^  die  sich  mit 
ihren  Farben  putzten.^) 
Ende  dM  Etwa  seit  dem  letzten  Drittel  des  XVII.  Jh.  hat  dieser  Streit 

aufgehört.  Endlich  begann  man,  wesentlich  gestützt  auf  das 
Griechische,  dessen  Kenntnis  sich  erweiterte^  das  einseitig  rhe- 
torisch-stilistische Moment  des  Humanismus  zurücktreten  zu 
lassen  und  in  den  wahren  und  unvergänglichen  Geist  der  Antike 
einzudringen.  Diese  Vertiefung  ist  wesentlich  ein  Verdienst  des 
entwickelten  deutschen  Protestantismus  gewesen ,  während  der 
jesuitische  Unterricht  nach  wie  vor  ängstlich  bemüht  war,  die 


streitet. 


1)  Es  giebt  zahlreiche  Belege,  yon  denen  ich  nur  ein  paar  anführen  will. 
Pico  della  Mirandola  (in:  Bembi  opp.  Vened.  1729)  882  vetustoa  üha  et  cario- 
808  Bomanorum  augurtwi  et  Mutiorum  frcUrum  coph%no8  adewnt,  atque  cum 
re8civertmt  Catonem  et  Ennium  dita88e  patriam,  in  eorum  etiam  8upeUecHlem 
praedabundi  et  populabundi  penitus  irrwunt.  nee  deswnt  q\U  asinum  cum 
exisUment  bellum  animcd  et  aureum,  de  iUiu8  pili8  8%b%  l(icemam  conficiunt. 
Andr.  Schott us  S.  J.,  Tullianae  quaestiones  (Antwerp.  1610)  44:  vixertmt 
hoc  temporum  infeliciUxte  haXbi  potiu8  quam  di8erti  8cnptore8,  Symmcu^MS 
Appuleiu8  Ca8siodoru8  Sidoniu8  ApoUinart8  Fulgentius  Planciade8  Martianus 
Capella  et  Boeihiu8,  in  quibu8  illustrandie  hac  tempestate  recentiores  tantum 
operae  ac  düigentiae  po8ui88e  vehementer  eguidem  miror,  neglecti8  interim 
meliori8  notae  auctoribu8\  yon  Appuleius:  cum  quo  rudere  hoc  8aecfdo  pleri- 
que  quam  cum  Cicerone  loqui  mdlunt  (cf.  gegen  ihn  besonders  noch  p.  58  ff.). 
Femer  etwa  noch:  Paul.  Cortesius  prohoem.  in  1.  I  sententiarmn  ad  Inl.  IL 
pont.  max.  (1508)  ed.  Bas.  1518  f.  1^.  Vives  de  ratione  dicendi  (1582) 
1.  n  p.  114  (in:  Opera  ed.  Bas.  1555).  Baco  de  Verolam  de  augmentis  scien- 
tiarum  (1605)  L  I  p.  15 f.  (in:  Opera  ed.  Lips.  1694).  Vavassor  S.  J.  1.  c 
(S.  777,  1).  lanus  Nicius  Erythraeus  oft,  z.  B.  ep.  ad  diverses  (ed.  J.  Chr. 
Fischer,  Köbi  1789)  1.  m  10  (1630).  IV  13  (1684).  V  10  (1636).  Albertus  de 
Albertis  S.  J.  Thesaur.  eloquentiae  sacrae  profanaeque  per  actionem 
contra  eiusdem  corruptores  erutus  (Coloniae  1669)  9,  49  f.,  80  f.,  97  ff.,  190f, 
429 ff.;  an  letzter  Stelle  giebt  er  eine  (selbstgebildete)  Probe  mitsamt  Ver- 
höhnung, ebenso  H.  Bebel,  Commentaria  epistolarum  conficiendamm 
(1513)  f.  15^,  cf.  id.  de  modo  bene  dicendi  et  scribendi  (c.  1505)  f.  CXXIIII' 
(der  Ausg.  von  1515). 


Der  Ciceronianismus  und  seiiie  Gegner.  779 

Autoren  nur  als  Mittel  zur  Bildung  des  Stüs  zu  leaen^).  Doch 
jene  neue  Richtung  der  humanistischen  Studien  zu  verfolgen 
gehört  nicht  hierher.  Ich  will  vielmehr  versuchen,  der  Frage 
näher  zu  treten,  welchen  Einflufs  die  soeben  dargelegten 

1)  Vortreffliche  Bemerkungen  darüber  bei  dem  anonymen  Verf.  (es  ist, 
wie  mir  mein  Kollege  J.  Hanssleiter  mitteilt,  G.  F.  Nägelsbach)  eines  noch 
heute  lesenswerten  Aufsatzes:  „Das  BewuTstsein  der  protestantischen  Kirche 
über  die  Noth wendigkeit  und  Methodik  des  klassischen  Unterrichtes**  in: 
Z.  f.  Protestantismus  u.  Kirche  (herausg.  yon  Harless,  Erlangen)  1888  p.  66fif. 
83  ff.  Nur  ist  nicht  richtig,  wenn  der  Verf.  dies  Prinzip  schon  yon  Anfang 
an  in  den  protestantischen  Schulen  mafsgebend  sein  ISist:  das  widerlegt 
doch  schon  das  Stürmische  Gymnasium,  über  dessen  Anlehnung  an  die 
jesuitische  Unterrichtsmethode  G.  Paechtler  S.  J.,  Ratio  studiorum  et  in- 
stitutiones  scholasticae  s.  J.  (in:  Mon.  Germ,  paedag.  V  1887  p.  VI)  richtig 
urteilt.  Luther  freilich  hat  auch  hier  einen  yiel  weitem  Blick  gehabt,  wie 
die  yon  Nägelsbach  p.  70  aus  seinen  Schriften  angefahrten  Sätze  beweisen, 
aber  es  fehlte  yiel,  dafs  diese  theoretische  Einsicht  gleich  praktisch  durch- 
geführt wäre,  dazu  war  die  Zeit  noch  nicht  reif,  wie  keiner  besser  als 
Melanchthon,  der  enragierte  Ciceronianer  (cf.  Corp.  ref.  XTTT  492  ff.),  lehrt.  — 
Für  die  Geschichte  des  jesuitischen  Unterrichts  besitzen  wir  jetzt  das  ge- 
nannte ausgezeichnete  Werk  eines  Mitglieds  der  Gesellschaft  G.  M.  Paechtler, 
welches  sich  über  mehrere  Bände  der  Mon.  Germ.  Paedag.  erstreckt  (TL.  V. 
IX.  XVI,  der  letzte  yon  B.  Duhr  S.  J.);  hier  findet  man  für  die  im  Text 
ausgesprochene  Behauptimg  massenhafte  Belege,  z.  B.  wird  in  der  Studien- 
ordnung yom  J.  1586  in  dem  Abschnitt  De  libris  (Mon.  V  179  f.)  sogar  die 
Lektüre  der  Dichter  einzig  wegen  des  rhetorischen  Materials,  das  sie  bieten, 
empfohlen  und  eine  Auswahl  aus  den  yerschiedenen  Gattungen  der  Poesie 
gewünscht,  woraus  zu  ersehen  sei,  quis  Stylus  historicus^  quis  poeticus,  qu,i8 
epistolaris,  quae  dicendi  genera.  —  Daher  waren  die  Jesuiten  im  XVI.  und 
XVn.  Jh.  die  Vorkämpfer  des  Ciceronianismus:  die  gröfste  Anzahl  der  S.  778, 1 
Genannten  gehörten  ihrer  Gesellschaft  an,  cf.  aufserdem  noch  eins  der 
frühsten  dieser  Werke:  Gauss  in  S.  J.,  Eloquentiae  sacrae  et  humanae  pa- 
rallela  1619,  reich  an  feinen  stilistischen  Bemerkungen  und  yon  mir  öfters 
citiert;  Perpinianus  S.  J.  (yerherrlicht  yon  Andr.  Schottus  S.  J.  in  seiner 
'Hispaniae  bibliotheca'  11  [Frankf.  1608]  287  ff.)  ad  Bomanam  iuyentutem 
de  ayita  dicendi  laude  recuperanda  or.,  gehalten  zu  Bom  i.  J.  1564  ed.  in: 
Petri  loannis  Papiniani  Valentini  e  S.  J.  or.  duodeyiginti.  Ed.  IV.  Ingol- 
stadt 1599  p.  888 ff.;  Nigronius  S.  J.  de  imitatione  Ciceronis,  gehalten  1583, 
in  seinen  zu  Mainz  1610  edierten  Beden  n.  XVI.  XYIL  Xvill,  gerichtet  gegen 
die,  welche  Cicero  einen  'Asianer'  nannten.  Die  berühmteste  jesuitische 
Rhetorik  wurde  yerfafst  yon  Cyprianus  Soarez  aus  Ocana  (f  1598);  sie 
erschien  zuerst  1566  unter  dem  Titel  De  arte  rhetorica  libri  tres  ex  Aristo- 
tele,  Cicerone  et  Quintiliano  deprompti  und  erlebte  eine  grofse  Anzahl 
yon  Aullagen,  die  zusammengestellt  sind  yon  A.  de  Backer  in :  Bibliothöqne 
des  ^criyains  de  la  compagnie  de  J^sus  11  (Liäge  1854)  569. 


7^>  IM«  Hatn— iiferahtea  und  die 

Yorginge  aaf  die  Aasbildong  des  Prosastils  der  mo- 
dernen Sprachen  gehabt  haben. 

B«   Der  Einflnfs  des  Hnmanistenlateins  anf  den  Prosa- 
stil der  modernen  Sprachen  im  XYL  und  XML  Jh. 

SßmTtiMMip  Die  Hnmanisten  haben,  wie  bemerkt,  die  Ton  ihnen  Ter- 
p&nten  modernen  Sprachen  dnrch  den  Todesstols,  den  sie  der 
lateinischen  Sprache  gaben,  in  ihrer  Entwicklung  gefordert 
Wenn  sie  sich  einmal  herablielsen,  der  'barbarischen'  Idiome  zn 
gedenken,  so  pflegten  sie  daran  die  Ermahnung  za  knüpfen,  jene 
sollten  sich  den  antiken  Stil  zum  Master  nehmen;  so  sagt  der 
spanische  Humanist  Vives  de  tradendis  disciplinis  (1531;  in: 
Opera  ed  Bas.  1555  yoL  I)  463:  die  romanischen  Sprachen  (das 
Italienische,  Spanische  und  Französische)  seien  aus  der  latei- 
nischen abgeleitet,  quas  maxime  expediret  latino  sermcm  assuescere, 
tum  ut  cum  ipsum  et  per  eum  artes  amnes  probe  inißOigeretU,  tum 
ut  sermonem  suiim  patrium  ex  illo  vdut  aqua  eopiosiics  ex 
fönte  derivata  puriorem  atque  opulentiorem  redderent  Wie 
selbstverständlich  diese  Anschauung  war,  ersieht  man  besonders 
daraus,  dafs  sogar  ein  Schriftsteller,  der  im  Gegensatz  zu  den 
meisten  anderu  der  damaligen  Zeit  die  Vollkommenheit  der 
französischen  Sprache  nachzuweisen  unternahm,  Du  Bellay,  in 
seiner  1549  erschienenen  Deffence  et  illustration  de  la  langue 
Franfoise  ein  Kapitel  (8)  einlegt,  welches  handelt  öT  amplifier^) 
la  langue  Francoyse  par  V  immitation  des  anciens  Aucteurs 
Grecz  et  Bomains.^ 

1)  Diei,  das  opülenttorem  reddere,  wie  es  Vives  1.  c.  nennt,  scheint  der 
gewöhnliche  Terminus  gewesen  zu  sein.  Vgl.  noch  folgende  (von  Fr.  Land- 
mann, Der  Euphuismus  [Diss.  Giefsen  1881]  62  citierte)  Äufserung  des  Sir 
Thomas  Eljot  in  der  Vorrede  zu  seinem  1633  erschienenen  Buch  Of  the 
knowlodge  which  maketh  a  wise  man:  His  hignesse  (König  Heinrich  VIII) 
henignely  receyving  my  bocke,  whiehe  I  named  the  Gov€rnour  (erschienen  1631), 
in  te  redynge  iherofsoone  perceyved,  (hat  I  intended  to  augment  ourEnglyshe 
tonguc  und  zwar,  wie  er  ausführt,  aus  dem  Griechischen,  Lateinischen  und 
andern  Sprachen.  Cf.  auch  Alphonso  Matamoro,  den  spanischen  Humanisten 
8.  XVI,  in:  Opera  ed.  Matriti  1769  p.  429:  Ciceronem  omnihus  eoneiona- 
toribvs  propomiy  quem  in  omnibus  Unguis  nemo  non  imüaretur:  de  vtdgaribus 
autvm  Unguis  loquor,  quae  nohis  sunt  vemaculae,  quas  Ciceronis  artificio 
informandas  censeo. 

2)  DüDselbou  Standpunkt  vertrat  Ronsard,  worüber  cf.  E.  Borinski, 
Poetik  der  Renaissance  (Bcrl.  1886)  206f. 


Die  'Verbesserong'  der  modemen  Sprachen.  781 

Dafs  die  aulserordentliche  Verbreitong  der  Kenntnis  derDerEinUnf 
klassischen  Sprachen  im  XVI.  und  XVII,  Jh.  auf  die  Gestaltung  giJJetoin. 
des  modemen  Prosastils  bei  allen  europäischen  Eulturyölkern 
von  bedeutendem  Einfluls  war,  ist  allgemein  bekannt  und  zu- 
gegeben. ,;In  allen  Litteraturen  des  modemen  Europa  labt  sich 
der  Gährungsprozeis^  der  sich  in  dem  Bestreben  nach  Einführung 
neuer  Ideen  ^  neuer  Formen  ^  ja  selbst  neuer  Konstruktionen  in 
der  heimischen  Sprache  äuiserte,  verfolgen  und  man  muls  sagen, 
in  der  ersten  Zeit;  ja  in  den  ersten  Jahrhunderten,  hat  dieser 
ProzeCs  auf  die  selbsstandige  Entwickelimg  der  Sprachen  und 
Literaturen  Europas  in  gewisser  Beziehung  nachteilig  gewirkt 
Italien  machte  diesen  Prozefs  am  schnellsten  durch  und  war 
am  frühesten  fertig,  es  folgen  dann  die  übrigen  romanischen 
Literaturen,  besonders  Frankreich  und  Spanien,  dagegen  haben  die 
germanischen  Literaturen,  namentlich  England  und  Deutschland, 
längere  Zeit  gebraucht,  das  Neue  mit  dem  Einheimischen  zu 
verschmelzen.^^)  Die  anfönglich  nachteilige  Wirkung  erklärt 
sich  daraus,  dals  im  XVI.  und  XVII.  Jh.  in  Bezug  auf  die  Aus- 
wahl der  klassischen  Muster  jene  Perversität  des  stilistischen 
Geschmacks  herrschte,  die  ich  eben  behandelt  habe;  die  beste 
Analogie  bildet  das  Verhältnis  des  Rokoko-  und  Barockgeschmacks 
zum  Elassicismus  der  eigentlichen  Renaissancekunst.  Ich  will 
nun  versuchen,  das  durch  ein  paar  Beispiele  zu  beweisen;  da 
mir  die  Führer  fehlten,  habe  ich  mich  mit  den  Quellen  selbst 
vertraut  gemacht,  wobei  mir  gewifs  manches  entgangen  ist. 

1.  Der  Elassicismus. 

Dafs  Frankreichs  Boden  für  die  Au&ahme  der  antiken  Frankrcioi 
Rhetorik  so  geeignet  wie  möglich  war,  hat  sich  aus  den  Unter-     .^tike 
suchungen  dieses  ganzen  Werks  ergeben.    Bis  auf  den  heutigen  ^'*'*^'*** 
Tag  gut,  dafs  „der  franzosische  Prosastil  sich  den  Vorrang  be- 
wahrt hat,  als  Eunstprosa  mit  der  antiken  und  nicht  blofs  der 
romischen    Eunstprosa    verglichen    werden   zu   können*'.*)     Die 


1)  Fr.  Lan^^T^ftTiTi^  1.  c.  26.  —  Einflüsse  der  lateinischen  Periodisienmg 
auf  französische  Autoren  der  ersten  HfiJfte  des  XVI.  Jh.  werden  gestreift 
von  A.  Birch-äirschfeld  1.  c.  (o.  S.  770, 1)  78.  79.  80.  92. 121.  278  mit 

280  f.  mit  Anm.  14. 

2)  V.  Wilamowitz,  Eur.  Her.  II«  200,  cf.  o.  S.  2,  1. 


782  DS'S  Humanistenlatein  und  die  modernen  Sprachen. 

rhetorischen  Schriften  des  Dionys  von  HalikamaDs  gehorten  hier 
zu  den  am  frühsten  gedruckten  Büchern  ^  die  feinsinnigste  rhe- 
torisch-stilistische Schrift  des  Altertums  (fitsQl  ütlfovg)  fand  hier 
früh  volles  Verständnis;  schon  1562  druckte  Henri  Estienne  die 
Reden  des  Themistios,  1567  die  des  Polemon  und  Himerios.^) 
BaiMc.  Yüi  einen  der  besten  Prosaisten  galt  bei  seinen  Zeitgenossen 

und  gilt  wohl  noch  heute  Balzac  (1594 — 1654);  virum  ad  ele- 
gantias  omnes  factum  nennt  ihn  einer  ;^  es  giebt;  wie  auch  ich 
zu  konstatieren  vermag;  vielleicht  keinen  Schriftsteller ^  der  in 
einem  modernen  Idiom  mit  solcher  Grazie  den  Stil  der  besten 
alten  Autoren  nachgeahmt  hat,  der  ihn^  was  mehr  sagen  will; 
sich  so  zu  eigen  gemacht  hat;  daCs  man  die  Nachahmung  nicht 
mehr  als  solche  unangenehm  empfindet.  Er  besafs  einen  er- 
lesenen Geschmack:  er  bewundert  Aristoteles  und  Cicero  als 
Theoretiker;  DemostheneS;  CicerO;  Livius  als  Redner  und  Schrift- 
steller; Terenz  und  Yergil  als  Dichter ;  während  er  die  Autoren 
der  späteren  Zeit  mit  Phaethon  und  Icarus  vergleicht  (Oeuvres  II 
[Par.  1665]  558);  er  besitzt  eine  aufserordentliche  Belesenheit 
in  der  griechischen  Litteratur,  so  dafs  er  einem  Schriftsteller 
Entlehnungen  aus  Themistios  nachzuweisen  vermag  (ib.  569); 
er  spricht  sich  energisch  gegen  Übergriffe  der  Poesie  in  das 
Gebiet  der  Prosa  aus  (ib.  570  f.).  Und  wenn  er  auch  Pointen 
keineswegs  scheut^),  so  hat  er  doch  dabei  die  schmale  Grenze 
des  Erhabenen  gegen  das  Lächerliche  selten  oder  nie  über- 
schritten.*) 

1)  Cf.  im  allgemeinen  E.  Egger  1.  c.  (o.  S.  770,  1)  11  147  ff. 

2)  D.  Morhof  de  Patavinitate  Liviana  (1684)  c.  7  (Dias.  acad.  et  epistol. 
p.  533).  Von  ihm  sagt,  ohne  ihn  zu  nennen,  sein  Zeitgenosse  de  la  Mothe 
le  Vayer,  De  V  Eloquence  Fran9oi3e  1638  (in:  Oeuyres  II  1  [Dresden  1756] 
236):  paur  ce  gut  est  des  nombres  et  du  sott  des  periodes,  ü  fawt  awuer  que 
notre  laiigage  a  regu  depuis  peu  tant  de  graces  pour  ce  regard,  que  naus  ne 
voions  gueres  de  periodes  mieux  digeries,  ni  plus  agreäblement  toumies  dans 
Demosthene  ou  dans  Ciceron,  que  sont  Celles  de  quelques-uns  de  nos  JEcrivains . . 
L'  un  d'  entre  eux,  que  je  croi  avoir  le  plus  meriU  en  cette  parHe^  comme 
au  reste  des  ornenums  de  notre  Langue,  a  couru  la  fortune  de  tous  ceux  qui 
excellent  en  quelque  profession,  par  V  envie  qui  s*  est  particulierement  attach^e 
ä  lui. 

3)  Proben  bei  Bouhours  1.  c.  264  und  im  3.  Dialog. 

4)  Nicht  ganz  gerecht  scheint  mir  über  ihn  zu  urteilen  £.  Havet,  Le 
discours  d'  Isocrate  sur  lui-m6me  (Paris  1862)  p.  LXXXIf.  Man  mufs  ihn 
an  seinen  Zeitgenossen  messen! 


ElassicisinTis  und  Manier  in  Frankreicli.  783 

2.     Der   Stil    der   Pointen   (precieuses)   und   des 

Schwulstes  (galimatias). 

1.  Frankreich.  Der  eigentliche  Geschmack  der  Zeit  war  yerderbni 
ein  anderer  als  derjenige  Balzacs.  Seine  beste  Darlegung  findet  ^^^^ 
sich  in  dem  zierlichen^  an  geistvollen  stilistischen  Bemerkungen  •^»»»«>« 
reichen  und  daher  von  mir  schon  öfters  citierten  Werk  von  niMisten. 
Bouhours,  La  maniere  de  bien  penser  dans  les  ouvrages  d'  esprit, 
1649  (ich  benutze  die  Ausgabe  Paris  1687).  In  Dialogform 
werden  die  sich  gegenüberstehenden  Stiltheorieen  diskutiert.  Der 
Vertreter  der  neuen  begeistert  sich  an  Wortspielen  und  Hyper- 
beln, seine  erkorenen  Schriftsteller  sind  Yelleius,  Seneca,  Lucan, 
Tacitus,  sowie  die  pointierten  Epigramme  des  Martial  und 
Ausonius,  er  freut  sich,  dafs  sogar  Cicero  an  dem  tollen  Apercu 
des  Timaeus  über  den  Brand  des  ephesischen  Tempels  (oben 
S.  232, 1)  Gefallen  findet.  Auf  p.  56  j£  werden  eine  lange  Brcihe 
falscher  Pointen  aus  französischen  Predigten  angeführt,  besonders 
die  Frauen  seien  darüber  sehr  entzückt  gewesen ,  z.  B.  als  ein 
Prediger  am  Ostertage  cherchant  pourquoy  Jesus-Christ  ressuscite 
apparut  Sähord  aux  Maries,  dit  froidement  que  (fest  que  Dieu 
vouhit  rendre  public  le  Myst^e  de  la  Besurrection,  et  que  des 
femmes  sgachant  les  premi4res  une  chose  si  importante,  la  nouveUe 
en  seroit  hientost  rSpandue  par  taut  Besonders  schwärmte  man 
für  Seneca,  gegen  den  daher  die  Vertreter  des  besseren  Stils 
im  Sinn  und  mit  den  Worten  Quintilians  polemisierten.  Wie 
weit  die  Vorliebe  ging,  zeigt  besonders  deutlich  das,  was  Bouhours 
p.  504  f.  aus  einem  Buch  Les  demi^res  paroles  de  Seneque  (von 
wem?)  citiert;  der  sterbende  Philosoph  sagt  eine  Pointe  über 
der  andern,  so,  um  nur  zwei  anzuführen:  Ce  poignard  qui  ne 
rougit  que  du  sang  de  Pauline,  comme  s'ü  avoit  honte  d'avoir  hlessc 
une  femme,  apres  avoir  fait  les  premieres  ouvertures  inutilefnent, 
fera  les  demieres  avec  effet  —  Tout  insensible  q%Cü  est,  il  a  pitie 
de  Neron,  et  le  voyant  travaüU  Sune  soif  enrag^,  il  luy  ouvre  des 
sources  <yu  sa  cruaute  se  pourra  desalierer  dans  le  sang,  qui  est  son 
breuvage  ordinaire.  Zusammenfassend  sagt  Bouhours  p.  316  ff.: 
On  s'expose  quelquefois  ä  passer  Je  but,  quand  on  veut  aUer  phis 
hin  que  les  autres.  Les  Modernes  tombent  d'ordinaire  dans 
ce  d^faut  d4s  qu'ils  veulent  rencherir  sur  les  Anciens,  waa 
er  dann  beweist  durch  eine  Reihe  von  Nachahmungen  des  Martial^ 


784  Das  Humanistenlatein  und  die  modernen  Sprachen. 

TacituS;  Seneca  n.  s.  w.')  Den  bis  zur  Dunkelheit  gehobenen 
Stil  nannte  man  galimatiaSy  den  glänzenden  und  pointenreichen 
phebus,  die  brillanten  concetti  pensSes  alambiquees  cf.  Bouhours 
p.  333.  346.  355.*) 

Ein  treffendes  urteil  über  diesen  yerkünstelten  Stil  giebt 
auch  Fran9ois  Ogier.  Dom  Jean  Goulu  hatte  in  seinen  Donze 
livres  de  lettres  de  Philarque  ä  Ariste  den  Stil  Balzac's  ange- 
griffen,  in  dessen  Namen  Ogier  1627  antwortete  in  seiner  an 
Richelieu  gerichteten  Apologie  pour  M.  de  Balzac.')  Seine  An- 
greifer seien  Leute,  in  deren  Stil  herrschten  (p.  123)  de  fausses 
sübtüiteis,  des  sottises  estudiees  et  des  raisons  contraires  aux  honnes. 
Touiefois  ü  meritent  quelque  excuse,  puisqu'en  cela  ils  ont  imitS 
les  Änciens,  et  que  devant  enx  ü  y  a  en  des  fous  de  la  mesme 
especey  tele  que  Oorgias  le  Leontiny  CallisOieneSy  Cliiarchus, 
Amphicatres,  Hegesias,  et  auires,  dont  nous  n'avons  pas  les  Uvres, 
et  ne  connoissons  les  defatäs  que  par  le  rapport  que  Je  Saphiste 
Longin  en  a  fait. 

2.  In  Italien  herrschte  dieselbe  Manier.  Am  besten  er- 
kennt man  das  Einzelne  aus  der  bittem  Invektive  des  Muratori^ 
Della  perfetta  poesia  Italiana  I  (Venezia  1748)  10  ff.  417  ff.,  be- 
sonders II  428  ff.  III  172  ff.:  wenn  man  sich  für  die  hoch- 
poetische, mit  Figuren  überladene  Prosa  auf  die  Alten  berufe, 
so  solle  man  nicht  vergessen,  dafs  sie  bei  ihnen  in  Gebrauch 
war  erst  nach  den  Zeiten  des  Demosthenes  und  des  Cicero.  Die 
Verwandtschaft  dieser  manierierten  italienischen  Prosa  mit  der 
spätlateinischen  weist  er  an  einigen  geschickt  ausgewählten  Bei« 
spielen  nach.*)     Unter  den  Poeten  war  bekanntlich  der  Typus 


1)  Appoleius  wird  hinzugefügt  yon  Strebaeos  de  yerb.  eleciione  et 
collocatione  (1539)  2  f. :  seine  Florida  ahme  man  nach  statt  Cicero.  Appn- 
leius  wurde  in  Frankreich  zuerst  1522  übersetzt. 

2)  Cf.  auch  CauBsin  S.  J.,  Eloquentiae  sacrae  et  humanae  parallela 
(1619)  2.  619.  629. 

3)  Sie  ist  angehängt  der  Pariser  Ausgabe  der  Werke  Balzac^s  (1666) 
T.  II  p.  105  ff. 

4)  Cf.  auch:  Del  segretario  del  Sig.  Panfilo  Persico  libri  quattro,  n^ 
quali  si  tratta  dell*  arte,  e  facoltä  del  Segretario,  della  Istitutione  e  yita 
di  lui  nclle  Republiche  e  nello  Corti.  Della  lingua,  e  deir  arteficio  dello 
scrivere,  Del  soggetto,  stile,  e  ordine  della  lettera,  Dei  titoli  etc.  Yenetia 
1620  p.  86—103  (bes.  p.  100). 


Die  Manier  in  den  modernen  Spraohen.  785 

dieser  perversen  Art  Marino^);  als  abschreckendes  Master  des 
yerkünstelten  Geschmacks  in  der  italienischen  Prosa  stellt  der 
französische  Kritiker  de  la  Mothe  le  Yayer  1.  c  (oben  S.  782,  2) 
234  den  Virgilio  Malvezzi  (1599—1654)  hin.^ 

3.  Auch  England,  Spanien  und  Deutschland  sind  in 
Prosa  und  Poesie  von  dieser  Stilmanier  infiziert  worden.  In 
England')  traten  vor  allem  Roger  Ascham  in  seinem  Schole- 
master  (Lond.  1570)  99  (in  Arbers  reprints  n.  23)  und  Philipp 
Sidney  in  seiner  Apologie  for  poetrie  (Lond.  1595)  68  (in  Ar- 
bers reprints  n«  4)  diesem  Geschmack  entgegen.  In  Spanien 
war  Gongora  der  berüchtigte  Typus,  gegen  den  sich  alle  urteils- 
fähigen Männer  wandten  wie  einst  griechische  Stilkritiker  gegen 
Hegesias/)  In  Deutschland  steht  wegen  dieser  Manier  die  sog. 
zweite  sehlesische  Schule  in  schlechtem  Andenken.^) 

Franzosen,  Italiener  und  Spanier  haben  sich  gegenseitig  als 
Erfinder  dieses  schlechten  Geschmacks  angeklagt^;  es  ist  bei 
dem  beständigen  Geben  und  Nehmen  gerade  dieser  Nationen 
in  jener  Zeit  auch  fraglos^  dafs  eine  bedeutende  Wechselwirkung 
stattgefunden  hat  —  besonders  der  Einflufs  des  auch  in  Frank- 
reich hochgefeierten   Marino   war  verhängnisvoll   — ,   aber   die 

1)  Cf.  jetzt  besonders  M.  Menghini,  La  yita  e  le  opere  di  Giambat- 
tista  Marino.  Rom  1888. 

2)  Die  deutlichsten  Beispiele  bietet  sein  Romolo  (1635).  Von  derselben 
Art  soll  (nach  la  Mothe  1.  c.)  des  Malvezzi  Dayid  persegnitato  sein,  von 
dem  ich  nur  die  lateinische  Übersetzung  (Virgilii  Malvezzi  Historia  politica 
de  persecutione  Davidis,  Lngd.  Bat.  1660)  kenne.  In  seinem  Jugendwerk, 
den  Discorsi  sopra  Comelio  Tacito  (1622)  tritt  dies  Haschen  nach  Effekt 
lange  nicht  so  stark  hervor.  —  Beispiele  ans  italienischen  Predigern  bei 
Bouhours  1.  c.  124.  162.  306. 

3)  Cf.  E.  Schwan  in:  Engl.  Stnd.  VI  106  ff. 

4)  Cf.  N.  Antonio  in  seiner  Hispan.  bibliotheca  11  29  f.  und  Bouhours 
1.  c.  367  u.  ö. 

6)  Ihre  litterarischen  Zusammenhänge  mit  Frankreich  und  Italien  sind 
von  J.  Ettlinger,  Chr.  Hofman  v,  Hofmanswaldau  (Halle  1891)  67  ff.  89  ff. 
sehr  gut  klargestellt  worden. 

6)  Cf.  Bouhours  1.  c.  im  3.  Dialog  passim.  Muratori  1.  c.  HI  172  ff. 
(der  französische  diälogista,  gegen  den  er  dort  polemisiert,  ist  eben  Bou- 
hours und  zwar  dessen  Entretiens  d'Ariste  et  d'Eugene  [1671]  c.  2  p.  42  ff.). 
Mascardi,  Dell*  arte  historica  trattati  (Rom  1636)  614  beschuldigt  den  Frp 
zosen  Matthieu  (dies  Citat  aus  de  la  Mothe  1.  c.  234).    Cassaigne  in  sei] 
Vorrede  zu  Balzac's  Werken  (Par.  1666)  33.     Für   Spanien  cf.  Mengli 
1.  c.  816  ff. 


786  I^as  Hnmanistenlatem  und  die  modernen  Sprachen. 

gemeinsame  Quelle  aller  war  die  Nachahmung  schlech- 
ter antiker  Muster,  mit  denen  die  modernen  Sprachen 
ebenso  wie  das  gleichzeitige  Humanistenlatein  kon- 
kurrieren wollten.^) 


3.   Der  Stil  der  formalen  Antithese  (Euphuismus). 

Formftier  Lag  die  Perversitat  der  eben  gezeichneten  Richtung  wesent- 

,tu'^°'lich  auf  dem  Gebiet  des  GedankenS;  der  in  pointierte  oder 
schwülstige  Worte  gekleidet  wurde,  so  werden  wir  im  folgenden 
eine  Stilmanier  kennen  lernen,  die  sich  auf  bloüs  formalem 
Gebiet  bewegte«  Es  kann  nicht  stark  genug  betont  werden, 
dafs,  wenn  wir  zu  irgendwelcher  Klarheit  gelangen  wollen,  wir 
beide  Richtungen  von  einander  trennen  müssen.^ 

Die  Signatur  dieses  zweiten  Stils  ist  die  formale  Anti- 
these. Man  kann  behaupten^  dafs  sie  in  jenen  Jahr- 
hunderten das  internationale  Eunstmittel  des  Stils  ge- 
wesen ist.  Bei  ihrer  Behandlung  muDs  ich  ausführlicher  sein, 
da  ich  nur  so  glaube,  die  vielbehandelte  Frage  mit  absoluter 
Sicherheit  beantworten  zu  können. 


a.  John  Lyly. 

I.  In  Im  J.  1579  erschien  in  England  ein  Roman  mit  folgendem 

England,  rpj^^i.  ^^E^phues.  Thc  Anatomy  of  Wit.   Verie  pleasaunt  for  all 

Gentlemen  to  read,   and  most  necessarie  to  remember,  wherein 

are  contained  the  delightes  that  Wit  foUoweth  in  his  youth  by 


1)  Mit  diesem  Resoltat  glaube  ich  die  bis  in  die  neueste  Zeit  (cf.  das 
citierte  Werk  Menghinis  p.  315  fif.)  diskutierte  Streitfrage  endgültig  gelöst 
zu  haben. 

2)  Das  hat  schon  Landmann  1.  c.  (o.  S.  780, 1)  gethan.  Gut  darüber 
auch  Schwan  1.  c.  Auch  die  Zeitgenossen  haben  geschieden,  z.  B.  schilt 
Bouhours  1.  c.  mafslos  auf  Gbngora,  während  er  in  seinen  Entretiens 
1.  c.  186  den  Spanier  Guevara,  den  Hauptrepräsentanten  des  zweiten  StUs, 
wegen  seiner  netieti  et  elegance  in  ausdrücklichem  Gegensatz  zu  den  anderen 
Spaniern  lobt.  Dafs  gelegentliche  Berührungen  beider  Stilarten  vorge- 
kommen sind  (z.  B.  bei  Shakespeare)  weifs  ich,  übergehe  das  aber,  um 
nicht  zu  verwirren;  die  Behauptung  Menghinis  1.  c.  846:  Veufuiamo  fu  in 
Inghilterra  cid  die  fu  il  ^gongorismo*  in  Ispagna,  V'esprit  prMeux*  in  Fraw- 
cia,  il  'manirismo*  in  Itaiia  ist  notorisch  falsch  und  irreführend. 


Antithesenstil:  Lyly.  7g 7 

tlie  pleasantnesse  of  love^  and  the  happinesse  he  reapeth  in  age 
by  the  perfectnesse  of  Wisedome";  diesem  ersten  Teile  folgte 
ein  Jahr  darauf  der  zweite:  ^^Euphnes  and  his  England.  Con- 
taining  his  Yoyage  and  adventures^  myxed  with  snndry  pretie 
disconrses  of  honest  Love^  the  description  of  the  countrey,  the 
Court^  and  the  manners  of  that  Isle.^  Der  Verfasser  war  John 
Lyly,  der  ältere  Zeitgenosse  Shakespeares.^)  ,;Die  Bedeutung 
dieses  Buches  —  sagt  Fr.  Landmann  in  seiner  für  immer  grund- 
legenden Dissertation:  „Der  Euphuismus;  sein  Wesen^  seine 
Quelle,  seine  Geschichte'*  (Giefsen  1881)  6  —  beruht  nicht  auf 
dem  Inhalte  der  Erzählimg,  der  für  uns  ein  recht  langweiliger 
und  ermüdender  ist,  sondern  auf  dem  Umstände,  dsSa  es  in  einem 
Stile  geschrieben  war,  welcher  die  englische  Prosa  (bekanntlich 
auch  die  gewählte  Shakespeares)  in  jener  Zeit  beherrschte  und 
welcher  als  Eonversationssprache  der  höheren  Stände,  sowohl 
am  Hofe  der  Königin  Elisabeth,  wie  in  guter  Gesellschaft  Jahr- 
zehnte  hindurch   Mode   war.'* n^^   Hauptmerkmal   des 

Euphuismus  bildet  die  Antithese.  Dieselbe  ist  in  solchem 
Umfange  durchgeführt,  dafs  sich  nur  wenige  Seiten  in  dem 
ganzen  Buche  finden,  wo  dieselbe  fehlte.  .  .  .  Diese  Antithese 
ist  bei  Lyly  etwas  rein  Formelles,  Äufeerliches,  eine  Gegen- 
überstellung von  Sätzen  und  Wörtern,  welche  entweder 
wirklich  einen  Kontrast  enthalten  oder  nur  der  Kon- 
formität der  Sätze  zuliebe  gegenübergestellt  sind*' 
(ib.  12  f.).  Jeder  beliebige  Satz  kann  das  illustrieren;  ich  führe, 
da  ich  den  Roman  selbst  nur  flüchtig  durchblättert  habe,  ein 
paar  der  von  Landmann  gegebenen  Beispiele  an.  p.  74  Arb. 
Gentleman,  as  you  may  sttsped  me  of  idlenesse  in  giving  eare  io 
your  taJJcey  so  nuiy  you  convince  me  of  lightnesse  in  aunswering 
such  toyes:  certes  as  you  have  made  mine  eares  glow  at  the  rehear- 
saU  of  your  love,  so  have  you  gaUed  my  heart  unih  the  remem- 
braunce  of  your  folly.  p.  65:  Friend  and  fellow,  as  I  am  not 
ignoraunt  of  thy  present  weakness,  so  I  am  not  privie  of  the  catise: 
and  although  I  suspect  many  things,  yet  can  I  ossäre  myself  of  no 
one  thing.  Therefore  my  good  Euphues,  for  these  doubts  and  dumpe^ 
of  mine,  either  remove  the  cause  or  reveale  it.  Thou  hast  helher 
founde  me  a  cheerefull  companion  in  thy  myrOh,  and  nowe  shc 

1)  Jetzt  am  bequemsten  zu  lesen  in  Arben  reprints  n.  9. 
Norde D|  antike  Konstproso.  II.  61 


788  ^^  Hmnanistenlatein  und  die  modernen  Sprachen. 

tJiau  finde  me  as  carefidl  with  thee  in  thy  moane.  If  dttogeÜier 
thou  maist  not  he  cured,  yet  malst  thou  hee  comforted,  If  ther  he 
any  thing  yat  either  hy  my  friends  may  he  procured,  or  hy  my 
life  aUeined,  that  may  either  heale  thee  in  part^  or  helpe  thee  in 
all^  I  protest  to  thee  hy  tJie  name  of  a  friend,  that  it  shaU  raiher 
he  gotten  with  the  losse  of  my  hody,  then  lost  hy  getting  a  hing- 
dorne.  Die  Antithese  wird  oft  den  Ohren  fühlbarer  gemacht 
durch  Allitteration;  Assonanz,  Reim;  z.  6.  p.  47  Leaming  wühout 
läbour  and  treasure  wiihout  travaile.  51  Why  goe  I  about  to 
hinder  the  course  of  love  unth  ühe  discourse  of  law.  43  We  merry^ 
you  melancholy:  we  eecAous  in  affection,  you  iealous  in  aU  your 
doings:  you  testie  unthout  came,  we  hastie  for  no  quarreil. 

b,  Antonio  Guevara. 

II.  In  Woher  stammt  dieser  Stil   der  englischen   Prosa?    Nach- 

1.  GueTaro.  dem  darüber  viel  Falsches  gesagt  war,  wies  Landmann  mit 
völliger  Evidenz  und  unter  allgemeiner  Zustimmung^)  die  Quelle 
nach:  es  ist  der  berühmte  Roman  des  Spaniers  Don  Antonio 
de  Guevara,  El  libro  de  Marco  Aurelio,  erschienen  1529.  Der 
Verfasser  ,^ebte  am  Hof  der  Königin  Isabella  und  trat  dann  in 
den  Franziskanerorden  ein.  Bald  jedoch  spielte  er  eine  bedeu- 
tende Rolle  am  Hof  Karls  V.,  wo  er  sich  zum  Historiographen 
des  Kaisers  emporschwang  und  Hofprediger,  wurde.  Er  starb 
im  J.  1545,  als  Erzbischof  von  Mondofiedo  und  Guadix."*)     Sein 


1)  Die  sehr  umfangreiche  Litteratur  findet  sich  jetzt  am  besten  ver- 
einigt bei:  Clarence  Griffin  Child,  John  Lyly  and  Euphuism  in:  Münchener 
Beitr.  z.  rom.  u.  engl.  Philol.  (herausg.  von  Breymann  u.  Koppel),  Heft  VII 
(1894).  Hinzuzufügen  ist  dort  noch:  in  enphuistischem  Stil  schreibt  auch 
Edw.  Young  (1684 — 1765),  durchgängig  in  seiner  Schrift  A  true  estimate  of 
human  life  (The  Works  of  the  author  of  the  night-thoughts  vol.  V  Lond. 
1773  p.  11  ff.).  Er  wird  deshalb  getadelt  von  H.  Blair,  Lectures  on  rhetoric 
and  belles-lettres ,  deutsche  Übers,  von  Schreiter  H  (Liegnitz-Leipz.  1785) 
124.  Ib.  126  wird  bemerkt,  dafs  Alex.  Pope  (1688—1744)  mit  grofser  Kunst 
den  antithetischen  Stil  kultiviert  habe.  Manche  Beispiele  aus  Autoren  von 
Shakespeare  an  giebt  schon  H.  Homer,  Elements  of  criticisme  (1762)  c.  XHI. 
—  Ich  bemerke  noch,  dafs  der  erste,  der  die  Antithese  als  das  wesentliche 
Charakteristicum  erkannte,  Nathan  Drake  war  in  seiner  Schrift:  Shake- 
speare and  his  time  1817,  vol.  I  441,  angeführt  von  Schwan  1.  c.  (oben 
S.  785,  3)  96. 

2)  Landmann  1.  c.  65. 


Antithesenstil:  Gnevara.  789 

Bucli  erhielt  sofort  nach  dem  Erscheinen  einen  Weltruf  und 
wurde  bald  in  viele  Sprachen  übersetzt.  Die  englische  Über- 
setzung Yon  Thomas  North  (1568)  war  die  unmittelbare  Quelle 
des  englischen  Euphuismus^  dessen  Hauptrepräsentant  eben  Lyly 
war:  aber  nicht  der  einzige;  demi;  wie  schon  Landmann  be- 
merkte und  andere  wiederholten  ^);  hatte  er  mehrere  Vorgänger, 
besonders  an  George  Pettie^  dessen  1576,  also  3  Jahre  vor  Lylys 
EuphueS;  erschienene  Novellen  denselben  Stil  in  Anlehnung  an 
die  genannte  englische  Übersetzung  des  Guevara  schon  recht 
deutlich,  wenn  auch  noch  nicht  so  einseitig,  ausgeprägt  zeigen. 
Ein  paar  Proben  aus  dem  Werke  des  Guevara  führe  ich  nach 
Landmann  an:  Quedate  a  Dios  mundo ^  pues  prendes  y  no  fudUis 
atas  y  no  afloocas^  Ictötimas  y  no  cösaeUis,  röbas  y  no  restituyes, 
'alteras  y  no  pacificas,  desonras  y  no  lidlagas  accusas  sinque  aya 
quexaSy  y  smtencias  sin  oyr  partes:  por  manera,  que  en  tu  casa^ 
0  mundo  nos  maias  sin  sentendar:  y  nos  entierras  sin  nos  morir, 
—  No  hay  oy  generoso  seüor  ni  delicada  senora:  que  antes  no 
suffriesse  una  pedrada  en  la  cabega  que  no  una  cuchillada  en  la 
fama:  porque  la  herida  de  la  cabega  en  un  mes  se  la  darä  sana: 
mas  la  mägilla  de  la  fama  no  saldra  en  toda  su  vida. 


c.  Guevara  und  der  spanische  Humanismus. 

Mit  der  Erkenntnis,  dafs  die  unmittelbare  Quelle  des  eng-  s.  Frage- 
lischen Euphuismus  im  Spanischen  zu  suchen  sei;  haben  sich  '  ^^ 
die  Anglisten  begnügt:  sie  war  ja  auch  für  ihre  Zwecke  aus- 
reichend. Aber  ich;  dem  das  Englische  nebensächlich  war^  fragte 
weiter:  woher  hat  diesen  Stil  der  Spanier?  Die  Antwort  ergab 
sich  mir  sofort:  dieser  Antithesenstil  oder,  was  dasselbe 
ist;  dieser  Satzparallelismus  kann  nur  eine  der  vielen 
Erscheinungsformen  jenes  alten  gorgianischen  öx^fia 
seiU;  dessen  tändelnde,  auf  Ohr  und  Auge  sinnlich  wirkende 
Art  seit  zwei  Jahrtausenden  auf  Menschen  verschiedenster  Zunge 
seine  Wirkung  ausübte  und  zur  Nachahmung  reizte,  wie  wir  im 
ganzen  Verlauf  dieser  Untersuchungen  erkannt  haben.  Aber, 
fragte  ich   mich  weiter,  besteht  hier  auch   ein  wirklich  hi^tn- 


1)  E.  Koppel,  Stud.  z.  Gesch.  d.  ital.  Novelle,  in:   Quellen  o, 
z.  Sprach-  u.  Culturgesch.  d.  germ.  Volk.,  Heft  LXX  (1892)  24  ff. 

61  • 


Eice  Gcsdcekte  des  H^BaBssnss  ik  S 


rii^Lt  ^.TTA  Auflege  z^  ei&er  aclgfeffp.  frosi  koflaoL  Es  blieb 
sukj  zitkXM  ^brfgy  &Ij  die  QcelläL  seIcss  n  l^&mgen,  was  aber 
in  ToLem  ümfuig  n^ir  in  Spaziieii  selbst  no^ick  vire,  da  die 
wiüiIgiteD  dieser  Werke  di€sseiss  der  PrreiuefL  bdaaat  geworden 
niui  Die  Thatiaebe  ihrer  Existenz  erkennt  man  aber  ans  den 
groben,  im  XVIL  Jh.  acgelegioi  Bibliotbekskasalogcn  des  An- 
dreas Sehottas  (Hispaniae  bibliotheca,  Frankl  1606)  und  beson- 
ders des  Nie.  Antonio  (Bibliotheea  Hispana«  Born  1672).  Die 
dort  rerzeiehneien  Werke  dreier,  der  berühmtestoi,  Homanisien 
sind  aneh  in  unsem  gröberen  Bibliotheken  Terbreitet:  die  des 
Lud«  Vires,  des  berühmtesten  und  Teriiiltnismälsig  selbstän- 
digsten spanütehen  Homanisten  (1492 — 1540;  Opera  ed.  Basileae 
l:/}0),  die  des  Alphonso  Garsias  Matamoro  (seit  1542  Pro- 
fessor der  Rhetorik  in  Alcala,  f  1572.  Open  ed.  Mairiii  1769^ 
und  die  (nur  füi  syntaktische  Fragen  in  Betracht  kommende) 
Minenra  des  Francisc  Sanctius  (1587).  Liest  man  die  Werke 
der  beiden  ersten  nnd  sammelt  sich  aas  den  genannten  Elata- 
logen  die  stattliche  Reihe  der  Humanisten,  so  erkennt  man,  dals 
die   formalistische   Benaissancerhetorik  seit   dem  Ausgang  des 


AntdthesensiQ:  GKieTara.  791 

XV.  Jb.  in  Spanien  eine  aoTserordentlich  groCse  Rolle  spielte^), 
was  ja  bei  dem  stark  ausgeprägten  oratoriscben  Naturell  dieses 
Volkes  aucb  begreiflieb  genug  ist.  Selbständiges  scheinen  diese 
spaniscben  Humanisten  so  gut  wie  gar  nicbt  produziert  zu  haben: 

1)  Ein  paar  Beispiele  aus  der  Bibliotheca  des  Antonio  (die  alpha- 
betisch geordnet  ist,  so  dafs  man  Mühe  hat,  aus  dem  Chaos  das  heraus- 
zufinden, was  man  gerade  sucht): 

Alphonsus  de  Alyarado:  In  Giceronis  orationes  analyses  et  enarra- 
tiones  etc.  Basileae  1544.  id.  Artium  disserendi  ac  dicendi  indissolubili 
vinculo  iunctarum  libri  duo.  ibidem  1600. 

Alphonsus  Garsias  Matamoros:  De  ratione  dicendi  libri  duo. 
Compluti  1548  et  1561.  De  tribus  dicendi  generibus  sive  de  recta  infor- 
mandi  styli  ratione.  ib.  1570.  De  methodo  concionandi  iuxta  rhetoricae 
artis  praescriptum  ib.  1570.  etc. 

Alphonsus  de  Torres:  Progymnasmata  Rhetoricae,  Compluti  1569. 

Andreas  Baianus:  In  Aphtonium  de  elementis  Rhetoricae  (s.  1.  s.  a., 
Anf.  s.  XVH). 

Andreas  Semperius  (f  1572,  gepriesen  als  grammaticorum  Äristar- 
chus,  Bhdhorwn  OorgiaSj  in  antiquitate  Varro  alter^  Latinarum  Graecarum" 
que  literarum  Coriphams,  tertiua  Uiieensis  Cato,  eloquentiae  ac  doctrinae  oni' 
nis  instauraior,  cuius  in  hibiis  Ciceroniana  dicendi  facuUM,  in  pectore 
Demosthenica,  in  capite  PUUonica  sapientia  residehant):  Methodus  oratoria; 
De  Sacra  concionandi  ratione  (Valentiae  1568);  In  Tabulas  rhetoricae  Cas- 
sandri;  In  Ciceronis  Brutum. 

Antonius  lolius:  Adiuncta  Ciceronis,  sive  quae  yerba  Cicero  simul 
dixit  tanquam  synonyma  aut  vicini  sensus.    Barcinone  1579. 

Antonius  Nebrissensis:  Artis  rhetoricae  compendiosa  coaptatio  ex 
Aristotile,  Cicerone  et  Quintiliano.    Compluti  1529. 

Antonius  Lullus:  Progymnasmata  rhetorica.    Basileae  1550. 

Antonius  Pinus  Portodomeus:  Ad  Fabii  Quintiliani  oratoriarum 
institutionum  librum  III  scholia  (s.  XVI  in.). 

Ferdinandus  Mancanares  Flores  (inter  rhäores  nascentium  in 
Hispania  liberdliufn  disciplinartim  aut  verius  renascentium  tempore  numera* 
batur,  qui  Äntonii  Nebrissensis  magistri  iussu  oUm  edidiU)  Bhetoricam  s.  de 
dicendi  yenustate,  de  yerborum  sententiarum  coloribus,  de  componendis 
epistolis  (s.  1.  s.  a.). 

u.  s.  w.  Yiyes  yerfafste  Deklamationen  nach  antikem  Muster,  cf.  Opera 
I  179  ff.,  sowie  eine  lange  Reihe  andrer  rhetorischer  Werke.  —  Ein  paar 
humanistische  Werke  yerzeichnet  E.  Wotke  in  der  Einl.  zu  seiner  Ausgabe 
des  Gyraldus  de  poetis  nostrorum  temporum  (Lat.  Litteraturdenkm.  des 
XV.  u.  XVI.  Jh.  Heft  10.  Beriin  1894)  p.  XXm  f.  —  Eine  „Rhetorica  en 
lengpia  castellana  en  la  quäl  se  pone  muy  en  breye  lo  necessario  para  saber 
bien  hablar  y  escriyer  y  conoscer  qui  en  habla  y  escriye  bien.  Alcala  ' 
Henares,  en  casa  loan  de  Brocar.  1541,  in  4.  goth.^*  als  bibliographiM 
Seltenheit  erwähnt  yon  Brunet,  Manuel  du  libraire.  IV  5  ^d.  (Paris  186 


792  I^äs  Humanisienlaieiii  und  die  modernen  Sprachen. 

sie  beschränkten  sich^  wie  im  allgemeinen  auch  die  Homonisien 
der  andern  Lander^  auf  eine  Hinüberleitong  der  Theorieen  ita- 
lienischer Gelehrter  —  einer  der  frühsten  spanischen  Humanisten, 
Antonius  Nebrissensis  (de  Lebrixa^geb.  1444),  yerkehrte  lange 
Zeit  in  Italien  mit  den  dortigen  Gelehrten^  s.  o.  S.  741,  2  — ^) 
und  ihre  praktische  Einführung  in  den  Schulunterricht:  der 
Kampf  gegen  die  scholastischen  Lehrbücher  stand  auch  hier  im 
Mittelpunkt;  wie  oben  (S.  741,  2)  durch  ein  Zeugnis  bewiesen 
wurde.  Dafs  dabei  in  Spanien  wie  überall  die  Lehre  Ton  den 
oratorischen  Stilfiguren  eine  Hauptrolle  spielte,  erkennt  man 
deutlich  z.  B.  aus  Vives  de  tradendis  disciplinis  L  HI  (1531)  in 
den  Opera  I  476:  eine  Übersichtstafel  der  Figurenlehre  (wie 
uns  mehrere  aus  jener  Zeit  erhalten  sind,  z.  B.  von  Petrus  Ba- 
mus)  solle  an  die  Wand  gehängt  werden,  ut  deambulanti  stndioso 
occurrant  fignrae  et  quasi  ingerant  se  ocülis. 
4.  Urteile  Dafs  uuu  Gucvara  in  einer  humanistischen  Schale  erzogen 

oaerarM  wurdc,  ist  bei  einem  Mann  von  solcher  Herkunft  von  Yornherein 
^^"'      begreiflich,  auch  zeigt  es  überall  sein  im  Altertum  handelnder, 
mit  Anspielungen  auf  die  Antike  geradezu  vollgestopfter  Boman'). 

1267.  —  Von  einem  Pietr.  Joh.  Nunnez  aus  Valencia,  Professor  der  Rhe- 
torik in  Barcelona  (f  1602  fast  achtzigjährig),  giebt  es  Institationes  rhe- 
toricae  (Barcelona  1578  u.  ö.),  notiert  von  D.  Morhof,  Polyhistor  I  (ed,  Fa- 
bricius,  Lübeck  1747)  953,  eine  kurze  Inhaltsangabe  (aber  wohl  nach  Miraens 
de  Script,  sec.  XVI  c.  133)  bei  Gibert  in:  Jngemens  des  sayants  T.  Vm 
(Amsterd.  1725).  —  Quintilian  in  Spanien  s.  XV./XVI.:  Ch.  Fierville  in 
seiner  Ausgabe  des  I.  Buches  (Par.  1890)  p.  CXII.  CXV  adn.  1.  CXXII.  — 
Lehrstühle  der  Rhetorik  an  den  Uniyersitäten :  Andr.  Schottas  1.  c.  I  c.  2 
p.  31  ff.  —  Briefwechsel  des  Erasmus  mit  humanistisch  gebildeten  Spaniern: 
A.  Helfferich  in:  Z.  f.  d.  bist.  Theologie  N.  F.  XXIII  (1859)  592  ff.  —  Für 
die  Geschichte  des  Humanismus  wichtig  jetzt  auch  der  Katalog  der  lat. 
Hss.  des  Escorial  Ton  W.  Hartel  in:  Sitzungsber.  d.  Wien.  Ak.,  phil.-hist. 
Cl.  CXII  (1886)  161  ff.  Die  von  mir  (in:  Fleck.  Jhb.  Suppl.  XIX  [1892] 
378,  1)  vermutete  Benutzung  eines  Hippokratesbriefs  durch  Velez  de  Gue- 
vara in  seinem  Diablo  cujaelo  erscheint  mir  jetzt  gesichert,  seitdem  ich 
weifs,  dafs  diese  Briefe  dort  in  lateinischer  Obersetzung  bekannt  waren 
(Hartel  p.  162). 

1)  Aus  G.  Voigt,  die  Wiederbeleb,  d.  klass.  Altertums  I*  (Berl.  1898) 
351  u.  458  habe  ich  mir  notiert,  dafs  schon  um  1430  bei  Filelfo  in  Florenz 
spanische  Zuhörer  waren  und  dafs  König  Alfonso  v.  Neapel,  der  Aragonier, 
von  Spanien  aus  mit  Lionardo  Bruni  korrespondierte. 

2)  Das  Ganze  ist  eine  fabulose  Erfindung,  wie  auch  die  ans  Dares- 
Dictjs  entlehnte  Einleitung  zeigt.    Die  EIrfindungen  deckte  zuerst  auf  Pe- 


Antiihesenstil:  GneTara.  793 

Dafs  er  daher^  wie  den  Inhalt,  so  auch  den  Stil  nach  antiken 
Mustern  gestaltet  hatte,  ergab  sich  mir  als  selbstverständliche 
Folgerung.  Ich  fand  sie  bestätigt  zunächst  durch  die  einzigen 
lateinischen  Worte,  die  es  von  ihm  zu  geben  scheint,  nämlich 
seine  selbstyerfaTste  Grabschrift,  die  ich  hier  folgen  lasse,  aber 
nicht  in  einem  fortlaufenden  Satz,  wie  sie  in  N.  Antonio's  Kata- 
log, sondern  so,  wie  sie  in  der  Frankfurter  Ausgabe  seiner  Briefe 
vom  J.  1671  (p.  272)  gedruckt  ist: 

Garolo  V.  Hispaniarum  rege  imperante 

Illustris  D,  Dominus  Frater  Antonius  de  Oaevara 

Fide  Christianus 

Natione  Hispanus 

Patria  Alavensis 

Genere  de  Guevara 

Beligione  S.  Francisci 

Hahitu  huius  conventus 

Professione  theologus 

Officio  praedicator  et  chronista  Caesaris 

Dignitate  episcopus  Mondoniensis. 

Fecit  anno  Domini  MDXLIL 

Posui  finem  ciiris.     ^es  et  Fortuna  valete. 

Eine  weitere  Bestätigung  fand  ich  in  Urteilen  von  Zeitgenossen 
die  den  Stil  des  Guevara  ohne  weiteres  auf  eine  Linie  stellten 


trus  de  Kua  in  drei  Briefen  unter  dem  Titel  Cartas  del  Bachiller  Rua 
(s.  XVI),  cf.  Schott  1.  c.  667.  Antonio  11  187.  Der  uns  Philologen  wohl- 
bekannte Landsmann  des  Guevara,  Antonius  Augustinus,  urteilt  über 
den  Inhalt  des  Werks  (Dialogos  de  las  medallas,  inscriptiones  y  otras  anti- 
guidades  1575;  ins  Lat.  übersetzt  von  A.  Schott:  Antonii  Augustini  anti- 
quitatum  dialogi  [Antwerp.  1617]  152):  acire  se  antiqua  Bomanasque  historias 
fingit  eaque  comminiscitur,  quae  nee  visa  nee  audita  mortalibtu:  nemo  ut 
divinare  queat^  in  quos  ille  libros  inciderit  nova  itaque  notnina  scriptorum 
excogitavit  somniaque  venditat  ohtruditque  quae  apud  nullum  reperias  auo- 
torem.  Ähnlich  Miraeus,  Bibl.  ecclesiastica,  pars  altera  (Antwerp.  1649)  47: 
quod  ad  ^horölogium  principutn^  seu  librum  *de  vita  Marci  Aurelii  Imp.* 
attinet,  est  is  totua  fabulose  confictuSy  non  ex  priscis  historiis  Bonumis  petUus, 
quod  moneo,  ne  quis  erret,  ut  in  Uispania  et  Gallia  atdici  passim  errant, 
ubi  cupid^  nimis  in  sinu  manibusque  gestari  a  viria  nobilibus  merito  eruditi 
indignantur.  idem  iudicium  est  de  Guevarae  epistolis,  quae  ineptiarum  stmt 
plenae  nee  'aurearum  epistolarum^  titulum  inerentur,  quo  eas  Gallicum  vtUff^- 
indigeUU.    Eeins  dieser  Zeugnisse  scheint  bekannt. 


794  I^as  Homanisienlatein  und  die  modernen  Sprachen. 

mit  dem  entsprechenden  antiken;  da  sie  nicht  bekannt  sind^ 
teile  ich  sie  hier  vollständig  mit.  1)  Das  frühste  dieser  Qrteile 
(drei  Jahre  nach  dem  Erscheinen  des  Bomans)  stammt  von 
ViveSy  wo  freilich  Guevara  nicht  genannt,  aber  für  jeden  Leser 
mit  absoluter  Deutlichkeit  bezeichnet  ist:  de  ratione  dicendi 
(1532)  1.  II  114:  das  Gegenteil  der  gravis  et  sancta  oratio  sei 
eine  oratio  deliciosa  lasciva  Itidibunda,  cum  semper  ludit  omnibus 
translationum  generibus  et  figuris  et  schematis  et  periodis  con- 
tortis  et  comparatis,  tum  sententiolis  argutis  concinnisqu€y  molli 
structura  et  delicata,,  sälihuSy  allusionibus  ad  fäbellaSy  ad  historiolas^ 
ad  carmina,  ad  dicta  in  scriptoribtis  celehria:  in  quam  orationis 
fonnam  degeneravit  ea  quae  aulica  dicitur,  multorum  itidem, 
qui  se  enascentium  linguarum  studio  dediderunt  —  2)  Ma- 
tamoro  hat  sich^  als  Zeitgenosse  des  Guevara^  begreiflicher- 
weise gelegentlich  über  ihn  und  seinen  Stil  geäufsert^  aber  nur 
einmal  direkt,  nämlich  in  seiner  Gelehrtengeschichte  Spaniens 
(De  adserenda  Hispanorum  eruditione  sive  de  viris  Hispaniae 
doctis  1553)  64  (der  genannten  Ausgabe):  decräum  mihi  erat, 
nihil  de  praestantissimo  viro  et  antiqme  nobüitatis  praesule  Min- 
doniensi  (d.  i.  Guevara),  qui  solus  aulicorum  manibiis  proximis 
annis  gestäbatur,  privato  iudicio  statuere:  nisi  me  invitum  et  plane 
repugnantem  libellus  vulgatus  a  Petro  Efiu^a  Soriensi,  homine  cum 
paucis  erudito,  in  lianc  censuram  pertraxisset.  ego  vero  sie  existimo, 
virum  hunc  mirae  facundiae  fuisse  et  incredWilis  uhertatis  naturae, 
sed  omnia  rerum  mo^nenta,  quod  Pedio  obiecit  PersiuSy  Vasis 
lihrat  in  antithetis,  doctas  posuisse  figuras^  laudari  con- 
tentus  (Pers.  1,  85  flf.):  fxdgurat  interdum  et  tonat,  sed  non  totam, 
ut  olim  PericleSy  dicendo  commovet  civitatem,  et  dum  nihil  vült  nisi 
culte  et  splendide  dicere,  saepe  incidit  in  ea  quae  derisum  effugere 
non  possunt.  qui  si  illam  extra  ripas  effluentem  verborum  copiam 
artificio  dicendi  repressisset . .,  dübito  quidem,  an  parem  in  eo  eUh 
quentiae  genere  in  Hispania  esset  inventurus.  An  ihn  wird  er  da- 
her auch  wohl  gedacht  haben,  als  er  in  dem  1548  verfalsten 
Werk  De  ratione  dicendi  schrieb  (p.  296):  man  habe  sich  vor 
nichts  so  zu  hüten,  wie  vor  der  fortwährenden  Anwendung  der 
Schemata,  wodurch  man  alles  verderbe  und  die  Rede  verweich- 
liche, hoc  vitiOf  fügt  er  hinzu,  quum  iuvenes  essemus,  orationefn 
corrupimus,  quam  ^de  laudibus  Davidis*  Valentiae  scripsimus;  nam 
frequentissimis  tropis  et  schemate  perpetuo  totam  orationem  effemi- 


Antithesensiil:  GneyanL  795 

navinms  (diese  Rede  ist  nicht  erhalten),  ceterum  haee  luxuries 
dictionis  commendatur  in  iuvenibuSy  quam  speramus  tarnen  stilo 
cum  aetate  depascendam  esse.  —  3)  A.  Schott  L  c.  (1608)  250  £ 
scripsit  lingua  patria  tum  disertissimus ,  ut  Caroli  V  ecdesiastes 
atque  historicus  sit  delechtSj  vemactüo  sermonCy  in  quo  affectasse 
nimium  Schemata  visus,  pompa  quadam  tumens,  et  antithetis 
putide  nimium  iteratis  lectorem  enecat.  guiny  ut  poetae  verbis  utar 
(Hör.  de  a.  p.  97):  proicit  ampuUas  et  sesquipedcUia  verha.  Über 
dies  Urteil  ereiferte  sich  ein  Ordensbruder  des  Guevara,  Lucas 
Waddingy  in  den  Scriptores  ordinis  Minorum  (Rom  1650)  32: 
multa  scripsit  patrio  ac  ciiltissimo  quidem  et  sublimi  sermone,  qua 
de  causa  et  ob  variam  gratamque  per  omnia  opera  sparsam  erudi- 
tionem  in  omnes  ferme  Europeae  gentis  linguas  translata  sunt, 
nescio  itaque,  unde  tantus  livor  auctori  Bibliothecae  Hispaniccte,  ut 
quem  inprincipio  elogii  dixerat  Hingua patria  tum  facundum.,.{iAG.Yj 
postea  iniuriose  nimis  circa  stilum  vituperet  Dagegen  wieder  Nie. 
Antonio  I.  c.  I  (1672)  98,  der  sich  dem  Urteil  des  Matamoro  und 
Schott  gegen  Wadding  anschliefst  und  hinzufügt:  demus  tatnen 
aliquid  auctoris  aevo,  quando  scüicet  non  bene  adeo  fundata  ea 
Hispani  sermonis,  quae  nunc  in  summo  est,  purifatis  et  eloqtientiae 
forma  hisce  aurium  lenociniis,  quae  ex  antithetis  et  syllabarum 
paritate  veniunt,  quasi  extollere  se  ex  socco  ad  cothumum  videbatur, 
uti  olim  fatiscentis  iam  linguae  latinae  vitia  crebris  vocahulorum  et 
periodorum  figuris  abscondi  suhtrahique  imminenti  ruinac  sequior 
aetas  credidit,  —  4)  George  Puttenham,  The  art  of  english 
poesie  (London  1589)  219  f.  (in  Arbers  reprints,  n.  15):  das 
Antitheton  gebe  oft  dem  Redner  und  Dichter  grofse  Anmut^ 
aber  Isocrates  was  a  litle  too  füll  of  this  fgure,  and  so  tcas  the 
Spaniard  that  wrote  the  life  of  Marcus  Äurelius,  and  many  of 
cur  moderne  umters  in  vulgär  use  it  in  excesse  and  incurre  the 
vice  of  fond  affectcUion:   otherunse  the  figure  is  very  commendable. 

d.  Der  Ursprung  des  Antithesenstils  im  XVI.  u.  XVII.  Jh. 
Isokrates  und  Cicero  bei  den  Humanisten. 

Guevara  stand  mit  seiner  Vorliebe  für  diese  Rede-iii  imHu 
figur  keineswegs  allein:  im  Gegenteil  gab  er  durch  ihre  utein aber 
Verwendung  nur  einer  bei  den  Humanisten  aller  Länder    ^^^* 
verbreiteten    theoretischen   Überzeugung    und    prakti- 
schen Anwendung  besonders  lebhaften  Ausdruck. 


796  ^^  Humanistenlatein  und  die  modernen  Sprachen. 

Dafs  die  Humanisten  die  reichliche  Verwendung  dieser  Rede- 
figur als  das  wesentlichste  Erfordernis  eines  gewählten  Stils  an- 
sahen ^  erklärt  sich  aus  ihrer  Vorliebe  für  Isokrates,  der  schon 
im  Altertum  als  der  Hauptrepräsentant  des  antithetischen  Satz- 
baus galt^),  und  für  Cicero,  bei  dem  diese  Figur  in  Theorie 
und  Praxis  eine  so  bedeutende  Rolle  spielt. 

1.  Isokrates. 

1.  Nach-  Er  wurde  schon  in  der  Schule  Vittorino's  da  Feltre  neben 

des  uo-   Demosthenes  gelesen.^)    Vives  übersetzte  im  J.  1523,  also  sechs 

^'*^°^®°Jahr  vor  dem  Erscheinen  jenes  spanischen  Romans,  den  Areo- 

a)  bei  IUI.,  pagiticus  und  Nicocles  ins  Lateinische  (I  306  flf.);   er  preist  im 

Span.«  ijTaxus.    _ 

u.  dentsoh.  Vorwort   die   Reden   des   Isokrates:   in  quibus  est  mira  sermonis 
nirt©^    dulcedo  et  aptissima  compositw^  numeris  ad  omatum  adstrida^  wo- 
mit er  eben  die  itaQiöcoötg^  das  ivri^srov  meint,  Figuren,  deren 
Schönheit  er  in  seinen  rhetorisch -stilistischen   Schriften  ofiers 
preist.')    In  seiner  Schrift  De  tradendis  disciplinis  (1531)  nennt 


1)  Dafs  sich  die  Fignr  bei  Isokrates  finde,  bemerkt  anch  Landmann 
1.  c.  65  (cf.  15.  19.  47),  doch  fehlten  ihm  die  Mittel,  mehr  als  einen  blofsen 
Vergleich  anzustellen. 

2)  Cf.  Voigt  1.  c.  I  641. 

3)  Besonders  de  ratione  dicendi  (1582),  vol.  I  97:  periodi  vim  htibent 
incisa  quaedam  apte  inter  se  quadrantia:  ^Ad  amentiam  te  natura  peperit, 
ad  scelus  exercuit  educoHo,  ad  supplicium  fartuna  reservavit*  (Cic.  in  Cat. 
1,  25).  ipsa  enim  congruens  applicatio  nexus  habet  vicem,  ut  in  stmctura 
lapidum  sine  calce  vel  gypso  quadrantium,  venustissimae  sunt  periodi, 
quae  fiunt  vel  ex  antithetis,  de  quihus  mox  loquimur^  vel  acute  concluso 
arcftitnentOj  atque  adeo  sunt  quidam,  qui  acute  concinnata  argumenta  et  hre- 
viter  conclusa  et  contorte  vihrata  eas  demum  veras  periodos  esse  censeant,  ut 
Hermogenes;  über  die  antitheta  spricht  er  dann  ansföhrlich  p.  101  f.,  wo 
er  Beispiele  giebt  wie  ^saepe  vicit  alea,  saepe  victus  est  proelio*,  'dicendum 
quod  non  sentias  aut  faciendum  quod  non  probes\  ^non  tarn  cdlicere  volui 
qiMm  dlienare  noluV  u.  s.  w.  Er  wirft  dann  die  Frage  anf,  wie  es  komme, 
dafs  die  Antithesen  solche  venustas  besäfsen;  er  meint:  hahent  adversa  haec 
gratiae  plurimum  ad  gentes  omnes  propter  iUam  rerum  pugnantium  com- 
plexionem,  similem  naturali  compositioni  elementorum,  qua  constant  humana 
Corpora.  Infolge  der  ganz  mangelhaften  Disposition  der  Schrift  kommt  er 
noch  einmal  darauf  zurück  p.  107 :  eine  oratio  florida  sei  u  a.  die,  in  welcher 
verha  verbis  quasi  demensa  et  paria  respondeant,  ut  crebro  can- 
ferant  pugnantia,  comparent  contraria,  ut  pariter  extrema  terminentur  eun- 
demque  re ferant  in  cadendo  sonum.  hoc  oratümis  genus  et  florens  et  iucun- 
dum  et  laetum  dicitur  et  pictum  atque  expolitum ,  in  quo  omnes  verborum, 
omnes  sententiarum  illigantur  lepores,  ut  inquit  Cicero  (or.  38). 


Antithesenstil:  Isokrates  im  Humanismiu.  797 

er  unter  den  auf  der  Schule  zu  lesenden  griediischen  Autoren 
zuerst  Isocratem,  quo  simplicius  ac  purius  cogifari  nihü  potest 
(ib.  480).  An  einem  portugiesischen  Redner  der  ersten  Hälfte 
des  XVI.  Jh.  wird  gelobt  Isocratica  iuctmditas  lenitcisgue  (Nie. 
Antonio  1.  c.  I  411).  Gleich  das  erste  in  Frankreich  mit  grie- 
chischen Lettern  gedruckte  Buch  brachte  etwas  von  Isokrates: 
es  ist  der  im  J,  1507  erschienene  Liber  gnomagyricus,  dessen 
interessante  Entstehungsgeschichte  u.  a.  E.  Egger^  L'hellenisme 
en  France  -I  (Par.  1869)  154  S,  erzählt.  Während  es  sich  hier 
nur  um  den  gnomologischen  Gehalt  dieses  Autors  handelte,  hob 
Estienne  Dolet  in  seiner  Schrift  La  maniere  de  bien  traduire 
d  une  langue  en  autre  (1540)^)  die  Wichtigkeit  einer  nach  seiner 
Ansicht  aus  keinem  Autor  besser  als  aus  Isokrates  zu  lernenden 
rhythmischen  und  harmonischen  Diktion  herror,  die  sich  in 
Wortstellung  und  Periodenbau  zeige.  Im  Anfang  des  XVII.  Jh. 
ging  man  in  Frankreich  so  weit,  dais  man  nach  dem  Muster 
des  Isokrates  das  Zusammentreffen  zweier  Vokale  in  zwei  Wör- 
tern mied^;  auch  von  der  Kanzel  herab  ertönten  die  nach  iso- 
krateischem    Schema    geleckten    und    gedrechselten    Perioden '), 


1)  Ich  kenne  nur  das,  was  Gibert  in:  Jugemens  des  sayants  Vlil  2 
p.  647  ff.  daraus  mitteilt. 

2)  Cf.  De  la  Mothe  le  Vayer,  De  l'^oquence  Fran9oise  (1638):  in  Oeu- 
vres n  1  (Dresden  1756)  242,  cf.  auch  0.  Oerber,  D.  Sprache  als  Kunst  I 
(Bromberg  1871)  417. 

8)  Der  Hauptvertreter  war  Flächier  (1632 — 1710),  neben  Bossuet  der 
berühmteste  Eanzelredner  des  XYII.  Jh.,  cf.  über  ihn  und  seine  Manier 
Crevier,  Rhätorique  Fran9oise  n  (Paris  1767)  141  ff.  und  den  Artikel  in 
Michauds  Biogr.  uniy.  XTV  211.  Ein  Beispiel  aus  seiner  Oraison  funebre 
de  M.  le  Ghancelier  le  Tellier  (gehalten  1686)  in:  Recueil  des  oraisons 
funebres  prononcäes  par  Messire  Esprit  Flechier,  ev^que  de  Nismes.  Nouv. 
äd.  (Paris  1706)  322  f.:  Dans  Viloge  que  je  fais  at^ourd'huy  de  ,  ,  .  Messire 
Michel  le  Tellier  .  ,  .,  j'envisage  non  pas  sa  fortime,  tnais  sa  vertu;  les  Ser- 
vices qbCil  a  rendus,  non  pas  les  places  qu'il  a  remplies;  les  dons  qu'il  a 
receus  du  Ciel,  non  pas  les  hanneurs  qu'on  luy  a  rendus  sur  la  terre;  en  un 
mot,  les  exemples  que  votre  raison  vous  doü  faire  suivre,  et  non  pas  les  gran- 
deurs  que  votre  orgueü  pourroit  vous  faire  desirer.  '  In  solchen  parallel  ge- 
bauten Sätzen,  wo  einem  Wort  das  andere  entspricht,  bewegt  sich  sein  Stil 
fast  immer.  —  Mit  viel  gröfserer  Feinheit  hat  Bossuet  (1627—1704)  den 
Isokrates  nachgeahmt;  ich  wähle  ein  von  A.  Chaignet,  La  rhätorique  et  son 
histoire  (Paris  1888)  448  citiertes  Beispiel  aus  einem  Panegyricus:  1.  L'hotnme 
lui  a  downe  premihrement  une  forme  humaine;  \  2.  ensuite  il  a  adore  ses  pro- 
pres ouvrages;  \  3,  enfin  il  a  fait  des  dieux  de  ses  propres  passums^  ||  afin  que 


798  DftB  Humauistenlatem  und  die  modernen  Sprachen. 

eiu  Unfug,  gegen  den  feinfühlige  Männer  ilire  warnende  Stimme 
erhoben^  wie  einst  die  Gegner  des  Isokrates  gegen  diesen.^)  Der 
Jesuit  Nigronius  aus  Genf  sagt  in  einer  1579  gehaltenen  Rede^: 
undenam  affulsit  Isocrati  et  apud  AiJwnienses  et  apud  posteros  in 
Graecia,  Europa  tanta  gloria,  tanta  latis  ab  doquentia,  tantus  splefh 

Vhomme,  n*ayant  plus  devant  les  yexix  P  1.  ni  VatdoritS  de  80n  nom,  \  2.  ni 
Ics  conduites  de  sa  providence,  \  3.  wi  7a  crainte  de  ses  jitgements,  0  n'eüt  pius  ] 
1.  d'autres  rcgies  que  sa  volonte,  \  2.  d'autres  guides  que  ses  passions,  \  3.  en- 
fin  plus  d'autres  dieux  que  lui  meme.  —  Ähnliche  Beispiele  aus  französischen 
Panegyriken  giebt  Bouhours  1.  c.  p.  39;  105;  107;  113.  Cf.  auch  den  Ar- 
tikel 'Antithese'  in  der  Encjclop^die  mt^thodique,  Grammaire  et  littärature 
1  1782.  —  In  die  Geschichtfischreibung  führte  diesen  Geschmack  ein  Pierre 
Matthieu  (1563 — 1621),  der  in  seinem  der  Histoire  des  demiers  troubles 
cn  France  (1594)  Torausgeschickten  adyertissement  den  Satz  aofistellt,  qH'il 
est  permis  ä  Vhistoire  de  faire  le  Ehetetir  et  que  ceux  qui  otU  esent  les 
llistoires  Grecqucs  et  Latines^  les  ofU  ainsi  embellies. 

1)  Cf.  Rapin  S.  J.,  Beflexions  sur  Tdloquence  (Par.  1684)  in  seinen 
Oeuvres  (Amsterd.  1709)  11  21.  64.  68.  Lamy,  La  rh<§torique  on  Vart  de 
parier  (Par.  1670),  cd.  Amsterd.  1699  p.  298  f.  Cassaigne  in  der  Yoxrede 
zu  seiner  Ausgabe  der  Werke  Balzac's  (Paris  1665)  31:  72  (Balzac)  »'crt 
bien  dontie  de  garde  de  tomber  dans  Vaffection  de  ces  discipües  d'hocrate, 
qui  faschoicnt  par  tout  d'arrondir  egalemcnt  leur  Stile,  qui  de  toutes  leurs 
pcriodes  faisoicnt  autant  de  cercles,  et  qui  ne  songeoient  pas,  que  comjne  dans 
la  prononciation  il  n'y  a  point  de  plus  grand  defaut  que  la  manaUmie,  aussi 
le  plus  vicicux  de  tous  les  stiks  est  celuy  qui  manque  de  varieU.  Sehr  fein 
auch  Balzac  selbst  in  seiner  Dissertation  De  la  grande  ^oquence  (vol.  11 
519  ff.).  Vor  allem  Ft5n^lou  in  seinen  Dialogues  sur  F^loquence  en  gene- 
ral,  et  sur  celle  de  la  chaire  en  i>articulier,  erschienen  Paria  1718  nach 
seinem  Tode  (nach  Gibert  in  den  Jugemens  des  savans  YUI  2  p  558  sind 
sie  ein  aus  unbekannten  Gründen  nicht  erschienenes  Jugendwerk  F.'s;  der 
Grund  ist  aber  doch  klar:  die  mafslosen  Angriffe  würden  einen  so  einflufs- 
reichen  Mann  wie  Flechier  f  1710  verletzt  haben).  Du«  Tendenz  ist,  dem 
herrschenden  Geschmack  entgegenzutreten  und  Vorschriften  für  eine  ver- 
besserte Art  des  Predigens  zu  geben.  Das  Vorbild  dieser  Redner  sei  Iso* 
krates,  dessen  blomenreicher,  weichlicher,  antithesenreicher  Stü  es  den 
modischen  „Isokratessen^  angethan  habe;  ihn  unterwirft  er  daher  einer 
Temichtenden  Kritik,  immer  mit  Hinblick  auf  die  Nachahmer,  die  er  nicht 
neonen  wolle  (cf.  16  ff.  1S4.  151  ff.);  er  verurteile  nicht  prinzipiell  alle  Anti- 
ÜMMii,  wolle  aber  nur  die  gelten  lassen,  wo  die  Dinge,  von  denen  man 
qpndiei,  durch  ihre  Natur  sich  entgegengesetzt  seien  (156).  Da  er  bemerkt, 
dbfii  auch  christliche  Prediger,  vor  allem  Augnstin,  jenen  parallelen  Satz- 
tea  beromigten,  so  wagt  er  es,  sich  auch  gegen  diese  zu  wenden,  cf.  238 
L  die  ingehAngte  Lettre  toite  ä  Tacademie  Fran^ise  sur  lYloqnence  301  f. 
t)  Or.  de  f^lo  optimo  dicendi  magistro  in  der  Ausg.  seiner  Reden 
■IlttO) 


Antithesenstil:  Isokratea  im  Hnmanismas.  799 

dor,  %d  eius  memoria  numqtiam  interitura  videatur?  A  styh,  dicendi 
magistro.^)  Im  Stil  des  Rudolph  Agricola  (f  1485)  fand  Eras- 
mus^)  etwas  von  der  orationis  stnictura  des  Isokrates.*)  Vor  b)  bei  eng- 
allem aber  gefiel  er  in  England,  wo  ihn  Roger  Ascham  (f  1568),  mwütte^ 
der  bekannte  Humanist,  einbürgerte.^)  Im  J.  1550  schreibt  er 
an  seinen  Freund  Sturm  in  Strafsburg  (The  whole  worhs  of 
Ascham,  ed.  Giles  I  1,  London  1865,  ep.  99)  über  seine  Schülerin, 
die  damals  eben  sechzehnjährige  Prinzessin  Elisabeth,  von  den 
vielen  humanistisch  gebildeten  Frauen  jener  Zeit  die  erlauch- 
teste: Gallice  lialiceque  aeque  ac  Änglice  loquüur;  Latine  expedite 
proprie  considerate,  Graece  etiam  mediocriter  mecum  freqnenter  libefi" 
terque  colloquuta  est .  .  Perlegit  mecum  integrum  fere  Oceronem, 
magnam  partem  Titi  Limi,  ex  his  enim  propemodum  solis  duohus 
auctoribus  Latinam  linguam  hausü,  exordium  diei  semper  novo 
tesiamenio  Graece  tribuit,  deinde  sclectas  Isocratis  orationes  et 
Soplwclis  tragoedias  legeboit.  .  .  Orationem  ex  re  natam,  proprietate 
castam,  perspicuitate  illustrem  libenter  prohat.  verecundas  Irans- 
lationes  et  contrariorum  collationes  apte  commissas  et  feli- 
citer  confligentes  unice  admiratur.  quarum  rerum  diligenti 
animadversione  aures  eius  trit<ie  adeo  teretes  factae  sunt  et  iudicium 
tam  intelligens,  ut  nihil  in  Graeca,  Latina  et  Änglica  oratione  vel 
solutum  et  pervagatum,  vel  clausum  et  terminatum,  vel  numeris  aut 
nimis  effusum  aut  rite  temperatum  occurrat,  quod  non  illa  inter  legen- 
dum  ita  religiöse  attendit,  ut  id  statim  vel  magno  rejiciat  cum  fastidio 
vel  summa  excipiat  cum  voluptate.^)   Man  sieht  aus  den  angeführten 

1)  In  dem  jesuitischen  Catalogus  perpetuus  der  oberdeutschen  Provinz 
vom  J.  1602/4  (Mon.  Germ.  Paedag.  XVI  [1894]  1  ff.)  findet  sich  unter  der 
verschwindend  kleinen  Zahl  griechischer  Autoren  auch  Isokrates,  und  zwar 
nicht  blofs  seine  ethischen  Reden,  sondern  auch  der  Panegyricus  und 
Enagoras. 

2)  Dialogus  Giceronianns  p.  1013  (vol.  I  der  Ausgabe  von  1703). 

3)  Für  Belgien  cf.  Ruhnken  de  doctore  umbratico  (Lugd.  Bat.  1761)  25  f. 

4)  Doch  nicht  er  allein.     Sir  Thomas  Elyot  spricht  1541  von  quicke 
and  proper  aentences  of  the  GreeJce  mit  Bezug  auf  Isokrates  (Landmann  1.  c.  65) 
und  in  der  Diktion  des  Thomas  Monis  (1480 — 1635)  erkannte  wenigstens 
Erasmus  eine  Hinneigung   zur  Isocratica  strudura    (Dialog.   Ciceronianus 
p.  1018). 

5)  Cf.  über  diese  Studien  der  Prinzessin  noch  ep.  I  191  (vom  J.  1555). 
n  34  (vom  J.  1562):  sie  habe  leicht  gefafst  orationis  omamenta  et  totius 
sermonis  numerosam  ac  concinnam  comprehensionem.  Desselben 
Schoolmaster  1.  11  p.  180  Giles:  sie  übersetzte  jeden  Vormittag  ans 


800  Dfts  Humanistenlatein  und  die  modernen  Sprachen. 

Worten;  daDs  er  die  Freude  seiner  Schülerin  an  dem  antithetischen 
Satzbau  billigt;  auch  in  seinem  Urteil  über  den  portugiesischen 
Humanisten  Osorius  (ep.  I  161  vom  J.  1553)  hebt  er  hervor, 
dessen  Stil  sei  frequens  et  felix  in  contrariis^  und  in  einem 
Brief  an  Sturm  (11  99%om  J.  1568)  lobt  er  dessen  Analyse 
mehrerer  Antitheta  aus  Ciceros  Rede  für  Quinctius.  Er  selbst 
schwelgt  förmlich  in  diesem  Stil,  wie  schon  die  oben  angeführten 
Worte  zeigen  und  jeder  beliebige  Brief  bestätigt,  so,  um  aufs 
Geratewohl  eine  Stelle  herauszugreifen:  ep.  I  173  (vom  J.  1554) 
an  König  Philipp :  inter  tot  hodie  in  Iwc  urbe  praeclara  spedacuia 
quae  ocuios  ttios  ohlectant,  inter  tot  laetas  congrattiUUiones  quae 
aures  ttuis  deniulcent,  ecce  vocem  et  gemitum  pauperum^  quae  ani- 
tnum  tuum,  ut  speramus,  etiam  commovebunt,  vocem  quidem  laetitiae, 
gemitum  vero  miseriae.  •  .  Hie  locus  non  scelercUorum  carcer  sed 
miserorum  custodia  et  est  et  nominatur,  et  in  hanc  custodiam  nas 
non  intrudimur  ab  cdiis  sed  ipsi  confugimus,  et  huc  eonfugimus 
non  metu  supplidi  sed  ^e  melioris  fortunae.  Von  seinem  lateini- 
schen Stil,  in  dem  jeder  die  affektierte  Nachahmung  des  Isokrates 
oder  Cicero  deutlich  fühlt,  übertrug  er  diese  Manier  nun  auch 
auf  die  englische  Sprache.  Denn  er  hatte  die  ausgesprochene 
Absicht,  in  diese  die  Feinheiten  der  antiken  Diktion  einzubür- 
gern. So  schreibt  er  im  J.  1568  an  Sturm  (II  99),  er  verwende 
in  seinem  für  Engländer  bestimmten  Traeceptor'  die  englische 
Sprache,  was  freilich  ein  gefahrliches  Unternehmen  sei:  neque 
tarnen  ipse  sum  tam  nostrae  linguae  inimicus,  quin  sentiam  ülam 
omnium  ornamentorum  quum  dktionis  tum  sententiarum  admodum 
esse  capacem;  besonders  aber  hat  er  diesen  Standpunkt  dargelegt 
in  dem  1545  erschienenen  Buch  mit  dem  eigentümlichen  Titel 
^Toxophilus,  The  schole  of  shootinge  conteyned  in  two  books. 
To  all  Gentlemen  and  Yomen  of  Englande,  pleasante  for  theyr 
pastyme  to  rede,  and  profitable  for  theyr  use  to  folow,  both  in 
war  and  peace'.  Dies  Buch  hat  abgesehen  von  seinem  unmittel- 
baren Zweck,  das  Bogenschiefsen  als  nützlichste  Übung  für  jeder- 


mosthenes  und  Isokrates  ins  Lateinische,  jeden  Nachmittag  aus  Cicero  ins 
Griechische.  —  Isokrates  bei  Ascham  noch:  ep.  I  13  (1542).  17  (1643)  186 
(1552?).  164.  Toxophilus  p.  52.  Cf.  E.  Grant,  De  vita  et  obitu  Rogeri 
Aschami,  in  seiner  Ausgabe  von  1576  (abgedruckt  bei  Giles  III  318):  2>e- 
mosthenem  et  Isoiratem  suavissimos  oratores  jfHvatim  discipulis  prculegtbat. 


Antithesenstil :  Isokrates  im  Humanismus.  801 

mann  zu  empfehlen^),  zugleich  noch  die  Absicht^  die  Kunst  der 
lateinischen  Sprache  auf  die  englische  zu  übertragen.  Das  sagt 
er  selbst  p.  6  f.  Giles*):  „Wenn  Jemand  tadeln  wollte,  dafs  ich 
...  in  englischer  Sprache  geschrieben  habe,  so  mochte  ich  ihm 
Folgendes  erwiedem.  Was  die  lateinische  und  griechische  Sprache 
betrifft,  so  ist  in  ihnen  bereits  alles  so  vortrefflich  behandelt, 
dafs  schwerlich  Jemand  diese  Meisterwerke  übertreffen  wird.  Was 
dagegen  in  englischer  Sprache  seither  geschrieben  wurde,  steht 
sowohl  nach  Inhalt  als  Form  auf  so  niedriger  Stufe,  dafs  schwer- 
lich Jemand  noch  schlechter  schreiben  wird.  Denn  je  geringer 
das  Wissen,  desto  geneigter  war  man  stets,  zur  englischen  Sprache 
zu  greifen,  und  die  am  wenigsten  Aussicht  hatten  sich  durch  ihr 
Latein  auszuzeichnen,  glaubten  um  so  unverschämter  mit  ihrem 
Englisch  hervortreten  zu  dürfen.  (Falsch  sei  es,  dadurch  die 
englische  Sprache  bessern  zu  wollen,  dafs  man  sie  mit  Fremd- 
wörtern überschwemme:)  Indem  Cicero  den  Stil  des  Isokrates, 
Plato  und  Demosthenes  zu  seinem  Vorbilde  nahm,  erweiterte 
auch  er  die  lateinische  Sprache,  aber  doch  in  einer  durchaus 
andern  Weise  als  jene.  Dieser  Weg  bleibt  von  den  meisten 
Schriftstellern  unbenutzt:  entweder  können  sie  ihn  nicht  ein- 
schlagen, weil  ihre  Unwissenheit  ihnen  im  Wege  ist,  oder  sie 
wollen  ihn  nicht  einschlagen,  weil  ihre  Eitelkeit  sie  daran  hin- 
dert." Er  wolle  das  Versäumte  nachholen.')  Demgemäfs  über- 
trägt er  nun  auch  jenes  Stilomament  des  parallelen  (antitheti- 
schen) Satzbaus,  das  ihm  als  das  wichtigste  von  allen  erschien, 
in  mafsloser  Weise  in  seine  englische  Prosa;  auch  hier  braucht 
man  nur  beliebig  zuzugreifen,  um  ein  Beispiel  zu  finden:  so 
gleich  in  der  an  König  Heinrich  VIII  gerichteten  Vorrede  des 
genannten  Buches:  1  trust  that  your  Grace  shall  perceive  it  to  he 

1)  Ob  die  Idee,  das  Bogenschiefsen  neben  geistiger  Thätigkeit  hergehen 
zu  lassen,  nicht,  wie  fast  alles  bei  diesen  hyperboreischen  Humanisten,  aus 
Italien  entlehnt  ist?  Cf.  G.  Voigt  Lei'  539  von  der  Schule  des  Yittorino 
da  Feltre:  „Neben  dem  Unterricht  gingen  die  Spiele  und  Übungen  in  freier 
Luft  her.  —  Täglich  gab  es  Übungen  im  Laufen,  Bingen  und  Schwimmen, 
im  Reiten,  Ballspiel  und  Bogenschiefsen." 

2)  Ich  führe  die  Worte  an  in  der  Übersetzung  A.  Eatterfelds,  Roger 
Ascham,  sein  Leben  und  seine  Werke  (Strafsburg  1879)  49. 

3)  Die  englische  Orthographie  auf  Grund  der  lateinischen  zu  refor- 
mieren yersuchte  Th.  Smith,  De  recta  et  emendata  linguae  Anglicae  scrip 
tione,"  Lutetiae  1668. 


