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DIE
BRONZEN
DER
SAMMLUNG LOEB
HERAUSGEGEBEN VON
JOHANNES SIEVEKING
•MÜNCHEN- 1913-
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VORWORT.
Die in diesem Bande vereinigten Bronzen, deren Yeröff ent-
liehung ihr Besitzer James Loeb mir freundschaftlich an-
vertraut hat, haben jetzt mit den übrigen Antiken seiner reich-
haltigen und auserlesenen Sammlung, aus der die Arretini-
schen Gefäße bereits von G. H. Chase veröffentlicht sind, ihren
Platz in dem Museumssaal seines Münchner Heims gefunden.
Der größere, aus der Sammlung Porman stammende Teil stand
früher als Leihgabe im Fogg-Museum der Harvard-Universität.
Hierzu sind in den letzten Jahren allerlei Neuerwerbungen
hinzugekonmien, ohne ein bestimmtes Programm, sondern wie
sie der Zufall des Antiken-Kunstmarktes brachte, gesammelt.
Daraus erklärt sich das sehr mannigfaltige Bild des Bestandes
und der große Qualitätsunterschied der Stücke. Nicht auf-
genommen sind die drei berühmten jonisch-etruskischen Drei-
füße, weil sie in größerem Format in den Brunn-Bruckmann-
schen Denkmälern erscheinen werden. Was die Anordnung
der Bronzen in dem vorliegenden Bande betrifft, so stehen
an erster Stelle die ägyptischen Arbeiten, dann folgen die
archaischen Stücke, hierauf die "Werke des 5. Jahrhunderts
mit Einschluß der sich an diese Zeit anlehnenden römischen,
[III]
weiter die hellenistischen, hellenistisch-römischen und später-
etruskischen Bronzen, endlich die Geräte und ähnliches.
Die Tafelgravuren und Lichtdrucke im Text sind von der
Firma J. B. Obernetter in München hergestellt.
München, März 1913.
Dr. J. SIEVEKI^a
1
[IV]
TAFELYERZEICHNIS.
Tafel »" 8e*'®
1. Neith '....!
2. Horus 2
3. Katze 3
4. Archaische Flügelfigur 8
5. Sirene 11
6 — 8. Standspiegel 14
9. Drei Cistenfüße 21
10. Ziegenbock 25
11. Jüngling mit Strigilis 27
12—13. Merkur 29
14. Merkur — Fortuna 31, 32
15. Nackter Krieger 33
16. Lar 36
17—18. Poseidon 41
19. Kopffragment 48
20. Alexander 50
21. Ringergruppe 52
22. Dionysos und Satyr 55
23. Parisbüste 57
24. Fliegender Eros 59
25. Aphrodite mit Eroten 63
26. Aphrodite 65
27. Mann mit Kreisel 66
28. Weibliche Gewandfigur — Herakles 68, 69
29. Reiter 70
30. Büste des Domitian 71
31. Kopfgefäß 73
32. Armfragment 75
[V]
Tafel in Seite
33 — 34. Tigerkopf als Wasserspeier _ 76
35. Deinos 77
36—37. Hydria 78
38. Athenaspiegel 80
39. Greifenspiegel 81
40—43. Pränestinische Ciste 82
44. Zwei Kantharoi 84
45. Helm 85
46. Kandelaberkapitell 86
VERZEICHNIS DER TEXTABBILDUNGEN
Seite
Oberteil eines Mannes 4
Nackter archaischer Jtlngling 6
Gravienmg des Spiegels Tafel 6 17
Nackter Jüngling als Henkel 23, 24
Nackter Jüngling in Kampfstellung 34
Lar, Berlin 37, 38, 39
Kopf der Poseidonstatuette Tafel 17 41
Kopf der Erosstatnette Tafel 24 59
Eros mit "Weintrauben 61
[VI
NEITH
Tafel 1
Höhe 0,207. Die Attribute fehlen.
Die Göttin Neith von Sais mit der Krone Unterägyptens
ohne den Lituus auf dem Haupte. Die vorgestreckte Linke
wird das Szepter, die gesenkte Bechte das Henkelkreuz ge-
halten haben. Sorgfältige Arbeit saitischer oder frühptole-
mäischer Zeit.^)
') Vgl. Daressie, Statuts de Divinitea. Catalogue du Musie du Caire Taf. 48.
[1]
HORUS
Tafel 2
Höhe 0,09. Der rechte Ann, die linke Hand und die Beine
von oberhalb der Knie an abwärts fehlen. Die Bronze stellt
das Horuskind dar, und zwar safi es vermutlich auf dem
Schöße der Isis. Über seinem rechten Ohr befindet sich ein
rechteckiges Loch, in dem die jetzt fehlende Jugendlocke be-
festigt war. Um den Hals trägt der Gott in Gold aufgelegt
einen Schmuck, auf der Brust ein Amulett in Gold an silberner
Schnur. Auch die Augäpfel sind in Gold aufgelegt. Feine
Arbeit ptolemäischer Zeit.
[2]
KATZE
Tafel 3
Aus der Forman Collection. Katalog Nr. 256. Höhe 0,1 68.
Die Glasaugen sind modern.
Ein vortreffliches Beispiel des vor allem inBubastis LnUnter-
ägypten verehrten, der Mondgöttin Bast heiligen Tieres, reiz-
voll schon durch die schöne schokoladenbraune Färbung der
Bronze, aber auch durch den sehr monumentalen Aufbau des
Körpers. Die Katze sitzt aufrecht und blickt geradeaus, den
Schweif nach Katzenart auf der einen Seite um sich herum-
legend. Brust lind Rücken laden in schöner kräftiger Rundvmg
aus, die Einzelformen zeigen gewiß mit Absicht wenig Gliede-
rung, so sind die Hinterbeine kaum von den Oberschenkeln
abgesetzt. Die Vorderbeine laufen vorne zu einer scharfen
Kante zu, die Mundspalte ist nur eingeritzt, ebenso die Bart-
haare und die Ohren auf der Yorderseite. In Ritzung wieder-
gegeben ist auch das hinten in einer durchgesteckten Schleife
zusammengehaltene Halsband, an dem vorne am Bande ein
Amulett in Gestalt eines Auges hängt. Die Arbeit gehört wohl
noch saitischer Zeit an.
3]
.**?
OBERTEIL EINES MAJSTNES
Aus Griechenland. Höhe 0,078. Der Unterkörper und der
linke Arm fehlen, der rechte Arm ist am Ansatz gänzlich ver-
bogen, er war seitwärts erhoben.
Die Bronze gehört zu den ganz primitiven Figuren des
geometrischen Stils, wie sie sich besonders in OljTnpia^) und
auf der Akropolis*) gefunden haben. Der Oberkörper ist brett-
artig flach und verjüngt sich zu einer sehr engen Taille, die
ein Leibgui't umschließt, die Arme sind durchaus röhrenförmig
gebildet, Augen, Ohren, Nase und Mund recht roh angedeutet.
Das unten gradlinig abgeschnittene Haar ist durch Gravierung
1) Olympia Bd. IV, Nr. 242 ff. *) A. de Ridder, Bronzes de l'Acropole Nr. 692 ff.
[4]
i
^K in vertikale Streifen geteilt, die wieder durch horizontale Striche
gegliedert siad. Der Bart umrahmt als schmaler Streifen das
k Gesicht. Die erhobene rechte Hand faßte, nach der runden
Durchbohrung zu schließen, eine Lanze, der Mann war also
P als Krieger dargestellt. Die ganze Körperbildung erinnert an
Typen der Dipylongefäße, die Bronze wird noch dem achten
Jahrhundert angehören.
[ö]
NACKTER ARCHAISCHER JÜNGLING
Aus der Forman CoUection. Katalog Nr. 81.
Höhe der Figur mit Standplatte ohne die moderne profi-
lierte Basis 0,074 m. Die linke Hand ist leicht verletzt. Schöne
gleichmäßige hellgrüne Patina.
Die Statuette diente vermutlich als Krönung eines etrus-
kischen Kandelabers von der Art, wie sie im Museo Gregoriano
Bd. I, Tafel 50 ff., wiedergegeben sind. Obwohl der übliche
archaisch-griechische „Apollon"- Typus mit den eng am Kör-
per anliegenden Händen genau festgehalten ist, läßt doch die
Detailausführung keinen Zweifel darüber aufkommen, daß es
sich um eine etruskische Arbeit handelt. Die eckigen Körper-
[6]
formen erscheinen wie geschnitten, Knochengerüst und Mus-
kulatur sind übertrieben stark betont, Hals und Brust geradezu
durch eine Einkerbung voneinander getrennt. Die Gesichts-
ausführung, besonders von Mund und Ohren, ist recht roh, die
Stirn weicht beinahe horizontal zurück und die Haare sind nur
über der Stirn und im !N'acken ausgearbeitet. Die Figur wirkt
trotz ihrer Maße nicht Avie ein Werk der Kleinkunst, sondern
wie eine einfach reduzierte Kolossalstatue.
Eine stilistisch sehr verwandte Bronzestatuette befand sich
in der Sammlung Sarti in ßom.^)
1) L. Pottak, CoUezione Prospero Sarti, Roma 1906, Taf. 6 Nr. 23.
[7]
GEFLÜGELTE WEIBLICHE GEWANDFIGUR
Tafel 4
Früher Sammlung Castellani (Vente Nr. 271), dann Samm-
lung Eömusat (Vente 1900 Nr. 110 Taf. 5). Höhe 0,125; ohne
Basis 0,107.
Auf runder, stark profilierter, reich mit Perlenketten und
Blattstab verzierter Basis steht eine überaus zierlich gearbeitete
archaische Frauengestalt mit gesenkt ausgebreiteten Flügeln.
Der linke Fuß ist vorgesetzt und nach auswärts gedreht, der
rechte in der Ferse leicht gehoben, beide tragen Schuhe mit
spitz zulaufenden Laschen oben. Die jonische Tracht besteht
wie üblich in dem Untergewand, das auf der linken Brust und
dem linken Oberarm, wo es geknöpft ist, eng anliegend imd
fein geriefelt erscheint, dagegen den Unterkörper in schwerer,
nur durch wenige Falten gegliederter Stoffmasse umgibt, iind
dem gesäumten Mantel, der auf der rechten Schulter aufliegt,
schräg über Brust und Rücken geführt ist und hinten und
Tome in senkrechten Falten, dem Saum entlang in regel-
mäßigem Zickzack herabfällt. Auf der Brust springt ein kleiner
Bauschzipfel des Untergewandes kokett über das Obergewand
vor. Yen den Fitigeln, bei denen sich Flaum- und Schwung-
f8)
federn scharf voneinander trennen, setzt der eine an dem ge-
rief elten Untergewand, der andere am Mantel an. Diebeiden
Arme sind gesenkt, die linke Hand rafft das Untergewand an
der Seite zusammen, die mit der Innenfläche nach vorn ge-
drehte rechte ist jetzt leer, sie muß aber einst etwas gehalten
haben, und nach der eigenartigen Fingerstellung — die drei
ersten sind abwärts gestreckt, die beiden letzteren aufwärts
eingebogen — kann dies nur ein herabhängender Kranz oder
eine Tänie gewesen sein, nicht etwa ein Stab.
Der Kopf ist geradeaus gerichtet, ein breites volles Gesicht
mit großen vorquellenden Augen blickt dem Beschauer lebendig
entgegen. Besondere Sorgfalt ist auf die Anordnung des Haares
verwendet, das vom Wirbel strahlenförmig nach allen Seiten
läuft und hinten aufgenommen wulstartig um die den Hinter-
kopf umgebende Binde geschlungen ist. Zwei Enden dieser
Haarpartie sind vorne auf beiden Seiten des Kopfes unter der
Binde wieder vorgezogen und liegen in je vier Strähnen auf
den Stirn und Schläfe halbmondförmig einrahmenden drei
Knopfreihen auf, dem goldenen Stirntoupet, wie hier die dar-
über geführten Haare ganz besonders deutlich machen.
Das reizende Figürchen ist durchaus im archaisch-jonischen
Stil gehalten, außer der typischen Gewandung zeigt ihn die
Gesichtsbildung ganz besonders rein. Aber verschiedene An-
zeichen weisen mit Sicherheit darauf hin, daß die Arbeit die
eines etruskischen Künstlers ist, der nur stark im Banne grie-
chischer Vorbilder stand und sich in richtiger Erkenntnis seiner
Fähigkeiten eng an sie hielt. Ein äußerliches Merkmal ist die
[9]
überaus große Zierliclikeit, die schon in der Form der Basis
zutage tritt, an der Figur selbst sich in der Gravierung der
Falten und Flügel verrät, vor allem aber in der außerordent-
lichen Kleinheit der Flügel zum Ausdruck kommt, die fast wie
verkümmert wirken. Ein griechischer Künstler würde sie nie
als solch ein spielerisches Anhängsel gebildet haben. Un-
griechisch ist aber auch, daß kein eigentlicher Zusammenhang
zwischen dem Motiv der Figur und ihrer Beflügelung besteht.
Die archaisch-griechischen Flügelwesen, soweit sie nicht ein
dekoratives orientalisches Schema wiedergeben, verbinden aus-
gebreitete Flügel nur mit einem bewegten Körper, in unserer
Bronze dagegen sind sie einem gebräuchlichen Typus der ruhig
stehenden Grewandfigur einfach angeheftet, nicht um den Flug
darzustellen, sondern um dem weiblichen Wesen einen dämoni-
schen Charakter zu verleihen, ein echt etruskischer Zug. Die
übersinnliche Welt der Etrusker ist so reich mit Flügelgestalten
aller Art bevölkert, die näher zu bestimmen nicht möglich ist,
daß man auch der vorliegenden Statuette gegenüber besser mit
einer Benennung zurückhält
[10
SIRENE
Tafel 5
Aus der Forman Collection. Katalog Nr. 59.
