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DARGESTELLT VON
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DIE BILANZ
DES RUSSISCHEN BOLSCHEWISMUS
DIE BILANZ
DES RUSSISCHEN
BOLSCHEWISMUS
AUF GRUND
AUTHENTISCHER QUELLEN DARGESTELLT VON
DIMITRY GAWRONSKY
DELEGIERTER
DER RUSSISCHEN SOZIALREVOLUTIONÄREN PARTEI
ZUR INTERNATIONALEN SOZIALISTISCHEN
KONFERENZ
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VERLEGT BEI PAUL CASSIRER / BERLIN
1919
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3)K
Vorrede.
Nicht aus Haß gegen den Bolschewismus, sondern aus
tiefer Liebe zum russischen Volk und aus der größten Sorge
um das Schicksal des Sozialismus ist diese Broschüre
geschrieben.
Sechzehn Jahre betätige ich mich in der russischen sozia-
listischen Bewegung. Auch durch den Krieg wurde diese Tätig-
keit in keiner Weise unterbrochen. Von seinen Anfängen an
bis zum Ende war ich überzeugter Internationalist, habe an der
Zimmerwalder Bewegung aktiv teilgenommen und war einer
der offiziellen Vertreter in Kienthal. Aber gerade weil mir
der Sozialismus so sehr am Herzen liegt, bin ich ein über-
zeugter Gegner des Bolschewismus.
Man lese das vierte Kapitel dieser Broschüre: Sein ganzes
Material ist ausschließlich den authentischen bolschewistischen
Quellen entnommen. Man lese es und frage sich: Ist es
Sozialismus, was in Rußland jetzt herrscht?
Im Januar 1919, Pimitry Gawronsky.
L
Rußland vor der Revolution,
Der Beginn der revolutionären Bewegung in Rußland in
ihrer planmäßigen und organisierten Form liegt etwa
50 Jahre zurück. In den ersten 3 Jahrzehnten hatte diese
Bewegung nicht den Charakter einer Massenerscheinung.
Sie ging völlig in der Tätigkeit unterirdischer Organisationen
auf, die eine lebhafte Propaganda in der breiten Volksmasse
betrieben und sich in der Periode verschärften politischen
Kampfes von 1878 bis 1882 in weitem Maße der Kampfmethode
terroristischer Akte gegen einzelne besonders hervorragende
Vertreter des Absolutismus bedienten. Während dieser ganzen
Zeit lag die revolutionäre Bewegung fast völlig in den Händen
der russischen Intellektuellen, nur vereinzelt schlössen sich
ihr gelegentlich auch Angehörige des Bauern- und Arbeiter-
standes an. So handelte es sich um einen Kampf der Intellek-
*tuellen für die Befreiung des Volkes, noch nicht um einen
Kampf des Volkes selbst um seine eigene Befreiung.
Gegen Ende der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts beginnt
sich die Lage zu verändern. Nunmehr treten auch die breiten
Schichten der Volksmasse, in erster Linie des Arbeiterstandes,
in die Arena des sozialen Kampfes. Die revolutionäre Be-
wegung, die immer mehr anwächst und sich verschärft, um-
faßt jetzt auch immer weitere Kreise und führt schließlich zu
dem gewaltigen Ausbruch vom Jahre 1905, der um ein kleines
mit einem vollen Siege der Arbeitermasse geendigt hätte.
Aber in dem letzten Augenblick gelingt es dem Selbst-
herrschertum, noch standzuhalten. Mit verdoppelter Hart-
näckigkeit wirft es sich nun auf die Volksmasse und ihre
Führer — die sozialistischen Parteien, und so gelingt es ihm
mit Hilfe eines schrankenlosen Terrorismus, dieses eine Mal
noch des Aufruhrs Herr zu werden. Allein es vermochte ihn
nur vorübergehend zu unterdrücken. Denn die Wurzeln der
revolutionären Bewegung in Rußland waren zu tief in den
objektiven Bedingungen der ganzen staatlichen Struktur dieses
Landes gegründet.
Das kaiserliche Rußland bietet während mehrerer Jahr-
hunderte ein Beispiel der allerintensivsten und rücksichts-
losesten Ausbeutung der großen arbeitenden Volksmasse durch
die zahlenmäßig äußerst schwache besitzende Klasse dar. Die
russische Industrie steckte schon seit ihren ersten Gehver-
suchen, bei denen sie die Arbeit der weißen Sklaven, d. h.
der an die Fabrik gebundenen Bauern, ausbeutete, gewaltige
Profite in der Weise ein, daß sie sich der Staatshilfe in Form
von Subsidien und staatlichen Aufträgen bediente und hierbei
ihre Arbeiter in uneingeschränkter Weise ausnutzte. Gegen
jede auswärtige Konkurrenz sicherte sie sich durch eine hohe
Mauer von Schutzzöllen, Daher hatte sie es auch nicht nötig,
ihre Produktionsweisen besonders zu verbessern. Der Absatz
war ihr ja ohnedies gewiß, und so konnte sie denn ihr ganzes
System statt auf dem Prinzip rationeller Produktion, auf dem
des Raubbaus begründen. Da sie einen so mächtigen Gönner
wie die russische Staatsmacht besaß, die alle Arbeiterorgani-
sationen systematisch verfolgte und zerstörte und zum Teil
auch mit Hilfe der bewaffneten Macht niederhielt, schuf die
russische Industrie der Arbeiterschaft Lebensbedingungen, wie
sie sonst innerhalb der Gemeinschaft der Kulturvölker nirgends
anzutreffen ^waren. Die Fabrikgesetzgebung befand sich noch
in einem embryonalen Zustande. Die Rechte des Arbeiters
waren überhaupt nicht geschützt, und der russische Arbeiter
erhielt bei dem längsten Arbeitstage den allerniedrigsten Lohn,
wobei noch in Betracht kommt, daß sich seine Arbeit unter
den unhygienischsten Verhältnissen vollzog. Frauenarbeit und
die Arbeit Minderjähriger durfte hierbei im weitesten Maße
und ohne jede Aufsicht und Kontrolle verwendet werden. Der
niedrige Arbeitslohn zwang die Arbeiter dazu, ihre Familie
hinzuopfern und bot dem Kapitalisten neue Möglichkeiten der
Ausbeutung und neue Quellen des Profits.
Aber so schwer auch die Lage der Arbeiter war, die der
Bauern war noch unerträglicher. Bei ihrer Befreiung vt)n der
Leibeigenschaft hatten sie einen völlig unztjreichenden Land-
anteil erhalten, für den noch, als Ablösungspreis, eine Summe
zu bezahlen war, die seinen wirklichen Wert dreimal über-
stieg. So litten sie während der letzten Jahrzehnte ganz be-
sonders unter dem großen Landmangel und unter den über-
mäßig hohen Steuern. Sie konnten nicht von dem Ertrag ihrer
Länder leben und waren genötigt, um jeden Preis noch Land
von den benachbarten Gutsbesitzern hinzuzupachten.*)
Die Gutsbesitzer kamen den Bauern in dieser Richtung
gern entgegen. Von den Pachtpreisen aber legt schon das in
Rußland übliche Wort „Hungerpacht'* ein genügendes Zeugnis
ab. Nach den Berechnungen russischer Statistiker trat der
Bauer dem Gutsbesitzer als Pachtzins nicht nur seinen ganzen
Ueberschuß, sondern auch noch 20 bis 40 Prozent des Ertrages
ab, der ihm in Form von Arbeitslohn hätte zustehen sollen.
Um den Pachtzins und die staatlichen Steuern zu bezahlen,
war der russische Bauer genötigt, den größten Teil seiner Ernte
sofort nach ihrer Einbringung zu verkaufen. Gegen Ende des
Winters mußte er dann sein eigenes Getreide, nunmehr aber
zu einem weit höheren Preise, zurückkaufen. Dieses führte zu
der berühmten Paradoxie im Leben Rußlands, daß unsere
Bauernschaft, dieser größte Getreideproduzent, zugleich der
Hauptgetreidekäufer auf dem Markte war.
Aber um Getreide kaufen zu können, braucht man Geld,
und woher sollte man es nehmen? Man mußte es sich zu un-
geheueren Wucherzinsen oder nach dem äußerst verbreiteten
System der Fronarbeit verschaffen, bei dem die Arbeiter für
das entliehene Geld mit ihrer Arbeit bezahlten. Dazu mußten
sie jedoch nach einer so räuberischen Kostenberechnung zahlen,
*) Hierbei ist zu beachten, daß von der russischen Bauern-
schaft, die mehr als 80 Prozent der Gesamtbevölkerung
Rußlands beträgt, 10 Prozent fast völlig besitzlos war und
60 Prozent nur über sehr wenig Land verfügte. Diese beiden
Gruppen waren dazu gezwungen, fremdes Land in Pacht zu
nehmen. Von den übrigen 30 Prozent waren nur 10 Prozent
selbständige und wohlhabende Bauern, die übrigen 20 Prozent
vermochten sich nur mit Mühe von den Erträgnissen ihres
Landes zu nähren und nahmen gleichfalls gerne zur Pachtung
fnemden Landes ihre Zuflucht.
daß sie häufij^ zehnmal soviel wiedererstatten mußten, als sie
in Wahrheit entliehen hatten.
Kann man sich da wundern, daß, als die russische Statistik
in den letzten Jahren vor dem Kriej^e die Bilanz des Wohl-
standes der russischen Bauernschaft ziehen wollte, sich folj^en-
des Bild ergab? Nimmt man als Erfordernis, um annähernd
menschlich leben zu können, auf den Kopf der ländlichen Be-
völkerung Rußlands jährlich 424 kg Getreide an (wobei alle
sonstigen Bedürfnisse in diesen Betrag eingeschlossen sind), so
verfügten 10 Prozent der Bevölkerung über weniger als 300 kg,
80 Prozent über mehr als 300 kg, aber über weniger als
jenes Minimalquantum, und nur 10 Prozent über mehr als jene
Minimalmenge. Das bedeutete eine tatsächliche physische
Degeneration eines großen Volkes. Die Kindersterblichkeit er-
reichte auf dem Lande die für ein Kulturvolk unerhörte Höhe
von 30 bis 35 Prozent. Die Menschen alterten schnell, starben
frühzeitig, und da der geschwächte Organismus nicht imstande
war, gegen Krankheiten anzukämpfen, so wüteten in den
Dörfern alle möglichen Epidemien. Jedes Jahr erschien in
Rußland, eine größere oder geringere Zahl von Provinzen er-
greifend, der furchtbare asiatische Gast, die Cholera, die aus
den meisten Kulturstaaten bereits endgültig verschwunden ist.
Um es aber dem russischen Bauern unmöglich zu machen, die
ganzen Schrecknisse seiner Lage zu verstehen, und um ihn
leichter in der Knechtschaft zu erhalten, wurde er in ein
dichtes Netz von Finsternis und Unwissenheit eingehüllt. Der
Staat tat nicht nur nichts für seine Bildung und Aufklärung,
sondern er sorgte in jeder Weise dafür, daß kein Lichtstrahl
bis in das Innere der Dörfer dringen konnte. Der Verkehr
zwischen Stadt und Land war außerordentlich erschwert.
Jegliche kulturelle Bestrebungen, jeder Versuch einer Annähe-
rung an den Bauern, um ihm einige wenige Kenntnisse und
einiges Wissen zu vermitteln, stieß auf schier unübersteigbare
Hindernisse. Selbst die Veranstaltung von landwirtschaft-
lichen Vorträgen erregte Verdacht und wurde nur in äußerst
seltenen und außergewöhnlichen Fällen genehmigt.
So lebte das große russische Volk, das zu 80 Prozent aus
Analphabeten bestand, in tiefer Finsternis dahin, indem es
hungernd und an seinem körperlichen und geistigen Wohle
10
V
Schaden leidend, in schier übermenschlicher Arbeit Wohlstand
und Reichtum für die besitzende Klasse schuf. Ein furcht-
barer Haß gegen seine Unterdrücker sammelte sich und kochte
in seinen Adern — ein Haß, der sich hie und da in elemen-
taren Ausbrüchen und Revolten Luft machte. Um sich aber
gegen derartige Explosionen zu schützen, bedienten sich die
herrschenden Klassen der gewaltigen Staatsmaschinerie, mit
deren Hilfe sie jeden Auflehnungsversuch schonungs- und rück-
sichtslos unterdrückten.
Indessen die Rechnung der besitzenden Klassen war falsch.
Schon wenige Jahre nach der Niederwerfung der ersten russi-
schen Revolution vom Jahre 1905 begann die Welle der revo-
lutionären Bewegung von neuem zu steigen und anzuschwellen.
Mit jedem Jahre wurde sie stärker und mächtiger. Wieder
begannen die Bauernrevolten, und aber und abermals
strömten auch die Arbeiter auf die Straße oder gaben ihren
Protest in mächtigen Streikbewegungen kund. Im Jahre 1914
schien die unausweichliche Auseinandersetzung nicht mehr zu
umgehen. Der Konflikt schien seinen Höhepunkt erreicht zu
haben, die Lösung ganz nahe zu sein. , . . Da brach der Welt-
krieg aus.
In den ersten Jahren des Krieges faßte sich die tiefe Un-
gerechtigkeit und das ganze räuberische Wesen des Zarismus
wie in einem Brennpunkt zusammen. Die gewaltige Masse von
Bauern und Arbeitern, schlecht ausgebildet, fast gänzlich un-
bewaffnet und geführt von teils unfähigen, teils verräterischen
Anführern, stieß mit dem nach allen Regeln der modernen
Technik bewaffneten deutschen Imperialismus zusammen.
Gegen die schwere Artillerie und die giftigen Gase, gegen das
überlegene Flugzeugwesen ihrer Feinde war sie fast gänzlich
wehrlos und m.ußte das mit Tausenden von Menschenleben be-
zahlen. Unterdessen aber feierte im Hinterlande über den
Leichen von Millionen sterbender Soldaten das Kriegs-
gewinnlertum wilde Bacchanalien, Die russische Beamten-
schaft, deren Unehrlichkeit und Bestechlichkeit schon längst
sprichwörtlich geworden war, schien von den untersten bis zu
den obersten Schichten jeden Rest von Schamgefühl und Ge-
wissen verloren zu haben. Milliarden von Volksvermögen, die
für die Ernährung und Bewaffnung der Armee bestimmt waren,
n
blieben an ihren klebrigen Fingern haften, und dieses ver-
brecherische Treiben mußte der Soldat mit seinem Blute be-
zahlen. Die Mobilisation der Industrie raubte dem Arbeiter
die letzte Spur von Freiheit und vermehrte zugleich den
Profit der Kapitalisten ins Ungemessene. Im ganzen Lande
verbreiteten sich Lebensmittelspekulation und Wucher mit den
notwendigsten Subsistenzmitteln wie eine gewaltige Epidemie
und dienten zur weiteren Bereicherung der Reichen und zu noch
gewaltigerer Verarmung der breiten Volksmassen. Für die
Reichen existierte die Mobilisation nur auf dem Papier. Nur
diejenigen von ihnen, die es selbst wünschten, zogen in den
Krieg, während die anderen sich begnügten, ein einträgliches
und gänzlich ungefährliches Pöstchen hinter der Front einzu-
nehmen. Endlich aber riß die Geduld des Volkes, und der
russische Zarismus brach, geschwächt durch seine Niederlagen
an der Front und durch die zahllosen Krankheiten im Innern, im
März des Jahres 1917 unter dem bloßen Andrang der Volks-
massen mit einem Schlage und fast völlig unblutig zusammen.
Das große Gefängnis, in dem das russische Volk im Laufe von
Jahrhunderten gelitten und sich gequält hatte, stürzte ein. Die
schweren Fesseln fielen von seinen Händen ab, und nun konnte
es mit dem Aufbau eines neuen Lebens in der Freiheit be-
ginnen.
Welches aber waren die Kräfte, über die es zu diesem
Werke verfügte? Wie waren die Verhältnisse, in denen es
damals lebte?
12
n.
Die innere
Schwäche der russischen Revolution«
Das von dem Joch des zarischen Regimes befreite russische
Volk hatte eine schwere Erbschaft übernommen. Der sich
immer mehr in die Länge ziehende Weltkrieg lag wie eine
drückende Last auf seinen Schultern. Das Land, dessen
Industrie noch schwach entwickelt war und das vor dem Kriege
60 Prozent seiner Nachfrage nach Industrieprodukten durch
auswärtige Einfuhr befriedigte, war fast gänzlich von der Welt
abgeschnitten, noch dazu in einem Moment, wo seine eigene
Industrie sich völlig in den Dienst des Krieges stellen mußte.
Die Desorganisation des Transportwesens auf der einen, die
ungehemmte Spekulation auf der anderen Seite riefen eine
schwere Lebensmittelkrise hervor, unter der die Städte und
die auf Einfuhr angewiesenen Provinzen hart zu leiden hatten.
Drei dringende Aufgaben erforderten eine sofortige Lösung:
der Friede mußte angebahnt, das Volk mit Brot versorgt und
die errungene Freiheit befestigt werden. Diese gewaltigen
Aufgaben konnte nur das Volk selbst lösen, wenn es alle
Kräfte, über die es verfügte, in Bewegung setzte. Indessen
das Volk war dem zaristischen Gefängnis ohne jede gewerk-
schaftliche imd politische Organisation, ohne jegliche Erfahrung
und Bildung entstiegen. Gänzlich entkräftet und mit Wunden
bedeckt war es, wie ein Held des Märchens, aus dem finsteren
unterirdischen Gewölbe entsprungen, in dem es jahrhunderte-
lang ohne einen Lichtstrahl zugebracht hatte. Die Sonne der
Freiheit blendete es; fassungslos stand es da und wußte nicht,
was es tun sollte. Aber eine mächtige Freude und eine un-
/ ^ 13
^
j^chcuerc Begeisterung ergriff dieses Volk mit dem Augenblick
seiner Befreiung. Es vergaß alle seine Leiden, seinen Haß
gegen seine ehemaligen Unterdrücker und erfüllte sich schnell
mit Gefühlen tiefer Humanität und sozialistischer Solidarität.
Es richtete alle seine Kräfte und seine Energie auf das eine
Ziel, den Aufbau seines neuen Lebens. So sehen wir denn,
wie die Bauern, die ihr Brot dem. Zaren nur ungern lieferten,
mit einem Male ihre Lieferungen merklich erhöhten, wie die
durch eine übermäßige Arbeit erschöpften, halb verhungerten
Arbeiter, die fortwährend unter der Fuchtel arbeiten
mußten, in dem Augenblick, als die Peitsche den Händen
ihrer Unterdrücker entfiel, nicht etwa zu arbeiten auf-
hörten, sondern vielfach, erfüllt von der Idee einer
herrlichen Zukunft, in strenger Selbstdisziplin die Intensität und
Produktivität ihrer Arbeit noch steigerten. Die Desertionen
an der Front begannen mit einem Male abzunehmen, ja, die
Soldaten schienen sich gewissermaßen mit der Tatsache des
Krieges auszusöhnen. Die sozialistischen Parteien gaben sofort
all ihre Streitigkeiten und ihr Gezänk auf und gingen ein-
trächtig an die gemeinsame Arbeit. Das gesamte werktätige
Volk folgte willig der Führung, die ihm in den ersten Wochen
der Revolution in der sogenannten ,, revolutionären Demokratie"
erstand. Diese revolutionäre Demokratie, die sich aus den
fortgeschrittensten Elementen der Intellektuellen, der Armee,
der Bauern- und Arbeiterschaft zusammensetzte, wandte sich
nunmehr an die arbeitende Masse: ,, Jahrhundertelang
unterdrückt," so rief sie ihr zu, ,,habt Ihr in Finsternis und
Hungersnot gelebt; in jenem ungeheuren Gefängnis, das man
das absolutistische Rußland nannte. Doch nun ist dieses Ge-
fängnis eingestürzt, jetzt gilt es alle Kräfte anzuspannen, um
den Neubau des arbeitenden Rußlands aufzurichten. Und so-
lange diese gewaltige Aufgabe, die noch dadurch unendlich
kompliziert wird, daß sie unter dem harten Druck des äußeren
Feindes vollbracht werden muß, durch Euch nicht erfüllt ist,
ehe dieses Gebäude nicht vollendet ist, darf niemand von Euch
auf einen schönen hellen Wohnraum in ihm, auf ein reines,
ruhiges, glückliches Leben rechnen. Jedermann muß jetzt seine
Kraft verzehnfacht einsetzen: nicht mehr zum Nutzen fremder
Unterdrücker, sondern zum Nutzen der Unterdrückten. Die
14
Zeit der großen Opfer und der Entsagung ist noch nicht vor-
über." Und in der Tat, in den ersten Wochen schien es so,
als ob das Volk trotz aller Finsternis und dem Mangel an
Organisation diesen einfachen, aber grundlegenden und ent-
scheidenden Gedanken begriffen hätte und sich ganz von ihm
durchdringen ließ; als ob es verstanden hätte, daß die Revo-
lution kein Feiertag, sondern verdoppelte Arbeit, daß sie nicht
bloß eine Zerstörung und ein Einreißen von Altem, sondern
systematische, unablässige, intensivste Schöpfung von Neuem
sein muß; daß die Revolution dadurch, daß sie alte Fesseln
zerbrach, noch kein Brot und keine Freiheit bringen, daß nur
konzentrierteste unaufhörliche Arbeit der befreiten Hände eine
bessere Zukunft schaffen konnte. Aber leider war diese Er-
leuchtung des Volkes nur von kurzer Dauer - . .
Die russische Revolution gab gleich am ersten Tage die
Losung des allgemein demokratischen Friedens, eines Friedens
ohne Sieger und ohne Besiegte, ohne gewaltsame Annexionen
und Kontributionen aus. Aber einen solchen allgemeinen
Frieden zu schließen, war damals nicht möglich. Einen
Separatfrieden abzuschließen, war jedoch die russische Revo-
lution nicht geneigt. Sie hätte darin einen Verrat an ihren
grundlegenden Prinzipien erblickt. Sie strebte nach einer Ver-
brüderung aller Völker und wollte in einem Augenblick, als
auf den zahllosen Fronten die Arbeitermassen fast sämtlicher
Kulturnationen der Welt fortfuhren, sich gegenseitig zu ver-
nichten, keineswegs bloß das Blut des russischen Volkes allein
schonen. Die russische Revolution blieb sich selbst treu und
rief die Arbeiterdemokratie der ganzen Welt zum Kampf für
einen allgemeinen gerechten Frieden auf. Aber sie wollte auch
nicht von dem triumphierenden Imperialismus der mitteleuro-
päischen S.taaten erdrückt werden. Daher setzte sie mit ihren
letzten Kräften den Krieg zur Verteidigung des Landes fort.
Eine gewaltige Aufgabe erhob sich vor der revolutionären
Demokratie, in deren Händen die Staatslenkung lag. In diesem
Augenblick wurde es aber angesichts der geradezu tragisch ver-
wickelten äußeren und inneren Lage ganz offenkundig, über
wie geringe Kräfte Rußland verfügte, um die ihm gestellte Auf-
gabe zu bewältigen. Das Bedürfnis nach sachkundigen und er-
fahrenen Arbeitskräften war ungeheuer, man brauchte
15
Tausende von energischen, arbeitsfreudigen und kenntnisreichen
Männern und hatte doch kaum Hunderte zur Verfügung. Dieses
Bedürfnis war darum so besonders groß, weil die breite Masse
des Volkes, das jahrhundertelang in finsterster Unwissenheit
und bitterer Knechtschaft geschmachtet hatte, sich nicht so
schnell an eine selbständige Tätigkeit gewöhnen konnte und
die notwendige Initiative in sich nicht zu entwickeln ver-
mochte. Auf Schritt und Tritt bedurfte man der Lehrer und
Führer, und gerade sie waren schwer zu finden. Aber wenn
die Schwierigkeit lediglich darin bestanden hätte, daß das Volk
noch nicht zur genügenden Selbständigkeit erwacht wäre, so
wäre sie vielleicht noch zu überwinden gewesen: denn ein ein-
ziger Revolutionstag leistet oft für die Entwicklung des Volkes
mehr als viele Jahre dumpfen Dahinvegetierens. Leider aber
lagen die Verhältnisse weit schlimmer, und schon nach einigen
Revolutionswochen wurde es völlig klar, daß die breiten Volks-
schichten Rußlands zu einer sozialen Tätigkeit nicht bloß un-
fähig, sondern gar nicht einmal geneigt waren.
Kaum waren die ersten Wochen voll allgemeinen Jubels
und Begeisterung vorüber, da begann der völlige Zerfall aller
staatlichen und nationalen Bande, aller Bande der Solidarität,
sich mit furchtbarer Klarheit abzuzeichnen. Dies war viel-
leicht die bitterste Folge der Erbschaft des Zarismus. Jahr-
hundertelang hatten sich die breiten Volksmassen daran ge-
wöhnt, in dem Staat nur einen Mechanismus zu ihrer unbarm-
herzigsten Unterdrückung zu sehen. Der Staat fiel für sie zu-
sammen mit der Vorstellung von Steuern, Polizeibehörden,
kurzum mit dem ganzen System eines unerhörten Druckes und
Zwanges. Der Zarismus war zerfallen, der russische Staat ver-
wandelte sich in einen Volksstaat, aber in den breiten Massen
konnte die entsprechende psychologische Wandlung sich nicht
mit der gleichen Schnelligkeit vollziehen. Es war für sie nicht
so leicht, sich mit dem Gedanken zu erfüllen, daß der Staat
jetzt den Willen und das Interesse der gesamten Arbeitermasse
personifiziere, und daß daher die staatlichen Interessen über
den persönlichen und den Gruppeninteressen stehen müßten.