802  Das  Homanistenlatein  and  die  modernen  Sprachen. 

a  thing  honest  for  me  to  torite,  pleasant  for  some  to  read,  and  pro- 
ßäble  for  many  to  follow;  containing  a  pastime  honest  for  fhe 
mind,  whöksome  for  (he  body,  fit  for  every  man^  vüe  for  no  man, 
using  the  day  and  open  place  for  honesty  to  rüle  ü,  not  Iwrking  in 
comers  for  misorder  to  abuse  iL 

Wenn  man   diese  Verhältnisse   überblickt,  so  dürfte   man 
folgender  Schlufsfolgenmg  nicht  aus  dem  Wege  gehen  können. 
Als  John  Lyly   im  J.  1579   seinen  Boman  schrieb ,  verwendete 
er  in  ihm  den  Stil,  der  damals  infolge  einseitiger,  durch  die  Hu- 
manisten aufgebrachter  Nachahmung  des  Isokrates  (und  Cicero) 
als  der  einzig  feine  galt  imd  aus  dem  Latein  der  Humanisten 
auf  die   modernen   Sprachen    übertragen   wurde  ^);   der   Spanier 
Guevara  war  nur  einer  dieser  vielen,  die  das  thaten;   eine  un- 
mittelbare Beziehung  Lyl/s  zu  dem  durch  seine  Stellung  am 
Hof  einflufsreichsten  englischen  Humanisten  Ascham  scheint  sich 
klar  auch  daraus  zu  ergeben,  dafs  in  dessen  1570  erschienenem 
^Schoolmaster'  als  erstes  Erfordernis  für  einen  jungen  Menschen 
hingestellt  wird,  dafs  er  Bitpvif^g  sein  und  gesunden  Witz  haben 
müsse  (p.  106  f.  Giles):  der  Titel  des  Lyl/schen  Buches  aber 
ist:  ^Euphues.  The  anatomy  of  wit/*) 

2.  Cicero. 
2.  Nach-  Unter  den  Ciceronianern  des  XVI.  Jh.  nahm  eine  her- 

des  Cicero-  Vorragende   Stellung   ein  der  berühmte    Strafsburger  Humanist 
'^%";;;°,'*"°  und  Pädagoge  Johannes   Sturm  (1507-1589)»).    Er  hat  den 


1)  Die  starke  Anwendung  der  Allitteration  in  den  korrespondierenden 
Worten  (z.  B.  that  all  that  are  woed  of  love  should  he  toedded  to  liMt)  ist 
wohl  etwas  spezifisch  Englisches:  diese  Sprache  neigte  yon  Anfang  dazn, 
wie  die  hierfür  yon  Landmann  angeführten  Beispiele  zeigen.  Bei  dem 
Spanier  wird  dagegen  ein  anderes,  uns  mehr  antik  anmutendes  Elangmittel 
zur  Verstärkung  der  Parisosis  verwendet,  das  Homoioteleuton,  z.  B.  Costumbre 
es  rescehir  presto  y  alegres:  y  dar  tarde  y  tristes.  En  lo  uno  presumptuosos: 
y  en  lo  otro  perezosos  und  sehr  viel  dgl. 

2)  Landmann  1.  c.  68  gedenkt  Aschams  auch,  aber  ganz  im  Yorbei- 
gehu:  mir  scheinen  die  Beziehimgen  aber  sehr  eng  zu  sein.  Ob  übrigens 
e'ötpvtjg  auch  bei  Humanisten  anderer  Länder  in  jener  Zeit  nachweisbar 
ist?    A  priori  ist  es  sehr  wahrscheinlich. 

3)  Die  Bedeutung  dieses  Mannes  für  den  deutschen  Humanismus  ist 
vortrefilich  hervorgehoben  von  Ch.  Schmidt,  La  vie  et  les  travaux  de  Jean 
Sturm,  Strafsb.  1865  und  H.  Veil,  Zum  Gedächtnis  J.  Sturms  in:  Fostschr. 
d.  prot.  Gymn.  zu  Strafsb.  (Strafsb.  1888)  3  AT. 


Antithesenstil:  Cicero  im  Hnmaidtmiis.  803 

Cicerokultus  förmlich  organisiert.  Er  lielisi  seine  Schfiler  auf- 
treten und  mit  Anwendung  aller  A£Fekte  die  ciceronianischen 
Prozesse  fahren;  erat  etiam  in  eodem  loco  quaesitar  iudicii  ipsique 
iudices,  fasees  etiam  consulares  et  lictares^  viatores  etiam  ei  cjrcum- 
stans  Corona  eorum  qui  audiunt,  inprimis  vero  rei  et  litigatores 
utrinque^  patroni  et  amici  quos  ipsi  sibi  advocarint  qui  causas  dt- 
ctmt  ...  Es  wurde  ein  Gegner  aufgestellt^  der  unterbrechen 
durfte,  worauf  dann  der  kleine  Cicero  ^im  Geist  des  toten'  ant- 
wortete; sie  no8  Vera  iudicia  in  veris  causis  instHuimus  et  quasi 
gladiatorum  oratorum  paria  introducimus.^)  Was  den  Stil  betrifft, 
so  hat  er,  wie  sein  Freund  Ascham,  eine  aufserordentliche  Vor- 
liebe fdr  den  parallelen  (antithetischen)  Satzbau,  in  dem 
er  wie   alle^   das   Wesen   der   ciceronianischen  concinnitas  be- 


1)  De  exercitationibus  rhetoricis  (Strafsb.  1575)  71.  79  f.  Übrigens 
war  auch  dieser  Gedanke  nicht  originell ,  cf.  G.  Voigt  1.  c.  I '  540  f.  von 
Vittorino  da  Feltre:  „Rednerische  Übungen  wurden  in  der  Weise  der  an- 
tiken Bhetorenschule  veranstaltet :  die  Knaben  lernten  fingierte  Fälle  be- 
handeln, so  dafs  sie  bald  yor  Gericht  bald  vor  eiuem  Senat  oder  einer 
Yolksyersammlung  ihre  Beden  hielten*'  (s.  o.  S.  801, 1).  Die  analogen  Auf- 
führungen antiker  Dramen  an  dem  Gymnasium  Sturms  haben  ihre  Quelle 
gleichfalls  in  Italien,  cf.  J.  Crüger  in  der  (S.  802,  3)  citierten  Festschrift 
p.  309.  Dagegen  heifst  es  in  der  jesuitischen  Verordnung  yom  J.  1619  (Mon. 
Germ.  Paed.  XVI  1894  p.  186):  in  rhetoriea  etiam  exhiberi  poterit  aliquod 
Senatus  constütum,  iudicium,  sed  äbsque  apparatu  soknniori  personarum  v. 
theatri. 

2)  Cf.  z.  B.  Doletus  de  imitatione  Ciceroniana  adyersus  Desiderium 
Erasmum  pro  Christophoro  Longolio  (Lugd.  1535)  68  f.:  die  concinnitas  sei 
den  Ohren  erwünscht,  daher  Cicero  anüfheta  crebro  confert,  quae  numerum 
Oratorium  ipsa  necessitcUe  gignunt  et  sine  industria  conficiunt  (wörtlich  wieder- 
holt in  seinem:  Liber  de  imit.  Cic.  ady.  Floridum  Sabinum  [Lugd.  1540]  17). 
—  Strebaeus  de  yerborum  electione  et  collocatione  (Bas.  1539)  1. 11  c.  7 — 9 
(p.  202  ff.):  er  sieht  in  jenen  Stellen  Ciceros  (or.  38  ff.  164  ff.)  yon  der  Con- 
cinnität  das  wesentlichste  Erfordernis  für  die  suavitas  der  Bede.  —  P.  Ra- 
mus,  Ciceronianus  (1556)  95  (der  Ausg.  Prancofurti  1580)  nuUa  parte  Cicero 
mctgis  Ciceronianus  videtur  quam  in  orationis  compositione  et  structura:  tam 
eleganter  et  venuste  orationem  composuit  ....  frequentibus  verhorum  figuris 
totum  corpus  exomat,  dum  prima  primis^  postrema  posiremis,  prima  mediis, 
media  postremis,  omniaque  inter  se  paria  eoncinnitate  stui  numerum  quendam 
faciunt,  vel  gradaüm  aliis  consequentia  praecedentium  loco  redeunt  vel  col- 
lusione  vocum  similium  aut  casuum  varietate  veluH  concinunt,  —  Antonius 
Lullus  Balearis  de  oratione  (Bas.  1558)  1.  V  c.  7  über  die  concinnitas.  — 
Fr.  San  et  ins  de  arte  dicendi  (1573)  in:  Opera  ed.  Maiansius  I  (Genf  1766) 
362  f.  mit  richtiger  Herleitung  aus  Gorgias.  —  Daher  schärfen   die  je^ 

Norden,  antike  Kunstpros«.   II.  52 


804  Ds^  HmKumisteiüatem  nnd  die  moderneii  Sprachen. 

schloss^i  sah.    In  seiner  Schrift  De  amissa  dicendi  ratione  (zu- 
erst 1538)  1.  n  e.  14  analysiert  er^)   daraofhin   ciceronianische 
Perioden  wie:  plus  kuins  inopia  possit  ad  miserieordiam    quam 
Situs  apes  ad  cruddUatem  (pro  Qoinci  91)  und  non  ab  homint 
älieno  neque  ab  aliguo  calumniatcre  atque  improbo,  sed  ab  eguiie 
Bomano,  propinquo  et  necessario  suo  (ib.  87).    Er  rät,  ut  in  eius- 
modi  propositis  exemplis  adoUscentes  exerceantur  und    führt   eine 
selbstgemachte   Probe  an.     Ahnlich  in  seinem  —  übrigens  yor- 
trefflichen  (s.  oben  S.  42,  1)  —  Werk  De  periodis   (1567):   als 
Proben  der  elegantiay  der  venustas  citiert  er  (f.  87  \   103')  pr. 
Quinct.  26  denim,  si  veritate  amicitia,  fide  societaSf  pietate  pro- 
pinqtiitas  colitur,  necesse  est,  iste  qtä  amicum  socium  affinem  fama 
ac  fortunis  spoliare  conatus  est^  vanum  sc  ei  perfidiosum  ei  impium 
esse  fateatur;  pr.  Caec  1  si  gtiantum  in  agro  locisque  deserUs  au" 
dacia  potest,  iantum  in  faro  atque  iudiciis  impudentia  vdlarei:  non 
minus  in  causa  cederet  A.  Caecina  Sex.  Ädmtü  impudenOae  quam 
in  vi  facienda  cessit  audaciae;   div.  in  Caec.  54  hie  tUj  si  loesum 
te  a  Verre  esse  dices,  patiar  et  concedam:  si  iniuriam  tibi  fadam 
quereris,  defendam  et  negdbo.    In  derselben  Weise  analysiert  er 
(f.  105'.  154^ — 156^)  isokrateische  Perioden  wie  oi  yäg  dij^ov 
ndtQtöv  iöTtVj  '^ystö^at   tovg   i^r^kvöag   t&v    avxox^6vaiv    oi>d% 
Toi}g  si  na^övtag  z&v  si  xotriödvrov  oidh   Toi}g  txitag  ysvofiJ- 
vovg  r&v  vjtods^aiiivov  uad  bemüht   sich,    sie  möglichst  genau 
ins  Lateinische  zu  übersetzen.^)     Auch   Sturm  wollte  die  Kunst 

tischen  Rationes  studiorum  diese  Figur  vor  allen  andern  ein,  z.  B.  die 
vom  J.  1622  (Mon.  Germ.  Paedag.  XVI  1894)  p.  217  cf.  219  f.,  und  der  Jesuit 
Julius  Nigronius  verwendet  sie  oft  in  seinen  Reden,  z.  B.  in  der  1583  ge- 
haltenen (XV  p.  483  der  oben  [S.  798,  2]  citierten  Ausgabe).  —  Sogar  Lip- 
sius,  sonst  der  erbitterte  Gegner  der  ciceronianischen  Goncinnität  (s.  oben 
S.  775),  empfiehlt  am  Schlufs  seiner  Oratoria  institutio  (1573;  ed.  Eoburg 
1630  p.  106  f.),  die  inaignis  periodus  der  Miloniana  (e^  enim  haec^  iudices, 
non  scripta  sed  nata  lex  etc.)  so  umzusetzen  in  eine  Bede  De  pietate  in 
patriam:  est  enim  haec,  auditores,  animis  hominum  innata  virtus,  ad  quam 
non  doctrifia  nos  instituit  sed  natura  imbuit,  quae  non  tradita  nobis  sed  tn- 
fixa,  non  instilHta  sed  insita  est,  sowie  den  Satz  (in  Gatil.  1,  25)  ad  hanc  te 
amentiam  natura  peperit,  volufitas  exercuit,  fortuna  servavit  in  folgenden: 
ad  quam  nos  virtutem  natttra  peperit,  doctrina  exercuit,  fortuna  ipsa  destinavit. 

1)  Den  Kommentar  zur  Quinctiana,  in  dem  er  nach  Ascham  ep.  II  99 
GiloH  solche  Perioden  analysierte,  habe  ich  nicht  finden  können. 

2)  Cf.  noch  Do  universa  ratione  elocutionis   (Strafsb.  1576)  412  ff.; 
665  tr. ;  nur  der  exilis  orator  solle  diese  Figur  meiden :  De  imitat.  orat.  (ib. 


AntÜhesenstil:  Cicero  im  Hnmanionna.  805 

des  lateinischen  Periodenbaus  in  seine  Muttersprache  übertragen 
wissen,  denn  auch  das  Deutsche  sei  solcher  Finessen  fähig.  ^) 
Aber  er  selbst  hat  sich  für  zu  gut  gehalten,  um  deutsch  zu 
schreiben,  und  der  Antithesenstil,  der  im  Spanischen,  Englischen, 
Französischen  und  Italienischen  grassierte,  hat  in  unsere  Sprache 
meines  Wissens  überhaupt  nur  geringe  Aufnahme  gefunden.^ 

Ich  konnte  noch  eine  ganze  Reihe  Ton  Belegen  geben,  aus 
denen  zu  ersehen  ist,  dafs  im  XYII.  und  XVIII.  Jh.  in  den  unter 
Einfluls  des  Humanistenlateins  stehenden  Sprachen  eine  wahre 
Antithesenwut  herrschte.  Doch  lasse  ich  sie  hier  beiseite'),  und 
will,  statt  den  Leser  zu  ermüden,  ihn  lieber  belustigen  durch 
das  tollste  Stück,  das  auf  diesem  Gebiete  geleistet  wurde.  Ein 
viel  gelesenes  Buch^)  war  das  des  Emanuele  Tesauro:  II  can- 
nocchiale  Aristo telico,   osia   idea   deir  arguta   et  ingeniosa  elo- 


1576)  1.  II  c.  9  (p.  249).  —  Die  Vorliebe  Sturms  steigert  ins  Lächerliche 
sein  ^Scholiast'  Valentinas  Erythraeus:  er  (und  mit  ihm  andere)  zerlegt 
z.  B.  den  oben  ans  der  Rede  für  Gaecina  angefahrten  Satz  si  —  potest  in 
3  %6iifutta  zu  je  6  Silben:  8%  guantum  in  agro  |  locisque  deseriis  \  audacia 
polest  und  um  nun  auch  in  dem  folgenden  korrespondierenden  Satz  von 
19  Silben  tantum  in  foro  atque  itidiciis  impudentia  vakret  18  Süben  heraus- 
zubekommen, liefs  man  entweder  in  aus  oder  schrieb  ac  für  'atque'  (in  der 
Anmerkung  zu  der  citierten  Stelle  Sturms  de  periodis). 

1)  De  ezerc.  rhet.  1.  c.  81. 

2)  Doch  vgl.  Anm.  4. 

3)  Nur  einen  will  ich  hier  noch  anfahren,  weil  er  recht  bezeichnend 
ist.  Die  Rhetorik  des  Bartolomeo  Gavalcanti  (Yinegia  1669),  ein  unend- 
lich weitschweifiges  Werk,  handelt  im  fünften  Buch  vom  Stil,  wobei  an 
verschiedenen  Stellen  mehr  als  jede  andere  Figur  das  la6%a)Xov  gepriesen 
und  mit  Beispielen  vor  allem  aus  Cicero  belegt  wird,  dessen  theoretische 
Ausführung  über  diese  Figur  im  Orator  dem  Vf.  natürlich  auch  bekannt 
ist  (cf.  p.  314),  wie  überhaupt  das  ganze  Werk  auf  antiker  Grundlage  ruht. 
Cf.  p.  279  (wo  er  selbst  folgendes  Musterbeispiel  bildet:  costui  neUa  paee 
inquieto,  nella  giterra  otioso,  nei  pericoli  timido,  nella  sicwrezza  ardito  si 
dimastrava);  305;  312;  313  f.  (er  schliefst  p.  314:  quesH  quattro  omamenti, 
la  paritä  dico,  i  sitnili  casi,  le  simili  terminationi  ^  la  contrapposiUone  aono 
quegli,  i  quali  danno  dcLSCwno  per  se  stesao  e  senza  altro  artificio  risanama 
ed  harmania  tnoUo  suave  al  parlare,  come  negli  esempi  allegcUi  possono  i 
nostri  purgaU  orecchi  comprendere).  Doch  warnt  er  vor  dem  zu  häufigen 
Gebrauch ,  und  zwar  in  so  scharfer  Form ,  dafs  er  offenbar  jene  Manie* 
seiner  Zeit  im  Auge  hat:  p.  279. 

4)  Deutsche  Nachahmungen  nennt  J.  Chr.  Gottsched,  Ausfährl.  Redl 
kunst  *  (Leipz.  1739)  330  f. 

62* 


806 


Das  Homanistenlatein  und  die  modernen  Sprachen. 


cutione,  Venetia  1663.  Von  p.  114  an  handelt  er  von  den  figure 
harmaniche.  Das  sei  vor  allem  das  iööxaXov  mit  seinen  paral- 
lelen oder  gegensätzlichen  Gliedern  und  gelegentlichem  Gleich- 
klang am  Ende  (das  sei  ciceronianische  concinnitiis).  Es  ge- 
nügt ihm  aber  nicht ,  die  unnachahmliche  Schönheit  dieser 
Figuren  blofs  dem  Ohr  bemerklich  zu  machen^  sondern  auch 
das  Auge  soll  sich  daran  erfreuen;  zu  diesem  Zweck  teilt  er 
die  einzelnen,  meist  Cicero  entnommenen;  Beispiele  durch  Linien 
ab,  z.  B.  Cic.  in  Mü.  102: 

an 


Tu 

1 
Me 

Per  hos 

I 

In  patriam 

I 

Bevocare 

I 
Fotuisti 


Ego 

I 
Te 

I 
Per  eosdem 

I 
In  Patria 

I 
Eetinere 

I 
Non  potero? 


Dann  folgen  noch  ein  paar  andere  derartige  Analysen  cicero- 
nianischer  Perioden;  von  einer  sagt  er:  di  cui  nel  giardin  delle 
Muse  ntun'  altro  e  piü  fiorito,  denn  sie  enthielte  eine  Komposi- 
tion dolceniente  sonora  e  vigorosamente  soave,  omaixt  insieme  et  or- 
dinafa,  ricrea  il  Dotto,  insegna  VIdioto;  ebenso  Cic.  pr.  Scaur.  45: 


doinus  tibi  deerat: 
at  häbehas 


pecunia  supererat: 
at  egebas; 


incurristi 

in  alienas 

amens 

insanus 

in  columnas 

insanisth 

Welchen  erschreckenden  Umfang  diese  Manier  angenommen  hatte, 
sieht  man  daraus,  dafs  nicht  blofs  Tesauro  sich  (p.  187  flF.)  daran 
macht,  alte  Ehreninschriften  auf  Augustus  und  Constantinus  nach 
diesem  Schema  umzuformen,  sondern  dafs  man  —  ganz  wie 
Guevara  (s.  oben  S.  793)  —  damals  thatsächlich  solche  Ehren- 
inschriften verfafste,  von  denen  z.  B.  nach  Tesauro  (p.  189)  eine 

lautet: 

Omasius  Fagoniae  Biuc 

Dominus  y  Victor  ^  Princeps,  Deus; 

Hie  ia>ceo. 


Antithesenstil :  Cicero  im  Humanismus.  807 

Nemo  me  nominet  famelicus^ 

Praetereat  ieiunus^ 

SältUet  söbrim. 

Haeres  mihi  esto,  qui  potest; 

Stihditus  qui  vult; 

Hostis  qui  audet 

Vivite  Ventres  et  välete. 

Doch  man  mufs  diesen  ganzen  Abschnitt  des  Cavaliere  lesen^ 
um  einen  Begriff  von  der  Monomanie  jenes  Jahrhunderts  für 
diese  Spielereien  zu  bekommen. 


Schlafs. 


Der  Mann,  dessen  Stilfacetien  wir  soeben  keunen  lernten,  ZM^mmen 
hat  in  richtiger  Selbstschätzung  als  seine  und  seiner  Genossen 
Vorgänger  gepriesen  GorgiaS;  den  Sophisten  Ton  Leontini,  so- 
wie jene  gezierten  spätlateinischen  Autoren  aus  der  Deklamar 
torenschule,  ne'  quali  parve  rinato  Gorgia  Leontino.  Vernünftige 
Männer  haben  ihre  in  orgiastischem  Stil  schwelgenden  Zeit- 
genossen darauf  hingewiesen,  dafs  sie  es  nicht  besser  machten, 
als  Gorgias,  Hegesias  und  jene  Asianer,  deren  Excesse  Cicero 
und  der  Autor  negl  wlfovg  Terponten.  *)  In  diesen  Vergleichen 
ist  eine  durchaus  zutreffende  historische  Erkenntnis  niedergelegt. 
Denn  wenn  wir,  auf  der  Hohe  angelangt,  einen  Rückblick  werfen 
auf  den  langen  Weg,  den  wir  zurückgelegt  haben^  so  sehen  wir 
hinter  uns  liegen  eine  zweitausendjährige,  nie  unter- 
brochene Tradition.  Dem  alten  sizilischen  Redekünstler, 
„dem  Mann  der  Mache  und  des  Esprit''^),  hatte  das  für  Geist 
und  Witz  so  empföngliche  und  für  sinnliche  Formenschönheit 
auch  der  Sprache  von  der  Natur  einzig  prädestinierte  Athener- 
Yolk  zugejubelt  und  die  Süfsigkeiten,  die  er  ihm  bot,  begierig 
eingesogen.     Von  Gorgias  und  Genossen  haben  die  Attiker  mit 


1)  Fr.  Ogier  1.  c.  (S.  784).  R.  Ascham,  The  schoobnaBter  (London 
1670)  99  Arber. 

2)  V.  Wilamowitz,  Hom.  Unters.  (Berlin  1884)  318.  —  Es  hätte  oben 
(8.  15,  1)  bemerkt  werden  müssen,  dafs  v.  Wilamowitz  1.  c.  811  £P.  zuerst 
dM  zeitliche  Verh&ltnis  des  Thrasymachos  zu  Gorgias  richtig  beurteilt  hat 


808  Schlufs. 

ihrem  merkwürdigen  Geschick^  Fremdes  sich  anzueignen  und 
durch  den  Stempel  ihrer  Eigenart  zu  adeln ;  die  Kunst  gelernt, 
durch  äulserliche  Mittel  den  Sinn  und  Geist  Ton  Horem  und 
Lesern  zu  bewegen.  Die  Klassicität  der  grolsen  attischen  Schrift^ 
steller  beruht  auf  der  Stellung^  die  sie  zur  sophistischen  Kunst- 
prosa  einnahmen,  deren  Verkehrtheiten  sie  yermieden  uud  deren 
Vorzüge  sie  mit  dem  ihnen  angeborenen  Gefühl  für  Takt  und 
Grazie  zur  Vollendung  erhoben:  am  meisten  gelang  das  Piaton, 
dem  Dichterphilosophen,  und  den  Rednern  der  Praxis.  Aber  da 
sie  sich  kraft  ihres  individuellen  Könnens  am  weitesten  Ton  der 
bewufsten  rix'^fi  der  sophistischen  Kunstprosa  entfernten,  so 
geht  deren  eigentliche  Entwicklungslinie  nicht  über  sie  fort. 
Vielmehr  war  es  Isokrates,  der  Schüler  des  Gorgias,  der  die 
Praxis  seines  Lehrers  und  der  sophistischen  Bedekünstler  über- 
haupt wissenschaftlich  begründet  und  sie  —  nicht  ohne  wesent- 
liche, mildernde  Änderungen  —  für  alle  Zeit  den  Gemalsigten 
verbindlich  gemacht  hat.  Die  asianische  Rhetorik  dagegen  hat 
in  unmittelbarer  Anknüpfung  an  Gorgias  und  mit  absichtlicher 
Übergehung  des  Isokrates  (und  Demosthenes)  jene  Manier  ins 
Bizarre  gesteigert.  Gerade  durch  die  grellen  Farben,  die  sie 
auftrug,  zog  sie  die  Augen  der  Römer  auf  sich,  sobald  diese  in 
die  Sphäre  der  hellenischen  Kultur  eintraten.  In  den  griechischen 
und  lateinischen  Rhetorenschulen  der  Kaiserzeit,  bei  den  Ver- 
ehrern sowohl  der  alten  Götter  wie  der  neuen  Gottheit,  fand 
diese  Manier  begeisterte  Adepten,  die  ihr  bis  ins  byzantinische 
und  occidentalische  Mittelalter  treu  geblieben  sind  und  weiterhin 
den  an  der  Antike  sich  emporrankenden  modernen  Sprachen  an- 
fangs ihren  Stempel  aufgedrückt  haben.  Diese  von  der  alten 
sophistischen  Kunstprosa  ausgegangene  und  in  Einzelheiten 
stetiger  Umbildung  und  Weiterbildung  imterworfene  Stilrichtimg 
haben  wir  nach  einem  aus  dem  Altertum  selbst  stammenden 
ünterscheidungsprinzip  die  „moderne"  genannt.  Dem  progres- 
siven Verfall  hat  sich  von  Anfang  an  eine  reaktionäre  Partei, 
die  der  „Alten",  entgegengestemmt,  die  in  Theorie  und  Praxis 
Rückkehr  zum  Archaischen  und  Einfachen  befahl,  das  sie  in 
den  attischen  Klassikern  versinnbildlicht  fand:  ein  vergebliches 
Unternehmen,  da  sie  in  romantisch  -  idealistischer  Schwärmerei 
das  Wollen  mit  dem  Können  verwechselte  und  den  Anforderungen 
der  wechselnden  Generationen  keine  Rechnung  trug:  der  gröfste 


Schlufs.  809 

und  geschichtlich  bedeutendste  dieser  reaktionären  Versuche 
wurde  von  den  Humanisten  —  auch  auf  dem  Gebiete  des  Stils 
—  unternommen,  aber  er  scheiterte  wie  alle  seine  Vorgänger. 
Auch  an  Vermittlungsversuchen  zwischen  den  „Neuen"  und  den 
y^Alten'^  hat  es  in  der  ganzen  Zeit  nie  gefehlt:  mit  unerreichter 
und  daher  der  Ewigkeit  für  würdig  befundener  Virtuosität  schlofs 
diesen  Kompromifs  Cicero,  und  in  langer  ununterbrochener  Ar- 
beit schlössen  ihn  auch  die  modernen  Sprachen,  iudem  sie  nach 
jahrhundertelangem  Tasten  und  Irren  zur  Erkenntnis  kamen, 
dafs  nicht  eine  überstürzte  mechanische  Übertragung  des  Fremd- 
artigen, sondern  nur  ein  langsamer  inniger  Verschmelzungs- 
prozefs  zu  dem  Ziele  führen  könne,  dem  jedes  Kulturvolk,  nur 
seiner  Veranlagung  gemäfs  mit  gröfserer  oder  geringerer  In- 
tensität, zustrebt,  der  reinen  Schönheit  der  Form  wie  in  der 
bildenden  Kunst,  so  auch  in  der  gesprochenen  und  geschrie- 
benen Rede. 

Weit  über  ihre  zeitlichen  Grenzen  hinaus  hat  sich  uns  die 
Antike  als  die  alles  bewegende  und  belebende  Kulturmacht  er- 
wiesen. Die  Barbarennationen,  von  denen  sie  zertreten  zu  werden 
in  Gefahr  war,  hat  sie  ihrerseits  veredelt  und  die  rohen,  planlos 
hinstürmenden  Gewalten  befähigt,  durch  edelste  Menschenbildung 
die  grofse  Mission  einer  Givilisation  des  Erdkreises  zu  voll- 
bringen. Die  feindliche  Gewalt  der  neuen  Religion  hat  ihre 
stolze  Gegnerin  nach  einem  Ringen,  wie  es  länger  und  furcht- 
barer in  der  Weltgeschichte  des  menschlichen  Denkens  nicht 
stattgefunden  hat,  zu  Boden  geworfen,  aber  wie  des  Lichtes 
Fackel  auch  umgewendet  emporschlägt,  so  ist  die  Besiegte  von 
der  hoheitsvollen  Siegerin  selbst  wieder  aufgerichtet  worden  und 
hat  mit  ihr,  wie  auf  allen  Gebieten,  so  auch  auf  dem  des  kunst- 
mälaigen  Ausdrucks  der  Gedanken  in  Worten  und  in  Schrift, 
einen  Freundschaftsbund  geschlossen,  welcher  der  Menschheit 
zum  Segen  die  Äonen  hindurch  dauern  wird,  so  gewifslich  wahr 
das  Wort  des  ernsten  Dichters  von  der  Ewigkeit  des  Guten  ist: 
t6  si  vixä. 


Atihang  L 

Über  die  Geschiclite  des  Beims. 


Es  giebt  wenige  litienu'hisionBche  Probleme,  dber  die  so 
Tiel  gesehrieben  ist  wie  über  das  Tom  Cispnmg  des  Reims. 
Eine  blolse  An&ahlimg  der  Titel  dieser  Abhandinngen,  die  ich 
ziemlieh  rollstandig  geben  zn  können  glanbe  —  wer  heute 
darüber  sehreibt,  thnt  so,  als  ob  er  keine  oder  fiui  kerne  Vor- 
gänger hat  —  würde  Seiten  f&Uen^),  und  wollte  ich  den  ganzen 
Stoff  in  allen  seinen  Einzelheiten  bearbeiten,  so  bedürfte  es  dazu 
eines  eignen  Werkes.  Ohne  daher  auf  das  Detail  einzogehen 
und  ohne  mich  mit  einer  genauen  Widerlegung  des  yielen  Fal- 
schen und  Abenteuerlichen,  das  in  dieser  Frage  rorgebracht  ist, 
zn  be£assen,  werde  ich  mich  darauf  beschranken,  die  wesent- 
lichen Resultate  meiner  Untersuchungen  vorzulegen;  wenn  ich 
trotzdem  ausf&hrlich  werde,  so  geschieht  es  deshalb,  weil  ich 
nur  auf  breitester  Grundli^e  das  Problem  lösen  zu  können 
glaube. 

L   Prinzipielle  Fragegtellug. 

Dt  a«im  Wer  vor  etwa  hundert  Jahren  über  dies  Thema  schreiben 

fomin   wollte,  mufste  vor  allem  zu  einer  prinzipiellen  Frage  Stellung 
^^J^    nehmen:  ist   der  Reim  die  ^Erfindung'  irgend  eines  bestimmten 
Volks  gewesen,  von  dem  er  den  übrigen  vermittelt  wurde?  Heut- 
zutage herrscht  darüber  Einigkeit,  dals  eine  solche  Frage  in  sich 

1)  Die  erste  Bystematische  üntersochung  stammt  von  Muratori  in 
seinen  Antiqoitates  Italiae  medii  aevi  III  (1740)  diss.  XL  De  rhythmica 
veterom  poesi  et  origine  Italicae  poeseos,  cf.  besonders  p.  686  £P. 


spontane  Entstehung  oder  Entlehnung.  811 

selbst  zusammenfällt:  die  aus  allgemeinen  Gesichtspunkten  sich 
ergebende  Anschauung ,  dafs  etwas  derartiges  überhaupt  nicht 
'erfunden'  wird^  erhält  immer  neue  positive  Beweise  durch  die 
Erforschung  der  Sprachen  primitiver  oder  wenigstens  von  der 
europäischen  Kultur  abseits  stehender  Völker.  Wir  erkennen; 
dafs  der  Hang  zur  Verknüpfung  von  Versteilen  oder  ganzen 
Versen  durch  gleichklingende  Silben  potentiell  (um  mich  so 
auszudrücken)  überall  vorhanden  ist^),  dafs  es  sich  mithin  nur 
darum  handelt^  ob;  wann;  in  welchem  Umfang  und  durch  welche 
Einflüsse  er  aktuell  geworden  ist.  —  Jeder  Gebildete  weils,  dafs  Der  ger- 
der  Beim  in  der  späten  Eaiserzeit  in  die  Verse  der  christlichen  B^'t^'eiiu 
Hymnen*)  eindrang  und  hier;  von  bescheidenen  Anfängen  ai^s-^^®^'^ 
gehend;  mehr  und  mehr  seine  Herrschaft  ausdehnte,  die  er  end-  lat  Hym- 
gültig  besafs;  als  die  alte  Welt  zu  Boden  gesunken  war  und 
auf  ihren  Trümmern  neue  Völker  zu  wirtschaften  anfingen.  — 
Auch  darüber  herrscht  jetzt  allgemeines  Einvernehmen,  dafs 
das  germanische  Volk  in  Anlehnung  an  die  lateinischen  Hymnen 
diese  Verszier  f[ir  seine  Poesie  nutzbar  gemacht;  d.  h.  dem  Beim 
seine  originalen  Versformen  geopfert  hat.^)  Zwar  sträubt  sich 
unser  Gefühl  anfangs  gegen  die  Zumutung;  ein  wesentliches  for- 
males Element  der  Poesie  als  Import  aus  der  Fremde  anzusehen. 
Aber  es  fehlen  dafür  nicht  Analogieen.  Über  die  Verse  der 
Kirgisen   urteilt   der   erste   Kenner   dieses   und  der  verwandten 


nen 


1)  Weite  Verbreitung  des  Reims :  George  Puttenham,  The  art  of  eng- 
lish  poesie  (1589)  in  Arbers  reprints  n.  15  p.  26.  Theophilus  Swift,  Essay 
on  the  rise  and  progress  of  rhime  in:  Transactions  of  the  royal  irish  aca- 
demy  IX  (Dublin  1803)  3  ff.,  wo  er  ihn  nennt:  fhe  universal  voice  of  nations. 
J.  Eayser,  Beitr.  z.  Gesch.  d.  alt.  Kirchenhymnen  '  (Paderborn  1881)  110, 4  u.  a. 

2)  Ein  wissenschaftliches  Buch  über  die  Geschichte  des  christlichen 
Gesanges  fehlt.  In  den  bekannten  Darstellungen  sucht  man  vergebens  so 
wichtige  Stücke  wie  den  (jetzt  durch  M.  E.  James  in  Tezts  and  studies  V 
[Cambridge  1897]  12  f.  vervollständigten)  Hymnus  in  den  (aus  s.  11  stammen- 
den) gnostischen  acta  lohannis  p.  220  f.  Zahn  (genau  wie  es  Tertull.  de 
or.  27  beschreibt),  den  Hymnus  des  Valentinus  bei  Hippol.  ref.  haer.  VI 
87,  den  der  Naassener  ib.  V  10,  die  Lieder  des  ApoUinarios  nach  Sozom. 
h.  e.  VI  25  und  die  des  Arius  nach  Athanas.  I  247.  406.  728  ed.  Maur. 
Künftig  wird  auch  hinzuzunehmen  sein  der  kürzlich  in  Ägypten  gefundene, 
von  üsener  (Religionsgesch.  Unters.  I  189  f.)  ins  rechte  Licht  gestellte 
liturgische  Antiphonengesang  am  Epiphanienfest. 

8)  Wohl  zuerst  hat  W.  Wackemagel,  Gesch.  d.  deutsch.  Nationallitt. 
I '  (Basel  1879)  §  30  das  nachdrücklich  hervorgehoben. 


812  Anhang  I:  Über  die  Geschichte  des  Reims. 

Völker,  W.  RadlofiF*),  folgen dermalBeD:  „Was  die  rhytbmiscben 
Gesetze  betrifft,  durch  die  die  gebundene  Rede  geregelt  wird, 
so  sehen  wir,  dafs  hier  die  persische  Poesie  einen  grolsen  Ein- 
flufs  geübt.  Die  ursprünglichen  türkischen  VersmaCse  sind  ver- 
loren gegangen:  an  Stelle  der  akrostichischen  Verse  sind  Verse 
mit  Endreim  getreten/'  Die  Perser  haben,  soviel  ich  weiCs, 
ihre  originalen  Versformen  denen  der  Araber  geopfert.  Das 
nationalitalische  Versmals,  in  dem  Priester  Hymnen,  Dichter 
Epen,  Aristokraten  Grabschriften,  Aristokraten  und  Plebejer 
Dedikationen  verfafsten  und  nach  dessen  Takt  der  Landmann 
beim  Erntefest  tanzte  und  sang,  ist  durch  die  um  200  v.  Ohr. 
importierten  griechischen  Versmafse  bis  zu  dem  Grade  verdrangt 
worden,  dafs  Gelehrte  um  50  v.  Chr.  von  der  alten  Versform 
keine  klare  Vorstellung  mehr  besafsen  und  dab,  was  noch  mehr 
sagen  will,  der  Soldat  Verse  auf  die  Kaiser  in  trochäischen 
Langzeilen,  die  weise  Frau  Losorakel  in  Hexametern,  der  ge- 
wöhnliche Mann  Grabschriften  in  Senaren  oder  Distichen  kon- 
zipierte. So  übte  also  die  antik -christliche  Kultur  ihre  über- 
wältigende Macht  auch  auf  die  Versformen  der  modernen  Völker 
aus:  der  Germane,  der  gemäfs  seiner  Aussprache  das  charak- 
teristische Ornament  des  Verses  von  jeher  auf  die  Anfangssilben 
gelegt  hatte,  begann  nun,  es  auf  die  Endsilben  zu  legen  und 
das  in  einer  Zeit,  wo  die  Entwicklung  der  eignen  Sprache, 
nämlich  der  beginnende  Verfall  dieser  Endsilben,  umsomehr  ein 
Festhalten  an  dem  alten  Prinzip  empfohlen  hätte:  der  allitte- 
rierende  Vers  des  Hildebrandliedes  wich  dem  gereimten,  der 
wenigstens  für  uns  zuerst  und  gleich  voll  ausgebildet  in  Otfrids 
Werk  vorliegt,  ohne  dafs  die  Zufälligkeit  imserer  Überlieferung 
ausschlösse,  dafs  infolge  der  Einwirkung  der  lateinisch -christ- 
lichen Poesie  der  Reim  schon  vor  ihm  wenigstens  partielle  Ver- 
wendung gefunden  haben  könnte;  denn  erstens  pflegt  die  volle 
Ausbildung  irgend  welcher  Erscheinung  primitive  Vorstufen  zu 
haben  und  zweitens  ist,  wie  mich  F.  Vogt  belehrt,  die  kanonische 
Geltung  des  Reims  in  der  ganzen  deutschen  Poesie  seit  der 
karolingischen  Zeit  nicht  aus  Otfrids  Werk  zu  erklären,  das  nur 
in   gelehrten   Kreisen   gelesen   wurde   und   dessen  Einfluüs  über- 


1)  Die  Sprachen  der  tfirkischen  Stämme  Süd- Sibiriens  L  Abt.  8.  Teil 
(St.  Petersb.  1870)  p.  XX IT 


Entlehnung  von  Formen.  813 

haupt  sehr  gering  war.  —  Die  Einwände;  die  früher  gegen  die 
Herkunft  des  Reims  aus  der  lateinischen  Hynmenpoesie  gemacht 
wurden^  sind  hinfallig.  Wenn  in  altgermanischen  Liedern  ganz 
gelegentlich  ein  oder  der  andere  Vers  reimt^),  wenn,  wie  wir 
nachher  sehen  werden,  der  Reim  in  germanischen  Zauberformeln 
aus  heidnischer  Zeit  begegnet,  oder  wenn  selbst,  was  jetzt  von 
mafsgebenden  Forschem  in  Abrede  gestellt  wird,  jene  in  der 
Notkerschen  Rhetorik  citierten  altdeutschen  Reimverse*)  sehr 
alter  volkstümlicher  Poesie  angehören  sollten,  was  folgt  daraus 
anders  als  das,  was  jeder  ohnehin  zugeben  mufs:  daüs  das  ger- 
manische Ohr  für  den  Zusammenklang  auch  des  Auslauts  der 
Worte  empfönglich  war,  dafs  also  (um  mich  des  obigen  Aus- 
drucks zu  bedienen)  der  Reim  auch  im  Deutschen  seiner  dwa- 
liig  nach  vorhanden  war,  ehe  er  durch  die  auf  allen  Gebieten 
des  Denkens  und  Dichtens  so  einsdmeidende  Einführung  der 
christlichen  Hymnen  zur  ivsQysuc  wurde?  —  Da  mithin  die  Der  Beim 
Thatsache,  dafs  der  Reim  in  der  Poesie  der  modernen  Hymnen 
Volker  in  aktuelle  Erscheinung  getreten  ist  durch 
Übertragung  aus  dem  lateinischen  Hymnengesang,  als 
sicher  zu  gelten  hat,  wird  die  prinzipielle  Fragestellung 
für  die  Volker  unsres  Eulturkreises  zu  lauten  haben: 
wie  ist  der  Reim  in  die  lateinische  Hymnenpoesie  ge- 
kommen? Bevor  wir  aber  diese  Frage  beantworten  können, 
sind  noch  mehrere  Punkte  zu  erörtern. 


U.    Der  Parallelismns  als  Urform  der  Poesie  and 

der  Reim  in  Formeln. 

1.  Es  war  nicht  blofis  das  allen  Menschen  angeborene  Ver-  ParaiieUs- 
gnügen  an  harmonischem  Wohlklang,  das  den  Reim  potentiell  ZZ^v 
bei  den  meisten  Völkern  hervorbrachte'),   sondern  es   bedurfte  ^^aSte 


1)  Gf.  C.  F.  Meyer,  De  theodiscae  poeseos  yerbomm  consonantia  finali 
(DisB.  Berl.  1849)  9  flF. 

2)  Bei  P.  Piper,  D.  Schriften  Notkers  u.  s.  Schule  I  678  f.,  cf.  darüber 
z.  B.  0.  Schrader  in:  Germania  XIV  (1869)  42  ff. 

8)  Harsdörffer  in  seinem  Poetischen  Trichter,  dritter  Teil  (Nümb.  1668) 
p.  79  (cf.  E.  Borinski,  Die  Poetik  d.  Renaissance  [Berl.  1886]  206)  antwortet 
auf  die  Frage  Varum  die  Reimen  das  Ohr  belustigen':  „nemlich  wegen 
ihrer  ungezwungenen  Lieblichkeit,  welche  sich  etlicher  Mafsen  mit  einei 


814  Anhang  I:  Über  die  (xeschicfale  des  Beiiiu. 

einer  ganz  bestimmten  Gnindlagey  ron  der  er  nicht  liMgeloofc 
werden  kann,  ohne  seiner  Existenzmoglichkeit  Terlnstig  n  gdien. 
Das  Substrat  des  Reims  ist  der  Parallelismos,  oder,  wie 
Herder  es  einmal  etwas  weniger  scharf  ansdröckt:  ,pDer  Retm, 
das  grolse  Vergnügen  nordischer  Ohren,  ist  ja  ein  fortgehender 
Parallelismns.^^)  Parallelismns  ist  yielleicht  der  wiehtigate  for- 
male Yolkergedanke,  den  es  giebL  Treffend  arteilt  A.  Wnitke^ 
D.  deutsche  Volksaberglaube  d.  Gegenwart'  (Berlin  1869)  157  £: 
„In  Formeln  wie  ^Mond  nimt  zu,  Warse  nimt  ab'  ^Glocken  gehn 
Toten  nach,  Warzen  gehn  mit'  liegt  eine  achte  und  nraprllng- 
liehe  Volkspoesie,  ein  Parallelismus  der  Gedanken,  wie  er  in  der 
hebniischen  Dichtkunst  und  in  den  Volkssprüchen  und  besondas 
in  den  Gleichnissen  sich  kundgiebt,  der  Ursprung  aller  Dicht- 
kunst überhaupt.  Was  der  Reim  im  auberen  Klange  anadiücken 
will,  das  drückt  sich  hier  in  kemhafter  Wirklichkeit  ans,  die 
innere  Gleichstellung  und  Verbindung  des  äuberlich  Cntersehie- 
denen.^  Wer  die  Veröffentlichungen  der  Folkloristen  durchblür 
tert,  findet  genug  Beweise  daf&r;  so  kleiden  die  Stamme  am 
Altai  ihre  Sprichworter  so  gut  wie  ausschlielslich  in  die  Form 
des  Parallelismns,  z.  B. 

„Was  gedenkst  du  die  Vogel  des  Himmels  zu  fiingen? 
Was  gedenkst  du  die  Fische  des  Meeres  zu  fangen  ?* 
oder: 

„Wer  hat  gesehen,  dals  des  Bockes  Hom  zum  EUmmel  reicht? 
Wer  hat  gesehen,  dals  des  Eameels  Schwanz  zur  Erde  reicht ?^^ 
Ebenso  Sprichworter  der  Tataren,  z.  B. 

„Des  Alten  Worte  bewahre  im  Sack, 
Seinen  Leichnam  bewahre  nach  Gebühr.^ 


oder: 


„Des  Menschen  Dummheit  ist  innen, 
Des  Viehes  Buntheit  aufeen."*) 


gleichkünstlicher  ZnsammenstimmnTig  in  der  Mosic  rereinbahren ;  aller 
Mafsen  anch  ein  wolge«taltes  and  nach  konstrichtigem  Ebenmafs  wolge- 
stelltes  Gem&hl  dem  Ang  beliebet.  Ea  ist  dieses  der  Natur  eingepflamet, 
dafs  ihm  angenehm  ist,  wa«  eine  Gleichheit  hat  und  hingegen  miüsfiUüg, 
was  eine  Ungleichheit  answeisset.** 

V  In  seiner  Abhandlung  .,Vom  Geist  der  ebrÜschen  Poede'*  178S  »bk 
Werke  ed.  Suphan  XI  SSS. 

2^  Radioff  1.  o.  I  1  ^St.  Petersb.  1866^  1  ff. 

Z)  Ders.  1.  c.  1  6  ^St,  Petersb.  1S86)  7. 


Parallelismas  als  Urform  der  Poesie.  815 

Ein  Eskimolied  ^): 

„Den  grofsen  Eoonak  Berg  im  Süden  drüben, 
Ich  sehe  ihn. 

Den  groCsen  Eoonak  Berg  im  Süden  drüben 
Ich  schaue  ihn. 

Den  leuchtenden  Glanz  im  Süden  drüben, 
Staune  ich  an. 
Jenseits  von  Koonak 
Dehnt  es  sich  aus, 
Dasselbe  was  Eoonak 

Seewärts  umschliefst. 
Schau,  wie  sie  (die  Wolken)  im  Süden 

Wogen  und  wechseln, 
Schau,  wie  sie  im  Süden 
Einander  verschönem; 
Während  er  (der  Gipfel)  seewärts  umhüllt  ist 

Von  wandelnden  Wolken, 
Seewärts  umhüllt, 

Einander  verschönernd/^ 
Ein  finnischer  Sang^: 
A  maiden  waVced  along  the  airs  edge  —  a  girl  along  the  ^naveV 

of  fhe  sky, 
AUmg  the  outline  of  a  doudj  —  along  fhe  heaven's  houndaryy 
In  stodßings  of  a  bluüh  hue^  —  in  shoes  with  omamented  heels, 
A  ivool'hox  in  her  handy  —  nnder  her  arm  a  hairßled  potich 

tL   S.    W. 

2.  Dieser  Parallelismus  der  Poesie  und  der  gehobenen  Prosa  ^)  Arten  des 

PanUleli»- 

mn«: 

1)  Bei  E.  Grosse,  D.  Anfange  d.  Kunst  (Freib.-Leipz.  1894)  282. 

2)  In  englischer  Übersetzung  mitgeteilt  von  J.  Abercromby,  Magic 
songs  of  the  Finns  in:  Folk-Lore,  a  quaterly  review  of  myth  etc.  I  (Lond. 
1890)  26  cf.  p.  22 :  In  Finnish,  the  second  line  of  a  coupUt  is  nearly  dtwaya 
a  repetition  in  other  toorda  of  its  predecessor,  and  stände  in  apposUion  to  it,  • 
Wem  die  Folk-Lore-Litteratur  besser  zugänglich  ist  als  es  einem  Deutschen 
(selbst  an  den  gröfsten  Bibliotheken)  möglich  ist,  wird  zweifellos  Beispiele 
auch  anderer  Völker  beibringen  können.  Es  wÄre  dringend  zu  wünschen, 
dafs  die  Folkloristen  (was  jetzt  Ausnahme  zu  sein  scheint)  stets  genaue 
Mitteilung  auch  über  die  ftufsere  Form  der  Lieder  machten  (am  liebsten 
auch  mit  einer  oder  der  anderen  Probe  im  Original):  allgemeine  Inhalts- 
angaben allein  genügen  uns  nicht. 

8)  Cf.  A.  Jeremias,  Die  babylonisch -assyr.  Vorstell,  v.  Leben  nach  dem 


81G  Anhang  I:  Ober  die  Geschichte  des  Reims. 

—  wir  haben  bereits  oben  (S.  30  ff.)  gesehen  und  werden  weiter- 
hin darauf  zurückkommen ,  dafs  beides  nicht  zu  trennen  ist  — 
zeigt  bei  verschiedenen  Völkern  oft  eine  Terschiedene  Erschei- 
nungsform: teils  entsprechen  sich  die  parallel  laufenden  Satze 
.  ganz  oder  zumeist  Wort  für  Wort,  teils  ist  die  Besponsion  eine 
erheblich  freiere;  wenn  wir  den  wesentlichen  Unterschied  ins 
Auge  fassen,  so  können  wir  die  erstere  Erscheinung  Parallelis- 
mus der  Form,  die  zweite  Parallelismus  des  Gedankens 
nennen, 
a.  orieoh.  a.  Den  Parallelismus  der  Form  nannten  die  Griechen 

paraiieu«-  naQl0(o0ig;    wir    haben    gesehen,    dafs    diese   das   wesentlichste 
^^     Charakteristicum  der  griechischen,  dann  der  lateinischen  Ennst- 
prosa  war;  ein  Satz  wie  der  des  Gorgias: 

t{  y&Q  iatf^  xolg  &vdQa6i  tovroig  &v  Sei  ivd^döi  MQOöitvm; 
r{  dl  xal  nQOöf^  &v  oi  det  XQOöBtva^; 
slxstv  SwalyLriv  St  ßovXofuUj 
ßovkolyLriv  d'  &  det' 

q>vyhv  dh  xbv  &v^Q(bxivov  g>&6vov 
mag  typisch  dafür  sein.  Die  Griechen  müssen  es  sich  gefallen 
lassen,  hier  mit  den  Chinesen  zusammenzugehen  (deren  Sprache 
übrigens  charakteristischerweise  wie  die  der  Griechen  den  musi- 
kalischen Äccent  haben  soll:  s.  o.  S.  5);  über  sie  teilt  G.  ¥.  d. 
Gabelentz  folgendes  mit  (Zeitschr.  f.  Y olkerpsych.  X  [1878]  230  £): 
«,Der  Chinese,  ein  stilistischer  Feinschmecker  der  empfindlichsten 
Art,  ist  ein  grofser  Verehrer  scharf  zugespitzter  Antithesen. 
Schärfer  aber  können  die  Spitzen  nicht  aneinanderstoüsen,  als 
wenn  man  beide  entgegengesetzte  Gedanken  in  ToUig  symme- 
trischer Gestalt,  Glied  auf  Glied  einander  entsprechend,  neb- 
sammen  rückt.  Dies  ist  eine  der  gebräuchlichsten  Arten  ihrer 
StilkuDst'',  was  dann  durch  ein  auch  für  Laien  yeraündliches 
Beispiel  illustriert  wird.*) 

TvHio  Jweipu^  ISST^  9:  „Die  Form  der  I>ant«llaiig  (io  der  Höllenfikhri  der 
Istar^  ist  Parallel ismus  der  Glieder,  eine  Form  der  poetiachem  Sprache,  die 
»iohorlioh  urspr&nglich  keine  bewafst  kunstmäiag«  ist^  tonden  das  natür- 
Hoho  Krgebnis  «chwnngToll  gehobener  Rede,** 

r  Btruierkensweit  i$t  aoch.  dafs  ans  diesem  Fonnparalleli imns  sich 
nach  T  «1.  GaU^lentt  die  chine<i$>cbe  Sitte  erklärt,  «ehr  oft  ohne  Inieipank- 
VivMi  i\\  ;^oUroilvn  Auch  der  Gritvho  brauchte  i  B.  fieineii  Goi^a«  kamn 
SU  intorj^uujjioron. 


Parallelismas  als  Urform  der  Poesie.  817 

b.   Der   Parallelismus    des  Gedankens  tritt  vor  allem  b.  Hebr. 
klar  entgegen  in  der  hebräischen  Sprache.  Wer  ihn  zusammen-  ^üuü: 
wirft  mit  dem  griechisch-lateinischen,  oder  gar  den  Parallelismus     "*"' 
im   Stil  jüngerer  lateinischer  Autoren  (z.  B.  des  Appuleius  oder 
Augustin)  aus  dem  Hebräischen  ableitet,   beweist,  dafs  er  von 
der  Art  des  hebräischen  Parallelismus  gar  keine  Vorstellung  hat. 
Ich  will,  damit  der  Kontrast  um  so  deutlicher  hervortrete,  nicht 
das  Hebräische  unmittelbar  mit  dem  Griechischen,   sondern  das 
von  Juden  geschriebene  Griechisch  mit  dem  von  echten  Hellenen 
geschriebenen  Griechisch  vergleichen.    Wer  des  nationalgriechi- 
sehen  Parallelismus   Kundige,  der  etwa  den   eben   angeführten 
Satz  des  Gorgias  liest,  könnte  auch  nur  in  Versuchung  kommen, 
ihn  für  identisch  zu  erklären  etwa  mit  Jes.  Sir.  1 

ütaöa  6oq>ia  itaQä  kvqCov^ 
ocal  (ist'  aitov  iötvv  sig  rbv  al&va. 
&[iliov  d'aXa66&v  xal  örayövas  ifBtov 
xal  imiiQas  ai&vag  tig  iiaQid'(i'^0si; 
iitlfog  oiQavov  xal  nXdtog  yfig 
xal  &ßv66ov  xal  6oq>Cav  xlg  i^LXvidösi; 
nQOziga  navxoyif  ixxi,6xai  tsotpla^ 
xal  övvsöig  q>Q0viJ6€a}g  i^  al&vog 
(u.  s.  w.  in  51  langen  Kapiteln),  oder  mit  dem  in  den  (griechi- 
schen) Thomasakten  erhaltenen  gnostischen  Hymnus  auf  die 
Sophia  (Act.  apost.  apocr.  195  f.  Tischend.),   dessen   erste  und 
sechste  Strophe  R.  Lipsius,  Die  apokr.  Apostelgesch.  I  (Braun- 
schweig 1883)  301  £  so  übersetzt: 

„Das  Mädchen  ist  des  Lichtes  Tochter, 
Der  Abglanz  der  Könige  wohnt  ihr  ein. 
Fröhlich  und  erquickend  ist  ihr  Anblick, 
In  strahlender  Schönheit  erglänzt  sie."  — 
„Ihr  Brautgemach  duftet  von  Balsam  und  allen  Aromen, 
Gibt  süfsen  Wohlgeruch  von  Myrrhen  und  Laubwerk. 
Drinnen  sind  Myrthenzweige  imd  duftende  Blumen  gebreitet, 
Das  Brautbett  mit  Schilfrohr  geschmückt'',^) 
oder  mit  folgenden   Sätzen   aus   den  Reden  Jesu^)  im   Evan- 
gelium Matth.  7,  13  f. 


1)  Cf.  in  denselben  Akten  noch  p.  198  f.  213  f.  216.  224. 

2)  Dafs  sie  so  komponiert  sind,  ist  von  D.  Müller,  Die  Proph«* 


818  Anhang  I:  Über  die  Geschiebte  des  Reims. 

£l6iX^£xs  diä  tfls  6t£VYig  nvkfig. 

Zxi  nXaxala  ii  Tfdkri 

Kai  si>Qvx(OQ0s  '^  6dbg 

^  &7tciyov6a  slg  ti^v  &7t<oksiav 

xal  noXkol  bIölv  ot  b16£q%6(uvoi  8C  aitriq. 

ort  6tBvii  fi  nvXri 

xal  tsd'kifiiiivti  fj  böbg 

^  &7tdyov6a  slg  tiiv  %miiv 

xal  dXiyoL  slölv  ot  s{)(fi6xovTsg  avti^v. 
ib.  16  ff. 

&xb  r&v  xaQTC&v  avt&v  imyvAösöd'S  aitovg' 

/Liiert  6vkkiyov6iv  anh  ixavd'&v  6taq>vkiiv 

^  &nh  TQLßökav  6vxa; 

oUto)  nav  divSqov  iya^bv  xaQitoifg  xakoifg  aoisi* 

rb  dh  tsanqbv  SivSgov  xaQito'bg  novriQoi>g  noiBl, 

oi  diivaxai  öivÖQOv  iya^bv  xagnovg  novi]QOi>g  xoietv 

ovdl  divSgov  6anQbv  xaqnohg  xakovg  xovBtv, 

Ttäv  divdgov  fiij  noiovv  xagxbv  xakbv  ixxditxstai 

xal  slg  nvQ  ßdkkstai' 

&Qa  y£  inb  r&v  xagn&v  air&v  inLyvA0s6d'£  avroiig, 


ihrer  ursprünglichen  Form  I  (Wien  1896)  216  £P.  richtig  hervorgehoben,  cf. 
schon  Chr.  Wilke,  D.  neutest.  Rhet.,  Leipz.  1843,  192.  (Für  Paulas  cf.  jet«t 
J.  Weifs,  Beitr.  z.  paul.  Rhet.,  Gott.  1897,  wonach  o.  S.  609  f.  zu  erweitem). 
Auch  A.  Resch,  Agrapha  1.  c.  (o.  S.  474,  2)  244  £P.  hat  auf  solche  Parallelismen 
zu  yier  Gliedern  in  den  X6yicc  ytvQiatui  hingewiesen  und  sehr  belehrend  ist, 
was  derselbe  p.  82.  35  notiert:  bei  Lukas  10,  16 

6  dh  iy^  Msv&v  MetBt  tbv  &nootBiXavxd  \lb 

sind  die  in  Klammem  eingeschlossenen  Worte  nur  in  dem  berühmten  Co- 
dex Cantabrigiensis  (s.  VI),  sowie  in  mehreren  Übersetzungen  und  in  Alteren 
Oitaten  erhalten;  der  Philologe  würde  daraus  einfach  folgern,  dafs  sie  in 
nnsem  EyangelienhsB.,  mögen  diese  auch  ein  paar  Jahrhunderte  älter  sein 
ala  der  Cod.  Cant.,  ausgefallen  sind:  ob  die  Folgerung  des  genannten  Theo- 
logen, ne  gehörten  dem  ürerangeUum  an  und  seien  Ton  Lukas  ansgelaMen 
den.  ixgend  welche  innere  oder  ftolsere  Wahncheinlichkeit  hat,  wage 

^'v  «j^be  ei  aber  luoht. 


Parallelismas  als  Urform  der  Poesie.  819 

ib.  24  S. 

nag  oiv  ZtSug  ixo'6sL  (lov  toi>g  Xöyovg  tovtovg  xal  nout  aitovgj 

&lioi(o6(o  ctötbv  &vd(fl  q>QOvliia)y 

Z0tig  pxod6(ii]<fs  tiiv  olxiav  airtov  ixl  tiiv  nixqav* 

xal  xatdßr]  ^  ß(fOXi^j 

ocal  ^k^ov  ot  nota(ioiy 

xal  i%vsv6av  ot  &vB[kOij 

xal  nQoöineöov  r$  olxia  ixaivfjj 

xal  (yöx  hc€66' 

XB^siiBliano  yä(f  inl  f^v  xixQav, 

xal  nag  6  ixo'öayi/  (lov  roi>g  Xöyovg  tovtovg  xal  (lij  noi&v  ainovgy 

6iiLOia}dii0Btai  &vd(fl  (KOQ^y 

S0tig  pxod6iiLrj0ß  f^v  olxCav  avtov  inl  tifv  &(iiiov' 

xal  xatißtj  ^  ßQOxii, 

xal  f^k^ov  o[  notaiioij 

xal  hcvBv6av  ot  &VBiioij 

xal  n(fo0ixo^av  tfi  olxia  ixBivg, 

xal  inB0B' 

xal  fyf  fi  nt&0ig  aitijg  (isydkri. 

Das  ist  derselbe  Strophen-^  Satz-  und  Gedankenparallelismus^  der 
gelegentlich^  an  besonders  gehobenen  Stellen,  auch  die  Reden 
der  Propheten  auszeichnet:  der  hellenischen  Prosa  ist  derartiges 
ganz  fremd.  ^) 

3.  Was  ist  nun  begreiflicher,  als  dafs  in  diesen  beiden  Arten    Spon< 

^___^^________  tanei 

Beim  ii 

1)  Ich  erwähne  das  alles  nur,  weil  immer  wieder  von  neuem  der  echt-  Formell 
griechiBche  und  echtlateinische  Parallelismus  der  Eunstprosa  mit  dem  he- 
br&ischen  Parallelismus  zusammengeworfen  wird.  Am  verwegensten  ist  die 
Behauptung  Yon  E.  Deutschmann,  De  poesis  Graecorum  rhjthmicae  usu  et 
origine  (Progr.  Eoblenz  1889)  26:  der  Beim  der  christlichen  Poesie  sei  aus 
der  Septoaginta  abzuleiten,  denn :  pscUtni  illim  versionis  tarn  pleni  atmt  ri- 
montm,  ut  prope  ad  fnacamas  Ärahutn  accedant,  worin  jedes  Wort  unrichtig 
ist.  Über  das  Wesen  des  hebräischen  Parallelismus  hat  schon  B.  Lowth 
In  seinem  berühmten  Werk  De  sacra  poesi  Hebraeorum  (1763)  praelectio 
XIX  xichüg  geurteilt,  cf.  auch  E.  du  M^ril,  Essai  philosophique  sur  le  prin- 
dpe  el  las  formes  de  la  yersification  (Paris  1841)  in  dem  Eapitel,  das  han- 
ddt  Da  ihjthme  bas^  sur  les  id^es  (p.  47  fp.).  Mit  dem  Hebräischen  stimmt 
gOBMi  die  Knnische:  der  Ealewala  zeigt  durchgängigen  Parallelismus,  über 
Weton  D.  Comparetti,  Der  Ealewala  (Halle  1892)  81  sagt:  „Jeder 
i  aiUii  einen  Tollständigen  Gedanken  oder  einen  yollständigen  Teil 
Oe danken 8  enthalten,  welcher  im  nächsten  Verse  in  an- 
fcen  wiederholt  wird." 
OBi  SoMlproM.  II.  t>^ 


820  Anhang  I:  Über  die  Greschichte  des  Beimi. 

des  Parallelismns  und  zwar  natnrgemäls  weit  öfters  in  der 
als  in  der  zweiten  die  beiden  sich  gegenübergestellten  Sitze 
durch  den  Zusammenklang  der  auslautenden  Silben  der  letzten 
Worte  ^gebunden'  werden,  wie  wir  mit  einer  bezeichnenden  Me- 
tapher^) sagen?  In  der  griechisch-lateinischen  Eunstprosa  ge- 
schah es  durch  bewulste  Absicht  der  Schriftsteller,  aber  wie 
*)  im  La-  tief  der  Hang  dazu  in  der  Volksseele  selbst  wunelte,  zeigen 
'  jene  uralten  ^carmina',  die  die  antiken  Volker  so  gut  besalsen 
wie  die  anderen.  Buecheler  hat  auf  ihre  Bedeutung  auch  f&r 
die  uns  hier  interessierende  Frage  hingewiesen  im  Rh.  M.  XXXTV 
(1879)  345.  Nach  Anfährung  einiger  Beispiele  gereimter  Zauber- 
formeln urteilt  er:  recetUissima  haec  est  latinorum  poemaium  fanma, 
elsi  primordia  eius  ipsa  quoque  ad  horridam  antiquiiaiem,  immo 
ultra  gentis  ronumae  originem  redeunt.  Auf  Anregung  Buechelers 
hat  dann  R.  Heim  das  Material  yorgelegt:  Incantamenta  magica 
graeca  latina  in  Fleckeisens  Jahrb.  Suppl.  XIX  (1893)  465  ff. 
Mustert  man  die  Beispiele,  so  findet  man,  dals  die  Urform  dieser 
'carmina'  der  Parallelismus  ist,  der  gelegentlich  durdi  den  Reim 
gehoben  wird.  Nur  ein  paar  Beispiele  wiederhole  ich  daraus. 
Die  beiden  ältesten  stehen  bei  Varro  de  r.  r.  I  2,  27  und  de 
1.  1.  VI  21: 

terra  pestem  teneto 
salm  hie  maneto 

und: 

novum  vetiis  vinum  bibo 

novo  veteri  morbo  medeor; 

alt  ist  auch  die  Formel,  die  einem  bekannten  Vergilyers  (ed.  8, 79) 

zugrunde  liegt: 

limus  ut  hie  dureseit  et  haee  ut  cera  liquescit. 

Femer  der  accentuierende  Vers  bei  Marc.  Emp.  YllI  191: 

nee  huio  niorbo  caput  erescat  aut  si  ereverit  tabescat; 

Marc.  XV  11: 

si  hodie  naia  —  ^i  ante  nata 

si  hodie  creata  —  si  ante  creata 

hafic  pestem  —  hanc  pestilentiam 


l)  et  0.  Plaio,  Die  Kunstaasdrücke  der  Meistersinger  in:  Strafsboiger 
Studiou  III  vi$^8)  195  mit  Belegen  seit  dem  Beownlf.  Die  Metapher  findet 
»ich  abrigena  »uch  bei  andern  Völkern:  cf.  E.  du  M^ril  1.  c.  21,  8.  Dem 
Altertum  war  *ie  Rlr  die  Toetie  fremd,  s.  oben  S.  53,  2. 


Spontaner  Beim  in  parallelen  Formeln.  821 

hunc  dolorem  —  hunc  tumorem  —  hunc  ruhorem 

hos  toles  —  hos  tosilUis 

hanc  strumam  —  hanc  strumellain 
hanc  religionem 

evoco  educo  excanto 

de  istis  menibris  meduUis. 
id.  XV  101: 

albula  glandula 

nee  doleas  nee  noceas 

nee  paniculas  facias 

sed  liqtiescas  tamquam  salis  in  aqua, 
id.  XXI  3.  XXVm  16: 

pastores  te  invenerunt 

sine  manibus  coUigerunt 

sine  foco  coxerunt 

sine  dentibus  comederunt. 
id.  XX  78: 

lupus  ibat  per  viam  per  semitam 

cruda  vordbat  liquida  bib^L 
id.  VIII  199: 

ne  lacrimus  exeat 

ne  extiüet  ne  noceat 
Pelagonins  19: 

si  tortoniaius  si  hordiatus 

si  lassatt4S  si  cakatus 

si  vermigeratus  si  vulneratus 

si  marmoratus  si  roborcxtus, 
wozu  noch  kommen:  die  Eyocationsformel  bei  Macr.  sat.  III  9,  7  f.: 
ut  vos  populum  civitcUemque  Carthaginiensem  deseratis  loca  templa 
Sacra  urbemque  eortim  relinquatis  absque  his  abeatis  eiqtie  populo 
civUaU  metum  formidinem  oblivionem  inicicUis  proditique  Bomam 
ad  me  meosque  veniatis, 
der  Flach  des  Kochs  im  Testamentum  porcelli  (p.  242, 10  Buech.): 

de  Tebeste  usque  ad  Tergeste  liget  sibi  Collum  de  reste^ 
sowie  die  Reimspiele  in  den  ^Efpiöia  ygäfifiata  bei  Cato  r.  r.  160: 

daries  dardaries  astataries 
nnd: 

huat  huat  huat 

ista  pista  sista.  — 

68* 


ohiiohen. 


822  Anhang  I:  Über  die  Geschichte  des 

Aus  den  igavinischen  Tafeln  habe  ich  schon  oben  (S.  159  £) 
einiges  hierher  Gehörige  angeführt,  was  ich  zu  yergleidien  bitte; 
aufserdem  noch  das  Oebet  11  B  24: 

lupater  Sase,  tefe  estu 
vUlu  vufru  sestu 

sowie  die  Execrationsformel  VI  B  54  f.: 

nosve  ter  ehe  esti  paplu 
sopir  habe  esme  pople, 
portatu  ulo  pae  mersest 
fetu  uru  pirse  mers  esL^) 

b)  im  Orifl-  Für  das  Griechische  habe  ich  mir  folgendes  gesammelt 

Die  altehrwürdige  Rhetra  des  Lykurg  begannt  hochfeierlich  (Plut 
Y.  Lyc.  6):  jdibg  ^EXXaviov  xal  ^AQ^avag  ^EXXavCag  Ufin^  tdifv6a§upoVj 
(pvXäg  g>vX(iiavta  xal  Aßäg  Aßä^avta,  XQuixovta  yBQovöiav 
6i>v  &QxaYitaig  xataöti^öavtaj  &Quig  i|  &(fav^)  iauXld^Biv,  In 
dem  alten  Demeterhymnus  stammt  die  formelhafte  Yerbindong 
iyiXttötog  &na6Tog  (V.  200)  aus  der  Mysteriensprache. *)  Dann 
späte  Beispiele,  in  deren  Formulierung  aber  manches  älter  sein 
kann.  Zunächst  jene  auf  den  Steinen  sich  oft  findende  Fluch- 
formely  die  in  der  Fassung  einer  Inschrift  yon  Halikamass  lautet 
(Anc.  greek  inscr.  in  the  Brii  Mus.  lY  1  m  918):  d  di  tig  ixg- 
XBiQijöi  Q'etvai  xiva^  firidh  yH  xa(^og)0^6oiro  avt^  iif^dh  d'diaööa 
nXmtii^  liridh  tixvov  6vri6ig  fiijd^  ßiov  xQdti^öigy  HXä  SJlq 
:tav6Xvij  wofür  es  in  einem  Punkte  auf  andern  Inschriften  (z.  B. 
CIGr.  2667.  2826  u.  o.  Lebas-Wadd.  509.  Petersen  -  t.  Lnschan, 
Reisen  in  Lyk.  u.  Kar.  6)  bezeichnender  heibt:  fii^£  }n}  ßax^ 
^qre  ^dXaööa  srlcorf).^)  Femer  ein  gnostischer  Zauberspruch 
auf  Amuleten  (besonders  Gemmen)  bei  W.  Frohner  im  Philol. 
Suppl  V  (1889)  42  ffi  und  C.  Wessely  in  Wien.  Stud.  VII  (1885) 
180:  ^tiQa  luXdvii  luXavmiU^j  Sg  Sqfig  tilviöai  |  xal  hg  Idmp 


V  et  daxa  die  Anm.  Baechelers  p.  97  ond  C.  Pauli,  AltitaL  Stud.  T 
vlSiiT^  139  ff. 

ä'  So  T.  WilamowitZy  Isrllos  p.  11  för  iifcs  'S  «f«?- 

3^  Cf.  Diels,  SibTlL  Blätter  133. 

4'  Horode»  Atticus  hat  das  stilisiert:  T»rni  jifrf  yifw  mcfsov  ^pi^tw 
iiiff«  ^ItXfS^aw  ]iZi»fr;r  firci  «oncök^  tf  chroIi#9ai  teifv^  wal  yfvo;  (CIA  m 
141  «\  —  Cber  P)iaruu^  von  Aasdhicken  wie  ov  rli^mr  »vJl  fi^mr»  ß^jt^xtt 
Y^^  ii^Ti«rT«s  et  Näkuck  zu  Soph.  0.  C.  1676. 


Spontaner  Beim  in  parallelen  Formeln.  823 

ßifvxä6ai  I  xal  &g  äfviov  xoi^fiov  d.  h.  ^^ystera^)  schwarze  ge- 
schwärzte, wie  eine  Schlange  windest  du  dich;  und  wie  ein  Löwe 
brüllst  du,  und  wie  ein  Lamm  werde  sanft/^  Eine  Bronzetafel 
in  Avignon  bei  Frohner  1.  c.  44  ff.  enthält  einen  Wettersegen 
gegen  Hagel;  Frost  und  alles  was  dem  Felde  schadet;  dort 
heifst  es  nach  Anrufung  der  Dämonen:  xfi^ov  ix  tovtov  tov 
XagCov  itä6av  %aXalav  \  xal  näöav  viq>iXav  \  xal  Söa  ßkimsi 
xAqav.^  —  Ich  bemerke  noch,  dafs  auch  in  dem  berühmten 
rhodischen  Schwalbenlied  (bei  Athen.  VIII  360  C)  je  zwei  Verse 
gepaart  werden,  die  meist  durch  gleichen  Anfang  oder  gleichen 
Schlufs  zusammengefaüst  sind: 

f^M^y  flXQ'B  %BXidhv 

xaXäg  ägag  &yov6a 
xaXo'bs  iviatnovgj 

iücl  yaötiga  Xevxä 
inl  v&ta  iiiXuLva, 

jcaXdd'av  6i>  xgoxiixXsi 
ix  nCovog  otxoVy 

otvov  XB  8ina6XQov 

XVQOV   XB   xdvVÖXQOV.^) 

Für  das  Deutsche  habe  ich  bereits  oben  (S.  161,  3)  einiges     o)  in 
zusammengestellt,  was  ich  zu  vergleichen  bitte.    Es  lielise  sich  sprühen, 
manches'  hinzufügen,  besonders  aus  heidnischer  Zeit  die  beiden 
Merseburger  Sprüche,  z.  B.  1,  4 

insprinc  haptbandun  invar  vigandun, 

2,  6  ff 

sose  henrenJci  sose  bluotrenki 

sose  lidirenht: 


t)  Eine  gnostische  Göttin,  cf.  A.  Dieterich  bei  F.  Skutsch  in  Fleck- 
eisens Jhb.  Suppl.  XIX  (1893)  567. 

2)  Ans  mittelgriechischen  Ezorcismen  mancheB  derart  in:  Anecd.  Graeco- 
Byzantina  ed.  A.  Yassiliev  I  (Moskau  1893)  332  ff. 

3)  Cf.  auch  das  yon  Demetr.  de  el.  156  aus  Sophron  (fr.  110  B.)  ange- 
fahrte Sprichwort:  t6Qvvccv  i^Boev,  n^fiipov  ingtaev.  Hierher  gehört  viel- 
leicht auch  der  Gleichklang  in  einem  Orakel  bei  Ps.  Eallisth.  I  8  oitog  6 
tpvywf  ßactXi^s  {[{ci  ndXiv  iv  Alyvntm,  oi  yrigdciinv  &lXä  vsa^av. 


824  Anhang  I:  Über  die  Geschichte  des  Beims. 

ben  ei  bena  bluot  ei  hlmodaj 

Itd  ei  gdiden  sose  gdimidä  sin. 

Kürzlich  warde  ich  auf  den  yon  Grimma  Deutsche  Myth.  (Anh. 
no.  IX)  mitgeteilten  Waffensegen  König  Konrads  aufinerksam, 
den  Olbrich,  Ober  Waffensegen  in:  Mitt  d.  Schles.  Ges.  ftr  Volks- 
kunde 1897  p.  88  mit  Recht  als  eine  ^^uralte  Formel^'  ansieht: 

min  buch  st  mir  beinin, 
min  heree  st  mir  stahdin, 
min  houbet  si  mir  steinin. 

Viel  Material  aus  dem  Ehstni sehen  findet  man  in:  Myth. 
u.  magische  Lieder  der  Ehsten  ed.  Fr.  Kreutzwald  u.  H.  Neos, 
St.  Petersburg  1854;  z.  B.  ein  Zauberspruch  gegen  Zahnschmerz 

(p.87): 

Jcoera  amba  kadunego,      „In  des  Hunds  Zahn  mog'  er  schwinden^ 
hundi  amba  idanego,         In  des  Wolfs  Zahn  mog'  er  wachsen, 
pöhja  tuulde  pogenegOj       In  des  Nordes  Wind  entweichen, 
tuulesta  tühja  taganego!    Aus  dem  Wind  hinaus  ins  Leere  !^ 

oder  einer  gegen  Verrenkung  (p.  99): 

luu  luu  asemele,  ^Bein  du,  an  des  Beines  Stelle, 
lüge  liikme  ligemale,         Näher,  du  Gelenk,  Gelenke, 
weri  were  asemele  Blut  du,  an  des  Blutes  Stelle, 

soon  soone  asemele!  Sehne,  an  der  Sehne  Stelle!" 

Wer  mehr  in  diesen  Dingen  bewandert  ist  als  ich,  wird  die 
Beispiele  zweifellos  sehr  vermehren  können. 


in.   Resultat  and  spezielle  Fragestellang. 

spon-  Fassen   wir  die   bisherigen  Ergebnisse  zusammen,  so  laust 

^bewu?"-  ^^^^  folgendes  behaupten.  Eine  gewisse  Neigung,  parallele  Verse 
ter  Beim,  durch  den  Gleichklang  am  Ende  zu  binden,  hat  in  sehr  be- 
schränktem Umfang  bei  den  antiken  Völkern  bestanden;  doch 
wurde  der  Reim  nicht  als  solcher  gesucht,  sondern  stellte  sich 
nur  ganz  gelegentlich,  durch  spontane  Entstehung  ein.  Ver- 
gleichen wir  dies  Resultat  mit  den  Thatsachen  der  spateren 
eigentlichen  Reimpoesie,  so  müssen  wir  konstatieren,  dals  letztere 
aus  jenen  Anfangen  auf  keine  Weise  direkt  abzuleiten  ist.  Es 
muis   vielmehr  ein  entscheidendes  Faktum  dazwischen  getreten 


Der  Ursprung  des  Hymnenreims.  825 

sein,  welches  die  potentielle  Neigung  zur  Aktualität  umwandelte, 
welches  die  nur  gelegentliche  und  spontane  Verwendung  zur 
gesetzmafsigen  und  beabsichtigten  steigerte.  Welches  war  dies 
nQ&tov  xti/ow?  Danach  ist  natürlich  Yon  vielen  gesucht  worden. 
Wenn  heutzutage  im  allgemeinen  angenommen  wird,  dafs  der 
Übergang  von  der  quantitierenden  Poesie  zur  accentuierenden 
das  entscheidende  Moment  war,  so  ist  damit  die  Sphäre,  inner- 
halb welcher  das  neue  Formenprinzip  wirksam  wurde,  ohne 
Frage  richtig  erkannt:  denn  jeder  sieht  ein,  dafs  sich,  sobald 
die  Metrik  in  der  Auflösung  begriffen  war,  das  Bedürfois  ein- 
stellen mufste,  die  rhythmischen  Verse  mit  einem  neuen  Distinktiv 
auszustatten,  das  geeignet  war,  die  feste  Norm  der  Quantität 
einigermafsen  zu  ersetzen^),  wie  ja  auch  der  ^Beim'  schon  durch 
seinen  Namen   mit  dem  ^Rhythmus'  verknüpft  ist.^)     Aber  es 


1)  Cf.  R.  Gottschall,  Poetik  >  (Bresl.  1873)  268:  „Der  Reim  ist  keines- 
wegs die  Erfindung  eines  besonderen  Volkes,  der  Araber  oder  irgend  eines 
andern,  er  ist  die  innere  Notwendigkeit  der  accentuierenden  Poesie,  denn 
er  hebt  den  Accent  hervor  und  kräftigt  den  Rhythmus/* 

2)  Die  etwas  komplizierte,  aber  wohl  allgemein  interessierende  Sache 
will  ich  hier  kurz  darlegen.  1)  In  den  altgermanischen  Dialekten  heifst 
rim  '  Reihe,  Reihenfolge,  Zahl '  (cf.  z.  B.  F.  Kluge,  Etym.  Wörterb.  d.  deutsch. 
Spr. '^  s.  y.),  was  etymologisch  mit  rhythmiis  nichts  zu  thun  hat,  aber  der 
Bedeutung  nach  mit  ihm  zusammenfällt,  denn  (v^ii6g  wird  schon  yon 
Aristoteles  (Rhet.  m  8.  1408  b  29)  als  igii^fUg  definiert  (offenbar  brachte 
man,  d.  h.  in  diesem  Fall  ein  Sophist  der  platonischen  Zeit,  beide  Worte 
durch  eine  spielerische  Etymologie  zusammen)  und  bei  den  Lateinern  ist 
die  konstante  Übersetzung  yon  (v&ftog  numerus,  cf.  z.  B.  Yarro  de  serm.  lat. 
fr.  64  mit  den  Zeugnissen  bei  Wilmanns.  Auch  das  romanische  rima 
kann  nach  dem  urteil  der  mafsgebenden  Forscher  (cf.  Diez  im  Etym. 
Wörterb.)  lautlich  nicht  aus  rhyihmus  geworden  sein,  besonders  deshalb 
nicht,  weil  im  Italienischen  daraus  rimmo  hätte  werden  müssen,  wie 
flemma  aus  phlegma,  dramma  aus  drachma,  ammirare  aus  cidtnirftri  etc.; 
daher  wird  angenommen,  dafs  das  romanische  Wort  aus  dem  Germanischen 
entlehnt  ist.  (Früher  brachte  man  rithmus  mit  rima  in  etymologischen 
Zusammenhang,  cf.  z.  B.  Maffei,  Dissertazione  sopra  i  yersi  ritmici,  in: 
Opere  ^^T  [Venezia  1790]  330).  —  2)  Also  hat  germ.  rim  ^rom.  rima  mit 
rhytkmuß  lautgeschichtlich  nichts  zu  thun,  sondern  wir  haben  eine  Über- 
trag^ong  auf  Grund  blofser  Elangähnlichkeit  zu  konstatieren;  um  diese 
Elangähnlichkeit  noch  deutlicher  zu  erkennen,  mufs  man  bedenken,  dafs 
rhyihmus  (wie  alle  griechischen  Worte  im  Mittelalter)  stärksten  Ver- 
änderungen unterworfen  war:  die  gewöhnlichen  Formen  sind  rithmus  ritmus 
ri^ünus  rigmus;  man  findet  yiele  Belege  in  den  Varianten,  die  J.  Wrob»^ 
in  seiner  Ausgabe  des  Graecismus  des  Eberhard  y.  B^thune  zu  c.  8  V. 


g26  Anhang  I:  Über  die  Geschichte  des  Beims. 

ist  klar,    daCs   durch  jene  Antwort  die  Frage  nicht  in  ihrem 
ganzen  Umüang  beantwortet  wird:  denn,  fragt  man  sofort  weiter. 


p.  49  sammelt,  femer  in  den  Varianten  der  Onintilianhandsdiiiftea  bei 
Halm  ToL  n  p.  178,  11  und  179,  lOf.  (in  den  ep.  obsc.  Tir.  wird 
rigmizare  geschrieben:  p.  28,  22.  285,  36  Bock.).  Dats  nnn  unter  di< 
Yerstfimmlongen  öfters  auch  rymus  nipt»  begegnen,  darauf  will  ich  kein 
groCses  Grewicht  legen,  weil  die  Möglichkeit  besteht,  dafs  die  Schreiber 
hier  die  ihnen  aus  den  modernen  Sprachen  gel&ofige  Form  an  die  Stelle 
gesetzt  haben,  obwohl  ich  bemerke,  erstens  dals  die  Form  ryams  schon  im 
cod.  Ambrosianns  des  Quintilian  aus  s.  XI  vorkommt  (bei  Halm  L  c  179, 10\ 
zweitens  dals  auch  innerhalb  des  sog.  Mittellateins  ans  rigmm$  werden 
konnte  rimus,  wie  die  Schreibung  sima  für  sigma  bei  Ebeihardus  L  c.  Y.  2S8 
beweist.  Wie  dem  aber  auch  sei:  wenn  man  in  rühwnu  oder  rigmmg  die 
lateinische  Endung  fortliels,  so  war  die  Klan^hnlichkeit  mit  dem  germ. 
rim  grofs  genug,  um  —  auf  Grund  der  BedeutnngsShnlichkeit  —  den  Za- 
sammenfall  zu  bewirken.  —  3)  Natürlich  hiels  nun  mlat.  riikmus  auf  Gnmd 
des  germ.  rim  ursprünglich  nur  'Beimzeile',  nicht  das  was  wir  jetzt  unter 
'Beim'  Tersteheu:  man  erkennt  das  z.  B.  deutlich  aus  der  Definition  in 
einer  Ars  rithmicandi,  die  Ton  Wright-Halliwell,  Beliq.  antiquae  I  (Lond.  1841) 
aus  einem  Cod.  Cotton.  s.  üV  ediert  ist,  p.  30:  rUhmus  est  conttma  paritas 
stüabarum  sub  certo  numero  camprehensarum ,  wo  rühmus  die  ganze  Zeile 
bezeichnet,  während  der  Verfasser  den  'Beim'  in  unserm  Sinne  nie  anders 
als  c<ms(mantia  nennt.  Ebenso  Henricus  Gandayensis  (f  1293),  De  scriptori- 
bas  ecclesiasticis  (ed.  in:  Bibliotheca  ecclesiastica,  ed.  Fabricius,  Hamburg 
1718)  128:  WUhelmus  numachus  Affligeniensis  (s.  XTTl)  .  .  .  vitam  domimae 
Lutgardis  a  fratre  Thoma  latine  scriptum  cofirertit  in  teutonicHm  ritkwtice 
duobus  sibi  semper  rithmis  consonantibus.  —  4)  Wann  ist  nun  jene 
Bedeutungsverengerung  eingetreten,  d.  h.  wann  hat  man  einen  allerdings 
wesentlichen  Teil  der  Beimzeile,  nämlich  die  consonantia  an  ihrem  Ende, 
mit  dem  Namen  des  Ganzen  zu  bezeichnen  begonnen?  Ich  kann  das  nicht 
genau  sagen,  will  aber  eine  für  diese  Frage,  wie  mir  scheint,  wichtige 
Stelle  mitteilen.  Ich  fand  sie  in  den  Flors  del  gaj  saber  estier  dichas  las 
levs  d'amors,  yerfafst  1356  von  Guillaume  Molinier,  dem  Kanzler  des 
Poetenkollegiums  von  Toulouse  (ed.  in:  Monumens  de  la  litt^rature  Bomane 
depuis  le  quatorzieme  siecle,  publi^s  par  Gatien-Amoult.  Paris -Toulouse 
6.  a.  vol.  I— IQ):  vol.  I  p.  143  [ich  gebe  die  Übersetzung  des  Herausgebers], 
in  dem  Abschnitt:  Definition  des  rimts.  Er  definiert  ihn  nämlich  so:  la 
rime  est  une  certaine  suite  dt  syllabes,  ä  laqueUt  onjmnt  un  autre  vers  pour 
lui  correspondre ,  ayant  meme  accord  et  meme  nombre  de  syllabes,  ou  un 
different  (sc.  accord  et  nombre;  denn  dafs  sich  different  auch  auf  accord 
beziehe,  sagt  er  später  ausdrücklich).  Dann  fugt  er  hinzu:  ü  faut  obserrer 
qu'aujourd'hui  beaucoup  de  gens  ont  une  opinion  mal  fondee,  ou  pour  mieux 
dire  abusive,  gui  cotmste  ä  ne  point  reputer  ni  tenir  pour  rimea  des  vers 
ayant  meine  nombre  de  syllabes,  si  la  fin  de  Vun  ne  8*accorde  par  assonancCy 
ronsotinance  ou  leonisme,  atec  ceUe  de  Vautre,  ^i  lui  correspond  ,  .  ,  .  En 


Der  Ursprung  des  Hymnenreims.  827 

warum  war  es  gerade  der  Beim;  der  diese  Funktion  übernahm? 
warum  beispielsweise  nicht  die  Alliiteration,  zu  der  eine  min- 
destens ebenso  starke  Neigung  bestand?  Solche  Erwägungen 
mögen  es  gewesen  sein,  die  den  hervorragendsten  Forscher  auf 
diesem  Gebiet,  Wilh.  Meyer,  bestimmten,  in  einer  berühmten 
Abhandlung:  „Anfang  und  Ursprung  der  lateinischen  und  grie- 
chischen rhythmischen  Dichtung"^)  die  Behauptung  aufzustellen, 
dals  der  Reim  aus  der  Poesie  der  semitischen  Völker  in  die 
griechisch-lateinische  Dichtung  eingedrungen  sei.  Doch  hat  diese 
Hypothese  mehr  Widerspruch  als  Zustimmung  erfahren.     Man 


samme,  an  ne  veut  pas  admettre  que  la  ritne  consiste  dam  im  nombre  egal  de 
syllabes  sans  accord  final.  Das  sei  aber  ganz  verkehrt,  denn  nach  dieser 
Theorie  seien  z.  B.  keine  'Reime'  in  folgendem  Couplet: 

Fres  et  enclaus.  estau  dedins.  j.  cercle. 

On  tne  destrenh.  osses,  neivis.  e  canibas. 

Amors,  e  pueysh  fam  ayssi  batr  eh  pökes 

Ckim  li  mariel.  can  fero  aus  lenclutge  u.  s.  w. 
Ebenso  äuTsert  er  sich  im  vierten  Teil  seines  Werks,  der  Lehre  von  den 
rhetorischen  Figuren:  vol.  m  331:  compar  est  une  autre  fleur,  Ce  tnot 
signifie  *pariti^  et  designe  un  nombre  6gal  ou  presque  igal  de  syllabes,  avec 
une  cadence  agreable.  Nous  appellons  ceite  parite  'nw'.  H  n*est  pas  ni- 
cessaire  de  donner  des  exemples,  chacun  pouvant  assez  en  trouver  de  lui- 
mime.  Car  partout  oü  il  y  a  igaliti  ou  presque  igaliU  de  syllabes^  quoiqu'ü 
n'y  ait  pas  de  consonnance,  on  a  cette  fleur  appeUe  ^  compar  \  Für  ihn  ist 
also  der  Gleichklang  am  Ende  etwas  rein  Accessorisches,  keineswegs  mit 
'Reim'  in  unserm  Sinne  verwandt,  aber  man  sieht,  dafs  zu  seiner  Zeit  jene 
uns  geläufige  Übertragung  schon  ziemlich  allgemein  durchgedrungen  war, 
der  er  sich  nur  von  seinem  gelehrten  Standpunkt  widersetzen  kann.  Ganz 
ähnlich  (auch  recht  lesenswert)  Du  Bellay,  La  deffence  et  iUustration  de 
la  langue  Fran9oi8e  (1549)  c.  8.  Für  viele  Humanisten  war  aber  die  ur- 
sprüngliche Bedeutung  verloren,  z.  B.  nennt  der  Verfasser  der  1484  in  Köln 
gedruckten  Ars  dicendi  (Näheres  über  sie  oben  S.  765,  1)  in  seinem 
(übrigens  ganz  interessanten)  Abschnitt  über  die  gereimte  Yulgärpoesie 
(L  7CTTT  tract.  VI  cap.  Xu)  den  'Reim'  rythmum  (so,  als  neutrum),  z.  B.  similis 
desinentia  seu  ryihma  dictis  vulgaribus  metris  solet  aptan.  In  England  ging 
man  seit  c.  1550  so  weit  in  der  Identifikation  des  lateinischen  und  ger- 
manischen Wortes,  dafs  man  statt  rime  schrieb  rhime  oder  rhyme  (die 
Humanisten  hatten  nämlich  inzwischen  rh  und  y  wieder  eingeführt:  be- 
sonders das  erstere  war  dem  Mittelalter  in  diesem  wie  in  andern  Worten 
abhanden  gekommen),  cf.  The  Century  dictionary  s.  v.  rime, 

1)  In:  Abh.  d.  Bayr.  Ak.  d.  Wiss.  I.  Cl.  Bd.  XVH.  2.  Abt.  (München  1885) 
270—450.  Die  Recension  von  G.  Dreves  in:  Gott.  gel.  Anz.  1886,  284 ff.  wirc( 
den  Verdiensten  des  Verf.  nicht  gerecht. 


828  Anhang  I:  Ober  die  Geschicliie  des  Beims. 

wandte  vor  allen  Dingen  ein,  dafs  kein  Volk  sich  auf  dem  Ge- 
biet seiner  Poesie  ein  so  einschneidendes  Mittel,  wie  es  der 
Reim  sei,  als  fremdländisches  Produkt  aufdrängen  lasse.  Aber 
das  ist  nicht  richtig:  nach  meinen  obigen  Bemerkungen  (8.811  f.) 
liefse  sich  aus  der  Poetik  der  Germanen  und  mehrerer  dem 
europäischen  Kulturkreise  fremder  Völker  ohne  weiteres  der 
Gegenbeweis  gegen  diesen  Einwand  führen.  Viel  grölseres  Ge- 
wicht würde  ein  zweiter  Einwand  haben:  bei  den  semitischen 
Völkern  spielt  nach  dem  Urteil  aller  Spezialforscher  der  Beim 
nicht  entfernt  jene  Rolle,  die  ihm  Meyer  anweist^):  man  mülste 
also  annehmen,  dafs  die  antiken  Völker  eine  durchaus  sekundäre 
Erscheinungsform  der  fremden  Poesie  übernommen  und  sie  nun 
ihrerseits  zur  Norm  ihrer  eignen  Poesie  gemacht  hätten,  ein 
Entwicklungsgang,  der  a  priori  höchst  unwahrscheinlich  ist 
Ich  glaube  aber  nicht,  dafs  wir  hier  mit  Erwägungen  allgemeiner 
Art  zu  sicheren  Resultaten  kommen  können,  sondern  wir  werden 
folgende  Alternative  aufstellen  müssen:  entweder  ist  der  Ur- 
sprung des  bewufsten  Reims  auf  griechisch-lai.  Boden 
nachzuweisen  oder,  wenn  sich  das  als  unmöglich  heraus- 
stellt, so  ist  fremdländischer  Ursprung  anzunehmen; 
nur  wenn  das  erstere  sicher  bewiesen  ist,  fällt  ein  für 
alle  Male  jede  Hypothese  der  zweiten  Art. 
Der  Nun  läfst  sich,  wie  ich  ho£fe,  mit  Sicherheit  der  Nachweis 

Beim     führen,  dafs  der  Reim   eine   durchaus  originale  Schöpfung  der 

aus  der 
Rhetorik .    