Höhe 0,09. Das Figürchen ist in letzter Zeit zum Schutz
der Oberfläche mit Firnislack überzogen worden.
Der Menschenvogel steht fest auf seinen großen Krallen
mit geschlossenen Flügeln, deren Spitzen gekreuzt auf dem
Schwanz aufliegen. Die Schwung- und Schwanzfedern sind
durch kräftige gleichmäßige Gravierung charakterisiert, wäh-
rend der Bug und die scharf abgesetzte Brust vollständig glatt
gelassen wurden. Der menschliche Kopf ist geradeaus gerichtet,
das Haar fällt in einem "Wulst von dicken parallelen Strähnen
tief in die Stirn und vor den Ohren herab, hinten fein graviert
in breitem, sich nach unten verjüngendem Schopf auf den
Rücken. Vom Scheitel geht ein Zopf in Oestalt einer gewun-
denen, in eine Knospe endigenden Ranke aus, um den Hinter-
kopf läuft ein schmales Band mit drei Blütenrosetten über der
Stirn. In dem vollen fleischigen Gesicht mit den großen runden
flach liegenden Augen und den aufgeworfenen Lippen springen
Kinn und Nase energisch vor, während die Stirn zurückweicht.
[11]
Der Untersatz der Figur ist oben leicht gewölbt, sein vorne,
wo die Krallen aufstehen, runder Umriß läuft nach hinten, wo
der Schwanz aufruht, schmal und eckig zu. Auf der Unter-
seite befindet sich hinten ein kleines, nur wenig tiefes Loch,
vielleicht von der antiken Befestigung herrührend, die außer-
dem wohl in Lötung bestand. Nach der leichten Höhlung der
Unterseite zu schließen muß die Figur auf einer schwach ge-
wölbten Unterlage aufgesessen haben, vermutlieh auf der Mitte
eines Gefäßdeckels, an dem sie als Handgriff diente. Für solch
eine dekorative Verwendung spricht auch der Umstand, daß
uns von dem gleichen Sirenentypus mehrere Wiederholungen
erhalten sind, die nur unbedeutend in den Maßen und der
Detailausführung voneinander abweichen. Mir sind außer
unserer Bronze Exemplare in Berlin^), im British Museum"),
im Louvre") und in der Sammlung Mundy in Wien*) bekannt.
Das zuletzt genannte stammt aus Smyrna und bestätigt durch
diesen Fundort die Zugehörigkeit des Typus zur archaisch-
jonischon Kunst, die auch der Stil der übrigen in Italien ge-
fundenen Stücke, vor allem die Gesichtsbildung, schon ver-
muten ließ, wenn man auch nicht mit Sicherheit entscheiden
*) Friederichs, Berlins antike Bildwerke II, 2287. Abgebildet Mon. dell'lnst. II,
Taf. 29, und besprochen von E. Braun, Amiali 1836, S. 58. Aus Gerhards Besitz. Abeken,
der in seinem Buch über Mittelitalien Taf. 7,3 die Abbildung aus den Monumenti wieder-
holt, verwechselt S. 444 diese Bronze mit dem au>i Sammlung Kestner ins British Museum
gelangten Exemplar, und diese Verwechslung ist beibehalten bei v. Duhn, Annali 1879,
8. 137, Anm. 1 und im Katalog der Bronzen des British Museum Nr. 490. Einen modernen
Nachguß der Berliner Sirene kenne ich aus Würzburger Privatbesitz, das Stück soll an-
geblich aus Ägypten stammen. ') Catalogue of Bronzes Nr. 490. Aus Sammlung Kestner.
Hier sind auch die Brw<t/edern durch Gravierung angegeben. ') Longperier, Notice des
Bronzes antiques du Louvre Nr. 416. *) Weicker, Seelenvogel, S. 102, Fig. 33. Derselbe
in Roschers Myth. Lex. IV, S. 621, Fig. 14.
[12]
kann, ob sich unter ihnen nicht etwa etruskische Nachbil-
dungen befinden.
Die Sirene verkörpert für die Griechen die menschliche
Seele, ihr Bild ist eng mit dem Gräberkult verbunden. Der
Lotosranke auf ihrem Kopfe scheint insbesonders eine sepul-
krale Bedeutung anzuhaften^). Es ist daher nicht unwahrschein-
lich, daß unsere Figur und ihre Wiederholungen als Deckel-
griff archaischer bronzener Aschenurnen gedient haben, ebenso
wie der widdertragende Hermes, der Seelengott ^). Auch der
Sirenentypus mit ausgebreiteten Flügeln und apotropäisch er-
hobenen Händen findet sich auf diesen Gefäßen, die mit Wahr-
scheinlichkeit auf Cumae und indirekt auf Chalkis zurück-
geführt worden sind'). Die ruhig stehende Sirene eignet sich
auch von dekorativen Gesichtspunkten aus in ihrem streng
symmetrischen Aufbau ganz vortrefflich als krönende Deckel-
figur, dabei ist unsere Bronze ein Meisterstück feiner Detail-
ausführung.
') Weicher, Seelenvogel, S. 15 u. 43. ») Mon. deWInst. XI, Taf. 6,2 u. 3 ; Münchner
Jahrbuch 1910, I, S. 139, 3. ') Annali delVImt. 1879, S. 128 ff.
[13]
i
STANDSPIEGBL MIT FRAUENFIGUE
ALS STÜTZE
Tafel 6—8
Aus der Forman CoUection. Katalog Nr. 68. Angeblich in
Kroton gefunden. Abgebildet : Bull. nap. n. S. II, Tafel 3, S. 128
u. 188. Gerhard, Etrusk. Spiegel m, Taf. 243 AI, S. 240, mit
der irrtümlichen Angabe „im Museum zu Neapel".
Gesamthöhe 0,395; Höhe der Stützfigur 0,175; Durchmesser
der Spiegelscheibe 0,14
Modem sind die Befestigungen der Stützfigur auf ihrer
Basis, der Spiegelscheibe auf der Stütze und der Sphinx oben
auf der Scheibe durch je zwei kleine Stifte ; die alten Abbil-
dungen zeigen die Scheibe falsch herumgedreht, mit der glatten
Seite nach hinten.
In einem sehr schönen Beispiel liegt hier ein geläufiger
Typus des antiken Kimstgewerbes vor, einer jener reizenden
Standspiegel, wie sie nur in der verhältnismäßig kurzen Zeit
etwa vom Ende des 6. Jahrh. bis zur Mitte des 5. Jahrh., das heißt
im archaischen und strengen Stil in Griechenland und den von
seiner Kunst beeinflußten Ländern in Mode waren. Eine auf
[14]
sehr verschieden gestalteter kleiner Basis stehende Figur, ge-
wöhnlich sind es nackte Männer, bekleidete oder unbekleidete
Frauen, trägt auf dem Haupt das Spiegelrund, das oben meist
von einer kleinen Figur gekrönt wird.
Unser Spiegel zeigt auf einer viereckigen profilierten Basis,
deren eingezogener mittlerer Teil ringsum mit einem Flecht-
band verziert ist, eine bekleidete weibliche Figur, nach der
gewöhnlichen Deutung Aphrodite, in dem üblichen archaischen
Standschema mit vorgesetztem einen Fuß und in zierlich ge-
fältelter altertümlicher jonischer Gewandung, die uns von den
Mädchen der Akropolis geläufig ist. Sie besteht in dem gesäumten
Untergewand, das auf der linken Brust und dem linken Ober-
arm fein geriefelt erscheint, den Unterkörper dagegen in
schwererer Stoff masse umschließt und einem ebenfalls gesäumten
Mantel, der auf dem rechten Oberarm geknüpft schräg über
Brust und Rücken gezogen ist und hinten wie vorne in wohl
zurechtgelegten Falten herabfällt. Als Muster trägt der Mantel
eingeritzte Bögen mit einem Kreuzchen in der Mitte. Vor der
Mitte des Körpers wird vorne noch ein halbrundes Zipfelchen
sichtbar, das nur von einem Bausch des gegürteten Unter-
gewandes herrühren kann. Dieses Untergewand nimmt die linke
Hand an der Seite auf in der gleichen gezierten Fingerhaltung,
mit der die vorgestreckte Rechte eine Knospe hält.
In dem schmalen Oesicht springen Kinn und iJ^ase energisch
vor, die Augen liegen flach unter den stark betonten Brauen-
bogen, die zurückweichende Stirn ist von Haarflechten drei-
eckig eingerahmt, hinten fällt das Haar in einer breiten Masse
[15]
herunter, die durch wagrechte Linien in einzelne Wülste ge-
gliedert wird. Auf dem Diadem sind Dreiecke mit je einem
Punkt darin eingraviert, das gleiche Ornament, wie es der Ge-
wandsaum am Hals und die Vorderseite der auf dem Kopf
aufruhenden Spiegelrund-Unterlage zeigt.
Die Löcher in den aufgerollten und mit eingeritzten Pal-
metten in den Zwickeln geschmückten Seitenendigungen dieser
Unterlage waren nach Analogie anderer Spiegel einst wohl
mit Knöpfen gefüllt Hier liegen beiderseits die Vordertatzen
zweier vom Oberarm der Frauenfigur aufsteigender Löwen an,
die einerseits als Mitträger den Eindruck der Festigkeit er-
höhen und außerdem die Lücke zwischen den Schultern der
Stützfigur und dem Spiegelrund dekorativ ausfüllen. Diese
seitliche Ergänzung der Hauptfigur durch Nebenfiguren, zu
denen auch Eroten, Niken, Sirenen oder Sphingen verwendet
werden, ist für die Gruppe der Standspiegel mit weiblichen
Stützfiguren beinahe typisch, seltener und auf die ältesten
Exemplare beschränkt ist das Erheben der Arme zum Mit-
tragen, bei den männlichen Spiegelträgern, aber auch hier bei
den älteren Vertretern, eine geläufigere Form. Die Köpfe der
Löwen sind nach vorne gewendet, die Manier aufgerissen mit
heraushängender Zunge, wohl in Unheil abwehrender Bedeutung.
Die Scheibe selbst ist ihrem praktischen Zwecke ent-
sprechend auf der Vorderseite glatt bis auf das einrahmende
Stabband, dagegen ist die Bückseite vollständig mit Gravierung
ausgefüllt. Umlaufend folgen hier von außen nach innen auf-
einander das schon auf der Stützfigur mehrmals vorkommende
[16]
[17]
Dreieck-Ornament, eine Punktreihe, ein Wellenband mit Knospen
in den Senkungen und ein einfacher Mäander. Das Zentrum
endlich bildet die Darstellung einer nach rechts laufenden ge-
flügelten Gorgone, die vor dem Leib in jeder Hand eine nach
außen züngelnde Schlange hält. Oberkörper und Kopf mit
heraushängender Zunge und Schlangenhaaren sind in Vorder-
ansicht wiedergegeben, die Beine werden durch das Gewand
hindurch sichtbar. Ihr zugewandt steht unten beiderseits ein
Huhn, Das am Außenrand gezähnte Spiegelrund wird gekrönt
durch eine nach links sitzende Sphinx mit in Vorderansicht
gestelltem Kopf und aufgebogenen Flügeln. Sie ruht auf einem
besonderen Untersatz, der an den aufgerollten Enden zur Auf-
nahme von jetzt fehlenden Knöpfen durchbohrt ist und auf der
Vorderseite wieder das Dreieck-Ornament trägt.
Der Hauptreiz dieser Standspiegel liegt in dem vornehmen
tektonischen Aufbau und in ihren fein abgewogenen Propor-
tionen. Der auf einer Basis ruhig dastehende menschliche Kör-
per ersetzt als Träger Säule oder Pfeiler. Je gebundener die
Haltung der Figur, um so stärker ihre Wirkung in statischer
und dekorativer Hinsicht, daher stellt die archaische Kunst
mit ihrer steifen und symmetrischen Formgebung die idealsten
Vertreter dieser Gattung, und zwar scheint es fast, als ob der
Typus der bekleideten Frau, wie ihn unser Spiegel zeigt, der
beliebteste gewesen wäre, wohl weil die flachen schematischen
Gewandfalten dem Charakter eines Architekturgliedes sehr nahe
kommen. Auch der strenge Stil eignet sich in Körper- und
Gewandbehandlung noch trefflich zur Stützfigur, aber im Kopf
[18]
und Yor allem in den Armen regt sich doch schon ein zu starker
Bewegungsdrang, als daß dadurch nicht die dekoratiyo AVir-
kung beeinträchtigt würde. Daß die freientwickelte mensch-
liche Figur überhaupt nicht mehr als Spiegelstützo vorwendet
wurde, ist fast selbstverständlich für den streng geschulten
Formensinn, der im griechischen Kundsthandwerk herrscht.
Gegenüber dem senkrechten Träger betont die Scheiben-
unterlage, deren aufgerollte Enden, wie an qinigen Beispielen
ganz deutlich ist, den Voluten des jonischen Kapitells ent-
sprechen, die Horizontale und liefert zugleich den Übergang
zum Rund, das oben in der krönenden Figur, meist einem
Fabelwesen wie Sphinx oder Sirene, eine Spitze erhält. Bei
dem vorliegenden Spiegel beträgt die Höhe der Stützfigur
mit der Basis gerade die Hälfte der Gesamthöhe, und zwar
scheint dieses sehr glücklich gewählte Verhältnis gern bei
den Standspiegebi angewendet worden zu sein.
Die Verbreitung dieser griechischen Standspiegel, deren
Erfindung man ohne zwingende Gründe Korinth zuzuschreiben
pflegt, muß auch außerhalb Griechenlands eine sehr aus-
gedehnte gewesen sein, in Cypern, in der Krim und vor allem
in Italien sind sie gefimden worden. Die Herkunft Kroton
für unseren Spiegel wird bestätigt durch ein sehr nahe ver-
wandtes Stück im Münchener Antiquarium, das ebenfalls daher
stammt.')