Dies war für sie um so schwerer zu begreifen, weil alles, was
sie vor der Revolution um sich herum beobachtet hatten,
lediglich eine wilde Orgie der persönlichen Interessen ge-
16
Wesen war, wobei alle lebendigen Bedürfnisse des Volkes
als solche, insbesondere die der arbeitenden Volksraassen
einer dünnen Oberschicht zum Opfer gebracht wurden. Ja,
auch nach der Revolution sahen sie nichts anderes vor sich:
sie sahen, wie die besitzenden Klassen sich zäh an alle ihre
Privilegien und an ihren Reichtum klammerten, wie mühsam
sie dazu gebracht werden konnten, auch nur einen kleinen Teil
dessen, was sie sich während des Krieges erworben hatten, dem
allgemeinen Wohl zugute kommen zu lassen. Mußten doch
die englischen Fabrikanten in Rußland im Sommer des
Jahres 1917 freiwillig auf einen Teil ihres Profites verzichten,
um durch ihr Beispiel die russischen Kapitalisten zu einem
ähnlichen Vorgehen zu veranlassen!
Aeußerlich schien alles auch weiter gut zu stehen. Ganz
Rußland bedeckte sich rasch mit einem Netz revolutionärer Or-
ganisationen. Ueberall fanden Wahlen in die lokalen Körper-
schaften auf Grundlage eines äußerst demokratischen Wahlrechtes
statt, und diese Wahlen führten stets zu einer so erdrückenden
sozialistischen Mehrheit, wie sie die Geschichte der Parteien
noch in keinem Lande aufzuweisen gehabt hatte. Es schien,
daß ganz Rußland von einer gewaltigen demokratischen und
sozialistischen Welle erfaßt worden sei. In der Tat aber war
die russische Revolution äußerst arm an allen demokratischen
und sozialistischen Elementen. Freilich, ihr Vortrupp, die
revolutionäre Demokratie, war aufs tiefste, bis zu ihrem letzten
Vertreter, von diesen Idealen durchdrungen, aber sie war doch
nur wie eine dünne Schicht auf der Oberfläche der ganzen
gewaltigen Volksmasse. Und diese Masse nahm zwar äußerst
regen Anteil an den Abstimmungen und entsandte auf alle
führende Stellungen Sozialisten, aber damit erschöpfte sich
auch ihre ganze Tätigkeit zum Wohle der Gemeinschaft. Ihre
ganze sonstige Haltung dagegen war von Grund aus undemo-
kratisch und unsozialistisch. Das gilt leider in gleichem Maße
von allen drei Truppengattungen der russischen Revolution:
den Bauern, den Arbeitern und den Soldaten. Wir wollen, um
dies zu zeigen, zunächst mit dem Beispiel der Bauern beginnen.
In den ersten Revolutionswochen teilten die Bauern, wie
ich schon erwähnt habe, ihren Ueberschuß gerne mit den
anderen Bevölkerungsklassen. Die Lieferungen an die Front
17
und an das Hinterland nahmen beträchtlich zu. Aber das alles
hielt nicht lange an. Das Getreidemonopol und die Einführung
von Höchstpreisen auf Brot war nicht nach dem Geschmack der
Getreide produzierenden Bauern. Bald wurden Klagen darüber
laut, daß die Stadt dem Dorf fast gar nichts zurückerstatte, und
daß sie ihm das, was sie ihm liefere, zu übermäßig hohen und
willkürlichen Preisen gewähre. An und für sich waren diese
Klagen vollkommen berechtigt: das Problem der Höchstpreise
auf alle Gegenstände des notwendigen Bedarfs erhob sich vor
der revolutionären Demokratie gleich in den ersten Revo-
lutionsmonaten in seiner ganzen Größe. Ganz unverständlich
und falsch war dagegen das, was nun weiter geschah. Die
Lieferung von Getreide an die Städte nahm mit einem Male
stark ab, und hierin lag immerhin noch eine gewisse, wenngleich
ungesunde und verderbliche Konsequenz. Es war die Rache,
die der Bauer an dem Städter nahm. Allein auch auf dem
Dorfe nahmen die Getreidelieferungen ab, und die Land-
bevölkerung in den zwölf zentralen Gouvernements, die im
vergangenen Jahr von einer Mißernte betroffen waren, wurde
von einer Hungersnot bedroht. Diese Bevölkerung war gänz-
lich unschuldig an den Zuständen. Im Unterschied von den
Städten war von ihr ohnedies eine Lieferung irgendwelcher
Waren nicht zu erwarten, und sie begann nur deshalb zu
hungern, weil die Bauern der anderen Provinzen ihr Brot nicht
mit ihr teilen wollten. Was aber das Schrecklichste war, die
Getreidezufuhr begann an der Front gleichfalls stark abzu-
nehmen. Große Heeresteile blieben ohne Proviant, ließen
Alarmrufe an das Hinterland ergehen und sandten ihm oft ihre
Flüche zu. So entstand eine Lage, wie wir sie im Buch der
Geschichte vergeblich suchen würden: das Hinterland ver-
weigerte denen, die es mit ihrem Blut verteidigten, die ihr
Leben für es hingegeben hatten, Brot und' Nahrung. Und dies
geschah in einer Zeit, als die Bauern gar nicht einmal daran
dachten^ den Widerstand an der Front aufzugeben, als sie sogar
in einem eigentümlich verstandenen Patriotismus zuweilen die
von der Front zurückkehrenden Soldaten dafür mißhandelten,
weil sie angeblich nicht tapfer genug gekämpft hätten. Aber
während sie dieses Opfer an Blut und Leben wie etwas ganz
Selbstverständliches von den Soldaten forderten, waren sie
18
selbst nur mit Mühe dazu zu veranlassen, das weit geringere
und so natürliche Opfer zu bringen, einen Teil ihrer Getreide-
vorräte der Front zur Verfügung zu stellen.
Allerdings weit mehr politisches Verständnis zeigten die
Bauern in der Frage der Aufteilung des Landes. In einem so
ungeheuren Lande wie Rußland mit seinen außerordentlich
mannigfaltigen Formen des Landbesitzes, seiner äußerst un-
gleichmäßigen Bevölkerungsdichte, der Verschiedenheit der
Bodenqualität kann eine grundlegende Bodenreform sich nur
dann in gerechter Weise vollziehen und gute Resultate er-
geben, wenn ihre Durchführung in den Fländen einer wohl-
organisierten und zentralisierten Staatsmaschinerie liegt. Und
das fühlten die Bauern instinktiv. Sie fürchteten sich vor
inneren Unruhen, vor Kämpfen zwischen den einzelnen
Kreisen, Dörfern und Dorfparteien, die unausweichlich waren,
sobald die endgültige Verteilung des Landes nicht durch über
ihnen stehende und autoritative Institutionen vollzogen wurde.
Daher warteten sie geduldig auf die konstituierende Versamm-
lung. Dagegen war ihr Verhalten zu den sogenannten , .Muster-
farmen" gänzlich unvernünftig. Die Leidenschaft, mit der
sie diese hochkulturellen und wertvollen Wirtschaftsgüter zer-
störten, erschien auf den ersten Blick ganz unbegreiflich. Die
im Frühjahr des Jahres 1917 beginnenden Zerstörungen und
Verwüstungen der Rittergüter hatten noch einen ganz be-
stimmten Zweck: hier spielte der Wunsch nach Rache für
früheres Unrecht und das Verlangen, den Gutsherren für alle
Zukunft die Macht zu entreißen, die entscheidende Rolle. Was
für einen Sinn aber konnte die Vernichtung des Viehbestandes,
die Zerstörung der Rübenaussaat sowie die Verwüstung wert-
voller Versuchsstationen, die zum Staatseigentum erklärt
worden waren, haben? Und doch war die Sache sehr einfach.
Die Bauern wußten, daß alle diese fortgeschrittenen landwirt-
schaftlichen Gründungen in den Händen des Staates bleiben
würden, dagegen meinten sie, daß, wenn sie diese Güter wert-
los machten, ihnen dann wenigstens das Land als solches über-
lassen bleiben würde. Daß das ganze Volk hierdurch große
Verluste erlitt, regte sie nicht im geringsten auf, ebensowenig
wie der Umstand, daß sie hierbei mit den einmütig gefaßten Be-
schlüssen der verschiedensten demokratischen Organisationen,
19
in denen ihre Beauftragten saßen, in Widerspruch gerieten.
— Leider aber müssen wir feststellen, daß auch die Ar-
beiterklasse in ihrer großen Masse nicht viel mehr sozialistische
Solidarität bewiesen hat. Mit furchtbarer Schnelligkeit begann
vom zweiten Revolutionsmonat an die Produktivität der Arbeit
zu sinken. Allerdings war sie schon zu Beginn der Revolution
aus verschiedenen sehr natürlichen Gründen, wie schlechte Er-
nährung der Arbeiter, große vermehrte Einstellung von Frauen,
Kindern und Greisen, Abnutzung der Maschinen, häufige Unter-
brechung der Arbeit aus Mangel an Rohstoffen, beträchtlich
zurückgegangen. Aber selbst bei Berücksichtigung aller dieser
Umstände erkennen wir doch, daß an dem Sinken der Produk-
tivkraft in der unmittelbar auf die Revolution folgenden Periode
die Arbeiter selbst die Hauptschuld tragen. Schon allein
der Umstand, daß dieser Niedergang der Produktivität in der
Periode von März bis Juni sich so schnell und sprunghaft voll-
zog, daß er in keinem Verhältnis zu der Verschlechterung der
allgemeinen Lebenshaltung stand, beleuchtet die ganze Lage
mit außerordentlicher Deutlichkeit. Es ist von Interesse, das
Sinken der Produktivität in den einzelnen Fabriken und indu-
striellen Unternehmungen zu verfolgen. So stellte die Aero-
.planfabrik Dux in Moskau statt der üblichen 50 Aeroplane
in einem Monat nur noch 5 her. Die großen Eisenbahnwerk-
stätten in Perowo bei Moskau lieferten statt der üblichen 25
bis 30 ausgebesserten Lokomotiven im April 3 und im Mai
nicht eine einzige ab. Im Sommer des vorigen Jahres wurde
in der Nähe von Moskau eine gewaltige Fabrik errichtet. Noch
im Februar schichtete ein Maurer von mittlerer Geschicklich-
keit mit zwei Gehilfen bei 10 stündiger Arbeitszeit über 1000
Ziegelsteine auf. Im Juni brachte er es bei einem achtstündigen
Arbeitstag auf nicht mehr als 120. Bald stellte sich heraus, daß
bei einem solchen Arbeitstempo ein jeder Ziegelstein ungefähr
auf 1 Rubel zu stehen kam und der Weiterbau der Fabrik
mußte unterbrochen werden. Nicht nur die Soldaten an der
Front, die dem mächtigen Feinde Aug in Aug gegenüberstanden,
erhielten immer weniger und weniger Munition: das ganze Land,
das nach Industrieprodukten förmlich dürstete, wurde nur in
notdürftigster Weise mit Gegenständen des Lebensbedarfes
versorgt.
20
Zugleich aber begann sich im ganzen Lande mit ele-
mentarer Gewalt eine mächtige Streikbewegung zu ent-
wickeln. Soweit dieses Kampfmittel unter Leitung und
Kontrolle der Arbeiterorganisationen zur Anwendung kam,
soweit also eine solche Organisation, d. h. eine Gewerk-
schaft oder irgendein Arbeiterrat, die Notwendigkeit eines
Streikes anerkannte, konnte die Bewegung auf die allgemeine
Sympathie und Unterstützung aller sozialistischen Parteien
rechnen. Allein nur allzuoft wurden Streiks zur Durchführung
völlig unmöglicher Forderungen inszeniert. Es fanden fortwäh-
rende Kämpfe statt, um den neugeschlossenen Tarifverträgen
rückwirkende Kraft zu verleihen, damit auf Grund dieser Ver-
träge nicht nur die Löhne für das Jahr 1917, sondern auch für
das Jahr 1916 nachgezahlt würden. In der großen amerika-
nischen Fabrik Singer in Podolsk (im Moskauer Gouvernement)
verlangten die Arbeiter sogar, daß ihnen je 15 Kopeken für jede
Arbeitsstunde während der ganzen Kriegszeit nachgezahlt
würden. Auf Grund dieser Forderung hätte die Fabrik sofort
12 Millionen an Arbeitslohn auszahlen müssen. Sie zog es aber
vor, den Betrieb zu schließen, wodurch 8000 Arbeiter arbeitslos
wurden. Immerfort drohten auch die Arbeiter solcher Betriebe
mit Streiks, deren ununterbrochene Tätigkeit durch die aller-
dringlichsten Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung geboten
war, und sie setzten ihre Worte in Taten um. Wir brauchen
nur an die fortwährenden Drohungen der Eisenbahner zu er-
innern, den gesamten Verkehr in ganz Rußland zum Stillstand
zu bringen; eine Bestrebung, mit der die revoluiionäre Demo-
kratie in der Person des Zentral-Exekutiv-Komitees während
mehrerer Monate auf das hartnäckigste und nicht immer glück-
lich zu kämpfen hatte.
Dieser eigentümliche Partikularismus der Arbeiter trat auch
in der ungerechten Weise zutage, in der sie die eintreffenden
Rohprodukte und Heizmaterialien zur Verteilung brachten.
Jede Fabrik und jede Werkstatt suchte sich soviel als mög-
lich davon zu sichern, ohne sich im geringsten um ihre Ge-
nossen zu kümmern. Und nur die Intervention der Zentralräte
war imstande, die hierdurch entstehenden Konflikte beizulegen.
Das Resultat dieses eigenmächtigen Vorgehens im wirt-
schaftlichen Kampfe, des Mangels an Sölidaritätsgefühl sowie
21
einer strengen Disziplin und einer tätigen gegenseitigen Hilfe
führte zu dem überraschenden Ergebnis einer bis zum äußersten
ungerechten Verteilung der Arbeitslöhne. Einzelne Arbeiter-
gruppen eroberten sich eine tatsachlich glänzende materielle
Lage. Die Lastträger an der Wolga erhielten für die Ausladung
eines jeden Sackes 75 Kopeken, und so verdienten sie in 2 — 3
Stunden weit mehr als sie für ihren Lebensunterhalt brauchten.*)
In Moskau gab es im Sommer 1917 gewisse Kategorien von
Arbeitern, die 13 000 Rubel jährlich, d. h. 4000 Rubel mehr ver-
dienten als der Bürgermeister von Moskau, und in dieser selben
Zeit hatte der mittlere tägliche Arbeitslohn noch keine 5 Rubel
überstiegen, während er in der Provinz noch weit tiefer stand.
* *
*
Am tragischsten und schwierigsten aber war die Lage des
russischen Soldaten nach der Revolution, d. h. der Kampftrup-
pen, die noch weiter an der Front aushielten. Das Hinlerland
hatte sie scheinbar ganz plötzlich vergessen, sie gänzlich im Stiche
gelassen, und dies war in erster Linie durch diejenigen geschehen,
deren direkte Aufgabe es doch sein mußte, ihnen zu helfen und
an ihre Stelle zu treten. Ich spreche hier von dem Verhalten
der Garnisonen in der Etappe. Schon allein die Verfügung,
nach der die Garnison von Petersburg, gewissermaßen zum Dank
für ihre Haltung in den Märztagen, das Recht erhielt, bis zum
Kriegsende in der Hauptstadt zu bleiben, um die Revolution zu
beschützen, war höchst ungerecht. Die Soldaten an der Front
konnten das nur als eine Kränkung auffassen, wie wenn sie
weniger Bereitwilligkeit gezeigt hätten, die Revolution zu
schützen. Aber auch in anderer Beziehung hatte diese Ver-
fügung sehr verderbliche Folgen: scfern nämlich alle Garni-
sonen der Etappe nunmehr den heftigen Wunsch kundgaben,
dem Beispiele Petersburgs zu folgen und zu Hause zu bleiben,
um die Revolution zu beschützen. Natürlich war dieser ,, Schutz
*) Es ist charakteristisch, daß diese Lastträger nach 2 bis 3
Stunden die Arbeit von selbst einstellten, aber auch keinem
Aushilfsarbeiter gestatteten, sich weiter mit der Ausladung zu
beschäftigen, was dazu führte, daß die Waren sich in großer
Menge ansammelten: ein Zustand, unter den) das ganze Land
zu leiden hatte.
22
der Revolution" nichts als ein Vorwand; der Grund, warum sie
nicht an die Front gehen wollten, war weit einfacher.
Man sagt oft vom russischen Volk, es hätte nicht gewußt
und nicht verstanden, wofür es eigentlich kämpfte, aber das ist
nur bis zu einem gewissen Grade wahr. Es verstand dies sehr
wohl. Aber es wurde in keiner Weise tiefer davon ergriffen.
Jener Aufschwung des nationalen Gefühls, der den kriege-
rischen Enthusiasmus weckt, der zahlreiche Freiwillige der
Armee zuströmen läßt usw., war am Ende des 3. Kriegsjahres
vollkommen verlorengegangen. Freilich, ein großes Stück
russischen Gebietes war vom Feinde besetzt. Aber das okku-
pierte Land stellte nur einen verschwindenden Bruchteil von
Rußland dar, und das Volk, das keinen Begriff von der Einheit
und Unteilbarkeit des Reiches hatte, hatte auch gar kein Ge-
fühl dafür, daß der Feind in sein Land eingebrochen war. Es
ist höchst merkwürdig, wie hierbei jene Eigenschaft des russi-
schen Volkes zum Ausdruck kam, von der ich schon früher
gesprochen habe: jener vollkommene Mangel an Verständnis
für den Staat, ja selbst für seine eigene Klasse als ein Ganzes.
Jeder einzelne Russe fühlt sich als ein einzelner viel zu
schwach, um sich auf seine eigenen Kräfte verlassen zu können;
aber sobald er sich als zugehörig zu irgendeiner Gruppe oder
Korporation fühlt, wird er schnell von einem engherzigen
Gruppenpatriotismus ergriffen. Bald kennt er nichts mehr
außer ihr und will auch nichts außer ihr kennen. Die einzelnen
Dörfer, Fabriken, Regimenter und andere größere oder kleinere
gesellschaftliche Einheiten stellen solche Gruppen dar. Sein
Dorf, seinen Fetzen Land ist der russische Bauer bereit, mit
dem Mute des Löwen zu verteidigen. Aber schon das Los der
benachbarten Provinz bewegt ihn nicht im geringsten, gar nicht
erst zu reden von dem Schicksale des Staates oder des Vater-
landes. Hierfür bietet die Antwort eines Trupps von Soldaten,
der während des deutschen Vormarsches im Süden Rußlands
Mitte Juli die Front verlassen hatte und ins Innere des Landes ent-
flohen war, ein charakteristisches Beispiel, Als ein Kommissar ihn
durch den Hinweis darauf, daß die Deutschen Moskau besetzen
würden, zurückzuhalten versuchte, bekam er folgende Antwort
zu hören: „Was geht das uns an, wir sind doch aus Tambow,"
Der russische Soldat verstand sehr wohl, was für eine
33
Niederlande ihm der deutsche Imperialismus bereiten wollte,
welche Gefahr seinem Lande drohte, aber das alles ging
ihm nicht nahe. Nur eine eiserne Disziplin konnte ihn dazu
bringen, weiter zu kämpfen, diese aber begann sich mit jedem
Tage in der russischen Armee immer mehr zu verflüchtigen.
Am schnellsten entledigten sich die Garnisonsoldaten jeden
Restes von Disziplin. Kaum waren einige Wochen seit der Re-
volution vergangen, da war der Heimatsoldat nicht mehr
wiederzuerkennen. Alles Exerzieren hatte aufgehört, die
Soldaten strömten vom frühen Morgen an in Massen aus der
Kaserne, um sich mit kleinen Spekulationen abzugeben, für
Geld nach Lebensmitteln zu stehen, Gepäck an den Bahnhof
zu tragen usw. Die Kranken, die sich noch bewegen konnten,
spazierten in ihren Anstaltskitteln in der ganzen Stadt herum,
darunter solche mit allen möglichen ansteckenden Krankheiten,
die das Krankheitsgift überall verbreiteten. Kein Mensch
wollte mehr an die Front gehen. So erhielt der Moskauer Be-
zirk, der zu jener Zeit 800 000 Mann Reservemannschaften
zählte, gegen Ende Mai den Befehl, 10 Kompagnien zum Ab-
marsch an die. Front zu stellen. Alle 10 Kompagnien, die zum
Transport bestimmt waren, weigerten sich jedoch, diesem Be-
fehl nachzukommen; sie mit Gewalt dazu zu zwingen, war un-
möglich, da man keinen Truppenteil finden konnte, der bereit
gewesen wäre, diesen Auftrag zu übernehmen, ja mehr noch,
alle Regimenter am Ort sagten den Aufrührern ihre Unter-
stützung zu. So war man genötigt, zu der einzigen Waffe, über
die die revolutionäre Demokratie verfügte, seine Zuflucht zu
nehmen, nämlich zur Ueberredung, Aber das Resultat war
kläglich. Von diesen 10 Kompagnien marschierte nur eine ein-
zige ab, aber auch diese gelangte nur bis Wjasma: hier zwang sie
den Lokomotivführer, die Lokomotive an das Ende des Zuges
anzukoppeln und sie zurückzufahren. Aehnliche Vorgänge
wurden bald gang und gäbe. Und wenn trotzdem noch ein-
zelne Truppenteile bis an die Front gelangten, so trafen sie hier
in einem so demoralisierten Zustande ein, daß sie gar keine
Kampfkraft mehr besaßen, sondern höchstens als eine negative
Größe, d, h, als Faktor der moralischen Zersetzung in Betracht
kamen. In der Heimat aber weigerten sich die Garnison-
soldatcn nicht nur, an die Front abzugehen, sondern veran-
24
stalteten häufig als Antwort auf die bloße Aufforderung sinn-
lose Straßenaufstände. Ein charakteristischer Vorfall er-
eignete sich z. B. in Simbirsk. Eine Felddivision, die
mehrere Monate lang die vordersten Linien gehalten
hatte, vi^andte sich an ihre Reserveformation, die in
Simbirsk stand, mit dem kameradschaftlichen Wunsch,
ja noch mehr, mit der flehentlichen Bitte, sie abzulösen.
Das Ergebnis war außerordentlich überraschend. Eine furcht-
bare Aufregung bemächtigte sich der Truppen, sie meu-
terten und ließen an der unglücklichen, völlig unschuldigen
Stadt ihren Zorn aus, indem sie sie zweimal in einer Woche
in der blutigsten Weise ausplünderten und verwüsteten.
Hierauf nahmen sie eine Resolution an, in der unter anderem
wörtlich folgendes zu lesen war: „Wir sind gegen jeden Krieg,
wir halten alle weiteren Opfer für zwecklos und daher werden
wir nicht an die Front gehen," Gewiß ein außerordentlich
lehrreicher Fall für den ,,Divisions-Partikularismus".
Die Frontarmee löste sich weit langsamer auf. Angesichts
des gefährlichen Feindes wurde es ihr viel schwerer, jegliche
Disziplin mit derselben Schnelligkeit abzuschütteln. Lange Zeit
hindurch bot daher die Front ein äußerst buntes Bild.
Einzelne Regimenter verließen einfach ihre Stellungen, ohne
sich daran zu. stoßen, daß sie hierdurch Verrat an den Nach-
barregimentern begingen. Ja, noch mehr: sie unterrichteten
niemand von ihrem Fortgehen, schlössen dafür aber einen
,, Separatfrieden" mit dem Feinde ab. Andere Regimenter da-
gegen gaben ein Beispiel hoher Selbstaufopferung und machten
dem Feinde hartnäckig kämpfend jeden Fußbreit Land streitig.
Diese freilich ziemlich seltenen Ausnahmen von heldenhaftem
Ausharren müssen um so höher gewertet werden, als hierbei
jeder Schritt von Anbeginn bis zu Ende absolut freiwillig ge-
schah. Ein solcher Truppenteil entschied in einer allgemeinen
Versammlung selbständig darüber, ob er angreifen solle oder
nicht, ob er die Stellung halten oder aufgeben solle und es
ereigneten sich Fälle, wo ganze Regimenter sich durch Hand-
aufheben dem sicheren Tode weihten. Es gab Fälle, wo solche
Truppen, unter dem mörderischen Feuer des Feindes immer
weiter nach vorne drängend, in einem Augenblick, wo sie in
einer Schlucht vorübergehend Deckung gefunden hatten,
25
wiederum durch Handaufheben beschlossen, weiter vorzugehen.
Vom strategischen Standpunkt gibt es freilich kaum etwas
Törichteres als eine solche Kriegführung, aber kann man wohl
leugnen, daß in ihr, abgesehen von allem, ein gewaltiges Helden-
tum imponierend zum Ausdruck kommt?
Gegen Ende des Jahres 1917 hatte die Auflösung der
Armee bereits ungeheure Dimensionen erreicht. Da versetzte
der Putsch Korniloffs dem Heere einen tödlichen Schlag. Nicht
nur die Armeeführer, auch die Soldatenräte verloren von da
an jede Autorität. Jedes Regiment, jede Kompagnie entschied
selbständig über alle Fragen, ohne im geringsten auf die Ver-
fügungen des Kric^^sministeriums und des von den Soldaten
selbst gewählten allgemeinen Armeekomitecs Rücksicht zu
nehmen. Die Desertionen von der Front nahmen den Charakter
einer Massenflucht an . . .