1)  Cf.  z.  B.  J.  G.  Sommer,  Vom  Reim  in  d.  hebr.  Volkspoesie,  in  seinen 
Bibl.  Abhandl.  (Bonn  1846)  85  ff.  F.  Bleek,  Einl.  in  d.  A.  T.  8.  Aufl.  (Berl. 
1869)  242ff.  P.  Zingerle  in:  Z.  d.  deutsch,  morg.  Ges.  X  (18Ö6)  110.  Cf.  auch 
E.  Wölfflin  in:  Arch.  f.  lat.  Lexicogr.  I  (1884)  362.  In  Betreff  der  Hymnen 
des  Bardesanes  und  Ephraem  bemerkt  A.  Hahn,  Bardesanes  Gnosücus 
Syrorum  primus  hymnologus  (Diss.  Eönigsb.  1819)  42,  dafs  sich  in  ihnen 
das  Homoioteleuton  gelegentlich  finde,  aber  E.  Kessler  bemerkt  mir,  dafs 
sämtliche  dort  gegebenen  Beispiele  sich  aus  dem  Pi^ponderieren  gewisser 
Formen  der  syrischen  Nominalbildung  erklären  \md  auch  in  der  Prosa  gans 
geläufig  seien.  Trotzdem  wird  immer  und  immer  wieder  eine  Entlehnimg 
aus  dem  Syrischen  oder  Hebräischen  behauptet,  z.  B.  von  H.  Grimme,  Der 
Strophenbau  in  den  Gedichten  Ephraems  des  Syrers  in:  Collectanea  Fri- 
burgensia  II  1893,  Ph.  Thielmann  in:  Arch.  f.  lat.  Lexicogr.  VH!  (1893)  548: 
CS  kann  nicht  dringend  genug  betont  werden,  dafs  diese  Ansicht  ein 
Rudiment  aus  dem  XVI.  Jh.,  dem  Zeitalter  der  &vi6to(friifla^  ist,  cf.  E.  Borinski, 
Die  Poetik  der  Renaissance  (Berl.  1886)  46  f. 


Der  rhetorische  Reim  in  der  quantitierenden  Poesie.  829 

antiken  Völker  gewesen  ist;  dafs  er  sich  mit  einer  gewissen 
Notwendigkeit  ans  dem  Gang  ihrer  Litteratur  ergeben  hat.  Um 
das  Resultat  der  nachfolgenden  Untersuchungen  vorwegzunehmen: 
der  Reim  der  Poesie  war  nichts  anderes  als  jenes  öfiOLO- 
tiXsvToVy  welches,  wie  im  Verlauf  dieses  Werkes  ge- 
zeigt worden  ist;  das  heryorragendste  Charakteristicum 
der  antiken  Kunstprosa  von  Anfang  bis  zu  Ende  ge- 
wesen ist.  Um  eins  mochte  ich  vorher  den  Leser  bitten:  da 
er  weifS;  dals  ich  eine  so  volkstümliche  Erscheinung ^  wie  es 
der  Reim  ist;  aus  der  Kunstprosa  ableiten  werde,  so  möchte 
er  mit  einem  gewissen  Vorurteil  an  meine  Argumente  heran- 
gehen; doch  bedenke  er,  dab;  wie  ich  nachgewiesen  habe,  die 
antike  Kunstprosa  gerade  deshalb  eine  solche  Kontinuität  in 
ihrer  Entwicklung  gehabt  hat;  weil  sie  tief  aus  der  Volksseele 
selbst  geschöpft  war,  ihren  Regungen  entgegenkam  und  aus  ihr 
wiederum  Nahrung  empfing;  und  ist  es  nicht  überhaupt  der 
Triumph  aller  Kunst;  gerade  das  Volkstümliche  künstlerisch  zu 
gestalten;  den  Bund  zwischen  sich  und  der  Natur,  der  von  Ewig- 
keit her  besteht;  immer  aufs  Neue  zu  befestigen? 


IV.  Der  rhetorische  Reim  in  der  quantitierenden  Poesie 

des  Altertums. 

1.   Den  Anstofs  zu  Untersuchungen  über  das  Vorkommen  Auiionde- 
des  Reims  in  der  quantitierenden  Poesie  des  Altertums  gab  eine  '^^on-' 
bekannte  Abhandlung  von  W.  Grimm,  Zur  Geschichte  des  Reims  ^JJ^^^ 
in:  Abh.  d.  Kgl.  Akad.  d.  Wiss.  zu  Berlin  1851  p.  521—707,  wo    <i«"ti- 
er  die  von  ihm  als  ;;Reime''  aufgefafsten  Gleichklänge  der  latei-    poeiie. 
nischen  Hexameter  und  Pentameter  einiger  Dichter  sammelte: 
leider  eine  ebenso  mühsame  wie  von  vornherein  wenig  frucht- 
bare Ajrbeit;  deren  Wert  noch  dadurch  vermindert   wird;  dafs 
eine  auCserordentlich  groDse  Zahl  notorisch  falscher  Beispiele  an- 
gefahrt   ist.      Für    den    entwickelten    Satumier    hat    besonders 
K.  Bartsch;  D.  sat.  Vers  u.  d.  deutsche  Langzeile  (Leipz.  1867)  27  f. 
die  Beispiele  gesammelt,  für  den  trochäischen  Septenar  Usener 
in  Fleckeisens  Jhb.  1873  p.  175  f.  (cf.  Altgr.  Versbau  116);  für 
diesen   und  andere  scenische  Metra  der  Lateiner  L.  Buchhold; 
De   paromoeoseos  apud  veteres  Romanorum  poetas  usU;   Diss. 


830  Anhang  I:  Über  die  Geschichte  des  Beims. 

Leipz.  1883.  Dann  sind  diese  Untersuchungen  auf  einige  grie- 
chische Dichter  der  klassischen  Zeit  ausgedehnt:  die  Resultate 
findet  man  ^)  in  dem  neuesten,  vom  Verf.  gewiiüs  nur  för  populäre 
Zwecke  bestimmten,  Büchlein  über  diesen  ganzen  Gegenstand 
von  0.  Dingeldein,  Der  Beim  bei  den  Griechen  und  Römern, 
Leipzig  1892.  Aus  allen  genannten  Untersuchungen  hat  sich 
ergeben,  dafs  die  Dichter,  von  Homer  und  Livius  Andronicus 
angefangen,  in  den  durch  die  Hauptcäsur  scharf  abgeteilten  Vers- 
hälften  ganz  gelegentlich  gereimte  Silben  aufweisen^,  z.  B. 

^Eönsts  vvv  (loi  Moi)6ai  \  'Oliiiutia  dmiMcz*  Ixovöai  (Hom.) 

ix  d*  ißri  aldoifi  \\  xakij  ^eög,  ifapl  di  noitj  (Hes.) 

sifpijiiois  ^ivd-oig  II  xal  xad-agotöL  X&yoig  (XenopL) 

(ijctstv  xal  TCetQioVj  \\  KvQve,  xax  ^lißdttov  (Theogn.) 

argdnteo  polubro  \\  aureo  et  glutro  (Liv.) 

hkorpores  gigantes  ||  magnique  ÄÜantes  (Naey.) 

stülti  hau  scimus,  \\  frustra  ut  simus,  ^  u  _  ^  ^  «^  .  (Plaut.) 

Orüsdlf^  me  hodie  düaceravity  \  Cmsälus  me  iniserumspoliavit(V]B,\it.) 

inde  boves  lucas  \\  turrito  corpore,  tetras,  (Lucr.) 

anguimanuSf  belli  \\  docuerunt  volnera  Poeni 

sufferre  et  magnas  \\  Martis  turbare  catervas 

Cynthia  prima  fuit,  \\  Cynthia  finis  erit  (Prep.) 

cldre  decore  tuo,  \\  care  favore  meo  (Ov.) 

terramm  dominos  \\  evehit  ad  deos  (Hör.) 

iam  caeruleis  ||  evecttts  equis  (Sen.) 

Titan  summa  \\  prospicit  Oeta, 

Wie  diese  Erscheinung  aufzufassen  ist,  ist  nach  dem  vorhin 
(unter  III)  Ausgeführten  sofort  klar.  Das  ganz  gelegentliche 
Vorkommen  des  Reims  in  der  kunstmäfsigen,  quanti- 
tierenden  Poesie  der  Griechen  und  Lateiner  erklärt  sich 
bei  den  weitaus  meisten  Dichtern  aus  dem   spontanen 


1)  Es  fehlt  F.  Gustafsson,  De  yocum  in  poematiB  graecis  consonantia 
in:  Acta  sog.  Fennicae  XI  (Helsingfors  1880)  297 ff. 

2)  Cf.  auch  Th.  Birt,  Ad  historiam  hezametri  lat.  symbola  (Diss.  Bonn 
1876)  60  f.  und  speziell  für  den  Pentameter  E.  Eichner,  Bemerk,  üb.  d.  Ge- 
brauch d.  Homoiot.  bei  Catull,  Tibull,  Properz  und  Ovid  (Progr.  Gnesen  1875) 
29  ff.  Übrigens  hat  Lehrs,  De  Aristarchi  studiis  Homericis'  (Leips.  1882) 
460 ff.,  besonders  472 ff.,  sich  energisch  gegen  solche  gewendet,  die  in  den 
Versen  Homers,  Hesiods,  Yergils  u.  s.  w.  auf  'Reime'  Jagd  machen;  aber 
die  Erfahrung  zeigt  leider,  dafs  er  in  den  Wind  gesprochen  hat. 


Der  rhetorisclie  Beim  in  der  quantitierenden  Poesie.  831 

Trieb  aller  Sprachen;  parallel  geformte  Sätze  hin  und 
wieder  durch  Oleichklang  im  Auslaut  mit  einander  in 
enge  Verbindung  zu  bringen.  Wer  solche  in  der  kunst- 
mäfslgen  Poesie  ganz  sporadisch  auftretenden  Reime  als  ^^volks- 
tümlich'^  bezeichnet;  meint  vielleicht  das  Richtige^  drückt  es 
aber  mit  einem  Wort  aus,  welches  leicht  zu  mifsverstandlicher 
Auffassung  verleiten  kann  und  thatsächlich  verleitet  hat.  Der 
Reim  ist  auch  hier  bedingt  durch  den  in  den  Versteilungen 
stark  hervortretenden;  oft  auch  inhaltlich  ausgedrückten  und 
äufserlich  durch  gleiche  Anfänge  der  Teile  markierten  Parallelis- 
mus der  Form^):  nur  insofern  dieser  Parallelismus  überhaupt  die 
Grundlage  des  Reims  ist;  kann  man  jene  Reime  ,;Volkstümlich'' 
nennen;  aber  von  einer  bewufsten  Anwendung  eines  volkstüm- 
lichen Elements  kann  nicht  die  Rede  sein:  wer  das  von  den 
Satumiem  der  ersten  römischen  Dichter  oder  den  trochäischen 
Langversen  des  Plautus  behauptet;  mufs  es  konsequenterweise 
auch  für  alle  übrigen  Versarten  zugeben ;  und  wozu  soll  das 
führen?  Schon  die  eine  Thatsachc;  dafs  die  in  trochäischen 
Langzeilen  geschriebenen  uns  erhaltenen  Soldatenverse  der  Kaiser- 
zeit  sovne  die  der  Inschriften  keinen  Reim  zeigen^);  genügt  zur 
Widerlegung  jener  Ansicht. 

2.   Dab  in  den  genannten  Fällen  eine  bewuTste  rhetorische    Bheto 
Absicht  vorliege;  ist  von  keinem  behauptet  worden  und  ist  ja   Beim  ii 
auch  von  vornherein  ausgeschlossen.    Aber  es  lä&t  sich  nun  —  uemde 
und  das  ist  für  meine  weiteren  Untersuchungen  wichtig  —  der    Po««i«: 
Beweis   erbringen;    dafs    einige   Dichter    auch    in   quanti- 
tierenden  Versen    den   Reim    mit  Bewufstsein  als   rhe- 
torisches Mittel  verwendet,  oder  mit  anderen  Worten 
den  beliebtesten  Schmuck  der  Kunstprosa  auf  die  Poesie 
übertragen  haben. 


1)  Schon  W.  Wackemagel,  Gesch.  d.  deutsch.  Hex.  u.  Pent.  p.  IX  be- 
merkt, „dafs  der  syntaktische  Farallelismus  in  den  Hauptabschnitten  beider 
Versarten  auf  den  Beim  hingewirkt  und  ihm  seinen  Platz  angewiesen  habe** 
(cf.  auch  G.  Gerber,  D.  Sprache  als  Kunst  U  1  [Bromberg  1873]  169  f.).  Grimm 
citiert  diese  Worte  (1.  c.  679),  legt  aber  wenig  Gewicht  darauf,  weil  er  den 
Beim  aus  der  „Yolkspoesie**  ableiten  will.  Über  den  Pentameter  hatte 
schon  im  J.  1816  Lachmann  zu  Prop.  I  5,  20  richtig  geurteilt;  diese  Be- 
merkung scheint  Grimm  nicht  gekannt  zu  haben. 

2)  Das  hebt  auch  Dingeldein  1.  c.  81  richtig  herror. 


^;5;Ä  JLaounr  -r  .i«r  m» 


li  >«r.  diK  ;&.   Die  Giieeke^ 


in£nt3sd£i  wTsit  hdl  0&  der  BaifSivpai  ■nlribrr  Didiier 
Ar^4i.2^x  WTKT.  ÜBT  3L  «DBL  TfiBA  afl  äe  OiimibIi  aa- 
^ntfffiSf .  Äi^  «Dt  ^voL  FofinL  pfsfcijpirte  Praai  arfwciii  (Su  77). 


nrß  Biot  iUL  AraCTOtfisiiB  l^iBMiL.  1^1  »«s  B6t: 
rx?  ann«i^  :«#  ivj^  w»?  njpdf  ««#ir 

Aiiu'a  SxriTÜfs.  ig-  Zogizig  &r  Scf^SaeBL  htf  jpefa|}mtlich 
:x  n;2;s  DffH^diar  Aruzci*  msb»  Kition.  J^A  äews  Knnsi- 
n^TSsi  rftt»:«Kt:  aiir  s='i  folgsi-ie  flnf  Siellta  Wkumt'),  Ton 

erssen  den  Sehlufi  Üag^erer  EnieBL  oie  fünfte  eine 
iL  k-  sie  gehören  Pardeen  an,  wo  juKk  in  der 
Prcsa  ger»öe  dies  Mittel  besonders  beliebt  wmr: 

Med.  313  C  n^^^  ^i  i^i^m 

iaxi  fi    oljulw  juil  ya^  rfiuLi^miroi 
öiyr^öoiuö^aj  xi^iööowmv  ruuisfvof 
Phoen.  1479f.     xöliL  d'  iyav^g  oT  fuv  sijvidöTmJOi 

Tg<J'  i^ißrföavj  oi  di  dvöTviförmtog 
Andr.     689  f.     f^v  d'  öjv^^g^,  öoI  (up  ^  yloööalyia 

Hec.  1250 f.  iix'  ixd  xä  (li^  xaXä 

JtQdö0HV  iroltuig,  tXfg^L  xal  xä  f&]|  9«  i  a 

\,  er  V.  HemnanowBki,  De  homoeoteleatis  qnibosdam  tngicomm, 
Diss.  MtziVin  1881,  daa  relativ  Beste,  was  es  für  die  'Reime'  der  Tragödie 
jJM»bt  a^ingeldcin  1.  c.  47 ff.  kennt  die  Abhandlang  za  seinem  Schaden  nicht); 
jier   a«"i-    ^ier  werden  nicht  die  Arten  geschieden,   und  das  rhetorische 

^oriert. 


Der  rhetorische  Beim  in  der  quantitierenden  Poesie.  833 

Ale.     782ff.   ßQOtotg  &xa6i  xatO'avetv  6g>siXstai 

xoinc  l6xi  Qvrir&v  SöriQ  H^eniötatai 
xi^v  aÜQiov  ^HXov0av  sl  ßi(o6£tat' 
tb  tfjg  Tvxrig  yäg  iipavlg  ol  nQoßijöetai.^) 

Bei  meiner  Lektüre  der  späteren  griechischen  Poesie  traf  ich    Kaiii- 
dann    den    bewufsten    rhetorischen    Reim   zunächst   bei   Kalli-   "'"'''• 
mach 08.^     Er  hat  der  Rhetorik  einen  nicht  geringen  Einflufs 
auf  seine  Verse  eingeräumt,  z.  B.  hat  er  von  der  Anapher  einen 


1)  Über  die  beiden  andern  Tragiker  hier  ein  paar  Worte.  Für 
Aeschjlos  habe  ich  mir  nur  notiert 

Pers.  170ff.E.  aviußovXot  X6yov 

XQ^di  fto»  yivead'e,  Uigcaiy  yrigalicc  niatAnata' 
nuvxa  yccQ  tä  %idv*  iv  ^iiiv  iatl  ftoi  ßovXBvnaxa 
(Schlufs  einer  längeren  Rede,  also  wohl  gesucht;  dafs  Aeschylos  schon  im 
J.  472  ein  Yon    den  Sophisten  im  letzten  Viertel  des  Jahrhunderts  ver- 
breitetes Eunstmittel  kennt,  ist  nach  dem  oben  S.  25  ff.  Ausgeführten  nicht 
befremdlich).    Verwandt  ist  die  lang  beobachtete  Thatsache,  dafs  unter  den 
Tragikern  besonders  Aeschylos  in  korrespondierenden  Stellen  der  Strophe 
und  Antistrophos  durch  dies  Mittel  starken  (durch  die  Musik  wohl  noch 
gehobenen)  Effekt  zu  erzielen  wuTste,  z.  B. 
Pers.  694ff.  Strophe: 

aißoiuxi  d*  &vxi(x.  Xi^ai 
ai^sv  &Q%al(p  iCBgl  tagßBi 
700 ff.  Antistrophos: 

dlefjMi.  d'  icvxlu  (pda9'ai 
li^oci  dvaXentu  tpiXoiaiv. 
Bei   Sophokles    halte    ich    in   der   Stichomythie   zwischen   Elektra   und 
Chrysothemis 

El.  1031  f.  &n8Xd'6-  aol  yaQ  anpiXtiaig  oin  ivi. 
l^VBCtiV  &lXa  aol  iid^riaig  ai  naQu 
den  Beim  för  beabsichtigt  und  glaube,  dafs  der  zweite  Vers  gerade  darum 
halbiert  ist,  um  das  ffiog  zu  steigern;  aus  demselben  Grund  dürfte 

Phil.  1009  ivd^iov  (ihv  aoi),  natd^iov  6'  ifiov 
halbiert  sein.    Auch 

AI.  666 f.  toiyocQ  tb  Xombv  sladiisa^a  iihv  ^eolg 

bPkbiVj  ^ioc^r}a6ii8a^a  S*  'AtQsl9ag  aißeip 
ist  beabsichtigt.  —  Qenauere  Untersuchungen  werden  für  alle  drei  Tragiker 
wohl  noch  mehr  ergeben,  cf.  auch  Vahlen  im  Progr.  Berl.  1883,  12  f. 

2)  In  dem  delphischen  Apollonhymnus  des  Kleochares  ist  V.  14  itva- 
nldvatai  ro  V.  16  &vaiiiXnBtat  rein  musikalisch,  cf.  0.  Crusius  im  Philol. 
N.  F.  Vn  (1894)  Erganzungsheft  p.  66. 


834  Anhang  I:  Über  die  Geschichte  des  Reims. 

für  die  frühere  Poesie  unerhörten  Gebrauch  gemacht^);  und  sie 
zweimal  noch  durch  ein  anderes  Mittel;  das  uns  interessierende, 
gesteigert: 

h.  2f  26  8^  fiA%Btai,  ^axcigsööiv^  i(ip  ßaöiXili  fic^^oiTO* 
Söttg  iiidi  ßaöiXiiij  xal  *An6kX(ovi  (idxoito 
4,  84  Niiiiq>av  ^iv  xaCgovöiv^  Srs  dgiiccg  üfißgog  ii^ei* 
Nv^g)at  d'  av  xXaiovöLV,  Sts  dgvölv  oimitv  gyöXla, 
und  zu  demselben  Zweck  hat  er  öfters  seine  eignen  metrischen 
Gesetze  vernachlässigt,  z.  B.  in  folgenden  Versen^): 

ep.  25,2  £^€iv  fiiJT£  g>iXov  xQiööova^  [nirs  tplkfiv 
(iambisches  Wort  am  Schlufs  der  ersten  Hälfte  des  Pentameters), 

h.  3,262  fii}d'  iXatprißoXCiqv^  (irid'  B'b6to%lriv  igidaivsiv 
(Spondeus  im  dritten  Fufs  und  Wortschluis  nach  der  Länge  des 
fünften  Fufses), 

6,  91  Ag  dh  Mi(iavti  xt(ov,  Ag  äsXip  Svt  nXayymv 
(ebenso), 

3,  63  oör'  &vtfiv  iisstv  oüta  xtvfcov  oüaöi  Six^av 
6,  73  of>xB  viv  Big  igavtag  oüte  ^iwdeinvLa  Ttiyatov 
(Spondeus  im  dritten  Fufs  und  Oxytonierung  eines  trochäischen 
Wortes). 
Pfl.-Oppian  Aber  weitaus   das   meiste  Material   bot  mir  unter  den  un- 

bedeutenden Dichterlingen  der  Kaiserzeit  einer  der  ärmlichsten, 
Pseudo-Oppian,  der  Verfasser  der  Kvvriyettxoi,  die  er  dem 
Caracalla  widmete.  Er  hat  seine  bekanntlich  auch  rein  metrisch 
betrachtet  schlechten  Verse  mit  rhetorischen  Putzmitteln  in 
einer  für  antike  Poesie  widerlichen  Aufdringlichkeit  aufgeflittert 
(wie  er  ja  auch  inhaltlich  stark  rhetorisch  ist,  besonders  in  den 
zahlreichen  ixq>Qdösig  z.  6.  I  173  ff.).  Von  der  Anapher  macht 
er  einen  albernen  Gebrauch,  z.  B. 

I  504      scdvra  XC^ov  xal  Tcdvra  X6q>ov  xal  näöav  ivaQmiv 
II  565      v66q>i  nö^av  xal  v66fpi  ydi/Ltov  xal  v66q>L  töxoio 


1)  H.  1,  2.  6f.  22ff.  46f.  55.  70f.  87f.  91f.  92;  2,  If.  6f  17f.  82ff.  48ff.; 
3,  9f.  14.  33f.  43.  56 f.  llOff.  130f.  136f.  138. 183ff.;  4,  39f.  70.  lOSff.  194.  219. 
260ff.  324f.;  6,  If.  4.  45.  127f.;  6,  18f.  34f.  46f.  122.  136f. 

2)  Darauf  hat  zuerst  Kaibel  hingewiesen  in  den  Conun.  in  hon.  Momms. 
(1877)  32 7 f.,  vgl.  aufserdem  Fr.  Beneke,  De  arte  metr.  Callimachi  (Dibs. 
Strafsb.  1880)  15.  G.  Heep,  Quaest.  Callim.  metr.  (Dias.  Bonn  1884)  18. 17. 
J.  Hilberg,  Das  Gesetz  d.  troch.  Wortformen  etc.  (Wien  1878)  14.  W-  ?«— — 
in:  Sitzungsber.  der  Bayr.  Ak.  1884,  982.  991. 


Der  rhetorische  Reim  und  die  qnantitierende  Poesie.  835 

II  410f.    ZßQifi    iQ(og,  xööog  iööi,  ^öörj  6d&€v  &7eXBVog  Hxij, 
n666a  voBtgj  xööa  xoiQavisvg,  xööa^  SatfuoVj  i&ijQBtg 
II    70      ^sivövtmv  &iiotov  xal  d'Bivoitivmv  xBQdeööiv,^) 

ebenso  von  Wortspielen,  z.  B. 

I    53  ff.  l^evtriQi 

&yQrj  vööfpt  7c6voio'  %6v(p  d'  &yLa  tig^ig  iiiriSst 
fioiivfi,  xal  q>6vog  oOtig,  ava^iucTCTOi  öl  niXovxttv 

I  399      tpvXa  ^ivBvv  fiov6q>vXa 
II  376      aitödstov  ßaivovöi  xal  aitö^oXoi  nBQÖmöi,^ 

und  von  allerlei  Witzeleien,  z.  B. 

III    68      (ieio6t  lihv  (iBi^mv  xsXi^Biy  fuydXfjöt  öh  ^uimv 
I  260 f.    (von  der  iit^ig  der  Stute  mit  ihrem  Füllen): 

1^  luv  &qa  tXi^fi(ov  äyovov  yövov  (sc.  &^Qri6Bv\  aircäQ 

8y'  ultima 
alvöyaiiog  xaxöXBXtQog  AfiijtoQa  itritiga  öbi^Xi^v 
III  264      SbCiimxv  Saifuovtp  nBmijörBg. 

Aber  einen  ganz  besonders  unmäCsigen  Gebrauch  hat  er  von  dem 
rhetorischen  6iu)ioxiXBvtov  gemacht. 

I  Iff.  6oij  (läxaQf  iBiS(Of  yaCtig  igixvSlg  {gBiöfia^ 
tpiyyog  iwaXimv  xoXviiQatov  AlvBaSdmv^ 
Ai)6ovCov  Zfivbg  yXvxBQbv  ^dXog,  ^AvttovtvB' 
xhv  {uyAXvi  ^uydXp  (pixiöaxo  ^öfiva  SBßiJQm 
bXßCm  Bivrid'Btöa  xal  ZXßtov  d^öivaöay 
v^[Ag>ri  &Qi,6xon66Bitty  X8%h  di  xb  xaXXvx6xBia^ 
^A66vQlri  Kv^igBia,  xal  oi  XBhtovöa  SbXi^ 
so  beginnt  er,  woraus  man  schon  sieht,  dafs  er  die  Figur  be- 
sonders oft  in  der  Stelle  der  Hauptcasur  verwendet;  hier  kann 
von  einem  blolisi  zufälligen,  durch  Parallelismus  der  beiden  Vers- 
glieder  spontan  entstandenen  Reim  nicht  mehr  die  Rede  sein, 
was  allein  schon  ein  Zahlen  Verhältnis  beweist^):  die  Odyssee  hat 
in    ihren    ersten    100   Versen   5   solche   Binnenreime,    Pseudo- 


1)  Cf.  I  82.  224 ff.  330.  377  bis  386.  11  28.  34 ff.  376.  393.  III  204.  284  f. 
d60f.  466.  606.  IV  1.  48f. 

2)  Dals  F&lle  wie  l^a/tuxt  —  &staaty  ixovaiv  —  ddovatv^  tglyXai  — 
imoputif  Mi^wtat  —  icnoyvfivm&staai,  fiovvoieiv  —  iaaiv  u.  s.  f.  (alles  aus 
Pseadooppiaii)  nicht  mitgezählt  werden  dürfen,   versteht  sich  yon  selbst 
doRtttige  heterogene  Flexionssilben  sind  im  Altertum  nie  als  Homoioteleii 

WQXdßSL 

IL  64 


836  Anhang  I:  Ober  die  Oeschichte  des  Reims. 

oppian  18,    wobei  nur  als  einfach  gezählt  sind  die   Falle,    in 
denen  sich  der  Beim  über  ly,  Verse  erstreckt,  wie 

I  35 f.  iiiXjts  nö^ovg  ^riQ&v  te  xal  ivÖQ&v  ayQSvx'qQfov' 
ULikitB  yivri  öxvXdxmv  xb  xal  innrnv  alöXa  qwXa 
70f.  r\  ^&ag  xcQxoig  ^  ^ivoxiqmxccQ  i%Cvoig^ 
^  XdQOv  aiydyQOig  ^  xijtea  %&vx    iXitpavxi, 

Oft  sind  solche  Binnenreime  noch  durch  besondere  Mittel  fühl- 
barer gemacht,  z.  B. 

I  111  Viyi,axog  i6xaiidvoio  xal  fj(iaxog  &vo(iivoto 

290  aiiq>l  dgöitovg  xavaovg  xs  xal  &ii>q>l  növovg  ilsysivovg 
297  ndööovsg  elöiSisiv  xal  xQeiööovsg  I9i>g  öqovsiv 
IV  399  ö^i>  XiXrjxs  ^0Q0v6a  xal  bl^i)  didoQXB  Xaxovöa, 

manchmal    hat    er   auch    zwei  Verse    mit   Gasurenreim    hinter- 
einander, so 

II  207 f.  ^Xvxigri  xCxxbl^  x(fCßov  ivd^Q^Ticov  iXBBivBi^ 

oiivBXBv  &XQanixol  fiBQÖstmv  %^qb66i  ßißriXoi 
451  f.  al%\jLal  nBVTCBÖaval  ^BXavöxQOOv  Bldog  i%ov6ai 
xal  %aXxov  ^rixxoto  aidiJQOv  xb  xgvBQoto 

ni  If.  iXX^  5xB  dl}  XBQa&v  iiBCöayLBv  idvBa  ^riQ&v 

xavQOvg  i}<}'  iXdtpovg  i)d'  BVQvxdQfoxag  äyavovg. 

Aber  auch  die  Enden  von  Versen  reimt  er  in  oft  sehr  auffalliger 
Weise,  so 

l  298 f.   iöd'Xol  d*  '^bXiov  (poQiBiv  nvQÖBööav  iQfoi^v 
xaC  XB  ^B6riiißQvvijv  diipovg  dgifUBtav  ivtxijv 
31 7 f.    öxixxhv  &QC^riXoVy  xoi)g  loQvyyag  xaXiovöiv^ 

rj  Zxi  xaXXixö^oiöiv  iv  oüqbölv  iXdT^öxovaiv 
440f.    iXX^  ikaqxov  ^  nov  (ucidi  xi^aöoto  XBaivrig 
il  nov  doQxaXiSav  1\  vvxxl7i6qoio  Xvxaivrjg 
475f.    iXX'  bvv%B66i  nödag  XBXOQv^yiivov  &QyaXioi6v 
xal  ^a^LVotg  xvv6dov6iv  axax^dvov  lo^6(foi6i 
II  12G£    aCkv  &Bi6(iBvog  xal  xBixBog  iyybg  6dft;a)v, 

%iQ6ov  öfiov  Ttal  vf^60Vy  iiiijv  nöXiv,  ^daxi  xbvov 
I    50f.  l%%i)v  iönaiQOvta  ßv%&v  &3C0{LriQv6a6^ai 
xal  xava(ybg  ÜQVid^ag  ht    '/jigog  BlQv6a6%ai 
rl  %YiQ(5lv  (povloKSiv  iv  oÜQBöt  öfiQiöaöd'aij 

cf  I  36Gf.  383f.  485f.  II  264fiF.  589f.  III  4G7f.     Die  Mitten  und 
Enden  reimen  z.  B. 


Der  rhetorische  Reim  und  die  quantitierende  Poesie.  837 

I  223f.   alhf  yivfhöxovöiv  ibv  tplXov  iivio%f^a 

Tcal  %QBii,i%^ov6iv  ISövtsg  iyaxXtnbv  i^£fioi;^a 
II  167f.   xaXxsioig  yvanntotöiv  iicslxaXoi,  &yxC6xQ0i6iv' 
&kk^  ov%  &g  itigoiöiv  ivuvxCov  ikXijXoLöLv 
176  ff.  val  (lijv  d)xxm6d(ov  ikdq>iOV  ysvog  ixQatpBv  ala 
svxigaov  (isyakmxbv  iQiXQSxlg  ulok6v(otov 
ötixtbv  iQi^ijXov  ycorafitinÖQOv  i^ixjiqr^vov 
niiXsov  vthtotg  xal  Xentakiov  xd}koi6iv, 
ovtiSav^  dsiQ'^  xal  ßatordtti  %Akiv  ovqifi 
102 ff.  atd'tovsg  XQatsgol  fieyaki^toQsg  siQVfiixionoi 
&yQavkoL  öd'SvaQol  xsgaakxisg  &yQi6dviiot 
(ivxfjTal  ßkoövQol  itiki^iiovsg  siQvyivetov 
ikk'  fyö  makioi  dinag  iiAg>ikaq)hg  ßagiid'ovöiv 
ovSh  ndkiv  ktndifcc(fxoi  ibv  di^iag  adqaviovciv 
&S6  d-sSiv  xkvtä  d&Qa  xBQtt66aiuvoi  tpogiovöiv 
I     71  ff.  ^(^fizfiQS  X'ixovg  ikeöav,  ^ivvovg  ährisg^ 
iyQevtflQsg  8IV9  tQi^Qiovag  iXov  dovaxfjsgy 
&QXtov  ixaxtflQeg  xal  ^OQftvXov  iönaXirjsgy 
xCygiv  d'  txni^sg  Ttal  XQiyXiSag  ixd^ßoXfiagj 
TcdxQLOV  ixvevtiiQsgy  iridövag  l^svtilQsg. 
Doch   damit  noch   nicht  genug:   er  hat  nicht  selten   zwei  oder 
mehrere  Verse^  die  sich  ganz  oder  grofstenteils  Wort  für  Wort 
entsprechen:  rhetorische  Isokola  (wie  üblich  mit  gelegentlichem 
Homoioteleuton)  in  der  Poesie! 
I    39f.     xal  d^aXdfüovg  iv  5q£66iv  ddaxQ'ötoio  xvd'siQtig 

xal  toxstovg  ivl  d"q(f6lv  iiiaisvtoio  Xoxsitig 
II    20f.     xal  yä(f  nvyiiaxigtft  XvyQOvg  ivagi^ato  q)&tag 

xal  öxvXdxaööi.  ^oatg  ßaXiovg  iSa^dööato  d'tiQag 
III  223 f.     ov  yövov  ioq>6(fov  TCava^BikCxroio  dgaxaCvqg^ 
oi  öxii^vov  navdd'Söiiov  bQiickdyxxoio  ksaivqg 
I281ff.     aietbg  al^B(fCoi,6iv  ini^ifov  yvdkotöiv 

^  xi(fXog  tava^öL  tLvaöööfisvog  7CxsQ'6yB66iv 
^  ÖBXtplg  itoXtotöiv  dXi6^aivmv  fod'ioiöi, 
lY    33ff.   [o'öxlXaq>ogxB(fdB66v  ^Qaövg^XBQdBööi  di  tavQogj 
cö  yBviiBööiv  igv^  XQaxBQÖgy  ysvvBööi  kiovxBg^ 
oi  xoöl  ^i^vöxBQOig  niövvog^  itödsg  ZnXa  Xaym&v 
nÖQÖaXig  old^  öXoij  naXandmv  Xoiyiov  I6vj 
xal  öd'ivog  alvbg  iXg  ^iya  XaVvdoio  fistaicov, 
xal  xthcifog  ^ivog  o18bv  i&v  ixigoTtkov  686vxiov 

64* 


838  Anhang  I:  Über  die  Geschichte  des  Reims. 

I  386 ff.     Xtcxoi  d'  iyQarikoig  in\  q>0Qßd6iv  bnkClovtai^ 
xavQoi  8*  iygotdQag  inl  xÖQtiag  ÖQfiaivovöif 
xal  KtCXov  eCktxösvtsg  iv  staQi  itriXoßat€v6i, 
xal  xdxQOi  xvQÖevteg  inaixfidiovöi  6'6b66i^ 
xal  %CyLa(fOi  kaöiTjöiv  i(piic%Bvov6i  xtfiaifatg 
II  456ff.     oijtB  Y&Q  sigipoio  xvvbg  tQoniovöiv  fikay'iiaj 
ov  övbg  iygavkoio  Ttagä  6xoitikoi6i  q>Qvayfiaj 
oidl  lihv  oi  taiigov  XQUTBQbv  ii'öxri^a  q>dßovrccij 
nogSaklmv  d'  ov  yrJQvv  i^sidia  %B(pQlxa6iv^ 
oiS*   ttitov   q>B'6yov6L   iiiya  ßg^xv^ka  kiovrog^ 
oiS^  ßgot&v  &kiyov6iv  ivaidsijiöt  v6oio. 
Spätere  Ein  Dichter,  der  auch  nur  in  annähernd  ähnlicher  Art  wie 

dieser  Anonymus  aus  der  ersten  Hälfte  des  in.  Jh.  seine  Verse 
mit  den  Mitteln  der  Rhetorik  aufgeputzt  hätte,  ist  mir  aus  dem 
Altertum  nicht  bekannt.^).  Aus  späterer  Zeit  (saec.  YIII)  fand 
ich  nur  noch  eine  von  Lanckoroüski,  Städte  Pamphyliens  und 
Pisidiens  I  (Wien  1890)  159,  12  edierte  Inschrift  von  Attaleia 
in  Pamphylien,  wo  unter  14  iambischen  Trimetem  4  aufein- 
ander folgende  so  lauten  (sie  betreffen  Leo  lY,  der  die  Stadt 
neu  ummauerte): 

deMVvg  iavtijg  fiäkkov  &6q>akB6xi(fav 
i%%'Q&g  XB  naörig  ^rix^cv^g  ivfoxigav. 
xal  x^Iq  f^^^  4  (lövaQxog  igyov  TCQoaxdxig 
&g  xal  x^9V?^S  ^^^  xak&v  xal  Ssönöxig. 
Ob   es  aus  byzantinischer  Zeit   sonst  derartiges  giebt,  vermag 
ich  nicht  zu  beurteilen;  mir  ist  nichts  begegnet.     Immerhin  ist 
ganz  bezeichnend  für  die  theoretische  Auffassung,  dab  Eustathios 
in  seinen  Kommentaren  die  gelegentlichen  Cäsurenreime  in  den 
homerischen  Gedichten  als  rhetorische  Figuren  erklärt,  worüber 
sich  Lehrs  1.  c.  (o.  S.  830,  2)  465  f  aufregt,  mit  Recht  des  Homer, 
mit  Unrecht  des  Eustathios  wegen.  ^) 

1)  Dafs  Joannes  y.  Gaza  (s.  VI)  in  seiner  iK(pQaaig  und  seinen  Ana- 
kreontika  Schlafsworte  absichtlich  gereimt  habe,  ist  eine  der  yielen  falschen 
Behauptungen  von  E.  Seitz,  Die  Schule  y.  Gaza  (Diss.  Heidelberg  1892)  45, 1. 
Für  Makedonios,  den  Epigrammatiker  aus  der  Zeit  lustinians,  weniges  und 
nicht  sehr  Auffälliges  bei  A.  Dittmar,  De  Meleagri  Macedonii  Loontii  re 
metrica  (Diss.  Königsb.  1886)  23  f. 

2)  Die  Stellen  jetzt  sämtlich  bei  H.  Grofsmann,  De  doctrinae  metricae 
reliquiis  ab  Eustathio  servatis  (Diss.  Strafsb.  1887)  34 f.  und  Q.  Lehnert,  De 
scholiis  ad  Homerum  rhetoricis  (Diss.  Leipz.  1896)  29. 


Der  rhetorische  Reim  and  die  quantiüerende  Poesie.  839 


b.    Die  Lateiner. 

Aus  der  alten  Tragödie,  die,  wie  später  noch  etwas  näher  b)  bei  d 
ausgeführt  werden  soll,  von  Anfang  an  hochrhetorisch  war,  ge-  *  ** 
hören  hierher  folgende  sehr  gehobenen  Verse  des  Ennius  bei  Ennini. 
Cicero  Tusc.  I  69 

caelutn  mitescere^  arhores  frondescere, 
vites  laetificae  pampinis  pubescere, 
rami  biwarum  uhertate  incurvescere 

und  ib.  85.  IH  45 

haec  omnia  vidi  inflammari^ 
Priamo  vi  vitam  evitari, 
lovis  aram  sanguine  turpari, 

Verse,  an  denen  —  begreiflich  genug  —  Cicero  seine  helle  oioero. 
Freude  hatte. ^)  Cicero  selbst  hat  in  jenem  famosen  Gedicht, 
das  ihn  kompromittierte,  die  rhetorischen  Homoioteleuta  an 
einer  von  ihm  selbst  citierten  hochpathetischen  Stelle  zur  An- 
wendung gebracht,  wo  er  die  Muse  die  Prophezeiungen  der 
sibyllinischen  Bücher  verkünden  laust: 

ingentem  eladem  pestemque  numebant, 
vd  legum  exitium  constanti  voce  ferebant, 
templa  deumque  adeo  flammis  urbemque  iubebant 
eripere  et  stragem  horribilem  caedemque  vereri, 
atque  haec  fixa  gravi  fato  ac  fundata  teneri  etc.') 

Es  giebt  meines  Wissens  keinen  andern  lateinischen  Dichter, 
der  ähnliches  gewagt  hätte;  denn  was  etwa  sonst  angeführt 
werden  könnte,  beruht  entweder  auf  ofifenbarem  Zufall^  oder  ist 

1)  Zu  letzteren  Versen  bemerkt  er:  praeclarum  Carmen,  est  enim  et 
rebus  et  verbis  et  tnodis  lugubre;  aufser  den  Homoioteleuta  wird  ihm  das 
doppelte  KOfit^^  in  vi  vitam  evitari  imponiert  haben. 

2)  G£  Dingeldein  I.  c.  15.  107. 

8)  Z.  B.  Verg.  Aen.  IV  266 f.  Mud  aliter  terras  itUer  caelumque  volabat] 
liius  harenosum  ad  Libyae  ventosque  secabat;  immerhin  würde  die  Auf- 
zählung der  ziemlich  zahlreichen  Verse  dieser  Art  bewirken,  dafs  man  sie 
nicht  mehr  verdächtigt  (cf.  Bentley  zu  Hör.  carm.  I  84,  5.  Heinsius  zu  Verg. 
Aen.  Vin  896  f.  Ribbeck  zu  Verg.  Aen.  X  804  f.  Cf.  übrigens  schon  Gebauer, 
Pro  rhjthmis  seu  öfioiotsXBvrois  poeticis  in:  Anthologicarum  dissertab''^' 
über,  Leipz.  1788,  p.  284f.  827  adn.  f.  835 f.).  —  Hexameter  mit  ^leonin 
Beim  hat  kein  lateinischer  Dichter  ängstlich  gemieden,  aber  soUi 


840  Anhang  I:  Über  die  Creschichte  des  Reims. 

anders  zu  erklären.^)  Wie  zurückhaltend  die  Dichter  gegen  dies 
Ornament  wurden,  zeigt  allein  die  Thatsache,  dafs  sich  selbst 
so  rhetorische  Dichter  wie  Ovid*)  und  Seneca')  seiner  enthielten. 

doch  Vergil  an  zwei  Stellen  absichtlich  geschrieben  liaben:  ecl.  8,  28  cum 
canilms  timiäi  venient  ad  poctda  dammae,  ge.  I  188  aut  oculis  capti  f ödere 
cubilia  tdlpae?  Zum  ersten  Vers  bemerkt  es  ausdrücklich  der  interpolierte 
Servius  und,  ohne  diesen  zu  kennen,  auch  G.  Vossius,  De  poematum  canta 
et  de  viribus  rhythmi  (Oxf.  1673)  26,  cf.  auch  Gebauer  I.  c.  280  adn.  g. 
(Bentley  nahm  übrigens  —  gewifs  mit  Unrecht  —  Anstofs  an  Manil.  IV  217 
scorpioa  armata  violenta  cuspide  cauda,  cf.  Naeke  zu  Val.  Cat.  286).  — 
Zu  prüfen  wäre  noch,  wie  weit  auf  wirklicher  Beobachtung  beruht  die  im 
Altertum  aufgesteUte  Behauptung,  dafs  zwei  mit  derselben  Silbe  endigende 
Wörter  im  Vers  nicht  nebeneinander  gestellt  werden  dürften,  weil  das  ein 
nanoavv&stov  sei  (Quint.  IX  4,  42.  Serv.  z.  Aen.  IV  604.  IX  49.  606.  Serv. 
Dan.  z.  ecl.  3,  1.  Aen.  IV  487 ,  für  das  Griechische  Eustathios  an  den  Ton 
Grofsmann  1.  c.  [o.  S.  838, 2]  29  ff.  angeführten  Stellen  unter  inuswifunioötg); 
mir  ist  aufgefallen,  dafs  Vergil  thatsächlich  gleiche  Casnsaus^üige  zweier 
aufeinander  folgender  Worte  ungern  gebraucht  zu  haben  scheint,  wenigstens 
braucht  er  an  fünf  Stellen  hm^gus  nach  der  2.  Deklination,  wo  kein  Nomen 
mit  gleicher  Endung  dabei  steht,  aber  zweimal  biiugis,  wo  ein  Nomen  der 
2.  Dekl.  folgt:  ge.  m  91  equi  biifAgea  Aen.  XII  365  equos  biiuges;  ebenso 
zweimal  qtiadrnugua  (ge.  HI  18  qiuidriiugos  cttrrus  Aen.  XQ  162  quadriiugo 
curru),  aber  einmal  quadriiugis:  Aen.  X  571  qwidriiugis  in  equos;  ebenso 
Aen.  X  425  pectus  inermum  XII  131  volgus  inermwn,  aber  Aen.  II  67  tur- 
hatus  inermis  cf  XI  672,  wo  durch  diese  Form  leoninischer  Reim  yermieden 
wird:  dum  subit  ac  dextram  labenti  tendit  inermem;  daher  Aen.  VI  161  richtig 
cod.  M.  socium  exanimem  (gegen  exanimum  PE),  aber  XI  51  iuvenem  exam- 
mum  richtig  MP  (gegen  R).  Cf  auch  G.  Wagner,  Quaest.  Virg,  xxxTTT 
(in  der  4.  Aufl.  des  Heyneschen  Vergils,  Leipz.  1832)  p.  549. 

1)  Eine  durchaus  spielerische,  tändelnde,  keine  rhetorische  Absicht 
liegt  yor  in  dem  hübschen  Gedichtchen  des  Modestinus  (etwa  saec.  IV  in.)  auf 
den  schlafenden  Amor  AL  273  Riese,  wo  sieben  Hexameter  hintereinander 
neckisch  enden  auf  ligemus  metamus  necemus  perimamw  crememus  necemus 
volemus,  und  in  dem  Epigramm  des  Ausonius  (29)  auf  den  ndv&Bogy  wie  er 
in  neuplatonischer  Anwandlung  einen  Allerweltsgott  nennt:  es  sind  7  aka- 
talektische  iambische  Dimeter,  deren  4  erste  enden  auf  vocant  putant  no- 
minant  existimant,  die  3  letzten  auf  Liberum  Ädoneum  ParUheum  (yerfehlt 
ist  die  Ausführung  yon  W.  Brandes  in  seinen  sonst  wertyoUen  Beiträgen 
zu  Ausonius,  Progr.  Wolfenbüttel  1895  p.  5  ff.). 

2)  Z.  B.  hat  er  yiel  weniger  Binnenreime  im  Pentameter  als  Properz, 
cf  Eichner  1.  c.  (o.  S.  830, 2)  40.  Dafs  sich  übrigens  gerade  bei  den  Elegikem 
im  Pentameter  so  viele  Reime  finden,  erklärt  sich  ganz  einfach  aus  der 
bekannten  Manier,  Substantiva  yon  ihren  gleichauslautenden  Attributen  zu 
trennen,  cf  Eichner  1.  c.  36  f. 

3)  Verfehlt  ist,  was  Lehrs  1.  c.  (o.  S.  830,  2)  474  darüber  sagt. 


Predigt  und  Hymnus.  341 

Wir  sind  also  zum  Resultat  gekommen^  daüs  es  in  der  Besuiut. 
quantitierenden  Dichtung  des  Altertums  einen  rhetorischen 
Reim  gab,  vor  dessen  Anwendung  aber  die  meisten  und  besten 
Dichter  begründete  Scheu  hatten.  Aber  von  hier  führt  kein 
direkter  Weg  zur  Hymnenpoesie  und  daher  auch  nicht  zur  Er- 
klärung des  Reims  in  dieser  sowie  den  von  ihr  beeinflufsten 
neueren  Sprachen.  Um  hier  zur  Erkenntnis  vorzudringen,  müssen 
wir  vielmehr  noch  einen  Umweg  machen,  auf  den  wir  aber  durch 
die  soeben  festgestellte  Thatsache  die  Gewilüsheit  mitnehmen, 
dafs  es  einen  rhetorischen  Reim  in  der  Poesie  wirklich  ge- 
geben hat. 

y.  Fredigt  und  Hymnus.    Das  Eindringen  des  rhetorischen 

Reims  in  die  Hymnenpoesie. 

1.  Das  Bedür&is,  den  Schopfer  und  seine  Werke  im  Gesang  Prinzipien 
zu  preisen,  war  in  der  christlichen  Gemeinde  früh  empfunden  ohriituohei 
worden.  Das  lehren  zwei  berühmte  Stellen  der  pseudopaulinischen  ^^■^«• 
Briefe:  ep.  ad  Ephes.  5,  18 f.  xX'^Qoi^ö^s  iv  jcvs'ö^ti  Xccloihnsg 
iavtoZs  iv  tpalfiotg  xal  üiivoig  xal  aSatg,  aSovteg  xal  tpAXXovrsg 
r§  naqSCa  i^k&v  xdi  xv^ip^  ad.  Col.  3,  16  6  Xöyog  tov  %Qf,6xov 
ivoixBCxm  iv  iyitv  xkavöimg^  iv  xdöy  6o(pCa  Si^däöxovxsg  xal 
vov^stoihti^eg  iavtoiigy  tpalnotg  ü^ivoig  ipöalg  xvaviuczLxalgy  iv 
rg  2^9^^^  adovtsg  iv  xalg  xa(fdiaig  i^&v  tdi  d'eä.  Es  ist  be- 
kannt, wie  dann  die  Häretiker  sich  die  Ausbildung  des  Eirchen- 
gesangs  als  eines  auf  die  Sinne  besonders  stark  wirkenden  Mittels 
angelegen  sein  liefsen,  während  sich  die  katholische  Kirche  in 
ihrem  instinktiven  Bestreben,  sich  von  den  Häretikern  zu  unter- 
scheiden und  alle  sinnlichen  Elemente  aus  dem  Kultus  zu  be- 
seitigen, lange  Zeit  zurückhielt,  bis  auch  sie  diese  Scheu  über- 
wand und  dem  innem  Bedürfnis  ihrer  Mitglieder  Rechnung  trug, 
im  Osten  sich  stützend  auf  die  Autorität  des  loannes  Chryso- 
Stornos,  im  Westen  auf  die  des  Hilarius  (der  sich  lange  im 
Osten  aufgehalten  hatte),  des  Ambrosius  (der  in  vielem  sich  an 
die  groüsen  Vorbilder  des  Ostens  anschlofs)  und  des  Augustinui 
(der  anfangs  grofse  Bedenken  hegte,  dem  Ambrosius  hierin  zu 
folgen,  bis  ihn  die  praktischen  Erfolge  in  der  Mailänder  Kirche 
veranlalsten,  auch  seinerseits  sowohl  in  der  Theorie  wie  in  der 
Praxis  nachzugeben).    Dadurch  war  der  Kirche  eine  neue,  groise 


842  Anhang  I:  Über  die  Geschichte  des  Aeims. 

Aufgabe  gestellt:  es  waren  Hymnen  nicht  nur  zu  dichten,  sondern, 
was  viel  schwieriger  war,  zu  komponieren. 

Auf  Grund  der  alten  Yerskimst  und  Musik  sollte  und  konnte 
das  nicht  geschehen.  Es  sollte  nicht  geschehen,  weil  die  An- 
wendung heidnischer  Metra  zu  orthodoxen  Bedenken  Veranlassung 
geben  koimte;  man  lese,  was  darüber  Nilos  (s.  IV/V)  an  einen 
Mönch  schreibt,  der  Grammatiker  gewesen  war  und  sich  noch 
weiter  der  epischen  Form  bediente  (ep.  II  49,  vol.  79,  221  Migne): 
Paulus  habe  gesagt:  ^  6oq>ia  tov  xööiuw  rot^ov  iuoqCu  xoifä  z^ 
^€^  iötiv  und  es  sei  daher  verboten,  sich  der  Formen  der 
Hellenen  zu  bedienen,  der  Hexameter  und  lamben;  denn  wenn 
geschrieben  stehe  (proy.  5,  3)  itiXi  iatoötä^i  icxb  iBi^Hmv  ywai- 
xbg  nö^vrigj  so  bedeute  diese  nÖQvtj  die  xaXXihcaia  r&v  ^EXXijvafv^ 
daher:  xolXol  z&v  aCQStiTc&v  noXXä  iTtufvpha^av  &Xl*  oiSlv 
d)(pilfi6av, .  .*  ei  Si  d'avftd^BLg  to'bg  yQdtfovtag  t&  firi],  &Qa  6oi 
xal  ^AnoXkvvaQvov  xov  dvööeßfj  xal  7UUVCit6yMV  ^aviid^Biv,  xoUä 
klav  fLBXQijöccvTa  xal  iTtoxoii^öavtu  xal  [uxtaumoviiöentta  xal 
Tcavxl  xatQdi  iv  X6yotg  ivoi/jftoig  xcctatQißivta  oUhlfiaimd  ts  tolg 
&x£(fdi6i  t&v  i%&v  xal  q>X€yiJLi^vavrcu  Doch  wäre  dieses  Moment 
allein  nicht  ausschlaggebend  gewesen;  denn  Männer  wie  Methodios, 
Gregor  von  Nazianz,  Synesios  u.  a.  haben  sich  über  dieses 
ängstliche  Vorurteil  hinweggesetzt^),  und  vor  allem  im  Abend- 
land hat  nicht  bloüs  eine  Reihe  von  Dichtem  in  vergilischen 
Versen  alt-  und  neu  testamentliche  Stoffe  behandelt,  sondern 
Hieronymus  hat  (auch  hierin  anknüpfend  an  griechische  Vor- 
gänger) sogar  zu  beweisen  versucht,  dais  sich  in  den  religiösen 
Urkunden  jene  Versmafse  vorfänden  (s.  oben  S.  526).  Wichtiger 
also  war  das  zweite  Moment:  weitaus  den  meisten  war  das  Ver- 
ständnis für  die  alte  Verskunst  und  Musik  längst  abhanden  ge- 
kommen, so  dais  eine  Erneuerung  der  Hymnenpoesie  auf  der 
alten  Grundlage  gar  nicht  vorgenommen  werden  konnte.  Für 
die  Verskunst  beweist  es  das  nach  Ausweis  der  Inschriften  immer 
mehr  schwindende  Bewufstsein  der  nach  Silbenquantität  ge- 
regelten Metrik.  Für  die  mit  der  melischeu  Poesie  verwachsene 
Musik  bezeugt  es  (abgesehen  von  der  Eolometrie  unserer  Texte)') 


1)  Näheres  bei  Krumbacher,  Gesch.  d.  byz.  Litt. '  66d  ff. 

2)  Die  folgenden  SteUen  aus  B.  Volkmann  in  seiner  Ausgabe  von 
[Plutarch]  de  mus.  (Leipz.  1866)  p.  66.  101. 


Predigt  und  Hymnus.  843 

Dio  Clirys.  or.  19,  4  ta  xoXXä  aiyt&v  (sc.  x&v  xif&aQpS&v  tcoI 
imoTCQit&v)  &Qx<xttt  iöu  not  TCoXi)  6o(pani(fmv  ivd(f&v  ij  x&v  vvv' 
t&  fiiv  tilg  TtcjupSiag  &xavtay  x^g  dh  XQaypdiag  xä  fihv  löxvQä 
ifg  ioiKS  ^dv€t,  Xiym  dh  xä  lafißstay  xäl  xofkanf  (liifij  8u^la6vv 
iv  xotg  d'BdxQoigj  xä  di  luclaxcneQa  iisQQiifixey  xä  tuqI  xä  fiilri 
und  (aus  später  Zeit)  anecd.  ed.  Bekker  p.  752^  1  xipf  Av(»ix^i/ 
xoifiöiv  dst  fuxä  lUkovg  ivaytvAöKei^v ,  sl  Tcal  ft^  auQeXäßoitsv 
fiqd^  äxoiisiipijfisd'a  xä  ixsivcDv  fUXvi.  Interessant  sind  vor  allem 
zwei  Zeugnisse  lulians,  weil  sie  zeigen,  wie  er,  offenbar  als 
Platoniker  und  vielleicht  in  bewuijstem  Gegensatz  zu  den  Christen, 
die  alte  Musik  künstlich  wieder  zu  beleben  suchte:  Misop.  337  B 
dq>aiQitxm  xifif  iv  xotg  iiiXs6i  ftovötxiiv  6  v&v  ixiXQUX&v  iv  xolg 
Hsv^i(fOig  xi^g  naidsiag  xQÖxogy  at6%f,ov  yäq  slvai  doxal  vvv  [Mvötr 
xifv  ixiXfiSs'öeiv  ^  xdXai,  noxh  i86xsi,  xb  nXovxetv  idixmg  und  be- 
sonders ep.  56  p.  442  A  S^i^öv  iöxiv,  BticsQ  äXXov  xivög^  xal  xi^g 
U(f&g  ix^itsXfi&Hvai  ^ovöixrig:  er  setze  Preise  aus  für  die  alexan- 
drimschen  Knaben,  die  es  darin  am  weitesten  bringen  würden, 
denn:  Sxi  7t(fb  ^^i&v  avxol  xäg  iruxäg  imb  xi^g  d'siag  iiavöiTcHg 
xa&af^ivxsg  ivijöovxaij  ittöxevxaov  xotg  TCQoanofpaivofiivotg  ögd'&g 
{;xhQ  xoitmvj  worauf  noch  ein  spezieller  Befehl  an  den  Musiker 
Dioskoros  folgt 

Eine  Anknüpfung  an  die  Veigangenheit  war  also  unmöglich: 
ein  neuer  Weg  mulste  gesucht  werden  und  er  bot  sich  leicht. 
Während  Orient  und  Occident  in  den  Einzelheiten  hier  völlig 
auseinander  gingen,  war  doch  die  gemeinsame  Grundli^e  der 
neuen  Poesie  dieselbe:  als  Prinzip  wurde  nicht  die  Quantität  der 
Silben,  sondern  der  Rhythmus  aufgestellt.  Dazu  bedurfte  es 
keiner  Anleihe  bei  den  stammfremden  semitischen  Völkern, 
sondern  alle  Grundvoraussetzungen  waren  in  der  hochrheto- 
rischen Prosa  gegeben,  die  von  alters  her  nach  dem  Prinzip  des 
Rhythmus  gegliedert  und  jene  engen  Beziehungen  zur  Poesie 
eingegangen  war,  wie  wir  sie  festgestellt  haben.  Aus  dieser 
rhythmischen  Prosa  hat  sich  die  rhythmische  Dichtung 
und  der  mit  ihr  aufs  engste  verknüpfte  Reim  heraus- 
entwickelt. Diese  Ansicht,  die  sich  mir  mit  notwendiger 
Konsequenz  aus  der  Geschichte  der  antiken  Kunstprosa  ergab, 
ist,  wie  ich  sehe,  nicht  ganz  neu.  F.  Probst,  Lehre  und  Ge^ 
in  den  drei  ersten  christl.  Jahrhunderten  (Tübingen  1871)  26 
hat,   soviel  ich  weifs,   als  erster  in  unserm  Jahrhundert  (t 


844  Anhang  I:  Über  die  Geschicliie  des  Beinti. 

die  frohere  Zeit  werde  ich  weiter  unten  zu  handehi  haben)  das 
b^uniXimov  der  Rhetorik  zu  demjenigoi  der  Poesie  in  Be- 
ziehung gesetzt  Ohne  Probst  zu  kennen,  hat  dieselbe  Ansieht 
aufgestellt  und  kurz  begründet  £.  Boqtj,  Poetes  ei  mäodes. 
Etnde  sur  les  origines  da  ryÜune  toniqne  dans  Phymnogr^bie 
•  de  l'eglise  grecqne  (Nimes  1886),  183  ffl  nnd  E.  Erambaeher 
hat  sie  L  c.  700 £  704f.  angenommen.  Aber  trotzdem  bewegen 
sich  alle  neueren  Untersnchongen  noch  im  alten  Crdeiae^  Dta 
mag  daran  liegen,  daÜB  eine  nene  Ansicht  anf  solchem  Gebiet 
nur  dann  Anerkennong  za  finden  pflegt,  wenn  sie  anf  Grand 
Tieles  Beweismaterials  allseitig  begründet  nnd  ans  der  Sphäre 
einer  blolsen  Yermatnng  in  die  einer  historisch  beweisbaren,  ja 
notwendigen  Thatsache  erhoben  wird.  Den  Nachweis  dieser 
Thatsache  will  ich  im  folgenden  zn  erbringen  Tersoehen. 
HeUmiMiM  2.  Die  rhetorischen,  an  den  hohen  Festtagen  gehaltenen 
bjBM  B.  Predigten  der  Christen  waren  nichts  anderes  als  Hymnen  in 
Prosa.  Nicht  die  Christen  waren  die  Erfinder  dieser  litterarischen 
Gattong,  sondern  der  yon  allen  Hellenen  zugleich  am  tiefirten 
religiös  gestimmte  nnd  poetisch  am  höchsten  begabte  llenseh, 
Piaton.  Anf  der  Hohe  seines  Lebens  schrieb  er  die  Hymnen 
auf  Eros,  im  Alier  den  auf  das  All  und  seinen  Schopfer:  im 
ersten  Hymnus  auf  Eros  werden  zu  Anfang  (Phaedr.  237  A)  die 
Musen  angerufen  und  der  lyrische  Schwung  steigert  sich  zu 
solcher  Hohe,  daCs  er  schlielslieh  geradezu  in  den  Dithyrambus 
umschlägt  (241  E);  der  zweite  Hymnus  auf  Eros  (244  Äff.)  ist 
das  Grandioseste,  was  in  der  poetischen  Prosa  je  geschrieben 
worden  ist  (s.  auch  oben  S.  109 ff.);  im  Hymnus  des  Timaeus 
spricht  er  feierlich  wie  ein  Hierophant.  Es  dauerte  lange,  bis 
er  Nachfolger  fand;  denn  Eleanthes  hat  seinen  Hymnus  auf  Zeus, 
der  an  Innigkeit  (wenn  auch  nicht  an  technischem  Eonnen) 
seines  Gleichen  im  Altertum  sucht,  im  altheigebrachten  Vers- 
maus  der  theologischen  Dichtung  yerfaCst.  Dann  aber  kam  die 
Zeit,  in  der  das  religiöse  Empfinden,  herrorbrechend  aus  den 
Herzen  der  im  Chaos  der  Meinungen  sehnsüchtig  nach  der  Er- 

1)  U.  Konca,  Metrica  e  ritmica  laÜna  nel  medlo  evo  (Rom  1890),  151  ff. 
und  Cultura  medioevale  I  (Rom  1892)  341  ff.  zieht,  ohne  die  genannten  Arbeiten 
zu  kennen,  wenigstens  vergleichsweise  die  Prosa  heran  (auf  Grund  einer 
Bemerkung,  die  schon  W.  Meyer  1.  c.  378  machte),  aber  er  weifs  keine  Ver- 
bindung zwischen  beiden  herzustellen:  das  aber  ist  eben  die  Hauptsache. 


Predigt  nnd  Hymnus.  845 

lösuDg  ausblickeDdcn  Meuschen^  in  vorher  nie  gekannter  Stärke 
die  weitesten  Schichten  ergriflF.  Ein  Kind  dieser  Zeit  war  der 
Rhetor  Aristides;  er  hat  nicht  nnbewuTst  wie  Piaton,  sondern 
mit  deutlich  ausgesprochener  Absicht  die  prosaische  Predigt  als 
Lobrede  auf  die  Gotter  an  die  Stelle  der  Hymnen  gesetzt:  dafür 
haben  wir  sein  eignes  Zeugnis  in  der  Einleitung  zu  seiner  Rede 
auf  Sarapis  (8  p.  81  flF.  Dind.).  Warum  sollen,  führt  er  aus,  die 
Dichter  das  Vorrecht  haben,  die  Gotter  zu  besingen,  obgleich 
die  prosaische  Rede  es  viel  besser  vermag?  Wie  die  lange  Recht- 
fertigung (p.  81 — 87)  zeigt,  thut  er  so,  als  ob  er  eine  neue 
Gattung  der  Rede  einführte:  aber  charakteristisch  ist,  dafs  das 
Gebet,  mit  dem  er  anhebt  (p.  87),  hier  wie  in  den  andern  Götter- 
reden (1  auf  Zeus,  2  auf  Athene,  3  auf  Poseidon,  4  auf  Dionysos, 
5  auf  Herakles,  6  auf  Asklepios)  sich  ganz  deutlich,  z.  T.  wortlich 
(z.  B.  1  p.  2),  an  die  gleichartigen  platonischen  (Phaedr.  237  A 
257  A  Tim.  27  C)  anlehnt,  wie  überhaupt  die  ganze  Haltung 
dieser  Reden  aufs  stärkste  durch  die  platonischen  beeinflufst  ist. 
Er  nennt  diese  Art  der  Komposition  ifivstv  &vbv  [lizQOVj 
naxaXoydSriv  aSeiv  u.  dgl.,  auch  blofs  ifivstv  (8  p.  97)^); 
daher  ist  der  Ton  der  Reden  feierlich,  hochpathetisch,  dithy- 
rambisch weniger  in  den  Worten  (davor  hütete  sich  der  Rhetor 
seinem  StUprinzip  zuliebe)  als  in  dem  Schwung  der  Gedanken: 
Pindar  wird  oft  citiert,  wohl  noch  öfter  benutzt.  —  Neben  Piaton 
und  Aristides')  steht  als  Vertreter  dieser  Kompositionsart  Julian 
mit  seinen  Reden  auf  Helios  und  die  Göttermutter  (4.  5):  als 
Neuplatoniker  glaubte  er  an  seine  Götter  und  suchte  sich  mit 
ihnen  in  nicht  geringerer  Inbrunst  zu  verbinden  als  die  ge- 
schmähten Galiläer  mit  ihrem  Gott.  Man  darf  vielleicht  an- 
nehmen, dals  er  —  beseelt  von  dem  Gedanken,  ^die  Menschheit 

1)  Cf.  schon  Theon  (s.  I  p.  Chr.)  progymn.  8  (109,  23  Sp.)  tb  slg  to^g 
ti^iArtcg  iynSiuov  initdtpiog  Xiyitai^  tb  dh  slg  tovg  9'eo4jg  ^fivog,  Schema- 
tiBche  Regeln  für  Enkomien  auf  Götter  gab  femer  schon  vor  Aristides 
Alexander  Nnmeniu  (Bhet.  gr.  m  4ff.  Sp.)  und  nach  Aristides  besonders 
'Menaader',  der  in  der  Einleitung  mit  Berufung  auf  Piaton  nachweist,  dafs 
es  Prosahymnen  gebe  (Ul  334  Sp.).  Cf.  übrigens  auch  E.  Maafs,  Orpheus 
(München  1896)  122  f. 

2)  Cf.  aufser  den  angeführten  Reden  noch  45  11  p.  139  Dind.  hi  yctg 
fiäXUfP  al  napfiy^Qtig  aal  tcc  t^g  slfy/jvrig  x^Q^^vta  toi)  nccg'  ceötijg  (tijg 

Z^ai  taü/g  iLya/^otg  t&v  &v8q&v  dtpsiXovtai  dma^ag  sixpriiLiai. 


846  AwhAwgr  I:  Cber  die  Geschichte  dea-Beims. 

aoB  der  Nacht  des  Tartarus  wieder  emporblicken  zu  lassen  zum 
Glanz  des  himmlischen  Lichts'  (so  drficken  sich  seine  Lobredner 
Libanios,  Himerios,  Mamertinus  ans)  —  mit  Tollem  Bewnlstaein 
und  in  bestimmter  Absicht  den  christlichen  Predigten,  denen  er 
in  seiner  Jugend  erst  glaubig,  dann  widerwillig  zugehört  haite^ 
diese  heidnischen  Hymnen  in  Prosa  en^egengestellt  hat.  Auch 
er  schliefst  sich  im  ^^og  und  in  manchen  Einzelheiten  an  das 
Vorbild  Piatons  an,  auch  er  spricht  tou  seinem  i^vitw  (131  D), 
wie  denn  z.  B.  der  Schiulis  der  f&nften  Bede  ganz  hymnenartig 
ist.  —  Auch  lulians  Zeitgenosse  Libanios  hat  einen  solchen 
Prosahymnus  auf  Artemis  geschrieben:  yoL  L  225  ff.  R.  Er  sagt 
selbst  p.  225,  es  weihe  der  Gottheit  ein  %oiiir^  üpwop  iv  f^ff^ 
ein  fijtoQixbg  vyivov  &v$v  yiitQOVj  spricht  p.  226  Yon  &8uv 
und  nennt  p.  240  seine  Rede  eine  f^,  die  er  mit  der  des 
Simonides  auf  die  Dioskuren  yeigleicht.  —  Endlich  ist  noch  zu 
nennen  der  unbekannte  Bhetor  saec  III  (^Menander'),  der  am 
Schlals  seiner  Schrift  xegl  ixidsunuc&v  (Bhet  gr.  m  437  £  Sp.) 
Vorschriften  und  Beispiele  f&r  prosaische  Hymnen  auf  ApoUon 
Smintheus  giebt:  die  Vorrede  schlielst  (p.  438):  aMfim  %aQä 
x(bv  Movö&v  fiavQ'ivsiv,  xa^cbceQ  IlivdaQog  t&v  Hiivtav  xw^d- 
viral  * ävaiupöifiiiyyeg  {i[ivoi\  xö^sv  [U  xifij  tijv  i(fxh^  MOiii- 
öaö&ai;  doout  d'  oiv  fiot  nQ&tov  &q>efiiva  tdmg  toi)  yivavg 
üfivov  elg  ainov  ivatp^iy^aö^ai.  Der  Anfang  dieses  ^Hymnus' 
lautet,  sehr  poetisch:  &  S^Uv^ib  "AnoXloVj  xlva  6b  x(f^  xqoöbi- 
xstv'y  xötBQov  ijXiov  tbv  tov  q>anbg  TayLCav  xal  xtjyilv  tijg  odpa- 
viov  atyXtig  V  vovv,  ig  6  rdh;  ^eoXoyo'övtmv  Xöyog,  diiJHovta  [ihv 
dcä  x&v  oiqavCoDVj  iövta  dh  dt  al^iqog  inl  xä  x^dB\  ^  xdxsfov 
avxbv  xhv  x&v  SXcnv  dtifiiovQyöVj  ^  nöxBQOv  ÖBvxBQBiiovöccv  dv- 
vayLLVy  dv  Zv  öbXijvij  [ihv  xixxtjxaL  öiXag^  yfj  di  xoi>g  obutovg 
riydnriöBv  Zqovg^  ^dXaxxa  dl  oi)%  inBQßaCvBv  xoi)g  Idiovg  {ivxoiig  xxX. 
Das  Ganze  schlielst  (p.  445f.)  mit  einem  hochfeierlichen  Gebet 
ganz  im  Stil  der  poetischen  Gebete.^) 
ohriftiioh»  3.   Um  so  vicl  inniger  und  wahrer  nun  die  christlichen 

bjmneö.    Predigten  sind  als  die  zuletzt  genannten  rhetorischen  Muster 

1)  Cf.  über  letztere  Maafs  1.  c.  198  f.  —  An  Piaton  hat  dann  erst 
wieder  Gemistos  Plethon  angeknüpft:  seine  ngoag^CBig  und  Bifxal  an  die 
Götter  sind  prosaische  Umschreibungen  neuplatonischer  Hymnen  (die  Stücke 
stehen  in  der  Ausgabe  seiner  Ndnot  von  Alexandre  [Paris  1868]  p.  44.  182  ff. 
278  f.). 


Predigt  und  Hymnus.    Der  Reim  in  den  Prosahymnen.  847 

stücke,  in  desto  höherem  Sinn  können  wir  sie  Hymnen  nennen, 
die  zwar  ävsv  (litQOVy  aber  nicht  &vbv  ^v9(iov  sind. 
Gregor  Yon  Nazianz  feiert  am  Schlafs  seiner  zweiten  theo- 
logischen' Bede  (28  c.  31,  vol.  36,  72  Migne),  ganz  wie  Piaton,  das 
Überhimmlische:  er  nennt  das  ävviivBtv  und  sagt  zum  Schlafs: 
roihra  sl  lihv  Tcgbg  il^ücv  üfivi^taLy  tilg  TQiddog  ^  X^9^-  I^ 
der  ersten  Invektive  gegen  lalian  ruft  er  —  ganz  wie  gleich- 
zeitige heidnische  Redner,  besonders  Himerios  (s.  oben  S.  429) 

—  sich  einen  *Chor'  seiner  Zuhörer  herbei,  denen  er  seine  pdii 
Tortragen  wolle  (or.  in  lul.  1  c  7 — 17,  vol.  35,  537  ff.  Migne). 
Daher  nennt  Fenelon  an  einer  oben  (S.  569,  1)  citierten  Stelle 
seine  Reden  ^hymnes'.  Was  aber  von  diesem  Prediger  des  lY.  Jh. 
gilt,  hat  noch  erhöhte  Geltung  für  die  der  folgenden  Jahrhun- 
derte, als  der  Ton  der  Predigten  ein  immer  aufgeregterer  wurde 
und  sich  dem  Stil  des  Dithyrambus  immer  mehr  näherte^),  wo- 
für ich  gleich  Beispiele  anführen  werde. 

4.   Die   Signatur    dieser    hymnenartigen    Predigten  nerseim 
war  nun  der  Rhythmus  —  das  versteht  sich  nach  der  oben     ^^^^. 
(S.  537  ff.)  gegebenen  Entwicklungsgeschichte  der  Predigt  von  selbst    ^^^^ 

—  und  das  öiioiotiXsvtov.  Wir  wissen  aus  den  Darlegungen 
dieses  Werkes,  dafs  beides  aufs  engste  zusammenhängt,  denn 
das  6iiOiotiXsvtov  tritt  ja  nur  in  parallel  laufenden,  nicht  zu  • 
langen  Sätzen  auf,  die  durch  ihren  Bau,  wie  Cicero  sagt,  ^Versen 
ganz  ähnlich  sind  und  von  selbst  rhythmisch  fallen'.  Wir  wissen 
femer,  dafs  das  iiiouytdXevtov  nach  einer  Praxis,  die  wir  von 
Gbrgiaa  an  bis  in  das  Mittelalter  beider  Sprachen  verfolgt  haben, 
nie  willkürlich  gesetzt  wurde,  sondern  den  Stellen  des  höchsten* 


1)  *Tn99t9  auch  Sophronios  (s.  VII),  or.  7  in  S.  loannem  Bapt.  c.  1 
(vol.  87  m,  S821  Migne)  dlSoVy  &  tpap^  roü  X6yoVy  tpavi^if'  8i8ov  ilfitv,  & 
t^x^i  Toe  q>an6sf  tiiv  ai/i{ir'  dlSov  iiittv^  &  toü  X6yov  ngdSgoiLB^  ta€  X6yov 
xh9  9q6imv^  twa  as  ngbg  &iiav  totg  6otg  sixprifAi^eavtsg  ivrQV(piJ6m(LBv  C'^fis- 
ifop'  ifivitw  ydg  as  %cctcc  xgiog  natgipov.  Cf.  auch  die  {>iLvtpdia  nQvnti/j 
eines  (gnostiBch  beeinflufsten)  Traktats  des  Hermes  Trismegistos  (Poim.  13, 
17  ff.):  näea  ^^tfi^  *6aiiov  nQoedB%ic&(o  to6  v^vov  r^ir  dxoifir.  &voiyj\^i  yQ, 
itvovf^ftm  fftot  n&g  {/MxXbg  öi^ßgovj  tä  Sivöga  (lij  asUed'S'  ifivBtw  (lilXm  rbv 
T^  vrUimg  n^QiOv  nal  tb  n&v  %al  xb  ?v  %tX,  Vom  (}ebet:  Definition  der 
orthodoxen  Kirche  bei  W.  Gafs,  Symbolik  d.  gr.  Kirche  (Berl.  1872)  362 
4  «^otfMpf  icti9  &vdßaaig  roü  vobg  xal  rfjg  ^eXi^etag  i^nAv  ngbg  tbv  d's6p, 
Si'  j^  xbp  ^ibp  'bftvovusv  ^  tbv  naQocuaXovfisv  rj  roO  BifxccQUtto^f^^ 
xit%  iig  ifitäg  iis^ialag  a^ot). 


848  Anhang  I:  Ober  die  Oeschichte  des  Reims. 

Pathos  vorbehalten  blieb.     Ich   will  das  hier  noch  an  Doku- 
menten zeigen,  deren  einige  ich  absichtlich   aus  einem  nicht- 
christlichen Kreise   auswähle ,  damit  man  sieht,  wie  allgemein 
verbreitet  diese  Form  der  religiösen  Rede  war. 
ft)heue.  a.    Ein   Traktat    des    Hermes    Trismegistos    (Poim.  6) 

^ieie.  schliefst  mit  folgenden  Worten  (§  11):  xöts  dd  öe^  xovsqj  iiitniöm; 
oüts  yäg  &Qav  öov  oike  %q6vov  xataXaßBtv  dwcctiv.  {nchg  rA 
vog  d^  9cal  v[ivii6(o;  inlg  &v  ixotr^öag  ij  {rnkg  &v  oix  ixotTjöag; 
diä  tC  d%  Kai  ifivijöa  66;  Sg  ifiawov  &v;  üg  ixfov  n  tdiav;  i}g 
aXXog  &v;  6v  yäg  el  8  &v  &,  öi)  et  b  äv  tcol&j  6i>  bI  8  &v  Xiya. 
6i)  yäQ  ndvra  el  xal  &XXo  oidiv  iötcv  8  fti)  el,  öif  el  xäv  tb 
ysvöfisvovj  6i)  xh  fti)  yevöfievovj  vovg  inhf  vooii(Uvog^  aror^p  81 
öfj^iovQy&Vj  d^ebg  Sl  ivBQy&Vj  iyad^bg  dh  xal  Tcdvxa  xoi&v.  üXtig 
filv  yäq  xb  kexxofieQiöxeQov  isi^Qj  äigog  d^  ifv%iij  ^h^xAs  9^  vot^ 
vov  8%  6  ^B6g. —  In  einem  der  sog.  Zauberpapyri  des  III./IV.  Jh. 
tritt  die  Figur  an  der  Stelle  auf,  wo  die  an  den  Ton  der  orphischen 
Hymnen  erinnernde  inixkviöig  d'e&v  beginnt  (Pap.  graec.  ed.  C. 
Leemans  II  [Leyden  1885]  pap.  Y  col.  7*  7  ff.):  i  x&v  xdvtmv 
i(o&v  xe  xal  xed-vipc&tmv  x(faxaLoij  x&v  iicl  xoXXatg  iviyxatg  d'e&v 
xs  xal  ivQ'Qmncov  diaxovöxai'  &  x&v  q>aveQ&v  xakvxtai'  i  x&v 
NefieöecDV  x&v  6vv  vfietv  öiax(fsi,ßov6&v  x'^v  naöav  &(fav  xvßeQ- 
VT^xar  &  xfjg  Moigag  xfjg  &itavxa  xeifuöxafiivrig  ixütofiJtoi*  i  x&v 
wt6Qsx6vx(ov  inixdxxai'  &  x&v  imovexayiiivfov  vijf&xar  &  x&v  ixo- 
xexQvniudvoav  fpavBQ&xai'  &  x&v  avifimv  bSriyoi'  &  xv^uximv  i^eyeg- 
xaC'  &  TCVQbg  KOfitöxal  xaxd  xiva  xaiQÖV  &  Ttdörig  yivvrig  xxlöxai,  %al 
evBQyitai'  &  Ttdör^g  yivvrig  "^QO^poC'  &  ßaöiXimv  xvqiol  xal  XQdxiöxoi 
—  SX^axB  BifiBVBtg  i(p*  8  i^uäg  inLxaXovfiai, ...,*Exdxovö6v  ftov xvgUj 
oü  xb  ivofia  fi  yrj  ixovöaöa  iXeiiöBxai^  6  adrig  Axovcdv  xagdööetai^ 
jcotafiol  d'dkaööa  kCyivai  nr^yal  &xov6a6ai  nijywvtaij  at  xixQai 
axovöaöai  ^TJyvvvxai'  xal  oigavbg  filv  XBq>aX'^j  al^Q  Sh  ö&fucj  yij 
TtöÖBg^  xb  öi  TtBQl  öl  vdtoQ  G}XBavbg,  dya^bg  äaiiMov.  öi}  el  xfiQiog^  6 
ysvv&v  xal  XQifptov  xal  a{;go)t;  x&  ndvxa.  TCg  fio(fq>äg  ^^(ov  iicXaye; 
xCg  8\  Bi(fB  xBXBvQ'ovg;  u.  s.  w.  in  Hexametern;  erst  wo  der  Ton 
ruhiger  iind  sachlicher  wird,  setzt  die  Prosa  wieder  ein.^)  —  In 


1)  Cf.  auch  die  Stelle  aus  einem  Gebet  eines  Leydener  Papyrus  bei 
A.  Dietcrich,  Abraxas  (Leipz.  1891)  24  f.  Wer  etwa  hier  an  einen  auf  das 
Hebräische  zurückgehenden  Parallelismus  denken  sollte  (s.  o.  S.  817ff.),  der 
kann  sich  selbst  widerlegen  aus  den  bei  Leemans  p.  77  ff.  folgenden  '£z- 
cerpta  ex  libris  apocryphis  Moisis',  deren  magische  hicaniamenta  sich  in- 


Predigt  und  Hymnus.    Der  Beim  in  den  Prosahymnen.  849 

einem  Gebet  an  den  löwenköpfigen  Gott  yon  Leontopolis  (ed. 
W.  Frohner  im  Philol.  Suppl.  V  [1889]  46)  heilst  es  auf  einer 
Gemme:  xXvd'i  fiot  (sie),  6  iv  Asovxm%6XL  (sie)  xiiv  xaroixiav 
xsocXfiQmiiivogj  6  iv  tp  &yip  öt^xm  iviSQvpiivog^  6  &6%Qa%&v  xal 
ßfovt&v  xal  yv6q>ov  xal  ävifiav  xvqloSj  6  ri^t/  ivovQdviov  trjg 
iavUyv  (sie)  gjvösmg  xixkrjQioiiivog  ävivxriv  (sie). 

b.  Auch  der  Christ  liebte  diese  Redefigur  gerade  da,  wo  b)  ohriat- 
seine  Rede  am  feierlichsten  wurde,  bei  der  Anrufung  Gottes  im  apieie: 
Gebet  ^);  ich  will  dafür  ein  paar  Stellen  eitleren^  zunächst  nicht 
aus  eigentlichen  Predigten.  Aus  den  Liturgieen  vgl.  z.  B.  den  Liturgieen. 
Passus  der  alexandrinischcD  Liturgie^)  p.  4^  deöfud^a  xal  Tcaga- 
xaXovyLiv  ö6y  q>i,kdvO'(f(07C6y  iya^i^  iaiq)avov,  XTigu,  tb  XQÖöamöv 
<fov  ixl  tbv  agtov  xovxov  xal  i%l  xh  xoxijifLOv  xovxo^  alg  [lexa- 
xoifjöiv  xov  ixQavxov  6(hfiaxog  xal  xov  xiniov  öov  aZfurro^,  iv 
olg  6a  xneodixsxai  XQdacala  vcavayCa,  UQatixij  iiivpdia,  iyyaXixij 
%0Q06xa6lay  alg  luxdXtjilfiv  tfwx&v  xal  öfofidxcov,  32*  ixt  öi}  6 
d'abg  "^fi&Vy  6  Xiimv  xoi)g  naaaSi](iivovgy  6  &vo(fd'&v  xabg  xaxaQ- 
fayuivovg,  i^  iknlg  x&v  iTcalmöfiivatv^  i^  ßoi^&aia  x&v  ißoridijx(ov, 
4  ivdöxaöig  x&v  naaxooxötayv,  6  Xtfi'^v  x&v  x^'^i'^to^^varvj  6  ix- 
dtxog  x&v  xaxa7tovov(iiva)v'  näöy  i^oxfi  j^(»t<^r£ai/g  d-Xißofiivri  xal 
naQiaxo(iivy  dbg  iXaogy  dbg  Svaöiv^  dbg  äva^lrv^iv,  48*  kvx^möai 
öaöfUovg,  il^iXov  xoifg  iv  iviyyiaig'  naiv&vxag  %($(»ra<^ov,  dXiyotln)- 
Xovvxag  naQaTcdXaöov,  naxkavrifiavovg  iniöxgatlfovj  iöxotcö^ivovg 
ipanayAytjöov^  xsitxcoxöxag  iyaiQOv,  öaXsvofiivovg  öxiJQLiov^  vsvo- 
ötpcdtag  laöat,  60*  ^ai,  g)a}xbg  yavvfjxoQj  ^fofig  iQXVy^y  X^if^'^og 
xoifftäj  al(ovl(av  9ayLakL&xaj  yväöaag  dfOQodöxa^  6oq>Cag  d'rjöavQd, 
iytmöTivrig  diddöxaXa,  62*  diöTCoxa  xv^w  6  ^adg^  6  navxoxQdxooQ^ 
6  xa9iiiiEvog  ixl  x&v  x^QOvßiii  xal  dola^öiiavog  inb  x&v  6aQag)i^' 
6  i£  {)8dt(ov  (yö(favbv  6xavd6ag  xal  zotg  x&v  döxigav  x^Q^^S 
xoirxQV  xaxaxoöfiijöag  und  oft  ähnlich;  cf.  auch  das  lange  litur- 
gische Gebet  in  den  Constitutiones'  apostolicae  YII  33 — 38 
(p.  212  flf.  Lagarde).^)  —  Aus   den   apokryphen   Apostelge-    ^po- 

haltlich  mit  den  angefahrten  Worten  gelegentlich  decken,  während  die 
Form  eine  ganz  andere  ist,  mehr  den  PsaUnen  ähnelnd,  ohne  Satzparal- 
lelitmns  und  ohne  6iu)iotiUvxcc. 

1)  Cf.  Clem.  AI.  Strom.  VII  7  p.  864  P  ftfttv,  cbf  sinstv  toXfiriQ^SQOv, 

S)  Ich  citiere  nach:  The  Greek  Liturgies  ed.  Swainson,  London  1884. 
8)  Nicht  so  viel  in  den  andern  Liturgieen,  doch  cf.  aus  der  des  C 


850  AnhaTiy  I:  Über  die  Greachidite  des 

schichten:  act.  Petr.  10  (p.  96  Lipsiiis)  giptpiatü  ötn  odx  h 

%Bil£öiw   xovtois   SQO&iilm(i£woig ,   ill'  iniitQ    tf^  9^^ 

sijaQiatA  601,  ßtufiisvj  rg  dia  6iyiig  iroovpiirg,  xg  ^i|  #y  fpmv^m 
ixovo^Jvfij  ^  ft4  't'  oqyavwv  ^ApLoxog  aepofoif^,  Tj}  fii)  /v  öif- 
Tuwa  ina  xoQSvofgdvrj ,  Tg  fti}  ovöia  ^pdsprg  iamwifUvfi  imd  so 
noch  mehrere  Glieder;  act.  Andr.  10  (p.  121  'Hflch.)  xnCifOiq  i 
6tavQh  6  iv  xm   ömium  rov  Xqiöxov  ifTUuvuö^ilg  Mal  ix   tAv 

ful&v  ainov  insai  p4tgya^xat$  xo6p.ii^s{g i  iya9^h  fftavfiy 

6  BvxQijuim  xal  ibpantn^ra  ix  x&9  p^linf  rov  xvpiov  d^/i^urogj 
ixl  xoXv  ixix6^x§  xal  ^xovdaüog  iMt^v^f/tl  xal  ixtspAg  ixir 
tfftovfuve,  xal  fjdi}  ixuco^ov6iiq  as  x^g  irvjjlg  ^ov  Mgov/xot^ua- 
iUvBj  Xafik  f&£  iaco  xSrv  äv^goxenß  xtLj  c£  ib.  13  (p.  126);  martjrr. 
Bartholomaei  7  (p.  255  Tisch.)  Big  ^tbg  6  9can)p  6  iw  vt^  xa\ 
ayia  xvsvium  yvmifi^öiuvogy  slg  ^ebg  6  vibg  6  ix  xarpl  xal  hß 
ayCo  xvaii^Laxi  do§aS<(ftcvo^,  Big  d'Bbg  xb  xvsvfUL  xb  Sywv  6  ip 
xoxqI  xal  vtA  XQoöxwovftBvog.  act  loann.  cathoL  21  (p.  276 
TiscL,  p.  249  Zahn)  xoQBvofUvov  fiov  Xffög  6b  ixoiOQV^^^  ^>^^ 
i/ixi^diJTOi  6x&togj  ixovri^ata  xdiuxog,  6ßB6^ijxa  yiewa*  icxokov- 
^fl^atoHiav  &yYBloi,  ipoßi^^xmöax  daifwvBgj  ^^ovtfdiJTOtfay  Bn9^ 
XBg'  dwd[uig  öxötovg  XBödraöav,  ÖB^iol  xixoi  6Xfpcixo6aXj  iQUfXB- 
Qol  fiif  luivdrmöav '  6  didßoXog  (ptiim^xfOy  6  6axaväg  xaxayaXaö^ijxm* 
i]  navla  ainov  ^(^firiödt(Oy  fj  6(^  aifxov  X€ev6^ifta*  xä  xixva  irdroD 
xatax^iixiOj  xal  SA17  aircov  1}  QiXa  cbcoppi^odi^cD.^)     act.  Andr. 


sostomos  (a.  XI)  p.  129  f.  (isuwriiupoi  xoivw  xi^  cmtr}(flov  tuvtris  Irrolijs  sal 
navtiov  t&v  vnsQ  fnimv  ysysvr^iidvmv,  roO  ötcevQO^  rov  rdfpav,  rf^  rgni^df^ov 
äwaotdöstog  TJ/ff  slg  oitgavovg  äva^de^togy  xf^  i%  di^iav  na^idifag,  xijg  Sev^ 
xigag  xal  ivdd^ov  nuXiv  naQovaiag  y  wo  man  die  AbsichÜichkeit  erkennt 
durch  Vergleich  mit  der  betr.  Stelle  in  der  Liturgie  des  Basilios  (ebenfalls 
s.  XI)  p.  161 :  (UfiVfiuivoi  ovv,  Sienaxa,  %al  fifutg  x&v  öüovriQimv  it^o9  «a^- 
(laxcov,  xov  taoxoiov  exavQov,  xi^g  XQirifiiQOv  xtupilg,  x^  i%  9i%gA9  iwaetd" 
aimgy  xijg  slg  oi)Qttvoifg  &v6SoVy  xf^g  in  ds^iav  aov  xo9  ^so^  tulI  xtcvQbg  «a- 
^iSgag  xal  r^  ivÖo^ov  xal  (poßsi^g  S&vxigag  a^ov  nagoveücg.  Femer  ein 
Abschnitt  ans  der  pontischen  Liturgie  bei  F.  Brightman,  Litnrgies  eastem 
and  wcstem  I  (Oxford  1896)  522.  Auf  Antithesen  an  sehr  gehobcmen  Stellen 
von  angeblich  liturgischen  Partieen  bei  Clemens  AL,  Hippolytos,  NoTatian 
u.  a.  weist  hin  F.  Probst,  Lit.  d.  erst,  drei  Jahrh.  (Tübingen  1870)  91.  188. 
212  ff.  225:  aber  der  Beweis,  dafs  die  Stellen  aus  Liturgieen  sind,  scheint 
mir  nicht  erbracht. 

1)  Th.  Zahn  in  seiner  Ausgabe  der  Acta  lohannis  (Erlangen  1880) 
XCIV  IT.  teilt  die  Beschreibung  des  Lebensendes  des  Johannes  (bei  Tischen- 
dorf p.  272  ff.  §§  lü~21,  bei  Zahn  p.  239  ff.)  in  ihrem  ganzen  Umfang  dem 


Predigt  und  Hymnus.    Der  Beim  in  den  Prosahymnen.  851 

gnostica  ap.  [Augustin.]  de  vera  et  falsa  poenitentia  c.  32  (cf. 
B.  Lipsius,  Die  apokr.  Apostelgesch.  I  592  f.  Das  Original  war 
griechisch) :  ipse  auiem  coqdt  dominum  rogare  ^ne  me  permiUas, 
domine,  descendere  viviMt,  sed  tempus  est  ut  commendes  terrae  cor- 
pus meunu  tamdiu  enim  iam  portavi,  tamdiu  super  commendatum 
vigilavi  et  läboravi,  quod  vettern  iam  ipsa  cibedientia  liberari  et  isto 
gravissimo  indumento  exspoliari:  recordor  qtiantum  in  portando 
onerosum,  in  fovendo  infirmumj  in  coercendo  lenium,  in  domando 
superbum  lahoravi  und  was  weiter  folgt.  —  Aas  gnostischen  onotti- 
Schriften :  in  dem  von  C.  Schmidt  in :  Texte  u.  Untersuch.  VIII 
(1892)  herausgegebenen  zweiten^)  gnostischen  Werk  in  koptischer 
Sprache  finden  sich  mehrere  hymnenartige  Partieen^  die  auch 
noch  in  der  deutschen  Übersetzung  (das  Original  war  griechisch) 
den  Parallelismus  stark  hervortreten  lassen^  z.  B.  p.  304  Und  die 
Mutter  des  Alls  und  der  XQOJtdtoQ^  und  der  airtonAtcuQ  und  der 


Leukios  zu,  d.  h.  der  ersten  H&lfte  des  zweiten  Jahrhunderts.  Aber  das  ist 
sicher  falsch,  wie  sich  ans  dem  Stil  dieser  Partie  ergiebt,  der  von  den 
sicher  bezeugten  Fragmenten  des  Leukios  ganz  nnd  gar  abweicht;  auch 
die  Sprache  (Wortgebrauch,  Formen)  ist  andersartig.  Hätte  Leukios  so  ge- 
schrieben, wie  in  der  genannten  Partie,  so  hätte  Photios  (bibl.  cod.  114) 
nicht  ein  so  vei^htliches  Urteil  über  seinen  Stil  abgegeben  {cpqdöig  slg  tb 
navtstkg  &vd»fucX6g  xb  xal  «rafijlXayfiivij ,  Xi^is  äyogalog  xal  nsnafrutivri). 
Der  echte  Leukios  hat  in  den  langen  und  feierlichen  Beden,  die  er  den 
Johannes  halten  läfst,  die  Figur  des  6(koiotiUvTOv  nur  ein  einziges  Mal 
angewendet  p.  280  Zahn  (am  Schlufs  einer  Bede):  ^b  iidovfjg  (vnaQäg  fii} 
hdv^vat,  4>nb  (^^ii£ag  fiTJ  'ijtxrfiijvai,  (mb  &%(ifig  6&iiatog  (lii  ngodo^'f^voci. 
Die  genannte  Partie  stammt  vielmehr  aus  einer  frühestens  dem  vierten 
Jahrhundert  angehörenden  katholisierenden  Bearbeitung  des  häretischen 
Werkes  des  Leukios,  wie  aus  inneren  Gründen  von  B.  Lipsius,  Die  apo- 
kryphen Apostelgesch.  I  (Braunsohw.  1888)  600  ff.  erschlossen  ist.  —  Vor- 
stehendes war  längst  geschrieben,  bevor  es  M.  B.  James  glückte,  ein  grofes 
neues  Stück  der  echten  Leukios -Akten  aufzufinden  (Texte  and  studies  Y 
[Cambridge  1897]  2  ff.):  dadurch  wird  das  Gesagte  vollauf  bestätigt. 