Etwas Besonderes ist die Gravierung der Rückseite, die
soviel ich weiß sonst auf den Standspiegeln nicht üblich ist.
*) Furtwängler, Bas Kgl. Antiquarium zu München, S. 4T.
[19]
Da sie in ihren Stilelementen jedoch echt jonisch, nicht etrus-
kisch ist*), so darf man in ihr yielleicht eine Eigenart groß-
griechischer Kunst in Süditalien sehen, die, vielleicht italischem
Geschmack damit entgegenkommend, den rom Mutterlande
überkommenen Typus in dieser Weise erweiterte.
•) Furtwängler in Roschers Myth. Lex. I, S. 1710, Zeile 54.
[20]
I
DREI CISTENFÜSSE
Tafel 9
W' Angeblich aus einem Grabe bei Ferentinum. American
Journal 1911, S. 135 ff. (de Cou). Höhe 0,08. An einem Fuß
fehlt ein Stück des Schlangenleibes.
Jeder Fuß war mittels eines Stiftes an der Ciste be-
festigt, deren unterer Rand auf dem an der Rückseite der
Füße vorspringenden Zapfen aufruhte. Die Füße endigen
unten in geflügelten Tatzen, die einen schlangenb einigen
geflügelten Dämon tragen mit bärtigem Silenskopf, an dem
die spitzen Pferdeohren stark betont sind. Der Dämon packt
mit jeder Hand einen der Schlangenleiber, die Schlangen-
köpfe tragen große Barte. Die drei Füße gleichen sich genau,
aber kleine Yerschiedenheiten lassen erkennen, daß sie nicht
etwa aus einer und derselben Form stammen.^) Es sind Teile
eines archaisch-etruskischen Gefäßes, aber der Kopftypus des
Dämons gehört der jonischen Kunst an, ebenso ist die Yer-
ei Tilgung von Schlangenbeinen und Flügeln altgriechisch, sie
>) Tgl. Österr. Jahreshefte 1904, 8. 169.
[21]
scheint den Windgöttern eigen gewesen zu sein.^) Das auf-
gebundene Glied findet sich mehrfach bei schwer tragenden
Personen.*) Bemerkenswert ist die starke dekoratire Wirkung
der Komposition, das Emporwachsen der Flügel aus den
Krallen und der Aufbau des schlangenb einigen Dämons yer-
raten ein außerordentlich fein ausgebildetes Form- und Sym-
metriegefühl.
') Furtwängler, Sitzungsber. der Bayer. Akad. d. Wiss. 1905, S. 452. •) Vgl. die
Atlanten im Louvre, Clarac Taf. 298, 1725 und den Giganten auf der Vase im Louvre,
Sauser, Strena Helbigiana, S. 116.
[22]
»
NACKTER .JÜNGLING ALS HENKEL
Angeblich aus einem Grabe bei Perentiaum. American
Journal 1911, S. 131 ff. (de Cou.). Höhe 0,093. Durch beide
Hände und den linken Fuß sind runde Löcher gebohrt, um
den Henkel mit Stiften an einem Gerät zu befestigen. Er
diente wahrscheinlich als Handgriff eines Cistendeckels. Die
Hände sind nicht ausgearbeitet.
Eine nackte Jünglingsfigur, die den Körper zurückbeugend
beide Arme und Beiue auf dem Boden aufgestützt hat, während
der ebenfalls zurückgelegte Kopf die Erde nicht ganz berührt,
[23]
ist eine geläufige Henkelform für archaisch-etruskische Ge-
fäße. Das hohle Kreuz und die Kniekehlen eignen sich vor-
trefflich, xuxx je einen daruntergreifenden Finger aufzunehmen,
und der in dieser gymnastischen Übung einem Brückenbogen
gleichende menschliche Körper lieferte einen sehr dankbaren
künstlerischen Vorwurf. Die Erfindung des Motivs ist gewiß
griechisch, unsere Bronze aber schon wegen ihrer überschlanken
Proportionen und nach der etwas schematischen Detailaus-
führung, z. B. der Bauchmuskulatur und des Gesichtes, eine
recht geschickt ausgefülirte etruskische Arbeit.
(24)
ZIEGENBOCK
Tafel 10
Aus Griechenland. Länge 0,115, Höhe 0,063. Das eine
Hörn ist abgebrochen, ferner fehlt die Spitze des Schwanzes
und des rechten Ohres. Das Innere der Bronze war mit Blei
ausgefüllt, das noch zum größten Teil erhalten ist; die Eänder
der Unterseite sind abgeplattet, offenbar war die Bronze ur-
sprünglich auf einer ebenen Unterlage befestigt.
Das Tier ist ruhig am Boden gelagert, den Körper etwas
auf die linke Seite hinüberschiebend, den mit großem Bart und
stattlichen Hörnern geschmückten Kopf geradeaus streckend.
Das linke Yorderbein erhebt es leicht in momentaner natür-
licher Bewegung, das rechte liegt mit zurückgebogenem
Unterschenkel eng am Körper. Das Fell ist ganz glatt ge-
halten bis auf einen breiten, mit graviertem Strichmuster ver-
sehenen Streifen, der von den Hörnern an, der Mitte des Rückens
entlang bis zum Schwanzende läuft. Die Striche gehen von
der sehr scharfen ßückgratlinie aus nach beiden Seiten.
Bart und Stirnhaar zeigen ebenfalls Gravierung.
Ohne jede naturalistische Behandlung und trotz weitgehender
Stilisierung größte Natürlichkeit und Lebendigkeit, das ist
[25] *
die Ursache des Reizes, den das so anspruchslose Sujet der
Bronze ausübt. Die Linienftihrung ist noch eckig, die Detail-
ausführung etwas hart, aber das Motiv ist schon mit feiner
Beobachtungsgabe erfaßt. Danach gehört das Werk in die
erste Hälfte des fünften Jahrhunderts, an den Ausgang der
archaischen Kunst und ist vielleicht von jonischer Stilrichtung
beeinflußt. Ein stilistisch nahe verwandter stehender Bock
aus Bronze, gefimden im Val d'Aosta, befindet sich in der
Sammlung Warren ^), zu vergleichen ist ferner die etwas fort-
geschrittenere, aber viel rohere Terrakotte aus dem Kabirion*),
endlich ein bronzener Steinbock im museo civico von Triest
aus Pirano.
>) MiUeüung L. Pollaks. ») Inv. Nr. 10635.
[26]
JÜNGLING MIT DER STRIGILIS
Tafel 11
Früher Sammlung Rome. Burlington fine arts club 1904,
Taf. 50, B. 47. F. v. Duhn, Sitzungsber. d. Heidelb. Akad. d.
Wiss. Abt. 6, S. 9. Höhe 0,09.
Auf runder profilierter Basis steht fest auf beiden Sohlen,
das linke Spielbein nur etwas vorsetzend, ein nackter, athletisch
gebauter Jüngling, der sich mit einer Strigilis in der er-
hobenen Rechten den Rücken vom Staub der Palästra reinigt,
während der linke Arm untätig am Körper herabhängt. Der
alltägliche Vorgang ist in der denkbar einfachsten Form dar-
gestellt, ohne Pose, ohne starke Bewegung, im Vordergrund
steht vielmehr der in klaren harmonischen Linien aufgebaute
völlig ruhige Körper, während die Handlung gleichsam nur
als nebensächliche Zutat erscheint. Diese besondere Betonung
des formalen Elementes bei einem jugendlichen Athleten aus
der Mitte des fünften Jahrhunderts, welcher Zeit unsere Bronze
ihrem Stil nach angehört, weist von selbst auf Polyklet, und
ich möchte vermuten, daß wir es hier mit einer Nachbildung
[27]
seines Ton Plinius überlieferten ^se destriugens" zu tun haben.^)
Dem Motiv des Doryphoros und des Petworther Oeleingießers*)
stellt sich das unsrige seiner Auffassung nach als geistesver-
wandt zur Seite. Natürlich kann uns die Statuette nur einen sehr
allgemeinen Begriff von dem angenommenen Vorbild geben,
es ist eine dekorative etruskische Arbeit, wahrscheinlich die
Krönung eines Kandelabers oder der Deckelgriff von einem
Kessel. Daß der linke Arm sich so fest an den Körper an-
legt und der rechte Unterarm sich vom Oberarm nicht los-
löst, beruht nur auf technischen Bequemlichkeitsgründen, am
Original waren natürlich Ober- und Unterarm getrennt, und
damit wurde auch ein größerer Teil der Strigilis sichtbar,
die in der Vorderansicht der Statuette völlig verschwindet.
Der ganz bis zur rechten Seite hin gewandte Kopf ist etwas
zu plump geraten. Eine Statuette in dem gleichen Motiv be-
findet sich in Paris.')
*) Furtwängler, Meisterwerke, S. 471, glaubte dieses Werk in einer häufig auf Gemmen
vorkommertden Figur erhalten, doch stellt er Antike Oemmen zu Taf. 44, 18 fest, daß
vielmehr das Reinigen der Strigilis hier wiedergegeben sei. ') Furtwängler, Meisterwerke,
8. 464 ff. ») Bronces de la bibliothlque nationale Nr. 934.
[28]
MERKUR
Tafel 12—13
Aus der Forman Collection, Katalog Nr. 92. Höhe 0,23.
Der linke Arm mit Schulter und Stück des Rumpfes sowie
der Cadueeus sind modern ergänzt, die nicht zugehörige
bronzene Basis ist jetzt entfernt, die eingesetzten Augensterne
fehlen. Ein durch die Attribute, geflügelter Petasos, Plügel-
schuhe und Beutel, deutlich gekennzeichneter Merkur, dem der
Ergänzer mit voller Sicherheit das Kerykeion in die linke Hand
geben konnte.^) Daß nicht der griechische Hermes, sondern
der aus ihm abgeleitete römische Merkur gemeint ist, beweist
der Beutel, der bei jenem nicht nachzuweisen ist und wohl
erst von dem nüchtei'uer denkenden Römer dem Handelsgott
in die Hand gegeben wurde; die überaus zahlreichen, auch
in den römischen Provinzen sehr häufig gefundenen Merkur-
bronzen führen ihn neben Kerykeion, Plügelhut und Plügel-
schuhe beinahe als ständiges Attribut. Im Typus des Kopfes
sowohl wie des Körpers gehen die besseren dieser Statuetten
auf rein griechische Vorbilder zurück, die sie mehr oder minder
') Vielleicht war der linke Arm rem einer Chlamys bedeckt, so würde sich die Art
der Verletzung der linken Körperseite am ehesten erklären.
[29]
getreu wiedergeben, und zwar sind es entweder attische Werke
des beginnenden vierten Jahrhunderts^), die von ihnen be-
nutzt werden, oder Schöpfungen des Polyklet.*) Letzteres ist
bei unserer Bronze der Fall, die in Stellung, Proportionen,
Körperbildung, Gesichtstypus und Haarbehandlung augenfällig
polykletisch erscheint. Die Verwandtschaft mit dem Doryphoros
ist eine sehr nahe, aber ich vermute, daß unsere Figur nicht
einfach von diesem Kanon beeinflußt ist, sondern daß sie direkt
auf eine Hermesstatue des Polyklet zurückgeht, von der uns
die herrliche Bronze von Annecy eine noch klarere Vorstel-
lung vermitteln kann.') Flügelschuhe und Flttgelhut sind
außer dem Beutel römische Zutaten. Entsprechend seiner
Größe, die sich über das Maß der meisten Merkurstatuetten
bedeutend erhebt, ist auch die Ausführung unseres Stückes
eine für römische Kleinbronzon ungewöhnlich gute, die Körper-
modellierung zeigt große Feinheiten, und die Detailarbeit im
Gesicht und Haar ist mit viel Sorgfalt ausgeführt.
1) Furtwängler, Bonner Jahrbücher, Heft 90, S. 59. «) Furtwängler, Meisterwerke,
S. 425 ff. «) Arehäol. Jahrbuch 1909, S. 6.
[30]
MERKUR
Tafel 14
Höhe 0,12. Das Attribut der linken Hand, zweifellos ein
Kerykeion, fehlt jetzt. Durch die untere Spitze des Geld-
beutels ist ein rundes Loch gebohrt, in dem einst wohl eine
Quaste als Verzierung hing.
Auch dieser Statuette mit den römischen Zutaten von
Chlamys, flügellosem Hut, Flügelschuhen und Beutel liegt
eine polykletische Schöpfung zugrunde, doch ist sie viel
schematischer als bei der vorigen benutzt, nur die äußerlichen
Anhaltspunkte wie Schrittstellung, symmetrische Anordnung
P der Stirnlocken und Schichtung der Haare am Hinterkopf sind
betont, immerhin steht die saubere, sorgfältige Arbeit weit
über dem Durchschnitt der römischen Kleinbronzen.
[31]
WEIBLICHE GEWANDFIGUR MIT FÜLLHORN
Tafel 14
Höhe 0,143 mu Es fehlen die linke Hand, die Füllhorn-
spitze und das untere Ende des über den linken Arm fallenden
Gewandzipfels. Der rechte Unterarm ist stark nach unten
und einwärts verbogen. Die Figur war einst rollständig ver-
goldet, große Partien dieser Vergoldung sind noch gut er-
halten. Die eingesetzten Augensterne sind herausgefallen.