*
So dachte innerhalb der russischen Revolution jede der
großen Kampfgruppen lediglich an ihr eigenes Wohl und zeigte
nicht nur wenig Verständnis für die Nöte der andern, sondern
oft sogar ein durchaus feindseliges Verhalten gegen die Ge-
nossen. Ganz besonders deutlich trat dies in dem Verhältnis
der Bauern und Soldaten zu den Arbeitern in Erscheinung. Die
Bauern waren nicht so sehr über die Städte, als vielmehr über
die Arbeiter entrüstet. Alles an diesen empörte sie: die hohen
Arbeitslöhne und die Streiks. Auf den Bauernkongressen be-
schäftigte man sich damit, unter Zugrundelegung des künstlich
niedrig gehaltenen Höchstpreises für Getreide die Löhne aus-
zurechnen, die die Bauern für jeden Arbeitstag erhielten. Hier-
bei stellte es sich heraus, daß der Tageslohn des Bauern nur
wenige Kopeken pro Tag betrug. Was aber das merkwürdigste
ist: am meisten empörte die Bauern der achtstündige Arbeits-
tag. Darauf hatten sie immer nur eine Antwort: , »Nächstens
werden wir auch nur noch 8 Stunden arbeiten — dann werdet
ihr alle verhungern." Den Mangel an Manufaktur- und Fabrik-
waren erklärten sich die Bauern ausschließlich durch das Ver-
halten der Arbeiter. Es ist bezeichnend, daß auch die Soldaten
deswegen mit den Arbeitern unzufrieden waren. Auf einem
Kongreß gab ein Vertreter der Armee diesem Gefühl in folgen-
den drastischen Worten Ausdruck: ,,Wir zählen die Stunden
26
bis zu unserem Tode nicht, ihr aber zählt die Stunden
bis zum Glockenzeichen." Die ganze Schuld an dem Mangel
an Munition und an der unzureichenden technischen Aus- ■
rüstung im allgemeinen schoben die Soldaten auf die Arbeiter.
Es ist daher auch nicht wunderbar, daß selbst eine so einfache
icncl l «^grenzte Frage, wie die Eirziehung eines Teiles der Ar-
beiter v'l ihr Ersratz durch heimgeschickte Soldaten, in einem
s^ unwahrscheinlichen Maße kompliziert werden konnte. So-
fort bildeten sich zwei parallele Kommissionen nebeneinander,
eine Arbeiter- und eine Soldatenkommission. Und während
die Kommission der Soldaten ganze Massen von Arbeitern aus
den Fabriken zurückzog, wobei gar kein Unterschied zwischen
Qualitätsarbeitern und einfachen Handlangern gemacht wurde,
ja selbst die feinsten Spezialisten herausgezogen wurden, was
unausweichlich zum Stillstand ganzer äußerst wichtiger Be-
triebe führen mußte, war die Arbeiterkommission nur mit
Mühe dahin zu bringen, auch nur die einfachen Handlanger
freizugeben. Das Ergebnis waren allerhand Reibungen und
Streitigkeiten, durch die sich die Sache sehr in die Länge zog.
Monate vergingen, ohne das geringste Resultat zu ergeben. ^
Endlich kam der Moment, wo die ganze auft,^häufte Un-
zufriedenheit und der ganze Groll gegeneinander zum Aus-
bruch kam. In der demokratischen Konferenz über die natio-
nale Verteidigung, die Anfang August in Petersburg stattfand,
war die revolutionäre Demokratie genötigt, schier unglaubliche
Anstrengungen zu machen, um die Vertreter der Bauernschaft
und der Frontsoldaten an einem offenen Vorgehen gegen die
Arbeiter zu verhindern.
* *
*
Umfassen wir das ganze Bild der russischen Revolution mit
einem Blick, so kommen wir zu folgendem Schluß; Wenn das
Wesen der Demokratie in der Selbständigkeit, in der schöpfe-
rischen Betätigung der gesamten Volkskräfte besteht, bei der
die soziale Arbeit durch die erwählten Vertreter des Volkes
geleitet und reguliert und durch das ganze Volk dagegen
realisiert und kontrolliert wird, so war die russische Revolution
als Ganzes ihrem Wesen nach keineswegs demokratisch. Das
Volk betrachtete seine Erwählten nicht als Führer, deren Kraft
nur in ihm, in seiner Hilfe und seiner Unterstützung liegt. Es
27
betrachtete sie auch nicht als die Interpreten des Mehrheits-
willens, denen man sich eben als solchen nicht nur unterordnet,
sondern die man auch aktiv fördern und unterstützen muß.
Ebenso wie der beste Feldherr nichts erreichen kann, wenn
die Armee ihm nicht folgt, sich ihm nicht unteroidnet, so sind
auch die Erwählten des Volkes in den demokratischen Insti-
tutionen unfähig, gegen die sie von allen Seiten bedrohende
Auflösung anzukämpfen, wenn die arbeitenden Massen ihnen
nicht folgen oder sogar gegen sie auftreten. Diese elementaren
Gedanken waren sicherlich leicht genug zu verstehen. Das
Unglück lag nur darin, daß die Massen sich von ihnen nicht
lenken und bestimmen lassen wollten.
Nur wenige Wochen hindurch, in der Wärme der ersten
Begeisterung über seine Befreiung, hatte das russische Volk all
seine großen Leiden vergessen, all die furchtbaren Wunden,
die ihm die Knechtschaft des Zarismus und die Ausbeutung der
besitzenden Klassen geschlagen hatten. Aber es erinnerte sich
ihrer bald wieder und verlangte nun hartnäckig und ungeduldig
nach ihrer Heilung. Das russische Volk sah die Revolution als
eine Kraft an, die ihm sofort ein angenehmes, ruhiges und
üppiges Leben ermöglichen sollte. Und je schlechter seine
Lage ehemals gewesen war, um so mehr verlangte es jetzt. Ein
jeder strebte nunmehr nicht nach der allgemeinen Gleichheit,
sondern nach einem möglichst großen persönlichen Vorteil, Das
Land aber war während dieser Zeit in einen blutigen Krieg
hineingerissen und eingezwängt zwischen den Massen der
beiden gewaltigen imperialistischen Slaatenverbände, von
denen keiner zu jener Zeit zu einer Verständigung und zur An-
erkennung der Forderungen der russischen Revolution bereit
war. Die russische Volkswirtschaft war in ihren Grundfesten
erschüttert, und die Lebensmittelkrise verschärfte sich immer
mehr. Und in einem Augenblick, wo dem Lande nur die selbst-
lose Arbeit aller Volksgenossen und die Bereitschaft, alles zum
Wohle des Ganzen und der ganzen Volksmasse hinzugeben,
helfen konnte, streckten sich Millionen von Händen, statt an
die notwendige Arbeit zu gehen, nach der Staatsgewalt aus, be-
gannen Millionen von Stimmen die Aufteilung erst noch zu
schaffender, noch gar nicht vorhandener Güter zu fordern.
Psychologisch ist das sehr wohl zu verstehen. Auch ein
28
Schwerkranker kann nach langem Leiden einmal die Geduld
verlieren, und dann verlangt er wohl von dem Arzte seine so-
fortige Heilung; aber der Arzt vermag nur das eine zu tun:
ihn immer wieder aufs neue zur Geduld und zum harten Kampf
gegen die Krankheit zu ermahnen. Wunder vermag er nicht
zu tun. Das russische Volk aber hoffte auf ein Wunder.
Die breiten Massen des arbeitenden Volkes in Rußland
sind außerordentlich leichtgläubig. Ihrer ganzen Charakter-
anlage nach sind sie sehr leicht erregbar, sie besitzen eine große
Phantasie und eine starke Empfänglichkeit. Ihrer reichen
geistigen Begabung aber hatte bis dahin die richtige Ausbildung
und Entwickelung gefehlt. Diese wurde vielmehr im Laufe von
Jahrhunderten künstlich niedergehalten und nach innen zurück-
gedrängt, wodurch sie oft verkrüppelte und mißgestaltete
Formen annahm. Das Ergebnis war eine fast krankhafte
Sensibilität und eine äußerst leicht zu entflammende Erregbar-
keit. Persönlich und einzeln genommen, ist jeder besonnen,
taktvoll und gerecht, aber innerhalb, der großen Masse unter-
liegt er äußerst schnell fremdem Einfluß und psychischen In-
fektionen jeglicher Art, und so wird er in einem Augenblick zu
allem fähig. Häufig zum Guten, noch häufiger aber zum Bösen.
Die rationalen Elemente seines Seelenlebens sind viel zu
schwach entwickelt und durch die Kultur zu wenig ausgebildet
und befestigt. Auf dieser Grundlage entwickelt sich jene große
Leichtgläubigkeit, von der wir sprechen. Mit der größten Ge-
schwindigkeit faßt irgendein Glaube in ihm Wurzel: der Glaube
an gewisse Menschen, an bestimmte Losungen oder an die Ver-
wirklichung bestimmter Ereignisse, die er herbeiwünscht. Man
braucht aber wohl nicht erst zu erwähnen, daß ebenso leicht
auch die Enttäuschung der Begeisterung auf dem Fuß folgt,
daß ein Glaube durch den anderen, die Liebe durch den Haß
abgelöst wird, und daß dieser Haß häufig unbezähmbar ist.
Dafür bildet die Geschichte Kerenskis eine glänzende Illustra-
tion. Monatelang folgte ihm das ganze Volk; freilich durch-
aus nicht in dem Sinne, daß es ihm aktiv half, ihn stützte oder
daß es seinem Rate folgte. Nein, aber es betete ihn blind an,
glaubte ihm aufs Wort, war von der tiefsten Ueberzeugung er-
füllt, daß Kerenski wie durch ein Wunder alles vollbringen,
daß er die Armee rekonstruieren, das Hinterland reorganisieren
29
werde, und dies alles im Grunde genommen ohne jede Beihilfe
von Seiten der breiten Volksmasse. So stand Kerenski da, wie
ein Steuermann auf einem Dampfschiffe, dessen Maschinen still-
stehen, dessen Schrauben sich nicht bewegen: er kann das
Steuerrad drehen, wie er will, nach rechts oder nach links, der
Dampfer fliegt jedoch weiter dorthin, wohin ihn die Gewalt
des Windes treibt. Als es sich dann auch herausstellte, daß
Kerenski nicht imstande war, seine Aufgabe zu erfüllen, da
verloren die Massen schnell den Glauben an ihn und schenkten
jeglicher Verleumdung gegen ihn ihr Ohr. Konnten doch die
Bolschewik! im Oktober des Jahres 1917 auf Hunderten von
Volksversammlungen den Anwesenden versichern, daß Kerenski
sich mit den Engländern gegen die roten Matrosen in der Ost-
see verschworen hätte. Daher wolle die englische Flotte ihnen
nicht zu Hilfe kommen und lasse die deutsche Flotte ruhig die
russischen Schiffe in den Grund bohren. Selten wußte irgend
jemand von den Anwesenden, daß die englische Flotte über-
haupt nicht in die Ostsee eindringen konnte, und diese ver-
leumderischen Anklagen fanden leicht Glauben.
Oder denken wir etwa an die Erfolge der Sozialrevolu-
tionären Partei. Nur aus den Gesetzen der Massenpsychologie
heraus läßt sich ihr beispielloser Erfolg seit den ersten Tagen
der russischen Revolution erklären. Hier trat es mit unbe-
zweifelbarer Klarheit ans Licht, daß gewisse psychologische Zu-
stände in einem geeigneten Milieu weit ansteckender wirken
als die ansteckendste physische Krankheit. Ganze Gouverne-
ments, ganze Landesgebiete, ganze Frontteile und Arbeiter-
viertel waren von dem blinden Glauben an die Sozialrevolu-
tionäre Partei erfaßt, von dem Glauben, daß sie wie durch ein
Wunder Rußland erretten würde. Ihre Vertreter wurden in
sämtliche Institutionen hineingewählt, — aber das war auch
alles. Die Volksmassen unterstützten sie nicht bei ihrer
schweren Arbeit und sie mußte mit schier übermenschlicher
Anstrengung in gemeinsamem brüderlichen Zusammenwirken
mit den Menschewiki an dem Werke arbeiten, das nur das ganze
Volk vollbringen konnte; ja noch mehr, das Volk hörte, wie
ich schon erwähnt habe, auf seine Auserwählten nicht und
handelte oft im Gegensatz zu ihnen. Und wie oft machte es
ihnen dann später den unter diesen Verhältnissen nur allzu be-
30
greiflichen Mißerfolg ihrer Tätigkeit zum Vorwurf, ja rächte
sich häufig in der blutigsten und bestialischsten Weise an ihnen;
wie oft erschlug es seine Vertreter in den Verpflegungsämtern
und den lokalen Räten.
Diese psychische Erkrankung und dieses in tiefstem Grunde
noch unvernünftige, noch rein instinktive Verhalten zu den wich-
tigsten Fragen der Politik wird unter anderem auch durch den
Umstand illustriert, daß man häufig Fabriken antreffen konnte,
deren sämtliche Arbeiter Sozialrevolutionäre und wiederum
andere, deren gesamte Arbeiterschaft Bolschewiki waren,
wobei diese Fabriken sich oft am selben Ort befanden und dem
Einfluß der gleichen Verhältnisse unterlagen, ja sogar dicht
nebeneinander standen. Kurz, hier haben wir eine vollständige
Analogie zu den Ansteckungsherden epidemischer Krank-
heiten.
Mit einem Wort, die breiten Volksmassen erwarteten ein
Wunder von der Revolution; sie glaubten, daß sie, die bloß alle
Wege zu schöpferischer Betätigung öffnen kann, ihnen sofort,
ohne jede weitere Anstrengung von ihrer Seite, alle Früchte
einer noch nicht vollbrachten Arbeit in den Schoß werfen
werde. Und so befand sich die Partei der Sozialrevolutionäre
in der Lage eines Führers, der sich mit seinen Leuten in einem
unübersehbaren, nicht endenwollenden Schneefelde verirrt hat.
Seine Leute geben ihre letzten Kräfte im Kampf mit dem
Hunger und der Kälte aus und gleichzeitig zaubert ihnen ihre
krankhaft erregte Einbildungskraft inmitten der weiten Schnee-
ebene warme Hütten und reiche, bis oben mit Lebensmitteln
angefüllte Speicher vor die Augen. Ein seltsames Wonnegefühl
erfaßt sie, sie wollen sich nicht mehr abquälen, nicht mehr be-
wegen, leise senkt sich der Schlaf auf ihre Augen. Aber der
Führer weiß nur zu gut, daß dieser Schlaf der Vorbote des
Todes ist, daß diese Hütten, diese üppigen Kornspeicher eine
Täuschung sind — und er spornt sie an, den ganzen Rest ihrer
Kräfte zusammenzuraffen, ihre ganze Energie anzuspannen,
ihrer Ermüdung Herr zu werden, da sonst ihr Untergang un-
vermeidlich sei. . . . Die Sozialrevolutionäre Partei handelte
ganz wie dieser Führer und es ist schwer zu sagen, wieviel sie
erreicht hätte. Aber hier trat ein neuer Faktor in die Er-
scheinung: die Partei der Bolschewiki.
31
iIL
Die Bolschewiki.
In den ersten Wochen der Revolution arbeiteten die Bolsche-
wiki einträchtig mit den übrigen sozialistischen Parteien
zusammen; erst mit der Ankunft Lenins in Rußland im April
des Jahres 1917 nahmen sie einen schnellen Frontwechsel vor.
Ganz plötzlich begannen sie, den tiefen Mangel an Kultur im
russischen Volke, das völlige Fehlen jeder Organisation gar
nicht mehr zu sehen — sie nahmen keine Rücksicht mehr
darauf, wie schwach noch die gesellschaftlichen Solidaritäts-
instinkte in ihm entwickelt und in wie beschränktem
Maße es daher für jede Art von Organisation fähig ist
— sie hatten mit einem Male die Ursache aller Uebel
und Fehler im Leben Rußlands entdeckt und kannten
ein unfehlbares, patentiertes Mittel zu ihrer Beseitigung.
Ihrer Ansicht nach lag die Wurzel des Unglücks darin,
daß die Revolution zu langsam fortschritt und nicht tief genug
ging. Die Arbeiter arbeiten nur darum nicht, weil es noch
Kapitalisten gäbe und weil sie sich nicht für diese abmühen
wollen. Die Bauern liefern nur darum kein Getreide ab, weil
sie noch keine genügende Sicherheit dafür haben, daß das Land
unter sie verteilt und bei ihnen verbleiben würde. Die Soldaten
wollen nur darum nicht kämpfen, weil die revolutionäre
Demokratie immer noch einen imperialistischen Krieg führe.
In der tiefen Apathie der breiten Volksschichten, in ihrer
völligen Gleichgültigkeit gegen jede soziale Tätigkeit hatten
sie plötzlich nur das unbefriedigte Streben nach dem Sozialis-
mus erkannt. In den elementaren blutigen Revolten der
Heimatgarnisonen, in den Desertionen von der Front und dem
offenkundigen Verrat einzelner Regimenter wollten sie nicht
32
die furchtbare Müdigkeit, geschweige denn die Feigheit sehen,
sondern sie erklärten diese Erscheinungen für Aeußerungen
eines bewußten Internationalismus.
Während die Mehrheit der revolutionären Demokratie, in-
dem sie sich nur auf ganz bestimmte Aufgaben beschränkte
und ihre ganze Energie auf ihre Verwirklichung konzentrierte,
hierbei trotzdem auf Schritt und Tritt mit dem Mangel an
organisierter Kraft in Rußland zu kämpfen hatte, suchten die
Bolschewiki zu beweisen, daß gerade darin das ganze Unglück
läge: die Ziele seien zu eng begrenzt und die soziale Basis zu
breit. Man müsse kühn und offen an die sofortige und gewalt-
same Verwirklichung des Sozialismus gehen; dann werde die
Industrie wieder in Gang kommen, dann werde es wieder Brot
geben, dann werde der Krieg zu Ende gehen — denn sogleich
werde das internationale Proletariat sich erheben und den
Sozialismus in der ganzen Welt in die Wirklichkeit umsetzen.
Wenn sich jedoch die soziale Revolution in den anderen Ländern
verzögern sollte, dann würden sich nach Lenins Versicherung
in Rußland Millionen Freiwillige um das sozialistische Banner
scharen, um den Todeskampf mit dem Weltimperialismus auf-
zunehmen.
Die arbeitende Masse befand sich zu jener Zeit in der
Lage einer Armee, die eine gewaltige, machtvoll ausgerüstete
Festung zur Uebergabe gezwungen hat. Diese Armee soll von
der Festung Besitz ergreifen, aber je weniger Spezialisten sie
in ihrer Mitte hat und je komplizierter die Anlage der Festung
ist, um so schwieriger ist die Aufgabe ohne die Unterstützung
ihrer früheren Verteidiger. Eine solche Festung stellte der
russische Kapitalismus dar. Nachdem die Volksmassen die
Macht errungen hatten, hatten sie sofort die Möglichkeit, sich
jeder Art von Ausbeutung durch die Kapitalisten zu erwehren;
wie aber konnten sie mit einem Schlage die ganze industrielle
Klasse beseitigen, sie über Bord werfen, wie konnten sie sich
ohne Hilfe von außen des ganzen Apparates der kapitalistischen
Produktion bemächtigen und ihn in Gang erhalten — sie, die
doch nahezu jeglicher Organisation, aller kulturellen Kräfte ent-
behrten und in ihrer überwältigenden Mehrheit noch An-
alphabeten waren? Ja, auch psychologisch waren sie nicht
darauf vorbereitet. Die Idee des Sozialismus in ihrer positiven
33
HcdcutunjJ, als planmäßiger Aufbau des ArbclLciib.alcs, war
ihnen noch völlig fremd. Sie verstanden sie lediglich als eine
Befreiung von allen Lasten des Lebens und schlössen sich nur
deshalb den Sozialisten an, weil sie hofften, von ihnen alles,
was sie begehrten, sofort zu erhalten. Und gerade auf diese
Psychologie war die ganze Taktik der Bolschewiki zuge-
schnitten, alle ihre Kampfmethoden und ihre gesamte Agitatioji.
Sie suchten in jeder Weise die heftige Ungeduld der Volks-
massen, ihren engherzigen Partikularismus und Egoismus für
ihre Zwecke nutzbar zu machen. Wie sie schon im
November des Jahres 1917 in ihrem ersten Manifest an die
Armee die Soldaten aufgefordert hatten, ,,kompagiiien- und
zugweise" unverzüglich mit den Deutschen Frieden zu
schließen, genau so hatten sie schon im Mai des Jahres 1917 die
Bauern ermuntert, und zwar jedes einzelne Dorf für sich, sich des
Landes zu bemächtigen. Und in derselben Weise sollten die
Arbeiter der einzelnen Fabriken von ihren Betrieben Besitz
ergreifen. Statt der revolutionären Demokratie behilflich zu
sein, die immer mächtiger anwachsende Welle der anarchisti-
schen, nur auf enge egoistische Ziele gerichteten Bestrebun-
gen einzudämmen, hetzten sie die Volksmassen systematisch
auf, unterstützten prinzipiell jeden Streik, jede eigenmächtige
und separate Bewegung, ganz unabhängig davon, ob diese der
gesamten Masse des Volkes zum Schaden gereichte oder nicht.
Welche Arbeiterkategorie auch immer streiken mochte, die
Bäcker, die Arbeiter der Wasserleitungen, die Kohlenarbeiter,
die Eisenbahner, immer waren die Bolschewiki dabei, besonders
aber dann, wenn der Streik gegen den Willen der Mehrheit
der revolutionären Demokratie erklärt wurde. In all diesen
Aktionen, die den Ideen der Demokratie und des Sozialismus
einen unwiederbringlichen Schaden eintrugen, erblickten sie eine
Aeußerung der , »revolutionären Energie", und indem sie überall
den Partikularismus und den Egoismus förderten und die
Anarchie entfesselten, glaubten sie selber und versicherten es
anderen aufs bestimmteste, daß sie damit der Sache des
Sozialismus dienten. Statt der Revolution einen organisierten
und bewußten Klassencharakter zu verleihen, statt die Inter-
essen der ganzen Arbeitermasse auf ein gemeinsames Ziel, den
Sozialismus, zu richten, öffneten sie durch eine rohe, plumpe
34
Demagogie immer wieder die alten Wunden und versuchten,
den dumpfen, jahrhundertelangen Haß der Armen gegen die
Reichen und der Hungrigen gegen die Satten in ihrem Interesse
auszumünzen. Kann man sich da wundern, daß die bolsche-
wistische Agitation in einem Volke, das von vornherein so
wenig von den Ideen des Sozialismus und der Demokratie er-
füllt und durchdrungen war, und in einem Moment, in dem sich
die Anarchie wie ein mächtiger Lavastrom über das ganze Land
ergoß, von einem fortwährend wachsenden Erfolge gekrönt
war? Indem sie die geradezu ungeheure Leichtgläubigkeit der
russischen Volksmasse in ihrem Interesse ausbeuteten, ver-
sicherten die Bolschewiki, daß die Menschewiki und die
Sozialrevolutionäre den Krieg bewußt in die Länge zögen, daß
sie den Bauern mit Absicht und böswillig das Land nicht zu-
teilen wollten und daß sie sich weigerten, den Arbeitern Brot
zu verschaffen. Sie behaupteten, man könne alles mit einem
Schlage haben, denn alles sei im Ueberfluß vorhanden. Man
müsse bloß aufhören, der russischen Bourgeoisie zu schmeicheln
und nachzulaufen, man müsse nur hingehen, dreist zugreifen und
mutig handeln. Man könne auch dem Kriege mit dem äußeren
Feind sofort ein Ende bereiten, allerdings nur, indem man im
eigenen Lande den Bürgerkrieg entfessele.
Man kann sich vorstellen, wie schnell die bolschewistische
Agitation in der wenig kultivierten Masse des russischen Volkes
einen Widerhall fand. Besonders stark aber war die Wirkung
des Bolschewismus auf die Heimatsoldaten. Sie erfaßten sein
Wesen sofort als volle Rechtfertigung ihrer Unlust am weiteren
Kampf und erfüllten sich mit jedem Tage immer mehr und
immer schneller mit seinen Ideen. Aber auch die Arbeiter
blieben nicht weit hinter ihnen zurück, denn auch s i e glaubten,
daß die Bolschewiki ihnen sofort das Paradies auf Erden er-
schaffen würden. Und die Sozialisten, die alle ihre Kräfte dar-
auf richteten, die Massen vor dem Bolschewismus zu beschützen,
um diese alles unterspülende Welle der Anarchie und des un-
organisierten Raubes erfolgreich bekämpfen zu können, befanden
sich in der Lage von Menschen, die etwa versuchen wollten,
einem seit langen Zeiten hungernden Menschenhaufen klar zu
machen, daß es nicht angehe, den ganzen Vorrat an Korn zu
verzehren, den ihnen plötzlich ein glücklicher Zufall zuteil
35
werden ließ, und daß man etwas Saatgut übriglassen müsse, um
im nächsten Jahre nicht zu verhungern. Gegen den ganzen
Komplex der heißesten und wildesten Leidenschaften, gegen
die starke Ermüdung, die Unlust, zu arbeiten, gegen das Streben
nach einem schnell und leicht zu erringenden Gewinn, gegen die
blinden Gefühle der Rache und des Hasses, die sich in sinnlosen
und zwecklosen Pogroms Luft machten, konnten die Sozialisten
nur mit Vernunftargumenten kämpfen. Und dieser Kampf war
ebenso hoffnungslos wie etwa der Wunsch, einen Lavastrom
mit hölzernen Dämmen aufhalten zu wollen.
Tag für Tag beschleunigten die Bolschewik! durch ihre
Agitation den Zersetzungsprozeß in den Volksmassen, und in-
dem sie sie bald hier, bald dort ständig zu bewaffneten Revolten
aufstachelten, zersplitterten sie die ohnedies schon schwachen
Kräfte der revolutionären Demokratie, gestalteten sie ihre Lage
noch verworrener und ihre Arbeit noch schwieriger.