1)  Welches  sich  formell  und  inhaltlich  durch  seinen  griechischen 
Charakter  von  dem  ersten  unterscheidet,  wie  Schmidt  im  einzelnen  ausge- 
zeichnet bewiesen  hat.  In  jenem  ersten  findet  sich  bezeichnenderweise 
keine  so  komponierte  Stelle;  ebensowenig  in  der  (überhaupt  nicht  stark 
von  griechischen  Ideen  beeinflufsten)  Pistis  Sophia  trotz  der  vielen  dort 
ausdrücklich  als  v(kvoi  bezeichneten  Partieen. 

2)  Die  griechischen  Worte  sind  im  Koptischen  beibehalten  und  zwar 
da,  wo  sie  nicht  in  Klammem  gesetzt  sind,  wörtlich,  da,  wo  sie  in  £[lam- 
mem  stehen,  mit  koptischer  Flexionssilbe. 

Kord«ii,  »ntik«  KimitproM.  II.  56 


852  Anhang  I:  Über  die  Geschichte  des  Reims. 

x(fiyyeviit<o(f  und  die  Kräfte  des  Äons  (alAv)  der  Mutter  ^immtei^ 
einen  grofsen  Hymnus  (pii^vog)  an,  indem  sie  den  Einigen  Alleinigen 
priesen  und  zu  ihm  sprachen:  Du  bist  der  allein  Unendliche 
(iaciQavtog)j  und  Du  bist  allein  die  Tiefe  (ßd&og)^  und  Du 
bist  allein  der  Unerkennbare,  und  Du  bisVs  nach  dem  ein 
Jeder  forscht,  und  nicht  haben  sie  Dich  gefunden,  denn 
Niemand  kann  Dich  gegen  Deinen  Willen  erkennen,  und 
Niemand  kann  Dich  allein  gegen  Deinen  Willen  preisen 
.  .  .  Du  bist  allein  ein  ixAfUtog,  und  Du  bist  allein  der 
iöfatog,  und  Du  bist  allein  der  ivoii6u>g  u.  &  w.  307  Die 
Geburten  der  Materie  baten  das  verborgene  Mysterium  (livötiJQiov): 
„Gieb  uns  Macht  {i^ovöia),  damit  wir  uns  Äonen  (ai&veg) 
und  Welten  (xööiioi)  schaffen  Deinem  Worte  gemäfs  {xatd)j 
welches  Du,  o  Herr,  mit  Deinem  Knechte  verabredet,  denn 
Du  allein  bist  der  Unveränderliche,  und  Du  bist  allein 
der  istigavtog^  und  allein  der  ix^f'V^^^^  ^^^  ^^  ^^^^  allein 
der  iyiwtitog  und  airtoysviig  und  oAxotcAtfOQ,  und  Du  bist 
allein  der  iödXsvtog  und  äyvcoötog  u.  s.  w.,  cf.  311  f. 
Predigten.  c.  Aus  den  Predigten  selbst,  besonders  denen  des  Gregor 

von  Nazianz  und  Augustin;  habe  ich  schon  oben  (S.  564  ff.  und 
621  ff.)  eine  Reihe  von  Beispielen  gegeben ,  die  ich  den  Leser 
zu  vergleichen  bitte.  Ich  füge  hier  noch  einiges  zeitlich  Frühere 
und  Spätere  hinzu.  Die  Reihe  wird  eröffnet  mit  einer  berühmten 
Stelle  aus  dem  unter  Paulus'  Namen  gehenden  ersten  Brief  an 
Timotheos  (erste  Hälfte  des  IL  Jh.):  wenn  ich  die  Stelle  eines 
Briefes  imter  Predigten  citiere,  so  glaube  ich  nach  dem  früher 
(S.  538;  2)  über  die  Beziehungen  beider  Litteraturgattungen  im 
Urchristentum  Gesagten  Berechtigung  dazu  zu  haben.  Es  heifst 
da  am  Schlufs  eines  Abschnitts  (c.  3,  14  ff.):  tavtd  6ov  y(fd<pio 
iXxL^fov  iXd^etv  nQÖg  6b  iv  tixBi^  iäv  dh  ß^aSiivm^  Iva  etd^g  x&g 
det  iv  otxp  d'Boi)  &va6XQi(pB6^ai^  i^tig  iötlv  ixxkriöüc  Q'bov  ^&V' 
rog^  öTpXog  xal  idgaCcafia  tfjg  AXrid'Biag.  xal  6iioXoyov(Uv(og  (liya 
iörlv  TÖ  tflg  BiösßBiag  iivötTJQiov 

bg  i(pavBQ(b^  iv  öagxi, 

iSixaiAdifj  iv  xvBiifiati' 

&q>^ri  äyyiXoig, 

ixriQv%^  iv  i^vBöiv 

iTtiöxBvd'ti  iv  x6öiiG)j 

ivBkilnq>^ri  iv  S6^(j. 


Predigt  und  Hymiins.    Der  Reim  in  hjmnenarfcigen  Predigten.    853 

Ich  habe  diese  Worte  in  unserer  Manier  als  Verse  abgeteilt, 
weil  die  Exegeten  darin  gewöhnlich  einen  Rest  jener  ältesten 
christlichen  Eirchenpoesie  erkennen,  von  welcher  der  unter  Pau- 
lus^ Namen  schreibende  Verfasser  des  Ephesier-  und  Kolosser- 
briefs  an  den  beiden  oben  (S.  841)  citierten  Stellen  spricht  (cf. 
J.  Eayser,  Beitr.  z.  Gesch.  n.  Erkl.  d.  ältesten  Eirchenhymnen 
[Paderborn  1866]  21  f.,  F.  Probst  1.  c.  275),  und  K.  Weizsäcker 
hat,  wie  ich  sehe,  in  entsprechender  Weise  übersetzt,  sehr  mit 
Recht,  da  uns  Deutschen  das  Ethos  des  pathetischen  Stils  am 
besten  in  gebundener  Rede  zum  Gefühl  gebracht  wird.  Aber 
dals  die  Worte  nicht  in  unserm  Sinn  fQr  ^Verse'  zu  halten  sind, 
dürfte  doch  wohl  feststehen^);  eher  annehmbar  wäre  die  Bezeich- 
nung, deren  sich  einige  Exegeten  bedient  haben:  liturgische  (?) 
Bekenntnisformel'.^)  Jedenfalls  ist  die  Form  der  Einkleidung  nichts 

1)  Die  tßdal,  von  denen  der  Verf.  des  Ephesier-  und  Eolosserbriefs  an 
jenen  Stellen  spricht,  dürfte  man  sich  eher  zu  denken  haben  nach  apoc. 
Joh.  6,  9  f.  %al  ^dovciv  ip8i}9  naivi/jv,  Xiyovcsg  "A^iog  st  laßstv  tb  ßißXiov 
%al  ävot^ai  tag  aq>(f€cytSag  a^ov,  8n  iü(pdyrig  aal  'f^yögaeag  r^  &Bm  iv  tm 
aÜ^fuctl  öov  i%  ndcfig  iffvXijg  mal  yX&6arig  %al  Xaoü  xal  id-vovg  xal  inolriöag 
a^ahg  ßaeiXsUtv  xal  Ugstg,  xal  ßaeils^ovüiv  inl  tfjg  yfjg,  cf.  15, 3  xal  ^Sov- 
üiv  x^if  <p8iiv  Mayoöimg  .  .  .  xal  r^y  tpdiiv  xa^  &Qvlav,  Xiyovtsg  MsydXcc 
xal  ^avfucctä  xcc  ^gycc  cov  xrX.  Die  Stellen  über  solche  alten  Gesänge  in 
frühchristlicher  Zeit  bei  Hamack,  Über  das  gnostische  Buch  Pistis  Sophia 
in:  Texte  u.  Unters.  VE  H.  2  (1891)  p.  46, 2,  cf.  auch  Dogmengesch.  I»  167, 1. 
Cf.  auch  Snunbacher  1.  c.  309  f.,  der  die  nenem  Forschungen  über  die 
ältesten  Eirchengesänge  zusammenfafst. 

2)  An  die  Stelle  knüpft  sich  ein  interessantes  Problem.  Alle  Hand- 
schriften haben:  öfioXoyovfUifODg  fiiycc  i6xl  xb  xijg  sifCißsUcg  (wexi^QioVf  hg 
itpa^BoMri  xtX.,  während  das  in  älteren  Ausgaben  stehende  8  nur  auf 
der  für  solche  Dinge  nicht  in  Frage  kommenden  lateinischen  Übersetzung 
beruht.  Aus  dem  mangelnden  grammatischen  Anschlufs  wird  nun  in  den 
meisten  exegetischen  Eonmientaren  eine  wichtige  äufsere  Stütze  abgeleitet 
für  das  in  dem  Inhalt  hervortretende  formelhafte  Gepräge  der  ganzen 
Stelle.  Diese  Auslegimg  ist  sehr  ansprechend;  der  Vorschlag  der  Gegner 
dieser  Auslegung  (z.  B.  bei  H.  Eölling,  Der  erste  Brief  Pardi  an  Tim.  II 
[Berlin  1887]  214,  cf.  auch  H.  Holtzmann,  Die  Pastoralbriefe  [Leipzig  1890] 
329),  eine  Konstruktion  ad  sensum  anzunehmen  nach  Analogie  von  [Paul.] 
ep.  ad  C!ol.  2,  19  o^  %Qoct&v  xiiv  xe^aXify,  i^  o^  n&v  xb  ö3ma  8i&  x&p 
ätf&w  xal  cwdieyMV  inixoqfriyü^\kBvov  xal  avfißißat6pitSvov  a^^si  xi^p  aütt' 
€iiß  X&&  ^eo^,  liefse  sich  ja  an  und  für  sich  hören:  aber  man  bemarin 
die  Thatsache,  dafs  gerade  der  Verf.  der  beiden  Briefe  an  Timotheos  und 
des  an  Titua  das  6iLoioxiX$vxov  sonst  nicht  anwendet  aufser  an  einer  Stelle, 
die  Ton  einigen  wieder  als  eine  Art  von  Citat  aufgefafst  wird:  ep.  ad  Tim. 

65* 


854  Anhang  I:  Ober  die  Gescliichte  des  Reims. 

als  eben  jene  hymnenähnliche,  feierliche,  in  kleine  Kola  mit 
ilioiotiXsvta  gegliederte  Eunstprosa,  die  auch  Paulus  selbst 
an  gehobenen  Stellen  hat,  von  denen  einige  oben  (S.  502  ff.)  an- 
geführt sind.  —  Aus  spätem  eigentlichen  Predigten  hat  schon 
Bouyy  1.  c.  192  ff.  (und  nach  ihm  Erumbacher  1.  c.  339)  Proben 
angef&hrt  und  sie  durchaus  richtig  beurteilt,  wenn  er  sie  mit 
Stellen  aus  Isokrates  vergleicht.  Ich  gebe  hier  einige  Proben, 
von  denen  zwei  (Pseudojustin,  Sophronios)  sich  schon  bei  den 
genannten  Gelehrten  finden.  Der  pseudojustinische  Brief  an 
Diognet  bricht  unvermittelt  ab,  ihm  ist  in  der  Überlieferung 
angefügt  ein  Stück  einer  Homilie,  die  Hamack  (Gesch.  d.  altchr. 
Litt,  bis  Euseb.  I  [Leipz.  1893]  758)  vermutungsweise  ins  lY.  Jh. 
setzt;  sie  schliefst  so^): 

o{)Sh  Eüa  fpd's{Q6tai, 

älXä  naqdivog  möta^star 

xal  ömtiigiov  dsixwtat, 

xal  iaeöötoXoi  öwstC^ovraij 

xal  tb  tcvqCov  itA6%a  n(foi(fxstat, 

Ttal  xaiQol  övväyovtaLj 

xal  nstaHÖöfita  &Qfi6^etai^ 

xal  Siddöxav  &ylovg  6  k6yog  £ig>qa£v£tat, 

8i    oi  xatijQ  do^d^srar 

^  ^  dö^a  Big  to{>s  al&vag.     i(i7Jv, 

II  2,  10  ff.  diic  to^o  ndvta  (mofiivm  diic  tohg  inlsxro^g^  Zira  %ul  aiftol  üeh 
triglag  tvxcoüip  tijg  iv  XQ*^^^  'Irieoii  futä  86i7ig  alavlov.    mcröc  ö  Xöyoc* 

ßa^ilB^eofiBV'  sl  &Q9ri<f6(iid'oc,  ii&%sZißog  &QVi/j<f8tai  4iiLäg'  sl  &ni' 
<ftoü(LSV^  i%st9og  ni<ftbg  fiivsi'  Agvi^aacd'ai  yäg  iavtbv  o^  dvvcctcci  (die 
—  dem  Paulas  selbst  ganz  fremden  —  Worte  niatbg  6  liyog  finden  sich 
übrigens  auch  ep.  ad  Tim.  I  8,  1.  4,  9.  ad  Tit.  3,  8;  daher  darf  wenigstens 
aus  ihnen  nicht  gefolgert  werden,  dafs  die  angeföhrte  SteUe  ein  Citat  sein 
müsse).  Die  endgültige  Entscheidung,  ob  wir  es  an  solchen  Stellen  mit 
Citaten  zu  thun  haben,  ist  deshalb  schwer  und  meist  unmöglich,  weil  wir 
von  der  Litteratur,  die  dem  Paulus  und  dem  unter  seinem  Namen  schreiben- 
den Epistolographen  vorlag,  manches  nicht  besitzen  (s.  oben  S.  474,  2). 

1)  Ich  teile  auch  hier  und  im  folgenden  zur  Bequemlichkeit  des  Lesers 
die  Kola  durch  Absetzen  der  Zeilen  mit.  Übrigens  hat  schon  W.  Meyer  in 
der  oben  (S.  827)  citierten  Abhandlung  diese  Stelle  herangezogen,  aber  nicht 
richtig  verwertet. 


Predigt  und  Hymnus.    Der  Beim  in  hymnenartigen  Predigten.    855 

AmphilochioB  aus  Caesarea  in  Eappadokien,  Bischof  von  Iko- 
niuni;  der  Freund  des  Basileios  und  Gregor  von  Nazianz,  sagt 
am  Anfang  seiner  Weihnachtspredigt  (hom.  1  c.  1;  39,  36  Migne): 
Sv  tQÖaov  6  alö&rjrbg  ixetvog  7ud  äxTJQatog  xoQog  divÖQeöiv 
&q>^a(fXoig  xal  7ca(fxotg  ä^avatoig  xal  pivgCoig  äXXoig  'bxsQkdpLXQoig 
qfaidQvv€ttti  xakks6iVj  ovrco  di^  Tcal  oizog  6  %'soBtdi6taxog  xf^g 
C€QOX(f€7t£6t(kfig  iTcxXfiöiag  d'iaöog  votfcotg  Tcal  ä^ifiltotg  wxxakai/ir' 
XQirivBxav  yLv6xri^Coig  j  &v 

XQtiTclg  fifiiv  iQQay^g 
xal  d's^dkiog  iöxsiiqy^g 
xal  &(fx'^  ömziigtog 
xal  xoQvgyii  nccvösßdöfitog 

4  öijfUQOv  x&v  &yC(av  X(fL6xov  xov  äXfid'ivov  9eov  ^^n&v  yBVB- 
9XCmv  iöxlv  io^ij' 

di*  ffv  xal  xä  nakaiä  xs^goqyijxevxaL  xv7iix(bg 

xal  xä  via  dia^QTJdriv  slg  xäöav  xijv  olxovyLivrpf  xexij- 

Qvxxai' 
dt*  rjv  ip^ogäg  dtivanig  ns^ätrjxaL 

xal  dtaßöXov  öißag  dXd&Qiov  niicavxai' 
dv  TJv  iv^QAjtLva  nidiri  xs^avdtmxaty 

iyyeXixflg  dsönoxsiag  ßCog  ivaxsxaCvufxar 
8l  rlv  oigavbg  ^^vipxxai 

xal  yfl  slg  ^etov  ihlfog  (lexsAgLöxai' 
dv^  r^v  nagdSsLöog  iv&QtoJCOLg  &%o8i8oxav 

xal  d'avdxov  xgdxog  xati^gyrixar 
dl*  ffv  TtXdvri  duL^övcov  deSicoxtatf 

^sov  6oq>ia  xal  jcdvayvog  yta(f0v6ia  iisfiilwxat. 

oix  äyysXog  ydq^  q)i^ö{v  (Jes.  63,  9),  o'ödl  itgiößvg,  iXX*  avxbg 
6  xiifiog  fjl^et  xal  öAöst  aircovg, 

i  ^siav  siayyeXlcDV  TtXoikog  iiiv^ifcogy 

&  nccvööqxov  fivöxriQiiov  yv&ö^g  dvsxdiijyi^xogj 

&  d'eicDv  itpQdöxtov  S(oqb&v  ^öavfbg  dveidXsmtog, 

&  ngovoi^Lxilg  g)i,Xavd'Q(07tlag  xd(fig  dvagl^fLtixog 

und  80  derselbe  öfters.  —  Von  Proklos,  Bischof  von  Eonstan- 
tinopel  (s.  Y),  haben  wir  einige  Reden,  die  wohl  zu  den  am 
stärksten  rhythmisch  gegliederten  und  mit  Figuren  geschmückten 
gehören,  die  uns  überliefert  sind.  Er  lehnt  sich  deutlich  an 
Gregor  Yon  Nazianz   an,   steigert   aber    dessen    Eigenart    aufii 


856  Anhang  I:  Über  die  (beschichte  des  Reims. 

äuijserste.  Lange  Perioden  sucht  man  bei  ihm  vergebens^  er 
lost  alles  in  kleine  zerhackte  Sätzchen  auf,  die  sich  meist  parallel 
laufen  y  z.  B.  finden  sich  in  der  Weihnachtsrede  hintereinander 
32  Sätzchen  von  der  Form  ^  Y^  (ngoögfigsi)  ti^v  fpdtvfiv  (or.  4 
c.  3;  vol.  65;  713  M.).  Ich  müDste  diese  Beden  ganz  abschreiben, 
wollte  ich  eine  deutliche  Vorstellung  von  dem  maMosen  orgia- 
stischen  Taumel  der  Phantasie  und  der  Sprache  geben;  ich  be- 
gnüge mich  mit  einigen  Proben.  Or.  de  laud.  S.  Mariae  (1  c  9^ 
1.  c.  689): 

ainbg  xal  tbv  ixdvO'ivov  iq>6(fe6e  ctitpavov 

xal  xi^v  x&v  ixccv^&v  ikv6BV  iat6qia6Lv* 

6  airbg  Siv  iv  totg  xöXxoig  tov  aatifbg 

xal  iv  yaötgl  xoQ^dvov' 

6  airbg  iv  &yxakaig  [lYjZQbg 

xal  inl  ntSQ'öycDV  &viyL(ov' 

6  ainbg  &v(o  imb  iyyilmv  it(foöBxwetto 

xal  xdtm  tsXAvatg  öwavexXivato' 

rä  £6(faq>lfi  oi  TtQoöißXsne 

xal  nUdtog  '/JQAta' 

6  dovXog  iQifamis 

xal  i}  xtCöig  i(pQi66BV' 

inl  ötavifov  6  avrbg  ixilywro 

xal  6  d'QÖvog  t^g  dö^rig  ainov  ovx  iyeyöfivioto* 

iv  tatpfp  xatsxXsisto 

xal  tbv  ovQavbv  iiitetvev  üösl  di(fQiv' 

iv  vexQotg  iXoyi^sto 

xal  tbv  adriv  iöx'öXevöev 

&de  TrXävog  iövxofpavxBlto 

xal  ixet  Ryiog  idoioXoyBtto,^) 

Or.  de  laud.  S.  Mariae  (5  c.  2,  1.  c.  712): 

aXXä  Tcäöai  fikv  t&v  ayCayv  at  fivfj(uci  d'avfiaötai'  oiSlv  dl  xo- 
öoihov  elg  döl^avy  ola  fj  Ttagovöa  TCavif^yvQig. 

6  "AßaX  diä  dvöiav  ivondistaL' 

6  ^Evhx  ^^'  Biagiötri^w  ^vrifiovsvsraL' 

6  MsXxt^siix  &g  alxhv  ^bov  xr^fdööBtai' 


1)  Man  bemerke,  daCs  die  ganze  Stelle  oin  Cento  aus  den  Evangelien 
ist:  dio  Worte  ändert  er  so  ab,  dafs  sie  die  von  ihm  gewollte  Figur  er- 
geben. 


Predigt  und  Hymnus.    Der  Beim  in  hymnenartigen  Predigten.    857 

6  ^Aßqa&yL  Siä  xiöuv  iyxmfiidietar 

6  ^löaäx  8iä  tvjcov  inaivBltav 

6  ^laxhß  dtä  TtäXijv  ficcxagC^star 

6  ^I(o6iig>  diä  öa)q>(fOö'&i/riv  tiyLaxar 

6  'Jcb/J  8l  ixonovijv  fiaTcagi^erai. 

Mmvöfjg  üg  vo^d^iti^g  svqnjfiettaL' 

JSaiiifhv  d)g  öwöfiiXog  9soi)  naxa(fif^€tai' 

^Hkiag  hg  IriXmti^g  giaQtvQettar 

^Höatäg  ig  ^soXöyog  &vay(fciq>£tai' 

^aviiik  bg  öwstbg  xrjQiiöffstac' 

'Is^sxL'^k  ä)g  ^soctiig  %(bv  &noQ(fif(t(ov  d'aviuiiBtai' 

^aßld  ä)g  xat'^Q  tov  xaxä  ödgxa  nv^tfjQiov  XaXettar 

£oXofia}v  ä)g  öixpbg  ^avfidiBxaL^) 

Or.  de  laud.  S.  Mariae  (6  c.  8,  1.  c.  756  f.)  ein  merkwürdiges 
Zwiegespräch  zwischen  Joseph  und  Maria  ^  gewissermafsen  der 
erste  Anfang  einer  dramatischen  Ausgestaltung  der  h.  Geschichte. 
Joseph  beginnt: 

"Amd"!,  laaxgäv  r^g  'JovJarxfj^  övyysvslag^ 

tf^g  id^Lxfjg  ixoXaßovöa  ixa^agöiag, 
Sita  xal  1^  ayia  naq^ivog  ngbg  tijv  ßageiav  ixitififiöiv  ngaBtav 
ididov  &%6xQL6iv  Xiyovöw 

BsßrjXcDiiivijv  ivvoetg^ 

5t L  diyxcofidvijv  /x£  d'ScoQctg; 
XQhg  tovto  6  'I(oö7J(p' 

FwaLxbg  oix  iötl  xoöfiiag 

iXX6t(fuc  (pQOVstv  siöeßeiag. 
ij  ayia  Xdysr 

^ixä^Giv  tQÖTtov  jtOQVsiag 

oi  8C8(og  x6nov  äjtoXoyiag; 
xal  6  'Jotfi^qp* 

^ErnyLivBig  y&Q  &Qvovfiivri 

oiitag  iyxvficov  ysvofisvij; 
xal  i}  ayia' 

Z'ijfcriöov  ro  &^Bv8\g  jtiötCbg  tflg  nQOtprjtixfig  TtgoQQTlösag 

xal    iiadi^öy    6ag)&g   i^   avtfjg   tb   xaivongsnig   tfjg   de- 

6itotixrig  övXki^Bfog 

1)  Je  acht  Glieder;  die  fiCTa^oAi}  wird  nur  durch  Weglassung  de 
tikels  gekennzeichnet. 


858  Anhang  I:  Über  die  Geschichte  des  Reims. 

und  80  noch  eine  lange  Strecke  weiter.^)  —  Sophronios,  Pa- 
triarch von  Jerusalem  (s.  VII),  hom.  2  in  S.  Deiparae  annuni 
c.  18  (87  III,  3237  Migne): 

XaiQoigj  &  X^Q^S  '^^S  ixovQaviov  yswiffQuc' 
Xccigotg,  &  x^Q^S  ^^S  incBffrizrig  liauikf^a' 
X^iifoig^  &  Xc^&S  ^^S  öanriQiov  iifftQ^xoJUg* 
Xc^^otg,  &  X'^Q^S  '^VS  i^ixtov  iiv6tL%bv  xatayAyiinf* 
Xatgoig,  &  x^Q^S  ^^S  iQffijtov  &%idya6toq  &ifOVQa' 

X(^^(foigy  i  x^Q^S  ^4^  ^axmaQÖxov  qnnbv  ai^aXiötatov' 
X(^i(fOigj  i  d'eov  li^ltsQ  ävöiup&vts' 
XcciQOigy  &  naq^ivB  lutä  x6%ov  &6iiXfit6* 

tig  6ov  tpQOL^ai  rijv  iyXatav  din^i{<f£Ta»$ 
tig  60V  qxivai  tb  ^aufia  toXinjösce; 
xCg  60V  XTK^^ai  ^ccQöijöaL  tb  fiiya^og; 
ivd'QATtoav  tijv  gjvöiv  ijcööiMjöag' 
iyyikayif  tag  tä^eig  vevixfptag' 
t&v  &QX(^yyikoiv  tag  ipatavyeiag  istixffv^ag' 
t&v  %'q6v(ov  x&g  ngoaSgCag  dBvti(fag  6ov  iaiSstliag' 
T&v  xvQLOti/[ta}v  xb  ihlfog  iöiiixQwag' 
tä>v  &QX&V  xäg  xa^yijöeig  JCgoidgafLsg' 
t&v  iiovöL&v  tb  6&ivog  ivBVQcoöag' 
t&v  Swd^cDv  dwancDtiga  jCQOslTJXvd^ag  dvvaiug' 
tb  t&v  XsQOvßlii,  TCoXvönnatov  yritvoig  6g>d'aliiotg  ixegißecXig' 
tb  t&v  U6Qag)lii  i^amiQvyov  irvxfig  d'eoxLn^tOLg  TCtefotg  ins^- 

ßißijxag.^ 

1)  A.  Kirpitschmikow,  Byzant.  Eeimprosa  in:  Byz.  Zeitschr.  I  (1892) 
527  ff.  bespricht  kurz  diese  Stelle,  begeht  aber  den  fundamentalen  Fehler, 
einige  nicht  reimende  Stellen  durch  Konjektur  zu  ändern.  DaTs  in  dieser 
Stelle  der  Reim  stärker  auftrete  als  sonst  bei  Proklos,  ist,  wie  das  Ange- 
führte zeigt,  nicht  ganz  richtig:  er  findet  sich  in  sehr  gehobenen  Partieen, 
wie  es  diese  doch  ist,  regelmäfsig. 

2)  Die  Belege  lassen  sich  beliebig  yermehren,  vgl.  etwa  noch  [Hippel.] 
in  S.  Theophania  IV  851  ff.  Migne.  [Greg.  Thaumat.]  hom.  2  in  annunt  virg. 
Mar.  ib.  1160  ff.,  id.  hom.  4  in  S.  Theophan.  ib.  1180  ff.;  Eustath.  episc. 
Antioch.  alloc.  ad  imp.  Const.  in  concilio  Nie.  XVIU  678;  [Athanas.]  hom. 
in  natiy.  praecursoris  XXViil  905  ff.,  id.  serm.  de  descriptione  Deiparae 
ib.  943  ff.,  id.  serm.  in  occursum  domini  ib.  97S  ff.,  id.  in  caecum  a  natiyi- 
tate  ib.  1001  ff.,  id.  serm.  in  feriam  ib.  1047  ff.,  id.  serm.  in  passionem 


Der  Ursprung  des  H3nimenreim8.  859 

5.  Um  nun  ohne  weiteres  zuzugeben  ^  daCs  die  biioiotiXevta  vortragt- 
der  eigentlichen  Hymnen  von  denen  der  hymnenahnlichen  Pre-  predigtez 
digten  nicht  getrennt  werden  können  ^  muJjs  man  zweierlei  be-  ^^^ 
denken.  Erstens.  Jene  Predigten  wurden  in  einem  dem 
Gesang  nahekommenden  Tonfall  (^recitativisch'^  wie 
wir  sagen  würden)  mit  ausgeprägter  Modulation  der 
Stimme  vorgetragen;  das  steht  nach  den  früheren  Ausfüh- 
rungen über  diesen  Punkt  (S.  55  ff.  135  f.  265.  294  f.  352.  375  ff. 
555.  560)  fest:  wer  es  trotz  der  zahlreichen  von  mir  vorgelegten 
Zeugnisse  leugnet,  mufs  sich  darüber  klar  sein,  daüs  er  seine 
moderne  Anschauung  mit  derjenigen  fremder  Völker  und  Zeiten 
falschlich  identifiziert.  Zweitens.  Der  alte  Eirchengesang 
selbst  ist  nichts  anderes  gewesen  als  ein  feierlicher 
mit  modulierter  Stimme  mehr  recitativisch  gesprochener 
als  gesungener  Vortrag.  Das  hat  schon  v.  Helmholtz,  Lehre 
von  den  Tonempfindungen'  (Braunschweig  1870)  375  ff.  mit  be- 
wunderungswürdiger Schärfe  erkannt^);   es  ist  jetzt  unabhängig 


domini  ib.  1063  fP.,  id.  serm.  pro  eis  qui  saec.  renant.  ib.  1409  fP. ;  Cyrillus 
Hieros.,  procatechesis  XXXTTT  882  fP.,  sowie  in  mehreren  der  Katechesen 
(bei  der  zweiten  mehr  in  der  zweiten  Fassung  409  ff.);  [Cyrillas]  hom.  in 
occnrs.  dom.  ib.  1187  ff.  (sehr  viel);  Serapion  ady.  Manich.  XL  899  ff.,  id. 
ep.  ad  Endozium  ib.  923  ff.  (aber  fast  nichts  in  der  ep.  ad  monachos  ib. 
926  ff.);  [Epiphan.]  homiliae  XTiTTT  428  ff.  (sehr  yiel);  Eologios  honL  LXXXVI 
2918  ff.  n.  s.  w.  Bei  Sophronios  hom.  de  praesentatione  domini  p.  9  (ed. 
Usener  im  Bonner  Progr.  1889)  folgen  sich  17  auf  -tat  endigende  %6fiiucta, 
—  Bemerkenswert  scheint,  dafs  diese  Art  von  Prosa  sich  auch  anf  zwei 
christlichen  Inschriften  aus  Zorava  (südl.  yon  Damascos,  in  Trachonitis) 
findet:  CIGr.  2498.  8921  (=  Lebas-W.  2498.  2601). 

1)  Ich  wurde  darauf  aufmerksam  durch  0.  Crusius,  Die  delphischen 
Hymnen  im  Philol.  N.  F.  VII  Erg&nzongshefb  1894.  Helmholtz  sagt  z.  B. 
p.876:  „In  dem  singenden  Tone  der  italienischen  Declamatoren, 
in  den  liturgischen  Recitationen  der  römisch-katholischen 
Priester  mögen  wir  Nachklänge   des   antiken   Sprechgesanges 

haben 877  Die  Feststellung  der  römischen  Liturgie  durch  Papst 

Gregor  d.  Greisen  (690 — 604)  reicht  zurück  in  eine  Zeit,  wo  Beminiscenzen 
der  alten  Kunst,  wenn  auch  yerblafst  und  entstellt,  durch  Tradition  noch 
überliefert  sein  konnten,  namentlich  wenn,  wie  man  wohl  als  wahrschein- 
lich aimehmen  kann,  Gregorius  im  Wesentlichen  nur  die  Normen  für  die 
schon  seit  der  Zeit  des  Papstes  Silvester  (314 — 336)  bestehenden  römiao? 
Singachulen  endgültig  festgestellt  hat.    Die  meisten  dieser  Form 
für  die  Lectionen,  Collecten  u.  s.  w.  ahmen  deutlich  den  Ton 
des  gewöhnlichen  Sprechens  nach"  (folgt  ein  instruktiyes  Bekf 


860  Anhang  I:  Über  die  Geschichte  des  Reims. 

davon  durch  die  bahnbrechenden  Forschungen  der  Benediktiner 
endgültig  festgestellt,  z.  B.  von  einem  der  ersten  Kenner  dieser 
Dinge  Dom  Joseph  Pothier,  Les  melodies  gregoriennes  (Toumay 
1881)  c.  XV  p.  234  S.  Er  geht  aus  von  der  Bemerkung  Ciceros 
(or.  57)  est  etiam  in  dicendo  quidam  cantus  dbscurior;  das  komme 
daher,  dafs  der  Accent  der  antiken  Sprachen  musikalischer  Natur 
gewesen  sei  (s.  auch  oben  S.4f.  und  besonders  noch  Crusius  1.  c. 
113  ff.);  daher:  les  ancienSy  meme  en  parlant,  moduiaieni  beaucoup 
plus  leur  voix  que  nous  ne  le  faisons  dans  nos  langues  modemesy 
und  sie  hätten  daher  die  Liturgie  stets  recitativisch  vorgetragen; 
aus  diesem  recitativischen  Vortrag  sei  der  gregorianische  Gresang 
hervorgegangen:  (fest  ainsi  que  la  musique  grigorienne  est,  par  les 
fomies  de  ses  modtdations,  aussi  bien  que  par  la  natura  de  san 
rhythme,  un  vrai  recitatif.^)  Er  hat  das  dann  im  einzelnen  zu 
begründen  versucht  in  einer  Abhandlung  De  Tinfluenee  de  l'ao- 
cent  tonique  latin  et  du  cursus  sur  la  structure  m^lodique  et 
rhythmique  de  la  phrase  Gregorienne  .in:  Pal^ographie  musicale 
III  (Solesme  1892)  7  ff.*)  Noch  heute  werden  ja,  besonders  in 
den  romanischen  Ländern,  einzelne  Teile  der  Messe  in  einem 
verhaltenen  Gesangston  gelesen,  vor  allem  die  sog.  CoUecten.') 

1)  Man  kann  das  am  besten  sich  vorstellen  nach  folgenden  Worten 
Augustins  (Conf.  X  33,  80):  ÄihanasitM  tarn  vnodico  flexu  vocis  faciebcU  so- 
nare  lectorem  psahni,  ut  pronuntianti  vicinior  esset  quam  canenti. 

2)  Man  muTs  immer  noch  diese  nur  an  den  gröfsten  Bibliotheken 
(z.  B.  der  Berliner)  vorhandene  Publikation  benutzen,  da  die  dankenswerte 
deutsche  Übersetzung  „Der  Einflufs  des  tonischen  Accentes  auf  die  melo- 
dische u.  rhythm.  Struktur  der  gregor.  Psalmodie"  (Freiburg  1894)  g^erade 
das  für  die  vorliegende  Frage  besonders  wichtige  Moment,  den  Cursus, 
nicht  umfafst. 

3)  Cf.  für  die  Theorie  M.  (Herbert,  De  cantu  et  musica  sacra  I  (St. 
Blasien  1774)  326.  355  f  388  f.  J.  Augusti,  Denkwürdigkeiten  aus  d.  ehr. 
Archacol.  VI  (Leipz.  1823)  158  fP.;  einiges  auch  bei  J.  Hilliger,  De  psal- 
morum  hymnorum  atque  odarum  discrimine,  Wittenb.  1720,  neu  gedruckt 
in:  Thes.  commentationum  selectarum  ed.  J.  Vollbeding  IE  (Leipz.  1849)  43 ff. 
—  Unter  ^Collecte'  im  speziellen  versteht  man  ein  vom  Priester  (oder  Diacon) 
gesprochenes  Gebet,  welches  die  Bitten  der  ganzen  versammelten  Gemeinde 
zusammenfafst:  in  der  griechischen  Kirche  heifst  sie  avvantr}  t&v  alti/janp^ 
cf.  C.  Cracau,  Die  Liturgie  des  h.  Joh.  Chrjs.  mit  Obersetz.  u.  Kommentar 
(Gütersloh  1890)  44,  3.  Über  ihren  Vortrag  lerne  ich  aus  J.  Gräffe,  An- 
weisung zum  Rhythmus  in  homiletischer  u.  liturg.  Hinsicht  ((jtöttingen  1809) 
226:  „Der  Rhythmus,  welcher  diesem  Vortrag  gegeben  wird,  entspreche  so- 
wohl den  allgemeinen  Zwecken,  welche  durch  das  Gebet  erreicht  werden 


Der  Ursprung  des  Hymnenreims.  861 

Bezeichneud  scheint  mir  auch  der  Name,  den  die  mittelalterliche 
Kirche  fOr  die  dem  Hallelaja  untergelegten  Gesangtexte  wählte: 
sie  hielsen  prosae,^) 

Da  nun  also  eine  erhebliche  Wesensverschiedenheit   idenuut 
der     hochrhetorischen     Predigt     und     des     feierlichen  proB«iMheii 
Kirchengesangs  nicht  existiert  hat,  so  sind  wir  berech-  po^^hea 
tigt  oder  vielmehr  genötigt,  beide  in  betreff  ihrer  am     ^«^"^• 
meisten  charakteristischen  Erscheinungsform,  nämlich 
des  Reims,  in  engste  Beziehung  zu  einander  zu  setzen, 
oder  —  mit   anderen  Worten   —  den  Reim   der   hohen 
Prosa   mit   dem  der  getragenen  Poesie  für  identisch  zu 
erklären.    Das  vermittelnde  Bindeglied  war  der  Rhyth- 
mus, auf  dem  beide  Gattungen  der  Rede  basiert  waren. 
Eine  gewisse  äufsere  Bestätigung  dieses  Zusammenhangs  liegt 
in  folgenden  zwei  Thatsachen.     a)  Gunz  wie  in  der  Kunstprosa 
seit  Gorgias  findet  sich  der  Reim  in  den  Hymnen  nur  an  be- 
sonders pathetischen  Stellen:   die  Verfasser  dieser  Hymnen  sind 
sich  also  bewulst  gewesen,  im  Reim  eine  fakultative,  nicht  eine 
obligatorische   Zier  (tf^^fia,  figura)  der  Verse  zu  besitzen.    In 

sollen,  als  auch  der  besondem  Bestimmung  der  Collecten,  auf  eine  dem 
Gesang  sich  nähernde  Weise  gesprochen  zu  werden",  wofür  er 
einige  (deutsche)  Beispiele  giebt;  fOr  die  orientalische  Kirche  cf.  das  E6x^' 
X6ytov  8.  Rituale  Graecorum  ed.  J.  Goar  (Vened.  1730):  Stellen,  die  mit 
erhobener  Stimme  gesprochen  werden  sollen,  werden  mit  intpavoag  be- 
zeichnet (etwas  anderes  ist  fisyaXovpiSivtog^  was  blofs  4aut'  bedeutet,  im 
Gegensatz  zu  fivati%&g  ^leise'),  cf  die  Bemerkungen  Groars  p.  27  u.  106.  — 
Eine  gute  Analogie  (aber  nichts  weiter)  bietet  auch  die  hebräische  Poesie 
worüber  zuletzt  D.  H.  Müller,  Die  Propheten  in  ihrer  ursprünglichen  Form 
I  (Wien  1896)  251  so  urteilt:  „Die  prophetische  Rede  hat  sich  aus  dem 
Chore  [?]  herausgearbeitet  .  .  .;  sie  fand  aber  in  dem  überlieferten  Typus 
eine  gewisse  Schranke,  aus  der  sie  nicht  heraustreten  konnte.  Zur  Schei- 
dung Ton  Rhetorik  und  Dichtung  ist  es  bei  den  Semiten  nie- 
mals gekommen,  und  in  der  That  schwankt  die  prophetische  Rede 
zwischen  beiden  und  neigt  je  nach  der  Art  des  Schriftstellers  und  je  nach 
dem  Stoff,  den  er  behandelt,  bald  nach  der  einen,  bald  nach  der  andern 
zu.**  In  der  Synagoge  spricht  der  Vorbeter  noch  heutzutage  in  einem 
siBgenden  Ton;  aber  wenn  kürzlich  F.  Consolo,  Cenni  suir  origine  e  sul  i 

progreMO  della  musica  liturgica  (Florenz  1897)  den  gregorianischen  Kirchen- 
gesang  aus  dem  Hebriüschen  ableitet,  so  ist  das  eine  Ungeheuerlichkeit, 
die  sich  selbst  richtet. 

1)  Cf.  L.  Gkkutier,  Eist,  de  la  po^sie  liturgique  au  moyen  fige  I  (Pari' 
188Q  164  f.  178,  2. 


862  Anhang  I:  Über  die  Geschichte  des  Reims. 

der  griechischen  Hymnenpoesie  ist;  wenn  ich  nicht  irre^  diese 
Tradition  durch  das  ganze  Mittelalter  bewahrt  worden.  —  b)  Die 
Byzantiner  haben  ihre  Hymnen  als  Prosawerke  aufgefalst,  wie 
Erumbacher  1.  c.  331  bemerkt:  ^^Suidas  und  die  Kommentatoren 
der  Eirchenpoesie  sagen  mit  trockenen  Worten,  diese  Werke 
seien  Ttcctakoyadipf,  ns^p  köyp  geschrieben'^^);  ich  erwähne  noch; 
dais  der  Abendhymnus  des  Gregor  von  Nazianz  in  der  ältesten 
Überlieferung  (s.  X  und  XI)  mit  dessen  Predigten,  erst  in  der 
jüngeren  (s.  XIH— XVI)  mit  dessen  Gedichten  überliefert  ist*), 
und  dais  Ambrosius  seinen  Hymnus  Äeteme  verum  conditar,  in 
rhetorische  Prosa  aufgelöst,  fast  wortlich  wiederholt  hat  in  seinen 
Predigten  über  die  Schöpfungsgeschichte.^ 

B«iipiei6  6.  Ich  gebe  nun  ein  paar  Proben  solcher  Hymnen.    Bevor 

Hymnen-  ich    aber    solche   aus   der    Zeit    des    entwickelten    katholischen 
^^^;   Eirchengesangs  anfahre,  schicke  ich  die  ältesten  aus  den  Zeiten 
chiBciie.   der  ersten  Häresieen  voraus.  Der  Hymnus  der  Naassener  lautet 
bei  Hippol.  ref  haer.  V  10*): 

Nöfiog  ^v  yevixbg  tov  %avxhq  6  iCQ&tog  Ndccg, 

6  dh  dsjksQog  ^v  tov  üeQmtoröxov  tb  xvd'iv  xdogy 

t(fCtatov  ^x^  d*  ilaßev  ioya^oiidvfi  i/tffiov. 

dvä  tovto  ikä(pov  (logqyfjv  7e6QLKBL(iivfi 

xomä  d'avdtp  iisXitruia  XQatoviAivri. 

jcoth  lihv  ßaöiXBiccv  ixovöa  ßXinsi  tb  q>&g^ 

%ot\  d'  slg  iXsov  iQQvyiitivri  xXaisij 

xoth  dh  xXaisi  xal  xalffsi^j 

not%  d\  xXaCBLy  tcqCv Bt ai^ 

%oth  8\  xgCvBtav^  d'vi^öxBL' 

xotl  dh  yivBtat  ivd^odog.    fj  iibXbA  xax&v 

XttßvQLvd'ov  iöfjXd'B  nXavfoibivri, 


1)  Bemerkenswert  ist  übrigens  auch,  dafs  Eustathios  in  seinem  Kommen- 
tar zum  PfiDgsthjrmnus  des  loannes  Damasc.  diesen  Dichter  jiJTopa  nennt: 
Spicil.  Rom.  ed.  Mai  V  (1841)  164. 

2)  Cf.  Fr.  Hansen  im  Phüol.  XLTV  (1886)  228  ff. 

3)  Cf.  G.  Dreves,  Aurelius  Ambrosius  d.  Vater  des  EirchengeBangs  in: 
Stimmen  aus  Maria -Laach,  Suppl.  XV  Heft  58  (Freiburg  1898).  Hymnen- 
citate  in  den  Predigten  des  Bischofs  Petrus  Chrysologus  von  Ravenna 
(t  c.  450)  bei  C.  Weyman  im  Philol.  N.  F.  X  (1897)  466  ff. 

4)  Text  nach  A.  Hilgenfeld,  Die  Ketzergesch.  d.  Urchristent.  (Leipzig 
1884)  260. 


Der  Reim  in  H3nimen.  863 

€la€v  d*  'Iriöovg'  ^EöÖQttj  tcAzbq^ 

ii^tfiiia  xax&v  töd*  ikl  %%6va 

ixb  öfjg  nvoY^g  iKinXdf^etau 

trttst  dl  (pvyslv  th  magov  xdog 

xoihc  olösv  Svccog  dule'öcetai, 

toikov  (i€  %d(fiv  Tt^iiilfov,  ndxBQ. 

6(pQaytdag  B%(ov  xaraßi^öoiiM. 

al&vag  SXovg  diodsvöcoj 

p^vöti^ifia  nivxa  d*  ävoi^co, 

^OQfpdg  ts  d's&v  inidsi^cjj 

t&  xsKQVfiiidva  tijg  ayiag  6dov 

yv&6vv  TcaXiöag  naQadAöa. 
Der  i^aXfiög  des  Yalentlnos  auf  die  groCse  Ernte,  das  ^igog, 
bei  Hippol.  1.  c.  VI  37^): 

ndvxa  TCQeiidiuva  9rv£i5fiart  ßXiicmy 

ndvta  d*  öxo'öiißvtt  av€viiatt,  vo&' 

ödffxa  (iiv  ix  iroxilg  9C(f€(ia(iivfiv, 

irvxilv  di  &i(fog  i^oxovfiivriVy 

Hqu  d'  ^1  at^Qtig  XQBiiduBvoVj 

ix  dh  fiv^ov  xa(f7tovg  fpBQOfLivovg^ 

ix  iiiitQag  dh  ß(fiq)og  q>8Q6n£vov. 
Für  die  spätere  Zeit  wähle  ich  einige  Strophen  aus  Liedern  des 
Synesios   und   Romanos.     Synesios   in  dem  ersten ;  noch   vor 
seinem  Übertritt  zum  Christentum  verfaTsten  Hymnus  Y .  20  ff. : 

6  iilv  tfcaov  si  diAxoi, 

6  dl  tö^ov  €i  xnaCvoi^ 

6  6%  ^[iStvag  (pvXdööoij 
dann  besonders  stark  hymn.  5;  58  ff.: 

X<^iQOig,  &  na^äbg  jcayd, 

Xccigoig,  &  naxQbg  (lOQipd' 

Xccigoigj  &  naidbg  TCQtjTtigj 

Xccfyoig^  &  TCatQog  ötpQtiyig' 

XaCfOig,  &  naidbg  xdgtogy 

Xalgoig^  &  naxqbg  xdXXog, 
Die  erste  Strophe  des  berühmten  Weihnachtshymnus  des  Ro- 
manos lautet  (Anal.  Sacra  ed.  Pitra  I  1): 


1)  Hilgenfeld  1.  c.  304.  Zeugnisse  filr  die  Psalmdichtung  der  Gnostil 
bei  Hamack  l  c.  (oben  S.  853, 1). 


864  Anhang  I:  Über  die  Q^schichte  des  Reims. 

fl  xaQ^ivog  6ijiiSQ0v  —  tbv  vxsQovöiov  xüetBr  ■  — 
xal  4  yi}  TÖ  ömjlaiov  —  rc5  iacQoöCxm  jeQOöäysi,  — 
äyysXoi  (istä  Ttoinivav  —  do^oXoyovöiv, 
^dyoi  dh  (letä  &6xi(foq  —  b8oi%o(fOi)6iV' 
6i   fii/Mg  yäQ  iysvvi^^fi  — 
naidlov  vdovj  6  agb  al&vmv  ^s6g. 

Die  yierzehnte  Strophe  des  Osterhymnus  (I.  c.  p.  64): 

^ij  yäQ  &yyikovg  lötSQ^a,  — 
öl  tbv  nt<D%bv  i(piXri6cCj  — 
f^v  döiav  fiov  ^x^v^a,  — 
xal  xivfig  6  nXovöiog  — 
(paivo^ai  ixAv; 
noXif  ydg  os  nod'&v  — 
imCvaöa  idCipii6a  — 
6id  6b  xal  i(uix^6a. 

Die   dritte   Strophe   des   Hymnus    über   den  Verrat   des   Judas 

(1.  c.  p.  92): 

tig  äxo'ööag  —  oix  ivdgxtiös  — 

fl  tig  ^BCDQiiöag  —  oix  it(f6(ia6€  — 

tbv  'Iriöoih/  —  döXm  (piXoiiiuvoVy  — 

tbv  X(fi(Stbv  —  (p^övp  XfoXoiiiuvov  — 

tbv  ^sbv  —  yva(ii]  TCQotoiiiuvov ; 

b)iatei-  7.  Auf  die  im  Prinzip  analogen  Verhältnisse  im  Abend- 

uiiche.  jg^jjjß  brauche  ich  nicht  näher  einzugehen.  Wenn  man  die 
dem  Griechischen  parallel  gehende  Entwicklung  des  rhetorischen 
biiOLOtiXBvtov  in  lateinischer  Sprache  betrachtet;  wenn  man  vor 
allem  den  Prosareim  der  augustinischen  Predigten  (S.  621  ff .)  ver- 
gleicht, dessen  Popularität  auch  aus  einer  oben  (S.  629  f.)  ange- 
führten Inschrift  eines  Tribunen  ersichtlich  ist,  so  wird  man 
zugeben,  dafs  die  für  die  eine  Sprache  gewonnenen  Resultate 
ohne  weiteres  auch  für  die  andere  Gültigkeit  haben.  ^)    Aber  in 

1)  Die  Forschung  über  die  Geschichte  des  Reims  in  den  alten  latei- 
nischen Hymnen  halte  ich  noch  nicht  fflr  abgeschlossen,  so  yiel  auch 
darüber  geschrieben  ist  (die  Litteratur  über  das  lateinische  Kirchenlied 
findet  man  am  besten  bei  U.  Chevalier,  Poesie  liturgique  du  moyen  äge  in: 
L'universitä  catholique  X  [1892]  177,  8,  cf.  auch  L.  Gautier,  Les  ^popto 
franyaises  [Paris  1878]  281,  1;  wozu  jetzt  neben  anderem  noch  kommt  N. 
Spiegel,  Unters,  üb.  d.  iütere  ehr.  Hymnenpoesie.  1.  Teil:  BeimTerwendung 
und  Taktwechsel.    Würzburg  1896).    Das  Thema  liegt  mir  fem,  nur  ein 


Der  Reim  in  Hymnen.  865 

Einzelheiten  gingen  Orient  und  Occident  (wesentlich  infolge  der 
yerscliiedenen  Natur  ihrer  Wortaccente,  s.  S.  867,  1)  ihre  geson- 
derten Wege,  und  die  Geschmacklosigkeit  der  gereimten  Hexa- 
meter, unter  denen  die  sog.  ^leoninischen'  ^)  die  Hauptrolle  spielten, 
blieb  dem  Occident  vorbehalten. 


paar  Belnerkungen  über  prinzipielle  Fragen.  Die  Tiradenreime  bei  Com- 
modian,  Augnstin,  Pseudocyprian  (über  letzteren  cf.  A.  Ozanam,  La  mili- 
sation  chrät.  au  V.  sifecle,  2«  ^d.  [Paris  1862]  vol.  II  140  ff.)  sind,  wie  mir 
scheint  (cf.  auch  Spiegel  1.  c.  35),  als  blofse  Spielerei  (bei  Augustin  auch 
mnemotechnisch)  gesondert  zu  nehmen  und  nicht  als  erste  Anfänge  des 
eigentlichen  Reims  zu  betrachten.  Dieser  beginnt  erst  mit  Sedulius,  denn 
ich  stimme  darin  durchaus  mit  Dreves  1.  c.  (oben  S.  862, 3)  49  überein,  dafs 
für  Ambrosius  der  Reim  als  bewuTst  angewendetes  Eunstmittel  noch  nicht 
existiert,  sondern  dafs  er  an  den  paar  Stellen,  wo  die  Verse  gleich  aus- 
lauten, eine  blofse  Folge  der  flexivischen  Endungen  ist  (z.  B.  in  dem  Hym- 
nus Äeteme  verum  conditor  Strophe  6 :  Gallo  canente  spes  redit,  Aegris  scUus 
reftiMditur,  Mucro  IcUro^iis  conditur,  Lapsis  fides  revertitur);  dasselbe  gilt 
für  Prudentius,  während  M.  Manitius,  Qesch.  d.  ehr.  lat.  Poesie  (Stuttgart 
1891)  16  f.  über  beide  anders  (aber  m.  E.  unrichtig)  urteilt.  Wenn  freilich 
die  scharfsinnige  Vermutung  von  W.  Brandes  1.  c.  (oben  S.  840, 1)  9  richtig 
wäre,  dafs  Ausonius  in  der  am  stärksten  christlich  gefärbten  Strophe  seiner 
Sphemeris  v.  15  ff.:  Deus  precandus  est  mihi  Ac  filius  summi  dei,  Maiestas 

tMiusmodi  Sociata  sacro  spiritui  absichtlich  den  Reim  verwendet  hätte, 
Bo  galt  er  damals  schon  als  Charakteristicum  der  christlichen  Poesie.  Aber 
keiner  hat  im  IV.  Jh.  mihi  dei  spiritui  für  Reime  halten  und  als  solche 
anwenden  können:  das  war  vielmehr  erst  im  Mittelalter  möglich  (s.  oben 
S.  886, 2);  also  besteht  die  Alternative:  entweder  sind  die  Reime  als  solche 
beabsichtigt  —  dann  ist  die  Strophe  nicht  von  Ausonius  (für  den  Gedanken 
kann  sie  fehlen  trotz  Brandes  p.  10)  —  oder  sie  sind  überhaupt  nicht  als 
solche  empfunden,  dann  kann  sie  echt  sein,  beweist  aber  für  die  Reimfrage 

nichts;  ich  neige  zu  ersterer  Entscheidung,  weil  spiritui  mit  dreisilbiger 
Messung  für  Ausonius  unerhört  ist  (cf.  auch  Leo  in:  Gott.  gel.  Anz.  1896, 
778):  Scaliger  schrieb  ^ritu,  ich  glaube  vielmehr,  dafs  durch  die  Not- 
wendigkeit einer  Änderung  die  Interpolation  bewiesen  wird,  was  sich  mir 
noch  dadurch  bestätigt,  dafs  in  den  unmittelbar  folgenden  Versen,  die  das 
Game  abschliefsen:  JSt  ecce  iam  vota  ordior,  Et  cogitatio  numinis  Prae- 
9eniiam  sentit  pavens;  Pavetne  quicquam  spes  fides?  ein  schwerer  metrischer 
Fehler  ist,  der  von  Leo  (1.  c.)  nur  durch  eine,  wie  mir  scheint,  nicht  über- 
zeugende Änderung  beseitigt  wird. 

1)  Woher  der  Name  kommt,  habe  ich  mich  vergeblich  bemüht  fest- 
logtellen  (immer  noch  das  Beste,   aber  historisch  nicht  Ausreichende  ent- 
hält die  Notiz  bei  Fabricius-Mansi,  Bibl.  lat.  med.  et  inf  aet.  m  [Fl* 
1868]  646  f.).    Die  Hoffnung,  dafs  durch  die  Notiz  von  0.  Dingeldei] 
(oben  S.  8S0)  4,  1 :  „Nach  den  Mitteilungen  von  Duchesne  in  der  ! 


866  Anliang  I:  Über  die  Oeschiclite  des  Reims. 

o)  mittel-  8.  Zum  Schlafs  dieses  Abschnitts  wül  ich  noch  ein  Doku- 
ment des  lateinischen  Mittelalters  anfOhreUi  aus  dem  man 
das  Ineinanderfliefsen  des  rhetorischen  und  poetischen  Reims  gut 
beobachten  kann.  A.  Ozanam,  Des  ecoles  en  Italie  aux  temps 
barbares  (oeuvres  complfetes  2.  6i.  vol.  IE  Paris  1862)  400  ff.  hat 
zur  Illustration  mittelalterlicher  Stilistik  Teile  einer  bisher  nicht 
bekannten  Vita  S.  Donati,  Bischofii  von  Fiesole  (f  874),  aus 
einer  Florentiner  Hs.  s.  XI  veröffentlicht.  Darin  wird  erzählt^ 
wie  der  Ire  Donatus  suorum  civium  prosapia  nobüium  parentum 
progenitus  et  ab  ipsis  pene  crepundiis  Mus  fide  calholicuSj  animus 
vero  liüeris  deditus  et  erga  Christi  cuUores  devotus  auf  einer  Pilger- 
reise nach  Fiesole  gekommen  sei,  wo  man  gerade  einen  Bischof 
brauchte;  Wunder  verkünden,  dafs  der  unbekannte  Pilger  der 
erkorene  sei:  man  veranlafst  ihn  seinen  Namen  zu  nennen: 

nomine  (sie)  cum  audierunty 

letabundo  sie  pectare  dixenmt: 

^eia  Donate, 

pater  a  deo  date, 

pontificdU  reside  cathedra^ 

ut  nos  perducere  vdleas  ad  astra/ 

tunc  sandus  pectore  puro  verba  dixit  in  unum: 

^parcite, 

0  fratres,  quod  ista  proferiis  inane  . . . 

mea  crimina  lagere  sciatis, 

non  in  plebe  docere  credaUs' 

critique  1889,  260  kann  die  Herleitung  des  Namens  von  Papst  Leo  I.  als 
sicher  gelten**  die  Frage  erledigt  sei,  sah  ich  getäuscht:  an  der  in  der 
ReTue  1.  c.  citierten  Stelle  (Acad.  des  inscr.  et  belies  lettres.  Comptes  lendui 
22.  März  1889  p.  141  ff.)  ist  von  nichts  hierher  Gehörigem  die  Bede  (es 
handelt  sich  um  den  cursus  Gregorianus).  Baeda  (GLK  YIl  244)  kennt  den 
Namen  noch  nicht;  im  XU.  Jh.  wuTste  man  nichts  mehr  über  den  Ursprung 
des  Namens,  wie  die  blödsinnigen  Erklärungsversuche  in  Metriken  jener 
Zeit  beweisen,  cf.  z.  B.  den  Traktat  De  cognitione  metri,  den  H.  Hoffinann 
in:  Altdeutsche  Blätter  von  Haupt  und  Hoffmann  I  (Leipzig  1886)  212  ans 
einem  cod.  Admont.  nr.  769  (s.  XH)  ediert  hat,  ähnliches  noch  Pierre  Fabri, 
Le  grand  et  vray  art  de  rethorique  (1620)  ed.  A.  H^ron  yoI.  H  (Bouen  1890) 
16.  Die  leonina  consonanHa  wird  genannt  continua  scanaio  Ton  Hugo  t. 
Trimberg,  Registrum  multorum  auctorum  (ed.  Huemer  in:  Sitnmgsber.  d. 
Wien.  Ak.  1888)  V.  868.  Ich  zweifle  nicht,  dafs  durch  genauere  Forschung 
das  Dunkel,  das  über  dem  Namen  liegt,  gehoben  werden  kann. 


Der  Beim  in  Hymnen.  867 

ad  haec  sonanUa  verba 

cuncta  eepit  dicere  caterva: 

^sicut  visUavü  nos  oriens  ex  cdto, 

sie  agatnus  in  viro  sancto: 

Christus  eum  adduxit  ex  occiduis, 

eligamus  tws  in  Fesulis. 

et  ecce  deo  dignus 

a  Christo  demanstratur 

domino  Danatus; 

ad  sedem  nunc  producatur, 

tU  nöbis  a  deo  datus 

Sit  pater  Donatus. 

si  est  f?oluntas  resistendi, 

fiat  vis  eligendi.' 
sicque  factum  est:  licet  muitum  renitendo  f^wrimumque  repugnando 
resisteret,  inthronigatus  tarnen  est ...  .  Erat  largus  in  deemosyniSf 
sedidus  in  vigüiiSy  devotus  in  orationej  praecipuus  in  dodrina, 
paratus  in  sermone^  sanctissimus  in  conversatione.  iipse  enim  Om- 
nibus vite  sue  diäms  nunquam  animum  oUo  dedit,  quin  non  aut 
oratUmi  insisteret  aut  lectioni  incumberet  aut  utüitatibus  ecdesie 
describeret,  seu  etiam  scemata  metrorum  discipulis  dictaret  vel  in 
rebus  ecclesiasticis  insudaret  necnon  in  soUicitudinibus  viduarum  et 
arphanorum  instaret  et  egenorum  curam  häberet.  Der  Verfasser 
schreibt  also  in  Reimprosa,  die  er  in  den  Beden  so  steigert, 
daTs  man  die  einzelnen  Kola  von  rhythmischen  reimenden  Versen 
nicht  mehr  unterscheiden  kann. 

VI.  Resultate. 

Ich  fasse  kurz  zusammen.  Potentiell  ist  der  Reim  in  der  Beiuiute. 
griechischen  und  lateinischen  Sprache  von  jeher  so  gut  vor- 
honden  gewesen  wie  in  jeder  andern  Sprache;  aber  in  der  me- 
trischen (quantitierenden)  Dichtung  hatte  er  keine  rechte  Stätte, 
erschien  daher  in  ihr  im  allgemeinen  nur  ganz  sporadisch  und 
zufallig  und  wurde  nur  von  wenigen  Dichtern  als  rhetorisches 
Eunstomament  hier  verwendet.  Aktuell  wurde  er  beim  Über- 
gang der  metrischen  Dichtung  in  die  rhythmische^);  dieser  Über- 

1)D.  h.  die  silbenzählende,  wozu  im  LateiniBchen  noch  die  Bück- 
aicht  auf  den  Wortaccent  kommt.    Ihre  Entstehung  verdankt  bekanntlie^ 
Korden,  uitike  Kanitprosa.  II.  56 


S88  Anhang  T:  Über  die  Oescliicbte  dea  Keims. 

gang  vollzog  sich  au  der  Hand  der  seit  Jahrhunderten  gepflegten, 
hochpoetiscfaen ,  nach  dem  Prinzip  des  Rhythmas  gegliederten 
Prosa,  in  der  das  rhetorische  f}[toiotiXtvTov  eine  immer  steigende 
Bedeutung  erhalten  hatte.  Speziell  aus  der  in  solcher  Prosa 
abgefafsten,  mit  einer  dem  Gesänge  nahekommenden  Stimme 
roi^etragenen  Predigt  fand  der  Reim  dann  in  die  der  Predigt 
anch  innerlich  verwandte  Hymnenpoeaie  Gingang.  Aus  der  la- 
teinischen Hymnenpoesie  wurde  er  seit  dem  IX.  Jh.  in  die  frem- 
den Sprachen  Übertragen;  dafs  auch  in  diesen  Sprachen  der  Reim 


die  ailbenzählende  statt  ailbenwägende  Poesie  dem  scbwindenden  BewoTst- 
sein  für  die  Quantität  der  Vokale,  das  beiden  Sprachen  gemeinsam  war; 
pmefätio  nosträ  viäm  erranti  devionttrat  (Commod.  inatr.  praef.  v.  1)  ist  wi* 
trffiid'  'A»vl(ifov  kbI  tottt  TiT/ilTfv  evv6iievvov  \  yala  ipilii  iiaffxti  Vroxlis 
Anomaiiivrit  (ep.  426  Kaibel,  cf.  ep.  393).  Aber  im  Lat,  kommt  zu  dieaem 
Moment  nocb  ein  weiteres  hinzu,  das  dem  Griech.  so  gat  wie  fremd  ist; 
das  Zusammenfallen  des  Wortaccentes  mit  dem  Versaccent.  Mit 
den  irrlüni liehen  Annahmen,  nach  denen  dies  Moment  auch  im  Griech.  eine 
bedeutende  Rolle  spielte,  bat  W.  Mejer  in  seiner  grundlcgendea  Abhaad- 
lung  „Zur  Gesch.  d.  griech.  u.  lat.  Hexameters"  (in:  Sitzungsber.  d.  bayr,  Ale. 
1884,  979  ff.),  p.  1013  ff.,  aufgeräumt:  dsjiach  besteht  es  nur  Im  Babrios 
(der  sicher  kein  geborener  Grieche  war),  fOr  den  es  bekanntlich  2uel«t 
Ahrens  beobachtete,  sowie  in  einigen  byzantiniflcheu  Versen,  besonders  den 
poUtiscben  (fOr  Byzajw;  vgl,  aueb  0,  Cnisins  im  Philol.  N.  F.  VH  \lSn] 
Ergänzungsheft  p.  133),  Dagegen  ist  dies  Moment  in  der  lateinischen 
Sprache  —  zweifellos,  weil  deren  Accent  ein  ganz  wesentlich  eispiratoriach- 
energischer,  kein  musikalischer  war  —  so  alt  wie  lateinische  Poesie  Ober- 
haupt, bat  in  den  Satumiero  eine  —  wenn  auch  nur  sekundäre  —  Rolle 
gespielt  und  nach  Bentleys  berühmter  Beobachtung  auf  die  Technik  des 
Senars  einen  hervorragenden  Einfluls  ausgeübt.  (Die  gleiche  Beobachtung 
bat  Ritschl  für  den  Heiameter  gemacht:  der  Versuch  Meyers  1.  c.  lOsa  ff., 
Ritschl's  Argumente  zu  widerlegen,  ist,  wie  ich  anderswo  nachweisen  werde, 
nicht  gelungen.)  Prosodisch  regelwidrige  LBngungen  durch  den  Accent 
finden  wir,  abgesehen  von  den  Satumiern  (in  denen  sie  nicht  wegdispuliert 
werden  können,  ohne  dafs  deshalb  die  saturnische  Poesie  eine  ausschlieTs- 
licb  Bccentuierende  gewesen  würe),  schon  in  Pompeji:  ep.  44  Buech.  maffi 
properares,  ut  viderei  Vcnerem,  Pompeios  defer,  ühi  dulcin  (Kt  amor,  Ton  wo 
es  kein  weiter  Schritt  mehr  war  bis  eu  appartbit  repentina  mofftw  dies  ä&- 
mini  (ganz  anders  zu  beurteilen  sind  die  zwei  Verse  der  alUateinischcu 
Orakel  CIL  !  1440  f.  de  irKtrto  certa  ne  fiant,  si  sapix,  caveag  und  de  rero 
falsa  ne  fiant  iudiee  fuUo,  wo  nacb  Bnecheler,  Lat.  Decl.  <  40  die  DLugong 
durch  die  ClUur  bedingt  ist,  sich  also  nicht  unterscheidet  Ton  den  ge- 
legentlichen —  rein  metrischen,  nicht  prosodiachen  —  Freiheiten  alt^isdl 
griechischer  Poesie,  die  auch  Enuias  und  Vergil  anwenden). 


Resiiltate.  869 

potentiell  vorhanden  war,  ehe  er  durch  die  fremde  Poesie  aktuell 
wurde;  ist  selbstverständlich,  denn  auch  auf  diesem  Gebiet  gilt 
das  höchste  immanente  Gesetz  jedes  Werdens  und  jeder  Entwick- 
lung, dals  auf  der  grolsen  Flur  alles  Lebendigen  nichts  absolut 
Neues  erfunden,  sondern  ein  blofs  schlummernder  Keim  zu  ener- 
gischem Leben  erweckt  wird.^) 


1)  Die  Frage  nach  der  Berechtigung  des  Reims  in  den  mo- 
dernen Sprachen  war  seit  den  ersten  Tagen  des  Hmnanismus  eine  inter- 
nationale.  Für  die  Beurteilung  der  humanistischen  Bestrebungen  und  ihres 
Einflusses  auf  die  modernen  Sprachen  hat  sie  ein  eignes  Interesse.   Ich  will 
daher  hier  einiges  von  mir  gesammelte  Material  fSr  eine  genauere  Behand- 
lung geben.    (Anderes  in  Sulzers  Allg.  Theorie  d.  schönen  Künste  IV  1794 
8.  V.  Beim.    Petrarca  hat   auf  seine  Liebeslieder  mit  ähnlicher  Gering- 
schätzung gesehen  wie  Catull  auf  die  seinen,  während  uns  die  Bime  des 
einen  und  die  nugae  des  andern  so  unvergleichlich  höher  stehen  als  die 
qtalica'  und  die  Epyllien ;  cf.  für  Petrarca  G.  Voigt,  Wiederbel.  d.  kl.  Alt. 
I'  22.  25.  29.  160.    Zu  was  fär  Abgeschmacktheiten  man  kam,  zeigt  eine 
alte  Danteyita,  die  aus  einem  cod.  Riccardianus  ediert  ist  von  Mehus  in 
der  Vita  generalis  Camaldulensis  (Florenz  1759)  p.  CLXXI:  dort  wird  Dantes 
Gedicht  mit  einem  Pfau  yerglichen,  teils  weil  es  so  viele  colores  habe  wie 
der  Pfau,  teils  aber  auch  weil  pavo  habet  turpes  pedes  et  mollem  incessum: 
ita  ipse  Stylus,  quo  tamquam  pedibus  ipsa  natura  consistit  et  fimuUur,  turpis 
videtur  respectu  lüeraU,  quamvis  in  genere  suo  sit  pulcerrimus  amnium  et 
magis  confarmis  ingeniis  modemorum,  vel  pedes  twrpes  swnt  carmina  vulgaria, 
quibus  tamquam  pedibus  Stylus  cwrrit,  quae  sunt  turpia  respectu  litercdium. 
Erasmus  läfst  in  seinem  Conflictus  Thaliae  et  Barbariei  (Opera  ed.  1703, 
Tol.  I  889  ff.)  die  Barbaries,  d.  h.  die  Vertreterin  von  ZwoUe,  auftreten  und 
in  leoninischen  Hexametern  reden  (col.  898),  die  dann  von  der  Thalia  mit 
dem  G^chrei  eines  Esels  und  dem  Ej^en  eines  kastrierten  Hahns  yer- 
glichen  werden.    Überhaupt  haben  bekanntlich  die  Humanisten  besonders 
in  den  Epistolae  obscurorum  virorum  die  rhythmischen  Verse  ihrer 
Gtegner  verhöhnt,  die  ihrerseits  unbefangen  zugaben,   die  quantitierende 
Poesie  zu  verachten,  z.  B.  ep.  obsc.  vir.  nov.  9  (p.  198,  23  ff.  Bock.)  sciaUs 
quod  campasui  rühmice  non  attendens  quantitates  et  pedes,  quod  videtur  mihi, 
quod  sanat  melius  sie.  etiam  ego  non  didici  illam  poetriam  nee  curo,  ib.  27 
(p.  229,  7)  ipsi  dicunt,  quod  non  est  rede  compositum  seu  comportatum  in 
pedibus  suis;  et  ego  dixi:  quid  ego  curo  pedes?  ego  tamen  non  sum  poeta 
seeuiaris  sed  Iheologicälis,  et  non  curo  nee  habeo  re^ctum  ad  ista  puerüia, 
sed  tantwm  curo  sententias,  ib.  34  (p.  242,  8)  sancte  deus^  ego  non  habui 
vohtntatem  scribere  vobis  metra  et  tamen  scribo.  sed  factum  est  ex  improviso. 
etiam  iHa  metra  non  sunt  de  poetria  seculari  et  nova,  sed  de  üla  antiqua 
quam  eUam  admittunt  magistri  nostri  in  Parrhisia  et  Colonia  et  älibi.    So 
giebt  Mich.  Ne ander  im  dritten  Teil  seiner  Ethice  vetus  et  sapiens  ve- 
terum  latinonun  sapientium  (Lipsiae  1590)  eine  grofse  alphabetisch  geord- 

66* 


870 


Anhang  I:  Über  die  Geacliichte  des  Reime, 


I 
I 


net«  Zahl  leonimscher  Heiameter,  entschuldigt  sich  aber  in  der  Voir 
dafs  er  solchee  gesammelt  habe  t  coeno  iUa  et  sla-core  monaatko  et  barban, 
während  der  Tübinger  Humanist  Heuricaa  Bebelius  in  seinen  Commen- 
taria  epistolarum  conficiendarum  (1500}  f.  1'  mahnt,  sich  »on  den  gereimten 
Gedichten  fem  zu  halten  toTtquam  ab  aspidwn  venenis.  —  FOr  die  Tni>denieii 
Sprachen  empfiehlt  Ähachafiimg  des  ELeims  in  England  Bogdr  ABcbam, 
The  scholema,ater  (1670)  p.  14t  ff.  in  Ätbera  reprints  n.  SS  (doch  batt«  er 
Vorgänger:  cf.  p.  147  f.)  und  William  Webhe,  A  discours  of  english  poetrie 
(1586)  p.  30.  G6  ff.  bei  Arber  n.  26:  der  Reim  sei  eine  Erfindung  der  Hannen 
(cf.  darüber  oben  S.  770, 1).  Für  Frankreich  wertvolles  Materia!  in  öonjets 
Bibl.  fran?.  Hl  (1741)  e.  16  p.  351  ff.  nnd  bei  Lonia  Racine  (dem  Ewdt«n 
Sohn  des  Dichters),  De  la  poesie  artificielle  on  de  la  vereification,  publiciert 
in:  Memoires  de  litterature,  tirez  des  registres  de  l'academie  rojole  des 
iiucriptions  et  bellea  lettres  depuia  1'ann^e  MDCCXXXVHI  jusques  et  com- 
pris  l'annäe  HDCCXL,  Tome  X7  (1743)  S12  f.;  er  polemisiert  besonden 
gegen  die  Verwerfung  des  Beims  durch  Fän^lon  (die  Stelle,  auf  die  er  sich 
bezieht,  steht  in  deseen  Lettre  ä  Taead^mie  Fran9.  sur  l'dloquence  etc., 
hinter  der  Anegabe  seiner  Dialogues  sur  l'^oquence  [Paris  17IB]  310  ff.  SSI). 
Einen  Versuch,  in  die  modernen  Sprachen  die  antiken  Metren  einzuführen, 
lobt  bei  den  Franzosen  Casanbonus  im  Komm,  eu  Persias  (1G09)  p.  134 
(p,  98  ed.  Dühner),  hei  den  Italienern  Ubertua  Folieta,  De  ling.  lat.  usn  et 
praeetantia  (1674)  ed.  Moeheim  (Hamb.  1723)  p.  S4S  f  Viel  anderes  Ua- 
terial  enthalt  das  ausgezeichnete  Buch  von  K,  Borinski,  Die  Poetik  der 
Renaissance,  Berlin  1886;  cf.  auch  Rosenbauer,  Die  poet.  Hieorieen  der 
Plejade.  Ein  Beitr.  z.  Oesch.  d.  Renaissancepoet.  in  Frankr.,  in:  Münchn. 
Beitr.  z.  rom,  u.  engl.  Poesie  X  1895.  —  Selten  dagegen  finden  sich  bei 
den  Humanisten  gerechtere  Beorteilungen,  Wohl  die  älteste  ist:  Francesco 
Rinnccini,  Invettiva  contro  a  cierti  esluniatori  di  Dante  e  di  meaaer 
Francesco  Petrarca  e  di  messer  Qiovanni  Boccaei  (verfafst  2:irischen  1400 
nnd  1407)  ed.  Weaselofsk;  (in  seiner  Ausgabe  des  Paradiso  degli  Alberti 
Tol.  I  2)  p.  811:  Datde  con  maravigliosa  brevitä  e  Ugiadra  nette  äite  ö  tre 
eompariuiioni  in  uno  rittirno  wlgetre  che  Vtrgilio  wm  mMe  m  venti  eeni 
eiametri,  egeendo  attcora  la  gramniica  (d.  h.  die  Litteratursprache,  Aaa  La- 
tein) Botua  eomparitione  piü  copiosa  ehe  'l  indgnre.  H  perchi  tengo  ehe  'l 
vulgare  riman  tut  molto  piü  malaffevole  e  maestrevole  che  'l  wreificare  litteraU 
(dat  Citat  aus  Voigt  1.  c.  I  385).  Salutato  epist.  vol.  H  7  p.  67  Rigaeci 
(nach  Lobpreisungen  der  Werke  Petrarcas)  taeeo  in  hoc  dicendi  gymnasio. 
qtM  altematis  consonatU^nis^ue  nersÜMlontm  finibus  matema  lingiM  vulgarivm 
aurieulae  demukentur,  in  qua  octo  sexque  earminibus  (aul  si  quid  pavcioribtu 
expediendum  futt)  omnium  conaeneu  et  compatriot^tm  suum  Äldigerinm  Dan- 
ttm,  diviwtm  prorsus  tt'rwn,  et  cetera»  antecessit. 


Das  Mittelalter  über  den  rhetorischen  Ursprung  des  Reims.       871 


YU.  Die  mittelalterliche  nnd  hnmanistisehe  Tradition  Aber 
den  rhetorischen  Ursprung  des  Reims. 

Zu  dem  vorgelegten  Resultat  wurde  ich  durch  die  unbe- 
fiEmgene  Prüfung  der  Thatsachen  mit  Notwendigkeit  geführt.  Ich 
snchte  dann  nach  einer  äufseren  Gewähr  für  die  Richtigkeit|  und 
nicht  ganz  vergebens.  Denn  ich  fand  eine  Reihe  von  Angaben, 
in  denen  die  Entwicklung  des  poetischen  Reims  aus  dem  rhe- 
torischen unmittelbar  bezeugt  wird.  Wer  also  in  unserm 
Jahrhundert  den  Reim  aus  der  rhetorischen  Prosa  ab- 
leitet, unternimmt  in  Wahrheit  nichts  anderes  als  die 
Wiederherstellung  einer  Tradition,  die  ungezählte  Jahre 
Bestand  gehabt  hatte. 

L   Das  Mittelalter. 

Ich  will  nicht  zu  viel  Gewicht  darauf  legen,  daüs  man  dennittaiAiteri. 
Reim  als  omoeoteleuton  bezw.  omotdentonj  wie  das  späte  Mittel- ^*^[^^ 
alter  in  seiner  fast  konstanten  Barbarisierung  griechischer  Worte  to^i*«!^«» 
schrieb;  zu   bezeichnen  pflegte^),    denn   daraus  würde  nur  die 
Ähnlichkeit   beider  Erscheinungen   folgen.     Dagegen    ist  doch 
charakteristisch,  dafs  man  den  Reim  ganz  gewöhnlich  unter  die 
Redefiguren  oder,  wie  man  diese  damals  gern  nannte,  die  cohres 
rhdarici^  rechnete.     Ein  paar  Beispiele  aus  vielen  mögen  das 


1)  Z.  B.  Otfrid  im  Prolog  zu  seinem  Gedicht  p.  9  Piper:  non  quo  series 
BcripHonia  huiua  metrica  sit  subtüitaie  canstricta^  sed  scema  (moeaUlewUm 
assidue  qiMent.  —  Homcteltntan  ist  in  den  Poetiken  s.  XIII  wohl  die  ans. 
sdüiefoliche  Fonn;  noch  der  Humanist  MancineUi  schreibt  in  seinem  1489 
▼ezfiüsten  Traktat  De  figuris  unter  n.  XLII:  hofnotdenton  vel  homotektUan 
dieiUtr.  Andere  Barbarisierungen  des  Worts  cf.  GuiU.  MoUnier,  Flors  del 
gaj  taber  estier  dichas  las  leys  d'  amors  (1866)  1.  c.  (oben  S.  825,  2)  in  176 
De  (maOidkuUm,  OmathoUutan  en  autra  maniera  dicha  OmoetheleiUan,  en 
autra  wianiera  OmoJmton;  gleich  darauf  nennt  er  es  OthoekuUm. 

2)  Der  Ausdruck  ist  nicht  antik  (jg&fuc,  color  vielmehr  »b  Kolorit, 
Chanücter  des  Ausdrucks  in  Rücksicht  auf  Sinn  und  Gedanken:  cf.  Hermog. 
de  id.  p.  831,  7  Sp.  Quint.  II  12,  10.  VI  5,  5.  IX  1,  18.  4,  17  und  die  pra 
tische  Verwendung  bei  Seneca;  A.  Greilich,  Dionys.  Hai.  quibus  potissimir 
▼ocabnlis  ex  artibus  metaphorice  ductis  usus  sit  [Diss.  Bresl.  1886]  Sil 
aber  wohl  der  Gedanke,  der  zu  seiner  Prägung  fahrte:  Auci  ad.  Her.  IV 11,  i 


S72 


Anbang  I:  Ü^er  die  GeBchicht«  des  Reime. 


zeigen.    Baeda,  De  schematis  et  tropis  sacrae  scripturae,  toI.  ^ 
178  Migne:   homoeoteleuion,    simüis    terminatio,    diciiur   fyura, 
quoHes  media  et  posirema  versus  äve  sententiae  simüi  sylUAa  fini- 


quae  (exomati(mes)  «  rarae  disponentur,  distinctam  sicuti  eoloribtts  reddum 
oraticmem.  Cic.  or.  65  von  der  Diktion  der  SophiBten:  terba  altiua  trans- 
fentnt  eagve  ita  düiponufit  ut  pictorcs  varietatem  colorum,  paria  pariht*  re- 
ferutU,  advena  eoyOrariig,  saepissumeque  similiter  extrema  df/iniunt;  den. 
ep.  ad.  Art.  I!  1,  1  über  die  FarbenWpfe  des  laokratesi  Plut.  de.  glor.  Ath-  8 
p.  346F;  Lntdan  de  hiHt.  conacr.  48  et«.,  und  über  xpayyvvat,  trondlltir 
(pingere,  distinguere)  Greilich  L  c.  33  f.  44  f.  Für  dae  Mittelaltar  mHgea  ent- 
echeidend  geivesen  sein  Stellen  wie  Aquila  Hom.  g  21  (Bbat.  lat,  min.  p.  SS 
Halm)  ftgiiToe  elocutionis  .  .  .  ad  omandum  et  quasi  ad  pingendam  oratiofiein 
accommodatae ,  qidbus  prvHceps  Oorgias  Leontinus  umis  est,  seil  sine  modo. 
Ein  paar  Stellen  aus  dem  Mittelalter:  Petr.  Damiani  (b,  XIj,  opuflc.  XYT  c.  3. 
Lin  c.  I,  ep.  Vni  8.  Benzo  (episc.  Albensis  s.  XT;  ad  Henricum  IV  imp.  L  n 
in:  Mon.  G«nn.  Script.  XI  615,  16.  AlanuB  de  Insuliis,  Aniiclaudianus  praef. 
1.  I  (210,  487  Migne),  1.  I  c.  4  (ib.  494),  I,  EI  c.  3  (ib.  5IS)  die  Ehetorik  in 
buntem  Kleide,  et<^.  Jahannea  de  Garlandia  (a.  XIIl)  ed.  B.  fiaur^an  in; 
Not  et  extr.  X5VII  2  (1879)  7* ff.  MoÜnier  (b.  XIV) I.e. (vorige  Anm.)  UlSOff. 
(die  Rethorica  giebt  aus  ibrem  schönen  Garten,  der  toH  verschiedenfarbig«? 
Bösen  ist,  jeder  ihrer  Tochter  Blumen  Terechiedener  Farben,  z.  B.  Anaphom, 
Paronomasia,  Similiter  cadene,  Similiter  deainens,  Antitheton  etc.).  Chaucer, 
The  Canterbury  Tales  im  Prolog  dea  Freisassen  V,  :3694  ff.  und  in  der  Er- 
zählung des  Junkers  V.  12913  ff  (<lie  beiden  Stellen  aus  Murraja  New  engl, 
dict.  II  638  B.  V.  eolour  n.  13).  Auf  dem  Fresko  dea  Taddeo  Oaddi  (f  1366) 
im  Capellone  dei  Spagnuoli  in  Florene  steht  auf  der  Rolle,  welche  die  Rhe- 
torik in  der  Hand  hält;  mulceo,  dum  loquor  vnrws  indut^t  colorea  (narh 
Crowe-Cavalcaselle,  Oesch.  d.  ital.  Malerei,  deutsch  von  M.  Jordan  I  [Leipx. 
1869]  807,  69).  —  Noch  oß  bei  den  Humaniaten,  z.  B.  Georgius  Trapezuntius 
(1396—1486),  Ehetoricorum  liber  V  f.  125'  [der  Basler  Ausg.  TOn  1622);  [Aenoas 
SjWius],  Äitis  rhetorice  precepta  p.  1014  ff.  (in  Opera  ed.  Baa.  1661),  cf  darüber 
JA.  Herrmanu,  Albr,  v.  E;b  (Berl.  1893)  179ff.;  Peter  Luder  in  seiner  1456 
gehaltenen  Antrittsvorlesung  (ed.  Watteubach  in:  Z.  f.  Gesch.  d.  Oberrheins 
XXn  1869  p.  102);  F.  Fabri,  Le  grand  et  Tra;  art  de  pleine  Bhetorique 
(1620)  ed.  Höron  Tol.  1  (Ronen  1889)  154;  James  VI  von  Schottland  (I  tob 
Engtand),  The  essajes  of  a  prentiso  in  the  divine  art  of  poesie  (1686)  ed. 
Arber  n.  19  p.  54  ff.  Aber  schon  Valla  machte  gegen  diesen  Sprachgebrauch 
Front:  cfEenricus  Bebelius,  De  abusione  Ung.  lat.  (1600),  in  seinen  Opuacula 
(Strafsb.  1513)  f.  SLVllI':  eolores  rhetoriooa  inenulitunt  vttlgu«  putat  signi- 
ficare  ezomatiotiea  et  elegantitu  verborum  atque  se*itentiarum,  vt  cum  pni- 
ferunl  tlegafUem  orationem,  dicmU  committi  colorem  rhetoricalem;  sed  nude 
smlümt.  attdiamus  Vallam  super  nonntn  Uhmm  QuintUiani  »wh'tutionum 
«w  inq}Me¥dem:  'De  figwrU  et  eoIoriAws  TtTborum,  hie  tüulits  ab  imperitorvm 
aliqKo  est  appositws,  qui  pulant  figurae  verborum  ae  senUmliarutm  eolores  t^ 
com  a  rhtloribus  probabüü  eauta  aticwus  facti  eolor  vocetur'. 


Das  Mittelalter  über  den  rhetorischen  Ursprang  des  Reims.       873 

untur,  ut  Eccle.  VI:  ^Melius  est  videre  quod  cupias  quam  desir- 
derare  quod  nescias^  Et  iterum  cap.  VII:  ^Melius  est  a  sapiente 
corripi  quam  stuUorum  adtdatione  decipi\  Hac  figura  poetae 
et  oratores  saepe  utuntur.    Poetae  hoc  modo: 

^ Pervia  divisi  patuerunt  caerüla  pontV  (Sedul.  c.  pasch.  I  136) 
Oratores  vero  ita  (es  folgt  ein  Beispiel  aus  Gregors  des 
Grofsen  Predigten),  quo  schemate,  ipse  qui  hoc  dixit  beatus  papa 
Crregorius  saepissime  usus  fuisse  reperitur.  et  huiusmodi  orationes 
esse  reor,  quas  Hieronymus  concinnas  rhetorum  declamationes  ap- 
pellat  (s.  ob.  S.  555).  Eberhardus  y.  Bethone  (s.  XIII),  Grae- 
cista  c  4;  welches  handelt  de  coloribus  rethoricis,  Y.  37  f.  (p.  13 
Wrobel): 

consimüi  cadere  faciet  Concor dia  vocum: 
^fac  tibi  fortunamj  festina  frangere  lunam, 
et  contra  fatum  faciet  tü>i  cura  beatum* 

(dieselben  beiden  Verse  werden  citiert  ftLr  die  Figur  des  *simi- 

liter  cadens'  in  einer  verbreiteten  mittelalterlichen  Poetik,  z.  B. 

ed.  Haupt  in:    Ber.  d.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  1848;  53  £  c.  13). 

Anonymus  ed.  Zamcke  (der  dazu  eine  lesenswerte  Bemerkung 

macht)  in  denselben  Berichten  187 1,  55 ff.:  rühimus  est  dictionum 

consonantia  in  fine  similium,  sub  certo  numero  sine  mebrids  pedibus 

ordinata rithimus   sumpsit  originem  secundum  quoS' 

dam  a  colore  rhetorico  ^similiter  desinens*. 

Ein  Zeugnis  von  besonderem  Interesse  findet  sich  in  dem 

merkwürdigen  Prolog  des  Ekkehart  von  St.  Gallen  (f  c.  1060) 

zu  seinem  Liber  benedictionum,  herausgegeben  aus  einer  von 

Ekkehart  selbst  geschriebenen  und  von  ihm  selbst  glossierten 

Hs.  in  St.  Gallen  von  E.  Dümmler  in  Haupts  Zeitschr.  f.  deutsch. 

Altertum  N.  F.  U  (1869)  51  ff.    Das  Latein  ist  ganz  barbarisch 

und   entzieht    sich    oft  dem   Verständnis.     In   dem   metrischen 

Prolog  an  den  Diakon  Johannes ,  der  ihn  zu  dieser  Arbeit  ver- 

anlaJst  hatte,   setzt  er  auseinander,  jener  solle  nicht  von  ihm 

erwarten   die  Kunst  und  Sprache  eines  Livius,  Cicero,  Caesar 

and  der  lateinischen  heidnischen  Poeten:  er  müsse,  entsprechend 

dem  Befehl  des  Johannes,  in  gereimten  Versen  dichten  und  zwar 

so,  dafs  meist  zwei  Silben  zusammenklängen:  cf.  V.  94 

Opern 
ferque  pedem  dictis  tam  presso  tramiie  strictis 

mit  der  Glosse:  propter  consonantiam  dupianwi  pierumque  siß 


874  Anhang  I:  Über  die  Greschichte  des  Beims. 

barum,  ut  monuisU^  minus  potenter  inquiens  concinnari  per  unam. 
Etwas  nähere  Angaben  über  die  Art  dieses  gereimten  Verses 
stehen  nun  V.  45  ff. 

nam  fugiunt  mentem  (nämlich  Cicero,  Cäsar  etc.)  nimis  hfc 

ccncmna  parantem^ 
concinna  a  me 

que  päis  et  brac^iis  asstringens  exigis  artis; 

concmnis 
his  rigidumque  senem  flexum  cecinisse  Catonem 

priscas  virtutes  memoras  morumque  sdlutes. 

scfmata  lexeos  te,  cemo,  libent,  sed  et  hie  flos 

in  tot  scßmaticis  aures  mulcet  speciehis  m 

tinnitus  dans  crebros  crepitusque  sonores. 

par  sibi  compactis  repetatur  syUciba  dictis, 

flore 
hoe  quoque  lectorem  benedicere  dueis  honorem. 

flore  concinmt(<Uis) 
Tullius  hoc  prosas  fore  sed  memorat  vitiosas,^) 
versibiis  metricis  non  tarnen  esse  vitiosa  hoc  flore  metra. 
carminibus  verba  decedere  mille  superba.^  55 

Ichannes  obedire 

quam  tarnen,  6  cc^e,  videar  non  stApeditare 
dukibus  desideriis        mihi  iuo 

nectareis  votis  tarn  grata  pectore  motis, 
in  facundia  stM         et  cedant  prius 

Frontonis  gravitas,  Varronis  acuta  venustas, 
et  Äihenienaium.  Terentius:  Nonne  Atticam  diosi  in  homine  eloguentiam. 
Atticus  omatus  salis  et  sapor  üle  notatus,     ab  omnibua 
et  ipae  alter  octdus  laiinae  eloquentiae,  alter  Cicero,  sed  et  flumen  eloquentiae 
Virgilii  lumen  Ciceronis  ab  oreque  flumen,  dicitur  Cicero. 

omatis  splendens 
omnis  et  in  pictis  vemans  facundia  dictis 

concinnis  equiperatis 

verbis  colkUis  cedant  prius  et  sociatis, 

cantor  concinnus  victor  est  latinitatis.  id  est  dekctaris,  nam  iubere  non 
carmine  victrid  quis  festa  iubes  benedici.  ^  predpere. 


1)  Cicero  spricht  darüber  nur  im  Brutus  und  im  Orator,  also  den  im 
Mittelalter  verschollenen  Schriften,  und  zwar  tadelt  er  nur  das  Übermafs 
der  Figur.  Die  Notiz  wird  ihm^  durch  Bhetoren  vermittelt  sein,  ebenso  wie 
Alcuin  seine  Citate  aus  'de  oratore'  dem  Julius  Victor  entlehnt  hat. 

2)  Natürlich  sagt  das  Cicero  nirgends;  der  Vf.  meinte  es  aber  aus 
dem  Vers  0  fortunatam  etc.  schliefsen  zu  können  (von  den  ihm  zugänglichen 
Autoren  eitleren  ihn  Quintilian  und  Diomedes). 


Das  Mittelalter  über  den  rhetorischen  Ursprung  des  Beims.       875 

D.  h.  also:  obgleich  Cicero  für  die  Prosa  das  (zu  häufige)  6fk)to- 
rdXsvtov  für  fehlerhaft  erklärt,  so  werde  ich  es  auf  Befehl  in 
meinen  Versen  doch  anwenden,  die  dadurch  schöner  werden  als 
die  ganze  lateinische  Litteratur. 