Stehende Frau im dorischen Peplos, mit Mäntelchen auf
linker Schulter und linkem Arm, Diadem im Haar und reich
mit Früchten gefülltem Füllhorn im linken Arm. Eine lange
Locke fällt auf jede Schulter, eine kleine ist vor den Ohren
sichtbar. Unklar ist das unversehrt erhaltene Attribut der
rechten Hand, das die Form zweier kurzer, oben zugespitzter
Stäbe, eines breiten und eines schmäleren, zeigt. Die Bronze
gehört der römischen Kaiserzeit an und enthält Reminiszenzen
aus verschiedenen früheren Kunstperioden. Das Gewand ist
im strengen Stil des 5. Jahrhunderts gehalten, der Kopf weist
ins 4. Jahrhundert, die überschlauke Körperbildung in helle-
nistische Zeit. Vermutlich stammt die Figur aus einem römi-
schen Hauslararium und gehörte zu den hier aufgestellten
Penatenstatuetten. Das Füllhorn charakterisiert allgemein die
Fülle und Segen spendende Gottheit, leider erlaubt das un-
deutliche Attribut der Rechten keine genauere Namengebung.
Die Ausführung ist sorgfältig, aber ziemlich trocken.
Früher Sammlung Hoffmann, Cat. 1888, Taf. 35.
\ 32 ]
NACKTER KRIEGER
Tafel 15
Aus Sammlung Lipperheide. Helbings Auktions-
katalog München 1910, Nr. 622. Höhe 0,153 m. Es fehlen
der linke Fuß, die linke Hand und der Schild, von dem
Reste am linken Arm erhalten sind, ferner die Pinger der
rechten Hand bis auf den Daumen.
Ein ruhig stehender nackter Jüngling im Helm mit Busch
und emporstehenden Backenklappen, der den Schild am linken
Arm trug und vielleicht einen Speer in der linken Hand
hielt. Die Rechte ist geöffnet zur Seite gestreckt, vermutlich
wird sie mit einer Schale zum Spenden zu ergänzen sein.
Ob Ares oder ein Heros dargestellt ist, läßt sich nicht ent-
scheiden. Die Ausführung der wohl provinzial - römischen
Bronze ist sehr roh, aber man ahnt noch, daß ein bedeutendes
Vorbild ihr zugrunde liegt. Eine großartige Einfachheit drückt
sich in Motiv, Linienführung und Körperbildung aus. Der
Bewegung des rechten Armes entspricht die Haltung des
Kopfes, dessen seitliche Wendung glücklich mit der Frontal-
ansicht des Rumpfes kontrastiert. Die breiten flächigen Körper-
formen sowie die Schrittstellung dürften am ersten an den
polykletischen Kunstkreis erinnern.
[33]
NACKTER JÜNGLING IN KAMPFSTELLUNG
Höhe 0,065. Die linke Hand, das Attribut der rechten, und
die Fußspitzen fehlen, am linken Unterbein ist ein Stück unter-
halb des Kjiies ergänzt.
Ein nackter Jüngling mit einer Binde im Haar in lebhafter,
nach oben gerichteter Bewegung. Beide Knie sind gebogen,
der rechte Fuß steht auf den Zehenspitzen, das linke Bein
ist weit nach auswärts auf eine Erhöhung gesetzt. Die ge-
senkte Rechte faßte das Schwert, dessen Griff noch vorhanden,
[34]
der erhobene linke Arm hielt den Schild. Auffallend ist
allerdings bei einem Krieger, wie wir uns die Statuette er-
gänzen, einmal das Fehlen des Helmes und auJ3erdem das
aufgebundene Glied. Der Kopf ist in den Nacken geworfen
und blickt aufwärts. Offenbar haben wir es hier mit dem
Teil einer Gruppe zu tun, der Jüngling rerteidigt sich gegen
einen auf höherem Terrain stehenden Gegner. Die Ausfüh-
rung der kleinen Figur ist im Detail nicht besonders sorg-
fältig, aber sehr reizYoll ist das stark bewegte Körpermotiv.
Nach der stilistischen Behandlung des Kopfes mit seinen
flächig gehaltenen Gesichtsformen und nach der Art, wie die
Binde angebracht ist, zu urteilen, gehört die Bronze noch an
das Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. und dazu stimmt auch,
daß die Figur nur auf die eine Seitenansicht berechnet ist,
in der sie gewissermaßen als Reliefarbeit wirkt.
[35]
LAR
Tafel 16
Aus der Forman CoUection Katalog Nr. 101. Reinacli,
Repertoire III, 143. 4. Höhe 0,17. Stark mit Oxydwncherungen
bedeckt. Die besonders gegossenen Arme fehlen jetzt.
Ein ausgezeichnetes Beispiel des bekannten römischen
Larentypus, ein beschuhter Jüngling im Tanzschritt das eine
Bein Torsetzond, während das andere auf den Zehen zurück-
steht, mit kurzer gegtirteter Tunika, die einen Brustausschnitt
freiläßt und infolge der Körperbewegung nach rückwärts flat-
tert. Der erhobene rechte Arm hielt ein Rhyton hoch empor,
der linke auf der vorgestreckten Hand eine Schale, die den
aus dem Hom herabfallenden Strahl aufnehmen sollte. Neben
diesen gemeinsamen Zügen zeigen die zahlreichen erhaltenen
Larenstatuetten in Einzelheiten allerlei kleine Unterschiede,
80 in der Gewandanordnung, indem z. B. meist der Gürtel über
der Tunika sichtbar wird, seltener wie bei unserer Bronze
unter dem Überfall sich verbirgt. Am stärksten weichen sie
aber in den Köpfen voneinander ab, sowohl in der Haltung
wie in der Gesichtsbildung wie in der Frisur; es scheint sich
hier kein fester Typus ausgebildet zu haben, sondern der
[36]
p
klassizistische Geschmack der Römer wählte nach Belieben
aus alten Vorbildern aus. Im vorliegenden Falle ist der leise
nach links gewendete Kopf im Stil des 5. Jahrhunderts ge-
halten. Die Haare, in denen eine schmale Binde mit drei
[37]
^■%
Blumenrosetten liegt, gehen oben auf dem Kopf noch alle
vom Wirbel aus, sie sind auf der Stirn in ganz symmetrischen
Locken angeordnet, wie wir es von polykletischen Köpfen
kennen, und fallen, das Gesicht einrahmend, über die Ohren
[38]
herab. Hinten wehen sie, wie das Gewand ron der Körper-
bewegung beeinflußt, in einem aus einzelnen Locken gebildeten
dicken Schopf nach rückwärts. Die Behandlung des flattern-
den Gewandes mit den schematisch geführten, wie erstarrte
[39]
Wellen wirkenden Faltenzügen ist so recht charakteristisch
für die klassizistische griechisch-römische Kunst des ersten
vor- und nachchristlichen Jahrhunderts, die Rückführung der
Larendarstellung auf einen griechischen Dionysostypus sehr
zweifelhaft^). Die Arbeit des Stückes ist von entzückender
Feinheit sowohl in den Schuhen als auch in den Gewand-
falten, vor allem aber im Gesicht und in den Haaren, bei
denen man sich an die besten originalgriechischen Bronzen
erinnert fühlt. Nur der schöne Lar des Berliner Museums"),
dem leider auch beide Arme fehlen, ist dem unsrigen wirk-
lich ebenbürtig, und dies hat seinen einfachen Grund darin,
daß er, wie ich an der Hand des mir vorliegenden Gips-
abgusses feststellen konnte, einst sein Gegenstück bildete,
also aus der Hand desselben, etwa der Zeit des Augustus
angehörenden Meisters, hervorgegangen ist Diese Laren bil-
deten bekanntlich immer ein im Gegensinne gearbeitetes Paar,
hier erhob das Berliner Exemplar den linken Arm, stellt
das linke Beta vor und wendet den Kopf zur Rechten. Ln
übrigen gleichen sich die beiden Bronzen in jedem Detail
aufs genaueste; auch die Art der Oxydierung ist dieselbe,
nur etwas besser erhalten ist der Berliner Lar, vor allem in
den Schuhen und den Haaren.
1) Wissowa, Annali deli 'Inst. 1883. S. 156 ff. und Boschers Myth. Lex II Sp. 1893.
') Hier im Texte witdergegeben nach Photographien, die der Freundlichkeit B. Zahns
verdankt werden.
[40]
STATUETTE DES POSEIDON
Tafel 17—18
Aus der Forman CoUection, Katalog Nr. 84, Taf. 6. Früher
in der Sammlung Fejervary-Pulszky. Abgebildet: C. de la
Chausse, Mus. Romanum I, 2 Taf. 14. Montfaucon, Ant. expl. I,
Taf. 29. 4. Mon. dell' Inst. 1854. Taf. 18. S. 89. Overbeck, Kunst-
[41] 6
mythologie IE Taf. II, 2. Reinach, Repertoire IT 28. 6. Röscher,
Mythol. Lexikon m S. 2892.
Höhe von Kopf bis Fuß 0,295; bis zu den Fingern der
erhobenen Linken 0,305. Es fehlen der Zeigefinger der linken
Hand und einige Blätter des Haarkranzes. Ergänzt sind der
rechte Fuß etwa von der Mitte des Schienbeines abwärts, der
linke vom Knöchel an. Der rechte Arm war oberhalb des
Biceps abgebrochen und ist mittels zweier modemer Meten
wieder angefügt, wobei ein ringsumlaufender schmaler Streifen
eingelegt wurde. Die Bronze muß mit Säure gründlich von
Oxydwucherungen gereinigt worden sein, das zeigt die tief-
rote Färbung der Partien, an denen die Oberfläche zerstört
ist, die, wo sie gut erhalten, eine schöne schwarzgrüne Patina
aufweist. Stärkere Beschädigungen hat die Rückseite erlitten,
hier sind neben der rechten Hüfte und unter dem rechten
Glutäus zwei ziemlich umfangreiche Löcher modern ausgefüllt.
Der nackte bärtige Gott ist der Beherrscher des Meeres
Poseidon, so kennzeichnet ihn, wenn auch Attribute jetzt
fehlen, noch der Schilfkranz im Haar, von dem ein Bronze-
blatt über dem linken Ohr sich erhalten hat, während die
übrigen Blätter, die besonders eingesetzt und nach älteren
Mitteilungen^) aus Silber waren, verloren gegangen sind. Da-
nach ist das Attribut in der Linken sicher ein Dreizack
gewesen, den der Gott aufstützte^). Der rechte Arm ist leicht
nach vorne erhoben mit einer leisen Seitwärtsbewegung, die
1) E. Braun, Mon. delV Inst. 1854. S. 89. ^) In der Hand ist noch die Einbettung
des runden Schaftes sichtbar, an dem der jetzt fehlende Zeigefinger ausgestreckt anlag.
[42]
nach unten geöffnete Hand ist leer^). Der Richtung dieses
Armes folgt der Blick des nach rechts gewandten, ganz wenig
zurückgelegten Kopfes. Der Körper ist in voller Vorderansicht
gegeben, sein Gewicht ruht auf dem rechten Bein, während
das linke zurück und etwas zur Seite gestellt ist, nur mit
Zehen und Ballen auftretend.
Ein ungemein reizvoller Kontrast von Ruhe und Bewegung
lebt in der Statuette, fest steht das rechte Bein und fest stützt
sich der linke Arm auf, graziös tritt der linke Fuß zurück
und voll verhaltener Bewegung ist der scheinbar untätige
rechte Arm. Auch im Kopf glaubt man diesen Gegensatz
sich fortsetzen zu sehen, dem unruhigen gelockerten Haupt-
haar steht die festgefügte Masse des Bartes gegenüber, aber
die Kopfhaltung und das lebhafte Mienenspiel entscheiden
doch für das Dominieren der Bewegung in dem ganzen Kunst-
werk, die sich auch in der Ausbiegung der rechten Hüfte
ausdrückt.
So gesellt sich in der "Wirkung der Figur zu der göttlichen
Majestät, die in der imponierenden Haltung zur Schau tritt,
und der Kraft, die der muskulöse Körperbau verrät, eine
nervöse Unruhe, die in dem Körper zu pulsieren scheint und
deren Hauptträger Kopf und rechter Arm sind. Das Gesicht^
hat trotz der es umrahmenden auf- und niederflutenden Haare,
der reich gegliederten Stirn, der beschatteten Augen und des
leicht aufgeworfenen Mundes keinen pathetisch erregten, son-
dern nur einen unsteten Ausdruck, der schnell wechselnde
*) Das im Handinnem befindliche Loch ist eine zufällige Verletzung.
[43]
Stimmungen widerspiegelt. Äußerst charakteristisch ist die
Haltung des rechten Armes. Mit Unrecht hat man rermutet,
die Hand ruhe auf etwas auf, etwa auf dem Schwanz eines
Delphines^), aber auch der schon geäußerte Gedanke, daß in
der Handhaltung sich der Wunsch nach Ruhe ausdrücke*),
scheint mir verfehlt. Im Gegenteil, wie im Gesicht ist auch
hier nicht Ermüdung, sondern Unruhe verkörpert, die im ganzen
Arm und in der Hand bis in die Fingerspitzen hinein zu
vibrieren scheint; meisterhaft geben dies Drehung des Unter-
armes und Krümmung der Finger wieder.
Was der Künstler hat ausdrücken wollen, ist klar; mit
dem Beherrscher des Meeres, dem der Dreizack eigen ist, zu-
gleich den Charakter des Elementes, und der konnte nicht ein-
facher und erschöpfender erfaßt werden, als in seiner Grimd-
eigenschaft — , der ewigen Unruhe, die in Meeresstille und
Meerestoben sich nur verschieden potenziert äußert. Es ist
eine Charakterisierung, die hinausgeht über die rein äußer-
liche nur auf Attributen beruhende des älteren bis ins vierte
Jahrhundert herrschenden Poseidonideals, aber anderseits
noch nicht mit den effektvollen Mitteln der hellenistischen
Zeit arbeitet, die den Meergott gerne in großartiger Pose und
mit pathetischem Gesichtsausdruck darstellt.