Aber während sie auf diese Weise objektiv das Werk der
Desorganisation und der Zersetzung förderten, waren die Bol-
schcwiki subjektiv in dieser ersten Periode der russischen Revo-
lulion lediglich Träumer und Illusionisten. Sie glaubten an die
Nr. he der sozialen Revolution im ganzen Westen, glaubten, daß
das russische Volk sozialistisch gestimmt sei, glaubten an die
Tiefe dieses Instinktes und sahen einen Beweis für ihren Glau-
ben darin, daß die Volksmassen sich ihnen immer mehr und in
immer wachsender Anzahl anschlössen. Ihre ganze Ideologie
war aufs tiefste durchdrungen von den Ideen des utopistischen
Sozialismus und sogar des echtesten Anarchismus. Sie glaubten,
daß alle Bedingungen für einen neuen, gerechten Gesellschafts-
zustand schon vorhanden seien, daß es nur eines kleinen Hau-
fens aktiver, aufopferungsfähiger Leute bedürfe, um das Volk
von den letzten Fesseln der Sklaverei und der Unterdrückung
zu befreien; dann w^erde es sich sofort in einen überzeugten,
energischen Baumeister eines neuen, sozialistisch geordneten
Lebens verwandeln. Daher war auch ihre Taktik im Grunde
genommen anarchistisch. Ohne offen mit den Prinzipien der
Demokratie zu brechen, hatten sie doch nicht die geringste
Achtung vor dem Prinzip der Mehrheit. Die breiten Volks-
massen betrachteten sie nicht als aktive Kräfte der Revolution,
sondern als ein Objekt ihrer Wirksamkeit, wobei sie von der
36
Vorstellung ausgingen, daß diese Massen immer denen folgen,
in deren Händen im gegebenen Augenblick die Macht ist. Dar-
aus erklärt sich auch das Abenteuerliche ihrer ganzen Taktik,
dt r unbezwingliche Wunsch, die Rolle einer aktiven Minderheit
zu spielen. War denn ihr Versuch am 16. Juli des Jahres 1917,
eine Staatsumwälzung durchzuführen, nicht ein bloßes Aben-
teuer, da sie sich doch damals nur auf einen geringen Teil des
Petersburger Proletariats und der Petersburger Garnison
stützen konnten? Ja, auch ihr Novemberputsch trug den Cha-
rakter einer reinen Verschwörung. Fand er doch an dem Vor-
abend des allrussischen Sowjetkongresses statt, den sie durch
eine revolutionäre Aktion vor eine vollendete Tatsache stellen
und sich damit die Mehrheit sichern wollten. Das ist ihnen
ja in der Tat gelungen. Sie hatten zwar noch weit mehr er-
wartet: sie glaubten, daß sie, indem sie sich der Staats-
gewalt bemächtigten und den sofortigen Uebergang des Grund
und Bodens an das Volk sowie die unverzügliche Eröffnung
von Friedensverhandlungen dekretierten, damit die weitesten
Sympathien der Volksmassen gewinnen und die Mehrheit in der
konstituierenden Nationalversammlung erringen würden. Und
erst, als sie sich überzeugen mußten, daß diese ihre Rechnung
falsch war, und daß sie immer noch in einer allzu deutlichen
Minorität blieben, beschlossen die Bolschewiki endgültig, mit
dem Prinzip der Demokratie zu brechen, und jagten die
Nationalversammlung auseinander.
Das schlimmste Schicksal hätte den Bolschewiki nicht
übler mitspielen können, als sie sich selbst, indem sie sich im
November der Staatsgewalt bemächtigten. Von den Worten
und den großartigen Versprechungen mußten sie nunmehr zu
Traten schreiten. Zuerst waren die Bolschewiki selbst er-
schrocken. In den ersten Tagen traten sechs von den Volks-
kommissaren zurück, da sie es für unmöglich hielten, ohne die
Hilfe der anderen sozialistischen Parteien auskommen zu kön-
nen. Ja, man begann sogar mit diesen Parteien zu verhandeln,
aber diese Verhandlungen wurden schnell abgebrochen, da die
Bolschewiki dennoch entschlossen waren, ihr Programm in
seiner , »prinzipiellen Reinheit" durchzuführen. Und so setzte
denn überall bei den höchsten Instanzen, den Zentralräten und
den bolschewistischen Parteiorganisationen eine lebhafte Tätig-
37
keit ein. Ein ganze.« Füllhorn von Dekreten und Verfügungen
ergoß sich über das Volk. In der Volksmasse selbst aber
nahm der alte Prozeß der Zersetzung seinen Fortgang, kochten
nach wie vor die gleichen anarchischen Leidenschaften, waren
immer noch die alten zentrifugalen Mächte am Werk, und
der Unterschied lag bloß darin, daß mit dem Uebergang der
Gewalt an die Bolschewiki die letzten Solidaritätsbande rissen
und die letzten Hemmungen verschwanden. Die schiefe Ebene,
auf der die russische Revolution in den Abgrund hinabglitt,
führte sprunghaft in die Tiefe. In den ersten zwei Wochen
der bolschewistischen Herrschaft fielen die Getreidelieferun-
gen an der Front und für die Städte bis auf 45 Prozent ihrer
bisherigen Höhe. Ueberall ging eine mächtige Welle der Zer-
störung und Verwüstung der gutsherrlichen Besitzungen über
das Land. Einzelne Kreise, Dörfer, ja sogar Privatpersonen
ergriffen eigenmächtig Besitz vom freien Boden. Die Intensität
der Arbeit sank noch weiter, der achtstündige Arbeitstag
wurde von den Arbeitern selbst nur noch der „achtstündige
italienische Streik" genannt. Die Armee begann rasch aus-
einander zu laufen, indem sie dem Feinde ihre ganze Aus-
rüstung und Munition verkaufte oder sie mit sich nahm.
Freilich, man verkaufte sie nicht bloß an den Feind; so konnte
der Verfasser dieser Zeilen im Dezember des Jahres 1917 wäh-
rend seiner Anwesenheit an der Dünafront sich nur mit Mühe
der verschiedensten, äußerst vorteilhaften Anerbietungen er-
wehren: man konnte ganze Batterien für den lächerlichen
Preis von einigen hundert Rubeln kaufen. Die Pferde ver-
kaufte man gleichfalls, teils an die Deutschen, teils nahm man
sie mit und veräußerte sie dann an die Bevölkerung. Die
Matrosen der Ostseeflotte, nach der Versicherung Trotzkis
,, diese Zierde und dieser Stolz der russischen Revolution",
raubten zunächst einmal alles, dessen man auf den Schiffen
habhaft werden konnte, und suchten erst dieses Material, dann
aber die Schiffe selbst nach Möglichkeit zu verkaufen. Die
kleinbürgerlichen Leidenschaften erhoben sich mit einem
Schlage und unaufhaltsam in ganz Rußland und schienen es
endlich völlig überschwemmen zu wollen. Selbst ein Blinder
hätte ahnen und verstehen können, wie wenig bewußt, wie
unvernünftig noch unsere Volksmasse, wie weit sie vom
38
Sozialismus, ja selbst von der richtigen Demokratie entfernt
sei. Das negative Programm des Bolschewismus hatten die
Massen ohne jede Schw^ierigkeit begriffen: man braucht nicht
zu kämpfen, braucht keine Pflichten mehr anzuerkennen, man
braucht sich nur zu nehmen, zu holen und anzueignen, was
man bekommen kann, oder wie dies Lenin wundervoll formu-
liert hat, man „raube das Geraubte". Indessen, das positive
Programm sogar des Bolschewismus, so primitiv es auch sein
mochte, blieb dieser Masse vollkommen fremd. Es war völlig
klar, daß von dem Augenblick an, wo die Bolschewisten auf-
hören würden, den Volksmassen blind zu folgen und ihren
niedrigsten Instinkten zu schmeicheln, indem sie diesen In-
stinkten freilich den Charakter hochherziger, erhabener Be-
strebungen zu geben suchten, daß von dem Moment an, wo
sie den Versuch machen würden, ihr Programm auch nur im
geringsten Grade zu verwirklichen, sie jede Hilfe und Unter-
stützung der Massen verlieren und auf ihren passiven oder so-
gar aktiven Widerstand stoßen würden. Aber hierüber
machten sich die Bolschewisten nicht viel Gedanken, sie
schreckten eben vor nichts zurück.
Schon mehr als ein Jahr lang befinden sich heute die
Bolschewik! an der Macht. Die Zeit ist gekommen, die Bilanz
ihrer Herrschaft, ihrer gesamten Tätigkeit in der inneren und
äußeren Politik zu ziehen. Beginjien wir zunächst einmal mit
der ersteren.
Ich habe schon erwähnt, daß der Auflösungsprozeß der
Armee sich in elementarer, unaufhaltsamer Weise vollzog.
Aber statt ihn aufzuhalten, statt gegen diese Erscheinung zu
kämpfen, trugen die Bolschewik! durch ihre hartnäckige Agita-
tion und ihre Versicherung, daß Rußland, dieses hilflose, von
den beiden mächtigen imperialistischen Verbänden bedrängte
Land, dennoch einen sofortigen allgemeinen gerechten Frieden
erreichen könnte, außerordentlich viel zur schnellen Zersetzung
der Armee bei. Die Bolschewik! glaubten fest daran, daß die
soziale Revolution in Deutschland in dem Moment ausbrechen
werde, wo Rußland den Kampf einstellen würde. Während
■ 39
wir Sozialrevolutionäre von Anfang an der Ansicht waren, daß
die Revolution in Deutschland nur nach einer Niederlage des
deutschen Imperialismus möglich sei, und daß es dem deut-
schen Volke nicht gelingen, daß es ihm sogar gänzlich unmög-
lich sein würde, mit dem siegreichen Imperialismus seiner
Machthaber fertig zu werden, redeten die Bolschewiki sich
selbst und anderen ein, daß die Revolution in Deutschland in
jedem Falle unvermeidlich sei, ja, daß sie eigentlich schon
angefangen hätte. In der Hoffnung auf die deutsche Revo-
lution begannen und führten sie die Friedensunterhandlungen
in Brest-Litowsk, in dieser Erwartung gaben sie beim Abbruch
dieser Verhandlungen die Erklärung ab, daß sie ihre Armee
demobilisieren und keinen Krieg mehr führen, allerdings auch
keinen Frieden schließen wollten. Sie waren überzeugt, daß
nach dieser Erklärung sich die deutschen Soldaten weigern
würden, auch nur einen Schritt nach Rußland hinein zu tun.
Als jedoch statt dessen Dünaburg, Pleskau und Narva fielen
und die deutschen Bataillone an der Schwelle Petersburgs er-
schienen, waren die Bolschewiki selber genötigt, fieberhaft zur
Verteidigung des Landes zu schreiten. Aber es war schon zu
spät. Sie hatten schon zu viel zerstört, in der Hoffnung auf
die Millionen Lenin scher Freiwilliger hatten sie die Armee
gar zu gründlich demoralisiert. Als statt dieser Millionen
kaum einige tausend Mann zusammenkamen, die sich bereit-
erklärten, den Widerstand fortzusetzen, da waren die Bolsche-
wiki nicht nur genötigt, trotz allem und alledem einen schmach-
vollen Frieden mit dem deutschen Imperialismus zu schließen,
sondern sie mußten dies auch unter weit schwereren Bedin-
gungen tun, als dies früher möglich gewesen wäre.
Haben damit nicht die Bolschewiki, indem sie Rußland
schwächten und zerstückelten und hierdurch gerade die Posi-
tion des deutschen Imperialismus so ungeheuer stärkten, auch
für das deutsche Volk den Kampf mit diesem Imperialismus
sehr erschwert? Aber auch dem russischen Volke haben sie
den Frieden nicht gebracht; denn dies war von vornherein
klar: durch die volle Kapitulation vor dem deutschen Imperialis-
mus, durch den Frieden von Brest-Litowsk führte der Weg
unausweichlich zum Kriege mit der Entente. Dazu aber be-
gannen die Bolschewiki noch Oel ins Feuer zu gießen: indem
40
sie neue Verträge mit dem deutschen Imperialismus schlössen,
zerrissen sie zugleich auf , .revolutionärem Wege" ausnahmslos
alle Verträge mit den maßgebenden Mächten in der Entente.
Indem sie dem einen Imperialismus gewaltige Geldsummen und
Warenmassen auslieferten und solche schmählichen Forderun-
gen des Feindes erfüllten, wie die Entwaffnung der roten
Finnischen Garde, die sich in der festen Hoffnung auf die
Unterstützung der russischen Bolschewiki erhoben hatte, wie die
militärische Unterstützung der Türkei in ihrem Kampf gegen die
sozialistischen Regierungen des nach Selbständigkeit streben-
den Kaukasus, annullierten sie um dieselbe Zeit alle Verpflich-
tungen, die Rußland gegenüber den Staaten der Entente über-
nommen hatte. Indem sie an den linken Sozialrevolutionären,
ihren gestrigen Freunden, wegen der Ermordung des Grafen
Mirbach furchtbare Rache nahmen, veranstalteten sie zu
gleicher Zeit bewaffnete Ueberfälle auf die Gesandtschaften
der Entente, die oft mit Blutvergießen endeten. Und während
sie alles dies taten, die ganze Zeit über die Entente stark pro-
vozierten und ihr gegenüber alle Gesetze des Völkerrechtes ver-
letzten, ließen sie sich nicht einmal so sehr von ihrem Glauben
an die in nächster Zeit bevorstehende Revolution in diesen
Ländern als durch andere, sehr viel praktischere Erwägungen
leiten. Sie waren während dieser ganzen Zeit von der tiefen
Ueberzeugung durchdrungen, daß der deutsche Imperialismus,
dieses nach ihrer Ansicht fortgeschrittenere und vollkom-
menere System, siegreich aus diesem Kriege hervorgehen
müsse, und daß sie daher von den Ländern der Entente nichts
zu befürchten hätten. Indes auch hierin befanden sich die
Bolschewiki in einem tiefen Irrtum, und nun muß Rußland
diesen ihren eigenartigen ,, Internationalismus" bezahlen.
Wenn jedoch die Bolschewiki durch ihre Liquidation des
äußeren Krieges eine Reihe ungeheurer Fehler begingen, so
haben sie durch die Entfesselung des inneren, des Bürger-
krieges eine Reihe nicht mehr von Fehlern, nein, von den
schlimmsten Verbrechen begangen. Dabei muß man vor allem
eins berücksichtigen und fest im Auge behalten: Das Bürger-
tum, die Bourgeoisie, führt bei uns keinen Bürgerkrieg. Hierzu
ist es viel zu schwach und viel zu wenig organisiert. Vom
ersten Tage der bolschewistischen Umwälzung an hatte es be-
41
jjriffen, daß jeder Widerstand von seiner Seite vergebens
wäre, und alle Positionen kampflos preisgegeben. Sein Ver-
halten war so musterhaft, daß Lenin es sogar im Mai des
Jahres 1918 für möglich hielt, mit ihm in eine, wenn auch
rein geschäftliche Verbindung zu treten. Und hätten ihn die
linken Bolschewiki nicht rechtzeitig zur Ordnung gerufen, so
wäre dies Uebereinkommen zwischen dem Bolschewismus und
der Bourgeoisie damals zustande gekommen.
Andererseits ist der ländliche Großgrundbesitz bei uns
in einem solchen Maße von der Bauernschaft selbst
zerstört und vollkommen unschädlich gemacht, daß die
Bolschewiki mit ihm nicht mehr zu kämpfen brauchten.
Nein, der Bürgerkrieg wird bei uns nicht von zwei
verschiedenen Klassen, sondern von zwei verschiedenen
Gruppen derselben revolutionären Demokratie ge-
führt. Er reifte langsam heran. Zunächst mißlangen alle Ver-
si^che, eine einheitliche sozialistische Front zu bilden: sie miß-
langen deshalb, weil die anderen sozialistischen Parteien eine
Garantie für die Aufrechterhaltung der demokratischen Frei-
heiten, den Verzicht auf die Methode des politischen Terrors,
zu dem die Bolschewiki vom ersten Tage der Besitz-
ergreifung der Gewalt gegriffen haben, verlangten. Sodann
begannen die Verwickelungen mit der Ukraine, die sich damals
gänzlich in den Händen der , .ukrainischen Sozialrevolutionäre"
befand. Bis zur Novemberrevolution war diese Partei eine
treue Verbündete der Bolschewiki. Auch jetzt war sie bereit,
die Macht der bolschewistischen Volkskommissare anzuer-
kennen, aber lediglich für Großrußland; für die Ukraine aber
verlangte sie Autonomie und eine Vereinigung mit Rußland
auf föderativer Grundlage. Hierauf antworteten die Bolsche-
wiki, die bis dahin alle ,, großrussischen Annexionen" so leiden-
schaftlich bekämpft und sich so warm für die volle Selbst-
bestimmung aller Nationalitäten eingesetzt hatten, damit, daß
sie die ukrainische Delegation in Petersburg verhafteten und
auseinandertrieben und der Ukraine den Krieg erklärten.
Sodann begann der Krieg gegen den Kaukasus, diese
Zitadelle der Menschewiki: ein Krieg, der sich gleichfalls
keineswegs gegen die kaukasiscj[>2 Bourgeoisie oder die Groß-
grundbesitzer — sondern gegen die Arbeiter- und Bauernräte
42
richtete, die eine Autonomie für sich selber verlangten. Dann
folgte der Krieg um die Autonomie mit dem Sozialrevolutio-
nären Sibirien, ein Kampf, in dem bekanntlich die Tschecho-
Slowaken eingriffen-*)
Es ist äußerst interessant, in welchem Maße der russische
Bolschewismus von imperialistischen Tendenzen angesteckt
wurde. Er sagte sich plötzlich endgültig vom Selbstbestim-
mungsrecht der Nationen los und beschloß, in die anderen
Völkerschaften die Fackel der sozialen Revolution gewaltsam
zu werfen. Auch sein jetziges Verhalten auf der deutschen Ost-
front, sein Versuch, Estland, Livland und Kurland zu okku-
pieren, die Konzentration von Truppen an der Grenze Polens,
alles das beweist mit voller Deutlichkeit, daß er sich nicht im
geringsten geändert und nichts hinzugelernt hat. Das ist die
innere Logik des Bolschewismus. Nachdem er einmal den Ver-
such gewagt, den Sozialismus auf seine Art gegen den klar
ausgesprochenen Willen der Mehrheit durchzuführen, und hier-
für zu dem einzigen Mittel, über das er verfügte: zur Gewalt
gegriffen hatte, vermochte er es nicht mehr, sich auf dieser
schiefen Ebene zu halten. Wenn eine Minderheit die Mehr-
heit, diese „träge Masse der Revolution", und zwar mit der
Waffe in der Hand, dazu zwingen kann, ihr zu folgen, warum
sollte dann eine Nationalität nicht auch anderen Nationen mit
Gewalt ihre Staatsform aufnötigen; um so mehr, da die Bolsche-
*) Als die Bolschewiki Frieden mit Deutschland ge-
schlossen hatten, verlangten die tschecho-slowaki-
sehen Bataillone, daß ihnen erlaubt werde, Rußland zu ver-
lassen. Die Bolschewiki aber beschlossen auf das Drängen der
deutschen Diplomatie hin, diese Bataillone zu entwaffnen und
in Rußland festzuhalten. Da empörten sich die Tschecho-
Slowaken, da sie befürchteten, an Deutschland ausgeliefert und
als Verräter erschossen zu werden, und vereinigten sich mit'
der freiwilligen sibirischen Armee. Oder war etwa diese ihre
Furcht unbegründet; hatten ihnen vielleicht die Bolschewiki
mindestens Sicherheit für ihr Leben zugesagt? Aber dieses
hätten sie doch nur bis zum ersten Einspruch von selten des
offiziellen Deutschlands tun können, hatten sie doch überhaupt
nicht die mindeste Möglichkeit, ihr Wort zu halten.
43
wisten stets versichern, sie brächten den Volksmasscn dieser
Nationalitäten Glück und Freiheit. Freilich haben auch Kaiser
Wilhelm und Nikolaus IL nie etwas anderes behauptet; richtig
ist es auch, daß die Bolschewisten hierbei immer den
Willen der Bevölkerung vollständig ignorieren und ebensowenig
Rücksicht auf ihn nehmen wie Kaiser Wilhelm und Nikolaus II.
Aber mit solchen Kleinigkeiten geben sich die Bolschewik!
nicht ab.
Währenddessen entbrannte auch in Großrußland der Bürger-
krieg mit wachsender Gewalt. Wie bekannt, erklärten
nach der November-Revolution die Beamten und die Staats-
angestellten den Streik, Dieses gab den Bolschewiki den An-
laß, die sozialistischen Parteien der Sabotage anzuklagen. Wie
ungerecht diese Beschuldigung aber war, ist daraus zu ersehen,
daß schon Anfang Januar 1918 die sozialistischen Fraktionen
der Nationalversammlung sich gegen jegliche Art der Sabotage,
auch gegen die der Staatsbeamten, erklärt hatten und ihnen
allen dazu geraten hatten, die Arbeit wieder aufzunehmen. Die
Sozialisten selbst aber waren vom ersten Tage der bolsche-
wistischen Umwälzung bereit, jegliche organisatorische Arbeit,
wie etwa die in den Lebensmittelkomitees, in den Gewerk-
schaftsorganisationen usw., zu übernehmen. Das einzige, was
sie verweigerten, war die Annahme irgendwelcher verantwort-
licher politischer Stellungen, da sie die Verantwortung für die
Taten der Bolschewisten weder auf sich nehmen konnten noch
wollten. Aber die Bolschewiki brauchten ja doch nur einen
Vorwand und fanden ihn in der Sabotage. Und nun setzte ein
gewaltiger Feldzug gegen die sozialistische Presse, nun setzte
die Zerstörung der sozialistischen Organisationen usw. ein, und
die Gefängnisse begannen sich aufs neue mit Angehörigen der
sozialistischen Parteien zu füllen. Mit jedem Tage verschärft
sich der politische Terror, mit jedem Tage zieht er weitere
Kreise. Erst begannen Füsiladen einzelner Sozialisten, dann
folgten die Massenhinrichtungen von Arbeitern in Kolpino, in
Moskau, in Petersburg, In dem Maße, als sich die Arbeiter
immer mehr von den Bolschewiki abzuwenden begannen, wurde
der Druck auf sie von seiten der jetzigen Machthaber immer
stärker und stärker. Die Bauern, die immer weniger Industrie-
produkte aus der Stadt erhielten, zeigten auch ihrerseits immer
44
weniger Lust, Getreide an die Städte zu liefern. So fingen die
Bolschewiki an, bewaffnete Expeditionen gegen die Dörfer aus-
zurüsten. Die vollständige Unfähigkeit der Bolschewiki, nicht
nur das industrielle Leben in bescheidenstem Umfange aufzu-
bauen, sondern es wenigstens vor dem endgültigen Untergang«
zu bewahren, die furchtbare Zunahme der Arbeitslosigkeit, die
Hungersnot in den Städten und ganzen Gouvernements begann
die Arbeiterklasse sehr schnell gegen die Bolschewisten aufzu-
bringen. Die Arbeiterräte gerieten immer häufiger in den
Besitz der oppositionellen Parteien. Die Bolschewiki sahen
sich also genötigt, wie dies in Tula, Jaroslaw, Sormoff, Orel
und in einer ganzen Reihe anderer Ortschaften geschah, zur
gewaltsamen Auflösung der Räte und zu dem allseitigen Aus-
schluß der Opposition zu schreiten. Die zunehmende Streik-
bewegung stieß auf einen erbarmungslosen Widerstand von
selten der Bolschewiki. Gegen die Streikenden wurde nicht
nur Waffengewalt angewandt, man entzog ihnen auch die
Lebensmittel und gab sie dem Hungertode preis.*) Je mehr aber
die Enttäuschung über die Bolschewiki Platz griff, je enger die
soziale Basis wurde, auf die sie sich stützten, je deutlicher die
vollkommene Isolierung wurde, in der sie sich befanden, um so
unversöhnlicher und verstockter wurden sie, um so schonungs-
loser und unbarmherziger wurde ihre Taktik. Es setzte ein
richtiger Kreuzzug gegen die gesamte Bevölkerung ein. Ueberall
wurden außerordentliche Kommissionen mit unbeschränkten
Vollmachten errichtet. Ueberall fanden Massenhinrichtungen
von Bauern, Arbeitern und Intellektuellen statt. Die sozialisti-
schen Parteien wurden für vogelfrei erklärt, ihre Mitglieder auf
der Stelle erschossen oder als Geiseln in Konzentrationslagern
untergebracht. Eine blutige Welle des politischen Terrors, die
eine selbst im Vergleich zu den Zeiten des Zarismus unerhörte
Ausdehnung annahm, schwoll immer mehr an und über-
*) Man lese nur den einen Beschluß des Twerskauer
Sowjets, der im speziellen Einvernehmen mit Moskau und
Petersburg gefaßt wurde: „Die Streikenden sind zu entlassen
und es sollen ihnen alle Lebensmittel mit Einschluß ihrer täg-
lichen Brotration von 50 Gramm entzogen werden." (Petrog.
Prawda d. J. 1918 Nr. 175.)
45
schwemmte das unglückliche Land, das ohnmächtig in d«n
Fesseln der wirtschaftlichen Desorganisation, Anarchie und
Hungersnot schmachtete. . . .
Aber ist das alles nicht nur ein böser Traum, eine schreck-
liche Fieberphantasie? Hinrichtungen, Hungersnot, Desorgani-
sation — sind das nicht bloß schreckliche Worte, , .Verleum-
dungen", Trugbilder einer parteipolitischen Verblendung?
Hören wir, wie sich die Lage Rußlands nach den bolschewisti-
schen Quellen selbst darstellt.
46
IV.
Das Bild des heutigen Rußland.