Die  rhetorische  Auffassung  scheint  sich  mir  auch  mit  Not- 
wendigkeit zu  ergeben  aus  einem  der  merkwürdigsten  Produkte 
des  lateinischen  Mittelalters,  über  das  ich  die  neueren  Forschungen 
ganz  kurz  zusammenfasse.  Um  1500  fand  Conrad  Celtis^)  in 
dem  fränkischen  Kloster  Ebrach  eine  alte  Handschrift,  die  ein 
grolses  hexametrisches  Gedicht  in  10  Büchern  enthielt.  Seine 
Freunde  edierten  es  bald  nachher,  und,  da  diese  Humanisten 
wenig  Interesse  an  der  Erhaltung  der  in  die  Druckerei  gegebenen 
Hs.  hatten,  ging  diese  yerloren.  Wer  war  nun  der  Dichter? 
Celtis  hielt  irrtümlicherweise  den  Titel  ^Ligurinus'  für  den 
Namen  des  Dichters,  obwohl  dieser  selbst  X  615  Yon  seinem 
Werk  noster  Ligurint^s  sagt;  der  Titel  ist  nämlich  hergenommen 
von  den  Kämpfen  Kaiser  Friedrichs  I  im  Lande  der  Ligurer, 
speziell  mit  deren  Hauptstadt  Mailand,  die  der  Dichter  Ligurina 
urbs  nennt.  Auf  diesen  Irrtum  wurden  die  Freunde  des  Celtis 
bald  aufinerksam.  Auf  Grund  einer  hier  nicht  darzulegenden 
Kombination  fand  man  bald  den  wahren  Namen:  der  Verfasser 
ist  der  Cisterciensermonch  Günther  des  Klosters  Paris  in  der 
DiScese  Basel.  Das  Gedicht  wurde  im  J.  1737  yon  Senkenberg 
ftür  unecht  erklärt  und  galt  seitdem  als  eine  Fälschung  der 
Humanisten,  bis  A.  Pannenborg  in  mehreren  Abhandlungen  die 
Echtheit  zur  yölligen  Evidenz  erhob.    Die  erste  Abhandlung  er- 


1)  Es  ist  doch  bezeichnend,  dafs  es  gerade  ein  deutscher  Humanist 
r,  der  den  besseren  mittelalterlichen  Werken  seine  Anfmerksamkeit  nicht 
▼enagte:  die  Romanen  waren  darin  viel  empfindlicher.  Celtis  hat  auch 
die  Dramen  der  Hrotsritha  aufgefunden  und  zu  Ehren  gebracht,  cf.  B.  Köpke, 
Hrotsidt  von  Gkmdersheim  (Berlin  1869)  5  ff.  Auf  Lambert  hat  Melanchthon 
nerst  wifinerlaam  gemacht  (s.  o.  S.  741).  Es  giebt  übrigens  noch  ein  drittes 
ndtteiaUerMofaes  Gedicht,  das  wenigstens  einige  von  den  Humanisten  gelten 
liaÜMn;  das  des  Benediktinermönchs  Johannes  Hautvillensis  (c.  1200),  worüber 
Fabricias,  Bibl.  lat.  med.  et  inf  aet.  n  369  (ed.  Mansi)  näheres  mitteilt  (9  Bb. 
in  nicht  gereimten  Hexx.).  Das  Gedicht  wurde  1517  zu  Paris  gedruckt;  ich 
habe  es  nieht  gesehen,  wüfste  aber  gern,  welcher  Humanist  es  entdeckt 
und  es  merst  wenigstens  in  dem  beschränkten  Mafse  hat  gelten  lassen, 
wie  es  Tires,  De  tradendis  disciplinis  (1581)  1.  IE  (Op.  .Basil.  1555  vol.  I 
181)  Unit 


876  Anbang  I:  Über  die  Gescbicbte  des  Reims. 

schien  in  den  *  Forschungen  zur  deutschen  Geschichte'  XI  (1871) 
163  fid  Im  Gegensatz  zu  der  früheren  Annahme,  ,,daD3  Denkart, 
Sprache,  Vers,  Gleichnisse  modern  seien'',  wies  er  in  allen  diesen 
Punkten  durchaus  mittelalterliches  Empfinden  und  mittelalter- 
liche Technik  nach,  uns  interessiert  hier  das  über  den  leoni- 
nischen  Vers  p.  184  ff.  Gesagte.  Dals  nämlich  leoninische  Hexa- 
meter in  diesem  Gedicht  so  selten  begegnen,  war  den  Früheren 
ein  Kriterium  der  Fälschung;  dagegen  weist  Pannenboi^  nach, 
dafs  trotz  der  groüsen  Beliebtheit  dieser  Art  yon  Hexametern 
doch  Yon  der  Zeit  Karls  des  Groüsen  an  sich  der  nichtleoninische 
Vers  neben  dem  leoninischen  überall  erhielt  und  vor  allem 
im  Xn.  Jh.,  dem  Zeitalter  des  Klassicismus  in  der  Poesie 
(s.  0.  S.  721  ff.),  oft  gebraucht  wurde.  Besonders  interessant  sind 
zwei  Yon  Pannenborg  angeführte  Stellen  aus  Dichtem,  die  in 
einem  Teil  ihres  Werks  der  modernen  Manier  folgen,  dann  aber 
mit  ausdrücklichem  Vermerk  zur  antiken  übergehen.  Gilo  yon 
Paris  (c.  1140)  bewegt  sich  in  den  ersten  fünf  Büchern  seines 
Werkes  über  den  ersten  Kreuzzug  in  gereimten  Hexametern; 
am  Eingang  des  sechsten  spricht  er  sich  darüber  aus,  dals  er 
nunmehr  den  lästigen  Zwang  fallen  lassen  wolle:  de  expeditione 
Hierosolymitana  ed.  Martene,  Thesaurus  novus  anecdotorum  III 
(Par.  1717)  258: 

tarn  duce  materia,  cuius  pars  magna  perada^ 

inspicimus  propius  partum  finemque  laboris. 

obscuraty  fateor,  puerüis  pagina  grandem 

historiam  viresque  leves  onus  aggravat  ipsum, 

quod  tarnen  incoepi,  sed  non  quo  tramite  coepi^ 

aggrediar,  sensumque  sequar,  non  verba  sonora, 

nee  patiar  fines  sibi  respondere  vicissim  etc., 

und  ähnlich  der  Verf.  der  metrischen  Vita  TJrbans  IV  (1261 — 64) 
bei  Muratori,  Rer.  Ital.  Script.  HI  2  p.  405  ff.  V.  9  ff.  Diesen 
Beispielen  füge  ich  noch  ein  drittes  hinzu.  Von  Marbod,  Bischof 
von  Renues  in  der  Bretagne,  f  1123,  besitzen  wir  Gedichte  in 
antiken  Versmafsen,  aber  durchaus  reimend^),  cf.  z.  B.  seine 
Historia  Theophili  metrica  c.  1  (p.  1593  Migne): 


1)  Ed.  A.  Beaugendre,  Paris  1708.    Ich  eitlere  nach  dem  Abdruck  bei 
Migne  vol.  171. 


Das  Mittelalter  über  den  rhetoriflchen  Ursprung  des  Reims.       877 

quidam  magnorum  vicedotnnus  erat  meritarum, 
Theophilus  nomen,  tenuit  quoque  nominis  omen. 
quippe  malum  cavit,  cultum  deitoHs  amavit  etc. 

Aber  in  hohem  Alter  schrieb  er  ein  ans  10  capitnla  yerschiedenen 
Inhalts  bestehendes  Werk  (liber  decem  capitnlorum),  dessen 
erstes  capitnlum  handelt  Me  apto  genere  scribendi'  (1693  M.): 

quae  iuvenis  scripsi,  senior,  dum  plura  retradOj 
poenitetj  et  quaedam  vel  scripta  vel  edita  nollem, 
tum  quia  materies  irihonesta  levisque  videtur, 
tum  quia  dicendi  potuit  modus  aptior  esse. 

ergo  propositum  mihi  sit,  neque  ludicra  quaedam 

scribere  nee  verbis  aures  mulcere  canoris, 

non  quod  inomale  describere  seria  laudem, 

sed  nej  quod  prius  est^  neglecto  pondere  rerum, 

dulcisonos  numeros  concinnaque  verba  sequamur. 

est  operosa  quidem  muitisque  negata  facultas, 

ut  rerum  virtus  verborum  lege  subacta 

servetur  verbisque  canor  sub  rebus  abundet, 

quod  iugi  studio  tune  affectare  videbar. 

sed  mihi  nunc  melius  suadet  maturior  aetas, 

quam  decet  ut  facüi  contenta  sit  utüitate 

utque  supervacuum  studeat  vitare  Idborem. 

est  aliud  quare  puto  continnare  canor os 

versus  absurdum,  quoniam  color  unus  ubique 

nil  varium  formal,  sed  nee  pictura  vocatur, 

imo  litura  magis,  quia  delectare  videntes 

res  variae  raraeque  solent:  fit  copia  vilis.^) 


1)  Cf.  auch  Gaufredus  Malaterra  (BenediktinermOnch  s.  XTIT  Ende), 
Eist.  Sicola  ed.  Muratori  1.  c.  V:  praef.  p.  647,  wo  er  die  gereimten  latei- 
nischen Verse,    die  er  auf  Befehl  seines  Herzogs  mache,  als  tncuUiorem 
poeUcam  bezeichnet.    Otloh  (s.  XI,  cf  Wattenbach,  Deutschlands  Geschichts- 
quellen  11  *  66  fP.),   Liber  metricus  de  doctnna  spiritali  (ed.  Pez  im  Thes. 
anecd.  nov.  in  2  p.  4SlfiP.)  praef.  V.  27 ff.:  porro  quod  interdum  subiungo 
consona  verba,  \  quae  nwfkc  multorum  nimius  desiderat  usus,  \  hoc 
gue  verhorum  plus  ordine  convenienU,  \  insuper  antiqua  de  consueh 
feei,  I  cum  me  deerevi  certare  scholaribus  orsis,  \  quam  cuicunque  9* 
per  talia  dicta  placere.    Femer  s.  o.  S.  722; 


878  Anhang  I:  Über  die  Greschichte  des  Reims. 

Der  Verfasser  des  Ligurinns  hat  nun,  während  er  seine  Verse 
sonst  durchaus  nach  klassischen  Mustern  gestaltet  ^);  an  gewissen 
Stellen  leoninische  Reime  angewandt:  betrachtet  man  diese  Stellen 
genauer,  so  findet  man,  daCs  sie  ohne  Ausnahme  einen  pathe- 
tischen Ton  zeigen;  also  hat  der  Verfasser  den  Beim 
durchaus  als  rhetorisches  Hülfsmittel  betrachtet  und 
in  diesem  Sinn  angewandt,  so  wie  es  allgemein  in  der 
Prosa  üblich  war.  Damit  man  sich  davon  überzeugen  kann, 
will  ich  diese  Stellen  hier  anführen.^  I  67  ff.  in  einer  Mahn- 
rede an  den  ältesten  Sohn  Friedrichs,  Eonig  Heinrich;  III  201  ff. 
beim  Einzug  des  Königs  in  Pavia,  wo  der  Dichter  selbst  Yoraus- 
schickt:  non  est  traäahüe  sensu  \  doquiove  meo,  quae  gaudia, 
quantm  ab  urbe  \  occursus  pqpuli  IV  373  ff.  in  einer  sehr  ge- 
hobenen Stelle  mit  Sentenzen  und  Vergleichen: 

non  tarnen  emissa  tantorum  plebe  virarum 
vel  princeps  vacuus  vd  curia  sola  remansit: 
non  est  magnorum  cum  paucis  vivere  regum. 
quotltbet  emittat,  plures  tarnen  aüla  reservat, 
nee  princeps  latebras  nee  sol  desiderat  umhras: 
dbscondat  solem,  qui  vült  äbscondere  regem, 
sive  novi  veniant  seu  qui  venere  recedant, 
semper  inexhausta  ceUbratur  curia  tiirba: 
ut  mare  cum  largas  mundo  disseminet  undas^ 
semper  inexhaustis  foecundum  puilükU  undis; 

IV  396  ff.  in  einer  Beschreibung  des  Etschüberganges ;  473  ff.  in 
einer  durch  eine  Sentenz  eingeleiteten  Partie;  520  ff.  SchluDs 
einer  Rede;  VU  206  ff.  in  einer  pathetischen  Aufzählung  von 
Völkern;  X  567  ff.  in  einer  Beschreibung  prächtiger  Geschenke 


1)  Es  darf  wohl  als  sicher  gelten,   dafs  Günther  bei  seinen  selbst- 
bewuTsten  Versen  X  686  fF. 

hoc  quoque  me  fame,  si  desint  cetera,  solum 
conciliare  potest^  quod  iam  per  tnuUa  latentes 
secuta  nee  clausis  prodire  penctHbus  ausas 
Pierides  vulgare  paro  priscumque  niiorem 
r edder e  carminibus  tardosque  citare  poetas 
gerade   auch   seine  Vermeidung    des  Reims  im  Aoge   hat.    Über  die  Be- 
lesenheit des  Mannes  in  der  antiken  Litteratur  cf.  Pannenborg  1.  c.  XUI 
(1873)  288. 

2)  Ich  entnehme  sie  aus  Pannenborg  1.  c.  XI 186. 


Das  Mittelalter  über  den  rhetorischen  ürsprang  des  Reims.       879 

(ebenso  II  249  ff.).     Es  kommen  noch  hinzu  ^)  sog.  Wersos  can- 
dati',  nämlich  IV  476  f. 

sapiens  quod  praedicat,  hoc  est: 

principibi4Sj  ßi,  tacitus  maledicere  noli; 

partat  avis  codi  maledida  latentia  regi, 
also  eine  Sentenz;  nnd  V  164  ff. 

Vvonnaciam  petüt,  medio  gpme  gurgite  Bheni 

OaUica  Germanis  oppanit  rura  coUniis. 

iUraque  frugiferis  teUus  tiberrima  campiSf 

iUraque  vineHs  exuberaty  utraqtie  pomis, 

pisdbus  atgue  feris  et  cunctis  rebus  edendis, 
also  eine  Beschreibung;  femer  sog.  Wersus  coUaterales'^  nämlich 
II1496f. 

ergane,  Boma^  Um  legem  vis  ponere  regi? 

cum  potius  regem  deceat  te  stibdere  legi, 
also  eine  Bede^;  endlich  sog.  *trini  salientes',  nämlich  I  13: 

iamque  adeo,  si  quid  studio  possemus  in  isto 
aus  dem  Proömium;  YII  375: 

noster  amor  regnique  labor  iustigue  doloris 
aus  einer  Rede;  III  120: 

neve  vdis  Herum  miseris  nos  reddere  daustris 
ebenfalls  aus  einer  Rede. 

2.   Der  Humanismiui. 

Da  die  meisten  Humanisten,  wie  wir  sehen  werden  (unter  YIII),  HnmMitti 
in  ihrer  Unterordnung  der  Poesie  unter  die  Rhetorik  durchaus  '^  J.«  na 
auf  dem   Standpunkt   des  späteren  Altertums  und  des  Mittel-  ^^Jj^^ 
alters    beharrten ,   so    ist   es   begreiflich,   dafs   yiele   von  ihnen     Beim, 
über   den    rhetorischen  Ursprung   des   Reims  instinktiv  richtig 
dachten.  ^)     Ein  paar  dieser  Zeugnisse,  die  ich  mir  gesammelt 
habe,  will  ich  hier  mitteilen. 


1}  Cf.  Pannenborg  1.  c.  IX  (1869)  614. 
2)  Das  zweite  Beispiel  IV  67  f. 

gaudet  habere  i>iro8  tUrinque  ad  firaena  potentes, 
sanguine  conspicuos  et  mundi  iura  regentes 
wird  sich  einfacb  aus  dem  gehobenen  Ton  erklären. 

8)  Aber  nicht  alle,  z.  B.  nicht  Petrarca  ep.  de  reb.  fam.  praef.  p.  14 
Frac,  wo  er  den  Beim  aus  der  sizilianischen  Poesie  ableitet,  auch  nicht 


880 


AnbaBg  I;  ül>er  die  GeMhicfate  dea  Bönu. 


Der  Verfasser  der  oben  (S.  765, 1)  gen&aer  citierten,  i 
halb  iD  mittelalterlichen  Ideenkreisen  sich  bewegenden  'Ar§ 
diceadi',  die  zu  Köln  1484  gedruckt  ist,  rermiscbi  das  rheto- 
rische and  poetische  hiiotor^Xivzov  durchaus.  Er  bebandelt 
1.  XUI  tract.  VI  cap.  XU  onter  den  colores  rhetorici  das  sümiUer 
deainena,  tadelt  dessen  zu  häufigen  Gebrauch  in  der  Prosa,  lälst 
es  aber  in  der  gereimten  Vulgürpoesie  gelten. 

Äveutinus,  Rudimenta  grammaticae  (1612)  ed.  in:  Johaimes 
Turmair's  genannt  AveatinuB  sammtliche  Werke  berausg.  von  der 
K.  Akad.  d.  Wtas.  zu  München  I  (1881)  541  ('de  differentia  rhytiimi 
TersDsqne'):  rhythmus  a  nostris  numerus  transfertur,  'am  gereimt 
ding,  das  sein  mos,  weis  iiai';  habet  finem  saepius  simäiter  eadentem, 
eoüisionem  interim  observal.  Ciceronls  exempla:  'quod  scis  niJiil 
prodest,  quod  neacis  multum  obcst'.  cui  simOe  illud  ecdesiasücum: 
'  ave  maris  steUa,  monstra  te  esse  matrem,  sumat  per  te  precetn  etc. ' 
aliud  Ciceronis  exemplum:  'composite  et  apte  sine  sententiis  dicere 
insania  est,  sententiose  sine  verborum  et  ordine  et  modo  infimtia*. 

Strebaeus,  De  Terborum  electioue  et  collocatione  (Basel 
1539)  1.  II  c.  1  und  8  (p.  202  if,)  spricht  sehr  ausführlich  darüber. 
Er  geht  aus  von  den  bekannten  Stellen  Cicetos  (or.  38S.  164 ff.), 
wo  dieser  als  Charakteristica  der  Conciimität  die  ia6xtoia  mit 
ifiotoTiievTa  angiebt,  wodurch  die  nutnerositas  erzielt  werde. 
Das  könne  man,  bemerkt  der  frauzösische  Stilistiker,  auch  an 
den  gereimten  Versen  der  vulgären  Poesie  erkennen,  nur  dafe  in 
diesen  die  Vorschrift  Ciceros,   sparsam  mit  diesem  Kunstmittel 


Bembo,  der  die  Proveuzaleu  zu  semeo  ''Erfindern'  macht  (i-'f,  Op.  Venes. 
TOl.  n  16).  Cf.  aach  Giammaria  B&rbieri,  Dell'  ori^ue  delltt  poesia 
ei.  TiraboRcbi,  Modena  1T90.  Die  meisten  Humanial^u  konatatierten 
ihrer  prinnipiellen  Abneigung  gegen  den  Reim:  er  sei  mitsamt  der  übrigen 
Verwahrlosung  der  Sprache  (s.  o.  S.  770, 1)  Ton  HuimeD,  Gothen  und  Vaa- 
dalen  nach  Italien  gebracht,  k.  B,  Giovanni  Franceaco  della  Mirandola  ep. 
ad  Potnuu  Bembum  de  imitatione  (IGIS)  in  der  citierten  Äuggabe  BentbuH 
IV  881;  ebenso  Roger  Aacham,  The  acholemaster  (1670)  p.  145  ed.  Arber 
(n.  as),  wo  aber  wenigstens  verg'leicheweiee  die  Rhetorik  herangeKogen 
wird:  Quintilian  habe  die  Redner  seiner  Zeit  wegen  ihrer  zd  häufigen  An- 
wendung deg  öiKiiotiXtVTov  getadelt,  dna  aei  aber  noch  nicht«  gegen  den 
jetaigen  Mirsbrauch  dieses  Oraarnents  in  der  Poesie,  das  die  Hunnen  ond 
Oothen  mitgebracht  hatten.  Noch  im  XVUl.  Jh.  nannten  die  französischen 
Gegner  des  Reims  diesen  ein  omement  ßoüuqut,  cf.  Qoujet,  Bibl.  franp, 
(!'-  ■    -'41)  S6Bf,  876  und  BorinsH  J.  c.  [o.  S.  860,  1]  821.  8. 


tenb^^n 


.^^J 


Der  Humanismus  über  den  rhetorischen  Urdprung  des  Reims.      881 

zu  wirtschaften,  leider  ganz  aufser  acht  gelassen  werde,  wodurch 
es  seine  Wirkung  völlig  verliere.  So  mufiste  ein  Mann  urteilen, 
der  vorher  (1.  I  c.  6)  den  Nachweis  gefOhrt  hatte,  dals,  um  eine 
gute  flede  zu  schreiben,  das  beste  Mittel  die  Lektüre  der  Dichter 
sei,  und  der  sich  daher  wundert,  dafs  es  Leute  gebe,  welche  die 
Rhetorik  von  der  Poetik  trennten,  qmsi  eloquentia  poemate  nan 
egeret. 

lovita  Rapicius  Brixianus,  De  numero  oratorio  1.  Y  (Köln 
1582)  18  f»  cuiiAsmadi  (sc  rhythmorum  qui  e  paribus  membris  simi- 
liter  vd  desinenObus  vd  cadenübtis  constant)  sunt  in  sacris  solennibus 
noHssimi  iUi: 

Fange  lingua  gloriosi 
Corporis  mysterium 
et  mi: 

Becordare,  lesu  pie, 
Quod  sum  causa  tuae  viae. 
his  arcUores  aut  certe  similibus  utuntur,  tä: 

DoMus  tibi  deerat: 

At  häbebas. 
Pecunia  superabat: 

At  egebas  (Cic.  pr.  Scaur.  45), 
et  fere  ubicunque  paria  aut  prope  paria  membra  aiio  denuo  membro 
exdpiuntury  quod  genus  exomationis  iödicmXov  et  naQiöov  vocant. 
ad  harum  similitudinem  fictos  arbitror  rhythmos  istos  OaUicae, 
Sieidae  et  Hetruscae  linguae,  quos  in  honorem  Petrarca  et  Dantes 
Äligerius  adduxerunt. 

Casaubonus   im    Kommentar   zu  Persius  (1609)    1,  92  ff., 
freilich    einer  von  ihm  falsch  interpretierten   Stelle.     Die  von 
Persius  wegen  ihrer  Weichlichkeit  angeführten  Verse 
torva  Mimdlloneis  implerunt  comua  bombis, 
et  raptum  vitulo  caput  dblatura  superbo 
Bassaris  et  lyncem  Maenas  flexura  corymbis 
Euhion  ingeminaty  reparabilis  adsonat  echo 
würden,  meinte  er,  wegen  der  b\M)io%ikBvxa  (MimaUoneis  —  bombis^ 
vitulo  —  superbo)  getadelt,   ein  Irrtum  des  Casaubonus,  wegen 
dessen  sich  ein  langer  Streit  entspann,  dessen  Akten  man  z.  B. 
bei  Gebauer;  Anthologicarum  dissertationum  liber  (Leipz.  1733) 
283  ff.  findet    Persius  geht  vom  Tadel  der  rhetorischen  Anti- 
thets  (Y.  85  f.,  s.  oben  S.  288)   unmittelbar  über  zur  Persiflage 


gg2  Anhang  I:  Über  die  Qescliichte  des  Beuns. 

zeitgenössischer  Dichter:  Casaubonus  sah  in  den  Antitheta  ganz 
richtig  jene  schillernden  Sentenzen,  die  in  die  gorgianischen 
Figuren  eingekleidet  wurden,  und  weil  nun  zufallig  in  den  darauf 
angeführten  Versen  sich  die  genannten  öfioiotdXevtä  finden,  so 
meinte  er,  dals  der  Satiriker  gegen  ihre  Anwendung  auch  in 
Versen  Front  mache.  Das  giebt  ihm  nun  Gelegenheit,  über  den 
Ursprung  des  Reims  in  Versen  kurz  zu  handeln:  er  leitet  ihn 
aus  dem  rhetorischen  ^xijfuc  her  (p.  130  £  «>  p.  95£  ed.  Dübner, 
Leipz.  1833):  cammodus  atque  e  vicino  transUm  est  a  Oargiamis 
figuris  in  prosa  ad  verswum  rhyithmos;  j^o^u^Sciv  in  carmtne  r» 
vetuSj  neque  enim  defuerunt  ne  inier  Graecos  quidem  vd  mdiore 
saeculo,  qui  eam  vanitatem  in  poemata  sua  inveherent.  Nachdem 
er  hierf&r  (mit  Unrecht)  auf  Grund  Yon  Plutarch  comp.  Aristoph. 
et  Menondri  c.  1  p.  853  BC  einige  Beispiele  aus  Aristophanes 
angefahrt  hat,  fährt  er  fort:  sed  in  camoedia . . .  .utcumque  hoe 
feras;  in  älio  canninis  genere  odiosa  res  atque  ridicida,  utique  in 
iis  prarsus  intolerabiliSy  qui  grandia  scribere  aggressi  maiestatem 
heroid  carminis  pueriläms  his  figuris  infringerent. .  •  Ab  hoc  auiem 
principio  et  ridiculo  studio  toi^  yo^fyidißiv  in  poematis  originem 
habuerunt  versus  rhythmici . . .  Hoc  solum  differunt  Gorgiae  imHa- 
tores  in  versu  ab  eiusdem  aemtdis  in  sohäa  oratione,  quod  hi 
TCxAaamg  simiUtudifkem  ponebant  in  fine  coli  vd  dausula  periodi, 
iüi  modo  in  coniunäorum  versmun  üUimis  syüabis^  modo  in  guinto 
semipede  eiusdem  versus  et  fine. 

Endlich  noch  das  Zeugnis  eines  Mannes,  bei  dem  man  eine 
Aufserung  in  dieser  Frage  kaum  erwartet.  Eine  der  besten 
älteren  Abhandlungen  über  den  Reim  stammt  yon  einem  Pariser 
Arzt  Benatus  Moreau,  der  in  seinen  ^Prolegomena  in  scholam 
Salemitanam'  (1672)  fBnf  Kapitel  diesem  Thema  widmete,  weil 
er  nicht  dulden  wollte,  dafs  seine  Kollegen  in  Salemo  medizi- 
nische Werke  in  gereimten  Versen  yerfafsten.  Diese  fünf  Kapitel 
sind  abgedruckt  bei  Gebauer  L  c.  (oben  S.  881)  341  ff.  Er  sagt 
p.  343 f.:  ryfhmi  versuum  revocari  debent  ad  6f*0MteriDra  xal  ifiouh 
xH&ina^  quae  a  Quintiliano  lü).  9  instit  oral,  oadentia  skniUteTf 
simüiter  desinentia  et  eodem  modo  dedinaia  afpeUantur.  quae  qui- 
dem figura^  si  adsit  temperieSj  ortUionem  admodum  exomatp  alias 
ut  nimium  affectata  vituperaiur.  hanc  sua  aetale  exagitanrit  LudüM 
apud  ÄgeUium  lib,  18  cap.  8  (s.  oben  S.  384),  in  Tkucydide  irrisü 
Dionysius  HalicamasseuSy  in  Apuleio,  Tertuüiano,  Äfris  omnibus 


Rhetorik  und  Poesie:  Altertum.  883 

pasteritas  damnavit  fuit  autem  inprimis  oraiorum  proprio^  a  qtiibus 
rqpsit  ad  poetas,  qui  ea  in  uno  aut  altero  carmine  tisi  feliciter  inte- 
gra  tandem  qpera  ingenioso  quodam  nomtatis  luxu  ducti  eo  velut 
flare  distinxerunt.^) 


Ich  konnte  hier  abbrechen,  doch  beabsichtige  ich,  das  über 
den  Beim  Ermittelte  in  einen  grö&eren  Zusanmienhang  einzu- 
reihen. Nachdem  wir  nämlich  an  einem  deutlichen  Beispiel  ge- 
sehen haben,  wie  in  der  Praxis  Poesie  und  Rhetorik  sich  ver- 
bündeten, will  ich  jetzt  zeigen,  daffl  auch  in  der  Theorie  die 
beiden  tausend  Jahre  und  länger  Hand  in  Hand  gingen. 


Vm.  Rhetorik  und  Poesie.") 

1.   Das  Altertum. 

Es  ist  oben  (S.  73  ff.)  gezeigt  worden,  dais  seit  der  i  me  *u 
platonischen  Zeit  infolge  des  übermächtigen  Einflusses  der  i^^aa- 
Sophistik  die  einzelnen  Gattungen  der  Poesie  durch  die  Rhetorik 
entweder  yöllig  verdrängt  oder  so  umgestaltet  wurden,  dafs  ma^ 
hinfort  statt  echter  Poesie  fast  nur  mehr  Rhetorik  in  Versen 
besafs,  und  zwar  liefs  sich,  wie  wir  sahen,  die  stetige  Degeneration 
am  deutlichsten  an  der  Tragödie  nachweisen.  Die  Einwirkung 
der  Rhetorik  auf  die  Poesie  ist  aber,    wie  hier  nachgetragen 


nng. 


1)  Vgl.  aufserdem  noch:  Pierre  Pabri,  Le  grand  et  vray  art  de  pleino 
Bethorique  (1520)  ed.  A.  H^ron,  vol.  I  (Rouen  1889)  169.  Antonius  Lullus 
Balearis,  De  oratione  1.  VII  (Bas.  1558)  417.  Thomas  Campion,  Obser- 
TationB  in  the  art  of  english  poesy  (1602)  ed.  A.  Bullen  (Lond.  1889)  232. 
Vau ge las,  Remarques  sur  la  langue  fi:an9oi8e  (1647)  ed.  Chassang,  vol.  I 
(Par.  1880)  874 fP.  Tesauro,  Dell*  arguta  et  ingeniosa  elocutione  (Venetia 
1663)  120. 

2)  Eine  Behandlung  dieses  Stoffes  fehlt,  wie  überhaupt  eine  historische 
geordnete  Darstellung  der  poetischen  Theorieen  bisher  nur  ein  frommer 
Wunsch  geblieben  ist.  Die  Dissertation  Ton  J.  Chr.  Winter,  De  eo  quod 
sibi  inTicem  debent  musica  poetica  et  rhetorica  artes  iucundissimae,  HannoTcr 
1764,  bricht  vor  der  Behandlung  des  Verhältnisses  der  Poesie  zur  Rhetorik 
ab,  würde  auch,   nach   dem  Vorliegenden   zu   urteilen,  nur   allgemeines 

<ioiiiienient  enthalten  haben. 

'«»Vi  Mitike  Knnstprosa.   II.  57 


8S4  Äohang  I:  über  dis  GescMcliie  des  Beiois. 

werden  mufa,  schon  älter:  kürzlich  hat  Diels')  darauf  hinge- 
wiesen und  durch  ein  schlagendes  Beispiel  erläutert,  dals  schon 
Parmenides  der  llhetorik  auf  seine  Verse  Einflufe  eingeräumt  hat 
durch  Anwendung  gewisser  in  der  heratditisch- sophistischen 
Kunatprosu  üblicher  Wortfiguren.  ^)  Der  Praxis  folgte  bald  die 
Theorie.  Aristoteles  (Rhet.  III  2.  1405'  6)  und  auch  Isokrates 
(£u^.  9  ff.)  haben  zwar  die  beiden  Künste  noch  scharf  von  ein- 
ander geschieden,  aber  als  iu  der  cice romanischen  Zeit  von  den 
Dichtern  selbst  die  Frage  aufgeworfen  und  erörtert  wurde,  quid- 
nam  esset  illud  quo  ipsi  differrent  ab  oratoribus  (Cic.  or.  66),  da  war 
mau  in  Gefahr,  bei  der  grofsen  Ähnlichkeit  die  unterscheidenden 
Merkmale  zu  Übersehen  (ib.  68):  durch  nichts  wird  das  schlagender 
bewiesen  als  durch  die  glänzende  Entdeckung  Leos  (GÖttinger 
Prooemium  1892/3  p.  7  ff),  daXs  einzelne  der  veränderten  Bildungs- 
gesetze des  lateinischen  Hexameters  seit  CatuU  und  Cicero  ihre 
Erklärung  aus  der  Rhetorik  finden.  Während  aber  Cicero  — 
wenigstens  in  der  Theorie  —  noch  zu  verständig  war,  den  letzten 
Schritt  zu  thuu^,  hat  nicht  viel  später  Dionysios  von  Hali- 
barnafs,  ein  Mann,  den  die  Musen  bei  seiner  Gebart  mit  zornigen 


1)  In  fleiner  Ausgabe  do8  Parmeuides  (Leipz.  1897)  35,  60  f. 

2)  Hier  noch  einige  weitere  Nachträge.  För  die  Zeit  Pind&r«  cf. 
Ol.  S,  94ff.,  wo  er  an  seinen  in  Sizilien,  dem  Stammland  der  Rbetorili, 
lebenden  Bivalen  (Simonidea  und  BftkchjlideB)  speziell  die  Bhetorik  tu 
rügen  scheint  (Iciß^oi  nayylmcalif),  aber  er  hat  sie  überhanpt  ungerecht 
heurteilt.  Für  Findar  selbst;  die  Boholien  erklären  Fjth.  1,  35  (70)  X6j«i 
rhetorisch,  aber  mit  Unrecht  (er  braucht  ea  ao  wie  Hemklit  fr.  33  B.,  mit 
dem  er  eich  überhaupt  öfters  berührt).  Für  Simonidea :  v.  WUamowitz,  Nachr. 
d,  Ges.  d.  Wise.  GöttLag.  1897,  31.  —  Oats  übrigens  in  alter  Zeit  die  Dichter 
eo^tvtal  hiefsen  (Find.  Isthm.  ß[4j,  3S),  weil  äs  eoipol  waren  (t.  Christ  tu 
Find.  Ol.  1,  9),  mag  Manuem,  die,  wie  Euripides  und  Agathon,  Sophisten 
und  Dichter  in  einer  Feraon  waren,  die  Übertragung  der  rhetorischen  Orna- 
mente auf  die  Poesie  erleichtert  haben,  denn  die  alte  Beveichnung  war 
damals  noch  geläufig:  Eur.  Blies.  924  ttitivm  aoq)iav^  ^VS*^  ^'  b.  'O^tfiT.  — 
Für  die  platonische  Zeit  wäre  auch  auf  Oorg.  (iQa  D  hinzuweisen  gewesen, 
für  Sophokles  auf  Kaibela  Kommentar  zur  Elektra  (7..  B.  £u  210.  SU.  1339), 
für  Euripidea  auf  y.  Wilamowitz  zum  Herakles  p.  Böf ;  für  Tbeokrits 
Enkomion  auf  Ftolemaios  II  (IT)  vgL  Buecheler,  Huldigungen  für  KSnige 
vor  Zeiten  in:  Deutsche  Revue  1897  p.  Gf.  (des  Beparatabzugs). 

3)  Vgl.  noch  de  or.  lU  27  poetia  tat  proxima  cognatio  cum  oralorUmt. 
Bei  seinem  Lehrer  hatte  er  gelernt,  eine  ISjigere  Stelle  der  Aadria  c 
Terenx  nach  allen  Hegeln  der  Kunst  als  rhetorisches  Musterstüok  t 
legen:  de  inv.  I  Sil. 


Rhetorik  und  Poesie:  Altertum.  885 

Aagen  angeblickt  haben ,  gewagt,  das  grofse  nvöziiQcoVy  wie  er 
es  nennt;  der  Welt  zu  offenbaren;  dafs,  wie  die  beste  Rede 
poetisch  sei;  so  die  beste  Poesie  rhetorisch  (de  comp.  verb.  25  f.); 
und  nur  dadurch  hat  er  uns  einigermafsen  versöhnt;  dafs  er  zum 
Beweis  eine  Perle  griechischer  Lyrik,  das  Danaelied  des  Simo- 
nideS;  überliefert;  das  ihm  eine  Probe  der  'civilen  Rede  eines 
gebildeten  Mannes'  ist.^)  Ein  Zeitgenosse  StrabonS;  Alexandros 
aus  EphesoS;  war  zugleich  Rhetor  und  Dichter  (Strab.  XIY 642). 
Die  nahe  Verwandtschaft  beider  Künste  bezeugt  um  dieselbe  Zeit 
Ovid  in  einem  Brief  an  seinen  Freund;  den  Redner  und  Rhetor 
Cassius  SalanuS;  den  Lehrer  des  Germanicus  (Plin.  n.  h.  XXXIV  47): 
ex  Ponto  II  4,  57  flF. 

huic  (Germanico)  tu  cum  placeas  et  vertice  sidera  tangas, 

scripta  tarnen  profugi  vatis  habenda  putas. 
scüicet  ingeniis  aliqua  est  concordia  iunctis 

et  servat  studii  foedera  quisgue  suL 
tu  gtioque  Pieridum  studio,  studiose,  teneris 

ingenioque  faves,  ingeniöse,  meo. 
distat  opus  nostrum,  sed  fontibus  exit  ah  isdem, 

artis  et  ingenuae  cultor  uterque  sumus. 
thyrsus  enim  vobis,  gestata  est  laurea  nobis, 

sed  tarnen  athbobus  debet  inesse  calor. 


1)  Überhaupt  sind  die  alten  lyrischen  Dichter  in  der  Eaiserzeit 
wesentlich  zu  rhetorischen  Zwecken  wieder  hervorgezogen  worden:  das  be- 
weisen sowohl  die  theoretischen  Vorschriften  der  Rhetoren  (z.  B.  [Menander] 
nBql  inidsixt.  TEL  p.  393,  6  fP.  Sp. ,  vgl.  den  Index  der  Spengelschen  Bhetores 
8.  Y.  Alcaeus  Alcman  Bacchylides  Pindar  Sappho  Simonides  Stesichorus) 
als  auch  die  Praxis  des  Dio  Chrysostomos,  Aristides,  Himerios,  Libanios.  — 
Bei  dieser  Gelegenheit  will  ich  eine  hierher  gehörige  Stelle  des  Quintilian 
(X  1,  63)  Über  Alkaios  emendieren.  Die  mafsgebende  Es.  G  hat:  Alcaeus  . . . 
m  eloguendo  quogpie  brevis  et  magnifieua  et  dicendi  et  plerumque  orationis 
similia  sed  et  eius  sit  et  in  amorea  descendit,  maioribus  tarnen  aptior. 
Daraus  wird  in  den  Ausgaben  auf  Grund  der  Interpolation  einer  jungen 
Hs.  (düigens  für  dicendi)  und  einer  Konjektur  der  Kölner  Ausgabe  jetzt 
geschrieben:  magnificus  et  diligena  et  plerumque  erat  ort  similis,  sed  et 
lusit  Nur  das  letzte  Wort  ist  richtig  konjiziert  (doch  ist  vielleicht  lussit 
von  Quintilian  geschrieben,  cf.  cod.  Pal.  Verg.  Aen.  XI  427),  aber  das  übrige 
ist  so  zu  schreiben  magnificus.  et  incendit  [et]  plerumque  oratio  civil i 
similis,  cf.  für  incendit  X  1 ,  16  und  für  das  übrige  Dionys.  nsgl  /Liifi. 
p.  80 Üb.  'AXnalov  a%67tSL . . .  ngb  anavtav  tb  t&v  noXitm&v  noi.ri(uit(ov  r^&og ' 
noXkax^Q  yoihf  tb  ydxQOv  ug  ü  nsgislot,  friTOQeiav  Sv  tvQOi  noXit lyn/jv. 

Ö7» 


1  Anhang  I:  Dl)er  die  Gesehiclit«  des  Beims. 

utque  mei$  numeris  tua  dat  facundia  nervös, 


nolis  i 


>  tua  verha  nitor. 


iure  igitur  studio  canfinia  carmina  vestro 
et  commilitii  sacra  tuenda  putas. 
Quintilian  X  2,  21  muls  sich  gegen  solche  wenden,  die  in  der 
Poesie  oratores  mit  decUmiatores  nacliahmen,  in  quo  magna  pars 
errat  Fronto  schreibt  an  Marcus  als  Caesar  (ep.  HI  16  p.  biS. 
in  der  Kritik  einer  epideik tischen  Rede  seines  Schülers):  qttid 
igitur  Enniits  egit  quem  legisti,  quid  tragoediae  ad  versum  suMimäer 
fadundum  te  iuverunt?  plerumque  enim  ad  orationem  fa- 
ciendam  versus,  ad  versificanduvt  oratio  magis  adtuvaS. 
MasimuB  Tyrius  macht  alles  Ernstes  darauf  Ansprach,  Poetik 
zu  lehren:  diss.  VII  8  na^EXijlv^iv  sig  \>iiäs,  m  veoi,  na^aoxtvti 
Idymv  avtt}  nolvxovs  xal  noXvfiiQiis  *kI  näit<popos  ■  ■  ■ '  etre  tii 
QtjTOQfius  igä,  ovzos  aitä  SQ6(iog  Xöyov  xgöx^tpos  xal  3toXva(fK^s 
xal  tiinoffos.  .  .  .,  ittE  ttg  nocijccx^g  ^C?t  ijxito}  nopitfa- 
ftBvog  &lko&£v  rä  (lizgn  fiövov,  lijv  di  £AAij)'  loifriyittv 
XafißavErat  ivitv&ev,  tö  (Soßag6v,  ib  iaiipavig,  rb  üafix^iv, 
t6  yivifiov,  TÖ  Iv&EOv,  t^v  oixovonCav,  ti]v  SpttfiazovQytav ,  tb 
xarä  tag  <fiioväg  ätaftüvrov,  tb  xazä  rijv  KQfiov(av  fi^mKfftov. 
Die  Fusion  war  eine  so  völlige,  dafs  etwa  im  II.  Jh.  n.  Chr. 
jemand  ein  von  ihm  verfertigtes  Epigramm  gijToqixiis  xüvov 
nannte  (442  Kaibel).  Um  das  zu  verstehen,  muTs  man  bedenken, 
daTs  die  Sophisten  jener  Zeit  die  Poesie  nicht  blofs  iu  der  Theorie 
als  ihre  Domäne  ansahen,  sondern  auch  in  der  Praxis  nicht 
selten  den  Pegasus  bestiegen:  so  kann  sich  Äristides  nicht  genug 
darin  thus,  von  seinen  Gedichten  zu  sprechen'),  über  die  freilich 
die  richtende  Nachwelt  das  Todesurteil  gesprochen  hat;  ao 
dichteten  im  11.  Jh.  die  Sophisten  Skopelianos,  Ädrianos  Hippo- 
dromos  fPhilostr.  v.  soph.  I  11,  5.  II  10,  5.  II  27,  6),  im  HL  Jh, 
AmmonioB  und  Ptolemaios  (Porph.  v.  Plot.  20),  im  IV.  JK  ein 
Freund  des  Libanios'),  bei  den  Römern  z.  B.  Ti.  Sempn 
Gracchus,   der  Freund  Ovid«,  Matemus,  Plinius  d.  J. 


1)  Cf.  H,  Baumgart,  Aeliua  ÄriaUdes  (Leipz.  1874)  48  ff. 

2)  Lib.  ep.  3S1  vou  einem  gewisHen  Rhetorios:  Siä  xoUäv  fdv  pij- 
jöfiav,  oix  (iaTi6vioii  ii  noir^iäv  Aipiyiiirog  Kai  Siv  äya^fis  xccl  tobto  uintito. 

S)  Aus  späterer  Zeit  Tgl.  i,  B.  SidoE.  Ap,  ep.  IX  13  von  dem  galüadiun 
Bedner  Lampridius  (cf.  ep.  VIH  11,  3  v.  22fF.  und  §  6):  iteelaiHana  gttnini 
pondere  sub  stili  \  coram  disäpvlis  Burdigalcnsibui,  sowie  mehrere  der  Pn>- 


Rhetorik  und  Poesie:  Altertum.  887 

JSog>i6tiig  wurde  die  Bezeichnimg  gleichermaCsen  fiir  den  Rhetor 
wie  den  Dichter.^)  Deklamationen;  welche  die  üblichen  Schul- 
themata in  Versen  behandeln^  sind  uns  zahlreich  erhalten.^ 
Zn  vielen  Dichtem  schrieb  man  Kommentare ,  die  wesentlich 
oder  ausschliefslich  das  Rhetorische  behandelten,  so  Eustathios 
auf  Grund  sehr  viel  älterer  Quellen  (deren  Material  bis  in  die 
Zeit  des  Antisthenes  zurückreicht)  zu  Homer '),  Aelius  Donatus 
und  Eugraphius  zu  Terenz,  Claudius  Donatus  zu  Yergil^),  aus 
dessen  Aeneis  man  Themata  zu  rhetorischen  Deklamationen 
nahm.^)    Ist   es  da   zu   verwundern;   dafs   man   schließlich   im 


fessoren  in  Bordeaux:  Auson.  2,  7.  8,  8.  6,  9.  21,  14.  26,  8;  Ausonius,  Si- 
donius,  Ennodius  (cf.  seine  eignen  Bemerkungen  p.  895  ff.)  selbst  und  über- 
haupt die  meisten  Litteraten.  Als  es  Kaiser  Constantius  mit  der  Rhetorik 
nicht  glücken  wollte,  warf  er  sich  aufs  Yersemachen,  aber  mit  ebenso  wenig 
Erfolg:  Amm.  Marc.  XXI 16, 4.  An  König  Chilperich  preist  Fortunatus  carm. 
IX  1  die  elo^ptentia  und  poesis.  Für  die  allgemeine  Anschauung  bezeich- 
nend ist  auch  Paulinus  Nol.,  ep.  16,  6,  wo  er  Cicero  mit  folgenden  Worten 
preist:  omnium  poetarum  florihus  spiras^  omnium  orcUorum  fluminibus 
exundaa.  Cf.  aufserdem  Monnard,  De  Gallorum  oratorio  ingenio,  rhetoribus 
et  rhetoricae  scholis  (Diss.  Bonn  1848)  54  ff. 

1)  Cf.  oben  S.  824 f.;  fSr  die  frühere  Zeit  (auTser  S.  884,  2)  die  Citate 
bei  Clem.  AI.  I  829  P.  Cf.  auch  die  treffenden  Bemerkungen  Bohde's,  D.  gr. 
Boman  882  ff.    W.  Schmid,  D.  Atticismus  I  214,  84. 

2)  Für  das  Griechische  vgl.  die  berufene  4>it6d'i6Lg  des  elfjährigen 
Q.  Sulpicius  Mazimus  aus  d.  J.  94  n.  Chr.  bei  Kaibel  epigr.  618;  femer  die 
Anacreontica  des  Johannes  von  Gaza  (s.  VI)  ed.  Abel  (Berl.  1882)  55  ff., 
darunter  eins  mit  der  Überschrift  tivag  ^otpy  cfsrot  X6yovg  i^  *A(pqodCt7i  iri- 
ro^ea  tbv  "AÖmviv^  ein  anderes  X6yov  8ir  insdii^axo  iv  t{|  inidi^tf  t&v  (^ 
dw9  #r  tjj  kavto^  dutrQi.ßi,  Manches  derart  aus  dem  Lateinischen  in  der 
Anthologie  (z.  B.  n.  21  Riese),  cf.  Teuffei -Schwabe,  Gesch.  d.  röm.  Litt." 
§  46,  9.  828,  7.  Friedlander,  Sittengesch.  m*  (Leipzig  1881)  350.  Daher 
'fehlten  auch  umgekehrt  die  Rhetoren  für  ihre  Deklamationen  gern  poetische 
Stoffe:  Quint.  m  8,  53.  Serv.  z.  Aen.  X  18. 

8)  Cf.  G.  Lehnert,  De  scholiis  ad  Homerum  rhetoricis,  Diss.  Leipzig 
1896;  übrigens  schon  Lehrs,  De  Aristarchi  stud.  Hom. '  (Leipz.  1882)  452  f. 
466,  und  über  rhetorische  Dichterparaphrasen  überhaupt  derselbe,  Die  Pindar- 
scholien  (Leipz.  1873)  50  ff. 

4)  Auch  Servius  benutzte  solche  Scholien,  wie  sie  dem  Claudius  Do- 
natus Yorlagen  (z.  B.  zur  Aen.  VI  847  est  rfietaricus  locus),  cf.  J.  Moore,  Ser- 
Tina  on  the  tropes  and  figures  of  Vergil  in :  The  American  Journal  of  Philol. 
Xn  (1891)  157  ff. 

6)  Cf.  Servius  zu  X  18  Titianus  et  Cdlvus  ihemata  omnia  de  Vergilio 
gÜeuerwU  et  deformarunt  ad  dicendi  tisum]  wir  haben  eine  dictio  des  Enno- 


888  Anhang  I:  Über  die  Geschichte  des  Keims. 

Ernst  und   mit  Ausführlichkeit   die  Frage  erörterte ,   ob  Yergil 
ein  Redner  oder  ein  Dichter  sei?^) 
2.  Die  DaXs  die  Folgen  dieser  theoretischen  Maxime  yerhängnisvoll 

Till  waren,  ist  begreiflich.  Bei  den  Griechen  treten  sie  weniger  in 
Griechen.  Einzelheiten  hervor^),  als  in  der  allgemeinen  Thatsache,  dab 
sie  nach  Theokrit  Jahrhunderte  lang  keinen  nennenswerten  Dich- 
ter gehabt  haben:  die  alles  überwuchernde  Rhetorik  tötete  im 
Verein  mit  der  didaktischen  Poetik  in  stetigem  Fortschritt  alles, 
was  etwa  noch  von  zarten  Reisern  echter  Poesie  in  der  Lyrik 
des  Herzens  oder  des  Kultus  übrig  geblieben  war.  Erst  als  das 
gesteigerte  religiöse  Bedürfnis  dem  Gefühlsleben  einen  neuen 
Inhalt  gab,  that  sich  der  Garten  der  Poesie  wieder  auf,  jedoch 
nicht  mehr  vom  Quell  rein  hellenischen  Fühlens  und  Könnens 
befruchtet:  die  phantastischen  Schöpfungsmythen  der  späten 
^Orphiker',  Gnostiker  und  der  verwandten  Ejreise  sind  zwar  eine 
in  ihrer  Art  grandiose  Poesie'),  aber  von  der  rein  hellenischen 
einfachen  Natürlichkeit   und  plastischen   Realität  ist   in   ihnen 


dius  28  p.  605  f.  H. :  verha  Didonis^  cum  aheuntem  inderet  Äeneatn  (über  IV 
365  ff. ;  über  dieselben  Verse  Anth.  lat.  256  Riese),  cf.  auch  August,  conf.  1 17. 

1)  Cf.  aufser  dem  Dialogfragment  des  Annius  Florus  (worüber  zuletzt 
R.  Hirzel,  Der  Dialog  II  64  f)  Macrob.  sat.  V  1,  1.  Über  die  Autorität  Ver- 
gils  bei  Rhetoren  cf.  D.  Comparetti,  Virgilio  nel  medio  evo,  übersetzt  von 
H.  Dütschke  (Leipzig  1876)  32  ff.  64.  122.  —  Übrigens  war  ein  ähnliches 
Thema,  ob  Cicero  oder  Publilius  Syrus  'beredter'  gewesen  sei,  was  einige 
zu  Gunsten  des  letzteren  entschieden  zu  haben  scheinen  (Petron  c.  65),  der 
ja  auch  thatsächlich,  wie  die  scharf  zugespitzten  Sentenzen  beweisen,  von 
der  Rhetorik  stark  beeinflufst  war. 

2)  Für  Agathon,  Euripides  und  Eallimachos  s.  oben  S.  8d2ff. 
Auch  Theokrit  hat,  wie  Kallimachos,  die  Anapher  sehr  oft  verwendet, 
aber  mit  unvergleichlich  gröfserer  Kunst  als  jener,  wofür  z.  B.  das  erste 
Gedicht  viele  Belege  enthält.  Dagegen  wirtschaftet  Apollonios  von  Rho- 
dos nach  homerischem  Muster  sehr  sparsam  mit  solchen  Mitteln:  in  den 
1862  Versen  des  I.  Buches  findet  sich  Anapher  nur  dreimal  in  Reden  (286  f. 
336  f.  418  f.),  zweimal  in  einem  Gleichnis  (1266  ff.),  zweimal  sonst  (683. 1287), 
aufserdem  überhaupt  keine  rhetorische  Wortfigur. 

3)  Z.  B.  der  oben  (S.  862  f.)  angeführte  Hymnus  der  Naassener,  der 
an  die  Grofsartigkeit  Goethescher  Phantasie  und  Sprache  in  dem  Fragment 
des  Ahasver  erinnert;  ferner  der  herrliche  Mythus  (in  Hymnenform)  viel- 
leicht des  Bardesanes  von  der  Seele,  erhalten  in  den  syrischen  Thomas- 
akten, in  englischer  Übersetzung  bei  W.  Wright  in  seiner  Ausg.  der  Apo- 
cryphal  acta  of  the  apostles  II  (Lond.  1871)  238  ff.,  deutsch  bei  R.  Lipsir 
Die  apokryphen  Apostelgesch.  I  (Braunschw.  1883)  292  ff. 


Rhetorik  und  Poesie:  Altertum.  889 

kaum  mehr  etwas  zu  spüren:  die  Glut  und  Gestaltungslosigkeit 
orientalischer  Phantastik  dominiert  in  ihnen,  wie  später  im  Epos 
des  Nonnos;  nur  die  katholisch-christliche  Dichtung,  z.  B.  die 
des  Gregor  von  Nazianz  (obgleich  auch  in  ihr  den  äufserlichen 
Mitteln  der  Rhetorik  ein  grofser  Spielraum  zugestanden  wurde), 
verstand  es,  mit  dem  lyrischen  Schwung  oder  der  einfachen  Tiefe 
der  Gedanken  die  Gesetze  hellenischer  Schönheit  wieder  so  weit 
zu  verbinden,  als  es  bei  der  veränderten  Lage  der  Zeiten  über- 
haupt noch  möglich  war. 

In  der  lateinischen  Poesie,  deren  Produkte  quantitativ  ^  ^/*  ^ 
die  der  griechischen  weit  übertreffen,  können  wir  die  verderb- 
lichen Einflüsse  der  Rhetorik  überall  verfolgen.  Die  Tragödie 
war  hochrhetorisch:  man  scheute  sich  nicht,  die  Facetien  der 
Kunstprosa  reichlich  anzubringen:  die  rhetorischen  Homoioteleuta 
des  Ennius,  sowie  die  doppelte  Witzelei  in  dem  Vers  Priamo 
vi  vitam  evitari  haben  wir  bereits  oben  (S.  839)  kennen  gelernt. 
An  Accius  bewunderte  man  so  sehr  die  rednerischen  Agone 
seiner  Tragödien,  dafs  man  ihn  fragte,  warum  er  nicht  als  öffent- 
licher Redner  auftrete  (Quint.  V  13,  43).^)  Aus  Pacuvius  führt 
der  Verf.  der  Schrift  an  Herennius  II  23,  36  ein  tolles  Stückchen 
an,  in  dem  der  Dichter  mit  Sjnaonymen  unerträglich  witzelt*); 
die  Beschreibung  eines  Sturms  (V.  411  ff.  Ribb.)  ist  ganz  nach 
der  Schablone  (s.  o.  S.  286.  408,  2);  seine  contorta  exordia  ver- 
spottet Lucilius  V.  718  L.')  Über  den  Redner  und  Tragiker 
C.  Titius  schreibt  Cic.  Brut.  167:  huius  orationes  tantum  argu- 
tiarum,  tantum  exemplorum,  tantum  f*rbanitatis  hcibent,  ut  paene 
Attico  stilo  scriptae  esse  videantur.  easdem  argutias  in  tragoedias 
saus  quidem  ille  acute  sed  parum  tragice  transtulit  —  In  der 
epischen  Poesie  eröffnet  gleichfalls  Ennius  den  Reigen.  Er 
hat  seine  Freude  an  scharf  zugespitzten  Antithesen:  205  f.  V. 

quorum  virtutei  hdli  fortuna  pepercit, 

eorundem  lihertati  me  parcere  certum  est, 
359  f.  quae  neque  Dardaniis  campis  potuere  perire 

nee  cum  capta  capi  nee  cum  comhusta  cremari, 
an  einem  auf  Gorgias  zurückgehenden  Bonmot  (s.  o.  S.  384  f.) 

1)  In  den  Pragmatica  scheint  er  seine  eigne  Diktion  rhetorisch  ana- 
lysiert zu  haben,  cf.  Rh.  Mos.  XLIX  (1894)  531  ff. 

2)  Cf.  £.  Marx  in  der  praef.  seiner  Ausgabe  p.  92.  132. 

■^  Cf.  L.  Brunei,  De  tragoedia  apud  Rom.  corrupta  (Thes.  Par.  1884)  96  ff. 


890  Anhang  I:  Über  die  Greschichte  des  Beims. 

141  f.  volturus  in  spinis  miserum  mandebat  homanem. 
heu  quam  crudeli  condehat  membra  sepulcro, 

vor  allem  auch  an  Wortfiguren,  unter  denen  die  oft  durch  alle 
Wörter  des  Verses  hindurchgehende  Allitteration  die  grofste  Rolle 
spielt  (cf.  z.  B.  4.  9.  113.  311.  452.  471.  478),  aber  auch  der  Gleich- 
klang am  Ende: 

107  maerentes  flentes  lacrumantes  commiserantes 

(das  typische  Beispiel  der  späteren  Bhetoren  fiir  das  diioidTCta- 
tov)  und 

412  si  lud  si  nox  si  mox  si  tarn  data  sit  fruXj 

sowie  Wortspielereien: 

sat.  32  ff.  näm  qui  lepide  postulat  dlterum  frustrdri 

quom  frustrast,  frustra  illum  dicit  frustra  esse, 
nam  qui  se  frustrari  quem  frustras  sentit, 
qui  frustratur  frustrast,  si  ille  non  est  frustra. 

Lucrez  hat  dagegen,  soweit  ich  mich  aus  früherer  Lektüre  des 
Dichters  erinnere,  die  äufserlichen  Mittel  der  Rhetorik  erheblich 
zurücktreten  lassen,  z.  B.  die  Allitteration  auf  eine  geringere 
Anzahl  von  Worten  eines  Verses  beschränkt  und  sie  nur  zur 
Hebung  des  Ethos  verwendet;  Wortspiele,  die  unserm  Geschmack 
wenig  entsprechen,  verschmäht  auch  er  nicht,  z.  B.  III  888 

nam  si  in  morte  malumst  malis  morsuque  ferarum 

tractari, 
cf.  Munro  zu  I  875  und  Heinze  zu  III  364.  Wie  ganz  anders 
aber  als  dieser  gewaltige  Dichter  sein  antiker  Herausgeber 
Cicero.  Über  seine  poetischen  Versuche,  auf  die  er  sich  selbst 
so  viel  zugute  that^),  hat,  wie  man  weifs,  schon  die  nach- 
folgende Generation  den  Stab  gebrochen:  Ciceronem  eloquentia 
sua  in  carminibus  destituit  sagt  Cassius  Severus  bei  Seneca  contr. 
praef.  III  8.  Er  hat  die  kümmerlichen  Verse  mit  den  ihm  als 
Redner  geläufigen  Mittel  eben  auszuputzen  unternommen,  aber 
solche  argutiae  wie  die  in  den  berüchtigten  Versen 

1)  Was  ihn  dazu  veraslafsto,  seinen  Pegasus  zu  zäumen,  hat  ihm  ein 
Humanist  richtig  nachgefühlt:  Melanchthon,  Eloquentiae  encomium  (ed. 
K.  Hartfelder  in:  Lat.  Litteraturdenkm.  des  XV.  u.  XVI.  Jh.  herausg.  von 
Herrmann  und  Szamatölski,  Heft  4,  Berlin  1891)  42  f.:  sensit  M.  Cicero  fa- 
cundiam  versihiis  scribendis  ali  eamque  ob  causam  et  saepe  scripsisse  Carmen 
et  poetarum  perstudiosum  fuisse  constat;  cf.  auch  Qoint.  X  5,  4.  16  f. 


i.. 


Rhetorik  und  Poesie:  Altertum.  891 

0  fortunatam  natam  me  constde  Bomam. 
cedant  arma  togae,  concedat  laurea  laudi 

haben  ihn  ein  für  alle  Male  kompromittiert.  ^)  Auf  die  rheto- 
rischen Homoioteleuta,  die  er  in  demselben  Gedicht  verwendete, 
ist  schon  oben  (S.  839)  hingewiesen  worden. 

Unter  den  Augusteem  hatVergil  mit  dem  feinen,  ihm  eignen 
ästhetischen  Takt  dem  Rhetorischen  einen  sehr  beschränkten 
Baum  angewiesen:  dafs  er  es  nicht  aus  Unvermögen  that,  zeigen 
zwei  solche  Meisterstücke  wie  die  Rede  des  Turnus  XI  378  ff.  und 
vor  allem  die  der  Inno  YII  293  ff.,  f&r  deren  indignatio  die  scharfen 
(aus  Ennius  übernommenen)  Antithesen:  num  capti  potuere  capi? 
num  incensa  cremavit  \  Troia  viros?  wohl  angemessen  sind.  Zwar 
hat  er  gelegentlich,  z.  T.  wohl  nach  Ennius,  Argutien  an  Stellen, 
wo  wir  sie  nicht  erwarten,  aber  man  mufs  mühsam  suchen,  bis 
man  sie  findet,  und  vielleicht  sind  wir  Moderne  darin  zu  sensitiv.*) 
Ein  spitzes  Bonmot  seiner  Zeit  (s.  o.  S.  284)  hat  er  feinsinnig 
durch  Umschreibung  vermieden,  wofür  ihn  Seneca  (suas.  2,  20) 
lobt.^  Wie  im  Charakter  so  war  auch  in  seiner  Poesie  Ovid 
der  Widerpart  Vergils;^man  erkennt  das  besonders  deutlich  da, 

1)  Die  Humanisten  disputierten  über  diese  Verse  pro  et  contra,  cf. 
Erasmus,  Dial.  Ciceronianus  I  984  F.  Steph.  Doletus,  Dial.  de  imit.  Cicero- 
niana  adversus  Erasmum  pro  Longolio  (Lugd.  1585)  186  f.  Caes.  Scaliger, 
Foetica  1.  IV  c.  41  p.  518.  Andr.  Schottus,  Cic.  a  calumniis  vindicatas 
(1618),  ed.  Fabricius  (im  Anhang  zn:  Ciceronis  filii  vita  Simone  Yallam- 
berto  auctore,  Hamburg  1780)  c.  10  p.  148  ff.  Tumebus,  Adversaria  VIl  19. 
Die  dem  fortunatam  natam  analoge  Spielerei  in  einem  Brief  an  Brutus  (bei 
Quint.  IX  4,  41)  res  mihi  invisae  visae  sunty  Brüte  wollte  Doletus  L  c.  durch 
Umstellung  beseitigen. 

2)  Ich  meine  die  Wortspiele:  Aen.  I  899  pitppeaque  tuae  puhesgue  tuo- 
rum  (worüber  cf.  Quint.  IX  8,  76).  II  494  fit  via  vi  (ennianisch)  IV  288 
parere  parahat  (vielleicht  ennianisch)  271  qua  spe  Libycis  teris  otia  terris 
VI  204  auri  awra  X  191  f.  dum  canit  et  maestum  musa  solatur  amorem  \  ca- 
nentem  moUi  pluma  duxisse  senectam  (wohl  nicht  gefühlt)  Georg.  U  828  avia 
tum  resonant  avibus  virgulta  canoria  (cf.  Auct.  ad  Her.  IV  21,  29.  Quint. 
IX  8,  70).  Cf.  darüber  schon  G.  Vossius,  Inst.  or.  (1606)  1.  V  c.  4  (p.  845  f. 
der  8.  Ausg.).  Femer  eine  Antithese,  wo  sie  nach  unserm  (aber  nicht  nach 
antikem:  cf.  Naeke  zu  Val.  Cat.  p.  285.  287)  GefOhl  nicht  am  Platz  ist: 
in  181  Offnovit  «c  .  .  .  .  novo  veterum  deceptum  errore  locorum  (cf.  dazu 
ServiuB  und  Gonington).  —  Von  R.  BraumüDer,  Über  Tropen  und  Figuren 
in  y.*8  Aemeis  ist  nur  der  erste,  die  Tropen  behandehide  Teü  erschienen 
(Progr.  des  Wilhelmsgymn.  Berl.  1877).  . 

S)  Tgl.  übrigens  Leo  praef.  Senec.  trag.  p.  155,  10. 


892  Anhang  I:  Über  die  Geschichte  des  Reims. 

wo  beide  denselben  Stoff  behandeln,  z,  B.  erzählt  Vergil  (Aen. 
III  588  ff.)  die  Begegnung  des  Odysseus  mit  dem  Cyclopen  wie 
ein  Dichter,  Ovid  (Met.  XIV  167  ff.)  wie  ein  Deklamator,  wobei 
er  fast  in  denselben  Schwulst  verfällt  wie  der  Grieche  Dorion 
bei  Seneca  suas.  1,  12.  Wie  man  aus  des  älteren  Seneca  Schriften 
weifs,  galt  er  schon  bei  seinen  Zeitgenossen  als  Dichter  unter 
den  Deklamatoren  und  als  Deklamator  unter  den  Dichtem^):  die 
Bhetoren  nahmen  ihre  concetti  aus  ihm,  er  aus  den  Rhetoren 
und  zwar  nicht  aus  den  vorsichtigen,  sondern  den  überkühnen 
(cf.  z.  B.  Sen,  contr.  II  4, 11  f.).  Nichts  hübscher  als  die  Anek- 
dote, die  Seneca  mit  Berufung  auf  Albinovanus  Pedo  erzählt: 
Freunde  bitten  den  Ovid,  ihm  drei  Verse  bezeichnen  zu  dürfen, 
die  er  aus  seinen  Gedichten  beseitigen  solle,  er  bedingt  sich  aus, 
seinerseits  drei  ausnehmen  zu  dürfen,  die  vor  dem  Angriff  jener 
sicher  sein  sollten;  beide  Parteien  schreiben  die  Verse  auf  und 
es  stellt  sich  heraus,  dafs  auf  den  Zetteln  beider  Parteien  die- 
selben Verse  stehen,  nämlich: 

semibovemgpie  virum  semivirumqiie  bovem  (a.  a.  11  24) 
et  gdidum  Borean  egelidumque  Notum  (am.  II  11,  10) 

(der  dritte  ist  durch  eine  Lücke  im  Text  des  Seneca  verloren):  „er 
kannte,  fügt  Seneca  hinzu,  seine  Fehler,  aber  er  liebte  sie".  Das- 
selbe gilt  von  den  meisten  seiner  Leser  in  der  Eaiserzeit:  in 
einer  Zeit,  wo  Genie  die  Parole  war,  muTste  der  ingeniosissimus 
poeta  der  Liebling  aller  sein,  wie  unter  den  Prosaikern  Seneca 
der  Sohn,  der  Geistesverwandte  Ovids.  Wir  brauchen  einen 
Kommentar  zu  Ovid,  in  dem  seine  Stoffe  mit  den  uns  bekannten 
Deklamationen  verglichen^)  und  seine  Verse  —  inhaltlich  und 
formell  —  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  analysiert  werden:  aus 
den   Bhetoren,   die  seit  Gorgias  die  Leuchtkugeln  ihres  Esprits 


1)  Den  &y&v  des  Aiax  und  Odysseus  Met.  XHI  citiert  Quintilian  (V 
10,  41)  zugleich  mit  dem  Streit  des  Clodius  und  Milo. 

2)  Z.  B.  der  Phaethonmythus,  der  ganz  ähnlich  behandelt  wird  in  der 
poetischen  Deklamation  des  Q.  Sulpicius  Maximus  (Eaibel  epigr.  618)  und 
von  Lukian  deor.  dial.  26,  alle  gewifs  nach  älterer  Vorlage,  cf.  die  An- 
merkungen Eaibels  und  G.  Lafaye,  De  poetar.  et  orat.  certaminibus  (Paris 
1883)  73  fiP.  Die  Kontroverse  Senecas  11  7  wird  von  Ovid  in  den  Meta- 
morphosen poetisch  behandelt:  ich  finde  die  Stelle  leider  nicht  wieder.  — 
Auch  Albinovanus  Pedo,  der  Freund  Ovids,  beschreibt  bei  Seneca,  suas.  1, 
16  den  Ocean  mit  denselben  Farben  wie  die  dort  angeführten  Bhetoren. 


Rhetorik  und  Poesie:  Altertum.  893 

aufsteigen  liefseii;  kann  man  viele  seiner  inventa  belegen.^)  — 
Die  ganze  übrige  lateinische  Poesie  der  Eaiserzeit^  abgesehen 
von  einzelnen  Gattungen  der  christlichen,  steht  bekanntlich  gleich- 
&lls  unter  dem  Zeichen  der  Rhetorik;  manches  läfst  sich  ohne 
weiteres  glossieren  aus  den  von  Seneca  überlieferten  Deklama- 
tionen*); obwohl  für  das  Einzelne  noch  sehr  viel  nachzuweisen 
wäre^,  gehe  ich  hier  nicht  näher  darauf  ein,  wo  es  genügt,  die 
allgemeine  Thatsache  festgestellt  zu  haben.  ^) 


1)  Nur  je  ein  Beispiel  för  das  Inhaltliehe  und  Formelle.  Auf  das 
berüchtigte,  unendlich  oft  wiederholte  oder  variierte  Wort  des  Gorgias 
von  den  yvnsg  ^fiipvxoi  rayot  (s.  o.  S.  385)  kann  auch  er  sich  nicht  ver- 
sagen anzuspielen  Met.  VI  665,  wo  es  von  Tereus  nach  der  Verspeisung 
seines  Sohnes  Itys  heifst:  flet  modo  seque  vocat  bi^um  miserabile  nati;  hier- 
über sagt  J.  Tollius  in  seiner  Ausgabe  der  Schrift  ntQi  wpovg  (Traj.  ad 
Rhen.  1694)  18:  flevisse  Calliopen  ferunt,  cum  Tuiec  scriberet  Otndiua:  adeo 
puHde  et  puerüiter  cum  patris  ndd-oe  tum  gentis  fid-og  expressisse  videbatur, 
—  Das  doppelte  diiounilBvtov  in  dem  Vers  (a.  a.  I  69): 

quot  cwlum  stelkis,  tot  ha^et  tua  Borna  pueUca. 
erklärt  zwar  Puttenham,  The  art  of  engl,  poesie  (1589)  80  (ed.  Arber)  fär 
zufällig,  aber,  wie  die  stark  hervorgehobene  Antithese  zeigt,  ist  es  ebenso 
beabsichtigt  wie  bei  Senec.  Tro.  510  ff.:  fcxta  si  miseros  iuvant,  \  hohes  sa- 
lutem;  fata  si  vitam  negant,  \  hohes  sepulchrum,  s.  oben  S.  310,  1.  —  Cf.  im 
aUgemeinen  auch  Fr.  Aug.  Wolf  in  der  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  der 
Marcelliana  (Berl.  1802)  XXXI f.;  dagegen  war  D.  Heinsius  ein  grofser  Lieb- 
haber des  Ovid,  den  er  in  einer  Art  von  Hymnus  in  Schutz  genommen  hat 
gegen  seine  Feinde:  De  tragoediae  constitutione  (1611)  154 ff.  Melanchthon 
hat  ihn  als  Bhetor  gewürdigt:  instruit  eloquentiae  studiosos  omni  apparatu 
oratorio  verhorum  et  figurarum,  cf.  E.  Hartfelder  in:  Mon.  Germ.  Paed.  VE 
(1889)  888,  2. 

2)  So  kennt  Lucan  ÜI  233  die  Suasorie  bei  Sen.  suas.  1  (cf.  besonders 
§  8),  cf.  das  Scholion  zu  jenem  Vers;  Senec.  Agam.  211  bringt  ein  Bonmot 
des  Latro  an,  cf.  Sen.  suas.  2,  19. 

8)  Mein  Schüler  St.  Glöckner  beabsichtigt,  dies  Thema  näher  zu  be- 
handeln. 

4)  Feine  Bemerkungen  darüber  bei  Muratori,  Della  perfetta  poesia 
Italiana  (Venezia  1748)  428  ff.  Eine  gute  £[ritik  des  sprachlichen  Ausdrucks 
mit  reicher  Materialsammlung  giebt  J.  Chr.  Emesti,  De  elocutionis  poetarum 
latinorum  veterum  luxurie,  in:  Acta  seminarii  reg.  et  societatis  philol.  Lip- 
siensis  H  (1812)  1  ff.  Selbst  Tibull  zeigt  gelegentlich  rhetorische  Beein- 
flussung: in  den  Versen  1  5,  64  suhicietque  manus  efficietque  viam  und  I  4,  4 
non  tibi  barha  nitet,  non  tibi  culta  comast  hat  er  nach  der  feinen  Beobsich- 
iong  Meyers  1.  c.  (o.  S.  867, 1)  1032  gegen  seine  Gewohnheit  den  ersten  Teil 
des  Pentameters  mit  einem  iambischen  Wort  geschlossen  dem  Parallelismus 
xuliebe.    Für  Seneca*s  Tragödien  cf.  aufser  Heinsius  1.  c.  191  ff.  B.  Smith, 


Sfl4  Anliimg  I:  Ülier  die  GeschiclitG  des  Reims. 

2.    Da«  Mittelalter. 

r  Eine  Belbständige  Stellung  hat  die  Poesie  uaeli  der  Theori 

"  des  Mittelaltere  nicht  besessen.     Inaofem  es  darauf  ankam,  die 

Gesetze    der   Metrik    an    ihr   zu   lernen,   rechnete    man    sie   zur 

Grammatik'),  als  Ganzes  genommen  zur  Rhetorik,  die  man,  wie 


I 


De  arte  rhetorica  in  Senecae  tragoediia  penpicua,  Leipz.  1885,  F.  Jocobt, 
'Seneca'  in  Sulzera  Theorie  d.  schönen  Künste,   Nacitr.  IV  (1795)  88»  ff., 
Bowio  besonderB  Leo  vor  seiner  Ausgabe  p.  147  ff.    Über  Lucan  Bahsac, 
oeu<rreB  IL  696 f.;  für  ihn  iat  vemicbtend,  dafa  ihn  Flarus  rtarlt  benntzt  hat, 
wie  bewieaen  ist  Ton  E.  Weaterburg  in:  Khein.  Muä.  XXXVn  (1882)  36 ff.; 
sein  Werk  galt  bekanntlich  im  Ältertinn  imd  Mittelalter  füi'  thetorisiereniiß_ 
Qsscbichtsadtreiboiig;  nach  der  Vita  (p.  78  f.  Reiff.)  achrieb  er  in  Prosa 
Chtamum  Sagittam  et  pro  eo  (also  Übungareden  über  das  bei  Tac.  a, 
44  Eriflhlto).    Über  Juvenal  E.  Strnbo,  De  rhetorica  luv.  di»ciplina,  Proj 
Brandenburg  1875,  L.  BergniQlleT,  Quaestiones  luTenalianae  in:  Act. 
Erlang.  IV  (1886)  396  ff.,  über  Siliaa:    Cellariue,  De  C.  Silio  Italice  169] 
(in;  Cellarii  diBsertationea  aeudemieae  ed.  Walch  [Lips.  1712]  8!  f.);  Statiui 
unter  den  Dichtem  der  spHtcrn  Eaiaerzeit  der  bedeutendste,  iat  ein  Ueisl 
in  der  tutfeaais,  die  man  in  den  RhetorenBchulen  lernte:  cf.  Leo  1.  c.  (ol 
S.  88*)  5  ff.  (überhaupt  das  Wichtigete  für  diese  ganze  Frage)  und  J.  Zieh« 
in:  Bcr.  d.  freien  deutsch.  Hochstiftes  zu  Prankf.  a.  M.  1896,  311  ff.   In 
neuestena  beliebten  Dissertationen  Sbcr  die  'Figuren'  bei  diesen  Dichtem 
wird  der  Stoff  viel  zu  oberflächlich  behandelt;  hier  bleibt  noch  viel  ta.  thuu. 
1)  Die  Metrik  figuriert  als  Teil    der  Granunatik   schon  in  den   ans 
ans  dem  Altertum  erhaltenen  Grammatiken.    Cf.  ferner  Ennodius  opoac.  S 
\i.  407  H.,  WD  die  'Granunatica'  eagt:  poetica,  iuris  peritia,  diaiectiea,  oriA- 
mrtica  ve  utuntur  quaei  genttrice.     In  alten  Bibliothelukatalogen  stehen 
Handschriften  über  Granuuatik   und  Metrik  zuaaimnen,   z.  B.  in  St.  Gallen 
(s.  K)  bei  G.  Becker.  Catal.  codd.  p.  62,  Keichenau  (s-  IX)  ib.  12.  27.  Bobbio 
(b.  X)  bei  Muratori,  Antiqult,  Ital.  IH  dise.  43.    Honoriua  t.  Auton  (s.  XII) 
de  animae  eiilio  et  patria  cd.  Fez  im  Thea.  anecd.  noviss.  n  (1721)  837  ff.; 
in  der  dvitas  grainmatka  herrschen  DonatuB  und  Friscianus,  viUae  huic 
ditae  mnt  libri  poetarum,  qui  in  quattuor  spedes  dividuntur,  säiicet 
gotdias,  in  comoedias,  in  satyrica,  t'n  lyrica  (was  dann  nllher  ausgeftthi 
wird).    Verse  aus  s.  XII  eitr.  bei  Haui-öau  in:  Not  et  oxtr.  des 
2  (18BÜ)  2U6  f.:  inter  artti  igitttr  qui  (sie)  (fuMnfur  trivitim  \  fundatrix  gram- 
matica  vindieal  principittm,  \  quae  «e  eutam  aestimat  tirlem  esse  artiwn.  \  ntb 
hae  chofvs  militat  metrice  scribcnliUiiH.    Abätard  introd.  ad  theologiam  1. 
vol.  H  p,  69  Cousin:  de  pottieig  figmentis  (d.  h.  den  heidnischen  Gedicht 
quo»  nonnulU  Hbros  gramiTtaticae  vocare  consuervttt,  eo  quod  pannUi  ad 
ditionait  grammatieae  kdionia  tos  tegtre  aoUti  sint,  Utlia  eancUrrum  gat 
auctoritas.    Eberhardus  t.  Biithane  laborintuB  (ed.  Leysor  in:  Hist. 
poem.  med.  aev.  [Halle  1741]  736  IT.)  I  t.  253  ff.  (p.  808):  grammatkae  fax 


:S7ff.:^^^ 


Rhetorik  und  Poesie:  Mittelalter.  895 

das  spätere  Altertum;  ganz  allgemein  als  die  ars  tene  dicendi 
fafste.^)  Es  giebt  für  den  letzteren  Zusammenhang  eine  grofse 
Anzahl  von  Belegen^  von  denen  ich  einige  anf&hren  will. 


lans  stibit  ingeniosa  poesis,  \  officii  confert  ülterioria  omts,  \  expUcat  haec  legem 

metri,  gpiid  pes,  docet,  addens,  \  quid  tempus,  quot  sint  tempora  cuique  pedi 

u.  8.  w.   Zur  Rhetorik  rechnet  auch  diesen  Teil  der  Poesie  Gregor  ▼.  Tours, 

h.  Franc.  X  Id  si  te  in  grammcUicis  docuit  (Martianus)  legere,  in  diälecticis 

(dtercationutn  propositionia  advertere,  in  rhetoricis  genera  metrorum  agnoscere 

etc.   Die  Beschäftigung  mit  Prosodie  war  im  Mittelalter  eine  aufserordent- 

lieh   lebhafte,   einen  Verstofs   gegen   sie  zu  begehen,   galt  nicht  weniger 

schlimm  als  ein  grammatischer  Fehler;  wir  haben  mehrere  dieser  meist 

sehr  armseligen  Traktate,  z.  B.  aus  s.  IX  von  einem  Mönch  Hildemar,  ed. 

Mabillon  in:  Ann.  Ord.  S.  Ben.  11  743  f.,  yon  einem  Mönch  Lambert  ib.  744  f., 

aus  s.  X  Yon  Abbo  y.  Fleury  ib.  IV  687,  aus  s.  XH/XITT  yon  einem  armen 

Schulmeister,  dem  es  sehr  schlecht  geht  und  der  nun  in  höchst  amüsanter 

Weise  auf  den  die  Gesetze  der  Prosodie  yemachlässigenden  Klerus  schimpft, 

ed.  Gh.  Fieryille  in:  Not.  et  extr.  des  mss.  XXXI  1  (1884)  129  £f.,  und  ge- 

wifs  yiele  andere. 

1)  Cf.  V.  Le  Clerc,  Hist.  littdraire   de  la  France  au  XIV«  siöcle,  I 

(2.  Aufl.,  Paris  1865)  450:  la  rhdtorique,  teile  qu'on  Ventendait  cdors,  signi- 

fiait  Vart  de  hien  dire  dans  tom  les  genres,  seit  en  prose,  soit  en  vers.    So 

^  Eberhardus  yon  B^thune  (s.  XIII)  graecista  c.  8  v.  285  (p.  49  ed.  Wrobel): 

eloguitur  resis  indeque  reihorica,  ib.  17  y.  80  (p.  173):  eloquitur  qui  rethoHce 

profert  sua  verba.   Brünette  Latini  (s.  XITI)  li  liyres  dou  tresor  (ed.  Chabaille 

in:  OoUection  de  documents  inädits  sur  Thistoire  de  France.    S^r,  I  Paris 

1863)  1.  m  part.  I  cap.  X  p.  481 :  La  grans  partisans  de  touz  parleors  est 

en  Aj,  manieres,  une  qui  est  en  prose,  et  %me  autre  qui  est  en  riine;  mais  li 

enseignement  de  rectorique  sont  commun  andui.  Die  Rhetorik  ist  unter  allen 

artes  des  Mittelalters  yon  den  Neueren  am  wenigsten  bearbeitet,  obwohl 

sie  neben  der  Grammatik  eine  Hauptrolle  im  Unterricht  spielte;  wie  ich 

sehe,  yerspricht  M.  Herrmann  (Albr.  y.  Eyb  u.  die  Frühzeit  d.  Humanismus 

[Berl.  1893]  175,  1)  den  „Versuch  einer  Geschichte  der  Rhetorik".    Daher 

will  ich  das  yon  mir  gesammelte  Material  zurückhalten.    Ich  bemerke  nur 

wegen  der  im  Text  meist  angewendeten  Schreibung  reihor,  reihorica,  dafii 

das  Mittelalter  meist  diese  Form  hat.    Sie  steht  schon  s.  Vü  bei  Marculfb 

in  den  Formularum  libri,  praef.,  in  Mon.  Germ.  Legg.  V  p.  87,  11.   Freili« 

kannte  man  aus  den  Handschriften  der  Autoren  auch  die  antike  Schreibui 

das  zeigen  sowohl  Schwankungen  wie  rheihorica  (s.  IX  in  St.  Gallen, 

einem  yermuÜich  yon  Notker  geschriebenen  Brief,  ed.  E.  Dümmler, 

h        h 
Formelbuch  des  Bischofs  Salomo  [Leipz.  1857]  p.  51,  15),  retor  retorids 

taris  (s.  XI/XII  bei  P.  Piper,  Die  Schriften  Notkers  u.  s.  Schule  I  [Fl 

Tübing.  1882]  praef.  XVI.  XX  f.  cf.  p.  860),   als  auch  die  Schreibonj 

lehrter  Männer  wie  Ekkehard  FV  yon  St.  Gallen  (f  c.  1060),  der  in  i 

yon  E.  Dümmler  (in  Haupts  Z.  f.  deutsch.  Alt.  N.  F.  H)  heraoBgeg 


Anhang  I:  Über  die  Geschieht«  des  Seins. 

ZmssUM  bber  Gerberts  (s.  X)  Uaterrichtsinetliode  haben  wir  folgi 

Bhturik  Notiz  bei  KicberiuB,  bist.  1.  IIl  47:  cum  ad  rhebtricam  suos  pro- 
<indpM.ie.  f.gj,g,.ß  vellet,  i(i  sibi  suspectum  erat,  quod  sine  loculionum  modis, 
qui  in  poetis  discendi  sunl,  ad  oraUmam  artem  perveniri  non  queat. 
poeias  igitur  adiiibttit,  quibus  assuescendos  arbitrabattir.  l^t  ilague 
ac  docuit  Maronem  et  Stalium  Terentiumque  poetas,  luvenaleta 
quoque  ac  Peraium  Horatiutnque  satiricos,  Lucanum  etiatn  historio- 
graphum.  quibits  assuefactos  tocutionumque  modis  compositos  ad 
rhetoricam  transduxU.*)  —  Eiue  in  Versen  abgefalste  Batsel- 
sammlung  etwa  s.  X  bat  die  Überschrift  Questiones  euigmatum 
rethoricae  artis.*)  —  Horaz  wird  von  Petrus  Diaconus,  dem 
Bibliothekar  von  Monte  Casiuo  s.  XI,  streymisstmus  oraior  ge~ 
oatuit.*)  —  In  einer  Poetik  s.  XII*)  heifet  es  (v.  93  f.): 
perlegat  auctores  varios,  legat  et  paelriam 
rlietoricos  flores  cupiens  et  sdre  sopkiam.  — 
Sehr  bezeichnend  iat  auch  der  Name,  der  seit  s.  XII  für  gewisse 
Dicbtergilden  nachweisbar  ist:  'L'eacole  de  Hcthorique  de  Tonr- 
na;*,  'Puf  (d.  b.  podium,  Amphitheater)  d'eacole  de  rhetoriqae' 
ZQ  Doomik  in  Bai^und  u.  e.  w.     Von  Frankreich  and  Bui^od 


4 


Werken  meist  rftrfor,  wohl  nur  Eweimal  (p.  45  v.  S5,  p.  62  t.  18)  rtlhor 
schreibt,  lutereesaut  ist.  daTs  von  den  alten  Bas.  (b.  IX  und  X)  des  Werkes 
an  Herenniua  nur  der  Berneiisia  fast  immer  (unter  den  8  Stellen  nur  eine 
Ausnahme:  II  ä7,  44)  rhtl.  bat,  olle  andern  reth.,  richtig  beurteilt  von  Marx 
in  der  Vorrede  p.  11.  Die  Humanielen  haben  noch  lange  die  mitteliUter- 
liehe  Form  fortgepflanzt,  z.  B.  Petrarca  (rer.  mem.  I  2);  P.  Luder  (Aotiitt«' 
rede  in  Heidelberg  1456,  ed.  Watteubach  in;  Z.  t.  d  Gesch.  d,  Oberrheiua 
XXII  1369  p.  103,  loa.  133),  J.  Locher  m  seiner  Epilhöma  rhetoricea  (Freib. 
I49G)  schwanken. 

1)  umgekehrt  Cicero  als  Lehrer  der  Dichter:  Alauns  de  Inaulie  (s.  XII), 
AnticlaudianuB  Ul  3  (vol.  310,  61H   Migne). 

2)  Ed.  Mone  in  seinem  Anzeiger  f.  Kunde  d.  tentacben  Voixeit  Vm 
(läSl))  310  ff.  und  Haupt  in;  Ber.  d.  K.  sa,chs.  Ges.  d.  Wiss.  1860,  11  t  ff. 

S)  De  locis  sanctis  ed.  Qamurrini  in:  Biblioteca  dell'  accademia  sto- 
rioo-giiiridica  IV  (Rom  1887),  prol.  |j.  114.  Ebenso  wird  Flautua  rhetor  ge- 
nannt von  Raduiphus  Eigden  (Münch  in  Cheater  t  c.  1SG7)  poljcbronicon 
I.  in  c.  40,  was  A.  Graf  (dem  ich  dies  Citat  entnehme),  Roma  nella  me- 
moria del  m.  e.  II  (Torino  18S3)  178  nicht  richtig  ein  Zeichen  der  Tln- 
wissenbeit  nennt.  Ähnlich  ist,  wenn  in  den  aus  s.  IX  stammenden  Glossen 
XU  vates  Jnvenal  VI  436  nugeachrieben  ist:  poeta«  rhetores,  et.  E.  Lonunatwcta 
:  PleckeiseuB  Jhb.  Suppl.  XXII  (1896)  443. 

4)  Ed,  FiervUle  in:  Not.  et  estr.  des  mss.  XXXI  1  (1884)  p.  132  i 


Rhetorik  und  Poesie:  Mittelalter.  897 

kam  dann  diese  Einrichtung  mit  ihrem  Namen  nach  Holland: 
das  sind  die  berühmten  ^Eamers  van  Rethorica',  die  vom  XV. 
bis  zum  Ausgang  des  XVII.  Jh.  nachweisbar  sind;  mit  ihren 
Vertretern,  den  *Rhetorijkers*  ^Rhetrosynen'  ^Gesellen  van  Re- 
toiique',  am  bekanntesten  als  ^Rederijkers';  über  sie  hat  eine 
ausführliche  Monographie  verfafst  6.  Schotel,  Geschiedenis  der 
Rederijkers  in  Nederland,  2.  Aufl.  Rotterd.  1871;  über  den  Namen 
sagt  er  I  53  (ich  übersetze  die  Worte  ins  Deutsche):  ^^Es  ist 
nicht  zu  verkennen,  dafs  die  Rederijk-Eunst  in  den  Werken  des 
XYI.  Jh.  als  Bezeichnung  von  Dichtkunst  vorkommt,  und  dafs 
unsere  alten  Dichter,  selbst  Maerlant,  Rhetoren  genannt  werden, 
obgleich  bei  unsem  alten  Rederijkers  Stellen  vorkommen,  die 
uns  lehren,  dafs  sie  unter  Rhetorik  noch  etwas  anderes  ver- 
standen. So  liest  man  von  Toesie  und  Rhetorik',  doch  auf 
derselben  Seite  kommen  beide  wiederum  als  gleichbedeutende 
Worte  vor."  —  Im  s.  XIII  sagt  Eberhardus  v.  Bdthune,  Grae- 
cista  c.  7  V.  16  (p.  23  ed.  Wrobel),  dafs  Folyhymnia  dat  rethori- 
cos  und  in  demselben  Jahrhundert  Frate  Guidotto  da  Bologna 
in  seinen  Fiore  dl  rettorica^)  von  Vergil,  er  habe  sich  angeeignet 
tutto  il  costrtttto  dello  intendimento  della  Bettoricay  e  piü  ne  fece 
chiara  dimostranza,  sieche  per  hii  possiamo  dire  che  VatibiamOy  e 
conoscere  la  via  della  ragione  e  la  etimölogia  delV  arte  di  Bettarica. 
—  Dante  de  vulgari  eloquio  sive  idiomate  II  4^)  revisentes  ergo 
ea  quae  dicta  sunt  recolimus  nos  eos,  qui  vulgariter  versificantur, 
plerumque  vocasse  poetaSj  quod  procul  dubio  rationabiliter  erudare 
praesumpsitnuSj  quia  prorsus  poetae  sunt,  si  poesim  rede  con- 
sideremus,  quae  nihil  aliud  est  quam  fictio  rethorica  in 
musicaque  posita;  daher  ist  ihm  (c.  6  p.  218)  die  höchste  rhe- 
torische Prosa  der  dictatores  auch  der  einzige  der  Poesie  würdige 
Stil,  und  daher  analysiert  er  ep.  11')  den  Prolog  eines  Gedichts 
nach  den  Regeln  der  ciceronianischen  Rhetorik.^)  —  Aus  &  XII 
und  XIII  giebt  es  poetische  Metaphrasen  der  sog.  quintilianischen 


1)  Ediert  in:  Manuale  della  letteratura  del  primo  secolo  della  lingua 
italiana,  compilato  da  Y.  Nannacci,  ed.  2,  toI.  II  (Firenze  1868)  118. 

2)  Opere  minori  di  D.  Alighieri  ed.  Fraticelli,  sec,  ed.  (Firenze  1861), 
vol.  n  208. 

3)  Ib.  m  621  f. 

4)  Die  Rhetorik  gilt  ihm  aU  Hoavi$$ima  di  Mte  Valtre  scienze,  peroecht 
a  cid  principalmenU  irUende:  Convito  II  c.  14  (III  164  Frat). 


g9R  ^n^npg  T:  Ober  die  Oeschiehte  des  Reims.  ^^^| 

DeklamBtiouen  and  der  Kontroversen  Senecas.*)  —  Selir  bez«i^^| 
nend  ist  auch  folgendes:  der  einstige  Lehrer  Petrarcas  in  der 
Jurisprudenz,  Giovanai  d'  Andrea  in  Bologna,  hatte  iu  einem 
Brief  an  diesen  Cicero  als  Dichter  bezeichnet,  wofür  ihn  Petrarca 
in  seiner  Antwort  zurechtweist  (ep.  de  reb.  fam.  IT  15  p.  338  f. 
Frae.).  — 

Vielleicht  noch  deutlicher  als  diese  positiven  Zeugnisse,  die 
sich  leicht  vermehren  lielsen,  sprechen  zwei  Stellen,  au  denen 
gegen  die  übliche  Unterordnung  der  Poesie  unter  die  Rhetorik 
polemisiert  wird.  Die  eine  findet  sich  bei  einem  Skribenten, 
der  zeitlich  einer  von  ans  noch  eben  zum  Altertum  gerechneteu 
Periode  augehört,  aber  in  seinem  Fühlen  und  Denken  diesem  schon 
ganz  entfremdet  ist,  die  zweite  stammt  aus  dem  tiefen  Mittel- 
alter. Virgilius  Maro  (etwa  a,  VII)  grammatica  p.  16  ff.  (ed, 
Huemer):  nostrae  filosophiae  artcs  sunt  midtae,  quanim  stvdia 
jirincipalia  sunt:  poema  rhetoria  grania  leporia  diaUcta  geometria 
et  cetera  .  .  .  Inter  poenia  et  rhetoriam  hoc  dtsiat,  quod  poema  sui 
varietate  contmta  augasta  atqHC  obscura  est,  rhetoria  atiiem  svi 
amoenitate  gavdens  lalitudhiem  ac  pulchriludinem  cum  quadam  me- 
Irorum  pedum  accentutim  tonorum  syllabarumqiie  magnifica  nume- 
ratione  praepalal.  sed  »lulti  hoc  tempore  vim  deffendenttam- 
que  harumce  artium  ignorantes  in  rhetoria  poema  et  >h 
poema  rhetoriam  agglomitnt  non  habentes  in  memoria,  quid 
Felix  Alexander  agnorum  magister  praeceperit:  unaquaeqite,  inguiens, 
ars  inlra  suas  contineaiur  metas,  ne  adültereiur  discipUna  »utiorum 
et  nos  aput  eos  aecussare  cogatur.  Johannes  Sarisb,  (s,  XU) 
metalogicus  I  17  (V  46  Giles):  adeo  quidem  assidet  poetica  rebus 
naUiralänis ,  ut  eam  pleriqm  negaverint  grammaticae  speciem  esse, 
asserentes  eam  esse  arlem  per  se  nee  magis  ad  grammatj- 
cam  quam  ad  rhetoricam  pertincre,  afßru 
quod  cum  his  habcat  praecepta  communia. 