Es muß ein großer Meister des 4 Jahrhunderts gewesen
sein, dem wir die wundervolle Schöpfung, die unserer Bronze
zugrunde liegt, verdanken, und sehr glücklich hat man sie
1) Brunn, Ann. deW Inst. 1857 S. 189. Overbeck, Kunstmythologie II S. 286.
') Braun a. a. O.
[44]
mit L y 8 i p p in "Verbindung gebracht, allerdings mit der nach
meiner Ansicht verfehlten Einschränkung, daß in ihr eine
hellenistische Fortbildung seines Poseidons vorliege, in der
die lysippische Formensprache vergröbert sei^). Letztere Be-
hauptung, die vielleicht der in falscher Ansicht und über-
trieben greller Beleuchtung wiedergegebenen Abbildung des
Forman CoUection-Katalogs gegenüber verständlich ist, muß
angesichts des Origüials ganz entschieden bestritten werden.
Die Figur ist vielmehr vom Scheitel bis zur Sohle echt ly-
sippisch, in Ponderation, in den Proportionen, in der Behand-
lung der EinaeKormen und in der Gesamtauffassung. Ein
schlanker Körper mit langen Armen und Beinen und kleinem
Kopf, die Muskulatur ganz dem Apoxyomenos entsprechend
und nirgends übertriebene Formen, wie sie der sog. Thermen-
diadoche, der wirklich eine Yergröberung lysippischer Kunst
darstellt, zeigt. Vor allem aber liegt eine durchaus ly sippische
Stimmung über dem Kunstwerk, die in der schon näher zer-
gliederten den Körper beherrschenden inneren Unruhe ihren
Ausdruck findet und diese zum eigentlichen Träger des Meer-
gottideals macht. Die Unruhe gipfelt in dem prachtvollen
Kopf, der trotz diskreter äußerlicher Charakterisierung — das
Haar hat nichts Theatralisches, wie man wohl gemeint hat —
eine Ahnung gewährt von der packenden Wirkung lysippi-
schen Temperaments^). Alles in allem nach Form und Inhalt
•) H. Bulle in seinem vortrefflichen Artikel Poseidon: Boscher, Myth. Lexikon III,
S. 2893. ^) Bulle a. a. 0. S. 3892 führt einen Marmorkopf des Museo Chiaramonti (Ame-
lung, Vatikan I, Nr. 607), der wie er richtig betont, in sehr engem Zusammenhang mit
unserer Bronze steht, auf einen Poseidon des Lysipp zurück. Die lysippischen Elemente
[45]
ein Poseidon des Lysipp ^), bei dem allerdings begreiflich ist,
wenn er, wie überhaupt die Werke des Lysipp, einen gewal-
tigen Einfluß auf die hellenistische Kunst ausgeübt hat.
Es ist nicht ohne Interesse, unsere Statuette mit der schönen
Poseidonbronze von Dodona im Berliner Museum*) zu ver-
gleichen, die ihr in den Maßen beinahe gleichkommt und von
den Herausgebern ebenfalls dem lysippischen Kunstkreis zu-
geteilt wird. Sehr wahrscheinlich hat Lysipp mehr als einen
Poseidon geschaffen und verschiedene Auffassungen vom
Wesen dieses Gottes verkörpert, so daß an sich nichts im
Wege stände, auch das Original der Dodonabronze, das ge-
wiß in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts entstanden ist,
ihm zuzuschreiben. Für mein Empfinden liegt aber nicht nur
in den Proportionen, die gedrungener sind als die unserer
Statuette, sondern auch in der geringeren Elastizität des Kör-
pers, in der mehr konventionellen Haltung der Arme, vor
allem aber im Kopf etwas Unlysippisches. Ihm fehlt ganz die
nervöse Unruhe, die für diesen Meister so charakteristisch ist,
sind auch in dem vatikanischen Kopf ganz unverkennbar, nur glaube ich, daß sie in
dem Kopf unserer Bronze noch reiner vorhanden sind, und daß nicht dieser von jenem
abhängig ist, wie Bulle meint, sondern umgekehrt. Der Marmorkopf drückt Abspannung
und Mißmut aus, das welke Fleisch verrät einen alternden Mann. Ich glaube, daß wir
nicht berechtigt sind, weder diese realistische Charakterisierung, die den Kopf porträt-
artig wirken läßt, noch jene allzu nüchterne Alltags-Stimmungsmalerei bei lyppischen
Oöttertypen vorauszusetzen. Der Kopf unserer Bronze scheint mir hier in einen haus-
backenen Stil übersetzt, das Niveau irdischer — Bulle spricht von einem verwitterten
Seebären — geworden tu sein. Ich kann mir schwer einen lysippischen Poseidonkörper
%u diesem zwar individuellen aber wenig schwunghaften Kopf vorstellen. *) Die Be-
ziehung des Poseidon mit dem aufgestützten Fuß im Lateran auf Lysipp, die Konrad
Lange (Das Motiv des aufgestützten Fußes in der antiken Kunst S. 37 ff.) konstruierte,
ist mit guten Gründen schon von Bulle (a. a. 0. S. 2891) und Six (Ärchäol. Jahrb. 1909
S. 24) zurückgewiesen worden. ') Bronzen aus Dodona in den Kgl. Museen zu Berlin
Taf. 4. 5, S. 24.
[46]
er fußt eher auf Werken wie dem Asklepios von Melos, dem
mit diesem zusammengestellten Bostoner Zeuskopf ^) und den
von Amelung'') auf Bryaxis bezogenen Werken. Daß lysippi-
sche Kunst auf Stellung und Muskulatur eingewirkt haben,
will ich dabei nicht leugnen, aber sie ist ein äußerlicher
Faktor, nicht wie bei unserer Bronze die Grundlage des
Kunstwerkes.
V Brunn • Bruckmann, Denkmäler griech. u. röm. Skulptur Taf. 572. 573. *) Revue
arcMol. 1903, II, 8. 177 ff., Ausonia III, 8. 115 ff.
[47]
KOPFFRAGMENT
Tafel 19
Aus Rom. Höhe 0,17, Breite 0,225. Erhalten ist nur die
hohlgegossene linke obere Gesichtspartie eines überlebens-
großen männlichen Kopfes mit den Resten eines Helmes über
dem in einzelnen kleinen Löckchen aufstrebenden Haar. Die
Form des Helmes scheint eine ungewöhnliche gewesen zu sein.
Der diademartige vordere Rand, von dem eine jetzt nur noch
in Resten erhaltene aufrechtstehende Backenklappe ausgeht,
ist durch eine Einkehlung mit der Kappe, die noch im Ansatz
vorhanden ist, verbunden. Hinter dem Ohr wird ein Nacken-
schirm sichtbar.
Aus diesem kleinen Rest eines wohl zwecks metallgieriger
Einschmelzung gewaltsam zerschlagenen Bronzewerkes spricht
noch eine große künstlerische Meisterschaft. Wundervoll ist
die Modellierung von Stirn, Brauenbogen, Schläfe und Wangen-
rest, ihr ebenbürtig die Arbeit des Haares, bei dem die ein-
zelnen Locken, wie vom Sturme gesträubt und ineinander-
gewühlt, in lebendigstem Spiel gebildet sind. Man ahnt die
Leidenschaft die diesen Krieger, den wir uns nach dem
[48]
Nackenansatz mit Torgestrecktem Kopf im Kampf begriffen
denken dürfen, durchtobte. Es ist schwer aus dem wenigen
Erhaltenen auf Stil und Zeit zu schließen, der hellenistischen
Epoche möchte man am liebsten das "Werk zuschreiben, der
schöne Kentaurenkopf in Speier ^) scheint mir in der Behand-
lung der Haare nächstverwandt zu sein.
*) Furtwängler, Bonner Jahrbücher Heft 93 Taf. 6.
[49]
ALEXANDER
Tafel 20
Aus Sammlung Lipperheide. Helbings Auktionskatalog
1910 Nr. 624. Höhe 0,174 Mit Säure gereinigt. Es fehlen
der linke Fuß ganz, das Vorderteil des rechten, der Zeige-
finger und das Attribut der rechten Hand.
Ein nackter Krieger mit korinthischem Helm, im linken
Arm das in der Scheide steckende Schwert haltend, mit der
hoch erhobenen Rechten die jetzt fehlende Lanze aufstützend.
Er setzt das linke Spielbein weit zurück und wendet den
Kopf zur linken Seite. Es ist eine römische Bronze Ton
ziemlich derber Ausführung, bei welcher der Hauptnachdruck
auf der starken Betonung der Muskulatur liegt, aber das groß-
artige Motiv verrät eine ältere Quelle. Es muß ein hervor-
ragendes Werk hellenistischer Kirnst als Yorbild benutzt
worden sein, wie ich vermute eine Statue Alexanders des
Großen, denn auf ihn scheinen mir die Gesichtszüge deutlich
hinzuweisen. Auch die Form des Helmes, der in seiner unteren
Partie mit den seitlichen Palten an die makedonische Kausea
[50]
erinnert, würde hierfür sprechen. An einen römischen Mars
zu denken liegt kein Grund Tor, die geläufigen Typen des-
selben sind ganz anderer Art^). Die Art der Haarbehand-
lung, die korkzieher artig neben den Wangen und in den
I^acken herabfallenden langen Locken haben ihre nächste
Parallele an dem großartigen Alexanderkopf aus Kos in
Konstantinopel "), dessen Helm am besten nach unserer Bronze
ergänzt würde.
*) tfber diese zuletzt Studniczka in den Rom. Mitt. 1910, S. 42ff. Die von Dilthey
in den Bonner Jahrbüchern Bd. 53, 54, Taf. 1 — 11, 8. 1 ff', auf Mars gedeuteten Bronzen
sind wohl eher Heroendarstellungen. ') Ärchäol. Anzeiger 1905, S. 10.
[51]
RINGERGRUPPE
Tafel 21
Aus der Forman CoUection, Katalog I^'r. 95. Höhe 0,165 m.
Zwei nackte Männer Ton athletischem Körperbau, der eine
bärtig, der andere unbärtig, sind im Eingkampf Terschlungen,
der aber bereits entschieden scheint, da der jüngere vollständig
in der Gewalt seines Gegners ist. Dieser steht aufrecht hinter
ihm und drückt ihn, nachdem er ihm seine beiden Arme nach
rückwärts gebogen und auf diese Weise aktionsunfähig gemacht
hat, mit der linken Hand im Genick zu Boden. Außerdem
hat er sein rechtes Bein vor das des Unterliegenden gestellt,
der nur noch mit seinem linken Fuß einen wirklichen Halt
am Boden findet.
Mir sind noch fünf weitere Wiederholungen der Gruppe
bekannt, im British Museum^), im Bonner Kunstmuseum^),
in der Sammlung de Clercq*), in der Sammlung Warrocquö*),
endlich eine fünfte, die ich nur aus Photographien kenne,
deren Aufenthaltsort ich aber nicht weiß. Es sind alles eben-
falls Kleinbronzen, die aber sämtlich in einem Detail von
unserm Exemplar abweichen, nämlich darin, daß der Sieger
nicht nur mit einem sondern mit seinen beiden Beinen vor
') Joum. of. hell. Stud. 1905, Taf. XI, b. S. 288. ») Aus Vienne stammend. Höhe
19^1^ cm. ») CoUection de Clercq III, Nr. 353, Taf. 41. Höhe 14 cm. *) CoUection Raotd
Warrocque 1909, Nr. 270.
[52]
dem rechten Bein des Unterliegenden steht und dieses mit
der linken Ferse nach hinten hinausdrtickt, eine Stellung,
durch welche die Gesamtkomposition sehr an Lebendigkeit
gewinnt, und die sieher die ursprüngliche war.
Außer dieser direkten Wiederholungen muß hier noch
einer nahe yerwandten Schöpfung gedacht werden, gleich-
falls einer Ringergruppe, die in fünf antiken Bronzekopien
erhalten ist^). Der Sieger steht auch hier aufrecht im Rücken
seines Gegners, biegt dessen rechten Arm zurück und drückt
seinen Kopf herunter. Ein wesentlicher Unterschied besteht
nur darin, daß der Unterliegende seinen linken Arm noch
frei hat und ihn sowie das rechte Knie am Boden aufstützt.
Ebenso wie diese Gruppe, wenn auch in einem Exemplar
der Sieger als Hermes, in einem andern als Herakles charak-
terisiert ist, nur als allgemeine Verherrlichung des Ring-
kampfes aufgefaßt werden darf, so auch die unsrige, die sehr
mit Unrecht, wohl weil der bärtige Kopf einem geläufigen
Heraklestypus nahesteht, vielfach als Herakles und Antaios
gedeutet wird. Hiergegen spricht vor allem, daß während
der Sage nach Herakles bestrebt sein muß, den Antaios von
der Erde fernzuhalten, hier umgekehrt der Unterliegende zu
Boden gedrückt wird.
1) a. Florenz. Gall. di Firenze III, Taf. 123,2. Reinach, Rep.II, S.Ö38,5. h. Peters-
burg. Compte rendu 1867, Taf. 1, S. 5. Reinach, Bep. II, S. 538, 1 u. 3. Journ. o/hell.
Stud. 1905, S. 290, Fig. So. Bei diesem Exemplar sind die Arme des Siegers in der Hand-
lung vertauscht, c. Konstantinopel. Archäol. Jahrb. 1898, Taf. 11, S. ITT. Revue
archeol.l899,II,Taf.l8. d. Louvre. Reinach, Rep.II, S. 234, 2. e. British Musetim.
Cot. of Bronzes 853, Taf. 27. Vgl. zu dieser Gruppe außerdem Petersen, Rom. Mitt.
1900, S. 158 u. Klein, Kunstgeschichte III, S. 309, der unbegreiflicherweise das Londoner
Exemplar für archaisch erklärt, während es provinzial-römisch wie die übrigen ist.