Solange Rußland mit einem Netz ländlicher Komitees über-
zogen war, die unter der Anleitung der Sozialrevolutionären
Partei an der Vorbereitung der großen Bodenreform, der
Sozialisierung von Grund und Boden, dieses Lieblingskindes
unserer Partei, arbeiteten, hatten die Bolschewik! für uns nichts
als Worte der Verdächtigung und des Sarkasmus; spottete
doch T r o t z k i über den Landwirtschaftsminister T s c h e r -
noff, weil dieser sich mit , .Statistik" beschäftige! Doch nun
lag die Macht in ihren Händen: sofort lösten sie überall die
Bodenkomitees auf, trieben sie auseinander und ,, dekretierten"
sogleich das Gesetz über die Sozialisierung von Grund und
Boden. Wer aber sollte die Verwirklichung dieses Gesetzes an
Ort und Stelle durchführen? Die Bolschewiki nahmen auch
hier zu der berühmten „Schöpferkraft der Massen", d. h. zu
der ganz systemlosen, rein zufälligen Tätigkeit einer Unzahl
kleiner Gruppen ihre Zuflucht. Und es ist charakteristisch, daß
gerade d i e Partei zu diesem elementaren und primitiven
,, Schaffen" des Bauern griff, die bis zum Ausbruch der Revolu-
tion die russische Bauernschaft für absolut antisozialistisch hielt
und nur von der Entwickelung des Kapitalismus auf dem Lande
die Bekehrung des Bauern zum Sozialismus erwartete. Das Er-
gebnis war ein höchst klägliches und trauriges. Nachdem eine
mächtige Welle von Revolten und Bürgerkämpfen über das
Land gegangen war, war der Grund und Boden zwar verteilt,
aber er war in Wahrheit in den Privatbesitz einzelner Personen
47
übergegangen. Der Arbeitswille*) vom 23, Oktober
1918 schreibt: ,,Die ländliche Arbeiterbevölkerung weiß nicht,
was sie davon denken soll, und fragt sich voller Unruhe, was
denn aus der so berühmten Sozialisierung des Bodens geworden
ist. So wenig ist davon heute auf dem Lande zu verspüren."
Die Petersburger Prawda berichtet in Nr. 184, daß ein ,,Kauf
und Verkauf" von Land stattfinde. In dem Leitartikel des
Organs des landwirtschaftlichen Kommissariats wird die be-
scheidene Hoffnung ausgesprochen: ,,Man muß annehmen, daß
diese Angelegenheit (d. h. die Sozialisierung des Bodens) end-
lich über den toten Punkt hinwegkommt und richtig in Gang
gebracht werden wird,"^) Und diese Hoffnung äußert dasselbe
landwirtschaftliche Zentral-Kommissariat, das der Bericht-
erstatter der Versammlung des Exekutivkomitees der Provinz
Moskau S a i z e w (ein Bolschewik) beschuldigt, ,,es sei be-
strebt, auf dem Lande die Entwickelung der kleinen Bourgeoisie
zu fördern, was die Revolution zugrunde richten könnte".')
Wie seltsam müssen für jemand, der da glaubt, daß in Rußland
das Land tatsächlich sozialisiert und daß das Privateigentum
an Grund und Boden bereits seit einem Jahre endgültig ver-
schwunden sei, Mitteilungen wie die folgenden klingen: ,,Der
Kongreß der ländlichen Abteilungen hat für das nächste Jahr
eine Verfügung über die Einführung der allgemeinen staatlichen
Bearbeitung des Landes auf den ehemaligen Gütern der Groß-
grundbesitzer erlassen, um damit ihrer Aufteilung unter die
kleinen Landeigentümer ein Ende zu machen."®) Das alles sind
charakteristische Eingeständnisse von selten der Bolschewiki,
die sich doch so sehr vor dem gedruckten Worte fürchten, daß
sie sämtliche Zeitungen, die nicht offenkundig auf dem
bolschewistischen Standpunkt stehen, samt und sonders ver-
boten haben.
Was haben nun die Bolschewiki für die Einführung des
Sozialismus auf dem Lande getan? Wie bekämpfen sie diese
elementare kleinbürgerliche Eigentumsbewegung? Sie be-
schlossen, zu diesem Zweck Kommunen zu gründen. Nur
schade: die Bevölkerung wollte sich nicht daran be-
teiligen. Man mußte daher zu ganz besonderen Maßnahmen
*) Das Zentralorgan des revolutionären Kommunismus.
48
greifen. Dieses Mal waren es allerdings keine Bajonette und
keine Maschinengewehre, sondern besondere „Vergünstigungen
für die Kommunen: Die außerordentliche Zuteilung von
Landparzellen an die Kommunen außer der Reihe,
und zwar über die Bearbeitungs- und Bedürfnisnorm
hinaus"/) Diese Maßnahme wirkte. Auf den Dörfern
begannen in der Tat Kommunen zu entstehen. Aller-
dings machte ihre Organisation nur langsame Fortschritte.
So gibt es in dem ganzen Wladimirschcn und
Saratoffschen Gouvernement im ganzen je 3 Kommunen.^) In
den andern Gouvernements gibt es deren etwas mehr: so in
Tamboff 24, in Witebsk 31. Indessen, was bedeuten diese
30 Kommunen mit ihren 3000 Mitgliedern für ein Gouvernement
mit einer Bevölkerung von einigen Millionen? Allerdings
könnte man hoffen, daß sich das Verhältnis im weiteren Ver-
laufe bessern wird. Aber das Schlimme ist auch nicht, daß die
Zahl der Kommunen noch so klein ist, das Traurige ist, daß die
Mitglieder der Kommune mehr Land erhalten, als sie nach der
Norm beanspruchen, d. h. mehr als sie bearbeiten können. Wie
also können sie es trotzdem bestellen? Nun, das Problem löst
sich sehr einfach. Sie nehmen ihre Zuflucht zur Lohnarbeit!
Und das in einem sozialistischen Staate, in dem die Lohnarbeit
bereits seit mehr als einem Jahr endgültig abgeschafft ist. Es
stellt sich heraus, daß in Form von Kommunen , »künstliche . . -
Latifundien geschaffen werden, durch welche die um sie herum-
wohnende Landbevölkerung nach dem System der Lohnarbeit
ausgebeutet wird".") Das hat nun schon sehr wenig Aehnlich-
keit mit der Schaffung von sozialistischen Keimzellen. Indessen
erwiesen sich die Kommunen nicht nur in dieser Beziehung als
noch sehr weit vom Sozialismus entfernt. Wir lesen z. B. fol-
gendes über sie in der „Stimme des ländlichen Ar-
beiters" vom 13. Oktober 1918: „Die Möglichkeit der
Spekulation verleitet die Mitglieder der Kommune gegen-
wärtig, die Produkte ihrer Landwirtschaft zu den räuberischen
Marktpreisen abzusetzen. Sie hüten sich, ihre Erzeugnisse an
die Organe des Proviantamts zu Richtpreisen freiwillig abzu-
liefern." Das sind die russischen Kommunen. Liest man da-
gegen die Dekrete über die Kommunen (sie sind sicherlich
schon längst ins Deutsche übersetzt), dann kann man gewiß
49
nicht auf den Gedanken kommen, daß sie Zentren der Aus-
beutung und der Spekulation sind, dann wiegt man sich sicher-
lich in dem Glauben, daß in ihnen das sozialistische Himmel-
reich auf Erden verwirklicht ist!
Aber die reichen Kommunen sind keineswegs die einzigen
Quellen der Ausbeutung auf dem Lande, Die Bauern haben
zwar Land erhalten, aber die ,, Armen haben keine Mittel und
keine Inventare, um es zu bearbeiten"/) So lesen wir unauf-
hörlich Mitteilungen, wie die folgende: ,,In dem Wienenburger
Kreise versuchen ,die ländlichen Wucherer' die Bauern, welche
keine Pferde besitzen, zu bedrücken und leihen ihnen Pferde
zur Benutzung gegen die Verpflichtung zur Fronarbeit, trotz
des Dekretes, nach dem es auf dem Lande verboten ist, Lohn-
arbeiter zu beschäftigen".")
Der Leser ersieht daraus, daß es auf dem Lande auch noch
reiche Dorfwucherer gibt. Aber das sind nicht die reichen
Wucherer von früher, aus der vorrevolutionären Zeit, denn der
Reichtum dieser ist von den Bauern längst aufgeteilt und zer-
stört. Das sind neue Wucherer, bolschewistischer Provenienz,
von denen behauptet wird, daß sie „es fertig bringen, sich an
die Spitze der Komitees armer Bauern"") zu stellen. Woher
diese reichen Wucherer stammen, davon wird später die Rede
sein. Jetzt wollen wir uns vor allem einmal klar machen,
warum die Bolschewiki den armen Bauern gar nicht zu Hilfe
kommen. Ganz einfach darum, weil sie nicht nur nicht imstande
sind, organisatorisch das Leben einer nach Millionen zählenden
Bauernbevölkerung zu umfassen, sondern weil sie nicht einmal
die wenigen Kommunen, die sie geschaffen haben, zu organi-
sieren vermögen.
Ich habe soeben von den „reichen" Kommunen gesprochen,
und das ist nicht etwa ein Zufall, denn es gibt auch arme Kom-
munen. Und was das merkwürdigste ist, innerhalb der Grenzen
des gleichen Gouvernements finden wir Kommunen, wo auf jedes
arbeitende Mitglied mehrals 9 Deßjatinen kommen, und
wiederum andere Kommunen, in denen jedes arbeitende Mit-
glied über weniger als eine halbe Deßjatine ver-
fügt. Das sind die Kommunen, denen man bloß Land ver-
sprochen, aber keines gegeben hat. Das ist ein Beispiel
bolschewistischer Organisation: während die einen Kommunen
50
notwendig zur Ausnutzung der Lohnarbeit greifen müssen,
müssen die Mitglieder der anderen sich ebenso notwendig in
die Knechtschaft der reichen Bauern begeben.
Aber viel kritischer als die Landfrage ist die Frage der
Verprovianticrung, die Brotfrage. Das allgemeine Bild der
Lebensmittelversorgung stellt sich im Sommer des Jahres 1918
nach offiziellen bolschewistischen Quellen folgendermaßen
dar:*^) Bei einer normalen Zufuhr von 32 Waggons Getreide
pro Tag erhielt Petersburg täglich nur 4,6, Moskau statt der
ihm zukommenden 25,8 Waggons bloß 5,1 Waggons pro Tag;
und bei alledem befanden sich diese beiden Städte noch in der
relativ günstigsten Lage. Andere auf .Zufuhr angewiesene Ge-
genden, nämlich die von einer Hungersnot betroffenen Gou-
vernements Zentral- und Nordrußlands, erhielten nur 14 Wag-
gons statt der erforderlichen Gesamtnorm von 234,7 Waggons
geliefert. Freilich, diese Angaben enthalten nicht die Zufuhr
durch einige Nebenlinien der Eisenbahnen. Aber auch wenn
man diese einrechnet, so wurden doch nicht einmal 10 Proz.
der Verpflegungsnorm geliefert. Man braucht sich daher nicht
zu wundern, daß z. B. das Petersburger Gouvernement, das in
dem verflossenen Rechnungsjahr einer Zufuhr von 11 Millionen
Pud Getreide bedurfte, im ganzen nur folgende Lebensmittel-
zufuhren erhielt: 864 000 Pud Getreide, 110 000 Pud Dörr-
gemüse und gegen 250 000 Pud Kartoffeln. Zucker wurden je
100 g monatlich pro Person zugeteilt. An Eiern kamen wäh-
rend der ganzen Zeit 8 Stück auf den Kopf der Bevölkerung.
An Schuhwerk wurden im ganzen Gouvernement 7016 Paar aus-
geteilt.^") Die Bolschewiki müssen selber konstatieren, daß „der
Verpflegungszustand in dem Gouvernement verzweifelt ist. In
der Gegend, von der die Rede ist, konnte vom 21. Dezember
des Jahres 1917 bis Anfang September 1918 von dem Proviant-
amt nicht ein einziges Stück Brot verteilt werden".**)
Nicht besser, ja sogar zeitweilig noch schlechter ist die Lage
in den andern Gouvernements. So schreibt der revolutionäre
Kommunist G o 1 u b e w über die Gouvernements O 1 o n e z
und Nowgorod: „Ich selbst war Augenzeuge, wie die
Menschen dazu übergingen, sich nach Art von Tieren zu nähren,
wie sie auf den Feldern wilden Klee suchten, trockneten, zer-
rieben und aus ihm Fladen buken. Und was steht ihnen erst
51
in dem kommenden Winter und sodann im Frühling bevor?
Die Sterblichkeit, insbesondere die der Kinder, war schon
im Frühling und Sommer dieses Jahres außergewöhnlich
hoch."'"') Und die ,,Istwestja des Z, E. A," bestätigen dieses:
„Die Lage des Gouvernements O 1 o n e z ist, was die Lebens-
mittelversorgung betrifft, verzweifelt. . . . Die Bevölkerung des
Powelezer Kreises ging, nur um ein Stück Brot zu er-
halten, zu den Engländern über und läßt sich in die Truppen
einreihen, die gegen uns kämpfen."*') Auch im Gouvernement
W o 1 o g d a „wird die Lage gänzlich unhaltbar. Die Hungersnot
hat schon begonnen".*^) Aehnliche Mitteilungen kann man in
der bolschewistischen Presse über alle Gouvernements, die auf
Einfuhr angewiesen sind, d. h. über die Hälfte des ganzen
Sowjet-Rußlands, hören. Ja, während die Bolschewik! durch
ihre ausländischen Agitationskomitees die ganze Welt glauben
machen wollen, daß die Lebensmittelversorgung in Rußland gar
nicht so schlecht sei und daß alle verzweifelten Alarmrufe hier-
über nichts wie die üblichen ,,konter-revolutionären Manöver"
und „bürgerlichen Verleumdungen" seien, sprechen sie sich im
Innern des Landes schon deutlicher hierüber aus. Und das ist
durchaus kein Wunder: In einem Lande, in dem man so Hunger
leidet, daß die Menschen in Massen vor Hunger sterben und auf
der Straße vor Erschöpfung hinfallen, läßt sich die Wahrheit
ja ohnedies nicht verheimlichen.
Aber so tragisch auch die Lage der Bauern in den aut
Einfuhr angewiesenen Gouvernements ist, die Lage der Arbeiter
in bezug auf die Lebensmittelversorgung ist noch weit schlechter.
So schreiben die Arbeiter von Iwano-Wosnessensk in
einer offiziellen Deklaration: „Seit dem Juni ist im Gouverne-
ment kein Brot ausgeteilt worden. Weiter zu hungern haben
die Arbeiter keine Kraft; die Geduld, die sie dank ihrer Orga-
nisation solange bewiesen haben, ist erschöpft. Wir protestieren
gegen die Politik der Zentralgewalt, die die Arbeiterschaft des
Gouvernements Iwano-Wosnessensk, diese Hauptstütze der
Arbeiter- und Bauemregierung (d. h. der Sowjetmacht — d. Verf.),
an den Rand des Hungertodes gebracht hat."") Aus Jegor-
j e w s k im Gouvernement R a s a n teilt der Volkskommissar
für das Verpflegungswesen mit, daß „bereits 3 Monate lang
keine Brotration mehr verteilt wird und daß sich unter den
52
Arbeitern infolge der Unterernährung allerhand Krankheiten
verbreiten".'®) „Im Gouvernement Twcr, Wladimir,
Nowgorod, Kostroma u. a. haben die Post- und Tele-
graphenarbeiter . . . schon 3 Monate lang von nirgendher irgend-
welche Lebensmittel erhalten."^") Usw. in infinitum. . . .
Nicht besser steht es auch um die russische Industrie.
Schon seit mehr als einem Jahre geht der Prozeß ihrer Soziali-
sierung vor sich. Hunderte von den allerradikalsten Dekreten
wurden zu diesem Zweck erlassen. Auf dem Papier ist alles
sozialisiert und alles von dem Geist des Sozialismus durch-
drungen, aber leider auch nur auf dem Papier ... in Wirk-
lichkeit steht alles ganz anders. Ueber die Ursachen wollen
wir später noch besonders sprechen; zuerst wollen wir hier
einen Blick auf die tatsächliche Lage der russischen Industrie
während des letzten Jahres werfen.
Irgendwelche Zahlen und Daten, die die gesamte In-
dustrie betreffen, geben die Bolschewiki nicht heraus. So sind
wir gezwungen, das Bild nur mit einzelnen Pinselstrichen zu
skizzieren.
Die Metallindustrie des Moskauer Rayons:
Schon am 1. April des Jahres 1918 wurden von den registrierten
211 Unternehmungen 79, d.h. 38 Proz., geschlossen, aber auch
die Produktion in den übrigen hat stark abgenommen. Die
Zahl der beschäftigten Arbeiter hat sich um 60 Proz. vermindert,
der Prozeß des Rückganges geht weiter.^*)
Die Textilindustrie: Mitte Oktober 1918 wurden
mit einem Schlage 161 Betriebe mit 18 Proz. aller in dieser
Branche beschäftigten Arbeiter geschlossen. Aber auch die an-
deren Fabriken hatten nur Vorräte an Rohstoffen, die höchstens
für 3 Monate reichten.^")
Die Zementindustrie : Von 14 Fabriken, die inner-
halb Sowjet-Rußlands liegen, arbeitet nicht eine einzige. Von
den Fabriken, die künstlichen Schiefer herstellen, arbeitet nur
eine.")
Die Gummiindustrie: Nach den offiziellen Ver-
öffentlichungen des obersten Volkswirtschaftsrats arbeiteten
noch vor einigen Monaten in dieser Branche 32 000 Arbeiter,
jetzt dagegen nur 7 500 Arbeiter.") Die größten Fabriken sind
geschlossen, aber bald sollen auch alle anderen geschlossen wer-
53
den, da ,,die Gummiindustrie höchstens noch für die nächsten
2 Monate mit Benzin versehen ist".'*)
Die Lage der Naphthaindustrie wurde auf dem Kon-
greß der Naphthaarbeiter folgendermaßen geschildert: „Die
Lage der Naphthaindustrie ist sehr traurig, Heizmaterial ist gar
nicht vorhanden, Petroleum reicht nach offiziellen Mitteilungen
nur noch bis zum Februar, den Naphtha-Destillationswerken
droht eine schwere Arbeitslosigkeit infolge von mangelndem
Rohstoff. . . . Ueberall droht massenhafte Arbeitslosigkeit,
überall fehlt es an den notwendigsten Produkten."")
Man kann jede beliebige Industriebranche nehmen, die
Zuckerindustrie, die Papierindustrie, die Streichholzindustrie,
die Maschinenindustrie, kurz, welche man auch ins Auge fassen
will, überall ergibt sich das gleiche Bild einer rapiden Zerrüt-
tung, ja einer völligen Vernichtung. Das „Oekonomische
Leben" (Nr. 12) schreibt in einer Charakteristik der wirt-
schaftlichen Gesamtlage'. ,,Die Lage unserer Industrie kann im
gegebenen Moment mit dem einen Worte »katastrophal* charak-
terisiert werden."
Was sind nun die Ursachen dieser Zustände? Die aus-
ländischen Freunde der Bolschewiki werden uns sofort erklären,
woran das liege: Das Sowjetrußland ist von einem eisernen
Ringe von Feinden umgeben, von seinen Rohstoffquellen und
jedem Heizmaterial abgeschnitten, von allen Seiten von den
Flammen des Bürgerkrieges erfaßt; es verblutet in dem
Kampfe für die großen Ideen des Sozialismus. Was kann man
da von ihm erwarten? Wie kann es in Rußland anders stehen?
Sind aber diese Erklärungen auch richtig? Gibt es nicht
andere, vielleicht noch tieferliegende wichtigere Ursachen für
die Zerrüttung des wirtschaftlichen Lebens?
Zunächst einmal einige Tatsachen: Die in Baku im Winter
stattfindende Vorbereitung von Naphtha für die Sommerschiff-
fahrt auf der Wolga weist folgende Zahlen auf. Im Winter 1916
auf 1917 waren noch 2 Millionen 45 000 Pud Naphtha angesam-
melt, im Winter 1917 auf 1918 belief sich der Ertrag auf
60 000 Pud.") Und doch war zu jener Zeit in jenen Gegenden
noch alles ruhig. Oder nehmen wir diese Wolgaschiffahrt
selbst: Im April des Jahres 1917 wurden bei der Eisenbahn-
briicke von Kasan nach offiziellen Zählungen 645 Dampfer ge-
54
zählt, im April 1918 — 41. Und dabei war auch auf der Wolga
noch alles ruhig, kein Bürgerkrieg, keine Tschecho-Slowaken.
Wie sind nun solche Tatsachen zu erklären?
Wir haben oben von der Metallindustrie gesprochen. Wie
steht es eigentlich dort mit der Intensivität der Arbeit? Sie
fiel in einer großen Kesselfabrik um das Vierfache, in einer
andern gar um das Siebenfache. Im Durchschnitt sank ,die
Produktivität der Arbeit in dieser Industrie um das Vierfache,
wobei sie zum Beispiel in den Walzwerken, wo die Rolle der
Arbeiter unbedeutend ist, in weit geringerem Grade sank."**) In
der Gummiindustrie sank die Produktivität nur um 50 Prozent.
Anders in der Tuchindustrie; so wurden z. B. in der Fabrik
von T o rn t o n, „die sich, was die Versorgung mit Rohstoffen
tmd Heizmaterial betrifft, in den günstigsten Verhältnissen be-
findet"''), im Oktober 1918 58 000 Arschin Tuch hergestellt,
während im Jahre 1917 im Durchschnitt 220 — 250 tausend
Arschin monatlich erzeugt wurden. Für eine Gruppe der
Tuchfabriken wurden folgende Zahlen ermitelt: 500 — 550 000
Arschin statt einer normalen Produktion von 2 Millionen."*)
Das Transportwesen ist in Rußland völlig zerrüttet, ,,etwa
die Hälfte der Lokomotiven ist ausrangiert"") und man hat so-
gar beschlossen, die Produktion jener minimalen Anzahl von
Lokomotiven und Waggons, die es in dem Sowjetrußland noch
gab, gänzlich einzustellen, um sich statt dessen ganz auf die
Reparatur der beschädigten Lokomotiven und Waggons zu be-
schränken;''^) das Land stirbt den Hungertod, kann nicht ein-
mal die kleine Menge Getreide transportieren, die es ab und
zu noch erhält, tmd u'm dieselbe Zeit stößt man in den Zeitun-
gen auf Schritt und Tritt auf Mitteilungen nach Art der folgen-
den: „Kursk. Die tägliche Produktion auf der Station Kursk
ist in der letzten Zeit in geradezu unglaublicher Weise gesunken.
Es ist nicht eine einzige brauchbare Lokomotive vorhanden,
trotz der ausnahmsweise gesteigerten Bedürfnisse, Infolge-
dessen müssen die zur Abfahrt bereiten Getreidetransportzüge
liegen bleiben."^')
Rußland soll von den Gegenden, von denen es Rohstoffe
erhielt, abgeschnitten sein? Warum plant man aber in diesem
Lande, das so reich an Wäldern ist, das fast seiner ganzen Aus-
dehnung nach von ihnen bedeckt ist» die Herstellung von Streich-
55
hölzern aus Pappe, indem man sich auf den „Mangel an Holz-
materialien'"") beruft? Warum macht sich in fast allen Städten
ein großer Holzmangel bemerkbar, während die Menschen
zähneklappernd am Fenster stehen und am Anblick der unend-
lichen Wälder sich erfreuen? Ja, das Transportwesen ist bei
uns zerstört, die Fabriken arbeiten nicht aus Mangel an Me-
tallen, und dabei lesen wir:
„Das Metall fährt auch heute noch fort, in allen Richtungen
herumzuwandern. In den Eisenbahndepots, auf den Stationen
befinden sich noch bedeutende Metallvorräte, von denen nie-
mand etwas weiß."") Oder: „Das gleiche Bild bietet sich uns
hdnsichtUch der übrigen Metalle oder Materialien dar; so
mußten z. B. aus Mangel an Draht sämtliche Nagelfabriken ihren
Betrieb einstellen, und doch gab es in den Depots in Wjasma
eine so beträchtliche Menge Draht, daß die Möglichkeit, weiter-
zuarbeiten, sehr wohl bestanden hätte."")
In Rußland wird so wenig produziert, und die Bedürfnisse
der Bevölkerung werden nur zu geringen Teilen befriedigt.
Und dabei stoßen wir auf eine höchst merkwürdige und auf
den ersten Blick vollkommen unbegreifliche Tatsache: Selbst
das, was produziert wird, gelangt nur mit äußerster Mühe zur
Verteilung. Ein Mitglied des Präsidiums des obersten Volks-
wirtschaftsrates hat einen langen Artikel über die „Abnormi-
täten bei der Verteilung der produzierten Waren" geschrieben.
„Diese Waren werden keineswegs immer dem Verbraucher zu-
geführt. Sie bleiben lange Zeit in den Fabrikdepots, indem sie
sich hier hindernd anstauen und die Produktion äußerst schwer
belasten."''^) Nachstehend einige Beispiele aus diesem Artikel:
„Trotz der großen Nachfrage nach Streichhölzern hatten die
Streichholzfabriken nicht nur sehr stark unter Mangel an Geld
und Zahlungsmitteln zu leiden, sondern mußten wegen Ueber-
lastung ihrer Depots den Betrieb schließen." Und weiter:
„Die Bevölkerung begann große Not an Streichhölzern zu
leiden, die Spekulation erreichte eine noch nie dagewesene
Höhe, und die Fabriken, die mit fertigen Erzeugnissen voll-
gestopft waren, mußten, da sie keine Order*) zur Liefe-
rung von Streichhölzern erhielten, ihren Betrieb schließen."
*) Eine Order von der bolschewistischen Regierung.
56
Von der bedeutendsten Fabrik, der von Lapschin, traf fol-
gende Depesche ein: „Da keine Orders zur Lieferung von
Streichhölzern ausgegeben werden, ist unsere Finanzlage aufs
äußerste erschüttert; wir haben schon keine Mittel mehr, um
die Arbeiter zu bezahlen, und uns drohen die allergrößten
Gefahren."