8.   Der  HnmauisDiua. 

Wie  wir  in  ihm  auf  allen  Gebieten  Rudimente  aua 

r  fiafaerlich  ganz  überwundenen  Zeit  erkennen  (a.  o.  S.  732  ff.), 

auch   auf  dem  Gebiet   der   poetischen  Theorie.     Bekanntlich 


I  tameti  utrique^^^^^ 
dimente  aua  eÜM^^ 


1)  Cf  Fiervillö  I.  e.  p,  126.  139. 


Rhetorik  und  Poesie:  Humanismus.  899 

hat  selbst  Petrarca  die  Anschauung  des  Mittelalters  (die  ihrer- 
seits wieder  tief  ins  Altertum  zurückreicht)^  dals  die  beste  Poesie 
allegorisch  sei^  durchaus  geteilt  und,  von  ihr  befangen,  seinen 
Virgil  gelesen.  Aber  uns  geht  hier  nur  die  Frage  an,  inwie- 
weit sich  noch  in  der  Zeit  des  Humanismus  eine  bis  zur  Identi- 
fikation reichende  Oleichstellung  der  Poesie  und  Rhetorik  nach- 
weisen läfst. 

Die  Nachwirkung  der  Scholastik  in  der  Zeit  des  schon 
entwickelten  Humanismus  zeigt  sich  besonders  deutlich  in  einer 
Summe  des  Wissens,  die  zu  Basel  1565  erschien  unter  dem 
Titel  *Theatrum  vitae  humanae'.  Der  Verfasser  ist  Theodor 
Zwinger,  geb.  zu  Basel  1533,  ein  berühmter  Arzt  und  Poly- 
histor, auf  italienischen  und  französischen  Universitäten  gebildet, 
f  1588.  In  jenem  Werk  verarbeitete  er  die  Materialien,  die  von 
seinem  Stiefvater  Lycosthenes  (Conrad  Wolffhart,  geb.  1518  im 
Elsals,  f  1561  zu  Basel,  wo  er  Prediger  gewesen  war  und  Gramma- 
tik und  Dialektik  gelehrt  hatte)  zurückgelassen  waren.  Es  ist 
wohl  die  letzte  Encyklopädie  des  Wissens,  verfafst  in  Anlehnung 
an  die  Specula  des  Yincentius  v.  Beauvais,  aber  dadurch  von 
eignem  Interesse,  dafs  sie  auf  humanistische  Grundlage  gestellt 
ist.^)  Nachdem  p.  50 — 62  von  der  Rhetorik  gehandelt  ist,  folgen 
p.  62  fif.  die  Poetae,  und  in  einer  Vorbemerkung  heifst  es  (p.  62): 
nas  poeticamy  ut  et  rhetoricam^  inter  talionis  instrumenta  mtUtis 
rationibus  referre  possumuSf  sive  inter  eas  artes  quae  a  harbaris 
sermocinales  appeUantur,  nam  cum  dtä  ti^v  tov  &xQoaxov  {lox^Qiccv 
non  omamentis  tantum  rhetorids,  verum  etiam  metro  poetico  uti 
interdum  necesse  sit^  ut  qui  verüate  ipsa  non  capiuntur,  veritatis 
organis  etiam  nolentes  ducantur:  in  eodem  genere  facultatum  et 
rhetaricam  et  poeticam  statuere  oportebit  videnmt  hoc  veteres,  q\d 
non  ApoUinem  modo  Musarum  principem  finxeruntt  verum  etiam 
Mereurium  ipstim  cum  Musis  assidtie  versari  et  lyrae  inventorem 
esse  asseruerunt,  ut  innuerent,  rhetoricam  fundamenta  quoque 
poetices  continere  et  rhetorem  poetis  lyram,  qua  canerent, 
tradere.  quod  enim  Aristoteles  de  rhetorica  dixity  ivrC- 
atfogxn/  slvai  ty  diaXe9enx%  illud  idem  nos  de  poetica  possu- 
mus  dicerCj  &vxC6xQO(pov  elvai  ry  ^rjtoQix^  .  .  .  poeta  a  rhe- 


1)  Cf.  B.  V.  Liliencron,  Ober  den  Inhalt  der  allgemeinen  Bildung  in 
der  Zeit  der  Scholastik  (München  1876)  26. 

Korden,  antike  Kunstprosa.  Tl.  58 


900  Aiiltflng  I:  Cber  die  Gescbichte  des  Bdonfi. 

tore  ornatum  sumii  et  inveniionem,  addä  de  smo  fkÜomewi, 
metrum  atque  äiam  xä^ßw.  tdißp  dko^  qwmioM  poda  a  mnKii  fort 
tAus  inAoare  seiet.  —  Ein  dem  eben  beschriebeDea  simliA— 
Werk  ist  die  ^Margaritha  philosophica'  des  Gregor  Reisck 
(Priors  der  EarÜmoser  bei  Freibarg  i  Br.)^),  das  leisfee  mn  du 
Mittelalter  erinnernde  Lehrbneh  der  artes,  gedruckt  znersi  1509^ 
dann  noch  oft  wiederholt.  In  ihm  ist  dargestellt  ein  tomiartigcs 
Gebäude,  dessen  verschiedene  Stockwerke  von  den  artes  libenki 
nnd  ihren  Hauptvertretem  gebildet  werden.  Im  zweiten  Stod[ 
sitzt  Tullius  mit  der  Unterschrift: 

Bethorica.^    Poesis.  — 
Der  Zusammenhang  mit  der  mittelalterlichen  Tradition  ist  sdir 
deutlich  auch  bei  dem  englischen  Dichter  Stephen  Hawes.*) 
Sein   im  J.  1506   dem   König   Heinrich  YII   gewidmetes  Werk 
'The   pastime   of  pleasure'   ist   ein  sehr  ausf&hrliehes  aüe- 
gorisches  Gedicht,  aus  dem  uns  die  Kapitel  3  ff.  interessieiea^ 
wo  der  Held  Graunde  Amoure  in  die  Stadt  der  Doctrine  kommt 
und  dort  mit  deren  sieben  Töchtern ,  den  Künsten  des  TriTfaim 
und  Quadrivium,  Bekanntschaft  macht.    Am  ausf&hrlichsten  wird 
die  Rhetorik  behandelt  (c.  7—14  p.  27  ff.);  aber  es  ist  zugleiek 
eine  Anweisung  zur  Dichtkunst:  beide  werden  thatsachlich  gar 
nicht   geschieden ;  z.  B.  handelt  c.  8  of  the  fyrst  (sc.  part  of  Be- 
Üuyryke),  called  inventiony  and  a  cammendacion  of  poetes^  und  die 
Rhetorik  apostrophiert  dort  am  Schlufs  die  Dichter  so: 
and  ehe  to  prayse  you  toe  are  gretdy  bounde^ 
because  our  connyng  from  you  so  procedethj 
for  you  iherof  toere  fyrst  originaU  ground 
and  upon  your  scripttire  our  science  ensueth. 
your  splendent  verses  our  lyghtnes  renuäh; 
and  so  toe  ought  to  laude  and  magnify 
your  excellent  springes  of  famous  poetry^ 

1)  Cf.  über  dies  Werk  E.  Hartfelder  in:  Z.  f.  d.  Gesch.  d.  Oberrheini 
N.  F.  V  (1890)  170  ff.    Ich  benutze  den  Druck  Strafsburg  1608. 

2)  Aus  dieser  mittelalterlichen  Schreibung  scheint  zu  folgen,  daÜB  die 
Zeichnung  älteren  Ursprungs  ist,  denn  der  Verf.  selbst  schreibt  konstant 
rhetonca  und  schärft  sogar  f.  55'  ausdrücklich  ein,  dafs  ^  mit  rh  wieder- 
zugeben sei,  wofür  er  gerade  rhetor  anführt. 

d)  Cf.  über  ihn  das  Dictionary  of  National  Biographj  ed.  Stephen- 
Lee,  vol.  XXV  (London  1891)  188  f.  Ich  citiere  nach  der  Ausgabe  von  Th. 
Wright  in:  Percy  Society  vol.  XVIII,  London  1846. 


Rhetorik  und  Poesie:  Htunanismas.  901 

worauf  c.  14,  unmittelbar  nach  Beendigung  des  Abschnitts  über 
die  Bhetoriky  eine  Empfehlung  der  Dichter  Gower,  Chaucer  und 
Lygdate  folgt. 

Die  Universitäten  verkörperten  im  Gegensatz  zu  den 
humanistischen  Neuerern  das  reaktionäre  Element.  Von  dem 
durch  die  Angriffe  der  Dunkelmännerbriefe  berüchtigten  Ort- 
winus  GratiuS;  Professor  in  Köln,  giebt  es  eine  Anzahl  von 
Beden  über  die  freien  Künste,  die  durch  ihre  Mischung  von 
scholastischen  und  humanistischen  Tendenzen  eigenartiges  Inter- 
esse haben;  sie  sind  m.  W.  nur  einmal  gedruckt:  in  Köln  1508.^) 
In  einer  dieser  Reden,  gehalten  in  commendationem  poeticae^  heifst 
es:  nunc  quia  rhetoricen  pro  virili  laudare  contendinms,  viri  da- 
rissimi,  poeticam  etiam  laudare  debemus.  est  enim  oratori  coniundus 
poeta  stmique  inter  se  necessitate  guadam  et  officio  constrictiy  qtwn- 
iam  nulla  est  poetarum  exornatio^  nnllus  lepos,  nulla 
denique  studii  facultas,  quam  communem  non  habeant  et 
vates  et  rhetor.  quae  si  mixtim  divisa  forent  aut  eorum 
unioni  nuncius  remissuSf  non  haheret  orator  circumloquu- 
tionem  multifarie  explicandam  et  concinnam  maiestatem 
poeta  desideraret  —  Daher  wundem  wir  uns  nicht,  wenn  z.  B. 
in  einer  Studienordnung  der  Universität  Oxford  unter  ^Rhetorik' 
stehen  aufser  Aristoteles,  Boethius  (Top.)  und  Cicero  (de  inv.) 
auch  Ovids  Metamorphosen  und  Toetria  Virgilii**),  und  wenn 
ebenda  im  J.  1513  einem  Scholaren  der  Rhetorik,  unter  der 
Bedingung,  dafs  er  100  Gedichte  mache,  der  Dichterlorbeer  ver- 
brochen wurde. ')  Ebenso  berichtet  aus  dem  Ende  des  XIY.  Jh. 
von  der  Wiener  Universität  J.  Aschbach ^):  „An  das  Studium  der 


1)  Titel:  Orationes  quodlibetice  periueunde  Ortuini  Gracii  Daventrien- 
sis  Colonie  bonas  litteras  docentiB  etc.  Am  Schlufs :  Impressum  est  hoc  opus 
egreginm  Colonie  per  honestmn  civem  Henricum  de  Muscia.  Anno  domini 
MCCCCVlil.  Ich  benutze  das  freundlichst  zur  VerfcLgung  gestellte  Exemplar 
der  Kölner  Stadtbibliothek. 

2)  Cf.  H.  Bashdall,  The  universities  of  Europe  in  the  middle  ages  n 
2  (Oxford  1895)  467. 

3)  Cf.  Register  of  the  university  of  Oxford  ed.  Boase,  I  (Oxford  1886) 
299,  citiert  von  Bashdall  1.  c.  469,  3. 

4)  G^sch.  d.  Wien.  Univ.  im  1,  Jh.  ihres  Bestehens  I  (Wien  1866)  88, 
cf.  auch  n  56,  wo  mitgeteilt  wird,  dafs  i.  J.  1497  der  berühmte  Humanist 
Conrad  Celtes,  poeta  laureatus,  nach  Wien  berufen  wurde  für  die  Professur 

58* 


902  Anhang  I:  Über  die  (beschichte  des  Reims. 

lateinischen  Sprache  reihte  sich  das  der  Rhetorik,  welche  nicht 
nur  die  eigentlichen  Stil-  und  Redeübungen,  sondern  aach  die 
Poesie  oder  yielmehr  die  Anleitung  zur  Dichtkunst  in  sich 
schlols/'  In  Zaragossa  wurde  am  Anfang  des  XYIL  Jh.  in  den 
oberen  Klassen  der  Kollegien  unter  ^Rhetorik'  gelesen  Cicero 
und  Vergil.*) 

Noch  konservativer  als  die  Universitäten  waren  die  jesui- 
tischen Schulen,  worüber  schon  oben  (S.  779,  1)  einiges  be- 
merkt wurde.  Daher  ist  in  den  uns  jetzt  gesammelt  vorliegenden 
Studienordnungen  die  Fusion  von  Poetik  und  Rhetorik  eine 
vollige.  So  wird  in  der  Ratio  studiorum  vom  J.  1586  zu  den 
Übungen  der  classis  rhetorica  bemerkt  (bei  Pachtler  1.  c.  V  197) 
cum  rhetores  versibus  etiam  scribendis  frequenter  vacent,  iuvandi  vt 
dentur  prape  quotidiana  poetae  cdictiius  enarratione,  unde  depromi 
possit  poeticae  imitationis  atque  hcutionis  varietas  et  copia,  und  in 
der  für  diese  Klasse  folgenden  Stundeneinteilung  werden  Dichter 
und  Redner  ganz  promiscue  behandelt;  so  heilet  es  in  dem 
Lektionsplan  des  Gymnasiums  zu  Freibui^  i.  d.  Schweiz  vom 
J.  1623  (1.  c.  IX  242):  In  Bhetorica,  M.  T.  Cic.  l  III  de  Oratare, 
JEj,  Orationum  vol.  3.  T,  Livii  Decas  III  Georgica  Virgüii.  Luciani 
dial  sei.  lib.  III  Epigrammata  Graeca  ex  anihologiae  libris  selecta. 
lac.  Gretseri  Prosodia  graeca  und  in  den  Lektionsplänen  der  fol- 
genden Jahre  werden  unter  Bhetorica  auüserdem  noch  genannt: 
Euripides  (1625),  Senecas  Tragödien  imd  die  Odyssee  (1628), 
Horaz  de  arte  poetica  und  Vergils  Aeneis  (1769),  und  ganz 
analog  an  andern  Gymnasien;  wo  aber  einmal  eine  Trennung 
vorgenommen  wird,  herrscht  völliges  Durcheinander:  in  dem 
Lektionsplan  der  Gymnasien  der  böhmischen  Provinz  vom  J.  1753 
(1.  c.  XVI  46  f.)  steht  unter  Rhetorik  Senecas  Medea,  unter 
Poesie  aufser  Yergil,  Horaz  und  Martial  auch  Sallusts  Catilina, 
Cicero  de  off.  I,  Cicero  pro  lege  Manilia;  ja  noch  in  dem  Studien- 
plan von  Freiburg  i,  d.  Schw.  vom  J.  1843   Q.  c.  XVI  537  ff.) 


der  Poetik  und  Rhetorik,  eine  Verbindung,  die  überhaupt  durchaus  regulär 
gewesen  zu  sein  scheint. 

4)  Cf.  D.Vincente  de  la  Fuente,  Historia  de  las  universidades,  collegios 
y  demas  establecimientos  de  ensenanza  en  Espaüa  11  (Madrid  1884  f.)  465. 
Noch  heute  scheint  in  Spanien  die  Verbindung  ganz  gewöhnlich  zu  sein, 
cf.  das  Diccionario  general  de  bibliografia  espanola  per  D.  Hidalgo  VIl 
(Madr.  1881)  801  ff. 


Rhetorik  und  Poesie:  Humanismus.  903 

werden  unter  Rhetorik  begriffen  neben  Demosthenes  und  Cicero 
auch  Sophokles,  Vergil,  Horaz,  Juvenal,  Persius  sowie  Elopstock 
und  eine  deutsche  poetische  Anthologie.^) 

Aber  auch  die  eigentlichen  Humanisten  haben  das 
Band  zwischen  Rhetorik  und  Poesie  eher  straffer  gezogen  als 
gelockert.  Das  ergab  sich  aus  ihrer  ganzen  Auffassung  von  der 
eloguentia,  deren  beide  Teile  —  prosaische  Rede  und  Poesie*)  — 
sie  gleichmäfsig  umfassen  wollten;  poeta  nennt  sich  daher  der 
Humanist  auch  da,  wo  er  als  Rhetor  spricht'),  poeta  ist  über- 
haupt, wie  man  z.  B.  aus  den  Briefen  der  Dunkelmänner  weifs, 
gleichbedeutend   mit  humanista,  und   es  war   ganz   gewöhnlich. 


1)  Eine  merkwürdige  Einwirkung  dieser  Theorie  auf  deutsche  Poetiken 
8.  XVn  bei  Borinski  1.  c.  (o.  S.  828, 1)  832  f.  340  f.  —  um  das  alles  zu  yer- 
stehen,  mufs  man  bedenken,  dafs  die  Poesie  yon  den  Jesuiten  ja  nicht  so- 
wohl ihres  Inhalts  wegen  gelesen  wiurde  und  wird,  als  vielmehr  um  daraus 
die  Kunst,  selbst  Verse  zu  machen,  zu  lernen.  —  Ganz  bezeichnend  sind 
übrigens  kleine  Änderungen  in  den  Lektionsplänen  yerschiedener  Zeiten: 
so  werden  in  der  Ratio  studiorum  von  1832  die  Bestimmungen  aus  dem 
J.  1599  meist  wörtlich  wiederholt,  aber  während  es  in  den  Begulae  rectoris 
Ton  1599  §  11  heifst  (1.  c.  Y  270):  mdeat  eUam,  ut  äliguae  a  nostris  Bdhoricis 
oraHones  aut  poemata  latine  vel  graece  in  mensa  hahtcmtwr,  ist  dies  in 
der  ratio  yon  1832  abgeändert,  indem  die  poemata  fortgelassen  werden. 
Aber  wie  fest  die  Tradition  wurzelte,  zeigt  die  Antwort  der  deutschen  Pro- 
vinz vom  J.  1830  auf  die  Anfrage,  ob  die  alte  Ratio  studiorum  geändert 
werden  solle:  allerdings  seien  Änderungen  bei  der  Rhetorik  nötig,  es  sollten 
nämlich,  wie  es  in  der  deutschen  Provinz  üblich  sei,  das  ganze  Jahr  hin- 
durch Dichter  vorgelesen  werden,  quod  opportwnwn  videtitr  vel  ad  ipsam 
oratoriam  facuUatem  excitandam  atq^ue  ßvendam  (1.  c.  XVI  488).  —  Wenn 
daher  J.  Sturm,  De  exercitationibus  rhetoricis  (Argent.  1575)  31.  57.  89  da- 
vor warnt,  durch  das  Nebeneinander  der  Lektüre  von  Dichtem  und  Rednern 
den  Prosastil  zu  gefährden  (cf.  auch  Ch.  Schmidt,  Jean  Sturm  [Strafsburg 
1855]  271),  so  scheint  er  darin  sich  gegen  die  jesuitischen  Gymnasien  zu 
wenden,  von  denen  er  sonst  manches  übernahm;  doch  will  er  keineswegs 
das  Studium  der  Dichter  für  den  Redner  ganz  eliminieren,  cf.  De  amissa 
dicendi  ratione  (Argent.  1543)  f.  30^.  Zu  derselben  Zeit  wundert  sich  der 
Franzose  Strebaeus,  De  verborum  electione  et  coUocatione  (Bas.  1530)  1.  I 
c.  6  p.  32  ff.  bei  Behandlung  des  Themas  utri  priores  legendi,  poäae  an 
oratores,  dafs  kürzlich  mehrere  aufgetreten  seien,  ^i  poetas  abicerent,  uni 
rhetoricas  navarent  operam,  qwm  eloguentia  poemate  non  egeret. 

2)  Cf.  z.  B.  Salutato  ep.  7,  vol.  II  54  f.  Rigacci:  eloguentia  aut  laxis 
habenis  exwndat  proaaica  melodia  aut  metrorutn  continuis  angustiis  coartatur. 

8)  Z.  B.  Albr.  von  Eyb  in  seiner  Margarita  poetica  (1472),  worüber 
M.  Hemnann  1.  c.  (S.  895,  1)  198  ff. 


904  Anhang  I:  Ober  die  Geschichte  des  Reims. 

dafs  man  für  eine  gute  Rede  Ton  irgend  einem  EmishnSceii 
zum  Dichter  gekrönt  wurde.  ^)  Man  fuhr  daher  fort,  die  alten 
Dichter  rhetorisch  auszulegen  ^^  im  rhetorischen  Unterricht  Vene 
machen  zu  lassen')  und  die  gelehrten  Poetiken  der  ersten  Be- 
naissancezeit  sind  ganz  auf  rhetorischer  Basis  aufgebaut.^)  Das, 
was  alle  meinten,  hat  Erasmus  am  bündigsten  ausgesproehoi 
ep.  112:  mihi  semper  placuit  Carmen,  quod  a  prosa,  sed 
optima,  non  longe  recederet  .  .  .  Me  vehementer  deleetat 
poema  rhetoricum  et  rhetor  poeticus,  ut  et  in  oratione  $o- 
luta  Carmen  agnoscas  et  in  carmine  rhetoricam  phrasin, 
und  auch  Melanchthon  hat  sich  oft  ähnlich  geäulsert^  z.  B.  Eiern, 
rhet  (1519)  im  Corp.  ref.  XIII  496:  ego  vero  ita  statuo,  arti- 


1)  Z.  B.  Perotti  i.  J.  1462,  cf.  G.  Voigt,  D.  WiederbeL  d.  klass.  Alt  11" 
(Berl.  1893)  134. 

2)  Cf.  Petrarcas  Urteile  über  Vergil  bei  de  Nolhac  1.  c.  (S.  734, 1)  106it 
Gnarino  Yon  Verona  leitete  die  Aufgaben  der  Rhetorik  ans  einer  VergO- 
etelle  ab  und  sein  Sohn  Battista  behauptete :  in  deliberativo  praesertim  gmen 
Lucani  orctHones  adeo  graves,  adeo  artificiosae  Sfumt,  ut  nesciam  an  ab  äHquo 
rhetorieas  praeceptiones  darius  coUigere  vdleafU:  cf.  R.  Sabbadini,  La  scuoIa 
di  Guarino  (Catania  1896)  63.  Sturm  erklärte  Vergils  Eklogen  nach  den 
Vorschriften  des  Hermogenes,  cf.  loh.  Sturmii  Nobilitas  litterata  c.  XXIIl 
u.  XXVni  ff.  (in:  loh.  Sturmii  de  inst,  scholastica  opusc.  omnia  ed.  Fr.  HaU- 
bauer  [Jena  1730]  61  ff.  76  ff.),  wo  er  z.  B.  den  Vergleich  gebraucht:  farwui 
fere  eadem  est:  ut  inter  se  duae  togae  discrepant,  quae  forma  sint  eadem  con- 
sutae,  sed  altera  viridis  sit  et  laetioris  cohris,  altera  nigri  et  severioris;  der- 
selbe gab  im  J.  1666  eine  poetische  Chrestomathie  heraus,  die  er  am  Rand 
mit  rhetorischen  Lemmata  versah,  cf.  J.  Veil  1.  c.  (o.  S.  802,  3)  111  f.  cf.  123. 
Aeneas  Sylyius  weist  in  seinem  l^tustatus  de  liberorum  educatione  (ed.  Baa. 
1651  p.  984)  nach,  dafs  Vergil  die  qwxUuor  dicendi  genera  besitze. 

3)  Cf.  Voigt  1.  c.  I  562  über  Guarino.  Es  war  die  allgemeine  Praxis 
der  Humanisten. 

4)  So  besonders  die  Scaligers.  Er  citiert  z.  B.  einmal  eine  Periode  des 
Bemosthenes  als  poetisches  Beispiel:  1.  IV  c.  37  p.  508  (anderswo  sucht  er 
freilich  KU  scheiden,  cf.  Borinski  1.  c.  [S.  828, 1]  70  f.).  Ähnlich  die  des  Thom. 
Campanella  (»  dem  vierten  Abschnitt  seiner  Rationalis  philosophia,  Par. 
1638);  er  konstatiert  z.  B.  p.  90  esse  poeUcam  rhetoricam  quandam  figuraiam. 
Aus  einer  Wiener  Hs.  s.  XV  teilt  Mone  in  seinem  Anz.  f.  Kunde  d.  teutsch. 
Vorz.  Vn  (1838)  586  f.  ein  Stück  einer  Verslehre  mit,  worin  es  heifst:  versi- 
fieandi  perfecta  doctrina  in  duobus  consistit,  scüicet  in  arte  et  in  elegantia, 
.  .  .  elegantia  rhetoricis  praeceptis  comparatur.  G.  I.  Vossius,  Inst.  or.  (1606) 
IV  1  eiocuHo  olta  oratoria  est,  dlia  poetica;  quae  etsi  praeceptis  non  paucis 
differant,  tarnen  pluribus  conreniunt:  quae  et  ratio  est,  cur  pieraque  elocutionis 
praecepta  poetarum  quoque  ezemplis  a  rhetoribus  illustrentur. 


Rhetorik  und  Poesie:  Humanismus.  905 

ficium  faciendae  orationis  non  valde  dissimile  esse  poeti- 
cae,  ib.  504:  tanta  est  inter  has  cognatas  artes  similitudo, 
ut  plerique  illustriores  loci  Ciceronis  ac  Livii,  si  rede 
existimemuSj  poemata  iure  dici  possint,  und  eine  nene  Aus- 
gabe des  Terenz  empfiehlt  er  mit  den  Worten,  dals  dessen  fabulae 
noch  ffftOQixdnsQai  seien  als  die  des  Aristophanes.  ^)  Nach  Baco, 
De  dignitate  et  augmentis  scientiarum  (1625)  11  13  gehört  die 
lyrische,  elegische,  epigrammatische,  satirische  Poesie  zur  Rhe- 
torik, während  er  als  eigentliche  Poesie  gelten  läTst  nur  die 
epische,  dramatische  und  didaktisch  -  allegorische,  die  er  am 
höchsten  stellt. 

Wie  die  humanistischen  Stiltheorieen  der  Prosa  auf  die 
modernen  Sprachen  Ton  bedeutendem  EinfluTs  gewesen  sind 
(s.  o.  S.  780  ff.),  so  auch  die  der  Poesie.  In  Frankreich  hat 
es  am  Ausgang  des  XY.  und  in  den  ersten  Jahrzehnten  des 
XYI.  Jh.  eine  burgundische  Dichterschule  gegeben,  die  sich  „die 
rhetorische^  nannte,  deren  Mitglieder  sich  anfeierten  als  „Meister 
in  der  rhetorischen  Wissenschaft,  Tollkommene  Fürsten  in  der 
Beredsamkeit,  wert  zu  sitzen  auf  dem  Thron  der  Redner'',  die 
sich  unter  den  Schutz  des  Mercur,  nicht  den  des  Apollo  stellten, 
und  den  Namen  „Poeten''  den  yerachteten  Naturdichtem  über- 
lielsen,  die  nicht  im  Besitz  der  Theorie  und  der  dotdce  Bhetaricque 
seien ^);  in  einem  theoretischen  Werk  jener  Zeit  ^Le  grand  et 
vray  art  de  rethorique'  des  Pierre  Fabri  (zuerst  1520)  wird  neben 
der  Prosa  auch  die  Poesie  behandelt.')     Auch  die  englischen 


1)  Die  Stelle  bei  E.  Beinhardstöttner,  Spät.  Bearb.  plant.  Lostsp. 
(Leipz.  1886)  28. 

2)  Nach  A.  Birch-Hirschfeld,  Gesch.  d.  franz.  Litt,  seit  Anf.  d.  XVI.  Jh. 
I  (Stnttg.  1889)  66  ff.  Wie  die  'Rhetoriker'  der  älteren  burgondischen  Schnle 
(8.  o.  S.  896  f.),  so  wirkten  anch  diese  wieder  anf  die  niederländische  Poesie, 
cf.  Jonckbloet,  (}esch.  d.  niederl.  Lit.,  deutsch  Yon  Berg  I  (Leipz.  1870)  331 
„Die  Kammern  von  Bethorica^S 

8)  Ed.  A.  Häron,  Ronen  1889  f.  In  dem  zweiten  Teil,  der  die  Poetik 
nmfafst,  ist  er,  wie  der  Herausgeber  sagt  (cf.  auch  E.  Egger,  L^Hell^nisme 
en  France  I  326  f.),  abhängig  yon  älteren  Werken  wie  Henry  de  Croy,  L'art 
et  science  de  Rhethorique  pour  faire  rigmes  et  ballades  u.  ä.  In  dem  yon 
L.  Delisle  publicierten  Katalog  der  Bibl.  nat.  (Manuscr.  lat.  et  fran9.  ajoutds 
anz  fonds  des  nouyelles  acquisitions.  Partie  n.  Paris  1891)  p.  578  wird 
eine  Handschrift  s.  XY  beschrieben,  deren  Text  so  anfängt:  cy  commencent 
le$  rigk»  de  la  secande  rettorique,  c'est  assavoir  des  choses  rimUs,  lesqueUes 


906  Auhaog  I:  Über  die  Geschichte  des  Reims. 

Theoretiker  des  ausgehenden  XYI.  Jh.  haben  den  Zusammenhang 
beider  Künste  betont,  so  William  Webbe  in  seinem  Discours  of 
english  poetrie  (löSG),  dem  ältesten  systematischen  Versuch 
einer  Beform  der  englischen  Dichtkunst  nach  antikem  Muster^); 
Rhetorik  und  Poesie,  sagt  er  (p.  19),  toere  by  hyrth  Ttatfns,  hy 
Jcinde  tJie  same^  hy  originaU  of  one  descent^  In  Deutschland 
polemisiert  Geiler  Ton  Eaisersberg  in  seinen  1498  gehaltenen 
Predigten  über  S.  Brants  Narrenschiff  (ed.  Scheible,  Stuttg.  1845) 
371  gegen  die  Bhetorik  nicht  als  Kunst  der  Bede,  sondern  in- 
sofern sie  „mit  der  Poeten  gedieht  vnd  fantaseien  befleckt'^ 
werde;  so  kanzelt  er,  als  „behaftet  mit  der  Schelle  der  Bhetorik^, 
alle  die  ab,  die  „den  Ouidium  Ton  der  liebkunst  ynd  der  lieb 
lesen,  oder  den  Propertium  vnd  TibuUum,  welche  nicht  anders 
geschrieben  haben,  dann  allein  wüste  vnd  schampare  wort^ 
u.  s.  w. 
ond«rang  Aber  trotzdcm  dürfen  wir  sagen,  dafs  die  Humanisten  das 

EUi«torik    Wesen  der  Poesie  in  der  Theorie  wieder  entdeckt  haben.     So 
ad  Poetle,  g^j^^^  gj^  ^^^y^  lange  Zeit  in  den  Anschauungen  der  Vergangen- 
heit befangen  waren  oder  im  Streben   nach  Eleganz  der  Form 
die  äuisere  Glätte  höher  schätzten  als  den  Inhalt:   sie  sind  es 
doch  gewesen,   die  den  in  Vergessenheit  geratenen  Begriff  der 


80fU  de  plfiseurs  tailles  et  de  pluseurs  fachons,  sy  comme  lais,  chans  royaux 
(etc.)  ,  .  .  et  pluseurs  auUres  choses  descendans  dt  la  seconde  retthorique,  et 
est  ditte  seconde  rethorique  pour  cause  que  la  pretnüre  est  prosayque.  Aus 
dem  im  J.  1648  erschienenen  Werk  Sibilet's,  das  sich  schon  'Poetik',  nicht 
mehr  'Bhetorik'  nennt  (cf.  Birch-Hirschfeld  1.  c.  68),  finde  ich  doch  noch 
folgende  Worte  citiert  (in  dem  Dictionnaire  hist.  de  Tancien  langage  fran- 
9oi8  par  La  Cume  de  Sainte-Palaye  s.  v.  rethoricien):  I  14  sont  Vorateur  et 
le  poete,  tant  proches  et  co^joints  que  semhlahles  et  egaux  en  plusieurs  choses, 
differens  principallement  en  ce  que  Vun  est  plus  contraint  de  nombres  que 
Vautre:  ce  que  Macrobe  confirme,  en  ses  Satumäles,  quant  il  fait  doute,  k- 
quel  a  este  plus  grand  rethoricien,  ou  Virgil  ou  Ciceron. 

1)  Ed.  in  Arbers  reprints  n.  26  (London  1870). 

2)  Cf.  femer  George  Puttenham,  The  arte  of  english  poesie  (1589)  == 
Arber  n.  15,  p.  25  Ihe  poets  were  from  the  heginning  ihe  best  perswaders  and 
their  eloquence  the  first  Eethoricke  of  ihe  world,  worüber  er  dann  p.  206  ß. 
ausführlich  handelt;  überhaupt  ist  das  ganze  dritte  Buch  The  omament, 
wie  er  selbst  sagt,  auf  rhetorischer  Figurenlehre  aufgebaut.  Ähnlich  Phi- 
lipp Sidney,  An  apologie  for  poetrie  (1595)  ^s  Arber  n.  4  p.  69  und  Thomas 
Campion,  Observations  in  the  art  of  english  poesy  (1602)  ed.  Bullen  (The 
works  of  Dr.  Th.  Campion,  London  1889)  p.  227. 


Rhetorik  und  Poesie:  Humanismus.  907 

Naturbegabung  und  Inspiration  des  Dichters  wiedergefunden, 
die  als  das  eigenste  Gebiet  des  arotijri}^  die  freie  Schöpfung  der 
Phantasie  bezeichnet  haben:  Boccaccio  hat  die  göttliche  Mission 
des  Poeten  in  gar  herrlichen  Worten  gepriesen  und  in  einer 
polemischen  Bemerkung  gegen  die  allgemeine  Anschauung  Poesie 
und  Rhetorik  gesondert^),  Salutato  hat  einen  Verächter  Dantes 
oiit  Hinweis  auf  den  dichterischen  Enthusiasmus  abgefertigt^), 
Lionardo  Bruni  hat  das  Grenzgebiet  von  Poesie  und  Rhetorik 
acliarf  definiert'),  imd  wie  weifs  derselbe  Melanchthon,  der,  wie 
wir  sahen,  oft  das  Wesen  der  Poesie  in  die  Eloquenz  aufgehen 
iBbt,  das  Genie  Homers  zu  preisen !  Seitdem  hat  sich  ihre  Yer- 
^limdung  mehr  und  mehr  gelöst*);   wir  sprechen  noch  wohl  von 


1)  De  genealogia  deorum  1.  X  c.  3  p.  554  ff.  (der  Basler  Ausg.  1532), 
l'JMchdem  er  die  Poesie  als  Gabe  des  Himmels  gepriesen  hat:  dicent  forsan 
'.(die  Verächter  der  Poesie),  ut  huic  a  se  tncognitae  detrahant,  quo  utimtur 

:(ie.  poetae)  rhetoricae  opus  esse,  quod  ego  pro  parte  non  inficiar,  habet  enim 
muu  inventiones  rhethorica;  verum  apud  tegmenta  fictionum  nullae  sunt  rJie- 

•€koricae  partes:  mera  poesis  est,  quicquid  suh  velamento  componimus  et  ex- 
^gmrüur  exquisite;  durch  die  letzten  Worte  freilich,  die  ähnlich  öfters  wieder- 
Icehren  (z.  B.  c.  10  p.  565  f.),  zeigt  er,  dafs  er  so  wenig  wie  Petrarca  sich 
TOm  dem  Bann  jener  yerhängnisvollen  Theorie  einer  allegorischen  Dichtung 
jBreigemacht  hat:  erst  etwa  anderthalbhundert  Jahre  später  merkt  man  auch 

.  luerin  den  Flügelschlag  einer  neuen  Zeit,  denn  die  Dunkelmänner  ärgern 
Mch  darüber,  dafs  die  Himianisten  eine  allegorische  Deutung  der  Dichter 
nicht  zulassen  wollen:  ep.  obsc.  vir.  p.  41  ff.  Böcking. 

2)  Cf.  Voigt  1.  c.  I  386. 

8)  Dial.  de  trib.  vatibus  Florentinis  (1401)  ed.  Wotke  (Wien  1889)  26  f. 
pidentur  mihi  in  summo  poeta  tria  esse  oportere:  fingendi  artem,  oris  elegan- 
tiam  multarumque  rerum  scientiam.  horum  trium  primum  poetarum  prae- 
e^pumn  est,  secundum  cum  oratore,  tertium  cum  philosophis  historicisque 
commune,  haec  tria  si  adsunt,  nihil  est  quod  amplius  in  poeta  requiratur, 
was  er  an  Dante  exemplificiert;  cf  auch  E.  Hartfelder,  M.  als  praecept. 
Germaniae  in:  Mon.  Germ.  Paed.  VII  (1889)  319  f 

4)  Gegen  ihre  Verbindung  polemisierten  im  XVII.  Jh.  auch  G.  Vossiua, 
cf.  Borinski  1.  c.  (o.  S.  828, 1)  203  f. ,  und  besonders  lebhaft  Balzac  in  einem 
Briefe  (Oeuvres  II  65):  schon  die  Thatsache,  dafs  Cicero  nichts  als  Dichter 
geleistet,  Vergil  eine  schlechte  Prosa  geschrieben  habe  (nach  Sueton),  be- 
weise, dafs  die  beiden  Künste  Ton  einander  zu  trennen  seien;  poetarum 
orcUorttmque  ingenia  atque  natura^  oportet  contraria  propemodum  inter  se 
9mt  hi  enim  ratione  atque  humanitate  reguntur,  illos  fu/roris  afflatus  et  dt- 
mmtas  quaedam  impeUit.  Sehr  feine  Bemerkungen  auch  bei  F^ndlon  in 
den  Dialogues  sur  Täloquence  (Paris  1718)  98.  —  Auch  auf  den  unter 
humaiiistischem  Einflufs  stehenden  Universitäten  wurde  der  Zusammenhang 


908  Anhang  I:  Über  die  Geschichte  des  Reims. 

Rhetorik  in  der  Poesie  ^  aber  halten  sie  nicht  für  erforderlich, 
meist  nicht  einmal  ftir  wünschenswert'),  nnd  gestehen  der  Rhe- 
torik höchstens  zu,  dab  sie,  wie  in  der  Theorie  bei  Lessing,  in 
der  Praxis  bei  den  Franzosen  und  Schiller,  eine  Dienerin,  nicht 
aber,  dafs  sie  die  Herrin  der  Poesie  sei. 


gelöst:  in  den  Statuten  der  Uniyersit&t  Helmstedt  (ed.  Fr.  Eoldewey,  Gesch. 
d.  klass.  Fhilol.  anf  d.  Univ.  H.  [Braunschw.  1895]  195  ff.)  sind  die  Bestim- 
mungen über  Rhetorik  und  Poetik  ganz  und  gar  getrennt. 

1)  Man  lese,  um  den  Unterschied  antiken  und  modernen  Empfindens 
besonders  deutlich  zu  empfinden,  die  Abhandlung  G.  Hermanns  De  differentia 
prosae  et  poeticae  orationis  (1808)  in  seinen  Opusc.  I  81  ff. 


Anhang  U. 

Über  die  Geschichte  des  rhythmischen 

Satzschlnsses. 


I.  Allgemeine  Yorbemerknngeii. 

Nicht  oline  Zögern  und  Selbstüberwindung  betrete  ich  ein 
Gebiet^  auf  dem  ich  mich  deshalb  unsicher  fühle,  weil  ich  weifs, 
dals  zu  seiner  genauen  Erforschung  eine  greise  Zahl  Ton  Vor- 
untersuchungen notwendig  wäre,  zu  denen  noch  kaum  die  An- 
fange Yorliegen.  Da  ich  jedoch  einzelnes  sicher  feststellen  und 
künftigen  Untersuchungen  wenigstens  in  einer  bestimmten  Rich- 
tung den  Weg  zeigen  zu  können  glaube,  so  halte  ich  es  für 
meine  Pflicht,  in  grofsen  Zügen,  die,  wie  ich  ausdrücklich  be- 
merke, nur  das  Allgemeine  im  Umrifs  zeichnen  sollen,  die  Ver- 
hältnisse hier  darzulegen. 

DaTs  der  sich  aus  der  Periodisierung  ergebende  oder  viel-  Prinsipi«ii. 
mehr  mit  dieser  in  innigster  Wechselwirkung  stehende  Rhyth- 
mus das  eigentliche  Fundament  der  gesamten  antiken  Eunst- 
prosa  war,  ist  in  diesem  Werk  gezeigt  worden.  Nur  durch 
g>ii6ig  und  lange  &6xin6ig  können  wir  moderne  Menschen,  für  die 
eine  rhythmische  Prosa  kaum  mehr  Torhanden  ist,  das  Gefühl 
hierfür  uns  zu  eigen  machen,  und  zwar,  wie  bestimmt  versichert 
werden  darf,  selbst  im  günstigsten  Fall  nur  bis  zu  einer 
gewissen  Grenze,  über  die  hinauszukommen  keinem  Ton  uns 
gegeben  ist,  so  dafs  uns  allen  mehr  oder  weniger  von  dem  Haupt- 
reiz der  Meisterwerke  der  antiken  Prosa  verloren  geht,  ebenso- 
wenig wie  wir  die  Pracht  der  pindarischen  Hymnen,  des  simoni- 
deischen  Danaeliedes  und  der  tragischen  Ghorgesänge  voll  erfassen 
können.  Wenn  man  also  noch  hinzunimmt,  dafs  auf  diesem  Ge- 
biet das  meiste  dem  individuellen  Fühlen  anheimgegeben  ist,  so 


910       Anhang  IL:  Zur  Geschichte  des  rhythmischen  Satzschlusses. 

begreift  es  sich  leicht^  dafs  die  mannigfachen ,  von  Tomherein 
unsicheren  modernen  Theorieen  über  das  rhythmische  Gepräge 
der  antiken  Eunstprosa  keinen  Ansprach  auf  allgemeine  und 
objektive  Gültigkeit  machen  können.  Ich  will  die  Zahl  dieser 
Theorieen  nicht  durch  eine  neue  vermehren,  sondern  nur  einige 
Postulate  aufstellen,  die  man,  wie  mir  scheint,  nicht  aufser  acht 
lassen  darf.  1)  Das  gesamte  Altertum  hat  den  Rhythmus  der 
kunstvollen  Prosarede  vor  allem  in  den  Schlüssen  der  Eola  ge- 
funden, wo  er  durch  die  Pausen  naturgemäfs  am  deutlichsten 
hervortrat.  Auf  sie  werden  also  auch  wir  unser  Hauptaugen- 
merk zu  richten  haben.  ^)  2)  Für  die  Erkenntnis  von  Einzel- 
heiten haben  die  Analysen  der  späteren  antiken  Rhetoren  keinen 
Wert,  da  in  ihnen  die  falschen  metrischen  Theorieen  des  Alter- 
tums auf  die  Rhetorik  übertragen  werden.*)  3)  Wir  müssen 
die  verschiedenen  Zeiten  auseinander  zu  halten  suchen:  denn  der 
Rhythmus  des  Demosthenes  ist  majestätisch  wie  die  Brandung 
des  Meeres  imd  das  Grofse  an  dem  gewaltigsten  Redner  des 
Altertums  ist,  dafs  bei  ihm  keine  bestimmten  Gesetze  höherer 
Ordnung^)  aufgestellt  werden  können,  so  wenig  wie  sich  die 
Woge  der  Brandung  in  ihrer  Ausdehnung  an  Länge  und  Schall 
gebieten  läfst;  dagegen  gleicht  der  zierliche  und  monotone 
Rhythmus  der  späteren  Schönredner  dem  kleinlichen  Plätschern 
eines  aufgezogenen  Wasserfalls:  hier  ist  alles  geregelt,  hier  lassen 
sich  also  bestimmte  Gesetze  aufstellen.  4)  Das  Einfachste  ist, 
wie  überall,  auch  hier  das  Wahrste;  z.  B.  genügt  ein  Blick  auf 
die  ungeheuer  komplizierten  Schemata,  die   von  Gelehrten  und 


1)  Zwei  Zeugnisse  für  viele:  Hermogenes  de  id.  1  301,  8  ^  &vcinavatg 
il  noia  fistct  tf)s  ffvv^^Hijs  (Wortstellung)  tijg  noUcg  tbv  (vd'fibv  &neQydttTai. 
Cicero  de  or.  UI  192  clausuJas  diligentitts  etiam  servandas  esse  arbiträr  quam 
superiora,  quod  in  eis  maxime  perfectio  atque  absolutio  ii4dicatur.  nam  versus 
aeque  prima  et  media  et  extrema  pars  attcnditur,  qui  debilitatur,  in  quacufique 
est  parte  titubatum;  in  oratione  autem  pauci  prima  cernunt,  postrema  plerique, 
quac  quofiiam  apparent  et  intelleguntur  varianda  sunt.  Andere  Stellen  bei 
C.  Josephy,  D.  orator.  Numerus  bei  Isokr.  u.  Demosth.  mit  Berücksichtigung 
der  Lehren  d.  alten  Rhetoren  (Diss.  Zürich  1887)  36  f. 

2)  Doch  ißt  Hermogenes,  wie  in  allem,  verstandiger  als  Dionys,  cf. 
über  ersteren  H.  Becker,  Hermogenis  de  rhythmo  oratorio  doctrina,  Diss. 
Münster  1896. 

3)  Das  bekannte,  von  Blafs  entdeckte  Kürzengesetz  hat  —  mit  den 
von  Blafs  selbst  zugegebenen  Ausnahmen  —  Gültigkeit. 


Demosthenea.  911 

Ungelehrten  kürzlich  für  Demosthenes  anfgestellt  sind,  nm  jeden 
sofort  zu  überzeugen,  dafs  dies  nicht  der  richtige  Weg  sein  kann.^) 


n.  Demostlieiies. 

Ich  will  an  ein  paar  beliebigen  Stellen  der  ersten  philippi- Analyse  d« 
sehen  Rede  des  Demosthenes  zeigen,  wie  nach  meinem  Gefühl 
demosthenische  Perioden  gelesen  werden  müssen,  um  das  Ethos 
und  Pathos,  das  diesen  Mann  mehr  als  irgend  einen  andern 
griechischen  Redner  beseelt  hat,  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Die 
Abteilung  der  Kola  ergiebt  sich  mir,  da  ich  Übung  darin  habe, 
stets  Tou  selbst  teils  aus  dem  Sinn,  teils  aus  den  Rhythmen- 
geschlechtem:  über  einzelnes  werden  andere  nach  subjektiyem 
Gefühl  anders  urteilen,  aber  darauf  kommt  es  auch  am  wenig- 
sten an. 

6     xal  ydg  toi,  taiitjj  z  _  jl  ^  - 

XQfiödfiBvos  tg  yvAfiji  j.  ^  kj  j.  ^  j.  ^ 

nivxa  xatiötQaTcraty  z  u  »-.  a.  ^  _ 

xal  Ixsv  tä  iilv  &s  ctv  iXmv  ti^s  l%oi  icoXdfipy  yj  ^j  j.  ^  \j 

J.  \j  KJ  J.  yj  yj  J. 

tä  di  öii^ifiaxcc  xal  <piXa  xoi^fjöaiuevog.     v^v^zv^vy^v^vy 

j.  j,  \j  \j  ^ 

xal  yäg  6vfLfiaxstv  a  ^  a  ^  ^ 

xal  nQoöix^i'V  tbv  vovv  j.  ^  kj  jl 

xovxoi,^  i^ilov6LV  Snavtegy  j,yj^±^vjAKj 
o\}g  ctv  &Q&6L  naQs6x€va6fidvovg  jlsjkjj.^kjj.^j.kj- 
xal  TCQaxxBiv  i^dXovtag  et  XQ'^i*  jl^j-^^ja^j^j- 
24     xal  7iaQaxvil)avxa  (sc.  x&  l^BVixdi)  inl  tbv  tflg  nöXeag  nö- 

Xsfiov  j.  \j  \j  A  \j  \j  \j 
ngbg  ^j^Qtdßa^ov  xal  navtaxot  luäXXov  oüxstai  nXiovta^), 

A\j1.L\jA\jA^A\j 


1)  Die  Dissertation  Yon  C.  Widunann,  De  numeris  quos  adhibuit  De- 
mosthenes in  oratione  Fhilippica  I,  Kiel  1892,  dürfte  nur  ihrem  Verf.  ver- 
ständlich geworden  sein,  gleichfalls  die  von  C.  Adams,  De  periodorom  formis 
et  successionibus  in  Demosthenis  oratione  Chersonesitica,  Kiel  1891.  —  Die 
Yon  Blals,  De  numeris  Isocrateis,  Eiel  1891  aufgestellte  Theorie  hat  für 
Demosthenes  sicher  keine  Gültigkeit. 

2)  Tiliovxa^  das  in  dem  Citat  bei  Priscian  fehlt,  wird  von  Blafs  aus- 
gelassen: der  Rhythmus  zeigt,  dafs  es  nötig  ist. 


912       Anhang  ü:  ZuT  Goschichte  des  rhythmischen  Satzschliuses. 


^   \J    JL    \J       wr       .X 


I: 


6  d^  ötgatijybg^)  ixoXov^€ty  elxötag'  s5> 

j.  \j  1. 
oi  yäg  iötiv  &q%biv  j.  ^j  j.  ^  ±  ^ 
fiil  didövta  [ii^ö^öv.  jL  yj  JL  yj  ±  \j 

28     tömg  d%  tavta  fthv  6q^&s  ijyetö^e  Idyaö^aij  x  yj  xj  ^  j. 

^  j.  ^  ^  j.  ^ 

t6  dl  %(bv  fjffrifui^cfov  «66a  xal  %6^bv  iötaij  j.\j\jj,\jsjjl^ 
lidXiöta  xo^ettB  ixov6ai.  j.  ^  ^  j.  ^j  jl  ^ 
tovto  dl)  xal  X8Qav&,  j.  ^  i.  j,  \j  sj  ^ 
34    xQv  nd6%Bw  a:bxol  xax&g  i^a  yeviiöeö^s^  j.  \j  i.  j,  yj 
oil  &6xeQ  tbv  TtaQeX^övta  xqövov  x  u  x  z  u  u^ 
Big  Ailfipov  xal  ^fi/J^ov  ifißakhv  alxfiaXAtovg  xokCtag 

ifiBtiQOvg  ^%B%*  i%foVj  zuux^v^ux 

Ttqhg  TjBf  Fegaiöt^  tä  nXota  övXXaßhv  ifLi^^xa  xQt^nLax* 

tä  XBXBvxata  Big  Maqa^&va  ixißti  ±  sj  yj  j.  sj  yj  ^ 

{Tcal  xijv  Ibq&v  ixb  xilg  jä^^a^  ^  u  u  jl  ^  . 
cSjar'  Ixfov  r^tij^i},  z  v^  v^  z  v^  jl  « 
ifiBtg  d*  oüxs  xavxa  dvvaö^e  xfoXiiBiv  x  ^  ^  jl  ^ 

o(Jr'  slg  toi>g  xQ^^ovg  o9g  otv  sr^o^fjtfdf  ßori^stv.^  j.  ^  ^j 

38     xoikan/y  &  &vdqBg^A^iiivatoiy  x&v  ivByvcoöfidvmv  ±  ^  ^ 

iXui^f^  fidv  iöti  xä  xoXXä^  ijg  oix  idei^^  ±^j.yj\jj,^jLyj. 

oi  fiijv  iXX*  t6mg  oix  iiiia  icxoiiBvv,  ±^j.sj±^jL^yj 

&XX*  bI  [ikvy  Söa  &v  xig  ixBQß^  rf3  Xöy^y  Iva  (lii  Xvxijöjjy 

xal  tä  nQayuLata  ixBfßii^etaij  x  vy  u  x  ^  u  ^ 
dBt  XQbg  "^dovijv  drifLtiyoQstv  j.yj±^j.-j.\j^ 
bI  i*  ii  t&v  Xöyav  X^Q'^Sy  j.  \j  j.  yj    ^j 
&v  XI  f^4  nfoöTixovöa^  jl  \j  i.  j.  ^j 
i(fyp  tfitiia  yiyvBtaiy  ±  yj  i.  j,  kj  i. 

alöxQ^v  iött  q>BvaxiiBiv  iavtaiig^  j.  yj 

xal  Sxavt*  ävaßaXXofidvovg  &  &v  ^  dvöx^Q^  ±  \j  yj  j.  sj 

yj  J.  ÖO   L  J.  yj  1, 

1)  6  ctQ€etriy6g  d*  ändert  BlaTs  seinem  G^etz  soliebe;  aber  der  Ditro- 
chäus  mit  aufgelöster  erster  Länge  präludiert  dem  Creticus,  dessen  erste 
Länge  gleichfalls  aufgelöst  ist. 

2)  Hexameti'ische  Satzschlüsse  werden  von  Demosthenes  nicht  ängst- 
lich gemieden. 


Demosthenes.  913 

ndvxmv  ietSQSiv  t&v  IfyAvy  z  u  ^  .  ^  . 

{xal  (ii^dl  tovto  d'6vtt6^at  lua^stv,  jl  \j  sj  y.  jl  ^  i. 
StL  dst  toi>g  6f^&g  noXdiio)  xQcofiivovg  jl  ^  ^  i.  j.  kj  i. 
a&x  ixoXovQ'stv  totg  jeQdyfiaöi^Vy  v>C7  .  ^  .  z  u    v^ 

{iXX*  a'&toi>g  i(i7CQ06d'ev  elvat  t&v  ngayfidtavy  j,  ^  ^  ±  yj  i. 
xal  tbv  aitbv  tqöxov  j.  ^  ^  j.  ^j  ^ 
i&6X6Q  t&v  6tffatBVfiatmv  j.  ^  ±\j  j.  ^  ^ 
i^iAösii  tig  JStv  ±  ^j  :l  j.  \j  \j  ^ 
tbv  ötQutriybv  i^ysteQ'aiy  ^  v^  i  -t  « 
oüta  xal  t&v  TtgayfidtcDV  jl  ^  j.  ^  j.  ^  ^ 
toi>g  ßovXevo^ivovgy  j.  ^  j.  sj  u  - 
tv    S  &v  ixsivoig  iox^j  j.  ^  i.  j.  ^j  i. 
tavta  XQdttijtai  z  u  jl  ^  . 

xal  fti)  tä  evfißdvta  ivayxdtfovtac  diAxsiv,  z  ^  .  . 
41     tavta  J'  [öag  XQÖtSQOv  (ilv  ivf^v  zuvy^uv^^«jv^. 
vvv  d*  hi  aitijv  ijxsi  t^v  äxfiif^Vj  j.  ^  j.  ^  j.  >j  ^ 
&6t    ovxit    iyxmffBl.  j.  sj  ^  jl  ^ 

44     siQi^eei  tä  öad'Qdy  mävdQcg  ^j^^r^vatoi,  j.  yj  ^  l  j,  ^ 
t&v  ixeCvov  XQayfidtcDV  ±  ^  j.  ^  ±  ^  ^ 
aitbg  6  TCÖXsiiog,  j.  kj  Jj  ^  \j 

&V   i7CI.XSlQ&^6V'    j.  Kj  ^  1.  J.  yj 

Rv  yiivtoi  xa^&fied'a  otxoi  j.^j.^j.kjj.- 
XocdoQOViiivcov  dxoiiovtsg  zv^.w|zv^jlzv^ 

xal  alticDiiivmv  iXXi^Xovg  t&v  Xeyövtav   jl  yj  ^  sj\j.  ^ 

oidinot*  oidiv  i^itv  j.  \j  yj  j.  ^ 

ft^  yivfitat  t&v  deövtav.  j.  ^ \  j.  kj 

51  (Schlafs  der  Rede) 

iyh  (ikv  oiv  ofk*  SXXote  xAxote  ngbg  %dffiv  eCXö^itiv 

XiyBiV    2.\j\jJLyj\j±\j\jJ.\jJ.\j^ 

8  ti  JStv  (lil  xal  övvoiösiv  iyLlv  7C67Csi6fiivog  S,  v>0  _  a. 

vvv  te  &  yiyvAöxa  ndv^*  äxX&g,  jl\j\jj.^i.\j^ 
oid%v  {)Xo6t6iXd(i6vog  X6XaQQri6ia6(iai,  j.^yji.j.yjsjj. 

ißovXÖliflV   d'    &Vy   &67CSQ   Ztt   ifltV   ÖVflfpdQS^    j.  ^  JL  ^  - 

tä  ßiXtiöta  ixo'Aeiv  olda^  j.  ^  ^  jl  ^  i.  \j 
ofoiDg  sldivai  övvoteov  jl  ^  j.  ^  ^  ^ 
TuA  t^  tä  ßiXtiöta  eixövtv  jl  ^  i.  j.  \j 


914       Anhang  11:  Zur  Geschichte  des  rhythmischen  Satzschlosses. 

VVV    S*   ilC   ädl^XOLg   oiöL   jl  yj  kj  ±  ^  J.  ^j 

tots  &xh  zoiztov  ifittvt^   ysvijöofiivoig,   j.  kj  kj  ^  jl  kj  l 

J.  KJ  —  yj  yj  ^ 

ZfKDg  inX  t^  6woi6sLV  {ffitv^  &v  XQd^rjtSj  ± \  j. ^ 

xavxa  nexslö^ai  Xiyeiv  af^oiffiat.  j.^jkj!lj.\jj.^j.^ 
vtx^fj  d'  8  tt  näöiv  ifitv  [liXXsi  övvoiöaiv.  ^  .  z  u  u  ^ 

So  sehr  nmiy  wie  gesagt,  gerade  in  der  Mannigfaltigkeit  der 
Rhythmen  y  die  bei  scheinbarer  Regellosigkeit  stets  wunderbar 
das  Ethos  des  Gedankens  wiederspiegeln,  die  höchste  Kunst  des 
Demosthenes  liegt,  so  zeigt  doch  eine  genaue  Analyse  des  Ein- 
zelnen, dafs  er  gewisse  Rhythmengeschlechter  in  den  Klauseln 
bevorzugt.  Es  finden  sich  in  der  genannten  Rede  an  den  Schlüssen 
der  Kola: 

1)  Der  Ditrochäus  ^  w  .  o  48mal, 

2)  Der  rhythmisch    mit   dem  Ditrochäus   identische  ^)  Di- 
spondeus  ^  _  _  v^  59mal, 

3)  Creticus  -j-  Trochäus  z  ^  x  ^  o  34mal, 

4)  Creticus  +  Creticus  ^  v^  ^  ^  v^  ^  14mal, 

5)  Choriambus  +  Trochäus  j.  ^  ^  ^  j.  ö  48mal*), 

6)  Choriambus  +  Creticus  j.  ^  yj  i.  j.  ^j  ^  14mal, 

7)  Choriambus  +  Choriambus  ^^wjlzwu^  7mal. 

Von  diesen  Rhythmen  fallen  der  choriambische  und  kretische 
am  meisten  ins  Ohr,  weil  sie  sich  am  weitesten  von  der  ge- 
wöhnlichen Rede  entfernen;  Beispiele  finden  sich  in  den  oben 
angeführten  Stellen  genug.  Tgl.  etwa  noch  für  den  Choriambus 
27  tv'  ^v  &g  iXfi^&g  r^^  jeöXemg  '^  dt5i/afttff,  ib.  xal  oi  thv 
avSga  (i6(i(p6^evog  tavxa  Xiym^  für  den  Creticus  47  thv 
avÖQaTCodiöt&v  xal  XconoSvt&v  d'dvatov  fiäXXov  atQovvtat  | 
rov  TCQoöiixovtog  (zweimal  hintereinander),  13  xal  nöfovg  | 
ov6tivag  I  xQfi^dtmv  (drei  Kretiker)  und  or.  8,  22: 

&XXä  ßaöxaivofisv  ±  kj  i.  ±  sj  ^ 
xal  6xonoij^Bv  xö^sv  j,  ^  }^  j.  yj  ^ 

1)  Daher  hinter  einander  §  2:  insl  rot  d  fcdv&*  &  nQoefjxs  nQartSnatf 
ovtoag  elxBVj  \  O'bd*  iStv  iXnlg  ^  a^tcc  ßsltlm  yeried'at.  7  n&accv  itpiU 
TTJv  slQavsiav  \  ^toi^g  ngdttsiv  'bnag^jj. 

2)  Darunter  27mal  £&vdQeg  'AQ-rivatoi, 


Demosthenes.  915 

xal  tl  fiiXXsi  noi^Btv  ±  u  i.  jl  \/ 1, 

xal  navxa  tä  xoiavtC  ±  \j  \j  x.  ±  \jj 
und  zwar  ist  die  Fonu  _'  ^  ^  z  0  besonders  wirksam  am  Schlufs 
des  ganzen  Satzes,  weil  durch  sie  eine  icatdXfiiig  ßsßtiHvta  be-  Anaijte 
wirkt   wird,   z.  B.  1,  13,   wo   die   sich  jagenden  Daktylen  den   stei^'^ 
Siegeslauf  des  Philipp  prachtvoll  malen: 

liitä  xavxa  üvdvavy  z  ^  _  ^ 
näXtv  üotsidatavy  j.  sj  1.  j.  yj 

Msd'tbvfiv  ai^LSj  ^ v> 

hlxa  @exxaX£ag  indßri'  ±^j.^^j.^yj^ 
fiftd   ravra    ^bq&q  üayaeäg  Mayvtiöiav  yj 


I 


I, 


\j  j.  \j  \j 


ndv^*  81/  ißovXsx*  eixQenC6ag  XQÖTtovy  j.  ^  ^j  j.  yj  j. 


\j  yj  ±  \j  \j 


I: 


äXBx"  eis  @Qdxriv.  j.  ^j  1,  j.  ^ 

Die  Vorliebe  des  Demosthenes  für  den  Kretiker  war  im  Alter- 
tum bekannt.  Als  das  berühmteste  Beispiel  galt  der  Anfang 
der  Eranzrede: 

XQ&xov  fiiv,  &  SvdQsg  'y^^ijvarot,  s  kj  kj  i.  j.  - 

xotg  9'sotg  £{;%ofia&  j.  ^  1.  j.  ^j  1. 

TcäöL  xal  nd6aig^)y  ^  ^  a.  z  _ 

womit  Dionys  de  comp.  verb.  25  den  kretischen  Vers 

{K(^öiotg  iv  ^vd'iuotg  z  cf  a.  z  vy  1 
natda  pJk^m^BV  j.  ^j  ^  j.  ^ 

zusammenstellt.  Ein  weiteres  berühmtes  Beispiel  stammt  aus 
der  dritten  philippischen  Bede  (17): 

6  yäQ  olg  &v  iyh  X'riq>^si'riVy  j.  ^j  \j  ±  ^  j.  ^ 

xavxa  nQdxxiov  xal  xaxa6xBvai6yLBvog^  j.<jz^j.kjkju 

o{)Xog  i^iol  xoXsiiBtj  j.  kj  \j  j.  \j  ^  - 

xctv  fninm  ßdXXy  \  fiiydi  xo^Biijjy  ^.a.z«|^ujlz_ 


1)  Die  Formel  ist  sakral,  cf.  Beispiele  aus  Eiden  bei  E.  y.  Lasaulz  in 
seinen  Stadien  d.  class.  Altert.  (Regensburg  1854)  190  adn.  68,  wozu  jetzt 
noch  kommt  der  Eid  Eumenes  I  von  Pergamon  und  seiner  Söldner  öiMnfiii 
d'8ovg  ndvrag  xal  ndeag  (D.  Inschr.  y.  Perg.  ed.  Fränkel  no.  13  Z.  2^  u.  53). 
Auch  das  Asyndeton  war  vielleicht  in  Gebrauch  (fOr  sakrales  zweigliedriges 
Asyndeton  wichtig  A.  Körte  in:  Mitt.  d.  deutsch.  Arch.  Inst,  in  Athen  XXI 
1896  p.  295),  cf.  Menander  bei  Athen.  XIV  659  E  ^ioXg  'Olviinioig  e'bx&ii^a  | 
X}Xv(tniai6i,  n&ai  ndcaig.   Cf.  auch  Usener,  Göttemamen  (Bonn  1896)  345,  34. 

Norden,  antike  Kunstprout.   II.  59 


916       Anhang  II:  Zur  Geschichte  des  rhythmischen  Satzschlusses. 

worüber  Quintilian  IX  4,  63:  Demosthenis  severa  videtur  compo- 

sitio  totg  ^eotg  eüxofiai,  Ttäöi,  xal  naöatg  et  iUa xSv  injxa 

ßdXXy  lur^dh  ro|£t^.  —  DaPs  im  Rhythmus  des  Creticos  die  zweite 
Silbe  auch  durch  eine  Länge  vertreten  werden  kann,  ist  rhyth- 
misch selbstverständlich  (cf.  z.  B.  Quint.  IX  4,  48):  am  SchluTs 
des  zuletzt  angeführten  Satzes  des  Demosthenes  stehen  beide 
Formen  nebeneinander  und  für  7tä6i  xal  ndöavg  tritt  xdvtag  xal 
nd6ag  ein  or.  18,  141: 

xak&  J'  ivavxiov  {>fi&Vj  j.  kj  j.  ^^j  jl  ^ 

ävÖQsg  ^A^vivatOLj  jl  ^  u  i.  j.  ^ 

toifg  d'sovg  ndvxag  xal  xdöag.  j.^i.j.^2lj,^ 

Dagegen  sind  die  Längen  des  Creticus  und  des  mit  ihm  ver- 
bundenen Trochäus  bei  Demosthenes  sehr  selten  au%elo8t,  was 
sich  aus  seiner  Abneigung  gegen  die  Aufeinanderfolge  von  mehr 
als  zwei  Kürzen  erklärt;  in  der  ersten  philippischen  Rede  nur 
in  folgenden  Fällen:  ndli^v  ivaXij^eöd's  Jb  kj  2l  jl  uy  ix^Qol 
xataysX&öi,  j.  y^  Ju  j.  u,  tcq&csqov  TCQoXafißdvsts  ^  ^  x  uO  u, 
tilg  iicaQxovörig  ait^  övvdfiemg  z  .  ^  oO  ^y  jl.  Die  Auflösung 
im  Ditrochäus  findet  sich  nur  einmal  (bei  einem  Zahlwort):  ddh- 
Sexa  xdkavttt  uO  v^  _  w.^) 
Hpnron  Dcmosthenes  ist  nicht  der  ^Erfinder'  des  Gesetzes  gewesen, 

mofthonof.  dafs  der  Scblufsrhythmus  einer  prosaischen  Periode  und  ihrer 
Teile  vorzugsweise  auf  dem  Creticus  basiert  werden  müsse« 
Aristoteles  bezeugt  (Rhet.  lü  8.  1409*  2flF.),  dafs  schon  Thrasy- 


1)  Um  das  häufige  Neheneinander  des  Ditrochäus  und  der  Form 
j.  \j  1,  j.  o  rhythmisch  zu  y erstehen,  mufs  man  bedenken,  dafs  beide  sich 
sehr  nahe  kommen,  denn  über  die  Wertung  des  Eretikers  heifst  es  im  Schol. 
Hephaest.  p.  77  Gaisf. ':  *HXi69(oq6^  (pr]6i  noefiiav  slvai  x&v  nuicoviTimv  xiiv 
%axa  n6da  tofii/ivy  Stto);  i^  &vdfcav6ig  9idov6a  xQ^vov  k^ccöi/ifiovs  täs  ßdasig 
Ttoi^  xal  laoiiBfftlg  ms  tag  äUccg^  olov  Obdh  tod  KvattaXca  oifdh  tob  NvQüvXa^ 
d.h.  also:  j.  \j  ^  \j  j.  yj  -  ^  ^^  j.  ^  -^  i  ^  ^  (cf.  für  die  ditrochaische  Wer- 
tung des  Eretikers  —  natürlich  innerhalb  der  von  0.  Crusius  im  Philol. 
N.  F.  Vn  [1894]  Ergänzungsheft  p.  128  betonten  Grenzen  —  besonders  auch 
das  Zeugnis  des  Aristoxenos  bei  Choerobosc.  exeg.  in  Hephaest.  p.  62  H., 
Aristid.  Quint.  de  mus.  p.  39  M.,  Diomed.  p.  481  E.,  sowie  die  lehrreiche 
Pruds  der  junggriechischen  dramatischen  Lyrik  und  des  Plautus  nach  Leo, 
Die  plant.  Gantica  u.  die  hellenist.  Lyrik  [Berlin  1897]  17  f.);  man  mufs 
dllier  beim  Recitieren  des  oratorischen  Rhythmus  die  Stimme  auf  der 
Bweiten  Länge  des  Eretikers  etwas  länger  ruhen  lassen  als  auf  der  ersten: 


^  V  ^  ^  v/. 


Thrasymachos  und  die  spätgriechische  Prosa.  917 

m ach 08;  also  der  Begründer  der  EuDstprosa^  eine  Vorliebe  für 
diesen  FoTs  gehabt  habe.  Zwar  scheint  Aristoteles  speziell  die 
aufgelöste  Form  Ji^  kj  \.  (den  vierten  Päou)  im  Auge  zu  haben, 
aber  rhythmisch  macht  das  ja  keinen  Unterschied,  wie  auch 
Cicero  in  dem  Citat  der  aristotelischen  Stelle  (de  or.  III  183) 
ausdrücklich  heryorhebt.  Aristoteles  billigt  den  Gebrauch  dieses 
Rhythmus,  da  er  der  Poesie  am  fernsten  stehe;  das  ist  richtig, 
denn  damals  waren  kretische  (päonische)  Gesänge  schon  Anti- 
quitäten. ^) 


III.  Die  spätere  grieehiselie  Prosa. 

Die  grofsartige  Kraft  und  Mannigfaltigkeit  der  demostheni-  i>ie  nach- 
sehen  Rhythmen  begann  nut  der  allgememen  Entartung  der  niiohez«u. 
Beredsamkeit  zu  schwinden.  An  die  Stelle  der  Kraft  trat  Weich- 
lichkeit und  Schlaffheit,  an  die  der  Mannigfaltigkeit  Uniformi- 
tat.  Der  daktylische  (und  also  auch  choriambische)  Rhythmus, 
durch  den  Demosthenes  solchen  Effekt  erzielt,  trat  ganz  zurück, 
ebenso  die  dispondeische  Klausel;  dagegen  wurde  die  von  De* 
mosthenes  gemiedene  Aufeinanderfolge  von  mehr  als  zwei  Kürzen, 
wodurch  der  Rhythmus  etwas  Trällerndes,  Trippelndes  bekommt, 
gesucht^  ebenso  ionischer  Rhythmus,  der  bei  Demosthenes  schwer- 
lich nachzuweisen  sein  dürfte.  Unter  den  Klauseln  begannen 
der  Ditrochäus  und  der  Creticus  +  Creticus  oder  +  Tro- 
chäus mehr  und  mehr  zu  dominieren  und  andere  zu  ver- 
drängen, und  zwar  wurden  die  Längen  in  weit  gröfserem  Um- 
fang als  es  bei  Demosthenes  (aus  dem  angegebenen  Grunde)  der 
Fall  war,  aufgelost. 

Auf  dem   dargelegten   Standpunkt   befindet   sich   die   Kom-  AsUner. 
positionsart  des  Hegesias:  ich  bitte,  die  oben  (S.  136  f.)  analy- 
sierten Partieen   mit   den    demosthenischen  zu  vergleichen,  um 
den    gewaltigen  Unterschied    zu   fühlen.*)     In    dem   wichtigsten 
Dokument  der  griechischen  Kunstprosa  aus  dem  ersten  vorchrist- 


1)  Cf.  V.  Wilamowitz,  Commentariolum  metricom  I  (Göttinger  Pro- 
oemium  1895)  6  ff.  —  übrigens  tritt  x  v>  x  ^  o  bei  Isokrates  sehr  zurück, 
während  j.  kj  i.  jl  kj  ^  etwas  häufiger  ist,  cf.  E.  Peters,  De  Isocratis  studio 
numeronim  (Festschrift  Parchim  1883)  14  und  Josephy  1.  c.  86.  97. 

2)  Ein  auf  S.  LSG  untergelaufenes  Versehen  bitte  ich  zu  berichtigen: 
i^dhg  ftkv  yaQ  iati  l  ^  j.  ^  ^  ^  statt  der  dort  stehenden  Messung. 

69» 


918      Anhang  11:  Zur  Geschichte  des  rhythmischen  Satzschlusses. 

liehen  Jahrhundert^  der  Inschrift  des  Antiochos  von  Eom- 
magene  (S.  140  ff.)^  sind  die  genannten  Klauseln  bereits  so  sehr 
die  herrschenden^  dafs  man  ganze  Sätze  hintereinander  lesen 
kanU;  ohne  an  den  Einschnitten  der  hauptsächlichen  Eola  ein 
einziges  Mal  auf  eine  andere  zu  treffen.  Z.  B.  §  2  iyh  ndvxmv  iya- 
^&v  oi)  (uivov  octflöLV  ßeßaLOtdttiv  iXXä  xal  i7c6Xav6tv  iidCörniv 
(jL  Kj  1.  j.  J)  äv^QAitovq  ivöiiLöa  ti^  siedßstav  (z  v^  _  w),  t^  ai- 
rijv  te  XQiötv  xal  dwdfismg  eitvxovg  ^cc^  XQijifsag  fiaxagiötflg 
altiav  iöxov  (z  ^  a.  ^  J)j  xccq*  Skov  ts  tbv  ßiov  &(pdifiv  Einaöi, 
ßa6iXeCag  iiiflg  xal  q>iiXaxa  Jtiötotdtriv  xal  tiQipiv  ifiifititov 
fiyovfievog  {j.  ^  l  j.  ^  ^)  tijv  6tftörijra  (j.  ^  J  j.  J)'  dt,*  S  xal 
xivivvovg  fisydXovg  7CaQaS6^a)g  dvitpvyov  {ji,  ^J  i.  Ji»  ^  i)  xal 
nQal^Baiv  dvaekniörtov  eifitixdvag  insxQdtriöa  (j.  ^  Ju  j.  J)  xal 
ßiov  TCoXvatovg  iiaxaQi6t&g  inXrjQÜd'riv  {j.  <j  l  s  .). 
Dekiam«.  Poljbios  uud  die  Atticisten  haben  natürlich  an  dieser  Entr 

toren  der  .  •  i  ■      •    «i  i  •  •        •        i 

Kftiseneit.  artuug  uicht  teilgenommen ,  aber  was  wir  an  manierierter 
griechischer  Prosa  der  ersten  Jahrhunderte  der  Eaiser- 
zeit  habeu;  steht  unter  dem  Zeichen  der  genannten 
Klauseln.  Ein  Fragment  des  Deklamators  Arte mon  bei  Seneca 
suas.  1, 11  lautet:  ßovXavöfied^a,  el  XQ'h  ^aqaiov6^ai  {±  ^  ^  j.  ^). 
oi)  tatg  ^ElXr}07Covtiaig  tjööiv  iq>s6t&tsg  (uO  ^  l  s  J)  ovd^  inl 
rca  IlaiKpvXia)  xsXdyet  ti^v  ifiXQÖd'sefiov  xaQaöoxovftav  üfinoföiv 
{j.  Kj  1.  j.  J)'  oiSh  EvfpQdrrig  zovx  iötiv  ovdh  *Ivd6g  (jl  u  2.  ^  u), 
dXX'  stxB  yfig  xiQ^a  (z  ^^  i.  z  u),   atte  (pv6emg  oQog  (jl  ^  ^J^  j. 

u  0/),  aCra  jtQaaßvrarov  (jroi^e^oi/  (j. v),  ai'ra  yivaöcg  ^a&v 

(jL  xj  J<^  X  u  y.),  CagAragöv  iöriv  ^  xata  vavg  üSoq  (±  ^  ^  jl  ^  J)j 
also  durchgängig  mit  Ausnahme  des  Schlusses.  Gitate  Ton  Hi« 
storikern  bei  Lukian  de  bist,  conscr.  22  ilaXcla  [ilv  fj  i^VX^^^ 
{j^  <j  ^  :^  j,  sj  i.)j  rb  tetxog  dl  naöbv  iiaydXa)g  idovTtrjea  (z  v^  u 
j.  <j  yj  j.  Kj  1.  j.  J).  ib.  ''Eöa66a  iihv  dij  ovra  totg  SnXoLg  stegta- 
6[iaQayatto  (j.  u  ^  j.  <j  u  ^  J),  xal  Ztoßog  ^1/  xal  xövaßog  Sinavxa 
ixatva  (zu»  J).  ib.  6  ötQarriybg  ifiBQiiiiQiiav  (j.  yj  ^  j.  ^  j.  J)y 
cJ  rgöno}  [idXiöta  XQoöaydyoc  ngbg  tb  tatxog  (zu»  u).  Klau- 
seln von  Deklamatoren  -  Citaten  des  Philostratos  (s.  oben 
S.  413  ff.):  aha  olai  ^Atov  'EöitdQp  <p^ovatv  (z  u  u  z  u  z  u  ») 
rj  iiiXaiv  avtp  (z  u  j.  z  »).  —  iyyifg  IlXataCmv  vavtxi^iAa^a 
(z  u  1  z  u  1  z  u  >i;).  —  ix^Qxarai  TtöXafiog  altiav  oix  ixmv 
(z  u  ^  z  u  ^).  —  xal  iiarä  l^iq>ovg  fioi  XaXatg  (z  u  a.  z  u  a).  — 
vtl^TjX'^v  aQOVy  &v9'Q(07taj  ti^v  ö^da  {j.  sj  ^  j.  sj).  —  <To? 


Die  spätgriechische  Prosa.  UVJ 

didaiii  (-^  u  .  sS).  —  Stav  iyh  (lij  ßXinmukav  (^  ^  .  yS)j  sowie 
das  oben  (S.  414  f.)  aus  Philostratos  citierte  längere  Fragment 
des  Onomarchos;  Philostratos  selbst  in  seinen  Briefen  (%.  oben 
S.  415):  &xi8b  XQog  tag  (lixag  (uO  ^^  2.  z  vy :.),  oC  iihv  noXv- 
tskstg  xal  xQvöot  xolg  ZnXoig  {Jij  ^  l  ±  .  l  j.  ^  l,)  IbI%ov6i 
tag  tiisig  (^  ^  ».  j:  -),  ^fif  Tg  8*  iQiötsvoiiBv  {j.  ^  l  j,  sj  "J). 
14  xatQB  xav  (i^  9'dXfig  (^  ^  ^  ^  ^  2.),  %atQS  x&v  iiij  y(fdq>gg 
(s  yj  2.  X  sj  l).  Aristides  in  der  nach  asianischem  Muster  Ter- 
falsten  (s.  o.  S.  420  f.)  Monodie  (or.  29,  I  421  D.):  &  Säöig^  ixp' 
oTov  ivÖQibv  &%i6ßriXB  {j.  sj  2.  j.  J)-  &  dsiv^  xtd  iupeyyiig  ^lUga^ 
rj  tag  q>a6q>6(fovg  vvxtag  i^etXsg  (j.  ^  l  j.  yj  x  j.  J).  &  M^g, 
olov  &ip%rig  ^EXivötv^  {z  kj  2,  j.  J)j  olov  iv^  olov  (x  ^  i  ^  -)• 
Favorinus  (Pseudo-Dio  Chrys.  de  fort,  s.  o.  S.  422  ff.)  hat 

z  \j  :l  JL  o  75nial 
2.  X  \>  Tmal 
z  z  13mal 


die  Klausel 


% 

JL  ^  L  J^  zt  3maly 


die  Klausel 


die  Klausel  (  .     .«, 

U  ^  :l  X  ^  JL  7mal*), 

die  Klausel     s  ^  ^  l  z  :)  16mal'i^ 

I.  sj  ^  L  z  V  j-  bmzl*) 

j,  ^  ^  L  JJ  ^  L  2mz\ 

z  ^  :,  JL  ^  ^  L  7inal*j, 

die  Klausel     j,  ^  l  -:,  ?jf)mai!L 

Von   dem   ÜbermaÜi  der  Anwendung  der  krttiMchen   Klauseln 

mögen  folgende  Sitze  eine  Vorstellung  geben: 

X6yovg  ifigmp  'EXXfiPixovg  T'  >  /  .  /  >  ^) 

1,  Cf.  «i^  ^''jru^//*rstist  ^:  ^0iUß  IUP  t^  Irn^  pu4tU4f$^  imh  $)t  i^rp 

2;  Z.  h,  y$  fo^M  i0>  'yK^iM  %ui  yiyp4if0in^ptsi^t  f/,/     ;,  tfgp  W» 
iMty^^T,9  ix*94tp  ifk^mp  * f    *  '    /•   ^    / 

3^  Z.  y,   \K  <ui'  *<T#  <fni4^u  (/   /   /    /  ♦^P**  in»%»i^f^4itp  ^f   /   / 

taxxttp  '■    .  ,,  ip  4ä  Uy  i^iiuAu^  Mü  1M^  €i^p  i^fftphtfit^p  itlf^lt 

^iiitp  ' :    ^    ^       '    *     f 

U     Z      'f^      Xi    il    ^i     it%     <^i     //**/4/>//^4*''/      '  /  /      /       ,,     if'h%U 


920      Anhang  11:  Zur  Creschichte  des  rhythmischen  Satzschlusaes. 

SXXovg  TB  xal  KoQvv^Covg  {j.  Kf  j.  sj  ±  \j  S) 
ovddxm  ifsvdstg.  {^  u  i.  j.  J) 

30     el  xoCwv  oiShv  al6%Q0v  tovzö  iöriv,  {j.  ^  ^  j.  J) 

xavTceQ  8v  deivövj  (z  u  jl  z  u) 

wöiteg  oC  xaQXoi;  {j.  sj  i.  jl  J) 
39     äXl^  &  nuQ^ivs  airdyyEXe^  (j.  kj  l  j.  <j  l) 

TOV   llhv   TCOlfiXOV   ixOVOflSVy    (^  u  _t  v/  w) 

6^  äl  irjrovvteg  oi%  BVQOHLBVy  {±  \j  ^  j.  yj  b) 

ovd%  xh  öfiiia  tb  Midov.  (j.  ^  ^  ±  ^  ^  x  J) 

vdata  d^  ixalva  xal  ddvÖQa  {j.  kj  ^  j.  S) 

hl  (tiv  vasC  xe  xal  d'dXXeiy  {j.  ^  i.  j.  J) 

XQÖvc)  dh  xal  tavta  {j.  ^  ^  j.  S) 

lierä  t&v  &XX(ov  ioixBv  iniXBC^feiv,  (^  vy  o^  z  _) 

Ehrendekret  für  Kaiser  Gaius  aus  Assos  (Papers  of 
the  Amer.  school  I  50):  insl  fj  xat*  eixiiv  naöiv  iv^Qm%oig 
iXntö^stöa  (z  _  ^  z  u)  Falov  KaCöaQog  FsQuutvixov  Ikßaöxw 
fiyeiiovla  xan^vysXtav  {j.  ^  2.  j.  _),  oid^v  dh  fidtQov  %aQäg  rß- 
Qifix\e\v  6  xööfiog  (z  u  v>  -  S),  näöa  de  xöXig  Tial  %äv  idvog  ixl 
f^v  xov  d'£ov  5ifiv  ionsvxBV  {j.  kj  1.  ±  J)^  hg  av  xov  iiiCöxov 
iv^Qanovg  al&vog  vvv  ivsöx&xog  {1  ^  1,  j.  u),  idol^sv  xtj  ßovX^^ 
worauf  der  im  üblichen  Kurialstil  verfalste  BeschluTs  folgt,  ohne 
eine  Spur  von  Rhythmisierung;  dann  aber  wieder  die  Eides- 
ablegung:  öiivv^isv  /ila  Ucjxfjga  xal  d'abv  Kaiöaqa  Usßaöxbv  xal 
xi]v  ndxQiov  ayviiv  naQ^ivov  ein/oijöaiv  FaCm  KaiöaQv  Usßaöx^ 
xal  xp  öv^inarxi  otxp  avxov,  xal  q>iXovg  xe  xqivetv  ovg  av  av- 
xbg  TCQoaiQfixai  {1  ^  1.  j.  J)  xal  i%^QOvg  ovg  av  aixbg  xqo- 
ßäX\X\rixaL  {j.  ^j  2^  j.  _).  evoQxovöiv  [iav  fnilv  ev  eCri  {j.  ^  \^  j.  _), 

iq)LOQXov0cv  dh  xä  ivav[xia^  (z  u  1  z  ^y  6). 

Von  dem  Valentinianer  Ptolemaios  (s.  II)  überliefert  Epi- 
phanios  haer.  XXXIII  3  S,  einen  Brief  an  die  Flora  über  den 
ungleichen  Wert  einzelner  Teile  im  Gesetz  des  alten  Bundes. 
Dieser  Brief ^)  ist  wie  in  seiner  durch  die  platonischen  Schriften 
«gesättigten  Gedankenentwicklung  so  in  seiner  Stilisierung  meister- 
haft.    Ein   paar  beliebig  herausgegriflfene    Partieen   werden    die 


1)  Ich  citiere  nach  der  Ausgabe  des  Briefes  von  A.  Hilgenfeld  in:  Z. 
f.  wiss.  Theol.  XXIV  (1881)  214  ff. 


Die  spätgriechische  Prosa.  921 

(gelegentlich  auch  durch  die  Wortstelloog  bemerkbare^))  Rhyth- 
misiemng  deutlich  zeigen.  G.  1  o^ot  ii^v  oiv  &g  Sit^iiaiytiixaöi, 
tflg  iXfjd'eiag  (^  ^  x  z  _),  dflXöv  6oC  iötiv  ix  x(bv  BlQr^kivmv 
(^  -  i  ^  vy  2l).  nendv^aöi,  8\  oitoi  181mg  SxdtSQOL  ait&v  {Ji 
u  ^  ^  -),  of  fikv  Siä  tb  iyvoBtv  xhv  xf^g  dixaioöivrig  ^e6v 
(j.  yj  j.  yj  yj  JL  <j  J)f  ot  ds  Si^ä  xb  iyvoBlv  rbv  x&v  SXmv  naxiga 
(^  V  i  V  w),  Sg  ^vog  iXd'hv  6  (lövog  aldhg  iq>aviQ(066  {j.  kj  b 
u  s  J).  TtsQiXsinsxai  öl  f^itv  iiicD^ilöi  xs  xfjg  ....  (Lücke) 
&lupotiQ(ov  xovxav  ixqnfj^al  öoi  xal  ixQiß&öai  aixöv  xs  xbv  vö- 
(lov  Ttaxanög  xig  etri  (z  v^  _  _),   xal  xbv  iq>^  oi  xdd'sirat  (j.  v> 

),  xbv  vo^o^ixT^v,  x&v  ^r^%ri6o^ivmv  fniXv  x&g  iatodsi^stg  ix 

x&v  xov  öanflQog  'fifi&v  löymv  JcaQtax&vxsg  (j,  yj  2l  z  J),  8C  &v 
fiövcov  löxiv  ijtxaiöxcag  (j.  yj  i.  j.  J)  ijtl  xijv  xaxdXri^iv  x(bv  8v- 
xmv  bSi^yetö^at  (j.  sj  ^  j.  _).  c.  2  (die  Ehescheidung  sei  von 
Moses  nur  mit  Rücksicht  auf  die  menschliche  Schwäche  erlaubt 
worden,  denn  im  Evangelium  heilst  es^  was  Gott  zusammen- 
gefügt habe,  solle  der  Mensch  nicht  lösen):  ijtsl  yäg  x'^v  xov 
^sov  yvA^riv  qruXdxxsiv  (rbx  '/^d'övavxo  o^rot  (j.  yj  2.  j.  ^)  iv  xdi 

liij  i^stvai  aixotg  ixßdXXaiv  x&g  yvvatxag  air&v  {±  ^ ),  alg 

xivsg   irjd&g   övvcixovv    (j.  yj ),   xal  ixivdvvavov   ix  xovxov 

ixtQinsöd'ai  TcXiov  slg  ddixiav  (z  ^  u  1  v^  v>  w  x),  xal  ix  tav- 
xr^g  slg  dnAXeiav  (z  u  ^  -  u),  xb  irjälg  xovro  ßovX6[ievog  ix- 

x6^ai  aix(bv  6  Mmvöf^g  {j.  yj ),  Sl  oi  xal  inöXXsöd^ai  ixiv- 

diivevov  (^ w),    dsvxsQÖv   xtva,   &g  xax&  xsQiöxaöiv  f^xxov 

xaxbv  &vxl  yLBltpvog  ivxtxaxaXXaöööiisvog  {j.  yj  yj  1.  j.  yj  yj  ^)y 
xbv  xov   inoöxaölov   vöfiov   dtp    iavxov   ivonod'ixr^öBv   aixotg 

{1  u ),   tva,   iav  ixstvov  fii)  diivcovxai  q>vXd606iv  {j.  yj ), 

x&v  xovxöv  yB  (pvXdi,<o6i  {j.  yj  yj  1.  j.  yj)  xal  fii)  slg  ddtxlag  xal 
xaxCag  ixxgaTC&öi  {jl  yj  ^  J),  di  i)V  dnAXeia  a'bxoig  IfieXXs  re- 
Xsvoxdxri  i%axoXov^if^6Bvv  {Ji,  yj  y.  ±  _).  c.  5  (Schlufs  des 
Briefes)   xavxd  öov^   &  ddeXtpi^  [lov  OXAQa^  dC  dXlywv  el(frjiieva 

ovx  fjxövYiöa  (?)  {1  ^  .  J)  xal  xb  xi^g  övtnoniag  JtQOSyQa^a 
(z  -  -  J).  afia  nlv  tb  nQOxeifievov  d7toxQ<ovt(og  i^atpr^va  (^  ^ 
.  J),  a  xal  slg  xä  il^'^g  rä  niyiörd  ooi  övfißaXatxai  (^  v>  _  «), 
idv  ye  &g  xaAiJ   yf^   xal  dya^^i   yovC^cov   ensQfidxov   xvxovöa 


1)  Daher  ist  auch  c.  4  p.  222,  9  mit  den  meisten  Hss.  zu  lesen  (am 
Schlufs  eines  Kolons)  6  &n6atoXog  Hdei^e  IlaijXog  (-^  v>  -  ^\  nicht  IlaüXos 


\)2()       Anhang'  II:  /. 


iiiu-i--:: 


0  V  ö  en  G)  (;• .  ■ 
3(^     fi  Touwr  ■' 

TOt)    U^J^    . 

(?£  da  C). 

Khrr 
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Ql]'>i{£\v 
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u";'*.ir  (WTcbv  :i6q()() 


f 


■?t\va  400  n.  Chr. 

.\iä   ':»erühmte   Mevrr- 

■1    :l*ii  Acociit  bezt'icii- 

■•i.".cuccoiitiuerte  iSilboii 

■  ".'    VmveuJung  el»t'iK>ri 

•."l'.orer  Kritik   rbtMiso 

.  :  *ii»niJiijf  duukel.     Pais 

-  ■!!,    wii^   Movei*  an- 

.■.::    \w  Zo'iuni  und  dio 

"'ivrlimibclie    Poesie 

^     iir wickelt  hat.    Viel- 

.    'I'vei"  .selbst  [\).  14  tV) 

i    'iiesem    Ciebriiucli 

■.  '-j   icli   kein  Urteil'"), 

.    '{•V  LT'i'.'ch.  Trosii  v'»m 


f. 


-..1.  ..s«  wolil  Chorikioa   epi- 


Die  spätgriecliische  Prosa.  933 

^wHl   atier  bemerken,  da&  sich  die  von  mir  oachgewieBenen  be- 

bliten  rhythmischen  Klauseln  mit  dem  ziemlich  streng  beobach- 

lltcten  Uejerschen  Acceutgeeetz  vereinigt  zu  finden  scheinen  in 

Fdeu  H<>milien  des  Proklos  (s.  Y),  z.  B.  in  der  zweiten  Rede  auf 

[die   h.  Maria,  vol.  65,  683  f.  Migne:  äXJl'  iyBwij^  &c  jnjvaiiAg 

[  ^bg  ob  yv^vbs  xal  6v&ifmaos  oi  i>iX6g  {i  ■j  y  ^  J).  xal  Mvitpf 

f  tfairitfitts  6  rez^ets  t^  »ifAai  tijv  ifiuifrüts  iäeile  &ii(fav.    5nov 

'  yäg   6  Sqiis   Siä   r^g   «affaxotig  tbv  litv  iiixssv')  (^  v  i  w  J)y 

^xtl&tv  6  löyog  diät  Eije  wtaxoijg  eltsifiiov  rbv  vtcbv  i^aojtXd- 

)  Ofri<$iv{±  vj  y  ±  J).   S^tv  6  nffätog  t^s  äfutpr^g  Kitv  xgoixvifiev, 

,  ixet&iv  6  ToS  y^ovs  Xvrtfon^s  Xffi&tbs  iß«6ffa>g   ißldavTiaev 

(^  u  i.  _  m).     tfij   y&if    ^    ti>    xifayfittttv6(i£vov    (j  u  i  ww). 

ovx  ifioX^&ij  oixiioag  ^ijtp«»^),   ijvntff   icötbg  äwßffiatmg  id-^- 

(tiovQ'/iiUEv  (.i  ^  1.  .1  u).     »'  ft^  yäff  attff9ivoq  Ifietvtv  ij  fiij- 

tviff  {^1.  M  \  j.  _),  ^ii.hq  StvQ(f(a%og  6  xByfisXg  xaX  oi  «afdio^og  6 

vAxog-  bI  8\  xal  ftcrä  xAxov  ipeive  itaQ^ivog,  «ibg  o^jl  xal  ^tbg 

xal  f»v0Tifp(ov  &<p(fatftov  (w  u  _  u);  ixttvog  itpffäaxmg  iysv 

vif'fri]    (.£  u  1.  .£  _)    6   xal    tAv    #v<>Ai'    xexXBUtfiivav    BUtskftitv 

inal'ötmg  (^  «  i  _  _). 

tV.  Die  lateiniBcIie  Prosa. 

Die  Resultate  der  soeben  angestellten  Üntgrsuchnngen  sind 
folgende.  1)  Die  GrSlse  des  Demosthenes  in  TtetreflF  des  rhyth- 
mischen Baus  seiner  Perioden  beruht  darauf,  dals  er  keine  be- 
stimmte Theorie  befolgt,  wie  sie  ihm  von  den  NenereiLange' 
dichtet  vrird,  sondern  dafs  er  in  wundervoller  Mai^giaTti^keit 
den  Rhythmus,  speziell  den  des  Satzachlusses,  jedesmal  ein  ener- 
gischeB  Abbud  des  Gedankeiig^Bein  läfst.  2)  Jedoch  heben  sich 
bei  ihm  aus  der  anerscÜoplIichen  FüUgder  satzschlielsenden 
Rhythmen  folgende  als  besonders  bevor^gt  heraus: 

1.  ^  ö  i  ^  ö 

2.  ^  ü^^ü  ii 

4.  ^   V.  ^   W   V.  i 

5.  ^  c  .  o 
or.  de  Qregoni  cbaract.  1.  c.  (oben  S.  6)   p.  717  oHi 
•nitH   cdv   Uyov    dvBXavaiv,    &XXii    diaxomlXXti   taf 

■eyenchen  Geaetsea. 