[53]
Die Frage nach der kunstgeschichtlichen Stellung beider
auch stilistisch nahe zusammengehöriger Gruppen ist nicht
leicht zu beantworten. Daß sie in so vielen Wiederholungen
erhalten sind, spricht für ihre Beliebtheit, daß durchweg alle
Exemplare eine sehr derbe, vielfach sogar rohe Ausführung
zeigen, dafür, daß sie als Dutzendware weit verbreitet waren,
wozu auch stimmt, daß die Fundorte, soweit sie bekannt sind,
an den „Rändern des römischen Reiches" liegen. Anderseits
können nicht beide Schöpfungen als selbständige künstlerische
Leistungen gelten, dafür sind sie im Motiv zu sehr voneinander
abhängig. Auch ist, strenge beurteilt, die Komposition eigent-
lich kein Meisterwerk, die Gruppe fällt entsprechend dem
schon entschiedenen Kampfe auch formell auseinander und
wirkt trotz starker Betonung aller Kräfteanspannung nicht
entfernt so packend wie das berühmte Florentiner Ringer-
paar.^) Man kann vielleicht vermuten, daß ein Künstler römi-
scher Zeit in Anlehnung an jenes herrliche Werk hellenisti-
scher Kunst*) eine Gruppe geschaffen hat, die einen Ringersieg
darstellen sollte, und daß diese uns in zwei Fassungen vor-
liegt, von denen jede wieder variiert worden ist. Die relativ
glücklichste Lösung scheint mir jene in fünf Exemplaren
erhaltene Komposition zu sein, von der unsere Bronze in der
Beinstellung des Siegers abweicht, die Beliebtheit der Gruppen
ist aber wohl eher auf Rechnung des Sujets als auf die der
künstlerischen Leistung zu setzen.
V Brunn-Bruckmann, Denkmäler Taf. 431. Amelung, Führer durch Florenz, S. 4S.
*) Löwy, Rom. Mut. 1900, S. 159 Anm. 1, u. Die griech. Plastik, 8. 119.
[54]
DIONYSOS UND SATYR
Tafel 22
Aus der Forman CoUection. Katalog Nr. 107, Taf. 7.
Reinach, Repertoire m, 35. 7. Höhe 0,18.
Der ruhig stehende Dionysos ist zu einer Gruppe yer-
bunden mit einem kleinen weitausschreitenden Satyr, auf
dessen rechte Schulter er seinen linken Unterarm stützt. Der
Gott trägt Stiefel an den Füßen, die Nebris über dem linken
Arm, neben ihm steht eine Amphora. Er hebt seinen rechten
Arm und legt die Hand auf seinen efeubekränzten Kopf, an
dem auf der Stirn zwei kurze Stierhörner herrorsprießen.
Seine linke Hand hält ein Trinkhorn. Der Satyr, ebenfalls
mit kurzen Stierhörnern und Zotteln am Hals, stützt mit der
Linken einen Knotenstock auf und legt die Rechte hinten auf
den Oberschenkel des Dionysos, den er zum Weitergehen
veranlassen zu wollen scheint.
Die Yereinigung des Dionysos mit dem Satyr in einer
rundplastischen Gruppe scheint der frühhellenistischen Kunst
zu entstammen, in der überhaupt zum erstenmal enger ge-
schlossene Figurenverbindungen auftreten. Ein schönes Marmor-
[55]
werk in Florenz ^) zeigt uns den Weingott auf seinen Diener
gestützt, eine wunderyolle Komposition, der gegenüber unsere
Gruppe, die das gleiche Thema behandelt, unleugbar einen
Rückschritt bedeutet. Sie ist eine echt römische Lösung,
zwei Figuren sind ganz äußerlich miteinander rerbunden, und
zwar ist für den Dionysos der bekannte Typus des ApoUon
Lykeios gewählt. Auch diese römische Gruppe muß übrigens
sich großer Beliebtheit erfreut haben, sie ist noch in vielen
Marmorwiederholungon erhalten*), in denen der Dionysos
ziemlich unverändert erscheint, der Satyr dagegen variiert
wird. Bemerkenswert ist, daß auch unsere Bronze nach einem
Marmorvorbild kopiert zu sein scheint, da bei diesem sowohl
die Stütze zwischen dem linken Bein des Satyrs und seinem
Stock wie auch die Amphora neben dem Dionysos sich aus
technischen Gründen erklären, die für den Bronzeguß weg-
fallen. Das "Werk etwa nicht für antik zu halten, scheint
mir nach dem äußeren Zustand keine Berechtigung vor-
zuliegen.
*) Brunn-Brucktnann, Taf. 620.
*) Aufgeführt von P. Arndt, ebenda. Es fehlt in der Liste die ahozzierte Gruppe
des Athener Museums (Ephemeris 1888, Taf. 1) deren Motiv, das mit dem des venetiani-
tchen Stückes (Arndt, Fig. 4) nahe zusammengeht, mir das verhältnismäßig geschlossenste
und wirkungsvollste zu sein scheint. Benutzt ist die gleiche Komposition auch in einer
Marmorgruppe aus Pavlikeni in Bulgarien, die noch teeitere Figuren des bacchischen
Thiasos hinzufügt (Filow, Mitteil. d. bulgar. archäol. Oes. III 1912, S. 28, Fig. 23).
[56]
PARISBÜSTE
Tafel 23
Angeblich aus Kleinasien. Höhe 0,125 m.
Vor einer kreisrunden, hinten ausgehöhlten Scheibe als
Hintergrund springen Brust, Schulter und Hals eines Jüng-
lings in Relief, sein Kopf und rechter Arm in voller Rundung
vor. Er trägt asiatische Kleidung, den langärmeligen, am Hand-
gelenk einen "Wulst bildenden Chiton, eine auf der rechten
Schulter geknüpfte Chlamys und die sog. phrygische Mütze
mit lose herabhängenden Seitenlaschen. Diese Kopfbedeckung
ist, nach den besonders eingesetzten KJiöpfen zu schließen,
aus Leder zu denken und wird durch eine über die Stirne
laufende, in der Mitte mit einem Kupferstreifen eingelegte
Binde auf dem lang herabfallenden lockigen Haupthaar zu-
sammengehalten. Der Kopf ist stark zur linken Seite gedreht
und leicht aufwärts gerichtet, der rechte Unterarm greift, die
Brust überschneidend, zur linken Halsseite empor, wo die
Hand in eigenartiger Fingerhaltung mit der Chlamys ver-
bunden ist. Daumen und Zeigefinger sind ausgestreckt, und
letzterer ist durch eine vom Gewand ausgehende schmale
[67] 8
Bandschlinge gesteckt, wohl nur um der Hand einen Halt
zu geben.
Die Bronze ist der dekorative Schmuckteil eines größeren
Möbels, vielleicht eines Ruhelagers, an denen derartige runde
Scheiben mit vorspringenden Köpfen mehrfach erhalten sind.
Bewundernswert ist es, mit welchem Geschick die Büste in
das Rund hineinkomponiert ist, so daß einerseits der Zu-
sammenhang mit dem Hintergrund und damit der dekorative
und tektonische Charakter vollkommen deutlich ist, ander-
seits das Motiv der Figur, obwohl diese nur im Ausschnitt
gegeben ist, ganz geschlossen und äußerst lebendig wirkt,
wozu in erster Linie der völlig in Rundplastik gebildete eine
Arm unter Weglassung des andern beiträgt.
Für die Benennung der Bronze kommen Paris und Attis
in Betracht, doch scheint mir die Deutung auf ersteren vor-
zuziehen schon des leidenschaftlichen Gesichtsausdrucks wegen,
an dessen Stelle bei Attis meist resignierte Traurigkeit zu
finden ist. Auch eignet sich das Bild des feurigen Lieb-
habers der Helena trefflich zum Schmuck einer Kline.
Die Bronze ist eine römische Arbeit, man möchte sie nach
ihrer für ein dekoratives Glied wirklich vortrefflichen Arbeit,
die dem schönen Thema in jeder Weise gerecht wird, gerne
in die frühe Kaiserzeit setzen, der dem Kopf zugrunde liegende
Typus ist aber der griechischen Kunst vom Ende des 4. Jahr-
hunderts entlehnt, und zwar scheinen mir die Köpfe auf dem
Alexandersarkophag in Konstantinopel die nächste stilistische
Parallele darzubieten.
[58]
FLIEGENDER EROS
Tafel 24
Aus der Forman CoUection. Katalog Nr. 116, Taf. 8.
Höhe 0,413.
Der hohlgegossenen Bronze fehlen der linfee Fuß, der
rechte Arm und Fingerteile der linken Hand. Auf dem
Wirbel finden sieh Reste eines starken Eisenstiftes, an beiden
Schulterblättern erkennt man in schwachen, vertieften Um-
rissen die Ansatzspuren von Flügela, die auf der glatten
Fläche angelötet gewesen sein müssen und abgefallen sind.
[59]
;^08 ist in Flugbewegung dargestellt, nur mit den Zehen-
spitzen des rechten Fußes den Boden berührend, das linke
Bein nach hinten hinausstreckend. Der Körper ist ein wenig
vornüber geneigt, der linke Arm gehoben vorwärtsgestreckt,
der rechte ging zurück und war vermutlich gesenkt. Die
Haare stud hinten lang gelockt, über der Stirmnitte ist mit
einer Binde ein kleiner Schopf hochgebunden, Einzellöckchen
fallen in die Stirn und vor den Ohren herab. Die Augäpfel
sittd in Silber eingelegt.
Die hellenistische Zeit hat den Jüngling Eros zum Knaben
umgewandelt, ihre Poesie und Kunst aus dem die Liebes-
sehnsucht verkörpernden Gott den schalkhaften übermütigen
Gesellen gemacht, der loser Streiche und Schelmereien voll
ist. Unsere Bronze ist ein vortrefflicher Vertreter dieser
Richtung. Die runden, fettgepolsterten Kinderformen sind
der Wirklichkeit entsprechend wiedergegeben, das Gesicht
mit dem geöffneten Munde hat einen lachenden Ausdruck,
die Haare sind nach Knabenart frisiert. Fackel und Bogen
werden in dieser Zeit zu den geläufigsten Attributen des
Kleinen, und erstere werden wir wohl auch hier in der linken
vorgestreckten Hand annehmen dürfen.
Die Ausführung der Bronze ist nicht besonders fein, vor
allem in der Körperdurchbildung, es ist eine dekorative römi-
sche Arbeit, der es vor allem auf das reizvolle Motiv ankam
und die vielleicht als wirklicher Fackelträger praktischen
Zwecken diente.^)
1) Vgl. Burlington Cluh. Exhibition 1904. Taf. 29.
[60]
EROT MIT WEINTRAUBEN
Aus Sammlung Sarti. Auktionskatalog Rom 1906, Nr. 47,
Taf. 7. Höhe 0,07.
Der linke Arm, der rechte Flügel und die Spitze des
linken fehlen. Auf der Rückseite ist die Bronze durch Oxy-
dierung stark mitgenommen. Ein kleiner vorwärtsschreitender
Eros mit ausgebreiteten Flügeln trägt in beiden Händen yor
sich her einen Korb, aus dessen Innern über den Rand eine
Fülle von Weintrauben quillt. Spuren der fehlenden linken
Hand sind am Korbe sichtbar. Es ist ein entzückendes Figür-
chen, das, auf die verschiedensten Ansichten berechnet, von
allen Seiten außerordentlich lebendig und anmutig wirkt.
Die rundlichen Formen des Kinderkörpers sind diskret an-
[61]
gedeutet, am feinsten ist das pausbackige Gesicht mit dem
schalkhaften Ausdruck geraten. Yortrefflich ist auch die
Arbeit der Haare. Der Typus ist eine der vielen liebens-
würdigen Schöpfungen hellenistischer Kunst auf dem Gebiete
des Genres, die im kaiserlichen Bom befruchtend weiter-
wirkten.
[62]
APHRODITE MIT ZWEI EROTEN
Tafel 25
Aus der Forman CoUection. Katalog ISTr. 103. Höhe 0,24.
Ergänzt sind der rechte Yordere Fuß des Untersatzes
sowie Füße und Basis des linken Eroten, die rechte Hand
des rechten Eroten fehlt, der Bogen in der Hand des andern
ist unYoUständig. Ob das Oanze ursprünglich zusammen-
gehörte, ist zweifelhaft, da jetzt alle drei Figuren modern
auf dem Untersatz befestigt sind. Beim rechten Eroten zeigt
die Oberfläche der Bronze einen andern Charakter als an
den übrigen Teilen.
Auf einem dreifüßigen, halbrunden Untersatz mit einem
halbkreisförmigen Ausschnitt auf der Vorderseite, zu dem
vier niedrige Stufen hinaufführen, und zwar die beiden
unteren vor dem Sockel vorspringend, steht im Hintergrund
eine nackte Aphrodite, vorne beiderseits ein kleiner Erot.
Die Göttin trägt ein hohes, blätterförmig gezacktes Diadem,
einen Kranz in der Rechten und einen Apfel in der erhobenen
Linken. Der rechte Erot hält ihr einen aufgeklappten Spiegel
entgegen, auf den aber ihr seitwärts in die Ferne gerichteter
Blick nicht fällt, der linke Erot mit dem Köcher auf dem
[63]
Rücken schießt einen Pfeil ab, auch er im Dienste der
Aphrodite.
Ein äußeres Indizium, die Form des Nackenschopfes der
Göttin, weist die Bronze in das erste nachchristliche Jahr-
hundert, in claudische Zeit, der Typus der Aphrodite ist älter,
er geht auf eine der zahlreichen Schöpfungen des hellenisti-
schen Ostens zurück, bei denen der Nachdruck auf starker
weiblicher Körperfülle lag und die in römischer Zeit durch
Attribute unendlich variiert wurden^). Die Ausführung der
hohl gegossenen Bronze ist wenn auch nicht fein so doch
sorgfältig, die Modellierung des weiblichen Körpers verrät
eine geschulte Hand.