Solche Telegramme treffen nach Erklärung des Verfassers
„in endloser Zahl" ein. Aber es stellt sich heraus, daß „genau
dasselbe auf dem Gebiete der Verteilung der Webstoffe zutrifft"
und daß „auch unsere Gummifabriken in einer ganz ähnlichen
Lage sind" usw. . . .
Dies alles beweist mit unzweifelhafter Klarheit, daß es mit
der Organisation der Industrie in Rußland sehr schlecht bestellt
ist und daß die sozialistische Staatsmaschine große Schäden
aufweist. Das steht also unzweifelhaft fest. Aber warum ist
das so? Ist es der ununterbrochene Bürgerkrieg, der den Bol-
schewiki ihre letzten Kräfte raubt, sie nicht die genügende An-
zahl notwendiger Mitarbeiter finden läßt? 0 nein! Die bol-
schewistische Bure§iukratie ist außerordentlich, ja übermäßig
zahlreich; darüber beklagt sich bitter der Volkskommissar für
Justiz Stutschk a"), während der Volkskommissar für die
Staatskontrolle behauptet, daß direkt unendlich viel mehr Ar-
beitskräfte vorhanden sind, als man braucht. Er führt eine Reihe
von Tasachen an: In einem Gouvernement wird dem Justizmini-
sterium ein Kredit für 495 Beamte für allein 5 Kreise ange-
wiesen, während früher 12 Kreise dieses Gouvernements und
2 weitere der benachbarten Provinz mit 275 Beamten auskamen.
Es stellt sich heraus, daß in einer Fürsorgeanstalt der Provinz
auf 144 der Fürsorge unterliegende Personen 44 Verwaltungs-
beamte kommen; in einer anderen Anstalt kommen auf 10 Pfleg-
linge .... 13 Angestellte! Nicht wahr, es gibt scheinbar genug
Arbeitskräfte? Also woran fehlt's denn?
Die Antwort ist sehr einfach. In den „I s t w e s t j a" vom
1. Dezember 1918 lesen wir: „Mit wenigen Ausnahmen stellt die
ganze amorphe Masse unserer Angestellten, matt, apathisch
und entnervt, wie sie sind, die nur zweimal im Monat, wenn sie
ihr Gehalt erhalten, ein wenig aufleben, ein passives Element
dar, unfähig zu einem lebendigen Gedanken, zu jeglicher Initia-
tive und schöpferischer Arbeit." Das macht es begreiflich, wie
57
der Volkskommissar des Verkehrswesens N e w s k i die kata-
strophale Lage des Wassertransports mit der Verwirrung und
Unfähigkeit der zentralen Instanzen erklären kann'"), wie in den
,,I s t w e s t j a s" des Zentralrats behauptet werden kann, daß
,,die Sozialisierung und die Requisition der Fabriken ... zu
einem vollen Chaos"'*) der ganzen Holz- und Papierfabrikation
geführt hätte, wie die Konferenz des Fabrik-Komitees der ge-
samten Textilindustrie und der Delegierten von 277 000 Arbei-
tern dieser Industrie so scharf gegen das ganze Benehmen und
die ganze Geschäftsführung des »Zentrotextils' protestieren
und mit der Abberufung ihrer Vertreter drohen kann^") usw.,
usw., ins Unendliche.
Und doch: diese Unfähigkeit der bolschewistischen Organi-
satoren ist nur eine der Ursachen des allgemeinen Zerfalls.
Aber nun erst komme ich zu einem andern, und zwar wahr-
haft tragischen Umstand ....
Der Leser hat schon gesehen, daß, ( während in den
Fabriken der äußerste Mangel an Metall herrscht, im Lande
selbst ungezählte, „niemandem bekannte" Vorräte davon vor-
handen sind. Um diese Vorräte aufzufinden und zu verteilen,
wurde eine außerordentliche Kommission von 5 Mitgliedern
eingesetzt. Kaum waren wenige Monate vergangen: und alle
diese fünf standen vor Gericht. E^ erwies sich, daß sie sämt-
lich Bestechungsgeldcr angenommen hatten und daß aus-
schließlich durch deren Höhe und nicht durch die Bedürfnisse
der Produktion bestimmt wurde, welche Fabriken das Metall
erhielten und welche nicht. . , . Von diesen fünf wurden drei
erschossen; einer erhielt 10 Jahre Zwangsarbeit; — der fünfte,
der Hauptschuldige, ist entflohen.^")
Im Frühjahr 1918 wurde eine außerordentliche Kommission
zur Evakuierung Archangelsks gebildet. Statt dessen beschäf-
tigte sich aber diese Kommission mit Requisitionen der Waren
und ihrem Verkauf zu ihrem eigenen Nutzen. Die ganze
Kommission sollte verhaftet werden; es gelang jedoch einem
Teile von ihr, zu entfliehen.*^)
Aus einigen nationalisierten Fabriken in Moskau wurde
eine „Manufakturgesellschaft" gebildet. Die ganze Leitung
dieser Gesellschaft wurde unter Anklage gestellt, weil sie sich
,, Mißbrauche und Räubereien" hätte zuschulden kommen
58
lassen, weil sie auf ungerechtem Wege Millionen verdient
hätte. Dabei hat sie durch Verteilung von Riesensuramen
auch alle Angestellten bestochen: — nach dem Abschluß
eines einzigen Verkaufes kamen 200 000 Rubel unter die An-
gestellten zur Verteilung. Jetzt sind die gesamte Leitung
und alle Angestellten verhaftet."^)
Bei der Revision der Kasse des Kriegsrates in Brjansk
wurde ein Fehlbetrag von 426 000 Rubel entdeckt; 115 000
Rubel, die eingegangen waren, waren nicht gebucht worden;
zwei Mitglieder der Brjanskschen Sowjets hatten ohne jeden
Ausweis 405 000 Rubel erhalten, zwei andere 310 000 Rubel;
— im ganzen aber waren ohne jeden Ausweis ... 2 840 000
Rubel zur Verteilung gebracht worden.^')
In Kaluga stellte die Kontrollkommission fest, daß für
viele Ausgaben weder der Kommissar noch sein Sekretär
„irgendwelche Erklärungen abgeben konnte; für 121 500 Rubel
sind überhaupt keine Ausweise vorhanden"; in einem andern
Kommissariat wurden 326 000 Rubel Ausgaben festgestellt, für
die jeder Beleg fehlte. Die Vorräte des Kriegsamtes waren
systematisch geraubt worden. Selbstverständlich sind auch
hier „alle verantwortlichen Personen dem Gericht übergeben
worden".''*)
Der Bericht der außerordentlichen Kommission in Kursk
beklagt sich ü'>er die Spekulation , . . des „Rats für die Volks-
wirtschaft". Nachdem er über eine interessante „Zucker-
machinaticn" berichtet hat, teilt er mit, daß „nicht weniger
interessant auch die Akten über die Operationen mit Hanf
und Bindfaden" seien, wobei die Tätigkeit des Rates für die
Volkswirtschaft sich auch in der Richtung der „Förderung der
Spekulation bewegt habe."*^) Das klingt sehr dunkel — aber
die Sache selbst ist sehr einfach. Es handelt sich bei diesen
„Operationen" immer um eine Selbstbereicherung in den
mannigfaltigsten Formen.
Im Bericht einer anderen außerordentlichen Kommission
lesen wir Klagen darüber, daß „die Mitarbeiter der Friedens-
delegation (für die Ukraine) sich unter Ausnutzung ihrer Stel-
lung mit Schmuggel beschäftigen".*') Eine Fülle von Tatsachen
wird als Beweis hierfür angeführt: man habe bei ihnen Schmuck-
sachen, Brillanten, Gold, Silber entdeckt; im Sonderwagen der
59
Delegation hätten sich 17 Personen, zwar ohne alle Doku-
mente, aber mit einer Menge von Manufakturwaren befunden.
Achnliche Tatsachen ließen sich in unbegrenzter Zahl an-
führen, und zwar Tatsachen, bei denen es sich, wie der Leser
sieht, keineswegs bloß um subalterne Beamte handelt. Nur
einige Fakta allgemeiner Natur seien hier noch angeführt:
Ein Rundschreiben der allrussischen außerordentlichen
Kommission beklagt sich über ,,die ganz chaotische Buchführung
betreffs der konfiszierten Gelder, Waren und anderer Wert-
gegenstände, was zu einer Unmenge von Irrtümern und Miß-
bräuchen führe"/') Das Ministerium für die Staatskontrolle be-
klagt sich, daß jetzt, ,,wo nicht nur Möbel, sondern auch Lebens-
mittel, Kleider, Wertgegenstände, Gelder konfisziert" werden,
,, absolut keine Buchführung für die beschlagnahmten Güter vor-
handen ist und es vollkommen unbekannt bleibt, wohin alle
diese Güter kommen"/®)
Die russischen Eisenbahnen arbeiten außerordentlich
schlecht; zu gleicher Zeit aber lesen wir in der Wochenschrift
der außerordentlichen Kommission: „Nicht alle machen sich
völlig klar, bis zu welchem Maße die Adern des sozialistischen
Rußland von der Epidemie der Spekulation, der Konter-Revo-
lution und massenhafter, sich in den mannigfachsten Formen
äußernder Mißbräuche ergriffen sind"/')
Der Leser wird vielleicht nicht verstehen, was hier diese
politische Nuance, diese Anspielung auf die Konter-Revolution
bedeuten soll. Aber dies ist eben einfach der bolschewistische
Stil. So lesen wir z. B. im Befehl des Vorsitzenden der außer-
ordentlichen Kommission zur Evakuierung Moskaus: ,,Die
Lebensmittelfrage in Moskau ist nicht deshalb so kritisch, weil
es uns an Nahrungsmitteln fehlt; Tausende von Waggons stehen
unausgeladen. Vielmehr liegt der Hauptgrund darin, daß überall
offen oder im stillen Sabotage getrieben wird".") Wieder
eine feine politische Anspielung! Aber schon im nächsten Be-
fehl steht zu lesen: „Beim Besuch der Güterbahnhöfe Moskaus
stellte ich eine offene, massenhafte Plünderung von Lebens-
mitteln fest"; und weiter: „Der Arbeitsertrag auf einigen Eisen-
bahnen stellt sich auf weniger als 200 Pud pro Arbeiter", und
das „bei einer normalen Durchschnittsleistung von y^ Waggon
pro Tag".") Der Leser sieht, daß die Politik hier gar keine
60
Rolle spielt und daß die wahre Erklärung auf einem ganz an-
deren Gebiete zu suchen ist.
Angesichts dieser unzähligen Tatsachen kann man sich
nicht darüber wundern, wenn man in den bolschewistischen
Zeitungen von fortwährenden Verhaftungen und Hinrichtungen
der bolschewistischen Funktionäre liest; und zwar Hinrich-
tungen, die sowohl Einzelpersonen wie ganze Gruppen be-
treffen; wenn man erfährt, daß in der einen Stadt Wjatka
mit einem Schlage 32 Funktionäre verhaftet wurden**), daß die
Rjasanskauer außerordentliche Kommission sich mit 313 Pro-
zessen wegen Amtsmißbrauchs zu beschäftigen hat"), daß in
einer einzigen Nummer der obenerwähnten Wochenschrift über
die Hinrichtung von 12 Bolschewiki berichtet wird, unter
welchen sich ein Kommissar, ein Unter-Kommissar, ein Kassen-
führer befinden. . . . Aber wer beschäftigt sich denn mit
allen diesen Verhaftungen und Hinrichtungen, in wessen Händen
liegt denn das Schicksal all dieser Menschen, wer trifft die
Entscheidung über Tod und Leben? O, in dieser Beziehung ist
es den Bolschewiki wirklich gelungen, wenigstens etwas zu
organisieren: ganz Rußland ist mit einem Netz von ,, außer-
ordentlichen Kommissionen zur Bekämpfung der Konter-Revo-
lution, der Spekulation und der Sabotage" bedeckt. Diese Kom-
missionen entfalten eine energische Tätigkeit. Sie erschießen
nicht nur einzeln und dutzendweise ihre eigenen bolschewisti-
schen Anhänger: zu Hunderten und Tausenden werden von
ihnen die sogenannten „Konter-Revolutionäre" gemordet, in
erster Linie Sozialisten anderer Parteien, streikende Arbeiter,
meuternde Bauern. . . .
Aber was sind denn nun eigentlich diese Kommissionen?
Man braucht diese Frage nur aufzuwerfen, und sofort rollt
sich vor uns wieder ein endloses trauriges Schauspiel ab; aber
diesmal handelt es sich nicht mehr um Geld, um gewöhnlichen
Diebstahl, sondern um Menschenblut und um das wahnsinnige
Leiden ohne Gericht und ohne Wahl zusammengeraffter, in der
Mehrzahl völlig unschuldiger Menschen. In der angeführten
Wochenschrift, Nr. 4, S. 6, lesen wir: „Von allen Seiten ge-
langen an uns Nachrichten, daß in die Gouvernements- und
besonders in die Bezirkskommissionen sich nicht nur unwür-
dige, sondern direkt verbrecherische Elemente einzuschleichen
61
suchen". In die verantwortungsvollen Posten der Vorsitzenden
und Mitglieder dieser Kommissionen „versuchen nicht nur
parteilose, sondern direkt unehrliche Elemente einzudringen,
und je tiefer das moralische Niveau dieser Leute ist, desto trau-
riger ist das Ergebnis ihrer Arbeit". Versuchen sich einzu-
schleichen? Und gelingt es ihnen denn auch? Folgendes lesen
wir an einer anderen Stelle: ,,In aller Erinnerung sind noch
Fälle, in denen die lokalen Sowjets durch die .Außerordent-
lichen' buchstäblich terrorisiert wurden. Es fand eine natür-
liche Auslese statt: in den Sowjets blieben die besseren Ele-
mente, während sich in den außerordentlichen Kommissionen
.hergelaufene Menschen' ansammelten, die für jede Art von
Banditentum sofort zu haben waren. Wie oft waren die Gou-
vernements-Sowjets gezwungen, Untersuchungskommissionen
und sogar Strafexpeditionen zur Aburteilung der Bezirks-
Außerordentlichen zu entsenden. Aber auch bei den Gouverne-
ments-Außerordentlichen ging es nicht immer gut her: als Bei-
spiel diene die Ausübung der subtilsten und ausgesuchtesten
Foltern in der Smolensker außerordentlichen Kommission."*')
Hier wird von Foltern gesprochen — ist denn etwas Der-
artiges in einem sozialistischen Staate möglich? Es handelt
sich wohl um einen Mißbrauch, um einen Zufall, um einen
Exzeß? Nein — leider handelt es sich um etwas ganz
anderes. . , .
In Nr. 3 der gleichen Wochenschrift ist ein offener Brief
dreier angesehener Bolschewiki, die auf verantwortungsvollen
Posten stehen, abgedruckt; ein Brief an die allrussische Außer-
ordentliche, der den bezeichnenden Titel führt: ,,Wozu soviel
Federlesen?" In diesem Brief wird die Außerordentliche an-
gefragt, warum sie zu keinen Foltern greife. Warum ließ sie
den englischen Konsul Lockart laufen, ohne ihn ,, solchen Foltiem
zu unterwerfen, daß ihre bloße Lektüre genügt hätte, um allen
Konter-Revolutionären ein eisiges Grauen einzuflößen"? Die
Kommission wird beschuldigt, daß sie, indem sie auf diese Fol-
terung Lockarts verzichtete, ,,den marxistischen Standpunkt in
bezug auf die äußere Politik verlassen habe". Leser, du willst
lachen, und doch kann man hier noch die Trauer darüber zurück-
halten, muß man nicht in völlige Verzweiflung darüber geraten,
in wie wahnsinniger, wie schändlicher, wie verbrecherischer
62
Weise die Menschen auch die größten Ideen verunstalten
können?
Was antwortet nun aber die allrussische außerordentliche
Kommission, dieses Leitorgan für alle lokalen Außer-
ordentlichen? Erhebt sie entrüsteten Protest, — weist sie
mit Verachtung diese ungeheure Zumutung zurück?
O nein! Ohne gegen das Verfahren der Folterung i m
allgemeinen etwas einzuwenden, halten sie es nur i n
diesem besonderen Falle für unzweckmäßig! Braucht
man nach alledem noch von den unzähligen Fällen von Unter-
schlagung oder sogar von „Folterung der Bevölkerung"") zu
sprechen? Aber unwillkürlich fragt man sich: Will wirklich
der Sozialismus nichts anderes bedeuten, als die Auferstehung
der mittelalterlichen Inquisition?
Lassen wir die zweite Konferenz der außerordentlichen
Kommissionen hysterisch ausrufen, „damit es alle hören, daß sie
alle Mitarbeiter der Außerordentlichen und die Sowjet-Mitglie-
der überhaupt, die den verbrecherischen und für die Sowjet-
Regierung so verderblichen Weg der Zuchtlosigkeit, der Selbst-
bereicherung, der Trunksucht betreten haben, aufs schärfste
verurteilt und daß sie hierfür die schonungsloseste Sühne ver-
langt".") Man möchte ihr entgegenrufen: „Nein, lieber trinkt,
bereichert euch lieber, requiriert alles ohne Maß und ohne
Rechenschaft, behaltet alles für euch, aber foltert, quält nicht
die Menschen, schont nur ein wenig das menschliche Blut,
schändet nicht den menschlichen Namen!"
Und das russische Volk schweigt, protestiert nicht, erduldet
alles: das Foltern, die Hinrichtungen?
Ehe wir diese Frage beantworten, müssen wir uns Rechen-
schaft darüber ablegen, wer überhaupt in Rußland noch im-
stande ist, gegen die Bolschewiki zu kämpfen.
Der Zerfall der Industrie und die Lebensmittelkrise lasten
schwer auf der Arbeiterschaft. Zum größten Teil ist sie aus-
einandergelaufen, hat sich in die Dörfer verstreut. Nur einige
wenige Zahlen mögen dies belegen. Die Statistische Abteilung
der Sowjets für die Volkswirtschaft der nördlichen Regionen
veranstaltete eine Untersuchung über die Anzahl der Arbeiter
in Petersburg. Untersucht wurden 673 Unternehmungen. Dabei
stellte sich heraus, daß in ihnen am 1. Januar 1918 277 986 Ar-
63
heiter beschäftigt waren; am 1. April 1918 dagegen 120 495.
Die Ahnahme betrug also 57 Proz. in 3 Monaten. Dasselbe Bild
beobachten wir auch in Moskau. Die Gewerkschaften, die jetzt
alle möglichen staatlichen Vorrechte genießen und die fast alle
an dem betreffenden Ort befindlichen Arbeiter umfassen,
schmelzen trotzdem mit unglaublicher Geschwindigkeit zu-
sammen: Während der vier Monate Januar — Mai 1918 verlor
die Gewerkschaft der Metallarbeiter im Moskauschen Rayon
von 183 000 Mitgliedern 123 000. Der Verband der chemischen
Arbeiter verlor von 40 000 Mitgliedern 30 000, d. h. 75 Prozent
seines Bestandes!
Solche Nachrichten kommen von allen Seiten. ,, Infolge des
Mangels an Lebensmitteln verlassen die Arbeiter fluchtartig
die Werkstätten" — dies wird auf allen Gebieten der Produk-
tion, der Zementprodiiktion^'), der Papierproduktion""*), der
Streichhölzerproduktion'^) und aller anderen konstatiert. Aller-
dings laufen nicht nur die Arbeiter auseinander: mit er-
schreckender Geschwindigkeit zerfallen und schmelzen alle
großen Städte überhaupt dahin. So übersteigt nach den letzten
statistischen Angaben die Bevölkerung Moskaus nicht einmal
die Zahl von 900 000 Menschen^"), d. h. sie hat sich in einem
Jahre bolschewistischer Herrschaft um fast zwei Drittel ver-
mindert! In Petersburg verminderte sich während des gleichen
Jahres nach den offiziellen Angaben die Bevölkerung um 60
Proz. Man überlege sich den Sinn dieser Zahlen. Der Zerfall
der Arbeiterklasse — das ist der Ruin des Sozialismus; der
Zerfall der Städte — das ist der Tod der Kultur!
So kann es auch nicht wundernehmen, daß die Städte,
die durch den tödlichen Griff des Hungers und durch die eiserne
Zange des bolschewistischen Terrors fast erdrückt werden, sich
still verhalten und daß sie nur im stillen einen elementaren und
schonungslosen Haß gegen die Bolschewiki in sich ansammeln.
Anders steht es auf dem Lande. Nach Hunderten und
aber Hunderten könnte ich Beispiele von ununterbrochenen,
aller Orten stattfindenden Bauernaufständen anführen. Selten
findet sich eine Nummer einer bolschewistischen Zeitung, wo
nicht über einige dieser Aufstände berichtet wird. Mußte doch
Lenin selbst zugeben, daß ,,im Sommer 1918 die Bauernaufstände
sich über ganz Rußland fortpflanzten".*) Aber indem sie über
64
diese Aufstände berichten, vergessen die Bolschcwiki niemals
hinzuzufügen, daß dies alles „konter-revolutionäre" Anschläge
der „ländlichen Wucherer" seien. Nun — ist dies schon wieder
eine stilistische Uebung, oder haben wenigstens für diesmal die
Bolschewiki recht? Wir werden es gleich sehen.
Zweifellos; es gibt reiche Bauern und Wucherer im Dorfe,
und zwar solche von allerneuester Prägung. Woher sie stammen,
ist nicht schwer zu zeigen. Noch niemals erreichte, nach dem
Eingeständnis der Bolschewiki selbst, die Spekulation in Ruß-
land eine derart grandiose Höhe wie jetzt. Mußte doch der Be-
richterstatter auf der Konferenz der Lederarbeiter zugeben, daß
„bis 80 Prozent aller Lederwaren sich der Kontrolle entziehen
und zu einem spekulativen Preise verkauft werden". Und wie
solle dies auch anders sein? Wenn man bedenkt, daß in den
Großstädten auf den Kopf der Bevölkerung an Lebensmitteln
100—400 Gramm Brot, 3—8 Heringe und das f ü r 2 T a g e ent-
fallen (s. eine beliebige Nummer der offiziellen „Nachrichten")
und daß dieses Quantum dasjenige ist, was die Bürger des
Sowjetstaates im bestenFalle erhalten, — daß in vielen
andern Orten monatelang überhaupt nichts gegeben
wird, und daß auf legalem Wege überhaupt nichts zu bekommen
ist, so wird man sofort verstehen, wie stark sich der Schleich-
handel entwickeln mußte. Nur dank dem Schleichhandel leben
noch, soweit sie überhaupt leben, die Untertanen der Bolsche-
wiki. Lesen wir doch in der ,, Nördlichen Kommune": ,, Aus-
schließlich mittels des Schleichhandels konnten die hungernden
Teile unseres Departements sich vor einer wahren Katastrophe
retten."'") Allerdings, viele betreiben den Schleichhandel aus-
schließlich für den eigenen Gebrauch; andere dagegen gewinnen
dabei riesige Summen. Solche gibt es in den Städten, wie in
den Dörfern.
Es gibt allerdings noch einen zweiten, wie ich zeigte, außer-
ordentlich verbreiteten Weg, sich zu bereichern: nämlich
einen der unzähligen Posten anzunehmen, die ein Anrecht auf
,, Requisitionen" geben. Und doch gibt es der Reichen nicht
allzu viele. Ferner aber sind es eben diese Reichen, die am
stärksten daran interessiert sind, die bolschewistischen Zustände
bestehen zu lassen. Und endlich: wenn sie auch meutern
wollten, so verstehen diese Elemente sehr gut, daß man mit
65
einem Aufsland in einem einzelnen Dorf oder sogar in einem
ganzen Bezirk nichts erreichen kann, daß man aber Gefahr
läuft, alles, auch das eigene Leben, dabei zu verlieren.
Wie oft müssen auch die Bolschewiki selbst gestehen, daß
diese Bauernaufstände einen ,, elementaren Charakter" tragen/*)
Und in der Tat: man vergegenwärtige sich die Lage des Dorfes!
Ein völliger Zerfall, ein vollständiges Chaos der Agrarverhält-
nisse, eine völlige Unmöglichkeit, von der Stadt nicht nur eine
Sense, sondern auch einen einzigen Nagel zu bekommen — und
dabei ein Hunger, ein fürchterlicher, hoffnungsloser, erschöpfen-
der Hunger! Man wird dann den Worten Sinowicws, dieser
rechten Hand Lenins, zustimmen; ,, Betrachtet man die Lage im
Dorfe näher, so sträuben sich einem manchmal geradezu die
Haare!"®") Man wird hieraus aber auch ersehen, daß man zu
keinen tiefsinnigen und spitzfindigen politischen Erwägungen zu
greifen braucht, um die Bauernaufstände zu erklären. Auf
Schritt und Ttitt stößt man auf Nachrichten, wie die folgende:
,,Im Dorf Basarnoe-Karabulaka (Gouv. Saratow) brach ein
konter-rcvolutionärer Aufstand der ländlichen Wucherer aus,
die 3000 politisch verständnislose Bauern verleiteten, sich ihnen
anzuschließen. Die Ursache des Aufstandes: — Lebensmittel-
krisis."®^) Also die Ursache des Aufstandes: der Hunger! Wo-
zu dann also schon wieder diese , .politische Verständnislosig-
keit", diese , »Konterrevolution", diese ,, ländliche Wucherer"?
Wozu all diese Blütenlese der politischen Phraseologie, wenn es
sich um eine so einfache Tatsache wie den Hungertod handelt?
Wozu dies alles, — wenn sogar die Iwano-Wosnesenskauer
Arbeiter, diese ,, Hauptstützen der Arbeiter- und Bauernregie-
rung" damit drohen, daß ,,ihre Geduld sich erschöpft habe",
wenn es sich herausstellt, daß man „auf der Suche nach einem
Stück Brot" sogar ,,zu den Engländern übergeht"? Soll man
sich da noch immer darüber wundern, daß bei den russischen
Bauern der Protest gegen den Hungertod ,, einen elementaren
Charakter" annimmt?