924      Anhang  11 :  Zur  Geschichte  des  rhythmischen  Satzschliuses. 

3)  Von  diesen  treten  3  und  4  spater  ganz  zorück,  da  man  die 
grofse  ivi(fyeuc  der  Daktylen  (Choriamben)  nicht  mehr  zum 
Ausdruck  bringen  konnte  oder  wollte.  Dagegen  drangen  sich 
die  Formen  1,  2,  5  mehr  und  mehr  hervor,  und  zwar  noch  mit 
der  Modifikation,  dafs  einzelne  Längen  dieser  Klauseln  aufgelost 
werden  können,  was  Demosthenes  in  seiner  prinzipiellen  —  aus 
seiner  SsivAtrjg  sich  ergebenden  —  Abneigung  g^en  Häufung 
von  Kürzen  mied.  Die  am  meisten  charakteristischen 
Formen  des  rhythmischen  Satzschlusses  der  nachdemo- 
sthenischen  griechischen  Kunstprosa  sind  also: 

la.  j.  D  1.  j.  o 
b.  v/  \j  1.  j.  o 


d. 

_             / 

±    \J    1.    KAJ 

ö 

2a. 

J.    \J    ^    ±    O    ^ 

b. 

^    U    \.    J. 

w 

^ 

^ 

c 

±    \J    U^    ± 

o 

^ 

d. 

JL   \J  \.   vX/ 

\J 

^ 

3a. 

J.   \j   ±   \i 

b. 

\,Kj   \J    J.    Ö 

4)  Diese  Klauseln  sind  in  der  griechischen  Kunstprosa  zwar 
ganz  besonders  bevorzugt  worden,  aber  nie  zur  ausschliefs- 
lichen  Herrschaft  gelangt.  Seit  c.  400  n.  Chr.  tritt  an  die 
Stelle  des  rhythmischen  Prinzips  ein  äufserlich  accentuierendes, 
welches  mit  jenem  nicht  zusammenzuhängen  scheint. 
Geichichte  Es    läfst   sich   uuu   der   K^ächweis    erbrincren,    dafs    diese 

der  Bnt-  •  o  o       7 

deckung  rhythmischeu  Satzschlüsse  in  die  lateinische  Kunst- 
Geaeteei.  prosa  aufgenommen  wurden  von  dem  Moment  an,  wo 
diese  in  die  Sphäre  dgg^HeJ^lenismus  trat,  und  dafs  sie 
in  ihr  bald  zur  ausschliefslichen  Herrschaft  gelangten 
und  (mit  einer  Unterbrechung  zu  Beginn  des  Mittel- 
alters) M&  zum  Ausgang  des  Mittelalters  absolute  Gel- 
tung erhielten.  Bevor  ich  aber  dazu  übergehe,  diese  Ent- 
wicklung in  grolsen,  allgemeinen  Umrissen  darzulegen,  werde 
ich  die  Geschichte  der  Entdeckung  dieser  Thatsache  mitteilen, 
damit  der  Leser  wisse,  was  ich  andern  verdanke  und  was  ich 
selbst  hinzugethan  habe.  Man  begann  am  Ende  der  ganzen 
Entwicklungsreihe.  N.  Valois,  De  arte  scribendi  epistolas  apud 
Galileos  medii  aevi  scriptores  rhetoresve,  These  Paris  1880  und 


Die  lateinischo  Prosa:  Allgemeines.  925 

l^tnde  sur  le  rythme  des  buUes  pontificales  in:  Bibl.  de  TEcole 
des  Chajtes  XLn  (1881)  161  flF.  257  flf.,  stellte  zum  ersten  Mal 
die  Vorscnnften  der  mittelalterlichen  Dictatores  über  den  rhyth- 
mischen SatzschluJüs  yolIstSndig  zusammen,  nachdem  schon  Char- 
les Thurot  in  seinem  berühmten  Werk  Notices  et  extraits  des 
diyers  manuscrits  latins  pour  servir  ä  Thistoire  des  doctrines 
grammaticales  au  moyen  age  in:  Not.  et  Extr.  des  ms.  de  la 
bibl.  imp.  XXII  (1868)  480  flF.  einiges  darüber  mitgeteilt  hatte, 
und  bewies,  dafis  dessen  frühste  mittelalterliche  Beispiele  sich 
unter  dem  Pontifikat  des  Gelasius  II  (1118—1119)  fänden.  Einen 
wichtigen  Nachtrag  dazu  machte  L.  Duchesne,  Note  sur  Tori- 
gine  du  ^cursus'  ou  rythme  prosaique  suivi  dans  la  r^daction 
des  buUes  pontificales  in:  Bibl.  de  l'l^cole  des  Ghartes  L  (1889) 
161  flf.  Im  Liber  pontificalis  wird  nämlich  berichtet,  dals  Ur- 
ban  II  (1088 — 1099)  den  Giovanni  Caetani  aus  M.  Cassino  in 
die  päpstliche  Kanzlei  berief:  tunc  papa  litteratissimus  et  facundtis 
fratrem  lohannem,  virum  utigue  sapientem  ac  pravidum  sentiens, 
ardinavity  admovity  suumque  cancellarium  ex  intima  deliheratione 
constituit^  ut  per  eloquentiam  sibi  a  domino  traditam  antiqui  le- 
poris  et  elegantiae  stilum  in  sede  apostolicay  iam  pene 
omnem  deperditum,  sando  dictante  spiritu,  lohannes  dei  gratia 
reformaret  ac  Leoninum  cursum  lucida  velocitate  redu- 
eeret  Einen  weiteren  wesentlichen  Fortschritt  bezeichnet  die 
Abhandlung  von  L.  Couture,  Le  cursus  ou  rythme  prosaique 
dans  la  liturgie  et  dans  la  litterature  de  l'^glise  latine  du  IIP 
si^cle  ä  la  renaissance  in:  Compte  rendu  du  congr^s  scientifique 
international  des  catholiques  tenu  ä  Paris  du  1®'  au  6  avril  1891, 
cinqui^me  section  p.  103  S,  (wiederholt  in:  Revue  des  questions 
historiques  XXVI  [1892]  253  flf.).  Er  wies  nämlich  nach  1)  dafs 
die  frühesten  Spuren  dieses  rhythmischen  Satzschlusses  sich  be- 
reits bei  Cyprian  fänden  und  von  da  bis  Gassiodor  nachweisbar 
seien,  2)  dafis  er  seit  Gregor  d.  Gr.  (f  601)  für  vier  Jahrhun- 
derte verschwand  und  erst  im  XL  Jh.  in  der  kirchlichen  Littera- 
tur  (z.  B.  bei  Peter  Damianus)  wieder  auftauchte,  also  ein  Jahr- 
hundert früher  als  in  der  päpstlichen  Kanzlei.  Diese  Gelehrten 
hatten  sich  mit  der  Feststellung  der  Thatsache  begnügt,  ohne 
nach  dem  Prinzip  zgfragen,  welches  in  den  verschiecWn^n  For- 
men der  Klausel  obwalte:  dieses  zu  erforschen,  unternahm  zuerst 
L.  Havety  La  prose  m^trique  de  Symmache  et  les  origines  me- 


926      Anhang  11:  Zur  Geschichte  des  rhythmischen  Satzschlosses. 

triquea  du  cursus,  Paris  1892.  Wenngleich  sich  das  von  ihm 
aufgestellte  Prinzip  als  nicht  haltbar  erwies,  so  hatte  er  doch 
manches  richtig  beobachtet,  und  durch  ihn  wurde  Wilhelm 
Meyer  in  der  Anzeige  des  Havetschen  Buches  in:  Götting.  geL 
Anz.  1893  p.  1  S,  zu  eigner  Forschung  angeregt:  das  eigentliche 
Prinzip  im  wesentlichen  richtig  gefunden  zu  haben,  ist  sein  Ver- 
dienst.^) An  ihn  knüpfe  ich  an,  imd  jzyiü:  nehme  ich  für  mich 
folgendes  in  Anspruch:  1)  die  Autweisung  der  Zusammenhänge 
mit  der  griechischen  Litteratur,  die  bei  Meyer  ganz  fehlt  ^), 
2)  den  Nachweis,  dafs  die  Klauseln  nicht  erst,  wie  Meyer  meint, 
im  n.  Jh.  n.  Chr.  von  einem  imaginären  „Ordner^'  „ersonnen^' 
sind^),  sondern  sich  in  geschichtlichem  Werden  vom  Beginn  der 
lateinischen  Kunstprosa  an  verfolgen  lassen,  3)  die  Heranziehung 
von  Zeugnissen  antiker  Bhetoren  (Meyer  kennt  nur  das  des  Teren* 
tianus  Maurus),  4)  die  Korrektur  einzelner  Versehen,  die  sich 
mir  ohne  weiteres  eben  aus  der  griechischen  Praxis  ergab,  z.  B. 
der  sonderbaren  Theorie  Meyers  von  Arten  des  Kretikers,  die 
er  „freie''  (ariitnäey  plürimäy  bpera)  und  „verschobene^  (süorum, 
conferie  u.  dgl.)  nennt 

1.  Die  Theorie.*) 

z«QgniMe.  Cicero   de  or.  III  183   Aristoteli  ordiri  placet  a   superiore 

paeoney  posteriore  finire.  est  autem  paeon  hie  posterior  non  sylla- 
barum  numero,  sed  attrium  ntensura,  quod  est  cicritis  iudicium  et 
certius^  par  fere  cretico  qui  est  ex  longa  et  brevi  et  longa,  ut: 
^Quid  petam  praesidi  aut  exsequar?  q%iove  nunc  (Ennius  tn^. 
75^  R.)'.    a  quo  numero  exorsus  est  Fannius:  '8i  Quirites  minas 

1)  Havet  hat  dann  in  der  Revue  de  philologie  XVII  (1898)  33  ff.  141  ff. 
speziell  für  Cicero  de  or.  über  das  Gesetz  gesprochen,  damals  wohl  schon 
mit  Kenntnis  der  Meyerschen  Abhandlimg. 

2)  E.  Droz,  De  Frontonis  institutione  oratoria  (Thes.  Paris.,  Besan9on 
1885)  63  zieht  für  den  Satzschlufs  bei  Fronto  p.  21  omnüms  tunc  imago 
patriciis  pingehatur  insignis  die  von  Quintilian  citierten  Worte  des  De- 
mosthenes  n&ct  xal  ndaatg  und  firiSh  toisvfi  heran:  er  war  also  auf 
dem  richtigen  Wege.    Über  E.  MüUer  s.  u.  S.  930. 

3)  Meyer  p.  25  ,,Im  2.  Jh.  n.  Chr.  wird  für  alle  Declamationspausen 
der  gesprochenen  Rede  ein  bestimmter  Tonfall  ersonnen**,  p.  6  9,Der  Ordner 
dieses  Schlusses  war  ein  in  der  Metrik  erfahrener  Redekünstler*'. 

4)  Ich  gebe  die  Zeugnisse  der  sp&ten  Rhetoren  selbstrerst&ndlicb  nur 
insoweit,  als  sie  selbständigen  Wert  haben. 


Die  lateiiiitelie  Prosa:  Die  Theorie.  927 

iUius^.  Jmne  iUe  dansulis  apiiorem  pulai^),  quas  vuU  longa  ptemm- 
que  sjßJkaba  terminari,    Ct  193. 

Cicero  or.  215  creticus  . . .  quam  comtnodissime  putafur  in 
soluUtm  oraticnem  iUigarL  218  es^  quidem  paeon,  ut  inter  omnes 
canstat  antiquas,  Aristatdem  Theopltraskim  Theodedem  Epitomm 
umts  tgMssimus  oratiani  orienti  vd  mediae,  putant  Uli  eiiam  ca- 
cfen/ty  quo  loco  mihi  videtur  aptior  creticus.  ib.  222  bemerkt 
er  zn  dem  Satz  des  Crassas  ^missos  faciant  pcUronos:  ipsi  pro- 
deant\  er  sei  einem  Senar  zu  ähnlich;  omnino  melius  caderei: 
^prodeant  ipsi',  also  jt  u  j.  ^  _. 

Cicero  or.  212  f.  insistit  ambiius  modis  plurüms,  e  quibus 
unum  est  secuta  Asia  maxume,  qui  dichoreus  vocatur,  cum  duo 
extremi  ekorei  sunty  id^est  e  singulis  longis  et  brevüms. . .  didioreus 
non  est  üle  qtiidem  sua  sponte  vitiosus  in  clausulis,  sed  in  orationis 
numero  nihil  est  tam.viUosum  quam  si  semper  est  idem,  cadit 
autem  per  se  ipse  iUe  praeclare,  quo  etiam  saHetas  formidanda 
est  magis.  Es  folgt  als  Beispiel  ein  Satz  einer  Rede  des  C.  Pa- 
pirius  Carbo  endend  mit  compröbavity  wozu  Cicero  bemerkt:  Iwc 
dichoreo  tantus  damor  contionis  excitatus  est,  ut  admirabUe  esset 

Cicero  de  rep.  bei  Rnfin  de  nnmeris  orai  GLK  VI  574,  31: 
Cicero  in  dialogis  de  re  publica  mtdta  dicit  referens  Asianos  ora- 
tores  ditrochaeo  clausulas  terminare. 

Qnintilian  IX  4,  63  f.  Die  rhythmische  Klausel  des  De- 
mosthenes  naöi  xccl  ndöaig  =  firiSl  rolatJß  {j.  \j  ^  j.  S)  ßnde 
als  strenger  und  gewichtiger  Satzausgang  Billigung,  bei  Cicero 
würde  dieselbe  Klausel  in  hcUneatori  (Cic.  pr.  Cael.  62)  =  archi- 
piratae  (in  Verr.  V  70)  nur  deshalb  getadelt,  weil  es  sich  um 
lange  Einzel worte  handle,  die  am  Schlufs  prosaischer  Sätze  so 
wenig  gut  gebraucht  würden  wie  am  Schlufs  der  Hexameter. 

Qnintilian  IX  4,  105  dichoreus  .  .  qui  placet  plerisque. 
107  creticus  et  initiis  optimus:  ^quod  precatus  a  diis  immor- 
taUbus  sum  (Cic,  pr.  Mur.  1)'  et  clausulis:  Un  conspectu  populi 
Bomani  vomere  postridie  (Cic.  Phil.  2,  63)':  ^  ^  x  j.  ^  l. 

Qnintilian  IX  4,  73  ^esse  videatur'  (z  u  JO  ^  u)  iam  nimis 
frequens:  es  sei  dieselbe  Klausel  wie  die  des  Demosthenes  naö^ 

6)  So  ist  das  nicht  korrekt  ausgedrückt.  Aristotolos  (rhet.  III  8)  sagt 
nur,  dafs  am  Ende  der  vierte  Paeon  wegen  der  schliefaendon  Lttngo  piiHHond 
sei,  dafs  i^  JJ  yj  i,  auch  z  u  ^  stehen  könne,  legt  erst  Cicero  hiooiii:  in 
^ft  Stelle  or.  218  hat  er  das  richtiger  formuliert. 


928      Anhang  II :  Zur  Geschichte  des  rhythmischen  Satzschlusses. 

xal  Tcdöaig.  Cf.  X  2,  18  noveram  quosdam,  qui  se  pulchre  expressisse 
genus  illud  caelesiis  huius  in  dicendo  viri  (des  Cicero)  sibi  videren- 
tur,  si  in  dausula  posuissent  ^esse  videatur^;  c£  Tac.  dial.  23. 

Quintilian  IX  4,  103  daudet  et  dicJwrens,  quo  Asiani  sunt 
usi  plurimum. 

Gellius  I  T,  16fif.:   Cicero  habe   des   Rhythmus   wegen   in 

der  Rede  de  imp.  Cn.  Pomp.  33  einen  Satz  geschlossen  in  prae- 

donum potestatem  fuisse  statt  in  praedonum  potestate  fuisse,  und 

'in  derselben  Rede  30  einen  anderen  consilii  celeritate  explicavit 

statt  explicuit 

Terentianus  Maurus  V.  1439  flf.  (GLK  VI  368)  vom  Kre- 
tiker: 

optimt^  pes  et  mdodis  et  pedestri  ghriae: 
plurimum  orantes  decAit^  quando  paene  in  ultimo 
dbtinet  sedem  heatamy  terminet  si  clausulam 
dactylus  ^mideus  imam;  nee  trochaeum  resptw 
(bacchicos  utrosque  fugito),  nee  rqpdlas  tribrachyn. 
plenius  tradatur  istud  arte  prosa  rhetorum, 
d.  h.  also:  gut  sind  z  u  i.  ^  w  ^^)f  zu^^»,  zv^^zv^,  zwa.uCw, 

schlecht  sind:  j.  ^  j.  u (mehr  als  zwei  Trochäen  hintereinander 

galten  als  weichlich),  ^  u  ^ ^  (schleppend). 

Victorinus  de  compositione  bei  Rufinus  de  num.  orat.  GLK 
VI  573,  18:  creticum^  qui  est  ex  longa  et  brevi,  si  sequatur 
spondeus  vel  trochaeus,  honam  compositionem  facere  dicunt,  ^quo 
usque  tandem  abutere^  Catilina,  patientia  nostra?* 

C.  lulius  Victor  ars  rhet.  c.  20  (p.  433  Halm):  cum  per 
totam  orationem,  tum  praecipue  in  conclusionibus  servandus  est  ordo 
vaborum,  moderate  in  exordio,  in  media  parte  leniier,  ita  ut  magis 
ad  numerum  tendat  quam  ipsa  numerosa  sit.  longis  sylldbis  inci- 
piendum  potius  quam  brevibtis  est  ...  ,  concludere  autem  aut 
creticus,  ut  una  syllaha  ei  supersit,  potest,  vel  duae,  quae 
spondeum  vel  irochaeum  vel  iamhum  pedem  faciant,  aut 
tres^  quae  eundem  creticum  geminent.  cludit  et  paeon  pri- 
muSy  si  spondeus  ei  supersit,  et  paeon  posterior,  si  una 
syllaha  ei  supersit     mc  vero  ad  hanc  diligentiam   redigimus 

1)  Diese  Klausel  meint  er  offenbar  mit  Creticus  -f-  Daktylus,  denn 
auf  ein  daktylisch  gemessenes  Wort  liefs  niemand  ein  Kolon  ausgehen,  cf. 
über  die  Identität  des  schliefsenden  Daktylus  mit  dem  Kretiker  Cic.  or.  217 
Quint.  IX  4,  103.    Creticus  +  Creticus  hat  er  übergangen. 


Die  lateinische  Prosa:  Die  Theorie.  929 

aratoretn,  ut  in  structura  semper  pedes  singulos  conqnciai  et  coUocet: 
erit  enim  maximi  res  impedimenü  et  tarditatis;  sed  exercitatiane  et 
discendo  auctores  qptimos  ad  hanc  eandeni  cursu  perveniet,  ad  quam 
ratio  deducit.  cavendum^  ne  onmes  concltisianes  eandem  fortnam 
habeant,  quia  fastidium  credbunt  et  Studium  ostentabunt  maxime 
tarnen  fugiendum  est  id  Vitium,  quo  in  oratione  nihil  turpius  est, 
cum  cessanti  numero  verba  inania  non  rei  augendae  sed  structurae 
tantummodo  implendae  causa  subveniant    nee  numerosa  sint  omnia 

nee  dissoluta;  nee  creticus  pes  saepius  frequentetur,  also: 

j.  \j  ^  \j 
j.  \j  1.  j.  ^ 
(j.  \j  j.  \j  J) 

j.  \j  :l  j.  \j  1. 


^-^^  \j  ^  ^ 

Martianus  Capella^)  Y  520  ff.  bezeichnet  als  bonas  (ptd- 
chras,  elegantes)  clausulas  folgende: 

jL  ^  ^  ^  >j  asserat  caput  legis 

z  v^  ^  -  -  litus  eiectis 

j.  ^  kXj litus  agitanti 

z  v^  1  vjw  _  litus  Aemiliae 

du  sj  Jj  ^  ^  regere  animorum 

z  u  -  u  magna  cura 

±  Kj sola  curant, 

also  nur  die  uns  bekannten;  doch  verpönt  er  im  Creticus  (und 
im  Ditrochäus)  die  Länge  der  zweiten  Silbe:  fit  pessima  clausula, 
si  pro  trochaeo  paenultimo  spondeum  praelocaveris,  ut  si  dicas  .  .  . 
^rupes  eiectis*  (für  Hitus  eiedis^).^ 

1)  Wohl  aus  ihm  Notker  bei  P.  Piper,  Die  Schriften  N/s  und  seiner 
Schule  1  (Preib.  1882)  679  f. 

2)  Verwirrung  in  der  alten  Theorie  entstand  dadurch,  dafs  man  auf 
die  Silbenzahl  der  die  Klausel  bildenden  Worte  Bücksicht  nahm  (cf.  be- 
sonders Martianus  1.  c.)  und,  wie  in  der  Metrik,  nach  oft  imaginären  Vers- 
fäfsen  die  Silben  abzählte,  statt  rhythmisch  Zusammenhängendes  zu  ver- 
binden; z.  B.  sagt  Ps.  Ascon.  in  diy.  p.  108,  4  Or.  zu  den  Worten  Ciceros 
(8  23)  *cmu8  ego  causa  laboro\  wo  der  Ditrochäus  vorliegt:  inepti  sunt 
homines,  qui  hanc  clausiUam  notant  ut  malam,  cum  sit  ex  spondeo  et  baccheo 
de  industria  dwrior  ad  exprimendam  sententiam  posita  more  Ciceronis,  was 
Cicero,  der  rhythmisch  sprach,  gar  nicht  verstanden  hätte.  Eine  höchst 
merkwürdige  Theorie  befolgt  Diomedes  in  dem  kleinen  Schlufsabschnitt 
seiner  Ars,  wo  er  handelt  de  qualitate  structurae;  die  Vermutung  Useners 
(Sitzungsber.  d.  Bayr.  Ak.  1892  p.  642,  8),  dafs  Yarro   die  Quelle   sei,  ist 


930      Anhang  11:  Zar  Geschichte  des  rhythmischen  Satzschlnsaea. 


2.  Die  Praxis. 

Um  von  Yomherein  jeden  Zufall  auszoschliefsen,  werden  wir 
das  Gesetz  aufstellen  müssen:  nur  diejenigen  Schriftsteller  be- 
obachten den  rhythmischen  Satzschlufis,  bei  denen  die  ur- 
sprünglichen Formen  der  Klausel  (ohne  aufgelöste  Längen, 
ohne  irrationale  Längen  für  Kürzen),  nämlich  j.  yj  ^  j.  o,  zui 
^  ^  ^,  z  u  _  o,  weitaus  überwiegen, 
voroioero-  1.  Für  die  Kunstprosa  vor  Cicero  kann  ich  auf  die  oben 

"zeit*  (S.  172  flf.  177,1)  gegebenen  Proben  zurückverweisen:  ich  habe 
schon  dort  die  Klauseln  abgeteilt  und  ein  flüchtiger  Blick  ge- 
nügt, um  zu  erkennen,  dafs  die  uns  bekannten  an  Zahl  schon 
damals  alle  anderen  weitaus  überragen.  —  Daus  in  den 
Musterbeispielen  der  Schrift  an  Herennius  der  Ditrochäus  in  den 
Klauseln  eine  übermäfsige  Bolle  spielt,  hat  schon  E.  Marx  in 
den  Prolegomena  seiner  Ausgabe  (Leipz.  1894)  100  f.  bemerkt; 
aber  die  andern  fehlen  nicht,  vgl.  z.  B.  IV  22, 31  Tiberium  Grao- 
chum  rem  puhlicam  administrantem  prohibuü  indigna  nex  diutius 
in  eo  commorari  (zw.  _).  Gaio  Graccho  simüis  occisio  est 
ohlata  (jL  .  _  sS)y  quae  virum  rei  puhlicae  amantissimum  subito  de 
sinu   civitatis    eripuit   (z  u  i.  oC  J).     Satuminum    fide    captum 

tnalorum  (z  u  _  v^)  perfidia  per  scelus  vita  privavit   (^ J), 

tuns,  0  Druse,  sanguis  domesticos  parietes  et  vultum  parentis  asper- 
Sit  {j.  Kj  2l  JL  J).      Sulpicio    qui  paulo   ante   omnia    concedehani 

(z ),  eum  hrevi  spatio  non  modo  vivere  {j.  kj  x  j.  ^  ^)  seä 

etiam  sepeliri  prohihuerunt  (wC  ^ ). 

Cicero.  2.  Über  die  rhythmische  Klausel  bei  Cicero  giebt  es 

eine  sehr  sorgfaltige  Dissertation  von  Ernst  Müller,  De  nu- 
mero  Ciceroniano,  Berlin  1886.^)  In  meinen  unabhängig  von 
ihm   geführten  Untersuchungen  bin  ich   in  allem  Wesentlichen 


mir  wegen  der  Nennung  Catos  und  des  Redners  Antonius  sehr  wahrschein- 
lich. Was  meint  aber  Cassiodor  de  inst.  div.  litt.  16  (vol.  70,  1128  AB 
Migne),  in  dem  Kapitel,  wo  er  die  Abschreiber  vor  willkürlichen,  den  Re- 
geln der  Kunst  zuliebe  vorgenommenen  Änderungen  warnt:  in  prosa  Ca- 
put versus  heroici  finemque  non  corrigas,  id  est  quinque  Jongas 
totidemque  hreves  non  audeas  improbare;  trochaeum  triplicem  Jauda- 
büis  neglectus  abscondat? 

1)  Irrtümlich  ist,  was  M.  Seyflfert  zum  Laelius  *  (Leipz.  1876)  1,  S  p.  18 
über  den  Docbmius  bei  Cicero  sagt. 


Die  lateinische  Prosa:  Cicero.  931 

mit  ihm  zusammengetroffen:  ihm  gebührt  daher  das  Verdienst, 
die  Frage  f&r  Cicero  zum  ersten  Mal^)  richtig  gestellt  und  ge- 
löst zu  haben;  ich  erwähne  auch,  dafs  er  meines  Wissens  der 
einzige  ist,  der  fär  das  Lateinische  die  Praxis  der  Griechen 
herangezogen  hat,  indem  er  die  Rhythmen  des  Hegesias  mit 
denen  Ciceros  vergleicht  (p.  51  ff.).  In  der  Cicero  -  Litteratur 
scheinen  aber  diese  absolut  sicheren  Resultate  keine  Berück- 
sichtigung zu  finden,  obwohl  sie  in  jedem  guten  Kommentar 
verwertet,  m.  E.  auch  in  die  Praxis  unserer  Schulen  eingef&hrt 
werden  müfsten:  denn  die  gewaltige  Rhythmenpracht  des  De- 
mosthenes  mag  nicht  jeder  fühlen  können,  aber  bei  Cicero  liegen 
die  Dinge  viel  einfacher,  und  ich  denke,  dafs  wir  Epigonen  uns 
freuen  sollten,  auf  diesem  schwierigen  Gebiet  sichere  Marksteine 
zu  haben,  zu  wissen,  wie  Cicero  gesprochen  hat  und  wie  wir 
recitieren  sollen,  wenn  uns  nicht  —  bei  blofs  grammatisch-logi- 
scher, völlig  unantiker  Recitation  —  das  Ethos  und  Pathos  ver- 
loren gehen  soll.  Ich  werde  daher  die  Untersuchung,  so  wie 
ich  sie  für  mich  angestellt  hatte,  darlegen,  obwohl  es  einer 
eigentlichen  Untersuchung  kaum  bedarf:  um  das  Gefühl  des 
Lesers  zu  erregen  —  denn  darauf  kommt  es  hauptsächlich  an  — , 
werde  ich  keine  Tabellen  aufstellen,  aus  denen  man  nach  dieser 
Richtung  hin  nichts  lernen  kann,  sondern  einzelne  zusammen- 
hängende Stellen  ausschreiben  und  rhythmisch  zerlegen.  Ich 
wähle  Stücke  zunächst  dreier  Reden,  die  Cicero  auf  der  Höhe 
seines  Könnens  zeigen,  und  zwar  ein  Proömium,  eine  Narratio 
und  eine  Conclusio,  dann  ein  Stück  der  frühsten  Rede,  endlich 
eins  der  letzten.  Was  die  Anzahl  der  zur  Klausel  zu  rechnen- 
den Füfse  betrifft,  so  genügt  es,  dafür  auf  Cicero  selbst  zu  ver- 
weisen: or.  216  hos  cum  in  clausulis  pedes  nomino,  non  loqtwr  de 
uno  pede  extremo:  adiungo,  guod  minimum  sity  proximum  superiorem, 
saepe  etiam  tertium^  was  überhaupt  die  antike  Praxis  war,  der 
ich  durchgängig  mich  bisher  angeschlossen  habe  und  im  weiteren 
anschliefsen  werde.  Die  von  den  regulären  Klauseln  abweichen- 
den bezeichne  ich  mit  *, 


1)  Für  die  Bücher  De  oratore  cf.  L.  Havet  in  Revue  de  philologie 
1.  c.  (oben  S.  926, 1),  der  Müller  nicht  kennt.  —  C.  Wüßt,  De  clausula  Cice- 
ronis,  Diss.  Strafsburg  1881  ist  trotz  mancher  guter  Einzelbeobachtungen 
verfehlt,  J.  Schmidt,  D.  rhythm.  Eiern,  in  Cic.'s  Reden,  Wien.  St.  1898, 
209  ff.  ganz  pervers. 

Korden,  »ntike  Kanitproia.   II.  60 


932       Anhang  11:  Zur  Geschichte  des  riiythmudieii  Satsachlnnefl. 

Or.  in  Catilinam  (Prooemium)  I  1£     Quo  usque  tandem 
äbiderej  Catäina^  paiientia  nostra  (jl  sj  i.  s  _)?    quam  dm  diam 

furor  iste  iuus  nos  eludei  {j. )?  quem  ad  finem  sese  effreiuäa 

iaetahii  audacia  (^  w  x  ^  w  ^)?  niküme  te  nocktnmm  praesidium 
Palaii  (-t  w  _  -)*),  nihil  urbis  vigiliae  (^  .  ^  ^  u  x)*),  nihil 
timor  populi  (^  ^  ^  wO  .),  nihil  eoneursus  bonorum  omnium* 
(^  u  z  w  jl  w  J)^f  nihü  hie  wmtniissimms  habendi  senaius  locus 
{jL  Kj  X  z  sj  ^),  nthü  horum  ora  voltusque  moverunt  (^  u  ^  jl  J)? 
paiere  tua  eonsilia  non  sentis  (oO  ^  ^  ^  J)?  eonsirielam  iam 
horum  omnium  sdetUia  teneri  coniuraiionem  tuam  non  vides 
(x  w  j.  ^  w  i)f  quid  proxima,  quid  superiore  node  egeris,  td>i  fueris^ 
quos  eonvoeaveriSj  quid  consili{i)  eeperis  (^  u  ^  ^  ^  6)^),  quem 
nostrum  ignorare  arbiträr i$  (^  u  .  u)?  o  temporOj  o  mores,  se- 
naius  haee  inteUegü,  consul  videl*^):  hie  tamen  vivii  (^  ^  jl  ^  w). 
vivit?  immo  vero  eüam  in  senatum  venit  (jl  u  ^  z  ^  C/),  ß 
pMici  consili{i)  particeps  (^  ^  ^  ^  u  :l),  notat  et  designat  ocuüs 
ad  caedem  unum  quemque  nostrum  (^  u  .  J):  nos  auiem,  fartes 
virij  satis  facere  rei  publieae  videmur  (^  w  .  J)j  si  istius  furorem 
ae  tela  vitemus  (j,  sj  ^  jl  J).  ad  mortem  te,  Catilina,  duei  iusm 
consuUs  iam  pridem  oportebat*  (jl  ^  ^  i.  j.  J)^),  in  te  conferri 
pestem  quam  tu  in  nos  iam  diu  machinaris  (^  u  ^  ^  v>  _  J).^ 
an  vero  vir  amplissimuSy  P.  Scipio,  pontifex  maximus,  Ti.  GracAum 
mediocriter  labefactantem  statum  rei  publicae  privaius  interfecit 
(jL  ^  ^  J):  CatUinam  orbem  terrae  caede  atque  incendiis  vastare 
cupientem  (j.  ^  C^J  j.  J)   nos   consules  perferemus   (^  w  ^    j.  ^ 


1)  Zwar  geben  die  Hss.  PakUii,  dafs   aber  Cicero  Palaii  gesproch« 
und   geschrieben  hat  (wie  noch  Ovid),  ist  selbstverständlich;   dafs 
Formen  bei  Cicero  die  allein  herrschenden   sind,   hat  Wüst  1.  c.  79  f.  auf 
Qrund  anderer  Klauseln  gut  bemerkt,  cf.  auch  or.  Phil.  14,  32  parricidL 

2)  Natürlich  sprach  Cicero  nihü  einsilbig,  cf.  auch  Wüst  1.  c.  81. 

3)  Die  xqo%aXoi  malen  das  avvxQi%Hv. 

4)  Nur  da,  wo  das  xc5Xoy  endet,  wendet  er  die  Klausel  an,  die  tot- 
hergehenden  xofiftarta  sind  &qqv^iul\  das  gilt  auch  für  alles  Folgende. 

6)  Eine  Art  von  Senar. 

6)  Dafs  Cicero  pridem  oportebcU  mit  Synalöphe  sprach  (also  j.  ^  ^  j.  J] 
oder  wenigstens  sprechen  konnte,  wenn  er  wollte,  glaube  ich  jetzt  (gegen 
oben  S.  63,  3).  Wie  weit  er  seine  eigne  Theorie  darüber  (or.  160)  befolgte, 
mufs  sich  genauer  feststellen  lassen  als  es  von  Wüst  p.  19  f.  geschehen  ist 

7)  iam  diu  von  Halm  mit  Unrecht  ge'  ^*<3>ochftU8  geht  b»< 
sonders  gern  ein  Creticus  vorauf. 


Die  lateinische  Prosa:  Cicero.  933 

.  Kj)?  nam  ilia  nimis  antiqua  praetereo  (^  v^  x  wO  _),  quod 
C.  Servüius  Ähala  Sp.  Madium  novis  rebus  studentem  manu  sua 
occidit  (^  .  .  u)^).  fuit^  fuit  ista  quondam  in  Jmc  re  publica 
virtus  (^  yj  1.  j.  J)y  ut  viri  fortes  acriaribus  suppliciis  civem  per- 
niciosum  quam  acerbissimum  hostem  coercerent  (^  ^  x  ^  .). 

Or.  pro  Archia  (Narratio)  4  f.  nam  ut  primum  ex  pueris 
excessit  Ärchias  atque  ab  eis  artibus  quibus  aetas  puerüis  ad  humani- 
tatem  informari  solet  (j.  .  i.  j.  u  b),  se  ad  scribendi  Studium  con- 
tulit*f  primum  Antiochiae  —  nam  ibi  natus  est  loco  nobili  (j.  ^ 
jL  ^  u  2.)  — f  celebri  quondam  urbe  et  copiosa  atque  eruditissimis 
hominibus  liberalissimisqiie  studiis  affluenti  (j.  yj  -  J),  cderiter  ante- 
ediere  omnibus  ingenii  gloria  contigit  (^  v>  x  ^  ^  o).  post  in  ce- 
teris  Asiae  partibus  cunctaeque  Graeciae  sie  eius  adventus  celebra- 
bantur  (v^^  «  _  J),  ut  famam  ingenii  exspectatio  hominis  (jt  w  jl 
^  J),  exspeäaiionem  ipsius  advenius  admiratioque  superaret  (z  sj 
VA/  jl  J).  erat  Itaiia  iunc  plena  Graecarum  artium  ac  disciplina- 
rum  {j.  ^  1.  j^  J)  studiaque  haec  et  in  Lotio  vehementius  tum  cole- 
bantur  (jl  sj  i.  j,  J)  quam  nunc  eisdem  in  oppidis  et  hie  Romae 
propter  tranquülitatem  rei  publicae  non  neglegebantur  {jl  kj  i.  j.  J). 
itaque  hunc  et  Tarentini  et  Regini  et  Neapolitani  civitate  ceterisque 

praemiis  donarunt  {x )   d  omnes  qui  aliquid  de  ingeniis 

poterant  iudicare  (^  u  .  J),  cognitione  atque  hospitio  dignum  ex- 
istimarunt  {j.  kj  ^  .).  hac  tanta  celebritate  famae  cum  esset  iam 
absentibus  notus  (jl  kj  i.  jl  kj),  Bomam  venit  Mario  consule  et 
Catulo  (z  w  A.  uO  _).*)  etc. 

Or.  pro  Milone  (CoDcIusio)  103  ff.  quodnam  ego  concepi 
tantum  scelus  a%U  quod  in  me  tantum  facinus  admisi  {JJ  kj  y^  ±  _), 
iudices,  cum  üla  indicia  communis  exitii  indagavi  patefeci  protuli 

exstinxi   (jl )?     omnes  in  me  meosque  redundant  ex  fönte 

illo  dolores  (j.  ^j  ~  -).  qwd  me  reducem  esse  voluistis  (^  ^  vX/ 
j.  S)?  an  ut  inspectante  me  expdlerentur  ei  per  quos  essem  resti- 
tutus  (j.  KJ  ^  Kj)?  nolite,  dbsecro  vos,  acerbiorem  mihi  pati  reditum 
esse  quam  fuerit  ille  ipse  discessus  (j.  kj  i.  ^  kj):  nam  qui  possum 
putare  me  restitutum  esse  (j.  kj  ^  J),  si  distrahar  ab  his  per  quos 


1)  Eventuell  manu  sua  occidit  {j.  kj  l  j.  kj\  cf.  8.  9d2,  6. 

2)  Hier  darf  wohl  sicher  SynalOpbe  angenommen  werden,  da  es  sich 
X.  um  zwei  gleir^  *   ndelt  und  2.  die  Wortstellung  von  selbst  auf 

U  hinwei 

60* 


934       AwViftng  II:  Zar  Qeschichte  des  rhythmiBclien  SatzschlaMes. 

restiiutus  sum  {j.yj^±S)?    utinam  di  immortales  feeisseni 

(j. )  —  pace  tuOj  paMa,  dixerim*^):  nietuo  enim  ne  scderate 

dicam  in  te  quod  pro  MUone  dicam  pie  (z  w  ^  ^  u  ^)  —  utinam 
P.  CUdius  non  modo  viveret  (^  u  ^  ^  u  6),  sed  eUam  praetor 
consul  dickUor  esset  potius  quam  hoc  spectaculum  viderem  (^  ^ 

.  J).    0  di  immortales  (j, ),  fortem  et  a  vobis,  iudieeSj  eon- 

servandiim  virum  (x  .  x  ^  ^  o).  ^minime^  minima,  iviguü,  Hmmo 
vero  poenas  iUe  debitas  luerit  (^  sj  i.  Ji  J):  nos  subeamus  si  iia 
necesse  est^  non  debitas  (x  .  ^  ^  u  i)'.    hicine  vir  patriae  naius 

usquam  nisi  in  patria  morietur^)  aut,  si  forte,  pro  patria  {j.  ^  ^ 
Jij  J)?  huius  vos  animi  monumenta  retinebitis  (j.  kj  sX>  j.  ^  ^)f 
corporis  in  Italia  ntülum  sepulcrum  esse  patiemini  {j.  sj  ^  j.  ^j  i.)? 
hunc  sua  quisquam  sententia  ex  hoc  urbe  expellet  (j.  yj  i.  jl  J),  quem 
omnes  urbes  expulsum  a  vobis  ad  se  vocabunt  (x  ^  .  .)?  o  terram 
iUam  beatam  guae  hunc  virum  exaperit*,  hanc  ingratam  si  eie- 
cerit  (^  .  :l  ^  w  6),  miseram,  si  amiserit  (-t  -  jl  ^  u  6).   sed  finis 

sitj  neque  enim  prae  lacrimis  iam  loqui  possum  (^  u  x )  et 

hie  se  lacrimis  defendi  vetat  (z  .  ^  x  u  6).  vos  oro  obtestorquey 
iudices,  ut  in  senientiis  ferendis,  quod  sentietis^  id  audeatis 
(jL  yj  ^  J).  vestram  virtutem  iusUtiam  fidem,  mihi  credite  {j  sj  i. 
j.  <j  ^),  is  maxime  probabit  (^  u  .  J),  qui  in  iudicibus  legendis  Opti- 
mum et  sapientissimum  et  fortissimum  quemque  elegit  (jl\j  x  j.  J). 
Or.  pro  Quinctio  1 — 3  quae  res  in  civitate  duae  plurimum 
possunt  {j.  sj  1.  X  S)y  eae  contra  nos  ambae  faciunt  in  hoc  tem- 
pore (j.  Kj  1.  JL  yj  ^)y  summa  gratia  et  eloqtientia* :  quarum  aUeram, 
C.  Aquilij  vereor,  alteram  metuo  (^  ^  a.  wC  J):  eloquentia  Q.  Hör- 
tensi  ne  me  dicendo  impediat  non  nihil  commoveor  (j.  ^  i.  Ji  J), 
gratia  Sex.  Naevii  ne  P.  Quinctio  noceat  (^  u  ^  v^  ^),  id  vero 
non  mediocriter  pertimesco  (^  u  _  »).  neque  hoc  tanto  opere  quae- 
rendum  videretur  (j.  u  i  j.  J),  haec  summa  in  Ulis  esse  {j.  . 
»  u),  si  in  nobis  essent  saltem  mediocria  {j.  ^  Z^  Ji,  J):  verum 
iia  res  se  habet  ut  ego,  qui  neque  usu  satis  et  ingenio  parum 
possum  (j.  Kj  1.  1  J)j  cum  patrono  disertissimo  comparer  (ji  ^  i 

1)  Schlufs  eines  x($fifux,  nicht  eines  yt&Xov. 

2)  Enklisis. 

3)  Hier  ist  keine  Pause,  denn  sonst  würde  die  Klausel  hexametrisch 
sein,  was  er  so  gut  wie  ganz  meidet,  doch  cf.  Heindorf  zu  de  nat.  deor. 
p.  114.  Zumpt  zu  Verr.  p.  66.  Madyig  zu  de  fin. '  486.  A.  Eberhard,  Lect. 
TuU.  (Progr.  Bielefeld  1872)  8  f. 


Die  lateinische  Prosa:  Cicero.  935 

j.  Kj  ^),  P.  Qumctius,  cuius  tenues  apes,  nullae  facultates  (^  ^  ^ 
X  .),  exiguae  amieofum  copiae  sunt  (zu.  .),  cum  adnersario 
graUosissimo  contendat  (^  .  .  u).  iUud  quoque  ndbis  aeeedit 
incommodum  {jl  ^  x  j.  kj  ^),  quod  M.  lunius  qui  hone  causam^ 
C.  AquiU,  äliquatiens  apud  te  egü*,  hämo  et  in  älüs  eausis  exer- 
eiiatus  (^  kj  ^  J)  ä  in  hac  müUum  ac  saepe  versatus  (^  w  x  jl  u), 
hoe  tempore  äbest  nova  legatione  impeditus  (x  u  _  u),  et  ad  me 
ventnm  est  gui,  ut  summa  höherem  cetera*^  temporis  quidem  eerte 
vix  satis  habui*^),  ut  rem  tantamj  tot  coniroversiis  impUeatam, 
possem  eognoscere  (z  _  j.  ^  w  6). 

Or.  Philipp.  14,  1 — 3:  si^  ui  ex  Utteris  quae  reeitatae  sunt, 

patres  conseripti  {j. )^  sederaUssimorum  hostium  exerdtum 

caesum  fusumque  cognovi  (^  u  ^  ^  .),  sie  id  quod  et  omnes 
maxime  optamus  {j.  ^  .  J)  et  ex  ea  tictoria  quae  parta  est  eon- 
seeuium  arhitramur  (^  er  .  J),  D.  Brutum  egressum  iam  Mutina 
esse  cognovissem  {jl  ^  ^  J)^)^  propter  cuius  periculum  ad  saga 
issemus*^),  propter  eiusdem  sälutem  redeundum  ad  pristinum  vesti- 
tum  sine  tdla  dtMtatione  censerem  (^  ^  :.  ^  J);  ante  vero  quam 
Sit  ea  re  quam  avidissime  dmtas  exspectat  adlata  (z  w  ^  ^  J)^ 
laetiUa  frui  satis  est  maximae  praedarissimaeque  pugnae  (z  sj 
.  _):  reditum  ad  vestitum  eonfeäae  tdctoriae  reservate  (j.  ^  ^  j,  sj). 
eonfeetio  autem  huius  beäi  est  Decimi  Bruti  salus  (X  .  i  ^  w  i.). 
quae  autem  est  ista  sententia  (j.  sj  y.  jl  sj  l),  ut  in  hodiemum  diem 
vestitus  mutetur  (^  _  _  J)j  deinde  cras  sagati  prodeamus  (j.  w 
.  J)?  nos  vero  cum  semd  ad  cum  quem  cupimus  opta$nusque  vesti- 
tum  redierimus  (wO  ^  .  J)^),  id  agamus  ut  cum  in  perpetmtm 
retineamus  (oO  u  .  J).  nam  hoe  quidem  cum  turpe  est  tum  ne 
dis  quidem  immortalihus  gratum  (j.  sj  2.  s  J),  ab  eorum  aris  ad 
quas  togaÜ  adierimus  (^  w  .  v^),   ad  saga  sumenda  discedere 

(z  w  i  z  u  ^).     atque    animadrerto,   patres    conseripti  (^ ), 

quosdam  huic  favere  sententiae  (s  ^  1.  j.  ^j  1,),  quorum  ea  mens 


1)  In  beiden  Fällen  bleibt  die  Stimme  in  der  Schwebe. 

2)  Bez.  esse  eognossem  (z  ^  2.  z  J). 

3)  Der  Sinn  zeigt,  daÜB  hier  die  Stimme  in  der  Schwebe  bleibt,  also 
keine  Klausel  Torliegt. 

4)  Wüst  p.  81  schliefst  ans  den  Klaosefai  feoeritis  (pr.  Hü.  99.  lig.  MX 
memineritis  (in  Cat.  4,  23)  und  proposueriUs  {j.  sj  Xf  j,  \j^  so,  nicht  wie 
WüstX  dals  Cicero,  wie  ja  auch  ans  der  Praxis  des  Catnll  ganz  begreiflich 
^ift^  diese  Formen  noch  mit  alter  Betonimg  spcaofa. 


936        Anhang  ü:  ZiiT  Geschidite  des  rlijihmiacheii  Satzscbliuses. 

idque  coHsilium  est  (^  ^  jl  .0  J)^),  ut  cum  videant  glariosissimum 
ittum  D.  Rmto  futurum  diem  (^  v/  x  z  u  6),  quo  die  propter  ems 
saliUem  redierimus  (^x  w  .  w\  ikiiJie  et  fructum  eripere  cupiant 
(^c  .j  V.C  J\^),  ne  memariae  posieritatique  prodatur  (x  u  ^  _  u) 
prcpkr  uMius  cms  pericutum  pcpmhnm  Bamanum  ad  saga  isse*^, 
prvpter  eiusdem  rohstem  redisse  ad  icgas.*^)  toUüe  hanc:  nullam 
tarn  pratae  sententiae  causam  reperietis  (oO  ^  _  J).  vo8  vero,  pa- 
tres conscripti  (^ ),  eomervate  auctaritatem  vestram  (z  . 

.  yj),  wumete  m  setUentia^,  ^nete  vestra  memoria  (^  u  uO  J)% 
quod  saepe  ostendistis  ü  .  -  J),  hmus  totius  beiUi  in  unius  viri 
forfissimi  et  wuianmi  rita  positum  esse  discrimen  (^  u  ^  .  J). 

Da(s  nun  bei  dieser  Prmxis  Ciceros  yieles  aus  dem  Zu&U 
oder,  richtiger  gesagt^  aus  dem  ingenium  der  lateinischen  Sprache 
selbst»  die  —  lum  deutlichen  Abbild  ihrer  gravitas  gegenüber 
der  griechischen  —  einen  gro&en  Überschulis  an  Jjangen  hat,  zu 
erklären  ist^  dürfte  rem  Tomherein  selbstverständlich  sein;  aber 
ebenso  sicher  ist^  daTs  die  fast  ausnahmslose  Befolgung  der 
Itegel  ein  Resultat  der  Berechnung  ist.  Selbst  wenn  wir  nicht 
die  RVr  die  Lateiner  vorbildliche  Praxis  der  Griechen  sowie  die 
an^'tlthrton  Zeugnisse  der  Khetoren  besafsen,  würden  wir  das 
Ulis  fol^^euden  drei  Thatsacheu  schliefsen  müssen.  Erstens  aus 
der  Praxis  von  Schriftstellern,  die  sich  von  dem  Gesetz  der 
rhythmischen  Klausel  emanzipieren;  z.  B.  nehme  man  eine  be- 
liebige Uede  bei  Livius  und  vergleiche  sie  mit  Cicero,  etwa  Liv. 
XXI  18,  3  ff.:  pracceps  vestra,  Bomani,  et  prior  legatio  fuit*,  cum 
Hannibalcfn  iamqtiam  suo  consüio  Sagufitum  oppugnantem  deposce- 
batis  (jt  -  -  J);  cetenim  haec  legatio  verbis  adhuc  lenior  est,  re 
asperior*.  tunc  enim  Hannibal  et  insimulabatur  et  deposcebatur 
(^  _  _  ^);  nunc  ab  nobis  et  confessio  culpae  exprimitur  {x  ^  i. 

1)  Wie  weit  bei  etft  Enklisis  bez.  Synalöphe  (cf.  F.  Leo,  Plaut.  Forsch. 
224  flf.)  geht,  mufs  genauer  festgestellt  werden  (cf.  auch  Wüst  p.  41);  z.  B. 
sicher  pr.  Sest.  2  iis  potissimum  vox  haec  serviat,  quorum  opera  et  mihi  et 

vobis  et  populo  JRomcMO  restituta  est  {j.  kj :   Schlufs  eines  gröfseren 

Abschnitts);  Phil.  4,  9  lihido  flagitiosa,  qua  Antoniorum  oblita  est  vita 
(^j.  \j  ^  I.  \ji  ebenfalls). 

2)  Oder  ist  hier  eine  Abweichung  zu  konstatieren?  Jedenfalls  ist  der 
Ditrochäus  mit  doppelter  Auflösung  sehr  selten. 

5)  Cf.  S.  986,  8. 

4)  Eventuell  (s.  o.  S.  982, 6)  salutem  redisse  ad  togas  (j.  \j  x  ±  kj  i). 

6)  Eventuell  Abweichung,  im  noi^idxiov  begreiflich. 


Die  lateinische  Prosa:  Cicero.  937 

jij  J)  et  ut  a  ccnfessis  res  extemplo  repetuntur  (^  »  uv^  ^  J). 
ego  autem  non  privato  ptiblicane  cansilio  Sagtmtum  oppugnahim  sit 
gmerendum  censeam*,  sed  utrum  iure  an  iniuria\  nostra  enim 
haec  qmestio  atque  animadversio  in  dvem  nostrutn  est*^  quid  nostro 
aut  3U0  fecerit  arbürio*;  vöbiscum  una  disceptatio  est,  licueritne 
per  foedus  fieri  (z  .  i.  vX/  -).  itaque  quoniam  discemi  placet*, 
quid  publica  cansüio,  quid  sua  sponte  imperatores  faciant  (^  _  o 
u  .),  nöbis  vöbiscum  foedus  est  a  C.  Lutatio  cansüle  ictum*^  in  quo 
cum  caveretur  utrorumque  sociis*,  nihil  de  Saguntinis  —  necdum 
enim  erant  socii  vestri*  —  cautum  est*.  Hier  sind  die  Abwei- 
chungen von  dem  Gesetz  häufiger  als  in  allen  ausgeschriebenen 
Stellen  Giceros  zusammen,  und  von  den  der  Regel  scheinbar 
entsprechenden  Fällen  ist  kein  einziger  ganz  genau,  da  im  Tro- 
chäus und  Creticus  überall  statt  der  Kürzen  Längen  stehen, 
was  besonders  für  letzteren  bei  Cicero  doch  nur  ganz  ausnahms- 
weise vorkommt.  Zweitens  aus  der  Beschaffenheit  einzelner 
Stellen  in  Giceros  Reden  selbst,  wo  das  Gesetz  nicht  oder  nicht 
streng  beobachtet  wird;  z.  B.  or.  pro  Rose.  A.  54  ^exheredare 
filium  voluit*  (ji  w  i.  v>0  v^).  ^quam  ob  causam*?^  ^nescio**  ^ex- 
heredavitne*  {j.  yj  ^  ±  J)?  'non/  ^quis  prohibuit?^  ^cogitabaV 
(jL  ^  ^  J)'  cui  dixit*?  nemini*.  or.  pro  Deiot.  21  *cum*  inqtiit 
^vomere  post  cenam  te  velle  dixisses  (±  yj  ^  ^  u),  in  bcdneum  te 
ducere  coepenmt*:  ibi  enim  erant  insidiae*.  at  te  eadem  tua  for- 
tuna  servavit  {j.  yj  i.  j.  J):  in  cubiculo  malle  dixisti  (^  w  i  x  -)/ 
dt  te  perduint,  fugitive*.  ita  non  modo  nequam  et  improbus,  sed 
fatuus  et  amens  es*,  quid?  iUe  signa  aenea  in  insidiis  posuerat 
quae  e  bcdneo  in  ctibictdum  transferri  non  possent  (ji  .  ^  .  .)? 
häbes  crimina  insidiarum*:  nihil  enim  dixit  amplitis*.  ^horum* 
inquit  ^eram  conscius^*.  Hier  sind  die  zahlreichen  Ausnahmen 
offenbar  aus  dem  Gesprächston  zu  erklären.  Drittens  aus  ge- 
suchten Wortstellungen.  Denn  wenngleich  die  Kunst  Giceros 
wie  aller  bedeutenden  Stilisten  des  Altertums  gerade  darin  liegt, 
dals  er  sie  im  allgemeinen  nicht  durch  äufserliche  Mittel  zur 
Schau  stellt,  so  giebt  es  doch  auch  bei  ihm  Stellen,  an  denen 
man,  ähnlich  wie  im  Isokrates  bei  der  Hiatvermeidung,  an  der 
Wortstellung  eine  Absichtlichkeit  nicht  verkennen  kann.  Ein 
paar  Beispiele,  die  sich  sehr  vermehren  lassen,  mögen  das  zeigen. 
Or.  pr.  Cluent.  199  «^  ««n,  noverca  fili,  filiae  pellex  (x  u  ^ 

I.  _).    Or.  Philipp.  1  ^otius  belli  in  unius  viri  fortissimi 


938       Anhang  11:  Zur  deschichte  des  rhythmischen  Saizschlnsses. 

et  maximi  vita  positum  esse  discrimen  (x  v^  ^  .  J).  15  ex  quo 
caedes  esset  vestrum  omnium  consecuta  (j.  yj  \  z  u  .  u).  17  fnale 
enim  mecum  ageretur^  si  parutn  vobis  essem  sine  defensione  pur- 
gatus  (^  u  j.  .  J).  20  huic  essem  fwmini  pestiferae  pacis  inimi- 

cus  (z  u  uu  ^  J).  23  grave  beUum  Octavianum  insecutum  est 
{j.  sj  ^  J):  supplicatio  Cinnae  nulla  victoris  (z  u  x  -t  J).  Cinnae 
victoriam  Imperator  ultus  est  Sulla  (^  u  a.  .  J).  32  priorum 
estis  sedem  et  locum  consecuti  (z  u  ^  x  u  _  .).  3,  30  qui  cum 
exerdtu  sit  ad  dispersionem  urhis  venire  conatus  (^  u  jl  ^  J). 
in  Gat.  4,  14  omnia  et  pravisa  et  parata  et  constüuta  sunt 
cum  mea  summa  cura  atque  diligentia  tum  etiam  muUo  maiore 
populi  Eomani  ad  summum  imperium  retinendum  et  ad  communes 
fortunas  conservandas  voluntate  (x  u  ^  j.  J).  16  qui  non  tan- 
tum  quantum  audet  et  quantum  polest  conferai  ad  communem  so- 
lutem  voluntatis  (j.  ^  ^  u,  w).  pr.  Arch.  13  quantum  ceteris  ad 
suas  res  öbeundas,  quantum  ad  festos  dies  ludorum  celebrandoSy 
quantum  ad  alias  voluptates  et  ad  ipsam  requietn  animi  et  corporis 
conceditur  temporum  (j.  yj  i,  j.  ^  ö).  de  or.  II  262  Orassus  apud 
M.  Perpemam  iudicem  pro  AcuUone  quom  diceret:  diese  Stel- 
lung von  quom  ist  altertümlich,  für  Cicero  ungewöhnlich,  cf. 
Bheiu.  Mus.  XLIX  (1894)  551.  or.  66  in  his  tracta  quaedam  et 
fluens  expetiiur,  non  haec  contorta  et  acris  oratio.  Für  Inversion 
von  est,  esse,  esset  etc.  vgl.  etwa  noch  pr.  Sest.  3  a.  E.  11  a.  E. 
15  a.  E.  31  a.  E.  33  a.  E.  51  öfters.  52  a.  E.  59.  62. 

Wie  sich  die  relative  Anzahl  der  gesetzmäfsigen  Klauseln 
sowie  die  der  Ausnahmen  über  die  einzelnen  Reden  erstreckt 
und  ob;  was  ich  nicht  glaube,  zwischen  den  einzelnen  Reden 
Unterschiede  bestehen^),  mufs  genauer  untersucht  werden;  die 
Betrachtung  der  Schlufsworte  der  ganzen  Reden  (soweit  sie 
nicht  am  Ende  verstümmelt  sind)  ergiebt  folgendes  Resultat: 

a.  JL  \j  L  1.  o        12 

6 
3 


f  

\jyj   \J   L    J.   </ 


21 


1)  Wüßt  1.  c.  und  auf  ihm  fufsend  0.  Guttmann,  De  Caesar,  orat.  TuU. 
gen.  die.  (Dies.  Greifswald  1883)  52  ff.  75  f.  nehmen  es  an,  aber  sie  gehen 
eben  von  falschen  Prinzipien  aus;  cf.  dagegen  Müller  1.  c.  87  ff. 


Die  lateinische  Prosa:  Cicero  u.  seine  Zeitgenossen.  939 


b. 

X  \J  -  o 

16 

1. 

2 

VA/  \J   ^  Q 

1 

19 

c. 

X.  \J  i.   X.  \J 

ii 

3 

A   -   i.   J.   \J 

i 

2 

UV  \J   l.   J.  \J  ^ 

1 

vJv   _    i.    ^   V- 

,ii 

3 

9 
Ausnahmeu     6.  ^) 

3.  Unter  Ciceros  Zeitgenossen  haben,  wie  wir  wissen 
(s.  o.  S.  219, 1.  262),  die  Atticisten,  vor  allen  Brutus,  die  rhyth- 
mische Komposition  der  Rede  gemifsbilligt:  von  Brutus  wird 
uns  im  speziellen  überliefert  (Quint.  IX  4,  63),  dafs  ihm  die  Form 
±  yj  :^  ±  o  unsympathisch  war,  und  von  der  als  asianisch  gelten- 
den Form  ^  ^  «  o  dürfen  wir  es  erst  recht  vermuten  (s.  auch 
o.  S.  262,  2).  Es  ist  daher  bezeichnend,  dafs  Caesar,  der  Atti- 
eist,  und  sein  Anhanger  Sallust  die  rhythmischen  Klauseln  nicht 
beobachtet  haben.  Für  Caesar  genügt  es,  auf  die  kunstvollste  caeiar. 
Rede  des  ganzen  bellum  Gallicum,  die  des  Critognatus  VII  77 
hinzuweisen;  der  Anfang  lautet:  nihil  de  eortim  sententia  dktwrus 
sumy  qui  turpissimam  servitutem  dediüonis  nomine  appeUant*^  neque 
hos  habendos  civium  loco  neque  ad  condlium  adhibendos  censeo*. 
cum  his  mihi  res  sit,  qui  eruptionem  probant  (z  u  a.  z  ^  :l),  quo- 
rum  in  consilio  omnium  vestrum  consensu  pristinae  residere  virtutis 
memoria  videtur*.  animi  est  ista  mollitia  non  virtuSy  paulisper 
incpiam  ferre  non  posse  (^  u  :l  _  v^).  qui  se  ultro  morti  offerant* 
facUius  reperiuntur  (v>0  w  _  o),  quam  qui  dolorem  patienter  ferant* 
u.  8.  w.  Es  ist  klar,  dafs  hier  die  regulären  Schlüsse,  umringt 
von  so  vielen  Ausnahmen,  nicht  auf  Absicht  beruhen.  Für 
Sallust  bezeugt  Seneca  ep.  114, 17  (s.  o.  S.  202, 1)  ausdrücklich  saUui 
das  ünrhythmische  seiner  Komposition;  jede  seiner  Reden  be- 
stätigt das,  z.  B.  der  Anfang  der  des  C.  Cotta  (p.  116  f.  Jord.): 


1)  Verr.  act.  n  1.  V  accmare  necesse  sit;  de  imp.  Pomp,  praeferre 
oportere*,  de  leg.  agr.  III  evocaverunt,  disserant;  pr.  Deiot.  clementiae  tuae; 
Phil,  y  nüllum  haberemus,  IX  sepulcrum  datum  esset  (hier  in  einem  Gesetzes- 
antrag). 


940        Anhang  11:  Zur  Geschichte  des  rhythmischen  Satsschlosses. 

QuirüeSj  muUa  mihi  pencula  danU  milUiaequej  muUa  adcana  fuere*, 
quarum  alia  toleravi,  partim  reppuli  dearum  auxiUis  et  virtute 
mea*:  in  quis  Omnibus  numquam  animus  negotio  defuit  neque 
decretis  lahos  (^  _  ^  ^  u  2.).    mälae  secundaegue  res  qpes,  non 

ingenium  mihi  mutahant  (^ ).    €U  contra  m  his  miserüs 

cunda  me  cum  fortuna  deseruere*.  praeterea  senectuSj  per  se  gravis, 
curam  duplicat*,  cui  misero  acta  tarn  aetate  ne  mortem  quidem 
honestam  sperare  licet*  ^  also  nur  Ausnahmen  und  von  den  zwei 
Formen  keine  regulär.  In  der  Rede  Caesars  de  coni.  CatiL  51, 
die  etwa  so  lang  ist  wie  die  oben  (S.  932  ff.)  aus  Cicero  gegebenen 
Proben  kommt  die  Form  z  kj  1.  j.  yj  kein  einziges  Mal  vor,  was, 
wie  ich  denke,  deutlich  genug  spricht.  Interessant  ist  das  Ver- 
Nepoi.  halten  des  Nepos,  des  Freundes  Ciceros:  an  Stellen,  wo  er 
seiner  Diktion  einen  höheren  Schwung  zu  geben  sucht  (Reden, 
Charakteristiken),  beobachtet  er  die  Klauseln  sehr  genau  (oft 
mit  starker  Yerkehrung  der  natürlichen  Wortfolge),  an  Stellen 
niederer  Gattung  yemachlässigt  er  sie:  daf&r  sind  schon  oben 
(S.  208  f.)  Beispiele  gegeben  worden.^) 

4.  Über  die  Autoren  der  Kaiserzeit  habe  ich  keine 
systematischen  Untersuchungen  angestellt,  sondern  mir  nur  ge- 
^toien*"  legGiiÜich  einzelnes  notiert.  In  den  Fragmenten  der  Deklama- 
toren bei  Seneca  merkt  man  oft  die  Absicht:  z.  B.  Moschus 
suas.  1,  2  tempus  est  Aleocandrum  cum  orbe  et  cum  sole  desinere 
{jL  ^  ^  Jj  u).  quod  noveram,  vici  (z  u  i.  x  _);  nunc  concupisco 
quod  nescio  {j.  y  1.  j.  yj  1.).  quae  tam  ferae  gentes  fuerunt  (^  ^ 
_  -),  quae  non  Alcxatidrum  posito  genu  adorarint  (^  u  ^  ^  J)? 
qui  tam  horridi  montes  (j.  ^  },  j.  .),  quorum  non  iuga  vidor 
miles  calcaverit  {j.  .  1.  j.  kj  ^)?  ultra  Liberi  patris  trophaea 
constitimus  (j.  kj  l  ^  J).  non  quaerimus  orbem  sed  amittimus 
{j.  yj  1.  j.  ^  ^).  inmensum  et  humanae  intemptatum  experientiae 
pelagus  (z  ^  ^  vX.  J),  totius  orbis  vinculum  terrarumque  custo- 
dia (j.  Kj  L  j.  u  ^),  inagitata  remigio  va^titas^),  litora  modo  saeviente 
fluctn   inquieta   {j.  u  .  u),    modo  fugiente   deserta  (^  u  2.  ^  J); 


1)  In  einer  im  J.  55  y.  Chr.  gehaltenen  Rede  des  Helvius  Mancia  (bei 
Val.  Max.  VI  2,  8  =  Fragm.  or.  Rom.*  p.  328  Meyer)  sind  die  aufeinander 
folgenden  Klauseln  esset  occisus,  accidisse,  trucidatum,  occidissent  offenbar 
beabsichtigt. 

2)  remigio  ist  alte  Konjektur  für  remissio,  dem  Sinn  nach  zwingend, 
aber  es  wäre  die  einzige  Stelle,  wo  der  reguläre  Rhythmus  aufgehoben  ist. 


Die  lateinische  Prosa:  Erste  Eaiserzeit.  941 

täetra  caligo  fluctus  premit  (^  y  ^  ^  ^  ^/),  et  nescio  qui  quod 
humanis  natura  subduxit  oculis  aeterna  nox  obruit  (^  ^  i  ^  ^  6). 
In  den  Worten  des  Albucius  Silus  contr.  X  3,  3  dona  filiam^  si 
misericors  es,  deprecanti;  si  hostiSy  edido;  si  pater,  naturae;  si  iudex, 
causae;  si  iratus  es,  fratri  (ji  ^  jl  jl  _)  ist  im  letzten  Glied  es 
nur  des  Rhythmus  wegen  wiederholt.^)  —  Für  Velleius  und 
Curtius  s.  o.  S.  303. 305.  —  Sehr  sorgfältig  hat  Seneca  der  Sohn  scneo«. 
den  rhythmischen  Satzschlufs  beobachtet ^  was  bei  ihm  deshalb 
noch  besonders  deutlich  ist,  weil  er  in  kleinen  Sätzen  statt  in 
Perioden  schreibt;  die  atnputatae  sententia^  et  verba  ante  exspcc- 
tatum  cadentia  Sallusts  sind  ihm  zuwider  (ep.  114,  17):  was 
das  Gegenteil  von  letzteren  ist,  zeigt  Cicero  or.  199:  cum  aures 
extremum  semper  exspectent  in  eoque  acquiescant,  id  vacare 
numero  non  oportet.  Aus  den  Dialogen  ist  schon  oben  (S.  311  f.) 
eine  Probe  gegeben:  hier  folge  noch  eine  beliebige  Stelle  der 
Briefe'):  ep.  24,  4  ff.  damnationem  suam  Butilius  sie  tulit  tamquam 
nihil  HU  molestum  aliud  esset  quam  quod  male  iudicaretur, 
exüiwn  MeteUus  fortiter  tulit  Butilius  etiam  libenter:  alter  ut 
rediret  reipublicae  praestitit,  alter  reditum  suum  Bullae  nega- 
Vit,  cui  nihil  tunc  negabatur.  in  carcere  Socrates  disputavit  et 
exire  cum  essent  qui  promitterent  fugam  noluit  remansitque,  td 
duarum  rerum gravissimarum  hominibus  metum  demeret,  mortis 
et  carceris.  Modus  ignibus  manum  inposuit*;  acerbum  est  uri: 
quanio  acerbius  si  id  te  faciente  patiaris.  vides  hominem  non 
eruditum  nee  uUis  praeceptis  contra  mortem  aut  dolorem  suhorna- 
tum,  militari  tantum  robore  instruetum  poenas  a  sc  inriti  c&natus 
exigentem:  ^peäaior  destillantis  in  hostili  foculo  dexterae  »tetit* 
nee  ante  remavit  nudis  ossibus  fluentem  manum,  quam  ignis 
iUi  ab  hoste  subductus  est,  facere  aliquid  in  Ulis  cnstris  felicius 
potuit  nihil  fortius.  vide  qunnto  acrior  sit  ad  occupanda  perictUa 
virtus  quam  crudeliias  ad  inroganda:  facilius  Pf/rsenna  Mucio 
ignavit  quod  voluerat  occidere,  quam  $ibi  Hfucim  quod  non 
oceiderat.    ^decanUUa^  inquis  'in  omnihus  scholis  fabulae  inlae 


1)  Cf.  auch  die  Fni((TO^t#j  wia  tunft  (Umirrfftirmfi  ä*i%  iUmf/-^  »*rürtt 
bei  Qnintil.  IX  2,  42  f,  -  -  H'rhr  i(f.knnMU'.\Ui  Wf^AfA\Uinf(  Mnh  in  /l^rm 
Fragm.  des  Griechfm  }lyhr0:nM  htu  Hfn    niiM   4,  f> 

2)  Ich  bezeicho^  rr/n  hi^f  »r»  dttn  lihytUrtnnt  nnr  mtihr  dnrnh  t^^^jf^rrUsn 
Drock  nnd  interpnnfQ^f:  in  f\*'ft  VthSt^KU  kri4  H*inf:f:i^  nnt\  f'tinioA  nicht  in 
unserer  Manier,  tond^rm  ja  itrtiik*'.f^  /l   h,  üsu:h  fUstn  Hhfihmn* 


942       Anhang  11:  Zur  Geschichte  des  rhythmischen  Satzschlusses. 

sunt*:  iam  mihi  mm  ad  contemnendam  mortem  ventum  fuerit  CcU(h 
nem  narrabis^  quidni  ego  narrem  ultima  iUa  nocte  Platanis 
librum  legmtem  posito  ad  caput  gladio?  duo  haec  in  rebus  ex- 
tremis instrumenta  prospexerat,  aUerum  ut  vdlet  mori  aUerum 
ut  posset*.  compositis  ergo  rebus,  utcumque  componi  fractae  atque 
ultimae  poterant,  id  agendum  existimavit,  ne  cui  Catonem  aut 
occidere  liceret  aut  servare  contingeret  et  stricto  gladio,  quem 
usque  in  ülum  diem  ab  omni  caede  purum  servaverat  ^nihiP  in- 
quit  ^egisti  fortuna,  omnihus  conatibus  meis  obstando.  nan 
pro  mea  adhuc  sed  pro  patriae  libertate  pugnavi,  nee  ogAam 
tanta  pertinacia  ut  liber  sed  ut  inter  liberos  viverem:  nunc  quo- 
niam  deploratae  sunt  res  humani  generis  Cato  deducatur  in  tu- 
piiniusd.j.  tum  u.  s.  w.  Dieselbe  Praxis  befolgt  Plinius  d.  J.,  vgL  den 
Anfang  des  Panegyricus:  bene  ac  sapienter  patres  conscripti  ma- 
iores  instituerunt  ut  rerum  agendarum  ita  dicendi  iniUum  a  pre- 
cationibus  capere,  quod  nihil  rite  nihü  providenter  homines  sine 
deorum  inmortalium  ope  consilio  honore  auspicarentur.  qui  mos 
cui  potius  quam  consuli  aut  quando  magis  usurpandus  colen- 
dusqtie  est,  quam  cum  imperio  senatus  audoritate  reipublicae  ad 
agendas  optimo  prindpi  gratias  excitamur?  quod  enim  prae- 
stdbilius  est  aut  ptddirius  munus  deorum,  quam  castus  et  sanctus 
et  diis  simillimus  princeps?  ac  si  adhuc  dubium  fuisset, 
forte  casuque  rectores  terris  an  äliquo  numine  darentur,  prin- 
cipem  tarnen  nostrum  liqueret  divinitus  constitutum,  non  enim 
occulta  potestate  fatorum  sed  ab  love  ipso  coram  ac  pala/m  re- 
pertus  est*:  electus  qiiippe  inter  aras  et  ältaria  eodemque  loci  quem 
deus  nie  tarn  manifestus  ac  praesens  quam  caelum  ac  sidera 
insedit*.  quo  magis  aptum  piumque  est  te  luppiter  optime  maxime 
antea  conditotem  nunc  conservatorem  imperii  nostri  precarij  tU 
mihi  digyia  consule  digna  senatu  digna  principe  contingat  oratio, 
utque  Omnibus  quae  dicentur  a  me  libertas  fides  veritas  constet, 
tantumque  a  specie  adnlationis  dbsit  gratiarum  actio  quantum  abest 
TftcituB.  a  neccssitate^)  Dagegen  ignoriert  Tacitus,  ganz  entsprechend 
seinen  sonstigen  stilistischen  Prinzipien  (s.  o.  S.  332;  2),  den 
Rhythmus  der  Klausel  durchaus ,   berührt  sich  also  auch  darin 

1)  Ib.  2  wechselt  er  deswegen  mit  ante  und  antea:  guare  aheani  ae 
recedant  voces  illae  quas  metits  expritnebat:  nthil  quäle  ante  dieamui^ 
nihil  enim  quäle  antea  patimur,  ibid.  quando  sit  actae  mit  $  WM  Mft 
Properz. 


Die  lateinische  Prosa:  Eaiserzeit.  943 

mit  Ballast.    Florus,  der  Schönschreiber,  beobachtet  ihn  sorg- 
faltig, 8.  0.  S.  600. 

Von  den  Autoren  nach  Hadrian^),  profanen  wie  christlichen; 
glaube  ich  sagen  zu  können,  dab  sie  alle,  soweit  sie  kunstmafsig 
haben  schreiben  wollen,  das  festgestellte  Gesetz  befolgen,  und 
zwar  werden,  wenn  ich  nicht  irre,  die  Ausnahmen  immer  seltener. 
Ich  greife  aber  nur  einige  wenige  aus  der  Ungeheuern  Masse 
heraus.  Aus  Minucius  Felix  habe  ich  schon  anderswo^)  Bei-  Minnciat. 
spiele  angeführt;  hier  mag  noch  das  Prooemium  stehen,  wo  die 
Regel  nur  dann  verletzt  ist,  wenn  die  Stimme  noch  in  der 
Schwebe  bleibt,  also  eine  eigentliche  Klausel  nicht  vorliegt: 
cogitafUi  mihi  et  cum  animo  meo  Odavi  boni  et  fiddissimi  conUjiber- 
nalis  memoriam  recensenti  tanta  dulcedo  et  adfedio  hominis  in- 
haesit*f  ut  ipse  guodammodo  mihi  viderer  in  praeterita  redire*,  non 
ea  guae  iam  transacta  et  decursa  sunt*  recordatione  revocare: 
ita  eius  cantemplatio  guantum  subtracta  est  oculis,  tantum  pectori 

meo  ac  paene  intimis  sensibus  inplicata  est  nee  inmerito  dece- 
dens  vir  eximius  et  sanctus  inmensum  sui  desiderium  nobis  reli- 
quit,  ulpote  cum  et  ipse  tanto  nostri  semper  amore  flagraverit^ 
ut  et  in  ludicris  et  seriis  pari  mecum  voluntate  concineret  eadem 
velle  vel  nolle:  crederes  unam  mentetn  in  duobttö  fuisse  divisam. 
sie  solus  in  amoribus  conscius,  ipse  socius  in  erroribus:  et 
cum  discussa  caligine  de  tenebrarum  profunda  in  lucem  sapientiae 
et  veritatis  emergerem^  non  respuit  comitem^  sed  quod  est 
gloriosius  praecucurrit.  itaque  cum  per  universam  convictus  no- 
stri et  famüiaritatis  aetatem  mea  cogitatio  volveretur,  in  iUo 
praecipue  sermone  eius  meniis  meae  resedit  intentioj  quo  Cae- 
cüium  superstitiosis  vanitaHbus  etiamnunc  inhaerentem  disputa- 
tione  gravissima  ad  veram  religionem  reformavit.  Tertullian  Tertaiiun, 
überall  da,  wo  er  besonders  sorgfältig  schreibt,  z.  B.  am  Anfang 
des  Werks  de  pudicitia:  pudicitia  flos  morum  honor  corporum 
decor  sexuum,  integritas  sanguinis  fides  generiSy  fundamentum 
sanctitatis,  praeiudicium  omnis  bonae  mentis,  quamquam  rara 

1)  Cf.  auch  die  von  Fronto  p.  160  N.,  wie  es  scheint,  aus  einer  Eede  (?) 
des  M.  Anrel  citierten  Worte:  Tiberis  est,  Tusce^  Tiberis^  quem  iubes  claudi. 
—  Tiber  amnis  et  dominus  et  fluentium  circa  regnator  undarum:  das  letzte 
Wort  ist  dem  Bhyüimns  zuliebe  gew&hlt,  denn  Vergil  (Aen.  VlII  77),  den 
er  narfiahmt^  sagt:  fkumus  regnator  aquarum. 

1)  In  Cfaeeifrwalder  Prooemium,  Ostern  1897  p.  18  £f. 


944       AwliftTig  11:  Zur  Greschichie  des  rhythmischen  Satzschlosses. 

nec  facüe  perfecta  vixque  perpetua,  tarnen  aliquatenus  in  saeculo 
morabitur*,  si  natura  praestruxeritj  si  disciplina  persuaserit, 
si  censura  compresserii,  siguidem  omne  (mimi  honum  aut  nasei- 
tur  aut  eruditur  aut  cogitury  sed  ut  mala  magis  vineunt, 

quod  uUimorum  temporum  ra4io  esty  bona  tarn  nec  nasä  licet, 
ita  corrupta  sunt  semina,  nec  erudiri,  itadeserta  sunt  studio, 
Appnieiiif.  nec  cogi,  ita  exarmata  sunt  iura.  Bei  Appuleius  kann  man 
hübsch  beobachten,  dafs  er  den  Bhythmas  in  gehobenen  Par- 
tieen  sehr  sorg^tig  berücksichtigt,  in  niederen  ihn  vernach- 
lässigt; z.  B.  Met.  VI  4  (Gebet  der  Psyche):  nuxgni  levis germana 
et  coniuga,  sive  tu  Samt  quae  insula  partu  vagituque  et  alinumia 
tua  gloriatur  tenes  vetusta  delubra,  sive  cdsae  Carfhaginis  quae 
te  virginem  vectura  leonis  cado  commeantem  percolit  beatas  sedes 
frequentaSf  sive  prope  ripas  Inachi  qui  te  iam  nuptam  Tonantis 
et  reginam  dearum  memarat  inclitis  Argivorum  praesides  moeni- 
bus,  quam  cunctus  oriens  Zygiam  veneratur  et  amnis  occidens  Lu- 
cinam  appellat:  sis  meis  extremis  casibus  luno  Sospita  meque  in 
tantis  exantlatis  laboribus  defessam  imminentis  periculi  metu  2i- 
bera.  quod  sciam  soles  praegnaiibus  periditantibus  ültro  subvenire. 
Dagegen  z.  B.  I  22  ^meliora*  inquam  ^ominare  et  potius  responde 
an  intra  aedes  erum  tuum  offenderim^*.  ^plane^  inquit  ^sed  quae 
causa  quaestionis  huius?*  Hitteras  ei  a  Corinthio  Demea  scriptas 
ad  eum  reddd^*,  ^dum  annuntio^  inquit  ^hic  ibidem  me  opperimino^*. 
Daher  sind  die  Florida  besonders  sorgfaltig,  z.  B.  I  1  w^  ferme 
religiosis  viantium  moris  est,  cum  aliqui  lucus  aut  aliqui  locus 
sanctus  in  via  oblatus  est  votum  postulare,  \  pomum  adponere, 
paulisper  adsidere:  ita  mihi  ingresso  sanctissimam  istam  civi- 
tatem,  quamquam  oppido  festinem,  praefanda  venia  et  habenda 

oratio  et  inhibenda  properatio  est.  Der  erste  christliche  Schrift- 
steller, bei  dem  die  Beobachtung  des  Gesetzes  ungemein  pedan- 
tisch ist,  weil  es  sich  auf  die  kleinsten  Kommata  ausgedehnt 
cyprian.  findet,  ist  Cyprian;  z.  B.  ep.  I  1  bene  admones,  Donate  caris- 
sime:  nam  et  promisisse  me  memini  et  reddendi  tempestivum 
prorsus  hoc  tempus  est,  cum  indulgente  vindemia  solutus 
animus  in  quietem  sollemnes  ac  statas  anni  fatiscentis  induüas 
sortitur.  locus  etiam  cum  die  convenit  et  mulcendis  sensibus  ac 
fovendis  ad  lenes  auras  blandientis  autumni  hortorum  fades 
amoena  consentit:  hie  iucundum  sermonibus  diem  ducere  et 


Die  lateinische  Prosa:  Kaiserzeit.  945 

studentibus  fahulis  in  divina  praecepta  conscientiam  pec- 
toris I  erudire.  ac  ne  collogpAtum  nostmm  arliter  profanus  im- 
pediat  aut  damor  intemperans  familiae  strepeniis  ohtundaty  \ 
petamus  hanc  sedem.  dant  secessum  vicina  secreta,  ubi  dum 
erratici  palmitum  lapsus  \  nexibus  pendulis  \  per  arundines 
baiulas  repunt,  viteam  porticum  frondea  tecta  fecerunt  bene 
hie  siudia  in  aures  damt4S,  et  dum  in  arbores  et  in  viies  oblectante 
prospectu  oculos  amoenamus,  animum  simul  et  auditus  insttiiit 
et  pascit  obtutus:  quamquam  tibi  sola  nunc  gratia,  sola  cura 
sermonis  est  contemptis  voluptariae  visionis  illecebris  in  me 
oculus  tuus  fixus  est:  tam  aure  quam  mente  \  totus  auditor 
es  I  et  hoc  amore  quo  diligis.  Trotz  dieser  peinlichen  Genauig- 
keit sagt  er  gleich  darauf:  in  iudiciiSy  in  contione,  pro  rostris 
opulenta  facundia  volubüi  ambitione  iactetur:  cum  vero  de 
domino  deo  vox  est,  vocis  pura  sinceritas  non  eloquentiae  viri- 
bus nititur  ad  fidei  argumenta  sed  rebus,  denique  accipe  non 
diserta  sed  fortia,  nee  ad  audientiae  popularis  illecebram  cuUo 
sermone  fucata,  sed  ad  divinam  indulgentiam  praedicandam 
rudi  (!)  veritate  simplicia.  accipe  quod  sefititur  antequam 
discitur,  nee  per  moras  temporum  longa  agnüione  colligitur, 
sed  compendio  gratiae  maturantis  hauritur.  Für  unser  Gefühl 
ist  das  besonders  empfindlich  da,  wo  er  (wie  so  häufig)  Citate 
aus  der  Schrift  einfügt,  z.  B.  de  or.  dorn.  8  quod  declarat  scrip- 
turae  divinae  fides,  et  dum  docet  quomodo  oraverint  tales, 
dat  exempium  quod  imitari  in  precibus  debeamus,  ut  tales  esse 
possimus:  „Tunc  iUe  tres,  inquit  (Dan.  3,  51),  quasi  ex  uno  ore 
lyymnum  canebant  et  benedicebant  dominum* J'  loquebantur  quasi 
ex  uno  ore,  et  nondum  iUos  Christus  docuerat  orare,  et  idcirco 
oranObus  fuit  impetrabüis  et  efficax  sermo,  quia  promerebatur 
dominum  pacifica  et  simplex  et  spiritalis  oratio,  sie  et  apostohs 
cum  diseipulis  post  ascensum  domini  invenimus  orasse:  „erant, 
inquit  (act.  1,  14),  perseverantes  omnes  unanimes  in  oratione  cum 
muUerüms  et  Maria  quae  fuerat  maier  lesu  et  fratribus  eius*/^ 
perseverdbant  in  oratione  unanimes,  orationis  suae  et  instantiam 
simul  et  concordiam  declarantes:  quia  deus,  ^^qui  inhdbitare  facit 
unanimes  in  domo  (ps.  57,  7)*,*^  tion  admittit  in  divinam  et  aeter- 
nam  domum  nisi  eos  apud  quos  est  unanimis  oratio.  Wort- 
stellung, Wortgebrauch,  ja  die  Syntax  ist  bei  ihm  gelegentlich 
dadurch  tAß  ^'  nfluJGst,   doch    gehe  ich   darauf  nicht   näher 


946       Anfang  11:  Zur  Geschichte  des  rhythmischen  Satzschlosses. 

Arnobiiu.  eüi.^)    Amobius  berücksichtigt  die  Klausel,  soviel  ich  sehe,  an 
allen  stärkeren  Satzschlüssen,  meist  auch  an  den  schwächeren^, 

Lftctmnz.  während  Lac  tanz  auch  darin  klassischer  ist,  dals  er  sich  wie 
sein  Vorbild  Cicero  nicht  sklavisch  dem  Gesetz  unterwirft.  Die 
aus    der    kaiserlichen    Kanzlei    hervorgegangenen    Schriftstücke 

Kandrfen  halten  sich  genau  an  das  Gesetz,  z.  B.  die  schwülstige  Vorrede 
des  Edictum  Diocletiani  a.  301  (CIL  VI  p.  824):  Fortunam 
rei  publicae  nostraCy  cui  iuxta  inmartales  deos  beUorum  memoria 
quae  feliciter  gessimuSj  grtxtalari  licet  tranquillo  orbis  statu 
et  in  gremio  aUissimae  quietis  locato^  etiam  pacis  bania  prcbter 
qtiam  sudore  largo  lavoratum  est^  disponi  feliciter  atque  or- 
nari  deeenter  hanestum  publicum  et  Bomana  dignitas  maiestas- 
que  desiderant,  ut  no$  qui  benigtio  favare  numinum  aestuantes 
de  praeterito  rapinas  gentium  barbarorum  ipsairum  naüonum 
clade  conpressimus,  in  aetemum  fundatam  quietem  ab  m- 
testinis  quoque  malis  saepiamus.  etenim  si  ea  quibus  nullo  sibi 
fine  proposito  ardet  avaritia  desaeviens,  qua  sine  respeetu 
generis  humanif  non  annis  modo  vel  mensibus  aut  diebus,  sä 
paene  horis  ipsisque  momentis  ad  inerementa  sui  et  augmenta 
festinant,  aiiqua  continentiae  ratio  frenaret,  vei  si  fartunae 
communes  aequo  animo  perpeti  possent  hanc  dtbachandi  licen- 
iiam  qua  pessime  in  dies  eiusmodi  Sorte  lacerantur:  dissi- 
mulandi  forsitam  adque  reticendi  relictus  locus  videretur,  cum 
detestandam  inmanitatem  condicionemque  miserandam  communis 
animorum  patientia  temperaret  u.  s.  w.  £benso  der  Brief  Con- 
stantins  an  Porfyrius  Optatianus,  woraus  man  lernen  kann, 
dafs  das  Gesetz  auch  für  die  Kritik  wichtig  ist'),  ein  inschrift- 


1)  Interessant  müfste  eine  Untersuchung  der  pseudocjprianischen 
Schriften  sein;  z.  B.  beobachtet  der  Vf.  von  De  bono  pudicitiae  den  Sats- 
schlufs  in  Cyprians  Sinn,  aber  bei  ihm  ist  das  Gefühl  von  der  Quantit&t 
schon  abhanden  gekommen  und  er  mifst  daher  im  1.  Kapitel  einmal  nach 
dem  Accent:  redderi  conor  (^  ^  0  ^  J).  Dagegen  kennt  der  Vf  De  duplici 
martyrio  das  Gesetz  überhaupt  nicht:  begreiflich,  denn  er  ist,  wie  Ton  F. 
Lezius  in:  Neue  Jhb.  f.  deutsche  Theol.  1895,  96  ff.  184  ff.  glänzend  nach- 
gewiesen wurde,  Erasmus:  die  Tradition  über  den  Rhythmus  bricht  aber, 
wie  wir  sehen  werden,  am  Ende  des  Mittelalters  ab. 

2)  Verfehlt  ist  K.  Stange,  De  Amobii  oratione:  n  de  clausula  Amo- 
biana,  Progr.  Saargemünd  1898;  er  kennt  nichts  von  dem,  was  früher  über 
•"i'».he  Dinge  geschrieben  war. 

1)  Falsch  sind  folgende  Konjekturen  T  ^«Uers  (Porf.  Opt.  cano.,  Leipi. 


Die  lateiniBche  Prosa:  Kaiserzeit.  947 

lieh  erhaltener  Brief  desselben  (CIL  III  352,  Brans,  Fontes^ 
p.  158f.)  nnd  die  Erlasse  des  Codex  Theodosianns,  z.  B.  vom 
J.  380  (cod.  lust.  I  1;  1):  cundos  populos,  quos  clementiae  nostrae 
regit  temper amentumy  in  tali  volumus  religione  versari,  quam 
divinum  Petrum  apostolum  tradidisse  Romanis  religio  usque  ad 
nune  ab  ipso  insinuata  declarat  quamque  ponüficem  Damasum 
sequi  claret  et  Petrum  AUxandriae  episcopum  virum  apostolicae 
sanctitatiSj  hoc  est  ut  secundum  apostolicam  disciplinam  evan- 
geUcamque  doctrinam  patris  et  filii  et  spiritus  sancti  unam  dei- 
tatem  sub  pari  maiestate  et  sub  pia  Urinitate  credamus^)  u.  s.  w. 
Die  Praxis  des  Hieronymns  ist  wiedenim  ganz  lehrreich:  da,  ^^^' 
wo  er  spinöse  Fragen  behandelt^  achtet  er  nicht  oder  so  gut 
wie  nicht  auf  den  Rhythmus,  aber  sobald  seine  Rede  höheren 
Schwung  nimmt,  stellt  er  sich  ein.  Man  lese  z.  B.  den  yierzehnten 
Brief  (I  28  ff.  Yall.):  bis  c.  9  mehr  Ausnahmen  als  der  Regel 
gemälse  Klauseln,  aber  dann  beginnt  c.  10  der  pathetisch-schwül- 
stige Epilog  also:  sed  quaniam  e  scoptdosis  locis  enavigavit 
oratio  et  inter  cavas  spumeis  fluctibus  cautes  fragilis  in  cdtum 
cymba  processit,  expandenda  vela  sunt  ventis  et  quaestionum 
scopulis  transvadatis  laetanlium  more  nautarum  epilogi  ce- 
leuma  cantandum  est  o  desertum  Christi  floribus  vernans. 
0  solitudo,  in  qua  iUi  nascuntur  lapides  de  quibus  in  apocalypsi 


1877  p.  4):  a  fntctu  favoris  exclusi  sunt  für  exclusit,  wie  richtig  über- 
liefert ist  (Subjekt  ist  eloquentia);  hoc  tenere  propositum  (^contigity^  yielmehr: 
hoc  tenere  (conti gii}  propositum;  ut  haesitantiam  carmini  multiplex  legis 
ohservanHa  non  pareret:  überliefert  ist  repararet,  zu  schreiben  pararet  (aus 


ra 


pareret);  unnötig  die  Änderung  elegia  eantatast  für  das  überlieferte  elegia 
cantata  sunt  {ilByilov  öfters  so  latinisiert  saec.  IV).  Dagegen  wird  be- 
stätigt: ex  ea  vindicare  für  indicere;  conlocutus  est  ^altery. 

1)  In  der  Praefatio  zur  Urbs  Constantinopolitana  noya  Roma  (ver- 
fafst  unter  Theodosius  11  408—450)  ed.  in:  Not.  dign.  ed.  Seeck  p.  229, 
Geogr.  min.  ed.  Biese  p.  138  durchgängig,  merkwürdigerweise  aufser  dem 
letzten  Wort;  dies  ebenso  in  der  Epist.  Yindiciani  comitis  archiatrorum 
ad  Valentinian.  bei  Marcell.  Emp.  p.  21  ff.  Helmr.  —  Recht  bemerkens- 
wert dürfte  sein,  dafs  die  byzantinische  Staatskanzlei  in  ihren  lateinischen, 
für  den  Westen  bestimmten  Schriften  das  (besetz  nicht  kennt,  vgl.  z.  B.  die 
Antwort  Justinians  auf  ein  Schreiben  des  römischen  Papstes  Cod.  lust.  I  1, 
8:  letzteres  ist  streng  rhythmisiert,  erstere  absolut  nicht.  Die  Tradition 
war  in  Byzanz  abgebrochen,  da  für  das  Griechische,  wie  wir  sahen,  seit 
c.  400  n.  Chr.  ein  anderes  (besetz  galt. 