Die eigenartige Form des Untersatzes ist römisch und
gerade für Aphroditebronzen in Verbindung mit Eroten ge-
läufig*). Man hat mit Unrecht dabei an den Rand eines
Badebassins gedacht'), aber ebenso unzutreffend ist die Be-
zeichnung Lararium oder Teil eines Larariums*), es ist nichts
weiter als eine besonders gestaltete Basis, von der allerlei
kleine Varianten vorkommen'').
*) Vgl. vor alletn die Bronzen der Sammlung de Clercq ttnd der Bihliothique nationale.
*) Babelon et Blanchet, Bronzes de la Bibliotheque nationale Nr. 249 u. 250. ') ebenda.
*) Collection de Clercq III (Bronzes) No. 328. The Forman Collection, Catalogue Nr. 103.
») Collection de Clercq Nr. 43, Taf. 8; Nr. 113, Taf. 24; Nr. 133, Taf. 29.
[64]
APHRODITE
Tafel 26
Aus der Forman Collection. Katalog Nr. 90. Höhe 0,28
mit Basis 0,335.
Die Befestigung der Figur auf der sechseckigen Basis
ist modern, nach dem Aussehn der Oberfläche gehörten beide
aber ursprünglich zusammen, Neu sind auch die beiden Löcher
in der rechten Hand.
Die nackte Göttin mit großem, oben in fünf gezackte
Blätter auslaufenden Diadem auf dem wohlfrisierten Haar
ist mit ihrer Körperpflege beschäftigt, das beweist der auf
der vorgestreckten linken Hand liegende runde flache Gegen-
stand, der nichts anderes als ein Stück Schminke sein kann.
Von dem Attribut der erhobenen rechten Hand, wohl irgend-
einem andern Toilettengegenstand, sind nur geringe Spuren
an Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger erhalten.
Die Bronze gehört ihrer Ausführung nach, die ziemlich
derb ist und in der Behandlung der Formen sich wenig auf
Details einläßt, in die frühe römische Kaiserzeit, zugrunde
liegt ihr der Typus des fetten weiblichen Körpers, den die
hellenistische Kunst aus Werken des 4. Jahrhunderts ent-
wickelte. Er war besonders tu Syrien und Ägypten beliebt
und hat später die Provinzialkunst des römischen Reiches
stark beschäftigt.
165]
NACKTER MANN MIT KREISEL
Tafel 27
Aus der Forman CoUection, Katalog Nr. 99. Höhe 0,335.
Der linke Arm war abgebrochen und ist wieder angesetzt,
die jetzt leere linke Hand wird nach der Fingerhaltung zu
schließen ein stabartiges Attribut gehalten haben.
Die Figur steht breitbeinig, mit rechtem Spielbein, auf
beiden Sohlen auf. Die linke Hüfte ist stark nach auswärts
gebogen, der linke Unterarm leicht vorgestreckt, der rechte
Unterarm erhoben. Die rechte Hand hält einen kegelförmigen
Gegenstand mit der Spitze nach unten, der kaum etwas an-
ders sein kann als ein Kreisel, den die drei Finger fassen,
um ihn in rotierender Bewegung auf den Boden zu schnellen,
wo ihn dann die in der Linken vorauszusetzende Peitsche
weiter antreiben wird. Daß in der antiken Welt auch Er-
wachsene sich mit dem Kreiselspiel abgaben, ist uns schon
aus Vasenbildem bekannt.^)
Dem reizvollen und in seiner Art einzig dastehenden
Motiv entspricht leider die Gilte der Ausführung nicht. Die
*) Vgl. Hartwig, Meisterschalen 8. 658.
(66]
Bronze hat in der Linienführung etwas Eckiges und Unaus-
geglichenes, Ober- und Unterkörper scheinen im Aufbau nicht
gut zueinander zu stimmen. Die Füße, die Hände und die
Brust sind übermäßig plump geraten, der Kopf sollte wohl
individuell erscheinen, wirkt aber nur ungeschickt angelegt.
Alles in allem läßt die Statuette eine richtige künstlerische
Schulung vermissen. Man spürt gewisse Anlehnungen an
gute Yorbilder, ohne diese näher bestimmen zu können, da
sie durcheinandergeworfen und verzerrt worden sind. Ich
glaube, wir dürfen in diesen Schwächen ein Kriterium etrus-
kischer Kunstart erkennen, die griechische Werke nach
eigenem Geschmack umstilisierte. Am Ende des 4. Jahr-
hunderts V. Chr. dürfte die Bronze etwa entstanden sein.
[67]
WEIBLICHE GEWANDFIGUR
Tafel 28
Aus der Fonnan Collection, Katalog Nr. 72. Höhe 0,105.
Stehende Frau in enganschließendem, bis fast zu den
Ftlßen herabreichendem, hemdartigem Gewand mit kurzen
Ärmeln. Sie streckt beide Arme seitwärts rom Körper ab,
die linke Hand ist leer, die rechte hielt wie zum Wurf aus-
holend einen Ball oder eine Frucht. Das Gesicht ist recht
roh ausgeführt, die Haare sind in gestanzten Spiralen an-
gegeben, die gedrehte Löckchen darstellen sollen. Es ist eine
etruskische Arbeit, bei deren Stillosigkeit sich schwer über
die Entstehungszeit urteilen läßt Wahrscheinlich bildete die
Figur den Teil eines Gerätes.
[68 1
HERAEliES
Tafel 28
Aus der Forman Collection, Katalog Nr. 75. Höhe 0,11.
Die Attribute beider Hände fehlen jetzt. Ein sehr ge-
wöhnlicher spätetruskischer Typus des unbärtigen Herakles
in Angriffstellung. Er trägt das Löwenfell auf dem Kopf
und über dem linken Arm, die erhobene Rechte schwang die
Keule, die vorgestreckte Linke hielt den Bogen. Verhältnis-
mäßig gutes Exemplar.
[69 1
REITER
Tafel 29
Aus der Forman Collection, Katalog Nr. 122. Höhe 0,12.
Der Reiter, früher wohl durch Lotung mit dem Pferd ver-
bunden, ist jetzt abnehmbar.
Auf einem sich bäumenden, mit den Hinterbeinen auf
einer profilierten runden Basis befestigten Hengst reitet ein
nackter Jüngling. Er streckt beide Unterarme zur Zügel-
haltung wagrecht vor, sein Haar ist wulstartig aufgebunden.
Die frisch empfundene Komposition ist in der Ausführung
ziemlich nachlässig, wohl entsprechend dem rein dekorativen
Zweck der Bronze, die vermutlich die Krönung eines Kan-
delabers bildete. Der Stil ist entwickelt etruskisch oder früh-
römisch, auf hellenistischer Grundlage fußend. Ein genau
übereinstimmendes Stück befindet sich in Paris im Cabinet
des Mödailles.^)
■) Brontes de la bibliothiqne nationale Nr. 893.
[70]
BÜSTE DBS DOMITIAN
Tafel 30
Aus Lyon. Höhe 0,16 m. Die linke Schulter und der
linke Annansatz sind weggebrochen, ein großes Loch in der
linken Backe ist mit Gips ausgefüllt. Die Bronze ist hohl
gegossen, die Büste war, wie vorhandene Reste zeigen, mit
Blei gefüllt, hinten ist in ihren sich an dieser Stelle ver-
breiternden Rand ein jetzt nur noch im Ansatz erhaltener,
im Querschnitt quadratischer (iVa '■ IV2 cm) Eisendübel einge-
lassen, der zur Befestigung des Stückes an eine Rückwand
diente. Dieser Verwendung entsprechend ist das Haar am
Hinterkopf nur flüchtig angelegt.
Es ist ein sicheres Porträt des römischen Kaisers Domitian,
das, weil nur eine zu einem Gerät gehörige kunsthandwerk-
liche Arbeit, nicht mit besonderer Feinheit durchgebildet ist,
aber doch in charakteristischer Weise das unsympathische
Äußere dieses Flaviers wiedergibt, sein dickes Gesieht mit
der gebogenen Nase, die durch eine Verletzung der Bronze
an der Spitze etwas abgeplattet ist, dem runden Kinn und
dem falschen Ausdruck der leicht schielenden Augen. Das
[71 1
Haar ist, wie vielfach bei den flavischen Porträts, in einzelnen
gebogenen Löckchen gearbeitet, die Augensterne sind durch
ganz kleine runde Löcher wiedergegeben. Die Büste trl^
den Panzer mit dem vor der rechten Schulter geknüpften
Paludamentum , eine sehr günstige Tracht für dekorative
Wirkung.
Wie die Bronze verwendet war, d. h. an welch einem
Hintergrund sie angebracht zu denken ist, läßt sich nicht
mehr mit Gewißheit ausmachen, nur macht die Befestigungs-
art mittels eines Eisendübels wahrscheinlich, daß das be-
treffende Gerät, dem die Büste als Verzierung diente, eben-
falls aus Eisen oder wenigstens aus eisenbeschlagenem Holz
war, wie z. B. die in Pompeji gefundenen Geldtruhen, an
denen sich solche bronzene Emblemata in Büstenform finden.^)
Unsere Bronze zeigt übrigens, daß die für römische Porträts
angenommene Entwicklung der Büstenform, nach der die Arm-
ansätze erst in antoninischer Zeit ausgebildet werden, solche
dekorativen Appliken nicht in sich begreift.
1) Mau, Pomp<öi ' S. 260.
172]
KOPFGBFASS
Tafel 31
Aus der Forman Collect! on. Katalog Nr. 156, Taf. 9.
Höhe 0,155, mit Henkel 0,26. Die Pupillen, die besonders
eingesetzt waren, fehlen jetzt.
Eine Jünglingsbüste, unten grade abgeschnitten, so daß
ein Fuß überflüssig wurde, ist als Grefäßform benutzt. Aus
dem Haar steigt in Gestalt einer aufstrebenden Locke beider-
seits eine runde Öse auf, an welcher der bogenförmige
Henkel mit den fein profilierten aufgebogenen Enden ver-
mittelst eines verbindenden Ringes befestigt ist; die Enden
dieser Ringe schlingen sich in Spiralwindungen ineinander.
Den Deckel bildet ein runder Haarausschnitt oben auf dem
Kopf, der an einem im Scheitelpunkt befindlichen Scharnier
aufklappbar ist und eine Öffnung von 4 cm Durchmesser
verschließt.
Die Brust, über die schräg eine auf der linken Schulter
durch einen Knopf zusammengehaltene Chlamys läuft, sowie
das Gesicht zeigen volle weichliche Formen und erinnern
zusammen mit dem lockigen tief in die Stirn fallenden Haar
an den Antinous-Typus, ohne daß es mir gerechtfertigt er-
l 73 ] ,0
scheint, unserer Bronze geradezu diesen Namen zu geben.^)
Dazu gleichen die sehr allgemein ideal gehaltenen Züge
doch zu wenig dem charakteristischen Porträt des schönen
Bithyniers ; die der Büstenform und der Ausführung nach in
hadrianische Zeit gehörige Arbeit mag allerdings durch
dieses beeinflußt worden sein. Es wird irgendeine Gottheit
dargestellt sein, wie öfters in derartigen Kopfgefäßen.
Gefäße in Form menschlicher Köpfe zu gestalten, ist der
antiken Toreutik und Keramik von früh an geläufig, doch
scheint die hier angewandte Art, wo ein Teil der Schädel-
decke selbst als Deckel dient, erst in der römischen Kaiser-
aeit aufgekommen zu sein. Wenn hier auch ein eigentlicher
Ausguß im Gegensatz zu den älteren Kopfgefäßen fehlt, so
deutet doch die ganze Form auf eine Verwendung als Be-
hälter von Flüssigkeiten, etwa wohlriechenden Essenzen hin.
Die Arbeit des vorliegenden Exemplares hebt sich aus der
Reihe der übrigen gleichartigen Stücke durch ihre unge-
wöhnlich gute und sorgfältige Ausführung heraus, die für
hadrianische Plastik charakteristische etwas leblose Glätte
kommt auch in diesem rein dekorativen Werk recht präg-
nant zum Ausdruck.
*) Wie es der Katalog der Forman Colkction tut.
[74]
ARMFRAGMENT
Tafel 32
Länge 0,165, Höhe der kleinen Hand 0,04.
Das Fragment, ein rechter Unterarm, der mit den Fingern
einen kleineren linken Unterarm, an dessen Hand die Finger
gestreckt sind, umspannt, ist in seinem jetzigen Zustand ein
Rätsel. Die Spuren im Innern der großen Hand verraten,
daß der kleinere Arm sich hier noch weiter fortgesetzt hat.
Auffallend ist die mangelhafte Ausarbeitung der kleinen
Hand, die sehr steif und leblos wirkt und es daher nicht sehr
wahrscheinlich macht, daß wir hier den Rest einer Gruppe,
etwa des Polyphem, der einen Gefährten des Odysseus packt,
vor uns haben. Eher wird man vielleicht an eine zur Schau
getragene Yotivhand denken dürfen.
[ 75]
TIGERKOPF ALS WASSERSPEIER
Tafel 33—34
Aus Sammlung Lipperheide. Helbings Auktionskatalog,
München 1910, Nr. 654, Taf. 14. Aus Italien. Ehemals Samm-
lung Milani. Länge 0,245.