Und doch muß man gestehen, daß in Rußland beständig
die Bauern auch in solchen Gouvernements meutern, in denen
Brot zur Genüge, ja im Ueberfluß, vorhanden ist. Diese Bauern
meutern darum, weil die Bolschewiki, die auf dem Gebiet der
Produktion nichts zu leisten vermochten, und die daher keine
66
Möglichkeit besitzen, das Brot von den Bauern freiwillig auf
dem Wege des Warenaustausches zu bekommen, auch hier zu
dem einzigen Mittel gegriffen haben, das ihnen immer zur Ver-
fügung steht und das sie so gern anwenden: zur Gewalt. Sie
organisierten spezielle bewaffnete Abteilungen und schickten
sie in die Dörfer, um Brot zu holen. Nun: diesmal wenigstens
richten sich diese Expeditionen doch wohl sicher gegen die
„ländlichen Wucherer"? Und doch, wie seltsam dies auch klingen
mag, in diesem Falle verzichten sogar die Bolschewiki selbst bis-
weilen auf ihre beliebte Phraseologie. Es erweist sich, daß in
diesen Gouvernements ,,das Brot nicht nur bei den Reichen,
sondern auch bei dem ganzen mittleren Bauernstand" zu haben
ist,") — daß „man es hier mit den breiten Massen des Bauern-
tums zu tun hat"."'') Und gegen diese „breite Masse des Bauern-
tums" gehen die Bolschewiki mit ihren „Requisitions-Abteilun-
gen" vor. Was das für Abteilungen sind, kann man sich leicht
vorstellen. Nicht umsonst gesteht derselbe Sinowiew, daß „ein
guter Teil der anti-bolschewistischen Zustände durch die
Taktlosigkeit und Unfähigkeit unserer Agenten hervorgerufen
wird";"*) nicht umsonst wurde in der Plenarsitzung des Mos-
kauer Sowjets von den Führern dieser Requisitions-Abteilungen
gesagt: „Ihre ganze Arbeit besteht darin, daß sie Bestechungs-
gelder annehmen und sich wie Banditen benehmen.""*) Aber
das letztere ist zweifellos falsch: denn sie beschäftigen sich ja
auch mit der Unterdrückung der konter-revolutionären Auf-
stände der „ländlichen Wucherer" — d. h. auf gut deutsch; sie er-
schießen die Bauern in Massen, wenn diese, durch alle diese
„Requisitionen" und „Konfiskationen", all diese „Unter-
drückungen" und „Folterungen" völlig zur Verzweiflung ge-
trieben, zu den elementaren, blutigen und zugleich sinnlosen
Mitteln der Selbstverteidigung greifen. . . .
Nimmt man die bolschewistischen Dekrete, diese Tausende
von Dekreten, zur Hand — so könnte man sich vielleicht wirk-
lich einbilden, daß in Rußland der sozialistische Staat aufgebaut
wird. Nicht umsonst waren die Führer der Bolschewiki immer
so produktive und talentvolle Journalisten und Literaten. In
Wahrheit aber vollzieht sich doch etwas ganz anderes: ein
67
völliger Zerfall der Volkswirtschaft, und zwar nicht ein einfacher
Zerfall, sondern ein typischer und deutlicher Zerfall ins
Kleinbürgerliche.
Als die Bolschewiki gezwungen waren, die Industrie „auf
einer neuen Basis" zu organisieren, konnten sie auch hier nichts
anderes tun, als zu ihrem bewährten Mittel der , .Schöpfung
der Massen" zu greifen. Die Arbeiterkontrolle wurde ein-
geführt; d. h. die einzelnen Unternehmungen wurden unter
die Aufsicht der Fabrikkomitees der Arbeiter dieser Unter-
nehmungen gestellt. Ein Jahr ist vergangen — und die Ver-
treter der Staatskontrolle behaupten, daß die Arbeiterkontrolle
völlig ausgeartet sei. Sie sei die , »Eigentümerin der Unterneh-
mung, nicht eine bloße Kontrolle" geworden."*) Der eine Be-
sitzer, der Fabrikant, wurde durch eine Gruppe von Besitzern
ersetzt. Daß dabei aber die ganze Produktion nicht zum Nutzen
des Staates gedeiht und auch nicht gedeihen kann, daß sie viel-
mehr zu seinem direkten Schaden, d. h. zum Schaden der brei-
testen Massen des werktätigen Volkes ausschlägt, das erkennt
man schon aus folgendem: In der ganzen Metallarbeiter-
industrie beanspruchte schon im Sommer dieses Jahres der
Lohn der Arbeiter und Angestellten 105 Prozent des Brutto-
wertes der Produktion."^) Für eine ganze Gruppe von Fabriken
wurde festgestellt, daß die ganze von ihr hergestellte Ware den
Wert von 70 Prozent des Betriebskapitals nicht übersteige.*®)
In aller Erinnerung ist noch die Tatsache, die Sinowiew auf
einer Plenarsitzung des Petersburger Sowjets mitgeteilt hat.
Die Putilowsche Fabrik erhielt für eine bestimmte Zeit 96 Mil-
lionen Rubel Staatsunterstützung; davon wurden 66 Millionen
als Arbeitslohn verbraucht, während der Gesamtwert der Pro-
duktion noch nicht die Summe von 15 Millionen erreichte!
Hierin liegt eben das Wesen der Sache: die ganze Industrie der
Sowjet-Republik, sofern sie überhaupt noch besteht, hält sich
ausschließlich mit Hilfe staatlicher Unterstützung, aber der
Gesamtwert ihrer Produktion beträgt nicht einmal die Hälfte
des Betrages dieser Unterstützung. Unter solchen Bedingungen
ist der Staatsbankerott unvermeidlich: — ja, noch richtiger,
er ist schon längst eingetreten. Erreichte doch das Halbjahrs-
Budget, das vom Finanzminister Gukowsky aufgestellt wurde,
die wahrhaft astronomische Ziffer von 80 Milliarden Rubel
68
— und das bei völligem Mangel an irgendwelchen
Einkommensquellen! Aber nein, eine Einkommensquelle
existiert: die Druckmaschine. Sie liefert täglich etwa 200
Millionen Rubel. Ist es da zu verwundern, daß jetzt schon der
russische Rubel auf dem inneren Markt 95 Prozent seines
Wertes verloren hat und daß auf dem auswärtigen Markt das
gegenwärtige russische Geld überhaupt nicht mehr angenom-
men wird?*)
Der Staat, die Gesamtheit des Volkes erleidet also durch
die Industrie ungeheure Verluste; einzig und allein eine kleine
Gruppe der in ihr noch beschäftigten Arbeiter findet bei ihr
einen Vorteil. Einen Vorteil erstens in Gestalt eines sehr
hohen Arbeitslohnes, dann in Gestalt besonderer Vorzüge bei
der Verteilung der von der betreffenden Fabrik gelieferten
Waren. Die Menge dieser Waren, die jeder Arbeiter erhält,
steht zu seinem Bedürfnis in gar keinem Verhältnis. So er-
innere ich mich, daß im Sommer 1918 die Arbeiter der Procho-
rowschen Fabrik in Moskau für sich und für jeden Angehörigen
ihrer Familie monatlich je 30 m Stoff erhielten. Unter solchen
Umständen ist es auch ganz natürlich, daß, wie die Textil-
gewerkschaft des Wolgaer Gebiets feststellt, die Bauern und
vor allem die früheren Soldaten sich in Hoffnung auf hohen
Lohn und auf den Anteil am Stoff gewaltsam in die Fa-
briken einstellen lassen, ohne von der Produktion auch nur
das Geringste zu verstehen: ,,was hier vorgeht, ist ein Raub,
eine wahrhafte Plünderung der Fabriken."^*)
Allerdings ist dies nicht der einzige Weg, auf dem man
sich bei der russischen Industrie bereichern kann. Im „öko-
nomischen Leben""^) lesen wir: „Alle Kraft und Anstrengung
unserer Volkswirtschaftsräte, die ganze Energie unserer selbst-
bewußten Arbeiterschaft muß darauf gerichtet werden, . . .
daß es in den Fabrikkomitees den einzelnen parasitenhaften
Elementen nicht gelingt, indem sie mit den Spekulanten ge-
*) Einen gewissen Wert stellten nur noch das zaristische Geld
und die Kerenski-lOOO-Rubelnoten dar. Dies erklärt sich da-
durch, daß die Bolschewiki völlig unfähig sind, den Nachdruck
dieser Geldsorten in größerem Umfange zu organisieren.
69
meinsame Sache machen, den Aufbau unserer kommunistischen
Volkswirtschaft zu untergraben."
So ist denn die russische Arbeiterklasse der Eigentümer
der industriellen Unternehmungen geworden — aber nicht für
lange. Wie Schnee schmelzen diese Unternehmungen in seinen
Händen dahin. Die Arbeitslosigkeit wächst, der Hunger in
den Städten verschärft sich und auch sie selbst als Klasse
schmilzt zusammen und löst sich über ganz Rußland auf. Nur
kleineren Gruppen von ihr und , .einzelnen parasitenhaften Ele-
menten" gelingt es, aus diesem völligen Zerfall, aus dieser
gänzlichen Vernichtung der Industrie und ihres Hauptträgers,
der Arbeiterklasse, Vorteil zu ziehen.*)
Und in den Dörfern? Es trat dasselbe ein, was in der
französischen Revolution geschah und worunter noch heute die
gesamte soziale Bewegung in Frankreich so stark leidet, —
das, was wir, die Sozialrevolutionäre, immer so befürchtet
hatten: der Boden ging in den faktischen Besitz unzähliger
kleiner Eigentümer über. Für lange Zeit ist damit jede Hoff-
nung auf die planmäßige Sozialisierung des Bodens, diesen Eck-
stein des Agrar-Sozialismus, untergraben.
Aber auch der Besitz des Bodens wurde den Bauern nicht
zum Heil: in dem größeren Teile des bolschewistischen Ruß-
land sterben sie Hungers, in anderen dagegen, wo Brot im
Ueberfluß vorhanden ist, ist das Dorf zwar von Geld buchstäb-
lich überschwemmt, aber welchen Wert stellen diese Papier-
rubel dar, von denen man schon jetzt sagt, daß man sie nur
noch nach Gewicht in Zahlung nehmen kann? Schnell verarmt
die ganze Masse des russischen Bauerntums — und wiederum
*) Wer noch immer nicht überzeugt ist, wer noch immer
glaubt, daß die Bolschewiki mit der Behauptung, daß die rus-
sische Arbeiterschaft schon von den Ideen des Sozialismus
durchdrungen sei, im Recht sind, der möge über folgende
Tatsache nachdenken: Es ist den Bolschewiki gelungen, einige
Assoziations-Fabriken zu begründen — und schon müssen sie
feststellen, daß diese Fabriken , »unter dem ehrenwerten Schilde
einer sozialen Organisation die grenzenloseste Spekulation
betreiben."^^)
70
bereichern sich nur einzelne Gruppen, die Spekulanten und die
Agenten der bolschewistischen Regierung.
Der große private Reichtum ist in Rußland verschwunden:
und das ist sehr gut. Das Unglück besteht nur darin, daß dieser
Reichtum dem werktägigen Volke nicht zum Nutzen gereicht,
— daß vielmehr auch die breiten Volksmassen schnell ver-
armen. An Stelle von Hunderten und Tausenden großer Ver-
mögen erheben sich jetzt, über den breiten Untergrund des
verelendenden Volkes, Hunderttausende von neuen, zwar
weniger bedeutenden, aber nicht weniger starken und wider-
standsfähigen Besitzern . . \
Bei der Plünderung eines großen Gutes fiel einmal den
Bauern ein alter, außerordentlich wertvoller Spiegel in die
Hand. Lange wußten sie nicht, was sie mit ihm anfangen sollten:
schließlich aber entschlossen sie sich, ihn zu zerschlagen, und
jeder nahm ein kleines Stückchen an sich. Das ist das Bild
und das Symbol dessen, was jetzt in Rußland unter dem Regime
des Bolschewismus vor sich geht.
71
V-
Rückblick und Ausblick.
Aber ich höre schon einen wichtigen Einwand: „Gut, mag das
^ alles auch richtig sein; mag die Lage Rußlands tief tra-
gisch, mögen die Leiden der breiten Volksmassen unerträglich
sein: was hat das alles mit den Bolschewiki zu tun?" Und
in der Tat, habe ich denn nicht selber betont, daß die russische
Revolution fast von ihren ersten Tagen an dem Abgrund zu-
lollte, daß der Zarismus und seine Erbschaft das russische Volk
zu Boden gedrückt hat, daß er ihm beinahe das Rückgrat brach?
Ist es denn nicht ein Wahnsinn, dies den Bolschewiki zum Vor-
wurf zu machen?
Ja, in der Tat wäre dies ein Wahnsinn, aber es ist etwas
völlig anderes, dessen ich sie anklage:
Während die russische Revolution dem Abgrund zurollte,
haben sie diese Bewegung, statt sie zu hemmen, noch zu be-
schleunigen gesucht; sie machten sich an das in der langen
Knechtschaft erblindete, noch unvernünftige russische Volk
heran, und statt es von der Richtung, die es einschlug, abzu-
halten, hypnotisierten sie es mit dem Bilde eines Himmelreiches,
das in dieser Richtung liegen sollte. Ja, sie taten noch mehr:
sie verleumdeten in unglaublichster Art und Weise alle, di^
das Volk von dieser Richtung ablenken wollten, indem sie be-
haupteten, sie seien Volksfeinde, denn sie wollten das Volk
vom Himmelreich abhalten. Alles, was das Volk aus Feigheit,
aus Apathie, aus tiefem Egoismus tat, unterstützten und för-
72
derten sie; ja, man möchte sagen, sie organisierten förmlich den
Prozeß der Anarchie und des Zerfalls und steigerten ihn da-
durch ins Ungemessene. Wir haben es hier mit einer Erschei-
nung zu tun, die dem analog ist, was in der Physik unter dem
Namen ,, erzwungene Schwingungen" bekannt ist. Eine Brücke,
die imstande ist, ein Gewicht von mehreren tausend Menschen
zu tragen, kann beim Durchmarsch eines einzigen Bataillons
einstürzen, wenn dieses sich im Taktschritte bewegt und wenn
dieser Takt seiner Schritte mit den Schwingungen der Brücke
zusammenfällt. In so ungeheurem Maße verstärkt dieses
Gleichmaß die Schwingungen der Brücke.
Der Zarismus zerrüttete den Gesamtbau der russischen Ge-
sellschaft, weckte alle Leidenschaften auf, brachte sie in Be-
wegung. Die Bolschewiki aber fingen in ihrer regelmäßigen,
organisierten Arbeit den Takt dieser Bewegung auf und riefen
dadurch erzwungene Schwingungen von einer derartigen Span-
nung, einer derartigen Kraft hervor, daß das ganze Gebäude
notwendig einstürzen mußte.
Zweifellos dachten die Bolschewiki, indem sie mit ihrer
ganzen Agitation für ein sofortiges Zugreifen einzelner kleiner
Gruppen eintraten, daß sie an der Verwirklichung des Sozialis-
mus in Rußland arbeiteten; wie sie, indem sie den Zerfall der
Armee förderten und das ganze Land dem deutschen Imperialis-
mus als leichte Beute preisgaben, davon überzeugt waren, daß
sie damit der Verwirklichung des Sozialismus in der ganzen
Welt dienten. So lassen sich alle Gründe der bolschewistischen
Handlungen als ein tiefer und grundlegender Fehler charakteri-
sieren; als der Gedanke, daß die ganze Welt für den Sozialis-
mus schon vollkommen reif sei, daß er unmittelbar bevorstehe
und außerordentlich leicht zu verwirklichen sei.
Wenn aber die Gründe der bolschewistischen Hand-
lungen als Fehler zu bezeichnen sind, so sind ihre Hand-
lungen selbst, alle ihre Kampfmethoden nicht mehr als
ein Fehler, sondern nur als ein Verbrechen zu bezeichnen; denn
sie alle bestehen in der Anwendung der Gewalt, des zügel-
losen, blutigen Terrors.*)
*) Soeben erhalte ich die fünfte Nummer der ,, Wochen-
schrift der außerordentlichen Kommission zur Bekämpfung der
\
73
Der Bürgerkrieg, den die Bolschcwiki führen (erinnert sich
noch der Leser des berühmten Wortes Trotzkys: ,, Bolschewis-
mus ist Bürgerkrieg"?), ist so fürchterlich, so grausam, daß man
seine Dimensionen und seine Intensität nur durch die moralische
Verwilderung nach einem vierjährigen Weltkrieg erklären
kann. Nur so kaniV man auch erklären, daß die ganze Welt
bei seinem Anblick nicht von einem Entsetzen ergriffen wird,
nicht laut aufschreit, nicht protestiert. Wie oft haben auch die
Bolschewiki schon ganz offen ausgesprochen, daß sie nach den
hundcrttausenden Opfern des Weltkrieges vor den
zehptausenden Opfern des Bürgerkrieges nicht zurück-
schrecken würden. Aber dieser Weltkrieg war doch eben der
Konter-Revolution". Unwillkürlich wird man von der Kälte
des Grausens erfaßt, wenn man diese Schrift liest. Hier die
Chronik: Die Pcschechonsche Bezirkskommission (also eine von
denjenigen, die besonders stark zum Banditentum neigen sollen),
erstattete den periodischen Bericht über ihre Tätigkeit: Hin-
gerichtet sind 30 Menschen, darunter eine ganze Familie Scha-
laeff (3 Männer, 2 Frauen), eine Familie Wolkoff (2 Männer,
2 Frauen). Die überwiegende Mehrzahl ist hingerichtet für ,,die
Agitation gegen die Sowjetgewalt", die anderen „für konter-
revolutionäre Tätigkeit". Dann folgt ein Bericht einer anderen
Kommission über eine ihrer Sitzungen: 54 Prozesse erledigt,
31 Menschen hingerichtet. Dann nur eine ganz kurze Mitteilung:
„Die Petersburger Kommission ließ 500 Menschen erschießen"
usw. Und weiter natürlich wieder eine ganze Reihe von Mit-
teilungen über die hingerichteten bolschewistischen Funktio-
näre, die verantwortungsvolle Posten einnahmen.
Und wenn man bedenkt: Heute sind diese Funktionäre
hingerichtet, aber erst gestern haben sie hinrichten lassen!
Erst gestern floß doch auf Befehl ihrer, dieser Banditen und
Verbrecher das menschliche Blut!
So ist die Chronik. . . . Und ihr folgt, man denke nur, ein
humoristisches Feuilleton, betitelt: „Das zweite außerordent-
liche Feuilleton".
74
Ausdruck des ganzen Zerfalls, der tiefen Verderbtheit des im-
perialistischen Kapitalismus. Und wie konnte es bloß ge-
schehen, daß gerade diejenigen, die sich ,, radikale Sozialisten"
nennen, sich in einer so radikalen Weise an dieser Seuche
des Imperialismus angesteckt haben?
Wie konnte es geschehen, daß gerade sie, die sich für ganz
prinzipielle Sozialisten halten, den Boden Rußlands mit dem
Blute der Arbeiter, der Bauern, der sozialistisch gesinnten In-
tellektuellen tränken, und zwar in einem solchen Maße, daß
man beim Anblick der bolschewistischen roten Fahnen nicht
mehr an die Morgenröte, an das neue Leben, sondern nur noch
an das Blut und an das traditionelle rote Hemd der russischen
Henker denkt?
Und doch, wenn man näher zusieht, muß man sagen; beides,
jener grundlegende Fehler der Bolschewiki und dieses ihr grau-
sames Verbrechen haben eine und dieselbe tiefliegende
Wurzel . . .
In der Politik wie in der Religion spielt der Glaube eine
große, oft die entscheidende Rolle. Die starke materielle Ab-
hängigkeit der Massen, der Ehrgeiz, aber auch der Enthusias-
mus und der Drang zur Selbstaufopferung bei den Führern
erfüllen die politische Atmosphäre mit unzähligen Leidenschaf-
ten, umnebeln die Vernunft und drängen sie zurück. Und das
geschieht um so leichter, als die Position der Vernunft in der
Politik von vornherein nicht so stark ist; denn Politik ist eben
keine Wissenschaft: die Gesetzmäßigkeit des sozialen Lebens
ist noch nicht genügend tief erkannt; die Vernunft hat es hier
mit einer zu großen Anzahl von unbestimmten, leicht veränder-
lichen, launenhaften Faktoren zu tun. Meist ist sie nicht nur
nicht imstande, etwas in der Politik vorauszusagen, sondern
auch nur das tatsächlich Vorliegende objektiv zu erkennen und
einzuschätzen. Aber je weniger die Politik von der Vernunft
beherrscht wird, und je stärker in ihr die Leidenschaften und
die Wünsche toben, eine um so größere Rolle muß in ihr der
Glaube spielen. Mit dem Glauben aber sind der Fanatismus
und die Intoleranz eng verbunden. Auch das sehen wir in der
Religion wie in der Politik; denn wo man so wenig beweisen
kann und wo man, bewußt oder unbewußt, so viel glauben
muß, sind unsere starken Wünsche zu leicht dazu geneigt, die
75
Form unumstößlicher, absoluter Dogmen anzunehmen. Und
je stärker diese Dogmen uns am Herzen liegen, aber zugleich
je unbeweisbarer ihre Realität, desto unduldsamer werden wir
gegenüber jedem Wort der Kritik. Wo man einander nicht über-
zeugen kann, da fangen die Menschen zu oft und zu leicht an,
einander zu hassen.
Unter diesem Gesichtspunkt betrachte man die moralische
Welt, in der ein Lenin oder ein Lunatscharsky lebt, einmal
etwas näher. Das sind Menschen, die an ihre Idee tief glauben,
die ihr grenzenlos hingegeben, für sie zu jedem Opfer bereit
sind. . . . Nun höre ich schon von allen Seiten die leidenschaft-
lichsten Zwischenrufe und Einwände: Was, diese Menschen, die
den schrecklichsten Terror billigen, die ihn zulassen, ja, im
Grunde selbst organisieren, die von allen diesen Grausam-
keiten wissen und sie dulden — wie können solche Menschen
ehrlich, wie können sie selbstaufopferungsfähig sein? Und
doch ist das weder sonderbar noch unverständlich. Es genügt,
an die mittelalterliche Inquisition zu denken. Gab es denn
nicht auch unter den Inquisitoren eine ganze Reihe wirklich
entsagungsfähiger, aufrichtig und tief gläubiger Menschen, die
auch nicht einen Augenblick zweifelten, daß sie mit all ihren
Grausamkeiten Gott dienten, sein Reich verherrlichten? In der
Tat ist es geradezu unglaublich, wie die Ideologen des Bolsche-
wismus in a 1 1 e m, in großem und in kleinem, diesen Inquisitoren
gleichen. Wie jene fanatisch glaubten, daß nur sie die absolut
wahre Erkenntnis Gottes und den allein seligmachenden Weg
hatten, so glauben diese felsenfest daran, daß nur sie die wahren
Sozialisten seien und daß nur auf ihrem Wege der Sozialis-
mus zu verwirklichen sei. Wie jene keine anderen Lehren an-
erkennen wollten, wie sie die Anhänger derselben folterten
und hinrichteten, so verfolgen diese schonungslos, so foltern und
richten sie die Sozialisten anderer Parteien hin. Und wie jene
dachten, daß sie damit Gott dienten, weil all diese unglück-
lichen, zu Tode gequälten Menschen ,, Gotteslästerer", ,, Ketzer"
wären, so denken auch diese, daß sie damit die Sache des Sozia-
lismus fördern, da sie doch lauter ,, Konter-Revolutionäre" und
,, Verräter am Sozialismus" zu Tode martern und erschießen. . . .
Wie für einen elementar glaubenden Menschen alles in
dieser Welt so einfach, so verständlich ist, so scheint es auch
76
den Boischewiki, daß es nichts Leichteres gäbe, als den Sozialis-
mus sofort auf dem Wege der Dekrete und der Gewalt zu ver-
wirklichen. Die ganze Schwierigkeit und Kompliziertheit der
Aufgabe sehen sie nicht, denn ihre Vernunft ist durch ihren
leidenschaftlichen Wunsch geblendet. Aber der Glaube an
diese Einfachheit vermehrt ihre Energie außerordentlich stark
und spornt sie zu einer unablässigen Tätigkeit an.
Nun ist aber, zum Unterschiede vom blinden Glauben,
die wahre Religion mit der Toleranz untrennbar verbunden.
Denn wer von dieser Religion durchdrungen ist, der erkennt
deutlich den Unterschied, der zwischen Gott selbst und einer
individuellen, beschränkten Vorstellung von ihm besteht. Für
ihn erschöpft sich das objektive Wesen Gottes nicht in einer
subjektiven Vorstellung von ihm. Ja, noch mehr, eben ange-
sichts dieses unendlich höheren Wesens lernt er die ganze Sub-
jektivität, Zufälligkeit und Beschränktheit seiner eigenen, ein-
zelnen Persönlichkeit kennen; und aus dieser Selbsteinschrän-
kung heraus, fängt er an, auch andere Vorstellungen von
Gott, auch andere Erkenntniswege zu ihm anzuerkennen; mit
einem Worte: er wird tolerant. Denn die Intoleranz beruht im
Grunde auf einer Selbstvergötterung; *sie besteht darin, daß das
ganze objektive Wesen Gottes in einer einzelnen, subjektiven
Vorstellung aufgelöst, durch diese Vorstellung ersetzt wird.