Norden,  antike  Konstproift.   IL  61 


948       Anhang  tl:  Zui-  Oeichiebte  des  rhytlimischen  SalzacUluMea. 


itas  magni  regia  extruttur.  o  eremus  famiUarius  deo  g 
I  dens  n.  s,  w.*)  Äagustin  ist,  wenn  ich  nicht  irre,  der  erste, 
dar  neben  der  Quantität  der  Silben  auch  schon  den 
Accent  in  der  Klausel  berücksichtigt:  begreiflich  genug, 
da  er  selbst  von  den  Afrikanern  sagt,  sie  verständen  sich  nicht 
darauf,  mit  den  Ohren  die  Quantität  der  Silben  zu  percipieren 
(cf.  K.  Sittl,  D.  lokal.  Versch.  d.  lat  Spr.  68),  woraufhin  er  ja 
auch  seinen  berühmten  Hymnus  gegen  die  Donatisten  nur  nach 
dem  Accent  geregelt  hat.  Zum  Beweis  will  ich  eine  Stelle  an- 
führen, die  uns  auch  durch  ihren  Inhalt  gerade  hier  inteiesaiert. 
De  doctr.  Christ.  IV  20, 40  f,  'induite  dominum  lesum  Christum,  et 
comi«  providentiam  ne  feceritia  in  concupisceniii^  (Paul.  ep.  ad  Rom. 
13, 14),  quod  si  quisquam  ita  diceret:  'et  camis  povidentiam  «c  im 
cotta^iscentiis  feceritis*,  sinedfibio  aures  clausula  numerosiore  mul- 
ceret'),  sed gravior  interpres  etiam  ordinem  maluit  teuere  verhorum. 
quomodo  autem  hoc  in  graeco  elöquio  sönet,  quo  eat  locutus  dpa- 
stolus,  viderint  eius  eloguii  itsgue  ad  isla  doctiores:  mihi  tamen 
quod  nobis  codem  verborum  ordine  interpr^tatum  est,  nee  Hi 
videtur  currere  nümerose.^)  sane  hunc  elocutionis  ornatum,  qui 
»umerosis  fit  clausulis,  deesse  fatendum  est  auctorihus  nostris. 
quod  utrum  per  interpretes  factum  sit*)  an,  quod  magis  ar- 
biträr, consitlto  Uli  haec  plausibilia  devitarint,  affirmare  non 
audeo,  gitoniam  me  fateor  ignorare.  illtid  tamen  scto,  quod  si 
quisquam  kuius  numerosilatis  peritus  illorum  claustäas  eorundetn 
numerorum  lege  componat,  qttod  facilUme  fit  muiatis  guibusdam 
verbis  quae  tantundem  signtficalione  välenl  vcl  mufalo  eorum  quae 
iHscrcrii  ordine''),  nihü  illorum  quae  velut  tnagna  in  seholis 
grammaticorum  aut  rhetorum  didicit,  Ulis  divinis  virts  defmsse 
cognoseet  et  multa  reperiet  locutionis  genera  tanti  decoris,  qyae 


1)  F,B  iat  doch  cbarakteris tisch,  daTe  an  der  «insigea  Stelle  der  beidaK  " 
den  Epilog  bildenden  Kapitel,  wo  die  Klaaae!  Ternachiaaaigt  ist,  die  Über- 
lieferung schwankt:  c.  11  exhihtbilur  cum  prolt  sua  Venus,  cf  die  adu.  crit, 

2)  NUmlieh  mit  i  _  ^  u.  Concupiscetitiis  hat  aw&r  die  Form  i  ^  i 
i  u  i,  aber  sie  durfte  nicht  ans  einem  Wort  bestehen,  was  wenigat«iui 
Tüi  j.  ^  ^  j.  ^  nach  einigen  galt:  Quint  IX  4,  66  f.  97;  die  Praxis  ist  noch 
zu  untersuchen. 


i)  Er  bSrtc  wohl  du 
6}  So  also  machte  n 


Die  lateinische  Prosa:  Ende  des  Altertums.  949 

quidem  et  in  nostra  sed  maxime  in  sua  lingua  ddcora  sunt^ 
guorwn  miUum  in  eis  guibus  isti  inflaniur  litteris  invenitur.  sed 
eavendum  est  ne  divinis  gravibnsque  sententiis,  dum  additur 
numerus,  pondus  detrahatur.  nam  Ula  musica  disciplina,  vbi 
numerus  plenissime  dicitur,  usque  adeo  ncn  defuit  propheiis 
nostris,  ut  vir  doctissimus  Hierattymus  quorundam  etiam  mitra 
commemoret  in  hAraea  dumtaxat  lingua,  cuius  ut  veritatem  ser- 
varet  in  verbis,  haec  inde  non  transtulit  ego  autem  ut  de 
sensu  meo  Idquar,  qui  mihi  quam  aliis  et  quam  cUiorum  est 
ütiqui  notior,  sictU  in  meo  eloquio,  quantum  modeste  fieri  arbi- 
trär, non  praetermüto  istos  numeros  clausularum,  ita  in  audari' 
hus  nostris  hoc  mihi  plus  placet,  quod  ibi  eos  rarissime  in- 
venio.^)  In  den  fQr  das  Volk  bestimmten  Predigten  tritt  der 
A^ccent  womöglich  noch  stärker  hervor,  vgl.  z.  B.  serm.  11  (38; 
97  f.  Migne). 

Aus  späteren  Autoren*)  will  ich,  da  sich  aus  ihnen  für  das  ^*^j^*" 
Prinzip  nichts  Neues  lernen  lälst,  nur  noch  auf  zwei  hinweisen,  Eimodio 
die  von  der  besprochenen  Sache  selbst  reden.    Ennodiusep.  II   sedaUui 
dum  sälum  qmeris  verbis  in  statione  conpositis  et  incerta  liquentis 
elementi plaeida  oratione  describis,  dum  sermonum  cymbam  inter 
loquelae  scopulos  rector  diligens  frenas  et  cursum  arti- 
ficem   fabricatus   trutinator   expendis,  pelagus  octdis  meis, 
quod  aquarum  simuldbas  ehquii^  demonstrasti,  und  besonders  Se- 
dulius  in  der  Vorrede  zu  seiner  Prosabearbeitung  des  Carmen 
paschale  p.  171  Huemer:  praecepisti,  reverende  mi  domine,  paschalis 

carminis  textum  ...  in  rhetoricum  me  transferre  sermonem 

p.  173  priores  igitwr  libri,  gpiia  versu  digesH  sunt,  nomen  pascluüis 
carminis  acceperunt,  sequentes  autem  in  prosam  nulla  cursus 
varietate  conversi  paschalis  designantur  operis  vocabülo  nuncupati. 


1)  Zum  Inhalt  vergleiche  noch  was  weiter  folgt  c.  26,  66:  sogar  in 
der  niedem  Bedegattnng  (oraHo  9ubmi88a\  deren  Zweck  nur  Belehrung  sei, 
dürfe  man  nicht  jede  suavÜM  verbannen,  denn  nuKcime  quando  adest  et 
qtAoddam  decus  non  appetüum  sed  quodammodo  naturale,  et  nownulla  non 
iactanticula  sed  quasi  necessaria  atgue  ut  ita  dicam  ipsis  rebus  extorta 
numerositas  clausularum,  tantas  acclamationes  excitat,  ut  vix 
intellegatur  esse  submissa. 

2)  Für  Faustus  von  Reii  (f  c  600)  cf.  A.  Engelbrecht  im  Corp.  eccl. 
Vind.  XXI  p.  XXXri;  für  Caesarius  von  Arles:  C.  Arnold,  Caesarius  v.  A. 
(Leipz.  1894)  86.    Für  das  Konzil  zu  Bagai  i.  J.  894  s.  o.  S.  626  f. 

61* 


950       Anhang  11:  Zur  Geschichte  des  rhythnÜBchen  Satsschlosaes. 

Sedulius  mufs  also  nach  diesem  seinem  SelbstzeagniB  als  Norm 
für  das  gelten,  was  man  damals  als  rhetorische  Elausel  (eursuSf 
s.  weiter  nnten)  ansah.    Wir  sehen  ans  seiner  Praxis,  dafs  in 
den  nns  bekannten  Klauseln  damals  die  Messung  nach 
dem  Accent  schon  dnrchans  legitim  war;  cl  den  Anfang: 
pasdialibus  te  dapibus  conviva  quisquis  inpertiSj  aceubitare  no- 
siris  non  dedignatus  in  iöris,  eredum  supercüü  depone  fasti- 
giuntj  si  caru8  advenies  4t  amicuSj  nee  opus  codids  hie  requiras 
artificis  sed  exigua  parvae  mensae  sollemnia  \  laetus  aeci- 
piens,    contentus   adsumens    libentius  animo  saturare    quam 
cibo  n.  s.  w.,  cf.  p.  177,  13  dirigens  via,   180,  1  delicta  n^- 
caverant^) 
ft!^*di^         5)  Für  das  Mittelalter  mu&  ich  anf  die  Darlegungen  der 
Hiiuuiten.  oben  (S.  924 ff.)  genannten  Gelehrten  verweisen'):  abgeschlossen 
scheint  mir  die  Forschung  hier  noch  keineswegs  zu  sein.     Ob 
es  sich  z.  B.  wirklich  bestätigen  wird,  dafs  die  Tradition  von 
Gregor  d«  Gr.  (f  601)  bis  zum  XL  Jh.  völlig  aufgehoben  ist? 
Innerlich    ist    derartiges    immer    höchst    unwahrscheinlich    und 
dürfte  sich  in  diesem  Fall  auch  wohl  durch  Tbatsachen  wider- 
legen  lassen,  z.  B.  habe   ich   mir  notiert,   dafs   die   regulären 
Klauseln   dem  Marculfus   (s.  YIl)   in   seinen   Formularum    libri 
(Mon.  Germ.  Leg.  sect.  Y)  noch  bekannt  sind,  dafs  fftr  die  karo- 
lingische  Zeit  Theodulfns,  Carm.  L  IV  2  (ed.  Sirmond  Yened.  1728 
vol.  II  813  ff.)  sie  zu  bezeugen  scheint,  dafs  sie  Gerbert  (f  1003) 
in  seinem  Brief  an  Otto  III  (ep.  154  ed.  Par.)  beobachtet  (aber 
Otto   selbst  in  seinem  Brief  '^^  ep.  163  nichi)^  ebenso  Walther 
Spirensis  (s.  X)  in  seiner  prosaischen  Passio  S.  Christophori  ed. 
Pez,  Thes.  anecd.  II  P.  III  p.  57  ff.    Für  diejenigen  meiner  Leser, 
denen  diese  Dinge  femer  liegen,  bezeichne  ich  in  aller  Kürze  die 
Praxis  des  Mittelalters  nach  den  Yorschriften   der  Theoretiker 
(Dictatores) : 

1)  Cursus  planus:   nostris  infünde,  largire  cidpärum,  devotionis 
äffectu  etc.;  reficiamur  in  mente. 

2)  Cursus  tardus:  dignos  efficidnt,  iudicata  lätinitäs;  saeraminta 
quae  sumpsimüs,  verba  prdläta  sunt. 


1)  Konsonantisches  h  z.  B.  p.  179,  2  recondat  in  horrea. 

2)  Cf.  ferner  noch  H.  Brefslau,  Hdb.  d.  Urkundenl.  I  (Leipz.  1889)  588  ff. 
A.  Giry,  Manuel  de  diplomatique  (Paris  1894)  454  ff. 


Die  lateiiiische  Prosa:  Mittelalter  und  Hamanismui.  951 

3)  Corsas   yelox:  gloriam  perducdmttr,  actufnibüs  drudita  etc.; 
proficidnt  et  salüte,  cAmitür  it  in  tdrra,  spiritüs  sdncti  dcu8. 

Die  beiden  ersten  Formen  sind  basiert  auf  dem  Cretious,  und 
zwar  sind  es  die  uns  seit  Demosthenes  wohlbekannten  Formen 
j.  Kj  X  j.  o  und  j.  yj  X  j.  Kj  X,  nur  dafs  statt  der  Quantität  der  Ac- 
cent  die  Norm  bildet;  also  r>j  n^  Aj  rij  ^  und  rij  »^  r^j  ^L  ^  Aj] 
die  dritte  Form  ist  der  ebenfalls  auf  die  griechische  Eunstprosa 
zurückgehende  Ditrochäus  j.  yj  j.  o,  bezw.  rL  n^  <*  0^:  wann  es 
Gesetz  geworden  ist;  dals  dieser  dritten  Form  ein  Creticus  Yor- 
ausgehen  mufs,  also  Aj  n^  A*  Aj  r^  Aj  nu,  ist  noch  genauer  zu 
untersuchen:  Cicero  liebt  es  schon  (s.  0.  S.  932,  7). 

Wie  lange  erhielt  sich  die  Tradition?  Dafs  sie  durch  Dante  ^"''*J*^"| 
noch  vertreten  wird,  ist  selbstverständlich;  aber  auch  Petrarca uamMUt« 
zahlt  dem  Mittelalter  noch  seinen  Tribut,  vgl.  z.  B.  seinen  Brief 
aB  Quintilian  (ep.  de  reb.  fanu  XXIV  7);  der  sich  Ober  die 
Accente  entsetzt  haben  würde:  olim  tuum  nomen  audieram  et 
de  tuo  äliquid  legeram,  et  mirdbar  unde  tibi  nomen  äcuminis. 
sero  ingenium  tuum  novi.  oratariarum  instHutianum  liber  heu 
discerptus  et  lacer  venit  ad  manus  meas  u.  s.  w.  Bei  der  jüngeren 
Humanistengeneration  erlosch  die  Tradition  bis  zu  dem  Qrade^), 
dafs  Erasmus  die  von  ihm  gemischte  Cyprianscbrift  ohne  eine 
Ahnung  von  diesem  Gesetz  verfaCste  (s.  oben  S.  946;  1):  ein  neuer 
Beleg  für  die  früher  (8.  767)  bemerkte  Thatsache,  dab  sie  dem 
mittelalterlichen  Latein ;  damit  aber  zugleich  auch  dem  Latein 
als  lebender  Sprache ;  den  Todesstols  versetzte.  Aber  in  den 
Kreisen  der  Scholastiker,  die  das  reaktionäre  Element  vertraten, 
erhielt  sich  die  Tradition  viel  länger:  ich  war  überrascht;  sie 
ausf&hrlich  erörtert  zu  finden  in  der  von  bumaoistiseben  Ideen 
nur  leise  berührten  (anonymen)  Ars  dicendi,  die  in  K5ln  14^ 
gedruckt  ist^;  wer  sich  einmal  mit  der  Geschichte  dieser  Klausel 
genauer  beschäftigen  will;  kann  nichts  Besseres  thun,  aN  die 


1)  Wenn  einige  die  Vom  l  ^  -^^  t  j  oiu;h  tim  vUeaUtr  ber<>rtogien 
(cf.  Bu  Sabaddini,  La  tcnoU  di  Guariflo  [Cutaoia  Iff^J  Ih^^  nt,  UuiUm  nin  da« 
niciit,  weil  die  mittelaiterliebe  InAiüon  10  iho^  ntft^  Mttnäi^  wsr,  n^m^ 
dem  anf  Grand  der  Steiles  uati)usr  ÜhnU/r^sn^  in  d^sn^  mn  6Ut  WtMMiit 
Ciceros  filr  am  videatmr  bezeugt  UnAtm  (n  o,  H,  fßtJt), 

t)  CfPttuer,  Ann.  tjp.  l  p.Wl  u,  J17|  ff/rimndtm  auf  d«r  KgJ.  blhlyj- 
tbdk  sa  Bedia.    H.  %nch  o,  H.  W,,  L 


T.  FflgemgeB  ffr  asm  Texte. 

Die  TOT^legt«  Sidzze  der  Gesdiicbt«  der  rhjüunischHi 
Klausel  dOrfte  nkbt  blc^^Jbe^tisch  insofern  interessant  sein, 
als  wir  dorch  sie  die  Zan^ei^  der^^iditian  fär  zwei  Jahr- 
taaseode  an  eüaemeinbeben  Geseti«  deatlicb  beobachten  k&ui^ 
BtadeTn  sie  b^otzi  aticli  praktiscbe  Bedeatnng  in  me^TacC«- 
HiaBclit  1)  Sie  zeigt  ons,  wie  wir  antike  EiiJ^{a;osa  recitiereo 
mSnen,  wenn  wir  nna  wenigstens  iu  emem  PqäI  eine  Vorstel- 
^  Kmg  'on  ihrem  Ethos  machen  wollen.  2)  Sie  lehrt  ans,  auf 
welche  Partieen  seines  Werks  ein  Äntor  durch  ihre  Beobacbtong 
bexw.  V^OTSwijassignng  grofses  oder  geringes  Gewicht  gelegt 
hat,  sie  dient  insofern  also  der  Interpretation.  3)  Sie  wird  uns 
lehren,  nnsere  Texte  oft  richtiger  zu  interpnngieren  als  es  jetzt 
geschieht.  Ich  halte  es  ferner  auch  umgekehrt  für  möglich, 
data  wir  durch  eine  wissenschaftliche  Geschichte  der  antiken 
lüterpunktion,  und  zwar  nicht  blofs  der  Theorie,  sondeni  anch 
der  Praxis,  wozu  ja  ein  dringendes  Bedürfnis  vorliegt,  manches 
fQr  das  Gesetz  der  rhythmischen  Klausel  lernen  werden:  auf 
Spuren  rhythmischer  Interpunktion  ist  im  Verlauf  dieses  Werks 
gelegentlich  hingewiesen,  und  beim  Lcaen  griechischer  Hand- 
Bchriften  der  byzantinischen  Zeit  (z.  B.  des  Gregor  von  Nazianz, 
wo  die  Schoben  sehr  viel  auf  die  Interpunktion  hinweisen)  wollte 
es  mir  gelegentlich  scheincu,  als  ob  darin  keineswegs  eine  solche 
Planlosigkeit  herrscht,  wie  man  gewöhnlich  annimmt,  sondern 
als  ob  neben  der  grammatisch -logischen  auch  die  rhythmisi 
Interpunktion  beobachtet  wird.')  Wenigstens  wäre  zu  wilns« 
damit  wir  darüber  ('cwifsbeit  erhalten,  dafs  die  Herausgebei 


1)  In  dem  oben  S.  H71,  3  aus  einer  H»  saec.  X/Xl  mitgeteilten 
^Hi  Nikotifaon»  i«t  nnch  folgenden  Worten   interpungiert:   xlm 

ieä*1>'  iaijfiiiiat'  t6iiovs  qifQUV  evyyfvtlaf,  6v6&fVTOV  ägiTtj'  ngo%(lfump- 
httitli,  BUfiHXR,  Atif6iaiov  luXit^Oavii,  liraivoy  tiei'  Aya9oi'  ivvaxoi, 
«an^Mfiora '  ii,  0><!|ia'  Si«luS-  älXav,  nutaXiyeeSai-  ftiv,  fiy^nijv  atlfa' 
,   ^'   nfo«iuiptvi/tlv   pißmov    ditgytiaft,   itSrieiv'   ylAveji-    loyitfi^ 


1 


Folgerangen  and  Terminologie.  953 

Texten  griechischer  und  lateinischer  Prosaiker  sich  etwa  in  der 
Praefatio  kurz  auch  über  die  Interpunktion  der  von  ihnen  ver- 
glich^en  Handschriften  äoberten.  4)  Sie  wird  f&r  die  Kritik 
nul^bar  gcmijMht  werden  k5nnen,  sobald  die  Praxis  des  betreffen- 
den Schriftstellers  genau  ermittelt  sein  wird:  denn  bevor  das 
geschehen  ist^  dürfen  Stellen ,  die  dem  Gesetz  widersprechen, 
natürlich  nicht  geändert  werden:  L.  Havet  hat  in  der  Revue  de 
Philologie  1.  c.  (oben  S.  926;  1)  mit  Cicero  de  or.  einen  guten  An- 
fang gemacht;  doch  sind  noch  viele  Voruntersuchungen  nötig; 
um  seine  Vorschläge  zur  Evidenz  zu  erheben  (s.  auch  o.  S.  932;  ?• 
940,  2.  946;  3.  948,  1). 


VI.  Tenninologle  des  rhythmischen  SatzscUnsses. 

Zum  Schlufs  noch  ein  paar  Bemerkungen  über  die  Aus- 
drücke; mit  denen  man  diese  Art  der  kunstmäüsigen  Komposition 
bezeichnete. 

1.  structnra,   dictamen. 

In  der  klassischen  Zeit  fehlte  ein  spezieller  Ausdruck;  erst 
im  IV.  Jh.;  als  die  Befolgung  des  Gesetzes  eine  immer  strengere 
wurdC;  begegnet  structura:  so  C.  lulius  Victor  ars  rhet.  c.  20  «/me/Mra. 
(Rhet  lat.  433,  20  H.)  und  26  (446,  17),  Diomedes  betitelt  den 
betreffenden  Abschnitt  seiner  Grammatik  de  strudurae  quälitat3ms\ 
die  Beschäftigimg  selbst  nannte  man  struere,  cf.  Victor  c.  27 
(448,  15):  anxius  struendi  labor.  —  Im  Mittelalter  war  der  ty- 
pische Ausdruck  dictamen,  dessen  Verfasser  dictator  hiefi3;<<>'6<am«tt. 
die  meisten  Belege  dafür  findet  man  bei  Thurot  und  Valois  in 
den  oben  (S.  924 f.)  genannten  Abhandlungen^);  ich  füge  noch 
eine  erst  später  bekannt  gewordene,  recht  bezeichnende  Stelle 
hinzu:  in  einer  von  Ch.  Fierville  Paris  1884  edierten  lateinischen 
Grammatik  des  XIII.  Jh.  (verfaTst  in  Oberitalien)  heifst  es  fol.  81': 
dictamen  est  ad  unamquamque  rem  congrua  et  decora  hcutio;  ä 
dicitur  dictamen  a  diclo  y  a$,  quod  est  frequentativum  huim  verbi 
dicOy  eis.   nam  haec  sdentia  maxime  in  exercitatione  consistit    tria 

dUj  ilnliovaiv  ^av(iMt6fUvor  yvAfkris^  x^arer,  nectQl-  inixi^hparcn'  iotiffi- 
1)  Cf  auch  Fr.  Eckstem,  Lat.  u.  griech.  Unterricht  (Leipz.  1887)  52  f. 


954       Anhang  11:  Zar  Qeechichie  des  rhythmischen  Satzschlosses. 

in  omni  exacuto  dictamine  requiruntur,  scilicet  degantia^  composUio 
et  dignitas,  elegantia  est  q\ie  facit  iU  locutio  sU  cangrua^  propria 
et  apta.  compositio  est  dicHonum  comprehensio  equabüiter  perpölita. 
.  .  dignitas  est  qae  ordinem  exomat  et  ptdchra  varietate  distinguif. 
Der  Ursprung  dieses  Wortes  dürfte  von  allgemeinerem  Inter- 
esse sein,  weshalb  ich  kurz  darauf  eingehe.  Es  war  nämlich 
«e/ar0sgj^Q  ZU  diktieren  und  nur  in  AusnahmefaUen  (z.  B.  in  beson- 

diktieren'  ,  ^ 

aiMThanpi.  ders  yertraulichen  Briefen)  selbst  zu  schreiben:  f&r  Regel  und 
Ausnahme  lasse  ich  die  mir  bekannten  griechischen  und  latei- 
nischen Zeugnisse  folgen. 

Der  Apostel  Paulus  hat,  wie  die  bekannten  Stellen  seiner 
Briefe  beweisen;  diktiert ,  natürlich  nicht  (wie  einige  früher  an- 
nahmen),  weil  er  nicht  schreiben  konnte  ^);  sondern  weil  es  so 
Sitte  war,  cf.  die  Stellen  in  der  Real-EncycL  f.  prot.  Theol.*  s.  v. 
Paulus  XI  379.  Auch  der  erste  Petrus brief  (8.11)  ist  diktiert, 
cf.  5,  12.  Den  Johannes  lieis  die  Tradition  Evangelium  und 
Apokalypse  diktieren:  acta  loh.  p.  XLIY.  LIX  ed.  Zahn  (Erlang. 
1880).  Für  Ignatius  cf.  Lightfoot  zu  ep.  ad  Rom.  10,  Phila- 
delph.  11.  Im  allgemeinen:  Weizsäcker,  D.  apost.  Zeitalter  p.  188. 

Origenes  nach  Eusebios  h.  e.  VI  23,  2  ta%vyQdtpoi,  airtm 
nXelovQ  fl  g'  xov  igc^^bv  naQ7J6av  ixuyoQBvovxi. 

lulian  diktierte:  cf.  Liban.  or.  17,  vol.  I  517  R:  &  X^^Q^S 
i)icoyQatpi€ov  xri  xf^g  yXAxxris  BifLovöia  XQaxri^stöai. 

Synesios  ep.  23  Sov6rig  öol  xfjg  q>i}6ea)g  oi  lidvov  XQog  XQBlav 
&Xkä  xal  nQbg  Ivdsi^tv  Tcal  g)iXoxiiiCav  imayoQSVBiv  ixiötoXdg. 
16  (an  Eypatia)  xXivonsxiig  vjt'qyÖQCvöa  xijv  ixiöxo^i^v:  ihr  schrieb 
er  also  sonst  eigenhändig. 

Prokopios  Gaz.  ep.  28  bekli^t  sich  über  die  undeutliche 
Schrift  eines  von  der  Hand  seines  Freundes  geschriebenen  Briefes. 

Lucilius  nach  Hör.  s.  I  4,  9  f.:  in  hora  saepe  ducentos  üt 
magnum  versus  dictabat  stans  pede  in  uno, 

Nero  nach  Suet.  52:  venere  in  manne  meas  pugiUares  libeUi- 
que  mm  qtiibusdam  notissimis  verstbt4S  ipsius  Chirographe  scripUs, 
ut  facile  appareret  non  tralatos  aut  dictante  aliquo  excqptos^  sed 


1)  Selbstverständlich   ist  auch   dies  oft  der  Grund  gewesen,   cf.  die 
Qesta  de  aperiundo  testamento  vom  J.  474  (Bruns,  Fontes  ^  p.  281  f.)  in  hae 
cartula  testamentum  feci  idque  scribendum  didavi  Domitio  lohanni  forfenm), 
cuiqtie  ipse  liUeras  ignorans  subter  manu  propria  Signum  feci.    Solche  Fftl 
gehen  uns  hier  nichts  an. 


Terminologie:  Geschichte  des  Wortes  dictare.  955 

plane  quasi  a  cogitanie  afque  generante  exaratos:  ita  mülta  et  deleta 
et  inducta  et  superscripia  inerant 

Plinius  d.  A.  diktierte:  cf.  Plin.  ep.  III  5,  15. 

Quintilian  X  3^  18  ff.  wendet  sich  in  ausführlicher  Polemik 
gegen  das  Diktieren,  woraus  man  sieht,  wie  verbreitet  die  Sitte 
damals  war. 

Plinius  d.  J.  ep.  IX  36,  2  notarium  voco  et  die  admisso  quae 
farmaveram  dicto:  abit  rursusque  revocatur  rursusque  dimiititur, 
cf.  IX  40,  2  u.  5. 

M.  Aurel  diktierte  seine  Briefe  an  andere,  aber  dem  Fronto 
schrieb  er  eigenhändig,  nur  selten  diktierte  er  auch  für  ihn,  was 
er  dann  ausdrücklich  mit  seiner  -Krankheit  motiviert:  ep.  IV  7. 
8.  V  47  (p.  70.  71.  90  N.).  Ebenso  Fronto  selbst:  ep.  ad  M.  Caes. 
IV  9  (p.  71):  gwod  qtuxeris  de  vaietudine  mca^  tarn  prius  scripseram 
tibi,  me  umeri  dolore  vexatum  ita  vehementer  quidem,  ut  illam  ipsam 
qrisiulam,  qtia  id  siffnifieabam,  scribendo  dare  operam  nequirem,  sed 
uterer  contra  morem  nostrum  (hier  bricht  der  Text  ab)  und  V  58 
(p.  92):  vexatus  sum,  domine,  nocte  diffusa  dolore  per  umerum  et 
eubitum  et  genu  et  talum.  denique  id  ipsum  tibi  mea  manu  scribere 
mm  potui,  c£  p.  99.  133.  149.  222.  230.  232. 

Ammianus  XV  1,  3  (von  Constantius)  a  iustitia  declinavit 
ita  iniemperanter,  ut  ^aetemitatem  meam*  aliquotiens  subsereret  ipse 
dictando  scribendoque  propria  manu  orbis  totius  se  dominum  appel- 
laret.  Der  ib.  5,  3  erzählte  Betrug  erklärt  sich  daraus,  dafs  der 
Text  des  Empfehlungsbriefs  diktiert  und  nur  die  Unterschrift 
eigenhändig  gegeben  war. 

Hieronjmus  ep.  21,  42  (an  Damasus):  non  ambigo,  quin 
tneulta  tibi  nostrae  parvitatis  videatur  oratio;  sed  saepe  causatus 
sum  expoUri  non  posse  sermonem  nisi  quem  propria  manus  lima- 
verit  itaque  ignosce  dolentibus  octdis,  id  est  ignosce  dictanti.  Der- 
selbe ep.  127, 12  haeret  vox  et  singulius  intercipiunt  verba  dictantis, 

Sidonius  und  seine  Freunde  schrieben  teils  selbst,  teils 
diktierten  sie,  cf.  ep.  I  5,  9.  III  4, 1.  —  I  7,  5.  V  17,  9  f.  IX  9,  8. 
Für  Ennodius  cf.  den  Hartelschen  Index  s.  v.  dictare. 

Karl  d.  Gr.  hat  nach  der  bekannten  Tradition  nicht  schreiben 
können.  Wie  das  zu  beurteilen  ist,  hat  schon  Hauck,  Eirchen- 
fieschichte  Deutschlands  II  117,  6  richtig  bemerkt:  „Man  mufs 

"^as  Schreiben  eine  Kunst  war  und  dafs  man  des- 
i  asu  diktieren  pflegte.     So  Alkuin  (ep.  147), 


956       Anhang  II:  Zur  Geschichte  des  rhythmischen  Satzschlasses. 

Benedikt  von  Aniane  (Y.  Ben.  57  p.  205),  selbst  ein  junger  Mönch 
wie  Candidas   von  Fulda  (V.  Eigil.  1  p.  217)  oder   der   spatere 
Bischof  Lul  von  Mainz  (Bonif.  et  LuL  ep.  111  p.  274).''^)  — 
dicMr««         Hauptsächlich  diktierte  man  nun  solche  Schriften,  deren  Stil 
gehobener  ein  gehobener  und  glänzender  sein  sollte:   das  ist  sehr  bezeich- 
schrifton.  jjgjjj^  jgjm  ^jg   Stimme  und  das  Ohr,  diese  Trager  des  Rhyth- 
mus, waren  auf  diese  Weise  an  der  Konzeption  beteiligt,  wie 
man  ja  aus  demselben  Grunde  laut  zu  lesen  pflegte  (s.  o.  8.  6): 

Dio  Chrjs.  18,  483  R.  an  einen  Staatsmann,  der  sich  im 
Reden  weiter  ausbilden  will:  yQdg>€iv  ftiv  oiv  oi  öv^ifiov- 
Xeva  601  aixA  iXX^  ^  6q)6dQa  igaiAg^  ixididövat,  dl 
[AäXXov'  XQ&tov  i^hv  yä(f  ifkOiötSQog  x&  Xdyovti  6  ^xayo- 
Qßvmv  rot)  yQdq>ovxogj  htHta  iXittovi  x6vp  ylyvstaij  ixHta 
Sl  7t(fbg  SvvafiiP  (ihv  fjvtov  övXXafißdvsi  tov  y(fdq>€iv,  Xffbg  sitv 
öi  (UcXXov. 

Ambrosius  ep.  I  47  (an  Sabinus;  16, 114  f.  Migne):  trans- 
misi  Petitum  codiceni  scriptum  apertit/tö  atque  enodatins,  quam  ea 
scriptura  est  quam  dudum  direxi,  ut  legendi  facüHate  nuOum  iudicio 
tue  afferatur  impedimentum.  nam  exempUms  liber  nan  ad  spedem 
sed  ad  necessitatem  scriptus  est,  non  enim  dictamus  omnia  et 
maxime  noctibus,  quihus  nolumus  aliis  graves  esse  ae  mo- 
lesti.  tum  ea  quae  dictantur,  impetu  quodam  proruunt  et 
profluo  cur  SU  feruntur.  nobis  autem  quibus  curae  est  senilem 
sermonem  familiari  usu  ad  unguem  distinguere  et  lento 
quodam  figere  gradu,  aptius  videtur  propriam  manum 
nostro  affigere  stilo,  tU  non  tam  deflare  aliquid  videamur  quam 
oAscondere,  neque  alterum  scribentem  ervbescamus  sed  y^i  nobis 
conscii  sine  ullo  arbitro  non  solum  auribus  sed  etiam  ocuJis  ea 
ponderemus  quae  scribimus.  vdodor  est  enim  lingua  quam  manus, 
dicente  scriptura  Hingua  mea  calamus  scrtbae  vehdter  scribenti^ 

(Psalm.  44,  2) Apostdus  quoque  Paulus  sua  scribAat  manu 

sicut  ipse  ait:  ^mea  manu  scripsi  vdbi^  (Gal.  6, 11),  iUe  propter 
honorificentiam,  nos  propter  verecundiam. 

Otloh,  der  gelehrte  deutsche  Mönch  s.  XI*),  in  der  Über- 

1)  Übrigens  hat  schon  Gesner  in  seiner  Ausgabe  des  Quintilian  (CrÖi- 
tingen  1788)  zu  X  3,  18  die  Thatsache  richtig  erkannt.  —  Aus  dem  späten 
Mittelalter  cf.  etwa  noch  Otto  y.  Freising,  chron.  prooem.  qui  (Bagewin) 
hanc  historiam  ex  ore  nostro  sttbnotavit, 

2)  Cf.  über  ihn  Watteabach,  Deutschi.  Geschichtsquellen  im  Ma.  II*  65  ff. 


Terminologie:  Geschichte  des  Wortes  düiare.  957 

sieht  über  seine  Schriftstellerei  Mon.  Germ.  SS.  XI  387  ff.:  scripsit 
iäem  dericus  (er  selbst)  .  .  qmedam  quidem  dictando,  quaedam 
autem  älio  modo,  quae  scäicet  utraque  subsequenter  pandere  voh; 
sed  didata  prius,  post  haec  quoque  cetera  pandam.  Es  folgen  nun 
3  Werke y  die  er  als  dictamina  ansieht:  de  spiritali  doctrina, 
yisiones;  de  tribas  quaestionibus.  Er  schliefst  nach  der  Inhalts- 
angabe mit  den  Worten  (p.  390,  15)  haec  sint  dida  de  siipra- 
scriptis  libriSj  quos  in  ummi  componere  volui  nunc  etiam  libet 
pandere,  qua  causa  studuerim  altos  libellos  scribere.  Wenn  man 
nnn  die  folgenden  Schriften  mit  jenen  3  ersten  vergleicht,  so 
sieht  man  den  Unterschied:  jene  enthalten  selbständige  Kom- 
positionen,  diese  sind  teils  Umarbeitongen  von  vorliegenden 
Heiligenviten,  teils  Predigten ,  teils  eine  Art  von  libri  exhorta- 
torü,  in  denen  er  im  wesentlichen  Stellen  der  Schrift  und  ge- 
eigneter Profanaatoren  anhäuft  zu  erbaulichem  Zweck  (es  sind 
dies:  de  cursu  spiritali  bei  Pez,  Thes.  anecd.  nov.  IH  2  p.  259  ff., 
cf.  besonders  von  c.  4  an;  libellus  manualis  de  ammonitione 
clericorum  et  laicorum  1.  c.p.  403 ff.;  Über  proverbiorum  1.  c.  485 ff.), 
teils  überhaupt  nur  Handschriften,  die  er  abgeschrieben  hat. 

Diese  Verhältnisse  haben  nun  gewissermafsen  ihren  plasti- 
schen Ausdruck  in  der  Bedeutungsentwicklang  von  dictare^^^^^ 
gefunden,  das  bei  späteren  Schriftstellern  geradezu  syn- 
onym mit  scribere  (aber  nur  von  Kompositionen  in  hohem 
Stil)  gebraucht  worden  ist  Die  Stelle,  wo  es  scheinbar  zu- 
erst vorkommt,  ist  auszusondern:  Appuleius  flor.  16:  poeta  fuü 
hie  Polemon  ...,  fäbulas  cum  Menandro  in  scaenam  dictavit, 
denn  hier  ist  die  Emendation  Büchelers  (Couiect.  lat.  [Greifswald 
1868]  10)  datavit  sicher.  Ich  finde  es  zuerst  bei  Augustin  ^) 
contra  epistulam  Parmen.  3,  7,  wo  Emeritus,  ein  Bischof  von 
lulia  Caesarea,  der  Verfasser  der  sententia  des  Konzils  von 
Bagai  i.  J.  394,  dictator  ülius  sententiae  genannt  wird,  cf.  von 
demselben  Augustinus  contr.  Crescont.  lU  19,  22  dictator  vd 


1)  Der  daneben  aber  auch  die  nrsprfingliche  Bedeutung  noch  kennt, 
z.  B.  de  doctr.  Chr.  IV  4  exerdtoHo  si/oe  scribendi  sive  dictandi.  Sie  ging 
natfirlich  nie  ganz  verloren,  cf.  etwa  noch  Aimoinns  mon.,  vita  S.  Abbonis 
(abb.  FloriacensiB,  f  1004)  bei  Mabillon  AA.  SS.  0.  S.  B.  8.  VI  1  p.  87:  müt- 
tum  prodesse  ceruebcU  liUerarum  studia  maximeque  dictandi  exereitia,  qua- 
rum  ipu  perstudiosua  existens  nullum  paene  iniermittebiU  tempui,  quin  Ugeret 
icriberet  dictaretve. 


958       Ajüiaag  Uz  Imr  Gcxkickle  d» 


üdor  Slims  saämtimt.  Im  Y.  Jh.  ist  diner  GcIhwbA  t^on  gim 
fest^  L  BL  bei  ädonmiy  wn  dem,  SaTsro  im  aciiiei  Anagmbe  (Puis 
1599)   die  Bds{ade  m  ep.  Ym  6,  2  (rnuikmm  fmfd  jbrMm 

greams)  zunmiBCBgesidlt  und  dnr^  idUickhe  Sidkn  fiterer 
Aviom  (l  a  CuskMkNr)  l»  uf  AlArim»')  criiaftat  Ini:  mos 
Sim  kaibaL  ihr  w^acntlkhes  Mateml  Facnna%  De  iiftii  tmexarmm 
eccleaae  eaäoficae  condonut  (Park  16&I}  L  11  c  15  pi  194  und 

4.rf«r^=  GesEwr  n  Qniirtilian  (1738;  X  3, 18.  In  dicRr  Bcdeaftang  kt 
diaim  befcamitiiA'j  das  Woit  in  die  geimmiiAea  SpEadkm 
gefioauam  woidat  und  iwar  hier  tim  AaÜMig  an 
ftr  £e  BoeidunBg  der  hochaieB  adtrifiateDendbett  KospockioB, 
der  'Dichtumg^  aach  des  oUgen  (S-  894 C)  Dfedegmigen  über 
die  eBga  Bfaiehnagen  zwiadieB  Bheionk  and  Pocaie  im  Mülri- 
alier  isc  das  ja  bcgreiflidi  genug.  !■  dieaer  Bedevtmig  finde 
ich  es  zaersi  bo  Oft&ied  im  Prolog  za  sciacm  6e£^  pu  6  P^er: 
aia»aai  f«0  iffam  (lintm)  diciare  prmaamfmy  fnmäms  wobis 
manmre  CMraet,  ib.  9  qMoarii  limgmat  hmim  (der  dwiibjcWii)  . . .  a 
iictamtiims  emoeoidaäam  obfervare^  cL  aaa  dot  iipilmn  ICttel- 
altar  etwa  nodi  Hugo  Ton  Trimberg  (saec  XIII\  Eegiatnun  mal- 
iorum  auctomm  ed.  Haemer  (in:  Sitznngsber.  d.  Wien.  Ak.  1888) 
V.  68  £  Ton  Horaz:  ^i  ^^5  Zi^os  e^io»  /«i^  primeifBlts  |  dbosjiie 
dtctacemt  minus  usuales,  \  epcdcn  videiieet  et  übrum  odanum,  \  qmos 

AaiteöM«  Mos^m  ten^paribus  credo  valere  jparum,  —  Die  üiere  Generation 
der  Homanisten  hat  dictare,  dktamen^  dietatar  nodi  im  mittel- 
alterlichen Sinn  gebraacht^  z.  B.  Petrarca  adir  häufig  (so  beson- 
ders ep.  de  reb.  fam.  XIII  5,  s.  oben  S.  764)  imd  Salntato  ep, 
ToL  11  p.  54  (Kigacci);  erst  die  jüngere  Generation  hat  wie  mit 
der  Sache  so  mit  dem  Wort  aufgeräumt^  cL  das  ^pigraouna  ad 
lectores',  welches  Jac.  Locher  seiner  L  J.  1496  zu  Freibarg  L  Br. 
gedruckten  Epithoma  rhetorices  Toranschiekt: 

qui  vdü  orator  quis  sU  dignoscere  dams, 
vel  qui  rhetorices  dogmata  nasse  vdU, 

hoc  legat  e  puris  opus  est  quod  foniibus  ortmm 
atque  vetustatis  quod  monumenta  sapU. 

'Uen  aus  dem  späteren  Ma.  giebt  Dacange  8.  t. 

Grimm,  WOrterb.  d.  deatsck  Spr.  11  105S  ff.    Fr.  Klnge^  Etrm. 
mtsck  Spr.  *  (Strafsburg  1894)  s.  t.  'dichtäx*. 


Terminologie:  dicUtrt,  daumtia,  cunui.  959 

fum  est  protrito  rerum  dictamine  factum, 

sed  prisco  enltu  rhetoris  arma  parat, 
hue  diuerte  pedes,  ariis  dodrina  diserte 

quem  utwä,  doquii  eanspicuumque  deeus 

und  EL  Bebely  Comm.  epifitolamm  conficiendamm  (1500)  f.  VI^ 
in  einer  Kritik  der  rethorica  eines  gewissen  Pontius:  neseio  pro- 
feeto,  unde  haec  sartago  loquendi  venerit  in  linguas  Germanorum, 
ut  omnes  fere  acüpiant  dictare  pro  eo  quod  est  componere  et  die- 
tarnen  materiam  quae  composUa  sit^  cum  tarnen  hnge  faUant.  dic- 
tare enim  est  id  dicere,  quod  alius  excipiens  notet.  Testis  Georffius 
MerutOf  Domitius  Chaiderinus  et  quo  nemo  ex  recentiorilms  latinitatis 
dbservantiar  Laurenthts  Vdlla.^) 


r«r««t. 


2.  clausula,   cursus. 

Im  Altertum  hiefis  das  rhythmische  Schlulskolon  clausula,  ciautmia. 
ef.  Diomedes  p.  300  oratio  est  sermo  contextus  ad  dausulam  ien- 
dens.    clausula  est  conpositio  verborum  plausibilis  struc- 
turae  ezitu  terminatcu    Dieser  Ausdruck  geht  wahrscheinlich 
auf  die  Zeit  Yarros  zurück^  c£  Leo  im  Herrn.  XXIV  (1889;  291  £ 

Im  Mittelalter  wurde  der  rhythmische  Satzschluls  cursus 
genannt.  Den  Grund  erkennt  man  aus  folgenden  Notizen  des 
Xn.  und  XHL  Jh.:  Boncompagnus  ars  dictaminis  p.  480^):  appo- 
säia,  que  didtur  esse  artifidosa  dictumum  struetura^  ideo  a  qmibus- 
dam  cursus  vocatur,  quia,  cum  artifieialiter  dictiomes  hjtcwiimr,  cmr- 
rere  sonitu  delectabili  per  aures  ridemimr  aum  hmffSmcäkf' 
audiiarum.  Hugo  Bononiensis  rationes  dicianü  p.  5S^\  smmit  pmeiknr 
hoc  duo  necessariGj  id  est  coma  ei  o(4ay  simf  fuJhm  vv)«for  jwvjwAi 
Mom  uOtur  doquentia,  est  coma  rfiri.^^  rMMWv^  j»Jii«y«nu:  jwyw^ 
dettÜ  mm  multum  inpar  posOi^^  ^mmk««^  ;^Wi^  iüsfimunime-  nAmimr 
quasi  currere.  An  grammaiica  ^  XIU  t  Sr  *^:  cnrsms  esi  ^ntr" 
bantm  dtgamtia  vocum  duleedtmem  ^Mimfi  ^ämümH:  wt  cursms 


Ij  Em  M  also  Hohn,  wenn  di<^  V^  JW  *fisawJliät  o)wc.  rironim  lO 
Uoig  dkiamem  =•  Gedicht  g«brin<vb<Mi 
T.  Ed.  Tlmrot  L  c.  (o.  S.  «ÄV 
Z^  EdL  Bockinger  in:  Qu«U«a  $,  V^x  ^  'JkaAmk  ijre^chichi«  (Mduchou 

f  EäL  Fierrille  L  c.  ^o.  S.  90^^ 


960       AnViang  ü;  ZuT  Oeschichte  des  rhythmischen  SatzBchlnsscB. 

est  verbarum  camposUio  Iqpida  et  $uavi8^)  Die  Bezeichnung  geht 
aber  auf  viel  frühere  Zeit  zurück,  cf.  Quintilian  IX  4^  70  quae- 
dam  dausulae  sunt  daudae  atque  pendentes,  si  rdinquantur,  sed 
sequentibus  suscipi  ac  sustineri  solent^  eoqtte  facto  vüium,  guod  erai 
in  fine,  continuaHo  emendat,  ^nan  vult  paptdus  Bomanus  dbsoletis 
criminibus  accusari  Verrem'  (Cic.  in  Verr.  V  117)  durum,  si  desi- 
nas:  sed  cum  est  continuatum  iis  quae  sequuntur,  quamquam  natura 
ipsa  divisa  sunt  *nova  postulat,  inaudita  desiderat*  {j,  sj  i.  j,  sj^, 
salvus  est  cursus.  cf.  106  omnes  hi  (pedes),  qui  in  breües  exci- 
dunt,  minus  erunt  stabiles  nee  altbi  fere  satis  apti,  quam  ubi  cur- 
sus  orationis  exigitur  et  clausulis  non  intersisHiiur.  Gellius  XI  . 
13,  4  cursus  hie  et  sonus  rotundae  volid)ilisque  sententiae.^  Der 
Vorstellung  zu  Grunde  liegt  der  Vergleich  der  Bede  mit  einem 
trabenden  Boüs,  wofür  ich  oben  (S.  33,  3)  Beispiele  gegeben  habe, 
von  denen  hier  nur  eins  wiederholt  sein  mag:   Verg.  ge.  II  i.  f. 

sed  nos  immensum  spatiis  confedmus  aequor, 
et  iam  temptis  equom  spumantia  sohere  frena. 

1)  Cf.  aolserdem  etwa  noch  üdalricos  Babenbergensis,  epitoma  rhe- 
toricae  bei  Endlicher,  Codd.  lat.  Yindob.,  cod.  CCLXXXI  (saec.  Xu)  p.  166  ff. 

2)  Aus  Autoren  des  ausgehenden  Altertums  cf.  Auson.  prof.  Burd.  4, 16. 
Sidon.  ep.  lY  3,  9.    Ruricius  ep.  I  4  p.  357,  3  Engelbr. 


Begister. 


Accent,  griechisch  -  lateinischer  4  f. 
867,  1.  Accentmessong  in  der 
Poesie:  s.  'Rhythmische  Poesie*, 
in  der  Prosa  946,  1.  948  ff. 

Accins,  Bhetorik  889 

Achilles  Tatios  489  ff. 

Acta  Sanctonun,  Stil  768  f. 

Aelian  488.  486,  1 

Aeneas  y.  Qaza  406^  1 

Aeschines  d.  Sokratiker  108  f. 

Aeschylos,  'Reime'  888,  1 

Afrika,  eine  terra  biling^s  862  f. 
'Afrikanisches'  Latein  689  ff.  689, 1 

Agathon  74  f.  77  f.  882 

&%atqov  69,  1 

Alcmn  697 

Alkidamas  72.  188.  145,  8.  147 

Allegorie  543.  549.  678  ff.  688.  788 

Allitteration  69  f.  157.  169  f.  161,  8. 
167  f.  207  f.  620.  629  f.  802, 1.  890 

Ambrosins  651  f. 

Ammianus  Marc.  245.  888,  1.  646  ff. 

Analogie  und  Anomalie  184  ff.  625 

Angelsächsische  Kultur  668  f. 

Anmerkungen,  antike  90,  2 

Anonymus  nsQl  ^ovg  68,  1.  246  f. 
267.  279.  282,  1.  294  f.  296 

Antiochos  y.  Eommagene  140  ff.  268. 
918 

Antipater,  L.  Caelius  176  f. 

Antiphon  der  Sophist,  Stil  72,  2, 
seme  ti%vri  ib. 

Antisthenes  bei  Ps.  Xenophon  de 
yenat.  481,8 

Antithese  (Parisose):  des  Gedan- 
kens 71.  145,  4.  208.  207.  229,  2. 
289.  889.  418.  440.  507  f.  511  f. 
546.  699.  611  f.  628.  788,  der  Form: 
ihre  Geschichte  yor  Georgias  16  ff. 
25  ff.,  Postulat  der  Eunstprosa  50 ff., 
in  den  DeMamationen  288  ff.,  in 
der  zweiten  Sophistik  888  f.  410  ff. 
424.   560 f.,    auf  lateinischen   In- 


schriften 629  f.,  bei  Rüschen  Au- 
toren 689,  4.  641  f.,  m  der  griechi- 
schen n.  lateinischen  Predigt  662  ff. 
616  ff.,  bei  den  Humanisten  n.  in 
den  modernen  Sprachen  786  ff.  — 
In  der  Poesie:  76,  2.  77  f.  881  ff. 
—  YffL  die  einzelnen  Schriftsteller 
und  "Homoioteleuton' 

Antonius,  Triumyir  264 

&nBiQ6%ttXov  868,  2.  884.  559,  8 

&q>iUuc^  gesuchte,  in  der  zweiten 
Sophistik  866,  8.  482  f.  485 

Apokalyptik,  heidnische  u.  christliche 
476 

Apologeten,  christliche  518,  2 

ApoUonios  y.  Rhodos,  sparsame  Rhe- 
torik 888,  2 

ApoUonios  y.  Tyana,  keine  Tendenz- 
figur 469,  1.  cf.  481.  519,  1 

Apostelgeschichte:  Titel  481.  Yer- 
nältms  zum  Eyang.  Luc.  482  f., 
sprachliche  Sonderung  der  Schich- 
ten 488  ff.,  die  Rede  des  Paulus 
in  Athen  unhistorisch  475,  1 

Appian  868 

Appuleius:  Stil  600  ff.  944;  yerpönt 
bei  den  Ciceronianem  590  f.  777  f. ; 
Florida,  Bedeutung  des  Titels  408, 
1.  428.  604,  1.  616;  Metamorph., 
prooem.  695.  608,  6;  'Magier'  596, 
1;  bei  den  Späteren  585,  1.  626, 1. 
689,  1 

Archaismus:  des  Sallust  202.  284; 
der  augusteischen  Zeit  252  ff. ;  der 
ersten  Kaiserzeit  266.  1 ;  der  nero- 
nischen  und  trajaniscnen  Zeit  256  f. ; 
seit  Hadrian  844  ff.  861  ff.  401  ffT 
581.  602  f. ;  saec.  IV/V  676  ff.  586. 
648.  650, 1;  am  Ausgang  des  Alter- 
tums 866  f. -j  fehlerhafter  189,  1.  — 
Vgl.  'Atticismus'. 

Aristides,  Apologet:  gefälschte  Pre- 
digt 545,  1 


962 


Register. 


Aristides,  Bhetor:  Stil  386.  401  f. 
420  f.  845.  919;  Gegner  des  Asia- 
nismus  369.  374 f.;  'Dichter'   886 

Aristoteles  126  f, 

Amobius  606,  1.  946 

Arrian  349.  394  f. 

Artes  liberales  670£f.  696.  699.  712 ff. 
726  ff.  743  ff. 

Asianismus :  in  hellenistischer  Zeit, 
sein  Charakter  131  ff.  150  f.  cf.  374, 
1;  Zusammenhang  mit  der  alt- 
sophistischen Eunstprosa  138  ff. 
147;  =Neoterismus  161  f.  263 ff.; 
Varros  196;  Ciceros  218 ff.  226 f.; 
in  der  ersten  Eaiserzeit  266  ff. ; 
der  A.  und  die  zweite  Sophistik 
353  f.  867  ff.  596  f.  cf.  566;  in  der 
lateinischen  Spätzeit  634  f.  660.  — - 
Schriftsteller  aus  Asien  378,  1 

Atticismus:  in  hellenistischer  Zeit 
149  ff. ;  Zusammenhang  mit  den  ana- 
logetischen  Bestrebungen  184  ff. ;  <=» 
Archaismus,  im  Griechischen  151  f. 
201  ff.  258  ff  357  ff.  401  ff.,  im  La- 
teinischen 361  ff. ;  in  ciceroniani- 
scher  Zeit  184  ff.  209.  219  ff.  239. 
258  f.  939;  in  der  Eaiserzeit  346  f. 
349  f.;  der  A.  und  die  zweite  So- 
phistik 353 f.  357 ff.;  in  der  christ- 
lichen Prosa  532,  1.  536.  559 

Attxaction  172,  1.  193 

Augustin:  Allgemeines  575;  Stil  der 
Predigten  621ff. ;  rhythmische  Prosa 
948 f.;  de  doctrina Christiana 503 ff. 
526  f.  533  f.  553.  617  f.  679;  ver- 
gessene  Schrift  527  f. 

Augustus  240.  249.  253.  263  f.  268 

Ausonius  578.  840,  1.  864,  1 

airög:  Häufungen  der  obliquen  Casus 
ungriechisch  484  f.  506,  2 

Aziochos  125 

Barbaren  im  römischen  Beich  578  ff. 

663 
BasiliuB  569  f.  575.  678 
Beifallklatschen    274  f    295  f  551  ff. 

554  f  564.  949,  1 
Benedictus  y.  Nursia  664  f. 
Beredsamkeit,  s.  'Bhetorik' 
Biographie,  rhetorische  205  f. 
Bion  130.  673;  bei  Plutarch  393.   S. 

auch  'Diatribe' 
Boccaccio:    Stil    766,  1;    über    das 

Wesen  der  Poesie  907 
Boethius  585  f. 
Bonifatius:  Schreibung  des  Namens 

669,  1 


Brief:   täglicher  238,  1.  367;   stili- 
sierter 88,  1.  484.  492.  538,  2.  618 
Buchstaben:  tu  ^nalä*  axoix§ilu  67 ff. 
Bjzanz  407.  572  f. 

Caecilius  %atoc  ^ovy&v  265,  1 

Caesar:  Analogetikerl88;  Stil  209  ff. 
939;  bell.  Gall.  ab^schrieben  in 
Gallien  578,  1;  seme  Fortsetzer 
211  f. 

Cambridge:  Schule  daselbst  724,  3 

cartnen  =  Zauberspruch  160  f.  820  ff. 

Cassiodor:  Stil  derVariae  653;  Ver- 
hältnis zur  Antike  663  ff. 

Cato  d.  Ä.  164  ff. 

Chariaius:  Nationalität  679,  1 

Chartres:  Schule  daselbst  716  ff. 

Chorikios  407.  620^  1.  534.  922,  3 

Christentum  und  Hellenismus  in  der 
Litteratur  452 ff.  674 ff.;  Chr.  con- 
seryierte  die  heidnische  Litteratar 
662;  Urchristentum  u.  katholisches 
Chr.  612 ff.;  occidentalische  Gegner 
des  Chr.  s.  IV/V  677  f. ;  StilÄeo- 
rien  der  christlichen  litteratur 
629  ff.  533  ff.  —  S.  auch  'Stoa'. 

Cicero:  Allgemeines  212 ff.  216 ff.; 
urbanitas  sermonis  190  f. ;  Häufung 
von  Synonymen  167, 1;  C.  und  An- 
tiochos  y.  Eommagene  140.  145,2; 
'Asianer'  218 ff.;  C.  u.  C.  Gracchus 
171,  3;  C.  und  die  Deklamatoren- 
schule 200,  1.  208.  232,  1.  248,  3; 
Entwicklung  seiner  Kunst  221  ff. 
225 ff.;  Vortragsweise  274;  Theorie 
über  den  Stil  der  Geschichtsschrei- 
bung 94,  1.  235;  Tendenz  von  'de 
oratore'  222 ff.;  Tendenz  des 'Bru- 
tus' 259;  litterarisches  yivog  der 
Paradoxa  417 f.;  wie  ist  C.  zu  re- 
citieren?  774,  2.  930 ff.;  C.  als 
'Dichter'  839.  890 f.;  C.  saec.  V 
p.  Chr.  640,  2;  C.  im  Mittelalter 
690,1.  691,1.  700.  705.  706  ff.  718. 
719,4.  738  f.  744;  C.  im  Huma- 
nismus (Ciceronianismus)  690  f. 
773  ff.  780,  1.  782.  802  ff. 

Citate  yon  Versen  in  Prosa  89,  3; 
rhetorische  Selbstcitate  619,  1 

Claudianus  Mamertus  685.  688 

Claudius,  App.  bei  Mart.  Cap.  HI 
261:  58,  1 

Claudius,  Kaiser  236.  297 

Clemens  Alexandrinus :  Stil  648  f  ; 
Pädagogik  674  f. 

Clemens  Romanus  [ep.]  2:  641  f. 

'color''  rhetaricus  871,  2 

Constantin  946  f. 


Register. 


963 


carrupta  eZo^fuenh'a  ^»Asianisinus  267, 

1.  298 
Crassus,  L.  Licinius  174  f.  222  ff. 
cttrsus        orationis        ( rhythmische 

Klausel):   Bedeutung   des  Wortes 

969  f.  cf.  428,  1;   Anwendung:   88, 

3.  140  f.  172  ff.  208.  264,  8.  288,2. 

292ff.  303.  305.  311f.  897,4.  413ff. 

421.  425  ff.  427,  1.  438.  445  f.  546. 

565,2.    600.    613.    625,2.    639,3. 

644,2.  649.  716.  909 ff.;  Meyerscher 

568,  3.  922  f.  cf.  947,  1 
Curtius  Bufus  304 
Cyprian  618  ff.  944  f. 

Dante:  Stil  seiner  Prosa  753.  951, 
von  den  Humanisten  yerworfen 
765,  3;  seine  Verse  869,  1.  907,  2; 
über  das  Wesen  der  Poesie  897 

Deklamation :  Zusammenhang  mit  der 
Diatribe  309.  651  (s.  auch  'Perso- 
nifikation' und '9170/');  Verhältnis 
zur  Poesie  885  ff. ;  der  ciceroniani- 
Bchen  Paradoxa  417  f. ;  der  Kaiser- 
zeit  248  ff.  266  ff.  270  ff.  918.  940; 
=  Predigt  554,  1 

Deklination:  Oenitiv  sing,  der  No- 
mina auf  'iu8  bei  Cicero  932,  1; 
Nominativ  plur.  der  o-Stämme  auf 
-s  191,  2 

Demetrios  v.  Phaleron  127  ff.  248 

Demokrit  22  f.  41.  44.  59  f. 

Demosthenes:  Verhältnis  zur  sophi- 
stischen Kunstprosa  26,  1.  120 f.; 
D.  und  Isokrates  115;  Häufung 
von  S^onymen  167, 1 ;  Kraftworte 
185;  Disposition  115,  2;  Vortrags- 
weise 56;  rhythmische  Analyse 
einzelner  Beden  910 ff.;  bei  den 
Atticisten  401.  408.  428. 

Deutsch:  :»  'barbarisch'  im  Mittel- 
alter 694.  769,  2;  altdeutsche 
Sprüche  in  rhythmischer  Prosa 
161,  3  cf.  823  f. 

DexippoB  241  f.  898  f. 

diaUiig  =  Predifft  541.  564 

diazQtßi^:  entwickelt  aus  dem  Dialog 
129  f.;  bei  Paulus  506, 1 ;  bei  Philo 
u.  Plutarch  898,  2;  d.  u.  Predigt 
556  ff.  S.  auch  'tprinC 

Diktieren  498,3.  498,8.  588,2.  954 ff.; 
==  'dichten'  958;  dictamina  715, 1. 
756,  4.  953  f. 

Dio  Cassius  244.  395  ff. 

Dio  Chrysostomus :  SUl  297.  423; 
Gegner  des  Asianismus  376.  379, 
2;  nachgeahmt  yon  Mazimus  Tyr. 

Norden,  antike  Kanstprosa.   II. 


391,  1;  Ton  Synesios  405;  Ps.  Dio 

de  fort.  8.  'Favorinus' 
Diocletianisches  Edikt:  Stil  946 
Dionys  y.  Halikamass:  Beurteilung 

79  ff.  884  f. 
Doctrinale,  mittelalt.  Grammatik  712. 

727,  4.  741,  2.  746 
Dogma:  hellenische  und  christliche 

Bedeutung  461  f.  545 
Domitius  Afer  269,  2.  336,  2 

Einhart  694  f.  702  f.  749 

Einsiedler  Inschrifbensammlung  708  f. 

Ekkehart  t.  St.  Gallen  873  ff. 

itupgdasig  285  f.  304.  306.  315.  320. 
332,  3.  337.  408,  2.  419,  1.  488. 
441.  570.  585,  2.  604,  2.  614,  4. 
647.  651.  652.  878  f.  893,  4 

'*!EUi]vfff  = 'Heiden':  Ursprung  des 
Namens  514,  1 

Empedokles:  Beziehungen  zur  Bhe- 
torik  17  ff. 

Encyklopädieen :  fehlend  bei  den 
Griechen  574  f. ;  mittelalterliche 
740,  1 

England:  rhetorisch-stilistische  Ten- 
denzen in  der  Benaissance  785. 
786  ff.  799  ff. 

Enklisis  Ton  est  936,  1 

Ennius:  Bhetorik  885.  889.  888 f.; 
Fragmente  aus  Cato  4- Vergil  168, 
aus  Quadrigarius  -f-  Vergil  179,  1, 
aus  Livius  +  Ver^  235,  2 

Ennodius  688,  2.  639,  4.  949 

Epiktet:  Gegner  der  Bhetorik  865, 3; 
kennt  nicht  die  christl.  Litteratur 
469,  2.  519 

Epikur:  Stil  123  ff. 

Epiphanes,  Gnostiker  464 

Epistolae  obscurorum  yirorum  745  f. 
767  f.  cf.  901 

Euenos  78 

Eunomius:  Streitschrift  gegen  Basi- 
lius  558  ff. 

Euripides:  Verhältnis  zur  sophisti- 
schen Kunstprosa  28  f.  75  f.  832  f. 
884,  2 

Evangelien:  Stellung  zur  Litteratur 
479  ff. ;  'Fischersprache'  516,  1. 
521.  580.  548;  Ton  wenigen  Heiden 
gelesen  518  f.^  von  einigen  Christen 
nur  widerwiUiff  520, 1 ;  Keden  Jesus 
817  ff.;  ev.  Luk.  10,  16:  817,2;  CT. 
Joh.  prol.  472  ff.  475,  1.  518,  1.  S. 
auch  ^Lukas' 

eoeempla  aus  der  Geschichte,  rheto- 
rische 876.  284  f.  808  f.  809.  417. 
699 

62 


964 


Register. 


Fayorinas:  Stil  376 f.;  =  Ps.  Dio 
Chrysostomus  de  fort.  297.  422  ff. 
919  f. 

Figuren  der  Bede  s.  'Antithese'  u. 
THomoioteleuton' ;  im  N.  T.  626  ff. 

Flickwörter  896  f.  427,  1.  929 

Florus  698  ff.  cf.  888,  1 

Fortuna  in  den  Deklamationen  276  f. 
397.  427,  1.  647 

Frankreich:  Bedeutung  für  die  klassi- 
schen Studien  im  Mittelalter  686  f. 
690^1.  691,1.  698 ff.;  rhetorisch- 
stilistische Tendenzen  in  der  Be- 
naissance  780ff.  797,  3.  798, 1.  906, 
in  der  Neuzeit  2, 1.  S.  auch  'Gkdlien' 

Fremdwörter:  in  der  Eunstprosa  ver- 
pönt 60,  1.  188  f.  868,  1.  482.  486. 
489,  1.  498,  8.  611.  cf.  678  f.  698. 
694.  769,  2.  776  f. 

Fronto:  Stil  362 ff.;  Gegner  der  Phi- 
losophie 260,  2;  Schätzung  bei  der 
Nachwelt  867 
Fulgentius,  Bischof  624,  2 
Fulgentius,  Mythologe  626,  1 

Oalen:  Qegner  der  Atticisten  368,1; 
über  die  Christen  464.  618,  1 ;  un- 
bekannte Schrift  ib. 

Gallien  (Aquitanien):  Bhetorik  da- 
selbst 638.  631  ff. ;  griechischer  Ein- 
flufs  674.  582  ff. ;  Einwirkung  auf 
die  übrigen  Provinzen  642 

Gaza:  Bhetorenschule  daselbst  406 f. 

Gebete,  altitalische  166  ff. 

Gerbert  (Silvester  U.)  706  ff.  896 

Geschichtsschreibung :  Beziehungen 
zur  Bhetorik  81  ff.  647,  zur  Poesie 
91  ff.;  Materialsammlungen  94;  G. 
der  römischen  Bepublik  176  ff. 

Gleichnis  von  den  zwei  Wegen  477 

yvcbfuxiQS.  138  f  201.  209.  230.  279  ff. 
309  f  320.  397.  408, 1.  436;  an  den 
Schlufs  gestellt  280  f.  330,  1.  339 

Gnostiker:  Schöpfer  der  christlichen 
Kunstprosa  546 ff.  cf  920 ff.;  Hym- 
nen 817.  863.  888,  3  cf  851  f ; 
Gegner  der   Allegorie    643,  2    cf 

676,  1 
Gorgias:  Begründer  der  Eunstprosa 
15  ff.  cf  807;  poetische  Sprache 
30.  41.  98,  2;  Wortstellung  66  ff.; 
Satzbau  64;  genaue  Disposition 
368,2;  %a%otriXia  68  ff.;  Inschrifb 
auf  ihn  68.  71,  1;  Lehrer  des  Iso- 
krates  116  f;  Anspielung  bei  Theo- 
pomp 122 ,  2  ;  Nachahmung  bei 
^ftteren  229, 2. 889  f.  893, 1 ;  Wert- 


schätzung in  der  zweiten  SophisÜk 

380  f.  384  ff.  438,  1 
^Grothischer'  Baustil:  Urspron^   des 

Namens  770,  1 
Gracchus,  C.  67.  171  f.  178 
Grammatik  im  Mittelalter  712.  74S, 

2.  756;    Zusammenhang   mit   der 

Metrik  894,  1 
Grecismus,  mittelalterliche  Ghramma- 

tik  712.  741,  2 
Gregor   d.   Gr.   531,  1.    654.    684,  1. 

685  f. 
Gregor   v.   Nazianz   418,  1.    419,  3. 

543.  662  ff.  677  f.  847.  862 
Griechisch:    Gräcismen    im    Latein 

173,1.   183  f  193  f   689,1.    607  ff. 

648 f.;  Eenntnis  in  Afrika  361  ff. 

694 f.  607 ff.,   im   Spätiatein  686. 

694,   im   Mittelalter   666,  1.    668. 

699.  754,  2 
Guevara,  Antonio  788  ff. 

h,  konsonantisches  960,  1 

Hadrian  349.  365,  3 

Handschrifbenkataloge  ans  dem  Mit- 
telalter 704  f.  706,2;  Exccrpten- 
hss.  719,  4 

Hebräerbrief:  Stil  499  f. 

Hegesias  184  ff.  148,  3.  232,  1.  917. 
S.  auch  ^Asianismus' 

Hendiadyoin  167,  1 

HerakHt:  Stil  18  f.  28  f.  41.  44;  H. 
und  der  Prolog  des  ev.  Joh.  472  ff. 

Herennius,  Bhetorik  an  ihn  161,  1. 
175.  224.  930 

Hermes  Trismeg.  418 

Hermogenes  360.  882  f.  884,  1 

Herodes  Atticus  363.  369,  1.  377. 
388  f. 

Herodian,  Historiker  897 

Herodot:  Verhältnis  zur  sophistischen 
Eunstprosa  27  f  38  ff.,  zum  Epos 
40  f.  46.  90,  2;  in  der  Eaiserzeit 
348 

Hiatvermeidung  57.  67.  146.  268,  2. 
406,4.  499,2.  562.  797;  angehoben 
in  der  zweiten  Sophistik  361 

Hieronymus  660  f.  947  f. 

Hilarius  v.  Poitiers  583  ff. 

Himerios:  Stil  370.  386.  428  ff.  469; 
verspottet  von  Libanios  403,  1; 
Lehrer  des  Gregor  v.  Naz.  668 

Hippias:  Stil  59.  72.  cf.  386,  2;  Be- 
gründer der  artes  liberales  671;  in 
der  zweiten  Sophistik  381.  602 

Hippokrates  und  Hippokratiker  21  f, 
44 

Hippolytos,  Bischof  647  f. 


Register. 


965 


ffisperica  famina  867.  764,2.  3.  767 ff. 

Homoioteleuton:  nur  an  pathetischen 
Stellen  61  f.  847  ff.  861.  878 f.;  in 
der  Predigt  847  ff.;  bei  den  Tra- 
gikern 76,  2.  77  f. ;  mittelalt.  Schrei- 
bungen des  Worts  871, 1.  S.  auch 
'Antithese'  u.  'Reim' 

Horaz:  Allgemeines  243.  268  f.;  de 
a.  p.  46  f. :  189.  869 

Hortensius  221  f. 

Humanismus  u.  die  Antike  464  ff. ;  H. 
u.  das  Mittelalter  782  ff.;  H.  gegen 
die  modernen  Sprachen  769  ff.;  Sti- 
listik 768  ff. ;  Humanistenlatein  u. 
die  modernen  Sprachen  780  ff. ;  hu- 
manistische Lehrbücher  741,  2.  S. 
auch  'Reim' 

Hymnen,  christliche  811,  2.  828,  1. 
841  ff.  868,  1.  869  ff.  864,  1.  889, 
8.  auch  'Gnostiker';  H.  in  Prosa 
844  ff. 

Hyperbaton:  s.  'Wortstellung* 

lamblichos,  Sophist  486  f. 
Jesuitischer  Unterricht  in  der  Stilistik 

779,  1.  798.  799,  1.  808^.  902  f. 
Ignatius:  Stil  610 ff.;  im  IV.  Jh.  sti- 
listisch umgearbeitet  616,  1 
inguit  in  der  Diatribe:  s.  ^tprjai^ 
Inschriften:  altoriechische  46  f.;  des 

Antiochos  y.  Kommagene  140  ff.  268. 

918;  andere  hellenistische  146,  1. 

168  f.  186,  2.  238,  1.  671,  8;  grie- 
chische der  Eaiserzeit  241  f.  886, 2. 

448 ff.  627. 920;  altlateinische  178, 1; 

lateinische  der  Eaiserzeit  297. 866, 1. 

627  ff. 
Interpunktion,  rhetorische  (?)  47,  1. 

761,  1.  941,  2.  962  f. 
loannes  Chrysost.  686,  2.  661  ff.  670  ff. 

676,  2.  678  f. 
Johannes  Sarisber.  718  f.  717.  762 
Josephos,  falscher  («» IV.  Makkabäer- 

buch)  416  ff. 
Irische  Kultur  666  ff. 
Isidor  V.  Sevilla:  sein  Verhältnis  zur 

Antike  668,  1 
laoTKolov:  in  der  Poesie  887  f.;  in  der 

Prosa  s.  'Antithese' 
Kokrates :  Vollender  der  sophistischen 

Kunstprosa  118  ff. ;  Hiatvermeidung 

57. 67 ;  in  der  zweiten  Sophistik  384. 

388,  1  cf.  661  f.;  Pädagogik  671; 

Wertschätzung  in  der  Renaissance 

796  ff. 
Judentum:  das  hellenisierte  und  das 

ChriftflP« 


Julian,  Kaiser  464.  460. 464.  614.  516. 

618.  662.  846  f. 
Juristen:  Stil  681  f.  946  f.  947,  1.    S. 

auch  'Kanzleistil' 
Justin,  Historiker  300  f. 

Kakophonieen:  gemieden  68,1.  889, 8 

cf.  882,  2 
xaxö^2lov  69,  1.  184,  1.  263,  2.  278. 

298  f.  698 
Kallimachos:  Rhetorik  833  f. 
Kallinikos,  Sophist  869  f. 
Kanzleistil:  der  hellenistischen  Zeit 

163;  der  spätlateinischen  Zeit  663. 

946  f.;  päpstlicher  768  f.  926 
Karl  der  Grofse  628.  681  f.  698  ff.  724. 

966  f. 
Karl  der  Kahle  698  f. 
Karthago:  litterarische  Bedeutung  in 

der  Eaiserzeit  692 
KlassiFche    Studien    im    Mittelalter 

680,  8.  690  ff. 
nofiipöv  69,  1 

Konjugation:    Perfectum   conj.,   Be- 
tonung bei  Cicero  986,  4 
Konstruktionen :  ungewöhnliche  durch 

Stilzwang  614.  622,  4;  ad  sensum 

163,  2.  192 
Konzil  zu  Bagai  626  f. 
%6Qdcc^  Ton  der  Diktion  810,  2.   876 

cf.  660.  668,  1 
%Qdßßoetog  s.  c%ifinovg 

xpÖTOff:  rhetorische  Bedeutung  428, 1. 

661,  2. 
Kürze,    affektierte   288 f.  810.    819. 

834  f.  388 
Kunst,  bildende:  ihr  Verhältnis  zur 

Kunstprosa  160,  1.  266,  2.  781 
Kunstprosa,  s.  'Prosa' 

Lactanz  682.  606,  1.  616.  946 

Lambert  y.  Hersfeld  760  ff. 

Lateinisch:  Kenntnis  des  L.  bei  den 
Griechen  272.  862;  in  griechischen 
Schrifben  60,  1 ;  beeinflufst  fast  nie 
das  Griechische  861, 2 ;  Umkehrung 
dieses  Verhältnisses  im  griechischen 
Mittelalter  676 ;  tote  Sprache  durch 
den  Humanismus  767  f.  S.  auch 
'Fremdwörter' 

laudatio  Turiae  268, 2;  Murdiae  268, 2. 
297 

^Leoninischer'  Reim  722 

Lesbonaz  890  f. 

Lesen,  lautes,  im  Altertum  üblich  6 

cf.  966 
LeukioB,  Verf.  apokrypher  Acta  860, 1 

62* 


I 


lf|i«(^pop^vt)  in  primitiver  Rede  87,1. 

4D.  491 
Libanios  370.  374,  3.  402  H.   131.  1. 

451.  US 

Lignrinus,  ma.  Gedicht  875  ff. 

Likynmiofl  73  f. 

LipaiDB  TT5.  776,  2 

Licteratnr:  Wertschätzuuc:  in  der 
Kaiserzeit  ■iil  ff.  344  f;  warum 
die  lateinische  in  der  KaiBerzeit 
gerioffwertiger  als  die  griechiache? 
573  fr 

LifiuB;  Stil  234  ff.  936  f.;  im  Mittel- 
alter 751 

Logograpbie:  Verhältnis  zam  Epoa 
85  ff. 

li^os,  hellenisch-cbriatlicher  473  ff. 

Longin,  CaBsins  360.  3U9. 

Longos,  Sophist  437  ff. 

Lacau:  Rhetorik  599.  893.  2.  4 

LucilJus  L  IX:  18ß 

Lucrez:  mafsvolle  Rhetorik  890;  Ci- 
ceroa  Urteil  über  ihn  182   1 

Lukaa:  Sprache  q.  Stil  483  IT.  485  ff. 
541,  J.    S.  auch  'ApOBtelgHBchichte' 

Lnkian:  Stil  3S3.  S94.  409,  2.  756; 
Gegner  der  Sophiateu  368,  I,  359. 
874,  1.  377  f.  384,  1;  kennt  nicht 
die  chriatl.  Litteratur  519,  1 

Ljly,  John  78eff.  802 

Ljnlter  bei  Rhetoren  429  f  78.  1. 
885,  1 

Ljaiaa  130 

Macrobiaa:Nationalität6Tg,l:  Gegner 

des  ChnBt«ntiuna  677  f. 
Maecenas:  Stil  968.  2«?.  292  ff  311, 1 
MatemnB  324  f. 
MaximuB  Tyriue  391,  1.  886. 
ulieauiäidit  69,  I  cf.  661,  2.  567 
Heia:  Zeit  306,  4;  Stil  30G  f. 
Melanchthon  660f.  741.  745.  766,  2. 

767,  976,  1.  893,  I.  904  f,  907 
u^t>  —   Si:    griechisches    Spezüikam 

85,  8.  486.  499,  2.  600,  1.   609,  1. 

512,  2 
Monipn  76G  f. 
Minncius  Felix  605.  943 
Mittelalterliche  Poesie  nnd  Prosa  in 

klaaetachen  Formen    72S  ff.    748  ff. 

»76  ff.;  manierierte  Prosa  763  ff.; 

rhythroiache  Proaa  950!', 
MOnchtnuL   und   Philosophii-   470,    e. 

auch  'Stoa' 
povmSiai:  Stil  der  prosaiachen  420  f. 
Mueik,    alte:    verlorene  Keuntnia  s. 

IT  842  f. 

9  378.  391,  1 


Xacbschreihen  von  Reden  536,  1 
Nepoa  146,  4.  304  ff.  »10 
nAil:  Aosaprocbe  bei  Cicero  933,  3 
NikephoTos,  Bhetor  a.  Vm :  nnediert* 
Rede  371,  3.  952,  I 

Oliiiv:  rhetorificlie  Bedeatong  69,1, 
s.  aneh  tamori  ähnliche  Wort«  661,2 

ifuUa  =  Predigt  641.  642,  1 

dvdiiata  '^  voitlaitBTB  364  f. 

[Oppian],   Cyneget.:   Rhetorik  834  ff. 

Ongenes:  Pred^ten  643.  648  f.  657; 
Urteü  über  Häretiker  646,3;  Päda- 
gogik 674  ff. 

Orleans:  Schnle  daselbst  734  ff. 

Orid:  Rhetorik  379  1  283  f.  388.  309. 
385.  885  f.  891  ff. 

PacuTius:  Rhetorik  88S 
ParoUeligma« :  =^  ^aelaiaais  der  Eunst- 

prosa  816,    s.    auch    'Antithese'; 

Grondförm  der  Poesie  156  ff.  813ff  ; 

im  tragifichen  Chor  S7,  1;  hebräi- 
scher Gedankenparalleliamns  509  f. 

817  ff. 
Parataxe:  8.  'li^ig  cifoniv^' 
Paris:    Universität    daselbst    712  ff. 

725  ff.  725,  4.  741,  2 
Parmenides:  Rhetorik  884 
Partitio  in  Reden:  ihr  Drsprong  386,  3 
Paulus,  Apostel:  P.  und  die  jödioch- 

hellenistische Litteratur 474 ff  49ar.; 

P.  a.  die  hellenische  Litteratur  492  ff. 

522;  Stil  4Ö8ff.  656;  ep.  ad  Cor,  I 

9,  24  ff.:  467,  I  13:  509  f.  (doch  b. 

auch  817,  2),  11  6,  7  ff. :  508,  1,  ep. 

ad  Gal.  4, 33  ff.:  674, 1,  ep  ad  Rom. 

S,  14:  497.  1;  [Paulus]  ep.  ad  Tim. 

I  3,  14  ff.:  852  f.,  I  6.  20:  606,  S, 

n  2,  10  fl.:  863,  2 
Paulus,  Diaconus:  Epitome  de« Fm 

867.  695f.;  Stil  der  Langoba  ' 

geachichte  749  f. 
Paulus  V.  Samosata  549  f. 
Periodik  42,  1.  117.  386.  490  f.  bU 

649;  Auflösung  der  Periode  IM 

134  r.  207.  295  ff.  803.  817.   38ll'r 

409.  1.   410  ff.  420  f.   «7,  1. 

439.  653 
PeraiuB  1,  92 ff,:  881  f. 
Personifikation  {npacTaiiioiioi  1(1):  i 

Diatribe  139,  J ;  in  der  Deklaraal» 

der  Kaiaerxeit  377.  816.  321. 


Register. 


967 


Pbaedrus^  Fabeln  Ton  Seneca  igno- 
riert 243 

phäkrae  der  Bede  646 

(prioC  (inquü)  in  der  Diatribe  u.  Pre- 
digt 129,  1.  277.  606,  1.  667  f.  667. 
612 

Pbilippofl  Sideta  370  f. 

Pbilo  Alezandr. :  Pädagogik  673  ff. 

Philostratos  380  ff.  389  f.  411  f.  416  f. 
433.  918  f. 

Piaton:  Stil  67.  104  ff.  844;  Päda- 
gogik 670;  Menexenos  60;  Pbaedr. 
231  ff.:  91,  252  B:  111,  1,  267  CD: 
43.  74, 1 ;  Symp.  197 C:  74  f. ;  Tbeaet. 
156  CD:  410, 3;  Nacbabmungen  des 
Pbaedrus  113.  408,2.  429,  1.  438. 
466 

PliniuB  d.  Ä.  297.  314  ff. 

Plinius  d.  J.  282  f.  299.  318  ff.  942 
cf.  646 

Plotin  399  ff. 

Plutarcb:  Biograph  244;  P.  u.  Tacitus 
341 ;  Gegner  der  Sophisten  877. 380. 
384,  1.  392  ff. 

Poesie,  rhetorische  76  ff.  283  f.  286. 
324  f.  376, 1.  386.  832  ff.  871  ff.  883  ff. 

Pointen  68  ff.  138  f.  232,  1.  280  ff.  S. 
die  einzelnen  Schriftsteller 

Polemon :  Stil  386. 389 ;  Gegner  des  ex- 
tremen Asianismus  386.  389;  Lehrer 
des  Gregor  v.  Nazianz  663 

PoUio  237,  2.  261  ff. 

Pollux,  Sophist  378.  411,  1 

Polybios  81  ff.  161  ff.  237,  1 

Polykarp  612 

Poseidonios:  Stil  164,  1;  Pädagogik 
672 

Predigt:  Geschichte  der  christlichen 
637  ff.  616  ff.  641  f.  662.  664.  846  f. 
852  ff. ;  angebliche  des  Ps.-Iosephos 
416  ff. 

Prodikos  97.  99,  4.  167.  381,  B 

Proklos  y.  Eonstantinopel  866  ff.  923 

Prokop  V.  Gaza  367  f.  406  f.  421,  1 

Proömien:  Stilisienmg  172.  432.606, 
2 ;  affektierte  Bescheidenheit  696, 1 

Prosa:  Etymologie  630,2;  Verhältnis 
zur  Poesie  80  ff.  62  f.  78  ff.  105. 
147, 1.  160 f.  429.  484 f.  760 f.  841  ff.; 
poetische  Worte  30.  36.  40  f.  52, 1. 
72,  2.  74.  107.  117.  187.  146.  168. 
235,  2.  286  f.  331.  410, 1.  600.  603. 
639,  2.  650;  P.  und  Vers  gemischt 
74  f.  110.  148,1.  426  f.  427,1.  486. 
7o5  f.  848;  metrische  Prosa  53,  8. 

.    74.  135  f.  177.  626  ff.  982,6.984,3 

cf.  912,  2;  rhythmische  Prosa  41  ff. 

10. 117  f.  124.  186  ff.  167  ff. 


161,  8.  176  f.  178  f.  219.  290  ff.  882. 

397,4.  400.  409,2.  418  ff.  420 f.  424  ff. 

429  f.  434.  438  f.  441  f.   445.   649. 

662.  566.  659  ff.  566  f.  668.  629  ff. 

767 ff.  847ff.  909ff.  (s.auch'cursusM; 

musikalisches  Element  der  P.  66  ff ; 

gesangartiger  Vortrag  und  dessen 

Ausartung  66  ff.  136. 161.  266.  294  f. 

376  ff.  869  ff. ;  gesucht  unrhythmische 

Prosa  262 f.  269,2.  936 f.  989 f.  942 f.; 

altitalische  162  f. 
Protagoras  41 
ipvufov  69,  1 
Ptolemaios,  Gnostiker  920  ff. 

Quadrigarius,  Annalist  176.  178  f. 
237,  1 

Querolus  630  f.  769 

Quintilian:  allgemeiner  Standpunkt 
269;  de  causis  corruptae  cloquen- 
tiae  247,  2.  271  ff.;  inst.  IX  8,  79 
u.  X  1,  63  emendiert  269,  2.  886, 1 

Bede:  Vortragsweise  61  ff.,  s.  auch 
^Prosa' ;  Reden  bei  den  Historikern 
86  ff.  148,  8.  176.  800.  384,  1.  476 

Reim:  Etymologie  des  Worts  826,2; 
Geschichte  810  ff.;  in  quantitieren- 
der  Poesie  881  ff.  890.  893,  1,  von 
Vergil  gemieden?  889,  3;  'leonini- 
scher' ,  Ursprung  des  Namens  ?  866, 1 , 
im  Mittelalter  von  einigen  gemie- 
den 876  ff. ;  in  griech.  Hymnen  859  ff. ; 
in  lat.  Hynmen  864,  1;  ursprüng- 
lich als  rhetorische  Figur  nur  an 
pathetischen  Stellen  847  ff.  861. 
878  f. ;  in  der  Prosa  des  Ma.  760  ff. 
866  f.;  verworfen  von  den  Huma- 
nisten 766,  1.  869,  1.  879,  3.  882. 
S.  auch  ^Homoioteleuton'. 

Rhetorik  (Beredsamkeit):  ihre  Bedeu- 
tung 6  ff. ;  Beziehungen  zur  Poesie 
42,  2.  871  ff.  888  ff.,  s.  auch  'Prosa'; 
R.  u.  Philosophie  8,  2.  250,  2;  ihr 
Verfall  in  Attika  126  ff.;  Bered- 
samkeit in  der  rOmischen  Republik 
169  ff.,  in  der  Kaiserzeit  246  ff.,  im 
Mittelalter  896,  1;  rhetores  latini 
175.  176,  1.  222  ff.  248 

Rhythmus:  ^rhythmische*  Poesie  826. 
848  f.  867,  1 ;  prosaischer  s.  Trosa' 

Romane:  ihr  Verhältnis  zur  Rhetorik 
484,  2 ;  Stilisierung  434  ff. 

Romanen:  ihr  Verständnis  für  die 
Knnstprosa  2  ff.,  s.  auch  'Frank- 
reich' u.  'Spanien' 

Romantik:  in  der  Eaiserzeit,  s.  'Ar- 
chaismus' 


968 


Register. 


Sallüst:  Stil  200 ff.;  Charakteristiken 
87,  2;  Urteil  des  Livius  über  ihn 
234;  beliebt  bei  den  Deklamatoren 
288;  Tacitos  und  S.  828  f.  335  f. 
939  f.  S.  bei  Späteren  688.  640,2. 
646 

Salyian  586 

Sana  eloquentia  —  Atticismns  267, 1. 
298,  3.  643 

Satumier:  Urform?  167  ff.  cf.  820  ff. 
867,1 

Scholastik  711  ff.  755,  1 

Schnlnnterricht  in  der  Kaiserzeit  347  f. 

Scipio  Africanus  minor  170 

Sedulius,  Herkunft?  637,  6;  Prosa 
949  f. 

Seneca  d.  Ä.  248  ff.  281  f.  300 

Seneca  d.  J. :  Stil  306  ff. ;  Auflösung 
der  Periode  297. 309  f. ;  rhythmische 
Prosa  311  f.  941  f.;  Zögling  der  Rhe- 
torenschule  304;  Repräsentant  der 
Modernen  254  f.  283.  307  f.  419, 1. 3; 
Tragödien  310,  1.  893,  1.  2.  4 

Servatus  Lupus  699  ff.  750 

Sicilier:  ihr  Charakter  25,  2 

Sidonius  367.  386.  578  f.  638,  1 

Simonides  bei  den  Sophisten  441,  2 

Singen  in  der  Rede:  s.  'Prosa' 

Sisenna  177.  188.  608,  1.  603, 5.  756 

axiiinovg  atticistisch  ^  %Qdßßaxog 
532,  1 

Sophisten,  alte :  ihre  Beziehungen  zur 
Poesie  73  ff.,  s.  auch  'Prosa* 

Sophistik,  zweite:  Ursprung  des  Na- 
mens 379,  2;  allgemeine  Charak- 
teristik 861  ff.  650  cf.  374,  2.  422  f. ; 
die  zweite  und  die  alte  S.  379 ff.; 
ihre  Beziehungen  zur  Poesie  886  f. ; 
Proben  der  Stilisierung  410  ff. 

Sophokles:  Rhetorik  884,  2;  'Reime' 
883,  1 

Sophron:  rhythmische  Prosa  46  ff. 

Spanien:  Humanismus  daselbst 741, 2. 
788  ff. 

Sprachreformen  in  ciceronianischer 
Zeit  183  ff. 

Stil:  wechselnd  in  verschiedenen  Wer- 
ken eines  Autors  11  f.  43.  323  f. 
365,  3.  421,  1.  600,  3.  603  f.  624,2 
cf.  052;  Einheitlichkeit  höchstes 
Postulat  88  ff.;  St.  der  i%q}Qaais 
285  f.,  s.  auch  '  Atqppaat;  * ;  stilisti- 
sche Umarbeitungen  515,1  cf.  620,1. 
525,2.  645,  1;  der  'alte'  und  der 
'neue'  Stil  s.  'Atticismns'  u.  'Asia- 
nismus* 

Stoa:  bei  Plotin  400, 1 ;  St.  u.  Christen- 
tum 243.  453.  462  ff.  467,  2.  470. 


472 ff.  497,  1.  546,  8.  547,  2.  548 

676,  1. 
Sturm,  Job.  802  ff.  904,  2 
Subskriptionen  677, 1 
Sueton  387,  1 
Sulpicius  SeyeruB  683 
Symmachus:  Stil  643  ff.;  Gegner  des 

Christentums  677 
Synesios:    Gegner    des    Asianismus 

361  ff.  366  f.  378  f.  405;  Hymnen 

863 
Synkrisis  26,  1 

Synonyma  gehäuft  166  f.  225.  620 
Syrus,   Publilius:    Rhetorik   289,  2. 

888,  1 

Tacitns:  Stil  329  ff.  942  cf.  88;  Ex- 
kurse  90, 2 :  Charakteristiken  87, 2 
cf.  304,  2;  T.  u.  Sallust  328  f.  336  f 
942  f.;  T.  u.  die  Rhetorenschule 
304,  2.  329.  336  ff.;  T.  u.  die  Ge- 
schichtsschreiber der  Eaiserzeit 
340  ff.  cf.  395.  396,  1;  T.  u.  die 
Tragödie  93.  244.  327  f.;  T.  bei  den 
Späteren  640,  2.  646  f.;  Zeit  des 
Dialogus  322  ff. ;  Quellen  des  Dia- 
logus  246 f.;  yivog  der  Grermania 
326  2 

Telesr*  Stil  130.  657,  3;  zur  Kritik 
427,  1 

Terenz:  Purist  186,  1.  187,  2;  im 
Mittelalter  631,  1 

Tertullian  606  ff.  943  f. 

Testament,  Neues :  Stiltheorieen516ff. 
526  ff. 

Themistios:  Gegner  des  Asianismus 
378.  404  f. 

Theokrit:  Rhetorik  884,  2.  888,  2 

Theon,  Rhetor  267,  1 

Theophrast:  Stiltheorie  126 ;  bei  Cicero 
49,  1 

Theophylaktos  Sim.  442  f.  695,  1 

Theopomp  87,  2.  121  f  206.  393 

Thrasymachos :  Verhältnis  zu  Grorgias 
15.  43,  1.  807,  2;  'Erfinder'  der 
rhythmischen  Rede  41  ff.  917 

Thukydides:  Verhältnis  zur  sophisti- 
schen Eunstprosa  95  ff.  385  f ;  Keden 
87,  2;  Urkunden  88 f.;  Th.  u.  Sal- 
lust 201  f ;  Th.  in  der  Kaiserzeit 
283.  398.  404,  3 

TibuU:  Rhetorik  893,  4;  im  Mittel- 
alter 718,  2.  719,  4.  724 

Timaeus  148,  3.  205.  232,  1 

Trikolon  (u.  Tetrakolon)  172.  212. 
227,  1.  289  f.  388,  1.  397,  1.  412, 
486,  4.  505.  699.  603,  1 

Trogus  Pompeius  300  f. 


Register. 


969 


tumor  298  f.  635.  644.  650,  2;  8.  auch 
olds£v 


Überlieferung  der  lat.  Sclirifksieller 
im  Mittelster  690,  1.  691,  1 

Universität  in  Berytos  461, 1 ;  mittel- 
alterliche 901  f.,  8.  auch  ^Orl^ans' 
u.  'Paris' 

wbanüas  183.  237,  1 

Urkunden  stilisiert  88  f. 


Yalerius  Maximus  303  f.  696,  3 

Varro:  Stil  194  flF.  766;  Reaktionär 
253.    254,  1;    benutzt  von  Vitruv 
301 ;  über  den  oratorischen  Rhyth- 
mus? 929,  2;   sat.  '  Desultorius ' 
603,  5,  sat.  143  ff.:  264,  2;  370  ff. 
602,  1;  375:  408,  2.  602,  1;   432 
602,  1;  550:  69,  1 

Velleius  297.  302  f.  338.  583,  2 

Venantius  Fort.  653 

Vergil  236.  243.  264.  284.  287.  839, 3. 
891;  Aen.  VI  302:  331,4 

'Verse'  in  der  Prosa  53,  8.  235,  2,  b. 
auch  'Prosa,  metrische' 


Worte :  alltägliche  gemieden  286. 831 ; 

poetische  8.  'Prosa';  neugebildete 

72,  2.  97, 1.  124,  1.  146.  149.  184  ff. 

207.  287,1.  368.  365.  420.  446.  499,2. 

511.  517,  1.  602.  607  f.  653,  durch 

gewöhnliche  ersetzt  515,  1 
Wortgebrauch    nicht    identisch   mit 

Stil  349  f. 
Wortspiel  23  ff.   107.   137.  197.  208. 

212.  225.  263,  3.  290,  3.  302.  305, 4. 

317.  371,  2.  409  ff.  419,  2.  438,  1. 

440.  490,  3.  499,  2.   500,  1.  502  f. 

506,  1.   564.  567.  601  ff.   614.  620. 

623  f.  624,  1.  640,  1.  644,  2.  754,  2. 

836.  890  f.  891,  2 
Wortetellung  65  ff.  72,  2.  99,  3.  111. 

145.    176  f.   177,  1.   179  ff.    181,  1. 

203,  1.   208  f.  214,  1.   262  f.  302  f. 

304.  312.  316.  318.  832,  2.  371,  8. 

416,  1.  434.  439,  1.  441,  1.   442. 

445.  639,  3.  649  f.  758  f.  919, 1. 937  f. 

941,  1.  945.  948,  6 

Xenophon:  Stil  82,2.  101  ff.;  Charak- 
teristiken 87,  2 ;  bei  den  Atticisten 
894  f.  397,  4;  Ps.-X.,  Cyneg.  298. 
386,  2.  431  ff. 


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