Die Schnauze ist etwas platt gedrückt. Der Kopf diente
wie die runde Öffnung im weitaufgerissenen Maul, aus dem
die Zunge heraushängt, sowie das im Kopfinnern befestigte,
hinten noch in beträchtlicher Länge (lOVt cm) herausragende
Bronzerohr zeigen, als Brunnenmündung, vermutlieh in einem
Tomehmen römischen Hause, denn die Bronze ist in Anlage
wie Ausführung eine dekorative Arbeit ersten Ranges, die alle
sonst erhaltenen ähnlichen Stücke weit überragt.^) Der Meister
muß ein ausgezeichnetes griechisches Vorbild benutzt haben,
das in wunderbar einfacher Stilisierung die unbändige Wild-
heit des Raubtieres im Gesichtsausdruck festzuhalten ver-
standen hat. Nach der Bildung der Augen möchte man als
Entstehungszeit für den Typus das vierte Jahrhundert oder
den Anfang der hellenistischen Epoche annehmen.
1) Zvi vergleichen sind die beiden Tigerköpfe in Berlin, Österr. Jahreshefte 1904
8. 154, und in Neapel, Museo Borbonico I Taf. 51. Femer Cook Collection Taf. 34.
[76]
GROSSER DEINOS
Tafel 35
Aus Unteritalien. Höhe 0,39, Umfang 1,29. Untersatz und
Deckelgriff fehlen, die Zugehörigkeit des Deckels ist nicht
absolut sicher.
Der Gefäßkörper ist getrieben, dagegen der angenietete
Mündungsrand gegossen. Um den Bauch läuft, sehr fein aus-
geführt, ein graviertes Band von abwechselnd Lotosknospen
und Lotosblüten um, die Schulter schmückt ein Blattstab Orna-
ment. Der Deines diente wohl als Aschenbehälter, er gehört
dem Anfang des fünften Jahrhunderts v. Chr. an.
( 77
HYDRIA
Tafel 36—37.
Angeblich aus Kyzikos. Höhe 0,462. Das Gefäß ist etwa
in der Höhe der Seitenhenkel aus einer oberen und einer
unteren Hälfte zusammengesetzt Der Yertikalhenkel fehlt
jetzt, an der Reliefapplike sind die Gesichter der beiden
Figuren ergänzt Der Fuß und die Henkel sind gegossen,
der Körper ist getrieben.
Aus dem vierten Jahrhundert hat sich eine Gruppe als
Aschenbehälter verwendeter griechischer Hydrien erhalten,
an deren Körper unterhalb des Vertikalhenkels eine ge-
triebene Reliefapplike mit figürlicher Darstellung angebracht
zu sein pflegt. Unter diesen Reliefs tiberwiegen Szenen
aus dem Kreise des Dionysos und der Aphrodite, sehr be-
liebt scheint aber auch das ftlr unser Gefäß gewählte Thema
gewesen zu sein, die Entfülirung der Oreithyia durch Boreas.
Diese findet sich außerdem noch auf einer Hydria-Applike
im British Museum^) und auf einer kürzlich bei Mesembria
in Bulgarien gefiindenen Hydria.*) Endlich wird noch eine
') Catalogue uf the bronzes Nr. 310. Abgeb. Wiener Vorlegeblätter II, Taf. 9, 3.
») Athen. Mut. 1911, 8. 311 ff.
[78]
weitere Hydria mit demselben Relief beiläufig erwähnt^),
wemi diese nicht etwa mit der unsrigen identisch ist.
Der bärtige Boreas mit mächtigen ausgebreiteten Flügeln,
die einen wirksamen Hintergrund für die Figuren bilden,
hat die sich sträubende Oreithyia emporgehoben und eilt mit
seiner Beute fort. Im einzelnen stimmt unser Relief sehr
genau mit dem von Mesembria überein. Boreas hat den
rechten Arm von vorne um die Oreithyia gelegt, ihr linker
Arm und ihr Kopf, an den die erhobene Rechte greift, hän-
gen seitwärts herab, der Kopf in dem Exemplar von Mesem-
bria tiefer als in dem Münchner. Der linke Arm des Boreas
ist nicht sichtbar. Die Komposition der Applike im British
Museum ist eine andere, hier legt Boreas die Linke von
hinten um die Oreithyia, während er mit der Rechten den
hinter seinem Kopf vorbeigeführten Arm des Mädchens am
Handgelenk gepackt hält. Ihr Kopf, an den die Linke greift,
befindet sich in gleicher Höhe mit dem des Boreas. Un-
leugbar wirkt die Gruppe so lebendiger und geschlossener
als im andern Fall, sie schließt sich enger an die delische
Akroteriengruppe an, die im fünften Jahrhundert den gleichen
Stoff behandelte.")
>) Catalogue 0/ the hronzes in the British Museum. S. XLIV Anm. ») Bull. corr.
hell. III Taf. 11. Archäol. Zeitung 1882 S. 339.
[19]
GRIECfflSCHER KLAPPSPIEGEL MIT
ATHENAKOPF
Tafel 38
Aus Griechenland. Durchmesser 0,165. An dem Relief-
kopf fehlen die Enden der Helmbüsche.
Das Gerät besteht aus zwei Teilen, der blankpolierten Spiegel-
platte und dem sie schützenden Deckel, dessen Außenseite
ein aufgelöteter Athenakopf in getriebenem Relief schmückt.
Die beiden Scheiben, die auf der Innenseite mit konzentrischen
Ringen verziert sind, und zwar die Spiegelplatte erhaben,
der Deckel vertieft, waren durch ein Scharnier verbunden,
von dem der an der Deckelplatte mit zwei Nieten befestigte
Teil noch vorhanden ist. Der lose mitgefundene Bügelgriff
ist der zum Aufhängen des Gerätes dienende Träger.
Ein einzelner Kopf wii*d häufig in dieser Gruppe grie-
chischer Klappspiegel, die am Ende des fünften Jahrhunderts
und vor allem im vierten in Mode war, als Deckelemblem
verwendet. Hier ist es Athena, ganz von vorne gesehen, in
attischem Helm mit drei großen Büschen, von denen der
mittlere quer über der mit Schuppenmuster verzierten Helm-
kappe steht. Lange Locken rahmen das Gesicht ein, der
Brustabschnitt ist vom Gewand bedeckt. Der Kopf ist eine
gute dekorative Leistung, die augenscheinlich stark unter
dem Einfluß der phidiasischen Parthenos steht, wenn auch
in den Einzelheiten versucht wurde. Eigenes zu geben.
[80]
GRIECHISCHER KLAPPSPIEGEL MIT GREIF
Tafel 39
Aus Griechenland. Durchmesser 0,205. Die Deckelplatte
ist stark beschädigt, an dem mit Nieten auf ihr befestigten,
getriebenen Greifen fehlen die Vorderbeine, der Schwanz
und ein Stück des linken Flügels.
Spiegel- und Deckelplatte sind jetzt getrennt, doch ist an
letzterer noch das sie einst verbindende Scharnier erhalten.
Als Reliefschmuck für die Außenseite des Deckels wählte
der Künstler einen geflügelten laufenden Greifen, dessen
lang gestreckter Körper mit den erhobenen Flügeln das
Rund ganz vortrefflich ausfüllt. Das Tier ist im einzelnen
außerordentlich lebendig durchmodelliert, der magere sehnige
Raubtierleib in größter Natürlichkeit wiedergegeben, die
Flügelgravierung sehr fein ausgefülirt. Der Greifentypus ist
der durch den freien Stil des fünften Jahrhunderts ausge-
bildete, der im vierten Jahrhundert, dem der Spiegel an-
gehört, weiter wirkt. Yon der üblichen Stachelmähne findet
sich nur eine ganz schwache Andeutung.
[81]
11
PRANESTINISCHE CISTA
Tafel 40—43
Aus der Sammlung Sarti. Auktionskatalog Eom 1906,
Nr. 99, Tafel 10 (Pollak), American Journal 1911, S. 465 ff.,
Tafel 12 (Chase). Gesamtliöhe 0,446. Fünf von den acht am
Gefäßkörper befestigten Ketten, die zum Tragen dienten,
fehlen jetzt.
Die Ciste ruht auf drei gegossenen Füßen in Gestalt von
runden profilierten Untersätzen, auf denen Raubtierfüße stehen,
die sich oben zu einer Art ionischen Kapitells ausbilden. Auf
diesen ist ein zum Sprung geduckter Löwe mit offenem Bachen
und heraushängender Zunge angebracht. Die Löwen sind in
archaisierendem Stil gehalten. Der zylinderförmige Körper der
Ciste ist reich mit Gravierungen geschmückt, oben und unten
läuft ein Palmettenband um, in der Mitte ein breiter Streifen mit
Gigantomachie-Darstellung, in den wie bei dieser Gefäßgattung
üblich die Knöpfe, an denen die Ketten befestigt sind, rück-
sichtslos die Gravierung bedeckend eingeschlagen sind. Das
Bild besteht aus drei Kampfgruppen, drei Göttern und vier
Giganten. Athena zückt die Lanze gegen einen ins Knie
gesunkenen Krieger, der mit beiden Händen einen Felsblock
schleudern will, Dionysos reitet auf seinem Panther über einen
[82]
am Boden liegenden Gegner, Poseidon stößt mit dem Drei-
zack nach einem geflügelten fisclileibigen Wesen, das mit
beiden Händen einen Baumast als Waffe schwingt, hinter
dem Gott eilt ein mit der Streitaxt bewaffneter Krieger sich
umblickend fort. Ein Baum und ein Fels, auf dem ein
Gigantenschild liegt, beleben die Szenerie, zwei Sterne sind
als Ornamente eingestreut. Auf dem Deckel sind innerhalb
eines Lorbeerkranzes zwei fliegende nackte Frauen mit langen
Tänien in den Händen, die eine mit Schuhen an den Füßen,
eingrayiert. ^)
Die Zeichnung ist in dem flotten aber flüchtigen Stil
dieser Gattung gehalten, wie er auch den etruskischen Spiegeln
eigen ist. Wenn auch griechische Vorbilder, vermutlich unter-
italische Vasenbilder, den einzelnen Figuren als Vorbild
gedient haben, stark etruskisch beeinflußt ist die ganze Arbeit
dennoch zweifellos, das zeigt die Ausführung sowohl wie
Terschiedene Eigenarten der Darstellung, so das Amazonenbeil
in den Händen des einen Kriegers und der fischleibige geflügelte
Dämon, der ungriechisch ist. Etruskischer Kunst nahe steht
auch die Gruppe der beiden gegossenen Kundfiguren, die als
Deckelgriff dient, ein Satyr und eine Satyressa, nackt mit
spitzen Ohren, in freiem Stil gearbeitet aber überschlank in
den Proportionen nach etruskischem Geschmack. Die Ciste
gehört dem dritten Jahrhundert v. Chr. an.
') Tafel 41—43 nach Originalzeichnungen von K. Reichhold.
83 ]
ZWEI KANTHAROI
Tafel 44
Höhe 0,125 und 0,106. Angeblich aus Galaxidi. Zwei
Becher in Kelchform auf hohem profilierten Fuß mit breiter
Standfläche, der eine von schlanken, der andere Ton gedrückteren
Proportionen, beide mit zwei elegant geschwungenen, sich
etwas über den Gefäßrand erhebenden Henkeln. Die Henkel
zeigen oben eine für die Handhabung sehr praktische Endigung.
Der Form nach gehören die Gefäße dem dritten Jahrhundert
T. Chr. an.
[ 84
HELM
Tafel 45
Aus Griechenland. Höhe 0,19. Hinten fehlt ein Teil der Kappe.
Der getriebene Helm hat die ältere korinthische Form des
6. — 5. Jahrhunderts mit großen eckigen Backenklappen, starkem
Nasenschutz und zwickeiförmigen Ausschnitten auf den Seiten.
Ihm nächst yerwandt ist der dem olympischen Zeus geweihte
Helm im Besitz des Bischofs von Lincoln^), der gleichfalls die
Eigentümlichkeit zeigt, daß die Backenklappen absichtlich in
die Höhe umgebogen sind und der Helm auf diese Weise
zur praktischen Verwendung ungeeignet gemacht ist. Bei
unserem Exemplar ist dasselbe auch noch mit dem N^asen-
schutz geschehen. Der Grund hierfür kann nur in der
Weihung als Trophäe gesucht werden.^)
0 Journal of Hell. Stud. 1881, Tafel 11, S. 68. ») Vgl. ebenda S. 65 ff.
[85]
KEÖNUNG EmES KANDELABERS
Tafel 46
Aus Italien. H. 0,04. Die Maße der Platte betragen
0,07 : 0,075. Das als FuJß dienende Marmorstück gehört natür-
lieh nicht zu.
Ein hohlgegossenes ionisches Kapitell, das auf seiner Unter-
seite zur Befestigung eines Schaftes eine kreisrunde Ansatz-
fläche von 0,042 Durchmesser mit einer Öffnung in der Mitte
zeigt. Die leider stark oxydierte Vorderseite ist durch eine
achtblättrige Rosette in der Mitte des zwischen den Voluten
liegenden Feldes ausgezeichnet. Die viereckige Platte hat
entweder direkt den Flammenbehälter getragen^) oder eine
Figur, die ihrerseits erst als Träger für diesen diente^). Die
römische Arbeit ist außerordentlich fein und präzis ausgeführt.
») In der Art wie der Kandelaber bei Daremberg-Saglio 1,2 S. 871, Fig. 1080. ») Wie
der Kandelaber in Neapel, Overbeck, Pompeji* S. 437 b und m, wo die Sphinx auf einem
sehr ähnlichen Kapitell sitzt. Zu vergleichen ist aus älterer Zeit auch der zum Anhängen
von Lampen eingerichtete Kandelaber mit Statuette, Campte rendu 1877, Tafel III, 17, 18
und die Bronzestatuette des sog. Hermarch in New York, Delbrück, Antike Porträts Taf. 86.
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135 Die Bronzen der Sammliing
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