Darum war eben die ganze Ideologie der Inquisition gar nicht
religiös in diesem wahrhaften, tiefen Sinne des Wortes, denn
sie war nicht von einer Idee Gottes, sondern von Selbstver-
götterung durchdrungen, sie gipfelte nicht in einem objektiven
Gottesbegriffe, sondern in einer rein menschlichen, ganz subjek-
tiven Gottesvorstellung. Dies alles gilt auch für die Boische-
wiki. Ja, es ist ein blinder, fanatischer Glauben, von dem sie
ganz ergriffen sind, aber das ist nur der Glaube an ihre Vor-
stellung vom Sozialismus, an i h r e n Weg zu ihm. Und während
sie glauben, nur dem Sozialismus, ja, der ganzen Menschheit
zu dienen, geben sie ein erschütterndes Beispiel eines unbe-
wußten Egoismus und einer grenzenlosen Beschränktheit, indem
sie dieser ihrer Auffassung vom Sozialismus die unzähligen
menschlichen Opfer bringen.
Und das ist auch die Erklärung dafür, wie es kommt,
daß diese Ideologen, diese ehrlichen Menschen von
einem so festen Ringe von Dieben, von Räubern und
Halunken umgeben sind. Sie sind vollkommen geblendet
durch ihre Selbslverliebtheit: es genügt, daß ein Mensch zu
ihnen kommt und sagt, er sei mit ihnen vollkommen einver-
standen, sie hätten da eine herrliche Sache ins Werk gesetzt
und er wolle ihnen dabei helfen, — und er erhält sofort einen
oft sehr verantwortlichen Posten. Daß dieser Mensch auch
fähig, ehrlich und klug ist, dies alles ist selbstverständlich: wie
könnte er sonst mit ihnen einverstanden sein, wie könnte er
sie begreifen und anerkennen? Der Blutgeruch aber lockt
alle Schakale und Hyänen des menschlichen Geschlechtes
heran, mit ungeheurer Macht entfesselt er alle tierischen In-
stinkte des Menschen. Was ist also Wunderbares daran, daß
der Sowjetstaat sich allmählich in eine Folterkammer ver-
wandelt?
Wie steht es aber mit der Politik? Hat sie sich denn von
der Religion so gründlich überholen lassen und gar nichts Objek-
tives, was die Toleranz in ihr bedingen sollte, geschaffen?
Nein, so ist es nicht, auch in der Politik gibt se Toleranz; und
wir gelangen zu ihr auf einem ähnlichen Wege wie in der
Religion.
Wer von dem Gedanken durchdrungen ist, daß die Mensch-
heit ein höherer Begriff ist als das Individuum, wer den tiefen
Egoismus und die Selbstverliebtheit der menschlichen Natur
von sich abgestreift hat, wer nicht allein für sich und seinen
engen Kreis das Beste wünscht, wer aber auch nicht in sich die
absolute Autorität in allen Fragen erblickt, mit einem Worte:
wer imstande ist, den materiellen Egoismus wie auch jede
geistige Ueberhebung seiner Persönlichkeit an der Idee der
Menschheit einzuschränken und zu regulieren, der übt auch in
der Politik die Toleranz. Denn er versteht, daß seine Wünsche
nur seine Wünsche, daß seine Vorstellungen nur seine Vor-
stellungen sind, und daß, auch wenn er die ganze Welt be-
glücken will, er es doch nur so zu tun bestrebt ist, wie e r sich
dieses Weltglück subjektiv vorstellt. So fängt er an, das
gleiche Recht wie sich selbst, auch allen anderen Menschen
einzuräumen: das Recht aufs Leben, das Recht aufs Denken
und Wollen.
78
Diese einfache, aber entscheidende Idee liegt dem So-
zialismus zugrunde: er verlangt das gleiche Recht aufs Leben
für alle Menschen, also eine radikale Einschränkung jedes indi-
viduellen Egoismus durch die Idee der Menschheit. Und seine
Verwirklichung strebt der Sozialismus auf einem demo-
kratischen Wege an, d. h. in dem klaren und freien Willen
der Mehrheit sieht er etwas, was über jedem individuellen
Willen steht. Mag jeder an seine Ideen glauben, mag er glauben
so stark und so tief, wie er nur kann; mag er unablässig ver-
suchen, alle Menschen von der Wahrheit seiner Idee zu über-
zeugen und für sie zu werben; aber er soll immer dessen ein-
gedenk bleiben, daß jede politische Idee im letzten Grunde
doch nur seine individuelle Idee ist. In dem Augen-
blick, in dem er anfängt, von der ganzen Welt die Anerkennung
seiner Idee zu fordern, in dem er versucht, seine Idee ge-
waltsam zu verwirklichen, zeigt er nur, daß er sich höher
stellt als jeden anderen, höher sogar als die Gesamtheit der
Menschen, zeigt er nur, daß er ein Tyrann ist, und dies gänz-
lich unabhängig von dem Gehalt und Wesen seiner Idee.
Und eben diese Erkenntnis, dieses Grundlegende und Be-
stimmende, wodurch die ganze Weltanschauung des Sozialis-
mus in erster Linie charakterisiert wird, fehlt den Ideologen
des Bolschewismus vollkommen. Sie sprechen so viel von So-
zialismus, vom Glück der ganzen Menschheit, aber bei ihnen
läuft das auf bloße Worte hinaus, denn nicht diesem allen
dienen sie, sondern einzig und allein ihren subjektiven be-
schränkten Vorstellungen von diesen zweifelhaft großen ge-
waltigen Dingen; und sie dienen ihnen verbrecherisch auf dem
Wege der grausamen Gewalt.
Nur zwei Wege gibt es überhaupt in der Politik: der Weg
einer freien Kundgebung des Volkswillens und der Weg eines
ununterbrochenen, versteckten oder offenen, chronischen oder
akuten Bürgerkrieges. Der materielle Egoismus, der verblen-
dete Fanatismus, der unvernünftige Glaube, — das ist es, was
die Menschen auf diesen zweiten Weg führt. Dort, wo eine
Gruppe von Menschen ihre engen materiellen oder sogar ideo-
logischen Ziele über das Allgemeine und Reinmenschliche stellt
und sich für berechtigt hält, die Verwirklichung dieser Ziele
mit Waffengewalt anzustreben, — wie soll man da den Bürger-
79
krieg vermeiden? Wo ist dann jene „dritte Macht", die imstande
wäre, diesen leidenschaftlichen und bliilij^en Streit einzelner
Gruppen beizulegen? Und doch, diese Macht ist vorhanden:
sie besteht in dem freien Volkswillen, in der Anerkennung
dieses Willens und seines autoritativen und endgültigen Be-
schlusses.
Das ist der Punkt, an dem unsere Partei radikal und end-
gültig mit den Bolschewiki gebrochen hat: im Kampfe zwischen
der klaren Vernunft und dem blinden Glauben, zwischen der
Freiheit und der Intoleranz, zwischen der wahren Volksherr-
schaft und der Tyrannei stellte sich unsere Partei mit aller
Kraft auf die erste Seite. Und diesen unseren Standpunkt
wollen wir bis zum Ende verteidigen, fanatisch; aber nicht
mit dem Fanatismus, der mit der Intoleranz, der Tyrannei ver-
bunden ist, sondern mit dem Fanatismus der Toleranz, der
Freiheit. Dieser Fanatismus ist eine herrliche Sache, ja noch
mehr: wir sind tief überzeugt, daß nur unter seinem Banner die
Vernunft in der Geschichte der Menschheit endgültig siegen
kann und siegen wird.
Wie oft hatten wir den Bolschewiki den Vorschlag ge-
macht, in unserem Streit diese dritte Macht, den Volkswillen,
anzurufen, sie als Schiedsrichter gelten zu lassen. Wie oft
haben wir ihnen vorgeschlagen, über jede beliebige Frage ein
Referendum zu veranstalten. Aber sie wollten nichts davon
hören: denn sie haben den Volkswillen geknechtet und fürchten
sich jetzt, seine offene und freie Stimme zu hören. Umsonst
rufen sie jetzt in die ganze Welt triumphiernd die Nachricht
hinaus, wir hätten uns mit ihnen vereinigt. Das ist eine Lüge,
ein Ding der Unmöglichkeit. Und zwar nicht, weil sie unsere Ge-
nossen nach Hunderten hingerichtet und gefoltert haben, weil sie
sie nach Tausenden in den Gefängnissen verschmachten lassen,
sondern weil wir kein Vertrauen mehr zu ihnen a.ls Sozialisten
haben können. Heute geht es ihnen schlecht: sie fühlen das
nahe gewaltsame Ende. Sie fürchten den heiligen Zorn der
breiten Volksmassen — und in dieser Angst sind sie bereit, Zu-
geständnisse zu machen, mit uns, diesen , »Verrätern und Kontre-
Revolutionären" zusammen zu arbeiten. Aber dieses Verhalten
wird nicht lange dauern — und sollte es ihnen nur gelingen,
sich wieder zu befestigen, so werden sie sofort wieder anfangen,
80
im Namen irgendeiner neuen Idee, die ihnen kommt, das Volk
mittels der Gewalt der Kanonen und der Bajonette zu beglücken.
Nein: solange, bis der freie Volkswille wieder in alle seine
Rechte eingesetzt ist, solange bis Garantien für die grundlegen-
den demokratischen Freiheiten geschaffen sind, solange wie in
dieser erstickenden Atmosphäre der Verantwortungslosigkeit
und des Terrors der Zerfall aller Pfeiler des Sozialismus fort-
dauert, ist für uns eine Versöhnung mit den Bolschewiki un-
möglich. Die Lage unserer Partei ist jetzt schwer, sogar
tragisch: aber im Namen der großen Idee des demokratischen
Sozialismus sind wir zu allen Opfern, zu allen Leiden, selHst
zum Tode bereit.
Auch in Zukunft erwarten wir die Auferstehung des rus-
sischen Volkes nur von dieser Seite. Falsch und lächerlich ist
die Behauptung, das russische Volk sei dem demokratischen
Regime entwachsen: es war ihm einfach noch nicht gewachsen.
Nur so läßt es sich erklären, daß es den Bolschewiki ver-
hältnismäßig so leicht gelungen ist, alle Keime der demokra-
tischen Institutionen und Freiheiten zu vernichten. Aber das
russische Volk ist nun schon länger in eine harte Schule ge-
gangen. Es hat am eigenen Leibe erfahren, wohin das Fehlen
jeder Solidarität, der Kampf der Leidenschaften und der zügel-
losen Wünsche führt. Es fängt an, sich mit der bitteren Wahr-
heit zu durchdringen, daß dort, wo jeder nur an sich selbst
oder an seine kleine Gruppe denkt, alle zugrunde gehen müssen
— und zugleich beginnt es zu verstehen, daß es sich nur auf
einem Pfad, der vom Licht des demokratischen Sozialismus be-
leuchtet wird, aus dem Abgrund, den zu umgehen, ihm doch
nicht gelungen ist, erretten kann. Jede Intervention von außen
könnte hiergegen nur negative Resultate ergeben. Denn auf
diese Weise würde nur eine Gewalt durch eine andere ersetzt.
Das russische Volk aber hat so stark unter der jahrhunderte-
langen Herrschaft der Knute und des Stocks gelitten und leidet
noch jetzt darunter, daß es nicht von Knute und Stock seine
Befreiung erwarten kann, . . .
Wird man mir erlauben, zum Schlüsse einige Worte über
die deutsche Revolution zu sagen?
81
Wie oft mußte ich, mich an russische Arbeiter und Bauern
wendend, zu ihnen sagen: ,,Das ganze Unglück Rußlands, die
letzte Wurzel alles Uebels besteht darin, daß ihr ein noch nicht
genügend vernünftiges, noch nicht genug aufgeklärtes Volk seid.
Wäre an eurer Stelle ein anderes Volk, das von der Idee der
sozialistischen Solidarität tief ergriffen wäre, das bereit wäre,
im Namen dieser Solidarität nicht nur mit roten Fahnen zu
demonstrieren, sondern in angestrengter Arbeit für sie alle
Opfer zu bringen, so wäre es mit seiner Lage fertig geworden,
und wenn sie noch zehnmal schwieriger wäre."
Und nun ist die Revolution in Deutschland ausgebrochen.
Sie ist unter Bedingungen ausgebrochen, die in vielem den
unsrigen ähnlich sind, in vielem aber sich von ihnen unter-
scheiden. Das ganze Volk ist hier viel kultivierter, viel höher
stehend; die Arbeiterklasse viel zahlreicher, organisierter, soli-
darischer gesinnt. Aber auch hier trat die Revolution in einem
Augenblick ein, in dem die Arbeitermassen ihre letzten Kräfte
zu verlieren schienen. Auch hier kam die Befreiung, nachdem
die Arbeitermassen auf sich jahrzehntelang die starke Faust
des Kapitalismus gefühlt, nachdem sie jahrelang unsägliche Lei-
den und Opfer im Weltkrieg getragen hatten. Auch hier traten
die sozialistischen Parteien die schwere Erbschaft eines voll-
kommen bankrotten Regimes an. Von allen Seiten, von außen
wie von innen, werden sie von Gläubigern bedrängt: von un-
berechtigten und legitimen, von rachsüchtigen und ungeduldigen.
Hier kann es nur eine Rettung geben: den Sozialismus- Freilich
ist es schwer, den Aufbau eines Gebäudes in einem Augenblick
vorzunehmen, in dem man fast keine Materialien besitzt, in
dem die Arbeiter übermüdet und erschöpft sind, und diejenigen,
die nach ihren Erfahrungen und Kenntnissen helfen könnten,
an dem neuen Bau nicht teilnehmen wollen, sondern sich nur
dazu bereit erklären, ihre Kräfte an die Reparatur des alten,
zerrütteten, jeden Fundaments entbehrenden Gebäudes
zu setzen.
So sieht sich auch das deutsche Volk vor eine unendlich
schwierige, fast tragische Aufgabe gestellt. Es wird sie um so
leichter bewältigen, je stärker die Gebildeten folgende außer-
ordentlich klare und einfache Tatsache einsehen werden: Das
eingestürzte soziale Gebäude beruhte auf einer Herrschaft der
82
Gewalt, auf einer tiefen Ungleichheit der Klassen, In ihm be-
stand fortwährend der versteckte chronische Bürgerkrieg. Der
ganze Bau war tief ungerecht, und so mußte er einstürzen.
Denn jede Gewalt hat in der Geschichte früher oder später
Schiffbruch gelitten, indem sie auf eine andere, größere Macht
stieß, die sie beseitigte. Nur die vollkommene Gleichheit des
Rechts aller auf Freiheit, Arbeit und Leben kann Bedingungen
für eine harmonische Entwicklung der Gesellschaft schaffen.
So hat es wenig Zweck, sich 'nun darüber zu entrüsten,
daß diejenigen, die so viel unter der Gewalt gelitten haben,
selbst so leicht zu ihr neigen. Jetzt handelt es sich darum, wie
man seine Schuld am schnellsten und am besten abträgt. Es
handelt sich darum, nicht nur jeden aktiven Widerstand oder
jede passive Resistenz aufzugeben, sondern man muß den breiten
Massen in ihrer schwierigen Aufgabe aufrichtig und ehrlich zu
Hilfe kommen. Hier bietet sich eine vortreffliche Gelegenheit,
die Tiefe seines Patriotismus zu zeigen, und zwar des wahren
Patriotismus, der nicht immer ,die größten Opfer von den arbei-
tenden Massen verlangt, sondern selbst bereit ist, zugunsten
dieser Massen die größten Opfer zu bringen.
Aber auch auf den sozialistischen Parteien liegt eine große
Verantwortung. Diese Parteien scheinen sich jetzt endgültig
miteinander veruneinigt zu haben — und menschlich ist dies
auch ganz begreiflich- Man denke sich einen Haufen von
Menschen, der sich in den Bergen in Nacht und Nebel auf
einem breiten Gletscher verirrt hat. Solange diese Menschen
noch des Weges sicher waren, gingen sie ganz friedlich neben-
einander. Aber nun sind sie in eine kritische Lage geraten:
sie haben den Weg verloren, und sofort erhebt sich ein leiden-
schaftlicher Streit. Die einen sagen, man müsse möglichst weit
nach links gehen; die anderen — nach rechts. Wieder andere
aber, die schwächsten und ungeduldigsten, wollen, in tiefem
Glauben, die Richtung des gemeinsamen Zieles zu kennen, im
Laufschritt dahineilen, ohne an die Gefahren zu denken, die
ihrer bei jedem Schritte harren. Alle sind erschöpft und über-
reizt — und nun tritt der Augenblick ein, wo sie alle beginnen,
einander zu verdächtigen, daß jeder absichtlich alle anderen
zugrunde richten wolle und daß er nur darum seinen Weg vor-
schlage. Die Erbitterung, der Haß wachsen mehr und mehr
83
an — noch einen Augenblick, und sie werfen sich aufeinander.
Auf dem Glatteis, auf dem sie kaum stehen können, fangen sie,
die Brüder, die Freunde von gestern, einen mörderischen Kampf
an und verschwinden alle in den Spalten.
So war es in Rußland . . , Muß es denn auch in Deutsch-
land so sein? Gibt es denn wirklich keine Worte und Argu-
mente, keine tiefere Einsicht, die die Menschen in einem solchen
Falle noch im letzten Augenblick zur Vernunft bringen könnte?
Vieles ist schon damit erreicht, wenn man nur das eine
einsieht: übermüdete Arbeiter mit blutigen Schwielen auf den
Händen kann man nur so zur Arbeit bringen, daß man bei ihnen
die tiefe, fest begründete Ueberzeugung erweckt, daß sie fortan
für den Sozialismus arbeiten. Um diese Ueberzeugung zu be-
festigen, verlohnt es sich, auch große Opfer zu bringen. Es ver-
lohnt sich, sofort eine Reihe von grundlegenden ökonomischen
Reformen vorzunehmen, ohne davor zurückzuschrecken, daß
man sie im gegenwärtigen Augenblick richtig und ohne jeden
Schaden für den Staat vielleicht gar nicht durchführen kann.
Denn während der Revolution kommt es in erster Linie auf das
politische, nicht auf das ökonomische Moment an. Man darf
den Verlust eines Teiles nicht scheuen, wenn auf der anderen
Seite der Zerfall des Ganzen droht. Mit der Organisation und
der Aufgeklärtheit der Massen darf man nicht zu stark rechnen;
besonders nicht in einem Augenblick, in dem alle Voraus-
setzungen für psychische Erkrankungen gegeben sind. Der Bol-
schewismus: das ist eben eine Krankheit dieser Art. Sie mit
Waffengewalt zu heilen, ist unmöglich, wie es unmöglich ist, auf
chirurgischem Wege gegen Geschwüre am Körper eines Men-
schen zu kämpfen, der an einer Blutvergiftung leidet. Sie
werden doch immer wieder kommen — und so bleibt nur der
Versuch übrig, die Krankheit selbst zu heilen. Dies
aber ist nur auf einem Wege zu erreichen: indem man versucht,
wenigstens provisorisch ein Gebäude des Sozialismus aufzu-
führen, in welchem die hungernde und auf der Straße frierende
Masse eine vorläufige Unterkunft findet. Später kann man in
Ruhe und Frieden dieses Gebäude vervollkommnen, wie man
will. Aber natürlich: auch das fordert Zeit, auch das muß mit
Umsicht geschehen, damit das Gebäude nicht sofort einstürzt
und die Massen unter seinen Trümmern begräbt.
84
Und darum möchte ich auch euch, Genossen von der äußer-
sten Linken, einige Worte sagen: In Rußland haben die Bolsche-
wiki versucht, den Sozialismus sofort zu verwirklichen, indem
sie ihn einfach dekretierten und dann blindlings mit Waffen-
gevc^alt losschlugen. Dieser Versuch mißlang vollkommen; aber
etwas anderes gelang ihnen dafür um so besser, lieber der
breiten Fläche des verwüsteten, verhungernden, vom äußeren
Feind und durch den Bürgerkrieg zerfleischten Rußlands brach-
ten sie es fertig, in den Augen der ausländischen Genossen die
Fata Morgana eines neuen, wunderbaren Lebens hervorzu-
zaubern. Ueber dem Erdboden, von dem das Blut hoch hervor-
spritzt, von dem sich Verzweiflungsrufe und das tiefe Stöhnen
des Leidens erheben, haben sie ein aus Dekreten bestehendes
sozialistisches Luftschloß errichtet.
Die Bolschewiki hatten keine Geduld, zu warten, bis der
blühende Baum des neuen Lebens, indem er tiefer und tiefer
die Wurzel in den Boden schlug, immer höher emporwachsend
der Menschheit seine herrlichen Früchte brachte. Statt ihn zu
pflegen, beschlossen sie, diesen organischen Prozeß seines
Wachstums auf gewaltsamem Wege zu beschleunigen. Und sie
ließen nicht ab, ihn mit einer solchen Kraft, mit einer solchen
,, revolutionären Energie" hochzuziehen, bis sie ihn aus dem
Boden herausgerissen hatten. Nun liegt er da, mit den Wurzeln
an der Sonne, verwelkt, verdorrt und abgestorben. . . .
85
Anmerkungen.
') Nachrichten des Zentral-Exekutiv-Ausschusses vom
9. November 1918.
') Arbeitswille vom 16. Oktober 1918.
') Nachrichten des Zentral-Exekutiv-Ausschusses vom
18. Oktober 1918.
^) Deklaration des Landwirtschaftskommissars Meschtschcr-
jakoff; Arbeitswille vom 8. Oktober 1918.
'] Arbeitswille vom 4. und 9. Oktober 1918.
") Nördliche Kommune vom 6. Oktober 1918,
') Arbeitswille vom 8. Oktober 1918,
') Ibid. vom 3. Oktober 1918.
•') Die Armut vom 17. Oktober 1918,
^°) Aus der Rede einer Bäuerin auf der allrussischen Kon-
ferenz der Arbeiterinnen. (Nachrichten des Zentral-Exekutiv-
Ausschusses vom 19. November 1918,)
'') Arbeitswille vom 24. Oktober 1918.
'^) Die Handels- und Industriezeitung, Nr. 50 (Juni 1918).
') Petersburger Wahrheit vom 28. August 1918.
*) Ibid. vom 30. Oktober 1918.
') Arbeitswille vom 13. Oktober 1918.
^"j Nachrichten des Zentral-Exekutiv-Ausschusses vom
3. November 1918.
'') Ibid.
**) Oekonomisches Leben (das offizielle Blatt des höchsten
Rates für Volkswirtschaft) Nr. 8
*') Arbeitswille vom 2. Oktober 1918.
''] Ibid. vom 24. Oktober 1918.
"■') Die Handels- und Industriezeitung, Nr. 40.
86
151
"1
:)81
"') Nachrichten des Höchsten Rates für Volkswirtschaft, Nr. 3.
''] Ibid., Nr. 1.
-*) Arbeitswille vom 22. Oktober 1918.
"') Nachrichten des Höchsten Rates für Volkswirtschaft, Nr. 3.
'^) Oekonomisches Leben, Nr, 2.
'^) Handels- und Industriezeitung, Nr. 38.
-*) Ibid., Nr. 40.
"'") Oekonomisches Leben, Nr, 12,
■''•) Nachrichten des Höchsten Rates für Volkswirtschaft, Nr. 2.
-) Arbeitswille vom 15. Oktober 1918.
') Nachrichten des Höchsten Rates für Volkswirtschaft, Nr. 3.
'*) Ibid., Nr. 1.
''] Ibid., Nr. 3.
'*') Nachrichten des Zentral-Exekutiv-Ausschusses vom
21. November 1918.
") Das Neue Leben, Nr, 113 für das Jahr 1918.
'*) Nachrichten des Höchsten Rates für Volkswirtschaft, Nr. 1.
■'") Oekonomisches Leben, Nr, 12.
'"') Nachrichten des Zentral-Exekutiv-Ausschusses vom
1. November 1918.
*'] Ibid. vom 3. Dezember 1918.
'*') Wochenschrift der Außerordentlichen Kommission, Nr. 1,
Seite 28.
''^) Nachrichten des Zentral-Exekutiv-Ausschusses vom
1. November 1918.
') Ibid. vom 3, November 1918.
') Ibid.
*^) Wochenschrift der Außerordentlichen Kommission, Nr. 4,
Seite 28.
''] Ibid., Seite 15.
*^) Nachrichten des Zentral - Exekutiv - Ausschusses vom
19. November 1918.
'*') Wochenschrift der Außerordentlichen Kommission, Nr, 1,
Seite 26,
''") Nachrichten des Zentral - Exekutiv - Ausschusses vom
5. November 1918.
'*) Wochenschrift der Außerordentlichen Kommission, Nr. 1,
Seite 18.
'') Ibid., Nr. 3, Seite 15.
( 87
44^
4 51
") Arbeitswille vom 10. Oktober 1918.
'^] Nachrichten des Zentral - Exekutiv - Ausschusses vom
21. November 1918.
'") Ibid. vom 28. November 1918.
") Oekonomisches Leben, Nr. 4; Nachricht aus der Stadt
Tula.
") Nachrichten des Höchsten Rates der Volkswirtschaft,
Nr. 1.
"') Ibid.. Nr. 2.
'") Arbeitswille vom 2. Oktober 1918.
• "") Oekonomisches Leben, Nr. 12.
^^) Nachrichten des Zentral - Exekutiv - Ausschusses vom
18. November 1918.
'-] Die Petersburger "Wahrheit vom 27. August 1918.
«") Ibid. vom 19. November 1918.
") Ibid. vom 3. Oktober 1918.
"') Ibid. vom 24. August 1918.
'") Arbeitswille vom 15. Oktober 1918.
"') Handels- und Industriezeitung, Nr. 40.
"T Nachrichten des Höchsten Rates der Volkswirtschaft,
Nr. 1.
•») Nr. 4.
'") Handels- und Industriezeitung, Nr. 38,
'*) Nachrichten des Höchsten Rates der Volkswirtschaft,
Nr. 3.
") Handels- und Industriezeitung, Nr. 38.
88
Sozialistische Schriften zur Revolution
Soeben erschienen:
EDUARD BERNSTEIN
VÖLKERBUND ODER STAATENBUND
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DEMOKRATIE ODER DIKTATUR
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265 Die bilanz des russischen
G375 Bolschewismus
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